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+The Project Gutenberg EBook of Schatzkaestlein des rheinischen Hausfreundes
+by Johann Peter Hebel
+
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+this or any other Project Gutenberg eBook.
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+**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts**
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+**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971**
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+
+
+Title: Schatzkaestlein des rheinischen Hausfreundes
+ Eine Auswahl aus verschiedenen Quellen
+
+Author: Johann Peter Hebel
+
+Release Date: April, 2005 [EBook #7810]
+[Yes, we are more than one year ahead of schedule]
+[This file was first posted on May 19, 2003]
+
+Edition: 10
+
+Language: German
+
+Character set encoding: iso-8859-1
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHATZKAESTLEIN ***
+
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+Produced by Juliet Sutherland and Mike Pullen
+
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+This Etext is in German.
+
+
+This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE.
+That project is reachable at the web site http://gutenberg2000.de.
+
+Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE"
+zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse
+http://gutenberg2000.de erreichbar.
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+
+Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
+Eine Auswahl aus verschiedenen Quellen
+
+Johann Peter Hebel
+
+
+Inhalt
+
+Abendlied wenn man aus dem Wirtshaus geht
+Baumzucht
+Bequeme Schiffahrt, wer's dafür halten will
+Blutbad in Neuburg am Rhein
+Böser Markt
+Brassenheimer Siegesnachrichten vom Jahre 1813
+Brennende Menschen
+Brotlose Kunst
+Dankbarkeit
+Das Bettlerkind
+Das Blendwerk
+Das Bombardement von Kopenhagen
+Das Branntweingläslein
+Das fremde Kind
+Das letzte Wort
+Das Mittagessen im Hof
+Das schlaue Mädchen
+Das seltsame Rezept
+Das Vivat der Königin
+Das wohlbezahlte Gespenst
+Das wohlfeile Mittagessen
+Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande
+Der Barbierjunge von Segringen
+Der betrogene Krämer
+Der Bock
+Der falsche Edelstein
+Der fechtende Handwerksbursche in Anklam
+Der fremde Herr
+Der Fremdling in Memel
+Der fromme Rat
+Der Furtwanger in Philippsburg
+Der geduldige Mann
+Der geheilte Patient
+Der geheilte Patient
+Der Generalfeldmarschall Suwarow
+Der geschlossene Magen
+Der grosse Sanhedrin zu Paris
+Der grosse Schwimmer
+Der Handschuhhändler
+Der Heiner und der Brassenheimer Müller
+Der Herr Graf
+Der Herr Wunderlich
+Der Husar in Neisse
+Der kann Deutsch
+Der kluge Richter
+Der kluge Sultan
+Der Kommandant und die badischen Jäger in Hersfeld
+Der Lehrjunge
+Der listige Kaufherr
+Der listige Quäker
+Der listige Steiermarker
+Der Prozess ohne Gesetz
+Der Rekrut
+Der Rekrut
+Der schlaue Husar
+Der schlaue Mann
+Der schlaue Pilgrim
+Der Schneider in Pensa
+Der Schneider in Pensa
+Der schwarze Mann in der weissen Wolke
+Der sicherste Weg
+Der silberne Löffel
+Der sinnreiche Bettler
+Der Star von Segringen
+Der Talhauser Galgen
+Der unschuldig Gehenkte
+Der Vater und der Sohn
+Der verachtete Rat
+Der verwegene Hofnarr
+Der vorsichtige Träumer
+Der Wasserträger
+Der Wegweiser
+Der Wettermacher
+Der wohlbezahlte Spassvogel
+Der Wolkenbruch in Türkheim
+Der Zahnarzt
+Der Zirkelschmied
+Des Dieben Antwort
+Des Seilers Antwort
+Die Bekehrung
+Die Besatzung von Oggersheim
+Die drei Diebe
+Die falsche Schätzung
+Die gute Mutter
+Die lachenden Jungfrauen
+Die leichteste Todesstrafe
+Die nasse Schlittenfahrt
+Die Ohrfeige
+Die Ohrfeige
+Die Probe
+Die Raben
+Die Schlafkameraden
+Die Schmachschrift
+Die Tabaksdose
+Die Wachtel
+Die Wachtel
+Die Weizenblüte
+Die zwei Postillione
+Drei Worte
+Drei Wünsche
+Drei Wünsche
+Ein gutes Rezept
+Ein Hausmittel
+Ein teurer Kopf und ein wohlfeiler
+Ein Wort gibt das andere
+Eine merkwürdige Abbitte
+Eine seltsame, jedoch wahrhafte Geschichte
+Eine sonderbare Wirtszeche
+Einer Edelfrau schlaflose Nacht
+Einer oder der andere
+Einfältiger Mensch in Mailand
+Einträglicher Rätselhandel
+Erinnerung an die Kriegszeit
+Etwas aus der Türkei
+Farbenspiel
+Franz Ignaz Narocki
+Franziska
+Geschwinde Reise
+Gleiches mit Gleichem
+Glück im Unglück
+Glück im Unglück
+glücklich über die Grenzen kam
+Gute Antwort
+Gute Geduld
+Gutes Wort, böse Tat
+Heimliche Enthauptung
+Herr Charles (Eine wahre Geschichte)
+Hilfe in der Not
+Hochzeit auf der Schildwache
+Ist der Mensch ein wunderliches Geschöpf
+Jakob Humbel
+Kaiser Napoleon und die Obstfrau in Brienne
+Kannitverstan
+Kindesdank und Undank
+König Friedrich und sein Nachbar
+König Friedrichs Leibhusar
+Lange Kriegsfuhr
+List gegen List
+Mancherlei gute Lehren 1
+Mancherlei gute Lehren 2
+Mancherlei gute Lehren 3
+Mancherlei gute Lehren 4
+Mancherlei gute Lehren 5
+Mancherlei gute Lehren 6
+Mancherlei gute Lehren 7
+Mancherlei gute Lehren 8
+Mancherlei gute Lehren 9
+Mancherlei gute Lehren 10
+Mancherlei gute Lehren 11
+Mancherlei gute Lehren 12
+Merkwürdige Gespenstergeschichte
+Merkwürdige Schicksale eines jungen Engländers
+Merkwürdiges Rechnungsexempel 5
+Merkwürdiges Rechnungsexempel 6
+Missverstand
+Missverstand
+Mittel gegen Zank und Schläge
+Mohammed
+Moses Mendelssohn
+Pieve
+Reise nach Frankfurt
+Rettung einer Offiziersfrau
+Rettung vom Hochgericht
+Schlechter Gewinn
+Schlechter Lohn
+Schreckliche Unglücksfälle in der Schweiz
+Seinesgleichen
+Seltene Liebe
+Seltsame Ehescheidung
+Seltsamer Spazierritt
+Streich spielen
+Suwarow
+Teure Eier
+Teures Spässlein
+Tod vor Schrecken
+Unglück der Stadt Leiden
+Unglück in Kopenhagen
+Untreue schlägt den eigenen Herrn
+Unverhofftes Wiedersehen
+Unverhofftes Wiedersehen
+Vereitelte Rachsucht (Eine wahre Geschichte)
+Verloren oder gefunden
+Wasserläufer
+Wie der Zundelfrieder eines Tages aus dem Zuchthaus entwich und
+Wie der Zundelfrieder und sein Bruder dem roten Dieter abermal einen
+Wie einmal ein schönes Ross um fünf Prügel feil gewesen ist
+Wie man aus Barmherzigkeit rasiert wird
+Wie man in den Wald schreit, also schreit es daraus
+Wie sich der Zundelfrieder hat beritten gemacht
+Willige Rechtspflege
+Willige Rechtspflege
+Zwei Erzählungen
+Zwei Gehilfen des Hausfreunds
+Zwei honette Kaufleute
+Zwei Kriegsgefangene in Bobruisk
+Zwei Sprichwörter
+Zwei Weissagungen
+
+
+
+
+
+Abendlied wenn man aus dem Wirtshaus geht
+
+
+Jetzt schwingen wir den Hut.
+Der Wein, der war so gut.
+Der Kaiser trinkt Burgunder Wein,
+Sein schönster Junker schenkt ihm ein,
+Und schmeckt ihm doch nicht besser,
+Nicht besser.
+Der Wirt, der ist bezahlt,
+Und keine Kreide malt
+Den Namen an die Kammertür
+Und hintendran die Schuldgebühr.
+Der Gast darf wiederkommen,
+Ja kommen.
+Und wer sein Gläslein trinkt,
+Ein lustig Liedlein singt
+Im Frieden und mit Sittsamkeit
+Und geht nach Haus zu rechter Zeit,
+Der Gast darf wiederkehren,
+Mit Ehren.
+Des Wirts sein Töchterlein
+Ist züchtig, schlank und fein,
+Die Mutter hält's in treuer Hut,
+Und hat sie keins, das ist nicht gut,
+Musst' eins in Strassburg kaufen,
+Ja kaufen.
+Jetzt, Brüder, gute Nacht!
+Der Mond am Himmel wacht;
+Und wacht er nicht, so schläft er noch.
+Wir finden Weg und Haustür doch
+Und schlafen aus im Frieden,
+Ja Frieden.
+
+
+
+Baumzucht
+
+
+Der Adjunkt tritt mit schwarzen Lippen, ohne dass er's weiss, mit
+blauen Zähnen und herabhängenden Schnüren an den Beinkleidern zu dem
+Hausfreund. "Die Kirschen", sagt er, "schmecken mir doch nie besser,
+als wenn ich selber frei und keck wie ein Vöglein auf dem luftigen
+Baum kann sitzen und essen frischweg von den Zweigen die schönsten--
+auf einem Ast ich, auf einem andern ein Spatz.
+
+Wir nähren uns doch alle", sagt er, "an dem nämlichen grossen
+Hausvaterstisch und aus der nämlichen milden Hand; die Biene, die
+Grundel im Bach, der Vogel im Busch, das Rösslein und der Herr Vogt,
+der darauf reitet.
+
+Hausfreund", sagt der Adjunkt, "singt mir einmal in Eurer Weise das
+Liedlein vom Kirschbaum. Ich will dazu pfeifen auf dem Blatt."
+Der lieb Gott het zum Früehlig gseit:
+
+"Gang, deck im Würmli au si Tisch!"
+Druf het der Chriesbaum Blätter treit,
+viel tausig Blätter grüen und frisch.
+Und's Würmli, us em Ei verwacht's,
+'s het gschlofen in sim Winterhus;
+es streckt si und sperrt 's Müli uf
+Und ribt die blöden Augen us.
+
+Und druf, se het's mit stillem Zahn
+am Blättli gnagt enanderno
+und gseit: "Wie isch das Gmües so guet!
+Me chunnt schier nimme weg dervo."
+
+Und wieder het der lieb Gott gseit:
+
+"Deck jetz im Imli au si Tisch!"
+
+Druf het der Chriesbaum Blüete treit,
+viel tausig Blüete wiss und frisch.
+
+Und 's Imli sieht's und fliegt druf los,
+früeih in der Sunne Morgeschin;
+Es denkt: "Das wird mi Kaffi sy,
+sie hen doch chosper Porzelin."
+
+"Wie sufer sin die Chächeli geschwenkt!"
+Es streckt si troche Züngli dry.
+
+Es trinkt und seit: "Wie schmeckt's so süess,
+Do muess der Zucker wolfel sy."
+
+Der lieb Gott het zuem Summer gseit:
+
+"Gang, deck im Spätzli au si Tisch!"
+Druf het der Chriesbaum Früchte treit,
+viel tausig Chriesi rot und frisch.
+Und 's Spätzli seit: "Isch das der Bricht?
+Do sitzt me zue und frogt nit lang.
+Das git mer Chraft in Mark und Bei
+Und stärkt mer d' Stimm zuem neue Gsang."
+
+"Hausfreund", sagte der Adjunkt, "hat Euch auch manchmal der
+Feldschütz verjagt ab den Kirschenbäumen in Eurer Jugend? Und habt
+Ihr, wenn's noch so dunkel war, den Weg doch gefunden auf die
+Zwetschgenbäume im Pfarrgarten zu Schopfen und Äpfel und Nüsse
+eingetragen auf den Winter wie meiner Schwiegermutter ihr
+Eichhörnlein, das sie Euch geschenkt hat? Man denkt doch am längsten
+dran, was einem in der Jugend begegnet ist."
+
+"Das geht natürlich zu,", sagte der Hausfreund; "man hat am längsten
+Zeit daran zu denken."
+
+Der lieb Gott het zum Spötlig gseit:
+
+"Rum ab! sie hen jetz alli gha!"
+Druf het e chüele Bergluft gweiht,
+Und 's het scho chleini Rife g’ha.
+Und d' Blättli werden gel und rot
+und fallen eis im andere no,
+und was vom Boden obsi chunnt,
+muss au zuem Bode nidsi go.
+
+Der lieb Gott het zuem Winter gseit:
+"Deck weidli zui, was übrig isch."
+
+Druf het der Winter Flocke gstreut--
+
+"Hausfreund", sagt der Adjunkt, "Ihr seid ein wenig heiser. Wenn ich
+die Wahl hätte: ein eigenes Kühlein oder ein eigener Kirschbaum oder
+Nussbaum, lieber ein Baum."
+
+Der Hausfreund sagt: "Adjunkt, Ihr seid ein schlauer Gesell. Ihr
+denkt, wenn ich einen eigenen Baum hätte, so hätt' ich auch einen
+eigenen Garten oder Acker, wo der Baum darauf steht. Eine eigene
+Haustüre wäre auch nicht zu verachten, aber mit einem eigenen
+Kühlein auf seinen vier Beinen könntet Ihr übel dran sein."
+
+"Das ist's eben", sagt der Adjunkt, "so ein Baum frisst keinen Klee
+und keinen Haber. Nein, er trinkt still wie ein Mutterkind den
+nährenden Saft der Erde und saugt reines, warmes Leben aus dem
+Sonnenschein und frisches aus der Luft und schüttelt die Haare im
+Sturm. Auch könnte mir das Kühlein zeitlich sterben. Aber so ein
+Baum wartet auf Kinder und Kindeskinder mit seinen Blüten, mit
+seinen Vogelnestern und mit seinem Segen. Die Bäume wären die
+glücklichsten Geschöpfe, meint der Adjunkt, wenn sie wüssten, wie
+frei und lustig sie wohnen, wie schön sie sind im Frühling und in
+ihrem Christkindleinsstaat im Sommer, und alles stehen bleibt und
+sie betrachtet und Gott dankt, oder wenn der Wanderer ausruht in
+ihrem Schatten, und ein Pfeiflein Tabak geniesst, oder ein Stücklein
+Käs, und wie sie gleich dem Kaiser Wohltaten austeilen können und
+jung und alt froh machen umsonst und im Winter allein nicht
+heimgehen. Nein, sie bleiben draussen und weisen den Wandersmann
+zurecht, wenn Fahrwege und Fusspfade verschneit sind: "Rechts--
+jetzt links--jetzt noch ein wenig links über das Berglein.
+
+"Hausfreund", sagt der Adjunkt, "wenn Ihr einmal Vogt werdet,
+Stabhalter seid Ihr schon, oder gar Kreisrat, das Alter hättet Ihr,
+so müsst Ihr Eure Untergebenen fleissig zur Baumzucht und zur
+Gottseligkeit anhalten und ihnen selber mit einem guten Beispiel
+voranleuchten. Ihr könnt Eurer Gemeinde keinen grösseren Segen
+hinterlassen. Denn ein Baum, wenn er gesetzt oder gezweigt wird,
+kostet nichts oder wenig; wenn er aber gross ist, so ist er ein
+Kapital für die Kinder und trägt dankbare Zinsen. Die Gottseligkeit
+aber hat die Verheissung dieses und des zukünftigen Lebens".
+
+"Wenn ich mir einmal so viel bei Euch erworben habe", sagt der
+Adjunkt zum Hausfreund, "dass ich mir ein eigenes Gütlein kaufen und
+meiner Schwiegermutter ihre Tochter heiraten kann, und der liebe
+Gott beschert mir Nachwuchs, so setze ich jedem meiner Kinder ein
+eigenes Bäumlein, und das Bäumlein muss heissen wie das Kind,
+Ludwig, Johannes, Henriette, und ist sein erstes eigenes Kapital und
+Vermögen, und ich sehe zu, wie sie miteinander wachsen und gedeihen
+und immer schöner werden, und wie nach wenig Jahren das Büblein
+selber auf sein Kapital klettert und die Zinsen einzieht. Wenn mir
+aber der liebe Gott eines von meinen Kindern nimmt, so bitte ich den
+Herrn Pfarrer oder den Dekan und begrabe es unter sein Bäumlein, und
+wenn alsdann der Frühling wiederkehrt, und alle Bäume stehen wie
+Auferstandene von den Toten in ihrer Verklärung da, voll Blüten und
+Sommervögel und Hoffnung, so lege ich mich an das Grab und rufe
+leise hinab: "Stilles Kind, dein Bäumlein blüht. Schlafe du indessen
+ruhig fort! Dein Maitag bleibt dir auch nicht aus."
+
+Er ist kein unwäger Mensch, der Adjunkt.
+
+
+
+Bequeme Schiffahrt, wer's dafür halten will
+
+
+Ein Schiff wurde von Mannheim den Neckar hinauf nach Heidelberg
+gezogen. Kommt hinterdrein mit vollem Felleisen und ein Paar
+heraushängender Stiefelschuhe ein Handwerksbursche. "Darf ich auch
+mit für Geld und gute Worte? Was muss ich geben?" Der Schiffmeister,
+der ein gar lustiger Kumpan war, sagte: "Fünfzehn Kreuzer, wenn Ihr
+in's Schiff wollt sitzen. Wollt Ihr aber helfen ziehen, nur sechs.
+Das Felleisen könnt Ihr mir in das Schiff werfen, es hindert Euch
+sonst nur." Der Handwerksbursche fing an zu rechnen. "Fünfzehn
+Kreuzer--sechs Kreuzer--sechs von fünfzehn bleibt neun." Die neun
+Kreuzer, dachte er, kann ich verdienen. "Wenn's denn erlaubt ist",
+sagte er und warf das Felleisen in das Schiff. Hernach schlang er
+eins von den Seilern über die Achsel und half ziehen, was er nach
+Leibeskräften vermochte. "Wir kommen eher an Ort und Stelle", dacht'
+er, "wenn ich nicht lass bin." In Heidelberg aber entrichtete er
+sechs Kreuzer Fährgeld--für die Erlaubnis mit zu ziehen und nahm
+das Felleisen wieder in Empfang.
+
+
+
+Blutbad in Neuburg am Rhein
+
+
+Als im Dreissigjährigen Krieg der Schwed am Rhein war, stachen
+einmal die Neuburger eine schwedische Patrouille tot und sagten:
+"Wenn wir nach Schweden kommen, macht's uns auch so." Darob
+entrüstete sich der schwedische General dergestalt; dass er einen
+hohen und teuren Schwur tat. "Auch kein Hund soll am Leben bleiben",
+schwur er hoch und teuer, und hatte etwas im Kopf, ein Gläslein
+Norschinger zuviel. Als solches die Neuburger hörten, schlossen sie
+die Tore zu. Aber am andern Tag, als der Zorn und der Wein von dem
+General gewichen war, da reute es ihn, denn er war vormittags ein
+gar menschlicher Herr, und bekam fast grosse Anfechtung in seinem
+Gewissen, dass er mit viel unschuldigem Blut sein Wort und seinen
+Eid sollt' lösen. Also liess er den Feldprediger kommen und klagte
+ihm seine Not. Der Feldprediger meinte zwar, massen der
+Feldhauptmann einen Schwur getan hätte, der Gott leid sei, so sei
+brechen besser als halten. Das glaubte der Feldhauptmann nicht, denn
+er hielt sein Wort und seinen Schwur über alles teuer. Aber nach
+langem Besinnen kam's auf einmal wie Sonnenschein in sein Angesicht,
+und sagte: "Was ich geschworen habe, das will ich auch halten,
+Punktum!" Als aber die schwedischen Zimmerleute das Stadttor hatten
+eingehauen, und der Feldhauptmann ritt selber mit drei Fähnlein
+hinein, befahl er, alle Hunde im Städtlein zu töten, aber die
+Menschen liess er leben, und wurden selbigen Tages neunzehn grosse
+Metzgerhunde, drei Schäferhunde, vierundsechzig Pudel, acht
+Windhunde, zwölf Dachshunde und zwei gar feine Möpperlein jämmerlich
+teils zusammengehauen, teils mit Büchsen zu Tod geschossen. Also hat
+der Feldhauptmann das menschliche Blut verschont und doch seinen Eid
+gehalten. Denn er hatte den Schwur getan: Kein Hund soll am Leben
+bleiben, und ist auch keiner daran geblieben.
+
+
+
+Böser Markt
+
+
+In der grossen Stadt London und rings um sie her gibt es
+ausserordentlich viel gute Narren, die an anderer Leute Geld oder
+Sackuhren oder kostbaren Fingerringen eine kindische Freude haben
+und nicht ruhen, bis sie dieselben haben. Dies bringen sie zuweg
+manchmal durch List und Betrug, noch öfter durch kühnen Angriff,
+manchmal am hellen, lichten Tag und an der offenen Landstrasse.
+Einem geratet es, dem andern nicht. Der Kerkermeister zu London und
+der Scharfrichter wissen davon zu erzählen. Eine seltsame Geschichte
+begegnete aber eines Tages einem vornehmen und reichen Mann. Der
+König und viele andere grosse Herren und Frauen waren an einem
+schönen Sommertage in einem grossen königlichen Garten versammelt,
+dessen lange, gewundene Gänge sich in der Ferne in einem Wald
+verloren. Viele andere Personen waren auch zugegen, denen es nicht
+auf einen Gang und auf ein paar Stunden ankam, ihren geliebten König
+und seine Familie froh und glücklich zu sehen. Man ass und trank,
+man spielte und tanzte; man ging spazieren in den schönen Gängen und
+zwischen dem duftenden Rosengebüsch, paarweise und allein, wie es
+sich traf. Da stellte sich ein Mensch, wohl gekleidet, als wenn er
+auch dazu gehörte, mit einer Pistole unter dem Rock in einer
+abgelegenen Gegend an einen Baum, wo der Garten an den Wald grenzt,
+dachte: es wird schon jemand kommen. Wie gesagt, so geschehen. Kommt
+ein Herr mit funkelndem Fingerring, mit klingenden Uhrenketten, mit
+diamantnen Schnallen, mit breitem Ordensband und goldnem Stern, will
+spazieren gehn im kühlen Schatten und denkt an nichts. Indem er an
+nichts denkt, kommt der Geselle hinter dem Baum hervor, macht dem
+guten Herrn ein bescheidenes Kompliment, zieht die Pistole zwischen
+dem Rock und Kamisol heraus, richtet ihr Maul auf des Herrn Brust
+und bittet ihn höflich, keinen Lärm zu machen, es brauche niemand zu
+wissen, was sie miteinander zu reden haben. Man muss übel dran sein,
+wenn man vor einer Pistole steht, weil man nicht weiss, was drin
+steckt. Der Herr dachte vernünftig: Der Leib ist kostbarer als das
+Geld; lieber den Ring verloren als den Finger; und versprach zu
+schweigen. "Gnädiger Herr", fuhr jetzt der Geselle fort: "wären Euch
+Eure zwei goldenen Uhren nicht feil für gute Bezahlung? Unser
+Schulmeister richtet die Uhr alle Tage anderst, man weiss nie, wie
+man dran ist, und an der Sonnenuhr sind die Zahlen verwischt." Will
+der reiche Herr wohl oder übel, so muss er dem Halunken die Uhren
+verkaufen für ein paar Stüber oder etwas, so man kaum ein Schöpplein
+dafür kann trinken. Und so handelt ihm der Spitzbube Ring und
+Schnallen und Ordensstern und das goldne Herz, so er vorne auf der
+Brust im Hemd hatte, Stück für Stück ab um schlechtes Geld und immer
+mit der Pistole in der linken Hand. Als endlich der Herr dachte:
+Jetzt bin ich absolviert, gottlob! fing der Spitzbube von neuem an:
+"Gnädiger Herr, weil wir so gut miteinander zurechtkommen, wollet
+Ihr mir nicht auch von meinen Waren etwas abhandeln?" Der Herr denkt
+an das Sprichwort, dass man müsse zu einem bösen Markt ein gutes
+Gesicht machen, und sagt: "Lasst sehen!" Da zog der Bursche allerlei
+Kleinigkeiten aus der Tasche hervor, so er vom Zweibatzenkrämer
+gekauft oder auch schon auf einem ungewischten Bank gefunden hatte,
+und der gute Herr musste ihm alles abkaufen, Stück für Stück um
+teures Geld. Als endlich der Spitzbube nichts mehr als die Pistole
+übrig hatte und sah, dass der Herr noch ein paar schöne Dublonen in
+dem grünen, seidenen Geldbeutel hatte, sprach er noch: "Gnädiger
+Herr, wolltet Ihr mir für den Rest, den Ihr da, in den Händen habt,
+nicht die Pistole abkaufen? Sie ist vom besten Büchsenschmied in
+London und zwei Dublonen unter Brüdern wert." Der Herr dachte in der
+Überraschung: "Du dummer Dieb!" und kauft die Pistole. Als er aber
+die Pistole gekauft hatte, kehrte er den Stiel um und sprach "Nun
+halt, sauberer Geselle, und geh augenblicklich voraus, wohin ich
+dich heissen werde, oder ich schiesse dich auf der Stelle tot." Der
+Spitzbube aber nahm einen Sprung in den Wald und sagte: "Schiesst
+herzhaft los, gnädiger Herr; sie ist nicht geladen." Der Herr
+drückte ab, und es ging wirklich nicht los, wie nebenstehende Figur
+beweist; denn sonst müsste man Rauch sehen. Er liess den Ladstock in
+den Lauf fallen, und es war kein Körnlein Pulver darin. Der Dieb
+aber war unterdessen schon tief im Wald, und der vornehme Engländer
+ging schamrot zurück, dass er sich also habe in Schrecken setzen
+lassen, und dachte an vieles.
+
+
+
+Brassenheimer Siegesnachrichten vom Jahre 1813
+
+
+Im Spätjahr 1813 erfuhren wir Brassenheimer von dem Krieg in Sachsen
+auch lange nichts anders, als lauter Liebes und Gutes, wer nämlich
+französisch gesinnt war, und niemand hatte bei Turmstrafe das Herz,
+etwas anderes zu wissen, noch viel weniger zu sagen, ausgenommen ein
+lustiger Kumpan, der Spielmann in der untern Gasse, hat's gemerkt.
+Was tut der Spielmann? Er geht ins Amtshaus. "Herr Amtmann, die
+Hochzeiten- und Kirchweihtänze wollen heuer gar nicht recht geraten.
+Wolltet Ihr mir und meinen Kameraden nicht erlauben, dann und wann
+an einem Sonntag abends im Roten Löwen eine Komödie zu spielen für
+ein Geringes?" Der Amtmann erwiderte: "Reichenauer, das lob' ich an
+Euch, dass Ihr Euch lieber auf eine geziemliche Art forthelfen und
+Euern Mitbürgern einen lustigen Abend dafür machen wollt, als dass
+Ihr wieder Schulden macht oder stehlt." Also kündeten sie auf den
+nächsten Sonntag eine nagelneue Komödie an. Es sei die neueste,
+sagten sie, die es gibt. In derselben Komödie musste einer
+mitspielen, der hiess Franz, und hatte eine Frau mit Namen Viktoria,
+ein gar stattliches, handfestes Weibsbild. Im Verlauf der Komödie
+musste es sich schicken, dass der Franz mit einem fremden Mann
+Verdruss bekam. Der Zank gebar Schimpf, der Schimpf gebar Schläge,
+und wer die meisten bekam, war nicht der fremde Mann, sondern der
+Franz, also dass er zuletzt seine Frau zu Hilfe rief. Weil sie aber
+Viktoria hiess, konnte er nicht Apollonia oder Kunigunda rufen, und
+also fügete es sich, dass, je mehr er Schläge bekam und je besser
+sie aufsassen, desto lauter rief er: "Viktoria! Viktoria!" Daran
+haben wir Brassenheimer, was verständige Leute unter uns sind, zum
+ersten Mal gemerkt, wie es damals in Sachsen stehen mochte, und was
+es zu bedeuten hatte, wenn man schrie: "Viktoria! Viktoria!" Der
+Herr Amtmann hat zum Glück nichts gemerkt.
+
+
+
+Brennende Menschen
+
+
+Zwar von feurigen Mannen hat man schon oft gehört, aber seltener von
+brennenden Frauen. Eine Apothekersfrau geht nachts mit der Magd in
+den Keller und will etwas holen. Die Magd steigt mit dem Licht auf
+eine Stellasche, greift auf den Schaft, wirft eine grosse Flasche
+voll Branntwein um, worin ungefähr 6-8 Mass waren, und zerbricht
+sie, der Branntwein strömt plötzlich herab, so über die Magd, so
+über die Frau. Das Licht kommt der Magd an den Ärmel. Die Magd fangt
+an lichterloh zu brennen, rot mit gelbem Schein. Die Frau will ihr
+zu Hilfe eilen. Die Frau brennt auch an. Beide rennen brennend die
+Treppe hinauf in den Hof. Der Apothekerjung sieht's und springt
+davon, meint, es woll' ihn einer holen, mit dem man nicht gern geht,
+den der Hausfreund nicht nennen darf. Im Hof am Brunnen begiessen
+sie sich mit Wasser. Das Wasser wird nicht Meister über den
+Branntewein. Endlich wirft sich die Magd auf den Dunghaufen im Hof
+und wälzt sich darauf. Die Frau wirft sich ebenfalls auf den
+Dunghaufen und wälzt sich auch. Beide löschten aus; die Magd wurde
+noch geheilt, aber die Frau musste sterben.
+Merke: Wenn man brennt, muss man sich auf einem Misthaufen wälzen.
+Solches ist auch gut für die, welche den Branntewein inwendig im
+Leib haben.--
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+Brotlose Kunst
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+In der Stadt Aachen ist eine Fabrik, in welcher nichts als Nähnadeln
+gemacht werden. Das ist keine brotlose Kunst. Denn es werden in
+jeder Woche 200 Pfund Nadeln verfertigt, von denen 5000 Stück auf
+ein Pfund gehen; Facit: eine Million, und der Meister Schneider und
+die Näherin und jede Hausmutter weiss wohl, wieviel man für einen
+Kreuzer bekommt, und es ist nicht schwer auszurechnen, wie viel Geld
+an den Aachener Nadeln in der Fabrik selbst und durch den Handel
+jährlich verdient und gewonnen wird. Das Werk geht durch Maschinen,
+und die meisten Arbeiter sind Kinder von acht bis zehn Jahren.
+Ein Fremder besichtigte einst diese Arbeiten und wunderte sich, dass
+es möglich sei, in die allerfeinsten Nadeln mit einem noch feinern
+Instrument ein Loch zu stechen, durch welches nur der allerfeinste,
+fast unsichtbare Faden kann gezogen werden. Aber ein Mägdlein,
+welchem der Fremde eben zuschaute, zog sich hierauf ein langes Haar
+aus dem Kopfe, stach mit einer der feinsten Nadeln ein Loch dadurch,
+nahm das eine Ende des Haares, bog es um und zog es durch die
+Öffnung zu einer artigen Schleife oder, wie man's sonst nennt,
+Schlupf oder Letsch.
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+Das war so brotlos eben auch nicht. Denn das Mägdlein bot dieses
+künstlich geschlungene Haar dem Fremden zum Andenken und bekam dafür
+ein artiges Geschenk, und das wird mehr als einmal im Jahr geschehen
+sein. Solch ein kleiner Nebenverdienst ist einem fleissigen Kinde
+wohl zu gönnen.
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+Aber während ehrliche Eltern und Kinder aller Orten etwas Nützliches
+arbeiten und ihr Brot mit Ehren verdienen und mit gutem Gewissen
+essen, zog zu seiner Zeit ein Tagdieb durch die Welt, der sich in
+der Kunst geübt hatte, in einer ziemlich grossen Entfernung durch
+ein Nadelöhr kleine Linsen zu werfen. Das war eine brotlose Kunst.
+Doch lief es auch nicht ganz leer ab. Denn als der Linsenschütz
+unter anderm nach Rom kam, liess er sich auch vor dem Papst sehen,
+der sonst ein grosser Freund von seltsamen Künsten war, hoffte ein
+hübsches Stück Geld von ihm zu beikommen und machte schon ein paar
+wunderfreundliche Augen, als der Schatzmeister des Heiligen Vaters
+mit einem Säcklein auf ihn zuging, und bückte sich entsetzlich tief,
+als ihm der Schatzmeister das ganze Säcklein anbot.
+
+Allein was war darin? Ein halber Becher Linsen, die ihm der weise
+Papst zur Belohnung und Aufmunterung seines Fleisses übermachen
+liess, damit er sich in seiner Kunst noch ferner üben und immer
+grössere Fortschritte darin machen könne.
+
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+Dankbarkeit
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+In der Seeschlacht von Trafalgar, während die Kugeln sausten und die
+Mastbäume krachten, fand ein Matrose noch Zeit, zu kratzen, wo es
+ihn biss, nämlich auf dem Kopf. Auf einmal streifte er mit
+zusammengelegtem Daumen und Zeigefinger bedächtig an einem Haare
+herab und liess ein armes Tierlein das er zum Gefangenen gemacht
+hatte, auf den Boden fallen. Aber indem er sich niederbückte, um ihm
+den Garaus zu machen, flog eine feindliche Kanonenkugel ihm über den
+Rücken weg, paff, in das benachbarte Schiff. Da ergriff den Matrosen
+ein dankbares Gefühl, und überzeugt, dass er von dieser Kugel wäre
+zerschmettert worden, wenn er sich nicht nach dem Tierlein gebücket
+hätte, hob er es schonend von dem Boden auf und setzte es wieder auf
+den Kopf. "Weil du mir das Leben gerettet hast", sagte er; "aber
+lass dich nicht zum zweiten Mal attrapieren, denn ich kenne dich
+nimmer."
+
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+Das Bettlerkind
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+Zu einem betagten Herrn, der zwar wohltätig, aber fast wunderlich
+war, kommt ein freundliches Bettelkind und bittet ihn um ein
+Almosen. "Wir haben schon seit dem Samstag kein Weissbrot mehr, und
+das schwarze ist so teuer, weil die Laibe so gross sind." Der Herr,
+der auf Ordnung hielt und das Betteln nicht wohl leiden konnte,
+sagte: "Weil du sonst so bescheiden bist, ich habe dich noch nie
+gesehen, und heute zum ersten Mal zu mir kommst, so will ich dir
+zwar ein Sechskreuzerlein schenken. Aber unterstehe dich nicht, dass
+du dich wieder bei mir blicken lassest, sonst geht's mit einem
+Groschen ab." Also holte das Kind in Zukunft den Groschen fast über
+jeden andern Tag. Als er aber des Überlaufens müde war, sagte er:
+"Jetzt bin ich's müde. Wenn du dich noch einmal unterstehst, so
+setze ich dich auf einen Kreuzer herab." Also kam das Kind in
+Zukunft alle Morgen und holte den Kreuzer. Die Köchin riet dem
+Herrn, er solle dem Kind gar nie mehr etwas geben, so wird's schon
+wegbleiben. "So?" sagte er, "das ist mir ein sauberer Rat. Seht Ihr
+nicht, je weniger man ihm gibt, desto öfter kommt's?"
+
+
+
+Das Blendwerk
+
+
+Manche Leute, wenn sie etwas sehen, das sie nicht begreifen, noch
+weniger nachmachen können, so sagen sie kurz und gut, das ist ein
+Blendwerk. Nämlich, dass man etwas zu sehen glaube, wo nichts ist,
+oder dass man die Sache anders sehe, als sie wirklich ist.
+Dass es aber viel Blendwerk gibt, das unterliegt keinem Zweifel. Z.
+B. wenn jemand im Mondschein auf der Strasse ist und sieht an einer
+Mauer oder im Nebel seinen Schatten aufrecht, dass er meint, es sei
+ein ungebetener Kamerad, der mit ihm geht, einer von der schwarzen
+Legion.
+
+Item, wenn jemand einen falschen Freund für einen guten Freund hält
+und trotz aller Warnung dem Spitzbuben traut, bis er zuletzt um Hab
+und Gut betrogen ist und die Hände über dem Kopf zusammenschlägt.
+Das ist ein grosses Blendwerk.
+Item, wenn jemand meint, etwas sei ein Blendwerk, und ist doch
+keins.
+
+In einem namhaften Ort am Rheinstrom kam ein Gaukler an, ein
+Tausendkünstler, und bekam die Erlaubnis, auf einer alten Heubühne,
+die schon lange nicht mehr war gebraucht worden, seine Künste zu
+zeigen, und zwar gleich zum letzten Mal. Fast die ganze Gemeinde
+versammelte sich, und es war der Mühe wert.
+
+Dem Vernehmen nach--der Hausfreund war nicht dabei--brachte der
+Tausendkünstler zuerst zwei schwarze Katzen hervor, die hörten
+einander das grosse Einmaleins ab und rechneten verschiedene Exempel
+aus der verkehrten Regeldetri.
+
+Nachdem schlupfte er durch einen metallenen Fingerring hindurch und
+kam auf der andern Seite lebendig und ebenso dick wieder an, als er
+vorher war.
+
+Etwas an der Sache scheint übertrieben zu sein.
+
+Hierauf sagte er, das sei aber noch alles nichts. Jetzt wolle er
+sich mit einem scharfen Schrotmesser den Bauch aufschneiden. Hernach
+wolle er ganz in den Bauch hineinschlupfen, dass man gar nichts mehr
+von ihm sehe. Hernach wolle er sich wieder aus sich selber
+herauswickeln, dass er wieder sichtbar werde.
+
+Ehe er aber das grosse Wägestück beginnen konnte, fing die Bühne an
+zu knacken. Es kracht links, es kracht rechts. Knack, stürzte der
+morsche Boden zusammen, und die ganze Zuschauerschaft wäre in dem
+untern Raume zusammengestürzt, wenn nicht noch einer sich an einem
+schwebenden Balken erhalten hätte. Die andern lagen alle unten. Da
+entstand nun ein grosses, vierstimmiges Not- und Zetergeschrei von
+Männern, Weibern, Kindern und Säuglingen. Es ist gar klug, wenn man
+kleine Kinder zu so etwas mitträgt. Sie sehen alles gar gut, und
+wenn's an Musik fehlt, so können sie machen. Alles schrie: "O mein
+Kopf, o mein Arm, o meine Rippen", so dass der oben auf dem Balken
+genug zu trösten und zu ermahnen hatte. "Habt doch nur Geduld",
+sagte er, "und seid verständig! Man muss sich ja schämen vor dem
+fremden Mann: Merkt ihr denn nicht, dass es nur Blendwerk ist? Euch
+Leuten", sagte er, "ist keine Ehre anzutun." Denn er hielt das
+Unglück für ein Blendwerk vom Künstler und meinte, unversehens
+würden wieder alle an ihren Plätzen sitzen.
+
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+Das Bombardement von Kopenhagen
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+In der ganzen gefahrvollen Zeit von 1789 an, als ein Land nach dem
+andern entweder in die Revolution oder in einen blutigen Krieg
+gezogen wurde, hatte sich das Königreich Dänemark teils durch seine
+Lage, teils durch die Weisheit seiner Regierung den Frieden
+erhalten. Sie lebte niemand zu lieb und niemand zu leid, dachte nur
+darauf, den Wohlstand der Untertanen zu vermehren, wurde deswegen
+von allen Mächten in Ehren erhalten. Als aber im Jahr 1807 der
+Engländer sah, dass Russland und Preussen von ihm abgegangen sei,
+und mit dem Feind Frieden gemacht habe, und dass die Franzosen in
+allen Häfen und festen Plätzen an der Ostsee Meister sind, und die
+Sache schlimm gehen kann, wenn sie auch noch sollten nach Dänemark
+kommen, sagte er kein Wort, sondern liess eine Flotte auslaufen, und
+niemand wusste, wohin. Als aber die Flotte im Sund und an der
+dänischen Küste und vor der königlichen Haupt- und Residenzstadt
+Kopenhagen stand, und alles sicher und ruhig war, so machten die
+Engländer Bericht nach Kopenhagen hinein: "Weil wir so gute Freunde
+zusammen sind, so gebt uns gutwillig bis zum Frieden eure Flotte,
+damit sie nicht in des Feindes Hände kommt, und die Festung. Denn es
+wäre uns entsetzlich leid, wenn wir euch müssten die Stadt über dem
+Kopfe zusammenschiessen." Als wenn ein Bürgersmann oder Bauer mit
+einem andern einen Prozess hat, und kommt in der Nacht mit seinen
+Knechten einem Nachbar vor das Bette, und sagt: "Nachbar, weil ich
+mit meinem Gevattermann einen Prozess habe, so müsst Ihr mir bis
+Ausgang der Sache Eure Rosse in meine Verwahrung geben, dass mein
+Gegenpart nicht kann darauf zu den Advokaten reiten, sonst zünd' ich
+Euch das Haus an, und müsst mir erlauben, dass ich an der Strasse
+mit meinen Knechten in Euer Kornfeld stehe, auf dass, wenn der
+Gevattermann auf seinem eigenen Ross zum Hofgericht reiten will, so
+verrenn' ich ihm den Weg." Der Nachbar sagt: "Lass mir mein Haus
+unangezündet! Was gehn mich eure Händel an?" Und so sagten die Dänen
+auch. Als aber der Engländer fragte: "Wollt ihr gutwillig oder
+nicht?" und die Dänen sagten: "Nein, wir wollen nicht gutwillig!" so
+stieg er mit seinen Landungstruppen ans Ufer, rückte immer näher
+gegen die Hauptstadt, richtete Batterien auf, führte Kanonen drein,
+und sagte am 2. September nach dem Frieden von Tilsit, jetzt sei die
+letzte Frist. Allein alle Einwohner von Kopenhagen und die ganze
+dänische Nation sagten: Das Betragen des übermütigen Feindes sei
+unerhört, und es wäre eine Schande, die der Belt nicht abwaschen
+könnte, sich durch Drohungen schrecken zu lassen und in seine
+ungerechten Forderungen einzuwilligen. Nein! Da fing das
+fürchterliche Gericht an, das über diese arme Stadt im Schicksal
+beschlossen war. Denn von abends um sieben Uhr an hörte das
+Schiessen auf Kopenhagen, mit 72 Mörsern und schweren Kanonen, die
+ganze Nacht hindurch zwölf Stunden lang nimmer auf; und ein Satan,
+namens Congreve, war dabei, der hatte ein neues Zerstörungsmittel
+erfunden, nämlich die sogenannten Brandraketen. Das war ungefähr ein
+Art von Röhren, die mit brennbaren Materien angefüllt wurden, und
+vorne mit einem kurzen spitzigen Pfeil versehen waren. Im Schuss
+entzündet sich die Materie, und, wenn nun der Pfeil an etwas
+hinfuhr, wo er Habung hatte, so blieb er stecken, manchmal wo
+niemand zukommen konnte, und die Feuermaterie zündete an, was
+brennen konnte. Auch diese Brandraketen flogen die ganze Nacht in
+das arme Kopenhagen hinein. Kopenhagen hatte damals 4000 Häuser,
+85’965 Einwohner, 22 Kirchen, 4 königliche Schlösser, 22
+Krankenspitäler, 30 Armenhäuser, einen reichen Handel und viele
+Fabriken. Da kann man denken, wie mancher schöne Dachstuhl in dieser
+angstvollen Nacht zerschmettert wurde, wie manches bange Mutterherz
+sich nicht zu helfen wusste, wie manche Wunde blutete, und wie die
+Stimme des Gebets und der Verzweiflung, das Sturmgeläute und der
+Kanonendonner durcheinander ging. Am 3. September, als der Tag kam,
+hörte das Schiessen auf, und der Engländer fragte, ob sie noch nicht
+wollten gewonnen geben. Der Kommandant von Kopenhagen sagte: "Nein!"
+Da fing das Schiessen nachmittags um vier Uhr von neuem an, und
+dauerte bis den 4. September mittags fort, ohne Unterlass und ohne
+Barmherzigkeit. Und als der Kommandant noch nicht wollte Ja sagen,
+fing abends das Feuer wieder an, und dauerte die ganze Nacht bis den
+5. des Mittags. Da lagen mehr als 300 schöne Häuser in der Asche;
+ganze Kirchtürme waren eingestürzt, und noch überall wütete die
+Flamme. Mehr als 800 Bürger waren schon getötet und mehrere schwer
+verwundet. Ganz Kopenhagen sah hier einer Brandstätte, oder einem
+Steinhaufen, da einem Lazarett, und dort einem Schlachtfeld gleich.
+Als endlich der Kommandant von Kopenhagen nirgends mehr Rettung noch
+Hülfe und überall nur Untergang und Verderben sah, hat er am 7.
+September kapituliert, und der Kronprinz hat's nicht einmal gelobt.
+Das erste war, die Engländer nahmen die ganze Seeflotte von
+Kopenhagen in Besitz und führten sie weg: 18 Linienschiffe, 15
+Fregatten und mehrere kleinere bis auf eine Fregatte, welche der
+König von England ehemals dem König von Dänemark zum Geschenk
+gemacht hatte, als sie noch Freunde waren. Diese liessen sie zurück.
+Der König von Dänemark schickte sie ihnen aber auch nach, und will
+nichts Geschenktes mehr zum Andenken haben. Im Land selbst und auf
+den Schiffen hausten die Engländer als böse Feinde, denn der Soldat
+weiss nicht, was er tut, sondern denkt: Wenn sie es nicht verdient
+hätten, so führte man keinen Krieg mit ihnen. Zum Glück dauerte ihr
+Aufenthalt nicht lange; denn sie schifften sich am 19. Oktober
+wieder ein, und fuhren am 21. mit der dänischen Flotte und dem Raub
+davon, und der Congreve ist unterwegs ertrunken und hat Frau und
+Kinder nimmer gesehen. Von dem an hielten die Dänen gemeinschaftlich
+mit den Franzosen, und Kaiser Napoleon will nicht eher mit den
+Engländern Friede machen, als bis sie die Schiffe wieder
+zurückgegeben, und Kopenhagen bezahlt haben. Dies ist das Schicksal
+von Dänemark, und die Freunde der Engländer sagen, es sei nicht so
+schlimm gemeint gewesen; andere aber sagen, es hätte nicht können
+schlimmer sein, und die Dänen meinen's auch.
+
+
+
+Das Branntweingläslein
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+Ein Unteroffizier trat im Roten Rösslein ein von der Parade. Der
+Wirt sagt zu ihm: "Aber den habt Ihr nicht schlecht getroffen heut
+in dem Kasernenhof. Was hat er angestellt?"--"Nicht wahr, ich hab'
+ihn gut getroffen?" sagte der Unteroffizier. "Es ist ein
+ausgelernter Spitzbube, gegen den keine Vorsicht hilft. Er ist
+imstand und stiehlt Euch ein Rad vom Wagen, während Ihr darauf sitzt
+und Wein holt im Ramstal. Kommt Ihr herein, so habt Ihr noch drei
+Räder." Der Wirt sagt: "Mir ist keiner schlau genug. Der ist noch
+nicht auf der Welt." Denn der Wirt war ein wenig dumm. Es ist fast
+immer ein Zeichen von Unverstand, wenn man allein klüger zu sein
+glaubt als alle andern. Deswegen sagte er: mir ist keiner schlau
+genug. Der Unteroffizier sagte: "Gilt's einen Taler, er führt Euch
+an?" Der Wirt geht die Wette ein. Nachmittags kommt der Soldat mit
+einem Branntweinfläschlein in der Hand und verlangt für einen
+Sechser Branntenwein. Er habe daheim einen kranken Kameraden. Er
+hatte aber noch ein anderes Fläschlein von gleicher Grösse und
+Gestalt in der Tasche, darin war Brunnenwasser, so viel als man
+Branntwein bekommen mag für sechs Kreuzer. Als er in das leere
+Fläschlein den Branntwein bekommen hatte, steckte er es zu dem
+andern in die nämliche Tasche und gab dem Wirt einen Sechser, der
+war falsch. Als er aber schon an der Türe war, während der Wirt den
+Sechser umkehrte, ruft er dem Soldaten: "Guter Freund, Euer Sechser
+ist falsch auf der untern Seite. Gebt mir einen andern." Der Soldat
+stellte sich schrecklich erbost über den Spitzbuben, der ihm den
+falschen Sechser gegeben hatte, und zum Unglück habe er keinen
+andern bei sich. Er wolle aber sogleich einen holen.--"Nein", sagte
+der Wirt, "so ist's nicht gewettet. Gebt den Branntwein wieder
+heraus, und holt zuerst das Geld." Da stellte ihm der Soldat das
+Fläschlein auf den Tisch, wo das Brunnenwasser drin war, und ging
+und kam nicht wieder. Abends kam der Unteroffizier.
+
+"Ei, seid Ihr es?" sagte der Wirt und lachte aus vollem Halse. "Was
+gilt's, Ihr wollt mir einen Taler bringen." Der Unteroffizier aber
+lächelte nur, zwar etwas spöttisch und sagte: "Nein, ich will einen
+holen. Versucht einmal Euern Branntwein, ob er nicht schmeckt
+akkurat wie Brunnenwasser." Da wusste der Wirt vor Verwunderung und
+Beschämung nicht, was er sagen wollte. Der Unteroffizier aber sagte
+spöttisch: "Euch ist keiner schlau genug." Also hatte er den Taler
+gewonnen, doch durfte der Wirt sechs Kreuzer davon abziehen, was der
+Branntwein kostete, und bekam, wie das Sprichwort sagt, zum Schaden
+den Spott.
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+Das fremde Kind
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+Durch den Schnee und durch die Tannen des Schwarzwalds kommt abends
+am 5. Dezember 1807 ein achtjähriges Mägdlein halb barfuss, halb
+nackt vor das Häuslein eines armen Taglöhners im Gebirg und gesellt
+sich, mir nichts, dir nichts, zu den Kindern des armen Mannes, die
+vor dem Hause waren, und gaukelt mit ihnen, geht mit ihnen, mir
+nichts, dir nichts, in die Stube und denkt weiter nimmer ans
+Fortgehen. Nicht anders als ein Schäflein, das sich vor der Herde
+verlaufen hat und in der Wildnis herumirrt, wenn es wieder zu
+seinesgleichen kommt, so hat es keinen Kummer mehr. Der Taglöhner
+fragt das Kind, wo es herkomme. "Oben aben von Gutenberg."--"Wie
+heisst dein Vater?"--"Ich habe keinen Vater."--"Wie heisst deine
+Mutter?"--"Ich habe keine Mutter."--"Wem gehörst du denn sonst
+an?"--"Ich gehöre niemand sonst an."--Aus allem, was er fragte,
+war nur so viel herauszubringen, dass das Kind von den Bettelleuten
+sei aufgelesen worden, dass es mehrere Jahre mit Bettlern und
+Gaunern sei herumgezogen, dass sie es zuletzt in St. Peter haben
+sitzen lassen, und dass es allein über St. Märgen gekommen sei und
+jetzt da sei. Als der Taglöhner mit den Seinigen zu Nacht ass,
+setzte sich das fremde Kind auch an den Tisch. Als es Zeit war zu
+schlafen, legte es sich auf den Ofenbank und schlief auch; so den
+andern Tag, so den dritten. Denn der Mann dachte: ich kann das arme
+Kind nicht wieder in sein Elend hinausjagen, so schwer es mich
+ankommt, eins mehr zu füttern. Aber am dritten Tag sagte er zu
+seiner Frau: "Frau, ich will's doch auch dem Herrn Pfarrer
+anzeigen." Der Pfarrherr lobte die gute Denkungsart des armen
+Mannes, der Hausfreund auch; "aber das Mägdlein", sagte der
+Pfarrherr, "soll nicht das Brot mit Euern Kindern teilen, sonst
+werden die Stücklein zu klein. Ich will ihm einen Vater und eine
+Mutter suchen." Also ging der Pfarrherr zu einem wohlhabenden und
+gutdenkenden Mann in seinem Kirchspiel, der selber wenig Kinder hat,
+und der Hausfreund weiss just nicht, wie er's dem Manne sagte:
+"Peter", sagte er, "wollt Ihr ein Geschenk annehmen?"--"Nach dem's
+ist", sagte der Mann.--"Es kommt von unserm lieben Herr Gott.--
+"Wenn's von dem kommt, so ist's kein Fehler." Also bot ihm der
+Pfarrherr das verlassene Mägdlein an und erzählte ihm die Geschichte
+dazu, so und so. Der Mann sagte: "Ich will mit meiner Frau reden. Es
+wird nicht fehlen." Der Mann und die Frau nahmen das Kind mit
+Freuden auf. "Wenn's guttut", sagte der Mann, so will ich's
+erziehen, bis es sein Stücklein Brot selber verdienen kann. Wenn's
+nicht guttut, so will ich's wenigstens behalten bis im Frühjahr.
+Denn dem Winter darf man keine Kinder anvertrauen." Jetzt hat er's
+schon viermal überwintert und viermal übersommert auch. Denn das
+Kind tat gut, ist folgsam und dankbar und fleissig in der Schule,
+und Speise und Trank ist nicht der grösste Gotteslohn, den das
+fromme Ehepaar an ihm ausübt, sondern die christliche Zucht, die
+väterliche Erziehung und die mütterliche Pflege. Wer das fremde
+Töchterlein unter den andern in der Schule sieht, sollt' es nicht
+erkennen, so gut sieht es aus, und so sauber ist es gekleidet. So
+etwas tut dem Hausfreund wohl, und er könnte den braven Taglöhner
+und die braven Pflegeeltern des Kindes mit Namen nennen, wer sie
+sind, und wie sie heissen. Aber über seinen Mund kommt's nicht.
+
+
+
+Das letzte Wort
+
+
+Zwei Eheleute in einem Dorf an der Donau herwärts Ulm lebten
+miteinander, die waren nicht für einander gemacht, und ihre Ehe ward
+nicht im Himmel geschlossen. Sie war verschwenderisch und hatte eine
+Zunge wie ein Schwert; er war karg, was nicht etwa in den eigenen
+Mund und Magen ging. Nannte er sie eine Vergeuderin, so schimpfte
+sie ihn einen Knicker, und es kam nur auf ihn an, wie oft er seinen
+Ehrentitel des Tags hören wollte. Denn wenn er hundertmal in einer
+Stunde Vergeuderin sagte, sagte sie hundertundeinmal: "Du Knicker",
+und das letzte Wort gehörte allemal ihr. Einmal fingen sie es wieder
+miteinander an, als sie ins Bett gingen, und sollen's getrieben
+haben bis früh um fünf Uhr, und als ihnen zuletzt vor Müdigkeit die
+Augen zufielen und ihr das Wort auf der Zunge einschlafen wollte,
+kneipte sie sich mit den Nägeln in den Arm und sagte noch einmal: Du
+Knicker! Darüber verlor er alle Liebe zur Arbeit und zur
+Häuslichkeit und lief fort, sobald er konnte, und wohin? Ins
+Wirtshaus. Und was im Wirtshaus? Zuerst trinken, danach spielen,
+endlich saufen, anfänglich um bares Geld, zuletzt auf Borgs. Denn
+wenn die Frau nichts zu Rat hält und der Mann nichts erwirbt, in
+einer solchen Tasche darf schon ein Loch sein, es fällt nichts
+heraus. Als er aber im Roten Rösslein den letzten Rausch gekauft
+hatte, und konnte ihn nicht bezahlen, und der Wirt schrieb seinen
+Namen und seine Schuld, sieben Gulden einundfünfzig Kreuzer, an die
+Stubentür, und als er nach Haus kam und die Frau erblickte: "Nichts
+als Schimpf und Schande hat man von dir, du Vergeuderin", sagte er
+zu ihr. "Und nichts als Unehre und Verdruss hat man von dir, du
+Säufer, du der und jener, du Knicker", sagte sie. Da stieg es
+schwarz und grimmig in seinem Herzen auf, und die zwei bösen
+Geister, die in ihm wohnten, nämlich der Zorn und der Rausch, sagten
+zu ihm: "Wirf die Bestie in die Donau!" Das liess er sich nicht
+zweimal sagen. "Wart', ich will dir zeigen, du Vergeuderin" ("du
+Knicker", sagte sie ihm drauf), "ich will dir schon zeigen, wo du
+hingehörst", und trug sie in die Donau. Und als sie schon mit dem
+Mund im Wasser war, aber die Ohren waren noch oben, rief der
+Unmensch noch einmal: "Du Vergeuderin." Da hob die Frau noch einmal
+die Arme aus dem Wasser empor und drückte den Nagel des rechten
+Daumens auf den Nagel des linken, wie man zu tun pflegt, wenn man
+einem gewissen Tierlein den Garaus macht, und das war ihr Letztes.--
+Dem geneigten Leser, der auf Recht und Gerechtigkeit hält, wird man
+nicht sagen dürfen, dass der unbarmherzige Mörder auch nimmer lebt,
+sondern er ging heim und henkte sich noch in der nämlichen Nacht an
+einen Pfosten.
+
+
+
+Das Mittagessen im Hof
+
+
+Man klagt häufig darüber, wie schwer und unmöglich es sei, mit
+manchen Menschen auszukommen. Das mag denn freilich auch wahr sein.
+Indessen sind viele von solchen Menschen nicht schlimm, sondern nur
+wunderlich, und wenn man sie nur immer recht kennete, inwendig und
+auswendig, und recht mit ihnen umzugehen wüsste, nie zu eigensinnig
+und nie zu nachgiebig, so wäre mancher wohl und leicht zur Besinnung
+zu bringen. Das ist doch einem Bedienten mit seinem Herrn gelungen.
+Dem konnte er manchmal gar nichts recht machen und musste vieles
+entgelten, woran er unschuldig war, wie es oft geht. So kam einmal
+der Herr sehr verdriesslich nach Hause, und setzte sich zum
+Mittagessen. Da war die Suppe zu heiss oder zu kalt oder keines von
+beiden; aber genug, der Herr war verdriesslich. Er fasste daher die
+Schüssel mit dem, was darinnen war, und warf sie durch das offene
+Fenster in den Hof hinab. Was tat der Diener? Kurz besonnen warf er
+das Fleisch, welches er eben auf den Teller stellen wollte, mir
+nichts, dir nichts, der Suppe nach auch in den Hof hinab, dann das
+Brot, dann den Wein und endlich das Tischtuch mit allem, was noch
+darauf war. "Verwegener, was soll das sein?" fragte der Herr und
+fuhr mit drohendem Zorn von dem Sessel auf. Aber der Bediente
+erwiderte ganz kalt und ruhig: "Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre
+Meinung nicht erraten habe. Ich glaubte nicht anders, als Sie
+wollten heute in dem Hofe speisen. Die Luft ist so heiter, der
+Himmel so blau, und sehen Sie nur, wie lieblich der Apfelbaum blüht,
+und wie fröhlich die Bienen ihren Mittag halten!"--Diesmal die
+Suppe hinabgeworfen, und nimmer. Der Herr erkannte seinen Fehler,
+heiterte sich im Anblick des schönen Frühlingshimmels auf, lächelte
+heimlich über den schnellen Einfall seines Aufwärters und dankte ihm
+im Herzen für die gute Lehre.
+
+
+
+Das schlaue Mädchen
+
+
+In einer grossen Stadt hatten viele reiche und vornehme Herren einen
+lustigen Tag. Einer von ihnen dachte: "Könnt ihr heute dem Wirt und
+den Musikanten wenigstens 1500 Gulden zu verdienen geben, so könnt
+ihr auch etwas für die liebe Armut steuern." Also kam, als die
+Herren am fröhlichsten waren, ein hübsches und nett gekleidetes
+Mädchen mit einem Teller und bat mit süssen Blicken und liebem Wort
+um eine Steuer für die Armen. Jeder gab, der eine weniger, der
+andere mehr, je nachdem der Geldbeutel beschaffen war und das Herz.
+Denn kleiner Beutel und enges Herz gibt wenig. Weiter Beutel und
+grosses Herz gibt viel. So ein Herz hatte derjenige, zu welchem das
+Mägdlein jetzt kommt. Denn als er ihm in die hellen, schmeichelnden
+Augen schaute, ging ihm das Herz fast in Liebe auf. Deswegen legte
+er zwei Louisdor auf den Teller und sagte dem Mägdlein ins Ohr: "Für
+deine zwei schönen blauen Augen." Das war nämlich so gemeint: Weil
+du, schöne Fürbitterin für die Armen, zwei so schöne Augen hast, so
+geb' ich den Armen zwei so schöne Louisdor, sonst tät's eine auch.
+Das schlaue Mädchen aber stellte sich, als wenn es die Sache ganz
+anders verstünde. Denn weil er sagte: "Für deine zwei schöne Augen"
+- nahm es ganz züchtig die zwei Louisdor vom Teller weg, steckte sie
+in den eigenen Sack und sagte mit schmeichelnden Gebärden: "Schönen,
+herzlichen Dank! Aber seid so gut und gebt mir jetzt auch noch etwas
+für die Armen." Da legte der Herr noch einmal zwei Louisdor auf den
+Teller, kneipte das Mägdlein freundlich in die Backen und sagte: "Du
+kleiner Schalk!" Von den andern aber wurde er ganz entsetzlich
+ausgelacht, und sie tranken auf des Mägdleins Gesundheit, und die
+Musikanten machten Tusch.
+
+
+
+Das seltsame Rezept
+
+
+Es ist sonst kein grosser Spass dabei, wenn man ein Rezept in die
+Apotheke tragen muss; aber vor langen Jahren war es doch einmal ein
+Spass. Da hielt ein Mann von einem entlegenen Hof eines Tages mit
+einem Wagen und zwei Stieren vor der Stadtapotheke still, lud
+sorgsam eine grosse tannene Stubentüre ab und trug sie hinein. Der
+Apotheker machte grosse Augen und sagte: "Was wollt Ihr da, guter
+Freund, mit Eurer Stubentüre? Der Schreiner wohnt um zwei Häuser
+links." Dem sagte der Mann, der Doktor sei bei seiner kranken Frau
+gewesen und habe ihr wollen ein Tränklein verordnen, so sei in dem
+ganzen Haus keine Feder, keine Tinte und kein Papier gewesen, nur
+eine Kreide. Da habe der Herr Doktor das Rezept an die Stubentüre
+geschrieben, und nun soll der Herr Bachin so gut sein und das
+Tränklein kochen.
+
+Item, wenn es nur gut getan hat. Wohl dem, der sich in der Not zu
+helfen weiss.
+
+
+
+Das Vivat der Königin
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+Nicht ebenso gut als der Franzos, der dem Engländer auf der Brücke
+zu Pferd begegnete, kam ein anderer Franzos zu Königszeiten mit
+einem andern Engländer davon in einem Wirtshaus. Der Engländer sass
+schon über eine halbe Stunde still und stumm in einer Ecke und
+wartete auf einen Chirurgus, hätte gern die Zähne zusammengebissen
+vor Ungeduld, aber einer davon war hohl und tat ihm von Zeit zu Zeit
+entsetzlich weh, zum Exempel diesmal. Kommt auf einmal der Franzose,
+ein Perückenmacher oder so etwas, an den Tisch, wo der Engländer
+sass, und wollte seinen Kameraden einen Spass zum besten geben. Denn
+er glaubte, der Engländer sei dumm oder noch scheu dortzuland. Also
+fing er ein langes Gespräch mit ihm an, worauf der Engländer wenig
+antwortete, rühmte ihm, was Frankreich für ein reiches und grosses
+Land sei, und dass einer schon ein gutes Pferd haben müsse, wenn
+er's in drei Vierteljahren durchreiten wollte, und wie der König so
+gerecht sei, und die Königin so gut. "Aber auf das Wohl der
+Königin", sagte er, "trinkt Ihr doch eins mit mir, und noch mehr?"
+Als sie ausgetrunken hatten, zerriss der Franzos die Hemdkrause an
+seinem alten, abgewaschenen Hemde und sagte: "Es lebe die Königin!
+Gentleman", sagte er, "Ihr müsst Eure Hemdkrause auch zerreissen auf
+das Wohlsein der Königin. Ich hab' meine auch zerrissen." "Geht zum
+Henker, Ihr Sapperment", sagte der Engländer, "Euer Hemd hat nimmer
+weit in die Papiermühle. Meins kommt nagelneu von der Näherin weg
+und ist an einigen Orten noch ganz heiss vom Durchzug der Nadel."
+Aber der Perückenmacher sagte: "Herr, ich verstehe keinen Spass!
+Entweder zerreisst Ihr Euer Hemd, oder Ihr müsst Euch mit mir
+stechen auf Leben und Tod." Wollte der fremde Engländer keinen
+Spektakel haben, so musste er seine Hemdkrause zerreissen wie der
+Franzose. Aber jetzt wurde er auf einmal freundlich und redselig und
+erzählte dem Perückenmacher viel von England und von London und von
+dem grossen Kirchturm in London, und wie einer droben schon gute
+Augen haben müsse, wenn er unten die Stadt noch sehen wolle; bis der
+Chirurgus kam. Als der Chirurgus kain und fragte, was der fremde
+Herr befehle, "seid so gut", sagte der Engländer, "und zieht mir
+diesen Stockzahn da aus, den dritten, aufs Wohlsein der Königin von
+England.! Herr", sagt er zu dem Perückenmacher, "Ihr bleibt da
+sitzen und rührt Euch nicht." Als der Zahn glücklich heraus war,
+sagte er zu dem Zahnarzt: "Seid so gut und zieht jetzt diesem Herrn
+da ebenfalls einen Zahn aus aufs Wohlsein der Königin von England.
+Guter Freund", sagte er, "Ihr müsst Euch auch einen ausreissen
+lassen, ich hab' mir auch einen ausreissen lassen." Da verging dem
+Spassmacher der Mutwillen und die roten Backen, und protestierte
+zwar, die Sache sei nicht gleich. "Euer Zahn da", sagte er, "ist so
+hohl, dass eine Häsin drin setzen könnte. Die meinigen sind alle so
+kerngesund, dass ich eine Bleikugel damit breit beissen kann. Wenn
+drei Lilien drauf wären könnt' ich Geld damit prägen." Aber der
+andere gab darauf kein Gehör, sondern sagte: "Herr, ich verstehe
+keinen Spass! Entweder Ihr lasst Euch einen Zahn ausbrechen auf der
+Stelle, oder Ihr könnt Euch mit mir stechen auf Leben und auf Tod,
+und ich bohr' Euch da an die Tür hinan, dass der Degen eine Elle
+weit in die Kammer hineingeht." Da dachte der Perückenmacher: Ein
+Zahn,--Ein Leben!--Neun Kinder hab ich daheim.--Lieber ein Zahn.
+Also liess er sich wohl oder übel auch einen ausreissen, und
+schieden darauf in Frieden voneinander. Aber zu seinen Kameraden
+sagte er nachher: "Diesmal mit einem Fremden Mutwillen getrieben,
+den ich nicht kenne! Hört man mir nichts an, wenn ich rede?"
+
+
+
+Das wohlbezahlte Gespenst
+
+
+In einem gewissen Dorfe, das ich wohl nennen könnte, geht ein
+üblicher Fussweg über den Kirchhof und von da durch den Acker eines
+Mannes, der an der Kirche wohnt, und es ist ein Recht. Wenn nun die
+Ackerwege bei nasser Witterung schlüpfrig und ungangbar sind, ging
+man immer tiefer in den Acker hinein, und zertrat dem Eigentümer die
+Saat, so dass bei anhaltend feuchter Witterung der Weg immer breiter
+und der Acker immer schmäler wurde, und das war kein Recht. Zum Teil
+wusste nun der beschädigte Mann sich wohl zu helfen. Er gab bei Tag,
+wenn er sonst nichts zu tun hatte, fleissig acht, und wenn ein
+unverständiger Mensch diesen Weg kam, der lieber seine Schuhe als
+seines Nachbars Gerstensaat schonte, so lief er schnell hinzu und
+pfändete ihn oder tat's mit ein paar Ohrfeigen kurz ab. Bei Nacht
+aber, wo man noch am ersten einen guten Weg braucht und sucht, war's
+nur desto schlimmer, und die Dornenäste und Rispen, mit welchen er
+den Wandernden verständlich machen wollte, wo der Weg sei, waren
+allemal in wenig Nächten niedergerissen oder ausgetreten, und
+mancher tat's vielleicht mit Fleiss. Aber da kam dem Mann etwas
+anderes zustatten. Es wurde auf einmal unsicher auf dem Kirchhofe,
+über welchen der Weg ging. Bei trockenem Wetter und etwas hellen
+Nächten sah man oft ein langes, weisses Gespenst über die Gräber
+wandeln. Wenn es regnete oder sehr finster war, hörte man im
+Beinhaus bald ein ängstliches Stöhnen und Winseln, bald ein
+Klappern, als wenn alle Totenköpfe und Totengebeine darin lebendig
+werden wollten. Wer das hörte, sprang bebend wieder zur nächsten
+Kirchhoftüre hinaus, und in kurzer Zeit sah man, sobald der Abend
+dämmerte und die letzte Schwalbe aus der Luft verschwunden war,
+gewiss keinen Menschen mehr auf dem Kirchhofwege, bis ein
+verständiger und herzhafter Mann aus einem benachbarten Dorfe sich
+an diesem Ort verspätete und den nächsten Weg nach Haus doch über
+diesen verschrienen Platz und über den Gerstenacker nahm. Denn ob
+ihm gleich seine Freunde die Gefahr vorstellten und lange abwehrten,
+so sagte er doch am Ende: "Wenn es ein Geist ist, geh' ich mit Gott
+als ein ehrlicher Mann den nächsten Weg zu meiner Frau und zu meinen
+Kindern heim, habe nichts Böses getan, und ein Geist, wenn's auch
+der schlimmste unter allen wäre, tut mir nichts. Ist's aber Fleisch
+und Bein, so habe ich zwei Fäuste bei mir, die sind auch schon dabei
+gewesen." Er ging. Als er aber auf den Kirchhof kam und kaum am
+zweiten Grab vorbei war, hörte er hinter sich ein klägliches Ächzen
+und Stöhnen, und als er zurückschaute, siehe, da erhob sich hinter
+ihm, wie aus einem Grab herauf, eine lange, weisse Gestalt. Der Mond
+schimmerte blass über die Gräber. Totenstille war ringsumher, nur
+ein paar Fledermäuse flatterten vorüber. Da war dem guten Manne doch
+nicht wohl zumute, wie er nachher selber gestand, und wäre gerne
+wieder zurückgegangen, wenn er nicht noch einmal an dem Gespenst
+hätte vorbeigehen müssen. Was war nun zu tun? Langsam und still ging
+er seines Weges zwischen den Gräbern und manchem schwarzen
+Totenkreuz vorbei. Langsam und immer ächzend folgte zu seinem
+Entsetzen das Gespenst ihm nach, bis an das Ende des Kirchhofs, und
+das war in der Ordnung, und bis vor den Kirchhof hinaus, und das war
+dumm.
+
+Aber so geht es. Kein Betrüger ist so schlau, er vertratet sich.
+Denn sobald der verfolgte Ehrenmann das Gespenst auf dem Acker
+erblickte, dachte er bei sich selber: Ein rechtes Gespenst muss wie
+eine Schildwache auf seinem Posten bleiben, und ein Geist, der auf
+den Kirchhof gehört, geht nicht aufs Ackerfeld. Daher bekam er auf
+einmal Mut, drehte sich schnell um, fasste die weisse Gestalt mit
+fester Hand und merkte bald, dass er unter einem Leintuch einen
+Burschen am Brusttuch habe, der noch nicht auf dem Kirchhof daheim
+sei. Er fing daher an, mit der andern Faust auf ihn loszutrommeln,
+bis er seinen Mut an ihm gekühlt hatte, und da er vor dem Leintuch
+selber nicht sah, wo er hinschlug, so musste das arme Gespenst die
+Schläge annehmen, wie sie fielen.
+
+Damit war nun die Sache abgetan, und man hat weiter nichts mehr
+davon erfahren, als dass der Eigentümer des Gerstenackers ein paar
+Wochen lang mit blauen und gelben Zieraten im Gesicht herumging und
+von dieser Stunde an kein Gespenst mehr auf dem Kirchhof zu sehen
+war. Denn solche Leute wie unser handfester Ehrenmann, das sind
+allein die rechten Geisterbanner, und es wäre zu wünschen, dass
+jeder andere Betrüger und Gaukelhans ebenso sein Recht und seinen
+Meister finden möchte.
+
+
+
+Das wohlfeile Mittagessen
+
+
+Es ist ein altes Sprichwort: Wer andern eine Grube gräbt, fällt
+selber darein.--Aber der Löwenwirt in einem gewissen Städtlein war
+schon vorher darin. Zu diesem kam ein wohlgekleideter Gast. Kurz und
+trotzig verlangte er für sein Geld eine gute Fleischsuppe. Hierauf
+forderte er auch ein Stück Rindfleisch und ein Gemüs für sein Geld.
+Der Wirt fragte ganz höflich, ob ihm nicht auch ein Glas Wein
+beliebe? "O freilich ja!", erwiderte der Gast, "wenn ich etwas Gutes
+haben kann für mein Geld." Nachdem er sich alles hatte wohl
+schmecken lassen, zog er einen abgeschliffenen Sechser aus der
+Tasche und sagte: "Hier, Herr Wirt, ist mein Geld." Der Wirt sagte:
+"Was soll das heissen? Seid Ihr mir nicht einen Taler schuldig?" Der
+Gast erwiderte: "Ich habe für keinen Taler Speise von Euch verlangt,
+sondern für mein Geld. Hier ist mein Geld. Mehr hab' ich nicht. Habt
+Ihr mir zuviel dafür gegeben, so ist's Eure Schuld."--Dieser
+Einfall war eigentlich nicht weit her. Es gehörte nur
+Unverschämtheit dazu, und ein unbekümmertes Gemüt, wie es am Ende
+ablaufen werde. Aber das Beste kommt noch. "Ihr seid ein
+durchtriebener Schalk", erwiderte der Wirt, "und hättet wohl etwas
+anderes verdient. Aber ich schenke Euch das Mittagessen und hier
+noch ein Vierundzwanzigkreuzerstück dazu. Nur seid stille zur Sache
+und geht zu meinem Nachbarn, dem Bärenwirt, und macht es ihm
+ebenso!" Das sagte er, weil er mit seinem Nachbarn, dem Bärenwirt,
+aus Brotneid in Unfrieden lebte und einer dem andern jeglichen Tort
+und Schimpf gerne antat und erwiderte. Aber der schlaue Gast griff
+lächelnd mit der einen Hand nach dem angebotenen Geld, mit der
+andern vorsichtig nach der Türe, wünschte dem Wirt einen guten
+Abend, und sagte: "Bei Eurem Nachbarn, dem Herrn Bärenwirt, bin ich
+schon gewesen, und eben der hat mich zu Euch geschickt und kein
+anderer." So waren im Grunde beide hintergangen, und der dritte
+hatte den Nutzen davon. Aber der listige Kunde hätte sich noch
+obendrein einen schönen Dank von beiden verdient, wenn sie eine gute
+Lehre daraus gezogen und sich miteinander ausgesöhnt hätten. Denn
+Frieden ernährt, aber Unfrieden verzehrt.
+
+
+
+Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande 1.
+
+
+In der Türkei, wo es bisweilen etwas ungerade hergehen soll, trieb
+ein reicher und vornehmer Mann einen Armen, der ihn um eine Wohltat
+anflehte, mit Scheltworten und Schlägen von sich ab, und als er ihn
+nicht mehr erreichen konnte, warf er ihn noch mit einem Stein. Die
+es sahen, verdross es, aber niemand konnte erraten, warum der arme
+Mann den Stein aufhob und, ohne ein Wort zu sagen, in die Tasche
+steckte, und niemand dachte daran, dass er ihn von nun an so bei
+sich tragen würde. Aber das tat er.
+
+Nach Jahr und Tag hatte der reiche Mann ein Unglück, nämlich er
+verübte einen Spitzbubenstreich, und wurde deswegen nicht nur seines
+Vermögens verlustig, sondern er musste auch nach dortiger Sitte zur
+Schau und Schande, rückwärts auf einen Esel gesetzt, durch die Stadt
+reiten. An Spott und Schimpf fehlte es nicht, und der Mann mit dem
+rätselhaften Stein in der Tasche stand unter den Zuschauern eben
+auch da, und erkannte seinen Beleidiger. Jetzt fuhr er schnell mit
+der Hand in die Tasche; jetzt griff er nach dem Stein; jetzt hob er
+ihn schon in die Höhe, um ihn wieder nach seinem Beleidiger zu
+werfen, und wie von einem guten Geist gewarnt, liess er ihn wieder
+fallen und ging mit einem bewegten Gesicht davon.
+
+Daraus kann man lernen: Erstens, man soll im Glück nicht übermütig,
+nicht unfreundlich und beleidigend gegen geringe und arme Menschen
+sein. Denn es kann vor Nacht leicht anders werden, als es am frühen
+Morgen war, und "wer dir als Freund nichts nutzen kann, der kann
+vielleicht als Feind dir schaden". Zweitens, man soll seinem Feind
+keinen Stein in der Tasche und keine Rache im Herzen nachtragen.
+Denn als der arme Mann den seinen auf die Erde fallen liess und
+davonging, sprach er zu sich selber so: "Rache an dem Feind
+auszuüben, so lange er reich und glücklich war, das war töricht und
+gefährlich; jetzt wo er unglücklich ist, wäre es unmenschlich und
+schändlich."
+
+Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande 2.
+
+Ein anderer meinte, es sei schön, Gutes zu tun an seinen Freunden,
+und Böses an seinen Feinden. Aber noch ein anderer erwiderte, das
+sei schön, an den Freunden Gutes zu tun, und die Feinde zu Freunden
+zu machen.
+
+Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande 3.
+
+Es ist doch nicht alles so uneben, was die Morgenländer sagen und
+tun.
+
+Einer, namens Lockmann, wurde gefragt, wo er seine feinen und
+wohlgefälligen Sitten gelernt habe? Er antwortete: "Bei lauter
+unhöflichen und groben Menschen. Ich habe immer das Gegenteil von
+demjenigen getan, was mir an ihnen nicht gefallen hat."
+
+Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande 4.
+
+Ein anderer entdeckte seinem Freund das Geheimnis, durch dessen
+Kraft er mit den zanksüchtigen Leuten immer in gutem Frieden
+ausgekommen sei. Er sagte so: "Ein verständiger Mann und ein
+törichter Mann können nicht einen Strohhalm mit einander zerreissen.
+Denn wenn der Tor zieht, so lässt der Verständige nach, und wenn
+jener nachlässt, so zieht dieser. Aber wenn zwei Unverständige
+zusammenkommen, so zerreissen sie eiserne Ketten.
+
+
+
+Der Barbierjunge von Segringen
+
+
+Man muss Gott nicht versuchen, aber auch die Menschen nicht. Denn im
+vorigen Spätjahr kam in dem Wirtshause zu Segringen ein Fremder von
+der Armee an, der einen starken Bart hatte und fast wunderlich
+aussah, also dass ihm nicht recht zu trauen war. Der sagt zum Wirt,
+eh' er etwas zu essen und zu trinken fordert: "Habt Ihr keinen
+Barbier im Ort, der mich rasieren kann?" Der Wirt sagt Ja und holt
+den Barbierer. Zu dem sagt der Fremde: "Ihr sollt mir den Bart
+abnehmen, aber ich habe eine kitzliche Haut. Wenn Ihr mich nicht ins
+Gesicht schneidet, so bezahl' ich Euch vier Kronentaler. Wenn Ihr
+mich aber schneidet, so stech' ich Euch tot. Ihr wäret nicht der
+erste." Wie der erschrockene Mann das hörte (denn der fremde Herr
+machte ein Gesicht, als wenn es nicht vexiert wäre, und das
+spitzige, kalte Eisen lag auf dem Tisch), so springt er fort und
+schickt den Gesellen. Zu dem sagt der Herr das nämliche. Wie der
+Gesell das nämliche hört, springt er ebenfalls fort und schickt den
+Lehrjungen. Der Lehrjunge lässt sich blenden von dem Geld und denkt:
+"Ich wag's. Geratet es und ich schneide ihn nicht, so kann ich mir
+für vier Kronentaler einen neuen Rock auf die Kirchweihe kaufen und
+einen Schnepper. Geratet's nicht, so weiss ich, was ich tue", und
+rasiert den Herrn. Der Herr hält ruhig still, weiss nicht, in
+welcher entsetzlichen Todesgefahr er ist, und der verwegene
+Lehrjunge spaziert ihm auch ganz kaltblütig mit dem Messer im
+Gesicht und um die Nase herum, als wenn's nur um einen Sechser oder
+im Fall eines Schnittes um ein Stücklein Zundel oder Fliesspapier
+darauf zu tun wäre und nicht um vier Kronentaler und um ein Leben,
+und bringt ihm glücklich den Bart aus dem Gesicht ohne Schnitt und
+ohne Blut und dachte doch, als er fertig war: "Gottlob!"
+
+Als aber der Herr aufgestanden war und sich im Spiegel beschaut und
+abgetrocknet hatte und gibt dem Jungen die vier Kronentaler; sagt er
+zu ihm: "Aber junger Mensch, wer hat dir den Mut gegeben, mich zu
+rasieren, so doch dein Herr und der Gesell sind fortgesprungen? Denn
+wenn du mich geschnitten hättest, so hätt' ich dich erstochen." Der
+Lehrjunge aber bedankte sich lächelnd für das schöne Stück Geld und
+sagte: "Gnädiger Herr, Ihr hättet mich nicht verstochen, sondern
+wenn Ihr gezuckt hättet und ich hätt' Euch ins Gesicht geschnitten,
+so wär' ich Euch zuvorgekommen, hätt' Euch augenblicklich die Gurgel
+abgehauen und wäre auf- und davongesprungen." Als aber der fremde
+Herr das hörte und an die Gefahr dachte, in der er gesessen war,
+ward er erst blass vor Schrecken und Todesangst, schenkte dem
+Burschen noch einen Kronentaler extra und hat seitdem zu keinem
+Barbier mehr gesagt: "Ich steche dich tot, wenn du mich schneidest."
+
+
+
+Der betrogene Krämer
+
+
+Ein Rubel ist in Russland eine Silbermünze und beträgt 27 Batzen hin
+oder her, ein Imperial aber ist ein Goldstück und tut zehen Rubel;
+deswegen kann man wohl für einen Imperial einen Rubel bekommen, zum
+Beispiel, wenn man in den Karten neun Rubel verliert, aber nicht für
+einen Rubel einen Imperial. Allein ein schlauer Soldat in Moskau
+sagte doch: "Was gilt's? morgen auf dem Jahrmarkt will ich mit einem
+Rubel einen doppelten Imperial angeln." Als den andern Tag in langen
+Reihen von Kaufläden der Jahrmarkt aufging, vor allen Ständen
+standen schon die Leute, lobten und tadelten, boten ab und boten zu,
+und die Menge ging auf und ging ab, und die Knaben grüssten die
+Mägdlein, kommt auf einmal der Soldat mit einem Rubel in den Händen.
+"Wem gehört dieser Kaisertaler, dieser Rubel? Gehört er Euch?" fragt
+er jeden Krämer an jedem Stand. Einer, der ohnehin nicht viel Geld
+löste und lange zusah, dachte endlich: wenn dich dein Geld an die
+Finger brennt, die meinigen sind nicht so blöde. "Hieher, Musketier,
+der Rubel ist mein." Der Soldat sagte: "Wenn Ihr mir nicht gerufen
+hättet, ich hätt' Euch schwerlich gefunden unter der Menge", und
+gibt ihm den Rubel. Der Kaufmann betrachtet ihn hin und her und
+klingelt daran, ob er gut sei; ja, er war gut, und steckt ihn in die
+Tasche. "Seid so gut und gebt mir denn jetzt auch meinen Imperial",
+sagte der Musketier. Der Kaufmann erwiderte: "Ich habe keinen
+Imperial von Euch, so bin ich Euch keinen schuldig. Da habt Ihr
+Euren einfältigen Rubel wieder, wenn Ihr nur Spass wollt machen."
+Aber der Musketier sagte: "Meinen zweifältigen Imperial gebt mir
+heraus, mein Spass ist Ernst, und die Marktwache, die Polizei wird
+zu finden sein." Ein Wort gab das andere, das glimpfliche gab das
+trotzige, und das trotzige gab das schnöde, und es hängt sich an den
+Stand mit Leuten an, wie ein Bart an einem Bienenkorb. Auf einmal
+bohrt etwas wie ein Maulwurf durch die Menge. "Was geht hier vor?"
+fragte der Polizeisergeant, als er sich mit seinen Leuten durch die
+Menge durchgebohrt hatte. "Was geht vor? frag' ich." Der Krämer
+wusste wenig zu sagen, aber desto mundfertiger war der Musketier.
+Vor keiner Viertelstunde, erzählte er, hab' er diesem Mann für einen
+Rubel abgekauft, das und das. Als er ihn bezahlen wollte, in allen
+Taschen hatte er kein Geld gefunden, nur einen doppelten Imperial,
+den ihm sein Pate geschenkt hatte, als er gezogen wurde. So habe er
+ihm den Imperial als Unterpfand zurückgelassen, bis er den Rubel
+bringe. Wie er mit dem Rubel wieder kommen sei, hab' er den rechten
+Kaufladen nimmer gefunden und an allen Ständen gefragt: "Wem bin ich
+einen Rubel schuldig?" so habe dieser da gesagt, er sei derjenige,
+und sei's auch und habe ihm auch den Rubel abgenommen, aber von dem
+Imperial wolle er nichts wissen. "Wollt Ihr ihn jetzt gutwillig
+herausgeben oder nicht?" Als aber der Polizeisergeant die
+Umstehenden fragte und die Umstehenden sagten: ja, der Musketier
+habe an allen Kaufläden gefragt, wem der Rubel gehöre, und dieser
+habe bekannt, er gehöre ihm und habe ihn auch angenommen und daran
+geklingelt, ob er probat sei. Als der Polizeihauptmann das hörte, so
+gab er den Bescheid: "Habt Ihr Euren Rubel bekommen, so gebt dem
+Soldaten auch seinen Imperial zurück, oder man petschiert Euch Euren
+Stand mit Lattnägeln zusammen, und Ihr werdet zwischen Euren eigenen
+Brettern eingeschachtelt und eingeschindelt, und könnt Ihr alsdann
+lang Hunger leiden, so könnt Ihr auch lang leben." Das sagte der
+Anführer der Polizeiwache, und wer dem Musketier für seinen Rubel
+einen Imperial herausgeben musste, war der Kaufmann.
+
+Merke: Fremdes Gut frisst das eigene, wie neuer Schnee den alten.
+
+
+
+Der Bock
+
+
+Einst im strengen Winter, an einem Sonntag abends, fuhr eine fremde,
+wunderschöne Frau den Schliengener Berg hinauf, und als auf einmal
+die Pferde stillstanden, waren sie auch klüger als ein Bauersmann,
+der vor ihnen mitten im Weg und im Schnee lag und schlief. Denn die
+Pferde hatten nur Haber im Leib, aber der Bauersmann Branntewein und
+kam von unten herauf, wollte nach Kandern gehen, verfehlte aber in
+Schliengen den Rang. Die wunderschöne Frau liess ihn wecken. "Fehlt
+Euch etwas, guter Mann, oder seid Ihr sonst in den Schnee gefallen?"
+- "Nein", stammelte der Bauersmann, " da ist mir eine schwarze Katze
+mit feurigen Augen vor meinen Augen herumgefackelt und hat mich
+irregeführt und schlaftrunken gemacht, und wenn ich weiss, wo ich
+bin,--so weiss es"--das Kind im Mutterleib, wollte er etwa sagen,
+aber er brachte es nicht heraus.--"Ihr seid betrunken, guter Mann,
+und wenn Ihr hier liegen bleibt, müsst Ihr erfrieren."--"Wenn ich
+betrunken bin", fragte er, "habt Ihr mir den Rausch bezahlt, oder
+hab' ich ihn bezahlt, oder bin ich ihn nicht vielmehr noch
+schuldig?" Als aber die Frau, so freundlich sie ist und sein kann,
+ihm zuredete, vornen auf den Bock zu sitzen bis zum nächsten Ort,--
+"Bock sitzen?" dachte er in seinem erschrecklichen Rausch und fing
+auf einmal an, aus einem andern Ton zu sprechen. "Ihr seid die
+schwarze Katze und habt Euch in eine heidnische Prinzessin
+verwandelt. Um Gottes willen, verschont mich nur diesmal!" Denn er
+dachte an einen andern Bock, auf dem die Hexen reiten, und jetzt
+geh' es zum Pech- und Schwefel-Brünnlein, und nicht zur Kalten
+Herberge, die auf dem Schliengener Berg steht, sondern zur heissen.
+In seinem Leben wollte er keinen Rausch mehr trinken. Allein das
+half alles nichts, sondern der Kutscher, der Postillion von
+Müllheim, band ihn auf den Bock. Und so fuhr er mausstill und in
+ängstlicher Erwartung seines Schicksals mit bis zur Station. Auf der
+Station aber, auf Kaltenherberge, legten ihn die Postknechte in
+einen warmen Kuhstall und liessen ihn seinen Rausch dort
+ausschlafen. Aber noch bis, auf diese Stunde glaubt der Mann, er sei
+verhext und bezaubert gewesen, und hat seitdem keinen Rausch mehr
+getrunken, ausgenommen an den Werktagen.
+
+Dies Geschichtlein ist wahr, und wenn's auch nicht zwischen
+Schliengen und Kaltenherberge sollte geschehen sein, und der
+Hausfreund kennt die schöne Frau. Hat sie's ihm nicht selber
+geschrieben von Freiburg aus im Üchtland?
+
+
+
+Der falsche Edelstein
+
+
+In einem schönen Garten vor Strassburg vor dem Metzgertor, wo
+jedermann für sein Geld hineingehen und lustig und honett sein darf,
+da sass ein wohlgekleideter Mann, der auch sein Schöpplein trank,
+und hatte einen Ring am Finger mit einem kostbaren Edelstein und
+spiegelte den Ring. So kommt ein Jude und sagt: "Herr, Ihr habt
+einen schönen Edelstein in Eurem Fingerring, dem wär' ich auch nicht
+feind. Glitzert er nicht wie das Urim und Thummim in dem
+Brustschildlein des Aharons?" Der wohlgekleidete Fremde sagte ganz
+kurz und trocken: "Der Stein ist falsch; wenn er gut wäre, steckte
+er wohl an einem andern Finger als an dem meinigen." Der Jud bat den
+Fremden, ihm den Ring in die Hand zu geben. Er wendet ihn hin, er
+wendet ihn her, dreht den Kopf rechts, dreht den Kopf links. Soll
+dieser Stein nicht echt sein? dachte er und bot dem Fremden für den
+Ring zwei neue Dublonen. Der Fremde sagte ganz unwillig: "Was soll
+ich Euch betrügen? Ihr habt es schon gehört, der Stein ist falsch."
+Der Jude bittet um Erlaubnis, ihn einem Kenner zu zeigen, und einer,
+der dabei sass, sagte: "Ich stehe gut für den Israeliten, der Stein
+mag wert sein, was er will." Der Fremde sagte: "Ich brauche keinen
+Bürgen, der Stein ist nicht echt."
+
+In dem nämlichen Garten sass damals an einem andern Tisch auch der
+Hausfreund mit seinen Gevatterleuten, und waren auch lustig und
+honett für ihr Geld, nämlich für das Geld der Gevatterleute, und
+einer davon ist ein Goldschmied, der's versteht. Einem Soldaten, der
+in der Schlacht bei Austerlitz die Nase verloren hatte, hat er eine
+silberne angesetzt und mit Fleischfarbe angestrichen, und die Nase
+war gut. Nur einblasen einen lebendigen Odem in die Nase, das konnte
+er nicht. Zu dem Gevattermann kommt der Jude. "Herr", sagte er,
+"soll dieses kein echter Edelstein sein? Kann der König Salomon
+einen schönern in der Krone getragen haben?" Der Gevattermann, der
+auch ein halber Sternseher ist, sagte: "Er glänzt wie am Himmel der
+Aldebaran. Ich verschaffe Euch neunzig Dublonen für den Ring. Was
+Ihr ihn wohlfeiler bekommt, ist Euer Schmus." Der Jud kehrt zu dem
+Fremden zurück. "Echt oder unecht, ich gebe Euch sechs Dublonen",
+und zählte sie auf den Tisch, funkelnagelneu. Der Fremde steckte den
+Ring wieder an den Finger und sagte jetzt: "Er ist mir gar nicht
+feil. Ist der falsche Edelstein so gut nachgemacht, dass Ihr ihn für
+einen rechten haltet, so ist er mir auch so gut", und steckte die
+Hand in die Tasche, dass der lüsterne Israelit den Stein gar nicht
+mehr sehen sollte.--"Acht Dublonen."--"Nein."--"Zehn Dublonen."
+"Nein."--"Zwölf--vierzehn--fünfzehn Dublonen." "Meinetwegen",
+sagte endlich der Fremde, "wenn Ihr mir keine Ruhe lassen und mit
+Gewalt wollt betrogen sein. Aber ich sage es Euch vor allen diesen
+Herren da, der Stein ist falsch, und ich gebe Euch kein gut Wort
+mehr dafür. Denn ich will keinen Verdruss haben. Der Ring ist Euer."
+
+Jetzt brachte der Jud voll Freude dem Gevattermann den Ring. "Morgen
+komm ich zu Euch und hole das Geld." Aber der Gevattermann, den noch
+niemand angeführt hat, machte ein paar grosse Augen. "Guter Freund,
+das ist nicht mehr der nämliche Ring, den Ihr mir vor zwei Minuten
+gezeigt habt. Dieser Stein ist zwanzig Kreuzer wert zwischen
+Brüdern. So macht man sie bei Sankt Blasien im Eieli in der
+Glashütte." Denn der Fremde hatte wirklich einen falschen Ring in
+der Tasche, der völlig wie der gute aussah, den er zuerst am Finger
+spiegelte, und während der Jud mit ihm handelte und er die Hand in
+der Tasche hatte, streifte er mit dem Daumen den echten Ring vom
+Finger ab und steckte den Finger in den falschen, und den bekam der
+Jud. Da fuhr der Betrogene, als wenn er auf einer brennenden Rakete
+geritten wäre, zu dem Fremden zurück: "Au waih, au waih! Ich bin ein
+betrogener Mann, ein unglücklicher Mann, der Stein ist falsch." Aber
+der Fremde sagte ganz kaltblütig und gelassen: "Ich hab' ihn Euch
+für falsch verkauft. Diese Herren hier sind Zeugen. Der Ring ist
+Euer. Hab' ich Euch ihn angeschwätzt, oder habt Ihr ihn mir
+abgeschwätzt?" Alle Anwesenden mussten gestehen: "Ja, er hat ihm den
+Stein für falsch verkauft und gesagt: der Ring ist Euer."
+
+Also musste der Jud den Ring behalten, und die Sache wurde nachher
+vertuscht.
+
+
+
+Der fechtende Handwerksbursche in Anklam
+
+
+Im August des Jahrs 1804 stand in der Stadt Anklam in Pommern ein
+reisender Handwerksbursche an einer Stubentüre und bat um einen
+Zehrpfennig ganz fleissig. Als sich niemand sehen liess noch rührte,
+öffnete er leise die Türe und ging hinein. Als er eine arme und
+kranke Witwe erblickte, die da sagte, sie habe selber nichts, so
+ging er wieder hinaus.
+
+Lieber Leser, denke nicht, der hat's lassen drauf ankommen, ob
+jemand in der Stube ist, hat seinen Zehrpfennig selber wollen
+nehmen. Sonst musst du dich schämen und in deinem Herzen einem edeln
+Menschen Abbitte tun. Denn der Handwerksbursche kam nach ungefähr
+fünf Stunden wieder. Die Frau, rief ihm zwar entgegen: "Mein Gott!
+ich kann Euch ja nichts geben. Ich selbst lebe von anderer Menschen
+Milde und bin jetzt krank." Allein der edle Jüngling dachte bei sich
+selber: Eben deswegen. Anständig und freundlich trat er bis vor den
+Tisch, legte aus beiden Taschen viel Brot darauf, das er unterdessen
+gesammelt hatte, und viele auf gleiche Art gesammelte kleine
+Geldstücke. "Das ist für Euch, arme, kranke Frau", sagte er mit
+sanftem Lächeln, ging wieder fort und zog leise die Stubentüre zu.
+Die Frau war die Witwe eines ehemaligen braven Unteroffiziers namens
+Laroque bei dem preussischen Regiment von Schönfeld.
+
+Den Namen des frommen Jünglings aber hat ein Engel im Himmel für ein
+ander Mal aufgeschrieben. Ich kann nicht sagen, wie er heisst.
+
+
+
+Der fremde Herr
+
+
+Einem Schneider in der Stadt waren seit ein paar Jahren die Nadeln
+ein wenig verrostet und die Schere zusammengewachsen; also nährt er
+sich, so gut er kann. "Gevatter", sagt zu ihm der Peruckenmacher,
+"Ihr tragt nicht gerne schwer; wollt Ihr nicht dem Herrn Dechant von
+Brassenheim eine neue Perücke bringen in einer Schachtel? Sie ist
+leicht, und er zahlt Euch den Gang."--"Gevatter", sagt der
+Schneider, "es ist ohnedem Jahrmarkt in Brassenheim. Leiht mir die
+Kleider, die Euch der irrende Ritter im Versatz gelassen hat, der
+Euch angeschmiert hat, so stell' ich auf dem Jahrmarkt etwas vor."
+Der Adjunkt hat die Tugend, wenn er auf drei Stunden im Revier einen
+Markt weiss, so ist ihm der Gang auch nicht zu weit, und ist er von
+dem Hausfreund wohl bezahlt, so gibt er dem Jahrmarkt viel zu lösen
+für neue weltliche Lieder und feine Damaszener Maultrommeln. Also
+sass jetzt der Adjunkt auch zu Brassenheim im Wilden Mann und
+musterte die Lieder. Erstes Lied: Ein Lämmlein trank vom frischen
+usw. Zweites Lied: Schönstes Hirschlein über die Massen usw. Drittes
+Lied: Kein schöner Leben auf Erden usw. und probierte die Trommeln.
+Kommt auf einmal der Schneider herein mit rotem Rock, hirschledernen
+Beinkleidern, Halbstiefeln und Zotteln daran und zwei Sporen. Der
+Wirt zog höflich die Kappe ab, die Gäste auch, und: "Hat Euch, Herr
+Ritter, der Hausknecht das Pferd schon in den Stall geführt?" fragte
+ihn der Wirt. "Mein Normänder, der Scheck?" sagte der Schneider.
+
+"Ich hab' ihn au Cerf eingestellt, im Hirschen. Ich will hier nur
+ein Schöpplein trinken. Ich bin der berühmte Adelstan und reise auf
+Menschenkenntnis und Weinkunde. Platz da!" sagte er zum Adjunkt.
+"Holla", denkt der Adjunkt, "der meint auch, grob sei vornehm. Was
+gilt's, er ist nicht weit her?" Als aber der Schneider die Gerte
+breit über den Tisch legte und räusperte sich wie ein Kamel und
+betrachtete die Leute mit einem Brennglas und den Adjunkt auch,
+steht der Adjunkt langsam auf und sagt dem Wirt etwas halblaut in
+das Ohr. Ein Ehninger, der es hörte, sagt: "Herr Landsmann, Ihr seid
+auf der rechten Spur. Ich hab' ihn gesehn die Stiefel am Bach
+abwaschen und eine Gerte schneiden. Er ist zu Fuss gekommen." Ein
+Scherenschleifer sagte: "Ich kenn' ihn wohl, er ist einmal ein
+Schneider gewesen. Jetzt hat er sich zur Ruh' gesetzt und tut
+Botengänge um den Lohn." Also geht der Wirt ein wenig hinaus und
+kommt wieder herein. "So kann denn doch kein hiesiger Markt ohne ein
+Unglück vorübergehen", sagt er im Hereinkommen. "Da suchen die
+Hatschierer in allen Wirtshäusern einen Herrn in einem roten Rocke,
+der heute durch die Dörfer galoppiert ist und ein Kind zu Tod
+geritten hat." Da schauten alle Gäste den Ritter Adelstan an; der
+sagte in der Angst: "Mein Rock ist eher gelb als rot." Aber der
+Ehninger sagte: "Nein, aber Euer Gesicht ist eher blass als gelb,
+und hat auf einmal viel Schweisstropfen darauf geregnet. Gesteht’s,
+Ihr seid nicht geritten."--"Doch, er ist geritten", sagte der Wirt;
+"ich hab' ihm eben das Ross draussen angebunden. Es ist losgerissen
+im Hirsch und sucht ihn. Hat nicht Euer Normänder die Mähnen unten
+am Hals und gespaltene Hufe, und wenn er wiehert, sollte man schier
+nicht meinen, dass es ein Ross ist! Zahlt Euer Schöpplein und reitet
+ordentlich heim." Als er aber vor das Haus kam und den Normänder
+sah, den ihm der Wirt an die Türe gebunden hat, wollte er nicht
+aufsitzen, sondern ging zu Fuss zum Flecken heraus und wurde von den
+Gästen entsetzlich verhöhnt.
+
+Merke: Man muss nie mehr scheinen wollen, als man ist und als man
+sich zu bleiben getrauen kann wegen der Zukunft.
+
+
+
+Der Fremdling in Memel
+
+
+Oft sieht die Wahrheit wie eine Lüge aus. Das erfuhr ein Fremder,
+der vor einigen Jahren mit einem Schiff aus Westindien an den Küsten
+der Ostsee ankam. Damals war der russische Kaiser bei dem König von
+Preussen auf Besuch. Beide Potentaten standen in gewöhnlicher
+Kleidung, ohne Begleitung, Hand in Hand, als zwei rechte gute
+Freunde beieinander am Ufer. So etwas sieht man nicht alle Tage. Der
+Fremde dachte auch nicht dran, sondern ging ganz treuherzig auf sie
+zu, meinte, es seien zwei Kaufleute oder andere Herren aus der
+Gegend, und fing ein Gespräch mit ihnen an, war begierig, allerlei
+Neues zu hören, das seit seiner Abwesenheit sich zugetragen habe.
+Endlich, da die beiden Monarchen sich leutselig mit ihm
+unterhielten, fand er Veranlassung, den einen auf eine höfliche Art
+zu fragen, wer er sei. "Ich bin der König von Preussen", sagte der
+eine. Das kam nun dem fremden Ankömmling schon ein wenig sonderbar
+vor. Doch dachte er: Es ist möglich, und machte vor dem Könige ein
+ehrerbietiges Kompliment. Und das war vernünftig. Denn in
+zweifelhaften Dingen muss man immer das Sicherste und Beste wählen
+und lieber eine Höflichkeit aus Irrtum begehen als eine Grobheit.
+
+Als aber der König weiter sagte und auf seinen Begleiter deutete:
+"Dies ist Se. Majestät der russische Kaiser", da war's doch dem
+ehrlichen Mann, als wenn zwei lose Vögel ihn zum besten haben
+wollten, und sagte: "Wenn ihr Herren mit einem ehrlichen Mann euern
+Spass haben wollt, so sucht einen andern als ich bin. Bin ich
+deswegen aus Westindien hierher gekommen, dass ich euer Narr sei?"--
+Der Kaiser wollte ihn zwar versichern, dass er allerdings derjenige
+sei. Allein der Fremde gab kein Gehör mehr. "Ein russischer
+Spassvogel möget Ihr sein", sagte er. Als er aber nachher im Grünen
+Baum die Sache erzählte und andern Bericht bekam, da kam er ganz
+demütig wieder, bat fussfällig um Vergebung, und die grossmütigen
+Potentaten verziehen ihm, wie natürlich, und hatten hernach viel
+Spass an dem Vorfall.
+
+
+
+Der fromme Rat
+
+
+Ein achtzehnjähriger Jüngling ging, noch unerfahren, katholisch und
+fromm, zum ersten Mal aus der Eltern Haus auf die Wanderschaft. In
+der ersten grossen Stadt auf der Brücke blieb er stehen und wollte
+rechts und links ein wenig umschauen, weil er fürchtete, es möchten
+ihm nimmer viel solche Brücken kommen, an welche unten und oben
+solche Städte angebaut seien wie diese. Als er aber rechts
+umschaute, kam daher von einer Seite ein Pater und trug das
+hochwürdige Gut, vor welchem jeder Katholik niederkniet, der demütig
+ist und es recht meint. Als er aber links umschaute, kam von der
+andern Seite der Brücke auch ein Pater und trug auch das hochwürdige
+Gut, vor welchem jeder Katholik niederkniet, der demütig ist und es
+recht meint, und beide waren ihm schon ganz nahe, und beide waren im
+Begriff, an ihm vorbeizugehen im nämlichen Augenblick, der eine
+links von daher, der andere rechts von dorther. Da wusste sich der
+arme Mensch nicht zu helfen, vor welchem hochwürdigen Gut er
+niederknien, und welches er mit Gebet und Liebe grüssen soll, und es
+war ihm auch schwer zu raten. Als er aber den einen Pater mit
+Bekümmernis anschaute und ihn gleichsam mit den Augen fragte und
+bat, was er tun sollte, lächelte der Pater wie ein Engel freundlich
+die fromme Seele an und hob die Hand und den Zeigefinger gegen den
+hohen und sonnenreichen Himmel hinauf. Nämlich vor dem dort oben
+soll er niederknien und ihn anbeten. Das weiss der Hausfreund zu
+loben und hochzuachten, obwohl er noch nie einen Rosenkranz gebetet
+hat; sonst schrieb' er den lutherischen Kalender nicht.
+
+
+
+Der Furtwanger in Philippsburg
+
+
+Im Jahre 1734, als der Franzos Sturm lief auf Philippsburg, und die
+Reichstruppen lagen darin, steht ein Rekrut, ein Furtwanger, auf
+einem einsamen Posten seitwärts vom Angriff und denkt: "Wenn's nur
+nicht hieher kommt!" Indem wächst ganz leise eine französische
+Grenadierkappe hinter dem Rempart herauf, und kommt ein Kopf nach
+mit einem Schnauzbart, wie wenn der Mond aufgeht hinter den Bergen.
+Denn ein paar Dutzend Waghälse hatten draussen eine Sturmleiter
+angelegt, um unbeschrien auf den Rempart zu kommen, und sahen die
+Schildwache nicht, dass eine da sei. Springt der Furtwanger herbei
+und gibt dem Franzosen einen Stich. Pfeifen auf einmal Kugeln genug
+um ihn her aus Windbüchsen, und geht ein zweites Franzosengesicht
+auf hinter dem Rempart. Gibt ihm der Furtwanger auch einen Stich und
+sagt: "Aber jetzt kommst du nimmer." Item: es kam der dritte und der
+vierte und bis zum zwölften. Als der Sturm abgeschlagen war und der
+Platzkommandant auf dem Platz herumritt, ob alles in der Ordnung
+sei, sieht er von weitem die Sturmleiter und zwölf tote Franzosen
+dabei, und wie er zu dem Posten kommt, fragt er den Furtwanger: "Was
+hat's hier gegeben?"--"So?" sagt der Furtwanger, "Ihr habt gut
+fragen. Wisst Ihr, dass mir einer mehr zu schaffen gemacht hat als
+Euch alle? Nur zwölfmal hintereinander hat er angesetzt. Unten im
+Graben muss er liegen." Denn er meinte, es sei immer der nämliche
+gewesen, und es könne nur mit dem Bösen zugegangen sein, dass ihm
+allemal hinter dem Bajonett die Wunde wieder heilte. Da lächelte der
+Kommandant und die Offiziere, so mit ihm waren, und nahm ihm seinen
+Unverstand nicht übel, sondern er liess ihm für jeden ein
+Halbguldenstück Stechgeld bezahlen, und durfte er überdies selbigen
+Abend auf Rechnung der Reichs-Operationskasse Wein trinken und Speck
+essen, so viel er wollte.
+
+
+
+Der geduldige Mann
+
+
+Ein Mann, der eines Nachmittags müde nach Hause kam, hätte gern ein
+Stück Butterbrot mit Schnittlauch darauf gegessen oder etwas von
+einem geräucherten Bug. Aber die Frau, die im Haus ziemlich der
+Meister war und in der Küche ganz, hatte den Schlüssel zum
+Küchenkästlein in der Tasche und war bei einer Freundin auf Besuch.
+Er schickte daher die Magd und den Knecht, eins um das andere, die
+Frau soll heimkommen oder den Schlüssel schicken. Sie sagte allemal:
+"Ich komm' gleich, er soll nur ein wenig warten." Als ihm aber die
+Geduld immer näher zusammenging und der Hunger immer weiter
+auseinander, trägt er und der Knecht das verschlossene
+Küchenkästlein in das Haus der Freundin, wo seine Frau zum Besuch
+war und sagt zu seiner Frau: "Frau, sei so gut und schliess mir das
+Kästlein auf, dass ich etwas zum Abendessen nehmen kann, sonst halt'
+ich's nimmer aus." Also lachte die Frau und schnitt ihm ein
+Stücklein Brot herab und etwas vom Bug.
+
+
+
+Der geheilte Patient
+
+
+Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal auch
+allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen gottlob der
+arme Mann nichts weiß, denn es gibt Krankheiten, die nicht in der
+Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern und in den
+weichen Sesseln und seidenen Betten, wie jener reiche Amsterdamer
+ein Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag saß er im Lehnsessel
+und rauchte Tabak, wenn er nicht zu faul war, oder hatte Maulaffen
+feil zum Fenster hinaus, aß aber zu Mittag doch wie ein Drescher,
+und die Nachbarn sagten manchmal: "Windet's draußen oder schnauft
+der Nachbar so?" Den ganzen Nachmittag aß und trank er ebenfalls
+bald etwas Kaltes, bald etwas Warmes, ohne Hunger und ohne Appetit,
+aus lauter Langeweile bis an den Abend, so daß man bei ihm nie redet
+sagen konnte, wo das Mittagessen aufhörte und wo das Nachtessen
+anfing. Nach dem Nachtessen legte er sich ins Bett und war so müd,
+als wenn er den ganzen Tag Steine abgeladen oder Holz gespalten
+hätte. Davon bekam er zuletzt einen dicken Leib, der so unbeholfen
+war wie ein Sack. Essen und Schlaf wollten ihm nimmer schmecken, und
+er war lange Zeit, wie es manchmal geht, nicht redet gesund und
+nicht recht krank; wenn man aber ihn selber hörte, so hatte er 365
+Krankheiten, nämlich alle Tage eine andere.
+
+Alle Ärzte, die in Amsterdam sind, mußten ihm raten. Er verschluckte
+ganze Feuereimer voll Mixturen und ganze Schaufeln voll Pulver und
+Pillen wie Enteneier so groß, und man nannte ihn zuletzt scherzweise
+nur die zweibeinige Apotheke. Aber alles Doktern half ihm nichts,
+denn er befolgte nicht, was ihm die Arzte befahlen, sondern sagte:
+"Wofür bin ich ein reicher Mann, wenn ich leben soll wie ein Hund,
+und der Doktor will mich nicht gesund machen für mein Geld?"
+Endlich hörte er von einem Arzt, der hundert Stunden weit weg
+wohnte, der sei so geschickt, daß die Kranken gesund würden, wenn er
+sie nur redet anschaue, und der Tod geh' ihm aus dem Wege, wo er
+sich sehen lasse. Zu dem Arzt faßte der Mann ein Zutrauen und
+schrieb ihm seinen Umstand. Der Arzt merkte bald, was ihm fehlte,
+nämlich nicht Arznei, sondern Mäßigkeit und Bewegung, und sagte:
+"Wart', dich will ich bald kuriert haben." Deswegen schrieb er ihm
+ein Brieflein folgenden Inhalts: "Guter Freund, Ihr habt einen
+schlimmen Umstand, doch wird Euch zu helfen sein, wenn Ihr folgen
+wollt. Ihr habt ein böses Tier im Bauch, einen Lindwurm mit sieben
+Mäulern. Mit dem Lindwurm muß ich selber reden, und Ihr müßt zu mir
+kommen. Aber für's erste, so dürft Ihr nicht fahren oder auf dem
+Rößlein reiten, sondern auf des Schuhmachers Rappen, sonst schüttelt
+Ihr den Lindwurm, und er beißt Euch die Eingeweide ab, sieben Därme
+auf einmal ganz entzwei. Fürs andere dürft Ihr nicht mehr essen als
+zweimal des Tages einen Teller voll Gemüs, mittags ein Bratwürstlein
+dazu, und nachts ein Ei, und am Morgen ein Fleischsüpplein mit
+Schnittlauch drauf. Was Ihr mehr esset, davon wird nur der Lindwurm
+größer, so daß er Euch die Leber verdrückt, und der Schneider hat
+Euch nimmer viel anzumessen, aber der Schreiner. Dies ist mein Rat,
+und wenn Ihr mir nicht folgt, so hört Ihr im anderen Frühjahr den
+Kuckuck nimmer schreien. Tut, was Ihr wollt!" Als der Patient so mit
+sich reden hörte, ließ er sich sogleich den anderen Morgen die
+Stiefel salben und machte sich auf den Weg, wie ihm der Doktor
+befohlen hatte. Den ersten Tag ging es so langsam, daß eine Schnecke
+hätte können sein Vorreiter sein, und wer ihn grüßte, dem dankte er
+nicht, und wo ein Würmlein auf der Erde kroch, das zertrat er. Aber
+schon am zweiten und am dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die
+Vögel schon lange nimmer so lieblich gesungen hätten, und der Tau
+schien ihm so frisch und die Kornrosen im Felde so rot, und alle
+Leute, die ihm begegneten, sahen so freundlich aus, und er auch; und
+alle Morgen, wenn er aus der Herberge ausging, war's schöner, und er
+ging leichter und munterer dahin, und als er am achtzehnten Tage in
+der Stadt des Arztes ankam und den anderen Morgen aufstand, war es
+ihm so wohl, daß er sagte: "Ich hätte zu keiner ungeschickteren Zeit
+können gesund werden als jetzt, wo ich zum Doktor soll. Wenn's mir
+doch nur ein wenig in den Ohren brauste, oder das Herzwasser lief'
+mir." Als er zum Doktor kam, nahm ihn der Doktor bei der Hand und
+sagte ihm: "jetzt erzählt mir denn noch einmal von Grund aus, was
+Euch fehlt." Da sagte er: "Herr Doktor, mir fehlt gottlob nichts,
+und wenn Ihr so gesund seid wie ich, so soll's mich freuen." Der
+Doktor sagte: "Das hat Euch. ein guter Geist geraten, daß Ihr meinem
+Rat gefolgt habt. Der Lindwurm ist jetzt abgestanden. Aber Ihr habt
+noch Eier im Leib, deswegen müßt Ihr wieder zu Fuß heimgehen und
+daheim fleißig Holz sägen und nicht mehr essen, als Euch der Hunger
+ermahnt, damit die Eier nicht ausschlupfen, so könnt Ihr ein alter
+Mann werden", und lächelte dazu.
+
+Aber der reiche Fremdling sagte: "Herr Doktor, Ihr seid ein feiner
+Kauz, und ich versteh Euch wohl', und hat nachher dem Rat gefolgt
+und siebenundachtzig Jahre, vier Monate, zehn Tage gelebt, wie ein
+Fisch im Wasser so gesund, und hat alle Neujahr dem Arzt zwanzig
+Dublonen zum Gruß geschickt."
+
+
+
+Der geheilte Patient
+
+
+Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal auch
+allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen gottlob! der
+arme Mann nichts weiss; denn es gibt Krankheiten, die nicht in der
+Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern und in den
+weichen Sesseln und seidenen Bettern, wie jener hautreiche
+Amsterdamer ein Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag sass er
+im Lehnsessel und rauchte Tabak, wenn er nicht zu faul war, oder
+hatte Maulaffen feil zum Fenster hinaus, ass aber zu Mittag doch wie
+ein Drescher, und die Nachbarn sagten manchmal: "Windet's draussen
+oder schnauft der Nachbar so?"--Den ganzen Nachmittag ass und trank
+er ebenfalls, bald etwas Kaltes, bald etwas Warmes, ohne Hunger und
+ohne Appetit, aus lauter langer Weile, bis an den Abend, also, dass
+man bei ihm nie recht sagen konnte, wo das Mittagessen aufhörte, und
+wo das Nachtessen anfing. Nach dem Nachtessen legte er sich ins Bett
+und war so müd, als wenn er den ganzen Tag Steine abgeladen oder
+Holz gespalten hätte. Davon bekam er zuletzt einen dicken Leib, der
+so unbeholfen war wie ein Maltersack. Essen und Schlaf wollte ihm
+nimmer schmecken, und er war lange Zeit, wie es manchmal geht, nicht
+recht gesund und nicht recht krank; wenn man aber ihn selber hörte,
+so hatte er 365 Krankheiten, nämlich alle Tage eine andere. Alle
+Ärzte, die in Amsterdam sind, mussten ihm raten. Er verschluckte
+ganze Feuereimer voll Mixturen und ganze Schaufeln voll Pulver, und
+Pillen wie Enteneier so gross, und man nannte ihn zuletzt
+scherzweise nur die zweibeinige Apotheke. Aber alles Doktern half
+ihm nichts, denn er folgte nicht, was ihm die Ärzte befahlen,
+sondern sagte: "Foudre, wofür bin ich ein reicher Mann, wenn ich
+soll leben wie ein Hund, und der Doktor will mich nicht gesund
+machen für mein Geld?" Endlich hörte er von einem Arzt, der hundert
+Stund weit wegwohnte, der sei so geschickt, dass die Kranken gesund
+werden, wenn er sie nur recht anschaue, und der Tod geh' ihm aus dem
+Weg, wenn er sich sehen lasse. Zu dem Arzt fasste der Mann ein
+Zutrauen und schrieb ihm seinen Umstand. Der Arzt merkte bald, was
+ihm fehle, nämlich nicht Arznei, sondern Mässigkeit und Bewegung,
+und sagte: "Wart', dich will ich bald kuriert haben." Deswegen
+schrieb er ihm ein Brieflein folgenden Inhalts: "Guter Freund, Ihr
+habt einen schlimmen Umstand; doch wird Euch zu helfen sein, wenn
+Ihr folgen wollt. Ihr habt ein bös Tier im Bauch, einen Lindwurm mit
+sieben Mäulern. Mit dem Lindwurm muss ich selber reden, und Ihr
+müsst zu mir kommen. Aber fürs erste, so dürft Ihr nicht fahren oder
+auf dem Rösslein reiten, sondern auf des Schuhmachers Rappen, sonst
+schüttelt Ihr den Lindwurm, und er beisst Euch die Eingeweide ab,
+sieben Därme auf einmal ganz entzwei. Fürs andere dürft Ihr nicht
+mehr essen, als zweimal des Tages einen Teller voll Gemüs, Mittags
+ein Bratwürstlein dazu, und Nachts ein Ei, und am Morgen ein
+Fleischsüpplein mit Schnittlauch drauf. Was Ihr mehr esset, davon
+wird nur der Lindwurm grösser, also, dass er Euch die Leber
+verdruckt, und der Schneider hat Euch nimmer viel anzumessen, aber
+der Schreiner. Dies ist mein Rat, und wenn Ihr mir nicht folgt, so
+hört Ihr im andern Frühjahr den Kuckuck nimmer schreien. Tut, was
+Ihr wollt!" Als der Patient so mit ihm reden hörte, liess er sich
+sogleich den andern Morgen die Stiefel salben und machte sich auf
+den Weg, wie ihm der Doktor befohlen hatte. Den ersten Tag ging es
+so langsam, dass perfekt eine Schnecke hätte können sein Vorreiter
+sein, und wer ihn grüsste, dem dankte er nicht, und wo ein Würmlein
+auf der Erde kroch, das zertrat er. Aber schon am zweiten und am
+dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die Vögel schon lange nimmer
+so lieblich gesungen hätten wie heut, und der Tau schien ihm so
+frisch und die Kornrosen im Feld so rot, und alle Leute, die ihm
+begegneten, sahen so freundlich aus, und er auch; und alle Morgen,
+wenn er aus der Herberge ausging, war's schöner, und er ging
+leichter und munterer dahin, und als er am achtzehnten Tage in der
+Stadt des Arztes ankam und den andern Morgen aufstand, war es ihm so
+wohl, dass er sagte: "Ich hätte zu keiner ungeschicktern Zeit können
+gesund werden als jetzt, wo ich zum Doktor soll. Wenn's mir doch nur
+ein wenig in den Ohren brauste, oder das Herzwasser lief' mir." Als
+er zum Doktor kam, nahm ihn der Doktor bei der Hand und sagte ihm:
+"Jetzt erzählt mir denn noch einmal von Grund aus, was Euch fehlt."
+Da sagte er: "Herr Doktor, mir fehlt gottlob nichts, und wenn Ihr so
+gesund seid wie ich, so soll's mich freuen." Der Doktor sagte: "Das
+hat Euch ein guter Geist geraten, dass Ihr meinem Rat gefolgt habt.
+Der Lindwurm ist jetzt abgestanden. Aber Ihr habt noch Eier im Leib.
+Deswegen müsst Ihr wieder zu Fuss heimgehen und daheim fleissig Holz
+sägen, dass niemand sieht, und nicht mehr essen, als Euch der Hunger
+ermahnt, damit die Eier nicht ausschlupfen, so könnt Ihr ein alter
+Mann werden", und lächelte dazu. Aber der reiche Fremdling sagte:
+"Herr Doktor, Ihr seid ein feiner Kauz, und ich versteh' Euch wohl",
+und hat nachher dem Rat gefolgt und 87 Jahre, 4 Monate, 10 Tage
+gelebt, wie ein Fisch im Wasser so gesund, und hat alle Neujahr dem
+Arzt 20 Dublonen zum Gruss geschickt.
+
+
+
+Der Generalfeldmarschall Suwarow
+
+
+Das Stücklein von Suwarow im Kalender 1809 hat dem geneigten Leser
+nicht übel gefallen. Von ihm selber wäre viel Anmutiges zu erzählen.
+Wenn ein vornehmer Herr nicht hochmütig ist, sondern redet auch mit
+geringen Leuten und stellt sich manchmal, als wenn er nur
+ihresgleichen wäre, so sagt man zu seinem Lob: er ist ein gemeiner
+Herr. Suwarow konnte manchen schimmernden Ordensstern an die Brust
+hängen, manchen Diamantring an die Finger stecken, und aus mancher
+goldenen Dose Tabak schnupfen. War er nicht Sieger in Polen und in
+der Türkei, russischer Generalfeldmarschall und Fürst und an der
+Spitze von dreimal hunderttausend Mann, soviel als seinesgleichen
+ein anderer? Aber bei dem allen war er ein sehr gemeiner Herr.
+Wenn es nicht sein musste, so kleidete er sich nie wie ein General,
+sondern wie es ihm bequem war. Manchmal, wenn er kommandierte, so
+hatte er nur Einen Stiefel an. An dem andern Bein hing ihm der
+Strumpf herunter, und die Beinkleider waren auf der Seite
+aufgeknüpft. Denn er hatte einen Schaden am Knie.
+
+Oft war er nicht einmal so gut gekleidet. Morgens, wenn's noch so
+frisch war, ging er aus dem Bett oder von der Streue weg vor dem
+Zelt im Lager spazieren, nackt und bloss wie Adam im Paradies, und
+liess ein paar Eimer voll kaltes Wasser über sich herabgiessen zur
+Erfrischung.
+
+Er hatte keinen Kammerdiener und keinen Heiduck, nur einen Knecht,
+keine Kutsche und kein Ross. In dem Treffen setzte er sich aufs
+nächste beste.
+
+Sein Essen war gemeine Soldatenkost. Niemand freute sich gross, wenn
+man von ihm zur Mittagsmahlzeit eingeladen wurde. Manchmal ging er
+zu den gemeinen Soldaten ins Zelt und war wie ihresgleichen.
+Wenn ihn auf dem Marsch oder im Lager, oder wo es war, etwas ankam,
+wo ein anderer an einen Baum steht oder hinter eine Hecke geht, da
+machte er kurzen Prozess. Seinetwegen durfte ihm jedermann
+zuschauen, wer's noch nie gesehen hat.
+
+Bei den vornehmsten Gelegenheiten, wenn er in der kostbarsten
+Marschallsuniform voll Ehrenkreuzen und Ordenssternen dastand und,
+wo man ihn ansah, von Gold und Silber funkelte und klingelte, trieb
+er's doch wie ein säuberlicher Bauer, der wegwirft, was ein Herr in
+die Rocktasche steckt. Er schneuzte die Nase mit den Fingern, strich
+die Finger am Ärmel ab und nahm alsdann wieder eine Prise aus der
+goldenen Dose.
+
+Also lebte der General und Fürst Italinsky-Suwarow.
+
+
+
+Der geschlossene Magen
+
+
+Als einst der Zirkelschmied wieder auf vier bis sechs Wochen in gute
+Umstände gekommen war, lebte er so lange gar ehrbar und häuslich mit
+seiner Frau, der Bärbel, und war in keinem Wirtshaus mehr zu sehen.
+Nein, er ass alle Mittag ein Pfündlein Fleisch mit ihr daheim und
+liess eine halbe Mass Wein dazu holen aus dem Adler und gab auf ihre
+Ermahnungen. Einmal jedoch, als es ihm besonders schmeckte, schickte
+er nach dem Essen das Büblein heimlich in das Wirtshaus, dass es
+noch eine Halbe holen sollte. Als aber das Büblein die zweite Halbe
+brachte und auf den Tisch stellte, schaute seine Frau ihn bittend
+an: "Männlein", sagte sie, "lass es jetzt genug sein! Weisst du
+nicht, was im Doktorbuch steht, dass der Magen nach dem Essen
+geschlossen sei." Dem entgegen schaute der Zirkelschmied so lieb und
+freundlich zuerst den Wein, hernach die Bärbel an: "Liebes
+Weiblein", sagte er, "sei unbesorgt! Soll der Magen auch geschlossen
+sein, so viel bring' ich noch wohl durch das Schlüsselloch."
+
+
+
+Der grosse Sanhedrin zu Paris
+
+
+Dass die Juden seit der Zerstörung Jerusalems, das heisst, seit mehr
+als 1700 Jahren, ohne Vaterland und ohne Bürgerrecht auf der ganzen
+Erde in der Zerstreuung leben; dass die meisten von ihnen, ohne
+selber etwas Nützliches zu arbeiten, sich von den arbeitenden
+Einwohnern eines Landes nähren; dass sie daher auch an vielen Orten
+als Fremdlinge verachtet, misshandelt und verfolgt werden, ist Gott
+bekannt und leid.--Mancher sagt daher im Unverstand: "Man sollte
+sie alle aus dem Lande jagen." Ein anderer sagt im Verstand: "Man
+sollte arbeitsame und nützliche Menschen aus ihnen machen und sie
+alsdann behalten."
+
+Der Anfang dazu ist gemacht. Merkwürdig für die Gegenwart und für
+die Zukunft ist dasjenige, was der grosse Kaiser Napoleon wegen der
+Judenschaft in Frankreich und dem Königreich Italien verordnet und
+veranstaltet hat.
+
+Schon in der Revolution bekamen alle Juden, die in Frankreich
+wohnen, das französische Bürgerrecht, und man sagte frischweg:
+Bürger Aaron, Bürger Levi, Bürger Rabbi, und gab sich brüderlich die
+Hand. Aber was will da herauskommen? Der christliche Bürger hat ein
+anderes Gesetz und Recht, so hat der jüdische Bürger auch ein
+anderes Gesetz und Recht und will nicht haben Gemeinschaft mit den
+Gojim. Aber zweierlei Gesetz und Willen in einer Bürgerschaft tut
+gut wie ein brausender Strudel in einem Strom. Da will Wasser auf,
+da will Wasser ab, und eine Mühle, die darin steht, wird nicht viel
+Mehl mahlen.
+
+Das sah der grosse Kaiser Napoleon wohl ein, und im Jahr 1806, ehe
+er antrat die grosse Reise nach Jena, Berlin und Warschau und Eylau,
+liess er schreiben an die ganze Judenschaft in Frankreich, dass sie
+ihm sollte schicken aus ihrer Mitte verständige und gelehrte Männer
+aus allen Departementern des Kaisertums. Da war nun jedermann in
+grossem Wunder, was das werden sollte, und der eine sagte das, der
+andere jenes, z. B. der Kaiser wolle die Juden wieder bringen in
+ihre alte Heimat am grossen Berg Libanon, an dem Bach Ägypti und am
+Meer.
+
+Als aber die Abgeordneten und Rabbiner aus allen Departementern,
+worin Juden wohnen, beisammen waren, liess bald der Kaiser ihnen
+gewisse Fragen vorlegen, die sie sollten bewegen in ihrem Herzen und
+beantworten nach dem Gesetz, und war daraus zu sehen, es sei die
+Rede nicht vom Fortschicken, sondern vom Dableiben und von einer
+festen Verbindung der Juden mit den andern Bürgern in Frankreich und
+in dem Königreich Italien. Denn alle diese Fragen gingen darauf
+hinaus, ob ein Jude das Land, worin er lebt, nach seinem Glauben
+könne ansehen und liebem als sein Vaterland und die andern Bürger
+desselben als seine Mitbürger und die bürgerlichen Gesetze desselben
+halten.
+
+Das war nun fast spitzig, und wie es anfänglich schien, war nicht
+gut sagen: Ja, und war nicht gut sagen: Nein.
+
+Allein die Abgeordneten sagen, dass der Geist der göttlichen
+Weisheit erleuchtet habe ihre Gemüter, und sie erteilten eine
+Antwort, die war wohlgefällig in den Augen des Kaisers.
+
+Darum formierte die jüdische Versammlung aus sich, zum unerhörten
+Wunder unsrer Zeit, den Grossen Sanhedrin. Denn der Grosse Sanhedrin
+ist nicht ein grosser Jude zu Paris wie der Riese Goliath, so aber
+ein Philister war, sondern--Sanhedrin, das wird verdolmetscht: eine
+Versammlung, und wurde vor alten, alten Zeiten also genannt der Hohe
+Rat zu Jerusalem, so bestand aus 71 Ratsherren, die wurden für die
+verständigsten und weisesten Männer gehalten, ein ganzes Volk, und
+wie diese das Gesetz erklärten, so war es recht und musste gelten in
+ganz Israel.
+
+Einen solchen Rat setzten die Abgeordneten der Judenschaft wieder
+ein und sagen, es sei seit 1500 Jahren kein Grosser Sanhedrin
+gewesen als dieser unter dem Schutz des erhabenen Kaisers Napoleon.
+Dies ist der Inhalt der Gesetze, die der Grosse Sanhedrin aussprach
+zu Paris im Jahr 5567 nach Erschaffung der Welt im Monat Adar
+desselbigen Jahres, am 22sten Tag des Monats:
+
+1. Die jüdische Ehe soll bestehen aus einem Manne und einer Frau.
+Kein Israelite darf zu gleicher Zeit mehr haben als eine Frau.
+
+2. Kein Rabbiner darf die Scheidung einer Ehe aussprechen, es sei
+dann, die weltliche Obrigkeit habe zuvor gesprochen, die Ehe sei
+nach dem bürgerlichen Gesetz aufgelöst.
+
+3. Kein Rabbiner darf die Bestätigung einer Ehe aussprechen, es sei
+dann, dass die Verlobten von der weltlichen Obrigkeit einen
+Trauschein haben.
+
+Aber ein Jude darf eine Christentochter heiraten und ein Christ eine
+jüdische Tochter. Solches hat nichts zu sagen.
+
+4. Denn der Grosse Sanhedrin erkennt, die Christen und die Juden
+seien Brüder, weil sie Einen Gott anbeten, der die Erde und den
+Himmel erschaffen hat, und befiehlt daher, der Israelite soll mit
+dem Franzosen und Italiener und mit den Untertanen jedes Landes, in
+welchem sie wohnen, so leben als mit Brüdern und Mitbürgern, wenn
+sie denselben einigen Gott anerkennen und verehren.
+
+5. Der Israelite soll die Gerechtigkeit und die Liebe des Nächsten,
+wie sie befohlen ist im Gesetz Moses, ausüben, ebenso gegen die
+Christen, weil sie seine Brüder sind, als gegen seine eigenen
+Glaubensgenossen in oder ausser Frankreich und dem Königreich
+Italien.
+
+6. Der Grosse Sanhedrin erkennt, das Land, worin ein Israelite
+geboren und erzogen ist oder wo er sich niedergelassen hat und den
+Schutz der Gesetze geniesst, sei sein Vaterland, und befiehlt daher
+allen Israeliten in Frankreich und in dem Königreich Italien,
+solches Land als ihr Vaterland anzusehen, ihm zu dienen, es zu
+verteidigen usw.
+
+Der jüdische Soldat ist in solchem Stand von den Zeremonien frei,
+die damit nicht vereinbar sind.
+
+7. Der Grosse Sanhedrin befiehlt allen Israeliten, der Jugend Liebe
+zur Arbeit einzuflössen, sie zu nützlichen Künsten und Handwerkern
+anzuhalten, und ermahnt sie, liegende Gründe anzukaufen und allen
+Beschäftigungen zu entsagen, wodurch sie in den Augen ihrer
+Mitbürger können verhasst oder verächtlich werden.
+
+8. Kein Israelite darf von dem Geld, welches ein israelitischer
+Hausvater in der Not von ihm geliehen hat, Zins nehmen. Es ist ein
+Werk der Liebe. Aber ein Kapital, das auf Gewinn in den Handel
+gesteckt wird, ist verzinsbar.
+
+9. Das nämliche gilt auch gegen die Mitbürger anderer Religionen.
+Aller Wucher ist gänzlich verboten, in und ausser Frankreich und dem
+Königreich Italien, nicht nur gegen Glaubensgenossen und Mitbürger,
+sondern auch gegen Fremde.
+
+Diese neun Artikel sind publiziert worden den 2. März 1807 und
+unterschrieben von dem Vorsteher des Grossen Sanhedrin, Rabbi d.
+Sinzheim von Strassburg und andern hohen Ratsherren.
+
+
+
+Der grosse Schwimmer
+
+
+Vor dem leidigen Krieg, als man noch unangefochten aus Frankreich
+nach England reisen und in Dover ein Schöpplein trinken oder Zeug
+kaufen konnte zu einem Westlein, ging wöchentlich zweimal ein
+grosses Postschiff von Calais nach Dover durch die Meerenge und
+wieder zurück. Denn dort ist das Meer zwischen beiden Ländern nur
+wenige Meilen breit. Aber man musste kommen, eh' das Schiff abfuhr,
+wenn man mitfahren wollte. Dies schien ein Franzos aus Gaskonien
+nicht zu wissen, denn er kam eine Viertelstunde zu spät, als man
+schon die Hühner eintat in Calais, und der Himmel überzog sich mit
+Wolken. Soll ich jetzt ein paar Tage hier sitzen bleiben und
+Maulaffen feil haben, bis wieder eine Gelegenheit kommt? Nein,
+dachte er, ringer, ich gebe einem Schiffsmann ein Zwölfsousstücklein
+und fahre dem Postschiff nach. Denn ein kleines Boot fährt
+geschwinder als das schwere Postschiff und holt es wohl ein. Als er
+aber in dem offenen Fahrzeuge sass, "wenn ich daran gedacht hätte",
+sagte der Schiffsmann, "so hätt' ich ein Spanntuch mitgenommen";
+denn es fing an zu tröpfeln; aber wie? In kurzer Zeit strömte ein
+Regenguss aus der hohen Nacht herab, als wenn noch ein Meer von oben
+mit dem Meer von unten sich vermählen wollte. Aber der Gaskonier
+dachte: "Das gibt einen Spass."--"Gottlob!" sagte endlich der
+Schiffsmann, "ich sehe das Postschiff." Als er nun an demselben
+angelegt hatte, und der Gaskonier war hinaufgeklettert und kam
+mitten in der Nacht und mitten im Meer auf einmal durch das Türlein
+hinein zu der Reisegesellschaft, die im Schiff sass, wunderte sich
+jeder, wo er herkomme, so spät, so allein und so nass. Denn in einem
+solchen Meerschiff sitzt man wie in einem Keller und hört vor dem
+Gespräch der Gesellschaft, vor dem Geschrei der Schiffsleute, vor
+dem Getöse, vor dem Rauschen der Segel und Brausen der Wellen nicht,
+was draussen vorgeht, und keinem dachte das Herz daran, dass es
+regnete. "Ihr seht ja aus", sagte einer, "als wenn Ihr wäret
+gekielholt, das heisst unter dem Schiff durchgezogen worden."--"So?
+Meint Ihr", sagte der Gaskonier, "man könne trocken schwimmen? Wenn
+das noch einer erfindet, so will ich's auch lernen, denn ich bin der
+Bote von Oleron und schwimme alle Montage mit Briefen und
+Bestellungen nach dem festen Lande, weil's geschwinder geht. Aber
+jetzt hab' ich etwas in England zu verrichten. Wenn's erlaubt ist",
+fuhr er fort, "so will ich nun vollends mitfahren, weil ich euch
+glücklicherweise angetroffen habe. Es kann den Sternen nach nimmer
+weit sein nach Dover."--"Landsmann", sagte einer und stiess eine
+Wolke von Tabaksrauch aus dem Mund (es war aber kein Landsmann,
+sondern ein Engländer), "wenn Ihr von Calais bis hierher geschwommen
+seid durch das Meer, so seid Ihr noch über den schwarzen Schwimmer
+in London."--"Ich gehe keinem aus dem Weg", sagte der Gaskonier.--
+"Wollt Ihr's mit ihm versuchen", erwiderte der Engländer, "wenn ich
+hundert Louisdor auf Euch setze?" Der Gaskonier sagte: "Mir an!"
+Reiche Engländer haben im Brauch, auf Leute, die sich in einer
+körperlichen Kunst hervortun, grosse Summen untereinander zu
+verwetten; deswegen nahm der Engländer im Schiff den Gaskonier auf
+seine Kosten mit sich nach London und hielt ihm gut zu mit Essen und
+Trinken, dass er bei guten Kräften bliebe. "Mylord", sagte er in
+London zu einem guten Freund, "ich habe einen Schwimmer mitgebracht
+vom Meer. Gilt's hundert Guineen: er schwimmt besser als Euer Mohr?"
+Der gute Freund sagte: "Es gilt!" Den andern Tag erschienen beide
+mit ihren Schwimmern auf einem bestimmten Platz an dem Themsefluss,
+und viel hundert neugierige Menschen hatten sich versammelt und
+wetteten noch extra, der eine auf den Mohr, der andere auf den
+Gaskonier, einen Schilling, sechs Schilling; eine, zwei, fünf, zehn,
+zwanzig Guineen, und der Mohr schlug den Gaskonier nicht hoch an.
+Als sich aber beide schon ausgekleidet hatten, band sich der
+Gaskonier mit einem ledernen Riemen noch ein Kistlein an den Leib
+und sagte nicht warum, als wenn's so sein müsste. Der Mohr sagte
+"Wie kommt Ihr mir vor? Habt Ihr so etwas dem grossen Springer
+abgelernt, der Bleikugeln an die Füsse binden musste, wenn er einen
+Hasen fangen wollte, damit er den Hasen nicht übersprang?" Der
+Gaskonier öffnete das Kistlein und sagte: "Ich habe nur eine Flasche
+Wein darin, ein paar Knackwürste und ein Laiblein Brot. Ich wollte
+Euch eben fragen, wo Ihr Euere Lebensmittel habt. Denn ich schwimme
+jetzt geradeswegs den Themsefluss hinab in die Nordsee und durch den
+Kanal ins Atlantische Meer nach Cadix, und wenn's nach mir geht, so
+kehren wir unterwegs nirgends ein, denn bis Montag, als den
+sechzehnten, muss ich wieder in Oleron sein. Aber in Cadix im
+Rösslein will ich morgen früh ein gutes Mittagessen bestellen, dass
+es fertig ist, bis Ihr nachkommt." Der geneigte Leser hätte kaum
+gedacht, dass er sich auf diese Art aus der Affäre herausziehen
+würde. Aber der Mohr verlor Hören und Sehen. "Mit diesem Enterich",
+sagte er zu seinem Herrn, "kann ich nicht in die Wette schwimmen.
+Tut, was ihr wollt", und kleidete sich wieder an. Also war die Wette
+zu Ende, und der Gaskonier bekam von seinem Engländer, der ihn
+mitgebracht hatte, eine ansehnliche Belohnung, der Mohr aber wurde
+von jedermann ausgelacht. Denn ob man wohl merken mochte, dass es
+von dem Franzosen nur Spiegelfechterei war, so fand doch jedermann
+Vergnügen an dem kecken Einfall und an dem unerwarteten Ausgang, und
+er wurde nachher von allen, die auf ihn gewettet hatten, noch vier
+Wochen lang in allen Wirtshäusern und Bierkneipen freigehalten und
+bekannte, dass er noch sein Leben lang in keinem Wasser gewesen sei.
+
+
+
+Der Handschuhhändler
+
+
+Ein Handschuhhändler, welcher eine Kiste voll feine Handschuh aus
+Frankreich nach Deutschland bringen wollte, gebrauchte folgende
+List. Nämlich, es ist ein Gesetz an den französischen Zollstätten,
+dass, wer mit einer Ware hinüber oder herüber will, der muss
+angeben, "wie hoch schätzest du sie", wegen dem Zoll. Schätzt er sie
+nun, dass es gehen und stehen mag, gut, so zahlt er den Zoll, so
+viel oder so wenig. Sieht aber der Zollgardist, dass der Kaufmann
+oder der Krämer seine Ware viel zu gering anschlägt, damit er nicht
+viel dafür entrichten muss, so darf der Zollgardist sagen: "Gut, ich
+gebe dir so viel dafür, ich geb' dir auch zehn Prozent mehr", so
+muss sich's dann der Krämer gefallen lassen. Der Krämer bekommt das
+Geld, und der Zollgardist behaltet die Ware, die alsdann versteigert
+wird in Kolmar oder in Strassburg oder so. Solches ist listig
+ausgedacht, und man kann nichts dagegen sagen. Aber der Listigste
+findet seinen Meister.
+
+Ein Kaufmann, welcher zwei Kisten voll Handschuh über den Rhein
+bringen wollte, verabredete zuerst etwas mit einem Freunde. Alsdann
+legte er in die erste Kiste lauter rechte Handschuhe, nämlich für
+die rechte Hand, je zwei und zwei, in die andere lauter linke. Die
+linken schmuggelte er bei Nacht und Nebel herüber. Siehst du nichts,
+merkst du nichts. Mit den andern kam er an der Zollstätte an.
+"Was habt Ihr in Eurer Kiste?" "Pariser Handschuhe." "Wie hoch
+schlagt Ihr sie an?" "Zweihundert Franken." Der Zollgardist
+betastete die Handschuhe; zart war das Leder, fest war es auch, fein
+die Naht, kurz sie waren 400 Franken wert zwischen Brüdern. "Ich
+gebe euch 220 Franken dafür, sagte der Zollgardist, "sie sind mein."
+Der Krämer sagt: "Sind sie Euer, so sind sie mein gewesen. Zehn
+Prozent sind auch Profit." Also nahm er 220 Franken und liess die
+Kiste im Stich. Freitags drauf in Speier im Kaufhaus, es war noch in
+der alten Zeit, kamen die Handschuhe zur Steigerung.
+
+"Wer gibt mehr als zweihundert und zwanzig?"
+
+Die Liebhaber besichtigten die Ware. " Es scheint mir", sagte der
+Freund des Krämers, "die linken seien etwas rar." "Parbleu", sagte
+ein anderer, "es sind lauter rechte." Kein Mensch tat ein Gebot.
+"Wer gibt zweihundert?--hundertundfünfzig?--hundert?--Wer gibt
+achtzig?"--Kein Gebot. "Wisst ihr was", sagte endlich der Freund
+des Krämers, "es kommen vielleicht viel Leute mit einzechten Armen
+aus dem Feld zurück." Es war Anno 13. "Ich geb sechzig Franken!"
+sagte er. Wem zugeschlagen wurde, war er. Wer vor Zorn des Henkers
+hätte werden mögen, war der überrheinische Zollgardist. Der
+angestellte Käufer aber hat hernach die rechten Handschuhe ebenfalls
+über den Rhein geschmuggelt--siehst du nichts, merkst du nichts,
+und hat sie in Waldangelloch mit seinem Freund wieder
+zusammensepariert, je einen linken und einen rechten, und haben sie
+in Frankfurt auf der Messe für ein teures Geld verkauft. An dem
+Zollgardist aber hat der Krämer gewonnen: einhundertundvierzig
+Franken und den Zoll. Item, wie sagt die Schrift? "Ich wusste nichts
+von der Lust, so das Gesetz nicht hätte gesagt: lass dich nicht
+gelüsten!"
+
+
+
+Der Heiner und der Brassenheimer Müller
+
+
+Eines Tages sass der Heiner ganz betrübt in einem Wirtshaus und
+dachte daran, wie ihn zuerst der rote Dieter und danach sein eigener
+Bruder verlassen haben, und wie er jetzt allein ist. "Nein", dachte
+er, "es ist bald keinem Menschen mehr zu trauen, und wenn man meint,
+es sei einer noch so ehrlich, so ist er ein Spitzbub." Unterdessen
+kommen mehrere Gäste in das Wirtshaus und trinken Neuen, und "wisst
+Ihr auch," sagte einer, "dass der Zundelheiner im Land ist und wird
+morgen im ganzen Amt ein Treibjagen auf ihn angestellt, und der
+Amtmann und die Schreiber stehen auf dem Anstand?" Als das der
+Heiner hörte, wurde es ihm grün und gelb vor den Augen, denn er
+dachte, es kenne ihn einer, und jetzt sei er verraten. Ein anderer
+aber sagte: "Es ist wieder einmal ein blinder Lärm. Sitzt nicht der
+Heiner und sein Bruder zu Wollenstein im Zuchthaus?" Drüber kommt
+auf einem wohlgenährten Schimmel der Brassenheimer Müller mit roten
+Pausbacken und kleinen, freundlichen Augen dahergeritten. Und als er
+in die Stube kam, und tut den Kameraden, die bei dem Neuen sitzen,
+Bescheid und hört, dass sie von dem Zundelheiner sprechen, sagt er:
+"Ich hab' schon so viel von dem Zundelheiner erzählen gehört. Ich
+möcht' ihn doch auch einmal sehen." Da sagte ein anderer: "Nehmt
+Euch in acht, dass Ihr ihn nicht zu früh zu sehen bekommt! Es geht
+die Rede, er sei wieder im Land." Aber der Müller mit seinen
+Pausbacken sagte: "Pah! ich komm' noch bei guter Tageszeit durch den
+Fridstädter Wald, dann bin ich auf der Landstrasse; und wenn's
+fehlen will, geb' ich dem Schimmel die Sporen." Als das der Heiner
+hörte, fragt er die Wirtin: "Was bin ich schuldig", und geht fort in
+den Fridstädter Wald. Unterwegs begegnet ihm auf der Bettelfuhr ein
+lahmer Mensch. "Gebt mir für ein Käsperlein Eure Krücke", sagte er
+zu dem lahmen Soldaten. "Ich habe das linke Bein übertreten, dass
+ich laut schreien möchte, wenn ich drauf treten muss. Im nächsten
+Dorf, wo Ihr abgeladen werdet, macht Euch der Wagner eine neue."
+Also gab ihm der Bettler die Krücke. Bald darauf gehen zwei
+betrunkene Soldaten an ihm vorbei und singen das Reiterlied. Wie er
+in den Fridstädter Wald kommt, hängt er die Krücke an einen hohen
+Ast, setzt sich ungefähr sechs Schritte davon weg an die Strasse und
+zieht das linke Bein zusammen, als wenn er lahm wäre. Drüber kommt
+auf stattlichem Schimmel der Müller daher trottiert und macht ein
+Gesicht, als wenn er sagen wollte: "Bin ich nicht der reiche Müller,
+und bin ich nicht der schöne Müller, und bin ich nicht der witzige
+Müller?" Als aber der witzige Müller zu dem Heiner kam, sagte der
+Heiner mit kläglicher Stimme: "Wolltet Ihr nicht ein Werk der
+Barmherzigkeit tun an einem armen, lahmen Mann? Zwei betrunkene
+Soldaten, sie werden Euch wohl begegnet sein, haben mir all mein
+Almosengeld abgenommen und haben mir aus Bosheit, dass es so wenig
+war, die Krücke auf jenen Baum geschleudert, und ist an den Ästen
+hängen blieben, dass ich nun nimmer weiter kann. Wolltet Ihr nicht
+so gut sein und sie mit Eurer Peitsche herabzwicken?" Der Müller
+sagte: "Ja, sie sind mir begegnet an der Waldspitze. Sie haben
+gesungen: So herzig, wie mein Liesel ist halt nichts auf der Welt."
+Weil aber der Müller auf einem schmalen Steg über einen Graben zu
+dem Baum musste, so stieg er von dem Ross ab, um dem armen Teufel
+die Krücke herabzuzwicken. Als er aber an dem Baum war, und schaut
+hinauf, schwingt sich der Heiner schnell wie ein Adler auf den
+stattlichen Schimmel, gibt ihm mit dem Absatz die Sporen und reitet
+davon. "Lasst Euch das Gehen nicht verdriessen," rief er dem Müller
+zurück, "und wenn Ihr heimkommt, so richtet Eurer Frau einen Gruss
+aus von dem Zundelheiner!" So etwas muss man selber sehen, wenn
+man's glauben soll. Deswegen steht's hierneben abgebildet. Als er
+aber eine Viertelstunde nach Betzeit nach Brassenheim und an die
+Mühle kam und alle Räder klapperten, dass ihn niemand hörte, stieg
+er vor der Mühle ab, band dem Müller den Schimmel wieder an der
+Haustüre an und setzte seinen Weg zu Fuss fort.
+
+
+
+Der Herr Graf
+
+
+Eines Abends, da sassen wir in einem vornehmen Gasthause und
+vexierten einander mit allerlei. "Wisst Ihr noch, zum Beispiel",
+fragte der Graf den Hausfreund, "wie Ihr einst mit einem fremden
+Herrn angegangen seid, an dem nämlichen Platz, wo Ihr jetzt sitzet,
+von wegen der Sternseherei, und wie Ihr von einem beschrien worden
+seid, als Ihr nachher auf dem linken Flügel wolltet abziehen? Man
+muss sich mit fremden Leuten in acht nehmen, die man nicht kennt",
+sagte der Graf im Scherz, und erfuhr es bald nachher im Ernst. Denn
+mancher gibt eine gute Lehre und befolgt sie selber nicht.
+Es kamen jetzt aus einer Chaise vier fremde Personen in die Stube
+und darunter zwei schöne weibliche Gestalten, wie sie der Graf gerne
+sieht, und freute sich schon der angenehmen Tischgesellschaft. Als
+wir aber näher zusammenrückten, damit die Fremden Platz hätten am
+Tisch, bestellten sie ihr Nachtessen in ein eigenes Gemach, denn sie
+seien müde von der Reise und reich. Als aber der Hausfreund
+hinwiederum den Grafen vexieren wollte: "denkt Ihr auch noch daran,
+wie Ihr einmal seid heimgeschickt worden, als der ungarische Major
+im Land war", da war schon kein Graf mehr weit und breit zu sehen,
+sondern er war mit des Wirts Vorwissen und Gefälligkeit in eine
+Kammer gegangen und kleidete sich daselbst anderst an, als wenn er
+in die Wirtschaft gehörte. In solcher Gestalt ging er in die Stube,
+wo die Fremden waren, deckte den Tisch, brachte das Essen, wartete
+auf und erfreute sein Herz an der Schönheit der weiblichen Gestalten
+und an ihren süssen Reden. Auch musste er ihnen Neuigkeiten
+erzählen. Mehr Unglücksfälle sind in zehn Jahren nicht geschehen,
+als damals an einem Tag nach des Grafen Erzählung. Den andern Tag
+reisten die Fremden wieder weiter, wir meinten nach Basel. Am
+Mittwoch aber oder Donnerstags drauf wurden wir einig, in die
+lustige Badestadt zu gehen, wo unzählige Fremde aus allen Weltteilen
+der Gesundheit pflegen und sich der wunderschönen Landschaft
+erfreuen. Als wir aber dort um die Mittagszeit in einen Speisesaal
+traten, es waren schon viele Leute da, erblickten wir die nämlichen
+vier Personen wieder und sie uns; und wer uns kannte, bewillkommte
+uns laut mit Namen und tat uns unsre Ehre an. "Seid uns höchlich
+gegrüsst, Herr Graf! Guten Tag, Herr Hausfreund! Was führt Euch für
+ein Glücksstern zu uns, Herr Graf? Hausfreund, was bringt Ihr Neues
+von daheim?" Da schaute mit Schweisstropfen auf der Stirne der Graf
+den Hausfreund an: "Jetzt ist guter Rat teuer, wenn Ihr keinen
+wisst. Was Ihr aber tut, bringt's nicht in den Kalender." "Herr
+Graf", erwiderte der Hausfreund, "diesmal will ich Euch noch retten.
+Aber künftig befolgt die Lehren selbst, die Ihr andern gebt! In
+solche Verlegenheit kommt man mit Euch." Also redete der Hausfreund
+mit dem Wirt, was er zu den fremden Personen sagen sollte. Der Wirt
+sagte: "Wenn das so ist, so muss man freilich aus der Not eine
+Tugend machen", und redete mit den Fremden. "Wisst ihr", sagte er,
+"wer die zwei Personen sind, die zuletzt da hereinkamen? Der eine
+ist eines Wirts Sohn nicht weit von hier, sonst ein
+wahrheitsliebender junger Mann, nur bisweilen, nachdem als der Mond
+steht, kommt es ihm in den Kopf, er sei der Graf Susse. Deswegen
+machen ihm die Leute, weil er gut ist, diesen Spass. Der andere ist
+der Rheinländische Hausfreund, dem im Jahr 1814 auf 1815 eine Eule
+aufgesessen ist, wie ihr im Morgenblatt könnt gelesen haben." Da
+sprach die eine weibliche Gestalt halb seufzend: "Der arme Mensch!"
+- nämlich der Graf--"wir kennen ihn", sagte sie. "Wir haben auch
+damals schon etwas an ihm gemerkt. Statt des Kaffee, den er uns auf
+den andern Morgen bestellen sollte, bestellte er uns eine
+Habermehlsuppe." Also wurde die Sache noch glücklich vertuscht, und
+als sie hernach sahen, mit welcher Feinheit und Würde er sich gegen
+jedermann benahm, sagten sie: "Man sieht's ihm recht an, dass ihm
+der Graf von Herzen geht. Mit Vorsatz könnte sich einer nicht so
+verstellen."
+
+
+
+Der Herr Wunderlich
+
+
+Nicht nur wird die Einfalt von dem Mutwillen irregeführt, oft auch
+von dem Zufall. Seltener erlöst sie der Zufall wieder aus den
+Fangstricken des Mutwillens. Wie erging es jenem Bauersmann, der in
+der Stadt einem Bürger namens Wunderlich einen Wagen voll Holz
+verkauft hatte auf dem Marktplatz? "Fahrt jetzt nur dort die Strasse
+hinaus", sagte der Bürger, "bis zum Eisenladen, hernach links in die
+Gasse, hernach beim ersten Brunnen wieder rechts, hernach beim Roten
+Löwen wieder links. Numero 428 ist mein Haus, Jakob Wunderlich." Und
+bis so weit gut. Der Bauersmann aber dachte: "Ist's nicht noch früh
+am Vormittag, hab' ich nicht das Holz um einen guten Preis verkauft,
+will ich nicht zuerst noch ein Schöpplein trinken in der Kneipe da?"
+und repetierte für sich: "Eisenladen,--links--rechts--links--
+Numero 428." Aber in der Kneipe sassen bei einem Saueressen auch
+schon ein paar lustige Gesellen, und als sie ihn sahen hereinkommen,
+stiess einer den andern mit den Ellenbogen, und der andere fing an,
+als wenn er fortführe: "Drum muss man's selber gesehen haben", sagte
+er, "und bei den Russen gewesen sein, wenn man's glauben soll, wo
+der Mann im mittleren Glied, ich will vom Flügelmann nicht reden,
+zwanzig Ellen misst, auch weniger. Jeder Finger ist eine Pistole,
+die Zähne sind Pallisaden mit Feldschlangen dazwischen, die Nase ein
+Bollwerk, die Augen Bombenkugeln. Jedes Barthaar ist ein Bajonett,
+jedes Haupthaar ein Sabel. Ein solcher Sabel lässt sich
+auseinanderziehen, wie ein Perspektiv, für in die Nähe zu fechten
+und in die Weite. Verliert ihn einer, so zieht er einen andern aus
+dem Haar. An den Füssen sind ihnen Schiffe gewachsen, und es ist
+ihnen einerlei, ob auf dem Wasser oder auf dem Land. Der Mann
+schultert seinen Achtundvierzigpfünder. Jeder hat sieben Leben.
+Tötet Ihr ihm eins, so hat er noch sechs. Jeder Gemeine hat
+Majorsrang." Der geneigte Leser wird an diesem Müsterlein genug
+haben. Unserm Bauersmann aber verging Hören und Sehen, und so weit
+war es nicht gut. Denn als er wieder auf die Strasse kam, waren ihm
+vor Staunen und Entsetzen der Eisenladen, die Gasse links, die Gasse
+rechts und der Herr Wunderlich aus dem Gedächtnis heraus
+verschwunden, und wen er fragte: "Guter Freund, wisst Ihr mir nicht
+zu sagen, wo der Herr wohnt, dem ich das Holz verkauft habe, so und
+so sieht er aus?" der gab ihm keine Antwort oder eine falsche. Der
+eine sagte: "Am obern Tore Numero 1." Dort sagte ein anderer: "Nein,
+er ist ausgezogen und wohnt jetzt in der untern Vorstadt Numero 916.
+Glücklicherweise führte ihn sein Weg nach der untern Vorstadt durch
+die Schulgasse, und einige Schüler standen vor der Türe. Die
+Bürschlein, dachte er, wissen sonst den Bescheid in der Stadt herum
+am besten, weil sie der Wind aus allen Gassen zusammengeht. "Junger
+Herr", sagte er zu einem, "wolltet Ihr mir nicht sagen, wo der Herr
+wohnt, der mir dieses Holz abgekauft hat", und so und so. Der
+Schüler, ein durchtriebener Kopf, erwiderte: "Guter Freund, ich bin
+noch nicht in der Schwarzen Kunst, ich bin noch in der Philosophie
+(so hiess die Klasse, worin er sass). Wenn ihr aber", sagte er, "zu
+dem Herrn in der obern Stube gehen wollt, der das grosse Buch hat,
+wo Gribis Grabis drin steht: Tunkus, Blemsum, Schalelei, Ikmack und
+Norma, der schlagt's Euch auf für zwei Schillinge." In der obern
+Stube legte er zwei Schillinge auf den Tisch. "Herr Magister, ich
+habe vergessen, wie der Herr heisst, und wo er wohnt, dem ich mein
+Holz verkauft habe. Wollet Ihr nicht so gut sein und es mir aus
+Euerm Gribis-Grabis-Buch dort sagen." Der Schulherr aber schaute
+diese Zumutung mit ungemeinem Staunen an, also dass er zuletzt die
+Brille abhob und den baumwollenen Schlafrock übereinadernahm. "Guter
+Freund", wollte er sagen, "das ist wohl wunderlich von Euch, dass
+Ihr meint, ich könne Euch aus meinen Büchern sagen, was Euch im Kopf
+fehlt." Als er aber angefangen hatte: "Guter Freund, das ist wohl
+wunderlich", fiel ihm der Bauersmann mit freudiger Verwunderung in
+die Rede. "Ganz richtig", sagte er, "es ist Herr Wunderlich.
+Sapperment", sagte er, "das heiss ich ins Schwarze getroffen gleich
+auf den ersten Schuss und ohne Buch", und entsetzte sich jetzt noch
+viel mehr über die allwissende Gelehrsamkeit des Schulherrn, als
+vorher über die fürchterlichen Soldaten in der Kneipe. Der Schulherr
+aber gab ihm seine zwei Schillinge wieder und liess ihm hernach
+durch ein Büblein zeigen, wo der Herr Wunderlich wohnt. Also hat dem
+Mann ein lächerlicher Zufall wieder auf die Spur geholfen, von
+welcher er war abgeleitet worden durch den Mutwillen.
+
+
+
+Der Husar in Neisse
+
+
+Als vor achtzehn Jahren die Preussen mit den Franzosen Krieg führten
+und durch die Provinz Champagne zogen, dachten sie auch nicht daran,
+dass sich das Blättlein wenden könnte, und dass der Franzos noch im
+Jahr 1806 nach Preussen kommen und den ungebetenen Besuch wettmachen
+werde. Denn nicht jeder führte sich auf, wie es einem braven
+Soldaten in Feindesland wohl ansteht. Unter andern drang damals ein
+brauner preussischer Husar, der ein böser Mensch war, in das Haus
+eines friedlichen Mannes ein, nahm ihm all sein bares Geld, so viel
+war, und viel Geldeswert, zuletzt auch noch das schöne Bett mit
+nagelneuem Überzug und misshandelte Mann und Frau. Ein Knabe von
+acht Jahren bat ihn kniend, er möchte doch seinen Eltern nur das
+Bett wiedergeben. Der Husar stosst ihn unbarmherzig von sich. Die
+Tochter läuft ihm nach, hält ihn am Dolman fest und fleht um
+Barmherzigkeit. Er nimmt sie und wirft sie in den Sodbrunnen, so im
+Hofe steht, und rettet seinen Raub. Nach Jahr und Tagen bekommt er
+seinen Abschied, setzt sich in der Stadt Neisse in Schlesien, denkt
+nimmer daran, was er einmal verübt hat, und meint, es sei schon
+lange Gras darüber gewachsen. Allein, was geschieht im Jahr 1806?
+Die Franzosen rücken in Neisse ein; ein junger Sergeant wird abends
+einquartiert bei einer braven Frau, die ihm wohl aufwartet. Der
+Sergeant ist auch brav, führt sich ordentlich auf und scheint guter
+Dinge zu sein. Den andern Morgen kommt der Sergeant nicht zum
+Frühstück. Die Frau denkt: Er wird noch schlafen, und stellt ihm den
+Kaffee ins Ofenrohr. Als er noch immer nicht kommen wollte, ging sie
+endlich in das Stüblein hinauf, macht leise die Türe auf und will
+sehen, ob ihm etwas fehlt.
+
+Da sass der junge Mann wach und aufgerichtet im Bette, hatte die
+Hände ineinander gelegt und seufzte, als wenn ihm ein gross Unglück
+begegnet wäre, oder als wenn er das Heimweh hätte oder so etwas, und
+sah nicht, dass jemand in der Stube ist. Die Frau aber ging leise
+auf ihn zu und fragte ihn: "Was ist Euch begegnet, Herr Sergeant,
+und warum seid Ihr so traurig?" Da sah sie der Mann mit einem Blick
+voll Tränen an und sagte, die Überzüge dieses Bettes, in dem er
+heute Nacht geschlafen habe, haben vor 18 Jahren seinen Eltern in
+Champagne angehört, die in der Plünderung alles verloren haben und
+zu armen Leuten geworden seien, und jetzt denke er an alles und sein
+Herz sei voll Tränen. Denn es war der Sohn des geplünderten Mannes
+in Champagne und kannte die Überzüge noch, und die roten
+Namensbuchstaben, womit sie die Mutter gezeichnet hatte, waren ja
+auch noch daran. Da erschrak die gute Frau und sagte, dass sie
+dieses Bettzeug von einem braunen Husaren gekauft habe, der noch
+hier in Neisse lebe, und sie könne nichts dafür.
+
+Da stand der Franzose auf und liess sich in das Haus des Husaren
+führen und kannte ihn wieder.
+
+"Denkt Ihr noch daran", sagte er zu dem Husaren, "wie Ihr vor 18
+Jahren einem unschuldigen Mann in Champagne Hab und Gut und zuletzt
+auch noch das Bett aus dem Hause getragen habt, und habt keine
+Barmherzigkeit gehabt, als Euch ein achtjähriger Knabe um Schonung
+anflehte, und an meine Schwester?" Anfänglich wollte der alte Sünder
+sich entschuldigen, es gehe bekanntlich im Kriege nicht alles, wie
+es soll, und was der eine liegen lasse, hole doch ein anderer, und
+Lieber nimmt man's selber. Als er aber merkte, dass der Sergeant der
+nämliche sei, dessen Eltern er geplündert und misshandelt hatte, und
+als er ihn an seine Schwester erinnerte, versagte ihm vor
+Gewissensangst und Schrecken die Stimme, und er fiel vor dem
+Franzosen auf die zitternden Knie nieder und konnte nichts mehr
+herausbringen als: "Pardon!", dachte aber: Es wird nicht viel
+helfen.
+
+Der geneigte Leser denkt vielleicht auch: "Jetzt wird der Franzos
+den Husaren zusammenhauen", und freut sich schon darauf. Allein das
+könnte mit der Wahrheit nicht bestehen. Denn wenn das Herz bewegt
+ist und vor Schmerz fast brechen will, mag der Mensch keine Rache
+nehmen. Da ist ihm die Rache zu klein und verächtlich, sondern er
+denkt: Wir sind in Gottes Hand, und will nicht Böses mit Bösem
+vergelten. So dachte der Franzose auch und sagte: "Dass du mich
+misshandelt hast, das verzeihe ich dir. Dass du meine Eltern
+misshandelt und zu armen Leuten gemacht hast, das werden dir meine
+Eltern verzeihen. Dass du meine Schwester in den Brunnen geworfen
+hast, und ist nimmer davongekommen, das verzeihe dir Gott!"--Mit
+diesen Worten ging er fort, ohne dem Husaren das Geringste zuleide
+zu tun, und es ward ihm in seinem Herzen wieder wohl. Dem Husaren
+aber war es nachher zumut, als wenn er vor dem jüngsten Gericht
+gestanden wäre und hätte keinen guten Bescheid bekommen. Denn er
+hatte von dieser Zeit an keine ruhige Stunde mehr und soll nach
+einem Vierteljahr gestorben sein.
+
+Merke: Man muss in der Fremde nichts tun, worüber man sich daheim
+nicht darf finden lassen.
+
+Merke: Es gibt Untaten, über welche kein Gras wächst.
+
+
+
+Der kann Deutsch
+
+
+Bekanntlich gibt es in der französischen Armee viele
+Deutschgeborene, die es aber im Feld und im Quartier nicht immer
+merken lassen. Das ist alsdann für einen Hauswirt, der seinen
+Einquartierten für einen Stockfranzosen hält, ein gross Kreuz und
+Leiden, wenn er nicht französisch mit ihm reden kann. Aber ein
+Bürger in Salzwedel, der im letzten Krieg einen Sundgauer im
+Quartier hatte, entdeckte von ohngefähr ein Mittel, wie man bald
+dahinter kommt. Es ging so zu. Der Sundgauer parlierte lauter Foudre
+Diable, forderte mit dem Säbel in der Faust immer etwas anders, und
+der Salzwedler wusste nie, was? Hätt's ihm gern gegeben, wenn er
+gekonnt hätte. Da sprang er in der Not in seines Nachbarn Haus, der
+sein Gevatter war und ein wenig französisch kann, und bat ihn um
+seinen Beistand. Der Gevatter sagte: "Er wird aus der Dauphine sein,
+ich will schon mit ihm zurechtkommen." Aber weit gefehlt. War's
+vorher arg, so war's jetzt ärger. Der Sundgauer machte Forderungen,
+die der gute Mann nicht zu befriedigen wusste, so dass er endlich im
+Unwillen sagte "Das ist ja der vermaledeiteste Spitzbube, mit dem
+mich der Bolettenschreiber noch heimgesucht hat." Aber kaum war das
+unvorsichtige Wort heraus, so bekam er von dem vermeinten
+Stockfranzosen eine ganz entsetzliche Ohrfeige. Da sagte der
+Nachbar: "Gevattermann! Nun lasst Euch nimmer Angst sein, der kann
+Deutsch."
+
+
+
+Der kluge Richter
+
+
+Dass nicht alles so uneben sei, was im Morgenlande geschieht, das
+haben wir schon einmal gehört. Auch folgende Begebenheit soll sich
+daselbst zugetragen haben: Ein reicher Mann hatte eine beträchtliche
+Geldsumme, welche in ein Tuch eingenähet war, aus Unvorsichtigkeit
+verloren. Er machte daher seinen Verlust bekannt und bot, wie man zu
+tun pflegt, dem ehrlichen Finder eine Belohnung, und zwar von
+hundert Talern, an. Da kam bald ein guter und ehrlicher Mann
+dahergegangen. "Dein Geld habe ich gefunden. Dies wird's wohl sein!
+So nimm dein Eigentum zurück!" So sprach er mit dem heitern Blick
+eines ehrlichen Mannes und eines guten Gewissens, und das war schön.
+Der andere machte auch ein fröhliches Gesicht, aber nur, weil er
+sein verloren geschätztes Geld wieder hatte. Denn wie es um seine
+Ehrlichkeit aussah, das wird sich bald zeigen. Er zählte das Geld,
+und dachte unterdessen geschwinde nach, wie er den treuen Finder um
+seine versprochene Belohnung bringen könnte. "Guter Freund", sprach
+er hierauf, " es waren eigentlich 800 Taler in dem Tuch eingenäht.
+Ich finde aber nur noch 700 Taler. Ihr werdet also wohl eine Naht
+aufgetrennt und Eure 100 Taler Belohnung schon herausgenommen haben.
+Da habt Ihr wohl daran getan. Ich danke Euch." Das war nicht schön.
+Aber wir sind auch noch nicht am Ende. Ehrlich währt am längsten,
+und Unrecht schlägt seinen eigenen Herrn. Der ehrliche Finder, dem
+es weniger um die 100 Taler als um seine unbescholtene
+Rechtschaffenheit zu tun war, versicherte, dass er das Päcklein so
+gefunden habe, wie er es bringe, und es so bringe, wie er's gefunden
+habe. Am Ende kamen sie vor den Richter. Beide beistanden auch hier
+noch auf ihrer Behauptung, der eine, dass 800 Taler seien eingenäht
+gewesen, der andere, dass er von dem Gefundenen nichts genommen und
+das Päcklein nicht versehrt habe. Da war guter Rat teuer. Aber der
+kluge Richter, der die Ehrlichkeit des einen und die schlechte
+Gesinnung des andern zum voraus zu kennen schien, griff die Sache so
+an: er liess sich von beiden über das, was sie aussagten, eine feste
+und feierliche Versicherung geben, und tat hierauf folgenden
+Ausspruch: "Demnach, und wenn der eine von euch 800 Taler verloren,
+der andere aber nur ein Päcklein mit 700 Talern gefunden hat, so
+kann auch das Geld des letztern nicht das nämliche sein, auf welches
+der erstere ein Recht hat. Du, ehrlicher Freund, nimmst also das
+Geld, welches du gefunden hast, wieder zurück, und behältst es in
+guter Verwahrung, bis der kommt, welcher nur 700 Taler verloren hat.
+Und dir da weiss ich keinen Rat, als du geduldest dich, bis
+derjenige sich meldet, der deine 800 Taler findet." So sprach der
+Richter, und dabei blieb es.
+
+
+
+Der kluge Sultan
+
+
+Zu dem Grosssultan der Türken, als er eben an einem Freitag in die
+Kirche gehen wollte, trat ein armer Teufel von seinen Untertanen mit
+schmutzigem Bart, zerfetztem Rock und durchlöcherten Pantoffeln,
+schlug ehrerbietig und kreuzweise die Arme übereinander und sagte:
+"Glaubst du auch, grossmächtiger Sultan, was der Prophet sagt?" Der
+Sultan, so ein gütiger Herr war, sagte: "Ja, ich glaube, was der
+Prophet sagt." Der arme Teufel fuhr fort: "Der Prophet sagt im
+Alkoran: Alle Muselmänner (das heisst, alle Mohammedaner) sind
+Brüder. Herr Bruder, so sei so gut und teile mit mir das Erbe." Dazu
+lächelte der Kaiser und dachte: Das ist eine neue Art, ein Almosen
+zu betteln, und gibt ihm einen Löwentaler. Der Türke beschaut das
+Geldstück lang auf der einen Seite und auf der andern Seite. Am Ende
+schüttelt er den Kopf und sagt: "Herr Bruder, wie komme ich zu einem
+schäbigen Löwentaler, so du doch mehr Silber und Gold hast, als
+hundert Maulesel tragen können, und meinen Kindern daheim werden vor
+Hunger die Nägel blau, und mir wird nächstens der Mund ganz
+zuwachsen. Heisst das geteilt mit einem Bruder?" Der gütige Sultan
+aber hob warnend den Finger in die Höhe und sagte: "Herr Bruder, sei
+zufrieden, und sage ja niemand, wieviel ich dir gegeben habe, denn
+unsere Familie ist gross, und wenn unsere andern Brüder alle auch
+kommen und wollen ihr Erbteil von mir, so wird's nicht reichen, und
+du musst noch herausgeben." Das begriff der Herr Bruder, ging zum
+Bäckermeister Abu Tlengi und kaufte ein Laiblein Brot, der Kaiser
+aber begab sich in die Kirche und verrichtete sein Gebet.
+
+
+
+Der Kommandant und die badischen Jäger in Hersfeld
+
+
+Folgende Begebenheit verdient, dass sie im Andenken bleibe, und wer
+keine Freude daran hat, den will ich nicht loben.
+
+Im verflossenen Winter, als die französische Armee und ein grosser
+Teil der bundesgenossischen Truppen in Polen und Preussen stand,
+befand sich ein Teil des badischen Jägerregiments in Hessen und in
+der Stadt Hersfeld auf ihren Posten. Denn dieses Land hatte der
+Kaiser im Anfang des Feldzugs eingenommen und mit Mannschaft
+besetzt. Da gab es nun von seiten der Einwohner, denen das Alte
+besser gefiel als das Neue, mancherlei Unordnungen, und es wurden
+besonders in dem Ort Hersfeld mehrere Widersetzlichkeiten ausgeübt
+und unter andern ein französischer Offizier getötet. Das konnte der
+französische Kaiser nicht geschehen lassen, während er mit einem
+zahlreichen Feind im Angesicht kämpfte, dass auch hinter ihm
+Feindseligkeiten ausbrachen und ein kleiner Funke sich zu einer
+grossen Feuersbrunst entzündete. Die armen Einwohner von Hersfeld
+bekamen daher bald Ursache, ihre unüberlegte Kühnheit zu bereuen.
+Denn der französische Kaiser befahl, die Stadt Hersfeld zu plündern
+und alsdann an vier Orten anzuzünden und in die Asche zu legen.
+Dieses Hersfeld ist ein Ort, der viele Fabriken und daher auch viele
+reiche und wohlhabende Einwohner und schöne Gebäude hat; und ein
+Menschenherz kann wohl empfinden, wie es nun den armen Leuten, den
+Vätern und Müttern zumute war, als sie die Schreckenspost vernahmen;
+und der arme Mann, dem sein Hab und Gut auf einmal auf dem Arm
+konnte weggetragen werden, war jetzt so übel dran als der reiche,
+dem man es auf vielen Wagen nicht wegführen konnte; und in der Asche
+sind die grossen Häuser auf dem Platz und die kleinen in den Winkeln
+auch so gleich als die reichen Leute und die armen Leute auf dem
+Kirchhof. Nun, zum Schlimmsten kam es nicht. Auf Fürbitte der
+französischen Kommandanten in Kassel und Hersfeld wurde die Strafe
+so gemildert: es sollten zwar nur vier Häuser verbrannt werden, und
+dies war glimpflich; aber bei der Plünderung sollte es bleiben, und
+das war noch hart genug. Die unglücklichen Einwohner waren auch, als
+sie diesen letzten Bescheid hörten, so erschrocken, so alles Mutes
+und aller Besinnung beraubt, dass sie der menschenfreundliche
+Kommandant selber ermahnen musste, statt des vergeblichen Klagens
+und Bittens die kurze Frist zu benutzen und ihr Bestes noch
+geschwind auf die Seite zu schaffen. Die fürchterliche Stunde
+schlug; die Trommel wirbelte ins Klaggeschrei der Unglücklichen.
+Durch das Getümmel der Flüchtenden und Fliehenden und Verzweifelten
+eilten die Soldaten auf ihren Sammelplatz. Da trat der brave
+Kommandant von Hersfeld vor die Reihen seiner baldigen Jäger,
+stellte ihnen zuerst das traurige Schicksal der Einwohner lebhaft
+vor die Augen und sagte hierauf: "Soldaten! Die Erlaubnis zu
+plündern fängt jetzt an. Wer dazu Lust hat, der trete heraus aus dem
+Glied!" So sprach der Kommandant; und wer jetzt ein Glas voll Wein
+hat neben sich stehen, der trinke es aus zu Ehren der badischen
+Jäger. Kein Mann trat aus dem Glied. Nicht einer! Der Aufruf wurde
+wiederholt. Kein Fuss bewegte sich; und wollte der Kommandant
+geplündert haben, so hätte er müssen selber gehen. Aber es war
+niemand lieber als ihm, dass die Sache also ablief; das ist leicht
+zu bemerken. Als die Bürger das erfuhren, war es ihnen zumute wie
+einem, der aus einem schweren Traum erwacht. Ihre Freude ist nicht
+zu beschreiben. Sie schickten sogleich eine Gesandtschaft an den
+Kommandanten, liessen ihm für diese Milde und Grossmut danken und
+boten ihm aus Dankbarkeit ein grosses Geschenk an. Wer weiss, was
+mancher getan hätte! Aber der Kommandant schlug dasselbe ab und
+sagte: er lasse sich keine gute Tat mit Geld bezahlen. "Nur zum
+Andenken von euch", setzte er hinzu, "erbitte ich mir eine silberne
+Münze, auf welcher die Stadt Hersfeld vorgestellt ist und der
+heutige Auftritt. Dies soll das Geschenk sein, welches ich meiner
+künftigen Gattin aus dem Krieg mitbringen will." Dies ist geschehen
+im Februar des Jahrs 1807, und so etwas ist des Lesens zweimal wert.
+
+
+
+Der Lehrjunge
+
+
+Eines Tages wurde in Rheinfelden ein junger Mensch wegen eines
+verübten Diebstahls an den Pranger gestellt, an das Halseisen, und
+ein fremder, wohlgekleideter Mensch blieb die ganze Zeit unter den
+Zuschauern stehen und verwandte kein Auge von ihm. Als aber der Dieb
+nach einer Stunde herabgelassen wurde von seinem Ehrenposten und zum
+Andenken noch 20 Prügel bekommen sollte, trat der Fremde zu dem
+Hatschier, drückte ihm einen Kleinen Taler in die Hand und sagte:
+"Setzt ihm die Prügel ein wenig kräftig auf, Herr Haltunsfest! Gebt
+ihm die besten, die Ihr aufbringen könnt"; und der Hatschier mochte
+schlagen, so stark er wollte, so rief der Fremde immer: "Besser!
+Noch besser!" und den jungen Menschen auf der Schranne fragte er
+bisweilen mit höhnischem Lachen: "Wie tut's, Bürschlein? Wie
+schmeckt's?"
+
+Als aber der Dieb zur Stadt war hinausgejagt worden, ging ihm der
+Fremde von weitem nach, und als er ihn erreicht hatte auf dem Weg
+nach Degerfelden, sagte er zu ihm: "Kennst du mich noch, Gutschick?"
+Der junge Mensch sagte: "Euch werde ich so bald nicht vergessen.
+Aber sagt mir doch, warum habt Ihr an meiner Schmach eine solche
+Schadenfreude gehabt und an dem Pass, den mir der Hatschier mit dem
+Weidenstumpen geschrieben hat, so ich doch Euch nicht bestohlen,
+auch mein Leben lang sonst nicht beleidiget habe." Der Fremde sagte:
+"Zur Warnung, weil du deine Sache so einfältig angelegt hattest,
+dass es notwendig herauskommen musste. Wer unser Metier treiben
+will, ich bin der Zundelfrieder", sagte er, und er war's auch--"wer
+unser Metier treiben will, der muss sein Geschäft mit List anfangen
+und mit Vorsicht zu Ende bringen. Wenn du aber zu mir in die Lehre
+gehen willst, denn an Verstand scheint es dir nicht zu fehlen, und
+eine Warnung hast du jetzt, und so will ich mich deiner annehmen und
+etwas Rechtes aus dir machen." Also nahm er den jungen Menschen als
+Lehrjungen an, und als es bald darauf unsicher am Rhein wurde, nahm
+er ihn mit sich in die spanischen Niederlande.
+
+
+
+Der listige Kaufherr
+
+
+Der Adjunkt, der dieses schreibt, hat allemal eine grosse Freude,
+wenn er auch ein Geschichtlein einmauren kann in den Kalender. Denn
+was er in gelehrte Bücher hineinstiftet, lesen nicht viel Leute, am
+wenigsten die Gelehrten selber. Der Hausfreund aber hat nach den
+neuesten Zählungen 700’000 Leser, ohne die, welche umsonst zuhören.
+Diesmal aber freut er sich insbesondere zu erzählen, wie einmal ein
+grosser Spitzbube auch hinter das Licht geführt worden ist; denn die
+Wölfe beissen bisweilen auch ein gescheites Hündlein, sagt Doktor
+Luther.
+
+Ein französischer Kaufherr segelte mit einem Schiff voll grossen
+Reichtums aus der Levante heim, aus dem Morgenland, wo unser Glaube,
+unsere Fruchtbäume und unser Blut daheim ist, und dachte schon mit
+Freuden daran, wie, er jetzt bald ein eigenes Schlösslein am Meer
+bauen, und ruhig leben und alle Abend dreierlei Fische zu Nacht
+speisen wolle. Paff, geschah ein Schuss. Ein algierisches Raubschiff
+war in der Nähe, wollte uns gefangen nehmen und geraden Wegs nach
+Algier führen in die Sklaverei. Denn hat man zwischen Wasser und
+Himmel gute Gelegenheit Luftschlösser zu bauen, so hat man auch gute
+Gelegenheit zu stehlen. So denken die algierschen Seeräuber auch.
+Hat das Wasser keine Balken, so hat's auch keine Galgen. Zum Glück
+hatte der Kaufherr einen Ragusaner auf dem Schiff, der schon einmal
+in algierischer Gefangenschaft gewesen war und ihre Sprache und ihre
+Prügel aus dem Fundament verstand. Zu dem sagte der Kaufherr:
+"Nicolo, hast du Lust noch einmal algierisch zu werden? Folge mir,
+was ich dir sage, so kannst du dich erretten und uns." Also
+verbargen wir uns alle im Schiff, dass kein Mensch zu sehen war, nur
+der Ragusaner stellte sich oben auf das Verdeck. Als nun die
+Seeräuber mit ihren blinkenden Säbeln schon nahe waren und riefen,
+die Christenhunde sollten sich ergeben, fing der Ragusaner mit
+kläglicher Stimme auf algierisch an: Tschamiana, fing er an,
+tschamiana halakna bilabai monaschid ana billah onzorun min almaut.
+"Wir sind alle an der Pest gestorben bis auf die Kranken, die noch
+auf ihr Ende warten, und ein deutscher Adjunkt und ich. Um Gottes
+willen rettet mich!" Dem Algierer Seekapitän, als er hörte, dass er
+so nah an einem Schiff voll Pest sei, kam's grün und gelb vor die
+Augen. In der grössten Geschwindigkeit hielt er das Schnupftuch vor
+die Nase, hatte aber keins, sondern den Ärmel; und lenkte sein
+Schiff hinter den Wind. Lajonzork, sagte er, Allahorraman arrahim
+atabarra laka it schanat chall. "Gott helfe dir, der Gnädige und
+Barmherzige! Aber geh zum Henker mit deiner Pest! Ich will dir eine
+Flasche voll Kräuteressig reichen." Darauf liess er ihm eine Flasche
+voll Kräuteressig reichen an einer langen Stange und segelte so
+schnell als möglich linksum. Also kamen wir glücklich aus der
+Gefahr, und der Kaufherr baute hernach in der Gegend von Marseille
+das Schlösslein und stellte den Ragusaner als Haushofmeister an auf
+lebenslang.
+
+
+
+Der listige Quäker
+
+
+Die Quäker sind eine Sekte, zum Exempel in England, fromme,
+friedliche und verständige Leute, wie hierzuland die Wiedertäufer
+ungefähr, und dürfen vieles nicht tun nach ihren Gesetzen: nicht
+schwören, nicht das Gewehr tragen, vor niemand den Hut abziehn, aber
+reiten dürfen sie, wenn sie Pferde haben. Als einer von ihnen einmal
+abends auf einem gar schönen, stattlichen Pferd nach Haus in die
+Stadt wollte reiten, wartet auf ihn ein Räuber mit kohlschwarzem
+Gesicht ebenfalls auf einem Ross, dem man alle Rippen unter der
+Haut, alle Knochen, alle Gelenke zählen konnte, nur nicht die Zähne,
+denn sie waren alle ausgebissen, nicht am Haber, aber am Stroh.
+"Kind Gottes", sagte der Räuber, "ich möchte meinem armen Tier da,
+das sich noch dunkel an den Auszug der Kinder Israel aus Ägypten
+erinnern kann, wohl auch ein so gutes Futter gönnen, wie das Eurige
+haben muss dem Aussehen nach. Wenn's Euch recht ist, so wollen wir
+tauschen. Ihr habt doch keine geladene Pistole bei Euch, aber ich."
+Der Quäker dachte bei sich selbst: "Was ist zu tun? Wenn alles
+fehlt, so hab' ich zu Haus noch ein zweites Pferd, aber kein zweites
+Leben." Also tauschten sie miteinander, und der Räuber ritt auf dem
+Ross des Quäkers nach Haus, aber der Quäker führte das arme Tier des
+Räubers am Zaum. Als er aber gegen die Stadt und an die ersten
+Häuser kam, legte er ihm den Zaum auf den Rücken und sagte: "Geh
+voraus, Lazarus; du wirst deines Herrn Stall besser finden als ich."
+Und so liess er das Pferd vorausgehen und folgte ihm nach Gasse ein,
+Gasse aus, bis es vor einer Stalltüre stehen blieb. Als es stehen
+blieb und nimmer weiter wollte, ging er in das Haus und in die
+Stube, und der Räuber fegte gerade den Russ aus dem Gesicht mit
+einem wollenen Strumpf. "Seid Ihr wohl nach Hause gekommen?" sagte
+der Quäker. "Wenn's Euch recht ist, so wollen wir jetzt unsern
+Tausch wieder aufheben, er ist ohnedem nicht gerichtlich bestätigt.
+Gebt mir mein Rösslein wieder, das Eurige steht vor der Tür." Als
+sich nun der Spitzbube entdeckt sah, wollte er wohl oder übel, gab
+er dem Quäker sein gutes Pferd zurück. "Seid so gut", sagte der
+Quäker, "und gebt mir jetzt auch noch zwei Taler Rittlohn; ich und
+Euer Rösslein sind miteinander zu Fuss spaziert." Wollte der
+Spitzbube wohl oder übel, musst' er ihm auch noch zwei Taler
+Rittlohn bezahlen. "Nicht wahr, das Tierlein lauft einen sanften
+Trab?" sagte der Quäker.
+
+
+
+Der listige Steiermarker
+
+
+In Steiermark, ein wenig abhanden von der Strasse, dachte ein
+reicher Bauer im letzten Krieg: wie fang' ich's an, dass ich meine
+Kronentaler und meine Dukätlein rette in dieser bösen Zeit? Die
+Kaiserin Maria Theresia ist mir noch so lieb, tröst' sie Gott, und
+der Kaiser Joseph, tröst' ihn Gott, und der Kaiser Franz, Gott
+schenk' ihm Leben und Gesundheit. Und wenn man meint, man habe die
+lieben Herrschaften noch so gut verborgen und geflüchtet, so riecht
+sie der Feind, sobald er die Nase ins Dorf streckt, und führt sie in
+die Gefangenschaft ins Lothringen oder in die Champagne, dass einem
+armen Untertanen das Herz dabei bluten möchte vor Patriotismus.
+"Jetzt weiss ich," sagte er, "wie ich's anfange", und trug das Geld
+bei dunkler, blinder Nacht in den Krautgarten. "Das Siebengestirn
+verratet mich nicht", sagte er. Im Krautgarten legte er das Geld
+geradezu zwischen die Gelveieleinstöcke und die spanischen Wicken.
+
+Nebendran grub er ein Loch in das Weglein zwischen den Beeten und
+warf allen Grund daraus auf das Geld und zertrat rings herum die
+schönen Blumenstöcke und das Mangoldkraut, wie einer, der Sauerkraut
+einstampft. Am Montag drauf streiften schon die Chasseurs im ganzen
+Revier, und am Donnerstag kam eine Partie ins Dorf, frisch auf die
+Mühle zu, und aus der Mühle mit weissen Ellenbogen zu unserm Bauern:
+und "Geld her, Buur," rief ihm ein Sundgauer mit blankem Säbel
+entgegen, "oder bet' dein letztes Vaterunser." Der Bauer sagte, sie
+möchten nehmen, was sie in Gottes Namen noch finden. Er habe nichts
+mehr, es sei gestern und vorgestern schon alles in Rapuse gegangen.
+"Vor euch kann man etwas verbergen," sagt er, "ihr seid die
+Rechten." Als sie nichts fanden ausser ein paar Kupferkreuzer und
+einen vergoldeten Sechser mit dem Bildnis der Kaiserin Maria
+Theresia und ein Ringlein dran zum Anhängen, "Buur," sagte der
+Sundgauer, "du hast dein Geld verlochet; auf der Stelle zeig', wo du
+dein Geld verlocht hast, oder du gehst ohne dein letztes Vaterunser
+aus der Welt." "Auf der Stelle kann ich's euch nicht zeigen," sagte
+der Bauer, "so sauer mich der Gang ankommt, sondern ihr müsst mit
+mir in den Krautgarten gehen. Dort will ich euch zeigen, wo ich es
+verborgen hatte, und wie es mir ergangen ist. Der Herr Feind ist
+schon gestern und vorgestern dagewesen und haben's gefunden und
+alles geholt." Die Chasseure nahmen den Augenschein im Garten ein,
+fanden alles, wie es der Mann angegeben hatte, und keiner dachte
+daran, dass das Geld unter dem Grundhaufen liegt, sondern jeder
+schaute in das leere Loch und dachte: wär' ich nur früher gekommen.
+"Und hätten sie nur die schönen Gelveieleinstöcke und den Goldlack
+nicht so verderbt", sagte der Bauer, und so hinterging er diese und
+alle, die noch nachkamen, und hat auf diese Art das ganze
+erzherzogliche Haus, den Kaiser Franz, den Kaiser Joseph, die
+Kaiserin Maria Theresia und den allerhöchstseligen Herrn Leopold den
+Ersten gerettet und glücklich im Land behalten.
+
+
+
+Der Prozess ohne Gesetz
+
+
+Nur weil es unter allen Ständen einfältige Leute gibt, gibt es
+solche auch unter dem achtungswerten Bauernstand; sonst wär es nicht
+nötig. Ein solcher schob eines Morgens einen schwarzen Rettich und
+ein Stück Brot in die Tasche, und "Frau", sagte er, "gib acht zum
+Haus, ich gehe jetzt in die Stadt." Unterwegs sagte er von Zeit zu
+Zeit: "Dich will ich bekommen. Mit dir will ich fertig werden", und
+nahm allemal eine Prise darauf, als wenn er den Tabak meinte, mit
+ihm woll' er fertig werden; er meinte aber seinen Schwager, den
+Ölmüller. In der Stadt ging er geradeswegs zu einem Advokaten und
+erzählte ihm, was er für einen Streit habe mit seinem Schwager wegen
+einem Stück Reben im untern Berg, und wie einmal der Schwed am Rhein
+gewesen sei und seine Voreltern drauf ins Land gekommen seien, der
+Schwager aber sei von Enzberg im Württembergischen, und der Herr
+Advokat soll jetzt so gut sein und einen Prozess daraus machen. Der
+Advokat mit einer Tabakspfeife im Mund, sie rauchen fast alle, tat
+gewaltige Züge voll Rauch, und es gab lauter schwebende Ringlein in
+der Luft, der Adjunkt kann auch machen. Dabei war er aber ein
+aufrichtiger Mann, als Rechtsfreund und Rechtsbeistand natürlich.
+"Guter Mann", sagte er, "wenn's so ist, wie Ihr mir da vortragt, den
+Prozess könnt Ihr nicht gewinnen", und holte ihm vom Schaft das
+Landrecht hinter einem porzellinen Tabakstopf hervor. "Seht da",
+schlug er ihm auf, "Kapitel soundsoviel, Numero vier, das Gesetz
+spricht gegen Euch unverrichteter Sachen." Indem klopft jemand an
+der Türe und tritt herein, und ob er einen Zwerchsack über die
+Schulter hängen hatte und etwas drin, genug, der Advokat geht mit
+ihm in die Kammer abseits. "Ich komm' gleich wieder zu Euch."
+Unterdessen riss der Bauersmann das Blatt aus dem Landrecht, worauf
+das Gesetz stand, drückte es geschwind in die Tasche und legte das
+Buch wieder zusammen. Als er wieder bei dem Advokaten allein war,
+stellt er den rechten Fuss ein wenig vor und schlotterte mit dem
+Knie ein paarmal ein- und auswärts, teils weil es dortzuland zum
+guten Vortrag gehört, teils damit der Advokat etwas sollte klingeln
+hören oben in der Tasche. "Ihr Gnaden", sagte er zu dem Advokaten,
+"ich hab' mich unterdessen besonnen. Ich meine, ich will's doch
+probieren, wenn Sie sich der Sache annehmen wollten", und, machte
+ein verschlagenes Gesicht dazu, als wenn er noch etwas wüsste und
+sagen wollte: Es kann nicht fehlen. Der Advokat sagte: "Ich habe
+aufrichtig mit Euch gesprochen und Euch klaren Wein eingeschenkt."
+Der Bauersmann schaute unwillkürlich auf den Tisch, aber er sah
+keinen. "Wenn Ihr's wollt drauf ankommen lassen", fuhr der Advokat
+fort, "so kommt's mir auch nicht drauf an." Der Bauersmann sagte:
+"Es wird nicht alles gefehlt sein."
+
+Kurz, der Prozess wird anhängig, und der Advokat brauchte das
+Landrecht nicht mehr weiters dazu, weil er das Gesetz auswendig
+wusste wie alle. Item was geschieht? Der Gegenpart hatte einen
+saumseligen Advokaten, der Advokat verabsäumt einen Termin, und
+unser Bauersmann gewinnt den Prozess. Als ihm nun der Advokat den
+Spruch publizierte, "aber nicht wahr", sagte der Advokat, "diesen
+schlechten Rechtshandel hab' ich gut für Euch geführt?"--"Den
+Kuckuck hat Er", erwiderte der Bauersmann und zog das ausgerissene
+Blatt wieder aus der Tasche hervor: "Sieht Er da? Kann Er gedruckt
+lesen? Wenn ich nicht das Gesetz aus dem Landrecht gerissen hätte,
+Er hätt' den Prozess lang verloren." Denn er meinte wirklich, der
+Prozess sei dadurch zu seinem Vorteil ausgefallen, dass er das
+gefährliche Gesetz aus dem Landrecht gerissen hatte, und auf dem
+Heimweg, so oft er eine Prise nahm, machte er allemal ein pfiffiges
+Gesicht und sagte: "Mit dir bin ich fertig worden, Ölmüller."
+Item. So können Prozesse gewonnen werden. Wohl dem, der keinen zu
+verlieren hat.
+
+
+
+Der Rekrut
+
+
+Ein Rekrut, dem schon in den ersten 14 Tagen das Schildwachstehen
+langweilig vorkam, betrachtete einmal das Schilderhaus unten und
+oben und hinten und vornen, wie ein Förster, wenn er einen Baum
+schätzt, oder ein Metzger ein Häuptlein Vieh. Endlich sagte er: "Ich
+möchte nur wissen, was sie an dem einfältigen Kasten finden, dass
+den ganzen Tag einer dastehen und ihn hüten muss." Denn er meinte,
+er stehe da wegen dem Schilderhaus, nicht das Schilderhaus wegen
+ihm.
+
+
+
+Der Rekrut
+
+
+Zum schwäbischen Kreiskontingent kam im Jahr 1795 ein Rekrut, so ein
+schöner, wohlgewachsener Mann war. Der Offizier fragte ihn, wie alt
+er sei. Der Rekrut antwortete: "Einundzwanzig Jahr. Ich bin ein
+ganzes Jahr lang krank gewesen, sonst wär' ich zweiundzwanzig."
+
+
+
+Der schlaue Husar
+
+
+Ein Husar im letzten Kriege wusste wohl, dass der Bauer, dem er
+jetzt auf der Strasse entgegenging, 100 Gulden für geliefertes Heu
+eingenommen hatte und heimtragen wollte. Deswegen bat er ihn um ein
+kleines Geschenk zu Tabak und Branntwein. Wer weiss, ob er mit ein
+paar Batzen nicht zufrieden gewesen wäre. Aber der Landmann
+versicherte und beteuerte bei Himmel und Hölle, dass er den eigenen
+letzten Kreuzer im nächsten Dorfe ausgegeben und nichts mehr übrig
+habe. "Wenn's nur nicht so weit von meinem Quartier wäre", sagte
+hierauf der Husar, "so wäre uns beiden zu helfen; aber wenn du hast
+nichts, ich hab' nichts, so müssen wir den Gang zum heiligen
+Alfonsus doch machen. Was er uns heute beschert, wollen wir
+brüderlich teilen." Dieser Alfonsus stand in Stein ausgehauen in
+einer alten, wenig besuchten Kapelle am Feldweg. Der Landmann hatte
+anfangs keine grosse Lust zu dieser Wallfahrt. Aber der Husar nahm
+keine Vorstellung an und versicherte unterwegs seinen Begleiter so
+nachdrücklich, der heilige Alfonsus habe ihn noch in keiner Not
+stecken lassen, dass dieser selbst anfing, Hoffnung zu gewinnen.
+Vermutlich war in der abgelegenen Kapelle ein Kamerad und
+Helfershelfer des Husaren verborgen? Nichts weniger! Es war wirklich
+das steinerne Bild des Alfonsus, vor welchem sie jetzt
+niederknieten, während der Husar gar andächtig zu beten schien.
+"Jetzt", sagte er seinem Begleiter ins Ohr, "jetzt hat mir der
+Heilige gewunken." Er stand auf, ging zu ihm hin, hielt die Ohren an
+die steinernen Lippen und kam gar freudig wieder zu seinem Begleiter
+zurück. "Einen Gulden hat er mir geschenkt: in meiner Tasche müsse
+er schon stecken." Er zog auch wirklich zum Erstaunen des andern
+einen Gulden heraus, den er aber schon vorher bei sich hatte, und
+teilte ihn versprochenermassen brüderlich zur Hälfte. Das leuchtete
+dem Landmann ein, und es war ihm gar recht, dass der Husar die Probe
+noch einmal machte. Alles ging das zweite Mal wie zuerst. Nur kam
+der Kriegsmann diesmal viel freudiger von dem Heiligen zurück.
+
+"Hundert Gulden hat uns jetzt der gute Alfonsus auf einmal
+geschenkt. In deiner Tasche müssen sie stecken." Der arme Bauer
+wurde todesblass, als er dies hörte, und wiederholte seine
+Versicherung, dass er gewiss keinen Kreuzer habe. Allein der Husar
+redete ihm zu, er sollte doch nur Vertrauen zu dem heiligen Alfonsus
+haben und nachsehen. Alfonsus habe ihn noch nie angeführt. Wollte er
+wohl oder übel, so musste er seine Taschen umkehren und leer machen.
+Die hundert Gulden kamen richtig zum Vorschein, und hatte er vorher
+dem schlauen Husaren die Hälfte von seinem Gulden abgenommen, so
+musste er jetzt auch seine hundert Gulden mit ihm teilen, da half
+kein Bitten und kein Flehen.
+
+Das war fein und listig, aber eben doch nicht recht, zumal in einer
+Kapelle.
+
+
+
+Der schlaue Mann
+
+
+Einem andern, als er das Wirtshaussitzen bis nach Mitternacht
+anfing, schloss einmal die Frau nachts um zehn Uhr die Türe zu und
+ging ins Bett, und wollt' er wohl oder übel, so musste er unter dem
+Immenstand im Garten über Nacht sein. Den andern Tag, was tut er?
+Der geneigte Leser gebe acht! Als er ins Wirtshaus ging, hob er die
+Haustüre aus den Kloben und nahm sie mit, und früh um ein Uhr, als
+er heimkam, hängt er sie wieder ein und schloss sie zu, und seine
+Frau hat ihn nimmer ausgeschlossen und ist ins Bett gegangen,
+sondern hat ihn nachher mit Liebe und Sanftmut gebessert.
+
+
+
+Der schlaue Pilgrim
+
+
+Vor einigen Jahren zog ein Müssiggänger durch das Land, der sich für
+einen frommen Pilgrim ausgab, gab vor, er komme von Paderborn und
+laufe geradenweges zum Heiligen Grab nach Jerusalem, fragte schon in
+Müllheim an der Post: "Wie weit ist es noch nach Jerusalem?" Und
+wenn man ihm sagte: "Siebenhundert Stunden; aber auf dem Fussweg
+über Mauchen ist es eine Viertelstunde näher", so ging er, um auf
+dem langen Weg eine Viertelstunde zu ersparen, über Mauchen. Das
+wäre nun so übel nicht. Man muss einen kleinen Vorteil nicht
+verachten, sonst kommt man zu keinem grossen. Man hat öfter
+Gelegenheit, einen Batzen zu ersparen oder zu gewinnen, als einen
+Gulden. Aber 15 Batzen sind auch ein Gulden, und wer auf einem Wege
+von 700 Stunden nur allemal an fünf Stunden weiss eine Viertelstunde
+abzukürzen, der hat an der ganzen Reise gewonnen--rechnet selber
+aus, wieviel? Allein unser verkleideter Pilgrim dachte nicht ebenso,
+sondern weil er nur dem Müssiggang und guten Essen nachzog, so war
+es ihm einerlei, wo er war. Ein Bettler kann nach dem alten
+Sprichwort nie verirren, muss in ein schlechtes Dorf kommen, wenn er
+nicht mehr drin bekommt, als er unterwegs an den Sohlen zerreisst,
+zumal wenn er barfuss geht. Unser Pilgrim aber dachte doch immer
+darauf, sobald als möglich wieder an die Landstrasse zu kommen, wo
+reiche Häuser stehen und gut gekocht wird. Denn der Halunke war
+nicht zufrieden, wie ein rechter Pilgrim sein soll, mit gemeiner
+Nahrung, die ihm von einer mitleidigen und frommen Hand gereicht
+wurde, sondern wollte nichts fressen als nahrhafte
+Kieselsteinsuppen. Wenn er nämlich irgendwo so ein braves Wirtshaus
+an der Strasse stehen sah, wie zum Exempel das Posthaus in
+Krotzingen oder den Baselstab in Schliengen, so ging er hinein und
+bat ganz demütig und hungrig um ein gutes Wassersüpplein von
+Kieselsteinen, um Gottes willen, Geld habe er keines.--Wenn nun die
+mitleidige Wirtin zu ihm sagte: "Frommer Pilgrim, die Kieselsteine
+könnten Euch hart im Magen liegen!" so sagte er: "Eben deswegen! Die
+Kieselsteine halten länger an als Brot, und der Weg nach Jerusalem
+ist weit. Wenn Ihr mir aber ein Gläslein Wein dazu bescheren wollt,
+um Gottes willen, so könnt' ich's freilich besser verdauen." Wenn
+aber die Wirtin sagte: "Aber, frommer Pilgrim, eine solche Suppe
+kann Euch doch unmöglich Kraft geben!" so antwortete er: "Ei, wenn
+Ihr anstatt des Wasser wolltet Fleischbrühe dazu nehmen, um Gottes
+willen, so wär's freilich nahrhafter." Brachte nun die Wirtin eine
+solche Suppe und sagte: "Die Tünklein sind doch nicht so gar weich
+geworden", so sagte er: "Ja, und die Brühe sieht gar dünn aus.
+Hättet Ihr nicht ein paar Gabeln voll Gemüs darein oder ein
+Stücklein Fleisch oder beides um Gottes willen?" Wenn ihm nun die
+mitleidige Wirtin auch noch Gemüs und Fleisch in die Schüssel legte,
+so sagte er: "Vergelts Euch Gott! Gebt mir jetzt Brot, so will ich
+die Suppe essen." Hierauf streifte er die Ärmel seines
+Pilgergewandes zurück, setzte sich und griff an das Werk mit
+Freuden, und wenn er Brot und Wein und Fleisch und Gemüs und die
+Fleischbrühe aufgezehrt hatte bis auf den letzten Brosamen, Faser
+und Tropfen, so wischte er den Mund am Tischtuch oder an dem Ärmel
+ab, oder auch gar nicht, und sagte: "Frau Wirtin, Eure Suppe hat
+mich rechtschaffen gesättigt, so dass ich die schönen Kieselsteine
+nicht einmal mehr zwingen kann. Es ist schad dafür! Aber hebt sie
+auf. Wenn ich wieder komme, so will ich Euch eine heilige Muschel
+mitbringen ab dem Meeresstrand von Askalon oder eine Rose von
+Jericho."
+
+(Drum hüte dich; nicht das Gewand macht den Pilgrim, sondern der
+fromme Sinn, und eine Sünde ist es, dasselbe zu missbrauchen.)
+
+
+
+Der Schneider in Pensa
+
+
+Der Schneider in Pensa, was ist das für ein Männlein!
+Sechsundzwanzig Gesellen auf dem Brett, jahraus, jahrein für halb
+Rußland Arbeit genug und doch kein Geld, aber ein froher, heiterer
+Sinn, ein Gemüt, treu und köstlich wie Gold, und mitten in Asien
+deutsches Blut rheinländischer Hausfreundschaft.
+
+Im Jahre 1812, als Rußland nimmer Straßen genug hatte für die
+Kriegsgefangenen an der Beresina oder in Wilna, ging eine auch durch
+Pensa, das für sich schon mehr als einhundert Tagereisen weit von
+Lahr oder Pforzheim entfernt ist, und wo die beste deutsche oder
+englische Uhr, wer eine hat, nimmer recht geht, sondern ein paar
+Stunden zu spät. In Pensa ist der Sitz des ersten russischen
+Statthalters in Asien, wenn man von Europa aus hereinkommt. Also
+wurden dort die Kriegsgefangenen abgegeben und übernommen und
+alsdann weiter abgeführt in das tiefe, fremde Asien hinein, wo die
+Christenheit ein Ende hat und niemand mehr das Vaterunser kennt,
+wenn's nicht einer gleichsam als eine fremde Ware aus Europa
+mitbringt. Also kamen eines Tages mit Franzosen meliert, auch
+sechzehn Rheinländer, badische Offiziere, die damals unter den
+Fahnen Napoleons gedient hatten, über die Schlachtfelder und
+Brandstätten Europas ermattet, krank, mit erfrorenen Gliedmaßen und
+schlecht geheilten Wunden, ohne Geld, ohne Kleidung, ohne Trost in
+Pensa an und fanden in diesem unheimlichen Lande kein Ohr mehr, das
+ihre Sprache verstand, kein Herz mehr, das sich über ihre Leiden
+erbarmte. Als aber einer den andern mit trostloser Miene anblickte:
+"Was wird aus uns werden?" oder "Wann wird der Tod unserm Elend ein
+Ende machen, und wer wird den letzten begraben?" da vernahmen sie
+mitten durch das russische und kosakische Kauderwelsch wie ein
+Evangelium vom Himmel unvermutet eine Stimme: "Sind keine Deutschen
+da?" und es stand vor ihnen auf zwei nicht ganz gleichen Füßen eine
+liebe, freundliche Gestalt. Das war der Schneider von Pensa, Franz
+Anton Egetmeier, gebürtig aus Bretten im Neckarkreis, Großherzogtum
+Baden. Hat er nicht im Jahre 1779 das Handwerk gelernt in Mannheim?
+Hernach ging er auf die Wanderschaft nach Nürnberg, hernach ein
+wenig nach Petersburg hinein. Ein Pfälzer Schneider schlägt sieben
+bis acht mal hundert Stunden Wegs nicht hoch an, wenn's ihn inwendig
+treibt. In Petersburg aber ließ er sich unter ein russisches
+Kavallerieregiment als Regimentsschneider engagieren und ritt mit
+ihm in die fremde russische Welt hinein, wo alles anders ist, nach
+Pensa, bald mit der Nadel stechend, bald mit dem Schwert. In Pensa
+aber, wo er sich nachher häuslich und bürgerlich niederließ, ist er
+jetzt ein angesehenes Männlein. Will jemand in ganz Asien ein
+sauberes Kleid nach der Mode haben, so schickt er zu dem deutschen
+Schneider in Pensa. Verlangt er etwas von dem Statthalter, der doch
+ein vornehmer Herr ist und mit dem Kaiser reden darf, so hat's ein
+guter Freund vom andern verlangt, und hat auf dreißig Stunden Weges
+ein Mensch ein Unglück oder einen Schmerz, so vertraut er sich dem
+Schneider von Pensa an; er findet bei ihm, was ihm fehlt: Trost,
+Rat, Hilfe, ein Herz und ein Auge voll Liebe, Obdach, Tisch und
+Bett, nur kein Geld.
+
+Einem Gemüte wie dieses war, das nur in Liebe und Wohltun reich ist,
+blühte auf den Schlachtfeldern des Jahres 1812 eine schöne
+Freudenernte Sooft ein Transport von unglücklichen Gefangenen kam,
+warf er Schere und Elle weg und war der erste auf dem Platze, und
+"Sind keine Deutschen da?" war seine erste Frage. Denn er hoffte von
+einem Tag zum anderen, unter den Gefangenen Landsleute anzutreffen,
+und freute sich, wie er ihnen Gutes tun wollte, und liebte sie schon
+zum voraus ungesehenerweise, wie eine Frau ihr Kindlein schon liebt
+und ihm Brei geben kann, ehe sie es hat. "Wenn sie nur so oder so
+aussähen", dachte er. Wenn ihnen nur auch recht viel fehlt, damit
+ich ihnen recht viel Gutes erweisen kann." Doch nahm er, wenn keine
+Deutschen da waren, auch mit Franzosen vorlieb und erleichterte
+ihnen, bis sie weitergeführt wurden, ihr Elend, als nach Kräften er
+konnte. Diesmal aber, und als er mitten unter so viele brave
+Landsleute, auch Darmstädter und andere, hineinrief: "Sind keine
+Deutschen da?" er mußte zum zweitenmal fragen, denn das erstemal
+konnten sie vor Staunen und Ungewißheit nicht antworten, sondern das
+süße deutsche Wort in Asien verklang in ihren Ohren wie ein
+Harfenton, und als er hörte: "Deutsche genug", und von jedem
+erfragte, woher er sei er wär' mit Mecklenburgern oder Kursachsen
+auch zufrieden gewesen, aber einer sagte. "Von Mannheim am
+Rheinstrom", als wenn der Schneider nicht vor ihm gewußt hätte, wo
+Mannheim liegt; der andere sagte: Yon Bruchsal", der dritte: "Von
+Heidelberg", der vierte: "Von Gochsheim", da zog es wie ein warmes,
+auflösendes Tauwetter durch den ganzen Schneider hindurch. "Und ich
+bin von Bretten`, sagte das herrliche Gemüt, Franz Anton Egetmeier
+von~Bretten, wie Joseph von Agypten zu den Söhnen Israels sagte:
+"Ich bin Joseph, euer Bruder" und die Tränen der Freude, der Wehmut
+und heiligen Heimatliebe traten a112n in die Augen, und es war
+schwer zu sagen, ob sie einen freudigeren Fund an dem Schneider oder
+der Schneider an seinen Landsleuten machte, und welcher Teil am
+gerührtesten war. jetzt führte der gute Mensch seine teuern
+Landsleute im Triumph in seine Wohnung und bewirtete sie mit einem
+erquicklichen Mahle, wie in der Geschwindigkeit es aufzutreiben war.
+jetzt eilte er zum Statthalter und bat ihn um dit Gnade, daß er
+seine Landsleute in Pensa behalten dürfe. "Anton", sagte der
+Statthalter, wann hab ich Euch etwas abgeschlagen?" jetzt lief er in
+der Stadt herum und suchte für die, die in seinem Hause nicht Platz
+hatten, bei seinen Freunden und Bekannten die besten Quartiere aus.
+jetzt musterte er seine Gäste, einen nach dem anderen. "Herr
+Landsmann", sagte er zu dem einen, "mit Eurem Weißzeug sieht's
+windig aus. Ich werde Euch für ein halbes Dutzend neue Hemder
+sorgen." "Ihr braucht auch ein neues Röcklein", sagte er zu einem
+andern Euers kann noch gewendet und ausgebessert werden", zu einem
+dritten, und so zu allen, und augenblicklich wurde zugeschnitten,
+und alle sechsundzwanzig Gesellen arbeiteten Tag und Nacht an
+Kleidungsstücken für seine werten rheinischen Hausfreunde. In
+wenigen Tagen waren alle neu oder anständig ausstaffiert. Ein guter
+Mensch, auch wenn er in Nöten ist, mißbraucht niemals fremde
+Gutmütigkeit; deswegen sagten zu ihm die rheinischen Hausfreunde:
+"Herr Landmann, verrechnet Euch nicht. Ein Kriegsgefangener bringt
+keine Münzen mit. So wissen wir auch nicht, wie wir Euch für Eure
+großen Auslagen werden schadlos halten können und wann."Darauf
+erwiderte der Schneider: "Ich finde hinlängliche Entschädigung in
+dem Gefühl, Ihnen helfen zu können. Benutzen Sie alles, was ich
+habe! Sehen Sie mein Haus und meinen Garten als den Ihrigen an!" So
+kurz weg und ab, wie ein Kaiser oder König spricht, wenn, eingefaßt
+in Würde, die Güte hervorblickt. Denn nicht nur die hohe fürstliche
+Geburt und Großmut, sondern auch die liebe häusliche Demut gibt,
+ohne es zu wissen, bisweilen den Herzen königliche Sprüche ein,
+Gesinnungen ohnehin. jetzt führte er sie freudig wie ein Kind in der
+Stadt bei seinen Freunden herum und machte Staat mit ihnen. Der
+Erzähler hat jetzt nimmer Zeit und Raum genug, alles Gute zu rühmen,
+das er seinen Freunden erwies. So sehr sie zufrieden waren, so wenig
+war er es. jeden Tag erfand er neue Mittel, ihnen den unangenehmen
+Zustand der Kriegsgefangenschaft zu erleichtern und das fremde Leben
+in Asien angenehm zu machen. War in der lieben Heimat ein hohes
+Geburts oder Namensfest, es wurde am nämlichen Tage von den Treuen
+auch in Asien mit Gastmahl, mit Vivat und Freudenfeuer gehalten, nur
+etwas früher, weil dort die Uhren falsch gehen. Kam eine frohe
+Nachricht von dem Vorrücken und dem Siege der hohen Alliierten in
+Deutschland an, der Schneider war der erste, der sie wußte und
+seinen Kindern er nannte sie nur noch seine Kinder mit Freudentränen
+zubrachte, darum, daß sich ihre Erlösung nahte. Als einmal Geld zur
+Unterstützung der Gefangenen aus dem Vaterland ankam, war ihre erste
+Sorge, ihrem Wohltäter seine Auslagen zu vergüten. "Kinder", sagte
+er, "verbittert mir meine Freude nicht!" Vater Egetmeier", sagten
+sie, "tut unserem Herzen nicht wehe!" Also machte er ihnen zum
+Schein eine kleine Rechnung, nur um sie nicht zu betrüben und um das
+Geld wieder zu ihrem Vergnügen anzuwenden, bis die letzte Kopeke aus
+den Händen war.
+
+Das gute Geld war für einen anderen Gebrauch zu bestimmen; aber man
+kann nicht an alles denken. Denn als endlich die Stunde der Erlösung
+schlug, gesellte sich zur Freude ohne Maß der bittere Schmerz der
+Trennung und zu dem bitteren Schmerz die Not. Denn es fehlte an
+allem, was zur Notdurft und zur Vorsorge auf eine so lange Reise in
+den Schrecknissen des russischen Winters und einer unwirtbaren
+Gegend nötig war, und ob auch auf den Mann, solange sie durch
+Rußland zu reisen hatten, täglich dreizehn Kreuzer verabreicht
+wurden, so reichte doch das wenige nirgends hin. Darum ging in
+diesen letzten Tagen der Schneider, sonst so frohen, leichten Mutes,
+still und nachdenklich herum, als der etwas im Sinn hat, und war
+wenig mehr zu Hause. "Es geht ihm recht zu Herzen", sagten die
+rheinländischen Herren Hausfreunde und merkten nichts. Aber auf
+einmal kam er mit großen Freudenschritten, ja mit verklärtem Antlitz
+zurück: "Kinder, es ist Rat; Geld genug!" Was war's? Die gute Seele
+hatte für 2000 Rubel das Haus verkauft "Ich will schon eine
+Unterkunft finden", sagte er, wenn nur Ihr ohne Leid und Mangel nach
+Deutschland kommt." 0 du heiliges, lebendig gewordenes Sprüchlein
+des Evangeliums und seiner Liebe: "Verkaufe, was du hast, und gib es
+denen, die es bedürftig sind, so wirst du einen Schatz im Himmel
+haben." Der wird einst weit oben rechts zu erfragen sein, wenn die
+Stimme gesprochen hat: "Kommt, ihr Gesegneten! Ich bin hungrig
+gewesen, und ihr habt mich gespeist; ich bin nackt gewesen, und ihr
+habt mich gekleidet; ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr
+habt euch meiner angenommen." Doch der Kauf wurde, zu großem Trost
+für die edlen Gefangenen, wieder rückgängig gemacht.
+
+Nichtsdestoweniger brachte er auf andere Art noch einige hundert
+Rubel für sie zusammen und nötigte sie, was er hatte von kostbarem
+russischem Pelzwerk, mitzunehmen, um es unterwegs zu verkaufen, wenn
+sie Geldes bedürftig wären oder einem ein Unglück widerführe. Den
+Abschied will der Hausfreund nicht beschreiben. Keiner, der dabei
+war, vermag es. Sie schieden unter tausend Segenswünschen und Tränen
+des Dankes und der Liebe, und der Schneider gestand, daß dieses für
+ihn der schmerzlichste Tag seines Lebens sei. Die Reisenden aber
+sprachen unterwegs unaufhörlich und noch immer von ihrem Vater in
+Pensa, und als sie in Bialystok in Polen wohlbehalten ankamen und
+Geld antrafen, schickten sie ihm dankbar das vorgeschossene
+Reisegeld zurück.
+
+Das war das Gotteskind Franz Anton Egetmeier, Schneidermeister in
+Asien.
+
+
+
+Der Schneider in Pensa
+
+
+Ein rechtschaffener Kalendermacher, zum Beispiel der Hausfreund, hat
+von Gott dem Herrn einen vornehmen und freudigen Beruf empfangen,
+nämlich, dass er die Wege aufdecke, auf welchen die ewige Vorsehung
+für die Hilfe sorgt, noch ehe die Not da ist, und dass er kundmache
+das Lob vortrefflicher Menschen, sie mögen doch auch stecken, fast
+wo sie wollen.
+
+Der Schneider in Pensa, was ist das für ein Männlein!
+Sechsundzwanzig Gesellen auf dem Brett, jahraus jahrein für halb
+Russland Arbeit genug, und doch kein Geld, aber ein froher, heiterer
+Sinn, ein Gemüt treu und köstlich wie Gold und mitten in Asien
+deutsches Blut rheinländischer Hausfreundschaft.
+
+Im Jahr 1812, als Russland nimmer Strassen genug hatte für die
+Kriegsgefangenen an der Berezina oder in Wilna, ging eine auch durch
+Pensa, welches für sich schon mehr als hundert Tagereisen weit von
+Lahr oder Pforzheim entfernt ist, und wo die beste deutsche oder
+englische Uhr, wer eine hat, nimmer recht geht, sondern ein paar
+Stunden zu spat. In Pensa ist der Sitz des ersten russischen
+Statthalters in Asien, wenn man von Europa aus hereinkommt. Also
+wurden dort die Kriegsgefangenen abgegeben und übernommen und
+alsdann weiter abgeführt in das tiefe, fremde Asien hinein, wo die
+Christenheit ein Ende hat und niemand mehr das Vaterunser kennt,
+wenn's nicht einer gleichsam als eine fremde Ware aus Europa
+mitbringt. Also kamen eines Tages mit Franzosen meliert auch
+sechzehn rheinländische Herren Leser, badische Offiziere, die damals
+unter den Fahnen Napoleons gedient hatten, über die Schlachtfelder
+und Brandstätten von Europa ermattet, krank, mit erfrorenen
+Gliedmassen und schlecht geheilten Wunden, ohne Geld, ohne Kleidung,
+ohne Trost in Pensa an und fanden in diesem unheimlichen Land kein
+Ohr mehr, das ihre Sprache verstand, kein Herz mehr, das sich über
+ihre Leiden erbarmte. Als aber einer den andern mit trostloser Miene
+anblickte: "Was wird aus uns werden?" oder: "Wann wird der Tod
+unserm Elend ein Ende machen, und wer wird den letzten begraben?" da
+vernahmen sie mitten durch das russische und kosakische Kauderwelsch
+wie ein Evangelium vom Himmel unvermutet eine Stimme: "Sind keine
+Deutsche da?" und es stand vor ihnen auf zwei nicht ganz gleichen
+Füssen eine liebe, freundliche Gestalt. Das war der Schneider von
+Pensa, Franz Anton Egetmeier, gebürtig aus Bretten im Neckarkreis,
+Grossherzogtum Baden. Hat er nicht im Jahr 1779 das Handwerk gelernt
+in Mannheim? Hernach ging er auf die Wanderschaft nach Nürnberg,
+hernach ein wenig nach Petersburg hinein. Ein Pfälzer Schneider
+schlagt sieben bis achtmal hundert Stunden Wegs nicht hoch an,
+wenn's ihn inwendig treibt. In Petersburg aber liess er sich unter
+ein russisches Kavallerie-Regiment als Regimentsschneider engagieren
+und ritt mit ihnen in die fremde russische Welt hinein, wo alles
+anderst ist, nach Pensa, bald mit der Nadel stechend, bald mit dem
+Schwert. In Pensa aber, wo er sich nachher häuslich und bürgerlich
+niederliess, ist er jetzt ein angesehenes Männlein. Will jemand in
+ganz Asien ein sauberes Kleid nach der Mode haben, so schickt er zu
+dem deutschen Schneider in Pensa. Verlangt er etwas von dem
+Statthalter, der doch ein vornehmer Herr ist und mit dem Kaiser
+reden darf, so hat's ein guter Freund vom andern verlangt, und hat
+auf dreissig Stunden Weges ein Mensch ein Unglück oder einen
+Schmerz, so vertraut er sich dem Schneider von Pensa an, er findet
+bei ihm, was ihm fehlt, Trost, Rat, Hilfe, ein Herz und ein Auge
+voll Liebe, Obdach, Tisch und Bett, nur kein Geld.
+
+Einem Gemüte wie dieses war, das nur in Liebe und Wohltun reich ist,
+blühte auf den Schlachtfeldern des Jahres 1812 eine schöne.
+Freudenernte. So oft ein Transport von unglücklichen Gefangenen kam,
+warf er Schere und Elle weg und war der erste auf dem Platze, und
+"Sind keine Deutsche da?" war seine erste Frage. Denn er hoffte von
+einem Tag zum andern, unter den Gefangenen Landsleute anzutreffen,
+und freute sich, wie er ihnen Gutes tun wollte, und liebte sie schon
+zum voraus ungesehener Weise, wie eine Frau ihr Kindlein schon liebt
+und ihm Brei geben kann, ehe sie es hat. "Wenn sie nur so oder so
+aussähen", dachte er. "Wenn ihnen nur auch recht viel fehlt, damit
+ich ihnen recht viel Gutes erweisen kann." Doch nahm er, wenn keine
+Deutschen da waren, auch mit Franzosen vorlieb und erleichterte
+ihnen, bis sie weitergeführt wurden, ihr Elend, als nach Kräften er
+konnte. Diesmal aber, und als er mitten unter so viele geneigte
+Leser, auch Darmstädter und andere hineinrief: "Sind keine Deutsche
+da?"--er musste zum zweiten Mal fragen, denn das erste Mal konnten
+sie vor Staunen und Ungewissheit nicht antworten, sondern das süsse
+deutsche Wort in Asien verklang in ihren Ohren wie ein Harfenton,
+und als er hörte: "Deutsche genug", und von jedem erfragte, woher er
+sei--er wär' mit Mecklenburgern oder Kursachsen auch zufrieden
+gewesen, aber einer sagte: "Von Mannheim am Rheinstrom", als wenn
+der Schneider nicht vor ihm gewusst hätte, wo Mannheim liegt, der
+andere sagte: "Von Bruchsal", der dritte: "Von Heidelberg", der
+vierte: "Von Gochsheim"; da zog es wie ein warmes, auflösendes
+Tauwetter durch den ganzen Schneider hindurch. "Und ich bin von
+Bretten", sagte das herrliche Gemüte, Franz Anton Egetmeier von
+Bretten, wie Joseph in Ägypten zu den Söhnen Israels sagte: "Ich bin
+Joseph, euer Bruder"--und die Tränen der Freude, der Wehmut und
+heiligen Heimatsliebe traten allen in die Augen, und es war schwer
+zu sagen, ob sie einen freudigern Fund an dem Schneider oder der
+Schneider an seinen Landsleuten machte, und welcher Teil am
+gerührtesten war. Jetzt führte der gute Mensch seine teuern
+Landsleute im Triumph in seine Wohnung und bewirtete sie mit einem
+erquicklichen Mahl, wie in der Geschwindigkeit es aufzutreiben war.
+Jetzt eilte er zum Statthalter und bat ihn um die Gnade, dass er
+seine Landsleute in Pensa behalten dürfe. "Anton", sagte der
+Statthalter, "wann hab' ich Euch etwas abgeschlagen?" Jetzt lief er
+in der Stadt herum und suchte für diejenigen, welche in seinem Hause
+nicht Platz hatten, bei seinen Freunden und Bekannten die besten
+Quartiere aus. Jetzt musterte er seine Gäste, einen nach dem andern.
+"Herr Landsmann", sagte er zu einem, "mit Euerm Weisszeug sieht's
+windig aus. Ich werde Euch für ein halbes Dutzend neue Hemder
+sorgen.--Ihr braucht auch ein neues Röcklein", sagte er zu einem
+andern.--"Euers kann noch gewendet und ausgebessert werden", zu
+einem dritten, und so zu allen, und augenblicklich wurde
+zugeschnitten, und alle sechsundzwanzig Gesellen arbeiteten Tag und
+Nacht an Kleidungsstücken für seine werten rheinländischen
+Hausfreunde. In wenig Tagen waren alle neu oder anständig
+ausstaffiert. Ein guter Mensch, auch wenn er in Nöten ist,
+missbraucht niemals fremde Gutmütigkeit; deswegen sagten zu ihm die
+rheinländischen Hausfreunde: "Herr Landsmann, verrechnet Euch nicht.
+Ein Kriegsgefangener bringt keine Münzen mit. So wissen wir auch
+nicht, wie wir Euch für Eure grossen Auslagen werden schadlos halten
+können, und wann." Darauf erwiderte der Schneider: "Ich finde
+hinlängliche Entschädigung in dem Gefühl, Ihnen helfen zu können.
+Benutzen Sie alles, was ich habe! Sehen Sie mein Haus und meinen
+Garten als den Ihrigen an!" So kurz weg und ab, wie ein Kaiser oder
+König spricht, wenn eingefasst in Würde die Güte hervorblickt. Denn
+nicht nur die hohe fürstliche Geburt und Grossmut, sondern auch die
+liebe häusliche Demut gibt, ohne es zu wissen, bisweilen den Herzen
+königliche Sprüche ein, Gesinnungen ohnehin. Jetzt führte er sie
+freudig wie ein Kind in der Stadt bei seinen Freunden herum und
+machte Staat mit ihnen. Der Kalender hat jetzt nimmer Zeit und Raum
+genug, alles Gute zu rühmen, was er seinen Freunden erwies. So sehr
+sie zufrieden waren, so wenig war er es. Jeden Tag erfand er neue
+Mittel, ihnen den unangenehmen Zustand der Kriegsgefangenschaft zu
+erleichtern und das fremde Leben in Asien angenehm zu machen. War in
+der lieben Heimat ein hohes Geburts- oder Namensfest, es wurde am
+nämlichen Tag von den Treuen auch in Asien mit Gastmahl mit Vivat
+und Freudenfeuer gehalten, nur etwas früher, weil dort die Uhren
+falsch gehen. Kam eine frohe Nachricht von dem Vorrücken und dem
+Siege der hohen Alliierten in Deutschland an, der Schneider war der
+erste, der sie wusste, und seinen Kindern--er nannte sie nur noch
+seine Kinder--mit Freudentränen zubrachte, darum, dass sich ihre
+Erlösung nahte. Als einmal Geld zur Unterstützung der Gefangenen aus
+dem Vaterland ankam, war ihre erste Sorge, ihrem Wohltäter seine
+Auslagen zu vergüten. "Kinder", sagte er, "verbittert mir meine
+Freude nicht!"--"Vater Egetmeier", sagten sie, "tut unserm Herzen
+nicht wehe!" Also machte er ihnen zum Schein eine kleine Rechnung,
+nur um sie nicht zu betrüben, und um das Geld wieder zu ihrem
+Vergnügen anzuwenden, bis die letzte Kopeke aus den Händen war. Das
+gute Geld war für einen andern Gebrauch zu bestimmen, aber man kann
+nicht an alles denken. Denn als endlich die Stunde der Erlösung
+schlug, gesellte sich zur Freude ohne Mass der bittere Schmerz der
+Trennung und zu dem bittern Schmerz die Not. Denn es fehlte an
+allem, was zur Notdurft und zur Vorsorge auf eine so lange Reise in
+den Schrecknissen des russischen Winters und einer unwirtbaren
+Gegend nötig war, und ob auch auf den Mann, solange sie durch
+Russland zu reisen hatten, täglich 13 Kreuzer verabreicht wurden, so
+reichte doch das wenige nirgends hin. Darum ging in diesen letzten
+Tagen der Schneider, sonst so frohen, leichten Mutes, still und
+nachdenklich herum, als der etwas im Sinn hat, und war wenig mehr zu
+Hause. "Es geht ihm recht zu Herzen", sagten die rheinländischen
+Herren Hausfreunde und merkten nichts. Aber auf einmal kam er mit
+grossen Freudenschritten, ja mit verklärtem Antlitz zurück: "Kinder,
+es ist Rat. Geld genug!"--Was war's? Die gute Seele hatte für
+zweitausend Rubel das Haus verkauft. "Ich will schon eine Unterkunft
+finden", sagte er, "wenn nur Ihr ohne Leid und Mangel nach
+Deutschland kommt." O du heiliges, lebendig gewordenes Sprüchlein
+des Evangeliums und seiner Liebe: "Verkaufe, was du hast, und gib es
+denen, die es bedürftig sind, so wirst du einen Schatz im Himmel
+haben." Der wird einst weit oben rechts zu erfragen sein, wenn die
+Stimme gesprochen hat: "Kommt, ihr Gesegneten! Ich bin hungrig
+gewesen, und ihr habt mich gespeist, ich bin nackt gewesen, und ihr
+habt mich gekleidet, ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr
+habt euch meiner angenommen." Doch der Kauf wurde, zu grossem Trost
+für die edeln Gefangenen, wieder rückgängig gemacht.
+
+Nichtsdestoweniger brachte er auf andere Art noch einige hundert
+Rubel für sie zusammen und nötigte sie, was er hatte von kostbarem
+russischem Pelzwerk, mitzunehmen, um es unterwegs zu verkaufen, wenn
+sie Geldes bedürftig wären oder einem ein Unglück widerführe. Den
+Abschied will der Hausfreund nicht beschreiben. Keiner, der dabei
+war, vermag es. Sie schieden unter tausend Segenswünschen und Tränen
+des Dankes und der Liebe, und der Schneider gestand, dass dieses für
+ihn der schmerzlichste Tag seines Lebens sei. Die Reisenden aber
+sprachen unterwegs unaufhörlich und noch immer von ihrem Vater in
+Pensa, und als sie in Bialystock in Polen wohlbehalten ankamen und
+Geld antrafen, schickten sie ihm dankbar das vorgeschossene
+Reisegeld zurück.
+
+Das war das Gotteskind Franz Anton Egetmeier, Schneidermeister in
+Asien. Der Hausfreund wird im künftigen Kalender noch ein freudiges
+Wort von ihm zu reden wissen, und es wäre nimmer der Mühe wert,
+einen Kalender zu schreiben, wenn sich die geneigten Leser nicht auf
+sein Bildnis freuen wollten, was er ihnen zu stiften verspricht.
+
+
+
+Der schwarze Mann in der weissen Wolke
+
+
+Sonst hat der Hausfreund nie viel auf Gespenster gehalten, wenn
+einem die Gespenster erscheinen; diesmal zwar auch nicht. Denn als
+er eines Tages, es war aber Nacht, mit dem Adjunkt und mit dem
+Vizepräsident durch den Brassenheimer Wald nach Hause ging; vornehme
+Herren schämen sich nicht, mit ihm zu gehen und gut Freund zu sein,
+absonderlich bei Nacht, wenn es niemand sieht, und wenn sie selber
+froh sind, dass sie jemand begleitet; denn als wir aus dem Wald
+kamen, schlug es 12 Uhr in Brassenheim, und die Mitternacht seufzte
+in den Bäumen. Ein schwacher Wind wehte durch die finstere Nacht,
+und der Himmel war verhängt; nur bisweilen schimmerte der abnehmende
+Mond ein wenig durch die Wolken, wo sie am brüchigsten waren.
+"Adjunkt", sagte der Vizepräsident, "wisst Ihr nichts zu erzählen?"
+"Ja", sagte der Adjunkt: "die Hirschauer wollten Anno 3 eine Brücke
+bauen, so stellten sie die Brücke der Länge nach in den Strom, denn
+sie sagten: Es sieht besser aus, und wenn ein grosses Wasser kommt,
+kann es besser an der Brücke vorbei und nimmt sie nicht mit."
+
+"Adjunkt", sagte der Hausfreund, "sind wohl die Flinten zuerst
+erfunden worden oder die Ladstecken?" Der Adjunkt sagte: "Die
+Ladstecken. Denn sonst wäre es nicht der Mühe wert gewesen, die
+Flinten zu erfinden, weil man sie doch nicht hätte laden können."
+Als aber der Adjunkt niessen musste, drehte er den Kopf seitwärts
+gegen das Feld und niesst. Indem er den Kopf seitwärts dreht, druckt
+er sich auf einmal an den Hausfreund. "Habt Ihr nichts gesehn,
+Hausfreund?" sagte er ängstlich und leise. "Eine schneeweisse Wolke
+stieg aus der Erde auf, und in der Wolke stand ein schwarzer Mann
+und hat mir gewinkt, ich soll kommen." "Warum seid Ihr nicht
+gegangen?" sagte der Hausfreund. "Es sind Euch Funken aus den Augen
+gefahren, weil Ihr habt niessen müssen." "Er hat das Feuer im Elsass
+gesehen", sagte der Vizepräsident. Aber bald verging uns der Spass,
+und die Mitternacht schauerte allen durch Mark und Bein. Denn im
+nämlichen Augenblick erscheint wieder die weisse Wolke und in der
+weissen Wolke die schwarze Gestalt und winkt. Weg war's wieder auf
+einmal. "Habt Ihr's jetzt gesehen?" fragte der Adjunkt; "es ist gut,
+dass der Herr Präsident bei uns ist, mit uns zweien machte er kurzen
+Prozess." Aber der Präsident dachte, es ist gut, dass der Hausfreund
+bei mir ist, dass ich mich an ihm heben kann. Denn allen zitterten
+die Kniee, und der Mut stieg keinem sonderlich in die Höhe, aber das
+Haar. Der Hausfreund will's einstweilen dem geneigten Leser zu raten
+geben, was es war. Denn als wir wieder ein wenig zur Besinnung
+gekommen waren, obgleich die Erscheinung wenigstens siebenmal
+wiederkam, sagte endlich der Präsident: "Hausfreund, Ihr habt doch
+am meisten getrunken in Neuhausen, so werdet Ihr auch den meisten
+Mut haben; redet den Geist an!" Da rief der Hausfreund: "Alle guten
+Geister! Schwarze Gestalt der Mitternacht, wer bist du?" Da rief der
+Geist mit Zetergeschrei: "Ich bin der Xaveri Taubenkorn von
+Brassenheim. Um unsrer lieben Frauen willen verschont mich!"
+
+Merke: Der Taubenkorn ist ein unbescholtener Gerichtsmann in
+Brassenheim und wirtet; also kennt ihn der Hausfreund wohl, und ist
+ein lobenswerter Feldmann, dem keine Stunde in der Nacht zu spät
+oder zu früh ist für seinen Acker. Als ihn nun der Hausfreund
+fragte: "Xaveri, was treibt Ihr für Blendwerk? Seid Ihr mit dem
+Bösen im Bund?"--sagte er: "Seid Ihr's, Hausfreund? Nein, ich
+streue Ips auf meinen Kleeacker. Der Wind ist gut, und es kommt bald
+ein linder Regen." Also, wenn er eine Handvoll Gips auswarf,
+entstand die Wolke, ein wenig vom Mond erhellt, und man sah darin
+den Xaveri wie einen Schatten, und wenn er die Hand zurückzog,
+meinte man, er winke; aber wenn das Gipsmehl verflogen und gefallen
+war, sah man nichts mehr.--"Ihr habt mich rechtschaffen
+erschreckt", sagte der Xaveri zum Hausfreund, "denn ich habe nicht
+anders geglaubt, als es beschreit mich ein Gespenst. Ein ander Mal
+lasst Euere Possen bleiben."
+
+
+
+Der sicherste Weg
+
+
+Bisweilen hat selbst ein Betrunkener noch eine Überlegung oder doch
+einen guten Einfall, wie einer, der auf dem Heimweg aus der Stadt
+nicht auf dem gewöhnlichen Pfad, sondern gerade in dem Wasser ging,
+das dicht neben dem Pfade fortläuft. Ihm begegnete ein
+menschenfreundlicher Herr, der gerne der Notleidenden und
+Betrunkenen sich annimmt, und wollte ihm die Hand reichen. "Guter
+Freund", sagte er, "merkt Ihr nicht, dass Ihr im Wasser geht? Hier
+ist der Fusspfad!" Der Betrunkene erwiderte: sonst finde er's auch
+bequemer, auf dem trockenen Pfad zu gehen, aber diesmal habe er ein
+wenig auf die Seite geladen. "Eben deswegen", sagte der Herr, "will
+ich Euch aus dem Bache heraushelfen!" "Eben deswegen", erwiderte der
+Betrunkene, "bleib' ich drin. Denn wenn ich im Bach gehe und falle,
+so falle ich auf den Weg. Wenn ich aber auf dem Weg falle, so falle
+ich in den Bach." So sagte er und klopfte mit dem Zeigefinger auf
+die Stirne, nämlich, dass darin ausser dem Rausche auch noch etwas
+mehr sei, woran ein anderer nicht denke.
+
+
+
+Der silberne Löffel
+
+
+In Wien dachte ein Offizier: Ich will doch auch einmal im Roten
+Ochsen zu Mittag essen, und geht in den Roten Ochsen. Da waren
+bekannte und unbekannte Menschen, Vornehme und Mittelmässige,
+ehrliche Leute und Spitzbuben wie überall. Man ass und trank, der
+eine viel, der andere wenig. Man sprach und disputierte von dem und
+jenem, zum Exempel von dem Steinregen bei Stannern in Mähren, von
+dem Machin in Frankreich, der mit dem grossen Wolf gekämpft hat. Das
+sind dem geneigten Leser bekannte Sachen, denn er erfährt alles ein
+Jahr früher als andere Leute.--Als nun das Essen fast vorbei war,
+einer und der andere trank noch eine halbe Mass Ungarwein zum
+Zuspitzen, ein anderer drehte Kügelein aus weichem Brot, als wenn er
+ein Apotheker wär' und wollte Pillen machen, ein dritter spielte mit
+dem Messer oder mit der Gabel oder mit dem silbernen Löffel. Da sah
+der Offizier von ungefähr zu, wie einer in einem grünen Rocke mit
+dem silbernen Löffel spielte, und wie ihm der Löffel auf einmal in
+den Rockärmel hineinschlüpfte und nicht wieder herauskam.
+Ein anderer hätte gedacht: was geht's mich an? und wäre still dazu
+gewesen oder hätte grossen Lärm angefangen. Der Offizier dachte: Ich
+weiss nicht, wer der grüne Löffelschütz ist, und was es für ein
+Verdruss geben kann, und war mausstill, bis der Wirt kam und das
+Geld einzog. Als der Wirt kam und das Geld einzog, nahm der Offizier
+auch einen silbernen Löffel und steckte ihn zwischen zwei
+Knopflöcher im Rocke, zu einem hinein, zum, andern hinaus, wie es
+manchmal die Soldaten im Kriege machen, wenn sie den Löffel
+mitbringen, aber keine Suppe.--Währenddem der Offizier seine Zeche
+bezahlte, und der Wirt schaute ihm auf den Rock, dachte er: Das ist
+ein kurioser Verdienstorden, den der Herr da anhängen hat. Der muss
+sich im Kampf mit einer Krebssuppe hervorgetan haben, dass er zum
+Ehrenzeichen einen silbernen Löffel bekommen hat; oder ist's gar
+einer von meinen eigenen? Als aber der Offizier dem Wirt die Zeche
+bezahlt hatte, sagte er mit ernsthafter Miene: "Und der Löffel geht
+ja drein. Nicht wahr? Die Zeche ist teuer genug dazu." Der Wirt
+sagte: "So etwas ist mir noch nicht vorgekommen. Wenn Ihr keinen
+Löffel daheim habt, so will ich Euch einen Patentlöffel schenken,
+aber meinen silbernen lasst mir da." Da stand der Offizier auf,
+klopfte dem Wirt auf die Achsel und lächelte. "Wir haben nur Spass
+gemacht", sagte er, "ich und der Herr dort in dem grünen Rocke. Gebt
+Ihr Euern Löffel wieder aus dem Ärmel heraus, grüner Herr, so will
+ich meinen auch wieder hergeben."
+
+Als der Löffelschütz merkte, dass er verraten sei, und dass ein
+ehrliches Auge auf seine unehrliche Hand gesehen hatte, dachte er:
+Lieber Spass als Ernst, und gab seinen Löffel ebenfalls her. Also
+kam der Wirt wieder zu seinem Eigentum,. und der Löffeldieb lachte
+auch--aber nicht lange. Denn als die andern Gäste das sahen, jagten
+sie den verratenen Dieb mit Schimpf und Schande und ein paar Tritten
+unter der Türe zum Tempel hinaus, und der Wirt schickte ihm den
+Hausknecht mit einer Handvoll ungebrannter Asche nach. Den wackern
+Offizier aber bewirtete er noch mit einer Bouteille voll Ungarwein
+auf das Wohlsein aller ehrlichen Leute.
+
+Merke: Man muss keine silbernen Löffel stehlen.
+
+Merke: Das Recht findet seinen Knecht.
+
+
+
+Der sinnreiche Bettler
+
+
+Sonst bemessen die Bettler ihre dankbaren Wünsche nach dem Wert der
+Gabe, die ihnen gereicht wird. Derjenige, von welchem hier die Rede
+ist, sagt, das sei grundfalsch. Wer ihm viel gibt, dem wünscht er
+eine hundertfältige Vergeltung von Gott. Wer ihm aber wenig gibt,
+dem wünscht er eine tausendfältige oder, wenn es noch weniger ist,
+eine hunderttausendfältige Vergeltung. Denn er sagt: "Ich muss einen
+gleich guten Willen bei allen voraussetzen. Wer wenig reicht, wird
+wenig haben. Ich muss ihm also mehr wünschen. Soll ich das Meinige
+auch noch dazu beitragen, dass zuletzt die Reichen alles bekommen?"
+
+
+
+Der Star von Segringen
+
+
+Selbst einem Staren kann es nützlich sein, wenn er etwas gelernt
+hat, wie viel mehr einem Menschen.--In einem respektabeln Dorf, ich
+will sagen, in Segringen, es ist aber nicht dort geschehen, sondern
+hier im Land, und derjenige, dem es begegnet ist, liest es
+vielleicht in diesem Augenblick, nicht der Star, aber der Mensch. In
+Segringen der Barbier hatte einen Star, und der wohlbekannte
+Lehrjung gab ihm Unterricht im Sprechen. Der Star lernte nicht nur
+alle Wörter, die ihm sein Sprachmeister aufgab, sondern er ahmte
+zuletzt auch selber nach, was er von seinem Herrn hörte, zum
+Exempel: Ich bin der Barbier von Segringen. Sein Herr hatte sonst
+noch allerlei Redensarten an sich, die er bei jeder Gelegenheit
+wiederholte, zum Exempel: so so lala; oder par compagnie (das heisst
+so viel als: in Gesellschaft mit andern); oder: wie Gott will; oder:
+du Dolpatsch. So titulierte er nämlich insgemein den Lehrjungen,
+wenn er das halbe Pflaster auf den Tisch strich anstatt aufs Tuch,
+oder wenn er das Schermesser am Rücken abzog anstatt die Schneide,
+oder wenn er ein Gütterlein verheite. Alle diese Redensarten lernte
+nach und nach der Star auch. Da nun täglich viel Leute im Haus
+waren, weil der Barbier auch Branntwein ausschenkte, so gab's
+manchmal viel zu lachen, wenn die Gäste miteinander ein Gespräch
+führten, und der Star warf auch eins von seinen Wörtern drein, das
+sich dazu schickte, als wenn er den Verstand davon hätte; und
+manchmal, wenn ihm der Lehrjung rief: "Hansel, was machst du?"
+antwortete er: "du Dolpatsch!" und alle Leute in der Nachbarschaft
+wussten von dem Hansel zu erzählen. Eines Tages aber, als ihm die
+beschnittenen Flügel wieder gewachsen waren, und das Fenster war
+offen und das Wetter schön, da dachte der Star: Ich hab' jetzt schon
+so viel gelernt, dass ich in der Welt kann fortkommen, und husch!
+zum Fenster hinaus. Weg war er. Sein erster Flug ging ins Feld, wo
+er sich unter eine Gesellschaft anderer Vögel mischte, und als sie
+aufflogen, flog er mit ihnen, denn er dachte: sie wissen die
+Gelegenheit hierzuland besser als ich. Aber sie flogen
+unglücklicherweise alle miteinander in ein Garn. Der Star sagte:
+"Wie Gott will." Als der Vogelsteller kommt und sieht, was er für
+einen grossen Fang getan hat, nimmt er einen Vogel nach dem andern
+behutsam heraus, dreht ihm den Hals um und wirft ihn auf den Boden.
+Als er aber die mörderischen Finger wieder nach einem Gefangenen
+ausstreckte, und denkt an nichts, schrie der Gefangene: "Ich bin der
+Barbier von Segringen!" Als wenn er wüsste, was ihn retten muss. Der
+Vogelsteller erschrak anfänglich, als wenn es hier nicht mit rechten
+Dingen zuginge, nachher aber, als er sich erholt hatte, konnte er
+kaum vor Lachen zu Atem kommen; und als er sagte: "Ei, Hansel, hier
+hätt' ich dich nicht gesucht; wie kommst du in meine Schlinge?" da
+antwortete der Hansel: "Par compagnie." Also brachte der
+Vogelsteller den Star seinem Herrn wieder und bekam ein gutes
+Fanggeld. Der Barbier aber erwarb sich damit einen guten Zuspruch,
+denn jeder wollte den merkwürdigen Hansel sehen, und wer jetzt noch
+weit und breit in der Gegend will zur Ader lassen, geht zum
+Balbierer von Segringen.
+
+Merke: So etwas passiert einem Staren selten. Aber schon mancher
+junge Mensch, der auch lieber herumflankieren als daheim bleiben
+wollte, ist ebenfalls par compagnie in die Schlinge geraten und
+nimmer herauskommen.
+
+
+
+Der Talhauser Galgen
+
+
+"Wann bringt man denn die Juden? Es kommt ja niemand", sagte zu dem
+Vogt von Gillmannshofen endlich der Obmann. Nämlich der Vogt war
+Tages vorher in der Stadt gewesen und hatte sich bei dem Herrn
+Amtmann Rates erholt in irgend einer Sache. "Es ist ganz gut", sagte
+der Amtmann, "dass Ihr da seid: hier sind vier Oberamtsbefehle an
+Euch, die könnt Ihr nun selber mitnehmen." Als der Vogt in den Roten
+Löwen zurückgekommen war, während er fortfuhr, wo er vorher war
+stehen geblieben, nämlich am fünften Schöpplein, zog er die vier
+Befehle aus der Tasche, ob er ihnen nicht vorderhand aussen ansehen
+könne, was inwendig stehen möchte, wie man bisweilen seltsamerweise
+tut. Hernach schob er die Befehle wieder in die Rocktasche. Hernach
+bei dem sechsten Schöpplein legte er die Arme auf den Tisch und den
+Kopf auf die Arme und schlief ein. Lustige Herren sassen an einem
+andern Tisch, und der durchtriebenste von ihnen, einer wie der Herr
+Theodor, sagte: "Ich will einen Spass machen." Nämlich er schrieb
+einen falschen Befehl, dass, da morgen den 15ten drei Juden sollen
+gehenkt werden, so habe sich der Vogt von Gillmannshofen mit
+vierundzwanzig Mann und einem Obmann, nicht minder sämtlichen
+Schulkindern bei dem Talhauser Galgen früh um 9 Uhr unfehlbar
+einzufinden. Hernach zog er dem Vogt einen Befehl heimlich aus der
+Tasche und schob an dessen Stelle den falschen hinein. Auf dem
+Heimwege nach Gillmannshofen fing doch der Vogt an die Befehle
+aufzutun, was der Amtmann wieder mit ihm wolle, und als er anfing,
+den falschen Befehl zu lesen, "das muss ein Irrtum sein", sagte er
+zu sich selber, und ging in die Stadt zurück, um den Amtmann darüber
+zu befragen. Der Amtmann und seine Frau und der Herr Oberrevisor und
+seine Frau ergötzten sich nach des Tages Last und Arbeit mit einem
+Kartenspiel. "Was wollt Ihr schon wieder", fuhr ihn der Amtmann an,
+"seht Ihr nicht, dass Gesellschaft bei mir ist?" Der Vogt wollte ihm
+erklären, dass er einen Anstoss habe an einem von den Befehlen, und
+dass er meine--"Ein unruhiger Kopf seid Ihr", sagte der Amtmann,
+wie er's denn auch wirklich war. "Ihr habt nichts zu meinen--
+Gehorsam habt Ihr zu leisten, was man Euch befiehlt, und damit
+Punktum. Seid Ihr noch nicht genug gestraft worden?" Demnach so ging
+der Vogt wieder seines Wegs, und den andern Morgen zog er mit einer
+Rotte von vierundzwanzig Mann und einem Obmann und der Herr
+Schulmeister mit der Schuljugend und viele Freiwillige nach dem
+Talhauser Galgen, der linker Hand auf einer kleinen Anhöhe steht,
+wenn man von der Neuhauser Mühle in die Stadt geht. "Es ist schade",
+sagte der Vogt zum Obmann, "dass es so entsetzlich regnet. Es wird
+mancher daheim bleiben." Als sie vor den Talhauser Wald hinauskamen
+und den Galgen noch mutterseelallein im Felde stehen sahen, "wir
+sind die ersten", sagte der Vogt zum Obmann, "es ist noch niemand
+da." Der Freiwilligen suchte sich jeder einen guten Platz aus, wo
+man's gut sehen kann. Einige setzten sich zum voraus auf
+nahestehende Bäume, andere standen einstweilen unter. Aber es
+geschah nichts. Wandersleute, die in ihren Geschäften des Weges
+zogen, blieben auch im Regen stehen und wollten abwarten, was aus
+dem seltsamen Aufzug werden wolle. Aber es geschah nichts. "Sie
+werden warten", sagte der Vogt, "bis es nimmer so arg schüttet." Der
+Herr Schulmeister hielt zur Zeitverkürzung eine Standrede um die
+andere an die Schuljugend, dass, ob es gleich nur Juden seien,
+sollten sie doch ein christliches Exempel daran nehmen. Aber es
+wollt noch nichts kommen. Es läutete schon Mittag in allen Dörfern,
+aber der Mittag läutete auch nichts herbei. Deswegen sagte zuletzt
+der Obmann zu dem Vogt: "Wann bringt man denn die Juden? Es kommt ja
+niemand. Oder sind wir gar zuletzt Eure Narren?" sagte er. "Es wäre
+kein Wunder, wir henkten Euch selber daran, damit die Leute nicht
+umsonst dagewesen sind."--Kurz, es kam eben niemand.
+
+Seitdem, wer durch Gillmannshofen geht und fragt in guter Meinung
+oder aus Mutwillen, ob schon lang niemand mehr am Talhauser Galgen
+gehenkt worden sei, oder so, der wird geschlagen.
+
+
+
+Der unschuldig Gehenkte
+
+
+Folgende unglückliche Begebenheit hat sich auf dem Spessart
+zugetragen. Mehrere Knaben hüteten miteinander an einer Berghalde
+unten an dem Wald das Vieh ihrer Eltern oder Meister. In der
+Langweile trieben sie allerlei und ahmten untereinander, wie dieses
+Alter zu tun pflegt, die Handlungen und Geschäfte der erwachsenen
+Menschen spielend nach. Eines Tages sagte der eine von ihnen: "Ich
+will der Dieb sein."--" So will ich das Oberamt sein", sagte der
+zweite. "Seid ihr die Hatschiere", sagte er zum dritten und vierten,
+"und du bist der Henker", sprach er zum fünften. Gut! Der Dieb
+stiehlt einem seiner Kameraden heimlich ein Messer und setzt sich
+auf flüchtigen Fuss; der Bestohlene klagt beim Oberamt; die
+Hatschiere streifen im Revier, attrapieren den Dieb in einem hohlen
+Baum und liefern ihn ein. Der Richter verurteilt ihn zum Tode.
+Unterdessen hört man im Wald einen Schuss fallen; Hundegebell erhebt
+sich. Man achtet's nicht. Der Henker wirft dem Malefikanten kurz und
+gut einen Strick um den Hals und henkt ihn im Unverstand und
+Leichtsinn an einen Aststumpen an einem Baumstamm, also, dass er mit
+den Füssen nicht gar kann die Erde berühren, denkt, ein paar
+Augenblicke kann er's schon aushalten. Plötzlich rauscht es im
+dürren Laub im Wald; es knackt und kracht im dichten Gehörst; ein
+schwarzer, wilder Eber bricht zottig und blitzend aus dem Wald
+hervor und läuft über den Richtplatz. Die Hirtenbuben, denen es
+ohnehin halber zumute war, als ob es doch nicht ganz recht wäre, mit
+einer so ernsthaften und bedenklichen Sache Mutwillen zu treiben,
+erschrecken, meinen, es sei der Teufel, vor dem uns Gott behüte,
+laufen vor Angst davon, einer von ihnen ins Dorf und erzählt, was
+geschehen sei. Aber als man kam, um den Gehenkten abzulösen, war er
+erstickt und tot. Dies ist eine Warnung. Das Oberamt und die
+Hatschiere kamen nachher auf drei Wochen ins Zuchthaus, und der
+Henker auf sechs. Dass aber der Eber soll der Teufel gewesen sein,
+hat sich nicht bestätigt. Denn er wurde von den nacheilenden Jägern
+erlegt und zum Forstamt geliefert; der Teufel aber befindet sich
+noch am Leben.
+
+
+
+Der Vater und der Sohn
+
+
+Der Vater stellte ein Gläslein voll Arznei in die Schublade, weil er
+glaubte, es sei nirgends besser verwahrt. Als aber der Sohn nach
+Hause kam und die Schublade schnell aufziehn wollte, fiel das
+Gläslein um und zerbrach. Da gab ihm der Vater eine zornige Ohrfeige
+und sagte: "Kannst du nicht zuerst schauen, was in der Tischlade
+ist, eh' du sie auftust?" Der Sohn erwiderte zwar: Nein, das könne
+niemand. Aber der Vater sagte: "Den Augenblick sei still, oder du
+bekommst noch eine."
+
+Merke: Man ist nie geneigter Unrecht zu tun, als wenn man Unrecht
+hat. Recht ist gut beweisen. Aber für das Unrecht braucht man schon
+Ohrfeigen und Drohungen zum Beweistum.
+
+
+
+Der verachtete Rat
+
+
+Man darf nie weniger geschwind tun, wenn etwas geschehen soll, als
+wenn man auf die Stunde einhalten will. Ein Fussgänger auf der
+Basler Strasse drehte sich um und sah einen wohlbeladenen Wagen
+schnell hinter sich hereilen. "Dem muss es nicht arg pressieren",
+dachte er.--"Kann ich vor Torschluss noch in die Stadt kommen?"
+fragte ihn der Fuhrmann.--"Schwerlich", sagte der Fussgänger, "doch
+wenn Ihr recht langsam fahrt, vielleicht. Ich will auch noch
+hinein."--"Wie weit ist's noch?"--"Noch zwei Stunden."--"Ei",
+dachte der Fuhrmann, "das ist einfältig geantwortet. Was gilt's, es
+ist ein Spassvogel." Wenn ich mit Langsamkeit in zwei Stunden
+hineinkomme, dachte er, so zwing' ich's mit Geschwindigkeit in
+anderthalber und hab's desto gewisser. Also trieb er die Pferde an,
+dass die Steine davonflogen und die Pferde die Eisen verloren. Der
+Leser merkt etwas. "Was gilt's", denkt er, "es fuhr ein Rad vom
+Wagen?" Es kommt dem Hausfreund auch nicht darauf an. Eigentlich
+aber, und die Wahrheit zu sagen, brach die hintere Achse. Kurz, der
+Fuhrmann musste schon im nächsten Dorf über Nacht bleiben. An Basel
+war nimmer zu denken. Der Fussgänger aber, als er nach einer Stunde
+durch das Dorf ging und ihn vor der Schmiede erblickte, hob er den
+Zeigfinger in die Höhe. "Hab ich Euch nicht gewarnt", sagte er,
+"hab' ich nicht gesagt: Wenn Ihr langsam fahrt!"
+
+
+
+Der verwegene Hofnarr
+
+
+Der König hatte ein Pferd, das war ihm so lieb, dass er sagte: "Ich
+weiss nicht, was ich tue, wenn das Pferd mir stirbt. Aber den, der
+mir von seinem Tod die erste Nachricht bringt, den lass ich auch
+gewiss aufhenken." Item, das Rösslein starb doch, und niemand wollte
+dem König die erste Nachricht davon bringen. Endlich kam der
+Hofnarr. "Ach, gnädigster Herr", rief er aus, "Ihr Pferd! Ach das
+arme, arme Pferd! Gestern war es noch so"--da stotterte er, und der
+erschrockene König fiel ihm ins Wort und sagte: "Ist es gestorben?
+Ganz gewiss ist es gestorben, ich merk's schon." "Ach gnädigster
+Herr", fuhr der Hofnarr mit noch grösserm Lamento fort, "das ist
+noch lange nicht das Schlimmste." "Nun, was denn?" fragte der König.
+"Ach, dass Sie jetzt noch sich selber müssen henken lassen. Denn Sie
+haben's zuerst gesagt, dass Ihr Leibpferd tot sei. Ich hab's nicht
+gesagt." Der König aber, betrübt über den Verlust seines Pferdes,
+aufgebracht über die Frechheit des Hofnarren und doch belustigt
+durch seinen guten Einfall, gab ihm augenblicklich .den Abschied mit
+einem guten Reisegeld. "Da, Hofnarr", sagte der König, "da hast du
+100 Dukaten. Lass dich statt meiner dafür henken, wo du willst. Aber
+lass mich nichts mehr von dir sehen und hören! Sonst, wenn ich
+erfahre, dass du dich nicht hast henken lassen, so tu ich's."
+
+
+
+Der vorsichtige Träumer
+
+
+Es gibt doch einfältige Leute in der Welt. In dem Städtlein
+Witlisbach im Kanton Bern war einmal ein Fremder über Nacht, und als
+er ins Bett gehen wollte und ganz bis auf das Hemd ausgekleidet war,
+zog er noch ein Paar Pantoffeln aus dem Bündel, legte sie an, band
+sie mit den Strumpfbändeln an den Füssen fest und legte sich also in
+das Bette. Da sagte zu ihm ein anderer Wandersmann, der in der
+nämlichen Kammer über Nacht war: "Guter Freund, warum tut Ihr das?"
+
+Darauf erwiderte der erste: "Wegen der Vorsicht. Denn ich bin einmal
+im Traum in eine Glasscherbe getreten. So habe ich im Schlaf solche
+Schmerzen davon empfunden, dass ich um keinen Preis mehr barfuss
+schlafen möchte."
+
+
+
+Der Wasserträger
+
+
+In Paris holt man das Wasser nicht am Brunnen. Wie dort alles ins
+Grosse getrieben wird, so schöpft man auch das Wasser ohmweise in
+dem Strom, der hindurch fleusst, in der Seine, und hat eigene
+Wasserträger, arme Leute, die jahraus, jahrein das Wasser in die
+Häuser bringen und davon leben. Denn man müsste viel Brunnen graben
+für fünfmalhunderttausend Menschen in einer Stadt, ohne das
+unvernünftige Vieh. Auch hat das Erdreich dort kein ander trinkbares
+Wasser; solches ist auch eine Ursache, dass man keine Brunnen gräbt.
+Zwei solche Wasserträger verdienten ihr Stücklein Brot und tranken
+am Sonntag ihr Schöpplein miteinander manches Jahr, auch legten sie
+immer etwas weniges von dem Verdienst zurück und setzten's in der
+Lotterie.
+
+Wer sein Geld in die Lotterie trägt, trägt's in den Rhein. Fort
+ist's. Aber bisweilen lässt das Glück unter viel Tausenden einen
+etwas Namhaftes gewinnen und trompetet dazu, damit die andern Toren
+wieder gelockt werden. Also liess es auch unsere zwei Wasserträger
+auf einmal gewinnen, mehr als 100’000 Livres. Einer von ihnen, als
+er seinen Anteil heimgetragen hatte, dachte nach: Wie kann ich mein
+Geld sicher anlegen? Wie viel darf ich des Jahrs verzehren, dass
+ich's aushalte und von Jahr zu Jahr noch reicher werde, bis ich's
+nimmer zählen kann? Und wie ihn seine Überlegung ermahnte, so tat
+er, und ist jetzt ein steinreicher Mann, und ein guter Freund des
+Hausfreunds kennt ihn.
+
+Der andere sagte: "Wohl will ich mir's auch werden lassen für mein
+Geld, aber meine Kunden geb ich nicht auf, dies ist unklug", sondern
+er nahm auf ein Vierteljahr einen an, einen Adjunkt wie der
+Hausfreund, der so lang sein Geschäft verrichten musste, als er
+reich war. Denn er sagte: "In einem Vierteljahr bin ich fertig."
+Also kleidet er sich jetzt in die vornehmste Seide, alle Tage ein
+anderer Rock, eine andere Farbe, einer schöner als der andere, liess
+sich alle Tage frisieren, sieben Locken übereinander, zwei Finger
+hoch mit Puder bedeckt, mietete auf ein Vierteljahr ein prächtiges
+Haus, liess alle Tage einen Ochsen schlachten, sechs Kälber, zwei
+Schweine für sich und seine guten Freunde, die er zum Essen
+einladete, und für die Musikanten. Vom Keller bis in das Speiszimmer
+standen zwei Reihen Bediente und reichten sich die Flaschen, wie man
+die Feuereimer reicht bei einem Brand, in der einen Reihe die leeren
+Flaschen, in der andern die vollen.
+
+Den Boden von Paris betrat er nimmer, sondern wenn er in die Komödie
+fahren wollte oder ins Palais royal, so mussten ihn sechs Bedienten
+in die Kutsche hineintragen und wieder hinaus. Überall war er der
+gnädige Herr, der Herr Baron, der Herr Graf und der verständigste
+Mann in ganz Paris. Als er aber noch drei Wochen vor dem Ende des
+Vierteljahrs in den Geldkasten griff, um eine Handvoll Dublonen
+ungezählt und unbeschaut herauszunehmen, als er schon auf den Boden
+der Kiste griff, sagte er: "Gottlob, ich werde geschwinder fertig,
+als ich gemeint habe." Also bereitete er sich und seinen Freunden
+noch einen lustigen Tag, wischte alsdann den Rest seines Reichtums
+in der Kiste zusammen, schenkte es seinem Adjunkt und gab ihm den
+Abschied. Denn am andern Tag ging er selber wieder an sein altes
+Geschäft, trägt jetzt Wasser in die Häuser wie vorher, wieder so
+lustig und zufrieden wie vorher. Ja, er bringt das Wasser selbst
+seinem ehemaligen Kameraden, nimmt ihm aus alter Freundschaft nichts
+dafür ab und lacht ihn aus.
+
+Der Hausfreund denkt etwas dabei, aber er sagt's nicht.
+
+
+
+Der Wegweiser
+
+
+Bekanntlich klagte einst ein alter Schulz von Wasselnheim seiner
+Frau, dass ihn sein Französisch fast unter den Boden bringe. Er
+sollte nämlich einem französischen Soldaten, der ausgerissen war,
+den Weg zeigen, verstand ihn nicht recht, antwortete ihm verkehrt
+und bekam für die beste Meinung Schläge genug zum Dank oder vielmehr
+zum Undank. Anders sah ein Wegweiser an der württembergischen Grenze
+die Sache an. Er sollte nämlich im letzten Krieg einem Zug Franzosen
+den Weg über das Gebirg zeigen, wusste aber kein Wort von ihrer
+Sprache als Oui, welches so viel heisst als Ja, und Bougre, welches
+ein Schimpfname ist. Diese zwei Worte hatte er oft gehört und lernte
+sie nachsagen, ohne ihren Sinn zu verstehen. Anfänglich ging alles
+gut, solange die Franzosen nur unter sich sprachen und ihn mit
+seiner Laterne und drei oder vier Tornistern, die sie ihm angehängt
+hatten, voraus oder nebenher gehen liessen. Da er aber der Spur nach
+allemal mitlachte, wenn sie etwas zu lachen hatten, so fragte ihn
+einer französisch, ob er auch verstünde, was sie miteinander
+redeten. Er hätte herzhaft sagen dürfen: Nein! Aber eben weil er es
+nicht verstand, so kam es ihm nicht darauf an, was er antwortete. Er
+nahm daher all sein Französisch zusammen und antwortete: "Oui,
+Bougre" (Ja, Ketzer!). Mit einem ellenlangen französischen Fluche
+riss der Soldat den Säbel aus der Scheide und liess ihm denselben um
+den Kopf herum und nahe an den Ohren vorbeisausen. "Wie?" sagte er,
+"du willst einen französischen Soldaten schimpfen?" "Oui, Bougre!"
+war die Antwort. Die andern hatten die höchste Zeit, dem erbosten
+Kameraden in den Arm zu fallen, dass er dem Wegweiser, ohne welchen
+sie in der finstern Nacht nicht konnten weiterkommen, nicht auf der
+Stelle den Kopf spaltete; doch gaben sie ihm mit manchem Fluch und
+Flintenstoss rechts und links zu verstehen, wie es gemeint sei, und
+fragten ihn alsdann, ob er jetzt wolle manierlicher sein. "Oui,
+Bougre!" war die Antwort. Nun wurde er jämmerlich zerschlagen, und
+alle seine Bitten um Verzeihung, und alle seine Bitten um Schonung
+legte er ihnen mit lauter "Oui, Bougre" ans Herz. Endlich kamen sie
+auf die Vermutung, er sei verrückt (denn dass er französisch
+verstehe, hatte er bejaht). Sie nahmen daher auf einem Hof, wo noch
+ein Licht brannte, einen andern Führer, jagten diesen fort, und er
+erwiderte den Abschied des einen, dass er sich zum Henker packen
+sollte, richtig mit " Oui, Bougre". Als er aber so bald wieder nach
+Haus kam und sich seine Frau verwunderte, die ihn erst auf den
+andern Mittag wieder erwarten konnte, so erzählte er, wie die
+Soldaten unterwegs viel Spass mit ihm gehabt hätten, so dass es ihm
+fast sei zu arg worden, und wie sie hernach auf dem Zierhauser Hof
+einen andern genommen und ihn wieder heimgeschickt hätten. Die
+Franzosen (setzte er treuherzig hinzu) sind nicht so schlimm, als
+man meint, wenn man nur mit ihnen reden kann.
+
+
+
+Der Wettermacher
+
+
+Gleichwie einem Siebmacher oder einem Hafenbinder, wenn er in einem
+kleinen Ort zu Hause ist, können seine Mitbürger nicht das ganze
+Jahr Arbeit und Nahrung geben, sondern er begibt sich auf
+Künstlerreisen im Revier herum und geht seinem Verdienst nach; also
+auch der Zirkelschmied ist fleissig darauf im andern Revier und
+handelt nicht mit Zirkeln, sondern mit Trug und Schelmerei, um die
+Leute zu berücken und sich freizutrinken im Wirtshaus. Also
+erscheint er einmal in Obernehingen und geht gerade zum Schulz.
+"Herr Schulz", sagt er, "könntet Ihr kein ander Wetter brauchen? Ich
+bin durch Euere Gemarkung gegangen. Die Felder in der Tiefe haben
+schon zu viel Regen gehabt, und auf der Höhe ist das Wachstum auch
+noch zurück." Der Schulz meinte, das seie geschwind gesagt, aber
+besser machen sei eine Kunst. "Ei", erwidert der Zirkelschmied, "auf
+das reise ich ja. Bin ich nicht der Wettermacher von Bologna? In
+Italien", sagte er, "wo doch Pomeranzen und Zitronen wachsen, wird
+alles Wetter auf Bestellung gemacht. Darin seid ihr Deutsche noch
+zurück." Der Schulz ist ein guter und treuherziger Mann und gehört
+zu denen, die lieber geschwind reich werden möchten als langsam.
+Also leuchtete ihm das Anbieten des Zirkelschmieds ein. Doch wollte
+er vorsichtig sein. "Macht mir morgen früh einen heitern Himmel",
+sagte er, "zur Probe, und ein paar leichte weisse Wölklein dran, den
+ganzen Tag Sonnenschein und in der Luft so zarte, glänzende Fäden.
+Auf den Mittag könnt Ihr die ersten gelben Sommervögel los lassen,
+und gegen Abend darf's wieder kühl werden." Der Zirkelschmied
+erwiderte: "Auf einen Tag kann ich mich nicht einlassen, Herr
+Schulz. Es trägt die Kosten nicht aus. Ich unternehm's nicht anderst
+als auf ein Jahr. Dann sollt Ihr aber Not haben, wo Ihr Euere Frucht
+und Euern Most unterbringen wollt." Auf die Frage des Schulzen,
+wieviel er für den Jahrgang fordere, verlangte er zum voraus nichts
+als täglich einen Gulden und freien Trunk, bis die Sache
+eingerichtet sei, es könne wenigstens drei Tage dauern; "hernach
+aber von jedem Saum Wein, den ihr mehr bekommt", sagte er, "als in
+den besten Jahren, ein Viertel, und von jedem Malter Frucht einen
+Sester." "Das wär' nicht veil", sagte der Schulz. Denn dortzuland
+sagt man veil statt viel, wenn man sich hochdeutsch explizieren
+will. Der Schulz bekam Respekt vor dem Zirkelschmied und explizierte
+sich hochdeutsch. Als er nun aber Papier und Feder aus dem
+Schränklein holte und dem Zirkelschmied das Wetter von Monat zu
+Monat vorschreiben wollte, machte ihm der Zirkelschmied eine neue
+Einwendung: "Das geht nicht an, Herr Schulz! Ihr müsst auch die
+Bürgerschaft darüber hören. Denn das Wetter ist eine Gemeindssache.
+Ihr könnt nicht verlangen, dass die ganze Bürgerschaft Euer Wetter
+annehmen soll." Da sprach der Schulz: "Ihr habt recht! Ihr seid ein
+verständiger Mann."
+
+Der geneigte Leser aber ist nun der Schelmerei des Zirkelschmieds
+auf der rechten Spur, wenn er zum voraus vermutet, die Bürgerschaft
+sei über die Sache nicht einig geworden. In der ersten
+Gemeindsversammlung wurde noch nichts ausgemacht, in der siebenten
+auch noch nichts, in der achten kam's zu ernsthaften Redensarten,
+und ein verständiger Gerichtsmann glaubte endlich, um Fried' und
+Einigkeit in der Gemeinde zu erhalten, wär's am besten, man zahlte
+den Wettermacher aus und schickte ihn fort. Also beschied der Schulz
+den Wettermacher vor sich: "Hier habt Ihr Euere neun Gulden,
+Unheilstifter, und nun tut zur Sache, dass Ihr fortkommt, eh' Mord
+und Totschlag in der Gemeinde ausbricht." Der Zirkelschmied liess
+sich nicht zweimal heissen. Er nahm das Geld, hinterliess eine
+Wirtsschuld von zirka 24 Mass Wein, und mit dem Wetter blieb es, wie
+es war.
+
+Item, der Zirkelschmied bleibt immer ein lehrreicher Mensch. Merke,
+wie gut es sei, dass der oberste Weltregent bisher die Witterung
+nach seinem Willen allein gelenkt hat. Selbst wir Kalendermacher,
+Planeten und übrigen Landstände werden nicht leicht um etwas gefragt
+und haben, was das betrifft, ruhige Tage.
+
+
+
+Der wohlbezahlte Spassvogel
+
+
+Wie man in den Wald schreit, so schreit es wieder heraus. Ein
+Spassvogel wollte in den neunziger Jahren einen Juden in Frankfurt
+zum besten haben. Er sprach also zu ihm: "Weisst du auch, Mauschel,
+dass in Zukunft die Juden in ganz Frankreich auf Eseln reiten
+müssen?" Dem hat der Jude also geantwortet: "Wenn das ist, artiger
+Herr, so wollen wir zwei auf dem deutschen Boden bleiben, wenn schon
+Ihr kein Jude seid."
+
+
+
+Der Wolkenbruch in Türkheim
+
+
+Ein ehemalig guter Bekannter des Hausfreundes tat im Oktober einen
+Streifzug auf Wein in das Elsass. Wie er in Türkheim abends in das
+Wirtshaus kommt, sitzt der Präsident da bei einem Schöpplein und
+isst zwei Bratwürste, eine nach der andern. "Herr Präsident", sagte
+der gute Bekannte, "treff' ich Euch hier an? Eher hätte ich des
+Himmels Einfall vermutet." Der Präsident lächelt und sagte: "Es ist
+alles möglich." Sie bleiben beisammen, diskurieren allerlei
+miteinander, trinken auch allerlei miteinander, gehn miteinander in
+das Schlafgemach, jeder in ein Bett apart. Das Bett des guten
+Freundes hatte einen Umhang. Früh gegen Tag, wenn man anfängt sich
+zu strecken, stemmte er sich mit den Füssen gegen das untere Brett
+der Bettlade. Das Brett gab nach, der Betthimmel gab auch nach. Ein
+paar Bretter, ein Haspel, zwei Paar Schuh usw., Brastbergers
+Predigtbuch und eine grosse Flasche voll Kirschenwasser stürzten
+herunter. Aber die Flasche zerbrach unterwegs an dem Haspel und
+übergoss den guten Bekannten mit Kirschenwasser und Glasscherben
+"Herr Präsident, kommt mir zu Hilfe!"--"Was ist Euch begegnet?"
+fragte der Präsident.--"Ich glaube, der Himmel, der über dem Bett
+ist, sei eingefallen." Da lachte der Präsident und sagte: "Es kommt
+mir auch so vor. Die Wolken hängen auch bis aufs Deckbett herunter.
+Sie sind von Tannenholz. Hab' ich Euch nicht gesagt, es sei alles
+möglich?"
+
+
+
+Der Zahnarzt
+
+
+Zwei Tagdiebe, die schon lange miteinander in der Welt herumgezogen,
+weil sie zum Arbeiten zu träg oder zu ungeschickt waren, kamen doch
+zuletzt in grosse Not, weil sie wenig Geld mehr übrig hatten und
+nicht geschwind wussten, wo nehmen. Da gerieten sie auf folgenden
+Einfall. Sie bettelten vor einigen Haustüren Brot zusammen, das sie
+nicht zur Stillung des Hungers geniessen, sondern zum Betrug
+missbrauchen wollten. Sie kneteten nämlich und drehten aus dem
+Weichen desselben lauter kleine Kügelein oder Pillen und bestreuten
+sie mit Wurmmehl aus altem, zerfressenem Holz, damit sie völlig
+aussahen wie die gelben Arzneipillen. Hierauf kauften sie für ein
+paar Batzen einige Bogen rotgefärbtes Papier bei dem Buchbinder
+(denn eine schöne Farbe muss gewöhnlich bei jedem Betrug mithelfen).
+Das Papier zerschnitten sie alsdann und wickelten die Pillen darein,
+je sechs bis acht Stücke in ein Päcklein. Nun ging der eine voraus
+in einen Flecken, wo eben Jahrmarkt war, und in den Roten Löwen, wo
+er viele Gäste anzutreffen hoffte. Er forderte ein Glas Wein, trank
+aber nicht, sondern sass ganz wehmütig in einem Winkel, hielt die
+Hand an den Backen, winselte halblaut für sich und kehrte sich
+unruhig bald so her, bald so hin. Die ehrlichen Landleute und
+Bürger, die im Wirtshaus waren, bildeten sich wohl ein, dass der
+arme Mensch ganz entsetzlich Zahnweh haben müsse. Aber was war zu
+tun? Man bedauerte ihn, man tröstete ihn, dass es schon wieder
+vergehen werde, trank sein Gläslein fort und machte seine
+Marktaffären aus. Indessen kam der andere Tagdieb auch nach. Da
+stellten sich die beiden Schelme, als ob noch keiner den andern in
+seinem Leben gesehen hätte. Keiner sah den andern an, bis der zweite
+durch das Winseln des erstern, der im Winkel sass, aufmerksam zu
+werden schien. "Guter Freund", sprach er, "Ihr scheint wohl
+Zahnschmerzen zu haben?" und ging mit grossen, aber langsamen
+Schritten auf ihn zu. "Ich bin der Doktor Staunzius Rapunzia von
+Trafalgar", fuhr er fort. Denn solche fremde, volltönige Namen
+müssen auch zum Betrug behilflich sein wie die Farben. "Und wenn Ihr
+meine Zahnpillen gebrauchen wollt", fuhr er fort, "so soll es mir
+eine schlechte Kunst sein, Euch mit einer, höchstens zweien von
+Euern Leiden zu befreien."--"Das wolle Gott", erwiderte der andere
+Halunk. Hierauf zog der saubere Doktor Rapunzia eines von seinen
+roten Päcklein aus der Tasche und verordnete dem Patienten, ein
+Kügelein daraus auf den bösen Zahn zu legen und herzhaft darauf zu
+beissen. Jetzt streckten die Gäste an den andern Tischen die Köpfe
+herüber, und einer um den andern kam herbei, um die Wunderkur mit
+anzusehen. Nun könnt ihr euch vorstellen, was geschah. Auf diese
+erste Probe wollte zwar der Patient wenig rühmen, vielmehr tat er
+einen entsetzlichen Schrei. Das gefiel dem Doktor. Der Schmerz,
+sagte er, sei jetzt gebrochen, und gab ihm geschwind die zweite
+Pille zu gleichem Gebrauch. Da war nun plötzlich aller Schmerz
+verschwunden. Der Patient sprang vor Freuden auf, wischte den
+Angstschweiss von der Stirne weg, obgleich keiner dran war, und tat,
+als ob er seinem Retter zum Danke etwas Namhaftes in die Hand
+drückte.--Der Streich war schlau angelegt und tat seine Wirkung.
+Denn jeder Anwesende wollte nun auch von diesen vortrefflichen
+Pillen haben. Der Doktor bot das Päcklein für 24 Kreuzer, und in
+wenig Minuten waren alle verkauft. Natürlich gingen jetzt die zwei
+Schelmen wieder einer nach dem andern weiters, lachten, als sie
+wieder zusammenkamen, über die Einfalt dieser Leute und liessen
+sich's wohl sein von ihrem Geld.
+
+Das war teures Brot. So wenig für 24 Kreuzer bekam man noch in
+keiner Hungersnot. Aber der Geldverlust war nicht einmal das
+Schlimmste. Denn die Weichbrotkügelein wurden natürlicherweise mit
+der Zeit steinhart. Wenn nun so ein armer Betrogener nach Jahr und
+Tag Zahnweh bekam und in gutem Vertrauen mit dem kranken Zahn einmal
+und zweimal darauf biss, da denke man an den entsetzlichen Schmerz,
+den er, statt geheilt zu werden, sich selbst für 24 Kreuzer aus der
+eigenen Tasche machte.
+
+Daraus ist also zu lernen, wie leicht man kann betrogen werden, wenn
+man den Vorspiegelungen jedes hergelaufenen Landstreichers traut,
+den man zum ersten Mal in seinem Leben sieht und vorher nie und
+nachher nimmer; und mancher, der dieses liest, wird vielleicht
+denken: "So einfältig bin ich zu meinem eigenen Schaden auch schon
+gewesen."
+
+[Merke: Wer so etwas kann, weiss an andern Orten Geld zu verdienen,
+läuft nicht auf den Dörfern und Jahrmärkten herum mit Löchern im
+Strumpf oder mit einer weissen Schnalle am rechten Schuh und am
+linken mit einer gelben.]
+
+
+
+Der Zirkelschmied
+
+
+In einer schwäbischen Reichsstadt galt zu seiner Zeit ein Gesetz,
+dass, wer sich an einem verheirateten Mann vergreift und gibt ihm
+eine Ohrfeige, der muss 5 Gulden Busse bezahlen und kommt 24.
+Stunden lang in den Turn. Deswegen dachte am Andreastag ein
+verlumpter Zirkelschmied im Vorstädtlein: Ich kann doch auf meinen
+Namenstag ein gutes Mittagessen im Goldenen Lamm bekommen, wenn ich
+schon keinen roten Heller hier und daheim habe und seit zwei Jahren
+nimmer weiss, ob die bayrischen Taler rund oder eckig sind. Darauf
+hin lässt er sich vom Lammwirt ein gutes Essen auftragen und trinkt
+viel Wein dazu, also dass die Zeche zwei Gulden fünfzehn Kreuzer
+ausmachte; was damals auch für einen wohlhabenden Zirkelschmied
+schon viel war. Jetzt, dachte er, will ich den Lammwirt zornig
+machen und in Jast bringen. "Das war ein schlechtes Essen, Herr
+Lammwirt", sagte er, "für ein so schönes Geld. Es wundert mich, dass
+Ihr nicht schon lang ein reicher Mann seid, wovon ich doch noch
+nichts habe rühmen hören." Der Wirt, so ein Ehrenmann war,
+antwortete auch nicht glimpflich, wie es ihm der Zorn eingab, und es
+hatte ihm schon ein paar Mal im Arme gejuckt. Als aber der
+Zirkelschmied zuletzt sagte: "Es soll mir eine Warnung sein; denn
+ich habe mein Leben lang gehört, dass man in den schlechtesten
+Kneipen, wie Euer Haus eine ist, am teuersten gehalten wird." Da gab
+ihm der Wirt eine entsetzliche Ohrfeige, die allein zwei Dukaten
+unter Brüdern wert war, und sagte, er soll jetzt sogleich seine
+Zeche bezahlen, "oder ich lasse Euch durch die Knechte bis in die
+Vorstadt hinausprügeln". Der Zirkelschmied aber lächelte und sagte:
+"Es ist nur mein Spass gewesen, Herr Lammwirt, und Euer Mittagessen
+war recht gut. Gebt mir nur für die Ohrfeige, die ich von Euch bar
+erhalten habe, zwei Gulden fünfundvierzig Kreuzer auf mein
+Mittagessen heraus, so will ich Euch nicht verklagen. Es ist besser,
+wir leben im Frieden miteinander als in Feindschaft. Hat nicht Eure
+selige Frau meiner Schwester Tochter ein Kind aus der Taufe
+gehoben?"--Zu diesen Worten machte der Lammwirt ein paar kuriose
+Augen; denn er war sonst ein gar unbescholtener und dabei
+wohlhabender Mann und wollte lieber viel Geld verlieren, als wegen
+eines Frevels von der Obrigkeit sich strafen lassen und nur eine
+Stunde des Turnhüters Hausmann sein. Deswegen dachte er: zwei Gulden
+und fünfzehn Kreuzer hat mir der Halunke schon mit Essen und Trinken
+abverdient; ringer, ich gebe ihm noch zwei Gulden fünfundvierzig
+Kreuzer drauf, als dass ich das Ganze noch einmal bezahlen muss und
+werde beschimpft dazu. Also gab er ihm die 2 fl. 45 kr., sagte aber:
+"Jetzt komm mir nimmer ins Haus!"
+
+Drauf, sagt man, habe es der Zirkelschmied in andern Wirtshäusern
+probiert, und die Ohrfeigen seien noch ein- oder zweimal al pari
+gestanden, wie die Kaufleute sagen, wenn ein Wechselbrief so viel
+kr. gilt, als das bare Geld, wofür er verschrieben ist. Drauf seien
+sie schnell auf 50 Prozent heruntergesunken und am Ende, wie die
+Assignaten in der Revolution, so unwert worden, dass man jetzt
+wieder durch das ganze Schwabenland hinaus bis an die bayrische
+Grenze so viele unentgeltlich ausgeben und wieder einnehmen kann,
+als man ertragen mag.
+
+
+
+Des Dieben Antwort
+
+
+Einem Dieb, der sich mit Reden mausig machen wollte, sagte jemand:
+"Was wollt Ihr? Ihr dürft ja gar nicht mehr in Eure Heimat
+zurückkehren und müsst froh sein, wenn man Euch hier duldet."--
+"Meint Ihr?" sagte der Dieb; "meine Herren daheim haben mich so
+lieb, ich weiss gewiss, wenn ich heimkäme, sie liessen mich nimmer
+fort."
+
+
+
+Des Seilers Antwort
+
+
+In Donauwörth wurde zu seiner Zeit ein Rossdieb gehenkt, und der
+Hausfreund hat schon manchmal gedacht: Wer heutzutag an den Galgen
+oder ins Zuchthaus will, wozu braucht der ein Ross zu stehlen? Kommt
+man nicht zu Fuss früh genug? Der Donauwörther hat auch geglaubt,
+der Galgen laufe ihm davon, wenn er nicht reite; und ist das Ross
+einem ungeschickten Dieb in die Hände gefallen, so fiel der Dieb
+einem ungeschickten Henkersknecht in die Hände. Denn als er ihm das
+hänfene Halsband hatte angelegt und stiess ihn von der Leiter vom
+Seigel herunter, so zuckte er noch lange mit den Augen hin und her,
+als wenn er sich noch ein Rösslein aussuchen wollte in der Menge.
+Denn unter den Zuschauern waren viele zu Pferd und auf Leiterwägen
+und dachten: man sieht's besser. Als aber das Volk anfing laut zu
+murren, und der ungeschickte Henker wusste sich nicht zu helfen, so
+warf er sich endlich in der Angst an den Gehenkten hin, umfasste ihn
+mit beiden Armen, als wenn er wollte von ihm Abschied nehmen, und
+zog mit aller Kraft, damit die Schlinge fest zusammengehen und ihm
+den Atem töten sollte. Da brach der Strick entzwei, und fielen beide
+miteinander auf die Erde hinab, als wenn sie nie wären droben
+gewesen. Der Missetäter lebte noch, und sein Advokat hat ihn nachher
+gerettet. Denn er sagte: "Der Malefikant hat nur ein Ross gestohlen,
+nicht zwei, so hat er auch nur einen Strick verdient", und hat
+hinten dran viel lateinische Buchstaben und Zahlen gesetzt, wie
+sie's machen. Der Henker aber, als er nachmittags den Seiler sah,
+fuhr ihn ungebärdig an: "Ist das auch ein Strick gewesen?" sagte er,
+"man hätt' Euch selber dran henken sollen." Der Seiler aber wusste
+zu antworten: " Es hat mir niemand gesagt", sagte der Seiler, "dass
+er zwei Schelmen tragen soll. Für einen war er stark genug, du oder
+der Rossdieb."
+
+
+
+Die Bekehrung
+
+
+Zwei Brüder im Westfälinger Land lebten miteinander in Frieden und
+Liebe, bis einmal der jüngere lutherisch blieb und ältere katholisch
+wurde. Als der jüngere lutherisch blieb und der ältere katholisch
+wurde, taten sie sich alles Herzeleid an. Zuletzt schickte der Vater
+den katholischen als Ladendiener in die Fremde. Erst nach einigen
+Jahren schrieb er zum ersten Mal an seinen Bruder. "Bruder", schrieb
+er, "es geht mir doch im Kopf herum, dass wir nicht Einen Glauben
+haben, und nicht in den nämlichen Himmel kommen sollen, vielleicht
+in gar keinen. Kannst du mich wieder lutherisch machen, wohl und
+gut, kann ich dich katholisch machen, desto besser." Also beschied
+er ihn in den Roten Adler nach Neuwied, wo er wegen einem Geschäft
+durchreiste. "Dort wollen wir's ausmachen." In den ersten Tagen
+kamen sie nicht weit miteinander. Schalt der Lutherische: "der Papst
+ist der Antichrist", schalt der Katholische: "Luther ist der
+Widerchrist." Berief sich der Katholische auf den heiligen Augustin,
+sagte der Lutherische: "Ich hab' nichts gegen ihn, er mag ein
+gelehrter Herr gewesen sein, aber beim ersten Pfingstfest zu
+Jerusalem war er nicht dabei." Aber am Samstag ass schon der
+Lutherische mit seinem Bruder Fastenspeise. "Bruder," sagte er, "der
+Stockfisch schmeckt nicht giftig zu den durchgeschlagenen Erbsen";
+und abends ging schon der Katholische mit seinem Bruder in die
+lutherische Vesper. "Bruder," sagte er, "euer Schulmeister singt
+keinen schlechten Tremulant." Den andern Tag wollten sie miteinander
+zuerst in die Frühmesse, danach in die lutherische Predigt, und was
+sie alsdann bis von heut über acht Tage der liebe Gott vermahnt, das
+wollten sie tun. Als sie aber aus der Vesper und aus dem Grünen Baum
+nach Hause kamen, ermahnte sie Gott, aber sie verstanden es nicht.
+Denn der Ladendiener fand einen zornigen Brief von seinem Herrn.
+"Augenblicklich setzt Eure Reise fort! Hab' ich Euch auf eine
+Tridenter Kirchenversammlung nach Neuwied geschickt, oder sollt Ihr
+nicht vielmehr die Musterkarte reiten?" Und der andere fand einen
+Brief von seinem Vater: "Lieber Sohn, komm heim sobald du kannst, du
+musst spielen." Also gingen sie noch den nämlichen Abend
+unverrichteter Sachen auseinander, und dachten jeder für sich nach,
+was er von dem andern gehört hatte. Nach sechs Wochen schreibt der
+jüngere dem Ladendiener einen Brief "Bruder, deine Gründe haben mich
+unterdessen vollkommen überzeugt. Ich bin jetzt auch katholisch. Den
+Eltern ist es insofern recht. Aber dem Vater darf ich nimmer unter
+die Augen kommen." Da ergriff der Bruder voll Schmerz und Unwillen
+die Feder. "Du Kind des Zorns und der Ungnade, willst du denn mit
+Gewalt in die Verdammnis rennen, dass du die seligmachende Religion
+verleugnest? Gestrigs Tags bin ich wieder lutherisch worden." Also
+hat der katholische Bruder den lutherischen bekehrt, und der
+lutherische hat den katholischen bekehrt, und war nachher wieder wie
+vorher, höchstens ein wenig schlimmer.
+
+Merke: du sollst nicht über die Religion grübeln und düfteln, damit
+du nicht deines Glaubens Kraft verlierst. Auch sollst du nicht mit
+Andersdenkenden darüber disputieren, am wenigsten mit solchen, die
+es ebensowenig verstehen als du, noch weniger mit Gelehrten, denn
+die besiegen dich durch ihre Gelehrsamkeit und Kunst, nicht durch
+deine Überzeugung. Sondern du sollst deines Glaubens leben und, was
+gerade ist, nicht krumm machen. Es sei dann, dass dich dein Gewissen
+selber treibt zu schanschieren.
+
+
+
+Die Besatzung von Oggersheim
+
+
+Zu Oggersheim, gegenüber von Mannheim, um die Wahl etwas weiter oben
+oder unten, je nachdem man sich stellt, als im Dreissigjährigen
+Krieg unversehens die Spaniolen vor Oggersheim anrückten, flohen
+fast alle Einwohner nach Mannheim. Nur zwanzig Hausväter blieben
+zurück und hatten das Herz, die Zugbrücke aufzuziehen und die Tore
+zu schliessen. Es gehört nicht viel Herz zum Schliessen, aber zum
+Öffnen. Denn als der spanische Feldhauptmann Don Gonsalva
+hineintrompeten liess: "Wenn ihr bis morgen um diese Zeit den Platz
+nicht übergebt", liess er hineintrompeten, "alsdann gebt acht, wer
+am Leben bleibt, wenn ich den spanischen Sturmmarsch schlagen lasse
+und doch hineinkomme", da sahen die Helden einander an und sagten:
+"Der Weg nach Mannheim ist doch der sicherste." Nur einer dachte:
+"Was soll ich tun? Meine Frau steht an ihrem Ziel. Soll sie
+unterwegs oder gar auf dem Rhein ins Kindbett kommen? In Gottes
+Namen, ich bleibe da." Als nun die andern alle sich geflüchtet
+hatten und er noch allein in dem Städtlein war, trat er mit einem
+weissen Fähnlein auf die Stadtmauer und rief in das spanische Lager:
+"Kund und zu wissen sei euch im Namen des Herrn Kommandanten von
+Oggersheim, der Garnison und der ehrsamen Bürgerschaft! Ihr sollt
+uns versprechen, das Eigentum zu schonen und die protestantische
+Religion unangefochten zu lassen. Wenn ihr dieses tut und halten
+wollt, so sollen euch in einer Stunde die Stadttore geöffnet werden.
+Ich, der Trompeter."--Da sahen der Feldhauptmann und seine Leute
+einander an. ja, Nein--Nein, ja. "Was sollen wir katholisches Blut
+vergiessen lassen", sagte endlich der Feldhauptmann, "um einen
+ketzerischen Altar umzuwerfen, oder was werden wir in diesem
+Bauernstädtlein für Schätze finden?" und rief mit lauter Stimme:
+"Akkordiert!" Nach einer Stunde, als der Feind mit geschlossenen
+Reihen und Gliedern, mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel
+einzog, am äussern Tor war niemand.--"Sie werden am innern sein."
+Am innern Tor war auch niemand.--"Sie werden auf dem Platz sein."
+Auf dem Platz stand mutterseelallein mit dem weissen Fähnlein der
+herzhafte Burgersmann.--"Was soll das heissen? Wo ist der
+Kommandant und die Besatzung, wo ist der Burgermeister und der Rat?"
+Da fiel der Burgersmann vor dem Feldhauptmann auf die Kniee nieder:
+"Gnädiger Herr, ich bin der einzige, der sich Euerer Grossmut
+anvertraut hat. Die andern sind nach Euerer Aufforderung alle nach
+Mannheim geflohen. Nur meine Frau ist noch bei mir im Städtlein,
+aber ein ellenlanger Rekrut wird nächster Tagen eintreffen.
+
+Unterdessen bin ich mein eigener Kommandant und mein Trompeter, mein
+Gemeiner und mein Profoss. Wenn ich seit gestern hätte desertieren
+wollen, ich hätte mich selber wieder einfangen und Spiessruten jagen
+müssen." Da lächelte der Feldhauptmann und hiess ihn aufstehn, und
+obgleich die Spanier zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges keinen
+Spass verstanden, so leistete er doch, was er versprochen hatte, und
+noch mehr. Denn als den andern Morgen der brave Burgersmann wieder
+zu dem Feldhauptmann kam, "Ihro Gnaden", sagte er, "wolltet Ihr mir
+nicht auf eine Viertelstunde Euern Peldpater leihen, wenn er
+evangelisch taufen kann? Der ellenlange Rekrut ist angekommen und
+schon einquartiert", da sagte der Feldhauptmann: "Ja, braver
+Kamerad, und ich will Gevattermann sein und dein Kind zur Taufe
+halten." Also hielt der General das Kind zur Taufe und schenkte ihm
+ein spanisches Goldstück zum Andenken. Den folgenden Tag zogen die
+Spaniolen wieder weiters.
+
+
+
+Die drei Diebe
+
+
+Der geneigte Leser wird ermahnt, nicht alles für wahr zu halten, was
+in dieser Erzählung vorkommt. Doch ist sie in einem schönen Buch
+beschrieben und zu Vers gebracht.
+
+Der Zundelheiner und der Zundelfrieder trieben von Jugend auf das
+Handwerk ihres Vaters, der bereits am Auerbacher Galgen mit des
+Seilers Tochter kopuliert war, nämlich mit dem Strick; und ein
+Schulkamerad, der rote Dieter, hielt's auch mit und war der Jüngste
+Doch mordeten sie nicht und griffen keine Menschen an, sondern
+visitierten nur so bei Nacht in den Hühnerställen und, wenn's
+Gelegenheit gab, in den Küchen, Kellern und Speichern, allenfalls
+auch in den Geldtrögen, und auf den Märkten kauften sie immer am
+wohlfeilsten ein. Wenn's aber nichts zu stehlen gab, so übten sie
+sich untereinander mit allerlei Aufgaben und Wagstücken, um im
+Handwerk weiterzukommen. Einmal im Wald sieht der Heiner auf einem
+hohen Baum einen Vogel auf dem Nest sitzen, denkt, er hat Eier, und
+fragt die andern: "Wer ist imstand und holt dem Vogel dort oben die
+Eier aus dem Nest, ohne dass es der Vogel merkt?" Der Frieder wie
+eine Katze klettert hinauf, naht sich leise dem Nest, bohrt langsam
+ein Löchlein unten drein, lässt ein Eilein nach dem andern in die
+Hand fallen, flickt das Nest wieder zu mit Moos und bringt die Eier.
+- "Aber wer dem Vogel die Eier wieder unterlegen kann",--sagte
+jetzt der Frieder, "ohne dass es der Vogel merkt!" Da kletterte der
+Heiner den Baum hinan, aber der Frieder kletterte ihm nach, und
+während der Heiner dem Vogel langsam die Eier unterschob, ohne dass
+es der Vogel merkte, zog der Frieder dem Heiner langsam die Hosen
+ab, ohne dass es der Heiner merkte. Da gab es ein gross Gelächter,
+und die beiden andern sagten: "Der Frieder ist der Meister." Der
+rote Dieter aber sagte: "Ich sehe schon, mit euch kann ich's nicht
+zugleich tun, und wenn's einmal zu bösen Häusern geht und der Letze
+kommt über uns, so ist's mir nimmer Angst für euch, aber für mich."
+Also ging er fort, wurde wieder ehrlich und lebte mit seiner Frau
+arbeitsam und häuslich. Im Spätjahr, als die zwei andern noch nicht
+lang auf dem Rossmarkt ein Rösslein gestohlen hatten, besuchten sie
+einmal den Dieter und fragten ihn, wie es ihm gehe; denn sie hatten
+gehört, dass er ein Schwein geschlachtet, und wollten ein wenig
+achtgeben, wo es liegt. Es hing in der Kammer an der Wand. Als sie
+fort waren, sagte der Dieter: "Frau, ich will das Säulein in die
+Küche tragen und die Mulde drauf decken, sonst ist es morgen nimmer
+unser." In der Nacht kommen die Diebe, brechen, so leise sie können,
+die Mauer durch, aber die Beute war nicht, mehr da. Der Dieter merkt
+etwas, steht auf, geht um das Haus und sieht nach. Unterdessen
+schleicht der Heiner um das andere Eck herum ins Haus bis zum Bett,
+wo die Frau lag, nimmt ihres Mannes Stimme an und sagt: "Frau, die
+Sau ist nimmer in der Kammer." Die Frau sagt: "Schwätz' nicht so
+einfältig! Hast du sie nicht selber in die Küche unter die Mulde
+getragen?" "Ja so", sagte der Heiner, "drum bin ich halber im
+Schlaf" und ging, holte das Schwein und trug es unbeschrieen fort,
+wusste in der finstern Nacht nicht, wo der Bruder ist, dachte, er
+wird schon kommen an den bestellten Platz im Wald. Und als der
+Dieter wieder ins Haus kam und nach dem Säulein greifen will,
+"Frau", rief er, "jetzt haben's die Galgenstricke doch geholt."
+
+Allein so geschwind gab er nicht gewonnen, sondern setzte den Dieben
+nach, und als er den Heiner einholte (es war schon weit vom Hause
+weg), und als er merkte, dass er allein sei, nahm er schnell die
+Stimme des Frieders an und sagte: "Bruder, lass jetzt mich das
+Säulein tragen, du wirst müde sein." Der Heiner meint, es sei der
+Bruder, und gibt ihm das Schwein, sagt, er wolle vorausgehn in den
+Wald und ein Feuer machen. Der Dieter aber kehrte hinter ihm um,
+sagte für sich selber: "Hab' ich dich wieder, du liebes Säulein!"
+und trug es heim. Unterdessen irrte der Frieder in der Nacht herum,
+bis er im Wald das Feuer sah, und kam und fragte den Bruder: "Hast
+du die Sau, Heiner?" Der Heiner sagte: "Hast du sie denn nicht,
+Frieder?" Da schauten sie einander mit grossen Augen an und hätten
+kein so prasselndes Feuer von buchenen Spänen gebraucht zum
+Nachtkochen. Aber desto schöner prasselte jetzt das Feuer daheim in
+Dieters Küche. Denn das Schwein wurde sogleich nach der Heimkunft
+verhauen und Kesselfleisch über das Feuer getan. Denn der Dieter
+sagte: "Frau, ich bin hungrig, und was wir nicht beizeiten essen,
+holen die Schelmen doch." Als er sich aber in einen Winkel legte und
+ein wenig schlummerte, und die Frau kehrte mit der eisernen Gabel
+das Fleisch herum und schaute einmal nach der Seite, weil der Mann
+im Schlaf so ängstlich seufzte, kam eine zugespitzte Stange langsam
+durch das Kamin herab, spiesst das beste Stück im Kessel an und
+zog's herauf; und als der Mann im Schlaf immer ängstlicher winselte
+und die Frau immer emsiger nach ihm sah, kam die Stange zum zweiten
+Mal und zum dritten Mal; und als die Frau den Dieter weckte: "Mann,
+jetzt wollen wir anrichten", da war der Kessel leer, und wär'
+ebenfalls kein so grosses Feuer nötig gewesen zum Nachtkochen. Als
+sie aber beide schon im Begriff waren, hungrig ins Bett zu gehen,
+und dachten: Will der Henker das Säulein holen, so können wir's ja
+doch nicht heben, da kamen die Diebe vom Dach herab, durch das Loch
+der Mauer in die Kammer und aus der Kammer in die Stube und brachten
+wieder, was sie gemaust hatten. Jetzt ging ein fröhliches Leben an.
+Man ass und trank, man scherzte und lachte, als ob man gemerkt
+hätte, es sei das letzte Mal, und war guter Dinge, bis der Mond im
+letzten Viertel über das Häuslein wegging und zum zweiten Mal im
+Dorf die Hahnen krähten und von weitem der Hund des Metzgers bellte.
+Denn die Strickreiter waren auf der Spur, und als die Frau des roten
+Dieters sagte: "Jetzt ist's einmal Zeit ins Bett", kamen die
+Strickreiter von wegen des gestohlenen Rössleins und holten den
+Zundelheiner und den Zundelfrieder in den Turn und in das Zuchthaus.
+
+
+
+Die falsche Schätzung
+
+
+Reiche und vornehme Leute haben manchmal das Glück, wenigstens von
+ihren Bedienten die Wahrheit zu hören, die ihnen nicht leicht ein
+anderer sagt.
+
+Einer, der sich viel auf seine Person und auf seinen Wert und nicht
+wenig auf seinen Kleiderstaat einbildete, als er sich eben zu einer
+Hochzeit angezogen hatte und sich mit seinen fetten, roten Backen im
+Spiegel beschaute, dreht er sich vom Spiegel um und fragt seinen
+Kammerdiener, der ihn von der Seite her wohlgefällig beschaute:
+"Nun, Thadde", fragte er ihn, "wie viel mag ich wohl wert sein, wie
+ich dastehe?" Der Thadde machte ein Gesicht, als wenn er ein halbes
+Königreich zu schätzen hätte, und drehte lang die rechte Hand mit
+ausgestreckten Fingern so her und so hin. "Doch auch
+fünfhundertundfünfzig Gulden", sagte er endlich, "weil doch
+heutzutag alles teurer ist als sonst." Da sagte der Herr: "Du dummer
+Kerl, glaubst du nicht, dass mein Gewand, das ich anhabe, allein
+seine fünfhundert Gulden wert ist?" Da trat der Kammerdiener ein
+paar Schritte gegen die Stubentüre zurück und sagte: "Verzeiht mir
+meinen Irrtum, ich hab's etwas höher angeschlagen, sonst hätt' ich
+nicht so viel herausgebracht."
+
+
+
+Die gute Mutter
+
+
+Im Jahre 1796, als die französische Armee nach dem Rückzug aus
+Deutschland jenseits hinab am Rhein lag, sehnte sich eine Mutter in
+der Schweiz nach ihrem Kind, das bei der Armee war, und von dem sie
+lange nichts erfahren hatte, und ihr Herz hatte daheim keine Ruhe
+mehr. "Er muss bei der Rheinarmee sein", sagte sie, "und der liebe
+Gott, der ihn mir gegeben hat, wird mich zu ihm führen", und als sie
+auf dem Postwagen zum St. Johannistor in Basel heraus und an den
+Rebhäusern vorbei ins Sundgau gekommen war, treuherzig und redselig,
+wie alle Gemüter sind, die Teilnehmung und Hoffnung bedürfen, und
+die Schweizer ohnedem, erzählte sie ihren Reisegefährten bald, was
+sie auf den Weg getrieben hatte. "Find' ich ihn in Kolmar nicht, so
+geh' ich nach Strassburg, find' ich ihn in Strassburg nicht, so geh'
+ich nacher Mainz." Die andern sagten das dazu und jenes und einer
+fragte sie: "Was ist denn Euer Sohn bei der Armee? Major?" Da wurde
+sie fast verschämt in ihrem Inwendigen. Denn sie dachte, er könnte
+wohl Major sein oder so etwas, weil er immer brav war, aber sie
+wusste es nicht. "Wenn ich ihn nur finde", sagte sie, "so darf er
+auch etwas weniger sein, denn er ist mein Sohn." Zwei Stunden
+herwärts Kolmar aber, als schon die Sonne sich zu den Elsässer
+Bergen neigte, die Hirten trieben heim, die Kamine in den Dörfern
+rauchten, die Soldaten in dem Lager nicht weit von der Strasse
+standen partienweise mit dem Gewehr beim Fuss, und die Generale und
+Obersten standen vor dem Lager beisammen, diskurierten miteinander,
+und eine junge, weissgekleidete Person von weiblichem Geschlecht und
+feiner Bildung stand auch dabei und wiegte auf ihren Armen ein Kind.
+Die Frau im Postwagen sagte: "Das ist auch keine gemeine Person, da
+sie nahe bei den Herren steht. Was gilt's, der, wo mit ihr redet,
+ist ihr Mann." Der geneigte Leser fängt allbereits an, etwas zu
+merken, aber die Frau im Postwagen merkte noch nichts. Ihr
+Mutterherz hatte keine Ahndung, so nahe sie an ihm vorbeigefahren
+war, sondern bis nach Kolmar hinein war sie still und redete nimmer.
+In der Stadt im Wirtshaus, wo schon eine Gesellschaft an der
+Mahlzeit sass, und die Reisegefährten setzten sich auch noch, wo
+Platz war, da war ihr Herz erst recht zwischen Bangigkeit und
+Hoffnung eingeengt, da sie jetzt etwas von ihrem Sohn erfahren
+könnte, ob ihn niemand kenne, und ob er noch lebe, und ob er etwas
+sei, und hatte doch den Mut fast nicht zu fragen. Denn es gehört
+Herz dazu, eine Frage zu tun, wo man das Ja so gerne hören möchte,
+und das Nein ist doch so möglich. Auch meinte sie, jedermann merke
+es, dass es ihr Sohn sei, nach dem sie frage, und dass sie hoffe, er
+sei etwas geworden. Endlich aber, als ihr der Diener des Wirts die
+Suppe brachte, hielt sie ihn heimlich an dem Rocke fest und fragte
+ihn: "Kennt Ihr nicht einen bei der Armee, oder habt Ihr nicht von
+einem gehört, so und so?" Der Diener sagt: "Das ist ja unser
+General, der im Lager steht. Heute hat er bei uns zu Mittag
+gegessen", und zeigte ihr den Platz. Aber die gute Mutter gab ihm
+wenig Gehör darauf, sondern meinte, es sei Spass; der Diener ruft
+den Wirt. Der Wirt sagt: "Ja, so heisst der General." Ein Offizier
+sagte auch: "Ja, so heisst unser General", und auf ihre Fragen
+antwortete er: "Ja, so alt kann er sein", und "Ja, so sieht er aus
+und ist von Geburt ein Schweizer." Da konnte sie sich nicht mehr
+halten vor inwendiger Bewegung und sagte "Es ist mein Sohn, den ich
+suche"; und ihr ehrliches Schweizergesicht sah fast ein wenig
+einfältig aus vor unverhoffter Freude und vor Liebe und Scham. Denn
+sie schämte sich, dass sie eines Generals Mutter sein sollte vor so
+vielen Leuten, und konnte es doch nicht verschweigen. Aber der Wirt
+sagte: "Wenn das so ist, gute Frau, so lasst herzhaft Eure Bagage
+abladen ab dem Postwagen, und erlaubt mir, dass ich morgen in aller
+Frühe ein Kaleschlein anspannen lasse und Euch hinausführe zu Eurem
+Herrn Sohn in das Lager." Am Morgen, als sie in das Lager kam und
+den General sah, ja, so war es ihr Sohn, und die junge Frau, die
+gestern mit ihm geredet hatte, war ihre Schwiegertochter, und das
+Kind war ihr Enkel. Und als der General seine Mutter erkannte und
+seiner Gemahlin sagte: "Das ist sie", da küssten und umarmten sie
+sich, und die Mutterliebe und die Kindesliebe und die Hoheit und die
+Demut schwammen ineinander und gossen sich in Tränen aus, und die
+gute Mutter blieb lange in ungewöhnlicher Rührung, fast weniger,
+dass sie heute die Ihrigen fand, als darüber, dass sie sie gestern
+schon gesehen hatte.--Als der Wirt zurückkam, sagte er, das Geld
+regne zwar nirgends durch das Kamin herab, aber nicht zweihundert
+Franken nähme er darum, dass er nicht zugesehen hätte, wie die gute
+Mutter ihren Sohn erkannte und sein Glück sah; und der Hausfreund
+sagt: Es ist die schönste Eigenschaft weitaus im menschlichen
+Herzen, dass es so gerne zusieht, wenn Freunde oder Angehörige
+unverhofft wieder zusammenkommen, und dass es allemal dazu lächeln
+oder vor Rührung mit ihnen weinen muss, nicht ob es will.
+
+
+
+Die lachenden Jungfrauen
+
+
+Wer weiss, wo Saratow liegt? Der Hausfreund hat viel Bücher. Er
+weiss alles. Saratow liegt weit gegen Sonnenaufgang in das wilde
+Asien hinein und ist ebenfalls der Sitz einer russischen
+Statthalterschaft, nämlich wie Pensa, und war im Jahr 1812 ebenfalls
+der Sammelplatz, wo viel Tausend unglückliche Kriegsgefangene
+abgegeben und dann tiefer hineingeführt wurden in das Elend.
+Ein Transport von gefangenen Deutschen wird eines Tages eingebracht.
+Eine Menge von Einwohnern, wie zu geschehen pflegt, stehen auf den
+Gassen; die Neugierigen schauten, der Übermut trotzte und spottete,
+die Rachsucht fluchte und schimpfte. Keine Hand bot sich zur Pflege
+der kranken, der verwundeten, der verschmachtenden Fremdlinge an,
+eher zu etwas anderm. Niemand wehrte ihnen. Denn die
+Kriegsgefangenschaft spinnt keine Seide, und man kann nicht glauben,
+wie erbittert damals die Russen über ihre Feinde waren, und keiner
+wurde vorher gefragt, ob er zu den Schlimmen gehöre, sondern man
+nahm ihn dafür. Aber einem wohlbetagten Hauptmann und seinem
+Leutnant begegnete etwas Merkwürdiges. Denn eben als der Hauptmann
+den Leutnant an der Hand ergriff und ihn trösten wollte: "Fasse
+dich, junges Blut, auch das wird vorübergehen und ein Ende nehmen,
+mit dem Frieden oder mit dem Tode",--in dem Augenblicke hören sie
+zunächst vor sich ein mutwilliges Lachen, und indem sie
+unwillkürlich aufschauen,--sie hätten's bereits können gewohnt
+sein,--was erblicken ihre Augen? In einem vornehmen russischen
+Gefährt zwei Jungfrauen, schön wie zwei Sonnen, lieblich wie der
+Frühlingstag, wenn die Rosen blühen. Beide Teile schauten einander
+an, aber ob auch die Jungfrauen sich wollten Gewalt antun, sie
+konnten sich nicht erwehren, und trat auch eine die andere auf den
+Fuss, so ward's nur ärger. Das griff schmerzhaft den sonst
+vielgeprüften Mut des bejahrten Hauptmanns an. Noch so jung, dachte
+er, und schon so entartet, und der Leutnant dachte: so schön und
+doch so grausam, und der Schmerz des einen brach in eine Träne, der
+Unmut des andern aber in Worte aus: "Töchter dieses unwirtlichen
+Landes", fing der Hauptmann an, "ihr versteht zwar meine Rede
+nicht", die Jungfrauen lachten aufs neue,--"aber wollte Gott, ihr
+verstündet sie", da lachten auf einmal die Jungfrauen nicht mehr.
+"Gar unfein", fuhr der Hauptmann fort, "steht das euerem
+Geschleckte, euerer Jugend und euren schönen Kleidern an, an dem
+Jammer schuldloser Menschen eure Augen zu weiden und mit solchem
+Hohngelächter unsere Herzen zu durchschneiden." Da fiel ihm errötend
+die ältere der Jungfrauen in das Wort, sie war ungefähr 18 Jahre alt
+und die jüngere 17, und redete die Unglücklichen zu ihrem Erstaunen
+ebenfalls deutsch an, mitten in Saratow und mitten in Russland, mehr
+als 1000 Stunden weit von der Heimat deutsch. "Edle Fremdlinge",
+sagte sie, sanft wie ein Engel und mit tiefbewegter Stimme, "sprecht
+nicht also, dass wir gekommen seien, unsere Augen an euerem Elende
+zu weiden und euere Herzen durch Verhöhnung zu martern, die wir die
+Absicht haben, euch zu bitten, dass ihr mit uns gehen wollet in die
+Wohnung unserer Eltern und Pflege und Liebe anzunehmen, bis die
+Engel des Friedens euch zurückführen mögen zu euren Fahnen oder in
+die Umarmungen eurer Angehörigen, dass ihr bei ihnen glücklich sein
+möget alle Tage eures Lebens." Ihr entgegnete hinwiederum erstaunt
+über diese Worte der Hauptmann: "Edle Jungfrauen, wes herrlichen
+Geschlechts Töchter ihr sein möget, wenn dem also ist, wie ihr
+saget, so vertrauen wir uns eurer Einladung an, die ihr aus
+deutschem Blute entsprossen scheint, so ihr das Unrecht verzeihen
+könnt; womit mein Schmerz euch beleidigt hat."
+
+Als sie aber in den Wagen einstiegen, und der Hauptmann wollte; wie
+es sich traf, neben die ältere der Jungfrauen sitzen, widerfuhr
+ihnen noch etwas Apartes, denn es zog ihn die jüngere sanft auf ihre
+Seite: "Verzeiht mir", sagte sie; "edler Fremdling, meine Ansprüche
+auf Euch sind mir zu wert. Meine Freundin hat kein Recht an Euch."
+Und zu dem Leutnant sprach die ältere ebenfalls: "Meine Freundin hat
+kein Recht an Euch",--und zog ihn sanft und sittsam an ihre Seite.
+Den zwei Kriegsgefangenen aber war alles recht, denn auch jedem
+andern hätte die Wahl zwischen beiden schönen Jungfrauen schwerer
+sein müssen als jeder andern Jungfrau die Wahl zwischen einem
+fünfzigjährigen Mann und einem zwanzigjährigen Jüngling.
+
+Fragt sich nun: wer waren die Jungfrauen, und wo führten sie ihre
+Gefangenen hin? Antwort: Es leben in Saratow zwei reiche und
+angesehene deutsche Familienväter; der Deutsche kommt, wie das
+Quecksilber, überall durch, wenn er schon keins ist. Beide Familien
+waren des Abends vorher wie gewöhnlich beisammen und sprachen von
+allerlei. "Ist's wahr",--sagte der eine,--"dass morgen deutsche
+Kriegsgefangene ankommen?"--"Sie sind schon angesagt", erwiderte
+man ihm.--"Die armen Menschen haben einen schweren Gang",--sprach
+wehmütig eine der Mütter. Da trat die ältere Jungfrau ihren Vater
+an: "Werden wir auch einen bekommen, mein Vater? Wie sorglich wollte
+ich gleich einer Tochter oder Schwester sein pflegen und ihn
+trösten." Der Vater erwiderte: "Den Gefangenen bettet man nicht auf
+Rosen. Sie werden in den Vorstädten in den dürftigsten Hütten
+untergebracht."--"Oder wolltet Ihr denn nicht selbst einen einladen
+oder Euch einen ausbitten von dem Hauptmann ihrer Bewachung?"--"Das
+könnte mir wohl übel gedeutet werden", erwiderte der Vater, "sie
+sind Feinde des Vaterlandes, in welches wir selbst als Fremdlinge
+aus ihrer Heimat sind aufgenommen worden. Wir dürfen die Feinde
+nicht als unsere Landsleute erkennen. Doch wenn einen von ihnen mir
+das Schicksal ohne mein Zutun entgegenführt, will ich mich seiner
+nicht entschlagen", und ebenso sprach auch der Vater der andern
+Jungfrau. Da redeten die beiden Töchter miteinander, und
+leichtsinnig und gutmütig, wie die Jugend ist, beschlossen sie, wenn
+die Gefangenen kämen, zu tun, was sie taten.
+
+Anfänglich fuhren sie ein wenig um den Transport herum, wie wenn man
+auf den Jahrmarkt geht, um einzukaufen. Man sieht zuerst die Waren
+an, was da ist, ehe man auf Geratewohl kauft, das Nächste, das
+Beste. Als aber die Jungfrauen den Hauptmann erblickten, wie er
+dastand, wenig gebeugt von seinen Leiden, und angeschmiegt an ihn
+den Jüngling, den Leutnant, den das Schicksal zum ersten Mal in die
+Schule der Prüfung genommen hatte, und zwar gleich in die oberste
+Klasse, sagten sie zueinander, "diese zwei wollen wir nehmen."--
+"Willst du den Alten?" sagte scherzhaft die jüngere. "Oder willst du
+ihn?" sagte zu ihr ihre Freundin. Da nahm die jüngere zwei
+Stecknadeln aus ihrem Busengewand, eine längere und eine kürzere,
+und zogen miteinander das Hälmlein mit Stecknadeln. Als aber die
+ältere den Leutnant zog und die jüngere den Hauptmann behielt, in
+dem Augenblick, als dieser sagte, "auch das wird ein Ende nehmen",--
+lachten die Jungfrauen. Denn diesen Erbschatz teilt noch die
+Kindheit mit der Jugend, dass Schmerz und Freude leichter an ihr
+vorübergehen und in schnellern Ablösungen miteinander wechseln.
+Hernach aber, als der Hauptmann so ernsthaft sie anredete, "euer Ohr
+versteht zwar meine Rede nicht", lachten sie von neuem. Denn wenn
+man einmal darin ist, man muss; und das Gefühl, dass es unschicklich
+sei, hilft nur dazu, die Unschicklichkeit zu begehen. Aber als sie
+den Schmerz erkannten, mit dem er nach einem süssen deutschen Wort
+in dieser fremden Welt wie nach einem Almosen seufzte, und sie
+hatten's in ihrem milden Herzen und konnten's ihm geben und waren
+deswegen da, da lachten sie nicht mehr und boten ihnen in deutscher
+Sprache und Rede die Pflege und Liebe ihrer Eltern an und führten
+sie zu ihnen. Die Väter hoben zwar die Finger gegen ihre Töchter auf
+"Was habt ihr getan!" aber im Herzen waren sie es froh. Sie zeigten
+sogleich der Obrigkeit an, was geschehen war, und der
+menschenfreundliche Statthalter gab ihnen gerne die Erlaubnis, auf
+ihre Bürgschaft zwar, ihre gefangenen Landsleute bei sich zu
+behalten bis auf ein Weiteres.
+
+Da gebrach ihnen auf einmal nichts mehr, da waren sie auf einmal
+aller ihrer Leiden quitt, da verzogen sich alle ihre Bekümmernisse.
+Der Hauptmann in dem Hause, das ihn aufgenommen hatte, wurde
+angesehen und geliebt als ein Bruder, der Leutnant in dem seinigen
+als ein Sohn, von seiner schönen Retterin auch noch ein wenig
+anderst, nämlich ebenso wie sie von ihm, bis die Engel des Friedens
+kamen. Als aber die Engel des Friedens kamen, schangschierte der
+Leutnant seinen Glauben, nämlich, dass er in der Uniform sterben
+werde. Er verschaffte sich den Abschied von seinem Regiment und
+freut sich jetzt als Gatte der Liebe und der Jugend seiner schönen
+Retterin. Der Hauptmann aber trennte sich von diesen edeln Menschen
+und von seinem jungen Freund mit einer Rührung und mit einem
+Schmerz, der mehr Tränen als Worte hat, und kam wohlbehalten wieder
+in Deutschland und bei den Seinigen an, und wer ihn sah und vorher
+gekannt hatte, wunderte sich sein. "Ei, wie seid Ihr so jung
+geworden, Herr Hauptmann, in Eurer Gefangenschaft, Euch muss es
+nicht übel gegangen sein."
+
+Der geneigte Leser darf an der Wahrheit dieser Erzählung nicht
+zweifeln, denn der Hausfreund hat sie aus dem zweiten Mund. Nämlich
+der Hauptmann hat sie selbst einem rheinländischen Herrn
+Kriegsobristen also mitgeteilt, der auch weiss, wie man über die
+Berezina geht, und von dem Kriegsobristen aber hat sie der
+Hausfreund und hat seitdem schon manches Täublein mit ihm verzehrt
+und schon manches Schöpplein mit ihm herausgemacht, Fuchs oder Has.
+
+
+
+Die leichteste Todesstrafe
+
+
+Man hat gemeint, die Guillotine sei's. Aber nein! Ein Mann, der
+sonst seinem Vaterland viele Dienste geleistet hatte und bei dem
+Fürsten wohl angeschrieben war, wurde wegen eines Verbrechens, das
+er in der Leidenschaft begangen hatte, zum Tode verurteilt. Da half
+nicht Bitten, nicht Beten. Weil er aber sonst bei dem Fürsten wohl
+angeschrieben war, liess ihm derselbe die Wahl, wie er am liebsten
+sterben wolle; denn welche Todesart er wählen würde, die sollte ihm
+werden. Also kam zu ihm in den Turn der Oberamtsschreiber: "Der
+Herzog will Euch eine Gnade erweisen. Wenn Ihr wollt gerädert sein,
+will er Euch rädern lassen; wenn Ihr wollt gehenkt sein, will er
+Euch henken lassen. Es hängen zwar schon zwei am Galgen, aber
+bekanntlich ist er dreischläferig. Wenn Ihr aber wollt lieber
+Rattenpulver essen, der Apotheker hat. Denn welche Todesart Ihr
+wählen werdet, sagt der Herzog, die soll Euch werden. Aber sterben
+müsst Ihr, das werdet Ihr wissen." Da sagte der Malefikant: "Wenn
+ich denn doch sterben muss, das Rädern ist ein biegsamer Tod, und
+das Henken, wenn besonders der Wind geht, ein beweglicher. Aber Ihr
+versteht's doch nicht recht. Meines Orts, ich habe immer geglaubt,
+der Tod aus Altersschwäche sei der sanfteste, und den will ich denn
+auch wählen, und keinen andern", und dabei blieb er und liess sich's
+nicht ausreden. Da musste man ihn wieder laufen und fortleben
+lassen, bis er an Altersschwäche selber starb. Denn der Herzog
+sagte: "Ich habe mein Wort gegeben, so will ich's auch nicht
+brechen."
+
+Dies Stücklein ist von der Schwiegermutter, die niemand gerne
+umkommen lässt, wenn sie ihn retten kann.
+
+
+
+Die nasse Schlittenfahrt
+
+
+Der Hausfreund hat viel gute Freunde am Rhein auf und ab, zwischen
+Friedlingen und Andernach, unter andern ein paar lose. Einer davon
+versteht sich gut darauf, Kissen und Säcke auszustopfen, um weich
+darauf zu sitzen, und man darf ihn rekommandieren. Zwei andere gute
+Freunde von ihm sagten zueinander an einem schönen, kalten
+Wintertag: "Wollen wir nicht auf dem Schlitten fahren?"--"Wohin?"--
+"Zum Theodor." Sie nannten ihn nur mit dem Vornamen. Theodor heisst
+er mit dem Vornamen. Also spannten sie den Rappen an den
+Rennschlitten und legten einen Sack voll Spreu darauf, der Länge
+nach, um weicher zu sitzen. Als sie bei dem guten Freund angelangt
+waren, wurde lustig getrunken--der Wein lag ihm nie überzwerch im
+Fass--: Schliengener, Böllinger, Steinenstatter, Vierundachtziger,
+Achtziger, Vierundsiebenziger. Beim Vierundsiebenziger blieben sie
+sitzen, bis der Abendstern über dem Wasgau funkelte und die
+Bettglocken laut wurden in den Dörfern. Als die Bettglocken laut
+wurden, sagte einer von ihnen: "Jetzt will ich anspannen, unser Weg
+ist der weiteste." Der Theodor sagte: "Wahrscheinlich auch der
+krümmste. Hüst um! Dort links ist die Stubentür." Denn der Gast
+taumelte nach der Türe eines Milchschranks, in der Meinung, es sei
+die Stubentür. Als sie auf dem Schlitten noch eins genommen hatten
+zu St. Johannes' Segen und ungefähr an die Tannen gekommen waren,
+wurde es beiden nass zwischen den Beinen. Der vordere dachte: "Soll
+mir etwas passiert sein, oder ist mein Kamerad dahinten nicht
+wasserfest? Der andere dachte: Schmelzen die Spreu im Spreuersack,
+oder ist meinem Kameraden etwas passiert?--"Gevatter", stammelte
+endlich der vordere, " es scheint mir, Ihr habt's euch kommod
+gemacht. Ich hätt' Euch wohl ein paar Minuten lang das Leitseil
+halten mögen."--"Gevatter", erwiderte der andere, "mir kommt's vor,
+Ihr solltet nicht mehr saufen, als Ihr bei Euch behalten könnt."
+Während sie aber so Wortwechsel treiben und jeder die Schuld auf den
+andern warf, wurden sie immer nässer, und der Sack unter ihnen gab
+immer mehr nach, bis sie auf dem harten Brette sassen.
+
+"Mordsapperment, Ihr schwemmt mich noch über den Schlitten
+hinunter", fuhr der zweite fort.--"Oder Ihr mich", erwiderte der
+erste.--"Wenn ich nicht dasässe wie einer, der zwischen den zwei
+Buckeln eines Trampeltieres reitet, ich läge schon lange auf dem
+Boden, und die Stiefel sind mir bereits mitsamt den Füssen
+angefroren am Schlittenkufen."--"Drum eben", erwiderte der erste.
+"Woher kommt's, dass Euch das Wasser an den Beinen herabläuft?" Als
+sie aber halbsteif nach Hause gekommen waren und die Spreu aus dem
+Sacke ausleeren wollten, schoss etwas ganz anderes als Spreu heraus.
+Da sagte der eine: "Ich glaube gar, der Schalk, der Theodor, hat uns
+den Sack mit Schnee angefüllt. Darum sind wir so nass geworden." Der
+andere sagte: "Es kömmt mir auch so vor."--Es war auch so.
+
+
+
+Die Ohrfeige
+
+
+Ein Büblein klagte seiner Mutter: "Der Vater hat mir eine Ohrfeige
+gegeben." Der Vater aber kam dazu und sagte: "Lügst du wieder?
+Willst du noch eine?"
+
+
+
+Die Probe
+
+
+In einer ziemlich grossen Stadt, wo nicht alle Leute einander
+kennen, auch nicht alle Hatschiere, ging ein neu angenommener
+Hatschier in ein verdächtiges Wirtshäuslein hinein und hatte einen
+braunen Überrock an. Denn er dachte: Weil ich noch nicht lange
+angenommen bin, so kennt mich niemand, und niemand nimmt sich vor
+mir in acht; vielleicht gibt's etwas zu fischen. Ein bejahrter Mann
+in bürgerlicher Kleidung folgt ihm nach und geht auch in das
+Wirtshäuslein. Der neue Hatschier fordert einen Schoppen, der
+betagte Mann setzt sich an den nämlichen Tisch und fordert auch
+einen Schoppen. Unter ihnen und ober ihnen und an andern Tischen
+sassen mehrere Leute und sprachen in Friede und Eintracht von
+allerlei, von dem Elefant, von dem grossen Diebstahl, von den
+Kriegsoperationen. Einer zog mit dem Finger einen Strich von Wein
+über den Tisch und sagte: "Zum Exempel, dies wäre die Donau." Drauf
+legte er ein Stücklein Käsrinde daneben und sagte: "Jetzt, das wär'
+Ulm." Ein anderer, als er Ulm nennen hörte, sagte zu dem betagten
+Mann: "Ich bin von Ulm und hätte Haus und Gewerb daselbst. Aber die
+alten Zeiten sind nicht mehr." Der betagte Mann sagte: "Landsmann,
+Ulm ist überall, die guten Zeiten sind nirgends mehr", und fing an
+zu hadern und sich zu vermessen über die Zeit und über die Abgaben
+und über die Obrigkeit, wie es sich nicht geziemt. Da wurde der
+Hatschier im braunen Überrock aufmerksam und stille und sagte
+endlich: "Guter Freund, ich warne Euch." Der betagte Mann aber
+sagte: "Was habt Ihr mich zu warnen?" und trank ein Glas voll Wein
+nach dem andern aus und schimpfte über die Obrigkeit nur noch ärger.
+Der verkleidete Hatschier sagte: "Guter Freund, ich kenn' Euch
+nicht. Aber ich will Euch noch einmal gewarnt haben." Der Betagte
+erwiderte: "Warnen hin und warnen her! Was wahr ist, muss man reden
+dürfen. Was bleibt einem noch übrig als die freie Rede?" und so und
+so. Da schlug der verkleidete Hatschier den braunen Überrock zurück
+und zeigte sich, wie er war, in einem hechtgrauen Rocke mit roten
+Aufschlägen und einem Bandelier. "Jetzt, guter Freund", sagte er,
+"jetzt kommt mit mir!" Da stellte sich der Mann, als er an dem Rock
+den Hatschier erkannte, auf einmal wie umgewendet. "Guter Freund",
+sagte er, "Ihr werdet doch meinen Spass nicht für Ernst angesehen
+haben und nicht erst heute auf die Welt gekommen sein. Ich sehe
+schon", sagte er, "wir müssen eine Bouteille miteinander trinken,
+dass Ihr mich besser kennen lernt", und forderte noch eine Bouteille
+und winkte der Wirtin: "Vom Guten." Allein der Hatschier sagte: "Ich
+habe keinen Wein mit Euch zu trinken", und fasste ihn wohl oben am
+Arm, und fort zur Türe hinaus. Unterwegs fuhr der Arrestant fort zu
+reden: "Ihr meint zum Beispiel, ich sei ein Feind von Abgaben, weil
+ich über die Abgaben geschimpft habe. Aber nein, ich will Euch das
+Gegenteil beweisen, denn Ihr seid auch eine obrigkeitliche Person,
+und ich habe vor Euersgleichen Respekt." Also zog er einen
+Kronentaler aus der Tasche und wollte sich damit loskaufen. Aber der
+Hatschier sagte: "Ihr habt mir keine Abgaben zu bezahlen." Eine
+Gasse weiter fuhr der Arrestant fort: "Was gilt's, Ihr seid noch
+nicht verheiratet und habt für keine Frau noch Kinder zu sorgen,
+weil Ihr keine Abgabe von mir braucht. Ich will Euch zu einem
+schönen Weibsbild führen." Der Hatschier erwiderte: "Ihr habt mich
+zu keinem Weibsbild zu führen, aber ich Euch zu einem Mannsbild."
+Als sie aber miteinander in den Polizeihof und vor den Herrn
+Stadtvogt gekommen waren, fing der Stadtvogt an laut zu lachen, dann
+er gar ein lustiger Mann ist, und sagte: "Welcher von Euch zweien
+bringt den andern?" Denn es ist jetzt Zeit, dem geneigten Leser zu
+sagen, dass der Arrestant selber ein alter Hatschier war, und hatte
+sich verkleidet und war dem neuen nachgegangen, nur um ihn zu
+prüfen, ob er seine Pflicht tut. Deswegen sagte der Stadtvogt:
+"Welcher von Euch zweien bringt den andern." Der junge wollte
+anfangen, der alte aber, der vermeintliche Arrestant, schaute ihn
+gebieterisch an und sagte: "Es ist an mir zu reden, ich bin älter im
+Dienst. Ihro Gnaden, Herr Stadtvogt", sagte er, "dieser junge Mann
+ist probat, und wir können uns verlassen auf ihn, denn er hat mich
+arretiert mit Manier und in der Art und hat sich nicht von mir
+bestechen oder breitschlagen lassen, noch mit Wein, noch mit Geld,
+noch mit Weibsleuten." Da lächelte der Stadtvogt gar freundlich,
+dass ihm solches wohlgefalle, und schenkte jedem einen kleinen
+Taler.
+
+Item, an einem solchen Ort mag es nicht gut sein, ein Spitzbube zu
+sein, wo ein Hatschier selber dem andern nicht trauen darf.
+Dies Stücklein ist noch ein Vermächtnis von dem Adjunkt, der jetzt
+in Dresden ist. Hat er nicht dem Hausfreund einen schönen
+Pfeifenkopf von Dresden zum Andenken geschickt und ist ein
+geflügelter Knabe darauf und ein Mägdlein und machen etwas
+miteinander. Aber er kommt wieder, der Adjunkt.
+
+
+
+Die Raben
+
+
+Zwei gute Freunde, ein Geistlicher und ein Kaufmann, machten
+miteinander eine Reise. Der Kaufmann neckte im Spass den
+Geistlichen, und der Geistliche neckte den Kaufmann. Nicht weit von
+dem Hochgericht, als die Raben aufflatterten und den beiden um die
+Köpfe flogen, sagte der Kaufmann: "Da haben wir's! Es ist kein
+Schick dabei, wenn man mit einem Geistlichen reist."--Denn manche
+Leute glauben sonst, es bedeute ein Unglück, wenn einem die Raben
+über den Kopf fliegen.--Der Geistliche sagte: "Glaubt doch nicht so
+einfältige Fabeln, ein Mann, wie Ihr seid. Ich habe in kurzer Zeit
+mehrere armen Sünder zum Tod begleitet. Jetzt meinen die dummen
+Tiere, ich bringe wieder einen, und halten Euch für gute Beute." Der
+Kaufmann sagte: "Herr Pfarrer, Ihr seid ein loser Vogel!"
+
+
+
+Die Schlafkameraden
+
+
+Eines Abends kam ein fremder Herr mit seinem Bedienten im Wirtshaus
+zu der goldenen Linden in Brassenheim an und liess sich bei dem
+Nachtessen beiderlei wohl schmecken, nämlich das Essen selbst und
+das köstliche Getränk. Denn der Lindenwirt hat Guten. Der Bediente
+aber an einem andern Tisch dachte: Ich will meinem Herrn keine
+Schande machen, und trank wie im Zorn ein Glas und eine Bouteille
+nach der andern aus, sagend zu sich selbst: "Der Wirt soll nicht
+meinen, dass wir Knicker sind." Nach dem Essen sagte der Herr zu dem
+Lindenwirt: "Herr Wirt, ich hab' an Eurem Roten sozusagen eine
+gefährliche Entdeckung gemacht. Bringt mir noch eine Flasche voll in
+das Schlafstüblein." Der Bediente hinter dem Rücken des Herrn winkte
+dem Wirt: "Mir auch eine!" Denn sein Herr liess sich vieles von ihm
+gefallen, weil er auf Reisen auch sein Leibgardist war und immer mit
+ihm in der nämlichen Stube schlafen musste, und je einmal, wenn er
+sich zuviel Freiheit herausnahm, war der Herr billig und dachte: Ich
+will nicht wunderlich sein. Es ist ja nicht das erste Mal, dass er's
+tut. Also trank an seinem Tisch der Herr und las die Zeitung, und am
+andern Tisch dachte der Bediente: "Es ist ein harter Dienst, wenn
+man trinken muss anstatt zu schlafen, zumal so starken. Gleichwohl,
+als er dem Herrn die zweite Flasche holen musste, nahm er für sich
+auch noch eine mit vom nämlichen. Der Herr fing endlich an, laut mit
+der Zeitung zu reden, und der Bediente nahm wie ein Echo zwischen
+der Türe und dem Fenster auch Anteil daran, aber wie? Der Herr las
+von dem grossen Mammutsknochen, der gefunden wurde. Der Bediente,
+der eben das Glas zum Munde führte, lallte für sich: "Soll leben der
+Mohammedsknochen." Oder als der Herr von dem Seminaristen las aus
+dem Seminarium in Pavia, der mit Lebensgefahr eines Schriftgiessers
+Kind aus den Flammen rettete, ergriff er das Glas, und "Bravo",
+sagte er, "wackerer Seminarist!" Der Bediente aber stammelte für
+sich: "Soll leben der wackere Seeminister" und goss richtig das
+halbe Glas über die Liberei hinab. "Hast du's gehört, Anton? So eine
+Tat wiegt viele Meriten auf", fuhr der Herr fort.--"Sollen auch
+leben die Minoriten", erwiderte der Diener; und so oft jener z. B.
+sich räusperte oder gähnte, räusperte sich und gähnte der Anton
+auch. Endlich sagte der Herr: "Anton, jetzt wollen wir ins Bett."
+Der Anton sah seine Flasche an und erwiderte: " Es wird ohnehin
+niemand mehr auf sein in der Wirtschaft." Denn seine Flasche war
+leer. Aber in der Flasche des Herrn war noch ein Restlein. Früh
+gegen zwei Uhr weckte es den Anton, dass noch ein Restlein in der
+Flasche des Herrn sei. Also stand er auf und trank es aus. "Sonst
+verriecht es", dachte er. Als er aber sich wieder legen wollte, kam
+er ein wenig zu weit rechts an das Bett seines Herrn. Denn beide
+Betten standen an der nämlichen Wand mit den Fussstätten
+gegeneinander. Also legte sich der Anton neben seinen Herrn, mit dem
+Kopf unten und mit den Füssen oben, neben des Herrn Gesicht, weil er
+meinte, er liege wieder in seinem eigenen. Eine Stunde vor Tag aber,
+als der Herr erwachte, kam es ihm vor, er wusste selbst nicht recht,
+wie. "Soll ich denn gestern abend haben Backensteinkäs heraufkommen
+lassen?" dachte er. Als er aber sich umdrehen wollte, ob ein
+Schränklein in der Wand sei, fühlte er auf einmal neben sich etwas
+Lebendiges und Warmes, und das Warme und Lebendige bewegte sich
+auch. Jetzt rief er: "Anton, Anton!" mit ängstlicher und leiser
+Stimme, dass der unsichere Schlafkamerad nicht aufwachen sollte, und
+derjenige, den er wecken wollte, war doch der Schlafkamerad.
+"Anton", schrie er endlich in der Herzensangst, so laut er konnte.
+"Was befehlen Ihro Hochwürden", erwiderte endlich der Anton.--"Komm
+mir zu Hilfe! Es liegt einer neben mir."--"Ich kann nicht, neben
+mir liegt auch einer", erwiderte der Bediente und wollte sich
+strecken, so zwar, dass er mit dem linken Fuss unter des Herrn Kinn
+kam. "Anton, Anton", rief der Herr, "meiner reisst mir den Kopf ab",
+und suchte ebenfalls mit den Füssen eine Habung. "Meiner will mir
+die Nase aufschlitzen", schrie noch viel ärger der Anton. "Wirf
+deinen heraus", schrie der Herr, "und komm mir zu Hilfe."--Also
+fasste der Bediente seinen Mann an den Beinen, und dieser, als er
+Ernst sah, fasste er seinen Mann ebenfalls an den Beinen, und rangen
+also die beiden miteinander, dass keiner dem andern konnte zu Hilfe
+kommen; und der Bediente fluchte wie ein Türk, der Herr aber fluchte
+zwar nicht, aber doch rief er die unsichtbaren Mächte an, sie
+sollten seinem Gegner den Hals brechen, was auch fast hätte
+geschehen können; denn auf einmal hörte unten der Wirt, der schon
+auf war, einen Fall, dass alle Fenster zitterten und der Perpendikel
+an der Wanduhr sich in die Ruhe stellte. Als er aber geschwind mit
+dem Licht und dem Hauptschlüssel hinaufgeeilt war, ob ein Unglück
+sich zugetragen habe, denn er kannte seinen Roten, lagen beide
+miteinander ringend auf dem Boden und schrieen Zeter Mordio um
+Hilfe. Da lächelte der Wirt in seiner Art, als ob er sagen wollte,
+der Rote hat gut gewirkt, die gefährliche Entdeckung. Die beiden
+aber schauten einander mit Verwunderung und Staunen an. "Ich glaube
+gar, du bist es selbst, Anton", sagte der Herr.--"So, seid nur Ihr
+es gewesen", erwiderte der Diener, und legten sich wieder ein jeder
+in sein Bett, worein er gehörte.
+
+
+
+Die Schmachschrift
+
+
+Als bekanntlich eine Pasquille oder Schmachschrift auf den König
+Friedrich in Berlin an einem öffentlichen Platz aufgeheftet wurde
+und sein Kammerdiener ihm davon die Anzeige machte: "Ihro Majestät",
+sagte der Kammerdiener, "es ist Ihnen heute nacht eine Ehre
+widerfahren, das und das. Alles hab' ich nicht lesen können; denn
+die Schrift hängt zu hoch. Aber was ich gelesen habe, ist nichts
+Gutes"; da sagte der König: "Ich befehle, dass man die Schrift
+tiefer hinabhänge und eine Schildwache dazustelle, auf dass
+jedermann lesen kann, was es für ungezogene Leute gibt." Nachderhand
+geschah nichts mehr.
+
+Nicht ebenso dachte der Amtsschreiber von Brassenheim. Denn
+Brassenheim ist ein Amtsstädtlein. Als ihm eines Morgens eine
+Pasquille ins Haus gebracht wurde, die jemand mit Teig in der Nacht
+an die Haustüre geklebt hatte, wurde er ganz erbost und ungebärdig,
+fluchte wie ein Türk im Haus herum und schlug der unschuldigen Katze
+ein Bein entzwei, dass die Frau Amtsschreiberin ganz entrüstet wurde
+und fragte: "Bist du verrückt, oder was fehlt dir?" Der
+Amtsschreiber sagte: "Da lies! Du hast deinen Teil auch darin." Als
+das die losen Vögel erfuhren, welche die Schandschrift angeklebt
+hatten, dass der Herr Amtsrichter also im Harnisch sei, hatten sie
+grosse Freude daran und sagten: "Heut nacht tun wir's wieder." Den
+zweiten Morgen, als ihm die neue Schandtat gebracht wurde und ein
+Rezept für lahmgeschlagene Katzen darin, ward er noch viel wütender
+und warf Tische und Stühle zusammen, ja er schrieb mit eigener Hand
+einen zornigen Bericht darüber an den regierenden Grafen, ob er
+gleich niemand nennen konnte, und als er ihn geschrieben hatte und
+den Sand darauf streuen wollte, ergriff er in der Rasche statt der
+Sandbüchse das Tintenfass und goss die Tinte über den Bericht und
+über die weisstüchenen Amtshosen.
+
+Am Abend aber sagte er zu seinem Bedienten: "Hansstoffel", sagte er,
+"vigiliere heut nacht um das Haus herum, bis der Hahn kräht, und
+wenn du den Kujonen attrapierst, so bekommst du einen grossen Taler
+Fanggeld. Ich will sehen", sagte er, "ob ich mir soll auf der Nase
+herumtanzen lassen."
+
+Etwas nach elf Uhr kam der Stoffel von seinem Posten herauf, und der
+Herr Amtsschreiber war auch noch auf, auf dass, wenn der Stoffel den
+Pasquillenmacher brächte, dass er ihn gleich auf frischer Tat
+erstechen könnte. "Herr Amtsschreiber", sagte der Stoffel, "ich will
+nur melden, dass heute nacht nichts passiert ist, wenn Sie mir
+erlauben, jetzt ins Bett zu gehen. Alle Lichter im Städtlein sind
+ausgelöscht, die Wirtshäuser sind leer, die zwei letzten sind nach
+Haus gegangen, und des Wagner-Mattheisen Hahn hat zweimal
+hintereinander gekräht, es wird wohl morgen auch wieder einmal
+regnen." Da fuhr ihn der Amtsschreiber wie ein betrunkener Heide an:
+"Dummes Vieh, auf der Stelle begib dich auf deinen Posten, bis der
+Tag aufgeht, oder ich schlage dir das Gehirn im Leib entzwei", sagte
+er im unvernünftigen Zorn. Der geneigte Leser denkt: Was gilt's,
+während der Stoffel bei dem Amtsschreiber war, ist die dritte
+Pasquille auch angepappt worden, und wenn er herabkommt, findet er
+sie jetzt. Nichts weniger. Sondern als der Stoffel im Fortgehen
+bereits an der Stubentür war und der Amtsschreiber ihm noch einmal
+nachsah, "Hansstoffel", rief er ihm, "komm noch ein wenig daher!"--
+Der Stoffel kam. "Dreh' dich um! Was hast du auf dem Rücken?"
+"Will's Gott, keinen Galgen", sagte der Stoffel. "Nein,
+vermaledeiter Dummkopf, aber wahrscheinlich ein Pasquill."--Wie
+gesagt, so erraten: der Stoffel trug das dritte Pasquill bereits auf
+dem Rücken geklebt, und standen darin noch viel mutwilligere Dinge
+als in dem ersten und zweiten, und unter andern ein Rezept für
+Tintenflecke aus den Amtshosen zu bringen. Dies war so zugegangen.
+Als der Stoffel noch vor dem Haus gesessen war, kamen zwei lose
+Gesellen heran, und einer von ihnen hatte schon die dritte Pasquille
+auf der flachen Hand liegen, also dass die beschriebene Seite des
+Papiers gegen die Hand hineinlag, die äussere Seite aber war mit
+Teig bestrichen, dass er im Vorbeigehen die Schrift nur an die Türe
+hätte drücken dürfen. Als sie aber den Bedienten des Amtsschreibers
+vor der Türe sitzen sahen, und alle Leute kannten den Stoffel, aber
+nicht alle Leute kannte der Stoffel: "Ei, guten Abend", sagte der
+eine, "was schafft Er Guts hier, Herr Hansstoffel? Was gilt's, Er
+kann nicht hinein!" da erzählte er ihnen, warum er da sitzen müsse
+und bis wann, und wie ihm bereits die Zeit so lange sei, und es
+komme doch niemand. "Ei", sagte der eine, "die Lichter im Städtlein
+sind ausgelöscht, und die Wirtshäuser sind leer, und wir zwei sind
+die letzten, die heimgehen. Also gehe Er in Gottes Namen ins Bett."
+Der andere aber, der das Papier in der flachen Hand hatte, schlug
+ihm im Fortgehen sanft und freundlich die Hand auf den Rücken, dass
+das Papier am Rocke hängen blieb, und sagte: "Gute Nacht, Herr
+Hansstoffel, schlaf' Er wohl!" "Ebenfalls!" sagte der Stoffel, und
+als sie um das Eck herum waren, krähte einer von ihnen zweimal wie
+ein Hahn oder wie der russische General-Feldmarschall Suwarow Fürst
+Italinsky im Lager. Also brachte der Stoffel dem Amtsschreiber die
+Pasquille selber auf dem Rücken in die Stube, und der Herr
+Amtsschreiber prügelte zwar den Stoffel im Zimmer herum und schlug
+bei dem Ausholen ein paar Spiegel entzwei, aber den Schimpf und
+Schaden und Zorn musste er an sich selber haben und brachte nichts
+heraus. Denn die zwei Spassvögel sagten: "Der Klügste gibt nach.
+Jetzt wollen wir's aufgeben, eh' es zu bösen Häusern geht", und
+jedermann, der davon erfuhr, lachte den Amtsschreiber aus.
+Merke: Der König von Preussen hat sich in diesem Stücke klüger
+betragen als der Herr Amtsschreiber von Brassenheim.
+
+
+
+Die Tabaksdose
+
+
+In einer niederländischen Stadt in einem Wirtshaus waren viele Leute
+beisammen, die einander einesteils kannten, zum Teil auch nicht.
+Denn es war ein Markttag. Den Zundelfrieder kannte niemand. "Gebt
+mir auch noch ein Schöpplein", sagte ein dicker, bürgerlich
+gekleideter Mann zu dem Wirt und nahm eine Prise Tabak aus einer
+schweren, silbernen Dose. Da sah der Zundelfrieder zu, wie ein
+windiger, gewürfelter Gesell sich zu dem dicken Mann stellte, ein
+Gespräch mit ihm anfing und ein paarmal wie von ungefähr nach der
+Rocktasche schaute, in welche der Mann die Dose gesteckt hatte. Was
+gilt's, dachte der Frieder, der führt auch etwas im Schild?
+Anfänglich stand der Gesell. Hernach liess er ein Schöpplein kommen,
+setzte sich auch auf den Bank und sprach mit dem Dicken allerlei
+kuriose Sachen, woran dieser Mann viel Spass fand. Endlich kam ein
+Dritter. "Exküse", sagte der Dritte, "kann man auch noch ein wenig
+Platz hier haben?" Also rückte der windige Gesell ganz nahe an den
+dicken Mann hin und diskurierte immer fort: "Ja", sagte er, "ich
+habe mich ein Rechtes verwundert, als ich in dieses Land kam und
+sah, wie die Windmühlen so flätig vom Winde umgetrieben werden. Bei
+mir zulande geht das ganze Jahr kein Lüftlein. Also muss man die
+Windmühlen anlegen, wo die Wachteln ihren Strich haben. Wenn nun im
+Frühjahr die Milliontausend Wachteln kommen vom Meer her aus Afrika
+und fliegen über die Mühlenräder, so fangen die Mühlen an zu gehen,
+und wer in dieser Zeit nicht kann mahlen lassen, hat das ganze Jahr
+kein Mehl im Haus." Darüber geriet der dicke Mann so ins Lachen,
+dass ihm fast der Atem verging, und unterdessen hatte der schlaue
+Gesell die Dose. "Aber jetzt hört auf", sagte der Dicke. "Es tut mir
+weh im Kreuz", und schenkte ihm von seinem Wein auch ein Glas ein.
+Als der Spitzbube ausgetrunken hatte, sagte er: "Der Wein ist gut.
+Er treibt. Exküse", sagte er zu dem Dritten, der vorne an ihm sass,
+"lasst mich einen Augenblick heraus!" Den Hut hatte er schon auf.
+
+Als er aber zur Tür hinausging und fort wollte, ging ihm der
+Zundelfrieder nach, nahm ihn draussen auf die Seite und sagte zu
+ihm: "Wollt Ihr mir auf der Stelle meines Herrn Schwagers seine
+silberne Dose herausgeben? Meint Ihr, ich hab's nicht gemerkt? Oder
+soll ich Lärmen machen? Ich hab Euch schonen wollen vor den vielen
+Leuten, die drin in der Stube sitzen." Als nun der Dieb sah, dass er
+verraten sei, gab er zitternd dem Frieder die Dose her und bat ihn
+vor Gott und nach Gott, stille zu sein. "Seht", sagte der Frieder,
+"in solche Not kann man kommen, wenn man auf bösen Wegen geht. Euer
+Leben lang lasst es Euch zur Warnung dienen. Unrecht Gut faselt
+nicht. Ehrlich währt am längsten." Den Hut hatte der Freister auch
+schon auf. Also gab er dem Gesellen noch eine Prise Tabak aus der
+Dose und trug sie hernach zu einem Goldschmied.
+
+
+
+Die Wachtel
+
+
+Zwei wohlgezogene und ehrbare Nachbaren lebten sonst miteinander
+immer in Frieden und Freundschaft, jetzt zwar auch noch, aber einer
+von ihnen hatte eine Wachtel. Zu ihm kommt endlich der Nachbar und
+sagt: "Freund, begreift Ihr nicht, dass mir Euer Lärmenmacher, Euer
+Tambour da, sehr ungelegen sein kann, wenn ich morgens noch ein
+Stündlein schlafen möchte, und dass Ihr Euch unwert macht bei der
+ganzen Nachbarschaft?"--Ihm erwiderte der Nachbar: "Ich begreife
+das Gegenteil. Ist's nicht aller Ehren wert, dass meine Wachtel der
+ganzen Nachbarschaft den Morgen umsonst ansagt und die Gesellen
+weckt, auch sonst Kurzweil macht, und ich trage die Atzungskosten
+allein?" Als alle Vorstellungen nichts verfangen wollten und Wachtel
+immer früher schlug und immer heller, kommt endlich der Nachbar noch
+einmal und sagt: "Freund, wär' Euch Eure Wachtel nicht feil?" Der
+Nachbar sagt: "Wollt Ihr sie tot machen?"--"Das nicht", erwiderte
+der andere.--"Oder fliegen lassen?"--"Nein, auch nicht."--"Oder
+in eine andere Gasse stiften?"--"Auch das nicht, sondern hier vor
+mein Fenster will ich sie stellen, damit Ihr sie auch noch hören
+könnt alle Morgen." Der Nachbar merkte nichts, denn er war nicht der
+Klügere von beiden. Ei, dachte er, wenn ich sie vor deinem Fenster
+umsonst hören kann und bekomme noch Geld dazu, so ist's besser.--
+"Ist sie Euch ein Zweiguldenstück wert?" fragte er den Nachbar. Der
+Nachbar dachte zwar, es sei viel Geld, doch soll's ihm nicht
+verloren sein, und noch in der nämlichen Stunde wurde die Wachtel
+umquartiert.
+
+Am andern Morgen, als sie ihren vorigen Besitzer aus dem Schlaf
+erweckte und er eben denken wollte: "Ei, meine gute Wachtel ist auch
+schon munter",--halbwegs des Gedankens fällt's ihm ein: "Nein, es
+ist meines Nachbars Wachtel,--das undankbare Vieh", sagte er
+endlich am dritten Morgen, "ein Jahr lang hat sie bei mir gelebt und
+gute Tage gehabt, und jetzt hält sie es mit einem andern und lebt
+mir zum Schabernack.--Der Nachbar sollte verständiger sein und
+bedenken, dass er nicht allein in der Welt ist, wenigstens nicht
+allein in der Stadt." Nach mehreren Tagen aber, als er vor Verdruss
+es nimmer aushalten konnte, redete er hinwiederum den Nachbar an:
+"Freund", sagte er, "Euere Wachtel hat in der vergangenen Nacht
+wieder einen kurzen Schlaf gehabt."--"Es ist ein braver Vogel",
+erwiderte der Nachbar, "ich habe mich nicht daran verkauft."--"Er
+ist recht brav worden in Eurem Futter", fuhr jener fort. "Was
+verlangt Ihr Aufgeld, dass er Euch wieder feil werde?" Da lächelte
+der andere und sagte: "Wollt Ihr sie vielleicht tot machen?"--
+"Nein!"--"Oder sie fliegen lassen?"--"Das auch nicht."--"Oder in
+eine andere Gasse vermachen?"--"Auch das nicht. Aber an ihren alten
+Platz will ich sie wieder stellen, wo Ihr sie ja eben so gut hören
+könnt wie an ihrem jetzigen."--"Freund", erwiderte ihm hierauf der
+Nachbar, "vor Euer Fenster kommt die Wachtel nimmermehr, aber gebt
+Ihr mir meine zwei Gulden wieder, so lass ich sie fliegen." Der
+Nachbar dachte bei sich: "Wohlfeiler kann ich sie nicht los werden,
+als für sein eigenes Geld." Also gab er ihm die zwei Gulden wieder,
+und die Wachtel flog.
+
+Der geneigte Leser wolle hieran gelegentlich erkennen, wenn er es
+nötig hat, was für ein grosser Unterschied es sei, ob etwas vor dem
+eigenen Fenster und in dem eigenen Haus geschieht oder in einem
+andern, ferner--denn es braucht keine Wachtel dazu--ob einer in
+einer Gesellschaft selber pfeift und auf dem Tisch trommelt, oder ob
+es ein anderer anhören muss; item: ob einer selber bis nachts um 10
+Uhr eine langweilige Geschichte erzählt, und ob ein anderer dabei
+sein und von Zeit zu Zeit sich verwundern und etwas dazu sagen muss,
+gleich als ob er achtgäbe.
+
+
+
+Die Wachtel
+
+
+Zwei wohlgezogene und ehrbare Nachbarn lebten sonst miteinander
+immer in Frieden und Freundschaft, jetzt zwar auch noch, aber einer
+von ihnen hatte eine Wachtel. Zu ihm kommt endlich der Nachbar und
+sagt: "Freund, begreift Ihr nicht, daß mir Euer Lärmenmacher, Euer
+Tambour da, sehr ungelegen sein kann, wenn ich morgens noch ein
+Stündlein schlafen möchte, und daß Ihr Euch unwert macht bei der
+ganzen Nachbarschaft?" Ihm erwiderte der Nachbar: "Ich begreife das
+Gegenteil. Ists nicht aller Ehren wert, daß meine Wachtel der ganzen
+Nachbarschaft den Morgen umsonst ansagt und die Gesellen weckt, auch
+sonst Kurzweil macht, und ich trage die Atzungskosten allein?" Als
+alle Vorstellungen nichts verfangen wollten und die Wachtel immer
+früher schlug und immer heller, kommt endlich der Nachbar noch
+einmal und sagt: "Freund, wär Euch Eure Wachtel nicht feil?" Der
+Nachbar sagt: "Wollt Ihr sie totmachen?" --"Das nicht", erwiderte
+der andere. "Oder fliegen lassen?" --"Nein, auch nicht." --"Oder in
+eine andere Gasse stiften?" --"Auch das nicht, sondern hier vor mein
+Fenster will ich sie stellen, damit Ihr sie auch noch hören könnt
+alle Morgen." Der Nachbar merkte nichts, denn er war nicht der
+Klügere von beiden. ›Ei‹, dachte er, ›wenn ich sie vor deinem
+Fenster umsonst hören kann und bekomme noch Geld dazu, so ists
+besser.‹ --"Ist sie Euch ein Zweiguldenstück wert?" fragte er den
+Nachbar. Der Nachbar dachte zwar, es sei viel Geld, doch solls ihm
+nicht verloren sein, und noch in der nämlichen Stunde wurde die
+Wachtel umquartiert.
+
+Am andern Morgen, als sie ihren vorigen Besitzer aus dem Schlaf
+erweckt und er eben denken wollte: ›Ei, meine gute Wachtel ist auch
+schon munter‹, --halbwegs des Gedankens fällts ihm ein: ›Nein, es
+ist meines Nachbars Wachtel.‹ --"Das undankbare Vieh", sagte er
+endlich am dritten Morgen; "ein Jahr lang hat sie bei mir gelebt und
+gute Tage gehabt, und jetzt hält sie es mit einem andern und lebt
+mir zum Schabernack. --Der Nachbar sollte verständiger sein und
+bedenken, daß er nicht allein in der Welt ist, wenigstens nicht
+allein in der Stadt." Nach mehreren Tagen aber, als er vor Verdruß
+es nimmer aushalten konnte, redete er hinwiederum den Nachbar an:
+"Freund", sagte er, "Euere Wachtel hat in der vergangenen Nacht
+wieder einen kurzen Schlaf gehabt." --"Es ist ein braver Vogel",
+erwiderte der Nachbar, "ich habe mich nicht daran verkauft." --"Er
+ist recht brav worden in Eurem Futter", fuhr jener fort. "Was
+verlangt Ihr Aufgeld, daß er Euch wieder feil werde?" Da lächelte
+der andere und sagte: "Wollt Ihr sie vielleicht totmachen?" --
+"Nein." --"Oder fliegen lassen?" --"Das auch nicht." --"Oder in eine
+andere Gasse vermachen?" --"Auch das nicht. Aber an ihren alten
+Platz will ich sie wieder stellen, wo Ihr sie ja ebenso gut hören
+könnt wie an ihrem jetzigen." --"Freund", erwiderte ihm hierauf der
+Nachbar, "vor Euer Fenster kommt die Wachtel nimmermehr, aber gebt
+Ihr mir meine zwei Gulden wieder, so laß ich sie fliegen." Der
+Nachbar dachte bei sich: ›Wohlfeiler kann ich sie nicht loswerden
+als für sein eigenes Geld.‹ Also gab er ihm die zwei Gulden wieder,
+und die Wachtel flog.
+
+Der geneigte Leser wolle hieran gelegentlich erkennen, wenn er es
+nötig hat, was für ein großer Unterschied es sei, ob etwas vor dem
+eigenen Fenster und in dem eigenen Haus geschieht oder in einem
+andern, ferner --denn es braucht keine Wachtel dazu --, ob einer in
+einer Gesellschaft selber pfeift und auf dem Tisch trommelt oder ob
+es ein anderer anhören muß; item: ob einer selber bis nachts um zehn
+Uhr eine langweilige Geschichte erzählt und ob ein anderer dabei
+sein und von Zeit zu Zeit sich verwundern und etwas dazu sagen muß,
+gleich als ob er achtgäbe.
+
+
+
+Die Weizenblüte
+
+
+Nie muss sich einer über fremdes Unglück freuen, weil es ihm Nutzen
+bringt, sonst kommt die Zeit, es freuen sich andere wieder.
+In einigen Gegenden hat man das Sprichwort, wenn man sagen will,
+dass man einen Gewinn oder Vorteil zu hoffen habe--sagt man: "Mein
+Weizen blüht." Als daher der Chirurgus und ein Zimmermann in der
+Nacht miteinander auf der Strasse gingen und in einiger Entfernung
+ein bekanntes Dörflein brannte, deutete der Zimmermann hinüber und
+sagte zu dem Chirurgus: "Herr Gevatter, mein Weizen blüht." Nämlich,
+weil es neue Häuser aufzuschlagen gibt, wenn die alten verbrennen.
+Weil er aber auf den Brand und nicht auf den Weg sah, fiel er im
+nämlichen Augenblick in einen Graben und brach einen Arm entzwei. Da
+sagte zu ihm der Chirurgus: "Gevatter, es kommt mir vor, mein Weizen
+sei zeitig."--Der geneigte Leser versteht's.
+
+
+
+Die zwei Postillione
+
+
+Zwei Handelsleute reisten oft auf der Extrapost von Fürth nach
+Hechingen oder von Hechingen nach Fürth, wie jeden sein Geschäft
+ermahnte, und gab der eine dem Postillion ein schlechtes Trinkgeld,
+so gab ihm der andere kein gutes. Denn jeder sagte: "Für was soll
+ich dem Postknecht einen Zwölfer schenken? Ich trag ja nicht schwer
+daran." Die Postillione aber, der von Dinkelsbühl und der von
+Ellwangen, sagten
+
+"Wenn wir nur einmal den Herren einen Dienst erweisen könnten, dass
+sie spendaschlicher würden!" Eines Tages kommt der Fürther in
+Dinkelsbühl an und will weiters. Der Postillion sagte zu seinem
+Kameraden: "Fahr du den Passagier." Der Kamerad sagte: "Es ist an
+dir." Unterdessen sass der Reisende ganz geduldig in seinem offenen
+Eliaswagen, bis der Postillion aufsass. Als er sah, dass der
+Postillion im Sattel recht sass und die Peitsche erhob, sagte er:
+"Fahr' zu, Schwager! Werf' Er mich nicht um!" Am nämlichen
+Nachmittag fuhr auch der Hechinger von Ellwangen ab, und der
+Postillion dachte bei sich selbst: "Wenn jetzt nur mein Kamerad von
+Dinkelsbühl mit dem Fürther auch auf dem Weg wäre!" Indem er fährt,
+bergauf bergab, nicht weit vom Segringer Zollhaus, wo dem Hausfreund
+und seinem Reisekumpan in München auch einmal die Haare geschnitten
+worden sind, begegnen sie einander; keiner will dem andern
+ausweichen. Jeder sagt: "Ich führe einen honetten Herrn, einen
+Schwitie, keinen Pfennigschaber wie du, dem seine Sechsbatzenstücke
+aussehen wie Hildburghäuser Groschen." Endlich legte sich der
+Fürther auch in den Streit. "Gott's Wunder!" sagte er, "sollen wir
+noch einmal vierzig Jahr in der Wüste bleiben?" und schimpfte
+zuletzt den Ellwanger, dass ihm dieser mit der Peitsche einen Hieb
+ins Gesicht gab. Der Dinkelsbühler sagt: "Du sollst meinen Passagier
+nicht hauen, er ist mir anvertraut und zahlt honett; oder ich hau'
+den deinigen auch."--"Untersteh dich und hau mir meinen Herrn!"
+sagte der Ellwanger. Also hieb der Dinkelsbühler des Ellwangers
+Passagier, und der Ellwanger hieb des Dinkelsbühlers Passagier, und
+riefen einander in unaufhörlichem Zorn zu: "Willst du meinen Herrn
+in Frieden lassen, oder soll ich dir den deinigen ganz zu einem
+Lungenmus zusammenhauen?" und je schmerzlicher der eine Au und der
+andere Weih schrie, desto kräftiger hieben die Postillione auf sie
+ein, bis sie des unbarmherzigen Spasses selber müde wurden. Als sie
+aber auseinander waren und jeder wieder seines Weges fuhr, sagten
+die Postillione zu ihren Reisenden so und so: "Nicht wahr, ich hab'
+mich Euer rechtschaffen angenommen? Mein Kamerad wird's niemand
+rühmen, wie ich ihm seinen Herrn zerhauen habe. Aber diesmal kommt's
+Euch auch auf ein besseres Trinkgeld nicht an. Wenn's der Fürst
+wüsste", sagte der Dinkelsbühler, "es wäre ihm um einen Maxd'or
+nicht leid. Er sieht darauf, dass man die Reisenden gut hält."
+Merke: Es ist kein Geld schlechter erhaust, als was man armen Leuten
+am Lohn und Trinkgeld vorenthält, und wofür man gehauen oder sonst
+verunehrt wird. Für ein paar Groschen kann man viel Freundlichkeit
+und guten Willen kaufen.
+
+Merke: Der Herr, der auf der Abbildung seitwärts steht, hat's mit
+angesehen und hat's dem Hausfreund vier Wochen hernach zu Karlsruhe
+am Mittagessen erzählt.
+
+
+
+Drei Worte
+
+
+Ein Jude in Endingen im Wirtshaus erblickte einen Kaufherrn, der ihm
+bekannt vorkam. "Seid Ihr nicht einer von den graussmütigen Herrn,
+dass ich hab' die Gnad' gehabt mit ihnen von Basel nach Schalampi zu
+fahren auf dem Wasser?" Der Gersauer Kaufherr, er war von Gersau,
+sagte: "Hast du unterdessen nichts Neues ausspintisiert,
+Reiskamerad?" Der Jud antwortet: "Habt Ihr gute Geschäfte gemacht
+auf der Messe? Wenn Ihr gute Geschäfte gemacht habt,--um einen
+Sechsbätzner, Ihr könntet mir drei Worte nicht nachsagen." Der
+Gersauer dachte: Ein paar Franken hin oder her. "Lass hören!" Der
+Jud sagte: Messerschmied. Der Gersauer: Messerschmied. Dudelsack--
+Dudelsack. Da schmunzelte der Jude und sagte: Falsch!--Da dachte
+der Gersauer hin und her, wo er könnte gefehlt haben. Aber der Jude
+zog eine Kreide aus der Tasche und machte damit einen Strich.
+"Einmal gewonnen." Noch einmal! sagte der Kaufherr. Der Jud sagte:
+Baumöl. Der Kaufherr: Baumöl. Rotgerber--Rotgerber. Da schmunzelte
+der Hebräer abermal und sagte: Falsch, und so trieben sie's zum
+sechsten Mal. Als sie's zum sechsten Mal so getrieben hatten, sagte
+der Kaufherr: "Nun will ich dich bezahlen, wenn du mich überzeugen
+kannst, wo ich gefehlt habe." Der Jude sagte: "Ihr habt mir das
+dritte Wort nie nachgesprochen. Falsch war das dritte Wort, das habt
+Ihr mir nie nachgesprochen, und also war die Wette gewonnen."
+
+
+
+Drei Wünsche
+
+
+Diesmal ist aber die Frau Anna Fritze nicht dabei, auch riecht es
+nicht nach Rosenduft und Morgenrot, sondern nach Klingenberger und
+nach Kalbfleisch in einer sauren Brühe. Drei lustige Kameraden
+sassen beisammen zu Kehl im Lamm, und als sie das Saueressen
+verzehrt hatten und noch eine Flasche voll Klingenberger miteinander
+tranken, sprachen sie von allerlei und fingen zuletzt an zu
+wünschen. Endlich wurden sie der Rede eins, es sollte jeder noch
+einen kernhaften Wunsch tun, und wer den grössten Wunsch
+hervorbringe, der soll frei ausgehen an der Zeche.
+
+Da sprach der erste: "So wünsch' ich dann, dass ich alle
+Festungsgräben von ganz Strassburg und Kehl voll feiner Nähnadeln
+hätte und zu jeder Nadel einen Schneider, und jeder Schneider müsste
+mir ein Jahr lang lauter Maltersäcke nähen, und wenn ich dann jeden
+Maltersack voll doppelte Dublonen hätte, so wollte ich zufrieden
+sein."
+
+Der zweite sagte: "So wollt' ich denn, dass das ganze Strassburger
+Münster bis unter die Krone des Turmes hinauf voll Wechselbriefe vom
+feinsten Postpapier läge, so viel darin Platz haben, und wäre mir
+auf jedem Wechselbrief so viel Geld verschrieben, als in allen
+deinen Maltersäcken Platz hat, und ich hätt's."
+Der dritte sagte: "So wollt ich denn, dass ihr beide hättet, was ihr
+wünscht, und dass euch alsdann beide in Einer Nacht der Henker
+holte, und ich wär euer Erbe."
+
+Der dritte ging frei aus an der Zeche, und die zwei andern
+bezahlten.
+
+
+
+Drei Wünsche
+
+
+Ein junges Ehepaar lebte recht vergnügt und glücklich beisammen und
+hatte den einzigen Fehler, der in jeder menschlichen Brust daheim
+ist: wenn man's gut hat, hätt man's gerne besser. Aus diesem Fehler
+entstehen so viele törichte Wünsche, woran es unserm Hans und seiner
+Liese auch nicht fehlte. Bald wünschten sie des Schulzen Acker, bald
+des Löwenwirts Geld, bald des Meyers Haus und Hof und Vieh, bald
+einmal hunderttausend Millionen bayerische Taler kurzweg. Eines
+Abends aber, als sie friedlich am Ofen sassen und Nüsse aufklopften
+und schon ein tiefes Loch in den Stein hineingeklopft hatten, kam
+durch die Kammertür ein weisses Weiblein herein, nicht mehr als eine
+Elle lang, aber wunderschön von Gestalt und Angesicht, und die ganze
+Stube war voll Rosenduft. Das Licht löschte aus, aber ein Schimmer
+wie Morgenrot, wenn die Sonne nicht mehr fern ist, strahlte von dem
+Weiblein aus und überzog alle Wände. Über so etwas kann man nun doch
+ein wenig erschrecken, so schön es aussehen mag. Aber unser gutes
+Ehepaar erholte sich doch bald wieder, als das Fräulein mit
+wundersüsser, silberreiner Stimme sprach: "Ich bin eure Freundin,
+die Bergfei Anna Fritze, die im kristallenen Schloss mitten in den
+Bergen wohnt, mit unsichtbarer Hand Gold in den Rheinsand streut und
+über siebenhundert dienstbare Geister gebietet. Drei Wünsche dürft
+ihr tun; drei Wünsche sollen erfüllt werden." Hans drückte den
+Ellenbogen an den Arm seiner Frau, als ob er sagen wollte: Das
+lautet nicht übel. Die Frau aber war schon im Begriff, den Mund zu
+öffnen und etwas von ein paar Dutzend goldgestickten Kappen,
+seidenen Halstüchern und dergleichen zur Sprache zu bringen, als die
+Bergfei sie mit aufgehobenem Zeigefinger warnte: "Acht Tage lang",
+sagte sie, "habt ihr Zeit. Bedenkt euch wohl und übereilt euch
+nicht." Das ist kein Fehler, dachte der Mann und legte seiner Frau
+die Hand auf den Mund. Das Bergfräulein aber verschwand. Die Lampe
+brannte wie vorher, und statt des Rosendufts zog wieder wie eine
+Wolke am Himmel der Öldampf durch die Stube.
+
+So glücklich nun unsere guten Leute in der Hoffnung schon zum voraus
+waren und keinen Stern mehr am Himmel sahen, sondern lauter
+Bassgeigen, so waren sie jetzt doch recht übel dran, weil sie vor
+lauter Wunsch nicht wussten, was sie wünschen wollten, und nicht
+einmal das Herz hatten, recht daran zu denken oder davon zu
+sprechen, aus Furcht, es möchte für gewünscht passieren, ehe sie es
+genug überlegt hätten. "Nun", sagte die Frau, "wir haben ja noch
+Zeit bis am Freitag."
+
+Des andern Abends, während die Grundbirn zum Nachtessen in der
+Pfanne prasselten, standen beide, Mann und Frau, vergnügt an dem
+Feuer beisammen, sahen zu, wie die kleinen Feuerfünklein an der
+russigen Pfanne hin und her züngelten, bald angingen, bald
+auslöschten, und waren, ohne ein Wort zu reden, vertieft in ihrem
+künftigen Glück. Als sie aber die gerösteten Grundbirn aus der
+Pfanne auf das Plättlein anrichteten und ihr der Geruch lieblich in
+die Nase stieg:--"Wenn wir jetzt nur ein gebratenes Würstlein dazu
+hätten", sagte sie in aller Unschuld und ohne an etwas anders zu
+denken, und--o weh, da war der erste Wunsch getan.--Schnell wie
+ein Blitz kommt und vergeht, kam es wieder wie Morgenrot und
+Rosenduft untereinander durch das Kamin herab, und auf den Grundbirn
+lag die schönste Bratwurst.--Wie gewünscht, so geschehen.--Wer
+sollte sich über einen solchen Wunsch und seine Erfüllung nicht
+ärgern? Welcher Mann über solche Unvorsichtigkeit seiner Frau nicht
+unwillig werden? "Wenn dir doch nur die Wurst an der Nase
+angewachsen wäre", sprach er in der ersten Überraschung, auch in
+aller Unschuld, und ohne an etwas anders zu denken--und wie
+gewünscht so geschehen. Kaum war das letzte Wort gesprochen, so sass
+die Wurst auf der Nase des guten Weibes fest, wie angewachsen im
+Mutterleib und hing zu beiden Seiten hinab wie ein
+Husarenschnauzbart.
+
+Nun war die Not der armen Eheleute erst recht gross. Zwei Wünsche
+waren getan und vorüber, und noch waren sie um keinen Heller und um
+kein Weizenkorn, sondern nur um eine böse Bratwurst reicher.
+Noch war ein Wunsch zwar übrig. Aber was half nun aller Reichtum und
+alles Glück zu einer solchen Nasenzierat der Hausfrau? Wollten sie
+wohl oder übel, so mussten sie die Bergfei bitten, mit unsichtbarer
+Hand Barbiersdienste zu leisten und Frau Liese wieder von der
+vermaledeiten Wurst zu befreien. Wie gebeten, so geschehen, und so
+war der dritte Wunsch auch vorüber, und die armen Eheleute sahen
+einander an, waren der nämliche Hans und die nämliche Liese, nachher
+wie vorher, und die schöne Bergfei kam niemals wieder.
+Merke: Wenn dir einmal die Bergfei also kommen sollte, so sei nicht
+geizig, sondern wünsche
+
+Numero eins: Verstand, dass du wissen mögest, was du
+Numero Zwei wünschen sollest, um glücklich zu werden. Und weil es
+leicht möglich wäre, dass du alsdann etwas wähltest, was ein
+törichter Mensch nicht hoch anschlägt, so bitte noch
+Numero Drei: um beständige Zufriedenheit und keine Reue.
+Oder so
+
+Alle Gelegenheit, glücklich zu werden, hilft nichts, wer den
+Verstand nicht hat, sie zu benutzen.
+
+
+
+Ein gutes Rezept
+
+
+In Wien der Kaiser Joseph war ein weiser und wohltätiger Monarch,
+wie jedermann weiss; aber nicht alle Leute wissen, wie er einmal der
+Doktor gewesen ist und eine arme Frau kuriert hat. Eine arme kranke
+Frau sagte zu ihrem Büblein: "Kind, hol' mir einen Doktor, sonst
+kann ich's nimmer aushalten vor Schmerzen." Das Büblein lief zum
+ersten Doktor und zum zweiten; aber keiner wollte kommen, denn in
+Wien kostet ein Gang zu einem Patienten einen Gulden, und der arme
+Knabe hatte nichts als Tränen, die wohl im Himmel für gute Münze
+gelten, aber nicht bei allen Leuten auf der Erde. Als er aber zum
+dritten Doktor auf dem Weg war, oder heim, fuhr langsam der Kaiser
+in einer offenen Kutsche an ihm vorbei. Der Knabe hielt ihn wohl für
+einen reichen Herrn, ob er gleich nicht wusste, dass es der Kaiser
+ist, und dachte: Ich will's probieren. "Gnädiger Herr", sagte er,
+"wollet Ihr mir nicht einen Gulden schenken? Seid so barmherzig!"
+Der Kaiser dachte: "Der fasst's kurz und denkt, wenn ich den Gulden
+auf einmal bekomme, so brauch' ich nicht sechzig Mal um den Kreuzer
+zu betteln. "Tut's ein Käsperlein oder zwei Vierundzwanziger nicht
+auch?" fragt ihn der Kaiser. Das Büblein sagte: "Nein", und
+offenbarte ihm, wozu er das Geld benötigt sei. Also gab ihm der
+Kaiser den Gulden und liess sich genau von ihm beschreiben, wie
+seine Mutter heisst, und wo sie wohnt, und während das Büblein zum
+dritten Doktor springt, und die kranke Frau betet daheim, der liebe
+Gott wolle sie doch nicht verlassen, fährt der Kaiser zu ihrer
+Wohnung und verhüllt sich ein wenig in seinen Mantel, also dass man
+ihn nicht recht erkennen konnte, wer ihn nicht express darum ansah.
+Als er aber zu der kranken Frau in ihr Stüblein kam, und sah recht
+leer und betrübt darin aus, meint sie, es ist der Doktor, und
+erzählt ihm ihren Umstand, und wie sie noch so arm dabei sei und
+sich nicht pflegen könne. Der Kaiser sagte: "Ich will Euch dann
+jetzt ein Rezept verschreiben", und sie sagte ihm, wo des Bübleins
+Schreibzeug ist. Also schrieb er das Rezept und belehrte die Frau,
+in welche Apotheke sie es schicken müsse, wenn das Kind heimkommt,
+und legte es auf den Tisch. Als er aber kaum eine Minute fort war,
+kam der rechte Doktor auch. Die Frau verwunderte sich nicht wenig,
+als sie hörte, er sei auch der Doktor, und entschuldigte sich, es
+sei schon so einer dagewesen und hab' ihr etwas verordnet, und sie
+habe nur auf ihr Büblein gewartet. Als aber der Doktor das Rezept in
+die Hand nahm und sehen wollte, wer bei ihr gewesen sei, und was für
+einen Trank oder Pillelein er ihr verordnet hat, erstaunte er auch
+nicht wenig und sagte zu ihr: "Frau", sagte er, "Ihr seid einem
+guten Arzt in die Hände gefallen, denn er hat Euch fünfundzwanzig
+Dublonen verordnet, beim Zahlamt zu erheben, und untendran steht:
+Joseph, wenn Ihr ihn kennt. Ein solches Magenpflaster und Herzsalbe
+und Augentrost hätt' ich Euch nicht verschreiben können." Da tat die
+Frau einen Blick gegen den Himmel und konnte nichts sagen vor
+Dankbarkeit und Rührung, und das Geld wurde hernach richtig und ohne
+Anstand von dem Zahlamt ausbezahlt, und der Doktor verordnete ihr
+eine Mixtur, und durch die gute Arznei und durch die gute Pflege,
+die sie sich jetzt verschaffen konnte, stand sie in wenig Tagen
+wieder auf gesunden Beinen. Also hat der Doktor die kranke Frau
+kuriert und der Kaiser die arme, und sie lebt noch und hat sich
+nachgehends wieder verheiratet.
+
+
+
+Ein Hausmittel
+
+
+Ein fremder Mann in einem Wirtshause bemerkte lange bei seinem
+Schöpplein, wie die Frau Vogtin (der Vogt führte die Wirtschaft)
+unaufhörlich am Stricken gehindert wurde durch etwas anderes.
+Endlich sagte er: "Es scheint, Ihr wollt ander Wetter prophezeien,
+Frau Vögtin. Euere braunen Tierlein machen Euch viel Zeitvertreib."
+Die Wirtin ward dessen fast verschämt und sagte: "Ihr habt mir nicht
+sollen zusehen." Darauf erwiderte der Fremde: "Ein Floh ist doch
+auch ein Geschöpflein, und ich weiss nicht, warum man nicht davon
+reden soll. Wenn sie Euch aber zur Plage sind, und es kommt Euch auf
+einen Vierundzwanziger nicht an, ich wollte Euch wohl sagen, was Ihr
+tun müsstet, damit Ihr nie in Euerm Leben einen Floh bekämet." Die
+Wirtin sagte: "Einen Vierundzwanziger wär' es wohl noch wert", und
+als er sich denselben voraus hatte bezahlen lassen, sagte er mit
+schelmischem Lächeln: "Nämlich, wenn Euch ein Floh am rechten Arm
+beisst, müsst Ihr ihn am linken suchen. Beisst er Euch aber am
+linken, so sucht ihn am rechten. Alsdann bekommt Ihr gewiss keinen.
+Ich hab's von der Polizei in Brassenheim gelernt", sagte er. Es war
+der Zirkelschmied.
+
+
+
+Ein teurer Kopf und ein wohlfeiler
+
+
+Als der letzte König von Polen noch regierte, entstand gegen ihn
+eine Empörung, was nichts Seltenes war. Einer von den Rebellern, und
+zwar ein polnischer Fürst, vergass sich so sehr, dass er einen Preis
+von 20’000 Gulden auf den Kopf des Königs setzte. Ja, er war frech
+genug, es dem König selber zu schreiben, entweder um ihn zu betrüben
+oder zu erschrecken. Der König aber schrieb ihm ganz kaltblütig zur
+Antwort: "Euern Brief habe ich empfangen und gelesen. Es hat mir
+einiges Vergnügen gemacht, dass mein Kopf bei Euch noch etwas gilt.
+Denn ich kann Euch versichern: für den Eurigen gäb' ich keinen roten
+Heller."
+
+
+
+Ein Wort gibt das andere
+
+
+Ein reicher Herr im Schwabenland schickte seinen Sohn nach Paris,
+dass er sollte Französisch lernen und ein wenig gute Sitten. Nach
+einem Jahr oder drüber kommt der Knecht aus des Vaters Haus auch
+nach Paris. Als der junge Herr den Knecht erblickte, rief er voll
+Staunen und Freude aus: "Ei, Hans, wo führt dich der Himmel her? Wie
+steht es zu Hause, und was gibt's Neues?"--"Nicht viel Neues, Herr
+Wilhelm, als dass vor zehn Tagen Euer schöner Rabe krepiert ist, den
+Euch vor einem Jahr der Weidgesell geschenkt hat."
+
+"O das arme Tier", erwiderte der Herr Wilhelm. "Was hat ihm denn
+gefehlt?"
+
+"Drum hat er zu viel Luder gefressen, als unsere schönen Pferde
+verreckten, eins nach dem andern. Ich hab's gleich gesagt."
+"Wie! Meines Vaters vier schöne Mohrenschimmel sind gefallen?",
+fragte der Herr Wilhelm. "Wie ging das zu?"
+
+"Drum sind sie zu sehr angestrengt worden mit Wasserführen, als uns
+Haus und Hof verbrannte, und hat doch nichts geholfen."
+
+"Um Gottes willen!" rief der Herr Wilhelm voll Schrecken aus. "Ist
+unser schönes Haus verbrannt? Wann das?"
+
+"Drum hat man nicht aufs Feuer achtgegeben an Ihres Herrn Vaters
+seliger Leiche, und ist bei Nacht begraben worden mit Fackeln. So
+ein Fünklein ist bald verzettelt!"
+
+"Unglückliche Botschaft!", rief voll Schmerz der Herr Wilhelm aus.
+"Mein Vater tot? Und wie geht's meiner Schwester?"
+
+"Drum eben hat sich Ihr Herr Vater seliger zu Tod gegrämt, als Ihre
+Jungfer Schwester ein Kindlein gebar und hatte keinen Vater dazu. Es
+ist ein Büblein.
+
+Sonst gibt's just nicht viel Neues", setzte er hinzu.
+
+
+
+Eine merkwürdige Abbitte
+
+
+Das ist merkwürdig, dass an einem schlechten Menschen der Name eines
+ehrlichen Mannes gar nicht haftet, und dass er durch solchen nur
+ärger geschimpft ist.
+
+Zwei Männer sassen in einem benachbarten Dorf zu gleicher Zeit im
+Wirtshaus. Aber der eine von ihnen hatte bösen Leumund wegen
+allerlei, und sah ihn und den Iltis niemand gern auf seinem Hof.
+Aber beweisen vor dem Richter konnte man ihm nichts. Mit dem bekam
+der andere Zwist im Wirtshaus, und im Unwillen und weil er ein Glas
+Wein zuviel im Kopfe hatte, so sagte er zu ihm: "Du schlechter
+Kerl!"--Damit kann einer zufrieden sein, wenn er's ist, und braucht
+nicht mehr. Aber der war nicht zufrieden, wollte noch mehr haben,
+schimpfte auch und verlangte Beweis. Da gab ein Wort das andere, und
+es hiess: "Du Spitzbub! du Felddieb!"--Damit war er noch nicht
+zufrieden, sondern ging vor den Richter. Da war nun freilich
+derjenige, welcher geschimpft hatte, übel dran. Leugnen wollt' er
+nicht, beweisen konnt' er nicht, weil er für das, was er wohl
+wusste, keine Zeugen hatte, sondern er musste einen Gulden Strafe
+erlegen, weil er einen ehrlichen Mann Spitzbube geheissen habe, und
+ihm Abbitte tun, und dachte bei sich selber: Teurer Wein! Als er
+aber die Strafe erlegt hatte, so sagte er: "Also einen Gulden kostet
+es, gestrenger Herr, wenn man einen ehrlichen Mann einen Spitzbuben
+nennt? Was kostet's denn, wenn man einmal in der Vergesslichkeit
+oder sonst zu einem Spitzbuben sagt: Ehrlicher Mann?" Der Richter
+lächelte und sagte: "Das kostet nichts, und damit ist niemand
+geschimpft." Hierauf wendete sich der Beklagte zu dem Kläger um und
+sagte: "Es ist mir leid, ehrlicher Mann! Nichts für ungut, ehrlicher
+Mann! Adies, ehrlicher Mann!" Als der erboste Gegner das hörte und
+wohl merkte, wie es gemeint war, wollte er noch einmal anfangen und
+hielt sich jetzt für ärger beleidigt als vorher. Aber der Richter,
+der ihn doch auch als einen verdächtigen Menschen kennen mochte,
+sagte zu ihm, er könne jetzt zufrieden sein.
+
+
+
+Eine seltsame, jedoch wahrhafte Geschichte
+
+
+Zwei Schiffer fuhren frühmorgens den Strom herab, und der Tag war
+schon ins enge, stille Tal gekommen, als sie an der hohen
+Felsenwand, genannt die Riesenmauer, vorbeifahren wollten. Es
+steigen nämlich daselbst die Felsen fast senkrecht in die Höhe. Weit
+oben ist's wie abgeschnitten, und der heilige Nepomuk, ob er gleich
+von Stein ist, meint man doch, es müsse ihm schwindlig werden, und
+es wird's einem für ihn, wenn man hinaufschaut. Keine Ziege weidet
+an dieser Halde, kein Fusspfad führt den Wanderer hinauf oder hinab.
+Nur einzelne arme Tannen oder Eichen sind aus den Felsenspalten da
+und dort herausgewachsen, mehr hangend als stehend, und nähren sich,
+so gut sie können, vom Wasserduft und Sonnenschein. Als aber die
+Schiffer gegen die Felsenwand kamen, hörten sie ein klägliches
+Notgeschrei, und um einen Buck herumfahrend, sahen sie mit
+Entsetzen, dass ein lebendiger Mensch in einsamer Todesnot und Angst
+auf einem solchen Eichstämmlein sass und sich mit den Händen an
+einem schwachen Ästlein festhielt wie ein furchtsamer Reiter am
+Kammhaar, und sah auch wirklich aus, als wenn er in die Luft
+hinausreiten wollte, unten Wasser, oben Himmel, vor ihm nichts. Aber
+der eine Schiffer verwunderte sich noch viel mehr, als er den Mann
+ins Auge fasste und erkannte. "Seid Ihr es, Herr Schulmeister, oder
+trügt mich ein Blendwerk?" Ja, es war der Herr Schulmeister, ein
+braver, unbescholtener Mann, den der Hausfreund so gut kennt als
+sich selbst oder seinen Adjunkt, ein Vater von drei Kindern.
+
+Der Hausfreund müsste sich sehr an dem geneigten Leser oder an
+seiner eigenen Beschreibung irren, wenn derselbe früher fragen
+sollte, was er doch nicht erfahren wird, wie der Mann auf diesen
+Baum hinaufgekommen, als vielmehr, wie er wieder herabgebracht und
+aus des Todes Angst und Not gerettet worden sei. Man holte die
+längste Feuerleiter im Dorf und stellte sie an dem schmalen Bort
+zwischen dem Strom und den Felsen auf. Sie reichte nicht hinan. Man
+band die zwei längsten aneinander und richtete sie mit unsäglicher
+Mühe und eigener Todesgefahr auf. Sie reichten nicht hinan. Es war
+schon 10 Uhr, und die Sonne schwamm über das Tal, als ob sie das
+seltsame Schauspiel auch sehen oder Mut und Hoffnung machen wollte
+zur Rettung. Man erstieg auf der andern Seite die Anhöhe, schlang
+das längste Seil, das zu haben war, um den heiligen Nepomuk und
+liess es hinab, dass er es um den Leib binden, sich alsdann mit den
+Händen und Füssen gegen die Felsenwand stemmen und seine Auffahrt
+regieren sollte. Aber der arme Mann durfte mit den Händen den Ast
+nicht verlassen, weil er sonst keine Habung hatte auf dem schwachen
+Stamm und unvermeidlich das Gleichgewicht und das Leben hätte
+verlieren müssen. Endlich liess man auf die nämliche Art noch einen
+Mann von Mut und Kraft zu ihm hinab, der ihm das eine Seil um den
+Leib befestigte, und zog alsdann unversehrt einen nach dem andern
+herauf. Der Herr Schulmeister aber, als er wieder Boden erfasst und
+sozusagen gelandet hatte, küsste er zuerst mit Dank und Gebet die
+Füsse des Schutzheiligen, der ihm gleichsam in der Gestalt des Seils
+seine hilfreiche Hand hinabgereicht hatte und absichtlich um seiner
+Rettung willen da zu stehen schien, und dankte seinen Mitbürgern.
+Hernach winkte er seiner zagenden Frau und seinen weinenden Kindern,
+die am jenseitigen Ufer standen, dass es jetzt nichts mehr zu sagen
+habe. Aber auf die Frage, wie er auf den Baum herabgekommen sei,
+konnte er keine Antwort geben, sondern er bewies hernach als ein
+Mann, dem an seiner Reputation viel gelegen ist, dass er in dem Dorf
+auf dem Berge ein einziges Schöpplein getrunken habe und nüchtern
+fortgegangen sei, um nach Hause zu kommen. Was sich aber weiter mit
+ihm zugetragen habe, wisse er nicht, sondern, als er aufgewacht sei,
+sei er auf dem Baum gesessen.
+
+Dem Hausfreund aber ist es insofern lieb für seine Leser, dass die
+Sache im Dunkeln bleibt. Denn ob es gleich muss natürlich zugegangen
+sein, so sieht es doch wunderbarer aus und greift besser an, wenn
+man nicht weiss, wie. So viel ist klar auf alle Fälle: "Er hat
+seinen Engeln über dir Befehl getan, dass sie dich behüten auf
+deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen."
+
+
+
+Eine sonderbare Wirtszeche
+
+
+Manchmal gelingt ein mutwilliger Einfall, manchmal kostet's den
+Rock, oft sogar die Haut dazu. Diesmal aber nur den Rock. Denn
+obgleich einmal drei lustige Studenten auf einer Reise keinen roten
+Heller mehr in der Tasche hatten, alles war verjubelt, so gingen sie
+doch noch einmal in ein Wirtshaus und dachten, sie wollten sich
+schon wieder hinaus helfen und doch nicht wie Schelmen davon
+schleichen, und es war ihnen gar recht, dass die junge und artige
+Wirtin ganz allein in der Stube war. Sie assen und tranken guten
+Mutes und führten miteinander ein gar gelehrtes Gespräch, als wenn
+die Welt schon viele tausend Jahre alt wäre und noch ebenso lang
+stehen würde, und dass in jedem Jahr, an jedem Tag und in jeder
+Stunde des Jahrs alles wieder so komme und sei, wie es am nämlichen
+Tag und in der nämlichen Stunde vor sechstausend Jahren auch gewesen
+sei. "Ja", sagte endlich einer zur Wirtin--die mit einer Stickerei
+seitwärts am Fenster sass und aufmerksam zuhörte--"ja, Frau Wirtin,
+das müssen wir aus unsern gelehrten Büchern wissen." Und einer war
+so keck und behauptete, er könne sich wieder dunkel erinnern, dass
+sie vor sechstausend Jahren schon einmal da gewesen seien, und das
+hübsche, freundliche Gesicht der Frau Wirtin sei ihm noch
+wohlbekannt. Das Gespräch wurde noch lange fortgesetzt, und je mehr
+die Wirtin alles zu glauben schien, desto besser liessen sich die
+jungen Schwenkfelder den Wein und Braten und manche Bretzel
+schmecken, bis eine Rechnung von 5 fl. 16 kr. auf der Kreide stand.
+Als sie genug gegessen und getrunken hatten, rückten sie mit der
+List heraus, worauf es abgesehen war.
+
+"Frau Wirtin", sagte einer, "es steht diesmal um unsere Batzen nicht
+gut, denn es sind der Wirtshäuser zu viele an der Strasse. Da wir
+aber an Euch eine verständige Frau gefunden haben, so hoffen wir als
+alte Freunde hier Kredit zu haben, und wenn's Euch recht ist, so
+wollen wir in sechstausend Jahren, wenn wir wiederkommen, die alte
+Zeche samt der neuen bezahlen." Die verständige Wirtin nahm das
+nicht übel auf, war's vollkommen zufrieden und freute sich, dass die
+Herren so vorlieb genommen, stellte sich aber unvermerkt vor die
+Stubentüre und bat, die Herren möchten nur so gut sein und jetzt die
+5 fl. 16 kr. bezahlen, die sie vor sechstausend Jahren schuldig
+geblieben seien, weil doch alles schon einmal so gewesen sei, wie es
+wieder komme. Zum Unglück trat eben der Vorgesetzte des Ortes mit
+ein paar braven Männern in die Stube, um miteinander ein Glas Wein
+in Ehren zu trinken. Das war den gefangenen Vögeln gar nicht lieb.
+Denn jetzt wurde von Amts wegen das Urteil gefällt und vollzogen:
+"Es sei aller Ehren wert, wenn man sechstausend Jahre lang geborgt
+habe. Die Herren sollten also augenblicklich ihre alte Schuld
+bezahlen, oder ihre noch ziemlich neuen Oberröcke in Versatz geben."
+
+Dies letzte musste geschehen, und die Wirtin versprach, in
+sechstausend Jahren, wenn sie wieder kommen und besser als jetzt bei
+Batzen seien, ihnen alles, Stück für Stück, wieder zuzustellen.
+Dies ist geschehen im Jahr 1805 am 17ten April im Wirtshause zu
+Segringen.
+
+
+
+Einer Edelfrau schlaflose Nacht
+
+
+Es ist nichts lehrreicher als die Aufmerksamkeit, wie in dem
+menschlichen Leben alles zusammenhängt, wenn man es zu entdecken
+vermag, z. B. Zahnschmerzen und das Glück eines Ehepaars, und wie
+selbst das, was unrecht und verboten ist, wieder gutgemacht werden
+kann, wenn's an den rechten Mann oder an die rechte Frau kommt, und
+wie in dem grossen, unaufhörlichen Wechsel der Dinge alles einzelne
+wieder verschwimmt, dass man ihm nimmer nachkommt, und doch getan
+bleibt und nicht verloren geht, es sei gut oder bös. Gleich als wenn
+man ein Glas Wasser in den Rhein ausgiesst, kein Sterblicher ist
+imstand, es wieder herauszuschöpfen, sondern es ist jetzt dem Rhein
+vermählt und augenblicklich verschwemmt in der grossen Flut. Ja,
+wenn die Sonne Wasser aufzieht, wie man zu sagen pflegt, sind ein
+paar Tröpflein davon vielleicht auch dabei und fallen irgendwo, in
+Bayern oder Lothringen, wieder aus einer Wasserwolke vom Himmel
+herab und erquicken ein Blümlein.
+
+Eine Dienstmagd, jung und brav, auch hübsch, und ein Knecht gleicher
+Qualität dienten miteinander auf einem Edelhof und hätten nicht so
+gerne Kaffee getrunken oder alle Tage Braten gegessen, als vielmehr
+einander geheiratet. Allein sie waren Leibeigene, insoweit, dass sie
+verpflichtet waren, eine gewisse Zeit Hofdienste zu tun, und die
+Edelfrau auf dem Hofe wollte sie nicht früher aus dem Dienst
+entlassen, weil sie so brav waren in ihrer Aufführung und so
+fleissig und treu in ihren Geschäften. Deswegen sassen sie oft
+beisammen und weinten, oder sie weinte, und er nagte an einem
+Holzsplitter. Ein ander Mal, wie die menschliche Laune wechselt,
+sprachen sie sich Mut ein, dass es ja nur noch um zwei Jährlein zu
+tun sei, und freuten sich schon zum voraus ihres zukünftigen Glücks,
+"wenn du mein Weib bist"--sagte er--"und ich dein Mann", und
+einmal vergassen sie sogar die Zukunft und meinten, es sei jetzt.
+Nach Verlauf aber eines Jahres hat die Frau auf dem Edelhof in der
+Nacht desperates Zahnweh, nicht gerade deswegen. Sie steht aus dem
+Bette auf und wirft sich auf einen Stuhl, sie läuft aus einer Stube
+in die andere, aus der andern in die dritte. In der dritten setzt
+sie sich gegenüber einem Fensterlein, das in die Küche geht, mit
+einem weissen Vorhang davor, und das Zahnweh wird ihr nun bald
+vergehen. Sie sitzt jetzt am rechten Orte dazu. Denn auf einmal
+sieht sie hell werden hinter dem weissen Vorhang, sie hört etwas
+sich bewegen, sie hört etwas flüstern und knistern, sie schiebt
+leise das Vorhänglein weg, und in der Küche stehen der Knecht und
+die Magd an einem Feuerlein nachts um zwölf Uhr und legen Späne an
+das Feuer, und auf dem Feuer steht ein Pfännlein.--Bereits gibt das
+Zahnweh ein wenig nach.--"O ihr gottloses Lumpenpack", sagte sie
+inwendig für sich. "So ist denn keinem Menschen mehr zu trauen. Habt
+ihr nicht alle Tage euer ordentliches Essen. Ist es euch nicht gut
+genug? Müsst ihr mich noch in der Nacht bestehlen und Leckerbissen
+kochen!" Nach einiger Zeit stellt das Weibsbild das Pfännlein von
+dem Feuer, als ob sie jetzt die Leckerbissen verzehren wollten, der
+Knecht aber geht zur Türe hinaus.--"Wie der Tag anbricht, lass ich
+beide in das Gefängnis werfen", so fuhr die Edelfrau fort, "und jage
+sie weg ohne ehrlichen Abschied. Am Ende wird mir die Dirne auch
+noch schwanger von dem Burschen in meinem eigenen Haus. So weit
+soll's mir nicht kommen." Indem kommt der Knecht zurück und bringt
+ein vierteljähriges Kind auf dem Arme und gibt's der Mutter auf die
+Schoss. Da hörte plötzlich das Zahnweh der Edelfrau auf wie
+weggeflogen. Die Mutter gibt dem Kindlein aus der Pfanne den Brei,
+sie legt es an die mütterliche Brust, und der Schein des abnehmenden
+Feuers ging zur rechten Zeit über ihr Angesicht, als sie mit nassen
+Blicken ihr Kindlein noch einmal beschaute und dem Vater zurückgab
+und etwas zu ihm sagte. Denn da ward das Herz der Edelfrau wunderbar
+bewegt und kam auf andere Gedanken. Denn es war ihr, als ob die
+Mutter mit den nassen Blicken gesagt hätte: "Gott wird des armen
+Würmleins sich auch erbarmen", und als ob sie dazu bestimmt wäre.
+Ja, es fuhr ihr mit Grausen durch die Seele, was für ein Unglück in
+ihrem Hause hätte geschehen können, wenn nicht Gott das Herz der
+Eltern vor einem schweren Verbrechen bewahrt hätte.
+
+Am frühen Morgen aber liess sie beide Eltern vor sich bescheiden.
+Beide sahen einander an. "Was gilt's",--sagte sie--"wir bekommen
+unsere Freiheit."--"Oder auch nicht",--sagte er. Die Edelfrau
+aber, als sie hereingetreten waren, redete sie ernsthaft und
+gebieterisch an: "Wo habt ihr euer Kind?" Da glaubten beide in den
+Boden zu versinken vor Schrecken und Scham und schauten einander
+verstohlenerweise an, gleichsam ob das andere noch da sei. "Wo ihr
+euer Kind habt",--wiederholte die Edelfrau.--"Weil wir denn doch
+eins haben",--stotterte endlich der Vater,--"in der Holzkammer
+hinter einer Beige." Als es aber der Bursche holen musste, bracht'
+er es, wie es war in einem alten Felleisen. Es war reinlich gehalten
+und gebüschelt auf einem Bettlein von Heu und weinte, als ob es
+schon wusste, wie man es machen muss. Da erbarmte sich das Herz der
+Edelfrau noch mehr, und als die treue Magd und Mutter reuevoll und
+mit Tränen bat, sie und ihr unschuldiges Kind nicht unglücklich zu
+machen, konnte die Edelfrau ihre Rührung nicht mehr verbergen:
+"Nein, ich will euch nicht unglücklich machen",--sagte sie. "Ich
+will euch die Härte vergelten, die ich an euch begangen habe. Ich
+will euch den Kummer versüssen, den ihr getragen habt. Ich will eure
+Sünde wieder gut machen. Ich will euch die Barmherzigkeit vergelten,
+die ihr an euerm Kinde getan habt." Meint man nicht, man höre den
+lieben Herr Gott reden in den Propheten oder in den Psalmen? Ein
+Gemüt, das zum Guten bewegt ist und sich der Elenden annimmt und die
+Gefallenen aufrichtet, ein solches Gemüt zieht nämlich das Ebenbild
+Gottes an und fällt deswegen auch in seine Sprache.--"Ihr könnt
+euch am Sonntag in der Stille zusammengeben lassen",--sagte die
+Edelfrau. "Ich will euch ein angenehmes Heiratsgut stiften. Ich will
+aus eurem Kinde etwas werden lassen. Ist's ein Büblein?"--Also
+wurden sie am nächsten Sonntag auf Geheiss der Edelfrau
+zusammengegeben und lebten seitdem in Liebe und Frieden ehelich
+beisammen. Das Büblein aber kann jetzt schon Haselnüsse aufbeissen
+und lernt fleissig und hat runde, rote Backen.--Was aber weiter
+daraus werden soll, weiss der, der den Himmel mit der Spanne misst
+und den Staub der Erde mit einem Dreiling.
+
+
+
+Einer oder der andere
+
+
+Es ist nichts lieblicher, als wenn bisweilen gekrönte Häupter sich
+unerkannt zu dem gemeinen Mann herablassen, wie König Heinrich der
+Vierte in Frankreich, sei es auch nur zu einem gutmütigen Spass.
+Zu König Heinrichs des Vierten Zeiten ritt ein Bäuerlein vom Lande
+her des Weges nach Paris. Nicht mehr weit von der Stadt gesellt sich
+zu ihm ein anderer, gar stattlicher Reiter, welches der König war,
+und sein kleines Gefolge blieb absichtlich in einiger Entfernung
+zurück. "Woher des Landes, guter Freund?"--"Da und da her."--"Ihr
+habt wohl Geschäfte in Paris?"--"Das und das; auch möchte ich gerne
+unsern guten König einmal sehen, der so väterlich sein Volk liebt."
+- Da lächelte der König und sagte: "Dazu kann Euch heute Gelegenheit
+werden."--"Aber wenn ich nur auch wüsste, welcher es ist unter den
+vielen, wenn ich ihn sehe!"--Der König sagte: "Dafür ist Rat. Ihr
+dürft nur achtgeben, welcher den Hut allein auf dem Kopf behaltet,
+wenn die andern ehrerbietig ihr Haupt entblössen." Also ritten sie
+miteinander in Paris hinein, und zwar das Bäuerlein hübsch auf der
+rechten Seite des Königs. Denn das kann nie fehlen. Was die liebe
+Einfalt Ungeschicktes tun kann, sei es gute Meinung oder Zufall, das
+tut sie. Aber ein gerader und unverkünstelter Bauersmann, was er tut
+und sagt, das tut und sagt er mit ganzer Seele und sieht nicht um
+sich, was geschieht, wenn's ihn nichts angeht. Also gab auch der
+unsrige dem König auf seine Fragen nach dem Landbau, nach seinen
+Kindern, und ob er auch alle Sonntage ein Huhn im Topf habe,
+gesprächige Antwort und merkte lange nichts. Endlich aber, als er
+doch sah, wie sich alle Fenster öffneten und alle Strassen mit
+Leuten sich füllten und alles rechts und links auswich und
+ehrerbietig das Haupt entblösst hatte, ging ihm ein Licht auf.
+"Herr", sagte er und schaute seinen unbekannten Begleiter mit
+Bedenklichkeit und Zweifel an, "entweder seid Ihr der König oder ich
+bin's. Denn wir zwei haben noch allein die Hüte auf dem Kopf." Da
+lächelte der König und sagte: "Ich bin's. Wenn Ihr Euer Rösslein
+eingestellt und Euer Geschäft versorgt habt", sagte er, " so kommt
+zu mir in mein Schloss. Ich will Euch alsdann mit einem
+Mittagssüpplein aufwarten und Euch auch meinen Ludwig zeigen."
+Von dieser Geschichte her rührt das Sprichwort, wenn jemand in einer
+Gesellschaft aus Vergessenheit oder Unverstand den Hut allein auf
+dem Kopf behält, dass man ihn fragt: "Seid Ihr der König oder der
+Bauer?"
+
+
+
+Einfältiger Mensch in Mailand
+
+
+Ein einfältiger Mensch in Mailand wollte sein Haus verkaufen. Damit
+er nun um so eher davon los werden möchte, brach er einen grossen
+Stein aus demselben heraus, trug ihn auf den grossen Marktplatz, wo
+viel Verkehr und Handel getrieben wird, und setzte sich damit unter
+die Verkäufer. Wenn nun ein Mann kam und fragte ihn: "Was habt Ihr
+denn feil?" so sagte er: "Mein zweistöckigtes Haus in der
+Kapuzinergasse. Wenn Ihr Lust dazu habt--hier ist ein Muster."
+
+Der nämliche sagte einmal bei einer Gelegenheit, als von der
+Kinderzucht die Rede war: "Es ist ein Glück für meine Kinder, dass
+ich keine habe. Ich könnte so zornig werden, dass ich sie alle
+totschlüge."
+
+
+
+Einträglicher Rätselhandel
+
+
+Von Basel fuhren elf Personen in einem Schiff, das mit allen
+Kommlichkeiten versehen war, den Rhein hinab. Ein Jude, der nach
+Schalampi wollte, bekam die Erlaubnis, sich in einen Winkel zu
+setzen und auch mitzufahren, wenn er sich gut aufführen und dem
+Schiffer achtzehn Kreuzer Trinkgeld geben wolle. Nun klingelte es
+zwar, wenn der Jude an die Tasche schlug, allein es war doch nur
+noch ein Dreibatzenstück darin; denn das andere war ein messingener
+Knopf. Dessenungeachtet nahm er die Erlaubnis dankbar an. Denn er
+dachte: "Auf dem Wasser wird sich auch noch etwas erwerben lassen.
+Es ist ja schon mancher auf dem Rhein reich geworden." Im Anfang und
+von dem Wirtshaus zum Kopf weg war man sehr gesprächig und lustig,
+und der Jude in seinem Winkel und mit seinem Zwerchsack an der
+Achsel, den er ja nicht ablegte, musste viel leiden, wie man's
+manchmal diesen Leuten macht und versündiget sich daran. Als sie
+aber schon weit an Hüningen und an der Schusterinsel vorbei waren
+und an Märkt und an dem Isteiner Klotz und St. Veit vorbei, wurde
+einer nach dem andern stille und gähnten und schauten den langen
+Rhein hinunter, bis wieder einer anfing: "Mausche", fing er an,
+"weisst du nichts, dass uns die Zeit vergeht? Deine Väter müssen
+doch auch auf allerlei gedacht haben in der langen Wüste."--Jetzt,
+dachte der Jude, ist es Zeit, das Schäflein zu scheren, und schlug
+vor, man sollte sich in der Reihe herum allerlei kuriose Fragen
+vorlegen, und er wolle mit Erlaubnis auch mithalten. "Wer sie nicht
+beantworten kann, soll dem Aufgeber ein Zwölfkreuzerstück bezahlen;
+wer sie gut beantwortet, soll einen Zwölfer bekommen." Das war der
+ganzen Gesellschaft recht, und weil sie sich an der Dummheit oder an
+dem Witz des Juden zu belustigen hofften, fragte jeder in den Tag
+hinein, was ihm einfiel. So fragte z. B. der erste: "Wie viel
+weichgesottene Eier konnte der Riese Goliath nüchtern essen?"--Alle
+sagten, das sei nicht zu erraten, und bezahlten ihre Zwölfer. Aber
+der Jude sagte: "Eins, denn wer ein Ei gegessen hat, isst das zweite
+nimmer nüchtern." Der Zwölfer war gewonnen.
+
+Der andere dachte: Wart', Jude, ich will dich aus dem Neuen
+Testament fragen, so soll mir dein Dreibätzner nicht entgehen.
+"Warum hat der Apostel Paulus den zweiten Brief an die Korinther
+geschrieben?" Der Jud sagte: "Er wird nicht bei ihnen gewesen sein,
+sonst hätt' er's ihnen mündlich sagen können." Wieder ein Zwölfer.
+
+Als der dritte sah, dass der Jude in der Bibel so gut beschlagen
+sei, fing er's auf eine andere Art an: "Wer zieht sein Geschäft in
+die Länge, und wird doch zu rechter Zeit fertig?" Der Jud sagte:
+"Der Seiler, wenn er fleissig ist."
+
+Der vierte: "Wer bekommt noch Geld dazu und lässt sich dafür
+bezahlen, wenn er den Leuten etwas weismacht?" Der Jud sagte: "Der
+Bleicher."
+
+Unterdessen näherte man sich einem Dorf, und einer sagte: "Das ist
+Bamlach." Da fragte der fünfte: "In welchem Monat essen die
+Bamlacher am wenigsten?" Der Jud sagte: "Im Hornung, denn der hat
+nur 28 Tage."
+
+Der sechste sagt: "Es sind zwei leibliche Brüder, und doch ist nur
+einer davon mein Vetter." Der Jud sagte: "Der Vetter ist Eures
+Vaters Bruder. Euer Vater ist nicht Euer Vetter."
+
+Ein Fisch schnellte in die Höhe, so fragt der siebente: "Welche
+Fische haben die Augen am nächsten beisammen?" Der Jud sagte: "Die
+kleinsten."
+
+Der achte fragt: "Wie kann einer zur Sommerszeit im Schatten von
+Bern nach Basel reiten, wenn auch die Sonne noch so heiss scheint?"
+Der Jud sagt: "Wo kein Schatten ist, muss er absteigen und zu Fuss
+gehn."
+
+Fragt der neunte: "Wenn einer im Winter von Basel nach Bern reitet
+und hat die Handschuhe vergessen, wie muss er's angreifen, dass es
+ihn nicht an die Hand friert?" Der Jud sagt: "Er muss aus der Hand
+eine Faust machen."
+
+Fragt der zehnte: "Warum schlüpfet der Küfer in die Fässer?" Der Jud
+sagt: "Wenn die Fässer Türen hätten, könnte er aufrecht
+hineingehen."
+
+Nun war noch der elfte übrig. Dieser fragte: "Wie können fünf
+Personen fünf Eier teilen, also dass jeder eins bekomme und doch
+eins in der Schüssel bleibe?" Der Jud sagte: "Der letzte muss die
+Schüssel samt dem Ei nehmen, dann kann er es darin liegen lassen,
+solang er will."
+
+Jetzt war die Reihe an ihm selber, und nun dachte er erst einen
+guten Fang zu machen. Mit viel Komplimenten und spitzbübischer
+Freundlichkeit fragte er: "Wie kann man zwei Forellen in drei
+Pfannen backen, also dass in jeder Pfanne eine Forelle liege?" Das
+brachte abermal keiner heraus, und einer nach dem andern gab dem
+Hebräer seinen Zwölfer.
+
+Der Hausfreund hätte das Herz, allen seinen Lesern, von Mailand bis
+nach Kopenhagen, die nämliche Frage aufzugeben, und wollte ein
+hübsches Stück Geld daran verdienen, mehr als am Kalender selber,
+der ihm nicht viel einträgt. Denn als die elfe verlangten, er sollte
+ihnen für ihr Geld das Rätsel auch auflösen, wand er sich lange
+bedenklich hin und her, zuckte die Achseln, drehte die Augen. "Ich
+bin ein armer Jüd", sagte er endlich. Die andern sagten: "Was sollen
+diese Präambeln? Heraus mit dem Rätsel!"--"Nichts für ungut!"--war
+die Antwort--"dass ich gar ein armer Jüd bin."--Endlich nach
+vielem Zureden, dass er die Auflösung nur heraussagen sollte, sie
+wollten ihm nichts daran übelnehmen, griff er in die Tasche, nahm
+einen von seinen gewonnenen Zwölfern heraus, legte ihn auf das
+Tischlein, so im Schiffe war, und sagte: "Dass ich's auch nicht
+weiss. Hier ist mein Zwölfer!"
+
+Als das die andern hörten, machten sie zwar grosse Augen und
+meinten, so sei's nicht gewettet. Weil sie aber doch das Lachen
+selber nicht verbeissen konnten, und waren reiche und gute Leute,
+und der hebräische Reisegefährte hatte ihnen von Kleinen-Kems bis
+nach Schalampi die Zeit verkürzt, so liessen sie es gelten, und der
+Jud hat aus dem Schiff getragen--das soll mir ein fleissiger
+Schüler im Kopf ausrechnen: wie viel Gulden und Kreuzer hat der Jude
+aus dem Schiff getragen? Einen Zwölfer und einen messingenen Knopf
+hatte er schon. Elf Zwölfer hat er mit Erraten gewonnen, elf mit
+seinem eigenen Rätsel, einen hat er zurückbezahlt und dem Schiffer
+achtzehn Kreuzer Trinkgeld entrichtet.
+
+
+
+Erinnerung an die Kriegszeit
+
+
+Es ist nicht zu leugnen: wenn hie und da ein siegreiches
+Truppenkorps in eine feindliche Landschaft einrückte und Quartiere
+nahm, dass sich alsdann der arme Einwohner viel musste gefallen
+lassen, nicht nur von der Notwendigkeit, sondern auch von dem
+Unverstand und höhnendem Übermut. Zu einem solchen Unteroffizier,
+als er eben am Mittagessen war, kam sein Kamerad und verwunderte
+sich über ihn mit folgenden Worten:
+
+"Herr Kamerad", sagte er zu ihm, "seit wann seid Ihr ein Jude
+geworden, dass Ihr Euch zwicken lasst? Euch ist seit gestern ein
+kurioser Bart gewachsen."
+
+Nämlich der Unteroffizier, der am Mittagessen war, ass gerne Nudeln.
+Deswegen musste ihm der Wirt jeden Mittag Nudeln aufstellen und
+natürlich ein fettes Huhn darin. Der Unteroffizier wusste, dass die
+Nudeln von feinem Mehl und Teig längere Fäden haben als die groben.
+Deswegen musste ihm der Wirt lange und feine Nudeln aufstellen,
+welche sich fast mit keiner Geschicklichkeit um die Gabel
+herumspinnen lassen, sondern wann man meint, jetzt sei eine
+umgesponnen, haspelt sich eine andere wieder ab, und eine Gabel oder
+einen Löffel voll mit allen Enden auf einmal in den Mund zu bringen,
+ist eine Kunst. Zwar darf man sie nur zuerst ein wenig auf dem
+Teller zerschneiden. Allein das wollte der Unteroffizier nicht.
+Nein, der Wirt, und wenn er auch des Kuckucks hätte werden mögen,
+musste, solang der Unteroffizier an den Nudeln ass, mit einer Schere
+neben ihm stehen, und was zu lange war und nicht in den Mund hinein
+zu bringen war, musste er ihm von den Lippen vorsichtig abschneiden.
+Deswegen, als dieses der andere Unteroffizier sah, verwunderte er
+sich und sagte zu ihm scherzweise und lachend: "Euch ist ein
+kurioser Bart gewachsen. Seit wann lasst Ihr Euch zwicken wie ein
+Jud?" Dem Wirt kam der Spass nicht lächerlich vor. Allein der andere
+Unteroffizier tröstete ihn. "Landsmann", sagte er zu ihm, "es ist
+Krieg."
+
+So etwas kann man schon erzählen und zur Erinnerung an die
+überstandenen Zeiten lesen, wann durch Gottes Gnade und durch die
+Weisheit der friedliebenden Potentaten alle Plackereien und
+Hudeleien ein Ende haben.
+
+
+
+Etwas aus der Türkei
+
+
+In der Türkei ist Justiz. Ein Kaufmannsdiener, auf der Reise von der
+Nacht und Müdigkeit überfallen, bindet sein Pferd, so mit kostbaren
+Waren beladen war, nimmer weit von einem Wachthaus an einen Baum,
+legt sich selber unter das Obdach des Baumes und schläft ein. Früh,
+als ihn die Morgenluft und der Wachtelschlag weckte, hatte er gut
+geschlafen, aber das Rösslein war fort.
+
+Da eilte der Beraubte zu dem Statthalter der Provinz, nämlich zu dem
+Prinzen Karosman Oglu, der in der Nähe sich aufhielt, und klagte vor
+seinem Richterstuhl seine Not. Der Prinz gab ihm wenig Gehör. "So
+nahe bei dem Wachthaus; warum bist du nicht die fünfzig Schritte
+weiter geritten, so wärest du sicher gewesen. Es ist deines
+Leichtsinns Schuld." Da sagte der Kaufmannsdiener: "Gerechter Prinz,
+hab' ich mich fürchten sollen, unter freiem Himmel zu schlafen, in
+einem Lande, wo du regierst?" Das tat dem Prinzen Karosman wohl und
+wurmte ihn zugleich. "Trink heute Nacht ein Gläslein türkischen
+Schnaps," sagte er zu dem Kaufmannsdiener, "und schlafe noch einmal
+unter dem Baum." So gesagt, so getan. Des andern Morgens, als ihn
+die Morgenluft und der Wachtelschlag weckte, hatte er auch gut
+geschlafen, denn das Rösslein stand mit allen Kostbarkeiten wieder
+angebunden neben ihm, und an dem Baum hing ein toter Mensch, der
+Dieb, und sah das Morgenrot nimmermehr.
+
+Bäume gäb' es noch an manchen Orten, grosse und kleine.
+
+
+
+Farbenspiel
+
+
+In einer Schule sassen zwei Schüler, von denen hiess der eine
+Schwarz, der andere Weiss, wie es sich treffen kann; der Schullehrer
+aber für sich hatte den Namen Rot. Geht eines Tages der Schüler
+Schwarz zu einem andern Kameraden und sagt zu ihm: "Du, Jakob", sagt
+er, "der Weiss hat dich bei dem Schulherrn verleumdet." Geht der
+Schüler zu dem Schulherrn und sagt: "Ich höre, der Weiss habe mich
+bei Euch schwarz gemacht und ich verlange eine Untersuchung. Ihr
+seid mir ohnehin nicht grün, Herr Rot!" Darob lächelte der Schulherr
+und sagte: "Sei ruhig, mein Sohn! Es hat dich niemand verklagt, der
+Schwarz hat dir nur etwas weisgemacht.
+
+
+
+Franz Ignaz Narocki
+
+
+Man erfährt doch durch den Krieg allerlei, unter vielem Schlimmen
+auch manchmal etwas Gutes, und es heisst da wohl: Die Berge kommen
+nicht zusammen, aber die Leute. So wird wohl zum Beispiel ein
+Polack, namens Franz Ignaz Narocki, im Jahr 1707 auch nicht daran
+gedacht haben, dass nach 100 Jahren der französische Kaiser Napoleon
+noch zu ihm nach Polen kommen und ihm ein sorgenfreies Alter
+verschaffen werde; und doch ist's geschehen in den ersten Wochen des
+Jahres 1807. Er ist geboren im Jahr 1690 und lebt noch, und ich will
+glauben, dass er in seiner Jugend sich nicht oft betrunken und nicht
+ausschweifend gelebt habe, denn er hat in seinem
+hundertsiebenzehnten Lebensjahr noch kein Gebrechen, ob er gleich in
+seiner Jugend Kriegsdienste tat, als Gefangener von den Russen nach
+Asien geführt wurde und nachher auch nicht lauter gute Tage hatte.
+Diesem Mann hat es in 117 Jahren manchmal auf den Hut geschneit, und
+er kann wohl von manchem Grabe sagen, wer darin liegt. In seinem
+losten Jahr, wenn andere bald ans Sterben denken, hat er zum ersten
+Mal geheiratet und vier Kinder gezeugt. Im 86sten Jahr nahm er die
+zweite Frau und zeugte mit ihr sechs Kinder. Aber von allen ist nur
+noch ein Sohn aus der ersten Ehe am Leben. Der König von Preussen
+liess diesem polnischen Methusalem bisher alle Monate ein Gehalt von
+24 polnischen Gulden bezahlen. Das ist doch auch schön. Ein
+polnischer Gulden aber beträgt nach deutschem Geld ungefähr 15 kr.
+Als nun Kaiser Napoleon in seinem siegreichen Feldzug in die Gegend
+seiner Heimat kam, wünschte ihn der alte Mann auch noch zu sehen. Es
+geschah, und er überreichte ihm ein sehr artiges Bittschreiben,
+welches er noch selber mit eigener Hand recht leserlich geschrieben
+hatte. Der Kaiser nahm es mit Wohlgefallen auf und machte ihm ein
+schönes Geschenk von hundert Napoleonsd'or. Ein Napoleonsd'or ist
+eine Goldmünze von 9 fl. 18 kr. unseres Geldes.
+
+Auf nebenstehender Figur sieht man
+
+1. den alten Narocki an seinem Stab. Er sieht noch recht gut aus für
+sein Alter.
+
+2. Seinen einzigen Sohn, der ihn mit kindlicher Liebe begleitet.
+
+3. Den Kaiser Napoleon, der ihn freundlich ansieht und ihm das
+Schreiben abnimmt, nebst einem General und einem Adjutanten.
+
+4. Einige Polacken und Soldaten, die den alten Mann neugierig
+betrachten. Mancher von ihnen, der selber schon einen engen Atem hat
+und mehr Leid erfahren, als ihm lieb ist, der denkt: So alt möchte
+ich nicht werden. Ein junges Blut daneben denkt so: Das möchte ich
+in hundert Jahren, Anno 1907, meinen Enkeln noch erzählen können.
+
+Aber der Klügste zwischen beiden sagt:
+
+Froher Mut, gutes Blut,
+Leb' solang es Gott gefällt
+Fromm und redlich in der Welt!
+
+
+
+Franziska
+
+
+In einem unscheinbaren Dörfchen am Rhein sass eines Abends, als es
+schon dunkeln wollte, ein armer junger Mann, ein Weber, noch an dem
+Webstuhl und dachte während der Arbeit unter andern an den König
+Hiskias, hernach an Vater und Mutter, deren ihr Lebensfaden auch
+schon von der Spule abgelaufen war, hernach an den Grossvater selig,
+dem er einst auch noch auf den Knieen gesessen und an das Grab
+gefolgt war, und war so vertieft in seinen Gedanken und in seiner
+Arbeit, dass er gar nichts davon merkte, wie eine schöne Kutsche mit
+vier stattlichen Schimmeln vor seinem Häuslein anfuhr und
+stillehielt. Als aber etwas an der Türfalle druckte, und ein holdes,
+jugendliches Wesen trat herein von weiblichem Ansehen mit wallenden,
+schönen Haarlocken und in einem langen, himmelblauen Gewand, und das
+freundliche Wesen fragte ihn mit mildem Ton und Blick: "Kennst du
+mich, Heinrich?" da war es, als ob er aus einem tiefen Schlaf
+aufführe, und war so erschrocken, dass er nichts reden konnte. Denn
+er meinte, es sei ihm ein Engel erschienen, und es war auch so etwas
+von der Art, nämlich seine Schwester Franziska, aber sie lebte noch.
+Einst hatten sie manches Körblein voll Holz barfuss miteinander
+aufgelesen, manches Binsenkörbchen voll Erdbeeren am Sonntag
+miteinander gepflückt und in die Stadt getragen und auf dem Heimweg
+ein Stücklein Brot miteinander gegessen, und jedes ass weniger
+davon, damit das andere genug bekäme. Als aber nach des Vaters Tod
+die Armut und das Handwerk die Brüder aus der elterlichen Hütte in
+die Fremde geführt hatte, blieb Franziska allein bei der alten,
+gebrechlichen Mutter zurück und pflegte ihrer, also, dass sie
+dieselbe von dem kärglichen Verdienst ernährte, den sie in einer
+Spinnfabrik erwarb, und in den langen, schlaflosen Nächten mit ihr
+wachte und aus einem alten, zerrissenen Buch von Holland erzählte,
+von den schönen Häusern, von den grossen Schiffen, von der grausamen
+Seeschlacht bei Doggersbank, und ertrug das Alter und die
+Wunderlichkeit der kranken Frau mit kindlicher Geduld. Einmal aber,
+früh um zwei Uhr, sagte die Mutter: "Bete mit mir, meine Tochter!
+Diese Nacht hat für mich keinen Morgen mehr auf dieser Welt." Da
+betete und schluchzte und küsste das arme Kind die sterbende Mutter,
+und die Mutter sagte: "Gott segne dich und sei"--und nahm die
+letzte Hälfte ihres Muttersegens "und sei dein Vergelter!" mit sich
+in die Ewigkeit. Als aber die Mutter begraben und Franziska in das
+leere Haus zurückgekommen war und betete und weinte und dachte, was
+jetzt aus ihr werden sollte, sagte etwas in ihrem Inwendigen zu ihr:
+"Geh nach Holland!" Und ihr Haupt und ihr Blick richtete sich
+langsam und sinnend empor, und die letzte Träne für diesmal blieb
+ihr in dem blauen Auge stehen. Als sie von Dorf zu Stadt und von
+Stadt zu Dorf betend und bettelnd und Gott vertrauend nach Holland
+gekommen war und so viel ersammelt hatte, dass sie sich ein sauberes
+Kleidlein kaufen konnte, in Rotterdam, als sie einsam und verlassen
+durch die wimmelnden Strassen wandelte, sagte wieder etwas in ihrem
+Inwendigen zu ihr: "Geh in selbiges Haus dort mit den vergoldeten
+Gittern am Fenster! "Als sie aber durch den Hausgang an der
+marmornen Treppe vorbei in den Hof gekommen war, denn sie hoffte,
+zuerst jemand anzutreffen, ehe sie an einer Stubentüre anpochte, da
+stand eine betagte, freundliche Frau von vornehmem Ansehen in dem
+Hofe und fütterte das Geflügel, die Hühner, die Tauben und die
+Pfauen.
+
+"Was willst du hier, mein Kind?" Franziska fasste ein Herz zu der
+vornehmen, freundlichen Frau und erzählte ihr ihre ganze Geschichte:
+"Ich bin auch ein armes Hühnlein, das Eures Brotes bedarf", sagte
+Franziska und bat sie um Dienst. Die Frau aber gewann Zutrauen zu
+der Bescheidenheit und Unschuld und zu dem nassen Auge des Mädchens
+und sagte: "Sei zufrieden, mein Kind! Gott wird dir den Segen deiner
+Mutter nicht schuldig bleiben. Ich will dir Dienst geben und für
+dich sorgen, wenn du brav bist." Denn die Frau dachte: Wer kann
+wissen, ob nicht der liebe Gott mich bestimmt hat, ihre Vergelterin
+zu sein, und sie war eines reichen Rotterdamer Kaufmanns Witwe, von
+Geburt aber eine Engländerin. Also wurde Franziska zuerst Hausmagd,
+und als sie gut und treu erfunden ward, wurde sie Stubenmagd, und
+ihre Gebieterin gewann sie lieb, und als sie immer feiner und
+verständiger ward, wurde sie Kammerjungfer. Aber jetzt ist sie noch
+nicht alles, was sie wird. Im Frühling, als die Rosen blühten, kam
+aus Genua ein Vetter der vornehmen Frau, ein junger Engländer, zu
+ihr auf Besuch nach Rotterdam, er besuchte sie fast alle Jahre um
+diese Zeit, und als sie eins und das andere hinüber und herüber
+redeten und der Vetter erzählte, wie es aussah, als die Franzosen
+vor Genua in dem engen Pass in der Bocchetta standen und die
+Österreicher davor, trat heiter und lächelnd, mit allen Reizen der
+Jugend und Unschuld geschmückt, Franziska in das Zimmer, um etwas
+aufzuräumen oder zurechtzulegen, und dem jungen Engländer, als er
+sie erblickte, ward es sonderbarlich um das Herz, und die Franzosen
+und Österreicher verschwanden ihm aus den Sinnen. "Tante", sagte er
+zu seiner Base, "Ihr habt ein bildschönes Mädchen zur Kammerjungfer.
+Es ist schade, dass sie nicht mehr ist als das." Die Tante sagte:
+"Sie ist eine arme Waise aus Deutschland. Sie ist nicht nur schön,
+sondern auch verständig, und nicht nur verständig, sondern auch
+fromm und tugendhaft und ist mir lieb geworden als mein Kind." Der
+Vetter dachte: Das lautet nicht bitter. Den andern oder dritten
+Morgen aber, als er mit der Tante in dem Garten spazierte, "wie
+gefällt dir dieser Rosenstock?" fragte die Tante; der Vetter sagte:
+"Sie ist schön, sehr schön." Die Tante sagte: "Vetter, du redest
+irr. Wer ist schön? Ich frage ja nach dem Rosenstock." Der Vetter
+erwiderte: "Die Rose",--"oder vielmehr die Franziska?" fragte die
+Tante. "Ich hab's schon gemerkt", sagte sie. Der Vetter gestand ihr
+seine Liebe zu dem Mädchen, und dass er sie heiraten möchte. Die
+Tante sagte: "Vetter, du bleibt noch drei Wochen bei mir. Wenn es
+dir alsdann noch so ist, so habe ich nichts darwider. Das Mädchen
+ist eines braven Mannes wert." Nach drei Wochen aber sagte er: "Es
+ist mir nimmer wie vor drei Wochen. Es ist noch viel ärger, und ohne
+das Mägdlein weiss ich nicht, wie ich leben soll." Also geschah der
+Verspruch. Aber es gehörte viel Zureden dazu, die Demut der frommen
+Magd zu ihrer Einwilligung zu bewegen.
+
+Jetzt blieb sie noch ein Jahr bei ihrer bisherigen Gebieterin, aber
+nicht mehr als Kammermädchen, sondern als Freundin und Verwandte in
+dem reichen Haus mit vergoldetem Fenstergitter, und noch in dieser
+Zeit lernte sie die englische Sprache, die französische, das
+Klavierspielen: "Wenn wir in höchsten Nöten sein" usw. "Der Herr,
+der aller Enden" usw. "Auf dich, mein lieber Gott, ich traue" usw.--
+und was sonst noch ein Kammermädchen nicht zu wissen braucht, aber
+eine vornehme Frau, das lernte sie alles. Nach einem Jahr kam der
+Bräutigam, noch ein paar Wochen vorher, und die Trauung geschah in
+dem Hause der Tante. Als aber von der Abreise des neuen Ehepaars die
+Rede war, schaute die junge Frau ihren Gemahl bittend an, dass sie
+noch einmal in ihrer armen Heimat einkehren und das Grab ihrer
+Mutter besuchen und ihr danken möchte, und dass sie ihre Geschwister
+und Freunde noch einmal sehen möchte. Also kehrte sie jenes Tages
+bei ihrem armen Bruder, dem Weber, ein, und als er ihr auf ihre
+Frage: "Kennst du mich, Heinrich?" keine Antwort gab, sagte sie:
+"Ich bin Franziska, deine Schwester." Da liess er vor Bestürzung das
+Schifflein aus den Händen fallen, und seine Schwester umarmte ihn.
+
+Aber er konnte sich anfänglich nicht recht freuen, weil sie so
+vornehm geworden war, und scheute sich vor dem fremden Herrn, ihrem
+Gemahl, dass sich in seiner Gegenwart die Armut und der Reichtum so
+geschwisterlich umarmen und zueinander sagen sollen Du, bis er sah,
+dass sie mit dem Gewande der Armut nicht die Demut ausgezogen und
+nur ihren Stand verändert hatte, nicht ihr Herz. Nach einigen Tagen
+aber, als sie alle ihre Verwandten und Bekannten besucht hatte,
+reiste sie mit ihrem Gemahl nach Genua, und beide leben vermutlich
+noch in England, wo ihr Gemahl nach einiger Zeit die reichen Güter
+eines Verwandten erbte.
+
+Der Hausfreund will aufrichtig gestehen, was ihn selber an dieser
+Geschichte am meisten rührt. Am meisten rührt ihn, dass der liebe
+Gott dabei war, als die sterbende Mutter ihre Tochter segnete, und
+dass er eine vornehme Kaufmannsfrau in Rotterdam in Holland und
+einen braven, reichen Engländer am welschen Meere bestellt hat, den
+Segen einer armen sterbenden Witwe an ihrem frommen Kinde gültig zu
+machen.
+
+Weg hat er aller Wege,
+an Mitteln fehlt's ihm nicht.
+
+
+
+Geschwinde Reise
+
+
+Ein italienischer Kaufmann, der auf die Frankfurter Messe reisen
+wollte, hatte sich in Stuttgart um einen Tag verspätet. Also musste
+er die Extrapost anspannen lassen. Wie fang' ich's an, dachte er,
+dass ich geschwind aus dem Feld komme, und doch mit geringen Kosten?
+"Postillion", sagte er, als er in das Kaleschlein sass, "fahr
+langsam, denn ich sitze nicht nur auf dem Kutschenkistlein, sondern
+auch auf einem Blutgeschwür, und meine entsetzliche Kopfwunde da auf
+der linken Seite wirst du hoffentlich sehn. " Eigentlich aber war
+sie nicht wohl zu sehen. Denn fürs erste war der Kopf mit einem
+Tüchlein verbunden, das zwar blutig aussah, fürs zweite hatte er
+unter dem Verband keine Wunde. "Wenn du recht langsam fahrst", sagte
+er, "auf der Station soll's dich nicht reuen." Der Postillion
+dachte: solchen Gefallen kann ich den Rossen tun und, was das
+Trinkgeld anbelangt, mir auch, und fuhr so langsam, dass die Pferde
+selber anfingen, eins nach dem andern vor langer Weile zu gähnen,
+was doch selten geschieht. Nichtsdestoweniger schrie der Italiener
+unaufhörlich: "Zetter und Mordio. O mein Kopf! o mein Bein! Fahr
+langsam!" Der Postillion sagte: "Wollt Ihr auf der Strasse über
+Nacht bleiben, so will ich Euch abladen. Ich kann nicht gar fahren,
+als wenn ich etwas anders ausführte auf den Acker. Tu ich nicht
+langsam genug?" Aber der Passagier sagte: "Ich schiess dich tot,
+wenn du nicht gemach fahrst." Auf der Station in Ludwigsburg, als er
+dem Postillion das Trinkgeld gab, gab er ihm zwei schäbige Zwölfer,
+einen Albus und ein paar verrufene Kreuzerlein, bis es einen halben
+Gulden ausmachte. Andere gaben sonst wenigstens achtundvierzig
+Kreuzer, auch einen Gulden und drüber. Wenn's recht pressiert und
+wenn's recht in der Tasche klingelt, auch einen Kronentaler. Aber
+alle Vorstellung des Postillions und alles Protestieren half nichts.
+"Hab' ich Euch nicht schlecht genug geführt", fragte er. "Nein, du
+hast mich nicht langsam genug geführt. Geh zum Henker." Der
+Postillion nahm das Geld und dachte: lieber wenig als gar nichts.
+Aber wart' nur, dachte er, du bist noch lange nicht zu Frankfurt.
+Als der Ludwigsburger die Pferde einspannte, fragte er den
+Stuttgarter: "Ist der Weg gut?"--"Schlecht", antwortete der
+Stuttgarter und winkte ihm ein wenig abseits. Ein wenig abseits
+sagte er ihm, was er für einen wunderlichen und geizigen Passagier
+führe, wie ihm noch keiner vorgekommen sei. "Fahr den Ketzer drauf
+los", sagte er, "dass die Räder davonfliegen. Er hat drei Bluteisen,
+drei Löcher im Kopf und eine gespaltene Kniescheibe." Der Passagier,
+als der Postknecht aufsass, sagte: "Fahr langsam, Schwager. Es kommt
+mir auf ein gutes Trinkgeld nicht an." Aber der Postillion dachte:
+Dein Trinkgeld kenn ich. "Meine Pferde sind auf gesunde Herrn
+dressiert", sagte er, "ich kann sie nicht halten, wenn sie im Lauf
+sind", und fuhr drauf los, als wenn die ganze türkische Armee hinter
+ihm dreinkäme. Der Passagier im Kaleschlein bittet vor Gott und nach
+Gott, lamentiert, flucht, dass sich der Himmel mit Wolken überzieht.
+Alles vergeblich. Auf der Station in Besigheim gibt er dem
+Postillion dreissig Kreuzer wie dem erstern. "Was bringst du für
+einen presthaften Herrn?" sagte der Besigheimer. "Fahr ihn gar tot",
+sagte der Ludwigsburger, "es ist ohnedem nicht mehr viel an ihm",
+und so rekommandierte ihn einer dem andern, und einer fuhr mit ihm
+geschwinder davon als der andere, so dass er noch eine Stunde früher
+nach Frankfurt kam, als nötig war. In Frankfurt sprang er zur
+Verwunderung und zum Staunen des Postillions kerngesund aus dem
+Kaleschlein heraus und gab ihm auch dreissig Kreuzer.
+
+
+
+Gleiches mit Gleichem
+
+
+Der geistliche Herr von Trudenbach stand eines Nachmittags am
+Fenster. Da ging mit seinem Zwerchsack der Jud von Brassenheim
+vorbei. "Nausel", rief ihm der geistliche Herr, "wenn du mir zu
+meinem Ross einen guten Käufer weisst, 20 Dublonen ist es wert, so
+bekommst du . . ."--"Na, was bekomm ich?"--"Einen Sack Haber."--
+Es vergingen aber drei Wochen, bis der Jud den rechten Liebhaber
+fand, der nämlich 6 Dublonen mehr dafür bezahlte als es wert war,
+und unterdessen stieg der Preis des Habers schnell auf das Doppelte,
+weil die Franzosen überall aufkauften; damals kauften sie noch. Also
+gab der geistliche Herr dem Juden statt eines ganzen Sackes voll
+einen halben. "Vielleicht bekehr' ich ihn", dachte er, "wenn er
+sieht, dass wir auch gerecht sind in Handel und Wandel."
+
+Das war nun zu nehmen, wie man wollte. Der Jud nahm's aber für recht
+und billig. "Wart nur, Gallech", dachte er, "du kommst mir wieder."
+Nach Jahresfrist stand der geistliche Herr von Trudenbach am
+Fenster, und der Jud von Brassenheim ging durch das Dorf. "Nausel",
+rief ihm der geistliche Herr, "wenn du mir zu meinen zwei fetten
+Ochsen..."--"Na was bekomm ich, wenn ich Euch einen guten Käufer
+schaffe?"--"Zwei Grosse Taler."
+
+Jetzt ging der Jud zu einem verunglückten Metzger, der schon lange
+kein Messer mehr führt, weil alles guttut nur, solange es mag, z. B.
+das Schuldigbleiben. Endlich sagte er zu seinen zwei letzten Kunden:
+"Ich weiss nicht, ich bin seit einiger Zeit so weichmütig, dass ich
+gar kein Blut mehr sehen kann", und schloss die Metzig zu. Seitdem
+heisst er zum Übernamen der Metzger Blutscheu und nährte sich wie
+der Zirkelschmied von kleinen Künsten und Projekten, wie wirklich
+eins im Werk ist. Denn an ihm suchte und fand der Jud seinen Mann
+und sagte ihm, was zu fangen sei, und auf welche Art. Nach zwei
+Tagen kamen die beiden zu dem geistlichen Herrn. Aber wie war der
+Metzger ausstaffiert? In einem halbneuen, brauntüchenen Rock, in
+langen, schön gestreiften Beinkleidern von Barchent, um den Leib
+eine leere Geldgurt, am Finger einen lotschweren silbernen Ring, ein
+dito Herz im Hemd unter dem scharlachenen Brusttuch, hinter sich her
+einen wohlgenährten Hund, alles auf des Juden Bürgschaft
+zusammengeborgt, nichts sein eigen als das rote Gesicht. Die Ochsen
+wurden kunstmässig umgangen, betastet, mit den Augen gewogen und wie
+mit einer Klafterschnur gemessen.--"Na, wie jauker."--"Zwanzig
+Dublonen."--"Siebenzehn!"--"Herr Adlerwirt", sagte der Jud, "macht
+neunzehn draus, Ihr verkauft Euch nicht."--"Die Ochsen sind brav",
+sagte der Blutscheu; "wenn ich's zwei Stunden früher gewusst hätte,
+als meine Gurt noch voll war, dass ich sie alsogleich fassen könnte,
+so wären sie mir ein paar Dublonen mehr wert. Aber am Freitag hol'
+ich sie für achtzehn", und zog den ledernen Beutel aus, als wenn er
+etwas draufgeben wollte. Unterdessen flüsterte der Jude dem
+geistlichen Herrn etwas in das Ohr, und "wenn Ihr für die Jungfer
+Köchin zwei Grosse Taler in den Kauf geben wolltet", sprach er dem
+Metzger zu, "so könnt Ihr die Ochsen alsogleich mitnehmen für
+neunzehn. Ihr seid ein Ehrenmann, und der Herr Dechant ist auch so
+einer. Am Freitag bringt Ihr ihm das Geld." Der Kauf war richtig,
+zwei Grosse Taler gingen auf die Hand. "Herr Adlerwirt", sagte der
+Jud, "Ihr habt einen guten Handel gemacht." Also trieb der Blutscheu
+die schöne, fette Beute fort. Die meisten geneigten Leser aber
+werden bereits merken, dass der Herr Dechant sein Geld am Freitag
+noch nicht bekam. Eines Nachmittags, nach vier Wochen oder nach
+sechs, stand der geistliche Herr von Trudenbach am Fenster, und der
+Jud ging durch das Dorf. "Nausel", rief der geistliche Herr ihm zu:
+
+"wo bleibt der Adlerwirt? Ich habe mein Geld noch nicht."--"Na, wo
+wird er bleiben", sagte der Nausel. "Er wird warten bis eine Dublone
+das Doppelte gilt, alsdann bringt er Euch statt neunzehn neun und
+eine halbe. Verliert Ihr etwas dabei? Hab ich vor einem Jahr an
+meinem Haber etwas verloren?"
+
+Da ging dem Herrn Dechant ein Licht auf.
+
+Das Artigste an dieser ganzen Geschichte ist die Wahrheit. Der Jud
+hat es nachgehends selber erzählt und gerühmt, wie ehrlich der
+Metzger an dem Scheideweg im Wald mit ihm geteilt habe. "Was er
+geton hat", sagte er, "den schönsten hat er für sich behalten und
+mir den geringern gegiben."
+
+
+
+Glück im Unglück
+
+
+Auf eine so sonderbare Weise ist Glück im Unglück und Unglück im
+Glück noch selten beisammen gewesen wie in dem Schicksal zweier
+Matrosen in dem letzten Seekrieg zwischen den Russen und Türken.
+Denn in einer Seeschlacht, als es sehr hitzig zuging, die Kugeln
+sausten, die Bretter und Mastbäume krachten, die Feuerbrände flogen,
+da und dort brach auf einem Schiff die Flamme aus und konnte nicht
+gelöscht werden. Es muss schrecklich sein, wenn man keine andere
+Wahl hat, als dem Tod ins Wasser entgegenzuspringen oder im Feuer zu
+verbrennen. Aber unsern zwei russischen Matrosen wurde diese Wahl
+erspart. Ihr Schiff fing Feuer in der Pulverkammer und flog mit
+entsetzlichem Krachen in die Luft. Beide Matrosen wurden mit in die
+Höhe geschleudert, wirbelten unter sich und über sich in der Luft
+herum, fielen nahe hinter der feindlichen Flotte wieder ins Meer
+hinab und waren noch lebendig und unbeschädigt, und das war ein
+Glück. Allein die Türken fuhren jetzt wie Drachen auf sie heraus,
+zogen sie wie nasse Mäuse aus dem Wasser und brachten sie in ein
+Schiff; und weil es Feinde waren, so war der Willkomm kurz. Man
+fragte sie nicht lange, ob sie vor ihrer Abreise von der russischen
+Flotte schon zu Mittag gegessen hätten oder nicht, sondern man legte
+sie in den untersten feuchten und dunkeln Teil des Schiffes an
+Ketten, und das war kein Glück. Unterdessen sausten die Kugeln fort,
+die Bretter und Mastbäume krachten, die Feuerbrände flogen, und
+paff! sprang auch das türkische Schiff, auf welchem die Gefangenen
+waren, in tausend Trümmern in die Luft. Die Matrosen flogen mit,
+kamen wieder neben der russischen Flotte ins Wasser herab, wurden
+eilig von ihren Freunden hineingezogen und waren noch lebendig, und
+das war ein grosses Glück. Allein für diese wiedererhaltene Freiheit
+und für das zum zweiten Mal gerettete Leben mussten diese guten
+Leute doch ein teures Opfer geben, nämlich die Beine. Diese Glieder
+wurden ihnen beim Losschnellen von den Ketten, als das türkische
+Schiff auffuhr, teils gebrochen, teils jämmerlich zerrissen und
+mussten ihnen, sobald die Schlacht vorbei war, unter dem Knie weg
+abgenommen werden, und das war wieder ein grosses Unglück. Doch
+hielten beide die Operation aus und lebten in diesem Zustande noch
+einige Jahre. Endlich starb doch einer nach dem andern, und das war
+nach allem, was vorhergegangen war, nicht das Schlimmste.
+
+Diese Geschichte hat ein glaubwürdiger Mann bekanntgemacht, welcher
+beide Matrosen ohne Beine selber gesehen und die Erzählung davon aus
+ihrem eigenen Munde gehört hat.
+
+
+
+Glück im Unglück
+
+
+Wie hat zu einem Bauersmann ein Doktor gesagt? "Ihr Landleute",
+sagte er, "habt's doch immer gut. Wenn des Getreides wenig gewachsen
+ist, so verkauft ihr es um einen teuern Preis. Ist es wohlfeil, so
+habt ihr viel zu verkaufen und löset auch viel Geld."--"Umgekehrt,
+Herr Doktor", sagte der Bauersmann, "wir kommen auf keinen grünen
+Zweig. Denn wenn das Getreide teuer ist, so haben wir nicht viel zu
+verkaufen. Wenn wir aber viel haben, so ist es wohlfeil und macht
+uns doch nicht reich."--Auch gut gegeben.
+
+
+
+Gute Antwort
+
+
+Wer ausgibt, muss auch wieder einnehmen. Reitet einmal ein Mann an
+einem Wirtshaus vorbei, der einen stattlichen Schmerbauch hatte,
+also, dass er auf beiden Seiten fast über den Sattel herunterhängte.
+Der Wirt steht auf die Staffel und ruft ihm nach: "Nachbar, warum
+habt Ihr denn den Zwerchsack vor Euch auf das Ross gebunden und
+nicht hinten?" Dem rief der Reitende zurück: "Damit ich ihn unter
+den Augen habe. Denn hinten gibt es Spitzbuben." Der Wirt sagte
+nichts mehr.
+
+
+
+Gute Geduld
+
+
+Ein Franzos ritt eines Tages auf eine Brücke zu, die über ein Wasser
+ging und fast schmal war, also, dass sich zwei Reitende kaum darauf
+ausweichen konnten. Ein Engländer von der andern Seite her ritt auch
+auf die Brücke zu, und als sie auf der Mitte derselben
+zusammenkamen, wollte keiner dem andern Platz machen. "Ein Engländer
+geht keinem Franzosen aus dem Wege", sagte der Engländer. "Par
+Dieu", erwiderte der Franzos, "mein Pferd ist auch ein Engländer. Es
+ist schade, dass ich hier keine Gelegenheit habe, es umzukehren und
+Euch seinen Stumpfschweif zu zeigen. Also lasst doch wenigstens
+Euern Engländer, auf dem Ihr reitet, meinem Engländer, wo ich darauf
+reite, aus dem Wege gehen. Euerer scheint ohnehin der jüngere zu
+sein; meiner hat noch unter Ludwig dem Vierzehnten gedient in der
+Schlacht bei Käferolse Anno 1702."
+
+Allein der Engländer machte sich wenig aus diesem Einfall, sondern
+sagte: "Ich kann warten. Ich habe jetzt die schönste Gelegenheit,
+die heutige Zeitung zu lesen, bis es Euch gefällt, Platz zu machen."
+Also zog er kaltblütig, wie die Engländer sind, eine Zeitung aus der
+Tasche, wickelte sie auseinander wie eine Handzwehle und las darin
+eine Stunde lang auf dem Ross und auf der Brücke, und die Sonne sah
+nicht aus, als wenn sie den Toren noch lange zusehen wollte, sondern
+neigte sich stark gegen die Berge. Nach einer Stunde aber, als er
+fertig war und die Zeitung wieder zusammenlegen wollte, sah er den
+Franzosen an und sagte: "Eh bien!" Aber der Franzos hatte den Kopf
+auch nicht verloren, sondern erwiderte: "Engländer, seid so gut und
+gebt mir jetzt Eure Zeitung auch ein wenig, dass ich ebenfalls darin
+lesen kann, bis es Euch gefällt auszuweichen." Als aber der
+Engländer diese Geduld seines Gegners sahe, sagte er: "Wisst Ihr
+was, Franzos? Kommt, ich will Euch Platz machen." Also machte der
+Engländer dem Franzosen Platz.
+
+
+
+Gutes Wort, böse Tat
+
+
+In Hertingen, als das Dorf noch rottbergisch war, trifft ein Bauer
+den Herrn Schulmeister im Felde an. "Ist's noch Euer Ernst,
+Schulmeister, was Ihr gestern den Kindern zergliedert habt: so dich
+jemand schlägt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch
+dar?" Der Herr Schulmeister sagt: "Ich kann nichts davon und nichts
+dazu tun. Es steht im Evangelium." Also gab ihm der Bauer eine
+Ohrfeige und die andere auch, denn er hatte schon lang einen
+Verdruss auf ihn. Indem reitet in einer Entfernung der Edelmann
+vorbei und sein Jäger. "Schau doch nach, Joseph, was die zwei dort
+miteinander haben." Als der Joseph kommt, gibt der Schulmeister, der
+ein starker Mann war, dem Bauer auch zwei Ohrfeigen und sagte: "Es
+steht auch geschrieben: Mit welcherlei Mass ihr messet, wird euch
+wieder gemessen werden. Ein voll gerüttelt und überflüssig Mass wird
+man in euern Schoss geben", und zu dem letzten Sprüchlein gab er ihm
+noch ein halbes Dutzend drein. Da kam der Joseph zu seinem Herrn
+zurück und sagte: "Es hat nichts zu bedeuten, gnädiger Herr; sie
+legen einander nur die heilige Schrift aus."
+
+Merke: Man muss die heilige Schrift nicht auslegen, wenn man's nicht
+versteht, am allerwenigsten so. Denn der Edelmann liess den Bauern
+noch selbige Nacht in den Turn sperren auf sechs Tage, und dem Herrn
+Schulmeister, der mehr Verstand und Respekt vor der Bibel hätte
+haben sollen, gab er, als die Winterschule ein Ende hatte, den
+Abschied.
+
+
+
+Heimliche Enthauptung
+
+
+Hat der Scharfrichter von Landau früh den 17. Juni seinerzeit die
+sechste Bitte des Vater Unsers mit Andacht gebetet, so weiss ich's
+nicht. Hat er sie nicht gebetet, so kam ein Brieflein von Nanzig am
+geschicktesten Tag. In dem Brieflein stand geschrieben: "Nachrichter
+von Landau! Ihr sollt unverzüglich nach Nanzig kommen und Euer
+grosses Richtschwert mitbringen. Was Ihr zu tun habt, wird man Euch
+sagen und wohl bezahlen."--Eine Kutsche zur Reise stand auch schon
+vor der Haustüre. Der Scharfrichter dachte: Das ist meines Amts, und
+setzte sich in die Kutsche. Als er noch eine Stunde herwärts Nanzig
+war, es war schon Abend, und die Sonne ging in blutroten Wolken
+unter, und der Kutscher hielt stille und sagte: "Wir bekommen morgen
+wieder schön Wetter", da standen auf einmal drei starke, bewaffnete
+Männer an der Strasse, die setzten sich auch zu dem Scharfrichter
+und versprachen ihm, dass ihm kein Leids widerfahren sollte; "aber
+die Augen müsst Ihr Euch zubinden lassen"; und als sie ihm die Augen
+zugebunden hatten, sagten sie: "Schwager, fahr zu!" Der Schwager
+(das ist der Kutscher) fuhr fort, und es war dem Scharfrichter, als
+wenn er noch gute zwölf Stunden weiter wäre geführt worden, und
+konnte nicht wissen, wo er war. Er hörte die Nachteulen der
+Mitternacht; er hörte die Hähne rufen; er hörte die Betglocken
+läuten. Auf einmal hielt die Kutsche wieder still. Man führte ihn in
+ein Haus und gab ihm eins zu trinken und einen guten Wurstwecken
+dazu. Als er sich mit Speise und Trank gestärkt hatte, führte man
+ihn weiter im nämlichen Haus, Tür ein und aus, Treppe auf und ab,
+und als man ihm die Binde abnahm, befand er sich in einem grossen
+Saal. Der Saal war zwar ringsum mit schwarzen Tüchern behängt, und
+auf den Tischen brannten Wachskerzen. Der Künstler aber, der
+nebenstehende Abbildung dazu verfertiget hat, sagt, es sei besser,
+er lasse das Tageslicht hinein, der Scharfrichter sehe alsdann auch
+besser zu seinem Geschäft. Denn in der Mitte sass auf einem Stuhl
+eine Person mit entblösstem Hals und mit einer Larve vor dem Gesicht
+und muss etwas in dem Mund gehabt haben, denn sie konnte nicht
+reden, sondern nur schluchzen. Aber an den Wänden standen mehrere
+Herren in schwarzen Kleidern und mit schwarzem Flor vor den
+Angesichtern, also dass der Scharfrichter keinen von ihnen gekannt
+hätte, wenn er ihm in der andern Stunde wieder begegnet wäre, und
+einer von ihnen überreichte ihm sein Schwert mit dem Befehl, dieser
+Person, die auf dem Stühlein sass, den Kopf abzuhauen. Da ward's dem
+armen Scharfrichter, als wenn er auf einmal im eiskalten Wasser
+stünde bis übers Herz, und sagte, das soll man ihm nicht übel
+nehmen; sein Schwert, das dem Dienst der Gerechtigkeit gewidmet sei,
+könne er mit einer Mordtat nicht entheiligen. Allein einer von den
+Herren hob ihm aus der Ferne eine Pistole entgegen und sagte
+"Entweder, oder! Wenn Ihr nicht tut, was man Euch heisst, so seht
+Ihr den Kirchturm von Landau nimmermehr." Da dachte der
+Scharfrichter an Frau und Kinder daheim, "und wenn's nicht anders
+sein kann", sagte er, "und ich vergiesse unschuldiges Blut, so komme
+es auf Euer Haupt", und schlug mit einem Hieb der armen Person den
+Kopf vom Leibe weg. Nach der Tat so gab ihm einer von den Herrn
+einen Geldbeutel, worin zweihundert Dublonen waren. Man band ihm die
+Augen wieder zu und führte ihn in die nämliche Kutsche zurück. Die
+nämlichen Personen begleiteten ihn wieder, die ihn gebracht hatten.
+Und als endlich die Kutsche stillehielt, und er bekam die Erlaubnis
+auszusteigen und die Binde von den Augen abzulösen, stand er wieder,
+wo die drei Männer zu ihm eingesessenes waren, eine Stunde herwärts
+Nanzig auf der Strasse nach Landau, und es war Nacht. Die Kutsche
+aber fuhr eiligs wieder zurück.
+
+Das ist dem Scharfrichter von Landau begegnet, und es wäre dem
+Hausfreund leid, wenn er sagen könnte, wer die arme Seele war, die
+auf einem so blutigen Wege in die Ewigkeit hat gehen müssen. Nein,
+es hat niemand erfahren, wer sie war, und was sie gesündiget hat,
+und niemand weiss das Grab.
+
+
+
+Herr Charles (Eine wahre Geschichte)
+
+
+Ein Kaufmann in Petersburg, von Geburt ein Franzose, wiegte eben
+sein wunderschönes Büblein auf dem Knie und machte ein Gesicht dazu,
+dass er ein wohlhabender und glücklicher Mann sei und sein Glück für
+einen Segen Gottes halte. Indem trat ein fremder Mann, ein Pole, mit
+vier kranken, halberfrorenen Kindern in die Stube. "Da bring' ich
+Euch die Kinder." Der Kaufmann sah den Polen kurios an. "Was soll
+ich mit diesen Kindern tun? Wem gehören sie? Wer schickt Euch zu
+mir?"--"Niemand gehören sie", sagte der Pole, "einer toten Frau im
+Schnee, siebenzig Stunden herwärts Wilna. Tun könnt Ihr mit ihnen,
+was Ihr wollt." Der Kaufmann sagte: "Ihr werdet nicht am rechten
+Orte sein", und der Hausfreund glaubt's auch nicht. Allein der Pole
+erwiderte, ohne sich irremachen zu lassen: "Wenn Ihr der Herr
+Charles seid, so bin ich am rechten Ort", und der Hausfreund
+glaubt's auch. Er war der Herr Charles. Nämlich es hatte eine
+Französin, eine Witwe, schon lange im Wohlstande und ohne Tadel in
+Moskau gelebt. Als aber vor fünf Jahren die Franzosen in Moskau
+waren, benahm sie sich landsmannschaftlicher gegen sie, als den
+Einwohnern wohlgefiel. Denn das Blut verleugnet sich nicht; und
+nachdem sie in dem grossen Brand ebenfalls ihr Häuslein und ihren
+Wohlstand verloren und nur ihre fünf Kinder gerettet hatte, musste
+sie, weil sie verdächtig sei, nicht nur aus der Stadt, sondern auch
+aus dem Land reisen. Sonst hätte sie sich nach Petersburg gewendet,
+wo sie einen reichen Vetter zu finden hoffte. Der geneigte Leser
+will bereits etwas merken. Als sie aber in einer schrecklichen Kälte
+und Flucht und unter unsäglichen Leiden schon bis nach Wilna
+gekommen war, krank und aller Bedürfnisse und Bequemlichkeiten für
+eine so lange Reise entblösst, traf sie in Wilna einen edlen
+russischen Fürsten an und klagte ihm ihre Not. Der edle Fürst
+schenkte ihr dreihundert Rubel, und als er erfuhr, dass sie in
+Petersburg einen Vetter habe, stellte er ihr frei, ob sie ihre Reise
+nach Frankreich fortsetzen oder ob sie mit einem Pass nach
+Petersburg umkehren wolle. Da schaute sie zweifelhaft ihr ältestes
+Büblein an, weil es das verständigste und das kränkste war. "Wo
+willst du hin, mein Sohn?"--"Wo du hingehst, Mutter", sagte der
+Knabe, und hatte recht. Denn er ging noch vor der Abreise ins Grab.
+Also versah sie sich mit dem Notwendigen und akkordierte mit einem
+Polen, dass er sie für fünfhundert Rubel nach Petersburg brächte zum
+Vetter; denn sie dachte, er wird das Fehlende schon drauflegen. Aber
+alle Tage kränker auf der langen, beschwerlichen Reise, starb sie am
+sechsten oder siebenten.--"Wo du hingehst", hatte der Knabe gesagt;
+und der arme Pole erbte von ihr die Kinder, und konnten miteinander
+so viel reden, als ein Pole verstehen mag, wenn ein französisches
+Kind russisch spricht, oder ein Französlein, wenn man mit ihm reden
+will auf polnisch. Nicht jeder geneigte Leser hätte an seiner Stelle
+sein mögen. Er war es selber nicht gern. "Was anfangen jetzt?" sagte
+er zu sich selbst. "Umkehren--wo die Kinder lassen? Weiter fahren--
+wem bringen?" Tue, was du sollst, sagte endlich etwas in seinem
+Inwendigen zu ihm. Willst du die armen Kinder um das Letzte und
+Einzige bringen, was sie von ihrer Mutter zu erben haben, um dein
+Wort, das du ihr gegeben hast? Also kniete er mit den unglücklichen
+Waisen um den Leichnam herum und betete mit ihnen ein polnisches
+Vaterunser. "Und führe uns nicht in Versuchung." Hernach liess jedes
+ein Händlein voll Schnee zum Abschied und eine Träne auf die kalte
+Brust der Mutter fallen, nämlich, dass sie ihr gerne die letzte
+Pflicht der Beerdigung antun wollten, wenn sie könnten, und dass sie
+jetzt verlassene, unglückliche Kinder seien. Hernach fuhr er getrost
+mit ihnen weiter auf der Strasse nach Petersburg, denn es wollte ihm
+nicht eingehen, dass, der ihm die Kindlein anvertraut hatte, könne
+ihn stecken lassen, und als die grosse Stadt vor seinen Augen sich
+ausdehnte, wie ein Hauderer tut, der auch erst vor dem Tor fragt, wo
+er stillhalten soll, erkundigt er sich endlich bei den Kindern, so
+gut er sich verständlich machen konnte, wo denn der Vetter wohne,
+und erfuhr von ihnen, so gut er sie verstehen konnte: "Wir wissen's
+nicht."--Wie er denn heisse? "Wir wissen's auch nicht."--Wie denn
+ihr eigener Geschlechtsname sei? "Charles." Der geneigte Leser will
+schon wieder etwas merken, und wenn's der Hausfreund für sich zu tun
+hätte, so wäre der Herr Charles der Vetter. Die Kinder wären
+versorgt, und die Erzählung hätte ein Ende. Allein die Wahrheit ist
+oft sinniger als die Erdichtung. Nein, der Herr Charles ist der
+Vetter nicht, sondern dieses Namens ein anderer, und bis auf diese
+Stunde weiss noch niemand, wie der wahre Vetter eigentlich heisst,
+nicht, ob und wo in Petersburg er wohnt. Also fuhr der arme Mann in
+grosser Verlegenheit zwei Tage lang in der Stadt herum und hatte
+Französlein feil. Aber niemand wollte ihn fragen: "Wie teuer das
+Pärlein?" und der Herr Charles begehrte sie nicht einmal geschenkt,
+und war noch nicht willens, eines zu behalten. Als aber ein Wort das
+andere gab und ihm der Pole schlicht und menschlich ihr Schicksal
+und seine Not erzählte,--eins, dachte er, will ich ihm abnehmen,--
+und es füllte sich immer wärmer in seinem Busen,--ich will ihm zwei
+abnehmen, dachte er; und als sich endlich die Kinder um ihn
+anschmiegten, meinend, er sei der Herr Vetter, und anfingen, auf
+französisch zu weinen, denn der geneigte Leser wird auch schon
+bemerkt haben, dass die französischen Kinder anders weinen, und als
+der Herr Charles die Landesart erkannte, da rührte Gott sein Herz
+an, dass ihm ward wie einem Vater, wenn er die eigenen Kinder weinen
+und klagen sieht, und "in Gottes Namen", sagte er, "wenn's so ist,
+so will ich mich nicht entziehen", und nahm die Kinder an. "Setzt
+Euch ein wenig nieder", sagte er zu dem Polen, "ich will Euch ein
+Süpplein kochen lassen."
+
+Der Pole, mit gutem Appetit und leichtem Herzen, ass die Suppe und
+legte den Löffel weg,--er legte den Löffel weg und blieb sitzen,--
+er stand auf und blieb stehen. "Seid so gut", sagte er endlich, "und
+fertigt mich jetzt ab, der Weg nach Wilna ist weit. Auf fünfhundert
+Rubel hat die Frau mit mir akkordiert"; da fuhr es doch dem milden
+Menschen, dem Herrn Charles, über das Gesicht, wie der Schatten
+einer fliegenden Frühlingswolke über die sonnenreiche Flur. "Guter
+Freund", sagte er, "Ihr kommt mir ein wenig kurios vor. Ist's nicht
+genug, dass ich Euch die Kinder abgenommen habe, soll ich Euch auch
+noch den Fuhrlohn bezahlen?" Denn das kann dem redlichsten und
+besten Gemüt begegnen, wenn's ein Kaufmann ist, jedem andern aber
+auch, dass es wider Wissen und Willen zuerst ein wenig handeln und
+markten muss, sei es auch nur mit sich selbst. Der Pole erwiderte:
+"Guter Herr, ich will Euch nicht ins Gesicht sagen, wie Ihr mir
+vorkommt. Ist's nicht genug, dass ich Euch die Kinder bringe? Sollt'
+ich sie auch noch umsonst geführt haben? Die Zeiten sind bös, und
+der Verdienst ist gering."--"Eben deswegen", sagte Herr Charles,
+"darüber lasst mich klagen. Oder meint Ihr, ich sei so reich, dass
+ich fremde Kinder aufkaufe, oder so gottlos, dass ich mit ihnen
+handle? Wollt Ihr sie wieder?" Als aber noch einmal ein Wort das
+andere gab und der Pole jetzt erst mit Staunen erfuhr, dass der Herr
+Charles gar nicht der Vetter sei, sondern nur aus Mitleiden die
+armen Waisen angenommen habe, "wenn's so ist", sagte er, "ich bin
+kein reicher Mann, und Eure Landsleute, die Franzosen, haben mich
+auch nicht dazu gemacht, aber wenn's so ist, so kann ich Euch nichts
+zumuten. Tut den armen Würmlein Gutes dafür", sagte der edle Mensch,
+und es trat ihm eine Träne ins Auge, die wie aus einem überwältigten
+Herzen kam, wenigstens überwältigte sie dem Herrn Charles das
+seinige. Monsieur Charles, dachte er, und ein armer polnischer
+Fuhrmann!--und als der Pole schon anfing, eines der Kinder nach dem
+andern zum Abschied zu küssen und sie auf polnisch zur Folgsamkeit
+und Frömmigkeit ermahnte, "guter Freund", sagte der Herr Charles,
+"bleibt noch ein wenig da. Ich bin doch so arm nicht, dass ich Euch
+nicht Euern wohlverdienten Fuhrlohn bezahlen könnte, so ich doch die
+Fracht Euch abgenommen habe", und gab ihm die fünfhundert Rubel.
+
+Also sind jetzt die Kindlein versorgt, der Fuhrlohn ist bezahlt, und
+so ein oder der andere geneigte Leser vor den Toren der grossen
+Stadt hätte zweifeln mögen, ob der Vetter auch zu finden seie, und
+ob er's, tun werde, so hat doch die heilige Vorsehung ihn nicht
+einmal dazu vonnöten gehabt.
+
+
+
+Hilfe in der Not
+
+
+Als im verwichenen Spätjahr der Zirkelschmied mit seiner Frau
+ungegessen ins Bett gehen wollte--schon seit drei Tagen war kein
+Feuer mehr in die Küche gekommen, und das letzte Mäuslein hatte sich
+ausquartiert--, da schickte ihm, wie gerufen, der Barbier von
+Brassenheim einen fetten Schinken, so gross als manches Säulein, was
+noch ganz ist, und drei Würste dazu, so lang wie Glockenseiler, und
+der Zirkelschmied wusste nicht warum; der geneigte Leser weiss es
+auch nicht. Aber er erfahrt's.
+
+Schon vor Jahr und Tagen war in Brassenheim ein fremder Mann in das
+Wirtshaus zu den drei Rosen gekommen, und der Zirkelschmied sass
+damals auch schon drin, etwa beim dritten Schöpplein oder beim
+vierten. Als der Fremde eine Zeitlang da war und dem Zirkelschmied
+weniger pfiffig als ehrlich aussah, dachte der Zirkelschmied: Ich
+will ein Gespräch mit ihm anfangen. Vielleicht lässt er sich über
+den Löffel halbieren. "Ihr seid wohl auch zum ersten Mal hier,
+seitdem der Rosenwirt dies schöne Haus gebaut hat, weil Ihr so lange
+an einem Nagel gesucht habt für Euern Kaputrock?" Der Fremde sagte:
+"Ich bin auch ein Wirt, aber ich tauschte mein Haus noch nicht gegen
+dieses, wenn eins nicht wäre."--"Habt Ihr noch namhafte Schulden
+darauf?"--"Das nicht."--"Oder riecht der Abtritt?"--"Das auch
+nicht."--"Oder habt Ihr ein böses Weib im Haus?"--"Das auch nicht,
+aber sonst nichts Gutes." Endlich erfuhr der Zirkelschmied nach
+einigem Hin- und Herreden von dem Fremden, wie er das Unglück habe
+in seinem Haus mit einem grausamen Gespenst, das alle Nacht auf
+seinem Speicher erwache und Ziegel fresse, wie man an den Brosamen
+sehe und an den Lücken im Dach. Der wohlbelehrte Leser des
+Rheinländischen Hausfreundes ist darüber im klaren, ehe man ihm
+sagt, dass dieses Gespenst nur ein boshafter Mensch, ein Feind des
+Hausbesitzers könne gewesen sein. Nämlich es war sein eigener
+Schwager, der ihm das Haus verleiden und feilmachen wollte. Der
+Zirkelschmied sagte: "Wenn Ihr mit Wissen noch kein Menschenfleisch
+gegessen und noch keinem Ross das Einmaleins abgehört habt, so ist
+Rat, wenn's Euch auf zwei Grosse Taler nicht ankommt, einen
+sogleich, den andern, wenn Euch geholfen ist." Der Fremde griff
+sogleich in die Tasche. "Jetzt geht zum Herr Barbier", sagte der
+Zirkelschmied halb leise, obgleich sonst niemand in der Stube war,
+"und klagt ihm Eure Not. Anfänglich wird er Euch kein Gehör geben,
+denn es ist ihm bei Strafe verboten. Wenn Ihr aber nicht nachlasst,
+so bekommt Ihr das Mittel" (oder den Buckel voll Schläge, dachte für
+sich der Zirkelschmied). Als aber der Fremde zu dem Barbier gekommen
+war, der ein gar vernünftiger Mann ist, fuhr der Barbier ihn an:
+"Wer hat Euch zu mir geschickt?"--"Einer in einem abgeschabten
+Röcklein und in einer schwarzen Halsbinde, hinten mit einer breiten
+messingenen Schnalle, drei Finger hoch über dem Rockkragen, hinten
+auf dem Kopf hat er noch vierundzwanzig bis dreissig Härlein und
+doch ein Kamm drin." Da hob der Barbier drohend und zürnend den
+Zeigefinger auf und sagte: "Wart, vermaledeiter Zirkelschmied, hab'
+ich dich einmal ausgekundschaftet?" Der Fremde aber fiel ihm ins
+Wort: "Stellt Euch nicht so kurios, Herr Doktor, ich weiss alles,
+und helft mir von meinem Ziegelfresser, von meinem Gespenst." Der
+Barbier bekam gute Laune, weil er den Zirkelschmied
+ausgekundschaftet hatte. "Ich will Euch ein stinkendes Rauchpulver
+geben", sagte er, "mit dem geht dem Geist auf den Leib und schlagt
+ihn, Ihr seid ein handfester Mann, mit einem braven Weidenstumpen
+lederweich, bis er vor Euch zur Erde fällt, nur nicht zu Tod, denn
+die Geister halten nichts darauf, wenn man sie zu Tod schlägt.
+Hernach geht Ihr Eures Weges, damit der Geist auch unbeschrien nach
+Hause kann."
+Solchen Rat gab dem fremden Mann der Barbier und dachte nicht daran,
+was die Sache für ein schlimmes Ende nehmen könnte. Aber sie nimmt
+ein gutes Ende. Der Hausfreund weiss es schon.
+
+Denn, wie gesagt, im verwichenen Spätjahr am Katharinentag, als der
+Barbier nach Oberwaldsheim gehen wollte, sechs Stunden von
+Brassenheim, wohin sonst sein Weg nicht war, kehrt er unterwegens
+ein in einem Wirtshaus, wie es einem einfallen kann, wenn man einen
+Schild sieht. Als er aber in der Stube war und den Wirt erblickte,
+erschrak er gar sehr und dachte: "O weh, wie werd' ich wieder da
+herauskommen", und machte in der Geschwindigkeit ein krummes Maul,
+dass ihn niemand kennen sollte, denn der Wirt war der nämliche, dem
+er das Rauchpulver gegeben hatte, und er wusste nicht, wie der
+Handel ausgegangen war. Der Wirt aber, während er ihm ein Schöpplein
+holte, sann hin und her. "Den Mann sollt' ich kennen. Wenn er nicht
+das Maul so verdammt krumm im Gesicht hätte, so wär's der Barbier
+von Brassenheim, der brave Mann, der mich vom Gespenst erlöst hat.
+Ich will nur sehen, wie er den Wein hineinbringt"; und als er
+hernach die ersten Ehrenfragen an ihn getan hatte: "Woher des Landes
+und wohin?" sagte er: "Herr Landsmann, nehmt mir meine Neugierde
+nicht zum Vorwitz auf! Wenn Euer Mund besser im Blei läge, so wollt'
+ich glauben, Ihr seid der Gregorius (Chirurgus wollte er sagen) von
+Brassenheim." Dem Barbier ging der Angstschweiss aus. "Wenn Euch
+mein krummes Maul irre macht", sagte er, "so muss der Barbier von
+Brassenheim ein gerades haben, und folglich kann ich nicht der
+nämliche sein. Zudem, so bin ich der Papiermüller von Neuhausen."
+Jetzt erzählte ihm der Wirt die ganze Geschichte, und unmerklich,
+wie sie immer besser lautete, zog sich sein Mund immer gerade in die
+Linie, "und Ihr seid es doch", rief endlich der Wirt.--"Freilich
+bin ich's", erwiderte der Barbier, "ich habe Euch nur ein wenig
+vexieren wollen, ob Ihr mich noch kennt. Aber nicht wahr", sagte er,
+"das Mittel hat geholfen?"--"Gleich aufs erste Mal", erwiderte der
+Wirt und rief voll Freude und Dankbarkeit die Frau und die Kinder
+herein und bestellte ein gutes Mittagsessen für seinen ehrenwerten
+Gast, sinnend, ob er ihm nicht sonst noch eine Ehre antun könne. Als
+daher der Barbier sich entschuldigte, dass er noch nach Waldsheim
+auf den Katharinenmarkt gehen und ein Säulein kaufen wolle, da ging
+eine freundliche Heiterkeit über das Angesicht des Wirtes, und sagte
+er zu ihm: "Ei, steht Euch keine von meinen an?" Jetzt liess er ihm
+sechs gemästete Schweine, eines grösser als das andere, in den Hof
+herausspringen. "Da sucht Euch eine heraus, Herr Doktor." Der
+Barbier kam in Verlegenheit, so ein Schwein könne er nicht bezahlen,
+auch nicht gewältigen in seiner kleinen Haushaltung. Aber der Wirt
+fasste kurzweg eine am Bein. "Die ist Euer." Also blieben sie
+beisammen über den Mittag, und als sie genug gegessen und getrunken
+hatten, befahl der Wirt dem Knecht, das Wägelein anzuspannen und den
+Herrn Doktor und die Sau nach Brassenheim zu führen.--Deswegen
+schickte der Barbier dem Zirkelschmied tags darauf den Schinken und
+die Würste, weil sein Mutwillen ihm dazu verholfen hatte. "Sieh,
+Bärbel", sagte hernachmals der Zirkelschmied zu seiner Frau, " du
+hast mich schon oft verkannt. Mit einem Mann, wie ich bin, ist eine
+Frau versorgt."
+
+
+
+Hochzeit auf der Schildwache
+
+
+Ein Regiment, das sechs Wochen lang in einem Dorfbezirk in
+Kantonierung gelegen war, bekam unversehens in der Nacht um 2 Uhr
+Befehl zum plötzlichen Aufbruch. Also war um 3 Uhr schon alles auf
+dem Marsch, bis auf eine einsame Schildwache draussen im Feld, die
+in der Eile vergessen wurde und stehen blieb. Dem Soldaten auf der
+einsamen Schildwache wurde jedoch zuerst die Zeit nicht lang, denn
+er schaute die Sterne an und dachte: "Glitzert ihr, solange ihr
+wollt, ihr seid doch nicht so schön als zwei Augen, welche jetzt
+schlafen in der untern Mühle." Gegen fünf Uhr jedoch dachte er: " Es
+könnte jetzt bald drei sein." Allein niemand wollte kommen, um ihn
+abzulösen. Die Wachtel schlug, der Dorfhahn krähte, die letzten
+Sterne, die selbigen Morgen noch kommen wollten, waren aufgegangen,
+der Tag erwachte, die Arbeit ging ins Feld, aber noch stand unser
+Musketier unabgelöst auf seinem Posten. Endlich sagte ihm ein
+Bauersmann, der auf seinem Acker wandelte, das ganze Bataillon sei
+ausmarschiert schon um drei Uhr, kein Kamaschenknopf sei mehr im
+Dorf, noch weniger der Mann dazu. Also ging der Musketier unabgelöst
+selber ins Dorf zurück. Des Hausfreunds Meinung wäre, er hätte jetzt
+den Doppelschritt anschlagen und dem Regiment nachziehen sollen.
+Allein der Musketier dachte: "Brauchen sie mich nimmer, so brauch
+ich sie auch nimmer." Zudem dachte er: Es ist nicht zu trauen. Wenn
+ich ungerufen komme und mich selber abgelöst habe, so kann's
+spanische Nudeln absetzen; er meinte Röhrlein. Zudem dachte er: Der
+untere Müller hat ein hübsches Mägdlein, und das Mägdlein hat einen
+hübschen Mund, und der Mund hat holde Küsse, und ob sonst schon
+etwas mochte geschehen sein, geht den Hausfreund nichts an. Also zog
+er das blaue Röcklein aus und verdingte sich in dem Dorf als
+Bauernknecht, und wenn ihn jemand fragte, so antwortete er wie jener
+Hüninger Deserteur, es sei ihm ein Unglück begegnet, sein Regiment
+sei ihm abhanden gekommen. Brav war der Bursche, hübsch war er auch,
+und die Arbeit ging ihm aus den Händen flink und recht. Zwar war er
+arm, aber desto besser schickte sich für ihn des Müllers
+Töchterlein, denn der Müller hatte Batzen. Kurz die Heirat kam
+zustande. Also lebte das junge Paar in Liebe und Frieden glücklich
+beisammen und bauten ihr Nestlein. Nach Verlauf von einem Jahr aber,
+als er eines Tages von dem Felde heimkam, schaute ihn seine Frau
+bedenklich an: "Fridolin, es ist jemand dagewesen, der dich nicht
+freuen wird."--"Wer?"--"Der Quartiermacher von deinem Regiment; in
+einer Stunde sind sie wieder da." Der alte Vater lamentierte, die
+Tochter lamentierte und sah mit nassen Augen ihren Säugling an. Denn
+überall gibt es Verräter. Der Fridolin aber nach kurzem Schrecken
+sagte: "Lasst mich gewähren. Ich kenne den Obrist." Also zog er das
+blaue Röcklein wieder an, das er zum ewigen Andenken hatte
+aufbewahren wollen, und sagte seinem Schwiegervater, was er tun
+soll. Hernach nahm er das Gewehr auf die Achsel und ging wieder auf
+seinen Posten. Als aber das Bataillon eingerückt war, trat der alte
+Müller vor den Obristen. "Habt doch ein Einsehen, Herr General, mit
+dem armen Menschen, der vor einem Jahr auf den Posten gestellt
+worden ist draussen an der Waldspitze. Ist es auch permittiert, eine
+Schildwache ein geschlagenes Jahr lang stehen zu lassen auf dem
+nämlichen Fleck und nicht abzulösen." Da schaut der Obrist den
+Hauptmann an, der Hauptmann schaute den Unteroffizier an, der
+Unteroffizier den Gefreiten, und die halbe Kompanie, alte gute
+Bekannte des Vermissten, liefen hinaus, die einjährige Schildwache
+zu sehen, und wie der arme Mensch müsse zusammengeschmoret sein,
+gleich einem Borstdorfer Äpfelein, das schon vier Jahre am Baum
+hängt. Endlich kam auch der Gefreite, der nämliche, der ihn vor
+zwölf Monaten auf den Posten geführt hatte, und löste ihn ab:
+"Präsentiert das Gewehr, das Gewehr auf die Schulter, Marsch", nach
+soldatischem Herkommen und Gesetz. Hernach musste er vor dem
+Obristen erscheinen, und seine junge, hübsche Frau mit ihrem
+Säugling auf den Armen begleitete ihn und mussten ihm alles
+erzählen. Der Obriste aber, der ein gütiger Herr war, schenkte ihm
+einen Federntaler und half ihm hernach zu seinem Abschied.
+
+
+
+Ist der Mensch ein wunderliches Geschöpf
+
+
+Einem König von Frankreich wurde durch seinen Kammerdiener der Namen
+eines Mannes genannt, der das 75. Jahr zurückgelegt habe und noch
+nie aus Paris herausgekommen sei. Er wisse noch auf diese Stunde
+nicht anderst als vom Hörensagen, was eine Landstrasse sei oder ein
+Ackerfeld oder der Frühling. Man könnte ihm weismachen, die Welt sei
+schon vor zwanzig Jahren untergegangen. Er müsse es glauben. Der
+König fragte, ob denn der Mann kränklich oder gebrechlich sei.
+"Nein", sagte der Kammerdiener, "er ist so gesund wie der Fisch im
+Wasser." Oder ob er trübsinnig sei. "Nein, es ist ihm so wohl wie
+dem Vogel im Hanfsamen." Oder ob er durch seiner Hände Arbeit eine
+zahlreiche Familie zu ernähren habe. "Nein, er ist ein wohlhabender
+Mann. Er mag eben nicht. Es nimmt ihn nicht wunder." Des verwunderte
+sich der König und wünschte diesen Menschen zu sehen. Der Wunsch
+eines Königs von Frankreich ist bald erfüllt, zwar auch nicht jeder,
+aber dieser, und der König redete mit dem Menschen von allerlei, ob
+er schon lange gesund und wohlauf sei. "Ja, Sire", erwiderte er,
+"allbereits 75 Jahre." Ob er in Paris geboren sei. "Ja, Sire! Es
+müsste kurios zugegangen sein, wie ich anderst hineingekommen wäre,
+denn ich bin noch nie draussen gewesen."--"Das soll mich doch
+wunder nehmen", erwiderte der König. "Denn eben deswegen hab' ich
+Euch rufen lassen. Ich höre, dass Ihr allerlei verdächtige Gänge
+macht, bald zu diesem Tor hinaus, bald zu jenem. Wisst Ihr, dass man
+schon lange auf Euch Achtung gibt?" Der Mann war über diesen Vorwurf
+ganz erstaunt und wollte sich entschuldigen. Das müsse ein anderer
+sein, der seinen Namen führe, oder so. Aber der König fiel ihm in
+die Rede: "Kein Wort mehr! Ich hoffe, Ihr werdet in Zukunft nicht
+mehr aus der Stadt gehen ohne meine ausdrückliche Erlaubnis."--Ein
+rechter Pariser, wenn ihm der König etwas befiehlt, denkt nicht
+lange, ob es notwendig sei und ob es nicht auch anderst ebensogut
+sein könnte, sondern er tut's. Der Unsrige war ein rechter,
+obgleich, als auf seinem Heimweg die Postkutsche vor ihm vorbeifuhr,
+dachte er: "O ihr Glücklichen da drinnen, dass ihr aus Paris
+hinausdürft!" Als er nach Hause kam, las er die Zeitung wie alle
+Tage. Aber diesmal fand er nicht viel drin. Er schaute zum Fenster
+hinaus, das war auf einmal so langweilig. Er las in einem Buch, das
+war auf einmal so einfältig. Er ging spazieren, er ging in die
+Komödie, in das Wirtshaus, das war so alltäglich. So das erste
+Vierteljahr lang, so das zweite, und mehr als einmal im Gasthaus
+sagte er zu seinen Nachbarn: "Freunde, es ist ein hartes Wort,
+fünfundsiebenzig Jahre kontinuierlich in Paris gelebt zu haben und
+jetzt erst nicht hinauszudürfen." Endlich im dritten Vierteljahr
+konnte er's nimmer aushalten, sondern meldete sich einen Tag um den
+andern wegen der Erlaubnis: das Wetter sei so hübsch, oder es sei
+heut' ein schöner Regentag. Er wolle sich gern auf seine Kosten von
+einem vertrauten Mann begleiten lassen, wenn's sein müsse, auch von
+zweien. Aber vergebens. Nach Verlauf aber eines schmerzlich
+durchlebten Jahrs, gerade am nämlichen Tage, als er abends nach
+Hause kam, fragt er mit bösem Gesicht die Frau: "Was ist das für ein
+neues Kaleschlein im Hof? Wer will mich zum besten haben?"
+
+"Herzensschatz", antwortete die Frau, "ich habe dich überall suchen
+lassen. Der König schenkt dir das Kaleschlein und die Erlaubnis,
+darin spazieren zu fahren, wohin du willst." "Ma foi!" erwiderte der
+Mann mit besänftigter Miene, "der König ist gerecht."--"Aber nicht
+wahr", fuhr die Gattin fort, "morgen fahren wir spazieren aufs
+Land?"--"Ei nun", erwiderte der Mann kalt und ruhig, "wir wollen
+sehn. Wenn's auch morgen nicht ist, so kann's ein ander Mal sein,
+und am Ende, was tun wir draussen? Paris ist doch am schönsten
+inwendig."
+
+
+
+Jakob Humbel
+
+
+Jakob Humbel, eines armen Bauern Sohn von Boneschwyl im
+Schweizer-Kanton Aargau, kann jedem seinesgleichen zu einem
+lehrreichen und aufmunternden Beispiel dienen, wie ein junger
+Mensch, dem es ernst ist, etwas Nützliches zu lernen und etwas
+Rechtes zu werden, trotz allen Hindernissen am Ende seinen Zweck
+durch eigenen Fleiss und Gottes Hilfe erreichen kann.
+
+Jakob Humbel wünschte von früher Jugend an ein Tierarzt zu werden,
+um in diesem Beruf seinen Mitbürgern viel Nutzen leisten zu können.
+Das war sein Dichten und Trachten Tag und Nacht.
+
+Sein Vater gab ihn daher in seinem 16. Jahr einem sogenannten
+Viehdoktor von Mummental in die Lehre, der aber kein geschickter
+Mann war.
+
+Bei diesem lernte er zwei Jahre, bekam alsdann einen braven
+Lehrbrief und wusste alles, was sein Meister wusste, nämlich
+Tränklein und Salben kochen, auch Pflaster kneten für den bösen
+Wind, sonst nichts--und das war nicht viel.
+
+Ich weiss einen, der wäre damit zufrieden gewesen, hätte nun auf
+seinen Lehrbrief und seines Meisters Wort Salben gekocht, Pflaster
+gestrichen drauf und dran für den bösen Wind, das Geld dafür
+genommen und selber gemeint, er sei's.
+
+Jakob Humbel nicht also. Er ging zu einem andern Viehdoktor in
+Oberoltern im Emmental noch einmal in die Lehre, hielt abermal ein
+Jahr bei ihm aus, bekam abermal einen braven Lehrbrief und wusste
+abermal--nichts, weil auch dieser Meister die wichtige Kunst selber
+nicht verstand, keine Kenntnis hatte von der innern Beschaffenheit
+eines Tieres im gesunden und kranken Zustand und von der Natur der
+Arzneimittel.
+
+Ich weiss einen, der hätt's jetzt bleiben lassen, wär' eben wieder
+heimgekommen, wie er fortgegangen, und hätt' sich mit andern
+getröstet, aus denen auch nichts hat werden wollen.
+
+Fast sah es mit unserm armen Jakob Humbel ebenso aus. Mit bösen
+Wind-Salben war wenig Geld, noch weniger Kredit und Ehre zu
+verdienen. Was er verdiente, zog der Vater. Humbel wurde gemeiner
+Tagelöhner, ging in armseliger Kleidung umher, ohne Geld und ohne
+Rat, und dennoch hatte er noch immer den Tierarzt--nicht im Kopf,
+denn das wäre schon recht gewesen, sondern im sehnsuchtsvollen
+Verlangen. Jetzt verdingte er sich als Hausbedienter bei Herrn
+Ringier im Klösterli zu Zofingen. Bei diesem Herrn war er drei
+Jahre, bekam einen guten Lohn und wurde gütig behandelt wie ein
+Kind.
+
+Ich weiss einen, der hätte die Güte eines solchen Herrn missbraucht,
+wäre meisterlos worden, den Lohn hätten bekommen der Wirt und der
+Spielmann.
+
+Aber Jakob Humbel wusste mit seinem Verdienst etwas Besseres
+anzufangen. Oft, wann er bei dem Essen aufwartete, hörte er die
+Herren am Tisch französisch reden. Da kam er auf den Gedanken, diese
+Sprache auch zu lernen. Vermutlich hoffte er dadurch auf irgend eine
+Art leichter zu seinem Zweck zu kommen, noch ein geschickter und
+braver Tierarzt zu werden. Er ging mit seinem zusammengesparten
+Verdienst nach Nyon in die Schulanstalt des Herrn Snell und lernte
+so viel, als in neun Monaten zu lernen war. Jetzt war sein Vorrat
+verzehrt, und ehe er seine Studien fortsetzen konnte, musste er
+darauf denken, wie er wieder Geld verdiente.
+
+Gott wird mich nicht verlassen, dachte er. Er ging zu Herrn Landvogt
+Bucher in Wildenstein als Kammerdiener in Diensten, erwarb sich bei
+diesem und nachher bei einem andern Herrn wieder etwas Geld und
+befand sich im Jahr 1798, als die Franzosen in die Schweiz kamen, in
+seinem Geburtsort zu Boneschwyl und trieb mit seinem erworbenen Geld
+einen kleinen Kornhandel nach Zürich, der recht gut vonstatten ging
+und seine Barschaft nach Wunsch vermehrte. Jetzt war er im Begriff,
+ins Ausland zu gehen und von dem ehrlich erworbenen Geld endlich
+seine Kunst rechtschaffen zu studieren. Da wurde ein Korps von
+18’000 Mann helvetischer Hilfstruppen errichtet. Die Gemeinde
+Boneschwyl musste acht Mann stellen. Die jungen Bursche müssen
+spielen: den guten Jakob Humbel trifft das Los, Soldat zu werden.
+Ich weiss einen, der hätte gedacht: die Welt ist gross, und der Weg
+ist offen; wär' mit seiner kleinen Barschaft zum Teufel gangen und
+hätte seine Mitbürger dafür sorgen lassen, wo sie statt seiner den
+achten Mann nehmen wollten.
+
+Aber Jakob Humbel liebt sein Vaterland und ist ein ehrliches Blut.
+
+Er stellte einen Mann, den er zwei Jahre lang auf seine Kosten
+unterhalten musste. Das Beste von seinem erworbenen Vermögen, wovon
+er noch etwas lernen wollte, ging zu seinen unsäglichen Schmerzen
+drauf, und er dachte: jetzt habe ich hohe Zeit, sonst ist's Mathä am
+letzten. Mit diesem Gedanken nahm er den Rest seiner Habschaft in
+die Tasche, einen Stecken in die Hand und lief eines Gangs, ohne
+sich umzusehen, nach Karlsruhe, und als er auf der Mühlburger
+Strasse zwischen den langen Reihen der Pappelbäume die Stadt
+erblickte, da dachte er: Gottlob! und Gott wird mir helfen.
+
+Guter Jakob Humbel, Gott hilft jedem, der sich wie du von Gott will
+helfen lassen, und du hast es erfahren.
+
+In Karlsruhe ist nämlich eine öffentliche Anstalt zum Unterricht in
+der Tierarzneikunst. Die Lehrstunden werden unentgeltlich erteilt.
+Die sehr geschickten Lehrer geben sich Mühe, ihre Lehrjünger
+gründlich zu unterrichten. Schon mancher brave Tierarzt hat in
+dieser nützlichen Schule sich zu seinem Beruf vorbereitet und
+gebildet.
+
+Hier war nun Humbel in seinem rechten Element, an der reichen
+Quelle, wo er seinen lang gehaltenen Durst nach Wissenschaft
+befriedigen konnte, lernte ein krankes Tier mit andern Augen
+anschauen als in Mummental und Emmental, konnte andere Sachen lernen
+als Wind machen und bösen Wind vertreiben und war nicht viel im
+Bierhaus zur Stadt Berlin oder im Wirtshaus zur Stadt Strassburg
+oder in Klein-Karlsruhe im Wilhelm Tell zu sehen, ob er gleich sein
+Landsmann war, auch nicht einmal recht am Sonntag auf dem
+Paradeplatz oder zur Mühlburg im Rappen, sondern vom frühen Morgen
+bis in die späte Nacht beschäftigte er sich zwanzig Monate lang
+unerfüllte und unverdrossen mit seiner Kunst, und wenn er wieder
+etwas Neues, Schönes und Nützliches gelernt hatte, so machte ihn das
+am Abend vergnügter als der Zapfenstreich mit der schönsten
+türkischen Musik; zumal wenn ihm bei derselben sein Kostgänger
+einfiel bei den helvetischen Hilfstruppen.
+
+Endlich kehrte er als ein ausgelernter Tierarzt mit den schönsten
+Zeugnissen seiner Lehrer aus Karlsruhe freudig in sein Vaterland
+zurück, wurde von dem Sanitätsrat in dem Kanton Aargau geprüft,
+legte zu jedermann Erstaunen und Freude die weitläufigsten und
+gründlichsten Kenntnisse an den Tag, erhielt mit wohlverdienten
+Lobsprüchen und Ehren das Patent auf seine Kunst--und ist nun nach
+allen ausgestandenen Schwierigkeiten und Mühseligkeiten am schönen
+Ziel seiner lebenslänglichen Wünsche, einer der geschicktesten und
+angesehensten Tierärzte in dem ganzen Schweizerlande.
+
+Jetzt weiss ich vier, die denken: wenn solcher Mut und Ernst dazu
+gehört, etwas Braves zu lernen, so ist's kein Wunder, dass aus mir
+nichts hat werden wollen.
+
+Weisst du was? Nimm Gott zu Hilfe, und probiere es noch!
+
+
+
+Kaiser Napoleon und die Obstfrau in Brienne
+
+
+Der grosse Kaiser Napoleon brachte seine Jugend als Zögling in der
+Kriegsschule zu Brienne zu, und wie? Das lehrten in der Folge seine
+Kriege, die er führte, und seine Taten. Da er gerne Obst ass, wie
+die Jugend pflegt, so bekam eine Obsthändlerin daselbst manchen
+schönen Batzen von ihm zu lösen. Hatte er je einmal kein Geld, so
+borgte sie. Bekam er Geld, so bezahlte er. Aber als er die Schule
+verliess, um nun als kenntnisreicher Soldat auszuüben, was er dort
+gelernt hatte, war er ihr doch einige Taler schuldig. Und als sie
+das letzte Mal ihm einen Teller voll saftiger Pfirsiche oder süsser
+Trauben brachte, "Fraulein", sagte er, "jetzt muss ich fort und kann
+Euch nicht bezahlen. Aber Ihr sollt nicht vergessen sein." Aber die
+Obstfrau sagte: "O reisen Sie wegen dessen ruhig ab, edler junger
+Herr. Gott erhalte Sie gesund und mache aus Ihnen einen glücklichen
+Mann!"--Allein auf einer solchen Laufbahn, wie diejenige war,
+welche der junge Krieger jetzt betrat, kann doch auch der beste Kopf
+so etwas vergessen, bis zuletzt das erkenntliche Gemüt ihn wieder
+daran erinnert. Napoleon wird in kurzer Zeit General und erobert
+Italien. Napoleon geht nach Ägypten, wo einst die Kinder Israel das
+Zieglerhandwerk trieben, und liefert ein Treffen bei Nazareth, wo
+vor 1800 Jahren die hochgelobte Jungfrau wohnte. Napoleon kehrt
+mitten durch ein Meer voll feindlicher Schiffe nach Frankreich und
+Paris zurück und wird Erster Konsul. Napoleon stellt in seinem
+unglücklich gewordenen Vaterlande die Ruhe und Ordnung wieder her
+und wird französischer Kaiser, und noch hatte die gute Obstfrau in
+Brienne nichts als sein Wort: "Ihr sollt nicht vergessen sein!" Aber
+ein Wort, noch immer so gut als bares Geld und besser. Denn als der
+Kaiser in Brienne einmal erwartet wurde, er war aber in der Stille
+schon dort und mag wohl sehr gerührt gewesen sein, wenn er da an die
+vorige Zeit gedachte und an die jetzige, und wie ihn Gott in so
+kurzer Zeit und durch so viele Gefahren unversehrt bis auf den neuen
+Kaiserthron geführt hatte, da blieb er auf der Gasse plötzlich
+stille stehen, legte den Finger an die Stirne wie einer, der sich
+auf etwas besinnt, nannte bald darauf den Namen der Obstfrau,
+erkundigte sich nach ihrer Wohnung, so ziemlich baufällig war, und
+trat mit einem einzigen treuen Begleiter zu ihr hinein. Eine enge
+Türe führte ihn in ein kleines, aber reinliches Zimmer, wo die Frau
+mit zwei Kindern am Kamin kniete und ein sparsames Abendessen
+bereitete.
+
+"Kann ich hier etwas zur Erfrischung haben?" so fragte der Kaiser.--
+"Ei ja!" erwiderte die Frau, "die Melonen sind reif", und holte
+eine. Während die zwei fremden Herren die Melone verzehrten und die
+Frau noch ein paar Reiser an das Feuer legte, "kennt Ihr denn den
+Kaiser auch, der heute hier sein soll?" fragte der eine. "Er ist
+noch nicht da", antwortete die Frau, "er kommt erst. Warum soll ich
+ihn nicht kennen? Manchen Teller und manches Körbchen voll Obst hat
+er mir abgekauft, als er noch hier in der Schule war."--"Hat er
+denn auch alles ordentlich bezahlt?"--"Ja freilich, er hat alles
+ordentlich bezahlt." Da sagte zu ihr der fremde Herr: "Frau, Ihr
+geht nicht mit der Wahrheit um, oder Ihr müsst ein schlechtes
+Gedächtnis haben. Fürs erste, so kennt Ihr den Kaiser nicht. Denn
+ich bin's. Fürs andere hab' ich Euch nicht so ordentlich bezahlt,
+als Ihr sagt, sondern ich bin Euch zwei Taler schuldig oder etwas;"
+und in diesem Augenblick zählte der Begleiter auf den Tisch
+eintausendundzweihundert Franken, Kapital und Zins. Die Frau, als
+sie den Kaiser erkannte und die Goldstücke auf dem Tisch klingeln
+hörte, fiel ihm zu Füssen und war vor Freude und Schrecken und
+Dankbarkeit ganz ausser sich, wie man ihr auf nebenstehender
+Abbildung wohl ansehen kann; und die Kinder schauen auch einander an
+und wissen nicht, was sie sagen sollen. Der Kaiser aber befahl
+nachher, das Haus niederzureissen und der Frau ein anderes an den
+nämlichen Platz zu bauen. "In diesem Hause", sagte er, "will ich
+wohnen, so oft ich nach Brienne komme, und es soll meinen Namen
+führen." Der Frau aber versprach er, er wolle für ihre Kinder
+sorgen.
+
+Wirklich hat er auch die Tochter derselben bereits ehrenvoll
+versorgt, und der Sohn wird auf kaiserliche Kosten in der nämlichen
+Schule erzogen, aus welcher der grosse Held selber ausgegangen ist.
+
+
+
+Kannitverstan
+
+
+Der Mensch hat wohl täglich Gelegenheit, in Emmendingen und
+Gundelfingen so gut als in Amsterdam Betrachtungen über den
+Unbestand aller irdischen Dinge anzustellen, wenn er will, und
+zufrieden zu werden mit seinem Schicksal, wenn auch nicht viel
+gebratene Tauben für ihn in der Luft herumfliegen. Aber auf dem
+seltsamsten Umweg kam ein deutscher Handwerksbursche in Amsterdam
+durch den Irrtum zur Wahrheit und zu ihrer Erkenntnis. Denn als er
+in diese grosse und reiche Handelsstadt voll prächtiger Häuser,
+wogender Schiffe und geschäftiger Menschen gekommen war, fiel ihm
+sogleich ein grosses und schönes Haus in die Augen, wie er auf
+seiner ganzen Wanderschaft von Tuttlingen bis nach Amsterdam noch
+keines erlebt hatte. Lange betrachtete er mit Verwunderung dies
+kostbare Gebäude, die sechs Kamine auf dem Dach, die schönen Gesimse
+und die hohen Fenster, grösser als an des Vaters Haus daheim die
+Tür. Endlich konnte er sich nicht entbrechen, einen Vorübergehenden
+anzureden. "Guter Freund", redete er ihn an, "könnt Ihr mir nicht
+sagen, wie der Herr heisst, dem dieses wunderschöne Haus gehört mit
+den Fenstern voll Tulipanen, Sternenblumen und Levkojen?"--Der Mann
+aber, der vermutlich etwas Wichtigeres zu tun hatte und zum Unglück
+gerade so viel von der deutschen Sprache verstand als der Fragende
+von der holländischen, nämlich nichts, sagte kurz und schnauzig:
+"Kannitverstan", und schnurrte vorüber. Dies war nur ein
+holländisches Wort oder drei, wenn man's recht betrachtet, und
+heisst auf deutsch soviel als: Ich kann Euch nicht verstehn. Aber
+der gute Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, nach dem er
+gefragt hatte. Das muss ein grundreicher Mann sein, der Herr
+Kannitverstan, dachte er und ging weiter. Gass aus Gass ein kam er
+endlich an den Meerbusen, der da heisst: Het Ei, oder auf deutsch:
+das Ypsilon. Da stand nun Schiff an Schiff und Mastbaum an Mastbaum,
+und er wusste anfänglich nicht, wie er es mit seinen zwei einzigen
+Augen durchfechten werde, alle diese Merkwürdigkeiten genug zu sehen
+und zu betrachten, bis endlich ein grosses Schiff seine
+Aufmerksamkeit an sich zog, das vor kurzem aus Ostindien angelangt
+war und jetzt eben ausgeladen wurde. Schon standen ganze Reihen von
+Kisten und Ballen auf- und nebeneinander am Lande. Noch immer wurden
+mehrere herausgewälzt und Fässer voll Zucker und Kaffee, voll Reis
+und Pfeffer und salveni Mausdreck darunter. Als er aber lange
+zugesehn hatte, fragte er endlich einen, der eben eine Kiste auf der
+Achsel heraustrug, wie der glückliche Mann heisse, dem das Meer all
+diese Waren an das Land bringe. "Kannitverstan", war die Antwort. Da
+dachte er: Haha, schaut's da heraus? Kein Wunder, wem das Meer
+solche Reichtümer an das Land schwemmt, der hat gut solche Häuser in
+die Welt stellen und solcherlei Tulipanen vor die Fenster in
+vergoldeten Scherben. Jetzt ging er wieder zurück und stellte eine
+recht traurige Betrachtung bei sich selbst an, was er für ein armer
+Teufel sei unter so viel reichen Leuten in der Welt. Aber als er
+eben dachte: Wenn ich's doch nur auch einmal so gut bekäme, wie
+dieser Herr Kannitverstan es hat, kam er um eine Ecke und erblickte
+einen grossen Leichenzug. Vier schwarz vermummte Pferde zogen einen
+ebenfalls schwarz überzogenen Leichenwagen langsam und traurig, als
+ob sie wüssten, dass sie einen Toten in seine Ruhe führten. Ein
+langer Zug von Freunden und Bekannten des Verstorbenen folgte nach,
+Paar und Paar, verhüllt in schwarze Mäntel und stumm. In der Ferne
+läutete ein einsames Glöcklein. Jetzt ergriff unsern Fremdling ein
+wehmütiges Gefühl, das an keinem guten Menschen vorübergeht, wenn er
+eine Leiche sieht, und er blieb mit dem Hut in den Händen andächtig
+stehen, bis alles vorüber war. Doch machte er sich an den letzten
+vom Zug, der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner
+Baumwolle gewinnen könnte, wenn der Zentner um zehn Gulden
+aufschlüge, ergriff ihn sachte am Mantel und bat ihn treuherzig um
+Exküse. "Das muss wohl auch ein guter Freund von Euch gewesen sein,"
+sagte er, "dem das Glöcklein läutet, dass Ihr so betrübt und
+nachdenklich mitgeht." "Kannitverstan!" war die Antwort. Da fielen
+unserm guten Tuttlinger ein paar grosse Tränen aus den Augen, und es
+ward ihm auf einmal schwer und wieder leicht ums Herz. "Armer
+Kannitverstan," rief er aus, "was hast du nun von allem deinem
+Reichtum? Was ich einst von meiner Armut auch bekomme: ein
+Totenkleid und ein Leintuch, und von allen deinen schönen Blumen
+vielleicht einen Rosmarin auf die kalte Brust oder eine Raute." Mit
+diesem Gedanken begleitete er die Leiche, als wenn er dazu gehörte,
+bis ans Grab, sah den vermeinten Herrn Kannitverstan hinabsenken in
+seine Ruhestätte und ward von der holländischen Leichenpredigt, von
+der er kein Wort verstand, mehr gerührt als von mancher deutschen,
+auf die er nicht achtgab. Endlich ging er leichten Herzens mit den
+andern wieder fort, verzehrte in einer Herberge, wo man Deutsch
+verstand, mit gutem Appetit ein Stück Limburger Käse, und wenn es
+ihm wieder einmal schwer fallen wollte, dass so viele Leute in der
+Welt so reich seien und er so arm, so dachte er nur an den Herrn
+Kannitverstan in Amsterdam, an sein grosses Haus, an sein reiches
+Schiff und an sein enges Grab.
+
+
+
+Kindesdank und Undank
+
+
+Man findet gar oft, wenn man ein wenig aufmerksam ist, dass Menschen
+im Alter von ihren Kindern wieder ebenso behandelt werden, wie sie
+einst ihre alten und kraftlosen Eltern behandelt haben. Es geht auch
+begreiflich zu. Die Kinder lernen's von den Eltern; sie sehen's und
+hören's nicht anders und folgen dem Beispiel. So wird es auf die
+natürlichsten und sichersten Wege wahr, was gesagt wird und
+geschrieben ist, dass der Eltern Segen und Fluch auf den Kindern
+ruhe und sie nicht verfehle.
+
+Man hat darüber unter andern zwei Erzählungen, von denen die erste
+Nachahmung und die zweite grosse Beherzigung verdient.
+Ein Fürst traf auf einem Spazierritt einen fleissigen und frohen
+Landmann an dem Ackergeschäft an und liess sich mit ihm in ein
+Gespräch ein. Nach einigen Fragen erfuhr er, dass der Acker nicht
+sein Eigentum sei, sondern dass er als Tagelöhner täglich um 15
+Kreuzer arbeite. Der Fürst, der für sein schweres Regierungsgeschäft
+freilich mehr Geld brauchte und zu verzehren hatte, konnte es in der
+Geschwindigkeit nicht ausrechnen, wie es möglich sei, täglich mit 15
+Kreuzern auszureichen und noch so frohen Mutes dabei zu sein, und
+verwunderte sich darüber. Aber der brave Mann im Zwilchrock
+erwiderte ihm: "Es wäre mir übel gefehlt, wenn ich so viel brauchte.
+Mir muss ein Dritteil davon genügen; mit einem Dritteil zahle ich
+meine Schulden ab, und den übrigen Dritteil lege ich auf Kapitalien
+an." Das war dem guten Fürsten ein neues Rätsel. Aber der fröhliche
+Landmann fuhr fort und sagte: "Ich teile meinen Verdienst mit meinen
+alten Eltern, die nicht mehr arbeiten können, und mit meinen
+Kindern, die es erst lernen müssen; jenen vergelte ich die Liebe,
+die sie mir in meiner Kindheit erwiesen haben, und von diesen hoffe
+ich, dass sie mich einst in meinem müden Alter auch nicht verlassen
+werden." War das nicht artig gesagt und noch schöner und edler
+gedacht und gehandelt? Der Fürst belohnte die Rechtschaffenheit des
+wackern Mannes, sorgte für seine Söhne, und der Segen, den ihm seine
+sterbenden Eltern gaben, wurde ihm im Alter von seinen dankbaren
+Kindern durch Liebe und Unterstützung redlich entrichtet.
+
+Aber ein anderer ging mit seinem Vater, welcher durch Alter und
+Kränklichkeit freilich wunderlich geworden war, so übel um, dass
+dieser wünschte, in ein Armenspital gebracht zu werden, das im
+nämlichen Orte war. Dort hoffte er wenigstens bei dürftiger Pflege
+von den Vorwürfen frei zu werden, die ihm daheim die letzten Tage
+seines Lebens verbitterten. Das war dem undankbaren Sohn ein
+willkommenes Wort. Ehe die Sonne hinter den Bergen hinabging, war
+dem armen, alten Greis sein Wunsch erfüllt. Aber er fand im Spital
+auch nicht alles, wie er wünschte. Wenigstens liess er seinen Sohn
+nach einiger Zeit bitten, ihm die letzte Wohltat zu erweisen und ihm
+ein paar Leintücher zu schicken, damit er nicht alle Nacht auf
+blossem Stroh schlafen müsste. Der Sohn suchte die zwei
+schlechtesten, die er hatte, heraus und befahl seinem zehnjährigen
+Kind, sie dem alten Murrkopf ins Spital zu bringen. Aber mit
+Verwunderung bemerkte er, dass der kleine Knabe vor der Tür eines
+dieser Tücher in einen Winkel verbarg und folglich dem Grossvater
+nur eines davon brachte. "Warum hast du das getan?" fragte er den
+Jungen bei seiner Zurückkunft.--"Zur Aushilfe für die Zukunft",
+erwiderte dieser kalt und bösherzig, "wenn ich Euch, o Vater! auch
+einmal in das Spital schicken werde."
+
+Was lernen wir daraus?--Ehre Vater und Mutter, auf dass es dir
+wohlgehe!
+
+
+
+König Friedrich und sein Nachbar
+
+
+Der König Friedrich von Preussen hatte acht Stunden von Berlin
+freilich ein schönes Lustschloss und war gerne darin, wenn nur nicht
+ganz nahe daneben die unruhige Mühle gewesen wäre. Denn erstlich
+stehn ein königliches Schloss und eine Mühle nicht gut
+nebeneinander, obgleich das Weissbrot schmeckt auch in dem Schloss
+nicht übel, wenn's die Mühle fein gemahlen und der Ofen wohl
+gebacken hat. Ausserdem aber, wenn der König in seinen besten
+Gedanken war und nicht an den Nachbar dachte, auf einmal liess der
+Müller das Wasser in die Räder schiessen und dachte auch nicht an
+den Herrn Nachbar, und die Gedanken des Königs stellten das
+Räderwerk der Mühle nicht, aber manchmal das Klapperwerk der Räder
+die Gedanken des Königs. Der geneigte Leser sagt: "Ein König hat
+Geld wie Laub, warum kauft er dem Nachbar die Mühle nicht ab und
+lässt sie niederreissen?" Der König wusste, warum. Denn eines Tages
+liess er den Müller zu sich rufen. "Ihr begreift", sagte er zu ihm,
+"dass wir zwei nicht nebeneinander bestehen können. Einer muss
+weichen. Was gebt Ihr mir für mein Schlösslein?"--Der Müller sagte:
+"Wie hoch haltet Ihr es, königlicher Herr Nachbar?" Der König
+erwiderte ihm: "Wunderlicher Mensch, so viel Geld habt Ihr nicht,
+dass Ihr mir mein Schloss abkaufen könnt. Wie hoch haltet Ihr Eure
+Mühle?" Der Müller erwiderte: "Gnädigster Herr, so habt auch Ihr
+nicht so viel Geld, dass Ihr mir meine Mühle abkaufen könnt. Sie ist
+mir nicht feil." Der König tat zwar ein Gebot, auch das zweite und
+dritte, aber der Nachbar blieb bei seiner Rede. "Sie ist mir nicht
+feil. Wie ich darin geboren bin", sagte er, "so will ich darin
+sterben, und wie sie mir von meinen Vätern erhalten worden ist, so
+sollen sie meine Nachkommen von mir erhalten und auf ihr den Segen
+ihrer Vorfahren ererben." Da nahm der König eine ernsthaftere
+Sprache an: "Wisst Ihr auch, guter Mann, dass ich gar nicht nötig
+habe, viel Worte zu machen? Ich lasse Euere Mühle taxieren und
+breche sie ab. Nehmt alsdann das Geld, oder nehmt es nicht!" Da
+lächelte der unerschrockene Mann, der Müller, und erwiderte dem
+König: "Gut gesagt, allergnädigster Herr, wenn nur das Hofgericht in
+Berlin nicht wäre." Nämlich, dass er es wolle auf einen
+richterlichen Ausspruch ankommen lassen. Der König war ein gerechter
+Herr und konnte überaus gnädig sein, also dass ihm die
+Herzhaftigkeit und Freimütigkeit einer Rede nicht missfällig war,
+sondern wohlgefiel. Denn er liess von dieser Zeit an den Müller
+unangefochten und unterhielt fortwährend mit ihm eine friedliche
+Nachbarschaft. Der geneigte Leser aber darf schon ein wenig Respekt
+haben vor einem solchen Nachbar und noch mehr vor einem solchen
+Herrn Nachbar.
+
+
+
+König Friedrichs Leibhusar
+
+
+Der Leibhusar König Friedrichs von Preussen muss mit seinem Herrn in
+gutem Vernehmen gestanden haben. Denn einmal gab ihm der König wegen
+eines Versehens eine Ohrfeige, dass ihm die Haarlocke, wie man sie
+damals noch an den Seiten des Kopfes trug, aufeinanderfuhr und der
+weisse Puder davonflog, also, dass man's draussen ihm wohl ansehen
+konnte, wenn er hinauskam. Der Leibhusar bat wegen seines Versehens
+um Verzeihung, stellte sich aber geradewegs vor des Königs grossen
+Spiegel, der im Zimmer war, richtete seine Locke wieder zurecht und
+stäubte mit dem Schnupftuch den Puder vom Kleid, welches
+unschicklich war. Dem König kam's auch so vor, denn er sagte: "Was
+fällt dir ein? Willst du noch eine?" Der Leibhusar sagte: Nein, er
+habe genug an einer; "aber die andern", sagte er, "brauchen nicht zu
+wissen, wenn ich hinauskomme, was zwischen uns vorgefallen ist." Da
+lächelte der König wieder und war nimmer böse über den Leibhusar.
+
+Item, einmal tut so etwas gut, ein ander Mal nicht.
+
+
+
+Lange Kriegsfuhr
+
+
+Dies ist die Geschichte, die dem Hausfreund vor einem Jahr ein
+unsichtbarer Freund geschenkt hat, und der Freund sagt, er kenne die
+Abkömmlinge des Wirts, und die Sache sei ganz gewiss.
+
+Im Dreissigjährigen Krieg, der Schwed zog durch ein namhaftes Dorf
+im Wiesenkreis und in dem Dorf durchs Wirtshaus, und im Durchziehen
+durch den Hof blieb der Knecht des Wirts mit einem Wagen und vier
+Pferden an der Kolonne hängen. Denn er musste Tornister führen und
+Offizierskisten und Weibsleute. Der Meister sagte: "Komm bald wieder
+heim, Jobbi!" Der Jobbi dachte: An mir soll's nicht fehlen. Die
+Meisterin weinte und lamentierte, aber ein schwedischer Korporal
+sagte: "Man wird Ross nicht fressen. Tatar frisst Ross." Indessen
+ging die erste Tagsstation nur bis nach Freiburg, die zweite nur bis
+nach Kippenheim, die dritte nur bis nach Ortenberg, die vierte nur
+bis nach Hornberg, die fünfte nur bis nach Villingen im Schwarzwald.
+Dem armen Jobbi so hoch droben bei den Wolken war schon das Leben
+feil, und die Pferde hätten auch gern ins Gras gebissen, aber noch
+lieber in den Haber. Und unter allen vieren beklagte der Jobbi am
+meisten sein Lieblingsross, den Jockli, dass er schon in seinen
+besten Jahren ein Kriegsheld werden musste. Aber das half alles
+nichts. Wo man hinkam, waren keine Fuhren zu haben; so musste der
+Jobbi und der Jockli mit, ungefragt und ungebeten, bis weit hinein
+ins Schwabenland und hintersich und fürsich, und aus so viel Tagen
+wurden so viel Monate und mehr, bis er einmal zwischen einem Montag
+und Dienstag Gelegenheit fand, eine Spazierfahrt für sich zu machen
+ins Freie. Die österreichischen Vorposten riefen ihn an: "Wer da?"--
+"Gut Freund."--"Wer ist gut Freund?" "Der Jobbi von da und da."
+"Bassa mallergi", sagte der Korporal, "bist du Jobbi von da und da?"
+Der Korporal hatte auch schon einen Schluck Branntwein oder
+vierundzwanzig bei seinem Meister getrunken und kannte den Jobbi,
+und der Vorpostenhauptmann war auch schon auf dem Jockli nach
+Waldshut geritten und kannte den Jockli. Also sagte der Hauptmann:
+"Willst du einen Pass nach Haus oder willst du bei uns bleiben und
+Geld genug verdienen?" Da dachte der Jobbi: Aufgegeben hat mich der
+Meister schon lang und einen andern Zug gekauft. Attrapiert mich
+unterwegs der Schwed, so geht's zu bösen Häusern oder gar zu bösen
+Bäumen, und der Mund stand ihm voll Wasser, wenn er sah, wie die
+österreichischen Dukaten flogen und auf den Boden fielen, und
+niemand buckte sich darnach. Denn der österreichische Krieg hat
+Geld. Also blieb der Jobbi bei der Armee, hauderte hin und her, bis
+nach Pressburg hinein im Ungarland und wieder zurück, handelte auch
+ein wenig und gewann Hüte voll Geld. Der Wagen zerbrach; er kaufte
+sich einen neuen. Ein Pferd fiel nach dem andern, die Beute hatte
+andere. Nur der Jockli hielt aus bergauf und ab, durch dick und
+dünn. Gleichwohl dachte der alte Knabe oft an den Meister und an die
+Meisterin daheim, und wie er auch wieder einmal zurückwolle, wenn's
+sauber sei im Reich. Und der Meister und die Meisterin daheim
+dachten auch manchmal an den Jobbi selig, und wie es ihm möge
+ergangen sein bei den Schweden. Eines Tags, als schon alle Kanonen
+vom Rhein bis an die Donau und bis an die Ostsee versaust hatten,
+die Meisterin schnitt die Suppe ein zum Mittagessen, und der Wirt
+richtete den Zeiger an der Wanduhr, denn es schlug auf der Kirche,
+da seufzte die Frau und sagte nichts. Der Meister fragt: "Was fehlt
+dir?"--"He nichts", sagte sie; "ich hab' an den Jobbi gedacht, Gott
+hab' ihn selig, und an den schönen Zug; heut jährt sich's wieder."--
+" Es wird sich noch vielmal jähren", sagte der Mann; "gottlob! dass
+wieder Ruhe im Lande ist." Indem tritt der Hausknecht herein und
+sagt: "Meister, da draussen haltet ein obsonater Gesell, ein Ungar
+mit schneeweissem Bart und 4. Rossen, der aussieht wie ein
+Marketender, und hat auch so ein Brannteweinfässlein auf dem Wagen.
+
+Kommt mir der Sapperment frangschemang in den Stall und sagt: An
+diesem Platz bin ich der Meister; drauf jagt er Eure Pferde in den
+Hof hinaus und bindet die seinigen an. Ist noch Krieg oder ist's
+Frieden?" Indem der Meister hinauswill, kommt der Ungar hinein und
+sagt: Gemach!--Der Wirt fragt: "Woher des Landes? Solche Gäste
+haben wir auch schon gehabt." "Eine Halbe will ich", sagte der
+Ungar, "von Eurem Besten und zwei Gläser."--"Das ist nicht von
+Euerm Besten", sagte er nachher. "Von dem Grenzacher will ich im
+hintern Keller oder von dem Laufemer hinter der Brotbahre, wo die
+Katz darauf sitzt." Der Wirt sagt: "Woher wisst Ihr, was ich für
+Wein im Keller habe?" Der Ungar sagt: "Von Euerm alten Knecht, dem
+Jobbi", und wollte sich noch lange verstellen. Als er aber seinen
+Namen hörte, wiewohl er ihn selber aussprach, konnte er nimmer an
+sich halten, sondern ergriff die Hand des Meisters, und die Tränen
+rannen ihm aus den Augen in den weissen Bart wie der köstliche
+Balsam, der herabfliesst in den Bart Aarons, der herabfleusst in
+sein Kleid und Lust und Freude erregt. "Ich bin ja der alte Jobbi",
+sagte der vermeinte Ungar, "wo einmal bei Euch"--aber der Wirt und
+die Wirtin unterbrachen ihn mit einem lauten Freudengeschrei, "und
+den Jockli hab' ich auch wieder mitgebracht", sagte der Jobbi, "die
+andern sind neu." Jetzt ging's an ein Bewillkommen und an ein
+Fragen, der Wirt rief die Kinder zusammen, der Jobbi sei wieder da,
+und die Mutter brachte die Kleinen, eins an der Hand, eins auf dem
+Arme; aber sie fürchteten sich und schrieen vor dem fremden Bart;
+und der Herr Schulmeister kam im Vorbeigehen auch hinein. Als aber
+der Meister ein Glas zum Willkommen mit ihm getrunken hatte und
+wollte ihm das zweite einschenken, sagte der Jobbi: "Das Fässlein!
+Wir müssen zuerst das Fässlein abladen." Drauf brachte der Wirt, der
+Jobbi und der Hausknecht ein Fässlein, aber nicht mit Branntwein,
+nein, voll kaiserlicher Taler und Kremnitzer Dukaten, ab dem Wagen
+herein, so schwer sie tragen konnten. "Dies ist Euer Geld", sagte
+der Jobbi, "das ich Euch ehrlich verdient habe. Ich verlange nichts
+als für die sechs Jahre meinen Lohn und für den Jockli den
+Ruhestand." Der Meister sagte: "Du sollst keinen Lohn von mir
+bekommen, sondern du sollst das Kind im Hause sein, und zwar das
+älteste." Aber der Jobbi sagte: "Ihr habt unterdessen, wie ich sehe,
+Kinder genug bekommen. Lasst mich, wie ich bin" und ging mit einem
+Mund voll Brot hinaus, um nach den Pferden zu sehen und seine alten
+Geschäfte zu verrichten wie vorher, als wenn er nie weggegessen
+wäre.
+
+Also blieb er bis an sein Ende im Dienste seines Meisters und
+vermachte ihm, weil er keinen Erben hatte, noch sein Vermögen von
+520 Pfund Basler Währung, tut 416 Gulden rheinisch. Der Meister aber
+rührte das Geld nicht an, sondern stiftete es für die Armen.
+
+Merke: der Hausfreund kann letzteres nicht für gewiss sagen. Aber er
+denkt so: War der Jobbi ein guter Knecht, so war der Meister ein
+guter Mensch. Fromme Herrschaft zieht frommes Gesinde. Grobheit,
+Fluchen und Geiz ist der falsche Weg zu gutem Gesind, hinten herum.
+
+Ist also der Wirt ein so räsonabler Mann gewesen, hat er auch das
+Geld den Armen geschenkt.
+
+
+
+List gegen List
+
+
+Einem namhaften Goldschmied hatten zwei vornehm gekleidete Personen
+für 3000 Taler kostbare Kleinode abgekauft für auf die Krönung in
+Ungarn. Hernach bezahlten sie ihm tausend Taler bar, legten alles,
+was sie ausgesucht hatten, in ein Schächtelein zusammen, siegelten
+das Schächtelein zu und gaben es dem Goldschmied gleichsam als
+Unterpfand für die noch fehlende Summe wieder in Verwahrung;
+wenigstens kam es dem Goldschmied so vor, als wenn es das nämliche
+wäre. "In vierzehn Tagen", sagten sie, "bringen wir Euch die
+fehlende Summe und nehmen alsdann das Schächtelein in Empfang."
+Alles wurde schriftlich gemacht. Allein es vergehen drei Wochen,
+niemand meldet sich. Der Krönungstag geht vorüber, es gehen noch
+vier Wochen vorüber. Niemand will mehr nach dem Schächtelein fragen.
+Endlich dachte der Goldschmied: "Was soll ich euch euer Eigentum
+hüten auf meine Gefahr und mein Kapital tot drinnen liegen haben?"
+Also wollte er das Schächtelein in Beisein einer obrigkeitlichen
+Person eröffnen und die bereits empfangenen 1000 Taler hinterlegen.
+Als es aber geöffnet ward, "lieber, guter Goldschmied", sagte der
+Aktuarius, "wie seid Ihr von den zwei Spitzbuben angeschmiert."
+Nämlich in dem Schächtelein lagen statt Edelgestein Kieselstein und
+Fensterblei statt Goldes. Die zwei Kaufleute waren spitzbübische
+Taschenspieler, böhmische Juden, brachten das wahre Schächtelein
+unvermerkt auf die Seit und gaben dem Goldschmied ein anderes
+zurück, welches ebenso aussah. "Goldschmied", sagte der Aktuarius,
+"hier ist guter Rat teuer. Ihr seid ein unglücklicher Mann." Indem
+trat wohlgekleidet und ehrbar ein Fremder zur Türe herein und wollte
+dem Goldschmied allerlei krummgebogenes Silbergeschirr und
+einsechtige (einzelne) Schnallen verkaufen und sah den Spektakel.
+"Goldschmied", sagte er, als der Aktuarius fort war, "Euer Lebelang
+müsst Ihr Euch nicht mit den Schreibern einlassen. Haltet Euch an
+praktische Männer. Habt Ihr das Herz, eine Wurst an eine Speckseite
+zu setzen, Euch ist zu helfen. Wenn Euer Schächtelein oder der Wert
+dafür noch in der Welt ist: ich schaff Euch die Spitzbuben wieder
+ins Haus."--"Wer seid Ihr, um Vergebung?" fragte der Goldschmied.--
+"Ich bin der Zundelfrieder", erwiderte der Fremde mit Vertrauen und
+mit einem recht liebenswürdig freundlichen Spitzbubengesicht. Wer
+den Frieder nicht persönlich kennt wie der Hausfreund, der kann sich
+keine Vorstellung davon machen, wie ehrlich und gutmütig er sich
+anstellen und dem vorsichtigsten Menschen so unwiderstehlich das
+Herz und das Vertrauen abstehlen kann wie das Geld. Auch ist er in
+der Tat so schlimm nicht, als man ihn zwischen Bühl und Achern dafür
+hält. Ob nun der Goldschmied noch überdies an das Sprichwort dachte,
+dass man Spitzbuben am besten mit Spitzbuben fangen könne, oder ob
+er an ein anderes Sprichwort dachte, dass, wer das Ross geholt hat,
+der hole auch den Zaum (wegen einer guten Freundin will ihn der
+Hausfreund nicht mit Namen nennen), kurz, der Goldschmied vertraut
+sich dem Frieder an. "Aber ich bitte Euch", sagte er, "betrügt mich
+nicht." "Verlasst Euch auf mich", sagte der Frieder, "und erschreckt
+nicht allzusehr, wenn Ihr morgen früh wieder um etwas klüger
+geworden seid!" Vielleicht ist der Freister auf einer Spur? Nein, er
+ist noch auf keiner. Aber wer in selbiger Nacht dem Goldschmied auch
+noch vier Dutzend silberne Löffel, sechs silberne Salzbüchslein,
+sechs goldene Ringe mit kostbaren Steinen holte, das war der
+Frieder. Manch geneigter Leser, der auf ihn nicht viel halten will,
+wird denken: "Das geschah dir recht." Desto besser. Denn dem
+Goldschmied war es auch recht. Nämlich auf dem Tisch fand er von dem
+Zundelfrieder einen eigenhändigen Empfangschein, dass er obige
+Artikel richtig erhalten habe, und ein Schreiben, wie sich der
+Goldschmied nun weiter zu verhalten habe. Nämlich er zeigt jetzt
+nach des Frieders Anleitung den Diebstahl bei Amt an und bat um
+einen Augenschein. Hernach bat er den Amtmann, die verlorenen
+Artikel in allen Zeitungen bekannt zu machen. Hernach bat er, auch
+das versiegelte Schächtelein mit seiner ganzen Beschreibung mit in
+das Verzeichnis zu setzen, um etwas. Der Amtmann sah ins Klare und
+verwilligte ihm den Wunsch. "Einem honetten Goldschmied", dachte er,
+"kann ein Mann, der eine Haushaltung führt, etwas zum Gefallen tun."
+
+Also verlauft es sich in alle Zeitungen, dem Goldschmied sei
+gestohlen worden das und das, unter andern ein Schächtelein so und
+so mit vielen kostbaren Edelgesteinen, die alle benannt wurden. Die
+Nachricht kam bis nach Augsburg. "Löb", schmunzelte dort ein
+böhmischer Jud dem andern zu, "der Goldschmied wird nie erfahren,
+was in dem Schächtelein war. Weisst du, dass es ihm gestohlen ist?"
+- "Desto besser", sagte der Löb, "so muss er uns auch unser Geld
+zurückgeben und hat gar nichts." Kurz, die Betrüger gehn dem Frieder
+in die Falle und kommen wieder zu dem Goldschmied. "Seid so gut und
+gebt uns itzt das Schächtelein! Nicht wahr, wir haben Euch ein wenig
+lange warten lassen?"--"Liebe Herren", erwiderte der Goldschmied,
+"euch ist unterdessen ein grosses Unglück geschehen, das
+Schächtelein ist euch gestohlen. Habt ihr's noch in keiner Zeitung
+gelesen?" Der Löb erwiderte mit ruhiger Stimme: "Das wäre uns leid,
+aber das Unglück wird wohl auf Eurer Seite sein. Ihr liefert uns das
+Schächtelein ab, wie wir's Euch in die Hände gegeben haben, oder Ihr
+gebt uns unser vorausbezahltes Geld zurück. Die Krönung ist ohnehin
+vorüber."--Man sprach hin, man sprach her, "und das Unglück wird
+eben doch auf Euerer Seite sein", nahm wieder der Goldschmied das
+Wort. Denn im nämlichen Augenblick traten jetzt mit seiner Frau vier
+Hatschiere in die Stube, handfeste Männer, wie sie sind, und fassten
+die Spitzbuben. Das Schächtelein war nimmer aufzutreiben, aber das
+Zuchthaus und so viel Geld und Geldeswert, als nötig war, den
+Goldschmied zu bezahlen. Aus Dankbarkeit zerriss der Goldschmied
+hernach den Empfangschein des Frieders. Aber der Frieder brachte ihm
+alles wieder und verlangte nichts für seinen guten Rat. "Wenn ich
+einmal etwa von Euerer Ware benötiget bin", sagte er, "so weiss ich
+ja jetzt den Weg in Euern Laden und zu Euerm Kästlein. Wenn ich nur
+alle Spitzbuben zu Grunde richten könnte", sagte er, "dass ich der
+einzige wäre." Denn eifersüchtig ist er.
+
+
+
+Mancherlei gute Lehren
+
+
+Die Menschen nehmen oft ein kleines Ungemach viel schwerer auf und
+tragen es ungeduldiger als ein grosses Unglück, und der ist noch
+nicht am schlimmsten daran, der viel zu klagen hat und alle Tage
+etwas anders. Erfahrung und Übung im Unglück lehrt schweigen. Aber
+wenn ihr einen Menschen wisst, der nicht klagt und doch nicht
+fröhlich sein kann, ihr fragt ihn, was ihm fehle, und er sagt's euch
+kurz und gut oder gar nicht, dem sucht ein gutes Zutrauen
+abzugewinnen, wenn ihr es wert seid, und ratet und helft ihm, wenn
+ihr könnt.
+
+
+
+Mancherlei gute Lehren 2
+
+
+Ist denn der Mensch deswegen so schlimm und so schlecht, weil die
+bösen Neigungen zuerst in seinem Herzen erwachen und das Gute nur
+durch Erziehung und Unterricht bei ihm anschlägt? Euer bester
+Ackerboden trägt doch auch nur Gras und Unkraut aus eigener Kraft,
+und euer Leben lang keine Weizenernte; und ein dürres Sandfeld, das
+nicht einmal aus eigener Kraft Unkraut treibt, wird auch euern
+Fleiss und eure Hoffnung nie mit einer Fruchtgarbe erfreuen. Aber
+wenn ihr den guten Boden ansäet zu rechter Zeit, sein wartet und
+pfleget, wie sich's gebühret, so steigt im Morgentau und Abendregen
+doch eine fröhliche Saat empor, und die Raden und Kornrosen und
+mancherlei taubes Gras möchte gern, aber es kann nicht mehr
+emporkommen. Die gesunde Ähre schwankt in der Luft und füllt sich
+mit kostbaren Körnern. So ist es mit dem Menschen und mit seinem
+Herzen auch. Was lernen wir daraus? Man muss nicht unzeitig klagen
+und hadern und die Hoffnung aufgeben, ehe sie erfüllt werden kann.
+Man muss den Fleiss, die Mühe und Geduld, die man an eine Handvoll
+Fruchthalmen gerne verwendet, an den eigenen Kindern sich nicht
+verdriessen lassen. Man muss dem Unkraut zuvorkommen und guten
+Samen, schöne Tugenden in das weiche, zarte Herz hineinpflanzen und
+Gott vertrauen, so wird's besser werden.
+
+
+
+Mancherlei gute Lehren 3
+
+
+Man vergisst im menschlichen Leben nichts so leicht als das
+Multiplizieren, wenn man es noch so gut in der Schule gelernt hat
+und kann. Und doch lernt man in der Schule für das Leben, und die
+Weisheit besteht nicht im Wissen, sondern in der rechten Anwendung
+und Ausübung davon.
+
+Es kann jemand einen Tag in den andern nur einen Groschen
+unnötigerweise ausgeben. Mancher, der den Groschen übrig hat, tut es
+und meint, es sei nicht viel. Aber in einem Jahr sind es 365
+Groschen und in dreissig Jahren 10’950 Groschen. Facit 547 Gulden 30
+Kreuzer weggeworfenes Geld, und das ist doch viel.
+
+Ein anderer kann einen Tag in den andern zwei Stunden unnütz und im
+Müssiggang zubringen und meint jedesmal, für heute lasse es sich
+verantworten. Das multipliziert sich in einem Jahr zu 730 Stunden
+und in dreissig Jahren zu 21’900 Stunden. Facit 912 verlorne Tage
+des kurzen Lebens. Das ist noch mehr als 547 Gulden, wer's bedenkt.
+- Die Erde hat 5400 Deutsche Meilen oder 10’800 Stunden im Umkreis.
+Das ist ein weiter Weg. Aber wenn man in gerader Linie fortgehen
+könnte, und es wollte jemand jeden Tag nur eine Stunde daran
+zurücklegen, so könnte er im dreissigsten Jahr bei guter Zeit wieder
+daheim sein. Oder wenn er jeden Tag zehn Stunden auf seine Reise
+verwenden wollte, so könnte er in zehn Jahren zehnmal um die ganze
+grosse Erde herumkommen. Daraus ist zu lernen, wie weit ein Mensch
+in seinem Leben es nach und nach bringen kann, wenn er zu einem
+nützlichen Geschäft jeden Tag nur eine Stunde anwenden will, und
+wieviel weiter noch, wenn er alle Tage dazu benutzt, besser und
+vollkommener zu werden und sein eigenes Wohl und das Wohl der
+Seinigen zu befördern. Aber wer nie anfängt, der hört nie auf, und
+wem wenig auf einmal nicht genug ist, der erfährt nie, wie man nach
+und nach zu vielem kommt.
+
+
+
+Mancherlei gute Lehren 4
+
+
+Zum Erwerben eines Glücks gehört Fleiss und Geduld und zur Erhaltung
+desselben gehört Mässigung und Vorsicht. Langsam und Schritt für
+Schritt steigt man eine Treppe hinauf. Aber in einem Augenblick
+fällt man hinab und bringt Wunden und Schmerzen genug mit auf die
+Erde.
+
+
+
+Mancherlei gute Lehren 5
+
+
+Es sagt ein altes Sprichwort: Selber essen macht fett. Ich will noch
+ein paar dazusetzen: Selber Achtung geben macht verständig. Und
+selber arbeiten macht reich. Wer nicht mit eigenen Augen sieht,
+sondern sich auf andere verlässt, und wer nicht selber Hand anlegt,
+wo es nötig ist, sondern andere tun lässt, was er selber tun soll,
+der bringt's nicht weit, und mit dem Fettwerden hat es bald ein
+Ende.
+
+
+
+Mancherlei gute Lehren 6
+
+
+Ein anderes Sprichwort heisst so: Wenn man den Teufel an die Wand
+malt, so kommt er. Das sagt mancher und versteht's nicht. Den bösen
+Geist kann man eigentlich nicht an die Wand malen, sonst wäre es
+kein Geist. Auch kann er nicht kommen. Denn er ist mit Ketten der
+Finsternis in die Hölle gebunden. Was will denn das Sprichwort
+sagen? Wenn man viel an das Böse denkt und sich dasselbe in Gedanken
+vorstellt oder lang davon spricht, so kommt zuletzt die Begierde zu
+dem Bösen in das Herz, und man tut's. Soll der böse Feind nicht
+kommen, so mal' ihn nicht an die Wand! Willst du das Böse nicht tun,
+so denke nicht daran, wo du gehst und stehst, und sprich nicht
+davon, als wenn es etwas Angenehmes und Lustiges wäre.
+
+
+
+Mancherlei gute Lehren 7
+
+
+Einmal ist keinmal. Dies ist das verlogenste und schlimmste unter
+allen Sprichwörtern, und wer es gemacht hat, der war ein schlechter
+Rechnungsmeister oder ein boshafter. Einmal ist wenigstens einmal
+und daran lässt sich nichts abmarkten. Wer einmal gestohlen hat, der
+kann sein Leben lang nimmer mit Wahrheit und mit frohem Herzen
+sagen: "Gottlob! ich habe mich nie an fremdem Gut vergriffen." Und
+wenn der Dieb erhascht und gehenkt wird, alsdann ist einmal nicht
+keinmal. Aber das ist noch nicht alles, sondern man kann meistens
+mit Wahrheit sagen: Einmal ist zehnmal und hundert- und tausendmal.
+Denn wer das Böse einmal angefangen hat, der setzt es gemeiniglich
+auch fort. Wer A gesagt hat, der sagt auch gern B, und alsdann tritt
+zuletzt ein anderes Sprichwort ein, dass der Krug so lange zum
+Brunnen gehe, bis er bricht.
+
+
+
+Mancherlei gute Lehren 8
+
+
+Nun kommen zwei Sprichwörter, und die sind beide wahr, wenn sie
+schon einander widersprechen. Von zwei unbemittelten Brüdern hatte
+der eine keine Lust und keinen Mut, etwas zu erwerben, weil ihm das
+Geld nicht zu den Fenstern hineinregnete. Er sagte immer: "Wo nichts
+ist, kommt nichts hin." Und so war es auch. Er blieb sein Leben lang
+der arme Bruder Wonichtsist, weil es ihm nie der Mühe wert war, mit
+einem kleinen Ersparnis den Anfang zu machen, um nach und nach zu
+einem grössern Vermögen zu kommen. So dachte der jüngere Bruder
+nicht. Der pflegte zu sagen: "Was nicht ist, das kann werden." Er
+hielt das wenige, was ihm von der Verlassenschaft der Eltern zu teil
+geworden war, zu Rat und vermehrte es nach und nach durch eigenes
+Ersparnis, indem er fleissig arbeitete und eingezogen lebte.
+
+Anfänglich ging es hart und langsam. Aber sein Sprichwort: Was nicht
+ist, kann werden, gab ihm immer Mut und Hoffnung. Mit der Zeit ging
+es besser. Er wurde durch unverdrossenen Fleiss und Gottes Segen
+noch ein reicher Mann und ernährt jetzt die Kinder des armen Bruders
+Wonichtsist, der selber nichts zu beissen und zu nagen hat.
+
+
+
+Mancherlei gute Lehren 9
+
+
+"Ein Narr fragt viel, worauf kein Weiser antwortet." Das muss
+zweimal wahr sein. Fürs erste kann gar wohl der einfältigste Mensch
+eine Frage tun, worauf auch der weiseste keinen Bescheid zu geben
+weiss. Denn Fragen ist leichter als Antworten, wie Fordern oft
+leichter ist als Geben, Rufen leichter als Kommen. Fürs andere
+könnte manchmal der Weise wohl eine Antwort geben, aber er will
+nicht, weil die Frage einfältig ist oder wortwitzig, oder weil sie
+zur Unzeit kommt. Gar oft erkennt man ohne Mühe den einfältigen
+Menschen am Fragen und den verständigen am Schweigen. Da heisst es
+alsdann: Keine Antwort ist auch eine Antwort. Von dem Doktor Luther
+verlangte einst jemand zu wissen, was wohl Gott vor Erschaffung der
+Welt die lange, lange Ewigkeit hindurch getan habe. Dem erwiderte
+der fromme und witzige Mann: in einem Birkenwald sei der liebe Gott
+gesessen und habe zur Bestrafung für solche Leute, die unnütze
+Fragen tun, Ruten geschnitten.
+
+
+
+Mancherlei gute Lehren 10
+
+
+"Rom ist nicht in einem Tage erbaut worden." Damit entschuldigen
+sich viele fahrlässige und träge Menschen, welche ihr Geschäft nicht
+treiben und vollenden mögen und schon müde sind, ehe sie recht
+anfangen. Mit dem Rom ist es aber eigentlich so zugegangen. Es haben
+viele fleissige Hände viele Tage lang vom frühen Morgen bis zum
+späten Abend unverdrossen daran gearbeitet und nicht abgelassen, bis
+es fertig war und der Hahn auf dem Kirchturm stand. So ist Rom
+entstanden! Was du zu tun hast, mach's auch so!
+
+
+
+Mancherlei gute Lehren 11
+
+
+"Frisch gewagt, ist halb gewonnen." Daraus folgt: "Frisch gewagt,
+ist auch halb verloren." Das kann nicht fehlen. Deswegen sagt man
+auch: "Wagen gewinnt, Wagen verliert." Was muss also den Ausschlag
+geben? Prüfung, ob man auch die Kräfte habe zu dem, was man wagen
+will, Überlegung, wie es anzufangen sei, Benutzung der günstigen
+Zeit und Umstände, und hintennach, wenn man sein mutiges A gesagt
+hat, ein besonnenes B und ein bescheidenes C. Aber so viel muss wahr
+bleiben: wenn etwas Gewagtes soll unternommen werden und kann nicht
+anders sein, so ist ein frischer Mut zur Sache der Meister, und der
+muss dich durchreissen. Aber wenn du immer willst und fangst nie an,
+oder du hast schon angefangen, und es reut dich wieder und willst,
+wie man sagt, auf dem trockenen Lande ertrinken, guter Freund, dann
+ist "schlecht gewagt ganz verloren".
+
+
+
+Mancherlei gute Lehren 12
+
+
+Ende gut, alles gut. Ist nicht so zu verstehen: wenn du ein Jahr
+lang in einem Hause zu bleiben hast, so führe dich 364 Tage lang
+bengelhaft auf, und am 31. Dezember werde manierlich. Sondern es
+gibt Leute, die manierlich sein können bis ans Ende, und wenn's
+nimmer lang währt, so werden sie ungezogen, trotzig, sagen: "Ich bin
+froh, dass es nimmer lang währt", und die andern denken's auch. Für
+diese ist das Sprichwort.
+
+Item, es gibt Dinge, ob sie gut oder bös sind, kann erst das Ende
+lehren. Z. B. du bist krank, möchtest gern essen, was dir der Arzt
+verbietet, gern auf die Gasse giessen, was du trinken musst, aber du
+wirst gesund--oder du bist in der Lehre und meinst manchmal, der
+Lehrherr sei wunderlich, aber du wirst durch seine Wunderlichkeit
+ein geschickter Weissgerber oder Orgelmacher;--oder du bist im
+Zuchthaus, der Zuchtmeister könnte dir wohl die Suppe fetter machen,
+aber du wirst durch Wasser und Brot nicht nur gesättigt, sondern
+auch gebessert. Dann lehrt das gute Ende, dass alles gut war.
+
+
+
+Merkwürdige Gespenstergeschichte
+
+
+Verwichenen Herbst fuhr ein fremder Herr durch Schliengen, so ein
+schöner, braver Ort ist. Den Berg hinauf aber ging er zu Fuss wegen
+den Rossen und erzählte einem Grenzacher folgende Geschichte, die
+ihm selber begegnet ist.
+
+Als der Herr ein halbes Jahr vorher nach Dänemark reiste, kommt er
+auf den späten Abend in einen Flecken, wo nicht weit davon auf einer
+Anhöhe ein sauberes Schlösslein stand, und will über Nacht bleiben.
+Der Wirt sagt, er habe keinen Platz mehr für ihn, es werde morgen
+einer gerichtet, und seien schon drei Scharfrichter bei ihm über
+Nacht. So erwidert der Herr: "Ich will denn dort in das Schlösslein
+gehen. Der Zwingherr, oder wem es angehört, wird mich schon
+hineinlassen und ein leeres Bett für mich haben." Der Wirt sagt:
+"Manch schönes Bett mit seidenen Umhängen steht aufgeschlagen in den
+hohen Gemächern; und die Schlüssel hab' ich in Verwahrung. Aber ich
+will es Euch nicht raten. Der gnädige Herr ist schon vor einem
+Vierteljahr mit seiner Frau und mit dem Junker auf eine weite Reise
+gezogen, und seit der Zeit wüten im Schlösslein die Gespenster. Der
+Schlossvogt und das Gesinde konnten nimmer bleiben; und wer seitdem
+in das Schlösslein gekommen ist, der geht zum zweiten Mal nimmer
+hinein." Darüber lächelt der fremde Herr; denn er war ein herzhafter
+Mann, der nichts auf die Gespenster hielt, und sagt: "Ich will's
+probieren." Trotz aller Widerrede musste ihm der Wirt den Schlüssel
+geben; und nachdem er sich mit dem Nötigen zu einem Gespensterbesuch
+versehen hatte, ging er mit dem Bedienten, so er bei sich hatte, in
+das Schloss. Im Schloss kleidete er sich nicht aus, wollte auch
+nicht schlafen, sondern abwarten, was geschieht. Zu dem Ende stellte
+er zwei brennende Lichter auf den Tisch, legte ein Paar geladene
+Pistolen daneben, nahm zum Zeitvertreib den Rheinländischen
+Hausfreund, so in Goldpapier eingebunden an einem roten, seidenen
+Bändelein unter der Spiegelrahmen hing, und beschaute die schönen
+Bilder. Lange wollte sich nichts spüren lassen. Aber als die
+Mitternacht im Kirchturm sich rührte und die Glocke zwölf schlug,
+eine Gewitterwolke zog über das Schloss weg, und die grossen
+Regentropfen schlugen an die Fenster, da klopfte es dreimal stark an
+die Türe, und eine fürchterliche Gestalt mit schwarzen, schielenden
+Augen, mit einer halbellenlangen Nase, fletschenden Zähnen und einem
+Bocksbart, zottig am ganzen Leib, trat in das Gemach und brummte mit
+fürchterlicher Stimme: "Ich bin der Grossherr Mephistopholes.
+Willkomm in meinem Palast! Und habt Ihr auch Abschied genommen von
+Frau und Kind?" Dem fremden Herrn fuhr ein kalter Schauer vom
+grossen Zehen an über den Rücken hinauf, bis unter die Schlafkappe,
+und an den armen Bedienten darf man gar nicht denken. Als aber der
+Mephistopholes mit fürchterlichen Grimassen und hochgehobenen Knien
+gegen ihn herkam, als wenn er über lauter Flammen schreiten müsste,
+dachte der arme Herr: In Gottes Namen, jetzt ist's einmal so, und
+stand herzhaft auf, hielt dem Ungetüm die Pistolen entgegen und
+sprach: "Halt oder ich schiess'!" Mit so etwas lässt sonst nicht
+jedes Gespenst sich schrecken, denn wenn man auch schiessen will, so
+geht's nicht los, oder die Kugel fährt zurück und trifft nicht den
+Geist, sondern den Schütz. Aber Mephistopholes hob drohend den
+Zeigfinger in die Höhe, kehrte langsam um und ging mit ebensolchen
+Schritten, als er gekommen war, wieder fort. Als aber der Fremde
+sah, dass dieser Satan Respekt vor dem Pulver hatte, dachte er:
+Jetzt ist keine Gefahr mehr, nahm in die andere Hand ein Licht und
+ging dem Gespenst, das langsam einen Gang hinabschritt, ebenso
+langsam nach, und der Bediente sprang, so schnell er konnte, hinter
+ihm zum Tempel hinaus und ins Ort, dachte, er wolle lieber bei den
+Scharfrichtern über Nacht sein als bei den Geistern.--Aber auf dem
+Gang auf einmal verschwindet der Geist vor den Augen seines kühnen
+Verfolgers, und war nicht anders, als wäre er in den Boden
+geschlupft. Als aber der Herr noch ein paar Schritte weiter gehen
+wollte, um zu sehen, wo er hingekommen, hörte auf einmal unter
+seinen Füssen der Boden auf, und er fiel durch ein Loch hinab, aus
+welchem ihm Feuerglast entgegenkam, und er glaubte selber, jetzt
+geh' es an einen andern Ort. Als er aber ungefähr zehn Fuss tief
+gefallen war, lag er zwar unbeschädigt auf einem Haufen Heu in einem
+unterirdischen Gewölb. Aber sechs kuriose Gesellen standen um ein
+Feuer herum, und der Mephistopholes war auch da. Allerlei
+wunderbares Geräte lag umher, und zwei Tische lagen gehauft voll
+funkelnder Rössleintaler, einer schöner als der andere. Da merkte
+der Fremde, wie er daran war. Denn das war eine heimliche
+Gesellschaft von Falschmünzern, so alle Fleisch und Bein hatten.
+Diese benutzten die Abwesenheit des Zwingherrn, legten in seinem
+Schloss ihre verborgenen Münzstöcke an, und waren vermutlich von
+seinen eigenen Leuten dabei, die im Haus Bericht und Gelegenheit
+wussten; und damit sie ihr heimlich Wesen ungestört und unbeschrien
+treiben konnten, fingen sie den Gespensterlärmen an, und wer in das
+Haus kam, wurde so vergelstert, dass er zum zweiten Mal nimmer kam.
+Aber jetzt fand der verwegene Reisende erst Ursache, seine
+Unvorsichtigkeit zu bereuen, und dass er den Vorstellungen des Wirts
+im Dorf kein Gehör gegeben hatte. Denn er wurde durch ein enges Loch
+hinein in ein anderes finsteres Gehalt geschoben und hörte wohl, wie
+sie Kriegsgericht über ihn hielten und sagten: "Es wird das beste
+sein, wenn wir ihn umbringen und danach verlochen." Aber einer sagte
+noch: "Wir müssen ihn zuerst verhören, wer er ist, und wie er
+heisst, und wo er sich herschreibt." Als sie aber hörten, dass er
+ein vornehmer Herr sei und nach Kopenhagen zum König reise, sahen
+sie einander mit grossen Augen an, und nachdem er wieder in dem
+finstern Gewölb war, sagten sie: "Jetzt steht die Sache letz. Denn
+wenn er gemangelt wird, und es kommt durch den Wirt heraus, dass er
+ins Schloss gegangen ist und ist nimmer herausgekommen, so kommen
+über Nacht die Husaren, heben uns aus, und der Hanf ist dies Jahr
+wohlgeraten, dass ein Strick zum Henken nicht viel kostet." Also
+kündigten sie dem Gefangenen Pardon an, wenn er ihnen einen Eid
+ablegte, dass er nichts verraten wolle, und drohten, dass sie in
+Kopenhagen wollten auf ihn Achtung geben lassen; er musste ihnen auf
+den Eid hin sagen, wo er wohne. Er sagte: "Neben dem Wilden Mann
+linker Hand in dem grossen Haus mit grünen Läden." Danach schenkten
+sie ihm Burgunderwein ein zum Morgentrunk, und er schaute ihnen zu,
+wie sie Rössleintaler prägten bis an den Morgen. Als aber der Tag
+durch die Kellerlöcher hinabschien und auf der Strasse die Geisseln
+knallten, und der Kuhhirt hürnte, nahm der Fremde Abschied von den
+nächtlichen Gesellen, bedankte sich für die gute Bewirtung und ging
+mit frohem Mute wieder in das Wirtshaus, ohne daran zu denken, dass
+er seine Uhr und seine Tabakspfeife und die Pistolen habe liegen
+lassen. Der Wirt sagte: "Gottlob, dass ich Euch wieder sehe, ich
+habe die ganze Nacht nicht schlafen können. Wie ist es Euch
+gegangen?" Aber der Reisende dachte: Ein Eid ist ein Eid, und um
+sein Leben zu retten, muss man den Namen Gottes nicht missbrauchen,
+wenn man's nicht halten will. Deswegen sagte er nichts, und weil
+jetzt das Glöcklein läutete und der arme Sünder hinausgeführt wurde,
+so lief alles fort. Auch in Kopenhagen hielt er nachher reinen Mund
+und dachte selber fast nicht mehr daran. Aber nach einigen Wochen
+kam ab der Post ein Kistlein an ihn, und waren darin ein Paar neue,
+mit Silber eingelegte Pistolen von grossem Wert, eine neue goldene
+Uhr mit kostbaren Demantsteinen besetzt, eine türkische Tabakspfeife
+mit einer goldenen Kette daran und eine seidene, mit Gold gestickte
+Tabaksblase und ein Brieflein drin. In dem Brieflein stand: "Dies
+schicken wir Euch für den Schrecken, so Ihr bei uns ausgestanden,
+und zum Dank für Euere Verschwiegenheit. Jetzt ist alles vorbei, und
+Ihr dürft es erzählen, wem Ihr wollt." Deswegen hat's der Herr dem
+Grenzacher erzählt, und das war die nämliche Uhr, die er oben auf
+dem Berg herauszog, als es in Hertingen Mittag läutete, und schaute,
+ob die Hertinger Uhr recht geht, und sind ihm hernach im Storken zu
+Basel von einem französischen General 75 neue Dublonen darauf
+geboten worden. Aber er hat sie nicht drum geben.
+
+
+
+Merkwürdige Schicksale eines jungen Engländers
+
+
+Eines Tages reiste ein junger Engländer auf dem Postwagen zum ersten
+Mal in die grosse Stadt London, wo er von den Menschen, die daselbst
+wohnen, keinen einzigen kannte als seinen Schwager, den er besuchen
+wollte, und seine Schwester, so des Schwagers Frau war. Auch auf dem
+Postwagen war neben ihm niemand als der Kondukteur, das ist der
+Aufseher über den Postwagen, der auf alles achthaben und an Ort und
+Stelle über die Briefe und Pakete Red und Antwort geben muss; und
+die zwei Reisekameraden dachten damals auch nicht daran, wo sie
+einander das nächste Mal wieder sehen würden. Der Postwagen kam erst
+in der tiefen Nacht in London an. In dem Posthause konnte der Fremde
+nicht über Nacht bleiben, weil der Postmeister daselbst ein
+vornehmer Herr ist und nicht wirtet, und des Schwagers Haus wusste
+der arme Jüngling in der ungeheuer grossen Stadt bei stockfinsterer
+Nacht so wenig zu finden als in einem Wagen voll Heu eine
+Stecknadel. Da sagte zu ihm der Kondukteur: "Junger Herr, kommt Ihr
+mit mir! Ich bin zwar auch nicht hier daheim, aber ich habe, wenn
+ich nach London komme, bei einer Verwandten ein Stüblein, wo zwei
+Betten stehen. Meine Base wird Euch schon beherbergen, und morgen
+könnt Ihr Euch alsdann nach Eures Schwagers Haus erkundigen, wo
+Ihr's besser finden werdet." Das liess sich der junge Mensch nicht
+zweimal sagen. Sie tranken bei der Frau Base noch einen Krug
+englisches Bier, das noch besser sein soll als das Donaueschinger
+oder Säckinger, so doch auch nicht schlecht ist, assen eine
+Knackwurst dazu und legten sich dann schlafen. In der Nacht kam den
+Fremden eine Notdurft an, und musst' hinausgehen. Da war er übler
+dran als noch nie. Denn er wusste in seiner dermaligen
+Nachtherberge, so klein sie war, so wenig Bericht, als ein paar
+Stunden vorher in der grossen Stadt. Zum Glück aber wurde der
+Kondukteur auch wach und sagte ihm, wie er gehen müsse, links und
+rechts und wieder links. "Die Türe", fuhr er fort, "ist zwar
+verschlossen, wenn Ihr an Ort und Stelle kommt, und wir haben den
+Schlüssel verloren. Aber nehmt in meinem Rockelorsack mein grosses
+Messer mit und schiebt es zwischen dem Türlein und dem Pfosten
+hinein, so springt inwendig die Falle auf. Geht nur dem Gehör nach!
+Ihr hört ja die Themse rauschen, und zieht etwas an, die Nacht ist
+kalt." Der Fremde erwischte in der Geschwindigkeit und in der
+Finsternis das Kamisol des Kondukteurs statt des seinen, zog es an
+und kam glücklich an den Platz. Denn er schlug es nicht hoch an,
+dass er unterwegs einmal den Rang zu kurz genommen hatte, so dass er
+mit der Nase an ein Eck anstiess und wegen dem hitzigen Bier, so er
+getrunken hatte, entsetzlich blutete. Allein ob dem starken
+Blutverlust und der Verkältung bekam er eine Schwäche und schlief
+ein. Der nachtfertige Kondukteur wartete und wartete, wusste nicht,
+wo sein Schlafkamerad so lange bleibt, bis er auf der Gasse einen
+Lärm vernahm; da fiel ihm im halben Schlaf der Gedanke ein: "Was
+gilt's, der arme Teufel ist an die Haustüre kommen, ist auf die
+Gasse hinausgegangen und gepresst worden." Denn wenn die Engländer
+viel Volk auf ihre Schiffe brauchen, so gehen unversehens bestellte
+starke Männer nachts in den gemeinen Wirtsstuben, in verdächtigen
+Häusern und auf der Gasse herum, und wer ihnen alsdann in die Hände
+kommt und tauglich ist, den fragen sie nicht lange: "Landsmann, wer
+bist du?" oder "Landsmann, wer seid Ihr?" sondern machen kurzen
+Prozess, schleppen ihn--gern oder ungern--fort auf die Schiffe,
+und Gott befohlen! Solch eine nächtliche Menschenjagd nennt man
+Pressen; und deswegen sagte der Kondukteur: "Was gilt's, der arme
+Teufel ist gepresst worden?"--In dieser Angst sprang er eilig auf,
+warf seinen Rockelor um sich und eilte auf die Gasse, um womöglich
+den armen Schelm zu retten. Als er aber eine Gasse und zwei Gassen
+weit dem Lärmen nachgegangen war, fiel er selber den Pressern in die
+Hände, wurde auf ein Schiff geschleppt--ungern--und den andern
+Morgen weiters. Weg war er. Nachher kam der junge Mensch im Hause
+wieder zu sich, eilte, wie er war, in sein Bette zurück, ohne den
+Schlafkameraden zu mangeln, und schlief bis in den Tag. Unterdessen
+wurde der Kondukteur um acht Uhr auf der Post erwartet, und als er
+immer und immer nicht kommen wollte, wurde ein Postbedienter
+abgeschickt, ihn zu suchen. Der fand keinen Kondukteur, aber einen
+Mann mit blutigem Gewand im Bett liegen, auf dem Gang ein grosses
+offenes Messer, Blut bis auf den Abtritt und unten rauschte die
+Themse. Da fiel ein böser Verdacht auf den blutigen Fremdling, er
+habe den Kondukteur ermordet und in das Wasser geworfen. Er wurde in
+ein Verhör geführt, und als man ihn visitierte und in den Taschen
+des Kamisols, das er noch immer anhatte, einen ledernen Geldbeutel
+fand mit dem wohlbekannten silbernen Petschaftring des Kondukteurs
+am Riemen befestigt, da war es um den armen Jüngling geschehn. Er
+berief sich auf seinen Schwager,--man kannte ihn nicht; auf seine
+Schwester,--man wusste von ihr nichts. Er erzählte den ganzen
+Hergang der Sache, wie er selber sie wusste. Aber die Blutrichter
+sagten: "Das sind blaue Nebel, und Ihr werdet gehenkt." Und wie
+gesagt, so geschehn, noch am nämlichen Nachmittag nach engländischem
+Recht und Brauch. Mit dem engländischen Brauch aber ist es so: weil
+in London der Spitzbuben viele sind, so macht man mit denen, die
+gehenkt werden, kurzen Prozess, und bekümmern sich nicht viele Leute
+darum, weil man's oft sehen kann. Die Missetäter, soviel man auf
+einmal hat, werden auf einen breiten Wagen gesetzt und bis unter den
+Galgen geführt. Dort hängt man den Strick in den bösen Nagel ein,
+fahrt alsdann mit dem Wagen unter ihnen weg, lässt die schönen
+Gesellen zappeln und schaut nicht um. Allein in England ist das
+Hängen nicht so schimpflich wie bei uns, sondern nur tödlich.
+Deswegen kommen nachher die nächsten Verwandten des Missetäters und
+ziehn so lange unten an den Beinen, bis der Herr Vetter oben
+erstickt. Aber unserm Fremdling tat niemand diesen traurigen Dienst
+der Liebe und Freundschaft an, bis abends ein junges Ehepaar Arm in
+Arm auf einem Spaziergang von ungefähr über den Richtplatz wandelte
+und im Vorbeigehen nach dem Galgen schaute. Da fiel die Frau mit
+einem lauten Schrei des Entsetzens in die Arme ihres Mannes:
+"Barmherziger Himmel, da hängt unser Bruder!" Aber noch grösser
+wurde der Schrecken, als der Gehenkte bei der bekannten Stimme
+seiner Schwester die Augenlider aufschlug und die Augen fürchterlich
+drehte. Denn er lebte noch. (Und das Ehepaar, das vorüberging, war
+die Schwester und der Schwager.) Der Schwager aber, der ein
+entschlossener Mann war, verlor die Besinnung nicht, sondern dachte
+in der Stille auf Rettung. Der Platz war entlegen, die Leute hatten
+sich verlaufen, und um Geld und gute Worte gewann er ein paar
+beherzte und vertraute Bursche, die nahmen den Gehenkten, mir
+nichts, dir nichts, ab, als wenn sie das Recht dazu hätten, und
+brachten ihn glücklich und unbeschrien in des Schwagers Haus. Dort
+ward er in wenig Stunden wieder zu sich gebracht, bekam ein kleines
+Fieber und wurde unter der lieben Pflege seiner getrösteten
+Schwester bald wieder völlig gesund. Eines Abends aber sagte der
+Schwager zu ihm: "Schwager! Ihr könnt nun in dem Land nicht bleiben.
+Wenn Ihr entdeckt werdet, so könnt Ihr noch einmal gehenkt werden,
+und ich dazu. Und wenn auch nicht, so habt Ihr ein Halsband an Eurem
+Hals getragen, das für Euch und Eure Verwandten ein schlechter Staat
+war. Ihr müsst nach Amerika. Dort will ich für Euch sorgen." Das sah
+der gute Jüngling ein, ging bei der ersten Gelegenheit in ein
+vertrautes Schiff und kam nach 80 Tagen glücklich in dem Seehafen
+von Philadelphia an. Als er aber hier an einem landfremden Orte mit
+schwerem Herzen wieder an das Ufer stieg, und als er eben bei sich
+selber dachte: "Wenn mir doch Gott auch nur einen einzigen Menschen
+entgegenführte, der mich kennt", siehe, da kam in armseliger
+Schiffskleidung der Kondukteur. Aber so gross sonst die Freude des
+unverhofften Wiedersehens an einem solchen fremden Orte ist, so war
+doch hier der erste Willkomm schlecht genug. Denn auf vorstehender
+Abbildung kann man sehen: Ziffer 1 den Kondukteur, wie er mit
+geballter Faust auf den Ankömmling losgeht; er sagt zu ihm: "Wo
+führt Euch der Böse her, Ihr verdammter Nachtläufer? Wisst Ihr, dass
+ich wegen Euch bin gepresst worden?" Und Ziffer 2 sieht man den
+jungen Engländer, der die Hand auch nicht im Sack hat, der
+antwortet: "Goddam, Ihr vermaledeiter Überall und Nirgends, wisst
+Ihr, dass man wegen Euch mich gehenkt hat?"
+
+Ziffer 3 aber sieht man das Wirtshaus zu den drei Kronen in
+Philadelphia. Dort kamen sie des andern Tages wieder zusammen,
+erzählten sich ihre Schicksale und wurden wieder die besten Freunde;
+und der junge Engländer, der in einem Handlungshaus gute Geschäfte
+machte, ruhte nicht eher, als bis er seinen guten Freund loskaufen
+und nach London zurückschicken konnte. Er selbst wurde in Amerika
+ein reicher Kaufmann und wohnt jetzt in der Stadt Washington, in der
+verlängerten neuen Herrengasse, Nr. 46.
+
+
+
+Merkwürdiges Rechnungsexempel 5
+
+
+Zwei Schäfer auf dem Felde wollten miteinander ihr Abendessen
+verzehren; der eine hatte fünf kleine Ziegenkäse, der andere drei.
+Kommt zu ihnen ein dritter Mann von der Strasse herüber. "Lasst mich
+mithalten für Geld und gute Worte!" Also assen sie selbdritt fünf
+und drei, sind acht Käslein, jeder gleichviel. Hierauf dankt ihnen
+der dritte Mann und schenkt ihnen acht Dublonen.
+
+Der eine wollte nach der Anzahl seiner Käse fünf davon behalten und
+dem andern geben drei. Der andere sagte: "So? der Herr hat uns das
+Geld miteinander geschenkt, also gehören jedem vier. Was deine fünf
+Stücke mehr wert sind, will ich dir herausbezahlen." Da sie nicht
+einig werden konnten, brachten sie den Handel vor den Richter. Der
+geneigte Leser sinnt nach: welchem von beiden hat der Richter recht
+gegeben? Antwort: Keinem von beiden, sondern er sagt: "Demnach, und
+wie ihr mir beide die Sache vorgetragen habt, gehören dem ersten
+sieben Dublonen und dem andern eine, und das von Rechts wegen.
+Punktum."
+
+Man meint nicht, dass der Urteilsspruch richtig sei, aber es kann
+sich nicht fehlen. Denn wenn man jedes Käslein in drei gleiche Teile
+zerschneidet, so viel als Personen waren, so gaben dem ersten seine
+5 Käslein 15 Stücke, dem andern seine 3 gaben 9 Stücke, zusammen 24;
+davon bekam also ein jeder 8. Folglich bekam der dritte Mann von den
+15 Stücken des ersten 7. Denn 8 von 15 bleibt 7. Von den 9 Stücken
+des andern aber bekam er nur noch eins. 7 und 1 tut 8. Also gehörte
+auch dem ersten sieben Dublonen von Rechts wegen u
+nd dem andern nur
+eine.
+Der geneigte Leser wird ersucht, hieraus abzunehmen: erstlich, wie
+man manchmal meinen kann, ein Richterspruch sei unrecht, weil man
+selber nicht weiss, was recht ist; zweitens, wie misslich es sei,
+einen Prozess anzufangen, so man auch glaubt, das augenscheinlichste
+Recht in den Händen zu haben.
+
+
+
+Merkwürdiges Rechnungsexempel 6
+
+
+Der Hausfreund will den Herrn Provisern der rheinländischen
+Hausfreundschaft noch ein Rechnungsexempel aufzulösen geben. Item--
+(ein gutes rheinländisches Rechnungsexempel muss immer mit Item
+anfangen und mit Fazit schliessen.) Item der Nachtwächter in
+Segringen ging aus und rief die Stunde. Als er an den Adler kam,
+trat der Adlerwirt aus dem Bett an das Fenster. "Nachtwächter, Ihr
+schreit und verführt einen Lärmen, dass das halbe Dorf aus dem
+Schlaf auffährt, und doch versteht man Euch nicht. Auf der Stelle
+ruft mir die Stunde noch einmal und deutlich!" Der Nachtwächter
+dachte: Soll ich jedem Narren die Stunde besonders rufen? Ich setze
+voraus, dass die Leute schlafen. Wer heisst Euch wachen? "Wisst Ihr
+was? Ich will Euch zwei Stunden auf einmal rufen", sagte er zum
+Adlerwirt, "damit wir nicht so viel Mühe miteinander haben:
+
+Hört, Adlerwirt, und lasset Euch sagen;
+Die Glocke hat--sie hat geschlagen.
+Wenn Ihr die Zahl zur Hälfte brecht,
+Den Drittel und den Viertel recht
+Dazu addiert, habt Ihr Gewinn.
+Es steckt das Ganz' und so viel drin,
+Als laut mein unverdrossener Mund
+Verkünden wird zur nächsten Stund'."
+
+Nämlich das, was die Glocke geschlagen hatte, und was demnach der
+Wächter ausrief, ist eine Zahl, die folgende Eigenschaften hat: Wenn
+man die Hälfte der Zahl und den dritten Teil und den vierten Teil
+der Zahl zusammen addiert, so kommt mehr heraus, als die Zahl selber
+ausweist. Wenn man aber die Zahl selbst, die man zwar noch nicht
+weiss, von der addierten Summe abzieht, so bleibt gerade so viel
+übrig, als der Wächter in der Ordnung rufen muss, wenn er zur
+nächsten Stunde wieder kommt. Diese Zahl wäre nach der Regula Falsi
+zu rechnen.
+
+Derjenige geneigte rheinländische Leser, der innerhalb acht Tagen
+nach Empfang des Kalenders das Fazit zuerst liefern wird, dessen
+Bildnis soll zur Ehrenauszeichnung bei der nächsten Krönungsfeier
+oder Feuersbrunst unter den Zuschauern im Kalender abgebildet
+werden.
+
+
+
+Missverstand
+
+
+Im neunziger Krieg, als der Rhein auf jener Seite von französischen
+Schildwachen, auf dieser Seite von schwäbischen Kreissoldaten
+besetzt war, rief ein Franzose zum Zeitvertreib zu der deutschen
+Schildwache herüber: "Filu! Filu! Das heisst auf gut deutsch:
+Spitzbube. Allein der ehrliche Schwabe dachte an nichts so Arges,
+sondern meinte, der Franzose frage: Wieviel Uhr? und gab gutmütig
+zur Antwort: "Halber viuri."
+
+
+
+Missverstand
+
+
+Von drei Schlafkameraden war der eine eben am süssen Einschlummern,
+als der zweite zum dritten sprach: "Joachim, was soll das heissen,
+dass du seit am Montag nichts mehr mit mir redest, so wir doch unser
+Leben lang gute Freunde gewesen sind? Hast du etwas gegen mich, so
+sag's."--Der dritte erwiderte dem zweiten: "Wer mit mir nicht
+redet, mit dem rede ich auch nicht, mein guter Bartenstein. Wie man
+in den Wald schreit, so schreit's wider." Darauf sagte der zweite:
+"So, du nennst mich mit meinem Zunamen? Ich kann dich auch mit
+deinem Zunamen nennen, mein guter Marbacher. Wie man in den Wald
+schreit, so schreit's auch wider." Der dritte sagte wieder zum
+zweiten: "So war's nicht gemeint, Bastian. Übrigens halte ich den
+Geschlechtsnamen meines seligen Vaters für keinen Schimpf. Ich
+hoffe, er hat dich als ein ehrlicher Mann zur Taufe gehoben." Darauf
+entgegnete der zweite: "Ich den meinigen auch nicht. Ich hoffe,
+deine Mutter hat einen ehrlichen Mann zum Beistand. Aber man erkennt
+etwas daran." Der dritte sagt: "Dein Vater ist ein braver Mann, der
+meiner Mutter mit gutem Rat redlich an die Hand geht." Der zweite
+sagt: "Dein Vater war auch ein braver Mann und hat mir viel Gutes
+erwiesen. Aber sie redeten miteinander." Der dritte fuhr gegen den
+zweiten fort: "Eben darum. An einem andern hätt' es mich nicht
+verdrossen, dass du mir den Montag keine Antwort gabst, als ich dich
+zum zweiten Mal fragte, warum dich dein Meister fortgejagt hat."
+Als endlich der erste des Zwistes müde war, weil er gern hätte
+schlafen mögen und nicht dazu kommen konnte, fuhr er unwillig auf
+und sagte: "Hat jetzt euer Disputat bald ein Ende, oder soll ich
+aufstehen und den Wirt holen, dass er Frieden schaffe, oder soll
+ich's selber tun?" Dem erwiderte der dritte, weil er am Wort war:
+"Seid doch nicht wunderlich, Herr Landsmann, Ihr hört ja, wir
+explizieren uns nur, warum keiner von uns mit dem andern redet."
+
+
+
+Mittel gegen Zank und Schläge
+
+
+Zwei Eheleute nicht weit von Segringen lebten miteinander in Friede
+und Liebe, abgerechnet, dass sie bisweilen einen kleinen Wortwechsel
+bekamen, wenn der Mann einen Stich hatte. Alsdann gab ein Wort das
+andere. Das letzte aber gab gewöhnlich blaue Flecke. Zum Beispiel:
+"Frau", sagte der Mann, "die Suppe ist wieder nicht genug gesalzen,
+und ich hab' dir's doch schon so oft gesagt." Die Frau sagt: "Mir
+ist sie so eben recht." Der Mann bekommt etwas Röte im Gesicht. "Du
+unverständiges Maul, ist das eine Antwort einer Frau gegen ihren
+Mann? Soll ich mich nach dir richten?" Die Frau erwidert: "Draussen
+in der Küche ist das Salzfass. Ein ander Mal koch' dir selber, oder
+sieh, wer dir kocht." Der Mann wird flammenrot und wirft der Frau
+die Suppe samt dem Teller vor die Füsse. "Da, friss die Tränke
+selber!" Jetzt geht's der Frau auf, wie wenn man ein Stellbrett
+aufzieht, und das Wasser fliesst in die Läufe, und alle Mühlenräder
+gehn an, und sie überschüttet ihn mit Schmähungen und Schimpfnamen,
+die kein Mann gern hört, am wenigsten von einer Frau, am
+allerwenigsten von seiner eigenen. Der Mann aber sagt: "Ich seh'
+schon, ich muss dir den Rücken wieder ein wenig blau anstreichen mit
+dem hegebuchenen Pinsel."--Solcher Liebkosungen endlich müde, ging
+die Frau zu dem Pfarrherrn und klagte ihm ihre Not. Der Herr
+Pfarrer, der ein feiner und kluger junger Mann war, merkte bald,
+dass die Frau durch Widersprechen und Schimpfen gegen ihren Mann
+selber schuld an seinen Misshandlungen sei. "Hat Euch mein seliger
+Vorfahr nie von dem geweihten Wasser gegeben?" sagte er. "Kommt in
+einer Stunde wieder zu mir!" Unterdessen goss er reines, frisches
+Brunnenwasser in ein Fläschlein, das ungefähr einen Schoppen hielt,
+versüsste es mit Zucker und liess ein Tröpflein Rosenöl darein
+träufeln, dass es einen lieblichen Geruch gewann. "Dieses
+Fläschlein", sagte er zu ihr, "müsst Ihr in Zukunft immer bei Euch
+tragen, und so Euer Mann wieder aus dem Wirtshaus kommt und will
+Euch Vorwürfe machen, so nehmt ein Schlücklein davon und behaltet's
+im Munde, bis er wieder zufrieden ist. Alsdann wird seine
+Wunderlichkeit nie mehr in Zorn ausbrechen, und er wird Euch keine
+Schläge mehr geben können." Die Frau befolgte den Rat; das geweihte
+Wasser bewährte seine Kraft, und die Nachbarsleute sagten oft
+zusammen: "Unsere Nachbarn sind ganz anders geworden. Man hört
+nichts mehr."--Merke!
+
+
+
+Mohammed
+
+
+Dem Mohammed wollten es anfänglich nicht alle von seinen Landsleuten
+glauben, dass er ein Prophet sei, weil er noch kein Wunder getan
+hatte wie Elias. Dazu sagte Mohammed ganz gleichgültig, wie einer,
+der eine Pfeife Tabak raucht und etwas dazu redet, "das Wunder",
+sagte er, "macht den Propheten noch nicht aus. Wenn ihr's aber
+verlangt, so werden ich und jener Berg dort geschwind beieinander
+sein." Nämlich, er deutete auf einen Berg, der eine Stunde weit oder
+etwas entfernt war, und rief ihm mit gebietender Stimme, dass der
+Berg sich soll von seiner Stätte erheben und zu ihm kommen. Als aber
+dieser keine Bewegung machen und keine Antwort geben wollte, wiewohl
+keine Antwort ist auch eine, so ergriff Mohammed sanftmütig seinen
+Stab und ging zum Berg, womit er ein merkwürdiges und
+nachahmungswertes Beispiel gab, auch für solche Leute, die keine
+Propheten zu sein verlangen, nämlich, dass man dasjenige, was man
+selbst tun kann, nicht von einem wunderbaren Verhängnis oder von
+Zeit und Glück oder von andern Menschen verlangen soll. Z.B. hast
+du etwas Notwendiges und Wichtiges mit jemand zu reden, so warte
+nicht, bis er zu dir kommt. Weit geschwinder und vernünftiger gehst
+du zu ihm. Ein hübscher Kirschenbaum in dem Garten wäre eine schöne
+Sache. Das Plätzchen schickte sich dazu. Warte nicht, bis er selber
+wächst, sondern setze einen. Ferner, ein Abzugsgraben, ein guter Weg
+durch das Dorf, wenigstens ein trockener Fussweg, ein Geländer am
+Wasser oder an einem schmalen Steg, damit die Kinder nicht
+hineinfallen, kommt viel geschwinder zustande, wenn man ihn macht,
+als wenn man ihn nicht macht. Man sollte nicht glauben, dass es
+Leute gibt, denen erst ein arabischer Prophet oder ein
+Kalenderschreiber so etwas muss begreiflich machen.
+
+Selbst der Kalenderschreiber, der doch einem Propheten nicht viel
+nachgibt,--es liesse sich noch ein Wort mehr sagen,--verlangt
+nicht, dass das alte Jahr fortdauern soll, bis der neue Kalender
+fertig ist, sondern er schreibt den neuen, wenn das alte noch
+währet.
+
+Summa Summarum:
+
+Schick dich in die Welt hinein,
+Denn dein Kopf ist viel zu klein,
+Dass die Welt sich schick' in ihn hinein.
+
+
+
+Moses Mendelssohn
+
+
+Moses Mendelssohn war jüdischer Religion und Handlungsbedienter bei
+einem Kaufmann, der das Pulver nicht soll erfunden haben. Dabei war
+er aber ein sehr frommer und weiser Mann und wurde daher von den
+angesehensten und gelehrtesten Männern hochgeachtet und geliebt. Und
+das ist recht. Denn man muss um des Bartes willen den Kopf nicht
+verachten, an dem er wächst. Dieser Moses Mendelssohn gab unter
+anderm von der Zufriedenheit mit seinem Schicksal folgenden Beweis.
+Denn als eines Tages ein Freund zu ihm kam und er eben an einer
+schweren Rechnung schwitzte, sagte dieser: "Es ist doch schade,
+guter Moses, und ist unverantwortlich, dass ein so verständiger
+Kopf, wie Ihr seid, einem Manne ums Brot dienen muss, der Euch das
+Wasser nicht bieten kann. Seid Ihr nicht am kleinen Finger
+gescheiter, als er am ganzen Körper, so gross er ist?" Einem andern
+hätt' das im Kopf gewurmt, hätte Feder und Tintenfass mit ein paar
+Flüchen hinter den Ofen geworfen und seinem Herrn aufgekündigt auf
+der Stelle. Aber der verständige Mendelssohn liess das Tintenfass
+stehen, steckte die Feder hinter das Ohr, sah seinen Freund ruhig an
+und sprach zu ihm also: "Das ist recht gut, wie es ist, und von der
+Vorsehung weise ausgedacht. Denn so kann mein Herr von meinen
+Diensten viel Nutzen ziehen und ich habe zu leben. Wäre ich der Herr
+und er mein Schreiber, ihn könnte ich nicht brauchen."
+
+
+
+Pieve
+
+
+Jedermann kennt die Bilder- und Landkartenhändler, die im Land herum
+ihre Waren, Bildnisse von Heiligen, Bildnisse von Kaisern und
+Königen und Kriegsschauplätzen feil tragen. Aber für manchen kommen
+sie wie die Storken ins Land, das heisst, er weiss nicht, woher sie
+kommen. Von Pieve kommen sie, im Kanton Tessino, im Welschtirol, und
+dieses Pieve dient zum Beweistum, was aus einem armen Dorfe werden
+kann, wenn auf unverdrossene und sparsame Väter ebenso brave Söhne
+und Enkel folgen. Und deswegen ist an einem solchen Bildermann mehr
+zu sehen als an seinen Bildern allen. Pieve hat eine unfruchtbare
+Gemarkung. Der Boden nährt seine Einwohner nicht. Lange behalfen
+sich daher die armen Leute mühsam und kümmerlich mit einem Handel
+von Feuersteinen, der eben nicht viel eintrug. Als aber der Besitzer
+der berühmten Buch- und Kupferstichhandlung Remondini in Bassano
+sah, wie unverdrossen und fleissig diese Leute waren, so vertraute
+er ihnen anfangs schlechte, alsdann immer bessere Kupferstiche und
+Helgen an, um damit einen bessere Handel zu treiben. Damit
+durchzogen sie nun Tirol, die Schweiz und das angrenzende
+Deutschland, und es ging schon besser. Sie hatten an den gemalten
+Kaisern und Königen, Propheten und Aposteln selber mehr Freude als
+an den plumpen Feuersteinen. Sie trugen auch leichter daran und
+hatten mehr Gewinn. Bald brachten sie es so weit, dass sie den
+Kupferstichhandel aus dem Fundament verstanden und mit eigenem Gelde
+treiben konnten. Und was fast unglaublich ist, sie bildeten in
+kurzer Zeit stehende Handelsgesellschaften in Augsburg, Strassburg,
+Amsterdam, in Hamburg, Lübeck, Kopenhagen, Stockholm, Warschau und
+Berlin. In allen diesen und noch mehrern Städten sind sie jahraus
+jahrein mit grossen Vorräten von sehr kostbaren Kupferstichen und
+Landkarten zu finden. Ja, eine Gesellschaft kam sogar bis nach
+Tobolsk in Asien, und eine andere, welche aber missglückte, bis nach
+Philadelphia in Amerika, lauter Leute aus dem armen Dörflein Pieve.
+Neben diesen stehenden Bilderhandlungen aber durchwandern noch viele
+andere von ihnen alle Länder von Europa, besonders Deutschland,
+Polen, Preussen, Holland, Dänemark, Schweden, Russland, England und
+Frankreich. Alle Mannsleute in Pieve kennen diesen Handel und
+beschäftigen sich damit. Vor der französischen Revolution, als ihre
+Geschäfte am glücklichsten vonstatten gingen, war zur Zeit des
+Sommers ausser Kindern und alten Greisen keine männliche Person
+daheim, aber alle kamen mit wohlerworbenem Gewinn zurück. Die Weiber
+trieben unterdessen den Feldbau. Seit der Revolution und des Kriegs
+an allen Enden und Orten hat dieser lebhafte Handel sehr gelitten.
+Dennoch hat noch jede Familie von Pieve unaufhörlich einen Mann auf
+der Reise. Schon in der frühen Jugend begleitet der Sohn den Vater
+auf seinen Zügen, und wird dieser alt, so überlässt er dem Sohn das
+Geschäft und bringt seine Jahre daheim in Ruhe und Wohlstand und mit
+Ehren zu.
+
+Das sind nun die Bilderhändler von Pieve. Der Rheinische Hausfreund
+kennt fast alle, die am Rhein auf und ab auf den Strassen sind und
+zieht vor jedem den Hut ab.
+
+
+
+Reise nach Frankfurt
+
+
+Zu ehemaligen Reichszeiten bestand auch ein grosses
+Reichskammergericht zu Wetzlar, welches noch manchem geneigtem Leser
+in teuerem und wertem Andenken sein kann, wenigstens in teuerem.
+
+Viel weltberühmte Rechtsgelehrte, Advokaten und Schreiber sassen
+dort von Rechts wegen beisammen. Wer daheim einen grossen Prozess
+verloren hatte, an dem nichts mehr zu sieden und zu braten war,
+konnte ihn in Wetzlar noch einmal anbrühen lassen und noch einmal
+verlieren. Mancher hessische, württembergische und badische Batzen
+ist dorthin gewandelt und hat den Heimweg nimmer gefunden.
+
+Als aber im Jahr 1806 der grosse Schlag auf das deutsche Reich
+geschah, stürzte auch das Reichskammergericht zusammen, und alle
+Prozesse, die darin lagen, wurden totgeschlagen, maustot, und keiner
+gab mehr ein Zeichen von sich, ausgenommen im Jahr 1817 in Gera in
+Sachsenland hat einer wieder gezuckt.
+
+Ein Leinwandweber daselbst liest in der Dresdner Zeitung, dass der
+Bundestag in Frankfurt sich mit dem Unterhalt der Angehörigen des
+Reichskammergerichts lebhaft beschäftige. Nämlich, dass der
+Bundestag für den Unterhalt und die Schadloshaltung der Räte,
+Advokaten und Schreiber sorgen wollte, welche seit 1806 keinen Sold
+mehr zogen und nichts mehr zu verdienen hatten, ob sie gleich
+täglich, wie die andern, Mittag läuten hörten und schöne Schilde
+sahen an den Wirtshäusern.
+
+Auf dem Speicher des Leinewebers aber fing es auf einmal an in den
+Akten zu rauschen, fast wie in den Totenbeinen, von welchen der
+Prophet Ezechiel schreibt. Der Leineweber glaubte nämlich nichts
+anders, als das Reichskammergericht habe nur einen neuen Rock
+angezogen und heisse nun Bundestag, und der Bundestag habe nichts
+Wichtigeres zu tun, als die alten Prozesse, wenigstens seinen,
+wieder anzuzetteln.
+
+Also liess er sich einen guten Pass nach Frankfurt schreiben, und
+mit Akten schwer beladen trat er die lange Reise an. Als er aber in
+Frankfurt angekommen war, war sein erstes, er fragte die Schildwache
+am Tor, wo der Bundestag sich angesetzt habe in Frankfurt. Die
+Schildwache erwiderte, sie stehe da so nebendraus und erfahre nicht
+viel, was im Innern der Stadt geschehe. Ihres Wissens aber, seit sie
+dastehe, seie kein Bundestag einpassiert. Da fing der Leineweber im
+Fortgehen an sich zu betrüben und zu ergrimmen: "O Deutsche, sagte
+er in seinem Innern, .wie tief seid ihr gesunken! Ein Deutscher zu
+sein, noch dazu eine Frankfurter Schildwache, und nichts vom
+Bundestag wissen!" "Guter Freund", sagte er zu einem Vorbeigehenden,
+"könnt Ihr mir auch nicht sagen, wo der Bundestag sein Wesen hat?"
+Der Vorübergehende konnte es auch nicht sagen. "O Patriotismus",
+fuhr er mit sich selber fort, "wohin bist du verschwunden?" Fast
+müsse man sich schämen, ein Deutscher zu heissen, wenn man nicht
+unter seinesgleichen wäre.
+
+"Guter Freund", redete er einen Dritten an, "wisst auch Ihr nicht,
+wo hier der Bundestag einquartiert ist?"--"Lieber guter Mann",
+entgegnete der Dritte, "hier ist kein Bundestag einquartiert. Hier
+ist Frankfurt an der Oder. Der Bundestag ist in Frankfurt am Main."
+- Der wohlerfahrene Leser weiss nämlich zum voraus schon, dass es
+zwei Frankfurt gibt, die nicht weniger als 66 Meilen voneinander
+entfernt sind, und der Leineweber war im unrechten. "Ihr habt
+übrigens nur noch 66 Meilen nach Frankfurt", fuhr der Dritte fort,
+"und wenn Ihr da her seid, wo Ihr sagt, so seid Ihr über hier nur 63
+Meilen weit umgegangen." "Das ist jetzt ein Tun", sagte der
+Leineweber. "Hab' ich A gesagt, so will ich auch B sagen.
+
+Zwanzigtausend Taler sind Geld, ohnehin bin ich es meinem seligen
+Grossvater schuldig. Hat er den Prozess angefangen und ist ein armer
+Mann daran geworden, so ist es meine Schuldigkeit, dass ich ihn
+fortsetze und wieder reich werde." "Ha ha", sagte der Dritte, "was
+gilt's, das sind Akten, die Ihr da aufgepackt habt und fast drunter
+zusammenbrecht?"--"Es sind auch noch ein wenig Lebensmittel dabei",
+versetzte der Weber in kleinmütiger Stimme, "aber nimmer viel." Der
+geneigte Leser fängt an, einigen Spass an der Sache zu finden. Von
+hier an aber bis nach Frankfurt am Main geht die Reise etwas langsam
+von statten. Derselbe darf herzhaft einstweilen noch ein gutes
+Pfeiflein stopfen, wiewohl er kann zum voraus sehen, wie alles gehen
+und enden wird. Denn die Chronik will wissen, dass, als einst die
+Phönizier erforschen wollten, ob der grosse Weltteil Afrika zu
+Wasser könne umfahren werden, rechneten sie die erforderliche Zeit
+der Reise auf ungefähr zwei Jahre; gleichwohl, als sie hinter
+Ägypten in dem Roten Meere sich einschifften, der bibelfeste Leser
+kennt's von Moses' Zeiten her, nahmen sie nicht sonderlich viel
+Lebensvorrat mit, aber etwas Ackergeräte. Sahen sie nun, dass die
+Lebensmittel bald zu Ende gehen wollten, stiegen sie an das Land,
+säten von Getreide und Gemüsegattungen, was die Jahreszeit mit sich
+brachte, wiewohl in Afrika ist fast immer Sommer und ein schneller,
+kräftiger Trieb in allem Wachstum. Alsdann warteten sie die Reifung
+ab und brachten jedes Mal nach wenigen Wochen einen neuen Vorrat in
+das Schiff und zogen wieder weiter, kamen auch richtig nach zwei
+Jahren wieder zum Vorschein durch die Meerenge von Gibraltar hinein,
+die der zeitungskundige Leser ebenfalls noch kennt von General
+Elliots Zeiten her, dessen Andenken noch bis auf diese Stunde auf
+Tabakspapieren gefeiert wird. Also auch der Weber auf seiner langen
+Reise wusste sich zu helfen, wenn Geld und Vorrat zu Ende war;
+"Kunst bettelt nicht", sagte er zu sich selbst im stolzen Gefühl,
+"Kunst geht nach Brot." Demnach, wenn er mittags oder abends in
+einem Städtlein oder Flecken eintraf, erkundigte er sich nach einem
+Zunftgenossen, und "habt Ihr nichts für mich zu weben", redet er den
+Meister an, "um Atzung und um einiges Zehrgeld?" Stellte ihn nun der
+Meister ein, so blieb er einige Tage bei ihm, bis er sich
+ausgefüttert und wieder einige Batzen verdient hatte, und webte sich
+solchergestalt glücklich an dem Main hinauf und nach Frankfurt. In
+Frankfurt pochte ihm das Herz hoch vor Freuden, dass er nun an dem
+Ziele seiner Reise sei und so nahe an seiner Geldquelle, die er
+jetzt nur anbohren dürfe, und als er in die Bundeskanzlei kam,
+gleich in der vordersten Stube, wo die Herrn sitzen, die am
+schönsten schreiben können, grüsste er sie freundlich und vertraut.
+"Findet man euch endlich einmal", sagte er, "und seid ihr jetzt
+hier?" Einer von den Herrn, der Vornehmste von ihnen, nimmt die
+Feder aus dem Mund und legt sie auf den Tisch. "Wir sind noch
+niemand aus dem Weg gegangen", sagte er, "und was habt Ihr hier zu
+schaffen? Was bringt Ihr Neues, Viereckigtes in Eurem Hängkorb? Eine
+Bundeslade? Es fehlt uns noch eine." "Spass", erwiderte der Weber,
+"meinen Prozess von Anno eintausendsiebenhundertsiebenundsechzig."--
+Es ist nunmehr nichts weiter an der Sache zu erzählen. Natürlich
+nahm sich niemand seines Prozesses an, weil der Bundestag sich mit
+Prozessen nicht gemein macht, und die lange, beschwerliche Reise war
+umsonst getan. Die Erzählung nimmt daher ein kahles Ende, der
+Hausfreund fühlt es. Fast soll er noch was anschiften. Statt dessen
+aber will er hieneben eine Abbildung des Leinewebers stiften, wie er
+auf der Heimreise einmal ausruht und eine Standrede hält.
+
+"Es ist mir in diesen sechs Wochen vieles klar geworden", sagte er.
+"Man muss einem deutschen Manne nicht sogleich Vorwürfe machen, wenn
+er in Vaterlandssachen ein wenig unwissend und kaltsinnig ist. Denn
+man ist selber einer. Was siehest du aber den Splitter in deines
+Bruders Auge? Lerne zuerst selber und werde warm. Den guten Leuten
+in Frankfurt an der Oder ist von mir Tort geschehen. In Frankfurt am
+Main aber mir.
+
+Wenn ihr in der Zeitung etwas leset oder im Plakat oder im
+Kräuterbuch, und versteht es nicht, lasst euch raten, achtbare
+Zuhörer, und geht um verständige Belehrung aus, ehe ihr etwas
+unternehmet, besonders wenn es ein Prozess ist.
+
+Der beste Prozess ist ein schlechter, und auf dem Lager bessert er
+sich nicht. Der Habich ist besser als der Hättich. Friede ernährt,
+Unfriede zerstört.
+
+Und nun, geliebte Akten, die ich jetzt hier ablege, gehabt euch wohl
+und seid dem Mann empfohlen, der euch finden und vielleicht
+glücklicher mit euch sein wird als ich."
+
+Indem er aber die Akten absetzen wollte, klopft ihm von hinten her
+ein Mann auf die Achsel, der auch desselben Wegs ging. (Man sieht
+ihn aber kaum auf der Abbildung, nichtsdestoweniger ist's der
+Gewürzkrämer aus dem nächsten Städtlein--) "Guter Freund", sagte er,
+"mit wem redet Ihr da so allein?" "Mit niemand", erwiderte der
+Weber, "wenn Ihr mir aber meinen Prozess abkaufen wollt, mit Euch.
+Lupft ihn einmal! Was gebt Ihr mir dafür?" Der Mann sagte:
+
+"Anderthalb Kreuzer für das Pfund, wenn das Papier daran gut ist.
+Kommt mit mir." Also verkaufte er dem Gewürzhändler die Akten für
+einen Gulden vierundzwanzig Kreuzer, die vollends zum Rest der Reise
+hinreichten, und kam mit leerem Korb und Beutel wieder in der Heimat
+an. "An meine Frankfurter Reise", sagte er, "will ich denken.
+Diesmal in Frankfurt gewesen."
+
+
+
+Rettung einer Offiziersfrau
+
+
+Es muss manchmal recht wild und blutig in der Welt hergehen, dass
+die edle Denkungsart eines Menschen bekannt werde, den man nicht
+drum ansieht.
+
+In Tirol, wo es während des letzten Krieges recht wild und blutig
+herging, da hatten sie eben einen bayerischen Stabsoffizier
+ermordet, und mit noch blutigen Säbeln und Mistgabeln drangen sie in
+das Gemach, wo seine Gattin mit ihrem Kind in dem Schoss weinte und
+ihr Leid Gott klagte, und wollten sie auch ermorden. "Ja", fuhr sie
+einer von ihnen wütend an und war der allerärgste, "für Eurer Leben
+gibt es kein Lösegeld, und Euer Bürschlein da hat auch bayerisch
+Blut in den Adern. In einer Stunde müsst Ihr sterben, zuerst Euer
+kleiner Sadrach, hernach Ihr.--Lasst ihr eine Stunde Zeit", sagte
+er zu den andern, "dass sie noch beten kann; sie ist eine
+katholische Christin."
+
+Nach einer Viertelstunde aber, als sie allein war und betete, kam er
+wieder und sagte: "Gnädige Frau, Ihr kennt mich noch, so bitte ich
+Euch, Ihr wollt ob mir nicht erschrecken und nicht in Bösem
+aufnehmen, was ich in guter Meinung gesagt habe. Gebt mir Euer Kind
+unter den Mantel, so will ich es retten und zu meiner Mutter
+bringen, und zieht unterdessen dieses Plunder an", das er unter dem
+Mantel hervorzog, "so will ich's probieren, ob ich Euch mit Gottes
+und unserer Frauen Hilfe auch kann retten." Als er das Kind in
+Sicherheit gebracht hatte und wieder kam, stand sie schon da
+angekleidet wie ein Tiroler. Da drückte er ihr den schlappen Hut
+recht ins Gesicht, richtete ihr den Hosenträger besser zurecht und
+gab ihr seine Mistgabel in die Hand, als wenn sie auch ein Rebeller
+wäre und zu den Leibgardisten und Hellebardieren des Sandwirt Hofers
+gehörte. "Kommt denn jetzt", sagte er, "in Gottes Namen, und tretet
+herzhaft auf, wenn Ihr hinaus kommt, und macht Euch ein wenig
+breit." Als sie aber miteinander die Treppe hinabgingen, kamen die
+andern wieder, und: "Hast du ihr den Treff schon gegeben, Seppel?"
+fragte ihn einer. Da sagte er: "Nein, sie hat die Türe zugeschlossen
+und gebetet. Jetzt kann sie fertig sein. Ich hab' sie durchs
+Schlüsselloch gesehen, und sie stand eben auf, als ich durchsah."
+Also ging er mit ihr die Treppe hinab, und die andern stürmten an
+ihr vorbei, die Treppe hinauf, und während sie vor der
+verschlossenen Türe lärmten und pochten und in das leere Gemach
+hinein riefen: "Seid Ihr bald fertig? Die Türe soll bald eingetreten
+sein", brachte er sie auch zu seiner Mutter und gab ihr ihr Kindlein
+wieder, und das Kindlein lächelte, aber sie weinte und drückte es
+brünstig an ihr Gesicht und an ihren Busen. Also hatte sie der edle
+Tiroler glücklich und mit Gottes Hilfe aus den Händen ihrer Mörder
+errettet und hat sie hernach die Nacht hindurch auf heimlichen Wegen
+fortgeführt und bis an ein bayerisch Pikett gebracht, als eben die
+Sonne aufging. Auf nebenstehender Figur kann man sehen, wie die
+Sonne eben aufgeht, indem er sie ihren Landsleuten übergibt und
+nichts annehmen will für seine Wohltat und für seine Mühe, als ein
+Trünklein Bier. Nro. 1 ist der Seppel und Nro. 2 die Offiziersfrau.
+
+
+
+Rettung vom Hochgericht
+
+
+Eines Tages sagte zu sich selbst ein einfältiger Mensch: "Dumm bin
+ich; wenn ich mich nun auf pfiffige Streiche lege, so wird kein
+Mensch vermuten, dass ich's bin." Also legte er sich aufs Stehlen.
+Aber schon nach dem ersten Diebstahl wurde er als Täter entdeckt und
+überwiesen, weil er die goldene Uhr, die er gestohlen hatte, selber
+trug und alle Augenblicke herauszog. Einige Ratsherrn meinten, man
+könnte wegen seiner Einfalt etwas glimpflicher mit ihm verfahren als
+mit andern und ihn auf ein Jahr oder etwas ins Zuchthaus schicken.
+"So?" sagten die andern, "ist's nicht genug, dass so viele
+verschmitzte Halunken das saubere Handwerk treiben? Soll man für die
+dummen auch noch Prämien aussetzen, damit alles stiehlt?" und sechs
+gegen fünf sagten: Er muss an den Galgen. Auf der Leiter, als ihm
+der Henker den Hals visitierte, sagte er zu ihm: "Guter Freund, Ihr
+habt's ziemlich dick da herum sitzen, noch dicker als hinter den
+Ohren. Fast hätt' ich einen längern Strick nehmen sollen." Denn
+wirklich war dem armen Schelm das Kinn ziemlich stark mit dem Hals
+verwachsen, und als der Henker den Strick ohnehin ungeschickt
+angebracht hatte und den armen Sünder von der Leiter hinabstiess,
+glitschte dieser mit dem Kopf aus der Schlinge heraus und fiel
+unversehrt herab auf die Erde. Einige Zuschauer lachten, aber der
+grösste Teil erschrak und tat einen lauten Schrei, als ob sie
+fürchteten, es möchte dem Malefikanten, den sie doch wollten sterben
+sehn, etwas am Leben schaden. Aber der Henker stand einige
+Augenblicke wie versteinert oben auf dem Seigel und sagte endlich:
+"So etwas ist mir in meinem Leben noch nie passiert." Da sagte der
+Malefikant unten auf der Erde kaltblütig und mit gequetschter
+Stimme: "Mir auch nicht", und alle, die es hörten, vergassen die
+Ernsthaftigkeit einer Hinrichtung, und dass auf dem Weg über das
+Hochgericht ein armes, verschuldetes Gewissen an seinen ewigen
+Richter abgeliefert wird, und mussten lachen. Der Blutrichter selber
+hielt das Schnupftuch vor den Mund und sah auf die Seite. Die
+glimpflichern Ratsherren aber ermahnten die strengern: "Lasst jetzt
+den armen Ketzer laufen. Am Galgen ist er gewesen, und mehr habt ihr
+nicht verlangt, und Todesangst hat er ausgestanden." Also liessen
+sie den armen Ketzer laufen.
+
+
+
+Schlechter Gewinn
+
+
+Ein junger Kerl tat vor einem Juden gewaltig gross, was er für einen
+sichern Hieb in der Hand führe, und wie er eine Stecknadel der Länge
+nach spalten könne mit einem Zug. "Ja, gewiss, Mauschel Abraham",
+sagte er, "es soll einen Siebzehner gelten, ich haue dir in freier
+Luft das Schwarze vom Nagel weg auf ein Haar und ohne Blut." Die
+Wette galt, denn der Jude hielt so etwas nicht für möglich, und das
+Geld wurde ausgesetzt auf den Tisch. Der junge Kerl zog sein Messer
+und hieb und verlor's, denn er hieb dem armen Juden in der
+Ungeschicklichkeit das Schwarze vom Nagel und das Weisse vom Nagel
+und das vordere Gelenk mit einem Zuge rein von dem Finger weg. Da
+tat der Jude einen lauten Schrei, nahm das Geld und sagte: "Au weih,
+ich hab's gewonnen!"
+
+An diesen Juden soll jeder denken, wenn er versucht wird, mehr auf
+einen Gewinn zu wagen, als derselbe wert ist.
+
+Wie mancher Prozesskrämer hat auch schon so sagen können! Ein
+General meldete einmal seinem Monarch den Sieg mit folgenden Worten:
+"Wenn ich noch einmal so siege, so komme ich allein heim." Das
+heisst mit andern Worten auch: "O weih, ich hab's gewonnen!"
+
+
+
+Schlechter Lohn
+
+
+Als im letzten Krieg der Franzos nach Berlin kam, in die
+Residenzstadt des Königs von Preussen, da wurde unter anderm viel
+königliches Eigentum weggenommen und fortgeführt oder verkauft. Denn
+der Krieg bringt nichts, er holt. Was noch so gut verborgen war,
+wurde entdeckt und manches davon zur Beute gemacht, doch nicht
+alles. Ein grosser Vorrat von königlichem Bauholz blieb lange
+unverraten und unversehrt. Doch kam zuletzt noch ein Spitzbube von
+des Königs eigenen Untertanen, dachte: Da ist ein gutes Trinkgeld zu
+verdienen und zeigte dem französischen Kommandanten mit
+schmunzelnder Miene und spitzbübischen Augen an, was für ein schönes
+Quantum von eichenen und tannenen Baustämmen noch da und da
+beisammen liege, woraus manch Tausend Gulden zu lösen wäre. Aber der
+brave Kommandant gab schlechten Dank für die Verräterei und sagte:
+"Lasst Ihr die schönen Baustämme nur liegen, wo sie sind. Man muss
+dem Feind nicht sein Notwendigstes nehmen. Denn wenn Euer König
+wieder ins Land kommt, so braucht er Holz zu neuen Galgen für so
+ehrliche Untertanen, wie Ihr einer seid."
+
+Das muss der Rheinländische Hausfreund loben und wollte gern aus
+seinem eigenen Wald ein paar Stammeln auch hergeben, wenn's fehlen
+sollte.
+
+
+
+Schreckliche Unglücksfälle in der Schweiz
+
+
+[Hat jede Gegend ihr Liebes, so hat sie auch ihr Leides, und wer
+manchmal erfährt, was an andern Orten geschieht, findet wohl
+Ursache, zufrieden zu sein mit seiner Heimat. Hat z. B. die Schweiz
+viel herdenreiche Alpen, Käse und Butter und Freiheit, so hat sie
+auch Lawinen.] Der zwölfte Dezember des vergangenen Winters brachte
+für die hohen Bergtäler der Schweiz eine fürchterliche Nacht und
+lehrt uns, wie ein Mensch wohl täglich Ursache hat, an das
+Sprüchlein zu denken "Mitten wir im Leben sind mit dem Tod
+umfangen." Auf allen hohen Bergen lag ein tiefer, frisch gefallener
+Schnee. Der zwölfte Dezember brachte Tauwind und Sturm. Da dachte
+jedermann an grosses Unglück und betete. Wer sich und seine Wohnung
+für sicher hielt, schwebte in Betrübnis und Angst für die Armen, die
+es treffen wird, und wer sich nicht für sicher hielt, sagte zu
+seinen Kindern: "Morgen geht uns die Sonne nimmer auf", und
+bereitete sich zu einem seligen Ende. Da rissen sich auf einmal und
+an allen Orten von den Firsten der höchsten Berge die Lawinen oder
+Schneefälle los, stürzten mit entsetzlichem Tosen und Krachen über
+die langen Halden herab, wurden immer grösser und grösser, schossen
+immer schneller, toseten und krachten immer fürchterlicher und
+jagten die Luft vor sich her so durcheinander, dass im Sturm, noch
+ehe die Lawine ankam, ganze Wälder zusammenkrachten und Ställe,
+Scheuern und Waldungen wie Spreu davonflogen, und wo die Lawinen
+sich in den Tälern niederstürzten, da wurden stundenlange Strecken
+mit allen Wohngebäuden, die darauf standen, und mit allem
+Lebendigen, was darin atmete, erdrückt und zerschmettert, wer nicht
+wie durch ein göttliches Wunder gerettet wurde.
+
+Einer von zwei Brüdern in Uri, die miteinander hauseten, war auf dem
+Dach, das hinten an den Berg anstosst, und dachte: Ich will den
+Zwischenraum zwischen dem Berg und dem Dächlein mit Schnee ausfüllen
+und alles eben machen, auf dass, wenn die Lawine kommt, so fahrt sie
+über das Häuslein weg, dass wir vielleicht--und als er sagen
+wollte: dass wir vielleicht mit dem Leben davonkommen--da führte
+ihn der plötzliche Windbraus der vor der Lawine hergeht, vom Dach
+hinweg und hob ihn schwebend in der Luft, wie einen Vogel über einem
+entsetzlichen Abgrund. Und als er eben in Gefahr war, in die
+unermessliche Tiefe hinabzustürzen, und wäre seines Gebeins nimmer
+gefunden worden, da streifte die Lawine an ihm vorbei und warf ihn
+seitwärts an eine Halde. Er sagt, es habe ihm nicht wohlgetan, aber
+in der Betäubung umklammerte er noch einen Baum, an dem er sich
+festhielt, bis alles vorüber war, und kam glücklich davon und ging
+wieder heim zu seinem Bruder, der auch noch lebte, obgleich der
+Stall neben dem Häuslein wie mit einem Besen weggewischt war. Da
+konnte man wohl auch sagen: "Der Herr hat seinen Engeln befohlen
+über dir, dass sie dich auf den Händen tragen. Denn er macht
+Sturmwinde zu seinen Booten und die Lawinen, dass sie seine Befehle
+ausrichten."
+
+Anders erging es im Sturnen, ebenfalls im Kanton Uri. Nach dem
+Abendsegen sagte der Vater zu der Frau und den drei Kindern: "Wir
+wollen doch auch noch ein Gebet verrichten für die armen Leute, die
+in dieser Nacht in Gefahr sind." Und während sie beteten, donnerte
+schon aus allen Tälern der ferne Widerhall der Lawinen, und während
+sie noch beteten, stürzte plötzlich der Stall und das Haus zusammen.
+Der Vater wurde vom Sturmwind hinweggeführt, hinaus in die
+fürchterliche Nacht, und unten am Berg abgesetzt und von dem
+nachwehenden Schnee begraben. Noch lebte er; als er aber den andern
+Morgen mit unmenschlicher Anstrengung sich hervorgegraben und die
+Stätte seiner Wohnung wieder erreicht hatte und sehen wollte, was
+aus den Seinigen geworden sei, barmherziger Himmel! da war nur
+Schnee und Schnee und kein Zeichen einer Wohnung, keine Spur des
+Lebens mehr wahrzunehmen. Doch vernahm er nach langem, ängstlichem
+Rufen, wie aus einem tiefen Grab, die Stimme seines Weibes unter dem
+Schnee herauf. Und als er sie glücklich und unbeschädiget
+hervorgegraben hatte, da hörten sie plötzlich noch eine bekannte und
+liebe Stimme: "Mutter, ich wäre auch noch am Leben," rief ein Kind,
+"aber ich kann nicht heraus." Nun arbeitete Vater und Mutter noch
+einmal und brachten auch das Kind hervor, und ein Arm war ihm
+gebrochen. Da ward ihr Herz mit Freude und Schmerzen erfüllt, und
+von ihren Augen flossen Tränen des Dankes und der Wehmut. Denn die
+zwei andern Kind wurden auch noch herausgegraben, aber tot.
+In Pilzeig, ebenfalls im Kanton Uri, wurde eine Mutter mit zwei
+Kindern fortgerissen und unten in der Tiefe vom Schnee verschüttet.
+
+Ein Mann, ihr Nachbar, den die Lawine ebenfalls dahin geworfen
+hatte, hörte ihr Wimmern und grub sie hervor. Vergeblich war das
+Lächeln der Hoffnung in ihrem Antlitz. Als die Mutter halb nackt
+umherschaute, kannte sie die Gegend nicht mehr, in der sie war. Ihr
+Retter selbst war ohnmächtig niedergesunken. Neue Hügel und Berge
+von Schnee und ein entsetzlicher Wirbel von Schneeflocken füllten
+die Luft. Da sagte die Mutter: "Kinder, hier ist keine Rettung
+möglich; wir wollen beten und uns dem Willen Gottes überlassen." Und
+als sie beteten, sank die siebenjährige Tochter sterbend in die Arme
+der Mutter, und als die Mutter mit gebrochenem Herzen ihr zusprach
+und ihr Kind der Barmherzigkeit Gottes empfahl, da verliessen sie
+ihre Kräfte auch. Sie war eine 14tägige Kindbetterin, und sie sank
+mit dem teuern Leichnam ihres Kindes in dem Schoss ebenfalls leblos
+darnieder. Die andere, elfjährige Tochter hielt weinend und
+händeringend bei der Mutter und Schwester aus, bis sie tot waren,
+drückte ihnen alsdann, eh' sie auf eigene Rettung bedacht war, mit
+stummem Schmerz die Augen zu und arbeitete sich mit unsäglicher Mühe
+und Gefahr erst zu einem Baum, dann zu einem Felsen herauf und kam
+gegen Mitternacht endlich an ein Haus, wo sie zum Fenster hinein
+aufgenommen und mit den Bewohnern des Hauses erhalten wurde.
+Kurz, in allen Bergkantonen der Schweiz, in Bern, Glarus, Uri,
+Schwyz, Graubünden, sind in einer Nacht und fast in der nämlichen
+Stunde durch die Lawinen ganze Familien erdrückt, ganze Viehherden
+mit ihren Stallungen zerschmettert, Matten und Gartenland bis auf
+den nackten Felsen hinab aufgeschürft und weggeführt und ganze
+Wälder zerstört worden, also dass sie ins Tal gestürzt sind; oder
+die Bäume liegen übereinander zerschmettert und zerknickt wie die
+Halmen auf einem Acker nach dem Hagelschlag. Sind ja in dem einzigen
+kleinen Kanton Uri fast mit einem Schlag 11 Personen unter dem
+Schnee begraben worden und sind nimmer auferstanden, gegen 30 Häuser
+und mehr als 150 Heuställe zerstört und 359 Häuptlein Vieh
+umgekommen, und man weiss gar nicht, auf wie vielmal hunderttausend
+Gulden soll man den Schaden berechnen ohne die verlornen Menschen.
+Denn das Leben eines Vaters oder einer Mutter oder frommen Gemahls
+oder Kindes ist nicht mit Gold zu schätzen.
+
+
+
+Seinesgleichen
+
+
+Ein kunstreicher Instrumentenmacher, aber ein eingebildeter und
+unfeiner Mann, hielt sich schon einige Zeit in einem namhaften
+Städtlein auf und genoss dann und wann im Löwen abends eine Flasche
+Wein und einen halben Vierling Käs. Eines Abends, als sich die
+meisten Gäste schon früher denn gewöhnlich verlaufen hatten und der
+Instrumentenmacher oben noch allein sass, rückt zu ihm der bekannte
+Zirkelschmied mit seinem Schoppen Siebenzehner hinauf. "Euer
+Wohlgeboren", sagte er, "redeten da vorhin an Ihre Nachbarn über die
+Quadratur des Zirkels. Ich hatte keine Freude zur Sache. Leute
+unsersgleichen", sagte er, "können von so etwas wohl unter sich
+sprechen und einander Gedanken geben. Ich z. B. wäre Euerer Meinung
+nicht gewesen." Der geneigte Leser kennt den Zirkelschmied, dass er
+immer auf eine Schelmerei ausgeht. Unter andern macht er sich gern
+an Fremde, die etwas gleich sehen, um hernach bei andern mit ihrer
+Bekanntschaft grosszutun, wie am Ende dieser Erzählung auch
+geschehen wird, und die Leute breitzuschlagen, wie man sagt. Der
+Instrumentenmacher aber betrachtete ihn mit einem vornehmen,
+verachtenden Blick und sagt: "Wenn Ihr bei Leuten Euresgleichen sein
+wollt, so kommt nicht zu mir; oder wer seid Ihr?" Der Zirkelschmied,
+des Schimpfes und der Schande gewöhnt, erwidert: "Sollte Euer
+Wohlgeboren aus meiner Rede nicht erkennen, dass zwei Künstler
+miteinander sprechen?" Des erboste sich der andere. noch mehr. "Ihr
+ein Künstler?" fragte er ihn, "ein Kammacher oder ein Besenbinder?
+Wollt Ihr ein Almosen von mir?" Der Zirkelschmied erwidert: "Herr
+Christlieb, das beugt mich, weniger wegen meiner, als wegen der
+Kunst. Leute unsersgleichen pflegen sich sonst eben so sehr durch
+feine Sitten auszuzeichnen als durch Kenntnisse und
+Geschicklichkeit." Da stand der Instrumentenmacher auf: "Sprecht Ihr
+mir schon wieder von Euresgleichen", sagt er. "Hör' ich's zum
+dritten Mal von Euch, so werf' ich Euch den Stuhl an den Kopf", und
+lupfte ihn bereits ein wenig in die Höhe. Der Wirt aber, der bisher
+ruhig am Ofen stand, trat hervor und sagte: "Jetzt, Zirkelschmied,
+reist!"
+
+Der Zirkelschmied aber erbost sich darüber auch und geht aus dem
+Löwen ins Rösslein gerad gegenüber, und "stellt euch vor", sagte er
+dort zu seinen anwesenden Bekannten, "was sich der hergelaufene
+Instrumentenmacher, der Brotdieb, einbildet. Der hochmütige Gesell
+nimmt's für einen Affrunt auf, dass ich zweimal zu ihm sagte: Leute
+unsersgleichen, und ich sag's zum dritten Mal, wenn er's hören will,
+der Flegel, der impertinente, der gemeine Kerl."
+
+Der geneigte Leser lacht ein wenig, dass der Zirkelschmied darauf
+beharrt, ein Mann, den er für einen Flegel und gemeinen Kerl
+ausgibt, sei seinesgleichen.
+
+Lerne erstens am Zirkelschmied: Man muss nie schimpfen, wenn man im
+Zorn ist, sonst schimpft und verunehrt man sich selbst.
+
+Lerne zweitens an dem Instrumentenmacher: Man muss sich, wenn man
+etwas ist, mit liederlichen Leuten nie in Grobheiten gemein machen,
+sonst macht man sich wirklich zu ihresgleichen. Der Zirkelschmied
+hatte insofern recht.
+
+
+
+Seltene Liebe
+
+
+Mit dem Leichnam eines jungen Mannes im Schweizerland, der
+erschlagen wurde in einem Gefecht nicht weit vom Vierwaldstätter
+See, mit dem Leichnam ging es wunderbar zu. Dass er nach dem Gefecht
+war begraben worden nächst der Wahlstatt, wussten mehr als zwanzig
+Männer aus dem nämlichen Ort, die es taten und dabei waren und ein
+Kreuz, wie man in der Geschwindigkeit eines machen kann, auf sein
+Grab steckten, dass, wer vorüberginge, auch ein Vaterunser für seine
+Seele beten sollte. Item, am Dienstag darauf, als der Sigrist frühe
+morgens in die Kirche gehn und das Morgengebet anläuten wollte, lag
+der nämliche Leichnam daheim auf dem Kirchhof, vor der Kirchtüre.
+Man begrub ihn noch einmal mit allen Gebräuchen und Gebeten der
+Kirche in die geweihte Erde. Item, als es noch einmal Dienstag
+wurde, war der nämliche Leichnam wieder aus dem Grab und von dem
+Kirchhof weg verschwunden. Sonst tut der Glaube Wunder. Diesmal aber
+tat's des Glaubens fromme Schwester, die Liebe. Er war als
+Freiwilliger mitgezogen, weil ihm die Gemeinde auf den Fall das
+Bürgerrecht angeboten hatte. Denn er war nur Hintersass und seiner
+Arbeit ein Maurer, was zwar nicht zur Sache, aber zur Wahrheit
+gehört. Seine junge Frau aber ängstete sich daheim und weinte und
+betete, und jeder Schuss, den sie hörte, ging ihr schauerhaft durchs
+Herz, denn sie fürchtete, er gehe durch das seinige. Einer ging da
+durch, und als die andern am dritten oder vierten Tag wohlbehalten
+nach Hause kamen, brachten sie ihr das blutige Gewand ihres Mannes,
+sein Gebetbüchlein und seinen Rosenkranz. "Dein Mann", sagten sie,
+"hat jetzt ein anderes Bürgerrecht angetreten. Er liegt im obern
+Ried. Ein Kreuz steht auf seinem Grab. Es hätte jeden treffen
+können", sagten sie. Die arme Frau verging fast in Tränen und
+Wehklagen. "Mein Mann erschossen", sagte sie, "mein einziges und
+alles--und im Ried begraben, in ungeweihter Erde!" Da raffte sie
+sich plötzlich auf, und in der Nacht, als alles schlief, ging sie
+allein mit einer Schaufel und mit einem Sack in das Ried hinauf,
+suchte das Grab und die geliebte Leiche und trug sie heim auf den
+Kirchhof. Solche Herzhaftigkeit und Stärke hatte ihr der Schmerz und
+die Liebe gegeben. Als sie aber hernachmals Tag und Nacht sich fast
+nimmer von dem Grabe entfernen und nicht essen und trinken wollte,
+sondern unaufhörlich das Grab mit ihren Tränen benetzte und mit dem
+Verstorbenen redete, als ob er sie hören könnte, alle Vorstellungen
+waren fruchtlos, da sagte endlich der Vorsteher des Ortes, es sei
+kein anderes Mittel übrig, als man grabe den Toten heimlicherweise
+noch einmal aus und bringe ihn auf einen andern Kirchhof, sonst
+vergehe noch die arme Frau. Also brachte man sie mit viel Zureden
+und Mühe in ihre leere Wohnung zurück und brachte in der Nacht den
+Leichnam auf einen andern Kirchhof. Nur wenige Menschen wussten
+davon, wohin er gebracht worden. Den frommen Leser rührt diese
+Geschichte, und er sagt, solcher beispiellosen ehelichen Liebe und
+Treue können nur noch Schweizerherzen fähig sein. Fehl gesprochen!
+Beide, die unglückliche Frau und ihr verstorbener Gatte waren
+Fremdlinge, und zwar aus Deutschland. Doch kein Schmerz dauert ohne
+Ende, der heftigste am wenigsten. Die nämliche Frau gewann in der
+Folge einen zweiten braven Gatten, ebenfalls einen Deutschen, und
+die Gemeinde erteilte--diesem das Bürgerrecht, das sein Vorfahrer
+mit seinem Leben erkauft hatte.
+
+Diese Geschichte hat dem Hausfreund und seinen Reisegefährten auf
+dem See zwischen Winkel und Stansstad ein Augenzeuge erzählt, und
+von ferne den Ort gezeigt, wo sie vorgefallen war.
+
+
+
+Seltsame Ehescheidung
+
+
+Ein junger Schweizer aus Ballstall kam in spanische Dienste, hielt
+sich gut und erwarb sich einiges Vermögen. Als es ihm aber zu wohl
+war, dachte er: will ich oder will ich nicht?--Endlich wollte er,
+nahm eine hübsche, wohlhabende Spanierin zur Frau und machte damit
+seinen guten Tagen ein Ende.--Denn in den spanischen Haushaltungen
+ist die Frau der Herr, ein guter Freund der Mann, und der Mann ist
+die Magd.
+
+Als nun das arme Blut der Sklaverei und Drangsalierung bald müde
+war, fing er an, als wenn er nichts damit meinte, und rühmte ihr das
+fröhliche Leben in der Schweiz und die goldenen Berge darin, er
+meinte die Schneeberge im Sonnenglast jenseits der Klus; und wie man
+lustig nach Einsiedeln wallfahrten könne und schön beten in Sasseln
+am Grabe des heiligen Bruders Niklas von der Flue, und was für ein
+grosses Vermögen er daheim besitze, aber es werde ihm nicht
+verabfolgt aus dem Land. Da wässerte endlich der Spanierin der Mund
+nach dem schönen Land und Gut, und es war ihr recht, ihr Vermögen zu
+Geld zu machen und mit ihm zu ziehen in seine goldene Heimat. Also
+zogen sie miteinander über das grosse pyrenäische Gebirg bis an den
+Grenzstein, der das Reich Hispania von Frankreich scheidet; sie mit
+dem Geld auf einem Esel, er nebenher zu Fuss. Als sie aber vorüber
+an dem Grenzstein waren, sagte er: "Frau, wenn's dir recht ist, bis
+hieher haben wir's spanisch miteinander getrieben, von jetzt an
+treiben wir's deutsch. Bist du von Madrid bis an den Markstein
+geritten und ich bin dir zu Fuss nachgetrabt den langen Berg hinauf,
+so reit' ich jetzt von hier weg bis gen Ballstall, Kanton Solothurn,
+und das Fussgehen ist an dir." Als sie darüber sich ungebärdig
+stellte und schimpfte und drohte und nicht von dem Tierlein herunter
+wollte: "Frau, das verstehst du noch nicht", sagte er, "und ich
+nehme dir's nicht übel", sondern hieb an dem Weg einen tüchtigen
+Stecken ab und las ihr damit ein langes Kapitel aus dem Ballstaller
+Ehe- und Männerrecht vor, und als sie alles wohlverstanden hatte,
+fragte er sie: "Willst du jetzt mit, welsche Hexe, und guttun, oder
+willst du wieder hin, wo du hergekommen bist?" Da sagte sie
+schluchzend: "Wo ich hergekommen bin!" und das war ihm auch das
+Liebste. Also teilte mit ihr der ehrliche Schweizer das Vermögen und
+trennten sich voneinander an diesem Grenzstein weiblicher Rechte,
+wie einmal ein bekanntes Büchlein in der Welt geheissen hat, und
+jedes zog wieder in seine Heimat. "Deinen Landsmann," sagte er, "auf
+dem du hergeritten bist, kannst du auch wieder mitnehmen."
+
+Merke: Im Reich Hispania machen's die Weiber zu arg, aber in
+Ballstall doch auch manchmal die Männer. Ein Mann soll seine Frau
+nie schlagen, sonst verunehrt er sich selber. Denn ihr seid ein
+Leib.
+
+
+
+Seltsamer Spazierritt
+
+
+Ein Mann reitet auf seinem Esel nach Haus und lässt seinen Buben zu
+Fuss nebenher laufen. Kommt ein Wanderer und sagt: "Das ist nicht
+recht, Vater, dass Ihr reitet und lasst Euern Sohn laufen; Ihr habt
+stärkere Glieder." Da stieg der Vater vom Esel herab und liess den
+Sohn reiten. Kommt wieder ein Wandersmann und sagt: "Das ist nicht
+recht, Bursche, dass du reitest und lässest deinen Vater zu Fuss
+gehen. Du hast jüngere Beine." Da sassen beide auf und ritten eine
+Strecke. Kommt ein dritter Wandersmann und sagt: "Was ist das für
+ein Unverstand: zwei Kerle auf einem schwachen Tier? Sollte man
+nicht einen Stock nehmen und euch beide hinabjagen?" Da stiegen
+beide ab und gingen selbdritt zu Fuss, rechts und links der Vater
+und Sohn, und in der Mitte der Esel. Kommt ein vierter Wandersmann
+und sagt: "Ihr seid drei kuriose Gesellen. Ist's nicht genug, wenn
+zwei zu Fuss gehen? Geht's nicht leichter, wenn einer von euch
+reitet?" Da band der Vater dem Esel die vordern Beine zusammen, und
+der Sohn band ihm die hintern Beine zusammen, zogen einen starken
+Baumpfahl durch, der an der Strasse stand, und trugen den Esel auf
+der Achsel heim.
+
+So weit kann's kommen, wenn man es allen Leuten will recht machen.
+
+
+
+Suwarow
+
+
+Der Mensch muss eine Herrschaft über sich selber ausüben können,
+sonst ist er kein braver und achtungswürdiger Mensch, und was er
+einmal für allemal als recht erkennt, das muss er auch tun, aber
+nicht einmal für allemal, sondern immer. Der russische General
+Suwarow, den die Türken und Polacken, die Italiener und die
+Schweizer wohl kennen, der hielt ein scharfes und strenges Kommando.
+Aber was das Vornehmste war, er stellte sich unter sein eigenes
+Kommando, als wenn er ein anderer und nicht der Suwarow selber wäre,
+und sehr oft mussten ihm seine Adjutanten dies und jenes in seinem
+eigenen Namen befehlen, was er alsdann pünktlich befolgte. Einmal
+war er wütend aufgebracht über einen Soldaten, der im Dienst etwas
+versehen hatte, und fing schon an ihn zu prügeln. Da fasste ein
+Adjutant das Herz, dachte, er wolle dem General und dem Soldaten
+einen guten Dienst erweisen, eilte herbei und sagte: "Der General
+Suwarow hat befohlen, man solle sich nie vom Zorn übernehmen
+lassen." Sogleich liess Suwarow nach und sagte: "Wenn's der General
+befohlen hat, so muss man gehorchen."
+
+
+
+Teure Eier
+
+
+Als zu seiner Zeit ein fremder Fürst nach Frankreich reiste, wurde
+ihm unterwegs öd im Magen, und liess sich in einem gemeinen
+Wirtshaus, wo sonst dergleichen Gäste nicht einkehren, drei
+gesottene Eier geben. Als er damit fertig war, fordert der Wirt
+dafür 300 Livres. Der Fürst fragte, ob denn hier die Eier so rar
+seien. Der Wirt lächelte und sagte: "Nein, die Eier nicht, aber die
+grossen Herren, die so etwas dafür bezahlen können." Der Fürst
+lächelte auch und gab das Geld, und das war gut. Als aber der
+damalige König von Frankreich von der Sache hörte (es wurde ihm als
+ein Spass erzählt), nahm er's sehr übel, dass ein Wirt in seinem
+Reich sich unterstand, solche unverschämte Überforderungen zu
+machen, und sagte dem Fürsten: "Wenn Sie auf ihrer Rückreise wieder
+an dem Wirtshaus vorbeifahren, werden Sie sehen, dass Gerechtigkeit
+in meinem Lande herrscht." Als der Fürst auf seiner Rückreise wieder
+an dem Wirtshaus vorbeifuhr, sah er keinen Schild mehr dran, aber
+die Türen und Fenster waren zugemauert, und das war auch gut.
+
+
+
+Teures Spässlein
+
+
+Man muss mit Wirten keinen Spass und Mutwillen treiben, sonst kommt
+man unversehens an den Unrechten. Einer in Basel will ein Glas Bier
+trinken, das Bier war sauer, zog ihm den Mund zusammen, dass ihm die
+Ohren bis auf die Backen hervorkamen. Um es auf eine witzige Art an
+den Tag zu legen und den Wirt vor den Gästen lächerlich zu machen,
+sagte er nicht: "das Bier ist sauer", sondern "Frau Wirtin", sagte
+er, "könnt' ich nicht ein wenig Salat und Öl zu meinem Bier haben?"
+Die Wirtin sagte: "In Basel kann man für Geld alles haben", strickte
+aber noch ein wenig fort, als wenn sie's wenig achtete, denn sie war
+eben am Zwickel. Nach einigen Minuten, als unterdessen die Gäste
+miteinander diskurierten, und einer sagte: "Habt ihr gestern das
+Kamel auch gesehen und den Affen?" ein anderer sagte: "Es ist kein
+Kamel, es ist ein Trampeltier", sagte die Wirtin: "Mit Erlaubnis"
+und deckte eine schneeweisse Serviette vom feinsten Gebilde auf den
+Tisch. Jeder glaubte, der andere habe ein Bratwürstlein bestellt
+oder etwas, und "es ist doch ein Kamel", sagte ein dritter, "denn es
+ist weiss, die Trampeltiere sind braun." Unterdessen kam die Wirtin
+wieder mit einem Teller voll zarter Kukümmerlein aus dem
+markgräfischen Garten, aus dem Treibhaus, fein geschnitten wie
+Postpapier, und mit dem kostbarsten genuesischen Baumöl angemacht,
+und sagte zu dem Gast mit spöttischem Lächeln: "Ist's gefällig?"
+Also lachten die andern nicht mehr den Wirt aus, sondern den Gast,
+und wer wohl oder übel seinen Spass mit zehn Batzen fünf Rappen
+Baseler Währung bezahlen musste, war er.
+
+
+
+Tod vor Schrecken
+
+
+Als einmal der Hausfreund mit dem Doktor von Brassenheim an dem
+Kirchhof vorbeiging, deutete der Doktor auf ein frisches Grab und
+sagte: "Selbiger ist mir auch entwischt. Den haben seine Kameraden
+geliefert."
+
+Im Wirtshaus, wo die Schreiber beisammen sassen bei einem lebhaften
+Disputat, schlug einer von ihnen auf den Tisch. "Und es gibt doch
+keine!" sagte er,--nämlich keine Gespenster und Erscheinungen.--
+"Und ein altes Weib", fuhr er fort, "ist der, der sich erschrecken
+lässt." Da nahm ihn ein anderer beim Wort und sagte: "Buchhalter,
+vermiss dich nicht; gilt's sechs Flaschen Burgunderwein, ich
+vergelstere dich und sag dir's noch vorher." Der Buchhalter schlug
+ein: "Es gilt."
+
+Jetzt ging der andere Schreiber zum Wundarzt: "Herr Land-Chirurgus,
+wenn Ihr einmal einen Leichnam zum Verschneiden bekommt, von dem Ihr
+mir einen Vorderarm aus dem Ellenbogengelenk lösen könntet, so sagt
+mir's." Nach einiger Zeit kam der Chirurgus: "Wir haben einen toten
+Selbstmörder bekommen, einen Siebmacher. Der Müller hat ihn
+aufgefangen am Rechen", und brachte dem Schreiber den Vorderarm.
+"Gibt's noch keine Erscheinungen, Buchhalter?"--"Nein, es gibt noch
+keine." Jetzt schlich der Schreiber heimlich in des Buchhalters
+Schlafkammer und legte sich unter das Bett, und als sich der
+Buchhalter gelegt hatte und eingeschlafen war, fuhr er ihm mit
+seiner eigenen warmen Hand über das Gesicht. Der Buchhalter fuhr auf
+und sagte, dann er wirklich ein besonnener und beherzter Man war:
+"Was sind das für Possen? Meinst du, ich merke nicht, dass du die
+Wette gewinnen willst?" Der Schreiber war mausstille. Als der
+Buchhalter wieder eingeschlafen war, fuhr er ihm noch einmal über
+das Gesicht. Der Buchhalter sagte: "Jetzt lass es genug sein, oder
+wenn ich dich erwische, so schaue zu, wie es dir geht." Zum dritten
+Mal fuhr ihm der Schreiber langsam über das Gesicht; und als er
+schnell nach ihm haschte, und als er sagen wollte: "Hab' ich dich?"
+blieb ihm eine kalte, tote Hand und ein abgelöster Armstümmel in den
+Händen, und der kalte, tötende Schrecken fuhr ihm tief in das Herz
+und in das Leben hinein. Als er sich wieder erholt hatte, sagte er
+mit schwacher Stimme: "Ihr habt, Gott sei es geklagt, die Wette
+gewonnen." Der Schreiber lachte und sagte: "Am Sonntag trinken wir
+den Burgunder." Aber der Buchhalter erwiderte: "Ich trink ihn nimmer
+mit." Kurz, den andern Morgen hatte er ein Fieber, und den siebenten
+Morgen war er eine Leiche. "Gestern früh", sagte der Doktor zum
+Hausfreund, "hat man ihn auf den Kirchhof getragen; unter selbigem
+Grab liegt er, das ich Euch gezeigt habe."
+
+
+
+Unglück der Stadt Leiden
+
+
+Diese Stadt heisst schon seit undenklichen Zeiten Leiden und hat
+noch nie gewusst, warum, bis am 12. Jänner des Jahres 1807. Sie
+liegt am Rhein in dem Königreich Holland und hatte vor diesem Tag
+elftausend Häuser, welche von 40 000 Menschen bewohnt waren, und war
+nach Amsterdam wohl die grösste Stadt im ganzen Königreich. Man
+stand an diesem Morgen noch auf wie alle Tage; der eine betete sein:
+"Das walt' Gott", der andere liess es sein, und niemand dachte
+daran, wie es am Abend aussehen wird, obgleich ein Schiff mit
+siebenzig Fässern voll Pulver in der Stadt war. Man ass zu Mittag,
+und liess sich's schmecken wie alle Tage, obgleich das Schiff noch
+immer da war. Aber als nachmittags der Zeiger auf dem grossen Turm
+auf halb fünf stand--fleissige Leute sassen daheim und arbeiteten,
+fromme Mütter wiegten ihre Kleinen, Kaufleute gingen ihren
+Geschäften nach, Kinder waren beisammen in der Abendschule, müssige
+Leute hatten Langeweile und sassen im Wirtshaus beim Kartenspiel und
+Weinkrug, ein Bekümmerter sorgte für den andern Morgen, was er
+essen, was er trinken, womit er sich kleiden werde, und ein Dieb
+steckte vielleicht gerade einen falschen Schlüssel in eine fremde
+Türe--und plötzlich geschah ein Knall. Das Schiff mit seinen
+siebenzig Fässern Pulver bekam Feuer, sprang in die Luft, und in
+einem Augenblick (ihr könnt's nicht so geschwind lesen, als es
+geschah), in einem Augenblick waren ganze lange Gassen voll Häuser
+mit allem, was darin wohnte und lebte, zerschmettert und in einen
+Steinhaufen zusammengestürzt oder entsetzlich beschädigt. Viele
+hundert Menschen wurden lebendig und tot unter diesen Trümmern
+begraben oder schwer verwundet. Drei Schulhäuser gingen mit allen
+Kindern, die darin waren, zugrunde, Menschen und Tiere, welche in
+der Nähe des Unglücks auf der Strasse waren, wurden von der Gewalt
+des Pulvers in die Luft geschleudert und kamen in einem kläglichen
+Zustand wieder auf die Erde. Zum Unglück brach auch noch eine
+Feuersbrunst aus die bald an allen Orten wütete, und konnte fast
+nimmer gelöscht werden, weil viele Vorratshäuser voll Öl und Tran
+mit ergriffen wurden. Achthundert der schönsten Häuser stürzten ein
+oder mussten niedergerissen werden. Da sah man denn auch, wie es am
+Abend leicht anders werden kann, als es am frühen Morgen war, nicht
+nur mit einem schwachen Menschen, sondern auch mit einer grossen und
+volkreichen Stadt. Der König von Holland setzte sogleich ein
+namhaftes Geschenk auf jeden Menschen, der noch lebendig gerettet
+werden konnte. Auch die Toten, die aus dem Schutt hervorgegraben
+wurden, wurden auf das Rathaus gebracht, damit sie von den Ihrigen
+zu einem ehrlichen Begräbnis konnten abgeholt werden. Viele Hilfe
+wurde geleistet. Obgleich Krieg zwischen England und Holland war, so
+kamen doch von London ganze Schiffe voll Hilfsmittel und grosse
+Geldsummen für die Unglücklichen, und das ist schön--denn der Krieg
+soll nie ins Herz der Menschen kommen. Es ist schlimm genug, wenn er
+aussen vor allen Toren und vor allen Seehäfen donnert.
+
+
+
+Unglück in Kopenhagen
+
+
+Das sollte man nicht glauben, dass eine Granate, die in den
+unglücklichen Septembertagen 1807 nach Kopenhagen geworfen wurde,
+noch im Juli 1808 losgehen werde. Zwei Knaben fanden sie unter der
+Erde. Einer von ihnen wollte sie mit einem Nagel von dem anhängenden
+Grunde reinigen. Plötzlich geriet sie in Brand, zersprang, tötete
+den einen auf der Stelle, nahm dem andern die Beine weg und
+zerquetschte der Mutter, die mit einem Säugling an der Brust sorglos
+zusah, den Arm. Dies lehrt vorsichtig sein mit alten Granaten und
+Bombenkugeln.
+
+
+
+Untreue schlägt den eigenen Herrn
+
+
+Als in dem Krieg zwischen Frankreich und Preussen ein Teil der
+französischen Armee nach Schlesien einrückte, waren auch Truppen vom
+Rheinischen Bundesheer dabei, und ein bayerischer oder
+württembergischer Offizier wurde zu einem Edelmann einquartiert und
+beikam eine Stube zur Wohnung, wo viele sehr schöne und kostbare
+Gemälde hingen. Der Offizier schien recht grosse Freude daran zu
+haben, und als er etliche Tage bei diesem Mann gewesen und
+freundlich behandelt worden war, verlangte er einmal von seinem
+Hauswirt, dass er ihm eins von diesen Gemälden zum Andenken schenken
+möchte. Der Hauswirt sagte, dass er das mit Vergnügen tun wollte,
+und stellte seinem Gaste frei, dasjenige selber zu wählen, welches
+ihm die grösste Freude machen könnte.
+
+Nun, wenn man die Wahl hat, sich selber ein Geschenk von jemand
+auszusuchen, so erfordern Verstand und Artigkeit, dass man nicht
+gerade das vornehmste und Kostbarste wegnehme, und so ist es auch
+nicht gemeint. Daran schien dieser Mann auch zu denken, denn er
+wählte unter allen Gemälden fast das schlechteste. Aber das war
+unserm schlesischen Edelmann nichts desto lieber, und er hätte ihm
+gern das kostbarste dafür gelassen. "Mein Herr Obrist", so sprach er
+mit sichtbarer Unruhe, "warum wollen Sie gerade das geringste
+wählen, das mir noch dazu wegen einer andern Ursache wert ist?
+
+Nehmen Sie doch lieber dieses hier oder jenes dort." Der Offizier
+gab aber darauf kein Gehör, schien auch nicht zu merken, dass sein
+Hauswirt immer mehr und mehr in Angst geriet, sondern nahm geradezu
+das gewählte Gemälde herunter. Jetzt erschien an der Mauer, wo
+dasselbe gewesen war, ein grosser feuchter Fleck. "Was soll das
+sein?" sprach der Offizier wie erzürnt zu seinem todblassen Wirt,
+tat einen Stoss, und auf einmal fielen ein paar frisch gemauerte und
+übertünchte Backsteine zusammen, hinter welchen alles Geld und Gold
+und Silber des Edelmannes eingemauert war. Der gute Mann hielt nun
+freilich sein Eigentum für verloren, wenigstens erwartete er, dass
+der feindliche Kriegsmann eine namhafte Teilung ohne Inventarium und
+ohne Kommissarius vornehmen werde, ergab sich geduldig darein und
+verlangte nur von ihm zu erfahren, woher er habe wissen können, dass
+hinter diesem Gemälde sein Geld in der Mauer verborgen war. Der
+Offizier erwiderte: "Ich werde den Entdecker sogleich holen lassen,
+dem ich ohnehin Belohnung schuldig bin"; und in kurzer Zeit brachte
+sein Bedienter--sollte man's glauben--den Maurermeister selber,
+den nämlichen, der die Vertiefung in der Mauer zugemauert und die
+Bezahlung dafür erhalten hatte.
+
+Das ist nun einer von den grössten Spitzbubenstreichen, die der
+Teufel auf ein Sündenregister setzen kann. Denn ein Handwerksmann
+ist seinen Kunden die grösste Treue, und in Geheimnissen, wenn es
+nichts Unrechtes ist, so viel Verschwiegenheit schuldig, als wenn er
+einen Eid darauf hätte.
+
+Aber was tut man nicht um des Geldes willen! Oft gerade das
+nämliche, was man um der Schläge oder um des Zuchthauses willen tut
+oder für den Galgen, obgleich ein grosser Unterschied dazwischen
+ist. So etwas erfuhr unser Meister Spitzbub. Denn der brave Offizier
+liess ihn jetzt hinaus vor die Stube führen und ihm von frischer
+Hand 100, sage hundert Prügel bar ausbezahlen, lauter gute Valuta,
+und war kein einziger falsch darunter. Dem Edelmann aber gab er
+unbetastet sein Eigentum zurück.--Das wollen wir beides gutheissen
+und wünschen, dass jedem, der Einquartierung haben muss, ein so
+rechtschaffener Gast und jedem Verräter eine solche Belohnung zuteil
+werden möge.
+
+
+
+Unverhofftes Wiedersehen
+
+
+In Falun in Schweden küßte vor guten fünfzig Jahren und mehr ein
+junger Bergmann seine junge, hübsche Braut und sagte zu ihr: "Auf
+Sankt Luciä wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet. Dann
+sind wir Mann und Weib und bauen uns ein eigenes Nestlein." --"Und
+Friede und Liebe soll darin wohnen", sagte die schöne Braut mit
+holdem Lächeln, "denn du bist mein einziges und alles, und ohne dich
+möchte ich lieber im Grab sein als an einem andern Ort." Als sie
+aber vor Sankt Luciä der Pfarrer zum zweiten Male in der Kirche
+ausgerufen hatte: "So nun jemand Hindernis wüßte anzuzeigen, warum
+diese Personen nicht möchten ehelich zusammenkommen", da meldete
+sich der Tod. Denn als der Jüngling den andern Morgen in seiner
+schwarzen Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbeiging, der Bergmann
+hat sein Totenkleid immer an, da klopfte er zwar noch einmal an
+ihrem Fenster und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend
+mehr. Er kam nimmer aus dem Bergwerk zurück, und sie saumte
+vergeblich selbigen Morgen ein schwarzes Halstuch mit rotem Rand für
+ihn zum Hochzeitstag, sondern als er nimmer kam, legte sie es weg
+und weinte um ihn und vergaß ihn nie. Unterdessen wurde die Stadt
+Lissabon in Portugal durch ein Erdbeben zerstört, und der
+Siebenjährige Krieg ging vorüber, und Kaiser Franz der Erste starb,
+und der Jesuitenorden wurde aufgehoben und Polen geteilt, und die
+Kaiserin Maria Theresia starb, und der Struensee wurde hingerichtet,
+Amerika wurde frei, und die vereinigte französische und spanische
+Macht konnte Gibraltar nicht erobern. Die Türken schlossen den
+General Stein in der Veteraner Höhle in Ungarn ein, und der Kaiser
+Joseph starb auch. Der König Gustav von Schweden eroberte
+Russisch-Finnland, und die Französische Revolution und der lange
+Krieg fing an, und der Kaiser Leopold der Zweite ging auch ins Grab.
+Napoleon eroberte Preußen, und die Engländer bombardierten
+Kopenhagen, und die Ackerleute säeten und schnitten. Der Müller
+mahlte, und die Schmiede hämmerten, und die Bergleute gruben nach
+den Metalladern in ihrer unterirdischen Werkstatt. Als aber die
+Bergleute in Falun im Jahr 1809 etwas vor oder nach Johannis
+zwischen zwei Schachten eine Öffnung durchgraben wollten, gute
+dreihundert Ellen tief unter dem Boden, gruben sie aus dem Schutt
+und Vitriolwasser den Leichnam eines Jünglings heraus, der ganz mit
+Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest und unverändert war,
+also daß man seine Gesichtszüge und sein Alter noch völlig erkennen
+konnte, als wenn er erst vor einer Stunde gestorben oder ein wenig
+eingeschlafen wäre an der Arbeit. Als man ihn aber zu Tag
+ausgefördert hatte, Vater und Mutter, Gefreundte und Bekannte waren
+schon lange tot, kein Mensch wollte den schlafenden Jüngling kennen
+oder etwas von seinem Unglück wissen, bis die ehemalige Verlobte des
+Bergmanns kam, der eines Tages auf die Schicht gegangen war und
+nimmer zurückkehrte. Grau und zusammengeschrumpft kam sie an einer
+Krücke an den Platz und erkannte ihren Bräutigam; und mehr mit
+freudigem Entzücken als mit Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche
+nieder, und erst als sie sich von einer langen heftigen Bewegung des
+Gemüts erholt hatte, "es ist mein Verlobter", sagte sie endlich, "um
+den ich fünfzig Jahre lang getrauert hatte und den mich Gott noch
+einmal sehen läßt vor meinem Ende. Acht Tage vor der Hochzeit ist er
+auf die Grube gegangen und nimmer gekommen." Da wurden die Gemüter
+aller Umstehenden von Wehmut und Tränen ergriffen, als sie sahen die
+ehemalige Braut jetzt in der Gestalt des hingewelkten kraftlosen
+Alters und den Bräutigam noch in seiner jugendlichen Schöne, und wie
+in ihrer Brust nach fünfzig Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe
+noch einmal erwachte; aber er öffnete den Mund nimmer zum Lächeln
+oder die Augen zum Wiedererkennen; und wie sie ihn endlich von den
+Bergleuten in ihr Stübchen tragen ließ, als die einzige, die ihm
+angehöre und ein Recht an ihn habe, bis sein Grab gerüstet sei auf
+dem Kirchhof. Den andern Tag, als das Grab gerüstet war auf dem
+Kirchhof und ihn die Bergleute holten, schloß sie ein Kästlein auf,
+legte ihm das schwarzseidene Halstuch mit roten Streifen um und
+begleitete ihn in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeitstag
+und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre. Denn als man ihn auf dem
+Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: "Schlafe nun wohl, noch einen
+Tag oder zehn im kühlen Hochzeitbett, und laß dir die Zeit nicht
+lang werden. Ich habe nur noch wenig zu tun und komme bald, und bald
+wirds wieder Tag. Was die Erde einmal wiedergegeben hat, wird sie
+zum zweiten Male auch nicht behalten", sagte sie, als sie fortging
+und noch einmal umschaute.
+
+
+
+Unverhofftes Wiedersehen
+
+
+In Falun in Schweden küsste vor guten fünfzig Jahren und mehr ein
+junger Bergmann seine junge hübsche Braut und sagte zu ihr: "Auf
+Sankt Luciä wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet. Dann
+sind wir Mann und Weib und bauen uns ein eigenes Nestlein.--"Und
+Friede und Liebe soll darin wohnen", sagte die schöne Braut mit
+holdem Lächeln, "denn du bist mein Einziges und Alles, und ohne dich
+möchte ich lieber im Grab sein als an einem andern Ort. Als sie aber
+vor St. Luciä der Pfarrer zum zweiten Male in der Kirche ausgerufen
+hatte: "So nun jemand Hindernis wusste anzuzeigen, warum diese
+Personen nicht möchten ehelich zusammenkommen", da meldete sich der
+Tod. Denn als der Jüngling den andern Morgen in seiner schwarzen
+Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbei ging, der Bergmann hat sein
+Totenkleid immer an, da klopfte er zwar noch einmal an ihrem Fenster
+und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend mehr. Er kam
+nimmer aus dem Bergwerk zurück, und sie saumte vergeblich selbigen
+Morgen ein schwarzes Halstuch mit rotem Rand für ihn zum
+Hochzeittag, sondern als er nimmer kam, legte sie es weg und weinte
+um ihn und vergass ihn nie. Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in
+Portugal durch ein Erdbeben zerstört, und der Siebenjährige Krieg
+ging vorüber, und Kaiser Franz der Erste starb, und der
+Jesuitenorden wurde aufgehoben und Polen geteilt, und die Kaiserin
+Maria Theresia starb, und der Struensee wurde hingerichtet, Amerika
+wurde frei, und die vereinigte französische und spanische Macht
+konnte Gibraltar nicht erobern. Die Türken schlossen den General
+Stein in der Veteraner Höhle in Ungarn ein, und der Kaiser Joseph
+starb auch. Der König Gustav von Schweden eroberte russisch
+Finnland, und die französische Revolution und der lange Krieg fing
+an, und der Kaiser Leopold der Zweite ging auch ins Grab. Napoleon
+eroberte Preussen, und die Engländer bombardierten Kopenhagen, und
+die Ackerleute säeten und schnitten. Der Müller mahlte, und die
+Schmiede hämmerten, und die Bergleute gruben nach den Metalladern in
+ihrer unterirdischen Werkstatt. Als aber die Bergleute in Falun im
+Jahr 1809 etwas vor oder nach Johannis zwischen zwei Schachten eine
+Öffnung durchgaben wollten, gute dreihundert Ellen tief unter dem
+Boden, gruben sie aus dem Schutt und Vitriolwasser den Leichnam
+eines Jünglings heraus, der ganz mit Eisenvitriol durchdrungen,
+sonst aber unverwest und unverändert war, also dass man seine
+Gesichtszüge und sein Alter noch völlig erkennen konnte, als wenn er
+erst vor einer Stunde gestorben oder ein wenig eingeschlafen wäre an
+der Arbeit. Als man ihn aber zu Tag ausgefördert hatte, Vater und
+Mutter, Gefreundte und Bekannte waren schon lange tot, kein Mensch
+wollte den schlafenden Jüngling kennen oder etwas von seinem Unglück
+wissen, bis die ehemalige Verlobte des Bergmanns kam, der eines
+Tages auf die Schicht gegangen war und nimmer zurückkehrte. Grau und
+zusammengeschrumpft kam sie an einer Krücke an den Platz und
+erkannte ihren Bräutigam; und mehr mit freudigem Entzücken als mit
+Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche nieder, und erst als sie
+sich von einer langen heftigen Bewegung des Gemüts erholt hatte, "es
+ist mein Verlobter", sagte sie endlich, "um den ich fünfzig Jahre
+lang getrauert hatte und den mich Gott noch einmal sehen lässt vor
+meinem Ende. Acht Tage vor der Hochzeit ist er auf die Grube
+gegangen und nimmer gekommen." Da wurden die Gemüter aller
+Umstehenden von Wehmut und Tränen ergriffen, als sie sahen die
+ehemalige Braut jetzt in der Gestalt des hingewelkten kraftlosen
+Alters und den Bräutigam noch in seiner jugendlichen Schöne, und wie
+in ihrer Brust nach fünfzig Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe
+noch einmal erwachte; aber er öffnete den Mund nimmer zum Lächeln
+oder die Augen zum Wiedererkennen; und wie sie ihn endlich von den
+Bergleuten in ihr Stüblein tragen liess, als die einzige, die ihm
+angehöre und ein Recht an ihn habe, bis sein Grab gerüstet sei auf
+dem Kirchhof. Den andern Tag, als das Grab gerüstet war auf dem
+Kirchhof und ihn die Bergleute holten, (schloss sie ein Kästlein
+auf), legte (sie) ihm das schwarzseidene Halstuch mit roten Streifen
+um und begleitete ihn in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr
+Hochzeittag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre. Denn als man
+ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: "Schlafe nun wohl,
+noch einen Tag oder zehn im kühlen Hochzeitbett, und lass dir die
+Zeit nicht lang werden. Ich habe nur noch wenig zu tun und komme
+bald, und bald wird's wieder Tag. Was die Erde einmal wiedergegeben
+hat, wird sie zum zweiten Male auch nicht behalten", sagte sie, als
+sie fortging und noch einmal umschaute.
+
+
+
+Vereitelte Rachsucht (Eine wahre Geschichte)
+
+
+Der Amtmann in Nordheim liess im Krieg in den neunziger Jahren fünf
+Gauner henken, und waren's in der ersten Viertelstunde so gut
+gewohnt, dass keiner mehr herabverlangte, und je nachdem der Wind
+ging, exerzierten sie miteinander zum Zeitvertreib, rechtsum, links
+um, ohne Flügelmann. Aber einem seine Beiläuferin, die einen Buben
+von ihm hatte, sagte: "Wart', Amtmann, ich will dir's eintränken."
+Ein paar Tage darauf reitet die österreichische Patrouille gegen das
+Städtlein am Galgen vorbei; da sagt einer zu dem andern: "Es läuft
+dir eine Spinne am Hut, so gross wie ein Taubenei." So zieht der
+andere vor den Gehenkten den Hut ab, und die Gehenkten, weil eben
+der Wind aus Westen ging, drehten sich und machten Front. Indem
+schleicht von weitem ein Büblein von der Strasse ab hinter eine
+Hecke, wie einer, der keine guten Briefe hat. Aber das Büblein hatte
+gar keine, weder gute noch schlechte. Denn als einer von den
+Dragonern auch um die Hecke ritt, fiel der Junge vor ihm auf die
+Knie und sagte mit Zittern und mit Beben: "Pardon! Ich hab' sie alle
+ins Wasser geworfen." Der Dragoner sagte: "Was hast du ins Wasser
+geworfen?"--"Die Briefe."--"Was für Briefe?"--"Die Briefe vom
+Amtmann an die Franzosen. Wenn Österreicher ins Land kommen," sagte
+der Bursche, "muss ich dem Amtmann Boten laufen ins französische
+Lager. Diesmal hatte ich drei Briefe, einen an den Dürrmaier." Also
+holten die Dragoner, mir nichts dir nichts, den Amtmann ab, wie er
+ging und stand, und musste in den Pantoffeln zwischen den Pferden im
+Kot mitlaufen und spritzte die Rosse nicht sehr, aber die Rosse ihn,
+und der Bube musste auch mit. Der Amtmann war so unschuldig als der
+römische Kaiser selbst, hätte sich für die österreichischen Waffen
+lebendig schinden lassen, hatte sechs Kinder, eins schöner als das
+andere, und eine schwangere Frau. Aber das war die Rache, die ihm
+die Gaunerin zugedacht hatte, als sie sagte: "Wart', Amtmann, ich
+will dir's gedenken." Im Lager, als er zu dem General geführt wurde,
+und die Hohenzollerer-Kürassiere und Kaiser-Dragoner und
+Erdödi-Husaren sahen ihn vorbeiführen, sagte einer von der
+Patrouille seinem Kameraden vom Pferd herab: "Es ist ein Spion." Der
+Kamerad sagte: "Strick ist sein Lohn", und der Offizier, an den sie
+ihn ablieferten, war auch der Meinung und bestellte spottweise schon
+bei ihm einen Gruss an des Teufels Grossmutter. Dem Hausfreund ist's
+aber bei dieser Geschichte nicht halb so angst als dem geneigten
+Leser, denn ohne seinen Willen kann der Amtmann nicht sterben;
+sondern, als er vor das Verhör geführt wurde, schaute ihn der
+Hauptmann Auditor mit Verwunderung und Bedauernis an und sagte:
+"Seid Ihr nicht der nämliche, der mich vor einem Jahre drei Tage
+lang im Keller hinter dem Sauerkrautstande vor den Franzosen
+verborgen hat, und habt Schläge genug von ihnen bekommen, und als
+sie Euch oben den Speck verzehrten, ass ich unten das Sauerkraut
+dazu samt den Gumbistäpfeln." Der Amtmann sagte: "Gott erkennt's,
+und ich bin so unschuldig als die Mutter Gottes in der Kirche, so
+doch von Lindenholz ist und ihr Leben lang noch keinen Buchstaben
+geschrieben hat." Indem kamen auch mehrere gute Freunde und
+angesehene Bürger von Nordheim ins Hauptquartier und bezeugten seine
+Rechtschaffenheit und Treue, und was er schon für Drangsalierung von
+den Franzosen habe ausstehen müssen, und wie auf seine Anordnung der
+letzte Sieg der Österreicher mit Katzenköpfen gefeiert wurde, dass
+der Kirchturm wackelte, und er selber habe keinen Rausch gehabt,
+aber einen Stich. Der Hauptmann Auditor, der noch immer daran
+dachte, wie er drei Tage lang in des Amtmanns Keller in der
+verborgenen Garnison lag hinter dem Schanzkorb, hinter dem
+Sauerkrautstande, war geneigter Ja zu glauben als Nein. Also liess
+er den Amtmann hinausführen und den Buben herein und tat ein paar
+verfängliche Fragen an ihn, sagte ihm aber nicht, dass sie
+verfänglich sind. Deswegen war der Bursche, so sehr er die
+Spitzbubenmilch an der Mutter Brüsten eingesogen hatte, mit seinem
+Ja und Nein so unvorsichtig, dass er in wenig Minuten nimmer links,
+nimmer rechts auszuweichen wusste und alles gestand. Also bekam er
+links und rechts fünfzehn Hiebe vom Profoss und begleitete
+freiwillig die Mutter ins Zuchthaus nach Heiligenberg. Der Amtmann
+aber ass mit dem Hauptmann Auditor bei dem General-Feldmarschall zu
+Nacht und den andern Tag bei seiner Frau und Kindern zu Mittag, und
+der Hausfreund tut auch einen Freudentrunk, dass er wieder ein
+Exempel der Gerechtigkeit statuiert hat. Das Doneschinger Bier dazu
+hat er geschenkt bekommen vom Herrn Kusel.
+
+
+
+Verloren oder gefunden
+
+
+An einem schönen Sommerabend fuhr der Herr Vogt von Trudenbach in
+seinem Kaleschlein noch spät vom Brassenheimer Fruchtmarkt zurück,
+und das Rösslein hatte zwei zu ziehen, nämlich den Herrn Vogt und
+seinen Rausch. Unterwegs am Strasswirtshaus schauten noch ein paar
+lustige Köpfe zum Fenster heraus, ob der Herr Vogt nicht noch ein
+wenig einkehren und eines Bescheid tun wolle; die Nacht sei
+mondhell. Der Herr Vogt scheute sich weniger vor dem Bescheid als
+vor dem Ab- und Aufsteigen in das Kaleschlein, massen es ihm schon
+am Morgen schwer wird, aber am Abend fast unmöglich. Der Herr
+Theodor meinte zwar: "Wir wollen das Kaleschlein auf die Seite
+umlegen und ihn abladen", aber kürzer war es doch, man ging mit der
+Flasche zu ihm hinaus. Aus einer Flasche wurden vier, und die
+Redensarten mankierten ihm immer mehr, bis ihm der Schlaf die Zunge
+und die letzte Besinnung band. Als er aber eingeschlafen war,
+führten die lustigen Köpfe das Rösslein in den Stall und liessen ihn
+auf der Strasse sitzen. Früh aber, als ihn vor dem Fenster des Wirts
+die Wachtel weckte, kam er sich kurios vor und wusste lange nicht,
+wo er sei und wo er sich befinde. Denn nachdem er sich eine Zeitlang
+umgesehen und die Augen ausgerieben hatte, sagte er endlich: "Jetzt
+kommt alles darauf an, ob ich der Vogt von Trudenbach bin oder
+nicht. Denn bin ich's, so hab' ich ein Rösslein verloren, bin ich's
+aber nicht, so hab' ich ein Kaleschlein gefunden."
+
+
+
+Wasserläufer
+
+
+Bekanntlich will es Leute geben, die im Wasser nicht untergehen.
+Einer erzählte in einem Wirtshaus, er sei in Italien von der Insel
+Capri aus eine halbe Stunde weit aufrecht durch das Mittelländische
+Meer gegangen, und das Wasser sei ihm nicht höher gegangen als an
+die Brust. Mit der linken Hand habe er Tabak geraucht, nämlich die
+Pfeife gehalten, und mit der rechten ein wenig gerudert.
+
+Ein anderer sagte: "Das ist eine Kleinigkeit. Im Krieg in den
+neunziger Jahren ist ein ganzes Bataillon Rotmäntler oberhalb
+Mannheim aufrecht über den Rhein marschiert, und das Wasser reichte
+keinem höher als bis an die Knie."
+
+Ein Dritter sagte: "Solches war keine Kunst. Denn sie hatten
+selbigen Tag, als sie am Rhein ankamen, schon einen Marsch von 20
+Stunden zurückgelegt. So haben sie davon solche Blasen an den Füssen
+bekommen, dass es ihnen nicht möglich war, tiefer als so im Wasser
+zu sinken."
+
+
+
+Wie der Zundelfrieder eines Tages aus dem Zuchthaus entwich und
+glücklich über die Grenzen kam
+
+
+Eines Tages, als der Frieder den Weg aus dem Zuchthaus allein
+gefunden hatte, und dachte: "Ich will so spät den Zuchtmeister
+nimmer wecken", und als schon auf allen Strassen Steckbriefe
+voranflogen, gelangte er abends noch unbeschrien an ein Städtlein an
+der Grenze. Als ihn hier die Schildwache anhalten wollte, wer er sei
+und wie er hiesse und was er im Schilde führe: "Könnt Ihr polnisch?"
+fragte herzhaft der Frieder die Schildwache. Die Schildwache sagt:
+"Ausländisch kann ich ein wenig, ja! Aber Polnisches bin ich noch
+nicht darunter gewahr worden."--"Wenn das ist," sagte der Frieder,
+"so werden wir uns schlecht gegeneinander explizieren können." Ob
+kein Offizier oder Wachtmeister am Tor sei? Die Schildwache holt den
+Torwächter, es sei ein Polack an dem Schlagbaum, gegen den sie sich
+schlecht explizieren könne. Der Torwächter kam zwar, entschuldigte
+sich aber zum voraus, viel Polnisch verstehe er auch nicht. "Es geht
+hiezuland nicht stark ab," sagte er, "und es wird im ganzen Städtel
+schwerlich jemand sein, der kapabel wäre, es zu dolmetschen."--
+"Wenn ich das wüsste," sagte der Frieder und schaute auf die Uhr,
+die er unterwegs noch an einem Nagel gefunden hatte, "so wollte ich
+ja lieber noch ein paar Stunden zustrecken bis in die nächste Stadt.
+
+Um neun Uhr kömmt der Mond." Der Torhüter sagte: " Es wäre unter
+diesen Umständen fast am besten, wenn Ihr gerade durchpassiertet,
+ohne Euch aufzuhalten; das Städtel ist ja nicht gross", und war
+froh, dass er seiner los ward. Also kam der Frieder glücklich durch
+das Tor hinein. Im Städtlein hielt er sich nicht länger auf, als
+nötig war, einer Gans, die sich auf der Gasse verspätet hatte, ein
+paar gute Lehren zu geben. "In euch Gänse", sagte er, "ist keine
+Zucht zu bringen. Ihr gehört, wenn's Abend ist, ins Haus oder unter
+gute Aufsicht." Und so packte er sie mit sicherm Griff am Hals und,
+mir nichts, dir nichts, unter den Mantel, den er ebenfalls unterwegs
+von einem Unbekannten geliehen hatte. Als er aber an das andere Tor
+gelangte und auch hier dem Landfrieden nicht traute, drei Schritte
+von dem Schilderhaus, als sich inwendig der Söldner rührte, schrie
+der Frieder mit herzhafter Stimme: "Wer da!" der Söldner antwortete
+in aller Gutmütigkeit: "Gut Freund!" Also kam der Frieder glücklich
+wieder zum Städtlein hinaus und über die Grenzen.
+
+
+
+Wie der Zundelfrieder und sein Bruder dem roten Dieter abermal einen
+Streich spielen
+
+
+Als der Zundelheiner und der Zundelfrieder wieder aus dem Turn
+kamen, sprach der Heiner zum Frieder: "Bruder, wir wollen doch den
+roten Dieter besuchen, sonst meint er, wir sitzen ewig in dem kalten
+Hundsstall beim Herr Vater auf der Herberge."--"Wir wollen ihm
+einen Streich spielen", sagte der Frieder zum Heiner, "ob er's
+merkt, dass wir es sind." Also empfing der Dieter ein Brieflein ohne
+Unterschrift: "Roter Dieter, seid heute nacht auf Eurer Hut, denn es
+haben zwei Diebsgesellen eine Wette getan: einer will Eurer Frau das
+Leintuch unter dem Leibe weg holen, und Ihr sollt es nicht hindern
+können." Der Dieter sagte: "Das sind zwei rechte Spitzbuben
+aneinander. Der eine wettet, er wolle das Leintuch holen, und der
+andere macht einen Bericht, damit sein Kamerad die Wette nicht
+gewinnt. Wenn ich nicht gewiss wüsste, dass der Heiner und der
+Frieder im Zuchthaus sitzen, so wollt' ich glauben, sie seien's." In
+der Nacht schlichen die Schelmen durch das Hanffeld heran. Der
+Heiner stellte eine Leiter ans Fenster, also, dass der rote Dieter
+es wohl hören konnte, und steigt hinauf, schiebt aber einen
+ausgestopften Strohmann vor sich her, der aussah wie ein Mensch. Als
+inwendig der rote Dieter die Leiter anstellen hörte, stand er leise
+auf und stellte sich mit einem dicken Bengel neben das Fenster,
+"denn das sind die besten Pistolen", sagte er zu seiner Frau, "sie
+sind immer geladen"; und als er den Kopf des Strohmanns
+heraufwackeln sah, und meinte, der sei es, riss er schnell das
+Fenster auf und gab ihm eins auf den Kopf aus aller Kraft, also,
+dass der Heiner den Strohmann fallen liess und einen lauten Schrei
+tat. Der Frieder aber stand unterdessen mausstill hinter einem
+Pfosten vor der Haustüre. Als aber der rote Dieter den Schrei hörte,
+und es war alles auf einmal still, sagte er: "Frau, es ist mir, die
+Sache sei nicht gut; ich will doch hinuntergehen und schauen, wie es
+aussieht." Indem er zur Haustür hinausgeht, schleicht der Frieder,
+der hinter dem Pfosten war, hinein, kommt bis vor das Bett, nimmt
+wieder, wie im vormjährigen Kalender, des roten Dieters Stimme an,
+und es ist wieder ebenso wahr. "Frau", sagte er mit ängstlicher
+Stimme, "der Kerl ist maustot, und denk' nur, es ist des
+Schultheissen Sohn. Jetzt gib mir geschwind das Leintuch, so will
+ich ihn darin forttragen in den Wald und will ihn dort einscharren,
+sonst geht's zu bösen Häusern." Die Frau erschrickt, richtet sich
+auf und gibt ihm das Leintuch. Kaum war er fort, so kommt der rechte
+Dieter wieder und sagt ganz getröstet: "Frau, es ist nur ein dummer
+Bubenstreich gewesen, und der Dieb ist von Stroh." Als aber die Frau
+ihn fragte: "Wo hast du denn das Leintuch?" und lag auf dem blossen
+Spreuersack, da gingen dem Dieter erst die Augen auf, und sagte: "O
+ihr vermaledeiten Spitzbuben! Jetzt ist's doch der Frieder gewesen
+und der Heiner, und kein anderer."
+
+Aber auf dem Heimweg sagte der Frieder zum Heiner: "Aber jetzt,
+Bruder, wollen wir's bleiben lassen. Denn im Zuchthaus ist doch auch
+alles schlecht, was man bekommt, ausgenommen die Prügel, und zum
+Fensterlein hinaus auf der Landstrasse hat man etwas vor den Augen,
+das auch nicht aussieht, als wenn man gern dran hängen möchte." Also
+wurde auch der Frieder wieder ehrlich. Aber der Heiner sagte: "Ich
+geb's noch nicht auf."
+
+
+
+Wie einmal ein schönes Ross um fünf Prügel feil gewesen ist
+
+
+Wenn nicht in Salzwedel, doch anderswo, hat sich folgende wahrhafte
+Geschichte zugetragen, und der Hausfreund hat's schriftlich.
+
+Ein Kavallerieoffizier, ein Rittmeister, kam in ein Wirtshaus.
+Einer, der schon drin war und ihn hatte vom Pferd absteigen gesehn,
+ein Hebräer, sagte: "Dass das gar ein schöner Fuchs ist, wo Ihro
+Gnaden drauf hergeritten sind."
+
+"Gefällt er Euch, Sohn Jakobs?" fragte der Offizier.
+"Dass ich hundert Stockprügel aushielte, wenn er mein wäre",
+erwiderte der Hebräer.
+
+Der Offizier wedelte mit der Reitpeitsche an den Stiefeln. "Was
+braucht's hundert", sagte er. "Ihr könnt ihn um fünfzig haben."
+Der Hebräer sagte: "Tun's fünfundzwanzig nicht auch?"
+"Auch fünfundzwanzig", erwiderte der Rittmeister. "Auch fünfzehn,
+auch fünf, wenn Ihr daran genug habt."
+
+Niemand wusste, ob es Spass oder Ernst ist. Als aber der Offizier
+sagte: "Meinetwegen auch fünf", dachte der Hebräer: Hab' ich nicht
+schon zehn Normalprügel vor dem Amtshaus in Günzburg ausgehalten und
+bin doch noch koscher?
+
+"Herr", sagte er, "Sie sind ein Offizier. Offiziersparole?" Der
+Rittmeister sprach: "Traut Ihr meinen Worten nicht? Wollt Ihr's
+schriftlich?"
+
+"Lieber wär's mir", sagte der Hebräer.
+
+Also beschied der Offizier einen Notarius und liess durch ihn dem
+Hebräer folgende authentische Ausfertigung zustellen: "Wenn der
+Inhaber dieses von gegenwärtigem Herrn Offizier fünf Prügel mit
+einem tüchtigen Stock ruhig ausgehalten und empfangen hat, so wird
+ihm der Offizier seinen bei sich habenden Reitgaul, den Fuchs, ohne
+weitere Lasten und Nachforderung alsogleich als Eigentum zustellen.
+So geschehen da und da, den und den."
+
+Als der Hebräer die Ausfertigung in der Tasche hatte, legte er sich
+über einen Sessel, und der Offizier hieb ihm mit einem hispanischen
+Rohr mitten auf das Hinterteil dergestalt, dass der Hebräer bei sich
+selbst dachte: Der kann's noch besser als der Gerichtsdiener in
+Günzburg, und lautauf Auweih schrie, so sehr er sich vorgenommen
+hatte, es zu verbeissen.
+
+Der Offizier aber setzte sich und trank ruhig ein Schöpplein. "Wie
+tut's, Sohn Jakobs?" Der Hebräer sagte: "Na, wie tut's, gebt mir die
+andern auch, so bin ich absolviert.
+
+"Das kann geschehen", sprach der Offizier und setzte ihm den zweiten
+auf, dergestalt, dass der erste nur eine Lockspeise dagegen zu sein
+schien; darauf setzte er sich wieder und trank noch ein Schöpplein.
+Also tat er beim dritten Streich, also beim vierten. Nach dem
+vierten sagte der Hebräer: "Ich weiss nicht, soll ich's Euer Gnaden
+Dank wissen oder nicht, dass Sie mich einen nach dem andern
+geniessen lassen. Geben Sie mir zum vierten den fünften gleich, so
+bin ich des Genusses los, und der Fuchs weiss, an wen er sich zu
+halten hat."
+
+Da sagte der Offizier: "Sohn Jakobs, auf den fünften könnt Ihr lange
+warten", und stellte das hispanische Rohr ganz ruhig an den Ort, wo
+er es genommen hatte, und alles Bitten und Betteln um den fünften
+Prügel war vergebens.
+
+Da lachten alle Anwesende, dass man fast das Haus unterstützen
+musste, der Hebräer aber wendete sich an den Notarius, er solle ihm
+zum fünften Prügel verhelfen, und hielt ihm die Verschreibung vor.
+Der Notarius aber sagte: "Jekeffen, was tu' ich damit? Wenn's der
+Herr Baron nicht freiwillig tut, in der Verschreibung steht nichts
+davon, dass er muss." Kurz, der Hebräer wartet noch auf den fünften
+und auf den Fuchs.
+
+Der Hausfreund aber wollt' diesen Mutwillen nicht loben, wenn sich
+der Hebräer nicht angeboten hätte.
+
+Merke: Wer sich zu fünf Schlägen hergibt um Gewinns willen, der
+verdient, dass er vier bekommt ohne Gewinn. Man muss sich nie um
+Gewinns willen freiwillig misshandeln lassen.
+
+
+
+Wie man aus Barmherzigkeit rasiert wird
+
+
+In eine Barbierstube kommt ein armer Mann mit einem starken,
+schwarzen Bart, und statt eines Stücklein Brotes bittet er, der
+Meister soll so gut sein und ihm den Bart abnehmen um Gottes willen,
+dass er doch auch wieder aussehe wie ein Christ. Der Meister nimmt
+das schlechteste Messer, wo er hat, denn er dachte: Was soll ich ein
+gutes daran stumpfhacken für nichts und wieder nichts? Während er an
+dem armen Teufel hackt und schabt, und er darf nichts sagen, weil's
+ihm der Schinder umsonst tut, heult der Hund auf dem Hof. Der
+Meister sagt: "Was fehlt dem Mopper, dass er so winselt und heult?"
+Der Christoph sagt: "Ich weiss nicht." Der Hans Frieder sagt: "Ich
+weiss auch nicht." Der arme Teufel unter dem Messer aber sagt: "Er
+wird vermutlich auch um Gottes willen balbiert wie ich."
+
+
+
+Wie man in den Wald schreit, also schreit es daraus
+
+
+Ein Mann, der etwas gleichsah, aber nicht viel Komplimente machte,
+kommt in ein Wirtshaus. Alle Gäste, die da waren, zogen höflich den
+Hut oder die Kappe vor ihm ab, bis auf einen, der ihn nicht kommen
+sah, weil er gerade die Stiche zählte, die er im Mariaschen von
+seinem Nachbar gewonnen hatte. Und als er eben das Herz-Ass durch
+die Finger schob und sagte: "Zweiundfünfzig und elf sind
+dreiundsechzig", und bemerkte immer den Fremden noch nicht, der
+etwas gleichsah, fragte ihn der Fremde: "Herr, für was sehet Ihr
+mich an?" Der Gast sagte: "Für einen honetten Mann; was weiss ich
+von Euch?" Der Fremde sagte: "Das dank' Euch der Teufel!" Da stand
+der Gast vom Spieltisch auf und fragte: "Für was sieht denn der Herr
+mich an?" Der Fremde sagte: "Für einen Flegel." Darauf sagte der
+Gast: "Das danke dem Herrn auch der Teufel! Ich merke, dass wir
+einander beide für den Unrechten angesehen haben." Als aber die
+andern Gäste merkten, dass doch auch in einem feinen Rock ein grober
+Mensch stecken könne, setzten sie alle die Hüte wieder auf, und der
+Fremde konnte nichts machen, als ein ander Mal manierlicher sein.
+
+
+
+Wie sich der Zundelfrieder hat beritten gemacht
+
+
+Als der Zundelfrieder bald alle listigen Diebsstreiche durchgemacht
+und fast ein Überleid daran bekommen hatte, denn der Zundelfrieder
+stiehlt nie aus Not oder aus Gewinnsucht oder aus Liederlichkeit,
+sondern aus Liebe zur Kunst und zur Schärfung des Verstandes; hat er
+nicht dem Brassenheimer Müller den Schimmel selber wieder an die
+Türe gebunden? Was will der geneigte Leser oder des Hausfreunds
+Reisegefährte nach Lenzkirch mehr verlangen? Eines Abends, als er,
+wie gesagt, fast alles durchgemacht hatte, dachte er: "Jetzt will
+ich doch auch einmal probieren, wie weit man mit der Ehrlichkeit
+kommt." Also stahl er in selbiger Nacht eine Geiss, drei Schritte
+von der Scharwache, und liess sich attrapieren. Den andern Tag im
+Verhör gestand er alles. Wie er aber bald merkte, dass ihm der
+Richter fünfundzwanzig oder etwas zum Andenken wollte mitgeben
+lassen, dachte er: Ich bin noch nicht ehrlich genug. Deswegen
+verschnappte er sich noch ein wenig in den Redensarten und gestand
+bei der weitern Untersuchung nach kurzem Widerstand, wie er von
+jeher ein halber Kakerlak gewesen sei, das heisst, ein Mensch, der
+bei Nacht fast besser sieht als am Tag, und als ihn der Richter aufs
+Eis führen wollte, ob er nicht noch von ein paar andern Diebstählen
+wisse, die kürzlich begangen worden, sagte er, allerdings wisse er
+davon, und er sei derjenige. Als ihm den andern Morgen der Spruch
+publiziert wurde, er müsse ins Zuchthaus, und der Stadtsoldat, der
+ihn begleiten sollte, stand schon vor der Tür, denn es war zwanzig
+Stunden weit, sagte er ganz reumütig: "Recht findet seinen Knecht.
+Was ich verdient habe, wird mir werden." Unterwegs erzählte er dem
+Stadtsoldaten, er sei auch schon Militär gewesen. "Bin ich nicht
+sechs Jahre bei Klebeck Infanterie in Dienst gewesen? Könnt' ich
+Euch nicht sieben Wunden zeigen aus dem Scheldekrieg, den der Kaiser
+Joseph mit den Holländern führen wollte?" Der treuherzige Begleiter
+sagte: "Ich hab's nie weiter bringen können als zum Stadtsoldaten.
+Eigentlich wär' ich ein Nagelschmied. Aber die Zeiten sind schlimm."
+--"Im Gegenteil", sagte der Frieder, "ein Stadtsoldat ist mir
+respektabler als ein Feldsoldat. Denn Stadt ist mehr als Feld,
+deswegen avanciert der Feldsoldat in seinem Alter noch zum
+Stadtsoldaten. Zudem, der Stadtsoldat wacht für seiner Mitbürger
+Leben und Eigentum, für eigen Weib und Kind. Der Kriegssoldat zieht
+hinaus ins Feld und kämpft, er weiss nicht für wen und nicht für
+was. Zudem", sagte er, "kann ein Stadtsoldat, wenn er nichts
+Ungeschicktes begangen hat, mit Ehren sterben, wann er will.
+
+Unsereiner muss sich schon drum totstechen lassen. Ich versichere
+Euch", fuhr er fort, "ich und meine Feinde (er meinte die
+Strickreiter) wir haben wenig Ehre davon, dass ich noch lebe." Der
+Nagelschmied wurde über diese ehrenvolle Vergleichung so gerührt,
+dass er bei sich selbst dachte, einen so gütigen und herablassenden
+Arrestanten habe er noch nicht leicht transportiert, und der Frieder
+ging immer mit grossen Schritten voraus, um den Nagelschmied recht
+müde und trocken zu machen in der Sonnenhitze. "Darin unterscheiden
+sich die Feldsoldaten von den Stadtsoldaten", sagte er, "dass sie an
+einen weiten Schritt gewöhnt sind von dem Marsch." Abends um 4. Uhr,
+als sie in ein Dörflein kamen und an ein Wirtshaus, "Kamerad", sagte
+der Frieder, "wollen wir nicht einen Schoppen trinken?"--"Herr
+Kamerad", erwiderte der Nagelschmied, "was Ihm recht ist, ist mir
+auch recht." Also tranken sie miteinander einen Schoppen, auch eine
+halbe Mass, auch eine Mass, auch zwei, und Brüderschaft ohnehin, und
+der Frieder erzählte immerfort von seinen Kriegsaffären, bis der
+Nagelschmied vor Schwere des Weins und Müdigkeit einschlief. Als er
+nach einigen Stunden wieder aufwachte und den Frieder nimmer sah,
+war sein erster Gedanke: "Was gilt's, der Herr Bruder ist alsgemach
+vorausgegangen." Nein, er stand nur ein wenig draussen vor der Türe,
+denn der Frieder geht nicht leicht leer fort. Als er wieder
+hereinkam, sagte er: "Herr Bruder, der Mond will bald aufgehen. Wenn
+es dir recht ist, so bleiben wir lieber hier über Nacht." Der
+Nagelschmied, schläfrig und träge, sagte: "Wie der Herr Bruder
+meint." In der Nacht, als der Nagelschmied fest schlief und alle
+Töne aus dem Bass in den Diskant und wieder in den Bass
+durchschnarchte, der Frieder aber nicht schlafen konnte, stand der
+Frieder auf, visitierte für Zeitvertreib des Herrn Bruders Taschen
+und fand unter andern das Schreiben, das wegen seiner dem
+Stadtsoldaten an den Zuchthausverwalter war mitgegeben worden.
+Hierauf probierte er für Zeitvertreib des Herrn Bruders neue
+Monturstiefeln an. Sie waren ihm recht. Hierauf liess er sich für
+Zeitvertreib durch das Fenster auf die Gasse herab und ging des
+geraden Wegs fort, so weit ihm der Mond leuchtete. Als der
+Nagelschmied früh erwachte und den Herr Bruder nimmer gewahr wurde,
+dachte er: "Er wird wieder ein wenig draussen sein." Freilich war er
+wieder ein wenig draussen, und als er den Tag erlaufen hatte, im
+ersten Dorf, das ihm am Weg war, weckte er den Schulzen. "Herr
+Schulz, es ist mir ein Unglück passiert. Ich bin ein Arrestant, und
+der Stadtsoldat von da und da, der mich transportieren sollte, ist
+mir abhanden gekommen. Geld hab' ich keins. Weg und Steg kenn' ich
+nicht, also lasst mir auf Gemeindekosten eine Suppe kochen und
+verschafft mir einen Wegweiser in die Stadt ins Zuchthaus." Der
+Schulz gab ihm eine Bollete an den Gemeindswirt auf eine Mehlsuppe
+und einen Schoppen Wein und schickte nach einem armen Mädchen. "Geh
+ins Wirtshaus und zeige dem Mann, der dort frühstückt, wenn er
+fertig ist, den Weg und die Stadt; er will ins Zuchthaus." Als der
+Frieder mit dem Mädchen aus dem Wald und über die letzten Hügel
+gekommen war und in der Ebene von weitem die Türme der Stadt
+erblickt hatte, sagte er zu dem Mädchen: "Geh jetzt nur nach Haus,
+mein Kind, jetzt kann ich nimmer verirren." In der Stadt bei den
+ersten Häusern fragte er ein Büblein auf der Gasse: "Büblein, wo ist
+das Zuchthaus?" und als er es gefunden und vor den
+Zuchthausverwalter gekommen war, übergab er ihm das Schreiben, das
+er dem Nagelschmied aus der Tasche genommen hatte. Der Verwalter las
+und las und schaute zuletzt den Frieder mit grossen Augen an. "Guter
+Freund", sagte er, "das ist schon recht. Aber wo habt Ihr dann den
+Arrestanten? Ihr sollt ja einen Arrestanten abliefern." Der Frieder
+antwortete ganz verwundert: "Ei, der Arrestant, der bin ich selber."
+Der Verwalter sagte: "Guter Freund, es scheint, Ihr wollt Spass
+machen. Hier spasst man nicht. Gesteht's, Ihr habt den Arrestanten
+entwischen lassen! Ich seh’ es aus allem." Der Frieder sagte: "Wenn
+Sie es aus allem sehen, so will ich's nicht leugnen. Wenn mir aber
+Ihro Exzellenz", sagte er zu dem Verwalter, "einen Brittenen
+mitgeben wollen, so getrau' ich mir, den Vagabunden noch
+einzufangen. Denn es ist kaum eine Viertelstunde, dass. er mir aus
+den Augen gekommen ist."--"Einfältiger Tropf", sagte der Verwalter,
+"was nützt dem Berittenen die Geschwindigkeit des Rosses, wenn er
+mit einem Unberittenen reiten soll? Könnt Ihr reiten?" Der Frieder
+sagte: "Bin ich nicht sechs Jahre Württemberger Dragoner gewesen?"--
+"Gut", erwiderte der Verwalter, "man wird für Euch ebenfalls ein
+Ross satteln lassen, und zwar für Euer eigen gutes Geld; ein ander
+Mal gebt Achtung", und verschaffte ihm in der Eile ein offenes
+Ausschreiben an alle Ortsvorgesetzte, auf dass, wenn er Mannschaft
+nötig habe zum Streif. Also ritten der Strickreiter und der
+Zundelfrieder miteinander dahin, um den Zundelfrieder aufzusuchen,
+bis an einen Scheideweg. An dem Scheideweg sagte der Frieder dem
+Strickreiter, auf welchem Weg der Strickreiter reiten soll, und auf
+welchem er selber reiten wolle. "Am Rhein an der Fahrt kommen wir
+wieder zusammen." Als sie aber einander aus den Augen verloren
+hatten, wendete sich der Frieder wieder rechts und machte mit seinem
+Ausschreiben in allen Dörfern Lärm und liess die Sturmglocken
+anziehen, der Zundelfrieder sei im Revier, bis er an der Grenze war.
+
+An der Grenze aber gab er dem Rösslein einen Fitzer und ritt
+hinüber.
+
+So etwas könnte hierzuland nicht passieren.
+
+
+
+Willige Rechtspflege
+
+
+Als ein neu angehender Beamter zuzeiten der Republik das erste Mal
+zu Recht sass, trat vor die Schranken seines Richterstuhles der
+untere Müller, vortragend seine Beschwerden gegen den obern in
+Sachen der Wasserbaukosten. Als er fertig war, erkannte der Richter:
+"Die Sache ist ganz klar. Ihr habt recht." Es verging eine Nacht und
+ein Räuschlein, kam der obere Müller und trug sein Recht und seine
+Verteidigung auch vor, noch mundfertiger als der untere. Als er
+ausgeredet hatte, erkannte der Richter: "Die Sache ist so klar als
+möglich. Ihr habt vollkommen recht." Hierauf, als der Müller
+abgetreten war, nahte dem Richter der Amtsdiener. "Gestrenger Herr",
+sagte der Amtsdiener, "also hat Euer Herr Vorfahrer nie gesprochen,
+solange wir Urteil und Recht erteilten. Auch werden wir dabei nicht
+bestehen. Es können nicht beide Parteien den Prozess gewinnen, sonst
+müssen ihn auch beide verlieren, welches nicht gehn will." Darauf
+antwortete der Beamte: "So klar war die Sache noch nie. Du hast auch
+recht."
+
+
+
+Willige Rechtspflege
+
+
+Als ein neu angehender Beamter zu Zeiten der Republik das erste Mal
+zu Recht saß, trat vor die Schranken seines Richterstuhls der untere
+Müller, vortragend seine Beschwerden gegen den obern in Sachen der
+Wasserbaukosten. Als er fertig war, erkannte der Richter: "Die Sache
+ist ganz klar. Ihr habt recht." Es verging eine Nacht und ein
+Räuschlein, kam der obere Müller und trug sein Recht und seine
+Verteidigung auch vor, noch mundfertiger als der untere. Als er
+ausgeredet hatte, erkannte der Richter: "Die Sache ist so klar als
+möglich. Ihr habt vollkommen redet." Hierauf, als der Müller
+abgetreten war, nahte dem Richter der Amtsdiener. "Gestrenger Herr",
+sagte der Amtsdiener, "also hat Euer Herr Vorfahrer nie gesprochen,
+solange wir Urteil und Recht erteilten. Auch werden wir dabei nicht
+bestehen. Es können nicht beide Parteien den Prozeß gewinnen, sonst
+müssen ihn auch beide verlieren, welches nicht gehn will." Darauf
+antwortete der Beamte: "So klar war die Sache noch nie. Du hast auch
+recht."
+
+
+
+Zwei Erzählungen
+
+
+Wie leicht sich manche Menschen oft über unbedeutende Kleinigkeiten
+ärgern und erzürnen, und wie leicht die nämlichen oft durch einen
+unerwarteten spasshaften Einfall wieder zur Besinnung können
+gebracht werden, das haben wir im alten Kalender an dem Herrn
+gesehen, der die Suppenschüssel aus dem Fenster warf, und an seinem
+witzigen Bedienten. Das nämliche lehren folgende zwei Beispiele.
+Ein Gassenjunge sprach einen gut und vornehm gekleideten Mann, der
+an ihm vorbeiging, um einen Kreuzer an, und als dieser seiner Bitte
+kein Gehör geben wollte, versprach er ihm, um einen Kreuzer zu
+zeigen, wie man zu Zorn und Schimpf und Händeln kommen könne.
+Mancher, der dies liest, wird denken, das zu lernen sei keinen
+Heller, noch weniger einen Kreuzer wert, weil Schimpf und Händel
+etwas Schlimmes und nichts Gutes sind. Aber es ist mehr wert, als
+man meint. Denn wenn man weiss, wie man zu dem Schlimmen kommen
+kann, so weiss man auch, vor was man sich zu hüten hat, wenn man
+davor bewahrt bleiben will. So mag dieser Mann auch gedacht haben,
+denn ergab dem Knaben den Kreuzer. Allein dieser forderte jetzt den
+zweiten, und als er den auch erlangt hatte, den dritten und vierten
+und endlich den sechsten. Als er aber noch immer mit dem Kunststück
+nicht herausrücken wollte, ging doch die Geduld des Mannes aus. Er
+nannte den Knaben einen unverschämten Burschen und Betteljungen,
+drohte, ihn mit Schlägen fortzujagen, und gab ihm am Ende auch
+wirklich ein paar Streiche. "Ihr grober Mann, der Ihr seid", schrie
+jetzt der Junge, "schon so alt und noch so unverständig! Hab' ich
+Euch nicht versprochen zu lehren, wie man zu Schimpf und Händeln
+kommt? Habt Ihr mir nicht sechs Kreuzer dafür gegeben? Das sind ja
+jetzt Händel, und so kommt man dazu. Was schlagt Ihr mich denn?" So
+unangenehm dem Ehrenmann dieser Vorfall war, so sah er doch ein,
+dass der listige Knabe recht und er selber unrecht hatte. Er
+besänftigte sich, nahm sich's zur Warnung, nimmer so aufzufahren,
+und glaubte, die gute Lehre, die er da erhalten habe, sei wohl sechs
+Kreuzer wert gewesen.
+
+In einer andern Stadt ging ein Bürger schnell und ernsthaft die
+Strasse hinab. Man sah ihm an, dass er etwas Wichtiges an einem Ort
+zu tun habe. Da ging der vornehme Stadtrichter an ihm vorbei, der
+ein neugieriger und dabei ein gewalttätiger Mann muss gewesen sein,
+und der Gerichtsdiener kam hinter ihm drein. "Wo geht Ihr hin so
+eilig?" sprach er zu dem Bürger. Dieser erwiderte ganz gelassen:
+"Gnädiger Herr, das weiss ich selber nicht."--"Aber Ihr seht doch
+nicht aus, als ob Ihr nur für Langeweile herumgehen wolltet. Ihr
+müsst etwas Wichtiges an einem Orte vorhaben." "Das mag sein", fuhr
+der Bürger fort, "aber wo ich hingehe, weiss ich wahrhaftig nicht."
+Das verdross den Stadtrichter sehr. Vielleicht kam er auch auf den
+Verdacht, dass der Mann an einem Ort etwas Böses ausüben wollte, das
+er nicht sagen dürfe. Kurz, er verlangte jetzt ernsthaft, von ihm zu
+hören, wo er hingehe, mit der Bedrohung, ihn sogleich von der
+Strasse weg in das Gefängnis führen zu lassen. Das half alles
+nichts; und der Stadtrichter gab dem Gerichtsdiener zuletzt wirklich
+den Befehl, diesen widerspenstigen Menschen wegzuführen. Jetzt aber
+sprach der verständige Mann: "Da sehen Sie nun, hochgebietender
+Herr, dass ich die reine, lautere Wahrheit gesagt habe. Wie konnte
+ich vor einer Minute noch wissen, dass ich in den Turm gehen werde
+--, und weiss ich denn jetzt gewiss, ob ich drein gehe?" "Nein",
+sprach jetzt der Richter, "das sollt Ihr nicht." Die witzige Rede
+des Bürgers brachte ihn zur Besinnung. Er machte sich stille
+Vorwürfe über seine Empfindlichkeit und liess den Mann ruhig seinen
+Weg gehen.
+
+Es ist doch merkwürdig, dass manchmal ein Mensch, hinter welchem man
+nicht viel sucht, einem andern noch eine gute Lehre geben kann, der
+sich für erstaunend weise und verständig hält.
+
+
+
+Zwei Gehilfen des Hausfreunds
+
+
+Es wird in Zukunft bisweilen von einem Adjunkt die Rede sein, was
+der geneigte Leser nicht verstehen könnte, wenn es ihm nicht erklärt
+würde. Als nämlich der Hausfreund den Rheinländischen Kalender noch
+schrieb, er schreibt ihn noch, hat er den Bezirk seiner
+Hausfreundschaft diesseits Rheins, wie die Franzosen das Land
+jenseits Rheins, in zwei Provinzen geteilt, in die untere und in die
+obere, und hat in die untere einen Statthalter gesetzt, einen
+Präfekt, der aber nicht will genannt sein, denn er ist kein
+Landskind. Auch nennt ihn der Hausfreund selber nicht leicht
+Statthalter, und niemand, sondern Adjunkt, denn selten ist jeder auf
+seinem Posten, sondern sitzen beieinander un schreiben miteinander
+neue, hochdeutsche Reimen oder sinnreiche Rätsel. "Zum Exempel,
+Adjunkt", sagt der Hausfreund: "Ratet hin, ratet her, was ist das?"
+
+Der arme Tropf
+Hat keinen Kopf;
+Das arme Weib
+Hat keinen Leib;
+Die arme Kleine
+Hat keine Beine.
+
+Sie ist ein langer Darm,
+Doch schlingt sie einen Arm
+Bedächtig in den andern ein.
+Was mag das für ein Weiblein sein?
+
+"Hausfreund", sagt der Adjunkt, "wenn Ihr mir einen Groschen leiht,
+so will ich Euch für dieses Rätsel ein paar Bretzeln kaufen. Den
+Wein, den wir dazu trinken, bezahlt Ihr. Ratet hin, ratet her, was
+ist aber das?
+
+Holde, die ich meine.
+Niedliche und Kleine,
+Ich liebe dich, und ohne dich
+Wird mir der Abend weinerlich.
+
+Auch gönnst du mir,
+Nachrühm' ich's dir,
+Wohl manchen lieblichen Genuss;
+Doch bald bekommst du's Überdruss
+
+Und laufst zu meiner tiefen Schmach
+Ein feiles Mensch den Juden nach.
+Und dennoch, Falsche aus und ein,
+Hörst du nicht auf, mir lieb zu sein.
+
+Ihr erratet's nicht", sagt der Statthalter, "wenn ich's Euch nicht
+expliziere. Es ist eine Adjunktsbesoldung, zum Exempel meine eigene,
+die ich von Euch bekomme."
+
+Allein der Adjunkt hat selber wieder eine Adjunktin, nämlich seine
+Schwiegermutter, die Tochter hat er noch nicht, bekommt sie auch
+nicht; und der Hausfreund hat an ihm einen ganz andern Glückszug
+getan, als sein guter Freund, der Doktor, auf seiner Heimreise aus
+Spanien an der Madrider Barbiergilde. Denn als er aus der grossen
+Stadt Madrid heraustritt, seinem Tierlein wuchsen in dem warmen Land
+und bei der üppigen Nahrung die Haare so kräftig, dass er nach
+Landesart zwei Barbiere mitnehmen musste, die auch ritten, und wenn
+sie abends in die Herberge kamen, so rasierten sie sein Tierlein.
+Weil sie aber selber keine gemeine Leute waren und die ganze Nacht
+Arbeit genug hatten, bis das Tierlein eingeseift und rasiert und
+wieder mit Lavendelöl eingerieben war, so nahm jeder wieder für sein
+eigenes Tierlein zwei Barbiere mit, die ebenfalls ritten, und diese
+wieder. Als nun der Doktor oben auf dem pyrenäischen Berg zum ersten
+Mal umschaute und mit dem Perspektiv sehen wollte, wo er hergekommen
+war, als er mit Verwunderung und Schrecken den langen Zug seiner
+Begleiter gewahr wurde, und wie noch immer neue Barbiere zum
+Stadttor von Madrid herausritten und inwendig wieder aufsassen,
+sagte er bei sich selbst: Was hab' ich denn nötig, länger zu reiten;
+es geht nun jetzt bergunter,--und ging früh am Tag in aller Stille
+zu Fuss nach Montlouis.
+
+Also hat der Hausfreund mit seinem Adjunkte auch die Adjunktin des
+Adjunkten gewonnen, ist aber nicht erschrocken und davon gelaufen.
+Wer's noch nie erlebt hat, wie sie allen Leuten Red' und Antwort gab
+und schöne Schweizerlieder vom Rigiberg singen und wie sie sich
+verstellen kann, bald meint man, man sehe eine Heilige mitten aus
+dem gelobten Land heraus, bald die heidnische Zauberin Medea, und
+noch viel, wer's nicht gesehen hat, stellt sich's nicht vor.
+Der freundlichen Schwiegermutter des Adjunkts soll dieses Büchlein
+zum Dank und zur Freundschaft gewidmet sein.
+
+
+
+Zwei honette Kaufleute
+
+
+Zwei Besenbinder hatten nebeneinander feil in Hamburg. Als der eine
+schon fast alles verkauft hatte, der andere noch nichts, sagte der
+andere zu dem einen: "Ich begreife nicht, Kamerad, wie du deine
+Besen so wohlfeil geben kannst. Ich stehle doch das Reis zu den
+meinigen auch und verdiene gleichwohl den Taglohn kaum mit dem
+Binden." "Das will ich dir wohl glauben, Kamerad", sagte der erste;
+"ich stehle die meinigen, wenn sie schon gebunden sind."
+
+
+
+Zwei Kriegsgefangene in Bobruisk
+
+
+Wer viel merkwürdige Begebenheiten aus dem russischen Feldzug wissen
+will, der muss ihn entweder selbst mitgemacht haben oder aber, er
+muss mit vornehmen Kriegshauptleuten bekannt sein, die dabei waren.
+Der Kalendermann rühmt sich dessen, und wenn er mittags über den
+Paradeplatz geht zum Hofapotheker, grüssen sie ihn. Mitgemacht den
+Feldzug hat er nicht.
+
+Folgendes ist ein seltener Beweis von Edelmut und Leichtsinn und
+noch einmal von Edelmut. Zwei polnische Offiziere wurden als
+Kriegsgefangene in einem russischen Dorf bis den andern Morgen
+einquartiert. Sonst sollen die Polen und die Russen auf den blossen
+Namen hin nicht immer die besten Freunde sein. Allein der russische
+Edelmann, der in demselben Dorf wohnt, dachte daran in seinem
+schönen Schloss und in seiner warmen Stube, wie er auch einmal in
+seiner Jugend Kriegsgefangener gewesen war in fremdem Lande ohne
+Geld, ohne Freund, ohne Trost, und wie er in dem Hause eines edlen
+Menschen eine freundliche Aufnahme gefunden hatte, und wie solches
+dem Herzen wohltut. Also suchte er sogleich die Gefangenen auf, nahm
+sie in sein Schloss, bewirtete sie wie Brüder oder Freunde und
+suchte sie durch Trost und teilnehmende Reden zu erheitern. Denn das
+ist ein schönes und heiliges Schuld- und Wechselrecht, das in dem
+Herzen aller gutgearteten Menschen aufgerichtet ist, dass, wer
+einmal unter fremden Leuten in der Not und Betrübnis eine Liebe oder
+Wohltat erfahren hat, sieht sie als ein empfangenes Darlehen an und
+zahlt sie, wenn er daheim ist, wieder an einen andern Fremdling
+heim, der in gleicher Not und Betrübnis zu ihm kommt, als eine
+Schuldigkeit, ob er gleich keine Handschrift darüber ausgestellt
+hat, und das nicht einmal, sondern zehnmal, wenn er kann, wie ein
+ausgestreutes Saatkorn nicht allein, sondern selbzehnt oder
+fünfzehnt aus der Erde zurückkehrt.
+
+"Wisst ihr schon", fragte die Gefangenen der Edelmann, "wo der Ort
+eures Aufenthaltes sein wird?" Die Gefangenen sagten, "in den
+kaukasischen Gebirgen."--"Seid ihr denn auch mit etwas Reisegeld
+versehen auf einen so langen Weg?" Die Gefangenen zuckten die
+Achseln. Hierauf sprach der Edelmann ihnen mit heiterer Miene zu, zu
+essen und zu trinken und wohl bei ihm zu schlafen, und des andern
+Morgens, als der Transport weiterging und sie nun von ihrem
+Wohltäter Abschied nahmen, schenkte er ihnen fünfhundert Rubel
+russischen Geldes auf die Reise. Nein, er wollte nicht einmal den
+Namen haben, dass er es ihnen schenkte. "Ich will es euch leihen",
+sagte er; "wenn euch einst Gott in euere Heimat und zu den Eurigen
+zurückführt, so könnt ihr mir's wieder schicken."
+
+Die Geschichte könnte hier aus sein. Sie wäre schon des Erzählens
+wert gewesen. Allein sie fängt jetzt erst recht an. Der nächste
+Tagmarsch der Kriegsgefangenen ging nach einer altrussischen
+Grenzfestung namens Bobruisk. Man muss schon ein fertiges Mundwerk
+haben, wenn man so einen russischen Namen mit Leichtigkeit will
+aussprechen können. Der Hausfreund kann's. In Bobruisk aber, wo die
+Gefangenen bei guter Tagszeit anlangten, gingen die zwei Polen noch
+ein wenig herum, die Stadt zu besehen, und als sie an ein schönes,
+grosses Wirtshaus kamen, dachten sie, "wollen wir nicht ein wenig
+hineingehen und unserm Wohltäter seine Gesundheit trinken?" In dem
+Wirtshaus aber sassen viele russische Herrn und Edelleute, die
+redeten oder tranken miteinander oder spielten Pharao. Pharao aber
+ist ein sehr gefährliches Spiel, in welchem man viel Geld verspielen
+kann, also, dass man es nicht Pharao nennen sollte, sondern das Rote
+Meer, weil viele, die hineingehen, drin ertrinken, ausgenommen die
+Kinder Israel.
+
+Selbigen Tages aber kam auch der wohltätige russische Edelmann nach
+Bobruisk, um bei seinen guten Freunden daselbst einen vergnügten
+Abend zuzubringen, und indem er in das nämliche Wirtshaus
+hineintritt, was geschieht, wen sieht er mitten unter seinen reichen
+Freunden und Bekannten am Spieltische sitzen? Wen sieht er ein
+Dutzend Rubel nach dem andern setzen und verspielen? Seine
+leichtsinnigen Gäste, die zwei Polen. Die Polen hätten auch fast
+lieber einen Wolf als ihn gesehen und spielten nicht um das besser
+oder glücklicher, als er sich ebenfalls an den langen Spieltisch
+setzte und ein Dutzend Rubel nach dem andern gewann, wären gerne
+davongeschlichen, wenn sie nicht die gute Hälfte ihres Geldes hätten
+müssen im Stich lassen, das sie wieder zu gewinnen hofften. Als sie
+aber in kurzer Zeit ganz vom Samen waren und die letzte Kopeke dahin
+war und jetzt trostlos und verzweifelnd zur Tür hinausschlichen,
+ging ihnen der russische Edelmann nach, und mancher geneigte Leser,
+dem man nicht so kommen dürfte, freut sich schon, wie er Justiz
+machen und den russischen Stab wird walten lassen. Nichts nutz! Ein
+Kriegsgefangener ist ohne Schläge geschlagen genug, und Strafe
+erbittert nur, aber Grossmut kann beschämen und bessern. alleine
+Freunde", sagte er zu ihnen sanft und gütig, "ihr müsst wohl besser
+bei Geld sein, als ich gestern geglaubt habe. Nehmt mir meine
+Voreiligkeit nicht übel auf. Ich danke euch, dass ihr mein
+gutgemeintes Anerbieten nicht beschämt habt." Die Gefangenen aber
+waren nicht imstande, eine Silbe zu antworten, ausgenommen sie
+schlugen die Augen nieder, als wenn sie sagen wollten, dass er sich
+gestern nicht an ihnen versehen habe, aber jetzt. Da sprach er zu
+ihnen: "Ihr seid nunmehr gewitziget, und ich hoffe, meine Güte sei
+zum zweiten Mal besser an euch angewendet als zum erstenmal"; und
+als er ihnen mit einem guten Wechselbrief von fünfhundert Rubel
+ihren ganzen Verlust ersetzte, konnten sie noch weniger als vorher
+sprechen, sondern küssten ihm mit Tränen des Dankes und der Rührung
+die Hände. Hernach aber hat er nichts mehr von ihnen erfahren. Diese
+Erzählung ist unversehrt aus Russland herausgekommen und hat ihre
+Wahrheit.
+
+
+
+Zwei Sprichwörter
+
+
+aus: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
+Ich kenne zwei Sprichwörter, und die sind beide wahr, wenn sie schon
+einander widersprechen. Von zwei unbemittelten Brüdern hatte der
+eine keine Lust und keinen Mut, etwas zu erwerben, weil ihm das Geld
+nicht zu den Fenstern hereinregnete. Er sagte immer: "Wo nichts ist,
+kommt nichts hin." Und so war es auch. Er blieb sein Leben lang der
+arme Bruder Wonichtsist, weil es ihm nie der Mühe wert war, mit
+einer kleinen Ersparnis den Anfang zu machen und nach und nach zu
+einem größeren Vermögen zu kommen. So dachte der jüngere Bruder
+nicht. Der pflegte zu sagen: "Was nicht ist, das kann werden." Er
+hielt das wenige, was ihm von der Hinterlassenschaft der Eltern
+zuteil geworden war, zusammen und vermehrte es nach und nach durch
+eigene Ersparnisse, indem er fleißig arbeitete und zurückgezogen
+lebte. Anfänglich ging es hart und langsam. Aber sein Sprichwort:
+"Was nicht ist, das kann werden" gab ihm immer Mut und Hoffnung. Mit
+der Zeit ging es besser. Er wurde durch unverdrossenen Fleiß und
+Gottes Segen noch ein reicher Mann und ernährt jetzt die Kinder des
+armen Bruders Wonichtsist, der selber nichts zu beißen und zu nagen
+hat.
+
+
+
+Zwei Weissagungen
+
+
+Die erste ist sehr merkwürdig, wenn sie wahr ist, und man
+behauptet's. Als vor Jahr und Tag viele vornehme polnische Herren
+bei Spiel und Tanz sich erlusteten, trat ein leichtes, wegfertiges
+Weibsbild, eine Zigeunerin, in den lustigen Saal und bot ihnen ihre
+Weissagungen an. Da kam auch ein feines junges Herrlein, der
+nachmalige Fürst Poniatowsky, der nach der Leipziger Schlacht am 19.
+Oktober 1813 das Leben verloren hat, und streckte ihr die zarte Hand
+entgegen: "Weissage mir auch etwas Gutes, Mütterlein! Was, meinst
+du, will aus mir werden?" Da sah die Hexe den jungen Fürsten freudig
+und wieder mitleidig an. "Ei, du schmuckes Herrlein", sagte sie, "du
+gelangst einst zu seltsamen Stand und Ehren! Möchte die Freude daran
+nur auch länger währen! Nimm vor den Elstern dich wohl in Acht! Eine
+Elster dir den Garaus macht." Darob und ob andern Weissagungen
+dieses Weibes lachten sie lange, und wie eine Elster daherflog,
+sagten zu Poniatowsky seine Freunde: "Nehmt Euch in acht, Prinz!
+
+Seht Ihr, was dort fliegt?" Aber Poniatowsky erwiderte: "Seltsam Amt
+und Ehre ist noch nicht da." Als aber Polen von den drei Adlern
+zernichtet war, richteten die Polen ihre Augen und ihre Hoffnungen
+auf Frankreich, und viele nahmen französische Dienste, hoffend, dass
+durch Frankreich ihre königliche Republik wieder sollte zu Leben
+kommen. Also hatte auch Poniatowsky diese Wahl ergriffen und kämpfte
+in den Tagen der Leipziger Schlacht unter den Augen Napoleons, ein
+achtbarer Streitgenosse, mit Tapferkeit und Glück, soviel der 16.
+Oktober erleiden mochte, also dass ihn der Kaiser Napoleon selbiges
+Tages zum Marschall von Frankreich ernannte. Das war seltsam Stand
+und Würde. Aber schon am 19. auf der Flucht, als alles drunter und
+drüber ging, ertrank der neue Marschall in der Elster. Elster heisst
+der Fluss, in welchem er ertrank. Mancher wohlbewanderte Leser wird
+sie kennen. Also ward auf eine unerwartete Weise die Prophezeiung
+der Zigeunerin erfüllt. Den Leichnam des Ertrunkenen hat nachher mit
+allen seinen goldenen Ringen und Kostbarkeiten ein Fischer im Wasser
+gefunden und um Geld gezeigt, aber von allen Kostbarkeiten an seinen
+Fingern und in seinen Taschen hat er nichts entwendet, sondern ein
+Angehöriger des Prinzen hat ihn nachher in Empfang genommen und den
+Fischer mit einer ansehnlichen Geldsumme belohnt.
+
+Die zweite Weissagung lässt sich zwar ganz natürlich erklären. Nicht
+minder aber ist sie merkwürdig.
+
+Bekanntlich konnte man dem grossen König Friederich von Preussen
+nicht nachreden, dass er leichtglaubig gewesen sei in Ansehung der
+übernatürlichen Dinge. Vielmehr hatte er manchmal gern seinen Spass
+mit solchen, die es waren, aber nicht immer gelang es ihm. Eines
+Tages versicherte man ihn von einem Prediger, dass er weissagen
+könnte. Alles, was er vorhersage, treffe ein. Der König befahl, den
+neuen Propheten vor ihn zu bringen. Unterdessen erkundigte sich der
+König, ob kein Soldat im Arrest sei, der das Leben verwirkt habe.
+Ja, es war einer drinnen. Also befahl er, den Delinquenten auf die
+bestimmte Stunde vor sein königliches Wohnzimmer auf die Schildwache
+zu stellen. Als aber der Prediger kam, "habt Ihr den heiligen Geist
+empfangen?" fragte ihn der König.--"Ihro Majestät", sagte der
+Prediger, "es wäre gut, wenn ihn alle hätten."--"Besitzt Ihr die
+Gabe der Weissagung?"--"Etwas davon, wie die Leute sagen."--"Zum
+Exempel",--fuhr der König fort,--"was soll ich geschwind fragen?--
+Man bringe den Burschen herein, der draussen Schildwache steht! Wie
+alt wird dieser Mensch werden", fragte er den Prediger, "woran wird
+er sterben?" Der Prediger erwiderte, dieser Mensch werde nach vielen
+Jahren in einem hohen Alter sterben.--"Ihr seid in Eurer Probe
+schlecht bestanden", versetzte hinwiederum der König. "Wisst Ihr",
+sagte er, dass ich morgenden Tages diesen Burschen henken lasse? Er
+ist ein Delinquent."--Der Prediger sagte: "Es wäre der erste, der
+meiner Weissagung entliefe." Item, der Delinquent wurde den andern
+Morgen zur Hinrichtung aus Potsdam hinausgeführt. Item, die
+Schwestern des Königs, die Herzogin von Braunschweig und die
+Prinzessin Amalia, fuhren desselbigen Morgens nach Potsdam hinein,
+dass sie dem König einen guten Morgen sagen und ihm mit ihrem Besuch
+eine unvermutete Freude machen wollten. Denn derselbige Morgen war
+schön, fast zu schön zum Henken. Als sie aber an dem Zug
+vorbeifuhren und den armen Menschen auf seinem schweren Todesgang
+erblickten, zuckte durch ihre fürstlichen Seelen ein zarter Schmerz.
+"Was soll mit diesem armen Menschen werden?"--"Ihre Hoheit, nimmer
+viel. Er wird gehenkt."--"Was hat er begangen?"--"Das und das."--
+Es war zum Henken und zum Laufenlassen, wie man wollte. Die
+Prinzessin befahl, mit der Hinrichtung noch innezuhalten, bis neue
+Ordre käme. Der König aber empfing seine Schwestern mit brüderlicher
+Freude. "Wir haben eine Bitte an Euch, geliebter Bruder", sagten
+sie, "die Ihr uns wohl gewähren möget, so Ihr wollt. Gebt uns darauf
+Euer königliches Wort!" Der König war in guter Laune und tat's.
+"Wenn's möglich ist", sagte er, "so soll's nicht Nein sein." Denn er
+meinte, sie seien deswegen gekommen und wollten etwas verlangen für
+sich. Sie baten aber zu seinem Erstaunen um die Begnadigung des
+Delinquenten.--Was war zu tun? Das Wort war gegeben. Also schickte
+er einen Adjutanten mit einem weissen Tüchlein hinaus, dass man den
+Delinquenten wieder zurückbrächte. Der König segnete das Zeitliche
+den 17. August 1786.
+
+Der Musketier kann in diesem Augenblicke noch leben.
+
+
+Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Schatzkästlein des rheinischen
+Hausfreundes (Eine Auswahl aus verschiedenen Quellen), von Johann
+Peter Hebel.
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Schatzkaestlein des rheinischen
+Hausfreundes, by Johann Peter Hebel
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHATZKAESTLEIN ***
+
+This file should be named 7810-8.txt or 7810-8.zip
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+Produced by Juliet Sutherland and Mike Pullen
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+Project Gutenberg eBooks are often created from several printed
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+unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not
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diff --git a/7810-8.zip b/7810-8.zip
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+++ b/7810-8.zip
Binary files differ
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index 0000000..6312041
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@@ -0,0 +1,11 @@
+This eBook, including all associated images, markup, improvements,
+metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be
+in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES.
+
+Procedures for determining public domain status are described in
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+
+No investigation has been made concerning possible copyrights in
+jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize
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+status under the laws that apply to them.
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+++ b/README.md
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+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
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