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diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..6833f05 --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,3 @@ +* text=auto +*.txt text +*.md text diff --git a/7810-8.txt b/7810-8.txt new file mode 100644 index 0000000..c1fb8f6 --- /dev/null +++ b/7810-8.txt @@ -0,0 +1,11096 @@ +The Project Gutenberg EBook of Schatzkaestlein des rheinischen Hausfreundes +by Johann Peter Hebel + +Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the +copyright laws for your country before downloading or redistributing +this or any other Project Gutenberg eBook. + +This header should be the first thing seen when viewing this Project +Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the +header without written permission. + +Please read the "legal small print," and other information about the +eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. 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Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg2000.de erreichbar. + + + + + +Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes +Eine Auswahl aus verschiedenen Quellen + +Johann Peter Hebel + + +Inhalt + +Abendlied wenn man aus dem Wirtshaus geht +Baumzucht +Bequeme Schiffahrt, wer's dafür halten will +Blutbad in Neuburg am Rhein +Böser Markt +Brassenheimer Siegesnachrichten vom Jahre 1813 +Brennende Menschen +Brotlose Kunst +Dankbarkeit +Das Bettlerkind +Das Blendwerk +Das Bombardement von Kopenhagen +Das Branntweingläslein +Das fremde Kind +Das letzte Wort +Das Mittagessen im Hof +Das schlaue Mädchen +Das seltsame Rezept +Das Vivat der Königin +Das wohlbezahlte Gespenst +Das wohlfeile Mittagessen +Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande +Der Barbierjunge von Segringen +Der betrogene Krämer +Der Bock +Der falsche Edelstein +Der fechtende Handwerksbursche in Anklam +Der fremde Herr +Der Fremdling in Memel +Der fromme Rat +Der Furtwanger in Philippsburg +Der geduldige Mann +Der geheilte Patient +Der geheilte Patient +Der Generalfeldmarschall Suwarow +Der geschlossene Magen +Der grosse Sanhedrin zu Paris +Der grosse Schwimmer +Der Handschuhhändler +Der Heiner und der Brassenheimer Müller +Der Herr Graf +Der Herr Wunderlich +Der Husar in Neisse +Der kann Deutsch +Der kluge Richter +Der kluge Sultan +Der Kommandant und die badischen Jäger in Hersfeld +Der Lehrjunge +Der listige Kaufherr +Der listige Quäker +Der listige Steiermarker +Der Prozess ohne Gesetz +Der Rekrut +Der Rekrut +Der schlaue Husar +Der schlaue Mann +Der schlaue Pilgrim +Der Schneider in Pensa +Der Schneider in Pensa +Der schwarze Mann in der weissen Wolke +Der sicherste Weg +Der silberne Löffel +Der sinnreiche Bettler +Der Star von Segringen +Der Talhauser Galgen +Der unschuldig Gehenkte +Der Vater und der Sohn +Der verachtete Rat +Der verwegene Hofnarr +Der vorsichtige Träumer +Der Wasserträger +Der Wegweiser +Der Wettermacher +Der wohlbezahlte Spassvogel +Der Wolkenbruch in Türkheim +Der Zahnarzt +Der Zirkelschmied +Des Dieben Antwort +Des Seilers Antwort +Die Bekehrung +Die Besatzung von Oggersheim +Die drei Diebe +Die falsche Schätzung +Die gute Mutter +Die lachenden Jungfrauen +Die leichteste Todesstrafe +Die nasse Schlittenfahrt +Die Ohrfeige +Die Ohrfeige +Die Probe +Die Raben +Die Schlafkameraden +Die Schmachschrift +Die Tabaksdose +Die Wachtel +Die Wachtel +Die Weizenblüte +Die zwei Postillione +Drei Worte +Drei Wünsche +Drei Wünsche +Ein gutes Rezept +Ein Hausmittel +Ein teurer Kopf und ein wohlfeiler +Ein Wort gibt das andere +Eine merkwürdige Abbitte +Eine seltsame, jedoch wahrhafte Geschichte +Eine sonderbare Wirtszeche +Einer Edelfrau schlaflose Nacht +Einer oder der andere +Einfältiger Mensch in Mailand +Einträglicher Rätselhandel +Erinnerung an die Kriegszeit +Etwas aus der Türkei +Farbenspiel +Franz Ignaz Narocki +Franziska +Geschwinde Reise +Gleiches mit Gleichem +Glück im Unglück +Glück im Unglück +glücklich über die Grenzen kam +Gute Antwort +Gute Geduld +Gutes Wort, böse Tat +Heimliche Enthauptung +Herr Charles (Eine wahre Geschichte) +Hilfe in der Not +Hochzeit auf der Schildwache +Ist der Mensch ein wunderliches Geschöpf +Jakob Humbel +Kaiser Napoleon und die Obstfrau in Brienne +Kannitverstan +Kindesdank und Undank +König Friedrich und sein Nachbar +König Friedrichs Leibhusar +Lange Kriegsfuhr +List gegen List +Mancherlei gute Lehren 1 +Mancherlei gute Lehren 2 +Mancherlei gute Lehren 3 +Mancherlei gute Lehren 4 +Mancherlei gute Lehren 5 +Mancherlei gute Lehren 6 +Mancherlei gute Lehren 7 +Mancherlei gute Lehren 8 +Mancherlei gute Lehren 9 +Mancherlei gute Lehren 10 +Mancherlei gute Lehren 11 +Mancherlei gute Lehren 12 +Merkwürdige Gespenstergeschichte +Merkwürdige Schicksale eines jungen Engländers +Merkwürdiges Rechnungsexempel 5 +Merkwürdiges Rechnungsexempel 6 +Missverstand +Missverstand +Mittel gegen Zank und Schläge +Mohammed +Moses Mendelssohn +Pieve +Reise nach Frankfurt +Rettung einer Offiziersfrau +Rettung vom Hochgericht +Schlechter Gewinn +Schlechter Lohn +Schreckliche Unglücksfälle in der Schweiz +Seinesgleichen +Seltene Liebe +Seltsame Ehescheidung +Seltsamer Spazierritt +Streich spielen +Suwarow +Teure Eier +Teures Spässlein +Tod vor Schrecken +Unglück der Stadt Leiden +Unglück in Kopenhagen +Untreue schlägt den eigenen Herrn +Unverhofftes Wiedersehen +Unverhofftes Wiedersehen +Vereitelte Rachsucht (Eine wahre Geschichte) +Verloren oder gefunden +Wasserläufer +Wie der Zundelfrieder eines Tages aus dem Zuchthaus entwich und +Wie der Zundelfrieder und sein Bruder dem roten Dieter abermal einen +Wie einmal ein schönes Ross um fünf Prügel feil gewesen ist +Wie man aus Barmherzigkeit rasiert wird +Wie man in den Wald schreit, also schreit es daraus +Wie sich der Zundelfrieder hat beritten gemacht +Willige Rechtspflege +Willige Rechtspflege +Zwei Erzählungen +Zwei Gehilfen des Hausfreunds +Zwei honette Kaufleute +Zwei Kriegsgefangene in Bobruisk +Zwei Sprichwörter +Zwei Weissagungen + + + + + +Abendlied wenn man aus dem Wirtshaus geht + + +Jetzt schwingen wir den Hut. +Der Wein, der war so gut. +Der Kaiser trinkt Burgunder Wein, +Sein schönster Junker schenkt ihm ein, +Und schmeckt ihm doch nicht besser, +Nicht besser. +Der Wirt, der ist bezahlt, +Und keine Kreide malt +Den Namen an die Kammertür +Und hintendran die Schuldgebühr. +Der Gast darf wiederkommen, +Ja kommen. +Und wer sein Gläslein trinkt, +Ein lustig Liedlein singt +Im Frieden und mit Sittsamkeit +Und geht nach Haus zu rechter Zeit, +Der Gast darf wiederkehren, +Mit Ehren. +Des Wirts sein Töchterlein +Ist züchtig, schlank und fein, +Die Mutter hält's in treuer Hut, +Und hat sie keins, das ist nicht gut, +Musst' eins in Strassburg kaufen, +Ja kaufen. +Jetzt, Brüder, gute Nacht! +Der Mond am Himmel wacht; +Und wacht er nicht, so schläft er noch. +Wir finden Weg und Haustür doch +Und schlafen aus im Frieden, +Ja Frieden. + + + +Baumzucht + + +Der Adjunkt tritt mit schwarzen Lippen, ohne dass er's weiss, mit +blauen Zähnen und herabhängenden Schnüren an den Beinkleidern zu dem +Hausfreund. "Die Kirschen", sagt er, "schmecken mir doch nie besser, +als wenn ich selber frei und keck wie ein Vöglein auf dem luftigen +Baum kann sitzen und essen frischweg von den Zweigen die schönsten-- +auf einem Ast ich, auf einem andern ein Spatz. + +Wir nähren uns doch alle", sagt er, "an dem nämlichen grossen +Hausvaterstisch und aus der nämlichen milden Hand; die Biene, die +Grundel im Bach, der Vogel im Busch, das Rösslein und der Herr Vogt, +der darauf reitet. + +Hausfreund", sagt der Adjunkt, "singt mir einmal in Eurer Weise das +Liedlein vom Kirschbaum. Ich will dazu pfeifen auf dem Blatt." +Der lieb Gott het zum Früehlig gseit: + +"Gang, deck im Würmli au si Tisch!" +Druf het der Chriesbaum Blätter treit, +viel tausig Blätter grüen und frisch. +Und's Würmli, us em Ei verwacht's, +'s het gschlofen in sim Winterhus; +es streckt si und sperrt 's Müli uf +Und ribt die blöden Augen us. + +Und druf, se het's mit stillem Zahn +am Blättli gnagt enanderno +und gseit: "Wie isch das Gmües so guet! +Me chunnt schier nimme weg dervo." + +Und wieder het der lieb Gott gseit: + +"Deck jetz im Imli au si Tisch!" + +Druf het der Chriesbaum Blüete treit, +viel tausig Blüete wiss und frisch. + +Und 's Imli sieht's und fliegt druf los, +früeih in der Sunne Morgeschin; +Es denkt: "Das wird mi Kaffi sy, +sie hen doch chosper Porzelin." + +"Wie sufer sin die Chächeli geschwenkt!" +Es streckt si troche Züngli dry. + +Es trinkt und seit: "Wie schmeckt's so süess, +Do muess der Zucker wolfel sy." + +Der lieb Gott het zuem Summer gseit: + +"Gang, deck im Spätzli au si Tisch!" +Druf het der Chriesbaum Früchte treit, +viel tausig Chriesi rot und frisch. +Und 's Spätzli seit: "Isch das der Bricht? +Do sitzt me zue und frogt nit lang. +Das git mer Chraft in Mark und Bei +Und stärkt mer d' Stimm zuem neue Gsang." + +"Hausfreund", sagte der Adjunkt, "hat Euch auch manchmal der +Feldschütz verjagt ab den Kirschenbäumen in Eurer Jugend? Und habt +Ihr, wenn's noch so dunkel war, den Weg doch gefunden auf die +Zwetschgenbäume im Pfarrgarten zu Schopfen und Äpfel und Nüsse +eingetragen auf den Winter wie meiner Schwiegermutter ihr +Eichhörnlein, das sie Euch geschenkt hat? Man denkt doch am längsten +dran, was einem in der Jugend begegnet ist." + +"Das geht natürlich zu,", sagte der Hausfreund; "man hat am längsten +Zeit daran zu denken." + +Der lieb Gott het zum Spötlig gseit: + +"Rum ab! sie hen jetz alli gha!" +Druf het e chüele Bergluft gweiht, +Und 's het scho chleini Rife g’ha. +Und d' Blättli werden gel und rot +und fallen eis im andere no, +und was vom Boden obsi chunnt, +muss au zuem Bode nidsi go. + +Der lieb Gott het zuem Winter gseit: +"Deck weidli zui, was übrig isch." + +Druf het der Winter Flocke gstreut-- + +"Hausfreund", sagt der Adjunkt, "Ihr seid ein wenig heiser. Wenn ich +die Wahl hätte: ein eigenes Kühlein oder ein eigener Kirschbaum oder +Nussbaum, lieber ein Baum." + +Der Hausfreund sagt: "Adjunkt, Ihr seid ein schlauer Gesell. Ihr +denkt, wenn ich einen eigenen Baum hätte, so hätt' ich auch einen +eigenen Garten oder Acker, wo der Baum darauf steht. Eine eigene +Haustüre wäre auch nicht zu verachten, aber mit einem eigenen +Kühlein auf seinen vier Beinen könntet Ihr übel dran sein." + +"Das ist's eben", sagt der Adjunkt, "so ein Baum frisst keinen Klee +und keinen Haber. Nein, er trinkt still wie ein Mutterkind den +nährenden Saft der Erde und saugt reines, warmes Leben aus dem +Sonnenschein und frisches aus der Luft und schüttelt die Haare im +Sturm. Auch könnte mir das Kühlein zeitlich sterben. Aber so ein +Baum wartet auf Kinder und Kindeskinder mit seinen Blüten, mit +seinen Vogelnestern und mit seinem Segen. Die Bäume wären die +glücklichsten Geschöpfe, meint der Adjunkt, wenn sie wüssten, wie +frei und lustig sie wohnen, wie schön sie sind im Frühling und in +ihrem Christkindleinsstaat im Sommer, und alles stehen bleibt und +sie betrachtet und Gott dankt, oder wenn der Wanderer ausruht in +ihrem Schatten, und ein Pfeiflein Tabak geniesst, oder ein Stücklein +Käs, und wie sie gleich dem Kaiser Wohltaten austeilen können und +jung und alt froh machen umsonst und im Winter allein nicht +heimgehen. Nein, sie bleiben draussen und weisen den Wandersmann +zurecht, wenn Fahrwege und Fusspfade verschneit sind: "Rechts-- +jetzt links--jetzt noch ein wenig links über das Berglein. + +"Hausfreund", sagt der Adjunkt, "wenn Ihr einmal Vogt werdet, +Stabhalter seid Ihr schon, oder gar Kreisrat, das Alter hättet Ihr, +so müsst Ihr Eure Untergebenen fleissig zur Baumzucht und zur +Gottseligkeit anhalten und ihnen selber mit einem guten Beispiel +voranleuchten. Ihr könnt Eurer Gemeinde keinen grösseren Segen +hinterlassen. Denn ein Baum, wenn er gesetzt oder gezweigt wird, +kostet nichts oder wenig; wenn er aber gross ist, so ist er ein +Kapital für die Kinder und trägt dankbare Zinsen. Die Gottseligkeit +aber hat die Verheissung dieses und des zukünftigen Lebens". + +"Wenn ich mir einmal so viel bei Euch erworben habe", sagt der +Adjunkt zum Hausfreund, "dass ich mir ein eigenes Gütlein kaufen und +meiner Schwiegermutter ihre Tochter heiraten kann, und der liebe +Gott beschert mir Nachwuchs, so setze ich jedem meiner Kinder ein +eigenes Bäumlein, und das Bäumlein muss heissen wie das Kind, +Ludwig, Johannes, Henriette, und ist sein erstes eigenes Kapital und +Vermögen, und ich sehe zu, wie sie miteinander wachsen und gedeihen +und immer schöner werden, und wie nach wenig Jahren das Büblein +selber auf sein Kapital klettert und die Zinsen einzieht. Wenn mir +aber der liebe Gott eines von meinen Kindern nimmt, so bitte ich den +Herrn Pfarrer oder den Dekan und begrabe es unter sein Bäumlein, und +wenn alsdann der Frühling wiederkehrt, und alle Bäume stehen wie +Auferstandene von den Toten in ihrer Verklärung da, voll Blüten und +Sommervögel und Hoffnung, so lege ich mich an das Grab und rufe +leise hinab: "Stilles Kind, dein Bäumlein blüht. Schlafe du indessen +ruhig fort! Dein Maitag bleibt dir auch nicht aus." + +Er ist kein unwäger Mensch, der Adjunkt. + + + +Bequeme Schiffahrt, wer's dafür halten will + + +Ein Schiff wurde von Mannheim den Neckar hinauf nach Heidelberg +gezogen. Kommt hinterdrein mit vollem Felleisen und ein Paar +heraushängender Stiefelschuhe ein Handwerksbursche. "Darf ich auch +mit für Geld und gute Worte? Was muss ich geben?" Der Schiffmeister, +der ein gar lustiger Kumpan war, sagte: "Fünfzehn Kreuzer, wenn Ihr +in's Schiff wollt sitzen. Wollt Ihr aber helfen ziehen, nur sechs. +Das Felleisen könnt Ihr mir in das Schiff werfen, es hindert Euch +sonst nur." Der Handwerksbursche fing an zu rechnen. "Fünfzehn +Kreuzer--sechs Kreuzer--sechs von fünfzehn bleibt neun." Die neun +Kreuzer, dachte er, kann ich verdienen. "Wenn's denn erlaubt ist", +sagte er und warf das Felleisen in das Schiff. Hernach schlang er +eins von den Seilern über die Achsel und half ziehen, was er nach +Leibeskräften vermochte. "Wir kommen eher an Ort und Stelle", dacht' +er, "wenn ich nicht lass bin." In Heidelberg aber entrichtete er +sechs Kreuzer Fährgeld--für die Erlaubnis mit zu ziehen und nahm +das Felleisen wieder in Empfang. + + + +Blutbad in Neuburg am Rhein + + +Als im Dreissigjährigen Krieg der Schwed am Rhein war, stachen +einmal die Neuburger eine schwedische Patrouille tot und sagten: +"Wenn wir nach Schweden kommen, macht's uns auch so." Darob +entrüstete sich der schwedische General dergestalt; dass er einen +hohen und teuren Schwur tat. "Auch kein Hund soll am Leben bleiben", +schwur er hoch und teuer, und hatte etwas im Kopf, ein Gläslein +Norschinger zuviel. Als solches die Neuburger hörten, schlossen sie +die Tore zu. Aber am andern Tag, als der Zorn und der Wein von dem +General gewichen war, da reute es ihn, denn er war vormittags ein +gar menschlicher Herr, und bekam fast grosse Anfechtung in seinem +Gewissen, dass er mit viel unschuldigem Blut sein Wort und seinen +Eid sollt' lösen. Also liess er den Feldprediger kommen und klagte +ihm seine Not. Der Feldprediger meinte zwar, massen der +Feldhauptmann einen Schwur getan hätte, der Gott leid sei, so sei +brechen besser als halten. Das glaubte der Feldhauptmann nicht, denn +er hielt sein Wort und seinen Schwur über alles teuer. Aber nach +langem Besinnen kam's auf einmal wie Sonnenschein in sein Angesicht, +und sagte: "Was ich geschworen habe, das will ich auch halten, +Punktum!" Als aber die schwedischen Zimmerleute das Stadttor hatten +eingehauen, und der Feldhauptmann ritt selber mit drei Fähnlein +hinein, befahl er, alle Hunde im Städtlein zu töten, aber die +Menschen liess er leben, und wurden selbigen Tages neunzehn grosse +Metzgerhunde, drei Schäferhunde, vierundsechzig Pudel, acht +Windhunde, zwölf Dachshunde und zwei gar feine Möpperlein jämmerlich +teils zusammengehauen, teils mit Büchsen zu Tod geschossen. Also hat +der Feldhauptmann das menschliche Blut verschont und doch seinen Eid +gehalten. Denn er hatte den Schwur getan: Kein Hund soll am Leben +bleiben, und ist auch keiner daran geblieben. + + + +Böser Markt + + +In der grossen Stadt London und rings um sie her gibt es +ausserordentlich viel gute Narren, die an anderer Leute Geld oder +Sackuhren oder kostbaren Fingerringen eine kindische Freude haben +und nicht ruhen, bis sie dieselben haben. Dies bringen sie zuweg +manchmal durch List und Betrug, noch öfter durch kühnen Angriff, +manchmal am hellen, lichten Tag und an der offenen Landstrasse. +Einem geratet es, dem andern nicht. Der Kerkermeister zu London und +der Scharfrichter wissen davon zu erzählen. Eine seltsame Geschichte +begegnete aber eines Tages einem vornehmen und reichen Mann. Der +König und viele andere grosse Herren und Frauen waren an einem +schönen Sommertage in einem grossen königlichen Garten versammelt, +dessen lange, gewundene Gänge sich in der Ferne in einem Wald +verloren. Viele andere Personen waren auch zugegen, denen es nicht +auf einen Gang und auf ein paar Stunden ankam, ihren geliebten König +und seine Familie froh und glücklich zu sehen. Man ass und trank, +man spielte und tanzte; man ging spazieren in den schönen Gängen und +zwischen dem duftenden Rosengebüsch, paarweise und allein, wie es +sich traf. Da stellte sich ein Mensch, wohl gekleidet, als wenn er +auch dazu gehörte, mit einer Pistole unter dem Rock in einer +abgelegenen Gegend an einen Baum, wo der Garten an den Wald grenzt, +dachte: es wird schon jemand kommen. Wie gesagt, so geschehen. Kommt +ein Herr mit funkelndem Fingerring, mit klingenden Uhrenketten, mit +diamantnen Schnallen, mit breitem Ordensband und goldnem Stern, will +spazieren gehn im kühlen Schatten und denkt an nichts. Indem er an +nichts denkt, kommt der Geselle hinter dem Baum hervor, macht dem +guten Herrn ein bescheidenes Kompliment, zieht die Pistole zwischen +dem Rock und Kamisol heraus, richtet ihr Maul auf des Herrn Brust +und bittet ihn höflich, keinen Lärm zu machen, es brauche niemand zu +wissen, was sie miteinander zu reden haben. Man muss übel dran sein, +wenn man vor einer Pistole steht, weil man nicht weiss, was drin +steckt. Der Herr dachte vernünftig: Der Leib ist kostbarer als das +Geld; lieber den Ring verloren als den Finger; und versprach zu +schweigen. "Gnädiger Herr", fuhr jetzt der Geselle fort: "wären Euch +Eure zwei goldenen Uhren nicht feil für gute Bezahlung? Unser +Schulmeister richtet die Uhr alle Tage anderst, man weiss nie, wie +man dran ist, und an der Sonnenuhr sind die Zahlen verwischt." Will +der reiche Herr wohl oder übel, so muss er dem Halunken die Uhren +verkaufen für ein paar Stüber oder etwas, so man kaum ein Schöpplein +dafür kann trinken. Und so handelt ihm der Spitzbube Ring und +Schnallen und Ordensstern und das goldne Herz, so er vorne auf der +Brust im Hemd hatte, Stück für Stück ab um schlechtes Geld und immer +mit der Pistole in der linken Hand. Als endlich der Herr dachte: +Jetzt bin ich absolviert, gottlob! fing der Spitzbube von neuem an: +"Gnädiger Herr, weil wir so gut miteinander zurechtkommen, wollet +Ihr mir nicht auch von meinen Waren etwas abhandeln?" Der Herr denkt +an das Sprichwort, dass man müsse zu einem bösen Markt ein gutes +Gesicht machen, und sagt: "Lasst sehen!" Da zog der Bursche allerlei +Kleinigkeiten aus der Tasche hervor, so er vom Zweibatzenkrämer +gekauft oder auch schon auf einem ungewischten Bank gefunden hatte, +und der gute Herr musste ihm alles abkaufen, Stück für Stück um +teures Geld. Als endlich der Spitzbube nichts mehr als die Pistole +übrig hatte und sah, dass der Herr noch ein paar schöne Dublonen in +dem grünen, seidenen Geldbeutel hatte, sprach er noch: "Gnädiger +Herr, wolltet Ihr mir für den Rest, den Ihr da, in den Händen habt, +nicht die Pistole abkaufen? Sie ist vom besten Büchsenschmied in +London und zwei Dublonen unter Brüdern wert." Der Herr dachte in der +Überraschung: "Du dummer Dieb!" und kauft die Pistole. Als er aber +die Pistole gekauft hatte, kehrte er den Stiel um und sprach "Nun +halt, sauberer Geselle, und geh augenblicklich voraus, wohin ich +dich heissen werde, oder ich schiesse dich auf der Stelle tot." Der +Spitzbube aber nahm einen Sprung in den Wald und sagte: "Schiesst +herzhaft los, gnädiger Herr; sie ist nicht geladen." Der Herr +drückte ab, und es ging wirklich nicht los, wie nebenstehende Figur +beweist; denn sonst müsste man Rauch sehen. Er liess den Ladstock in +den Lauf fallen, und es war kein Körnlein Pulver darin. Der Dieb +aber war unterdessen schon tief im Wald, und der vornehme Engländer +ging schamrot zurück, dass er sich also habe in Schrecken setzen +lassen, und dachte an vieles. + + + +Brassenheimer Siegesnachrichten vom Jahre 1813 + + +Im Spätjahr 1813 erfuhren wir Brassenheimer von dem Krieg in Sachsen +auch lange nichts anders, als lauter Liebes und Gutes, wer nämlich +französisch gesinnt war, und niemand hatte bei Turmstrafe das Herz, +etwas anderes zu wissen, noch viel weniger zu sagen, ausgenommen ein +lustiger Kumpan, der Spielmann in der untern Gasse, hat's gemerkt. +Was tut der Spielmann? Er geht ins Amtshaus. "Herr Amtmann, die +Hochzeiten- und Kirchweihtänze wollen heuer gar nicht recht geraten. +Wolltet Ihr mir und meinen Kameraden nicht erlauben, dann und wann +an einem Sonntag abends im Roten Löwen eine Komödie zu spielen für +ein Geringes?" Der Amtmann erwiderte: "Reichenauer, das lob' ich an +Euch, dass Ihr Euch lieber auf eine geziemliche Art forthelfen und +Euern Mitbürgern einen lustigen Abend dafür machen wollt, als dass +Ihr wieder Schulden macht oder stehlt." Also kündeten sie auf den +nächsten Sonntag eine nagelneue Komödie an. Es sei die neueste, +sagten sie, die es gibt. In derselben Komödie musste einer +mitspielen, der hiess Franz, und hatte eine Frau mit Namen Viktoria, +ein gar stattliches, handfestes Weibsbild. Im Verlauf der Komödie +musste es sich schicken, dass der Franz mit einem fremden Mann +Verdruss bekam. Der Zank gebar Schimpf, der Schimpf gebar Schläge, +und wer die meisten bekam, war nicht der fremde Mann, sondern der +Franz, also dass er zuletzt seine Frau zu Hilfe rief. Weil sie aber +Viktoria hiess, konnte er nicht Apollonia oder Kunigunda rufen, und +also fügete es sich, dass, je mehr er Schläge bekam und je besser +sie aufsassen, desto lauter rief er: "Viktoria! Viktoria!" Daran +haben wir Brassenheimer, was verständige Leute unter uns sind, zum +ersten Mal gemerkt, wie es damals in Sachsen stehen mochte, und was +es zu bedeuten hatte, wenn man schrie: "Viktoria! Viktoria!" Der +Herr Amtmann hat zum Glück nichts gemerkt. + + + +Brennende Menschen + + +Zwar von feurigen Mannen hat man schon oft gehört, aber seltener von +brennenden Frauen. Eine Apothekersfrau geht nachts mit der Magd in +den Keller und will etwas holen. Die Magd steigt mit dem Licht auf +eine Stellasche, greift auf den Schaft, wirft eine grosse Flasche +voll Branntwein um, worin ungefähr 6-8 Mass waren, und zerbricht +sie, der Branntwein strömt plötzlich herab, so über die Magd, so +über die Frau. Das Licht kommt der Magd an den Ärmel. Die Magd fangt +an lichterloh zu brennen, rot mit gelbem Schein. Die Frau will ihr +zu Hilfe eilen. Die Frau brennt auch an. Beide rennen brennend die +Treppe hinauf in den Hof. Der Apothekerjung sieht's und springt +davon, meint, es woll' ihn einer holen, mit dem man nicht gern geht, +den der Hausfreund nicht nennen darf. Im Hof am Brunnen begiessen +sie sich mit Wasser. Das Wasser wird nicht Meister über den +Branntewein. Endlich wirft sich die Magd auf den Dunghaufen im Hof +und wälzt sich darauf. Die Frau wirft sich ebenfalls auf den +Dunghaufen und wälzt sich auch. Beide löschten aus; die Magd wurde +noch geheilt, aber die Frau musste sterben. +Merke: Wenn man brennt, muss man sich auf einem Misthaufen wälzen. +Solches ist auch gut für die, welche den Branntewein inwendig im +Leib haben.-- + + + +Brotlose Kunst + + +In der Stadt Aachen ist eine Fabrik, in welcher nichts als Nähnadeln +gemacht werden. Das ist keine brotlose Kunst. Denn es werden in +jeder Woche 200 Pfund Nadeln verfertigt, von denen 5000 Stück auf +ein Pfund gehen; Facit: eine Million, und der Meister Schneider und +die Näherin und jede Hausmutter weiss wohl, wieviel man für einen +Kreuzer bekommt, und es ist nicht schwer auszurechnen, wie viel Geld +an den Aachener Nadeln in der Fabrik selbst und durch den Handel +jährlich verdient und gewonnen wird. Das Werk geht durch Maschinen, +und die meisten Arbeiter sind Kinder von acht bis zehn Jahren. +Ein Fremder besichtigte einst diese Arbeiten und wunderte sich, dass +es möglich sei, in die allerfeinsten Nadeln mit einem noch feinern +Instrument ein Loch zu stechen, durch welches nur der allerfeinste, +fast unsichtbare Faden kann gezogen werden. Aber ein Mägdlein, +welchem der Fremde eben zuschaute, zog sich hierauf ein langes Haar +aus dem Kopfe, stach mit einer der feinsten Nadeln ein Loch dadurch, +nahm das eine Ende des Haares, bog es um und zog es durch die +Öffnung zu einer artigen Schleife oder, wie man's sonst nennt, +Schlupf oder Letsch. + +Das war so brotlos eben auch nicht. Denn das Mägdlein bot dieses +künstlich geschlungene Haar dem Fremden zum Andenken und bekam dafür +ein artiges Geschenk, und das wird mehr als einmal im Jahr geschehen +sein. Solch ein kleiner Nebenverdienst ist einem fleissigen Kinde +wohl zu gönnen. + +Aber während ehrliche Eltern und Kinder aller Orten etwas Nützliches +arbeiten und ihr Brot mit Ehren verdienen und mit gutem Gewissen +essen, zog zu seiner Zeit ein Tagdieb durch die Welt, der sich in +der Kunst geübt hatte, in einer ziemlich grossen Entfernung durch +ein Nadelöhr kleine Linsen zu werfen. Das war eine brotlose Kunst. +Doch lief es auch nicht ganz leer ab. Denn als der Linsenschütz +unter anderm nach Rom kam, liess er sich auch vor dem Papst sehen, +der sonst ein grosser Freund von seltsamen Künsten war, hoffte ein +hübsches Stück Geld von ihm zu beikommen und machte schon ein paar +wunderfreundliche Augen, als der Schatzmeister des Heiligen Vaters +mit einem Säcklein auf ihn zuging, und bückte sich entsetzlich tief, +als ihm der Schatzmeister das ganze Säcklein anbot. + +Allein was war darin? Ein halber Becher Linsen, die ihm der weise +Papst zur Belohnung und Aufmunterung seines Fleisses übermachen +liess, damit er sich in seiner Kunst noch ferner üben und immer +grössere Fortschritte darin machen könne. + + + +Dankbarkeit + + +In der Seeschlacht von Trafalgar, während die Kugeln sausten und die +Mastbäume krachten, fand ein Matrose noch Zeit, zu kratzen, wo es +ihn biss, nämlich auf dem Kopf. Auf einmal streifte er mit +zusammengelegtem Daumen und Zeigefinger bedächtig an einem Haare +herab und liess ein armes Tierlein das er zum Gefangenen gemacht +hatte, auf den Boden fallen. Aber indem er sich niederbückte, um ihm +den Garaus zu machen, flog eine feindliche Kanonenkugel ihm über den +Rücken weg, paff, in das benachbarte Schiff. Da ergriff den Matrosen +ein dankbares Gefühl, und überzeugt, dass er von dieser Kugel wäre +zerschmettert worden, wenn er sich nicht nach dem Tierlein gebücket +hätte, hob er es schonend von dem Boden auf und setzte es wieder auf +den Kopf. "Weil du mir das Leben gerettet hast", sagte er; "aber +lass dich nicht zum zweiten Mal attrapieren, denn ich kenne dich +nimmer." + + + +Das Bettlerkind + + +Zu einem betagten Herrn, der zwar wohltätig, aber fast wunderlich +war, kommt ein freundliches Bettelkind und bittet ihn um ein +Almosen. "Wir haben schon seit dem Samstag kein Weissbrot mehr, und +das schwarze ist so teuer, weil die Laibe so gross sind." Der Herr, +der auf Ordnung hielt und das Betteln nicht wohl leiden konnte, +sagte: "Weil du sonst so bescheiden bist, ich habe dich noch nie +gesehen, und heute zum ersten Mal zu mir kommst, so will ich dir +zwar ein Sechskreuzerlein schenken. Aber unterstehe dich nicht, dass +du dich wieder bei mir blicken lassest, sonst geht's mit einem +Groschen ab." Also holte das Kind in Zukunft den Groschen fast über +jeden andern Tag. Als er aber des Überlaufens müde war, sagte er: +"Jetzt bin ich's müde. Wenn du dich noch einmal unterstehst, so +setze ich dich auf einen Kreuzer herab." Also kam das Kind in +Zukunft alle Morgen und holte den Kreuzer. Die Köchin riet dem +Herrn, er solle dem Kind gar nie mehr etwas geben, so wird's schon +wegbleiben. "So?" sagte er, "das ist mir ein sauberer Rat. Seht Ihr +nicht, je weniger man ihm gibt, desto öfter kommt's?" + + + +Das Blendwerk + + +Manche Leute, wenn sie etwas sehen, das sie nicht begreifen, noch +weniger nachmachen können, so sagen sie kurz und gut, das ist ein +Blendwerk. Nämlich, dass man etwas zu sehen glaube, wo nichts ist, +oder dass man die Sache anders sehe, als sie wirklich ist. +Dass es aber viel Blendwerk gibt, das unterliegt keinem Zweifel. Z. +B. wenn jemand im Mondschein auf der Strasse ist und sieht an einer +Mauer oder im Nebel seinen Schatten aufrecht, dass er meint, es sei +ein ungebetener Kamerad, der mit ihm geht, einer von der schwarzen +Legion. + +Item, wenn jemand einen falschen Freund für einen guten Freund hält +und trotz aller Warnung dem Spitzbuben traut, bis er zuletzt um Hab +und Gut betrogen ist und die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. +Das ist ein grosses Blendwerk. +Item, wenn jemand meint, etwas sei ein Blendwerk, und ist doch +keins. + +In einem namhaften Ort am Rheinstrom kam ein Gaukler an, ein +Tausendkünstler, und bekam die Erlaubnis, auf einer alten Heubühne, +die schon lange nicht mehr war gebraucht worden, seine Künste zu +zeigen, und zwar gleich zum letzten Mal. Fast die ganze Gemeinde +versammelte sich, und es war der Mühe wert. + +Dem Vernehmen nach--der Hausfreund war nicht dabei--brachte der +Tausendkünstler zuerst zwei schwarze Katzen hervor, die hörten +einander das grosse Einmaleins ab und rechneten verschiedene Exempel +aus der verkehrten Regeldetri. + +Nachdem schlupfte er durch einen metallenen Fingerring hindurch und +kam auf der andern Seite lebendig und ebenso dick wieder an, als er +vorher war. + +Etwas an der Sache scheint übertrieben zu sein. + +Hierauf sagte er, das sei aber noch alles nichts. Jetzt wolle er +sich mit einem scharfen Schrotmesser den Bauch aufschneiden. Hernach +wolle er ganz in den Bauch hineinschlupfen, dass man gar nichts mehr +von ihm sehe. Hernach wolle er sich wieder aus sich selber +herauswickeln, dass er wieder sichtbar werde. + +Ehe er aber das grosse Wägestück beginnen konnte, fing die Bühne an +zu knacken. Es kracht links, es kracht rechts. Knack, stürzte der +morsche Boden zusammen, und die ganze Zuschauerschaft wäre in dem +untern Raume zusammengestürzt, wenn nicht noch einer sich an einem +schwebenden Balken erhalten hätte. Die andern lagen alle unten. Da +entstand nun ein grosses, vierstimmiges Not- und Zetergeschrei von +Männern, Weibern, Kindern und Säuglingen. Es ist gar klug, wenn man +kleine Kinder zu so etwas mitträgt. Sie sehen alles gar gut, und +wenn's an Musik fehlt, so können sie machen. Alles schrie: "O mein +Kopf, o mein Arm, o meine Rippen", so dass der oben auf dem Balken +genug zu trösten und zu ermahnen hatte. "Habt doch nur Geduld", +sagte er, "und seid verständig! Man muss sich ja schämen vor dem +fremden Mann: Merkt ihr denn nicht, dass es nur Blendwerk ist? Euch +Leuten", sagte er, "ist keine Ehre anzutun." Denn er hielt das +Unglück für ein Blendwerk vom Künstler und meinte, unversehens +würden wieder alle an ihren Plätzen sitzen. + + + +Das Bombardement von Kopenhagen + + +In der ganzen gefahrvollen Zeit von 1789 an, als ein Land nach dem +andern entweder in die Revolution oder in einen blutigen Krieg +gezogen wurde, hatte sich das Königreich Dänemark teils durch seine +Lage, teils durch die Weisheit seiner Regierung den Frieden +erhalten. Sie lebte niemand zu lieb und niemand zu leid, dachte nur +darauf, den Wohlstand der Untertanen zu vermehren, wurde deswegen +von allen Mächten in Ehren erhalten. Als aber im Jahr 1807 der +Engländer sah, dass Russland und Preussen von ihm abgegangen sei, +und mit dem Feind Frieden gemacht habe, und dass die Franzosen in +allen Häfen und festen Plätzen an der Ostsee Meister sind, und die +Sache schlimm gehen kann, wenn sie auch noch sollten nach Dänemark +kommen, sagte er kein Wort, sondern liess eine Flotte auslaufen, und +niemand wusste, wohin. Als aber die Flotte im Sund und an der +dänischen Küste und vor der königlichen Haupt- und Residenzstadt +Kopenhagen stand, und alles sicher und ruhig war, so machten die +Engländer Bericht nach Kopenhagen hinein: "Weil wir so gute Freunde +zusammen sind, so gebt uns gutwillig bis zum Frieden eure Flotte, +damit sie nicht in des Feindes Hände kommt, und die Festung. Denn es +wäre uns entsetzlich leid, wenn wir euch müssten die Stadt über dem +Kopfe zusammenschiessen." Als wenn ein Bürgersmann oder Bauer mit +einem andern einen Prozess hat, und kommt in der Nacht mit seinen +Knechten einem Nachbar vor das Bette, und sagt: "Nachbar, weil ich +mit meinem Gevattermann einen Prozess habe, so müsst Ihr mir bis +Ausgang der Sache Eure Rosse in meine Verwahrung geben, dass mein +Gegenpart nicht kann darauf zu den Advokaten reiten, sonst zünd' ich +Euch das Haus an, und müsst mir erlauben, dass ich an der Strasse +mit meinen Knechten in Euer Kornfeld stehe, auf dass, wenn der +Gevattermann auf seinem eigenen Ross zum Hofgericht reiten will, so +verrenn' ich ihm den Weg." Der Nachbar sagt: "Lass mir mein Haus +unangezündet! Was gehn mich eure Händel an?" Und so sagten die Dänen +auch. Als aber der Engländer fragte: "Wollt ihr gutwillig oder +nicht?" und die Dänen sagten: "Nein, wir wollen nicht gutwillig!" so +stieg er mit seinen Landungstruppen ans Ufer, rückte immer näher +gegen die Hauptstadt, richtete Batterien auf, führte Kanonen drein, +und sagte am 2. September nach dem Frieden von Tilsit, jetzt sei die +letzte Frist. Allein alle Einwohner von Kopenhagen und die ganze +dänische Nation sagten: Das Betragen des übermütigen Feindes sei +unerhört, und es wäre eine Schande, die der Belt nicht abwaschen +könnte, sich durch Drohungen schrecken zu lassen und in seine +ungerechten Forderungen einzuwilligen. Nein! Da fing das +fürchterliche Gericht an, das über diese arme Stadt im Schicksal +beschlossen war. Denn von abends um sieben Uhr an hörte das +Schiessen auf Kopenhagen, mit 72 Mörsern und schweren Kanonen, die +ganze Nacht hindurch zwölf Stunden lang nimmer auf; und ein Satan, +namens Congreve, war dabei, der hatte ein neues Zerstörungsmittel +erfunden, nämlich die sogenannten Brandraketen. Das war ungefähr ein +Art von Röhren, die mit brennbaren Materien angefüllt wurden, und +vorne mit einem kurzen spitzigen Pfeil versehen waren. Im Schuss +entzündet sich die Materie, und, wenn nun der Pfeil an etwas +hinfuhr, wo er Habung hatte, so blieb er stecken, manchmal wo +niemand zukommen konnte, und die Feuermaterie zündete an, was +brennen konnte. Auch diese Brandraketen flogen die ganze Nacht in +das arme Kopenhagen hinein. Kopenhagen hatte damals 4000 Häuser, +85’965 Einwohner, 22 Kirchen, 4 königliche Schlösser, 22 +Krankenspitäler, 30 Armenhäuser, einen reichen Handel und viele +Fabriken. Da kann man denken, wie mancher schöne Dachstuhl in dieser +angstvollen Nacht zerschmettert wurde, wie manches bange Mutterherz +sich nicht zu helfen wusste, wie manche Wunde blutete, und wie die +Stimme des Gebets und der Verzweiflung, das Sturmgeläute und der +Kanonendonner durcheinander ging. Am 3. September, als der Tag kam, +hörte das Schiessen auf, und der Engländer fragte, ob sie noch nicht +wollten gewonnen geben. Der Kommandant von Kopenhagen sagte: "Nein!" +Da fing das Schiessen nachmittags um vier Uhr von neuem an, und +dauerte bis den 4. September mittags fort, ohne Unterlass und ohne +Barmherzigkeit. Und als der Kommandant noch nicht wollte Ja sagen, +fing abends das Feuer wieder an, und dauerte die ganze Nacht bis den +5. des Mittags. Da lagen mehr als 300 schöne Häuser in der Asche; +ganze Kirchtürme waren eingestürzt, und noch überall wütete die +Flamme. Mehr als 800 Bürger waren schon getötet und mehrere schwer +verwundet. Ganz Kopenhagen sah hier einer Brandstätte, oder einem +Steinhaufen, da einem Lazarett, und dort einem Schlachtfeld gleich. +Als endlich der Kommandant von Kopenhagen nirgends mehr Rettung noch +Hülfe und überall nur Untergang und Verderben sah, hat er am 7. +September kapituliert, und der Kronprinz hat's nicht einmal gelobt. +Das erste war, die Engländer nahmen die ganze Seeflotte von +Kopenhagen in Besitz und führten sie weg: 18 Linienschiffe, 15 +Fregatten und mehrere kleinere bis auf eine Fregatte, welche der +König von England ehemals dem König von Dänemark zum Geschenk +gemacht hatte, als sie noch Freunde waren. Diese liessen sie zurück. +Der König von Dänemark schickte sie ihnen aber auch nach, und will +nichts Geschenktes mehr zum Andenken haben. Im Land selbst und auf +den Schiffen hausten die Engländer als böse Feinde, denn der Soldat +weiss nicht, was er tut, sondern denkt: Wenn sie es nicht verdient +hätten, so führte man keinen Krieg mit ihnen. Zum Glück dauerte ihr +Aufenthalt nicht lange; denn sie schifften sich am 19. Oktober +wieder ein, und fuhren am 21. mit der dänischen Flotte und dem Raub +davon, und der Congreve ist unterwegs ertrunken und hat Frau und +Kinder nimmer gesehen. Von dem an hielten die Dänen gemeinschaftlich +mit den Franzosen, und Kaiser Napoleon will nicht eher mit den +Engländern Friede machen, als bis sie die Schiffe wieder +zurückgegeben, und Kopenhagen bezahlt haben. Dies ist das Schicksal +von Dänemark, und die Freunde der Engländer sagen, es sei nicht so +schlimm gemeint gewesen; andere aber sagen, es hätte nicht können +schlimmer sein, und die Dänen meinen's auch. + + + +Das Branntweingläslein + + +Ein Unteroffizier trat im Roten Rösslein ein von der Parade. Der +Wirt sagt zu ihm: "Aber den habt Ihr nicht schlecht getroffen heut +in dem Kasernenhof. Was hat er angestellt?"--"Nicht wahr, ich hab' +ihn gut getroffen?" sagte der Unteroffizier. "Es ist ein +ausgelernter Spitzbube, gegen den keine Vorsicht hilft. Er ist +imstand und stiehlt Euch ein Rad vom Wagen, während Ihr darauf sitzt +und Wein holt im Ramstal. Kommt Ihr herein, so habt Ihr noch drei +Räder." Der Wirt sagt: "Mir ist keiner schlau genug. Der ist noch +nicht auf der Welt." Denn der Wirt war ein wenig dumm. Es ist fast +immer ein Zeichen von Unverstand, wenn man allein klüger zu sein +glaubt als alle andern. Deswegen sagte er: mir ist keiner schlau +genug. Der Unteroffizier sagte: "Gilt's einen Taler, er führt Euch +an?" Der Wirt geht die Wette ein. Nachmittags kommt der Soldat mit +einem Branntweinfläschlein in der Hand und verlangt für einen +Sechser Branntenwein. Er habe daheim einen kranken Kameraden. Er +hatte aber noch ein anderes Fläschlein von gleicher Grösse und +Gestalt in der Tasche, darin war Brunnenwasser, so viel als man +Branntwein bekommen mag für sechs Kreuzer. Als er in das leere +Fläschlein den Branntwein bekommen hatte, steckte er es zu dem +andern in die nämliche Tasche und gab dem Wirt einen Sechser, der +war falsch. Als er aber schon an der Türe war, während der Wirt den +Sechser umkehrte, ruft er dem Soldaten: "Guter Freund, Euer Sechser +ist falsch auf der untern Seite. Gebt mir einen andern." Der Soldat +stellte sich schrecklich erbost über den Spitzbuben, der ihm den +falschen Sechser gegeben hatte, und zum Unglück habe er keinen +andern bei sich. Er wolle aber sogleich einen holen.--"Nein", sagte +der Wirt, "so ist's nicht gewettet. Gebt den Branntwein wieder +heraus, und holt zuerst das Geld." Da stellte ihm der Soldat das +Fläschlein auf den Tisch, wo das Brunnenwasser drin war, und ging +und kam nicht wieder. Abends kam der Unteroffizier. + +"Ei, seid Ihr es?" sagte der Wirt und lachte aus vollem Halse. "Was +gilt's, Ihr wollt mir einen Taler bringen." Der Unteroffizier aber +lächelte nur, zwar etwas spöttisch und sagte: "Nein, ich will einen +holen. Versucht einmal Euern Branntwein, ob er nicht schmeckt +akkurat wie Brunnenwasser." Da wusste der Wirt vor Verwunderung und +Beschämung nicht, was er sagen wollte. Der Unteroffizier aber sagte +spöttisch: "Euch ist keiner schlau genug." Also hatte er den Taler +gewonnen, doch durfte der Wirt sechs Kreuzer davon abziehen, was der +Branntwein kostete, und bekam, wie das Sprichwort sagt, zum Schaden +den Spott. + + + +Das fremde Kind + + +Durch den Schnee und durch die Tannen des Schwarzwalds kommt abends +am 5. Dezember 1807 ein achtjähriges Mägdlein halb barfuss, halb +nackt vor das Häuslein eines armen Taglöhners im Gebirg und gesellt +sich, mir nichts, dir nichts, zu den Kindern des armen Mannes, die +vor dem Hause waren, und gaukelt mit ihnen, geht mit ihnen, mir +nichts, dir nichts, in die Stube und denkt weiter nimmer ans +Fortgehen. Nicht anders als ein Schäflein, das sich vor der Herde +verlaufen hat und in der Wildnis herumirrt, wenn es wieder zu +seinesgleichen kommt, so hat es keinen Kummer mehr. Der Taglöhner +fragt das Kind, wo es herkomme. "Oben aben von Gutenberg."--"Wie +heisst dein Vater?"--"Ich habe keinen Vater."--"Wie heisst deine +Mutter?"--"Ich habe keine Mutter."--"Wem gehörst du denn sonst +an?"--"Ich gehöre niemand sonst an."--Aus allem, was er fragte, +war nur so viel herauszubringen, dass das Kind von den Bettelleuten +sei aufgelesen worden, dass es mehrere Jahre mit Bettlern und +Gaunern sei herumgezogen, dass sie es zuletzt in St. Peter haben +sitzen lassen, und dass es allein über St. Märgen gekommen sei und +jetzt da sei. Als der Taglöhner mit den Seinigen zu Nacht ass, +setzte sich das fremde Kind auch an den Tisch. Als es Zeit war zu +schlafen, legte es sich auf den Ofenbank und schlief auch; so den +andern Tag, so den dritten. Denn der Mann dachte: ich kann das arme +Kind nicht wieder in sein Elend hinausjagen, so schwer es mich +ankommt, eins mehr zu füttern. Aber am dritten Tag sagte er zu +seiner Frau: "Frau, ich will's doch auch dem Herrn Pfarrer +anzeigen." Der Pfarrherr lobte die gute Denkungsart des armen +Mannes, der Hausfreund auch; "aber das Mägdlein", sagte der +Pfarrherr, "soll nicht das Brot mit Euern Kindern teilen, sonst +werden die Stücklein zu klein. Ich will ihm einen Vater und eine +Mutter suchen." Also ging der Pfarrherr zu einem wohlhabenden und +gutdenkenden Mann in seinem Kirchspiel, der selber wenig Kinder hat, +und der Hausfreund weiss just nicht, wie er's dem Manne sagte: +"Peter", sagte er, "wollt Ihr ein Geschenk annehmen?"--"Nach dem's +ist", sagte der Mann.--"Es kommt von unserm lieben Herr Gott.-- +"Wenn's von dem kommt, so ist's kein Fehler." Also bot ihm der +Pfarrherr das verlassene Mägdlein an und erzählte ihm die Geschichte +dazu, so und so. Der Mann sagte: "Ich will mit meiner Frau reden. Es +wird nicht fehlen." Der Mann und die Frau nahmen das Kind mit +Freuden auf. "Wenn's guttut", sagte der Mann, so will ich's +erziehen, bis es sein Stücklein Brot selber verdienen kann. Wenn's +nicht guttut, so will ich's wenigstens behalten bis im Frühjahr. +Denn dem Winter darf man keine Kinder anvertrauen." Jetzt hat er's +schon viermal überwintert und viermal übersommert auch. Denn das +Kind tat gut, ist folgsam und dankbar und fleissig in der Schule, +und Speise und Trank ist nicht der grösste Gotteslohn, den das +fromme Ehepaar an ihm ausübt, sondern die christliche Zucht, die +väterliche Erziehung und die mütterliche Pflege. Wer das fremde +Töchterlein unter den andern in der Schule sieht, sollt' es nicht +erkennen, so gut sieht es aus, und so sauber ist es gekleidet. So +etwas tut dem Hausfreund wohl, und er könnte den braven Taglöhner +und die braven Pflegeeltern des Kindes mit Namen nennen, wer sie +sind, und wie sie heissen. Aber über seinen Mund kommt's nicht. + + + +Das letzte Wort + + +Zwei Eheleute in einem Dorf an der Donau herwärts Ulm lebten +miteinander, die waren nicht für einander gemacht, und ihre Ehe ward +nicht im Himmel geschlossen. Sie war verschwenderisch und hatte eine +Zunge wie ein Schwert; er war karg, was nicht etwa in den eigenen +Mund und Magen ging. Nannte er sie eine Vergeuderin, so schimpfte +sie ihn einen Knicker, und es kam nur auf ihn an, wie oft er seinen +Ehrentitel des Tags hören wollte. Denn wenn er hundertmal in einer +Stunde Vergeuderin sagte, sagte sie hundertundeinmal: "Du Knicker", +und das letzte Wort gehörte allemal ihr. Einmal fingen sie es wieder +miteinander an, als sie ins Bett gingen, und sollen's getrieben +haben bis früh um fünf Uhr, und als ihnen zuletzt vor Müdigkeit die +Augen zufielen und ihr das Wort auf der Zunge einschlafen wollte, +kneipte sie sich mit den Nägeln in den Arm und sagte noch einmal: Du +Knicker! Darüber verlor er alle Liebe zur Arbeit und zur +Häuslichkeit und lief fort, sobald er konnte, und wohin? Ins +Wirtshaus. Und was im Wirtshaus? Zuerst trinken, danach spielen, +endlich saufen, anfänglich um bares Geld, zuletzt auf Borgs. Denn +wenn die Frau nichts zu Rat hält und der Mann nichts erwirbt, in +einer solchen Tasche darf schon ein Loch sein, es fällt nichts +heraus. Als er aber im Roten Rösslein den letzten Rausch gekauft +hatte, und konnte ihn nicht bezahlen, und der Wirt schrieb seinen +Namen und seine Schuld, sieben Gulden einundfünfzig Kreuzer, an die +Stubentür, und als er nach Haus kam und die Frau erblickte: "Nichts +als Schimpf und Schande hat man von dir, du Vergeuderin", sagte er +zu ihr. "Und nichts als Unehre und Verdruss hat man von dir, du +Säufer, du der und jener, du Knicker", sagte sie. Da stieg es +schwarz und grimmig in seinem Herzen auf, und die zwei bösen +Geister, die in ihm wohnten, nämlich der Zorn und der Rausch, sagten +zu ihm: "Wirf die Bestie in die Donau!" Das liess er sich nicht +zweimal sagen. "Wart', ich will dir zeigen, du Vergeuderin" ("du +Knicker", sagte sie ihm drauf), "ich will dir schon zeigen, wo du +hingehörst", und trug sie in die Donau. Und als sie schon mit dem +Mund im Wasser war, aber die Ohren waren noch oben, rief der +Unmensch noch einmal: "Du Vergeuderin." Da hob die Frau noch einmal +die Arme aus dem Wasser empor und drückte den Nagel des rechten +Daumens auf den Nagel des linken, wie man zu tun pflegt, wenn man +einem gewissen Tierlein den Garaus macht, und das war ihr Letztes.-- +Dem geneigten Leser, der auf Recht und Gerechtigkeit hält, wird man +nicht sagen dürfen, dass der unbarmherzige Mörder auch nimmer lebt, +sondern er ging heim und henkte sich noch in der nämlichen Nacht an +einen Pfosten. + + + +Das Mittagessen im Hof + + +Man klagt häufig darüber, wie schwer und unmöglich es sei, mit +manchen Menschen auszukommen. Das mag denn freilich auch wahr sein. +Indessen sind viele von solchen Menschen nicht schlimm, sondern nur +wunderlich, und wenn man sie nur immer recht kennete, inwendig und +auswendig, und recht mit ihnen umzugehen wüsste, nie zu eigensinnig +und nie zu nachgiebig, so wäre mancher wohl und leicht zur Besinnung +zu bringen. Das ist doch einem Bedienten mit seinem Herrn gelungen. +Dem konnte er manchmal gar nichts recht machen und musste vieles +entgelten, woran er unschuldig war, wie es oft geht. So kam einmal +der Herr sehr verdriesslich nach Hause, und setzte sich zum +Mittagessen. Da war die Suppe zu heiss oder zu kalt oder keines von +beiden; aber genug, der Herr war verdriesslich. Er fasste daher die +Schüssel mit dem, was darinnen war, und warf sie durch das offene +Fenster in den Hof hinab. Was tat der Diener? Kurz besonnen warf er +das Fleisch, welches er eben auf den Teller stellen wollte, mir +nichts, dir nichts, der Suppe nach auch in den Hof hinab, dann das +Brot, dann den Wein und endlich das Tischtuch mit allem, was noch +darauf war. "Verwegener, was soll das sein?" fragte der Herr und +fuhr mit drohendem Zorn von dem Sessel auf. Aber der Bediente +erwiderte ganz kalt und ruhig: "Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre +Meinung nicht erraten habe. Ich glaubte nicht anders, als Sie +wollten heute in dem Hofe speisen. Die Luft ist so heiter, der +Himmel so blau, und sehen Sie nur, wie lieblich der Apfelbaum blüht, +und wie fröhlich die Bienen ihren Mittag halten!"--Diesmal die +Suppe hinabgeworfen, und nimmer. Der Herr erkannte seinen Fehler, +heiterte sich im Anblick des schönen Frühlingshimmels auf, lächelte +heimlich über den schnellen Einfall seines Aufwärters und dankte ihm +im Herzen für die gute Lehre. + + + +Das schlaue Mädchen + + +In einer grossen Stadt hatten viele reiche und vornehme Herren einen +lustigen Tag. Einer von ihnen dachte: "Könnt ihr heute dem Wirt und +den Musikanten wenigstens 1500 Gulden zu verdienen geben, so könnt +ihr auch etwas für die liebe Armut steuern." Also kam, als die +Herren am fröhlichsten waren, ein hübsches und nett gekleidetes +Mädchen mit einem Teller und bat mit süssen Blicken und liebem Wort +um eine Steuer für die Armen. Jeder gab, der eine weniger, der +andere mehr, je nachdem der Geldbeutel beschaffen war und das Herz. +Denn kleiner Beutel und enges Herz gibt wenig. Weiter Beutel und +grosses Herz gibt viel. So ein Herz hatte derjenige, zu welchem das +Mägdlein jetzt kommt. Denn als er ihm in die hellen, schmeichelnden +Augen schaute, ging ihm das Herz fast in Liebe auf. Deswegen legte +er zwei Louisdor auf den Teller und sagte dem Mägdlein ins Ohr: "Für +deine zwei schönen blauen Augen." Das war nämlich so gemeint: Weil +du, schöne Fürbitterin für die Armen, zwei so schöne Augen hast, so +geb' ich den Armen zwei so schöne Louisdor, sonst tät's eine auch. +Das schlaue Mädchen aber stellte sich, als wenn es die Sache ganz +anders verstünde. Denn weil er sagte: "Für deine zwei schöne Augen" +- nahm es ganz züchtig die zwei Louisdor vom Teller weg, steckte sie +in den eigenen Sack und sagte mit schmeichelnden Gebärden: "Schönen, +herzlichen Dank! Aber seid so gut und gebt mir jetzt auch noch etwas +für die Armen." Da legte der Herr noch einmal zwei Louisdor auf den +Teller, kneipte das Mägdlein freundlich in die Backen und sagte: "Du +kleiner Schalk!" Von den andern aber wurde er ganz entsetzlich +ausgelacht, und sie tranken auf des Mägdleins Gesundheit, und die +Musikanten machten Tusch. + + + +Das seltsame Rezept + + +Es ist sonst kein grosser Spass dabei, wenn man ein Rezept in die +Apotheke tragen muss; aber vor langen Jahren war es doch einmal ein +Spass. Da hielt ein Mann von einem entlegenen Hof eines Tages mit +einem Wagen und zwei Stieren vor der Stadtapotheke still, lud +sorgsam eine grosse tannene Stubentüre ab und trug sie hinein. Der +Apotheker machte grosse Augen und sagte: "Was wollt Ihr da, guter +Freund, mit Eurer Stubentüre? Der Schreiner wohnt um zwei Häuser +links." Dem sagte der Mann, der Doktor sei bei seiner kranken Frau +gewesen und habe ihr wollen ein Tränklein verordnen, so sei in dem +ganzen Haus keine Feder, keine Tinte und kein Papier gewesen, nur +eine Kreide. Da habe der Herr Doktor das Rezept an die Stubentüre +geschrieben, und nun soll der Herr Bachin so gut sein und das +Tränklein kochen. + +Item, wenn es nur gut getan hat. Wohl dem, der sich in der Not zu +helfen weiss. + + + +Das Vivat der Königin + + +Nicht ebenso gut als der Franzos, der dem Engländer auf der Brücke +zu Pferd begegnete, kam ein anderer Franzos zu Königszeiten mit +einem andern Engländer davon in einem Wirtshaus. Der Engländer sass +schon über eine halbe Stunde still und stumm in einer Ecke und +wartete auf einen Chirurgus, hätte gern die Zähne zusammengebissen +vor Ungeduld, aber einer davon war hohl und tat ihm von Zeit zu Zeit +entsetzlich weh, zum Exempel diesmal. Kommt auf einmal der Franzose, +ein Perückenmacher oder so etwas, an den Tisch, wo der Engländer +sass, und wollte seinen Kameraden einen Spass zum besten geben. Denn +er glaubte, der Engländer sei dumm oder noch scheu dortzuland. Also +fing er ein langes Gespräch mit ihm an, worauf der Engländer wenig +antwortete, rühmte ihm, was Frankreich für ein reiches und grosses +Land sei, und dass einer schon ein gutes Pferd haben müsse, wenn +er's in drei Vierteljahren durchreiten wollte, und wie der König so +gerecht sei, und die Königin so gut. "Aber auf das Wohl der +Königin", sagte er, "trinkt Ihr doch eins mit mir, und noch mehr?" +Als sie ausgetrunken hatten, zerriss der Franzos die Hemdkrause an +seinem alten, abgewaschenen Hemde und sagte: "Es lebe die Königin! +Gentleman", sagte er, "Ihr müsst Eure Hemdkrause auch zerreissen auf +das Wohlsein der Königin. Ich hab' meine auch zerrissen." "Geht zum +Henker, Ihr Sapperment", sagte der Engländer, "Euer Hemd hat nimmer +weit in die Papiermühle. Meins kommt nagelneu von der Näherin weg +und ist an einigen Orten noch ganz heiss vom Durchzug der Nadel." +Aber der Perückenmacher sagte: "Herr, ich verstehe keinen Spass! +Entweder zerreisst Ihr Euer Hemd, oder Ihr müsst Euch mit mir +stechen auf Leben und Tod." Wollte der fremde Engländer keinen +Spektakel haben, so musste er seine Hemdkrause zerreissen wie der +Franzose. Aber jetzt wurde er auf einmal freundlich und redselig und +erzählte dem Perückenmacher viel von England und von London und von +dem grossen Kirchturm in London, und wie einer droben schon gute +Augen haben müsse, wenn er unten die Stadt noch sehen wolle; bis der +Chirurgus kam. Als der Chirurgus kain und fragte, was der fremde +Herr befehle, "seid so gut", sagte der Engländer, "und zieht mir +diesen Stockzahn da aus, den dritten, aufs Wohlsein der Königin von +England.! Herr", sagt er zu dem Perückenmacher, "Ihr bleibt da +sitzen und rührt Euch nicht." Als der Zahn glücklich heraus war, +sagte er zu dem Zahnarzt: "Seid so gut und zieht jetzt diesem Herrn +da ebenfalls einen Zahn aus aufs Wohlsein der Königin von England. +Guter Freund", sagte er, "Ihr müsst Euch auch einen ausreissen +lassen, ich hab' mir auch einen ausreissen lassen." Da verging dem +Spassmacher der Mutwillen und die roten Backen, und protestierte +zwar, die Sache sei nicht gleich. "Euer Zahn da", sagte er, "ist so +hohl, dass eine Häsin drin setzen könnte. Die meinigen sind alle so +kerngesund, dass ich eine Bleikugel damit breit beissen kann. Wenn +drei Lilien drauf wären könnt' ich Geld damit prägen." Aber der +andere gab darauf kein Gehör, sondern sagte: "Herr, ich verstehe +keinen Spass! Entweder Ihr lasst Euch einen Zahn ausbrechen auf der +Stelle, oder Ihr könnt Euch mit mir stechen auf Leben und auf Tod, +und ich bohr' Euch da an die Tür hinan, dass der Degen eine Elle +weit in die Kammer hineingeht." Da dachte der Perückenmacher: Ein +Zahn,--Ein Leben!--Neun Kinder hab ich daheim.--Lieber ein Zahn. +Also liess er sich wohl oder übel auch einen ausreissen, und +schieden darauf in Frieden voneinander. Aber zu seinen Kameraden +sagte er nachher: "Diesmal mit einem Fremden Mutwillen getrieben, +den ich nicht kenne! Hört man mir nichts an, wenn ich rede?" + + + +Das wohlbezahlte Gespenst + + +In einem gewissen Dorfe, das ich wohl nennen könnte, geht ein +üblicher Fussweg über den Kirchhof und von da durch den Acker eines +Mannes, der an der Kirche wohnt, und es ist ein Recht. Wenn nun die +Ackerwege bei nasser Witterung schlüpfrig und ungangbar sind, ging +man immer tiefer in den Acker hinein, und zertrat dem Eigentümer die +Saat, so dass bei anhaltend feuchter Witterung der Weg immer breiter +und der Acker immer schmäler wurde, und das war kein Recht. Zum Teil +wusste nun der beschädigte Mann sich wohl zu helfen. Er gab bei Tag, +wenn er sonst nichts zu tun hatte, fleissig acht, und wenn ein +unverständiger Mensch diesen Weg kam, der lieber seine Schuhe als +seines Nachbars Gerstensaat schonte, so lief er schnell hinzu und +pfändete ihn oder tat's mit ein paar Ohrfeigen kurz ab. Bei Nacht +aber, wo man noch am ersten einen guten Weg braucht und sucht, war's +nur desto schlimmer, und die Dornenäste und Rispen, mit welchen er +den Wandernden verständlich machen wollte, wo der Weg sei, waren +allemal in wenig Nächten niedergerissen oder ausgetreten, und +mancher tat's vielleicht mit Fleiss. Aber da kam dem Mann etwas +anderes zustatten. Es wurde auf einmal unsicher auf dem Kirchhofe, +über welchen der Weg ging. Bei trockenem Wetter und etwas hellen +Nächten sah man oft ein langes, weisses Gespenst über die Gräber +wandeln. Wenn es regnete oder sehr finster war, hörte man im +Beinhaus bald ein ängstliches Stöhnen und Winseln, bald ein +Klappern, als wenn alle Totenköpfe und Totengebeine darin lebendig +werden wollten. Wer das hörte, sprang bebend wieder zur nächsten +Kirchhoftüre hinaus, und in kurzer Zeit sah man, sobald der Abend +dämmerte und die letzte Schwalbe aus der Luft verschwunden war, +gewiss keinen Menschen mehr auf dem Kirchhofwege, bis ein +verständiger und herzhafter Mann aus einem benachbarten Dorfe sich +an diesem Ort verspätete und den nächsten Weg nach Haus doch über +diesen verschrienen Platz und über den Gerstenacker nahm. Denn ob +ihm gleich seine Freunde die Gefahr vorstellten und lange abwehrten, +so sagte er doch am Ende: "Wenn es ein Geist ist, geh' ich mit Gott +als ein ehrlicher Mann den nächsten Weg zu meiner Frau und zu meinen +Kindern heim, habe nichts Böses getan, und ein Geist, wenn's auch +der schlimmste unter allen wäre, tut mir nichts. Ist's aber Fleisch +und Bein, so habe ich zwei Fäuste bei mir, die sind auch schon dabei +gewesen." Er ging. Als er aber auf den Kirchhof kam und kaum am +zweiten Grab vorbei war, hörte er hinter sich ein klägliches Ächzen +und Stöhnen, und als er zurückschaute, siehe, da erhob sich hinter +ihm, wie aus einem Grab herauf, eine lange, weisse Gestalt. Der Mond +schimmerte blass über die Gräber. Totenstille war ringsumher, nur +ein paar Fledermäuse flatterten vorüber. Da war dem guten Manne doch +nicht wohl zumute, wie er nachher selber gestand, und wäre gerne +wieder zurückgegangen, wenn er nicht noch einmal an dem Gespenst +hätte vorbeigehen müssen. Was war nun zu tun? Langsam und still ging +er seines Weges zwischen den Gräbern und manchem schwarzen +Totenkreuz vorbei. Langsam und immer ächzend folgte zu seinem +Entsetzen das Gespenst ihm nach, bis an das Ende des Kirchhofs, und +das war in der Ordnung, und bis vor den Kirchhof hinaus, und das war +dumm. + +Aber so geht es. Kein Betrüger ist so schlau, er vertratet sich. +Denn sobald der verfolgte Ehrenmann das Gespenst auf dem Acker +erblickte, dachte er bei sich selber: Ein rechtes Gespenst muss wie +eine Schildwache auf seinem Posten bleiben, und ein Geist, der auf +den Kirchhof gehört, geht nicht aufs Ackerfeld. Daher bekam er auf +einmal Mut, drehte sich schnell um, fasste die weisse Gestalt mit +fester Hand und merkte bald, dass er unter einem Leintuch einen +Burschen am Brusttuch habe, der noch nicht auf dem Kirchhof daheim +sei. Er fing daher an, mit der andern Faust auf ihn loszutrommeln, +bis er seinen Mut an ihm gekühlt hatte, und da er vor dem Leintuch +selber nicht sah, wo er hinschlug, so musste das arme Gespenst die +Schläge annehmen, wie sie fielen. + +Damit war nun die Sache abgetan, und man hat weiter nichts mehr +davon erfahren, als dass der Eigentümer des Gerstenackers ein paar +Wochen lang mit blauen und gelben Zieraten im Gesicht herumging und +von dieser Stunde an kein Gespenst mehr auf dem Kirchhof zu sehen +war. Denn solche Leute wie unser handfester Ehrenmann, das sind +allein die rechten Geisterbanner, und es wäre zu wünschen, dass +jeder andere Betrüger und Gaukelhans ebenso sein Recht und seinen +Meister finden möchte. + + + +Das wohlfeile Mittagessen + + +Es ist ein altes Sprichwort: Wer andern eine Grube gräbt, fällt +selber darein.--Aber der Löwenwirt in einem gewissen Städtlein war +schon vorher darin. Zu diesem kam ein wohlgekleideter Gast. Kurz und +trotzig verlangte er für sein Geld eine gute Fleischsuppe. Hierauf +forderte er auch ein Stück Rindfleisch und ein Gemüs für sein Geld. +Der Wirt fragte ganz höflich, ob ihm nicht auch ein Glas Wein +beliebe? "O freilich ja!", erwiderte der Gast, "wenn ich etwas Gutes +haben kann für mein Geld." Nachdem er sich alles hatte wohl +schmecken lassen, zog er einen abgeschliffenen Sechser aus der +Tasche und sagte: "Hier, Herr Wirt, ist mein Geld." Der Wirt sagte: +"Was soll das heissen? Seid Ihr mir nicht einen Taler schuldig?" Der +Gast erwiderte: "Ich habe für keinen Taler Speise von Euch verlangt, +sondern für mein Geld. Hier ist mein Geld. Mehr hab' ich nicht. Habt +Ihr mir zuviel dafür gegeben, so ist's Eure Schuld."--Dieser +Einfall war eigentlich nicht weit her. Es gehörte nur +Unverschämtheit dazu, und ein unbekümmertes Gemüt, wie es am Ende +ablaufen werde. Aber das Beste kommt noch. "Ihr seid ein +durchtriebener Schalk", erwiderte der Wirt, "und hättet wohl etwas +anderes verdient. Aber ich schenke Euch das Mittagessen und hier +noch ein Vierundzwanzigkreuzerstück dazu. Nur seid stille zur Sache +und geht zu meinem Nachbarn, dem Bärenwirt, und macht es ihm +ebenso!" Das sagte er, weil er mit seinem Nachbarn, dem Bärenwirt, +aus Brotneid in Unfrieden lebte und einer dem andern jeglichen Tort +und Schimpf gerne antat und erwiderte. Aber der schlaue Gast griff +lächelnd mit der einen Hand nach dem angebotenen Geld, mit der +andern vorsichtig nach der Türe, wünschte dem Wirt einen guten +Abend, und sagte: "Bei Eurem Nachbarn, dem Herrn Bärenwirt, bin ich +schon gewesen, und eben der hat mich zu Euch geschickt und kein +anderer." So waren im Grunde beide hintergangen, und der dritte +hatte den Nutzen davon. Aber der listige Kunde hätte sich noch +obendrein einen schönen Dank von beiden verdient, wenn sie eine gute +Lehre daraus gezogen und sich miteinander ausgesöhnt hätten. Denn +Frieden ernährt, aber Unfrieden verzehrt. + + + +Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande 1. + + +In der Türkei, wo es bisweilen etwas ungerade hergehen soll, trieb +ein reicher und vornehmer Mann einen Armen, der ihn um eine Wohltat +anflehte, mit Scheltworten und Schlägen von sich ab, und als er ihn +nicht mehr erreichen konnte, warf er ihn noch mit einem Stein. Die +es sahen, verdross es, aber niemand konnte erraten, warum der arme +Mann den Stein aufhob und, ohne ein Wort zu sagen, in die Tasche +steckte, und niemand dachte daran, dass er ihn von nun an so bei +sich tragen würde. Aber das tat er. + +Nach Jahr und Tag hatte der reiche Mann ein Unglück, nämlich er +verübte einen Spitzbubenstreich, und wurde deswegen nicht nur seines +Vermögens verlustig, sondern er musste auch nach dortiger Sitte zur +Schau und Schande, rückwärts auf einen Esel gesetzt, durch die Stadt +reiten. An Spott und Schimpf fehlte es nicht, und der Mann mit dem +rätselhaften Stein in der Tasche stand unter den Zuschauern eben +auch da, und erkannte seinen Beleidiger. Jetzt fuhr er schnell mit +der Hand in die Tasche; jetzt griff er nach dem Stein; jetzt hob er +ihn schon in die Höhe, um ihn wieder nach seinem Beleidiger zu +werfen, und wie von einem guten Geist gewarnt, liess er ihn wieder +fallen und ging mit einem bewegten Gesicht davon. + +Daraus kann man lernen: Erstens, man soll im Glück nicht übermütig, +nicht unfreundlich und beleidigend gegen geringe und arme Menschen +sein. Denn es kann vor Nacht leicht anders werden, als es am frühen +Morgen war, und "wer dir als Freund nichts nutzen kann, der kann +vielleicht als Feind dir schaden". Zweitens, man soll seinem Feind +keinen Stein in der Tasche und keine Rache im Herzen nachtragen. +Denn als der arme Mann den seinen auf die Erde fallen liess und +davonging, sprach er zu sich selber so: "Rache an dem Feind +auszuüben, so lange er reich und glücklich war, das war töricht und +gefährlich; jetzt wo er unglücklich ist, wäre es unmenschlich und +schändlich." + +Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande 2. + +Ein anderer meinte, es sei schön, Gutes zu tun an seinen Freunden, +und Böses an seinen Feinden. Aber noch ein anderer erwiderte, das +sei schön, an den Freunden Gutes zu tun, und die Feinde zu Freunden +zu machen. + +Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande 3. + +Es ist doch nicht alles so uneben, was die Morgenländer sagen und +tun. + +Einer, namens Lockmann, wurde gefragt, wo er seine feinen und +wohlgefälligen Sitten gelernt habe? Er antwortete: "Bei lauter +unhöflichen und groben Menschen. Ich habe immer das Gegenteil von +demjenigen getan, was mir an ihnen nicht gefallen hat." + +Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande 4. + +Ein anderer entdeckte seinem Freund das Geheimnis, durch dessen +Kraft er mit den zanksüchtigen Leuten immer in gutem Frieden +ausgekommen sei. Er sagte so: "Ein verständiger Mann und ein +törichter Mann können nicht einen Strohhalm mit einander zerreissen. +Denn wenn der Tor zieht, so lässt der Verständige nach, und wenn +jener nachlässt, so zieht dieser. Aber wenn zwei Unverständige +zusammenkommen, so zerreissen sie eiserne Ketten. + + + +Der Barbierjunge von Segringen + + +Man muss Gott nicht versuchen, aber auch die Menschen nicht. Denn im +vorigen Spätjahr kam in dem Wirtshause zu Segringen ein Fremder von +der Armee an, der einen starken Bart hatte und fast wunderlich +aussah, also dass ihm nicht recht zu trauen war. Der sagt zum Wirt, +eh' er etwas zu essen und zu trinken fordert: "Habt Ihr keinen +Barbier im Ort, der mich rasieren kann?" Der Wirt sagt Ja und holt +den Barbierer. Zu dem sagt der Fremde: "Ihr sollt mir den Bart +abnehmen, aber ich habe eine kitzliche Haut. Wenn Ihr mich nicht ins +Gesicht schneidet, so bezahl' ich Euch vier Kronentaler. Wenn Ihr +mich aber schneidet, so stech' ich Euch tot. Ihr wäret nicht der +erste." Wie der erschrockene Mann das hörte (denn der fremde Herr +machte ein Gesicht, als wenn es nicht vexiert wäre, und das +spitzige, kalte Eisen lag auf dem Tisch), so springt er fort und +schickt den Gesellen. Zu dem sagt der Herr das nämliche. Wie der +Gesell das nämliche hört, springt er ebenfalls fort und schickt den +Lehrjungen. Der Lehrjunge lässt sich blenden von dem Geld und denkt: +"Ich wag's. Geratet es und ich schneide ihn nicht, so kann ich mir +für vier Kronentaler einen neuen Rock auf die Kirchweihe kaufen und +einen Schnepper. Geratet's nicht, so weiss ich, was ich tue", und +rasiert den Herrn. Der Herr hält ruhig still, weiss nicht, in +welcher entsetzlichen Todesgefahr er ist, und der verwegene +Lehrjunge spaziert ihm auch ganz kaltblütig mit dem Messer im +Gesicht und um die Nase herum, als wenn's nur um einen Sechser oder +im Fall eines Schnittes um ein Stücklein Zundel oder Fliesspapier +darauf zu tun wäre und nicht um vier Kronentaler und um ein Leben, +und bringt ihm glücklich den Bart aus dem Gesicht ohne Schnitt und +ohne Blut und dachte doch, als er fertig war: "Gottlob!" + +Als aber der Herr aufgestanden war und sich im Spiegel beschaut und +abgetrocknet hatte und gibt dem Jungen die vier Kronentaler; sagt er +zu ihm: "Aber junger Mensch, wer hat dir den Mut gegeben, mich zu +rasieren, so doch dein Herr und der Gesell sind fortgesprungen? Denn +wenn du mich geschnitten hättest, so hätt' ich dich erstochen." Der +Lehrjunge aber bedankte sich lächelnd für das schöne Stück Geld und +sagte: "Gnädiger Herr, Ihr hättet mich nicht verstochen, sondern +wenn Ihr gezuckt hättet und ich hätt' Euch ins Gesicht geschnitten, +so wär' ich Euch zuvorgekommen, hätt' Euch augenblicklich die Gurgel +abgehauen und wäre auf- und davongesprungen." Als aber der fremde +Herr das hörte und an die Gefahr dachte, in der er gesessen war, +ward er erst blass vor Schrecken und Todesangst, schenkte dem +Burschen noch einen Kronentaler extra und hat seitdem zu keinem +Barbier mehr gesagt: "Ich steche dich tot, wenn du mich schneidest." + + + +Der betrogene Krämer + + +Ein Rubel ist in Russland eine Silbermünze und beträgt 27 Batzen hin +oder her, ein Imperial aber ist ein Goldstück und tut zehen Rubel; +deswegen kann man wohl für einen Imperial einen Rubel bekommen, zum +Beispiel, wenn man in den Karten neun Rubel verliert, aber nicht für +einen Rubel einen Imperial. Allein ein schlauer Soldat in Moskau +sagte doch: "Was gilt's? morgen auf dem Jahrmarkt will ich mit einem +Rubel einen doppelten Imperial angeln." Als den andern Tag in langen +Reihen von Kaufläden der Jahrmarkt aufging, vor allen Ständen +standen schon die Leute, lobten und tadelten, boten ab und boten zu, +und die Menge ging auf und ging ab, und die Knaben grüssten die +Mägdlein, kommt auf einmal der Soldat mit einem Rubel in den Händen. +"Wem gehört dieser Kaisertaler, dieser Rubel? Gehört er Euch?" fragt +er jeden Krämer an jedem Stand. Einer, der ohnehin nicht viel Geld +löste und lange zusah, dachte endlich: wenn dich dein Geld an die +Finger brennt, die meinigen sind nicht so blöde. "Hieher, Musketier, +der Rubel ist mein." Der Soldat sagte: "Wenn Ihr mir nicht gerufen +hättet, ich hätt' Euch schwerlich gefunden unter der Menge", und +gibt ihm den Rubel. Der Kaufmann betrachtet ihn hin und her und +klingelt daran, ob er gut sei; ja, er war gut, und steckt ihn in die +Tasche. "Seid so gut und gebt mir denn jetzt auch meinen Imperial", +sagte der Musketier. Der Kaufmann erwiderte: "Ich habe keinen +Imperial von Euch, so bin ich Euch keinen schuldig. Da habt Ihr +Euren einfältigen Rubel wieder, wenn Ihr nur Spass wollt machen." +Aber der Musketier sagte: "Meinen zweifältigen Imperial gebt mir +heraus, mein Spass ist Ernst, und die Marktwache, die Polizei wird +zu finden sein." Ein Wort gab das andere, das glimpfliche gab das +trotzige, und das trotzige gab das schnöde, und es hängt sich an den +Stand mit Leuten an, wie ein Bart an einem Bienenkorb. Auf einmal +bohrt etwas wie ein Maulwurf durch die Menge. "Was geht hier vor?" +fragte der Polizeisergeant, als er sich mit seinen Leuten durch die +Menge durchgebohrt hatte. "Was geht vor? frag' ich." Der Krämer +wusste wenig zu sagen, aber desto mundfertiger war der Musketier. +Vor keiner Viertelstunde, erzählte er, hab' er diesem Mann für einen +Rubel abgekauft, das und das. Als er ihn bezahlen wollte, in allen +Taschen hatte er kein Geld gefunden, nur einen doppelten Imperial, +den ihm sein Pate geschenkt hatte, als er gezogen wurde. So habe er +ihm den Imperial als Unterpfand zurückgelassen, bis er den Rubel +bringe. Wie er mit dem Rubel wieder kommen sei, hab' er den rechten +Kaufladen nimmer gefunden und an allen Ständen gefragt: "Wem bin ich +einen Rubel schuldig?" so habe dieser da gesagt, er sei derjenige, +und sei's auch und habe ihm auch den Rubel abgenommen, aber von dem +Imperial wolle er nichts wissen. "Wollt Ihr ihn jetzt gutwillig +herausgeben oder nicht?" Als aber der Polizeisergeant die +Umstehenden fragte und die Umstehenden sagten: ja, der Musketier +habe an allen Kaufläden gefragt, wem der Rubel gehöre, und dieser +habe bekannt, er gehöre ihm und habe ihn auch angenommen und daran +geklingelt, ob er probat sei. Als der Polizeihauptmann das hörte, so +gab er den Bescheid: "Habt Ihr Euren Rubel bekommen, so gebt dem +Soldaten auch seinen Imperial zurück, oder man petschiert Euch Euren +Stand mit Lattnägeln zusammen, und Ihr werdet zwischen Euren eigenen +Brettern eingeschachtelt und eingeschindelt, und könnt Ihr alsdann +lang Hunger leiden, so könnt Ihr auch lang leben." Das sagte der +Anführer der Polizeiwache, und wer dem Musketier für seinen Rubel +einen Imperial herausgeben musste, war der Kaufmann. + +Merke: Fremdes Gut frisst das eigene, wie neuer Schnee den alten. + + + +Der Bock + + +Einst im strengen Winter, an einem Sonntag abends, fuhr eine fremde, +wunderschöne Frau den Schliengener Berg hinauf, und als auf einmal +die Pferde stillstanden, waren sie auch klüger als ein Bauersmann, +der vor ihnen mitten im Weg und im Schnee lag und schlief. Denn die +Pferde hatten nur Haber im Leib, aber der Bauersmann Branntewein und +kam von unten herauf, wollte nach Kandern gehen, verfehlte aber in +Schliengen den Rang. Die wunderschöne Frau liess ihn wecken. "Fehlt +Euch etwas, guter Mann, oder seid Ihr sonst in den Schnee gefallen?" +- "Nein", stammelte der Bauersmann, " da ist mir eine schwarze Katze +mit feurigen Augen vor meinen Augen herumgefackelt und hat mich +irregeführt und schlaftrunken gemacht, und wenn ich weiss, wo ich +bin,--so weiss es"--das Kind im Mutterleib, wollte er etwa sagen, +aber er brachte es nicht heraus.--"Ihr seid betrunken, guter Mann, +und wenn Ihr hier liegen bleibt, müsst Ihr erfrieren."--"Wenn ich +betrunken bin", fragte er, "habt Ihr mir den Rausch bezahlt, oder +hab' ich ihn bezahlt, oder bin ich ihn nicht vielmehr noch +schuldig?" Als aber die Frau, so freundlich sie ist und sein kann, +ihm zuredete, vornen auf den Bock zu sitzen bis zum nächsten Ort,-- +"Bock sitzen?" dachte er in seinem erschrecklichen Rausch und fing +auf einmal an, aus einem andern Ton zu sprechen. "Ihr seid die +schwarze Katze und habt Euch in eine heidnische Prinzessin +verwandelt. Um Gottes willen, verschont mich nur diesmal!" Denn er +dachte an einen andern Bock, auf dem die Hexen reiten, und jetzt +geh' es zum Pech- und Schwefel-Brünnlein, und nicht zur Kalten +Herberge, die auf dem Schliengener Berg steht, sondern zur heissen. +In seinem Leben wollte er keinen Rausch mehr trinken. Allein das +half alles nichts, sondern der Kutscher, der Postillion von +Müllheim, band ihn auf den Bock. Und so fuhr er mausstill und in +ängstlicher Erwartung seines Schicksals mit bis zur Station. Auf der +Station aber, auf Kaltenherberge, legten ihn die Postknechte in +einen warmen Kuhstall und liessen ihn seinen Rausch dort +ausschlafen. Aber noch bis, auf diese Stunde glaubt der Mann, er sei +verhext und bezaubert gewesen, und hat seitdem keinen Rausch mehr +getrunken, ausgenommen an den Werktagen. + +Dies Geschichtlein ist wahr, und wenn's auch nicht zwischen +Schliengen und Kaltenherberge sollte geschehen sein, und der +Hausfreund kennt die schöne Frau. Hat sie's ihm nicht selber +geschrieben von Freiburg aus im Üchtland? + + + +Der falsche Edelstein + + +In einem schönen Garten vor Strassburg vor dem Metzgertor, wo +jedermann für sein Geld hineingehen und lustig und honett sein darf, +da sass ein wohlgekleideter Mann, der auch sein Schöpplein trank, +und hatte einen Ring am Finger mit einem kostbaren Edelstein und +spiegelte den Ring. So kommt ein Jude und sagt: "Herr, Ihr habt +einen schönen Edelstein in Eurem Fingerring, dem wär' ich auch nicht +feind. Glitzert er nicht wie das Urim und Thummim in dem +Brustschildlein des Aharons?" Der wohlgekleidete Fremde sagte ganz +kurz und trocken: "Der Stein ist falsch; wenn er gut wäre, steckte +er wohl an einem andern Finger als an dem meinigen." Der Jud bat den +Fremden, ihm den Ring in die Hand zu geben. Er wendet ihn hin, er +wendet ihn her, dreht den Kopf rechts, dreht den Kopf links. Soll +dieser Stein nicht echt sein? dachte er und bot dem Fremden für den +Ring zwei neue Dublonen. Der Fremde sagte ganz unwillig: "Was soll +ich Euch betrügen? Ihr habt es schon gehört, der Stein ist falsch." +Der Jude bittet um Erlaubnis, ihn einem Kenner zu zeigen, und einer, +der dabei sass, sagte: "Ich stehe gut für den Israeliten, der Stein +mag wert sein, was er will." Der Fremde sagte: "Ich brauche keinen +Bürgen, der Stein ist nicht echt." + +In dem nämlichen Garten sass damals an einem andern Tisch auch der +Hausfreund mit seinen Gevatterleuten, und waren auch lustig und +honett für ihr Geld, nämlich für das Geld der Gevatterleute, und +einer davon ist ein Goldschmied, der's versteht. Einem Soldaten, der +in der Schlacht bei Austerlitz die Nase verloren hatte, hat er eine +silberne angesetzt und mit Fleischfarbe angestrichen, und die Nase +war gut. Nur einblasen einen lebendigen Odem in die Nase, das konnte +er nicht. Zu dem Gevattermann kommt der Jude. "Herr", sagte er, +"soll dieses kein echter Edelstein sein? Kann der König Salomon +einen schönern in der Krone getragen haben?" Der Gevattermann, der +auch ein halber Sternseher ist, sagte: "Er glänzt wie am Himmel der +Aldebaran. Ich verschaffe Euch neunzig Dublonen für den Ring. Was +Ihr ihn wohlfeiler bekommt, ist Euer Schmus." Der Jud kehrt zu dem +Fremden zurück. "Echt oder unecht, ich gebe Euch sechs Dublonen", +und zählte sie auf den Tisch, funkelnagelneu. Der Fremde steckte den +Ring wieder an den Finger und sagte jetzt: "Er ist mir gar nicht +feil. Ist der falsche Edelstein so gut nachgemacht, dass Ihr ihn für +einen rechten haltet, so ist er mir auch so gut", und steckte die +Hand in die Tasche, dass der lüsterne Israelit den Stein gar nicht +mehr sehen sollte.--"Acht Dublonen."--"Nein."--"Zehn Dublonen." +"Nein."--"Zwölf--vierzehn--fünfzehn Dublonen." "Meinetwegen", +sagte endlich der Fremde, "wenn Ihr mir keine Ruhe lassen und mit +Gewalt wollt betrogen sein. Aber ich sage es Euch vor allen diesen +Herren da, der Stein ist falsch, und ich gebe Euch kein gut Wort +mehr dafür. Denn ich will keinen Verdruss haben. Der Ring ist Euer." + +Jetzt brachte der Jud voll Freude dem Gevattermann den Ring. "Morgen +komm ich zu Euch und hole das Geld." Aber der Gevattermann, den noch +niemand angeführt hat, machte ein paar grosse Augen. "Guter Freund, +das ist nicht mehr der nämliche Ring, den Ihr mir vor zwei Minuten +gezeigt habt. Dieser Stein ist zwanzig Kreuzer wert zwischen +Brüdern. So macht man sie bei Sankt Blasien im Eieli in der +Glashütte." Denn der Fremde hatte wirklich einen falschen Ring in +der Tasche, der völlig wie der gute aussah, den er zuerst am Finger +spiegelte, und während der Jud mit ihm handelte und er die Hand in +der Tasche hatte, streifte er mit dem Daumen den echten Ring vom +Finger ab und steckte den Finger in den falschen, und den bekam der +Jud. Da fuhr der Betrogene, als wenn er auf einer brennenden Rakete +geritten wäre, zu dem Fremden zurück: "Au waih, au waih! Ich bin ein +betrogener Mann, ein unglücklicher Mann, der Stein ist falsch." Aber +der Fremde sagte ganz kaltblütig und gelassen: "Ich hab' ihn Euch +für falsch verkauft. Diese Herren hier sind Zeugen. Der Ring ist +Euer. Hab' ich Euch ihn angeschwätzt, oder habt Ihr ihn mir +abgeschwätzt?" Alle Anwesenden mussten gestehen: "Ja, er hat ihm den +Stein für falsch verkauft und gesagt: der Ring ist Euer." + +Also musste der Jud den Ring behalten, und die Sache wurde nachher +vertuscht. + + + +Der fechtende Handwerksbursche in Anklam + + +Im August des Jahrs 1804 stand in der Stadt Anklam in Pommern ein +reisender Handwerksbursche an einer Stubentüre und bat um einen +Zehrpfennig ganz fleissig. Als sich niemand sehen liess noch rührte, +öffnete er leise die Türe und ging hinein. Als er eine arme und +kranke Witwe erblickte, die da sagte, sie habe selber nichts, so +ging er wieder hinaus. + +Lieber Leser, denke nicht, der hat's lassen drauf ankommen, ob +jemand in der Stube ist, hat seinen Zehrpfennig selber wollen +nehmen. Sonst musst du dich schämen und in deinem Herzen einem edeln +Menschen Abbitte tun. Denn der Handwerksbursche kam nach ungefähr +fünf Stunden wieder. Die Frau, rief ihm zwar entgegen: "Mein Gott! +ich kann Euch ja nichts geben. Ich selbst lebe von anderer Menschen +Milde und bin jetzt krank." Allein der edle Jüngling dachte bei sich +selber: Eben deswegen. Anständig und freundlich trat er bis vor den +Tisch, legte aus beiden Taschen viel Brot darauf, das er unterdessen +gesammelt hatte, und viele auf gleiche Art gesammelte kleine +Geldstücke. "Das ist für Euch, arme, kranke Frau", sagte er mit +sanftem Lächeln, ging wieder fort und zog leise die Stubentüre zu. +Die Frau war die Witwe eines ehemaligen braven Unteroffiziers namens +Laroque bei dem preussischen Regiment von Schönfeld. + +Den Namen des frommen Jünglings aber hat ein Engel im Himmel für ein +ander Mal aufgeschrieben. Ich kann nicht sagen, wie er heisst. + + + +Der fremde Herr + + +Einem Schneider in der Stadt waren seit ein paar Jahren die Nadeln +ein wenig verrostet und die Schere zusammengewachsen; also nährt er +sich, so gut er kann. "Gevatter", sagt zu ihm der Peruckenmacher, +"Ihr tragt nicht gerne schwer; wollt Ihr nicht dem Herrn Dechant von +Brassenheim eine neue Perücke bringen in einer Schachtel? Sie ist +leicht, und er zahlt Euch den Gang."--"Gevatter", sagt der +Schneider, "es ist ohnedem Jahrmarkt in Brassenheim. Leiht mir die +Kleider, die Euch der irrende Ritter im Versatz gelassen hat, der +Euch angeschmiert hat, so stell' ich auf dem Jahrmarkt etwas vor." +Der Adjunkt hat die Tugend, wenn er auf drei Stunden im Revier einen +Markt weiss, so ist ihm der Gang auch nicht zu weit, und ist er von +dem Hausfreund wohl bezahlt, so gibt er dem Jahrmarkt viel zu lösen +für neue weltliche Lieder und feine Damaszener Maultrommeln. Also +sass jetzt der Adjunkt auch zu Brassenheim im Wilden Mann und +musterte die Lieder. Erstes Lied: Ein Lämmlein trank vom frischen +usw. Zweites Lied: Schönstes Hirschlein über die Massen usw. Drittes +Lied: Kein schöner Leben auf Erden usw. und probierte die Trommeln. +Kommt auf einmal der Schneider herein mit rotem Rock, hirschledernen +Beinkleidern, Halbstiefeln und Zotteln daran und zwei Sporen. Der +Wirt zog höflich die Kappe ab, die Gäste auch, und: "Hat Euch, Herr +Ritter, der Hausknecht das Pferd schon in den Stall geführt?" fragte +ihn der Wirt. "Mein Normänder, der Scheck?" sagte der Schneider. + +"Ich hab' ihn au Cerf eingestellt, im Hirschen. Ich will hier nur +ein Schöpplein trinken. Ich bin der berühmte Adelstan und reise auf +Menschenkenntnis und Weinkunde. Platz da!" sagte er zum Adjunkt. +"Holla", denkt der Adjunkt, "der meint auch, grob sei vornehm. Was +gilt's, er ist nicht weit her?" Als aber der Schneider die Gerte +breit über den Tisch legte und räusperte sich wie ein Kamel und +betrachtete die Leute mit einem Brennglas und den Adjunkt auch, +steht der Adjunkt langsam auf und sagt dem Wirt etwas halblaut in +das Ohr. Ein Ehninger, der es hörte, sagt: "Herr Landsmann, Ihr seid +auf der rechten Spur. Ich hab' ihn gesehn die Stiefel am Bach +abwaschen und eine Gerte schneiden. Er ist zu Fuss gekommen." Ein +Scherenschleifer sagte: "Ich kenn' ihn wohl, er ist einmal ein +Schneider gewesen. Jetzt hat er sich zur Ruh' gesetzt und tut +Botengänge um den Lohn." Also geht der Wirt ein wenig hinaus und +kommt wieder herein. "So kann denn doch kein hiesiger Markt ohne ein +Unglück vorübergehen", sagt er im Hereinkommen. "Da suchen die +Hatschierer in allen Wirtshäusern einen Herrn in einem roten Rocke, +der heute durch die Dörfer galoppiert ist und ein Kind zu Tod +geritten hat." Da schauten alle Gäste den Ritter Adelstan an; der +sagte in der Angst: "Mein Rock ist eher gelb als rot." Aber der +Ehninger sagte: "Nein, aber Euer Gesicht ist eher blass als gelb, +und hat auf einmal viel Schweisstropfen darauf geregnet. Gesteht’s, +Ihr seid nicht geritten."--"Doch, er ist geritten", sagte der Wirt; +"ich hab' ihm eben das Ross draussen angebunden. Es ist losgerissen +im Hirsch und sucht ihn. Hat nicht Euer Normänder die Mähnen unten +am Hals und gespaltene Hufe, und wenn er wiehert, sollte man schier +nicht meinen, dass es ein Ross ist! Zahlt Euer Schöpplein und reitet +ordentlich heim." Als er aber vor das Haus kam und den Normänder +sah, den ihm der Wirt an die Türe gebunden hat, wollte er nicht +aufsitzen, sondern ging zu Fuss zum Flecken heraus und wurde von den +Gästen entsetzlich verhöhnt. + +Merke: Man muss nie mehr scheinen wollen, als man ist und als man +sich zu bleiben getrauen kann wegen der Zukunft. + + + +Der Fremdling in Memel + + +Oft sieht die Wahrheit wie eine Lüge aus. Das erfuhr ein Fremder, +der vor einigen Jahren mit einem Schiff aus Westindien an den Küsten +der Ostsee ankam. Damals war der russische Kaiser bei dem König von +Preussen auf Besuch. Beide Potentaten standen in gewöhnlicher +Kleidung, ohne Begleitung, Hand in Hand, als zwei rechte gute +Freunde beieinander am Ufer. So etwas sieht man nicht alle Tage. Der +Fremde dachte auch nicht dran, sondern ging ganz treuherzig auf sie +zu, meinte, es seien zwei Kaufleute oder andere Herren aus der +Gegend, und fing ein Gespräch mit ihnen an, war begierig, allerlei +Neues zu hören, das seit seiner Abwesenheit sich zugetragen habe. +Endlich, da die beiden Monarchen sich leutselig mit ihm +unterhielten, fand er Veranlassung, den einen auf eine höfliche Art +zu fragen, wer er sei. "Ich bin der König von Preussen", sagte der +eine. Das kam nun dem fremden Ankömmling schon ein wenig sonderbar +vor. Doch dachte er: Es ist möglich, und machte vor dem Könige ein +ehrerbietiges Kompliment. Und das war vernünftig. Denn in +zweifelhaften Dingen muss man immer das Sicherste und Beste wählen +und lieber eine Höflichkeit aus Irrtum begehen als eine Grobheit. + +Als aber der König weiter sagte und auf seinen Begleiter deutete: +"Dies ist Se. Majestät der russische Kaiser", da war's doch dem +ehrlichen Mann, als wenn zwei lose Vögel ihn zum besten haben +wollten, und sagte: "Wenn ihr Herren mit einem ehrlichen Mann euern +Spass haben wollt, so sucht einen andern als ich bin. Bin ich +deswegen aus Westindien hierher gekommen, dass ich euer Narr sei?"-- +Der Kaiser wollte ihn zwar versichern, dass er allerdings derjenige +sei. Allein der Fremde gab kein Gehör mehr. "Ein russischer +Spassvogel möget Ihr sein", sagte er. Als er aber nachher im Grünen +Baum die Sache erzählte und andern Bericht bekam, da kam er ganz +demütig wieder, bat fussfällig um Vergebung, und die grossmütigen +Potentaten verziehen ihm, wie natürlich, und hatten hernach viel +Spass an dem Vorfall. + + + +Der fromme Rat + + +Ein achtzehnjähriger Jüngling ging, noch unerfahren, katholisch und +fromm, zum ersten Mal aus der Eltern Haus auf die Wanderschaft. In +der ersten grossen Stadt auf der Brücke blieb er stehen und wollte +rechts und links ein wenig umschauen, weil er fürchtete, es möchten +ihm nimmer viel solche Brücken kommen, an welche unten und oben +solche Städte angebaut seien wie diese. Als er aber rechts +umschaute, kam daher von einer Seite ein Pater und trug das +hochwürdige Gut, vor welchem jeder Katholik niederkniet, der demütig +ist und es recht meint. Als er aber links umschaute, kam von der +andern Seite der Brücke auch ein Pater und trug auch das hochwürdige +Gut, vor welchem jeder Katholik niederkniet, der demütig ist und es +recht meint, und beide waren ihm schon ganz nahe, und beide waren im +Begriff, an ihm vorbeizugehen im nämlichen Augenblick, der eine +links von daher, der andere rechts von dorther. Da wusste sich der +arme Mensch nicht zu helfen, vor welchem hochwürdigen Gut er +niederknien, und welches er mit Gebet und Liebe grüssen soll, und es +war ihm auch schwer zu raten. Als er aber den einen Pater mit +Bekümmernis anschaute und ihn gleichsam mit den Augen fragte und +bat, was er tun sollte, lächelte der Pater wie ein Engel freundlich +die fromme Seele an und hob die Hand und den Zeigefinger gegen den +hohen und sonnenreichen Himmel hinauf. Nämlich vor dem dort oben +soll er niederknien und ihn anbeten. Das weiss der Hausfreund zu +loben und hochzuachten, obwohl er noch nie einen Rosenkranz gebetet +hat; sonst schrieb' er den lutherischen Kalender nicht. + + + +Der Furtwanger in Philippsburg + + +Im Jahre 1734, als der Franzos Sturm lief auf Philippsburg, und die +Reichstruppen lagen darin, steht ein Rekrut, ein Furtwanger, auf +einem einsamen Posten seitwärts vom Angriff und denkt: "Wenn's nur +nicht hieher kommt!" Indem wächst ganz leise eine französische +Grenadierkappe hinter dem Rempart herauf, und kommt ein Kopf nach +mit einem Schnauzbart, wie wenn der Mond aufgeht hinter den Bergen. +Denn ein paar Dutzend Waghälse hatten draussen eine Sturmleiter +angelegt, um unbeschrien auf den Rempart zu kommen, und sahen die +Schildwache nicht, dass eine da sei. Springt der Furtwanger herbei +und gibt dem Franzosen einen Stich. Pfeifen auf einmal Kugeln genug +um ihn her aus Windbüchsen, und geht ein zweites Franzosengesicht +auf hinter dem Rempart. Gibt ihm der Furtwanger auch einen Stich und +sagt: "Aber jetzt kommst du nimmer." Item: es kam der dritte und der +vierte und bis zum zwölften. Als der Sturm abgeschlagen war und der +Platzkommandant auf dem Platz herumritt, ob alles in der Ordnung +sei, sieht er von weitem die Sturmleiter und zwölf tote Franzosen +dabei, und wie er zu dem Posten kommt, fragt er den Furtwanger: "Was +hat's hier gegeben?"--"So?" sagt der Furtwanger, "Ihr habt gut +fragen. Wisst Ihr, dass mir einer mehr zu schaffen gemacht hat als +Euch alle? Nur zwölfmal hintereinander hat er angesetzt. Unten im +Graben muss er liegen." Denn er meinte, es sei immer der nämliche +gewesen, und es könne nur mit dem Bösen zugegangen sein, dass ihm +allemal hinter dem Bajonett die Wunde wieder heilte. Da lächelte der +Kommandant und die Offiziere, so mit ihm waren, und nahm ihm seinen +Unverstand nicht übel, sondern er liess ihm für jeden ein +Halbguldenstück Stechgeld bezahlen, und durfte er überdies selbigen +Abend auf Rechnung der Reichs-Operationskasse Wein trinken und Speck +essen, so viel er wollte. + + + +Der geduldige Mann + + +Ein Mann, der eines Nachmittags müde nach Hause kam, hätte gern ein +Stück Butterbrot mit Schnittlauch darauf gegessen oder etwas von +einem geräucherten Bug. Aber die Frau, die im Haus ziemlich der +Meister war und in der Küche ganz, hatte den Schlüssel zum +Küchenkästlein in der Tasche und war bei einer Freundin auf Besuch. +Er schickte daher die Magd und den Knecht, eins um das andere, die +Frau soll heimkommen oder den Schlüssel schicken. Sie sagte allemal: +"Ich komm' gleich, er soll nur ein wenig warten." Als ihm aber die +Geduld immer näher zusammenging und der Hunger immer weiter +auseinander, trägt er und der Knecht das verschlossene +Küchenkästlein in das Haus der Freundin, wo seine Frau zum Besuch +war und sagt zu seiner Frau: "Frau, sei so gut und schliess mir das +Kästlein auf, dass ich etwas zum Abendessen nehmen kann, sonst halt' +ich's nimmer aus." Also lachte die Frau und schnitt ihm ein +Stücklein Brot herab und etwas vom Bug. + + + +Der geheilte Patient + + +Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal auch +allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen gottlob der +arme Mann nichts weiß, denn es gibt Krankheiten, die nicht in der +Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern und in den +weichen Sesseln und seidenen Betten, wie jener reiche Amsterdamer +ein Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag saß er im Lehnsessel +und rauchte Tabak, wenn er nicht zu faul war, oder hatte Maulaffen +feil zum Fenster hinaus, aß aber zu Mittag doch wie ein Drescher, +und die Nachbarn sagten manchmal: "Windet's draußen oder schnauft +der Nachbar so?" Den ganzen Nachmittag aß und trank er ebenfalls +bald etwas Kaltes, bald etwas Warmes, ohne Hunger und ohne Appetit, +aus lauter Langeweile bis an den Abend, so daß man bei ihm nie redet +sagen konnte, wo das Mittagessen aufhörte und wo das Nachtessen +anfing. Nach dem Nachtessen legte er sich ins Bett und war so müd, +als wenn er den ganzen Tag Steine abgeladen oder Holz gespalten +hätte. Davon bekam er zuletzt einen dicken Leib, der so unbeholfen +war wie ein Sack. Essen und Schlaf wollten ihm nimmer schmecken, und +er war lange Zeit, wie es manchmal geht, nicht redet gesund und +nicht recht krank; wenn man aber ihn selber hörte, so hatte er 365 +Krankheiten, nämlich alle Tage eine andere. + +Alle Ärzte, die in Amsterdam sind, mußten ihm raten. Er verschluckte +ganze Feuereimer voll Mixturen und ganze Schaufeln voll Pulver und +Pillen wie Enteneier so groß, und man nannte ihn zuletzt scherzweise +nur die zweibeinige Apotheke. Aber alles Doktern half ihm nichts, +denn er befolgte nicht, was ihm die Arzte befahlen, sondern sagte: +"Wofür bin ich ein reicher Mann, wenn ich leben soll wie ein Hund, +und der Doktor will mich nicht gesund machen für mein Geld?" +Endlich hörte er von einem Arzt, der hundert Stunden weit weg +wohnte, der sei so geschickt, daß die Kranken gesund würden, wenn er +sie nur redet anschaue, und der Tod geh' ihm aus dem Wege, wo er +sich sehen lasse. Zu dem Arzt faßte der Mann ein Zutrauen und +schrieb ihm seinen Umstand. Der Arzt merkte bald, was ihm fehlte, +nämlich nicht Arznei, sondern Mäßigkeit und Bewegung, und sagte: +"Wart', dich will ich bald kuriert haben." Deswegen schrieb er ihm +ein Brieflein folgenden Inhalts: "Guter Freund, Ihr habt einen +schlimmen Umstand, doch wird Euch zu helfen sein, wenn Ihr folgen +wollt. Ihr habt ein böses Tier im Bauch, einen Lindwurm mit sieben +Mäulern. Mit dem Lindwurm muß ich selber reden, und Ihr müßt zu mir +kommen. Aber für's erste, so dürft Ihr nicht fahren oder auf dem +Rößlein reiten, sondern auf des Schuhmachers Rappen, sonst schüttelt +Ihr den Lindwurm, und er beißt Euch die Eingeweide ab, sieben Därme +auf einmal ganz entzwei. Fürs andere dürft Ihr nicht mehr essen als +zweimal des Tages einen Teller voll Gemüs, mittags ein Bratwürstlein +dazu, und nachts ein Ei, und am Morgen ein Fleischsüpplein mit +Schnittlauch drauf. Was Ihr mehr esset, davon wird nur der Lindwurm +größer, so daß er Euch die Leber verdrückt, und der Schneider hat +Euch nimmer viel anzumessen, aber der Schreiner. Dies ist mein Rat, +und wenn Ihr mir nicht folgt, so hört Ihr im anderen Frühjahr den +Kuckuck nimmer schreien. Tut, was Ihr wollt!" Als der Patient so mit +sich reden hörte, ließ er sich sogleich den anderen Morgen die +Stiefel salben und machte sich auf den Weg, wie ihm der Doktor +befohlen hatte. Den ersten Tag ging es so langsam, daß eine Schnecke +hätte können sein Vorreiter sein, und wer ihn grüßte, dem dankte er +nicht, und wo ein Würmlein auf der Erde kroch, das zertrat er. Aber +schon am zweiten und am dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die +Vögel schon lange nimmer so lieblich gesungen hätten, und der Tau +schien ihm so frisch und die Kornrosen im Felde so rot, und alle +Leute, die ihm begegneten, sahen so freundlich aus, und er auch; und +alle Morgen, wenn er aus der Herberge ausging, war's schöner, und er +ging leichter und munterer dahin, und als er am achtzehnten Tage in +der Stadt des Arztes ankam und den anderen Morgen aufstand, war es +ihm so wohl, daß er sagte: "Ich hätte zu keiner ungeschickteren Zeit +können gesund werden als jetzt, wo ich zum Doktor soll. Wenn's mir +doch nur ein wenig in den Ohren brauste, oder das Herzwasser lief' +mir." Als er zum Doktor kam, nahm ihn der Doktor bei der Hand und +sagte ihm: "jetzt erzählt mir denn noch einmal von Grund aus, was +Euch fehlt." Da sagte er: "Herr Doktor, mir fehlt gottlob nichts, +und wenn Ihr so gesund seid wie ich, so soll's mich freuen." Der +Doktor sagte: "Das hat Euch. ein guter Geist geraten, daß Ihr meinem +Rat gefolgt habt. Der Lindwurm ist jetzt abgestanden. Aber Ihr habt +noch Eier im Leib, deswegen müßt Ihr wieder zu Fuß heimgehen und +daheim fleißig Holz sägen und nicht mehr essen, als Euch der Hunger +ermahnt, damit die Eier nicht ausschlupfen, so könnt Ihr ein alter +Mann werden", und lächelte dazu. + +Aber der reiche Fremdling sagte: "Herr Doktor, Ihr seid ein feiner +Kauz, und ich versteh Euch wohl', und hat nachher dem Rat gefolgt +und siebenundachtzig Jahre, vier Monate, zehn Tage gelebt, wie ein +Fisch im Wasser so gesund, und hat alle Neujahr dem Arzt zwanzig +Dublonen zum Gruß geschickt." + + + +Der geheilte Patient + + +Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal auch +allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen gottlob! der +arme Mann nichts weiss; denn es gibt Krankheiten, die nicht in der +Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern und in den +weichen Sesseln und seidenen Bettern, wie jener hautreiche +Amsterdamer ein Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag sass er +im Lehnsessel und rauchte Tabak, wenn er nicht zu faul war, oder +hatte Maulaffen feil zum Fenster hinaus, ass aber zu Mittag doch wie +ein Drescher, und die Nachbarn sagten manchmal: "Windet's draussen +oder schnauft der Nachbar so?"--Den ganzen Nachmittag ass und trank +er ebenfalls, bald etwas Kaltes, bald etwas Warmes, ohne Hunger und +ohne Appetit, aus lauter langer Weile, bis an den Abend, also, dass +man bei ihm nie recht sagen konnte, wo das Mittagessen aufhörte, und +wo das Nachtessen anfing. Nach dem Nachtessen legte er sich ins Bett +und war so müd, als wenn er den ganzen Tag Steine abgeladen oder +Holz gespalten hätte. Davon bekam er zuletzt einen dicken Leib, der +so unbeholfen war wie ein Maltersack. Essen und Schlaf wollte ihm +nimmer schmecken, und er war lange Zeit, wie es manchmal geht, nicht +recht gesund und nicht recht krank; wenn man aber ihn selber hörte, +so hatte er 365 Krankheiten, nämlich alle Tage eine andere. Alle +Ärzte, die in Amsterdam sind, mussten ihm raten. Er verschluckte +ganze Feuereimer voll Mixturen und ganze Schaufeln voll Pulver, und +Pillen wie Enteneier so gross, und man nannte ihn zuletzt +scherzweise nur die zweibeinige Apotheke. Aber alles Doktern half +ihm nichts, denn er folgte nicht, was ihm die Ärzte befahlen, +sondern sagte: "Foudre, wofür bin ich ein reicher Mann, wenn ich +soll leben wie ein Hund, und der Doktor will mich nicht gesund +machen für mein Geld?" Endlich hörte er von einem Arzt, der hundert +Stund weit wegwohnte, der sei so geschickt, dass die Kranken gesund +werden, wenn er sie nur recht anschaue, und der Tod geh' ihm aus dem +Weg, wenn er sich sehen lasse. Zu dem Arzt fasste der Mann ein +Zutrauen und schrieb ihm seinen Umstand. Der Arzt merkte bald, was +ihm fehle, nämlich nicht Arznei, sondern Mässigkeit und Bewegung, +und sagte: "Wart', dich will ich bald kuriert haben." Deswegen +schrieb er ihm ein Brieflein folgenden Inhalts: "Guter Freund, Ihr +habt einen schlimmen Umstand; doch wird Euch zu helfen sein, wenn +Ihr folgen wollt. Ihr habt ein bös Tier im Bauch, einen Lindwurm mit +sieben Mäulern. Mit dem Lindwurm muss ich selber reden, und Ihr +müsst zu mir kommen. Aber fürs erste, so dürft Ihr nicht fahren oder +auf dem Rösslein reiten, sondern auf des Schuhmachers Rappen, sonst +schüttelt Ihr den Lindwurm, und er beisst Euch die Eingeweide ab, +sieben Därme auf einmal ganz entzwei. Fürs andere dürft Ihr nicht +mehr essen, als zweimal des Tages einen Teller voll Gemüs, Mittags +ein Bratwürstlein dazu, und Nachts ein Ei, und am Morgen ein +Fleischsüpplein mit Schnittlauch drauf. Was Ihr mehr esset, davon +wird nur der Lindwurm grösser, also, dass er Euch die Leber +verdruckt, und der Schneider hat Euch nimmer viel anzumessen, aber +der Schreiner. Dies ist mein Rat, und wenn Ihr mir nicht folgt, so +hört Ihr im andern Frühjahr den Kuckuck nimmer schreien. Tut, was +Ihr wollt!" Als der Patient so mit ihm reden hörte, liess er sich +sogleich den andern Morgen die Stiefel salben und machte sich auf +den Weg, wie ihm der Doktor befohlen hatte. Den ersten Tag ging es +so langsam, dass perfekt eine Schnecke hätte können sein Vorreiter +sein, und wer ihn grüsste, dem dankte er nicht, und wo ein Würmlein +auf der Erde kroch, das zertrat er. Aber schon am zweiten und am +dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die Vögel schon lange nimmer +so lieblich gesungen hätten wie heut, und der Tau schien ihm so +frisch und die Kornrosen im Feld so rot, und alle Leute, die ihm +begegneten, sahen so freundlich aus, und er auch; und alle Morgen, +wenn er aus der Herberge ausging, war's schöner, und er ging +leichter und munterer dahin, und als er am achtzehnten Tage in der +Stadt des Arztes ankam und den andern Morgen aufstand, war es ihm so +wohl, dass er sagte: "Ich hätte zu keiner ungeschicktern Zeit können +gesund werden als jetzt, wo ich zum Doktor soll. Wenn's mir doch nur +ein wenig in den Ohren brauste, oder das Herzwasser lief' mir." Als +er zum Doktor kam, nahm ihn der Doktor bei der Hand und sagte ihm: +"Jetzt erzählt mir denn noch einmal von Grund aus, was Euch fehlt." +Da sagte er: "Herr Doktor, mir fehlt gottlob nichts, und wenn Ihr so +gesund seid wie ich, so soll's mich freuen." Der Doktor sagte: "Das +hat Euch ein guter Geist geraten, dass Ihr meinem Rat gefolgt habt. +Der Lindwurm ist jetzt abgestanden. Aber Ihr habt noch Eier im Leib. +Deswegen müsst Ihr wieder zu Fuss heimgehen und daheim fleissig Holz +sägen, dass niemand sieht, und nicht mehr essen, als Euch der Hunger +ermahnt, damit die Eier nicht ausschlupfen, so könnt Ihr ein alter +Mann werden", und lächelte dazu. Aber der reiche Fremdling sagte: +"Herr Doktor, Ihr seid ein feiner Kauz, und ich versteh' Euch wohl", +und hat nachher dem Rat gefolgt und 87 Jahre, 4 Monate, 10 Tage +gelebt, wie ein Fisch im Wasser so gesund, und hat alle Neujahr dem +Arzt 20 Dublonen zum Gruss geschickt. + + + +Der Generalfeldmarschall Suwarow + + +Das Stücklein von Suwarow im Kalender 1809 hat dem geneigten Leser +nicht übel gefallen. Von ihm selber wäre viel Anmutiges zu erzählen. +Wenn ein vornehmer Herr nicht hochmütig ist, sondern redet auch mit +geringen Leuten und stellt sich manchmal, als wenn er nur +ihresgleichen wäre, so sagt man zu seinem Lob: er ist ein gemeiner +Herr. Suwarow konnte manchen schimmernden Ordensstern an die Brust +hängen, manchen Diamantring an die Finger stecken, und aus mancher +goldenen Dose Tabak schnupfen. War er nicht Sieger in Polen und in +der Türkei, russischer Generalfeldmarschall und Fürst und an der +Spitze von dreimal hunderttausend Mann, soviel als seinesgleichen +ein anderer? Aber bei dem allen war er ein sehr gemeiner Herr. +Wenn es nicht sein musste, so kleidete er sich nie wie ein General, +sondern wie es ihm bequem war. Manchmal, wenn er kommandierte, so +hatte er nur Einen Stiefel an. An dem andern Bein hing ihm der +Strumpf herunter, und die Beinkleider waren auf der Seite +aufgeknüpft. Denn er hatte einen Schaden am Knie. + +Oft war er nicht einmal so gut gekleidet. Morgens, wenn's noch so +frisch war, ging er aus dem Bett oder von der Streue weg vor dem +Zelt im Lager spazieren, nackt und bloss wie Adam im Paradies, und +liess ein paar Eimer voll kaltes Wasser über sich herabgiessen zur +Erfrischung. + +Er hatte keinen Kammerdiener und keinen Heiduck, nur einen Knecht, +keine Kutsche und kein Ross. In dem Treffen setzte er sich aufs +nächste beste. + +Sein Essen war gemeine Soldatenkost. Niemand freute sich gross, wenn +man von ihm zur Mittagsmahlzeit eingeladen wurde. Manchmal ging er +zu den gemeinen Soldaten ins Zelt und war wie ihresgleichen. +Wenn ihn auf dem Marsch oder im Lager, oder wo es war, etwas ankam, +wo ein anderer an einen Baum steht oder hinter eine Hecke geht, da +machte er kurzen Prozess. Seinetwegen durfte ihm jedermann +zuschauen, wer's noch nie gesehen hat. + +Bei den vornehmsten Gelegenheiten, wenn er in der kostbarsten +Marschallsuniform voll Ehrenkreuzen und Ordenssternen dastand und, +wo man ihn ansah, von Gold und Silber funkelte und klingelte, trieb +er's doch wie ein säuberlicher Bauer, der wegwirft, was ein Herr in +die Rocktasche steckt. Er schneuzte die Nase mit den Fingern, strich +die Finger am Ärmel ab und nahm alsdann wieder eine Prise aus der +goldenen Dose. + +Also lebte der General und Fürst Italinsky-Suwarow. + + + +Der geschlossene Magen + + +Als einst der Zirkelschmied wieder auf vier bis sechs Wochen in gute +Umstände gekommen war, lebte er so lange gar ehrbar und häuslich mit +seiner Frau, der Bärbel, und war in keinem Wirtshaus mehr zu sehen. +Nein, er ass alle Mittag ein Pfündlein Fleisch mit ihr daheim und +liess eine halbe Mass Wein dazu holen aus dem Adler und gab auf ihre +Ermahnungen. Einmal jedoch, als es ihm besonders schmeckte, schickte +er nach dem Essen das Büblein heimlich in das Wirtshaus, dass es +noch eine Halbe holen sollte. Als aber das Büblein die zweite Halbe +brachte und auf den Tisch stellte, schaute seine Frau ihn bittend +an: "Männlein", sagte sie, "lass es jetzt genug sein! Weisst du +nicht, was im Doktorbuch steht, dass der Magen nach dem Essen +geschlossen sei." Dem entgegen schaute der Zirkelschmied so lieb und +freundlich zuerst den Wein, hernach die Bärbel an: "Liebes +Weiblein", sagte er, "sei unbesorgt! Soll der Magen auch geschlossen +sein, so viel bring' ich noch wohl durch das Schlüsselloch." + + + +Der grosse Sanhedrin zu Paris + + +Dass die Juden seit der Zerstörung Jerusalems, das heisst, seit mehr +als 1700 Jahren, ohne Vaterland und ohne Bürgerrecht auf der ganzen +Erde in der Zerstreuung leben; dass die meisten von ihnen, ohne +selber etwas Nützliches zu arbeiten, sich von den arbeitenden +Einwohnern eines Landes nähren; dass sie daher auch an vielen Orten +als Fremdlinge verachtet, misshandelt und verfolgt werden, ist Gott +bekannt und leid.--Mancher sagt daher im Unverstand: "Man sollte +sie alle aus dem Lande jagen." Ein anderer sagt im Verstand: "Man +sollte arbeitsame und nützliche Menschen aus ihnen machen und sie +alsdann behalten." + +Der Anfang dazu ist gemacht. Merkwürdig für die Gegenwart und für +die Zukunft ist dasjenige, was der grosse Kaiser Napoleon wegen der +Judenschaft in Frankreich und dem Königreich Italien verordnet und +veranstaltet hat. + +Schon in der Revolution bekamen alle Juden, die in Frankreich +wohnen, das französische Bürgerrecht, und man sagte frischweg: +Bürger Aaron, Bürger Levi, Bürger Rabbi, und gab sich brüderlich die +Hand. Aber was will da herauskommen? Der christliche Bürger hat ein +anderes Gesetz und Recht, so hat der jüdische Bürger auch ein +anderes Gesetz und Recht und will nicht haben Gemeinschaft mit den +Gojim. Aber zweierlei Gesetz und Willen in einer Bürgerschaft tut +gut wie ein brausender Strudel in einem Strom. Da will Wasser auf, +da will Wasser ab, und eine Mühle, die darin steht, wird nicht viel +Mehl mahlen. + +Das sah der grosse Kaiser Napoleon wohl ein, und im Jahr 1806, ehe +er antrat die grosse Reise nach Jena, Berlin und Warschau und Eylau, +liess er schreiben an die ganze Judenschaft in Frankreich, dass sie +ihm sollte schicken aus ihrer Mitte verständige und gelehrte Männer +aus allen Departementern des Kaisertums. Da war nun jedermann in +grossem Wunder, was das werden sollte, und der eine sagte das, der +andere jenes, z. B. der Kaiser wolle die Juden wieder bringen in +ihre alte Heimat am grossen Berg Libanon, an dem Bach Ägypti und am +Meer. + +Als aber die Abgeordneten und Rabbiner aus allen Departementern, +worin Juden wohnen, beisammen waren, liess bald der Kaiser ihnen +gewisse Fragen vorlegen, die sie sollten bewegen in ihrem Herzen und +beantworten nach dem Gesetz, und war daraus zu sehen, es sei die +Rede nicht vom Fortschicken, sondern vom Dableiben und von einer +festen Verbindung der Juden mit den andern Bürgern in Frankreich und +in dem Königreich Italien. Denn alle diese Fragen gingen darauf +hinaus, ob ein Jude das Land, worin er lebt, nach seinem Glauben +könne ansehen und liebem als sein Vaterland und die andern Bürger +desselben als seine Mitbürger und die bürgerlichen Gesetze desselben +halten. + +Das war nun fast spitzig, und wie es anfänglich schien, war nicht +gut sagen: Ja, und war nicht gut sagen: Nein. + +Allein die Abgeordneten sagen, dass der Geist der göttlichen +Weisheit erleuchtet habe ihre Gemüter, und sie erteilten eine +Antwort, die war wohlgefällig in den Augen des Kaisers. + +Darum formierte die jüdische Versammlung aus sich, zum unerhörten +Wunder unsrer Zeit, den Grossen Sanhedrin. Denn der Grosse Sanhedrin +ist nicht ein grosser Jude zu Paris wie der Riese Goliath, so aber +ein Philister war, sondern--Sanhedrin, das wird verdolmetscht: eine +Versammlung, und wurde vor alten, alten Zeiten also genannt der Hohe +Rat zu Jerusalem, so bestand aus 71 Ratsherren, die wurden für die +verständigsten und weisesten Männer gehalten, ein ganzes Volk, und +wie diese das Gesetz erklärten, so war es recht und musste gelten in +ganz Israel. + +Einen solchen Rat setzten die Abgeordneten der Judenschaft wieder +ein und sagen, es sei seit 1500 Jahren kein Grosser Sanhedrin +gewesen als dieser unter dem Schutz des erhabenen Kaisers Napoleon. +Dies ist der Inhalt der Gesetze, die der Grosse Sanhedrin aussprach +zu Paris im Jahr 5567 nach Erschaffung der Welt im Monat Adar +desselbigen Jahres, am 22sten Tag des Monats: + +1. Die jüdische Ehe soll bestehen aus einem Manne und einer Frau. +Kein Israelite darf zu gleicher Zeit mehr haben als eine Frau. + +2. Kein Rabbiner darf die Scheidung einer Ehe aussprechen, es sei +dann, die weltliche Obrigkeit habe zuvor gesprochen, die Ehe sei +nach dem bürgerlichen Gesetz aufgelöst. + +3. Kein Rabbiner darf die Bestätigung einer Ehe aussprechen, es sei +dann, dass die Verlobten von der weltlichen Obrigkeit einen +Trauschein haben. + +Aber ein Jude darf eine Christentochter heiraten und ein Christ eine +jüdische Tochter. Solches hat nichts zu sagen. + +4. Denn der Grosse Sanhedrin erkennt, die Christen und die Juden +seien Brüder, weil sie Einen Gott anbeten, der die Erde und den +Himmel erschaffen hat, und befiehlt daher, der Israelite soll mit +dem Franzosen und Italiener und mit den Untertanen jedes Landes, in +welchem sie wohnen, so leben als mit Brüdern und Mitbürgern, wenn +sie denselben einigen Gott anerkennen und verehren. + +5. Der Israelite soll die Gerechtigkeit und die Liebe des Nächsten, +wie sie befohlen ist im Gesetz Moses, ausüben, ebenso gegen die +Christen, weil sie seine Brüder sind, als gegen seine eigenen +Glaubensgenossen in oder ausser Frankreich und dem Königreich +Italien. + +6. Der Grosse Sanhedrin erkennt, das Land, worin ein Israelite +geboren und erzogen ist oder wo er sich niedergelassen hat und den +Schutz der Gesetze geniesst, sei sein Vaterland, und befiehlt daher +allen Israeliten in Frankreich und in dem Königreich Italien, +solches Land als ihr Vaterland anzusehen, ihm zu dienen, es zu +verteidigen usw. + +Der jüdische Soldat ist in solchem Stand von den Zeremonien frei, +die damit nicht vereinbar sind. + +7. Der Grosse Sanhedrin befiehlt allen Israeliten, der Jugend Liebe +zur Arbeit einzuflössen, sie zu nützlichen Künsten und Handwerkern +anzuhalten, und ermahnt sie, liegende Gründe anzukaufen und allen +Beschäftigungen zu entsagen, wodurch sie in den Augen ihrer +Mitbürger können verhasst oder verächtlich werden. + +8. Kein Israelite darf von dem Geld, welches ein israelitischer +Hausvater in der Not von ihm geliehen hat, Zins nehmen. Es ist ein +Werk der Liebe. Aber ein Kapital, das auf Gewinn in den Handel +gesteckt wird, ist verzinsbar. + +9. Das nämliche gilt auch gegen die Mitbürger anderer Religionen. +Aller Wucher ist gänzlich verboten, in und ausser Frankreich und dem +Königreich Italien, nicht nur gegen Glaubensgenossen und Mitbürger, +sondern auch gegen Fremde. + +Diese neun Artikel sind publiziert worden den 2. März 1807 und +unterschrieben von dem Vorsteher des Grossen Sanhedrin, Rabbi d. +Sinzheim von Strassburg und andern hohen Ratsherren. + + + +Der grosse Schwimmer + + +Vor dem leidigen Krieg, als man noch unangefochten aus Frankreich +nach England reisen und in Dover ein Schöpplein trinken oder Zeug +kaufen konnte zu einem Westlein, ging wöchentlich zweimal ein +grosses Postschiff von Calais nach Dover durch die Meerenge und +wieder zurück. Denn dort ist das Meer zwischen beiden Ländern nur +wenige Meilen breit. Aber man musste kommen, eh' das Schiff abfuhr, +wenn man mitfahren wollte. Dies schien ein Franzos aus Gaskonien +nicht zu wissen, denn er kam eine Viertelstunde zu spät, als man +schon die Hühner eintat in Calais, und der Himmel überzog sich mit +Wolken. Soll ich jetzt ein paar Tage hier sitzen bleiben und +Maulaffen feil haben, bis wieder eine Gelegenheit kommt? Nein, +dachte er, ringer, ich gebe einem Schiffsmann ein Zwölfsousstücklein +und fahre dem Postschiff nach. Denn ein kleines Boot fährt +geschwinder als das schwere Postschiff und holt es wohl ein. Als er +aber in dem offenen Fahrzeuge sass, "wenn ich daran gedacht hätte", +sagte der Schiffsmann, "so hätt' ich ein Spanntuch mitgenommen"; +denn es fing an zu tröpfeln; aber wie? In kurzer Zeit strömte ein +Regenguss aus der hohen Nacht herab, als wenn noch ein Meer von oben +mit dem Meer von unten sich vermählen wollte. Aber der Gaskonier +dachte: "Das gibt einen Spass."--"Gottlob!" sagte endlich der +Schiffsmann, "ich sehe das Postschiff." Als er nun an demselben +angelegt hatte, und der Gaskonier war hinaufgeklettert und kam +mitten in der Nacht und mitten im Meer auf einmal durch das Türlein +hinein zu der Reisegesellschaft, die im Schiff sass, wunderte sich +jeder, wo er herkomme, so spät, so allein und so nass. Denn in einem +solchen Meerschiff sitzt man wie in einem Keller und hört vor dem +Gespräch der Gesellschaft, vor dem Geschrei der Schiffsleute, vor +dem Getöse, vor dem Rauschen der Segel und Brausen der Wellen nicht, +was draussen vorgeht, und keinem dachte das Herz daran, dass es +regnete. "Ihr seht ja aus", sagte einer, "als wenn Ihr wäret +gekielholt, das heisst unter dem Schiff durchgezogen worden."--"So? +Meint Ihr", sagte der Gaskonier, "man könne trocken schwimmen? Wenn +das noch einer erfindet, so will ich's auch lernen, denn ich bin der +Bote von Oleron und schwimme alle Montage mit Briefen und +Bestellungen nach dem festen Lande, weil's geschwinder geht. Aber +jetzt hab' ich etwas in England zu verrichten. Wenn's erlaubt ist", +fuhr er fort, "so will ich nun vollends mitfahren, weil ich euch +glücklicherweise angetroffen habe. Es kann den Sternen nach nimmer +weit sein nach Dover."--"Landsmann", sagte einer und stiess eine +Wolke von Tabaksrauch aus dem Mund (es war aber kein Landsmann, +sondern ein Engländer), "wenn Ihr von Calais bis hierher geschwommen +seid durch das Meer, so seid Ihr noch über den schwarzen Schwimmer +in London."--"Ich gehe keinem aus dem Weg", sagte der Gaskonier.-- +"Wollt Ihr's mit ihm versuchen", erwiderte der Engländer, "wenn ich +hundert Louisdor auf Euch setze?" Der Gaskonier sagte: "Mir an!" +Reiche Engländer haben im Brauch, auf Leute, die sich in einer +körperlichen Kunst hervortun, grosse Summen untereinander zu +verwetten; deswegen nahm der Engländer im Schiff den Gaskonier auf +seine Kosten mit sich nach London und hielt ihm gut zu mit Essen und +Trinken, dass er bei guten Kräften bliebe. "Mylord", sagte er in +London zu einem guten Freund, "ich habe einen Schwimmer mitgebracht +vom Meer. Gilt's hundert Guineen: er schwimmt besser als Euer Mohr?" +Der gute Freund sagte: "Es gilt!" Den andern Tag erschienen beide +mit ihren Schwimmern auf einem bestimmten Platz an dem Themsefluss, +und viel hundert neugierige Menschen hatten sich versammelt und +wetteten noch extra, der eine auf den Mohr, der andere auf den +Gaskonier, einen Schilling, sechs Schilling; eine, zwei, fünf, zehn, +zwanzig Guineen, und der Mohr schlug den Gaskonier nicht hoch an. +Als sich aber beide schon ausgekleidet hatten, band sich der +Gaskonier mit einem ledernen Riemen noch ein Kistlein an den Leib +und sagte nicht warum, als wenn's so sein müsste. Der Mohr sagte +"Wie kommt Ihr mir vor? Habt Ihr so etwas dem grossen Springer +abgelernt, der Bleikugeln an die Füsse binden musste, wenn er einen +Hasen fangen wollte, damit er den Hasen nicht übersprang?" Der +Gaskonier öffnete das Kistlein und sagte: "Ich habe nur eine Flasche +Wein darin, ein paar Knackwürste und ein Laiblein Brot. Ich wollte +Euch eben fragen, wo Ihr Euere Lebensmittel habt. Denn ich schwimme +jetzt geradeswegs den Themsefluss hinab in die Nordsee und durch den +Kanal ins Atlantische Meer nach Cadix, und wenn's nach mir geht, so +kehren wir unterwegs nirgends ein, denn bis Montag, als den +sechzehnten, muss ich wieder in Oleron sein. Aber in Cadix im +Rösslein will ich morgen früh ein gutes Mittagessen bestellen, dass +es fertig ist, bis Ihr nachkommt." Der geneigte Leser hätte kaum +gedacht, dass er sich auf diese Art aus der Affäre herausziehen +würde. Aber der Mohr verlor Hören und Sehen. "Mit diesem Enterich", +sagte er zu seinem Herrn, "kann ich nicht in die Wette schwimmen. +Tut, was ihr wollt", und kleidete sich wieder an. Also war die Wette +zu Ende, und der Gaskonier bekam von seinem Engländer, der ihn +mitgebracht hatte, eine ansehnliche Belohnung, der Mohr aber wurde +von jedermann ausgelacht. Denn ob man wohl merken mochte, dass es +von dem Franzosen nur Spiegelfechterei war, so fand doch jedermann +Vergnügen an dem kecken Einfall und an dem unerwarteten Ausgang, und +er wurde nachher von allen, die auf ihn gewettet hatten, noch vier +Wochen lang in allen Wirtshäusern und Bierkneipen freigehalten und +bekannte, dass er noch sein Leben lang in keinem Wasser gewesen sei. + + + +Der Handschuhhändler + + +Ein Handschuhhändler, welcher eine Kiste voll feine Handschuh aus +Frankreich nach Deutschland bringen wollte, gebrauchte folgende +List. Nämlich, es ist ein Gesetz an den französischen Zollstätten, +dass, wer mit einer Ware hinüber oder herüber will, der muss +angeben, "wie hoch schätzest du sie", wegen dem Zoll. Schätzt er sie +nun, dass es gehen und stehen mag, gut, so zahlt er den Zoll, so +viel oder so wenig. Sieht aber der Zollgardist, dass der Kaufmann +oder der Krämer seine Ware viel zu gering anschlägt, damit er nicht +viel dafür entrichten muss, so darf der Zollgardist sagen: "Gut, ich +gebe dir so viel dafür, ich geb' dir auch zehn Prozent mehr", so +muss sich's dann der Krämer gefallen lassen. Der Krämer bekommt das +Geld, und der Zollgardist behaltet die Ware, die alsdann versteigert +wird in Kolmar oder in Strassburg oder so. Solches ist listig +ausgedacht, und man kann nichts dagegen sagen. Aber der Listigste +findet seinen Meister. + +Ein Kaufmann, welcher zwei Kisten voll Handschuh über den Rhein +bringen wollte, verabredete zuerst etwas mit einem Freunde. Alsdann +legte er in die erste Kiste lauter rechte Handschuhe, nämlich für +die rechte Hand, je zwei und zwei, in die andere lauter linke. Die +linken schmuggelte er bei Nacht und Nebel herüber. Siehst du nichts, +merkst du nichts. Mit den andern kam er an der Zollstätte an. +"Was habt Ihr in Eurer Kiste?" "Pariser Handschuhe." "Wie hoch +schlagt Ihr sie an?" "Zweihundert Franken." Der Zollgardist +betastete die Handschuhe; zart war das Leder, fest war es auch, fein +die Naht, kurz sie waren 400 Franken wert zwischen Brüdern. "Ich +gebe euch 220 Franken dafür, sagte der Zollgardist, "sie sind mein." +Der Krämer sagt: "Sind sie Euer, so sind sie mein gewesen. Zehn +Prozent sind auch Profit." Also nahm er 220 Franken und liess die +Kiste im Stich. Freitags drauf in Speier im Kaufhaus, es war noch in +der alten Zeit, kamen die Handschuhe zur Steigerung. + +"Wer gibt mehr als zweihundert und zwanzig?" + +Die Liebhaber besichtigten die Ware. " Es scheint mir", sagte der +Freund des Krämers, "die linken seien etwas rar." "Parbleu", sagte +ein anderer, "es sind lauter rechte." Kein Mensch tat ein Gebot. +"Wer gibt zweihundert?--hundertundfünfzig?--hundert?--Wer gibt +achtzig?"--Kein Gebot. "Wisst ihr was", sagte endlich der Freund +des Krämers, "es kommen vielleicht viel Leute mit einzechten Armen +aus dem Feld zurück." Es war Anno 13. "Ich geb sechzig Franken!" +sagte er. Wem zugeschlagen wurde, war er. Wer vor Zorn des Henkers +hätte werden mögen, war der überrheinische Zollgardist. Der +angestellte Käufer aber hat hernach die rechten Handschuhe ebenfalls +über den Rhein geschmuggelt--siehst du nichts, merkst du nichts, +und hat sie in Waldangelloch mit seinem Freund wieder +zusammensepariert, je einen linken und einen rechten, und haben sie +in Frankfurt auf der Messe für ein teures Geld verkauft. An dem +Zollgardist aber hat der Krämer gewonnen: einhundertundvierzig +Franken und den Zoll. Item, wie sagt die Schrift? "Ich wusste nichts +von der Lust, so das Gesetz nicht hätte gesagt: lass dich nicht +gelüsten!" + + + +Der Heiner und der Brassenheimer Müller + + +Eines Tages sass der Heiner ganz betrübt in einem Wirtshaus und +dachte daran, wie ihn zuerst der rote Dieter und danach sein eigener +Bruder verlassen haben, und wie er jetzt allein ist. "Nein", dachte +er, "es ist bald keinem Menschen mehr zu trauen, und wenn man meint, +es sei einer noch so ehrlich, so ist er ein Spitzbub." Unterdessen +kommen mehrere Gäste in das Wirtshaus und trinken Neuen, und "wisst +Ihr auch," sagte einer, "dass der Zundelheiner im Land ist und wird +morgen im ganzen Amt ein Treibjagen auf ihn angestellt, und der +Amtmann und die Schreiber stehen auf dem Anstand?" Als das der +Heiner hörte, wurde es ihm grün und gelb vor den Augen, denn er +dachte, es kenne ihn einer, und jetzt sei er verraten. Ein anderer +aber sagte: "Es ist wieder einmal ein blinder Lärm. Sitzt nicht der +Heiner und sein Bruder zu Wollenstein im Zuchthaus?" Drüber kommt +auf einem wohlgenährten Schimmel der Brassenheimer Müller mit roten +Pausbacken und kleinen, freundlichen Augen dahergeritten. Und als er +in die Stube kam, und tut den Kameraden, die bei dem Neuen sitzen, +Bescheid und hört, dass sie von dem Zundelheiner sprechen, sagt er: +"Ich hab' schon so viel von dem Zundelheiner erzählen gehört. Ich +möcht' ihn doch auch einmal sehen." Da sagte ein anderer: "Nehmt +Euch in acht, dass Ihr ihn nicht zu früh zu sehen bekommt! Es geht +die Rede, er sei wieder im Land." Aber der Müller mit seinen +Pausbacken sagte: "Pah! ich komm' noch bei guter Tageszeit durch den +Fridstädter Wald, dann bin ich auf der Landstrasse; und wenn's +fehlen will, geb' ich dem Schimmel die Sporen." Als das der Heiner +hörte, fragt er die Wirtin: "Was bin ich schuldig", und geht fort in +den Fridstädter Wald. Unterwegs begegnet ihm auf der Bettelfuhr ein +lahmer Mensch. "Gebt mir für ein Käsperlein Eure Krücke", sagte er +zu dem lahmen Soldaten. "Ich habe das linke Bein übertreten, dass +ich laut schreien möchte, wenn ich drauf treten muss. Im nächsten +Dorf, wo Ihr abgeladen werdet, macht Euch der Wagner eine neue." +Also gab ihm der Bettler die Krücke. Bald darauf gehen zwei +betrunkene Soldaten an ihm vorbei und singen das Reiterlied. Wie er +in den Fridstädter Wald kommt, hängt er die Krücke an einen hohen +Ast, setzt sich ungefähr sechs Schritte davon weg an die Strasse und +zieht das linke Bein zusammen, als wenn er lahm wäre. Drüber kommt +auf stattlichem Schimmel der Müller daher trottiert und macht ein +Gesicht, als wenn er sagen wollte: "Bin ich nicht der reiche Müller, +und bin ich nicht der schöne Müller, und bin ich nicht der witzige +Müller?" Als aber der witzige Müller zu dem Heiner kam, sagte der +Heiner mit kläglicher Stimme: "Wolltet Ihr nicht ein Werk der +Barmherzigkeit tun an einem armen, lahmen Mann? Zwei betrunkene +Soldaten, sie werden Euch wohl begegnet sein, haben mir all mein +Almosengeld abgenommen und haben mir aus Bosheit, dass es so wenig +war, die Krücke auf jenen Baum geschleudert, und ist an den Ästen +hängen blieben, dass ich nun nimmer weiter kann. Wolltet Ihr nicht +so gut sein und sie mit Eurer Peitsche herabzwicken?" Der Müller +sagte: "Ja, sie sind mir begegnet an der Waldspitze. Sie haben +gesungen: So herzig, wie mein Liesel ist halt nichts auf der Welt." +Weil aber der Müller auf einem schmalen Steg über einen Graben zu +dem Baum musste, so stieg er von dem Ross ab, um dem armen Teufel +die Krücke herabzuzwicken. Als er aber an dem Baum war, und schaut +hinauf, schwingt sich der Heiner schnell wie ein Adler auf den +stattlichen Schimmel, gibt ihm mit dem Absatz die Sporen und reitet +davon. "Lasst Euch das Gehen nicht verdriessen," rief er dem Müller +zurück, "und wenn Ihr heimkommt, so richtet Eurer Frau einen Gruss +aus von dem Zundelheiner!" So etwas muss man selber sehen, wenn +man's glauben soll. Deswegen steht's hierneben abgebildet. Als er +aber eine Viertelstunde nach Betzeit nach Brassenheim und an die +Mühle kam und alle Räder klapperten, dass ihn niemand hörte, stieg +er vor der Mühle ab, band dem Müller den Schimmel wieder an der +Haustüre an und setzte seinen Weg zu Fuss fort. + + + +Der Herr Graf + + +Eines Abends, da sassen wir in einem vornehmen Gasthause und +vexierten einander mit allerlei. "Wisst Ihr noch, zum Beispiel", +fragte der Graf den Hausfreund, "wie Ihr einst mit einem fremden +Herrn angegangen seid, an dem nämlichen Platz, wo Ihr jetzt sitzet, +von wegen der Sternseherei, und wie Ihr von einem beschrien worden +seid, als Ihr nachher auf dem linken Flügel wolltet abziehen? Man +muss sich mit fremden Leuten in acht nehmen, die man nicht kennt", +sagte der Graf im Scherz, und erfuhr es bald nachher im Ernst. Denn +mancher gibt eine gute Lehre und befolgt sie selber nicht. +Es kamen jetzt aus einer Chaise vier fremde Personen in die Stube +und darunter zwei schöne weibliche Gestalten, wie sie der Graf gerne +sieht, und freute sich schon der angenehmen Tischgesellschaft. Als +wir aber näher zusammenrückten, damit die Fremden Platz hätten am +Tisch, bestellten sie ihr Nachtessen in ein eigenes Gemach, denn sie +seien müde von der Reise und reich. Als aber der Hausfreund +hinwiederum den Grafen vexieren wollte: "denkt Ihr auch noch daran, +wie Ihr einmal seid heimgeschickt worden, als der ungarische Major +im Land war", da war schon kein Graf mehr weit und breit zu sehen, +sondern er war mit des Wirts Vorwissen und Gefälligkeit in eine +Kammer gegangen und kleidete sich daselbst anderst an, als wenn er +in die Wirtschaft gehörte. In solcher Gestalt ging er in die Stube, +wo die Fremden waren, deckte den Tisch, brachte das Essen, wartete +auf und erfreute sein Herz an der Schönheit der weiblichen Gestalten +und an ihren süssen Reden. Auch musste er ihnen Neuigkeiten +erzählen. Mehr Unglücksfälle sind in zehn Jahren nicht geschehen, +als damals an einem Tag nach des Grafen Erzählung. Den andern Tag +reisten die Fremden wieder weiter, wir meinten nach Basel. Am +Mittwoch aber oder Donnerstags drauf wurden wir einig, in die +lustige Badestadt zu gehen, wo unzählige Fremde aus allen Weltteilen +der Gesundheit pflegen und sich der wunderschönen Landschaft +erfreuen. Als wir aber dort um die Mittagszeit in einen Speisesaal +traten, es waren schon viele Leute da, erblickten wir die nämlichen +vier Personen wieder und sie uns; und wer uns kannte, bewillkommte +uns laut mit Namen und tat uns unsre Ehre an. "Seid uns höchlich +gegrüsst, Herr Graf! Guten Tag, Herr Hausfreund! Was führt Euch für +ein Glücksstern zu uns, Herr Graf? Hausfreund, was bringt Ihr Neues +von daheim?" Da schaute mit Schweisstropfen auf der Stirne der Graf +den Hausfreund an: "Jetzt ist guter Rat teuer, wenn Ihr keinen +wisst. Was Ihr aber tut, bringt's nicht in den Kalender." "Herr +Graf", erwiderte der Hausfreund, "diesmal will ich Euch noch retten. +Aber künftig befolgt die Lehren selbst, die Ihr andern gebt! In +solche Verlegenheit kommt man mit Euch." Also redete der Hausfreund +mit dem Wirt, was er zu den fremden Personen sagen sollte. Der Wirt +sagte: "Wenn das so ist, so muss man freilich aus der Not eine +Tugend machen", und redete mit den Fremden. "Wisst ihr", sagte er, +"wer die zwei Personen sind, die zuletzt da hereinkamen? Der eine +ist eines Wirts Sohn nicht weit von hier, sonst ein +wahrheitsliebender junger Mann, nur bisweilen, nachdem als der Mond +steht, kommt es ihm in den Kopf, er sei der Graf Susse. Deswegen +machen ihm die Leute, weil er gut ist, diesen Spass. Der andere ist +der Rheinländische Hausfreund, dem im Jahr 1814 auf 1815 eine Eule +aufgesessen ist, wie ihr im Morgenblatt könnt gelesen haben." Da +sprach die eine weibliche Gestalt halb seufzend: "Der arme Mensch!" +- nämlich der Graf--"wir kennen ihn", sagte sie. "Wir haben auch +damals schon etwas an ihm gemerkt. Statt des Kaffee, den er uns auf +den andern Morgen bestellen sollte, bestellte er uns eine +Habermehlsuppe." Also wurde die Sache noch glücklich vertuscht, und +als sie hernach sahen, mit welcher Feinheit und Würde er sich gegen +jedermann benahm, sagten sie: "Man sieht's ihm recht an, dass ihm +der Graf von Herzen geht. Mit Vorsatz könnte sich einer nicht so +verstellen." + + + +Der Herr Wunderlich + + +Nicht nur wird die Einfalt von dem Mutwillen irregeführt, oft auch +von dem Zufall. Seltener erlöst sie der Zufall wieder aus den +Fangstricken des Mutwillens. Wie erging es jenem Bauersmann, der in +der Stadt einem Bürger namens Wunderlich einen Wagen voll Holz +verkauft hatte auf dem Marktplatz? "Fahrt jetzt nur dort die Strasse +hinaus", sagte der Bürger, "bis zum Eisenladen, hernach links in die +Gasse, hernach beim ersten Brunnen wieder rechts, hernach beim Roten +Löwen wieder links. Numero 428 ist mein Haus, Jakob Wunderlich." Und +bis so weit gut. Der Bauersmann aber dachte: "Ist's nicht noch früh +am Vormittag, hab' ich nicht das Holz um einen guten Preis verkauft, +will ich nicht zuerst noch ein Schöpplein trinken in der Kneipe da?" +und repetierte für sich: "Eisenladen,--links--rechts--links-- +Numero 428." Aber in der Kneipe sassen bei einem Saueressen auch +schon ein paar lustige Gesellen, und als sie ihn sahen hereinkommen, +stiess einer den andern mit den Ellenbogen, und der andere fing an, +als wenn er fortführe: "Drum muss man's selber gesehen haben", sagte +er, "und bei den Russen gewesen sein, wenn man's glauben soll, wo +der Mann im mittleren Glied, ich will vom Flügelmann nicht reden, +zwanzig Ellen misst, auch weniger. Jeder Finger ist eine Pistole, +die Zähne sind Pallisaden mit Feldschlangen dazwischen, die Nase ein +Bollwerk, die Augen Bombenkugeln. Jedes Barthaar ist ein Bajonett, +jedes Haupthaar ein Sabel. Ein solcher Sabel lässt sich +auseinanderziehen, wie ein Perspektiv, für in die Nähe zu fechten +und in die Weite. Verliert ihn einer, so zieht er einen andern aus +dem Haar. An den Füssen sind ihnen Schiffe gewachsen, und es ist +ihnen einerlei, ob auf dem Wasser oder auf dem Land. Der Mann +schultert seinen Achtundvierzigpfünder. Jeder hat sieben Leben. +Tötet Ihr ihm eins, so hat er noch sechs. Jeder Gemeine hat +Majorsrang." Der geneigte Leser wird an diesem Müsterlein genug +haben. Unserm Bauersmann aber verging Hören und Sehen, und so weit +war es nicht gut. Denn als er wieder auf die Strasse kam, waren ihm +vor Staunen und Entsetzen der Eisenladen, die Gasse links, die Gasse +rechts und der Herr Wunderlich aus dem Gedächtnis heraus +verschwunden, und wen er fragte: "Guter Freund, wisst Ihr mir nicht +zu sagen, wo der Herr wohnt, dem ich das Holz verkauft habe, so und +so sieht er aus?" der gab ihm keine Antwort oder eine falsche. Der +eine sagte: "Am obern Tore Numero 1." Dort sagte ein anderer: "Nein, +er ist ausgezogen und wohnt jetzt in der untern Vorstadt Numero 916. +Glücklicherweise führte ihn sein Weg nach der untern Vorstadt durch +die Schulgasse, und einige Schüler standen vor der Türe. Die +Bürschlein, dachte er, wissen sonst den Bescheid in der Stadt herum +am besten, weil sie der Wind aus allen Gassen zusammengeht. "Junger +Herr", sagte er zu einem, "wolltet Ihr mir nicht sagen, wo der Herr +wohnt, der mir dieses Holz abgekauft hat", und so und so. Der +Schüler, ein durchtriebener Kopf, erwiderte: "Guter Freund, ich bin +noch nicht in der Schwarzen Kunst, ich bin noch in der Philosophie +(so hiess die Klasse, worin er sass). Wenn ihr aber", sagte er, "zu +dem Herrn in der obern Stube gehen wollt, der das grosse Buch hat, +wo Gribis Grabis drin steht: Tunkus, Blemsum, Schalelei, Ikmack und +Norma, der schlagt's Euch auf für zwei Schillinge." In der obern +Stube legte er zwei Schillinge auf den Tisch. "Herr Magister, ich +habe vergessen, wie der Herr heisst, und wo er wohnt, dem ich mein +Holz verkauft habe. Wollet Ihr nicht so gut sein und es mir aus +Euerm Gribis-Grabis-Buch dort sagen." Der Schulherr aber schaute +diese Zumutung mit ungemeinem Staunen an, also dass er zuletzt die +Brille abhob und den baumwollenen Schlafrock übereinadernahm. "Guter +Freund", wollte er sagen, "das ist wohl wunderlich von Euch, dass +Ihr meint, ich könne Euch aus meinen Büchern sagen, was Euch im Kopf +fehlt." Als er aber angefangen hatte: "Guter Freund, das ist wohl +wunderlich", fiel ihm der Bauersmann mit freudiger Verwunderung in +die Rede. "Ganz richtig", sagte er, "es ist Herr Wunderlich. +Sapperment", sagte er, "das heiss ich ins Schwarze getroffen gleich +auf den ersten Schuss und ohne Buch", und entsetzte sich jetzt noch +viel mehr über die allwissende Gelehrsamkeit des Schulherrn, als +vorher über die fürchterlichen Soldaten in der Kneipe. Der Schulherr +aber gab ihm seine zwei Schillinge wieder und liess ihm hernach +durch ein Büblein zeigen, wo der Herr Wunderlich wohnt. Also hat dem +Mann ein lächerlicher Zufall wieder auf die Spur geholfen, von +welcher er war abgeleitet worden durch den Mutwillen. + + + +Der Husar in Neisse + + +Als vor achtzehn Jahren die Preussen mit den Franzosen Krieg führten +und durch die Provinz Champagne zogen, dachten sie auch nicht daran, +dass sich das Blättlein wenden könnte, und dass der Franzos noch im +Jahr 1806 nach Preussen kommen und den ungebetenen Besuch wettmachen +werde. Denn nicht jeder führte sich auf, wie es einem braven +Soldaten in Feindesland wohl ansteht. Unter andern drang damals ein +brauner preussischer Husar, der ein böser Mensch war, in das Haus +eines friedlichen Mannes ein, nahm ihm all sein bares Geld, so viel +war, und viel Geldeswert, zuletzt auch noch das schöne Bett mit +nagelneuem Überzug und misshandelte Mann und Frau. Ein Knabe von +acht Jahren bat ihn kniend, er möchte doch seinen Eltern nur das +Bett wiedergeben. Der Husar stosst ihn unbarmherzig von sich. Die +Tochter läuft ihm nach, hält ihn am Dolman fest und fleht um +Barmherzigkeit. Er nimmt sie und wirft sie in den Sodbrunnen, so im +Hofe steht, und rettet seinen Raub. Nach Jahr und Tagen bekommt er +seinen Abschied, setzt sich in der Stadt Neisse in Schlesien, denkt +nimmer daran, was er einmal verübt hat, und meint, es sei schon +lange Gras darüber gewachsen. Allein, was geschieht im Jahr 1806? +Die Franzosen rücken in Neisse ein; ein junger Sergeant wird abends +einquartiert bei einer braven Frau, die ihm wohl aufwartet. Der +Sergeant ist auch brav, führt sich ordentlich auf und scheint guter +Dinge zu sein. Den andern Morgen kommt der Sergeant nicht zum +Frühstück. Die Frau denkt: Er wird noch schlafen, und stellt ihm den +Kaffee ins Ofenrohr. Als er noch immer nicht kommen wollte, ging sie +endlich in das Stüblein hinauf, macht leise die Türe auf und will +sehen, ob ihm etwas fehlt. + +Da sass der junge Mann wach und aufgerichtet im Bette, hatte die +Hände ineinander gelegt und seufzte, als wenn ihm ein gross Unglück +begegnet wäre, oder als wenn er das Heimweh hätte oder so etwas, und +sah nicht, dass jemand in der Stube ist. Die Frau aber ging leise +auf ihn zu und fragte ihn: "Was ist Euch begegnet, Herr Sergeant, +und warum seid Ihr so traurig?" Da sah sie der Mann mit einem Blick +voll Tränen an und sagte, die Überzüge dieses Bettes, in dem er +heute Nacht geschlafen habe, haben vor 18 Jahren seinen Eltern in +Champagne angehört, die in der Plünderung alles verloren haben und +zu armen Leuten geworden seien, und jetzt denke er an alles und sein +Herz sei voll Tränen. Denn es war der Sohn des geplünderten Mannes +in Champagne und kannte die Überzüge noch, und die roten +Namensbuchstaben, womit sie die Mutter gezeichnet hatte, waren ja +auch noch daran. Da erschrak die gute Frau und sagte, dass sie +dieses Bettzeug von einem braunen Husaren gekauft habe, der noch +hier in Neisse lebe, und sie könne nichts dafür. + +Da stand der Franzose auf und liess sich in das Haus des Husaren +führen und kannte ihn wieder. + +"Denkt Ihr noch daran", sagte er zu dem Husaren, "wie Ihr vor 18 +Jahren einem unschuldigen Mann in Champagne Hab und Gut und zuletzt +auch noch das Bett aus dem Hause getragen habt, und habt keine +Barmherzigkeit gehabt, als Euch ein achtjähriger Knabe um Schonung +anflehte, und an meine Schwester?" Anfänglich wollte der alte Sünder +sich entschuldigen, es gehe bekanntlich im Kriege nicht alles, wie +es soll, und was der eine liegen lasse, hole doch ein anderer, und +Lieber nimmt man's selber. Als er aber merkte, dass der Sergeant der +nämliche sei, dessen Eltern er geplündert und misshandelt hatte, und +als er ihn an seine Schwester erinnerte, versagte ihm vor +Gewissensangst und Schrecken die Stimme, und er fiel vor dem +Franzosen auf die zitternden Knie nieder und konnte nichts mehr +herausbringen als: "Pardon!", dachte aber: Es wird nicht viel +helfen. + +Der geneigte Leser denkt vielleicht auch: "Jetzt wird der Franzos +den Husaren zusammenhauen", und freut sich schon darauf. Allein das +könnte mit der Wahrheit nicht bestehen. Denn wenn das Herz bewegt +ist und vor Schmerz fast brechen will, mag der Mensch keine Rache +nehmen. Da ist ihm die Rache zu klein und verächtlich, sondern er +denkt: Wir sind in Gottes Hand, und will nicht Böses mit Bösem +vergelten. So dachte der Franzose auch und sagte: "Dass du mich +misshandelt hast, das verzeihe ich dir. Dass du meine Eltern +misshandelt und zu armen Leuten gemacht hast, das werden dir meine +Eltern verzeihen. Dass du meine Schwester in den Brunnen geworfen +hast, und ist nimmer davongekommen, das verzeihe dir Gott!"--Mit +diesen Worten ging er fort, ohne dem Husaren das Geringste zuleide +zu tun, und es ward ihm in seinem Herzen wieder wohl. Dem Husaren +aber war es nachher zumut, als wenn er vor dem jüngsten Gericht +gestanden wäre und hätte keinen guten Bescheid bekommen. Denn er +hatte von dieser Zeit an keine ruhige Stunde mehr und soll nach +einem Vierteljahr gestorben sein. + +Merke: Man muss in der Fremde nichts tun, worüber man sich daheim +nicht darf finden lassen. + +Merke: Es gibt Untaten, über welche kein Gras wächst. + + + +Der kann Deutsch + + +Bekanntlich gibt es in der französischen Armee viele +Deutschgeborene, die es aber im Feld und im Quartier nicht immer +merken lassen. Das ist alsdann für einen Hauswirt, der seinen +Einquartierten für einen Stockfranzosen hält, ein gross Kreuz und +Leiden, wenn er nicht französisch mit ihm reden kann. Aber ein +Bürger in Salzwedel, der im letzten Krieg einen Sundgauer im +Quartier hatte, entdeckte von ohngefähr ein Mittel, wie man bald +dahinter kommt. Es ging so zu. Der Sundgauer parlierte lauter Foudre +Diable, forderte mit dem Säbel in der Faust immer etwas anders, und +der Salzwedler wusste nie, was? Hätt's ihm gern gegeben, wenn er +gekonnt hätte. Da sprang er in der Not in seines Nachbarn Haus, der +sein Gevatter war und ein wenig französisch kann, und bat ihn um +seinen Beistand. Der Gevatter sagte: "Er wird aus der Dauphine sein, +ich will schon mit ihm zurechtkommen." Aber weit gefehlt. War's +vorher arg, so war's jetzt ärger. Der Sundgauer machte Forderungen, +die der gute Mann nicht zu befriedigen wusste, so dass er endlich im +Unwillen sagte "Das ist ja der vermaledeiteste Spitzbube, mit dem +mich der Bolettenschreiber noch heimgesucht hat." Aber kaum war das +unvorsichtige Wort heraus, so bekam er von dem vermeinten +Stockfranzosen eine ganz entsetzliche Ohrfeige. Da sagte der +Nachbar: "Gevattermann! Nun lasst Euch nimmer Angst sein, der kann +Deutsch." + + + +Der kluge Richter + + +Dass nicht alles so uneben sei, was im Morgenlande geschieht, das +haben wir schon einmal gehört. Auch folgende Begebenheit soll sich +daselbst zugetragen haben: Ein reicher Mann hatte eine beträchtliche +Geldsumme, welche in ein Tuch eingenähet war, aus Unvorsichtigkeit +verloren. Er machte daher seinen Verlust bekannt und bot, wie man zu +tun pflegt, dem ehrlichen Finder eine Belohnung, und zwar von +hundert Talern, an. Da kam bald ein guter und ehrlicher Mann +dahergegangen. "Dein Geld habe ich gefunden. Dies wird's wohl sein! +So nimm dein Eigentum zurück!" So sprach er mit dem heitern Blick +eines ehrlichen Mannes und eines guten Gewissens, und das war schön. +Der andere machte auch ein fröhliches Gesicht, aber nur, weil er +sein verloren geschätztes Geld wieder hatte. Denn wie es um seine +Ehrlichkeit aussah, das wird sich bald zeigen. Er zählte das Geld, +und dachte unterdessen geschwinde nach, wie er den treuen Finder um +seine versprochene Belohnung bringen könnte. "Guter Freund", sprach +er hierauf, " es waren eigentlich 800 Taler in dem Tuch eingenäht. +Ich finde aber nur noch 700 Taler. Ihr werdet also wohl eine Naht +aufgetrennt und Eure 100 Taler Belohnung schon herausgenommen haben. +Da habt Ihr wohl daran getan. Ich danke Euch." Das war nicht schön. +Aber wir sind auch noch nicht am Ende. Ehrlich währt am längsten, +und Unrecht schlägt seinen eigenen Herrn. Der ehrliche Finder, dem +es weniger um die 100 Taler als um seine unbescholtene +Rechtschaffenheit zu tun war, versicherte, dass er das Päcklein so +gefunden habe, wie er es bringe, und es so bringe, wie er's gefunden +habe. Am Ende kamen sie vor den Richter. Beide beistanden auch hier +noch auf ihrer Behauptung, der eine, dass 800 Taler seien eingenäht +gewesen, der andere, dass er von dem Gefundenen nichts genommen und +das Päcklein nicht versehrt habe. Da war guter Rat teuer. Aber der +kluge Richter, der die Ehrlichkeit des einen und die schlechte +Gesinnung des andern zum voraus zu kennen schien, griff die Sache so +an: er liess sich von beiden über das, was sie aussagten, eine feste +und feierliche Versicherung geben, und tat hierauf folgenden +Ausspruch: "Demnach, und wenn der eine von euch 800 Taler verloren, +der andere aber nur ein Päcklein mit 700 Talern gefunden hat, so +kann auch das Geld des letztern nicht das nämliche sein, auf welches +der erstere ein Recht hat. Du, ehrlicher Freund, nimmst also das +Geld, welches du gefunden hast, wieder zurück, und behältst es in +guter Verwahrung, bis der kommt, welcher nur 700 Taler verloren hat. +Und dir da weiss ich keinen Rat, als du geduldest dich, bis +derjenige sich meldet, der deine 800 Taler findet." So sprach der +Richter, und dabei blieb es. + + + +Der kluge Sultan + + +Zu dem Grosssultan der Türken, als er eben an einem Freitag in die +Kirche gehen wollte, trat ein armer Teufel von seinen Untertanen mit +schmutzigem Bart, zerfetztem Rock und durchlöcherten Pantoffeln, +schlug ehrerbietig und kreuzweise die Arme übereinander und sagte: +"Glaubst du auch, grossmächtiger Sultan, was der Prophet sagt?" Der +Sultan, so ein gütiger Herr war, sagte: "Ja, ich glaube, was der +Prophet sagt." Der arme Teufel fuhr fort: "Der Prophet sagt im +Alkoran: Alle Muselmänner (das heisst, alle Mohammedaner) sind +Brüder. Herr Bruder, so sei so gut und teile mit mir das Erbe." Dazu +lächelte der Kaiser und dachte: Das ist eine neue Art, ein Almosen +zu betteln, und gibt ihm einen Löwentaler. Der Türke beschaut das +Geldstück lang auf der einen Seite und auf der andern Seite. Am Ende +schüttelt er den Kopf und sagt: "Herr Bruder, wie komme ich zu einem +schäbigen Löwentaler, so du doch mehr Silber und Gold hast, als +hundert Maulesel tragen können, und meinen Kindern daheim werden vor +Hunger die Nägel blau, und mir wird nächstens der Mund ganz +zuwachsen. Heisst das geteilt mit einem Bruder?" Der gütige Sultan +aber hob warnend den Finger in die Höhe und sagte: "Herr Bruder, sei +zufrieden, und sage ja niemand, wieviel ich dir gegeben habe, denn +unsere Familie ist gross, und wenn unsere andern Brüder alle auch +kommen und wollen ihr Erbteil von mir, so wird's nicht reichen, und +du musst noch herausgeben." Das begriff der Herr Bruder, ging zum +Bäckermeister Abu Tlengi und kaufte ein Laiblein Brot, der Kaiser +aber begab sich in die Kirche und verrichtete sein Gebet. + + + +Der Kommandant und die badischen Jäger in Hersfeld + + +Folgende Begebenheit verdient, dass sie im Andenken bleibe, und wer +keine Freude daran hat, den will ich nicht loben. + +Im verflossenen Winter, als die französische Armee und ein grosser +Teil der bundesgenossischen Truppen in Polen und Preussen stand, +befand sich ein Teil des badischen Jägerregiments in Hessen und in +der Stadt Hersfeld auf ihren Posten. Denn dieses Land hatte der +Kaiser im Anfang des Feldzugs eingenommen und mit Mannschaft +besetzt. Da gab es nun von seiten der Einwohner, denen das Alte +besser gefiel als das Neue, mancherlei Unordnungen, und es wurden +besonders in dem Ort Hersfeld mehrere Widersetzlichkeiten ausgeübt +und unter andern ein französischer Offizier getötet. Das konnte der +französische Kaiser nicht geschehen lassen, während er mit einem +zahlreichen Feind im Angesicht kämpfte, dass auch hinter ihm +Feindseligkeiten ausbrachen und ein kleiner Funke sich zu einer +grossen Feuersbrunst entzündete. Die armen Einwohner von Hersfeld +bekamen daher bald Ursache, ihre unüberlegte Kühnheit zu bereuen. +Denn der französische Kaiser befahl, die Stadt Hersfeld zu plündern +und alsdann an vier Orten anzuzünden und in die Asche zu legen. +Dieses Hersfeld ist ein Ort, der viele Fabriken und daher auch viele +reiche und wohlhabende Einwohner und schöne Gebäude hat; und ein +Menschenherz kann wohl empfinden, wie es nun den armen Leuten, den +Vätern und Müttern zumute war, als sie die Schreckenspost vernahmen; +und der arme Mann, dem sein Hab und Gut auf einmal auf dem Arm +konnte weggetragen werden, war jetzt so übel dran als der reiche, +dem man es auf vielen Wagen nicht wegführen konnte; und in der Asche +sind die grossen Häuser auf dem Platz und die kleinen in den Winkeln +auch so gleich als die reichen Leute und die armen Leute auf dem +Kirchhof. Nun, zum Schlimmsten kam es nicht. Auf Fürbitte der +französischen Kommandanten in Kassel und Hersfeld wurde die Strafe +so gemildert: es sollten zwar nur vier Häuser verbrannt werden, und +dies war glimpflich; aber bei der Plünderung sollte es bleiben, und +das war noch hart genug. Die unglücklichen Einwohner waren auch, als +sie diesen letzten Bescheid hörten, so erschrocken, so alles Mutes +und aller Besinnung beraubt, dass sie der menschenfreundliche +Kommandant selber ermahnen musste, statt des vergeblichen Klagens +und Bittens die kurze Frist zu benutzen und ihr Bestes noch +geschwind auf die Seite zu schaffen. Die fürchterliche Stunde +schlug; die Trommel wirbelte ins Klaggeschrei der Unglücklichen. +Durch das Getümmel der Flüchtenden und Fliehenden und Verzweifelten +eilten die Soldaten auf ihren Sammelplatz. Da trat der brave +Kommandant von Hersfeld vor die Reihen seiner baldigen Jäger, +stellte ihnen zuerst das traurige Schicksal der Einwohner lebhaft +vor die Augen und sagte hierauf: "Soldaten! Die Erlaubnis zu +plündern fängt jetzt an. Wer dazu Lust hat, der trete heraus aus dem +Glied!" So sprach der Kommandant; und wer jetzt ein Glas voll Wein +hat neben sich stehen, der trinke es aus zu Ehren der badischen +Jäger. Kein Mann trat aus dem Glied. Nicht einer! Der Aufruf wurde +wiederholt. Kein Fuss bewegte sich; und wollte der Kommandant +geplündert haben, so hätte er müssen selber gehen. Aber es war +niemand lieber als ihm, dass die Sache also ablief; das ist leicht +zu bemerken. Als die Bürger das erfuhren, war es ihnen zumute wie +einem, der aus einem schweren Traum erwacht. Ihre Freude ist nicht +zu beschreiben. Sie schickten sogleich eine Gesandtschaft an den +Kommandanten, liessen ihm für diese Milde und Grossmut danken und +boten ihm aus Dankbarkeit ein grosses Geschenk an. Wer weiss, was +mancher getan hätte! Aber der Kommandant schlug dasselbe ab und +sagte: er lasse sich keine gute Tat mit Geld bezahlen. "Nur zum +Andenken von euch", setzte er hinzu, "erbitte ich mir eine silberne +Münze, auf welcher die Stadt Hersfeld vorgestellt ist und der +heutige Auftritt. Dies soll das Geschenk sein, welches ich meiner +künftigen Gattin aus dem Krieg mitbringen will." Dies ist geschehen +im Februar des Jahrs 1807, und so etwas ist des Lesens zweimal wert. + + + +Der Lehrjunge + + +Eines Tages wurde in Rheinfelden ein junger Mensch wegen eines +verübten Diebstahls an den Pranger gestellt, an das Halseisen, und +ein fremder, wohlgekleideter Mensch blieb die ganze Zeit unter den +Zuschauern stehen und verwandte kein Auge von ihm. Als aber der Dieb +nach einer Stunde herabgelassen wurde von seinem Ehrenposten und zum +Andenken noch 20 Prügel bekommen sollte, trat der Fremde zu dem +Hatschier, drückte ihm einen Kleinen Taler in die Hand und sagte: +"Setzt ihm die Prügel ein wenig kräftig auf, Herr Haltunsfest! Gebt +ihm die besten, die Ihr aufbringen könnt"; und der Hatschier mochte +schlagen, so stark er wollte, so rief der Fremde immer: "Besser! +Noch besser!" und den jungen Menschen auf der Schranne fragte er +bisweilen mit höhnischem Lachen: "Wie tut's, Bürschlein? Wie +schmeckt's?" + +Als aber der Dieb zur Stadt war hinausgejagt worden, ging ihm der +Fremde von weitem nach, und als er ihn erreicht hatte auf dem Weg +nach Degerfelden, sagte er zu ihm: "Kennst du mich noch, Gutschick?" +Der junge Mensch sagte: "Euch werde ich so bald nicht vergessen. +Aber sagt mir doch, warum habt Ihr an meiner Schmach eine solche +Schadenfreude gehabt und an dem Pass, den mir der Hatschier mit dem +Weidenstumpen geschrieben hat, so ich doch Euch nicht bestohlen, +auch mein Leben lang sonst nicht beleidiget habe." Der Fremde sagte: +"Zur Warnung, weil du deine Sache so einfältig angelegt hattest, +dass es notwendig herauskommen musste. Wer unser Metier treiben +will, ich bin der Zundelfrieder", sagte er, und er war's auch--"wer +unser Metier treiben will, der muss sein Geschäft mit List anfangen +und mit Vorsicht zu Ende bringen. Wenn du aber zu mir in die Lehre +gehen willst, denn an Verstand scheint es dir nicht zu fehlen, und +eine Warnung hast du jetzt, und so will ich mich deiner annehmen und +etwas Rechtes aus dir machen." Also nahm er den jungen Menschen als +Lehrjungen an, und als es bald darauf unsicher am Rhein wurde, nahm +er ihn mit sich in die spanischen Niederlande. + + + +Der listige Kaufherr + + +Der Adjunkt, der dieses schreibt, hat allemal eine grosse Freude, +wenn er auch ein Geschichtlein einmauren kann in den Kalender. Denn +was er in gelehrte Bücher hineinstiftet, lesen nicht viel Leute, am +wenigsten die Gelehrten selber. Der Hausfreund aber hat nach den +neuesten Zählungen 700’000 Leser, ohne die, welche umsonst zuhören. +Diesmal aber freut er sich insbesondere zu erzählen, wie einmal ein +grosser Spitzbube auch hinter das Licht geführt worden ist; denn die +Wölfe beissen bisweilen auch ein gescheites Hündlein, sagt Doktor +Luther. + +Ein französischer Kaufherr segelte mit einem Schiff voll grossen +Reichtums aus der Levante heim, aus dem Morgenland, wo unser Glaube, +unsere Fruchtbäume und unser Blut daheim ist, und dachte schon mit +Freuden daran, wie, er jetzt bald ein eigenes Schlösslein am Meer +bauen, und ruhig leben und alle Abend dreierlei Fische zu Nacht +speisen wolle. Paff, geschah ein Schuss. Ein algierisches Raubschiff +war in der Nähe, wollte uns gefangen nehmen und geraden Wegs nach +Algier führen in die Sklaverei. Denn hat man zwischen Wasser und +Himmel gute Gelegenheit Luftschlösser zu bauen, so hat man auch gute +Gelegenheit zu stehlen. So denken die algierschen Seeräuber auch. +Hat das Wasser keine Balken, so hat's auch keine Galgen. Zum Glück +hatte der Kaufherr einen Ragusaner auf dem Schiff, der schon einmal +in algierischer Gefangenschaft gewesen war und ihre Sprache und ihre +Prügel aus dem Fundament verstand. Zu dem sagte der Kaufherr: +"Nicolo, hast du Lust noch einmal algierisch zu werden? Folge mir, +was ich dir sage, so kannst du dich erretten und uns." Also +verbargen wir uns alle im Schiff, dass kein Mensch zu sehen war, nur +der Ragusaner stellte sich oben auf das Verdeck. Als nun die +Seeräuber mit ihren blinkenden Säbeln schon nahe waren und riefen, +die Christenhunde sollten sich ergeben, fing der Ragusaner mit +kläglicher Stimme auf algierisch an: Tschamiana, fing er an, +tschamiana halakna bilabai monaschid ana billah onzorun min almaut. +"Wir sind alle an der Pest gestorben bis auf die Kranken, die noch +auf ihr Ende warten, und ein deutscher Adjunkt und ich. Um Gottes +willen rettet mich!" Dem Algierer Seekapitän, als er hörte, dass er +so nah an einem Schiff voll Pest sei, kam's grün und gelb vor die +Augen. In der grössten Geschwindigkeit hielt er das Schnupftuch vor +die Nase, hatte aber keins, sondern den Ärmel; und lenkte sein +Schiff hinter den Wind. Lajonzork, sagte er, Allahorraman arrahim +atabarra laka it schanat chall. "Gott helfe dir, der Gnädige und +Barmherzige! Aber geh zum Henker mit deiner Pest! Ich will dir eine +Flasche voll Kräuteressig reichen." Darauf liess er ihm eine Flasche +voll Kräuteressig reichen an einer langen Stange und segelte so +schnell als möglich linksum. Also kamen wir glücklich aus der +Gefahr, und der Kaufherr baute hernach in der Gegend von Marseille +das Schlösslein und stellte den Ragusaner als Haushofmeister an auf +lebenslang. + + + +Der listige Quäker + + +Die Quäker sind eine Sekte, zum Exempel in England, fromme, +friedliche und verständige Leute, wie hierzuland die Wiedertäufer +ungefähr, und dürfen vieles nicht tun nach ihren Gesetzen: nicht +schwören, nicht das Gewehr tragen, vor niemand den Hut abziehn, aber +reiten dürfen sie, wenn sie Pferde haben. Als einer von ihnen einmal +abends auf einem gar schönen, stattlichen Pferd nach Haus in die +Stadt wollte reiten, wartet auf ihn ein Räuber mit kohlschwarzem +Gesicht ebenfalls auf einem Ross, dem man alle Rippen unter der +Haut, alle Knochen, alle Gelenke zählen konnte, nur nicht die Zähne, +denn sie waren alle ausgebissen, nicht am Haber, aber am Stroh. +"Kind Gottes", sagte der Räuber, "ich möchte meinem armen Tier da, +das sich noch dunkel an den Auszug der Kinder Israel aus Ägypten +erinnern kann, wohl auch ein so gutes Futter gönnen, wie das Eurige +haben muss dem Aussehen nach. Wenn's Euch recht ist, so wollen wir +tauschen. Ihr habt doch keine geladene Pistole bei Euch, aber ich." +Der Quäker dachte bei sich selbst: "Was ist zu tun? Wenn alles +fehlt, so hab' ich zu Haus noch ein zweites Pferd, aber kein zweites +Leben." Also tauschten sie miteinander, und der Räuber ritt auf dem +Ross des Quäkers nach Haus, aber der Quäker führte das arme Tier des +Räubers am Zaum. Als er aber gegen die Stadt und an die ersten +Häuser kam, legte er ihm den Zaum auf den Rücken und sagte: "Geh +voraus, Lazarus; du wirst deines Herrn Stall besser finden als ich." +Und so liess er das Pferd vorausgehen und folgte ihm nach Gasse ein, +Gasse aus, bis es vor einer Stalltüre stehen blieb. Als es stehen +blieb und nimmer weiter wollte, ging er in das Haus und in die +Stube, und der Räuber fegte gerade den Russ aus dem Gesicht mit +einem wollenen Strumpf. "Seid Ihr wohl nach Hause gekommen?" sagte +der Quäker. "Wenn's Euch recht ist, so wollen wir jetzt unsern +Tausch wieder aufheben, er ist ohnedem nicht gerichtlich bestätigt. +Gebt mir mein Rösslein wieder, das Eurige steht vor der Tür." Als +sich nun der Spitzbube entdeckt sah, wollte er wohl oder übel, gab +er dem Quäker sein gutes Pferd zurück. "Seid so gut", sagte der +Quäker, "und gebt mir jetzt auch noch zwei Taler Rittlohn; ich und +Euer Rösslein sind miteinander zu Fuss spaziert." Wollte der +Spitzbube wohl oder übel, musst' er ihm auch noch zwei Taler +Rittlohn bezahlen. "Nicht wahr, das Tierlein lauft einen sanften +Trab?" sagte der Quäker. + + + +Der listige Steiermarker + + +In Steiermark, ein wenig abhanden von der Strasse, dachte ein +reicher Bauer im letzten Krieg: wie fang' ich's an, dass ich meine +Kronentaler und meine Dukätlein rette in dieser bösen Zeit? Die +Kaiserin Maria Theresia ist mir noch so lieb, tröst' sie Gott, und +der Kaiser Joseph, tröst' ihn Gott, und der Kaiser Franz, Gott +schenk' ihm Leben und Gesundheit. Und wenn man meint, man habe die +lieben Herrschaften noch so gut verborgen und geflüchtet, so riecht +sie der Feind, sobald er die Nase ins Dorf streckt, und führt sie in +die Gefangenschaft ins Lothringen oder in die Champagne, dass einem +armen Untertanen das Herz dabei bluten möchte vor Patriotismus. +"Jetzt weiss ich," sagte er, "wie ich's anfange", und trug das Geld +bei dunkler, blinder Nacht in den Krautgarten. "Das Siebengestirn +verratet mich nicht", sagte er. Im Krautgarten legte er das Geld +geradezu zwischen die Gelveieleinstöcke und die spanischen Wicken. + +Nebendran grub er ein Loch in das Weglein zwischen den Beeten und +warf allen Grund daraus auf das Geld und zertrat rings herum die +schönen Blumenstöcke und das Mangoldkraut, wie einer, der Sauerkraut +einstampft. Am Montag drauf streiften schon die Chasseurs im ganzen +Revier, und am Donnerstag kam eine Partie ins Dorf, frisch auf die +Mühle zu, und aus der Mühle mit weissen Ellenbogen zu unserm Bauern: +und "Geld her, Buur," rief ihm ein Sundgauer mit blankem Säbel +entgegen, "oder bet' dein letztes Vaterunser." Der Bauer sagte, sie +möchten nehmen, was sie in Gottes Namen noch finden. Er habe nichts +mehr, es sei gestern und vorgestern schon alles in Rapuse gegangen. +"Vor euch kann man etwas verbergen," sagt er, "ihr seid die +Rechten." Als sie nichts fanden ausser ein paar Kupferkreuzer und +einen vergoldeten Sechser mit dem Bildnis der Kaiserin Maria +Theresia und ein Ringlein dran zum Anhängen, "Buur," sagte der +Sundgauer, "du hast dein Geld verlochet; auf der Stelle zeig', wo du +dein Geld verlocht hast, oder du gehst ohne dein letztes Vaterunser +aus der Welt." "Auf der Stelle kann ich's euch nicht zeigen," sagte +der Bauer, "so sauer mich der Gang ankommt, sondern ihr müsst mit +mir in den Krautgarten gehen. Dort will ich euch zeigen, wo ich es +verborgen hatte, und wie es mir ergangen ist. Der Herr Feind ist +schon gestern und vorgestern dagewesen und haben's gefunden und +alles geholt." Die Chasseure nahmen den Augenschein im Garten ein, +fanden alles, wie es der Mann angegeben hatte, und keiner dachte +daran, dass das Geld unter dem Grundhaufen liegt, sondern jeder +schaute in das leere Loch und dachte: wär' ich nur früher gekommen. +"Und hätten sie nur die schönen Gelveieleinstöcke und den Goldlack +nicht so verderbt", sagte der Bauer, und so hinterging er diese und +alle, die noch nachkamen, und hat auf diese Art das ganze +erzherzogliche Haus, den Kaiser Franz, den Kaiser Joseph, die +Kaiserin Maria Theresia und den allerhöchstseligen Herrn Leopold den +Ersten gerettet und glücklich im Land behalten. + + + +Der Prozess ohne Gesetz + + +Nur weil es unter allen Ständen einfältige Leute gibt, gibt es +solche auch unter dem achtungswerten Bauernstand; sonst wär es nicht +nötig. Ein solcher schob eines Morgens einen schwarzen Rettich und +ein Stück Brot in die Tasche, und "Frau", sagte er, "gib acht zum +Haus, ich gehe jetzt in die Stadt." Unterwegs sagte er von Zeit zu +Zeit: "Dich will ich bekommen. Mit dir will ich fertig werden", und +nahm allemal eine Prise darauf, als wenn er den Tabak meinte, mit +ihm woll' er fertig werden; er meinte aber seinen Schwager, den +Ölmüller. In der Stadt ging er geradeswegs zu einem Advokaten und +erzählte ihm, was er für einen Streit habe mit seinem Schwager wegen +einem Stück Reben im untern Berg, und wie einmal der Schwed am Rhein +gewesen sei und seine Voreltern drauf ins Land gekommen seien, der +Schwager aber sei von Enzberg im Württembergischen, und der Herr +Advokat soll jetzt so gut sein und einen Prozess daraus machen. Der +Advokat mit einer Tabakspfeife im Mund, sie rauchen fast alle, tat +gewaltige Züge voll Rauch, und es gab lauter schwebende Ringlein in +der Luft, der Adjunkt kann auch machen. Dabei war er aber ein +aufrichtiger Mann, als Rechtsfreund und Rechtsbeistand natürlich. +"Guter Mann", sagte er, "wenn's so ist, wie Ihr mir da vortragt, den +Prozess könnt Ihr nicht gewinnen", und holte ihm vom Schaft das +Landrecht hinter einem porzellinen Tabakstopf hervor. "Seht da", +schlug er ihm auf, "Kapitel soundsoviel, Numero vier, das Gesetz +spricht gegen Euch unverrichteter Sachen." Indem klopft jemand an +der Türe und tritt herein, und ob er einen Zwerchsack über die +Schulter hängen hatte und etwas drin, genug, der Advokat geht mit +ihm in die Kammer abseits. "Ich komm' gleich wieder zu Euch." +Unterdessen riss der Bauersmann das Blatt aus dem Landrecht, worauf +das Gesetz stand, drückte es geschwind in die Tasche und legte das +Buch wieder zusammen. Als er wieder bei dem Advokaten allein war, +stellt er den rechten Fuss ein wenig vor und schlotterte mit dem +Knie ein paarmal ein- und auswärts, teils weil es dortzuland zum +guten Vortrag gehört, teils damit der Advokat etwas sollte klingeln +hören oben in der Tasche. "Ihr Gnaden", sagte er zu dem Advokaten, +"ich hab' mich unterdessen besonnen. Ich meine, ich will's doch +probieren, wenn Sie sich der Sache annehmen wollten", und, machte +ein verschlagenes Gesicht dazu, als wenn er noch etwas wüsste und +sagen wollte: Es kann nicht fehlen. Der Advokat sagte: "Ich habe +aufrichtig mit Euch gesprochen und Euch klaren Wein eingeschenkt." +Der Bauersmann schaute unwillkürlich auf den Tisch, aber er sah +keinen. "Wenn Ihr's wollt drauf ankommen lassen", fuhr der Advokat +fort, "so kommt's mir auch nicht drauf an." Der Bauersmann sagte: +"Es wird nicht alles gefehlt sein." + +Kurz, der Prozess wird anhängig, und der Advokat brauchte das +Landrecht nicht mehr weiters dazu, weil er das Gesetz auswendig +wusste wie alle. Item was geschieht? Der Gegenpart hatte einen +saumseligen Advokaten, der Advokat verabsäumt einen Termin, und +unser Bauersmann gewinnt den Prozess. Als ihm nun der Advokat den +Spruch publizierte, "aber nicht wahr", sagte der Advokat, "diesen +schlechten Rechtshandel hab' ich gut für Euch geführt?"--"Den +Kuckuck hat Er", erwiderte der Bauersmann und zog das ausgerissene +Blatt wieder aus der Tasche hervor: "Sieht Er da? Kann Er gedruckt +lesen? Wenn ich nicht das Gesetz aus dem Landrecht gerissen hätte, +Er hätt' den Prozess lang verloren." Denn er meinte wirklich, der +Prozess sei dadurch zu seinem Vorteil ausgefallen, dass er das +gefährliche Gesetz aus dem Landrecht gerissen hatte, und auf dem +Heimweg, so oft er eine Prise nahm, machte er allemal ein pfiffiges +Gesicht und sagte: "Mit dir bin ich fertig worden, Ölmüller." +Item. So können Prozesse gewonnen werden. Wohl dem, der keinen zu +verlieren hat. + + + +Der Rekrut + + +Ein Rekrut, dem schon in den ersten 14 Tagen das Schildwachstehen +langweilig vorkam, betrachtete einmal das Schilderhaus unten und +oben und hinten und vornen, wie ein Förster, wenn er einen Baum +schätzt, oder ein Metzger ein Häuptlein Vieh. Endlich sagte er: "Ich +möchte nur wissen, was sie an dem einfältigen Kasten finden, dass +den ganzen Tag einer dastehen und ihn hüten muss." Denn er meinte, +er stehe da wegen dem Schilderhaus, nicht das Schilderhaus wegen +ihm. + + + +Der Rekrut + + +Zum schwäbischen Kreiskontingent kam im Jahr 1795 ein Rekrut, so ein +schöner, wohlgewachsener Mann war. Der Offizier fragte ihn, wie alt +er sei. Der Rekrut antwortete: "Einundzwanzig Jahr. Ich bin ein +ganzes Jahr lang krank gewesen, sonst wär' ich zweiundzwanzig." + + + +Der schlaue Husar + + +Ein Husar im letzten Kriege wusste wohl, dass der Bauer, dem er +jetzt auf der Strasse entgegenging, 100 Gulden für geliefertes Heu +eingenommen hatte und heimtragen wollte. Deswegen bat er ihn um ein +kleines Geschenk zu Tabak und Branntwein. Wer weiss, ob er mit ein +paar Batzen nicht zufrieden gewesen wäre. Aber der Landmann +versicherte und beteuerte bei Himmel und Hölle, dass er den eigenen +letzten Kreuzer im nächsten Dorfe ausgegeben und nichts mehr übrig +habe. "Wenn's nur nicht so weit von meinem Quartier wäre", sagte +hierauf der Husar, "so wäre uns beiden zu helfen; aber wenn du hast +nichts, ich hab' nichts, so müssen wir den Gang zum heiligen +Alfonsus doch machen. Was er uns heute beschert, wollen wir +brüderlich teilen." Dieser Alfonsus stand in Stein ausgehauen in +einer alten, wenig besuchten Kapelle am Feldweg. Der Landmann hatte +anfangs keine grosse Lust zu dieser Wallfahrt. Aber der Husar nahm +keine Vorstellung an und versicherte unterwegs seinen Begleiter so +nachdrücklich, der heilige Alfonsus habe ihn noch in keiner Not +stecken lassen, dass dieser selbst anfing, Hoffnung zu gewinnen. +Vermutlich war in der abgelegenen Kapelle ein Kamerad und +Helfershelfer des Husaren verborgen? Nichts weniger! Es war wirklich +das steinerne Bild des Alfonsus, vor welchem sie jetzt +niederknieten, während der Husar gar andächtig zu beten schien. +"Jetzt", sagte er seinem Begleiter ins Ohr, "jetzt hat mir der +Heilige gewunken." Er stand auf, ging zu ihm hin, hielt die Ohren an +die steinernen Lippen und kam gar freudig wieder zu seinem Begleiter +zurück. "Einen Gulden hat er mir geschenkt: in meiner Tasche müsse +er schon stecken." Er zog auch wirklich zum Erstaunen des andern +einen Gulden heraus, den er aber schon vorher bei sich hatte, und +teilte ihn versprochenermassen brüderlich zur Hälfte. Das leuchtete +dem Landmann ein, und es war ihm gar recht, dass der Husar die Probe +noch einmal machte. Alles ging das zweite Mal wie zuerst. Nur kam +der Kriegsmann diesmal viel freudiger von dem Heiligen zurück. + +"Hundert Gulden hat uns jetzt der gute Alfonsus auf einmal +geschenkt. In deiner Tasche müssen sie stecken." Der arme Bauer +wurde todesblass, als er dies hörte, und wiederholte seine +Versicherung, dass er gewiss keinen Kreuzer habe. Allein der Husar +redete ihm zu, er sollte doch nur Vertrauen zu dem heiligen Alfonsus +haben und nachsehen. Alfonsus habe ihn noch nie angeführt. Wollte er +wohl oder übel, so musste er seine Taschen umkehren und leer machen. +Die hundert Gulden kamen richtig zum Vorschein, und hatte er vorher +dem schlauen Husaren die Hälfte von seinem Gulden abgenommen, so +musste er jetzt auch seine hundert Gulden mit ihm teilen, da half +kein Bitten und kein Flehen. + +Das war fein und listig, aber eben doch nicht recht, zumal in einer +Kapelle. + + + +Der schlaue Mann + + +Einem andern, als er das Wirtshaussitzen bis nach Mitternacht +anfing, schloss einmal die Frau nachts um zehn Uhr die Türe zu und +ging ins Bett, und wollt' er wohl oder übel, so musste er unter dem +Immenstand im Garten über Nacht sein. Den andern Tag, was tut er? +Der geneigte Leser gebe acht! Als er ins Wirtshaus ging, hob er die +Haustüre aus den Kloben und nahm sie mit, und früh um ein Uhr, als +er heimkam, hängt er sie wieder ein und schloss sie zu, und seine +Frau hat ihn nimmer ausgeschlossen und ist ins Bett gegangen, +sondern hat ihn nachher mit Liebe und Sanftmut gebessert. + + + +Der schlaue Pilgrim + + +Vor einigen Jahren zog ein Müssiggänger durch das Land, der sich für +einen frommen Pilgrim ausgab, gab vor, er komme von Paderborn und +laufe geradenweges zum Heiligen Grab nach Jerusalem, fragte schon in +Müllheim an der Post: "Wie weit ist es noch nach Jerusalem?" Und +wenn man ihm sagte: "Siebenhundert Stunden; aber auf dem Fussweg +über Mauchen ist es eine Viertelstunde näher", so ging er, um auf +dem langen Weg eine Viertelstunde zu ersparen, über Mauchen. Das +wäre nun so übel nicht. Man muss einen kleinen Vorteil nicht +verachten, sonst kommt man zu keinem grossen. Man hat öfter +Gelegenheit, einen Batzen zu ersparen oder zu gewinnen, als einen +Gulden. Aber 15 Batzen sind auch ein Gulden, und wer auf einem Wege +von 700 Stunden nur allemal an fünf Stunden weiss eine Viertelstunde +abzukürzen, der hat an der ganzen Reise gewonnen--rechnet selber +aus, wieviel? Allein unser verkleideter Pilgrim dachte nicht ebenso, +sondern weil er nur dem Müssiggang und guten Essen nachzog, so war +es ihm einerlei, wo er war. Ein Bettler kann nach dem alten +Sprichwort nie verirren, muss in ein schlechtes Dorf kommen, wenn er +nicht mehr drin bekommt, als er unterwegs an den Sohlen zerreisst, +zumal wenn er barfuss geht. Unser Pilgrim aber dachte doch immer +darauf, sobald als möglich wieder an die Landstrasse zu kommen, wo +reiche Häuser stehen und gut gekocht wird. Denn der Halunke war +nicht zufrieden, wie ein rechter Pilgrim sein soll, mit gemeiner +Nahrung, die ihm von einer mitleidigen und frommen Hand gereicht +wurde, sondern wollte nichts fressen als nahrhafte +Kieselsteinsuppen. Wenn er nämlich irgendwo so ein braves Wirtshaus +an der Strasse stehen sah, wie zum Exempel das Posthaus in +Krotzingen oder den Baselstab in Schliengen, so ging er hinein und +bat ganz demütig und hungrig um ein gutes Wassersüpplein von +Kieselsteinen, um Gottes willen, Geld habe er keines.--Wenn nun die +mitleidige Wirtin zu ihm sagte: "Frommer Pilgrim, die Kieselsteine +könnten Euch hart im Magen liegen!" so sagte er: "Eben deswegen! Die +Kieselsteine halten länger an als Brot, und der Weg nach Jerusalem +ist weit. Wenn Ihr mir aber ein Gläslein Wein dazu bescheren wollt, +um Gottes willen, so könnt' ich's freilich besser verdauen." Wenn +aber die Wirtin sagte: "Aber, frommer Pilgrim, eine solche Suppe +kann Euch doch unmöglich Kraft geben!" so antwortete er: "Ei, wenn +Ihr anstatt des Wasser wolltet Fleischbrühe dazu nehmen, um Gottes +willen, so wär's freilich nahrhafter." Brachte nun die Wirtin eine +solche Suppe und sagte: "Die Tünklein sind doch nicht so gar weich +geworden", so sagte er: "Ja, und die Brühe sieht gar dünn aus. +Hättet Ihr nicht ein paar Gabeln voll Gemüs darein oder ein +Stücklein Fleisch oder beides um Gottes willen?" Wenn ihm nun die +mitleidige Wirtin auch noch Gemüs und Fleisch in die Schüssel legte, +so sagte er: "Vergelts Euch Gott! Gebt mir jetzt Brot, so will ich +die Suppe essen." Hierauf streifte er die Ärmel seines +Pilgergewandes zurück, setzte sich und griff an das Werk mit +Freuden, und wenn er Brot und Wein und Fleisch und Gemüs und die +Fleischbrühe aufgezehrt hatte bis auf den letzten Brosamen, Faser +und Tropfen, so wischte er den Mund am Tischtuch oder an dem Ärmel +ab, oder auch gar nicht, und sagte: "Frau Wirtin, Eure Suppe hat +mich rechtschaffen gesättigt, so dass ich die schönen Kieselsteine +nicht einmal mehr zwingen kann. Es ist schad dafür! Aber hebt sie +auf. Wenn ich wieder komme, so will ich Euch eine heilige Muschel +mitbringen ab dem Meeresstrand von Askalon oder eine Rose von +Jericho." + +(Drum hüte dich; nicht das Gewand macht den Pilgrim, sondern der +fromme Sinn, und eine Sünde ist es, dasselbe zu missbrauchen.) + + + +Der Schneider in Pensa + + +Der Schneider in Pensa, was ist das für ein Männlein! +Sechsundzwanzig Gesellen auf dem Brett, jahraus, jahrein für halb +Rußland Arbeit genug und doch kein Geld, aber ein froher, heiterer +Sinn, ein Gemüt, treu und köstlich wie Gold, und mitten in Asien +deutsches Blut rheinländischer Hausfreundschaft. + +Im Jahre 1812, als Rußland nimmer Straßen genug hatte für die +Kriegsgefangenen an der Beresina oder in Wilna, ging eine auch durch +Pensa, das für sich schon mehr als einhundert Tagereisen weit von +Lahr oder Pforzheim entfernt ist, und wo die beste deutsche oder +englische Uhr, wer eine hat, nimmer recht geht, sondern ein paar +Stunden zu spät. In Pensa ist der Sitz des ersten russischen +Statthalters in Asien, wenn man von Europa aus hereinkommt. Also +wurden dort die Kriegsgefangenen abgegeben und übernommen und +alsdann weiter abgeführt in das tiefe, fremde Asien hinein, wo die +Christenheit ein Ende hat und niemand mehr das Vaterunser kennt, +wenn's nicht einer gleichsam als eine fremde Ware aus Europa +mitbringt. Also kamen eines Tages mit Franzosen meliert, auch +sechzehn Rheinländer, badische Offiziere, die damals unter den +Fahnen Napoleons gedient hatten, über die Schlachtfelder und +Brandstätten Europas ermattet, krank, mit erfrorenen Gliedmaßen und +schlecht geheilten Wunden, ohne Geld, ohne Kleidung, ohne Trost in +Pensa an und fanden in diesem unheimlichen Lande kein Ohr mehr, das +ihre Sprache verstand, kein Herz mehr, das sich über ihre Leiden +erbarmte. Als aber einer den andern mit trostloser Miene anblickte: +"Was wird aus uns werden?" oder "Wann wird der Tod unserm Elend ein +Ende machen, und wer wird den letzten begraben?" da vernahmen sie +mitten durch das russische und kosakische Kauderwelsch wie ein +Evangelium vom Himmel unvermutet eine Stimme: "Sind keine Deutschen +da?" und es stand vor ihnen auf zwei nicht ganz gleichen Füßen eine +liebe, freundliche Gestalt. Das war der Schneider von Pensa, Franz +Anton Egetmeier, gebürtig aus Bretten im Neckarkreis, Großherzogtum +Baden. Hat er nicht im Jahre 1779 das Handwerk gelernt in Mannheim? +Hernach ging er auf die Wanderschaft nach Nürnberg, hernach ein +wenig nach Petersburg hinein. Ein Pfälzer Schneider schlägt sieben +bis acht mal hundert Stunden Wegs nicht hoch an, wenn's ihn inwendig +treibt. In Petersburg aber ließ er sich unter ein russisches +Kavallerieregiment als Regimentsschneider engagieren und ritt mit +ihm in die fremde russische Welt hinein, wo alles anders ist, nach +Pensa, bald mit der Nadel stechend, bald mit dem Schwert. In Pensa +aber, wo er sich nachher häuslich und bürgerlich niederließ, ist er +jetzt ein angesehenes Männlein. Will jemand in ganz Asien ein +sauberes Kleid nach der Mode haben, so schickt er zu dem deutschen +Schneider in Pensa. Verlangt er etwas von dem Statthalter, der doch +ein vornehmer Herr ist und mit dem Kaiser reden darf, so hat's ein +guter Freund vom andern verlangt, und hat auf dreißig Stunden Weges +ein Mensch ein Unglück oder einen Schmerz, so vertraut er sich dem +Schneider von Pensa an; er findet bei ihm, was ihm fehlt: Trost, +Rat, Hilfe, ein Herz und ein Auge voll Liebe, Obdach, Tisch und +Bett, nur kein Geld. + +Einem Gemüte wie dieses war, das nur in Liebe und Wohltun reich ist, +blühte auf den Schlachtfeldern des Jahres 1812 eine schöne +Freudenernte Sooft ein Transport von unglücklichen Gefangenen kam, +warf er Schere und Elle weg und war der erste auf dem Platze, und +"Sind keine Deutschen da?" war seine erste Frage. Denn er hoffte von +einem Tag zum anderen, unter den Gefangenen Landsleute anzutreffen, +und freute sich, wie er ihnen Gutes tun wollte, und liebte sie schon +zum voraus ungesehenerweise, wie eine Frau ihr Kindlein schon liebt +und ihm Brei geben kann, ehe sie es hat. "Wenn sie nur so oder so +aussähen", dachte er. Wenn ihnen nur auch recht viel fehlt, damit +ich ihnen recht viel Gutes erweisen kann." Doch nahm er, wenn keine +Deutschen da waren, auch mit Franzosen vorlieb und erleichterte +ihnen, bis sie weitergeführt wurden, ihr Elend, als nach Kräften er +konnte. Diesmal aber, und als er mitten unter so viele brave +Landsleute, auch Darmstädter und andere, hineinrief: "Sind keine +Deutschen da?" er mußte zum zweitenmal fragen, denn das erstemal +konnten sie vor Staunen und Ungewißheit nicht antworten, sondern das +süße deutsche Wort in Asien verklang in ihren Ohren wie ein +Harfenton, und als er hörte: "Deutsche genug", und von jedem +erfragte, woher er sei er wär' mit Mecklenburgern oder Kursachsen +auch zufrieden gewesen, aber einer sagte. "Von Mannheim am +Rheinstrom", als wenn der Schneider nicht vor ihm gewußt hätte, wo +Mannheim liegt; der andere sagte: Yon Bruchsal", der dritte: "Von +Heidelberg", der vierte: "Von Gochsheim", da zog es wie ein warmes, +auflösendes Tauwetter durch den ganzen Schneider hindurch. "Und ich +bin von Bretten`, sagte das herrliche Gemüt, Franz Anton Egetmeier +von~Bretten, wie Joseph von Agypten zu den Söhnen Israels sagte: +"Ich bin Joseph, euer Bruder" und die Tränen der Freude, der Wehmut +und heiligen Heimatliebe traten a112n in die Augen, und es war +schwer zu sagen, ob sie einen freudigeren Fund an dem Schneider oder +der Schneider an seinen Landsleuten machte, und welcher Teil am +gerührtesten war. jetzt führte der gute Mensch seine teuern +Landsleute im Triumph in seine Wohnung und bewirtete sie mit einem +erquicklichen Mahle, wie in der Geschwindigkeit es aufzutreiben war. +jetzt eilte er zum Statthalter und bat ihn um dit Gnade, daß er +seine Landsleute in Pensa behalten dürfe. "Anton", sagte der +Statthalter, wann hab ich Euch etwas abgeschlagen?" jetzt lief er in +der Stadt herum und suchte für die, die in seinem Hause nicht Platz +hatten, bei seinen Freunden und Bekannten die besten Quartiere aus. +jetzt musterte er seine Gäste, einen nach dem anderen. "Herr +Landsmann", sagte er zu dem einen, "mit Eurem Weißzeug sieht's +windig aus. Ich werde Euch für ein halbes Dutzend neue Hemder +sorgen." "Ihr braucht auch ein neues Röcklein", sagte er zu einem +andern Euers kann noch gewendet und ausgebessert werden", zu einem +dritten, und so zu allen, und augenblicklich wurde zugeschnitten, +und alle sechsundzwanzig Gesellen arbeiteten Tag und Nacht an +Kleidungsstücken für seine werten rheinischen Hausfreunde. In +wenigen Tagen waren alle neu oder anständig ausstaffiert. Ein guter +Mensch, auch wenn er in Nöten ist, mißbraucht niemals fremde +Gutmütigkeit; deswegen sagten zu ihm die rheinischen Hausfreunde: +"Herr Landmann, verrechnet Euch nicht. Ein Kriegsgefangener bringt +keine Münzen mit. So wissen wir auch nicht, wie wir Euch für Eure +großen Auslagen werden schadlos halten können und wann."Darauf +erwiderte der Schneider: "Ich finde hinlängliche Entschädigung in +dem Gefühl, Ihnen helfen zu können. Benutzen Sie alles, was ich +habe! Sehen Sie mein Haus und meinen Garten als den Ihrigen an!" So +kurz weg und ab, wie ein Kaiser oder König spricht, wenn, eingefaßt +in Würde, die Güte hervorblickt. Denn nicht nur die hohe fürstliche +Geburt und Großmut, sondern auch die liebe häusliche Demut gibt, +ohne es zu wissen, bisweilen den Herzen königliche Sprüche ein, +Gesinnungen ohnehin. jetzt führte er sie freudig wie ein Kind in der +Stadt bei seinen Freunden herum und machte Staat mit ihnen. Der +Erzähler hat jetzt nimmer Zeit und Raum genug, alles Gute zu rühmen, +das er seinen Freunden erwies. So sehr sie zufrieden waren, so wenig +war er es. jeden Tag erfand er neue Mittel, ihnen den unangenehmen +Zustand der Kriegsgefangenschaft zu erleichtern und das fremde Leben +in Asien angenehm zu machen. War in der lieben Heimat ein hohes +Geburts oder Namensfest, es wurde am nämlichen Tage von den Treuen +auch in Asien mit Gastmahl, mit Vivat und Freudenfeuer gehalten, nur +etwas früher, weil dort die Uhren falsch gehen. Kam eine frohe +Nachricht von dem Vorrücken und dem Siege der hohen Alliierten in +Deutschland an, der Schneider war der erste, der sie wußte und +seinen Kindern er nannte sie nur noch seine Kinder mit Freudentränen +zubrachte, darum, daß sich ihre Erlösung nahte. Als einmal Geld zur +Unterstützung der Gefangenen aus dem Vaterland ankam, war ihre erste +Sorge, ihrem Wohltäter seine Auslagen zu vergüten. "Kinder", sagte +er, "verbittert mir meine Freude nicht!" Vater Egetmeier", sagten +sie, "tut unserem Herzen nicht wehe!" Also machte er ihnen zum +Schein eine kleine Rechnung, nur um sie nicht zu betrüben und um das +Geld wieder zu ihrem Vergnügen anzuwenden, bis die letzte Kopeke aus +den Händen war. + +Das gute Geld war für einen anderen Gebrauch zu bestimmen; aber man +kann nicht an alles denken. Denn als endlich die Stunde der Erlösung +schlug, gesellte sich zur Freude ohne Maß der bittere Schmerz der +Trennung und zu dem bitteren Schmerz die Not. Denn es fehlte an +allem, was zur Notdurft und zur Vorsorge auf eine so lange Reise in +den Schrecknissen des russischen Winters und einer unwirtbaren +Gegend nötig war, und ob auch auf den Mann, solange sie durch +Rußland zu reisen hatten, täglich dreizehn Kreuzer verabreicht +wurden, so reichte doch das wenige nirgends hin. Darum ging in +diesen letzten Tagen der Schneider, sonst so frohen, leichten Mutes, +still und nachdenklich herum, als der etwas im Sinn hat, und war +wenig mehr zu Hause. "Es geht ihm recht zu Herzen", sagten die +rheinländischen Herren Hausfreunde und merkten nichts. Aber auf +einmal kam er mit großen Freudenschritten, ja mit verklärtem Antlitz +zurück: "Kinder, es ist Rat; Geld genug!" Was war's? Die gute Seele +hatte für 2000 Rubel das Haus verkauft "Ich will schon eine +Unterkunft finden", sagte er, wenn nur Ihr ohne Leid und Mangel nach +Deutschland kommt." 0 du heiliges, lebendig gewordenes Sprüchlein +des Evangeliums und seiner Liebe: "Verkaufe, was du hast, und gib es +denen, die es bedürftig sind, so wirst du einen Schatz im Himmel +haben." Der wird einst weit oben rechts zu erfragen sein, wenn die +Stimme gesprochen hat: "Kommt, ihr Gesegneten! Ich bin hungrig +gewesen, und ihr habt mich gespeist; ich bin nackt gewesen, und ihr +habt mich gekleidet; ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr +habt euch meiner angenommen." Doch der Kauf wurde, zu großem Trost +für die edlen Gefangenen, wieder rückgängig gemacht. + +Nichtsdestoweniger brachte er auf andere Art noch einige hundert +Rubel für sie zusammen und nötigte sie, was er hatte von kostbarem +russischem Pelzwerk, mitzunehmen, um es unterwegs zu verkaufen, wenn +sie Geldes bedürftig wären oder einem ein Unglück widerführe. Den +Abschied will der Hausfreund nicht beschreiben. Keiner, der dabei +war, vermag es. Sie schieden unter tausend Segenswünschen und Tränen +des Dankes und der Liebe, und der Schneider gestand, daß dieses für +ihn der schmerzlichste Tag seines Lebens sei. Die Reisenden aber +sprachen unterwegs unaufhörlich und noch immer von ihrem Vater in +Pensa, und als sie in Bialystok in Polen wohlbehalten ankamen und +Geld antrafen, schickten sie ihm dankbar das vorgeschossene +Reisegeld zurück. + +Das war das Gotteskind Franz Anton Egetmeier, Schneidermeister in +Asien. + + + +Der Schneider in Pensa + + +Ein rechtschaffener Kalendermacher, zum Beispiel der Hausfreund, hat +von Gott dem Herrn einen vornehmen und freudigen Beruf empfangen, +nämlich, dass er die Wege aufdecke, auf welchen die ewige Vorsehung +für die Hilfe sorgt, noch ehe die Not da ist, und dass er kundmache +das Lob vortrefflicher Menschen, sie mögen doch auch stecken, fast +wo sie wollen. + +Der Schneider in Pensa, was ist das für ein Männlein! +Sechsundzwanzig Gesellen auf dem Brett, jahraus jahrein für halb +Russland Arbeit genug, und doch kein Geld, aber ein froher, heiterer +Sinn, ein Gemüt treu und köstlich wie Gold und mitten in Asien +deutsches Blut rheinländischer Hausfreundschaft. + +Im Jahr 1812, als Russland nimmer Strassen genug hatte für die +Kriegsgefangenen an der Berezina oder in Wilna, ging eine auch durch +Pensa, welches für sich schon mehr als hundert Tagereisen weit von +Lahr oder Pforzheim entfernt ist, und wo die beste deutsche oder +englische Uhr, wer eine hat, nimmer recht geht, sondern ein paar +Stunden zu spat. In Pensa ist der Sitz des ersten russischen +Statthalters in Asien, wenn man von Europa aus hereinkommt. Also +wurden dort die Kriegsgefangenen abgegeben und übernommen und +alsdann weiter abgeführt in das tiefe, fremde Asien hinein, wo die +Christenheit ein Ende hat und niemand mehr das Vaterunser kennt, +wenn's nicht einer gleichsam als eine fremde Ware aus Europa +mitbringt. Also kamen eines Tages mit Franzosen meliert auch +sechzehn rheinländische Herren Leser, badische Offiziere, die damals +unter den Fahnen Napoleons gedient hatten, über die Schlachtfelder +und Brandstätten von Europa ermattet, krank, mit erfrorenen +Gliedmassen und schlecht geheilten Wunden, ohne Geld, ohne Kleidung, +ohne Trost in Pensa an und fanden in diesem unheimlichen Land kein +Ohr mehr, das ihre Sprache verstand, kein Herz mehr, das sich über +ihre Leiden erbarmte. Als aber einer den andern mit trostloser Miene +anblickte: "Was wird aus uns werden?" oder: "Wann wird der Tod +unserm Elend ein Ende machen, und wer wird den letzten begraben?" da +vernahmen sie mitten durch das russische und kosakische Kauderwelsch +wie ein Evangelium vom Himmel unvermutet eine Stimme: "Sind keine +Deutsche da?" und es stand vor ihnen auf zwei nicht ganz gleichen +Füssen eine liebe, freundliche Gestalt. Das war der Schneider von +Pensa, Franz Anton Egetmeier, gebürtig aus Bretten im Neckarkreis, +Grossherzogtum Baden. Hat er nicht im Jahr 1779 das Handwerk gelernt +in Mannheim? Hernach ging er auf die Wanderschaft nach Nürnberg, +hernach ein wenig nach Petersburg hinein. Ein Pfälzer Schneider +schlagt sieben bis achtmal hundert Stunden Wegs nicht hoch an, +wenn's ihn inwendig treibt. In Petersburg aber liess er sich unter +ein russisches Kavallerie-Regiment als Regimentsschneider engagieren +und ritt mit ihnen in die fremde russische Welt hinein, wo alles +anderst ist, nach Pensa, bald mit der Nadel stechend, bald mit dem +Schwert. In Pensa aber, wo er sich nachher häuslich und bürgerlich +niederliess, ist er jetzt ein angesehenes Männlein. Will jemand in +ganz Asien ein sauberes Kleid nach der Mode haben, so schickt er zu +dem deutschen Schneider in Pensa. Verlangt er etwas von dem +Statthalter, der doch ein vornehmer Herr ist und mit dem Kaiser +reden darf, so hat's ein guter Freund vom andern verlangt, und hat +auf dreissig Stunden Weges ein Mensch ein Unglück oder einen +Schmerz, so vertraut er sich dem Schneider von Pensa an, er findet +bei ihm, was ihm fehlt, Trost, Rat, Hilfe, ein Herz und ein Auge +voll Liebe, Obdach, Tisch und Bett, nur kein Geld. + +Einem Gemüte wie dieses war, das nur in Liebe und Wohltun reich ist, +blühte auf den Schlachtfeldern des Jahres 1812 eine schöne. +Freudenernte. So oft ein Transport von unglücklichen Gefangenen kam, +warf er Schere und Elle weg und war der erste auf dem Platze, und +"Sind keine Deutsche da?" war seine erste Frage. Denn er hoffte von +einem Tag zum andern, unter den Gefangenen Landsleute anzutreffen, +und freute sich, wie er ihnen Gutes tun wollte, und liebte sie schon +zum voraus ungesehener Weise, wie eine Frau ihr Kindlein schon liebt +und ihm Brei geben kann, ehe sie es hat. "Wenn sie nur so oder so +aussähen", dachte er. "Wenn ihnen nur auch recht viel fehlt, damit +ich ihnen recht viel Gutes erweisen kann." Doch nahm er, wenn keine +Deutschen da waren, auch mit Franzosen vorlieb und erleichterte +ihnen, bis sie weitergeführt wurden, ihr Elend, als nach Kräften er +konnte. Diesmal aber, und als er mitten unter so viele geneigte +Leser, auch Darmstädter und andere hineinrief: "Sind keine Deutsche +da?"--er musste zum zweiten Mal fragen, denn das erste Mal konnten +sie vor Staunen und Ungewissheit nicht antworten, sondern das süsse +deutsche Wort in Asien verklang in ihren Ohren wie ein Harfenton, +und als er hörte: "Deutsche genug", und von jedem erfragte, woher er +sei--er wär' mit Mecklenburgern oder Kursachsen auch zufrieden +gewesen, aber einer sagte: "Von Mannheim am Rheinstrom", als wenn +der Schneider nicht vor ihm gewusst hätte, wo Mannheim liegt, der +andere sagte: "Von Bruchsal", der dritte: "Von Heidelberg", der +vierte: "Von Gochsheim"; da zog es wie ein warmes, auflösendes +Tauwetter durch den ganzen Schneider hindurch. "Und ich bin von +Bretten", sagte das herrliche Gemüte, Franz Anton Egetmeier von +Bretten, wie Joseph in Ägypten zu den Söhnen Israels sagte: "Ich bin +Joseph, euer Bruder"--und die Tränen der Freude, der Wehmut und +heiligen Heimatsliebe traten allen in die Augen, und es war schwer +zu sagen, ob sie einen freudigern Fund an dem Schneider oder der +Schneider an seinen Landsleuten machte, und welcher Teil am +gerührtesten war. Jetzt führte der gute Mensch seine teuern +Landsleute im Triumph in seine Wohnung und bewirtete sie mit einem +erquicklichen Mahl, wie in der Geschwindigkeit es aufzutreiben war. +Jetzt eilte er zum Statthalter und bat ihn um die Gnade, dass er +seine Landsleute in Pensa behalten dürfe. "Anton", sagte der +Statthalter, "wann hab' ich Euch etwas abgeschlagen?" Jetzt lief er +in der Stadt herum und suchte für diejenigen, welche in seinem Hause +nicht Platz hatten, bei seinen Freunden und Bekannten die besten +Quartiere aus. Jetzt musterte er seine Gäste, einen nach dem andern. +"Herr Landsmann", sagte er zu einem, "mit Euerm Weisszeug sieht's +windig aus. Ich werde Euch für ein halbes Dutzend neue Hemder +sorgen.--Ihr braucht auch ein neues Röcklein", sagte er zu einem +andern.--"Euers kann noch gewendet und ausgebessert werden", zu +einem dritten, und so zu allen, und augenblicklich wurde +zugeschnitten, und alle sechsundzwanzig Gesellen arbeiteten Tag und +Nacht an Kleidungsstücken für seine werten rheinländischen +Hausfreunde. In wenig Tagen waren alle neu oder anständig +ausstaffiert. Ein guter Mensch, auch wenn er in Nöten ist, +missbraucht niemals fremde Gutmütigkeit; deswegen sagten zu ihm die +rheinländischen Hausfreunde: "Herr Landsmann, verrechnet Euch nicht. +Ein Kriegsgefangener bringt keine Münzen mit. So wissen wir auch +nicht, wie wir Euch für Eure grossen Auslagen werden schadlos halten +können, und wann." Darauf erwiderte der Schneider: "Ich finde +hinlängliche Entschädigung in dem Gefühl, Ihnen helfen zu können. +Benutzen Sie alles, was ich habe! Sehen Sie mein Haus und meinen +Garten als den Ihrigen an!" So kurz weg und ab, wie ein Kaiser oder +König spricht, wenn eingefasst in Würde die Güte hervorblickt. Denn +nicht nur die hohe fürstliche Geburt und Grossmut, sondern auch die +liebe häusliche Demut gibt, ohne es zu wissen, bisweilen den Herzen +königliche Sprüche ein, Gesinnungen ohnehin. Jetzt führte er sie +freudig wie ein Kind in der Stadt bei seinen Freunden herum und +machte Staat mit ihnen. Der Kalender hat jetzt nimmer Zeit und Raum +genug, alles Gute zu rühmen, was er seinen Freunden erwies. So sehr +sie zufrieden waren, so wenig war er es. Jeden Tag erfand er neue +Mittel, ihnen den unangenehmen Zustand der Kriegsgefangenschaft zu +erleichtern und das fremde Leben in Asien angenehm zu machen. War in +der lieben Heimat ein hohes Geburts- oder Namensfest, es wurde am +nämlichen Tag von den Treuen auch in Asien mit Gastmahl mit Vivat +und Freudenfeuer gehalten, nur etwas früher, weil dort die Uhren +falsch gehen. Kam eine frohe Nachricht von dem Vorrücken und dem +Siege der hohen Alliierten in Deutschland an, der Schneider war der +erste, der sie wusste, und seinen Kindern--er nannte sie nur noch +seine Kinder--mit Freudentränen zubrachte, darum, dass sich ihre +Erlösung nahte. Als einmal Geld zur Unterstützung der Gefangenen aus +dem Vaterland ankam, war ihre erste Sorge, ihrem Wohltäter seine +Auslagen zu vergüten. "Kinder", sagte er, "verbittert mir meine +Freude nicht!"--"Vater Egetmeier", sagten sie, "tut unserm Herzen +nicht wehe!" Also machte er ihnen zum Schein eine kleine Rechnung, +nur um sie nicht zu betrüben, und um das Geld wieder zu ihrem +Vergnügen anzuwenden, bis die letzte Kopeke aus den Händen war. Das +gute Geld war für einen andern Gebrauch zu bestimmen, aber man kann +nicht an alles denken. Denn als endlich die Stunde der Erlösung +schlug, gesellte sich zur Freude ohne Mass der bittere Schmerz der +Trennung und zu dem bittern Schmerz die Not. Denn es fehlte an +allem, was zur Notdurft und zur Vorsorge auf eine so lange Reise in +den Schrecknissen des russischen Winters und einer unwirtbaren +Gegend nötig war, und ob auch auf den Mann, solange sie durch +Russland zu reisen hatten, täglich 13 Kreuzer verabreicht wurden, so +reichte doch das wenige nirgends hin. Darum ging in diesen letzten +Tagen der Schneider, sonst so frohen, leichten Mutes, still und +nachdenklich herum, als der etwas im Sinn hat, und war wenig mehr zu +Hause. "Es geht ihm recht zu Herzen", sagten die rheinländischen +Herren Hausfreunde und merkten nichts. Aber auf einmal kam er mit +grossen Freudenschritten, ja mit verklärtem Antlitz zurück: "Kinder, +es ist Rat. Geld genug!"--Was war's? Die gute Seele hatte für +zweitausend Rubel das Haus verkauft. "Ich will schon eine Unterkunft +finden", sagte er, "wenn nur Ihr ohne Leid und Mangel nach +Deutschland kommt." O du heiliges, lebendig gewordenes Sprüchlein +des Evangeliums und seiner Liebe: "Verkaufe, was du hast, und gib es +denen, die es bedürftig sind, so wirst du einen Schatz im Himmel +haben." Der wird einst weit oben rechts zu erfragen sein, wenn die +Stimme gesprochen hat: "Kommt, ihr Gesegneten! Ich bin hungrig +gewesen, und ihr habt mich gespeist, ich bin nackt gewesen, und ihr +habt mich gekleidet, ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr +habt euch meiner angenommen." Doch der Kauf wurde, zu grossem Trost +für die edeln Gefangenen, wieder rückgängig gemacht. + +Nichtsdestoweniger brachte er auf andere Art noch einige hundert +Rubel für sie zusammen und nötigte sie, was er hatte von kostbarem +russischem Pelzwerk, mitzunehmen, um es unterwegs zu verkaufen, wenn +sie Geldes bedürftig wären oder einem ein Unglück widerführe. Den +Abschied will der Hausfreund nicht beschreiben. Keiner, der dabei +war, vermag es. Sie schieden unter tausend Segenswünschen und Tränen +des Dankes und der Liebe, und der Schneider gestand, dass dieses für +ihn der schmerzlichste Tag seines Lebens sei. Die Reisenden aber +sprachen unterwegs unaufhörlich und noch immer von ihrem Vater in +Pensa, und als sie in Bialystock in Polen wohlbehalten ankamen und +Geld antrafen, schickten sie ihm dankbar das vorgeschossene +Reisegeld zurück. + +Das war das Gotteskind Franz Anton Egetmeier, Schneidermeister in +Asien. Der Hausfreund wird im künftigen Kalender noch ein freudiges +Wort von ihm zu reden wissen, und es wäre nimmer der Mühe wert, +einen Kalender zu schreiben, wenn sich die geneigten Leser nicht auf +sein Bildnis freuen wollten, was er ihnen zu stiften verspricht. + + + +Der schwarze Mann in der weissen Wolke + + +Sonst hat der Hausfreund nie viel auf Gespenster gehalten, wenn +einem die Gespenster erscheinen; diesmal zwar auch nicht. Denn als +er eines Tages, es war aber Nacht, mit dem Adjunkt und mit dem +Vizepräsident durch den Brassenheimer Wald nach Hause ging; vornehme +Herren schämen sich nicht, mit ihm zu gehen und gut Freund zu sein, +absonderlich bei Nacht, wenn es niemand sieht, und wenn sie selber +froh sind, dass sie jemand begleitet; denn als wir aus dem Wald +kamen, schlug es 12 Uhr in Brassenheim, und die Mitternacht seufzte +in den Bäumen. Ein schwacher Wind wehte durch die finstere Nacht, +und der Himmel war verhängt; nur bisweilen schimmerte der abnehmende +Mond ein wenig durch die Wolken, wo sie am brüchigsten waren. +"Adjunkt", sagte der Vizepräsident, "wisst Ihr nichts zu erzählen?" +"Ja", sagte der Adjunkt: "die Hirschauer wollten Anno 3 eine Brücke +bauen, so stellten sie die Brücke der Länge nach in den Strom, denn +sie sagten: Es sieht besser aus, und wenn ein grosses Wasser kommt, +kann es besser an der Brücke vorbei und nimmt sie nicht mit." + +"Adjunkt", sagte der Hausfreund, "sind wohl die Flinten zuerst +erfunden worden oder die Ladstecken?" Der Adjunkt sagte: "Die +Ladstecken. Denn sonst wäre es nicht der Mühe wert gewesen, die +Flinten zu erfinden, weil man sie doch nicht hätte laden können." +Als aber der Adjunkt niessen musste, drehte er den Kopf seitwärts +gegen das Feld und niesst. Indem er den Kopf seitwärts dreht, druckt +er sich auf einmal an den Hausfreund. "Habt Ihr nichts gesehn, +Hausfreund?" sagte er ängstlich und leise. "Eine schneeweisse Wolke +stieg aus der Erde auf, und in der Wolke stand ein schwarzer Mann +und hat mir gewinkt, ich soll kommen." "Warum seid Ihr nicht +gegangen?" sagte der Hausfreund. "Es sind Euch Funken aus den Augen +gefahren, weil Ihr habt niessen müssen." "Er hat das Feuer im Elsass +gesehen", sagte der Vizepräsident. Aber bald verging uns der Spass, +und die Mitternacht schauerte allen durch Mark und Bein. Denn im +nämlichen Augenblick erscheint wieder die weisse Wolke und in der +weissen Wolke die schwarze Gestalt und winkt. Weg war's wieder auf +einmal. "Habt Ihr's jetzt gesehen?" fragte der Adjunkt; "es ist gut, +dass der Herr Präsident bei uns ist, mit uns zweien machte er kurzen +Prozess." Aber der Präsident dachte, es ist gut, dass der Hausfreund +bei mir ist, dass ich mich an ihm heben kann. Denn allen zitterten +die Kniee, und der Mut stieg keinem sonderlich in die Höhe, aber das +Haar. Der Hausfreund will's einstweilen dem geneigten Leser zu raten +geben, was es war. Denn als wir wieder ein wenig zur Besinnung +gekommen waren, obgleich die Erscheinung wenigstens siebenmal +wiederkam, sagte endlich der Präsident: "Hausfreund, Ihr habt doch +am meisten getrunken in Neuhausen, so werdet Ihr auch den meisten +Mut haben; redet den Geist an!" Da rief der Hausfreund: "Alle guten +Geister! Schwarze Gestalt der Mitternacht, wer bist du?" Da rief der +Geist mit Zetergeschrei: "Ich bin der Xaveri Taubenkorn von +Brassenheim. Um unsrer lieben Frauen willen verschont mich!" + +Merke: Der Taubenkorn ist ein unbescholtener Gerichtsmann in +Brassenheim und wirtet; also kennt ihn der Hausfreund wohl, und ist +ein lobenswerter Feldmann, dem keine Stunde in der Nacht zu spät +oder zu früh ist für seinen Acker. Als ihn nun der Hausfreund +fragte: "Xaveri, was treibt Ihr für Blendwerk? Seid Ihr mit dem +Bösen im Bund?"--sagte er: "Seid Ihr's, Hausfreund? Nein, ich +streue Ips auf meinen Kleeacker. Der Wind ist gut, und es kommt bald +ein linder Regen." Also, wenn er eine Handvoll Gips auswarf, +entstand die Wolke, ein wenig vom Mond erhellt, und man sah darin +den Xaveri wie einen Schatten, und wenn er die Hand zurückzog, +meinte man, er winke; aber wenn das Gipsmehl verflogen und gefallen +war, sah man nichts mehr.--"Ihr habt mich rechtschaffen +erschreckt", sagte der Xaveri zum Hausfreund, "denn ich habe nicht +anders geglaubt, als es beschreit mich ein Gespenst. Ein ander Mal +lasst Euere Possen bleiben." + + + +Der sicherste Weg + + +Bisweilen hat selbst ein Betrunkener noch eine Überlegung oder doch +einen guten Einfall, wie einer, der auf dem Heimweg aus der Stadt +nicht auf dem gewöhnlichen Pfad, sondern gerade in dem Wasser ging, +das dicht neben dem Pfade fortläuft. Ihm begegnete ein +menschenfreundlicher Herr, der gerne der Notleidenden und +Betrunkenen sich annimmt, und wollte ihm die Hand reichen. "Guter +Freund", sagte er, "merkt Ihr nicht, dass Ihr im Wasser geht? Hier +ist der Fusspfad!" Der Betrunkene erwiderte: sonst finde er's auch +bequemer, auf dem trockenen Pfad zu gehen, aber diesmal habe er ein +wenig auf die Seite geladen. "Eben deswegen", sagte der Herr, "will +ich Euch aus dem Bache heraushelfen!" "Eben deswegen", erwiderte der +Betrunkene, "bleib' ich drin. Denn wenn ich im Bach gehe und falle, +so falle ich auf den Weg. Wenn ich aber auf dem Weg falle, so falle +ich in den Bach." So sagte er und klopfte mit dem Zeigefinger auf +die Stirne, nämlich, dass darin ausser dem Rausche auch noch etwas +mehr sei, woran ein anderer nicht denke. + + + +Der silberne Löffel + + +In Wien dachte ein Offizier: Ich will doch auch einmal im Roten +Ochsen zu Mittag essen, und geht in den Roten Ochsen. Da waren +bekannte und unbekannte Menschen, Vornehme und Mittelmässige, +ehrliche Leute und Spitzbuben wie überall. Man ass und trank, der +eine viel, der andere wenig. Man sprach und disputierte von dem und +jenem, zum Exempel von dem Steinregen bei Stannern in Mähren, von +dem Machin in Frankreich, der mit dem grossen Wolf gekämpft hat. Das +sind dem geneigten Leser bekannte Sachen, denn er erfährt alles ein +Jahr früher als andere Leute.--Als nun das Essen fast vorbei war, +einer und der andere trank noch eine halbe Mass Ungarwein zum +Zuspitzen, ein anderer drehte Kügelein aus weichem Brot, als wenn er +ein Apotheker wär' und wollte Pillen machen, ein dritter spielte mit +dem Messer oder mit der Gabel oder mit dem silbernen Löffel. Da sah +der Offizier von ungefähr zu, wie einer in einem grünen Rocke mit +dem silbernen Löffel spielte, und wie ihm der Löffel auf einmal in +den Rockärmel hineinschlüpfte und nicht wieder herauskam. +Ein anderer hätte gedacht: was geht's mich an? und wäre still dazu +gewesen oder hätte grossen Lärm angefangen. Der Offizier dachte: Ich +weiss nicht, wer der grüne Löffelschütz ist, und was es für ein +Verdruss geben kann, und war mausstill, bis der Wirt kam und das +Geld einzog. Als der Wirt kam und das Geld einzog, nahm der Offizier +auch einen silbernen Löffel und steckte ihn zwischen zwei +Knopflöcher im Rocke, zu einem hinein, zum, andern hinaus, wie es +manchmal die Soldaten im Kriege machen, wenn sie den Löffel +mitbringen, aber keine Suppe.--Währenddem der Offizier seine Zeche +bezahlte, und der Wirt schaute ihm auf den Rock, dachte er: Das ist +ein kurioser Verdienstorden, den der Herr da anhängen hat. Der muss +sich im Kampf mit einer Krebssuppe hervorgetan haben, dass er zum +Ehrenzeichen einen silbernen Löffel bekommen hat; oder ist's gar +einer von meinen eigenen? Als aber der Offizier dem Wirt die Zeche +bezahlt hatte, sagte er mit ernsthafter Miene: "Und der Löffel geht +ja drein. Nicht wahr? Die Zeche ist teuer genug dazu." Der Wirt +sagte: "So etwas ist mir noch nicht vorgekommen. Wenn Ihr keinen +Löffel daheim habt, so will ich Euch einen Patentlöffel schenken, +aber meinen silbernen lasst mir da." Da stand der Offizier auf, +klopfte dem Wirt auf die Achsel und lächelte. "Wir haben nur Spass +gemacht", sagte er, "ich und der Herr dort in dem grünen Rocke. Gebt +Ihr Euern Löffel wieder aus dem Ärmel heraus, grüner Herr, so will +ich meinen auch wieder hergeben." + +Als der Löffelschütz merkte, dass er verraten sei, und dass ein +ehrliches Auge auf seine unehrliche Hand gesehen hatte, dachte er: +Lieber Spass als Ernst, und gab seinen Löffel ebenfalls her. Also +kam der Wirt wieder zu seinem Eigentum,. und der Löffeldieb lachte +auch--aber nicht lange. Denn als die andern Gäste das sahen, jagten +sie den verratenen Dieb mit Schimpf und Schande und ein paar Tritten +unter der Türe zum Tempel hinaus, und der Wirt schickte ihm den +Hausknecht mit einer Handvoll ungebrannter Asche nach. Den wackern +Offizier aber bewirtete er noch mit einer Bouteille voll Ungarwein +auf das Wohlsein aller ehrlichen Leute. + +Merke: Man muss keine silbernen Löffel stehlen. + +Merke: Das Recht findet seinen Knecht. + + + +Der sinnreiche Bettler + + +Sonst bemessen die Bettler ihre dankbaren Wünsche nach dem Wert der +Gabe, die ihnen gereicht wird. Derjenige, von welchem hier die Rede +ist, sagt, das sei grundfalsch. Wer ihm viel gibt, dem wünscht er +eine hundertfältige Vergeltung von Gott. Wer ihm aber wenig gibt, +dem wünscht er eine tausendfältige oder, wenn es noch weniger ist, +eine hunderttausendfältige Vergeltung. Denn er sagt: "Ich muss einen +gleich guten Willen bei allen voraussetzen. Wer wenig reicht, wird +wenig haben. Ich muss ihm also mehr wünschen. Soll ich das Meinige +auch noch dazu beitragen, dass zuletzt die Reichen alles bekommen?" + + + +Der Star von Segringen + + +Selbst einem Staren kann es nützlich sein, wenn er etwas gelernt +hat, wie viel mehr einem Menschen.--In einem respektabeln Dorf, ich +will sagen, in Segringen, es ist aber nicht dort geschehen, sondern +hier im Land, und derjenige, dem es begegnet ist, liest es +vielleicht in diesem Augenblick, nicht der Star, aber der Mensch. In +Segringen der Barbier hatte einen Star, und der wohlbekannte +Lehrjung gab ihm Unterricht im Sprechen. Der Star lernte nicht nur +alle Wörter, die ihm sein Sprachmeister aufgab, sondern er ahmte +zuletzt auch selber nach, was er von seinem Herrn hörte, zum +Exempel: Ich bin der Barbier von Segringen. Sein Herr hatte sonst +noch allerlei Redensarten an sich, die er bei jeder Gelegenheit +wiederholte, zum Exempel: so so lala; oder par compagnie (das heisst +so viel als: in Gesellschaft mit andern); oder: wie Gott will; oder: +du Dolpatsch. So titulierte er nämlich insgemein den Lehrjungen, +wenn er das halbe Pflaster auf den Tisch strich anstatt aufs Tuch, +oder wenn er das Schermesser am Rücken abzog anstatt die Schneide, +oder wenn er ein Gütterlein verheite. Alle diese Redensarten lernte +nach und nach der Star auch. Da nun täglich viel Leute im Haus +waren, weil der Barbier auch Branntwein ausschenkte, so gab's +manchmal viel zu lachen, wenn die Gäste miteinander ein Gespräch +führten, und der Star warf auch eins von seinen Wörtern drein, das +sich dazu schickte, als wenn er den Verstand davon hätte; und +manchmal, wenn ihm der Lehrjung rief: "Hansel, was machst du?" +antwortete er: "du Dolpatsch!" und alle Leute in der Nachbarschaft +wussten von dem Hansel zu erzählen. Eines Tages aber, als ihm die +beschnittenen Flügel wieder gewachsen waren, und das Fenster war +offen und das Wetter schön, da dachte der Star: Ich hab' jetzt schon +so viel gelernt, dass ich in der Welt kann fortkommen, und husch! +zum Fenster hinaus. Weg war er. Sein erster Flug ging ins Feld, wo +er sich unter eine Gesellschaft anderer Vögel mischte, und als sie +aufflogen, flog er mit ihnen, denn er dachte: sie wissen die +Gelegenheit hierzuland besser als ich. Aber sie flogen +unglücklicherweise alle miteinander in ein Garn. Der Star sagte: +"Wie Gott will." Als der Vogelsteller kommt und sieht, was er für +einen grossen Fang getan hat, nimmt er einen Vogel nach dem andern +behutsam heraus, dreht ihm den Hals um und wirft ihn auf den Boden. +Als er aber die mörderischen Finger wieder nach einem Gefangenen +ausstreckte, und denkt an nichts, schrie der Gefangene: "Ich bin der +Barbier von Segringen!" Als wenn er wüsste, was ihn retten muss. Der +Vogelsteller erschrak anfänglich, als wenn es hier nicht mit rechten +Dingen zuginge, nachher aber, als er sich erholt hatte, konnte er +kaum vor Lachen zu Atem kommen; und als er sagte: "Ei, Hansel, hier +hätt' ich dich nicht gesucht; wie kommst du in meine Schlinge?" da +antwortete der Hansel: "Par compagnie." Also brachte der +Vogelsteller den Star seinem Herrn wieder und bekam ein gutes +Fanggeld. Der Barbier aber erwarb sich damit einen guten Zuspruch, +denn jeder wollte den merkwürdigen Hansel sehen, und wer jetzt noch +weit und breit in der Gegend will zur Ader lassen, geht zum +Balbierer von Segringen. + +Merke: So etwas passiert einem Staren selten. Aber schon mancher +junge Mensch, der auch lieber herumflankieren als daheim bleiben +wollte, ist ebenfalls par compagnie in die Schlinge geraten und +nimmer herauskommen. + + + +Der Talhauser Galgen + + +"Wann bringt man denn die Juden? Es kommt ja niemand", sagte zu dem +Vogt von Gillmannshofen endlich der Obmann. Nämlich der Vogt war +Tages vorher in der Stadt gewesen und hatte sich bei dem Herrn +Amtmann Rates erholt in irgend einer Sache. "Es ist ganz gut", sagte +der Amtmann, "dass Ihr da seid: hier sind vier Oberamtsbefehle an +Euch, die könnt Ihr nun selber mitnehmen." Als der Vogt in den Roten +Löwen zurückgekommen war, während er fortfuhr, wo er vorher war +stehen geblieben, nämlich am fünften Schöpplein, zog er die vier +Befehle aus der Tasche, ob er ihnen nicht vorderhand aussen ansehen +könne, was inwendig stehen möchte, wie man bisweilen seltsamerweise +tut. Hernach schob er die Befehle wieder in die Rocktasche. Hernach +bei dem sechsten Schöpplein legte er die Arme auf den Tisch und den +Kopf auf die Arme und schlief ein. Lustige Herren sassen an einem +andern Tisch, und der durchtriebenste von ihnen, einer wie der Herr +Theodor, sagte: "Ich will einen Spass machen." Nämlich er schrieb +einen falschen Befehl, dass, da morgen den 15ten drei Juden sollen +gehenkt werden, so habe sich der Vogt von Gillmannshofen mit +vierundzwanzig Mann und einem Obmann, nicht minder sämtlichen +Schulkindern bei dem Talhauser Galgen früh um 9 Uhr unfehlbar +einzufinden. Hernach zog er dem Vogt einen Befehl heimlich aus der +Tasche und schob an dessen Stelle den falschen hinein. Auf dem +Heimwege nach Gillmannshofen fing doch der Vogt an die Befehle +aufzutun, was der Amtmann wieder mit ihm wolle, und als er anfing, +den falschen Befehl zu lesen, "das muss ein Irrtum sein", sagte er +zu sich selber, und ging in die Stadt zurück, um den Amtmann darüber +zu befragen. Der Amtmann und seine Frau und der Herr Oberrevisor und +seine Frau ergötzten sich nach des Tages Last und Arbeit mit einem +Kartenspiel. "Was wollt Ihr schon wieder", fuhr ihn der Amtmann an, +"seht Ihr nicht, dass Gesellschaft bei mir ist?" Der Vogt wollte ihm +erklären, dass er einen Anstoss habe an einem von den Befehlen, und +dass er meine--"Ein unruhiger Kopf seid Ihr", sagte der Amtmann, +wie er's denn auch wirklich war. "Ihr habt nichts zu meinen-- +Gehorsam habt Ihr zu leisten, was man Euch befiehlt, und damit +Punktum. Seid Ihr noch nicht genug gestraft worden?" Demnach so ging +der Vogt wieder seines Wegs, und den andern Morgen zog er mit einer +Rotte von vierundzwanzig Mann und einem Obmann und der Herr +Schulmeister mit der Schuljugend und viele Freiwillige nach dem +Talhauser Galgen, der linker Hand auf einer kleinen Anhöhe steht, +wenn man von der Neuhauser Mühle in die Stadt geht. "Es ist schade", +sagte der Vogt zum Obmann, "dass es so entsetzlich regnet. Es wird +mancher daheim bleiben." Als sie vor den Talhauser Wald hinauskamen +und den Galgen noch mutterseelallein im Felde stehen sahen, "wir +sind die ersten", sagte der Vogt zum Obmann, "es ist noch niemand +da." Der Freiwilligen suchte sich jeder einen guten Platz aus, wo +man's gut sehen kann. Einige setzten sich zum voraus auf +nahestehende Bäume, andere standen einstweilen unter. Aber es +geschah nichts. Wandersleute, die in ihren Geschäften des Weges +zogen, blieben auch im Regen stehen und wollten abwarten, was aus +dem seltsamen Aufzug werden wolle. Aber es geschah nichts. "Sie +werden warten", sagte der Vogt, "bis es nimmer so arg schüttet." Der +Herr Schulmeister hielt zur Zeitverkürzung eine Standrede um die +andere an die Schuljugend, dass, ob es gleich nur Juden seien, +sollten sie doch ein christliches Exempel daran nehmen. Aber es +wollt noch nichts kommen. Es läutete schon Mittag in allen Dörfern, +aber der Mittag läutete auch nichts herbei. Deswegen sagte zuletzt +der Obmann zu dem Vogt: "Wann bringt man denn die Juden? Es kommt ja +niemand. Oder sind wir gar zuletzt Eure Narren?" sagte er. "Es wäre +kein Wunder, wir henkten Euch selber daran, damit die Leute nicht +umsonst dagewesen sind."--Kurz, es kam eben niemand. + +Seitdem, wer durch Gillmannshofen geht und fragt in guter Meinung +oder aus Mutwillen, ob schon lang niemand mehr am Talhauser Galgen +gehenkt worden sei, oder so, der wird geschlagen. + + + +Der unschuldig Gehenkte + + +Folgende unglückliche Begebenheit hat sich auf dem Spessart +zugetragen. Mehrere Knaben hüteten miteinander an einer Berghalde +unten an dem Wald das Vieh ihrer Eltern oder Meister. In der +Langweile trieben sie allerlei und ahmten untereinander, wie dieses +Alter zu tun pflegt, die Handlungen und Geschäfte der erwachsenen +Menschen spielend nach. Eines Tages sagte der eine von ihnen: "Ich +will der Dieb sein."--" So will ich das Oberamt sein", sagte der +zweite. "Seid ihr die Hatschiere", sagte er zum dritten und vierten, +"und du bist der Henker", sprach er zum fünften. Gut! Der Dieb +stiehlt einem seiner Kameraden heimlich ein Messer und setzt sich +auf flüchtigen Fuss; der Bestohlene klagt beim Oberamt; die +Hatschiere streifen im Revier, attrapieren den Dieb in einem hohlen +Baum und liefern ihn ein. Der Richter verurteilt ihn zum Tode. +Unterdessen hört man im Wald einen Schuss fallen; Hundegebell erhebt +sich. Man achtet's nicht. Der Henker wirft dem Malefikanten kurz und +gut einen Strick um den Hals und henkt ihn im Unverstand und +Leichtsinn an einen Aststumpen an einem Baumstamm, also, dass er mit +den Füssen nicht gar kann die Erde berühren, denkt, ein paar +Augenblicke kann er's schon aushalten. Plötzlich rauscht es im +dürren Laub im Wald; es knackt und kracht im dichten Gehörst; ein +schwarzer, wilder Eber bricht zottig und blitzend aus dem Wald +hervor und läuft über den Richtplatz. Die Hirtenbuben, denen es +ohnehin halber zumute war, als ob es doch nicht ganz recht wäre, mit +einer so ernsthaften und bedenklichen Sache Mutwillen zu treiben, +erschrecken, meinen, es sei der Teufel, vor dem uns Gott behüte, +laufen vor Angst davon, einer von ihnen ins Dorf und erzählt, was +geschehen sei. Aber als man kam, um den Gehenkten abzulösen, war er +erstickt und tot. Dies ist eine Warnung. Das Oberamt und die +Hatschiere kamen nachher auf drei Wochen ins Zuchthaus, und der +Henker auf sechs. Dass aber der Eber soll der Teufel gewesen sein, +hat sich nicht bestätigt. Denn er wurde von den nacheilenden Jägern +erlegt und zum Forstamt geliefert; der Teufel aber befindet sich +noch am Leben. + + + +Der Vater und der Sohn + + +Der Vater stellte ein Gläslein voll Arznei in die Schublade, weil er +glaubte, es sei nirgends besser verwahrt. Als aber der Sohn nach +Hause kam und die Schublade schnell aufziehn wollte, fiel das +Gläslein um und zerbrach. Da gab ihm der Vater eine zornige Ohrfeige +und sagte: "Kannst du nicht zuerst schauen, was in der Tischlade +ist, eh' du sie auftust?" Der Sohn erwiderte zwar: Nein, das könne +niemand. Aber der Vater sagte: "Den Augenblick sei still, oder du +bekommst noch eine." + +Merke: Man ist nie geneigter Unrecht zu tun, als wenn man Unrecht +hat. Recht ist gut beweisen. Aber für das Unrecht braucht man schon +Ohrfeigen und Drohungen zum Beweistum. + + + +Der verachtete Rat + + +Man darf nie weniger geschwind tun, wenn etwas geschehen soll, als +wenn man auf die Stunde einhalten will. Ein Fussgänger auf der +Basler Strasse drehte sich um und sah einen wohlbeladenen Wagen +schnell hinter sich hereilen. "Dem muss es nicht arg pressieren", +dachte er.--"Kann ich vor Torschluss noch in die Stadt kommen?" +fragte ihn der Fuhrmann.--"Schwerlich", sagte der Fussgänger, "doch +wenn Ihr recht langsam fahrt, vielleicht. Ich will auch noch +hinein."--"Wie weit ist's noch?"--"Noch zwei Stunden."--"Ei", +dachte der Fuhrmann, "das ist einfältig geantwortet. Was gilt's, es +ist ein Spassvogel." Wenn ich mit Langsamkeit in zwei Stunden +hineinkomme, dachte er, so zwing' ich's mit Geschwindigkeit in +anderthalber und hab's desto gewisser. Also trieb er die Pferde an, +dass die Steine davonflogen und die Pferde die Eisen verloren. Der +Leser merkt etwas. "Was gilt's", denkt er, "es fuhr ein Rad vom +Wagen?" Es kommt dem Hausfreund auch nicht darauf an. Eigentlich +aber, und die Wahrheit zu sagen, brach die hintere Achse. Kurz, der +Fuhrmann musste schon im nächsten Dorf über Nacht bleiben. An Basel +war nimmer zu denken. Der Fussgänger aber, als er nach einer Stunde +durch das Dorf ging und ihn vor der Schmiede erblickte, hob er den +Zeigfinger in die Höhe. "Hab ich Euch nicht gewarnt", sagte er, +"hab' ich nicht gesagt: Wenn Ihr langsam fahrt!" + + + +Der verwegene Hofnarr + + +Der König hatte ein Pferd, das war ihm so lieb, dass er sagte: "Ich +weiss nicht, was ich tue, wenn das Pferd mir stirbt. Aber den, der +mir von seinem Tod die erste Nachricht bringt, den lass ich auch +gewiss aufhenken." Item, das Rösslein starb doch, und niemand wollte +dem König die erste Nachricht davon bringen. Endlich kam der +Hofnarr. "Ach, gnädigster Herr", rief er aus, "Ihr Pferd! Ach das +arme, arme Pferd! Gestern war es noch so"--da stotterte er, und der +erschrockene König fiel ihm ins Wort und sagte: "Ist es gestorben? +Ganz gewiss ist es gestorben, ich merk's schon." "Ach gnädigster +Herr", fuhr der Hofnarr mit noch grösserm Lamento fort, "das ist +noch lange nicht das Schlimmste." "Nun, was denn?" fragte der König. +"Ach, dass Sie jetzt noch sich selber müssen henken lassen. Denn Sie +haben's zuerst gesagt, dass Ihr Leibpferd tot sei. Ich hab's nicht +gesagt." Der König aber, betrübt über den Verlust seines Pferdes, +aufgebracht über die Frechheit des Hofnarren und doch belustigt +durch seinen guten Einfall, gab ihm augenblicklich .den Abschied mit +einem guten Reisegeld. "Da, Hofnarr", sagte der König, "da hast du +100 Dukaten. Lass dich statt meiner dafür henken, wo du willst. Aber +lass mich nichts mehr von dir sehen und hören! Sonst, wenn ich +erfahre, dass du dich nicht hast henken lassen, so tu ich's." + + + +Der vorsichtige Träumer + + +Es gibt doch einfältige Leute in der Welt. In dem Städtlein +Witlisbach im Kanton Bern war einmal ein Fremder über Nacht, und als +er ins Bett gehen wollte und ganz bis auf das Hemd ausgekleidet war, +zog er noch ein Paar Pantoffeln aus dem Bündel, legte sie an, band +sie mit den Strumpfbändeln an den Füssen fest und legte sich also in +das Bette. Da sagte zu ihm ein anderer Wandersmann, der in der +nämlichen Kammer über Nacht war: "Guter Freund, warum tut Ihr das?" + +Darauf erwiderte der erste: "Wegen der Vorsicht. Denn ich bin einmal +im Traum in eine Glasscherbe getreten. So habe ich im Schlaf solche +Schmerzen davon empfunden, dass ich um keinen Preis mehr barfuss +schlafen möchte." + + + +Der Wasserträger + + +In Paris holt man das Wasser nicht am Brunnen. Wie dort alles ins +Grosse getrieben wird, so schöpft man auch das Wasser ohmweise in +dem Strom, der hindurch fleusst, in der Seine, und hat eigene +Wasserträger, arme Leute, die jahraus, jahrein das Wasser in die +Häuser bringen und davon leben. Denn man müsste viel Brunnen graben +für fünfmalhunderttausend Menschen in einer Stadt, ohne das +unvernünftige Vieh. Auch hat das Erdreich dort kein ander trinkbares +Wasser; solches ist auch eine Ursache, dass man keine Brunnen gräbt. +Zwei solche Wasserträger verdienten ihr Stücklein Brot und tranken +am Sonntag ihr Schöpplein miteinander manches Jahr, auch legten sie +immer etwas weniges von dem Verdienst zurück und setzten's in der +Lotterie. + +Wer sein Geld in die Lotterie trägt, trägt's in den Rhein. Fort +ist's. Aber bisweilen lässt das Glück unter viel Tausenden einen +etwas Namhaftes gewinnen und trompetet dazu, damit die andern Toren +wieder gelockt werden. Also liess es auch unsere zwei Wasserträger +auf einmal gewinnen, mehr als 100’000 Livres. Einer von ihnen, als +er seinen Anteil heimgetragen hatte, dachte nach: Wie kann ich mein +Geld sicher anlegen? Wie viel darf ich des Jahrs verzehren, dass +ich's aushalte und von Jahr zu Jahr noch reicher werde, bis ich's +nimmer zählen kann? Und wie ihn seine Überlegung ermahnte, so tat +er, und ist jetzt ein steinreicher Mann, und ein guter Freund des +Hausfreunds kennt ihn. + +Der andere sagte: "Wohl will ich mir's auch werden lassen für mein +Geld, aber meine Kunden geb ich nicht auf, dies ist unklug", sondern +er nahm auf ein Vierteljahr einen an, einen Adjunkt wie der +Hausfreund, der so lang sein Geschäft verrichten musste, als er +reich war. Denn er sagte: "In einem Vierteljahr bin ich fertig." +Also kleidet er sich jetzt in die vornehmste Seide, alle Tage ein +anderer Rock, eine andere Farbe, einer schöner als der andere, liess +sich alle Tage frisieren, sieben Locken übereinander, zwei Finger +hoch mit Puder bedeckt, mietete auf ein Vierteljahr ein prächtiges +Haus, liess alle Tage einen Ochsen schlachten, sechs Kälber, zwei +Schweine für sich und seine guten Freunde, die er zum Essen +einladete, und für die Musikanten. Vom Keller bis in das Speiszimmer +standen zwei Reihen Bediente und reichten sich die Flaschen, wie man +die Feuereimer reicht bei einem Brand, in der einen Reihe die leeren +Flaschen, in der andern die vollen. + +Den Boden von Paris betrat er nimmer, sondern wenn er in die Komödie +fahren wollte oder ins Palais royal, so mussten ihn sechs Bedienten +in die Kutsche hineintragen und wieder hinaus. Überall war er der +gnädige Herr, der Herr Baron, der Herr Graf und der verständigste +Mann in ganz Paris. Als er aber noch drei Wochen vor dem Ende des +Vierteljahrs in den Geldkasten griff, um eine Handvoll Dublonen +ungezählt und unbeschaut herauszunehmen, als er schon auf den Boden +der Kiste griff, sagte er: "Gottlob, ich werde geschwinder fertig, +als ich gemeint habe." Also bereitete er sich und seinen Freunden +noch einen lustigen Tag, wischte alsdann den Rest seines Reichtums +in der Kiste zusammen, schenkte es seinem Adjunkt und gab ihm den +Abschied. Denn am andern Tag ging er selber wieder an sein altes +Geschäft, trägt jetzt Wasser in die Häuser wie vorher, wieder so +lustig und zufrieden wie vorher. Ja, er bringt das Wasser selbst +seinem ehemaligen Kameraden, nimmt ihm aus alter Freundschaft nichts +dafür ab und lacht ihn aus. + +Der Hausfreund denkt etwas dabei, aber er sagt's nicht. + + + +Der Wegweiser + + +Bekanntlich klagte einst ein alter Schulz von Wasselnheim seiner +Frau, dass ihn sein Französisch fast unter den Boden bringe. Er +sollte nämlich einem französischen Soldaten, der ausgerissen war, +den Weg zeigen, verstand ihn nicht recht, antwortete ihm verkehrt +und bekam für die beste Meinung Schläge genug zum Dank oder vielmehr +zum Undank. Anders sah ein Wegweiser an der württembergischen Grenze +die Sache an. Er sollte nämlich im letzten Krieg einem Zug Franzosen +den Weg über das Gebirg zeigen, wusste aber kein Wort von ihrer +Sprache als Oui, welches so viel heisst als Ja, und Bougre, welches +ein Schimpfname ist. Diese zwei Worte hatte er oft gehört und lernte +sie nachsagen, ohne ihren Sinn zu verstehen. Anfänglich ging alles +gut, solange die Franzosen nur unter sich sprachen und ihn mit +seiner Laterne und drei oder vier Tornistern, die sie ihm angehängt +hatten, voraus oder nebenher gehen liessen. Da er aber der Spur nach +allemal mitlachte, wenn sie etwas zu lachen hatten, so fragte ihn +einer französisch, ob er auch verstünde, was sie miteinander +redeten. Er hätte herzhaft sagen dürfen: Nein! Aber eben weil er es +nicht verstand, so kam es ihm nicht darauf an, was er antwortete. Er +nahm daher all sein Französisch zusammen und antwortete: "Oui, +Bougre" (Ja, Ketzer!). Mit einem ellenlangen französischen Fluche +riss der Soldat den Säbel aus der Scheide und liess ihm denselben um +den Kopf herum und nahe an den Ohren vorbeisausen. "Wie?" sagte er, +"du willst einen französischen Soldaten schimpfen?" "Oui, Bougre!" +war die Antwort. Die andern hatten die höchste Zeit, dem erbosten +Kameraden in den Arm zu fallen, dass er dem Wegweiser, ohne welchen +sie in der finstern Nacht nicht konnten weiterkommen, nicht auf der +Stelle den Kopf spaltete; doch gaben sie ihm mit manchem Fluch und +Flintenstoss rechts und links zu verstehen, wie es gemeint sei, und +fragten ihn alsdann, ob er jetzt wolle manierlicher sein. "Oui, +Bougre!" war die Antwort. Nun wurde er jämmerlich zerschlagen, und +alle seine Bitten um Verzeihung, und alle seine Bitten um Schonung +legte er ihnen mit lauter "Oui, Bougre" ans Herz. Endlich kamen sie +auf die Vermutung, er sei verrückt (denn dass er französisch +verstehe, hatte er bejaht). Sie nahmen daher auf einem Hof, wo noch +ein Licht brannte, einen andern Führer, jagten diesen fort, und er +erwiderte den Abschied des einen, dass er sich zum Henker packen +sollte, richtig mit " Oui, Bougre". Als er aber so bald wieder nach +Haus kam und sich seine Frau verwunderte, die ihn erst auf den +andern Mittag wieder erwarten konnte, so erzählte er, wie die +Soldaten unterwegs viel Spass mit ihm gehabt hätten, so dass es ihm +fast sei zu arg worden, und wie sie hernach auf dem Zierhauser Hof +einen andern genommen und ihn wieder heimgeschickt hätten. Die +Franzosen (setzte er treuherzig hinzu) sind nicht so schlimm, als +man meint, wenn man nur mit ihnen reden kann. + + + +Der Wettermacher + + +Gleichwie einem Siebmacher oder einem Hafenbinder, wenn er in einem +kleinen Ort zu Hause ist, können seine Mitbürger nicht das ganze +Jahr Arbeit und Nahrung geben, sondern er begibt sich auf +Künstlerreisen im Revier herum und geht seinem Verdienst nach; also +auch der Zirkelschmied ist fleissig darauf im andern Revier und +handelt nicht mit Zirkeln, sondern mit Trug und Schelmerei, um die +Leute zu berücken und sich freizutrinken im Wirtshaus. Also +erscheint er einmal in Obernehingen und geht gerade zum Schulz. +"Herr Schulz", sagt er, "könntet Ihr kein ander Wetter brauchen? Ich +bin durch Euere Gemarkung gegangen. Die Felder in der Tiefe haben +schon zu viel Regen gehabt, und auf der Höhe ist das Wachstum auch +noch zurück." Der Schulz meinte, das seie geschwind gesagt, aber +besser machen sei eine Kunst. "Ei", erwidert der Zirkelschmied, "auf +das reise ich ja. Bin ich nicht der Wettermacher von Bologna? In +Italien", sagte er, "wo doch Pomeranzen und Zitronen wachsen, wird +alles Wetter auf Bestellung gemacht. Darin seid ihr Deutsche noch +zurück." Der Schulz ist ein guter und treuherziger Mann und gehört +zu denen, die lieber geschwind reich werden möchten als langsam. +Also leuchtete ihm das Anbieten des Zirkelschmieds ein. Doch wollte +er vorsichtig sein. "Macht mir morgen früh einen heitern Himmel", +sagte er, "zur Probe, und ein paar leichte weisse Wölklein dran, den +ganzen Tag Sonnenschein und in der Luft so zarte, glänzende Fäden. +Auf den Mittag könnt Ihr die ersten gelben Sommervögel los lassen, +und gegen Abend darf's wieder kühl werden." Der Zirkelschmied +erwiderte: "Auf einen Tag kann ich mich nicht einlassen, Herr +Schulz. Es trägt die Kosten nicht aus. Ich unternehm's nicht anderst +als auf ein Jahr. Dann sollt Ihr aber Not haben, wo Ihr Euere Frucht +und Euern Most unterbringen wollt." Auf die Frage des Schulzen, +wieviel er für den Jahrgang fordere, verlangte er zum voraus nichts +als täglich einen Gulden und freien Trunk, bis die Sache +eingerichtet sei, es könne wenigstens drei Tage dauern; "hernach +aber von jedem Saum Wein, den ihr mehr bekommt", sagte er, "als in +den besten Jahren, ein Viertel, und von jedem Malter Frucht einen +Sester." "Das wär' nicht veil", sagte der Schulz. Denn dortzuland +sagt man veil statt viel, wenn man sich hochdeutsch explizieren +will. Der Schulz bekam Respekt vor dem Zirkelschmied und explizierte +sich hochdeutsch. Als er nun aber Papier und Feder aus dem +Schränklein holte und dem Zirkelschmied das Wetter von Monat zu +Monat vorschreiben wollte, machte ihm der Zirkelschmied eine neue +Einwendung: "Das geht nicht an, Herr Schulz! Ihr müsst auch die +Bürgerschaft darüber hören. Denn das Wetter ist eine Gemeindssache. +Ihr könnt nicht verlangen, dass die ganze Bürgerschaft Euer Wetter +annehmen soll." Da sprach der Schulz: "Ihr habt recht! Ihr seid ein +verständiger Mann." + +Der geneigte Leser aber ist nun der Schelmerei des Zirkelschmieds +auf der rechten Spur, wenn er zum voraus vermutet, die Bürgerschaft +sei über die Sache nicht einig geworden. In der ersten +Gemeindsversammlung wurde noch nichts ausgemacht, in der siebenten +auch noch nichts, in der achten kam's zu ernsthaften Redensarten, +und ein verständiger Gerichtsmann glaubte endlich, um Fried' und +Einigkeit in der Gemeinde zu erhalten, wär's am besten, man zahlte +den Wettermacher aus und schickte ihn fort. Also beschied der Schulz +den Wettermacher vor sich: "Hier habt Ihr Euere neun Gulden, +Unheilstifter, und nun tut zur Sache, dass Ihr fortkommt, eh' Mord +und Totschlag in der Gemeinde ausbricht." Der Zirkelschmied liess +sich nicht zweimal heissen. Er nahm das Geld, hinterliess eine +Wirtsschuld von zirka 24 Mass Wein, und mit dem Wetter blieb es, wie +es war. + +Item, der Zirkelschmied bleibt immer ein lehrreicher Mensch. Merke, +wie gut es sei, dass der oberste Weltregent bisher die Witterung +nach seinem Willen allein gelenkt hat. Selbst wir Kalendermacher, +Planeten und übrigen Landstände werden nicht leicht um etwas gefragt +und haben, was das betrifft, ruhige Tage. + + + +Der wohlbezahlte Spassvogel + + +Wie man in den Wald schreit, so schreit es wieder heraus. Ein +Spassvogel wollte in den neunziger Jahren einen Juden in Frankfurt +zum besten haben. Er sprach also zu ihm: "Weisst du auch, Mauschel, +dass in Zukunft die Juden in ganz Frankreich auf Eseln reiten +müssen?" Dem hat der Jude also geantwortet: "Wenn das ist, artiger +Herr, so wollen wir zwei auf dem deutschen Boden bleiben, wenn schon +Ihr kein Jude seid." + + + +Der Wolkenbruch in Türkheim + + +Ein ehemalig guter Bekannter des Hausfreundes tat im Oktober einen +Streifzug auf Wein in das Elsass. Wie er in Türkheim abends in das +Wirtshaus kommt, sitzt der Präsident da bei einem Schöpplein und +isst zwei Bratwürste, eine nach der andern. "Herr Präsident", sagte +der gute Bekannte, "treff' ich Euch hier an? Eher hätte ich des +Himmels Einfall vermutet." Der Präsident lächelt und sagte: "Es ist +alles möglich." Sie bleiben beisammen, diskurieren allerlei +miteinander, trinken auch allerlei miteinander, gehn miteinander in +das Schlafgemach, jeder in ein Bett apart. Das Bett des guten +Freundes hatte einen Umhang. Früh gegen Tag, wenn man anfängt sich +zu strecken, stemmte er sich mit den Füssen gegen das untere Brett +der Bettlade. Das Brett gab nach, der Betthimmel gab auch nach. Ein +paar Bretter, ein Haspel, zwei Paar Schuh usw., Brastbergers +Predigtbuch und eine grosse Flasche voll Kirschenwasser stürzten +herunter. Aber die Flasche zerbrach unterwegs an dem Haspel und +übergoss den guten Bekannten mit Kirschenwasser und Glasscherben +"Herr Präsident, kommt mir zu Hilfe!"--"Was ist Euch begegnet?" +fragte der Präsident.--"Ich glaube, der Himmel, der über dem Bett +ist, sei eingefallen." Da lachte der Präsident und sagte: "Es kommt +mir auch so vor. Die Wolken hängen auch bis aufs Deckbett herunter. +Sie sind von Tannenholz. Hab' ich Euch nicht gesagt, es sei alles +möglich?" + + + +Der Zahnarzt + + +Zwei Tagdiebe, die schon lange miteinander in der Welt herumgezogen, +weil sie zum Arbeiten zu träg oder zu ungeschickt waren, kamen doch +zuletzt in grosse Not, weil sie wenig Geld mehr übrig hatten und +nicht geschwind wussten, wo nehmen. Da gerieten sie auf folgenden +Einfall. Sie bettelten vor einigen Haustüren Brot zusammen, das sie +nicht zur Stillung des Hungers geniessen, sondern zum Betrug +missbrauchen wollten. Sie kneteten nämlich und drehten aus dem +Weichen desselben lauter kleine Kügelein oder Pillen und bestreuten +sie mit Wurmmehl aus altem, zerfressenem Holz, damit sie völlig +aussahen wie die gelben Arzneipillen. Hierauf kauften sie für ein +paar Batzen einige Bogen rotgefärbtes Papier bei dem Buchbinder +(denn eine schöne Farbe muss gewöhnlich bei jedem Betrug mithelfen). +Das Papier zerschnitten sie alsdann und wickelten die Pillen darein, +je sechs bis acht Stücke in ein Päcklein. Nun ging der eine voraus +in einen Flecken, wo eben Jahrmarkt war, und in den Roten Löwen, wo +er viele Gäste anzutreffen hoffte. Er forderte ein Glas Wein, trank +aber nicht, sondern sass ganz wehmütig in einem Winkel, hielt die +Hand an den Backen, winselte halblaut für sich und kehrte sich +unruhig bald so her, bald so hin. Die ehrlichen Landleute und +Bürger, die im Wirtshaus waren, bildeten sich wohl ein, dass der +arme Mensch ganz entsetzlich Zahnweh haben müsse. Aber was war zu +tun? Man bedauerte ihn, man tröstete ihn, dass es schon wieder +vergehen werde, trank sein Gläslein fort und machte seine +Marktaffären aus. Indessen kam der andere Tagdieb auch nach. Da +stellten sich die beiden Schelme, als ob noch keiner den andern in +seinem Leben gesehen hätte. Keiner sah den andern an, bis der zweite +durch das Winseln des erstern, der im Winkel sass, aufmerksam zu +werden schien. "Guter Freund", sprach er, "Ihr scheint wohl +Zahnschmerzen zu haben?" und ging mit grossen, aber langsamen +Schritten auf ihn zu. "Ich bin der Doktor Staunzius Rapunzia von +Trafalgar", fuhr er fort. Denn solche fremde, volltönige Namen +müssen auch zum Betrug behilflich sein wie die Farben. "Und wenn Ihr +meine Zahnpillen gebrauchen wollt", fuhr er fort, "so soll es mir +eine schlechte Kunst sein, Euch mit einer, höchstens zweien von +Euern Leiden zu befreien."--"Das wolle Gott", erwiderte der andere +Halunk. Hierauf zog der saubere Doktor Rapunzia eines von seinen +roten Päcklein aus der Tasche und verordnete dem Patienten, ein +Kügelein daraus auf den bösen Zahn zu legen und herzhaft darauf zu +beissen. Jetzt streckten die Gäste an den andern Tischen die Köpfe +herüber, und einer um den andern kam herbei, um die Wunderkur mit +anzusehen. Nun könnt ihr euch vorstellen, was geschah. Auf diese +erste Probe wollte zwar der Patient wenig rühmen, vielmehr tat er +einen entsetzlichen Schrei. Das gefiel dem Doktor. Der Schmerz, +sagte er, sei jetzt gebrochen, und gab ihm geschwind die zweite +Pille zu gleichem Gebrauch. Da war nun plötzlich aller Schmerz +verschwunden. Der Patient sprang vor Freuden auf, wischte den +Angstschweiss von der Stirne weg, obgleich keiner dran war, und tat, +als ob er seinem Retter zum Danke etwas Namhaftes in die Hand +drückte.--Der Streich war schlau angelegt und tat seine Wirkung. +Denn jeder Anwesende wollte nun auch von diesen vortrefflichen +Pillen haben. Der Doktor bot das Päcklein für 24 Kreuzer, und in +wenig Minuten waren alle verkauft. Natürlich gingen jetzt die zwei +Schelmen wieder einer nach dem andern weiters, lachten, als sie +wieder zusammenkamen, über die Einfalt dieser Leute und liessen +sich's wohl sein von ihrem Geld. + +Das war teures Brot. So wenig für 24 Kreuzer bekam man noch in +keiner Hungersnot. Aber der Geldverlust war nicht einmal das +Schlimmste. Denn die Weichbrotkügelein wurden natürlicherweise mit +der Zeit steinhart. Wenn nun so ein armer Betrogener nach Jahr und +Tag Zahnweh bekam und in gutem Vertrauen mit dem kranken Zahn einmal +und zweimal darauf biss, da denke man an den entsetzlichen Schmerz, +den er, statt geheilt zu werden, sich selbst für 24 Kreuzer aus der +eigenen Tasche machte. + +Daraus ist also zu lernen, wie leicht man kann betrogen werden, wenn +man den Vorspiegelungen jedes hergelaufenen Landstreichers traut, +den man zum ersten Mal in seinem Leben sieht und vorher nie und +nachher nimmer; und mancher, der dieses liest, wird vielleicht +denken: "So einfältig bin ich zu meinem eigenen Schaden auch schon +gewesen." + +[Merke: Wer so etwas kann, weiss an andern Orten Geld zu verdienen, +läuft nicht auf den Dörfern und Jahrmärkten herum mit Löchern im +Strumpf oder mit einer weissen Schnalle am rechten Schuh und am +linken mit einer gelben.] + + + +Der Zirkelschmied + + +In einer schwäbischen Reichsstadt galt zu seiner Zeit ein Gesetz, +dass, wer sich an einem verheirateten Mann vergreift und gibt ihm +eine Ohrfeige, der muss 5 Gulden Busse bezahlen und kommt 24. +Stunden lang in den Turn. Deswegen dachte am Andreastag ein +verlumpter Zirkelschmied im Vorstädtlein: Ich kann doch auf meinen +Namenstag ein gutes Mittagessen im Goldenen Lamm bekommen, wenn ich +schon keinen roten Heller hier und daheim habe und seit zwei Jahren +nimmer weiss, ob die bayrischen Taler rund oder eckig sind. Darauf +hin lässt er sich vom Lammwirt ein gutes Essen auftragen und trinkt +viel Wein dazu, also dass die Zeche zwei Gulden fünfzehn Kreuzer +ausmachte; was damals auch für einen wohlhabenden Zirkelschmied +schon viel war. Jetzt, dachte er, will ich den Lammwirt zornig +machen und in Jast bringen. "Das war ein schlechtes Essen, Herr +Lammwirt", sagte er, "für ein so schönes Geld. Es wundert mich, dass +Ihr nicht schon lang ein reicher Mann seid, wovon ich doch noch +nichts habe rühmen hören." Der Wirt, so ein Ehrenmann war, +antwortete auch nicht glimpflich, wie es ihm der Zorn eingab, und es +hatte ihm schon ein paar Mal im Arme gejuckt. Als aber der +Zirkelschmied zuletzt sagte: "Es soll mir eine Warnung sein; denn +ich habe mein Leben lang gehört, dass man in den schlechtesten +Kneipen, wie Euer Haus eine ist, am teuersten gehalten wird." Da gab +ihm der Wirt eine entsetzliche Ohrfeige, die allein zwei Dukaten +unter Brüdern wert war, und sagte, er soll jetzt sogleich seine +Zeche bezahlen, "oder ich lasse Euch durch die Knechte bis in die +Vorstadt hinausprügeln". Der Zirkelschmied aber lächelte und sagte: +"Es ist nur mein Spass gewesen, Herr Lammwirt, und Euer Mittagessen +war recht gut. Gebt mir nur für die Ohrfeige, die ich von Euch bar +erhalten habe, zwei Gulden fünfundvierzig Kreuzer auf mein +Mittagessen heraus, so will ich Euch nicht verklagen. Es ist besser, +wir leben im Frieden miteinander als in Feindschaft. Hat nicht Eure +selige Frau meiner Schwester Tochter ein Kind aus der Taufe +gehoben?"--Zu diesen Worten machte der Lammwirt ein paar kuriose +Augen; denn er war sonst ein gar unbescholtener und dabei +wohlhabender Mann und wollte lieber viel Geld verlieren, als wegen +eines Frevels von der Obrigkeit sich strafen lassen und nur eine +Stunde des Turnhüters Hausmann sein. Deswegen dachte er: zwei Gulden +und fünfzehn Kreuzer hat mir der Halunke schon mit Essen und Trinken +abverdient; ringer, ich gebe ihm noch zwei Gulden fünfundvierzig +Kreuzer drauf, als dass ich das Ganze noch einmal bezahlen muss und +werde beschimpft dazu. Also gab er ihm die 2 fl. 45 kr., sagte aber: +"Jetzt komm mir nimmer ins Haus!" + +Drauf, sagt man, habe es der Zirkelschmied in andern Wirtshäusern +probiert, und die Ohrfeigen seien noch ein- oder zweimal al pari +gestanden, wie die Kaufleute sagen, wenn ein Wechselbrief so viel +kr. gilt, als das bare Geld, wofür er verschrieben ist. Drauf seien +sie schnell auf 50 Prozent heruntergesunken und am Ende, wie die +Assignaten in der Revolution, so unwert worden, dass man jetzt +wieder durch das ganze Schwabenland hinaus bis an die bayrische +Grenze so viele unentgeltlich ausgeben und wieder einnehmen kann, +als man ertragen mag. + + + +Des Dieben Antwort + + +Einem Dieb, der sich mit Reden mausig machen wollte, sagte jemand: +"Was wollt Ihr? Ihr dürft ja gar nicht mehr in Eure Heimat +zurückkehren und müsst froh sein, wenn man Euch hier duldet."-- +"Meint Ihr?" sagte der Dieb; "meine Herren daheim haben mich so +lieb, ich weiss gewiss, wenn ich heimkäme, sie liessen mich nimmer +fort." + + + +Des Seilers Antwort + + +In Donauwörth wurde zu seiner Zeit ein Rossdieb gehenkt, und der +Hausfreund hat schon manchmal gedacht: Wer heutzutag an den Galgen +oder ins Zuchthaus will, wozu braucht der ein Ross zu stehlen? Kommt +man nicht zu Fuss früh genug? Der Donauwörther hat auch geglaubt, +der Galgen laufe ihm davon, wenn er nicht reite; und ist das Ross +einem ungeschickten Dieb in die Hände gefallen, so fiel der Dieb +einem ungeschickten Henkersknecht in die Hände. Denn als er ihm das +hänfene Halsband hatte angelegt und stiess ihn von der Leiter vom +Seigel herunter, so zuckte er noch lange mit den Augen hin und her, +als wenn er sich noch ein Rösslein aussuchen wollte in der Menge. +Denn unter den Zuschauern waren viele zu Pferd und auf Leiterwägen +und dachten: man sieht's besser. Als aber das Volk anfing laut zu +murren, und der ungeschickte Henker wusste sich nicht zu helfen, so +warf er sich endlich in der Angst an den Gehenkten hin, umfasste ihn +mit beiden Armen, als wenn er wollte von ihm Abschied nehmen, und +zog mit aller Kraft, damit die Schlinge fest zusammengehen und ihm +den Atem töten sollte. Da brach der Strick entzwei, und fielen beide +miteinander auf die Erde hinab, als wenn sie nie wären droben +gewesen. Der Missetäter lebte noch, und sein Advokat hat ihn nachher +gerettet. Denn er sagte: "Der Malefikant hat nur ein Ross gestohlen, +nicht zwei, so hat er auch nur einen Strick verdient", und hat +hinten dran viel lateinische Buchstaben und Zahlen gesetzt, wie +sie's machen. Der Henker aber, als er nachmittags den Seiler sah, +fuhr ihn ungebärdig an: "Ist das auch ein Strick gewesen?" sagte er, +"man hätt' Euch selber dran henken sollen." Der Seiler aber wusste +zu antworten: " Es hat mir niemand gesagt", sagte der Seiler, "dass +er zwei Schelmen tragen soll. Für einen war er stark genug, du oder +der Rossdieb." + + + +Die Bekehrung + + +Zwei Brüder im Westfälinger Land lebten miteinander in Frieden und +Liebe, bis einmal der jüngere lutherisch blieb und ältere katholisch +wurde. Als der jüngere lutherisch blieb und der ältere katholisch +wurde, taten sie sich alles Herzeleid an. Zuletzt schickte der Vater +den katholischen als Ladendiener in die Fremde. Erst nach einigen +Jahren schrieb er zum ersten Mal an seinen Bruder. "Bruder", schrieb +er, "es geht mir doch im Kopf herum, dass wir nicht Einen Glauben +haben, und nicht in den nämlichen Himmel kommen sollen, vielleicht +in gar keinen. Kannst du mich wieder lutherisch machen, wohl und +gut, kann ich dich katholisch machen, desto besser." Also beschied +er ihn in den Roten Adler nach Neuwied, wo er wegen einem Geschäft +durchreiste. "Dort wollen wir's ausmachen." In den ersten Tagen +kamen sie nicht weit miteinander. Schalt der Lutherische: "der Papst +ist der Antichrist", schalt der Katholische: "Luther ist der +Widerchrist." Berief sich der Katholische auf den heiligen Augustin, +sagte der Lutherische: "Ich hab' nichts gegen ihn, er mag ein +gelehrter Herr gewesen sein, aber beim ersten Pfingstfest zu +Jerusalem war er nicht dabei." Aber am Samstag ass schon der +Lutherische mit seinem Bruder Fastenspeise. "Bruder," sagte er, "der +Stockfisch schmeckt nicht giftig zu den durchgeschlagenen Erbsen"; +und abends ging schon der Katholische mit seinem Bruder in die +lutherische Vesper. "Bruder," sagte er, "euer Schulmeister singt +keinen schlechten Tremulant." Den andern Tag wollten sie miteinander +zuerst in die Frühmesse, danach in die lutherische Predigt, und was +sie alsdann bis von heut über acht Tage der liebe Gott vermahnt, das +wollten sie tun. Als sie aber aus der Vesper und aus dem Grünen Baum +nach Hause kamen, ermahnte sie Gott, aber sie verstanden es nicht. +Denn der Ladendiener fand einen zornigen Brief von seinem Herrn. +"Augenblicklich setzt Eure Reise fort! Hab' ich Euch auf eine +Tridenter Kirchenversammlung nach Neuwied geschickt, oder sollt Ihr +nicht vielmehr die Musterkarte reiten?" Und der andere fand einen +Brief von seinem Vater: "Lieber Sohn, komm heim sobald du kannst, du +musst spielen." Also gingen sie noch den nämlichen Abend +unverrichteter Sachen auseinander, und dachten jeder für sich nach, +was er von dem andern gehört hatte. Nach sechs Wochen schreibt der +jüngere dem Ladendiener einen Brief "Bruder, deine Gründe haben mich +unterdessen vollkommen überzeugt. Ich bin jetzt auch katholisch. Den +Eltern ist es insofern recht. Aber dem Vater darf ich nimmer unter +die Augen kommen." Da ergriff der Bruder voll Schmerz und Unwillen +die Feder. "Du Kind des Zorns und der Ungnade, willst du denn mit +Gewalt in die Verdammnis rennen, dass du die seligmachende Religion +verleugnest? Gestrigs Tags bin ich wieder lutherisch worden." Also +hat der katholische Bruder den lutherischen bekehrt, und der +lutherische hat den katholischen bekehrt, und war nachher wieder wie +vorher, höchstens ein wenig schlimmer. + +Merke: du sollst nicht über die Religion grübeln und düfteln, damit +du nicht deines Glaubens Kraft verlierst. Auch sollst du nicht mit +Andersdenkenden darüber disputieren, am wenigsten mit solchen, die +es ebensowenig verstehen als du, noch weniger mit Gelehrten, denn +die besiegen dich durch ihre Gelehrsamkeit und Kunst, nicht durch +deine Überzeugung. Sondern du sollst deines Glaubens leben und, was +gerade ist, nicht krumm machen. Es sei dann, dass dich dein Gewissen +selber treibt zu schanschieren. + + + +Die Besatzung von Oggersheim + + +Zu Oggersheim, gegenüber von Mannheim, um die Wahl etwas weiter oben +oder unten, je nachdem man sich stellt, als im Dreissigjährigen +Krieg unversehens die Spaniolen vor Oggersheim anrückten, flohen +fast alle Einwohner nach Mannheim. Nur zwanzig Hausväter blieben +zurück und hatten das Herz, die Zugbrücke aufzuziehen und die Tore +zu schliessen. Es gehört nicht viel Herz zum Schliessen, aber zum +Öffnen. Denn als der spanische Feldhauptmann Don Gonsalva +hineintrompeten liess: "Wenn ihr bis morgen um diese Zeit den Platz +nicht übergebt", liess er hineintrompeten, "alsdann gebt acht, wer +am Leben bleibt, wenn ich den spanischen Sturmmarsch schlagen lasse +und doch hineinkomme", da sahen die Helden einander an und sagten: +"Der Weg nach Mannheim ist doch der sicherste." Nur einer dachte: +"Was soll ich tun? Meine Frau steht an ihrem Ziel. Soll sie +unterwegs oder gar auf dem Rhein ins Kindbett kommen? In Gottes +Namen, ich bleibe da." Als nun die andern alle sich geflüchtet +hatten und er noch allein in dem Städtlein war, trat er mit einem +weissen Fähnlein auf die Stadtmauer und rief in das spanische Lager: +"Kund und zu wissen sei euch im Namen des Herrn Kommandanten von +Oggersheim, der Garnison und der ehrsamen Bürgerschaft! Ihr sollt +uns versprechen, das Eigentum zu schonen und die protestantische +Religion unangefochten zu lassen. Wenn ihr dieses tut und halten +wollt, so sollen euch in einer Stunde die Stadttore geöffnet werden. +Ich, der Trompeter."--Da sahen der Feldhauptmann und seine Leute +einander an. ja, Nein--Nein, ja. "Was sollen wir katholisches Blut +vergiessen lassen", sagte endlich der Feldhauptmann, "um einen +ketzerischen Altar umzuwerfen, oder was werden wir in diesem +Bauernstädtlein für Schätze finden?" und rief mit lauter Stimme: +"Akkordiert!" Nach einer Stunde, als der Feind mit geschlossenen +Reihen und Gliedern, mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel +einzog, am äussern Tor war niemand.--"Sie werden am innern sein." +Am innern Tor war auch niemand.--"Sie werden auf dem Platz sein." +Auf dem Platz stand mutterseelallein mit dem weissen Fähnlein der +herzhafte Burgersmann.--"Was soll das heissen? Wo ist der +Kommandant und die Besatzung, wo ist der Burgermeister und der Rat?" +Da fiel der Burgersmann vor dem Feldhauptmann auf die Kniee nieder: +"Gnädiger Herr, ich bin der einzige, der sich Euerer Grossmut +anvertraut hat. Die andern sind nach Euerer Aufforderung alle nach +Mannheim geflohen. Nur meine Frau ist noch bei mir im Städtlein, +aber ein ellenlanger Rekrut wird nächster Tagen eintreffen. + +Unterdessen bin ich mein eigener Kommandant und mein Trompeter, mein +Gemeiner und mein Profoss. Wenn ich seit gestern hätte desertieren +wollen, ich hätte mich selber wieder einfangen und Spiessruten jagen +müssen." Da lächelte der Feldhauptmann und hiess ihn aufstehn, und +obgleich die Spanier zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges keinen +Spass verstanden, so leistete er doch, was er versprochen hatte, und +noch mehr. Denn als den andern Morgen der brave Burgersmann wieder +zu dem Feldhauptmann kam, "Ihro Gnaden", sagte er, "wolltet Ihr mir +nicht auf eine Viertelstunde Euern Peldpater leihen, wenn er +evangelisch taufen kann? Der ellenlange Rekrut ist angekommen und +schon einquartiert", da sagte der Feldhauptmann: "Ja, braver +Kamerad, und ich will Gevattermann sein und dein Kind zur Taufe +halten." Also hielt der General das Kind zur Taufe und schenkte ihm +ein spanisches Goldstück zum Andenken. Den folgenden Tag zogen die +Spaniolen wieder weiters. + + + +Die drei Diebe + + +Der geneigte Leser wird ermahnt, nicht alles für wahr zu halten, was +in dieser Erzählung vorkommt. Doch ist sie in einem schönen Buch +beschrieben und zu Vers gebracht. + +Der Zundelheiner und der Zundelfrieder trieben von Jugend auf das +Handwerk ihres Vaters, der bereits am Auerbacher Galgen mit des +Seilers Tochter kopuliert war, nämlich mit dem Strick; und ein +Schulkamerad, der rote Dieter, hielt's auch mit und war der Jüngste +Doch mordeten sie nicht und griffen keine Menschen an, sondern +visitierten nur so bei Nacht in den Hühnerställen und, wenn's +Gelegenheit gab, in den Küchen, Kellern und Speichern, allenfalls +auch in den Geldtrögen, und auf den Märkten kauften sie immer am +wohlfeilsten ein. Wenn's aber nichts zu stehlen gab, so übten sie +sich untereinander mit allerlei Aufgaben und Wagstücken, um im +Handwerk weiterzukommen. Einmal im Wald sieht der Heiner auf einem +hohen Baum einen Vogel auf dem Nest sitzen, denkt, er hat Eier, und +fragt die andern: "Wer ist imstand und holt dem Vogel dort oben die +Eier aus dem Nest, ohne dass es der Vogel merkt?" Der Frieder wie +eine Katze klettert hinauf, naht sich leise dem Nest, bohrt langsam +ein Löchlein unten drein, lässt ein Eilein nach dem andern in die +Hand fallen, flickt das Nest wieder zu mit Moos und bringt die Eier. +- "Aber wer dem Vogel die Eier wieder unterlegen kann",--sagte +jetzt der Frieder, "ohne dass es der Vogel merkt!" Da kletterte der +Heiner den Baum hinan, aber der Frieder kletterte ihm nach, und +während der Heiner dem Vogel langsam die Eier unterschob, ohne dass +es der Vogel merkte, zog der Frieder dem Heiner langsam die Hosen +ab, ohne dass es der Heiner merkte. Da gab es ein gross Gelächter, +und die beiden andern sagten: "Der Frieder ist der Meister." Der +rote Dieter aber sagte: "Ich sehe schon, mit euch kann ich's nicht +zugleich tun, und wenn's einmal zu bösen Häusern geht und der Letze +kommt über uns, so ist's mir nimmer Angst für euch, aber für mich." +Also ging er fort, wurde wieder ehrlich und lebte mit seiner Frau +arbeitsam und häuslich. Im Spätjahr, als die zwei andern noch nicht +lang auf dem Rossmarkt ein Rösslein gestohlen hatten, besuchten sie +einmal den Dieter und fragten ihn, wie es ihm gehe; denn sie hatten +gehört, dass er ein Schwein geschlachtet, und wollten ein wenig +achtgeben, wo es liegt. Es hing in der Kammer an der Wand. Als sie +fort waren, sagte der Dieter: "Frau, ich will das Säulein in die +Küche tragen und die Mulde drauf decken, sonst ist es morgen nimmer +unser." In der Nacht kommen die Diebe, brechen, so leise sie können, +die Mauer durch, aber die Beute war nicht, mehr da. Der Dieter merkt +etwas, steht auf, geht um das Haus und sieht nach. Unterdessen +schleicht der Heiner um das andere Eck herum ins Haus bis zum Bett, +wo die Frau lag, nimmt ihres Mannes Stimme an und sagt: "Frau, die +Sau ist nimmer in der Kammer." Die Frau sagt: "Schwätz' nicht so +einfältig! Hast du sie nicht selber in die Küche unter die Mulde +getragen?" "Ja so", sagte der Heiner, "drum bin ich halber im +Schlaf" und ging, holte das Schwein und trug es unbeschrieen fort, +wusste in der finstern Nacht nicht, wo der Bruder ist, dachte, er +wird schon kommen an den bestellten Platz im Wald. Und als der +Dieter wieder ins Haus kam und nach dem Säulein greifen will, +"Frau", rief er, "jetzt haben's die Galgenstricke doch geholt." + +Allein so geschwind gab er nicht gewonnen, sondern setzte den Dieben +nach, und als er den Heiner einholte (es war schon weit vom Hause +weg), und als er merkte, dass er allein sei, nahm er schnell die +Stimme des Frieders an und sagte: "Bruder, lass jetzt mich das +Säulein tragen, du wirst müde sein." Der Heiner meint, es sei der +Bruder, und gibt ihm das Schwein, sagt, er wolle vorausgehn in den +Wald und ein Feuer machen. Der Dieter aber kehrte hinter ihm um, +sagte für sich selber: "Hab' ich dich wieder, du liebes Säulein!" +und trug es heim. Unterdessen irrte der Frieder in der Nacht herum, +bis er im Wald das Feuer sah, und kam und fragte den Bruder: "Hast +du die Sau, Heiner?" Der Heiner sagte: "Hast du sie denn nicht, +Frieder?" Da schauten sie einander mit grossen Augen an und hätten +kein so prasselndes Feuer von buchenen Spänen gebraucht zum +Nachtkochen. Aber desto schöner prasselte jetzt das Feuer daheim in +Dieters Küche. Denn das Schwein wurde sogleich nach der Heimkunft +verhauen und Kesselfleisch über das Feuer getan. Denn der Dieter +sagte: "Frau, ich bin hungrig, und was wir nicht beizeiten essen, +holen die Schelmen doch." Als er sich aber in einen Winkel legte und +ein wenig schlummerte, und die Frau kehrte mit der eisernen Gabel +das Fleisch herum und schaute einmal nach der Seite, weil der Mann +im Schlaf so ängstlich seufzte, kam eine zugespitzte Stange langsam +durch das Kamin herab, spiesst das beste Stück im Kessel an und +zog's herauf; und als der Mann im Schlaf immer ängstlicher winselte +und die Frau immer emsiger nach ihm sah, kam die Stange zum zweiten +Mal und zum dritten Mal; und als die Frau den Dieter weckte: "Mann, +jetzt wollen wir anrichten", da war der Kessel leer, und wär' +ebenfalls kein so grosses Feuer nötig gewesen zum Nachtkochen. Als +sie aber beide schon im Begriff waren, hungrig ins Bett zu gehen, +und dachten: Will der Henker das Säulein holen, so können wir's ja +doch nicht heben, da kamen die Diebe vom Dach herab, durch das Loch +der Mauer in die Kammer und aus der Kammer in die Stube und brachten +wieder, was sie gemaust hatten. Jetzt ging ein fröhliches Leben an. +Man ass und trank, man scherzte und lachte, als ob man gemerkt +hätte, es sei das letzte Mal, und war guter Dinge, bis der Mond im +letzten Viertel über das Häuslein wegging und zum zweiten Mal im +Dorf die Hahnen krähten und von weitem der Hund des Metzgers bellte. +Denn die Strickreiter waren auf der Spur, und als die Frau des roten +Dieters sagte: "Jetzt ist's einmal Zeit ins Bett", kamen die +Strickreiter von wegen des gestohlenen Rössleins und holten den +Zundelheiner und den Zundelfrieder in den Turn und in das Zuchthaus. + + + +Die falsche Schätzung + + +Reiche und vornehme Leute haben manchmal das Glück, wenigstens von +ihren Bedienten die Wahrheit zu hören, die ihnen nicht leicht ein +anderer sagt. + +Einer, der sich viel auf seine Person und auf seinen Wert und nicht +wenig auf seinen Kleiderstaat einbildete, als er sich eben zu einer +Hochzeit angezogen hatte und sich mit seinen fetten, roten Backen im +Spiegel beschaute, dreht er sich vom Spiegel um und fragt seinen +Kammerdiener, der ihn von der Seite her wohlgefällig beschaute: +"Nun, Thadde", fragte er ihn, "wie viel mag ich wohl wert sein, wie +ich dastehe?" Der Thadde machte ein Gesicht, als wenn er ein halbes +Königreich zu schätzen hätte, und drehte lang die rechte Hand mit +ausgestreckten Fingern so her und so hin. "Doch auch +fünfhundertundfünfzig Gulden", sagte er endlich, "weil doch +heutzutag alles teurer ist als sonst." Da sagte der Herr: "Du dummer +Kerl, glaubst du nicht, dass mein Gewand, das ich anhabe, allein +seine fünfhundert Gulden wert ist?" Da trat der Kammerdiener ein +paar Schritte gegen die Stubentüre zurück und sagte: "Verzeiht mir +meinen Irrtum, ich hab's etwas höher angeschlagen, sonst hätt' ich +nicht so viel herausgebracht." + + + +Die gute Mutter + + +Im Jahre 1796, als die französische Armee nach dem Rückzug aus +Deutschland jenseits hinab am Rhein lag, sehnte sich eine Mutter in +der Schweiz nach ihrem Kind, das bei der Armee war, und von dem sie +lange nichts erfahren hatte, und ihr Herz hatte daheim keine Ruhe +mehr. "Er muss bei der Rheinarmee sein", sagte sie, "und der liebe +Gott, der ihn mir gegeben hat, wird mich zu ihm führen", und als sie +auf dem Postwagen zum St. Johannistor in Basel heraus und an den +Rebhäusern vorbei ins Sundgau gekommen war, treuherzig und redselig, +wie alle Gemüter sind, die Teilnehmung und Hoffnung bedürfen, und +die Schweizer ohnedem, erzählte sie ihren Reisegefährten bald, was +sie auf den Weg getrieben hatte. "Find' ich ihn in Kolmar nicht, so +geh' ich nach Strassburg, find' ich ihn in Strassburg nicht, so geh' +ich nacher Mainz." Die andern sagten das dazu und jenes und einer +fragte sie: "Was ist denn Euer Sohn bei der Armee? Major?" Da wurde +sie fast verschämt in ihrem Inwendigen. Denn sie dachte, er könnte +wohl Major sein oder so etwas, weil er immer brav war, aber sie +wusste es nicht. "Wenn ich ihn nur finde", sagte sie, "so darf er +auch etwas weniger sein, denn er ist mein Sohn." Zwei Stunden +herwärts Kolmar aber, als schon die Sonne sich zu den Elsässer +Bergen neigte, die Hirten trieben heim, die Kamine in den Dörfern +rauchten, die Soldaten in dem Lager nicht weit von der Strasse +standen partienweise mit dem Gewehr beim Fuss, und die Generale und +Obersten standen vor dem Lager beisammen, diskurierten miteinander, +und eine junge, weissgekleidete Person von weiblichem Geschlecht und +feiner Bildung stand auch dabei und wiegte auf ihren Armen ein Kind. +Die Frau im Postwagen sagte: "Das ist auch keine gemeine Person, da +sie nahe bei den Herren steht. Was gilt's, der, wo mit ihr redet, +ist ihr Mann." Der geneigte Leser fängt allbereits an, etwas zu +merken, aber die Frau im Postwagen merkte noch nichts. Ihr +Mutterherz hatte keine Ahndung, so nahe sie an ihm vorbeigefahren +war, sondern bis nach Kolmar hinein war sie still und redete nimmer. +In der Stadt im Wirtshaus, wo schon eine Gesellschaft an der +Mahlzeit sass, und die Reisegefährten setzten sich auch noch, wo +Platz war, da war ihr Herz erst recht zwischen Bangigkeit und +Hoffnung eingeengt, da sie jetzt etwas von ihrem Sohn erfahren +könnte, ob ihn niemand kenne, und ob er noch lebe, und ob er etwas +sei, und hatte doch den Mut fast nicht zu fragen. Denn es gehört +Herz dazu, eine Frage zu tun, wo man das Ja so gerne hören möchte, +und das Nein ist doch so möglich. Auch meinte sie, jedermann merke +es, dass es ihr Sohn sei, nach dem sie frage, und dass sie hoffe, er +sei etwas geworden. Endlich aber, als ihr der Diener des Wirts die +Suppe brachte, hielt sie ihn heimlich an dem Rocke fest und fragte +ihn: "Kennt Ihr nicht einen bei der Armee, oder habt Ihr nicht von +einem gehört, so und so?" Der Diener sagt: "Das ist ja unser +General, der im Lager steht. Heute hat er bei uns zu Mittag +gegessen", und zeigte ihr den Platz. Aber die gute Mutter gab ihm +wenig Gehör darauf, sondern meinte, es sei Spass; der Diener ruft +den Wirt. Der Wirt sagt: "Ja, so heisst der General." Ein Offizier +sagte auch: "Ja, so heisst unser General", und auf ihre Fragen +antwortete er: "Ja, so alt kann er sein", und "Ja, so sieht er aus +und ist von Geburt ein Schweizer." Da konnte sie sich nicht mehr +halten vor inwendiger Bewegung und sagte "Es ist mein Sohn, den ich +suche"; und ihr ehrliches Schweizergesicht sah fast ein wenig +einfältig aus vor unverhoffter Freude und vor Liebe und Scham. Denn +sie schämte sich, dass sie eines Generals Mutter sein sollte vor so +vielen Leuten, und konnte es doch nicht verschweigen. Aber der Wirt +sagte: "Wenn das so ist, gute Frau, so lasst herzhaft Eure Bagage +abladen ab dem Postwagen, und erlaubt mir, dass ich morgen in aller +Frühe ein Kaleschlein anspannen lasse und Euch hinausführe zu Eurem +Herrn Sohn in das Lager." Am Morgen, als sie in das Lager kam und +den General sah, ja, so war es ihr Sohn, und die junge Frau, die +gestern mit ihm geredet hatte, war ihre Schwiegertochter, und das +Kind war ihr Enkel. Und als der General seine Mutter erkannte und +seiner Gemahlin sagte: "Das ist sie", da küssten und umarmten sie +sich, und die Mutterliebe und die Kindesliebe und die Hoheit und die +Demut schwammen ineinander und gossen sich in Tränen aus, und die +gute Mutter blieb lange in ungewöhnlicher Rührung, fast weniger, +dass sie heute die Ihrigen fand, als darüber, dass sie sie gestern +schon gesehen hatte.--Als der Wirt zurückkam, sagte er, das Geld +regne zwar nirgends durch das Kamin herab, aber nicht zweihundert +Franken nähme er darum, dass er nicht zugesehen hätte, wie die gute +Mutter ihren Sohn erkannte und sein Glück sah; und der Hausfreund +sagt: Es ist die schönste Eigenschaft weitaus im menschlichen +Herzen, dass es so gerne zusieht, wenn Freunde oder Angehörige +unverhofft wieder zusammenkommen, und dass es allemal dazu lächeln +oder vor Rührung mit ihnen weinen muss, nicht ob es will. + + + +Die lachenden Jungfrauen + + +Wer weiss, wo Saratow liegt? Der Hausfreund hat viel Bücher. Er +weiss alles. Saratow liegt weit gegen Sonnenaufgang in das wilde +Asien hinein und ist ebenfalls der Sitz einer russischen +Statthalterschaft, nämlich wie Pensa, und war im Jahr 1812 ebenfalls +der Sammelplatz, wo viel Tausend unglückliche Kriegsgefangene +abgegeben und dann tiefer hineingeführt wurden in das Elend. +Ein Transport von gefangenen Deutschen wird eines Tages eingebracht. +Eine Menge von Einwohnern, wie zu geschehen pflegt, stehen auf den +Gassen; die Neugierigen schauten, der Übermut trotzte und spottete, +die Rachsucht fluchte und schimpfte. Keine Hand bot sich zur Pflege +der kranken, der verwundeten, der verschmachtenden Fremdlinge an, +eher zu etwas anderm. Niemand wehrte ihnen. Denn die +Kriegsgefangenschaft spinnt keine Seide, und man kann nicht glauben, +wie erbittert damals die Russen über ihre Feinde waren, und keiner +wurde vorher gefragt, ob er zu den Schlimmen gehöre, sondern man +nahm ihn dafür. Aber einem wohlbetagten Hauptmann und seinem +Leutnant begegnete etwas Merkwürdiges. Denn eben als der Hauptmann +den Leutnant an der Hand ergriff und ihn trösten wollte: "Fasse +dich, junges Blut, auch das wird vorübergehen und ein Ende nehmen, +mit dem Frieden oder mit dem Tode",--in dem Augenblicke hören sie +zunächst vor sich ein mutwilliges Lachen, und indem sie +unwillkürlich aufschauen,--sie hätten's bereits können gewohnt +sein,--was erblicken ihre Augen? In einem vornehmen russischen +Gefährt zwei Jungfrauen, schön wie zwei Sonnen, lieblich wie der +Frühlingstag, wenn die Rosen blühen. Beide Teile schauten einander +an, aber ob auch die Jungfrauen sich wollten Gewalt antun, sie +konnten sich nicht erwehren, und trat auch eine die andere auf den +Fuss, so ward's nur ärger. Das griff schmerzhaft den sonst +vielgeprüften Mut des bejahrten Hauptmanns an. Noch so jung, dachte +er, und schon so entartet, und der Leutnant dachte: so schön und +doch so grausam, und der Schmerz des einen brach in eine Träne, der +Unmut des andern aber in Worte aus: "Töchter dieses unwirtlichen +Landes", fing der Hauptmann an, "ihr versteht zwar meine Rede +nicht", die Jungfrauen lachten aufs neue,--"aber wollte Gott, ihr +verstündet sie", da lachten auf einmal die Jungfrauen nicht mehr. +"Gar unfein", fuhr der Hauptmann fort, "steht das euerem +Geschleckte, euerer Jugend und euren schönen Kleidern an, an dem +Jammer schuldloser Menschen eure Augen zu weiden und mit solchem +Hohngelächter unsere Herzen zu durchschneiden." Da fiel ihm errötend +die ältere der Jungfrauen in das Wort, sie war ungefähr 18 Jahre alt +und die jüngere 17, und redete die Unglücklichen zu ihrem Erstaunen +ebenfalls deutsch an, mitten in Saratow und mitten in Russland, mehr +als 1000 Stunden weit von der Heimat deutsch. "Edle Fremdlinge", +sagte sie, sanft wie ein Engel und mit tiefbewegter Stimme, "sprecht +nicht also, dass wir gekommen seien, unsere Augen an euerem Elende +zu weiden und euere Herzen durch Verhöhnung zu martern, die wir die +Absicht haben, euch zu bitten, dass ihr mit uns gehen wollet in die +Wohnung unserer Eltern und Pflege und Liebe anzunehmen, bis die +Engel des Friedens euch zurückführen mögen zu euren Fahnen oder in +die Umarmungen eurer Angehörigen, dass ihr bei ihnen glücklich sein +möget alle Tage eures Lebens." Ihr entgegnete hinwiederum erstaunt +über diese Worte der Hauptmann: "Edle Jungfrauen, wes herrlichen +Geschlechts Töchter ihr sein möget, wenn dem also ist, wie ihr +saget, so vertrauen wir uns eurer Einladung an, die ihr aus +deutschem Blute entsprossen scheint, so ihr das Unrecht verzeihen +könnt; womit mein Schmerz euch beleidigt hat." + +Als sie aber in den Wagen einstiegen, und der Hauptmann wollte; wie +es sich traf, neben die ältere der Jungfrauen sitzen, widerfuhr +ihnen noch etwas Apartes, denn es zog ihn die jüngere sanft auf ihre +Seite: "Verzeiht mir", sagte sie; "edler Fremdling, meine Ansprüche +auf Euch sind mir zu wert. Meine Freundin hat kein Recht an Euch." +Und zu dem Leutnant sprach die ältere ebenfalls: "Meine Freundin hat +kein Recht an Euch",--und zog ihn sanft und sittsam an ihre Seite. +Den zwei Kriegsgefangenen aber war alles recht, denn auch jedem +andern hätte die Wahl zwischen beiden schönen Jungfrauen schwerer +sein müssen als jeder andern Jungfrau die Wahl zwischen einem +fünfzigjährigen Mann und einem zwanzigjährigen Jüngling. + +Fragt sich nun: wer waren die Jungfrauen, und wo führten sie ihre +Gefangenen hin? Antwort: Es leben in Saratow zwei reiche und +angesehene deutsche Familienväter; der Deutsche kommt, wie das +Quecksilber, überall durch, wenn er schon keins ist. Beide Familien +waren des Abends vorher wie gewöhnlich beisammen und sprachen von +allerlei. "Ist's wahr",--sagte der eine,--"dass morgen deutsche +Kriegsgefangene ankommen?"--"Sie sind schon angesagt", erwiderte +man ihm.--"Die armen Menschen haben einen schweren Gang",--sprach +wehmütig eine der Mütter. Da trat die ältere Jungfrau ihren Vater +an: "Werden wir auch einen bekommen, mein Vater? Wie sorglich wollte +ich gleich einer Tochter oder Schwester sein pflegen und ihn +trösten." Der Vater erwiderte: "Den Gefangenen bettet man nicht auf +Rosen. Sie werden in den Vorstädten in den dürftigsten Hütten +untergebracht."--"Oder wolltet Ihr denn nicht selbst einen einladen +oder Euch einen ausbitten von dem Hauptmann ihrer Bewachung?"--"Das +könnte mir wohl übel gedeutet werden", erwiderte der Vater, "sie +sind Feinde des Vaterlandes, in welches wir selbst als Fremdlinge +aus ihrer Heimat sind aufgenommen worden. Wir dürfen die Feinde +nicht als unsere Landsleute erkennen. Doch wenn einen von ihnen mir +das Schicksal ohne mein Zutun entgegenführt, will ich mich seiner +nicht entschlagen", und ebenso sprach auch der Vater der andern +Jungfrau. Da redeten die beiden Töchter miteinander, und +leichtsinnig und gutmütig, wie die Jugend ist, beschlossen sie, wenn +die Gefangenen kämen, zu tun, was sie taten. + +Anfänglich fuhren sie ein wenig um den Transport herum, wie wenn man +auf den Jahrmarkt geht, um einzukaufen. Man sieht zuerst die Waren +an, was da ist, ehe man auf Geratewohl kauft, das Nächste, das +Beste. Als aber die Jungfrauen den Hauptmann erblickten, wie er +dastand, wenig gebeugt von seinen Leiden, und angeschmiegt an ihn +den Jüngling, den Leutnant, den das Schicksal zum ersten Mal in die +Schule der Prüfung genommen hatte, und zwar gleich in die oberste +Klasse, sagten sie zueinander, "diese zwei wollen wir nehmen."-- +"Willst du den Alten?" sagte scherzhaft die jüngere. "Oder willst du +ihn?" sagte zu ihr ihre Freundin. Da nahm die jüngere zwei +Stecknadeln aus ihrem Busengewand, eine längere und eine kürzere, +und zogen miteinander das Hälmlein mit Stecknadeln. Als aber die +ältere den Leutnant zog und die jüngere den Hauptmann behielt, in +dem Augenblick, als dieser sagte, "auch das wird ein Ende nehmen",-- +lachten die Jungfrauen. Denn diesen Erbschatz teilt noch die +Kindheit mit der Jugend, dass Schmerz und Freude leichter an ihr +vorübergehen und in schnellern Ablösungen miteinander wechseln. +Hernach aber, als der Hauptmann so ernsthaft sie anredete, "euer Ohr +versteht zwar meine Rede nicht", lachten sie von neuem. Denn wenn +man einmal darin ist, man muss; und das Gefühl, dass es unschicklich +sei, hilft nur dazu, die Unschicklichkeit zu begehen. Aber als sie +den Schmerz erkannten, mit dem er nach einem süssen deutschen Wort +in dieser fremden Welt wie nach einem Almosen seufzte, und sie +hatten's in ihrem milden Herzen und konnten's ihm geben und waren +deswegen da, da lachten sie nicht mehr und boten ihnen in deutscher +Sprache und Rede die Pflege und Liebe ihrer Eltern an und führten +sie zu ihnen. Die Väter hoben zwar die Finger gegen ihre Töchter auf +"Was habt ihr getan!" aber im Herzen waren sie es froh. Sie zeigten +sogleich der Obrigkeit an, was geschehen war, und der +menschenfreundliche Statthalter gab ihnen gerne die Erlaubnis, auf +ihre Bürgschaft zwar, ihre gefangenen Landsleute bei sich zu +behalten bis auf ein Weiteres. + +Da gebrach ihnen auf einmal nichts mehr, da waren sie auf einmal +aller ihrer Leiden quitt, da verzogen sich alle ihre Bekümmernisse. +Der Hauptmann in dem Hause, das ihn aufgenommen hatte, wurde +angesehen und geliebt als ein Bruder, der Leutnant in dem seinigen +als ein Sohn, von seiner schönen Retterin auch noch ein wenig +anderst, nämlich ebenso wie sie von ihm, bis die Engel des Friedens +kamen. Als aber die Engel des Friedens kamen, schangschierte der +Leutnant seinen Glauben, nämlich, dass er in der Uniform sterben +werde. Er verschaffte sich den Abschied von seinem Regiment und +freut sich jetzt als Gatte der Liebe und der Jugend seiner schönen +Retterin. Der Hauptmann aber trennte sich von diesen edeln Menschen +und von seinem jungen Freund mit einer Rührung und mit einem +Schmerz, der mehr Tränen als Worte hat, und kam wohlbehalten wieder +in Deutschland und bei den Seinigen an, und wer ihn sah und vorher +gekannt hatte, wunderte sich sein. "Ei, wie seid Ihr so jung +geworden, Herr Hauptmann, in Eurer Gefangenschaft, Euch muss es +nicht übel gegangen sein." + +Der geneigte Leser darf an der Wahrheit dieser Erzählung nicht +zweifeln, denn der Hausfreund hat sie aus dem zweiten Mund. Nämlich +der Hauptmann hat sie selbst einem rheinländischen Herrn +Kriegsobristen also mitgeteilt, der auch weiss, wie man über die +Berezina geht, und von dem Kriegsobristen aber hat sie der +Hausfreund und hat seitdem schon manches Täublein mit ihm verzehrt +und schon manches Schöpplein mit ihm herausgemacht, Fuchs oder Has. + + + +Die leichteste Todesstrafe + + +Man hat gemeint, die Guillotine sei's. Aber nein! Ein Mann, der +sonst seinem Vaterland viele Dienste geleistet hatte und bei dem +Fürsten wohl angeschrieben war, wurde wegen eines Verbrechens, das +er in der Leidenschaft begangen hatte, zum Tode verurteilt. Da half +nicht Bitten, nicht Beten. Weil er aber sonst bei dem Fürsten wohl +angeschrieben war, liess ihm derselbe die Wahl, wie er am liebsten +sterben wolle; denn welche Todesart er wählen würde, die sollte ihm +werden. Also kam zu ihm in den Turn der Oberamtsschreiber: "Der +Herzog will Euch eine Gnade erweisen. Wenn Ihr wollt gerädert sein, +will er Euch rädern lassen; wenn Ihr wollt gehenkt sein, will er +Euch henken lassen. Es hängen zwar schon zwei am Galgen, aber +bekanntlich ist er dreischläferig. Wenn Ihr aber wollt lieber +Rattenpulver essen, der Apotheker hat. Denn welche Todesart Ihr +wählen werdet, sagt der Herzog, die soll Euch werden. Aber sterben +müsst Ihr, das werdet Ihr wissen." Da sagte der Malefikant: "Wenn +ich denn doch sterben muss, das Rädern ist ein biegsamer Tod, und +das Henken, wenn besonders der Wind geht, ein beweglicher. Aber Ihr +versteht's doch nicht recht. Meines Orts, ich habe immer geglaubt, +der Tod aus Altersschwäche sei der sanfteste, und den will ich denn +auch wählen, und keinen andern", und dabei blieb er und liess sich's +nicht ausreden. Da musste man ihn wieder laufen und fortleben +lassen, bis er an Altersschwäche selber starb. Denn der Herzog +sagte: "Ich habe mein Wort gegeben, so will ich's auch nicht +brechen." + +Dies Stücklein ist von der Schwiegermutter, die niemand gerne +umkommen lässt, wenn sie ihn retten kann. + + + +Die nasse Schlittenfahrt + + +Der Hausfreund hat viel gute Freunde am Rhein auf und ab, zwischen +Friedlingen und Andernach, unter andern ein paar lose. Einer davon +versteht sich gut darauf, Kissen und Säcke auszustopfen, um weich +darauf zu sitzen, und man darf ihn rekommandieren. Zwei andere gute +Freunde von ihm sagten zueinander an einem schönen, kalten +Wintertag: "Wollen wir nicht auf dem Schlitten fahren?"--"Wohin?"-- +"Zum Theodor." Sie nannten ihn nur mit dem Vornamen. Theodor heisst +er mit dem Vornamen. Also spannten sie den Rappen an den +Rennschlitten und legten einen Sack voll Spreu darauf, der Länge +nach, um weicher zu sitzen. Als sie bei dem guten Freund angelangt +waren, wurde lustig getrunken--der Wein lag ihm nie überzwerch im +Fass--: Schliengener, Böllinger, Steinenstatter, Vierundachtziger, +Achtziger, Vierundsiebenziger. Beim Vierundsiebenziger blieben sie +sitzen, bis der Abendstern über dem Wasgau funkelte und die +Bettglocken laut wurden in den Dörfern. Als die Bettglocken laut +wurden, sagte einer von ihnen: "Jetzt will ich anspannen, unser Weg +ist der weiteste." Der Theodor sagte: "Wahrscheinlich auch der +krümmste. Hüst um! Dort links ist die Stubentür." Denn der Gast +taumelte nach der Türe eines Milchschranks, in der Meinung, es sei +die Stubentür. Als sie auf dem Schlitten noch eins genommen hatten +zu St. Johannes' Segen und ungefähr an die Tannen gekommen waren, +wurde es beiden nass zwischen den Beinen. Der vordere dachte: "Soll +mir etwas passiert sein, oder ist mein Kamerad dahinten nicht +wasserfest? Der andere dachte: Schmelzen die Spreu im Spreuersack, +oder ist meinem Kameraden etwas passiert?--"Gevatter", stammelte +endlich der vordere, " es scheint mir, Ihr habt's euch kommod +gemacht. Ich hätt' Euch wohl ein paar Minuten lang das Leitseil +halten mögen."--"Gevatter", erwiderte der andere, "mir kommt's vor, +Ihr solltet nicht mehr saufen, als Ihr bei Euch behalten könnt." +Während sie aber so Wortwechsel treiben und jeder die Schuld auf den +andern warf, wurden sie immer nässer, und der Sack unter ihnen gab +immer mehr nach, bis sie auf dem harten Brette sassen. + +"Mordsapperment, Ihr schwemmt mich noch über den Schlitten +hinunter", fuhr der zweite fort.--"Oder Ihr mich", erwiderte der +erste.--"Wenn ich nicht dasässe wie einer, der zwischen den zwei +Buckeln eines Trampeltieres reitet, ich läge schon lange auf dem +Boden, und die Stiefel sind mir bereits mitsamt den Füssen +angefroren am Schlittenkufen."--"Drum eben", erwiderte der erste. +"Woher kommt's, dass Euch das Wasser an den Beinen herabläuft?" Als +sie aber halbsteif nach Hause gekommen waren und die Spreu aus dem +Sacke ausleeren wollten, schoss etwas ganz anderes als Spreu heraus. +Da sagte der eine: "Ich glaube gar, der Schalk, der Theodor, hat uns +den Sack mit Schnee angefüllt. Darum sind wir so nass geworden." Der +andere sagte: "Es kömmt mir auch so vor."--Es war auch so. + + + +Die Ohrfeige + + +Ein Büblein klagte seiner Mutter: "Der Vater hat mir eine Ohrfeige +gegeben." Der Vater aber kam dazu und sagte: "Lügst du wieder? +Willst du noch eine?" + + + +Die Probe + + +In einer ziemlich grossen Stadt, wo nicht alle Leute einander +kennen, auch nicht alle Hatschiere, ging ein neu angenommener +Hatschier in ein verdächtiges Wirtshäuslein hinein und hatte einen +braunen Überrock an. Denn er dachte: Weil ich noch nicht lange +angenommen bin, so kennt mich niemand, und niemand nimmt sich vor +mir in acht; vielleicht gibt's etwas zu fischen. Ein bejahrter Mann +in bürgerlicher Kleidung folgt ihm nach und geht auch in das +Wirtshäuslein. Der neue Hatschier fordert einen Schoppen, der +betagte Mann setzt sich an den nämlichen Tisch und fordert auch +einen Schoppen. Unter ihnen und ober ihnen und an andern Tischen +sassen mehrere Leute und sprachen in Friede und Eintracht von +allerlei, von dem Elefant, von dem grossen Diebstahl, von den +Kriegsoperationen. Einer zog mit dem Finger einen Strich von Wein +über den Tisch und sagte: "Zum Exempel, dies wäre die Donau." Drauf +legte er ein Stücklein Käsrinde daneben und sagte: "Jetzt, das wär' +Ulm." Ein anderer, als er Ulm nennen hörte, sagte zu dem betagten +Mann: "Ich bin von Ulm und hätte Haus und Gewerb daselbst. Aber die +alten Zeiten sind nicht mehr." Der betagte Mann sagte: "Landsmann, +Ulm ist überall, die guten Zeiten sind nirgends mehr", und fing an +zu hadern und sich zu vermessen über die Zeit und über die Abgaben +und über die Obrigkeit, wie es sich nicht geziemt. Da wurde der +Hatschier im braunen Überrock aufmerksam und stille und sagte +endlich: "Guter Freund, ich warne Euch." Der betagte Mann aber +sagte: "Was habt Ihr mich zu warnen?" und trank ein Glas voll Wein +nach dem andern aus und schimpfte über die Obrigkeit nur noch ärger. +Der verkleidete Hatschier sagte: "Guter Freund, ich kenn' Euch +nicht. Aber ich will Euch noch einmal gewarnt haben." Der Betagte +erwiderte: "Warnen hin und warnen her! Was wahr ist, muss man reden +dürfen. Was bleibt einem noch übrig als die freie Rede?" und so und +so. Da schlug der verkleidete Hatschier den braunen Überrock zurück +und zeigte sich, wie er war, in einem hechtgrauen Rocke mit roten +Aufschlägen und einem Bandelier. "Jetzt, guter Freund", sagte er, +"jetzt kommt mit mir!" Da stellte sich der Mann, als er an dem Rock +den Hatschier erkannte, auf einmal wie umgewendet. "Guter Freund", +sagte er, "Ihr werdet doch meinen Spass nicht für Ernst angesehen +haben und nicht erst heute auf die Welt gekommen sein. Ich sehe +schon", sagte er, "wir müssen eine Bouteille miteinander trinken, +dass Ihr mich besser kennen lernt", und forderte noch eine Bouteille +und winkte der Wirtin: "Vom Guten." Allein der Hatschier sagte: "Ich +habe keinen Wein mit Euch zu trinken", und fasste ihn wohl oben am +Arm, und fort zur Türe hinaus. Unterwegs fuhr der Arrestant fort zu +reden: "Ihr meint zum Beispiel, ich sei ein Feind von Abgaben, weil +ich über die Abgaben geschimpft habe. Aber nein, ich will Euch das +Gegenteil beweisen, denn Ihr seid auch eine obrigkeitliche Person, +und ich habe vor Euersgleichen Respekt." Also zog er einen +Kronentaler aus der Tasche und wollte sich damit loskaufen. Aber der +Hatschier sagte: "Ihr habt mir keine Abgaben zu bezahlen." Eine +Gasse weiter fuhr der Arrestant fort: "Was gilt's, Ihr seid noch +nicht verheiratet und habt für keine Frau noch Kinder zu sorgen, +weil Ihr keine Abgabe von mir braucht. Ich will Euch zu einem +schönen Weibsbild führen." Der Hatschier erwiderte: "Ihr habt mich +zu keinem Weibsbild zu führen, aber ich Euch zu einem Mannsbild." +Als sie aber miteinander in den Polizeihof und vor den Herrn +Stadtvogt gekommen waren, fing der Stadtvogt an laut zu lachen, dann +er gar ein lustiger Mann ist, und sagte: "Welcher von Euch zweien +bringt den andern?" Denn es ist jetzt Zeit, dem geneigten Leser zu +sagen, dass der Arrestant selber ein alter Hatschier war, und hatte +sich verkleidet und war dem neuen nachgegangen, nur um ihn zu +prüfen, ob er seine Pflicht tut. Deswegen sagte der Stadtvogt: +"Welcher von Euch zweien bringt den andern." Der junge wollte +anfangen, der alte aber, der vermeintliche Arrestant, schaute ihn +gebieterisch an und sagte: "Es ist an mir zu reden, ich bin älter im +Dienst. Ihro Gnaden, Herr Stadtvogt", sagte er, "dieser junge Mann +ist probat, und wir können uns verlassen auf ihn, denn er hat mich +arretiert mit Manier und in der Art und hat sich nicht von mir +bestechen oder breitschlagen lassen, noch mit Wein, noch mit Geld, +noch mit Weibsleuten." Da lächelte der Stadtvogt gar freundlich, +dass ihm solches wohlgefalle, und schenkte jedem einen kleinen +Taler. + +Item, an einem solchen Ort mag es nicht gut sein, ein Spitzbube zu +sein, wo ein Hatschier selber dem andern nicht trauen darf. +Dies Stücklein ist noch ein Vermächtnis von dem Adjunkt, der jetzt +in Dresden ist. Hat er nicht dem Hausfreund einen schönen +Pfeifenkopf von Dresden zum Andenken geschickt und ist ein +geflügelter Knabe darauf und ein Mägdlein und machen etwas +miteinander. Aber er kommt wieder, der Adjunkt. + + + +Die Raben + + +Zwei gute Freunde, ein Geistlicher und ein Kaufmann, machten +miteinander eine Reise. Der Kaufmann neckte im Spass den +Geistlichen, und der Geistliche neckte den Kaufmann. Nicht weit von +dem Hochgericht, als die Raben aufflatterten und den beiden um die +Köpfe flogen, sagte der Kaufmann: "Da haben wir's! Es ist kein +Schick dabei, wenn man mit einem Geistlichen reist."--Denn manche +Leute glauben sonst, es bedeute ein Unglück, wenn einem die Raben +über den Kopf fliegen.--Der Geistliche sagte: "Glaubt doch nicht so +einfältige Fabeln, ein Mann, wie Ihr seid. Ich habe in kurzer Zeit +mehrere armen Sünder zum Tod begleitet. Jetzt meinen die dummen +Tiere, ich bringe wieder einen, und halten Euch für gute Beute." Der +Kaufmann sagte: "Herr Pfarrer, Ihr seid ein loser Vogel!" + + + +Die Schlafkameraden + + +Eines Abends kam ein fremder Herr mit seinem Bedienten im Wirtshaus +zu der goldenen Linden in Brassenheim an und liess sich bei dem +Nachtessen beiderlei wohl schmecken, nämlich das Essen selbst und +das köstliche Getränk. Denn der Lindenwirt hat Guten. Der Bediente +aber an einem andern Tisch dachte: Ich will meinem Herrn keine +Schande machen, und trank wie im Zorn ein Glas und eine Bouteille +nach der andern aus, sagend zu sich selbst: "Der Wirt soll nicht +meinen, dass wir Knicker sind." Nach dem Essen sagte der Herr zu dem +Lindenwirt: "Herr Wirt, ich hab' an Eurem Roten sozusagen eine +gefährliche Entdeckung gemacht. Bringt mir noch eine Flasche voll in +das Schlafstüblein." Der Bediente hinter dem Rücken des Herrn winkte +dem Wirt: "Mir auch eine!" Denn sein Herr liess sich vieles von ihm +gefallen, weil er auf Reisen auch sein Leibgardist war und immer mit +ihm in der nämlichen Stube schlafen musste, und je einmal, wenn er +sich zuviel Freiheit herausnahm, war der Herr billig und dachte: Ich +will nicht wunderlich sein. Es ist ja nicht das erste Mal, dass er's +tut. Also trank an seinem Tisch der Herr und las die Zeitung, und am +andern Tisch dachte der Bediente: "Es ist ein harter Dienst, wenn +man trinken muss anstatt zu schlafen, zumal so starken. Gleichwohl, +als er dem Herrn die zweite Flasche holen musste, nahm er für sich +auch noch eine mit vom nämlichen. Der Herr fing endlich an, laut mit +der Zeitung zu reden, und der Bediente nahm wie ein Echo zwischen +der Türe und dem Fenster auch Anteil daran, aber wie? Der Herr las +von dem grossen Mammutsknochen, der gefunden wurde. Der Bediente, +der eben das Glas zum Munde führte, lallte für sich: "Soll leben der +Mohammedsknochen." Oder als der Herr von dem Seminaristen las aus +dem Seminarium in Pavia, der mit Lebensgefahr eines Schriftgiessers +Kind aus den Flammen rettete, ergriff er das Glas, und "Bravo", +sagte er, "wackerer Seminarist!" Der Bediente aber stammelte für +sich: "Soll leben der wackere Seeminister" und goss richtig das +halbe Glas über die Liberei hinab. "Hast du's gehört, Anton? So eine +Tat wiegt viele Meriten auf", fuhr der Herr fort.--"Sollen auch +leben die Minoriten", erwiderte der Diener; und so oft jener z. B. +sich räusperte oder gähnte, räusperte sich und gähnte der Anton +auch. Endlich sagte der Herr: "Anton, jetzt wollen wir ins Bett." +Der Anton sah seine Flasche an und erwiderte: " Es wird ohnehin +niemand mehr auf sein in der Wirtschaft." Denn seine Flasche war +leer. Aber in der Flasche des Herrn war noch ein Restlein. Früh +gegen zwei Uhr weckte es den Anton, dass noch ein Restlein in der +Flasche des Herrn sei. Also stand er auf und trank es aus. "Sonst +verriecht es", dachte er. Als er aber sich wieder legen wollte, kam +er ein wenig zu weit rechts an das Bett seines Herrn. Denn beide +Betten standen an der nämlichen Wand mit den Fussstätten +gegeneinander. Also legte sich der Anton neben seinen Herrn, mit dem +Kopf unten und mit den Füssen oben, neben des Herrn Gesicht, weil er +meinte, er liege wieder in seinem eigenen. Eine Stunde vor Tag aber, +als der Herr erwachte, kam es ihm vor, er wusste selbst nicht recht, +wie. "Soll ich denn gestern abend haben Backensteinkäs heraufkommen +lassen?" dachte er. Als er aber sich umdrehen wollte, ob ein +Schränklein in der Wand sei, fühlte er auf einmal neben sich etwas +Lebendiges und Warmes, und das Warme und Lebendige bewegte sich +auch. Jetzt rief er: "Anton, Anton!" mit ängstlicher und leiser +Stimme, dass der unsichere Schlafkamerad nicht aufwachen sollte, und +derjenige, den er wecken wollte, war doch der Schlafkamerad. +"Anton", schrie er endlich in der Herzensangst, so laut er konnte. +"Was befehlen Ihro Hochwürden", erwiderte endlich der Anton.--"Komm +mir zu Hilfe! Es liegt einer neben mir."--"Ich kann nicht, neben +mir liegt auch einer", erwiderte der Bediente und wollte sich +strecken, so zwar, dass er mit dem linken Fuss unter des Herrn Kinn +kam. "Anton, Anton", rief der Herr, "meiner reisst mir den Kopf ab", +und suchte ebenfalls mit den Füssen eine Habung. "Meiner will mir +die Nase aufschlitzen", schrie noch viel ärger der Anton. "Wirf +deinen heraus", schrie der Herr, "und komm mir zu Hilfe."--Also +fasste der Bediente seinen Mann an den Beinen, und dieser, als er +Ernst sah, fasste er seinen Mann ebenfalls an den Beinen, und rangen +also die beiden miteinander, dass keiner dem andern konnte zu Hilfe +kommen; und der Bediente fluchte wie ein Türk, der Herr aber fluchte +zwar nicht, aber doch rief er die unsichtbaren Mächte an, sie +sollten seinem Gegner den Hals brechen, was auch fast hätte +geschehen können; denn auf einmal hörte unten der Wirt, der schon +auf war, einen Fall, dass alle Fenster zitterten und der Perpendikel +an der Wanduhr sich in die Ruhe stellte. Als er aber geschwind mit +dem Licht und dem Hauptschlüssel hinaufgeeilt war, ob ein Unglück +sich zugetragen habe, denn er kannte seinen Roten, lagen beide +miteinander ringend auf dem Boden und schrieen Zeter Mordio um +Hilfe. Da lächelte der Wirt in seiner Art, als ob er sagen wollte, +der Rote hat gut gewirkt, die gefährliche Entdeckung. Die beiden +aber schauten einander mit Verwunderung und Staunen an. "Ich glaube +gar, du bist es selbst, Anton", sagte der Herr.--"So, seid nur Ihr +es gewesen", erwiderte der Diener, und legten sich wieder ein jeder +in sein Bett, worein er gehörte. + + + +Die Schmachschrift + + +Als bekanntlich eine Pasquille oder Schmachschrift auf den König +Friedrich in Berlin an einem öffentlichen Platz aufgeheftet wurde +und sein Kammerdiener ihm davon die Anzeige machte: "Ihro Majestät", +sagte der Kammerdiener, "es ist Ihnen heute nacht eine Ehre +widerfahren, das und das. Alles hab' ich nicht lesen können; denn +die Schrift hängt zu hoch. Aber was ich gelesen habe, ist nichts +Gutes"; da sagte der König: "Ich befehle, dass man die Schrift +tiefer hinabhänge und eine Schildwache dazustelle, auf dass +jedermann lesen kann, was es für ungezogene Leute gibt." Nachderhand +geschah nichts mehr. + +Nicht ebenso dachte der Amtsschreiber von Brassenheim. Denn +Brassenheim ist ein Amtsstädtlein. Als ihm eines Morgens eine +Pasquille ins Haus gebracht wurde, die jemand mit Teig in der Nacht +an die Haustüre geklebt hatte, wurde er ganz erbost und ungebärdig, +fluchte wie ein Türk im Haus herum und schlug der unschuldigen Katze +ein Bein entzwei, dass die Frau Amtsschreiberin ganz entrüstet wurde +und fragte: "Bist du verrückt, oder was fehlt dir?" Der +Amtsschreiber sagte: "Da lies! Du hast deinen Teil auch darin." Als +das die losen Vögel erfuhren, welche die Schandschrift angeklebt +hatten, dass der Herr Amtsrichter also im Harnisch sei, hatten sie +grosse Freude daran und sagten: "Heut nacht tun wir's wieder." Den +zweiten Morgen, als ihm die neue Schandtat gebracht wurde und ein +Rezept für lahmgeschlagene Katzen darin, ward er noch viel wütender +und warf Tische und Stühle zusammen, ja er schrieb mit eigener Hand +einen zornigen Bericht darüber an den regierenden Grafen, ob er +gleich niemand nennen konnte, und als er ihn geschrieben hatte und +den Sand darauf streuen wollte, ergriff er in der Rasche statt der +Sandbüchse das Tintenfass und goss die Tinte über den Bericht und +über die weisstüchenen Amtshosen. + +Am Abend aber sagte er zu seinem Bedienten: "Hansstoffel", sagte er, +"vigiliere heut nacht um das Haus herum, bis der Hahn kräht, und +wenn du den Kujonen attrapierst, so bekommst du einen grossen Taler +Fanggeld. Ich will sehen", sagte er, "ob ich mir soll auf der Nase +herumtanzen lassen." + +Etwas nach elf Uhr kam der Stoffel von seinem Posten herauf, und der +Herr Amtsschreiber war auch noch auf, auf dass, wenn der Stoffel den +Pasquillenmacher brächte, dass er ihn gleich auf frischer Tat +erstechen könnte. "Herr Amtsschreiber", sagte der Stoffel, "ich will +nur melden, dass heute nacht nichts passiert ist, wenn Sie mir +erlauben, jetzt ins Bett zu gehen. Alle Lichter im Städtlein sind +ausgelöscht, die Wirtshäuser sind leer, die zwei letzten sind nach +Haus gegangen, und des Wagner-Mattheisen Hahn hat zweimal +hintereinander gekräht, es wird wohl morgen auch wieder einmal +regnen." Da fuhr ihn der Amtsschreiber wie ein betrunkener Heide an: +"Dummes Vieh, auf der Stelle begib dich auf deinen Posten, bis der +Tag aufgeht, oder ich schlage dir das Gehirn im Leib entzwei", sagte +er im unvernünftigen Zorn. Der geneigte Leser denkt: Was gilt's, +während der Stoffel bei dem Amtsschreiber war, ist die dritte +Pasquille auch angepappt worden, und wenn er herabkommt, findet er +sie jetzt. Nichts weniger. Sondern als der Stoffel im Fortgehen +bereits an der Stubentür war und der Amtsschreiber ihm noch einmal +nachsah, "Hansstoffel", rief er ihm, "komm noch ein wenig daher!"-- +Der Stoffel kam. "Dreh' dich um! Was hast du auf dem Rücken?" +"Will's Gott, keinen Galgen", sagte der Stoffel. "Nein, +vermaledeiter Dummkopf, aber wahrscheinlich ein Pasquill."--Wie +gesagt, so erraten: der Stoffel trug das dritte Pasquill bereits auf +dem Rücken geklebt, und standen darin noch viel mutwilligere Dinge +als in dem ersten und zweiten, und unter andern ein Rezept für +Tintenflecke aus den Amtshosen zu bringen. Dies war so zugegangen. +Als der Stoffel noch vor dem Haus gesessen war, kamen zwei lose +Gesellen heran, und einer von ihnen hatte schon die dritte Pasquille +auf der flachen Hand liegen, also dass die beschriebene Seite des +Papiers gegen die Hand hineinlag, die äussere Seite aber war mit +Teig bestrichen, dass er im Vorbeigehen die Schrift nur an die Türe +hätte drücken dürfen. Als sie aber den Bedienten des Amtsschreibers +vor der Türe sitzen sahen, und alle Leute kannten den Stoffel, aber +nicht alle Leute kannte der Stoffel: "Ei, guten Abend", sagte der +eine, "was schafft Er Guts hier, Herr Hansstoffel? Was gilt's, Er +kann nicht hinein!" da erzählte er ihnen, warum er da sitzen müsse +und bis wann, und wie ihm bereits die Zeit so lange sei, und es +komme doch niemand. "Ei", sagte der eine, "die Lichter im Städtlein +sind ausgelöscht, und die Wirtshäuser sind leer, und wir zwei sind +die letzten, die heimgehen. Also gehe Er in Gottes Namen ins Bett." +Der andere aber, der das Papier in der flachen Hand hatte, schlug +ihm im Fortgehen sanft und freundlich die Hand auf den Rücken, dass +das Papier am Rocke hängen blieb, und sagte: "Gute Nacht, Herr +Hansstoffel, schlaf' Er wohl!" "Ebenfalls!" sagte der Stoffel, und +als sie um das Eck herum waren, krähte einer von ihnen zweimal wie +ein Hahn oder wie der russische General-Feldmarschall Suwarow Fürst +Italinsky im Lager. Also brachte der Stoffel dem Amtsschreiber die +Pasquille selber auf dem Rücken in die Stube, und der Herr +Amtsschreiber prügelte zwar den Stoffel im Zimmer herum und schlug +bei dem Ausholen ein paar Spiegel entzwei, aber den Schimpf und +Schaden und Zorn musste er an sich selber haben und brachte nichts +heraus. Denn die zwei Spassvögel sagten: "Der Klügste gibt nach. +Jetzt wollen wir's aufgeben, eh' es zu bösen Häusern geht", und +jedermann, der davon erfuhr, lachte den Amtsschreiber aus. +Merke: Der König von Preussen hat sich in diesem Stücke klüger +betragen als der Herr Amtsschreiber von Brassenheim. + + + +Die Tabaksdose + + +In einer niederländischen Stadt in einem Wirtshaus waren viele Leute +beisammen, die einander einesteils kannten, zum Teil auch nicht. +Denn es war ein Markttag. Den Zundelfrieder kannte niemand. "Gebt +mir auch noch ein Schöpplein", sagte ein dicker, bürgerlich +gekleideter Mann zu dem Wirt und nahm eine Prise Tabak aus einer +schweren, silbernen Dose. Da sah der Zundelfrieder zu, wie ein +windiger, gewürfelter Gesell sich zu dem dicken Mann stellte, ein +Gespräch mit ihm anfing und ein paarmal wie von ungefähr nach der +Rocktasche schaute, in welche der Mann die Dose gesteckt hatte. Was +gilt's, dachte der Frieder, der führt auch etwas im Schild? +Anfänglich stand der Gesell. Hernach liess er ein Schöpplein kommen, +setzte sich auch auf den Bank und sprach mit dem Dicken allerlei +kuriose Sachen, woran dieser Mann viel Spass fand. Endlich kam ein +Dritter. "Exküse", sagte der Dritte, "kann man auch noch ein wenig +Platz hier haben?" Also rückte der windige Gesell ganz nahe an den +dicken Mann hin und diskurierte immer fort: "Ja", sagte er, "ich +habe mich ein Rechtes verwundert, als ich in dieses Land kam und +sah, wie die Windmühlen so flätig vom Winde umgetrieben werden. Bei +mir zulande geht das ganze Jahr kein Lüftlein. Also muss man die +Windmühlen anlegen, wo die Wachteln ihren Strich haben. Wenn nun im +Frühjahr die Milliontausend Wachteln kommen vom Meer her aus Afrika +und fliegen über die Mühlenräder, so fangen die Mühlen an zu gehen, +und wer in dieser Zeit nicht kann mahlen lassen, hat das ganze Jahr +kein Mehl im Haus." Darüber geriet der dicke Mann so ins Lachen, +dass ihm fast der Atem verging, und unterdessen hatte der schlaue +Gesell die Dose. "Aber jetzt hört auf", sagte der Dicke. "Es tut mir +weh im Kreuz", und schenkte ihm von seinem Wein auch ein Glas ein. +Als der Spitzbube ausgetrunken hatte, sagte er: "Der Wein ist gut. +Er treibt. Exküse", sagte er zu dem Dritten, der vorne an ihm sass, +"lasst mich einen Augenblick heraus!" Den Hut hatte er schon auf. + +Als er aber zur Tür hinausging und fort wollte, ging ihm der +Zundelfrieder nach, nahm ihn draussen auf die Seite und sagte zu +ihm: "Wollt Ihr mir auf der Stelle meines Herrn Schwagers seine +silberne Dose herausgeben? Meint Ihr, ich hab's nicht gemerkt? Oder +soll ich Lärmen machen? Ich hab Euch schonen wollen vor den vielen +Leuten, die drin in der Stube sitzen." Als nun der Dieb sah, dass er +verraten sei, gab er zitternd dem Frieder die Dose her und bat ihn +vor Gott und nach Gott, stille zu sein. "Seht", sagte der Frieder, +"in solche Not kann man kommen, wenn man auf bösen Wegen geht. Euer +Leben lang lasst es Euch zur Warnung dienen. Unrecht Gut faselt +nicht. Ehrlich währt am längsten." Den Hut hatte der Freister auch +schon auf. Also gab er dem Gesellen noch eine Prise Tabak aus der +Dose und trug sie hernach zu einem Goldschmied. + + + +Die Wachtel + + +Zwei wohlgezogene und ehrbare Nachbaren lebten sonst miteinander +immer in Frieden und Freundschaft, jetzt zwar auch noch, aber einer +von ihnen hatte eine Wachtel. Zu ihm kommt endlich der Nachbar und +sagt: "Freund, begreift Ihr nicht, dass mir Euer Lärmenmacher, Euer +Tambour da, sehr ungelegen sein kann, wenn ich morgens noch ein +Stündlein schlafen möchte, und dass Ihr Euch unwert macht bei der +ganzen Nachbarschaft?"--Ihm erwiderte der Nachbar: "Ich begreife +das Gegenteil. Ist's nicht aller Ehren wert, dass meine Wachtel der +ganzen Nachbarschaft den Morgen umsonst ansagt und die Gesellen +weckt, auch sonst Kurzweil macht, und ich trage die Atzungskosten +allein?" Als alle Vorstellungen nichts verfangen wollten und Wachtel +immer früher schlug und immer heller, kommt endlich der Nachbar noch +einmal und sagt: "Freund, wär' Euch Eure Wachtel nicht feil?" Der +Nachbar sagt: "Wollt Ihr sie tot machen?"--"Das nicht", erwiderte +der andere.--"Oder fliegen lassen?"--"Nein, auch nicht."--"Oder +in eine andere Gasse stiften?"--"Auch das nicht, sondern hier vor +mein Fenster will ich sie stellen, damit Ihr sie auch noch hören +könnt alle Morgen." Der Nachbar merkte nichts, denn er war nicht der +Klügere von beiden. Ei, dachte er, wenn ich sie vor deinem Fenster +umsonst hören kann und bekomme noch Geld dazu, so ist's besser.-- +"Ist sie Euch ein Zweiguldenstück wert?" fragte er den Nachbar. Der +Nachbar dachte zwar, es sei viel Geld, doch soll's ihm nicht +verloren sein, und noch in der nämlichen Stunde wurde die Wachtel +umquartiert. + +Am andern Morgen, als sie ihren vorigen Besitzer aus dem Schlaf +erweckte und er eben denken wollte: "Ei, meine gute Wachtel ist auch +schon munter",--halbwegs des Gedankens fällt's ihm ein: "Nein, es +ist meines Nachbars Wachtel,--das undankbare Vieh", sagte er +endlich am dritten Morgen, "ein Jahr lang hat sie bei mir gelebt und +gute Tage gehabt, und jetzt hält sie es mit einem andern und lebt +mir zum Schabernack.--Der Nachbar sollte verständiger sein und +bedenken, dass er nicht allein in der Welt ist, wenigstens nicht +allein in der Stadt." Nach mehreren Tagen aber, als er vor Verdruss +es nimmer aushalten konnte, redete er hinwiederum den Nachbar an: +"Freund", sagte er, "Euere Wachtel hat in der vergangenen Nacht +wieder einen kurzen Schlaf gehabt."--"Es ist ein braver Vogel", +erwiderte der Nachbar, "ich habe mich nicht daran verkauft."--"Er +ist recht brav worden in Eurem Futter", fuhr jener fort. "Was +verlangt Ihr Aufgeld, dass er Euch wieder feil werde?" Da lächelte +der andere und sagte: "Wollt Ihr sie vielleicht tot machen?"-- +"Nein!"--"Oder sie fliegen lassen?"--"Das auch nicht."--"Oder in +eine andere Gasse vermachen?"--"Auch das nicht. Aber an ihren alten +Platz will ich sie wieder stellen, wo Ihr sie ja eben so gut hören +könnt wie an ihrem jetzigen."--"Freund", erwiderte ihm hierauf der +Nachbar, "vor Euer Fenster kommt die Wachtel nimmermehr, aber gebt +Ihr mir meine zwei Gulden wieder, so lass ich sie fliegen." Der +Nachbar dachte bei sich: "Wohlfeiler kann ich sie nicht los werden, +als für sein eigenes Geld." Also gab er ihm die zwei Gulden wieder, +und die Wachtel flog. + +Der geneigte Leser wolle hieran gelegentlich erkennen, wenn er es +nötig hat, was für ein grosser Unterschied es sei, ob etwas vor dem +eigenen Fenster und in dem eigenen Haus geschieht oder in einem +andern, ferner--denn es braucht keine Wachtel dazu--ob einer in +einer Gesellschaft selber pfeift und auf dem Tisch trommelt, oder ob +es ein anderer anhören muss; item: ob einer selber bis nachts um 10 +Uhr eine langweilige Geschichte erzählt, und ob ein anderer dabei +sein und von Zeit zu Zeit sich verwundern und etwas dazu sagen muss, +gleich als ob er achtgäbe. + + + +Die Wachtel + + +Zwei wohlgezogene und ehrbare Nachbarn lebten sonst miteinander +immer in Frieden und Freundschaft, jetzt zwar auch noch, aber einer +von ihnen hatte eine Wachtel. Zu ihm kommt endlich der Nachbar und +sagt: "Freund, begreift Ihr nicht, daß mir Euer Lärmenmacher, Euer +Tambour da, sehr ungelegen sein kann, wenn ich morgens noch ein +Stündlein schlafen möchte, und daß Ihr Euch unwert macht bei der +ganzen Nachbarschaft?" Ihm erwiderte der Nachbar: "Ich begreife das +Gegenteil. Ists nicht aller Ehren wert, daß meine Wachtel der ganzen +Nachbarschaft den Morgen umsonst ansagt und die Gesellen weckt, auch +sonst Kurzweil macht, und ich trage die Atzungskosten allein?" Als +alle Vorstellungen nichts verfangen wollten und die Wachtel immer +früher schlug und immer heller, kommt endlich der Nachbar noch +einmal und sagt: "Freund, wär Euch Eure Wachtel nicht feil?" Der +Nachbar sagt: "Wollt Ihr sie totmachen?" --"Das nicht", erwiderte +der andere. "Oder fliegen lassen?" --"Nein, auch nicht." --"Oder in +eine andere Gasse stiften?" --"Auch das nicht, sondern hier vor mein +Fenster will ich sie stellen, damit Ihr sie auch noch hören könnt +alle Morgen." Der Nachbar merkte nichts, denn er war nicht der +Klügere von beiden. ›Ei‹, dachte er, ›wenn ich sie vor deinem +Fenster umsonst hören kann und bekomme noch Geld dazu, so ists +besser.‹ --"Ist sie Euch ein Zweiguldenstück wert?" fragte er den +Nachbar. Der Nachbar dachte zwar, es sei viel Geld, doch solls ihm +nicht verloren sein, und noch in der nämlichen Stunde wurde die +Wachtel umquartiert. + +Am andern Morgen, als sie ihren vorigen Besitzer aus dem Schlaf +erweckt und er eben denken wollte: ›Ei, meine gute Wachtel ist auch +schon munter‹, --halbwegs des Gedankens fällts ihm ein: ›Nein, es +ist meines Nachbars Wachtel.‹ --"Das undankbare Vieh", sagte er +endlich am dritten Morgen; "ein Jahr lang hat sie bei mir gelebt und +gute Tage gehabt, und jetzt hält sie es mit einem andern und lebt +mir zum Schabernack. --Der Nachbar sollte verständiger sein und +bedenken, daß er nicht allein in der Welt ist, wenigstens nicht +allein in der Stadt." Nach mehreren Tagen aber, als er vor Verdruß +es nimmer aushalten konnte, redete er hinwiederum den Nachbar an: +"Freund", sagte er, "Euere Wachtel hat in der vergangenen Nacht +wieder einen kurzen Schlaf gehabt." --"Es ist ein braver Vogel", +erwiderte der Nachbar, "ich habe mich nicht daran verkauft." --"Er +ist recht brav worden in Eurem Futter", fuhr jener fort. "Was +verlangt Ihr Aufgeld, daß er Euch wieder feil werde?" Da lächelte +der andere und sagte: "Wollt Ihr sie vielleicht totmachen?" -- +"Nein." --"Oder fliegen lassen?" --"Das auch nicht." --"Oder in eine +andere Gasse vermachen?" --"Auch das nicht. Aber an ihren alten +Platz will ich sie wieder stellen, wo Ihr sie ja ebenso gut hören +könnt wie an ihrem jetzigen." --"Freund", erwiderte ihm hierauf der +Nachbar, "vor Euer Fenster kommt die Wachtel nimmermehr, aber gebt +Ihr mir meine zwei Gulden wieder, so laß ich sie fliegen." Der +Nachbar dachte bei sich: ›Wohlfeiler kann ich sie nicht loswerden +als für sein eigenes Geld.‹ Also gab er ihm die zwei Gulden wieder, +und die Wachtel flog. + +Der geneigte Leser wolle hieran gelegentlich erkennen, wenn er es +nötig hat, was für ein großer Unterschied es sei, ob etwas vor dem +eigenen Fenster und in dem eigenen Haus geschieht oder in einem +andern, ferner --denn es braucht keine Wachtel dazu --, ob einer in +einer Gesellschaft selber pfeift und auf dem Tisch trommelt oder ob +es ein anderer anhören muß; item: ob einer selber bis nachts um zehn +Uhr eine langweilige Geschichte erzählt und ob ein anderer dabei +sein und von Zeit zu Zeit sich verwundern und etwas dazu sagen muß, +gleich als ob er achtgäbe. + + + +Die Weizenblüte + + +Nie muss sich einer über fremdes Unglück freuen, weil es ihm Nutzen +bringt, sonst kommt die Zeit, es freuen sich andere wieder. +In einigen Gegenden hat man das Sprichwort, wenn man sagen will, +dass man einen Gewinn oder Vorteil zu hoffen habe--sagt man: "Mein +Weizen blüht." Als daher der Chirurgus und ein Zimmermann in der +Nacht miteinander auf der Strasse gingen und in einiger Entfernung +ein bekanntes Dörflein brannte, deutete der Zimmermann hinüber und +sagte zu dem Chirurgus: "Herr Gevatter, mein Weizen blüht." Nämlich, +weil es neue Häuser aufzuschlagen gibt, wenn die alten verbrennen. +Weil er aber auf den Brand und nicht auf den Weg sah, fiel er im +nämlichen Augenblick in einen Graben und brach einen Arm entzwei. Da +sagte zu ihm der Chirurgus: "Gevatter, es kommt mir vor, mein Weizen +sei zeitig."--Der geneigte Leser versteht's. + + + +Die zwei Postillione + + +Zwei Handelsleute reisten oft auf der Extrapost von Fürth nach +Hechingen oder von Hechingen nach Fürth, wie jeden sein Geschäft +ermahnte, und gab der eine dem Postillion ein schlechtes Trinkgeld, +so gab ihm der andere kein gutes. Denn jeder sagte: "Für was soll +ich dem Postknecht einen Zwölfer schenken? Ich trag ja nicht schwer +daran." Die Postillione aber, der von Dinkelsbühl und der von +Ellwangen, sagten + +"Wenn wir nur einmal den Herren einen Dienst erweisen könnten, dass +sie spendaschlicher würden!" Eines Tages kommt der Fürther in +Dinkelsbühl an und will weiters. Der Postillion sagte zu seinem +Kameraden: "Fahr du den Passagier." Der Kamerad sagte: "Es ist an +dir." Unterdessen sass der Reisende ganz geduldig in seinem offenen +Eliaswagen, bis der Postillion aufsass. Als er sah, dass der +Postillion im Sattel recht sass und die Peitsche erhob, sagte er: +"Fahr' zu, Schwager! Werf' Er mich nicht um!" Am nämlichen +Nachmittag fuhr auch der Hechinger von Ellwangen ab, und der +Postillion dachte bei sich selbst: "Wenn jetzt nur mein Kamerad von +Dinkelsbühl mit dem Fürther auch auf dem Weg wäre!" Indem er fährt, +bergauf bergab, nicht weit vom Segringer Zollhaus, wo dem Hausfreund +und seinem Reisekumpan in München auch einmal die Haare geschnitten +worden sind, begegnen sie einander; keiner will dem andern +ausweichen. Jeder sagt: "Ich führe einen honetten Herrn, einen +Schwitie, keinen Pfennigschaber wie du, dem seine Sechsbatzenstücke +aussehen wie Hildburghäuser Groschen." Endlich legte sich der +Fürther auch in den Streit. "Gott's Wunder!" sagte er, "sollen wir +noch einmal vierzig Jahr in der Wüste bleiben?" und schimpfte +zuletzt den Ellwanger, dass ihm dieser mit der Peitsche einen Hieb +ins Gesicht gab. Der Dinkelsbühler sagt: "Du sollst meinen Passagier +nicht hauen, er ist mir anvertraut und zahlt honett; oder ich hau' +den deinigen auch."--"Untersteh dich und hau mir meinen Herrn!" +sagte der Ellwanger. Also hieb der Dinkelsbühler des Ellwangers +Passagier, und der Ellwanger hieb des Dinkelsbühlers Passagier, und +riefen einander in unaufhörlichem Zorn zu: "Willst du meinen Herrn +in Frieden lassen, oder soll ich dir den deinigen ganz zu einem +Lungenmus zusammenhauen?" und je schmerzlicher der eine Au und der +andere Weih schrie, desto kräftiger hieben die Postillione auf sie +ein, bis sie des unbarmherzigen Spasses selber müde wurden. Als sie +aber auseinander waren und jeder wieder seines Weges fuhr, sagten +die Postillione zu ihren Reisenden so und so: "Nicht wahr, ich hab' +mich Euer rechtschaffen angenommen? Mein Kamerad wird's niemand +rühmen, wie ich ihm seinen Herrn zerhauen habe. Aber diesmal kommt's +Euch auch auf ein besseres Trinkgeld nicht an. Wenn's der Fürst +wüsste", sagte der Dinkelsbühler, "es wäre ihm um einen Maxd'or +nicht leid. Er sieht darauf, dass man die Reisenden gut hält." +Merke: Es ist kein Geld schlechter erhaust, als was man armen Leuten +am Lohn und Trinkgeld vorenthält, und wofür man gehauen oder sonst +verunehrt wird. Für ein paar Groschen kann man viel Freundlichkeit +und guten Willen kaufen. + +Merke: Der Herr, der auf der Abbildung seitwärts steht, hat's mit +angesehen und hat's dem Hausfreund vier Wochen hernach zu Karlsruhe +am Mittagessen erzählt. + + + +Drei Worte + + +Ein Jude in Endingen im Wirtshaus erblickte einen Kaufherrn, der ihm +bekannt vorkam. "Seid Ihr nicht einer von den graussmütigen Herrn, +dass ich hab' die Gnad' gehabt mit ihnen von Basel nach Schalampi zu +fahren auf dem Wasser?" Der Gersauer Kaufherr, er war von Gersau, +sagte: "Hast du unterdessen nichts Neues ausspintisiert, +Reiskamerad?" Der Jud antwortet: "Habt Ihr gute Geschäfte gemacht +auf der Messe? Wenn Ihr gute Geschäfte gemacht habt,--um einen +Sechsbätzner, Ihr könntet mir drei Worte nicht nachsagen." Der +Gersauer dachte: Ein paar Franken hin oder her. "Lass hören!" Der +Jud sagte: Messerschmied. Der Gersauer: Messerschmied. Dudelsack-- +Dudelsack. Da schmunzelte der Jude und sagte: Falsch!--Da dachte +der Gersauer hin und her, wo er könnte gefehlt haben. Aber der Jude +zog eine Kreide aus der Tasche und machte damit einen Strich. +"Einmal gewonnen." Noch einmal! sagte der Kaufherr. Der Jud sagte: +Baumöl. Der Kaufherr: Baumöl. Rotgerber--Rotgerber. Da schmunzelte +der Hebräer abermal und sagte: Falsch, und so trieben sie's zum +sechsten Mal. Als sie's zum sechsten Mal so getrieben hatten, sagte +der Kaufherr: "Nun will ich dich bezahlen, wenn du mich überzeugen +kannst, wo ich gefehlt habe." Der Jude sagte: "Ihr habt mir das +dritte Wort nie nachgesprochen. Falsch war das dritte Wort, das habt +Ihr mir nie nachgesprochen, und also war die Wette gewonnen." + + + +Drei Wünsche + + +Diesmal ist aber die Frau Anna Fritze nicht dabei, auch riecht es +nicht nach Rosenduft und Morgenrot, sondern nach Klingenberger und +nach Kalbfleisch in einer sauren Brühe. Drei lustige Kameraden +sassen beisammen zu Kehl im Lamm, und als sie das Saueressen +verzehrt hatten und noch eine Flasche voll Klingenberger miteinander +tranken, sprachen sie von allerlei und fingen zuletzt an zu +wünschen. Endlich wurden sie der Rede eins, es sollte jeder noch +einen kernhaften Wunsch tun, und wer den grössten Wunsch +hervorbringe, der soll frei ausgehen an der Zeche. + +Da sprach der erste: "So wünsch' ich dann, dass ich alle +Festungsgräben von ganz Strassburg und Kehl voll feiner Nähnadeln +hätte und zu jeder Nadel einen Schneider, und jeder Schneider müsste +mir ein Jahr lang lauter Maltersäcke nähen, und wenn ich dann jeden +Maltersack voll doppelte Dublonen hätte, so wollte ich zufrieden +sein." + +Der zweite sagte: "So wollt' ich denn, dass das ganze Strassburger +Münster bis unter die Krone des Turmes hinauf voll Wechselbriefe vom +feinsten Postpapier läge, so viel darin Platz haben, und wäre mir +auf jedem Wechselbrief so viel Geld verschrieben, als in allen +deinen Maltersäcken Platz hat, und ich hätt's." +Der dritte sagte: "So wollt ich denn, dass ihr beide hättet, was ihr +wünscht, und dass euch alsdann beide in Einer Nacht der Henker +holte, und ich wär euer Erbe." + +Der dritte ging frei aus an der Zeche, und die zwei andern +bezahlten. + + + +Drei Wünsche + + +Ein junges Ehepaar lebte recht vergnügt und glücklich beisammen und +hatte den einzigen Fehler, der in jeder menschlichen Brust daheim +ist: wenn man's gut hat, hätt man's gerne besser. Aus diesem Fehler +entstehen so viele törichte Wünsche, woran es unserm Hans und seiner +Liese auch nicht fehlte. Bald wünschten sie des Schulzen Acker, bald +des Löwenwirts Geld, bald des Meyers Haus und Hof und Vieh, bald +einmal hunderttausend Millionen bayerische Taler kurzweg. Eines +Abends aber, als sie friedlich am Ofen sassen und Nüsse aufklopften +und schon ein tiefes Loch in den Stein hineingeklopft hatten, kam +durch die Kammertür ein weisses Weiblein herein, nicht mehr als eine +Elle lang, aber wunderschön von Gestalt und Angesicht, und die ganze +Stube war voll Rosenduft. Das Licht löschte aus, aber ein Schimmer +wie Morgenrot, wenn die Sonne nicht mehr fern ist, strahlte von dem +Weiblein aus und überzog alle Wände. Über so etwas kann man nun doch +ein wenig erschrecken, so schön es aussehen mag. Aber unser gutes +Ehepaar erholte sich doch bald wieder, als das Fräulein mit +wundersüsser, silberreiner Stimme sprach: "Ich bin eure Freundin, +die Bergfei Anna Fritze, die im kristallenen Schloss mitten in den +Bergen wohnt, mit unsichtbarer Hand Gold in den Rheinsand streut und +über siebenhundert dienstbare Geister gebietet. Drei Wünsche dürft +ihr tun; drei Wünsche sollen erfüllt werden." Hans drückte den +Ellenbogen an den Arm seiner Frau, als ob er sagen wollte: Das +lautet nicht übel. Die Frau aber war schon im Begriff, den Mund zu +öffnen und etwas von ein paar Dutzend goldgestickten Kappen, +seidenen Halstüchern und dergleichen zur Sprache zu bringen, als die +Bergfei sie mit aufgehobenem Zeigefinger warnte: "Acht Tage lang", +sagte sie, "habt ihr Zeit. Bedenkt euch wohl und übereilt euch +nicht." Das ist kein Fehler, dachte der Mann und legte seiner Frau +die Hand auf den Mund. Das Bergfräulein aber verschwand. Die Lampe +brannte wie vorher, und statt des Rosendufts zog wieder wie eine +Wolke am Himmel der Öldampf durch die Stube. + +So glücklich nun unsere guten Leute in der Hoffnung schon zum voraus +waren und keinen Stern mehr am Himmel sahen, sondern lauter +Bassgeigen, so waren sie jetzt doch recht übel dran, weil sie vor +lauter Wunsch nicht wussten, was sie wünschen wollten, und nicht +einmal das Herz hatten, recht daran zu denken oder davon zu +sprechen, aus Furcht, es möchte für gewünscht passieren, ehe sie es +genug überlegt hätten. "Nun", sagte die Frau, "wir haben ja noch +Zeit bis am Freitag." + +Des andern Abends, während die Grundbirn zum Nachtessen in der +Pfanne prasselten, standen beide, Mann und Frau, vergnügt an dem +Feuer beisammen, sahen zu, wie die kleinen Feuerfünklein an der +russigen Pfanne hin und her züngelten, bald angingen, bald +auslöschten, und waren, ohne ein Wort zu reden, vertieft in ihrem +künftigen Glück. Als sie aber die gerösteten Grundbirn aus der +Pfanne auf das Plättlein anrichteten und ihr der Geruch lieblich in +die Nase stieg:--"Wenn wir jetzt nur ein gebratenes Würstlein dazu +hätten", sagte sie in aller Unschuld und ohne an etwas anders zu +denken, und--o weh, da war der erste Wunsch getan.--Schnell wie +ein Blitz kommt und vergeht, kam es wieder wie Morgenrot und +Rosenduft untereinander durch das Kamin herab, und auf den Grundbirn +lag die schönste Bratwurst.--Wie gewünscht, so geschehen.--Wer +sollte sich über einen solchen Wunsch und seine Erfüllung nicht +ärgern? Welcher Mann über solche Unvorsichtigkeit seiner Frau nicht +unwillig werden? "Wenn dir doch nur die Wurst an der Nase +angewachsen wäre", sprach er in der ersten Überraschung, auch in +aller Unschuld, und ohne an etwas anders zu denken--und wie +gewünscht so geschehen. Kaum war das letzte Wort gesprochen, so sass +die Wurst auf der Nase des guten Weibes fest, wie angewachsen im +Mutterleib und hing zu beiden Seiten hinab wie ein +Husarenschnauzbart. + +Nun war die Not der armen Eheleute erst recht gross. Zwei Wünsche +waren getan und vorüber, und noch waren sie um keinen Heller und um +kein Weizenkorn, sondern nur um eine böse Bratwurst reicher. +Noch war ein Wunsch zwar übrig. Aber was half nun aller Reichtum und +alles Glück zu einer solchen Nasenzierat der Hausfrau? Wollten sie +wohl oder übel, so mussten sie die Bergfei bitten, mit unsichtbarer +Hand Barbiersdienste zu leisten und Frau Liese wieder von der +vermaledeiten Wurst zu befreien. Wie gebeten, so geschehen, und so +war der dritte Wunsch auch vorüber, und die armen Eheleute sahen +einander an, waren der nämliche Hans und die nämliche Liese, nachher +wie vorher, und die schöne Bergfei kam niemals wieder. +Merke: Wenn dir einmal die Bergfei also kommen sollte, so sei nicht +geizig, sondern wünsche + +Numero eins: Verstand, dass du wissen mögest, was du +Numero Zwei wünschen sollest, um glücklich zu werden. Und weil es +leicht möglich wäre, dass du alsdann etwas wähltest, was ein +törichter Mensch nicht hoch anschlägt, so bitte noch +Numero Drei: um beständige Zufriedenheit und keine Reue. +Oder so + +Alle Gelegenheit, glücklich zu werden, hilft nichts, wer den +Verstand nicht hat, sie zu benutzen. + + + +Ein gutes Rezept + + +In Wien der Kaiser Joseph war ein weiser und wohltätiger Monarch, +wie jedermann weiss; aber nicht alle Leute wissen, wie er einmal der +Doktor gewesen ist und eine arme Frau kuriert hat. Eine arme kranke +Frau sagte zu ihrem Büblein: "Kind, hol' mir einen Doktor, sonst +kann ich's nimmer aushalten vor Schmerzen." Das Büblein lief zum +ersten Doktor und zum zweiten; aber keiner wollte kommen, denn in +Wien kostet ein Gang zu einem Patienten einen Gulden, und der arme +Knabe hatte nichts als Tränen, die wohl im Himmel für gute Münze +gelten, aber nicht bei allen Leuten auf der Erde. Als er aber zum +dritten Doktor auf dem Weg war, oder heim, fuhr langsam der Kaiser +in einer offenen Kutsche an ihm vorbei. Der Knabe hielt ihn wohl für +einen reichen Herrn, ob er gleich nicht wusste, dass es der Kaiser +ist, und dachte: Ich will's probieren. "Gnädiger Herr", sagte er, +"wollet Ihr mir nicht einen Gulden schenken? Seid so barmherzig!" +Der Kaiser dachte: "Der fasst's kurz und denkt, wenn ich den Gulden +auf einmal bekomme, so brauch' ich nicht sechzig Mal um den Kreuzer +zu betteln. "Tut's ein Käsperlein oder zwei Vierundzwanziger nicht +auch?" fragt ihn der Kaiser. Das Büblein sagte: "Nein", und +offenbarte ihm, wozu er das Geld benötigt sei. Also gab ihm der +Kaiser den Gulden und liess sich genau von ihm beschreiben, wie +seine Mutter heisst, und wo sie wohnt, und während das Büblein zum +dritten Doktor springt, und die kranke Frau betet daheim, der liebe +Gott wolle sie doch nicht verlassen, fährt der Kaiser zu ihrer +Wohnung und verhüllt sich ein wenig in seinen Mantel, also dass man +ihn nicht recht erkennen konnte, wer ihn nicht express darum ansah. +Als er aber zu der kranken Frau in ihr Stüblein kam, und sah recht +leer und betrübt darin aus, meint sie, es ist der Doktor, und +erzählt ihm ihren Umstand, und wie sie noch so arm dabei sei und +sich nicht pflegen könne. Der Kaiser sagte: "Ich will Euch dann +jetzt ein Rezept verschreiben", und sie sagte ihm, wo des Bübleins +Schreibzeug ist. Also schrieb er das Rezept und belehrte die Frau, +in welche Apotheke sie es schicken müsse, wenn das Kind heimkommt, +und legte es auf den Tisch. Als er aber kaum eine Minute fort war, +kam der rechte Doktor auch. Die Frau verwunderte sich nicht wenig, +als sie hörte, er sei auch der Doktor, und entschuldigte sich, es +sei schon so einer dagewesen und hab' ihr etwas verordnet, und sie +habe nur auf ihr Büblein gewartet. Als aber der Doktor das Rezept in +die Hand nahm und sehen wollte, wer bei ihr gewesen sei, und was für +einen Trank oder Pillelein er ihr verordnet hat, erstaunte er auch +nicht wenig und sagte zu ihr: "Frau", sagte er, "Ihr seid einem +guten Arzt in die Hände gefallen, denn er hat Euch fünfundzwanzig +Dublonen verordnet, beim Zahlamt zu erheben, und untendran steht: +Joseph, wenn Ihr ihn kennt. Ein solches Magenpflaster und Herzsalbe +und Augentrost hätt' ich Euch nicht verschreiben können." Da tat die +Frau einen Blick gegen den Himmel und konnte nichts sagen vor +Dankbarkeit und Rührung, und das Geld wurde hernach richtig und ohne +Anstand von dem Zahlamt ausbezahlt, und der Doktor verordnete ihr +eine Mixtur, und durch die gute Arznei und durch die gute Pflege, +die sie sich jetzt verschaffen konnte, stand sie in wenig Tagen +wieder auf gesunden Beinen. Also hat der Doktor die kranke Frau +kuriert und der Kaiser die arme, und sie lebt noch und hat sich +nachgehends wieder verheiratet. + + + +Ein Hausmittel + + +Ein fremder Mann in einem Wirtshause bemerkte lange bei seinem +Schöpplein, wie die Frau Vogtin (der Vogt führte die Wirtschaft) +unaufhörlich am Stricken gehindert wurde durch etwas anderes. +Endlich sagte er: "Es scheint, Ihr wollt ander Wetter prophezeien, +Frau Vögtin. Euere braunen Tierlein machen Euch viel Zeitvertreib." +Die Wirtin ward dessen fast verschämt und sagte: "Ihr habt mir nicht +sollen zusehen." Darauf erwiderte der Fremde: "Ein Floh ist doch +auch ein Geschöpflein, und ich weiss nicht, warum man nicht davon +reden soll. Wenn sie Euch aber zur Plage sind, und es kommt Euch auf +einen Vierundzwanziger nicht an, ich wollte Euch wohl sagen, was Ihr +tun müsstet, damit Ihr nie in Euerm Leben einen Floh bekämet." Die +Wirtin sagte: "Einen Vierundzwanziger wär' es wohl noch wert", und +als er sich denselben voraus hatte bezahlen lassen, sagte er mit +schelmischem Lächeln: "Nämlich, wenn Euch ein Floh am rechten Arm +beisst, müsst Ihr ihn am linken suchen. Beisst er Euch aber am +linken, so sucht ihn am rechten. Alsdann bekommt Ihr gewiss keinen. +Ich hab's von der Polizei in Brassenheim gelernt", sagte er. Es war +der Zirkelschmied. + + + +Ein teurer Kopf und ein wohlfeiler + + +Als der letzte König von Polen noch regierte, entstand gegen ihn +eine Empörung, was nichts Seltenes war. Einer von den Rebellern, und +zwar ein polnischer Fürst, vergass sich so sehr, dass er einen Preis +von 20’000 Gulden auf den Kopf des Königs setzte. Ja, er war frech +genug, es dem König selber zu schreiben, entweder um ihn zu betrüben +oder zu erschrecken. Der König aber schrieb ihm ganz kaltblütig zur +Antwort: "Euern Brief habe ich empfangen und gelesen. Es hat mir +einiges Vergnügen gemacht, dass mein Kopf bei Euch noch etwas gilt. +Denn ich kann Euch versichern: für den Eurigen gäb' ich keinen roten +Heller." + + + +Ein Wort gibt das andere + + +Ein reicher Herr im Schwabenland schickte seinen Sohn nach Paris, +dass er sollte Französisch lernen und ein wenig gute Sitten. Nach +einem Jahr oder drüber kommt der Knecht aus des Vaters Haus auch +nach Paris. Als der junge Herr den Knecht erblickte, rief er voll +Staunen und Freude aus: "Ei, Hans, wo führt dich der Himmel her? Wie +steht es zu Hause, und was gibt's Neues?"--"Nicht viel Neues, Herr +Wilhelm, als dass vor zehn Tagen Euer schöner Rabe krepiert ist, den +Euch vor einem Jahr der Weidgesell geschenkt hat." + +"O das arme Tier", erwiderte der Herr Wilhelm. "Was hat ihm denn +gefehlt?" + +"Drum hat er zu viel Luder gefressen, als unsere schönen Pferde +verreckten, eins nach dem andern. Ich hab's gleich gesagt." +"Wie! Meines Vaters vier schöne Mohrenschimmel sind gefallen?", +fragte der Herr Wilhelm. "Wie ging das zu?" + +"Drum sind sie zu sehr angestrengt worden mit Wasserführen, als uns +Haus und Hof verbrannte, und hat doch nichts geholfen." + +"Um Gottes willen!" rief der Herr Wilhelm voll Schrecken aus. "Ist +unser schönes Haus verbrannt? Wann das?" + +"Drum hat man nicht aufs Feuer achtgegeben an Ihres Herrn Vaters +seliger Leiche, und ist bei Nacht begraben worden mit Fackeln. So +ein Fünklein ist bald verzettelt!" + +"Unglückliche Botschaft!", rief voll Schmerz der Herr Wilhelm aus. +"Mein Vater tot? Und wie geht's meiner Schwester?" + +"Drum eben hat sich Ihr Herr Vater seliger zu Tod gegrämt, als Ihre +Jungfer Schwester ein Kindlein gebar und hatte keinen Vater dazu. Es +ist ein Büblein. + +Sonst gibt's just nicht viel Neues", setzte er hinzu. + + + +Eine merkwürdige Abbitte + + +Das ist merkwürdig, dass an einem schlechten Menschen der Name eines +ehrlichen Mannes gar nicht haftet, und dass er durch solchen nur +ärger geschimpft ist. + +Zwei Männer sassen in einem benachbarten Dorf zu gleicher Zeit im +Wirtshaus. Aber der eine von ihnen hatte bösen Leumund wegen +allerlei, und sah ihn und den Iltis niemand gern auf seinem Hof. +Aber beweisen vor dem Richter konnte man ihm nichts. Mit dem bekam +der andere Zwist im Wirtshaus, und im Unwillen und weil er ein Glas +Wein zuviel im Kopfe hatte, so sagte er zu ihm: "Du schlechter +Kerl!"--Damit kann einer zufrieden sein, wenn er's ist, und braucht +nicht mehr. Aber der war nicht zufrieden, wollte noch mehr haben, +schimpfte auch und verlangte Beweis. Da gab ein Wort das andere, und +es hiess: "Du Spitzbub! du Felddieb!"--Damit war er noch nicht +zufrieden, sondern ging vor den Richter. Da war nun freilich +derjenige, welcher geschimpft hatte, übel dran. Leugnen wollt' er +nicht, beweisen konnt' er nicht, weil er für das, was er wohl +wusste, keine Zeugen hatte, sondern er musste einen Gulden Strafe +erlegen, weil er einen ehrlichen Mann Spitzbube geheissen habe, und +ihm Abbitte tun, und dachte bei sich selber: Teurer Wein! Als er +aber die Strafe erlegt hatte, so sagte er: "Also einen Gulden kostet +es, gestrenger Herr, wenn man einen ehrlichen Mann einen Spitzbuben +nennt? Was kostet's denn, wenn man einmal in der Vergesslichkeit +oder sonst zu einem Spitzbuben sagt: Ehrlicher Mann?" Der Richter +lächelte und sagte: "Das kostet nichts, und damit ist niemand +geschimpft." Hierauf wendete sich der Beklagte zu dem Kläger um und +sagte: "Es ist mir leid, ehrlicher Mann! Nichts für ungut, ehrlicher +Mann! Adies, ehrlicher Mann!" Als der erboste Gegner das hörte und +wohl merkte, wie es gemeint war, wollte er noch einmal anfangen und +hielt sich jetzt für ärger beleidigt als vorher. Aber der Richter, +der ihn doch auch als einen verdächtigen Menschen kennen mochte, +sagte zu ihm, er könne jetzt zufrieden sein. + + + +Eine seltsame, jedoch wahrhafte Geschichte + + +Zwei Schiffer fuhren frühmorgens den Strom herab, und der Tag war +schon ins enge, stille Tal gekommen, als sie an der hohen +Felsenwand, genannt die Riesenmauer, vorbeifahren wollten. Es +steigen nämlich daselbst die Felsen fast senkrecht in die Höhe. Weit +oben ist's wie abgeschnitten, und der heilige Nepomuk, ob er gleich +von Stein ist, meint man doch, es müsse ihm schwindlig werden, und +es wird's einem für ihn, wenn man hinaufschaut. Keine Ziege weidet +an dieser Halde, kein Fusspfad führt den Wanderer hinauf oder hinab. +Nur einzelne arme Tannen oder Eichen sind aus den Felsenspalten da +und dort herausgewachsen, mehr hangend als stehend, und nähren sich, +so gut sie können, vom Wasserduft und Sonnenschein. Als aber die +Schiffer gegen die Felsenwand kamen, hörten sie ein klägliches +Notgeschrei, und um einen Buck herumfahrend, sahen sie mit +Entsetzen, dass ein lebendiger Mensch in einsamer Todesnot und Angst +auf einem solchen Eichstämmlein sass und sich mit den Händen an +einem schwachen Ästlein festhielt wie ein furchtsamer Reiter am +Kammhaar, und sah auch wirklich aus, als wenn er in die Luft +hinausreiten wollte, unten Wasser, oben Himmel, vor ihm nichts. Aber +der eine Schiffer verwunderte sich noch viel mehr, als er den Mann +ins Auge fasste und erkannte. "Seid Ihr es, Herr Schulmeister, oder +trügt mich ein Blendwerk?" Ja, es war der Herr Schulmeister, ein +braver, unbescholtener Mann, den der Hausfreund so gut kennt als +sich selbst oder seinen Adjunkt, ein Vater von drei Kindern. + +Der Hausfreund müsste sich sehr an dem geneigten Leser oder an +seiner eigenen Beschreibung irren, wenn derselbe früher fragen +sollte, was er doch nicht erfahren wird, wie der Mann auf diesen +Baum hinaufgekommen, als vielmehr, wie er wieder herabgebracht und +aus des Todes Angst und Not gerettet worden sei. Man holte die +längste Feuerleiter im Dorf und stellte sie an dem schmalen Bort +zwischen dem Strom und den Felsen auf. Sie reichte nicht hinan. Man +band die zwei längsten aneinander und richtete sie mit unsäglicher +Mühe und eigener Todesgefahr auf. Sie reichten nicht hinan. Es war +schon 10 Uhr, und die Sonne schwamm über das Tal, als ob sie das +seltsame Schauspiel auch sehen oder Mut und Hoffnung machen wollte +zur Rettung. Man erstieg auf der andern Seite die Anhöhe, schlang +das längste Seil, das zu haben war, um den heiligen Nepomuk und +liess es hinab, dass er es um den Leib binden, sich alsdann mit den +Händen und Füssen gegen die Felsenwand stemmen und seine Auffahrt +regieren sollte. Aber der arme Mann durfte mit den Händen den Ast +nicht verlassen, weil er sonst keine Habung hatte auf dem schwachen +Stamm und unvermeidlich das Gleichgewicht und das Leben hätte +verlieren müssen. Endlich liess man auf die nämliche Art noch einen +Mann von Mut und Kraft zu ihm hinab, der ihm das eine Seil um den +Leib befestigte, und zog alsdann unversehrt einen nach dem andern +herauf. Der Herr Schulmeister aber, als er wieder Boden erfasst und +sozusagen gelandet hatte, küsste er zuerst mit Dank und Gebet die +Füsse des Schutzheiligen, der ihm gleichsam in der Gestalt des Seils +seine hilfreiche Hand hinabgereicht hatte und absichtlich um seiner +Rettung willen da zu stehen schien, und dankte seinen Mitbürgern. +Hernach winkte er seiner zagenden Frau und seinen weinenden Kindern, +die am jenseitigen Ufer standen, dass es jetzt nichts mehr zu sagen +habe. Aber auf die Frage, wie er auf den Baum herabgekommen sei, +konnte er keine Antwort geben, sondern er bewies hernach als ein +Mann, dem an seiner Reputation viel gelegen ist, dass er in dem Dorf +auf dem Berge ein einziges Schöpplein getrunken habe und nüchtern +fortgegangen sei, um nach Hause zu kommen. Was sich aber weiter mit +ihm zugetragen habe, wisse er nicht, sondern, als er aufgewacht sei, +sei er auf dem Baum gesessen. + +Dem Hausfreund aber ist es insofern lieb für seine Leser, dass die +Sache im Dunkeln bleibt. Denn ob es gleich muss natürlich zugegangen +sein, so sieht es doch wunderbarer aus und greift besser an, wenn +man nicht weiss, wie. So viel ist klar auf alle Fälle: "Er hat +seinen Engeln über dir Befehl getan, dass sie dich behüten auf +deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen." + + + +Eine sonderbare Wirtszeche + + +Manchmal gelingt ein mutwilliger Einfall, manchmal kostet's den +Rock, oft sogar die Haut dazu. Diesmal aber nur den Rock. Denn +obgleich einmal drei lustige Studenten auf einer Reise keinen roten +Heller mehr in der Tasche hatten, alles war verjubelt, so gingen sie +doch noch einmal in ein Wirtshaus und dachten, sie wollten sich +schon wieder hinaus helfen und doch nicht wie Schelmen davon +schleichen, und es war ihnen gar recht, dass die junge und artige +Wirtin ganz allein in der Stube war. Sie assen und tranken guten +Mutes und führten miteinander ein gar gelehrtes Gespräch, als wenn +die Welt schon viele tausend Jahre alt wäre und noch ebenso lang +stehen würde, und dass in jedem Jahr, an jedem Tag und in jeder +Stunde des Jahrs alles wieder so komme und sei, wie es am nämlichen +Tag und in der nämlichen Stunde vor sechstausend Jahren auch gewesen +sei. "Ja", sagte endlich einer zur Wirtin--die mit einer Stickerei +seitwärts am Fenster sass und aufmerksam zuhörte--"ja, Frau Wirtin, +das müssen wir aus unsern gelehrten Büchern wissen." Und einer war +so keck und behauptete, er könne sich wieder dunkel erinnern, dass +sie vor sechstausend Jahren schon einmal da gewesen seien, und das +hübsche, freundliche Gesicht der Frau Wirtin sei ihm noch +wohlbekannt. Das Gespräch wurde noch lange fortgesetzt, und je mehr +die Wirtin alles zu glauben schien, desto besser liessen sich die +jungen Schwenkfelder den Wein und Braten und manche Bretzel +schmecken, bis eine Rechnung von 5 fl. 16 kr. auf der Kreide stand. +Als sie genug gegessen und getrunken hatten, rückten sie mit der +List heraus, worauf es abgesehen war. + +"Frau Wirtin", sagte einer, "es steht diesmal um unsere Batzen nicht +gut, denn es sind der Wirtshäuser zu viele an der Strasse. Da wir +aber an Euch eine verständige Frau gefunden haben, so hoffen wir als +alte Freunde hier Kredit zu haben, und wenn's Euch recht ist, so +wollen wir in sechstausend Jahren, wenn wir wiederkommen, die alte +Zeche samt der neuen bezahlen." Die verständige Wirtin nahm das +nicht übel auf, war's vollkommen zufrieden und freute sich, dass die +Herren so vorlieb genommen, stellte sich aber unvermerkt vor die +Stubentüre und bat, die Herren möchten nur so gut sein und jetzt die +5 fl. 16 kr. bezahlen, die sie vor sechstausend Jahren schuldig +geblieben seien, weil doch alles schon einmal so gewesen sei, wie es +wieder komme. Zum Unglück trat eben der Vorgesetzte des Ortes mit +ein paar braven Männern in die Stube, um miteinander ein Glas Wein +in Ehren zu trinken. Das war den gefangenen Vögeln gar nicht lieb. +Denn jetzt wurde von Amts wegen das Urteil gefällt und vollzogen: +"Es sei aller Ehren wert, wenn man sechstausend Jahre lang geborgt +habe. Die Herren sollten also augenblicklich ihre alte Schuld +bezahlen, oder ihre noch ziemlich neuen Oberröcke in Versatz geben." + +Dies letzte musste geschehen, und die Wirtin versprach, in +sechstausend Jahren, wenn sie wieder kommen und besser als jetzt bei +Batzen seien, ihnen alles, Stück für Stück, wieder zuzustellen. +Dies ist geschehen im Jahr 1805 am 17ten April im Wirtshause zu +Segringen. + + + +Einer Edelfrau schlaflose Nacht + + +Es ist nichts lehrreicher als die Aufmerksamkeit, wie in dem +menschlichen Leben alles zusammenhängt, wenn man es zu entdecken +vermag, z. B. Zahnschmerzen und das Glück eines Ehepaars, und wie +selbst das, was unrecht und verboten ist, wieder gutgemacht werden +kann, wenn's an den rechten Mann oder an die rechte Frau kommt, und +wie in dem grossen, unaufhörlichen Wechsel der Dinge alles einzelne +wieder verschwimmt, dass man ihm nimmer nachkommt, und doch getan +bleibt und nicht verloren geht, es sei gut oder bös. Gleich als wenn +man ein Glas Wasser in den Rhein ausgiesst, kein Sterblicher ist +imstand, es wieder herauszuschöpfen, sondern es ist jetzt dem Rhein +vermählt und augenblicklich verschwemmt in der grossen Flut. Ja, +wenn die Sonne Wasser aufzieht, wie man zu sagen pflegt, sind ein +paar Tröpflein davon vielleicht auch dabei und fallen irgendwo, in +Bayern oder Lothringen, wieder aus einer Wasserwolke vom Himmel +herab und erquicken ein Blümlein. + +Eine Dienstmagd, jung und brav, auch hübsch, und ein Knecht gleicher +Qualität dienten miteinander auf einem Edelhof und hätten nicht so +gerne Kaffee getrunken oder alle Tage Braten gegessen, als vielmehr +einander geheiratet. Allein sie waren Leibeigene, insoweit, dass sie +verpflichtet waren, eine gewisse Zeit Hofdienste zu tun, und die +Edelfrau auf dem Hofe wollte sie nicht früher aus dem Dienst +entlassen, weil sie so brav waren in ihrer Aufführung und so +fleissig und treu in ihren Geschäften. Deswegen sassen sie oft +beisammen und weinten, oder sie weinte, und er nagte an einem +Holzsplitter. Ein ander Mal, wie die menschliche Laune wechselt, +sprachen sie sich Mut ein, dass es ja nur noch um zwei Jährlein zu +tun sei, und freuten sich schon zum voraus ihres zukünftigen Glücks, +"wenn du mein Weib bist"--sagte er--"und ich dein Mann", und +einmal vergassen sie sogar die Zukunft und meinten, es sei jetzt. +Nach Verlauf aber eines Jahres hat die Frau auf dem Edelhof in der +Nacht desperates Zahnweh, nicht gerade deswegen. Sie steht aus dem +Bette auf und wirft sich auf einen Stuhl, sie läuft aus einer Stube +in die andere, aus der andern in die dritte. In der dritten setzt +sie sich gegenüber einem Fensterlein, das in die Küche geht, mit +einem weissen Vorhang davor, und das Zahnweh wird ihr nun bald +vergehen. Sie sitzt jetzt am rechten Orte dazu. Denn auf einmal +sieht sie hell werden hinter dem weissen Vorhang, sie hört etwas +sich bewegen, sie hört etwas flüstern und knistern, sie schiebt +leise das Vorhänglein weg, und in der Küche stehen der Knecht und +die Magd an einem Feuerlein nachts um zwölf Uhr und legen Späne an +das Feuer, und auf dem Feuer steht ein Pfännlein.--Bereits gibt das +Zahnweh ein wenig nach.--"O ihr gottloses Lumpenpack", sagte sie +inwendig für sich. "So ist denn keinem Menschen mehr zu trauen. Habt +ihr nicht alle Tage euer ordentliches Essen. Ist es euch nicht gut +genug? Müsst ihr mich noch in der Nacht bestehlen und Leckerbissen +kochen!" Nach einiger Zeit stellt das Weibsbild das Pfännlein von +dem Feuer, als ob sie jetzt die Leckerbissen verzehren wollten, der +Knecht aber geht zur Türe hinaus.--"Wie der Tag anbricht, lass ich +beide in das Gefängnis werfen", so fuhr die Edelfrau fort, "und jage +sie weg ohne ehrlichen Abschied. Am Ende wird mir die Dirne auch +noch schwanger von dem Burschen in meinem eigenen Haus. So weit +soll's mir nicht kommen." Indem kommt der Knecht zurück und bringt +ein vierteljähriges Kind auf dem Arme und gibt's der Mutter auf die +Schoss. Da hörte plötzlich das Zahnweh der Edelfrau auf wie +weggeflogen. Die Mutter gibt dem Kindlein aus der Pfanne den Brei, +sie legt es an die mütterliche Brust, und der Schein des abnehmenden +Feuers ging zur rechten Zeit über ihr Angesicht, als sie mit nassen +Blicken ihr Kindlein noch einmal beschaute und dem Vater zurückgab +und etwas zu ihm sagte. Denn da ward das Herz der Edelfrau wunderbar +bewegt und kam auf andere Gedanken. Denn es war ihr, als ob die +Mutter mit den nassen Blicken gesagt hätte: "Gott wird des armen +Würmleins sich auch erbarmen", und als ob sie dazu bestimmt wäre. +Ja, es fuhr ihr mit Grausen durch die Seele, was für ein Unglück in +ihrem Hause hätte geschehen können, wenn nicht Gott das Herz der +Eltern vor einem schweren Verbrechen bewahrt hätte. + +Am frühen Morgen aber liess sie beide Eltern vor sich bescheiden. +Beide sahen einander an. "Was gilt's",--sagte sie--"wir bekommen +unsere Freiheit."--"Oder auch nicht",--sagte er. Die Edelfrau +aber, als sie hereingetreten waren, redete sie ernsthaft und +gebieterisch an: "Wo habt ihr euer Kind?" Da glaubten beide in den +Boden zu versinken vor Schrecken und Scham und schauten einander +verstohlenerweise an, gleichsam ob das andere noch da sei. "Wo ihr +euer Kind habt",--wiederholte die Edelfrau.--"Weil wir denn doch +eins haben",--stotterte endlich der Vater,--"in der Holzkammer +hinter einer Beige." Als es aber der Bursche holen musste, bracht' +er es, wie es war in einem alten Felleisen. Es war reinlich gehalten +und gebüschelt auf einem Bettlein von Heu und weinte, als ob es +schon wusste, wie man es machen muss. Da erbarmte sich das Herz der +Edelfrau noch mehr, und als die treue Magd und Mutter reuevoll und +mit Tränen bat, sie und ihr unschuldiges Kind nicht unglücklich zu +machen, konnte die Edelfrau ihre Rührung nicht mehr verbergen: +"Nein, ich will euch nicht unglücklich machen",--sagte sie. "Ich +will euch die Härte vergelten, die ich an euch begangen habe. Ich +will euch den Kummer versüssen, den ihr getragen habt. Ich will eure +Sünde wieder gut machen. Ich will euch die Barmherzigkeit vergelten, +die ihr an euerm Kinde getan habt." Meint man nicht, man höre den +lieben Herr Gott reden in den Propheten oder in den Psalmen? Ein +Gemüt, das zum Guten bewegt ist und sich der Elenden annimmt und die +Gefallenen aufrichtet, ein solches Gemüt zieht nämlich das Ebenbild +Gottes an und fällt deswegen auch in seine Sprache.--"Ihr könnt +euch am Sonntag in der Stille zusammengeben lassen",--sagte die +Edelfrau. "Ich will euch ein angenehmes Heiratsgut stiften. Ich will +aus eurem Kinde etwas werden lassen. Ist's ein Büblein?"--Also +wurden sie am nächsten Sonntag auf Geheiss der Edelfrau +zusammengegeben und lebten seitdem in Liebe und Frieden ehelich +beisammen. Das Büblein aber kann jetzt schon Haselnüsse aufbeissen +und lernt fleissig und hat runde, rote Backen.--Was aber weiter +daraus werden soll, weiss der, der den Himmel mit der Spanne misst +und den Staub der Erde mit einem Dreiling. + + + +Einer oder der andere + + +Es ist nichts lieblicher, als wenn bisweilen gekrönte Häupter sich +unerkannt zu dem gemeinen Mann herablassen, wie König Heinrich der +Vierte in Frankreich, sei es auch nur zu einem gutmütigen Spass. +Zu König Heinrichs des Vierten Zeiten ritt ein Bäuerlein vom Lande +her des Weges nach Paris. Nicht mehr weit von der Stadt gesellt sich +zu ihm ein anderer, gar stattlicher Reiter, welches der König war, +und sein kleines Gefolge blieb absichtlich in einiger Entfernung +zurück. "Woher des Landes, guter Freund?"--"Da und da her."--"Ihr +habt wohl Geschäfte in Paris?"--"Das und das; auch möchte ich gerne +unsern guten König einmal sehen, der so väterlich sein Volk liebt." +- Da lächelte der König und sagte: "Dazu kann Euch heute Gelegenheit +werden."--"Aber wenn ich nur auch wüsste, welcher es ist unter den +vielen, wenn ich ihn sehe!"--Der König sagte: "Dafür ist Rat. Ihr +dürft nur achtgeben, welcher den Hut allein auf dem Kopf behaltet, +wenn die andern ehrerbietig ihr Haupt entblössen." Also ritten sie +miteinander in Paris hinein, und zwar das Bäuerlein hübsch auf der +rechten Seite des Königs. Denn das kann nie fehlen. Was die liebe +Einfalt Ungeschicktes tun kann, sei es gute Meinung oder Zufall, das +tut sie. Aber ein gerader und unverkünstelter Bauersmann, was er tut +und sagt, das tut und sagt er mit ganzer Seele und sieht nicht um +sich, was geschieht, wenn's ihn nichts angeht. Also gab auch der +unsrige dem König auf seine Fragen nach dem Landbau, nach seinen +Kindern, und ob er auch alle Sonntage ein Huhn im Topf habe, +gesprächige Antwort und merkte lange nichts. Endlich aber, als er +doch sah, wie sich alle Fenster öffneten und alle Strassen mit +Leuten sich füllten und alles rechts und links auswich und +ehrerbietig das Haupt entblösst hatte, ging ihm ein Licht auf. +"Herr", sagte er und schaute seinen unbekannten Begleiter mit +Bedenklichkeit und Zweifel an, "entweder seid Ihr der König oder ich +bin's. Denn wir zwei haben noch allein die Hüte auf dem Kopf." Da +lächelte der König und sagte: "Ich bin's. Wenn Ihr Euer Rösslein +eingestellt und Euer Geschäft versorgt habt", sagte er, " so kommt +zu mir in mein Schloss. Ich will Euch alsdann mit einem +Mittagssüpplein aufwarten und Euch auch meinen Ludwig zeigen." +Von dieser Geschichte her rührt das Sprichwort, wenn jemand in einer +Gesellschaft aus Vergessenheit oder Unverstand den Hut allein auf +dem Kopf behält, dass man ihn fragt: "Seid Ihr der König oder der +Bauer?" + + + +Einfältiger Mensch in Mailand + + +Ein einfältiger Mensch in Mailand wollte sein Haus verkaufen. Damit +er nun um so eher davon los werden möchte, brach er einen grossen +Stein aus demselben heraus, trug ihn auf den grossen Marktplatz, wo +viel Verkehr und Handel getrieben wird, und setzte sich damit unter +die Verkäufer. Wenn nun ein Mann kam und fragte ihn: "Was habt Ihr +denn feil?" so sagte er: "Mein zweistöckigtes Haus in der +Kapuzinergasse. Wenn Ihr Lust dazu habt--hier ist ein Muster." + +Der nämliche sagte einmal bei einer Gelegenheit, als von der +Kinderzucht die Rede war: "Es ist ein Glück für meine Kinder, dass +ich keine habe. Ich könnte so zornig werden, dass ich sie alle +totschlüge." + + + +Einträglicher Rätselhandel + + +Von Basel fuhren elf Personen in einem Schiff, das mit allen +Kommlichkeiten versehen war, den Rhein hinab. Ein Jude, der nach +Schalampi wollte, bekam die Erlaubnis, sich in einen Winkel zu +setzen und auch mitzufahren, wenn er sich gut aufführen und dem +Schiffer achtzehn Kreuzer Trinkgeld geben wolle. Nun klingelte es +zwar, wenn der Jude an die Tasche schlug, allein es war doch nur +noch ein Dreibatzenstück darin; denn das andere war ein messingener +Knopf. Dessenungeachtet nahm er die Erlaubnis dankbar an. Denn er +dachte: "Auf dem Wasser wird sich auch noch etwas erwerben lassen. +Es ist ja schon mancher auf dem Rhein reich geworden." Im Anfang und +von dem Wirtshaus zum Kopf weg war man sehr gesprächig und lustig, +und der Jude in seinem Winkel und mit seinem Zwerchsack an der +Achsel, den er ja nicht ablegte, musste viel leiden, wie man's +manchmal diesen Leuten macht und versündiget sich daran. Als sie +aber schon weit an Hüningen und an der Schusterinsel vorbei waren +und an Märkt und an dem Isteiner Klotz und St. Veit vorbei, wurde +einer nach dem andern stille und gähnten und schauten den langen +Rhein hinunter, bis wieder einer anfing: "Mausche", fing er an, +"weisst du nichts, dass uns die Zeit vergeht? Deine Väter müssen +doch auch auf allerlei gedacht haben in der langen Wüste."--Jetzt, +dachte der Jude, ist es Zeit, das Schäflein zu scheren, und schlug +vor, man sollte sich in der Reihe herum allerlei kuriose Fragen +vorlegen, und er wolle mit Erlaubnis auch mithalten. "Wer sie nicht +beantworten kann, soll dem Aufgeber ein Zwölfkreuzerstück bezahlen; +wer sie gut beantwortet, soll einen Zwölfer bekommen." Das war der +ganzen Gesellschaft recht, und weil sie sich an der Dummheit oder an +dem Witz des Juden zu belustigen hofften, fragte jeder in den Tag +hinein, was ihm einfiel. So fragte z. B. der erste: "Wie viel +weichgesottene Eier konnte der Riese Goliath nüchtern essen?"--Alle +sagten, das sei nicht zu erraten, und bezahlten ihre Zwölfer. Aber +der Jude sagte: "Eins, denn wer ein Ei gegessen hat, isst das zweite +nimmer nüchtern." Der Zwölfer war gewonnen. + +Der andere dachte: Wart', Jude, ich will dich aus dem Neuen +Testament fragen, so soll mir dein Dreibätzner nicht entgehen. +"Warum hat der Apostel Paulus den zweiten Brief an die Korinther +geschrieben?" Der Jud sagte: "Er wird nicht bei ihnen gewesen sein, +sonst hätt' er's ihnen mündlich sagen können." Wieder ein Zwölfer. + +Als der dritte sah, dass der Jude in der Bibel so gut beschlagen +sei, fing er's auf eine andere Art an: "Wer zieht sein Geschäft in +die Länge, und wird doch zu rechter Zeit fertig?" Der Jud sagte: +"Der Seiler, wenn er fleissig ist." + +Der vierte: "Wer bekommt noch Geld dazu und lässt sich dafür +bezahlen, wenn er den Leuten etwas weismacht?" Der Jud sagte: "Der +Bleicher." + +Unterdessen näherte man sich einem Dorf, und einer sagte: "Das ist +Bamlach." Da fragte der fünfte: "In welchem Monat essen die +Bamlacher am wenigsten?" Der Jud sagte: "Im Hornung, denn der hat +nur 28 Tage." + +Der sechste sagt: "Es sind zwei leibliche Brüder, und doch ist nur +einer davon mein Vetter." Der Jud sagte: "Der Vetter ist Eures +Vaters Bruder. Euer Vater ist nicht Euer Vetter." + +Ein Fisch schnellte in die Höhe, so fragt der siebente: "Welche +Fische haben die Augen am nächsten beisammen?" Der Jud sagte: "Die +kleinsten." + +Der achte fragt: "Wie kann einer zur Sommerszeit im Schatten von +Bern nach Basel reiten, wenn auch die Sonne noch so heiss scheint?" +Der Jud sagt: "Wo kein Schatten ist, muss er absteigen und zu Fuss +gehn." + +Fragt der neunte: "Wenn einer im Winter von Basel nach Bern reitet +und hat die Handschuhe vergessen, wie muss er's angreifen, dass es +ihn nicht an die Hand friert?" Der Jud sagt: "Er muss aus der Hand +eine Faust machen." + +Fragt der zehnte: "Warum schlüpfet der Küfer in die Fässer?" Der Jud +sagt: "Wenn die Fässer Türen hätten, könnte er aufrecht +hineingehen." + +Nun war noch der elfte übrig. Dieser fragte: "Wie können fünf +Personen fünf Eier teilen, also dass jeder eins bekomme und doch +eins in der Schüssel bleibe?" Der Jud sagte: "Der letzte muss die +Schüssel samt dem Ei nehmen, dann kann er es darin liegen lassen, +solang er will." + +Jetzt war die Reihe an ihm selber, und nun dachte er erst einen +guten Fang zu machen. Mit viel Komplimenten und spitzbübischer +Freundlichkeit fragte er: "Wie kann man zwei Forellen in drei +Pfannen backen, also dass in jeder Pfanne eine Forelle liege?" Das +brachte abermal keiner heraus, und einer nach dem andern gab dem +Hebräer seinen Zwölfer. + +Der Hausfreund hätte das Herz, allen seinen Lesern, von Mailand bis +nach Kopenhagen, die nämliche Frage aufzugeben, und wollte ein +hübsches Stück Geld daran verdienen, mehr als am Kalender selber, +der ihm nicht viel einträgt. Denn als die elfe verlangten, er sollte +ihnen für ihr Geld das Rätsel auch auflösen, wand er sich lange +bedenklich hin und her, zuckte die Achseln, drehte die Augen. "Ich +bin ein armer Jüd", sagte er endlich. Die andern sagten: "Was sollen +diese Präambeln? Heraus mit dem Rätsel!"--"Nichts für ungut!"--war +die Antwort--"dass ich gar ein armer Jüd bin."--Endlich nach +vielem Zureden, dass er die Auflösung nur heraussagen sollte, sie +wollten ihm nichts daran übelnehmen, griff er in die Tasche, nahm +einen von seinen gewonnenen Zwölfern heraus, legte ihn auf das +Tischlein, so im Schiffe war, und sagte: "Dass ich's auch nicht +weiss. Hier ist mein Zwölfer!" + +Als das die andern hörten, machten sie zwar grosse Augen und +meinten, so sei's nicht gewettet. Weil sie aber doch das Lachen +selber nicht verbeissen konnten, und waren reiche und gute Leute, +und der hebräische Reisegefährte hatte ihnen von Kleinen-Kems bis +nach Schalampi die Zeit verkürzt, so liessen sie es gelten, und der +Jud hat aus dem Schiff getragen--das soll mir ein fleissiger +Schüler im Kopf ausrechnen: wie viel Gulden und Kreuzer hat der Jude +aus dem Schiff getragen? Einen Zwölfer und einen messingenen Knopf +hatte er schon. Elf Zwölfer hat er mit Erraten gewonnen, elf mit +seinem eigenen Rätsel, einen hat er zurückbezahlt und dem Schiffer +achtzehn Kreuzer Trinkgeld entrichtet. + + + +Erinnerung an die Kriegszeit + + +Es ist nicht zu leugnen: wenn hie und da ein siegreiches +Truppenkorps in eine feindliche Landschaft einrückte und Quartiere +nahm, dass sich alsdann der arme Einwohner viel musste gefallen +lassen, nicht nur von der Notwendigkeit, sondern auch von dem +Unverstand und höhnendem Übermut. Zu einem solchen Unteroffizier, +als er eben am Mittagessen war, kam sein Kamerad und verwunderte +sich über ihn mit folgenden Worten: + +"Herr Kamerad", sagte er zu ihm, "seit wann seid Ihr ein Jude +geworden, dass Ihr Euch zwicken lasst? Euch ist seit gestern ein +kurioser Bart gewachsen." + +Nämlich der Unteroffizier, der am Mittagessen war, ass gerne Nudeln. +Deswegen musste ihm der Wirt jeden Mittag Nudeln aufstellen und +natürlich ein fettes Huhn darin. Der Unteroffizier wusste, dass die +Nudeln von feinem Mehl und Teig längere Fäden haben als die groben. +Deswegen musste ihm der Wirt lange und feine Nudeln aufstellen, +welche sich fast mit keiner Geschicklichkeit um die Gabel +herumspinnen lassen, sondern wann man meint, jetzt sei eine +umgesponnen, haspelt sich eine andere wieder ab, und eine Gabel oder +einen Löffel voll mit allen Enden auf einmal in den Mund zu bringen, +ist eine Kunst. Zwar darf man sie nur zuerst ein wenig auf dem +Teller zerschneiden. Allein das wollte der Unteroffizier nicht. +Nein, der Wirt, und wenn er auch des Kuckucks hätte werden mögen, +musste, solang der Unteroffizier an den Nudeln ass, mit einer Schere +neben ihm stehen, und was zu lange war und nicht in den Mund hinein +zu bringen war, musste er ihm von den Lippen vorsichtig abschneiden. +Deswegen, als dieses der andere Unteroffizier sah, verwunderte er +sich und sagte zu ihm scherzweise und lachend: "Euch ist ein +kurioser Bart gewachsen. Seit wann lasst Ihr Euch zwicken wie ein +Jud?" Dem Wirt kam der Spass nicht lächerlich vor. Allein der andere +Unteroffizier tröstete ihn. "Landsmann", sagte er zu ihm, "es ist +Krieg." + +So etwas kann man schon erzählen und zur Erinnerung an die +überstandenen Zeiten lesen, wann durch Gottes Gnade und durch die +Weisheit der friedliebenden Potentaten alle Plackereien und +Hudeleien ein Ende haben. + + + +Etwas aus der Türkei + + +In der Türkei ist Justiz. Ein Kaufmannsdiener, auf der Reise von der +Nacht und Müdigkeit überfallen, bindet sein Pferd, so mit kostbaren +Waren beladen war, nimmer weit von einem Wachthaus an einen Baum, +legt sich selber unter das Obdach des Baumes und schläft ein. Früh, +als ihn die Morgenluft und der Wachtelschlag weckte, hatte er gut +geschlafen, aber das Rösslein war fort. + +Da eilte der Beraubte zu dem Statthalter der Provinz, nämlich zu dem +Prinzen Karosman Oglu, der in der Nähe sich aufhielt, und klagte vor +seinem Richterstuhl seine Not. Der Prinz gab ihm wenig Gehör. "So +nahe bei dem Wachthaus; warum bist du nicht die fünfzig Schritte +weiter geritten, so wärest du sicher gewesen. Es ist deines +Leichtsinns Schuld." Da sagte der Kaufmannsdiener: "Gerechter Prinz, +hab' ich mich fürchten sollen, unter freiem Himmel zu schlafen, in +einem Lande, wo du regierst?" Das tat dem Prinzen Karosman wohl und +wurmte ihn zugleich. "Trink heute Nacht ein Gläslein türkischen +Schnaps," sagte er zu dem Kaufmannsdiener, "und schlafe noch einmal +unter dem Baum." So gesagt, so getan. Des andern Morgens, als ihn +die Morgenluft und der Wachtelschlag weckte, hatte er auch gut +geschlafen, denn das Rösslein stand mit allen Kostbarkeiten wieder +angebunden neben ihm, und an dem Baum hing ein toter Mensch, der +Dieb, und sah das Morgenrot nimmermehr. + +Bäume gäb' es noch an manchen Orten, grosse und kleine. + + + +Farbenspiel + + +In einer Schule sassen zwei Schüler, von denen hiess der eine +Schwarz, der andere Weiss, wie es sich treffen kann; der Schullehrer +aber für sich hatte den Namen Rot. Geht eines Tages der Schüler +Schwarz zu einem andern Kameraden und sagt zu ihm: "Du, Jakob", sagt +er, "der Weiss hat dich bei dem Schulherrn verleumdet." Geht der +Schüler zu dem Schulherrn und sagt: "Ich höre, der Weiss habe mich +bei Euch schwarz gemacht und ich verlange eine Untersuchung. Ihr +seid mir ohnehin nicht grün, Herr Rot!" Darob lächelte der Schulherr +und sagte: "Sei ruhig, mein Sohn! Es hat dich niemand verklagt, der +Schwarz hat dir nur etwas weisgemacht. + + + +Franz Ignaz Narocki + + +Man erfährt doch durch den Krieg allerlei, unter vielem Schlimmen +auch manchmal etwas Gutes, und es heisst da wohl: Die Berge kommen +nicht zusammen, aber die Leute. So wird wohl zum Beispiel ein +Polack, namens Franz Ignaz Narocki, im Jahr 1707 auch nicht daran +gedacht haben, dass nach 100 Jahren der französische Kaiser Napoleon +noch zu ihm nach Polen kommen und ihm ein sorgenfreies Alter +verschaffen werde; und doch ist's geschehen in den ersten Wochen des +Jahres 1807. Er ist geboren im Jahr 1690 und lebt noch, und ich will +glauben, dass er in seiner Jugend sich nicht oft betrunken und nicht +ausschweifend gelebt habe, denn er hat in seinem +hundertsiebenzehnten Lebensjahr noch kein Gebrechen, ob er gleich in +seiner Jugend Kriegsdienste tat, als Gefangener von den Russen nach +Asien geführt wurde und nachher auch nicht lauter gute Tage hatte. +Diesem Mann hat es in 117 Jahren manchmal auf den Hut geschneit, und +er kann wohl von manchem Grabe sagen, wer darin liegt. In seinem +losten Jahr, wenn andere bald ans Sterben denken, hat er zum ersten +Mal geheiratet und vier Kinder gezeugt. Im 86sten Jahr nahm er die +zweite Frau und zeugte mit ihr sechs Kinder. Aber von allen ist nur +noch ein Sohn aus der ersten Ehe am Leben. Der König von Preussen +liess diesem polnischen Methusalem bisher alle Monate ein Gehalt von +24 polnischen Gulden bezahlen. Das ist doch auch schön. Ein +polnischer Gulden aber beträgt nach deutschem Geld ungefähr 15 kr. +Als nun Kaiser Napoleon in seinem siegreichen Feldzug in die Gegend +seiner Heimat kam, wünschte ihn der alte Mann auch noch zu sehen. Es +geschah, und er überreichte ihm ein sehr artiges Bittschreiben, +welches er noch selber mit eigener Hand recht leserlich geschrieben +hatte. Der Kaiser nahm es mit Wohlgefallen auf und machte ihm ein +schönes Geschenk von hundert Napoleonsd'or. Ein Napoleonsd'or ist +eine Goldmünze von 9 fl. 18 kr. unseres Geldes. + +Auf nebenstehender Figur sieht man + +1. den alten Narocki an seinem Stab. Er sieht noch recht gut aus für +sein Alter. + +2. Seinen einzigen Sohn, der ihn mit kindlicher Liebe begleitet. + +3. Den Kaiser Napoleon, der ihn freundlich ansieht und ihm das +Schreiben abnimmt, nebst einem General und einem Adjutanten. + +4. Einige Polacken und Soldaten, die den alten Mann neugierig +betrachten. Mancher von ihnen, der selber schon einen engen Atem hat +und mehr Leid erfahren, als ihm lieb ist, der denkt: So alt möchte +ich nicht werden. Ein junges Blut daneben denkt so: Das möchte ich +in hundert Jahren, Anno 1907, meinen Enkeln noch erzählen können. + +Aber der Klügste zwischen beiden sagt: + +Froher Mut, gutes Blut, +Leb' solang es Gott gefällt +Fromm und redlich in der Welt! + + + +Franziska + + +In einem unscheinbaren Dörfchen am Rhein sass eines Abends, als es +schon dunkeln wollte, ein armer junger Mann, ein Weber, noch an dem +Webstuhl und dachte während der Arbeit unter andern an den König +Hiskias, hernach an Vater und Mutter, deren ihr Lebensfaden auch +schon von der Spule abgelaufen war, hernach an den Grossvater selig, +dem er einst auch noch auf den Knieen gesessen und an das Grab +gefolgt war, und war so vertieft in seinen Gedanken und in seiner +Arbeit, dass er gar nichts davon merkte, wie eine schöne Kutsche mit +vier stattlichen Schimmeln vor seinem Häuslein anfuhr und +stillehielt. Als aber etwas an der Türfalle druckte, und ein holdes, +jugendliches Wesen trat herein von weiblichem Ansehen mit wallenden, +schönen Haarlocken und in einem langen, himmelblauen Gewand, und das +freundliche Wesen fragte ihn mit mildem Ton und Blick: "Kennst du +mich, Heinrich?" da war es, als ob er aus einem tiefen Schlaf +aufführe, und war so erschrocken, dass er nichts reden konnte. Denn +er meinte, es sei ihm ein Engel erschienen, und es war auch so etwas +von der Art, nämlich seine Schwester Franziska, aber sie lebte noch. +Einst hatten sie manches Körblein voll Holz barfuss miteinander +aufgelesen, manches Binsenkörbchen voll Erdbeeren am Sonntag +miteinander gepflückt und in die Stadt getragen und auf dem Heimweg +ein Stücklein Brot miteinander gegessen, und jedes ass weniger +davon, damit das andere genug bekäme. Als aber nach des Vaters Tod +die Armut und das Handwerk die Brüder aus der elterlichen Hütte in +die Fremde geführt hatte, blieb Franziska allein bei der alten, +gebrechlichen Mutter zurück und pflegte ihrer, also, dass sie +dieselbe von dem kärglichen Verdienst ernährte, den sie in einer +Spinnfabrik erwarb, und in den langen, schlaflosen Nächten mit ihr +wachte und aus einem alten, zerrissenen Buch von Holland erzählte, +von den schönen Häusern, von den grossen Schiffen, von der grausamen +Seeschlacht bei Doggersbank, und ertrug das Alter und die +Wunderlichkeit der kranken Frau mit kindlicher Geduld. Einmal aber, +früh um zwei Uhr, sagte die Mutter: "Bete mit mir, meine Tochter! +Diese Nacht hat für mich keinen Morgen mehr auf dieser Welt." Da +betete und schluchzte und küsste das arme Kind die sterbende Mutter, +und die Mutter sagte: "Gott segne dich und sei"--und nahm die +letzte Hälfte ihres Muttersegens "und sei dein Vergelter!" mit sich +in die Ewigkeit. Als aber die Mutter begraben und Franziska in das +leere Haus zurückgekommen war und betete und weinte und dachte, was +jetzt aus ihr werden sollte, sagte etwas in ihrem Inwendigen zu ihr: +"Geh nach Holland!" Und ihr Haupt und ihr Blick richtete sich +langsam und sinnend empor, und die letzte Träne für diesmal blieb +ihr in dem blauen Auge stehen. Als sie von Dorf zu Stadt und von +Stadt zu Dorf betend und bettelnd und Gott vertrauend nach Holland +gekommen war und so viel ersammelt hatte, dass sie sich ein sauberes +Kleidlein kaufen konnte, in Rotterdam, als sie einsam und verlassen +durch die wimmelnden Strassen wandelte, sagte wieder etwas in ihrem +Inwendigen zu ihr: "Geh in selbiges Haus dort mit den vergoldeten +Gittern am Fenster! "Als sie aber durch den Hausgang an der +marmornen Treppe vorbei in den Hof gekommen war, denn sie hoffte, +zuerst jemand anzutreffen, ehe sie an einer Stubentüre anpochte, da +stand eine betagte, freundliche Frau von vornehmem Ansehen in dem +Hofe und fütterte das Geflügel, die Hühner, die Tauben und die +Pfauen. + +"Was willst du hier, mein Kind?" Franziska fasste ein Herz zu der +vornehmen, freundlichen Frau und erzählte ihr ihre ganze Geschichte: +"Ich bin auch ein armes Hühnlein, das Eures Brotes bedarf", sagte +Franziska und bat sie um Dienst. Die Frau aber gewann Zutrauen zu +der Bescheidenheit und Unschuld und zu dem nassen Auge des Mädchens +und sagte: "Sei zufrieden, mein Kind! Gott wird dir den Segen deiner +Mutter nicht schuldig bleiben. Ich will dir Dienst geben und für +dich sorgen, wenn du brav bist." Denn die Frau dachte: Wer kann +wissen, ob nicht der liebe Gott mich bestimmt hat, ihre Vergelterin +zu sein, und sie war eines reichen Rotterdamer Kaufmanns Witwe, von +Geburt aber eine Engländerin. Also wurde Franziska zuerst Hausmagd, +und als sie gut und treu erfunden ward, wurde sie Stubenmagd, und +ihre Gebieterin gewann sie lieb, und als sie immer feiner und +verständiger ward, wurde sie Kammerjungfer. Aber jetzt ist sie noch +nicht alles, was sie wird. Im Frühling, als die Rosen blühten, kam +aus Genua ein Vetter der vornehmen Frau, ein junger Engländer, zu +ihr auf Besuch nach Rotterdam, er besuchte sie fast alle Jahre um +diese Zeit, und als sie eins und das andere hinüber und herüber +redeten und der Vetter erzählte, wie es aussah, als die Franzosen +vor Genua in dem engen Pass in der Bocchetta standen und die +Österreicher davor, trat heiter und lächelnd, mit allen Reizen der +Jugend und Unschuld geschmückt, Franziska in das Zimmer, um etwas +aufzuräumen oder zurechtzulegen, und dem jungen Engländer, als er +sie erblickte, ward es sonderbarlich um das Herz, und die Franzosen +und Österreicher verschwanden ihm aus den Sinnen. "Tante", sagte er +zu seiner Base, "Ihr habt ein bildschönes Mädchen zur Kammerjungfer. +Es ist schade, dass sie nicht mehr ist als das." Die Tante sagte: +"Sie ist eine arme Waise aus Deutschland. Sie ist nicht nur schön, +sondern auch verständig, und nicht nur verständig, sondern auch +fromm und tugendhaft und ist mir lieb geworden als mein Kind." Der +Vetter dachte: Das lautet nicht bitter. Den andern oder dritten +Morgen aber, als er mit der Tante in dem Garten spazierte, "wie +gefällt dir dieser Rosenstock?" fragte die Tante; der Vetter sagte: +"Sie ist schön, sehr schön." Die Tante sagte: "Vetter, du redest +irr. Wer ist schön? Ich frage ja nach dem Rosenstock." Der Vetter +erwiderte: "Die Rose",--"oder vielmehr die Franziska?" fragte die +Tante. "Ich hab's schon gemerkt", sagte sie. Der Vetter gestand ihr +seine Liebe zu dem Mädchen, und dass er sie heiraten möchte. Die +Tante sagte: "Vetter, du bleibt noch drei Wochen bei mir. Wenn es +dir alsdann noch so ist, so habe ich nichts darwider. Das Mädchen +ist eines braven Mannes wert." Nach drei Wochen aber sagte er: "Es +ist mir nimmer wie vor drei Wochen. Es ist noch viel ärger, und ohne +das Mägdlein weiss ich nicht, wie ich leben soll." Also geschah der +Verspruch. Aber es gehörte viel Zureden dazu, die Demut der frommen +Magd zu ihrer Einwilligung zu bewegen. + +Jetzt blieb sie noch ein Jahr bei ihrer bisherigen Gebieterin, aber +nicht mehr als Kammermädchen, sondern als Freundin und Verwandte in +dem reichen Haus mit vergoldetem Fenstergitter, und noch in dieser +Zeit lernte sie die englische Sprache, die französische, das +Klavierspielen: "Wenn wir in höchsten Nöten sein" usw. "Der Herr, +der aller Enden" usw. "Auf dich, mein lieber Gott, ich traue" usw.-- +und was sonst noch ein Kammermädchen nicht zu wissen braucht, aber +eine vornehme Frau, das lernte sie alles. Nach einem Jahr kam der +Bräutigam, noch ein paar Wochen vorher, und die Trauung geschah in +dem Hause der Tante. Als aber von der Abreise des neuen Ehepaars die +Rede war, schaute die junge Frau ihren Gemahl bittend an, dass sie +noch einmal in ihrer armen Heimat einkehren und das Grab ihrer +Mutter besuchen und ihr danken möchte, und dass sie ihre Geschwister +und Freunde noch einmal sehen möchte. Also kehrte sie jenes Tages +bei ihrem armen Bruder, dem Weber, ein, und als er ihr auf ihre +Frage: "Kennst du mich, Heinrich?" keine Antwort gab, sagte sie: +"Ich bin Franziska, deine Schwester." Da liess er vor Bestürzung das +Schifflein aus den Händen fallen, und seine Schwester umarmte ihn. + +Aber er konnte sich anfänglich nicht recht freuen, weil sie so +vornehm geworden war, und scheute sich vor dem fremden Herrn, ihrem +Gemahl, dass sich in seiner Gegenwart die Armut und der Reichtum so +geschwisterlich umarmen und zueinander sagen sollen Du, bis er sah, +dass sie mit dem Gewande der Armut nicht die Demut ausgezogen und +nur ihren Stand verändert hatte, nicht ihr Herz. Nach einigen Tagen +aber, als sie alle ihre Verwandten und Bekannten besucht hatte, +reiste sie mit ihrem Gemahl nach Genua, und beide leben vermutlich +noch in England, wo ihr Gemahl nach einiger Zeit die reichen Güter +eines Verwandten erbte. + +Der Hausfreund will aufrichtig gestehen, was ihn selber an dieser +Geschichte am meisten rührt. Am meisten rührt ihn, dass der liebe +Gott dabei war, als die sterbende Mutter ihre Tochter segnete, und +dass er eine vornehme Kaufmannsfrau in Rotterdam in Holland und +einen braven, reichen Engländer am welschen Meere bestellt hat, den +Segen einer armen sterbenden Witwe an ihrem frommen Kinde gültig zu +machen. + +Weg hat er aller Wege, +an Mitteln fehlt's ihm nicht. + + + +Geschwinde Reise + + +Ein italienischer Kaufmann, der auf die Frankfurter Messe reisen +wollte, hatte sich in Stuttgart um einen Tag verspätet. Also musste +er die Extrapost anspannen lassen. Wie fang' ich's an, dachte er, +dass ich geschwind aus dem Feld komme, und doch mit geringen Kosten? +"Postillion", sagte er, als er in das Kaleschlein sass, "fahr +langsam, denn ich sitze nicht nur auf dem Kutschenkistlein, sondern +auch auf einem Blutgeschwür, und meine entsetzliche Kopfwunde da auf +der linken Seite wirst du hoffentlich sehn. " Eigentlich aber war +sie nicht wohl zu sehen. Denn fürs erste war der Kopf mit einem +Tüchlein verbunden, das zwar blutig aussah, fürs zweite hatte er +unter dem Verband keine Wunde. "Wenn du recht langsam fahrst", sagte +er, "auf der Station soll's dich nicht reuen." Der Postillion +dachte: solchen Gefallen kann ich den Rossen tun und, was das +Trinkgeld anbelangt, mir auch, und fuhr so langsam, dass die Pferde +selber anfingen, eins nach dem andern vor langer Weile zu gähnen, +was doch selten geschieht. Nichtsdestoweniger schrie der Italiener +unaufhörlich: "Zetter und Mordio. O mein Kopf! o mein Bein! Fahr +langsam!" Der Postillion sagte: "Wollt Ihr auf der Strasse über +Nacht bleiben, so will ich Euch abladen. Ich kann nicht gar fahren, +als wenn ich etwas anders ausführte auf den Acker. Tu ich nicht +langsam genug?" Aber der Passagier sagte: "Ich schiess dich tot, +wenn du nicht gemach fahrst." Auf der Station in Ludwigsburg, als er +dem Postillion das Trinkgeld gab, gab er ihm zwei schäbige Zwölfer, +einen Albus und ein paar verrufene Kreuzerlein, bis es einen halben +Gulden ausmachte. Andere gaben sonst wenigstens achtundvierzig +Kreuzer, auch einen Gulden und drüber. Wenn's recht pressiert und +wenn's recht in der Tasche klingelt, auch einen Kronentaler. Aber +alle Vorstellung des Postillions und alles Protestieren half nichts. +"Hab' ich Euch nicht schlecht genug geführt", fragte er. "Nein, du +hast mich nicht langsam genug geführt. Geh zum Henker." Der +Postillion nahm das Geld und dachte: lieber wenig als gar nichts. +Aber wart' nur, dachte er, du bist noch lange nicht zu Frankfurt. +Als der Ludwigsburger die Pferde einspannte, fragte er den +Stuttgarter: "Ist der Weg gut?"--"Schlecht", antwortete der +Stuttgarter und winkte ihm ein wenig abseits. Ein wenig abseits +sagte er ihm, was er für einen wunderlichen und geizigen Passagier +führe, wie ihm noch keiner vorgekommen sei. "Fahr den Ketzer drauf +los", sagte er, "dass die Räder davonfliegen. Er hat drei Bluteisen, +drei Löcher im Kopf und eine gespaltene Kniescheibe." Der Passagier, +als der Postknecht aufsass, sagte: "Fahr langsam, Schwager. Es kommt +mir auf ein gutes Trinkgeld nicht an." Aber der Postillion dachte: +Dein Trinkgeld kenn ich. "Meine Pferde sind auf gesunde Herrn +dressiert", sagte er, "ich kann sie nicht halten, wenn sie im Lauf +sind", und fuhr drauf los, als wenn die ganze türkische Armee hinter +ihm dreinkäme. Der Passagier im Kaleschlein bittet vor Gott und nach +Gott, lamentiert, flucht, dass sich der Himmel mit Wolken überzieht. +Alles vergeblich. Auf der Station in Besigheim gibt er dem +Postillion dreissig Kreuzer wie dem erstern. "Was bringst du für +einen presthaften Herrn?" sagte der Besigheimer. "Fahr ihn gar tot", +sagte der Ludwigsburger, "es ist ohnedem nicht mehr viel an ihm", +und so rekommandierte ihn einer dem andern, und einer fuhr mit ihm +geschwinder davon als der andere, so dass er noch eine Stunde früher +nach Frankfurt kam, als nötig war. In Frankfurt sprang er zur +Verwunderung und zum Staunen des Postillions kerngesund aus dem +Kaleschlein heraus und gab ihm auch dreissig Kreuzer. + + + +Gleiches mit Gleichem + + +Der geistliche Herr von Trudenbach stand eines Nachmittags am +Fenster. Da ging mit seinem Zwerchsack der Jud von Brassenheim +vorbei. "Nausel", rief ihm der geistliche Herr, "wenn du mir zu +meinem Ross einen guten Käufer weisst, 20 Dublonen ist es wert, so +bekommst du . . ."--"Na, was bekomm ich?"--"Einen Sack Haber."-- +Es vergingen aber drei Wochen, bis der Jud den rechten Liebhaber +fand, der nämlich 6 Dublonen mehr dafür bezahlte als es wert war, +und unterdessen stieg der Preis des Habers schnell auf das Doppelte, +weil die Franzosen überall aufkauften; damals kauften sie noch. Also +gab der geistliche Herr dem Juden statt eines ganzen Sackes voll +einen halben. "Vielleicht bekehr' ich ihn", dachte er, "wenn er +sieht, dass wir auch gerecht sind in Handel und Wandel." + +Das war nun zu nehmen, wie man wollte. Der Jud nahm's aber für recht +und billig. "Wart nur, Gallech", dachte er, "du kommst mir wieder." +Nach Jahresfrist stand der geistliche Herr von Trudenbach am +Fenster, und der Jud von Brassenheim ging durch das Dorf. "Nausel", +rief ihm der geistliche Herr, "wenn du mir zu meinen zwei fetten +Ochsen..."--"Na was bekomm ich, wenn ich Euch einen guten Käufer +schaffe?"--"Zwei Grosse Taler." + +Jetzt ging der Jud zu einem verunglückten Metzger, der schon lange +kein Messer mehr führt, weil alles guttut nur, solange es mag, z. B. +das Schuldigbleiben. Endlich sagte er zu seinen zwei letzten Kunden: +"Ich weiss nicht, ich bin seit einiger Zeit so weichmütig, dass ich +gar kein Blut mehr sehen kann", und schloss die Metzig zu. Seitdem +heisst er zum Übernamen der Metzger Blutscheu und nährte sich wie +der Zirkelschmied von kleinen Künsten und Projekten, wie wirklich +eins im Werk ist. Denn an ihm suchte und fand der Jud seinen Mann +und sagte ihm, was zu fangen sei, und auf welche Art. Nach zwei +Tagen kamen die beiden zu dem geistlichen Herrn. Aber wie war der +Metzger ausstaffiert? In einem halbneuen, brauntüchenen Rock, in +langen, schön gestreiften Beinkleidern von Barchent, um den Leib +eine leere Geldgurt, am Finger einen lotschweren silbernen Ring, ein +dito Herz im Hemd unter dem scharlachenen Brusttuch, hinter sich her +einen wohlgenährten Hund, alles auf des Juden Bürgschaft +zusammengeborgt, nichts sein eigen als das rote Gesicht. Die Ochsen +wurden kunstmässig umgangen, betastet, mit den Augen gewogen und wie +mit einer Klafterschnur gemessen.--"Na, wie jauker."--"Zwanzig +Dublonen."--"Siebenzehn!"--"Herr Adlerwirt", sagte der Jud, "macht +neunzehn draus, Ihr verkauft Euch nicht."--"Die Ochsen sind brav", +sagte der Blutscheu; "wenn ich's zwei Stunden früher gewusst hätte, +als meine Gurt noch voll war, dass ich sie alsogleich fassen könnte, +so wären sie mir ein paar Dublonen mehr wert. Aber am Freitag hol' +ich sie für achtzehn", und zog den ledernen Beutel aus, als wenn er +etwas draufgeben wollte. Unterdessen flüsterte der Jude dem +geistlichen Herrn etwas in das Ohr, und "wenn Ihr für die Jungfer +Köchin zwei Grosse Taler in den Kauf geben wolltet", sprach er dem +Metzger zu, "so könnt Ihr die Ochsen alsogleich mitnehmen für +neunzehn. Ihr seid ein Ehrenmann, und der Herr Dechant ist auch so +einer. Am Freitag bringt Ihr ihm das Geld." Der Kauf war richtig, +zwei Grosse Taler gingen auf die Hand. "Herr Adlerwirt", sagte der +Jud, "Ihr habt einen guten Handel gemacht." Also trieb der Blutscheu +die schöne, fette Beute fort. Die meisten geneigten Leser aber +werden bereits merken, dass der Herr Dechant sein Geld am Freitag +noch nicht bekam. Eines Nachmittags, nach vier Wochen oder nach +sechs, stand der geistliche Herr von Trudenbach am Fenster, und der +Jud ging durch das Dorf. "Nausel", rief der geistliche Herr ihm zu: + +"wo bleibt der Adlerwirt? Ich habe mein Geld noch nicht."--"Na, wo +wird er bleiben", sagte der Nausel. "Er wird warten bis eine Dublone +das Doppelte gilt, alsdann bringt er Euch statt neunzehn neun und +eine halbe. Verliert Ihr etwas dabei? Hab ich vor einem Jahr an +meinem Haber etwas verloren?" + +Da ging dem Herrn Dechant ein Licht auf. + +Das Artigste an dieser ganzen Geschichte ist die Wahrheit. Der Jud +hat es nachgehends selber erzählt und gerühmt, wie ehrlich der +Metzger an dem Scheideweg im Wald mit ihm geteilt habe. "Was er +geton hat", sagte er, "den schönsten hat er für sich behalten und +mir den geringern gegiben." + + + +Glück im Unglück + + +Auf eine so sonderbare Weise ist Glück im Unglück und Unglück im +Glück noch selten beisammen gewesen wie in dem Schicksal zweier +Matrosen in dem letzten Seekrieg zwischen den Russen und Türken. +Denn in einer Seeschlacht, als es sehr hitzig zuging, die Kugeln +sausten, die Bretter und Mastbäume krachten, die Feuerbrände flogen, +da und dort brach auf einem Schiff die Flamme aus und konnte nicht +gelöscht werden. Es muss schrecklich sein, wenn man keine andere +Wahl hat, als dem Tod ins Wasser entgegenzuspringen oder im Feuer zu +verbrennen. Aber unsern zwei russischen Matrosen wurde diese Wahl +erspart. Ihr Schiff fing Feuer in der Pulverkammer und flog mit +entsetzlichem Krachen in die Luft. Beide Matrosen wurden mit in die +Höhe geschleudert, wirbelten unter sich und über sich in der Luft +herum, fielen nahe hinter der feindlichen Flotte wieder ins Meer +hinab und waren noch lebendig und unbeschädigt, und das war ein +Glück. Allein die Türken fuhren jetzt wie Drachen auf sie heraus, +zogen sie wie nasse Mäuse aus dem Wasser und brachten sie in ein +Schiff; und weil es Feinde waren, so war der Willkomm kurz. Man +fragte sie nicht lange, ob sie vor ihrer Abreise von der russischen +Flotte schon zu Mittag gegessen hätten oder nicht, sondern man legte +sie in den untersten feuchten und dunkeln Teil des Schiffes an +Ketten, und das war kein Glück. Unterdessen sausten die Kugeln fort, +die Bretter und Mastbäume krachten, die Feuerbrände flogen, und +paff! sprang auch das türkische Schiff, auf welchem die Gefangenen +waren, in tausend Trümmern in die Luft. Die Matrosen flogen mit, +kamen wieder neben der russischen Flotte ins Wasser herab, wurden +eilig von ihren Freunden hineingezogen und waren noch lebendig, und +das war ein grosses Glück. Allein für diese wiedererhaltene Freiheit +und für das zum zweiten Mal gerettete Leben mussten diese guten +Leute doch ein teures Opfer geben, nämlich die Beine. Diese Glieder +wurden ihnen beim Losschnellen von den Ketten, als das türkische +Schiff auffuhr, teils gebrochen, teils jämmerlich zerrissen und +mussten ihnen, sobald die Schlacht vorbei war, unter dem Knie weg +abgenommen werden, und das war wieder ein grosses Unglück. Doch +hielten beide die Operation aus und lebten in diesem Zustande noch +einige Jahre. Endlich starb doch einer nach dem andern, und das war +nach allem, was vorhergegangen war, nicht das Schlimmste. + +Diese Geschichte hat ein glaubwürdiger Mann bekanntgemacht, welcher +beide Matrosen ohne Beine selber gesehen und die Erzählung davon aus +ihrem eigenen Munde gehört hat. + + + +Glück im Unglück + + +Wie hat zu einem Bauersmann ein Doktor gesagt? "Ihr Landleute", +sagte er, "habt's doch immer gut. Wenn des Getreides wenig gewachsen +ist, so verkauft ihr es um einen teuern Preis. Ist es wohlfeil, so +habt ihr viel zu verkaufen und löset auch viel Geld."--"Umgekehrt, +Herr Doktor", sagte der Bauersmann, "wir kommen auf keinen grünen +Zweig. Denn wenn das Getreide teuer ist, so haben wir nicht viel zu +verkaufen. Wenn wir aber viel haben, so ist es wohlfeil und macht +uns doch nicht reich."--Auch gut gegeben. + + + +Gute Antwort + + +Wer ausgibt, muss auch wieder einnehmen. Reitet einmal ein Mann an +einem Wirtshaus vorbei, der einen stattlichen Schmerbauch hatte, +also, dass er auf beiden Seiten fast über den Sattel herunterhängte. +Der Wirt steht auf die Staffel und ruft ihm nach: "Nachbar, warum +habt Ihr denn den Zwerchsack vor Euch auf das Ross gebunden und +nicht hinten?" Dem rief der Reitende zurück: "Damit ich ihn unter +den Augen habe. Denn hinten gibt es Spitzbuben." Der Wirt sagte +nichts mehr. + + + +Gute Geduld + + +Ein Franzos ritt eines Tages auf eine Brücke zu, die über ein Wasser +ging und fast schmal war, also, dass sich zwei Reitende kaum darauf +ausweichen konnten. Ein Engländer von der andern Seite her ritt auch +auf die Brücke zu, und als sie auf der Mitte derselben +zusammenkamen, wollte keiner dem andern Platz machen. "Ein Engländer +geht keinem Franzosen aus dem Wege", sagte der Engländer. "Par +Dieu", erwiderte der Franzos, "mein Pferd ist auch ein Engländer. Es +ist schade, dass ich hier keine Gelegenheit habe, es umzukehren und +Euch seinen Stumpfschweif zu zeigen. Also lasst doch wenigstens +Euern Engländer, auf dem Ihr reitet, meinem Engländer, wo ich darauf +reite, aus dem Wege gehen. Euerer scheint ohnehin der jüngere zu +sein; meiner hat noch unter Ludwig dem Vierzehnten gedient in der +Schlacht bei Käferolse Anno 1702." + +Allein der Engländer machte sich wenig aus diesem Einfall, sondern +sagte: "Ich kann warten. Ich habe jetzt die schönste Gelegenheit, +die heutige Zeitung zu lesen, bis es Euch gefällt, Platz zu machen." +Also zog er kaltblütig, wie die Engländer sind, eine Zeitung aus der +Tasche, wickelte sie auseinander wie eine Handzwehle und las darin +eine Stunde lang auf dem Ross und auf der Brücke, und die Sonne sah +nicht aus, als wenn sie den Toren noch lange zusehen wollte, sondern +neigte sich stark gegen die Berge. Nach einer Stunde aber, als er +fertig war und die Zeitung wieder zusammenlegen wollte, sah er den +Franzosen an und sagte: "Eh bien!" Aber der Franzos hatte den Kopf +auch nicht verloren, sondern erwiderte: "Engländer, seid so gut und +gebt mir jetzt Eure Zeitung auch ein wenig, dass ich ebenfalls darin +lesen kann, bis es Euch gefällt auszuweichen." Als aber der +Engländer diese Geduld seines Gegners sahe, sagte er: "Wisst Ihr +was, Franzos? Kommt, ich will Euch Platz machen." Also machte der +Engländer dem Franzosen Platz. + + + +Gutes Wort, böse Tat + + +In Hertingen, als das Dorf noch rottbergisch war, trifft ein Bauer +den Herrn Schulmeister im Felde an. "Ist's noch Euer Ernst, +Schulmeister, was Ihr gestern den Kindern zergliedert habt: so dich +jemand schlägt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch +dar?" Der Herr Schulmeister sagt: "Ich kann nichts davon und nichts +dazu tun. Es steht im Evangelium." Also gab ihm der Bauer eine +Ohrfeige und die andere auch, denn er hatte schon lang einen +Verdruss auf ihn. Indem reitet in einer Entfernung der Edelmann +vorbei und sein Jäger. "Schau doch nach, Joseph, was die zwei dort +miteinander haben." Als der Joseph kommt, gibt der Schulmeister, der +ein starker Mann war, dem Bauer auch zwei Ohrfeigen und sagte: "Es +steht auch geschrieben: Mit welcherlei Mass ihr messet, wird euch +wieder gemessen werden. Ein voll gerüttelt und überflüssig Mass wird +man in euern Schoss geben", und zu dem letzten Sprüchlein gab er ihm +noch ein halbes Dutzend drein. Da kam der Joseph zu seinem Herrn +zurück und sagte: "Es hat nichts zu bedeuten, gnädiger Herr; sie +legen einander nur die heilige Schrift aus." + +Merke: Man muss die heilige Schrift nicht auslegen, wenn man's nicht +versteht, am allerwenigsten so. Denn der Edelmann liess den Bauern +noch selbige Nacht in den Turn sperren auf sechs Tage, und dem Herrn +Schulmeister, der mehr Verstand und Respekt vor der Bibel hätte +haben sollen, gab er, als die Winterschule ein Ende hatte, den +Abschied. + + + +Heimliche Enthauptung + + +Hat der Scharfrichter von Landau früh den 17. Juni seinerzeit die +sechste Bitte des Vater Unsers mit Andacht gebetet, so weiss ich's +nicht. Hat er sie nicht gebetet, so kam ein Brieflein von Nanzig am +geschicktesten Tag. In dem Brieflein stand geschrieben: "Nachrichter +von Landau! Ihr sollt unverzüglich nach Nanzig kommen und Euer +grosses Richtschwert mitbringen. Was Ihr zu tun habt, wird man Euch +sagen und wohl bezahlen."--Eine Kutsche zur Reise stand auch schon +vor der Haustüre. Der Scharfrichter dachte: Das ist meines Amts, und +setzte sich in die Kutsche. Als er noch eine Stunde herwärts Nanzig +war, es war schon Abend, und die Sonne ging in blutroten Wolken +unter, und der Kutscher hielt stille und sagte: "Wir bekommen morgen +wieder schön Wetter", da standen auf einmal drei starke, bewaffnete +Männer an der Strasse, die setzten sich auch zu dem Scharfrichter +und versprachen ihm, dass ihm kein Leids widerfahren sollte; "aber +die Augen müsst Ihr Euch zubinden lassen"; und als sie ihm die Augen +zugebunden hatten, sagten sie: "Schwager, fahr zu!" Der Schwager +(das ist der Kutscher) fuhr fort, und es war dem Scharfrichter, als +wenn er noch gute zwölf Stunden weiter wäre geführt worden, und +konnte nicht wissen, wo er war. Er hörte die Nachteulen der +Mitternacht; er hörte die Hähne rufen; er hörte die Betglocken +läuten. Auf einmal hielt die Kutsche wieder still. Man führte ihn in +ein Haus und gab ihm eins zu trinken und einen guten Wurstwecken +dazu. Als er sich mit Speise und Trank gestärkt hatte, führte man +ihn weiter im nämlichen Haus, Tür ein und aus, Treppe auf und ab, +und als man ihm die Binde abnahm, befand er sich in einem grossen +Saal. Der Saal war zwar ringsum mit schwarzen Tüchern behängt, und +auf den Tischen brannten Wachskerzen. Der Künstler aber, der +nebenstehende Abbildung dazu verfertiget hat, sagt, es sei besser, +er lasse das Tageslicht hinein, der Scharfrichter sehe alsdann auch +besser zu seinem Geschäft. Denn in der Mitte sass auf einem Stuhl +eine Person mit entblösstem Hals und mit einer Larve vor dem Gesicht +und muss etwas in dem Mund gehabt haben, denn sie konnte nicht +reden, sondern nur schluchzen. Aber an den Wänden standen mehrere +Herren in schwarzen Kleidern und mit schwarzem Flor vor den +Angesichtern, also dass der Scharfrichter keinen von ihnen gekannt +hätte, wenn er ihm in der andern Stunde wieder begegnet wäre, und +einer von ihnen überreichte ihm sein Schwert mit dem Befehl, dieser +Person, die auf dem Stühlein sass, den Kopf abzuhauen. Da ward's dem +armen Scharfrichter, als wenn er auf einmal im eiskalten Wasser +stünde bis übers Herz, und sagte, das soll man ihm nicht übel +nehmen; sein Schwert, das dem Dienst der Gerechtigkeit gewidmet sei, +könne er mit einer Mordtat nicht entheiligen. Allein einer von den +Herren hob ihm aus der Ferne eine Pistole entgegen und sagte +"Entweder, oder! Wenn Ihr nicht tut, was man Euch heisst, so seht +Ihr den Kirchturm von Landau nimmermehr." Da dachte der +Scharfrichter an Frau und Kinder daheim, "und wenn's nicht anders +sein kann", sagte er, "und ich vergiesse unschuldiges Blut, so komme +es auf Euer Haupt", und schlug mit einem Hieb der armen Person den +Kopf vom Leibe weg. Nach der Tat so gab ihm einer von den Herrn +einen Geldbeutel, worin zweihundert Dublonen waren. Man band ihm die +Augen wieder zu und führte ihn in die nämliche Kutsche zurück. Die +nämlichen Personen begleiteten ihn wieder, die ihn gebracht hatten. +Und als endlich die Kutsche stillehielt, und er bekam die Erlaubnis +auszusteigen und die Binde von den Augen abzulösen, stand er wieder, +wo die drei Männer zu ihm eingesessenes waren, eine Stunde herwärts +Nanzig auf der Strasse nach Landau, und es war Nacht. Die Kutsche +aber fuhr eiligs wieder zurück. + +Das ist dem Scharfrichter von Landau begegnet, und es wäre dem +Hausfreund leid, wenn er sagen könnte, wer die arme Seele war, die +auf einem so blutigen Wege in die Ewigkeit hat gehen müssen. Nein, +es hat niemand erfahren, wer sie war, und was sie gesündiget hat, +und niemand weiss das Grab. + + + +Herr Charles (Eine wahre Geschichte) + + +Ein Kaufmann in Petersburg, von Geburt ein Franzose, wiegte eben +sein wunderschönes Büblein auf dem Knie und machte ein Gesicht dazu, +dass er ein wohlhabender und glücklicher Mann sei und sein Glück für +einen Segen Gottes halte. Indem trat ein fremder Mann, ein Pole, mit +vier kranken, halberfrorenen Kindern in die Stube. "Da bring' ich +Euch die Kinder." Der Kaufmann sah den Polen kurios an. "Was soll +ich mit diesen Kindern tun? Wem gehören sie? Wer schickt Euch zu +mir?"--"Niemand gehören sie", sagte der Pole, "einer toten Frau im +Schnee, siebenzig Stunden herwärts Wilna. Tun könnt Ihr mit ihnen, +was Ihr wollt." Der Kaufmann sagte: "Ihr werdet nicht am rechten +Orte sein", und der Hausfreund glaubt's auch nicht. Allein der Pole +erwiderte, ohne sich irremachen zu lassen: "Wenn Ihr der Herr +Charles seid, so bin ich am rechten Ort", und der Hausfreund +glaubt's auch. Er war der Herr Charles. Nämlich es hatte eine +Französin, eine Witwe, schon lange im Wohlstande und ohne Tadel in +Moskau gelebt. Als aber vor fünf Jahren die Franzosen in Moskau +waren, benahm sie sich landsmannschaftlicher gegen sie, als den +Einwohnern wohlgefiel. Denn das Blut verleugnet sich nicht; und +nachdem sie in dem grossen Brand ebenfalls ihr Häuslein und ihren +Wohlstand verloren und nur ihre fünf Kinder gerettet hatte, musste +sie, weil sie verdächtig sei, nicht nur aus der Stadt, sondern auch +aus dem Land reisen. Sonst hätte sie sich nach Petersburg gewendet, +wo sie einen reichen Vetter zu finden hoffte. Der geneigte Leser +will bereits etwas merken. Als sie aber in einer schrecklichen Kälte +und Flucht und unter unsäglichen Leiden schon bis nach Wilna +gekommen war, krank und aller Bedürfnisse und Bequemlichkeiten für +eine so lange Reise entblösst, traf sie in Wilna einen edlen +russischen Fürsten an und klagte ihm ihre Not. Der edle Fürst +schenkte ihr dreihundert Rubel, und als er erfuhr, dass sie in +Petersburg einen Vetter habe, stellte er ihr frei, ob sie ihre Reise +nach Frankreich fortsetzen oder ob sie mit einem Pass nach +Petersburg umkehren wolle. Da schaute sie zweifelhaft ihr ältestes +Büblein an, weil es das verständigste und das kränkste war. "Wo +willst du hin, mein Sohn?"--"Wo du hingehst, Mutter", sagte der +Knabe, und hatte recht. Denn er ging noch vor der Abreise ins Grab. +Also versah sie sich mit dem Notwendigen und akkordierte mit einem +Polen, dass er sie für fünfhundert Rubel nach Petersburg brächte zum +Vetter; denn sie dachte, er wird das Fehlende schon drauflegen. Aber +alle Tage kränker auf der langen, beschwerlichen Reise, starb sie am +sechsten oder siebenten.--"Wo du hingehst", hatte der Knabe gesagt; +und der arme Pole erbte von ihr die Kinder, und konnten miteinander +so viel reden, als ein Pole verstehen mag, wenn ein französisches +Kind russisch spricht, oder ein Französlein, wenn man mit ihm reden +will auf polnisch. Nicht jeder geneigte Leser hätte an seiner Stelle +sein mögen. Er war es selber nicht gern. "Was anfangen jetzt?" sagte +er zu sich selbst. "Umkehren--wo die Kinder lassen? Weiter fahren-- +wem bringen?" Tue, was du sollst, sagte endlich etwas in seinem +Inwendigen zu ihm. Willst du die armen Kinder um das Letzte und +Einzige bringen, was sie von ihrer Mutter zu erben haben, um dein +Wort, das du ihr gegeben hast? Also kniete er mit den unglücklichen +Waisen um den Leichnam herum und betete mit ihnen ein polnisches +Vaterunser. "Und führe uns nicht in Versuchung." Hernach liess jedes +ein Händlein voll Schnee zum Abschied und eine Träne auf die kalte +Brust der Mutter fallen, nämlich, dass sie ihr gerne die letzte +Pflicht der Beerdigung antun wollten, wenn sie könnten, und dass sie +jetzt verlassene, unglückliche Kinder seien. Hernach fuhr er getrost +mit ihnen weiter auf der Strasse nach Petersburg, denn es wollte ihm +nicht eingehen, dass, der ihm die Kindlein anvertraut hatte, könne +ihn stecken lassen, und als die grosse Stadt vor seinen Augen sich +ausdehnte, wie ein Hauderer tut, der auch erst vor dem Tor fragt, wo +er stillhalten soll, erkundigt er sich endlich bei den Kindern, so +gut er sich verständlich machen konnte, wo denn der Vetter wohne, +und erfuhr von ihnen, so gut er sie verstehen konnte: "Wir wissen's +nicht."--Wie er denn heisse? "Wir wissen's auch nicht."--Wie denn +ihr eigener Geschlechtsname sei? "Charles." Der geneigte Leser will +schon wieder etwas merken, und wenn's der Hausfreund für sich zu tun +hätte, so wäre der Herr Charles der Vetter. Die Kinder wären +versorgt, und die Erzählung hätte ein Ende. Allein die Wahrheit ist +oft sinniger als die Erdichtung. Nein, der Herr Charles ist der +Vetter nicht, sondern dieses Namens ein anderer, und bis auf diese +Stunde weiss noch niemand, wie der wahre Vetter eigentlich heisst, +nicht, ob und wo in Petersburg er wohnt. Also fuhr der arme Mann in +grosser Verlegenheit zwei Tage lang in der Stadt herum und hatte +Französlein feil. Aber niemand wollte ihn fragen: "Wie teuer das +Pärlein?" und der Herr Charles begehrte sie nicht einmal geschenkt, +und war noch nicht willens, eines zu behalten. Als aber ein Wort das +andere gab und ihm der Pole schlicht und menschlich ihr Schicksal +und seine Not erzählte,--eins, dachte er, will ich ihm abnehmen,-- +und es füllte sich immer wärmer in seinem Busen,--ich will ihm zwei +abnehmen, dachte er; und als sich endlich die Kinder um ihn +anschmiegten, meinend, er sei der Herr Vetter, und anfingen, auf +französisch zu weinen, denn der geneigte Leser wird auch schon +bemerkt haben, dass die französischen Kinder anders weinen, und als +der Herr Charles die Landesart erkannte, da rührte Gott sein Herz +an, dass ihm ward wie einem Vater, wenn er die eigenen Kinder weinen +und klagen sieht, und "in Gottes Namen", sagte er, "wenn's so ist, +so will ich mich nicht entziehen", und nahm die Kinder an. "Setzt +Euch ein wenig nieder", sagte er zu dem Polen, "ich will Euch ein +Süpplein kochen lassen." + +Der Pole, mit gutem Appetit und leichtem Herzen, ass die Suppe und +legte den Löffel weg,--er legte den Löffel weg und blieb sitzen,-- +er stand auf und blieb stehen. "Seid so gut", sagte er endlich, "und +fertigt mich jetzt ab, der Weg nach Wilna ist weit. Auf fünfhundert +Rubel hat die Frau mit mir akkordiert"; da fuhr es doch dem milden +Menschen, dem Herrn Charles, über das Gesicht, wie der Schatten +einer fliegenden Frühlingswolke über die sonnenreiche Flur. "Guter +Freund", sagte er, "Ihr kommt mir ein wenig kurios vor. Ist's nicht +genug, dass ich Euch die Kinder abgenommen habe, soll ich Euch auch +noch den Fuhrlohn bezahlen?" Denn das kann dem redlichsten und +besten Gemüt begegnen, wenn's ein Kaufmann ist, jedem andern aber +auch, dass es wider Wissen und Willen zuerst ein wenig handeln und +markten muss, sei es auch nur mit sich selbst. Der Pole erwiderte: +"Guter Herr, ich will Euch nicht ins Gesicht sagen, wie Ihr mir +vorkommt. Ist's nicht genug, dass ich Euch die Kinder bringe? Sollt' +ich sie auch noch umsonst geführt haben? Die Zeiten sind bös, und +der Verdienst ist gering."--"Eben deswegen", sagte Herr Charles, +"darüber lasst mich klagen. Oder meint Ihr, ich sei so reich, dass +ich fremde Kinder aufkaufe, oder so gottlos, dass ich mit ihnen +handle? Wollt Ihr sie wieder?" Als aber noch einmal ein Wort das +andere gab und der Pole jetzt erst mit Staunen erfuhr, dass der Herr +Charles gar nicht der Vetter sei, sondern nur aus Mitleiden die +armen Waisen angenommen habe, "wenn's so ist", sagte er, "ich bin +kein reicher Mann, und Eure Landsleute, die Franzosen, haben mich +auch nicht dazu gemacht, aber wenn's so ist, so kann ich Euch nichts +zumuten. Tut den armen Würmlein Gutes dafür", sagte der edle Mensch, +und es trat ihm eine Träne ins Auge, die wie aus einem überwältigten +Herzen kam, wenigstens überwältigte sie dem Herrn Charles das +seinige. Monsieur Charles, dachte er, und ein armer polnischer +Fuhrmann!--und als der Pole schon anfing, eines der Kinder nach dem +andern zum Abschied zu küssen und sie auf polnisch zur Folgsamkeit +und Frömmigkeit ermahnte, "guter Freund", sagte der Herr Charles, +"bleibt noch ein wenig da. Ich bin doch so arm nicht, dass ich Euch +nicht Euern wohlverdienten Fuhrlohn bezahlen könnte, so ich doch die +Fracht Euch abgenommen habe", und gab ihm die fünfhundert Rubel. + +Also sind jetzt die Kindlein versorgt, der Fuhrlohn ist bezahlt, und +so ein oder der andere geneigte Leser vor den Toren der grossen +Stadt hätte zweifeln mögen, ob der Vetter auch zu finden seie, und +ob er's, tun werde, so hat doch die heilige Vorsehung ihn nicht +einmal dazu vonnöten gehabt. + + + +Hilfe in der Not + + +Als im verwichenen Spätjahr der Zirkelschmied mit seiner Frau +ungegessen ins Bett gehen wollte--schon seit drei Tagen war kein +Feuer mehr in die Küche gekommen, und das letzte Mäuslein hatte sich +ausquartiert--, da schickte ihm, wie gerufen, der Barbier von +Brassenheim einen fetten Schinken, so gross als manches Säulein, was +noch ganz ist, und drei Würste dazu, so lang wie Glockenseiler, und +der Zirkelschmied wusste nicht warum; der geneigte Leser weiss es +auch nicht. Aber er erfahrt's. + +Schon vor Jahr und Tagen war in Brassenheim ein fremder Mann in das +Wirtshaus zu den drei Rosen gekommen, und der Zirkelschmied sass +damals auch schon drin, etwa beim dritten Schöpplein oder beim +vierten. Als der Fremde eine Zeitlang da war und dem Zirkelschmied +weniger pfiffig als ehrlich aussah, dachte der Zirkelschmied: Ich +will ein Gespräch mit ihm anfangen. Vielleicht lässt er sich über +den Löffel halbieren. "Ihr seid wohl auch zum ersten Mal hier, +seitdem der Rosenwirt dies schöne Haus gebaut hat, weil Ihr so lange +an einem Nagel gesucht habt für Euern Kaputrock?" Der Fremde sagte: +"Ich bin auch ein Wirt, aber ich tauschte mein Haus noch nicht gegen +dieses, wenn eins nicht wäre."--"Habt Ihr noch namhafte Schulden +darauf?"--"Das nicht."--"Oder riecht der Abtritt?"--"Das auch +nicht."--"Oder habt Ihr ein böses Weib im Haus?"--"Das auch nicht, +aber sonst nichts Gutes." Endlich erfuhr der Zirkelschmied nach +einigem Hin- und Herreden von dem Fremden, wie er das Unglück habe +in seinem Haus mit einem grausamen Gespenst, das alle Nacht auf +seinem Speicher erwache und Ziegel fresse, wie man an den Brosamen +sehe und an den Lücken im Dach. Der wohlbelehrte Leser des +Rheinländischen Hausfreundes ist darüber im klaren, ehe man ihm +sagt, dass dieses Gespenst nur ein boshafter Mensch, ein Feind des +Hausbesitzers könne gewesen sein. Nämlich es war sein eigener +Schwager, der ihm das Haus verleiden und feilmachen wollte. Der +Zirkelschmied sagte: "Wenn Ihr mit Wissen noch kein Menschenfleisch +gegessen und noch keinem Ross das Einmaleins abgehört habt, so ist +Rat, wenn's Euch auf zwei Grosse Taler nicht ankommt, einen +sogleich, den andern, wenn Euch geholfen ist." Der Fremde griff +sogleich in die Tasche. "Jetzt geht zum Herr Barbier", sagte der +Zirkelschmied halb leise, obgleich sonst niemand in der Stube war, +"und klagt ihm Eure Not. Anfänglich wird er Euch kein Gehör geben, +denn es ist ihm bei Strafe verboten. Wenn Ihr aber nicht nachlasst, +so bekommt Ihr das Mittel" (oder den Buckel voll Schläge, dachte für +sich der Zirkelschmied). Als aber der Fremde zu dem Barbier gekommen +war, der ein gar vernünftiger Mann ist, fuhr der Barbier ihn an: +"Wer hat Euch zu mir geschickt?"--"Einer in einem abgeschabten +Röcklein und in einer schwarzen Halsbinde, hinten mit einer breiten +messingenen Schnalle, drei Finger hoch über dem Rockkragen, hinten +auf dem Kopf hat er noch vierundzwanzig bis dreissig Härlein und +doch ein Kamm drin." Da hob der Barbier drohend und zürnend den +Zeigefinger auf und sagte: "Wart, vermaledeiter Zirkelschmied, hab' +ich dich einmal ausgekundschaftet?" Der Fremde aber fiel ihm ins +Wort: "Stellt Euch nicht so kurios, Herr Doktor, ich weiss alles, +und helft mir von meinem Ziegelfresser, von meinem Gespenst." Der +Barbier bekam gute Laune, weil er den Zirkelschmied +ausgekundschaftet hatte. "Ich will Euch ein stinkendes Rauchpulver +geben", sagte er, "mit dem geht dem Geist auf den Leib und schlagt +ihn, Ihr seid ein handfester Mann, mit einem braven Weidenstumpen +lederweich, bis er vor Euch zur Erde fällt, nur nicht zu Tod, denn +die Geister halten nichts darauf, wenn man sie zu Tod schlägt. +Hernach geht Ihr Eures Weges, damit der Geist auch unbeschrien nach +Hause kann." +Solchen Rat gab dem fremden Mann der Barbier und dachte nicht daran, +was die Sache für ein schlimmes Ende nehmen könnte. Aber sie nimmt +ein gutes Ende. Der Hausfreund weiss es schon. + +Denn, wie gesagt, im verwichenen Spätjahr am Katharinentag, als der +Barbier nach Oberwaldsheim gehen wollte, sechs Stunden von +Brassenheim, wohin sonst sein Weg nicht war, kehrt er unterwegens +ein in einem Wirtshaus, wie es einem einfallen kann, wenn man einen +Schild sieht. Als er aber in der Stube war und den Wirt erblickte, +erschrak er gar sehr und dachte: "O weh, wie werd' ich wieder da +herauskommen", und machte in der Geschwindigkeit ein krummes Maul, +dass ihn niemand kennen sollte, denn der Wirt war der nämliche, dem +er das Rauchpulver gegeben hatte, und er wusste nicht, wie der +Handel ausgegangen war. Der Wirt aber, während er ihm ein Schöpplein +holte, sann hin und her. "Den Mann sollt' ich kennen. Wenn er nicht +das Maul so verdammt krumm im Gesicht hätte, so wär's der Barbier +von Brassenheim, der brave Mann, der mich vom Gespenst erlöst hat. +Ich will nur sehen, wie er den Wein hineinbringt"; und als er +hernach die ersten Ehrenfragen an ihn getan hatte: "Woher des Landes +und wohin?" sagte er: "Herr Landsmann, nehmt mir meine Neugierde +nicht zum Vorwitz auf! Wenn Euer Mund besser im Blei läge, so wollt' +ich glauben, Ihr seid der Gregorius (Chirurgus wollte er sagen) von +Brassenheim." Dem Barbier ging der Angstschweiss aus. "Wenn Euch +mein krummes Maul irre macht", sagte er, "so muss der Barbier von +Brassenheim ein gerades haben, und folglich kann ich nicht der +nämliche sein. Zudem, so bin ich der Papiermüller von Neuhausen." +Jetzt erzählte ihm der Wirt die ganze Geschichte, und unmerklich, +wie sie immer besser lautete, zog sich sein Mund immer gerade in die +Linie, "und Ihr seid es doch", rief endlich der Wirt.--"Freilich +bin ich's", erwiderte der Barbier, "ich habe Euch nur ein wenig +vexieren wollen, ob Ihr mich noch kennt. Aber nicht wahr", sagte er, +"das Mittel hat geholfen?"--"Gleich aufs erste Mal", erwiderte der +Wirt und rief voll Freude und Dankbarkeit die Frau und die Kinder +herein und bestellte ein gutes Mittagsessen für seinen ehrenwerten +Gast, sinnend, ob er ihm nicht sonst noch eine Ehre antun könne. Als +daher der Barbier sich entschuldigte, dass er noch nach Waldsheim +auf den Katharinenmarkt gehen und ein Säulein kaufen wolle, da ging +eine freundliche Heiterkeit über das Angesicht des Wirtes, und sagte +er zu ihm: "Ei, steht Euch keine von meinen an?" Jetzt liess er ihm +sechs gemästete Schweine, eines grösser als das andere, in den Hof +herausspringen. "Da sucht Euch eine heraus, Herr Doktor." Der +Barbier kam in Verlegenheit, so ein Schwein könne er nicht bezahlen, +auch nicht gewältigen in seiner kleinen Haushaltung. Aber der Wirt +fasste kurzweg eine am Bein. "Die ist Euer." Also blieben sie +beisammen über den Mittag, und als sie genug gegessen und getrunken +hatten, befahl der Wirt dem Knecht, das Wägelein anzuspannen und den +Herrn Doktor und die Sau nach Brassenheim zu führen.--Deswegen +schickte der Barbier dem Zirkelschmied tags darauf den Schinken und +die Würste, weil sein Mutwillen ihm dazu verholfen hatte. "Sieh, +Bärbel", sagte hernachmals der Zirkelschmied zu seiner Frau, " du +hast mich schon oft verkannt. Mit einem Mann, wie ich bin, ist eine +Frau versorgt." + + + +Hochzeit auf der Schildwache + + +Ein Regiment, das sechs Wochen lang in einem Dorfbezirk in +Kantonierung gelegen war, bekam unversehens in der Nacht um 2 Uhr +Befehl zum plötzlichen Aufbruch. Also war um 3 Uhr schon alles auf +dem Marsch, bis auf eine einsame Schildwache draussen im Feld, die +in der Eile vergessen wurde und stehen blieb. Dem Soldaten auf der +einsamen Schildwache wurde jedoch zuerst die Zeit nicht lang, denn +er schaute die Sterne an und dachte: "Glitzert ihr, solange ihr +wollt, ihr seid doch nicht so schön als zwei Augen, welche jetzt +schlafen in der untern Mühle." Gegen fünf Uhr jedoch dachte er: " Es +könnte jetzt bald drei sein." Allein niemand wollte kommen, um ihn +abzulösen. Die Wachtel schlug, der Dorfhahn krähte, die letzten +Sterne, die selbigen Morgen noch kommen wollten, waren aufgegangen, +der Tag erwachte, die Arbeit ging ins Feld, aber noch stand unser +Musketier unabgelöst auf seinem Posten. Endlich sagte ihm ein +Bauersmann, der auf seinem Acker wandelte, das ganze Bataillon sei +ausmarschiert schon um drei Uhr, kein Kamaschenknopf sei mehr im +Dorf, noch weniger der Mann dazu. Also ging der Musketier unabgelöst +selber ins Dorf zurück. Des Hausfreunds Meinung wäre, er hätte jetzt +den Doppelschritt anschlagen und dem Regiment nachziehen sollen. +Allein der Musketier dachte: "Brauchen sie mich nimmer, so brauch +ich sie auch nimmer." Zudem dachte er: Es ist nicht zu trauen. Wenn +ich ungerufen komme und mich selber abgelöst habe, so kann's +spanische Nudeln absetzen; er meinte Röhrlein. Zudem dachte er: Der +untere Müller hat ein hübsches Mägdlein, und das Mägdlein hat einen +hübschen Mund, und der Mund hat holde Küsse, und ob sonst schon +etwas mochte geschehen sein, geht den Hausfreund nichts an. Also zog +er das blaue Röcklein aus und verdingte sich in dem Dorf als +Bauernknecht, und wenn ihn jemand fragte, so antwortete er wie jener +Hüninger Deserteur, es sei ihm ein Unglück begegnet, sein Regiment +sei ihm abhanden gekommen. Brav war der Bursche, hübsch war er auch, +und die Arbeit ging ihm aus den Händen flink und recht. Zwar war er +arm, aber desto besser schickte sich für ihn des Müllers +Töchterlein, denn der Müller hatte Batzen. Kurz die Heirat kam +zustande. Also lebte das junge Paar in Liebe und Frieden glücklich +beisammen und bauten ihr Nestlein. Nach Verlauf von einem Jahr aber, +als er eines Tages von dem Felde heimkam, schaute ihn seine Frau +bedenklich an: "Fridolin, es ist jemand dagewesen, der dich nicht +freuen wird."--"Wer?"--"Der Quartiermacher von deinem Regiment; in +einer Stunde sind sie wieder da." Der alte Vater lamentierte, die +Tochter lamentierte und sah mit nassen Augen ihren Säugling an. Denn +überall gibt es Verräter. Der Fridolin aber nach kurzem Schrecken +sagte: "Lasst mich gewähren. Ich kenne den Obrist." Also zog er das +blaue Röcklein wieder an, das er zum ewigen Andenken hatte +aufbewahren wollen, und sagte seinem Schwiegervater, was er tun +soll. Hernach nahm er das Gewehr auf die Achsel und ging wieder auf +seinen Posten. Als aber das Bataillon eingerückt war, trat der alte +Müller vor den Obristen. "Habt doch ein Einsehen, Herr General, mit +dem armen Menschen, der vor einem Jahr auf den Posten gestellt +worden ist draussen an der Waldspitze. Ist es auch permittiert, eine +Schildwache ein geschlagenes Jahr lang stehen zu lassen auf dem +nämlichen Fleck und nicht abzulösen." Da schaut der Obrist den +Hauptmann an, der Hauptmann schaute den Unteroffizier an, der +Unteroffizier den Gefreiten, und die halbe Kompanie, alte gute +Bekannte des Vermissten, liefen hinaus, die einjährige Schildwache +zu sehen, und wie der arme Mensch müsse zusammengeschmoret sein, +gleich einem Borstdorfer Äpfelein, das schon vier Jahre am Baum +hängt. Endlich kam auch der Gefreite, der nämliche, der ihn vor +zwölf Monaten auf den Posten geführt hatte, und löste ihn ab: +"Präsentiert das Gewehr, das Gewehr auf die Schulter, Marsch", nach +soldatischem Herkommen und Gesetz. Hernach musste er vor dem +Obristen erscheinen, und seine junge, hübsche Frau mit ihrem +Säugling auf den Armen begleitete ihn und mussten ihm alles +erzählen. Der Obriste aber, der ein gütiger Herr war, schenkte ihm +einen Federntaler und half ihm hernach zu seinem Abschied. + + + +Ist der Mensch ein wunderliches Geschöpf + + +Einem König von Frankreich wurde durch seinen Kammerdiener der Namen +eines Mannes genannt, der das 75. Jahr zurückgelegt habe und noch +nie aus Paris herausgekommen sei. Er wisse noch auf diese Stunde +nicht anderst als vom Hörensagen, was eine Landstrasse sei oder ein +Ackerfeld oder der Frühling. Man könnte ihm weismachen, die Welt sei +schon vor zwanzig Jahren untergegangen. Er müsse es glauben. Der +König fragte, ob denn der Mann kränklich oder gebrechlich sei. +"Nein", sagte der Kammerdiener, "er ist so gesund wie der Fisch im +Wasser." Oder ob er trübsinnig sei. "Nein, es ist ihm so wohl wie +dem Vogel im Hanfsamen." Oder ob er durch seiner Hände Arbeit eine +zahlreiche Familie zu ernähren habe. "Nein, er ist ein wohlhabender +Mann. Er mag eben nicht. Es nimmt ihn nicht wunder." Des verwunderte +sich der König und wünschte diesen Menschen zu sehen. Der Wunsch +eines Königs von Frankreich ist bald erfüllt, zwar auch nicht jeder, +aber dieser, und der König redete mit dem Menschen von allerlei, ob +er schon lange gesund und wohlauf sei. "Ja, Sire", erwiderte er, +"allbereits 75 Jahre." Ob er in Paris geboren sei. "Ja, Sire! Es +müsste kurios zugegangen sein, wie ich anderst hineingekommen wäre, +denn ich bin noch nie draussen gewesen."--"Das soll mich doch +wunder nehmen", erwiderte der König. "Denn eben deswegen hab' ich +Euch rufen lassen. Ich höre, dass Ihr allerlei verdächtige Gänge +macht, bald zu diesem Tor hinaus, bald zu jenem. Wisst Ihr, dass man +schon lange auf Euch Achtung gibt?" Der Mann war über diesen Vorwurf +ganz erstaunt und wollte sich entschuldigen. Das müsse ein anderer +sein, der seinen Namen führe, oder so. Aber der König fiel ihm in +die Rede: "Kein Wort mehr! Ich hoffe, Ihr werdet in Zukunft nicht +mehr aus der Stadt gehen ohne meine ausdrückliche Erlaubnis."--Ein +rechter Pariser, wenn ihm der König etwas befiehlt, denkt nicht +lange, ob es notwendig sei und ob es nicht auch anderst ebensogut +sein könnte, sondern er tut's. Der Unsrige war ein rechter, +obgleich, als auf seinem Heimweg die Postkutsche vor ihm vorbeifuhr, +dachte er: "O ihr Glücklichen da drinnen, dass ihr aus Paris +hinausdürft!" Als er nach Hause kam, las er die Zeitung wie alle +Tage. Aber diesmal fand er nicht viel drin. Er schaute zum Fenster +hinaus, das war auf einmal so langweilig. Er las in einem Buch, das +war auf einmal so einfältig. Er ging spazieren, er ging in die +Komödie, in das Wirtshaus, das war so alltäglich. So das erste +Vierteljahr lang, so das zweite, und mehr als einmal im Gasthaus +sagte er zu seinen Nachbarn: "Freunde, es ist ein hartes Wort, +fünfundsiebenzig Jahre kontinuierlich in Paris gelebt zu haben und +jetzt erst nicht hinauszudürfen." Endlich im dritten Vierteljahr +konnte er's nimmer aushalten, sondern meldete sich einen Tag um den +andern wegen der Erlaubnis: das Wetter sei so hübsch, oder es sei +heut' ein schöner Regentag. Er wolle sich gern auf seine Kosten von +einem vertrauten Mann begleiten lassen, wenn's sein müsse, auch von +zweien. Aber vergebens. Nach Verlauf aber eines schmerzlich +durchlebten Jahrs, gerade am nämlichen Tage, als er abends nach +Hause kam, fragt er mit bösem Gesicht die Frau: "Was ist das für ein +neues Kaleschlein im Hof? Wer will mich zum besten haben?" + +"Herzensschatz", antwortete die Frau, "ich habe dich überall suchen +lassen. Der König schenkt dir das Kaleschlein und die Erlaubnis, +darin spazieren zu fahren, wohin du willst." "Ma foi!" erwiderte der +Mann mit besänftigter Miene, "der König ist gerecht."--"Aber nicht +wahr", fuhr die Gattin fort, "morgen fahren wir spazieren aufs +Land?"--"Ei nun", erwiderte der Mann kalt und ruhig, "wir wollen +sehn. Wenn's auch morgen nicht ist, so kann's ein ander Mal sein, +und am Ende, was tun wir draussen? Paris ist doch am schönsten +inwendig." + + + +Jakob Humbel + + +Jakob Humbel, eines armen Bauern Sohn von Boneschwyl im +Schweizer-Kanton Aargau, kann jedem seinesgleichen zu einem +lehrreichen und aufmunternden Beispiel dienen, wie ein junger +Mensch, dem es ernst ist, etwas Nützliches zu lernen und etwas +Rechtes zu werden, trotz allen Hindernissen am Ende seinen Zweck +durch eigenen Fleiss und Gottes Hilfe erreichen kann. + +Jakob Humbel wünschte von früher Jugend an ein Tierarzt zu werden, +um in diesem Beruf seinen Mitbürgern viel Nutzen leisten zu können. +Das war sein Dichten und Trachten Tag und Nacht. + +Sein Vater gab ihn daher in seinem 16. Jahr einem sogenannten +Viehdoktor von Mummental in die Lehre, der aber kein geschickter +Mann war. + +Bei diesem lernte er zwei Jahre, bekam alsdann einen braven +Lehrbrief und wusste alles, was sein Meister wusste, nämlich +Tränklein und Salben kochen, auch Pflaster kneten für den bösen +Wind, sonst nichts--und das war nicht viel. + +Ich weiss einen, der wäre damit zufrieden gewesen, hätte nun auf +seinen Lehrbrief und seines Meisters Wort Salben gekocht, Pflaster +gestrichen drauf und dran für den bösen Wind, das Geld dafür +genommen und selber gemeint, er sei's. + +Jakob Humbel nicht also. Er ging zu einem andern Viehdoktor in +Oberoltern im Emmental noch einmal in die Lehre, hielt abermal ein +Jahr bei ihm aus, bekam abermal einen braven Lehrbrief und wusste +abermal--nichts, weil auch dieser Meister die wichtige Kunst selber +nicht verstand, keine Kenntnis hatte von der innern Beschaffenheit +eines Tieres im gesunden und kranken Zustand und von der Natur der +Arzneimittel. + +Ich weiss einen, der hätt's jetzt bleiben lassen, wär' eben wieder +heimgekommen, wie er fortgegangen, und hätt' sich mit andern +getröstet, aus denen auch nichts hat werden wollen. + +Fast sah es mit unserm armen Jakob Humbel ebenso aus. Mit bösen +Wind-Salben war wenig Geld, noch weniger Kredit und Ehre zu +verdienen. Was er verdiente, zog der Vater. Humbel wurde gemeiner +Tagelöhner, ging in armseliger Kleidung umher, ohne Geld und ohne +Rat, und dennoch hatte er noch immer den Tierarzt--nicht im Kopf, +denn das wäre schon recht gewesen, sondern im sehnsuchtsvollen +Verlangen. Jetzt verdingte er sich als Hausbedienter bei Herrn +Ringier im Klösterli zu Zofingen. Bei diesem Herrn war er drei +Jahre, bekam einen guten Lohn und wurde gütig behandelt wie ein +Kind. + +Ich weiss einen, der hätte die Güte eines solchen Herrn missbraucht, +wäre meisterlos worden, den Lohn hätten bekommen der Wirt und der +Spielmann. + +Aber Jakob Humbel wusste mit seinem Verdienst etwas Besseres +anzufangen. Oft, wann er bei dem Essen aufwartete, hörte er die +Herren am Tisch französisch reden. Da kam er auf den Gedanken, diese +Sprache auch zu lernen. Vermutlich hoffte er dadurch auf irgend eine +Art leichter zu seinem Zweck zu kommen, noch ein geschickter und +braver Tierarzt zu werden. Er ging mit seinem zusammengesparten +Verdienst nach Nyon in die Schulanstalt des Herrn Snell und lernte +so viel, als in neun Monaten zu lernen war. Jetzt war sein Vorrat +verzehrt, und ehe er seine Studien fortsetzen konnte, musste er +darauf denken, wie er wieder Geld verdiente. + +Gott wird mich nicht verlassen, dachte er. Er ging zu Herrn Landvogt +Bucher in Wildenstein als Kammerdiener in Diensten, erwarb sich bei +diesem und nachher bei einem andern Herrn wieder etwas Geld und +befand sich im Jahr 1798, als die Franzosen in die Schweiz kamen, in +seinem Geburtsort zu Boneschwyl und trieb mit seinem erworbenen Geld +einen kleinen Kornhandel nach Zürich, der recht gut vonstatten ging +und seine Barschaft nach Wunsch vermehrte. Jetzt war er im Begriff, +ins Ausland zu gehen und von dem ehrlich erworbenen Geld endlich +seine Kunst rechtschaffen zu studieren. Da wurde ein Korps von +18’000 Mann helvetischer Hilfstruppen errichtet. Die Gemeinde +Boneschwyl musste acht Mann stellen. Die jungen Bursche müssen +spielen: den guten Jakob Humbel trifft das Los, Soldat zu werden. +Ich weiss einen, der hätte gedacht: die Welt ist gross, und der Weg +ist offen; wär' mit seiner kleinen Barschaft zum Teufel gangen und +hätte seine Mitbürger dafür sorgen lassen, wo sie statt seiner den +achten Mann nehmen wollten. + +Aber Jakob Humbel liebt sein Vaterland und ist ein ehrliches Blut. + +Er stellte einen Mann, den er zwei Jahre lang auf seine Kosten +unterhalten musste. Das Beste von seinem erworbenen Vermögen, wovon +er noch etwas lernen wollte, ging zu seinen unsäglichen Schmerzen +drauf, und er dachte: jetzt habe ich hohe Zeit, sonst ist's Mathä am +letzten. Mit diesem Gedanken nahm er den Rest seiner Habschaft in +die Tasche, einen Stecken in die Hand und lief eines Gangs, ohne +sich umzusehen, nach Karlsruhe, und als er auf der Mühlburger +Strasse zwischen den langen Reihen der Pappelbäume die Stadt +erblickte, da dachte er: Gottlob! und Gott wird mir helfen. + +Guter Jakob Humbel, Gott hilft jedem, der sich wie du von Gott will +helfen lassen, und du hast es erfahren. + +In Karlsruhe ist nämlich eine öffentliche Anstalt zum Unterricht in +der Tierarzneikunst. Die Lehrstunden werden unentgeltlich erteilt. +Die sehr geschickten Lehrer geben sich Mühe, ihre Lehrjünger +gründlich zu unterrichten. Schon mancher brave Tierarzt hat in +dieser nützlichen Schule sich zu seinem Beruf vorbereitet und +gebildet. + +Hier war nun Humbel in seinem rechten Element, an der reichen +Quelle, wo er seinen lang gehaltenen Durst nach Wissenschaft +befriedigen konnte, lernte ein krankes Tier mit andern Augen +anschauen als in Mummental und Emmental, konnte andere Sachen lernen +als Wind machen und bösen Wind vertreiben und war nicht viel im +Bierhaus zur Stadt Berlin oder im Wirtshaus zur Stadt Strassburg +oder in Klein-Karlsruhe im Wilhelm Tell zu sehen, ob er gleich sein +Landsmann war, auch nicht einmal recht am Sonntag auf dem +Paradeplatz oder zur Mühlburg im Rappen, sondern vom frühen Morgen +bis in die späte Nacht beschäftigte er sich zwanzig Monate lang +unerfüllte und unverdrossen mit seiner Kunst, und wenn er wieder +etwas Neues, Schönes und Nützliches gelernt hatte, so machte ihn das +am Abend vergnügter als der Zapfenstreich mit der schönsten +türkischen Musik; zumal wenn ihm bei derselben sein Kostgänger +einfiel bei den helvetischen Hilfstruppen. + +Endlich kehrte er als ein ausgelernter Tierarzt mit den schönsten +Zeugnissen seiner Lehrer aus Karlsruhe freudig in sein Vaterland +zurück, wurde von dem Sanitätsrat in dem Kanton Aargau geprüft, +legte zu jedermann Erstaunen und Freude die weitläufigsten und +gründlichsten Kenntnisse an den Tag, erhielt mit wohlverdienten +Lobsprüchen und Ehren das Patent auf seine Kunst--und ist nun nach +allen ausgestandenen Schwierigkeiten und Mühseligkeiten am schönen +Ziel seiner lebenslänglichen Wünsche, einer der geschicktesten und +angesehensten Tierärzte in dem ganzen Schweizerlande. + +Jetzt weiss ich vier, die denken: wenn solcher Mut und Ernst dazu +gehört, etwas Braves zu lernen, so ist's kein Wunder, dass aus mir +nichts hat werden wollen. + +Weisst du was? Nimm Gott zu Hilfe, und probiere es noch! + + + +Kaiser Napoleon und die Obstfrau in Brienne + + +Der grosse Kaiser Napoleon brachte seine Jugend als Zögling in der +Kriegsschule zu Brienne zu, und wie? Das lehrten in der Folge seine +Kriege, die er führte, und seine Taten. Da er gerne Obst ass, wie +die Jugend pflegt, so bekam eine Obsthändlerin daselbst manchen +schönen Batzen von ihm zu lösen. Hatte er je einmal kein Geld, so +borgte sie. Bekam er Geld, so bezahlte er. Aber als er die Schule +verliess, um nun als kenntnisreicher Soldat auszuüben, was er dort +gelernt hatte, war er ihr doch einige Taler schuldig. Und als sie +das letzte Mal ihm einen Teller voll saftiger Pfirsiche oder süsser +Trauben brachte, "Fraulein", sagte er, "jetzt muss ich fort und kann +Euch nicht bezahlen. Aber Ihr sollt nicht vergessen sein." Aber die +Obstfrau sagte: "O reisen Sie wegen dessen ruhig ab, edler junger +Herr. Gott erhalte Sie gesund und mache aus Ihnen einen glücklichen +Mann!"--Allein auf einer solchen Laufbahn, wie diejenige war, +welche der junge Krieger jetzt betrat, kann doch auch der beste Kopf +so etwas vergessen, bis zuletzt das erkenntliche Gemüt ihn wieder +daran erinnert. Napoleon wird in kurzer Zeit General und erobert +Italien. Napoleon geht nach Ägypten, wo einst die Kinder Israel das +Zieglerhandwerk trieben, und liefert ein Treffen bei Nazareth, wo +vor 1800 Jahren die hochgelobte Jungfrau wohnte. Napoleon kehrt +mitten durch ein Meer voll feindlicher Schiffe nach Frankreich und +Paris zurück und wird Erster Konsul. Napoleon stellt in seinem +unglücklich gewordenen Vaterlande die Ruhe und Ordnung wieder her +und wird französischer Kaiser, und noch hatte die gute Obstfrau in +Brienne nichts als sein Wort: "Ihr sollt nicht vergessen sein!" Aber +ein Wort, noch immer so gut als bares Geld und besser. Denn als der +Kaiser in Brienne einmal erwartet wurde, er war aber in der Stille +schon dort und mag wohl sehr gerührt gewesen sein, wenn er da an die +vorige Zeit gedachte und an die jetzige, und wie ihn Gott in so +kurzer Zeit und durch so viele Gefahren unversehrt bis auf den neuen +Kaiserthron geführt hatte, da blieb er auf der Gasse plötzlich +stille stehen, legte den Finger an die Stirne wie einer, der sich +auf etwas besinnt, nannte bald darauf den Namen der Obstfrau, +erkundigte sich nach ihrer Wohnung, so ziemlich baufällig war, und +trat mit einem einzigen treuen Begleiter zu ihr hinein. Eine enge +Türe führte ihn in ein kleines, aber reinliches Zimmer, wo die Frau +mit zwei Kindern am Kamin kniete und ein sparsames Abendessen +bereitete. + +"Kann ich hier etwas zur Erfrischung haben?" so fragte der Kaiser.-- +"Ei ja!" erwiderte die Frau, "die Melonen sind reif", und holte +eine. Während die zwei fremden Herren die Melone verzehrten und die +Frau noch ein paar Reiser an das Feuer legte, "kennt Ihr denn den +Kaiser auch, der heute hier sein soll?" fragte der eine. "Er ist +noch nicht da", antwortete die Frau, "er kommt erst. Warum soll ich +ihn nicht kennen? Manchen Teller und manches Körbchen voll Obst hat +er mir abgekauft, als er noch hier in der Schule war."--"Hat er +denn auch alles ordentlich bezahlt?"--"Ja freilich, er hat alles +ordentlich bezahlt." Da sagte zu ihr der fremde Herr: "Frau, Ihr +geht nicht mit der Wahrheit um, oder Ihr müsst ein schlechtes +Gedächtnis haben. Fürs erste, so kennt Ihr den Kaiser nicht. Denn +ich bin's. Fürs andere hab' ich Euch nicht so ordentlich bezahlt, +als Ihr sagt, sondern ich bin Euch zwei Taler schuldig oder etwas;" +und in diesem Augenblick zählte der Begleiter auf den Tisch +eintausendundzweihundert Franken, Kapital und Zins. Die Frau, als +sie den Kaiser erkannte und die Goldstücke auf dem Tisch klingeln +hörte, fiel ihm zu Füssen und war vor Freude und Schrecken und +Dankbarkeit ganz ausser sich, wie man ihr auf nebenstehender +Abbildung wohl ansehen kann; und die Kinder schauen auch einander an +und wissen nicht, was sie sagen sollen. Der Kaiser aber befahl +nachher, das Haus niederzureissen und der Frau ein anderes an den +nämlichen Platz zu bauen. "In diesem Hause", sagte er, "will ich +wohnen, so oft ich nach Brienne komme, und es soll meinen Namen +führen." Der Frau aber versprach er, er wolle für ihre Kinder +sorgen. + +Wirklich hat er auch die Tochter derselben bereits ehrenvoll +versorgt, und der Sohn wird auf kaiserliche Kosten in der nämlichen +Schule erzogen, aus welcher der grosse Held selber ausgegangen ist. + + + +Kannitverstan + + +Der Mensch hat wohl täglich Gelegenheit, in Emmendingen und +Gundelfingen so gut als in Amsterdam Betrachtungen über den +Unbestand aller irdischen Dinge anzustellen, wenn er will, und +zufrieden zu werden mit seinem Schicksal, wenn auch nicht viel +gebratene Tauben für ihn in der Luft herumfliegen. Aber auf dem +seltsamsten Umweg kam ein deutscher Handwerksbursche in Amsterdam +durch den Irrtum zur Wahrheit und zu ihrer Erkenntnis. Denn als er +in diese grosse und reiche Handelsstadt voll prächtiger Häuser, +wogender Schiffe und geschäftiger Menschen gekommen war, fiel ihm +sogleich ein grosses und schönes Haus in die Augen, wie er auf +seiner ganzen Wanderschaft von Tuttlingen bis nach Amsterdam noch +keines erlebt hatte. Lange betrachtete er mit Verwunderung dies +kostbare Gebäude, die sechs Kamine auf dem Dach, die schönen Gesimse +und die hohen Fenster, grösser als an des Vaters Haus daheim die +Tür. Endlich konnte er sich nicht entbrechen, einen Vorübergehenden +anzureden. "Guter Freund", redete er ihn an, "könnt Ihr mir nicht +sagen, wie der Herr heisst, dem dieses wunderschöne Haus gehört mit +den Fenstern voll Tulipanen, Sternenblumen und Levkojen?"--Der Mann +aber, der vermutlich etwas Wichtigeres zu tun hatte und zum Unglück +gerade so viel von der deutschen Sprache verstand als der Fragende +von der holländischen, nämlich nichts, sagte kurz und schnauzig: +"Kannitverstan", und schnurrte vorüber. Dies war nur ein +holländisches Wort oder drei, wenn man's recht betrachtet, und +heisst auf deutsch soviel als: Ich kann Euch nicht verstehn. Aber +der gute Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, nach dem er +gefragt hatte. Das muss ein grundreicher Mann sein, der Herr +Kannitverstan, dachte er und ging weiter. Gass aus Gass ein kam er +endlich an den Meerbusen, der da heisst: Het Ei, oder auf deutsch: +das Ypsilon. Da stand nun Schiff an Schiff und Mastbaum an Mastbaum, +und er wusste anfänglich nicht, wie er es mit seinen zwei einzigen +Augen durchfechten werde, alle diese Merkwürdigkeiten genug zu sehen +und zu betrachten, bis endlich ein grosses Schiff seine +Aufmerksamkeit an sich zog, das vor kurzem aus Ostindien angelangt +war und jetzt eben ausgeladen wurde. Schon standen ganze Reihen von +Kisten und Ballen auf- und nebeneinander am Lande. Noch immer wurden +mehrere herausgewälzt und Fässer voll Zucker und Kaffee, voll Reis +und Pfeffer und salveni Mausdreck darunter. Als er aber lange +zugesehn hatte, fragte er endlich einen, der eben eine Kiste auf der +Achsel heraustrug, wie der glückliche Mann heisse, dem das Meer all +diese Waren an das Land bringe. "Kannitverstan", war die Antwort. Da +dachte er: Haha, schaut's da heraus? Kein Wunder, wem das Meer +solche Reichtümer an das Land schwemmt, der hat gut solche Häuser in +die Welt stellen und solcherlei Tulipanen vor die Fenster in +vergoldeten Scherben. Jetzt ging er wieder zurück und stellte eine +recht traurige Betrachtung bei sich selbst an, was er für ein armer +Teufel sei unter so viel reichen Leuten in der Welt. Aber als er +eben dachte: Wenn ich's doch nur auch einmal so gut bekäme, wie +dieser Herr Kannitverstan es hat, kam er um eine Ecke und erblickte +einen grossen Leichenzug. Vier schwarz vermummte Pferde zogen einen +ebenfalls schwarz überzogenen Leichenwagen langsam und traurig, als +ob sie wüssten, dass sie einen Toten in seine Ruhe führten. Ein +langer Zug von Freunden und Bekannten des Verstorbenen folgte nach, +Paar und Paar, verhüllt in schwarze Mäntel und stumm. In der Ferne +läutete ein einsames Glöcklein. Jetzt ergriff unsern Fremdling ein +wehmütiges Gefühl, das an keinem guten Menschen vorübergeht, wenn er +eine Leiche sieht, und er blieb mit dem Hut in den Händen andächtig +stehen, bis alles vorüber war. Doch machte er sich an den letzten +vom Zug, der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner +Baumwolle gewinnen könnte, wenn der Zentner um zehn Gulden +aufschlüge, ergriff ihn sachte am Mantel und bat ihn treuherzig um +Exküse. "Das muss wohl auch ein guter Freund von Euch gewesen sein," +sagte er, "dem das Glöcklein läutet, dass Ihr so betrübt und +nachdenklich mitgeht." "Kannitverstan!" war die Antwort. Da fielen +unserm guten Tuttlinger ein paar grosse Tränen aus den Augen, und es +ward ihm auf einmal schwer und wieder leicht ums Herz. "Armer +Kannitverstan," rief er aus, "was hast du nun von allem deinem +Reichtum? Was ich einst von meiner Armut auch bekomme: ein +Totenkleid und ein Leintuch, und von allen deinen schönen Blumen +vielleicht einen Rosmarin auf die kalte Brust oder eine Raute." Mit +diesem Gedanken begleitete er die Leiche, als wenn er dazu gehörte, +bis ans Grab, sah den vermeinten Herrn Kannitverstan hinabsenken in +seine Ruhestätte und ward von der holländischen Leichenpredigt, von +der er kein Wort verstand, mehr gerührt als von mancher deutschen, +auf die er nicht achtgab. Endlich ging er leichten Herzens mit den +andern wieder fort, verzehrte in einer Herberge, wo man Deutsch +verstand, mit gutem Appetit ein Stück Limburger Käse, und wenn es +ihm wieder einmal schwer fallen wollte, dass so viele Leute in der +Welt so reich seien und er so arm, so dachte er nur an den Herrn +Kannitverstan in Amsterdam, an sein grosses Haus, an sein reiches +Schiff und an sein enges Grab. + + + +Kindesdank und Undank + + +Man findet gar oft, wenn man ein wenig aufmerksam ist, dass Menschen +im Alter von ihren Kindern wieder ebenso behandelt werden, wie sie +einst ihre alten und kraftlosen Eltern behandelt haben. Es geht auch +begreiflich zu. Die Kinder lernen's von den Eltern; sie sehen's und +hören's nicht anders und folgen dem Beispiel. So wird es auf die +natürlichsten und sichersten Wege wahr, was gesagt wird und +geschrieben ist, dass der Eltern Segen und Fluch auf den Kindern +ruhe und sie nicht verfehle. + +Man hat darüber unter andern zwei Erzählungen, von denen die erste +Nachahmung und die zweite grosse Beherzigung verdient. +Ein Fürst traf auf einem Spazierritt einen fleissigen und frohen +Landmann an dem Ackergeschäft an und liess sich mit ihm in ein +Gespräch ein. Nach einigen Fragen erfuhr er, dass der Acker nicht +sein Eigentum sei, sondern dass er als Tagelöhner täglich um 15 +Kreuzer arbeite. Der Fürst, der für sein schweres Regierungsgeschäft +freilich mehr Geld brauchte und zu verzehren hatte, konnte es in der +Geschwindigkeit nicht ausrechnen, wie es möglich sei, täglich mit 15 +Kreuzern auszureichen und noch so frohen Mutes dabei zu sein, und +verwunderte sich darüber. Aber der brave Mann im Zwilchrock +erwiderte ihm: "Es wäre mir übel gefehlt, wenn ich so viel brauchte. +Mir muss ein Dritteil davon genügen; mit einem Dritteil zahle ich +meine Schulden ab, und den übrigen Dritteil lege ich auf Kapitalien +an." Das war dem guten Fürsten ein neues Rätsel. Aber der fröhliche +Landmann fuhr fort und sagte: "Ich teile meinen Verdienst mit meinen +alten Eltern, die nicht mehr arbeiten können, und mit meinen +Kindern, die es erst lernen müssen; jenen vergelte ich die Liebe, +die sie mir in meiner Kindheit erwiesen haben, und von diesen hoffe +ich, dass sie mich einst in meinem müden Alter auch nicht verlassen +werden." War das nicht artig gesagt und noch schöner und edler +gedacht und gehandelt? Der Fürst belohnte die Rechtschaffenheit des +wackern Mannes, sorgte für seine Söhne, und der Segen, den ihm seine +sterbenden Eltern gaben, wurde ihm im Alter von seinen dankbaren +Kindern durch Liebe und Unterstützung redlich entrichtet. + +Aber ein anderer ging mit seinem Vater, welcher durch Alter und +Kränklichkeit freilich wunderlich geworden war, so übel um, dass +dieser wünschte, in ein Armenspital gebracht zu werden, das im +nämlichen Orte war. Dort hoffte er wenigstens bei dürftiger Pflege +von den Vorwürfen frei zu werden, die ihm daheim die letzten Tage +seines Lebens verbitterten. Das war dem undankbaren Sohn ein +willkommenes Wort. Ehe die Sonne hinter den Bergen hinabging, war +dem armen, alten Greis sein Wunsch erfüllt. Aber er fand im Spital +auch nicht alles, wie er wünschte. Wenigstens liess er seinen Sohn +nach einiger Zeit bitten, ihm die letzte Wohltat zu erweisen und ihm +ein paar Leintücher zu schicken, damit er nicht alle Nacht auf +blossem Stroh schlafen müsste. Der Sohn suchte die zwei +schlechtesten, die er hatte, heraus und befahl seinem zehnjährigen +Kind, sie dem alten Murrkopf ins Spital zu bringen. Aber mit +Verwunderung bemerkte er, dass der kleine Knabe vor der Tür eines +dieser Tücher in einen Winkel verbarg und folglich dem Grossvater +nur eines davon brachte. "Warum hast du das getan?" fragte er den +Jungen bei seiner Zurückkunft.--"Zur Aushilfe für die Zukunft", +erwiderte dieser kalt und bösherzig, "wenn ich Euch, o Vater! auch +einmal in das Spital schicken werde." + +Was lernen wir daraus?--Ehre Vater und Mutter, auf dass es dir +wohlgehe! + + + +König Friedrich und sein Nachbar + + +Der König Friedrich von Preussen hatte acht Stunden von Berlin +freilich ein schönes Lustschloss und war gerne darin, wenn nur nicht +ganz nahe daneben die unruhige Mühle gewesen wäre. Denn erstlich +stehn ein königliches Schloss und eine Mühle nicht gut +nebeneinander, obgleich das Weissbrot schmeckt auch in dem Schloss +nicht übel, wenn's die Mühle fein gemahlen und der Ofen wohl +gebacken hat. Ausserdem aber, wenn der König in seinen besten +Gedanken war und nicht an den Nachbar dachte, auf einmal liess der +Müller das Wasser in die Räder schiessen und dachte auch nicht an +den Herrn Nachbar, und die Gedanken des Königs stellten das +Räderwerk der Mühle nicht, aber manchmal das Klapperwerk der Räder +die Gedanken des Königs. Der geneigte Leser sagt: "Ein König hat +Geld wie Laub, warum kauft er dem Nachbar die Mühle nicht ab und +lässt sie niederreissen?" Der König wusste, warum. Denn eines Tages +liess er den Müller zu sich rufen. "Ihr begreift", sagte er zu ihm, +"dass wir zwei nicht nebeneinander bestehen können. Einer muss +weichen. Was gebt Ihr mir für mein Schlösslein?"--Der Müller sagte: +"Wie hoch haltet Ihr es, königlicher Herr Nachbar?" Der König +erwiderte ihm: "Wunderlicher Mensch, so viel Geld habt Ihr nicht, +dass Ihr mir mein Schloss abkaufen könnt. Wie hoch haltet Ihr Eure +Mühle?" Der Müller erwiderte: "Gnädigster Herr, so habt auch Ihr +nicht so viel Geld, dass Ihr mir meine Mühle abkaufen könnt. Sie ist +mir nicht feil." Der König tat zwar ein Gebot, auch das zweite und +dritte, aber der Nachbar blieb bei seiner Rede. "Sie ist mir nicht +feil. Wie ich darin geboren bin", sagte er, "so will ich darin +sterben, und wie sie mir von meinen Vätern erhalten worden ist, so +sollen sie meine Nachkommen von mir erhalten und auf ihr den Segen +ihrer Vorfahren ererben." Da nahm der König eine ernsthaftere +Sprache an: "Wisst Ihr auch, guter Mann, dass ich gar nicht nötig +habe, viel Worte zu machen? Ich lasse Euere Mühle taxieren und +breche sie ab. Nehmt alsdann das Geld, oder nehmt es nicht!" Da +lächelte der unerschrockene Mann, der Müller, und erwiderte dem +König: "Gut gesagt, allergnädigster Herr, wenn nur das Hofgericht in +Berlin nicht wäre." Nämlich, dass er es wolle auf einen +richterlichen Ausspruch ankommen lassen. Der König war ein gerechter +Herr und konnte überaus gnädig sein, also dass ihm die +Herzhaftigkeit und Freimütigkeit einer Rede nicht missfällig war, +sondern wohlgefiel. Denn er liess von dieser Zeit an den Müller +unangefochten und unterhielt fortwährend mit ihm eine friedliche +Nachbarschaft. Der geneigte Leser aber darf schon ein wenig Respekt +haben vor einem solchen Nachbar und noch mehr vor einem solchen +Herrn Nachbar. + + + +König Friedrichs Leibhusar + + +Der Leibhusar König Friedrichs von Preussen muss mit seinem Herrn in +gutem Vernehmen gestanden haben. Denn einmal gab ihm der König wegen +eines Versehens eine Ohrfeige, dass ihm die Haarlocke, wie man sie +damals noch an den Seiten des Kopfes trug, aufeinanderfuhr und der +weisse Puder davonflog, also, dass man's draussen ihm wohl ansehen +konnte, wenn er hinauskam. Der Leibhusar bat wegen seines Versehens +um Verzeihung, stellte sich aber geradewegs vor des Königs grossen +Spiegel, der im Zimmer war, richtete seine Locke wieder zurecht und +stäubte mit dem Schnupftuch den Puder vom Kleid, welches +unschicklich war. Dem König kam's auch so vor, denn er sagte: "Was +fällt dir ein? Willst du noch eine?" Der Leibhusar sagte: Nein, er +habe genug an einer; "aber die andern", sagte er, "brauchen nicht zu +wissen, wenn ich hinauskomme, was zwischen uns vorgefallen ist." Da +lächelte der König wieder und war nimmer böse über den Leibhusar. + +Item, einmal tut so etwas gut, ein ander Mal nicht. + + + +Lange Kriegsfuhr + + +Dies ist die Geschichte, die dem Hausfreund vor einem Jahr ein +unsichtbarer Freund geschenkt hat, und der Freund sagt, er kenne die +Abkömmlinge des Wirts, und die Sache sei ganz gewiss. + +Im Dreissigjährigen Krieg, der Schwed zog durch ein namhaftes Dorf +im Wiesenkreis und in dem Dorf durchs Wirtshaus, und im Durchziehen +durch den Hof blieb der Knecht des Wirts mit einem Wagen und vier +Pferden an der Kolonne hängen. Denn er musste Tornister führen und +Offizierskisten und Weibsleute. Der Meister sagte: "Komm bald wieder +heim, Jobbi!" Der Jobbi dachte: An mir soll's nicht fehlen. Die +Meisterin weinte und lamentierte, aber ein schwedischer Korporal +sagte: "Man wird Ross nicht fressen. Tatar frisst Ross." Indessen +ging die erste Tagsstation nur bis nach Freiburg, die zweite nur bis +nach Kippenheim, die dritte nur bis nach Ortenberg, die vierte nur +bis nach Hornberg, die fünfte nur bis nach Villingen im Schwarzwald. +Dem armen Jobbi so hoch droben bei den Wolken war schon das Leben +feil, und die Pferde hätten auch gern ins Gras gebissen, aber noch +lieber in den Haber. Und unter allen vieren beklagte der Jobbi am +meisten sein Lieblingsross, den Jockli, dass er schon in seinen +besten Jahren ein Kriegsheld werden musste. Aber das half alles +nichts. Wo man hinkam, waren keine Fuhren zu haben; so musste der +Jobbi und der Jockli mit, ungefragt und ungebeten, bis weit hinein +ins Schwabenland und hintersich und fürsich, und aus so viel Tagen +wurden so viel Monate und mehr, bis er einmal zwischen einem Montag +und Dienstag Gelegenheit fand, eine Spazierfahrt für sich zu machen +ins Freie. Die österreichischen Vorposten riefen ihn an: "Wer da?"-- +"Gut Freund."--"Wer ist gut Freund?" "Der Jobbi von da und da." +"Bassa mallergi", sagte der Korporal, "bist du Jobbi von da und da?" +Der Korporal hatte auch schon einen Schluck Branntwein oder +vierundzwanzig bei seinem Meister getrunken und kannte den Jobbi, +und der Vorpostenhauptmann war auch schon auf dem Jockli nach +Waldshut geritten und kannte den Jockli. Also sagte der Hauptmann: +"Willst du einen Pass nach Haus oder willst du bei uns bleiben und +Geld genug verdienen?" Da dachte der Jobbi: Aufgegeben hat mich der +Meister schon lang und einen andern Zug gekauft. Attrapiert mich +unterwegs der Schwed, so geht's zu bösen Häusern oder gar zu bösen +Bäumen, und der Mund stand ihm voll Wasser, wenn er sah, wie die +österreichischen Dukaten flogen und auf den Boden fielen, und +niemand buckte sich darnach. Denn der österreichische Krieg hat +Geld. Also blieb der Jobbi bei der Armee, hauderte hin und her, bis +nach Pressburg hinein im Ungarland und wieder zurück, handelte auch +ein wenig und gewann Hüte voll Geld. Der Wagen zerbrach; er kaufte +sich einen neuen. Ein Pferd fiel nach dem andern, die Beute hatte +andere. Nur der Jockli hielt aus bergauf und ab, durch dick und +dünn. Gleichwohl dachte der alte Knabe oft an den Meister und an die +Meisterin daheim, und wie er auch wieder einmal zurückwolle, wenn's +sauber sei im Reich. Und der Meister und die Meisterin daheim +dachten auch manchmal an den Jobbi selig, und wie es ihm möge +ergangen sein bei den Schweden. Eines Tags, als schon alle Kanonen +vom Rhein bis an die Donau und bis an die Ostsee versaust hatten, +die Meisterin schnitt die Suppe ein zum Mittagessen, und der Wirt +richtete den Zeiger an der Wanduhr, denn es schlug auf der Kirche, +da seufzte die Frau und sagte nichts. Der Meister fragt: "Was fehlt +dir?"--"He nichts", sagte sie; "ich hab' an den Jobbi gedacht, Gott +hab' ihn selig, und an den schönen Zug; heut jährt sich's wieder."-- +" Es wird sich noch vielmal jähren", sagte der Mann; "gottlob! dass +wieder Ruhe im Lande ist." Indem tritt der Hausknecht herein und +sagt: "Meister, da draussen haltet ein obsonater Gesell, ein Ungar +mit schneeweissem Bart und 4. Rossen, der aussieht wie ein +Marketender, und hat auch so ein Brannteweinfässlein auf dem Wagen. + +Kommt mir der Sapperment frangschemang in den Stall und sagt: An +diesem Platz bin ich der Meister; drauf jagt er Eure Pferde in den +Hof hinaus und bindet die seinigen an. Ist noch Krieg oder ist's +Frieden?" Indem der Meister hinauswill, kommt der Ungar hinein und +sagt: Gemach!--Der Wirt fragt: "Woher des Landes? Solche Gäste +haben wir auch schon gehabt." "Eine Halbe will ich", sagte der +Ungar, "von Eurem Besten und zwei Gläser."--"Das ist nicht von +Euerm Besten", sagte er nachher. "Von dem Grenzacher will ich im +hintern Keller oder von dem Laufemer hinter der Brotbahre, wo die +Katz darauf sitzt." Der Wirt sagt: "Woher wisst Ihr, was ich für +Wein im Keller habe?" Der Ungar sagt: "Von Euerm alten Knecht, dem +Jobbi", und wollte sich noch lange verstellen. Als er aber seinen +Namen hörte, wiewohl er ihn selber aussprach, konnte er nimmer an +sich halten, sondern ergriff die Hand des Meisters, und die Tränen +rannen ihm aus den Augen in den weissen Bart wie der köstliche +Balsam, der herabfliesst in den Bart Aarons, der herabfleusst in +sein Kleid und Lust und Freude erregt. "Ich bin ja der alte Jobbi", +sagte der vermeinte Ungar, "wo einmal bei Euch"--aber der Wirt und +die Wirtin unterbrachen ihn mit einem lauten Freudengeschrei, "und +den Jockli hab' ich auch wieder mitgebracht", sagte der Jobbi, "die +andern sind neu." Jetzt ging's an ein Bewillkommen und an ein +Fragen, der Wirt rief die Kinder zusammen, der Jobbi sei wieder da, +und die Mutter brachte die Kleinen, eins an der Hand, eins auf dem +Arme; aber sie fürchteten sich und schrieen vor dem fremden Bart; +und der Herr Schulmeister kam im Vorbeigehen auch hinein. Als aber +der Meister ein Glas zum Willkommen mit ihm getrunken hatte und +wollte ihm das zweite einschenken, sagte der Jobbi: "Das Fässlein! +Wir müssen zuerst das Fässlein abladen." Drauf brachte der Wirt, der +Jobbi und der Hausknecht ein Fässlein, aber nicht mit Branntwein, +nein, voll kaiserlicher Taler und Kremnitzer Dukaten, ab dem Wagen +herein, so schwer sie tragen konnten. "Dies ist Euer Geld", sagte +der Jobbi, "das ich Euch ehrlich verdient habe. Ich verlange nichts +als für die sechs Jahre meinen Lohn und für den Jockli den +Ruhestand." Der Meister sagte: "Du sollst keinen Lohn von mir +bekommen, sondern du sollst das Kind im Hause sein, und zwar das +älteste." Aber der Jobbi sagte: "Ihr habt unterdessen, wie ich sehe, +Kinder genug bekommen. Lasst mich, wie ich bin" und ging mit einem +Mund voll Brot hinaus, um nach den Pferden zu sehen und seine alten +Geschäfte zu verrichten wie vorher, als wenn er nie weggegessen +wäre. + +Also blieb er bis an sein Ende im Dienste seines Meisters und +vermachte ihm, weil er keinen Erben hatte, noch sein Vermögen von +520 Pfund Basler Währung, tut 416 Gulden rheinisch. Der Meister aber +rührte das Geld nicht an, sondern stiftete es für die Armen. + +Merke: der Hausfreund kann letzteres nicht für gewiss sagen. Aber er +denkt so: War der Jobbi ein guter Knecht, so war der Meister ein +guter Mensch. Fromme Herrschaft zieht frommes Gesinde. Grobheit, +Fluchen und Geiz ist der falsche Weg zu gutem Gesind, hinten herum. + +Ist also der Wirt ein so räsonabler Mann gewesen, hat er auch das +Geld den Armen geschenkt. + + + +List gegen List + + +Einem namhaften Goldschmied hatten zwei vornehm gekleidete Personen +für 3000 Taler kostbare Kleinode abgekauft für auf die Krönung in +Ungarn. Hernach bezahlten sie ihm tausend Taler bar, legten alles, +was sie ausgesucht hatten, in ein Schächtelein zusammen, siegelten +das Schächtelein zu und gaben es dem Goldschmied gleichsam als +Unterpfand für die noch fehlende Summe wieder in Verwahrung; +wenigstens kam es dem Goldschmied so vor, als wenn es das nämliche +wäre. "In vierzehn Tagen", sagten sie, "bringen wir Euch die +fehlende Summe und nehmen alsdann das Schächtelein in Empfang." +Alles wurde schriftlich gemacht. Allein es vergehen drei Wochen, +niemand meldet sich. Der Krönungstag geht vorüber, es gehen noch +vier Wochen vorüber. Niemand will mehr nach dem Schächtelein fragen. +Endlich dachte der Goldschmied: "Was soll ich euch euer Eigentum +hüten auf meine Gefahr und mein Kapital tot drinnen liegen haben?" +Also wollte er das Schächtelein in Beisein einer obrigkeitlichen +Person eröffnen und die bereits empfangenen 1000 Taler hinterlegen. +Als es aber geöffnet ward, "lieber, guter Goldschmied", sagte der +Aktuarius, "wie seid Ihr von den zwei Spitzbuben angeschmiert." +Nämlich in dem Schächtelein lagen statt Edelgestein Kieselstein und +Fensterblei statt Goldes. Die zwei Kaufleute waren spitzbübische +Taschenspieler, böhmische Juden, brachten das wahre Schächtelein +unvermerkt auf die Seit und gaben dem Goldschmied ein anderes +zurück, welches ebenso aussah. "Goldschmied", sagte der Aktuarius, +"hier ist guter Rat teuer. Ihr seid ein unglücklicher Mann." Indem +trat wohlgekleidet und ehrbar ein Fremder zur Türe herein und wollte +dem Goldschmied allerlei krummgebogenes Silbergeschirr und +einsechtige (einzelne) Schnallen verkaufen und sah den Spektakel. +"Goldschmied", sagte er, als der Aktuarius fort war, "Euer Lebelang +müsst Ihr Euch nicht mit den Schreibern einlassen. Haltet Euch an +praktische Männer. Habt Ihr das Herz, eine Wurst an eine Speckseite +zu setzen, Euch ist zu helfen. Wenn Euer Schächtelein oder der Wert +dafür noch in der Welt ist: ich schaff Euch die Spitzbuben wieder +ins Haus."--"Wer seid Ihr, um Vergebung?" fragte der Goldschmied.-- +"Ich bin der Zundelfrieder", erwiderte der Fremde mit Vertrauen und +mit einem recht liebenswürdig freundlichen Spitzbubengesicht. Wer +den Frieder nicht persönlich kennt wie der Hausfreund, der kann sich +keine Vorstellung davon machen, wie ehrlich und gutmütig er sich +anstellen und dem vorsichtigsten Menschen so unwiderstehlich das +Herz und das Vertrauen abstehlen kann wie das Geld. Auch ist er in +der Tat so schlimm nicht, als man ihn zwischen Bühl und Achern dafür +hält. Ob nun der Goldschmied noch überdies an das Sprichwort dachte, +dass man Spitzbuben am besten mit Spitzbuben fangen könne, oder ob +er an ein anderes Sprichwort dachte, dass, wer das Ross geholt hat, +der hole auch den Zaum (wegen einer guten Freundin will ihn der +Hausfreund nicht mit Namen nennen), kurz, der Goldschmied vertraut +sich dem Frieder an. "Aber ich bitte Euch", sagte er, "betrügt mich +nicht." "Verlasst Euch auf mich", sagte der Frieder, "und erschreckt +nicht allzusehr, wenn Ihr morgen früh wieder um etwas klüger +geworden seid!" Vielleicht ist der Freister auf einer Spur? Nein, er +ist noch auf keiner. Aber wer in selbiger Nacht dem Goldschmied auch +noch vier Dutzend silberne Löffel, sechs silberne Salzbüchslein, +sechs goldene Ringe mit kostbaren Steinen holte, das war der +Frieder. Manch geneigter Leser, der auf ihn nicht viel halten will, +wird denken: "Das geschah dir recht." Desto besser. Denn dem +Goldschmied war es auch recht. Nämlich auf dem Tisch fand er von dem +Zundelfrieder einen eigenhändigen Empfangschein, dass er obige +Artikel richtig erhalten habe, und ein Schreiben, wie sich der +Goldschmied nun weiter zu verhalten habe. Nämlich er zeigt jetzt +nach des Frieders Anleitung den Diebstahl bei Amt an und bat um +einen Augenschein. Hernach bat er den Amtmann, die verlorenen +Artikel in allen Zeitungen bekannt zu machen. Hernach bat er, auch +das versiegelte Schächtelein mit seiner ganzen Beschreibung mit in +das Verzeichnis zu setzen, um etwas. Der Amtmann sah ins Klare und +verwilligte ihm den Wunsch. "Einem honetten Goldschmied", dachte er, +"kann ein Mann, der eine Haushaltung führt, etwas zum Gefallen tun." + +Also verlauft es sich in alle Zeitungen, dem Goldschmied sei +gestohlen worden das und das, unter andern ein Schächtelein so und +so mit vielen kostbaren Edelgesteinen, die alle benannt wurden. Die +Nachricht kam bis nach Augsburg. "Löb", schmunzelte dort ein +böhmischer Jud dem andern zu, "der Goldschmied wird nie erfahren, +was in dem Schächtelein war. Weisst du, dass es ihm gestohlen ist?" +- "Desto besser", sagte der Löb, "so muss er uns auch unser Geld +zurückgeben und hat gar nichts." Kurz, die Betrüger gehn dem Frieder +in die Falle und kommen wieder zu dem Goldschmied. "Seid so gut und +gebt uns itzt das Schächtelein! Nicht wahr, wir haben Euch ein wenig +lange warten lassen?"--"Liebe Herren", erwiderte der Goldschmied, +"euch ist unterdessen ein grosses Unglück geschehen, das +Schächtelein ist euch gestohlen. Habt ihr's noch in keiner Zeitung +gelesen?" Der Löb erwiderte mit ruhiger Stimme: "Das wäre uns leid, +aber das Unglück wird wohl auf Eurer Seite sein. Ihr liefert uns das +Schächtelein ab, wie wir's Euch in die Hände gegeben haben, oder Ihr +gebt uns unser vorausbezahltes Geld zurück. Die Krönung ist ohnehin +vorüber."--Man sprach hin, man sprach her, "und das Unglück wird +eben doch auf Euerer Seite sein", nahm wieder der Goldschmied das +Wort. Denn im nämlichen Augenblick traten jetzt mit seiner Frau vier +Hatschiere in die Stube, handfeste Männer, wie sie sind, und fassten +die Spitzbuben. Das Schächtelein war nimmer aufzutreiben, aber das +Zuchthaus und so viel Geld und Geldeswert, als nötig war, den +Goldschmied zu bezahlen. Aus Dankbarkeit zerriss der Goldschmied +hernach den Empfangschein des Frieders. Aber der Frieder brachte ihm +alles wieder und verlangte nichts für seinen guten Rat. "Wenn ich +einmal etwa von Euerer Ware benötiget bin", sagte er, "so weiss ich +ja jetzt den Weg in Euern Laden und zu Euerm Kästlein. Wenn ich nur +alle Spitzbuben zu Grunde richten könnte", sagte er, "dass ich der +einzige wäre." Denn eifersüchtig ist er. + + + +Mancherlei gute Lehren + + +Die Menschen nehmen oft ein kleines Ungemach viel schwerer auf und +tragen es ungeduldiger als ein grosses Unglück, und der ist noch +nicht am schlimmsten daran, der viel zu klagen hat und alle Tage +etwas anders. Erfahrung und Übung im Unglück lehrt schweigen. Aber +wenn ihr einen Menschen wisst, der nicht klagt und doch nicht +fröhlich sein kann, ihr fragt ihn, was ihm fehle, und er sagt's euch +kurz und gut oder gar nicht, dem sucht ein gutes Zutrauen +abzugewinnen, wenn ihr es wert seid, und ratet und helft ihm, wenn +ihr könnt. + + + +Mancherlei gute Lehren 2 + + +Ist denn der Mensch deswegen so schlimm und so schlecht, weil die +bösen Neigungen zuerst in seinem Herzen erwachen und das Gute nur +durch Erziehung und Unterricht bei ihm anschlägt? Euer bester +Ackerboden trägt doch auch nur Gras und Unkraut aus eigener Kraft, +und euer Leben lang keine Weizenernte; und ein dürres Sandfeld, das +nicht einmal aus eigener Kraft Unkraut treibt, wird auch euern +Fleiss und eure Hoffnung nie mit einer Fruchtgarbe erfreuen. Aber +wenn ihr den guten Boden ansäet zu rechter Zeit, sein wartet und +pfleget, wie sich's gebühret, so steigt im Morgentau und Abendregen +doch eine fröhliche Saat empor, und die Raden und Kornrosen und +mancherlei taubes Gras möchte gern, aber es kann nicht mehr +emporkommen. Die gesunde Ähre schwankt in der Luft und füllt sich +mit kostbaren Körnern. So ist es mit dem Menschen und mit seinem +Herzen auch. Was lernen wir daraus? Man muss nicht unzeitig klagen +und hadern und die Hoffnung aufgeben, ehe sie erfüllt werden kann. +Man muss den Fleiss, die Mühe und Geduld, die man an eine Handvoll +Fruchthalmen gerne verwendet, an den eigenen Kindern sich nicht +verdriessen lassen. Man muss dem Unkraut zuvorkommen und guten +Samen, schöne Tugenden in das weiche, zarte Herz hineinpflanzen und +Gott vertrauen, so wird's besser werden. + + + +Mancherlei gute Lehren 3 + + +Man vergisst im menschlichen Leben nichts so leicht als das +Multiplizieren, wenn man es noch so gut in der Schule gelernt hat +und kann. Und doch lernt man in der Schule für das Leben, und die +Weisheit besteht nicht im Wissen, sondern in der rechten Anwendung +und Ausübung davon. + +Es kann jemand einen Tag in den andern nur einen Groschen +unnötigerweise ausgeben. Mancher, der den Groschen übrig hat, tut es +und meint, es sei nicht viel. Aber in einem Jahr sind es 365 +Groschen und in dreissig Jahren 10’950 Groschen. Facit 547 Gulden 30 +Kreuzer weggeworfenes Geld, und das ist doch viel. + +Ein anderer kann einen Tag in den andern zwei Stunden unnütz und im +Müssiggang zubringen und meint jedesmal, für heute lasse es sich +verantworten. Das multipliziert sich in einem Jahr zu 730 Stunden +und in dreissig Jahren zu 21’900 Stunden. Facit 912 verlorne Tage +des kurzen Lebens. Das ist noch mehr als 547 Gulden, wer's bedenkt. +- Die Erde hat 5400 Deutsche Meilen oder 10’800 Stunden im Umkreis. +Das ist ein weiter Weg. Aber wenn man in gerader Linie fortgehen +könnte, und es wollte jemand jeden Tag nur eine Stunde daran +zurücklegen, so könnte er im dreissigsten Jahr bei guter Zeit wieder +daheim sein. Oder wenn er jeden Tag zehn Stunden auf seine Reise +verwenden wollte, so könnte er in zehn Jahren zehnmal um die ganze +grosse Erde herumkommen. Daraus ist zu lernen, wie weit ein Mensch +in seinem Leben es nach und nach bringen kann, wenn er zu einem +nützlichen Geschäft jeden Tag nur eine Stunde anwenden will, und +wieviel weiter noch, wenn er alle Tage dazu benutzt, besser und +vollkommener zu werden und sein eigenes Wohl und das Wohl der +Seinigen zu befördern. Aber wer nie anfängt, der hört nie auf, und +wem wenig auf einmal nicht genug ist, der erfährt nie, wie man nach +und nach zu vielem kommt. + + + +Mancherlei gute Lehren 4 + + +Zum Erwerben eines Glücks gehört Fleiss und Geduld und zur Erhaltung +desselben gehört Mässigung und Vorsicht. Langsam und Schritt für +Schritt steigt man eine Treppe hinauf. Aber in einem Augenblick +fällt man hinab und bringt Wunden und Schmerzen genug mit auf die +Erde. + + + +Mancherlei gute Lehren 5 + + +Es sagt ein altes Sprichwort: Selber essen macht fett. Ich will noch +ein paar dazusetzen: Selber Achtung geben macht verständig. Und +selber arbeiten macht reich. Wer nicht mit eigenen Augen sieht, +sondern sich auf andere verlässt, und wer nicht selber Hand anlegt, +wo es nötig ist, sondern andere tun lässt, was er selber tun soll, +der bringt's nicht weit, und mit dem Fettwerden hat es bald ein +Ende. + + + +Mancherlei gute Lehren 6 + + +Ein anderes Sprichwort heisst so: Wenn man den Teufel an die Wand +malt, so kommt er. Das sagt mancher und versteht's nicht. Den bösen +Geist kann man eigentlich nicht an die Wand malen, sonst wäre es +kein Geist. Auch kann er nicht kommen. Denn er ist mit Ketten der +Finsternis in die Hölle gebunden. Was will denn das Sprichwort +sagen? Wenn man viel an das Böse denkt und sich dasselbe in Gedanken +vorstellt oder lang davon spricht, so kommt zuletzt die Begierde zu +dem Bösen in das Herz, und man tut's. Soll der böse Feind nicht +kommen, so mal' ihn nicht an die Wand! Willst du das Böse nicht tun, +so denke nicht daran, wo du gehst und stehst, und sprich nicht +davon, als wenn es etwas Angenehmes und Lustiges wäre. + + + +Mancherlei gute Lehren 7 + + +Einmal ist keinmal. Dies ist das verlogenste und schlimmste unter +allen Sprichwörtern, und wer es gemacht hat, der war ein schlechter +Rechnungsmeister oder ein boshafter. Einmal ist wenigstens einmal +und daran lässt sich nichts abmarkten. Wer einmal gestohlen hat, der +kann sein Leben lang nimmer mit Wahrheit und mit frohem Herzen +sagen: "Gottlob! ich habe mich nie an fremdem Gut vergriffen." Und +wenn der Dieb erhascht und gehenkt wird, alsdann ist einmal nicht +keinmal. Aber das ist noch nicht alles, sondern man kann meistens +mit Wahrheit sagen: Einmal ist zehnmal und hundert- und tausendmal. +Denn wer das Böse einmal angefangen hat, der setzt es gemeiniglich +auch fort. Wer A gesagt hat, der sagt auch gern B, und alsdann tritt +zuletzt ein anderes Sprichwort ein, dass der Krug so lange zum +Brunnen gehe, bis er bricht. + + + +Mancherlei gute Lehren 8 + + +Nun kommen zwei Sprichwörter, und die sind beide wahr, wenn sie +schon einander widersprechen. Von zwei unbemittelten Brüdern hatte +der eine keine Lust und keinen Mut, etwas zu erwerben, weil ihm das +Geld nicht zu den Fenstern hineinregnete. Er sagte immer: "Wo nichts +ist, kommt nichts hin." Und so war es auch. Er blieb sein Leben lang +der arme Bruder Wonichtsist, weil es ihm nie der Mühe wert war, mit +einem kleinen Ersparnis den Anfang zu machen, um nach und nach zu +einem grössern Vermögen zu kommen. So dachte der jüngere Bruder +nicht. Der pflegte zu sagen: "Was nicht ist, das kann werden." Er +hielt das wenige, was ihm von der Verlassenschaft der Eltern zu teil +geworden war, zu Rat und vermehrte es nach und nach durch eigenes +Ersparnis, indem er fleissig arbeitete und eingezogen lebte. + +Anfänglich ging es hart und langsam. Aber sein Sprichwort: Was nicht +ist, kann werden, gab ihm immer Mut und Hoffnung. Mit der Zeit ging +es besser. Er wurde durch unverdrossenen Fleiss und Gottes Segen +noch ein reicher Mann und ernährt jetzt die Kinder des armen Bruders +Wonichtsist, der selber nichts zu beissen und zu nagen hat. + + + +Mancherlei gute Lehren 9 + + +"Ein Narr fragt viel, worauf kein Weiser antwortet." Das muss +zweimal wahr sein. Fürs erste kann gar wohl der einfältigste Mensch +eine Frage tun, worauf auch der weiseste keinen Bescheid zu geben +weiss. Denn Fragen ist leichter als Antworten, wie Fordern oft +leichter ist als Geben, Rufen leichter als Kommen. Fürs andere +könnte manchmal der Weise wohl eine Antwort geben, aber er will +nicht, weil die Frage einfältig ist oder wortwitzig, oder weil sie +zur Unzeit kommt. Gar oft erkennt man ohne Mühe den einfältigen +Menschen am Fragen und den verständigen am Schweigen. Da heisst es +alsdann: Keine Antwort ist auch eine Antwort. Von dem Doktor Luther +verlangte einst jemand zu wissen, was wohl Gott vor Erschaffung der +Welt die lange, lange Ewigkeit hindurch getan habe. Dem erwiderte +der fromme und witzige Mann: in einem Birkenwald sei der liebe Gott +gesessen und habe zur Bestrafung für solche Leute, die unnütze +Fragen tun, Ruten geschnitten. + + + +Mancherlei gute Lehren 10 + + +"Rom ist nicht in einem Tage erbaut worden." Damit entschuldigen +sich viele fahrlässige und träge Menschen, welche ihr Geschäft nicht +treiben und vollenden mögen und schon müde sind, ehe sie recht +anfangen. Mit dem Rom ist es aber eigentlich so zugegangen. Es haben +viele fleissige Hände viele Tage lang vom frühen Morgen bis zum +späten Abend unverdrossen daran gearbeitet und nicht abgelassen, bis +es fertig war und der Hahn auf dem Kirchturm stand. So ist Rom +entstanden! Was du zu tun hast, mach's auch so! + + + +Mancherlei gute Lehren 11 + + +"Frisch gewagt, ist halb gewonnen." Daraus folgt: "Frisch gewagt, +ist auch halb verloren." Das kann nicht fehlen. Deswegen sagt man +auch: "Wagen gewinnt, Wagen verliert." Was muss also den Ausschlag +geben? Prüfung, ob man auch die Kräfte habe zu dem, was man wagen +will, Überlegung, wie es anzufangen sei, Benutzung der günstigen +Zeit und Umstände, und hintennach, wenn man sein mutiges A gesagt +hat, ein besonnenes B und ein bescheidenes C. Aber so viel muss wahr +bleiben: wenn etwas Gewagtes soll unternommen werden und kann nicht +anders sein, so ist ein frischer Mut zur Sache der Meister, und der +muss dich durchreissen. Aber wenn du immer willst und fangst nie an, +oder du hast schon angefangen, und es reut dich wieder und willst, +wie man sagt, auf dem trockenen Lande ertrinken, guter Freund, dann +ist "schlecht gewagt ganz verloren". + + + +Mancherlei gute Lehren 12 + + +Ende gut, alles gut. Ist nicht so zu verstehen: wenn du ein Jahr +lang in einem Hause zu bleiben hast, so führe dich 364 Tage lang +bengelhaft auf, und am 31. Dezember werde manierlich. Sondern es +gibt Leute, die manierlich sein können bis ans Ende, und wenn's +nimmer lang währt, so werden sie ungezogen, trotzig, sagen: "Ich bin +froh, dass es nimmer lang währt", und die andern denken's auch. Für +diese ist das Sprichwort. + +Item, es gibt Dinge, ob sie gut oder bös sind, kann erst das Ende +lehren. Z. B. du bist krank, möchtest gern essen, was dir der Arzt +verbietet, gern auf die Gasse giessen, was du trinken musst, aber du +wirst gesund--oder du bist in der Lehre und meinst manchmal, der +Lehrherr sei wunderlich, aber du wirst durch seine Wunderlichkeit +ein geschickter Weissgerber oder Orgelmacher;--oder du bist im +Zuchthaus, der Zuchtmeister könnte dir wohl die Suppe fetter machen, +aber du wirst durch Wasser und Brot nicht nur gesättigt, sondern +auch gebessert. Dann lehrt das gute Ende, dass alles gut war. + + + +Merkwürdige Gespenstergeschichte + + +Verwichenen Herbst fuhr ein fremder Herr durch Schliengen, so ein +schöner, braver Ort ist. Den Berg hinauf aber ging er zu Fuss wegen +den Rossen und erzählte einem Grenzacher folgende Geschichte, die +ihm selber begegnet ist. + +Als der Herr ein halbes Jahr vorher nach Dänemark reiste, kommt er +auf den späten Abend in einen Flecken, wo nicht weit davon auf einer +Anhöhe ein sauberes Schlösslein stand, und will über Nacht bleiben. +Der Wirt sagt, er habe keinen Platz mehr für ihn, es werde morgen +einer gerichtet, und seien schon drei Scharfrichter bei ihm über +Nacht. So erwidert der Herr: "Ich will denn dort in das Schlösslein +gehen. Der Zwingherr, oder wem es angehört, wird mich schon +hineinlassen und ein leeres Bett für mich haben." Der Wirt sagt: +"Manch schönes Bett mit seidenen Umhängen steht aufgeschlagen in den +hohen Gemächern; und die Schlüssel hab' ich in Verwahrung. Aber ich +will es Euch nicht raten. Der gnädige Herr ist schon vor einem +Vierteljahr mit seiner Frau und mit dem Junker auf eine weite Reise +gezogen, und seit der Zeit wüten im Schlösslein die Gespenster. Der +Schlossvogt und das Gesinde konnten nimmer bleiben; und wer seitdem +in das Schlösslein gekommen ist, der geht zum zweiten Mal nimmer +hinein." Darüber lächelt der fremde Herr; denn er war ein herzhafter +Mann, der nichts auf die Gespenster hielt, und sagt: "Ich will's +probieren." Trotz aller Widerrede musste ihm der Wirt den Schlüssel +geben; und nachdem er sich mit dem Nötigen zu einem Gespensterbesuch +versehen hatte, ging er mit dem Bedienten, so er bei sich hatte, in +das Schloss. Im Schloss kleidete er sich nicht aus, wollte auch +nicht schlafen, sondern abwarten, was geschieht. Zu dem Ende stellte +er zwei brennende Lichter auf den Tisch, legte ein Paar geladene +Pistolen daneben, nahm zum Zeitvertreib den Rheinländischen +Hausfreund, so in Goldpapier eingebunden an einem roten, seidenen +Bändelein unter der Spiegelrahmen hing, und beschaute die schönen +Bilder. Lange wollte sich nichts spüren lassen. Aber als die +Mitternacht im Kirchturm sich rührte und die Glocke zwölf schlug, +eine Gewitterwolke zog über das Schloss weg, und die grossen +Regentropfen schlugen an die Fenster, da klopfte es dreimal stark an +die Türe, und eine fürchterliche Gestalt mit schwarzen, schielenden +Augen, mit einer halbellenlangen Nase, fletschenden Zähnen und einem +Bocksbart, zottig am ganzen Leib, trat in das Gemach und brummte mit +fürchterlicher Stimme: "Ich bin der Grossherr Mephistopholes. +Willkomm in meinem Palast! Und habt Ihr auch Abschied genommen von +Frau und Kind?" Dem fremden Herrn fuhr ein kalter Schauer vom +grossen Zehen an über den Rücken hinauf, bis unter die Schlafkappe, +und an den armen Bedienten darf man gar nicht denken. Als aber der +Mephistopholes mit fürchterlichen Grimassen und hochgehobenen Knien +gegen ihn herkam, als wenn er über lauter Flammen schreiten müsste, +dachte der arme Herr: In Gottes Namen, jetzt ist's einmal so, und +stand herzhaft auf, hielt dem Ungetüm die Pistolen entgegen und +sprach: "Halt oder ich schiess'!" Mit so etwas lässt sonst nicht +jedes Gespenst sich schrecken, denn wenn man auch schiessen will, so +geht's nicht los, oder die Kugel fährt zurück und trifft nicht den +Geist, sondern den Schütz. Aber Mephistopholes hob drohend den +Zeigfinger in die Höhe, kehrte langsam um und ging mit ebensolchen +Schritten, als er gekommen war, wieder fort. Als aber der Fremde +sah, dass dieser Satan Respekt vor dem Pulver hatte, dachte er: +Jetzt ist keine Gefahr mehr, nahm in die andere Hand ein Licht und +ging dem Gespenst, das langsam einen Gang hinabschritt, ebenso +langsam nach, und der Bediente sprang, so schnell er konnte, hinter +ihm zum Tempel hinaus und ins Ort, dachte, er wolle lieber bei den +Scharfrichtern über Nacht sein als bei den Geistern.--Aber auf dem +Gang auf einmal verschwindet der Geist vor den Augen seines kühnen +Verfolgers, und war nicht anders, als wäre er in den Boden +geschlupft. Als aber der Herr noch ein paar Schritte weiter gehen +wollte, um zu sehen, wo er hingekommen, hörte auf einmal unter +seinen Füssen der Boden auf, und er fiel durch ein Loch hinab, aus +welchem ihm Feuerglast entgegenkam, und er glaubte selber, jetzt +geh' es an einen andern Ort. Als er aber ungefähr zehn Fuss tief +gefallen war, lag er zwar unbeschädigt auf einem Haufen Heu in einem +unterirdischen Gewölb. Aber sechs kuriose Gesellen standen um ein +Feuer herum, und der Mephistopholes war auch da. Allerlei +wunderbares Geräte lag umher, und zwei Tische lagen gehauft voll +funkelnder Rössleintaler, einer schöner als der andere. Da merkte +der Fremde, wie er daran war. Denn das war eine heimliche +Gesellschaft von Falschmünzern, so alle Fleisch und Bein hatten. +Diese benutzten die Abwesenheit des Zwingherrn, legten in seinem +Schloss ihre verborgenen Münzstöcke an, und waren vermutlich von +seinen eigenen Leuten dabei, die im Haus Bericht und Gelegenheit +wussten; und damit sie ihr heimlich Wesen ungestört und unbeschrien +treiben konnten, fingen sie den Gespensterlärmen an, und wer in das +Haus kam, wurde so vergelstert, dass er zum zweiten Mal nimmer kam. +Aber jetzt fand der verwegene Reisende erst Ursache, seine +Unvorsichtigkeit zu bereuen, und dass er den Vorstellungen des Wirts +im Dorf kein Gehör gegeben hatte. Denn er wurde durch ein enges Loch +hinein in ein anderes finsteres Gehalt geschoben und hörte wohl, wie +sie Kriegsgericht über ihn hielten und sagten: "Es wird das beste +sein, wenn wir ihn umbringen und danach verlochen." Aber einer sagte +noch: "Wir müssen ihn zuerst verhören, wer er ist, und wie er +heisst, und wo er sich herschreibt." Als sie aber hörten, dass er +ein vornehmer Herr sei und nach Kopenhagen zum König reise, sahen +sie einander mit grossen Augen an, und nachdem er wieder in dem +finstern Gewölb war, sagten sie: "Jetzt steht die Sache letz. Denn +wenn er gemangelt wird, und es kommt durch den Wirt heraus, dass er +ins Schloss gegangen ist und ist nimmer herausgekommen, so kommen +über Nacht die Husaren, heben uns aus, und der Hanf ist dies Jahr +wohlgeraten, dass ein Strick zum Henken nicht viel kostet." Also +kündigten sie dem Gefangenen Pardon an, wenn er ihnen einen Eid +ablegte, dass er nichts verraten wolle, und drohten, dass sie in +Kopenhagen wollten auf ihn Achtung geben lassen; er musste ihnen auf +den Eid hin sagen, wo er wohne. Er sagte: "Neben dem Wilden Mann +linker Hand in dem grossen Haus mit grünen Läden." Danach schenkten +sie ihm Burgunderwein ein zum Morgentrunk, und er schaute ihnen zu, +wie sie Rössleintaler prägten bis an den Morgen. Als aber der Tag +durch die Kellerlöcher hinabschien und auf der Strasse die Geisseln +knallten, und der Kuhhirt hürnte, nahm der Fremde Abschied von den +nächtlichen Gesellen, bedankte sich für die gute Bewirtung und ging +mit frohem Mute wieder in das Wirtshaus, ohne daran zu denken, dass +er seine Uhr und seine Tabakspfeife und die Pistolen habe liegen +lassen. Der Wirt sagte: "Gottlob, dass ich Euch wieder sehe, ich +habe die ganze Nacht nicht schlafen können. Wie ist es Euch +gegangen?" Aber der Reisende dachte: Ein Eid ist ein Eid, und um +sein Leben zu retten, muss man den Namen Gottes nicht missbrauchen, +wenn man's nicht halten will. Deswegen sagte er nichts, und weil +jetzt das Glöcklein läutete und der arme Sünder hinausgeführt wurde, +so lief alles fort. Auch in Kopenhagen hielt er nachher reinen Mund +und dachte selber fast nicht mehr daran. Aber nach einigen Wochen +kam ab der Post ein Kistlein an ihn, und waren darin ein Paar neue, +mit Silber eingelegte Pistolen von grossem Wert, eine neue goldene +Uhr mit kostbaren Demantsteinen besetzt, eine türkische Tabakspfeife +mit einer goldenen Kette daran und eine seidene, mit Gold gestickte +Tabaksblase und ein Brieflein drin. In dem Brieflein stand: "Dies +schicken wir Euch für den Schrecken, so Ihr bei uns ausgestanden, +und zum Dank für Euere Verschwiegenheit. Jetzt ist alles vorbei, und +Ihr dürft es erzählen, wem Ihr wollt." Deswegen hat's der Herr dem +Grenzacher erzählt, und das war die nämliche Uhr, die er oben auf +dem Berg herauszog, als es in Hertingen Mittag läutete, und schaute, +ob die Hertinger Uhr recht geht, und sind ihm hernach im Storken zu +Basel von einem französischen General 75 neue Dublonen darauf +geboten worden. Aber er hat sie nicht drum geben. + + + +Merkwürdige Schicksale eines jungen Engländers + + +Eines Tages reiste ein junger Engländer auf dem Postwagen zum ersten +Mal in die grosse Stadt London, wo er von den Menschen, die daselbst +wohnen, keinen einzigen kannte als seinen Schwager, den er besuchen +wollte, und seine Schwester, so des Schwagers Frau war. Auch auf dem +Postwagen war neben ihm niemand als der Kondukteur, das ist der +Aufseher über den Postwagen, der auf alles achthaben und an Ort und +Stelle über die Briefe und Pakete Red und Antwort geben muss; und +die zwei Reisekameraden dachten damals auch nicht daran, wo sie +einander das nächste Mal wieder sehen würden. Der Postwagen kam erst +in der tiefen Nacht in London an. In dem Posthause konnte der Fremde +nicht über Nacht bleiben, weil der Postmeister daselbst ein +vornehmer Herr ist und nicht wirtet, und des Schwagers Haus wusste +der arme Jüngling in der ungeheuer grossen Stadt bei stockfinsterer +Nacht so wenig zu finden als in einem Wagen voll Heu eine +Stecknadel. Da sagte zu ihm der Kondukteur: "Junger Herr, kommt Ihr +mit mir! Ich bin zwar auch nicht hier daheim, aber ich habe, wenn +ich nach London komme, bei einer Verwandten ein Stüblein, wo zwei +Betten stehen. Meine Base wird Euch schon beherbergen, und morgen +könnt Ihr Euch alsdann nach Eures Schwagers Haus erkundigen, wo +Ihr's besser finden werdet." Das liess sich der junge Mensch nicht +zweimal sagen. Sie tranken bei der Frau Base noch einen Krug +englisches Bier, das noch besser sein soll als das Donaueschinger +oder Säckinger, so doch auch nicht schlecht ist, assen eine +Knackwurst dazu und legten sich dann schlafen. In der Nacht kam den +Fremden eine Notdurft an, und musst' hinausgehen. Da war er übler +dran als noch nie. Denn er wusste in seiner dermaligen +Nachtherberge, so klein sie war, so wenig Bericht, als ein paar +Stunden vorher in der grossen Stadt. Zum Glück aber wurde der +Kondukteur auch wach und sagte ihm, wie er gehen müsse, links und +rechts und wieder links. "Die Türe", fuhr er fort, "ist zwar +verschlossen, wenn Ihr an Ort und Stelle kommt, und wir haben den +Schlüssel verloren. Aber nehmt in meinem Rockelorsack mein grosses +Messer mit und schiebt es zwischen dem Türlein und dem Pfosten +hinein, so springt inwendig die Falle auf. Geht nur dem Gehör nach! +Ihr hört ja die Themse rauschen, und zieht etwas an, die Nacht ist +kalt." Der Fremde erwischte in der Geschwindigkeit und in der +Finsternis das Kamisol des Kondukteurs statt des seinen, zog es an +und kam glücklich an den Platz. Denn er schlug es nicht hoch an, +dass er unterwegs einmal den Rang zu kurz genommen hatte, so dass er +mit der Nase an ein Eck anstiess und wegen dem hitzigen Bier, so er +getrunken hatte, entsetzlich blutete. Allein ob dem starken +Blutverlust und der Verkältung bekam er eine Schwäche und schlief +ein. Der nachtfertige Kondukteur wartete und wartete, wusste nicht, +wo sein Schlafkamerad so lange bleibt, bis er auf der Gasse einen +Lärm vernahm; da fiel ihm im halben Schlaf der Gedanke ein: "Was +gilt's, der arme Teufel ist an die Haustüre kommen, ist auf die +Gasse hinausgegangen und gepresst worden." Denn wenn die Engländer +viel Volk auf ihre Schiffe brauchen, so gehen unversehens bestellte +starke Männer nachts in den gemeinen Wirtsstuben, in verdächtigen +Häusern und auf der Gasse herum, und wer ihnen alsdann in die Hände +kommt und tauglich ist, den fragen sie nicht lange: "Landsmann, wer +bist du?" oder "Landsmann, wer seid Ihr?" sondern machen kurzen +Prozess, schleppen ihn--gern oder ungern--fort auf die Schiffe, +und Gott befohlen! Solch eine nächtliche Menschenjagd nennt man +Pressen; und deswegen sagte der Kondukteur: "Was gilt's, der arme +Teufel ist gepresst worden?"--In dieser Angst sprang er eilig auf, +warf seinen Rockelor um sich und eilte auf die Gasse, um womöglich +den armen Schelm zu retten. Als er aber eine Gasse und zwei Gassen +weit dem Lärmen nachgegangen war, fiel er selber den Pressern in die +Hände, wurde auf ein Schiff geschleppt--ungern--und den andern +Morgen weiters. Weg war er. Nachher kam der junge Mensch im Hause +wieder zu sich, eilte, wie er war, in sein Bette zurück, ohne den +Schlafkameraden zu mangeln, und schlief bis in den Tag. Unterdessen +wurde der Kondukteur um acht Uhr auf der Post erwartet, und als er +immer und immer nicht kommen wollte, wurde ein Postbedienter +abgeschickt, ihn zu suchen. Der fand keinen Kondukteur, aber einen +Mann mit blutigem Gewand im Bett liegen, auf dem Gang ein grosses +offenes Messer, Blut bis auf den Abtritt und unten rauschte die +Themse. Da fiel ein böser Verdacht auf den blutigen Fremdling, er +habe den Kondukteur ermordet und in das Wasser geworfen. Er wurde in +ein Verhör geführt, und als man ihn visitierte und in den Taschen +des Kamisols, das er noch immer anhatte, einen ledernen Geldbeutel +fand mit dem wohlbekannten silbernen Petschaftring des Kondukteurs +am Riemen befestigt, da war es um den armen Jüngling geschehn. Er +berief sich auf seinen Schwager,--man kannte ihn nicht; auf seine +Schwester,--man wusste von ihr nichts. Er erzählte den ganzen +Hergang der Sache, wie er selber sie wusste. Aber die Blutrichter +sagten: "Das sind blaue Nebel, und Ihr werdet gehenkt." Und wie +gesagt, so geschehn, noch am nämlichen Nachmittag nach engländischem +Recht und Brauch. Mit dem engländischen Brauch aber ist es so: weil +in London der Spitzbuben viele sind, so macht man mit denen, die +gehenkt werden, kurzen Prozess, und bekümmern sich nicht viele Leute +darum, weil man's oft sehen kann. Die Missetäter, soviel man auf +einmal hat, werden auf einen breiten Wagen gesetzt und bis unter den +Galgen geführt. Dort hängt man den Strick in den bösen Nagel ein, +fahrt alsdann mit dem Wagen unter ihnen weg, lässt die schönen +Gesellen zappeln und schaut nicht um. Allein in England ist das +Hängen nicht so schimpflich wie bei uns, sondern nur tödlich. +Deswegen kommen nachher die nächsten Verwandten des Missetäters und +ziehn so lange unten an den Beinen, bis der Herr Vetter oben +erstickt. Aber unserm Fremdling tat niemand diesen traurigen Dienst +der Liebe und Freundschaft an, bis abends ein junges Ehepaar Arm in +Arm auf einem Spaziergang von ungefähr über den Richtplatz wandelte +und im Vorbeigehen nach dem Galgen schaute. Da fiel die Frau mit +einem lauten Schrei des Entsetzens in die Arme ihres Mannes: +"Barmherziger Himmel, da hängt unser Bruder!" Aber noch grösser +wurde der Schrecken, als der Gehenkte bei der bekannten Stimme +seiner Schwester die Augenlider aufschlug und die Augen fürchterlich +drehte. Denn er lebte noch. (Und das Ehepaar, das vorüberging, war +die Schwester und der Schwager.) Der Schwager aber, der ein +entschlossener Mann war, verlor die Besinnung nicht, sondern dachte +in der Stille auf Rettung. Der Platz war entlegen, die Leute hatten +sich verlaufen, und um Geld und gute Worte gewann er ein paar +beherzte und vertraute Bursche, die nahmen den Gehenkten, mir +nichts, dir nichts, ab, als wenn sie das Recht dazu hätten, und +brachten ihn glücklich und unbeschrien in des Schwagers Haus. Dort +ward er in wenig Stunden wieder zu sich gebracht, bekam ein kleines +Fieber und wurde unter der lieben Pflege seiner getrösteten +Schwester bald wieder völlig gesund. Eines Abends aber sagte der +Schwager zu ihm: "Schwager! Ihr könnt nun in dem Land nicht bleiben. +Wenn Ihr entdeckt werdet, so könnt Ihr noch einmal gehenkt werden, +und ich dazu. Und wenn auch nicht, so habt Ihr ein Halsband an Eurem +Hals getragen, das für Euch und Eure Verwandten ein schlechter Staat +war. Ihr müsst nach Amerika. Dort will ich für Euch sorgen." Das sah +der gute Jüngling ein, ging bei der ersten Gelegenheit in ein +vertrautes Schiff und kam nach 80 Tagen glücklich in dem Seehafen +von Philadelphia an. Als er aber hier an einem landfremden Orte mit +schwerem Herzen wieder an das Ufer stieg, und als er eben bei sich +selber dachte: "Wenn mir doch Gott auch nur einen einzigen Menschen +entgegenführte, der mich kennt", siehe, da kam in armseliger +Schiffskleidung der Kondukteur. Aber so gross sonst die Freude des +unverhofften Wiedersehens an einem solchen fremden Orte ist, so war +doch hier der erste Willkomm schlecht genug. Denn auf vorstehender +Abbildung kann man sehen: Ziffer 1 den Kondukteur, wie er mit +geballter Faust auf den Ankömmling losgeht; er sagt zu ihm: "Wo +führt Euch der Böse her, Ihr verdammter Nachtläufer? Wisst Ihr, dass +ich wegen Euch bin gepresst worden?" Und Ziffer 2 sieht man den +jungen Engländer, der die Hand auch nicht im Sack hat, der +antwortet: "Goddam, Ihr vermaledeiter Überall und Nirgends, wisst +Ihr, dass man wegen Euch mich gehenkt hat?" + +Ziffer 3 aber sieht man das Wirtshaus zu den drei Kronen in +Philadelphia. Dort kamen sie des andern Tages wieder zusammen, +erzählten sich ihre Schicksale und wurden wieder die besten Freunde; +und der junge Engländer, der in einem Handlungshaus gute Geschäfte +machte, ruhte nicht eher, als bis er seinen guten Freund loskaufen +und nach London zurückschicken konnte. Er selbst wurde in Amerika +ein reicher Kaufmann und wohnt jetzt in der Stadt Washington, in der +verlängerten neuen Herrengasse, Nr. 46. + + + +Merkwürdiges Rechnungsexempel 5 + + +Zwei Schäfer auf dem Felde wollten miteinander ihr Abendessen +verzehren; der eine hatte fünf kleine Ziegenkäse, der andere drei. +Kommt zu ihnen ein dritter Mann von der Strasse herüber. "Lasst mich +mithalten für Geld und gute Worte!" Also assen sie selbdritt fünf +und drei, sind acht Käslein, jeder gleichviel. Hierauf dankt ihnen +der dritte Mann und schenkt ihnen acht Dublonen. + +Der eine wollte nach der Anzahl seiner Käse fünf davon behalten und +dem andern geben drei. Der andere sagte: "So? der Herr hat uns das +Geld miteinander geschenkt, also gehören jedem vier. Was deine fünf +Stücke mehr wert sind, will ich dir herausbezahlen." Da sie nicht +einig werden konnten, brachten sie den Handel vor den Richter. Der +geneigte Leser sinnt nach: welchem von beiden hat der Richter recht +gegeben? Antwort: Keinem von beiden, sondern er sagt: "Demnach, und +wie ihr mir beide die Sache vorgetragen habt, gehören dem ersten +sieben Dublonen und dem andern eine, und das von Rechts wegen. +Punktum." + +Man meint nicht, dass der Urteilsspruch richtig sei, aber es kann +sich nicht fehlen. Denn wenn man jedes Käslein in drei gleiche Teile +zerschneidet, so viel als Personen waren, so gaben dem ersten seine +5 Käslein 15 Stücke, dem andern seine 3 gaben 9 Stücke, zusammen 24; +davon bekam also ein jeder 8. Folglich bekam der dritte Mann von den +15 Stücken des ersten 7. Denn 8 von 15 bleibt 7. Von den 9 Stücken +des andern aber bekam er nur noch eins. 7 und 1 tut 8. Also gehörte +auch dem ersten sieben Dublonen von Rechts wegen u +nd dem andern nur +eine. +Der geneigte Leser wird ersucht, hieraus abzunehmen: erstlich, wie +man manchmal meinen kann, ein Richterspruch sei unrecht, weil man +selber nicht weiss, was recht ist; zweitens, wie misslich es sei, +einen Prozess anzufangen, so man auch glaubt, das augenscheinlichste +Recht in den Händen zu haben. + + + +Merkwürdiges Rechnungsexempel 6 + + +Der Hausfreund will den Herrn Provisern der rheinländischen +Hausfreundschaft noch ein Rechnungsexempel aufzulösen geben. Item-- +(ein gutes rheinländisches Rechnungsexempel muss immer mit Item +anfangen und mit Fazit schliessen.) Item der Nachtwächter in +Segringen ging aus und rief die Stunde. Als er an den Adler kam, +trat der Adlerwirt aus dem Bett an das Fenster. "Nachtwächter, Ihr +schreit und verführt einen Lärmen, dass das halbe Dorf aus dem +Schlaf auffährt, und doch versteht man Euch nicht. Auf der Stelle +ruft mir die Stunde noch einmal und deutlich!" Der Nachtwächter +dachte: Soll ich jedem Narren die Stunde besonders rufen? Ich setze +voraus, dass die Leute schlafen. Wer heisst Euch wachen? "Wisst Ihr +was? Ich will Euch zwei Stunden auf einmal rufen", sagte er zum +Adlerwirt, "damit wir nicht so viel Mühe miteinander haben: + +Hört, Adlerwirt, und lasset Euch sagen; +Die Glocke hat--sie hat geschlagen. +Wenn Ihr die Zahl zur Hälfte brecht, +Den Drittel und den Viertel recht +Dazu addiert, habt Ihr Gewinn. +Es steckt das Ganz' und so viel drin, +Als laut mein unverdrossener Mund +Verkünden wird zur nächsten Stund'." + +Nämlich das, was die Glocke geschlagen hatte, und was demnach der +Wächter ausrief, ist eine Zahl, die folgende Eigenschaften hat: Wenn +man die Hälfte der Zahl und den dritten Teil und den vierten Teil +der Zahl zusammen addiert, so kommt mehr heraus, als die Zahl selber +ausweist. Wenn man aber die Zahl selbst, die man zwar noch nicht +weiss, von der addierten Summe abzieht, so bleibt gerade so viel +übrig, als der Wächter in der Ordnung rufen muss, wenn er zur +nächsten Stunde wieder kommt. Diese Zahl wäre nach der Regula Falsi +zu rechnen. + +Derjenige geneigte rheinländische Leser, der innerhalb acht Tagen +nach Empfang des Kalenders das Fazit zuerst liefern wird, dessen +Bildnis soll zur Ehrenauszeichnung bei der nächsten Krönungsfeier +oder Feuersbrunst unter den Zuschauern im Kalender abgebildet +werden. + + + +Missverstand + + +Im neunziger Krieg, als der Rhein auf jener Seite von französischen +Schildwachen, auf dieser Seite von schwäbischen Kreissoldaten +besetzt war, rief ein Franzose zum Zeitvertreib zu der deutschen +Schildwache herüber: "Filu! Filu! Das heisst auf gut deutsch: +Spitzbube. Allein der ehrliche Schwabe dachte an nichts so Arges, +sondern meinte, der Franzose frage: Wieviel Uhr? und gab gutmütig +zur Antwort: "Halber viuri." + + + +Missverstand + + +Von drei Schlafkameraden war der eine eben am süssen Einschlummern, +als der zweite zum dritten sprach: "Joachim, was soll das heissen, +dass du seit am Montag nichts mehr mit mir redest, so wir doch unser +Leben lang gute Freunde gewesen sind? Hast du etwas gegen mich, so +sag's."--Der dritte erwiderte dem zweiten: "Wer mit mir nicht +redet, mit dem rede ich auch nicht, mein guter Bartenstein. Wie man +in den Wald schreit, so schreit's wider." Darauf sagte der zweite: +"So, du nennst mich mit meinem Zunamen? Ich kann dich auch mit +deinem Zunamen nennen, mein guter Marbacher. Wie man in den Wald +schreit, so schreit's auch wider." Der dritte sagte wieder zum +zweiten: "So war's nicht gemeint, Bastian. Übrigens halte ich den +Geschlechtsnamen meines seligen Vaters für keinen Schimpf. Ich +hoffe, er hat dich als ein ehrlicher Mann zur Taufe gehoben." Darauf +entgegnete der zweite: "Ich den meinigen auch nicht. Ich hoffe, +deine Mutter hat einen ehrlichen Mann zum Beistand. Aber man erkennt +etwas daran." Der dritte sagt: "Dein Vater ist ein braver Mann, der +meiner Mutter mit gutem Rat redlich an die Hand geht." Der zweite +sagt: "Dein Vater war auch ein braver Mann und hat mir viel Gutes +erwiesen. Aber sie redeten miteinander." Der dritte fuhr gegen den +zweiten fort: "Eben darum. An einem andern hätt' es mich nicht +verdrossen, dass du mir den Montag keine Antwort gabst, als ich dich +zum zweiten Mal fragte, warum dich dein Meister fortgejagt hat." +Als endlich der erste des Zwistes müde war, weil er gern hätte +schlafen mögen und nicht dazu kommen konnte, fuhr er unwillig auf +und sagte: "Hat jetzt euer Disputat bald ein Ende, oder soll ich +aufstehen und den Wirt holen, dass er Frieden schaffe, oder soll +ich's selber tun?" Dem erwiderte der dritte, weil er am Wort war: +"Seid doch nicht wunderlich, Herr Landsmann, Ihr hört ja, wir +explizieren uns nur, warum keiner von uns mit dem andern redet." + + + +Mittel gegen Zank und Schläge + + +Zwei Eheleute nicht weit von Segringen lebten miteinander in Friede +und Liebe, abgerechnet, dass sie bisweilen einen kleinen Wortwechsel +bekamen, wenn der Mann einen Stich hatte. Alsdann gab ein Wort das +andere. Das letzte aber gab gewöhnlich blaue Flecke. Zum Beispiel: +"Frau", sagte der Mann, "die Suppe ist wieder nicht genug gesalzen, +und ich hab' dir's doch schon so oft gesagt." Die Frau sagt: "Mir +ist sie so eben recht." Der Mann bekommt etwas Röte im Gesicht. "Du +unverständiges Maul, ist das eine Antwort einer Frau gegen ihren +Mann? Soll ich mich nach dir richten?" Die Frau erwidert: "Draussen +in der Küche ist das Salzfass. Ein ander Mal koch' dir selber, oder +sieh, wer dir kocht." Der Mann wird flammenrot und wirft der Frau +die Suppe samt dem Teller vor die Füsse. "Da, friss die Tränke +selber!" Jetzt geht's der Frau auf, wie wenn man ein Stellbrett +aufzieht, und das Wasser fliesst in die Läufe, und alle Mühlenräder +gehn an, und sie überschüttet ihn mit Schmähungen und Schimpfnamen, +die kein Mann gern hört, am wenigsten von einer Frau, am +allerwenigsten von seiner eigenen. Der Mann aber sagt: "Ich seh' +schon, ich muss dir den Rücken wieder ein wenig blau anstreichen mit +dem hegebuchenen Pinsel."--Solcher Liebkosungen endlich müde, ging +die Frau zu dem Pfarrherrn und klagte ihm ihre Not. Der Herr +Pfarrer, der ein feiner und kluger junger Mann war, merkte bald, +dass die Frau durch Widersprechen und Schimpfen gegen ihren Mann +selber schuld an seinen Misshandlungen sei. "Hat Euch mein seliger +Vorfahr nie von dem geweihten Wasser gegeben?" sagte er. "Kommt in +einer Stunde wieder zu mir!" Unterdessen goss er reines, frisches +Brunnenwasser in ein Fläschlein, das ungefähr einen Schoppen hielt, +versüsste es mit Zucker und liess ein Tröpflein Rosenöl darein +träufeln, dass es einen lieblichen Geruch gewann. "Dieses +Fläschlein", sagte er zu ihr, "müsst Ihr in Zukunft immer bei Euch +tragen, und so Euer Mann wieder aus dem Wirtshaus kommt und will +Euch Vorwürfe machen, so nehmt ein Schlücklein davon und behaltet's +im Munde, bis er wieder zufrieden ist. Alsdann wird seine +Wunderlichkeit nie mehr in Zorn ausbrechen, und er wird Euch keine +Schläge mehr geben können." Die Frau befolgte den Rat; das geweihte +Wasser bewährte seine Kraft, und die Nachbarsleute sagten oft +zusammen: "Unsere Nachbarn sind ganz anders geworden. Man hört +nichts mehr."--Merke! + + + +Mohammed + + +Dem Mohammed wollten es anfänglich nicht alle von seinen Landsleuten +glauben, dass er ein Prophet sei, weil er noch kein Wunder getan +hatte wie Elias. Dazu sagte Mohammed ganz gleichgültig, wie einer, +der eine Pfeife Tabak raucht und etwas dazu redet, "das Wunder", +sagte er, "macht den Propheten noch nicht aus. Wenn ihr's aber +verlangt, so werden ich und jener Berg dort geschwind beieinander +sein." Nämlich, er deutete auf einen Berg, der eine Stunde weit oder +etwas entfernt war, und rief ihm mit gebietender Stimme, dass der +Berg sich soll von seiner Stätte erheben und zu ihm kommen. Als aber +dieser keine Bewegung machen und keine Antwort geben wollte, wiewohl +keine Antwort ist auch eine, so ergriff Mohammed sanftmütig seinen +Stab und ging zum Berg, womit er ein merkwürdiges und +nachahmungswertes Beispiel gab, auch für solche Leute, die keine +Propheten zu sein verlangen, nämlich, dass man dasjenige, was man +selbst tun kann, nicht von einem wunderbaren Verhängnis oder von +Zeit und Glück oder von andern Menschen verlangen soll. Z.B. hast +du etwas Notwendiges und Wichtiges mit jemand zu reden, so warte +nicht, bis er zu dir kommt. Weit geschwinder und vernünftiger gehst +du zu ihm. Ein hübscher Kirschenbaum in dem Garten wäre eine schöne +Sache. Das Plätzchen schickte sich dazu. Warte nicht, bis er selber +wächst, sondern setze einen. Ferner, ein Abzugsgraben, ein guter Weg +durch das Dorf, wenigstens ein trockener Fussweg, ein Geländer am +Wasser oder an einem schmalen Steg, damit die Kinder nicht +hineinfallen, kommt viel geschwinder zustande, wenn man ihn macht, +als wenn man ihn nicht macht. Man sollte nicht glauben, dass es +Leute gibt, denen erst ein arabischer Prophet oder ein +Kalenderschreiber so etwas muss begreiflich machen. + +Selbst der Kalenderschreiber, der doch einem Propheten nicht viel +nachgibt,--es liesse sich noch ein Wort mehr sagen,--verlangt +nicht, dass das alte Jahr fortdauern soll, bis der neue Kalender +fertig ist, sondern er schreibt den neuen, wenn das alte noch +währet. + +Summa Summarum: + +Schick dich in die Welt hinein, +Denn dein Kopf ist viel zu klein, +Dass die Welt sich schick' in ihn hinein. + + + +Moses Mendelssohn + + +Moses Mendelssohn war jüdischer Religion und Handlungsbedienter bei +einem Kaufmann, der das Pulver nicht soll erfunden haben. Dabei war +er aber ein sehr frommer und weiser Mann und wurde daher von den +angesehensten und gelehrtesten Männern hochgeachtet und geliebt. Und +das ist recht. Denn man muss um des Bartes willen den Kopf nicht +verachten, an dem er wächst. Dieser Moses Mendelssohn gab unter +anderm von der Zufriedenheit mit seinem Schicksal folgenden Beweis. +Denn als eines Tages ein Freund zu ihm kam und er eben an einer +schweren Rechnung schwitzte, sagte dieser: "Es ist doch schade, +guter Moses, und ist unverantwortlich, dass ein so verständiger +Kopf, wie Ihr seid, einem Manne ums Brot dienen muss, der Euch das +Wasser nicht bieten kann. Seid Ihr nicht am kleinen Finger +gescheiter, als er am ganzen Körper, so gross er ist?" Einem andern +hätt' das im Kopf gewurmt, hätte Feder und Tintenfass mit ein paar +Flüchen hinter den Ofen geworfen und seinem Herrn aufgekündigt auf +der Stelle. Aber der verständige Mendelssohn liess das Tintenfass +stehen, steckte die Feder hinter das Ohr, sah seinen Freund ruhig an +und sprach zu ihm also: "Das ist recht gut, wie es ist, und von der +Vorsehung weise ausgedacht. Denn so kann mein Herr von meinen +Diensten viel Nutzen ziehen und ich habe zu leben. Wäre ich der Herr +und er mein Schreiber, ihn könnte ich nicht brauchen." + + + +Pieve + + +Jedermann kennt die Bilder- und Landkartenhändler, die im Land herum +ihre Waren, Bildnisse von Heiligen, Bildnisse von Kaisern und +Königen und Kriegsschauplätzen feil tragen. Aber für manchen kommen +sie wie die Storken ins Land, das heisst, er weiss nicht, woher sie +kommen. Von Pieve kommen sie, im Kanton Tessino, im Welschtirol, und +dieses Pieve dient zum Beweistum, was aus einem armen Dorfe werden +kann, wenn auf unverdrossene und sparsame Väter ebenso brave Söhne +und Enkel folgen. Und deswegen ist an einem solchen Bildermann mehr +zu sehen als an seinen Bildern allen. Pieve hat eine unfruchtbare +Gemarkung. Der Boden nährt seine Einwohner nicht. Lange behalfen +sich daher die armen Leute mühsam und kümmerlich mit einem Handel +von Feuersteinen, der eben nicht viel eintrug. Als aber der Besitzer +der berühmten Buch- und Kupferstichhandlung Remondini in Bassano +sah, wie unverdrossen und fleissig diese Leute waren, so vertraute +er ihnen anfangs schlechte, alsdann immer bessere Kupferstiche und +Helgen an, um damit einen bessere Handel zu treiben. Damit +durchzogen sie nun Tirol, die Schweiz und das angrenzende +Deutschland, und es ging schon besser. Sie hatten an den gemalten +Kaisern und Königen, Propheten und Aposteln selber mehr Freude als +an den plumpen Feuersteinen. Sie trugen auch leichter daran und +hatten mehr Gewinn. Bald brachten sie es so weit, dass sie den +Kupferstichhandel aus dem Fundament verstanden und mit eigenem Gelde +treiben konnten. Und was fast unglaublich ist, sie bildeten in +kurzer Zeit stehende Handelsgesellschaften in Augsburg, Strassburg, +Amsterdam, in Hamburg, Lübeck, Kopenhagen, Stockholm, Warschau und +Berlin. In allen diesen und noch mehrern Städten sind sie jahraus +jahrein mit grossen Vorräten von sehr kostbaren Kupferstichen und +Landkarten zu finden. Ja, eine Gesellschaft kam sogar bis nach +Tobolsk in Asien, und eine andere, welche aber missglückte, bis nach +Philadelphia in Amerika, lauter Leute aus dem armen Dörflein Pieve. +Neben diesen stehenden Bilderhandlungen aber durchwandern noch viele +andere von ihnen alle Länder von Europa, besonders Deutschland, +Polen, Preussen, Holland, Dänemark, Schweden, Russland, England und +Frankreich. Alle Mannsleute in Pieve kennen diesen Handel und +beschäftigen sich damit. Vor der französischen Revolution, als ihre +Geschäfte am glücklichsten vonstatten gingen, war zur Zeit des +Sommers ausser Kindern und alten Greisen keine männliche Person +daheim, aber alle kamen mit wohlerworbenem Gewinn zurück. Die Weiber +trieben unterdessen den Feldbau. Seit der Revolution und des Kriegs +an allen Enden und Orten hat dieser lebhafte Handel sehr gelitten. +Dennoch hat noch jede Familie von Pieve unaufhörlich einen Mann auf +der Reise. Schon in der frühen Jugend begleitet der Sohn den Vater +auf seinen Zügen, und wird dieser alt, so überlässt er dem Sohn das +Geschäft und bringt seine Jahre daheim in Ruhe und Wohlstand und mit +Ehren zu. + +Das sind nun die Bilderhändler von Pieve. Der Rheinische Hausfreund +kennt fast alle, die am Rhein auf und ab auf den Strassen sind und +zieht vor jedem den Hut ab. + + + +Reise nach Frankfurt + + +Zu ehemaligen Reichszeiten bestand auch ein grosses +Reichskammergericht zu Wetzlar, welches noch manchem geneigtem Leser +in teuerem und wertem Andenken sein kann, wenigstens in teuerem. + +Viel weltberühmte Rechtsgelehrte, Advokaten und Schreiber sassen +dort von Rechts wegen beisammen. Wer daheim einen grossen Prozess +verloren hatte, an dem nichts mehr zu sieden und zu braten war, +konnte ihn in Wetzlar noch einmal anbrühen lassen und noch einmal +verlieren. Mancher hessische, württembergische und badische Batzen +ist dorthin gewandelt und hat den Heimweg nimmer gefunden. + +Als aber im Jahr 1806 der grosse Schlag auf das deutsche Reich +geschah, stürzte auch das Reichskammergericht zusammen, und alle +Prozesse, die darin lagen, wurden totgeschlagen, maustot, und keiner +gab mehr ein Zeichen von sich, ausgenommen im Jahr 1817 in Gera in +Sachsenland hat einer wieder gezuckt. + +Ein Leinwandweber daselbst liest in der Dresdner Zeitung, dass der +Bundestag in Frankfurt sich mit dem Unterhalt der Angehörigen des +Reichskammergerichts lebhaft beschäftige. Nämlich, dass der +Bundestag für den Unterhalt und die Schadloshaltung der Räte, +Advokaten und Schreiber sorgen wollte, welche seit 1806 keinen Sold +mehr zogen und nichts mehr zu verdienen hatten, ob sie gleich +täglich, wie die andern, Mittag läuten hörten und schöne Schilde +sahen an den Wirtshäusern. + +Auf dem Speicher des Leinewebers aber fing es auf einmal an in den +Akten zu rauschen, fast wie in den Totenbeinen, von welchen der +Prophet Ezechiel schreibt. Der Leineweber glaubte nämlich nichts +anders, als das Reichskammergericht habe nur einen neuen Rock +angezogen und heisse nun Bundestag, und der Bundestag habe nichts +Wichtigeres zu tun, als die alten Prozesse, wenigstens seinen, +wieder anzuzetteln. + +Also liess er sich einen guten Pass nach Frankfurt schreiben, und +mit Akten schwer beladen trat er die lange Reise an. Als er aber in +Frankfurt angekommen war, war sein erstes, er fragte die Schildwache +am Tor, wo der Bundestag sich angesetzt habe in Frankfurt. Die +Schildwache erwiderte, sie stehe da so nebendraus und erfahre nicht +viel, was im Innern der Stadt geschehe. Ihres Wissens aber, seit sie +dastehe, seie kein Bundestag einpassiert. Da fing der Leineweber im +Fortgehen an sich zu betrüben und zu ergrimmen: "O Deutsche, sagte +er in seinem Innern, .wie tief seid ihr gesunken! Ein Deutscher zu +sein, noch dazu eine Frankfurter Schildwache, und nichts vom +Bundestag wissen!" "Guter Freund", sagte er zu einem Vorbeigehenden, +"könnt Ihr mir auch nicht sagen, wo der Bundestag sein Wesen hat?" +Der Vorübergehende konnte es auch nicht sagen. "O Patriotismus", +fuhr er mit sich selber fort, "wohin bist du verschwunden?" Fast +müsse man sich schämen, ein Deutscher zu heissen, wenn man nicht +unter seinesgleichen wäre. + +"Guter Freund", redete er einen Dritten an, "wisst auch Ihr nicht, +wo hier der Bundestag einquartiert ist?"--"Lieber guter Mann", +entgegnete der Dritte, "hier ist kein Bundestag einquartiert. Hier +ist Frankfurt an der Oder. Der Bundestag ist in Frankfurt am Main." +- Der wohlerfahrene Leser weiss nämlich zum voraus schon, dass es +zwei Frankfurt gibt, die nicht weniger als 66 Meilen voneinander +entfernt sind, und der Leineweber war im unrechten. "Ihr habt +übrigens nur noch 66 Meilen nach Frankfurt", fuhr der Dritte fort, +"und wenn Ihr da her seid, wo Ihr sagt, so seid Ihr über hier nur 63 +Meilen weit umgegangen." "Das ist jetzt ein Tun", sagte der +Leineweber. "Hab' ich A gesagt, so will ich auch B sagen. + +Zwanzigtausend Taler sind Geld, ohnehin bin ich es meinem seligen +Grossvater schuldig. Hat er den Prozess angefangen und ist ein armer +Mann daran geworden, so ist es meine Schuldigkeit, dass ich ihn +fortsetze und wieder reich werde." "Ha ha", sagte der Dritte, "was +gilt's, das sind Akten, die Ihr da aufgepackt habt und fast drunter +zusammenbrecht?"--"Es sind auch noch ein wenig Lebensmittel dabei", +versetzte der Weber in kleinmütiger Stimme, "aber nimmer viel." Der +geneigte Leser fängt an, einigen Spass an der Sache zu finden. Von +hier an aber bis nach Frankfurt am Main geht die Reise etwas langsam +von statten. Derselbe darf herzhaft einstweilen noch ein gutes +Pfeiflein stopfen, wiewohl er kann zum voraus sehen, wie alles gehen +und enden wird. Denn die Chronik will wissen, dass, als einst die +Phönizier erforschen wollten, ob der grosse Weltteil Afrika zu +Wasser könne umfahren werden, rechneten sie die erforderliche Zeit +der Reise auf ungefähr zwei Jahre; gleichwohl, als sie hinter +Ägypten in dem Roten Meere sich einschifften, der bibelfeste Leser +kennt's von Moses' Zeiten her, nahmen sie nicht sonderlich viel +Lebensvorrat mit, aber etwas Ackergeräte. Sahen sie nun, dass die +Lebensmittel bald zu Ende gehen wollten, stiegen sie an das Land, +säten von Getreide und Gemüsegattungen, was die Jahreszeit mit sich +brachte, wiewohl in Afrika ist fast immer Sommer und ein schneller, +kräftiger Trieb in allem Wachstum. Alsdann warteten sie die Reifung +ab und brachten jedes Mal nach wenigen Wochen einen neuen Vorrat in +das Schiff und zogen wieder weiter, kamen auch richtig nach zwei +Jahren wieder zum Vorschein durch die Meerenge von Gibraltar hinein, +die der zeitungskundige Leser ebenfalls noch kennt von General +Elliots Zeiten her, dessen Andenken noch bis auf diese Stunde auf +Tabakspapieren gefeiert wird. Also auch der Weber auf seiner langen +Reise wusste sich zu helfen, wenn Geld und Vorrat zu Ende war; +"Kunst bettelt nicht", sagte er zu sich selbst im stolzen Gefühl, +"Kunst geht nach Brot." Demnach, wenn er mittags oder abends in +einem Städtlein oder Flecken eintraf, erkundigte er sich nach einem +Zunftgenossen, und "habt Ihr nichts für mich zu weben", redet er den +Meister an, "um Atzung und um einiges Zehrgeld?" Stellte ihn nun der +Meister ein, so blieb er einige Tage bei ihm, bis er sich +ausgefüttert und wieder einige Batzen verdient hatte, und webte sich +solchergestalt glücklich an dem Main hinauf und nach Frankfurt. In +Frankfurt pochte ihm das Herz hoch vor Freuden, dass er nun an dem +Ziele seiner Reise sei und so nahe an seiner Geldquelle, die er +jetzt nur anbohren dürfe, und als er in die Bundeskanzlei kam, +gleich in der vordersten Stube, wo die Herrn sitzen, die am +schönsten schreiben können, grüsste er sie freundlich und vertraut. +"Findet man euch endlich einmal", sagte er, "und seid ihr jetzt +hier?" Einer von den Herrn, der Vornehmste von ihnen, nimmt die +Feder aus dem Mund und legt sie auf den Tisch. "Wir sind noch +niemand aus dem Weg gegangen", sagte er, "und was habt Ihr hier zu +schaffen? Was bringt Ihr Neues, Viereckigtes in Eurem Hängkorb? Eine +Bundeslade? Es fehlt uns noch eine." "Spass", erwiderte der Weber, +"meinen Prozess von Anno eintausendsiebenhundertsiebenundsechzig."-- +Es ist nunmehr nichts weiter an der Sache zu erzählen. Natürlich +nahm sich niemand seines Prozesses an, weil der Bundestag sich mit +Prozessen nicht gemein macht, und die lange, beschwerliche Reise war +umsonst getan. Die Erzählung nimmt daher ein kahles Ende, der +Hausfreund fühlt es. Fast soll er noch was anschiften. Statt dessen +aber will er hieneben eine Abbildung des Leinewebers stiften, wie er +auf der Heimreise einmal ausruht und eine Standrede hält. + +"Es ist mir in diesen sechs Wochen vieles klar geworden", sagte er. +"Man muss einem deutschen Manne nicht sogleich Vorwürfe machen, wenn +er in Vaterlandssachen ein wenig unwissend und kaltsinnig ist. Denn +man ist selber einer. Was siehest du aber den Splitter in deines +Bruders Auge? Lerne zuerst selber und werde warm. Den guten Leuten +in Frankfurt an der Oder ist von mir Tort geschehen. In Frankfurt am +Main aber mir. + +Wenn ihr in der Zeitung etwas leset oder im Plakat oder im +Kräuterbuch, und versteht es nicht, lasst euch raten, achtbare +Zuhörer, und geht um verständige Belehrung aus, ehe ihr etwas +unternehmet, besonders wenn es ein Prozess ist. + +Der beste Prozess ist ein schlechter, und auf dem Lager bessert er +sich nicht. Der Habich ist besser als der Hättich. Friede ernährt, +Unfriede zerstört. + +Und nun, geliebte Akten, die ich jetzt hier ablege, gehabt euch wohl +und seid dem Mann empfohlen, der euch finden und vielleicht +glücklicher mit euch sein wird als ich." + +Indem er aber die Akten absetzen wollte, klopft ihm von hinten her +ein Mann auf die Achsel, der auch desselben Wegs ging. (Man sieht +ihn aber kaum auf der Abbildung, nichtsdestoweniger ist's der +Gewürzkrämer aus dem nächsten Städtlein--) "Guter Freund", sagte er, +"mit wem redet Ihr da so allein?" "Mit niemand", erwiderte der +Weber, "wenn Ihr mir aber meinen Prozess abkaufen wollt, mit Euch. +Lupft ihn einmal! Was gebt Ihr mir dafür?" Der Mann sagte: + +"Anderthalb Kreuzer für das Pfund, wenn das Papier daran gut ist. +Kommt mit mir." Also verkaufte er dem Gewürzhändler die Akten für +einen Gulden vierundzwanzig Kreuzer, die vollends zum Rest der Reise +hinreichten, und kam mit leerem Korb und Beutel wieder in der Heimat +an. "An meine Frankfurter Reise", sagte er, "will ich denken. +Diesmal in Frankfurt gewesen." + + + +Rettung einer Offiziersfrau + + +Es muss manchmal recht wild und blutig in der Welt hergehen, dass +die edle Denkungsart eines Menschen bekannt werde, den man nicht +drum ansieht. + +In Tirol, wo es während des letzten Krieges recht wild und blutig +herging, da hatten sie eben einen bayerischen Stabsoffizier +ermordet, und mit noch blutigen Säbeln und Mistgabeln drangen sie in +das Gemach, wo seine Gattin mit ihrem Kind in dem Schoss weinte und +ihr Leid Gott klagte, und wollten sie auch ermorden. "Ja", fuhr sie +einer von ihnen wütend an und war der allerärgste, "für Eurer Leben +gibt es kein Lösegeld, und Euer Bürschlein da hat auch bayerisch +Blut in den Adern. In einer Stunde müsst Ihr sterben, zuerst Euer +kleiner Sadrach, hernach Ihr.--Lasst ihr eine Stunde Zeit", sagte +er zu den andern, "dass sie noch beten kann; sie ist eine +katholische Christin." + +Nach einer Viertelstunde aber, als sie allein war und betete, kam er +wieder und sagte: "Gnädige Frau, Ihr kennt mich noch, so bitte ich +Euch, Ihr wollt ob mir nicht erschrecken und nicht in Bösem +aufnehmen, was ich in guter Meinung gesagt habe. Gebt mir Euer Kind +unter den Mantel, so will ich es retten und zu meiner Mutter +bringen, und zieht unterdessen dieses Plunder an", das er unter dem +Mantel hervorzog, "so will ich's probieren, ob ich Euch mit Gottes +und unserer Frauen Hilfe auch kann retten." Als er das Kind in +Sicherheit gebracht hatte und wieder kam, stand sie schon da +angekleidet wie ein Tiroler. Da drückte er ihr den schlappen Hut +recht ins Gesicht, richtete ihr den Hosenträger besser zurecht und +gab ihr seine Mistgabel in die Hand, als wenn sie auch ein Rebeller +wäre und zu den Leibgardisten und Hellebardieren des Sandwirt Hofers +gehörte. "Kommt denn jetzt", sagte er, "in Gottes Namen, und tretet +herzhaft auf, wenn Ihr hinaus kommt, und macht Euch ein wenig +breit." Als sie aber miteinander die Treppe hinabgingen, kamen die +andern wieder, und: "Hast du ihr den Treff schon gegeben, Seppel?" +fragte ihn einer. Da sagte er: "Nein, sie hat die Türe zugeschlossen +und gebetet. Jetzt kann sie fertig sein. Ich hab' sie durchs +Schlüsselloch gesehen, und sie stand eben auf, als ich durchsah." +Also ging er mit ihr die Treppe hinab, und die andern stürmten an +ihr vorbei, die Treppe hinauf, und während sie vor der +verschlossenen Türe lärmten und pochten und in das leere Gemach +hinein riefen: "Seid Ihr bald fertig? Die Türe soll bald eingetreten +sein", brachte er sie auch zu seiner Mutter und gab ihr ihr Kindlein +wieder, und das Kindlein lächelte, aber sie weinte und drückte es +brünstig an ihr Gesicht und an ihren Busen. Also hatte sie der edle +Tiroler glücklich und mit Gottes Hilfe aus den Händen ihrer Mörder +errettet und hat sie hernach die Nacht hindurch auf heimlichen Wegen +fortgeführt und bis an ein bayerisch Pikett gebracht, als eben die +Sonne aufging. Auf nebenstehender Figur kann man sehen, wie die +Sonne eben aufgeht, indem er sie ihren Landsleuten übergibt und +nichts annehmen will für seine Wohltat und für seine Mühe, als ein +Trünklein Bier. Nro. 1 ist der Seppel und Nro. 2 die Offiziersfrau. + + + +Rettung vom Hochgericht + + +Eines Tages sagte zu sich selbst ein einfältiger Mensch: "Dumm bin +ich; wenn ich mich nun auf pfiffige Streiche lege, so wird kein +Mensch vermuten, dass ich's bin." Also legte er sich aufs Stehlen. +Aber schon nach dem ersten Diebstahl wurde er als Täter entdeckt und +überwiesen, weil er die goldene Uhr, die er gestohlen hatte, selber +trug und alle Augenblicke herauszog. Einige Ratsherrn meinten, man +könnte wegen seiner Einfalt etwas glimpflicher mit ihm verfahren als +mit andern und ihn auf ein Jahr oder etwas ins Zuchthaus schicken. +"So?" sagten die andern, "ist's nicht genug, dass so viele +verschmitzte Halunken das saubere Handwerk treiben? Soll man für die +dummen auch noch Prämien aussetzen, damit alles stiehlt?" und sechs +gegen fünf sagten: Er muss an den Galgen. Auf der Leiter, als ihm +der Henker den Hals visitierte, sagte er zu ihm: "Guter Freund, Ihr +habt's ziemlich dick da herum sitzen, noch dicker als hinter den +Ohren. Fast hätt' ich einen längern Strick nehmen sollen." Denn +wirklich war dem armen Schelm das Kinn ziemlich stark mit dem Hals +verwachsen, und als der Henker den Strick ohnehin ungeschickt +angebracht hatte und den armen Sünder von der Leiter hinabstiess, +glitschte dieser mit dem Kopf aus der Schlinge heraus und fiel +unversehrt herab auf die Erde. Einige Zuschauer lachten, aber der +grösste Teil erschrak und tat einen lauten Schrei, als ob sie +fürchteten, es möchte dem Malefikanten, den sie doch wollten sterben +sehn, etwas am Leben schaden. Aber der Henker stand einige +Augenblicke wie versteinert oben auf dem Seigel und sagte endlich: +"So etwas ist mir in meinem Leben noch nie passiert." Da sagte der +Malefikant unten auf der Erde kaltblütig und mit gequetschter +Stimme: "Mir auch nicht", und alle, die es hörten, vergassen die +Ernsthaftigkeit einer Hinrichtung, und dass auf dem Weg über das +Hochgericht ein armes, verschuldetes Gewissen an seinen ewigen +Richter abgeliefert wird, und mussten lachen. Der Blutrichter selber +hielt das Schnupftuch vor den Mund und sah auf die Seite. Die +glimpflichern Ratsherren aber ermahnten die strengern: "Lasst jetzt +den armen Ketzer laufen. Am Galgen ist er gewesen, und mehr habt ihr +nicht verlangt, und Todesangst hat er ausgestanden." Also liessen +sie den armen Ketzer laufen. + + + +Schlechter Gewinn + + +Ein junger Kerl tat vor einem Juden gewaltig gross, was er für einen +sichern Hieb in der Hand führe, und wie er eine Stecknadel der Länge +nach spalten könne mit einem Zug. "Ja, gewiss, Mauschel Abraham", +sagte er, "es soll einen Siebzehner gelten, ich haue dir in freier +Luft das Schwarze vom Nagel weg auf ein Haar und ohne Blut." Die +Wette galt, denn der Jude hielt so etwas nicht für möglich, und das +Geld wurde ausgesetzt auf den Tisch. Der junge Kerl zog sein Messer +und hieb und verlor's, denn er hieb dem armen Juden in der +Ungeschicklichkeit das Schwarze vom Nagel und das Weisse vom Nagel +und das vordere Gelenk mit einem Zuge rein von dem Finger weg. Da +tat der Jude einen lauten Schrei, nahm das Geld und sagte: "Au weih, +ich hab's gewonnen!" + +An diesen Juden soll jeder denken, wenn er versucht wird, mehr auf +einen Gewinn zu wagen, als derselbe wert ist. + +Wie mancher Prozesskrämer hat auch schon so sagen können! Ein +General meldete einmal seinem Monarch den Sieg mit folgenden Worten: +"Wenn ich noch einmal so siege, so komme ich allein heim." Das +heisst mit andern Worten auch: "O weih, ich hab's gewonnen!" + + + +Schlechter Lohn + + +Als im letzten Krieg der Franzos nach Berlin kam, in die +Residenzstadt des Königs von Preussen, da wurde unter anderm viel +königliches Eigentum weggenommen und fortgeführt oder verkauft. Denn +der Krieg bringt nichts, er holt. Was noch so gut verborgen war, +wurde entdeckt und manches davon zur Beute gemacht, doch nicht +alles. Ein grosser Vorrat von königlichem Bauholz blieb lange +unverraten und unversehrt. Doch kam zuletzt noch ein Spitzbube von +des Königs eigenen Untertanen, dachte: Da ist ein gutes Trinkgeld zu +verdienen und zeigte dem französischen Kommandanten mit +schmunzelnder Miene und spitzbübischen Augen an, was für ein schönes +Quantum von eichenen und tannenen Baustämmen noch da und da +beisammen liege, woraus manch Tausend Gulden zu lösen wäre. Aber der +brave Kommandant gab schlechten Dank für die Verräterei und sagte: +"Lasst Ihr die schönen Baustämme nur liegen, wo sie sind. Man muss +dem Feind nicht sein Notwendigstes nehmen. Denn wenn Euer König +wieder ins Land kommt, so braucht er Holz zu neuen Galgen für so +ehrliche Untertanen, wie Ihr einer seid." + +Das muss der Rheinländische Hausfreund loben und wollte gern aus +seinem eigenen Wald ein paar Stammeln auch hergeben, wenn's fehlen +sollte. + + + +Schreckliche Unglücksfälle in der Schweiz + + +[Hat jede Gegend ihr Liebes, so hat sie auch ihr Leides, und wer +manchmal erfährt, was an andern Orten geschieht, findet wohl +Ursache, zufrieden zu sein mit seiner Heimat. Hat z. B. die Schweiz +viel herdenreiche Alpen, Käse und Butter und Freiheit, so hat sie +auch Lawinen.] Der zwölfte Dezember des vergangenen Winters brachte +für die hohen Bergtäler der Schweiz eine fürchterliche Nacht und +lehrt uns, wie ein Mensch wohl täglich Ursache hat, an das +Sprüchlein zu denken "Mitten wir im Leben sind mit dem Tod +umfangen." Auf allen hohen Bergen lag ein tiefer, frisch gefallener +Schnee. Der zwölfte Dezember brachte Tauwind und Sturm. Da dachte +jedermann an grosses Unglück und betete. Wer sich und seine Wohnung +für sicher hielt, schwebte in Betrübnis und Angst für die Armen, die +es treffen wird, und wer sich nicht für sicher hielt, sagte zu +seinen Kindern: "Morgen geht uns die Sonne nimmer auf", und +bereitete sich zu einem seligen Ende. Da rissen sich auf einmal und +an allen Orten von den Firsten der höchsten Berge die Lawinen oder +Schneefälle los, stürzten mit entsetzlichem Tosen und Krachen über +die langen Halden herab, wurden immer grösser und grösser, schossen +immer schneller, toseten und krachten immer fürchterlicher und +jagten die Luft vor sich her so durcheinander, dass im Sturm, noch +ehe die Lawine ankam, ganze Wälder zusammenkrachten und Ställe, +Scheuern und Waldungen wie Spreu davonflogen, und wo die Lawinen +sich in den Tälern niederstürzten, da wurden stundenlange Strecken +mit allen Wohngebäuden, die darauf standen, und mit allem +Lebendigen, was darin atmete, erdrückt und zerschmettert, wer nicht +wie durch ein göttliches Wunder gerettet wurde. + +Einer von zwei Brüdern in Uri, die miteinander hauseten, war auf dem +Dach, das hinten an den Berg anstosst, und dachte: Ich will den +Zwischenraum zwischen dem Berg und dem Dächlein mit Schnee ausfüllen +und alles eben machen, auf dass, wenn die Lawine kommt, so fahrt sie +über das Häuslein weg, dass wir vielleicht--und als er sagen +wollte: dass wir vielleicht mit dem Leben davonkommen--da führte +ihn der plötzliche Windbraus der vor der Lawine hergeht, vom Dach +hinweg und hob ihn schwebend in der Luft, wie einen Vogel über einem +entsetzlichen Abgrund. Und als er eben in Gefahr war, in die +unermessliche Tiefe hinabzustürzen, und wäre seines Gebeins nimmer +gefunden worden, da streifte die Lawine an ihm vorbei und warf ihn +seitwärts an eine Halde. Er sagt, es habe ihm nicht wohlgetan, aber +in der Betäubung umklammerte er noch einen Baum, an dem er sich +festhielt, bis alles vorüber war, und kam glücklich davon und ging +wieder heim zu seinem Bruder, der auch noch lebte, obgleich der +Stall neben dem Häuslein wie mit einem Besen weggewischt war. Da +konnte man wohl auch sagen: "Der Herr hat seinen Engeln befohlen +über dir, dass sie dich auf den Händen tragen. Denn er macht +Sturmwinde zu seinen Booten und die Lawinen, dass sie seine Befehle +ausrichten." + +Anders erging es im Sturnen, ebenfalls im Kanton Uri. Nach dem +Abendsegen sagte der Vater zu der Frau und den drei Kindern: "Wir +wollen doch auch noch ein Gebet verrichten für die armen Leute, die +in dieser Nacht in Gefahr sind." Und während sie beteten, donnerte +schon aus allen Tälern der ferne Widerhall der Lawinen, und während +sie noch beteten, stürzte plötzlich der Stall und das Haus zusammen. +Der Vater wurde vom Sturmwind hinweggeführt, hinaus in die +fürchterliche Nacht, und unten am Berg abgesetzt und von dem +nachwehenden Schnee begraben. Noch lebte er; als er aber den andern +Morgen mit unmenschlicher Anstrengung sich hervorgegraben und die +Stätte seiner Wohnung wieder erreicht hatte und sehen wollte, was +aus den Seinigen geworden sei, barmherziger Himmel! da war nur +Schnee und Schnee und kein Zeichen einer Wohnung, keine Spur des +Lebens mehr wahrzunehmen. Doch vernahm er nach langem, ängstlichem +Rufen, wie aus einem tiefen Grab, die Stimme seines Weibes unter dem +Schnee herauf. Und als er sie glücklich und unbeschädiget +hervorgegraben hatte, da hörten sie plötzlich noch eine bekannte und +liebe Stimme: "Mutter, ich wäre auch noch am Leben," rief ein Kind, +"aber ich kann nicht heraus." Nun arbeitete Vater und Mutter noch +einmal und brachten auch das Kind hervor, und ein Arm war ihm +gebrochen. Da ward ihr Herz mit Freude und Schmerzen erfüllt, und +von ihren Augen flossen Tränen des Dankes und der Wehmut. Denn die +zwei andern Kind wurden auch noch herausgegraben, aber tot. +In Pilzeig, ebenfalls im Kanton Uri, wurde eine Mutter mit zwei +Kindern fortgerissen und unten in der Tiefe vom Schnee verschüttet. + +Ein Mann, ihr Nachbar, den die Lawine ebenfalls dahin geworfen +hatte, hörte ihr Wimmern und grub sie hervor. Vergeblich war das +Lächeln der Hoffnung in ihrem Antlitz. Als die Mutter halb nackt +umherschaute, kannte sie die Gegend nicht mehr, in der sie war. Ihr +Retter selbst war ohnmächtig niedergesunken. Neue Hügel und Berge +von Schnee und ein entsetzlicher Wirbel von Schneeflocken füllten +die Luft. Da sagte die Mutter: "Kinder, hier ist keine Rettung +möglich; wir wollen beten und uns dem Willen Gottes überlassen." Und +als sie beteten, sank die siebenjährige Tochter sterbend in die Arme +der Mutter, und als die Mutter mit gebrochenem Herzen ihr zusprach +und ihr Kind der Barmherzigkeit Gottes empfahl, da verliessen sie +ihre Kräfte auch. Sie war eine 14tägige Kindbetterin, und sie sank +mit dem teuern Leichnam ihres Kindes in dem Schoss ebenfalls leblos +darnieder. Die andere, elfjährige Tochter hielt weinend und +händeringend bei der Mutter und Schwester aus, bis sie tot waren, +drückte ihnen alsdann, eh' sie auf eigene Rettung bedacht war, mit +stummem Schmerz die Augen zu und arbeitete sich mit unsäglicher Mühe +und Gefahr erst zu einem Baum, dann zu einem Felsen herauf und kam +gegen Mitternacht endlich an ein Haus, wo sie zum Fenster hinein +aufgenommen und mit den Bewohnern des Hauses erhalten wurde. +Kurz, in allen Bergkantonen der Schweiz, in Bern, Glarus, Uri, +Schwyz, Graubünden, sind in einer Nacht und fast in der nämlichen +Stunde durch die Lawinen ganze Familien erdrückt, ganze Viehherden +mit ihren Stallungen zerschmettert, Matten und Gartenland bis auf +den nackten Felsen hinab aufgeschürft und weggeführt und ganze +Wälder zerstört worden, also dass sie ins Tal gestürzt sind; oder +die Bäume liegen übereinander zerschmettert und zerknickt wie die +Halmen auf einem Acker nach dem Hagelschlag. Sind ja in dem einzigen +kleinen Kanton Uri fast mit einem Schlag 11 Personen unter dem +Schnee begraben worden und sind nimmer auferstanden, gegen 30 Häuser +und mehr als 150 Heuställe zerstört und 359 Häuptlein Vieh +umgekommen, und man weiss gar nicht, auf wie vielmal hunderttausend +Gulden soll man den Schaden berechnen ohne die verlornen Menschen. +Denn das Leben eines Vaters oder einer Mutter oder frommen Gemahls +oder Kindes ist nicht mit Gold zu schätzen. + + + +Seinesgleichen + + +Ein kunstreicher Instrumentenmacher, aber ein eingebildeter und +unfeiner Mann, hielt sich schon einige Zeit in einem namhaften +Städtlein auf und genoss dann und wann im Löwen abends eine Flasche +Wein und einen halben Vierling Käs. Eines Abends, als sich die +meisten Gäste schon früher denn gewöhnlich verlaufen hatten und der +Instrumentenmacher oben noch allein sass, rückt zu ihm der bekannte +Zirkelschmied mit seinem Schoppen Siebenzehner hinauf. "Euer +Wohlgeboren", sagte er, "redeten da vorhin an Ihre Nachbarn über die +Quadratur des Zirkels. Ich hatte keine Freude zur Sache. Leute +unsersgleichen", sagte er, "können von so etwas wohl unter sich +sprechen und einander Gedanken geben. Ich z. B. wäre Euerer Meinung +nicht gewesen." Der geneigte Leser kennt den Zirkelschmied, dass er +immer auf eine Schelmerei ausgeht. Unter andern macht er sich gern +an Fremde, die etwas gleich sehen, um hernach bei andern mit ihrer +Bekanntschaft grosszutun, wie am Ende dieser Erzählung auch +geschehen wird, und die Leute breitzuschlagen, wie man sagt. Der +Instrumentenmacher aber betrachtete ihn mit einem vornehmen, +verachtenden Blick und sagt: "Wenn Ihr bei Leuten Euresgleichen sein +wollt, so kommt nicht zu mir; oder wer seid Ihr?" Der Zirkelschmied, +des Schimpfes und der Schande gewöhnt, erwidert: "Sollte Euer +Wohlgeboren aus meiner Rede nicht erkennen, dass zwei Künstler +miteinander sprechen?" Des erboste sich der andere. noch mehr. "Ihr +ein Künstler?" fragte er ihn, "ein Kammacher oder ein Besenbinder? +Wollt Ihr ein Almosen von mir?" Der Zirkelschmied erwidert: "Herr +Christlieb, das beugt mich, weniger wegen meiner, als wegen der +Kunst. Leute unsersgleichen pflegen sich sonst eben so sehr durch +feine Sitten auszuzeichnen als durch Kenntnisse und +Geschicklichkeit." Da stand der Instrumentenmacher auf: "Sprecht Ihr +mir schon wieder von Euresgleichen", sagt er. "Hör' ich's zum +dritten Mal von Euch, so werf' ich Euch den Stuhl an den Kopf", und +lupfte ihn bereits ein wenig in die Höhe. Der Wirt aber, der bisher +ruhig am Ofen stand, trat hervor und sagte: "Jetzt, Zirkelschmied, +reist!" + +Der Zirkelschmied aber erbost sich darüber auch und geht aus dem +Löwen ins Rösslein gerad gegenüber, und "stellt euch vor", sagte er +dort zu seinen anwesenden Bekannten, "was sich der hergelaufene +Instrumentenmacher, der Brotdieb, einbildet. Der hochmütige Gesell +nimmt's für einen Affrunt auf, dass ich zweimal zu ihm sagte: Leute +unsersgleichen, und ich sag's zum dritten Mal, wenn er's hören will, +der Flegel, der impertinente, der gemeine Kerl." + +Der geneigte Leser lacht ein wenig, dass der Zirkelschmied darauf +beharrt, ein Mann, den er für einen Flegel und gemeinen Kerl +ausgibt, sei seinesgleichen. + +Lerne erstens am Zirkelschmied: Man muss nie schimpfen, wenn man im +Zorn ist, sonst schimpft und verunehrt man sich selbst. + +Lerne zweitens an dem Instrumentenmacher: Man muss sich, wenn man +etwas ist, mit liederlichen Leuten nie in Grobheiten gemein machen, +sonst macht man sich wirklich zu ihresgleichen. Der Zirkelschmied +hatte insofern recht. + + + +Seltene Liebe + + +Mit dem Leichnam eines jungen Mannes im Schweizerland, der +erschlagen wurde in einem Gefecht nicht weit vom Vierwaldstätter +See, mit dem Leichnam ging es wunderbar zu. Dass er nach dem Gefecht +war begraben worden nächst der Wahlstatt, wussten mehr als zwanzig +Männer aus dem nämlichen Ort, die es taten und dabei waren und ein +Kreuz, wie man in der Geschwindigkeit eines machen kann, auf sein +Grab steckten, dass, wer vorüberginge, auch ein Vaterunser für seine +Seele beten sollte. Item, am Dienstag darauf, als der Sigrist frühe +morgens in die Kirche gehn und das Morgengebet anläuten wollte, lag +der nämliche Leichnam daheim auf dem Kirchhof, vor der Kirchtüre. +Man begrub ihn noch einmal mit allen Gebräuchen und Gebeten der +Kirche in die geweihte Erde. Item, als es noch einmal Dienstag +wurde, war der nämliche Leichnam wieder aus dem Grab und von dem +Kirchhof weg verschwunden. Sonst tut der Glaube Wunder. Diesmal aber +tat's des Glaubens fromme Schwester, die Liebe. Er war als +Freiwilliger mitgezogen, weil ihm die Gemeinde auf den Fall das +Bürgerrecht angeboten hatte. Denn er war nur Hintersass und seiner +Arbeit ein Maurer, was zwar nicht zur Sache, aber zur Wahrheit +gehört. Seine junge Frau aber ängstete sich daheim und weinte und +betete, und jeder Schuss, den sie hörte, ging ihr schauerhaft durchs +Herz, denn sie fürchtete, er gehe durch das seinige. Einer ging da +durch, und als die andern am dritten oder vierten Tag wohlbehalten +nach Hause kamen, brachten sie ihr das blutige Gewand ihres Mannes, +sein Gebetbüchlein und seinen Rosenkranz. "Dein Mann", sagten sie, +"hat jetzt ein anderes Bürgerrecht angetreten. Er liegt im obern +Ried. Ein Kreuz steht auf seinem Grab. Es hätte jeden treffen +können", sagten sie. Die arme Frau verging fast in Tränen und +Wehklagen. "Mein Mann erschossen", sagte sie, "mein einziges und +alles--und im Ried begraben, in ungeweihter Erde!" Da raffte sie +sich plötzlich auf, und in der Nacht, als alles schlief, ging sie +allein mit einer Schaufel und mit einem Sack in das Ried hinauf, +suchte das Grab und die geliebte Leiche und trug sie heim auf den +Kirchhof. Solche Herzhaftigkeit und Stärke hatte ihr der Schmerz und +die Liebe gegeben. Als sie aber hernachmals Tag und Nacht sich fast +nimmer von dem Grabe entfernen und nicht essen und trinken wollte, +sondern unaufhörlich das Grab mit ihren Tränen benetzte und mit dem +Verstorbenen redete, als ob er sie hören könnte, alle Vorstellungen +waren fruchtlos, da sagte endlich der Vorsteher des Ortes, es sei +kein anderes Mittel übrig, als man grabe den Toten heimlicherweise +noch einmal aus und bringe ihn auf einen andern Kirchhof, sonst +vergehe noch die arme Frau. Also brachte man sie mit viel Zureden +und Mühe in ihre leere Wohnung zurück und brachte in der Nacht den +Leichnam auf einen andern Kirchhof. Nur wenige Menschen wussten +davon, wohin er gebracht worden. Den frommen Leser rührt diese +Geschichte, und er sagt, solcher beispiellosen ehelichen Liebe und +Treue können nur noch Schweizerherzen fähig sein. Fehl gesprochen! +Beide, die unglückliche Frau und ihr verstorbener Gatte waren +Fremdlinge, und zwar aus Deutschland. Doch kein Schmerz dauert ohne +Ende, der heftigste am wenigsten. Die nämliche Frau gewann in der +Folge einen zweiten braven Gatten, ebenfalls einen Deutschen, und +die Gemeinde erteilte--diesem das Bürgerrecht, das sein Vorfahrer +mit seinem Leben erkauft hatte. + +Diese Geschichte hat dem Hausfreund und seinen Reisegefährten auf +dem See zwischen Winkel und Stansstad ein Augenzeuge erzählt, und +von ferne den Ort gezeigt, wo sie vorgefallen war. + + + +Seltsame Ehescheidung + + +Ein junger Schweizer aus Ballstall kam in spanische Dienste, hielt +sich gut und erwarb sich einiges Vermögen. Als es ihm aber zu wohl +war, dachte er: will ich oder will ich nicht?--Endlich wollte er, +nahm eine hübsche, wohlhabende Spanierin zur Frau und machte damit +seinen guten Tagen ein Ende.--Denn in den spanischen Haushaltungen +ist die Frau der Herr, ein guter Freund der Mann, und der Mann ist +die Magd. + +Als nun das arme Blut der Sklaverei und Drangsalierung bald müde +war, fing er an, als wenn er nichts damit meinte, und rühmte ihr das +fröhliche Leben in der Schweiz und die goldenen Berge darin, er +meinte die Schneeberge im Sonnenglast jenseits der Klus; und wie man +lustig nach Einsiedeln wallfahrten könne und schön beten in Sasseln +am Grabe des heiligen Bruders Niklas von der Flue, und was für ein +grosses Vermögen er daheim besitze, aber es werde ihm nicht +verabfolgt aus dem Land. Da wässerte endlich der Spanierin der Mund +nach dem schönen Land und Gut, und es war ihr recht, ihr Vermögen zu +Geld zu machen und mit ihm zu ziehen in seine goldene Heimat. Also +zogen sie miteinander über das grosse pyrenäische Gebirg bis an den +Grenzstein, der das Reich Hispania von Frankreich scheidet; sie mit +dem Geld auf einem Esel, er nebenher zu Fuss. Als sie aber vorüber +an dem Grenzstein waren, sagte er: "Frau, wenn's dir recht ist, bis +hieher haben wir's spanisch miteinander getrieben, von jetzt an +treiben wir's deutsch. Bist du von Madrid bis an den Markstein +geritten und ich bin dir zu Fuss nachgetrabt den langen Berg hinauf, +so reit' ich jetzt von hier weg bis gen Ballstall, Kanton Solothurn, +und das Fussgehen ist an dir." Als sie darüber sich ungebärdig +stellte und schimpfte und drohte und nicht von dem Tierlein herunter +wollte: "Frau, das verstehst du noch nicht", sagte er, "und ich +nehme dir's nicht übel", sondern hieb an dem Weg einen tüchtigen +Stecken ab und las ihr damit ein langes Kapitel aus dem Ballstaller +Ehe- und Männerrecht vor, und als sie alles wohlverstanden hatte, +fragte er sie: "Willst du jetzt mit, welsche Hexe, und guttun, oder +willst du wieder hin, wo du hergekommen bist?" Da sagte sie +schluchzend: "Wo ich hergekommen bin!" und das war ihm auch das +Liebste. Also teilte mit ihr der ehrliche Schweizer das Vermögen und +trennten sich voneinander an diesem Grenzstein weiblicher Rechte, +wie einmal ein bekanntes Büchlein in der Welt geheissen hat, und +jedes zog wieder in seine Heimat. "Deinen Landsmann," sagte er, "auf +dem du hergeritten bist, kannst du auch wieder mitnehmen." + +Merke: Im Reich Hispania machen's die Weiber zu arg, aber in +Ballstall doch auch manchmal die Männer. Ein Mann soll seine Frau +nie schlagen, sonst verunehrt er sich selber. Denn ihr seid ein +Leib. + + + +Seltsamer Spazierritt + + +Ein Mann reitet auf seinem Esel nach Haus und lässt seinen Buben zu +Fuss nebenher laufen. Kommt ein Wanderer und sagt: "Das ist nicht +recht, Vater, dass Ihr reitet und lasst Euern Sohn laufen; Ihr habt +stärkere Glieder." Da stieg der Vater vom Esel herab und liess den +Sohn reiten. Kommt wieder ein Wandersmann und sagt: "Das ist nicht +recht, Bursche, dass du reitest und lässest deinen Vater zu Fuss +gehen. Du hast jüngere Beine." Da sassen beide auf und ritten eine +Strecke. Kommt ein dritter Wandersmann und sagt: "Was ist das für +ein Unverstand: zwei Kerle auf einem schwachen Tier? Sollte man +nicht einen Stock nehmen und euch beide hinabjagen?" Da stiegen +beide ab und gingen selbdritt zu Fuss, rechts und links der Vater +und Sohn, und in der Mitte der Esel. Kommt ein vierter Wandersmann +und sagt: "Ihr seid drei kuriose Gesellen. Ist's nicht genug, wenn +zwei zu Fuss gehen? Geht's nicht leichter, wenn einer von euch +reitet?" Da band der Vater dem Esel die vordern Beine zusammen, und +der Sohn band ihm die hintern Beine zusammen, zogen einen starken +Baumpfahl durch, der an der Strasse stand, und trugen den Esel auf +der Achsel heim. + +So weit kann's kommen, wenn man es allen Leuten will recht machen. + + + +Suwarow + + +Der Mensch muss eine Herrschaft über sich selber ausüben können, +sonst ist er kein braver und achtungswürdiger Mensch, und was er +einmal für allemal als recht erkennt, das muss er auch tun, aber +nicht einmal für allemal, sondern immer. Der russische General +Suwarow, den die Türken und Polacken, die Italiener und die +Schweizer wohl kennen, der hielt ein scharfes und strenges Kommando. +Aber was das Vornehmste war, er stellte sich unter sein eigenes +Kommando, als wenn er ein anderer und nicht der Suwarow selber wäre, +und sehr oft mussten ihm seine Adjutanten dies und jenes in seinem +eigenen Namen befehlen, was er alsdann pünktlich befolgte. Einmal +war er wütend aufgebracht über einen Soldaten, der im Dienst etwas +versehen hatte, und fing schon an ihn zu prügeln. Da fasste ein +Adjutant das Herz, dachte, er wolle dem General und dem Soldaten +einen guten Dienst erweisen, eilte herbei und sagte: "Der General +Suwarow hat befohlen, man solle sich nie vom Zorn übernehmen +lassen." Sogleich liess Suwarow nach und sagte: "Wenn's der General +befohlen hat, so muss man gehorchen." + + + +Teure Eier + + +Als zu seiner Zeit ein fremder Fürst nach Frankreich reiste, wurde +ihm unterwegs öd im Magen, und liess sich in einem gemeinen +Wirtshaus, wo sonst dergleichen Gäste nicht einkehren, drei +gesottene Eier geben. Als er damit fertig war, fordert der Wirt +dafür 300 Livres. Der Fürst fragte, ob denn hier die Eier so rar +seien. Der Wirt lächelte und sagte: "Nein, die Eier nicht, aber die +grossen Herren, die so etwas dafür bezahlen können." Der Fürst +lächelte auch und gab das Geld, und das war gut. Als aber der +damalige König von Frankreich von der Sache hörte (es wurde ihm als +ein Spass erzählt), nahm er's sehr übel, dass ein Wirt in seinem +Reich sich unterstand, solche unverschämte Überforderungen zu +machen, und sagte dem Fürsten: "Wenn Sie auf ihrer Rückreise wieder +an dem Wirtshaus vorbeifahren, werden Sie sehen, dass Gerechtigkeit +in meinem Lande herrscht." Als der Fürst auf seiner Rückreise wieder +an dem Wirtshaus vorbeifuhr, sah er keinen Schild mehr dran, aber +die Türen und Fenster waren zugemauert, und das war auch gut. + + + +Teures Spässlein + + +Man muss mit Wirten keinen Spass und Mutwillen treiben, sonst kommt +man unversehens an den Unrechten. Einer in Basel will ein Glas Bier +trinken, das Bier war sauer, zog ihm den Mund zusammen, dass ihm die +Ohren bis auf die Backen hervorkamen. Um es auf eine witzige Art an +den Tag zu legen und den Wirt vor den Gästen lächerlich zu machen, +sagte er nicht: "das Bier ist sauer", sondern "Frau Wirtin", sagte +er, "könnt' ich nicht ein wenig Salat und Öl zu meinem Bier haben?" +Die Wirtin sagte: "In Basel kann man für Geld alles haben", strickte +aber noch ein wenig fort, als wenn sie's wenig achtete, denn sie war +eben am Zwickel. Nach einigen Minuten, als unterdessen die Gäste +miteinander diskurierten, und einer sagte: "Habt ihr gestern das +Kamel auch gesehen und den Affen?" ein anderer sagte: "Es ist kein +Kamel, es ist ein Trampeltier", sagte die Wirtin: "Mit Erlaubnis" +und deckte eine schneeweisse Serviette vom feinsten Gebilde auf den +Tisch. Jeder glaubte, der andere habe ein Bratwürstlein bestellt +oder etwas, und "es ist doch ein Kamel", sagte ein dritter, "denn es +ist weiss, die Trampeltiere sind braun." Unterdessen kam die Wirtin +wieder mit einem Teller voll zarter Kukümmerlein aus dem +markgräfischen Garten, aus dem Treibhaus, fein geschnitten wie +Postpapier, und mit dem kostbarsten genuesischen Baumöl angemacht, +und sagte zu dem Gast mit spöttischem Lächeln: "Ist's gefällig?" +Also lachten die andern nicht mehr den Wirt aus, sondern den Gast, +und wer wohl oder übel seinen Spass mit zehn Batzen fünf Rappen +Baseler Währung bezahlen musste, war er. + + + +Tod vor Schrecken + + +Als einmal der Hausfreund mit dem Doktor von Brassenheim an dem +Kirchhof vorbeiging, deutete der Doktor auf ein frisches Grab und +sagte: "Selbiger ist mir auch entwischt. Den haben seine Kameraden +geliefert." + +Im Wirtshaus, wo die Schreiber beisammen sassen bei einem lebhaften +Disputat, schlug einer von ihnen auf den Tisch. "Und es gibt doch +keine!" sagte er,--nämlich keine Gespenster und Erscheinungen.-- +"Und ein altes Weib", fuhr er fort, "ist der, der sich erschrecken +lässt." Da nahm ihn ein anderer beim Wort und sagte: "Buchhalter, +vermiss dich nicht; gilt's sechs Flaschen Burgunderwein, ich +vergelstere dich und sag dir's noch vorher." Der Buchhalter schlug +ein: "Es gilt." + +Jetzt ging der andere Schreiber zum Wundarzt: "Herr Land-Chirurgus, +wenn Ihr einmal einen Leichnam zum Verschneiden bekommt, von dem Ihr +mir einen Vorderarm aus dem Ellenbogengelenk lösen könntet, so sagt +mir's." Nach einiger Zeit kam der Chirurgus: "Wir haben einen toten +Selbstmörder bekommen, einen Siebmacher. Der Müller hat ihn +aufgefangen am Rechen", und brachte dem Schreiber den Vorderarm. +"Gibt's noch keine Erscheinungen, Buchhalter?"--"Nein, es gibt noch +keine." Jetzt schlich der Schreiber heimlich in des Buchhalters +Schlafkammer und legte sich unter das Bett, und als sich der +Buchhalter gelegt hatte und eingeschlafen war, fuhr er ihm mit +seiner eigenen warmen Hand über das Gesicht. Der Buchhalter fuhr auf +und sagte, dann er wirklich ein besonnener und beherzter Man war: +"Was sind das für Possen? Meinst du, ich merke nicht, dass du die +Wette gewinnen willst?" Der Schreiber war mausstille. Als der +Buchhalter wieder eingeschlafen war, fuhr er ihm noch einmal über +das Gesicht. Der Buchhalter sagte: "Jetzt lass es genug sein, oder +wenn ich dich erwische, so schaue zu, wie es dir geht." Zum dritten +Mal fuhr ihm der Schreiber langsam über das Gesicht; und als er +schnell nach ihm haschte, und als er sagen wollte: "Hab' ich dich?" +blieb ihm eine kalte, tote Hand und ein abgelöster Armstümmel in den +Händen, und der kalte, tötende Schrecken fuhr ihm tief in das Herz +und in das Leben hinein. Als er sich wieder erholt hatte, sagte er +mit schwacher Stimme: "Ihr habt, Gott sei es geklagt, die Wette +gewonnen." Der Schreiber lachte und sagte: "Am Sonntag trinken wir +den Burgunder." Aber der Buchhalter erwiderte: "Ich trink ihn nimmer +mit." Kurz, den andern Morgen hatte er ein Fieber, und den siebenten +Morgen war er eine Leiche. "Gestern früh", sagte der Doktor zum +Hausfreund, "hat man ihn auf den Kirchhof getragen; unter selbigem +Grab liegt er, das ich Euch gezeigt habe." + + + +Unglück der Stadt Leiden + + +Diese Stadt heisst schon seit undenklichen Zeiten Leiden und hat +noch nie gewusst, warum, bis am 12. Jänner des Jahres 1807. Sie +liegt am Rhein in dem Königreich Holland und hatte vor diesem Tag +elftausend Häuser, welche von 40 000 Menschen bewohnt waren, und war +nach Amsterdam wohl die grösste Stadt im ganzen Königreich. Man +stand an diesem Morgen noch auf wie alle Tage; der eine betete sein: +"Das walt' Gott", der andere liess es sein, und niemand dachte +daran, wie es am Abend aussehen wird, obgleich ein Schiff mit +siebenzig Fässern voll Pulver in der Stadt war. Man ass zu Mittag, +und liess sich's schmecken wie alle Tage, obgleich das Schiff noch +immer da war. Aber als nachmittags der Zeiger auf dem grossen Turm +auf halb fünf stand--fleissige Leute sassen daheim und arbeiteten, +fromme Mütter wiegten ihre Kleinen, Kaufleute gingen ihren +Geschäften nach, Kinder waren beisammen in der Abendschule, müssige +Leute hatten Langeweile und sassen im Wirtshaus beim Kartenspiel und +Weinkrug, ein Bekümmerter sorgte für den andern Morgen, was er +essen, was er trinken, womit er sich kleiden werde, und ein Dieb +steckte vielleicht gerade einen falschen Schlüssel in eine fremde +Türe--und plötzlich geschah ein Knall. Das Schiff mit seinen +siebenzig Fässern Pulver bekam Feuer, sprang in die Luft, und in +einem Augenblick (ihr könnt's nicht so geschwind lesen, als es +geschah), in einem Augenblick waren ganze lange Gassen voll Häuser +mit allem, was darin wohnte und lebte, zerschmettert und in einen +Steinhaufen zusammengestürzt oder entsetzlich beschädigt. Viele +hundert Menschen wurden lebendig und tot unter diesen Trümmern +begraben oder schwer verwundet. Drei Schulhäuser gingen mit allen +Kindern, die darin waren, zugrunde, Menschen und Tiere, welche in +der Nähe des Unglücks auf der Strasse waren, wurden von der Gewalt +des Pulvers in die Luft geschleudert und kamen in einem kläglichen +Zustand wieder auf die Erde. Zum Unglück brach auch noch eine +Feuersbrunst aus die bald an allen Orten wütete, und konnte fast +nimmer gelöscht werden, weil viele Vorratshäuser voll Öl und Tran +mit ergriffen wurden. Achthundert der schönsten Häuser stürzten ein +oder mussten niedergerissen werden. Da sah man denn auch, wie es am +Abend leicht anders werden kann, als es am frühen Morgen war, nicht +nur mit einem schwachen Menschen, sondern auch mit einer grossen und +volkreichen Stadt. Der König von Holland setzte sogleich ein +namhaftes Geschenk auf jeden Menschen, der noch lebendig gerettet +werden konnte. Auch die Toten, die aus dem Schutt hervorgegraben +wurden, wurden auf das Rathaus gebracht, damit sie von den Ihrigen +zu einem ehrlichen Begräbnis konnten abgeholt werden. Viele Hilfe +wurde geleistet. Obgleich Krieg zwischen England und Holland war, so +kamen doch von London ganze Schiffe voll Hilfsmittel und grosse +Geldsummen für die Unglücklichen, und das ist schön--denn der Krieg +soll nie ins Herz der Menschen kommen. Es ist schlimm genug, wenn er +aussen vor allen Toren und vor allen Seehäfen donnert. + + + +Unglück in Kopenhagen + + +Das sollte man nicht glauben, dass eine Granate, die in den +unglücklichen Septembertagen 1807 nach Kopenhagen geworfen wurde, +noch im Juli 1808 losgehen werde. Zwei Knaben fanden sie unter der +Erde. Einer von ihnen wollte sie mit einem Nagel von dem anhängenden +Grunde reinigen. Plötzlich geriet sie in Brand, zersprang, tötete +den einen auf der Stelle, nahm dem andern die Beine weg und +zerquetschte der Mutter, die mit einem Säugling an der Brust sorglos +zusah, den Arm. Dies lehrt vorsichtig sein mit alten Granaten und +Bombenkugeln. + + + +Untreue schlägt den eigenen Herrn + + +Als in dem Krieg zwischen Frankreich und Preussen ein Teil der +französischen Armee nach Schlesien einrückte, waren auch Truppen vom +Rheinischen Bundesheer dabei, und ein bayerischer oder +württembergischer Offizier wurde zu einem Edelmann einquartiert und +beikam eine Stube zur Wohnung, wo viele sehr schöne und kostbare +Gemälde hingen. Der Offizier schien recht grosse Freude daran zu +haben, und als er etliche Tage bei diesem Mann gewesen und +freundlich behandelt worden war, verlangte er einmal von seinem +Hauswirt, dass er ihm eins von diesen Gemälden zum Andenken schenken +möchte. Der Hauswirt sagte, dass er das mit Vergnügen tun wollte, +und stellte seinem Gaste frei, dasjenige selber zu wählen, welches +ihm die grösste Freude machen könnte. + +Nun, wenn man die Wahl hat, sich selber ein Geschenk von jemand +auszusuchen, so erfordern Verstand und Artigkeit, dass man nicht +gerade das vornehmste und Kostbarste wegnehme, und so ist es auch +nicht gemeint. Daran schien dieser Mann auch zu denken, denn er +wählte unter allen Gemälden fast das schlechteste. Aber das war +unserm schlesischen Edelmann nichts desto lieber, und er hätte ihm +gern das kostbarste dafür gelassen. "Mein Herr Obrist", so sprach er +mit sichtbarer Unruhe, "warum wollen Sie gerade das geringste +wählen, das mir noch dazu wegen einer andern Ursache wert ist? + +Nehmen Sie doch lieber dieses hier oder jenes dort." Der Offizier +gab aber darauf kein Gehör, schien auch nicht zu merken, dass sein +Hauswirt immer mehr und mehr in Angst geriet, sondern nahm geradezu +das gewählte Gemälde herunter. Jetzt erschien an der Mauer, wo +dasselbe gewesen war, ein grosser feuchter Fleck. "Was soll das +sein?" sprach der Offizier wie erzürnt zu seinem todblassen Wirt, +tat einen Stoss, und auf einmal fielen ein paar frisch gemauerte und +übertünchte Backsteine zusammen, hinter welchen alles Geld und Gold +und Silber des Edelmannes eingemauert war. Der gute Mann hielt nun +freilich sein Eigentum für verloren, wenigstens erwartete er, dass +der feindliche Kriegsmann eine namhafte Teilung ohne Inventarium und +ohne Kommissarius vornehmen werde, ergab sich geduldig darein und +verlangte nur von ihm zu erfahren, woher er habe wissen können, dass +hinter diesem Gemälde sein Geld in der Mauer verborgen war. Der +Offizier erwiderte: "Ich werde den Entdecker sogleich holen lassen, +dem ich ohnehin Belohnung schuldig bin"; und in kurzer Zeit brachte +sein Bedienter--sollte man's glauben--den Maurermeister selber, +den nämlichen, der die Vertiefung in der Mauer zugemauert und die +Bezahlung dafür erhalten hatte. + +Das ist nun einer von den grössten Spitzbubenstreichen, die der +Teufel auf ein Sündenregister setzen kann. Denn ein Handwerksmann +ist seinen Kunden die grösste Treue, und in Geheimnissen, wenn es +nichts Unrechtes ist, so viel Verschwiegenheit schuldig, als wenn er +einen Eid darauf hätte. + +Aber was tut man nicht um des Geldes willen! Oft gerade das +nämliche, was man um der Schläge oder um des Zuchthauses willen tut +oder für den Galgen, obgleich ein grosser Unterschied dazwischen +ist. So etwas erfuhr unser Meister Spitzbub. Denn der brave Offizier +liess ihn jetzt hinaus vor die Stube führen und ihm von frischer +Hand 100, sage hundert Prügel bar ausbezahlen, lauter gute Valuta, +und war kein einziger falsch darunter. Dem Edelmann aber gab er +unbetastet sein Eigentum zurück.--Das wollen wir beides gutheissen +und wünschen, dass jedem, der Einquartierung haben muss, ein so +rechtschaffener Gast und jedem Verräter eine solche Belohnung zuteil +werden möge. + + + +Unverhofftes Wiedersehen + + +In Falun in Schweden küßte vor guten fünfzig Jahren und mehr ein +junger Bergmann seine junge, hübsche Braut und sagte zu ihr: "Auf +Sankt Luciä wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet. Dann +sind wir Mann und Weib und bauen uns ein eigenes Nestlein." --"Und +Friede und Liebe soll darin wohnen", sagte die schöne Braut mit +holdem Lächeln, "denn du bist mein einziges und alles, und ohne dich +möchte ich lieber im Grab sein als an einem andern Ort." Als sie +aber vor Sankt Luciä der Pfarrer zum zweiten Male in der Kirche +ausgerufen hatte: "So nun jemand Hindernis wüßte anzuzeigen, warum +diese Personen nicht möchten ehelich zusammenkommen", da meldete +sich der Tod. Denn als der Jüngling den andern Morgen in seiner +schwarzen Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbeiging, der Bergmann +hat sein Totenkleid immer an, da klopfte er zwar noch einmal an +ihrem Fenster und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend +mehr. Er kam nimmer aus dem Bergwerk zurück, und sie saumte +vergeblich selbigen Morgen ein schwarzes Halstuch mit rotem Rand für +ihn zum Hochzeitstag, sondern als er nimmer kam, legte sie es weg +und weinte um ihn und vergaß ihn nie. Unterdessen wurde die Stadt +Lissabon in Portugal durch ein Erdbeben zerstört, und der +Siebenjährige Krieg ging vorüber, und Kaiser Franz der Erste starb, +und der Jesuitenorden wurde aufgehoben und Polen geteilt, und die +Kaiserin Maria Theresia starb, und der Struensee wurde hingerichtet, +Amerika wurde frei, und die vereinigte französische und spanische +Macht konnte Gibraltar nicht erobern. Die Türken schlossen den +General Stein in der Veteraner Höhle in Ungarn ein, und der Kaiser +Joseph starb auch. Der König Gustav von Schweden eroberte +Russisch-Finnland, und die Französische Revolution und der lange +Krieg fing an, und der Kaiser Leopold der Zweite ging auch ins Grab. +Napoleon eroberte Preußen, und die Engländer bombardierten +Kopenhagen, und die Ackerleute säeten und schnitten. Der Müller +mahlte, und die Schmiede hämmerten, und die Bergleute gruben nach +den Metalladern in ihrer unterirdischen Werkstatt. Als aber die +Bergleute in Falun im Jahr 1809 etwas vor oder nach Johannis +zwischen zwei Schachten eine Öffnung durchgraben wollten, gute +dreihundert Ellen tief unter dem Boden, gruben sie aus dem Schutt +und Vitriolwasser den Leichnam eines Jünglings heraus, der ganz mit +Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest und unverändert war, +also daß man seine Gesichtszüge und sein Alter noch völlig erkennen +konnte, als wenn er erst vor einer Stunde gestorben oder ein wenig +eingeschlafen wäre an der Arbeit. Als man ihn aber zu Tag +ausgefördert hatte, Vater und Mutter, Gefreundte und Bekannte waren +schon lange tot, kein Mensch wollte den schlafenden Jüngling kennen +oder etwas von seinem Unglück wissen, bis die ehemalige Verlobte des +Bergmanns kam, der eines Tages auf die Schicht gegangen war und +nimmer zurückkehrte. Grau und zusammengeschrumpft kam sie an einer +Krücke an den Platz und erkannte ihren Bräutigam; und mehr mit +freudigem Entzücken als mit Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche +nieder, und erst als sie sich von einer langen heftigen Bewegung des +Gemüts erholt hatte, "es ist mein Verlobter", sagte sie endlich, "um +den ich fünfzig Jahre lang getrauert hatte und den mich Gott noch +einmal sehen läßt vor meinem Ende. Acht Tage vor der Hochzeit ist er +auf die Grube gegangen und nimmer gekommen." Da wurden die Gemüter +aller Umstehenden von Wehmut und Tränen ergriffen, als sie sahen die +ehemalige Braut jetzt in der Gestalt des hingewelkten kraftlosen +Alters und den Bräutigam noch in seiner jugendlichen Schöne, und wie +in ihrer Brust nach fünfzig Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe +noch einmal erwachte; aber er öffnete den Mund nimmer zum Lächeln +oder die Augen zum Wiedererkennen; und wie sie ihn endlich von den +Bergleuten in ihr Stübchen tragen ließ, als die einzige, die ihm +angehöre und ein Recht an ihn habe, bis sein Grab gerüstet sei auf +dem Kirchhof. Den andern Tag, als das Grab gerüstet war auf dem +Kirchhof und ihn die Bergleute holten, schloß sie ein Kästlein auf, +legte ihm das schwarzseidene Halstuch mit roten Streifen um und +begleitete ihn in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeitstag +und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre. Denn als man ihn auf dem +Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: "Schlafe nun wohl, noch einen +Tag oder zehn im kühlen Hochzeitbett, und laß dir die Zeit nicht +lang werden. Ich habe nur noch wenig zu tun und komme bald, und bald +wirds wieder Tag. Was die Erde einmal wiedergegeben hat, wird sie +zum zweiten Male auch nicht behalten", sagte sie, als sie fortging +und noch einmal umschaute. + + + +Unverhofftes Wiedersehen + + +In Falun in Schweden küsste vor guten fünfzig Jahren und mehr ein +junger Bergmann seine junge hübsche Braut und sagte zu ihr: "Auf +Sankt Luciä wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet. Dann +sind wir Mann und Weib und bauen uns ein eigenes Nestlein.--"Und +Friede und Liebe soll darin wohnen", sagte die schöne Braut mit +holdem Lächeln, "denn du bist mein Einziges und Alles, und ohne dich +möchte ich lieber im Grab sein als an einem andern Ort. Als sie aber +vor St. Luciä der Pfarrer zum zweiten Male in der Kirche ausgerufen +hatte: "So nun jemand Hindernis wusste anzuzeigen, warum diese +Personen nicht möchten ehelich zusammenkommen", da meldete sich der +Tod. Denn als der Jüngling den andern Morgen in seiner schwarzen +Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbei ging, der Bergmann hat sein +Totenkleid immer an, da klopfte er zwar noch einmal an ihrem Fenster +und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend mehr. Er kam +nimmer aus dem Bergwerk zurück, und sie saumte vergeblich selbigen +Morgen ein schwarzes Halstuch mit rotem Rand für ihn zum +Hochzeittag, sondern als er nimmer kam, legte sie es weg und weinte +um ihn und vergass ihn nie. Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in +Portugal durch ein Erdbeben zerstört, und der Siebenjährige Krieg +ging vorüber, und Kaiser Franz der Erste starb, und der +Jesuitenorden wurde aufgehoben und Polen geteilt, und die Kaiserin +Maria Theresia starb, und der Struensee wurde hingerichtet, Amerika +wurde frei, und die vereinigte französische und spanische Macht +konnte Gibraltar nicht erobern. Die Türken schlossen den General +Stein in der Veteraner Höhle in Ungarn ein, und der Kaiser Joseph +starb auch. Der König Gustav von Schweden eroberte russisch +Finnland, und die französische Revolution und der lange Krieg fing +an, und der Kaiser Leopold der Zweite ging auch ins Grab. Napoleon +eroberte Preussen, und die Engländer bombardierten Kopenhagen, und +die Ackerleute säeten und schnitten. Der Müller mahlte, und die +Schmiede hämmerten, und die Bergleute gruben nach den Metalladern in +ihrer unterirdischen Werkstatt. Als aber die Bergleute in Falun im +Jahr 1809 etwas vor oder nach Johannis zwischen zwei Schachten eine +Öffnung durchgaben wollten, gute dreihundert Ellen tief unter dem +Boden, gruben sie aus dem Schutt und Vitriolwasser den Leichnam +eines Jünglings heraus, der ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, +sonst aber unverwest und unverändert war, also dass man seine +Gesichtszüge und sein Alter noch völlig erkennen konnte, als wenn er +erst vor einer Stunde gestorben oder ein wenig eingeschlafen wäre an +der Arbeit. Als man ihn aber zu Tag ausgefördert hatte, Vater und +Mutter, Gefreundte und Bekannte waren schon lange tot, kein Mensch +wollte den schlafenden Jüngling kennen oder etwas von seinem Unglück +wissen, bis die ehemalige Verlobte des Bergmanns kam, der eines +Tages auf die Schicht gegangen war und nimmer zurückkehrte. Grau und +zusammengeschrumpft kam sie an einer Krücke an den Platz und +erkannte ihren Bräutigam; und mehr mit freudigem Entzücken als mit +Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche nieder, und erst als sie +sich von einer langen heftigen Bewegung des Gemüts erholt hatte, "es +ist mein Verlobter", sagte sie endlich, "um den ich fünfzig Jahre +lang getrauert hatte und den mich Gott noch einmal sehen lässt vor +meinem Ende. Acht Tage vor der Hochzeit ist er auf die Grube +gegangen und nimmer gekommen." Da wurden die Gemüter aller +Umstehenden von Wehmut und Tränen ergriffen, als sie sahen die +ehemalige Braut jetzt in der Gestalt des hingewelkten kraftlosen +Alters und den Bräutigam noch in seiner jugendlichen Schöne, und wie +in ihrer Brust nach fünfzig Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe +noch einmal erwachte; aber er öffnete den Mund nimmer zum Lächeln +oder die Augen zum Wiedererkennen; und wie sie ihn endlich von den +Bergleuten in ihr Stüblein tragen liess, als die einzige, die ihm +angehöre und ein Recht an ihn habe, bis sein Grab gerüstet sei auf +dem Kirchhof. Den andern Tag, als das Grab gerüstet war auf dem +Kirchhof und ihn die Bergleute holten, (schloss sie ein Kästlein +auf), legte (sie) ihm das schwarzseidene Halstuch mit roten Streifen +um und begleitete ihn in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr +Hochzeittag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre. Denn als man +ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: "Schlafe nun wohl, +noch einen Tag oder zehn im kühlen Hochzeitbett, und lass dir die +Zeit nicht lang werden. Ich habe nur noch wenig zu tun und komme +bald, und bald wird's wieder Tag. Was die Erde einmal wiedergegeben +hat, wird sie zum zweiten Male auch nicht behalten", sagte sie, als +sie fortging und noch einmal umschaute. + + + +Vereitelte Rachsucht (Eine wahre Geschichte) + + +Der Amtmann in Nordheim liess im Krieg in den neunziger Jahren fünf +Gauner henken, und waren's in der ersten Viertelstunde so gut +gewohnt, dass keiner mehr herabverlangte, und je nachdem der Wind +ging, exerzierten sie miteinander zum Zeitvertreib, rechtsum, links +um, ohne Flügelmann. Aber einem seine Beiläuferin, die einen Buben +von ihm hatte, sagte: "Wart', Amtmann, ich will dir's eintränken." +Ein paar Tage darauf reitet die österreichische Patrouille gegen das +Städtlein am Galgen vorbei; da sagt einer zu dem andern: "Es läuft +dir eine Spinne am Hut, so gross wie ein Taubenei." So zieht der +andere vor den Gehenkten den Hut ab, und die Gehenkten, weil eben +der Wind aus Westen ging, drehten sich und machten Front. Indem +schleicht von weitem ein Büblein von der Strasse ab hinter eine +Hecke, wie einer, der keine guten Briefe hat. Aber das Büblein hatte +gar keine, weder gute noch schlechte. Denn als einer von den +Dragonern auch um die Hecke ritt, fiel der Junge vor ihm auf die +Knie und sagte mit Zittern und mit Beben: "Pardon! Ich hab' sie alle +ins Wasser geworfen." Der Dragoner sagte: "Was hast du ins Wasser +geworfen?"--"Die Briefe."--"Was für Briefe?"--"Die Briefe vom +Amtmann an die Franzosen. Wenn Österreicher ins Land kommen," sagte +der Bursche, "muss ich dem Amtmann Boten laufen ins französische +Lager. Diesmal hatte ich drei Briefe, einen an den Dürrmaier." Also +holten die Dragoner, mir nichts dir nichts, den Amtmann ab, wie er +ging und stand, und musste in den Pantoffeln zwischen den Pferden im +Kot mitlaufen und spritzte die Rosse nicht sehr, aber die Rosse ihn, +und der Bube musste auch mit. Der Amtmann war so unschuldig als der +römische Kaiser selbst, hätte sich für die österreichischen Waffen +lebendig schinden lassen, hatte sechs Kinder, eins schöner als das +andere, und eine schwangere Frau. Aber das war die Rache, die ihm +die Gaunerin zugedacht hatte, als sie sagte: "Wart', Amtmann, ich +will dir's gedenken." Im Lager, als er zu dem General geführt wurde, +und die Hohenzollerer-Kürassiere und Kaiser-Dragoner und +Erdödi-Husaren sahen ihn vorbeiführen, sagte einer von der +Patrouille seinem Kameraden vom Pferd herab: "Es ist ein Spion." Der +Kamerad sagte: "Strick ist sein Lohn", und der Offizier, an den sie +ihn ablieferten, war auch der Meinung und bestellte spottweise schon +bei ihm einen Gruss an des Teufels Grossmutter. Dem Hausfreund ist's +aber bei dieser Geschichte nicht halb so angst als dem geneigten +Leser, denn ohne seinen Willen kann der Amtmann nicht sterben; +sondern, als er vor das Verhör geführt wurde, schaute ihn der +Hauptmann Auditor mit Verwunderung und Bedauernis an und sagte: +"Seid Ihr nicht der nämliche, der mich vor einem Jahre drei Tage +lang im Keller hinter dem Sauerkrautstande vor den Franzosen +verborgen hat, und habt Schläge genug von ihnen bekommen, und als +sie Euch oben den Speck verzehrten, ass ich unten das Sauerkraut +dazu samt den Gumbistäpfeln." Der Amtmann sagte: "Gott erkennt's, +und ich bin so unschuldig als die Mutter Gottes in der Kirche, so +doch von Lindenholz ist und ihr Leben lang noch keinen Buchstaben +geschrieben hat." Indem kamen auch mehrere gute Freunde und +angesehene Bürger von Nordheim ins Hauptquartier und bezeugten seine +Rechtschaffenheit und Treue, und was er schon für Drangsalierung von +den Franzosen habe ausstehen müssen, und wie auf seine Anordnung der +letzte Sieg der Österreicher mit Katzenköpfen gefeiert wurde, dass +der Kirchturm wackelte, und er selber habe keinen Rausch gehabt, +aber einen Stich. Der Hauptmann Auditor, der noch immer daran +dachte, wie er drei Tage lang in des Amtmanns Keller in der +verborgenen Garnison lag hinter dem Schanzkorb, hinter dem +Sauerkrautstande, war geneigter Ja zu glauben als Nein. Also liess +er den Amtmann hinausführen und den Buben herein und tat ein paar +verfängliche Fragen an ihn, sagte ihm aber nicht, dass sie +verfänglich sind. Deswegen war der Bursche, so sehr er die +Spitzbubenmilch an der Mutter Brüsten eingesogen hatte, mit seinem +Ja und Nein so unvorsichtig, dass er in wenig Minuten nimmer links, +nimmer rechts auszuweichen wusste und alles gestand. Also bekam er +links und rechts fünfzehn Hiebe vom Profoss und begleitete +freiwillig die Mutter ins Zuchthaus nach Heiligenberg. Der Amtmann +aber ass mit dem Hauptmann Auditor bei dem General-Feldmarschall zu +Nacht und den andern Tag bei seiner Frau und Kindern zu Mittag, und +der Hausfreund tut auch einen Freudentrunk, dass er wieder ein +Exempel der Gerechtigkeit statuiert hat. Das Doneschinger Bier dazu +hat er geschenkt bekommen vom Herrn Kusel. + + + +Verloren oder gefunden + + +An einem schönen Sommerabend fuhr der Herr Vogt von Trudenbach in +seinem Kaleschlein noch spät vom Brassenheimer Fruchtmarkt zurück, +und das Rösslein hatte zwei zu ziehen, nämlich den Herrn Vogt und +seinen Rausch. Unterwegs am Strasswirtshaus schauten noch ein paar +lustige Köpfe zum Fenster heraus, ob der Herr Vogt nicht noch ein +wenig einkehren und eines Bescheid tun wolle; die Nacht sei +mondhell. Der Herr Vogt scheute sich weniger vor dem Bescheid als +vor dem Ab- und Aufsteigen in das Kaleschlein, massen es ihm schon +am Morgen schwer wird, aber am Abend fast unmöglich. Der Herr +Theodor meinte zwar: "Wir wollen das Kaleschlein auf die Seite +umlegen und ihn abladen", aber kürzer war es doch, man ging mit der +Flasche zu ihm hinaus. Aus einer Flasche wurden vier, und die +Redensarten mankierten ihm immer mehr, bis ihm der Schlaf die Zunge +und die letzte Besinnung band. Als er aber eingeschlafen war, +führten die lustigen Köpfe das Rösslein in den Stall und liessen ihn +auf der Strasse sitzen. Früh aber, als ihn vor dem Fenster des Wirts +die Wachtel weckte, kam er sich kurios vor und wusste lange nicht, +wo er sei und wo er sich befinde. Denn nachdem er sich eine Zeitlang +umgesehen und die Augen ausgerieben hatte, sagte er endlich: "Jetzt +kommt alles darauf an, ob ich der Vogt von Trudenbach bin oder +nicht. Denn bin ich's, so hab' ich ein Rösslein verloren, bin ich's +aber nicht, so hab' ich ein Kaleschlein gefunden." + + + +Wasserläufer + + +Bekanntlich will es Leute geben, die im Wasser nicht untergehen. +Einer erzählte in einem Wirtshaus, er sei in Italien von der Insel +Capri aus eine halbe Stunde weit aufrecht durch das Mittelländische +Meer gegangen, und das Wasser sei ihm nicht höher gegangen als an +die Brust. Mit der linken Hand habe er Tabak geraucht, nämlich die +Pfeife gehalten, und mit der rechten ein wenig gerudert. + +Ein anderer sagte: "Das ist eine Kleinigkeit. Im Krieg in den +neunziger Jahren ist ein ganzes Bataillon Rotmäntler oberhalb +Mannheim aufrecht über den Rhein marschiert, und das Wasser reichte +keinem höher als bis an die Knie." + +Ein Dritter sagte: "Solches war keine Kunst. Denn sie hatten +selbigen Tag, als sie am Rhein ankamen, schon einen Marsch von 20 +Stunden zurückgelegt. So haben sie davon solche Blasen an den Füssen +bekommen, dass es ihnen nicht möglich war, tiefer als so im Wasser +zu sinken." + + + +Wie der Zundelfrieder eines Tages aus dem Zuchthaus entwich und +glücklich über die Grenzen kam + + +Eines Tages, als der Frieder den Weg aus dem Zuchthaus allein +gefunden hatte, und dachte: "Ich will so spät den Zuchtmeister +nimmer wecken", und als schon auf allen Strassen Steckbriefe +voranflogen, gelangte er abends noch unbeschrien an ein Städtlein an +der Grenze. Als ihn hier die Schildwache anhalten wollte, wer er sei +und wie er hiesse und was er im Schilde führe: "Könnt Ihr polnisch?" +fragte herzhaft der Frieder die Schildwache. Die Schildwache sagt: +"Ausländisch kann ich ein wenig, ja! Aber Polnisches bin ich noch +nicht darunter gewahr worden."--"Wenn das ist," sagte der Frieder, +"so werden wir uns schlecht gegeneinander explizieren können." Ob +kein Offizier oder Wachtmeister am Tor sei? Die Schildwache holt den +Torwächter, es sei ein Polack an dem Schlagbaum, gegen den sie sich +schlecht explizieren könne. Der Torwächter kam zwar, entschuldigte +sich aber zum voraus, viel Polnisch verstehe er auch nicht. "Es geht +hiezuland nicht stark ab," sagte er, "und es wird im ganzen Städtel +schwerlich jemand sein, der kapabel wäre, es zu dolmetschen."-- +"Wenn ich das wüsste," sagte der Frieder und schaute auf die Uhr, +die er unterwegs noch an einem Nagel gefunden hatte, "so wollte ich +ja lieber noch ein paar Stunden zustrecken bis in die nächste Stadt. + +Um neun Uhr kömmt der Mond." Der Torhüter sagte: " Es wäre unter +diesen Umständen fast am besten, wenn Ihr gerade durchpassiertet, +ohne Euch aufzuhalten; das Städtel ist ja nicht gross", und war +froh, dass er seiner los ward. Also kam der Frieder glücklich durch +das Tor hinein. Im Städtlein hielt er sich nicht länger auf, als +nötig war, einer Gans, die sich auf der Gasse verspätet hatte, ein +paar gute Lehren zu geben. "In euch Gänse", sagte er, "ist keine +Zucht zu bringen. Ihr gehört, wenn's Abend ist, ins Haus oder unter +gute Aufsicht." Und so packte er sie mit sicherm Griff am Hals und, +mir nichts, dir nichts, unter den Mantel, den er ebenfalls unterwegs +von einem Unbekannten geliehen hatte. Als er aber an das andere Tor +gelangte und auch hier dem Landfrieden nicht traute, drei Schritte +von dem Schilderhaus, als sich inwendig der Söldner rührte, schrie +der Frieder mit herzhafter Stimme: "Wer da!" der Söldner antwortete +in aller Gutmütigkeit: "Gut Freund!" Also kam der Frieder glücklich +wieder zum Städtlein hinaus und über die Grenzen. + + + +Wie der Zundelfrieder und sein Bruder dem roten Dieter abermal einen +Streich spielen + + +Als der Zundelheiner und der Zundelfrieder wieder aus dem Turn +kamen, sprach der Heiner zum Frieder: "Bruder, wir wollen doch den +roten Dieter besuchen, sonst meint er, wir sitzen ewig in dem kalten +Hundsstall beim Herr Vater auf der Herberge."--"Wir wollen ihm +einen Streich spielen", sagte der Frieder zum Heiner, "ob er's +merkt, dass wir es sind." Also empfing der Dieter ein Brieflein ohne +Unterschrift: "Roter Dieter, seid heute nacht auf Eurer Hut, denn es +haben zwei Diebsgesellen eine Wette getan: einer will Eurer Frau das +Leintuch unter dem Leibe weg holen, und Ihr sollt es nicht hindern +können." Der Dieter sagte: "Das sind zwei rechte Spitzbuben +aneinander. Der eine wettet, er wolle das Leintuch holen, und der +andere macht einen Bericht, damit sein Kamerad die Wette nicht +gewinnt. Wenn ich nicht gewiss wüsste, dass der Heiner und der +Frieder im Zuchthaus sitzen, so wollt' ich glauben, sie seien's." In +der Nacht schlichen die Schelmen durch das Hanffeld heran. Der +Heiner stellte eine Leiter ans Fenster, also, dass der rote Dieter +es wohl hören konnte, und steigt hinauf, schiebt aber einen +ausgestopften Strohmann vor sich her, der aussah wie ein Mensch. Als +inwendig der rote Dieter die Leiter anstellen hörte, stand er leise +auf und stellte sich mit einem dicken Bengel neben das Fenster, +"denn das sind die besten Pistolen", sagte er zu seiner Frau, "sie +sind immer geladen"; und als er den Kopf des Strohmanns +heraufwackeln sah, und meinte, der sei es, riss er schnell das +Fenster auf und gab ihm eins auf den Kopf aus aller Kraft, also, +dass der Heiner den Strohmann fallen liess und einen lauten Schrei +tat. Der Frieder aber stand unterdessen mausstill hinter einem +Pfosten vor der Haustüre. Als aber der rote Dieter den Schrei hörte, +und es war alles auf einmal still, sagte er: "Frau, es ist mir, die +Sache sei nicht gut; ich will doch hinuntergehen und schauen, wie es +aussieht." Indem er zur Haustür hinausgeht, schleicht der Frieder, +der hinter dem Pfosten war, hinein, kommt bis vor das Bett, nimmt +wieder, wie im vormjährigen Kalender, des roten Dieters Stimme an, +und es ist wieder ebenso wahr. "Frau", sagte er mit ängstlicher +Stimme, "der Kerl ist maustot, und denk' nur, es ist des +Schultheissen Sohn. Jetzt gib mir geschwind das Leintuch, so will +ich ihn darin forttragen in den Wald und will ihn dort einscharren, +sonst geht's zu bösen Häusern." Die Frau erschrickt, richtet sich +auf und gibt ihm das Leintuch. Kaum war er fort, so kommt der rechte +Dieter wieder und sagt ganz getröstet: "Frau, es ist nur ein dummer +Bubenstreich gewesen, und der Dieb ist von Stroh." Als aber die Frau +ihn fragte: "Wo hast du denn das Leintuch?" und lag auf dem blossen +Spreuersack, da gingen dem Dieter erst die Augen auf, und sagte: "O +ihr vermaledeiten Spitzbuben! Jetzt ist's doch der Frieder gewesen +und der Heiner, und kein anderer." + +Aber auf dem Heimweg sagte der Frieder zum Heiner: "Aber jetzt, +Bruder, wollen wir's bleiben lassen. Denn im Zuchthaus ist doch auch +alles schlecht, was man bekommt, ausgenommen die Prügel, und zum +Fensterlein hinaus auf der Landstrasse hat man etwas vor den Augen, +das auch nicht aussieht, als wenn man gern dran hängen möchte." Also +wurde auch der Frieder wieder ehrlich. Aber der Heiner sagte: "Ich +geb's noch nicht auf." + + + +Wie einmal ein schönes Ross um fünf Prügel feil gewesen ist + + +Wenn nicht in Salzwedel, doch anderswo, hat sich folgende wahrhafte +Geschichte zugetragen, und der Hausfreund hat's schriftlich. + +Ein Kavallerieoffizier, ein Rittmeister, kam in ein Wirtshaus. +Einer, der schon drin war und ihn hatte vom Pferd absteigen gesehn, +ein Hebräer, sagte: "Dass das gar ein schöner Fuchs ist, wo Ihro +Gnaden drauf hergeritten sind." + +"Gefällt er Euch, Sohn Jakobs?" fragte der Offizier. +"Dass ich hundert Stockprügel aushielte, wenn er mein wäre", +erwiderte der Hebräer. + +Der Offizier wedelte mit der Reitpeitsche an den Stiefeln. "Was +braucht's hundert", sagte er. "Ihr könnt ihn um fünfzig haben." +Der Hebräer sagte: "Tun's fünfundzwanzig nicht auch?" +"Auch fünfundzwanzig", erwiderte der Rittmeister. "Auch fünfzehn, +auch fünf, wenn Ihr daran genug habt." + +Niemand wusste, ob es Spass oder Ernst ist. Als aber der Offizier +sagte: "Meinetwegen auch fünf", dachte der Hebräer: Hab' ich nicht +schon zehn Normalprügel vor dem Amtshaus in Günzburg ausgehalten und +bin doch noch koscher? + +"Herr", sagte er, "Sie sind ein Offizier. Offiziersparole?" Der +Rittmeister sprach: "Traut Ihr meinen Worten nicht? Wollt Ihr's +schriftlich?" + +"Lieber wär's mir", sagte der Hebräer. + +Also beschied der Offizier einen Notarius und liess durch ihn dem +Hebräer folgende authentische Ausfertigung zustellen: "Wenn der +Inhaber dieses von gegenwärtigem Herrn Offizier fünf Prügel mit +einem tüchtigen Stock ruhig ausgehalten und empfangen hat, so wird +ihm der Offizier seinen bei sich habenden Reitgaul, den Fuchs, ohne +weitere Lasten und Nachforderung alsogleich als Eigentum zustellen. +So geschehen da und da, den und den." + +Als der Hebräer die Ausfertigung in der Tasche hatte, legte er sich +über einen Sessel, und der Offizier hieb ihm mit einem hispanischen +Rohr mitten auf das Hinterteil dergestalt, dass der Hebräer bei sich +selbst dachte: Der kann's noch besser als der Gerichtsdiener in +Günzburg, und lautauf Auweih schrie, so sehr er sich vorgenommen +hatte, es zu verbeissen. + +Der Offizier aber setzte sich und trank ruhig ein Schöpplein. "Wie +tut's, Sohn Jakobs?" Der Hebräer sagte: "Na, wie tut's, gebt mir die +andern auch, so bin ich absolviert. + +"Das kann geschehen", sprach der Offizier und setzte ihm den zweiten +auf, dergestalt, dass der erste nur eine Lockspeise dagegen zu sein +schien; darauf setzte er sich wieder und trank noch ein Schöpplein. +Also tat er beim dritten Streich, also beim vierten. Nach dem +vierten sagte der Hebräer: "Ich weiss nicht, soll ich's Euer Gnaden +Dank wissen oder nicht, dass Sie mich einen nach dem andern +geniessen lassen. Geben Sie mir zum vierten den fünften gleich, so +bin ich des Genusses los, und der Fuchs weiss, an wen er sich zu +halten hat." + +Da sagte der Offizier: "Sohn Jakobs, auf den fünften könnt Ihr lange +warten", und stellte das hispanische Rohr ganz ruhig an den Ort, wo +er es genommen hatte, und alles Bitten und Betteln um den fünften +Prügel war vergebens. + +Da lachten alle Anwesende, dass man fast das Haus unterstützen +musste, der Hebräer aber wendete sich an den Notarius, er solle ihm +zum fünften Prügel verhelfen, und hielt ihm die Verschreibung vor. +Der Notarius aber sagte: "Jekeffen, was tu' ich damit? Wenn's der +Herr Baron nicht freiwillig tut, in der Verschreibung steht nichts +davon, dass er muss." Kurz, der Hebräer wartet noch auf den fünften +und auf den Fuchs. + +Der Hausfreund aber wollt' diesen Mutwillen nicht loben, wenn sich +der Hebräer nicht angeboten hätte. + +Merke: Wer sich zu fünf Schlägen hergibt um Gewinns willen, der +verdient, dass er vier bekommt ohne Gewinn. Man muss sich nie um +Gewinns willen freiwillig misshandeln lassen. + + + +Wie man aus Barmherzigkeit rasiert wird + + +In eine Barbierstube kommt ein armer Mann mit einem starken, +schwarzen Bart, und statt eines Stücklein Brotes bittet er, der +Meister soll so gut sein und ihm den Bart abnehmen um Gottes willen, +dass er doch auch wieder aussehe wie ein Christ. Der Meister nimmt +das schlechteste Messer, wo er hat, denn er dachte: Was soll ich ein +gutes daran stumpfhacken für nichts und wieder nichts? Während er an +dem armen Teufel hackt und schabt, und er darf nichts sagen, weil's +ihm der Schinder umsonst tut, heult der Hund auf dem Hof. Der +Meister sagt: "Was fehlt dem Mopper, dass er so winselt und heult?" +Der Christoph sagt: "Ich weiss nicht." Der Hans Frieder sagt: "Ich +weiss auch nicht." Der arme Teufel unter dem Messer aber sagt: "Er +wird vermutlich auch um Gottes willen balbiert wie ich." + + + +Wie man in den Wald schreit, also schreit es daraus + + +Ein Mann, der etwas gleichsah, aber nicht viel Komplimente machte, +kommt in ein Wirtshaus. Alle Gäste, die da waren, zogen höflich den +Hut oder die Kappe vor ihm ab, bis auf einen, der ihn nicht kommen +sah, weil er gerade die Stiche zählte, die er im Mariaschen von +seinem Nachbar gewonnen hatte. Und als er eben das Herz-Ass durch +die Finger schob und sagte: "Zweiundfünfzig und elf sind +dreiundsechzig", und bemerkte immer den Fremden noch nicht, der +etwas gleichsah, fragte ihn der Fremde: "Herr, für was sehet Ihr +mich an?" Der Gast sagte: "Für einen honetten Mann; was weiss ich +von Euch?" Der Fremde sagte: "Das dank' Euch der Teufel!" Da stand +der Gast vom Spieltisch auf und fragte: "Für was sieht denn der Herr +mich an?" Der Fremde sagte: "Für einen Flegel." Darauf sagte der +Gast: "Das danke dem Herrn auch der Teufel! Ich merke, dass wir +einander beide für den Unrechten angesehen haben." Als aber die +andern Gäste merkten, dass doch auch in einem feinen Rock ein grober +Mensch stecken könne, setzten sie alle die Hüte wieder auf, und der +Fremde konnte nichts machen, als ein ander Mal manierlicher sein. + + + +Wie sich der Zundelfrieder hat beritten gemacht + + +Als der Zundelfrieder bald alle listigen Diebsstreiche durchgemacht +und fast ein Überleid daran bekommen hatte, denn der Zundelfrieder +stiehlt nie aus Not oder aus Gewinnsucht oder aus Liederlichkeit, +sondern aus Liebe zur Kunst und zur Schärfung des Verstandes; hat er +nicht dem Brassenheimer Müller den Schimmel selber wieder an die +Türe gebunden? Was will der geneigte Leser oder des Hausfreunds +Reisegefährte nach Lenzkirch mehr verlangen? Eines Abends, als er, +wie gesagt, fast alles durchgemacht hatte, dachte er: "Jetzt will +ich doch auch einmal probieren, wie weit man mit der Ehrlichkeit +kommt." Also stahl er in selbiger Nacht eine Geiss, drei Schritte +von der Scharwache, und liess sich attrapieren. Den andern Tag im +Verhör gestand er alles. Wie er aber bald merkte, dass ihm der +Richter fünfundzwanzig oder etwas zum Andenken wollte mitgeben +lassen, dachte er: Ich bin noch nicht ehrlich genug. Deswegen +verschnappte er sich noch ein wenig in den Redensarten und gestand +bei der weitern Untersuchung nach kurzem Widerstand, wie er von +jeher ein halber Kakerlak gewesen sei, das heisst, ein Mensch, der +bei Nacht fast besser sieht als am Tag, und als ihn der Richter aufs +Eis führen wollte, ob er nicht noch von ein paar andern Diebstählen +wisse, die kürzlich begangen worden, sagte er, allerdings wisse er +davon, und er sei derjenige. Als ihm den andern Morgen der Spruch +publiziert wurde, er müsse ins Zuchthaus, und der Stadtsoldat, der +ihn begleiten sollte, stand schon vor der Tür, denn es war zwanzig +Stunden weit, sagte er ganz reumütig: "Recht findet seinen Knecht. +Was ich verdient habe, wird mir werden." Unterwegs erzählte er dem +Stadtsoldaten, er sei auch schon Militär gewesen. "Bin ich nicht +sechs Jahre bei Klebeck Infanterie in Dienst gewesen? Könnt' ich +Euch nicht sieben Wunden zeigen aus dem Scheldekrieg, den der Kaiser +Joseph mit den Holländern führen wollte?" Der treuherzige Begleiter +sagte: "Ich hab's nie weiter bringen können als zum Stadtsoldaten. +Eigentlich wär' ich ein Nagelschmied. Aber die Zeiten sind schlimm." +--"Im Gegenteil", sagte der Frieder, "ein Stadtsoldat ist mir +respektabler als ein Feldsoldat. Denn Stadt ist mehr als Feld, +deswegen avanciert der Feldsoldat in seinem Alter noch zum +Stadtsoldaten. Zudem, der Stadtsoldat wacht für seiner Mitbürger +Leben und Eigentum, für eigen Weib und Kind. Der Kriegssoldat zieht +hinaus ins Feld und kämpft, er weiss nicht für wen und nicht für +was. Zudem", sagte er, "kann ein Stadtsoldat, wenn er nichts +Ungeschicktes begangen hat, mit Ehren sterben, wann er will. + +Unsereiner muss sich schon drum totstechen lassen. Ich versichere +Euch", fuhr er fort, "ich und meine Feinde (er meinte die +Strickreiter) wir haben wenig Ehre davon, dass ich noch lebe." Der +Nagelschmied wurde über diese ehrenvolle Vergleichung so gerührt, +dass er bei sich selbst dachte, einen so gütigen und herablassenden +Arrestanten habe er noch nicht leicht transportiert, und der Frieder +ging immer mit grossen Schritten voraus, um den Nagelschmied recht +müde und trocken zu machen in der Sonnenhitze. "Darin unterscheiden +sich die Feldsoldaten von den Stadtsoldaten", sagte er, "dass sie an +einen weiten Schritt gewöhnt sind von dem Marsch." Abends um 4. Uhr, +als sie in ein Dörflein kamen und an ein Wirtshaus, "Kamerad", sagte +der Frieder, "wollen wir nicht einen Schoppen trinken?"--"Herr +Kamerad", erwiderte der Nagelschmied, "was Ihm recht ist, ist mir +auch recht." Also tranken sie miteinander einen Schoppen, auch eine +halbe Mass, auch eine Mass, auch zwei, und Brüderschaft ohnehin, und +der Frieder erzählte immerfort von seinen Kriegsaffären, bis der +Nagelschmied vor Schwere des Weins und Müdigkeit einschlief. Als er +nach einigen Stunden wieder aufwachte und den Frieder nimmer sah, +war sein erster Gedanke: "Was gilt's, der Herr Bruder ist alsgemach +vorausgegangen." Nein, er stand nur ein wenig draussen vor der Türe, +denn der Frieder geht nicht leicht leer fort. Als er wieder +hereinkam, sagte er: "Herr Bruder, der Mond will bald aufgehen. Wenn +es dir recht ist, so bleiben wir lieber hier über Nacht." Der +Nagelschmied, schläfrig und träge, sagte: "Wie der Herr Bruder +meint." In der Nacht, als der Nagelschmied fest schlief und alle +Töne aus dem Bass in den Diskant und wieder in den Bass +durchschnarchte, der Frieder aber nicht schlafen konnte, stand der +Frieder auf, visitierte für Zeitvertreib des Herrn Bruders Taschen +und fand unter andern das Schreiben, das wegen seiner dem +Stadtsoldaten an den Zuchthausverwalter war mitgegeben worden. +Hierauf probierte er für Zeitvertreib des Herrn Bruders neue +Monturstiefeln an. Sie waren ihm recht. Hierauf liess er sich für +Zeitvertreib durch das Fenster auf die Gasse herab und ging des +geraden Wegs fort, so weit ihm der Mond leuchtete. Als der +Nagelschmied früh erwachte und den Herr Bruder nimmer gewahr wurde, +dachte er: "Er wird wieder ein wenig draussen sein." Freilich war er +wieder ein wenig draussen, und als er den Tag erlaufen hatte, im +ersten Dorf, das ihm am Weg war, weckte er den Schulzen. "Herr +Schulz, es ist mir ein Unglück passiert. Ich bin ein Arrestant, und +der Stadtsoldat von da und da, der mich transportieren sollte, ist +mir abhanden gekommen. Geld hab' ich keins. Weg und Steg kenn' ich +nicht, also lasst mir auf Gemeindekosten eine Suppe kochen und +verschafft mir einen Wegweiser in die Stadt ins Zuchthaus." Der +Schulz gab ihm eine Bollete an den Gemeindswirt auf eine Mehlsuppe +und einen Schoppen Wein und schickte nach einem armen Mädchen. "Geh +ins Wirtshaus und zeige dem Mann, der dort frühstückt, wenn er +fertig ist, den Weg und die Stadt; er will ins Zuchthaus." Als der +Frieder mit dem Mädchen aus dem Wald und über die letzten Hügel +gekommen war und in der Ebene von weitem die Türme der Stadt +erblickt hatte, sagte er zu dem Mädchen: "Geh jetzt nur nach Haus, +mein Kind, jetzt kann ich nimmer verirren." In der Stadt bei den +ersten Häusern fragte er ein Büblein auf der Gasse: "Büblein, wo ist +das Zuchthaus?" und als er es gefunden und vor den +Zuchthausverwalter gekommen war, übergab er ihm das Schreiben, das +er dem Nagelschmied aus der Tasche genommen hatte. Der Verwalter las +und las und schaute zuletzt den Frieder mit grossen Augen an. "Guter +Freund", sagte er, "das ist schon recht. Aber wo habt Ihr dann den +Arrestanten? Ihr sollt ja einen Arrestanten abliefern." Der Frieder +antwortete ganz verwundert: "Ei, der Arrestant, der bin ich selber." +Der Verwalter sagte: "Guter Freund, es scheint, Ihr wollt Spass +machen. Hier spasst man nicht. Gesteht's, Ihr habt den Arrestanten +entwischen lassen! Ich seh’ es aus allem." Der Frieder sagte: "Wenn +Sie es aus allem sehen, so will ich's nicht leugnen. Wenn mir aber +Ihro Exzellenz", sagte er zu dem Verwalter, "einen Brittenen +mitgeben wollen, so getrau' ich mir, den Vagabunden noch +einzufangen. Denn es ist kaum eine Viertelstunde, dass. er mir aus +den Augen gekommen ist."--"Einfältiger Tropf", sagte der Verwalter, +"was nützt dem Berittenen die Geschwindigkeit des Rosses, wenn er +mit einem Unberittenen reiten soll? Könnt Ihr reiten?" Der Frieder +sagte: "Bin ich nicht sechs Jahre Württemberger Dragoner gewesen?"-- +"Gut", erwiderte der Verwalter, "man wird für Euch ebenfalls ein +Ross satteln lassen, und zwar für Euer eigen gutes Geld; ein ander +Mal gebt Achtung", und verschaffte ihm in der Eile ein offenes +Ausschreiben an alle Ortsvorgesetzte, auf dass, wenn er Mannschaft +nötig habe zum Streif. Also ritten der Strickreiter und der +Zundelfrieder miteinander dahin, um den Zundelfrieder aufzusuchen, +bis an einen Scheideweg. An dem Scheideweg sagte der Frieder dem +Strickreiter, auf welchem Weg der Strickreiter reiten soll, und auf +welchem er selber reiten wolle. "Am Rhein an der Fahrt kommen wir +wieder zusammen." Als sie aber einander aus den Augen verloren +hatten, wendete sich der Frieder wieder rechts und machte mit seinem +Ausschreiben in allen Dörfern Lärm und liess die Sturmglocken +anziehen, der Zundelfrieder sei im Revier, bis er an der Grenze war. + +An der Grenze aber gab er dem Rösslein einen Fitzer und ritt +hinüber. + +So etwas könnte hierzuland nicht passieren. + + + +Willige Rechtspflege + + +Als ein neu angehender Beamter zuzeiten der Republik das erste Mal +zu Recht sass, trat vor die Schranken seines Richterstuhles der +untere Müller, vortragend seine Beschwerden gegen den obern in +Sachen der Wasserbaukosten. Als er fertig war, erkannte der Richter: +"Die Sache ist ganz klar. Ihr habt recht." Es verging eine Nacht und +ein Räuschlein, kam der obere Müller und trug sein Recht und seine +Verteidigung auch vor, noch mundfertiger als der untere. Als er +ausgeredet hatte, erkannte der Richter: "Die Sache ist so klar als +möglich. Ihr habt vollkommen recht." Hierauf, als der Müller +abgetreten war, nahte dem Richter der Amtsdiener. "Gestrenger Herr", +sagte der Amtsdiener, "also hat Euer Herr Vorfahrer nie gesprochen, +solange wir Urteil und Recht erteilten. Auch werden wir dabei nicht +bestehen. Es können nicht beide Parteien den Prozess gewinnen, sonst +müssen ihn auch beide verlieren, welches nicht gehn will." Darauf +antwortete der Beamte: "So klar war die Sache noch nie. Du hast auch +recht." + + + +Willige Rechtspflege + + +Als ein neu angehender Beamter zu Zeiten der Republik das erste Mal +zu Recht saß, trat vor die Schranken seines Richterstuhls der untere +Müller, vortragend seine Beschwerden gegen den obern in Sachen der +Wasserbaukosten. Als er fertig war, erkannte der Richter: "Die Sache +ist ganz klar. Ihr habt recht." Es verging eine Nacht und ein +Räuschlein, kam der obere Müller und trug sein Recht und seine +Verteidigung auch vor, noch mundfertiger als der untere. Als er +ausgeredet hatte, erkannte der Richter: "Die Sache ist so klar als +möglich. Ihr habt vollkommen redet." Hierauf, als der Müller +abgetreten war, nahte dem Richter der Amtsdiener. "Gestrenger Herr", +sagte der Amtsdiener, "also hat Euer Herr Vorfahrer nie gesprochen, +solange wir Urteil und Recht erteilten. Auch werden wir dabei nicht +bestehen. Es können nicht beide Parteien den Prozeß gewinnen, sonst +müssen ihn auch beide verlieren, welches nicht gehn will." Darauf +antwortete der Beamte: "So klar war die Sache noch nie. Du hast auch +recht." + + + +Zwei Erzählungen + + +Wie leicht sich manche Menschen oft über unbedeutende Kleinigkeiten +ärgern und erzürnen, und wie leicht die nämlichen oft durch einen +unerwarteten spasshaften Einfall wieder zur Besinnung können +gebracht werden, das haben wir im alten Kalender an dem Herrn +gesehen, der die Suppenschüssel aus dem Fenster warf, und an seinem +witzigen Bedienten. Das nämliche lehren folgende zwei Beispiele. +Ein Gassenjunge sprach einen gut und vornehm gekleideten Mann, der +an ihm vorbeiging, um einen Kreuzer an, und als dieser seiner Bitte +kein Gehör geben wollte, versprach er ihm, um einen Kreuzer zu +zeigen, wie man zu Zorn und Schimpf und Händeln kommen könne. +Mancher, der dies liest, wird denken, das zu lernen sei keinen +Heller, noch weniger einen Kreuzer wert, weil Schimpf und Händel +etwas Schlimmes und nichts Gutes sind. Aber es ist mehr wert, als +man meint. Denn wenn man weiss, wie man zu dem Schlimmen kommen +kann, so weiss man auch, vor was man sich zu hüten hat, wenn man +davor bewahrt bleiben will. So mag dieser Mann auch gedacht haben, +denn ergab dem Knaben den Kreuzer. Allein dieser forderte jetzt den +zweiten, und als er den auch erlangt hatte, den dritten und vierten +und endlich den sechsten. Als er aber noch immer mit dem Kunststück +nicht herausrücken wollte, ging doch die Geduld des Mannes aus. Er +nannte den Knaben einen unverschämten Burschen und Betteljungen, +drohte, ihn mit Schlägen fortzujagen, und gab ihm am Ende auch +wirklich ein paar Streiche. "Ihr grober Mann, der Ihr seid", schrie +jetzt der Junge, "schon so alt und noch so unverständig! Hab' ich +Euch nicht versprochen zu lehren, wie man zu Schimpf und Händeln +kommt? Habt Ihr mir nicht sechs Kreuzer dafür gegeben? Das sind ja +jetzt Händel, und so kommt man dazu. Was schlagt Ihr mich denn?" So +unangenehm dem Ehrenmann dieser Vorfall war, so sah er doch ein, +dass der listige Knabe recht und er selber unrecht hatte. Er +besänftigte sich, nahm sich's zur Warnung, nimmer so aufzufahren, +und glaubte, die gute Lehre, die er da erhalten habe, sei wohl sechs +Kreuzer wert gewesen. + +In einer andern Stadt ging ein Bürger schnell und ernsthaft die +Strasse hinab. Man sah ihm an, dass er etwas Wichtiges an einem Ort +zu tun habe. Da ging der vornehme Stadtrichter an ihm vorbei, der +ein neugieriger und dabei ein gewalttätiger Mann muss gewesen sein, +und der Gerichtsdiener kam hinter ihm drein. "Wo geht Ihr hin so +eilig?" sprach er zu dem Bürger. Dieser erwiderte ganz gelassen: +"Gnädiger Herr, das weiss ich selber nicht."--"Aber Ihr seht doch +nicht aus, als ob Ihr nur für Langeweile herumgehen wolltet. Ihr +müsst etwas Wichtiges an einem Orte vorhaben." "Das mag sein", fuhr +der Bürger fort, "aber wo ich hingehe, weiss ich wahrhaftig nicht." +Das verdross den Stadtrichter sehr. Vielleicht kam er auch auf den +Verdacht, dass der Mann an einem Ort etwas Böses ausüben wollte, das +er nicht sagen dürfe. Kurz, er verlangte jetzt ernsthaft, von ihm zu +hören, wo er hingehe, mit der Bedrohung, ihn sogleich von der +Strasse weg in das Gefängnis führen zu lassen. Das half alles +nichts; und der Stadtrichter gab dem Gerichtsdiener zuletzt wirklich +den Befehl, diesen widerspenstigen Menschen wegzuführen. Jetzt aber +sprach der verständige Mann: "Da sehen Sie nun, hochgebietender +Herr, dass ich die reine, lautere Wahrheit gesagt habe. Wie konnte +ich vor einer Minute noch wissen, dass ich in den Turm gehen werde +--, und weiss ich denn jetzt gewiss, ob ich drein gehe?" "Nein", +sprach jetzt der Richter, "das sollt Ihr nicht." Die witzige Rede +des Bürgers brachte ihn zur Besinnung. Er machte sich stille +Vorwürfe über seine Empfindlichkeit und liess den Mann ruhig seinen +Weg gehen. + +Es ist doch merkwürdig, dass manchmal ein Mensch, hinter welchem man +nicht viel sucht, einem andern noch eine gute Lehre geben kann, der +sich für erstaunend weise und verständig hält. + + + +Zwei Gehilfen des Hausfreunds + + +Es wird in Zukunft bisweilen von einem Adjunkt die Rede sein, was +der geneigte Leser nicht verstehen könnte, wenn es ihm nicht erklärt +würde. Als nämlich der Hausfreund den Rheinländischen Kalender noch +schrieb, er schreibt ihn noch, hat er den Bezirk seiner +Hausfreundschaft diesseits Rheins, wie die Franzosen das Land +jenseits Rheins, in zwei Provinzen geteilt, in die untere und in die +obere, und hat in die untere einen Statthalter gesetzt, einen +Präfekt, der aber nicht will genannt sein, denn er ist kein +Landskind. Auch nennt ihn der Hausfreund selber nicht leicht +Statthalter, und niemand, sondern Adjunkt, denn selten ist jeder auf +seinem Posten, sondern sitzen beieinander un schreiben miteinander +neue, hochdeutsche Reimen oder sinnreiche Rätsel. "Zum Exempel, +Adjunkt", sagt der Hausfreund: "Ratet hin, ratet her, was ist das?" + +Der arme Tropf +Hat keinen Kopf; +Das arme Weib +Hat keinen Leib; +Die arme Kleine +Hat keine Beine. + +Sie ist ein langer Darm, +Doch schlingt sie einen Arm +Bedächtig in den andern ein. +Was mag das für ein Weiblein sein? + +"Hausfreund", sagt der Adjunkt, "wenn Ihr mir einen Groschen leiht, +so will ich Euch für dieses Rätsel ein paar Bretzeln kaufen. Den +Wein, den wir dazu trinken, bezahlt Ihr. Ratet hin, ratet her, was +ist aber das? + +Holde, die ich meine. +Niedliche und Kleine, +Ich liebe dich, und ohne dich +Wird mir der Abend weinerlich. + +Auch gönnst du mir, +Nachrühm' ich's dir, +Wohl manchen lieblichen Genuss; +Doch bald bekommst du's Überdruss + +Und laufst zu meiner tiefen Schmach +Ein feiles Mensch den Juden nach. +Und dennoch, Falsche aus und ein, +Hörst du nicht auf, mir lieb zu sein. + +Ihr erratet's nicht", sagt der Statthalter, "wenn ich's Euch nicht +expliziere. Es ist eine Adjunktsbesoldung, zum Exempel meine eigene, +die ich von Euch bekomme." + +Allein der Adjunkt hat selber wieder eine Adjunktin, nämlich seine +Schwiegermutter, die Tochter hat er noch nicht, bekommt sie auch +nicht; und der Hausfreund hat an ihm einen ganz andern Glückszug +getan, als sein guter Freund, der Doktor, auf seiner Heimreise aus +Spanien an der Madrider Barbiergilde. Denn als er aus der grossen +Stadt Madrid heraustritt, seinem Tierlein wuchsen in dem warmen Land +und bei der üppigen Nahrung die Haare so kräftig, dass er nach +Landesart zwei Barbiere mitnehmen musste, die auch ritten, und wenn +sie abends in die Herberge kamen, so rasierten sie sein Tierlein. +Weil sie aber selber keine gemeine Leute waren und die ganze Nacht +Arbeit genug hatten, bis das Tierlein eingeseift und rasiert und +wieder mit Lavendelöl eingerieben war, so nahm jeder wieder für sein +eigenes Tierlein zwei Barbiere mit, die ebenfalls ritten, und diese +wieder. Als nun der Doktor oben auf dem pyrenäischen Berg zum ersten +Mal umschaute und mit dem Perspektiv sehen wollte, wo er hergekommen +war, als er mit Verwunderung und Schrecken den langen Zug seiner +Begleiter gewahr wurde, und wie noch immer neue Barbiere zum +Stadttor von Madrid herausritten und inwendig wieder aufsassen, +sagte er bei sich selbst: Was hab' ich denn nötig, länger zu reiten; +es geht nun jetzt bergunter,--und ging früh am Tag in aller Stille +zu Fuss nach Montlouis. + +Also hat der Hausfreund mit seinem Adjunkte auch die Adjunktin des +Adjunkten gewonnen, ist aber nicht erschrocken und davon gelaufen. +Wer's noch nie erlebt hat, wie sie allen Leuten Red' und Antwort gab +und schöne Schweizerlieder vom Rigiberg singen und wie sie sich +verstellen kann, bald meint man, man sehe eine Heilige mitten aus +dem gelobten Land heraus, bald die heidnische Zauberin Medea, und +noch viel, wer's nicht gesehen hat, stellt sich's nicht vor. +Der freundlichen Schwiegermutter des Adjunkts soll dieses Büchlein +zum Dank und zur Freundschaft gewidmet sein. + + + +Zwei honette Kaufleute + + +Zwei Besenbinder hatten nebeneinander feil in Hamburg. Als der eine +schon fast alles verkauft hatte, der andere noch nichts, sagte der +andere zu dem einen: "Ich begreife nicht, Kamerad, wie du deine +Besen so wohlfeil geben kannst. Ich stehle doch das Reis zu den +meinigen auch und verdiene gleichwohl den Taglohn kaum mit dem +Binden." "Das will ich dir wohl glauben, Kamerad", sagte der erste; +"ich stehle die meinigen, wenn sie schon gebunden sind." + + + +Zwei Kriegsgefangene in Bobruisk + + +Wer viel merkwürdige Begebenheiten aus dem russischen Feldzug wissen +will, der muss ihn entweder selbst mitgemacht haben oder aber, er +muss mit vornehmen Kriegshauptleuten bekannt sein, die dabei waren. +Der Kalendermann rühmt sich dessen, und wenn er mittags über den +Paradeplatz geht zum Hofapotheker, grüssen sie ihn. Mitgemacht den +Feldzug hat er nicht. + +Folgendes ist ein seltener Beweis von Edelmut und Leichtsinn und +noch einmal von Edelmut. Zwei polnische Offiziere wurden als +Kriegsgefangene in einem russischen Dorf bis den andern Morgen +einquartiert. Sonst sollen die Polen und die Russen auf den blossen +Namen hin nicht immer die besten Freunde sein. Allein der russische +Edelmann, der in demselben Dorf wohnt, dachte daran in seinem +schönen Schloss und in seiner warmen Stube, wie er auch einmal in +seiner Jugend Kriegsgefangener gewesen war in fremdem Lande ohne +Geld, ohne Freund, ohne Trost, und wie er in dem Hause eines edlen +Menschen eine freundliche Aufnahme gefunden hatte, und wie solches +dem Herzen wohltut. Also suchte er sogleich die Gefangenen auf, nahm +sie in sein Schloss, bewirtete sie wie Brüder oder Freunde und +suchte sie durch Trost und teilnehmende Reden zu erheitern. Denn das +ist ein schönes und heiliges Schuld- und Wechselrecht, das in dem +Herzen aller gutgearteten Menschen aufgerichtet ist, dass, wer +einmal unter fremden Leuten in der Not und Betrübnis eine Liebe oder +Wohltat erfahren hat, sieht sie als ein empfangenes Darlehen an und +zahlt sie, wenn er daheim ist, wieder an einen andern Fremdling +heim, der in gleicher Not und Betrübnis zu ihm kommt, als eine +Schuldigkeit, ob er gleich keine Handschrift darüber ausgestellt +hat, und das nicht einmal, sondern zehnmal, wenn er kann, wie ein +ausgestreutes Saatkorn nicht allein, sondern selbzehnt oder +fünfzehnt aus der Erde zurückkehrt. + +"Wisst ihr schon", fragte die Gefangenen der Edelmann, "wo der Ort +eures Aufenthaltes sein wird?" Die Gefangenen sagten, "in den +kaukasischen Gebirgen."--"Seid ihr denn auch mit etwas Reisegeld +versehen auf einen so langen Weg?" Die Gefangenen zuckten die +Achseln. Hierauf sprach der Edelmann ihnen mit heiterer Miene zu, zu +essen und zu trinken und wohl bei ihm zu schlafen, und des andern +Morgens, als der Transport weiterging und sie nun von ihrem +Wohltäter Abschied nahmen, schenkte er ihnen fünfhundert Rubel +russischen Geldes auf die Reise. Nein, er wollte nicht einmal den +Namen haben, dass er es ihnen schenkte. "Ich will es euch leihen", +sagte er; "wenn euch einst Gott in euere Heimat und zu den Eurigen +zurückführt, so könnt ihr mir's wieder schicken." + +Die Geschichte könnte hier aus sein. Sie wäre schon des Erzählens +wert gewesen. Allein sie fängt jetzt erst recht an. Der nächste +Tagmarsch der Kriegsgefangenen ging nach einer altrussischen +Grenzfestung namens Bobruisk. Man muss schon ein fertiges Mundwerk +haben, wenn man so einen russischen Namen mit Leichtigkeit will +aussprechen können. Der Hausfreund kann's. In Bobruisk aber, wo die +Gefangenen bei guter Tagszeit anlangten, gingen die zwei Polen noch +ein wenig herum, die Stadt zu besehen, und als sie an ein schönes, +grosses Wirtshaus kamen, dachten sie, "wollen wir nicht ein wenig +hineingehen und unserm Wohltäter seine Gesundheit trinken?" In dem +Wirtshaus aber sassen viele russische Herrn und Edelleute, die +redeten oder tranken miteinander oder spielten Pharao. Pharao aber +ist ein sehr gefährliches Spiel, in welchem man viel Geld verspielen +kann, also, dass man es nicht Pharao nennen sollte, sondern das Rote +Meer, weil viele, die hineingehen, drin ertrinken, ausgenommen die +Kinder Israel. + +Selbigen Tages aber kam auch der wohltätige russische Edelmann nach +Bobruisk, um bei seinen guten Freunden daselbst einen vergnügten +Abend zuzubringen, und indem er in das nämliche Wirtshaus +hineintritt, was geschieht, wen sieht er mitten unter seinen reichen +Freunden und Bekannten am Spieltische sitzen? Wen sieht er ein +Dutzend Rubel nach dem andern setzen und verspielen? Seine +leichtsinnigen Gäste, die zwei Polen. Die Polen hätten auch fast +lieber einen Wolf als ihn gesehen und spielten nicht um das besser +oder glücklicher, als er sich ebenfalls an den langen Spieltisch +setzte und ein Dutzend Rubel nach dem andern gewann, wären gerne +davongeschlichen, wenn sie nicht die gute Hälfte ihres Geldes hätten +müssen im Stich lassen, das sie wieder zu gewinnen hofften. Als sie +aber in kurzer Zeit ganz vom Samen waren und die letzte Kopeke dahin +war und jetzt trostlos und verzweifelnd zur Tür hinausschlichen, +ging ihnen der russische Edelmann nach, und mancher geneigte Leser, +dem man nicht so kommen dürfte, freut sich schon, wie er Justiz +machen und den russischen Stab wird walten lassen. Nichts nutz! Ein +Kriegsgefangener ist ohne Schläge geschlagen genug, und Strafe +erbittert nur, aber Grossmut kann beschämen und bessern. alleine +Freunde", sagte er zu ihnen sanft und gütig, "ihr müsst wohl besser +bei Geld sein, als ich gestern geglaubt habe. Nehmt mir meine +Voreiligkeit nicht übel auf. Ich danke euch, dass ihr mein +gutgemeintes Anerbieten nicht beschämt habt." Die Gefangenen aber +waren nicht imstande, eine Silbe zu antworten, ausgenommen sie +schlugen die Augen nieder, als wenn sie sagen wollten, dass er sich +gestern nicht an ihnen versehen habe, aber jetzt. Da sprach er zu +ihnen: "Ihr seid nunmehr gewitziget, und ich hoffe, meine Güte sei +zum zweiten Mal besser an euch angewendet als zum erstenmal"; und +als er ihnen mit einem guten Wechselbrief von fünfhundert Rubel +ihren ganzen Verlust ersetzte, konnten sie noch weniger als vorher +sprechen, sondern küssten ihm mit Tränen des Dankes und der Rührung +die Hände. Hernach aber hat er nichts mehr von ihnen erfahren. Diese +Erzählung ist unversehrt aus Russland herausgekommen und hat ihre +Wahrheit. + + + +Zwei Sprichwörter + + +aus: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes +Ich kenne zwei Sprichwörter, und die sind beide wahr, wenn sie schon +einander widersprechen. Von zwei unbemittelten Brüdern hatte der +eine keine Lust und keinen Mut, etwas zu erwerben, weil ihm das Geld +nicht zu den Fenstern hereinregnete. Er sagte immer: "Wo nichts ist, +kommt nichts hin." Und so war es auch. Er blieb sein Leben lang der +arme Bruder Wonichtsist, weil es ihm nie der Mühe wert war, mit +einer kleinen Ersparnis den Anfang zu machen und nach und nach zu +einem größeren Vermögen zu kommen. So dachte der jüngere Bruder +nicht. Der pflegte zu sagen: "Was nicht ist, das kann werden." Er +hielt das wenige, was ihm von der Hinterlassenschaft der Eltern +zuteil geworden war, zusammen und vermehrte es nach und nach durch +eigene Ersparnisse, indem er fleißig arbeitete und zurückgezogen +lebte. Anfänglich ging es hart und langsam. Aber sein Sprichwort: +"Was nicht ist, das kann werden" gab ihm immer Mut und Hoffnung. Mit +der Zeit ging es besser. Er wurde durch unverdrossenen Fleiß und +Gottes Segen noch ein reicher Mann und ernährt jetzt die Kinder des +armen Bruders Wonichtsist, der selber nichts zu beißen und zu nagen +hat. + + + +Zwei Weissagungen + + +Die erste ist sehr merkwürdig, wenn sie wahr ist, und man +behauptet's. Als vor Jahr und Tag viele vornehme polnische Herren +bei Spiel und Tanz sich erlusteten, trat ein leichtes, wegfertiges +Weibsbild, eine Zigeunerin, in den lustigen Saal und bot ihnen ihre +Weissagungen an. Da kam auch ein feines junges Herrlein, der +nachmalige Fürst Poniatowsky, der nach der Leipziger Schlacht am 19. +Oktober 1813 das Leben verloren hat, und streckte ihr die zarte Hand +entgegen: "Weissage mir auch etwas Gutes, Mütterlein! Was, meinst +du, will aus mir werden?" Da sah die Hexe den jungen Fürsten freudig +und wieder mitleidig an. "Ei, du schmuckes Herrlein", sagte sie, "du +gelangst einst zu seltsamen Stand und Ehren! Möchte die Freude daran +nur auch länger währen! Nimm vor den Elstern dich wohl in Acht! Eine +Elster dir den Garaus macht." Darob und ob andern Weissagungen +dieses Weibes lachten sie lange, und wie eine Elster daherflog, +sagten zu Poniatowsky seine Freunde: "Nehmt Euch in acht, Prinz! + +Seht Ihr, was dort fliegt?" Aber Poniatowsky erwiderte: "Seltsam Amt +und Ehre ist noch nicht da." Als aber Polen von den drei Adlern +zernichtet war, richteten die Polen ihre Augen und ihre Hoffnungen +auf Frankreich, und viele nahmen französische Dienste, hoffend, dass +durch Frankreich ihre königliche Republik wieder sollte zu Leben +kommen. Also hatte auch Poniatowsky diese Wahl ergriffen und kämpfte +in den Tagen der Leipziger Schlacht unter den Augen Napoleons, ein +achtbarer Streitgenosse, mit Tapferkeit und Glück, soviel der 16. +Oktober erleiden mochte, also dass ihn der Kaiser Napoleon selbiges +Tages zum Marschall von Frankreich ernannte. Das war seltsam Stand +und Würde. Aber schon am 19. auf der Flucht, als alles drunter und +drüber ging, ertrank der neue Marschall in der Elster. Elster heisst +der Fluss, in welchem er ertrank. Mancher wohlbewanderte Leser wird +sie kennen. Also ward auf eine unerwartete Weise die Prophezeiung +der Zigeunerin erfüllt. Den Leichnam des Ertrunkenen hat nachher mit +allen seinen goldenen Ringen und Kostbarkeiten ein Fischer im Wasser +gefunden und um Geld gezeigt, aber von allen Kostbarkeiten an seinen +Fingern und in seinen Taschen hat er nichts entwendet, sondern ein +Angehöriger des Prinzen hat ihn nachher in Empfang genommen und den +Fischer mit einer ansehnlichen Geldsumme belohnt. + +Die zweite Weissagung lässt sich zwar ganz natürlich erklären. Nicht +minder aber ist sie merkwürdig. + +Bekanntlich konnte man dem grossen König Friederich von Preussen +nicht nachreden, dass er leichtglaubig gewesen sei in Ansehung der +übernatürlichen Dinge. Vielmehr hatte er manchmal gern seinen Spass +mit solchen, die es waren, aber nicht immer gelang es ihm. Eines +Tages versicherte man ihn von einem Prediger, dass er weissagen +könnte. Alles, was er vorhersage, treffe ein. Der König befahl, den +neuen Propheten vor ihn zu bringen. Unterdessen erkundigte sich der +König, ob kein Soldat im Arrest sei, der das Leben verwirkt habe. +Ja, es war einer drinnen. Also befahl er, den Delinquenten auf die +bestimmte Stunde vor sein königliches Wohnzimmer auf die Schildwache +zu stellen. Als aber der Prediger kam, "habt Ihr den heiligen Geist +empfangen?" fragte ihn der König.--"Ihro Majestät", sagte der +Prediger, "es wäre gut, wenn ihn alle hätten."--"Besitzt Ihr die +Gabe der Weissagung?"--"Etwas davon, wie die Leute sagen."--"Zum +Exempel",--fuhr der König fort,--"was soll ich geschwind fragen?-- +Man bringe den Burschen herein, der draussen Schildwache steht! Wie +alt wird dieser Mensch werden", fragte er den Prediger, "woran wird +er sterben?" Der Prediger erwiderte, dieser Mensch werde nach vielen +Jahren in einem hohen Alter sterben.--"Ihr seid in Eurer Probe +schlecht bestanden", versetzte hinwiederum der König. "Wisst Ihr", +sagte er, dass ich morgenden Tages diesen Burschen henken lasse? Er +ist ein Delinquent."--Der Prediger sagte: "Es wäre der erste, der +meiner Weissagung entliefe." Item, der Delinquent wurde den andern +Morgen zur Hinrichtung aus Potsdam hinausgeführt. Item, die +Schwestern des Königs, die Herzogin von Braunschweig und die +Prinzessin Amalia, fuhren desselbigen Morgens nach Potsdam hinein, +dass sie dem König einen guten Morgen sagen und ihm mit ihrem Besuch +eine unvermutete Freude machen wollten. Denn derselbige Morgen war +schön, fast zu schön zum Henken. Als sie aber an dem Zug +vorbeifuhren und den armen Menschen auf seinem schweren Todesgang +erblickten, zuckte durch ihre fürstlichen Seelen ein zarter Schmerz. +"Was soll mit diesem armen Menschen werden?"--"Ihre Hoheit, nimmer +viel. Er wird gehenkt."--"Was hat er begangen?"--"Das und das."-- +Es war zum Henken und zum Laufenlassen, wie man wollte. Die +Prinzessin befahl, mit der Hinrichtung noch innezuhalten, bis neue +Ordre käme. Der König aber empfing seine Schwestern mit brüderlicher +Freude. "Wir haben eine Bitte an Euch, geliebter Bruder", sagten +sie, "die Ihr uns wohl gewähren möget, so Ihr wollt. Gebt uns darauf +Euer königliches Wort!" Der König war in guter Laune und tat's. +"Wenn's möglich ist", sagte er, "so soll's nicht Nein sein." Denn er +meinte, sie seien deswegen gekommen und wollten etwas verlangen für +sich. Sie baten aber zu seinem Erstaunen um die Begnadigung des +Delinquenten.--Was war zu tun? Das Wort war gegeben. Also schickte +er einen Adjutanten mit einem weissen Tüchlein hinaus, dass man den +Delinquenten wieder zurückbrächte. Der König segnete das Zeitliche +den 17. August 1786. + +Der Musketier kann in diesem Augenblicke noch leben. + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Schatzkästlein des rheinischen +Hausfreundes (Eine Auswahl aus verschiedenen Quellen), von Johann +Peter Hebel. + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Schatzkaestlein des rheinischen +Hausfreundes, by Johann Peter Hebel + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHATZKAESTLEIN *** + +This file should be named 7810-8.txt or 7810-8.zip + +Produced by Juliet Sutherland and Mike Pullen + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our eBooks one year in advance +of the official release dates, leaving time for better editing. +Please be encouraged to tell us about any error or corrections, +even years after the official publication date. + +Please note neither this listing nor its contents are final til +midnight of the last day of the month of any such announcement. +The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at +Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. 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This is +also a good way to get them instantly upon announcement, as the +indexes our cataloguers produce obviously take a while after an +announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter. + +http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext03 or +ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext03 + +Or /etext02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90 + +Just search by the first five letters of the filename you want, +as it appears in our Newsletters. + + +Information about Project Gutenberg (one page) + +We produce about two million dollars for each hour we work. The +time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours +to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright +searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our +projected audience is one hundred million readers. If the value +per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 +million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text +files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ +We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 +If they reach just 1-2% of the world's population then the total +will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! +This is ten thousand titles each to one hundred million readers, +which is only about 4% of the present number of computer users. + +Here is the briefest record of our progress (* means estimated): + +eBooks Year Month + + 1 1971 July + 10 1991 January + 100 1994 January + 1000 1997 August + 1500 1998 October + 2000 1999 December + 2500 2000 December + 3000 2001 November + 4000 2001 October/November + 6000 2002 December* + 9000 2003 November* +10000 2004 January* + + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created +to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. + +We need your donations more than ever! + +As of February, 2002, contributions are being solicited from people +and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, +Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, +Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, +Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New +Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, +Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South +Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West +Virginia, Wisconsin, and Wyoming. + +We have filed in all 50 states now, but these are the only ones +that have responded. + +As the requirements for other states are met, additions to this list +will be made and fund raising will begin in the additional states. +Please feel free to ask to check the status of your state. + +In answer to various questions we have received on this: + +We are constantly working on finishing the paperwork to legally +request donations in all 50 states. 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