summaryrefslogtreecommitdiff
diff options
context:
space:
mode:
authorRoger Frank <rfrank@pglaf.org>2025-10-15 05:33:19 -0700
committerRoger Frank <rfrank@pglaf.org>2025-10-15 05:33:19 -0700
commitc2ac43dd4512d9e3b171ecf222354dd9db1a3d17 (patch)
treeb533013a02798b135ef5e87992aee360b5589f5b
initial commit of ebook 9491HEADmain
-rw-r--r--.gitattributes3
-rw-r--r--9491-8.txt3733
-rw-r--r--9491-8.zipbin0 -> 66509 bytes
-rw-r--r--LICENSE.txt11
-rw-r--r--README.md2
-rw-r--r--old/7cndg10.txt3710
-rw-r--r--old/7cndg10.zipbin0 -> 66037 bytes
-rw-r--r--old/8cndg10.txt3710
-rw-r--r--old/8cndg10.zipbin0 -> 66061 bytes
9 files changed, 11169 insertions, 0 deletions
diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes
new file mode 100644
index 0000000..6833f05
--- /dev/null
+++ b/.gitattributes
@@ -0,0 +1,3 @@
+* text=auto
+*.txt text
+*.md text
diff --git a/9491-8.txt b/9491-8.txt
new file mode 100644
index 0000000..7bb2e78
--- /dev/null
+++ b/9491-8.txt
@@ -0,0 +1,3733 @@
+The Project Gutenberg EBook of Candida, by George Bernard Shaw
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
+other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
+the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
+to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
+
+Title: Candida
+
+Author: George Bernard Shaw
+
+Posting Date: October 3, 2014 [EBook #9491]
+Release Date: December, 2005
+First Posted: October 5, 2003
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK CANDIDA ***
+
+
+
+
+Produced by Michalina Makowska
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+CANDIDA
+
+Ein Mysterium in drei Akten
+
+George Bernard Shaw
+
+Übersetzt von Siegfried Trabitsch
+
+
+
+
+
+
+
+PERSONEN
+
+Pastor Jakob Morell
+Candida, seine Frau
+Burgess, ihr Vater
+Alexander Mill, Unterpfarrer
+Proserpina Garnett, Maschinenschreiberin
+Eugen Marchbanks, ein junger Dichter
+
+Ort der Handlung: Die St. Dominikpfarre, Viktoriapark, London E.
+
+Zeit: Oktober 1894.
+
+
+
+
+ERSTER AKT
+
+(Ein schöner Oktobermorgen im nordöstlichen Viertel Londons. In
+diesem ausgedehnten Bezirk sind die Seitengässchen viel weniger
+schmal, schmutzig, übelriechend und stickig als in dem viele
+Meilen entfernten London von Mayfair und St. James. Hier spielt
+sich besonders das unelegante Leben der Mittelklassen ab. Die
+breiten, dichtbevölkerten Strassen sind mit hässlichen eisernen
+Bedürfnisanstalten, radikalen Klubs und Trambahnlinien, auf denen
+Ketten von gelben Wagen endlos einziehen, reichlich versehn. Doch
+Sind die Hauptverkehrsadern mit grasbewachsenen Vorgärtchen verziert,
+von denen man nur den kleinen Streifen betritt, der vom Pförtchen zur
+Haustür führt. Jene Strassen werden durch die stumm geduldete
+Eintönigkeit sich meilenweit erstreckender hässlicher Ziegelbauten,
+schwarzer Eisengitter, Steinpflaster und Schieferdächer arg entstellt.
+Anständig aber unmodern oder gemein und ärmlicb gekleidete Leute, die
+an dieses Viertel gewöhnt sind und sich zumeist in aufreibender Weise
+für andere plagen müssen, ohne sich für ihre Arbeit zu interessieren,
+bilden ihre Bewohner. Das bisschen ihnen gebliebene Energie und Eifer
+gipfelt in der Habgier des Londoner Cockneys und in der Begierde, ihr
+Geschäft vorwärts zu bringen. Selbst die Schutzleute und die Kapellen
+sind nicht selten genug, die Eintönigkeit zu unterbrechen. Die Sonne
+scheint klar, es ist nicht neblig, und obgleich der Rauch sowohl die
+Gesichter und Hände als auch die Mauern aus Ziegelstein und Mörtel
+verhindert, frisch und rein zu sein, so ist er doch nicht schwarz und
+schwer genug, um einen Londoner zu belästigen.)
+
+(Diese reizlose Wüste hat ihre Oase. Am äussersten Ende der
+Hackneystrasse ist ein durch ein hölzernes Pfahlwerk abgeschlossener
+Park von 270 Morgen angelegt. Er enthält Rasenplätze, Bäume, einen
+Teich zum Baden, Blumenbeete, die Triumphe der vielbewunderten
+Cockney-Kunst der Teppichgärtnerei sind, und eine Sandgrube, die
+ursprünglich zur Belustigung der Kinder vom Meeresufer importiert,
+aber schleunigst verlassen wurde, als sie sich in eine natürliche
+Ungezieferbrutstätte für die ganz kleine Fauna von Kingsland,
+Hackney und Hoxton verwandelte. Ein Orchester, ein kleines
+Forum für religiöse, antireligiöse und politische Redner,
+Cricketplätze, ein Turnplatz und ein altmodischer Steinkiosk bilden die
+Hauptanziehungspunkte. Wo die Aussicht von Bäumen oder grünen Anhöhen
+begrenzt wird, ist es ein hübscher Aufenthaltsort. Wo sich aber der
+Boden flach bis zu dem grauen Lattenzaun hinzieht und man Ziegel und
+Mörtel, Reklameschilder, zusammengedrängte Schornsteine und Rauch
+gewahrt muss die Gegend (im Jahre 1894), trostlos und hässlich genannt
+werden.)
+
+(Die beste Aussicht auf den Viktoriapark gewinnt man von den
+Frontfenstern der St. Dominikpfarre; von dort sieht man auf keinerlei
+Mauerwerk. Das Pfarrhaus steht halb frei, mit einem Vorgarten und
+einer Vorhalle. Besucher benützen die Stufen, die auf die Veranda
+führen, Geschäftsleute und Familienmitglieder geben durch eine Tür
+unterhalb der Treppe in das Erdgeschoß, wo ein Frühstückszimmer nach
+vorne liegt, das zu allen Mahlzeiten dient; die Küche liegt hinten.
+Oben, auf einem Niveau mit der Flurtür, befindet sich das
+Empfangszimmer mit seinem breiten Fenster aus geschliffenem Glas, das
+auf den Park hinausführt.)
+
+(Hier, in dem einzigen Raume, der von den Familienmahlzeiten und den
+Kindern verschont bleibt, vollbringt der Pfarrer, Reverend Jakob Mavor
+Morell, sein Tagewerk. Er sitzt in einem starken drehbaren Stuhl mit
+runder Lehne am Ende eines langen Tisches, der dem Fenster
+gegenübersteht, so daß er sich durch einen Blick über die linke
+Schulter an der Aussicht auf den Park erfreuen kann. Am Ende des
+Tisches, an diesen anstoßend, befindet sich ein zweiter Tisch, der nur
+halb so breit ist und eine Schreibmaschine trägt.--Seine Schreiberin
+sitzt davor mit dem Rücken gegen das Fenster. Der große Tisch ist
+unordentlich mit Zeitungen, Broschüren, Briefen, Schubladeeinsätzen,
+einem Notizheft, einer Briefwage und ähnlichen Dingen bedeckt. In der
+Mitte steht ein übriger Stuhl für die Besucher, die mit dem Pfarrer
+geschäftlich zu tun haben. Seiner Hand erreichbar steht eine
+Papierkassette und eine Photographie in einem Rahmen. Die Wand hinter
+ihm ist mit Bücherregalen zugestellt. Die theologische Richtung des
+Pfarrers kann ein Sachverständiger an: Maurices "Theologischen Essays"
+und einer vollständigen Ausgabe der Browningschen Gedichte erkennen,
+seine politischen Reformideen an einem gelbrückigen Band "Fortschritt
+und Armut", den "Essays der Fabier", dem "Traum John Bulls" von
+William Morris, dem "Kapital" von Marx und einem halben Dutzend
+anderer grundlegender sozialistischer Bücher. Dem Pfarrer gegenüber,
+auf der andern Seite des Zimmers in der Nähe der Schreibmaschine, ist
+die Tür. Weiter hinten, dem Kamin gegenüber, steht ein Bücherbrett
+auf einem Spind, daneben ein Sofa. Ein starkes Feuer brennt im Kamin
+und davor steht ein bequemer Lehnstuhl, ferner ein schwarz lackierter,
+blumenbemalter Kohleneimer auf der einen Seite und ein Kindersessel
+für einen Knaben oder ein Mädchen auf der anderen. Der hölzerne
+Kaminsims ist lackiert, und in den kleinen Feldern der nett geformten
+Fächer sind winzige Spiegelgläser eingelegt, und eine Reiseuhr in
+einem Lederetui (das unvermeidliche Hochzeitsgeschenk) steht darauf.
+An der Wand darüber hängt eine große Autotypie der Hauptfigur aus
+Tizians Assunta. So sieht der Kamin sehr einladend aus. Im ganzen
+gesehen ist es das Zimmer einer guten Hausfrau, die, was des Pastors
+Arbeitstisch betrifft, an etwas Unordnung gewöhnt ist, aber trotzdem
+die Situation vollkommen beherrscht. Die Einrichtung verrät in ihrem
+ornamentalen Aussehen den Stil der in den Zeitungen annoncierten
+"Saloneinrichtung" des unternehmenden Vorstadtmöbelhändlers; aber es
+ist nichts Zweckloses oder Aufdringliches in dem Zimmer. Die Tapeten
+und die Täfelung sind dunkel und lassen das große helle Fenster und
+den Park draußen kräftig hervortreten.)
+
+(Hochwürden Jakob Mavor Morell ist ein christlich-sozialer Geistlicher
+der anglikanischen Kirche und ein aktives Mitglied der Gilde von
+"Sankt Matthäus" und der "Christlich Socialen Union". Ein starker,
+freundlicher, allgemein geachteter Mann von vierzig fahren, kräftig
+und hübsch, voll Energie und mit liebenswürdigen, herzlichen,
+rücksichtsvollen Manieren, mit einer gesunden, natürlichen Stimme, die
+er mit der wirkungsvollen Betonung eines geübten Redners benutzt. Er
+verfügt über einen großen Wortschatz, den er vollkommen beherrscht.
+Er ist ein vorzüglicher Geistlicher, fähig, was er will zu wem er will
+zu sagen und die Leute abzukanzeln, ohne sich über sie zu ärgern,
+ihnen seine Autorität aufzudrängen, ohne sie zu demütigen und, wenn es
+sein muß, sich in ihre Angelegenheiten zu mischen, ohne dabei zu
+verletzen. Die Quelle seiner Begeisterung und seines Mitgefühls
+versiegt niemals auch nur für einen Augenblick; er ißt und schläft
+noch immer ausgiebig genug, um die tägliche Schlacht zwischen
+Erschöpfung und Erholung glänzend zu gewinnen. Dabei ist er ein
+großes Kind, verzeihlicherweise eitel auf seine Fähigkeiten und
+unbewust selbstgefällig. Er hat eine gesunde Gesichtsfarbe, eine
+schöne Stirn mit etwas plumpen Augenbrauen, glänzende und lebhafte
+Augen, einen energischen Mund, der nicht besonders schön geschnitten
+ist, und eine kräftige Nase mit den beweglichen, sich blähenden
+Nasenflügeln des dramatischen Redners, die aber wie alle seine Züge
+der Feinheit entbehrt.)
+
+(Die Maschinenschreiberin, Fräulein Proserpina Garnett, ist eine flinke
+kleine Person von ungefähr dreißig Jahren, sie gehört der unteren
+Mittelklasse an, ist nett, aber billig mit einem schwarzen Wollrock
+und einer Bluse bekleidet, ziemlich vorlaut und naseweis und nicht
+sehr höflich in ihrem Benehmen, aber empfindungsfähig und
+teilnahmsvoll. Sie klappert emsig auf ihrer Maschine drauf los,
+während Morell den letzten Brief seiner Morgenpost öffnet. Er
+durchfliegt seinen Inhalt mit einem komischen Stöhnen der Verzweiflung.)
+
+(Proserpina.) Wieder ein Vortrag?
+
+(Morell.) Ja. Ich soll nächsten Sonntagvormittag für die
+Freiheitsgruppe von Hoxton sprechen. (Er betont mit großer
+Wichtigkeit "Sonntag", weil das der unvernünftige Teil des Verlangens
+ist.) Was sind das für Leute?
+
+(Proserpina.) Ich glaube, kommunistische Anarchisten.
+
+(Morell.) Es sieht den Anarchisten ähnlich, nicht zu wissen, daß sie
+am Sonntag keinen Pastor haben können. Schreiben Sie ihnen, sie
+sollen in die Kirche kommen, wenn sie mich hören wollen, das kann
+ihnen nicht schaden! Und fügen Sie hinzu, daß ich nur Montags und
+Donnerstags frei bin. Haben Sie das Vormerkbuch da?
+
+(Proserpina hebt das Vormerkbuch auf:) Ja!
+
+(Morell.) Ist irgendeine Vorlesung für nächsten Montag angesetzt?
+
+(Proserpina im Vormerkbuch nachschlagend:) Der radikale Klub von Tower
+Hamlet.
+
+(Morell) Nun, und Donnerstag?
+
+(Proserpina.) Die englische Bodenreform-Liga.
+
+(Morell.) Was dann?
+
+(Proserpina.) In der Gilde von Sankt Matthäus am Montag. In der
+unabhängigen Arbeitervereinigung, Abteilung Greenwich, am Donnerstag;
+am Montag darauf in der soziademokratischen Föderation, Abteilung Mile
+End; am folgenden Donnerstag ist die erste Konfirmationsklasse.
+(Ungeduldig:) Ach, ich will lieber schreiben, daß Sie überhaupt nicht
+kommen können; es sind doch nur ein halbes Dutzend unwissende und
+eingebildete Hausierer, die miteinander keine fünf Schilling haben.
+
+(Morell belustigt:) Ah, aber bedenken Sie, es sind nahe Verwandte von
+mir, Fräulein Garnett.
+
+(Proserpina ihn anstarrend:) Verwandte von Ihnen?
+
+(Morell.) Ja! Wir haben denselben Vater--im Himmel.
+
+(Proserpina erleichtert:) Oh, weiter nichts?
+
+(Morell mit einer Melancholie, die einem Manne Genuß ist, dessen
+Stimme sie schon so schön auszudrücken vermag:) Ah, Sie glauben das
+auch nicht,--jedermann sagt es, niemand glaubt es, niemand! (Schnell
+zu seinem Gegenstande zurückkehrend:) Gut, gut! Na, Fräulein
+Proserpina, können Sie keinen Tag für die Hausierer finden, wie ist's
+mit dem fünfundzwanzigsten,--der war noch vorgestern frei.
+
+(Proserpina aus dem Vormerkbuch:) Auch vergeben--an die Fabier.
+
+(Morell.) Hol' der Geier die Fabier! Ist der achtundzwanzigste
+gleichfalls vergeben?
+
+(Proserpina.) Bankett in der City. Sie sind von den Hüttenbesitzern
+zum Speisen eingeladen.
+
+(Morell.) Das geht, ich werde eben statt dessen nach Hoxton gehen.
+(Sie trägt diese Verpflichtung schweigend ein, mit unerschütterlicher
+Verachtung gegen diese Hoxtoner Anarchisten, die sich in jeder Linie
+ihres Gesichtes spiegelt. Morell reißt das Streifband eines Exemplars
+des "Church Reformer" ab, das mit der Post angekommen ist, und
+überfliegt den Leitartikel Stewart Hedlams und die Mitteilungen der
+Gilde von Sankt Matthäus. Diese Vorgänge werden alsbald durch das
+Erscheinen des Unterpfarrers Morells, Alexander Mill, unterbrochen.
+Er ist ein junger Mensch, den Morell von der nächsten Missionstelle
+der Universität bezogen hat, wohin er von Oxford gekommen war, um dem
+East-End von London die Wohltat seiner akademischen Bildung angedeihen
+zu lassen. Er ist ein eingebildeter, gutgesinnter, unreifer Mann, von
+enthusiastischer Natur. Nichts absolut Unausstehliches ist in seinem
+Wesen außer der Gewohnheit, um eine gezierte Sprache zu erzielen, mit
+sorgsam geschlossenen Lippen zu reden und eine Menge Vokale schlecht
+auszusprechen, als ob dies das Hauptmittel wäre, die Bildung Oxfords
+unter den Pöbel Hackneys zu tragen.)
+
+(Morell, den er durch eine hündische Unterwürfigkeit für sich gewann,
+blickt nachsichtig von seiner Lektüre im "Church Reformer" auf und
+bemerkt:) Nun, Lexi, wieder verschlafen, wie gewöhnlich?
+
+(Mill.) Leider ja. Ich wollte, ich könnte des Morgens leichter
+aufstehen.
+
+(Morell freut sich der eigenen Energie:) Ha, ha! (launig:) "Wache und
+bete", Lexi, "wache und bete".
+
+(Mill.) Ich weiß. (Er benützt diese Gelegenheit sofort, um einen Witz
+zu machen.) Aber wie kann ich wachen und beten, wenn ich schlafe;
+--hab' ich nicht recht, Fräulein Prossi?
+
+(Proserpina scharf:) Fräulein Garnett, wenn ich bitten darf.
+
+(Mill.) Entschuldigen Sie, Fräulein Garnett.
+
+(Proserpina.) Sie müssen heute alle Arbeit allein erledigen. (Mill.)
+Warum?
+
+(Proserpina.) Fragen Sie nicht, warum. Es wird Ihnen wohl bekommen,
+Ihr Abendbrot einmal zu verdienen, bevor Sie es essen, wie ich es
+täglich tue. Los, trödeln Sie nicht. Sie sollten schon seit einer
+halben Stunde unterwegs sein.
+
+(Mill starr:) Spricht sie im Ernst, Herr Pastor?
+
+(Morell in bester Laune--seine Augen glänzen:) Ja. Heute werd' ich
+einmal bummeln.
+
+(Mill.) Sie? Sie wissen ja nicht, wie man das macht.
+
+(Morell herzlich:) Ha, ha! Weißichdasnicht? Diesen Tag will ich ganz
+für mich haben, oder doch wenigstens den Vormittag! Meine Frau kommt
+nämlich zurück, um elf Uhr fünfundvierzig soll sie hier eintreffen.
+
+(Mill erstaunt:) Schon zurück--mit den Kindern? Ich dachte, sie
+wollte bis Ende des Monats fortbleiben.
+
+(Morell.) So ist es. Sie kommt nur für zwei Tage her, um für Jimmy
+etwas Flanellwäsche einzukaufen und um zu sehen, wie wir hier ohne sie
+fertig werden.
+
+(Mill ängstlich:) Aber lieber Herr Morell, wenn das, was Jimmy und
+Flussy gefehlt hat, wirklich Scharlach war, halten Sie es für klug?--
+
+(Morell.) Unsinn, Scharlach! Masern waren es, ich habe sie selbst von
+der Pycroftstraße aus der Schule nach Hause gebracht; ein Pastor ist
+wie ein Arzt, mein Lieber, er muß der Ansteckung ins Auge sehen können
+wie ein Soldat den Kugeln. (Er erbebt sich und schlägt Mill auf die
+Schultern.) Trachten Sie, Masern zu bekommen, wenn Sie können; Candida
+wird Sie dann pflegen, und was für ein Glücksfall wäre das für Sie,
+--was?
+
+(Mill unsicher lächelnd:) Es ist schwer, Sie zu verstehen, wenn Sie
+über Frau Morell sprechen.--
+
+(Morell weich:) Mein lieber Junge, seien Sie erst verheiratet!
+Verheiratet mit einer guten Frau, und dann werden Sie mich verstehen.
+Es ist ein Vorgeschmack von dem Besten, was uns in dem himmlischen
+Reich erwartet, das wir uns auf Erden zu gründen versuchen. Dann
+werden Sie sich schon das Bummeln abgewöhnen! Ein braver Mann fühlt,
+daß er dem Himmel für jede Stunde des Glücks ein hartes Stück
+selbstloser Arbeit zum Wohle seiner Mitmenschen schuldig ist. Wir
+haben ebensowenig das Recht, Glück zu verbrauchen, ohne es zu erzeugen,
+als Reichtum zu verbrauchen, ohne ihn zu erwerben. Suchen Sie sich
+eine Frau wie meine Candida, und Sie werden immer Schuldner sein,
+wieviel Sie auch abzahlen. (Er klopft Mill liebevoll auf den Rücken
+und ist im Begriff, das Zimmer zu verlassen, als Mill ihn zurückruft.)
+
+(Mill.) Oh, warten Sie einen Augenblick, ich vergaß... (Morell bleibt
+stehen und wendet sich um, die Türklinke in der Hand.) Ihr Herr
+Schwiegervater wird hierherkommen, er hat mit Ihnen zu sprechen.
+(Morell schließt die Tür wieder, mit vollkommen verändertem Wesen.)
+
+(Morell überrascht und nicht erfreut:) Burgess?
+
+(Mill.) Ja! Ich traf ihn mit jemandem im Park, in eifrigem Gespräch.
+Er sprach mich an und bat mich, Sie wissen zu lassen, daß er
+hierherkommt.
+
+(Moroll halb ungläubig:) Aber er ist seit Jahren nicht hier gewesen.
+Sind Sie sicher, Lexi? Sie scherzen doch nicht etwa?--
+
+(Mill ernst:) Nein, Herr Pastor, ganz bestimmt nicht!
+
+(Morell nachdenklich:) Hm, hm, er hält es an der Zeit, sich wieder
+einmal nach Candida umzusehen, ehe sie gänzlich aus seinem Gedächtnis
+verschwindet. (Er fügt sich in das Unvermeidliche und geht hinaus;
+Mill sieht ihm mit begeisterter, närrischer Verehrung nach. Fräulein
+Garnett, die Mill nicht schütteln kann, wie sie möchte, läßt ihre
+Gefühle an der Schreibmaschine aus.)
+
+(Mill.) Was für ein vortrefflicher Mann, welch ein tiefes liebevolles
+Gemüt! (Er nimmt Morells Platz am Tisch ein und macht es sich bequem,
+indem er eine Zigarette hervorzieht.)
+
+
+(Proserpina ungeduldig, nimmt den Brief, den sie auf der Maschine
+geschrieben hat, und faltet ihn zusammen:) Ach! ein Mann sollte seine
+Frau lieben können, ohne einen Narren aus sich zu machen.
+
+(Mill erregt:) Aber Fräulein Proserpina!
+
+(Proserpina geschäftig aufstehend, holt ein Kuvert aus dem Pulte, in
+das sie, während sie spricht, den Brief hineinlegt:) Candida hin und
+Candida her und Candida überall. (Sie leckt das Kuvert.) Es kann
+einen außer Rand und Band bringen! (Hämmert das Kuvert, um es fest zu
+schließen.) Hören zu müssen, wie eine ganz gewöhnliche Frau in dieser
+lächerlichen Weise vergöttert wird, bloß weil sie schönes Haar und
+eine leidliche Figur hat.
+
+(Mill mit vorwurfsvollem Ernst:) Ich finde sie ungewöhnlich schön,
+Fräulein Garnett. (Er nimmt die Photographie zur Hand betrachtet sie
+und fügt mit noch tieferem Ausdruck hinzu:) Wunderbar schön,--was für
+herrliche Augen sie hat!
+
+(Proserpina.) Candidas Augen sind durchaus nicht schöner als meine,
+(Mill stellt die Photograpbie fort und sieht sie strenge an,) und ich
+weiß ganz gut, daß Sie mich für ein gewöhnliches und untergeordnetes
+Geschöpf halten.
+
+(Mill erbebt sich majestätisch:) Gott behüte, daß ich von irgendeinem
+Geschöpf Gottes in dieser Weise dächte. (Er geht steif von ihr fort
+bis in die Nähe des Bücherschranks.)
+
+(Proserpina mit bitterem Spott:) Ich danke Ihnen, das ist sehr nett
+und tröstlich.
+
+(Mill traurig über ihre Verstocktheit:) Ich hatte keine Ahnung, daß
+Sie etwas gegen Frau Morell haben.
+
+(Proserpina entrüstet:) Ich habe durchaus nichts gegen sie. Sie ist
+sehr liebenswürdig und sehr gutherzig, ich habe sie sehr gern und weiß
+ihre wirklich guten Eigenschaften weit besser zu würdigen, als
+irgendein Mann es könnte. (Mill schüttelt traurig den Kopf, wendet
+sich zum Bücherschrank und sucht die Reihen entlang nach einem Bande.
+Sie folgt ihm mit heftiger Leidenschaftlichkeit.) Sie glauben mir
+nicht? (Er wendet sich um und blickt ihr ins Gesicht. Sie fällt ihn
+mit Heftigkeit an:) Sie halten mich für eifersüchtig? Was für eine
+tiefe Kenntnis des menschlichen Herzens Sie haben, Herr Alexander Mill!
+Wie gut Sie die Schwächen der Frauen kennen, nicht wahr? Wie schön
+es sein muß, ein Mann zu sein und einen scharfen durchdringenden
+Verstand zu haben, statt bloße Gefühle, wie wir Frauen, und zu wissen,
+daß die Ursache, warum wir ihr Vernarrtsein in eine Frau nicht teilen,
+nur in gegenseitiger Eifersucht zu suchen sein kann. (Sie wendet sich
+mit einer Bewegung ihrer Schultern von ihm ab und geht an das Feuer,
+ihre Hände zu wärmen.)
+
+(Mill.) Ach, wenn Ihr Frauen nur ebenso leicht den Schlüssel zur
+Stärke des Mannes fändet wie zu seiner Schwäche, es gäbe keine
+Frauenfrage.
+
+(Proserpina über ihre Schulter, während sie die Hände vor die Flammen
+hält:) Wo haben Sie das von Herrn Morell gehört? Sie selbst haben es
+nicht erfunden,--Sie sind dazu nicht gescheit genug.
+
+(Mill.) Das ist ganz richtig. Ich schäme mich durchaus nicht, ihm
+diesen Ausspruch zu verdanken, wo ich ihm schon so viele andere
+geistige Wahrheiten verdanke! Er tat ihn bei der Jahresversammlung
+der freien Frauenvereinigung. Erlauben Sie mir hinzuzufügen, daß ich,
+obwohl bloß ein Mann, im Gegensatz zu jenen Frauen diesen Ausspruch zu
+schätzen wußte! (Er wendet sich wieder an den Bücherschrank in der
+Hoffnung, daß diese Worte sie vernichtet haben.)
+
+(Proserpina ordnet ihr Haar vor den kleinen Spiegeln des Kamins:) Wenn
+Sie mit mir sprechen, sagen Sie mir gefälligst Ihre eigenen Gedanken,
+soviel sie eben wert sind, und nicht die Pastor Morells. Sie geben
+niemals eine traurigere Figur ab, als wenn Sie versuchen, ihn
+nachzumachen.
+
+(Mill gekränkt:) Ich versuche seinem Beispiel zu folgen, aber nicht,
+ihn nachzumachen.
+
+(Proserpina kommt wieder an ihn heran auf dem Rückwege zu ihrer Arbeit:)
+Jawohl, Sie machen ihn nach. Warum stecken Sie Ihren Schirm unter
+den linken Arm, statt ihn in der Hand zu tragen wie jeder andere?
+Warum gehen Sie mit vorgeschobenem Kinn und warum eilen Sie vorwärts
+mit diesem eifrigen Ausdruck in den Augen,--Sie, der Sie nie vor halb
+zehn Uhr morgens aufstehen? Warum sagen Sie in der Kirche "Aandacht",
+obwohl Sie im Leben "Andacht" sagen? Bah--glauben Sie, ich weiß das
+nicht? (Geht zurück zur Schreibmaschine.) Da kommen Sie her und
+machen Sie sich endlich an Ihre Arbeit; wir haben heute Morgen genug
+Zeit verloren. Hier ist eine Abschrift der Tageseinteilung für heute.
+(Sie reicht ihm ein Memorandum. Mill schwer beleidigt:) Ich danke
+Ihnen. (Er nimmt das Papier und steht mit dem Rücken gegen sie an den
+Tisch gelehnt und liest.) Sie fängt an, auf der Schreibmaschine ihre
+stenographischen Aufzeichnungen zu übertragen, ohne auf Mills Gefühle
+zu achten.
+
+(Burgess tritt unangemeldet ein.) Er ist ein Mann von sechzig Jahren,
+derb und filzig geworden durch die notwendige Selbstsucht des kleinen
+Krämers, die sich später durch Überfütterung und geschäftlichen Erfolg
+zu träger Aufgeblasenheit milderte. Ein gemeiner, unwissender,
+unmäßiger Mensch, beleidigend und hochnasig Leuten gegenüber, deren
+Arbeit wohlfeil ist, ehrfürchtig gegen Menschen von Reichtum und Rang,
+aber beiden gegenüber ganz aufrichtig und ohne Groll oder Neid. Da
+sie ihn ohne besondere Fähigkeiten sah, hat ihm die Welt keine andere
+gut bezahlte Arbeit zu bieten gewußt, als unnoble Arbeit, und er wurde
+infolgedessen etwas erbärmlich, hat aber keine Ahnung, daß er so
+beschaffen ist, und betrachtet seinen kommerziellen Wohlstand ganz
+ehrlich als den unvermeidlichen und sozial berechtigten Triumph der
+Geschicklichkeit, Tüchtigkeit, Fähigkeit und Erfahrung eines Mannes,
+der im Privatleben übertrieben, leichtsinnig, liebenswürdig und
+leutselig ist. Körperlich ist er kurz und dick, mit einer
+schnauzenähnlichen Nase in der Mitte eines flachen, breiten Gesichtes;
+unter dem Kinn ein staubfarbener Bart mit einem grauen Fleck in der
+Mitte; er hat wässerige blaue Augen mit klagend sentimentalem Ausdruck,
+der sich durch die Gewohnheit, seine Sätze wichtigtuend zu singen,
+auch leicht auf seine Stimme überträgt.
+
+(Burgess bleibt an der Schwelle stehen und blickt umher:) Man sagte
+mir, Herr Morell sei hier.
+
+(Proserpina sich erhebend:) Er ist oben, ich will ihn holen.
+
+(Burgess sie frech anstarrend:) Sie sind nicht dieselbe junge Dame,
+die sonst für ihn schrieb.
+
+(Proserpina.) Nein.
+
+(Burgess beistimmend:) Nein, die war jünger. (Fräulein Garnett starrt
+ihn an, dann gebt sie mit großer Würde hinaus. Er nimmt dies
+gleichgültig entgegen und geht an den Kaminteppich, wo er sich
+umwendet und sich breitspurig aufpflanzt, den Rücken dem Feuer
+zugekehrt.)
+
+(Burgess.) Sind Sie im Begriff Ihren Rundgang zu machen, Herr Mill?
+
+(Mill faltet sein Papier und steckt es in die Tasche:) Jawohl, ich muß
+gleich fort.
+
+(Burgess wichtig:) Lassen Sie sich nicht aufhalten; was ich mit Herrn
+Morell zu besprechen habe, ist ganz privater Natur.
+
+(Mill aufgeblasen:) Ich habe durchaus nicht die Absicht, mich
+einzumengen, verlassen Sie sich darauf, Herr Burgess. Guten Morgen!
+
+(Burgess herablassend:) Guten Morgen, guten Morgen!
+
+(Morell kommt zurück, während Mill sich zur Tür wendet.)
+
+(Morell zu Mill:) Sie gehen an die Arbeit?
+
+(Mill.) Jawohl, Herr Pastor.
+
+(Morell klopft ihn liebenswürdig auf die Schulter:) Da, nehmen Sie
+mein Seidentuch um den Hals, es geht ein kalter Wind draußen. Aber
+jetzt machen Sie, daß Sie fortkommen. (Mill, mehr als getröstet über
+Burgess' Schroffheit, freut sich und geht hinaus.)
+
+(Burgess.) Guten Morgen, Jakob. Sie verwöhnen Ihren Unterpfarrer wie
+immer. Wenn ich einen Mann bezahle und einer auf meine Kosten lebt,
+dann weise ich ihm gehörig seinen Platz an.
+
+(Morell etwas kurz angebunden:) Ich weise meinem Unterpfarrer immer
+seinen Platz an, nämlich an meiner Seite als meinem Helfer und
+Kameraden. Wenn es Ihnen gelingt, so viel Arbeit aus Ihren Kommis und
+Angestellten herauszukriegen wie ich aus meinem Unterpfarrer, dann
+müssen Sie ziemlich rasch reich werden. Bitte, setzen Sie sich in
+Ihren gewohnten Stuhl. (Er weist mit trockener Autorität auf den
+Armstuhl neben dem Kamin, dann ergreift er einen freien Stuhl und
+setzt sich in zurückhaltender Entfernung von seinem Besucher.)
+
+(Burgess ohne sich zu rühren:) Sie sind ganz der alte, Jakob.
+
+(Morell.) Als Sie mich das letztemal besuchten--ich glaube, es war vor
+drei Jahren--da sagten Sie genau dasselbe. Nur etwas aufrichtiger.
+Ihr wörtlicher Ausspruch war damals: "Derselbe Narr wie immer, Jakob."
+
+(Burgess sich rechtfertigend:) Vielleicht sagte ich das, aber (mit
+versöhnender Heiterkeit:) ich meinte nichts Beleidigendes damit. Ein
+Geistlicher hat das Privilegium, ein wenig närrisch sein zu
+dürfen--wissen Sie, das liegt schon in seinem Beruf. Einerlei, ich
+bin nicht hergekommen, um alte Meinungsverschiedenheiten aufzuwärmen,
+sondern um die Vergangenheit vergessen sein zu lassen. (Er wird
+plötzlich sehr feierlich und nähert sich Morell.) Jakob, vor drei
+Jahren haben Sie mir übel mitgespielt. Sie haben mich um meine
+Lieferungen gebracht, und als ich Ihnen in meiner erklärlichen
+Verzweiflung böse Worte gab, brachten Sie meine Tochter gegen mich auf.
+Nun, ich bin gekommen, um Ihnen zu zeigen, daß ich ein guter Christ
+bin. (Ihm seine Hand darreichend:) Ich verzeihe Ihnen, Jakob.
+
+(Morell auffahrend:) Verdammt frech!
+
+(Burgess weicht zurück mit fast schluchzendem Vorwurf über diese
+Behandlung:) Ziemt diese Sprache einem Pastor, Jakob? Und besonders
+Ihnen?
+
+(Morell bitzig:) Nein, sie ziemt ihm nicht, ich habe das falsche Wort
+gebraucht,--ich hätte sagen sollen: "Der Teufel soll Ihre Frechheit
+holen!" Das würde Ihnen der heilige Paulus und jeder andere brave
+Priester gesagt haben. Glauben Sie, ich habe Ihr Anerbieten vergessen,
+als Sie für das Armenhaus vertragsmäßig Kleider liefern sollten?
+
+(Burgess in höchster Erbitterung, weil ihm seine Forderung nur recht
+und billig erscheint:) Ich habe im Interesse der Steuerzahler
+gehandelt, Jakob,--es war das niedrigste Angebot, das können Sie nicht
+leugnen.
+
+(Morell.) Jawohl, das niedrigste, weil Sie schlechtere Löhne zahlten
+als irgendein anderer Unternehmer--Hungerlöhne,--ach, ärger als
+Hungerlöhne war die Bezahlung, die Sie den Frauen für ihre Näharbeit
+geboten haben. Ihre Löhne hätten die Armen auf die Straße getrieben,
+um Leib und Seele zu verkaufen. (Immer wütender werdend:) Jene Frauen
+waren aus meinem Kirchsprengel, ich habe die Armenpfleger dazu
+gebracht, daß sie sich schämten, Ihr Angebot anzunehmen, ich habe die
+Steuerzahler dazu gebracht, daß sie sich schämten, es zuzulassen, ich
+habe jeden bis auf Sie dazu gebracht, sich deswegen zu schämen.
+(Überschäumend vor Wut:) Wie können Sie es wagen, Herr,
+hierherzukommen und mir etwas vergeben zu wollen und über Ihre Tochter
+zu sprechen und...
+
+(Burgess.) Beruhigen Sie sich, Jakob,--still, still, regen Sie sich
+nicht für nichts und wieder nichts so auf. Ich habe ja zugegeben, daß
+ich unrecht hatte.
+
+(Morell wütend:) Haben Sie das? Ich habe nichts davon bemerkt!
+
+(Burgess.) Natürlich gab ich's zu, so wie ich's noch jetzt zugebe. Na,
+ich bitte Sie um Verzeihung wegen des Briefes, den ich Ihnen
+geschrieben habe,--genügt Ihnen das?
+
+(Morell mit den Fingern schnalzend:) Ganz und gar nicht! Haben Sie
+die Löhne erhöht?
+
+(Burgess triumphierend:) Ja!
+
+(Morell verblüfft innehaltend:) Was?
+
+(Burgess salbungsvoll:) Ich bin das Muster eines Arbeitgebers geworden.
+Ich beschäftige keine Frauen mehr, sie haben alle den Laufpaß
+bekommen, und die Arbeit wird jetzt durch Maschinen verrichtet. Nicht
+ein Mann verdient jetzt weniger als sechs Pence die Stunde, und die
+alten geübten Arbeiter bekommen die von den Gewerkschaften
+festgesetzten Löhne. (Stolz:) Was sagen Sie jetzt?
+
+(Morell überwältigt:) Ist das möglich? Na, es ist mehr Freude im
+Himmel über einen Sünder, der Buße tut--(Er geht auf Burgess zu mit
+einem Ausbruch entschuldigender Herzlichkeit.) Mein lieber Burgess,
+ich bitte Sie herzlichst um Verzeihung wegen der schlechten Meinung,
+die ich von Ihnen hatte. (Seine Hand fassend:) Und fühlen Sie sich
+nicht wohler nach dieser Veränderung? Gestehen Sie es! Sie sind
+glücklicher, Sie sehen glücklicher aus.
+
+(Burgess kläglich:) Na ja, vielleicht fühle ich mich jetzt glücklicher,
+ich muß wohl, da Sie es bemerken. Tatsache ist, daß mein Angebot von
+der Behörde angenommen wurde. (Wild:) Sie wollte nichts mit mir zu
+schaffen haben, ehe ich anständige Löhne zahlte--der Teufel soll
+diese verdammten Narren holen, die ihre Nase in alles stecken müssen!
+
+(Morell läßt seine Hand fahren, aufs tiefste entmutigt:) Das ist also
+der Grund, warum Sie die Löhne erhöht haben! (Er setzt sich
+niedergeschlagen.)
+
+(Burgess streng, anmaßend, lauter werdend:) Weswegen sollt' ich es
+sonst getan haben? Wohin anders führt es, als zu Trunksucht und
+Ausschweifungen? (Er setzt sich wie ein Richter in den großen
+Lehnstuhl.) Das ist alles sehr schön und gut für Sie: es bringt Sie in
+die Zeitungen und macht Sie zu einem berühmten Manne; aber Sie denken
+nie an den Schaden, den Sie anrichten, indem Sie die Taschen der
+Arbeiter mit Geld anfüllen, das sie doch nicht vernünftig auszugeben
+verstehen, während Sie es Leuten fortnehmen, die gute Verwendung dafür
+hätten.
+
+(Morell nach einem schweren Seufzer, mit kalter Höflichkeit:) Was
+wollen Sie also heute von mir? Ich bilde mir nicht ein, daß nur
+verwandtschaftliche Gefühle Sie herführen.
+
+(Burgess hartnäckig:) Doch--gerade verwandtschaftliche Gefühle und
+nichts anderes!
+
+(Morell mit müder Ruhe:) Das glaub' ich Ihnen nicht.
+
+(Burgess springt drohend auf:) Sagen Sie mir das nicht ein zweites Mal,
+Jakob Morell!
+
+(Morell unerschütterlich:) Ich werde es genau so oft sagen, als es
+nötig ist, Sie davon zu überzeugen.--Das glaub' ich Ihnen nicht.
+
+(Burgess versinkt in einen Zustand von tief verwundetem Gefühl:) Nun
+gut, wenn Sie durchaus unfreundlich sein wollen, dann ist es wohl am
+besten, ich gehe. (Er bewegt sich zögernd gegen die Tür, Morell gibt
+kein Zeichen. Burgess zögert noch.) Ich habe nicht erwartet, Sie
+unversöhnlich zu finden, Jakob. (Da Morell noch immer nicht antwortet,
+macht er noch einige zögernde Schritte nach der Tür, dann kommt er
+zurück, jammernd:) Wir haben uns doch immer ganz gut vertragen, trotz
+unserer verschiedenen Anschauungen, warum sind Sie mir gegenüber jetzt
+so verändert? Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich bloß aus Freundschaft
+hergekommen bin und nicht, um mich mit dem Manne meiner eigenen
+Tochter auf schlechten Fuß zu stellen. Seien Sie doch ein Christ,
+Jakob, reichen Sie mir Ihre Hand. (Er legt seine Hand sentimental auf
+Morells Schulter.)
+
+(Morell blickt nachdenklich zu ihm auf.) Schauen Sie, Burgess, wollen
+Sie hier ebenso willkommen sein, wie Sie es waren, ehe Sie Ihren
+Vertrag verloren?
+
+(Burgess.) Jawohl, Jakob, das möchte ich wirklich.
+
+(Morell.) Warum benehmen Sie sich dann nicht wie damals?
+
+(Burgess nimmt seine Hand behutsam weg:) Wie meinen Sie das?
+
+(Morell.) Das will ich Ihnen sagen. Damals hielten Sie mich für einen
+jungen Dummkopf!
+
+(Burgess schmeichelnd:) Nein, dafür habe ich Sie nicht gehalten, ich--
+
+(Morell ihn unterbrechend:) Ja, dafür hielten Sie mich! Und ich hielt
+Sie für einen alten Schurken.
+
+(Burgess will diese schwere Selbstanklage Morells heftig abwehren:)
+Nein, das haben Sie nicht getan, Jakob. Jetzt tun Sie sich selbst
+unrecht.
+
+(Morell.) Doch, das tat ich. Na, das hat aber nicht gehindert, daß
+wir ganz gut miteinander ausgekommen sind. Gott hat aus Ihnen das
+gemacht, was ich einen Schurken nenne, und aus mir das, was Sie eben
+einen Dummkopf nennen. (Diese Bemerkung erschüttert die Grundfesten
+von Burgess' Moral. Ihm wird schwach, und während er Morell hilflos
+anblickt, streckt er die Hand ängstlich aus, um sein Gleichgewicht zu
+bewahren, als ob der Boden unter ihm wankte. Morell fährt im selben
+Tone ruhiger Überzeugung fort:) Es ist in beiden Fällen nicht meine
+Sache, mit Gott darüber zu rechten. Solange Sie offen als ein sich
+selbst achtender, echter, überzeugter Schurke hierherkommen und, stolz
+darauf, Ihre Schurkereien zu rechtfertigen versuchen, sind Sie
+willkommen. Aber (und nun wird Morells Ton furchtbar; er erhebt sich
+und stützt sich zur Bekräftigung mit der Faust auf die Rückenlehne des
+Stuhles:) ich mag Sie hier nicht herumschnüffeln haben, wenn Sie so
+tun, als ob Sie das Muster eines Arbeitgebers wären und ein bekehrter
+Mann dazu, während Sie nur ein Abtrünniger sind, der seinen Rock nach
+dem Winde trägt, um einen Vertrag mit der Behörde zustande zu bringen.
+(Er nickt ihm zu, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen, dann geht er
+zum Kamin, wo er in bequemer Kommandostellung, mit dem Rücken gegen
+das Feuer gekehrt, lehnt und fortfährt:) Nein, ich liebe es, wenn ein
+Mensch wenigstens sich selber treu bleibt, selbst im Bösen! Also,
+nehmen Sie jetzt entweder Ihren Hut und gehen Sie, oder setzen Sie
+sich und geben Sie mir einen guten, schurkischen Grund dafür an, warum
+Sie mein Freund sein wollen. (Burgess, dessen Erregung sich genügend
+gelegt hat, um in einem Grinsen ausgedrückt werden zu können, fühlt
+sich durch diesen konkreten Vorschlag sichtlich erleichtert. Er
+überlegt einen Augenblick, und dann setzt er sich langsam und sehr
+bescheiden in den Stuhl, den Morell eben verlassen hat.) So ist's
+recht,--nun heraus damit.
+
+(Burgess kichernd gegen seinen Willen:) Nein, Sie sind wirklich ein
+sonderbarer Kauz, Jakob! (Beinahe enthusiastisch:) Aber man muß Sie
+gern haben, ob man will oder nicht. Außerdem nimmt man, wie ich schon
+sagte, nicht jedes Wort eines Geistlichen für bare Münze, sonst müßte
+die Welt untergehn. Habe ich nicht recht? (Er faßt sich, um einen
+ernsteren Ton anzuschlagen, und die Augen auf Morell gerichtet, fährt
+er mit eintönigem Ernste fort:) Nun, meinetwegen, da Sie es wünschen,
+daß wir gegeneinander ehrlich sind, will ich Ihnen zugeben, daß ich
+Sie--ein wenig--für einen Narren hielt; aber ich fange an zu glauben,
+daß ich damals etwas hinter meiner Zeit zurückgeblieben war.
+
+(Morell frohlockend:) Aha, haben Sie das endlich herausgefunden?
+
+(Burgess bedeutungsvoll:) Ja, die Zeiten haben sich mehr verändert,
+als man glauben sollte! Vor fünf Jahren noch hätte sich kein
+vernünftiger Mensch mit Ihren Ideen abgegeben. Ich wunderte mich
+sogar, daß man Sie auf Ihrem Posten als Pastor beließ. Ich kenne
+einen Geistlichen, der durch den Bischof von London auf Jahre hinaus
+seiner Funktionen enthoben wurde, obwohl der arme Teufel nicht einen
+Funken mehr religiös war als Sie. Aber wenn heute jemand mit mir um
+tausend Pfund wetten wollte, daß Sie selbst noch einmal als Bischof
+enden werden, ich würde die Wette nicht anzunehmen wagen. (Sehr
+eindrucksvoll:) Sie und Ihre Sippschaft werden täglich einflußreicher,
+wie ich überall merke. Man wird Sie einmal irgendwie befördern müssen,
+und wäre es bloß, um Ihnen den Mund zu stopfen. Sie haben doch den
+richtigen Instinkt gehabt, Jakob! Der Weg, den Sie eingeschlagen
+haben, ist der einträglichste für einen Mann Ihres Schlages.
+
+(Morell reicht ihm jetzt die Hand mit fester Entschlossenheit:) Hier
+meine Hand, Burgess, jetzt reden Sie ehrlich. Ich glaube nicht, daß
+man mich zum Bischof ernennen wird; aber wenn es geschieht, dann will
+ich Sie mit den größten Spekulanten bekannt machen, die ich zu meinen
+Diners bekommen kann.
+
+(Burgess der sich mit einem verschmitzten Grinsen erhoben und die
+Freundschaftshand ergriffen hat:) Sie bleiben nun mal bei Ihrem Witz,
+Jakob. Unser Streit ist jetzt beigelegt, nicht wahr?
+
+(Die Stimme einer Frau.) Sag "Ja", Jakob!
+
+(Erstaunt wenden sie sich um und bemerken, daß Candida eben
+eingetreten ist und sie mit jener belustigten, mütterlichen Nachsicht
+betrachtet, die ihr charakteristischer Gesichtsausdruck ist. Sie ist
+eine Frau von dreiunddreißig Jahren, schön gewachsen, gut genährt.
+Man errät, daß sie später eine Matrone sein wird, aber jetzt steht sie
+noch in ihrer Blüte, mit dem Doppelreiz der Jugend und der
+Mutterschaft. Ihr Benehmen ist das einer Frau, die erfahren hat, daß
+sie die Menschen immer lenken kann, wenn sie ihre Neigung gewinnt, und
+die dies unbekümmert offen und instinktiv tut. In diesem Punkte ist
+sie wie jede andere hübsche Frau, die gerade klug genug ist, aus ihrer
+weiblichen Anziehungskraft zu alltäglich selbsttüchtigen Zwecken so
+viel Kapital wie möglich zu schlagen. Aber Candidas heitere Stirn und
+ihre mutigen Augen, der schön geformte Mund und ihr Kinn kennzeichnen
+umfassenden Geist und Würde des Charakters, der ihre Schlauheit im
+Gewinnen von Neigungen adelt. Ein kluger Beobachter würde, sie
+betrachtend, sofort erraten, daß wer das Bild der Assunta auch über
+ihren Kamin gehängt haben mochte, ein seelisches Band zwischen den
+beiden Frauengestalten geahnt hatte, obwohl er weder ihrem Manne, noch
+ihr selbst den Gedanken zutraute, sie mit der Kunst Tizians irgendwie
+in Zusammenhang zu bringen.--Sie ist in Hut und Mantel und hat eine
+zusammengeschnürte Reisedecke, durch die ihr Schirm gesteckt ist, eine
+Handtasche und eine Menge illustrierter Zeitungen in den Händen.)
+
+(Morell über seine Nachlässigkeit erschrocken:) Candida! Ei nun!--(Er
+sieht auf seine Uhr und ist entsetzt, daß es schon so spät ist.) Mein
+Schatz! (Er eilt ihr entgegen und nimmt ihr die Reisedecke ab, indem
+er fortfährt, sein reumütiges Bedauern hervorzusprudeln:) Ich hatte
+die Absicht, dich von der Bahn abzuholen, aber ich bemerkte nicht, daß
+die Zeit schon um war, (die Reisedecke aufs Sofa werfend:) ich war so
+sehr in Anspruch genommen--(Wieder zu ihr kommend:) daß ich das
+vergaß--oh! (Er umarmt sie mit reumütiger Ergriffenheit.)
+
+(Burgess etwas beschämt und ungewiß, wie er von seiner Tochter
+empfangen werden wird:) Wie geht es dir, Candy? (Candida, noch in
+Morells Armen, bietet ihm ihre Wange, die er küßt:) Jakob und ich sind
+zu einer Verständigung gekommen--zu einer ehrenvollen Verständigung.
+Nicht wahr, Jakob?
+
+(Morell heftig:) Reden Sie nicht von unserer Verständigung!
+Ihretwegen habe ich versäumt, Candida abzuholen.
+
+(Teilnahmsvoll:) Du arme Liebe, wie bist du nur mit deinem Gepäck
+fertig geworden? Wie--
+
+(Candida unterbricht ihn und macht sich los:) Na, na, na! ich war
+nicht allein. Eugen ist mit uns gekommen--wir sind zusammen
+hergefahren.
+
+(Morell erfreut:) Eugen?!
+
+(Candida.) Ja. Er plagt sich eben mit meinem Gepäck ab, der arme
+Junge. Ich bitte dich, lieber Jakob, geh gleich hinunter, sonst
+bezahlt er den Wagen, und das möchte ich nicht. (Morell eilt hinaus.
+Candida stellt ihre Handtasche nieder, nimmt dann ihren Mantel und Hut
+ab und legt sie auf das Sofa neben die Decke und plaudert inzwischen.)
+Nun, Papa, wie geht's zu Hause?
+
+(Burgess.) Es lohnt sich nicht mehr, dort zu leben, seit du uns
+verlassen hast, Candy. Ich wollte, du kämst einmal, um nachzusehn und
+mit dem Mädchen zu sprechen.--Wer ist dieser Eugen, der dich begleitet
+hat?
+
+(Candida.) Oh, Eugen ist eine von Jakobs Entdeckungen. Er fand ihn im
+verflossenen Juni schlafend auf dem Kai. Hast du unser neues Bild
+nicht bemerkt? (Ruf das Bild der Assunta zeigend:) Das haben wir von
+ihm.
+
+(Burgess ungläubig:) Was soll das heißen? Willst du mir, deinem
+eigenen Vater, etwa einreden, daß ein Landstreicher, den man schlafend
+auf dem Kai findet, solche Bilder schenkt? (Strenge:) Betrüg mich
+nicht, Candy; es ist ein katholisches Bild, und Jakob hat es selbst
+gekauft.
+
+(Candida.) Du irrst. Eugen ist kein Landstreicher.
+
+(Burgess.) Was ist er denn? (Sarkastisch:) Ein Edelmann
+wahrscheinlich?
+
+(Candida nickt belustigt:) Jawohl, sein Onkel ist ein Pair--ein
+wirklicher, leibhaftiger Graf.
+
+(Burgess wagt es nicht, so eine gute Nachricht zu glauben:) Nein!
+
+(Candida.) Ja! Er trug einen Wechsel auf fünfundfünfzig
+Pfund--zahlbar in acht Tagen--in der Tasche, als Jakob ihn am Kai fand.
+Er dachte, daß er dafür kein Geld bekommen könnte, bevor die acht
+Tage um wären, und er war zu schüchtern, Kredit zu verlangen. Oh, er
+ist ein lieber Junge, wir haben ihn sehr gern.
+
+(Burgess der so tut, als verachte er die Aristokraten, aber mit
+glänzenden Augen:) Hm, ich dachte mir's, daß der Neffe eines Pairs
+nicht bei euch im Viktoriapark zu Besuch sein würde, wenn er nicht ein
+bißchen verrückt wäre. (Er blickt wieder auf das Bild.) Ich bin
+natürlich mit dem Vorwurf dieses Bildes, als strenggläubiger
+Protestant, nicht einverstanden, Candy; aber daß es ein erstklassiges,
+großes Kunstwerk ist, das habe ich sofort erkannt. Nicht wahr, du
+stellst mich ihm vor, Candy? (Er sieht ängstlich auf seine Uhr.) Ich
+kann aber höchstens noch zwei Minuten bleiben.
+
+(Morell kommt mit Eugen zurück, den Burgess mit feuchten Augen
+begeistert anstarrt. Eugen ist ein seltsamer, scheuer Jüngling von
+achtzehn Jahren, schlank, weibisch, mit einer zarten, kindlichen
+Stimme, einem gehetzten, gequälten Ausdruck und mit einem Benehmen,
+das die schmerzliche Empfindlichkeit sehr schnell und plötzlich
+gereifter Knaben kennzeichnet, bevor ihr Charakter volle Festigkeit
+erreicht hat. Erbärmlich unentschlossen, weiß er nie, wo er stehen
+und was er tun soll. Burgess erschreckt ihn, und er möchte am
+liebsten fort von ihm in die Einsamkeit laufen, wenn er es wagte.
+Aber die Intensität, mit der er eine so ganz gewöhnliche Lage
+empfindet, zeugt doch nur von seiner übergroßen nervösen Kraft; und
+seine Nasenflügel, sein Mund und seine Augen verraten einen
+leidenschaftlich ungestümen Eigensinn, über dessen äußersten Grad
+seine Stirne, die schon vom Mitleid gefurcht ist, wieder beruhigt. Er
+sieht absonderlich aus, beinahe wie nicht von dieser Welt--und
+prosaische Leute sehen etwas Ungesundes in dieser überirdischen Art,
+so wie poetische Menschen darin etwas Engelgleiches sehen. Seine
+Kleidung ist ganz frei; er trägt ein altes Jakett aus blauem Serge,
+aufgeknöpft, über einem wollenen Lawn-Tennis-Hemd, mit einem seidenen
+Halstuch als Krawatte, zu dem Jackett passende Beinkleider und braune
+Schuhe aus Segeltuch. In diesem Aufzuge hat er augenscheinlich im
+Heidekraut gelegen und ist durch das Wasser gewatet; es ist auch nicht
+ersichtlich, daß er die Kleider jemals abgebürstet hat. Da er beim
+Eintritt einen Fremden sieht, hält er inne und drückt sich längs der
+Wand nach der entgegengesetzten Seite des Zimmers weiter.)
+
+(Morell beim Eintreten:) Kommen Sie. Sie haben sicher doch eine
+Viertelstunde für uns übrig. Das ist mein Schwiegervater, Herr
+Burgess--Herr Marchbanks.
+
+(Marchbanks weicht geängstigt gegen den Bücherschrank zurück:) Sehr
+angenehm--
+
+(Burgess geht mit großer Herzlichkeit auf ihn zu, während Morell vor
+den Kamin zu Candida tritt:) Es freut mich sehr, Sie kennen zu lernen,
+Herr Marchbanks. (Nötigt ihn, ihm die Hand zu geben.) Wie geht es
+Ihnen bei diesem Wetter? Ich hoffe, Jakob versucht nicht, Ihnen
+verrückte Ideen in den Kopf zu setzen.
+
+(Marchbanks.) Verrückte Ideen? Ach, Sie meinen sozialistische? Nein,
+o nein!
+
+(Burgess.) Das ist recht. (Sieht wieder auf seine Uhr.) Na, jetzt muß
+ich aber gehen, da ist nichts zu machen. Haben Sie vielleicht
+denselben Weg, Herr Marchbanks?
+
+(Marchbanks.) Nach welcher Richtung gehen Sie?
+
+(Burgess.) Station Viktoriapark. Um zwölf Uhr fünfundzwanzig geht ein
+Zug nach der City.
+
+(Morell.) Unsinn, Eugen, Sie frühstücken doch hoffentlich mit uns!
+
+(Marchbanks sich ängstlich entschuldigend:) Nein, ich--ich--
+
+(Burgess.) Nun, ich will Ihnen nicht zureden. Ich wette, daß Sie es
+vorziehen, mit Candy zu frühstücken. Ich hoffe aber, dafür werden Sie
+eines Abends im Bürgerklub in Norton Folgate mit mir dinieren,--bitte,
+sagen Sie zu!
+
+(Marchbanks.) Ich danke Ihnen, Herr Burgess. Wo ist Norton
+Folgate?--Unten in Surrey, nicht wahr?
+
+(Burgess, unaussprechlich belustigt, fängt zu lachen an.)
+
+(Candida zu Hilfe kommend:) Du wirst deinen Zug versäumen, Papa, wenn
+du nicht sofort gehst; komm am Nachmittag wieder und erkläre Herrn
+Marchbanks dann, wie man nach dem Klub gelangt.
+
+(Burgess mit schallendem Gelächter:) In Surrey, ha ha, das ist nicht
+schlecht! Nun, ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der nicht
+Norton Folgate gekannt hätte.
+
+(Betroffen über den Lärm seiner eigenen Stimme:) Leben Sie wohl, Herr
+Marchbanks; ich weiß, Sie sind zu vornehm, um meinen Scherz schlecht
+aufzufassen. (Er reicht ihm abermals die Hand.)
+
+(Marchbanks erfaßt sie mit nervösem Griff.) O bitte, bitte!
+
+(Burgess.) Adieu, adieu, Candy. Ich werde später wiederkommen--auf
+Wiedersehen, Jakob.
+
+(Morell.) Müssen Sie wirklich gehen?
+
+(Burgess.) Laßt euch nicht stören. (Er gebt mit unverminderter
+Herzlichkeit hinaus.)
+
+(Morelt.) Ich werde Sie hinausbegleiten. (Er folgt ihm, Eugen starrt
+ihnen ängstlich nach und hält seinen Atem an, bis Burgess verschwunden
+ist.)
+
+(Candida lachend:) Nun, Eugen? (Er wendet sich mit einem Ruck um und
+kommt heftig auf sie zu, hält aber unschlüssig inne, als er ihren
+belustigten Blick bemerkt.) Wie gefällt Ihnen mein Vater?
+
+(Marchbanks.) Ich--ich kenne ihn doch kaum,--er scheint ein sehr
+lieber alter Herr zu sein.
+
+(Candida mit leiser Ironie:) Und Sie werden seine Einladung in den
+Bürgerklub annehmen, nicht wahr?
+
+(Marchbanks unglücklich, es für Ernst nehmend:) Gerne, wenn Sie es
+wünschen.
+
+(Candida gerührt:) Wissen Sie, daß Sie ein sehr lieber Junge sind,
+Eugen, trotz all Ihrer Sonderlichkeiten. Wenn Sie meinen Vater
+ausgelacht hätten, so wäre nichts dabei gewesen, aber es gefällt mir
+um so besser von Ihnen, daß Sie nett zu ihm waren.
+
+(Marchbanks.) Hätte ich lachen sollen? Mir war, als ob er etwas
+scherzhaftes sagte, aber ich fühle mich Fremden gegenüber so bedrückt,
+und ich kann Witze nie verstehen. Es tut mir sehr leid. (Er setzt
+sich auf das Sofa, die Ellbogen auf den Knien und die Schläfen
+zwischen den Fäusten, mit dem Ausdruck hoffnungslosen Leidens.)
+
+(Candida heitert ihn gutmütig auf:) Oh, Sie großes Kind,--Sie sind
+heute noch ärger als sonst. Warum waren Sie auf der Fahrt in der
+Droschke so melancholisch?
+
+(Marchbanks.) Oh, das war nichts. Ich dachte darüber nach, wieviel
+ich dem Kutscher geben sollte. Ich weiß, es ist äußerst dumm, aber
+Sie wissen nicht, wie schrecklich mir solche Dinge sind,--wie ich mich
+davor scheue, mit fremden Leuten zu unterhandeln. (Frisch und
+beruhigend:) Aber jetzt ist alles gut. Er lachte mit dem ganzen
+Gesicht und berührte seinen Hut, als Ihr Mann ihm zwei Schilling gab;
+ich war im Begriff, ihm zehn zu bieten. (Candida lacht herzlich,
+Morell kommt mit einigen Briefen und Zeitungen zurück, die mit der
+Mittagspost gekommen sind.)
+
+(Candida.) Oh, lieber Jakob, denke nur, er wollte dem Kutscher zehn
+Schilling geben,--zehn Schilling für eine Fahrt von drei Minuten, was
+sagst du?
+
+(Morell vor dem Tisch die Briefe überfliegend:) Machen Sie sich nichts
+daraus, Marchbanks. Der Trieb, zuviel zu bezahlen, ist ein Beweis von
+Großmut und viel besser als der entgegengesetzte, und nicht so
+gewöhnlich.
+
+(Marchbanks wieder in Niedergeschlagenheit verfallend:) Nein, Feigheit,
+Untauglichkeit ist das. Frau Morell hat ganz recht.
+
+(Candida.) Gewiß hat sie recht. (Sie nimmt ihre Handtasche auf.) Und
+nun muß ich Sie Jakob überlassen. Ich nehme an, Sie sind zu sehr Poet,
+um sich den Zustand vorstellen zu können, in dem eine Frau ihr Haus
+wiederfindet, wenn sie drei Wochen fortgewesen ist. Geben Sie mir
+meine Decke. (Eugen nimmt die eingeschnallte Decke vom Sofa und gibt
+sie ihr; sie nimmt sie in die linke Hand, da sie ihre Tasche in der
+rechten hält.) Nun, bitte, hängen Sie mir den Mantel über den Arm.
+(Er gehorcht.) Nun meinen Hut. (Er gibt ihn ihr in die Hand, die das
+Gepäck hält.) Nun öffnen sie mir die Tür.--(Er läuft ihr voraus und
+öffnet die Tür.) Danke. (Sie geht hinaus, und Marchbanks schließt sie
+hinter ihr wieder.)
+
+(Morell noch am Tisch beschäftigt:) Sie bleiben selbstverständlich zum
+Frühstück bei uns, Marchbanks.
+
+(Marchbanks erschreckt:) Ach, ich darf nicht. (Er sieht rasch nach
+Morell hin, weicht aber plötzlich seinem vollen Blick aus und fügt mit
+sichtlicher Unaufrichtigkeit hinzu:) Ich meine, ich kann nicht.
+
+(Morell.) Sie meinen, Sie wollen nicht.
+
+(Marchbanks ernst:) Nein, ich möchte wirklich gerne, ich danke Ihnen
+sehr, aber--aber--
+
+(Morell leichthin, beendigt seinen Brief und tritt dicht an Eugen
+heran:) Aber--aber--aber--aber! Unsinn! Wenn Sie bleiben wollen,
+dann bleiben Sie,--Sie werden mich doch nicht überzeugen wollen, daß
+Sie irgend etwas anderes zu tun haben? Wenn Sie schüchtern sind,
+machen Sie einen Spaziergang durch den Park und schreiben bis halb
+zwei Uhr Gedichte, und dann kommen Sie wieder und essen tüchtig.
+
+(Marchbanks.) Ich danke Ihnen. Ich würde das sehr gern tun, aber ich
+darf wirklich nicht. Die Wahrheit ist, daß mir Frau Morell gesagt hat,
+daß ich's lieber nicht tun sollte. Sie sagte, sie glaube nicht, daß
+Sie mich zum Frühstück einladen würden, aber wenn Sie es täten, dann
+wünschten Sie es doch nicht ernstlich. (Schmerzlich:) Sie sagte, ich
+würde das schon verstehen, aber ich verstehe es nicht.--Bitte, sagen
+Sie ihr nichts davon, daß ich es Ihnen wiedererzählt habe.
+
+(Morell belustigt:) Oh, ist das alles? Was halten Sie von meinem
+Vorschlag, in den Park zu gehen und diese Frage damit zu erledigen?
+
+(Marchbanks.) Wie?
+
+(Morell in guter Laune herausplatzend:) Na, Sie Dummkopf. (Aber dies
+geräuschvolle Wesen verletzt sowohl ihn selbst als auch Eugen. Er
+hält inne und fährt mit liebevollem Ernst fort:) Nein, Scherz beiseite,
+mein lieber Junge! in einer glücklichen Ehe wie die unsere ist die
+Rückkehr der Frau in ihr Haus etwas sehr Heiliges. (Marchbanks sieht
+ihn rasch an, und errät beinahe im voraus, was er sagen will.) Aber
+ein lieber Freund, eine wirklich vornehme, sympathische Seele ist bei
+einer solchen Gelegenheit nicht im Wege,--der erstbeste Besucher wäre
+es allerdings. (Der gehetzte, erschreckte Ausdruck kommt plötzlich
+und lebhaft in Eugens Gesicht, sowie er begreift. Morell, mit seinen
+eigenen Gedanken beschäftigt, fährt, ohne es zu bemerken, fort:)
+Candida dachte, ich würde Sie vielleicht lieber nicht hier haben, aber
+sie hatte unrecht. Ich habe Sie sehr lieb, Eugen; und ich möchte es
+auch Ihretwegen, daß Sie sehen, wie schön es ist, so glücklich
+verheiratet zu sein wie ich.
+
+(Marchbanks.) Glücklich? Ihre Ehe? Das meinen Sie, das glauben Sie
+wirklich?
+
+(Morell heiter:) Ich weiß es, mein Junge. Laroche-foucauld behauptet
+zwar, daß es höchstens passende, aber keine glücklichen Ehen gäbe.
+Sie können sich nicht vorstellen, wie wohl es tut, einen so
+abgefeimten Lügner und verderbten Zyniker zu durchschauen! Ha, ha!
+Nun aber fort in den Park und schreiben Sie Ihr Gedicht! und vergessen
+Sie nicht: Punkt halb zwei Uhr! Wir warten niemals mit dem Essen auf
+jemand.
+
+(Marchbanks wild:) Nein, halten Sie ein, Sie sollen es auch nicht!
+Ich will alles ans Licht bringen.
+
+(Morell verwundert:) Wie? Was wollen Sie ans Licht bringen?
+
+(Marchbanks.) Ich muß mit Ihnen sprechen. Es gibt etwas, das zwischen
+uns erledigt werden muß.
+
+(Morell mit einem belustigten Blick nach der Uhr:) Jetzt?
+
+(Marchbanks leidenschaftlich:) Jawohl, jetzt. Ehe Sie dieses Zimmer
+verlassen. (Er weicht ein paar Schritte zurück und steht so, als ob
+er Morell den Weg zur Tür versperren wollte.)
+
+(Morell ernst, ohne sich zu rühren, da er begreift, daß es sich um
+etwas Ernstes handelt:) Ich will es gar nicht verlassen. Ich dachte,
+Sie wollten gehen.--(Eugen ist von seinem sicheren Ton verwirrt und
+wendet ihm, sich krümmend vor Verdruß, den Rücken zu. Morell geht zu
+ihm hin und legt die Hände auf seine Schultern, fest und gütig, ohne
+Marchbanks Versuche, ihn abzuschütteln, zu beachten.) Na--setzen Sie
+sich ruhig und erzählen Sie mir, was los ist. Und bedenken Sie eines:
+wir sind Freunde und brauchen nicht zu fürchten, daß einer von uns
+anders als geduldig und gütig zu dem andern sein werde, was wir
+einander auch mögen zu sagen haben.
+
+(Marchbanks windet sich hin und her:) Oh, ich werde mich nicht
+vergessen, ich bin nur (bedeckt sein Gesicht verzweifelt mit den
+Händen:) außer mir vor Entsetzen! (Dann läßt er die Hände fallen, und
+sich mutig vorwärts gegen Morell wendend, fährt er drohend fort:) Sie
+werden ja sehen, ob Geduld und Güte da am Platz sind. (Morell,
+unerschütterlich wie ein Felsen, sieht ihn nachsichtig an.) Betrachten
+Sie mich nicht so selbstgefällig! Sie halten sich zwar für stärker
+als mich, aber ich werde Sie aufrütteln, wenn Sie ein Herz im Leibe
+haben.
+
+(Morell mit mächtigem Vertrauen:) Mich aufrütteln, mein Junge? Nur zu!
+Nur zu! Heraus damit!
+
+(Marchbanks.) Zuerst--
+
+(Morell.) Zuerst?
+
+(Marchbanks.) Ich liebe Ihre Frau! (Morell fährt zurück, und nachdem
+er Eugen einen Augenblick äußerst erstaunt angestarrt hat, bricht er
+in heftiges Lachen aus. Eugen wird stutzig, verliert aber seine
+Fassung nicht und steht empört und verachtungsvoll da.)
+
+(Morell setzt sich, um sich auszulachen:) Aber, mein liebes Kind,
+natürlich lieben Sie Candida. Jeder liebt sie, man kann nicht anders;
+das freut mich nur, aber (er sieht seltsam zu ihm auf:) halten Sie
+Ihren Fall für etwas, über das man auch nur zu sprechen braucht? Sie
+sind unter zwanzig und Candida ist über dreißig,--sieht das nicht
+einer Dummenjungenliebe ähnlich?
+
+(Marchbanks heftig:) Sie wagen, so von ihr zu sprechen! Sie glauben,
+daß Ihre Frau diese Art Liebe einflößen kann!--Das ist eine
+Beleidigung gegen sie!
+
+(Morell erhebt sich rasch und verändert den Ton:) Gegen sie? Nehmen
+Sie sich in acht, Eugen. Ich war geduldig. Ich hoffe, geduldig zu
+bleiben. Aber es gibt Dinge, die ich mir verbitten muß. Zwingen Sie
+mich nicht, Ihnen die Nachsicht zu zeigen, die ich einem Kinde
+gegenüber haben würde. Seien Sie ein Mann.
+
+(Marchbanks mit einer Bewegung, als würfe er etwas hinter sich:) Oh,
+lassen Sie dieses Geschwätz beiseite. Ich bin entsetzt, wenn ich
+denke, wieviel die Arme davon hat anhören müssen in den langen Jahren,
+in denen Sie Candida selbstsüchtig und blind Ihrem Dünkel geopfert
+haben! (Sich nach ihm umwendend:) Sie, der Sie nicht einen Gedanken,
+nicht ein Gefühl mit ihr gemeinsam haben.
+
+(Morell mit philosophischer Ruhe:) Ihr scheint das alles aber recht
+gut zu bekommen. (Ihm gerade ins Gesicht blickend:) Eugen, Sie machen
+sich zum Narren--zu einem sehr großen Narren. Es ist zu Ihrem eigenen
+Besten, wenn man Ihnen das offen und ehrlich sagt.
+
+(Marchbanks.) Oh, glauben Sie, ich wüßte das alles nicht? Glauben Sie,
+daß die Dinge, über die Leute zu Narren werden, weniger wirklich und
+wahr sind, als die, bei denen sie vernünftig bleiben? (Morells Blick
+wird zum ersten Male unsicher, er wendet instinktiv sein Gesicht ab
+und steht horchend, bestürzt und nachdenklich da.) Diese Dinge sind
+noch viel wahrer, sie sind überhaupt die einzigen Dinge, die wahr sind.
+Sie sind sehr ruhig und maßvoll und rücksichtsvoll gegen mich, weil
+Sie sehen können, daß ich, was Ihre Frau betrifft, ein Narr bin. So
+wie der alte Mann, der eben hier war, zweifellos sehr weise über Ihren
+Sozialismus denkt, weil er sieht, daß Sie sich dabei zum Narren machen.
+(Morell wird sichtlich immer bestürzter, und Eugen nützt seinen
+Vorteil aus, ihn heftig mit Fragen bedrängend:) Beweist dies, daß Sie
+unrecht haben? Beweist Ihre sichere Überlegenheit mir gegenüber, daß
+ich unrecht habe?
+
+(Morell sich zu Eugen wendend, der seinen Platz behauptet:) Marchbanks,
+irgendein Teufel hat Ihnen diese Worte in den Mund gelegt. Es ist
+leicht, fürchterlich leicht, in einem Menschen den Glauben an sich
+selbst zu erschüttern. Dies auszunützen, um eines Menschen Seele zu
+verwirren, ist Teufelswerk. Hüten Sie sich davor!
+
+(Marchbanks unbarmherzig:) Das weiß ich! Es geschieht absichtlich.
+Ich sagte Ihnen ja, ich würde Sie aufrütteln. (Sie sehen einander
+einen Augenblick drohend in die Augen, dann findet Morell seine Würde
+wieder.)
+
+(Morell mit edler Güte:) Eugen, hören Sie mich an. Ich hoffe und baue
+darauf, daß Sie eines Tages ein glücklicher Mensch sein werden, wie
+ich. (Eugen gibt durch eine zornige, ungeduldige Gebärde zu verstehen,
+daß er an den Wert dieses Glückes nicht glaubt. Morell, tief
+beleidigt, beherrscht sich mit aller Nachsicht und fährt mit großer
+künstlerischer Beredsamkeit fort:) Sie werden verheiratet sein und mit
+aller Macht und Ihrem besten Können daran arbeiten, jeden Erdenfleck,
+den Sie betreten, so glücklich zu machen, wie Ihr eigenes Heim es sein
+wird. Sie werden einer von denen sein, die das Himmelreich auf Erden
+bereiten wollen, und--wer weiß?--Sie mögen ein Pionier oder ein
+Baumeister werden, wo ich nur ein demütiger Arbeiter bin. Sie dürfen
+nicht glauben, Eugen, daß ich in Ihnen, so jung Sie auch sind, nicht
+jene Keime sehe, die Größeres versprechen, als ich jemals von mir
+erwarten darf. Ich weiß ganz gut, daß der Geist, der in einem Dichter
+wohnt, heilig--daß er geradezu göttlich ist. Sie sollten bei dem
+Gedanken daran zittern, bei dem Gedanken, daß die schwere
+Verpflichtung und die großen Gaben eines Dichters vielleicht einst auf
+Ihren Schultern ruhen werden.
+
+(Marchbanks unberührt und reuelos; die knabenhafte Knappheit seiner
+Worte sticht scharf gegen Morells Beredsamkeit ab:) Nicht davor
+zittere ich! Der Mangel dieser Gaben bei anderen, der macht mich
+zittern.
+
+(Morell verdoppelt die Kraft seiner Rede unter dem Einfluß seines
+echten Gefühls und der Verstocktheit Eugens:) Dann tragen Sie dazu bei,
+jene Gaben in andere und in mich zu pflanzen--und nicht, sie
+auszurotten. Später einmal, wenn Sie so glücklich sein werden, wie
+ich es bin, dann will ich Ihr treuer Glaubensbruder werden. Ich will
+Sie zu dem Glauben führen, daß Gott uns eine Welt geschenkt hat, die
+nur unserer eigenen Unvernunft wegen kein Paradies ist, und daß jeder
+Federstrich Ihrer Arbeit Glück aussät für die große Ernte, die
+alle--selbst die Geringsten--eines Tages einführen werden. Und
+endlich will ich Ihnen nicht zum wenigsten zu dem Glauben verhelfen,
+daß Ihre Frau Sie liebt und in ihrem Heim glücklich ist. Wir brauchen
+solche Hilfe, Marchbanks, wir haben sie immer sehr nötig. Es gibt so
+viele Dinge, die in uns Zweifel wecken, wenn wir uns erst einmal haben
+unsern Glauben trüben lassen. Selbst zu Hause sitzen wir wie in einem
+Kriegslager, umgeben von einer feindlichen Armee von Zweifeln. Wollen
+Sie den Verräter spielen und sie zu mir einlassen?
+
+(Marchbanks sich umblickend:) Ist es für sie hier immer so gewesen?
+Daß eine Frau mit einer großen Seele, die nach Wahrheit, Wirklichkeit
+und Freiheit dürstet, bloß mit Metaphern, Predigten und abgedroschenen
+Redensarten abgespeist wird? Glauben Sie, daß die Seele einer Frau
+von Ihrem Predigertalent leben kann?
+
+(Morell tief verwundet:) Marchbanks, Sie machen es mir schwer, mich zu
+beherrschen. Mein Talent gleicht dem Ihren, sofern es überhaupt einen
+echten Wert besitzt: es ist die Gabe, göttliche Wahrheit in Worte zu
+kleiden.
+
+(Marchbanks ungestüm:) Es ist die Gabe des Mundwerks, nicht mehr und
+nicht weniger. Was hat Ihre Fertigkeit, schöne Reden zu halten, mit
+der Wahrheit zu schaffen?--so wenig, wie das Orgelspiel mit ihr zu
+schaffen hat. Ich war niemals in Ihrer Kirche, aber ich war in Ihren
+politischen Versammlungen und habe Sie dort das tun sehen, was man die
+Menge zum Enthusiasmus hinreißen nennt. Das heißt: die Leute regten
+sich auf und benahmen sich, als ob sie betrunken wären. Ihre Frauen
+sahen zu und merkten, was für Narren sie zu Männern hatten. Oh, das
+ist eine alte Geschichte, Sie können sie schon in der Bibel finden.
+--Mir scheint, König David in seinem Enthusiasmus war Ihnen sehr
+ähnlich. (Ihm die Worte in die Seele hohrend:) "Aber sein Weib
+verachtete ihn in ihrem Herzen!"
+
+(Morell wütend:) Verlassen Sie mein Haus! Hören Sie? (Er gebt
+drohend auf ihn los.)
+
+(Marchbanks gegen das Sofa zurückweichend:) Lassen Sie mich in Frieden,
+rühren Sie mich nicht an!
+
+(Morell faßt ihn kräftig am Aufschlag seines Rockes; er duckt sich auf
+das Sofa nieder.)
+
+(Marchbanks schreit leidenschaftlich:) Halten Sie ein; wenn Sie mich
+schlagen, so töte ich mich, ich würde es nicht ertragen! (Beinahe
+hysterisch:) Lassen Sie mich los: nehmen Sie Ihre Hand fort!
+
+(Morell langsam, mit nachdrücklicher Geringschätzung:) Sie kleiner,
+winselnder, feiger Hund! (Er läßt ihn los:) Gehen Sie, sonst fallen
+Sie aus Angst in Ohnmacht.
+
+(Marchbanks auf dem Sofa nach Luft schnappend, aber befreit durch das
+Zurückziehen von Morells Hand:) Ich fürchte mich nicht vor Ihnen, Sie
+fürchten sich vor mir!
+
+(Modell ruhig, über ihn gebeugt:) Es sieht mir ganz danach aus!
+
+(Marchbanks mit dreister Heftigkeit:) Ja; es sieht so aus. (Morell
+wendet sich verachtungsvoll ab, Eugen steht hastig auf und folgt ihm.)
+Weil ich vor einer brutalen Behandlung zurückschrecke, weil (mit
+Tränen in der Stimmt:) ich nichts anderes tun kann, als heulen vor Wut,
+wenn mir Gewalt angetan wird--weil ich keinen schweren Koffer vom
+Kutscherbock herabheben kann wie Sie--weil ich mit Ihnen nicht um Ihre
+Frau raufen kann wie ein Arbeiter--deshalb glauben Sie, ich hätte
+Angst vor Ihnen! Aber Sie irren. Besitze ich auch nicht Ihren
+berühmten britischen Mut, so besitze ich doch auch nicht die britische
+Feigheit. Ich fürchte mich vor den Ansichten eines Pastors nicht.
+Ich will kämpfen gegen Ihre Ansichten. Ich will Candida von der
+Sklaverei dieser Ansichten befreien, ich will meine eigenen Ansichten
+den Ihren entgegenstellen. Sie jagen mich aus dem Hause, weil Sie es
+nicht wagen, Candida zwischen meinen und Ihren Ansichten wählen zu
+lassen! Sie fürchten sich vor einem Wiedersehen zwischen Ihrer Frau
+und mir. (Morell wendet sich plötzlich zornig zu ihm; er flüchtet
+nach der Tür in unfreiwilliger Angst:) Lassen Sie mich in Ruhe. Ich
+gehe.
+
+(Morell mit kalter Verachtung:) Warten Sie einen Augenblick: ich werde
+Sie nicht berühren, fürchten Sie sich nicht. Wenn meine Frau
+zurückkommt, dürfte sie wissen wollen, warum Sie fortgegangen sind;
+und wenn sie erfährt, daß Sie unsere Schwelle nie wieder überschreiten
+werden, dann wird sie darüber Aufklärung verlangen. Nun möchte ich
+sie nicht betrüben und ihr sagen, daß Sie sich wie ein Schuft benommen
+haben.
+
+(Marchbanks kehrt mit erneuter Heftigkeit um:) Sie sollen es--Sie
+müssen! Wenn Sie irgendeine andere Aufklärung als die wahre geben, so
+sind Sie ein Lügner und ein Feigling. Sagen Sie ihr, was ich gesagt
+habe, und wie Sie stark und männlich waren und mich zerzaust haben wie
+ein Hund eine Ratte, und wie ich zurückwich und entsetzt war, und wie
+Sie mich einen winselnden kleinen Hund nannten und mich aus dem Hause
+jagten! Wenn Sie ihr das alles nicht sagen werden, so werde ich es
+tun! Ich werd' es ihr schreiben.
+
+(Morell verblüfft:) Warum wollen Sie, daß sie das alles erfahren soll?
+
+(Marchbanks mit lyrischer Begeisterung:) Weil sie mich dann verstehen
+und wissen wird, daß ich sie verstehe. Wenn Sie nur ein Wort von
+alledem vor ihr verheimlichen--wenn Sie nicht bereit sind, ihr die
+reine Wahrheit zu Füßen zu legen--wie ich--dann werden Sie bis an das
+Ende Ihrer Tage wissen, daß sie in Wirklichkeit mir gehört und nicht
+Ihnen. Leben Sie wohl. (Er wendet sich zum Geben.)
+
+(Morell in furchtbarer Unrube:) Halt! ich werde ihr das alles nicht
+erzählen.
+
+(Marchbanks wieder nach der Tür, wendet sich um:) Sie müssen ihr
+entweder die Wahrheit sagen, wenn ich gehe, oder eine Lüge.
+
+(Morell zögernd:) Marchbanks, es ist manchmal entschuldbar--
+
+(Marchbanks ihn unterbrechend:) Zu lügen--ich weiß! Diesmal wïrd es
+aber vergeblich sein! Leben Sie wohl, Herr Pfarrer! (Wie er sich
+endlich zur Tür wendet, geht diese auf und Candida tritt in ibrem
+Hauskleid ein.)
+
+(Candida.) Sie verlassen uns, Eugen? (Sieht ihn genauer an:) Aber,
+Sie werden doch nicht in diesem Zustand auf die Straße gehen. Sie
+sind ein Dichter, sicherlich! Sieh' ihn nur an, Jakob! (Sie faßt
+Eugen am Rock und zieht ihn nach vorne, ihn Morell zeigend.) Sieh
+diesen Kragen an und diese Krawatte und dieses Haar. (Zu Eugen:) Man
+möchte glauben, daß jemand Sie hat erdrosseln wollen! (Die beiden
+büten sich, ihr schlechtes Gewissen zu verraten.) Da,--halten Sie
+still. (Sie knöpft ihm seinen Kragen, bindet sein Halstuch zu einer
+Schleife und ordnet sein Haar.) So, so! Nun sehen Sie so nett aus,
+daß ich es doch für besser hielte, Sie frühstückten mit uns, obwohl
+Sie es eigentlich nicht sollten, wie ich Ihnen schon gesagt habe. In
+einer halben Stunde wird das Essen bereit sein. (Sie glättet sein
+Halstuch noch mit einer letzten Berübrung; er küßt ihr die Hand.)
+Nicht dumm sein.
+
+(Marchbanks.) Ich möchte schon bleiben, gewiß--falls Ihr verehrter
+Herr Gemahl, der Herr Pastor, nichts dagegen einzuwenden hat.
+
+(Candida.) Soll er bleiben, Jakob, wenn er verspricht, ein braver
+Junge zu sein und mir beim Tischdecken zu helfen? (Marchbanks wendet
+den Kopf und sieht Morell über die Schulter fest an, seine Antwort
+herausfordernd.)
+
+(Morell kurz angebunden:) O ja, gewiß; es wäre mir lieb. (Er geht an
+den Tisch und tut, als ob er mit den Papieren beschäftigt wäre.)
+
+(Marchbanks bietet Candida den Arm:) Decken wir den Tisch. (Sie nimmt
+seinen Arm, dann wenden sie sich zusammen nach der Tür, im Hinausgehen.)
+Nun bin ich der glücklichste Mensch von der Welt!
+
+(Morell.) Das war ich auch--vor einer Stunde.
+
+(Vorhang)
+
+
+
+
+ZWEITER AKT
+
+(An demselben Tage, dasselbe Zimmer spät nachmittags. Der Stuhl für
+Morells Besucher steht wieder an dem Tisch, der womöglich noch
+unordentlicher aussiebt als vorhin. Marchbanks, allein und müßig,
+versucht herauszukriegen, wie die Schreibmaschine arbeitet.
+Er hört jemanden kommen und stiehlt sich schuldbewußt fort an
+das Fenster und tut so, als ob er in die Aussiebt versunken
+wäre. Proserpina Garnett tritt mit ihrem Notizblock ein, der
+das Stenogramm von Morells Briefen enthält. Sie setzt sich an die
+Schreibmaschine und will mit der Abschrift beginnen. Sie ist viel zu
+sehr beschäftigt, um Eugen zu bemerken. Unglücklicherweise versagt
+die erste Taste, auf die sie schlägt.)
+
+(Proserpina.) Himmel! Sie haben sich mit der Maschine zu schaffen
+gemacht, Herr Marchbanks, und es hilft Ihnen nichts, wenn Sie auch
+noch so ein unschuldiges Gesicht aufsetzen.
+
+(Marchbanks schüchtern:) Es tut mir sehr leid, Fräulein Garnett. Ich
+wollte nur zu schreiben versuchen.
+
+(Proserpina.) Und dabei haben Sie diese Taste verdorben.
+
+(Marchbanks ernst:) Ich versichere Ihnen, daß ich die Tasten nicht
+berührt habe. Wahrhaftig nicht. Ich habe nur ein kleines Rad gedreht.
+(Er zeigt unschlüssig auf die Kurbel.)
+
+(Proserpina.) Oh, nun verstehe ich. (Sie bringt die Maschine in
+Ordnung und schwatzt dabei ununterbrochen:) Mir scheint, Sie dachten,
+es wäre eine Art Drehorgel. Man braucht nur die Kurbel da zu drehen,
+und die Maschine schreibt einem den schönsten Liebesbrief glatt aufs
+Papier, he?
+
+(Marchbanks ernst:) Ich kann mir vorstellen, daß eine Maschine
+erfunden werden könnte, die Liebesbriefe schreibt.--Es sind ja immer
+dieselben, nicht wahr?
+
+(Proserpina etwas aufgebracht, da jede derartige Unterhaltung--außer
+scherzweise einmal--ihren Umgangsformen fernliegt:) Woher soll ich das
+wissen? Warum fragen Sie mich?
+
+(Marchbanks.) Entschuldigen Sie. Ich dachte, daß gescheite
+Leute--Leute, die Geschäfte besorgen, Briefe schreiben und ähnliche
+Dinge verrichten können--auch immer Liebesangelegenheiten haben.
+
+(Proserpina erbebt sich beleidigt:) Herr Marchbanks! (Sie siebt ihn
+strenge an und gebt sehr würdevoll zum Bücherschrank.)
+
+(Marchbanks nähert sich ihr demütig:) Ich hoffe, daß ich Sie nicht
+beleidigt habe. Ich hätte vielleicht auf Ihre Liebesangelegenheiten
+nicht anspielen sollen.
+
+(Proserpina nimmt ein blaues Buch aus einem Fach und wendet sich
+scharf nach ihm um:) Ich habe keine Liebesangelegenheiten! Wie können
+Sie es wagen, mir so etwas zu sagen?
+
+(Marchbanks naiv:) Wirklich? Oh, dann sind Sie auch schüchtern, wie
+ich, nicht wahr?
+
+(Proserpina.) Ich bin gewiß nicht schüchtern: was meinen Sie damit?
+
+(Marchbanks geheimnisvoll:) Sie müssen es sein. Das ist der Grund,
+warum es so wenig echte Liebesgeschichten in der Welt gibt. Wir gehen
+alle umher und sehnen uns nach Liebe, sie ist die erste
+Naturnotwendigkeit, das heißeste Gebet unseres Herzens, aber wir wagen
+es nicht, unsere Wünsche zu äußern, wir sind zu schüchtern. (Sehr
+ernst:) Oh, Fräulein Garnett, was würden Sie nicht darum geben, ohne
+Furcht zu sein,--ohne Scham--
+
+(Proserpina empört:) Nein, meiner Treu, das ist stark!
+
+(Marchbanks trotzig und ungeduldig:) Sagen Sie mir nicht solche
+Albernheiten. Sie täuschen mich doch nicht. Wozu soll das sein?
+Warum scheuen Sie sich, sich mir gegenüber so zu zeigen, wie Sie sind?
+Ich bin ja selbst genau so wie Sie.
+
+(Proserpina.) Wie ich? Bitte, ich weiß nicht recht, wollen Sie damit
+mir oder sich schmeicheln? (Sie wendet sich ab, um zur
+Schreibmaschine zurückzugeben.)
+
+(Marchbanks tritt ihr geheimnisvoll in den Weg:) Still! Ich bin auf
+der Suche nach Liebe, und ich finde sie in unermeßlichen Schätzen in
+den Herzen anderer aufgespeichert. Aber ich wage es nicht, darum zu
+bitten,--eine fürchterliche Schüchternheit schnürt mir die Kehle zu,
+und ich stehe da, stumm, ärger als stumm, und rede sinnloses Zeug und
+stammle törichte Lügen. Und ich sehe die Liebe, nach der ich
+verschmachte, an Katzen und Hunde und verhätschelte Vögel vergeudet,
+weil die kommen und darum bitten. (Beinahe flüsternd:) Man muß Liebe
+verlangen,--sie ist wie ein Geist, sie kann nicht sprechen, bevor
+nicht zu ihr gesprochen wird. (Mit seiner gewohnten Stimme, aber mit
+tiefer Melancholie:) Alle Liebe in der Welt ringt nach Worten, aber
+sie wagt es nicht, zu sprechen, weil sie zu schüchtern ist, zu
+schüchtern, zu schüchtern! Das ist die Tragik des Lebens! (Mit einem
+tiefen Seufzer setzt er sieb in den Besuchsstuhl und vergräbt sein
+Gesicht in den Händen.)
+
+(Proserpina verwundert, aber ohne ihren gesunden Menschenverstand zu
+verlieren,--ein Ehrenpunkt für sie im Verkehr mit fremden jungen
+Männern:) Es gibt aber schlechte Menschen, die diese Schüchternheit
+gelegentlich überwinden, nicht wahr?
+
+(Marchbanks fährt beinahe wütend auf:) Schlechte Menschen! Das heißt
+Menschen, die ohne Liebe sind, deshalb sind sie auch ohne Scham! Sie
+haben den Mut, Liebe zu verlangen, weil sie keine brauchen; sie haben
+den Mut, sie anzubieten, weil sie keine zu geben haben! (Er sinkt in
+seinen Stuhl und fügt traurig hinzu:) Aber wir, die wir Liebe haben
+und danach brennen, sie mit anderen auszutauschen, wir können kein
+Wort über die Lippen bringen. (Schüchtern:) Finden Sie das nicht auch?
+
+(Proserpina.) Nehmen Sie sich in acht. Wenn Sie nicht aufhören, so zu
+reden, werde ich das Zimmer verlassen, Herr Marchbanks. Ich tue es
+wirklich! Das gehört sich nicht. (Sie nimmt ihren Sitz vor der
+Schreibmaschine wieder ein, öffnet das blaue Buch und macht sich
+bereit, daraus etwas zu kopieren.)
+
+(Marchbanks hilflos:) Nichts gehört sich, was wert ist, daß man
+darüber spricht! (Er erhebt sich und wandert verloren im Zimmer umher:
+) Ich kann Sie nicht begreifen, Fräulein Garnett. Worüber soll ich
+denn sprechen?
+
+(Proserpina fertigt ihn kurz ab:) Sprechen Sie über gleichgültige
+Dinge. Sprechen Sie über das Wetter.
+
+(Marchbanks.) Würden Sie es ertragen, über gleichgültige Dinge zu
+sprechen, wenn ein Kind neben Ihnen stünde, das vor Hunger bitterlich
+weinte?
+
+(Proserpina.) Vermutlich nicht.
+
+(Marchbanks.) Nun, ich kann auch nicht über gleichgültige Dinge
+sprechen, während mein Herz in seinem Hunger bitterlich weint.
+
+(Proserpina.) Dann--schweigen Sie.
+
+(Marchbanks.) Jawohl, darauf läuft's immer hinaus, wir schweigen.
+Unterdrückt das den Schrei Ihres Herzens--denn es schreit, nicht wahr?
+Es muß, wenn Sie überhaupt ein Herz haben.
+
+(Proserpina erhebt sich plötzlich und preßt ihre Hand aufs Herz.) Oh,
+es ist vergeblich, arbeiten zu wollen, während Sie so reden. (Sie
+verläßt ihren kleinen Tisch und setzt sich auf das Sofa. Ihre Gefühle
+sind heftig aufgewühlt.) Es kümmert Sie gar nichts, ob mein Herz
+schreit oder nicht, aber es ist mir so, als müßte ich nun doch über
+all das zu Ihnen sprechen.
+
+(Marchbanks.) Das brauchen Sie nicht; ich weiß doch, daß es so ist.
+
+(Proserpina.) Merken Sie sich: wenn Sie jemals behaupten sollten, daß
+ich derlei gesagt habe, dann werde ich es leugnen.
+
+(Marchbanks mitleidig:) Ja, das weiß ich. Deshalb finden Sie auch
+nicht den Mut, es ihm zu sagen.
+
+(Proserpina aufspringend:) Ihm?! Wem?!
+
+(Marchbanks.) Wem es auch sei. Dem Manne, den Sie lieben. Irgend
+jemandem. Dem Unterpfarrer Herrn Mill vielleicht.
+
+(Proserpina verachtungsvoll:) Herrn Mill? Wahrhaftig, das ist der
+rechte Mann, mir das Herz zu brechen. Da wären Sie mir noch lieber.
+
+(Marchbanks zurückweichend:) Nein, wirklich! Es tut mit leid, aber
+daran dürfen Sie nicht denken. Ich--
+
+(Proserpina scharf, geht ans Feuer und bleibt davor stehen, ihm den
+Rücken zuwendend:) Oh, fürchten Sie nichts, Sie sind es nicht. Es ist
+gar keine bestimmte Person.
+
+(Marchbanks.) Ich verstehe. Sie fühlen, daß Sie jeden Mann lieben
+könnten, der Ihnen sein Herz anböte--
+
+(Proserpina außer sich:) Nein, das könnte ich nicht! Jeden, der mir
+sein Herz anböte! Für was halten Sie mich?
+
+(Marchbanks entmutigt:) Es ist vergebens, Sie wollen mir keine
+wirklichen Antworten geben, nur diese leeren Worte, die jedermann sagt.
+(Er geht nach dem Sofa und setzt sich trostlos nieder.)
+
+(Proserpina die es wurmt, in den Augen eines Aristokraten manierlos zu
+erscheinen:) Wenn Sie originelle Unterhaltung wünschen, dann ist es
+besser, Sie sprechen mit sich selbst.
+
+(Marchbanks.) Das tun alle Dichter; sie sprechen laut mit sich selbst;
+und die Welt überhört sie. Aber es ist furchtbar einsam, nicht
+manchmal auch jemand anders sprechen zu hören.
+
+(Proserpina.) Warten Sie, bis Herr Morell kommt. Der wird schon mit
+Ihnen reden. (Marchbanks schaudert.) Oh, Sie brauchen die Nase nicht
+zu rümpfen, er kann besser sprechen als Sie. (Lebhaft:) Er wird Ihnen
+den kleinen Kopf schon zurechtsetzen. (Sie ist im Begriff ärgerlich
+an ihren Platz zurückzugeben, als er, plötzlich erleuchtet, aufspringt
+und sie anhält.)
+
+(Marchbanks.) Ah, jetzt begreife ich!
+
+(Proserpina errötend:) Was begreifen Sie?
+
+(Marchbanks.) Ihr Geheimnis! Sagen Sie mir, ist es wirklich und
+wahrhaftig möglich, daß eine Frau ihn liebt?
+
+(Proserpina als ob dies ihr über den Spaß ginge:) Genug!
+
+(Marchbanks leidenschaftlich:) Nein, antworten Sie mir! Ich will es
+wissen, ich muß es wissen, ich kann es nicht begreifen. Ich kann an
+ihm nichts finden als Worte, fromme Vorsätze, was die Leute Güte
+nennen! Sie können ihn deswegen doch nicht lieben!
+
+(Proserpina versucht, ihn durch ihr kühles Wesen stutzig zu machen:)
+Ich weiß ganz einfach nicht, wovon Sie sprechen--ich verstehe Sie
+nicht.
+
+(Marchbanks heftig:) Sie verstehen mich ganz gut. Sie lügen!
+
+(Proserpina.) Oh!
+
+(Marchbanks.) Sie verstehen, und Sie wissen. (Entschlossen, eine
+Antwort zu bekommen:) Ist es möglich, daß eine Frau ihn lieben kann?
+Ja oder nein!
+
+(Proserpina ihm gerade ins Gesicht blickend:) Ja! (Er bedeckt sein
+Gesicht mit den Händen.) Was in aller Welt fehlt Ihnen denn? (Er
+nimmt die Hände herab und sieht sie an. Erschreckt über das traurige
+Gesicht, das sich ihr darbietet, eilt sie so weit wie möglich von ihm
+fort, behält aber ihre Augen auf ihn gerichtet, bis er sich von ihr
+abwendet und nach dem Kinderstuhl am Kamin geht, wo er sich in
+tiefster Trostlosigkeit niederläßt. Proserpina eilt zur Tür, die Tür
+geht auf und Burgess tritt ein. Als sie ihn erblickt, ruft sie aus:)
+Gott sei Dank, es kommt jemand! (Setzt sich wieder beruhigt an ihren
+Tisch. Sie legt einen neuen Bogen in die Maschine, während Burgess zu
+Eugen hinübergebt.)
+
+(Burgess beflissen, sich um den vornehmen Besucher zu kümmern:) Na,
+gehört sich das, wie man Sie hier sich selbst überläßt, Herr
+Marchbanks? Ich bin gekommen, Ihnen Gesellschaft zu leisten.
+(Marchbanks siebt zu ihm mit einer Bestürzung auf, die Burgess aber
+gar nicht merkt.) Jakob empfängt eine Deputation im Speisezimmer, und
+Candy ist oben und unterrichtet eine junge Näherin, für die sie sich
+interessiert. Sie sitzt bei ihr und lehrt sie lesen, in einem frommen
+Buche: die himmlischen Zwillinge. (Teilnahmsvoll:) Sie müssen es hier
+recht langweilig finden, so ohne einen Menschen, mit dem Sie reden
+können, außer der Schreiberin.
+
+(Proserpina äußerst erbittert:) Er wird sich jetzt ganz wohl fühlen,
+da er das Glück hat, Ihre gebildete Unterhaltung zu genießen,--das ist
+schon ein Trost. (Sie beginnt mit heftigem Geräusch zu schreiben.)
+
+(Burgess erstaunt über ihre Kühnheit:) Mit Ihnen hab' ich nicht
+gesprochen, soviel ich weiß, Sie junges Ding!
+
+(Proserpina scharf zu Marchbanks:) Haben Sie jemals solche Manieren
+gesehen, Herr Marchbanks?
+
+(Burgess mit wichtigtuendem Ernst:) Herr Marchbanks ist ein Edelmann,
+der seine Stellung kennt; das ist mehr, als manche Leute von sich
+sagen können.
+
+(Proserpina zornig:) Glücklicherweise gehören Sie und ich nicht zu den
+"Damen" und "Herren"; ich würde Ihnen schon meine Meinung sagen, wenn
+Herr Marchbanks nicht zugegen wäre. (Sie zieht den Brief so heftig
+aus der Maschine heraus, daß er zerreißt.) So! nun habe ich den Brief
+verdorben, jetzt kann ich noch mal von vorne anfangen. Oh, ich kann
+mich nicht beherrschen.--Sie dummer alter Schafskopf, Sie!
+
+(Burgess erhebt sich, atemlos vor Entrüstung:) Was, ein dummer alter
+Schafskopf bin ich?! Das ist stark! (Außer Atem:) Gut, gut! Warten
+Sie nur, das werde ich Ihrem Prinzipal sagen--ich will Sie lehren--Sie
+sollen es sehen!
+
+(Proserpina.) Ich--
+
+(Burgess sie unterbrechend:) Genug, Ihr Reden nützt Ihnen nun nichts
+mehr, Sie sollen mich kennen lernen! (Proserpina schiebt ihre Walze
+mit einem zornigen Stoß herum und setzt verachtungsvoll ihre Arbeit
+fort.) Nehmen Sie keine Notiz von ihr, Herr Marchbanks, sie ist es
+nicht wert. (Er setzt sich stolz wieder hin.)
+
+(Marchbanks fürchterlich nervös und verlegen:) Wäre es nicht besser,
+wir würden von etwas anderem sprechen. Ich--ich glaube nicht, daß
+Fräulein Garnett es böse gemeint hat.
+
+(Proserpina mit fester Überzeugung:) Ob ich es böse gemeint habe!
+Doch!
+
+(Burgess.) Ich will mich nicht so weit erniedrigen, von ihr überhaupt
+noch Notiz zu nehmen. (Eine elektrische Klingel läutet zweimal.)
+
+(Proserpina rafft Notizhlock und Papier zusammen:) Das gilt mir! (Sie
+eilt hinaus.)
+
+(Burgess ihr nachrufend:) Oh, wir können Sie entbehren. (Er freut
+sich über den Triumph, das letzte Wort behalten zu haben, und doch
+halb und halb geneigt, noch mehr zu sagen, sieht er ihr einen
+Augenblick lang nach, dann läßt er sich auf seinen Platz neben Eugen
+nieder und spricht sehr vertraulich zu ihm:) Jetzt, wo wir allein sind,
+Herr Marchbanks, lassen Sie mich Ihnen einen freundlichen Wink geben,
+den ich nicht jedermann geben würde. Wie lange kennen Sie meinen
+Schwiegersohn Jakob schon?
+
+(Marchbanks.) Ich weiß nicht. Ich kann mir Daten niemals merken,
+--vielleicht einige Monate.
+
+(Burgess.) Haben Sie nie etwas Sonderbares an ihm bemerkt?
+
+(Marchbanks.) Nicht daß ich wüßte.
+
+(Burgess ausdrucksvoll:) Das werden Sie auch schwerlich. Darin liegt
+eben die Gefahr. Nun--er ist verrückt.
+
+(Marchbanks.) Verrückt?!
+
+(Burgess.) Total verrückt. Beobachten Sie ihn nur, und Sie werden es
+selbst finden.
+
+(Marchbanks ängstlich:) Aber das scheint Ihnen gewiß nur so, weil
+seine Ansichten--
+
+(Burgess berührt Eugens Knie mit dem Zeigefinger und drückt es, um
+seine Aufmerksamkeit zu erregen:) Genau dasselbe habe ich früher
+gedacht, Heir Marchbanks. Ich glaubte lange genug, es wären nur seine
+Ansichten, obwohl Ansichten zu sehr ernsten Angelegenheiten werden,
+sobald Leute danach handeln, wie er; aber danach habe ich nicht
+geurteilt. (Er siebt umher, um sich zu überzeugen, daß sie allein
+sind, und neigt sich zu Eugens Ohr.) Was, glauben Sie, hat er heute
+morgen in diesem Zimmer zu mir gesagt?
+
+(Marchbanks.) Was denn?
+
+(Burgess.) Er sagte mir, daß ich--so wahr, als wir hier sitzen--er
+sagte ganz ruhig: "Ich bin ein Narr und Sie sind ein Schurke"... Ich
+ein Schurke--bedenken Sie nur--und dann schüttelte er mir die Hand
+dazu, als ob seine Meinung schmeichelhaft für mich wäre. Wollen Sie
+behaupten, daß so ein Mensch nicht verrückt ist?
+
+(Morell von außen "Proserpina" rufend, während er die Tür öffnet:)
+Schreiben Sie alle Namen und Adressen auf, Fräulein Garnett.
+
+(Proserpina aus der Entfernung:) Jawohl, Herr Pastor! (Morell tritt
+ein, mit den Dokumenten der Deputation in der Hand.)
+
+(Burgess beiseite zu Marchbanks:) Oh, da ist er. Beobachten Sie ihn
+nur, Sie werden schon sehen. (Erhebt sich mit wichtiger Miene:) Ich
+bedaure, Jakob, mich bei Ihnen beklagen zu müssen. Ich tue es nicht
+gerne, aber ich fühle, daß es meine Pflicht und mein Recht ist.
+
+(Morell.) Was ist denn geschehen?
+
+(Burgess.) Herr Marchbanks wird es bestätigen, er war Zeuge. (Sehr
+feierlich:) Ihre Schreiberin vergaß sich so weit, mich einen dummen
+alten Schafskopf zu nennen.
+
+(Morell mit größter Herzlichkeit:) Oh, sieht das Prossi nicht ganz
+ähnlich? Sie ist so aufrichtig, sie kann sich nicht beherrschen.
+Arme Prossi, ha, ha!
+
+(Burgess zitternd vor Wut:) Und erwarten Sie, daß ich mir das von
+ihresgleichen ruhig gefallen lasse?
+
+(Morell.) Bah, Unsinn. Nehmen Sie keine Notiz davon, lassen Sie's gut
+sein. (Er geht an das Schreibpult und legt die Papiere in eines der
+Schubfächer.)
+
+(Burgess.) Oh, ich mache mir nichts daraus. Ich bin über derlei
+erhaben. Aber war es recht? Das ist es, was ich zu wissen wünsche!
+--war es recht?
+
+(Morell.) Das ist eine Frage für die Kirche und nicht für Laien.
+Wurde Ihnen dadurch irgendein Schaden zugefügt? danach müssen Sie
+fragen--selbstverständlich "nein". Also denken Sie nicht mehr daran.
+(Er läßt den Gegenstand fallen, geht nach seinem Platz an den Tisch
+und beginnt an seiner Korrespondenz zu arbeiten.)
+
+(Burgess beiseite zu Marchbanks:) Was habe ich Ihnen gesagt? Total
+verrückt! (Er geht an den Tisch und fragt mit der Höflichkeit eines
+Hungrigen:) Wann wird zu Tisch gegangen, Jakob?
+
+(Morell.) Erst nach einigen Stunden.
+
+(Burgess mit klagender Entsagung:) Dann geben Sie mir, bitte, ein
+hübsches Buch, am Kamin zu lesen--sein Sie so gut, Jakob.
+
+(Morell.) Was für ein Buch,--ein gutes?
+
+(Burgess beinahe mit einem Aufschrei des Widerwillens:) Nein. Irgend
+was Lustiges, womit man die Zeit totschlagen kann.
+
+(Morell nimmt eine illustrierte Zeitschrift vom Tisch und bietet sie
+ihm an, er ergreift sie demütig:) Ich danke Ihnen, Jakob. (Er geht
+zurück zum Kamin, läßt sich bequem in den großen Stuhl nieder und
+liest.)
+
+(Morell während er schreibt:) Candida wird gleich kommen und Ihnen
+Gesellschaft leisten. Sie ist jetzt fertig mit ihrer Schülerin und
+füllt die Lampen.
+
+(Marchbanks fährt empor in wildem Entsetzen:) Aber das wird ihre Hände
+beschmutzen,--das kann ich nicht dulden, Herr Pastor, das ist eine
+Schande; ich werde die Lampen füllen. (Er wendet sich nach der Tür.)
+
+(Morell.) Lassen Sie es lieber sein. (Marchbanks bleibt unschlüssig
+stehen: ) Sie würde Ihnen höchstens meine Schuhe zu putzen geben, um
+mir die Arbeit zu ersparen, es morgen früh selbst zu tun.
+
+(Burgess mit großer Mißbilligung:) Halten Sie kein Mädchen mehr, Jakob?
+
+(Morell.) Ja, aber es ist keine Sklavin, und das Haus sieht aus, als
+ob ich drei hielte. Daraus folgt, daß jeder mithelfen muß. Das geht
+ganz gut. Prossi und ich können nach dem Frühstück, während wir
+abwaschen, über unsere Geschäfte sprechen; das Abwaschen macht keine
+Mühe, wenn es zwei besorgen.
+
+(Marchbanks gequält:) Glauben Sie, daß jede Frau so grobkörnig ist wie
+Fräulein Garnett?
+
+(Burgess pathetisch:) Sie haben ganz recht, Herr Marchbanks,
+vollkommen recht,--die ist grobkörnig!
+
+(Morell ruhig und bedeutungsvoll:) Marchbanks!
+
+(Marchbanks.) Ja.
+
+(Morell.) Wie viele Dienstboten hält Ihr Vater?
+
+(Marchbanks.) Oh, ich weiß nicht. (Er gebt unbehaglich an das Sofa
+zurück, als ob er sich so weit fort wie möglich vor Morells Fragen
+retten möchte, setzt sich in großer Verstörtheit und denkt an das
+Petroleum.)
+
+(Morell sehr ernst:) So viele, daß Sie es nicht einmal wissen.
+(angriffsbereit:) Immerhin, wenn irgendeine grobkörnige Arbeit zu
+verrichten ist, dann klingeln Sie und halsen sie jemand anders
+auf--das ist eine der großen Tatsachen in Ihrem Dasein, nicht wahr?
+
+(Marchbanks.) Oh, quälen Sie mich nicht. Die eine große Tatsache hier
+ist jetzt, daß die wundervollen Finger Ihrer Frau mit Petroleum
+beschmutzt werden, während Sie bequem hier sitzen und darüber Reden
+halten--endlose Reden und Predigten--Worte--Worte--nichts als Worte!
+
+(Burgess dem diese Erwiderung sehr gelegen kommt:) Hört, hört! Besser
+konnte er's ihm nicht geben! (Strahlend:) Da haben Sie es, Jakob!
+Ganz so ist es. (Candida trat ein, in einer reinen Schürze, mit einer
+geputzten und gefüllten, zum Anzünden fertigen Arbeitslampe. Sie
+stellt sie auf den Tisch neben Morell, damit er sie zur Hand hat.)
+
+(Candida reibt ihre Fingerspitzen gegeneinander, mit einem leichten
+Krausziehen ihrer Nase:) Wenn Sie bei uns bleiben, Eugen, ich glaube,
+dann werde ich Ihnen das Füllen der Lampe übertragen.
+
+(Marchbanks.) Ich werde überhaupt nur unter der Bedingung bleiben, daß
+Sie mir alle grobe Arbeit übertragen.
+
+(Candida.) Das ist zwar sehr galant, aber ich möchte doch vorher
+wissen, wie Sie sie machen. (Wendet sich zu Morell:) Jakob, du hast
+in meiner Abwesenheit nicht gehörig nach dem Rechten gesehen.
+
+(Morell.) Was habe ich denn getan oder nicht getan, meine Liebe?
+
+(Candida ernstlich ärgerlich:) Meine eigene kleine
+Lieblingsnagelbürste wurde zum Stiefelputzen verwendet. (Ein
+herzzerreißender Klagelaut entringt sich Marchbanks' Brust. Burgess
+sieht sich erstaunt um, Candida eilt ans Sofa:) Was ist los? Sind Sie
+krank, Eugen?
+
+(Marchbanks.) Nein, nicht krank. Nur Jammer erfaßt mich, Jammer,
+Jammer! (Er schlägt die Hände vor das Gesicht.)
+
+(Burgess erschreckt:) Was haben Sie, Herr Marchbanks? Oh, das ist
+schlimm in Ihrem Alter; Sie müssen trachten, sich das Trinken nach und
+nach abzugewöhnen.
+
+(Candida beruhigt:) Unsinn, Papa. Das ist nur poetischer Jammer.
+Nicht wahr, Eugen? (Streichelt ihn.)
+
+(Burgess verlegen:) Oh, poetischen Jammer hat er,--verzeihen Sie, das
+wußte ich nicht. (Er wendet sich wieder nach dem Feuer, seine
+Unüberlegtheit bereuend.)
+
+(Candida.) Was ist's denn, Eugen? Wegen der Nagelbürste? (Er
+schaudert.) Es ist ja nichts dabei, lassen Sie's gut sein. (Sie setzt
+sich neben ihn.) Wollen Sie mir eine hübsche neue schenken, mit
+Elfenbeinrücken und eingelegtem Perlmutter?
+
+(Marchbanks sanft und melodisch, aber traurig und schmachtend:) Nein,
+keine Nagelbürste, aber ein Boot, eine kleine Schaluppe, um darin
+fortzusegeln, weit fort von der Welt, dorthin, wo Marmorböden vom
+Regen gewaschen und von der Sonne getrocknet werden, und wo der
+Südwind die wundervoll grünen und purpurnen Teppiche fegt. Oder einen
+Wagen möchte ich Ihnen schenken; uns hinaufzutragen in den Himmel, wo
+die Lampen Sterne sind und nicht täglich mit Petroleum gefüllt werden
+müssen.
+
+(Morell barsch:) Und wo es nichts anderes zu tun gibt, als faul,
+selbstsüchtig und unnütz zu sein.
+
+(Candida unangenehm berührt:) Oh, Jakob, wie kannst du nur alles so
+verderben!
+
+(Marchbanks feurig:) Ja: faul, selbstsüchtig und unnütz, das heißt
+schön, frei und glücklich sein. Hat das nicht jeder Mann mit seiner
+ganzen Seele für die Frau gewünscht, die er liebte? Das ist auch mein
+Ideal. Was ist das Ihre und das all der entsetzlichen Menschen, die
+in diesen fürchterlichen Häuserreihen wohnen? Predigten und
+Schuhbürsten! Für Sie die Predigten und für Ihre Frau die Bürste!
+
+(Candida drollig:) Er putzt die Schuhe, Eugen. Morgen werden Sie sie
+putzen müssen, weil Sie das von ihm gesagt haben.
+
+(Marchbanks.) Oh, sprechen Sie nicht von Schuhen; Ihre Füße würden
+auch in einer Wildnis schön bleiben.
+
+(Candida.) Meine Füße würden auf der Hackneystraße ohne Schuhe nicht
+sehr schön aussehn.
+
+(Burgess daran Anstoß nehmend:) Geh, Candy, sei nicht ordinär. Herr
+Marchbanks ist daran nicht gewöhnt. Du hast ihm schon wieder Jammer
+eingeflößt,--ich meine poetischen Jammer. (Morell schweigt, scheinbar
+ist er mit seinen Briefen beschäftigt. Tatsächlich ist er aber über
+seine neue und beunruhigende Erfahrung in sorgenvolle Gedanken
+vertieft: je sicherer er seiner moralischen Ausfälle ist, desto
+sicherer und wirkungsvoller pariert sie Eugen. Es schmerzt Morell
+sehr, daß er einen Menschen zu fürchten anfängt, den er nicht achten
+kann. Fräulein Garnett kommt mit einem Telegramm herein.)
+
+(Proserpina händigt das Telegramm Morell ein:) Rückantwort bezahlt,
+der Bote wartet. (Zu Candida, während sie zu ihrer Maschine geht und
+sich setzt:) Marie wartet auf Sie in der Küche, Frau Morell. (Candida
+erhebt sich:) Die Zwiebeln sind gekommen.
+
+(Marchbanks krampfhaft:) Zwiebeln!?
+
+(Candida.) Ja, Zwiebeln, und nicht einmal spanische! garstige, kleine
+rote Zwiebeln! Sie können mir helfen, sie zu zerschneiden; kommen Sie.
+(Sie nimmt ihn am Handgelenk und läuft, ihn nachziehend, hinaus.
+Burgess erhebt sich verblüfft und starrt ihnen, auf dem Kaminteppich
+stehend, nach.)
+
+(Burgess.) Candy sollte den Neffen eines Pairs nicht so behandeln.
+Das geht doch zu weit, Jakob. Hat er öfters solche komischen Anfälle?
+
+(Morell kurz, ein Telegramm schreibend:) Ich weiß nicht.
+
+(Burgess sentimental:) Er spricht sehr nett. Ich habe immer etwas
+Sinn für Poesie gehabt. Candy schlägt mir darin nach. Ich mußte ihr
+immer Märchen erzählen, als sie noch ein so kleines Mädchen war. (Er
+hält die Hand ungefähr zwei Fuß hoch über den Fußboden.)
+
+(Morell beschäftigt:) So, wirklich? (Er löscht das Telegramm ab und
+geht hinaus.)
+
+(Proserpina.) Haben Sie die Märchen, die Sie Ihrer Tochter erzählten,
+selbst erfunden?
+
+(Burgess würdigt sie keiner Antwort und nimmt vor dem Kamin die
+Stellung tiefster Verachtung gegen sie ein.)
+
+(Proserpina sehr ruhig:) Ich hätte nie gedacht, daß Sie derlei könnten.
+Übrigens möchte ich Sie doch warnen, da Sie so großes Interesse
+an Herrn Marchbanks nehmen. Er ist verrückt.
+
+(Burgess.) Verrückt! Was? Der auch?
+
+(Proserpina.) Total verrückt! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie
+sehr er mich vorhin erschreckte--das kann ich Ihnen versichern,
+gerade bevor Sie kamen.--Haben Sie das merkwürdige Zeug, das er sprach,
+nicht gehört?
+
+(Burgess.) So, das ist also der poetische Jammer? Potztausend, es ist
+mir selbst schon ein oder zweimal aufgefallen, daß es nicht ganz
+richtig mit ihm ist. (Er durchschreitet das Zimmer und hebt seine
+Stimme, während er geht:) Na, das ist ein hübsches Irrenhaus für einen
+Menschen, der außer Ihnen niemanden hat, sich um ihn zu kümmern.
+
+(Proserpina während er bei ihr vorbeikommt:) Ja, wie fürchterlich wäre
+es, wenn Ihnen da etwas zustieße.
+
+(Burgess hochmütig:) Erlauben Sie sich keine Bemerkungen! Sagen Sie
+Ihrem Prinzipal, daß ich in den Garten gegangen bin, meine Pfeife zu
+rauchen.
+
+(Proserpina spottend:) Oh!--(Ehe Burgess erwidern kann, kehrt Morell
+zurück.)
+
+(Burgess gefühlvoll:) Ich gehe in den Garten, meine Pfeife zu rauchen,
+Jakob.
+
+(Morell kurz angebunden:) Schon gut, schon gut! (Burgess geht
+würdevoll hinaus, wie ein müder alter Mann. Morell steht vor dem
+Tisch, wendet seine Papiere um und spricht zu Proserpina hinüber, halb
+humorvoll, halb geistesabwesend.)
+
+(Morell.) Nun, Prossi, warum haben Sie meinen Schwiegervater mit
+Schimpfnamen belegt?
+
+(Proserpina wird feuerrot und sieht rasch zu ihm auf, halb
+vorwurfsvoll, halb erschrocken:) Ich--(Sie bricht in Tränen aus.)
+
+(Morell lehnt sich mit leisem Humor zu ihr hinüber und tröstet sie:)
+Oh, lassen Sie, lassen Sie nur! es ist ja nichts dabei: er ist ein
+alter Schafskopf, nicht wahr? (Mit einem krampfhaften Schluchzen
+stürzt sie nach der Tür und verschwindet, die Tür zuschlagend. Morell
+schüttelt resigniert den Kopf, seufzt und geht müde an seinen Stuhl,
+wo er sich an die Arbeit setzt. Er sieht alt und vergrämt aus.
+Candida kommt herein; sie hat ihre häusliche Arbeit beendet und die
+Schürze abgenommen. Sie bemerkt sofort Morells niedergeschlagenes
+Aussehen, setzt sich ruhig auf den Besuchsstuhl und betrachtet ihn
+aufmerksam. Sie schweigt.)
+
+(Morell sieht auf, die Feder einen Moment absetzend:) Nun, wo ist
+Eugen?
+
+(Candida.) Er wäscht sich die Hände in der Waschküche--unter der
+Wasserleitung. Er wird ein ausgezeichneter Koch werden, wenn er nur
+erst seine Furcht vor Marie überwunden hat.
+
+(Morell kurz:) Gewiß, zweifellos. (Er fängt wieder zu schreiben an.)
+
+(Candida geht näher und legt ihre Hände sanft auf die seinen, um ihn
+aufzuhalten, und sagt:) Komm zu mir, mein Lieber. Laß dich anschauen.
+(Er legt seine Feder weg und stellt sich ihr zur Verfügung; sie laßt
+ihn aufstehen, zieht ihn ein wenig vom Tisch fort und betrachtet ihn
+mit kritischen Blicken.) Wende dein Gesicht einmal gegen das Licht.
+(Sie stellt ihn mit dem Gesicht gegen das Fenster.) Mein alter Junge
+sieht nicht gut aus,--hat er sich überanstrengt?
+
+(Morell.) Nicht mehr als gewöhnlich.
+
+(Candida.) Er sieht sehr bleich und grau, runzelig und alt aus.
+(Seine Melancholie nimmt zu und Candida faßt sie geflissentlich lustig
+an.) Komm her. (Sie zieht ihn zum Lehnstuhl:) Du hast für heute genug
+geschrieben. Überlaß Prossi alles Weitere, und wir wollen ein
+bißchen plaudern.
+
+(Morell.) Aber--
+
+(Candida nachdrücklich:) Ja, du mußt mit mir plaudern. (Sie zwingt
+ihn, Platz zu nehmen, und setzt sich auf den Teppich zu seinen Füßen.)
+Nun (seine Hände streichelnd:) fängst du schon an, besser auszusehen.
+Warum gibst du alle diese ermüdenden Extraarbeiten nicht auf? Jeden
+Abend gehst du aus, um zu predigen und zu reden. Freilich, was du
+sagst, ist alles schön und gut; aber es nützt ja nichts: sie geben
+nicht das geringste darauf. Sie sind natürlich deiner Ansicht--aber
+was hat man davon, wenn Leute mit einem einverstanden sind und dann
+hingehen und das Gegenteil von allem tun, sobald man den Rücken kehrt?
+Denke nur an unsere Gemeinde in St. Dominik? Warum wollen sie dich
+jeden Sonntag über Christentum reden hören? Nur weil sie mit ihren
+Geschäften und Geldangelegenheiten sechs Tage lang so sehr beschäftigt
+waren, daß sie am siebenten Tage nichts davon hören mögen. Da wollen
+sie ruhen und sich erbauen, damit sie frisch zurückkehren und besser
+als je dem Gelde nachjagen können. Du hilfst ihnen nur noch dabei,
+anstatt sie daran zu hindern.
+
+(Morell mit energischem Ernst:) Du weißt sehr gut, Candida, daß ich
+sie deswegen oft tüchtig ausschelte. Aber wenn ihr Kirchgang ihnen
+nichts anderes bedeutet als Ruhe und Zerstreuung, warum wählen sie
+dann nichts Lustigeres, Angenehmeres? Es muß doch etwas Gutes in der
+Tatsache liegen, daß sie die Kirche am Sonntag schlimmeren Orten
+vorziehen.
+
+(Candida.) Oh, die schlimmen Orte sind eben nicht offen, und selbst
+wenn sie es wären, sie würden sich nicht trauen hinzugehen, aus Angst
+gesehn zu werden. Überdies, lieber Jakob, predigst du so
+wundervoll, daß es für sie so gut wie ein Schauspiel ist. Warum,
+glaubst du, sind die Frauen alle so begeistert?
+
+(Morell verletzt:) Candida!
+
+(Candida.) Oh, ich weiß. Du Ahnungsloser, du glaubst, dein
+Sozialismus und deine Religion machen es,--doch wenn's bloß das wäre,
+dann würden sie tun, was du ihnen sagst, anstatt nur hinzugehen und
+dich anzustarren;--sie haben alle Prossis Leiden.
+
+(Morell.) Prossis Leiden? Was meinst du damit, Candida?
+
+(Candida.) Ja, Prossis und das all der anderen Sekretärinnen, die du
+hattest. Warum, meinst du, läßt sich Prossi herbei, abzuwaschen,
+Kartoffeln zu schälen und sich auf alle mögliche Art zu erniedrigen,
+da sie bei dir doch sechs Schillinge in der Woche weniger verdient,
+als sie in einem Bureau in der City bekäme? Sie ist verliebt in dich,
+das ist der Grund,--sie sind alle in dich verliebt. Und du bist ins
+Predigen verliebt, weil du das so wundervoll kannst. Und du glaubst,
+es sei alles Enthusiasmus für das Himmelreich auf Erden--und sie
+glauben es auch--o du lieber Dummkopf, du!
+
+(Morell.) Candida, was ist das für ein schrecklicher, seelenmordender
+Zynismus? Scherzest du oder--ist es möglich--bist du eifersüchtig?
+
+(Candida seltsam gedankenvoll:) Ja, manchmal bin ich etwas
+eifersüchtig.
+
+(Morell ungläubig:) Auf Prossi?
+
+(Candida lachend:) Nein, nein, nein. Nicht eifersüchtig a u f
+jemanden. Eifersüchtig f ü r jemanden, der n i c h t so geliebt wird,
+wie er sollte.
+
+(Morell.) Bin ich das?
+
+(Candida.) Du? Nein. Du bist verwöhnt durch Liebe und Verehrung,
+mehr, als für dich gut ist.--Nein, ich meine Eugen.
+
+(Morell betroffen:) Eugen?
+
+(Candida.) Es scheint mir ungerecht, daß du alle Liebe besitzen sollst
+und er keine, obgleich er sie so viel nötiger hat als du. (Eine
+krampfhafte Bewegung schüttelt ihn gegen seinen Willen.) Was ist dir,
+quäle ich dich?
+
+(Morell rasch:) Durchaus nicht. (Er sieht sie mit unruhiger Spannung
+an.) Du weißt, daß ich dir blindlings vertraue, Candida.
+
+(Candida.) Du eitler Mann. Bist du deiner Unwiderstehlichkeit so
+sicher?
+
+(Morell.) Candida, du verletzest mich. Ich habe an
+Unwiderstehlichkeit nie gedacht. Deiner Frömmigkeit, deiner Reinheit
+vertraue ich.
+
+(Candida.) Was für häßliche, ungemütliche Dinge du mir da sagst,--oh,
+du bist wirklich ein Pastor, Jakob, ein Pastor durch und durch!
+
+(Morell ins Herz getroffen, sich von ihr abwendend:) Das sagt Eugen
+auch.
+
+(Candida neigt sich mit lebhaftem Interesse zu ihm, die Arme auf
+seinen Knien:) Eugen hat immer recht. Er ist ein wundervoller Junge,
+ich habe ihn lieber und lieber gewonnen während der ganzen Zeit, wo
+ich fort war. Weißt du, Jakob, daß er, obwohl er selbst nicht die
+leiseste Ahnung davon hat, im Begriff steht, sich wahnsinnig in mich
+zu verlieben?
+
+(Morell grimmig:) Oh, er selbst hat nicht die leiseste Ahnung davon,
+wirklich?
+
+(Candida.) Nicht die geringste. (Sie nimmt ihre Arme von seinen Knien
+und wendet sich gedankenvoll ab, wobei sie eine bequeme Stellung
+einnimmt, die Hände im Schoß.) Eines Tages wird er es wissen,--wenn er
+erwachsen und erfahren sein wird wie du--da wird er erkannt haben, daß
+ich es wissen mußte!--Ich bin neugierig, was er dann von mir denken
+wird.
+
+(Morell.) Nichts Böses, Candida. Ich hoffe und vertraue, nichts Böses.
+
+(Candida zweifelnd:) Das wird davon abhängen...
+
+(Morell erschreckt:) Abhängen!
+
+(Candida ihn ansehend:) Ja, es wird davon abhängen, was er bis dahin
+erleben wird. Er sieht sie verständnislos an. Begreifst du das
+nicht? Es hängt ganz davon ab, wie und durch wen ihm bewußt wird, was
+die Liebe eigentlich ist. Ich meine, es kommt auf die Frau an, die
+ihn die Liebe lehren wird.
+
+(Morell ganz verwirrt:) Nein,--ja,--ich weiß nicht, was du meinst.
+
+(Candida erklärend:) Wenn eine gute Frau sie ihn lehrt, dann wird
+alles gut und schön sein, dann wird er mir verzeihen.
+
+(Morell.) Verzeihen?!
+
+(Candida fortfahrend:) Aber gesetzt den Fall, daß eine schlechte Frau
+sie ihn lehrt, wie dies vielen Männern, ganz besonders dichterisch
+veranlagten, geschieht, die alle Frauen für Engel halten,--gesetzt den
+Fall, sage ich, daß er den Wert der Liebe erst dann entdeckt, wenn er
+sie fortgeworfen und sich in seiner Unwissenheit selbst erniedrigt hat,
+--glaubst du, daß er mir dann auch verzeihen wird?
+
+(Morell.) Dir verzeihen? Weswegen?
+
+(Candida bemerkt, wie beschränkt er ist, fährt etwas enttäuscht, aber
+sanft fort:) Verstehst du das nicht? (Er schüttelt den Kopf; sie
+wendet sich wieder zu ihm, um es ihm mit zartester Vertraulichkeit zu
+erklären.) Ich meine: wird er mir verzeihen, daß ich selbst ihn die
+Liebe nicht gelehrt, sondern ihn schlechten Frauen überlassen habe?
+meiner Frömmigkeit--meiner Reinheit wegen, wie du es nennst! Oh,
+Jakob, wie wenig du mich doch verstehst, daß du nur immer von deinem
+Vertrauen in meine Frömmigkeit und Reinheit sprichst. Ich würde sie
+beide dem armen Eugen so gerne geben, wie einem frierenden Bettler
+meinen Schal, wenn nichts anderes mich davon abhielte. Vertraue auf
+meine Liebe zu dir; denn wenn die nicht wäre, aus deinen Predigten
+würde ich mir sehr wenig machen--das sind bloß leere Phrasen, mit
+denen du andere und dich selbst jeden Tag belügst. (Sie ist im
+Begriff aufzustehen.)
+
+(Morell.) Seine Worte!
+
+(Candida schnell innehaltend, indem sie aufsteht:) Wessen Worte?
+
+(Morell.) Eugens!
+
+(Candida entzückt:) Er hat immer recht. Er versteht dich, er versteht
+mich, er versteht Prossi; und du, Jakob, du verstehst nichts. (Sie
+lacht und küßt ihn, um ihn zu trösten; er weicht wie gestochen zurück
+und springt auf.)
+
+(Morell.) Wie kannst du mich küssen, während du--oh, Candida! (Mit
+Schmerz in der Stimme:) Ich hätte vorgezogen, daß du mir einen
+Widerhaken ins Herz gestoßen hättest, statt mir diesen Kuß zu geben.
+
+(Candida erhebt sich beunruhigt:) Mein Lieber, was ist denn mit dir?
+
+(Morell schüttelt sie wild ab:) Berühre mich nicht!
+
+(Candida erstaunt:) Jakob! Sie werden durch den Eintritt Marchbanks'
+und Burgess' unterbrochen, der in der Nähe der Tür stehen bleibt und
+sie anstarrt, während Eugen sich zwischen sie nach vorwärts drängt.
+
+(Marchbanks.) Ist etwas vorgefallen?
+
+(Morell totenbleich, mit eiserner Selbstbeherrschung:) Nichts, als daß
+entweder Sie heute morgen recht hatten, oder daß Candida verrückt ist!
+
+(Burgess laut protestierend:) Was? Candy auch verrückt? Das ist
+zuviel! (Er durchschreitet das Zimmer bis zum Kamin, protestiert
+während des Gehens und klopft dort seine Pfeifenasche aus. Morell
+setzt sich verzweifelt nieder, lehnt sich nach vorne, um sein Gesicht
+zu verbergen, und verschlingt seine Finger krampfhaft, damit sie ruhig
+bleiben.)
+
+(Candida zu Morell, erleichtert und lachend:) Oh, du bist nur
+verletzt--ist das alles? Wie konventionell ihr unkonventionellen
+Leute doch alle seid!
+
+(Burgess.) Benimm dich anständig, Candy. Was wird Herr Marchbanks von
+dir denken?
+
+(Candida.) Das kommt davon, weil Jakob mir immer predigt, nur mir
+selbst Rechenschaft abzulegen und nie darauf zu achten, was andere
+Leute über mich denken könnten. Das ist außerordentlich schön und gut,
+solange ich derselben Meinung bin wie er. Aber jetzt--weil ich
+gerade etwas anderer Meinung war jetzt schau ihn dir an, schau nur!
+(Sie weist auf Morell, höchst belustigt. Eugen beobachtet ihn und
+preßt seine Hand heftig ans Herz, als wenn ihn irgendein Schmerz
+getroffen hätte; er setzt sich auf das Sofa wie ein Mensch, der einer
+Tragödie beiwohnt. Burgess auf dem Kaminteppich:) Sie hat recht,
+Jakob, Sie sehen wirklich nicht so würdig aus wie gewöhnlich.
+
+(Morell mit einem Lachen, das ein halbes Schluchzen ist:) Das kann
+schon sein, verzeiht mir alle,--ich wußte nicht, daß ich eine Störung
+verursache. (Sich zusammenraffend:) Es ist schon gut, schon gut,
+schon gut. (Er geht zurück nach seinem Platz am Tisch und setzt sich,
+um an seinen Papieren wieder mit entschlossener Heiterkeit
+weiterzuarbeiten.)
+
+(Candida geht nach dem Sofa und setzt sich neben Marchbanks, noch in
+heiterster Stimmung:) Nun, Eugen, warum sind Sie traurig? Haben Sie
+vom Zwiebelschälen geweint? (Morell kann sich nicht enthalten, sie zu
+beobachten.)
+
+(Marchbanks beiseite zu ihr:) Ihre Grausamkeit ist es, die mich
+traurig macht.--Ich hasse Grausamkeit. Es ist entsetzlich,
+mitanzusehen, wie ein Mensch einem andern weh tut.
+
+(Candida ihn streichelnd, ironisch:) Armer Junge, war ich grausam?
+Habe ich ihn kleine, rote, häßliche Zwiebel schälen lassen?
+
+(Marchbanks ernst:) Oh, halten Sie ein, halten Sie ein: ich meine
+nicht mich! Er hat Ihretwegen furchtbar gelitten. Ich fühle seinen
+Schmerz in meinem eigenen Herzen. Ich weiß, daß Sie nicht schuld
+daran sind,--es ist etwas geschehen, was geschehen mußte; aber nehmen
+Sie es nicht so leicht. Mich schaudert, wenn Sie ihn quälen und dabei
+lachen.
+
+(Candida ungläubig:) Ich Jakob quälen?! Unsinn, Eugen; wie Sie
+übertreiben! Torheit! (Sie blickt hinüber zu Jakob, der seine
+Schreiberei hastig fortsetzt; sie gebt zu ihm und steht hinter seinem
+Stuhl, sich über ihn beugend.) Arbeite nicht länger, mein Lieber, komm
+und plaudere mit uns.
+
+(Morell liebevoll, aber bitter:) Ach nein: ich kann nicht plaudern,
+ich kann nur predigen.
+
+(Candida ihn streichelnd:) Nun, dann komm und predige!
+
+(Burgess heftig widersprechend:) Ach nein, Candy! zum Henker mit dem
+Predigen! (Alexander Mill kommt herein und sieht ängstlich und
+wichtig aus.)
+
+(Mill beeilt sich, Candida zu begrüßen:) Wie geht es Ihnen, Frau
+Morell? Wie freue ich mich, daß Sie wieder zurück sind.
+
+(Candida.) Ich danke Ihnen, Herr Mill. Sie kennen Eugen, nicht wahr?
+
+(Mill.) O ja! Wie geht es Ihnen, Marchbanks?
+
+(Marchbanks.) Danke, gut!
+
+(Mill zu Morell:) Ich komme eben aus der Gilde von Sankt Matthäus.
+Die Leute sind furchtbar bestürzt über Ihr Telegramm. Es ist doch
+hoffentlich nichts geschehen?
+
+(Candida.) Was hast du denn telegraphiert, Jakob?
+
+(Mill zu Candida:) Es war vereinbart, daß er heute abend dort sprechen
+sollte, sie haben den großen Saal in der Marestraße gemietet und eine
+Menge Geld für Plakate ausgegeben. Der Herr Pastor telegraphierte nun,
+daß er nicht kommen könnte! Es traf sie wie ein Blitz aus heiterem
+Himmel.
+
+(Candida überrascht, beginnt zu wittern, daß etwas nicht in Ordnung
+ist:) Eine Gelegenheit, öffentlich zu sprechen, hast du ausgeschlagen?
+
+(Burgess.) Zum erstenmal in seinem Leben, das möchte ich wetten;
+--nicht wahr, Candy?
+
+(Mill zu Morell:) Man hat beschlossen, Ihnen ein dringendes Telegramm
+zu schicken, mit der Bitte, Ihren Entschluß zu ändern. Haben Sie es
+erhalten?
+
+(Morell mit mühsam verhaltener Ungeduld:) Ja, ja, ich bekam es.
+
+(Mill.) Es war mit bezahlter Rückantwort.
+
+(Morell.) Ja, ich weiß. Ich habe es beantwortet. Ich kann nicht
+kommen.
+
+(Candida.) Aber warum nicht, Jakob?
+
+(Morell beinahe heftig:) Weil ich nicht mag! Diese Leute vergessen,
+daß ich auch ein Mensch bin; sie halten mich für eine Redemaschine,
+die man jeden Abend zu seinem Vergnügen aufziehen kann. Darf ich
+nicht auch einmal einen Abend zu Hause haben, mit meiner Frau und
+meinen Freunden? (Sie sind alle über diesen Ausbruch erstaunt mit
+Ausnahme von Eugen,--sein Ausdruck bleibt unverändert.)
+
+(Candida.) Oh, Jakob, du weißt es selbst: morgen wirst du dann
+Gewissensbisse haben, und ich werde darunter leiden müssen.
+
+(Mill eingeschüchtert, aber dringend:) Ich weiß natürlich, daß diese
+Menschen die unvernünftigsten Anforderungen an Sie stellen; aber sie
+haben überallhin um einen anderen Redner telegraphiert und können
+niemanden mehr bekommen als den Präsidenten des Agnostikerbundes.
+
+(Morell rasch:) Nun, das ist ein ausgezeichneter Mann,--was wollen sie
+denn noch mehr?
+
+(Mill.) Aber er besteht immer so fest auf der Scheidung des
+Sozialismus vom Christentum. Er wird all das Gute, das wir gestiftet
+haben, zunichte machen,--natürlich, Sie müssen ja am besten wissen,
+aber...
+
+(Er zögert.)
+
+(Candida schmeichelnd:) O bitte, geh' doch hin, Jakob. Wir kommen
+alle mit.
+
+(Burgess brummend:) Schau, Candy, laß uns lieber gemütlich zu Hause am
+Kamin sitzen. Er braucht ja nicht länger als zwei Stunden
+wegzubleiben.
+
+(Candida.) Du wirst dich in der Versammlung genau so behaglich fühlen.
+Wir werden alle auf dem Podium sitzen und wichtige Leute sein.
+
+(Marchbanks entsetzt:) Oh, bitte, nicht auf dem Podium; nein! Jeder
+wird uns anstarren,--das hielte ich nicht aus. Ich werde im
+Hintergrund des Saales bleiben.
+
+(Candida.) Fürchten Sie sich nicht. Man wird viel zu sehr damit
+beschäftigt sein, Jakob anzustarren als daß man Sie bemerkte.
+
+(Morell wendet den Kopf und sieht Candida vielsagend über die Schulter
+an:) Prossis Leiden, Candida,--nicht?
+
+(Candida lustig:) Jawohl.
+
+(Burgess neugierig:) Prossis Leiden? Was reden Sie da, Jakob?
+
+(Morell beachtet ihn nicht, erhebt sich, geht nach der Tür, öffnet und
+ruft in befehlendem Ton hinaus:) Fräulein Garnett!
+
+(Proserpina aus der Entfernung:) Ja, Herr Pastor, ich komme schon.
+(Sie warten alle mit Ausnahme von Burgess, der verstohlen zu Mill geht
+und ihn beiseite zieht.)
+
+(Burgess.) Hören Sie, Herr Mill: worin besteht Prossis Leiden? Was
+fehlt ihr?
+
+(Mill vertraulich:) Ja, ich weiß es nicht genau; aber sie sprach recht
+seltsame Dinge heute früh;--ich fürchte, es ist manchmal nicht ganz
+richtig mit ihr.
+
+(Burgess überwältigt:) Nein,--vier in demselben Haus! Es muß
+ansteckend sein. (Er geht zurück an den Kamin, ganz in Gedanken
+versunken über die Veränderlichkeit des menschlichen Verstandes in der
+Umgebung eines Geistlichen.)
+
+(Proserpina erscheint auf der Schwelle:) Was wünschen Sie, Herr Pastor?
+
+(Morell.) Telegraphieren Sie nach der Gilde von Sankt Matthäus, daß
+ich kommen werde.
+
+(Proserpina überrascht:) Werden Sie denn nicht erwartet?
+
+(Morell gebieterisch:) Tun Sie, wie ich Ihnen gesagt habe.
+(Proserpina setzt sich erschrocken an die Schreibmaschine und gehorcht.)
+
+(Morell geht hinüber zu Burgess. Candida beobachtet seine Bewegungen
+die ganze Zeit über mit wachsender Verwunderung und Besorgnis.)
+Burgess, Sie möchten lieber nicht mitkommen?
+
+(Burgess sich entschuldigend:) Oh, so dürfen Sie das nicht
+auffassen--ich meine nur, wissen Sie--weil heute nicht Sonntag ist.
+
+(Morell.) Das ist schade, ich dachte, Sie würden gerne mit dem
+Vorsitzenden bekannt werden. Er ist im Provinzialarbeitsausschuß und
+hat einigen Einfluß bei Abschlüssen von Lieferungen. (Burgess wird
+mit einem Male lebendig; Morell, der das erwartet hat, hält einen
+Augenblick inne und sagt:) Sie wollen also doch mitkommen?
+
+(Burgess mit Enthusiasmus:) Das will ich meinen,--ob ich mitkomme,
+Jakob! Es ist ja stets ein Genuß, Sie predigen zu hören!
+
+(Morell wendet sich zu Proserpina:) Ich werde Sie nötig haben, damit
+Sie in der Versammlung einige Notizen machen können, Fräulein Garnett,
+falls Sie nicht schon vergeben sind. (Sie nickt, aus Angst, sprechen
+zu müssen.) Sie kommen doch auch mit, Lexi?
+
+(Mill.) Selbstverständlich.
+
+(Candida.) Wir kommen alle mit, Jakob.
+
+(Morell.) Nein! Du kommst nicht mit, und Eugen kommt nicht mit. Du
+wirst zu Hause bleiben und dich mit ihm unterhalten, zur Feier deiner
+Rückkehr. (Eugen erhebt sich atemlos.)
+
+(Candida.) Aber Jakob--
+
+(Morell gebieterisch:) Ich bestehe darauf; Ihr habt beide keine Lust
+zu kommen, weder er, noch du! (Candida will sich dagegen verwahren.)
+Oh, denkt nicht an mich, ich werde auch ohne euch eine Menge Menschen
+um mich versammelt sehen. Eure Stühle werden von unbekehrten Leuten
+besetzt sein, die mich noch nie gehört haben.
+
+(Candida beunruhigt:) Eugen, möchten Sie nicht hingehen?
+
+(Morell.) Ich würde mich fürchten, mich vor Eugen hören zu lassen; er
+ist Predigten gegenüber sehr kritisch. (Sieht ihn an.) Er weiß, daß
+ich mich vor ihm fürchte, er hat mir's heute früh selbst gesagt. Nun
+will ich ihm zeigen, wie sehr ich mich fürchte, indem ich ihn hier
+allein in deiner Hut lasse, Candida.
+
+(Marchbanks zu sich selbst, mit lebhaftem Gefühl:) Das ist tapfer; das
+ist schön. (Er setzt sich wieder und hört mit geöffneten Lippen zu.)
+
+(Candida mit ängstlicher Beunruhigung:) Aber, aber--Ist irgend etwas
+geschehen, Jakob? (Sehr verwirrt:) Ich kann dich nicht begreifen.
+
+(Morell.) Ah, ich dachte, ich sei es, der nichts begreifen kann, meine
+Liebe. (Er schließt sie zärtlich in die Arme und küßt sie auf die
+Stirn, dann blickt er ruhig auf Marchbanks.)
+
+(Vorhang)
+
+
+
+
+DRITTER AKT
+
+(Es ist nach zehn Uhr abends; die Vorhänge sind zugezogen und die
+Lampe brennt. Die Schreibmaschine steht in ihrem Kasten. Der breite
+Tisch ist geordnet worden; alles zeugt davon, daß das Tagewerk
+vollbracht ist. Candida und Marchbanks sitzen am Feuer; die Leselampe
+steht auf dem Kaminsims über Marchbanks, der in dem kleinen Stuhl
+sitzt und laut liest. Auf dem Teppich neben ihm liegt ein kleiner
+Haufen von Manuskripten und ein paar Bände Gedichte. Candida sitzt im
+großen Stuhl und hält einen leichten Schürhaken aus Messing aufrecht
+in der Hand; sie sitzt zurückgelehnt und sieht versonnen auf die
+funkelnde Messingspitze. Sie hat die Füße gegen das Feuer hin
+ausgestreckt und läßt ihre Fersen auf dem Kamingitter ruhen, sich
+ihrer Erscheinung und ihrer Umgebung tief unbewußt.)
+
+(Marchbanks seine Vorlesung unterbrechend:) Jeder Dichter, der je
+gelebt hat, hat aus diesem Gedanken ein Sonett gemacht. Er muß es, ob
+er will oder nicht. (Er sieht Candida an, ob sie ihm zustimmt, und
+bemerkt, daß sie auf den Schürhaken starrt.) Haben Sie nicht zugehört?
+(Keine Antwort:) Frau Morell!
+
+(Candida auffahrend.) Wie!?
+
+(Marchbanks.) Haben Sie nicht zugehört?
+
+(Candida schuldbewußt, mit übertriebener Höflichkeit:) O ja. Es ist
+sehr hübsch. Fahren Sie fort, Eugen. Ich bin begierig, zu hören, was
+dem Engel passiert ist.
+
+(Marchbanks läßt das Manuskript aus der Hand auf den Boden fallen:)
+Verzeihen Sie, daß ich Sie langweile!
+
+(Candida.) Aber Sie langweilen mich durchaus nicht, wirklich nicht.
+Bitte, fahren Sie fort--bitte, Eugen.
+
+(Marchbanks.) Ich habe das Gedicht über den Engel vor einer
+Viertelstunde beendet. Ich habe Ihnen seitdem schon verschiedenes
+vorgelesen.
+
+(Candida reuevoll:) Das tut mir wirklich leid, Eugen. Mir scheint,
+der Schürhaken hat mich behext. (Sie legt ihn nieder.)
+
+(Marchbanks.) Er hat mich fürchterlich gestört.
+
+(Candida.) Warum haben Sie mir das nicht gesagt? Ich hätte ihn sofort
+weggelegt.
+
+(Marchbanks.) Ich fürchtete, Sie auch zu stören; er glich einer Waffe.
+Wenn ich ein Held aus alten Tagen wäre, würde ich mein gezogenes
+Schwert zwischen uns gelegt haben. Wenn Morell gekommen wäre, hätte
+er geglaubt, daß Sie den Schürhaken ergriffen haben, weil kein Schwert
+zwischen uns liegt.
+
+(Candida verwundert:) Was? (Sie sieht ihn mit verwirrten Blicken an:)
+Das kann ich nicht recht verstehen. Ihre Sonette haben mich so sehr
+verwirrt! Warum sollte ein Schwert zwischen uns sein?
+
+(Marchbanks ausweichend:) Oh, lassen wir das. (Er bückt sich, das
+Manuskript aufzuheben.)
+
+(Candida.) Legen Sie das wieder hin, Eugen. Mein Hunger nach Poesie
+hat Grenzen, selbst nach Ihrer Poesie. Sie haben mir länger als zwei
+Stunden vorgelesen--seit mein Mann fort ist--, ich möchte lieber
+plaudern.
+
+(Marchbanks erhebt sich, furchtsam:) Nein, ich darf nicht reden. (Er
+sieht in seiner verlorenen Weise um sich und fügt plötzlich hinzu:)
+Ich glaube, ich mache einen Spaziergang im Park. (Er will nach der
+Tür.)
+
+(Candida.) Unsinn! er ist längst geschlossen. Setzen Sie sich auf den
+Kaminteppich und plaudern wir, wie Sie es gewöhnlich tun! Ich will
+unterhalten werden,--wollen Sie nicht?
+
+(Marchbanks halb entsetzt, halb hingerissen:) Ja.
+
+(Candida.) Dann kommen Sie her. (Sie rückt ihren Stuhl etwas zurück,
+um Platz zu machen; er zögert, dann kauert er sich schüchtern hin vor
+den Kamin, das Gesicht nach oben gekehrt, wirft seinen Kopf zurück auf
+ihre Knie und sieht zu ihr empor.)
+
+(Marchbanks.) Oh, ich habe mich den ganzen Tag so unglücklich gefühlt,
+weil ich getan habe, was recht war; und nun, wo ich unrecht tue, bin
+ich so glücklich.
+
+(Candida zart, belustigt über ihn:) Ja; ich bin überzeugt, nun fühlen
+Sie sich wie ein großer, erwachsener, böser Verführer--ganz stolz auf
+sich, nicht wahr?
+
+(Marchbanks erhebt seinen Kopf rasch und wendet sich ein wenig, um sie
+anzublicken:) Nehmen Sie sich in acht. Ich bin sogar um vieles
+älter als Sie, Sie wissen es nur nicht. (Er wendet sich auf seinen
+Knien ganz herum; mit gefalteten Händen und die Arme in ihrem Schoß,
+spricht er mit wachsender Erregung--sein Blut fängt an zu wallen:)
+Darf ich Ihnen ein paar schlimme Dinge sagen?
+
+(Candida ohne die leiseste Angst oder Kälte und mit vollkommener
+Achtung vor seiner Leidenschaft, aber mit einem Schimmer ihres
+klugkerzigen mütterlichen Humors:) Nein. Aber Sie dürfen alles
+sagen, was Sie wirklich und wahrhaftig fühlen, was es auch sei, alles!
+Ich fürchte mich nicht, solange Ihr wirkliches "Selbst" zu mir
+spricht und nicht eine bloße Pose--eine galante oder eine gottlose,
+oder selbst eine dichterische Pose. Das verlange ich von Ihnen, bei
+Ihrer Ehre und Wahrhaftigkeit!--Nun sagen Sie, was Sie wollen.
+
+(Marchbanks der heiße Ausdruck verschwindet vollkommen von seinen
+Lippen und Nasenflügeln, seine Augen flammen auf in begeistertem Feuer.)
+Oh, jetzt kann ich nicht mehr alles sagen; denn alle Worte, die ich
+weiß, gehören mehr oder weniger irgendeiner Pose an, alle--bis auf
+eines.
+
+(Candida.) Welches Wort ist das?
+
+(Marchbanks sanft, sich dem melodischen Klang des Namens hingebend:)
+"Candida, Candida, Candida, Candida, Candida"--das muß ich jetzt sagen,
+da Sie mich bei meiner Ehre und Wahrhaftigkeit fragen, denn ich denke
+und fühle niemals "Frau Morell", immer nur "Candida".
+
+(Candida.) Selbstverständlich! Und was haben Sie Candida zu sagen?
+
+(Marchbanks.) Nichts als Ihren Namen tausendmal zu wiederholen.
+Fühlen Sie nicht, daß es jedesmal ein Gebet zu Ihnen ist?
+
+(Candida.) Macht es Sie nicht glücklich, daß Sie beten können?
+
+(Marchbanks.) Ja, sehr glücklich.
+
+(Candida.) Nun, dieses Glück ist die Antwort auf Ihr Gebet.--Wünschen
+Sie sich etwas Besseres?
+
+(Marchbanks selig:) Nein, ich bin im Himmel, wo man wunschlos ist.
+(Morell tritt ein; er bleibt an der Schwelle stehen und überschaut mit
+einem Blick die ganze Szene.)
+
+(Morell ernst und mit Selbstbeherrschung:) Hoffentlich störe ich nicht.
+(Candida fährt heftig auf, aber ohne die leiseste Verlegenheit. Sie
+lacht über sich selbst. Eugen, noch auf den Knien, schützt sieh vor
+dem Fallen dadurch, daß er seine Hände auf den Stuhlsitz legt; Morell
+mit offenem Munde anstarrend, bleibt er in dieser Stellung.)
+
+(Candida im Aufstehen:) Oh, Jakob, wie du mich erschreckt hast; ich
+war so mit Eugen beschäftigt, daß ich deinen Schlüssel nicht gehört
+habe. Wie ist die Versammlung verlaufen? Hast du gut gesprochen?
+
+(Morell.) Ich habe in meinem ganzen Leben nicht besser gesprochen.
+
+(Candida.) Das ist ausgezeichnet! Wieviel ist eingegangen?
+
+(Morell.) Ich vergaß zu fragen.
+
+(Candida zu Eugen:) Er muß wundervoll gesprochen haben oder er hätte
+das nicht vergessen. (Zu Morell:) Wo sind die andern?
+
+(Morell.) Sie verließen den Saal lange ehe ich fortkommen konnte; ich
+glaube, sie essen irgendwo zur Nacht.
+
+(Candida in ihrer hausmütterlichen Art:) Oh, dann kann Marie zu Bette
+gehn; ich will es ihr sagen. (Sie geht hinaus in die Küche.)
+
+(Morell blickt strenge auf Marchbanks nieder:) Nun?
+
+(Marchbanks läßt sich mit gekreuzten Beinen auf den Kaminteppich
+nieder und fühlt sich Morell gegenüber ganz sicher, sogar voll
+verschmitzten Humors:) Nun?
+
+(Morell.) Haben Sie mir etwas zu sagen?
+
+(Marchbanks.) Nur, daß ich mich hier heimlich zum Narren gemacht habe,
+während Sie öffentlich dasselbe getan haben.
+
+(Morell.) Ich glaube, kaum auf dieselbe Art.
+
+(Marchbanks springt auf, eifrig:) Ganz genau auf dieselbe Art. Ich
+habe eben ganz so wie Sie den braven Mann gespielt! ganz so wie Sie.
+Als Sie Ihr Heldentum, mich hier mit Candida allein zu lassen,
+begannen--
+
+(Morell unwillkürlich:) Candida?
+
+(Marchbanks.) Ja, so weit bin ich schon. Heldentum ist ansteckend,
+ich bekam die Krankheit von Ihnen und habe mir geschworen, Candida in
+Ihrer Abwesenheit nichts zu sagen, was ich nicht schon vor einem Monat
+in Ihrer Gegenwart gesagt hätte.
+
+(Morell.) Und haben Sie dieses Gelübde gehalten?
+
+(Marchbanks setzt sich plötzlich in grotesker Weise in den Lehnstuhl:)
+Ich bin bis vor etwa zehn Minuten dumm genug gewesen, es zu halten.
+Bis dahin habe ich ihr verzweifelt vorgelesen, meine eigenen
+Gedichte--und andere--um einer Unterhaltung auszuweichen. Ich sah
+das Himmelstor offen und weigerte mich, einzutreten.... Sie können
+sich nicht vorstellen, wie heldenhaft das war und wie ungemütlich....
+Dann--
+
+(Morell seine Ungeduld bezähmend:) Dann?
+
+(Marchbanks geht prosaisch in eine ganz gewöhnliche Stellung im
+Lehnstuhl über:) Dann konnte sie das Vorlesen nicht mehr vertragen.
+
+(Morell.) Und da haben Sie sich dem Himmelstor schließlich genähert?
+
+(Marchbanks.) Ja.
+
+(Morell.) Und dann? (Wild:) Sprechen Sie, Mensch! Haben Sie denn
+kein Gefühl für mich!
+
+(Marchbanks sanft und melodisch:) Dann wurde sie ein Engel, und ein
+Flammenschwert erschien, das mir jeden Zugang versperrte, so daß ich
+nicht eintreten konnte und nun begriff, daß dieses Tor in Wahrheit das
+Tor der Hölle war.
+
+(Morell triumphierend:) Sie hat Sie zurückgestoßen!
+
+(Marchbanks erhebt sich mit grimmigem Hohn:) Nein, Sie Narr! Wenn sie
+das getan hätte, würde ich gar nicht gefühlt haben, daß ich schon im
+Himmel war. Mich zurückgestoßen... glauben Sie, daß mich das gerettet
+hätte?--Tugendhafte Entrüstung! Oh, Sie sind nicht wert, in einer
+Welt mit ihr zu leben. (Er wendet sich verachtungsvoll von ihm ab
+nach der anderen Seite des Zimmers.)
+
+(Morell der ihn ruhig beobachtet hat, ohne seinen Platz zu wechseln:)
+Glauben Sie, daß Sie dadurch an Wert gewinnen, wenn Sie mich
+beschimpfen, Eugen?
+
+(Marchbanks.) Hier endet der tausendunderste Text. Morell: ich halte
+doch nicht viel von Ihrem Predigen. Ich glaube sogar, ich selbst
+könnte das besser. Der Mann, den ich jetzt vor mir haben möchte, ist
+der Mann, den Candida geheiratet hat.
+
+(Morell.) Der Mann, den... meinen Sie mich?
+
+(Marchbanks.) Ich meine nicht Hochwürden Jakob Mavor Morell, Moralist
+und Schwätzer. Ich meine den wirklichen Menschen, den Hochwürden
+Jakob irgendwo in seiner schwarzen Kutte versteckt haben muß, den Mann,
+den Candida geliebt hat. Sie können die Liebe einer Frau wie Candida
+nicht dadurch erreicht haben, daß Sie bloß Ihren Kragen hinten statt
+vorne knöpfen.
+
+(Morell kühn und standhaft:) Als Candida einwilligte, mich zu heiraten,
+da war ich derselbe Moralist und Schwätzer, den Sie jetzt vor sich
+sehen. Ich trug meinen schwarzen Rock, und meinen Kragen knöpfte ich
+hinten statt vorne. Glauben Sie, daß sie mich mehr geliebt hätte,
+wenn ich unaufrichtig in meinem Beruf gewesen wäre?
+
+(Marchbanks auf dem Sofa, seine Knöchel umfassend:) Oh, sie hat Ihnen
+vergeben, so wie sie mir vergibt, daß ich ein Feigling bin und ein
+Schwächling, und was Sie einen kleinen winselnden Hund--und so
+weiter--nennen. (Verträumt:) Eine Frau wie diese hat göttlichen
+Einblick: sie liebt unsere Seele und nicht unsere Narrheiten und
+Eitelkeiten und Illusionen, oder unsere Kragen und Röcke, oder die
+andern Fetzen und Lappen, in die wir gehüllt sind. (Er denkt darüber
+einen Augenblick nach, dann wendet er sich mit gespannter Erwartung um,
+Morell zu befragen:) Was ich wissen möchte, ist, wie Sie an dem
+Flammenschwerte, das mich zurückgeschreckt hat, vorbeigekommen sind!
+
+(Morell bedeutungsvoll:) Vielleicht weil ich nicht nach zehn Minuten
+unterbrochen wurde.
+
+(Marchbanks verblüfft:) Was?
+
+(Morell.) Der Mensch kann auf die höchsten Gipfel steigen; aber er
+kann nicht lange dort verweilen.
+
+(Marchbanks.) Das ist falsch. Dort kann er ewig verweilen! nur dort!
+Anderswo findet er keine Ruhe und hat keinen Sinn für die stille
+Schönheit des Lebens. Wo sollte ich meine seligsten Minuten verleben,
+wenn nicht auf den Höhen?
+
+(Morell.) In der Küche, Zwiebeln schneidend und Lampen füllend.
+
+(Marchbanks.) Oder auf der Kanzel, Seelen scheuernd die aus billigem
+Ton sind.
+
+(Morell.) Ja, das auch! Dort habe ich meinen goldenen Augenblick
+geerntet und mit ihm das Recht, um Candidas Liebe zu werben. Ich habe
+mir diese Stunde nicht erborgt, noch habe ich sie benützt, um das
+Glück eines andern zu stehlen.
+
+(Marchbanks schreitet ziemlich angewidert dem Kamin zu:) Ich zweifle
+nicht daran, daß Sie Ihre Verrichtungen so ehrenhaft erfüllt haben,
+als ob Sie ein Pfund Käse abgewogen hätten. (Er hält vor dem Kamin
+inne und fügt nachdenklich zu sich selbst, Morell den Rücken kehrend,
+hinzu:) Ich konnte zu ihr nur als Bettler kommen.
+
+(Morell auffabrend:) Als ein frierender Bettler, der sie um ihren
+Schal bat, nicht wahr?
+
+(Marchbanks wendet sich überrascht um:) Ich danke Ihnen, daß Sie sich
+auf mein Gedicht beziehen. Ja, wenn Sie wollen: als ein frierender
+Bettler, der sie um ihren Schal bat.
+
+(Morell erregt:) Und sie verweigerte ihn. Soll ich Ihnen sagen, warum
+sie ihn verweigert hat? Ich kann es Ihnen sagen, mit ihrer eigenen
+Erlaubnis: weil...
+
+(Marchbanks.) Sie hat ihn nicht verweigert!
+
+(Morell.) Nicht?
+
+(Marchbanks.) Sie bot mir alles, worum ich bat: ihren Schal, ihre
+Flügel, den Sternenkranz aus ihrem Haar, die Lilien in ihrer Hand, den
+aufgehenden Mond zu ihren Füßen.
+
+(Morell ihn anpackend:) Heraus mit der Wahrheit, Mensch! Meine Frau
+ist meine Frau: ich habe genug von Ihrem poetischen Flitterkram,--ich
+weiß ganz gut, daß kein Gesetz Candida an mich binden würde, wenn ich
+ihre Liebe an Sie verloren hätte!
+
+(Marchbanks bizarr, ohne Furcht oder Widerstand:) Packen Sie mich nur
+beim Kragen: sie wird ihn dann wieder in Ordnung bringen wie heute
+morgen. (Mit stiller Begeisterung:) Ich werde wieder die Berührung
+ihrer Hände fühlen.
+
+(Morell:) Sie junger Fant, fühlen Sie nicht, wie gefährlich es ist,
+mir das zu sagen! Oder (mit plötzilicher Befürchtung:) hat Sie irgend
+etwas kühn gemacht?
+
+(Marchbanks.) Ich fürchte mich jetzt nicht mehr! Ich habe Sie bisher
+nie leiden mögen, deshalb bin ich bei Ihren Berührung zusammengezuckt.
+Aber heute erkannte ich--als Candida Sie quälites--daß Sie sie lieben.
+Seitdem bin ich Ihr Freund! Jetzt können sie mich erwürgen, wenn
+Sie wollen!
+
+(Morell ihn loslassend:) Eugen, wenn das keine herzlose Lüge ist--wenn
+Sie noch einen Funken menschlichen Fühlens haben--so werden Sie mir
+sagen, was im meiner Abwesenheit vergefallen ist!
+
+(Marchbanks:) Was vorgefallen ist? Nun, das Flamenmenschwere...
+(Morell stampft ungeduldig mit dem Fuße;),--also im ganz einfacher
+Prosa: ich liebte sie so unendlich, daß ich nichts weiter wünschte als
+das Glück, so lieben zu für ich und bevor ich--Zote fang vom höchsten
+Grafen der Gefür herunterzutaumente--traten Sie ein.
+
+(Morell (scowen leidend:)) Leidenschaftlichem immer nicht erduldig--
+immer bleibt ihr noch die ehblines Zweifzig.
+
+(Marchbanks.) Quall und wünsche jetzt nichts mehr als Candidas
+Glück. (Mit leidenschaftlichem Gefühl:) Oh, Morell, geben wir sie
+beide auf! Warum soll sie wählen müssen zwischen einem elenden,
+nervösen kleinen Kranken, wie ich es bin, und einem starrköpfigen
+Pfarrer wie Sie? Gehen wir auf Pilgerschaft, Sie nach Osten und ich
+nach Westen, auf der Suche nach einem würdigeren Liebhaber, einem
+schönen Erzengel mit purpurnen Flügeln.
+
+(Morell.) Papperlapapp, dummes Zeug! Oh, wenn sie verrückt genug wäre,
+mich Ihretwegen zu verlassen, wer sollte sie beschützen, wer sollte
+ihr helfen, wer sollte für sie arbeiten, wer ihren Kindern ein Vater
+sein! (Er setzt sich verstört auf das Sofa, seine Ellbogen auf die
+Knie gestützt und den Kopf zwischen den geballten Fäusten.)
+
+(Marchbanks schnappt wild mit den Fingern:) Sie stellt nicht solche
+törichte Fragen: sie braucht jemanden, den sie schützen und behüten,
+für den sie arbeiten kann, jemanden, der ihr Kinder anvertraut, um sie
+zu beschützen, ihnen zu helfen und für sie zu arbeiten, einen
+erwachsenen Menschen, der wieder wie ein kleines Kind geworden ist.
+Oh, Sie Narr, Sie Narr, Sie dreifacher Narr! Ich bin der Mann, Morell,
+ich bin der Mann! (Er tanzt aufgeregt herum und schreit:) Sie
+verstehen nicht, was eine Frau ist,--schicken Sie nach ihr, Morell,
+schicken Sie nach ihr und lassen Sie sie wählen zwischen--(Die Tür
+öffnet sich und Candida tritt ein; er hält wie versteinert inne.)
+
+(Candida erstaunt an der Schwelle:) Was um alles in der Welt machen
+Sie da, Eugen?
+
+(Marchbanks drollig:) Ihr Mann und ich haben ein Wettpredigen
+veranstaltet, und er verliert dabei. (Candida sieht rasch nach Morell,
+und als sie bemerkt, daß er traurig ist, eilt sie hin zu ihm und
+spricht sehr ärgerlich mit heftigem Vorwurf zu Marchbanks.)
+
+(Candida.) Sie haben ihn geärgert. Nein, das dulde ich nicht, Eugen,
+hören Sie! (Sie legt ihre Hand auf Morells Schulter und vergißt in
+ihrem Ärger ganz ihren weiblichen Takt:) Mein Liebling soll nicht
+geärgert werden, ich werde ihn beschützen.
+
+(Morell sich stolz erhebend:) Beschützen?
+
+(Candida nicht auf ihn achtend, zu Eugen:) Was haben Sie ihm gesagt?
+
+(Marchbanks erschreckt:) Nichts. Ich--
+
+(Candida.) Eugen, nichts?
+
+(Marchbanks jämmerlich:) Ich meine--ich--es tut mir sehr leid, ich
+werde es nicht wieder tun, gewiß nicht, ich werde ihn in Ruhe lassen.
+
+(Morell empört mit einer angreifenden Bewegung gegen Eugen:) Mich in
+Ruhe lassen! Sie junger--
+
+(Candida ihm ins Wort fallend:) Sch, nicht doch! laß mich mit ihm
+reden, Jakob.
+
+(Marchbanks.) Oh, Sie sind mir doch nicht böse?
+
+(Candida strenge:) O ja, ich bin--sehr böse. Ich hätte nicht übel
+Lust, Sie aus dem Hause zu jagen.
+
+(Morell von Candidas Heftigkeit überrascht und durchaus nicht willens,
+sich vor einem andern Mann durch sie retten zu lassen:) Sachte,
+Candida, sachte. Ich kann mich schon selbst beschützen.
+
+(Candida ihn streichelnd:) Ja, Lieber, natürlich kannst du das. Aber
+man darf dich nicht ärgern und quälen.
+
+(Marchbanks beinahe in Tränen, sich nach der Türe wendend:) Ich will
+gehen.
+
+(Candida.) Oh, Sie brauchen nicht zu gehen, so spät kann ich Sie nicht
+fortschicken. (Heftig:) Aber schämen Sie sich, schämen Sie sich!
+
+(Marchbanks verzweifelt:) Was habe ich denn getan?
+
+(Candida.) Ich weiß, was Sie getan haben, so genau, als ob ich die
+ganze Zeit hier gewesen wäre.--Oh, es war unwürdig. Sie sind wie ein
+kleines Kind, Sie können Ihren Mund nicht halten.
+
+(Marchbanks.) Ich würde lieber zehnfachen Tod erleiden, als Ihnen
+einen Augenblick Kummer bereiten.
+
+(Candida mit größter Geringschätzung gegen diese Kinderei:) Ihr Tod
+würde mir viel nützen!
+
+(Morell.) Liebste Candida, dieser Wortwechsel ist kaum am Platz. Es
+handelt sich um eine Angelegenheit zwischen zwei Männern, und ich bin
+dazu da, sie beizulegen.
+
+(Candida.) Zwei Männer? Nennst du das einen Mann? (Zu Eugen:) Sie
+schlimmer junge, Sie!
+
+(Marchbanks wird wunderlich liebevoll und mutig, da er ausgezankt
+wird:) Wenn ich mich auszanken lassen soll wie ein kleiner Junge, muß
+ich mich auch wie ein kleiner Junge verteidigen dürfen. Er hat
+angefangen und er ist größer als ich.
+
+(Candida verliert ein wenig ihre Sicherheit, da sie Morells Würde
+bedroht sieht:) Das kann nicht wahr sein. (Zu Morell:) Du hast doch
+nicht angefangen, Jakob, nicht wahr, nein?
+
+(Morell verachtungsvoll:) Nein.
+
+(Marchbanks entrüstet:) Oh!
+
+(Morell zu Eugen:) Sie haben angefangen,--heute früh. (Candida bringt
+dies sofort in Zusammenhang mit der geheimnisvollen Bemerkung, die
+Jakob nachmittag machte, als er ihr sagte, daß ihm Eugen am Morgen
+etwas mitgeteilt habe. Sie sieht ihn mit raschem Verdachte forschend
+an. Morell fährt fort mit dem Pathos der beleidigten Überlegenheit:)
+Aber Ihre andere Bemerkung ist richtig. Ich bin gewiß der Größere von
+uns beiden und, wie ich hoffe, Candida, auch der Stärkere! Es wäre
+daher besser, du überließest die Sache mir.
+
+(Candida ihn wieder besänftigend:) Ja, Lieber--aber (verwirrt:) ich
+verstehe das nicht wegen heute morgen.
+
+(Morell ein wenig auffahrend:) Das brauchst du auch nicht zu verstehen,
+meine Liebe.
+
+(Candida.) Aber, Jakob, ich--(Die Hausglocke läutet:) Oh, wie dumm.
+Da kommen sie alle! (Sie geht hinaus, sie einzulassen.)
+
+(Marchbanks läuft zu Morell:) Oh, Morell, ist das nicht schrecklich?
+Sie ist böse auf uns, sie haßt mich,--was soll ich tun?
+
+(Morell in seltsamer Verzweiflung, sich in die Haare fahrend:) Eugen,
+es dreht sich mir alles im Kopf, ich werde gleich zu lachen anfangen.
+(Er geht in der Mitte des Zimmers auf und ab.)
+
+(Marchbanks folgt ihm ängstlich:) Nein, nein! Dann wird sie glauben,
+ich hätte Sie hysterisch gemacht. Lachen Sie nicht! (Man hört
+heftiges Stimmengewirr und Gelächter, das immer näher kommt.
+Alexander Mill, dessen glänzende Augen und dessen ganzes Benehmen eine
+ungewohnte angeregte Stimmung verraten, tritt mit Burgess ein, der
+einen schmierigen und selbstgefälligen Eindruck macht, aber
+vollständig Herr seiner Sinne ist. Fräulein Garnett folgt ihm mit
+ihrem schönsten Hut und ihrer besten Jacke, aber obwohl ihre Augen
+glänzender sind als früher, ist sie sichtlich in besorgter Stimmung.
+Sie stellt sich mit dem Rücken gegen ihren Schreibmaschinentisch, mit
+einer Hand sich darauf stützend, mit der anderen sich über die Stirne
+fahrend, als ob sie etwas müde und schwindlig wäre. Marchbanks
+verfällt wieder in Schüchternheit und schleicht weg in die Nähe des
+Fensters, wo Morells Bücher sind.)
+
+(Mill begeistert:) Herr Pastor, ich *muß* Ihnen gratulieren, (seine
+Hand fassend:)--was für eine edle, herrliche, von Gott eingehauchte
+Ansprache Sie gehalten haben! Sie haben sich selbst übertroffen.
+
+(Burgess.) Ja, das haben Sie, Jakob. Ich bin bis zum letzten Worte
+wach geblieben,--nicht wahr, Fräulein Garnett?
+
+(Proserpina ungeduldig:) Oh, ich habe Sie nicht beachtet, ich habe
+mich bemüht, Notizen zu machen. (Sie nimmt ihre Notizen heraus,
+blickt auf ihr Stenogramm und fängt beinahe zu weinen an.)
+
+(Morell.) Habe ich zu schnell gesprochen, Prossi?
+
+(Proserpina.) Viel zu schnell.--Sie wissen, ich kann nicht mehr als
+neunzig Worte in der Minute schreiben. (Sie macht ihren Gefühlen Luft,
+indem sie ihr Notizbuch ärgerlich neben die Maschine wirft, wo sie es
+am nächsten Morgen bereit haben will.)
+
+(Morell besänftigend:) Nun, nun, das macht ja nichts. Habt ihr alle
+schon zur Nacht gegessen?
+
+(Mill.) Herr Burgess war so liebenswürdig, uns in's Belgrave
+Restaurant zu einem geradezu glänzenden Abendessen einzuladen.
+
+(Burgess mit überschwenglicher Großmut:) O bitte, bitte, Herr Mill.
+(Bescheiden:) Sie waren mir bei meinem bescheidenen Feste herzlich
+willkommen.
+
+(Proserpina.) Wir haben Champagner getrunken! Ich hatte noch niemals
+welchen gekostet. Ich bin ganz schwindlig.
+
+(Morell überrascht:) Ein Champagnersouper! Das war sehr hübsch von
+Ihnen. Ist meine Beredsamkeit schuld an dieser Verschwendung?
+
+(Mill mit Pathos:) Ihre Beredsamkeit und Herrn Burgess' Herzensgüte.
+(Mit erneutem Gefühlsausbruch:) Was für ein herrlicher Mensch der
+Vorsitzende war, Herr Morell; er hat auch mit uns gespeist.
+
+(Morell bedeutungsvoll Burgess anblickend:) So, so, der Vorsitzende!
+--*jetzt* verstehe ich! (Burgess verbirgt hinter einem Hüsteln ein
+Lächeln der Zufriedenheit über seine diplomatische Geschicklichkeit
+und setzt sich an den Kamin. Mill verschränkt die Arme und lehnt sich
+neben das Büchergestell in einer Stellung, die seine Begeisterung zum
+Ausdruck bringt. Candida kommt mit Gläsern, Zitronen und heißem
+Wasser auf einem Tablett herein.)
+
+(Candida.) Wer wünscht etwas Limonade? Sie kennen unsere Hausregel:
+vollkommene Abstinenz! (Sie stellt das Tablett auf den Tisch, nimmt
+den Zitronenpresser zur Hand und blickt fragend umher.)
+
+(Morell.) Du bemühst dich umsonst, meine Liebe, sie haben alle
+Champagner getrunken, Prossi hat ihr Gelübde gebrochen.
+
+(Candida zu Proserpina:) Sie wollen doch nicht behaupten, daß Sie auch
+Champagner getrunken haben?
+
+(Proserpina verstockt:) Ja, das hab' ich; ich bin nur eine Bier-,
+keine Champagnerabstinenzlerin. Ich mag kein Bier.--Sind Briefe für
+mich zur Beantwortung da, Herr Pastor?
+
+(Morell.) Nichts mehr für heute.
+
+(Proserpina.) Dann gute Nacht allerseits.
+
+(Mill galant:) Wäre es nicht geraten, daß ich Sie nach Hause begleite,
+Fräulein Garnett?
+
+(Proserpina.) Nein, ich danke. Ich würde mich heute nacht niemandem
+anvertrauen wollen! Hätte ich nur nichts von diesem Zeug getrunken!
+Sie geht rasch hinaus.
+
+(Burgess empört:) Zeug! Dieses Mädel weiß nicht, was Champagner ist.
+Pommery und Greno, zwölf Schilling sechs Pence die Flasche. Zwei
+Gläser nacheinander hat sie geleert.
+
+(Morell etwas besorgt:) Gehen Sie, Lexi, und sehen Sie nach ihr!
+
+(Mill beunruhigt:) Aber wenn sie wirklich... bedenken Sie, wenn sie in
+den Straßen zu singen anfängt oder dergleichen!
+
+(Morell.) Eben darum wäre es besser, Sie brächten sie sicher nach
+Hause.
+
+(Candida.) Tun Sie es, Lexi, als guter Kamerad! (Sie reicht ihm die
+Hand und schiebt ihn sanft nach der Tür.)
+
+(Mill.) Es ist selbstverständlich meine Pflicht, mit ihr zu gehen.
+Ich hoffe aber, es wird nicht nötig gewesen sein. Gute Nacht, Frau
+Morell. (Zu den übrigen:) Gute Nacht. (Er geht, Candida schließt die
+Tür hinter ihm.)
+
+(Burgess.) Er war selbst ganz aus dem Häuschen in lauter Frömmigkeit
+nach dem zweiten Glas. Heutzutage können die Leute nicht mehr trinken
+wie früher. (Den Gegenstand fallen lassend, geht er vom Kamin fort.)
+Nun, Jakob, es ist Zeit, das Haus zu schließen. Herr Marchbanks,
+werden Sie mir auf dem Heimwege ein Stückchen das Vergnügen Ihrer
+Gesellschaft schenken?
+
+(Marchbanks erschrocken:) Ja, es ist besser, ich gehe. (Er eilt nach
+der Tür, aber Candida stellt sich ihm in den Weg.)
+
+(Candida mit ruhiger Würde:) Sie setzen sich noch, Sie werden noch
+nicht gehen!
+
+(Marchbanks eingeschüchtert:) Nein,--ich--ich wollte ja auch nicht.
+(Er kommt zurück in das Zimmer und setzt sich gehorsam auf das Sofa.)
+
+(Candida.) Herr Marchbanks bleibt heute nacht bei uns, Papa.
+
+(Burgess.) Na, dann sage ich gute Nacht. Auf Wiedersehn, Jakob. (Er
+schüttelt Morell die Hand und geht hinüber zu Eugen.) Lassen Sie sich
+ein Nachtlicht an Ihr Bett stellen, Herr Marchbanks, es wird Sie
+beruhigen, falls Sie in der Nacht einen Anfall Ihres Leidens bekommen
+sollten! Gute Nacht.
+
+(Marchbanks.) Ich danke Ihnen, es soll geschehn. Gute Nacht, Herr
+Burgess. (Sie geben einander die Hände, Burgess geht zur Tür.)
+
+(Candida hält Morell zurück, der Burgess begleiten will:) Bleib' hier,
+mein Lieber, ich werde Papa seinen Rock anziehen helfen. (Sie geht
+mit Burgess hinaus.)
+
+
+(Marchbanks.) Herr Pastor, es wird eine schreckliche Szene geben.
+Haben Sie keine Angst?
+
+(Morell.) Nicht die geringste.
+
+(Marchbanks.) Ich habe Sie bisher nie um Ihren Mut beneidet. (Er
+erhebt sich schüchtern und berührt mit seiner Hand flehend Morells
+Unterarm:) Stehen Sie mir bei,--wollen Sie?
+
+(Morell schüttelt ihn sanft, aber entschieden ab:) Jeder für sich,
+Eugen! Sie--muß nun zwischen uns wählen. (Er gebt beim Eintritt
+Candidas auf die andere Seite des Zimmers, Eugen setzt sich mit seinem
+besten Benehmen wie ein schuldbewußter Schulknabe auf das Sofa.)
+
+(Candida zwischen den beiden, sich zu Eugen wendend:) Tut es Ihnen
+leid?
+
+(Marchbanks ernst:) Ja, unendlich.
+
+(Candida.) Gut, dann ist Ihnen verziehen. Nun gehen Sie wie ein
+braver kleiner Junge zu Bett, ich möchte mit Jakob über Sie sprechen.
+
+(Marchbanks erhebt sich mit größter Bestürzung:) Oh, das kann ich
+nicht.--Herr Pastor, ich muß hierbleiben. Ich will nicht fortgehen.
+Sagen Sie es ihr!
+
+(Candida die ihren Verdacht bestätigt sieht:) Was soll er mir sagen?
+(Seine Augen vermeiden die ihrigen, sie wendet sich um und überträgt
+ihre Frage stumm auf Morell.)
+
+(Morell wappnet sich für die Katastrophe:) Ich habe ihr nichts zu
+sagen, ausgenommen--(dabei sinkt seine Stimme zu maßvoller, trauriger
+Zärtlichkeit herab:) daß sie mein größter Schatz auf Erden ist--wenn
+sie mir wirklich gehört.
+
+(Candida kalt, verletzt, daß er seinem Rednerinstinkt nachgibt und sie
+behandelt, als ob sie sich unter den Zuhörern der Gilde von St.
+Matthäus befände:) Ich bin überzeugt, daß Eugen nicht weniger sagen
+kann, wenn das alles ist.
+
+(Marchbanks entmutigt:) Morell, sie lacht uns aus.
+
+(Morell auffahrend:) Es gibt da nichts zu lachen. Lachst du uns aus,
+Candida?
+
+(Candida mit stillem Ärger:) Eugen ist sehr witzig, ich hoffe, daß ich
+lachen werde--aber vorläufig fürchte ich, mich ärgern zu müssen. (Sie
+geht an den Kamin und bleibt dort stehen, ihren Arm auf dem Gesims und
+ihren Fuß auf dem Gitter, während Eugen sich zu Morell hinstiehlt und
+ihn beim Arm faßt.)
+
+(Marchbanks flüsternd:) Halten Sie ein, Herr Pastor; sagen wir nichts
+mehr.
+
+(Morell stößt Eugen fort, ohne ihn eines Blickes zu würdigen:) Ich
+hoffe, daß du mir nicht drohen willst, Candida.
+
+(Candida mit feierlicher Warnung:) Nimm dich in acht, Jakob!--Eugen,
+ich habe gewünscht, daß Sie gehen sollen,--gehen Sie oder nicht?
+
+(Morell mit dem Fuße stampfend:) Er wird nicht gehen; ich wünsche, daß
+er bleibt.
+
+(Marchbanks.) Ich will gehen. Ich tue, was Sie wollen. (Er wendet
+sich zur Tür.)
+
+(Candida.) Bleiben Sie. (Er gehorcht.) Haben Sie nicht gehört, daß
+Jakob wünscht, daß Sie bleiben sollen? Jakob ist hier der Herr,
+wissen Sie das nicht?
+
+(Marchbanks errötend, mit der Wut eines jungen Dichters gegen Tyrannei:)
+Was gibt ihm das Recht dazu?
+
+(Candida ruhig:) Sag es ihm, Jakob.
+
+(Morell bestürzt:) Meine Liebe, ich bin mir keines Rechtes bewußt, das
+mich zum Herrn macht; ich bestehe auf keinem solchen Rechte.
+
+(Candida mit schwerem Vorwurf:) Du weißt es nicht? O Jakob, Jakob!
+(Zu Eugen nachdenklich:) Ich wüßte gern, ob Sie das verstehen, Eugen...
+Nein, Sie sind zu jung. Nun, ich erlaube Ihnen, zu bleiben und zu
+lernen. (Sie geht von Kamin fort und stellt sich zwischen die beiden.)
+Also, Jakob, was ist's? Komm und sag' es mir.
+
+(Marchbanks flüstert ihm ängstlich zu:) Sagen Sie ihr lieber nichts.
+
+(Candida.) Bitte!--Heraus damit!
+
+(Morell langsam:) Ich wollte dich sorgfältig vorbereiten, Candida, um
+jedes Mißverständnis zu vermeiden.
+
+(Candida.) Ja, Lieber, das wolltest du gewiß; aber sei unbesorgt, ich
+werde nichts mißverstehen.
+
+(Morell.) Nun denn, es--(Er zögert, unfähig, die lange Erklärung zu
+finden, die er für nötig hält.)
+
+(Candida.) Nun?
+
+(Morell klipp und klar:) Eugen behauptet, daß du ihn liebst.
+
+(Marchbanks außer sich:) Nein, nein, nein, nein, niemals, das habe ich
+nicht behauptet, Frau Morell, es ist nicht wahr! Ich sagte, daß ich
+Sie liebe und er nicht. Ich sagte, daß ich Sie verstehe und daß er es
+nicht kann. Und nicht infolgedessen, was sich hier am Kamin
+zugetragen hat, habe ich das gesagt,--ganz gewiß nicht, auf mein Wort!
+schon heute morgen hab' ich es ihm gesagt!
+
+(Candida erleuchtet:) Heute morgen?!
+
+(Marchbanks.) Ja! (Er siebt sie um Glauben bittend an und fügt dann
+einfach hinzu:) Das war auch der Grund, warum mein Kragen in Unordnung
+geriet.
+
+(Candida nach einer Pause, weil sie nicht gleich begreift, was er
+meint:) Ihr Kragen! (Sie wendet sich erschrocken zu Morell, verletzt:)
+O Jakob, hast du ihn--? (Sie hält inne.)
+
+(Morell beschämt:) Du weißt, Candida, daß ich mit meinem Temperament
+zu kämpfen habe, und er sagte, (schauernd:) daß du mich verachtest in
+deinem Herzen.
+
+(Candida wendet sich rasch zu Eugen:) Haben Sie das gesagt?
+
+(Marchbanks geängstigt:) Nein!
+
+(Candida strenge:) Dann hat mich also Jakob eben angelogen. Wollen
+Sie das behaupten?
+
+(Marchbanks.) Nein, nein: ich--ich... (herausplatzend mit der
+verzweifelten Erklärung:)--es war die Rede von Davids Frau, nicht bei
+ihm zu Hause, sondern als sie ihn tanzen sah vor allen Leuten.
+
+(Morell nimmt diesen Fingerzeig mit der Geschicklichkeit eines
+Wortkämpfers auf:) Ja, als er vor dem ganzen Volke tanzte, Candida, in
+der Meinung, daß er ihre Herzen dadurch rührte, während sie nur an
+Prossis Leiden litten. (Sie ist im Begriff zu protestieren, er winkt
+ihr mit der Hand, um sie zum Schweigen zu bringen, und fährt fort:)
+Tue nicht als ob du entrüstet wärest, Candida.
+
+(Candida.) Tun als ob?!
+
+(Morell fortfahrend:) Eugen hatte recht! Wie du mir einige Stunden
+später klarmachtest, hat er immer recht. Er sagte nichts, was du
+nicht viel besser selbst gesagt hättest. Er ist der Dichter, der
+alles sieht; und ich bin der arme Pastor, der nichts versteht.
+
+(Candida reuevoll:) Ärgert dich, was ein närrischer junge gesagt hat,
+weil ich im Scherz etwas Ähnliches sagte?
+
+(Morell.) Der närrische Junge kann mit der Begeisterung eines Kindes
+und mit der Verschlagenheit einer Schlange sprechen. Er hat behauptet,
+daß du ihm gehörst und nicht mir, und, ob mit Recht oder Unrecht, ich
+beginne zu fürchten, daß es wahr sein könnte. Ich will nicht
+umhergehen von Zweifeln und Verdächtigungen gequält. Ich will nicht
+mit dir leben und ein Geheimnis vor dir haben. Ich will nicht die
+entwürdigende Qual der Eifersucht erdulden. Deshalb haben wir
+beschlossen--er und ich--daß du jetzt zwischen uns wählen sollst! Ich
+erwarte deine Entscheidung.
+
+(Candida weicht langsam einen Schritt zurück, verletzt über sein
+Pathos, trotz des aufrichtigen Gefühls, das sie heraushört:) Oh, ich
+muß also wählen? Ich nehme an, daß eines vollkommen feststeht: daß
+ich einem o d e r dem andern gehören muß.
+
+(Morell entschlossen:) Vollkommen; du mußt endgültig wählen.
+
+(Marchbanks ängstlich:) Herr Pastor,--Sie verstehen nicht: sie meint,
+daß sie sich selbst gehört.
+
+(Candida sich zu ihm wendend:) ja, das meine ich, Junker Eugen, und
+noch sehr viel mehr, wie Ihr beide sofort herausfinden werdet. Und
+ich frage, meine Herren und Gebieter, was habt Ihr für meine Wahl zu
+geben? Es scheint, daß ich versteigert werden soll. Wieviel bietest
+du, Jakob?
+
+(Modell vorwurfsvoll:) Cand.... (Er bricht zusammen, seine Augen
+füllen sich mit Tränen, und seine Kehle schnürt sich zu, der Redner
+wird zu einem verwundeten Tier.) Ich kann nicht sprechen.
+
+(Candida geht impulsiv zu ihm hin:) O Liebster!
+
+(Marchbanks in wildem Aufruhr:) Halten Sie ein, das ist nicht gerecht.
+Sie dürfen ihr nicht zeigen, daß Sie leiden, Morell.--Ich bin auch
+auf der Folter, aber ich weine nicht.
+
+(Morell nimmt seine ganze Kraft zusammen:) Ja, Sie haben recht. Es
+ist nicht Mitleid, worum ich bitte. (Er befreit sich von Candida.)
+
+(Candida zieht sich frostig zurück:) Entschuldige, Jakob, ich hatte
+nicht die Absicht, dich zu berühren. Ich warte auf dein Angebot.
+
+(Morell mit stolzer Demut:) Ich habe dir nichts zu bieten als meine
+Kraft zu deinem Schutze, mein ehrliches Wollen für deine Ruhe, meine
+Tüchtigkeit und Arbeit für deinen Unterhalt und mein Ansehen und meine
+Stellung für deine Würde. Das ist alles, was einem Manne ansteht,
+einer Frau zu bieten.
+
+(Candida ganz ruhig:) Und Sie, Eugen, was bieten Sie?
+
+(Marchbanks.) Meine Schwäche! meine Trostlosigkeit! meine Herzensnot!
+
+(Candida gerührt:) Das ist ein gutes Angebot, Eugen; nun weiß ich, wie
+ich meine Wahl zu treffen habe. (Sie hält inne und blickt seltsam von
+einem zum andern, als ob sie beide abschätzte. Morell, dessen
+hochtmütiges Zutrauen sich in herzzerreißende Angst bei Eugens Gebot
+verwandelt hat, verliert alle Beherrschung, und kann seine Angst nicht
+verbergen. Eugen dagegen, mit äußerst angespannter Kraft, zuckt mit
+keiner Wimper.)
+
+(Morell mit halb erstickter Stimme--ein Hilferuf entringt sich den
+Tiefen seiner Verzweiflung:) Candida!
+
+(Marchbanks beiseite mit einem Aufwallen der Verachtung:) Feigling!
+
+(Candida bedeutsam:) Ich gebe mich dem Schwächeren von beiden. (Eugen
+errät ihre Meinung sofort; sein Gesicht wird weiß wie scbmelzender
+Stahl.)
+
+(Morell neigt seinen Kopf mit der Ruhe der Gebrochenheit:) Ich nehme
+deine Entscheidung an, Candida.
+
+(Candida.) Verstehen Sie, Eugen?
+
+(Marchbanks.) Oh, ich fühle, ich bin verloren. Er könnte die Last
+nicht ertragen!
+
+(Morell ungläubig, hebt seinen Kopf empor, mit prosaischer Stumpfheit:)
+Meinst du mich, Candida?
+
+(Candida lächelt ein wenig:) Setzen wir uns und plaudern wir gemütlich
+darüber wie drei Freunde. (Zu Morell:) Setze dich, mein Lieber.
+(Morell nimmt den Stuhl vom Kamin--den Kindersessel.) Bringen Sie mir
+diesen Stuhl, Eugen. (Sie weist auf den Lehnstuhl, er holt ihn
+schweigend, sogar mit etwas wie kühler Beherrschung und setzt ihn
+neben Morell, etwas hinter ihn. Sie setzt sich, er geht an das Sofa
+und läßt sich dort nieder, noch immer schweigsam und unergründlich.
+Als sie alle sitzen, beginnt Candida,--einen Hauch von Ruhe um sich
+breitend, mit ihrer sanften, gesunden, zärtlichen Stimme:) Sie
+erinnern sich doch, was Sie mir über sich selbst erzählten, Eugen: wie
+sich niemand um Sie gekümmert hat, seit Ihre alte Amme starb. Wie
+Ihre gescheiten, vornehmen Schwestern und erfolgreichen Brüder die
+Lieblinge Ihrer Eltern waren, wie elend es Ihnen in Eton erging, wie
+Ihr Vater Sie durch Entbehrungen zwingen will, nach Oxford
+zurückzukehren, wie Sie leben mußten ohne Behaglichkeit oder
+Willkommen, ohne Zufluchtsstätte, immer einsam und fast immer ungern
+gesehen und mißverstanden! Sie armer Junge!
+
+(Marchbanks der Größe seines Schicksals würdig:) Ich hatte meine
+Bücher. Ich hatte die Natur. Und endlich bin ich Ihnen begegnet.
+
+(Candida.) Lassen wir das im Augenblick beiseite. Nun möchte ich, daß
+Sie sich diesen andern Jungen hier betrachten,--meinen verwöhnten
+Jungen,--verwöhnt von seiner Wiege an. Einmal alle vierzehn Tage
+besuchen wir seine Eltern. Da sollten Sie mit uns kommen, Eugen, und
+die Bilder des Helden dieser Familie sehen. Jakob als Baby, das
+wundervollste aller Babys! Jakob, als er seinen ersten Schulpreis
+erhielt, gewonnen im reifen Alter von acht Jahren! Jakob als der
+Führer seiner Mitschüler beim Cricketspiel! Jakob in seinem ersten
+schwarzen Anzug! Jakob in allen möglichen ruhmvollen Posen. Sie
+wissen, wie stark er ist--ich hoffe, er hat Ihnen nicht weh getan--wie
+gescheit er ist--wie glücklich! (Mit wachsendem Ernst:) Fragen Sie
+Jakobs Mutter und seine drei Schwestern, was es sie gekostet hat,
+Jakob die Mühe zu ersparen, irgend etwas zu tun, als stark, gescheit
+und glücklich zu sein. Fragen Sie mich, was es mich kostet, Jakobs
+Mutter und seine drei Schwestern und seine Frau und Mutter seiner
+Kinder--alles in einer Person--zu sein! Fragen Sie Prossi und Marie,
+wieviel Arbeit das Haus gibt, selbst wenn wir keine Besucher haben,
+die uns helfen Zwiebeln schneiden. Fragen Sie die Geschäftsleute, die
+Jakob stören und seine prachtvollen Predigten gefährden wollen, wer es
+ist, der sie abschüttelt! Wenn Geld zu geben ist, so gibt er es; wenn
+Geld zu verweigern ist, so verweigere ich es. Ich habe ihm ein Schloß
+von Behaglichkeit, Nachsicht und Liebe erbaut und stehe immer
+Schildwache davor, um all den täglichen kleinen Lebenssorgen den
+Eintritt zu verwehren. Ich mache ihn hier zum Herrn, obwohl er es
+nicht weiß und Ihnen vor einem Augenblicke nicht sagen konnte, wie er
+dazu gekommen ist, es zu sein. (Mit süßer Ironie:) Und als er dachte,
+ich könnte mit Ihnen fortgehen, da war seine einzige Sorge, was aus
+mir werden würde; und um mich zum Bleiben zu bewegen, bot er mir--
+(sie neigt sich vor und streicht ihm bei jedem Satze über das Haar)
+seine Kraft zu meinem Schutze, seine Arbeit für meinen Unterhalt,
+seine Stellung für meine Würde, seine (zögernd:) ah, ich
+verwechsle deine wunderschönen Sätze und verderbe sie, nicht
+wahr, Liebling?
+
+(Morell kniet ganz überwältigt neben ihren Stuhl und umschlingt sie
+mit knabenhafter Leidenschaft:) Alles ist wahr, jedes Wort. Was ich
+bin, hast du aus mir gemacht, durch die Arbeit deiner Hände und die
+Liebe deines Herzens. Du bist mein Weib, meine Mutter, meine
+Schwester,--du bist die Summe aller Liebessorgen für mich.
+
+(Candida in seinen Armen, lächelnd zu Marchbanks:) Bin ich Ihnen auch
+Mutter und Schwester, Eugen?
+
+(Marchbanks erhebt sich mit einer heftigen Bewegung des Ekels:) Oh,
+niemals! Hinaus denn in die Nacht mit mir!
+
+(Candida erhebt sich rasch und unterbricht ihn:) sie werden nicht so
+von uns gehn, Eugen!
+
+(Marchbanks mit dem Tonfall eines entschlossenen Mannes, nicht mit der
+Stimme eines Knaben:) Ich weiß, wann die Stunde geschlagen hat. Ich
+bin ungeduldig zu tun, was getan werden muß.
+
+(Morell erhebt sich von seinen Knien, beunruhigt:) Candida, laß ihn
+nichts Übereiltes begehen!
+
+(Candida lächelt Eugen vertrauensvoll an:) Oh, sei unbesorgt, er hat
+gelernt, ohne Glück zu leben.
+
+(Marchbanks.) Ich ersehne nicht mehr Glück; das Leben kann Höheres
+bieten. Pastor Jakob, ich gebe Ihnen mein Glück mit beiden Händen hin;
+ich liebe Sie, weil Sie das Herz der Frau, ganz ausgefüllt haben, die
+ich liebte. Leben Sie wohl! (Er geht zur Tür.)
+
+(Candida.) Ein letztes Wort. (Er hält inne, aber ohne sich nach ihr
+umzuwenden.) Wie alt sind Sie, Eugen?
+
+(Marchbanks.) Jetzt bin ich so alt wie die Welt. Heute morgen war ich
+achtzehn Jahre!
+
+(Candida geht zu ihm hin und steht hinter ihm, eine Hand liebkosend
+auf seiner Schulter:) Achtzehn... Wollen Sie mir zuliebe ein kleines
+Gedicht aus zwei Zeilen machen, die ich Ihnen sagen will? Und wollen
+Sie mir versprechen, sich's immer vorzusagen, so oft Sie an mich
+denken.
+
+(Marchbanks ohne sich zu rühren:) Sagen Sie die beiden Zeilen.
+
+(Candida.) Wenn ich dreißig sein werde, dann wird sie fünfundvierzig
+sein; wenn ich sechzig sein werde, dann wird sie fünfundsiebzig sein.
+
+(Marchbanks wendet sich nach ihr um:) In hundert Jahren werden wir
+gleich alt sein! Aber ich trage ein besseres Geheimnis als das in
+meinem Herzen! Lassen Sie mich jetzt gehen, die Nacht wächst draußen
+ungeduldig.
+
+(Candida.) Leben Sie wohl! (Sie nimmt sein Gesicht in die Hände, und
+da er ihre Absicht errät und sein Knie beugt, küßt sie ihn auf die
+Stirne, dann flieht er hinaus in die Nacht.--Sie wendet sich zu Morell,
+mit ausgebreiteten Armen:) O Jakob! (Sie umarmen einander. Aber das
+Geheimnis in des Dichters Herzen, das kennen sie nicht.)
+
+(Vorhang)
+
+
+Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes CANDIDA, von George Bernard Shaw.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Candida, by George Bernard Shaw
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK CANDIDA ***
+
+***** This file should be named 9491-8.txt or 9491-8.zip *****
+This and all associated files of various formats will be found in:
+ http://www.gutenberg.org/9/4/9/9491/
+
+Produced by Michalina Makowska
+Updated editions will replace the previous one--the old editions will
+be renamed.
+
+Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
+law means that no one owns a United States copyright in these works,
+so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
+States without permission and without paying copyright
+royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
+of this license, apply to copying and distributing Project
+Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
+concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
+and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
+specific permission. If you do not charge anything for copies of this
+eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
+for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
+performances and research. They may be modified and printed and given
+away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
+not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
+trademark license, especially commercial redistribution.
+
+START: FULL LICENSE
+
+THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
+PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
+
+To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
+distribution of electronic works, by using or distributing this work
+(or any other work associated in any way with the phrase "Project
+Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
+Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
+www.gutenberg.org/license.
+
+Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
+Gutenberg-tm electronic works
+
+1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
+electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
+and accept all the terms of this license and intellectual property
+(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
+the terms of this agreement, you must cease using and return or
+destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
+possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
+Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
+by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
+person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
+1.E.8.
+
+1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
+used on or associated in any way with an electronic work by people who
+agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
+agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
+electronic works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
+Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
+of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
+works in the collection are in the public domain in the United
+States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
+United States and you are located in the United States, we do not
+claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
+displaying or creating derivative works based on the work as long as
+all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
+that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
+free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
+works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
+Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
+comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
+same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
+you share it without charge with others.
+
+1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
+what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
+in a constant state of change. If you are outside the United States,
+check the laws of your country in addition to the terms of this
+agreement before downloading, copying, displaying, performing,
+distributing or creating derivative works based on this work or any
+other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
+representations concerning the copyright status of any work in any
+country outside the United States.
+
+1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
+
+1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
+immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear
+prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
+on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
+phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
+performed, viewed, copied or distributed:
+
+ This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
+ most other parts of the world at no cost and with almost no
+ restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
+ under the terms of the Project Gutenberg License included with this
+ eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
+ United States, you'll have to check the laws of the country where you
+ are located before using this ebook.
+
+1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
+derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
+contain a notice indicating that it is posted with permission of the
+copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
+the United States without paying any fees or charges. If you are
+redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
+Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
+either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
+obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
+trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.
+
+1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
+with the permission of the copyright holder, your use and distribution
+must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
+additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
+will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
+posted with the permission of the copyright holder found at the
+beginning of this work.
+
+1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
+License terms from this work, or any files containing a part of this
+work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.
+
+1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
+electronic work, or any part of this electronic work, without
+prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
+active links or immediate access to the full terms of the Project
+Gutenberg-tm License.
+
+1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
+compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
+any word processing or hypertext form. However, if you provide access
+to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
+other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
+version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
+(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
+to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
+of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
+Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
+full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.
+
+1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
+performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
+unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
+
+1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
+access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
+provided that
+
+* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
+ the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
+ you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
+ to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
+ agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
+ Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
+ within 60 days following each date on which you prepare (or are
+ legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
+ payments should be clearly marked as such and sent to the Project
+ Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
+ Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
+ Literary Archive Foundation."
+
+* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
+ you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
+ does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
+ License. You must require such a user to return or destroy all
+ copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
+ all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
+ works.
+
+* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
+ any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
+ electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
+ receipt of the work.
+
+* You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg-tm works.
+
+1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
+Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
+are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
+from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
+Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
+trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.
+
+1.F.
+
+1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
+effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
+works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
+Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
+electronic works, and the medium on which they may be stored, may
+contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
+or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
+intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
+other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
+cannot be read by your equipment.
+
+1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
+of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
+Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
+Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
+liability to you for damages, costs and expenses, including legal
+fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
+LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
+PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
+TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
+LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
+INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
+DAMAGE.
+
+1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
+defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
+receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
+written explanation to the person you received the work from. If you
+received the work on a physical medium, you must return the medium
+with your written explanation. The person or entity that provided you
+with the defective work may elect to provide a replacement copy in
+lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
+or entity providing it to you may choose to give you a second
+opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
+the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
+without further opportunities to fix the problem.
+
+1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
+OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
+LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
+warranties or the exclusion or limitation of certain types of
+damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
+violates the law of the state applicable to this agreement, the
+agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
+limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
+unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
+remaining provisions.
+
+1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
+providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
+accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
+production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
+electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
+including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
+the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
+or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
+additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
+Defect you cause.
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of
+computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
+exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
+from people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
+generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
+Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
+www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
+U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
+mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
+volunteers and employees are scattered throughout numerous
+locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
+Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
+date contact information can be found at the Foundation's web site and
+official page at www.gutenberg.org/contact
+
+For additional contact information:
+
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
+DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
+state visit www.gutenberg.org/donate
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations. To
+donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
+Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
+freely shared with anyone. For forty years, he produced and
+distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
+volunteer support.
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
+the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
+necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
+edition.
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search
+facility: www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
+
diff --git a/9491-8.zip b/9491-8.zip
new file mode 100644
index 0000000..1d069db
--- /dev/null
+++ b/9491-8.zip
Binary files differ
diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt
new file mode 100644
index 0000000..6312041
--- /dev/null
+++ b/LICENSE.txt
@@ -0,0 +1,11 @@
+This eBook, including all associated images, markup, improvements,
+metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be
+in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES.
+
+Procedures for determining public domain status are described in
+the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org.
+
+No investigation has been made concerning possible copyrights in
+jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize
+this eBook outside of the United States should confirm copyright
+status under the laws that apply to them.
diff --git a/README.md b/README.md
new file mode 100644
index 0000000..6ac309f
--- /dev/null
+++ b/README.md
@@ -0,0 +1,2 @@
+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
+eBook #9491 (https://www.gutenberg.org/ebooks/9491)
diff --git a/old/7cndg10.txt b/old/7cndg10.txt
new file mode 100644
index 0000000..dcbef8f
--- /dev/null
+++ b/old/7cndg10.txt
@@ -0,0 +1,3710 @@
+The Project Gutenberg EBook of Candida, by George Bernard Shaw
+
+Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the
+copyright laws for your country before downloading or redistributing
+this or any other Project Gutenberg eBook.
+
+This header should be the first thing seen when viewing this Project
+Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the
+header without written permission.
+
+Please read the "legal small print," and other information about the
+eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is
+important information about your specific rights and restrictions in
+how the file may be used. You can also find out about how to make a
+donation to Project Gutenberg, and how to get involved.
+
+
+**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts**
+
+**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971**
+
+*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!*****
+
+
+Title: Candida
+
+Author: George Bernard Shaw
+
+Release Date: December, 2005 [EBook #9491]
+[This file was first posted on October 5, 2003]
+
+Edition: 10
+
+Language: German
+
+Character set encoding: US-ASCII
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, CANDIDA ***
+
+
+
+
+E-text prepared by Michalina Makowska
+
+
+
+
+
+
+
+This Etext is in German.
+
+We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format,
+known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email--
+and one in 8-bit format, which includes higher order characters--
+which requires a binary transfer, or sent as email attachment and
+may require more specialized programs to display the accents.
+This is the 7-bit version.
+
+
+
+
+
+CANDIDA
+
+Ein Mysterium in drei Akten
+
+George Bernard Shaw
+
+Uebersetzt von Siegfried Trabitsch
+
+
+
+
+
+
+
+PERSONEN
+
+Pastor Jakob Morell
+Candida, seine Frau
+Burgess, ihr Vater
+Alexander Mill, Unterpfarrer
+Proserpina Garnett, Maschinenschreiberin
+Eugen Marchbanks, ein junger Dichter
+
+Ort der Handlung: Die St. Dominikpfarre, Viktoriapark, London E.
+
+Zeit: Oktober 1894.
+
+
+
+
+ERSTER AKT
+
+(Ein schoener Oktobermorgen im nordoestlichen Viertel Londons. In
+diesem ausgedehnten Bezirk sind die Seitengaesschen viel weniger schmal,
+schmutzig, uebelriechend und stickig als in dem viele Meilen
+entfernten London von Mayfair und St. James. Hier spielt sich
+besonders das unelegante Leben der Mittelklassen ab. Die breiten,
+dichtbevoelkerten Strassen sind mit haesslichen eisernen
+Beduerfnisanstalten, radikalen Klubs und Trambahnlinien, auf denen
+Ketten von gelben Wagen endlos einziehen, reichlich versehn. Doch
+sind die Hauptverkehrsadern mit grasbewachsenen Vorgaertchen verziert,
+von denen man nur den kleinen Streifen betritt, der vom Pfoertchen zur
+Haustuer fuehrt. Jene Strassen werden durch die stumm geduldete
+Eintoenigkeit sich meilenweit erstreckender haesslicher Ziegelbauten,
+schwarzer Eisengitter, Steinpflaster und Schieferdaecher arg entstellt.
+Anstaendig aber unmodern oder gemein und aermlicb gekleidete Leute, die
+an dieses Viertel gewoehnt sind und sich zumeist in aufreibender Weise
+fuer andere plagen muessen, ohne sich fuer ihre Arbeit zu interessieren,
+bilden ihre Bewohner. Das bisschen ihnen gebliebene Energie und Eifer
+gipfelt in der Habgier des Londoner Cockneys und in der Begierde, ihr
+Geschaeft vorwaerts zu bringen. Selbst die Schutzleute und die Kapellen
+sind nicht selten genug, die Eintoenigkeit zu unterbrechen. Die Sonne
+scheint klar, es ist nicht neblig, und obgleich der Rauch sowohl die
+Gesichter und Haende als auch die Mauern aus Ziegelstein und Moertel
+verhindert, frisch und rein zu sein, so ist er doch nicht schwarz und
+schwer genug, um einen Londoner zu belaestigen.)
+
+(Diese reizlose Wueste hat ihre Oase. Am aeussersten Ende der
+Hackneystrasse ist ein durch ein hoelzernes Pfahlwerk abgeschlossener
+Park von 270 Morgen angelegt. Er enthaelt Rasenplaetze, Baeume, einen
+Teich zum Baden, Blumenbeete, die Triumphe der vielbewunderten
+Cockney-Kunst der Teppichgaertnerei sind, und eine Sandgrube, die
+urspruenglich zur Belustigung der Kinder vom Meeresufer importiert,
+aber schleunigst verlassen wurde, als sie sich in eine natuerliche
+Ungezieferbrutstaette fuer die ganz kleine Fauna von Kingsland, Hackney
+und Hoxton verwandelte. Ein Orchester, ein kleines Forum fuer
+religioese, antireligioese und politische Redner, Cricketplaetze,
+ein Turnplatz und ein altmodischer Steinkiosk bilden die
+Hauptanziehungspunkte. Wo die Aussicht von Baeumen oder gruenen Anhoehen
+begrenzt wird, ist es ein huebscher Aufenthaltsort. Wo sich aber der
+Boden flach bis zu dem grauen Lattenzaun hinzieht und man Ziegel und
+Moertel, Reklameschilder, zusammengedraengte Schornsteine und Rauch
+gewahrt muss die Gegend (im Jahre 1894), trostlos und haesslich genannt
+werden.)
+
+(Die beste Aussicht auf den Viktoriapark gewinnt man von den
+Frontfenstern der St. Dominikpfarre; von dort sieht man auf keinerlei
+Mauerwerk. Das Pfarrhaus steht halb frei, mit einem Vorgarten und
+einer Vorhalle. Besucher benuetzen die Stufen, die auf die Veranda
+fuehren, Geschaeftsleute und Familienmitglieder geben durch eine Tuer
+unterhalb der Treppe in das Erdgeschoss, wo ein Fruehstueckszimmer nach
+vorne liegt, das zu allen Mahlzeiten dient; die Kueche liegt hinten.
+Oben, auf einem Niveau mit der Flurtuer, befindet sich das
+Empfangszimmer mit seinem breiten Fenster aus geschliffenem Glas, das
+auf den Park hinausfuehrt.)
+
+(Hier, in dem einzigen Raume, der von den Familienmahlzeiten und den
+Kindern verschont bleibt, vollbringt der Pfarrer, Reverend Jakob Mavor
+Morell, sein Tagewerk. Er sitzt in einem starken drehbaren Stuhl mit
+runder Lehne am Ende eines langen Tisches, der dem Fenster
+gegenuebersteht, so dass er sich durch einen Blick ueber die linke
+Schulter an der Aussicht auf den Park erfreuen kann. Am Ende des
+Tisches, an diesen anstossend, befindet sich ein zweiter Tisch, der nur
+halb so breit ist und eine Schreibmaschine traegt.--Seine Schreiberin
+sitzt davor mit dem Ruecken gegen das Fenster. Der grosse Tisch ist
+unordentlich mit Zeitungen, Broschueren, Briefen, Schubladeeinsaetzen,
+einem Notizheft, einer Briefwage und aehnlichen Dingen bedeckt. In der
+Mitte steht ein uebriger Stuhl fuer die Besucher, die mit dem Pfarrer
+geschaeftlich zu tun haben. Seiner Hand erreichbar steht eine
+Papierkassette und eine Photographie in einem Rahmen. Die Wand hinter
+ihm ist mit Buecherregalen zugestellt. Die theologische Richtung des
+Pfarrers kann ein Sachverstaendiger an: Maurices "Theologischen Essays"
+und einer vollstaendigen Ausgabe der Browningschen Gedichte erkennen,
+seine politischen Reformideen an einem gelbrueckigen Band "Fortschritt
+und Armut", den "Essays der Fabier", dem "Traum John Bulls" von
+William Morris, dem "Kapital" von Marx und einem halben Dutzend
+anderer grundlegender sozialistischer Buecher. Dem Pfarrer gegenueber,
+auf der andern Seite des Zimmers in der Naehe der Schreibmaschine, ist
+die Tuer. Weiter hinten, dem Kamin gegenueber, steht ein Buecherbrett
+auf einem Spind, daneben ein Sofa. Ein starkes Feuer brennt im Kamin
+und davor steht ein bequemer Lehnstuhl, ferner ein schwarz lackierter,
+blumenbemalter Kohleneimer auf der einen Seite und ein Kindersessel
+fuer einen Knaben oder ein Maedchen auf der anderen. Der hoelzerne
+Kaminsims ist lackiert, und in den kleinen Feldern der nett geformten
+Faecher sind winzige Spiegelglaeser eingelegt, und eine Reiseuhr in
+einem Lederetui (das unvermeidliche Hochzeitsgeschenk) steht darauf.
+An der Wand darueber haengt eine grosse Autotypie der Hauptfigur aus
+Tizians Assunta. So sieht der Kamin sehr einladend aus. Im ganzen
+gesehen ist es das Zimmer einer guten Hausfrau, die, was des Pastors
+Arbeitstisch betrifft, an etwas Unordnung gewoehnt ist, aber trotzdem
+die Situation vollkommen beherrscht. Die Einrichtung verraet in ihrem
+ornamentalen Aussehen den Stil der in den Zeitungen annoncierten
+"Saloneinrichtung" des unternehmenden Vorstadtmoebelhaendlers; aber es
+ist nichts Zweckloses oder Aufdringliches in dem Zimmer. Die Tapeten
+und die Taefelung sind dunkel und lassen das grosse helle Fenster und
+den Park draussen kraeftig hervortreten.)
+
+(Hochwuerden Jakob Mavor Morell ist ein christlich-sozialer Geistlicher
+der anglikanischen Kirche und ein aktives Mitglied der Gilde von
+"Sankt Matthaeus" und der "Christlich Socialen Union". Ein starker,
+freundlicher, allgemein geachteter Mann von vierzig fahren, kraeftig
+und huebsch, voll Energie und mit liebenswuerdigen, herzlichen,
+ruecksichtsvollen Manieren, mit einer gesunden, natuerlichen Stimme, die
+er mit der wirkungsvollen Betonung eines geuebten Redners benutzt. Er
+verfuegt ueber einen grossen Wortschatz, den er vollkommen beherrscht.
+Er ist ein vorzueglicher Geistlicher, faehig, was er will zu wem er will
+zu sagen und die Leute abzukanzeln, ohne sich ueber sie zu aergern,
+ihnen seine Autoritaet aufzudraengen, ohne sie zu demuetigen und, wenn es
+sein muss, sich in ihre Angelegenheiten zu mischen, ohne dabei zu
+verletzen. Die Quelle seiner Begeisterung und seines Mitgefuehls
+versiegt niemals auch nur fuer einen Augenblick; er isst und schlaeft
+noch immer ausgiebig genug, um die taegliche Schlacht zwischen
+Erschoepfung und Erholung glaenzend zu gewinnen. Dabei ist er ein
+grosses Kind, verzeihlicherweise eitel auf seine Faehigkeiten und
+unbewust selbstgefaellig. Er hat eine gesunde Gesichtsfarbe, eine
+schoene Stirn mit etwas plumpen Augenbrauen, glaenzende und lebhafte
+Augen, einen energischen Mund, der nicht besonders schoen geschnitten
+ist, und eine kraeftige Nase mit den beweglichen, sich blaehenden
+Nasenfluegeln des dramatischen Redners, die aber wie alle seine Zuege
+der Feinheit entbehrt.)
+
+(Die Maschinenschreiberin, Fraeulein Proserpina Garnett, ist eine flinke
+kleine Person von ungefaehr dreissig Jahren, sie gehoert der unteren
+Mittelklasse an, ist nett, aber billig mit einem schwarzen Wollrock
+und einer Bluse bekleidet, ziemlich vorlaut und naseweis und nicht
+sehr hoeflich in ihrem Benehmen, aber empfindungsfaehig und
+teilnahmsvoll. Sie klappert emsig auf ihrer Maschine drauf los,
+waehrend Morell den letzten Brief seiner Morgenpost oeffnet. Er
+durchfliegt seinen Inhalt mit einem komischen Stoehnen der Verzweiflung.)
+
+(Proserpina.) Wieder ein Vortrag?
+
+(Morell.) Ja. Ich soll naechsten Sonntagvormittag fuer die
+Freiheitsgruppe von Hoxton sprechen. (Er betont mit grosser
+Wichtigkeit "Sonntag", weil das der unvernuenftige Teil des Verlangens
+ist.) Was sind das fuer Leute?
+
+(Proserpina.) Ich glaube, kommunistische Anarchisten.
+
+(Morell.) Es sieht den Anarchisten aehnlich, nicht zu wissen, dass sie
+am Sonntag keinen Pastor haben koennen. Schreiben Sie ihnen, sie
+sollen in die Kirche kommen, wenn sie mich hoeren wollen, das kann
+ihnen nicht schaden! Und fuegen Sie hinzu, dass ich nur Montags und
+Donnerstags frei bin. Haben Sie das Vormerkbuch da?
+
+(Proserpina hebt das Vormerkbuch auf:) Ja!
+
+(Morell.) Ist irgendeine Vorlesung fuer naechsten Montag angesetzt?
+
+(Proserpina im Vormerkbuch nachschlagend:) Der radikale Klub von Tower
+Hamlet.
+
+(Morell) Nun, und Donnerstag?
+
+(Proserpina.) Die englische Bodenreform-Liga.
+
+(Morell.) Was dann?
+
+(Proserpina.) In der Gilde von Sankt Matthaeus am Montag. In der
+unabhaengigen Arbeitervereinigung, Abteilung Greenwich, am Donnerstag;
+am Montag darauf in der soziademokratischen Foederation, Abteilung Mile
+End; am folgenden Donnerstag ist die erste Konfirmationsklasse.
+(Ungeduldig:) Ach, ich will lieber schreiben, dass Sie ueberhaupt nicht
+kommen koennen; es sind doch nur ein halbes Dutzend unwissende und
+eingebildete Hausierer, die miteinander keine fuenf Schilling haben.
+
+(Morell belustigt:) Ah, aber bedenken Sie, es sind nahe Verwandte von
+mir, Fraeulein Garnett.
+
+(Proserpina ihn anstarrend:) Verwandte von Ihnen?
+
+(Morell.) Ja! Wir haben denselben Vater--im Himmel.
+
+(Proserpina erleichtert:) Oh, weiter nichts?
+
+(Morell mit einer Melancholie, die einem Manne Genuss ist, dessen
+Stimme sie schon so schoen auszudruecken vermag:) Ah, Sie glauben das
+auch nicht,--jedermann sagt es, niemand glaubt es, niemand! (Schnell
+zu seinem Gegenstande zurueckkehrend:) Gut, gut! Na, Fraeulein
+Proserpina, koennen Sie keinen Tag fuer die Hausierer finden, wie ist's
+mit dem fuenfundzwanzigsten,--der war noch vorgestern frei.
+
+(Proserpina aus dem Vormerkbuch:) Auch vergeben--an die Fabier.
+
+(Morell.) Hol' der Geier die Fabier! Ist der achtundzwanzigste
+gleichfalls vergeben?
+
+(Proserpina.) Bankett in der City. Sie sind von den Huettenbesitzern
+zum Speisen eingeladen.
+
+(Morell.) Das geht, ich werde eben statt dessen nach Hoxton gehen.
+(Sie traegt diese Verpflichtung schweigend ein, mit unerschuetterlicher
+Verachtung gegen diese Hoxtoner Anarchisten, die sich in jeder Linie
+ihres Gesichtes spiegelt. Morell reisst das Streifband eines Exemplars
+des "Church Reformer" ab, das mit der Post angekommen ist, und
+ueberfliegt den Leitartikel Stewart Hedlams und die Mitteilungen der
+Gilde von Sankt Matthaeus. Diese Vorgaenge werden alsbald durch das
+Erscheinen des Unterpfarrers Morells, Alexander Mill, unterbrochen.
+Er ist ein junger Mensch, den Morell von der naechsten Missionstelle
+der Universitaet bezogen hat, wohin er von Oxford gekommen war, um dem
+East-End von London die Wohltat seiner akademischen Bildung angedeihen
+zu lassen. Er ist ein eingebildeter, gutgesinnter, unreifer Mann, von
+enthusiastischer Natur. Nichts absolut Unausstehliches ist in seinem
+Wesen ausser der Gewohnheit, um eine gezierte Sprache zu erzielen, mit
+sorgsam geschlossenen Lippen zu reden und eine Menge Vokale schlecht
+auszusprechen, als ob dies das Hauptmittel waere, die Bildung Oxfords
+unter den Poebel Hackneys zu tragen.)
+
+(Morell, den er durch eine huendische Unterwuerfigkeit fuer sich gewann,
+blickt nachsichtig von seiner Lektuere im "Church Reformer" auf und
+bemerkt:) Nun, Lexi, wieder verschlafen, wie gewoehnlich?
+
+(Mill.) Leider ja. Ich wollte, ich koennte des Morgens leichter
+aufstehen.
+
+(Morell freut sich der eigenen Energie:) Ha, ha! (launig:) "Wache und
+bete", Lexi, "wache und bete".
+
+(Mill.) Ich weiss. (Er benuetzt diese Gelegenheit sofort, um einen Witz
+zu machen.) Aber wie kann ich wachen und beten, wenn ich schlafe;
+--hab' ich nicht recht, Fraeulein Prossi?
+
+(Proserpina scharf:) Fraeulein Garnett, wenn ich bitten darf.
+
+(Mill.) Entschuldigen Sie, Fraeulein Garnett.
+
+(Proserpina.) Sie muessen heute alle Arbeit allein erledigen. (Mill.)
+Warum?
+
+(Proserpina.) Fragen Sie nicht, warum. Es wird Ihnen wohl bekommen,
+Ihr Abendbrot einmal zu verdienen, bevor Sie es essen, wie ich es
+taeglich tue. Los, troedeln Sie nicht. Sie sollten schon seit einer
+halben Stunde unterwegs sein.
+
+(Mill starr:) Spricht sie im Ernst, Herr Pastor?
+
+(Morell in bester Laune--seine Augen glaenzen:) Ja. Heute werd' ich
+einmal bummeln.
+
+(Mill.) Sie? Sie wissen ja nicht, wie man das macht.
+
+(Morell herzlich:) Ha, ha! Weissichdasnicht? Diesen Tag will ich ganz
+fuer mich haben, oder doch wenigstens den Vormittag! Meine Frau kommt
+naemlich zurueck, um elf Uhr fuenfundvierzig soll sie hier eintreffen.
+
+(Mill erstaunt:) Schon zurueck--mit den Kindern? Ich dachte, sie
+wollte bis Ende des Monats fortbleiben.
+
+(Morell.) So ist es. Sie kommt nur fuer zwei Tage her, um fuer Jimmy
+etwas Flanellwaesche einzukaufen und um zu sehen, wie wir hier ohne sie
+fertig werden.
+
+(Mill aengstlich:) Aber lieber Herr Morell, wenn das, was Jimmy und
+Flussy gefehlt hat, wirklich Scharlach war, halten Sie es fuer klug?--
+
+(Morell.) Unsinn, Scharlach! Masern waren es, ich habe sie selbst von
+der Pycroftstrasse aus der Schule nach Hause gebracht; ein Pastor ist
+wie ein Arzt, mein Lieber, er muss der Ansteckung ins Auge sehen koennen
+wie ein Soldat den Kugeln. (Er erbebt sich und schlaegt Mill auf die
+Schultern.) Trachten Sie, Masern zu bekommen, wenn Sie koennen; Candida
+wird Sie dann pflegen, und was fuer ein Gluecksfall waere das fuer Sie,
+--was?
+
+(Mill unsicher laechelnd:) Es ist schwer, Sie zu verstehen, wenn Sie
+ueber Frau Morell sprechen.--
+
+(Morell weich:) Mein lieber Junge, seien Sie erst verheiratet!
+Verheiratet mit einer guten Frau, und dann werden Sie mich verstehen.
+Es ist ein Vorgeschmack von dem Besten, was uns in dem himmlischen
+Reich erwartet, das wir uns auf Erden zu gruenden versuchen. Dann
+werden Sie sich schon das Bummeln abgewoehnen! Ein braver Mann fuehlt,
+dass er dem Himmel fuer jede Stunde des Gluecks ein hartes Stueck
+selbstloser Arbeit zum Wohle seiner Mitmenschen schuldig ist. Wir
+haben ebensowenig das Recht, Glueck zu verbrauchen, ohne es zu erzeugen,
+als Reichtum zu verbrauchen, ohne ihn zu erwerben. Suchen Sie sich
+eine Frau wie meine Candida, und Sie werden immer Schuldner sein,
+wieviel Sie auch abzahlen. (Er klopft Mill liebevoll auf den Ruecken
+und ist im Begriff, das Zimmer zu verlassen, als Mill ihn zurueckruft.)
+
+(Mill.) Oh, warten Sie einen Augenblick, ich vergass... (Morell bleibt
+stehen und wendet sich um, die Tuerklinke in der Hand.) Ihr Herr
+Schwiegervater wird hierherkommen, er hat mit Ihnen zu sprechen.
+(Morell schliesst die Tuer wieder, mit vollkommen veraendertem Wesen.)
+
+(Morell ueberrascht und nicht erfreut:) Burgess?
+
+(Mill.) Ja! Ich traf ihn mit jemandem im Park, in eifrigem Gespraech.
+Er sprach mich an und bat mich, Sie wissen zu lassen, dass er
+hierherkommt.
+
+(Moroll halb unglaeubig:) Aber er ist seit Jahren nicht hier gewesen.
+Sind Sie sicher, Lexi? Sie scherzen doch nicht etwa?--
+
+(Mill ernst:) Nein, Herr Pastor, ganz bestimmt nicht!
+
+(Morell nachdenklich:) Hm, hm, er haelt es an der Zeit, sich wieder
+einmal nach Candida umzusehen, ehe sie gaenzlich aus seinem Gedaechtnis
+verschwindet. (Er fuegt sich in das Unvermeidliche und geht hinaus;
+Mill sieht ihm mit begeisterter, naerrischer Verehrung nach. Fraeulein
+Garnett, die Mill nicht schuetteln kann, wie sie moechte, laesst ihre
+Gefuehle an der Schreibmaschine aus.)
+
+(Mill.) Was fuer ein vortrefflicher Mann, welch ein tiefes liebevolles
+Gemuet! (Er nimmt Morells Platz am Tisch ein und macht es sich bequem,
+indem er eine Zigarette hervorzieht.)
+
+
+(Proserpina ungeduldig, nimmt den Brief, den sie auf der Maschine
+geschrieben hat, und faltet ihn zusammen:) Ach! ein Mann sollte seine
+Frau lieben koennen, ohne einen Narren aus sich zu machen.
+
+(Mill erregt:) Aber Fraeulein Proserpina!
+
+(Proserpina geschaeftig aufstehend, holt ein Kuvert aus dem Pulte, in
+das sie, waehrend sie spricht, den Brief hineinlegt:) Candida hin und
+Candida her und Candida ueberall. (Sie leckt das Kuvert.) Es kann
+einen ausser Rand und Band bringen! (Haemmert das Kuvert, um es fest zu
+schliessen.) Hoeren zu muessen, wie eine ganz gewoehnliche Frau in dieser
+laecherlichen Weise vergoettert wird, bloss weil sie schoenes Haar und
+eine leidliche Figur hat.
+
+(Mill mit vorwurfsvollem Ernst:) Ich finde sie ungewoehnlich schoen,
+Fraeulein Garnett. (Er nimmt die Photographie zur Hand betrachtet sie
+und fuegt mit noch tieferem Ausdruck hinzu:) Wunderbar schoen,--was fuer
+herrliche Augen sie hat!
+
+(Proserpina.) Candidas Augen sind durchaus nicht schoener als meine,
+(Mill stellt die Photograpbie fort und sieht sie strenge an,) und ich
+weiss ganz gut, dass Sie mich fuer ein gewoehnliches und untergeordnetes
+Geschoepf halten.
+
+(Mill erbebt sich majestaetisch:) Gott behuete, dass ich von irgendeinem
+Geschoepf Gottes in dieser Weise daechte. (Er geht steif von ihr fort
+bis in die Naehe des Buecherschranks.)
+
+(Proserpina mit bitterem Spott:) Ich danke Ihnen, das ist sehr nett
+und troestlich.
+
+(Mill traurig ueber ihre Verstocktheit:) Ich hatte keine Ahnung, dass
+Sie etwas gegen Frau Morell haben.
+
+(Proserpina entruestet:) Ich habe durchaus nichts gegen sie. Sie ist
+sehr liebenswuerdig und sehr gutherzig, ich habe sie sehr gern und weiss
+ihre wirklich guten Eigenschaften weit besser zu wuerdigen, als
+irgendein Mann es koennte. (Mill schuettelt traurig den Kopf, wendet
+sich zum Buecherschrank und sucht die Reihen entlang nach einem Bande.
+Sie folgt ihm mit heftiger Leidenschaftlichkeit.) Sie glauben mir
+nicht? (Er wendet sich um und blickt ihr ins Gesicht. Sie faellt ihn
+mit Heftigkeit an:) Sie halten mich fuer eifersuechtig? Was fuer eine
+tiefe Kenntnis des menschlichen Herzens Sie haben, Herr Alexander Mill!
+Wie gut Sie die Schwaechen der Frauen kennen, nicht wahr? Wie schoen
+es sein muss, ein Mann zu sein und einen scharfen durchdringenden
+Verstand zu haben, statt blosse Gefuehle, wie wir Frauen, und zu wissen,
+dass die Ursache, warum wir ihr Vernarrtsein in eine Frau nicht teilen,
+nur in gegenseitiger Eifersucht zu suchen sein kann. (Sie wendet sich
+mit einer Bewegung ihrer Schultern von ihm ab und geht an das Feuer,
+ihre Haende zu waermen.)
+
+(Mill.) Ach, wenn Ihr Frauen nur ebenso leicht den Schluessel zur
+Staerke des Mannes faendet wie zu seiner Schwaeche, es gaebe keine
+Frauenfrage.
+
+(Proserpina ueber ihre Schulter, waehrend sie die Haende vor die Flammen
+haelt:) Wo haben Sie das von Herrn Morell gehoert? Sie selbst haben es
+nicht erfunden,--Sie sind dazu nicht gescheit genug.
+
+(Mill.) Das ist ganz richtig. Ich schaeme mich durchaus nicht, ihm
+diesen Ausspruch zu verdanken, wo ich ihm schon so viele andere
+geistige Wahrheiten verdanke! Er tat ihn bei der Jahresversammlung
+der freien Frauenvereinigung. Erlauben Sie mir hinzuzufuegen, dass ich,
+obwohl bloss ein Mann, im Gegensatz zu jenen Frauen diesen Ausspruch zu
+schaetzen wusste! (Er wendet sich wieder an den Buecherschrank in der
+Hoffnung, dass diese Worte sie vernichtet haben.)
+
+(Proserpina ordnet ihr Haar vor den kleinen Spiegeln des Kamins:) Wenn
+Sie mit mir sprechen, sagen Sie mir gefaelligst Ihre eigenen Gedanken,
+soviel sie eben wert sind, und nicht die Pastor Morells. Sie geben
+niemals eine traurigere Figur ab, als wenn Sie versuchen, ihn
+nachzumachen.
+
+(Mill gekraenkt:) Ich versuche seinem Beispiel zu folgen, aber nicht,
+ihn nachzumachen.
+
+(Proserpina kommt wieder an ihn heran auf dem Rueckwege zu ihrer Arbeit:)
+Jawohl, Sie machen ihn nach. Warum stecken Sie Ihren Schirm unter
+den linken Arm, statt ihn in der Hand zu tragen wie jeder andere?
+Warum gehen Sie mit vorgeschobenem Kinn und warum eilen Sie vorwaerts
+mit diesem eifrigen Ausdruck in den Augen,--Sie, der Sie nie vor halb
+zehn Uhr morgens aufstehen? Warum sagen Sie in der Kirche "Aandacht",
+obwohl Sie im Leben "Andacht" sagen? Bah--glauben Sie, ich weiss das
+nicht? (Geht zurueck zur Schreibmaschine.) Da kommen Sie her und
+machen Sie sich endlich an Ihre Arbeit; wir haben heute Morgen genug
+Zeit verloren. Hier ist eine Abschrift der Tageseinteilung fuer heute.
+(Sie reicht ihm ein Memorandum. Mill schwer beleidigt:) Ich danke
+Ihnen. (Er nimmt das Papier und steht mit dem Ruecken gegen sie an den
+Tisch gelehnt und liest.) Sie faengt an, auf der Schreibmaschine ihre
+stenographischen Aufzeichnungen zu uebertragen, ohne auf Mills Gefuehle
+zu achten.
+
+(Burgess tritt unangemeldet ein.) Er ist ein Mann von sechzig Jahren,
+derb und filzig geworden durch die notwendige Selbstsucht des kleinen
+Kraemers, die sich spaeter durch Ueberfuetterung und geschaeftlichen Erfolg
+zu traeger Aufgeblasenheit milderte. Ein gemeiner, unwissender,
+unmaessiger Mensch, beleidigend und hochnasig Leuten gegenueber, deren
+Arbeit wohlfeil ist, ehrfuerchtig gegen Menschen von Reichtum und Rang,
+aber beiden gegenueber ganz aufrichtig und ohne Groll oder Neid. Da
+sie ihn ohne besondere Faehigkeiten sah, hat ihm die Welt keine andere
+gut bezahlte Arbeit zu bieten gewusst, als unnoble Arbeit, und er wurde
+infolgedessen etwas erbaermlich, hat aber keine Ahnung, dass er so
+beschaffen ist, und betrachtet seinen kommerziellen Wohlstand ganz
+ehrlich als den unvermeidlichen und sozial berechtigten Triumph der
+Geschicklichkeit, Tuechtigkeit, Faehigkeit und Erfahrung eines Mannes,
+der im Privatleben uebertrieben, leichtsinnig, liebenswuerdig und
+leutselig ist. Koerperlich ist er kurz und dick, mit einer
+schnauzenaehnlichen Nase in der Mitte eines flachen, breiten Gesichtes;
+unter dem Kinn ein staubfarbener Bart mit einem grauen Fleck in der
+Mitte; er hat waesserige blaue Augen mit klagend sentimentalem Ausdruck,
+der sich durch die Gewohnheit, seine Saetze wichtigtuend zu singen,
+auch leicht auf seine Stimme uebertraegt.
+
+(Burgess bleibt an der Schwelle stehen und blickt umher:) Man sagte
+mir, Herr Morell sei hier.
+
+(Proserpina sich erhebend:) Er ist oben, ich will ihn holen.
+
+(Burgess sie frech anstarrend:) Sie sind nicht dieselbe junge Dame,
+die sonst fuer ihn schrieb.
+
+(Proserpina.) Nein.
+
+(Burgess beistimmend:) Nein, die war juenger. (Fraeulein Garnett starrt
+ihn an, dann gebt sie mit grosser Wuerde hinaus. Er nimmt dies
+gleichgueltig entgegen und geht an den Kaminteppich, wo er sich
+umwendet und sich breitspurig aufpflanzt, den Ruecken dem Feuer
+zugekehrt.)
+
+(Burgess.) Sind Sie im Begriff Ihren Rundgang zu machen, Herr Mill?
+
+(Mill faltet sein Papier und steckt es in die Tasche:) Jawohl, ich muss
+gleich fort.
+
+(Burgess wichtig:) Lassen Sie sich nicht aufhalten; was ich mit Herrn
+Morell zu besprechen habe, ist ganz privater Natur.
+
+(Mill aufgeblasen:) Ich habe durchaus nicht die Absicht, mich
+einzumengen, verlassen Sie sich darauf, Herr Burgess. Guten Morgen!
+
+(Burgess herablassend:) Guten Morgen, guten Morgen!
+
+(Morell kommt zurueck, waehrend Mill sich zur Tuer wendet.)
+
+(Morell zu Mill:) Sie gehen an die Arbeit?
+
+(Mill.) Jawohl, Herr Pastor.
+
+(Morell klopft ihn liebenswuerdig auf die Schulter:) Da, nehmen Sie
+mein Seidentuch um den Hals, es geht ein kalter Wind draussen. Aber
+jetzt machen Sie, dass Sie fortkommen. (Mill, mehr als getroestet ueber
+Burgess' Schroffheit, freut sich und geht hinaus.)
+
+(Burgess.) Guten Morgen, Jakob. Sie verwoehnen Ihren Unterpfarrer wie
+immer. Wenn ich einen Mann bezahle und einer auf meine Kosten lebt,
+dann weise ich ihm gehoerig seinen Platz an.
+
+(Morell etwas kurz angebunden:) Ich weise meinem Unterpfarrer immer
+seinen Platz an, naemlich an meiner Seite als meinem Helfer und
+Kameraden. Wenn es Ihnen gelingt, so viel Arbeit aus Ihren Kommis und
+Angestellten herauszukriegen wie ich aus meinem Unterpfarrer, dann
+muessen Sie ziemlich rasch reich werden. Bitte, setzen Sie sich in
+Ihren gewohnten Stuhl. (Er weist mit trockener Autoritaet auf den
+Armstuhl neben dem Kamin, dann ergreift er einen freien Stuhl und
+setzt sich in zurueckhaltender Entfernung von seinem Besucher.)
+
+(Burgess ohne sich zu ruehren:) Sie sind ganz der alte, Jakob.
+
+(Morell.) Als Sie mich das letztemal besuchten--ich glaube, es war vor
+drei Jahren--da sagten Sie genau dasselbe. Nur etwas aufrichtiger.
+Ihr woertlicher Ausspruch war damals: "Derselbe Narr wie immer, Jakob."
+
+(Burgess sich rechtfertigend:) Vielleicht sagte ich das, aber (mit
+versoehnender Heiterkeit:) ich meinte nichts Beleidigendes damit. Ein
+Geistlicher hat das Privilegium, ein wenig naerrisch sein zu
+duerfen--wissen Sie, das liegt schon in seinem Beruf. Einerlei, ich
+bin nicht hergekommen, um alte Meinungsverschiedenheiten aufzuwaermen,
+sondern um die Vergangenheit vergessen sein zu lassen. (Er wird
+ploetzlich sehr feierlich und naehert sich Morell.) Jakob, vor drei
+Jahren haben Sie mir uebel mitgespielt. Sie haben mich um meine
+Lieferungen gebracht, und als ich Ihnen in meiner erklaerlichen
+Verzweiflung boese Worte gab, brachten Sie meine Tochter gegen mich auf.
+Nun, ich bin gekommen, um Ihnen zu zeigen, dass ich ein guter Christ
+bin. (Ihm seine Hand darreichend:) Ich verzeihe Ihnen, Jakob.
+
+(Morell auffahrend:) Verdammt frech!
+
+(Burgess weicht zurueck mit fast schluchzendem Vorwurf ueber diese
+Behandlung:) Ziemt diese Sprache einem Pastor, Jakob? Und besonders
+Ihnen?
+
+(Morell bitzig:) Nein, sie ziemt ihm nicht, ich habe das falsche Wort
+gebraucht,--ich haette sagen sollen: "Der Teufel soll Ihre Frechheit
+holen!" Das wuerde Ihnen der heilige Paulus und jeder andere brave
+Priester gesagt haben. Glauben Sie, ich habe Ihr Anerbieten vergessen,
+als Sie fuer das Armenhaus vertragsmaessig Kleider liefern sollten?
+
+(Burgess in hoechster Erbitterung, weil ihm seine Forderung nur recht
+und billig erscheint:) Ich habe im Interesse der Steuerzahler
+gehandelt, Jakob,--es war das niedrigste Angebot, das koennen Sie nicht
+leugnen.
+
+(Morell.) Jawohl, das niedrigste, weil Sie schlechtere Loehne zahlten
+als irgendein anderer Unternehmer--Hungerloehne,--ach, aerger als
+Hungerloehne war die Bezahlung, die Sie den Frauen fuer ihre Naeharbeit
+geboten haben. Ihre Loehne haetten die Armen auf die Strasse getrieben,
+um Leib und Seele zu verkaufen. (Immer wuetender werdend:) Jene Frauen
+waren aus meinem Kirchsprengel, ich habe die Armenpfleger dazu
+gebracht, dass sie sich schaemten, Ihr Angebot anzunehmen, ich habe die
+Steuerzahler dazu gebracht, dass sie sich schaemten, es zuzulassen, ich
+habe jeden bis auf Sie dazu gebracht, sich deswegen zu schaemen.
+(Ueberschaeumend vor Wut:) Wie koennen Sie es wagen, Herr,
+hierherzukommen und mir etwas vergeben zu wollen und ueber Ihre Tochter
+zu sprechen und...
+
+(Burgess.) Beruhigen Sie sich, Jakob,--still, still, regen Sie sich
+nicht fuer nichts und wieder nichts so auf. Ich habe ja zugegeben, dass
+ich unrecht hatte.
+
+(Morell wuetend:) Haben Sie das? Ich habe nichts davon bemerkt!
+
+(Burgess.) Natuerlich gab ich's zu, so wie ich's noch jetzt zugebe. Na,
+ich bitte Sie um Verzeihung wegen des Briefes, den ich Ihnen
+geschrieben habe,--genuegt Ihnen das?
+
+(Morell mit den Fingern schnalzend:) Ganz und gar nicht! Haben Sie
+die Loehne erhoeht?
+
+(Burgess triumphierend:) Ja!
+
+(Morell verbluefft innehaltend:) Was?
+
+(Burgess salbungsvoll:) Ich bin das Muster eines Arbeitgebers geworden.
+Ich beschaeftige keine Frauen mehr, sie haben alle den Laufpass
+bekommen, und die Arbeit wird jetzt durch Maschinen verrichtet. Nicht
+ein Mann verdient jetzt weniger als sechs Pence die Stunde, und die
+alten geuebten Arbeiter bekommen die von den Gewerkschaften
+festgesetzten Loehne. (Stolz:) Was sagen Sie jetzt?
+
+(Morell ueberwaeltigt:) Ist das moeglich? Na, es ist mehr Freude im
+Himmel ueber einen Suender, der Busse tut--(Er geht auf Burgess zu mit
+einem Ausbruch entschuldigender Herzlichkeit.) Mein lieber Burgess,
+ich bitte Sie herzlichst um Verzeihung wegen der schlechten Meinung,
+die ich von Ihnen hatte. (Seine Hand fassend:) Und fuehlen Sie sich
+nicht wohler nach dieser Veraenderung? Gestehen Sie es! Sie sind
+gluecklicher, Sie sehen gluecklicher aus.
+
+(Burgess klaeglich:) Na ja, vielleicht fuehle ich mich jetzt gluecklicher,
+ich muss wohl, da Sie es bemerken. Tatsache ist, dass mein Angebot von
+der Behoerde angenommen wurde. (Wild:) Sie wollte nichts mit mir zu
+schaffen haben, ehe ich anstaendige Loehne zahlte--der Teufel soll
+diese verdammten Narren holen, die ihre Nase in alles stecken muessen!
+
+(Morell laesst seine Hand fahren, aufs tiefste entmutigt:) Das ist also
+der Grund, warum Sie die Loehne erhoeht haben! (Er setzt sich
+niedergeschlagen.)
+
+(Burgess streng, anmassend, lauter werdend:) Weswegen sollt' ich es
+sonst getan haben? Wohin anders fuehrt es, als zu Trunksucht und
+Ausschweifungen? (Er setzt sich wie ein Richter in den grossen
+Lehnstuhl.) Das ist alles sehr schoen und gut fuer Sie: es bringt Sie in
+die Zeitungen und macht Sie zu einem beruehmten Manne; aber Sie denken
+nie an den Schaden, den Sie anrichten, indem Sie die Taschen der
+Arbeiter mit Geld anfuellen, das sie doch nicht vernuenftig auszugeben
+verstehen, waehrend Sie es Leuten fortnehmen, die gute Verwendung dafuer
+haetten.
+
+(Morell nach einem schweren Seufzer, mit kalter Hoeflichkeit:) Was
+wollen Sie also heute von mir? Ich bilde mir nicht ein, dass nur
+verwandtschaftliche Gefuehle Sie herfuehren.
+
+(Burgess hartnaeckig:) Doch--gerade verwandtschaftliche Gefuehle und
+nichts anderes!
+
+(Morell mit mueder Ruhe:) Das glaub' ich Ihnen nicht.
+
+(Burgess springt drohend auf:) Sagen Sie mir das nicht ein zweites Mal,
+Jakob Morell!
+
+(Morell unerschuetterlich:) Ich werde es genau so oft sagen, als es
+noetig ist, Sie davon zu ueberzeugen.--Das glaub' ich Ihnen nicht.
+
+(Burgess versinkt in einen Zustand von tief verwundetem Gefuehl:) Nun
+gut, wenn Sie durchaus unfreundlich sein wollen, dann ist es wohl am
+besten, ich gehe. (Er bewegt sich zoegernd gegen die Tuer, Morell gibt
+kein Zeichen. Burgess zoegert noch.) Ich habe nicht erwartet, Sie
+unversoehnlich zu finden, Jakob. (Da Morell noch immer nicht antwortet,
+macht er noch einige zoegernde Schritte nach der Tuer, dann kommt er
+zurueck, jammernd:) Wir haben uns doch immer ganz gut vertragen, trotz
+unserer verschiedenen Anschauungen, warum sind Sie mir gegenueber jetzt
+so veraendert? Ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich bloss aus Freundschaft
+hergekommen bin und nicht, um mich mit dem Manne meiner eigenen
+Tochter auf schlechten Fuss zu stellen. Seien Sie doch ein Christ,
+Jakob, reichen Sie mir Ihre Hand. (Er legt seine Hand sentimental auf
+Morells Schulter.)
+
+(Morell blickt nachdenklich zu ihm auf.) Schauen Sie, Burgess, wollen
+Sie hier ebenso willkommen sein, wie Sie es waren, ehe Sie Ihren
+Vertrag verloren?
+
+(Burgess.) Jawohl, Jakob, das moechte ich wirklich.
+
+(Morell.) Warum benehmen Sie sich dann nicht wie damals?
+
+(Burgess nimmt seine Hand behutsam weg:) Wie meinen Sie das?
+
+(Morell.) Das will ich Ihnen sagen. Damals hielten Sie mich fuer einen
+jungen Dummkopf!
+
+(Burgess schmeichelnd:) Nein, dafuer habe ich Sie nicht gehalten, ich--
+
+(Morell ihn unterbrechend:) Ja, dafuer hielten Sie mich! Und ich hielt
+Sie fuer einen alten Schurken.
+
+(Burgess will diese schwere Selbstanklage Morells heftig abwehren:)
+Nein, das haben Sie nicht getan, Jakob. Jetzt tun Sie sich selbst
+unrecht.
+
+(Morell.) Doch, das tat ich. Na, das hat aber nicht gehindert, dass
+wir ganz gut miteinander ausgekommen sind. Gott hat aus Ihnen das
+gemacht, was ich einen Schurken nenne, und aus mir das, was Sie eben
+einen Dummkopf nennen. (Diese Bemerkung erschuettert die Grundfesten
+von Burgess' Moral. Ihm wird schwach, und waehrend er Morell hilflos
+anblickt, streckt er die Hand aengstlich aus, um sein Gleichgewicht zu
+bewahren, als ob der Boden unter ihm wankte. Morell faehrt im selben
+Tone ruhiger Ueberzeugung fort:) Es ist in beiden Faellen nicht meine
+Sache, mit Gott darueber zu rechten. Solange Sie offen als ein sich
+selbst achtender, echter, ueberzeugter Schurke hierherkommen und, stolz
+darauf, Ihre Schurkereien zu rechtfertigen versuchen, sind Sie
+willkommen. Aber (und nun wird Morells Ton furchtbar; er erhebt sich
+und stuetzt sich zur Bekraeftigung mit der Faust auf die Rueckenlehne des
+Stuhles:) ich mag Sie hier nicht herumschnueffeln haben, wenn Sie so
+tun, als ob Sie das Muster eines Arbeitgebers waeren und ein bekehrter
+Mann dazu, waehrend Sie nur ein Abtruenniger sind, der seinen Rock nach
+dem Winde traegt, um einen Vertrag mit der Behoerde zustande zu bringen.
+(Er nickt ihm zu, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen, dann geht er
+zum Kamin, wo er in bequemer Kommandostellung, mit dem Ruecken gegen
+das Feuer gekehrt, lehnt und fortfaehrt:) Nein, ich liebe es, wenn ein
+Mensch wenigstens sich selber treu bleibt, selbst im Boesen! Also,
+nehmen Sie jetzt entweder Ihren Hut und gehen Sie, oder setzen Sie
+sich und geben Sie mir einen guten, schurkischen Grund dafuer an, warum
+Sie mein Freund sein wollen. (Burgess, dessen Erregung sich genuegend
+gelegt hat, um in einem Grinsen ausgedrueckt werden zu koennen, fuehlt
+sich durch diesen konkreten Vorschlag sichtlich erleichtert. Er
+ueberlegt einen Augenblick, und dann setzt er sich langsam und sehr
+bescheiden in den Stuhl, den Morell eben verlassen hat.) So ist's
+recht,--nun heraus damit.
+
+(Burgess kichernd gegen seinen Willen:) Nein, Sie sind wirklich ein
+sonderbarer Kauz, Jakob! (Beinahe enthusiastisch:) Aber man muss Sie
+gern haben, ob man will oder nicht. Ausserdem nimmt man, wie ich schon
+sagte, nicht jedes Wort eines Geistlichen fuer bare Muenze, sonst muesste
+die Welt untergehn. Habe ich nicht recht? (Er fasst sich, um einen
+ernsteren Ton anzuschlagen, und die Augen auf Morell gerichtet, faehrt
+er mit eintoenigem Ernste fort:) Nun, meinetwegen, da Sie es wuenschen,
+dass wir gegeneinander ehrlich sind, will ich Ihnen zugeben, dass ich
+Sie--ein wenig--fuer einen Narren hielt; aber ich fange an zu glauben,
+dass ich damals etwas hinter meiner Zeit zurueckgeblieben war.
+
+(Morell frohlockend:) Aha, haben Sie das endlich herausgefunden?
+
+(Burgess bedeutungsvoll:) Ja, die Zeiten haben sich mehr veraendert,
+als man glauben sollte! Vor fuenf Jahren noch haette sich kein
+vernuenftiger Mensch mit Ihren Ideen abgegeben. Ich wunderte mich
+sogar, dass man Sie auf Ihrem Posten als Pastor beliess. Ich kenne
+einen Geistlichen, der durch den Bischof von London auf Jahre hinaus
+seiner Funktionen enthoben wurde, obwohl der arme Teufel nicht einen
+Funken mehr religioes war als Sie. Aber wenn heute jemand mit mir um
+tausend Pfund wetten wollte, dass Sie selbst noch einmal als Bischof
+enden werden, ich wuerde die Wette nicht anzunehmen wagen. (Sehr
+eindrucksvoll:) Sie und Ihre Sippschaft werden taeglich einflussreicher,
+wie ich ueberall merke. Man wird Sie einmal irgendwie befoerdern muessen,
+und waere es bloss, um Ihnen den Mund zu stopfen. Sie haben doch den
+richtigen Instinkt gehabt, Jakob! Der Weg, den Sie eingeschlagen
+haben, ist der eintraeglichste fuer einen Mann Ihres Schlages.
+
+(Morell reicht ihm jetzt die Hand mit fester Entschlossenheit:) Hier
+meine Hand, Burgess, jetzt reden Sie ehrlich. Ich glaube nicht, dass
+man mich zum Bischof ernennen wird; aber wenn es geschieht, dann will
+ich Sie mit den groessten Spekulanten bekannt machen, die ich zu meinen
+Diners bekommen kann.
+
+(Burgess der sich mit einem verschmitzten Grinsen erhoben und die
+Freundschaftshand ergriffen hat:) Sie bleiben nun mal bei Ihrem Witz,
+Jakob. Unser Streit ist jetzt beigelegt, nicht wahr?
+
+(Die Stimme einer Frau.) Sag "Ja", Jakob!
+
+(Erstaunt wenden sie sich um und bemerken, dass Candida eben
+eingetreten ist und sie mit jener belustigten, muetterlichen Nachsicht
+betrachtet, die ihr charakteristischer Gesichtsausdruck ist. Sie ist
+eine Frau von dreiunddreissig Jahren, schoen gewachsen, gut genaehrt.
+Man erraet, dass sie spaeter eine Matrone sein wird, aber jetzt steht sie
+noch in ihrer Bluete, mit dem Doppelreiz der Jugend und der
+Mutterschaft. Ihr Benehmen ist das einer Frau, die erfahren hat, dass
+sie die Menschen immer lenken kann, wenn sie ihre Neigung gewinnt, und
+die dies unbekuemmert offen und instinktiv tut. In diesem Punkte ist
+sie wie jede andere huebsche Frau, die gerade klug genug ist, aus ihrer
+weiblichen Anziehungskraft zu alltaeglich selbsttuechtigen Zwecken so
+viel Kapital wie moeglich zu schlagen. Aber Candidas heitere Stirn und
+ihre mutigen Augen, der schoen geformte Mund und ihr Kinn kennzeichnen
+umfassenden Geist und Wuerde des Charakters, der ihre Schlauheit im
+Gewinnen von Neigungen adelt. Ein kluger Beobachter wuerde, sie
+betrachtend, sofort erraten, dass wer das Bild der Assunta auch ueber
+ihren Kamin gehaengt haben mochte, ein seelisches Band zwischen den
+beiden Frauengestalten geahnt hatte, obwohl er weder ihrem Manne, noch
+ihr selbst den Gedanken zutraute, sie mit der Kunst Tizians irgendwie
+in Zusammenhang zu bringen.--Sie ist in Hut und Mantel und hat eine
+zusammengeschnuerte Reisedecke, durch die ihr Schirm gesteckt ist, eine
+Handtasche und eine Menge illustrierter Zeitungen in den Haenden.)
+
+(Morell ueber seine Nachlaessigkeit erschrocken:) Candida! Ei nun!--(Er
+sieht auf seine Uhr und ist entsetzt, dass es schon so spaet ist.) Mein
+Schatz! (Er eilt ihr entgegen und nimmt ihr die Reisedecke ab, indem
+er fortfaehrt, sein reumuetiges Bedauern hervorzusprudeln:) Ich hatte
+die Absicht, dich von der Bahn abzuholen, aber ich bemerkte nicht, dass
+die Zeit schon um war, (die Reisedecke aufs Sofa werfend:) ich war so
+sehr in Anspruch genommen--(Wieder zu ihr kommend:) dass ich das
+vergass--oh! (Er umarmt sie mit reumuetiger Ergriffenheit.)
+
+(Burgess etwas beschaemt und ungewiss, wie er von seiner Tochter
+empfangen werden wird:) Wie geht es dir, Candy? (Candida, noch in
+Morells Armen, bietet ihm ihre Wange, die er kuesst:) Jakob und ich sind
+zu einer Verstaendigung gekommen--zu einer ehrenvollen Verstaendigung.
+Nicht wahr, Jakob?
+
+(Morell heftig:) Reden Sie nicht von unserer Verstaendigung!
+Ihretwegen habe ich versaeumt, Candida abzuholen.
+
+(Teilnahmsvoll:) Du arme Liebe, wie bist du nur mit deinem Gepaeck
+fertig geworden? Wie--
+
+(Candida unterbricht ihn und macht sich los:) Na, na, na! ich war
+nicht allein. Eugen ist mit uns gekommen--wir sind zusammen
+hergefahren.
+
+(Morell erfreut:) Eugen?!
+
+(Candida.) Ja. Er plagt sich eben mit meinem Gepaeck ab, der arme
+Junge. Ich bitte dich, lieber Jakob, geh gleich hinunter, sonst
+bezahlt er den Wagen, und das moechte ich nicht. (Morell eilt hinaus.
+Candida stellt ihre Handtasche nieder, nimmt dann ihren Mantel und Hut
+ab und legt sie auf das Sofa neben die Decke und plaudert inzwischen.)
+Nun, Papa, wie geht's zu Hause?
+
+(Burgess.) Es lohnt sich nicht mehr, dort zu leben, seit du uns
+verlassen hast, Candy. Ich wollte, du kaemst einmal, um nachzusehn und
+mit dem Maedchen zu sprechen.--Wer ist dieser Eugen, der dich begleitet
+hat?
+
+(Candida.) Oh, Eugen ist eine von Jakobs Entdeckungen. Er fand ihn im
+verflossenen Juni schlafend auf dem Kai. Hast du unser neues Bild
+nicht bemerkt? (Ruf das Bild der Assunta zeigend:) Das haben wir von
+ihm.
+
+(Burgess unglaeubig:) Was soll das heissen? Willst du mir, deinem
+eigenen Vater, etwa einreden, dass ein Landstreicher, den man schlafend
+auf dem Kai findet, solche Bilder schenkt? (Strenge:) Betrueg mich
+nicht, Candy; es ist ein katholisches Bild, und Jakob hat es selbst
+gekauft.
+
+(Candida.) Du irrst. Eugen ist kein Landstreicher.
+
+(Burgess.) Was ist er denn? (Sarkastisch:) Ein Edelmann
+wahrscheinlich?
+
+(Candida nickt belustigt:) Jawohl, sein Onkel ist ein Pair--ein
+wirklicher, leibhaftiger Graf.
+
+(Burgess wagt es nicht, so eine gute Nachricht zu glauben:) Nein!
+
+(Candida.) Ja! Er trug einen Wechsel auf fuenfundfuenfzig
+Pfund--zahlbar in acht Tagen--in der Tasche, als Jakob ihn am Kai fand.
+Er dachte, dass er dafuer kein Geld bekommen koennte, bevor die acht
+Tage um waeren, und er war zu schuechtern, Kredit zu verlangen. Oh, er
+ist ein lieber Junge, wir haben ihn sehr gern.
+
+(Burgess der so tut, als verachte er die Aristokraten, aber mit
+glaenzenden Augen:) Hm, ich dachte mir's, dass der Neffe eines Pairs
+nicht bei euch im Viktoriapark zu Besuch sein wuerde, wenn er nicht ein
+bisschen verrueckt waere. (Er blickt wieder auf das Bild.) Ich bin
+natuerlich mit dem Vorwurf dieses Bildes, als strengglaeubiger
+Protestant, nicht einverstanden, Candy; aber dass es ein erstklassiges,
+grosses Kunstwerk ist, das habe ich sofort erkannt. Nicht wahr, du
+stellst mich ihm vor, Candy? (Er sieht aengstlich auf seine Uhr.) Ich
+kann aber hoechstens noch zwei Minuten bleiben.
+
+(Morell kommt mit Eugen zurueck, den Burgess mit feuchten Augen
+begeistert anstarrt. Eugen ist ein seltsamer, scheuer Juengling von
+achtzehn Jahren, schlank, weibisch, mit einer zarten, kindlichen
+Stimme, einem gehetzten, gequaelten Ausdruck und mit einem Benehmen,
+das die schmerzliche Empfindlichkeit sehr schnell und ploetzlich
+gereifter Knaben kennzeichnet, bevor ihr Charakter volle Festigkeit
+erreicht hat. Erbaermlich unentschlossen, weiss er nie, wo er stehen
+und was er tun soll. Burgess erschreckt ihn, und er moechte am
+liebsten fort von ihm in die Einsamkeit laufen, wenn er es wagte.
+Aber die Intensitaet, mit der er eine so ganz gewoehnliche Lage
+empfindet, zeugt doch nur von seiner uebergrossen nervoesen Kraft; und
+seine Nasenfluegel, sein Mund und seine Augen verraten einen
+leidenschaftlich ungestuemen Eigensinn, ueber dessen aeussersten Grad
+seine Stirne, die schon vom Mitleid gefurcht ist, wieder beruhigt. Er
+sieht absonderlich aus, beinahe wie nicht von dieser Welt--und
+prosaische Leute sehen etwas Ungesundes in dieser ueberirdischen Art,
+so wie poetische Menschen darin etwas Engelgleiches sehen. Seine
+Kleidung ist ganz frei; er traegt ein altes Jakett aus blauem Serge,
+aufgeknoepft, ueber einem wollenen Lawn-Tennis-Hemd, mit einem seidenen
+Halstuch als Krawatte, zu dem Jackett passende Beinkleider und braune
+Schuhe aus Segeltuch. In diesem Aufzuge hat er augenscheinlich im
+Heidekraut gelegen und ist durch das Wasser gewatet; es ist auch nicht
+ersichtlich, dass er die Kleider jemals abgebuerstet hat. Da er beim
+Eintritt einen Fremden sieht, haelt er inne und drueckt sich laengs der
+Wand nach der entgegengesetzten Seite des Zimmers weiter.)
+
+(Morell beim Eintreten:) Kommen Sie. Sie haben sicher doch eine
+Viertelstunde fuer uns uebrig. Das ist mein Schwiegervater, Herr
+Burgess--Herr Marchbanks.
+
+(Marchbanks weicht geaengstigt gegen den Buecherschrank zurueck:) Sehr
+angenehm--
+
+(Burgess geht mit grosser Herzlichkeit auf ihn zu, waehrend Morell vor
+den Kamin zu Candida tritt:) Es freut mich sehr, Sie kennen zu lernen,
+Herr Marchbanks. (Noetigt ihn, ihm die Hand zu geben.) Wie geht es
+Ihnen bei diesem Wetter? Ich hoffe, Jakob versucht nicht, Ihnen
+verrueckte Ideen in den Kopf zu setzen.
+
+(Marchbanks.) Verrueckte Ideen? Ach, Sie meinen sozialistische? Nein,
+o nein!
+
+(Burgess.) Das ist recht. (Sieht wieder auf seine Uhr.) Na, jetzt muss
+ich aber gehen, da ist nichts zu machen. Haben Sie vielleicht
+denselben Weg, Herr Marchbanks?
+
+(Marchbanks.) Nach welcher Richtung gehen Sie?
+
+(Burgess.) Station Viktoriapark. Um zwoelf Uhr fuenfundzwanzig geht ein
+Zug nach der City.
+
+(Morell.) Unsinn, Eugen, Sie fruehstuecken doch hoffentlich mit uns!
+
+(Marchbanks sich aengstlich entschuldigend:) Nein, ich--ich--
+
+(Burgess.) Nun, ich will Ihnen nicht zureden. Ich wette, dass Sie es
+vorziehen, mit Candy zu fruehstuecken. Ich hoffe aber, dafuer werden Sie
+eines Abends im Buergerklub in Norton Folgate mit mir dinieren,--bitte,
+sagen Sie zu!
+
+(Marchbanks.) Ich danke Ihnen, Herr Burgess. Wo ist Norton
+Folgate?--Unten in Surrey, nicht wahr?
+
+(Burgess, unaussprechlich belustigt, faengt zu lachen an.)
+
+(Candida zu Hilfe kommend:) Du wirst deinen Zug versaeumen, Papa, wenn
+du nicht sofort gehst; komm am Nachmittag wieder und erklaere Herrn
+Marchbanks dann, wie man nach dem Klub gelangt.
+
+(Burgess mit schallendem Gelaechter:) In Surrey, ha ha, das ist nicht
+schlecht! Nun, ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der nicht
+Norton Folgate gekannt haette.
+
+(Betroffen ueber den Laerm seiner eigenen Stimme:) Leben Sie wohl, Herr
+Marchbanks; ich weiss, Sie sind zu vornehm, um meinen Scherz schlecht
+aufzufassen. (Er reicht ihm abermals die Hand.)
+
+(Marchbanks erfasst sie mit nervoesem Griff.) O bitte, bitte!
+
+(Burgess.) Adieu, adieu, Candy. Ich werde spaeter wiederkommen--auf
+Wiedersehen, Jakob.
+
+(Morell.) Muessen Sie wirklich gehen?
+
+(Burgess.) Lasst euch nicht stoeren. (Er gebt mit unverminderter
+Herzlichkeit hinaus.)
+
+(Morelt.) Ich werde Sie hinausbegleiten. (Er folgt ihm, Eugen starrt
+ihnen aengstlich nach und haelt seinen Atem an, bis Burgess verschwunden
+ist.)
+
+(Candida lachend:) Nun, Eugen? (Er wendet sich mit einem Ruck um und
+kommt heftig auf sie zu, haelt aber unschluessig inne, als er ihren
+belustigten Blick bemerkt.) Wie gefaellt Ihnen mein Vater?
+
+(Marchbanks.) Ich--ich kenne ihn doch kaum,--er scheint ein sehr
+lieber alter Herr zu sein.
+
+(Candida mit leiser Ironie:) Und Sie werden seine Einladung in den
+Buergerklub annehmen, nicht wahr?
+
+(Marchbanks ungluecklich, es fuer Ernst nehmend:) Gerne, wenn Sie es
+wuenschen.
+
+(Candida geruehrt:) Wissen Sie, dass Sie ein sehr lieber Junge sind,
+Eugen, trotz all Ihrer Sonderlichkeiten. Wenn Sie meinen Vater
+ausgelacht haetten, so waere nichts dabei gewesen, aber es gefaellt mir
+um so besser von Ihnen, dass Sie nett zu ihm waren.
+
+(Marchbanks.) Haette ich lachen sollen? Mir war, als ob er etwas
+scherzhaftes sagte, aber ich fuehle mich Fremden gegenueber so bedrueckt,
+und ich kann Witze nie verstehen. Es tut mir sehr leid. (Er setzt
+sich auf das Sofa, die Ellbogen auf den Knien und die Schlaefen
+zwischen den Faeusten, mit dem Ausdruck hoffnungslosen Leidens.)
+
+(Candida heitert ihn gutmuetig auf:) Oh, Sie grosses Kind,--Sie sind
+heute noch aerger als sonst. Warum waren Sie auf der Fahrt in der
+Droschke so melancholisch?
+
+(Marchbanks.) Oh, das war nichts. Ich dachte darueber nach, wieviel
+ich dem Kutscher geben sollte. Ich weiss, es ist aeusserst dumm, aber
+Sie wissen nicht, wie schrecklich mir solche Dinge sind,--wie ich mich
+davor scheue, mit fremden Leuten zu unterhandeln. (Frisch und
+beruhigend:) Aber jetzt ist alles gut. Er lachte mit dem ganzen
+Gesicht und beruehrte seinen Hut, als Ihr Mann ihm zwei Schilling gab;
+ich war im Begriff, ihm zehn zu bieten. (Candida lacht herzlich,
+Morell kommt mit einigen Briefen und Zeitungen zurueck, die mit der
+Mittagspost gekommen sind.)
+
+(Candida.) Oh, lieber Jakob, denke nur, er wollte dem Kutscher zehn
+Schilling geben,--zehn Schilling fuer eine Fahrt von drei Minuten, was
+sagst du?
+
+(Morell vor dem Tisch die Briefe ueberfliegend:) Machen Sie sich nichts
+daraus, Marchbanks. Der Trieb, zuviel zu bezahlen, ist ein Beweis von
+Grossmut und viel besser als der entgegengesetzte, und nicht so
+gewoehnlich.
+
+(Marchbanks wieder in Niedergeschlagenheit verfallend:) Nein, Feigheit,
+Untauglichkeit ist das. Frau Morell hat ganz recht.
+
+(Candida.) Gewiss hat sie recht. (Sie nimmt ihre Handtasche auf.) Und
+nun muss ich Sie Jakob ueberlassen. Ich nehme an, Sie sind zu sehr Poet,
+um sich den Zustand vorstellen zu koennen, in dem eine Frau ihr Haus
+wiederfindet, wenn sie drei Wochen fortgewesen ist. Geben Sie mir
+meine Decke. (Eugen nimmt die eingeschnallte Decke vom Sofa und gibt
+sie ihr; sie nimmt sie in die linke Hand, da sie ihre Tasche in der
+rechten haelt.) Nun, bitte, haengen Sie mir den Mantel ueber den Arm.
+(Er gehorcht.) Nun meinen Hut. (Er gibt ihn ihr in die Hand, die das
+Gepaeck haelt.) Nun oeffnen sie mir die Tuer.--(Er laeuft ihr voraus und
+oeffnet die Tuer.) Danke. (Sie geht hinaus, und Marchbanks schliesst sie
+hinter ihr wieder.)
+
+(Morell noch am Tisch beschaeftigt:) Sie bleiben selbstverstaendlich zum
+Fruehstueck bei uns, Marchbanks.
+
+(Marchbanks erschreckt:) Ach, ich darf nicht. (Er sieht rasch nach
+Morell hin, weicht aber ploetzlich seinem vollen Blick aus und fuegt mit
+sichtlicher Unaufrichtigkeit hinzu:) Ich meine, ich kann nicht.
+
+(Morell.) Sie meinen, Sie wollen nicht.
+
+(Marchbanks ernst:) Nein, ich moechte wirklich gerne, ich danke Ihnen
+sehr, aber--aber--
+
+(Morell leichthin, beendigt seinen Brief und tritt dicht an Eugen
+heran:) Aber--aber--aber--aber! Unsinn! Wenn Sie bleiben wollen,
+dann bleiben Sie,--Sie werden mich doch nicht ueberzeugen wollen, dass
+Sie irgend etwas anderes zu tun haben? Wenn Sie schuechtern sind,
+machen Sie einen Spaziergang durch den Park und schreiben bis halb
+zwei Uhr Gedichte, und dann kommen Sie wieder und essen tuechtig.
+
+(Marchbanks.) Ich danke Ihnen. Ich wuerde das sehr gern tun, aber ich
+darf wirklich nicht. Die Wahrheit ist, dass mir Frau Morell gesagt hat,
+dass ich's lieber nicht tun sollte. Sie sagte, sie glaube nicht, dass
+Sie mich zum Fruehstueck einladen wuerden, aber wenn Sie es taeten, dann
+wuenschten Sie es doch nicht ernstlich. (Schmerzlich:) Sie sagte, ich
+wuerde das schon verstehen, aber ich verstehe es nicht.--Bitte, sagen
+Sie ihr nichts davon, dass ich es Ihnen wiedererzaehlt habe.
+
+(Morell belustigt:) Oh, ist das alles? Was halten Sie von meinem
+Vorschlag, in den Park zu gehen und diese Frage damit zu erledigen?
+
+(Marchbanks.) Wie?
+
+(Morell in guter Laune herausplatzend:) Na, Sie Dummkopf. (Aber dies
+geraeuschvolle Wesen verletzt sowohl ihn selbst als auch Eugen. Er
+haelt inne und faehrt mit liebevollem Ernst fort:) Nein, Scherz beiseite,
+mein lieber Junge! in einer gluecklichen Ehe wie die unsere ist die
+Rueckkehr der Frau in ihr Haus etwas sehr Heiliges. (Marchbanks sieht
+ihn rasch an, und erraet beinahe im voraus, was er sagen will.) Aber
+ein lieber Freund, eine wirklich vornehme, sympathische Seele ist bei
+einer solchen Gelegenheit nicht im Wege,--der erstbeste Besucher waere
+es allerdings. (Der gehetzte, erschreckte Ausdruck kommt ploetzlich
+und lebhaft in Eugens Gesicht, sowie er begreift. Morell, mit seinen
+eigenen Gedanken beschaeftigt, faehrt, ohne es zu bemerken, fort:)
+Candida dachte, ich wuerde Sie vielleicht lieber nicht hier haben, aber
+sie hatte unrecht. Ich habe Sie sehr lieb, Eugen; und ich moechte es
+auch Ihretwegen, dass Sie sehen, wie schoen es ist, so gluecklich
+verheiratet zu sein wie ich.
+
+(Marchbanks.) Gluecklich? Ihre Ehe? Das meinen Sie, das glauben Sie
+wirklich?
+
+(Morell heiter:) Ich weiss es, mein Junge. Laroche-foucauld behauptet
+zwar, dass es hoechstens passende, aber keine gluecklichen Ehen gaebe.
+Sie koennen sich nicht vorstellen, wie wohl es tut, einen so
+abgefeimten Luegner und verderbten Zyniker zu durchschauen! Ha, ha!
+Nun aber fort in den Park und schreiben Sie Ihr Gedicht! und vergessen
+Sie nicht: Punkt halb zwei Uhr! Wir warten niemals mit dem Essen auf
+jemand.
+
+(Marchbanks wild:) Nein, halten Sie ein, Sie sollen es auch nicht!
+Ich will alles ans Licht bringen.
+
+(Morell verwundert:) Wie? Was wollen Sie ans Licht bringen?
+
+(Marchbanks.) Ich muss mit Ihnen sprechen. Es gibt etwas, das zwischen
+uns erledigt werden muss.
+
+(Morell mit einem belustigten Blick nach der Uhr:) Jetzt?
+
+(Marchbanks leidenschaftlich:) Jawohl, jetzt. Ehe Sie dieses Zimmer
+verlassen. (Er weicht ein paar Schritte zurueck und steht so, als ob
+er Morell den Weg zur Tuer versperren wollte.)
+
+(Morell ernst, ohne sich zu ruehren, da er begreift, dass es sich um
+etwas Ernstes handelt:) Ich will es gar nicht verlassen. Ich dachte,
+Sie wollten gehen.--(Eugen ist von seinem sicheren Ton verwirrt und
+wendet ihm, sich kruemmend vor Verdruss, den Ruecken zu. Morell geht zu
+ihm hin und legt die Haende auf seine Schultern, fest und guetig, ohne
+Marchbanks Versuche, ihn abzuschuetteln, zu beachten.) Na--setzen Sie
+sich ruhig und erzaehlen Sie mir, was los ist. Und bedenken Sie eines:
+wir sind Freunde und brauchen nicht zu fuerchten, dass einer von uns
+anders als geduldig und guetig zu dem andern sein werde, was wir
+einander auch moegen zu sagen haben.
+
+(Marchbanks windet sich hin und her:) Oh, ich werde mich nicht
+vergessen, ich bin nur (bedeckt sein Gesicht verzweifelt mit den
+Haenden:) ausser mir vor Entsetzen! (Dann laesst er die Haende fallen,
+und sich mutig vorwaerts gegen Morell wendend, faehrt er drohend fort:)
+Sie werden ja sehen, ob Geduld und Guete da am Platz sind. (Morell,
+unerschuetterlich wie ein Felsen, sieht ihn nachsichtig an.) Betrachten
+Sie mich nicht so selbstgefaellig! Sie halten sich zwar fuer staerker
+als mich, aber ich werde Sie aufruetteln, wenn Sie ein Herz im Leibe
+haben.
+
+(Morell mit maechtigem Vertrauen:) Mich aufruetteln, mein Junge? Nur zu!
+Nur zu! Heraus damit!
+
+(Marchbanks.) Zuerst--
+
+(Morell.) Zuerst?
+
+(Marchbanks.) Ich liebe Ihre Frau! (Morell faehrt zurueck, und nachdem
+er Eugen einen Augenblick aeusserst erstaunt angestarrt hat, bricht er
+in heftiges Lachen aus. Eugen wird stutzig, verliert aber seine
+Fassung nicht und steht empoert und verachtungsvoll da.)
+
+(Morell setzt sich, um sich auszulachen:) Aber, mein liebes Kind,
+natuerlich lieben Sie Candida. Jeder liebt sie, man kann nicht anders;
+das freut mich nur, aber (er sieht seltsam zu ihm auf:) halten Sie
+Ihren Fall fuer etwas, ueber das man auch nur zu sprechen braucht? Sie
+sind unter zwanzig und Candida ist ueber dreissig,--sieht das nicht
+einer Dummenjungenliebe aehnlich?
+
+(Marchbanks heftig:) Sie wagen, so von ihr zu sprechen! Sie glauben,
+dass Ihre Frau diese Art Liebe einfloessen kann!--Das ist eine
+Beleidigung gegen sie!
+
+(Morell erhebt sich rasch und veraendert den Ton:) Gegen sie? Nehmen
+Sie sich in acht, Eugen. Ich war geduldig. Ich hoffe, geduldig zu
+bleiben. Aber es gibt Dinge, die ich mir verbitten muss. Zwingen Sie
+mich nicht, Ihnen die Nachsicht zu zeigen, die ich einem Kinde
+gegenueber haben wuerde. Seien Sie ein Mann.
+
+(Marchbanks mit einer Bewegung, als wuerfe er etwas hinter sich:) Oh,
+lassen Sie dieses Geschwaetz beiseite. Ich bin entsetzt, wenn ich
+denke, wieviel die Arme davon hat anhoeren muessen in den langen Jahren,
+in denen Sie Candida selbstsuechtig und blind Ihrem Duenkel geopfert
+haben! (Sich nach ihm umwendend:) Sie, der Sie nicht einen Gedanken,
+nicht ein Gefuehl mit ihr gemeinsam haben.
+
+(Morell mit philosophischer Ruhe:) Ihr scheint das alles aber recht
+gut zu bekommen. (Ihm gerade ins Gesicht blickend:) Eugen, Sie machen
+sich zum Narren--zu einem sehr grossen Narren. Es ist zu Ihrem eigenen
+Besten, wenn man Ihnen das offen und ehrlich sagt.
+
+(Marchbanks.) Oh, glauben Sie, ich wuesste das alles nicht? Glauben Sie,
+dass die Dinge, ueber die Leute zu Narren werden, weniger wirklich und
+wahr sind, als die, bei denen sie vernuenftig bleiben? (Morells Blick
+wird zum ersten Male unsicher, er wendet instinktiv sein Gesicht ab
+und steht horchend, bestuerzt und nachdenklich da.) Diese Dinge sind
+noch viel wahrer, sie sind ueberhaupt die einzigen Dinge, die wahr sind.
+Sie sind sehr ruhig und massvoll und ruecksichtsvoll gegen mich, weil
+Sie sehen koennen, dass ich, was Ihre Frau betrifft, ein Narr bin. So
+wie der alte Mann, der eben hier war, zweifellos sehr weise ueber Ihren
+Sozialismus denkt, weil er sieht, dass Sie sich dabei zum Narren machen.
+(Morell wird sichtlich immer bestuerzter, und Eugen nuetzt seinen
+Vorteil aus, ihn heftig mit Fragen bedraengend:) Beweist dies, dass Sie
+unrecht haben? Beweist Ihre sichere Ueberlegenheit mir gegenueber, dass
+ich unrecht habe?
+
+(Morell sich zu Eugen wendend, der seinen Platz behauptet:) Marchbanks,
+irgendein Teufel hat Ihnen diese Worte in den Mund gelegt. Es ist
+leicht, fuerchterlich leicht, in einem Menschen den Glauben an sich
+selbst zu erschuettern. Dies auszunuetzen, um eines Menschen Seele zu
+verwirren, ist Teufelswerk. Hueten Sie sich davor!
+
+(Marchbanks unbarmherzig:) Das weiss ich! Es geschieht absichtlich.
+Ich sagte Ihnen ja, ich wuerde Sie aufruetteln. (Sie sehen einander
+einen Augenblick drohend in die Augen, dann findet Morell seine Wuerde
+wieder.)
+
+(Morell mit edler Guete:) Eugen, hoeren Sie mich an. Ich hoffe und baue
+darauf, dass Sie eines Tages ein gluecklicher Mensch sein werden, wie
+ich. (Eugen gibt durch eine zornige, ungeduldige Gebaerde zu verstehen,
+dass er an den Wert dieses Glueckes nicht glaubt. Morell, tief
+beleidigt, beherrscht sich mit aller Nachsicht und faehrt mit grosser
+kuenstlerischer Beredsamkeit fort:) Sie werden verheiratet sein und mit
+aller Macht und Ihrem besten Koennen daran arbeiten, jeden Erdenfleck,
+den Sie betreten, so gluecklich zu machen, wie Ihr eigenes Heim es sein
+wird. Sie werden einer von denen sein, die das Himmelreich auf Erden
+bereiten wollen, und--wer weiss?--Sie moegen ein Pionier oder ein
+Baumeister werden, wo ich nur ein demuetiger Arbeiter bin. Sie duerfen
+nicht glauben, Eugen, dass ich in Ihnen, so jung Sie auch sind, nicht
+jene Keime sehe, die Groesseres versprechen, als ich jemals von mir
+erwarten darf. Ich weiss ganz gut, dass der Geist, der in einem Dichter
+wohnt, heilig--dass er geradezu goettlich ist. Sie sollten bei dem
+Gedanken daran zittern, bei dem Gedanken, dass die schwere
+Verpflichtung und die grossen Gaben eines Dichters vielleicht einst auf
+Ihren Schultern ruhen werden.
+
+(Marchbanks unberuehrt und reuelos; die knabenhafte Knappheit seiner
+Worte sticht scharf gegen Morells Beredsamkeit ab:) Nicht davor
+zittere ich! Der Mangel dieser Gaben bei anderen, der macht mich
+zittern.
+
+(Morell verdoppelt die Kraft seiner Rede unter dem Einfluss seines
+echten Gefuehls und der Verstocktheit Eugens:) Dann tragen Sie dazu bei,
+jene Gaben in andere und in mich zu pflanzen--und nicht, sie
+auszurotten. Spaeter einmal, wenn Sie so gluecklich sein werden, wie
+ich es bin, dann will ich Ihr treuer Glaubensbruder werden. Ich will
+Sie zu dem Glauben fuehren, dass Gott uns eine Welt geschenkt hat, die
+nur unserer eigenen Unvernunft wegen kein Paradies ist, und dass jeder
+Federstrich Ihrer Arbeit Glueck aussaet fuer die grosse Ernte, die
+alle--selbst die Geringsten--eines Tages einfuehren werden. Und
+endlich will ich Ihnen nicht zum wenigsten zu dem Glauben verhelfen,
+dass Ihre Frau Sie liebt und in ihrem Heim gluecklich ist. Wir brauchen
+solche Hilfe, Marchbanks, wir haben sie immer sehr noetig. Es gibt so
+viele Dinge, die in uns Zweifel wecken, wenn wir uns erst einmal haben
+unsern Glauben trueben lassen. Selbst zu Hause sitzen wir wie in einem
+Kriegslager, umgeben von einer feindlichen Armee von Zweifeln. Wollen
+Sie den Verraeter spielen und sie zu mir einlassen?
+
+(Marchbanks sich umblickend:) Ist es fuer sie hier immer so gewesen?
+Dass eine Frau mit einer grossen Seele, die nach Wahrheit, Wirklichkeit
+und Freiheit duerstet, bloss mit Metaphern, Predigten und abgedroschenen
+Redensarten abgespeist wird? Glauben Sie, dass die Seele einer Frau
+von Ihrem Predigertalent leben kann?
+
+(Morell tief verwundet:) Marchbanks, Sie machen es mir schwer, mich zu
+beherrschen. Mein Talent gleicht dem Ihren, sofern es ueberhaupt einen
+echten Wert besitzt: es ist die Gabe, goettliche Wahrheit in Worte zu
+kleiden.
+
+(Marchbanks ungestuem:) Es ist die Gabe des Mundwerks, nicht mehr und
+nicht weniger. Was hat Ihre Fertigkeit, schoene Reden zu halten, mit
+der Wahrheit zu schaffen?--so wenig, wie das Orgelspiel mit ihr zu
+schaffen hat. Ich war niemals in Ihrer Kirche, aber ich war in Ihren
+politischen Versammlungen und habe Sie dort das tun sehen, was man die
+Menge zum Enthusiasmus hinreissen nennt. Das heisst: die Leute regten
+sich auf und benahmen sich, als ob sie betrunken waeren. Ihre Frauen
+sahen zu und merkten, was fuer Narren sie zu Maennern hatten. Oh, das
+ist eine alte Geschichte, Sie koennen sie schon in der Bibel finden.
+--Mir scheint, Koenig David in seinem Enthusiasmus war Ihnen sehr
+aehnlich. (Ihm die Worte in die Seele hohrend:) "Aber sein Weib
+verachtete ihn in ihrem Herzen!"
+
+(Morell wuetend:) Verlassen Sie mein Haus! Hoeren Sie? (Er gebt
+drohend auf ihn los.)
+
+(Marchbanks gegen das Sofa zurueckweichend:) Lassen Sie mich in Frieden,
+ruehren Sie mich nicht an!
+
+(Morell fasst ihn kraeftig am Aufschlag seines Rockes; er duckt sich auf
+das Sofa nieder.)
+
+(Marchbanks schreit leidenschaftlich:) Halten Sie ein; wenn Sie mich
+schlagen, so toete ich mich, ich wuerde es nicht ertragen! (Beinahe
+hysterisch:) Lassen Sie mich los: nehmen Sie Ihre Hand fort!
+
+(Morell langsam, mit nachdruecklicher Geringschaetzung:) Sie kleiner,
+winselnder, feiger Hund! (Er laesst ihn los:) Gehen Sie, sonst fallen
+Sie aus Angst in Ohnmacht.
+
+(Marchbanks auf dem Sofa nach Luft schnappend, aber befreit durch das
+Zurueckziehen von Morells Hand:) Ich fuerchte mich nicht vor Ihnen, Sie
+fuerchten sich vor mir!
+
+(Modell ruhig, ueber ihn gebeugt:) Es sieht mir ganz danach aus!
+
+(Marchbanks mit dreister Heftigkeit:) Ja; es sieht so aus. (Morell
+wendet sich verachtungsvoll ab, Eugen steht hastig auf und folgt ihm.)
+Weil ich vor einer brutalen Behandlung zurueckschrecke, weil (mit
+Traenen in der Stimmt:) ich nichts anderes tun kann, als heulen vor Wut,
+wenn mir Gewalt angetan wird--weil ich keinen schweren Koffer vom
+Kutscherbock herabheben kann wie Sie--weil ich mit Ihnen nicht um Ihre
+Frau raufen kann wie ein Arbeiter--deshalb glauben Sie, ich haette
+Angst vor Ihnen! Aber Sie irren. Besitze ich auch nicht Ihren
+beruehmten britischen Mut, so besitze ich doch auch nicht die britische
+Feigheit. Ich fuerchte mich vor den Ansichten eines Pastors nicht.
+Ich will kaempfen gegen Ihre Ansichten. Ich will Candida von der
+Sklaverei dieser Ansichten befreien, ich will meine eigenen Ansichten
+den Ihren entgegenstellen. Sie jagen mich aus dem Hause, weil Sie es
+nicht wagen, Candida zwischen meinen und Ihren Ansichten waehlen zu
+lassen! Sie fuerchten sich vor einem Wiedersehen zwischen Ihrer Frau
+und mir. (Morell wendet sich ploetzlich zornig zu ihm; er fluechtet
+nach der Tuer in unfreiwilliger Angst:) Lassen Sie mich in Ruhe. Ich
+gehe.
+
+(Morell mit kalter Verachtung:) Warten Sie einen Augenblick: ich werde
+Sie nicht beruehren, fuerchten Sie sich nicht. Wenn meine Frau
+zurueckkommt, duerfte sie wissen wollen, warum Sie fortgegangen sind;
+und wenn sie erfaehrt, dass Sie unsere Schwelle nie wieder ueberschreiten
+werden, dann wird sie darueber Aufklaerung verlangen. Nun moechte ich
+sie nicht betrueben und ihr sagen, dass Sie sich wie ein Schuft benommen
+haben.
+
+(Marchbanks kehrt mit erneuter Heftigkeit um:) Sie sollen es--Sie
+muessen! Wenn Sie irgendeine andere Aufklaerung als die wahre geben, so
+sind Sie ein Luegner und ein Feigling. Sagen Sie ihr, was ich gesagt
+habe, und wie Sie stark und maennlich waren und mich zerzaust haben wie
+ein Hund eine Ratte, und wie ich zurueckwich und entsetzt war, und wie
+Sie mich einen winselnden kleinen Hund nannten und mich aus dem Hause
+jagten! Wenn Sie ihr das alles nicht sagen werden, so werde ich es
+tun! Ich werd' es ihr schreiben.
+
+(Morell verbluefft:) Warum wollen Sie, dass sie das alles erfahren soll?
+
+(Marchbanks mit lyrischer Begeisterung:) Weil sie mich dann verstehen
+und wissen wird, dass ich sie verstehe. Wenn Sie nur ein Wort von
+alledem vor ihr verheimlichen--wenn Sie nicht bereit sind, ihr die
+reine Wahrheit zu Fuessen zu legen--wie ich--dann werden Sie bis an das
+Ende Ihrer Tage wissen, dass sie in Wirklichkeit mir gehoert und nicht
+Ihnen. Leben Sie wohl. (Er wendet sich zum Geben.)
+
+(Morell in furchtbarer Unrube:) Halt! ich werde ihr das alles nicht
+erzaehlen.
+
+(Marchbanks wieder nach der Tuer, wendet sich um:) Sie muessen ihr
+entweder die Wahrheit sagen, wenn ich gehe, oder eine Luege.
+
+(Morell zoegernd:) Marchbanks, es ist manchmal entschuldbar--
+
+(Marchbanks ihn unterbrechend:) Zu luegen--ich weiss! Diesmal wird es
+aber vergeblich sein! Leben Sie wohl, Herr Pfarrer! (Wie er sich
+endlich zur Tuer wendet, geht diese auf und Candida tritt in ibrem
+Hauskleid ein.)
+
+(Candida.) Sie verlassen uns, Eugen? (Sieht ihn genauer an:) Aber,
+Sie werden doch nicht in diesem Zustand auf die Strasse gehen. Sie
+sind ein Dichter, sicherlich! Sieh' ihn nur an, Jakob! (Sie fasst
+Eugen am Rock und zieht ihn nach vorne, ihn Morell zeigend.) Sieh
+diesen Kragen an und diese Krawatte und dieses Haar. (Zu Eugen:) Man
+moechte glauben, dass jemand Sie hat erdrosseln wollen! (Die beiden
+bueten sich, ihr schlechtes Gewissen zu verraten.) Da,--halten Sie
+still. (Sie knoepft ihm seinen Kragen, bindet sein Halstuch zu einer
+Schleife und ordnet sein Haar.) So, so! Nun sehen Sie so nett aus,
+dass ich es doch fuer besser hielte, Sie fruehstueckten mit uns, obwohl
+Sie es eigentlich nicht sollten, wie ich Ihnen schon gesagt habe. In
+einer halben Stunde wird das Essen bereit sein. (Sie glaettet sein
+Halstuch noch mit einer letzten Beruebrung; er kuesst ihr die Hand.)
+Nicht dumm sein.
+
+(Marchbanks.) Ich moechte schon bleiben, gewiss--falls Ihr verehrter
+Herr Gemahl, der Herr Pastor, nichts dagegen einzuwenden hat.
+
+(Candida.) Soll er bleiben, Jakob, wenn er verspricht, ein braver
+Junge zu sein und mir beim Tischdecken zu helfen? (Marchbanks wendet
+den Kopf und sieht Morell ueber die Schulter fest an, seine Antwort
+herausfordernd.)
+
+(Morell kurz angebunden:) O ja, gewiss; es waere mir lieb. (Er geht an
+den Tisch und tut, als ob er mit den Papieren beschaeftigt waere.)
+
+(Marchbanks bietet Candida den Arm:) Decken wir den Tisch. (Sie nimmt
+seinen Arm, dann wenden sie sich zusammen nach der Tuer, im Hinausgehen.)
+Nun bin ich der gluecklichste Mensch von der Welt!
+
+(Morell.) Das war ich auch--vor einer Stunde.
+
+(Vorhang)
+
+
+
+
+ZWEITER AKT
+
+(An demselben Tage, dasselbe Zimmer spaet nachmittags. Der Stuhl fuer
+Morells Besucher steht wieder an dem Tisch, der womoeglich noch
+unordentlicher aussiebt als vorhin. Marchbanks, allein und muessig,
+versucht herauszukriegen, wie die Schreibmaschine arbeitet. Er hoert
+jemanden kommen und stiehlt sich schuldbewusst fort an das Fenster
+und tut so, als ob er in die Aussiebt versunken waere. Proserpina
+Garnett tritt mit ihrem Notizblock ein, der das Stenogramm von
+Morells Briefen enthaelt. Sie setzt sich an die Schreibmaschine
+und will mit der Abschrift beginnen. Sie ist viel zu sehr
+beschaeftigt, um Eugen zu bemerken. Ungluecklicherweise versagt
+die erste Taste, auf die sie schlaegt.)
+
+(Proserpina.) Himmel! Sie haben sich mit der Maschine zu schaffen
+gemacht, Herr Marchbanks, und es hilft Ihnen nichts, wenn Sie auch
+noch so ein unschuldiges Gesicht aufsetzen.
+
+(Marchbanks schuechtern:) Es tut mir sehr leid, Fraeulein Garnett. Ich
+wollte nur zu schreiben versuchen.
+
+(Proserpina.) Und dabei haben Sie diese Taste verdorben.
+
+(Marchbanks ernst:) Ich versichere Ihnen, dass ich die Tasten nicht
+beruehrt habe. Wahrhaftig nicht. Ich habe nur ein kleines Rad gedreht.
+(Er zeigt unschluessig auf die Kurbel.)
+
+(Proserpina.) Oh, nun verstehe ich. (Sie bringt die Maschine in
+Ordnung und schwatzt dabei ununterbrochen:) Mir scheint, Sie dachten,
+es waere eine Art Drehorgel. Man braucht nur die Kurbel da zu drehen,
+und die Maschine schreibt einem den schoensten Liebesbrief glatt aufs
+Papier, he?
+
+(Marchbanks ernst:) Ich kann mir vorstellen, dass eine Maschine
+erfunden werden koennte, die Liebesbriefe schreibt.--Es sind ja immer
+dieselben, nicht wahr?
+
+(Proserpina etwas aufgebracht, da jede derartige Unterhaltung--ausser
+scherzweise einmal--ihren Umgangsformen fernliegt:) Woher soll ich das
+wissen? Warum fragen Sie mich?
+
+(Marchbanks.) Entschuldigen Sie. Ich dachte, dass gescheite
+Leute--Leute, die Geschaefte besorgen, Briefe schreiben und aehnliche
+Dinge verrichten koennen--auch immer Liebesangelegenheiten haben.
+
+(Proserpina erbebt sich beleidigt:) Herr Marchbanks! (Sie siebt ihn
+strenge an und gebt sehr wuerdevoll zum Buecherschrank.)
+
+(Marchbanks naehert sich ihr demuetig:) Ich hoffe, dass ich Sie nicht
+beleidigt habe. Ich haette vielleicht auf Ihre Liebesangelegenheiten
+nicht anspielen sollen.
+
+(Proserpina nimmt ein blaues Buch aus einem Fach und wendet sich
+scharf nach ihm um:) Ich habe keine Liebesangelegenheiten! Wie koennen
+Sie es wagen, mir so etwas zu sagen?
+
+(Marchbanks naiv:) Wirklich? Oh, dann sind Sie auch schuechtern, wie
+ich, nicht wahr?
+
+(Proserpina.) Ich bin gewiss nicht schuechtern: was meinen Sie damit?
+
+(Marchbanks geheimnisvoll:) Sie muessen es sein. Das ist der Grund,
+warum es so wenig echte Liebesgeschichten in der Welt gibt. Wir gehen
+alle umher und sehnen uns nach Liebe, sie ist die erste
+Naturnotwendigkeit, das heisseste Gebet unseres Herzens, aber wir wagen
+es nicht, unsere Wuensche zu aeussern, wir sind zu schuechtern. (Sehr
+ernst:) Oh, Fraeulein Garnett, was wuerden Sie nicht darum geben, ohne
+Furcht zu sein,--ohne Scham--
+
+(Proserpina empoert:) Nein, meiner Treu, das ist stark!
+
+(Marchbanks trotzig und ungeduldig:) Sagen Sie mir nicht solche
+Albernheiten. Sie taeuschen mich doch nicht. Wozu soll das sein?
+Warum scheuen Sie sich, sich mir gegenueber so zu zeigen, wie Sie sind?
+Ich bin ja selbst genau so wie Sie.
+
+(Proserpina.) Wie ich? Bitte, ich weiss nicht recht, wollen Sie damit
+mir oder sich schmeicheln? (Sie wendet sich ab, um zur
+Schreibmaschine zurueckzugeben.)
+
+(Marchbanks tritt ihr geheimnisvoll in den Weg:) Still! Ich bin auf
+der Suche nach Liebe, und ich finde sie in unermesslichen Schaetzen in
+den Herzen anderer aufgespeichert. Aber ich wage es nicht, darum zu
+bitten,--eine fuerchterliche Schuechternheit schnuert mir die Kehle zu,
+und ich stehe da, stumm, aerger als stumm, und rede sinnloses Zeug und
+stammle toerichte Luegen. Und ich sehe die Liebe, nach der ich
+verschmachte, an Katzen und Hunde und verhaetschelte Voegel vergeudet,
+weil die kommen und darum bitten. (Beinahe fluesternd:) Man muss Liebe
+verlangen,--sie ist wie ein Geist, sie kann nicht sprechen, bevor
+nicht zu ihr gesprochen wird. (Mit seiner gewohnten Stimme, aber mit
+tiefer Melancholie:) Alle Liebe in der Welt ringt nach Worten, aber
+sie wagt es nicht, zu sprechen, weil sie zu schuechtern ist, zu
+schuechtern, zu schuechtern! Das ist die Tragik des Lebens! (Mit einem
+tiefen Seufzer setzt er sieb in den Besuchsstuhl und vergraebt sein
+Gesicht in den Haenden.)
+
+(Proserpina verwundert, aber ohne ihren gesunden Menschenverstand zu
+verlieren,--ein Ehrenpunkt fuer sie im Verkehr mit fremden jungen
+Maennern:) Es gibt aber schlechte Menschen, die diese Schuechternheit
+gelegentlich ueberwinden, nicht wahr?
+
+(Marchbanks faehrt beinahe wuetend auf:) Schlechte Menschen! Das heisst
+Menschen, die ohne Liebe sind, deshalb sind sie auch ohne Scham! Sie
+haben den Mut, Liebe zu verlangen, weil sie keine brauchen; sie haben
+den Mut, sie anzubieten, weil sie keine zu geben haben! (Er sinkt in
+seinen Stuhl und fuegt traurig hinzu:) Aber wir, die wir Liebe haben
+und danach brennen, sie mit anderen auszutauschen, wir koennen kein
+Wort ueber die Lippen bringen. (Schuechtern:) Finden Sie das nicht auch?
+
+(Proserpina.) Nehmen Sie sich in acht. Wenn Sie nicht aufhoeren, so zu
+reden, werde ich das Zimmer verlassen, Herr Marchbanks. Ich tue es
+wirklich! Das gehoert sich nicht. (Sie nimmt ihren Sitz vor der
+Schreibmaschine wieder ein, oeffnet das blaue Buch und macht sich
+bereit, daraus etwas zu kopieren.)
+
+(Marchbanks hilflos:) Nichts gehoert sich, was wert ist, dass man
+darueber spricht! (Er erhebt sich und wandert verloren im Zimmer umher:
+) Ich kann Sie nicht begreifen, Fraeulein Garnett. Worueber soll ich
+denn sprechen?
+
+(Proserpina fertigt ihn kurz ab:) Sprechen Sie ueber gleichgueltige
+Dinge. Sprechen Sie ueber das Wetter.
+
+(Marchbanks.) Wuerden Sie es ertragen, ueber gleichgueltige Dinge zu
+sprechen, wenn ein Kind neben Ihnen stuende, das vor Hunger bitterlich
+weinte?
+
+(Proserpina.) Vermutlich nicht.
+
+(Marchbanks.) Nun, ich kann auch nicht ueber gleichgueltige Dinge
+sprechen, waehrend mein Herz in seinem Hunger bitterlich weint.
+
+(Proserpina.) Dann--schweigen Sie.
+
+(Marchbanks.) Jawohl, darauf laeuft's immer hinaus, wir schweigen.
+Unterdrueckt das den Schrei Ihres Herzens--denn es schreit, nicht wahr?
+Es muss, wenn Sie ueberhaupt ein Herz haben.
+
+(Proserpina erhebt sich ploetzlich und presst ihre Hand aufs Herz.) Oh,
+es ist vergeblich, arbeiten zu wollen, waehrend Sie so reden. (Sie
+verlaesst ihren kleinen Tisch und setzt sich auf das Sofa. Ihre Gefuehle
+sind heftig aufgewuehlt.) Es kuemmert Sie gar nichts, ob mein Herz
+schreit oder nicht, aber es ist mir so, als muesste ich nun doch ueber
+all das zu Ihnen sprechen.
+
+(Marchbanks.) Das brauchen Sie nicht; ich weiss doch, dass es so ist.
+
+(Proserpina.) Merken Sie sich: wenn Sie jemals behaupten sollten, dass
+ich derlei gesagt habe, dann werde ich es leugnen.
+
+(Marchbanks mitleidig:) Ja, das weiss ich. Deshalb finden Sie auch
+nicht den Mut, es ihm zu sagen.
+
+(Proserpina aufspringend:) Ihm?! Wem?!
+
+(Marchbanks.) Wem es auch sei. Dem Manne, den Sie lieben. Irgend
+jemandem. Dem Unterpfarrer Herrn Mill vielleicht.
+
+(Proserpina verachtungsvoll:) Herrn Mill? Wahrhaftig, das ist der
+rechte Mann, mir das Herz zu brechen. Da waeren Sie mir noch lieber.
+
+(Marchbanks zurueckweichend:) Nein, wirklich! Es tut mit leid, aber
+daran duerfen Sie nicht denken. Ich--
+
+(Proserpina scharf, geht ans Feuer und bleibt davor stehen, ihm den
+Ruecken zuwendend:) Oh, fuerchten Sie nichts, Sie sind es nicht. Es ist
+gar keine bestimmte Person.
+
+(Marchbanks.) Ich verstehe. Sie fuehlen, dass Sie jeden Mann lieben
+koennten, der Ihnen sein Herz anboete--
+
+(Proserpina ausser sich:) Nein, das koennte ich nicht! Jeden, der mir
+sein Herz anboete! Fuer was halten Sie mich?
+
+(Marchbanks entmutigt:) Es ist vergebens, Sie wollen mir keine
+wirklichen Antworten geben, nur diese leeren Worte, die jedermann sagt.
+(Er geht nach dem Sofa und setzt sich trostlos nieder.)
+
+(Proserpina die es wurmt, in den Augen eines Aristokraten manierlos zu
+erscheinen:) Wenn Sie originelle Unterhaltung wuenschen, dann ist es
+besser, Sie sprechen mit sich selbst.
+
+(Marchbanks.) Das tun alle Dichter; sie sprechen laut mit sich selbst;
+und die Welt ueberhoert sie. Aber es ist furchtbar einsam, nicht
+manchmal auch jemand anders sprechen zu hoeren.
+
+(Proserpina.) Warten Sie, bis Herr Morell kommt. Der wird schon mit
+Ihnen reden. (Marchbanks schaudert.) Oh, Sie brauchen die Nase nicht
+zu ruempfen, er kann besser sprechen als Sie. (Lebhaft:) Er wird Ihnen
+den kleinen Kopf schon zurechtsetzen. (Sie ist im Begriff aergerlich
+an ihren Platz zurueckzugeben, als er, ploetzlich erleuchtet, aufspringt
+und sie anhaelt.)
+
+(Marchbanks.) Ah, jetzt begreife ich!
+
+(Proserpina erroetend:) Was begreifen Sie?
+
+(Marchbanks.) Ihr Geheimnis! Sagen Sie mir, ist es wirklich und
+wahrhaftig moeglich, dass eine Frau ihn liebt?
+
+(Proserpina als ob dies ihr ueber den Spass ginge:) Genug!
+
+(Marchbanks leidenschaftlich:) Nein, antworten Sie mir! Ich will es
+wissen, ich muss es wissen, ich kann es nicht begreifen. Ich kann an
+ihm nichts finden als Worte, fromme Vorsaetze, was die Leute Guete
+nennen! Sie koennen ihn deswegen doch nicht lieben!
+
+(Proserpina versucht, ihn durch ihr kuehles Wesen stutzig zu machen:)
+Ich weiss ganz einfach nicht, wovon Sie sprechen--ich verstehe Sie
+nicht.
+
+(Marchbanks heftig:) Sie verstehen mich ganz gut. Sie luegen!
+
+(Proserpina.) Oh!
+
+(Marchbanks.) Sie verstehen, und Sie wissen. (Entschlossen, eine
+Antwort zu bekommen:) Ist es moeglich, dass eine Frau ihn lieben kann?
+Ja oder nein!
+
+(Proserpina ihm gerade ins Gesicht blickend:) Ja! (Er bedeckt sein
+Gesicht mit den Haenden.) Was in aller Welt fehlt Ihnen denn? (Er
+nimmt die Haende herab und sieht sie an. Erschreckt ueber das traurige
+Gesicht, das sich ihr darbietet, eilt sie so weit wie moeglich von ihm
+fort, behaelt aber ihre Augen auf ihn gerichtet, bis er sich von ihr
+abwendet und nach dem Kinderstuhl am Kamin geht, wo er sich in
+tiefster Trostlosigkeit niederlaesst. Proserpina eilt zur Tuer, die Tuer
+geht auf und Burgess tritt ein. Als sie ihn erblickt, ruft sie aus:)
+Gott sei Dank, es kommt jemand! (Setzt sich wieder beruhigt an ihren
+Tisch. Sie legt einen neuen Bogen in die Maschine, waehrend Burgess zu
+Eugen hinuebergebt.)
+
+(Burgess beflissen, sich um den vornehmen Besucher zu kuemmern:) Na,
+gehoert sich das, wie man Sie hier sich selbst ueberlaesst, Herr
+Marchbanks? Ich bin gekommen, Ihnen Gesellschaft zu leisten.
+(Marchbanks siebt zu ihm mit einer Bestuerzung auf, die Burgess aber
+gar nicht merkt.) Jakob empfaengt eine Deputation im Speisezimmer, und
+Candy ist oben und unterrichtet eine junge Naeherin, fuer die sie sich
+interessiert. Sie sitzt bei ihr und lehrt sie lesen, in einem frommen
+Buche: die himmlischen Zwillinge. (Teilnahmsvoll:) Sie muessen es hier
+recht langweilig finden, so ohne einen Menschen, mit dem Sie reden
+koennen, ausser der Schreiberin.
+
+(Proserpina aeusserst erbittert:) Er wird sich jetzt ganz wohl fuehlen,
+da er das Glueck hat, Ihre gebildete Unterhaltung zu geniessen,--das ist
+schon ein Trost. (Sie beginnt mit heftigem Geraeusch zu schreiben.)
+
+(Burgess erstaunt ueber ihre Kuehnheit:) Mit Ihnen hab' ich nicht
+gesprochen, soviel ich weiss, Sie junges Ding!
+
+(Proserpina scharf zu Marchbanks:) Haben Sie jemals solche Manieren
+gesehen, Herr Marchbanks?
+
+(Burgess mit wichtigtuendem Ernst:) Herr Marchbanks ist ein Edelmann,
+der seine Stellung kennt; das ist mehr, als manche Leute von sich
+sagen koennen.
+
+(Proserpina zornig:) Gluecklicherweise gehoeren Sie und ich nicht zu den
+"Damen" und "Herren"; ich wuerde Ihnen schon meine Meinung sagen, wenn
+Herr Marchbanks nicht zugegen waere. (Sie zieht den Brief so heftig
+aus der Maschine heraus, dass er zerreisst.) So! nun habe ich den Brief
+verdorben, jetzt kann ich noch mal von vorne anfangen. Oh, ich kann
+mich nicht beherrschen.--Sie dummer alter Schafskopf, Sie!
+
+(Burgess erhebt sich, atemlos vor Entruestung:) Was, ein dummer alter
+Schafskopf bin ich?! Das ist stark! (Ausser Atem:) Gut, gut! Warten
+Sie nur, das werde ich Ihrem Prinzipal sagen--ich will Sie lehren--Sie
+sollen es sehen!
+
+(Proserpina.) Ich--
+
+(Burgess sie unterbrechend:) Genug, Ihr Reden nuetzt Ihnen nun nichts
+mehr, Sie sollen mich kennen lernen! (Proserpina schiebt ihre Walze
+mit einem zornigen Stoss herum und setzt verachtungsvoll ihre Arbeit
+fort.) Nehmen Sie keine Notiz von ihr, Herr Marchbanks, sie ist es
+nicht wert. (Er setzt sich stolz wieder hin.)
+
+(Marchbanks fuerchterlich nervoes und verlegen:) Waere es nicht besser,
+wir wuerden von etwas anderem sprechen. Ich--ich glaube nicht, dass
+Fraeulein Garnett es boese gemeint hat.
+
+(Proserpina mit fester Ueberzeugung:) Ob ich es boese gemeint habe!
+Doch!
+
+(Burgess.) Ich will mich nicht so weit erniedrigen, von ihr ueberhaupt
+noch Notiz zu nehmen. (Eine elektrische Klingel laeutet zweimal.)
+
+(Proserpina rafft Notizhlock und Papier zusammen:) Das gilt mir! (Sie
+eilt hinaus.)
+
+(Burgess ihr nachrufend:) Oh, wir koennen Sie entbehren. (Er freut
+sich ueber den Triumph, das letzte Wort behalten zu haben, und doch
+halb und halb geneigt, noch mehr zu sagen, sieht er ihr einen
+Augenblick lang nach, dann laesst er sich auf seinen Platz neben Eugen
+nieder und spricht sehr vertraulich zu ihm:) Jetzt, wo wir allein sind,
+Herr Marchbanks, lassen Sie mich Ihnen einen freundlichen Wink geben,
+den ich nicht jedermann geben wuerde. Wie lange kennen Sie meinen
+Schwiegersohn Jakob schon?
+
+(Marchbanks.) Ich weiss nicht. Ich kann mir Daten niemals merken,
+--vielleicht einige Monate.
+
+(Burgess.) Haben Sie nie etwas Sonderbares an ihm bemerkt?
+
+(Marchbanks.) Nicht dass ich wuesste.
+
+(Burgess ausdrucksvoll:) Das werden Sie auch schwerlich. Darin liegt
+eben die Gefahr. Nun--er ist verrueckt.
+
+(Marchbanks.) Verrueckt?!
+
+(Burgess.) Total verrueckt. Beobachten Sie ihn nur, und Sie werden es
+selbst finden.
+
+(Marchbanks aengstlich:) Aber das scheint Ihnen gewiss nur so, weil
+seine Ansichten--
+
+(Burgess beruehrt Eugens Knie mit dem Zeigefinger und drueckt es, um
+seine Aufmerksamkeit zu erregen:) Genau dasselbe habe ich frueher
+gedacht, Heir Marchbanks. Ich glaubte lange genug, es waeren nur seine
+Ansichten, obwohl Ansichten zu sehr ernsten Angelegenheiten werden,
+sobald Leute danach handeln, wie er; aber danach habe ich nicht
+geurteilt. (Er siebt umher, um sich zu ueberzeugen, dass sie allein
+sind, und neigt sich zu Eugens Ohr.) Was, glauben Sie, hat er heute
+morgen in diesem Zimmer zu mir gesagt?
+
+(Marchbanks.) Was denn?
+
+(Burgess.) Er sagte mir, dass ich--so wahr, als wir hier sitzen--er
+sagte ganz ruhig: "Ich bin ein Narr und Sie sind ein Schurke"... Ich
+ein Schurke--bedenken Sie nur--und dann schuettelte er mir die Hand
+dazu, als ob seine Meinung schmeichelhaft fuer mich waere. Wollen Sie
+behaupten, dass so ein Mensch nicht verrueckt ist?
+
+(Morell von aussen "Proserpina" rufend, waehrend er die Tuer oeffnet:)
+Schreiben Sie alle Namen und Adressen auf, Fraeulein Garnett.
+
+(Proserpina aus der Entfernung:) Jawohl, Herr Pastor! (Morell tritt
+ein, mit den Dokumenten der Deputation in der Hand.)
+
+(Burgess beiseite zu Marchbanks:) Oh, da ist er. Beobachten Sie ihn
+nur, Sie werden schon sehen. (Erhebt sich mit wichtiger Miene:) Ich
+bedaure, Jakob, mich bei Ihnen beklagen zu muessen. Ich tue es nicht
+gerne, aber ich fuehle, dass es meine Pflicht und mein Recht ist.
+
+(Morell.) Was ist denn geschehen?
+
+(Burgess.) Herr Marchbanks wird es bestaetigen, er war Zeuge. (Sehr
+feierlich:) Ihre Schreiberin vergass sich so weit, mich einen dummen
+alten Schafskopf zu nennen.
+
+(Morell mit groesster Herzlichkeit:) Oh, sieht das Prossi nicht ganz
+aehnlich? Sie ist so aufrichtig, sie kann sich nicht beherrschen.
+Arme Prossi, ha, ha!
+
+(Burgess zitternd vor Wut:) Und erwarten Sie, dass ich mir das von
+ihresgleichen ruhig gefallen lasse?
+
+(Morell.) Bah, Unsinn. Nehmen Sie keine Notiz davon, lassen Sie's gut
+sein. (Er geht an das Schreibpult und legt die Papiere in eines der
+Schubfaecher.)
+
+(Burgess.) Oh, ich mache mir nichts daraus. Ich bin ueber derlei
+erhaben. Aber war es recht? Das ist es, was ich zu wissen wuensche!
+--war es recht?
+
+(Morell.) Das ist eine Frage fuer die Kirche und nicht fuer Laien.
+Wurde Ihnen dadurch irgendein Schaden zugefuegt? danach muessen Sie
+fragen--selbstverstaendlich "nein". Also denken Sie nicht mehr daran.
+(Er laesst den Gegenstand fallen, geht nach seinem Platz an den Tisch
+und beginnt an seiner Korrespondenz zu arbeiten.)
+
+(Burgess beiseite zu Marchbanks:) Was habe ich Ihnen gesagt? Total
+verrueckt! (Er geht an den Tisch und fragt mit der Hoeflichkeit eines
+Hungrigen:) Wann wird zu Tisch gegangen, Jakob?
+
+(Morell.) Erst nach einigen Stunden.
+
+(Burgess mit klagender Entsagung:) Dann geben Sie mir, bitte, ein
+huebsches Buch, am Kamin zu lesen--sein Sie so gut, Jakob.
+
+(Morell.) Was fuer ein Buch,--ein gutes?
+
+(Burgess beinahe mit einem Aufschrei des Widerwillens:) Nein. Irgend
+was Lustiges, womit man die Zeit totschlagen kann.
+
+(Morell nimmt eine illustrierte Zeitschrift vom Tisch und bietet sie
+ihm an, er ergreift sie demuetig:) Ich danke Ihnen, Jakob. (Er geht
+zurueck zum Kamin, laesst sich bequem in den grossen Stuhl nieder und
+liest.)
+
+(Morell waehrend er schreibt:) Candida wird gleich kommen und Ihnen
+Gesellschaft leisten. Sie ist jetzt fertig mit ihrer Schuelerin und
+fuellt die Lampen.
+
+(Marchbanks faehrt empor in wildem Entsetzen:) Aber das wird ihre Haende
+beschmutzen,--das kann ich nicht dulden, Herr Pastor, das ist eine
+Schande; ich werde die Lampen fuellen. (Er wendet sich nach der Tuer.)
+
+(Morell.) Lassen Sie es lieber sein. (Marchbanks bleibt unschluessig
+stehen: ) Sie wuerde Ihnen hoechstens meine Schuhe zu putzen geben, um
+mir die Arbeit zu ersparen, es morgen frueh selbst zu tun.
+
+(Burgess mit grosser Missbilligung:) Halten Sie kein Maedchen mehr, Jakob?
+
+(Morell.) Ja, aber es ist keine Sklavin, und das Haus sieht aus, als
+ob ich drei hielte. Daraus folgt, dass jeder mithelfen muss. Das geht
+ganz gut. Prossi und ich koennen nach dem Fruehstueck, waehrend wir
+abwaschen, ueber unsere Geschaefte sprechen; das Abwaschen macht keine
+Muehe, wenn es zwei besorgen.
+
+(Marchbanks gequaelt:) Glauben Sie, dass jede Frau so grobkoernig ist wie
+Fraeulein Garnett?
+
+(Burgess pathetisch:) Sie haben ganz recht, Herr Marchbanks,
+vollkommen recht,--die ist grobkoernig!
+
+(Morell ruhig und bedeutungsvoll:) Marchbanks!
+
+(Marchbanks.) Ja.
+
+(Morell.) Wie viele Dienstboten haelt Ihr Vater?
+
+(Marchbanks.) Oh, ich weiss nicht. (Er gebt unbehaglich an das Sofa
+zurueck, als ob er sich so weit fort wie moeglich vor Morells Fragen
+retten moechte, setzt sich in grosser Verstoertheit und denkt an das
+Petroleum.)
+
+(Morell sehr ernst:) So viele, dass Sie es nicht einmal wissen.
+(angriffsbereit:) Immerhin, wenn irgendeine grobkoernige Arbeit zu
+verrichten ist, dann klingeln Sie und halsen sie jemand anders
+auf--das ist eine der grossen Tatsachen in Ihrem Dasein, nicht wahr?
+
+(Marchbanks.) Oh, quaelen Sie mich nicht. Die eine grosse Tatsache hier
+ist jetzt, dass die wundervollen Finger Ihrer Frau mit Petroleum
+beschmutzt werden, waehrend Sie bequem hier sitzen und darueber Reden
+halten--endlose Reden und Predigten--Worte--Worte--nichts als Worte!
+
+(Burgess dem diese Erwiderung sehr gelegen kommt:) Hoert, hoert! Besser
+konnte er's ihm nicht geben! (Strahlend:) Da haben Sie es, Jakob!
+Ganz so ist es. (Candida trat ein, in einer reinen Schuerze, mit einer
+geputzten und gefuellten, zum Anzuenden fertigen Arbeitslampe. Sie
+stellt sie auf den Tisch neben Morell, damit er sie zur Hand hat.)
+
+(Candida reibt ihre Fingerspitzen gegeneinander, mit einem leichten
+Krausziehen ihrer Nase:) Wenn Sie bei uns bleiben, Eugen, ich glaube,
+dann werde ich Ihnen das Fuellen der Lampe uebertragen.
+
+(Marchbanks.) Ich werde ueberhaupt nur unter der Bedingung bleiben, dass
+Sie mir alle grobe Arbeit uebertragen.
+
+(Candida.) Das ist zwar sehr galant, aber ich moechte doch vorher
+wissen, wie Sie sie machen. (Wendet sich zu Morell:) Jakob, du hast
+in meiner Abwesenheit nicht gehoerig nach dem Rechten gesehen.
+
+(Morell.) Was habe ich denn getan oder nicht getan, meine Liebe?
+
+(Candida ernstlich aergerlich:) Meine eigene kleine
+Lieblingsnagelbuerste wurde zum Stiefelputzen verwendet. (Ein
+herzzerreissender Klagelaut entringt sich Marchbanks' Brust. Burgess
+sieht sich erstaunt um, Candida eilt ans Sofa:) Was ist los? Sind Sie
+krank, Eugen?
+
+(Marchbanks.) Nein, nicht krank. Nur Jammer erfasst mich, Jammer,
+Jammer! (Er schlaegt die Haende vor das Gesicht.)
+
+(Burgess erschreckt:) Was haben Sie, Herr Marchbanks? Oh, das ist
+schlimm in Ihrem Alter; Sie muessen trachten, sich das Trinken nach und
+nach abzugewoehnen.
+
+(Candida beruhigt:) Unsinn, Papa. Das ist nur poetischer Jammer.
+Nicht wahr, Eugen? (Streichelt ihn.)
+
+(Burgess verlegen:) Oh, poetischen Jammer hat er,--verzeihen Sie, das
+wusste ich nicht. (Er wendet sich wieder nach dem Feuer, seine
+Unueberlegtheit bereuend.)
+
+(Candida.) Was ist's denn, Eugen? Wegen der Nagelbuerste? (Er
+schaudert.) Es ist ja nichts dabei, lassen Sie's gut sein. (Sie setzt
+sich neben ihn.) Wollen Sie mir eine huebsche neue schenken, mit
+Elfenbeinruecken und eingelegtem Perlmutter?
+
+(Marchbanks sanft und melodisch, aber traurig und schmachtend:) Nein,
+keine Nagelbuerste, aber ein Boot, eine kleine Schaluppe, um darin
+fortzusegeln, weit fort von der Welt, dorthin, wo Marmorboeden vom
+Regen gewaschen und von der Sonne getrocknet werden, und wo der
+Suedwind die wundervoll gruenen und purpurnen Teppiche fegt. Oder einen
+Wagen moechte ich Ihnen schenken; uns hinaufzutragen in den Himmel, wo
+die Lampen Sterne sind und nicht taeglich mit Petroleum gefuellt werden
+muessen.
+
+(Morell barsch:) Und wo es nichts anderes zu tun gibt, als faul,
+selbstsuechtig und unnuetz zu sein.
+
+(Candida unangenehm beruehrt:) Oh, Jakob, wie kannst du nur alles so
+verderben!
+
+(Marchbanks feurig:) Ja: faul, selbstsuechtig und unnuetz, das heisst
+schoen, frei und gluecklich sein. Hat das nicht jeder Mann mit seiner
+ganzen Seele fuer die Frau gewuenscht, die er liebte? Das ist auch mein
+Ideal. Was ist das Ihre und das all der entsetzlichen Menschen, die
+in diesen fuerchterlichen Haeuserreihen wohnen? Predigten und
+Schuhbuersten! Fuer Sie die Predigten und fuer Ihre Frau die Buerste!
+
+(Candida drollig:) Er putzt die Schuhe, Eugen. Morgen werden Sie sie
+putzen muessen, weil Sie das von ihm gesagt haben.
+
+(Marchbanks.) Oh, sprechen Sie nicht von Schuhen; Ihre Fuesse wuerden
+auch in einer Wildnis schoen bleiben.
+
+(Candida.) Meine Fuesse wuerden auf der Hackneystrasse ohne Schuhe nicht
+sehr schoen aussehn.
+
+(Burgess daran Anstoss nehmend:) Geh, Candy, sei nicht ordinaer. Herr
+Marchbanks ist daran nicht gewoehnt. Du hast ihm schon wieder Jammer
+eingefloesst,--ich meine poetischen Jammer. (Morell schweigt, scheinbar
+ist er mit seinen Briefen beschaeftigt. Tatsaechlich ist er aber ueber
+seine neue und beunruhigende Erfahrung in sorgenvolle Gedanken
+vertieft: je sicherer er seiner moralischen Ausfaelle ist, desto
+sicherer und wirkungsvoller pariert sie Eugen. Es schmerzt Morell
+sehr, dass er einen Menschen zu fuerchten anfaengt, den er nicht achten
+kann. Fraeulein Garnett kommt mit einem Telegramm herein.)
+
+(Proserpina haendigt das Telegramm Morell ein:) Rueckantwort bezahlt,
+der Bote wartet. (Zu Candida, waehrend sie zu ihrer Maschine geht und
+sich setzt:) Marie wartet auf Sie in der Kueche, Frau Morell. (Candida
+erhebt sich:) Die Zwiebeln sind gekommen.
+
+(Marchbanks krampfhaft:) Zwiebeln!?
+
+(Candida.) Ja, Zwiebeln, und nicht einmal spanische! garstige, kleine
+rote Zwiebeln! Sie koennen mir helfen, sie zu zerschneiden; kommen Sie.
+(Sie nimmt ihn am Handgelenk und laeuft, ihn nachziehend, hinaus.
+Burgess erhebt sich verbluefft und starrt ihnen, auf dem Kaminteppich
+stehend, nach.)
+
+(Burgess.) Candy sollte den Neffen eines Pairs nicht so behandeln.
+Das geht doch zu weit, Jakob. Hat er oefters solche komischen Anfaelle?
+
+(Morell kurz, ein Telegramm schreibend:) Ich weiss nicht.
+
+(Burgess sentimental:) Er spricht sehr nett. Ich habe immer etwas
+Sinn fuer Poesie gehabt. Candy schlaegt mir darin nach. Ich musste ihr
+immer Maerchen erzaehlen, als sie noch ein so kleines Maedchen war. (Er
+haelt die Hand ungefaehr zwei Fuss hoch ueber den Fussboden.)
+
+(Morell beschaeftigt:) So, wirklich? (Er loescht das Telegramm ab und
+geht hinaus.)
+
+(Proserpina.) Haben Sie die Maerchen, die Sie Ihrer Tochter erzaehlten,
+selbst erfunden?
+
+(Burgess wuerdigt sie keiner Antwort und nimmt vor dem Kamin die
+Stellung tiefster Verachtung gegen sie ein.)
+
+(Proserpina sehr ruhig:) Ich haette nie gedacht, dass Sie derlei koennten.
+Uebrigens moechte ich Sie doch warnen, da Sie so grosses Interesse
+an Herrn Marchbanks nehmen. Er ist verrueckt.
+
+(Burgess.) Verrueckt! Was? Der auch?
+
+(Proserpina.) Total verrueckt! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie
+sehr er mich vorhin erschreckte--das kann ich Ihnen versichern,
+gerade bevor Sie kamen.--Haben Sie das merkwuerdige Zeug, das er sprach,
+nicht gehoert?
+
+(Burgess.) So, das ist also der poetische Jammer? Potztausend, es ist
+mir selbst schon ein oder zweimal aufgefallen, dass es nicht ganz
+richtig mit ihm ist. (Er durchschreitet das Zimmer und hebt seine
+Stimme, waehrend er geht:) Na, das ist ein huebsches Irrenhaus fuer einen
+Menschen, der ausser Ihnen niemanden hat, sich um ihn zu kuemmern.
+
+(Proserpina waehrend er bei ihr vorbeikommt:) Ja, wie fuerchterlich waere
+es, wenn Ihnen da etwas zustiesse.
+
+(Burgess hochmuetig:) Erlauben Sie sich keine Bemerkungen! Sagen Sie
+Ihrem Prinzipal, dass ich in den Garten gegangen bin, meine Pfeife zu
+rauchen.
+
+(Proserpina spottend:) Oh!--(Ehe Burgess erwidern kann, kehrt Morell
+zurueck.)
+
+(Burgess gefuehlvoll:) Ich gehe in den Garten, meine Pfeife zu rauchen,
+Jakob.
+
+(Morell kurz angebunden:) Schon gut, schon gut! (Burgess geht
+wuerdevoll hinaus, wie ein mueder alter Mann. Morell steht vor dem
+Tisch, wendet seine Papiere um und spricht zu Proserpina hinueber, halb
+humorvoll, halb geistesabwesend.)
+
+(Morell.) Nun, Prossi, warum haben Sie meinen Schwiegervater mit
+Schimpfnamen belegt?
+
+(Proserpina wird feuerrot und sieht rasch zu ihm auf, halb
+vorwurfsvoll, halb erschrocken:) Ich--(Sie bricht in Traenen aus.)
+
+(Morell lehnt sich mit leisem Humor zu ihr hinueber und troestet sie:)
+Oh, lassen Sie, lassen Sie nur! es ist ja nichts dabei: er ist ein
+alter Schafskopf, nicht wahr? (Mit einem krampfhaften Schluchzen
+stuerzt sie nach der Tuer und verschwindet, die Tuer zuschlagend. Morell
+schuettelt resigniert den Kopf, seufzt und geht muede an seinen Stuhl,
+wo er sich an die Arbeit setzt. Er sieht alt und vergraemt aus.
+Candida kommt herein; sie hat ihre haeusliche Arbeit beendet und die
+Schuerze abgenommen. Sie bemerkt sofort Morells niedergeschlagenes
+Aussehen, setzt sich ruhig auf den Besuchsstuhl und betrachtet ihn
+aufmerksam. Sie schweigt.)
+
+(Morell sieht auf, die Feder einen Moment absetzend:) Nun, wo ist
+Eugen?
+
+(Candida.) Er waescht sich die Haende in der Waschkueche--unter der
+Wasserleitung. Er wird ein ausgezeichneter Koch werden, wenn er nur
+erst seine Furcht vor Marie ueberwunden hat.
+
+(Morell kurz:) Gewiss, zweifellos. (Er faengt wieder zu schreiben an.)
+
+(Candida geht naeher und legt ihre Haende sanft auf die seinen, um ihn
+aufzuhalten, und sagt:) Komm zu mir, mein Lieber. Lass dich anschauen.
+(Er legt seine Feder weg und stellt sich ihr zur Verfuegung; sie lasst
+ihn aufstehen, zieht ihn ein wenig vom Tisch fort und betrachtet ihn
+mit kritischen Blicken.) Wende dein Gesicht einmal gegen das Licht.
+(Sie stellt ihn mit dem Gesicht gegen das Fenster.) Mein alter Junge
+sieht nicht gut aus,--hat er sich ueberanstrengt?
+
+(Morell.) Nicht mehr als gewoehnlich.
+
+(Candida.) Er sieht sehr bleich und grau, runzelig und alt aus.
+(Seine Melancholie nimmt zu und Candida fasst sie geflissentlich lustig
+an.) Komm her. (Sie zieht ihn zum Lehnstuhl:) Du hast fuer heute genug
+geschrieben. Ueberlass Prossi alles Weitere, und wir wollen ein
+bisschen plaudern.
+
+(Morell.) Aber--
+
+(Candida nachdruecklich:) Ja, du musst mit mir plaudern. (Sie zwingt
+ihn, Platz zu nehmen, und setzt sich auf den Teppich zu seinen Fuessen.)
+Nun (seine Haende streichelnd:) faengst du schon an, besser auszusehen.
+Warum gibst du alle diese ermuedenden Extraarbeiten nicht auf? Jeden
+Abend gehst du aus, um zu predigen und zu reden. Freilich, was du
+sagst, ist alles schoen und gut; aber es nuetzt ja nichts: sie geben
+nicht das geringste darauf. Sie sind natuerlich deiner Ansicht--aber
+was hat man davon, wenn Leute mit einem einverstanden sind und dann
+hingehen und das Gegenteil von allem tun, sobald man den Ruecken kehrt?
+Denke nur an unsere Gemeinde in St. Dominik? Warum wollen sie dich
+jeden Sonntag ueber Christentum reden hoeren? Nur weil sie mit ihren
+Geschaeften und Geldangelegenheiten sechs Tage lang so sehr beschaeftigt
+waren, dass sie am siebenten Tage nichts davon hoeren moegen. Da wollen
+sie ruhen und sich erbauen, damit sie frisch zurueckkehren und besser
+als je dem Gelde nachjagen koennen. Du hilfst ihnen nur noch dabei,
+anstatt sie daran zu hindern.
+
+(Morell mit energischem Ernst:) Du weisst sehr gut, Candida, dass ich
+sie deswegen oft tuechtig ausschelte. Aber wenn ihr Kirchgang ihnen
+nichts anderes bedeutet als Ruhe und Zerstreuung, warum waehlen sie
+dann nichts Lustigeres, Angenehmeres? Es muss doch etwas Gutes in der
+Tatsache liegen, dass sie die Kirche am Sonntag schlimmeren Orten
+vorziehen.
+
+(Candida.) Oh, die schlimmen Orte sind eben nicht offen, und selbst
+wenn sie es waeren, sie wuerden sich nicht trauen hinzugehen, aus Angst
+gesehn zu werden. Ueberdies, lieber Jakob, predigst du so
+wundervoll, dass es fuer sie so gut wie ein Schauspiel ist. Warum,
+glaubst du, sind die Frauen alle so begeistert?
+
+(Morell verletzt:) Candida!
+
+(Candida.) Oh, ich weiss. Du Ahnungsloser, du glaubst, dein
+Sozialismus und deine Religion machen es,--doch wenn's bloss das waere,
+dann wuerden sie tun, was du ihnen sagst, anstatt nur hinzugehen und
+dich anzustarren;--sie haben alle Prossis Leiden.
+
+(Morell.) Prossis Leiden? Was meinst du damit, Candida?
+
+(Candida.) Ja, Prossis und das all der anderen Sekretaerinnen, die du
+hattest. Warum, meinst du, laesst sich Prossi herbei, abzuwaschen,
+Kartoffeln zu schaelen und sich auf alle moegliche Art zu erniedrigen,
+da sie bei dir doch sechs Schillinge in der Woche weniger verdient,
+als sie in einem Bureau in der City bekaeme? Sie ist verliebt in dich,
+das ist der Grund,--sie sind alle in dich verliebt. Und du bist ins
+Predigen verliebt, weil du das so wundervoll kannst. Und du glaubst,
+es sei alles Enthusiasmus fuer das Himmelreich auf Erden--und sie
+glauben es auch--o du lieber Dummkopf, du!
+
+(Morell.) Candida, was ist das fuer ein schrecklicher, seelenmordender
+Zynismus? Scherzest du oder--ist es moeglich--bist du eifersuechtig?
+
+(Candida seltsam gedankenvoll:) Ja, manchmal bin ich etwas
+eifersuechtig.
+
+(Morell unglaeubig:) Auf Prossi?
+
+(Candida lachend:) Nein, nein, nein. Nicht eifersuechtig a u f
+jemanden. Eifersuechtig f ue r jemanden, der n i c h t so geliebt wird,
+wie er sollte.
+
+(Morell.) Bin ich das?
+
+(Candida.) Du? Nein. Du bist verwoehnt durch Liebe und Verehrung,
+mehr, als fuer dich gut ist.--Nein, ich meine Eugen.
+
+(Morell betroffen:) Eugen?
+
+(Candida.) Es scheint mir ungerecht, dass du alle Liebe besitzen sollst
+und er keine, obgleich er sie so viel noetiger hat als du. (Eine
+krampfhafte Bewegung schuettelt ihn gegen seinen Willen.) Was ist dir,
+quaele ich dich?
+
+(Morell rasch:) Durchaus nicht. (Er sieht sie mit unruhiger Spannung
+an.) Du weisst, dass ich dir blindlings vertraue, Candida.
+
+(Candida.) Du eitler Mann. Bist du deiner Unwiderstehlichkeit so
+sicher?
+
+(Morell.) Candida, du verletzest mich. Ich habe an
+Unwiderstehlichkeit nie gedacht. Deiner Froemmigkeit, deiner Reinheit
+vertraue ich.
+
+(Candida.) Was fuer haessliche, ungemuetliche Dinge du mir da sagst,--oh,
+du bist wirklich ein Pastor, Jakob, ein Pastor durch und durch!
+
+(Morell ins Herz getroffen, sich von ihr abwendend:) Das sagt Eugen
+auch.
+
+(Candida neigt sich mit lebhaftem Interesse zu ihm, die Arme auf
+seinen Knien:) Eugen hat immer recht. Er ist ein wundervoller Junge,
+ich habe ihn lieber und lieber gewonnen waehrend der ganzen Zeit, wo
+ich fort war. Weisst du, Jakob, dass er, obwohl er selbst nicht die
+leiseste Ahnung davon hat, im Begriff steht, sich wahnsinnig in mich
+zu verlieben?
+
+(Morell grimmig:) Oh, er selbst hat nicht die leiseste Ahnung davon,
+wirklich?
+
+(Candida.) Nicht die geringste. (Sie nimmt ihre Arme von seinen Knien
+und wendet sich gedankenvoll ab, wobei sie eine bequeme Stellung
+einnimmt, die Haende im Schoss.) Eines Tages wird er es wissen,--wenn er
+erwachsen und erfahren sein wird wie du--da wird er erkannt haben, dass
+ich es wissen musste!--Ich bin neugierig, was er dann von mir denken
+wird.
+
+(Morell.) Nichts Boeses, Candida. Ich hoffe und vertraue, nichts Boeses.
+
+(Candida zweifelnd:) Das wird davon abhaengen...
+
+(Morell erschreckt:) Abhaengen!
+
+(Candida ihn ansehend:) Ja, es wird davon abhaengen, was er bis dahin
+erleben wird. Er sieht sie verstaendnislos an. Begreifst du das
+nicht? Es haengt ganz davon ab, wie und durch wen ihm bewusst wird, was
+die Liebe eigentlich ist. Ich meine, es kommt auf die Frau an, die
+ihn die Liebe lehren wird.
+
+(Morell ganz verwirrt:) Nein,--ja,--ich weiss nicht, was du meinst.
+
+(Candida erklaerend:) Wenn eine gute Frau sie ihn lehrt, dann wird
+alles gut und schoen sein, dann wird er mir verzeihen.
+
+(Morell.) Verzeihen?!
+
+(Candida fortfahrend:) Aber gesetzt den Fall, dass eine schlechte Frau
+sie ihn lehrt, wie dies vielen Maennern, ganz besonders dichterisch
+veranlagten, geschieht, die alle Frauen fuer Engel halten,--gesetzt den
+Fall, sage ich, dass er den Wert der Liebe erst dann entdeckt, wenn er
+sie fortgeworfen und sich in seiner Unwissenheit selbst erniedrigt hat,
+--glaubst du, dass er mir dann auch verzeihen wird?
+
+(Morell.) Dir verzeihen? Weswegen?
+
+(Candida bemerkt, wie beschraenkt er ist, faehrt etwas enttaeuscht, aber
+sanft fort:) Verstehst du das nicht? (Er schuettelt den Kopf; sie
+wendet sich wieder zu ihm, um es ihm mit zartester Vertraulichkeit zu
+erklaeren.) Ich meine: wird er mir verzeihen, dass ich selbst ihn die
+Liebe nicht gelehrt, sondern ihn schlechten Frauen ueberlassen habe?
+meiner Froemmigkeit--meiner Reinheit wegen, wie du es nennst! Oh,
+Jakob, wie wenig du mich doch verstehst, dass du nur immer von deinem
+Vertrauen in meine Froemmigkeit und Reinheit sprichst. Ich wuerde sie
+beide dem armen Eugen so gerne geben, wie einem frierenden Bettler
+meinen Schal, wenn nichts anderes mich davon abhielte. Vertraue auf
+meine Liebe zu dir; denn wenn die nicht waere, aus deinen Predigten
+wuerde ich mir sehr wenig machen--das sind bloss leere Phrasen, mit
+denen du andere und dich selbst jeden Tag beluegst. (Sie ist im
+Begriff aufzustehen.)
+
+(Morell.) Seine Worte!
+
+(Candida schnell innehaltend, indem sie aufsteht:) Wessen Worte?
+
+(Morell.) Eugens!
+
+(Candida entzueckt:) Er hat immer recht. Er versteht dich, er versteht
+mich, er versteht Prossi; und du, Jakob, du verstehst nichts. (Sie
+lacht und kuesst ihn, um ihn zu troesten; er weicht wie gestochen zurueck
+und springt auf.)
+
+(Morell.) Wie kannst du mich kuessen, waehrend du--oh, Candida! (Mit
+Schmerz in der Stimme:) Ich haette vorgezogen, dass du mir einen
+Widerhaken ins Herz gestossen haettest, statt mir diesen Kuss zu geben.
+
+(Candida erhebt sich beunruhigt:) Mein Lieber, was ist denn mit dir?
+
+(Morell schuettelt sie wild ab:) Beruehre mich nicht!
+
+(Candida erstaunt:) Jakob! Sie werden durch den Eintritt Marchbanks'
+und Burgess' unterbrochen, der in der Naehe der Tuer stehen bleibt und
+sie anstarrt, waehrend Eugen sich zwischen sie nach vorwaerts draengt.
+
+(Marchbanks.) Ist etwas vorgefallen?
+
+(Morell totenbleich, mit eiserner Selbstbeherrschung:) Nichts, als dass
+entweder Sie heute morgen recht hatten, oder dass Candida verrueckt ist!
+
+(Burgess laut protestierend:) Was? Candy auch verrueckt? Das ist
+zuviel! (Er durchschreitet das Zimmer bis zum Kamin, protestiert
+waehrend des Gehens und klopft dort seine Pfeifenasche aus. Morell
+setzt sich verzweifelt nieder, lehnt sich nach vorne, um sein Gesicht
+zu verbergen, und verschlingt seine Finger krampfhaft, damit sie ruhig
+bleiben.)
+
+(Candida zu Morell, erleichtert und lachend:) Oh, du bist nur
+verletzt--ist das alles? Wie konventionell ihr unkonventionellen
+Leute doch alle seid!
+
+(Burgess.) Benimm dich anstaendig, Candy. Was wird Herr Marchbanks von
+dir denken?
+
+(Candida.) Das kommt davon, weil Jakob mir immer predigt, nur mir
+selbst Rechenschaft abzulegen und nie darauf zu achten, was andere
+Leute ueber mich denken koennten. Das ist ausserordentlich schoen und gut,
+solange ich derselben Meinung bin wie er. Aber jetzt--weil ich
+gerade etwas anderer Meinung war jetzt schau ihn dir an, schau nur!
+(Sie weist auf Morell, hoechst belustigt. Eugen beobachtet ihn und
+presst seine Hand heftig ans Herz, als wenn ihn irgendein Schmerz
+getroffen haette; er setzt sich auf das Sofa wie ein Mensch, der einer
+Tragoedie beiwohnt. Burgess auf dem Kaminteppich:) Sie hat recht,
+Jakob, Sie sehen wirklich nicht so wuerdig aus wie gewoehnlich.
+
+(Morell mit einem Lachen, das ein halbes Schluchzen ist:) Das kann
+schon sein, verzeiht mir alle,--ich wusste nicht, dass ich eine Stoerung
+verursache. (Sich zusammenraffend:) Es ist schon gut, schon gut,
+schon gut. (Er geht zurueck nach seinem Platz am Tisch und setzt sich,
+um an seinen Papieren wieder mit entschlossener Heiterkeit
+weiterzuarbeiten.)
+
+(Candida geht nach dem Sofa und setzt sich neben Marchbanks, noch in
+heiterster Stimmung:) Nun, Eugen, warum sind Sie traurig? Haben Sie
+vom Zwiebelschaelen geweint? (Morell kann sich nicht enthalten, sie zu
+beobachten.)
+
+(Marchbanks beiseite zu ihr:) Ihre Grausamkeit ist es, die mich
+traurig macht.--Ich hasse Grausamkeit. Es ist entsetzlich,
+mitanzusehen, wie ein Mensch einem andern weh tut.
+
+(Candida ihn streichelnd, ironisch:) Armer Junge, war ich grausam?
+Habe ich ihn kleine, rote, haessliche Zwiebel schaelen lassen?
+
+(Marchbanks ernst:) Oh, halten Sie ein, halten Sie ein: ich meine
+nicht mich! Er hat Ihretwegen furchtbar gelitten. Ich fuehle seinen
+Schmerz in meinem eigenen Herzen. Ich weiss, dass Sie nicht schuld
+daran sind,--es ist etwas geschehen, was geschehen musste; aber nehmen
+Sie es nicht so leicht. Mich schaudert, wenn Sie ihn quaelen und dabei
+lachen.
+
+(Candida unglaeubig:) Ich Jakob quaelen?! Unsinn, Eugen; wie Sie
+uebertreiben! Torheit! (Sie blickt hinueber zu Jakob, der seine
+Schreiberei hastig fortsetzt; sie gebt zu ihm und steht hinter seinem
+Stuhl, sich ueber ihn beugend.) Arbeite nicht laenger, mein Lieber, komm
+und plaudere mit uns.
+
+(Morell liebevoll, aber bitter:) Ach nein: ich kann nicht plaudern,
+ich kann nur predigen.
+
+(Candida ihn streichelnd:) Nun, dann komm und predige!
+
+(Burgess heftig widersprechend:) Ach nein, Candy! zum Henker mit dem
+Predigen! (Alexander Mill kommt herein und sieht aengstlich und
+wichtig aus.)
+
+(Mill beeilt sich, Candida zu begruessen:) Wie geht es Ihnen, Frau
+Morell? Wie freue ich mich, dass Sie wieder zurueck sind.
+
+(Candida.) Ich danke Ihnen, Herr Mill. Sie kennen Eugen, nicht wahr?
+
+(Mill.) O ja! Wie geht es Ihnen, Marchbanks?
+
+(Marchbanks.) Danke, gut!
+
+(Mill zu Morell:) Ich komme eben aus der Gilde von Sankt Matthaeus.
+Die Leute sind furchtbar bestuerzt ueber Ihr Telegramm. Es ist doch
+hoffentlich nichts geschehen?
+
+(Candida.) Was hast du denn telegraphiert, Jakob?
+
+(Mill zu Candida:) Es war vereinbart, dass er heute abend dort sprechen
+sollte, sie haben den grossen Saal in der Marestrasse gemietet und eine
+Menge Geld fuer Plakate ausgegeben. Der Herr Pastor telegraphierte nun,
+dass er nicht kommen koennte! Es traf sie wie ein Blitz aus heiterem
+Himmel.
+
+(Candida ueberrascht, beginnt zu wittern, dass etwas nicht in Ordnung
+ist:) Eine Gelegenheit, oeffentlich zu sprechen, hast du ausgeschlagen?
+
+(Burgess.) Zum erstenmal in seinem Leben, das moechte ich wetten;
+--nicht wahr, Candy?
+
+(Mill zu Morell:) Man hat beschlossen, Ihnen ein dringendes Telegramm
+zu schicken, mit der Bitte, Ihren Entschluss zu aendern. Haben Sie es
+erhalten?
+
+(Morell mit muehsam verhaltener Ungeduld:) Ja, ja, ich bekam es.
+
+(Mill.) Es war mit bezahlter Rueckantwort.
+
+(Morell.) Ja, ich weiss. Ich habe es beantwortet. Ich kann nicht
+kommen.
+
+(Candida.) Aber warum nicht, Jakob?
+
+(Morell beinahe heftig:) Weil ich nicht mag! Diese Leute vergessen,
+dass ich auch ein Mensch bin; sie halten mich fuer eine Redemaschine,
+die man jeden Abend zu seinem Vergnuegen aufziehen kann. Darf ich
+nicht auch einmal einen Abend zu Hause haben, mit meiner Frau und
+meinen Freunden? (Sie sind alle ueber diesen Ausbruch erstaunt mit
+Ausnahme von Eugen,--sein Ausdruck bleibt unveraendert.)
+
+(Candida.) Oh, Jakob, du weisst es selbst: morgen wirst du dann
+Gewissensbisse haben, und ich werde darunter leiden muessen.
+
+(Mill eingeschuechtert, aber dringend:) Ich weiss natuerlich, dass diese
+Menschen die unvernuenftigsten Anforderungen an Sie stellen; aber sie
+haben ueberallhin um einen anderen Redner telegraphiert und koennen
+niemanden mehr bekommen als den Praesidenten des Agnostikerbundes.
+
+(Morell rasch:) Nun, das ist ein ausgezeichneter Mann,--was wollen sie
+denn noch mehr?
+
+(Mill.) Aber er besteht immer so fest auf der Scheidung des
+Sozialismus vom Christentum. Er wird all das Gute, das wir gestiftet
+haben, zunichte machen,--natuerlich, Sie muessen ja am besten wissen,
+aber...
+
+(Er zoegert.)
+
+(Candida schmeichelnd:) O bitte, geh' doch hin, Jakob. Wir kommen
+alle mit.
+
+(Burgess brummend:) Schau, Candy, lass uns lieber gemuetlich zu Hause am
+Kamin sitzen. Er braucht ja nicht laenger als zwei Stunden
+wegzubleiben.
+
+(Candida.) Du wirst dich in der Versammlung genau so behaglich fuehlen.
+Wir werden alle auf dem Podium sitzen und wichtige Leute sein.
+
+(Marchbanks entsetzt:) Oh, bitte, nicht auf dem Podium; nein! Jeder
+wird uns anstarren,--das hielte ich nicht aus. Ich werde im
+Hintergrund des Saales bleiben.
+
+(Candida.) Fuerchten Sie sich nicht. Man wird viel zu sehr damit
+beschaeftigt sein, Jakob anzustarren als dass man Sie bemerkte.
+
+(Morell wendet den Kopf und sieht Candida vielsagend ueber die Schulter
+an:) Prossis Leiden, Candida,--nicht?
+
+(Candida lustig:) Jawohl.
+
+(Burgess neugierig:) Prossis Leiden? Was reden Sie da, Jakob?
+
+(Morell beachtet ihn nicht, erhebt sich, geht nach der Tuer, oeffnet und
+ruft in befehlendem Ton hinaus:) Fraeulein Garnett!
+
+(Proserpina aus der Entfernung:) Ja, Herr Pastor, ich komme schon.
+(Sie warten alle mit Ausnahme von Burgess, der verstohlen zu Mill geht
+und ihn beiseite zieht.)
+
+(Burgess.) Hoeren Sie, Herr Mill: worin besteht Prossis Leiden? Was
+fehlt ihr?
+
+(Mill vertraulich:) Ja, ich weiss es nicht genau; aber sie sprach recht
+seltsame Dinge heute frueh;--ich fuerchte, es ist manchmal nicht ganz
+richtig mit ihr.
+
+(Burgess ueberwaeltigt:) Nein,--vier in demselben Haus! Es muss
+ansteckend sein. (Er geht zurueck an den Kamin, ganz in Gedanken
+versunken ueber die Veraenderlichkeit des menschlichen Verstandes in der
+Umgebung eines Geistlichen.)
+
+(Proserpina erscheint auf der Schwelle:) Was wuenschen Sie, Herr Pastor?
+
+(Morell.) Telegraphieren Sie nach der Gilde von Sankt Matthaeus, dass
+ich kommen werde.
+
+(Proserpina ueberrascht:) Werden Sie denn nicht erwartet?
+
+(Morell gebieterisch:) Tun Sie, wie ich Ihnen gesagt habe.
+(Proserpina setzt sich erschrocken an die Schreibmaschine und gehorcht.)
+
+(Morell geht hinueber zu Burgess. Candida beobachtet seine Bewegungen
+die ganze Zeit ueber mit wachsender Verwunderung und Besorgnis.)
+Burgess, Sie moechten lieber nicht mitkommen?
+
+(Burgess sich entschuldigend:) Oh, so duerfen Sie das nicht
+auffassen--ich meine nur, wissen Sie--weil heute nicht Sonntag ist.
+
+(Morell.) Das ist schade, ich dachte, Sie wuerden gerne mit dem
+Vorsitzenden bekannt werden. Er ist im Provinzialarbeitsausschuss und
+hat einigen Einfluss bei Abschluessen von Lieferungen. (Burgess wird
+mit einem Male lebendig; Morell, der das erwartet hat, haelt einen
+Augenblick inne und sagt:) Sie wollen also doch mitkommen?
+
+(Burgess mit Enthusiasmus:) Das will ich meinen,--ob ich mitkomme,
+Jakob! Es ist ja stets ein Genuss, Sie predigen zu hoeren!
+
+(Morell wendet sich zu Proserpina:) Ich werde Sie noetig haben, damit
+Sie in der Versammlung einige Notizen machen koennen, Fraeulein Garnett,
+falls Sie nicht schon vergeben sind. (Sie nickt, aus Angst, sprechen
+zu muessen.) Sie kommen doch auch mit, Lexi?
+
+(Mill.) Selbstverstaendlich.
+
+(Candida.) Wir kommen alle mit, Jakob.
+
+(Morell.) Nein! Du kommst nicht mit, und Eugen kommt nicht mit. Du
+wirst zu Hause bleiben und dich mit ihm unterhalten, zur Feier deiner
+Rueckkehr. (Eugen erhebt sich atemlos.)
+
+(Candida.) Aber Jakob--
+
+(Morell gebieterisch:) Ich bestehe darauf; Ihr habt beide keine Lust
+zu kommen, weder er, noch du! (Candida will sich dagegen verwahren.)
+Oh, denkt nicht an mich, ich werde auch ohne euch eine Menge Menschen
+um mich versammelt sehen. Eure Stuehle werden von unbekehrten Leuten
+besetzt sein, die mich noch nie gehoert haben.
+
+(Candida beunruhigt:) Eugen, moechten Sie nicht hingehen?
+
+(Morell.) Ich wuerde mich fuerchten, mich vor Eugen hoeren zu lassen; er
+ist Predigten gegenueber sehr kritisch. (Sieht ihn an.) Er weiss, dass
+ich mich vor ihm fuerchte, er hat mir's heute frueh selbst gesagt. Nun
+will ich ihm zeigen, wie sehr ich mich fuerchte, indem ich ihn hier
+allein in deiner Hut lasse, Candida.
+
+(Marchbanks zu sich selbst, mit lebhaftem Gefuehl:) Das ist tapfer; das
+ist schoen. (Er setzt sich wieder und hoert mit geoeffneten Lippen zu.)
+
+(Candida mit aengstlicher Beunruhigung:) Aber, aber--Ist irgend etwas
+geschehen, Jakob? (Sehr verwirrt:) Ich kann dich nicht begreifen.
+
+(Morell.) Ah, ich dachte, ich sei es, der nichts begreifen kann, meine
+Liebe. (Er schliesst sie zaertlich in die Arme und kuesst sie auf die
+Stirn, dann blickt er ruhig auf Marchbanks.)
+
+(Vorhang)
+
+
+
+
+DRITTER AKT
+
+(Es ist nach zehn Uhr abends; die Vorhaenge sind zugezogen und die
+Lampe brennt. Die Schreibmaschine steht in ihrem Kasten. Der breite
+Tisch ist geordnet worden; alles zeugt davon, dass das Tagewerk
+vollbracht ist. Candida und Marchbanks sitzen am Feuer; die Leselampe
+steht auf dem Kaminsims ueber Marchbanks, der in dem kleinen Stuhl
+sitzt und laut liest. Auf dem Teppich neben ihm liegt ein kleiner
+Haufen von Manuskripten und ein paar Baende Gedichte. Candida sitzt im
+grossen Stuhl und haelt einen leichten Schuerhaken aus Messing aufrecht
+in der Hand; sie sitzt zurueckgelehnt und sieht versonnen auf die
+funkelnde Messingspitze. Sie hat die Fuesse gegen das Feuer hin
+ausgestreckt und laesst ihre Fersen auf dem Kamingitter ruhen, sich
+ihrer Erscheinung und ihrer Umgebung tief unbewusst.)
+
+(Marchbanks seine Vorlesung unterbrechend:) Jeder Dichter, der je
+gelebt hat, hat aus diesem Gedanken ein Sonett gemacht. Er muss es, ob
+er will oder nicht. (Er sieht Candida an, ob sie ihm zustimmt, und
+bemerkt, dass sie auf den Schuerhaken starrt.) Haben Sie nicht zugehoert?
+(Keine Antwort:) Frau Morell!
+
+(Candida auffahrend.) Wie!?
+
+(Marchbanks.) Haben Sie nicht zugehoert?
+
+(Candida schuldbewusst, mit uebertriebener Hoeflichkeit:) O ja. Es ist
+sehr huebsch. Fahren Sie fort, Eugen. Ich bin begierig, zu hoeren, was
+dem Engel passiert ist.
+
+(Marchbanks laesst das Manuskript aus der Hand auf den Boden fallen:)
+Verzeihen Sie, dass ich Sie langweile!
+
+(Candida.) Aber Sie langweilen mich durchaus nicht, wirklich nicht.
+Bitte, fahren Sie fort--bitte, Eugen.
+
+(Marchbanks.) Ich habe das Gedicht ueber den Engel vor einer
+Viertelstunde beendet. Ich habe Ihnen seitdem schon verschiedenes
+vorgelesen.
+
+(Candida reuevoll:) Das tut mir wirklich leid, Eugen. Mir scheint,
+der Schuerhaken hat mich behext. (Sie legt ihn nieder.)
+
+(Marchbanks.) Er hat mich fuerchterlich gestoert.
+
+(Candida.) Warum haben Sie mir das nicht gesagt? Ich haette ihn sofort
+weggelegt.
+
+(Marchbanks.) Ich fuerchtete, Sie auch zu stoeren; er glich einer Waffe.
+Wenn ich ein Held aus alten Tagen waere, wuerde ich mein gezogenes
+Schwert zwischen uns gelegt haben. Wenn Morell gekommen waere, haette
+er geglaubt, dass Sie den Schuerhaken ergriffen haben, weil kein Schwert
+zwischen uns liegt.
+
+(Candida verwundert:) Was? (Sie sieht ihn mit verwirrten Blicken an:)
+Das kann ich nicht recht verstehen. Ihre Sonette haben mich so sehr
+verwirrt! Warum sollte ein Schwert zwischen uns sein?
+
+(Marchbanks ausweichend:) Oh, lassen wir das. (Er bueckt sich, das
+Manuskript aufzuheben.)
+
+(Candida.) Legen Sie das wieder hin, Eugen. Mein Hunger nach Poesie
+hat Grenzen, selbst nach Ihrer Poesie. Sie haben mir laenger als zwei
+Stunden vorgelesen--seit mein Mann fort ist--, ich moechte lieber
+plaudern.
+
+(Marchbanks erhebt sich, furchtsam:) Nein, ich darf nicht reden. (Er
+sieht in seiner verlorenen Weise um sich und fuegt ploetzlich hinzu:)
+Ich glaube, ich mache einen Spaziergang im Park. (Er will nach der
+Tuer.)
+
+(Candida.) Unsinn! er ist laengst geschlossen. Setzen Sie sich auf den
+Kaminteppich und plaudern wir, wie Sie es gewoehnlich tun! Ich will
+unterhalten werden,--wollen Sie nicht?
+
+(Marchbanks halb entsetzt, halb hingerissen:) Ja.
+
+(Candida.) Dann kommen Sie her. (Sie rueckt ihren Stuhl etwas zurueck,
+um Platz zu machen; er zoegert, dann kauert er sich schuechtern hin vor
+den Kamin, das Gesicht nach oben gekehrt, wirft seinen Kopf zurueck auf
+ihre Knie und sieht zu ihr empor.)
+
+(Marchbanks.) Oh, ich habe mich den ganzen Tag so ungluecklich gefuehlt,
+weil ich getan habe, was recht war; und nun, wo ich unrecht tue, bin
+ich so gluecklich.
+
+(Candida zart, belustigt ueber ihn:) Ja; ich bin ueberzeugt, nun fuehlen
+Sie sich wie ein grosser, erwachsener, boeser Verfuehrer--ganz stolz auf
+sich, nicht wahr?
+
+(Marchbanks erhebt seinen Kopf rasch und wendet sich ein wenig, um sie
+anzublicken:) Nehmen Sie sich in acht. Ich bin sogar um vieles
+aelter als Sie, Sie wissen es nur nicht. (Er wendet sich auf seinen
+Knien ganz herum; mit gefalteten Haenden und die Arme in ihrem Schoss,
+spricht er mit wachsender Erregung--sein Blut faengt an zu wallen:)
+Darf ich Ihnen ein paar schlimme Dinge sagen?
+
+(Candida ohne die leiseste Angst oder Kaelte und mit vollkommener
+Achtung vor seiner Leidenschaft, aber mit einem Schimmer ihres
+klugkerzigen muetterlichen Humors:) Nein. Aber Sie duerfen alles
+sagen, was Sie wirklich und wahrhaftig fuehlen, was es auch sei, alles!
+Ich fuerchte mich nicht, solange Ihr wirkliches "Selbst" zu mir
+spricht und nicht eine blosse Pose--eine galante oder eine gottlose,
+oder selbst eine dichterische Pose. Das verlange ich von Ihnen, bei
+Ihrer Ehre und Wahrhaftigkeit!--Nun sagen Sie, was Sie wollen.
+
+(Marchbanks der heisse Ausdruck verschwindet vollkommen von seinen
+Lippen und Nasenfluegeln, seine Augen flammen auf in begeistertem Feuer.)
+Oh, jetzt kann ich nicht mehr alles sagen; denn alle Worte, die ich
+weiss, gehoeren mehr oder weniger irgendeiner Pose an, alle--bis auf
+eines.
+
+(Candida.) Welches Wort ist das?
+
+(Marchbanks sanft, sich dem melodischen Klang des Namens hingebend:)
+"Candida, Candida, Candida, Candida, Candida"--das muss ich jetzt sagen,
+da Sie mich bei meiner Ehre und Wahrhaftigkeit fragen, denn ich denke
+und fuehle niemals "Frau Morell", immer nur "Candida".
+
+(Candida.) Selbstverstaendlich! Und was haben Sie Candida zu sagen?
+
+(Marchbanks.) Nichts als Ihren Namen tausendmal zu wiederholen.
+Fuehlen Sie nicht, dass es jedesmal ein Gebet zu Ihnen ist?
+
+(Candida.) Macht es Sie nicht gluecklich, dass Sie beten koennen?
+
+(Marchbanks.) Ja, sehr gluecklich.
+
+(Candida.) Nun, dieses Glueck ist die Antwort auf Ihr Gebet.--Wuenschen
+Sie sich etwas Besseres?
+
+(Marchbanks selig:) Nein, ich bin im Himmel, wo man wunschlos ist.
+(Morell tritt ein; er bleibt an der Schwelle stehen und ueberschaut mit
+einem Blick die ganze Szene.)
+
+(Morell ernst und mit Selbstbeherrschung:) Hoffentlich stoere ich nicht.
+(Candida faehrt heftig auf, aber ohne die leiseste Verlegenheit. Sie
+lacht ueber sich selbst. Eugen, noch auf den Knien, schuetzt sieh vor
+dem Fallen dadurch, dass er seine Haende auf den Stuhlsitz legt; Morell
+mit offenem Munde anstarrend, bleibt er in dieser Stellung.)
+
+(Candida im Aufstehen:) Oh, Jakob, wie du mich erschreckt hast; ich
+war so mit Eugen beschaeftigt, dass ich deinen Schluessel nicht gehoert
+habe. Wie ist die Versammlung verlaufen? Hast du gut gesprochen?
+
+(Morell.) Ich habe in meinem ganzen Leben nicht besser gesprochen.
+
+(Candida.) Das ist ausgezeichnet! Wieviel ist eingegangen?
+
+(Morell.) Ich vergass zu fragen.
+
+(Candida zu Eugen:) Er muss wundervoll gesprochen haben oder er haette
+das nicht vergessen. (Zu Morell:) Wo sind die andern?
+
+(Morell.) Sie verliessen den Saal lange ehe ich fortkommen konnte; ich
+glaube, sie essen irgendwo zur Nacht.
+
+(Candida in ihrer hausmuetterlichen Art:) Oh, dann kann Marie zu Bette
+gehn; ich will es ihr sagen. (Sie geht hinaus in die Kueche.)
+
+(Morell blickt strenge auf Marchbanks nieder:) Nun?
+
+(Marchbanks laesst sich mit gekreuzten Beinen auf den Kaminteppich
+nieder und fuehlt sich Morell gegenueber ganz sicher, sogar voll
+verschmitzten Humors:) Nun?
+
+(Morell.) Haben Sie mir etwas zu sagen?
+
+(Marchbanks.) Nur, dass ich mich hier heimlich zum Narren gemacht habe,
+waehrend Sie oeffentlich dasselbe getan haben.
+
+(Morell.) Ich glaube, kaum auf dieselbe Art.
+
+(Marchbanks springt auf, eifrig:) Ganz genau auf dieselbe Art. Ich
+habe eben ganz so wie Sie den braven Mann gespielt! ganz so wie Sie.
+Als Sie Ihr Heldentum, mich hier mit Candida allein zu lassen,
+begannen--
+
+(Morell unwillkuerlich:) Candida?
+
+(Marchbanks.) Ja, so weit bin ich schon. Heldentum ist ansteckend,
+ich bekam die Krankheit von Ihnen und habe mir geschworen, Candida in
+Ihrer Abwesenheit nichts zu sagen, was ich nicht schon vor einem Monat
+in Ihrer Gegenwart gesagt haette.
+
+(Morell.) Und haben Sie dieses Geluebde gehalten?
+
+(Marchbanks setzt sich ploetzlich in grotesker Weise in den Lehnstuhl:)
+Ich bin bis vor etwa zehn Minuten dumm genug gewesen, es zu halten.
+Bis dahin habe ich ihr verzweifelt vorgelesen, meine eigenen
+Gedichte--und andere--um einer Unterhaltung auszuweichen. Ich sah
+das Himmelstor offen und weigerte mich, einzutreten.... Sie koennen
+sich nicht vorstellen, wie heldenhaft das war und wie ungemuetlich....
+Dann--
+
+(Morell seine Ungeduld bezaehmend:) Dann?
+
+(Marchbanks geht prosaisch in eine ganz gewoehnliche Stellung im
+Lehnstuhl ueber:) Dann konnte sie das Vorlesen nicht mehr vertragen.
+
+(Morell.) Und da haben Sie sich dem Himmelstor schliesslich genaehert?
+
+(Marchbanks.) Ja.
+
+(Morell.) Und dann? (Wild:) Sprechen Sie, Mensch! Haben Sie denn
+kein Gefuehl fuer mich!
+
+(Marchbanks sanft und melodisch:) Dann wurde sie ein Engel, und ein
+Flammenschwert erschien, das mir jeden Zugang versperrte, so dass ich
+nicht eintreten konnte und nun begriff, dass dieses Tor in Wahrheit das
+Tor der Hoelle war.
+
+(Morell triumphierend:) Sie hat Sie zurueckgestossen!
+
+(Marchbanks erhebt sich mit grimmigem Hohn:) Nein, Sie Narr! Wenn sie
+das getan haette, wuerde ich gar nicht gefuehlt haben, dass ich schon im
+Himmel war. Mich zurueckgestossen... glauben Sie, dass mich das gerettet
+haette?--Tugendhafte Entruestung! Oh, Sie sind nicht wert, in einer
+Welt mit ihr zu leben. (Er wendet sich verachtungsvoll von ihm ab
+nach der anderen Seite des Zimmers.)
+
+(Morell der ihn ruhig beobachtet hat, ohne seinen Platz zu wechseln:)
+Glauben Sie, dass Sie dadurch an Wert gewinnen, wenn Sie mich
+beschimpfen, Eugen?
+
+(Marchbanks.) Hier endet der tausendunderste Text. Morell: ich halte
+doch nicht viel von Ihrem Predigen. Ich glaube sogar, ich selbst
+koennte das besser. Der Mann, den ich jetzt vor mir haben moechte, ist
+der Mann, den Candida geheiratet hat.
+
+(Morell.) Der Mann, den... meinen Sie mich?
+
+(Marchbanks.) Ich meine nicht Hochwuerden Jakob Mavor Morell, Moralist
+und Schwaetzer. Ich meine den wirklichen Menschen, den Hochwuerden
+Jakob irgendwo in seiner schwarzen Kutte versteckt haben muss, den Mann,
+den Candida geliebt hat. Sie koennen die Liebe einer Frau wie Candida
+nicht dadurch erreicht haben, dass Sie bloss Ihren Kragen hinten statt
+vorne knoepfen.
+
+(Morell kuehn und standhaft:) Als Candida einwilligte, mich zu heiraten,
+da war ich derselbe Moralist und Schwaetzer, den Sie jetzt vor sich
+sehen. Ich trug meinen schwarzen Rock, und meinen Kragen knoepfte ich
+hinten statt vorne. Glauben Sie, dass sie mich mehr geliebt haette,
+wenn ich unaufrichtig in meinem Beruf gewesen waere?
+
+(Marchbanks auf dem Sofa, seine Knoechel umfassend:) Oh, sie hat Ihnen
+vergeben, so wie sie mir vergibt, dass ich ein Feigling bin und ein
+Schwaechling, und was Sie einen kleinen winselnden Hund--und so
+weiter--nennen. (Vertraeumt:) Eine Frau wie diese hat goettlichen
+Einblick: sie liebt unsere Seele und nicht unsere Narrheiten und
+Eitelkeiten und Illusionen, oder unsere Kragen und Roecke, oder die
+andern Fetzen und Lappen, in die wir gehuellt sind. (Er denkt darueber
+einen Augenblick nach, dann wendet er sich mit gespannter Erwartung um,
+Morell zu befragen:) Was ich wissen moechte, ist, wie Sie an dem
+Flammenschwerte, das mich zurueckgeschreckt hat, vorbeigekommen sind!
+
+(Morell bedeutungsvoll:) Vielleicht weil ich nicht nach zehn Minuten
+unterbrochen wurde.
+
+(Marchbanks verbluefft:) Was?
+
+(Morell.) Der Mensch kann auf die hoechsten Gipfel steigen; aber er
+kann nicht lange dort verweilen.
+
+(Marchbanks.) Das ist falsch. Dort kann er ewig verweilen! nur dort!
+Anderswo findet er keine Ruhe und hat keinen Sinn fuer die stille
+Schoenheit des Lebens. Wo sollte ich meine seligsten Minuten verleben,
+wenn nicht auf den Hoehen?
+
+(Morell.) In der Kueche, Zwiebeln schneidend und Lampen fuellend.
+
+(Marchbanks.) Oder auf der Kanzel, Seelen scheuernd die aus billigem
+Ton sind.
+
+(Morell.) Ja, das auch! Dort habe ich meinen goldenen Augenblick
+geerntet und mit ihm das Recht, um Candidas Liebe zu werben. Ich habe
+mir diese Stunde nicht erborgt, noch habe ich sie benuetzt, um das
+Glueck eines andern zu stehlen.
+
+(Marchbanks schreitet ziemlich angewidert dem Kamin zu:) Ich zweifle
+nicht daran, dass Sie Ihre Verrichtungen so ehrenhaft erfuellt haben,
+als ob Sie ein Pfund Kaese abgewogen haetten. (Er haelt vor dem Kamin
+inne und fuegt nachdenklich zu sich selbst, Morell den Ruecken kehrend,
+hinzu:) Ich konnte zu ihr nur als Bettler kommen.
+
+(Morell auffabrend:) Als ein frierender Bettler, der sie um ihren
+Schal bat, nicht wahr?
+
+(Marchbanks wendet sich ueberrascht um:) Ich danke Ihnen, dass Sie sich
+auf mein Gedicht beziehen. Ja, wenn Sie wollen: als ein frierender
+Bettler, der sie um ihren Schal bat.
+
+(Morell erregt:) Und sie verweigerte ihn. Soll ich Ihnen sagen, warum
+sie ihn verweigert hat? Ich kann es Ihnen sagen, mit ihrer eigenen
+Erlaubnis: weil...
+
+(Marchbanks.) Sie hat ihn nicht verweigert!
+
+(Morell.) Nicht?
+
+(Marchbanks.) Sie bot mir alles, worum ich bat: ihren Schal, ihre
+Fluegel, den Sternenkranz aus ihrem Haar, die Lilien in ihrer Hand, den
+aufgehenden Mond zu ihren Fuessen.
+
+(Morell ihn anpackend:) Heraus mit der Wahrheit, Mensch! Meine Frau
+ist meine Frau: ich habe genug von Ihrem poetischen Flitterkram,--ich
+weiss ganz gut, dass kein Gesetz Candida an mich binden wuerde, wenn ich
+ihre Liebe an Sie verloren haette!
+
+(Marchbanks bizarr, ohne Furcht oder Widerstand:) Packen Sie mich nur
+beim Kragen: sie wird ihn dann wieder in Ordnung bringen wie heute
+morgen. (Mit stiller Begeisterung:) Ich werde wieder die Beruehrung
+ihrer Haende fuehlen.
+
+(Morell:) Sie junger Fant, fuehlen Sie nicht, wie gefaehrlich es ist,
+mir das zu sagen! Oder (mit ploetzilicher Befuerchtung:) hat Sie irgend
+etwas kuehn gemacht?
+
+(Marchbanks.) Ich fuerchte mich jetzt nicht mehr! Ich habe Sie bisher
+nie leiden moegen, deshalb bin ich bei Ihren Beruehrung zusammengezuckt.
+Aber heute erkannte ich--als Candida Sie quaelites--dass Sie sie lieben.
+Seitdem bin ich Ihr Freund! Jetzt koennen sie mich erwuergen, wenn
+Sie wollen!
+
+(Morell ihn loslassend:) Eugen, wenn das keine herzlose Luege ist--wenn
+Sie noch einen Funken menschlichen Fuehlens haben--so werden Sie mir
+sagen, was im meiner Abwesenheit vergefallen ist!
+
+(Marchbanks:) Was vorgefallen ist? Nun, das Flamenmenschwere...
+(Morell stampft ungeduldig mit dem Fusse;),--also im ganz einfacher
+Prosa: ich liebte sie so unendlich, dass ich nichts weiter wuenschte als
+das Glueck, so lieben zu fuer ich und bevor ich--Zote fang vom hoechsten
+Grafen der Gefuer herunterzutaumente--traten Sie ein.
+
+(Morell (scowen leidend:)) Leidenschaftlichem immer nicht erduldig--
+immer bleibt ihr noch die ehblines Zweifzig.
+
+(Marchbanks.) Quall und wuensche jetzt nichts mehr als Candidas
+Glueck. (Mit leidenschaftlichem Gefuehl:) Oh, Morell, geben wir sie
+beide auf! Warum soll sie waehlen muessen zwischen einem elenden,
+nervoesen kleinen Kranken, wie ich es bin, und einem starrkoepfigen
+Pfarrer wie Sie? Gehen wir auf Pilgerschaft, Sie nach Osten und ich
+nach Westen, auf der Suche nach einem wuerdigeren Liebhaber, einem
+schoenen Erzengel mit purpurnen Fluegeln.
+
+(Morell.) Papperlapapp, dummes Zeug! Oh, wenn sie verrueckt genug waere,
+mich Ihretwegen zu verlassen, wer sollte sie beschuetzen, wer sollte
+ihr helfen, wer sollte fuer sie arbeiten, wer ihren Kindern ein Vater
+sein! (Er setzt sich verstoert auf das Sofa, seine Ellbogen auf die
+Knie gestuetzt und den Kopf zwischen den geballten Faeusten.)
+
+(Marchbanks schnappt wild mit den Fingern:) Sie stellt nicht solche
+toerichte Fragen: sie braucht jemanden, den sie schuetzen und behueten,
+fuer den sie arbeiten kann, jemanden, der ihr Kinder anvertraut, um sie
+zu beschuetzen, ihnen zu helfen und fuer sie zu arbeiten, einen
+erwachsenen Menschen, der wieder wie ein kleines Kind geworden ist.
+Oh, Sie Narr, Sie Narr, Sie dreifacher Narr! Ich bin der Mann, Morell,
+ich bin der Mann! (Er tanzt aufgeregt herum und schreit:) Sie
+verstehen nicht, was eine Frau ist,--schicken Sie nach ihr, Morell,
+schicken Sie nach ihr und lassen Sie sie waehlen zwischen--(Die Tuer
+oeffnet sich und Candida tritt ein; er haelt wie versteinert inne.)
+
+(Candida erstaunt an der Schwelle:) Was um alles in der Welt machen
+Sie da, Eugen?
+
+(Marchbanks drollig:) Ihr Mann und ich haben ein Wettpredigen
+veranstaltet, und er verliert dabei. (Candida sieht rasch nach Morell,
+und als sie bemerkt, dass er traurig ist, eilt sie hin zu ihm und
+spricht sehr aergerlich mit heftigem Vorwurf zu Marchbanks.)
+
+(Candida.) Sie haben ihn geaergert. Nein, das dulde ich nicht, Eugen,
+hoeren Sie! (Sie legt ihre Hand auf Morells Schulter und vergisst in
+ihrem Aerger ganz ihren weiblichen Takt:) Mein Liebling soll nicht
+geaergert werden, ich werde ihn beschuetzen.
+
+(Morell sich stolz erhebend:) Beschuetzen?
+
+(Candida nicht auf ihn achtend, zu Eugen:) Was haben Sie ihm gesagt?
+
+(Marchbanks erschreckt:) Nichts. Ich--
+
+(Candida.) Eugen, nichts?
+
+(Marchbanks jaemmerlich:) Ich meine--ich--es tut mir sehr leid, ich
+werde es nicht wieder tun, gewiss nicht, ich werde ihn in Ruhe lassen.
+
+(Morell empoert mit einer angreifenden Bewegung gegen Eugen:) Mich in
+Ruhe lassen! Sie junger--
+
+(Candida ihm ins Wort fallend:) Sch, nicht doch! lass mich mit ihm
+reden, Jakob.
+
+(Marchbanks.) Oh, Sie sind mir doch nicht boese?
+
+(Candida strenge:) O ja, ich bin--sehr boese. Ich haette nicht uebel
+Lust, Sie aus dem Hause zu jagen.
+
+(Morell von Candidas Heftigkeit ueberrascht und durchaus nicht willens,
+sich vor einem andern Mann durch sie retten zu lassen:) Sachte,
+Candida, sachte. Ich kann mich schon selbst beschuetzen.
+
+(Candida ihn streichelnd:) Ja, Lieber, natuerlich kannst du das. Aber
+man darf dich nicht aergern und quaelen.
+
+(Marchbanks beinahe in Traenen, sich nach der Tuere wendend:) Ich will
+gehen.
+
+(Candida.) Oh, Sie brauchen nicht zu gehen, so spaet kann ich Sie nicht
+fortschicken. (Heftig:) Aber schaemen Sie sich, schaemen Sie sich!
+
+(Marchbanks verzweifelt:) Was habe ich denn getan?
+
+(Candida.) Ich weiss, was Sie getan haben, so genau, als ob ich die
+ganze Zeit hier gewesen waere.--Oh, es war unwuerdig. Sie sind wie ein
+kleines Kind, Sie koennen Ihren Mund nicht halten.
+
+(Marchbanks.) Ich wuerde lieber zehnfachen Tod erleiden, als Ihnen
+einen Augenblick Kummer bereiten.
+
+(Candida mit groesster Geringschaetzung gegen diese Kinderei:) Ihr Tod
+wuerde mir viel nuetzen!
+
+(Morell.) Liebste Candida, dieser Wortwechsel ist kaum am Platz. Es
+handelt sich um eine Angelegenheit zwischen zwei Maennern, und ich bin
+dazu da, sie beizulegen.
+
+(Candida.) Zwei Maenner? Nennst du das einen Mann? (Zu Eugen:) Sie
+schlimmer junge, Sie!
+
+(Marchbanks wird wunderlich liebevoll und mutig, da er ausgezankt
+wird:) Wenn ich mich auszanken lassen soll wie ein kleiner Junge, muss
+ich mich auch wie ein kleiner Junge verteidigen duerfen. Er hat
+angefangen und er ist groesser als ich.
+
+(Candida verliert ein wenig ihre Sicherheit, da sie Morells Wuerde
+bedroht sieht:) Das kann nicht wahr sein. (Zu Morell:) Du hast doch
+nicht angefangen, Jakob, nicht wahr, nein?
+
+(Morell verachtungsvoll:) Nein.
+
+(Marchbanks entruestet:) Oh!
+
+(Morell zu Eugen:) Sie haben angefangen,--heute frueh. (Candida bringt
+dies sofort in Zusammenhang mit der geheimnisvollen Bemerkung, die
+Jakob nachmittag machte, als er ihr sagte, dass ihm Eugen am Morgen
+etwas mitgeteilt habe. Sie sieht ihn mit raschem Verdachte forschend
+an. Morell faehrt fort mit dem Pathos der beleidigten Ueberlegenheit:)
+Aber Ihre andere Bemerkung ist richtig. Ich bin gewiss der Groessere von
+uns beiden und, wie ich hoffe, Candida, auch der Staerkere! Es waere
+daher besser, du ueberliessest die Sache mir.
+
+(Candida ihn wieder besaenftigend:) Ja, Lieber--aber (verwirrt:) ich
+verstehe das nicht wegen heute morgen.
+
+(Morell ein wenig auffahrend:) Das brauchst du auch nicht zu verstehen,
+meine Liebe.
+
+(Candida.) Aber, Jakob, ich--(Die Hausglocke laeutet:) Oh, wie dumm.
+Da kommen sie alle! (Sie geht hinaus, sie einzulassen.)
+
+(Marchbanks laeuft zu Morell:) Oh, Morell, ist das nicht schrecklich?
+Sie ist boese auf uns, sie hasst mich,--was soll ich tun?
+
+(Morell in seltsamer Verzweiflung, sich in die Haare fahrend:) Eugen,
+es dreht sich mir alles im Kopf, ich werde gleich zu lachen anfangen.
+(Er geht in der Mitte des Zimmers auf und ab.)
+
+(Marchbanks folgt ihm aengstlich:) Nein, nein! Dann wird sie glauben,
+ich haette Sie hysterisch gemacht. Lachen Sie nicht! (Man hoert
+heftiges Stimmengewirr und Gelaechter, das immer naeher kommt.
+Alexander Mill, dessen glaenzende Augen und dessen ganzes Benehmen eine
+ungewohnte angeregte Stimmung verraten, tritt mit Burgess ein, der
+einen schmierigen und selbstgefaelligen Eindruck macht, aber
+vollstaendig Herr seiner Sinne ist. Fraeulein Garnett folgt ihm mit
+ihrem schoensten Hut und ihrer besten Jacke, aber obwohl ihre Augen
+glaenzender sind als frueher, ist sie sichtlich in besorgter Stimmung.
+Sie stellt sich mit dem Ruecken gegen ihren Schreibmaschinentisch, mit
+einer Hand sich darauf stuetzend, mit der anderen sich ueber die Stirne
+fahrend, als ob sie etwas muede und schwindlig waere. Marchbanks
+verfaellt wieder in Schuechternheit und schleicht weg in die Naehe des
+Fensters, wo Morells Buecher sind.)
+
+(Mill begeistert:) Herr Pastor, ich *muss* Ihnen gratulieren, (seine
+Hand fassend:)--was fuer eine edle, herrliche, von Gott eingehauchte
+Ansprache Sie gehalten haben! Sie haben sich selbst uebertroffen.
+
+(Burgess.) Ja, das haben Sie, Jakob. Ich bin bis zum letzten Worte
+wach geblieben,--nicht wahr, Fraeulein Garnett?
+
+(Proserpina ungeduldig:) Oh, ich habe Sie nicht beachtet, ich habe
+mich bemueht, Notizen zu machen. (Sie nimmt ihre Notizen heraus,
+blickt auf ihr Stenogramm und faengt beinahe zu weinen an.)
+
+(Morell.) Habe ich zu schnell gesprochen, Prossi?
+
+(Proserpina.) Viel zu schnell.--Sie wissen, ich kann nicht mehr als
+neunzig Worte in der Minute schreiben. (Sie macht ihren Gefuehlen Luft,
+indem sie ihr Notizbuch aergerlich neben die Maschine wirft, wo sie es
+am naechsten Morgen bereit haben will.)
+
+(Morell besaenftigend:) Nun, nun, das macht ja nichts. Habt ihr alle
+schon zur Nacht gegessen?
+
+(Mill.) Herr Burgess war so liebenswuerdig, uns in's Belgrave
+Restaurant zu einem geradezu glaenzenden Abendessen einzuladen.
+
+(Burgess mit ueberschwenglicher Grossmut:) O bitte, bitte, Herr Mill.
+(Bescheiden:) Sie waren mir bei meinem bescheidenen Feste herzlich
+willkommen.
+
+(Proserpina.) Wir haben Champagner getrunken! Ich hatte noch niemals
+welchen gekostet. Ich bin ganz schwindlig.
+
+(Morell ueberrascht:) Ein Champagnersouper! Das war sehr huebsch von
+Ihnen. Ist meine Beredsamkeit schuld an dieser Verschwendung?
+
+(Mill mit Pathos:) Ihre Beredsamkeit und Herrn Burgess' Herzensguete.
+(Mit erneutem Gefuehlsausbruch:) Was fuer ein herrlicher Mensch der
+Vorsitzende war, Herr Morell; er hat auch mit uns gespeist.
+
+(Morell bedeutungsvoll Burgess anblickend:) So, so, der Vorsitzende!
+--*jetzt* verstehe ich! (Burgess verbirgt hinter einem Huesteln ein
+Laecheln der Zufriedenheit ueber seine diplomatische Geschicklichkeit
+und setzt sich an den Kamin. Mill verschraenkt die Arme und lehnt sich
+neben das Buechergestell in einer Stellung, die seine Begeisterung zum
+Ausdruck bringt. Candida kommt mit Glaesern, Zitronen und heissem
+Wasser auf einem Tablett herein.)
+
+(Candida.) Wer wuenscht etwas Limonade? Sie kennen unsere Hausregel:
+vollkommene Abstinenz! (Sie stellt das Tablett auf den Tisch, nimmt
+den Zitronenpresser zur Hand und blickt fragend umher.)
+
+(Morell.) Du bemuehst dich umsonst, meine Liebe, sie haben alle
+Champagner getrunken, Prossi hat ihr Geluebde gebrochen.
+
+(Candida zu Proserpina:) Sie wollen doch nicht behaupten, dass Sie auch
+Champagner getrunken haben?
+
+(Proserpina verstockt:) Ja, das hab' ich; ich bin nur eine Bier-,
+keine Champagnerabstinenzlerin. Ich mag kein Bier.--Sind Briefe fuer
+mich zur Beantwortung da, Herr Pastor?
+
+(Morell.) Nichts mehr fuer heute.
+
+(Proserpina.) Dann gute Nacht allerseits.
+
+(Mill galant:) Waere es nicht geraten, dass ich Sie nach Hause begleite,
+Fraeulein Garnett?
+
+(Proserpina.) Nein, ich danke. Ich wuerde mich heute nacht niemandem
+anvertrauen wollen! Haette ich nur nichts von diesem Zeug getrunken!
+Sie geht rasch hinaus.
+
+(Burgess empoert:) Zeug! Dieses Maedel weiss nicht, was Champagner ist.
+Pommery und Greno, zwoelf Schilling sechs Pence die Flasche. Zwei
+Glaeser nacheinander hat sie geleert.
+
+(Morell etwas besorgt:) Gehen Sie, Lexi, und sehen Sie nach ihr!
+
+(Mill beunruhigt:) Aber wenn sie wirklich... bedenken Sie, wenn sie in
+den Strassen zu singen anfaengt oder dergleichen!
+
+(Morell.) Eben darum waere es besser, Sie braechten sie sicher nach
+Hause.
+
+(Candida.) Tun Sie es, Lexi, als guter Kamerad! (Sie reicht ihm die
+Hand und schiebt ihn sanft nach der Tuer.)
+
+(Mill.) Es ist selbstverstaendlich meine Pflicht, mit ihr zu gehen.
+Ich hoffe aber, es wird nicht noetig gewesen sein. Gute Nacht, Frau
+Morell. (Zu den uebrigen:) Gute Nacht. (Er geht, Candida schliesst die
+Tuer hinter ihm.)
+
+(Burgess.) Er war selbst ganz aus dem Haeuschen in lauter Froemmigkeit
+nach dem zweiten Glas. Heutzutage koennen die Leute nicht mehr trinken
+wie frueher. (Den Gegenstand fallen lassend, geht er vom Kamin fort.)
+Nun, Jakob, es ist Zeit, das Haus zu schliessen. Herr Marchbanks,
+werden Sie mir auf dem Heimwege ein Stueckchen das Vergnuegen Ihrer
+Gesellschaft schenken?
+
+(Marchbanks erschrocken:) Ja, es ist besser, ich gehe. (Er eilt nach
+der Tuer, aber Candida stellt sich ihm in den Weg.)
+
+(Candida mit ruhiger Wuerde:) Sie setzen sich noch, Sie werden noch
+nicht gehen!
+
+(Marchbanks eingeschuechtert:) Nein,--ich--ich wollte ja auch nicht.
+(Er kommt zurueck in das Zimmer und setzt sich gehorsam auf das Sofa.)
+
+(Candida.) Herr Marchbanks bleibt heute nacht bei uns, Papa.
+
+(Burgess.) Na, dann sage ich gute Nacht. Auf Wiedersehn, Jakob. (Er
+schuettelt Morell die Hand und geht hinueber zu Eugen.) Lassen Sie sich
+ein Nachtlicht an Ihr Bett stellen, Herr Marchbanks, es wird Sie
+beruhigen, falls Sie in der Nacht einen Anfall Ihres Leidens bekommen
+sollten! Gute Nacht.
+
+(Marchbanks.) Ich danke Ihnen, es soll geschehn. Gute Nacht, Herr
+Burgess. (Sie geben einander die Haende, Burgess geht zur Tuer.)
+
+(Candida haelt Morell zurueck, der Burgess begleiten will:) Bleib' hier,
+mein Lieber, ich werde Papa seinen Rock anziehen helfen. (Sie geht
+mit Burgess hinaus.)
+
+
+(Marchbanks.) Herr Pastor, es wird eine schreckliche Szene geben.
+Haben Sie keine Angst?
+
+(Morell.) Nicht die geringste.
+
+(Marchbanks.) Ich habe Sie bisher nie um Ihren Mut beneidet. (Er
+erhebt sich schuechtern und beruehrt mit seiner Hand flehend Morells
+Unterarm:) Stehen Sie mir bei,--wollen Sie?
+
+(Morell schuettelt ihn sanft, aber entschieden ab:) Jeder fuer sich,
+Eugen! Sie--muss nun zwischen uns waehlen. (Er gebt beim Eintritt
+Candidas auf die andere Seite des Zimmers, Eugen setzt sich mit seinem
+besten Benehmen wie ein schuldbewusster Schulknabe auf das Sofa.)
+
+(Candida zwischen den beiden, sich zu Eugen wendend:) Tut es Ihnen
+leid?
+
+(Marchbanks ernst:) Ja, unendlich.
+
+(Candida.) Gut, dann ist Ihnen verziehen. Nun gehen Sie wie ein
+braver kleiner Junge zu Bett, ich moechte mit Jakob ueber Sie sprechen.
+
+(Marchbanks erhebt sich mit groesster Bestuerzung:) Oh, das kann ich
+nicht.--Herr Pastor, ich muss hierbleiben. Ich will nicht fortgehen.
+Sagen Sie es ihr!
+
+(Candida die ihren Verdacht bestaetigt sieht:) Was soll er mir sagen?
+(Seine Augen vermeiden die ihrigen, sie wendet sich um und uebertraegt
+ihre Frage stumm auf Morell.)
+
+(Morell wappnet sich fuer die Katastrophe:) Ich habe ihr nichts zu
+sagen, ausgenommen--(dabei sinkt seine Stimme zu massvoller, trauriger
+Zaertlichkeit herab:) dass sie mein groesster Schatz auf Erden ist--wenn
+sie mir wirklich gehoert.
+
+(Candida kalt, verletzt, dass er seinem Rednerinstinkt nachgibt und sie
+behandelt, als ob sie sich unter den Zuhoerern der Gilde von St.
+Matthaeus befaende:) Ich bin ueberzeugt, dass Eugen nicht weniger sagen
+kann, wenn das alles ist.
+
+(Marchbanks entmutigt:) Morell, sie lacht uns aus.
+
+(Morell auffahrend:) Es gibt da nichts zu lachen. Lachst du uns aus,
+Candida?
+
+(Candida mit stillem Aerger:) Eugen ist sehr witzig, ich hoffe, dass ich
+lachen werde--aber vorlaeufig fuerchte ich, mich aergern zu muessen. (Sie
+geht an den Kamin und bleibt dort stehen, ihren Arm auf dem Gesims und
+ihren Fuss auf dem Gitter, waehrend Eugen sich zu Morell hinstiehlt und
+ihn beim Arm fasst.)
+
+(Marchbanks fluesternd:) Halten Sie ein, Herr Pastor; sagen wir nichts
+mehr.
+
+(Morell stoesst Eugen fort, ohne ihn eines Blickes zu wuerdigen:) Ich
+hoffe, dass du mir nicht drohen willst, Candida.
+
+(Candida mit feierlicher Warnung:) Nimm dich in acht, Jakob!--Eugen,
+ich habe gewuenscht, dass Sie gehen sollen,--gehen Sie oder nicht?
+
+(Morell mit dem Fusse stampfend:) Er wird nicht gehen; ich wuensche, dass
+er bleibt.
+
+(Marchbanks.) Ich will gehen. Ich tue, was Sie wollen. (Er wendet
+sich zur Tuer.)
+
+(Candida.) Bleiben Sie. (Er gehorcht.) Haben Sie nicht gehoert, dass
+Jakob wuenscht, dass Sie bleiben sollen? Jakob ist hier der Herr,
+wissen Sie das nicht?
+
+(Marchbanks erroetend, mit der Wut eines jungen Dichters gegen Tyrannei:)
+Was gibt ihm das Recht dazu?
+
+(Candida ruhig:) Sag es ihm, Jakob.
+
+(Morell bestuerzt:) Meine Liebe, ich bin mir keines Rechtes bewusst, das
+mich zum Herrn macht; ich bestehe auf keinem solchen Rechte.
+
+(Candida mit schwerem Vorwurf:) Du weisst es nicht? O Jakob, Jakob!
+(Zu Eugen nachdenklich:) Ich wuesste gern, ob Sie das verstehen, Eugen...
+Nein, Sie sind zu jung. Nun, ich erlaube Ihnen, zu bleiben und zu
+lernen. (Sie geht von Kamin fort und stellt sich zwischen die beiden.)
+Also, Jakob, was ist's? Komm und sag' es mir.
+
+(Marchbanks fluestert ihm aengstlich zu:) Sagen Sie ihr lieber nichts.
+
+(Candida.) Bitte!--Heraus damit!
+
+(Morell langsam:) Ich wollte dich sorgfaeltig vorbereiten, Candida, um
+jedes Missverstaendnis zu vermeiden.
+
+(Candida.) Ja, Lieber, das wolltest du gewiss; aber sei unbesorgt, ich
+werde nichts missverstehen.
+
+(Morell.) Nun denn, es--(Er zoegert, unfaehig, die lange Erklaerung zu
+finden, die er fuer noetig haelt.)
+
+(Candida.) Nun?
+
+(Morell klipp und klar:) Eugen behauptet, dass du ihn liebst.
+
+(Marchbanks ausser sich:) Nein, nein, nein, nein, niemals, das habe ich
+nicht behauptet, Frau Morell, es ist nicht wahr! Ich sagte, dass ich
+Sie liebe und er nicht. Ich sagte, dass ich Sie verstehe und dass er es
+nicht kann. Und nicht infolgedessen, was sich hier am Kamin
+zugetragen hat, habe ich das gesagt,--ganz gewiss nicht, auf mein Wort!
+schon heute morgen hab' ich es ihm gesagt!
+
+(Candida erleuchtet:) Heute morgen?!
+
+(Marchbanks.) Ja! (Er siebt sie um Glauben bittend an und fuegt dann
+einfach hinzu:) Das war auch der Grund, warum mein Kragen in Unordnung
+geriet.
+
+(Candida nach einer Pause, weil sie nicht gleich begreift, was er
+meint:) Ihr Kragen! (Sie wendet sich erschrocken zu Morell, verletzt:)
+O Jakob, hast du ihn--? (Sie haelt inne.)
+
+(Morell beschaemt:) Du weisst, Candida, dass ich mit meinem Temperament
+zu kaempfen habe, und er sagte, (schauernd:) dass du mich verachtest in
+deinem Herzen.
+
+(Candida wendet sich rasch zu Eugen:) Haben Sie das gesagt?
+
+(Marchbanks geaengstigt:) Nein!
+
+(Candida strenge:) Dann hat mich also Jakob eben angelogen. Wollen
+Sie das behaupten?
+
+(Marchbanks.) Nein, nein: ich--ich... (herausplatzend mit der
+verzweifelten Erklaerung:)--es war die Rede von Davids Frau, nicht bei
+ihm zu Hause, sondern als sie ihn tanzen sah vor allen Leuten.
+
+(Morell nimmt diesen Fingerzeig mit der Geschicklichkeit eines
+Wortkaempfers auf:) Ja, als er vor dem ganzen Volke tanzte, Candida, in
+der Meinung, dass er ihre Herzen dadurch ruehrte, waehrend sie nur an
+Prossis Leiden litten. (Sie ist im Begriff zu protestieren, er winkt
+ihr mit der Hand, um sie zum Schweigen zu bringen, und faehrt fort:)
+Tue nicht als ob du entruestet waerest, Candida.
+
+(Candida.) Tun als ob?!
+
+(Morell fortfahrend:) Eugen hatte recht! Wie du mir einige Stunden
+spaeter klarmachtest, hat er immer recht. Er sagte nichts, was du
+nicht viel besser selbst gesagt haettest. Er ist der Dichter, der
+alles sieht; und ich bin der arme Pastor, der nichts versteht.
+
+(Candida reuevoll:) Aergert dich, was ein naerrischer junge gesagt hat,
+weil ich im Scherz etwas Aehnliches sagte?
+
+(Morell.) Der naerrische Junge kann mit der Begeisterung eines Kindes
+und mit der Verschlagenheit einer Schlange sprechen. Er hat behauptet,
+dass du ihm gehoerst und nicht mir, und, ob mit Recht oder Unrecht, ich
+beginne zu fuerchten, dass es wahr sein koennte. Ich will nicht
+umhergehen von Zweifeln und Verdaechtigungen gequaelt. Ich will nicht
+mit dir leben und ein Geheimnis vor dir haben. Ich will nicht die
+entwuerdigende Qual der Eifersucht erdulden. Deshalb haben wir
+beschlossen--er und ich--dass du jetzt zwischen uns waehlen sollst! Ich
+erwarte deine Entscheidung.
+
+(Candida weicht langsam einen Schritt zurueck, verletzt ueber sein
+Pathos, trotz des aufrichtigen Gefuehls, das sie heraushoert:) Oh, ich
+muss also waehlen? Ich nehme an, dass eines vollkommen feststeht: dass
+ich einem o d e r dem andern gehoeren muss.
+
+(Morell entschlossen:) Vollkommen; du musst endgueltig waehlen.
+
+(Marchbanks aengstlich:) Herr Pastor,--Sie verstehen nicht: sie meint,
+dass sie sich selbst gehoert.
+
+(Candida sich zu ihm wendend:) ja, das meine ich, Junker Eugen, und
+noch sehr viel mehr, wie Ihr beide sofort herausfinden werdet. Und
+ich frage, meine Herren und Gebieter, was habt Ihr fuer meine Wahl zu
+geben? Es scheint, dass ich versteigert werden soll. Wieviel bietest
+du, Jakob?
+
+(Modell vorwurfsvoll:) Cand.... (Er bricht zusammen, seine Augen
+fuellen sich mit Traenen, und seine Kehle schnuert sich zu, der Redner
+wird zu einem verwundeten Tier.) Ich kann nicht sprechen.
+
+(Candida geht impulsiv zu ihm hin:) O Liebster!
+
+(Marchbanks in wildem Aufruhr:) Halten Sie ein, das ist nicht gerecht.
+Sie duerfen ihr nicht zeigen, dass Sie leiden, Morell.--Ich bin auch
+auf der Folter, aber ich weine nicht.
+
+(Morell nimmt seine ganze Kraft zusammen:) Ja, Sie haben recht. Es
+ist nicht Mitleid, worum ich bitte. (Er befreit sich von Candida.)
+
+(Candida zieht sich frostig zurueck:) Entschuldige, Jakob, ich hatte
+nicht die Absicht, dich zu beruehren. Ich warte auf dein Angebot.
+
+(Morell mit stolzer Demut:) Ich habe dir nichts zu bieten als meine
+Kraft zu deinem Schutze, mein ehrliches Wollen fuer deine Ruhe, meine
+Tuechtigkeit und Arbeit fuer deinen Unterhalt und mein Ansehen und meine
+Stellung fuer deine Wuerde. Das ist alles, was einem Manne ansteht,
+einer Frau zu bieten.
+
+(Candida ganz ruhig:) Und Sie, Eugen, was bieten Sie?
+
+(Marchbanks.) Meine Schwaeche! meine Trostlosigkeit! meine Herzensnot!
+
+(Candida geruehrt:) Das ist ein gutes Angebot, Eugen; nun weiss ich, wie
+ich meine Wahl zu treffen habe. (Sie haelt inne und blickt seltsam von
+einem zum andern, als ob sie beide abschaetzte. Morell, dessen
+hochtmuetiges Zutrauen sich in herzzerreissende Angst bei Eugens Gebot
+verwandelt hat, verliert alle Beherrschung, und kann seine Angst nicht
+verbergen. Eugen dagegen, mit aeusserst angespannter Kraft, zuckt mit
+keiner Wimper.)
+
+(Morell mit halb erstickter Stimme--ein Hilferuf entringt sich den
+Tiefen seiner Verzweiflung:) Candida!
+
+(Marchbanks beiseite mit einem Aufwallen der Verachtung:) Feigling!
+
+(Candida bedeutsam:) Ich gebe mich dem Schwaecheren von beiden. (Eugen
+erraet ihre Meinung sofort; sein Gesicht wird weiss wie scbmelzender
+Stahl.)
+
+(Morell neigt seinen Kopf mit der Ruhe der Gebrochenheit:) Ich nehme
+deine Entscheidung an, Candida.
+
+(Candida.) Verstehen Sie, Eugen?
+
+(Marchbanks.) Oh, ich fuehle, ich bin verloren. Er koennte die Last
+nicht ertragen!
+
+(Morell unglaeubig, hebt seinen Kopf empor, mit prosaischer Stumpfheit:)
+Meinst du mich, Candida?
+
+(Candida laechelt ein wenig:) Setzen wir uns und plaudern wir gemuetlich
+darueber wie drei Freunde. (Zu Morell:) Setze dich, mein Lieber.
+(Morell nimmt den Stuhl vom Kamin--den Kindersessel.) Bringen Sie mir
+diesen Stuhl, Eugen. (Sie weist auf den Lehnstuhl, er holt ihn
+schweigend, sogar mit etwas wie kuehler Beherrschung und setzt ihn
+neben Morell, etwas hinter ihn. Sie setzt sich, er geht an das Sofa
+und laesst sich dort nieder, noch immer schweigsam und unergruendlich.
+Als sie alle sitzen, beginnt Candida,--einen Hauch von Ruhe um sich
+breitend, mit ihrer sanften, gesunden, zaertlichen Stimme:) Sie
+erinnern sich doch, was Sie mir ueber sich selbst erzaehlten, Eugen: wie
+sich niemand um Sie gekuemmert hat, seit Ihre alte Amme starb. Wie
+Ihre gescheiten, vornehmen Schwestern und erfolgreichen Brueder die
+Lieblinge Ihrer Eltern waren, wie elend es Ihnen in Eton erging, wie
+Ihr Vater Sie durch Entbehrungen zwingen will, nach Oxford
+zurueckzukehren, wie Sie leben mussten ohne Behaglichkeit oder
+Willkommen, ohne Zufluchtsstaette, immer einsam und fast immer ungern
+gesehen und missverstanden! Sie armer Junge!
+
+(Marchbanks der Groesse seines Schicksals wuerdig:) Ich hatte meine
+Buecher. Ich hatte die Natur. Und endlich bin ich Ihnen begegnet.
+
+(Candida.) Lassen wir das im Augenblick beiseite. Nun moechte ich, dass
+Sie sich diesen andern Jungen hier betrachten,--meinen verwoehnten
+Jungen,--verwoehnt von seiner Wiege an. Einmal alle vierzehn Tage
+besuchen wir seine Eltern. Da sollten Sie mit uns kommen, Eugen, und
+die Bilder des Helden dieser Familie sehen. Jakob als Baby, das
+wundervollste aller Babys! Jakob, als er seinen ersten Schulpreis
+erhielt, gewonnen im reifen Alter von acht Jahren! Jakob als der
+Fuehrer seiner Mitschueler beim Cricketspiel! Jakob in seinem ersten
+schwarzen Anzug! Jakob in allen moeglichen ruhmvollen Posen. Sie
+wissen, wie stark er ist--ich hoffe, er hat Ihnen nicht weh getan--wie
+gescheit er ist--wie gluecklich! (Mit wachsendem Ernst:) Fragen Sie
+Jakobs Mutter und seine drei Schwestern, was es sie gekostet hat,
+Jakob die Muehe zu ersparen, irgend etwas zu tun, als stark, gescheit
+und gluecklich zu sein. Fragen Sie mich, was es mich kostet, Jakobs
+Mutter und seine drei Schwestern und seine Frau und Mutter seiner
+Kinder--alles in einer Person--zu sein! Fragen Sie Prossi und Marie,
+wieviel Arbeit das Haus gibt, selbst wenn wir keine Besucher haben,
+die uns helfen Zwiebeln schneiden. Fragen Sie die Geschaeftsleute, die
+Jakob stoeren und seine prachtvollen Predigten gefaehrden wollen, wer es
+ist, der sie abschuettelt! Wenn Geld zu geben ist, so gibt er es; wenn
+Geld zu verweigern ist, so verweigere ich es. Ich habe ihm ein Schloss
+von Behaglichkeit, Nachsicht und Liebe erbaut und stehe immer
+Schildwache davor, um all den taeglichen kleinen Lebenssorgen den
+Eintritt zu verwehren. Ich mache ihn hier zum Herrn, obwohl er es
+nicht weiss und Ihnen vor einem Augenblicke nicht sagen konnte, wie er
+dazu gekommen ist, es zu sein. (Mit suesser Ironie:) Und als er dachte,
+ich koennte mit Ihnen fortgehen, da war seine einzige Sorge, was aus
+mir werden wuerde; und um mich zum Bleiben zu bewegen, bot er mir--
+(sie neigt sich vor und streicht ihm bei jedem Satze ueber das Haar)
+seine Kraft zu meinem Schutze, seine Arbeit fuer meinen Unterhalt,
+seine Stellung fuer meine Wuerde, seine (zoegernd:) ah, ich
+verwechsle deine wunderschoenen Saetze und verderbe sie, nicht wahr,
+Liebling?
+
+(Morell kniet ganz ueberwaeltigt neben ihren Stuhl und umschlingt sie
+mit knabenhafter Leidenschaft:) Alles ist wahr, jedes Wort. Was ich
+bin, hast du aus mir gemacht, durch die Arbeit deiner Haende und die
+Liebe deines Herzens. Du bist mein Weib, meine Mutter, meine
+Schwester,--du bist die Summe aller Liebessorgen fuer mich.
+
+(Candida in seinen Armen, laechelnd zu Marchbanks:) Bin ich Ihnen auch
+Mutter und Schwester, Eugen?
+
+(Marchbanks erhebt sich mit einer heftigen Bewegung des Ekels:) Oh,
+niemals! Hinaus denn in die Nacht mit mir!
+
+(Candida erhebt sich rasch und unterbricht ihn:) sie werden nicht so
+von uns gehn, Eugen!
+
+(Marchbanks mit dem Tonfall eines entschlossenen Mannes, nicht mit der
+Stimme eines Knaben:) Ich weiss, wann die Stunde geschlagen hat. Ich
+bin ungeduldig zu tun, was getan werden muss.
+
+(Morell erhebt sich von seinen Knien, beunruhigt:) Candida, lass ihn
+nichts Uebereiltes begehen!
+
+(Candida laechelt Eugen vertrauensvoll an:) Oh, sei unbesorgt, er hat
+gelernt, ohne Glueck zu leben.
+
+(Marchbanks.) Ich ersehne nicht mehr Glueck; das Leben kann Hoeheres
+bieten. Pastor Jakob, ich gebe Ihnen mein Glueck mit beiden Haenden hin;
+ich liebe Sie, weil Sie das Herz der Frau, ganz ausgefuellt haben, die
+ich liebte. Leben Sie wohl! (Er geht zur Tuer.)
+
+(Candida.) Ein letztes Wort. (Er haelt inne, aber ohne sich nach ihr
+umzuwenden.) Wie alt sind Sie, Eugen?
+
+(Marchbanks.) Jetzt bin ich so alt wie die Welt. Heute morgen war ich
+achtzehn Jahre!
+
+(Candida geht zu ihm hin und steht hinter ihm, eine Hand liebkosend
+auf seiner Schulter:) Achtzehn... Wollen Sie mir zuliebe ein kleines
+Gedicht aus zwei Zeilen machen, die ich Ihnen sagen will? Und wollen
+Sie mir versprechen, sich's immer vorzusagen, so oft Sie an mich
+denken.
+
+(Marchbanks ohne sich zu ruehren:) Sagen Sie die beiden Zeilen.
+
+(Candida.) Wenn ich dreissig sein werde, dann wird sie fuenfundvierzig
+sein; wenn ich sechzig sein werde, dann wird sie fuenfundsiebzig sein.
+
+(Marchbanks wendet sich nach ihr um:) In hundert Jahren werden wir
+gleich alt sein! Aber ich trage ein besseres Geheimnis als das in
+meinem Herzen! Lassen Sie mich jetzt gehen, die Nacht waechst draussen
+ungeduldig.
+
+(Candida.) Leben Sie wohl! (Sie nimmt sein Gesicht in die Haende, und
+da er ihre Absicht erraet und sein Knie beugt, kuesst sie ihn auf die
+Stirne, dann flieht er hinaus in die Nacht.--Sie wendet sich zu Morell,
+mit ausgebreiteten Armen:) O Jakob! (Sie umarmen einander. Aber das
+Geheimnis in des Dichters Herzen, das kennen sie nicht.)
+
+(Vorhang)
+
+
+Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes CANDIDA, von George Bernard Shaw.
+
+
+
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, CANDIDA ***
+
+This file should be named 7cndg10.txt or 7cndg10.zip
+Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7cndg11.txt
+VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7cndg10a.txt
+
+Project Gutenberg eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US
+unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+We are now trying to release all our eBooks one year in advance
+of the official release dates, leaving time for better editing.
+Please be encouraged to tell us about any error or corrections,
+even years after the official publication date.
+
+Please note neither this listing nor its contents are final til
+midnight of the last day of the month of any such announcement.
+The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at
+Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A
+preliminary version may often be posted for suggestion, comment
+and editing by those who wish to do so.
+
+Most people start at our Web sites at:
+http://gutenberg.net or
+http://promo.net/pg
+
+These Web sites include award-winning information about Project
+Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new
+eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!).
+
+
+Those of you who want to download any eBook before announcement
+can get to them as follows, and just download by date. This is
+also a good way to get them instantly upon announcement, as the
+indexes our cataloguers produce obviously take a while after an
+announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter.
+
+http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext05 or
+ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext05
+
+Or /etext04, 03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92,
+91 or 90
+
+Just search by the first five letters of the filename you want,
+as it appears in our Newsletters.
+
+
+Information about Project Gutenberg (one page)
+
+We produce about two million dollars for each hour we work. The
+time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours
+to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright
+searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our
+projected audience is one hundred million readers. If the value
+per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2
+million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text
+files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+
+We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002
+If they reach just 1-2% of the world's population then the total
+will reach over half a trillion eBooks given away by year's end.
+
+The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks!
+This is ten thousand titles each to one hundred million readers,
+which is only about 4% of the present number of computer users.
+
+Here is the briefest record of our progress (* means estimated):
+
+eBooks Year Month
+
+ 1 1971 July
+ 10 1991 January
+ 100 1994 January
+ 1000 1997 August
+ 1500 1998 October
+ 2000 1999 December
+ 2500 2000 December
+ 3000 2001 November
+ 4000 2001 October/November
+ 6000 2002 December*
+ 9000 2003 November*
+10000 2004 January*
+
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created
+to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium.
+
+We need your donations more than ever!
+
+As of February, 2002, contributions are being solicited from people
+and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut,
+Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois,
+Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts,
+Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New
+Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio,
+Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South
+Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West
+Virginia, Wisconsin, and Wyoming.
+
+We have filed in all 50 states now, but these are the only ones
+that have responded.
+
+As the requirements for other states are met, additions to this list
+will be made and fund raising will begin in the additional states.
+Please feel free to ask to check the status of your state.
+
+In answer to various questions we have received on this:
+
+We are constantly working on finishing the paperwork to legally
+request donations in all 50 states. If your state is not listed and
+you would like to know if we have added it since the list you have,
+just ask.
+
+While we cannot solicit donations from people in states where we are
+not yet registered, we know of no prohibition against accepting
+donations from donors in these states who approach us with an offer to
+donate.
+
+International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about
+how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made
+deductible, and don't have the staff to handle it even if there are
+ways.
+
+Donations by check or money order may be sent to:
+
+ PROJECT GUTENBERG LITERARY ARCHIVE FOUNDATION
+ 809 North 1500 West
+ Salt Lake City, UT 84116
+
+Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment
+method other than by check or money order.
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by
+the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN
+[Employee Identification Number] 64-622154. Donations are
+tax-deductible to the maximum extent permitted by law. As fund-raising
+requirements for other states are met, additions to this list will be
+made and fund-raising will begin in the additional states.
+
+We need your donations more than ever!
+
+You can get up to date donation information online at:
+
+http://www.gutenberg.net/donation.html
+
+
+***
+
+If you can't reach Project Gutenberg,
+you can always email directly to:
+
+Michael S. Hart <hart@pobox.com>
+
+Prof. Hart will answer or forward your message.
+
+We would prefer to send you information by email.
+
+
+**The Legal Small Print**
+
+
+(Three Pages)
+
+***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS**START***
+Why is this "Small Print!" statement here? You know: lawyers.
+They tell us you might sue us if there is something wrong with
+your copy of this eBook, even if you got it for free from
+someone other than us, and even if what's wrong is not our
+fault. So, among other things, this "Small Print!" statement
+disclaims most of our liability to you. It also tells you how
+you may distribute copies of this eBook if you want to.
+
+*BEFORE!* YOU USE OR READ THIS EBOOK
+By using or reading any part of this PROJECT GUTENBERG-tm
+eBook, you indicate that you understand, agree to and accept
+this "Small Print!" statement. If you do not, you can receive
+a refund of the money (if any) you paid for this eBook by
+sending a request within 30 days of receiving it to the person
+you got it from. If you received this eBook on a physical
+medium (such as a disk), you must return it with your request.
+
+ABOUT PROJECT GUTENBERG-TM EBOOKS
+This PROJECT GUTENBERG-tm eBook, like most PROJECT GUTENBERG-tm eBooks,
+is a "public domain" work distributed by Professor Michael S. Hart
+through the Project Gutenberg Association (the "Project").
+Among other things, this means that no one owns a United States copyright
+on or for this work, so the Project (and you!) can copy and
+distribute it in the United States without permission and
+without paying copyright royalties. Special rules, set forth
+below, apply if you wish to copy and distribute this eBook
+under the "PROJECT GUTENBERG" trademark.
+
+Please do not use the "PROJECT GUTENBERG" trademark to market
+any commercial products without permission.
+
+To create these eBooks, the Project expends considerable
+efforts to identify, transcribe and proofread public domain
+works. Despite these efforts, the Project's eBooks and any
+medium they may be on may contain "Defects". Among other
+things, Defects may take the form of incomplete, inaccurate or
+corrupt data, transcription errors, a copyright or other
+intellectual property infringement, a defective or damaged
+disk or other eBook medium, a computer virus, or computer
+codes that damage or cannot be read by your equipment.
+
+LIMITED WARRANTY; DISCLAIMER OF DAMAGES
+But for the "Right of Replacement or Refund" described below,
+[1] Michael Hart and the Foundation (and any other party you may
+receive this eBook from as a PROJECT GUTENBERG-tm eBook) disclaims
+all liability to you for damages, costs and expenses, including
+legal fees, and [2] YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE OR
+UNDER STRICT LIABILITY, OR FOR BREACH OF WARRANTY OR CONTRACT,
+INCLUDING BUT NOT LIMITED TO INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE
+OR INCIDENTAL DAMAGES, EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE
+POSSIBILITY OF SUCH DAMAGES.
+
+If you discover a Defect in this eBook within 90 days of
+receiving it, you can receive a refund of the money (if any)
+you paid for it by sending an explanatory note within that
+time to the person you received it from. If you received it
+on a physical medium, you must return it with your note, and
+such person may choose to alternatively give you a replacement
+copy. If you received it electronically, such person may
+choose to alternatively give you a second opportunity to
+receive it electronically.
+
+THIS EBOOK IS OTHERWISE PROVIDED TO YOU "AS-IS". NO OTHER
+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, ARE MADE TO YOU AS
+TO THE EBOOK OR ANY MEDIUM IT MAY BE ON, INCLUDING BUT NOT
+LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR A
+PARTICULAR PURPOSE.
+
+Some states do not allow disclaimers of implied warranties or
+the exclusion or limitation of consequential damages, so the
+above disclaimers and exclusions may not apply to you, and you
+may have other legal rights.
+
+INDEMNITY
+You will indemnify and hold Michael Hart, the Foundation,
+and its trustees and agents, and any volunteers associated
+with the production and distribution of Project Gutenberg-tm
+texts harmless, from all liability, cost and expense, including
+legal fees, that arise directly or indirectly from any of the
+following that you do or cause: [1] distribution of this eBook,
+[2] alteration, modification, or addition to the eBook,
+or [3] any Defect.
+
+DISTRIBUTION UNDER "PROJECT GUTENBERG-tm"
+You may distribute copies of this eBook electronically, or by
+disk, book or any other medium if you either delete this
+"Small Print!" and all other references to Project Gutenberg,
+or:
+
+[1] Only give exact copies of it. Among other things, this
+ requires that you do not remove, alter or modify the
+ eBook or this "small print!" statement. You may however,
+ if you wish, distribute this eBook in machine readable
+ binary, compressed, mark-up, or proprietary form,
+ including any form resulting from conversion by word
+ processing or hypertext software, but only so long as
+ *EITHER*:
+
+ [*] The eBook, when displayed, is clearly readable, and
+ does *not* contain characters other than those
+ intended by the author of the work, although tilde
+ (~), asterisk (*) and underline (_) characters may
+ be used to convey punctuation intended by the
+ author, and additional characters may be used to
+ indicate hypertext links; OR
+
+ [*] The eBook may be readily converted by the reader at
+ no expense into plain ASCII, EBCDIC or equivalent
+ form by the program that displays the eBook (as is
+ the case, for instance, with most word processors);
+ OR
+
+ [*] You provide, or agree to also provide on request at
+ no additional cost, fee or expense, a copy of the
+ eBook in its original plain ASCII form (or in EBCDIC
+ or other equivalent proprietary form).
+
+[2] Honor the eBook refund and replacement provisions of this
+ "Small Print!" statement.
+
+[3] Pay a trademark license fee to the Foundation of 20% of the
+ gross profits you derive calculated using the method you
+ already use to calculate your applicable taxes. If you
+ don't derive profits, no royalty is due. Royalties are
+ payable to "Project Gutenberg Literary Archive Foundation"
+ the 60 days following each date you prepare (or were
+ legally required to prepare) your annual (or equivalent
+ periodic) tax return. Please contact us beforehand to
+ let us know your plans and to work out the details.
+
+WHAT IF YOU *WANT* TO SEND MONEY EVEN IF YOU DON'T HAVE TO?
+Project Gutenberg is dedicated to increasing the number of
+public domain and licensed works that can be freely distributed
+in machine readable form.
+
+The Project gratefully accepts contributions of money, time,
+public domain materials, or royalty free copyright licenses.
+Money should be paid to the:
+"Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
+
+If you are interested in contributing scanning equipment or
+software or other items, please contact Michael Hart at:
+hart@pobox.com
+
+[Portions of this eBook's header and trailer may be reprinted only
+when distributed free of all fees. Copyright (C) 2001, 2002 by
+Michael S. Hart. Project Gutenberg is a TradeMark and may not be
+used in any sales of Project Gutenberg eBooks or other materials be
+they hardware or software or any other related product without
+express permission.]
+
+*END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS*Ver.02/11/02*END*
+
diff --git a/old/7cndg10.zip b/old/7cndg10.zip
new file mode 100644
index 0000000..1b88fbb
--- /dev/null
+++ b/old/7cndg10.zip
Binary files differ
diff --git a/old/8cndg10.txt b/old/8cndg10.txt
new file mode 100644
index 0000000..04f2210
--- /dev/null
+++ b/old/8cndg10.txt
@@ -0,0 +1,3710 @@
+The Project Gutenberg EBook of Candida, by George Bernard Shaw
+
+Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the
+copyright laws for your country before downloading or redistributing
+this or any other Project Gutenberg eBook.
+
+This header should be the first thing seen when viewing this Project
+Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the
+header without written permission.
+
+Please read the "legal small print," and other information about the
+eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is
+important information about your specific rights and restrictions in
+how the file may be used. You can also find out about how to make a
+donation to Project Gutenberg, and how to get involved.
+
+
+**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts**
+
+**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971**
+
+*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!*****
+
+
+Title: Candida
+
+Author: George Bernard Shaw
+
+Release Date: December, 2005 [EBook #9491]
+[This file was first posted on October 5, 2003]
+
+Edition: 10
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, CANDIDA ***
+
+
+
+
+E-text prepared by Michalina Makowska
+
+
+
+
+
+
+
+This Etext is in German.
+
+We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format,
+known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email--
+and one in 8-bit format, which includes higher order characters--
+which requires a binary transfer, or sent as email attachment and
+may require more specialized programs to display the accents.
+This is the 8-bit version.
+
+
+
+
+
+CANDIDA
+
+Ein Mysterium in drei Akten
+
+George Bernard Shaw
+
+Übersetzt von Siegfried Trabitsch
+
+
+
+
+
+
+
+PERSONEN
+
+Pastor Jakob Morell
+Candida, seine Frau
+Burgess, ihr Vater
+Alexander Mill, Unterpfarrer
+Proserpina Garnett, Maschinenschreiberin
+Eugen Marchbanks, ein junger Dichter
+
+Ort der Handlung: Die St. Dominikpfarre, Viktoriapark, London E.
+
+Zeit: Oktober 1894.
+
+
+
+
+ERSTER AKT
+
+(Ein schöner Oktobermorgen im nordöstlichen Viertel Londons. In
+diesem ausgedehnten Bezirk sind die Seitengässchen viel weniger
+schmal, schmutzig, übelriechend und stickig als in dem viele
+Meilen entfernten London von Mayfair und St. James. Hier spielt
+sich besonders das unelegante Leben der Mittelklassen ab. Die
+breiten, dichtbevölkerten Strassen sind mit hässlichen eisernen
+Bedürfnisanstalten, radikalen Klubs und Trambahnlinien, auf denen
+Ketten von gelben Wagen endlos einziehen, reichlich versehn. Doch
+Sind die Hauptverkehrsadern mit grasbewachsenen Vorgärtchen verziert,
+von denen man nur den kleinen Streifen betritt, der vom Pförtchen zur
+Haustür führt. Jene Strassen werden durch die stumm geduldete
+Eintönigkeit sich meilenweit erstreckender hässlicher Ziegelbauten,
+schwarzer Eisengitter, Steinpflaster und Schieferdächer arg entstellt.
+Anständig aber unmodern oder gemein und ärmlicb gekleidete Leute, die
+an dieses Viertel gewöhnt sind und sich zumeist in aufreibender Weise
+für andere plagen müssen, ohne sich für ihre Arbeit zu interessieren,
+bilden ihre Bewohner. Das bisschen ihnen gebliebene Energie und Eifer
+gipfelt in der Habgier des Londoner Cockneys und in der Begierde, ihr
+Geschäft vorwärts zu bringen. Selbst die Schutzleute und die Kapellen
+sind nicht selten genug, die Eintönigkeit zu unterbrechen. Die Sonne
+scheint klar, es ist nicht neblig, und obgleich der Rauch sowohl die
+Gesichter und Hände als auch die Mauern aus Ziegelstein und Mörtel
+verhindert, frisch und rein zu sein, so ist er doch nicht schwarz und
+schwer genug, um einen Londoner zu belästigen.)
+
+(Diese reizlose Wüste hat ihre Oase. Am äussersten Ende der
+Hackneystrasse ist ein durch ein hölzernes Pfahlwerk abgeschlossener
+Park von 270 Morgen angelegt. Er enthält Rasenplätze, Bäume, einen
+Teich zum Baden, Blumenbeete, die Triumphe der vielbewunderten
+Cockney-Kunst der Teppichgärtnerei sind, und eine Sandgrube, die
+ursprünglich zur Belustigung der Kinder vom Meeresufer importiert,
+aber schleunigst verlassen wurde, als sie sich in eine natürliche
+Ungezieferbrutstätte für die ganz kleine Fauna von Kingsland,
+Hackney und Hoxton verwandelte. Ein Orchester, ein kleines
+Forum für religiöse, antireligiöse und politische Redner,
+Cricketplätze, ein Turnplatz und ein altmodischer Steinkiosk bilden die
+Hauptanziehungspunkte. Wo die Aussicht von Bäumen oder grünen Anhöhen
+begrenzt wird, ist es ein hübscher Aufenthaltsort. Wo sich aber der
+Boden flach bis zu dem grauen Lattenzaun hinzieht und man Ziegel und
+Mörtel, Reklameschilder, zusammengedrängte Schornsteine und Rauch
+gewahrt muss die Gegend (im Jahre 1894), trostlos und hässlich genannt
+werden.)
+
+(Die beste Aussicht auf den Viktoriapark gewinnt man von den
+Frontfenstern der St. Dominikpfarre; von dort sieht man auf keinerlei
+Mauerwerk. Das Pfarrhaus steht halb frei, mit einem Vorgarten und
+einer Vorhalle. Besucher benützen die Stufen, die auf die Veranda
+führen, Geschäftsleute und Familienmitglieder geben durch eine Tür
+unterhalb der Treppe in das Erdgeschoß, wo ein Frühstückszimmer nach
+vorne liegt, das zu allen Mahlzeiten dient; die Küche liegt hinten.
+Oben, auf einem Niveau mit der Flurtür, befindet sich das
+Empfangszimmer mit seinem breiten Fenster aus geschliffenem Glas, das
+auf den Park hinausführt.)
+
+(Hier, in dem einzigen Raume, der von den Familienmahlzeiten und den
+Kindern verschont bleibt, vollbringt der Pfarrer, Reverend Jakob Mavor
+Morell, sein Tagewerk. Er sitzt in einem starken drehbaren Stuhl mit
+runder Lehne am Ende eines langen Tisches, der dem Fenster
+gegenübersteht, so daß er sich durch einen Blick über die linke
+Schulter an der Aussicht auf den Park erfreuen kann. Am Ende des
+Tisches, an diesen anstoßend, befindet sich ein zweiter Tisch, der nur
+halb so breit ist und eine Schreibmaschine trägt.--Seine Schreiberin
+sitzt davor mit dem Rücken gegen das Fenster. Der große Tisch ist
+unordentlich mit Zeitungen, Broschüren, Briefen, Schubladeeinsätzen,
+einem Notizheft, einer Briefwage und ähnlichen Dingen bedeckt. In der
+Mitte steht ein übriger Stuhl für die Besucher, die mit dem Pfarrer
+geschäftlich zu tun haben. Seiner Hand erreichbar steht eine
+Papierkassette und eine Photographie in einem Rahmen. Die Wand hinter
+ihm ist mit Bücherregalen zugestellt. Die theologische Richtung des
+Pfarrers kann ein Sachverständiger an: Maurices "Theologischen Essays"
+und einer vollständigen Ausgabe der Browningschen Gedichte erkennen,
+seine politischen Reformideen an einem gelbrückigen Band "Fortschritt
+und Armut", den "Essays der Fabier", dem "Traum John Bulls" von
+William Morris, dem "Kapital" von Marx und einem halben Dutzend
+anderer grundlegender sozialistischer Bücher. Dem Pfarrer gegenüber,
+auf der andern Seite des Zimmers in der Nähe der Schreibmaschine, ist
+die Tür. Weiter hinten, dem Kamin gegenüber, steht ein Bücherbrett
+auf einem Spind, daneben ein Sofa. Ein starkes Feuer brennt im Kamin
+und davor steht ein bequemer Lehnstuhl, ferner ein schwarz lackierter,
+blumenbemalter Kohleneimer auf der einen Seite und ein Kindersessel
+für einen Knaben oder ein Mädchen auf der anderen. Der hölzerne
+Kaminsims ist lackiert, und in den kleinen Feldern der nett geformten
+Fächer sind winzige Spiegelgläser eingelegt, und eine Reiseuhr in
+einem Lederetui (das unvermeidliche Hochzeitsgeschenk) steht darauf.
+An der Wand darüber hängt eine große Autotypie der Hauptfigur aus
+Tizians Assunta. So sieht der Kamin sehr einladend aus. Im ganzen
+gesehen ist es das Zimmer einer guten Hausfrau, die, was des Pastors
+Arbeitstisch betrifft, an etwas Unordnung gewöhnt ist, aber trotzdem
+die Situation vollkommen beherrscht. Die Einrichtung verrät in ihrem
+ornamentalen Aussehen den Stil der in den Zeitungen annoncierten
+"Saloneinrichtung" des unternehmenden Vorstadtmöbelhändlers; aber es
+ist nichts Zweckloses oder Aufdringliches in dem Zimmer. Die Tapeten
+und die Täfelung sind dunkel und lassen das große helle Fenster und
+den Park draußen kräftig hervortreten.)
+
+(Hochwürden Jakob Mavor Morell ist ein christlich-sozialer Geistlicher
+der anglikanischen Kirche und ein aktives Mitglied der Gilde von
+"Sankt Matthäus" und der "Christlich Socialen Union". Ein starker,
+freundlicher, allgemein geachteter Mann von vierzig fahren, kräftig
+und hübsch, voll Energie und mit liebenswürdigen, herzlichen,
+rücksichtsvollen Manieren, mit einer gesunden, natürlichen Stimme, die
+er mit der wirkungsvollen Betonung eines geübten Redners benutzt. Er
+verfügt über einen großen Wortschatz, den er vollkommen beherrscht.
+Er ist ein vorzüglicher Geistlicher, fähig, was er will zu wem er will
+zu sagen und die Leute abzukanzeln, ohne sich über sie zu ärgern,
+ihnen seine Autorität aufzudrängen, ohne sie zu demütigen und, wenn es
+sein muß, sich in ihre Angelegenheiten zu mischen, ohne dabei zu
+verletzen. Die Quelle seiner Begeisterung und seines Mitgefühls
+versiegt niemals auch nur für einen Augenblick; er ißt und schläft
+noch immer ausgiebig genug, um die tägliche Schlacht zwischen
+Erschöpfung und Erholung glänzend zu gewinnen. Dabei ist er ein
+großes Kind, verzeihlicherweise eitel auf seine Fähigkeiten und
+unbewust selbstgefällig. Er hat eine gesunde Gesichtsfarbe, eine
+schöne Stirn mit etwas plumpen Augenbrauen, glänzende und lebhafte
+Augen, einen energischen Mund, der nicht besonders schön geschnitten
+ist, und eine kräftige Nase mit den beweglichen, sich blähenden
+Nasenflügeln des dramatischen Redners, die aber wie alle seine Züge
+der Feinheit entbehrt.)
+
+(Die Maschinenschreiberin, Fräulein Proserpina Garnett, ist eine flinke
+kleine Person von ungefähr dreißig Jahren, sie gehört der unteren
+Mittelklasse an, ist nett, aber billig mit einem schwarzen Wollrock
+und einer Bluse bekleidet, ziemlich vorlaut und naseweis und nicht
+sehr höflich in ihrem Benehmen, aber empfindungsfähig und
+teilnahmsvoll. Sie klappert emsig auf ihrer Maschine drauf los,
+während Morell den letzten Brief seiner Morgenpost öffnet. Er
+durchfliegt seinen Inhalt mit einem komischen Stöhnen der Verzweiflung.)
+
+(Proserpina.) Wieder ein Vortrag?
+
+(Morell.) Ja. Ich soll nächsten Sonntagvormittag für die
+Freiheitsgruppe von Hoxton sprechen. (Er betont mit großer
+Wichtigkeit "Sonntag", weil das der unvernünftige Teil des Verlangens
+ist.) Was sind das für Leute?
+
+(Proserpina.) Ich glaube, kommunistische Anarchisten.
+
+(Morell.) Es sieht den Anarchisten ähnlich, nicht zu wissen, daß sie
+am Sonntag keinen Pastor haben können. Schreiben Sie ihnen, sie
+sollen in die Kirche kommen, wenn sie mich hören wollen, das kann
+ihnen nicht schaden! Und fügen Sie hinzu, daß ich nur Montags und
+Donnerstags frei bin. Haben Sie das Vormerkbuch da?
+
+(Proserpina hebt das Vormerkbuch auf:) Ja!
+
+(Morell.) Ist irgendeine Vorlesung für nächsten Montag angesetzt?
+
+(Proserpina im Vormerkbuch nachschlagend:) Der radikale Klub von Tower
+Hamlet.
+
+(Morell) Nun, und Donnerstag?
+
+(Proserpina.) Die englische Bodenreform-Liga.
+
+(Morell.) Was dann?
+
+(Proserpina.) In der Gilde von Sankt Matthäus am Montag. In der
+unabhängigen Arbeitervereinigung, Abteilung Greenwich, am Donnerstag;
+am Montag darauf in der soziademokratischen Föderation, Abteilung Mile
+End; am folgenden Donnerstag ist die erste Konfirmationsklasse.
+(Ungeduldig:) Ach, ich will lieber schreiben, daß Sie überhaupt nicht
+kommen können; es sind doch nur ein halbes Dutzend unwissende und
+eingebildete Hausierer, die miteinander keine fünf Schilling haben.
+
+(Morell belustigt:) Ah, aber bedenken Sie, es sind nahe Verwandte von
+mir, Fräulein Garnett.
+
+(Proserpina ihn anstarrend:) Verwandte von Ihnen?
+
+(Morell.) Ja! Wir haben denselben Vater--im Himmel.
+
+(Proserpina erleichtert:) Oh, weiter nichts?
+
+(Morell mit einer Melancholie, die einem Manne Genuß ist, dessen
+Stimme sie schon so schön auszudrücken vermag:) Ah, Sie glauben das
+auch nicht,--jedermann sagt es, niemand glaubt es, niemand! (Schnell
+zu seinem Gegenstande zurückkehrend:) Gut, gut! Na, Fräulein
+Proserpina, können Sie keinen Tag für die Hausierer finden, wie ist's
+mit dem fünfundzwanzigsten,--der war noch vorgestern frei.
+
+(Proserpina aus dem Vormerkbuch:) Auch vergeben--an die Fabier.
+
+(Morell.) Hol' der Geier die Fabier! Ist der achtundzwanzigste
+gleichfalls vergeben?
+
+(Proserpina.) Bankett in der City. Sie sind von den Hüttenbesitzern
+zum Speisen eingeladen.
+
+(Morell.) Das geht, ich werde eben statt dessen nach Hoxton gehen.
+(Sie trägt diese Verpflichtung schweigend ein, mit unerschütterlicher
+Verachtung gegen diese Hoxtoner Anarchisten, die sich in jeder Linie
+ihres Gesichtes spiegelt. Morell reißt das Streifband eines Exemplars
+des "Church Reformer" ab, das mit der Post angekommen ist, und
+überfliegt den Leitartikel Stewart Hedlams und die Mitteilungen der
+Gilde von Sankt Matthäus. Diese Vorgänge werden alsbald durch das
+Erscheinen des Unterpfarrers Morells, Alexander Mill, unterbrochen.
+Er ist ein junger Mensch, den Morell von der nächsten Missionstelle
+der Universität bezogen hat, wohin er von Oxford gekommen war, um dem
+East-End von London die Wohltat seiner akademischen Bildung angedeihen
+zu lassen. Er ist ein eingebildeter, gutgesinnter, unreifer Mann, von
+enthusiastischer Natur. Nichts absolut Unausstehliches ist in seinem
+Wesen außer der Gewohnheit, um eine gezierte Sprache zu erzielen, mit
+sorgsam geschlossenen Lippen zu reden und eine Menge Vokale schlecht
+auszusprechen, als ob dies das Hauptmittel wäre, die Bildung Oxfords
+unter den Pöbel Hackneys zu tragen.)
+
+(Morell, den er durch eine hündische Unterwürfigkeit für sich gewann,
+blickt nachsichtig von seiner Lektüre im "Church Reformer" auf und
+bemerkt:) Nun, Lexi, wieder verschlafen, wie gewöhnlich?
+
+(Mill.) Leider ja. Ich wollte, ich könnte des Morgens leichter
+aufstehen.
+
+(Morell freut sich der eigenen Energie:) Ha, ha! (launig:) "Wache und
+bete", Lexi, "wache und bete".
+
+(Mill.) Ich weiß. (Er benützt diese Gelegenheit sofort, um einen Witz
+zu machen.) Aber wie kann ich wachen und beten, wenn ich schlafe;
+--hab' ich nicht recht, Fräulein Prossi?
+
+(Proserpina scharf:) Fräulein Garnett, wenn ich bitten darf.
+
+(Mill.) Entschuldigen Sie, Fräulein Garnett.
+
+(Proserpina.) Sie müssen heute alle Arbeit allein erledigen. (Mill.)
+Warum?
+
+(Proserpina.) Fragen Sie nicht, warum. Es wird Ihnen wohl bekommen,
+Ihr Abendbrot einmal zu verdienen, bevor Sie es essen, wie ich es
+täglich tue. Los, trödeln Sie nicht. Sie sollten schon seit einer
+halben Stunde unterwegs sein.
+
+(Mill starr:) Spricht sie im Ernst, Herr Pastor?
+
+(Morell in bester Laune--seine Augen glänzen:) Ja. Heute werd' ich
+einmal bummeln.
+
+(Mill.) Sie? Sie wissen ja nicht, wie man das macht.
+
+(Morell herzlich:) Ha, ha! Weißichdasnicht? Diesen Tag will ich ganz
+für mich haben, oder doch wenigstens den Vormittag! Meine Frau kommt
+nämlich zurück, um elf Uhr fünfundvierzig soll sie hier eintreffen.
+
+(Mill erstaunt:) Schon zurück--mit den Kindern? Ich dachte, sie
+wollte bis Ende des Monats fortbleiben.
+
+(Morell.) So ist es. Sie kommt nur für zwei Tage her, um für Jimmy
+etwas Flanellwäsche einzukaufen und um zu sehen, wie wir hier ohne sie
+fertig werden.
+
+(Mill ängstlich:) Aber lieber Herr Morell, wenn das, was Jimmy und
+Flussy gefehlt hat, wirklich Scharlach war, halten Sie es für klug?--
+
+(Morell.) Unsinn, Scharlach! Masern waren es, ich habe sie selbst von
+der Pycroftstraße aus der Schule nach Hause gebracht; ein Pastor ist
+wie ein Arzt, mein Lieber, er muß der Ansteckung ins Auge sehen können
+wie ein Soldat den Kugeln. (Er erbebt sich und schlägt Mill auf die
+Schultern.) Trachten Sie, Masern zu bekommen, wenn Sie können; Candida
+wird Sie dann pflegen, und was für ein Glücksfall wäre das für Sie,
+--was?
+
+(Mill unsicher lächelnd:) Es ist schwer, Sie zu verstehen, wenn Sie
+über Frau Morell sprechen.--
+
+(Morell weich:) Mein lieber Junge, seien Sie erst verheiratet!
+Verheiratet mit einer guten Frau, und dann werden Sie mich verstehen.
+Es ist ein Vorgeschmack von dem Besten, was uns in dem himmlischen
+Reich erwartet, das wir uns auf Erden zu gründen versuchen. Dann
+werden Sie sich schon das Bummeln abgewöhnen! Ein braver Mann fühlt,
+daß er dem Himmel für jede Stunde des Glücks ein hartes Stück
+selbstloser Arbeit zum Wohle seiner Mitmenschen schuldig ist. Wir
+haben ebensowenig das Recht, Glück zu verbrauchen, ohne es zu erzeugen,
+als Reichtum zu verbrauchen, ohne ihn zu erwerben. Suchen Sie sich
+eine Frau wie meine Candida, und Sie werden immer Schuldner sein,
+wieviel Sie auch abzahlen. (Er klopft Mill liebevoll auf den Rücken
+und ist im Begriff, das Zimmer zu verlassen, als Mill ihn zurückruft.)
+
+(Mill.) Oh, warten Sie einen Augenblick, ich vergaß... (Morell bleibt
+stehen und wendet sich um, die Türklinke in der Hand.) Ihr Herr
+Schwiegervater wird hierherkommen, er hat mit Ihnen zu sprechen.
+(Morell schließt die Tür wieder, mit vollkommen verändertem Wesen.)
+
+(Morell überrascht und nicht erfreut:) Burgess?
+
+(Mill.) Ja! Ich traf ihn mit jemandem im Park, in eifrigem Gespräch.
+Er sprach mich an und bat mich, Sie wissen zu lassen, daß er
+hierherkommt.
+
+(Moroll halb ungläubig:) Aber er ist seit Jahren nicht hier gewesen.
+Sind Sie sicher, Lexi? Sie scherzen doch nicht etwa?--
+
+(Mill ernst:) Nein, Herr Pastor, ganz bestimmt nicht!
+
+(Morell nachdenklich:) Hm, hm, er hält es an der Zeit, sich wieder
+einmal nach Candida umzusehen, ehe sie gänzlich aus seinem Gedächtnis
+verschwindet. (Er fügt sich in das Unvermeidliche und geht hinaus;
+Mill sieht ihm mit begeisterter, närrischer Verehrung nach. Fräulein
+Garnett, die Mill nicht schütteln kann, wie sie möchte, läßt ihre
+Gefühle an der Schreibmaschine aus.)
+
+(Mill.) Was für ein vortrefflicher Mann, welch ein tiefes liebevolles
+Gemüt! (Er nimmt Morells Platz am Tisch ein und macht es sich bequem,
+indem er eine Zigarette hervorzieht.)
+
+
+(Proserpina ungeduldig, nimmt den Brief, den sie auf der Maschine
+geschrieben hat, und faltet ihn zusammen:) Ach! ein Mann sollte seine
+Frau lieben können, ohne einen Narren aus sich zu machen.
+
+(Mill erregt:) Aber Fräulein Proserpina!
+
+(Proserpina geschäftig aufstehend, holt ein Kuvert aus dem Pulte, in
+das sie, während sie spricht, den Brief hineinlegt:) Candida hin und
+Candida her und Candida überall. (Sie leckt das Kuvert.) Es kann
+einen außer Rand und Band bringen! (Hämmert das Kuvert, um es fest zu
+schließen.) Hören zu müssen, wie eine ganz gewöhnliche Frau in dieser
+lächerlichen Weise vergöttert wird, bloß weil sie schönes Haar und
+eine leidliche Figur hat.
+
+(Mill mit vorwurfsvollem Ernst:) Ich finde sie ungewöhnlich schön,
+Fräulein Garnett. (Er nimmt die Photographie zur Hand betrachtet sie
+und fügt mit noch tieferem Ausdruck hinzu:) Wunderbar schön,--was für
+herrliche Augen sie hat!
+
+(Proserpina.) Candidas Augen sind durchaus nicht schöner als meine,
+(Mill stellt die Photograpbie fort und sieht sie strenge an,) und ich
+weiß ganz gut, daß Sie mich für ein gewöhnliches und untergeordnetes
+Geschöpf halten.
+
+(Mill erbebt sich majestätisch:) Gott behüte, daß ich von irgendeinem
+Geschöpf Gottes in dieser Weise dächte. (Er geht steif von ihr fort
+bis in die Nähe des Bücherschranks.)
+
+(Proserpina mit bitterem Spott:) Ich danke Ihnen, das ist sehr nett
+und tröstlich.
+
+(Mill traurig über ihre Verstocktheit:) Ich hatte keine Ahnung, daß
+Sie etwas gegen Frau Morell haben.
+
+(Proserpina entrüstet:) Ich habe durchaus nichts gegen sie. Sie ist
+sehr liebenswürdig und sehr gutherzig, ich habe sie sehr gern und weiß
+ihre wirklich guten Eigenschaften weit besser zu würdigen, als
+irgendein Mann es könnte. (Mill schüttelt traurig den Kopf, wendet
+sich zum Bücherschrank und sucht die Reihen entlang nach einem Bande.
+Sie folgt ihm mit heftiger Leidenschaftlichkeit.) Sie glauben mir
+nicht? (Er wendet sich um und blickt ihr ins Gesicht. Sie fällt ihn
+mit Heftigkeit an:) Sie halten mich für eifersüchtig? Was für eine
+tiefe Kenntnis des menschlichen Herzens Sie haben, Herr Alexander Mill!
+Wie gut Sie die Schwächen der Frauen kennen, nicht wahr? Wie schön
+es sein muß, ein Mann zu sein und einen scharfen durchdringenden
+Verstand zu haben, statt bloße Gefühle, wie wir Frauen, und zu wissen,
+daß die Ursache, warum wir ihr Vernarrtsein in eine Frau nicht teilen,
+nur in gegenseitiger Eifersucht zu suchen sein kann. (Sie wendet sich
+mit einer Bewegung ihrer Schultern von ihm ab und geht an das Feuer,
+ihre Hände zu wärmen.)
+
+(Mill.) Ach, wenn Ihr Frauen nur ebenso leicht den Schlüssel zur
+Stärke des Mannes fändet wie zu seiner Schwäche, es gäbe keine
+Frauenfrage.
+
+(Proserpina über ihre Schulter, während sie die Hände vor die Flammen
+hält:) Wo haben Sie das von Herrn Morell gehört? Sie selbst haben es
+nicht erfunden,--Sie sind dazu nicht gescheit genug.
+
+(Mill.) Das ist ganz richtig. Ich schäme mich durchaus nicht, ihm
+diesen Ausspruch zu verdanken, wo ich ihm schon so viele andere
+geistige Wahrheiten verdanke! Er tat ihn bei der Jahresversammlung
+der freien Frauenvereinigung. Erlauben Sie mir hinzuzufügen, daß ich,
+obwohl bloß ein Mann, im Gegensatz zu jenen Frauen diesen Ausspruch zu
+schätzen wußte! (Er wendet sich wieder an den Bücherschrank in der
+Hoffnung, daß diese Worte sie vernichtet haben.)
+
+(Proserpina ordnet ihr Haar vor den kleinen Spiegeln des Kamins:) Wenn
+Sie mit mir sprechen, sagen Sie mir gefälligst Ihre eigenen Gedanken,
+soviel sie eben wert sind, und nicht die Pastor Morells. Sie geben
+niemals eine traurigere Figur ab, als wenn Sie versuchen, ihn
+nachzumachen.
+
+(Mill gekränkt:) Ich versuche seinem Beispiel zu folgen, aber nicht,
+ihn nachzumachen.
+
+(Proserpina kommt wieder an ihn heran auf dem Rückwege zu ihrer Arbeit:)
+Jawohl, Sie machen ihn nach. Warum stecken Sie Ihren Schirm unter
+den linken Arm, statt ihn in der Hand zu tragen wie jeder andere?
+Warum gehen Sie mit vorgeschobenem Kinn und warum eilen Sie vorwärts
+mit diesem eifrigen Ausdruck in den Augen,--Sie, der Sie nie vor halb
+zehn Uhr morgens aufstehen? Warum sagen Sie in der Kirche "Aandacht",
+obwohl Sie im Leben "Andacht" sagen? Bah--glauben Sie, ich weiß das
+nicht? (Geht zurück zur Schreibmaschine.) Da kommen Sie her und
+machen Sie sich endlich an Ihre Arbeit; wir haben heute Morgen genug
+Zeit verloren. Hier ist eine Abschrift der Tageseinteilung für heute.
+(Sie reicht ihm ein Memorandum. Mill schwer beleidigt:) Ich danke
+Ihnen. (Er nimmt das Papier und steht mit dem Rücken gegen sie an den
+Tisch gelehnt und liest.) Sie fängt an, auf der Schreibmaschine ihre
+stenographischen Aufzeichnungen zu übertragen, ohne auf Mills Gefühle
+zu achten.
+
+(Burgess tritt unangemeldet ein.) Er ist ein Mann von sechzig Jahren,
+derb und filzig geworden durch die notwendige Selbstsucht des kleinen
+Krämers, die sich später durch Überfütterung und geschäftlichen Erfolg
+zu träger Aufgeblasenheit milderte. Ein gemeiner, unwissender,
+unmäßiger Mensch, beleidigend und hochnasig Leuten gegenüber, deren
+Arbeit wohlfeil ist, ehrfürchtig gegen Menschen von Reichtum und Rang,
+aber beiden gegenüber ganz aufrichtig und ohne Groll oder Neid. Da
+sie ihn ohne besondere Fähigkeiten sah, hat ihm die Welt keine andere
+gut bezahlte Arbeit zu bieten gewußt, als unnoble Arbeit, und er wurde
+infolgedessen etwas erbärmlich, hat aber keine Ahnung, daß er so
+beschaffen ist, und betrachtet seinen kommerziellen Wohlstand ganz
+ehrlich als den unvermeidlichen und sozial berechtigten Triumph der
+Geschicklichkeit, Tüchtigkeit, Fähigkeit und Erfahrung eines Mannes,
+der im Privatleben übertrieben, leichtsinnig, liebenswürdig und
+leutselig ist. Körperlich ist er kurz und dick, mit einer
+schnauzenähnlichen Nase in der Mitte eines flachen, breiten Gesichtes;
+unter dem Kinn ein staubfarbener Bart mit einem grauen Fleck in der
+Mitte; er hat wässerige blaue Augen mit klagend sentimentalem Ausdruck,
+der sich durch die Gewohnheit, seine Sätze wichtigtuend zu singen,
+auch leicht auf seine Stimme überträgt.
+
+(Burgess bleibt an der Schwelle stehen und blickt umher:) Man sagte
+mir, Herr Morell sei hier.
+
+(Proserpina sich erhebend:) Er ist oben, ich will ihn holen.
+
+(Burgess sie frech anstarrend:) Sie sind nicht dieselbe junge Dame,
+die sonst für ihn schrieb.
+
+(Proserpina.) Nein.
+
+(Burgess beistimmend:) Nein, die war jünger. (Fräulein Garnett starrt
+ihn an, dann gebt sie mit großer Würde hinaus. Er nimmt dies
+gleichgültig entgegen und geht an den Kaminteppich, wo er sich
+umwendet und sich breitspurig aufpflanzt, den Rücken dem Feuer
+zugekehrt.)
+
+(Burgess.) Sind Sie im Begriff Ihren Rundgang zu machen, Herr Mill?
+
+(Mill faltet sein Papier und steckt es in die Tasche:) Jawohl, ich muß
+gleich fort.
+
+(Burgess wichtig:) Lassen Sie sich nicht aufhalten; was ich mit Herrn
+Morell zu besprechen habe, ist ganz privater Natur.
+
+(Mill aufgeblasen:) Ich habe durchaus nicht die Absicht, mich
+einzumengen, verlassen Sie sich darauf, Herr Burgess. Guten Morgen!
+
+(Burgess herablassend:) Guten Morgen, guten Morgen!
+
+(Morell kommt zurück, während Mill sich zur Tür wendet.)
+
+(Morell zu Mill:) Sie gehen an die Arbeit?
+
+(Mill.) Jawohl, Herr Pastor.
+
+(Morell klopft ihn liebenswürdig auf die Schulter:) Da, nehmen Sie
+mein Seidentuch um den Hals, es geht ein kalter Wind draußen. Aber
+jetzt machen Sie, daß Sie fortkommen. (Mill, mehr als getröstet über
+Burgess' Schroffheit, freut sich und geht hinaus.)
+
+(Burgess.) Guten Morgen, Jakob. Sie verwöhnen Ihren Unterpfarrer wie
+immer. Wenn ich einen Mann bezahle und einer auf meine Kosten lebt,
+dann weise ich ihm gehörig seinen Platz an.
+
+(Morell etwas kurz angebunden:) Ich weise meinem Unterpfarrer immer
+seinen Platz an, nämlich an meiner Seite als meinem Helfer und
+Kameraden. Wenn es Ihnen gelingt, so viel Arbeit aus Ihren Kommis und
+Angestellten herauszukriegen wie ich aus meinem Unterpfarrer, dann
+müssen Sie ziemlich rasch reich werden. Bitte, setzen Sie sich in
+Ihren gewohnten Stuhl. (Er weist mit trockener Autorität auf den
+Armstuhl neben dem Kamin, dann ergreift er einen freien Stuhl und
+setzt sich in zurückhaltender Entfernung von seinem Besucher.)
+
+(Burgess ohne sich zu rühren:) Sie sind ganz der alte, Jakob.
+
+(Morell.) Als Sie mich das letztemal besuchten--ich glaube, es war vor
+drei Jahren--da sagten Sie genau dasselbe. Nur etwas aufrichtiger.
+Ihr wörtlicher Ausspruch war damals: "Derselbe Narr wie immer, Jakob."
+
+(Burgess sich rechtfertigend:) Vielleicht sagte ich das, aber (mit
+versöhnender Heiterkeit:) ich meinte nichts Beleidigendes damit. Ein
+Geistlicher hat das Privilegium, ein wenig närrisch sein zu
+dürfen--wissen Sie, das liegt schon in seinem Beruf. Einerlei, ich
+bin nicht hergekommen, um alte Meinungsverschiedenheiten aufzuwärmen,
+sondern um die Vergangenheit vergessen sein zu lassen. (Er wird
+plötzlich sehr feierlich und nähert sich Morell.) Jakob, vor drei
+Jahren haben Sie mir übel mitgespielt. Sie haben mich um meine
+Lieferungen gebracht, und als ich Ihnen in meiner erklärlichen
+Verzweiflung böse Worte gab, brachten Sie meine Tochter gegen mich auf.
+Nun, ich bin gekommen, um Ihnen zu zeigen, daß ich ein guter Christ
+bin. (Ihm seine Hand darreichend:) Ich verzeihe Ihnen, Jakob.
+
+(Morell auffahrend:) Verdammt frech!
+
+(Burgess weicht zurück mit fast schluchzendem Vorwurf über diese
+Behandlung:) Ziemt diese Sprache einem Pastor, Jakob? Und besonders
+Ihnen?
+
+(Morell bitzig:) Nein, sie ziemt ihm nicht, ich habe das falsche Wort
+gebraucht,--ich hätte sagen sollen: "Der Teufel soll Ihre Frechheit
+holen!" Das würde Ihnen der heilige Paulus und jeder andere brave
+Priester gesagt haben. Glauben Sie, ich habe Ihr Anerbieten vergessen,
+als Sie für das Armenhaus vertragsmäßig Kleider liefern sollten?
+
+(Burgess in höchster Erbitterung, weil ihm seine Forderung nur recht
+und billig erscheint:) Ich habe im Interesse der Steuerzahler
+gehandelt, Jakob,--es war das niedrigste Angebot, das können Sie nicht
+leugnen.
+
+(Morell.) Jawohl, das niedrigste, weil Sie schlechtere Löhne zahlten
+als irgendein anderer Unternehmer--Hungerlöhne,--ach, ärger als
+Hungerlöhne war die Bezahlung, die Sie den Frauen für ihre Näharbeit
+geboten haben. Ihre Löhne hätten die Armen auf die Straße getrieben,
+um Leib und Seele zu verkaufen. (Immer wütender werdend:) Jene Frauen
+waren aus meinem Kirchsprengel, ich habe die Armenpfleger dazu
+gebracht, daß sie sich schämten, Ihr Angebot anzunehmen, ich habe die
+Steuerzahler dazu gebracht, daß sie sich schämten, es zuzulassen, ich
+habe jeden bis auf Sie dazu gebracht, sich deswegen zu schämen.
+(Überschäumend vor Wut:) Wie können Sie es wagen, Herr,
+hierherzukommen und mir etwas vergeben zu wollen und über Ihre Tochter
+zu sprechen und...
+
+(Burgess.) Beruhigen Sie sich, Jakob,--still, still, regen Sie sich
+nicht für nichts und wieder nichts so auf. Ich habe ja zugegeben, daß
+ich unrecht hatte.
+
+(Morell wütend:) Haben Sie das? Ich habe nichts davon bemerkt!
+
+(Burgess.) Natürlich gab ich's zu, so wie ich's noch jetzt zugebe. Na,
+ich bitte Sie um Verzeihung wegen des Briefes, den ich Ihnen
+geschrieben habe,--genügt Ihnen das?
+
+(Morell mit den Fingern schnalzend:) Ganz und gar nicht! Haben Sie
+die Löhne erhöht?
+
+(Burgess triumphierend:) Ja!
+
+(Morell verblüfft innehaltend:) Was?
+
+(Burgess salbungsvoll:) Ich bin das Muster eines Arbeitgebers geworden.
+Ich beschäftige keine Frauen mehr, sie haben alle den Laufpaß
+bekommen, und die Arbeit wird jetzt durch Maschinen verrichtet. Nicht
+ein Mann verdient jetzt weniger als sechs Pence die Stunde, und die
+alten geübten Arbeiter bekommen die von den Gewerkschaften
+festgesetzten Löhne. (Stolz:) Was sagen Sie jetzt?
+
+(Morell überwältigt:) Ist das möglich? Na, es ist mehr Freude im
+Himmel über einen Sünder, der Buße tut--(Er geht auf Burgess zu mit
+einem Ausbruch entschuldigender Herzlichkeit.) Mein lieber Burgess,
+ich bitte Sie herzlichst um Verzeihung wegen der schlechten Meinung,
+die ich von Ihnen hatte. (Seine Hand fassend:) Und fühlen Sie sich
+nicht wohler nach dieser Veränderung? Gestehen Sie es! Sie sind
+glücklicher, Sie sehen glücklicher aus.
+
+(Burgess kläglich:) Na ja, vielleicht fühle ich mich jetzt glücklicher,
+ich muß wohl, da Sie es bemerken. Tatsache ist, daß mein Angebot von
+der Behörde angenommen wurde. (Wild:) Sie wollte nichts mit mir zu
+schaffen haben, ehe ich anständige Löhne zahlte--der Teufel soll
+diese verdammten Narren holen, die ihre Nase in alles stecken müssen!
+
+(Morell läßt seine Hand fahren, aufs tiefste entmutigt:) Das ist also
+der Grund, warum Sie die Löhne erhöht haben! (Er setzt sich
+niedergeschlagen.)
+
+(Burgess streng, anmaßend, lauter werdend:) Weswegen sollt' ich es
+sonst getan haben? Wohin anders führt es, als zu Trunksucht und
+Ausschweifungen? (Er setzt sich wie ein Richter in den großen
+Lehnstuhl.) Das ist alles sehr schön und gut für Sie: es bringt Sie in
+die Zeitungen und macht Sie zu einem berühmten Manne; aber Sie denken
+nie an den Schaden, den Sie anrichten, indem Sie die Taschen der
+Arbeiter mit Geld anfüllen, das sie doch nicht vernünftig auszugeben
+verstehen, während Sie es Leuten fortnehmen, die gute Verwendung dafür
+hätten.
+
+(Morell nach einem schweren Seufzer, mit kalter Höflichkeit:) Was
+wollen Sie also heute von mir? Ich bilde mir nicht ein, daß nur
+verwandtschaftliche Gefühle Sie herführen.
+
+(Burgess hartnäckig:) Doch--gerade verwandtschaftliche Gefühle und
+nichts anderes!
+
+(Morell mit müder Ruhe:) Das glaub' ich Ihnen nicht.
+
+(Burgess springt drohend auf:) Sagen Sie mir das nicht ein zweites Mal,
+Jakob Morell!
+
+(Morell unerschütterlich:) Ich werde es genau so oft sagen, als es
+nötig ist, Sie davon zu überzeugen.--Das glaub' ich Ihnen nicht.
+
+(Burgess versinkt in einen Zustand von tief verwundetem Gefühl:) Nun
+gut, wenn Sie durchaus unfreundlich sein wollen, dann ist es wohl am
+besten, ich gehe. (Er bewegt sich zögernd gegen die Tür, Morell gibt
+kein Zeichen. Burgess zögert noch.) Ich habe nicht erwartet, Sie
+unversöhnlich zu finden, Jakob. (Da Morell noch immer nicht antwortet,
+macht er noch einige zögernde Schritte nach der Tür, dann kommt er
+zurück, jammernd:) Wir haben uns doch immer ganz gut vertragen, trotz
+unserer verschiedenen Anschauungen, warum sind Sie mir gegenüber jetzt
+so verändert? Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich bloß aus Freundschaft
+hergekommen bin und nicht, um mich mit dem Manne meiner eigenen
+Tochter auf schlechten Fuß zu stellen. Seien Sie doch ein Christ,
+Jakob, reichen Sie mir Ihre Hand. (Er legt seine Hand sentimental auf
+Morells Schulter.)
+
+(Morell blickt nachdenklich zu ihm auf.) Schauen Sie, Burgess, wollen
+Sie hier ebenso willkommen sein, wie Sie es waren, ehe Sie Ihren
+Vertrag verloren?
+
+(Burgess.) Jawohl, Jakob, das möchte ich wirklich.
+
+(Morell.) Warum benehmen Sie sich dann nicht wie damals?
+
+(Burgess nimmt seine Hand behutsam weg:) Wie meinen Sie das?
+
+(Morell.) Das will ich Ihnen sagen. Damals hielten Sie mich für einen
+jungen Dummkopf!
+
+(Burgess schmeichelnd:) Nein, dafür habe ich Sie nicht gehalten, ich--
+
+(Morell ihn unterbrechend:) Ja, dafür hielten Sie mich! Und ich hielt
+Sie für einen alten Schurken.
+
+(Burgess will diese schwere Selbstanklage Morells heftig abwehren:)
+Nein, das haben Sie nicht getan, Jakob. Jetzt tun Sie sich selbst
+unrecht.
+
+(Morell.) Doch, das tat ich. Na, das hat aber nicht gehindert, daß
+wir ganz gut miteinander ausgekommen sind. Gott hat aus Ihnen das
+gemacht, was ich einen Schurken nenne, und aus mir das, was Sie eben
+einen Dummkopf nennen. (Diese Bemerkung erschüttert die Grundfesten
+von Burgess' Moral. Ihm wird schwach, und während er Morell hilflos
+anblickt, streckt er die Hand ängstlich aus, um sein Gleichgewicht zu
+bewahren, als ob der Boden unter ihm wankte. Morell fährt im selben
+Tone ruhiger Überzeugung fort:) Es ist in beiden Fällen nicht meine
+Sache, mit Gott darüber zu rechten. Solange Sie offen als ein sich
+selbst achtender, echter, überzeugter Schurke hierherkommen und, stolz
+darauf, Ihre Schurkereien zu rechtfertigen versuchen, sind Sie
+willkommen. Aber (und nun wird Morells Ton furchtbar; er erhebt sich
+und stützt sich zur Bekräftigung mit der Faust auf die Rückenlehne des
+Stuhles:) ich mag Sie hier nicht herumschnüffeln haben, wenn Sie so
+tun, als ob Sie das Muster eines Arbeitgebers wären und ein bekehrter
+Mann dazu, während Sie nur ein Abtrünniger sind, der seinen Rock nach
+dem Winde trägt, um einen Vertrag mit der Behörde zustande zu bringen.
+(Er nickt ihm zu, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen, dann geht er
+zum Kamin, wo er in bequemer Kommandostellung, mit dem Rücken gegen
+das Feuer gekehrt, lehnt und fortfährt:) Nein, ich liebe es, wenn ein
+Mensch wenigstens sich selber treu bleibt, selbst im Bösen! Also,
+nehmen Sie jetzt entweder Ihren Hut und gehen Sie, oder setzen Sie
+sich und geben Sie mir einen guten, schurkischen Grund dafür an, warum
+Sie mein Freund sein wollen. (Burgess, dessen Erregung sich genügend
+gelegt hat, um in einem Grinsen ausgedrückt werden zu können, fühlt
+sich durch diesen konkreten Vorschlag sichtlich erleichtert. Er
+überlegt einen Augenblick, und dann setzt er sich langsam und sehr
+bescheiden in den Stuhl, den Morell eben verlassen hat.) So ist's
+recht,--nun heraus damit.
+
+(Burgess kichernd gegen seinen Willen:) Nein, Sie sind wirklich ein
+sonderbarer Kauz, Jakob! (Beinahe enthusiastisch:) Aber man muß Sie
+gern haben, ob man will oder nicht. Außerdem nimmt man, wie ich schon
+sagte, nicht jedes Wort eines Geistlichen für bare Münze, sonst müßte
+die Welt untergehn. Habe ich nicht recht? (Er faßt sich, um einen
+ernsteren Ton anzuschlagen, und die Augen auf Morell gerichtet, fährt
+er mit eintönigem Ernste fort:) Nun, meinetwegen, da Sie es wünschen,
+daß wir gegeneinander ehrlich sind, will ich Ihnen zugeben, daß ich
+Sie--ein wenig--für einen Narren hielt; aber ich fange an zu glauben,
+daß ich damals etwas hinter meiner Zeit zurückgeblieben war.
+
+(Morell frohlockend:) Aha, haben Sie das endlich herausgefunden?
+
+(Burgess bedeutungsvoll:) Ja, die Zeiten haben sich mehr verändert,
+als man glauben sollte! Vor fünf Jahren noch hätte sich kein
+vernünftiger Mensch mit Ihren Ideen abgegeben. Ich wunderte mich
+sogar, daß man Sie auf Ihrem Posten als Pastor beließ. Ich kenne
+einen Geistlichen, der durch den Bischof von London auf Jahre hinaus
+seiner Funktionen enthoben wurde, obwohl der arme Teufel nicht einen
+Funken mehr religiös war als Sie. Aber wenn heute jemand mit mir um
+tausend Pfund wetten wollte, daß Sie selbst noch einmal als Bischof
+enden werden, ich würde die Wette nicht anzunehmen wagen. (Sehr
+eindrucksvoll:) Sie und Ihre Sippschaft werden täglich einflußreicher,
+wie ich überall merke. Man wird Sie einmal irgendwie befördern müssen,
+und wäre es bloß, um Ihnen den Mund zu stopfen. Sie haben doch den
+richtigen Instinkt gehabt, Jakob! Der Weg, den Sie eingeschlagen
+haben, ist der einträglichste für einen Mann Ihres Schlages.
+
+(Morell reicht ihm jetzt die Hand mit fester Entschlossenheit:) Hier
+meine Hand, Burgess, jetzt reden Sie ehrlich. Ich glaube nicht, daß
+man mich zum Bischof ernennen wird; aber wenn es geschieht, dann will
+ich Sie mit den größten Spekulanten bekannt machen, die ich zu meinen
+Diners bekommen kann.
+
+(Burgess der sich mit einem verschmitzten Grinsen erhoben und die
+Freundschaftshand ergriffen hat:) Sie bleiben nun mal bei Ihrem Witz,
+Jakob. Unser Streit ist jetzt beigelegt, nicht wahr?
+
+(Die Stimme einer Frau.) Sag "Ja", Jakob!
+
+(Erstaunt wenden sie sich um und bemerken, daß Candida eben
+eingetreten ist und sie mit jener belustigten, mütterlichen Nachsicht
+betrachtet, die ihr charakteristischer Gesichtsausdruck ist. Sie ist
+eine Frau von dreiunddreißig Jahren, schön gewachsen, gut genährt.
+Man errät, daß sie später eine Matrone sein wird, aber jetzt steht sie
+noch in ihrer Blüte, mit dem Doppelreiz der Jugend und der
+Mutterschaft. Ihr Benehmen ist das einer Frau, die erfahren hat, daß
+sie die Menschen immer lenken kann, wenn sie ihre Neigung gewinnt, und
+die dies unbekümmert offen und instinktiv tut. In diesem Punkte ist
+sie wie jede andere hübsche Frau, die gerade klug genug ist, aus ihrer
+weiblichen Anziehungskraft zu alltäglich selbsttüchtigen Zwecken so
+viel Kapital wie möglich zu schlagen. Aber Candidas heitere Stirn und
+ihre mutigen Augen, der schön geformte Mund und ihr Kinn kennzeichnen
+umfassenden Geist und Würde des Charakters, der ihre Schlauheit im
+Gewinnen von Neigungen adelt. Ein kluger Beobachter würde, sie
+betrachtend, sofort erraten, daß wer das Bild der Assunta auch über
+ihren Kamin gehängt haben mochte, ein seelisches Band zwischen den
+beiden Frauengestalten geahnt hatte, obwohl er weder ihrem Manne, noch
+ihr selbst den Gedanken zutraute, sie mit der Kunst Tizians irgendwie
+in Zusammenhang zu bringen.--Sie ist in Hut und Mantel und hat eine
+zusammengeschnürte Reisedecke, durch die ihr Schirm gesteckt ist, eine
+Handtasche und eine Menge illustrierter Zeitungen in den Händen.)
+
+(Morell über seine Nachlässigkeit erschrocken:) Candida! Ei nun!--(Er
+sieht auf seine Uhr und ist entsetzt, daß es schon so spät ist.) Mein
+Schatz! (Er eilt ihr entgegen und nimmt ihr die Reisedecke ab, indem
+er fortfährt, sein reumütiges Bedauern hervorzusprudeln:) Ich hatte
+die Absicht, dich von der Bahn abzuholen, aber ich bemerkte nicht, daß
+die Zeit schon um war, (die Reisedecke aufs Sofa werfend:) ich war so
+sehr in Anspruch genommen--(Wieder zu ihr kommend:) daß ich das
+vergaß--oh! (Er umarmt sie mit reumütiger Ergriffenheit.)
+
+(Burgess etwas beschämt und ungewiß, wie er von seiner Tochter
+empfangen werden wird:) Wie geht es dir, Candy? (Candida, noch in
+Morells Armen, bietet ihm ihre Wange, die er küßt:) Jakob und ich sind
+zu einer Verständigung gekommen--zu einer ehrenvollen Verständigung.
+Nicht wahr, Jakob?
+
+(Morell heftig:) Reden Sie nicht von unserer Verständigung!
+Ihretwegen habe ich versäumt, Candida abzuholen.
+
+(Teilnahmsvoll:) Du arme Liebe, wie bist du nur mit deinem Gepäck
+fertig geworden? Wie--
+
+(Candida unterbricht ihn und macht sich los:) Na, na, na! ich war
+nicht allein. Eugen ist mit uns gekommen--wir sind zusammen
+hergefahren.
+
+(Morell erfreut:) Eugen?!
+
+(Candida.) Ja. Er plagt sich eben mit meinem Gepäck ab, der arme
+Junge. Ich bitte dich, lieber Jakob, geh gleich hinunter, sonst
+bezahlt er den Wagen, und das möchte ich nicht. (Morell eilt hinaus.
+Candida stellt ihre Handtasche nieder, nimmt dann ihren Mantel und Hut
+ab und legt sie auf das Sofa neben die Decke und plaudert inzwischen.)
+Nun, Papa, wie geht's zu Hause?
+
+(Burgess.) Es lohnt sich nicht mehr, dort zu leben, seit du uns
+verlassen hast, Candy. Ich wollte, du kämst einmal, um nachzusehn und
+mit dem Mädchen zu sprechen.--Wer ist dieser Eugen, der dich begleitet
+hat?
+
+(Candida.) Oh, Eugen ist eine von Jakobs Entdeckungen. Er fand ihn im
+verflossenen Juni schlafend auf dem Kai. Hast du unser neues Bild
+nicht bemerkt? (Ruf das Bild der Assunta zeigend:) Das haben wir von
+ihm.
+
+(Burgess ungläubig:) Was soll das heißen? Willst du mir, deinem
+eigenen Vater, etwa einreden, daß ein Landstreicher, den man schlafend
+auf dem Kai findet, solche Bilder schenkt? (Strenge:) Betrüg mich
+nicht, Candy; es ist ein katholisches Bild, und Jakob hat es selbst
+gekauft.
+
+(Candida.) Du irrst. Eugen ist kein Landstreicher.
+
+(Burgess.) Was ist er denn? (Sarkastisch:) Ein Edelmann
+wahrscheinlich?
+
+(Candida nickt belustigt:) Jawohl, sein Onkel ist ein Pair--ein
+wirklicher, leibhaftiger Graf.
+
+(Burgess wagt es nicht, so eine gute Nachricht zu glauben:) Nein!
+
+(Candida.) Ja! Er trug einen Wechsel auf fünfundfünfzig
+Pfund--zahlbar in acht Tagen--in der Tasche, als Jakob ihn am Kai fand.
+Er dachte, daß er dafür kein Geld bekommen könnte, bevor die acht
+Tage um wären, und er war zu schüchtern, Kredit zu verlangen. Oh, er
+ist ein lieber Junge, wir haben ihn sehr gern.
+
+(Burgess der so tut, als verachte er die Aristokraten, aber mit
+glänzenden Augen:) Hm, ich dachte mir's, daß der Neffe eines Pairs
+nicht bei euch im Viktoriapark zu Besuch sein würde, wenn er nicht ein
+bißchen verrückt wäre. (Er blickt wieder auf das Bild.) Ich bin
+natürlich mit dem Vorwurf dieses Bildes, als strenggläubiger
+Protestant, nicht einverstanden, Candy; aber daß es ein erstklassiges,
+großes Kunstwerk ist, das habe ich sofort erkannt. Nicht wahr, du
+stellst mich ihm vor, Candy? (Er sieht ängstlich auf seine Uhr.) Ich
+kann aber höchstens noch zwei Minuten bleiben.
+
+(Morell kommt mit Eugen zurück, den Burgess mit feuchten Augen
+begeistert anstarrt. Eugen ist ein seltsamer, scheuer Jüngling von
+achtzehn Jahren, schlank, weibisch, mit einer zarten, kindlichen
+Stimme, einem gehetzten, gequälten Ausdruck und mit einem Benehmen,
+das die schmerzliche Empfindlichkeit sehr schnell und plötzlich
+gereifter Knaben kennzeichnet, bevor ihr Charakter volle Festigkeit
+erreicht hat. Erbärmlich unentschlossen, weiß er nie, wo er stehen
+und was er tun soll. Burgess erschreckt ihn, und er möchte am
+liebsten fort von ihm in die Einsamkeit laufen, wenn er es wagte.
+Aber die Intensität, mit der er eine so ganz gewöhnliche Lage
+empfindet, zeugt doch nur von seiner übergroßen nervösen Kraft; und
+seine Nasenflügel, sein Mund und seine Augen verraten einen
+leidenschaftlich ungestümen Eigensinn, über dessen äußersten Grad
+seine Stirne, die schon vom Mitleid gefurcht ist, wieder beruhigt. Er
+sieht absonderlich aus, beinahe wie nicht von dieser Welt--und
+prosaische Leute sehen etwas Ungesundes in dieser überirdischen Art,
+so wie poetische Menschen darin etwas Engelgleiches sehen. Seine
+Kleidung ist ganz frei; er trägt ein altes Jakett aus blauem Serge,
+aufgeknöpft, über einem wollenen Lawn-Tennis-Hemd, mit einem seidenen
+Halstuch als Krawatte, zu dem Jackett passende Beinkleider und braune
+Schuhe aus Segeltuch. In diesem Aufzuge hat er augenscheinlich im
+Heidekraut gelegen und ist durch das Wasser gewatet; es ist auch nicht
+ersichtlich, daß er die Kleider jemals abgebürstet hat. Da er beim
+Eintritt einen Fremden sieht, hält er inne und drückt sich längs der
+Wand nach der entgegengesetzten Seite des Zimmers weiter.)
+
+(Morell beim Eintreten:) Kommen Sie. Sie haben sicher doch eine
+Viertelstunde für uns übrig. Das ist mein Schwiegervater, Herr
+Burgess--Herr Marchbanks.
+
+(Marchbanks weicht geängstigt gegen den Bücherschrank zurück:) Sehr
+angenehm--
+
+(Burgess geht mit großer Herzlichkeit auf ihn zu, während Morell vor
+den Kamin zu Candida tritt:) Es freut mich sehr, Sie kennen zu lernen,
+Herr Marchbanks. (Nötigt ihn, ihm die Hand zu geben.) Wie geht es
+Ihnen bei diesem Wetter? Ich hoffe, Jakob versucht nicht, Ihnen
+verrückte Ideen in den Kopf zu setzen.
+
+(Marchbanks.) Verrückte Ideen? Ach, Sie meinen sozialistische? Nein,
+o nein!
+
+(Burgess.) Das ist recht. (Sieht wieder auf seine Uhr.) Na, jetzt muß
+ich aber gehen, da ist nichts zu machen. Haben Sie vielleicht
+denselben Weg, Herr Marchbanks?
+
+(Marchbanks.) Nach welcher Richtung gehen Sie?
+
+(Burgess.) Station Viktoriapark. Um zwölf Uhr fünfundzwanzig geht ein
+Zug nach der City.
+
+(Morell.) Unsinn, Eugen, Sie frühstücken doch hoffentlich mit uns!
+
+(Marchbanks sich ängstlich entschuldigend:) Nein, ich--ich--
+
+(Burgess.) Nun, ich will Ihnen nicht zureden. Ich wette, daß Sie es
+vorziehen, mit Candy zu frühstücken. Ich hoffe aber, dafür werden Sie
+eines Abends im Bürgerklub in Norton Folgate mit mir dinieren,--bitte,
+sagen Sie zu!
+
+(Marchbanks.) Ich danke Ihnen, Herr Burgess. Wo ist Norton
+Folgate?--Unten in Surrey, nicht wahr?
+
+(Burgess, unaussprechlich belustigt, fängt zu lachen an.)
+
+(Candida zu Hilfe kommend:) Du wirst deinen Zug versäumen, Papa, wenn
+du nicht sofort gehst; komm am Nachmittag wieder und erkläre Herrn
+Marchbanks dann, wie man nach dem Klub gelangt.
+
+(Burgess mit schallendem Gelächter:) In Surrey, ha ha, das ist nicht
+schlecht! Nun, ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der nicht
+Norton Folgate gekannt hätte.
+
+(Betroffen über den Lärm seiner eigenen Stimme:) Leben Sie wohl, Herr
+Marchbanks; ich weiß, Sie sind zu vornehm, um meinen Scherz schlecht
+aufzufassen. (Er reicht ihm abermals die Hand.)
+
+(Marchbanks erfaßt sie mit nervösem Griff.) O bitte, bitte!
+
+(Burgess.) Adieu, adieu, Candy. Ich werde später wiederkommen--auf
+Wiedersehen, Jakob.
+
+(Morell.) Müssen Sie wirklich gehen?
+
+(Burgess.) Laßt euch nicht stören. (Er gebt mit unverminderter
+Herzlichkeit hinaus.)
+
+(Morelt.) Ich werde Sie hinausbegleiten. (Er folgt ihm, Eugen starrt
+ihnen ängstlich nach und hält seinen Atem an, bis Burgess verschwunden
+ist.)
+
+(Candida lachend:) Nun, Eugen? (Er wendet sich mit einem Ruck um und
+kommt heftig auf sie zu, hält aber unschlüssig inne, als er ihren
+belustigten Blick bemerkt.) Wie gefällt Ihnen mein Vater?
+
+(Marchbanks.) Ich--ich kenne ihn doch kaum,--er scheint ein sehr
+lieber alter Herr zu sein.
+
+(Candida mit leiser Ironie:) Und Sie werden seine Einladung in den
+Bürgerklub annehmen, nicht wahr?
+
+(Marchbanks unglücklich, es für Ernst nehmend:) Gerne, wenn Sie es
+wünschen.
+
+(Candida gerührt:) Wissen Sie, daß Sie ein sehr lieber Junge sind,
+Eugen, trotz all Ihrer Sonderlichkeiten. Wenn Sie meinen Vater
+ausgelacht hätten, so wäre nichts dabei gewesen, aber es gefällt mir
+um so besser von Ihnen, daß Sie nett zu ihm waren.
+
+(Marchbanks.) Hätte ich lachen sollen? Mir war, als ob er etwas
+scherzhaftes sagte, aber ich fühle mich Fremden gegenüber so bedrückt,
+und ich kann Witze nie verstehen. Es tut mir sehr leid. (Er setzt
+sich auf das Sofa, die Ellbogen auf den Knien und die Schläfen
+zwischen den Fäusten, mit dem Ausdruck hoffnungslosen Leidens.)
+
+(Candida heitert ihn gutmütig auf:) Oh, Sie großes Kind,--Sie sind
+heute noch ärger als sonst. Warum waren Sie auf der Fahrt in der
+Droschke so melancholisch?
+
+(Marchbanks.) Oh, das war nichts. Ich dachte darüber nach, wieviel
+ich dem Kutscher geben sollte. Ich weiß, es ist äußerst dumm, aber
+Sie wissen nicht, wie schrecklich mir solche Dinge sind,--wie ich mich
+davor scheue, mit fremden Leuten zu unterhandeln. (Frisch und
+beruhigend:) Aber jetzt ist alles gut. Er lachte mit dem ganzen
+Gesicht und berührte seinen Hut, als Ihr Mann ihm zwei Schilling gab;
+ich war im Begriff, ihm zehn zu bieten. (Candida lacht herzlich,
+Morell kommt mit einigen Briefen und Zeitungen zurück, die mit der
+Mittagspost gekommen sind.)
+
+(Candida.) Oh, lieber Jakob, denke nur, er wollte dem Kutscher zehn
+Schilling geben,--zehn Schilling für eine Fahrt von drei Minuten, was
+sagst du?
+
+(Morell vor dem Tisch die Briefe überfliegend:) Machen Sie sich nichts
+daraus, Marchbanks. Der Trieb, zuviel zu bezahlen, ist ein Beweis von
+Großmut und viel besser als der entgegengesetzte, und nicht so
+gewöhnlich.
+
+(Marchbanks wieder in Niedergeschlagenheit verfallend:) Nein, Feigheit,
+Untauglichkeit ist das. Frau Morell hat ganz recht.
+
+(Candida.) Gewiß hat sie recht. (Sie nimmt ihre Handtasche auf.) Und
+nun muß ich Sie Jakob überlassen. Ich nehme an, Sie sind zu sehr Poet,
+um sich den Zustand vorstellen zu können, in dem eine Frau ihr Haus
+wiederfindet, wenn sie drei Wochen fortgewesen ist. Geben Sie mir
+meine Decke. (Eugen nimmt die eingeschnallte Decke vom Sofa und gibt
+sie ihr; sie nimmt sie in die linke Hand, da sie ihre Tasche in der
+rechten hält.) Nun, bitte, hängen Sie mir den Mantel über den Arm.
+(Er gehorcht.) Nun meinen Hut. (Er gibt ihn ihr in die Hand, die das
+Gepäck hält.) Nun öffnen sie mir die Tür.--(Er läuft ihr voraus und
+öffnet die Tür.) Danke. (Sie geht hinaus, und Marchbanks schließt sie
+hinter ihr wieder.)
+
+(Morell noch am Tisch beschäftigt:) Sie bleiben selbstverständlich zum
+Frühstück bei uns, Marchbanks.
+
+(Marchbanks erschreckt:) Ach, ich darf nicht. (Er sieht rasch nach
+Morell hin, weicht aber plötzlich seinem vollen Blick aus und fügt mit
+sichtlicher Unaufrichtigkeit hinzu:) Ich meine, ich kann nicht.
+
+(Morell.) Sie meinen, Sie wollen nicht.
+
+(Marchbanks ernst:) Nein, ich möchte wirklich gerne, ich danke Ihnen
+sehr, aber--aber--
+
+(Morell leichthin, beendigt seinen Brief und tritt dicht an Eugen
+heran:) Aber--aber--aber--aber! Unsinn! Wenn Sie bleiben wollen,
+dann bleiben Sie,--Sie werden mich doch nicht überzeugen wollen, daß
+Sie irgend etwas anderes zu tun haben? Wenn Sie schüchtern sind,
+machen Sie einen Spaziergang durch den Park und schreiben bis halb
+zwei Uhr Gedichte, und dann kommen Sie wieder und essen tüchtig.
+
+(Marchbanks.) Ich danke Ihnen. Ich würde das sehr gern tun, aber ich
+darf wirklich nicht. Die Wahrheit ist, daß mir Frau Morell gesagt hat,
+daß ich's lieber nicht tun sollte. Sie sagte, sie glaube nicht, daß
+Sie mich zum Frühstück einladen würden, aber wenn Sie es täten, dann
+wünschten Sie es doch nicht ernstlich. (Schmerzlich:) Sie sagte, ich
+würde das schon verstehen, aber ich verstehe es nicht.--Bitte, sagen
+Sie ihr nichts davon, daß ich es Ihnen wiedererzählt habe.
+
+(Morell belustigt:) Oh, ist das alles? Was halten Sie von meinem
+Vorschlag, in den Park zu gehen und diese Frage damit zu erledigen?
+
+(Marchbanks.) Wie?
+
+(Morell in guter Laune herausplatzend:) Na, Sie Dummkopf. (Aber dies
+geräuschvolle Wesen verletzt sowohl ihn selbst als auch Eugen. Er
+hält inne und fährt mit liebevollem Ernst fort:) Nein, Scherz beiseite,
+mein lieber Junge! in einer glücklichen Ehe wie die unsere ist die
+Rückkehr der Frau in ihr Haus etwas sehr Heiliges. (Marchbanks sieht
+ihn rasch an, und errät beinahe im voraus, was er sagen will.) Aber
+ein lieber Freund, eine wirklich vornehme, sympathische Seele ist bei
+einer solchen Gelegenheit nicht im Wege,--der erstbeste Besucher wäre
+es allerdings. (Der gehetzte, erschreckte Ausdruck kommt plötzlich
+und lebhaft in Eugens Gesicht, sowie er begreift. Morell, mit seinen
+eigenen Gedanken beschäftigt, fährt, ohne es zu bemerken, fort:)
+Candida dachte, ich würde Sie vielleicht lieber nicht hier haben, aber
+sie hatte unrecht. Ich habe Sie sehr lieb, Eugen; und ich möchte es
+auch Ihretwegen, daß Sie sehen, wie schön es ist, so glücklich
+verheiratet zu sein wie ich.
+
+(Marchbanks.) Glücklich? Ihre Ehe? Das meinen Sie, das glauben Sie
+wirklich?
+
+(Morell heiter:) Ich weiß es, mein Junge. Laroche-foucauld behauptet
+zwar, daß es höchstens passende, aber keine glücklichen Ehen gäbe.
+Sie können sich nicht vorstellen, wie wohl es tut, einen so
+abgefeimten Lügner und verderbten Zyniker zu durchschauen! Ha, ha!
+Nun aber fort in den Park und schreiben Sie Ihr Gedicht! und vergessen
+Sie nicht: Punkt halb zwei Uhr! Wir warten niemals mit dem Essen auf
+jemand.
+
+(Marchbanks wild:) Nein, halten Sie ein, Sie sollen es auch nicht!
+Ich will alles ans Licht bringen.
+
+(Morell verwundert:) Wie? Was wollen Sie ans Licht bringen?
+
+(Marchbanks.) Ich muß mit Ihnen sprechen. Es gibt etwas, das zwischen
+uns erledigt werden muß.
+
+(Morell mit einem belustigten Blick nach der Uhr:) Jetzt?
+
+(Marchbanks leidenschaftlich:) Jawohl, jetzt. Ehe Sie dieses Zimmer
+verlassen. (Er weicht ein paar Schritte zurück und steht so, als ob
+er Morell den Weg zur Tür versperren wollte.)
+
+(Morell ernst, ohne sich zu rühren, da er begreift, daß es sich um
+etwas Ernstes handelt:) Ich will es gar nicht verlassen. Ich dachte,
+Sie wollten gehen.--(Eugen ist von seinem sicheren Ton verwirrt und
+wendet ihm, sich krümmend vor Verdruß, den Rücken zu. Morell geht zu
+ihm hin und legt die Hände auf seine Schultern, fest und gütig, ohne
+Marchbanks Versuche, ihn abzuschütteln, zu beachten.) Na--setzen Sie
+sich ruhig und erzählen Sie mir, was los ist. Und bedenken Sie eines:
+wir sind Freunde und brauchen nicht zu fürchten, daß einer von uns
+anders als geduldig und gütig zu dem andern sein werde, was wir
+einander auch mögen zu sagen haben.
+
+(Marchbanks windet sich hin und her:) Oh, ich werde mich nicht
+vergessen, ich bin nur (bedeckt sein Gesicht verzweifelt mit den
+Händen:) außer mir vor Entsetzen! (Dann läßt er die Hände fallen, und
+sich mutig vorwärts gegen Morell wendend, fährt er drohend fort:) Sie
+werden ja sehen, ob Geduld und Güte da am Platz sind. (Morell,
+unerschütterlich wie ein Felsen, sieht ihn nachsichtig an.) Betrachten
+Sie mich nicht so selbstgefällig! Sie halten sich zwar für stärker
+als mich, aber ich werde Sie aufrütteln, wenn Sie ein Herz im Leibe
+haben.
+
+(Morell mit mächtigem Vertrauen:) Mich aufrütteln, mein Junge? Nur zu!
+Nur zu! Heraus damit!
+
+(Marchbanks.) Zuerst--
+
+(Morell.) Zuerst?
+
+(Marchbanks.) Ich liebe Ihre Frau! (Morell fährt zurück, und nachdem
+er Eugen einen Augenblick äußerst erstaunt angestarrt hat, bricht er
+in heftiges Lachen aus. Eugen wird stutzig, verliert aber seine
+Fassung nicht und steht empört und verachtungsvoll da.)
+
+(Morell setzt sich, um sich auszulachen:) Aber, mein liebes Kind,
+natürlich lieben Sie Candida. Jeder liebt sie, man kann nicht anders;
+das freut mich nur, aber (er sieht seltsam zu ihm auf:) halten Sie
+Ihren Fall für etwas, über das man auch nur zu sprechen braucht? Sie
+sind unter zwanzig und Candida ist über dreißig,--sieht das nicht
+einer Dummenjungenliebe ähnlich?
+
+(Marchbanks heftig:) Sie wagen, so von ihr zu sprechen! Sie glauben,
+daß Ihre Frau diese Art Liebe einflößen kann!--Das ist eine
+Beleidigung gegen sie!
+
+(Morell erhebt sich rasch und verändert den Ton:) Gegen sie? Nehmen
+Sie sich in acht, Eugen. Ich war geduldig. Ich hoffe, geduldig zu
+bleiben. Aber es gibt Dinge, die ich mir verbitten muß. Zwingen Sie
+mich nicht, Ihnen die Nachsicht zu zeigen, die ich einem Kinde
+gegenüber haben würde. Seien Sie ein Mann.
+
+(Marchbanks mit einer Bewegung, als würfe er etwas hinter sich:) Oh,
+lassen Sie dieses Geschwätz beiseite. Ich bin entsetzt, wenn ich
+denke, wieviel die Arme davon hat anhören müssen in den langen Jahren,
+in denen Sie Candida selbstsüchtig und blind Ihrem Dünkel geopfert
+haben! (Sich nach ihm umwendend:) Sie, der Sie nicht einen Gedanken,
+nicht ein Gefühl mit ihr gemeinsam haben.
+
+(Morell mit philosophischer Ruhe:) Ihr scheint das alles aber recht
+gut zu bekommen. (Ihm gerade ins Gesicht blickend:) Eugen, Sie machen
+sich zum Narren--zu einem sehr großen Narren. Es ist zu Ihrem eigenen
+Besten, wenn man Ihnen das offen und ehrlich sagt.
+
+(Marchbanks.) Oh, glauben Sie, ich wüßte das alles nicht? Glauben Sie,
+daß die Dinge, über die Leute zu Narren werden, weniger wirklich und
+wahr sind, als die, bei denen sie vernünftig bleiben? (Morells Blick
+wird zum ersten Male unsicher, er wendet instinktiv sein Gesicht ab
+und steht horchend, bestürzt und nachdenklich da.) Diese Dinge sind
+noch viel wahrer, sie sind überhaupt die einzigen Dinge, die wahr sind.
+Sie sind sehr ruhig und maßvoll und rücksichtsvoll gegen mich, weil
+Sie sehen können, daß ich, was Ihre Frau betrifft, ein Narr bin. So
+wie der alte Mann, der eben hier war, zweifellos sehr weise über Ihren
+Sozialismus denkt, weil er sieht, daß Sie sich dabei zum Narren machen.
+(Morell wird sichtlich immer bestürzter, und Eugen nützt seinen
+Vorteil aus, ihn heftig mit Fragen bedrängend:) Beweist dies, daß Sie
+unrecht haben? Beweist Ihre sichere Überlegenheit mir gegenüber, daß
+ich unrecht habe?
+
+(Morell sich zu Eugen wendend, der seinen Platz behauptet:) Marchbanks,
+irgendein Teufel hat Ihnen diese Worte in den Mund gelegt. Es ist
+leicht, fürchterlich leicht, in einem Menschen den Glauben an sich
+selbst zu erschüttern. Dies auszunützen, um eines Menschen Seele zu
+verwirren, ist Teufelswerk. Hüten Sie sich davor!
+
+(Marchbanks unbarmherzig:) Das weiß ich! Es geschieht absichtlich.
+Ich sagte Ihnen ja, ich würde Sie aufrütteln. (Sie sehen einander
+einen Augenblick drohend in die Augen, dann findet Morell seine Würde
+wieder.)
+
+(Morell mit edler Güte:) Eugen, hören Sie mich an. Ich hoffe und baue
+darauf, daß Sie eines Tages ein glücklicher Mensch sein werden, wie
+ich. (Eugen gibt durch eine zornige, ungeduldige Gebärde zu verstehen,
+daß er an den Wert dieses Glückes nicht glaubt. Morell, tief
+beleidigt, beherrscht sich mit aller Nachsicht und fährt mit großer
+künstlerischer Beredsamkeit fort:) Sie werden verheiratet sein und mit
+aller Macht und Ihrem besten Können daran arbeiten, jeden Erdenfleck,
+den Sie betreten, so glücklich zu machen, wie Ihr eigenes Heim es sein
+wird. Sie werden einer von denen sein, die das Himmelreich auf Erden
+bereiten wollen, und--wer weiß?--Sie mögen ein Pionier oder ein
+Baumeister werden, wo ich nur ein demütiger Arbeiter bin. Sie dürfen
+nicht glauben, Eugen, daß ich in Ihnen, so jung Sie auch sind, nicht
+jene Keime sehe, die Größeres versprechen, als ich jemals von mir
+erwarten darf. Ich weiß ganz gut, daß der Geist, der in einem Dichter
+wohnt, heilig--daß er geradezu göttlich ist. Sie sollten bei dem
+Gedanken daran zittern, bei dem Gedanken, daß die schwere
+Verpflichtung und die großen Gaben eines Dichters vielleicht einst auf
+Ihren Schultern ruhen werden.
+
+(Marchbanks unberührt und reuelos; die knabenhafte Knappheit seiner
+Worte sticht scharf gegen Morells Beredsamkeit ab:) Nicht davor
+zittere ich! Der Mangel dieser Gaben bei anderen, der macht mich
+zittern.
+
+(Morell verdoppelt die Kraft seiner Rede unter dem Einfluß seines
+echten Gefühls und der Verstocktheit Eugens:) Dann tragen Sie dazu bei,
+jene Gaben in andere und in mich zu pflanzen--und nicht, sie
+auszurotten. Später einmal, wenn Sie so glücklich sein werden, wie
+ich es bin, dann will ich Ihr treuer Glaubensbruder werden. Ich will
+Sie zu dem Glauben führen, daß Gott uns eine Welt geschenkt hat, die
+nur unserer eigenen Unvernunft wegen kein Paradies ist, und daß jeder
+Federstrich Ihrer Arbeit Glück aussät für die große Ernte, die
+alle--selbst die Geringsten--eines Tages einführen werden. Und
+endlich will ich Ihnen nicht zum wenigsten zu dem Glauben verhelfen,
+daß Ihre Frau Sie liebt und in ihrem Heim glücklich ist. Wir brauchen
+solche Hilfe, Marchbanks, wir haben sie immer sehr nötig. Es gibt so
+viele Dinge, die in uns Zweifel wecken, wenn wir uns erst einmal haben
+unsern Glauben trüben lassen. Selbst zu Hause sitzen wir wie in einem
+Kriegslager, umgeben von einer feindlichen Armee von Zweifeln. Wollen
+Sie den Verräter spielen und sie zu mir einlassen?
+
+(Marchbanks sich umblickend:) Ist es für sie hier immer so gewesen?
+Daß eine Frau mit einer großen Seele, die nach Wahrheit, Wirklichkeit
+und Freiheit dürstet, bloß mit Metaphern, Predigten und abgedroschenen
+Redensarten abgespeist wird? Glauben Sie, daß die Seele einer Frau
+von Ihrem Predigertalent leben kann?
+
+(Morell tief verwundet:) Marchbanks, Sie machen es mir schwer, mich zu
+beherrschen. Mein Talent gleicht dem Ihren, sofern es überhaupt einen
+echten Wert besitzt: es ist die Gabe, göttliche Wahrheit in Worte zu
+kleiden.
+
+(Marchbanks ungestüm:) Es ist die Gabe des Mundwerks, nicht mehr und
+nicht weniger. Was hat Ihre Fertigkeit, schöne Reden zu halten, mit
+der Wahrheit zu schaffen?--so wenig, wie das Orgelspiel mit ihr zu
+schaffen hat. Ich war niemals in Ihrer Kirche, aber ich war in Ihren
+politischen Versammlungen und habe Sie dort das tun sehen, was man die
+Menge zum Enthusiasmus hinreißen nennt. Das heißt: die Leute regten
+sich auf und benahmen sich, als ob sie betrunken wären. Ihre Frauen
+sahen zu und merkten, was für Narren sie zu Männern hatten. Oh, das
+ist eine alte Geschichte, Sie können sie schon in der Bibel finden.
+--Mir scheint, König David in seinem Enthusiasmus war Ihnen sehr
+ähnlich. (Ihm die Worte in die Seele hohrend:) "Aber sein Weib
+verachtete ihn in ihrem Herzen!"
+
+(Morell wütend:) Verlassen Sie mein Haus! Hören Sie? (Er gebt
+drohend auf ihn los.)
+
+(Marchbanks gegen das Sofa zurückweichend:) Lassen Sie mich in Frieden,
+rühren Sie mich nicht an!
+
+(Morell faßt ihn kräftig am Aufschlag seines Rockes; er duckt sich auf
+das Sofa nieder.)
+
+(Marchbanks schreit leidenschaftlich:) Halten Sie ein; wenn Sie mich
+schlagen, so töte ich mich, ich würde es nicht ertragen! (Beinahe
+hysterisch:) Lassen Sie mich los: nehmen Sie Ihre Hand fort!
+
+(Morell langsam, mit nachdrücklicher Geringschätzung:) Sie kleiner,
+winselnder, feiger Hund! (Er läßt ihn los:) Gehen Sie, sonst fallen
+Sie aus Angst in Ohnmacht.
+
+(Marchbanks auf dem Sofa nach Luft schnappend, aber befreit durch das
+Zurückziehen von Morells Hand:) Ich fürchte mich nicht vor Ihnen, Sie
+fürchten sich vor mir!
+
+(Modell ruhig, über ihn gebeugt:) Es sieht mir ganz danach aus!
+
+(Marchbanks mit dreister Heftigkeit:) Ja; es sieht so aus. (Morell
+wendet sich verachtungsvoll ab, Eugen steht hastig auf und folgt ihm.)
+Weil ich vor einer brutalen Behandlung zurückschrecke, weil (mit
+Tränen in der Stimmt:) ich nichts anderes tun kann, als heulen vor Wut,
+wenn mir Gewalt angetan wird--weil ich keinen schweren Koffer vom
+Kutscherbock herabheben kann wie Sie--weil ich mit Ihnen nicht um Ihre
+Frau raufen kann wie ein Arbeiter--deshalb glauben Sie, ich hätte
+Angst vor Ihnen! Aber Sie irren. Besitze ich auch nicht Ihren
+berühmten britischen Mut, so besitze ich doch auch nicht die britische
+Feigheit. Ich fürchte mich vor den Ansichten eines Pastors nicht.
+Ich will kämpfen gegen Ihre Ansichten. Ich will Candida von der
+Sklaverei dieser Ansichten befreien, ich will meine eigenen Ansichten
+den Ihren entgegenstellen. Sie jagen mich aus dem Hause, weil Sie es
+nicht wagen, Candida zwischen meinen und Ihren Ansichten wählen zu
+lassen! Sie fürchten sich vor einem Wiedersehen zwischen Ihrer Frau
+und mir. (Morell wendet sich plötzlich zornig zu ihm; er flüchtet
+nach der Tür in unfreiwilliger Angst:) Lassen Sie mich in Ruhe. Ich
+gehe.
+
+(Morell mit kalter Verachtung:) Warten Sie einen Augenblick: ich werde
+Sie nicht berühren, fürchten Sie sich nicht. Wenn meine Frau
+zurückkommt, dürfte sie wissen wollen, warum Sie fortgegangen sind;
+und wenn sie erfährt, daß Sie unsere Schwelle nie wieder überschreiten
+werden, dann wird sie darüber Aufklärung verlangen. Nun möchte ich
+sie nicht betrüben und ihr sagen, daß Sie sich wie ein Schuft benommen
+haben.
+
+(Marchbanks kehrt mit erneuter Heftigkeit um:) Sie sollen es--Sie
+müssen! Wenn Sie irgendeine andere Aufklärung als die wahre geben, so
+sind Sie ein Lügner und ein Feigling. Sagen Sie ihr, was ich gesagt
+habe, und wie Sie stark und männlich waren und mich zerzaust haben wie
+ein Hund eine Ratte, und wie ich zurückwich und entsetzt war, und wie
+Sie mich einen winselnden kleinen Hund nannten und mich aus dem Hause
+jagten! Wenn Sie ihr das alles nicht sagen werden, so werde ich es
+tun! Ich werd' es ihr schreiben.
+
+(Morell verblüfft:) Warum wollen Sie, daß sie das alles erfahren soll?
+
+(Marchbanks mit lyrischer Begeisterung:) Weil sie mich dann verstehen
+und wissen wird, daß ich sie verstehe. Wenn Sie nur ein Wort von
+alledem vor ihr verheimlichen--wenn Sie nicht bereit sind, ihr die
+reine Wahrheit zu Füßen zu legen--wie ich--dann werden Sie bis an das
+Ende Ihrer Tage wissen, daß sie in Wirklichkeit mir gehört und nicht
+Ihnen. Leben Sie wohl. (Er wendet sich zum Geben.)
+
+(Morell in furchtbarer Unrube:) Halt! ich werde ihr das alles nicht
+erzählen.
+
+(Marchbanks wieder nach der Tür, wendet sich um:) Sie müssen ihr
+entweder die Wahrheit sagen, wenn ich gehe, oder eine Lüge.
+
+(Morell zögernd:) Marchbanks, es ist manchmal entschuldbar--
+
+(Marchbanks ihn unterbrechend:) Zu lügen--ich weiß! Diesmal wïrd es
+aber vergeblich sein! Leben Sie wohl, Herr Pfarrer! (Wie er sich
+endlich zur Tür wendet, geht diese auf und Candida tritt in ibrem
+Hauskleid ein.)
+
+(Candida.) Sie verlassen uns, Eugen? (Sieht ihn genauer an:) Aber,
+Sie werden doch nicht in diesem Zustand auf die Straße gehen. Sie
+sind ein Dichter, sicherlich! Sieh' ihn nur an, Jakob! (Sie faßt
+Eugen am Rock und zieht ihn nach vorne, ihn Morell zeigend.) Sieh
+diesen Kragen an und diese Krawatte und dieses Haar. (Zu Eugen:) Man
+möchte glauben, daß jemand Sie hat erdrosseln wollen! (Die beiden
+büten sich, ihr schlechtes Gewissen zu verraten.) Da,--halten Sie
+still. (Sie knöpft ihm seinen Kragen, bindet sein Halstuch zu einer
+Schleife und ordnet sein Haar.) So, so! Nun sehen Sie so nett aus,
+daß ich es doch für besser hielte, Sie frühstückten mit uns, obwohl
+Sie es eigentlich nicht sollten, wie ich Ihnen schon gesagt habe. In
+einer halben Stunde wird das Essen bereit sein. (Sie glättet sein
+Halstuch noch mit einer letzten Berübrung; er küßt ihr die Hand.)
+Nicht dumm sein.
+
+(Marchbanks.) Ich möchte schon bleiben, gewiß--falls Ihr verehrter
+Herr Gemahl, der Herr Pastor, nichts dagegen einzuwenden hat.
+
+(Candida.) Soll er bleiben, Jakob, wenn er verspricht, ein braver
+Junge zu sein und mir beim Tischdecken zu helfen? (Marchbanks wendet
+den Kopf und sieht Morell über die Schulter fest an, seine Antwort
+herausfordernd.)
+
+(Morell kurz angebunden:) O ja, gewiß; es wäre mir lieb. (Er geht an
+den Tisch und tut, als ob er mit den Papieren beschäftigt wäre.)
+
+(Marchbanks bietet Candida den Arm:) Decken wir den Tisch. (Sie nimmt
+seinen Arm, dann wenden sie sich zusammen nach der Tür, im Hinausgehen.)
+Nun bin ich der glücklichste Mensch von der Welt!
+
+(Morell.) Das war ich auch--vor einer Stunde.
+
+(Vorhang)
+
+
+
+
+ZWEITER AKT
+
+(An demselben Tage, dasselbe Zimmer spät nachmittags. Der Stuhl für
+Morells Besucher steht wieder an dem Tisch, der womöglich noch
+unordentlicher aussiebt als vorhin. Marchbanks, allein und müßig,
+versucht herauszukriegen, wie die Schreibmaschine arbeitet.
+Er hört jemanden kommen und stiehlt sich schuldbewußt fort an
+das Fenster und tut so, als ob er in die Aussiebt versunken
+wäre. Proserpina Garnett tritt mit ihrem Notizblock ein, der
+das Stenogramm von Morells Briefen enthält. Sie setzt sich an die
+Schreibmaschine und will mit der Abschrift beginnen. Sie ist viel zu
+sehr beschäftigt, um Eugen zu bemerken. Unglücklicherweise versagt
+die erste Taste, auf die sie schlägt.)
+
+(Proserpina.) Himmel! Sie haben sich mit der Maschine zu schaffen
+gemacht, Herr Marchbanks, und es hilft Ihnen nichts, wenn Sie auch
+noch so ein unschuldiges Gesicht aufsetzen.
+
+(Marchbanks schüchtern:) Es tut mir sehr leid, Fräulein Garnett. Ich
+wollte nur zu schreiben versuchen.
+
+(Proserpina.) Und dabei haben Sie diese Taste verdorben.
+
+(Marchbanks ernst:) Ich versichere Ihnen, daß ich die Tasten nicht
+berührt habe. Wahrhaftig nicht. Ich habe nur ein kleines Rad gedreht.
+(Er zeigt unschlüssig auf die Kurbel.)
+
+(Proserpina.) Oh, nun verstehe ich. (Sie bringt die Maschine in
+Ordnung und schwatzt dabei ununterbrochen:) Mir scheint, Sie dachten,
+es wäre eine Art Drehorgel. Man braucht nur die Kurbel da zu drehen,
+und die Maschine schreibt einem den schönsten Liebesbrief glatt aufs
+Papier, he?
+
+(Marchbanks ernst:) Ich kann mir vorstellen, daß eine Maschine
+erfunden werden könnte, die Liebesbriefe schreibt.--Es sind ja immer
+dieselben, nicht wahr?
+
+(Proserpina etwas aufgebracht, da jede derartige Unterhaltung--außer
+scherzweise einmal--ihren Umgangsformen fernliegt:) Woher soll ich das
+wissen? Warum fragen Sie mich?
+
+(Marchbanks.) Entschuldigen Sie. Ich dachte, daß gescheite
+Leute--Leute, die Geschäfte besorgen, Briefe schreiben und ähnliche
+Dinge verrichten können--auch immer Liebesangelegenheiten haben.
+
+(Proserpina erbebt sich beleidigt:) Herr Marchbanks! (Sie siebt ihn
+strenge an und gebt sehr würdevoll zum Bücherschrank.)
+
+(Marchbanks nähert sich ihr demütig:) Ich hoffe, daß ich Sie nicht
+beleidigt habe. Ich hätte vielleicht auf Ihre Liebesangelegenheiten
+nicht anspielen sollen.
+
+(Proserpina nimmt ein blaues Buch aus einem Fach und wendet sich
+scharf nach ihm um:) Ich habe keine Liebesangelegenheiten! Wie können
+Sie es wagen, mir so etwas zu sagen?
+
+(Marchbanks naiv:) Wirklich? Oh, dann sind Sie auch schüchtern, wie
+ich, nicht wahr?
+
+(Proserpina.) Ich bin gewiß nicht schüchtern: was meinen Sie damit?
+
+(Marchbanks geheimnisvoll:) Sie müssen es sein. Das ist der Grund,
+warum es so wenig echte Liebesgeschichten in der Welt gibt. Wir gehen
+alle umher und sehnen uns nach Liebe, sie ist die erste
+Naturnotwendigkeit, das heißeste Gebet unseres Herzens, aber wir wagen
+es nicht, unsere Wünsche zu äußern, wir sind zu schüchtern. (Sehr
+ernst:) Oh, Fräulein Garnett, was würden Sie nicht darum geben, ohne
+Furcht zu sein,--ohne Scham--
+
+(Proserpina empört:) Nein, meiner Treu, das ist stark!
+
+(Marchbanks trotzig und ungeduldig:) Sagen Sie mir nicht solche
+Albernheiten. Sie täuschen mich doch nicht. Wozu soll das sein?
+Warum scheuen Sie sich, sich mir gegenüber so zu zeigen, wie Sie sind?
+Ich bin ja selbst genau so wie Sie.
+
+(Proserpina.) Wie ich? Bitte, ich weiß nicht recht, wollen Sie damit
+mir oder sich schmeicheln? (Sie wendet sich ab, um zur
+Schreibmaschine zurückzugeben.)
+
+(Marchbanks tritt ihr geheimnisvoll in den Weg:) Still! Ich bin auf
+der Suche nach Liebe, und ich finde sie in unermeßlichen Schätzen in
+den Herzen anderer aufgespeichert. Aber ich wage es nicht, darum zu
+bitten,--eine fürchterliche Schüchternheit schnürt mir die Kehle zu,
+und ich stehe da, stumm, ärger als stumm, und rede sinnloses Zeug und
+stammle törichte Lügen. Und ich sehe die Liebe, nach der ich
+verschmachte, an Katzen und Hunde und verhätschelte Vögel vergeudet,
+weil die kommen und darum bitten. (Beinahe flüsternd:) Man muß Liebe
+verlangen,--sie ist wie ein Geist, sie kann nicht sprechen, bevor
+nicht zu ihr gesprochen wird. (Mit seiner gewohnten Stimme, aber mit
+tiefer Melancholie:) Alle Liebe in der Welt ringt nach Worten, aber
+sie wagt es nicht, zu sprechen, weil sie zu schüchtern ist, zu
+schüchtern, zu schüchtern! Das ist die Tragik des Lebens! (Mit einem
+tiefen Seufzer setzt er sieb in den Besuchsstuhl und vergräbt sein
+Gesicht in den Händen.)
+
+(Proserpina verwundert, aber ohne ihren gesunden Menschenverstand zu
+verlieren,--ein Ehrenpunkt für sie im Verkehr mit fremden jungen
+Männern:) Es gibt aber schlechte Menschen, die diese Schüchternheit
+gelegentlich überwinden, nicht wahr?
+
+(Marchbanks fährt beinahe wütend auf:) Schlechte Menschen! Das heißt
+Menschen, die ohne Liebe sind, deshalb sind sie auch ohne Scham! Sie
+haben den Mut, Liebe zu verlangen, weil sie keine brauchen; sie haben
+den Mut, sie anzubieten, weil sie keine zu geben haben! (Er sinkt in
+seinen Stuhl und fügt traurig hinzu:) Aber wir, die wir Liebe haben
+und danach brennen, sie mit anderen auszutauschen, wir können kein
+Wort über die Lippen bringen. (Schüchtern:) Finden Sie das nicht auch?
+
+(Proserpina.) Nehmen Sie sich in acht. Wenn Sie nicht aufhören, so zu
+reden, werde ich das Zimmer verlassen, Herr Marchbanks. Ich tue es
+wirklich! Das gehört sich nicht. (Sie nimmt ihren Sitz vor der
+Schreibmaschine wieder ein, öffnet das blaue Buch und macht sich
+bereit, daraus etwas zu kopieren.)
+
+(Marchbanks hilflos:) Nichts gehört sich, was wert ist, daß man
+darüber spricht! (Er erhebt sich und wandert verloren im Zimmer umher:
+) Ich kann Sie nicht begreifen, Fräulein Garnett. Worüber soll ich
+denn sprechen?
+
+(Proserpina fertigt ihn kurz ab:) Sprechen Sie über gleichgültige
+Dinge. Sprechen Sie über das Wetter.
+
+(Marchbanks.) Würden Sie es ertragen, über gleichgültige Dinge zu
+sprechen, wenn ein Kind neben Ihnen stünde, das vor Hunger bitterlich
+weinte?
+
+(Proserpina.) Vermutlich nicht.
+
+(Marchbanks.) Nun, ich kann auch nicht über gleichgültige Dinge
+sprechen, während mein Herz in seinem Hunger bitterlich weint.
+
+(Proserpina.) Dann--schweigen Sie.
+
+(Marchbanks.) Jawohl, darauf läuft's immer hinaus, wir schweigen.
+Unterdrückt das den Schrei Ihres Herzens--denn es schreit, nicht wahr?
+Es muß, wenn Sie überhaupt ein Herz haben.
+
+(Proserpina erhebt sich plötzlich und preßt ihre Hand aufs Herz.) Oh,
+es ist vergeblich, arbeiten zu wollen, während Sie so reden. (Sie
+verläßt ihren kleinen Tisch und setzt sich auf das Sofa. Ihre Gefühle
+sind heftig aufgewühlt.) Es kümmert Sie gar nichts, ob mein Herz
+schreit oder nicht, aber es ist mir so, als müßte ich nun doch über
+all das zu Ihnen sprechen.
+
+(Marchbanks.) Das brauchen Sie nicht; ich weiß doch, daß es so ist.
+
+(Proserpina.) Merken Sie sich: wenn Sie jemals behaupten sollten, daß
+ich derlei gesagt habe, dann werde ich es leugnen.
+
+(Marchbanks mitleidig:) Ja, das weiß ich. Deshalb finden Sie auch
+nicht den Mut, es ihm zu sagen.
+
+(Proserpina aufspringend:) Ihm?! Wem?!
+
+(Marchbanks.) Wem es auch sei. Dem Manne, den Sie lieben. Irgend
+jemandem. Dem Unterpfarrer Herrn Mill vielleicht.
+
+(Proserpina verachtungsvoll:) Herrn Mill? Wahrhaftig, das ist der
+rechte Mann, mir das Herz zu brechen. Da wären Sie mir noch lieber.
+
+(Marchbanks zurückweichend:) Nein, wirklich! Es tut mit leid, aber
+daran dürfen Sie nicht denken. Ich--
+
+(Proserpina scharf, geht ans Feuer und bleibt davor stehen, ihm den
+Rücken zuwendend:) Oh, fürchten Sie nichts, Sie sind es nicht. Es ist
+gar keine bestimmte Person.
+
+(Marchbanks.) Ich verstehe. Sie fühlen, daß Sie jeden Mann lieben
+könnten, der Ihnen sein Herz anböte--
+
+(Proserpina außer sich:) Nein, das könnte ich nicht! Jeden, der mir
+sein Herz anböte! Für was halten Sie mich?
+
+(Marchbanks entmutigt:) Es ist vergebens, Sie wollen mir keine
+wirklichen Antworten geben, nur diese leeren Worte, die jedermann sagt.
+(Er geht nach dem Sofa und setzt sich trostlos nieder.)
+
+(Proserpina die es wurmt, in den Augen eines Aristokraten manierlos zu
+erscheinen:) Wenn Sie originelle Unterhaltung wünschen, dann ist es
+besser, Sie sprechen mit sich selbst.
+
+(Marchbanks.) Das tun alle Dichter; sie sprechen laut mit sich selbst;
+und die Welt überhört sie. Aber es ist furchtbar einsam, nicht
+manchmal auch jemand anders sprechen zu hören.
+
+(Proserpina.) Warten Sie, bis Herr Morell kommt. Der wird schon mit
+Ihnen reden. (Marchbanks schaudert.) Oh, Sie brauchen die Nase nicht
+zu rümpfen, er kann besser sprechen als Sie. (Lebhaft:) Er wird Ihnen
+den kleinen Kopf schon zurechtsetzen. (Sie ist im Begriff ärgerlich
+an ihren Platz zurückzugeben, als er, plötzlich erleuchtet, aufspringt
+und sie anhält.)
+
+(Marchbanks.) Ah, jetzt begreife ich!
+
+(Proserpina errötend:) Was begreifen Sie?
+
+(Marchbanks.) Ihr Geheimnis! Sagen Sie mir, ist es wirklich und
+wahrhaftig möglich, daß eine Frau ihn liebt?
+
+(Proserpina als ob dies ihr über den Spaß ginge:) Genug!
+
+(Marchbanks leidenschaftlich:) Nein, antworten Sie mir! Ich will es
+wissen, ich muß es wissen, ich kann es nicht begreifen. Ich kann an
+ihm nichts finden als Worte, fromme Vorsätze, was die Leute Güte
+nennen! Sie können ihn deswegen doch nicht lieben!
+
+(Proserpina versucht, ihn durch ihr kühles Wesen stutzig zu machen:)
+Ich weiß ganz einfach nicht, wovon Sie sprechen--ich verstehe Sie
+nicht.
+
+(Marchbanks heftig:) Sie verstehen mich ganz gut. Sie lügen!
+
+(Proserpina.) Oh!
+
+(Marchbanks.) Sie verstehen, und Sie wissen. (Entschlossen, eine
+Antwort zu bekommen:) Ist es möglich, daß eine Frau ihn lieben kann?
+Ja oder nein!
+
+(Proserpina ihm gerade ins Gesicht blickend:) Ja! (Er bedeckt sein
+Gesicht mit den Händen.) Was in aller Welt fehlt Ihnen denn? (Er
+nimmt die Hände herab und sieht sie an. Erschreckt über das traurige
+Gesicht, das sich ihr darbietet, eilt sie so weit wie möglich von ihm
+fort, behält aber ihre Augen auf ihn gerichtet, bis er sich von ihr
+abwendet und nach dem Kinderstuhl am Kamin geht, wo er sich in
+tiefster Trostlosigkeit niederläßt. Proserpina eilt zur Tür, die Tür
+geht auf und Burgess tritt ein. Als sie ihn erblickt, ruft sie aus:)
+Gott sei Dank, es kommt jemand! (Setzt sich wieder beruhigt an ihren
+Tisch. Sie legt einen neuen Bogen in die Maschine, während Burgess zu
+Eugen hinübergebt.)
+
+(Burgess beflissen, sich um den vornehmen Besucher zu kümmern:) Na,
+gehört sich das, wie man Sie hier sich selbst überläßt, Herr
+Marchbanks? Ich bin gekommen, Ihnen Gesellschaft zu leisten.
+(Marchbanks siebt zu ihm mit einer Bestürzung auf, die Burgess aber
+gar nicht merkt.) Jakob empfängt eine Deputation im Speisezimmer, und
+Candy ist oben und unterrichtet eine junge Näherin, für die sie sich
+interessiert. Sie sitzt bei ihr und lehrt sie lesen, in einem frommen
+Buche: die himmlischen Zwillinge. (Teilnahmsvoll:) Sie müssen es hier
+recht langweilig finden, so ohne einen Menschen, mit dem Sie reden
+können, außer der Schreiberin.
+
+(Proserpina äußerst erbittert:) Er wird sich jetzt ganz wohl fühlen,
+da er das Glück hat, Ihre gebildete Unterhaltung zu genießen,--das ist
+schon ein Trost. (Sie beginnt mit heftigem Geräusch zu schreiben.)
+
+(Burgess erstaunt über ihre Kühnheit:) Mit Ihnen hab' ich nicht
+gesprochen, soviel ich weiß, Sie junges Ding!
+
+(Proserpina scharf zu Marchbanks:) Haben Sie jemals solche Manieren
+gesehen, Herr Marchbanks?
+
+(Burgess mit wichtigtuendem Ernst:) Herr Marchbanks ist ein Edelmann,
+der seine Stellung kennt; das ist mehr, als manche Leute von sich
+sagen können.
+
+(Proserpina zornig:) Glücklicherweise gehören Sie und ich nicht zu den
+"Damen" und "Herren"; ich würde Ihnen schon meine Meinung sagen, wenn
+Herr Marchbanks nicht zugegen wäre. (Sie zieht den Brief so heftig
+aus der Maschine heraus, daß er zerreißt.) So! nun habe ich den Brief
+verdorben, jetzt kann ich noch mal von vorne anfangen. Oh, ich kann
+mich nicht beherrschen.--Sie dummer alter Schafskopf, Sie!
+
+(Burgess erhebt sich, atemlos vor Entrüstung:) Was, ein dummer alter
+Schafskopf bin ich?! Das ist stark! (Außer Atem:) Gut, gut! Warten
+Sie nur, das werde ich Ihrem Prinzipal sagen--ich will Sie lehren--Sie
+sollen es sehen!
+
+(Proserpina.) Ich--
+
+(Burgess sie unterbrechend:) Genug, Ihr Reden nützt Ihnen nun nichts
+mehr, Sie sollen mich kennen lernen! (Proserpina schiebt ihre Walze
+mit einem zornigen Stoß herum und setzt verachtungsvoll ihre Arbeit
+fort.) Nehmen Sie keine Notiz von ihr, Herr Marchbanks, sie ist es
+nicht wert. (Er setzt sich stolz wieder hin.)
+
+(Marchbanks fürchterlich nervös und verlegen:) Wäre es nicht besser,
+wir würden von etwas anderem sprechen. Ich--ich glaube nicht, daß
+Fräulein Garnett es böse gemeint hat.
+
+(Proserpina mit fester Überzeugung:) Ob ich es böse gemeint habe!
+Doch!
+
+(Burgess.) Ich will mich nicht so weit erniedrigen, von ihr überhaupt
+noch Notiz zu nehmen. (Eine elektrische Klingel läutet zweimal.)
+
+(Proserpina rafft Notizhlock und Papier zusammen:) Das gilt mir! (Sie
+eilt hinaus.)
+
+(Burgess ihr nachrufend:) Oh, wir können Sie entbehren. (Er freut
+sich über den Triumph, das letzte Wort behalten zu haben, und doch
+halb und halb geneigt, noch mehr zu sagen, sieht er ihr einen
+Augenblick lang nach, dann läßt er sich auf seinen Platz neben Eugen
+nieder und spricht sehr vertraulich zu ihm:) Jetzt, wo wir allein sind,
+Herr Marchbanks, lassen Sie mich Ihnen einen freundlichen Wink geben,
+den ich nicht jedermann geben würde. Wie lange kennen Sie meinen
+Schwiegersohn Jakob schon?
+
+(Marchbanks.) Ich weiß nicht. Ich kann mir Daten niemals merken,
+--vielleicht einige Monate.
+
+(Burgess.) Haben Sie nie etwas Sonderbares an ihm bemerkt?
+
+(Marchbanks.) Nicht daß ich wüßte.
+
+(Burgess ausdrucksvoll:) Das werden Sie auch schwerlich. Darin liegt
+eben die Gefahr. Nun--er ist verrückt.
+
+(Marchbanks.) Verrückt?!
+
+(Burgess.) Total verrückt. Beobachten Sie ihn nur, und Sie werden es
+selbst finden.
+
+(Marchbanks ängstlich:) Aber das scheint Ihnen gewiß nur so, weil
+seine Ansichten--
+
+(Burgess berührt Eugens Knie mit dem Zeigefinger und drückt es, um
+seine Aufmerksamkeit zu erregen:) Genau dasselbe habe ich früher
+gedacht, Heir Marchbanks. Ich glaubte lange genug, es wären nur seine
+Ansichten, obwohl Ansichten zu sehr ernsten Angelegenheiten werden,
+sobald Leute danach handeln, wie er; aber danach habe ich nicht
+geurteilt. (Er siebt umher, um sich zu überzeugen, daß sie allein
+sind, und neigt sich zu Eugens Ohr.) Was, glauben Sie, hat er heute
+morgen in diesem Zimmer zu mir gesagt?
+
+(Marchbanks.) Was denn?
+
+(Burgess.) Er sagte mir, daß ich--so wahr, als wir hier sitzen--er
+sagte ganz ruhig: "Ich bin ein Narr und Sie sind ein Schurke"... Ich
+ein Schurke--bedenken Sie nur--und dann schüttelte er mir die Hand
+dazu, als ob seine Meinung schmeichelhaft für mich wäre. Wollen Sie
+behaupten, daß so ein Mensch nicht verrückt ist?
+
+(Morell von außen "Proserpina" rufend, während er die Tür öffnet:)
+Schreiben Sie alle Namen und Adressen auf, Fräulein Garnett.
+
+(Proserpina aus der Entfernung:) Jawohl, Herr Pastor! (Morell tritt
+ein, mit den Dokumenten der Deputation in der Hand.)
+
+(Burgess beiseite zu Marchbanks:) Oh, da ist er. Beobachten Sie ihn
+nur, Sie werden schon sehen. (Erhebt sich mit wichtiger Miene:) Ich
+bedaure, Jakob, mich bei Ihnen beklagen zu müssen. Ich tue es nicht
+gerne, aber ich fühle, daß es meine Pflicht und mein Recht ist.
+
+(Morell.) Was ist denn geschehen?
+
+(Burgess.) Herr Marchbanks wird es bestätigen, er war Zeuge. (Sehr
+feierlich:) Ihre Schreiberin vergaß sich so weit, mich einen dummen
+alten Schafskopf zu nennen.
+
+(Morell mit größter Herzlichkeit:) Oh, sieht das Prossi nicht ganz
+ähnlich? Sie ist so aufrichtig, sie kann sich nicht beherrschen.
+Arme Prossi, ha, ha!
+
+(Burgess zitternd vor Wut:) Und erwarten Sie, daß ich mir das von
+ihresgleichen ruhig gefallen lasse?
+
+(Morell.) Bah, Unsinn. Nehmen Sie keine Notiz davon, lassen Sie's gut
+sein. (Er geht an das Schreibpult und legt die Papiere in eines der
+Schubfächer.)
+
+(Burgess.) Oh, ich mache mir nichts daraus. Ich bin über derlei
+erhaben. Aber war es recht? Das ist es, was ich zu wissen wünsche!
+--war es recht?
+
+(Morell.) Das ist eine Frage für die Kirche und nicht für Laien.
+Wurde Ihnen dadurch irgendein Schaden zugefügt? danach müssen Sie
+fragen--selbstverständlich "nein". Also denken Sie nicht mehr daran.
+(Er läßt den Gegenstand fallen, geht nach seinem Platz an den Tisch
+und beginnt an seiner Korrespondenz zu arbeiten.)
+
+(Burgess beiseite zu Marchbanks:) Was habe ich Ihnen gesagt? Total
+verrückt! (Er geht an den Tisch und fragt mit der Höflichkeit eines
+Hungrigen:) Wann wird zu Tisch gegangen, Jakob?
+
+(Morell.) Erst nach einigen Stunden.
+
+(Burgess mit klagender Entsagung:) Dann geben Sie mir, bitte, ein
+hübsches Buch, am Kamin zu lesen--sein Sie so gut, Jakob.
+
+(Morell.) Was für ein Buch,--ein gutes?
+
+(Burgess beinahe mit einem Aufschrei des Widerwillens:) Nein. Irgend
+was Lustiges, womit man die Zeit totschlagen kann.
+
+(Morell nimmt eine illustrierte Zeitschrift vom Tisch und bietet sie
+ihm an, er ergreift sie demütig:) Ich danke Ihnen, Jakob. (Er geht
+zurück zum Kamin, läßt sich bequem in den großen Stuhl nieder und
+liest.)
+
+(Morell während er schreibt:) Candida wird gleich kommen und Ihnen
+Gesellschaft leisten. Sie ist jetzt fertig mit ihrer Schülerin und
+füllt die Lampen.
+
+(Marchbanks fährt empor in wildem Entsetzen:) Aber das wird ihre Hände
+beschmutzen,--das kann ich nicht dulden, Herr Pastor, das ist eine
+Schande; ich werde die Lampen füllen. (Er wendet sich nach der Tür.)
+
+(Morell.) Lassen Sie es lieber sein. (Marchbanks bleibt unschlüssig
+stehen: ) Sie würde Ihnen höchstens meine Schuhe zu putzen geben, um
+mir die Arbeit zu ersparen, es morgen früh selbst zu tun.
+
+(Burgess mit großer Mißbilligung:) Halten Sie kein Mädchen mehr, Jakob?
+
+(Morell.) Ja, aber es ist keine Sklavin, und das Haus sieht aus, als
+ob ich drei hielte. Daraus folgt, daß jeder mithelfen muß. Das geht
+ganz gut. Prossi und ich können nach dem Frühstück, während wir
+abwaschen, über unsere Geschäfte sprechen; das Abwaschen macht keine
+Mühe, wenn es zwei besorgen.
+
+(Marchbanks gequält:) Glauben Sie, daß jede Frau so grobkörnig ist wie
+Fräulein Garnett?
+
+(Burgess pathetisch:) Sie haben ganz recht, Herr Marchbanks,
+vollkommen recht,--die ist grobkörnig!
+
+(Morell ruhig und bedeutungsvoll:) Marchbanks!
+
+(Marchbanks.) Ja.
+
+(Morell.) Wie viele Dienstboten hält Ihr Vater?
+
+(Marchbanks.) Oh, ich weiß nicht. (Er gebt unbehaglich an das Sofa
+zurück, als ob er sich so weit fort wie möglich vor Morells Fragen
+retten möchte, setzt sich in großer Verstörtheit und denkt an das
+Petroleum.)
+
+(Morell sehr ernst:) So viele, daß Sie es nicht einmal wissen.
+(angriffsbereit:) Immerhin, wenn irgendeine grobkörnige Arbeit zu
+verrichten ist, dann klingeln Sie und halsen sie jemand anders
+auf--das ist eine der großen Tatsachen in Ihrem Dasein, nicht wahr?
+
+(Marchbanks.) Oh, quälen Sie mich nicht. Die eine große Tatsache hier
+ist jetzt, daß die wundervollen Finger Ihrer Frau mit Petroleum
+beschmutzt werden, während Sie bequem hier sitzen und darüber Reden
+halten--endlose Reden und Predigten--Worte--Worte--nichts als Worte!
+
+(Burgess dem diese Erwiderung sehr gelegen kommt:) Hört, hört! Besser
+konnte er's ihm nicht geben! (Strahlend:) Da haben Sie es, Jakob!
+Ganz so ist es. (Candida trat ein, in einer reinen Schürze, mit einer
+geputzten und gefüllten, zum Anzünden fertigen Arbeitslampe. Sie
+stellt sie auf den Tisch neben Morell, damit er sie zur Hand hat.)
+
+(Candida reibt ihre Fingerspitzen gegeneinander, mit einem leichten
+Krausziehen ihrer Nase:) Wenn Sie bei uns bleiben, Eugen, ich glaube,
+dann werde ich Ihnen das Füllen der Lampe übertragen.
+
+(Marchbanks.) Ich werde überhaupt nur unter der Bedingung bleiben, daß
+Sie mir alle grobe Arbeit übertragen.
+
+(Candida.) Das ist zwar sehr galant, aber ich möchte doch vorher
+wissen, wie Sie sie machen. (Wendet sich zu Morell:) Jakob, du hast
+in meiner Abwesenheit nicht gehörig nach dem Rechten gesehen.
+
+(Morell.) Was habe ich denn getan oder nicht getan, meine Liebe?
+
+(Candida ernstlich ärgerlich:) Meine eigene kleine
+Lieblingsnagelbürste wurde zum Stiefelputzen verwendet. (Ein
+herzzerreißender Klagelaut entringt sich Marchbanks' Brust. Burgess
+sieht sich erstaunt um, Candida eilt ans Sofa:) Was ist los? Sind Sie
+krank, Eugen?
+
+(Marchbanks.) Nein, nicht krank. Nur Jammer erfaßt mich, Jammer,
+Jammer! (Er schlägt die Hände vor das Gesicht.)
+
+(Burgess erschreckt:) Was haben Sie, Herr Marchbanks? Oh, das ist
+schlimm in Ihrem Alter; Sie müssen trachten, sich das Trinken nach und
+nach abzugewöhnen.
+
+(Candida beruhigt:) Unsinn, Papa. Das ist nur poetischer Jammer.
+Nicht wahr, Eugen? (Streichelt ihn.)
+
+(Burgess verlegen:) Oh, poetischen Jammer hat er,--verzeihen Sie, das
+wußte ich nicht. (Er wendet sich wieder nach dem Feuer, seine
+Unüberlegtheit bereuend.)
+
+(Candida.) Was ist's denn, Eugen? Wegen der Nagelbürste? (Er
+schaudert.) Es ist ja nichts dabei, lassen Sie's gut sein. (Sie setzt
+sich neben ihn.) Wollen Sie mir eine hübsche neue schenken, mit
+Elfenbeinrücken und eingelegtem Perlmutter?
+
+(Marchbanks sanft und melodisch, aber traurig und schmachtend:) Nein,
+keine Nagelbürste, aber ein Boot, eine kleine Schaluppe, um darin
+fortzusegeln, weit fort von der Welt, dorthin, wo Marmorböden vom
+Regen gewaschen und von der Sonne getrocknet werden, und wo der
+Südwind die wundervoll grünen und purpurnen Teppiche fegt. Oder einen
+Wagen möchte ich Ihnen schenken; uns hinaufzutragen in den Himmel, wo
+die Lampen Sterne sind und nicht täglich mit Petroleum gefüllt werden
+müssen.
+
+(Morell barsch:) Und wo es nichts anderes zu tun gibt, als faul,
+selbstsüchtig und unnütz zu sein.
+
+(Candida unangenehm berührt:) Oh, Jakob, wie kannst du nur alles so
+verderben!
+
+(Marchbanks feurig:) Ja: faul, selbstsüchtig und unnütz, das heißt
+schön, frei und glücklich sein. Hat das nicht jeder Mann mit seiner
+ganzen Seele für die Frau gewünscht, die er liebte? Das ist auch mein
+Ideal. Was ist das Ihre und das all der entsetzlichen Menschen, die
+in diesen fürchterlichen Häuserreihen wohnen? Predigten und
+Schuhbürsten! Für Sie die Predigten und für Ihre Frau die Bürste!
+
+(Candida drollig:) Er putzt die Schuhe, Eugen. Morgen werden Sie sie
+putzen müssen, weil Sie das von ihm gesagt haben.
+
+(Marchbanks.) Oh, sprechen Sie nicht von Schuhen; Ihre Füße würden
+auch in einer Wildnis schön bleiben.
+
+(Candida.) Meine Füße würden auf der Hackneystraße ohne Schuhe nicht
+sehr schön aussehn.
+
+(Burgess daran Anstoß nehmend:) Geh, Candy, sei nicht ordinär. Herr
+Marchbanks ist daran nicht gewöhnt. Du hast ihm schon wieder Jammer
+eingeflößt,--ich meine poetischen Jammer. (Morell schweigt, scheinbar
+ist er mit seinen Briefen beschäftigt. Tatsächlich ist er aber über
+seine neue und beunruhigende Erfahrung in sorgenvolle Gedanken
+vertieft: je sicherer er seiner moralischen Ausfälle ist, desto
+sicherer und wirkungsvoller pariert sie Eugen. Es schmerzt Morell
+sehr, daß er einen Menschen zu fürchten anfängt, den er nicht achten
+kann. Fräulein Garnett kommt mit einem Telegramm herein.)
+
+(Proserpina händigt das Telegramm Morell ein:) Rückantwort bezahlt,
+der Bote wartet. (Zu Candida, während sie zu ihrer Maschine geht und
+sich setzt:) Marie wartet auf Sie in der Küche, Frau Morell. (Candida
+erhebt sich:) Die Zwiebeln sind gekommen.
+
+(Marchbanks krampfhaft:) Zwiebeln!?
+
+(Candida.) Ja, Zwiebeln, und nicht einmal spanische! garstige, kleine
+rote Zwiebeln! Sie können mir helfen, sie zu zerschneiden; kommen Sie.
+(Sie nimmt ihn am Handgelenk und läuft, ihn nachziehend, hinaus.
+Burgess erhebt sich verblüfft und starrt ihnen, auf dem Kaminteppich
+stehend, nach.)
+
+(Burgess.) Candy sollte den Neffen eines Pairs nicht so behandeln.
+Das geht doch zu weit, Jakob. Hat er öfters solche komischen Anfälle?
+
+(Morell kurz, ein Telegramm schreibend:) Ich weiß nicht.
+
+(Burgess sentimental:) Er spricht sehr nett. Ich habe immer etwas
+Sinn für Poesie gehabt. Candy schlägt mir darin nach. Ich mußte ihr
+immer Märchen erzählen, als sie noch ein so kleines Mädchen war. (Er
+hält die Hand ungefähr zwei Fuß hoch über den Fußboden.)
+
+(Morell beschäftigt:) So, wirklich? (Er löscht das Telegramm ab und
+geht hinaus.)
+
+(Proserpina.) Haben Sie die Märchen, die Sie Ihrer Tochter erzählten,
+selbst erfunden?
+
+(Burgess würdigt sie keiner Antwort und nimmt vor dem Kamin die
+Stellung tiefster Verachtung gegen sie ein.)
+
+(Proserpina sehr ruhig:) Ich hätte nie gedacht, daß Sie derlei könnten.
+Übrigens möchte ich Sie doch warnen, da Sie so großes Interesse
+an Herrn Marchbanks nehmen. Er ist verrückt.
+
+(Burgess.) Verrückt! Was? Der auch?
+
+(Proserpina.) Total verrückt! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie
+sehr er mich vorhin erschreckte--das kann ich Ihnen versichern,
+gerade bevor Sie kamen.--Haben Sie das merkwürdige Zeug, das er sprach,
+nicht gehört?
+
+(Burgess.) So, das ist also der poetische Jammer? Potztausend, es ist
+mir selbst schon ein oder zweimal aufgefallen, daß es nicht ganz
+richtig mit ihm ist. (Er durchschreitet das Zimmer und hebt seine
+Stimme, während er geht:) Na, das ist ein hübsches Irrenhaus für einen
+Menschen, der außer Ihnen niemanden hat, sich um ihn zu kümmern.
+
+(Proserpina während er bei ihr vorbeikommt:) Ja, wie fürchterlich wäre
+es, wenn Ihnen da etwas zustieße.
+
+(Burgess hochmütig:) Erlauben Sie sich keine Bemerkungen! Sagen Sie
+Ihrem Prinzipal, daß ich in den Garten gegangen bin, meine Pfeife zu
+rauchen.
+
+(Proserpina spottend:) Oh!--(Ehe Burgess erwidern kann, kehrt Morell
+zurück.)
+
+(Burgess gefühlvoll:) Ich gehe in den Garten, meine Pfeife zu rauchen,
+Jakob.
+
+(Morell kurz angebunden:) Schon gut, schon gut! (Burgess geht
+würdevoll hinaus, wie ein müder alter Mann. Morell steht vor dem
+Tisch, wendet seine Papiere um und spricht zu Proserpina hinüber, halb
+humorvoll, halb geistesabwesend.)
+
+(Morell.) Nun, Prossi, warum haben Sie meinen Schwiegervater mit
+Schimpfnamen belegt?
+
+(Proserpina wird feuerrot und sieht rasch zu ihm auf, halb
+vorwurfsvoll, halb erschrocken:) Ich--(Sie bricht in Tränen aus.)
+
+(Morell lehnt sich mit leisem Humor zu ihr hinüber und tröstet sie:)
+Oh, lassen Sie, lassen Sie nur! es ist ja nichts dabei: er ist ein
+alter Schafskopf, nicht wahr? (Mit einem krampfhaften Schluchzen
+stürzt sie nach der Tür und verschwindet, die Tür zuschlagend. Morell
+schüttelt resigniert den Kopf, seufzt und geht müde an seinen Stuhl,
+wo er sich an die Arbeit setzt. Er sieht alt und vergrämt aus.
+Candida kommt herein; sie hat ihre häusliche Arbeit beendet und die
+Schürze abgenommen. Sie bemerkt sofort Morells niedergeschlagenes
+Aussehen, setzt sich ruhig auf den Besuchsstuhl und betrachtet ihn
+aufmerksam. Sie schweigt.)
+
+(Morell sieht auf, die Feder einen Moment absetzend:) Nun, wo ist
+Eugen?
+
+(Candida.) Er wäscht sich die Hände in der Waschküche--unter der
+Wasserleitung. Er wird ein ausgezeichneter Koch werden, wenn er nur
+erst seine Furcht vor Marie überwunden hat.
+
+(Morell kurz:) Gewiß, zweifellos. (Er fängt wieder zu schreiben an.)
+
+(Candida geht näher und legt ihre Hände sanft auf die seinen, um ihn
+aufzuhalten, und sagt:) Komm zu mir, mein Lieber. Laß dich anschauen.
+(Er legt seine Feder weg und stellt sich ihr zur Verfügung; sie laßt
+ihn aufstehen, zieht ihn ein wenig vom Tisch fort und betrachtet ihn
+mit kritischen Blicken.) Wende dein Gesicht einmal gegen das Licht.
+(Sie stellt ihn mit dem Gesicht gegen das Fenster.) Mein alter Junge
+sieht nicht gut aus,--hat er sich überanstrengt?
+
+(Morell.) Nicht mehr als gewöhnlich.
+
+(Candida.) Er sieht sehr bleich und grau, runzelig und alt aus.
+(Seine Melancholie nimmt zu und Candida faßt sie geflissentlich lustig
+an.) Komm her. (Sie zieht ihn zum Lehnstuhl:) Du hast für heute genug
+geschrieben. Überlaß Prossi alles Weitere, und wir wollen ein
+bißchen plaudern.
+
+(Morell.) Aber--
+
+(Candida nachdrücklich:) Ja, du mußt mit mir plaudern. (Sie zwingt
+ihn, Platz zu nehmen, und setzt sich auf den Teppich zu seinen Füßen.)
+Nun (seine Hände streichelnd:) fängst du schon an, besser auszusehen.
+Warum gibst du alle diese ermüdenden Extraarbeiten nicht auf? Jeden
+Abend gehst du aus, um zu predigen und zu reden. Freilich, was du
+sagst, ist alles schön und gut; aber es nützt ja nichts: sie geben
+nicht das geringste darauf. Sie sind natürlich deiner Ansicht--aber
+was hat man davon, wenn Leute mit einem einverstanden sind und dann
+hingehen und das Gegenteil von allem tun, sobald man den Rücken kehrt?
+Denke nur an unsere Gemeinde in St. Dominik? Warum wollen sie dich
+jeden Sonntag über Christentum reden hören? Nur weil sie mit ihren
+Geschäften und Geldangelegenheiten sechs Tage lang so sehr beschäftigt
+waren, daß sie am siebenten Tage nichts davon hören mögen. Da wollen
+sie ruhen und sich erbauen, damit sie frisch zurückkehren und besser
+als je dem Gelde nachjagen können. Du hilfst ihnen nur noch dabei,
+anstatt sie daran zu hindern.
+
+(Morell mit energischem Ernst:) Du weißt sehr gut, Candida, daß ich
+sie deswegen oft tüchtig ausschelte. Aber wenn ihr Kirchgang ihnen
+nichts anderes bedeutet als Ruhe und Zerstreuung, warum wählen sie
+dann nichts Lustigeres, Angenehmeres? Es muß doch etwas Gutes in der
+Tatsache liegen, daß sie die Kirche am Sonntag schlimmeren Orten
+vorziehen.
+
+(Candida.) Oh, die schlimmen Orte sind eben nicht offen, und selbst
+wenn sie es wären, sie würden sich nicht trauen hinzugehen, aus Angst
+gesehn zu werden. Überdies, lieber Jakob, predigst du so
+wundervoll, daß es für sie so gut wie ein Schauspiel ist. Warum,
+glaubst du, sind die Frauen alle so begeistert?
+
+(Morell verletzt:) Candida!
+
+(Candida.) Oh, ich weiß. Du Ahnungsloser, du glaubst, dein
+Sozialismus und deine Religion machen es,--doch wenn's bloß das wäre,
+dann würden sie tun, was du ihnen sagst, anstatt nur hinzugehen und
+dich anzustarren;--sie haben alle Prossis Leiden.
+
+(Morell.) Prossis Leiden? Was meinst du damit, Candida?
+
+(Candida.) Ja, Prossis und das all der anderen Sekretärinnen, die du
+hattest. Warum, meinst du, läßt sich Prossi herbei, abzuwaschen,
+Kartoffeln zu schälen und sich auf alle mögliche Art zu erniedrigen,
+da sie bei dir doch sechs Schillinge in der Woche weniger verdient,
+als sie in einem Bureau in der City bekäme? Sie ist verliebt in dich,
+das ist der Grund,--sie sind alle in dich verliebt. Und du bist ins
+Predigen verliebt, weil du das so wundervoll kannst. Und du glaubst,
+es sei alles Enthusiasmus für das Himmelreich auf Erden--und sie
+glauben es auch--o du lieber Dummkopf, du!
+
+(Morell.) Candida, was ist das für ein schrecklicher, seelenmordender
+Zynismus? Scherzest du oder--ist es möglich--bist du eifersüchtig?
+
+(Candida seltsam gedankenvoll:) Ja, manchmal bin ich etwas
+eifersüchtig.
+
+(Morell ungläubig:) Auf Prossi?
+
+(Candida lachend:) Nein, nein, nein. Nicht eifersüchtig a u f
+jemanden. Eifersüchtig f ü r jemanden, der n i c h t so geliebt wird,
+wie er sollte.
+
+(Morell.) Bin ich das?
+
+(Candida.) Du? Nein. Du bist verwöhnt durch Liebe und Verehrung,
+mehr, als für dich gut ist.--Nein, ich meine Eugen.
+
+(Morell betroffen:) Eugen?
+
+(Candida.) Es scheint mir ungerecht, daß du alle Liebe besitzen sollst
+und er keine, obgleich er sie so viel nötiger hat als du. (Eine
+krampfhafte Bewegung schüttelt ihn gegen seinen Willen.) Was ist dir,
+quäle ich dich?
+
+(Morell rasch:) Durchaus nicht. (Er sieht sie mit unruhiger Spannung
+an.) Du weißt, daß ich dir blindlings vertraue, Candida.
+
+(Candida.) Du eitler Mann. Bist du deiner Unwiderstehlichkeit so
+sicher?
+
+(Morell.) Candida, du verletzest mich. Ich habe an
+Unwiderstehlichkeit nie gedacht. Deiner Frömmigkeit, deiner Reinheit
+vertraue ich.
+
+(Candida.) Was für häßliche, ungemütliche Dinge du mir da sagst,--oh,
+du bist wirklich ein Pastor, Jakob, ein Pastor durch und durch!
+
+(Morell ins Herz getroffen, sich von ihr abwendend:) Das sagt Eugen
+auch.
+
+(Candida neigt sich mit lebhaftem Interesse zu ihm, die Arme auf
+seinen Knien:) Eugen hat immer recht. Er ist ein wundervoller Junge,
+ich habe ihn lieber und lieber gewonnen während der ganzen Zeit, wo
+ich fort war. Weißt du, Jakob, daß er, obwohl er selbst nicht die
+leiseste Ahnung davon hat, im Begriff steht, sich wahnsinnig in mich
+zu verlieben?
+
+(Morell grimmig:) Oh, er selbst hat nicht die leiseste Ahnung davon,
+wirklich?
+
+(Candida.) Nicht die geringste. (Sie nimmt ihre Arme von seinen Knien
+und wendet sich gedankenvoll ab, wobei sie eine bequeme Stellung
+einnimmt, die Hände im Schoß.) Eines Tages wird er es wissen,--wenn er
+erwachsen und erfahren sein wird wie du--da wird er erkannt haben, daß
+ich es wissen mußte!--Ich bin neugierig, was er dann von mir denken
+wird.
+
+(Morell.) Nichts Böses, Candida. Ich hoffe und vertraue, nichts Böses.
+
+(Candida zweifelnd:) Das wird davon abhängen...
+
+(Morell erschreckt:) Abhängen!
+
+(Candida ihn ansehend:) Ja, es wird davon abhängen, was er bis dahin
+erleben wird. Er sieht sie verständnislos an. Begreifst du das
+nicht? Es hängt ganz davon ab, wie und durch wen ihm bewußt wird, was
+die Liebe eigentlich ist. Ich meine, es kommt auf die Frau an, die
+ihn die Liebe lehren wird.
+
+(Morell ganz verwirrt:) Nein,--ja,--ich weiß nicht, was du meinst.
+
+(Candida erklärend:) Wenn eine gute Frau sie ihn lehrt, dann wird
+alles gut und schön sein, dann wird er mir verzeihen.
+
+(Morell.) Verzeihen?!
+
+(Candida fortfahrend:) Aber gesetzt den Fall, daß eine schlechte Frau
+sie ihn lehrt, wie dies vielen Männern, ganz besonders dichterisch
+veranlagten, geschieht, die alle Frauen für Engel halten,--gesetzt den
+Fall, sage ich, daß er den Wert der Liebe erst dann entdeckt, wenn er
+sie fortgeworfen und sich in seiner Unwissenheit selbst erniedrigt hat,
+--glaubst du, daß er mir dann auch verzeihen wird?
+
+(Morell.) Dir verzeihen? Weswegen?
+
+(Candida bemerkt, wie beschränkt er ist, fährt etwas enttäuscht, aber
+sanft fort:) Verstehst du das nicht? (Er schüttelt den Kopf; sie
+wendet sich wieder zu ihm, um es ihm mit zartester Vertraulichkeit zu
+erklären.) Ich meine: wird er mir verzeihen, daß ich selbst ihn die
+Liebe nicht gelehrt, sondern ihn schlechten Frauen überlassen habe?
+meiner Frömmigkeit--meiner Reinheit wegen, wie du es nennst! Oh,
+Jakob, wie wenig du mich doch verstehst, daß du nur immer von deinem
+Vertrauen in meine Frömmigkeit und Reinheit sprichst. Ich würde sie
+beide dem armen Eugen so gerne geben, wie einem frierenden Bettler
+meinen Schal, wenn nichts anderes mich davon abhielte. Vertraue auf
+meine Liebe zu dir; denn wenn die nicht wäre, aus deinen Predigten
+würde ich mir sehr wenig machen--das sind bloß leere Phrasen, mit
+denen du andere und dich selbst jeden Tag belügst. (Sie ist im
+Begriff aufzustehen.)
+
+(Morell.) Seine Worte!
+
+(Candida schnell innehaltend, indem sie aufsteht:) Wessen Worte?
+
+(Morell.) Eugens!
+
+(Candida entzückt:) Er hat immer recht. Er versteht dich, er versteht
+mich, er versteht Prossi; und du, Jakob, du verstehst nichts. (Sie
+lacht und küßt ihn, um ihn zu trösten; er weicht wie gestochen zurück
+und springt auf.)
+
+(Morell.) Wie kannst du mich küssen, während du--oh, Candida! (Mit
+Schmerz in der Stimme:) Ich hätte vorgezogen, daß du mir einen
+Widerhaken ins Herz gestoßen hättest, statt mir diesen Kuß zu geben.
+
+(Candida erhebt sich beunruhigt:) Mein Lieber, was ist denn mit dir?
+
+(Morell schüttelt sie wild ab:) Berühre mich nicht!
+
+(Candida erstaunt:) Jakob! Sie werden durch den Eintritt Marchbanks'
+und Burgess' unterbrochen, der in der Nähe der Tür stehen bleibt und
+sie anstarrt, während Eugen sich zwischen sie nach vorwärts drängt.
+
+(Marchbanks.) Ist etwas vorgefallen?
+
+(Morell totenbleich, mit eiserner Selbstbeherrschung:) Nichts, als daß
+entweder Sie heute morgen recht hatten, oder daß Candida verrückt ist!
+
+(Burgess laut protestierend:) Was? Candy auch verrückt? Das ist
+zuviel! (Er durchschreitet das Zimmer bis zum Kamin, protestiert
+während des Gehens und klopft dort seine Pfeifenasche aus. Morell
+setzt sich verzweifelt nieder, lehnt sich nach vorne, um sein Gesicht
+zu verbergen, und verschlingt seine Finger krampfhaft, damit sie ruhig
+bleiben.)
+
+(Candida zu Morell, erleichtert und lachend:) Oh, du bist nur
+verletzt--ist das alles? Wie konventionell ihr unkonventionellen
+Leute doch alle seid!
+
+(Burgess.) Benimm dich anständig, Candy. Was wird Herr Marchbanks von
+dir denken?
+
+(Candida.) Das kommt davon, weil Jakob mir immer predigt, nur mir
+selbst Rechenschaft abzulegen und nie darauf zu achten, was andere
+Leute über mich denken könnten. Das ist außerordentlich schön und gut,
+solange ich derselben Meinung bin wie er. Aber jetzt--weil ich
+gerade etwas anderer Meinung war jetzt schau ihn dir an, schau nur!
+(Sie weist auf Morell, höchst belustigt. Eugen beobachtet ihn und
+preßt seine Hand heftig ans Herz, als wenn ihn irgendein Schmerz
+getroffen hätte; er setzt sich auf das Sofa wie ein Mensch, der einer
+Tragödie beiwohnt. Burgess auf dem Kaminteppich:) Sie hat recht,
+Jakob, Sie sehen wirklich nicht so würdig aus wie gewöhnlich.
+
+(Morell mit einem Lachen, das ein halbes Schluchzen ist:) Das kann
+schon sein, verzeiht mir alle,--ich wußte nicht, daß ich eine Störung
+verursache. (Sich zusammenraffend:) Es ist schon gut, schon gut,
+schon gut. (Er geht zurück nach seinem Platz am Tisch und setzt sich,
+um an seinen Papieren wieder mit entschlossener Heiterkeit
+weiterzuarbeiten.)
+
+(Candida geht nach dem Sofa und setzt sich neben Marchbanks, noch in
+heiterster Stimmung:) Nun, Eugen, warum sind Sie traurig? Haben Sie
+vom Zwiebelschälen geweint? (Morell kann sich nicht enthalten, sie zu
+beobachten.)
+
+(Marchbanks beiseite zu ihr:) Ihre Grausamkeit ist es, die mich
+traurig macht.--Ich hasse Grausamkeit. Es ist entsetzlich,
+mitanzusehen, wie ein Mensch einem andern weh tut.
+
+(Candida ihn streichelnd, ironisch:) Armer Junge, war ich grausam?
+Habe ich ihn kleine, rote, häßliche Zwiebel schälen lassen?
+
+(Marchbanks ernst:) Oh, halten Sie ein, halten Sie ein: ich meine
+nicht mich! Er hat Ihretwegen furchtbar gelitten. Ich fühle seinen
+Schmerz in meinem eigenen Herzen. Ich weiß, daß Sie nicht schuld
+daran sind,--es ist etwas geschehen, was geschehen mußte; aber nehmen
+Sie es nicht so leicht. Mich schaudert, wenn Sie ihn quälen und dabei
+lachen.
+
+(Candida ungläubig:) Ich Jakob quälen?! Unsinn, Eugen; wie Sie
+übertreiben! Torheit! (Sie blickt hinüber zu Jakob, der seine
+Schreiberei hastig fortsetzt; sie gebt zu ihm und steht hinter seinem
+Stuhl, sich über ihn beugend.) Arbeite nicht länger, mein Lieber, komm
+und plaudere mit uns.
+
+(Morell liebevoll, aber bitter:) Ach nein: ich kann nicht plaudern,
+ich kann nur predigen.
+
+(Candida ihn streichelnd:) Nun, dann komm und predige!
+
+(Burgess heftig widersprechend:) Ach nein, Candy! zum Henker mit dem
+Predigen! (Alexander Mill kommt herein und sieht ängstlich und
+wichtig aus.)
+
+(Mill beeilt sich, Candida zu begrüßen:) Wie geht es Ihnen, Frau
+Morell? Wie freue ich mich, daß Sie wieder zurück sind.
+
+(Candida.) Ich danke Ihnen, Herr Mill. Sie kennen Eugen, nicht wahr?
+
+(Mill.) O ja! Wie geht es Ihnen, Marchbanks?
+
+(Marchbanks.) Danke, gut!
+
+(Mill zu Morell:) Ich komme eben aus der Gilde von Sankt Matthäus.
+Die Leute sind furchtbar bestürzt über Ihr Telegramm. Es ist doch
+hoffentlich nichts geschehen?
+
+(Candida.) Was hast du denn telegraphiert, Jakob?
+
+(Mill zu Candida:) Es war vereinbart, daß er heute abend dort sprechen
+sollte, sie haben den großen Saal in der Marestraße gemietet und eine
+Menge Geld für Plakate ausgegeben. Der Herr Pastor telegraphierte nun,
+daß er nicht kommen könnte! Es traf sie wie ein Blitz aus heiterem
+Himmel.
+
+(Candida überrascht, beginnt zu wittern, daß etwas nicht in Ordnung
+ist:) Eine Gelegenheit, öffentlich zu sprechen, hast du ausgeschlagen?
+
+(Burgess.) Zum erstenmal in seinem Leben, das möchte ich wetten;
+--nicht wahr, Candy?
+
+(Mill zu Morell:) Man hat beschlossen, Ihnen ein dringendes Telegramm
+zu schicken, mit der Bitte, Ihren Entschluß zu ändern. Haben Sie es
+erhalten?
+
+(Morell mit mühsam verhaltener Ungeduld:) Ja, ja, ich bekam es.
+
+(Mill.) Es war mit bezahlter Rückantwort.
+
+(Morell.) Ja, ich weiß. Ich habe es beantwortet. Ich kann nicht
+kommen.
+
+(Candida.) Aber warum nicht, Jakob?
+
+(Morell beinahe heftig:) Weil ich nicht mag! Diese Leute vergessen,
+daß ich auch ein Mensch bin; sie halten mich für eine Redemaschine,
+die man jeden Abend zu seinem Vergnügen aufziehen kann. Darf ich
+nicht auch einmal einen Abend zu Hause haben, mit meiner Frau und
+meinen Freunden? (Sie sind alle über diesen Ausbruch erstaunt mit
+Ausnahme von Eugen,--sein Ausdruck bleibt unverändert.)
+
+(Candida.) Oh, Jakob, du weißt es selbst: morgen wirst du dann
+Gewissensbisse haben, und ich werde darunter leiden müssen.
+
+(Mill eingeschüchtert, aber dringend:) Ich weiß natürlich, daß diese
+Menschen die unvernünftigsten Anforderungen an Sie stellen; aber sie
+haben überallhin um einen anderen Redner telegraphiert und können
+niemanden mehr bekommen als den Präsidenten des Agnostikerbundes.
+
+(Morell rasch:) Nun, das ist ein ausgezeichneter Mann,--was wollen sie
+denn noch mehr?
+
+(Mill.) Aber er besteht immer so fest auf der Scheidung des
+Sozialismus vom Christentum. Er wird all das Gute, das wir gestiftet
+haben, zunichte machen,--natürlich, Sie müssen ja am besten wissen,
+aber...
+
+(Er zögert.)
+
+(Candida schmeichelnd:) O bitte, geh' doch hin, Jakob. Wir kommen
+alle mit.
+
+(Burgess brummend:) Schau, Candy, laß uns lieber gemütlich zu Hause am
+Kamin sitzen. Er braucht ja nicht länger als zwei Stunden
+wegzubleiben.
+
+(Candida.) Du wirst dich in der Versammlung genau so behaglich fühlen.
+Wir werden alle auf dem Podium sitzen und wichtige Leute sein.
+
+(Marchbanks entsetzt:) Oh, bitte, nicht auf dem Podium; nein! Jeder
+wird uns anstarren,--das hielte ich nicht aus. Ich werde im
+Hintergrund des Saales bleiben.
+
+(Candida.) Fürchten Sie sich nicht. Man wird viel zu sehr damit
+beschäftigt sein, Jakob anzustarren als daß man Sie bemerkte.
+
+(Morell wendet den Kopf und sieht Candida vielsagend über die Schulter
+an:) Prossis Leiden, Candida,--nicht?
+
+(Candida lustig:) Jawohl.
+
+(Burgess neugierig:) Prossis Leiden? Was reden Sie da, Jakob?
+
+(Morell beachtet ihn nicht, erhebt sich, geht nach der Tür, öffnet und
+ruft in befehlendem Ton hinaus:) Fräulein Garnett!
+
+(Proserpina aus der Entfernung:) Ja, Herr Pastor, ich komme schon.
+(Sie warten alle mit Ausnahme von Burgess, der verstohlen zu Mill geht
+und ihn beiseite zieht.)
+
+(Burgess.) Hören Sie, Herr Mill: worin besteht Prossis Leiden? Was
+fehlt ihr?
+
+(Mill vertraulich:) Ja, ich weiß es nicht genau; aber sie sprach recht
+seltsame Dinge heute früh;--ich fürchte, es ist manchmal nicht ganz
+richtig mit ihr.
+
+(Burgess überwältigt:) Nein,--vier in demselben Haus! Es muß
+ansteckend sein. (Er geht zurück an den Kamin, ganz in Gedanken
+versunken über die Veränderlichkeit des menschlichen Verstandes in der
+Umgebung eines Geistlichen.)
+
+(Proserpina erscheint auf der Schwelle:) Was wünschen Sie, Herr Pastor?
+
+(Morell.) Telegraphieren Sie nach der Gilde von Sankt Matthäus, daß
+ich kommen werde.
+
+(Proserpina überrascht:) Werden Sie denn nicht erwartet?
+
+(Morell gebieterisch:) Tun Sie, wie ich Ihnen gesagt habe.
+(Proserpina setzt sich erschrocken an die Schreibmaschine und gehorcht.)
+
+(Morell geht hinüber zu Burgess. Candida beobachtet seine Bewegungen
+die ganze Zeit über mit wachsender Verwunderung und Besorgnis.)
+Burgess, Sie möchten lieber nicht mitkommen?
+
+(Burgess sich entschuldigend:) Oh, so dürfen Sie das nicht
+auffassen--ich meine nur, wissen Sie--weil heute nicht Sonntag ist.
+
+(Morell.) Das ist schade, ich dachte, Sie würden gerne mit dem
+Vorsitzenden bekannt werden. Er ist im Provinzialarbeitsausschuß und
+hat einigen Einfluß bei Abschlüssen von Lieferungen. (Burgess wird
+mit einem Male lebendig; Morell, der das erwartet hat, hält einen
+Augenblick inne und sagt:) Sie wollen also doch mitkommen?
+
+(Burgess mit Enthusiasmus:) Das will ich meinen,--ob ich mitkomme,
+Jakob! Es ist ja stets ein Genuß, Sie predigen zu hören!
+
+(Morell wendet sich zu Proserpina:) Ich werde Sie nötig haben, damit
+Sie in der Versammlung einige Notizen machen können, Fräulein Garnett,
+falls Sie nicht schon vergeben sind. (Sie nickt, aus Angst, sprechen
+zu müssen.) Sie kommen doch auch mit, Lexi?
+
+(Mill.) Selbstverständlich.
+
+(Candida.) Wir kommen alle mit, Jakob.
+
+(Morell.) Nein! Du kommst nicht mit, und Eugen kommt nicht mit. Du
+wirst zu Hause bleiben und dich mit ihm unterhalten, zur Feier deiner
+Rückkehr. (Eugen erhebt sich atemlos.)
+
+(Candida.) Aber Jakob--
+
+(Morell gebieterisch:) Ich bestehe darauf; Ihr habt beide keine Lust
+zu kommen, weder er, noch du! (Candida will sich dagegen verwahren.)
+Oh, denkt nicht an mich, ich werde auch ohne euch eine Menge Menschen
+um mich versammelt sehen. Eure Stühle werden von unbekehrten Leuten
+besetzt sein, die mich noch nie gehört haben.
+
+(Candida beunruhigt:) Eugen, möchten Sie nicht hingehen?
+
+(Morell.) Ich würde mich fürchten, mich vor Eugen hören zu lassen; er
+ist Predigten gegenüber sehr kritisch. (Sieht ihn an.) Er weiß, daß
+ich mich vor ihm fürchte, er hat mir's heute früh selbst gesagt. Nun
+will ich ihm zeigen, wie sehr ich mich fürchte, indem ich ihn hier
+allein in deiner Hut lasse, Candida.
+
+(Marchbanks zu sich selbst, mit lebhaftem Gefühl:) Das ist tapfer; das
+ist schön. (Er setzt sich wieder und hört mit geöffneten Lippen zu.)
+
+(Candida mit ängstlicher Beunruhigung:) Aber, aber--Ist irgend etwas
+geschehen, Jakob? (Sehr verwirrt:) Ich kann dich nicht begreifen.
+
+(Morell.) Ah, ich dachte, ich sei es, der nichts begreifen kann, meine
+Liebe. (Er schließt sie zärtlich in die Arme und küßt sie auf die
+Stirn, dann blickt er ruhig auf Marchbanks.)
+
+(Vorhang)
+
+
+
+
+DRITTER AKT
+
+(Es ist nach zehn Uhr abends; die Vorhänge sind zugezogen und die
+Lampe brennt. Die Schreibmaschine steht in ihrem Kasten. Der breite
+Tisch ist geordnet worden; alles zeugt davon, daß das Tagewerk
+vollbracht ist. Candida und Marchbanks sitzen am Feuer; die Leselampe
+steht auf dem Kaminsims über Marchbanks, der in dem kleinen Stuhl
+sitzt und laut liest. Auf dem Teppich neben ihm liegt ein kleiner
+Haufen von Manuskripten und ein paar Bände Gedichte. Candida sitzt im
+großen Stuhl und hält einen leichten Schürhaken aus Messing aufrecht
+in der Hand; sie sitzt zurückgelehnt und sieht versonnen auf die
+funkelnde Messingspitze. Sie hat die Füße gegen das Feuer hin
+ausgestreckt und läßt ihre Fersen auf dem Kamingitter ruhen, sich
+ihrer Erscheinung und ihrer Umgebung tief unbewußt.)
+
+(Marchbanks seine Vorlesung unterbrechend:) Jeder Dichter, der je
+gelebt hat, hat aus diesem Gedanken ein Sonett gemacht. Er muß es, ob
+er will oder nicht. (Er sieht Candida an, ob sie ihm zustimmt, und
+bemerkt, daß sie auf den Schürhaken starrt.) Haben Sie nicht zugehört?
+(Keine Antwort:) Frau Morell!
+
+(Candida auffahrend.) Wie!?
+
+(Marchbanks.) Haben Sie nicht zugehört?
+
+(Candida schuldbewußt, mit übertriebener Höflichkeit:) O ja. Es ist
+sehr hübsch. Fahren Sie fort, Eugen. Ich bin begierig, zu hören, was
+dem Engel passiert ist.
+
+(Marchbanks läßt das Manuskript aus der Hand auf den Boden fallen:)
+Verzeihen Sie, daß ich Sie langweile!
+
+(Candida.) Aber Sie langweilen mich durchaus nicht, wirklich nicht.
+Bitte, fahren Sie fort--bitte, Eugen.
+
+(Marchbanks.) Ich habe das Gedicht über den Engel vor einer
+Viertelstunde beendet. Ich habe Ihnen seitdem schon verschiedenes
+vorgelesen.
+
+(Candida reuevoll:) Das tut mir wirklich leid, Eugen. Mir scheint,
+der Schürhaken hat mich behext. (Sie legt ihn nieder.)
+
+(Marchbanks.) Er hat mich fürchterlich gestört.
+
+(Candida.) Warum haben Sie mir das nicht gesagt? Ich hätte ihn sofort
+weggelegt.
+
+(Marchbanks.) Ich fürchtete, Sie auch zu stören; er glich einer Waffe.
+Wenn ich ein Held aus alten Tagen wäre, würde ich mein gezogenes
+Schwert zwischen uns gelegt haben. Wenn Morell gekommen wäre, hätte
+er geglaubt, daß Sie den Schürhaken ergriffen haben, weil kein Schwert
+zwischen uns liegt.
+
+(Candida verwundert:) Was? (Sie sieht ihn mit verwirrten Blicken an:)
+Das kann ich nicht recht verstehen. Ihre Sonette haben mich so sehr
+verwirrt! Warum sollte ein Schwert zwischen uns sein?
+
+(Marchbanks ausweichend:) Oh, lassen wir das. (Er bückt sich, das
+Manuskript aufzuheben.)
+
+(Candida.) Legen Sie das wieder hin, Eugen. Mein Hunger nach Poesie
+hat Grenzen, selbst nach Ihrer Poesie. Sie haben mir länger als zwei
+Stunden vorgelesen--seit mein Mann fort ist--, ich möchte lieber
+plaudern.
+
+(Marchbanks erhebt sich, furchtsam:) Nein, ich darf nicht reden. (Er
+sieht in seiner verlorenen Weise um sich und fügt plötzlich hinzu:)
+Ich glaube, ich mache einen Spaziergang im Park. (Er will nach der
+Tür.)
+
+(Candida.) Unsinn! er ist längst geschlossen. Setzen Sie sich auf den
+Kaminteppich und plaudern wir, wie Sie es gewöhnlich tun! Ich will
+unterhalten werden,--wollen Sie nicht?
+
+(Marchbanks halb entsetzt, halb hingerissen:) Ja.
+
+(Candida.) Dann kommen Sie her. (Sie rückt ihren Stuhl etwas zurück,
+um Platz zu machen; er zögert, dann kauert er sich schüchtern hin vor
+den Kamin, das Gesicht nach oben gekehrt, wirft seinen Kopf zurück auf
+ihre Knie und sieht zu ihr empor.)
+
+(Marchbanks.) Oh, ich habe mich den ganzen Tag so unglücklich gefühlt,
+weil ich getan habe, was recht war; und nun, wo ich unrecht tue, bin
+ich so glücklich.
+
+(Candida zart, belustigt über ihn:) Ja; ich bin überzeugt, nun fühlen
+Sie sich wie ein großer, erwachsener, böser Verführer--ganz stolz auf
+sich, nicht wahr?
+
+(Marchbanks erhebt seinen Kopf rasch und wendet sich ein wenig, um sie
+anzublicken:) Nehmen Sie sich in acht. Ich bin sogar um vieles
+älter als Sie, Sie wissen es nur nicht. (Er wendet sich auf seinen
+Knien ganz herum; mit gefalteten Händen und die Arme in ihrem Schoß,
+spricht er mit wachsender Erregung--sein Blut fängt an zu wallen:)
+Darf ich Ihnen ein paar schlimme Dinge sagen?
+
+(Candida ohne die leiseste Angst oder Kälte und mit vollkommener
+Achtung vor seiner Leidenschaft, aber mit einem Schimmer ihres
+klugkerzigen mütterlichen Humors:) Nein. Aber Sie dürfen alles
+sagen, was Sie wirklich und wahrhaftig fühlen, was es auch sei, alles!
+Ich fürchte mich nicht, solange Ihr wirkliches "Selbst" zu mir
+spricht und nicht eine bloße Pose--eine galante oder eine gottlose,
+oder selbst eine dichterische Pose. Das verlange ich von Ihnen, bei
+Ihrer Ehre und Wahrhaftigkeit!--Nun sagen Sie, was Sie wollen.
+
+(Marchbanks der heiße Ausdruck verschwindet vollkommen von seinen
+Lippen und Nasenflügeln, seine Augen flammen auf in begeistertem Feuer.)
+Oh, jetzt kann ich nicht mehr alles sagen; denn alle Worte, die ich
+weiß, gehören mehr oder weniger irgendeiner Pose an, alle--bis auf
+eines.
+
+(Candida.) Welches Wort ist das?
+
+(Marchbanks sanft, sich dem melodischen Klang des Namens hingebend:)
+"Candida, Candida, Candida, Candida, Candida"--das muß ich jetzt sagen,
+da Sie mich bei meiner Ehre und Wahrhaftigkeit fragen, denn ich denke
+und fühle niemals "Frau Morell", immer nur "Candida".
+
+(Candida.) Selbstverständlich! Und was haben Sie Candida zu sagen?
+
+(Marchbanks.) Nichts als Ihren Namen tausendmal zu wiederholen.
+Fühlen Sie nicht, daß es jedesmal ein Gebet zu Ihnen ist?
+
+(Candida.) Macht es Sie nicht glücklich, daß Sie beten können?
+
+(Marchbanks.) Ja, sehr glücklich.
+
+(Candida.) Nun, dieses Glück ist die Antwort auf Ihr Gebet.--Wünschen
+Sie sich etwas Besseres?
+
+(Marchbanks selig:) Nein, ich bin im Himmel, wo man wunschlos ist.
+(Morell tritt ein; er bleibt an der Schwelle stehen und überschaut mit
+einem Blick die ganze Szene.)
+
+(Morell ernst und mit Selbstbeherrschung:) Hoffentlich störe ich nicht.
+(Candida fährt heftig auf, aber ohne die leiseste Verlegenheit. Sie
+lacht über sich selbst. Eugen, noch auf den Knien, schützt sieh vor
+dem Fallen dadurch, daß er seine Hände auf den Stuhlsitz legt; Morell
+mit offenem Munde anstarrend, bleibt er in dieser Stellung.)
+
+(Candida im Aufstehen:) Oh, Jakob, wie du mich erschreckt hast; ich
+war so mit Eugen beschäftigt, daß ich deinen Schlüssel nicht gehört
+habe. Wie ist die Versammlung verlaufen? Hast du gut gesprochen?
+
+(Morell.) Ich habe in meinem ganzen Leben nicht besser gesprochen.
+
+(Candida.) Das ist ausgezeichnet! Wieviel ist eingegangen?
+
+(Morell.) Ich vergaß zu fragen.
+
+(Candida zu Eugen:) Er muß wundervoll gesprochen haben oder er hätte
+das nicht vergessen. (Zu Morell:) Wo sind die andern?
+
+(Morell.) Sie verließen den Saal lange ehe ich fortkommen konnte; ich
+glaube, sie essen irgendwo zur Nacht.
+
+(Candida in ihrer hausmütterlichen Art:) Oh, dann kann Marie zu Bette
+gehn; ich will es ihr sagen. (Sie geht hinaus in die Küche.)
+
+(Morell blickt strenge auf Marchbanks nieder:) Nun?
+
+(Marchbanks läßt sich mit gekreuzten Beinen auf den Kaminteppich
+nieder und fühlt sich Morell gegenüber ganz sicher, sogar voll
+verschmitzten Humors:) Nun?
+
+(Morell.) Haben Sie mir etwas zu sagen?
+
+(Marchbanks.) Nur, daß ich mich hier heimlich zum Narren gemacht habe,
+während Sie öffentlich dasselbe getan haben.
+
+(Morell.) Ich glaube, kaum auf dieselbe Art.
+
+(Marchbanks springt auf, eifrig:) Ganz genau auf dieselbe Art. Ich
+habe eben ganz so wie Sie den braven Mann gespielt! ganz so wie Sie.
+Als Sie Ihr Heldentum, mich hier mit Candida allein zu lassen,
+begannen--
+
+(Morell unwillkürlich:) Candida?
+
+(Marchbanks.) Ja, so weit bin ich schon. Heldentum ist ansteckend,
+ich bekam die Krankheit von Ihnen und habe mir geschworen, Candida in
+Ihrer Abwesenheit nichts zu sagen, was ich nicht schon vor einem Monat
+in Ihrer Gegenwart gesagt hätte.
+
+(Morell.) Und haben Sie dieses Gelübde gehalten?
+
+(Marchbanks setzt sich plötzlich in grotesker Weise in den Lehnstuhl:)
+Ich bin bis vor etwa zehn Minuten dumm genug gewesen, es zu halten.
+Bis dahin habe ich ihr verzweifelt vorgelesen, meine eigenen
+Gedichte--und andere--um einer Unterhaltung auszuweichen. Ich sah
+das Himmelstor offen und weigerte mich, einzutreten.... Sie können
+sich nicht vorstellen, wie heldenhaft das war und wie ungemütlich....
+Dann--
+
+(Morell seine Ungeduld bezähmend:) Dann?
+
+(Marchbanks geht prosaisch in eine ganz gewöhnliche Stellung im
+Lehnstuhl über:) Dann konnte sie das Vorlesen nicht mehr vertragen.
+
+(Morell.) Und da haben Sie sich dem Himmelstor schließlich genähert?
+
+(Marchbanks.) Ja.
+
+(Morell.) Und dann? (Wild:) Sprechen Sie, Mensch! Haben Sie denn
+kein Gefühl für mich!
+
+(Marchbanks sanft und melodisch:) Dann wurde sie ein Engel, und ein
+Flammenschwert erschien, das mir jeden Zugang versperrte, so daß ich
+nicht eintreten konnte und nun begriff, daß dieses Tor in Wahrheit das
+Tor der Hölle war.
+
+(Morell triumphierend:) Sie hat Sie zurückgestoßen!
+
+(Marchbanks erhebt sich mit grimmigem Hohn:) Nein, Sie Narr! Wenn sie
+das getan hätte, würde ich gar nicht gefühlt haben, daß ich schon im
+Himmel war. Mich zurückgestoßen... glauben Sie, daß mich das gerettet
+hätte?--Tugendhafte Entrüstung! Oh, Sie sind nicht wert, in einer
+Welt mit ihr zu leben. (Er wendet sich verachtungsvoll von ihm ab
+nach der anderen Seite des Zimmers.)
+
+(Morell der ihn ruhig beobachtet hat, ohne seinen Platz zu wechseln:)
+Glauben Sie, daß Sie dadurch an Wert gewinnen, wenn Sie mich
+beschimpfen, Eugen?
+
+(Marchbanks.) Hier endet der tausendunderste Text. Morell: ich halte
+doch nicht viel von Ihrem Predigen. Ich glaube sogar, ich selbst
+könnte das besser. Der Mann, den ich jetzt vor mir haben möchte, ist
+der Mann, den Candida geheiratet hat.
+
+(Morell.) Der Mann, den... meinen Sie mich?
+
+(Marchbanks.) Ich meine nicht Hochwürden Jakob Mavor Morell, Moralist
+und Schwätzer. Ich meine den wirklichen Menschen, den Hochwürden
+Jakob irgendwo in seiner schwarzen Kutte versteckt haben muß, den Mann,
+den Candida geliebt hat. Sie können die Liebe einer Frau wie Candida
+nicht dadurch erreicht haben, daß Sie bloß Ihren Kragen hinten statt
+vorne knöpfen.
+
+(Morell kühn und standhaft:) Als Candida einwilligte, mich zu heiraten,
+da war ich derselbe Moralist und Schwätzer, den Sie jetzt vor sich
+sehen. Ich trug meinen schwarzen Rock, und meinen Kragen knöpfte ich
+hinten statt vorne. Glauben Sie, daß sie mich mehr geliebt hätte,
+wenn ich unaufrichtig in meinem Beruf gewesen wäre?
+
+(Marchbanks auf dem Sofa, seine Knöchel umfassend:) Oh, sie hat Ihnen
+vergeben, so wie sie mir vergibt, daß ich ein Feigling bin und ein
+Schwächling, und was Sie einen kleinen winselnden Hund--und so
+weiter--nennen. (Verträumt:) Eine Frau wie diese hat göttlichen
+Einblick: sie liebt unsere Seele und nicht unsere Narrheiten und
+Eitelkeiten und Illusionen, oder unsere Kragen und Röcke, oder die
+andern Fetzen und Lappen, in die wir gehüllt sind. (Er denkt darüber
+einen Augenblick nach, dann wendet er sich mit gespannter Erwartung um,
+Morell zu befragen:) Was ich wissen möchte, ist, wie Sie an dem
+Flammenschwerte, das mich zurückgeschreckt hat, vorbeigekommen sind!
+
+(Morell bedeutungsvoll:) Vielleicht weil ich nicht nach zehn Minuten
+unterbrochen wurde.
+
+(Marchbanks verblüfft:) Was?
+
+(Morell.) Der Mensch kann auf die höchsten Gipfel steigen; aber er
+kann nicht lange dort verweilen.
+
+(Marchbanks.) Das ist falsch. Dort kann er ewig verweilen! nur dort!
+Anderswo findet er keine Ruhe und hat keinen Sinn für die stille
+Schönheit des Lebens. Wo sollte ich meine seligsten Minuten verleben,
+wenn nicht auf den Höhen?
+
+(Morell.) In der Küche, Zwiebeln schneidend und Lampen füllend.
+
+(Marchbanks.) Oder auf der Kanzel, Seelen scheuernd die aus billigem
+Ton sind.
+
+(Morell.) Ja, das auch! Dort habe ich meinen goldenen Augenblick
+geerntet und mit ihm das Recht, um Candidas Liebe zu werben. Ich habe
+mir diese Stunde nicht erborgt, noch habe ich sie benützt, um das
+Glück eines andern zu stehlen.
+
+(Marchbanks schreitet ziemlich angewidert dem Kamin zu:) Ich zweifle
+nicht daran, daß Sie Ihre Verrichtungen so ehrenhaft erfüllt haben,
+als ob Sie ein Pfund Käse abgewogen hätten. (Er hält vor dem Kamin
+inne und fügt nachdenklich zu sich selbst, Morell den Rücken kehrend,
+hinzu:) Ich konnte zu ihr nur als Bettler kommen.
+
+(Morell auffabrend:) Als ein frierender Bettler, der sie um ihren
+Schal bat, nicht wahr?
+
+(Marchbanks wendet sich überrascht um:) Ich danke Ihnen, daß Sie sich
+auf mein Gedicht beziehen. Ja, wenn Sie wollen: als ein frierender
+Bettler, der sie um ihren Schal bat.
+
+(Morell erregt:) Und sie verweigerte ihn. Soll ich Ihnen sagen, warum
+sie ihn verweigert hat? Ich kann es Ihnen sagen, mit ihrer eigenen
+Erlaubnis: weil...
+
+(Marchbanks.) Sie hat ihn nicht verweigert!
+
+(Morell.) Nicht?
+
+(Marchbanks.) Sie bot mir alles, worum ich bat: ihren Schal, ihre
+Flügel, den Sternenkranz aus ihrem Haar, die Lilien in ihrer Hand, den
+aufgehenden Mond zu ihren Füßen.
+
+(Morell ihn anpackend:) Heraus mit der Wahrheit, Mensch! Meine Frau
+ist meine Frau: ich habe genug von Ihrem poetischen Flitterkram,--ich
+weiß ganz gut, daß kein Gesetz Candida an mich binden würde, wenn ich
+ihre Liebe an Sie verloren hätte!
+
+(Marchbanks bizarr, ohne Furcht oder Widerstand:) Packen Sie mich nur
+beim Kragen: sie wird ihn dann wieder in Ordnung bringen wie heute
+morgen. (Mit stiller Begeisterung:) Ich werde wieder die Berührung
+ihrer Hände fühlen.
+
+(Morell:) Sie junger Fant, fühlen Sie nicht, wie gefährlich es ist,
+mir das zu sagen! Oder (mit plötzilicher Befürchtung:) hat Sie irgend
+etwas kühn gemacht?
+
+(Marchbanks.) Ich fürchte mich jetzt nicht mehr! Ich habe Sie bisher
+nie leiden mögen, deshalb bin ich bei Ihren Berührung zusammengezuckt.
+Aber heute erkannte ich--als Candida Sie quälites--daß Sie sie lieben.
+Seitdem bin ich Ihr Freund! Jetzt können sie mich erwürgen, wenn
+Sie wollen!
+
+(Morell ihn loslassend:) Eugen, wenn das keine herzlose Lüge ist--wenn
+Sie noch einen Funken menschlichen Fühlens haben--so werden Sie mir
+sagen, was im meiner Abwesenheit vergefallen ist!
+
+(Marchbanks:) Was vorgefallen ist? Nun, das Flamenmenschwere...
+(Morell stampft ungeduldig mit dem Fuße;),--also im ganz einfacher
+Prosa: ich liebte sie so unendlich, daß ich nichts weiter wünschte als
+das Glück, so lieben zu für ich und bevor ich--Zote fang vom höchsten
+Grafen der Gefür herunterzutaumente--traten Sie ein.
+
+(Morell (scowen leidend:)) Leidenschaftlichem immer nicht erduldig--
+immer bleibt ihr noch die ehblines Zweifzig.
+
+(Marchbanks.) Quall und wünsche jetzt nichts mehr als Candidas
+Glück. (Mit leidenschaftlichem Gefühl:) Oh, Morell, geben wir sie
+beide auf! Warum soll sie wählen müssen zwischen einem elenden,
+nervösen kleinen Kranken, wie ich es bin, und einem starrköpfigen
+Pfarrer wie Sie? Gehen wir auf Pilgerschaft, Sie nach Osten und ich
+nach Westen, auf der Suche nach einem würdigeren Liebhaber, einem
+schönen Erzengel mit purpurnen Flügeln.
+
+(Morell.) Papperlapapp, dummes Zeug! Oh, wenn sie verrückt genug wäre,
+mich Ihretwegen zu verlassen, wer sollte sie beschützen, wer sollte
+ihr helfen, wer sollte für sie arbeiten, wer ihren Kindern ein Vater
+sein! (Er setzt sich verstört auf das Sofa, seine Ellbogen auf die
+Knie gestützt und den Kopf zwischen den geballten Fäusten.)
+
+(Marchbanks schnappt wild mit den Fingern:) Sie stellt nicht solche
+törichte Fragen: sie braucht jemanden, den sie schützen und behüten,
+für den sie arbeiten kann, jemanden, der ihr Kinder anvertraut, um sie
+zu beschützen, ihnen zu helfen und für sie zu arbeiten, einen
+erwachsenen Menschen, der wieder wie ein kleines Kind geworden ist.
+Oh, Sie Narr, Sie Narr, Sie dreifacher Narr! Ich bin der Mann, Morell,
+ich bin der Mann! (Er tanzt aufgeregt herum und schreit:) Sie
+verstehen nicht, was eine Frau ist,--schicken Sie nach ihr, Morell,
+schicken Sie nach ihr und lassen Sie sie wählen zwischen--(Die Tür
+öffnet sich und Candida tritt ein; er hält wie versteinert inne.)
+
+(Candida erstaunt an der Schwelle:) Was um alles in der Welt machen
+Sie da, Eugen?
+
+(Marchbanks drollig:) Ihr Mann und ich haben ein Wettpredigen
+veranstaltet, und er verliert dabei. (Candida sieht rasch nach Morell,
+und als sie bemerkt, daß er traurig ist, eilt sie hin zu ihm und
+spricht sehr ärgerlich mit heftigem Vorwurf zu Marchbanks.)
+
+(Candida.) Sie haben ihn geärgert. Nein, das dulde ich nicht, Eugen,
+hören Sie! (Sie legt ihre Hand auf Morells Schulter und vergißt in
+ihrem Ärger ganz ihren weiblichen Takt:) Mein Liebling soll nicht
+geärgert werden, ich werde ihn beschützen.
+
+(Morell sich stolz erhebend:) Beschützen?
+
+(Candida nicht auf ihn achtend, zu Eugen:) Was haben Sie ihm gesagt?
+
+(Marchbanks erschreckt:) Nichts. Ich--
+
+(Candida.) Eugen, nichts?
+
+(Marchbanks jämmerlich:) Ich meine--ich--es tut mir sehr leid, ich
+werde es nicht wieder tun, gewiß nicht, ich werde ihn in Ruhe lassen.
+
+(Morell empört mit einer angreifenden Bewegung gegen Eugen:) Mich in
+Ruhe lassen! Sie junger--
+
+(Candida ihm ins Wort fallend:) Sch, nicht doch! laß mich mit ihm
+reden, Jakob.
+
+(Marchbanks.) Oh, Sie sind mir doch nicht böse?
+
+(Candida strenge:) O ja, ich bin--sehr böse. Ich hätte nicht übel
+Lust, Sie aus dem Hause zu jagen.
+
+(Morell von Candidas Heftigkeit überrascht und durchaus nicht willens,
+sich vor einem andern Mann durch sie retten zu lassen:) Sachte,
+Candida, sachte. Ich kann mich schon selbst beschützen.
+
+(Candida ihn streichelnd:) Ja, Lieber, natürlich kannst du das. Aber
+man darf dich nicht ärgern und quälen.
+
+(Marchbanks beinahe in Tränen, sich nach der Türe wendend:) Ich will
+gehen.
+
+(Candida.) Oh, Sie brauchen nicht zu gehen, so spät kann ich Sie nicht
+fortschicken. (Heftig:) Aber schämen Sie sich, schämen Sie sich!
+
+(Marchbanks verzweifelt:) Was habe ich denn getan?
+
+(Candida.) Ich weiß, was Sie getan haben, so genau, als ob ich die
+ganze Zeit hier gewesen wäre.--Oh, es war unwürdig. Sie sind wie ein
+kleines Kind, Sie können Ihren Mund nicht halten.
+
+(Marchbanks.) Ich würde lieber zehnfachen Tod erleiden, als Ihnen
+einen Augenblick Kummer bereiten.
+
+(Candida mit größter Geringschätzung gegen diese Kinderei:) Ihr Tod
+würde mir viel nützen!
+
+(Morell.) Liebste Candida, dieser Wortwechsel ist kaum am Platz. Es
+handelt sich um eine Angelegenheit zwischen zwei Männern, und ich bin
+dazu da, sie beizulegen.
+
+(Candida.) Zwei Männer? Nennst du das einen Mann? (Zu Eugen:) Sie
+schlimmer junge, Sie!
+
+(Marchbanks wird wunderlich liebevoll und mutig, da er ausgezankt
+wird:) Wenn ich mich auszanken lassen soll wie ein kleiner Junge, muß
+ich mich auch wie ein kleiner Junge verteidigen dürfen. Er hat
+angefangen und er ist größer als ich.
+
+(Candida verliert ein wenig ihre Sicherheit, da sie Morells Würde
+bedroht sieht:) Das kann nicht wahr sein. (Zu Morell:) Du hast doch
+nicht angefangen, Jakob, nicht wahr, nein?
+
+(Morell verachtungsvoll:) Nein.
+
+(Marchbanks entrüstet:) Oh!
+
+(Morell zu Eugen:) Sie haben angefangen,--heute früh. (Candida bringt
+dies sofort in Zusammenhang mit der geheimnisvollen Bemerkung, die
+Jakob nachmittag machte, als er ihr sagte, daß ihm Eugen am Morgen
+etwas mitgeteilt habe. Sie sieht ihn mit raschem Verdachte forschend
+an. Morell fährt fort mit dem Pathos der beleidigten Überlegenheit:)
+Aber Ihre andere Bemerkung ist richtig. Ich bin gewiß der Größere von
+uns beiden und, wie ich hoffe, Candida, auch der Stärkere! Es wäre
+daher besser, du überließest die Sache mir.
+
+(Candida ihn wieder besänftigend:) Ja, Lieber--aber (verwirrt:) ich
+verstehe das nicht wegen heute morgen.
+
+(Morell ein wenig auffahrend:) Das brauchst du auch nicht zu verstehen,
+meine Liebe.
+
+(Candida.) Aber, Jakob, ich--(Die Hausglocke läutet:) Oh, wie dumm.
+Da kommen sie alle! (Sie geht hinaus, sie einzulassen.)
+
+(Marchbanks läuft zu Morell:) Oh, Morell, ist das nicht schrecklich?
+Sie ist böse auf uns, sie haßt mich,--was soll ich tun?
+
+(Morell in seltsamer Verzweiflung, sich in die Haare fahrend:) Eugen,
+es dreht sich mir alles im Kopf, ich werde gleich zu lachen anfangen.
+(Er geht in der Mitte des Zimmers auf und ab.)
+
+(Marchbanks folgt ihm ängstlich:) Nein, nein! Dann wird sie glauben,
+ich hätte Sie hysterisch gemacht. Lachen Sie nicht! (Man hört
+heftiges Stimmengewirr und Gelächter, das immer näher kommt.
+Alexander Mill, dessen glänzende Augen und dessen ganzes Benehmen eine
+ungewohnte angeregte Stimmung verraten, tritt mit Burgess ein, der
+einen schmierigen und selbstgefälligen Eindruck macht, aber
+vollständig Herr seiner Sinne ist. Fräulein Garnett folgt ihm mit
+ihrem schönsten Hut und ihrer besten Jacke, aber obwohl ihre Augen
+glänzender sind als früher, ist sie sichtlich in besorgter Stimmung.
+Sie stellt sich mit dem Rücken gegen ihren Schreibmaschinentisch, mit
+einer Hand sich darauf stützend, mit der anderen sich über die Stirne
+fahrend, als ob sie etwas müde und schwindlig wäre. Marchbanks
+verfällt wieder in Schüchternheit und schleicht weg in die Nähe des
+Fensters, wo Morells Bücher sind.)
+
+(Mill begeistert:) Herr Pastor, ich *muß* Ihnen gratulieren, (seine
+Hand fassend:)--was für eine edle, herrliche, von Gott eingehauchte
+Ansprache Sie gehalten haben! Sie haben sich selbst übertroffen.
+
+(Burgess.) Ja, das haben Sie, Jakob. Ich bin bis zum letzten Worte
+wach geblieben,--nicht wahr, Fräulein Garnett?
+
+(Proserpina ungeduldig:) Oh, ich habe Sie nicht beachtet, ich habe
+mich bemüht, Notizen zu machen. (Sie nimmt ihre Notizen heraus,
+blickt auf ihr Stenogramm und fängt beinahe zu weinen an.)
+
+(Morell.) Habe ich zu schnell gesprochen, Prossi?
+
+(Proserpina.) Viel zu schnell.--Sie wissen, ich kann nicht mehr als
+neunzig Worte in der Minute schreiben. (Sie macht ihren Gefühlen Luft,
+indem sie ihr Notizbuch ärgerlich neben die Maschine wirft, wo sie es
+am nächsten Morgen bereit haben will.)
+
+(Morell besänftigend:) Nun, nun, das macht ja nichts. Habt ihr alle
+schon zur Nacht gegessen?
+
+(Mill.) Herr Burgess war so liebenswürdig, uns in's Belgrave
+Restaurant zu einem geradezu glänzenden Abendessen einzuladen.
+
+(Burgess mit überschwenglicher Großmut:) O bitte, bitte, Herr Mill.
+(Bescheiden:) Sie waren mir bei meinem bescheidenen Feste herzlich
+willkommen.
+
+(Proserpina.) Wir haben Champagner getrunken! Ich hatte noch niemals
+welchen gekostet. Ich bin ganz schwindlig.
+
+(Morell überrascht:) Ein Champagnersouper! Das war sehr hübsch von
+Ihnen. Ist meine Beredsamkeit schuld an dieser Verschwendung?
+
+(Mill mit Pathos:) Ihre Beredsamkeit und Herrn Burgess' Herzensgüte.
+(Mit erneutem Gefühlsausbruch:) Was für ein herrlicher Mensch der
+Vorsitzende war, Herr Morell; er hat auch mit uns gespeist.
+
+(Morell bedeutungsvoll Burgess anblickend:) So, so, der Vorsitzende!
+--*jetzt* verstehe ich! (Burgess verbirgt hinter einem Hüsteln ein
+Lächeln der Zufriedenheit über seine diplomatische Geschicklichkeit
+und setzt sich an den Kamin. Mill verschränkt die Arme und lehnt sich
+neben das Büchergestell in einer Stellung, die seine Begeisterung zum
+Ausdruck bringt. Candida kommt mit Gläsern, Zitronen und heißem
+Wasser auf einem Tablett herein.)
+
+(Candida.) Wer wünscht etwas Limonade? Sie kennen unsere Hausregel:
+vollkommene Abstinenz! (Sie stellt das Tablett auf den Tisch, nimmt
+den Zitronenpresser zur Hand und blickt fragend umher.)
+
+(Morell.) Du bemühst dich umsonst, meine Liebe, sie haben alle
+Champagner getrunken, Prossi hat ihr Gelübde gebrochen.
+
+(Candida zu Proserpina:) Sie wollen doch nicht behaupten, daß Sie auch
+Champagner getrunken haben?
+
+(Proserpina verstockt:) Ja, das hab' ich; ich bin nur eine Bier-,
+keine Champagnerabstinenzlerin. Ich mag kein Bier.--Sind Briefe für
+mich zur Beantwortung da, Herr Pastor?
+
+(Morell.) Nichts mehr für heute.
+
+(Proserpina.) Dann gute Nacht allerseits.
+
+(Mill galant:) Wäre es nicht geraten, daß ich Sie nach Hause begleite,
+Fräulein Garnett?
+
+(Proserpina.) Nein, ich danke. Ich würde mich heute nacht niemandem
+anvertrauen wollen! Hätte ich nur nichts von diesem Zeug getrunken!
+Sie geht rasch hinaus.
+
+(Burgess empört:) Zeug! Dieses Mädel weiß nicht, was Champagner ist.
+Pommery und Greno, zwölf Schilling sechs Pence die Flasche. Zwei
+Gläser nacheinander hat sie geleert.
+
+(Morell etwas besorgt:) Gehen Sie, Lexi, und sehen Sie nach ihr!
+
+(Mill beunruhigt:) Aber wenn sie wirklich... bedenken Sie, wenn sie in
+den Straßen zu singen anfängt oder dergleichen!
+
+(Morell.) Eben darum wäre es besser, Sie brächten sie sicher nach
+Hause.
+
+(Candida.) Tun Sie es, Lexi, als guter Kamerad! (Sie reicht ihm die
+Hand und schiebt ihn sanft nach der Tür.)
+
+(Mill.) Es ist selbstverständlich meine Pflicht, mit ihr zu gehen.
+Ich hoffe aber, es wird nicht nötig gewesen sein. Gute Nacht, Frau
+Morell. (Zu den übrigen:) Gute Nacht. (Er geht, Candida schließt die
+Tür hinter ihm.)
+
+(Burgess.) Er war selbst ganz aus dem Häuschen in lauter Frömmigkeit
+nach dem zweiten Glas. Heutzutage können die Leute nicht mehr trinken
+wie früher. (Den Gegenstand fallen lassend, geht er vom Kamin fort.)
+Nun, Jakob, es ist Zeit, das Haus zu schließen. Herr Marchbanks,
+werden Sie mir auf dem Heimwege ein Stückchen das Vergnügen Ihrer
+Gesellschaft schenken?
+
+(Marchbanks erschrocken:) Ja, es ist besser, ich gehe. (Er eilt nach
+der Tür, aber Candida stellt sich ihm in den Weg.)
+
+(Candida mit ruhiger Würde:) Sie setzen sich noch, Sie werden noch
+nicht gehen!
+
+(Marchbanks eingeschüchtert:) Nein,--ich--ich wollte ja auch nicht.
+(Er kommt zurück in das Zimmer und setzt sich gehorsam auf das Sofa.)
+
+(Candida.) Herr Marchbanks bleibt heute nacht bei uns, Papa.
+
+(Burgess.) Na, dann sage ich gute Nacht. Auf Wiedersehn, Jakob. (Er
+schüttelt Morell die Hand und geht hinüber zu Eugen.) Lassen Sie sich
+ein Nachtlicht an Ihr Bett stellen, Herr Marchbanks, es wird Sie
+beruhigen, falls Sie in der Nacht einen Anfall Ihres Leidens bekommen
+sollten! Gute Nacht.
+
+(Marchbanks.) Ich danke Ihnen, es soll geschehn. Gute Nacht, Herr
+Burgess. (Sie geben einander die Hände, Burgess geht zur Tür.)
+
+(Candida hält Morell zurück, der Burgess begleiten will:) Bleib' hier,
+mein Lieber, ich werde Papa seinen Rock anziehen helfen. (Sie geht
+mit Burgess hinaus.)
+
+
+(Marchbanks.) Herr Pastor, es wird eine schreckliche Szene geben.
+Haben Sie keine Angst?
+
+(Morell.) Nicht die geringste.
+
+(Marchbanks.) Ich habe Sie bisher nie um Ihren Mut beneidet. (Er
+erhebt sich schüchtern und berührt mit seiner Hand flehend Morells
+Unterarm:) Stehen Sie mir bei,--wollen Sie?
+
+(Morell schüttelt ihn sanft, aber entschieden ab:) Jeder für sich,
+Eugen! Sie--muß nun zwischen uns wählen. (Er gebt beim Eintritt
+Candidas auf die andere Seite des Zimmers, Eugen setzt sich mit seinem
+besten Benehmen wie ein schuldbewußter Schulknabe auf das Sofa.)
+
+(Candida zwischen den beiden, sich zu Eugen wendend:) Tut es Ihnen
+leid?
+
+(Marchbanks ernst:) Ja, unendlich.
+
+(Candida.) Gut, dann ist Ihnen verziehen. Nun gehen Sie wie ein
+braver kleiner Junge zu Bett, ich möchte mit Jakob über Sie sprechen.
+
+(Marchbanks erhebt sich mit größter Bestürzung:) Oh, das kann ich
+nicht.--Herr Pastor, ich muß hierbleiben. Ich will nicht fortgehen.
+Sagen Sie es ihr!
+
+(Candida die ihren Verdacht bestätigt sieht:) Was soll er mir sagen?
+(Seine Augen vermeiden die ihrigen, sie wendet sich um und überträgt
+ihre Frage stumm auf Morell.)
+
+(Morell wappnet sich für die Katastrophe:) Ich habe ihr nichts zu
+sagen, ausgenommen--(dabei sinkt seine Stimme zu maßvoller, trauriger
+Zärtlichkeit herab:) daß sie mein größter Schatz auf Erden ist--wenn
+sie mir wirklich gehört.
+
+(Candida kalt, verletzt, daß er seinem Rednerinstinkt nachgibt und sie
+behandelt, als ob sie sich unter den Zuhörern der Gilde von St.
+Matthäus befände:) Ich bin überzeugt, daß Eugen nicht weniger sagen
+kann, wenn das alles ist.
+
+(Marchbanks entmutigt:) Morell, sie lacht uns aus.
+
+(Morell auffahrend:) Es gibt da nichts zu lachen. Lachst du uns aus,
+Candida?
+
+(Candida mit stillem Ärger:) Eugen ist sehr witzig, ich hoffe, daß ich
+lachen werde--aber vorläufig fürchte ich, mich ärgern zu müssen. (Sie
+geht an den Kamin und bleibt dort stehen, ihren Arm auf dem Gesims und
+ihren Fuß auf dem Gitter, während Eugen sich zu Morell hinstiehlt und
+ihn beim Arm faßt.)
+
+(Marchbanks flüsternd:) Halten Sie ein, Herr Pastor; sagen wir nichts
+mehr.
+
+(Morell stößt Eugen fort, ohne ihn eines Blickes zu würdigen:) Ich
+hoffe, daß du mir nicht drohen willst, Candida.
+
+(Candida mit feierlicher Warnung:) Nimm dich in acht, Jakob!--Eugen,
+ich habe gewünscht, daß Sie gehen sollen,--gehen Sie oder nicht?
+
+(Morell mit dem Fuße stampfend:) Er wird nicht gehen; ich wünsche, daß
+er bleibt.
+
+(Marchbanks.) Ich will gehen. Ich tue, was Sie wollen. (Er wendet
+sich zur Tür.)
+
+(Candida.) Bleiben Sie. (Er gehorcht.) Haben Sie nicht gehört, daß
+Jakob wünscht, daß Sie bleiben sollen? Jakob ist hier der Herr,
+wissen Sie das nicht?
+
+(Marchbanks errötend, mit der Wut eines jungen Dichters gegen Tyrannei:)
+Was gibt ihm das Recht dazu?
+
+(Candida ruhig:) Sag es ihm, Jakob.
+
+(Morell bestürzt:) Meine Liebe, ich bin mir keines Rechtes bewußt, das
+mich zum Herrn macht; ich bestehe auf keinem solchen Rechte.
+
+(Candida mit schwerem Vorwurf:) Du weißt es nicht? O Jakob, Jakob!
+(Zu Eugen nachdenklich:) Ich wüßte gern, ob Sie das verstehen, Eugen...
+Nein, Sie sind zu jung. Nun, ich erlaube Ihnen, zu bleiben und zu
+lernen. (Sie geht von Kamin fort und stellt sich zwischen die beiden.)
+Also, Jakob, was ist's? Komm und sag' es mir.
+
+(Marchbanks flüstert ihm ängstlich zu:) Sagen Sie ihr lieber nichts.
+
+(Candida.) Bitte!--Heraus damit!
+
+(Morell langsam:) Ich wollte dich sorgfältig vorbereiten, Candida, um
+jedes Mißverständnis zu vermeiden.
+
+(Candida.) Ja, Lieber, das wolltest du gewiß; aber sei unbesorgt, ich
+werde nichts mißverstehen.
+
+(Morell.) Nun denn, es--(Er zögert, unfähig, die lange Erklärung zu
+finden, die er für nötig hält.)
+
+(Candida.) Nun?
+
+(Morell klipp und klar:) Eugen behauptet, daß du ihn liebst.
+
+(Marchbanks außer sich:) Nein, nein, nein, nein, niemals, das habe ich
+nicht behauptet, Frau Morell, es ist nicht wahr! Ich sagte, daß ich
+Sie liebe und er nicht. Ich sagte, daß ich Sie verstehe und daß er es
+nicht kann. Und nicht infolgedessen, was sich hier am Kamin
+zugetragen hat, habe ich das gesagt,--ganz gewiß nicht, auf mein Wort!
+schon heute morgen hab' ich es ihm gesagt!
+
+(Candida erleuchtet:) Heute morgen?!
+
+(Marchbanks.) Ja! (Er siebt sie um Glauben bittend an und fügt dann
+einfach hinzu:) Das war auch der Grund, warum mein Kragen in Unordnung
+geriet.
+
+(Candida nach einer Pause, weil sie nicht gleich begreift, was er
+meint:) Ihr Kragen! (Sie wendet sich erschrocken zu Morell, verletzt:)
+O Jakob, hast du ihn--? (Sie hält inne.)
+
+(Morell beschämt:) Du weißt, Candida, daß ich mit meinem Temperament
+zu kämpfen habe, und er sagte, (schauernd:) daß du mich verachtest in
+deinem Herzen.
+
+(Candida wendet sich rasch zu Eugen:) Haben Sie das gesagt?
+
+(Marchbanks geängstigt:) Nein!
+
+(Candida strenge:) Dann hat mich also Jakob eben angelogen. Wollen
+Sie das behaupten?
+
+(Marchbanks.) Nein, nein: ich--ich... (herausplatzend mit der
+verzweifelten Erklärung:)--es war die Rede von Davids Frau, nicht bei
+ihm zu Hause, sondern als sie ihn tanzen sah vor allen Leuten.
+
+(Morell nimmt diesen Fingerzeig mit der Geschicklichkeit eines
+Wortkämpfers auf:) Ja, als er vor dem ganzen Volke tanzte, Candida, in
+der Meinung, daß er ihre Herzen dadurch rührte, während sie nur an
+Prossis Leiden litten. (Sie ist im Begriff zu protestieren, er winkt
+ihr mit der Hand, um sie zum Schweigen zu bringen, und fährt fort:)
+Tue nicht als ob du entrüstet wärest, Candida.
+
+(Candida.) Tun als ob?!
+
+(Morell fortfahrend:) Eugen hatte recht! Wie du mir einige Stunden
+später klarmachtest, hat er immer recht. Er sagte nichts, was du
+nicht viel besser selbst gesagt hättest. Er ist der Dichter, der
+alles sieht; und ich bin der arme Pastor, der nichts versteht.
+
+(Candida reuevoll:) Ärgert dich, was ein närrischer junge gesagt hat,
+weil ich im Scherz etwas Ähnliches sagte?
+
+(Morell.) Der närrische Junge kann mit der Begeisterung eines Kindes
+und mit der Verschlagenheit einer Schlange sprechen. Er hat behauptet,
+daß du ihm gehörst und nicht mir, und, ob mit Recht oder Unrecht, ich
+beginne zu fürchten, daß es wahr sein könnte. Ich will nicht
+umhergehen von Zweifeln und Verdächtigungen gequält. Ich will nicht
+mit dir leben und ein Geheimnis vor dir haben. Ich will nicht die
+entwürdigende Qual der Eifersucht erdulden. Deshalb haben wir
+beschlossen--er und ich--daß du jetzt zwischen uns wählen sollst! Ich
+erwarte deine Entscheidung.
+
+(Candida weicht langsam einen Schritt zurück, verletzt über sein
+Pathos, trotz des aufrichtigen Gefühls, das sie heraushört:) Oh, ich
+muß also wählen? Ich nehme an, daß eines vollkommen feststeht: daß
+ich einem o d e r dem andern gehören muß.
+
+(Morell entschlossen:) Vollkommen; du mußt endgültig wählen.
+
+(Marchbanks ängstlich:) Herr Pastor,--Sie verstehen nicht: sie meint,
+daß sie sich selbst gehört.
+
+(Candida sich zu ihm wendend:) ja, das meine ich, Junker Eugen, und
+noch sehr viel mehr, wie Ihr beide sofort herausfinden werdet. Und
+ich frage, meine Herren und Gebieter, was habt Ihr für meine Wahl zu
+geben? Es scheint, daß ich versteigert werden soll. Wieviel bietest
+du, Jakob?
+
+(Modell vorwurfsvoll:) Cand.... (Er bricht zusammen, seine Augen
+füllen sich mit Tränen, und seine Kehle schnürt sich zu, der Redner
+wird zu einem verwundeten Tier.) Ich kann nicht sprechen.
+
+(Candida geht impulsiv zu ihm hin:) O Liebster!
+
+(Marchbanks in wildem Aufruhr:) Halten Sie ein, das ist nicht gerecht.
+Sie dürfen ihr nicht zeigen, daß Sie leiden, Morell.--Ich bin auch
+auf der Folter, aber ich weine nicht.
+
+(Morell nimmt seine ganze Kraft zusammen:) Ja, Sie haben recht. Es
+ist nicht Mitleid, worum ich bitte. (Er befreit sich von Candida.)
+
+(Candida zieht sich frostig zurück:) Entschuldige, Jakob, ich hatte
+nicht die Absicht, dich zu berühren. Ich warte auf dein Angebot.
+
+(Morell mit stolzer Demut:) Ich habe dir nichts zu bieten als meine
+Kraft zu deinem Schutze, mein ehrliches Wollen für deine Ruhe, meine
+Tüchtigkeit und Arbeit für deinen Unterhalt und mein Ansehen und meine
+Stellung für deine Würde. Das ist alles, was einem Manne ansteht,
+einer Frau zu bieten.
+
+(Candida ganz ruhig:) Und Sie, Eugen, was bieten Sie?
+
+(Marchbanks.) Meine Schwäche! meine Trostlosigkeit! meine Herzensnot!
+
+(Candida gerührt:) Das ist ein gutes Angebot, Eugen; nun weiß ich, wie
+ich meine Wahl zu treffen habe. (Sie hält inne und blickt seltsam von
+einem zum andern, als ob sie beide abschätzte. Morell, dessen
+hochtmütiges Zutrauen sich in herzzerreißende Angst bei Eugens Gebot
+verwandelt hat, verliert alle Beherrschung, und kann seine Angst nicht
+verbergen. Eugen dagegen, mit äußerst angespannter Kraft, zuckt mit
+keiner Wimper.)
+
+(Morell mit halb erstickter Stimme--ein Hilferuf entringt sich den
+Tiefen seiner Verzweiflung:) Candida!
+
+(Marchbanks beiseite mit einem Aufwallen der Verachtung:) Feigling!
+
+(Candida bedeutsam:) Ich gebe mich dem Schwächeren von beiden. (Eugen
+errät ihre Meinung sofort; sein Gesicht wird weiß wie scbmelzender
+Stahl.)
+
+(Morell neigt seinen Kopf mit der Ruhe der Gebrochenheit:) Ich nehme
+deine Entscheidung an, Candida.
+
+(Candida.) Verstehen Sie, Eugen?
+
+(Marchbanks.) Oh, ich fühle, ich bin verloren. Er könnte die Last
+nicht ertragen!
+
+(Morell ungläubig, hebt seinen Kopf empor, mit prosaischer Stumpfheit:)
+Meinst du mich, Candida?
+
+(Candida lächelt ein wenig:) Setzen wir uns und plaudern wir gemütlich
+darüber wie drei Freunde. (Zu Morell:) Setze dich, mein Lieber.
+(Morell nimmt den Stuhl vom Kamin--den Kindersessel.) Bringen Sie mir
+diesen Stuhl, Eugen. (Sie weist auf den Lehnstuhl, er holt ihn
+schweigend, sogar mit etwas wie kühler Beherrschung und setzt ihn
+neben Morell, etwas hinter ihn. Sie setzt sich, er geht an das Sofa
+und läßt sich dort nieder, noch immer schweigsam und unergründlich.
+Als sie alle sitzen, beginnt Candida,--einen Hauch von Ruhe um sich
+breitend, mit ihrer sanften, gesunden, zärtlichen Stimme:) Sie
+erinnern sich doch, was Sie mir über sich selbst erzählten, Eugen: wie
+sich niemand um Sie gekümmert hat, seit Ihre alte Amme starb. Wie
+Ihre gescheiten, vornehmen Schwestern und erfolgreichen Brüder die
+Lieblinge Ihrer Eltern waren, wie elend es Ihnen in Eton erging, wie
+Ihr Vater Sie durch Entbehrungen zwingen will, nach Oxford
+zurückzukehren, wie Sie leben mußten ohne Behaglichkeit oder
+Willkommen, ohne Zufluchtsstätte, immer einsam und fast immer ungern
+gesehen und mißverstanden! Sie armer Junge!
+
+(Marchbanks der Größe seines Schicksals würdig:) Ich hatte meine
+Bücher. Ich hatte die Natur. Und endlich bin ich Ihnen begegnet.
+
+(Candida.) Lassen wir das im Augenblick beiseite. Nun möchte ich, daß
+Sie sich diesen andern Jungen hier betrachten,--meinen verwöhnten
+Jungen,--verwöhnt von seiner Wiege an. Einmal alle vierzehn Tage
+besuchen wir seine Eltern. Da sollten Sie mit uns kommen, Eugen, und
+die Bilder des Helden dieser Familie sehen. Jakob als Baby, das
+wundervollste aller Babys! Jakob, als er seinen ersten Schulpreis
+erhielt, gewonnen im reifen Alter von acht Jahren! Jakob als der
+Führer seiner Mitschüler beim Cricketspiel! Jakob in seinem ersten
+schwarzen Anzug! Jakob in allen möglichen ruhmvollen Posen. Sie
+wissen, wie stark er ist--ich hoffe, er hat Ihnen nicht weh getan--wie
+gescheit er ist--wie glücklich! (Mit wachsendem Ernst:) Fragen Sie
+Jakobs Mutter und seine drei Schwestern, was es sie gekostet hat,
+Jakob die Mühe zu ersparen, irgend etwas zu tun, als stark, gescheit
+und glücklich zu sein. Fragen Sie mich, was es mich kostet, Jakobs
+Mutter und seine drei Schwestern und seine Frau und Mutter seiner
+Kinder--alles in einer Person--zu sein! Fragen Sie Prossi und Marie,
+wieviel Arbeit das Haus gibt, selbst wenn wir keine Besucher haben,
+die uns helfen Zwiebeln schneiden. Fragen Sie die Geschäftsleute, die
+Jakob stören und seine prachtvollen Predigten gefährden wollen, wer es
+ist, der sie abschüttelt! Wenn Geld zu geben ist, so gibt er es; wenn
+Geld zu verweigern ist, so verweigere ich es. Ich habe ihm ein Schloß
+von Behaglichkeit, Nachsicht und Liebe erbaut und stehe immer
+Schildwache davor, um all den täglichen kleinen Lebenssorgen den
+Eintritt zu verwehren. Ich mache ihn hier zum Herrn, obwohl er es
+nicht weiß und Ihnen vor einem Augenblicke nicht sagen konnte, wie er
+dazu gekommen ist, es zu sein. (Mit süßer Ironie:) Und als er dachte,
+ich könnte mit Ihnen fortgehen, da war seine einzige Sorge, was aus
+mir werden würde; und um mich zum Bleiben zu bewegen, bot er mir--
+(sie neigt sich vor und streicht ihm bei jedem Satze über das Haar)
+seine Kraft zu meinem Schutze, seine Arbeit für meinen Unterhalt,
+seine Stellung für meine Würde, seine (zögernd:) ah, ich
+verwechsle deine wunderschönen Sätze und verderbe sie, nicht
+wahr, Liebling?
+
+(Morell kniet ganz überwältigt neben ihren Stuhl und umschlingt sie
+mit knabenhafter Leidenschaft:) Alles ist wahr, jedes Wort. Was ich
+bin, hast du aus mir gemacht, durch die Arbeit deiner Hände und die
+Liebe deines Herzens. Du bist mein Weib, meine Mutter, meine
+Schwester,--du bist die Summe aller Liebessorgen für mich.
+
+(Candida in seinen Armen, lächelnd zu Marchbanks:) Bin ich Ihnen auch
+Mutter und Schwester, Eugen?
+
+(Marchbanks erhebt sich mit einer heftigen Bewegung des Ekels:) Oh,
+niemals! Hinaus denn in die Nacht mit mir!
+
+(Candida erhebt sich rasch und unterbricht ihn:) sie werden nicht so
+von uns gehn, Eugen!
+
+(Marchbanks mit dem Tonfall eines entschlossenen Mannes, nicht mit der
+Stimme eines Knaben:) Ich weiß, wann die Stunde geschlagen hat. Ich
+bin ungeduldig zu tun, was getan werden muß.
+
+(Morell erhebt sich von seinen Knien, beunruhigt:) Candida, laß ihn
+nichts Übereiltes begehen!
+
+(Candida lächelt Eugen vertrauensvoll an:) Oh, sei unbesorgt, er hat
+gelernt, ohne Glück zu leben.
+
+(Marchbanks.) Ich ersehne nicht mehr Glück; das Leben kann Höheres
+bieten. Pastor Jakob, ich gebe Ihnen mein Glück mit beiden Händen hin;
+ich liebe Sie, weil Sie das Herz der Frau, ganz ausgefüllt haben, die
+ich liebte. Leben Sie wohl! (Er geht zur Tür.)
+
+(Candida.) Ein letztes Wort. (Er hält inne, aber ohne sich nach ihr
+umzuwenden.) Wie alt sind Sie, Eugen?
+
+(Marchbanks.) Jetzt bin ich so alt wie die Welt. Heute morgen war ich
+achtzehn Jahre!
+
+(Candida geht zu ihm hin und steht hinter ihm, eine Hand liebkosend
+auf seiner Schulter:) Achtzehn... Wollen Sie mir zuliebe ein kleines
+Gedicht aus zwei Zeilen machen, die ich Ihnen sagen will? Und wollen
+Sie mir versprechen, sich's immer vorzusagen, so oft Sie an mich
+denken.
+
+(Marchbanks ohne sich zu rühren:) Sagen Sie die beiden Zeilen.
+
+(Candida.) Wenn ich dreißig sein werde, dann wird sie fünfundvierzig
+sein; wenn ich sechzig sein werde, dann wird sie fünfundsiebzig sein.
+
+(Marchbanks wendet sich nach ihr um:) In hundert Jahren werden wir
+gleich alt sein! Aber ich trage ein besseres Geheimnis als das in
+meinem Herzen! Lassen Sie mich jetzt gehen, die Nacht wächst draußen
+ungeduldig.
+
+(Candida.) Leben Sie wohl! (Sie nimmt sein Gesicht in die Hände, und
+da er ihre Absicht errät und sein Knie beugt, küßt sie ihn auf die
+Stirne, dann flieht er hinaus in die Nacht.--Sie wendet sich zu Morell,
+mit ausgebreiteten Armen:) O Jakob! (Sie umarmen einander. Aber das
+Geheimnis in des Dichters Herzen, das kennen sie nicht.)
+
+(Vorhang)
+
+
+Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes CANDIDA, von George Bernard Shaw.
+
+
+
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, CANDIDA ***
+
+This file should be named 8cndg10.txt or 8cndg10.zip
+Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 8cndg11.txt
+VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 8cndg10a.txt
+
+Project Gutenberg eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US
+unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+We are now trying to release all our eBooks one year in advance
+of the official release dates, leaving time for better editing.
+Please be encouraged to tell us about any error or corrections,
+even years after the official publication date.
+
+Please note neither this listing nor its contents are final til
+midnight of the last day of the month of any such announcement.
+The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at
+Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A
+preliminary version may often be posted for suggestion, comment
+and editing by those who wish to do so.
+
+Most people start at our Web sites at:
+http://gutenberg.net or
+http://promo.net/pg
+
+These Web sites include award-winning information about Project
+Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new
+eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!).
+
+
+Those of you who want to download any eBook before announcement
+can get to them as follows, and just download by date. This is
+also a good way to get them instantly upon announcement, as the
+indexes our cataloguers produce obviously take a while after an
+announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter.
+
+http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext05 or
+ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext05
+
+Or /etext04, 03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92,
+91 or 90
+
+Just search by the first five letters of the filename you want,
+as it appears in our Newsletters.
+
+
+Information about Project Gutenberg (one page)
+
+We produce about two million dollars for each hour we work. The
+time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours
+to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright
+searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our
+projected audience is one hundred million readers. If the value
+per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2
+million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text
+files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+
+We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002
+If they reach just 1-2% of the world's population then the total
+will reach over half a trillion eBooks given away by year's end.
+
+The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks!
+This is ten thousand titles each to one hundred million readers,
+which is only about 4% of the present number of computer users.
+
+Here is the briefest record of our progress (* means estimated):
+
+eBooks Year Month
+
+ 1 1971 July
+ 10 1991 January
+ 100 1994 January
+ 1000 1997 August
+ 1500 1998 October
+ 2000 1999 December
+ 2500 2000 December
+ 3000 2001 November
+ 4000 2001 October/November
+ 6000 2002 December*
+ 9000 2003 November*
+10000 2004 January*
+
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created
+to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium.
+
+We need your donations more than ever!
+
+As of February, 2002, contributions are being solicited from people
+and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut,
+Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois,
+Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts,
+Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New
+Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio,
+Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South
+Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West
+Virginia, Wisconsin, and Wyoming.
+
+We have filed in all 50 states now, but these are the only ones
+that have responded.
+
+As the requirements for other states are met, additions to this list
+will be made and fund raising will begin in the additional states.
+Please feel free to ask to check the status of your state.
+
+In answer to various questions we have received on this:
+
+We are constantly working on finishing the paperwork to legally
+request donations in all 50 states. If your state is not listed and
+you would like to know if we have added it since the list you have,
+just ask.
+
+While we cannot solicit donations from people in states where we are
+not yet registered, we know of no prohibition against accepting
+donations from donors in these states who approach us with an offer to
+donate.
+
+International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about
+how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made
+deductible, and don't have the staff to handle it even if there are
+ways.
+
+Donations by check or money order may be sent to:
+
+ PROJECT GUTENBERG LITERARY ARCHIVE FOUNDATION
+ 809 North 1500 West
+ Salt Lake City, UT 84116
+
+Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment
+method other than by check or money order.
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by
+the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN
+[Employee Identification Number] 64-622154. Donations are
+tax-deductible to the maximum extent permitted by law. As fund-raising
+requirements for other states are met, additions to this list will be
+made and fund-raising will begin in the additional states.
+
+We need your donations more than ever!
+
+You can get up to date donation information online at:
+
+http://www.gutenberg.net/donation.html
+
+
+***
+
+If you can't reach Project Gutenberg,
+you can always email directly to:
+
+Michael S. Hart <hart@pobox.com>
+
+Prof. Hart will answer or forward your message.
+
+We would prefer to send you information by email.
+
+
+**The Legal Small Print**
+
+
+(Three Pages)
+
+***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS**START***
+Why is this "Small Print!" statement here? You know: lawyers.
+They tell us you might sue us if there is something wrong with
+your copy of this eBook, even if you got it for free from
+someone other than us, and even if what's wrong is not our
+fault. So, among other things, this "Small Print!" statement
+disclaims most of our liability to you. It also tells you how
+you may distribute copies of this eBook if you want to.
+
+*BEFORE!* YOU USE OR READ THIS EBOOK
+By using or reading any part of this PROJECT GUTENBERG-tm
+eBook, you indicate that you understand, agree to and accept
+this "Small Print!" statement. If you do not, you can receive
+a refund of the money (if any) you paid for this eBook by
+sending a request within 30 days of receiving it to the person
+you got it from. If you received this eBook on a physical
+medium (such as a disk), you must return it with your request.
+
+ABOUT PROJECT GUTENBERG-TM EBOOKS
+This PROJECT GUTENBERG-tm eBook, like most PROJECT GUTENBERG-tm eBooks,
+is a "public domain" work distributed by Professor Michael S. Hart
+through the Project Gutenberg Association (the "Project").
+Among other things, this means that no one owns a United States copyright
+on or for this work, so the Project (and you!) can copy and
+distribute it in the United States without permission and
+without paying copyright royalties. Special rules, set forth
+below, apply if you wish to copy and distribute this eBook
+under the "PROJECT GUTENBERG" trademark.
+
+Please do not use the "PROJECT GUTENBERG" trademark to market
+any commercial products without permission.
+
+To create these eBooks, the Project expends considerable
+efforts to identify, transcribe and proofread public domain
+works. Despite these efforts, the Project's eBooks and any
+medium they may be on may contain "Defects". Among other
+things, Defects may take the form of incomplete, inaccurate or
+corrupt data, transcription errors, a copyright or other
+intellectual property infringement, a defective or damaged
+disk or other eBook medium, a computer virus, or computer
+codes that damage or cannot be read by your equipment.
+
+LIMITED WARRANTY; DISCLAIMER OF DAMAGES
+But for the "Right of Replacement or Refund" described below,
+[1] Michael Hart and the Foundation (and any other party you may
+receive this eBook from as a PROJECT GUTENBERG-tm eBook) disclaims
+all liability to you for damages, costs and expenses, including
+legal fees, and [2] YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE OR
+UNDER STRICT LIABILITY, OR FOR BREACH OF WARRANTY OR CONTRACT,
+INCLUDING BUT NOT LIMITED TO INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE
+OR INCIDENTAL DAMAGES, EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE
+POSSIBILITY OF SUCH DAMAGES.
+
+If you discover a Defect in this eBook within 90 days of
+receiving it, you can receive a refund of the money (if any)
+you paid for it by sending an explanatory note within that
+time to the person you received it from. If you received it
+on a physical medium, you must return it with your note, and
+such person may choose to alternatively give you a replacement
+copy. If you received it electronically, such person may
+choose to alternatively give you a second opportunity to
+receive it electronically.
+
+THIS EBOOK IS OTHERWISE PROVIDED TO YOU "AS-IS". NO OTHER
+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, ARE MADE TO YOU AS
+TO THE EBOOK OR ANY MEDIUM IT MAY BE ON, INCLUDING BUT NOT
+LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR A
+PARTICULAR PURPOSE.
+
+Some states do not allow disclaimers of implied warranties or
+the exclusion or limitation of consequential damages, so the
+above disclaimers and exclusions may not apply to you, and you
+may have other legal rights.
+
+INDEMNITY
+You will indemnify and hold Michael Hart, the Foundation,
+and its trustees and agents, and any volunteers associated
+with the production and distribution of Project Gutenberg-tm
+texts harmless, from all liability, cost and expense, including
+legal fees, that arise directly or indirectly from any of the
+following that you do or cause: [1] distribution of this eBook,
+[2] alteration, modification, or addition to the eBook,
+or [3] any Defect.
+
+DISTRIBUTION UNDER "PROJECT GUTENBERG-tm"
+You may distribute copies of this eBook electronically, or by
+disk, book or any other medium if you either delete this
+"Small Print!" and all other references to Project Gutenberg,
+or:
+
+[1] Only give exact copies of it. Among other things, this
+ requires that you do not remove, alter or modify the
+ eBook or this "small print!" statement. You may however,
+ if you wish, distribute this eBook in machine readable
+ binary, compressed, mark-up, or proprietary form,
+ including any form resulting from conversion by word
+ processing or hypertext software, but only so long as
+ *EITHER*:
+
+ [*] The eBook, when displayed, is clearly readable, and
+ does *not* contain characters other than those
+ intended by the author of the work, although tilde
+ (~), asterisk (*) and underline (_) characters may
+ be used to convey punctuation intended by the
+ author, and additional characters may be used to
+ indicate hypertext links; OR
+
+ [*] The eBook may be readily converted by the reader at
+ no expense into plain ASCII, EBCDIC or equivalent
+ form by the program that displays the eBook (as is
+ the case, for instance, with most word processors);
+ OR
+
+ [*] You provide, or agree to also provide on request at
+ no additional cost, fee or expense, a copy of the
+ eBook in its original plain ASCII form (or in EBCDIC
+ or other equivalent proprietary form).
+
+[2] Honor the eBook refund and replacement provisions of this
+ "Small Print!" statement.
+
+[3] Pay a trademark license fee to the Foundation of 20% of the
+ gross profits you derive calculated using the method you
+ already use to calculate your applicable taxes. If you
+ don't derive profits, no royalty is due. Royalties are
+ payable to "Project Gutenberg Literary Archive Foundation"
+ the 60 days following each date you prepare (or were
+ legally required to prepare) your annual (or equivalent
+ periodic) tax return. Please contact us beforehand to
+ let us know your plans and to work out the details.
+
+WHAT IF YOU *WANT* TO SEND MONEY EVEN IF YOU DON'T HAVE TO?
+Project Gutenberg is dedicated to increasing the number of
+public domain and licensed works that can be freely distributed
+in machine readable form.
+
+The Project gratefully accepts contributions of money, time,
+public domain materials, or royalty free copyright licenses.
+Money should be paid to the:
+"Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
+
+If you are interested in contributing scanning equipment or
+software or other items, please contact Michael Hart at:
+hart@pobox.com
+
+[Portions of this eBook's header and trailer may be reprinted only
+when distributed free of all fees. Copyright (C) 2001, 2002 by
+Michael S. Hart. Project Gutenberg is a TradeMark and may not be
+used in any sales of Project Gutenberg eBooks or other materials be
+they hardware or software or any other related product without
+express permission.]
+
+*END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS*Ver.02/11/02*END*
+
diff --git a/old/8cndg10.zip b/old/8cndg10.zip
new file mode 100644
index 0000000..8d2ef18
--- /dev/null
+++ b/old/8cndg10.zip
Binary files differ