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authorRoger Frank <rfrank@pglaf.org>2025-10-15 04:45:43 -0700
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@@ -0,0 +1,9381 @@
+The Project Gutenberg eBook, Der Pilger Kamanita, by Karl Adolph Gjellerup
+
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+
+
+
+Title: Der Pilger Kamanita
+
+Author: Karl Adolph Gjellerup
+
+Release Date: February 7, 2005 [eBook #14962]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+
+***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER PILGER KAMANITA***
+
+
+E-text prepared by Inka Weide and the Project Gutenberg Online Distributed
+Proofreading Team
+
+
+
+DER PILGER KAMANITA
+
+Ein Legendenroman
+
+von
+
+KARL GJELLERUP
+
+
+
+
+
+
+
+[Illustration]
+
+
+I. DER ERHABENE BEGRÜSST DIE STADT DER FÜNF HÜGEL
+
+
+Einst wanderte der Buddha im Lande Magadha von Ort zu Ort und kam nach
+Rajagaha. Der Tag ging schon zur Neige, als der Erhabene sich der Stadt
+der fünf Hügel näherte. Gleich dem Abglanz einer segnenden Götterhand
+breiteten sich die milden Strahlen der Sonne über die weite, mit grünen
+Reisfeldern und Wiesen bedeckte Ebene. Hier und dort zeigten kleine an
+der Erde hinkriechende Wölkchen, wie aus reinstem Goldstaube, daß
+Menschen und Ochsen von der Feldarbeit heimkehrten; und die
+langgestreckten Schatten der Baumgruppen waren wie von einer
+regenbogenfarbigen Glorie umgeben. Aus dem Kranze der blühenden Gärten
+glänzten die Torzinnen, Terrassen, Kuppeln und Türme der Hauptstadt
+hervor, und in unvergleichlichem Farbenschmelz, als wären sie aus
+Topasen, Amethysten und Opalen gebildet, lag die Reihe der Felsenhügel
+da.
+
+Von diesem Anblick ergriffen, blieb der Erhabene stehen. Mit Freuden
+begrüsste er jene vertrauten Formen, die so manche Erinnerungen für ihn
+bargen: das graue Horn, das breite Joch, den Seherfelsen und den
+Geierkulm, "dessen schöner Gipfel die andern wie ein Dach
+überragt";--vor allen aber Vibhara, den Berg der heissen Quellen, der
+mit seiner Höhle des Sattapannibaumes dem Heimatlosen eine erste Heimat
+bereitet hatte--die erste Rast auf dem letzten Wege vom Sansara ins
+Nirvana.
+
+Denn als er damals "noch in frischer Blüte, mit glänzendem, dunklem
+Haar, im Genusse glücklicher Jugend, im ersten Mannesalter, gegen den
+Wunsch seiner weinenden und klagenden Eltern" das fürstliche Vaterhaus
+im nördlichen Lande der Sakyer verlassen und seine Schritte nach dem
+Gangatal gerichtet hatte, da gönnte er sich erst dort einen längeren
+Aufenthalt, indem er jeden Morgen um Almosenspeise nach Rajagaha ging.
+In jener Höhle hatte ihn auch damals der König von Magadha, Bimbisara,
+besucht und ihn vergebens beschworen, ins Elternhaus und ins Weltleben
+zurückzukehren, bis der Fürst, durch die Worte des jungen Asketen
+umgestimmt, das erste Vertrauen fasste, das ihn später zum Anhänger des
+Buddha machte.
+
+Lange Zeit war seitdem verflossen--ein halbes Jahrhundert, in dem er
+nicht nur seinen eigenen Lebenslauf, sondern den Lauf der Welt gewendet
+hatte. Welcher Unterschied zwischen damals, als er drüben in der Höhle
+des Sattapannibaumes weilte, und jetzt! Damals war er noch ein
+Suchender, ein nach der Erlösung Ringender: schreckliche Seelenkämpfe
+standen ihm noch bevor, jahrelange, ebenso furchtbare wie fruchtlose
+Kasteiungen, bei deren Schilderungen selbst dem Beherztesten seiner
+Zuhörer sich die Haare vor Entsetzen sträubten;--bis er dann endlich,
+nach völliger Überwindung solcher Schmerzensaskese, durch inbrünstige
+Selbstvertiefung die Erleuchtung errang und zum Heil der Wesen als ein
+allerhöchster, vollendeter Buddha aus dem Kampfe hervorging.
+
+Damals ähnelte sein Leben einem unstäten Vormittag in der Regenzeit, wo
+blendender Sonnenschein und tiefe Schatten wechseln, während der Monsun
+die Wolken immer höher aufeinander türmt, und das tödlich drohende
+Gewitter immer näher grollt. Jetzt aber war es von demselben
+abendlichen, heiteren Frieden erfüllt, der über dieser Landschaft ruhte,
+und der immer tiefer und verklärter zu werden schien, je mehr der
+Sonnenball sich dem Horizonte näherte. Auch die Sonne seines Lebenstages
+neigte sich ja dem Untergange zu. Sein Werk war vollbracht. Das Reich
+der Wahrheit war fest begründet, die Heilslehre der Menschheit
+verkündet; viele wandel- und wissensbewährte Mönche und Nonnen und
+Laien-Anhänger beiderlei Geschlechts waren fähig, dieses Reich zu
+schützen, diese Lehre aufrechtzuerhalten und weiterzuverbreiten. Und
+schon stand nach den Erwägungen dieses Tages, den er mit einsamer
+Wanderung zugebracht hatte, die Erkenntnis in seinem Herzen fest: gar
+bald wird es für mich Zeit sein, auf immer diese Welt zu verlassen, aus
+der ich mich selber und alle, die mir folgen, erlöst habe, und in die
+Ruhe Nirvanas einzugehen.--
+
+Und die Gegend mit wehmütigem Gefallen überblickend, sprach der Erhabene
+bei sich selber:
+
+"Lieblich fürwahr ist Rajagaha, die Stadt der fünf Hügel, reizend sind
+ihre Umgebungen! Reich gesegnet sind die Felder, herzerfreuend die
+baumbeschatteten, wasserblinkenden Auen, überaus anmutig die buschigen
+Felsenhügel.--Zum letzten Male sehe ich ja jetzt von diesem schönsten
+Punkte aus diese liebliche Gegend. Nur einmal noch, wenn ich weiterziehe
+und mich auf jenem Joche umwende, werde ich von drüben das liebliche Tal
+Rajagahas erblicken und dann nimmermehr."
+
+In der Stadt ragten nur noch zwei Bauwerke goldig in das Sonnenlicht
+empor: der höchste Turm des Königspalastes, von wo aus Bimbisara ihn
+zuerst erspäht hatte, als er, ein junger unbekannter Asket, seine Straße
+zog und durch seinen hohen Anstand die Aufmerksamkeit des Magadhakönigs
+auf sich lenkte;--und der Kuppelaufsatz des Indratempels, in welchem
+damals, bevor sein Wort die Menschen von blutigem Aberglauben erlöst
+hatte, Tausende und Abertausende von unschuldigen Tieren jährlich dem
+Gott zu Ehren hingeschlachtet wurden. Nun tauchten auch die Turmzinnen
+erlöschend in das steigende Schattenmeer unter, und nur jener Kegel von
+goldenen, übereinandergespannten Sonnenschirmen,[1] der den Tempeldom
+krönte, glühte noch, gleichsam frei in der Luft schwebend, als ein
+Wahrzeichen der "Königsstadt"[2];--immer röter sprühte und funkelte er
+auf dem dunkelblauen Hintergrund von hochragenden Baumwipfeln. Und hier
+erblickte der Erhabene das immer noch ziemlich entfernte Ziel seiner
+Wanderung. Denn jene Baumwipfel waren die des Mangohaines jenseits der
+Stadt, der ihm von seinem Anhänger Jivaka, dem Leibarzt des Königs,
+geschenkt worden war, und in welchem ein schönes Klostergebäude den
+Mönchen gesunde und bequeme Unterkunft gewährte.
+
+ [1] Der goldene Sonnenschirm ist das Emblem der Königswürde.
+
+ [2] Rajagaha (Sanskrit: Rajagriha) = Königsstadt, jetzt Rajgir, 10
+ Meilen südöstlich von Patna.
+
+Nach diesem Besitztum des Ordens hatte nun der Erhabene die ihn
+begleitenden Mönche--zweihundert an der Zahl--unter der Leitung seines
+Vetters und treuen Begleiters Ananda vorausgehen lassen, weil es ihn
+lockte, die Wonne einer einsamen Tageswanderung zu kosten. Und es war
+ihm bekannt, daß um die Zeit des Sonnenunterganges von Westen her ein
+Zug junger Mönche, geführt vom weisen Sariputta, dem großen Schüler, in
+dem Mangohain eintreffen würde. In seinem lebhaften, auf das
+Anschauliche gerichteten Geiste spielte sich nun das Schauspiel ab, wie
+die ankommenden Mönche mit den schon anwesenden sich freundlich
+begrüßten, wie ihnen von jenen Sitz und Lagerstatt angewiesen, Mantel
+und Almosenschale abgenommen wurden, und wie dabei großer Lärm und
+lautes Geschrei entstand, als ob Fischer um die Beute rauften. Und ihm,
+der stille Betrachtung liebte und dem Lärm abhold war, wie der einsam
+wandernde Löwe: ihm war gerade jetzt, nach der köstlichen Ruhe der
+einsamen Wanderung und dem friedlichen Segen dieser Abendlandschaft, der
+Gedanke doppelt peinlich, in ein solches Treiben hineinzugeraten.
+
+Und so entschloß er sich im Weiterschreiten, nicht durch die Stadt nach
+seinem Mangohain zu gehen, sondern in dem ersten besten Hause des
+Vorortes, in dem er Unterkunft finden konnte, sein Nachtlager
+aufzuschlagen.
+
+Unterdessen waren die goldigen Flammen des westlichen Himmels in
+brennende Orangetöne verweht und diese wiederum in die feurigste
+Scharlachglut zerschmolzen. Ringsum leuchteten die Felder immer grüner
+und grüner, als ob die Erde ein Smaragd wäre, der von innen durchstrahlt
+würde. Aber schon umspann ein traumhaft violetter Dunst die Ferne,
+während eine fast übersinnliche Purpurflut--man wußte nicht, ob Licht,
+ob Schatten--wie von überallher niedersinkend, emporsteigend und
+hereinströmend, den ganzen Raum durchwallte, Festes auflösend und Loses
+sammelnd, Nahes fortschwemmend und Fernes heranflutend, Alles aber in
+Schwanken und flimmerndes Zittern versetzend....
+
+Durch die Schritte des einsamen Wanderers emporgeschreckt, hakte ein
+fliegender Hund seine ledernen Flügel von dem Zweig eines schwarzen
+Salabaumes los und strich mit piepsendem Schrei durch die Dämmerung, um
+den Obstgärten des dorfähnlichen Vorortes einen Besuch abzustatten.
+
+So war es Abend geworden, als der Erhabene diesen Vorort Rajagahas
+erreichte.
+
+
+
+
+II. DIE BEGEGNUNG
+
+
+Beim ersten Hause, dessen Wand bläulich zwischen den Gartenbäumen
+hervorschimmerte, gedachte der Erhabene vorzusprechen. Wie er sich nun
+aber der Tür nähern wollte, wurde er ein Netz gewahr, das auf einen Ast
+gehängt war. Und der Erhabene schritt fürbass, das Haus des
+Vogelstellers verschmähend.
+
+An diesem äußeren Rande des Ortes waren die Häuser spärlich verstreut,
+auch hatte dort unlängst eine Feuersbrunst gewütet, und so dauerte es
+denn eine Weile, bis er wieder an eine menschliche Wohnung kam. Es war
+dies das Gehöft eines wohlhabenden Brahmanen. Der Erhabene war schon zum
+Tor hereingetreten, da hörte er, wie drinnen die beiden Frauen des
+Brahmanen keiften, mit lauten schreienden Stimmen sich zankten und sich
+gegenseitig mit groben Schimpfworten bewarfen. Und der Erhabene wendete
+sich um, trat wieder zum Torwege hinaus und schritt fürbaß.
+
+Der Lustgarten jenes reichen Brahmanen erstreckte sich weithin den Weg
+entlang. Der Erhabene begann schon Müdigkeit zu spüren, und sein rechter
+Fuß, von einem scharfen Stein verletzt, schmerzte ihn im
+Weiterschreiten. So näherte er sich endlich dem nächsten Wohnhause, das
+schon von weitem sichtbar war; denn heller Lichtschimmer strömte quer
+über den Weg durch das Gitter der Fensterläden und die offenstehende
+Tür. Wäre aber auch ein Blinder gekommen, so hätte er doch das Haus
+bemerkt, denn übermütiges Lachen, Becherklang, Stampfen tanzender Füße
+und lieblich heitere Töne der siebensaitigen Vina drangen ins Freie
+heraus; an den Türpfosten gelehnt aber stand ein schönes Mädchen in
+reichem Seidengewand und mit Jasmingewinden behangen. Lachend ihre vom
+Betelkauen roten Zähne zeigend, lud sie den Wanderer ein: "Tritt herein,
+Fremder! Hier wohnt die Freude."
+
+Und der Erhabene schritt fürbaß, seines Wortes gedenkend: "Als Weinen
+gilt im Orden der Heiligen das Singen; als Tollsein gilt im Orden der
+Heiligen der Tanz; als kindisch gilt im Orden der Heiligen das
+Zähnezeigen zur Unzeit, das Lachen: Genüg' euch in Wahrheit Entzückten
+das Lächeln des lächelnden Blickes."
+
+Das Nachbarhaus war nicht weit entfernt, aber der Lärm der Zecher und
+der Vinaspieler drang bis dahin, und so ging der Buddha weiter bis zum
+nächsten Hause. Neben diesem waren aber zwei Metzgergesellen beim
+letzten Schimmer des Tageslichtes eifrig am Werk, eine soeben
+geschlachtete Kuh mit scharfen Messern zu zerlegen.
+
+Und der Erhabene schritt an der Wohnung des Schlächters vorüber.
+
+Vor dem nächsten Hause standen viele Schüsseln und Näpfe aus frischem
+Ton, die Ausbeute einer rechtschaffenen Tagesarbeit; unter einer
+Tamarinde befand sich das Töpferrad, und der Hafner löste gerade eine
+Schüssel davon ab und trug sie zu den anderen.
+
+Der Erhabene trat zum Hafner hin, begrüßte ihn höflich und sagte:
+
+"Wenn es dir, Abkömmling Bhagas, nicht ungelegen ist, bleibe ich über
+Nacht in deinem Vorsaale."
+
+"Es ist mir, o Herr, nicht ungelegen. Doch ist soeben ein Pilger
+angekommen, müde von einer langen Wanderung. Und er hat schon sein Lager
+hier aufgeschlagen. Wenn es ihm recht ist, mögest du bleiben, o Herr,
+nach Belieben."
+
+Und der Erhabene überlegte sich: "Einsamkeit freilich ist der beste
+Gefährte. Aber dieser liebe Pilger ist hier spät angekommen, wie ich
+selber, müde von einer langen Wanderung. Und er ist an den Häusern
+unreiner, blutiger Gewerbe vorbeigegangen, ist an dem Hause des Zankes
+und des gehässigen Streits und an dem Hause des Lärms und der unwürdigen
+Freuden vorübergeschritten, um erst hier beim Hafner einzukehren. Mit
+einem solchen Manne zusammen kann man die Nacht verbringen."
+
+So trat denn der Erhabene in die Vorhalle ein, wo er einen jungen Mann
+von edlen Gesichtszügen gewahr wurde, der in der einen Ecke auf einer
+Matte saß.
+
+"Wenn es dir, Pilger, nicht ungelegen ist," sprach der Erhabene zu ihm,
+"bleibe ich über Nacht hier im Vorsaale."
+
+"Geräumig, Bruder, ist der Vorsaal des Hafners; bleibe der Ehrwürdige
+nach Belieben."
+
+Da breitete nun der Erhabene an der einen Wand die Strohmatte hin und
+setzte sich nieder, die Beine gekreuzt, den Körper gerade aufgerichtet,
+in heiliges Sinnen versunken. Und der Erhabene brachte die ersten
+Stunden der Nacht sitzend zu. Und auch der junge Pilger brachte die
+ersten Stunden der Nacht sitzend zu.
+
+Da gedachte denn der Erhabene bei sich: "Ob wohl dieser edle Sohn
+fröhlich beflissen ist?--Wie, wenn ich ihn nun darum fragte?"
+
+Und der Erhabene wandte sich also an den jungen Pilger:
+
+"Weshalb, o Pilger, bist du in die Heimatlosigkeit gegangen?"
+
+Der junge Pilger antwortete:
+
+"Nur ein paar Nachtstunden sind vergangen. Wohlan, wenn mir der
+Ehrwürdige seine Aufmerksamkeit schenken will, werde ich erzählen,
+weshalb ich in die Heimatlosigkeit gegangen bin."
+
+Der Erhabene gab durch freundliches Kopfnicken sein Einverständnis zu
+erkennen, und der junge Pilger hub zu erzählen an.
+
+
+
+
+III. NACH DEM UFER DER GANGA
+
+
+Ich heisse Kamanita mit Namen und bin in Ujjeni geboren, einer weit im
+Süden gelegenen Stadt, im Lande Avanti, im Gebirge. Dort kam ich in
+einer begüterten, wenn auch nicht sehr vornehmen Kaufmannsfamilie zur
+Welt. Mein Vater ließ mir eine gute Erziehung zuteil werden, und als ich
+die Opferschnur anlegte, war ich schon ziemlich im Besitze der meisten
+Fertigkeiten, die sich für einen jungen Mann von Stand passen, so daß
+man allgemein glaubte, ich müßte in Takkasila[1] erzogen worden sein. Im
+Ringkampf und im Degenfechten war ich einer der ersten; ich hatte eine
+schöne, wohlgeübte Singstimme und verstand die Vina kunstreich zu
+schlagen; ich konnte alle Gedichte Bharatas und noch viele andere
+auswendig hersagen; mit den Geheimnissen der Metrik war ich aufs
+innigste vertraut, und verstand auch selber gefühlvolle und sinnreiche
+Verse zu schreiben. Im Zeichnen und Malen übertrafen mich nur Wenige,
+und meine Art Blumen zu streuen wurde allgemein bewundert. Groß war mein
+Geschick im Färben der Kristalle und meine Kenntnis von der Herkunft der
+Juwelen; keine Papageien oder Predigerkrähen sprachen so gut wie
+diejenigen, die ich abgerichtet hatte. Auch verstand ich von Grund aus
+das vierundsechzigfeldige Brettspiel, das Stäbchenspiel, das Bogenspiel
+und das Ballspiel in allen seinen Abarten, sowie allerlei Rätsel- und
+Blumenspiele. Und es wurde, o Fremder, eine sprichwörtliche Redensart in
+Ujjeni: "Vielbefähigt wie der junge Kamanita."
+
+ [1] Das Oxford des alten Indien (in Pendschab gelegen).
+
+Als ich zwanzig Jahre alt war, ließ mein Vater mich eines Tages rufen
+und sprach also zu mir:
+
+"Mein Sohn, deine Erziehung ist jetzt vollendet, und es ist Zeit, daß du
+dich in der Welt umsiehst und dein Kaufmannsleben beginnst, auch habe
+ich dafür jetzt eine gute Gelegenheit gefunden. In diesen Tagen schickt
+unser König eine Gesandtschaft an den König Udena in Kosambi, weit von
+hier, im Norden. Dort habe ich aber einen Gastfreund Panada. Der hat mir
+längst gesagt, in Kosambi wäre mit Produkten unseres Landes, besonders
+mit Bergkristallen und Sandelpulver, sowie mit unseren kunstvollen
+Rohrgeflechten und Weberwaren ein gutes Geschäft zu machen. Ich habe
+aber immer eine solche Geschäftsreise als ein großes Wagnis gescheut
+wegen der vielen Gefahren des Weges. Wer nun aber die Hin- und Herreise
+im Gefolge dieser Gesandtschaft macht, für den ist gar keine Gefahr
+vorhanden. Wohlan, mein Sohn, wir wollen auf den Lagerplatz gehen und
+uns die zwölf Ochsenwagen und die Waren ansehen, die ich für deine Fahrt
+bestimmt habe; du wirst für unsere Produkte Musselin aus Benares und
+ausgesuchten Reis mit zurückbringen, und das wird, hoffe ich, ein
+glorreicher Anfang deiner kaufmännischen Laufbahn sein; auch wirst du
+Gelegenheit haben, fremde Länder mit anderer Natur und anderen Sitten
+kennen zu lernen und unterwegs mit Hofleuten, Männern vom höchsten
+Anstande und feinsten Betragen tagtäglich zu verkehren, was ich für
+einen hohen Gewinn erachte; denn ein Kaufherr muß ein Weltmann sein."
+
+Ich dankte meinem Vater unter Freudentränen, und schon wenige Tage
+danach nahm ich vom Elternhause Abschied.
+
+Wie schlug mein Herz vor freudiger Erwartung, als ich inmitten dieses
+prächtigen Zuges, an der Spitze meiner Karren, zum Stadttor hinauszog
+und die weite Welt offen vor mir lag. Jeder Tag dieser Reise war mir wie
+ein Fest, und wenn abends die Lagerfeuer flammten, um Tiger und Panther
+zu verscheuchen, und ich im Kreise älterer und vornehmer Männer an der
+Seite des Gesandten saß, dünkte ich mich vollends im Märchenland.
+
+Durch den herrlichen Waldbereich Vedisas und über die sanften Höhenzüge
+des Vindhyagebirges erreichten wir die ungeheure nördliche Ebene, wo
+eine ganz neue Welt sich mir eröffnete; denn ich hätte nie gedacht, daß
+die Erde so flach und so groß sei. Und etwa einen Monat nach unserer
+Abreise sahen wir an einem herrlichen Abend, von einer palmengekrönten
+Anhöhe aus, zwei goldene Bänder, die sich dem Dunstkreise des Horizontes
+entwanden, das unendliche Grün durchzogen und sich allmählich einander
+näherten, bis sie sich zu einem breiten Band vereinigten.
+
+Eine Hand berührte meine Schulter.
+
+Es war der Gesandte, der an mich herangetreten war.
+
+"Da siehst du, Kamanita, die heilige Jamuna und die hochheilige Ganga,
+die dort vor unseren Augen ihre Fluten vereinigen."
+
+Unwillkürlich erhob ich anbetend meine Hände.
+
+"Du tust recht, sie also zu grüßen," fuhr mein Beschützer fort. "Denn
+wenn die Ganga von dem Göttersitz im nördlichen Schneegebirge kommt und
+gleichsam aus der Ewigkeit flutet, so kommt die Jamuna aus fernen
+Heldenzeiten, und ihre Fluten haben die Trümmer der Ilfenstadt[1]
+gespiegelt und jene Ebene bespült, wo die Panduinge und die Kuruinge um
+die Herrschaft rangen, wo Karna in seinem Zelte grollte, wo Krishna
+selber die Rosse Arjunas lenkte--doch ich brauche dich ja nicht daran zu
+erinnern, da du in den alten Heldenliedern wohl bewandert bist. Oft habe
+ich drüben auf jener spitzen Landzunge gestanden und gesehen, wie die
+blauen Wogen der Jamuna neben den gelben der Ganga dahinflossen, ohne
+sich mit ihnen zu vermischen, so wie die Kriegerkaste neben der
+Brahmanenkaste unvermischt besteht. Dann kam es mir vor, als ob ich mit
+dem Rauschen dieser blauen Fluten auch kriegerische Klänge vernähme,
+Waffengetöse und Hörnerrufe, Wiehern von Rossen und Trompeten der
+Kampfilfen, und mein Herz schlug höher, denn auch meine Ahnen waren ja
+dabei gewesen und der Sand Kurukschetras hatte ihr Heldenblut
+getrunken."
+
+ [1] Hastinapura = Elefantenstadt. Das Wort "Ilf" hat _Adolph Holtzmann_
+ geprägt ("Indische Sagen" XXIX).
+
+Voll Bewunderung blickte ich zu diesem Manne aus der Kriegerkaste empor,
+in dessen Familie solche Erinnerungen lebten.
+
+Er aber faßte mich an der Hand.
+
+"Komm, mein Sohn, und begrüße das Ziel deiner ersten Reise."
+
+Und er führte mich nur wenige Schritte um ein dichtes Gebüsch herum, das
+bis jetzt die Aussicht nach Osten verdeckt hatte.
+
+Als diese sich nun plötzlich öffnete, stieß ich unwillkürlich einen
+Schrei der Bewunderung aus.
+
+Dort--an einer Biegung der breiten Ganga--lag eine große Stadt: Kosambi.
+
+Mit ihren Mauern und Türmen, ihrer aufsteigenden Häusermasse, ihren
+Terrassen, ihren Quais und Ghâts[1] sah sie, von der untergehenden Sonne
+beleuchtet, wahrlich aus, als wäre sie ganz und gar aus rotem Gold
+gebaut--so wie es ja Benares war, bis die Sünden der Einwohner es in
+Stein und Mörtel verwandelten;--die wirklich goldenen Kuppeln aber
+glänzten wie ebensoviele Sonnen. Oben von den Tempelhöfen stiegen
+dunkle, rotbraune Rauchsäulen, von den Leichenverbrennungsstätten am
+Ufer solche von hellblauer Farbe, kerzengerade in die Höhe, und,
+gleichsam von ihnen getragen, schwebte baldachinartig über dem Ganzen
+ein Schleier wie aus den zartesten Perlmuttertönen gewoben, während
+dahinter alle Farben, die da brennen und leuchten können, über den
+Himmel ausgegossen durcheinander glühten. Auf dem heiligen Strom, der
+diesen Glanz widerspiegelte, schaukelten unzählige Boote mit bunten
+Segeln und Wimpeln, und trotz der Entfernung sah man, wie die breiten
+Treppen der Ghâts von Leuten wimmelten, während viele schon unten in den
+glitzernden Wellen plätscherten. Ein fröhliches Geräusch, wie das Summen
+eines Bienenkorbes, drang von Zeit zu Zeit zu uns herauf.
+
+ [1] Landungsplatz mit prachtvollen Freitreppen für Badende--gewöhnlich
+ von Vorsprüngen und Kiosken unterbrochen und durch einen monumentalen
+ Torbau abgeschlossen.
+
+Du kannst dir denken, daß ich eher eine Stadt der dreiunddreißig Götter
+als eine der Menschen zu sehen vermeinte, wie denn überhaupt das
+Gangatal mit seinem üppigen Reichtum uns Bergbewohnern wie das Paradies
+vorkam. Und für mich sollte ja auch hier das Paradies auf Erden sich
+zeigen.
+
+Noch in derselben Nacht schlief ich unter dem wirtlichen Dache Panadas,
+des Gastfreundes meines Vaters. Früh am folgenden Tage eilte ich aber
+zum nächsten Ghât und stieg mit unbeschreiblichen Gefühlen in die
+heiligen Wogen, um nicht nur den Reisestaub, sondern auch meine Sünden
+abzuspülen. Diese waren infolge meiner Jugend ja nur gering; ich füllte
+aber eine große Flasche mit dem Gangawasser, um sie meinem Vater
+mitzubringen. Sie ist jedoch, wie du erfahren wirst, leider nie in
+seinen Besitz gekommen.
+
+Der edle Panada, ein Greis von ehrwürdigstem Aussehen, führte mich nun
+nach den Kaufhallen, und durch seine freundliche Hilfe gelang es mir, im
+Verlaufe der folgenden Tage meine Waren vorteilhaft zu verkaufen und
+eine überreiche Menge von den bei uns sehr geschätzten Produkten der
+nördlichen Ebene einzukaufen.
+
+Dies mein Geschäft war glücklich zu Ende gebracht, bevor die
+Gesandtschaft noch daran dachte, sich zur Abreise zu rüsten, was mich
+keineswegs verdroß; denn ich hatte nun volle Freiheit, mir die Stadt
+anzusehen und ihre Vergnügungen zu genießen, was ich in der Gesellschaft
+Somadattas, des Sohnes meines Wirtes, in ausgiebigstem Maße tat.
+
+
+
+
+IV. DIE BALLSPIELERIN
+
+
+An einem schönen Nachmittage begaben wir uns in einen öffentlichen
+Garten vor der Stadt--eine gar prächtige Anlage unmittelbar am hohen
+Ufer der Ganga mit schattigen Baumgruppen, großen Lotusteichen,
+Marmorhäuschen und Jasminlauben, wo zu dieser Tageszeit immer ein reges
+Treiben herrschte. Hier ließen wir uns in einer goldenen Schaukel von
+der Dienerschaft schaukeln, während wir den herzerfreuenden Tönen der
+liebestrunkenen Kokila und dem süßen Plaudern der grünen Papageien
+lauschten. Da erhob sich plötzlich ein gar erheiterndes Klingen von
+Fußspangen. Sofort sprang mein Freund aus der Schaukel und rief:
+
+"Sieh da! Gerade kommen die schönsten Mädchen von Kosambi, auserlesene
+Jungfrauen aus den reichsten und vornehmsten Häusern, um die
+Vindhya-bewohnende Göttin durch Ballspiel zu verehren. Du kannst von
+Glück sagen, Gastfreund! denn bei diesem Spiel kann man sie ungehindert
+sehen! Komm, wir wollen diese Gelegenheit nicht versäumen."
+
+Ich ließ mir dies natürlich nicht zweimal sagen, sondern folgte eiligst
+meinem Freunde.
+
+Auf einer großen, edelsteinbesetzten. Bühne erschienen sofort die
+Mädchen, zum Spiele bereit. Wenn es nun schon eine seltene Augenweide
+war, diese Schar von Schönheiten in ihrem Glanz von schimmernder Seide,
+duftigen Musselinschleiern, Perlen, Edelsteinen und Goldspangen zu
+sehen--was soll man dann erst von dem Spiele selbst sagen, das diesen
+Schwellgliederigen die mannigfaltigste Gelegenheit gab, ihre ganze Anmut
+in überaus reizenden Stellungen und Bewegungen zu entfalten? Und doch
+war das nur gleichsam ein Vorspiel. Denn als diese Gazellenäugigen uns
+eine geraume Zeit durch die verschiedenartigsten Spiele ergötzt hatten,
+traten sie alle zurück, und nur eine blieb in der Mitte der
+edelsteinbesetzten Bühne--und in der Mitte meines Herzens stehen.
+
+Ach, mein Freund, was soll ich sagen! Von ihrer Schönheit zu reden wäre
+Verwegenheit! Denn ich müßte ein Dichter sein wie Bharata selbst, um
+auch nur einen schwachen Abglanz davon deiner Phantasie vorzuzaubern. Es
+sei genug, hervorzuheben, daß diese Mondgesichtige von makelloser
+Gestalt und an allen Gliedern von frischer Jugend umblüht war, daß sie
+mir als die leibliche Glücks- und Schönheitsgöttin erschien, und daß
+alle meine Körperhärchen sich bei diesem Anblick vor Entzücken
+sträubten. Und nun begann sie zu Ehren der Göttin, deren Verkörperung
+sie schien, ein kunstreiches Spiel. Lässig warf sie den Ball zu Boden,
+und als er dann langsam emporstieg, gab sie ihm mit ihrer
+schößlinggleichen Hand, deren Daumen sie etwas krümmte und deren zarte
+Finger sie ausstreckte, einen kräftigen Schlag, trieb dann den
+aufsteigenden Ball mit dem Handrücken empor und fing ihn beim
+Herabfallen in der Luft wieder auf. Sie warf ihn in langsamem, in
+mittlerem und in raschem Tempo, bald ihn anfeuernd, bald ihn
+besänftigend, schlug ihn abwechselnd mit der linken und mit der rechten
+Hand, trieb ihn in jede Himmelsrichtung und wieder zurück. Wenn
+du--wie's mir aus deinem verständnisvollen Blick scheinen will--mit der
+Spielballwissenschaft vertraut bist, so brauche ich dir nichts zu sagen,
+als daß du wohl niemals das Curnapada und das Gitamarga so vollkommen
+ausgeführt gesehen haben wirst.
+
+Dann aber machte sie etwas, was ich nie gesehen und wovon ich auch nie
+gehört habe. Sie nahm nämlich zwei goldene Bälle, und während ihre Füße
+zum Klange ihrer Schmuckjuwelen sich tanzend bewegten, ließ sie diese
+Bälle so schnell in blitzartigen Linien springen, daß man gleichsam nur
+die Goldstäbchen eines Käfigs sah, in dem ein Wundervogel niedlich
+umherhüpfte. Dabei geschah es, daß unsere Blicke sich plötzlich
+begegneten; und noch heute, o Fremder, verstehe ich nicht, wie es
+zuging, daß ich nicht augenblicklich tot niedersank, um in einem
+Wonnehimmel wiedergeboren zu werden. Aber es mag wohl sein, daß meine
+Werke eines vorhergehenden Lebens, deren Früchte ich in _diesem_
+genießen muß, noch nicht erschöpft waren; denn dieser Rest meines
+Wandels von einst hat mich ja in der Tat durch mehrere tödliche Gefahren
+bis auf den heutigen Tag gebracht und wird wohl noch lange vorhalten.
+
+Gerade jetzt aber entfloh ihr einer der Bälle, die ihr bisher so
+gehorsam gewesen waren, und sprang in einem mächtigen Satze von der
+Bühne herunter. Viele junge Leute eilten ihm nach; ich und ein junger,
+reich gekleideter Mann erreichten ihn gleichzeitig und wir gerieten
+aneinander, weil keiner ihn dem anderen gönnte. Durch mein genaues
+Vertrautsein mit den Kniffen der Ringerkunst gelang es mir, ihm ein Bein
+zu stellen; er aber ergriff, um mich zurückzuhalten, meine kristallene
+Halskette, an der ich ein Amulett trug. Die Kette zerriß, er stürzte zu
+Boden und ich erhaschte den Ball. Wütend sprang er auf und schleuderte
+mir die Kette vor die Füße. Das Amulett war ein Tigerauge, kein gerade
+sehr kostbarer Stein, aber dieser war ein unfehlbares Mittel gegen den
+bösen Blick--und jetzt, als der seine mich traf, mußte ich ihn gerade
+vermissen. Aber was kümmerte mich das? Hielt ich doch den Ball, den ihre
+Lotushand soeben berührt hatte, in Händen, und als sehr geschicktem
+Ballspieler gelang es mir, einen so genau berechneten Wurf zu tun, daß
+der Ball gerade vor der einen Ecke der Bühne aufschlug, um dann mit
+einem mäßigen Sprung gleichsam bezähmt in den Bereich der schönen
+Spielerin zu gelangen, die keinen Augenblick aufgehört hatte, den
+anderen Ball in Bewegung zu erhalten, und sich nun wieder in ihren
+Goldkäfig einspann--unter großem Jubel der zahlreichen Zuschauer.
+
+Damit war denn nun die Ballspielverehrung der Lakshmi zu Ende, die
+Mädchen verschwanden von der Bühne, und wir begaben uns auf den Heimweg.
+
+Unterwegs meinte mein Freund, es sei gut, daß ich nichts dort am Hofe
+erreichen wollte, denn der junge Mann, dem ich den Ball abgejagt hätte,
+sei kein geringerer als der Sohn des Ministers, und man habe es ihm
+angesehen, daß er mir unversöhnlichen Haß geschworen habe. Das ließ mich
+nun völlig kalt; wie viel lieber hätte ich erfahren, wer meine Göttin
+war. Ich scheute mich aber, danach zu fragen, ja, als Somadatta mich mit
+der Schönen necken wollte, tat ich sehr gleichgültig, lobte in
+Kennerausdrücken ihre Fertigkeit im Spielen, fügte jedoch hinzu, daß wir
+in meiner Heimatstadt wenigstens ebenso geschickte Spielerinnen
+hätten--während ich in meinem Herzen der Unvergleichlichen diese Lüge
+abbat.
+
+Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß diese Nacht kein Schlaf in meine
+Augen kam, die ich nur schloß, um immer wieder von der reizenden
+Erscheinung umschwebt zu werden. Den nächsten Tag brachte ich in einer
+von allem Tageslärm entfernten Ecke des Hausgartens zu, wo der Sandboden
+unter einem Mangobaum meinem von Liebesglut gepeinigten Körper Kühlung
+bot, die siebensaitige Vina als einzige Gefährtin, der ich meine
+Sehnsucht anvertraute. Sobald aber die abnehmende Tageshitze einen
+Ausflug erlaubte, überredete ich Somadatta, mit mir nach dem Lustgarten
+zu fahren, obschon er es vorgezogen hätte, einem Wachtelkampf
+beizuwohnen. Aber umsonst durchirrte ich den ganzen Park--viele Mädchen
+waren da, überall ihr Spiel treibend, als wollten sie mich mit falscher
+Hoffnung von einem Ort zum anderen locken; aber jene einzige, Lakshmis
+Ebenbild, war nicht darunter.
+
+Nun tat ich, als ob ich eine unwiderstehliche Sehnsucht hätte, das
+eigentümliche Leben an der Ganga wieder zu genießen. Wir besuchten alle
+Ghâts und bestiegen schließlich eine Barke, um uns in die fröhliche
+Flottille zu mischen, die jeden Abend auf den Wogen des heiligen Stromes
+schaukelte, bis das Farbenspiel und der Goldglanz erloschen und Lichter
+von Fackeln und Lampions auf dem Strome tanzten und wirbelten.
+
+Dann mußte ich endlich meine ebenso stumme wie stürmische Hoffnung
+aufgeben und den Bootsführer anweisen, nach dem nächsten Ghât zu
+steuern.
+
+Nach einer schlaflosen Nacht blieb ich in meinem Zimmer, und um meinen
+Geist, der doch nur von ihrem Bild erfüllt war, zu beschäftigen und zu
+zerstreuen, bis ich wieder in den Lustgarten eilen konnte, versuchte ich
+mittelst Pinsel und Farben ihre holde Erscheinung, wie sie tanzenden
+Schrittes den Ball schlug, auf die Tafel zu bannen. Keinen Bissen
+vermochte ich zu mir zu nehmen; denn wie der lieblich singende Çakora
+nur von Mondstrahlen lebt, also lebte ich nur von den Strahlen jener
+Mondgesichtigen, obgleich sie mich nur durch den Nebel der Erinnerung
+erreichten; doch hoffte ich zuversichtlich, daß sie an diesem Abend im
+Lustgarten mit ihrem vollen Glanz mich letzen und beleben würden. Aber
+auch diesmal wurde ich enttäuscht. Nun wollte Somadatta mich in ein
+Spielhaus mitnehmen, denn er war so versessen auf das Würfelspiel wie
+Nala, nachdem der Dämon Kali in ihn gefahren war. Ich schützte indessen
+Müdigkeit vor. Aber anstatt nach Hause zu gehen, begab ich mich wieder
+nach den Ghâts und auf den Fluß hinaus--leider nicht mit besserem Erfolg
+als am vorhergehenden Abend.
+
+
+
+
+V. DAS MAGISCHE BILDNIS
+
+
+Da ich wußte, daß für mich doch nicht an Schlaf zu denken war, legte ich
+mich an diesem Abend gar nicht zu Bett, sondern setzte mich auf das zur
+Andacht bestimmte Graslager am Kopfende des Bettes, und brachte dort
+unter inbrünstigen Liebesbetrachtungen und im Gebet an die lotustragende
+Lakshmi, ihr himmlisches Urbild, in frommer und geziemender Weise die
+Nacht zu; aber die frühe Morgensonne fand mich wieder mit Pinsel und
+Farben an der Arbeit.
+
+Mehrere Stunden waren mir dabei im Fluge vergangen, als Somadatta
+hereintrat. Ich hatte gerade noch Zeit, die Tafel und die Malwerkzeuge
+unters Bett zu schieben, als ich ihn kommen hörte. Dies tat ich ganz
+unwillkürlich.
+
+Somadatta nahm einen niedrigen Stuhl, setzte sich neben mich und
+betrachtete mich lächelnd.
+
+"Ich merke wohl," sagte er, "daß unserem Hause die Ehre widerfahren
+soll, die Ausgangsstätte eines Heiligen zu sein. Du fastest ja, wie es
+nur die strengsten Asketen tun, und enthältst dich der üppigen
+Gewohnheit des Lagers. Denn weder auf den Kopf- und Fußkissen noch auf
+der Matratze ist der geringste Eindruck deines Körpers zu sehen, und die
+weiße Decke ist faltenlos. Obwohl du durch das Fasten schon recht
+schmächtig geworden bist, ist dein Körper doch wohl noch nicht ganz ohne
+Gewicht, was sich übrigens auch hier am Grassitze zeigt, wo du offenbar
+die Nacht in Gebet und Selbstvertiefung zugebracht hast. Aber ich finde
+doch, daß für einen so heiligen Bewohner dies Zimmer etwas zu weltlich
+aussieht. Hier auf dem Nachttisch die freilich unberührte Salbenbüchse
+und der Napf mit Sandelstaub, das Gefäß mit wohlriechendem Wasser und
+die Dose mit Zitronenbaumrinde und Betel. Dort an der Wand die gelben
+Amaranthkränze, die Laute--aber wo ist denn das Malbrett, das doch sonst
+an jenem Haken hängt?"
+
+Während ich in meiner Verlegenheit auf diese Frage keine Antwort zu
+finden vermochte, entdeckte er nun das vermißte Brett und zog es unter
+dem Bett hervor.
+
+"Ei, was ist denn das für ein böser, abgefeimter Zauberer," rief er,
+"der hier auf dem Brett, das ich doch selber ganz leer an jenen Haken
+gehängt habe, das reizende Bild eines ballspielenden Mädchens durch
+magische Kraft hat entstehen lassen--offenbar in der bösen Absicht, den
+angehenden Asketen gleich im Anfange mit Versuchungen anzufallen und ihm
+Sinne und Gedanken zu verwirren! Oder am Ende ist es ein Gott, denn wir
+wissen ja, daß die Götter sich vor der Allmacht der großen Asketen
+fürchten; und bei solch einem Beginnen wie dem deinigen könnte schon das
+Vindhyagebirge vor der Inbrunst deiner Buße zu rauchen anfangen, ja
+durch die Aufhäufung deines Verdienstes müßte das Reich der himmlischen
+Götter ins Wanken kommen. Und jetzt weiß ich auch, welcher Gott es ist:
+gewiß ist es der, den sie den unsichtbaren nennen, der Gott mit den
+Blumenpfeilen, der einen Fisch im Banner trägt--Kama, der Liebesgott,
+von dem du ja auch deinen Namen hast. Und--Himmel, was seh' ich! das ist
+ja Vasitthi, die Tochter des reichen Goldschmiedes."
+
+Als ich so zum ersten Male den Namen der Geliebten hörte, fing mein Herz
+heftig zu pochen an, und mein Gesicht entfärbte sich vor Erregung.
+
+"Ich sehe, lieber Freund," fuhr der schlimme Spaßmacher fort, "daß
+dieser Gedanke von dem Zauber Kamas dich in großen Schrecken versetzt,
+und in der Tat müssen wir etwas tun, um seinem Zorn zu entgehen. Da ist
+aber ein Weiberrat nicht zu verachten. Ich will dies magische Bild
+meiner geliebten Medini zeigen, die auch mit beim Tanze war und überdies
+die Milchschwester der schönen Vasitthi ist."
+
+Hiermit wollte er sich mit dem Bilde entfernen. Da ich nun wohl merkte,
+was der Schelm vorhatte, hieß ich ihn warten, weil dem Bilde noch eine
+Inschrift fehlte. Ich mischte mir die schönste feurig-rote Farbe und in
+gar kurzer Zeit schrieb ich mit den zierlichsten Schriftzügen einen
+vierzeiligen Vers, der sehr einfach den Vorgang mit dem goldenen Ball
+erzählte. Wenn man aber die Zeilen rückwärts las, besagte der Vers, daß
+jener Ball, mit dem sie gespielt hatte, mein Herz sei, das ich selber
+ihr zurückschickte, wenn sie es auch davonjage; man konnte aber auch den
+Vers quer durch die Zeilen von oben nach unten lesen, und dann enthielt
+er eine Klage über die Verzweiflung, in die mich die Trennung von ihr
+gestürzt hatte; las man aber in umgekehrter Richtung, dann wurde man
+gewahr, daß ich doch zu hoffen wagte.
+
+Von dem, was ich solchermaßen hineingeheimnißt hatte, ließ ich aber
+nichts verlauten, und so war denn Somadatta von dieser Probe meiner
+Dichtkunst, die ihm gar zu einfach schien, auch nicht sonderlich erbaut.
+Er meinte, ich müsse durchaus davon sprechen, wie Gott Kama, durch meine
+Askese in Schreck versetzt, das Zauberbild zu meiner Versuchung
+hervorgezaubert und mich dadurch überwunden hätte--wie denn jeder immer
+am meisten von seinem eigenen Witze entzückt ist.
+
+Als nun Somadatta das Bild entführt hatte, fühlte ich mich in einer
+gehobenen und tatkräftigen Stimmung, weil doch nun ein Schritt getan
+war, der vielleicht in seinen Folgen zum ersehnten Glücksziel führen
+mochte. Ich konnte wieder essen und trinken, und nachdem ich mich
+gestärkt hatte, nahm ich die Vina von der Wand und ließ ihre Saiten bald
+melodisch seufzen, bald jubeln, während ich den himmlischen Namen
+Vasitthi in immer neuen Tönen wiederholte.
+
+So fand mich denn auch Somadatta, als er mehrere Stunden später mit dem
+Bild in der Hand wieder hereintrat.
+
+"Die ballspielkundige Zerstörerin deiner Ruhe hat auch gedichtet," sagte
+er, "aber vielen Sinn finde ich eben nicht in ihren Versen
+aufgespeichert, wenn auch die Schrift für ungewöhnlich hübsch gelten
+darf."
+
+Wirklich gewahrte ich--mit welchem Entzücken, vermag ich nicht zu
+sagen--einen zweiten Vierzeiler, der mit Schriftzügen wie zarte
+Blütenzweige auf das Brett gleichsam hingehaucht war. Somadatta freilich
+hatte keinen Sinn darin finden können, denn das Ganze bezog sich eben
+auf das, was er nicht bemerkt hatte, und zeigte mir, daß die Holde meine
+Strophe in allen Richtungen--rückwärts, nach unten und aufwärts--richtig
+gelesen hatte, was mir einen hohen Begriff von ihrer Bildung und ihren
+Kenntnissen gab, wie denn auch ihr feiner Geist sich in der anmutig
+scherzenden Wendung zeigte, mit welcher sie meine feurige Erklärung als
+eine höfliche Galanterie hinnahm, der man nicht allzu große Bedeutung
+beimessen dürfe.
+
+Nun versuchte ich freilich auch dieselben Lesemethoden auf ihre Strophe
+anzuwenden, in der Hoffnung, vielleicht doch ein verblümtes Geständnis
+oder irgend eine geheime Botschaft, wohl gar die Einladung zu einem
+Stelldichein darin zu finden; jedoch vergeblich. Ich sagte mir denn auch
+sogleich, daß dies gerade ein Beweis der höchsten und feinsten
+weiblichen Gesittung sei: die Liebliche zeigte mir, daß sie wohl
+imstande sei, die Subtilität und die verwegenen Pfade des männlichen
+Geistes zu verstehen, daß sie sich aber nicht verleiten lasse, seinen
+Spuren zu folgen.
+
+Über meine enttäuschte Erwartung wurde ich nun auch sofort durch die
+Worte Somadattas getröstet.
+
+"Aber diese Schönbrauige, wenn sie auch keine große Dichterin ist, hat
+doch wahrlich ein gutes Herz. Sie weiß, daß ich schon seit langer Zeit
+meine geliebte Medini, ihre Milchschwester, nicht gesehen habe, außer in
+großer Gesellschaft, wo nur die Augen sprechen können, und auch die nur
+verstohlen. Und so gibt sie uns Gelegenheit, uns in der folgenden Nacht
+auf der Terrasse des väterlichen Palastes zu treffen. Diese Nacht ist es
+leider nicht möglich, weil ihr Vater ein Gastmahl gibt; so lange müssen
+wir uns also gedulden. Vielleicht hast du Lust, mich bei diesem
+Abenteuer zu begleiten?"
+
+Dabei lachte er ganz verschmitzt, und ich lachte ebenso und sicherte ihm
+meine Begleitung zu. In der vortrefflichsten Laune nahmen wir das
+Brettspiel, das an die Wand gelehnt war, und wollten uns durch diese den
+Geist anregende Beschäftigung die Zeit verkürzen, als ein Diener
+hereintrat und sagte, ein Fremder wünsche mich zu sprechen.
+
+Ich ging in die Vorhalle und traf da den Bedienten des Gesandten, der
+mir sagte, ich müsse mich zur Abreise fertig machen und mich schon in
+dieser Nacht mit meinen Wagen im Hofe des Palastes einfinden, damit man
+beim ersten Morgengrauen aufbrechen könne.
+
+Meine Verzweiflung kannte keine Grenzen. Ich wähnte, ich müsse
+unversehens irgend eine Gottheit beleidigt haben. Sobald ich meine
+Gedanken einigermaßen sammeln konnte, stürzte ich zum Gesandten und log
+ihm eine Menge vor von einem Geschäft, das noch nicht ganz abgewickelt
+wäre und unmöglich in so kurzer Frist zum gedeihlichen Abschluß gebracht
+werden könnte. Mit heißen Tränen beschwor ich ihn, die Reise nur noch um
+einen Tag zu verschieben.
+
+"Du sagtest mir doch schon vor acht Tagen, daß du fertig wärest,"
+entgegnete er.
+
+Ich aber versicherte ihm, daß sich nachher unverhofft noch eine Aussicht
+auf einen bedeutenden Gewinn eröffnet hätte. Und das war auch keine
+Unwahrheit, denn welcher Gewinn hatte für mich mehr zu bedeuten, als die
+Eroberung dieses unvergleichlichen Mädchens?--Und so gelang es mir denn
+endlich, ihm diesen einen Tag abzulisten.
+
+Die Stunden des folgenden Tages vergingen schnell mit den nötigen
+Reisevorbereitungen, so daß mir die Zeit, trotz meiner Sehnsucht, nicht
+allzu lang wurde. Als der Abend hereinbrach, standen die Karren beladen
+im Hof. Alles war zum Vorspannen bereit, um, sobald ich--noch vor
+Morgengrauen--erschien, aufbrechen zu können.
+
+
+
+
+VI. AUF DER TERRASSE DER SORGENLOSEN
+
+
+Als es nun völlig Nacht geworden war, begaben wir, Somadatta und ich,
+uns in dunkelfarbiger Kleidung, hoch aufgeschürzt, fest gegürtet und das
+Schwert in der Hand, nach der Westseite des palastartigen Hauses des
+reichen Goldschmiedes, wo sich die Terrasse über der steilen Felswand
+einer Schlucht befand. Mit Hilfe einer mitgebrachten Bambusstange
+erkletterten wir nun, die wenigen Vorsprünge geschickt benutzend, die in
+tiefen Schatten gehüllte Felsenwand, überstiegen dann mit Leichtigkeit
+die Mauer und befanden uns nun auf einer großen, mit Palmen, Asokabäumen
+und prächtigen Blumenpflanzen aller Art geschmückten Terrasse, die, in
+Mondlicht gebadet, sich vor uns ausbreitete.
+
+Nicht weit von mir entfernt sah ich die der Lakshmi ähnliche Großäugige,
+die mit meinem Herzen Ball spielte, neben einem jungen Mädchen auf einer
+Ruhebank sitzen, und bei diesem Anblick fing ich an so heftig an allen
+Gliedern zu zittern, daß ich mich an die Brüstung lehnen mußte, deren
+marmorne Kälte meine in Feuersglut schon entschwindenden Sinne
+erfrischte und stärkte. Indessen war Somadatta auf seine Geliebte
+zugeeilt, die mit einem leisen Ruf aufgesprungen war.
+
+Nun faßte ich mich denn auch so weit, daß ich mich der Unvergleichlichen
+nähern konnte, die, anscheinend überrascht durch die Ankunft eines
+Fremden, sich erhoben hatte und unschlüssig schien, ob sie bleiben oder
+gehen sollte, während sich ihr Auge, wie das der erschreckten jungen
+Antilope, wiederholt mit Seitenblicken aus dem äußersten Augenwinkel auf
+mich richtete, wobei sie wie eine vom leisen Winde geschaukelte Ranke
+bebte. Ich aber stand da in beständig wachsender Verwirrung, mit
+gesträubten Wangenhaaren und weit aufgeblühten Augen und konnte nur
+mühsam einige Worte von dem unverhofften Glück, sie hier zu treffen,
+hervorstammeln. Als sie aber meine große Zaghaftigkeit bemerkte, schien
+sie selber ruhiger zu werden. Sie setzte sich wieder auf die Bank und
+lud mich mit einer lässigen Bewegung ihrer Lotushand ein, neben ihr
+Platz zu nehmen, während sie mit einer Stimme, die sehr leicht und gar
+lieblich zitterte, mir versicherte, sie sei sehr glücklich über diese
+Gelegenheit, mir zu danken, weil ich ihr den Ball mit solcher
+Geschicklichkeit zurückgeworfen hätte, daß keine Störung im Spiel
+entstanden sei; denn wäre das geschehen, so würde ihr ganzes Verdienst
+dahin gewesen sein, und die von ihr ungeschickt verehrte Göttin hätte
+ihr gezürnt oder ihr wenigstens kein Glück geschenkt. Darauf antwortete
+ich, sie habe mir nicht zu danken, da ich höchstens das wieder gut
+gemacht hätte, was ich selber verfehlt; und als sie nicht verstand, wie
+ich das meinte, wagte ich sie daran zu erinnern, wie unsere Blicke sich
+begegnet hatten und sie darob verwirrt den Ball schief traf, so daß er
+ihr davonflog. Sie aber errötete heftig und wollte das durchaus nicht
+zugeben--was hätte sie denn auch dabei verwirren können?
+
+"Ich denke," antwortete ich, "daß meine weit aufgeblühten Augen
+gleichsam einen solchen Duft von Bewunderung haben entströmen lassen,
+daß du dadurch einen Augenblick betäubt wurdest und mit der Hand daneben
+schlugst."
+
+"Ei, was sprichst du mir da von Bewunderung," antwortete sie, "du bist
+ja gewohnt, in deiner Heimat noch viel geschicktere Spielerinnen zu
+sehen."
+
+Aus dieser Äußerung entnahm ich mit Genugtuung, daß man sich über mich
+unterhalten hatte, und daß meine an Somadatta gerichteten Worte ihr
+getreulich mitgeteilt worden waren. Doch wurde mir auch heiß und kalt
+bei dem Gedanken, daß ich ja fast geringschätzig über sie gesprochen
+hatte, und ich beeilte mich, ihr zu versichern, daß daran kein wahres
+Wort gewesen wäre, und daß ich nur so gesprochen hätte, um nicht mein
+süßes Geheimnis dem Freunde preiszugeben. Das wollte sie aber nicht
+glauben, oder tat wenigstens so; und darüber vergaß ich dann glücklich
+meine ganze Schüchternheit, geriet in großen Eifer, um sie zu
+überzeugen, und erzählte ihr, wie bei ihrem Anblick der Liebesgott seine
+Blumenpfeile auf mich hatte regnen lassen. Ich sei überzeugt, daß sie in
+einem früheren Leben meine Frau gewesen sei, denn woher käme wohl sonst
+eine so plötzliche und unwiderstehliche Liebe? Wenn dem aber so sei,
+dann müsse doch auch sie in mir ihren ehemaligen Gemahl erkannt haben,
+und es müsse auch bei ihr eine solche Liebe entstanden sein.
+
+Mit solchen dreisten Worten drang ich ungestüm auf sie ein, bis sie
+endlich ihre glühende, tränenperlende Wange an meiner Brust verbarg und
+mir in kaum hörbaren Worten gestand, daß es ihr ebenso gegangen sei wie
+mir, und daß sie gewiß gestorben wäre, wenn ihre Milchschwester ihr
+nicht noch rechtzeitig das Bild gebracht hätte.
+
+Dann küßten und herzten wir uns unzählige Male und meinten vor Wonne
+vergehen zu müssen, bis plötzlich der Gedanke an meine unmittelbar
+bevorstehende Abreise wie ein schwarzer Schatten über meine Fröhlichkeit
+fiel und mir einen tiefen Seufzer erpreßte.
+
+Erschrocken fragte Vasitthi, warum ich also seufzte. Als ich ihr aber
+dann den Grund nannte, sank sie wie ohnmächtig auf die Bank zurück, und
+brach in einen unerschöpflichen Tränenstrom und in herzzerreißendes
+Schluchzen aus. Vergeblich waren meine Versuche, die innig Geliebte zu
+trösten. Umsonst versicherte ich ihr, daß ich, sobald die Regenzeit
+vorüber sei, zurückkehren und sie dann nimmermehr verlassen wolle, wenn
+ich mich auch als Tagelöhner in Kosambi verdingen müsse.--In den Wind
+gesprochen waren alle Beteuerungen, daß meine Verzweiflung bei der
+Trennung nicht geringer sei als die ihre, und daß nur die harte,
+unerbittliche Notwendigkeit mich so bald von ihr wegrisse. Kaum daß sie
+unter Schluchzen ein paar Worte hervorbringen konnte, um zu fragen,
+warum es denn so notwendig sei, schon morgen, nachdem wir uns eben erst
+gefunden hätten, abzureisen--und als ich ihr dies dann sehr genau und
+umständlich erklärte, schien sie keine Silbe davon zu hören oder zu
+verstehen. O, sie sähe schon, daß ich mich danach sehne, nach meiner
+Vaterstadt zurückzukommen, wo es noch viel schönere Mädchen als sie
+gäbe, die auch viel besser Ball spielen könnten, wie ich es ja selber
+gesagt hätte!
+
+Ich mochte sagen, beteuern und beschwören was ich wollte--sie blieb
+dabei, und immer reichlicher flossen ihre Tränen. Kann man sich wundern,
+daß ich bald darauf zu ihren Füßen lag, ihre schlaff herabhängende Hand
+mit Küssen und Tränen bedeckte und ihr versprach, nicht abzureisen? Und
+wer war dann seliger als ich, als Vasitthi mich nun mit ihren weichen
+Armen umschlang und mich wieder und wieder küßte und vor Freude lachte
+und weinte. Freilich sagte sie nun gleich: "Da siehst du, es ist gar
+nicht so notwendig, daß du schon wegreisest, denn dann müßtest du es ja
+unbedingt tun."--Als ich mich aber anschickte, ihr Alles noch einmal
+auseinanderzusetzen, schloß sie mir den Mund mit einem Kusse und sagte,
+sie wisse, daß ich sie liebe, und sie meine nicht wirklich, was sie von
+den Mädchen meiner Vaterstadt gesagt hätte. Unter zärtlichen
+Liebkosungen und traulichem Plaudern flogen die Stunden wie im Traume
+dahin, und es wäre kein Ende all der Seligkeit gewesen, wenn nicht
+plötzlich Somadatta mit Medini gekommen wäre, um uns zu sagen, daß es
+die höchste Zeit sei, an die Heimkehr zu denken.
+
+In unserem Hofe fanden wir Alles zum Aufbruch bereit. Ich rief den
+Führer der Ochsenkarren und schickte ihn eiligst zum Gesandten mit dem
+Bescheid, daß mein Geschäft leider noch nicht völlig erledigt sei, und
+ich infolgedessen darauf verzichten müsse, die Heimreise unter dem
+Schutze der Gesandtschaft zu machen. Ich bat ihn nur, meinen Eltern
+einen Gruß zu bringen und empfahl mich seiner Gewogenheit.
+
+Kaum hatte ich mich auf mein Lager gestreckt, um--wenn möglich--einiger
+Stunden Schlafes zu genießen, als der Gesandte selber hereintrat.
+Erschrocken sprang ich auf und verbeugte mich tief vor ihm, während er
+mit ziemlich barscher Stimme fragte, was dies unglaubliche Betragen
+bedeuten sollte--ich hätte ihm sofort zu folgen.
+
+Nun wollte ich anfangen, von meinem noch immer unbeendigten Geschäft zu
+reden, aber er unterbrach mich gebieterisch:
+
+"Ach was, Geschäft! Laß es mit der Lüge jetzt genug sein. Ich sollte
+wohl wissen, was für Geschäfte im Gange sind, wenn ein junger Fant
+plötzlich eine Stadt nicht verlassen kann, selbst wenn ich nicht gesehen
+hätte, daß deine Ochsenkarren vorgespannt und beladen im Hofe halten."
+
+Da stand ich nun blutrot und zitternd als ein vollkommen Ertappter. Als
+er mich aber ihm augenblicklich zu folgen hieß, da schon ohnehin zu viel
+der kostbaren kühlen Tageszeit verloren gegangen sei, stieß er bei mir
+auf einen Widerstand, mit dem er offenbar nicht gerechnet hatte. Vom
+befehlenden Ton ging er zum drohenden, von diesem zuletzt zum bittenden
+über. Er erinnerte mich daran, wie meine Eltern sich nur deshalb
+entschlossen hätten, mich auf eine so weite Reise zu schicken, weil sie
+gewußt, daß ich sie in seiner Begleitung und unter seinem Schutze hin
+und zurück machen könnte.
+
+Er hätte aber keinen für seinen Zweck weniger geeigneten Grund ins Feld
+führen können. Denn ich sagte mir sofort: dann würde ich ja auch wohl
+warten müssen, bis wieder einmal eine Gesandtschaft nach Kosambi ginge,
+bevor ich zu meiner Vasitthi zurückkehren könnte! Nein, ich wollte
+meinem Vater schon zeigen, daß ich wohl imstande sei, allein eine
+Karawane durch alle Beschwerlichkeiten und Gefahren des Weges zu leiten.
+
+Diese Gefahren schilderte mir der Gesandte nun zwar drohend genug, aber
+das alles war in den Wind gesprochen. Endlich verließ er mich in großem
+Zorn: ihn treffe keine Schuld, ich müsse jetzt selber meine Torheit
+ausbaden.
+
+Mir war es, als ob eine große Last von mir genommen wäre. Ich hatte mich
+ja jetzt so ganz meiner Liebe hingegeben. In diesem süßen Bewußtsein
+schlief ich fest ein und erwachte erst, als es Zeit war, sich nach der
+Terrasse zu begeben, wo unsere Geliebten unser harrten.
+
+Nacht um Nacht trafen wir uns nun dort, und bei jeder Begegnung
+entdeckten wir neue Schätze in unserer gegenseitigen Neigung und trugen
+eine noch größere Sehnsucht nach dem Wiedersehen von dannen. Das
+Mondlicht wollte mir silberner erscheinen, der Marmor kühler, der Duft
+der Doppeljasminen berauschender, der Ruf der Kokila liebestrunkener,
+das Rauschen der Palmen träumerischer und das unruhige Flüstern der
+Asokas noch verheißungsvoller, als diese Dinge sonstwo in der Welt sein
+mochten.
+
+O, wie deutlich besinne ich mich auf jene herrlichen Asokas, die längs
+der ganzen Terrasse standen, und unter denen wir so oft gewandelt sind,
+uns mit den Armen umschlungen haltend! "Die Terrasse der Sorgenlosen"
+wurde sie nach diesen Bäumen genannt, denn "den sorgenlosen Baum" und
+auch "Herzensfrieden" nennen ja die Dichter den Asoka, den ich nirgends
+so schön gewachsen gesehen habe wie gerade dort. Die speerförmigen,
+nimmer ruhigen Blätter glänzten in den Mondstrahlen und lispelten im
+leisen Nachtwinde, und zwischen ihnen glühten die goldigen,
+orangefarbenen und scharlachroten Blumen, obschon die Vasantazeit erst
+im Anzuge war. Aber wie sollten denn auch, o Bruder, diese Bäume dort
+nicht schon in voller Blütenpracht stehen, da der Asoka ja gleich seine
+Knospen öffnet, sobald der Fuß eines schönen Mädchens seine Wurzeln
+berührt!
+
+In einer wunderbaren Vollmondnacht--mir ist's, als sei es gestern
+gewesen--stand ich unter diesen Bäumen neben der holden Ursache ihrer
+Frühblüte, meiner lieblichen Vasitthi. Über den tiefen Schatten der
+Schlucht schauten wir weit hinaus ins Land, sahen die Silberbänder der
+beiden Flüsse sich durch die ungeheure Ebene winden und sich an der
+hochheiligen Stätte vereinigen, die sie die "Dreilocke" nennen, weil sie
+glauben, daß die himmlische Ganga als dritte sich dort mit ihnen
+verbinde. Diese zeigte mir aber Vasitthi über den Wipfeln der
+Bäume--denn mit diesem schönen Namen nennen sie ja hier das
+Himmelslicht, das wir im Süden als die Milchstraße kennen.
+
+Dann sprachen wir von dem mächtigen Himavat im Norden, aus dem die Ganga
+herflutete, dessen Schneegipfel die Wohnung der Götter, dessen
+unermeßliche Wälder und tiefe Felsenklüfte der Aufenthalt der großen
+Asketen waren. Noch lieber aber folgte ich der Jamuna aufwärts.
+
+"O," rief ich, "daß ich doch einen Märchennachen hätte, aus
+Perlmutterschale, von meinen Wünschen besegelt, von meinem Willen
+gelenkt, damit er uns jenen silbernen Strom hinauftragen könnte. Dann
+müßte sich die Ilfenstadt wieder aus ihren Trümmern erheben, und die
+ragenden Paläste würden vom Gelage der Zecher und vom Streit der
+Würfelspieler widerhallen. Der Sand Kurukschetras müßte seine Toten
+wiedergeben. Da würde der greise Bhishma, in silberner Rüstung und
+weißem Gelock auf hohem Wagen emporragend, seine glattröhrigen Pfeile
+über die Feinde regnen lassen; der tapfere Phagadatta würde auf seinem
+kampfwütigen, rüsselschwingenden Ilfenstier heranstürmen, der gewandte
+Krishna das weiße Viergespann Arjunas in das wildeste Kampfgetümmel
+hineinjagen. O, wie sehr habe ich den Gesandten um seine Zugehörigkeit
+zur Kriegerkaste beneidet, als er mir sagte, seine Vorfahren hätten an
+jener unvergeßlichen Schlacht teilgenommen! Aber das war töricht! Denn
+nicht nur im Geschlechte gibt es ja Vorfahren, sondern wir selber sind
+unsere eigenen Vorfahren. Wo war ich damals? Vielleicht eben dort, unter
+den Kämpfenden. Denn obwohl ich ein Kaufmannssohn bin, habe ich immer
+meine größte Freude an Waffenspielen gehabt, und ich darf wohl sagen,
+daß ich mit dem Degen in der Hand meinen Mann stelle."
+
+Vasitthi umarmte mich stürmisch und nannte mich ihren Helden: ich sei
+ganz gewiß einer jener Heroen, die in den Liedern leben. Welcher,
+könnten wir freilich nicht wissen, da durch diesen süßen Wohlgeruch der
+sorgenlosen Bäume der Duft des Korallenbaumes kaum zu uns dringen würde.
+
+Ich fragte sie, was denn das für ein Duft sei, denn davon hatte ich nie
+etwas gehört--wie ich denn überhaupt fand, daß, wie alles andere, auch
+das Märchen hier an der Ganga üppiger blühte als bei uns im Gebirge.
+
+Und sie erzählte mir, wie Krishna einst auf seinem Fluge durch Indras
+Welt im Kampfspiel den himmlischen Korallenbaum gewonnen und ihn in
+seinen Garten gepflanzt habe, einen Baum, dessen tiefrote Blüten weit in
+die Runde ihren Duft verbreiten. Und wer diesen Duft eingesogen habe,
+der erinnere sich in seinem Herzen langer, langer Vergangenheit, längst
+entschwundener Zeiten aus früheren Leben.
+
+"Aber nur die Heiligen können schon hier auf Erden diesen Duft
+einatmen," sagte sie und fügte fast schalkhaft hinzu: "und wir beide
+werden wohl keine werden. Aber was tut's? Wenn wir auch nicht Nala und
+Damayanti waren, so haben wir uns gewiß so lieb gehabt wie sie,--welche
+nun auch unsere Namen gewesen sein mögen. Und vielleicht sind Liebe und
+Treue das einzig Wirkliche, das Namen und Gestalten wechselt. Sie sind
+die Melodien, und wir die Lauten, auf denen sie gespielt werden. Die
+Laute zerbricht, und eine andere wird gestimmt; aber die Melodie bleibt
+dieselbe. Sie klingt freilich voller und feiner auf dem einen Instrument
+als auf dem anderen, wie ja auch meine neue Vina viel schöner tönt als
+die alte. Wir aber sind zwei herrliche Lauten für die Götter darauf zu
+spielen, die wonnigste aller Weisen darauf ertönen zu lassen."
+
+Ich drückte sie stumm an mich, innig ergriffen und verwundert ob solcher
+seltsamen Gedanken. Sie aber fügte mit leisem Lachen hinzu, indem sie
+wohl meine Gedanken erriet:
+
+"Freilich darf ich eigentlich nicht solche Gedanken haben, denn unser
+alter Hausbrahmane wurde einmal recht böse, als ich etwas Ähnliches
+verlauten ließ: ich solle nur zu Krishna beten und das Denken den
+Brahmanen überlassen. Da ich nun also nicht denken, wohl aber glauben
+darf, so will ich glauben, daß wir wirklich und wahrhaftig Nala und
+Damayanti waren."
+
+Und indem sie ihre Hände betend zum blütenschimmernden,
+blätterflimmernden Wipfel vor uns emporhob, sprach sie den Baum an mit
+den Worten, die Damayanti, im Walde umherirrend, an den Asoka richtet,
+nur daß die schmiegsamen Clokaverse des Dichters sich wie von selber auf
+ihren Lippen mehrten und reicher blühten, wie ein Schößling, der in
+geweihten Boden umgepflanzt ist:
+
+"Du Sorgenloser! der Wehklage lausche der sorgenvollen Maid!
+Der du den Namen trägst 'Herzfrieden'! diesem Herzen den Frieden schenk'!
+Mit Blumenaugen umherspähend, sprechend mit Blätterzungen fein,
+Gieb Kunde mir, wo mein Herzwalter wandert, wo jetzt mein Nala weilt".
+
+Dann blickte sie mich mit liebevollen Augen an, in deren Tränen das
+Mondlicht sich spiegelte, und sagte mit bebenden Lippen:
+
+"Wenn du fern von hier bist und an diesen Ort unserer Seligkeit
+zurückdenkst, dann stelle dir vor, daß ich hier stehe und so mit diesem
+schönen Baume spreche. Nur sage ich dann nicht 'Nala', sondern
+'Kamanita'."
+
+Ich schloß sie in meine Arme und preßte meine Lippen auf die ihren.
+
+In diesem Augenblick rauschte der Wipfel über uns. Eine große, leuchtend
+rote Blume schwebte herab und ließ sich auf unsere tränenfeuchten Wangen
+nieder. Vasitthi nahm sie lächelnd in die Hand, weihte sie mit einem
+Kusse und reichte sie mir. Ich verbarg sie an meiner Brust.
+
+Mehrere Blumen waren in dem Baumgange zur Erde gefallen. Medini, die
+neben Somadatta auf einer Bank nicht weit von uns entfernt saß, sprang
+auf, und, einige gelbe Asokablüten emporhaltend, rief sie, indem sie auf
+uns zukam:
+
+"Sieh, Schwester! Die Blumen fangen schon an abzufallen. Bald werden
+genug für dein Bad da sein."
+
+"Aber diese gelben darf Vasitthi freilich nicht in ihr Badewasser tun,"
+fügte mein immer schalkhafter Freund hinzu, "wenn ihr blumenhafter Leib
+ihrer Liebe gemäß blühen soll, sondern nur solche scharlachrote, wie
+jene, die Freund Kamanita soeben in seinem Gewande verbarg. Denn im
+goldenen Buch der Liebe heißt es: 'Safrangelbe Neigung nennt man sie,
+wenn sie zwar in die Augen fällt, aber wieder verloren geht;
+scharlachrot aber nennt man sie, wenn sie nicht wieder verloren geht und
+übermäßig in die Augen fällt'"
+
+Dabei lachten er und seine Medini auf ihre lustige, vertrauliche Weise.
+
+Vasitthi aber antwortete ernst, wenn auch mit ihrem süßen Lächeln, indem
+sie meine Hand fest und sanft drückte:
+
+"Du irrst dich, lieber Somadatta! Meine Liebe hat keine Blumenfarbe.
+Denn ich habe sagen hören, die Farbe der echtesten Liebe sei nicht rot,
+sondern schwarz--schwarz wie der Hals Qivas wurde, als der Gott das Gift
+verschlang, das sonst die Wesen vernichtet hätte. Und so muß es auch
+sein: auch das Gift des Lebens muß die wahre Liebe vertragen können, und
+willig muß sie das Bitterste kosten, um es dem Geliebten zu ersparen.
+Und gewiß wird sie lieber davon ihre Farbe wählen, als von allen
+leuchtenden Freuden."
+
+Also sprach meine geliebte Vasitthi in jener Nacht unter den sorgenlosen
+Bäumen.
+
+
+
+
+VII. IN DER SCHLUCHT
+
+
+Tief bewegt durch diese lebhafte Erinnerung, schwieg der Pilger eine
+kleine Weile. Dann seufzte er, strich sich mit der Hand über die Stirn
+und fuhr in seiner Erzählung fort.
+
+Kurz, Bruder, ich ging während dieser ganzen Zeit wie in einem Rausche
+von Seligkeit umher, und meine Füße schienen kaum mehr die Erde zu
+berühren. Einmal mußte ich laut lachen, weil ich hörte, daß es Leute
+gebe, die diese Welt ein Jammertal nennen und ihre Gedanken und Wünsche
+darauf richten, nicht mehr unter den Menschen wiedergeboren zu werden.
+"Welch ausgemachte Toren, Somadatta!" rief ich, "als ob es einen
+vollkommeneren Ort der Seligkeit geben könnte als die Terrasse der
+Sorgenlosen."
+
+Aber unter der Terrasse war die Schlucht.
+
+In diese waren wir gerade hinuntergeklettert, als ich jene törichten
+Worte ausrief, und als sollte mir gezeigt werden, daß auch die höchste
+Erdenwonne ihre Bitterkeit hat, wurden wir in demselben Augenblick von
+mehreren bewaffneten Männern angefallen. Wie viele es waren, vermochten
+wir in der tiefen Dunkelheit nicht zu unterscheiden. Glücklicherweise
+konnten wir uns den Rücken durch die Felsenwand decken, und mit dem
+beruhigenden Bewußtsein, nur von vorn bedroht zu sein, fingen wir an,
+für unser Leben und unsere Liebe zu fechten. Wir bissen die Zähne
+zusammen und waren schweigsam wie die Nacht, während wir so ruhig wie
+möglich parierten und stießen; unsere Gegner aber heulten wie die
+Teufel, um sich gegenseitig anzufeuern, und wir vermeinten acht bis zehn
+Stimmen unterscheiden zu können. Wenn sie nun auch ein paar bessere
+Degen vorfanden, als sie erwartet haben mochten, so war unsere Stellung
+doch ernst genug. Bald lagen aber zwei von ihnen auf der Erde, und ihre
+Körper hinderten die anderen, die fürchteten, über sie zu stolpern und
+so unseren Schwertspitzen überliefert zu werden, beträchtlich am
+Kämpfen. Sie mochten sich einige Schritte zurückgezogen haben, denn wir
+fühlten nicht mehr ihren heißen Atem im Gesicht.
+
+Ich flüsterte Somadatta ein paar Worte zu, und wir rückten mehrere
+Schritte zur Seite, in der Hoffnung, daß die Angreifer, uns an der alten
+Stelle wähnend, einen plötzlichen Vorstoß machen und dabei anstatt an
+uns an die Felsenwand geraten und an dieser ihre Schwertspitzen
+zerbrechen würden, während die unserigen ihnen gehörig zwischen die
+Rippen fahren sollten. Obwohl wir nun die äußerste Vorsicht
+beobachteten, muß aber doch wohl ein leises Geräusch ihren Verdacht
+erweckt haben. Denn der erhoffte blinde Angriff erfolgte nicht, wohl
+aber sah ich plötzlich einen schmalen Lichtstreif die Wand treffen und
+wurde auch gewahr, daß dieser Strahl von einem Lampendocht herkam, der
+offenbar in einer vorsichtig geöffneten Dose steckte, neben der sich
+auch eine warzige Nase und ein zusammengekniffenes Auge zeigten.
+
+Da die Bambusstange, mit deren Hilfe wir die Terrasse erklommen hatten,
+glücklicherweise sich noch in meiner linken Hand befand, stieß ich
+beherzt zu--ein lauter Schrei, das Verschwinden des Strahls und das
+Klirren des zu Boden gefallenen Lämpchens bezeugten, wie gut ich
+getroffen hatte; und diesen Augenblick benutzten wir nun, in der
+Richtung, in der wir gekommen waren, eilends davon zu laufen. Wir
+wußten, daß hier die Kluft allmählich enger wurde und ziemlich steil
+aufstieg, und daß man zuletzt ohne übermäßige Mühe die Höhe erklettern
+konnte. Doch war es ein großes Glück, daß unsere Angreifer die
+Verfolgung in der Finsternis sehr bald aufgaben, denn beim letzten
+Aufstieg drohten meine Kräfte mich zu verlassen, und ich fühlte, daß ich
+aus mehreren Wunden heftig blutete; auch mein Freund war verwundet,
+obschon leichter.
+
+Oben angekommen, zerschnitten wir mein Gewand und verbanden notdürftig
+unsere Wunden, und so gelangte ich denn endlich, auf Somadattas Arm
+gestützt, glücklich nach Hause, wo ich dann mehrere Wochen auf dem
+Schmerzenslager zubringen mußte.
+
+Da lag ich nun, von dreifachem Leid geplagt. Denn die Wunden und das
+Fieber verbrannten mir den Leib, und sehrende Sehnsucht nach der
+Geliebten verzehrte meine Seele--bald aber kam noch die Besorgnis um ihr
+teures Leben hinzu. Denn das zarte, blumenhafte Wesen hatte die
+Nachricht von der tödlichen Gefahr, in der ich geschwebt hatte und
+vielleicht noch immer schwebte, nicht ertragen können und war von einer
+schweren Krankheit befallen worden. Ihre getreue Milchschwester Medini
+ging aber tagtäglich von einem Krankenlager zum anderen, und so fehlte
+es uns wenigstens nicht an dauernder Verbindung und an sinnigem Verkehr.
+Blumen wanderten zwischen uns hin und her, und da wir beide in die
+Wissenschaft der Blumensprache eingeweiht waren, vertrauten wir uns
+durch diese lieblichen Boten gar mancherlei an. Später, als unsere
+Kräfte sich hoben, fand auch manch zierlicher Vers den Weg von Hand zu
+Hand, und so hätte unser Zustand sich bald recht erträglich gestaltet,
+wenn nicht mit der Genesung, der wir in gleichem Schritt uns
+näherten--gleichsam zu treu verbunden, als daß der eine dem anderen
+darin vorauseilen wollte--auch die Zukunft an uns herangetreten wäre und
+uns mit schweren Sorgen erfüllt hätte.
+
+Es war uns nämlich nicht verborgen geblieben, welcher Art jener
+scheinbar so rätselhafte Überfall gewesen war. Kein anderer als der Sohn
+des Ministers--Satagira war sein verhaßter Name--, mit dem ich an jenem
+unvergeßlichen Nachmittage im Parke um Vasitthis Ball gerungen hatte:
+kein anderer war es als er, der die gedungenen Mörder auf mich gehetzt
+hatte. Ohne Zweifel hatte er bemerkt, daß ich nach der Abreise der
+Gesandtschaft noch immer in der Stadt zurückblieb, und sein dadurch
+geweckter Argwohn hatte gar bald meine nächtlichen Besuche auf der
+Terrasse erspäht.
+
+Ach, jene Terrasse der Sorgenlosen war unserer Liebe jetzt wie ein
+versunkenes Eiland. Wohl hätte ich freudig immer wieder und wieder mein
+Leben in die Schanze geschlagen, um die Holde dort zu umfangen. Aber
+selbst wenn Vasitthi das Herz gehabt hätte, mich allnächtlich tödlicher
+Gefahr auszusetzen, so blieb uns doch eine solche Versuchung erspart.
+Der böse Satagira mußte die Eltern meiner Geliebten von unseren geheimen
+Zusammenkünften unterrichtet haben, denn es zeigte sich bald, daß
+Vasitthi sorgfältig und argwöhnisch überwacht wurde, und daß der
+Aufenthalt auf der Terrasse ihr nach Sonnenuntergang verboten
+war--angeblich wegen ihrer noch gefährdeten Gesundheit.
+
+So war denn unsere Liebe obdachlos! Die sich so gern im Verborgenen
+heimisch fühlt, durfte nur dort zu Hause sein, wo es alle Welt war!--In
+jenem öffentlichen Garten, wo ich zuerst ihre göttliche Gestalt erblickt
+und sie ein paarmal schon vergebens gesucht hatte, trafen wir uns wie
+von ungefähr. Aber was für eine Begegnung war das! Wie flüchtig die
+gestohlenen Minuten, wie zaghaft und sparsam die hastigen Worte, wie
+gezwungen die Bewegungen, die sich neugierigen oder wohl gar spähenden
+Blicken ausgesetzt fühlten! Vasitthi beschwor mich, die Stadt, wo mir in
+ihrer Nähe tödliche Gefahr drohte, sofort zu verlassen. Sie klagte sich
+bitter an, daß sie an jenem unvergeßlichen ersten Abend auf der Terrasse
+durch ihren Eigensinn mich zum Bleiben überredet und mich dadurch
+beinahe schon in den Rachen des Todes getrieben habe; vielleicht würden
+in diesem Augenblick neue Meuchelmörder gegen mich gedungen. Wenn ich
+mich nicht durch schleunigste Abreise dieser Gefahr entzöge, machte ich
+sie zur Mörderin ihres Liebsten! Unterdrücktes Schluchzen erstickte ihre
+Stimme, und ich mußte daneben stehen, ohne sie in meine Arme schließen
+und ihr die Tränen, die schwer wie Gewittertropfen ihre blassen Wangen
+herabrollten, wegküssen zu können. Einen solchen Abschied ertrug ich
+nicht, und ich erklärte ihr, ich könne nicht von dannen reisen, ohne
+vorher eine Zusammenkunft mit ihr zu haben, wie diese nun auch zu
+bewerkstelligen sei.
+
+Vasitthis verzweifelt flehender Blick, als wir gerade in diesem Moment
+durch das Nahen mehrerer Personen uns zu trennen genötigt wurden, konnte
+meinen Entschluß nicht zum Wanken bringen. Ich vertraute auf die
+Erfindungsgabe meiner Geliebten, die nunmehr, durch Sehnsucht nach mir
+und durch Angst um mein Leben angespornt und von der schlauen und in
+Liebessachen bewanderten Milchschwester Medini beraten, gewiß einen
+Ausweg finden würde. Hierin täuschte ich mich nicht; denn noch in
+derselben Nacht konnte Somadatta mir ihren recht verheißungsvollen Plan
+mitteilen.
+
+
+
+
+VIII. DIE PARADIESKNOSPE
+
+
+Etwas außerhalb der östlichen Mauer Kosambis liegt ein schöner
+Sinsapawald der eigentlich ein heiliger Hain ist. Auf einer Lichtung
+steht noch das Heiligtum, freilich in sehr verfallenem Zustande. Schon
+längst fand in diesem uralten Tempelchen kein Opferdienst mehr statt,
+weil dem Krishna, dem es geweiht ist, ein neuer, weit größerer und
+prachtvoller Tempel in der Stadt selber erstanden war. In der Ruine aber
+hauste außer einem Eulenpaar eine Heilige, die des Rufes genoß, mit
+Geistern in Verbindung zu stehen, durch deren Hilfe sie einen Einblick
+in die Zukunft bekam--einen Einblick, den die gute Seele Opfergabe
+darbietenden Mitmenschen nicht vorenthielt. Solche pilgerten denn auch
+in großer Zahl zu ihr hin, und zwar vornehmlich nach Sonnenuntergang
+junge verliebte Leute beiderlei Geschlechts, und es gab böswillige
+Zungen, die behaupteten, die Alte sei eher eine Kupplerin, denn eine
+Heilige zu nennen. Wie dem nun auch sein möge, _diese_ Heiligkeit war
+gerade das, was wir brauchten, und ihr Tempelchen wurde als Stätte
+unserer Zusammenkunft ausersehen.
+
+Am nächsten Tage zog ich mit meinen Ochsenkarren ab, und zwar zu der
+Stunde, da sich die Leute in den Bazar oder in die Gerichtshalle
+begaben. Dabei wählte ich geflissentlich die belebtesten Straßen, so daß
+meine Abreise meinem Feinde Satagira gewiß kein Geheimnis bleiben
+konnte. Aber schon nach wenigen Stunden der Fahrt machte ich in einem
+großen Dorfe Halt und ließ meine Karawane dort ihr Nachtquartier
+beziehen, zu nicht geringer Freude meiner Leute. Ich selbst bestieg ein
+frisches Pferd und ritt gegen Sonnenuntergang, in den groben Mantel
+eines meiner Diener gehüllt, denselben Weg nach Kosambi zurück.
+
+Es war völlig Nacht geworden, bis ich den Sinsapawald erreichte. Als ich
+behutsam mein Reittier zwischen die Stämme hineinlenkte, wurde ich, wie
+zum Willkommen, von dem herrlichen Dufte der Nachtlotusblüten auf dem
+alten Krishnateiche empfangen. Bald zeichnete das zerbröckelnde, von
+Götterbildern wimmelnde Tempeldach seine zackigen und wirren Formen
+gegen den sternenfunkelnden Himmel. Ich war am Ziele. Kaum hatte ich
+mich aus dem Sattel geschwungen, so waren auch meine Freunde schon an
+meiner Seite. Mit einem Aufschrei des Entzückens stürzten Vasitthi und
+ich einander in die Arme, halb besinnungslos vor Freude des
+Wiedersehens, und ich weiß nur noch von Liebkosungen, stammelnden Worten
+der Zärtlichkeit und Beteuerung unserer Liebe und Treue, bis ich jäh
+emporschrak durch das unerwartete Gefühl eines weich fächelnden
+Fittichs, der mir die Wange streifte, worauf sofort der Schrei einer
+Eule und der häßliche Klang einer gesprungenen Bronzeglocke mich völlig
+aus der Liebesverzückung erweckten.
+
+Medini hatte am Strange der alten Gebetglocke gezogen und dadurch die
+Eule aus der Nische, in der sie hauste, verscheucht. Dies tat das gute
+Mädchen nicht so sehr, um die Heilige zu rufen, als vielmehr, weil sie
+sah, daß diese schon zum Tempelchen herauskam, offenbar ungehalten, weil
+sie Stimmen im heiligen Bezirk vernommen hatte, ohne daß geläutet oder
+angepocht worden wäre.
+
+Medini erklärte der Alten, der große Ruf ihrer Heiligkeit und ihrer
+erstaunlichen Kenntnisse habe sie und diesen jungen Mann--wobei sie auf
+Somadatta zeigte--bewogen, sie aufzusuchen, um Auskunft über das zu
+erhalten, was von der Zeit noch verborgen sei. Die Heilige erhob prüfend
+den Blick zum Himmel und meinte, da das Siebengestirn gerade eine
+ungemein günstige Stellung zum Polarstern einnähme, dürfte sie
+wohl hoffen, daß die Geister ihre Hilfe nicht versagen würden;
+worauf sie Somadatta und Medini einlud, in das Haus Krishnas, des
+sechzehntausendeinhundertfachen Bräutigams[1], einzutreten, der einem
+liebenden Paar gern seine Herzenswünsche gewähre. Vasitthi und ich
+blieben aber, als vermeintliche Dienerschaft, draußen zurück.
+
+ [1] Die sich an diesen seltsamen Namen knüpfende Legende wird im
+ Kapitel "Buddha und Krishna" erzählt--s.S. 242 ff.
+
+Wie wir uns nun zuschwuren, daß nur der Alles hinraffende Tod uns sollte
+trennen können, wie wir von meiner baldigen Rückkehr, sobald die
+Regenzeit vorüber wäre, sprachen und Mittel und Wege erörterten, um ihre
+sehr reichen Eltern dahin zu bringen, daß sie in unsere Verbindung
+einwilligten, und wie dies von unzähligen Küssen, Tränen und Umarmungen
+unterbrochen wurde: das wäre ich nicht einmal mehr imstande, dir genau
+zu erzählen, denn es ist in meinem Gedächtnis nur wie die Erinnerung an
+einen wirren Traum zurückgeblieben. Noch weniger aber kann ich, wenn du
+selbst nicht Ähnliches erlebt hast, dir eine Vorstellung davon geben,
+wie sich in jeder Umarmung wonniges Entzücken und herzzerreißende
+Verzweiflung umschlangen; denn eine jede gemahnte daran, daß die letzte
+für diesmal bald folgen würde; und wer stand dafür ein, daß diese dann
+nicht die letzte überhaupt war?
+
+Nur gar zu bald traten Somadatta und Medini wieder aus dem Tempel
+heraus. Die Heilige wollte nun auch uns die Zukunft offenbaren, aber
+Vasitthi entsetzte sich ob dieses Gedankens.
+
+"Wie sollte ich es denn ertragen, wenn eine unheildrohende Zukunft sich
+entschleierte?" rief sie aus.
+
+"Warum denn auch gerade unheildrohend?" meinte die wohlwollende Alte,
+die wohl wegen ihrer Heiligkeit freundliche Lebenserfahrungen gemacht
+haben mochte. "Auch dem Diener blüht das Glück," fügte sie
+verheißungsvoll hinzu.
+
+Aber Vasitthi ließ sich durch ihre Worte nicht locken; schluchzend
+umklammerte sie meinen Hals.
+
+"Ach, mein einzig Geliebter," rief sie, "mir ist es, als ob die Zukunft
+mit unerbittlichem Gesicht dreinschaute. O, ich fühle es,--ich werde
+dich nie mehr wiedersehen!"
+
+Obwohl mich diese Worte mit eisigem Schauer durchrieselten, versuchte
+ich ihr doch diese grundlose Angst auszureden; aber eben, weil sie
+grundlos war, vermochten meine beredtesten Worte wenig oder gar nichts.
+Die Tränen rollten unaufhaltsam über Vasitthis Wangen; mit einem Blick
+überirdischer Liebe ergriff sie meine Hand und drückte sie an ihre
+Brust.
+
+"Aber wenn wir uns hier nicht mehr sehen sollten, so wollen wir uns doch
+treu bleiben, und wenn dies kurze und leidenvolle Erdenleben vorüber
+ist, wollen wir uns im Paradiese wiederfinden und dort vereinigt auf
+immer himmlische Wonne genießen.... O, Kamanita! Versprich mir das--wie
+viel stärker wird das mich aufrichten als alle tröstenden Worte! Denn
+diese sind ja doch gegen den unvermeidlichen, schon heranbrausenden
+Schicksalsstrom so ohnmächtig wie das Schilf gegen die Wasserflut. Aber
+allmächtig, neues Leben gebärend, ist der heilige, feste Entschluß."
+
+"Wenn es nur darauf ankommt, geliebte Vasitthi--wie sollte ich dich dann
+nicht überall finden?" sagte ich, "aber hoffen wir, daß es in dieser
+Welt geschehen wird!"
+
+"Hier ist Alles unsicher, und schon der Augenblick, in dem wir sprechen,
+gehört uns nicht an--aber nicht so im Paradiese."
+
+"Ach, Vasitthi," seufzte ich, "gibt es ein Paradies--und wo liegt es?"
+
+"Wo die Sonne untergeht," sagte sie mit voller Überzeugung, "liegt das
+Paradies des grenzenlosen Lichtes, und Allen, die den Mut haben, das
+Irdische zu verachten und ihr Denken auf jenen Ort der Seligkeit zu
+richten, steht dort eine reine Geburt bevor, aus dem Schoße einer
+Lotusblume. Die erste Sehnsucht nach jenem Paradiese bringt dort im
+heiligen, kristallklaren See eine Knospe hervor, jeder reine Gedanke,
+jede gute Tat läßt sie anschwellen, während alles Böse, was in Gedanken,
+Wort und Tat vollbracht wird, wie ein Wurm in ihr nagt und sie dem
+Verwelken nahe bringt."
+
+Ihre Augen leuchteten gleich Tempelkerzen, als sie so sprach mit einer
+Stimme, die wie die lieblichste Musik klang.
+
+Dann erhob sie ihre Hand und zeigte hinauf, wo über den schwarzen
+Wipfeln der Sinsapabäume die Milchstraße sich in sanft strahlendem
+Alabasterglanz durch die mit funkelnden Sternen übersäte, purpurdunkle
+Himmelsebene streckte.--
+
+"Sieh dort, Kamanita," rief sie--"die himmlische Ganga! Schwören wir bei
+ihren silbernen Wellen, die die Lotusseen jener seligen Gefilde
+speisen,--unsere ganze Seele darauf zu richten, dort unserer Liebe eine
+ewige Heimat zu bereiten."
+
+Seltsam bewegt, hingerissen und in meinem Innersten tief erschüttert,
+erhob ich meine Hand zu der ihren, und unsere Herzen bebten gemeinsam
+bei dem göttlichen Gedanken, daß in diesem Augenblick in unabsehbaren
+Weltenfernen hoch über den Stürmen dieses irdischen Daseins eine
+Doppelknospe ewigen Liebeslebens sich bildete.
+
+Als ob hiermit ihre Kräfte erschöpft wären, sank Vasitthi in meine Arme,
+wo sie wie leblos liegen blieb, nachdem sie noch einen hinsterbenden
+Abschiedskuß auf meine Lippen gedrückt hatte.
+
+Ich legte sie sanft in die Arme Medinis, bestieg mein Pferd und ritt
+davon, ohne daß ich mich noch einmal umzusehen wagte.
+
+
+
+
+IX. UNTER DEM RÄUBERGESTIRN
+
+
+Als ich das Dorf, wo meine Leute Nachtquartier bezogen hatten, wieder
+erreichte, zögerte ich nicht, diese zu wecken, und schon ein paar
+Stunden vor Sonnenaufgang war die Karawane unterwegs.
+
+Am zwölften Tage erreichten wir um die Mittagsstunde ein gar liebliches
+Tal in der waldigen Gegend Vedisas. Ein kleiner kristallklarer Fluß wand
+sich gemach durch die grünen Wiesen; die sanft ansteigenden Hügel waren
+mit blühendem Gebüsch bestanden, das einen würzigen Duft verbreitete;
+etwa in der Mitte der langgestreckten Talsohle und unfern dem Flüßchen
+erhob sich ein Nyagrodhabaum, dessen undurchdringliche Laubkuppel einen
+schwarzen Schatten auf die smaragdene Matte warf und, von ihren tausend
+Nebenstämmen gestützt, einen Hain bildete, in dem wohl zehn Karawanen
+wie die meinige hätten Obdach finden können.
+
+Die Stelle war mir von der Hinreise wohl erinnerlich, und ich hatte sie
+schon zur Lagerstätte ausersehen. Es wurde also Halt gemacht. Die
+wegmüden Ochsen wateten in den Strom hinaus und tranken begehrlich das
+kühle Naß, um sich dann am zarten Ufergras zu laben. Die Leute
+erfrischten sich durch ein Bad und machten sich dann gleich daran, dürre
+Zweige zu sammeln und ein Feuer zum Reiskochen anzuzünden, während ich
+selbst--auch durch ein Bad erfrischt--mich im tiefsten Schatten, an eine
+Wurzel des Hauptstammes angelehnt, hinstreckte, um an Vasitthi zu denken
+und bald in der Tat von ihr zu träumen. An der Hand des geliebten
+Mädchens schwebte ich durch paradiesische Gefilde.
+
+Ein großes Geschrei brachte mich jäh zur rauhen Wirklichkeit zurück. Als
+ob ein böser Zauberer sie aus der Erde hätte emporwachsen lassen,
+wimmelten bewaffnete Männer um uns herum, und das nahe Gebüsch entsandte
+immer neue. Sie waren schon bei den Wagen, die ich in einem Kreise um
+den Baum hatte aufstellen lassen, und fochten mit meinen Leuten, die
+alle im Gebrauch der Waffen geübt waren und sich tapfer verteidigten.
+Bald war ich mitten im Kampfgetümmel. Mehrere Räuber fielen von meiner
+Hand. Plötzlich sah ich einen großen, bärtigen Mann von schrecklichem
+Aussehen vor mir; sein Oberkörper war unbekleidet, und um den Hals trug
+er eine dreifache Reihe von Menschendaumen. Da wußte ich denn: "Das ist
+der Räuber Angulimala, der grausame, der blutgierige, der die Dörfer
+undörflich, die Städte unstädtlich, die Länder unländlich macht, der die
+Leute umbringt und ihre Daumen sich um den Hals hängt." Und ich glaubte
+schon, meine letzte Stunde sei gekommen.
+
+Wirklich schlug mir dies Ungetüm sofort das Schwert aus der Hand"-eine
+Leistung, die ich keinem Wesen aus Fleisch und Blut zugetraut hätte.
+Bald lag ich an Händen und Füßen gefesselt auf der Erde. Um mich her
+waren alle meine Leute erschlagen bis auf einen, einen alten Diener
+meines Vaters, der von der Menge überwältigt worden und, ebenso wie ich,
+unverwundet in Gefangenschaft geraten war. Ringsum, unter dem schattigen
+Dache des Riesenbaumes, in Gruppen gelagert, taten die Räuber sich
+gütlich.
+
+Jene kristallene Kette mit dem Tigerauge, von der ich dir schon erzählt
+habe, wie sie beim Ringkampf mit Satagira um Vasitthis Ball zerriß"-jene
+Kette, die mir meine gute Mutter beim Abschied als Amulett umgehängt
+hatte, war mir durch Angulimalas blutige Mörderhand vom Halse gezerrt
+worden. Noch viel schmerzlicher war mir aber der Verlust der Asokablume,
+die ich seit jener Nacht auf der Terrasse immer an meinem Herzen
+getragen hatte. Nicht weit von mir glaubte ich sie zu entdecken, ein
+rotes Flämmchen im zerstampften Grase, gerade dort, wo die jüngsten
+Räuber hin und her liefen, das dampfende Fleisch des schnell
+geschlachteten und gebratenen Rindes und Kürbisflaschen mit Branntwein
+den Schmausenden zu bringen. Mir war es, als ob sie mein Herz
+zerstampften, so oft ich meine arme Asokablume unter ihren schmutzigen
+Füßen verschwinden sah, um immer weniger leuchtend zum Vorschein zu
+kommen, bis ich sie gar nicht mehr erspähen konnte. Und ich dachte, ob
+wohl Vasitthi jetzt vor dem sorgenlosen Baume stände, um ihn zu
+befragen? Wie gut dann, daß er ihr nicht sagen konnte, wo ich weilte,
+denn gewiß hätte sie vor Schreck ihre zarte Seele ausgehaucht, wenn sie
+mich in dieser Umgebung gesehen hätte.
+
+Nur ein Dutzend Schritte von mir entfernt zechte der furchtbare
+Angulimala selber mit einigen seiner Vertrauten. Fleißig machte die
+Flasche die Runde, und die Gesichter"--mit Ausnahme eines einzigen, von
+dem ich noch später sprechen werde"--wurden immer röter, während die
+Räuber sich lebhaft, fast erregt unterhielten, ja bald in offenbaren
+Streit gerieten.
+
+Leider gehörte die Wissenschaft der Gaunersprache damals noch nicht zu
+meinen vielen Fähigkeiten--woraus man ersieht, wie wenig der Mensch
+beurteilen kann, welche Kenntnisse ihm am nützlichsten sein werden. Gar
+zu gern hätte ich den Sinn ihrer lauten Rede verstanden, denn ich konnte
+nicht in Zweifel sein, daß sie mich und mein Schicksal betraf. Die
+Mienen und Gebärden zeigten mir das mit unheimlicher Deutlichkeit, und
+wahre Flammenblicke, die unter den dichten, zusammengewachsenen Brauen
+des Häuptlings von Zeit zu Zeit nach mir herüberblitzten, ließen mich
+mein Amulett gegen den bösen Blick, das jetzt auf der zottigen Brust des
+Ungeheuers selber erglänzte, sehr vermissen. In der Tat hatte ich, wie
+ich später erfuhr, einen Liebling Angulimalas und dazu den besten Degen
+der ganzen Bande vor seinen Augen niedergestreckt, und der Häuptling
+hatte mich nur deshalb nicht getötet, weil er seine Rachsucht durch den
+Anblick meiner langsamen Todesmarter zu stillen gedachte. Die anderen
+aber wollten nicht zugeben, daß eine reiche Beute, die von Rechts wegen
+der ganzen Bande gehörte, auf solche Weise nutzlos vergeudet würde. Ein
+kahler, glatt rasierter Mann, der wie ein Priester aussah, fiel mir als
+Angulimalas Hauptgegner auf, der allein es verstand, diesen Wilden zu
+bändigen. Er war auch der einzige, dessen Gesichtsfarbe während des
+Zechens seine Blässe bewahrte. Nach einem langen Streit, währenddessen
+Angulimala ein paarmal in die Höhe fuhr und zum Schwerte griff, siegte
+schließlich--zu meinem Heile--der professionelle Gesichtspunkt.
+
+Die Bande Angulimalas gehörte nämlich zu den "Absendern"--so genannt,
+weil es zu ihren Regeln gehört, von zwei Gefangenen den einen
+abzusenden, damit er das geforderte Lösegeld auftreibe. Wenn sie einen
+Vater und seinen Sohn gefangen nahmen, hießen sie den Vater gehen, das
+Lösegeld für den Sohn zu beschaffen; von zwei Brüdern schickten sie den
+älteren; war ein Lehrer mit seinem Jünger in ihre Hände gefallen, so
+wurde der Jünger abgesandt, hatten sie einen Herrn und seinen Diener
+gefangen, so mußte der Diener gehen--darum eben hießen sie "Absender".
+Zu diesem Zwecke hatten sie, ihrer Sitte gemäß, jenen Diener meines
+Vaters geschont, während sie alle meine anderen Leute niedermetzelten;
+denn obschon etwas bejahrt, war dieser noch rüstig und sah klug und
+erfahren aus--wie er denn auch schon mehrmals Karawanen geführt hatte.
+
+Er wurde nun seiner Fesseln entledigt und noch an demselben Abend
+abgeschickt, nachdem ich ihm eine vertrauliche Botschaft mitgegeben
+hatte, an der meine Eltern die Richtigkeit der Sache erkennen konnten.
+Bevor er sich auf den Weg begab, ritzte aber Angulimala einige Zeichen
+in ein Palmblatt und übergab es ihm. Es war eine Art Geleitbrief für den
+Fall, daß er auf dem Rückweg, wenn er die Summe bei sich trug, in die
+Hände anderer Räuber fallen sollte. Denn Angulimalas Name war so
+gefürchtet, daß selbst Räuber, die Königsgeschenke von der Straße
+entführten, sich nimmer vermessen hätten, etwas, das sein Eigentum war,
+auch nur anzurühren.
+
+Auch mir wurden nun bald die Fesseln abgenommen, da man wohl wußte, daß
+ich nicht töricht genug sein würde, einen Fluchtversuch zu machen. Das
+erste, wozu ich meine Freiheit benutzte, war, daß ich nach der Stelle
+hinstürzte, wo ich die Asokablume hatte verschwinden sehen. Aber ach,
+nicht einmal mehr ein farbloses Restchen konnte ich von ihr entdecken!
+Diese zarte Blumenflamme schien unter den rohen Räuberfüßen gänzlich zu
+Asche zerstampft. War sie ein Wahrzeichen unseres Liebesglücks?
+
+Ziemlich frei lebte und bewegte ich mich jetzt unter diesen gefährlichen
+Gesellen, in der Erwartung des Lösegeldes, das binnen zwei Monaten
+kommen mußte.
+
+Da wir uns in der dunklen Hälfte des Monats befanden, gingen die
+Diebstähle und Räubereien lebhaft vonstatten. Denn diese Zeit, die der
+furchtbaren Göttin Kali gehört, wird fast ausschließlich zu den
+regelmäßigen Geschäften benutzt, so daß keine Nacht ohne irgend einen
+Überfall oder Einbruch verging. Mehrmals wurden auch ganze Dörfer
+geplündert. In der fünfzehnten Nacht des abnehmenden Mondes aber wurde
+Kalis Fest mit grauser Feierlichkeit begangen. Nicht nur Stiere und
+zahllose schwarze Ziegen, sondern auch einige unglückliche Gefangene
+wurden vor ihrem Bild geschlachtet; man stellte das Opfer vor den Altar
+und öffnete ihm eine Schlagader, so daß das Blut gerade in den
+aufgerissenen Mund der scheußlichen, mit Menschenschädeln behangenen
+Gestalt spritzte. Danach folgte eine wilde Orgie, wobei die Räuber sich
+im Rauschtrank bis zur Besinnungslosigkeit besoffen und sich mit den
+Bajaderen ergötzten, die man zu diesem Zwecke mit beispielloser
+Dreistigkeit aus einem großen Tempel entführt hatte. Angulimala, der in
+seiner Weinlaune großmütig wurde, wollte auch mich mit einer schönen,
+jungen Bajadere beglücken. Da ich aber in Erinnerung an Vasitthi das
+Mädchen verschmähte, so daß es ob dieser Schmach in Tränen ausbrach,
+geriet er darüber in eine solche Wut, daß er mich ergriff und auf der
+Stelle erdrosselt hätte, wäre mir nicht jener kahle, glattrasierte
+Räuber zu Hilfe gekommen. Wenige Worte von ihm genügten, um den eisernen
+Griff des Häuptlings erschlaffen zu lassen und ihn dann, brummend wie
+eine notdürftig bezähmte Bestie, fortzuschicken.
+
+Dieser merkwürdige Mann, der jetzt zum zweitenmal mein Retter wurde--mit
+Händen, die von dem von ihm geleiteten schrecklichen Kaliopfer noch
+blutig waren--war der Sohn eines Brahmanen. Weil er aber unter einer
+Räuberkonstellation geboren war, wandte er sich dem Räuberhandwerke zu.
+Zuerst hatte er den "Würgern" angehört, trat aber auf Grund
+wissenschaftlicher Erwägungen zu den "Absendern" über. Vom väterlichen
+Hause her hatte er nämlich einen Hang zu religiösen Betrachtungen und
+nicht weniger zu gelehrten Erörterungen ererbt. So leitete er einerseits
+den Opferdienst als Priester--und man schrieb das seltene Glück dieser
+Bande fast ebensosehr seiner Priesterwissenschaft wie der
+Führertüchtigkeit Angulimalas zu--andererseits trug er auch die
+Wissenschaft des Räuberwesens in systematischer Form vor, und zwar
+sowohl die Technik wie die Moral; denn ich merkte zu meinem Erstaunen,
+daß die Räuber eine solche hatten, und sich keineswegs für schlechtere
+Menschen als andere hielten.
+
+Diese Vorträge fanden besonders nachts in der lichten Hälfte des Monates
+statt, in der--abgesehen von zufälligen Vorkommnissen--die Geschäfte
+ruhten. Auf einer Waldwiese hockten die Zuhörer in mehreren
+halbkreisförmigen Reihen um den ehrwürdigen Vajaçravas, der mit
+untergeschlagenen Beinen dasaß. Sein mächtiger haarloser Schädel
+erglänzte im Mondlicht, und seine ganze Erscheinung war der eines
+vedischen Lehrers nicht unähnlich, der in der Stille der Mondnacht den
+Insassen der Waldeinsiedelei die Geheimlehre mitteilt--aber manches
+unheilig wilde Gesicht, ja manche Galgenphysiognomie war rings in der
+Runde zu schauen. Mir ist es in der Tat, als ob ich sie in diesem
+Augenblick sähe--als ob ich das tiefe auf und ab schwellende Brausen des
+ungeheuren Waldes hörte, manchmal durch das ferne Gebrüll eines Tigers
+oder das heisere Bellen des Panthers unterbrochen--und dazu, ruhig
+fließend wie ein Strom, die Stimme Vajaçravas'--diesen tiefen,
+volltönenden Baß, eine köstliche Erbschaft ungezählter Generationen von
+Udgatars[1].
+
+ [1] Vedischer Opfersänger.
+
+Zu diesen Vorträgen hatte ich Zutritt, weil Vajaçravas eine Vorliebe für
+mich gefaßt hatte. Er behauptete sogar, ich sei unter einem Räuberstern
+geboren wie er, und ich würde mich einmal den Dienern Kalis zugesellen,
+weshalb es mir nützlich sei, seiner Rede zu lauschen, die unzweifelhaft
+den in mir noch schlummernden Trieb wachrufen würde. Ich habe da also
+sehr merkwürdige Vorlesungen von ihm gehört über die verschiedenen
+"Sekten Kalis"--gewöhnlich Diebe und Räuber genannt--und über ihre
+unterschiedlichsten Gebräuche. Ebenso lehrreich wie unterhaltend waren
+seine Exkurse über Themata wie: "Die Nützlichkeit der Dirnen zum
+Hineinlegen der Polizei", oder "Kennzeichen der für Bestechung
+zugänglichen Beamten höheren und niederen Ranges, nebst kurzer Anweisung
+über die in Frage kommenden Geldbeträge". Von scharfsinnigster
+Menschenbeobachtung und strengster Schlußfolgerung zeugte seine
+Behandlung der Frage "Wie und warum die Spitzbuben sich auf den ersten
+Blick gegenseitig erkennen, während die ehrlichen Leute es nicht tun,
+und welche Vorteile aus diesem Umstande ersteren erwachsen", nicht zu
+reden von den glänzenden Ausführungen: "Über die Stupidität der
+Nachtwächter im allgemeinen, eine anregende Betrachtung für
+Anfänger"--bei welchen der nächtliche Wald von einem Lachchor
+widerhallte, so daß man von allen Seiten des Lagers zusammenströmte, um
+zu hören, was los sei.
+
+Aber auch trockene technische Fragen wußte der Meister interessant zu
+behandeln, und ich erinnere mich wirklich fesselnder Schilderungen, wie
+man geräuschlos eine Bresche in der Wand macht oder einen unterirdischen
+Gang kunstgerecht anlegt. Die richtige Verfertigung der verschiedenen
+Arten von Brecheisen, besonders des sogenannten "Schlangenmaules", sowie
+des "krebsförmigen" Hakens wurde sehr anschaulich dargelegt; der
+Gebrauch des leisen Saitenspieles, um zu erkunden, ob jemand wacht, und
+des aus Holz gemachten Männerkopfes, den man zur Tür oder zum Fenster
+hereinsteckt, um zu sehen, ob dieser vermeintliche Einbrecher bemerkt
+wird--alles dies wurde gründlich besprochen. Seine Erörterungen, wie man
+bei Ausführung eines Diebstahls unbedingt jeden umbringen müsse, der
+später als Zeuge würde auftreten können, sowie die allgemeinen
+Betrachtungen, wie ein Dieb nicht mit einem moralischen Wandel behaftet
+sein dürfe, sondern rauh, hart und gewalttätig, gelegentlich dem
+Rauschtrank und den Dirnen ergeben sein müsse, zählen zu den
+gelehrtesten und geistreichsten Vorträgen, die ich je gehört habe.
+
+Um dir aber eine richtige Vorstellung von diesem wahrhaft profunden
+Geiste zu geben, muß ich dir die berühmteste Stelle aus seinem in fast
+kanonischem Ansehen stehenden Kommentar zu den uralten Kali-Sutras, der
+Geheimlehre der Diebe, hersagen.[1]
+
+ [1] Über den indischen Sutrastil und das folgende Kapitel siehe die
+ Note am Schlusse des Werkes.
+
+
+
+
+X. Geheimlehre
+
+
+Also: Das 476. Sutram lautet: _"Auch die göttliche, meint
+ihr?--Nein!--Unverantwortlichkeit--wegen des Raumes der Schrift, der
+Tradition."_
+
+Der ehrwürdige Vajaçravas kommentiert dies folgendermaßen:
+
+_"Auch die göttliche--"_ nämlich Strafe. Denn im vorhergehenden
+Sutram war von solchen Strafen die Rede, welche der Fürst oder die
+Obrigkeit über den Räuber verhängt, als da sind: Hand-, Fuß- und
+Nasenverstümmelung, der Breikessel, der Pechkranz, das Drachenmaul, das
+Spießrutenlaufen, der Marterbock, die siedende Ölbeträufelung, die
+Enthauptung, das Zerreißen durch Hunde, die Pfählung bei lebendigem
+Leibe--hinreichende Gründe, warum der Räuber sich womöglich nicht fangen
+lassen darf, wenn er aber doch gefangen worden ist, auf jede Weise zu
+entfliehen versuchen soll.
+
+Nun meinen einige: auch göttliche Strafe drohe dem Räuber. "Nein," sagt
+unser Sutram; und zwar deshalb nicht, weil _Verantwortungslosigkeit_
+statthat. Welches auf drei Weisen ersichtlich ist: durch Vernunft, durch
+den Veda und durch die überlieferten Heldenlieder.
+
+_"Wegen des Raumes"_--hiermit ist folgende Vernunfterwägung gemeint.
+Wenn ich einem Menschen oder einem Tier den Kopf abhaue, so fährt das
+Schwert zwischen die unteilbaren Teilchen hindurch; denn diese selbst
+kann es, eben wegen ihrer Unteilbarkeit, nicht durchschneiden. Was es
+durchschneidet, ist der die Teilchen trennende leere Raum. Diesem aber
+kann man, eben wegen seiner Leerheit, keinen Schaden zufügen. Denn einem
+Nichts schaden ist gleich: nicht schaden. Folglich kann man durch dies
+Durchschneiden des Raumes keine Verantwortlichkeit auf sich laden, und
+eine göttliche Strafe kann nicht stattfinden. Wenn aber dies vom Töten
+gilt, wieviel mehr dann von Handlungen, die von den Menschen geringer
+bestraft werden!
+
+Soweit die Vernunft, nunmehr die Schrift.
+
+Der heilige Veda lehrt uns, daß das einzige wahrhaft Existierende, die
+höchste Gottheit, das Brahman ist. Wenn dies aber wahr ist, dann ist
+offenbar alle Tötung eine leere Täuschung. Dies sagt auch der Veda mit
+deutlichen Worten an der Stelle, wo Yama, der Todesgott, den jungen
+Naçiketas über dies Brahman belehrt und unter anderem sagt:
+
+Wer, tötend, glaubt, daß er tötet,
+Wer, getötet, zu sterben glaubt,
+Irr geht dieser wie jener:--
+Der stirbt nicht, und der tötet nicht.
+
+Noch überzeugender aber wird diese abgründige Wahrheit im Heldenliede
+von Krishna und Arjuna uns offenbart. Denn Krishna, der an sich das
+ungewordene, unvergängliche, ewige, allgewaltige, unerdenkliche Wesen
+war, der höchste Gott, der sich zum Heil der Wesen als Mensch hatte
+gebären lassen--Krishna half in den letzten Tagen seines Erdenwandeins
+dem Könige der Panduinge, dem hochherzigen Arjuna, im Kriege gegen die
+Kuruinge, weil diese ihm und seinen Brüdern großes Unrecht getan hatten.
+Als nun die beiden Heere in Schlachtordnung ihre waffenstrotzenden
+Reihen einander gegenüberstellten, erblickte Arjuna auf der gegnerischen
+Seite manchen einstigen Freund, manchen Vetter und Gevatter der
+vergangenen Tage: denn die Panduinge und die Kuruinge waren Söhne von
+zwei Brüdern. Und Arjuna ward im Herzen innig gerührt, und er zögerte,
+das Zeichen zur blutigen Schlacht zu geben; denn er mochte nicht jene
+töten, die einst die Seinen gewesen. So stand er gesenkten Hauptes, von
+schmerzlichem Zaudern zernagt, unschlüssig auf seinem Streitwagen: und
+neben ihm der goldene Gott, Krishna, der sein Wagenlenker war. Und
+Krishna erriet die Gedanken des edlen Pandaverfürsten. Und er zeigte
+lächelnd auf die beiden Heeresmassen und belehrte ihn, wie alle jene
+Wesen nur scheinbar entstehen und vergehen, weil in ihnen allen nur das
+eine unerstandene und unvergängliche, von der Geburt und vom Tode
+unberührte Wesen besteht:
+
+Wer einen für den Mörder hält,
+Wer einen hier gemordet meint,
+Der kennt und weiß von beiden nichts:--
+Denn Keiner mordet, Keiner stirbt.
+Wohlan, den Kampf beginne du!
+
+Solchermaßen belehrt, gab der Pandaverfürst das Zeichen zum Beginn der
+ungeheuren Schlacht und siegte. Also machte Krishna, der menschgewordene
+höchste Gott, durch Offenbarung dieser großen Geheimlehre Arjuna von
+einem flachsinnigen und weichherzigen Mann zu einem tiefsinnigen und
+hartherzigen Weisen und Helden.
+
+So gilt denn nun in Wahrheit folgendes:
+
+Was Einer begeht und begehen läßt: wer zerstört und zerstören läßt, wer
+schlägt und schlagen läßt, wer Lebendiges umbringt, Nichtgegebenes
+nimmt, in Häuser einbricht, fremdes Gut raubt: Was Einer begeht, er
+ladet keine Schuld auf sich.--Und wer da gleich mit einer scharf
+geschliffenen Schlachtscheibe alles Lebendige auf dieser Erde zu einer
+einzigen Masse Mus, zu einer einzigen Masse Brei machte, der hat darum
+keine Schuld, begeht kein Unrecht. Und wer auch am südlichen Ufer der
+Ganga verheerend und mordend dahinzöge, so hat der darum keine Schuld:
+und wer da auch am nördlichen Ufer der Ganga spendend und schenkend
+dahinzöge, so hat der darum kein Verdienst. Durch Milde, Sanftmut,
+Selbstverzicht erwirbt man kein Verdienst, begeht man nichts Gutes.
+
+Und es folgt nun das erstaunliche, ja schreckliche
+
+ _477. Sutram_,
+
+welches in seiner frappanten Kürze lautet:
+
+_"Vielmehr--wegen des Essers."_
+
+Den Sinn dieser wenigen, in tiefstes Geheimnis sich hüllenden Worte
+erschließt uns der ehrwürdige Vajaçravas folgendermaßen:
+
+Weit davon entfernt, daß göttliche Strafe dem Räuber und Totschläger
+droht, findet "_vielmehr_" das Entgegengesetzte statt: nämlich
+Gottähnlichkeit, was aus den Vedastellen hervorgeht, wo der höchste Gott
+als der "_Esser_" gepriesen wird, wie:
+
+Der Krieger und Brahmanen ißt wie Brot,
+Das mit des Todes Brühe er begießt.
+
+Wie nämlich die Welt in Brahman ihren Ursprung hat, so auch ihr
+Vergehen, indem das Brahman sie immer wieder hervorgehen läßt und sie
+immer wieder vernichtet. Gott ist somit nicht nur der Schöpfer, sondern
+auch der Verschlinger aller Wesen, von denen hier nur "Krieger und
+Brahmanen" genannt werden, als die Vornehmsten, die für alle stehen. Wie
+es denn auch an einer anderen Stelle heißt:
+
+Ich esse Alle, aber mich ißt niemand.
+
+Diese Worte sagte nämlich der höchste Gott, als er in der Gestalt eines
+Widders den Knaben Medhatithi zur Himmelswelt trug. Denn ungehalten über
+seine gewaltsame Entführung verlangte dieser zu wissen, wer sein
+Entführer sei: "Sage mir, wer du bist, sonst werde ich, ein Brahmane,
+dich mit meinem Zorn treffen." Da gab nun der Widdergestaltige sich zu
+erkennen als jenes höchste Brahman, das Alles in Allem ist, mit den
+Worten:
+
+Wer ist's, der tötet und gefangen nimmt?
+Wer ist der Widder, der dich führt von dannen?
+Ich bin es, der in dieser Form erscheint,
+Ich bin es, der erscheint in allen Formen.
+
+Wenn Einer fürchtet sich vor was auch immer,
+Ich bin's, der fürchtet und der fürchten macht;
+Doch in der Größe ist ein Unterschied:
+Ich esse Alle, aber mich ißt niemand.
+
+Wer könnte mich erkennen, wer erklären?
+Ich schlug die Feinde alle, mich schlug niemand.
+
+Hier muß es nun auch dem blödesten Auge klar werden, daß die
+Brahmanähnlichkeit nicht darin liegen kann, geschlagen und gegessen zu
+werden--wie es der Fall sein müßte, wenn Sanftmut und Selbstverzicht
+etwas Gutes wäre--sondern im Gegenteil darin, alle Anderen zu schlagen
+und zu essen--d.h. auszunutzen und zu vernichten--selbst aber von
+niemand Schaden zu leiden.
+
+Es kann demnach keinem Zweifel unterliegen, daß jene Lehre--von der
+Höllenstrafe der Gewalttäter--von den Schwachen erfunden ist, um sich
+vor der Gewalttätigkeit der Starken zu schützen, indem sie dadurch die
+letzteren einschüchtern wollen.
+
+Und wenn im Veda einige Stellen diese Lehre enthalten, so müssen
+sie--weil mit den Hauptsätzen unvereinbar--von jenen fälschlich
+eingeschoben worden sein.
+
+Wenn also der Rigveda sagt, daß, obwohl die ganze Welt eigentlich
+das Brahman ist, der Gott dennoch den Menschen als das
+Brahmandurchdrungenste erkenne:--so muß nunmehr anerkannt werden,
+daß unter den Menschen wiederum der echte und wahre Räuber das
+Brahmandurchdrungenste Wesen ist und somit die Krone der Schöpfung
+darstellt. Was aber den Dieb anbelangt, der sich zur Räuberschaft nicht
+erhebt, so ist es, weil die Schrift des öfteren erklärt, daß die Meinung
+"dies gehört mir" eine Wahnvorstellung ist, die dem höchsten Zwecke des
+Menschen hinderlich ist, ohne weiteres klar, daß der Dieb, der eben die
+beständige tatsächliche Widerlegung jenes Wahnes "dies gehört mir" zu
+seiner Lebensaufgabe gemacht hat, die höchste Wahrheit vertritt. Doch
+steht, wegen seiner Gewalttätigkeit, der Räuber höher.
+
+So ist denn nun das "Krone-der-Schöpfung-Sein" des Räubers erwiesen,
+sowohl durch Vernunfterwägung, wie mittelst der Schrift, und ist als
+unwiderlegbar zu betrachten.
+
+
+
+
+XI. DER ELEFANTENRÜSSEL
+
+
+Nach dieser Probe der seltsamen Denkweise dieses außerordentlichen
+Mannes--dem man wenigstens nicht, wie so vielen anderen berühmten
+Denkern, zur Last legen kann, daß er seine Theorie nicht in die Praxis
+umsetzte--nehme ich den Faden meiner Erzählung wieder auf.
+
+Bei solchen mannigfachen Erlebnissen und neuen
+Geistesbeschäftigungen--ich versäumte selbstverständlich nicht, die
+Gaunersprache mir zu eigen zu machen--konnte die Wartezeit mir nicht
+lang werden. Je mehr sie sich aber ihrem Ende näherte, um so mehr wurde
+meine Seelenruhe durch drückende Besorgnisse erschüttert. Würde das
+Lösegeld überhaupt ankommen? Wenn auch jener Geleitbrief den Diener
+gegen Räuber schützte, so könnte ihn ja unterwegs ein Tiger zerreißen
+oder ein angeschwollener Fluß fortschwemmen, oder irgend einer der
+zahllosen, nicht vorauszusehenden Zufälle einer Reise ihn aufhalten, bis
+es zu spät war. Die Flammenblicke Angulimalas schossen oft so böswillig
+nach mir hin, als ob er diesen Fall erhoffte, und der Angstschweiß brach
+mir dann aus allen Poren. Wie wundervoll systematisch eingeleitet und
+scharf logisch begründet auch die Ausführung Vajaçravas' darüber war,
+daß in jedem Fall, in dem das Lösegeld nicht zur rechten Stunde gebracht
+würde, der Betreffende mit einer Baumsäge durchzusägen und beide Teile
+mitten auf die Landstraße hinzuwerfen seien--und zwar der Kopfteil nach
+der Seite des aufgehenden Mondes zu: so gestehe ich doch, daß meine
+Bewunderung für diese wissenschaftlich gewiß staunenswerte Leistung
+meines gelehrten Freundes durch eine eigentümliche Bewegung meines etwas
+"betroffenen" Bauchfelles einigermaßen beeinträchtigt wurde, zumal als
+wirklich die doppelzähnige Baumsäge, die bei solchen Gelegenheiten
+benutzt wurde, hergebracht und zur Veranschaulichung von zwei grimmigen
+Gesellen an einem einen Menschen vorstellenden Bündel in Wirksamkeit
+gesetzt wurde.
+
+Vajaçravas, der bemerkte, wie mir übel wurde, klopfte mir aufmunternd
+auf die Schulter und meinte, das ginge mich ja nichts an. Dadurch
+schöpfte ich natürlich die Hoffnung, daß er mich im Notfalle zum dritten
+Male retten würde. Als ich aber in dankbarstem Tone etwas davon
+verlauten ließ, machte er ein gar ernstes Gesicht und sprach:
+
+"Wenn dir dein Karma wirklich so gram sein sollte, daß das Lösegeld
+nicht zur rechten Zeit ankommt, und wäre es auch nur um einen halben Tag
+verspätet, dann kann dir freilich kein Gott und kein Teufel helfen, denn
+die Gesetze Kalis sind unverbrüchlich. Jedoch, sei getrost, mein Sohn!
+Du bist noch zu ganz anderen Dingen bestimmt. Und für dich fürchte ich
+eher, daß du einmal, nach einem ruhmreichen Räuberleben, auf einem
+öffentlichen Platze enthauptet oder gepfählt wirst--doch das hat ja noch
+gute Weile."
+
+Ich könnte nicht sagen, daß dieser Trost mich sehr aufgerichtet hätte,
+und so fühlte ich mich denn nicht wenig erleichtert, als eine volle
+Woche vor Ablauf der Frist unser getreuer alter Diener mit der
+geforderten Geldsumme eintraf. Ich nahm Abschied von meinem furchtbaren
+Wirt, der in Erinnerung an seinen erschlagenen Freund finster
+dreinblickte, als ob er mich lieber hätte durchsägen lassen, und drückte
+zärtlich die Hand des Brahmanen, der eine Träne der Rührung durch die
+Zuversicht bannte, wir würden uns sicher noch auf den nächtlichen Pfaden
+Kalis begegnen. So zogen wir beide denn ab, von vier Räubern begleitet,
+die mit ihrer Haut für unsere sichere Ankunft in Ujjeni hafteten. Denn
+Angulimala, der um seine Räuberehre sehr besorgt war, versprach ihnen,
+als er uns verabschiedete, wenn ich nicht heil in meiner Vaterstadt
+abgeliefert würde, ihnen die Haut über die Ohren zu ziehen und ihre
+Felle an den vier Ecken eines Kreuzweges aufzuhängen; und es war
+bekannt, daß er immer sein Versprechen hielt. Glücklicherweise wurde das
+hier nicht nötig, und die vier Gesellen, die sich unterwegs sehr wacker
+betrugen, mögen noch in diesem Augenblick im Dienste der
+schädelhalsbandschüttelnden Tänzerin sein.
+
+Wir erreichten Ujjeni ohne weitere Abenteuer, und ich hatte in der Tat
+auch an den erlebten genug. Die Freude meiner Eltern, mich
+wiederzusehen, war unbeschreiblich. Um so unmöglicher war es, ihnen die
+Erlaubnis abzuringen, bald wieder eine Reise nach Kosambi zu
+unternehmen. Mein Vater hatte ja außer der nicht unbedeutenden Lösesumme
+auch alle Waren meiner Karawane und alle Leute verloren und war so bald
+nicht imstande, eine neue Karawane auszurüsten. Aber dies war nur ein
+kleines Hindernis im Verhältnis zu dem Schrecken, der meine Eltern beim
+Gedanken an die Gefahren des Weges befiel. Auch hörte man ab und zu
+immer wieder von furchtbaren Taten Angulimalas, und ich kann nicht
+leugnen, daß es mich wenig gelüstete, noch einmal in seine Hände zu
+fallen. Eine Botschaft nach Kosambi gelangen zu lassen, gab es in dieser
+Zeit durchaus keine Möglichkeit, und so mußte ich mich denn mit der
+Erinnerung begnügen und in fester Zuversicht auf die Treue meiner
+angebeteten Vasitthi mich auf bessere Zeiten vertrösten.
+
+Diese kamen denn endlich auch. Eines Tages flog wie ein Lauffeuer die
+Nachricht durch die Stadt, der schreckliche Angulimala sei von Satagira,
+dem Sohne des Ministers in Kosambi, aufs Haupt geschlagen, die Bande
+niedergemetzelt oder zersprengt, der Häuptling aber mit vielen der
+hervorragendsten Räuber gefangen genommen und hingerichtet worden.
+
+Nun konnten meine Eltern meinen stürmischen Bitten nicht mehr
+widerstehen. Man hatte in der Tat guten Grund, anzunehmen, daß jetzt für
+längere Zeit die Straßen frei sein würden, und mein Vater war nicht
+abgeneigt, wieder mit einer Karawane sein Glück zu versuchen. Da befiel
+mich plötzlich eine Krankheit, und als ich vom Lager wieder aufstand,
+war die Regenzeit schon so nahe herangerückt, daß man diese erst
+abwarten mußte. Dann stand aber auch meiner Abreise nichts mehr
+entgegen. Mit vielen Ermahnungen zur Vorsicht nahmen meine Eltern
+Abschied von mir, und ich befand mich wieder unterwegs an der Spitze
+einer wohlversehenen Karawane von dreißig Ochsenkarren, freudigen und
+mutigen Herzens und von brennender Sehnsucht getrieben.
+
+Unsere Reise ging so glatt vonstatten, wie das erste Mal, und an einem
+schönen Morgen zog ich, halb närrisch vor Freude, in Kosambi ein. Hier
+gewahrte ich nun bald ein ungewöhnliches Menschengedränge in den
+Straßen. Ich kam infolgedessen immer langsamer vorwärts, bis mein Zug an
+einer Stelle, wo er eine Hauptverkehrsader der Stadt zu durchkreuzen
+hatte, endlich völlig zum Stillstehen gebracht wurde. Es war
+schlechterdings nicht möglich, durch die Menge hindurchzudringen, und
+ich bemerkte nun auch, daß jene Hauptstraße durch Fahnenstangen, von den
+Fenstern und Söllern herabhängende Teppiche und querüber gespannte
+Blumengewinde aufs prächtigste geschmückt war--wie für irgend einen
+Aufzug. Fluchend vor Ungeduld, fragte ich die vor mir Stehenden, was
+hier los sei.
+
+"Ei," riefen sie, "weißt du denn nicht, daß heute Satagira, der Sohn des
+Ministers, seine Hochzeit feiert? Du kannst dich glücklich preisen,
+gerade zu rechter Zeit eingetroffen zu sein, denn der Zug kommt jetzt
+vom Krishnatempel hier vorüber, und eine solche Pracht hast du gewiß
+noch nirgends gesehen."
+
+Daß Satagira Hochzeit hielt, war mir eine ebenso wichtige wie
+willkommene Nachricht, weil sein Werben um meine Vasitthi bei ihren
+Eltern eins der größten Hindernisse für unsere Vereinigung gewesen wäre.
+So ließ ich mir denn das Warten gefallen, um so mehr als es nicht lange
+dauern konnte; denn schon waren die Lanzenspitzen einer Reiterabteilung
+sichtbar, die unter ohrenbetäubendem Jubel vorüberzog. Diese Reiter
+genossen, wie man mir mitteilte, in Kosambi die größte Volksgunst, weil
+hauptsächlich sie es waren, die die Bande Angulimalas unschädlich
+gemacht hatten.
+
+Fast unmittelbar hinter ihnen kam der Elefant, der die Braut
+trug--allerdings ein überwältigender Anblick. Die knorrige, hügelartige
+Stirn des Riesentieres war, dem Götterberg Meru ähnlich, mit einem Flor
+von mannigfarbigen Edelsteinen bedeckt. Wie bei einem brünstigen
+Ilfenstier der Saft an den Schläfen und Wangen herabträufelt, und
+Bienenschwärme, von seinem süßen Duft angelockt, darüber hängen, also
+erglänzten hier Schläfen und Wangen von den wundervollsten Perlen und
+darüber baumelten durchsichtige Gehänge von schwarzen Diamanten--eine
+Wirkung, die zum Aufschreien schön war. Die mächtigen Hauer waren mit
+dem feinsten Golde beschlagen; und aus demselben edlen Metalle war die
+mit großen Rubinen besetzte Brustplatte, von der der duftigste blaue
+Benaresmusselin herabhing und die kräftigen Beine des Tieres--wie
+Morgennebel die Baumstämme--leicht umwallte.
+
+Aber es war der Rüssel des Staatselefanten, der vor allem meinen Blick
+fesselte. Auch zu Hause, in Ujjeni, hatte ich ja bei Prozessionen sehr
+prachtvolle Dekorationen der Elefantenrüssel gesehen, aber niemals eine,
+die so geschmackvoll gewesen wäre wie diese. Bei uns nämlich wurde der
+Rüssel in Felder eingeteilt, die irgend ein feines Muster bildeten, und
+war also ganz mit Farbe gedeckt. Hier aber war die Haut als Untergrund
+frei gelassen, und über diesen astähnlichen Grund war ein loses
+Laubgeranke von lanzettförmigen Asokablättern geschlungen, aus dem
+gelbe, orangefarbene und scharlachrote Blumen hervorleuchteten--Alles in
+köstlichster ornamentaler Stilisierung ausgeführt.
+
+Während ich nun mit dem Blick eines Kenners dies Wunderwerk studierte,
+kam ein gar wehmütiges Gefühl über mich, indem ich gleichsam den ganzen
+Liebesduft jener seligen Nächte auf der Terrasse wieder einatmete. Mein
+Herz begann heftig zu pochen, da ich unwillkürlich an meine eigene
+Hochzeit denken mußte; denn welcher Schmuck konnte sinniger erfunden
+werden für das Tier, welches dereinst Vasitthi tragen sollte, als gerade
+dieser, da ja die "Terrasse der Sorgenlosen" wegen ihrer wunderbaren
+Asokablüten in ganz Kosambi berühmt war?
+
+In diesem fast traumhaften Zustande vernahm ich, wie eine Frau neben mir
+zu einer anderen sagte:
+
+"Aber die Braut--die sieht doch gar nicht fröhlich aus!"
+
+Unwillkürlich blickte ich in die Höhe, und ein seltsam unheimliches
+Gefühl beschlich mich, als ich die Gestalt gewahr wurde, die dort unter
+dem purpurnen Baldachin saß. Gestalt, sage ich--das Gesicht konnte ich
+nicht sehen, weil der Kopf vornüber auf die Brust gesunken war--aber
+auch von einer Gestalt sah man wenig, und es schien, als ob in jener
+Masse von regenbogenfarbigen Musselins, wenn auch ein Körper, so doch
+kein mit lebendiger, widerstandsfähiger Kraft begabter steckte. Die Art
+und Weise, wie sie hin und her schwankte bei den Bewegungen des Tieres,
+dessen mächtige Schritte das Zelt auf seinem Rücken in starkes Schaukeln
+versetzten, hatte etwas unsagbar Trauriges, ja fast etwas
+Grauenerregendes an sich. Man konnte in der Tat befürchten, daß sie im
+nächsten Augenblick herunterstürzen würde. Eine solche Furcht mochte
+auch die hinter ihr stehende Dienerin bewegen, denn sie faßte die Braut
+an den Schultern und neigte sich zu ihr vor, um ihr aufmunternde Worte
+ins Ohr zu flüstern.
+
+Ein eisiger Schreck lähmte mich, als ich in dieser vermeintlichen
+Dienerin--Medini erkannte. Und ehe mir diese Ahnung noch deutlich
+geworden war, hatte die Braut Satagiras den Kopf erhoben.
+
+Es war meine Vasitthi.
+
+
+
+
+XII. AM GRABE DES HEILIGEN VAJAÇRAVAS
+
+
+Ja, sie war es. Keine Möglichkeit, sich in diesen Zügen zu
+täuschen,--und doch ähnelten sie sich selber nicht, und ähnelten in der
+Tat nichts, das ich je gesehen hatte; in einem so namenlosen,
+übermenschlichen Jammer schienen sie versteinert zu sein.
+
+Als ich wieder zur Besinnung kam, zogen gerade die Letzten des Zuges
+vorüber. Man schrieb meine plötzliche Ohnmacht der Hitze und dem
+Menschengedränge zu. Willenlos ließ ich mich in die nächste Karawanserei
+bringen.
+
+Hier warf ich mich in der dunkelsten Ecke nieder, das Gesicht nach der
+Wand gekehrt, und blieb da, in Tränen gebadet und alle Speise
+verschmähend, tagelang liegen, nachdem ich jenem alten Diener und
+Karawanenführer, der mich schon auf der ersten Fahrt begleitet,
+Anweisung gegeben hatte, so schnell wie möglich und selbst unter
+schlechten Bedingungen unsere Waren loszuschlagen, da ich zu krank sei,
+um mich mit Geschäften abzugeben. In der Tat konnte ich nur an meinen
+unfaßbaren Verlust denken; auch wollte ich mich nicht in der Stadt
+zeigen, um von niemand erkannt zu werden. Denn ich wollte vor allem
+verhindern, daß Vasitthi von meiner Anwesenheit etwas erführe.
+
+Ihr Bild, wie ich sie zuletzt gesehen, schwebte mir fortwährend vor der
+Seele. Wohl war ich über ihren Wankelmut oder eher ihre Schwäche
+entrüstet; denn ich sah wohl ein, daß nur die letzte in Frage kam, und
+daß sie dem Drängen der Eltern nicht hatte widerstehen können. Daß sie
+dem triumphierenden Ministersohn nicht ihr Herz zugewandt hatte, davon
+zeugten ihre Haltung und Miene deutlich genug. Wenn ich mich aber ihrer
+erinnerte, wie sie im Krishnahaine leuchtenden Blickes mir ewige Treue
+zugeschworen hatte, verstand ich nicht, wie es möglich war, daß sie so
+bald nachgegeben hatte, und ich sagte mir unter bitterem Seufzen, daß
+auf Mädchenschwüre kein Verlaß sei. Aber immer wieder tauchte jenes
+Gesicht voll tiefsten Jammers vor mir auf--und sofort war dann auch
+jeder Groll verscheucht, nur das innigste Mitleid wallte ihm entgegen;
+und so beschloß ich fest, ihren Kummer nicht dadurch noch zu vermehren,
+daß von meiner jetzigen Anwesenheit in Kosambi ihr etwas zu Gehör käme.
+Nie mehr sollte sie etwas von mir erfahren; sicher würde sie dann
+glauben, daß ich gestorben sei, und sich in ihr Schicksal, dem es ja an
+äußerem Glanz nicht fehlte, nach und nach ergeben.
+
+Ein günstiger Umstand fügte es, daß mein alter Diener unerwartet schnell
+die Waren sehr vorteilhaft eintauschte oder verkaufte, so daß ich schon
+nach wenigen Tagen in früher Morgenstunde mit meiner Karawane Kosambi
+verlassen konnte.
+
+Als ich nun durch das westliche Stadttor hinausgekommen war, wandte ich
+mich um und warf einen letzten Blick auf die Stadt, in deren Mauern ich
+so Unvergeßliches an Freude und Leid erlebt hatte. Vor einigen Tagen,
+als ich eingezogen, war ich dermaßen von ungeduldiger Erwartung erfaßt
+gewesen, daß ich für nichts in der Nähe ein Auge gehabt hatte. So wurde
+ich denn jetzt zum ersten Male gewahr, daß nicht nur die Zinnen des
+Tores, sondern auch der Mauerrand zu beiden Seiten mit aufgespießten
+Menschenköpfen schrecklich geschmückt war?
+
+Kein Zweifel--es waren die Köpfe der hingerichteten Räuber aus der Bande
+Angulimalas!
+
+Zum ersten Male, seitdem ich Vasitthis Gesicht unter dem Baldachin
+gesehen, erfüllte mich jetzt ein anderes Gefühl als das der Trauer,
+indem ich mit unaussprechlichem Schauder diese Köpfe betrachtete, von
+denen die Geier längst nur das Knochengerüst übrig gelassen hatten und
+höchstens noch die Zöpfe oder hier und dort einen Bart, dessen
+Urwüchsigkeit sein Gebiet geschützt hatte. So wären sie alle unerkennbar
+gewesen, wenn nicht einer durch den wilden, roten Bart, ein anderer
+durch die nach der Art der asketischen Flechtenträger am Scheitel
+aufgewundenen Zöpfe sich verraten hätte. Diese beiden und zweifelsohne
+auch viele der anderen hatten mir oft in der nächtlichen Runde
+kameradschaftlich zugenickt, und ich erinnerte mich mit entsetzlicher
+Anschaulichkeit, wie dieser rote Bart, im Mondesstrahle sprühend, bei
+jenem Vortrage über die Stupidität der Nachtwächter vor Lustigkeit
+gewackelt hatte, ja fast vermeinte ich aus dem lippenlosen Munde noch
+das dröhnende Gelächter zu hören.
+
+Aber auf der mittleren Torzinne erglänzte, etwas über die anderen
+erhoben, ein mächtiger Schädel im Strahle der aufgehenden Sonne und zog
+gebieterisch meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Wie sollte ich diese
+Formen nicht wiedererkennen? Der war's, der uns damals zum Lachen
+gebracht hatte, ohne selbst eine Miene seines Brahmanengesichtes zu
+verziehen. Vajaçravas' Kopf dominierte hier, während der Angulimalas
+zweifelsohne über dem östlichen Stadttor aufgesteckt war. Und ein
+sonderbares Gefühl beschlich mich bei dem Gedanken, wie gründlich er
+einst die verschiedenen Arten von Todesstrafen expliziert hatte--das
+Vierteilen, das Zerreißen durch Hunde, die Pfählung, die
+Enthauptung--und wie sorgfältig er dadurch begründen wollte, daß der
+Räuber sich nicht fangen lassen dürfe; wenn er aber schon einmal
+gefangen sei, versuchen müsse, durch alle Mittel zu entfliehen. Ach! Was
+hatte ihm seine Wissenschaft geholfen? So wenig vermag der Mensch seinem
+Schicksal zu entgehen, das ja nur die Frucht unserer Taten ist--sei es
+in diesem, sei es in einem vorhergehenden Leben!
+
+Und mir war es, als ob er durch seine leeren Augenhöhlen mich gar ernst
+betrachtete und sein halb geöffneter Mund mir zuriefe: "... Kamanita,
+Kamanita! betrachte mich genau, achte wohl auf diesen Anblick! Auch du,
+mein Sohn, bist unter einem Räubergestirn geboren, auch du wirst die
+nächtigen Pfade Kalis betreten, und ebenso wie ich hier, wirst auch du
+einmal irgendwo enden."
+
+Aber seltsam genug: diese Phantasie, die so lebhaft wie eine sinnliche
+Wahrnehmung war, erfüllte mich nicht mit Schrecken und Schaudern. Meine
+vermeintlich vorgeschriebene Räuberlaufbahn, der ich noch nie einen
+ernsten Gedanken geschenkt hatte, stand plötzlich nicht nur in ernstem,
+sondern sogar in verlockendem Lichte vor mir.
+
+Räuberhäuptling!--Was konnte mir Elenden erwünschter sein? Denn daran
+zweifelte ich keinen Augenblick, daß ich mit meinen vielen Fähigkeiten
+und Kenntnissen, und besonders mit denen, die ich dem Unterricht des
+ehrwürdigen Vajaçravas verdankte, eine leitende Stellung einnehmen
+würde. Und welche Stellung käme denn für mich der eines Räuberhäuptlings
+gleich? War doch selbst die eines Königs dagegen gering zu schätzen.
+Denn konnte die mir Rache an Satagira verschaffen? Konnte die Vasitthi
+in meine Arme führen? Ich sah mich selbst mitten im Walde im Kampfe mit
+Satagira, dem ich mit einem wuchtigen Schwerthieb den Schädel spaltete;
+und wieder sah ich mich, wie ich die ohnmächtige Vasitthi in meinen
+Armen aus dem brennenden, von Räuberstimmen widerhallenden Palast
+entführte.
+
+Zum ersten Maie seit jenem jammervollen Anblick schlug mein Herz wieder
+mutig und hoffnungsvoll einer Zukunft entgegen; zum ersten Male wünschte
+ich mir nicht den Tod, sondern das Leben.
+
+Von solchen Bildern erfüllt war ich kaum tausend Schritte weiter
+gezogen, als ich vor mir auf dem Wege eine von der entgegengesetzten
+Seite kommende Karawane halten sah, während der Führer an einem kleinen
+Hügel unmittelbar an der Landstraße offenbar ein Opfer darbrachte.
+
+Ich ging auf ihn zu, grüßte ihn höflich und fragte ihn, welche Gottheit
+er hier verehrte.
+
+"In diesem Grabe," antwortete er, "ruht der heilige Vajaçravas, dessen
+Schutze ich es verdanke, daß ich, durch eine gefährliche Gegend ziehend,
+heil und unversehrt an Leib und Gut nach Hause komme. Und ich rate dir
+sehr, es ja nicht zu versäumen, hier ein passendes Opfer darzubringen.
+Denn wenn du auch beim Einziehen in das waldige Gebiet hundert Waldhüter
+mietetest, so würden die dir keine so gute Hilfe gegen Räuber sein, wie
+es der Schutz dieses Heiligen ist."
+
+"Mein lieber Mann!" entgegnete ich, "dieser Grabhügel scheint nur wenige
+Monate alt zu sein, und wenn in ihm ein Vajaçravas begraben liegt, so
+wird das gewiß kein Heiliger sein, sondern der Räuber dieses Namens."
+
+Der Kaufmann aber nickte ruhig zustimmend.
+
+"Der nämliche--gewiß.... Ich sah, wie er an dieser Stelle gepfählt
+wurde. Und sein Kopf steckt noch über dem Tor. Nachdem er aber so die
+vom Fürsten verhängte Strafe erlitten hat, ist er, dadurch von seinen
+Sünden geläutert, fleckenlos in den Himmel eingegangen, und sein Geist
+schützt jetzt den Reisenden gegen Räuber. Auch sagt man übrigens, daß er
+schon während seines Räuberlebens ein gar gelehrter und fast heiliger
+Mann gewesen sei; denn er wußte selbst geheime Teile des Veda
+auswendig--wenigstens heißt es so."
+
+"Das verhält sich wirklich so," versetzte ich, "denn ich habe ihn sehr
+gut gekannt und darf mich sogar seinen Freund nennen."
+
+Als der Kaufmann mich bei diesen Worten etwas erschrocken ansah, fuhr
+ich fort:
+
+"Du mußt nämlich wissen, daß ich einst bei dieser Bande in
+Gefangenschaft geraten war, und daß Vajaçravas mir bei dieser
+Gelegenheit zweimal das Leben gerettet hat."
+
+Der Blick des Kaufmanns ging vom Schrecken zu bewunderndem Neid über:
+
+"Nun, dann kannst du dich wahrlich glücklich preisen. Stünde ich so bei
+ihm in Gunst, dann würde ich in wenigen Jahren der reichste Mann in
+Kosambi sein. Und nun, eine glückliche Reise, Beneidenswerter!"
+
+Damit ließ er seine Karawane sich wieder in Bewegung setzen.
+
+Ich versäumte selbstverständlich nicht, am Grabe meines berühmten und
+verehrten Freundes eine Totenspende niederzulegen, mein Gebet ging aber,
+allen anderen hier abgehaltenen entgegen, darauf hinaus, daß er mich
+geradeswegs in die Arme der nächsten Räuberbande leiten sollte, der ich
+mich dann mit seiner Hilfe anschließen wollte und deren Führung, woran
+ich nicht zweifelte, bald von selber in meine Hände übergehen würde.
+
+Es sollte sich aber deutlich zeigen, daß mein gelehrter und nunmehr
+durch Volksmund heilig gesprochener Freund sich geirrt hatte, als er
+annahm, eine Räuberkonstellation habe über meiner Geburt geleuchtet.
+Denn auf dem ganzen Weg nach Ujjeni trafen wir keine Spur von Räubern,
+und doch wurde, kaum eine Woche nachdem wir einen großen Wald hart an
+der Grenze Avantis gekreuzt hatten, eine Karawane, der wir begegnet
+waren, in eben diesem Walde von Räubern überfallen.
+
+Es ist mir eine Quelle sonderbarer Betrachtungen gewesen, daß es
+anscheinend auf einem reinen Zufall beruhte, wenn ich im bürgerlichen
+Leben blieb, anstatt, wie mein Herz brennend begehrte, in das
+Räuberleben einzutreten. Freilich mag wohl von den nächtigen Pfaden
+Kalis auch einer auf den Weg der Pilgerschaft ausmünden, wie ja auch von
+den vom Herzen ausgehenden, mit fünffarbigem Safte erfüllten
+hundertundein Adern eine einzige nach dem Kopfe führt und diejenige ist,
+durch welche beim Tode die Seele den Körper verläßt. So könnte ich ja
+auch in dem Falle, daß ich Räuber geworden wäre, noch immer jetzt ein
+Pilger sein und mich auf dem Wege nach dem Ziele der Erlösung befinden.
+Wenn aber Einer die Erlösung erlangt, dann werden seine Werke, böse wie
+gute, zu nichts, durch die Glut des Wissens gleichsam zur Asche
+verbrannt.
+
+Auch muß ich sagen, daß jene Zwischenzeit, im Räuberleben oder im
+bürgerlichen verbracht, vielleicht hinsichtlich der moralischen Früchte
+nicht so verschieden ausgefallen wäre, wie es dir, o Bruder, wohl
+scheinen mag. Denn ich habe, während ich unter den Räubern lebte, wohl
+bemerkt, daß es auch unter ihnen sehr verschiedenartige Leute gibt, und
+zwar einige mit sehr vortrefflichen Eigenschaften, und daß, wenn man von
+gewissen Äußerlichkeiten absieht, der Unterschied zwischen Räubern und
+ehrlichen Leuten nicht ganz so ungeheuer ist, wie die letzteren es sich
+gern vorstellen. Und andererseits habe ich in der reifen Periode meines
+Lebens, in die ich nunmehr eintrat, nicht umhin können zu bemerken, daß
+die ehrlichen Leute den Dieben und Räubern in das Handwerk pfuschen,
+einige gelegentlich und gleichsam improvisierend, andere beständig und
+mit großer und für sie sehr bekömmlicher Meisterschaft, so daß durch
+gegenseitige Annäherung sogar nicht wenig Berührung zwischen beiden
+Gruppen stattfindet.
+
+Weshalb ich denn auch nicht weiß, ob ich durch das günstige Schicksal,
+das mich von den nächtigen Pfaden der schädelhalsbandschüttelnden
+Tänzerin fernhielt, eigentlich so sehr viel gewonnen habe."--
+
+Nach dieser tiefsinnigen Betrachtung schwieg der Pilger Kamanita und
+richtete in Sinnen versunken seinen Blick nach dem Vollmond, der groß
+und glühend draußen über dem fernen Wald--dem Aufenthalt der
+Räuber--aufstieg und sein Licht gerade in die offene Halle des Hafners
+hereinströmen ließ, wo es den gelben Mantel des Erhabenen in lauteres
+Gold zu verwandeln schien, wie die Bekleidung eines Götterbildes.
+
+Der Erhabene, auf den der Pilger, vom Glanze angezogen und dennoch ohne
+zu ahnen, wen er sah, unwillkürlich seinen Blick richtete, gab durch ein
+langsames Kopfnicken seine Teilnahme zu erkennen und sagte:
+
+"Noch seh' ich dich, Pilger, vielmehr der Häuslichkeit als der
+Hauslosigkeit zuschreiten, obwohl der Weg in die letztere sich dir
+wahrlich deutlich genug eröffnet hatte."
+
+"So ist es, Ehrwürdiger! Blöden Auges sah ich diesen Ausweg nicht,
+sondern schritt eben, wie du sagtest, der Häuslichkeit zu."
+
+Und nach einem tiefen Seufzer fuhr der Pilger mit frischer und heiterer
+Stimme in dem Bericht seiner Erlebnisse fort.
+
+
+
+
+XIII. DER LEBEMANN
+
+
+So lebte ich denn im Elternhause zu Ujjeni.--Diese meine Vaterstadt, o
+Fremder, ist ja aber nicht weniger durch ihre Lustbarkeit und rauschende
+Lebensfreude als wegen ihrer glänzenden Paläste, und prächtigen Tempel
+in ganz Indien berühmt. Ihre breiten Straßen hallen bei Tage vom Wiehern
+der Pferde und Trompeten der Elefanten wider, und bei Nacht vom
+Lautenspiele der Verliebten und von den Liedern fröhlicher Zecher.
+
+Besonders aber erfreuen sich die Hetären Ujjenis eines außerordentlichen
+Rufes. Von den großen Kurtisanen, die in Palästen wohnen, Tempel den
+Göttern und öffentliche Gärten dem Volke stiften und in deren
+Empfangssälen man Dichter und Künstler, Schauspieler, vornehme Fremde,
+ja manchmal sogar Prinzen trifft--bis zu den gewöhnlichen Dirnen herab
+sind sie alle von schwellgliedriger Schönheit und unbeschreiblicher
+Anmut. Bei den großen Festlichkeiten, bei Aufzügen und Schaustellungen
+bilden sie den Hauptschmuck der blumenprangenden, wimpelumflatterten
+Straßen. In cochenilleroten Kleidern, duftende Kränze in den Händen, von
+Wohlgerüchen umwallt, von Diamanten funkelnd, siehst du sie dann, o
+Bruder, auf ihren besonderen Prachttribünen sitzen oder die Straßen
+dahinziehen, mit liebevollen Blicken, aufreizenden Gebärden und
+lachenden Scherzworten allerwärts die Sinnenglut der Lustverlangenden zu
+hellen Flammen schürend.
+
+Vom König verehrt, vom Volke angebetet, von den Dichtern besungen,
+heißen sie ja "die bunte Blumenkrone des felsenragenden Ujjeni" und
+ziehen uns den Neid der weniger begünstigten Nachbarstädte zu. Öfters
+gastieren auch dort die hervorragendsten unserer Schönheiten, ja es
+kommt sogar vor, daß eine solche durch eine königliche Verordnung
+zurückgerufen werden muß.
+
+Mir, der ich nun meinen lebenverzehrenden Kummer ertränken wollte, wurde
+von den Händen dieser fröhlichen Schwesterschaft der goldige Lustkelch
+des berauschenden Vergessenheitstrankes willig und reichlich an die
+Lippen geführt. Durch meine vielen Fähigkeiten und großen Kenntnisse der
+schönen Künste aller Art und nicht weniger aller geselligen Spiele wurde
+ich ein gern gesehener Gast der großen Kurtisanen, von denen eine sogar,
+deren Gunst mit Geld kaum aufzuwiegen war, sich zuletzt so
+leidenschaftlich in mich verliebte, daß sie sich meinetwegen mit einem
+Prinzen überwarf. Andererseits wurde ich durch meine völlige
+Beherrschung der Gaunersprache leicht vertraut mit den Dirnen der
+Gäßchen, deren Gesellschaft ich auf dem Wege derben Lebensgenusses
+keineswegs verschmähte, und von denen mehrere mir von Herzen ergeben
+waren.
+
+So tauchte ich denn tief in den rauschenden Strudel der Vergnügungen
+meiner Vaterstadt, und es wurde, o Fremder, eine sprichwörtliche
+Redensart in Ujjeni: "Ein Lebemann wie der junge Kamanita."
+
+Nun zeigte es sich aber, daß schlechte Gewohnheiten, ja selbst Laster
+manchmal dem Menschen einen Glücksfall bringen, so daß der weltlich
+Gesinnte nicht leicht entscheiden kann, ob er am meisten seinen guten
+oder seinen schlechten Eigenschaften sein Gedeihen zu verdanken hat.
+
+Jene Vertrautheit mit den niedrigeren Dirnen kam mir nämlich sehr
+zustatten. Im Hause meines Vaters wurde ein Einbruch verübt, und
+Juwelen, die ihm zum großen Teil zur Schätzung anvertraut waren,
+gestohlen, und zwar in einem Betrage, der kaum mehr zu ersetzen war. Ich
+war außer mir, denn völliger Ruin drohte uns. Vergebens bot ich alle die
+Kenntnisse auf, die ich im Walde mir erworben hatte. Nach der Weise, wie
+der unterirdische Gang angelegt war, konnte ich wohl sagen, was für
+einer Art von Dieben die Täterschaft zuzuschreiben sei. Aber selbst
+dieser so nützliche Wink war zwecklos für die Polizei--die allerdings in
+Ujjeni nicht auf ähnlicher Höhe steht wie die Hetärenwirtschaft, was
+vielleicht nicht ganz ohne inneren Zusammenhang sein mag. Habe ich doch
+in einem sehr gelehrten Vortrag über das Liebesleben der verschiedenen
+Stände folgenden Satz gehört: "Die Liebesabenteuer des Polizeimeisters
+haben während der nächtlichen Inspizierung stattzufinden und zwar mit
+den Stadtdirnen;"--was in Verbindung mit jener Vorlesung Vajaçravas'
+"Über die Nützlichkeit der Dirnen zum Hineinlegen der Polizei" in jener
+Zeit des ängstlichen Wartens mir manches zu denken gab.
+
+Nun scheint es ja aber in dieser unserer sonderbaren Welt so
+eingerichtet zu sein, daß die linke Seite für das aufkommen muß, was die
+rechte versäumt. Und so geschah es denn auch hier, daß jene üppige Blüte
+Ujjenis mir die Frucht trug, welche der, vielleicht wegen dieser
+Üppigkeit etwas kümmerlich geratene Dornenhag des Polizeiwesens zu
+zeitigen nicht vermochte. Denn die guten Mädchen, als sie mich wegen der
+mir und den Meinigen drohenden Not untröstlich sahen, ermittelten die
+Täter und zwangen sie, durch Androhung völliger Entziehung ihrer Gunst,
+die Beute wieder herauszugeben, so daß wir glimpflich davon kamen, mit
+Verlust des Wenigen, das schon verpraßt gewesen, und mit einem
+Schrecken, der für mich nicht ohne gute Wirkung blieb.
+
+Durch ihn wurde ich nämlich aus meinem Zeit und Jugendkraft unnütz
+vergeudenden Wüstlingsleben aufgerüttelt. Dieses war ohnehin zu einem
+Punkt gelangt, wo es mich entweder unter dem Joch der Gewohnheit völlig
+knechten und versumpfen lassen, oder aber mich anzuwidern anfangen
+mußte. Die letztere Wirkung wurde nun eben durch jenes Erlebnis
+gefördert. Ich hatte die Armut mir ins Gesicht starren sehen--die Armut,
+der mich jenes Leben wehrlos überliefert hätte, um mich dann treulos mit
+allen seinen kostspieligen Freuden zu verlassen. Nun besann ich mich auf
+jenes Wort des Kaufmannes am Grabe Vajaçravas: "Wenn ich so hoch in
+Gunst bei Vajaçravas stände wie du, dann würde ich in wenigen Jahren der
+reichste Mann in Kosambi sein." Und ich beschloß, der reichste Mann in
+Ujjeni zu werden, und zu diesem Zwecke mich mit aller Kraft auf den
+Karawanenhandel zu verlegen.
+
+Ob nun mein im Jenseits weilender Freund und Meister, Vajaçravas, mir
+bei meinen Unternehmungen in eigener Person beistand, wage ich nicht zu
+entscheiden, wiewohl ich es manchmal glaubte; sicher aber ist, daß seine
+Worte es jetzt nachträglich taten. Denn daß ich durch seine Belehrung
+mit allen Gewohnheiten und Gebräuchen der verschiedenen Räuberarten
+vertraut, ja selbst in ihre geheimen Regeln eingeweiht war, das setzte
+mich jetzt in den Stand, ohne törichte Waghalsigkeit Unternehmungen
+durchzuführen, die ein anderer nimmermehr hätte wagen dürfen. Gerade
+solche aber suchte ich mir jetzt aus und gab mich mit gewöhnlichen
+Reisen gar nicht mehr ab.
+
+Wenn ich nun eine große Karawane nach einer Stadt führte, zu der
+monatelang keine andere hatte vordringen können, weil gerade zu der Zeit
+starke Räuberbanden die Gegend gleichsam abgesperrt hatten, so fand ich
+die Einwohner dermaßen auf meine Waren erpicht, daß ich diese manchmal
+mit dem zehnfachen Gewinn absetzen konnte. Aber damit nicht genug: einen
+unschätzbaren Vorteil zog ich aus jener Belehrung "über die Kennzeichen
+der für Bestechung zugänglichen Beamten höheren und niederen Ranges
+nebst Anweisung über die dabei in Frage kommenden Geldbeträge"; und was
+ich im Verlauf weniger Jahre durch geschickte Benutzung dieser Winke
+gewonnen habe, kommt für sich allein einem mäßigen Vermögen gleich.--
+
+So vergingen denn einige Jahre in gesundem Wechsel zwischen allerlei
+Lebensgenüssen meiner freudigen Vaterstadt und gefahrreichen
+Geschäftsreisen, die übrigens bei allem Ernst auch nicht die Lust
+ausschlossen; denn ich stieg in den fremden Städten immer bei einer
+Hetäre ab, an die ich gewöhnlich von einer gemeinsamen Ujjenier Freundin
+empfohlen war, und die meine Kaufmannsgeschäfte oft gar schlau für mich
+einfädelte.
+
+Eines Tages trat nun mein Vater vormittags in mein Zimmer, als ich
+gerade damit beschäftigt war, auf meine Lippen Lackfarbe aufzutragen,
+während ich gleichzeitig meinem Diener Anweisungen gab, der im Hofe vor
+meinem Fenster mein Lieblingspferd sattelte. Das mußte diesmal mit
+besonderer Sorgfalt geschehen, und es sollten durch eine eigenartige
+Vorrichtung Kissen angeschnallt werden, denn ich mußte unterwegs eine
+Gazellenäugige vor mir im Sattel halten. Ich hatte nämlich mit mehreren
+Freunden und Freundinnen einen Besuch in einem öffentlichen Garten
+verabredet.
+
+Ich wollte sofort meinem Vater Erfrischungen bringen lassen; er lehnte
+es aber ab, und als ich ihm aus meiner goldenen Dose wohlriechende
+Mundkügelchen anbot, schlug er auch diese aus und nahm nur etwas Betel.
+Ich schloß daraus sofort, nicht ohne einige Beklemmung, daß er wohl
+etwas Ernstes vorhaben mochte.
+
+"Ich sehe, daß du dich zu einem Vergnügungsausflug bereit machst, mein
+Sohn," sagte er, nachdem er auf dem ihm von mir gebotenen Sitze Platz
+genommen hatte; "auch kann ich dies keineswegs tadeln, da du erst
+kürzlich von einer anstrengenden Geschäftsreise zurückgekehrt bist. Wo
+willst du heute hin, mein Sohn?"
+
+"Ich will, Vater, mit einigen Freunden und Freundinnen nach dem Garten
+der hundert Lotusteiche reiten, wo wir uns mit Spielen belustigen
+wollen."
+
+"Gut, sehr gut, mein Sohn! Reizend, entzückend ist ja der Aufenthalt im
+Garten der hundert Lotusteiche--tiefer Schatten der Bäume und kühlender
+Hauch des Wassers laden da zum Verweilen ein. Auch sind artige und
+sinnige Spiele zu loben, denn sie beschäftigen Körper und Geist ohne sie
+anzustrengen. Ob wohl jetzt noch dieselben Spiele gebräuchlich sind, die
+wir in meiner Jugend spielten? Was meinst du, Kamanita, wird wohl heute
+dort gespielt werden?"
+
+"Es kommt darauf an, Vater, wer von uns mit seinem Vorschlage
+durchdringt. Ich weiß, daß Nimi das Wasserspritzspiel vorschlagen will."
+
+"Das kenne ich nicht," sagte mein Vater.
+
+"Nein, Nimi hat es im Süden gelernt, wo es sehr Mode ist. Man füllt
+dabei Bambusrohre mit Wasser und bespritzt sich gegenseitig, und wer am
+nassesten wird, hat verloren. Das ist sehr drollig.--Kolliya aber will
+den Kadambakampf in Vorschlag bringen."
+
+Mein Vater schüttelte den Kopf:
+
+"Das kenn' ich auch nicht."
+
+"O, das ist jetzt sehr beliebt. Die Spielenden teilen sich in zwei
+Parteien, die einander bekämpfen, und dabei dienen eben die Zweige des
+Kadambastrauches mit ihren großen, goldigen Blüten als gar prächtige
+Schlagwaffen. Durch den Blütenstaub sind die Wunden kenntlich, so daß
+die Kampfrichter danach entscheiden können, welche Partei gewonnen hat.
+Das Ganze ist recht spannend und hat etwas Zierliches. Ich aber
+beabsichtige, das Hochzeitsspiel vorzuschlagen."
+
+"Das ist ein gutes altes Spiel," sagte mein Vater mit einem auffallenden
+Schmunzeln, "und es freut mich recht, daß du dafür eintreten willst,
+denn das zeugt von deiner Gesinnung. Vom Spiel zum Ernst ist der Schritt
+nicht gar zu groß."
+
+Dabei schmunzelte er wieder selbstgefällig, und mir wurde recht gruselig
+zumute.
+
+"Ja, mein Sohn," fuhr er fort, "ich komme dabei gerade auf das, was mich
+heute zu dir geführt hat. Du hast bei deinen vielen Kaufmannsreisen
+durch Geschicklichkeit und Glück unser Vermögen vervielfacht, so daß das
+Gedeihen unserer Geschäfte in Ujjeni sprichwörtlich geworden ist.
+Andererseits hast du aber auch in vollen Zügen deine Jugendfreiheit
+genossen. Aus dem ersteren folgt, daß du wohl imstande bist, deinen
+eigenen Haushalt zu gründen. Aus dem zweiten, daß es jetzt auch für dich
+an der Zeit ist, dies zu tun und daran zu denken, den Faden des
+Geschlechts weiterzuspinnen. Um dir, meinem lieben Sohn, alles recht
+leicht zu machen, habe ich schon im Voraus eine Braut für dich
+ausgesucht. Es ist die älteste Tochter unseres Nachbars Sanjaya, des
+großen Kaufmannes, die erst kürzlich das heiratsfähige Alter erreicht
+hat. Sie stammt also, wie du siehst, aus einer ebenbürtigen, achtbaren
+und sehr begüterten Familie und hat großen Verwandtenanhang, sowohl von
+väterlicher wie von mütterlicher Seite. Ihr Körper ist makellos; sie hat
+Haare von der Schwärze der Biene, ein Gesicht wie der Mond, die Augen
+eines Gazellenlammes, eine der Sesamblüte ähnelnde Nase, Zähne wie
+Perlen und Bimbalippen, von denen eine Stimme so süß wie die der Kokila
+ertönt. Ihr Schenkelpaar ist herzerfreuend wie ein Pisangstamm, und
+durch die Fülle der Hüften beschwert, hat ihr Gang die lässige Majestät
+des Ilfen. Du wirst also unmöglich etwas gegen sie einwenden können."
+
+Ich hatte in der Tat nichts gegen sie einzuwenden, außer etwa, daß ihre
+vielen mir so poetisch angepriesenen Reize mich völlig kalt ließen. Und
+ich gestehe, daß von allen Hochzeitszeremonien mir diejenige der drei
+Nächte der Enthaltsamkeit, in denen ich der Satzung gemäß mit meiner
+jungen Gattin, nichts Scharfgewürztes essend, auf dem Boden schlafend
+und das Hausfeuer unterhaltend, die Keuschheit zu bewahren hatte, die am
+wenigsten lästige war.
+
+Eine ungeliebte Frau, o Bruder, macht das Heim nicht lieb und das Haus
+nicht fesselnd, und so begab ich mich von jetzt ab fast noch williger
+als zuvor auf Reisen und kümmerte mich in der Zwischenzeit nur um meine
+Geschäfte. Und da ich--um der Wahrheit die Ehre zu geben--bei diesen
+nicht gar zu skrupelhaft zu Werke ging, sondern ohne viel Bedenken
+meinen Vorteil nahm, wo ich ihn sah, so wuchs mein Reichtum dermaßen,
+daß ich mich nach wenigen Jahren dem Ziel meines Ehrgeizes nahe fand und
+einer der reichsten Bürger meiner Vaterstadt war.
+
+Nun wollte ich aber auch als Hausherr und Familienvater--denn meine
+Gattin hatte mir zwei Töchter geboren--meines Reichtums recht genießen
+und besonders auch vor meinen Mitbürgern damit prunken. Ich erwarb mir
+deshalb ein großes Grundstück in der Vorstadt, wo ich einen gar
+prächtigen Lustgarten anlegte und in seiner Mitte ein geräumiges, mit
+marmornen Säulenhallen versehenes Haus errichten ließ. Dies Besitztum
+wurde zu den Wundern Ujjenis gerechnet, und selbst der König kam, um es
+zu besichtigen.
+
+Hier veranstaltete ich nun märchenhafte Gartenfeste und gab die
+üppigsten Gastmähler. Denn ich hatte mich mehr und mehr auf die Freuden
+der Tafel geworfen. Die leckersten Speisen, die zur betreffenden
+Jahreszeit überhaupt für Geld zu haben waren, mußten auf meinem Tische
+sein, selbst zu den täglichen Mahlzeiten. Damals war ich nicht, wie du
+mich jetzt siehst, durch lange Wanderungen, durch Waldaufenthalt und
+Askese hager und abgezehrt, sondern von blühender Körperfülle; ja ein
+Bäuchlein hatte schon angefangen sich zu runden.
+
+Und es wurde, o Fremder, eine sprichwörtliche Redensart in Ujjeni: "Man
+ißt bei ihm, wie beim Kaufmann Kamanita."
+
+
+
+
+XIV. DER EHEMANN
+
+
+Eines Morgens ging ich in den Anlagen mit meinem Obergärtner, um zu
+erwägen welche neue Verbesserungen anzubringen wären, als mein Vater auf
+seinem alten Esel in den Hof ritt. Ich eilte hin, um ihm beim Absteigen
+behilflich zu sein, und wollte ihn in den Garten führen, da ich glaubte,
+er käme, um dessen Blumenpracht zu genießen. Er zog es aber vor, ins
+erste beste Zimmer zu treten, und als ich dem Diener befahl,
+Erfrischungen zu bringen, schlug er auch diese aus--er wolle ungestört
+mit mir sprechen.
+
+Etwas unheimlich berührt, eine drohende Gefahr witternd, nahm ich neben
+ihm auf einem niedrigen Sitze Platz.
+
+"Mein Sohn," fing er nun sehr ernst an, "deine Frau hat dir nur zwei
+Töchter geboren, und es ist keine Aussicht, daß sie dir einen Sohn
+schenken wird. Nun heißt es ja aber sehr richtig, daß der Mann
+erbärmlich stirbt, für den kein Sohn das Totenopfer vollziehen kann. Ich
+tadle dich nicht, mein Sohn," fügte er hinzu, als er bemerken mochte,
+daß ich etwas unruhig wurde; und obwohl ich nicht wußte, wodurch ich mir
+in diesem Handel hätte Tadel verdienen können, dankte ich ihm mit
+geziemender Demut für seine Milde und küßte seine Hand.
+
+"Nein, ich muß mich selber tadeln, weil ich bei der Wahl deiner Frau
+mich durch weltliche Rücksichten auf Familie und Güter zu sehr habe
+blenden lassen und nicht genügend auf die Zeichen achtete. Das Mädchen,
+das ich jetzt für dich im Auge habe, ist zwar aus einer wenig
+hervorragenden und keineswegs begüterten Familie; auch kann man ihr das,
+was der oberflächliche Betrachter 'Schönheit' nennt, nicht nachrühmen.
+Dafür aber hat sie einen tief sitzenden und nach rechts gedrehten Nabel;
+sowohl Hände wie Füße weisen Lotus-, Krug- und Radmal auf; ihr Haar ist
+ganz glatt, nur im Nacken hat sie zwei nach rechts gewundene Locken. Von
+einem Mädchen, das solche Zeichen besitzt, sagen ja die Weisen, daß es
+fünf Heldensöhne gebären wird."
+
+Ich erklärte mich mit dieser Aussicht vollkommen befriedigt, dankte
+meinem Vater für die Güte, mit der er für mich sorgte, und sagte, ich
+sei bereit, das Mädchen sofort heimzuführen. Denn ich dachte: wenn es
+doch sein muß!...
+
+"Sofort?" rief mein Vater erschrocken aus. "Aber, mein Sohn! Dämpfe dein
+Ungestüm! Wir sind ja jetzt im südlichen Laufe der Sonne. Wenn diese
+Gottheit in ihren nördlichen Lauf eintritt, und wir dann die
+Monatshälfte, in welcher der Mond zunimmt, erreichen, dann wollen wir
+einen günstigen Tag zur Handergreifung erwählen--aber eher nicht--eher
+nicht, mein Sohn! Was würden uns sonst alle guten Eigenschaften der
+Braut nützen?"
+
+Ich bat meinen Vater, unbesorgt zu sein. Ich würde mich so lange
+gedulden und mich in allen Punkten von seiner Weisheit leiten lassen;
+worauf er meinen Gehorsam lobte, mir seinen Segen erteilte und mir
+gestattete, daß ich Erfrischungen kommen ließ.
+
+Endlich nahte der von mir nicht sehr ersehnte Tag, auf den sich alle
+glückverheißenden Zeichen vereinten. Die Zeremonien waren diesmal noch
+viel umständlicher; ich hatte vorher volle vierzehn Tage gebraucht, um
+alle notwendigen Sprüche genau einzustudieren. Welche Angst ich während
+der Handergreifung im Hause meines Schwiegervaters ausgestanden habe,
+läßt sich mit Worten kaum beschreiben, Ich zitterte fortwährend vor
+Furcht, daß ich irgend einen Vers nicht ganz richtig oder genau bei der
+Bewegung, zu der er gehörte, hersagen möchte; denn mein Vater hätte mir
+das ja nie vergeben. Und darüber hätte ich beinahe die Hauptsache
+vergessen, denn anstatt ihren Daumen zu ergreifen, faßte ich nach ihren
+vier Fingern, als ob ich wünschte, daß sie mir Töchter gebären
+sollte--aber glücklicherweise hatte die Braut Geistesgegenwart genug, um
+mir den Daumen in die Hand zu schieben.
+
+Ich war ganz in Schweiß gebadet, als ich endlich zur Abfahrt die Stiere
+einspannen konnte, während meine Braut in die Kummetlöcher der Geschirre
+je einen Zweig von einem fruchttragenden Baume steckte. Ich sprach aber
+den betreffenden Halbvers mit dem Bewußtsein, daß jetzt das Schlimmste
+vorüber sei. Die Gefahren waren jedoch keineswegs überstanden.
+
+Zwar erreichten wir mein Haus, ohne daß irgend einer von den vielen
+kleinen Unfällen, die bei einer solchen Gelegenheit wie auf der Lauer
+liegen, unterwegs sich ereignet hätte. Vor der Tür angekommen, wurde die
+Braut von drei Brahmanenfrauen unbescholtenen Wandels, die alle nur
+Knaben geboren hatten, und deren Männer noch lebten, vom Wagen gehoben.
+So weit ging Alles gut. Nun aber kannst du dir, Bruder, meinen Schrecken
+denken, als beim Eintreten ins Haus der Fuß meiner Frau _beinahe_ die
+Schwelle berührt hätte. Ich weiß noch heute nicht, woher ich die
+Entschlossenheit nahm, sie in meinen Armen hoch empor zu heben und
+dadurch zu verhüten, daß eine Berührung wirklich stattfände. Immerhin
+war eine solche Unregelmäßigkeit beim Hineingehen schlimm genug, und
+dazu kam, daß ich nun selber vergaß, mit dem rechten Fuß zuerst
+einzutreten. Glücklicherweise waren Alle, und besonders mein Vater, über
+die drohende Berührung der Schwelle dermaßen entsetzt, daß mein
+Fehltritt fast gänzlich unbeachtet blieb.
+
+In der Mitte des Hauses nahm ich zur Linken meiner Frau auf einem roten
+Stierfell Platz, das mit der Nackenseite nach Osten und mit der
+Haarseite nach oben lag. Nun hatte mein Vater nach langem Suchen und mit
+unendlicher Mühe ein männliches Wunderkind ausfindig gemacht, das selber
+nur Brüder und keine Schwester--auch keine gestorbene--hatte und von
+einem Vater stammte, der sich in demselben Fall befand, nur Brüder zu
+haben, was sogar auch noch von dessen Vater galt--alles gerichtlich
+bescheinigt. Dies Knäblein sollte nun meiner Braut auf den Schoß gesetzt
+werden. Schon stand an ihrer Seite die kupferne Schüssel bereit mit den
+im Schlamme gewachsenen Lotusblumen, die sie dem Kinde in die
+zusammengelegten Hände geben sollte;--da war das Unglücksmenschlein
+nirgends zu finden. Erst nachher, als es schon zu spät war, entdeckte
+ein Diener, daß der Kleine das Opferbett zwischen den Feuern gar zu
+verlockend gefunden und sich in dem weichen Grase gewälzt hatte, bis er
+fast gänzlich darin begraben war. Nun mußte natürlich das Opferbett neu
+geschichtet und dazu frisches Kugagras geschnitten werden--was schon an
+sich verkehrt war, weil ja das Gras bei Sonnenaufgang geschnitten sein
+muß.
+
+Diese Krone des ganzen Werkes fahren lassend, mußten wir uns mit einem
+in aller Hast herbeigeschafften Knäblein begnügen, dessen Mutter nur
+Söhne geboren hatte. Mein Vater war aber über das Mißlingen dieser
+Maßregel, auf die er so große Hoffnung gesetzt hatte, dermaßen erregt,
+daß ich fürchtete, der Schlag könne plötzlich seinem teuren Leben ein
+Ende machen. Freilich wäre er unter keinen Umständen jetzt gestorben, um
+nur nicht dadurch den Zeremonien den allerverderblichsten Abbruch zu
+tun. Diese tröstliche Betrachtung stellte ich aber damals nicht an.
+Während ich von entsetzlicher Furcht gequält wurde, mußte ich die
+Wartezeit bis zur Ankunft des Ersatzknaben damit ausfüllen, daß ich
+ununterbrochen geeignete Sprüche hersagte, damit ja nicht eine leere
+Pause entstände.
+
+In dieser Stunde aber gelobte ich mir fest, daß ich, was auch kommen
+möchte, nie wieder heiraten würde.
+
+Nachdem endlich Alles erledigt war, mußte ich mit meiner Gemahlin--die
+gar nicht ein solcher Ausbund von Häßlichkeit war, wie ich nach der
+Empfehlung meines Vaters erwartet hatte--zwölf Nächte in gänzlicher
+Enthaltsamkeit und unter strengem Fasten, auf dem Fußboden schlafend,
+zubringen. Diesmal waren es nämlich _zwölf_ Nächte, weil mein Vater
+meinte, wir müßten lieber zuviel, denn zuwenig des Guten tun. Dabei
+empfand ich nun freilich recht schmerzlich, daß ich während der ganzen
+Zeit alle meine gewürzten Lieblingsgerichte entbehren mußte.
+
+Indessen auch diese Probe wurde überstanden, und das Leben ging in dem
+alten Geleise weiter--jedoch mit einem sehr wesentlichen Unterschied. Es
+sollte sich mir nämlich nun bald zeigen, wie berechtigt meine Scheu vor
+dem neuen Heiratsvorschlag meines Vaters gewesen war. Wohl hatte ich
+mich sofort damit getröstet, daß man, wenn man _eine_ Frau hatte, auch
+zwei haben konnte. Aber, ach! wie hatte ich mich darin getäuscht!
+
+Meine erste Frau hatte immer einen sanftmütigen Charakter gezeigt, der
+eher zum Stumpfsinn als zu auffahrender Heftigkeit neigte; und auch
+meiner zweiten Frau rühmte man eine echt weibliche Milde nach. So sind
+ja auch, o Bruder, das Wasser und das Hausfeuer alle beide gar
+wohltätige Dinge; wenn sie aber auf dem Kochherd zusammentreffen, dann
+zischt's. Und so hat es denn von jenem Unglückstage an in meinem Hause
+gezischt. Aber wie wurde es erst, als meine zweite Frau mir nun wirklich
+den ersten jener fünf verheißenen Heldensöhne gebar! Nun beschuldigte
+mich meine erste Frau, ich hätte mit ihr keine Söhne haben wollen und
+nicht die rechten Opfer gebracht, um so einen Vorwand zu haben, eine
+andere zu heiraten; während meine zweite Frau, wenn sie von der ersten
+gereizt wurde, es an bitterem Hohn ihr gegenüber nicht fehlen ließ. Auch
+herrschte ein fortwährender Rangstreit; meine erste Frau forderte als
+solche den Vorrang, während meine zweite als Mutter meines Sohnes
+dieselbe Forderung erhob.
+
+Aber bald sollte es noch schlimmer kommen. Eines Tages stürzte meine
+zweite Frau ganz zitternd vor Erregung zu mir herein und verlangte, ich
+sollte die erste fortschicken, da diese meinen Sohn vergiften wolle--der
+Knabe hatte nämlich Leibschneiden bekommen, weil er genascht hatte. Ich
+wies sie streng zurecht, kaum aber war ich sie los geworden, als die
+erste hereinstürzte und rief, ihre beiden Lämmchen wären ihres Lebens
+nicht mehr sicher, solange jenes niederträchtige Weib im Hause
+bliebe--ihre Nebenbuhlerin wolle meine Töchterchen aus dem Wege räumen,
+damit deren Mitgift nicht das Erbe ihres Sohnes vermindern sollte.
+
+So war denn unter meinem Dach kein Frieden mehr zu finden. Wenn du, o
+Bruder, vorhin vielleicht am Gehöfte des reichen Brahmanen unweit von
+hier stehen geblieben bist und gehört hast, wie drinnen die beiden
+Frauen des Brahmanen keiften, mit lauten, schreienden Stimmen sich
+zankten und sich gegenseitig mit groben Schimpfworten bewarfen--dann
+bist du sozusagen auch an meinem Hause vorübergekommen.
+
+Und es wurde nun leider auch eine sprichwörtliche Redensart in Ujjeni;
+"Die beiden vertragen sich wie die Frauen Kamanitas."
+
+
+
+
+XV. DER KAHLE PFAFF
+
+
+So waren die Verhältnisse in meinem Hausstande, als ich mich eines
+Vormittags in dem geräumigen, auf der Schattenseite gelegenen Zimmer
+befand, das ich zum Besorgen aller geschäftlichen Angelegenheiten
+benutzte, und das deswegen dem Hofe zugekehrt war; denn es war mir
+bequem, von dort aus die wirtschaftlichen Vorgänge im Auge behalten zu
+können. Vor mir stand ein bewährter Diener, der alle meine Fahrten
+während einer Reihe von Jahren mitgemacht hatte, und ich gab ihm genaue
+Anweisungen über die Führung einer Karawane nach einem ziemlich
+entfernten Orte, sowie über die Art und Weise, wie er dort am besten die
+Waren würde absetzen können, welche Produkte er von dort aus
+zurückbringen müsse, welche Geschäftsverbindungen er dort anzuknüpfen
+habe und was dergleichen mehr war--denn ich wollte ihm die ganze Sache
+anvertrauen.
+
+Allerdings war meine Häuslichkeit weniger anheimelnd als je, und man
+könnte glauben, daß ich mit Freuden jede Gelegenheit ergriffen hätte, um
+in der Fremde umherzuschweifen. Aber ich fing jetzt an, etwas bequem und
+verwöhnt zu werden und scheute eine längere Reise, nicht nur wegen der
+Strapazen der Fahrt, sondern vor allem wegen der kargen Kost, mit der
+man, wenigstens unterwegs, vorlieb nehmen mußte. Ja, wenn man auch an
+Ort und Stelle angekommen, das Verlorene nachholen und sich recht
+gütlich tun wollte, so erlitt man doch oft Enttäuschungen, und
+jedenfalls, so gut wie am eigenen Tische aß ich dort nirgends.
+
+So hatte ich denn angefangen, meine Karawanen unter zuverlässigen
+Führern auszusenden, während ich selber zu Hause sitzen blieb.
+
+Als ich nun mitten in meinen sehr umständlichen und gar wohlüberlegten
+Anweisungen war, erschallten vom Hofe her die zänkischen Stimmen meiner
+beiden Frauen, und zwar ungewöhnlich laut und mit einem Redefluß, der
+nicht aufhören zu wollen schien. Ärgerlich über diese lästige Störung
+sprang ich schließlich auf, und nachdem ich vergebens durchs Fenster
+geblickt hatte, trat ich in den Hof hinaus.
+
+Ich sah meine beiden Frauen am Eingangstor stehen. Aber weit davon
+entfernt, sie in gegenseitigem Zank zu finden--wie ich es erwartet
+hatte--, traf ich sie zum ersten Male einig, indem sie sich einen
+gemeinsamen Gegner ausgesucht hatten, über den sich ihr vereinigter Zorn
+ergoß. Dieser Unglückliche war ein wandernder Asket, der an den
+Torpfosten gelehnt dastand, und ruhig diesen Strom von Beschimpfungen
+über sich ergehen ließ. Was der eigentliche Grund ihres Angriffes war,
+habe ich nie erfahren, vermute aber, daß der bei beiden stark
+entwickelte mütterliche Instinkt in diesem Entsager einen Verräter gegen
+die heilige Sache der menschlichen Vermehrung und einen Feind ihres
+Geschlechts gewittert hatte, und daß sie sich so unwillkürlich über ihn
+geworfen hatten wie zwei Ichneumons über eine Cobra.
+
+"Pfui über ihn, den kahlen Pfaffen, den schamlosen Bettler!--Sieh
+nur, wie er dasteht, mit gebeugten Schultern und gesenktem
+Blick--Frömmigkeit, Beschaulichkeit atmet er aus, der Heuchler, der
+Gleißner! Nach dem Kochtopf späht er hin, schaut nach und schnüffelt und
+schnuppert--wie der Esel, vom Karren losgeschnallt, im Hofe zum
+Kehrichthaufen geht und hinspäht, und nachschaut, und schnüffelt und
+schnuppert.... Pfui über ihn, den faulen Tagedieb, den schamlosen
+Bettler, den kahlen Pfaffen!"
+
+Der Gegenstand dieser und ähnlicher Schmähreden, jener wandernde Asket,
+ein Mann von auffallend hohem Wuchse, stand unterdessen immer noch an
+den Türpfosten gelehnt, in gelassener Haltung da. Sein Mantel, von der
+gelben Farbe der Kanikarablume und dem deinigen nicht unähnlich, fiel in
+malerischen Falten über seine linke Schulter bis zu den Füßen hinab und
+ließ einen kräftigen Körperbau erraten. Der schlaff herabhängende rechte
+Arm war unbedeckt, und ich konnte nicht umhin, das gewaltige Geflecht
+der Muskeln zu bewundern, das eher der wohlerworbene Besitz eines
+Kriegers als das müßige Erbteil eines Asketen zu sein schien; auch die
+tönerne Almosenschale mutete mich in seiner nervigen Hand ebenso
+sonderbar und unangemessen an, wie eine eiserne Keule mir dort an
+rechter Stelle erschienen wäre. Sein Kopf war geneigt, der Blick zu
+Boden gesenkt, keine Miene verzog sich um den Mundwinkel, und so stand
+er regungslos da, als ob ein tüchtiger Künstler das Bild eines
+wandernden Asketen in Stein gehauen und fein bemalt und bekleidet hätte,
+und ich nun dieses Bildwerk an meinem Tor hätte aufstellen lassen--etwa
+als Wahrzeichen meiner Freigebigkeit.
+
+Diese seine Ungestörtheit, die ich für Sanftmut hielt, meine beiden
+Frauen aber als Verachtung auffaßten, spornte natürlich diese zu immer
+größeren Anstrengungen an, und so wäre es wohl schließlich zu
+Tätlichkeiten gekommen, wenn ich nicht dazwischen getreten wäre, meinen
+bösen Frauen ihr schändliches Betragen verwiesen und sie ins Haus gejagt
+hätte.
+
+Dann trat ich zum Asketen hin, verneigte mich ehrerbietig und sprach:
+
+"Wolle, Ehrwürdigster, dir nicht zu Herzen nehmen, was diese Frauen,
+deren Verstand ja kaum zwei Finger breit ist, an Ungebührlichem,
+Unziemlichem gesagt haben mögen! Wolle, Ehrwürdigster, nicht deshalb mit
+deinem Asketenzorn dies mein Haus vernichtend treffen! Ich will ja,
+Ehrwürdigster, selber deine Almosenschale mit dem Besten füllen, was das
+Haus vermag--welch ein Glück, daß sie noch leer ist! Ich will sie
+füllen, daß kein Bissen mehr hineingeht, und kein Nachbar sich heute
+dadurch, daß er dich ernährt, Verdienst erwerben kann. Du bist auch
+wahrlich nicht vor die unrechte Schmiede gekommen, Ehrwürdigster, und
+ich denke, das Essen wird dir munden, denn es ist sogar eine
+sprichwörtliche Redensart hier in Ujjeni: 'Man ißt bei ihm, wie beim
+Kaufmann Kamanita'--und der bin ich. Wolle also, Ehrwürdiger, nicht über
+das Vorgefallene zürnen und meinem Hause fluchen."
+
+Der Asket aber antwortete darauf, mit nicht eben unfreundlicher Miene:
+
+"Wie könnte ich wohl, o Hausvater, über solche Schimpfereien zürnen, da
+es mir doch zusteht, wegen viel gröberer Behandlung sogar dankbar zu
+sein. Denn einst, o Hausvater, begab ich mich, zeitig gerüstet, mit
+Mantel und Schale versehen, in eine Stadt, um Almosenspeisen zu sammeln.
+In dieser Stadt aber hatte Mara, der Teufel, gerade damals die Brahmanen
+und Hausväter gegen den Orden der Heiligen aufgehetzt. 'Geht mir mit
+euren tugendhaften, edelgearteten Asketen! Beschimpft sie, beleidigt
+sie, verjagt sie, verfolgt sie.' Und so geschah es, Hausvater, als ich
+nun die Straßen daherging, daß bald ein Stein mir an den Kopf flog, bald
+ein Scherben mich im Gesicht traf, bald ein Stock meinen Arm halb
+zerquetschte. Als ich nun mit zerschnittenem, von Blut überströmtem
+Kopfe, mit zerbrochener Schale und zerrissenem Mantel zum Meister
+zurückkam, sagte dieser: 'Dulde nur, Asket, dulde nur! Um welcher Tat
+Vergeltung du viele Jahre Höllenqual erlitten hättest, dieser Tat
+Vergeltung findest du noch bei Lebzeiten.'
+
+Bei den ersten Lauten seiner Stimme zuckte mir ein jäher Schreck durch
+den Leib vom Scheitel bis zur Sohle, und mit jedem Wort durchdrang ein
+eisiges Erstarren tiefer mein ganzes Wesen. Denn das war ja, o Bruder,
+die Stimme Angulimalas, des Räubers--wie konnte ich daran zweifeln? Und
+als mein krampfhafter Blick sich an sein Gesicht heftete, erkannte ich
+auch dieses wieder, obschon ihm früher der Bart fast bis an die Augen
+gegangen und das Haar ihm tief in die Stirn gewachsen war, während er
+jetzt kahl und rasiert vor mir stand. Nur zu gut erkannte ich die Augen
+unter den buschigen, zusammengewachsenen Brauen wieder, obwohl sie mir
+nicht wie damals Zornesblitze entgegensprühten, sondern mit tiefer
+Verstellungskunst mich vielmehr freundlich anblickten; und die sehnigen
+Finger, die die Almosenschale umspannten--gewiß waren es dieselben, die
+einst wie Teufelskrallen meine Kehle umklammert hatten.
+
+"Wie sollte ich wohl, o Hausvater"--fuhr mein unheimlicher Gast
+fort,--"wie sollte ich wohl über Schimpfreden in Zorn geraten? Denn der
+Meister hat ja gesagt: 'Wenn auch, ihr Jünger, Räuber und Mörder euch
+mit einer Baumsäge Gelenke und Glieder abtrennten, so würde, wer da in
+Wut geriete, nicht meine Weisung erfüllen.'"
+
+Als ich aber, o Bruder, diese Worte mit ihrer so teuflisch versteckten
+und mir so deutlichen Drohung vernahm, zitterten mir die Beine dermaßen,
+daß ich mich an der Wand festhalten mußte, um nicht umzusinken. Nur mit
+Mühe vermochte ich mich so weit zusammenzunehmen, daß ich, mehr noch
+durch Gebärden als mit einigen hergestammelten Worten, dem als Asketen
+verkleideten Räuber bedeuten konnte, er möchte sich gedulden, bis ich
+die Speisen beschafft hätte.
+
+Dann eilte ich, so schnell wie meine wackeligen Beine mich tragen
+wollten, quer über den Hof in die große Küche, wo gerade das Mittagsmahl
+für meine Familie und die ganze Haushaltung zubereitet wurde, und es in
+allen Pfannen und Töpfen briet und brodelte. Hier wählte ich nun ebenso
+schnell wie sorgfältig das Beste und Schmackhafteste aus. Mit einer
+goldenen Kelle bewaffnet und von einer ganzen Schar schüsseltragender
+Diener gefolgt, stürzte ich wieder in den Hof, um meinen furchtbaren
+Gast zu bedienen und womöglich zu versöhnen.
+
+Angulimala aber war verschwunden.
+
+
+
+
+XVI. KAMPFBEREIT
+
+
+Halb ohnmächtig sank ich auf eine Bank nieder. Doch fingen meine
+Gedanken sofort wieder zu arbeiten an. Angulimala war dagewesen, dessen
+war kein Zweifel; und auch der Grund seines Kommens war mir nur zu klar.
+Wie viele Geschichten hatte ich nicht über seine Unversöhnlichkeit und
+Rachsucht gehört! Nun hatte ich ja aber das Unglück gehabt, seinen
+besten Freund zu erschlagen, und von meinem Aufenthalt unter den Räubern
+wußte ich wohl, daß die Freundschaft bei ihnen nicht weniger gilt als
+bei einer ehrsamen Bürgerschaft, wenn nicht sogar weit mehr. Als ich
+aber sein Gefangener war, konnte Angulimala mich nicht töten, ohne sich
+gegen die Regeln der "Absender" zu versündigen; und trotzdem hätte er es
+zweimal beinahe getan und damit einen unauslöschlichen Fleck auf seine
+Räuberehre gesetzt. Nun aber hatte er endlich dieses, von dem sonstigen
+Gebiete seiner Tätigkeit weit abseits gelegene Land aufsuchen können und
+wollte jetzt das Versäumte nachholen. In der Verkleidung eines Asketen
+hatte er die Örtlichkeiten bequem in Augenschein nehmen können und ohne
+Zweifel wollte er noch in derselben Nacht handeln. Wenn er auch bemerkt
+haben mochte, daß ich ihn wieder erkannte, durfte er doch nicht zögern,
+denn diese Nacht war die letzte der dunklen Hälfte des Monats, und ein
+Unternehmen wie dieses in der lichten Hälfte auszuführen, wäre ein
+Verstoß gegen die heiligen Räubergesetze gewesen, der ihm den strafenden
+Zorn der schrecklichen Göttin Kali hätte zuziehen müssen.
+
+Sofort ließ ich mein bestes Pferd satteln und ritt in die Stadt nach dem
+Palast des Königs. Leicht hätte ich bei ihm Zutritt erhalten, aber zu
+meiner Enttäuschung erfuhr ich, daß er sich gerade in einem seiner
+fernen Jagdschlösser aufhielt. Ich mußte mich also damit begnügen, den
+Minister aufzusuchen. Dieser war gerade derselbe Mann, der einst jene
+Gesandtschaft nach Kosambi geführt hatte und in dessen Obhut, wie du
+dich erinnern wirst, ich wohl hin--aber nicht zurückgereist war. Seit
+jenem Tage nun, an dem ich mich geweigert hatte, ihm zu folgen, war er
+mir nicht sehr gewogen, was ich bei verschiedenen Begegnungen gespürt
+hatte, wie ich denn auch wußte, daß er sich des öfteren über meinen
+Lebenswandel aufgehalten hatte. Bei ihm meine Sache vorbringen zu
+müssen, war mir nicht gerade angenehm; indessen ihre Berechtigung, ja
+sogar Verdienstlichkeit war so augenscheinlich, daß hier, wie mir
+schien, für persönliche Ab- oder Zuneigung wenig Spielraum war.
+
+Ich erzählte ihm also so kurz und klar wie möglich, was sich in meinem
+Hofe zugetragen hatte, und fügte die fast selbstverständliche Bitte
+hinzu, eine Truppenabteilung möge für die Nacht in meinem Haus und
+Garten aufgestellt werden, um mein Besitztum gegen den sicher zu
+erwartenden Angriff der Räuber zu verteidigen und so viele wie möglich
+von diesen gefangenzunehmen.
+
+Der Minister hörte mich schweigend und mit einem unergründlichen Lächeln
+an. Dann sagte er:
+
+"Mein guter Kamanita! Ich weiß nicht, ob du heute schon einen recht
+kräftigen Frühtrunk zu dir genommen hast, oder noch unter dem Einfluß
+einer deiner in Ujjeni sprichwörtlich berühmten nächtlichen Gelage
+stehst, oder ob du dir gar überhaupt durch deine ebenfalls
+sprichwörtlich berühmten scharf gewürzten Leckereien dermaßen den Magen
+verdorben hast, daß du nicht nur bei Nacht, sondern auch am hellen Tag
+böse Träume hast. Denn nur als einen solchen kann ich diese hübsche
+Geschichte betrachten, zumal wir wissen, daß Angulimala längst nicht
+mehr unter den Lebenden weilt."
+
+"Das war aber ein falsches Gerücht, wie wir jetzt sehen," rief ich
+ungeduldig.
+
+"_Ich_ sehe das keineswegs," versetzte er in scharfem Ton. "Von falschem
+Gerücht kann hier keine Rede sein, denn kurze Zeit nach der Begebenheit
+hat Satagira selber mir in Kosambi erzählt, daß Angulimala in den
+unterirdischen Gewölben des Ministerpalastes unter den Folterwerkzeugen
+gestorben sei, und ich habe noch seinen Kopf über dem östlichen Stadttor
+aufgespießt gesehen."
+
+"Ich weiß nicht, wessen Kopf du dort gesehen hast," sagte ich--"das aber
+weiß ich genau, daß ich noch vor einer Stunde den Kopf Angulimalas
+wohlbehalten auf seinen Schultern gesehen habe, und daß ich so wenig
+deinen Spott verdiene, daß du mir vielmehr danken solltest, weil du
+durch mich Gelegenheit bekommst--
+
+"Einen toten Mann totzuschlagen und aus mir selbst einen Narren zu
+machen," unterbrach mich der Minister--"ich danke!"
+
+"Dann bitte ich wenigstens zu bedenken, daß es sich hier nicht um den
+ersten besten Besitz handelt, sondern um ein Haus und um Gartenanlagen,
+die zu den Wundern Ujjenis gerechnet werden, und die unser gnädiger
+König selber mit großer Bewunderung besichtigt hat. Er wird dir's nicht
+danken, wenn Angulimala diese Herrlichkeiten seiner Hauptstadt
+einäschert."
+
+"O, das kümmert mich wenig," antwortete dieser Unmensch lachend. "Folge
+meinem Rat, gehe nach Hause, beruhige dich durch ein Schläfchen und laß
+die Sache dich nicht weiter kümmern. Das Ganze kommt übrigens daher, daß
+du dich damals in Kosambi in ein galantes Abenteuer gestürzt hast und
+töricht genug warst, meine Worte in den Wind zu schlagen und nicht mit
+mir abzureisen. Hättest du das getan, dann wärest du nie in Angulimalas
+Hände gefallen und würdest jetzt nicht von einer grundlosen und leeren
+Angst geplagt. Auch ist dein monatelanges Zusammenleben mit dem
+Räubergesindel für deine Sitten nicht günstig gewesen, wie wir ja alle
+hier in Ujjeni gesehen haben."
+
+Er erging sich noch in einigen moralisierenden Gemeinplätzen und entließ
+mich dann.
+
+Schon unterwegs überlegte ich mir, was nun, da ich auf mich selber
+angewiesen war, zu tun sei. In meinem Hause angekommen, ließ ich sofort
+alle beweglichen Schätze, die sich da fanden, vornehmlich solche Dinge
+wie kostbare Teppiche, eingelegte Tische und ähnliches in den Hof
+bringen und dort auf Karren verladen, um diesen Teil meiner Güter in der
+inneren Stadt in Sicherheit zu bringen. Gleichzeitig ließ ich an alle
+meine Leute Waffen verteilen--sowohl Karren wie Waffen waren ja
+reichlich wegen der beabsichtigten Karawanenfahrt vorhanden. Aber dabei
+ließ ich es nicht bewenden. Das Allererste, was ich zu tun hatte, war,
+einige vertraute Diener in die Stadt zu schicken, um dort gegen
+Versprechen eines ansehnlichen Lohnes mutige und waffentüchtige Kerle
+für die Nacht zu werben. Für jeden anderen wäre dies nun freilich ein
+gar gefährliches Wagestück gewesen; denn wie leicht konnten solche Leute
+im entscheidenden Augenblick mit den Angreifern gemeinsame Sache machen!
+Ich vertraute aber gewissen Freundinnen, die meinen Dienern nur
+zuverlässige Spitzbuben empfahlen--nämlich solche, die zwar sonst zu
+Allem fähig sind, denen aber doch ihr feierlich gegebenes Wort und das
+genommene Handgeld heilig sind. Da ich dies Gesindel und seine
+sonderbaren Gewohnheiten kannte, wußte ich wohl, was ich tat.
+
+Während dieser Vorbereitungen schickte ich, da ich selber nicht Zeit
+hatte, zu meinen Frauen zu gehen, einen Diener zu einer jeden von ihnen
+und ließ ihnen sagen, sie müßten sich bereit halten--die erste mit ihren
+beiden Töchterchen, die zweite mit ihrem Söhnlein--noch heute nach der
+Stadt ins Vaterhaus zu ziehen. Daß es nur für die eine Nacht sein
+sollte, ließ ich sie nicht wissen, weil ich wohlweislich bedacht hatte,
+wenn sie erst einmal dort wären, könnten sie auch eine Woche oder länger
+dort bleiben, und ich würde unterdessen zu Hause einen ungeahnten
+Frieden genießen--vorausgesetzt natürlich, daß es mir gelänge, den
+Angriff abzuschlagen. Ebensowenig ließ ich sie den Grund zu dieser
+Maßregel erfahren, weil man ja überhaupt Weibern gegenüber sich nicht
+auf Gründe berufen soll.
+
+Ich war nun gerade im Begriff, meiner bewaffneten Dienerschaft eine
+anfeuernde Rede zu halten, wie ich das bei gefahrdrohenden Gelegenheiten
+während einer Karawanenreise immer und mit großem Erfolg getan hatte. Da
+stürzten gleichzeitig, wie auf Verabredung, aus zwei verschiedenen Türen
+meine beiden Frauen in den Hof, mit verstörten Mienen und lautem
+Schreien, so daß Alle sich nach ihnen umsahen, und ich meine kaum
+angefangene Rede unterbrechen mußte. Die erste schleppte die beiden
+Töchterlein, die zweite mein Söhnchen mit sich.
+
+Vor mir angelangt, zeigte die eine auf die andere und beide schrien:
+
+"So ist es denn endlich diesem schlechten Weib gelungen, dein Herz gegen
+mich zu wenden, daß du mich verstoßen willst, und mir, deiner getreuen
+Ehefrau, die Schande antust, mich ins Vaterhaus zurückzuschicken mit
+deinen unschuldigen Töchterlein--(mit deinem armen Söhnlein)--."
+
+Die überschäumende Wut, unterstützt von ihrem angeborenen kurzen
+Verstande, verursachte, daß keine von ihnen merkte, wie die andere _sie_
+genau derselben Sache beschuldigte, die sie selbst dieser zur Last
+legte, und sich genau über das gleiche Schicksal beklagte, das sie
+selbst als das ihrige beweinte, und daß also jedenfalls ein Irrtum
+vorliegen mußte. Aber weit entfernt davon, so etwas zu ahnen, schrien
+und heulten sie immer weiter, wobei sie sich die Haare rauften und ihre
+Brüste mit den Fäusten schlugen, bis sie dann, wie zur Erholung, sich
+gegen die vermeintliche siegreiche Gegnerin in Schimpfreden ergingen,
+die an Grobheit Alles, was ich je in der Gesellschaft übelberufener
+Weiber gehört hatte, weit übertrafen.
+
+Endlich gelang es mir doch, zu Wort zu kommen und ihnen, wenn auch mit
+großer Mühe, klar zu machen, daß sie meine Diener gänzlich mißverstanden
+hätten, daß keine von ihnen zu ihren eigenen Eltern zurückgeschickt
+werden sollte, sondern daß sie beide in das Haus meiner Eltern gebracht
+würden, und zwar nicht zur Strafe oder als Zeichen meiner Ungnade,
+sondern lediglich um ihrer und der Kinder Sicherheit willen. Als ich nun
+aber sah, daß sie dies vollkommen begriffen hatten, ließ ich mich
+hinreißen und rief:
+
+"Das habt ihr von eurer Unart, nun lernet endlich euch anständig zu
+betragen! Da habt ihr euren "kahlen Pfaffen"! Wer, glaubt ihr wohl, daß
+das war? _Angulimala_ war es, der Räuber, der Schreckliche, der die
+Menschen tötet und sich ihre Daumen um den Hals hängt! _Den_ habt ihr
+beschimpft, _den_ habt ihr gereizt! Ein Wunder, daß er euch nicht mit
+der Almosenschale totgeschlagen hat. Wir anderen, wenn jemand von uns in
+seine Hände fällt, wir werden es ausbaden müssen, und wer weiß, ob ihr
+noch im Hause meines Vaters vor ihm sicher seid."
+
+Als meinen Frauen der Sinn dieser Rede völlig aufging, fingen sie
+alsbald an zu schreien, als ob sie schon die Messerschneide an der Kehle
+spürten, und wollten mit den Kindern zum Tor hinausstürzen. Ich ließ sie
+jedoch zurückhalten und setzte ihnen umständlich auseinander, daß
+vorläufig noch gar keine Gefahr zu befürchten sei, da Angulimala, wie
+ich wohl wußte, uns auf keinen Fall vor Mitternacht angreifen würde.
+Dann hieß ich sie in die Wohnung zurückkehren und Alles zusammenpacken,
+was sie und die Kinder während der Zeit, die sie, der Räubergefahr
+wegen, in der Stadt bleiben mußten, nötig haben könnten. Das taten sie
+denn auch sofort.
+
+Dabei hatte ich nun allerdings die Wirkung nicht bedacht, die meine
+Worte auf meine Leute haben könnten. Und diese erwies sich bald als
+wenig günstig. Denn als sie erfuhren, daß es der schreckliche, für tot
+gehaltene Angulimala war, der mein Haus ausgekundschaftet hatte und es
+sicher in der Nacht angreifen wollte, schlich erst der eine und andere
+still davon, dann aber warfen sie zu Dutzenden die Waffen von sich und
+erklärten, mit einem solchen Teufel nicht anbinden zu wollen: das könne
+man keineswegs von ihnen verlangen. Auch die in der Stadt Angeworbenen,
+von denen gerade jetzt die ersten ankamen und hörten, wie die Dinge
+standen, meinten, so hätten sie nicht gewettet und zogen wieder ab. Nur
+etwa zwanzig meiner eigenen Leute, an ihrer Spitze mein braver
+Hausmeier, erklärten, sie wollten mich nicht verlassen, sondern bis zum
+letzten Blutstropfen das Haus verteidigen, denn sie sahen wohl, daß ich
+entschlossen war, diesen herrlichen Besitz, an dem mein Herz hing, nicht
+preiszugeben, sondern, wenn es sein müßte, mit ihm unterzugehen.
+
+Mehrere entschlossene Kerle aus der Stadt, die die Aussicht auf einen
+tüchtigen Kampf fast noch mehr als das Geld lockte und die sich nicht
+einmal vor dem Namen Angulimala fürchteten, ja sich wohl gar einredeten,
+daß sie, nachdem sie sich brav geschlagen und gefangengenommen worden,
+der Bande einverleibt werden würden--mehrere solche verzweifelte
+Gesellen schlossen sich an, und so gebot ich doch zuletzt über gegen
+vierzig wohlbewaffnete und tapfere Männer.
+
+Unterdessen war es fast Abend geworden, und der Wagen für meine Frauen
+fuhr vor. Diese kamen mit den Kindern einigermaßen beruhigt heraus; aber
+ein neues Geheul erhob sich sofort, als sie merkten, daß ich nicht
+mitfahren wollte, ja überhaupt nicht beabsichtigte, das Haus zu
+verlassen. Sie warfen sich auf die Knie, ergriffen mein Gewand und
+beschworen mich unter strömenden Tränen, mich mit ihnen zu retten:
+"Unser Gebieter, unser Beschützer, verlaß uns nicht, stürze dich nicht
+in den Rachen des Todes!" Ich erklärte ihnen, daß, wenn ich meinen
+Posten verließe, dies Haus sicher ein Raub der Flammen und plündernder
+Hände werden, und mein Sohn den Hauptteil seines Erbes verlieren würde,
+während es jetzt noch vielleicht durch tapferes Ausharren zu retten sei,
+da man nicht wisse, ob Angulimala mit großer Stärke angreifen würde.
+
+"Ach, weh uns!" riefen sie, "unser Herr und Beschützer verläßt uns! Und
+der schreckliche Angulimala wird ihn umbringen und seine Daumen an der
+Halskette tragen! Zu Tode martern wird er unseren Gemahl in seinem
+furchtbaren Grimm, und unsere Schuld wird es sein! Um unserer
+Schimpfreden willen muß unser Gatte leiden, und uns wird es deshalb in
+der Hölle übel ergehen!"
+
+Ich versuchte sie zu beruhigen so gut es ging, und als sie sahen, daß
+ich unerschütterlich war, mußten sie sich dazu bequemen, den Wagen zu
+besteigen. Kaum aber hatten sie ihre Plätze eingenommen, so fingen sie
+an sich mit gegenseitigen Beschuldigungen anzufeinden.
+
+"Du warst's, die anfing."--"Nein, du--du hast mich auf ihn aufmerksam
+gemacht, wie er dort am Torpfosten stand. Jawohl--gerade dort, du
+zeigtest mit Fingern auf ihn."
+
+"Und du hast nach ihm ausgespuckt--roten Speichel--_ich_ hatte noch
+keinen Betel gekaut, das tu ich morgens nie."--"Aber du nanntest ihn
+einen Landstreicher, einen faulen Bettler."--"Und du einen kahlen
+Pfaffen...."
+
+Und so ging's weiter; aber das Knarren der Räder, als die Ochsen jetzt
+anzogen, übertäubte ihre Stimmen,
+
+
+
+
+XVII. IN DIE HEIMATLOSIGKEIT
+
+
+Welch ungekannte Stille umfing mich jetzt, o Bruder, als ich, nachdem
+ich den Leuten ihre Posten angewiesen hatte, wieder ins Haus trat! Daß
+ich die Stimmen meiner Frauen nicht hörte--das war es nicht allein,
+sondern daß ich diese Stimmen sich zum Torweg hinaus hatte entfernen
+hören, daß keine Möglichkeit da war, aus irgend welchen Ecken plötzlich
+die keifenden Stimmen zu vernehmen, bis sie, gegenseitig sich steigernd,
+sich schließlich zu einem mißtönigen Zankduett vereinigten oder vielmehr
+entzweiten:--das war es, was meinem Hause eine für mich fast
+unbegreifliche und unsagbar wohltuende Ruhe verlieh.
+
+So erschien mir nun mein von weiten Parkanlagen umfriedeter Palast
+herrlicher denn je, und ich zitterte bei dem Gedanken, daß diese
+Herrlichkeit in wenigen Stunden durch verruchte Räuberhände vernichtet
+werden sollte. Weit weniger kümmerte mich die Angst um mein eigenes
+Leben, als die beständige, lebhafte Vorstellung, wie diese
+wohlgepflegten Baumgänge verwüstet, diese kunstfertig ausgehauenen
+Marmorsäulen gestürzt werden würden, und daß all dies, dessen
+Herrichtung mir so viele Überlegung und so langwierige Mühe gekostet,
+dessen Vollendung mir so große Freude gemacht hatte, ein Trümmerhaufen
+sein würde, wenn die Sonne wieder aufging. Denn nur zu gut kannte ich ja
+die Spuren Angulimalas.
+
+Indessen war nun für mich nichts anderes mehr zu tun als zu warten; und
+bis zur Mitternacht blieben noch mehrere Stunden.
+
+Nun hatte ich aber stets in einer immerfort rollenden Kette von
+Vergnügungen und Geschäften gelebt, so daß ich nie zur Besinnung kam;
+und wie ich hier, ohne irgend etwas zu tun zu haben, allein in einem
+nach der Säulenhalle und dem Garten sich öffnenden Zimmer, mitten im
+totenstillen Palast, dasaß, erlebte ich gewissermaßen seit meiner
+frühesten Jugend die ersten Stunden, die gänzlich mir selbst gehörten.
+Da fingen nun auch meine freigelassenen Gedanken an, sich zum erstenmal
+auf mich selber zu richten; und mein ganzes Leben zog an mir vorüber.
+Und indem ich es so gleichsam als ein Fremder betrachtete, konnte ich
+keinerlei Gefallen daran finden.
+
+Diese Betrachtungen unterbrach ich ein paarmal, um einen Gang durch
+Haus, Hof und Garten zu machen und mich so zu vergewissern, daß die
+Leute wachten. Als ich zum dritten- oder viertenmal zwischen die Säulen
+hinaustrat, bemerkte mein durch so viele Karawanenfahrten geübtes Auge
+am Stande der Sternbilder, daß es nur noch eine halbe Stunde bis
+Mitternacht war. Ich machte eilig die Runde und ermahnte meine Leute zur
+äußersten Wachsamkeit. Ich selbst fühlte mein Blut in allen Adern
+hämmern, und die Kehle wollte sich vor angstvoller Spannung
+zusammenschnüren. Nach dem Zimmer zurückgekehrt, setzte ich mich nieder
+wie zuvor. Aber kein Gedanke wollte sich regen; ich spürte einen starken
+Druck vor der Brust, und bald war es mir, als ob ich ersticken müßte.
+
+Ich sprang auf und trat, um Luft zu schöpfen, zwischen die Säulen
+hinaus. Ein weichfächelnder Hauch strich mir plötzlich über die Wange
+und gleich danach ertönte das Geschrei einer Eule; in demselben
+Augenblick wehte mir von den Gartenteichen ein starker Duft von
+Nachtlotusblüten entgegen. Ich hatte den Blick erhoben, um wiederum nach
+den Sternen die Zeit zu bemessen: da sah ich quer über dem tiefblauen
+Ausschnitt des Himmels zwischen den schwarzen Baumwipfeln den mild
+leuchtenden Streifen der Milchstraße.
+
+"Die himmlische Ganga," murmelte ich unwillkürlich. Da war es auf
+einmal, als ob jener Druck vor der Brust sich auflöste und in einer
+warmen Welle emporstiege, um sich schließlich in einem heißen
+Tränenstrom durch die Augen zu ergießen.
+
+Wohl hatte ich vorher, als mein Leben an meinem inneren Blicke
+vorüberzog, auch an Vasitthi und an die Zeit meiner Liebe gedacht--aber
+wie an etwas Fernes und Fremdes, das mir fast wie ein törichter Traum
+erschien. Jetzt aber _dachte_ ich nicht mehr daran, sondern erlebte es
+wieder; ich war auf einmal ich selber von damals und ich selber von
+jetzt, und mit wahrem Entsetzen wurde ich den ganzen Unterschied inne.
+Damals besaß ich nichts außer mir selbst und meiner Liebe; wie wären die
+zu trennen gewesen? _Jetzt_--o, was besaß ich jetzt nicht alles! Frauen
+und Kinder, Elefanten, Rosse und Rinder, Zugochsen, Diener und Sklaven,
+reich gefüllte Warenhäuser, Gold und Juwelen, einen Lustpark und einen
+Palast, um die mich meine Mitbürger beneideten--wo aber war ich selber
+geblieben? Wie in einer mißratenen Frucht war der Kern eingetrocknet,
+verschwunden, und Alles war zur Schale geworden!...
+
+Wie erwachend sah ich mich um.
+
+Der weitgedehnte Park, der seine schwarzen Baumkronen gegen den
+sternenbesäten, von der Milchstraße durchzogenen Nachthimmel erhob, und
+die stolze Halle, wo alabasterne Lampen zwischen den Säulen leuchteten:
+sie erschienen mir jetzt in einem ganz neuen Licht; feindselig und
+drohend umgaben sie mich, wie prächtig schimmernde Vampyre, die schon
+fast mein ganzes Herzblut ausgesogen hatten und begierig gähnten, um
+sich noch an den letzten Tropfen zu laben und nur den dürren Leichnam
+eines verfehlten Menschenlebens übrig zu lassen.
+
+Ein ferner undeutlicher Lärm--Murmeln oder Tritte, wie mir
+schien--schreckte mich auf. Das entblößte Schwert in der Hand, sprang
+ich ein paar Stufen hinunter, und blieb dann stehen, um zu lauschen. Die
+Räuber!--Doch nein! Alles war still, Alles blieb still; weit und breit
+rührte sich nichts. Es war nur einer jener unergründlichen Laute der
+Nachtstille, die mich so oft am Wachtfeuer der Karawane hatten
+aufspringen lassen.--Draußen war nichts! Aber was war das in _mir_? Das
+war nicht mehr Angst, was mir jetzt das Blut in den Schläfen pochen
+ließ; und auch der Mut der Verzweiflung war es nicht; nein, das war
+frohlockender Jubel:
+
+"Willkommen, ihr Räuber! Nur her, Angulimala! Verwüstet, äschert ein!
+Das sind ja meine Todfeinde, die ihr vernichtet! Was mich erdrücken
+würde, nehmt ihr von mir! Her zu mir! Die Schwerter in mein Blut
+getaucht! Das ist ja mein ärgster Feind, den ihr durchbohrt, dieser
+Leib, der der Wollust ergebene, der Völlerei verfallene! Das ist ja mein
+schlimmster Besitz, dies Leben, das ihr mir nehmt.--Willkommen, Räuber,
+gute Freunde, alte Kameraden!"
+
+Es konnte ja nicht lange dauern; Mitternacht war vorüber. Und wie freute
+ich mich jetzt auf den Kampf! Angulimala würde mich suchen: ich wollte
+doch sehen, ob er mir auch diesmal das Schwert aus der Hand schlagen
+könnte! O, wie süß würde das sein, zu sterben, nachdem ich ihn
+durchbohrt--ihn, der allein die Schuld an meinem ganzen Unglück trug.
+
+"Es kann nicht mehr lange dauern"--wie oft mag ich mir in jenen
+Nachtstunden diesen Trost wiederholt haben!
+
+Jetzt--endlich! Nein, es war ein Rauschen der Baumwipfel, das in der
+Ferne dahinstarb, um sich wieder zu erheben. Es klang als ob ein großes
+zottiges Tier sich schüttelte. Immer wieder geschah es, und einmal
+ertönte der kurze Schrei irgend eines Vogels.
+
+Waren das nicht Zeichen des herannahenden Tages?
+
+Mir wurde kalt vor Schrecken. War es möglich, daß ich enttäuscht werden
+sollte? Ja, ich zitterte jetzt bei dem Gedanken, daß die Räuber
+schließlich _nicht_ kämen. Wie greifbar nahe war mir das Ende
+erschienen--ein kurzer, aufregender Kampf und dann der Tod, kaum
+gespürt. Nichts schien mir nun so trostlos, als die gemeine Aussicht, am
+Morgen hier angetroffen zu werden, in der alten Umgebung, selbst wieder
+der alte und dem alten Leben verschrieben. Sollte das wirklich
+geschehen?--Kämen sie nicht, die Befreier! Es mußte sicher die höchste
+Zeit sein--ich wagte nicht einmal nachzuforschen. Aber wie war das
+möglich? War ich am Ende doch das Opfer einer Sinnestäuschung geworden,
+als ich in jenem Asketen Angulimala erkannte? Wieder und wieder warf ich
+diese Frage auf, jedoch ich konnte das nicht glauben. Dann aber mußte er
+ja noch kommen--ohne Zweck hatte er sich doch gewiß nicht in dieser sehr
+geschickten Verkleidung bei mir eingefunden, um sofort wieder zu
+verschwinden, als ob ihn die Erde verschlungen hätte. Denn ich hatte
+Nachforschungen angestellt und wußte, daß er nirgends sonst um
+Almosenspeise vorgesprochen hatte.
+
+Das schlaftrunkene Krähen eines jungen Hahnes im nahen Hofe weckte mich
+aus meinem Grübeln. Das Sternbild, das ich suchte, konnte ich kaum mehr
+finden; einige seiner Sterne waren schon hinter die Baumwipfel gesunken,
+und die Gestirne hatten, mit Ausnahme der am höchsten stehenden, ihr
+klares Funkeln eingebüßt. Es war kein Zweifel: das Tagesgrauen kündigte
+sich schon an, und ein Angriff Angulimalas war völlig ausgeschlossen.
+
+Von allem Wunderlichen, was ich in dieser Nacht erlebte, kam aber jetzt
+das Wunderlichste.
+
+Diese Erkenntnis war nämlich von keinem Gefühl der Enttäuschung
+begleitet, noch weniger freilich von einer Erleichterung durch das
+Verschwinden aller Gefahr. Sondern ein neuer Gedanke war da und erfüllte
+mich ganz:
+
+"Was habe ich denn auch diese Räuber nötig?
+
+Ihre Fackeln und Pechkränze wollte ich, um von der Last dieses
+prächtigen Besitztums befreit zu werden. Aber es gibt ja Männer, die
+freiwillig sich ihres Besitzes entäußern und als Pilger umherziehen. Wie
+ein Vogel, wohin er auch fliegt, nur mit seinen Fittichen versehen
+fliegt, ebenso ist auch der Pilger mit dem Gewande zufrieden, das seinen
+Leib deckt, mit der Almosenspeise, die sein Leben fristet. Und ich habe
+sie ja preisend sagen hören: 'Ein Gefängnis, ein Schmutzwinkel ist die
+Häuslichkeit, der freie Himmelsraum ist die Pilgerschaft.'
+
+Und die Schwerter der Räuber rief ich an, um diesen Leib zu töten. Wenn
+aber dieser Leib zerfällt, bildet sich ja ein neuer, und aus diesem
+Leben geht ein neues als seine Frucht hervor.--Was für eins würde wohl
+aber aus dem meinigen hervorgehen? Freilich haben wir ja, Vasitthi und
+ich, uns bei jener himmlischen Ganga, deren Silberwellen die Lotusteiche
+des westlichen Paradieses speisen, feierlich zugeschworen, uns in jenen
+seligen Gefilden zu finden--und mit jenem Schwur hat sich; wie sie
+sagte, dort im heiligen, kristallklaren See für jeden von uns eine
+Lebensknospe gebildet; durch jeden reinen Gedanken, jede gute Tat müsse
+sie wachsen, alles Böse und Nichtswürdige aber werde wie ein Wurm an ihr
+nagen. Ach, längst muß ja die meinige zernagt sein! Ich habe ja auf mein
+Leben zurück geblickt: nichtswürdig hat es sich gestaltet,
+Nichtswürdiges würde aus ihm hervorgehen. Was hätte ich denn durch einen
+solchen Tausch gewonnen?
+
+Nun gibt es ja aber Männer, die schon in diesem Leben jede irdische
+Wiedergeburt vernichten und die unerschütterliche Gewißheit ewiger
+Seligkeit gewinnen. Und das sind eben dieselben Männer, die, Alles
+hinter sich lassend, frei umherpilgern.
+
+Was sollen mir also die Brandfackeln der Räuber, was ihre Schwerter?"
+
+Und ich, der ich zuerst vor den Räubern angstvoll gezittert und nachher
+mich ungeduldig nach ihnen gesehnt und meine Hoffnung auf sie gesetzt
+hatte--ich fürchtete mich weder vor ihnen, noch erhoffte ich von ihnen
+irgend etwas; von Furcht und Hoffnung frei, empfand ich eine große Ruhe.
+In dieser Ruhe kostete ich aber einen Vorgeschmack der Wonne, die
+denjenigen zu eigen ist, die das Ziel der Pilgerschaft erreicht haben;
+denn wie ich den Räubern gegenüberstand, so mögen sie wohl allen Mächten
+der Welt gegenüberstehen: weder fürchten sie solche, noch hoffen sie
+etwas von ihnen, sondern verharren in Frieden.
+
+Und ich, der ich noch vor vierundzwanzig Stunden mich scheute, eine
+kurze Reise anzutreten wegen der Strapazen und der kargen Kost des
+Karawanenlebens, ich beschloß jetzt, ohne Zagen und Wanken, bis an das
+Ende meiner Tage obdachlos zu Fuß zu wandern, mein Leben fristend "so
+wie es eben kommt".
+
+Ohne auch nur noch einmal in das Haus zurückzukehren, ging ich
+geradenwegs nach einer zwischen Garten und Hof gelegenen Scheune, wo
+allerlei Geräte aufbewahrt wurden. Dort nahm ich den Stock eines
+Ochsentreibers und schnitt die Spitze ab, um ihn als Wanderstab zu
+benutzen, und eine Kürbisflasche, wie die Gärtner und Feldarbeiter sie
+bei sich tragen, hängte ich um.
+
+Am Brunnen im Hofe füllte ich die Flasche.
+
+Da trat der Hausmeier an mich heran.
+
+"Angulimala und seine Räuber kommen wohl jetzt nicht mehr, o Herr?"
+
+"Nein, Kolita, sie kommen nicht mehr."
+
+"Aber wie, o Herr? Gehst du schon aus?"
+
+"So ist es, Kolita, ich gehe aus, und eben davon wollte ich mit dir
+sprechen. Denn ich gehe jetzt den Weg, den sie den Weg der höchsten
+Zugvögel nennen. Von diesem Weg, Kolita, gibt es aber für einen, der auf
+ihm ausharrt, keine Rückkehr. Keine Rückkehr nach dem Tode in diese
+Welt, wieviel weniger während des Lebens nach diesem Hause. Dies Haus
+aber gebe ich in deine Obhut, denn du hast dich treu bewährt bis in den
+Tod. Verwalte Haus und Vermögen, bis mein Sohn das Mannesalter erreicht.
+Grüße meinen Vater und meine Frauen, und gehab dich wohl!"
+
+Nachdem ich also gesprochen, und meine Hand, die der gute Kolita mit
+Küssen und Tränen bedeckte, frei gemacht hatte, schritt ich dem Tore zu.
+Und beim Anblick des Pfostens, an dem die Gestalt des Asketen gelehnt
+hatte, dachte ich: wenn ihre Ähnlichkeit mit Angulimala nur eine
+Erscheinung war, so habe ich nun diese Erscheinung richtig gedeutet.
+
+Schnell, ohne mich umzusehen, durchschritt ich den Vorort mit seinen
+Gärten; und vor mir erstreckte sich, wie in die Unendlichkeit
+fortlaufend, im ersten Schimmer des Tagesgrauens, die öde Landstraße.
+
+So bin ich, Ehrwürdiger, in die Heimatlosigkeit gegangen.
+
+
+
+
+XVIII. IN DER HALLE DES HAFNERS
+
+
+Als der Pilger Kamanita mit diesen Worten seine Erzählung zu Ende
+geführt hatte, schwieg er und sah sinnend in die Landschaft hinaus.
+
+Und auch der Erhabene schwieg und sah sinnend in die Landschaft hinaus.
+Große Bäume waren da sichtbar, nähere und fernere, einige sich in
+schattige Massen sammelnd, andere sich duftig in wolkenartige Gebilde
+auflösend, um nebelhaft in der Ferne zu zerfließen.
+
+Der Mond stand jetzt über dem Dachvorsprung, und sein Licht drang in den
+vorderen Teil der Halle, wo es wie drei auf die Bleiche gebreitete weiße
+Tücher auf dem Boden lag, während die linken Seiten der Pfeiler
+glänzten, als ob sie mit Silber beschlagen wären.
+
+In der tiefen Stille der Nacht hörte man, wie eine Büffelkuh irgendwo in
+der Nähe mit regelmäßigen kurzen Rucken das Gras abrupfte.
+
+Und der Erhabene überlegte bei sich:
+
+"Sollte ich wohl jetzt diesem Pilger sagen, was ich alles von Vasitthi
+weiß? Wie treu sie ihm war, wie sie ohne eigene Schuld, durch schnöden
+Betrug, dahin gebracht wurde, Satagira zu heiraten? Wie es _ihr_ Werk
+war, daß Angulimala in Ujjeni erschien, und daß dadurch auch er,
+Kamanita, selber sich auf diesem Pilgerwege befindet, anstatt in
+schmutzigem Wohlleben zu verkümmern. Sollte ich ihm offenbaren, auf
+welchem Wege sich jetzt Vasitthi befindet?"
+
+Und er entschied sich dahin, daß die Zeit dafür noch nicht gekommen sei,
+und daß ein solches Wissen dem Streben des Pilgers nicht förderlich sein
+könne.
+
+Da sprach der Erhabene:
+
+"Von Liebem getrennt sein, ist Leiden, mit Unliebem vereint sein, ist
+Leiden. Wurde dies gesagt, so wurde es darum gesagt."
+
+"O wie wahr!" rief Kamanita mit bewegter Stimme--"wie überaus tief und
+wahr! Wer hat denn, o Fremder, diesen trefflichen Ausspruch getan?"
+
+"Laß es gut sein, Pilger. Gleichviel, wer ihn getan hat, wenn du nur
+seine Wahrheit fühlst und erkennst."
+
+"Wie sollte ich nicht! Enthält er doch in wenigen Worten den ganzen
+Jammer meines Lebens. Hätte ich mir nicht schon einen Meister erwählt,
+ich würde keinen anderen als den Trefflichen, von dem diese Worte
+stammen, aufsuchen."
+
+"So hast du also, o Pilger, einen Meister, zu dessen Lehre du dich
+bekennst, in dessen Namen du ausgezogen bist?"
+
+"Zwar bin ich nicht, Ehrwürdiger, in irgend jemandes Namen ausgezogen,
+vielmehr dachte ich damals allein das Ziel zu erringen. Und wenn ich
+tagsüber in der Nähe eines Dorfes, am Fuße eines Baumes oder im tiefen
+Walde rastete, dann lag ich inbrünstig dem tiefsten Denken ob. Und ich
+hing, o Ehrwürdiger, Gedanken wie den folgenden nach: 'Was ist die
+Seele? Was ist die Welt? Ist die Welt ewig? Ist die Seele ewig? Ist die
+Welt zeitlich? Ist die Seele zeitlich? Ist die Welt ewig und die Seele
+zeitlich? Ist die Seele ewig und die Welt zeitlich?' Oder: 'Warum hat
+der höchste Brahma diese Welt aus sich hervorgehen lassen? Und wenn der
+höchste Brahma vollkommen und reine Wonne ist, wie kommt es dann, daß
+die von ihm erschaffene Welt unvollkommen und mit Leiden behaftet ist?'
+
+Und indem ich, Ehrwürdiger, solchen Gedanken nachhing, kam ich zu keiner
+befriedigenden Lösung. Es erhoben sich vielmehr immer neue Zweifel, und
+dem Ziel, um dessen willen edle Söhne für immer das Haus verlassen und
+in die Heimatlosigkeit gehen, schien ich mich um keinen Schritt genähert
+zu haben."
+
+"Ebenso, o Pilger, wie wenn Einer dem Horizonte nachliefe: 'O, daß ich
+doch heute oder morgen den Horizont erreichen könnte!'--ebenso entflieht
+das Ziel demjenigen, der solchen Fragen nachgeht"
+
+Kamanita nickte nachdenklich und fuhr dann fort:
+
+"Da geschah es eines Tages, als die Schatten der Bäume schon länger zu
+werden begannen, daß ich in der Lichtung eines Waldes auf eine Klause
+stieß. Und ich sah da junge, weiß gekleidete Männer, von denen einige
+die Kühe molken, während andere Holz spalteten und wieder andere die
+Eimer an der Quelle spülten. Auf einer Matte vor der Halle saß ein alter
+Brahmane, bei dem diese jungen Leute offenbar die Lieder und Sprüche
+lernten. Er begrüßte mich freundlich, und obwohl es, wie er sagte, nur
+eine knappe Stunde bis zum nächsten Dorfe sei, bat er mich, ihr Mahl zu
+teilen und bei ihnen zu übernachten. Das tat ich denn auch dankbar
+genug, und bevor ich mich zum Schlafen hinlegte, hatte ich manche gute
+und beherzigenswerte Rede gehört. Als ich nun am folgenden Tage
+weitergehen wollte, fragte mich der Brahmane: 'Wer ist dein Meister, o
+Pilger, und in wessen Namen bist du ausgezogen?' Und ich antwortete, wie
+ich dir geantwortet habe.
+
+Da sagte denn der Brahmane: 'Wie wirst du, o Pilger, jenes hohe Ziel
+erreichen, wenn du allein wanderst wie das Nashorn, anstatt wie der
+weise Elefant in einer Herde, von einem erfahrenen Führer geleitet?'
+
+Dabei blickte er beim Worte 'Herde' wohlwollend auf die umherstehenden
+jungen Leute, beim Worte 'Führer' schien er selbstgefällig in sich
+hineinzulächeln.
+
+'Denn,' fuhr er dann fort, 'gar zu hoch ist ja dies für eigenes, tiefes
+Denken, und ohne einen Lehrer gibt es hier gar keinen Zugang.
+Andererseits aber sagt auch der Veda in der Belehrung Çvetaketus:
+"Gleichwie, o Teurer, ein Mann, den sie aus dem Lande der Gandharer mit
+verbundenen Augen hergeführt und dann in die Einöde losgelassen haben,
+nach Osten oder nach Norden, oder nach Süden verschlagen wird, weil er
+mit verbundenen Augen hergeführt und mit verbundenen Augen losgelassen
+worden war; aber nachdem ihm jemand die Binde abgenommen und zu ihm
+gesprochen: 'Dort hinaus wohnen die Gandharer, dort hinaus gehe,' von
+Dorf zu Dorf sich weiterfragend, belehrt und verständig zu den
+Gandharern heimgelangt: also auch ist ein Mann, der hienieden einen
+Lehrer gefunden hat, sich bewußt: diesem Welttreiben werde ich nur so
+lange angehören, bis ich erlöst sein werde, und dann werde ich
+heimgehen.'"
+
+Nun merkte ich wohl, daß dieser Brahmane darauf ausging, mich zum
+Schüler zu gewinnen. Aber eben diese Begehrlichkeit erweckte bei mir
+kein Zutrauen. Gar wohl aber gefiel mir jenes Vedawort, das ich im
+Weitergehen mir immer wiederholte, um es zu behalten. Dabei fiel mir ein
+Spruch ein, den ich einmal über einen Meister gehört hatte: 'Den
+Vollendeten verlangt es nicht nach Jüngern, aber die Jünger verlangt es
+nach dem Vollendeten.' Wie muß der, dachte ich mir, ein ganz anderer
+Mann sein als dieser Waldbrahmane! Und es verlangte mich, Ehrwürdiger,
+nach jenem nicht verlangenden Meister."
+
+"Wer war wohl aber der Meister, den du also hattest preisen hören, und
+wie nennt er sich?"
+
+"Es ist, o Bruder, der Asket Gautama, der Sakyersohn, der dem Erbe der
+Sakyer entsagt hat. Diesen Meister Gautama aber begrüßt man allenthalben
+mit dem frohen Ruhmesruf: 'Das ist der Erhabene, der Heilige, der
+Wissens- und Wandelsbewährte, der Meister der Götter und Menschen, der
+vollkommen Erwachte, der Buddha.' Um des Erhabenen willen pilgere ich
+nun; zu seiner Lehre will ich mich bekennen."
+
+"Wo aber, Pilger, weilt er jetzt, der Erhabene, vollkommen Erwachte?"
+
+"Es liegt, o Bruder, oben im nördlichen Reiche Kosala, eine Stadt, die
+Savatthi heißt. Und vor der Stadt ist der Waldpark Jetavana, mit
+mächtigen, tiefen Schatten spendenden Bäumen, worunter Menschen
+lärmentrückt sitzen und denken können, mit klaren, Kühlung aushauchenden
+Teichen, mit smaragdenen Matten, mit zahllosen Blumen in mannigfaltigen
+Farben. Diesen Hain aber hat der reiche Kaufmann Anathapindika schon vor
+Jahren vom Prinzen Jeta um so viel Gold erstanden, daß damit der ganze
+Boden bedeckt werden könnte, und hat ihn dann dem Buddha übergeben. Dort
+also in Jetavana, dem lieblichen, Weisenscharen-durchwandelten, hat er,
+der Erhabene, der vollkommen Erwachte, gegenwärtig seinen Aufenthalt.
+Und im Verlaufe von etwa vier Wochen hoffe ich, wenn ich rüstig
+ausschreite, den Abstand von hier nach Savatthi bewältigt zu haben und
+zu seinen, des Erhabenen, Füßen zu sitzen."
+
+"Hast du aber, Pilger, ihn, den Erhabenen, schon einmal gesehen, und
+würdest du ihn, wenn du ihn sähest, erkennen?"
+
+"Nein, Bruder, ich habe ihn, den Erhabenen, noch nicht gesehen, und sähe
+ich ihn, so würde ich ihn nicht erkennen."
+
+Da dachte denn der Erhabene bei sich: "Um meinetwillen pilgert dieser
+Pilger, zu meinem Namen bekennt er sich; wie, wenn ich ihm nun die Lehre
+darlegte?" Und der Erhabene wandte sich an Kamanita und sprach:
+
+"Der Mond hat sich erst gerade über den Dachvorsprung erhoben, wir sind
+noch nicht tief in der Nacht, und langer Schlaf ist dem Geiste nicht
+gut. Wohlan, wenn es dir recht ist, will ich als Gegengeschenk für deine
+Erzählung dir die Lehre des Buddha darlegen."
+
+"Es ist mir recht, Bruder, und ich bitte dich, es zu tun."
+
+"So höre, Pilger, und achte wohl auf meine Rede."
+
+
+
+
+XIX. DER MEISTER
+
+
+Und der Erhabene sprach: "Der Vollendete, Bruder, der vollkommen
+Erwachte hat zu Benares, am Sehersteine im Gazellenhain, das Rad der
+Lehre ins Rollen gesetzt. Und dawiderstellen kann sich kein Asket und
+kein Priester, kein Gott und kein Teufel, noch irgendwer in der Welt.
+Sie ist die Enthüllung, die Offenbarung der vier heiligen Wahrheiten.
+Welcher vier? Der heiligen Wahrheit vom Leiden, der heiligen Wahrheit
+von der Leidensentstehung, der heiligen Wahrheit von der
+Leidensvernichtung, der heiligen Wahrheit von dem zur Leidensvernichtung
+führenden Pfad.
+
+Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit vom Leiden? Geburt ist
+Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Sterben ist Leiden;
+Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung sind Leiden; von Liebem
+getrennt sein, ist Leiden, mit Unliebem vereint sein, ist Leiden; das,
+was man begehrt, nicht erlangen, ist Leiden; kurz, die verschiedenen
+Formen des Anhangens sind Leiden. Das heißt man, Bruder, die heilige
+Wahrheit vom Leiden.
+
+Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit von der Leidensentstehung? Es
+ist dieser Durst, der von Wiedergeburt zu Wiedergeburt führende, von
+Lust und Leidenschaft begleitete, bald da, bald dort sich ergötzende,
+ist der Lüstedurst, der Werdedurst, der Vergänglichkeitsdurst. Das nennt
+man, Bruder, die heilige Wahrheit von der Leidensentstehung.
+
+Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit von der Leidensvernichtung?
+Es ist eben dieses Durstes vollkommene, restlose Vernichtung, das
+Verlassen, das Sichlosmachen, die Befreiung, die Erlösung von ihm. Das
+nennt man, Bruder, die heilige Wahrheit von der Leidensvernichtung.
+
+Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit von dem zur
+Leidensvernichtung führenden Wege? Dieser heilige, achtfältige Pfad ist
+es, der da besteht in rechtem Erkennen, rechtem Entschließen, rechter
+Rede, rechtem Handeln, rechtem Wandeln, rechtem Streben, rechtem
+Gedenken, rechtem Sichversenken. Das nennt man, Bruder, die heilige
+Wahrheit von dem zur Leidensvernichtung führenden Wege."
+
+Nachdem nun der Meister auf solche Weise die vier Ecksteine errichtet
+hatte, ging er daran, das ganze Lehrgebäude aufzuführen, zu einem
+wohnlichen Heim für die Gedanken und Gesinnungen seines Schülers; er
+erläuterte jeden einzelnen Satz, wie man jeden einzelnen Stein behaut
+und glättet, und so wie man Stein auf Stein legt, fügte er Satz zu Satz,
+überall sorgfältig grundlegend und Alles genau aneinander passend. Der
+Säule des Leidensgedankens zur Seite stellte er die Säule des
+Vergänglichkeitsgedankens; beide verbindend und von beiden getragen,
+schloß sich aber als Gebälk der schwerwiegende Gedanke von der
+Wesenlosigkeit aller Erscheinungen an. Durch solch mächtiges Portal
+stieg er, seinen Schüler behutsam führend, Schritt für Schritt die
+wohlgefügte Stufenleiter des Grundfolgegesetzes mehrmals auf und ab,
+überall befestigend und vervollkommnend.
+
+Und wie ein geschickter Baumeister beim Errichten eines Prachtgebäudes
+an passenden Stellen Bildwerke einfügt, und zwar so, daß sie nicht nur
+als Schmuck, sondern auch als tragende oder stützende Teile dienen, also
+brachte der Erhabene auch manchmal ein gefälliges und sinniges Gleichnis
+an, da ja durch ein Gleichnis oft der dunkle Sinn einer tiefgedachten
+Rede klar wird.
+
+Schließlich aber faßte er das Ganze zusammen, indem er ihm gleichsam die
+deckende, weithin leuchtende Kuppel aufsetzte, und sprach:
+
+"Durch Haften, o Pilger, kommst du zum Entstehen; durch Nichthaften
+kommst du nicht zum Entstehen.
+
+Ein Mönch aber, der nirgend anhänglich haftet, dem geht in der
+ungetrübten Heiterkeit seines Gleichmutes dieses Schauen auf:
+Unerschütterlich ist meine Erlösung, dies ist die letzte Geburt, nicht
+gibt es ferner ein neues Sein.
+
+So ist nun ein dahin gelangter Mönch mit dieser höchsten Weisheit
+belehnt. Das ist ja, Pilger, die höchste, heilige Weisheit: alles Leiden
+versiegt zu wissen. Wer ihrer teilhaftig geworden, der hat eine Freiheit
+gefunden, die wahrhaft, unantastbar besteht. Denn das, Pilger, ist ja
+falsch, was eitel und vergänglich ist: und das ist wahr, was echt und
+unvergänglich' ist: die Wahnerlöschung.
+
+Und er, der von Hause aus der Geburt, dem Altern und dem Tode
+unterworfen war, er hat nun, das Unheil dieses Naturgesetzes merkend,
+sich die geburtlose, alterslose, todlose Sicherheit errungen; er, der
+der Krankheit, dem Schmutze, der Sünde unterworfen war, hat die
+unvergängliche, reine, heilige Sicherheit erreicht:
+
+Im Erlösten ist die Erlösung, versiegt ist das Leben, gewirkt das Werk,
+nicht mehr ist für mich diese Welt da.
+
+Ein solcher, o Pilger, wird 'Endiger' genannt, denn er hat dem Leiden
+ein Ende gemacht.
+
+Ein solcher, o Pilger, wird 'Auslöscher' genannt, denn den Wahn von
+'Ich' und 'Mein' hat er ausgelöscht.
+
+Ein solcher, o Pilger, wird 'Ausroder' genannt, denn den Lebenstrieb hat
+er mit der Wurzel ausgerodet, so daß kein Leben mehr keimen kann.
+
+Ein solcher, solange er im Leibe ist, sehen ihn die Menschen und Götter;
+nachdem aber sein Leib im Tode zerfallen ist, sehen ihn die Menschen und
+Götter nicht mehr. Und auch die Natur, die Alles erspähende, sieht ihn
+nicht mehr: geblendet hat er das Auge der Natur, entschwunden ist er der
+bösen.
+
+Den Strom des Werdens durchkreuzend, hat er die Insel erreicht, die
+einzige, das Jenseits von Alter und Tod--das Nirvana."
+
+
+
+
+XX. DAS UNVERNÜNFTIGE KIND
+
+
+Nachdem der Erhabene seine Belehrung also beschlossen hatte, blieb der
+Pilger Kamanita lange Zeit stumm und regungslos sitzen, in
+widerstreitenden und zweifelnden Gedanken befangen. Endlich sagte er:
+"Du hast mir da, Ehrwürdiger, gar vieles davon gesagt, wie der Mönch dem
+Leiden schon bei Lebzeiten ein Ende macht, aber nichts davon, was aus
+ihm wird, wenn dann sein Leib im Tode zerfällt und zu den Elementen
+zurückkehrt, ausgenommen, daß von da ab weder Menschen noch Götter, noch
+die Natur selber ihn sehen. Aber von einem ewigen Leben, von höchster
+Wonne und himmlischer Seligkeit"-davon habe ich nichts vernommen. Hat
+denn der Erhabene darüber nichts offenbart?
+
+"So ist es, Bruder, so ist es. Der Erhabene hat darüber nichts
+offenbart."
+
+"Dann heißt das so viel, als daß der Erhabene von dieser wichtigsten
+Frage nicht mehr weiß als ich selber," versetzte Kamanita unmutig.
+
+"Meinst du? So höre denn, Pilger. In jenem Sinsapawalde bei Kosambi, wo
+du und deine Vasitthi euch ewige Treue und Wiedersehen im Paradiese des
+Westens zugeschworen habt, weilte auch zu einer Zeit der Erhabene. Und
+der Erhabene trat aus dem Walde, ein Bündel Sinsapablätter in der Hand,
+und sprach zu den Jüngern: 'Was meint ihr, ihr Jünger, ist mehr, diese
+Sinsapablätter, die ich in die Hand genommen habe, oder die anderen
+Blätter droben im Sinsapawalde?' Und ohne sich lange zu besinnen,
+antworteten sie: 'Die Blätter, Herr, die der Erhabene in die Hand
+genommen hat, sind wenige, und viel mehr sind jene Blätter droben im
+Sinsapawalde.' 'Ebenso auch, ihr Jünger,' sprach der Erhabene, 'ist das
+viel mehr, was ich erkannt und euch nicht verkündet, als das, was ich
+euch verkündet habe. Und warum, ihr Jünger, habe ich euch jenes nicht
+verkündet? Weil es nicht heilsam, nicht urasketentümlich ist, nicht zur
+Abkehr, nicht zur Wendung, nicht zur Auflösung, nicht zum Erwachen,
+nicht zum Nirvana führt."
+
+"Wenn der Erhabene im Sinsapawalde vor Kosambi also gesprochen hat,"
+antwortete Kamanita, "dann dürfte die Sache noch schlimmer stehen. Denn
+er hat dann über diesen Punkt geschwiegen, um die Jünger nicht zu
+entmutigen, oder gar abzuschrecken, indem er ihnen die letzte Wahrheit
+enthüllte: nämlich die Vernichtung. Diese scheint mir denn auch als
+notwendige Folge aus dem hervorzugehen, was du mir auseinandergesetzt
+hast. Denn nachdem alle Gegenstände der fünf Sinne und des Denkens als
+vergänglich, wesenlos und leidvoll abgewiesen und verneint sind, bleiben
+eben keine Bestimmungen übrig, mittelst welcher irgend etwas zu fassen
+wäre. Und so verstehe ich denn, Ehrwürdiger, die mir von dir dargelegte
+Lehre dahin, daß ein Mönch, der alle Unreinheit von sich abgetan hat,
+wenn sein Leib zerbricht, der Vernichtung anheimfällt, daß er vergeht,
+daß er nicht mehr ist jenseits des Todes."
+
+"Sagtest du mir nicht, Pilger," fragte dann der Buddha, "daß du binnen
+eines Monats zu Füßen des Erhabenen im Waldparke Jetavana bei Savatthi
+sitzen würdest?"
+
+"Das hoff ich sicher zu tun, Ehrwürdiger; warum fragst du mich?"
+
+"Wenn du nun also zu Füßen des Erhabenen sitzest, was meinst du dann,
+Freund--die Körperform, die du dann siehst, die du mit den Händen
+berühren kannst--ist die der Vollendete, siehst du es also an?"
+
+"Das tue ich nicht, Ehrwürdiger."
+
+"Wenn nun aber der Erhabene mit dir spricht,--das Bewußtsein, das dann
+zum Vorschein kommt, mit seinen Empfindungen, Wahrnehmungen und
+Vorstellungen--ist denn das der Vollendete? Siehst du es also an?"
+
+"Das tue ich nicht, Ehrwürdiger." "So sind wohl, Freund, der Körper und
+das Bewußtsein zusammengenommen der Vollendete?"
+
+"Auch so sehe ich es nicht an, Ehrwürdiger."
+
+"Ist denn der Vollendete geschieden von dem Körper? oder vom Bewußtsein?
+oder von beiden? Siehst du es so an, Freund?"
+
+"Er ist insofern von ihnen geschieden, als sein Wesen durch diese
+Bestimmungen noch nicht erschöpft ist."
+
+"Welche Bestimmungen hast du denn nun, Freund, außer denen der
+Körperlichkeit mit allen ihren sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften und
+dem Bewußtsein mit seinem ganzen Inhalt von Empfindungen, Wahrnehmungen
+und Vorstellungen--welche Bestimmungen hast du noch außerdem, mittelst
+welcher du das noch nicht Erschöpfte im Wesen des Vollendeten erschöpfen
+kannst?"
+
+"Solcher anderer Bestimmungen, Ehrwürdiger, habe ich freilich keine."
+
+"So ist also, Freund Kamanita, schon hier in der Sinnenwelt der
+Vollendete nicht in Wahrheit und Wesenhaftigkeit für dich zu erfassen.
+Hast du da also ein Recht, zu sagen, daß der Vollendete--oder der Mönch,
+der alle Unreinheit von sich abgetan hat--wenn sein Leben zerbricht, der
+Vernichtung anheimfällt, daß er nicht ist jenseits des Todes; lediglich,
+weil du kein Mittel besitzest, um ihn dort in Wahrheit und
+Wesenhaftigkeit zu erfassen?"
+
+Solchermaßen befragt, saß der Pilger Kamanita eine Weile, gebeugten
+Rumpfes, gesenkten Kopfes, schweigend da.
+
+"Wenn ich auch kein Recht habe, das zu behaupten," sagte er schließlich,
+"so scheint es mir doch deutlich genug eben aus jenem Schweigen des
+Vollendeten hervorzugehen. Denn gewiß hätte er nicht geschwiegen, wenn
+er etwas Erfreuliches mitzuteilen gehabt hätte, was ja der Fall wäre,
+wenn er wüßte, daß den Mönch, der dem Leiden ein Ende gemacht hat, nach
+dem Tode keineswegs Vernichtung, sondern ewiges, seliges Leben erwartet.
+Denn eine solche Mitteilung könnte ja die Jünger nur anspornen und ihnen
+in ihrem rechten Streben förderlich sein."
+
+"Wähnst du, Freund? Wie nun aber, wenn der Vollendete als letztes Ziel
+nicht die Vernichtung des Leidens hingestellt hätte--ebenso wie er mit
+dem Leiden selbst anfing--sondern noch darüber hinaus ein ewiges,
+seliges Leben jenseits des Todes gepriesen hätte? Und gar viele von den
+Jüngern hätten an dieser Vorstellung Gefallen gefunden, hingen ihr
+anhänglich an, ersehnten ihre Erfüllung mit heißer Sucht, die alle
+Heiterkeit der Gedenkenruhe trübte: hätten sie sich dann nicht wieder
+unversehens in das gewaltige Fangnetz der Lebenslust verstrickt? Und
+indem sie sich an ein Jenseits hielten, hierfür aber notwendigerweise
+alle Farben vom Diesseits nähmen, würden sie da nicht, je mehr sie dem
+Jenseits nachjagten, eben am Diesseits festkleben? Gleichwie etwa ein
+Kettenhund, der an einen festen Pfahl gebunden ist und loszukommen
+versucht, sich um diesen Pfahl im Kreise dreht:--ebenso würden jene
+lieben Jünger aus Abscheu vor dem diesseitigen Leben sich gerade um das
+diesseitige Leben im Kreise drehen."
+
+"Wenn ich auch diese Gefahr zugeben muß," gab Kamanita zur Antwort, "so
+halte ich doch das andere Übel, die durch das Schweigen hervorgerufene
+Unsicherheit, für viel gefährlicher, weil es von vornherein den Eifer
+lähmt. Denn wie kann wohl der Jünger entschlossen und mutig mit allen
+Kräften streben, dem Leiden ein Ende zu machen, wenn er nicht weiß, was
+darauf folgt--ob ewige Seligkeit oder Nichtsein?"
+
+"Was meinst du, Freund, wenn da ein Haus wäre, das vom Feuer ergriffen
+würde, und der Diener liefe, den Herrn zu wecken: 'Steh auf, Herr!
+Flieh! Das Haus brennt! Schon flammen die Balken, und das Dach will
+einstürzen'--würde wohl dann der Herr erwidern: 'Geh, mein Lieber, und
+sieh nach, ob es draußen regnet und stürmt, oder ob es eine liebliche
+Mondnacht ist; und ist letzteres der Fall, dann wollen wir uns ins Freie
+begeben."'
+
+"Wie könnte wohl, Ehrwürdiger, der Herr also antworten? Denn der Diener
+hat ihm ja angstvoll zugerufen: 'Flieh, Herr! Das Haus brennt! Schon
+flammen die Balken, und das Dach will einstürzen'."
+
+"Freilich hat der Diener ihm das zugerufen. Wenn nun aber dennoch der
+Herr antwortete: 'Geh, mein Lieber, und sieh nach, ob es draußen regnet
+und stürmt, oder ob es eine liebliche Mondnacht ist; und ist letzteres
+der Fall, dann wollen wir uns ins Freie begeben'--würdest du dann nicht
+daraus schließen, daß der Herr gar nicht richtig gehört hat, was ihm der
+getreue Diener zurief? daß es ihm keineswegs klar geworden ist, welche
+tödliche Gefahr über seinem Kopfe schwebt?"
+
+"Freilich müßte ich ja diese Schlußfolgerung ziehen, Ehrwürdiger, da es
+anderenfalls undenkbar wäre, daß der Mann eine solche törichte Antwort
+geben könnte."
+
+"Ebenso nun auch, Pilger--wandere, als ob dein Haupt von Flammen umgeben
+wäre! denn das Haus brennt. Und welches Haus? Die Welt! Durch welches
+Feuer entflammt? Durch der Begierde Feuer, durch des Hasses Feuer, durch
+der Verblendung Feuer. Die ganze Welt wird von Flammen verzehrt, die
+ganze Welt ist von Rauch umwölkt, die ganze Welt erbebt."
+
+Solchermaßen angerufen, zitterte der Pilger Kamanita, wie ein junger
+Büffel zittert, wenn er zum erstenmal aus dem Dickicht den Ruf des Löwen
+vernimmt. Gebeugten Rumpfes, gesenkten Kopfes, das Gesicht von
+brennender Röte übergossen, saß er eine Weile schweigend da. Dann sagte
+er mit mürrischer, obwohl etwas bebender Stimme:
+
+"Das will mir aber dennoch nicht gefallen, daß der Erhabene darüber
+nichts offenbart hat, wenn er etwas Verheißungsvolles darüber hätte
+mitteilen können. Und auch wenn er geschwiegen hat, weil das, was er
+wußte, eben trostlos und abschreckend ist, oder weil er überhaupt nichts
+wußte: so will mir das auch nicht gefallen. Denn des Menschen Sinnen und
+Trachten geht auf Glückseligkeit und Wonne, was auch in der Natur
+begründet ist und nicht anders sein kann. Und so habe ich ja auch die
+Brahmanischen Priester verkünden hören:
+
+'Gesetzt, es sei ein Jungling, ein wackerer Jüngling, ein
+lernbegieriger, der schnellste, kräftigste, stärkste, und ihm gehörte
+die ganze Erde mit all ihrem Reichtum: so ist das eine menschliche
+Wonne. Aber hundert menschliche Wonnen sind _eine_ Wonne der himmlischen
+Genien. Und hundert Wonnen der himmlischen Genien sind _eine_ Wonne der
+Götter. Und hundert Wonnen der Götter sind _eine_ Wonne des Indra. Und
+hundert Wonnen des Indra sind _eine_ Wonne des Prajapati, und hundert
+Wonnen des Prajapati sind _eine_ Wonne des Brahman. Dies ist die höchste
+Wonne, dies ist der Weg zur höchsten Wonne!'"
+
+"Gleichwie, o Pilger, wenn da ein unerfahrenes Kind wäre, der
+vernünftigen Erwägung unfähig. Dieses Kind empfände in einem Zahne
+brennenden, stechenden, bohrenden Schmerz; und es liefe zu einem
+kundigen, bewährten Arzt und klagte ihm seine Not: 'Wolle,
+Ehrwürdigster, durch deine Kunst schaffen, daß ich in diesem Zahn
+anstatt des Schmerzes ein wonniges Hochgefühl empfinde.' Und der Arzt
+antwortete: 'Liebes Kind, meine Kunst befaßt sich nur damit, den Schmerz
+zu beseitigen.'--Aber das unvernünftige Kind finge an zu klagen: 'Habe
+ich doch, ach! in diesem Zahne nun so lange brennenden, stechenden,
+bohrenden Schmerz empfunden; wie billig ist es da, daß ich jetzt statt
+dessen ein wonniges Gefühl, süße Lust darin genösse. Auch gibt es ja,
+habe ich gehört, kundige, bewährte Ärzte, deren Kunst so weit reicht,
+und ich glaubte, daß du ein solcher wärest!' Und dies unvernünftige Kind
+liefe nun zu einem Heilzauberer, einem Wunderarzt aus dem Lande der
+Gandarer, einem Marktschreier, der durch einen öffentlichen Ausrufer zum
+Schall von Trommeln und Muschelhörnern auf den Straßen verkünden ließe:
+'Gesundheit ist das höchste Gut, Gesundheit ist des Menschen Ziel.
+Blühende, üppige Gesundheit, wohliges, wonniges Hochgefühl in allen
+Gliedern, in allen Adern und Fasern des Körpers, wie es die seligen
+Götter genießen, kann auch der Kränkste um eine geringe Opfergabe durch
+meine Hilfe erlangen.' Zu diesem Wunderarzt liefe das Kind und klagte
+ihm seine Not: 'Wolle, Ehrwürdigster, durch deine Kunst schaffen, daß
+ich in diesem Zahn anstatt des Schmerzes ein wohliges, wonniges
+Hochgefühl genieße.' Und der Zauberer antwortete: 'Liebes Kind, gerade
+darin besteht meine Kunst.' Und nachdem er das ihm vom Kinde
+dargereichte Geld eingestrichen, berührte er den Zahn mit seinem Finger
+und brächte eine magische Wirkung hervor, wodurch ein wonniges
+Lustgefühl sofort den Schmerz verdrängte. Und das unvernünftige Kind
+liefe erfreut und hochbeglückt nach Hause.--Nach einer kurzen Weile aber
+ließe das Lustgefühl nach, und der Schmerz stellte sich wieder ein. Und
+warum? _Weil ja die Ursache des Übels nicht beseitigt war_.
+
+Aber, o Pilger, ein verständiger Mann empfände in einem Zahn brennenden,
+stechenden, bohrenden Schmerz. Und er ginge zu dem kundigen, bewährten
+Arzt und klagte ihm seine Not: 'Wolle, Ehrwürdigster, durch deine Kunst
+mich von diesem Schmerz befreien.' Und der Arzt antwortete: 'Wenn du,
+mein Lieber, nichts weiter von mir verlangst, so viel vertraue ich
+meiner Kunst.' 'Was könnte ich wohl weiter verlangen?' fragte der
+verständige Mann. Und der Arzt untersuchte den Zahn und fände die
+Ursache des Schmerzes in einer Entzündung an der Zahnwurzel. 'Geh nach
+Hause, mein Lieber, und lasse dir an dieser Stelle einen Blutegel
+setzen. Wenn er sich vollgesogen hat und abfällt, dann lege diese
+Kräuter auf die Wunde. Dann wird der Eiter und das ungesunde Blut
+entfernt sein, und der Schmerz wird aufhören.' Und der verständige Mann
+ginge nach Hause und täte, wie der Arzt ihm gesagt. Und der Schmerz
+verginge und kehrte nicht wieder. Und warum nicht? _Weil ja die Ursache
+des Übels beseitigt war_."
+
+Als nun der Erhabene nach Beendigung dieses Gleichnisses schwieg, saß
+der Pilger Kamanita verstummt und verstört, gebeugten Rumpfes, gesenkten
+Hauptes, das Antlitz von brennender Röte übergossen, wortlos da, und der
+Angstschweiß tröpfelte ihm von der Stirn herab und rieselte ihm aus den
+Achselhöhlen herunter. Fühlte er sich doch von diesem Ehrwürdigen mit
+einem unvernünftigen Kinde verglichen und ihm gleichgestellt. Und da er
+trotz aller Anstrengung keine Antwort zu finden vermochte, war er dem
+Weinen nahe.
+
+Endlich, als er seine Stimme beherrschen konnte, fragte er kleinlaut:
+
+"Hast du, Ehrwürdiger, dies alles aus dem Munde des Erhabenen, des
+vollendeten Buddha selber?"
+
+Selten geschieht es, daß Vollendete lächeln. Bei dieser Frage jedoch
+umspielte ein Lächeln die Lippen des Erhabenen.
+
+"Das freilich nicht, Bruder."
+
+Als der Pilger Kamanita dies vernahm, richtete er freudig seinen Körper
+empor, blickte leuchtenden Auges auf und sprach mit frisch belebter
+Stimme:
+
+"Dachte ich's doch! O, ich wußte ja, daß dies nicht die ureigene Lehre
+des Vollendeten sein könne, sondern nur deine eigene mißverständlich
+ergrübelte Auslegung derselben. Heißt es ja doch, daß die Lehre des
+Buddha im Anfange beseligend, in der Mitte beseligend und am Ende
+beseligend sei. Wie aber könnte jemand das von einer Lehre sagen, die
+mir nicht ein ewiges, seliges Leben in höchster Wonne verheißt? Nun, in
+wenigen Wochen werde ich ja zu Füßen des Vollendeten sitzen und von
+seinen eigenen Lippen die Heilslehre empfangen, wie ein Kind aus der
+Mutterbrust seine süße Nahrung saugt. Und auch du wirst da sein und
+richtig belehrt von deiner irrigen, verderblichen Auffassung
+zurückkommen. Aber sieh, jene Streifen des Mondlichtes haben sich fast
+bis zur Schwelle der Halle zurückgezogen; wir müssen tief in der Nacht
+sein. Wohlan, wir wollen uns jetzt schlafen legen."
+
+"Wie es dir, Bruder, belieben mag," antwortete der Erhabene freundlich.
+
+Und sich fester in seinen Mantel hüllend, legte der Erhabene sich auf
+der Matte in der Stellung des Löwen hin, auf den rechten Arm gestützt,
+den linken Fuß auf dem rechten ruhen lassend.
+
+Und der Stunde des Erwachens gedenkend, schlief er sofort ein.
+
+
+
+
+XXI. MITTEN IM LAUFE
+
+
+Als der Erhabene beim ersten Morgengrauen erwachte, sah er, wie der
+Pilger Kamanita emsig seine Matte zusammenrollte, seine Kürbisflasche
+umhängte und sich nach dem Stabe umsah, den er nicht gleich in der Ecke
+bemerkte, weil er umgefallen war. Dabei hatte er in allen seinen
+Bewegungen das Gepräge eines Menschen, der es sehr eilig hat.
+
+Der Erhabene setzte sich auf und grüßte ihn freundlich.
+
+"Willst du schon aufbrechen, Bruder?"
+
+"Freilich, freilich," rief Kamanita erregt. "Denke dir, es ist wirklich
+kaum zu glauben--rein zum Lachen, und doch so wunderbar--ein wahres
+Glück! Vor wenigen Minuten erwachte ich und fühlte mich, nach dem vielen
+Reden von gestern, recht trocken im Halse. Ich sprang sofort auf und
+lief zum Brunnen--unter den Tamarinden, quer über den Weg. Dort stand
+schon ein Mädchen und schöpfte Wasser. Und was meinst du wohl, was ich
+von ihr höre?--Der Vollendete ist gar nicht in Savatthi! Und wo ist er
+denn, glaubst du? Gestern ist er, von dreihundert Mönchen begleitet,
+hier in Rajagaha angekommen! Und er weilt jetzt in seinem Mangohaine
+jenseits der Stadt. In einer Stunde, in weniger vielleicht, werde ich
+ihn gesehen haben--ich, der ich glaubte, noch vier Wochen pilgern zu
+müssen! Was sage ich--in einer Stunde?--Es ist nur eine gute halbe
+Stunde bis dahin, sagte das Mädchen, wenn man nicht durch die
+Hauptstraßen geht, sondern durch die Gäßchen und Höfe nach dem Westtor
+läuft...ich kann mir's kaum denken! Mir brennt der Boden unter den
+Sohlen--leb' wohl, Bruder! Du hast es gut mit mir gemeint, und ich werde
+nicht unterlassen, auch dich zum Erhabenen zu führen--jetzt aber kann
+ich mich wahrlich keinen Augenblick mehr aufhalten."
+
+Und der Pilger Kamanita stürzte aus der Halle hinaus und lief die Straße
+dahin, so schnell ihn die Beine nur tragen wollten. Als er aber das
+Stadttor Rajagahas erreichte, war es noch nicht geöffnet, und er mußte
+eine kleine Weile warten, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam und seine
+Ungeduld aufs höchste steigerte.
+
+Indessen benutzte er die Zeit, um von einer alten Frau, die einen Korb
+voll Gemüse nach der Stadt trug und, wie er selbst, dort warten mußte,
+genaue Erkundigungen über den kürzesten Weg einzuziehen--wie er durch
+jene Gäßchen, rechts an einem Tempelchen und links an einem Brunnen
+vorübergehen müsse und dann einen Turm ja nicht aus den Augen verlieren
+dürfe, so daß er die vor der Stadtmauer verlorene Zeit vielleicht
+innerhalb derselben einholen könne.
+
+Als nun das Tor sich geöffnet hatte, stürzte er unaufhaltsam in der ihm
+bezeichneten Richtung fort. Manchmal rannte er ein paar Kinder über den
+Haufen, rempelte eine Frau an, die am Rinnstein Geschirr spülte, so daß
+eine Schüssel ihr klirrend davonrollte und zerbrach, oder er stieß mit
+einem Wasserträger zusammen. Aber die Schimpfworte, die hinter ihm
+herflogen, erreichten verschlossene Ohren, so ganz war er von dem einen
+Gedanken erfüllt, daß er bald, ganz bald den Buddha sehen würde.
+
+"Welches Glück!" sagte er zu sich selber. "Wie viele Geschlechter leben
+dahin, ohne daß ein Buddha auf der Erde mit ihnen zusammen wandert; und
+von dem Geschlecht, das einen Buddha zum Zeitgenossen hat--o wie so
+wenige sind es, die ihn sehen! Mir aber ist jetzt dies Glück
+gewiß!--Immer habe ich ja gefürchtet, daß auf dem weiten, gefahrvollen
+Wege wilde Tiere oder Räuber mich um dies Glück bringen könnten, jetzt
+aber kann es mir nicht mehr geraubt werden!"
+
+Während er so dachte, war er in ein sehr enges Gäßchen eingebogen. In
+seinem törichten Vorwärtsstürmen sah er nicht, daß vom anderen Ende her
+eine Kuh, die aus irgend einem Grunde scheu geworden war, ihm
+entgegenstürzte, bemerkte auch nicht, wie ein paar Leute vor ihm sich
+eiligst in ein Haus flüchteten, und andere sich hinter einem
+vorspringenden Mauerstück verbargen; er hörte nicht den Ruf, durch den
+eine auf einem Söller stehende Frau ihn warnen wollte--er spähte nur
+hinauf nach den Turmzinnen, die ihn am Verfehlen des Weges hindern
+sollten.
+
+Erst als es zum Ausweichen zu spät war, sah er entsetzt, gerade vor
+sich, die dampfenden Nüstern, die mit Blut unterlaufenen Augen und das
+blanke Horn, das ihm unmittelbar danach tief in die Seite drang.
+
+Mit einem lauten Schrei fiel er an der Mauer nieder. Die Kuh stürzte
+weiter und verschwand in einer anderen Straße.
+
+Sofort eilten nun Leute herbei, teils aus Neugier, teils um zu helfen.
+Das Weib, das ihn gewarnt hatte, brachte Wasser, um die Wunde zu
+reinigen. Man zerriß seinen Mantel, um ihm einen Verband anzulegen und
+womöglich das Blut zu stillen, das wie ein Quell hervorbrach.
+
+Kamanita hatte fast keinen Augenblick das Bewußtsein verloren. Es war
+ihm sofort klar, daß dies seinen Tod bedeute. Aber weder diese
+Vorstellung, noch die Schmerzen quälten ihn so sehr, wie die Angst, daß
+er den Buddha jetzt nicht zu sehen bekäme. Mit bewegter Stimme flehte er
+die Umstehenden an, ihn nach dem Mangohaine zum Buddha zu tragen:
+
+"So weit bin ich gepilgert, ihr lieben Leute!--So nahe war ich schon am
+Ziel! O, habt Erbarmen mit mir, zögert nicht, mich dahin zu tragen!
+Denkt nicht an die Schmerzen, fürchtet nicht, daß ich ihnen
+unterliege--ich werde nicht sterben, bevor ihr mich dem Vollendeten zu
+Füßen niedergelegt habt, und dann werde ich selig sterben, selig
+auferstehen."
+
+Einige liefen nun, Stangen und eine Matratze zu holen. Eine Frau brachte
+ein stärkendes Getränk, von dem Kamanita ein paar Löffel voll nahm. Die
+Männer waren uneinig, welcher Weg zur Versammlungshalle im Mangohaine
+der kürzeste sei, da es wohl auf jeden Schritt ankommen konnte. Denn es
+war jedem klar, daß es mit dem Pilger bald zu Ende ging.
+
+"Da kommen Jünger des Vollendeten!" rief einer der Umstehenden, das
+Gäßchen hinanzeigend, "die werden uns das am besten sagen können."
+
+Wirklich nahten sich einige Mönche aus dem Orden des Buddha, in gelbe
+Mäntel gehüllt, die den rechten Ann frei ließen, und die Almosenschale
+in der Hand. Die meisten waren jüngere Leute; aber zuvörderst schritten
+zwei ehrwürdige Gestalten: ein Greis, dessen ernstes, etwas strenges
+Gesicht mit dem durchdringenden Blick und dem kräftigen Kinn
+unwillkürlich die Aufmerksamkeit auf sich lenkte, und ein Mann in
+mittleren Jahren, aus dessen Zügen eine so herzgewinnende Milde
+leuchtete, daß er dadurch fast das Aussehen eines Jünglings bekam. Auch
+konnte ein erfahrener Beobachter in seiner Haltung und in den etwas
+lebhaften Bewegungen, wie auch im feurigen Blicke, die unveräußerlichen
+Merkmale der Kriegerkaste entdecken, während die bedächtige Ruhe des
+Älteren den geborenen Brahmanen verriet. An hohem Wuchs und fürstlichem
+Anstand kamen aber beide einander gleich.
+
+Als diese Mönche bei der Gruppe, die sich um den verwundeten Mann
+gebildet hatte, Halt machten, erzählten ihnen viele redselige Zungen
+sofort, was vorgefallen war, und daß man im Begriff sei, diesen
+verwundeten Pilger auf einer Bahre--die gerade gebracht wurde--nach dem
+Mangohaine zum Buddha zu tragen, um dadurch seinen sehnlichen Wunsch zu
+erfüllen;--ob nicht einer der jüngeren Mönche mit zurückkehren wolle, um
+ihnen den kürzesten Weg nach der Stelle zu weisen, wo der Erhabene sich
+augenblicklich aufhielt?
+
+"Der Erhabene," antwortete der Greis mit dem strengen Gesicht, "ist
+nicht im Mangohaine, und wir wissen selbst noch nicht, wo er sich
+aufhält."
+
+Bei dieser Antwort entrang ein verzweifeltes Stöhnen sich der wunden
+Brust Kamanitas.
+
+"Aber freilich kann er nicht weit von hier sein," fügte der Jüngere
+hinzu. "Der Erhabene hat gestern die Mönchsgemeinschaft vorausgeschickt
+und ist allein weitergegangen. Er wird sich wohl verspätet haben und
+irgendwo, vielleicht im Vororte, eingekehrt sein. Wir sind jetzt
+unterwegs, ihn zu suchen."
+
+"O, suchet eifrig, findet ihn!" rief Kamanita.
+
+"Wenn wir auch wüßten, wo der Erhabene ist, so ginge es doch nicht an,
+diesen Verwundeten hinzutragen," meinte der strenge Mönch. "Denn die
+Erschütterung auf der Bahre würde seinen Zustand schnell verschlimmern,
+und wenn er es auch überstände, so würde er doch sterbend ankommen, und
+sein Geist würde nicht fähig sein, die Worte des Erhabenen zu erfassen.
+Wenn er sich aber jetzt schont, und von einem kundigen Wundarzt
+behandelt und sorgfältig gepflegt wird, dann ist doch immer noch
+Hoffnung vorhanden, daß er so weit zu Kräften kommen kann, um der Rede
+des Erhabenen zu lauschen.
+
+Aber Kamanita zeigte ungeduldig auf die Bahre:
+
+"Keine Zeit--sterben--mich mitnehmen--ihn sehen--berühren--selig
+sterben--mitnehmen--eilet!"
+
+Achselzuckend wandte sich der Mönch an die jüngeren Brüder:
+
+"Dieser arme Mann hält den siegreich Vollendeten für ein Götzenbild, bei
+dessen Berührung man entsühnt wird."
+
+"Er hat Vertrauen zum Vollendeten gefaßt, Sariputta, wenn ihm auch das
+tiefere Verständnis fehlt," sagte der andere und beugte sich über den
+Verwundeten, um den Grad seiner Kräfte festzustellen; "vielleicht könnte
+man es doch wagen. Der Arme dauert mich, und ich glaube, man kann ihm
+nichts Besseres antun, als den Versuch zu machen."
+
+Ein dankbarer Blick des Pilgers belohnte ihn für seine Fürsprache.
+
+"Wie es dir beliebt, Ananda," antwortete Sariputta freundlich.
+
+In diesem Augenblick kam von der Seite, von welcher auch Kamanita
+gekommen war, ein Hafner gegangen, der auf dem Rücken einen Korb mit
+allerlei Töpferwaren trug. Als er den Pilger Kamanita bemerkte, den man
+soeben mit großer Vorsicht, aber nicht ohne ihm heftige Schmerzen zu
+verursachen, auf die Bahre gelegt hatte, blieb er erschrocken
+stehen--und zwar so plötzlich, daß die aufeinandergetürmten Schüsseln,
+die er auf dem Kopfe trug, zu Boden fielen und zerbrachen.
+
+"Ihr Götter! Was ist denn hier vorgefallen? Das ist ja der fromme
+Pilger, der meiner Halle die Ehre angetan hat, dort zu übernachten. In
+der Gesellschaft eines Mönches, der dasselbe Gewand trug, wie diese
+Ehrwürdigen, hat er in meinem Hause die Nacht zugebracht."
+
+"War jener Mönch ein alter Mann und von hoher Gestalt?" fragte
+Sariputta.
+
+"Gewiß, Ehrwürdiger--und er schien mir dir selber nicht unähnlich zu
+sein."
+
+Da wußten nun die Mönche, daß sie nicht länger zu suchen brauchten, und
+daß der Erhabene im Hause des Hafners war. Denn "der Jünger, der dem
+Meister ähnelt"--also wurde ja Sariputta genannt.
+
+"Ist es möglich?" sagte Ananda und blickte von dem Verwundeten auf, der
+durch die Schmerzen, die ihm das Emporheben verursacht hatte, fast
+bewußtlos geworden war und die Ankunft des Hafners gar nicht bemerkt
+hatte.--"Ist es möglich? Dieser arme Mann hätte das Glück, nach dem er
+so sehnlich trachtet, die ganze Nacht genossen, ohne es auch nur im
+geringsten zu ahnen?"
+
+"Das ist die Art des Toren," sagte Sariputta. "Aber gehen wir; jetzt
+kann er ja hingebracht werden."
+
+"Einen Augenblick!" rief Ananda, "die Schmerzen haben ihn überwältigt."
+
+In der Tat zeigte der leere Blick Kamanitas, daß er kaum bemerkte, was
+um ihn vorging. Es fing an, ihm schwarz vor den Augen zu werden. Aber
+der lange Streifen des Morgenhimmels, der oben zwischen den hohen Mauern
+leuchtete, drang doch noch bis zu seinem Bewußtsein durch und mochte ihm
+wohl als die den Nachthimmel durchquerende Milchstraße erscheinen. Seine
+Lippen bewegten sich:
+
+"Die Ganga--," murmelte er.
+
+"Seine Sinne wandern," sagte Ananda.
+
+Die Zunächststehenden, die das Wort vernommen hatten, faßten es anders
+auf.
+
+"Er wünscht jetzt an die Ganga gebracht zu werden, damit die heiligen
+Wogen seine Sünden abspülen.--Aber Mutter Ganga ist ja weit von
+hier--wer könnte ihn wohl dahin tragen?"
+
+"Erst der Buddha, dann die Ganga!"--murmelte Sariputta mit dem halb
+verächtlichen Mitleid des Weisen einem Toren gegenüber, der unrettbar
+von einem Aberglauben in den anderen fällt.
+
+Aber plötzlich belebten die Augen Kamanitas sich wunderbar. Ein seliges
+Lächeln verklärte seine Züge. Sein Körper wollte sich aufrichten. Ananda
+stützte ihn.
+
+"Die himmlische Ganga," flüsterte er mit schwacher, aber freudiger
+Stimme, und zeigte mit der rechten Hand nach dem Himmelsstreifen über
+seinem Haupte: "Die himmlische Ganga!--wir schwuren--bei ihren
+Wellen--Vasitthi--"
+
+Sein Körper zitterte, Blut quoll ihm aus dem Munde, und in den Armen
+Anandas verschied er.--
+
+Kaum eine halbe Stunde später traten Sariputta und Ananda, von den
+Mönchen begleitet, in die Halle des Hafners ein, begrüßten den Erhabenen
+ehrerbietig und setzten sich ihm zur Seite nieder.
+
+"Nun, mein lieber Sariputta," fragte da der Erhabene, nachdem er ihnen
+freundlichen Gruß entboten,--"hat die junge Mönchsgemeinde unter deiner
+Führung die weite Wanderung gut und ohne Unfälle überstanden? Habt ihr
+Mangel an Nahrung oder Arznei für die Kranken unterwegs gehabt? Ist die
+Jüngerschaft fröhlich beflissen?"
+
+"Glücklich bin ich, Ehrwürdigster, sagen zu können, daß es uns an nichts
+gefehlt hat, und daß die jungen Mönche voll Eifer und Zuversicht, sich
+nur danach sehnen, den Erhabenen von Angesicht zu Angesicht zu sehen.
+Diese edlen Jünglinge, Kenner des Wortes, Nachfolger der Lehre, habe ich
+mitgenommen, um sie schon jetzt dem Meister vorzustellen."
+
+Bei diesen Worten erhoben sich drei junge Mönche und begrüßten den
+Erhabenen mit zusammengelegten Händen:
+
+"Heil dem Erhabenen, dem vollendeten Buddha--Heil!"
+
+"Seid mir willkommen," sprach der Erhabene und lud sie mit einer
+Handbewegung wieder zum Sitzen ein.
+
+"Und ist auch der Erhabene," fragte Ananda, "nach der gestrigen
+Wanderung ohne Übermüdung oder üble Folgen gut hier angekommen? Und hat
+der Erhabene in dieser Halle die Nacht leidlich zugebracht?"
+
+"So ist es, Brüder. Ich bin bei einbrechender Dunkelheit zwar recht
+müde, doch ohne üble Folgen der Wanderung hier angekommen und habe in
+der Gesellschaft eines fremden Pilgers die Nacht nicht eben schlecht
+zugebracht."
+
+"Dieser Pilger," nahm Sariputta das Wort, "ist in den Straßen Rajagahas
+durch eine Kuh des Lebens beraubt worden."
+
+"Und nicht ahnend, mit wem er die Nacht hier zugebracht hatte," fügte
+Ananda hinzu, "begehrte er sehnlich, zu Füßen des Erhabenen gebracht zu
+werden."
+
+"Bald danach freilich verlangte er, man möchte ihn nach der Ganga
+tragen," bemerkte Sariputta.
+
+"Nicht doch, Bruder Sariputta!"--berichtigte Ananda. "Denn er sprach von
+der _himmlischen_ Ganga. Leuchtenden Blickes gedachte er eines Schwures
+und nannte dabei einen Frauennamen--Vasitthi, glaube ich--und so
+verschied er."
+
+"Irgend einen Frauennamen auf den Lippen, ging er von dannen," sagte
+Sariputta.--"Wo ist er wohl wieder ins Dasein getreten?"
+
+"Töricht, ihr Jünger, war der Pilger Kamanita, einem unvernünftigen
+Kinde vergleichbar. Diesem Pilger, ihr Jünger, der in meinem Namen
+umherzog und sich zur Lehre des Erhabenen bekennen wollte, habe ich die
+Lehre ausführlich und eingehend dargelegt. Und er hat an der Lehre
+Anstoß genommen. Auf Seligkeit und Himmelswonnen war das Sehnen und
+Trachten seines Herzens gerichtet. Der Pilger Kamanita, ihr Jünger, ist
+in Sukhavati, im Paradiese des Westens, wieder ins Dasein getreten,
+tausend- und abertausendjährige Himmelswonnen zu genießen."
+
+
+
+
+XXII. IM PARADIESE DES WESTENS
+
+
+Als der Erhabene in der Halle des Hafners zu Rajagaha diese Worte
+sprach, erwachte der Pilger Kamanita im Paradiese des Westens. In einen
+roten Mantel gehüllt, der zart und glänzend wie ein Blumenblatt in
+reichem Faltenwurf um ihn herabfloß, fand er sich mit untergeschlagenen
+Beinen, auf einer mächtigen, gleichfarbigen Lotusrose sitzend, die
+mitten auf einem großen Teiche schwamm. Auf der weiten Wasserfläche
+waren überall solche Lotusblumen zu sehen, rote, blaue und weiße, einige
+noch als Knospen, andere, obwohl ziemlich entwickelt, doch immer noch
+geschlossen, aber unzählige offen wie die seine; und fast auf einer
+jeden thronte eine menschliche Gestalt, deren faltiges Gewand aus den
+Blumenblättern emporzuwachsen schien.
+
+Auf den schrägen Ufern des Teiches, im grünsten Gras, lachte ein
+Blumenflor, als ob alle Edelsteine der Erde hier in Blumengestalt
+wiedergeboren wären, ihren Glanz und ihr durchleuchtetes Farbenspiel
+beibehaltend, aber den harten Panzer, den sie in ihrem Erdenleben
+getragen, gegen die Weiche, schmiegsame, lebendige Pflanzenhülle
+eintauschend. So war auch der Duft, den sie aushauchten, mächtiger als
+die herrlichste Essenz, die je in ein kristallenes Fläschchen
+eingeschlossen wurde, und hatte doch die ganze herzhafte Frische des
+natürlichen Blumenduftes.
+
+Von diesem fesselnden Ufersaum schweifte nun der entzückte Blick weiter
+zwischen hohen und breitwipfeligen, smaragdlaubigen und juwelenblühenden
+Bäumen, die bald einzeln sich erhoben, bald in Gruppen zusammen standen,
+bald tiefe Haine bildeten, hinüber nach den anmutigsten Felsenhügeln,
+die bald nackt ihre kristallenen, marmornen und alabasternen Formen
+zeigten, bald sie mit dichtem Gebüsch bedeckten oder mit duftigem
+Blütenflor verhüllten. An einer Stelle aber wichen Haine und Felsen
+gänzlich zur Seite, um einem schönen Fluß Raum zu geben, der sich still,
+wie ein Strom von Sternenglanz, in den Teich ergoß.
+
+Über die ganze Gegend wölbte sich ein Himmel, dessen Ultramarinblau nach
+unten zu eher noch tiefer wurde, und unter dieser Kuppel schwebten
+weiße, geballte Wölkchen, auf welchen liebliche Genien gelagert waren,
+deren Instrumente den ganzen Raum mit den Zauberklängen wonniger Weisen
+erfüllten.
+
+Aber an diesem Himmel war keine Sonne zu sehen, noch bedurfte es einer
+solchen. Denn von den Wölkchen und den Genien, von Felsen und Blumen,
+vom Wasser und von den Lotusrosen, von den Gewändern der Seligen, noch
+mehr aber von ihren Gesichtern strahlte ein wundersames Licht aus. Und
+wie dies Licht von strahlender Helligkeit war, ohne doch im mindesten zu
+blenden, so wurde die weiche, duftgesättigte Wärme durch den ständigen
+Hauch des Wassers erfrischt, und schon diese Luft einzuatmen war eine
+Lust, der nichts auf Erden gleichkommt.
+
+Als Kamanita den ersten Anblick dieser Herrlichkeiten so weit verwunden
+hatte, daß sie ihn nicht mehr überwältigten, sondern anfingen, sich ihm
+als seine natürliche Umgebung unterzuordnen, richtete er seine
+Aufmerksamkeit auf jene anderen Wesen, die, wie er selber, ringsum auf
+den schwimmenden Lotusthronen saßen. Er bemerkte bald, daß die rot
+gekleideten männlichen, die weiß gekleideten weiblichen Geschlechts
+waren, während von den in blaue Mäntel gehüllten Gestalten, wie ihm
+schien, einige diesem, einige jenem Geschlechte angehörten. Alle
+miteinander aber standen sie in vollster Jugendblüte, und alle schienen
+von freundlichster Gesinnung erfüllt zu sein.
+
+Ein Nachbar in blauem Mantel flößte ihm besonderes Vertrauen ein, und
+die Lust, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, regte sich in ihm.
+
+"Ob es wohl angeht, von selber und unaufgefordert diesen Ehrwürdigen zu
+fragen?" dachte er. "Gar zu gern möchte ich doch wissen, wo ich bin."
+
+Zu seiner größten Verwunderung erfolgte die Antwort sofort, lautlos und
+ohne daß der Blaue die Lippen auch nur leise bewegt hätte:
+
+"Du bist in Sukhavati, dem Orte der Seligkeit."
+
+Unwillkürlich fragte Kamanita in Gedanken weiter:
+
+"Du warst hier, Ehrwürdigster, als ich die Augen aufschlug, denn mein
+Blick fiel sofort auf dich. Bist du vielleicht gleichzeitig mit mir
+erwacht, oder warst du schon lange hier?"
+
+"Seit undenklichen Zeiten bin ich hier," antwortete der Blaue, "und ich
+würde glauben, daß ich von Ewigkeit her hier wäre, wenn ich nicht so oft
+gesehen hätte, wie eine Lotusblume sich öffnete und ein neues Wesen zum
+Vorschein kam--und wenn nicht der Duft des Korallenbaumes wäre."
+
+"Was ist's denn mit diesem Duft?"
+
+"Das wirst du selber bald entdecken. Der Korallenbaum ist das größte
+Wunder dieses Paradieses."
+
+Die Musik der himmlischen Genien, die wie von selber dieses lautlose
+Gespräch zu begleiten schien, mit ihren Weisen und Klängen sich jedem
+Satz desselben anschmiegend, gleichsam um seinen Sinn zu vertiefen und
+das klar zu machen, was die Worte nicht fassen konnten, wob bei diesen
+Worten ein seltsam mystisches Tongebilde, und es schien dem lauschenden
+Kamanita, als ob in seinem Geiste unendliche Tiefen sich öffneten, in
+deren Schatten formlose Erinnerungen sich regten, ohne erwachen zu
+können.
+
+"Das größte Wunder!" sagte er nach einer Pause. "Ich meinte, von allem
+Wunderbaren hier sei das Wunderbarste jener herrliche Strom, der sich in
+unsern Teich ergießt."
+
+"Die himmlische Ganga," nickte der Blaue.
+
+"Die himmlische Ganga!"--wiederholte Kamanita träumerisch, und wiederum
+überkam ihn, nur in verstärktem Maße, jenes Gefühl von etwas, das er
+kennen müsse und doch nicht kennen konnte, während die geheimnisvollen
+Töne in den tiefsten Abgründen seines eigenen Selbstes die Quellen jenes
+Stromes zu suchen schienen.
+
+
+
+
+XXIII. SELIGE REIGEN
+
+
+Mit Verwunderung bemerkte Kamanita jetzt, wie eine nicht weit von ihm
+auf ihrer Lotusrose thronende weiße Gestalt plötzlich in die Höhe wuchs.
+Die aufgehäufte Masse der eckigen Mantelfalten wickelte sich
+auseinander, bis das Gewand geradlinig von den Schultern bis zum
+goldigen Saume hinabfloß. Und dieser berührte schon nicht mehr die
+Blumenblätter--die Gestalt schwebte frei über den Teich hin, über das
+Ufer hinauf, und verschwand zwischen den Bäumen und hinter dem Gebüsch.
+
+"Wie herrlich muß das sein!"--dachte Kamanita. "Aber das ist wohl eine
+sehr schwierige Kunst, obschon es aussieht, als ob es gar nichts wäre.
+Ob ich das wohl jemals lernen kann?"
+
+"Du kannst schon, wenn du nur willst," antwortete der Blaue, an den die
+letzte Frage gerichtet war.
+
+Sofort hatte Kamanita die Empfindung, als ob etwas seinen Körper in die
+Höhe höbe. Er schwebte schon quer über den Teich nach dem Ufer zu, und
+bald war er mitten im Grünen. Wohin er seinen Blick wünschend richtete,
+dorthin ging sein Flug, schnell oder langsam, je nach Verlangen. Er sah
+nun andere Lotusteiche, ebenso herrlich wie der, den er eben verlassen
+hatte, durchstreifte liebliche Haine, wo bunte Vögel von Zweig zu Zweig
+hüpften und ihr melodisches Zwitschern mit dem leisen Rauschen der
+Wipfel mischten, strich über blumenreiche Auen hin, wo niedliche
+Antilopen ihr Spiel trieben, ohne sich im geringsten vor ihm zu
+fürchten, und ließ sich endlich auf dem sanften Abhang eines Hügels
+nieder. Zwischen Baumstämmen und blühendem Gebüsch sah er die Ecke eines
+Teiches, wo das Wasser rings um die großen Lotusblüten glitzerte, deren
+Blumenthrone hier und dort eine selige Gestalt trugen, während mehrere
+selbst von den ganz entfalteten leer waren.
+
+Es war nämlich offenbar gerade ein Augenblick des allgemeinen
+Schwärmens. Wie an einem warmen Sommerabend die Leuchtkäfer unter den
+Bäumen und um das Gebüsch hin und her kreisen, ein stilles, leuchtendes
+Treiben, also schwebten hier die seligen Gestalten, einzeln und
+paarweise, in ganzen Gruppen oder Reihen durch die Haine und um die
+Felsen. Dabei sah man es ihren Mienen und Blicken an, daß sie sich
+lebhaft miteinander unterhielten und man ahnte die unsichtbaren Fäden
+des Gespräches, die sich zwischen den lautlos Dahinziehenden hinüber und
+herüber spannen.
+
+In süßer, traumhafter Befangenheit genoß Kamanita dies reizende
+Schauspiel. Nach und nach entstand in ihm ein Verlangen, sich mit diesen
+Fröhlichen zu unterhalten.
+
+Sofort war er von einer ganzen Gesellschaft umringt, die ihn freundlich
+begrüßte als den Neuangekommenen, den soeben Erwachten.
+
+Kamanita wunderte sich sehr und fragte, ob denn das Gerücht von seinem
+Entstehen sich schon überall in Sukhavati verbreitet hätte.
+
+"O, wenn ein Lotus sich öffnet, regen sich alle Lotusblumen in den
+Paradiesteichen, und jedes Wesen fühlt, wenn hier irgendwo ein neues
+Wesen zur Seligkeit erwacht."
+
+"Aber wie könnt ihr wissen, daß gerade ich der Neue bin?"
+
+Die ihn Umschwebenden lächelten lieblich.
+
+"Du bist noch nicht so ganz erwacht."
+
+"Du blickst uns an, als ob du Traumgestalten sähest und dich davor
+fürchtetest, daß sie plötzlich verschwinden könnten und daß eine rauhe
+Wirklichkeit dich wieder umgeben möchte."
+
+Kamanita schüttelte den Kopf.
+
+"Ich verstehe euch nicht so recht. Was sind Traumgestalten?"
+
+"Ihr vergeßt," sagte eine Weißgekleidete, "daß er gewiß noch nicht am
+Korallenbaume war."
+
+"Nein, dort war ich noch nicht. Aber ich habe doch schon von ihm gehört.
+Mein Nachbar im Teiche sprach mir davon; der Baum soll solch ein Wunder
+sein. Was ist's denn mit ihm?"
+
+Aber sie lächelten alle geheimnisvoll, sich gegenseitig anblickend und
+den Kopf schüttelnd.
+
+"Ich möchte gern sofort hin. Will mir niemand den Weg zeigen?"
+
+"Den Weg findest du schon selber, wenn die Zeit gekommen ist."
+
+Kamanita strich sich mit der Hand über die Stirn.
+
+"Noch ein Wunderding war da, von dem er sprach....Ja! Die himmlische
+Ganga....Von ihr wird unser Teich gespeist. Ist das mit dem eurigen auch
+so?"
+
+Die Weißgekleidete zeigte nach dem klaren Flüßchen, das sich um den Fuß
+des Hügels wand und in gemächlichen Krümmungen sich dem Teiche
+zuschlängelte.
+
+"Das ist unser Zufluß. Unzählige solcher Adern durchziehen diese
+Gefilde, und auch das, was du gesehen hast, ist nur eine solche, wenn
+auch eine größere. Aber die himmlische Ganga selber umschließt das ganze
+Sukhavati."
+
+"Hast du auch sie selber gesehen?"
+
+Die Weiße schüttelte den Kopf.
+
+"So kann man denn nicht dorthin kommen?"
+
+"Man kann schon," antworteten sie alle. "Aber keiner von uns war dort.
+Warum sollten wir auch? Nirgends kann es schöner sein als hier. Einige
+andere freilich waren da--aber sie sind nie wieder hingeflogen."
+
+"Warum denn nicht?"
+
+Die Weiße zeigte nach dem Teiche:
+
+"Siehst du den Roten dort, fast am anderen Ufer?--Er war dort, es ist
+lange, lange her. Wollen wir ihn fragen, ob er später noch einmal nach
+dem Gestade der Ganga geflogen ist?"
+
+"Nimmermehr," klang sofort die Antwort des Roten.
+
+"Und warum denn nicht?"
+
+"Fliege selber hin und hole dir Antwort."
+
+"Wollen wir? Mit dir zusammen darf ich schon."
+
+"Ich möchte wohl hin--aber jetzt nicht."
+
+Aus einem nahen Hain schwebte ein Zug seliger Gestalten hervor, schlang
+sich zu einem Reigen um das Wiesengebüsch, und indem die Reihe sich
+ausdehnte, ergriff die äußerste Gestalt--eine hellblaue--die Hand der
+Weißen. Diese reichte einladend ihre andere Hand Kamanita hin.
+
+Er dankte ihr lächelnd, schüttelte aber leise den Kopf:--
+
+"Noch möchte ich lieber zusehen."
+
+"Ja, ruhe nur, und erwache. Auf Wiedersehen!"
+
+Und von der Hellblauen sanft fortgezogen, schwebte sie von dannen, im
+luftigen Ringeltanz.
+
+Und auch die anderen zogen mit freundlichem, aufmunterndem Gruß davon,
+um ihm Ruhe zur Sammlung zu geben.
+
+
+
+
+XXIV. DER KORALLENBAUM
+
+
+Kamanita folgte ihnen lange mit dem Blick und wunderte sich. Und dann
+wunderte er sich über sein Wundern. "Wie kommt es denn, daß Alles mich
+hier so seltsam anmutet? Wenn ich hierher gehöre, warum scheint mir dann
+nicht Alles selbstverständlich?--Aber jede neue Erscheinung hier ist mir
+rätselhaft und setzt mich in Erstaunen. Zum Beispiel dieser Duft, der
+jetzt plötzlich an mir vorüberweht. Wie ist er doch so ganz verschieden
+von allem anderen Blumendufte hier--viel voller und mächtiger, anziehend
+und beunruhigend zugleich. Wo mag er wohl herkommen?
+
+...Aber wo mag ich wohl selber herkommen? Es scheint, als ob ich vor
+kurzem noch ein Nichts gewesen bin. Oder habe ich doch ein Dasein
+gehabt, nur nicht hier? Aber wo dann? Und wie bin ich denn
+hierhergekommen?"
+
+Während diese Fragen in ihm aufstiegen, hatte sich sein Körper, ohne daß
+er es bemerkte, vom Rasen losgelöst, und er schwebte schon weiter--aber
+in keiner von den Richtungen, denen die anderen gefolgt waren. Kamanita
+stieg aufwärts, gegen eine Einsattelung im Gipfel des Hügels. Als er
+über sie hinstrich, wurde er von einem noch stärkeren Hauch jenes neuen,
+seltsamen Duftes empfangen.
+
+Kamanita flog weiter.
+
+Jenseits des Hügels verlor die Gegend etwas an Lieblichkeit. Der
+Blumenflor war spärlicher, das Gebüsch dunkler, die Haine dichter, die
+Felsen schroffer und höher. Herden von Gazellen weideten da, aber nur
+ganz vereinzelt zeigte sich eine selige Gestalt.
+
+Das Tal verengte sich und mündete in eine Kluft. Hier war jener Duft
+noch stärker. Immer schneller wurde seine Flucht, immer nackter, steiler
+und höher schlossen sich die Felsenwände zusammen, bis nirgends mehr ein
+Ausgang zu sehen war.
+
+Die Schlucht machte ein paar scharfe Wendungen und öffnete sich
+plötzlich.
+
+Um Kamanita breitete sich ein von himmelstrebenden Malachitfelsen
+eingeschlossener Talkessel, und mitten in diesem stand der Wunderbaum.
+
+Stamm und Äste waren von blanker, roter Koralle; ein wenig gelblicher
+war die Röte des krausen Laubwerkes, aus dem die Blüten tief
+karmesinfarbig hervorglühten.
+
+Über Felsenzinnen und Baumwipfel spannte der Himmel sich dunkelblau,
+ohne daß ein einziges Wölkchen zu sehen war. Auch drang die Musik der
+Genien kaum hierher--was noch in der Luft zitterte, war wie eine
+Erinnerung an längst gehörte Melodien.
+
+Nur drei Farben waren da: das Ultramarinblau des Himmels, das
+Malachitgrün der Felsen, das Korallenrot des Baumes. Und nur _ein_
+Duft--jener geheimnisvolle, allen anderen unähnliche Duft der
+karmesinroten Blumen, der Kamanita hierher geführt hatte.
+
+Und alsbald zeigte sich nun auch die Wunderart dieses Duftes:
+
+Als Kamanita ihn hier einsog, wo er verdichtet den ganzen Kessel füllte,
+erweiterte sich plötzlich sein Bewußtsein und überschwemmte und
+durchbrach die Schranke, die bis jetzt hinter seinem Erwachen im Teiche
+errichtet gewesen war.
+
+Sein vorheriges Leben lag offen vor ihm:
+
+Er sah die Halle des Hafners, wo er mit jenem törichten Buddhamönch im
+Gespräche saß; er sah das Gäßchen in Rajagaha, das er durcheilte, und
+die ihm entgegenstürmende Kuh--dann die bestürzten Gesichter ringsum und
+die gelbgekleideten Mönche....
+
+Und er sah die Waldungen und Landstraßen seiner Pilgerschaft, seinen
+Palast und seine beiden Frauen, die Hetären Ujjenis, die Räuber, den
+Krishnahain und die Terrasse der Sorgenlosen mit Vasitthi, das
+Elternhaus und die Kinderstube....
+
+Und dahinter sah er ein anderes Leben und noch eins und noch eins--und
+immer noch andere, wie man die Baumreihe einer Landstraße sieht, bis die
+Bäume zu Punkten werden und die Punkte in einen einzigen
+Schattenstreifen zusammenschmelzen.
+
+Bei diesem Anblick schwindelte ihm. Und sofort befand er sich wieder in
+der Kluft, wie ein Blatt, das vom Winde getrieben wird. Denn das
+erstemal hält niemand den Duft des Korallenbaumes lange aus, und der
+Selbsterhaltungstrieb führt Jeden beim ersten Schwindel von dannen.
+
+Als er nun ruhiger durch das offene Tal schwebte, erwog Kamanita:
+
+"Jetzt verstehe ich, warum die Weiße sagte, ich sei wohl noch nicht am
+Korallenbaume gewesen. Denn freilich konnte ich damals nicht verstehen,
+was sie mit 'Traumgestalten' meinten; jetzt aber weiß ich es, denn in
+jenem Leben habe ich ja solche gesehen. Und jetzt begreife ich auch,
+warum ich hier bin. Ich wollte ja im Mangohaine bei Rajagaha den Buddha
+aufsuchen. Freilich wurde das durch meinen plötzlichen, gewaltsamen Tod
+vereitelt, aber mein guter Wille ist mir angerechnet worden, und so bin
+ich an diesen Ort der Seligkeit gelangt, als ob ich zu seinen Füßen
+gesessen und in seiner beseligenden Lehre gestorben wäre. Also ist mein
+Pilgergang nicht vergebens gewesen."
+
+Und Kamanita erreichte bald wieder den Teich und ließ sich auf seine
+rote Lotusrose nieder, wie ein Vogel, der sein Nest aufsucht.
+
+
+
+
+XXV. DIE KNOSPE ÖFFNET SICH
+
+
+Plötzlich schien es Kamanita, als ob unten im Teiche sich etwas
+Lebendiges bewege. In der kristallenen Tiefe wurde er undeutlich einen
+aufsteigenden Schatten gewahr. Das Wasser brodelte und wallte, und eine
+große Lotusknospe mit roter Spitze schoß wie ein Fisch aus der Flut
+empor, um dann schwimmend auf der Wasserfläche sich zu wiegen, die erst
+in Kreisen wellte und dann noch lange danach wie zersplittert zitterte
+und glitzerte, farbensprühend, als ob der Teich mit fließenden Diamanten
+gefüllt wäre, während der Widerschein der Wasserblinke wie kleine
+Flammen über die Lotusblätter, die Gewänder und die Gesichter der
+seligen Gestalten emporflatterte.
+
+Und auch das Gemüt Kamanitas erzitterte und strahlte in allen seinen
+verborgenen Farben, auch über sein Herz schien ein Widerschein freudiger
+Bewegung spielend hinzutanzen.
+
+"Was war das wohl?" fragte sein Blick den blauen Nachbar.
+
+"Tief unten, in weiten Weltfernen, auf der trüben Erde, hat in diesem
+Augenblick eine menschliche Seele ihren Herzenswunsch darauf gerichtet,
+hier in Sukhavati wieder ins Dasein zu treten. Nun wollen wir auch
+beobachten, ob die Knospe sich schön entwickelt und zum Blühen gelangt.
+Denn gar manche Seele richtet ihren Wunsch auf den reinen Ort der
+Seligkeit, vermag aber nicht, danach zu leben, sondern verstrickt sich
+wieder in unheilige Leidenschaften, versinkt in die Lust des Fleisches
+und bleibt an dem Erdenschmutze haften. Dann aber verkümmert die Knospe
+und verschwindet zuletzt gänzlich. Diesmal ist es, wie du siehst, eine
+männliche Seele. Eine solche kommt in dem bunten Welttreiben leichter
+vom Paradieswege ab, weshalb du auch bemerken wirst, daß, wenn auch die
+roten und die weißen sich an Zahl ziemlich gleichkommen, unter den
+blauen die helleren, weiblichen, bei weitem die meisten sind."
+
+Bei dieser Mitteilung erbebte das Herz Kamanitas gar sonderbar, als ob
+auf einmal schmerzliche Freude und lustgebärendes Weh es in schwankende
+Bewegung setzten, und sein Blick ruhte rätselratend auf einer
+geschlossenen Lotusrose, die, weiß wie die Brust eines Schwans, dicht
+neben ihm sich in dem noch leise bewegten Wasser anmutig wiegte.
+
+"Kannst du dich auch darauf besinnen, daß du einmal gesehen hast, wie
+die Knospe meines Lotus sich aus der Tiefe erhob?" fragte er den
+erfahrenen Nachbar.
+
+"Gewiß, denn sie tauchte ja zusammen mit dieser weißen Blume auf, die du
+jetzt gerade betrachtest. Und ich habe das Paar immer beobachtet,
+manchmal nicht ohne Besorgnis. Denn ziemlich bald fing deine Knospe an,
+sichtlich zusammenzuschrumpfen und sie war fast gänzlich unter die
+Wässerfläche hinabgesunken, als sie sich plötzlich wieder erhob, voller
+und blanker wurde und sich dann gar prächtig bis zum Entfalten
+entwickelte. Die weiße aber wuchs langsam, allmählich und gleichmäßig
+ihrer Entfaltung entgegen--dann aber wurde auch sie plötzlich wie von
+einer Krankheit befallen. Doch sie erholte sich rasch wieder und wurde
+solch herrliche Blume, wie du sie jetzt vor dir siehst."
+
+Bei diesen Worten erhob sich in Kamanita eine so freudige Bewegung, daß
+es ihn dünken wollte, als sei er bis jetzt nur ein trüber Gast an einem
+trüben Ort gewesen,--dermaßen schien jetzt Alles um ihn herum zu
+leuchten, zu duften und zu klingen.
+
+Und als ob sein Blick, der unverwandt auf dem weißen Lotus ruhte, ein
+Zauberstab wäre, um verborgene Schätze zu heben, regte sich die Spitze
+der Blume, die Blätter bogen ihre Ränder nach vorne und neigten sich
+nach allen Seiten; und sieh'--in ihrer Mitte saß Vasitthi mit weit
+geöffneten Augen, deren süß lächelnder Bück dem seinigen begegnete.
+
+Und Kamanita und Vasitthi streckten gleichzeitig die Arme nach einander
+aus, und, ihre Hände ineinanderlegend, schwebten sie über den Teich dem
+Ufer zu.
+
+Kamanita merkte wohl, daß Vasitthi ihn noch nicht wiedererkannte,
+sondern sich ihm nur unwillkürlich zuwandte, wie die Sonnenblume der
+Sonne. Wie hätte sie ihn auch erkennen sollen, da doch niemand sofort
+bei seinem Erwachen sich seines vorausgegangenen Lebens erinnerte--wenn
+auch in den Tiefen ihres Gemütes sich bei seinem Anblick dunkle Ahnungen
+regen mochten, wie einst bei ihm, als sein Nachbar von der himmlischen
+Ganga sprach.
+
+Er zeigte ihr den strahlenden Fluß, der sich still in den Teich ergoß:
+
+"So speisen die silbrigen Wellen der himmlischen Ganga alle Lotusteiche
+in den Gefilden der Seligen."
+
+"Die himmlische Ganga?" wiederholte sie fragend und strich sich mit der
+Hand über die Stirn.
+
+"Komm, wir wollen nach dem Korallenbaum."
+
+"Dort aber ist der Hain und das Gebüsch so lieblich, und sie spielen
+dort solch heitere Spiele," sagte Vasitthi, nach einer anderen Richtung
+zeigend.
+
+"Nachher! Jetzt wollen wir zuerst nach dem Korallenbaum, um dich durch
+seinen Wunderduft zu erquicken."
+
+Wie ein Kind, das man durch Versprechen auf ein neues Spielzeug darüber
+getröstet hat, daß es am fröhlichen Treiben der Kameraden nicht
+teilnehmen darf, so folgte Vasitthi ihm willig. Als der Duft ihnen
+entgegenzuwehen begann, belebten sich ihre Züge mehr und mehr.
+
+"Wo führst du mich hin?" fragte sie, als sie in die enge Felsenschlucht
+einlenkten. "Niemals bin ich noch so erwartungsvoll gewesen. Und es
+kommt mir vor, als ob ich schon oft voll Erwartung war, obschon dein
+Lächeln mich daran erinnert, daß ich ja eben erst zum Bewußtsein erwacht
+bin. Aber du hast dich geirrt, hier kann man ja nicht weiter."
+
+"O, man kann weiter, viel, _viel_ weiter," lächelte Kamanita, "und
+vielleicht wirst du jetzt gewahr, daß jenes Gefühl dich nicht getäuscht
+hat, liebste Vasitthi!"
+
+Und schon öffnete sich vor ihnen das Talbecken der Malachitfelsen mit
+dem roten Korallenbaum und dem tiefblauen Himmel, und der Duft aller
+Düfte umfing sie.
+
+Vasitthi legte die Hände auf ihre Brust, wie um ihr gar zu tiefes Atmen
+zu hemmen, und am schnellen Wechsel von Licht und Schatten in ihren
+Zügen erkannte Kamanita, wie der Sturm der Lebenserinnerungen über sie
+dahinbrauste.
+
+Plötzlich erhob sie ihre Arme und warf sich an seine Brust:
+
+"Kamanita, mein Liebster!"
+
+Und er trug sie von dannen, im Eilfluge durch die Schlucht
+zurückstürmend.
+
+Im offenen, noch etwas ernsten Tal, mit dunklem Gebüsch und dichten
+Hainen, wo die Gazellen spielten, aber keine menschliche Gestalt die
+Einsamkeit störte, ließ er sich mit ihr unter einem Baume nieder.
+
+"O, du Ärmster!"--sprach Vasitthi, "was mußt du gelitten haben! Und was
+mußt du von mir gedacht haben, als du erfuhrst, daß ich Satagira
+geheiratet hatte!"
+
+Aber Kamanita erzählte ihr, wie er das nicht durch eine Nachricht
+erfahren, sondern selber in der Hauptstraße Kosambis den Hochzeitszug
+gesehen habe, und wie der namenlose Jammer, der auf ihrem Gesichte
+geprägt stand, ihn unmittelbar davon überzeugt habe, daß sie nur dem
+Zwang ihrer Eltern nachgegeben hätte.
+
+"Aber keine Macht der Erde hätte mich gezwungen, du einzig Geliebter,
+wenn ich nicht hätte glauben müssen, den sicheren Beweis zu haben, daß
+du nicht mehr am Leben seist."
+
+Und Vasitthi hub an, ihre damaligen Erlebnisse zu berichten.
+
+
+
+
+XXVI. DIE KETTE MIT DEM TIGERAUGE
+
+
+Als du, mein Freund, Kosambi verlassen hattest, schleppte ich meine Tage
+und Nächte elend dahin, wie es ein Mädchen tut, das vom schleichenden
+Fieber der Sehnsucht verzehrt wird und dabei in tausend Ängsten um den
+Geliebten schwebt. Ich wußte ja nicht einmal, ob du noch die Erdenluft
+mit mir atmetest. Denn ich hatte gar oft von den Gefahren solcher Reisen
+gehört. Und nun mußte ich mir auch noch die schrecklichsten Vorwürfe
+machen, weil ich ja selber durch den törichten Eigensinn meiner Liebe
+die Schuld daran trug, daß du nicht unter dem Schutze der Gesandtschaft
+die Rückreise in völliger Sicherheit gemacht hattest. Und dennoch
+vermochte ich nicht, diese meine Unbesonnenheit zu bereuen, da ich ihr
+doch alle jene schönen Erinnerungen verdankte, die mein ganzer Schatz
+waren.
+
+Selbst Medinis aufmunternde und tröstende Worte vermochten nur selten
+die Wolke meiner Schwermut zeitweilig zu vertreiben. Mein bester und
+treuester Freund war der schöne Asokabaum, unter dem wir in jener
+herrlichen Mondnacht standen, die du, mein süßer Freund, gewiß nicht
+vergessen hast, und den ich damals mit den Worten Damayantis anredete.
+Unzählige Male versuchte ich aus dem Rauschen seiner Blätter eine
+Antwort auf meine besorgte Frage herauszuhören, in dem Fallen einer
+Blume oder dem Spiele der Lichtflecken auf dem Boden irgend eine
+Vorbedeutung zu sehen. War dann einmal ein solches selbstgemachtes
+Orakelzeichen im günstigen Sinne ausgefallen, dann konnte ich mich einen
+ganzen Tag oder noch länger fast glücklich fühlen und hoffnungsvoll in
+die Zukunft schauen. Gerade dadurch wuchs dann aber die Sehnsucht, und
+mit ihr kehrten dann die Befürchtungen zurück, wie böse Träume der
+Fieberhitze entwachsen.
+
+In diesem Zustand war es fast eine Wohltat, daß es bald nicht länger
+meiner Liebe erlaubt wurde, in einsamer Tatenlosigkeit nur ihrem Leide
+zu leben, sondern daß sie in eine Kampfstellung gedrängt wurde, in der
+sie alle ihre Kräfte zusammennehmen mußte, wenn ich mich auch dadurch
+fast mit meinen Nächsten völlig entzweit hätte.
+
+Satagira, der Sohn des Ministers, verfolgte mich nämlich jetzt immer
+eifriger mit den Zeichen seiner Liebe, und ich konnte mich nicht mehr in
+einem öffentlichen Lustgarten mit meinen Gespielinnen zeigen, ohne daß
+er da war und mich zum Gegenstand seiner aufdringlichen Aufmerksamkeit
+machte. Daß ich diese nicht im geringsten erwiderte, ja ihm deutlicher,
+als es höflich war, zeigte, wie sehr sie mir verhaßt war, hatte nicht
+die mindeste abkühlende Wirkung. Bald fingen nun meine Eltern an, erst
+mit allerlei Andeutungen, dann immer unverblümter, seine Sache zu
+befürworten, und als er schließlich mit seinem Werben offert hervortrat,
+verlangten sie, daß ich ihm meine Hand geben sollte. Ich versicherte
+Ihnen unter bitteren Tränen, niemals Satagira lieben zu können; das
+machte jedoch nur wenig Eindruck auf sie. Aber ebensowenig wirkten auf
+mich ihre Vorstellungen, ihr Bitten und Zürnen, das Flehen meiner
+Mutter, die Drohungen meines Vaters.
+
+In die Enge getrieben, erklärte ich ihnen zuletzt geradeaus, daß ich
+mich _dir_--von dem sie schon durch Satagira gehört hatten--versprochen
+hätte, und daß keine Macht der Welt mich zwingen könnte, dir das heilige
+Wort zu brechen und einem Anderen anzugehören. Käme es aber zum
+Äußersten, dann würde ich durch dauernde Verweigerung jedweder Nahrung
+mir selber den Tod geben.
+
+Als meine Eltern nun merkten, daß ich wohl imstande war, diese Drohung
+auszuführen, gaben sie endlich, wenn auch sehr betrübt und erzürnt, die
+Sache auf; und auch Satagira schien sich nun in sein Schicksal zu fügen
+und darauf bedacht zu sein, sich über seine Niederlage in der Liebe
+durch Siegestaten auf einem rauheren Schlachtfelde zu trösten.
+
+In dieser Zeit meldete das Gerücht viel Schreckliches von dem Räuber
+Angulimala, der mit seiner Bande ganze Gegenden verheerte, die Dörfer
+einäscherte und die Wege so unsicher machte, daß zuletzt fast niemand
+mehr wagte, nach Kosambi zu reisen. Ich geriet darob in große Angst,
+denn ich fürchtete natürlich, daß du jetzt endlich kommen und unterwegs
+in seine Hände fallen möchtest. Es verlautete nun plötzlich, Satagira
+habe den Oberbefehl über eine große Truppenmacht erhalten, um die ganze
+Gegend von Kosambi zu säubern und womöglich Angulimala selber und die
+anderen Hauptführer der Bande gefangen zu nehmen. Er habe, hieß es,
+geschworen, dies zu erreichen oder bei dem Versuche im Kampfe zu fallen.
+
+So wenig ich auch sonst dem Sohne des Ministers hold war, so konnte ich
+doch nicht umhin, ihm diesmal besten Erfolg zu gönnen, und als er
+auszog, folgten meine segnenden Wünsche seinen Fahnen.
+
+Etwa eine Woche später war ich mit Medini im Garten, als wir von der
+Straße her lautes Geschrei vernahmen. Medini lief sofort hin, um zu
+erfahren, was geschehen sei und meldete alsbald, Satagira kehre im
+Triumph nach der Stadt zurück, nachdem er die Räuber niedergemetzelt
+oder gefangen genommen habe; auch der schreckliche Angulimala sei
+lebendig in seine Hände gefallen. Sie forderte mich auf, mit ihr und
+Somadatta auf die Straße zu gehen, um den Einzug der Krieger und der
+gefangenen Räuber zu sehen, aber ich wollte nicht, weil ich es Satagira
+nicht gönnte, mich unter den Zuschauern seines Triumphes zu sehen. So
+blieb ich denn allein zurück, überglücklich bei dem Gedanken, daß die
+Wege für meinen Geliebten jetzt wieder geöffnet seien. Denn so wenig
+ahnen ja die Sterblichen den Gang des Schick-sals, daß sie manchmal, wie
+ich es damals tat, als einen Glückstag den Tag begrüßen, an welchem
+gerade ihr Leben eine Wendung zum Düsteren nimmt.
+
+Am folgenden Morgen trat mein Vater in mein Zimmer. Er überreichte mir
+eine kristallene Kette mit einem Tigeraugen-Amulett und fragte mich, ob
+ich sie wohl erkenne.
+
+Mir war, als ob ich umsinken müßte, aber ich nahm alle meine Kräfte
+zusammen und antwortete, die Kette ähnele einer, die du immer um den
+Hals getragen hättest.
+
+"Sie ähnelt ihr nicht," sagte mein Vater mit grausamer Ruhe--"sie _ist_
+es. Als Angulimala gefangen genommen wurde, trug er sie, und Satagira
+erkannte sie sofort wieder. Denn, wie er mir erzählte, hat er einmal mit
+Kamanita im Parke um deinen Ball gerungen. Dabei zerriß Kamanitas Kette,
+die er ergriffen hatte, um seinen Widersacher daran zurückzuhalten, und
+blieb in seinen Händen, so daß er sie genau betrachten konnte. Er war
+überzeugt, sich nicht zu täuschen. Auch hat dann Angulimala, peinlich
+befragt, eingestanden, daß er vor etwa zwei Jahren die Karawane
+Kamanitas auf ihrem Rückwege nach Ujjeni in der Gegend von Vedisa
+angegriffen, die Leute niedergemetzelt und Kamanita mit einem Diener
+gefangen genommen habe. Den Diener schickte er nach Ujjeni um Lösegeld.
+Da dies aber aus irgend einem Grunde ausblieb, hat er nach dem Brauch
+der Räuber Kamanita getötet."
+
+Bei diesen schrecklichen Worten hätte mich wohl die Besinnung verlassen,
+wenn sich nicht meinen verzweifelten Gedanken sofort eine Möglichkeit
+eröffnet hätte, noch gegen die Hoffnung selbst zu hoffen:
+
+"Satagira ist ein schlechter und verschlagener Mensch," antwortete ich
+mit scheinbarer Ruhe, "der vor keinem Betrug zurückschreckt, und er hat
+sein Herz oder vielmehr seinen Stolz darauf gesetzt, mich zur Frau zu
+gewinnen. Wenn er damals die Kette so genau betrachtet hat, was sollte
+ihn dann hindern, eine ähnliche anfertigen zu lassen? Ich glaube, als er
+von Angulimala hörte, ist er auf diesen Gedanken verfallen. Hätte er
+auch nicht Angulimala selber gefangen, so könnte er doch immer sagen,
+die Kette sei im Besitz der Räuber gefunden worden und sie hätten
+eingestanden, Kamanita getötet zu haben."
+
+"Das ist kaum möglich, meine Tochter," sagte mein Vater
+kopfschüttelnd--"und zwar aus einem Grunde, den du freilich nicht sehen
+kannst, den ich aber glücklicherweise als Goldschmied dir aufdecken
+kann. Wenn du die kleinen Goldglieder betrachtest, die die
+Kristallstücke miteinander verbinden, so wirst du bemerken, daß das
+Metall rötlicher ist als das der hiesigen Schmucksachen, weil wir in
+unseren Legierungen mehr Silber als Kupfer verwenden. Auch ist die
+Arbeit gerade von der etwas gröberen Art, wie man sie in den
+Gebirgsländern ausführt."
+
+Mir schwebte die Antwort auf der Zunge, er sei selber ein so geschickter
+Goldschmied, daß sowohl die richtige Zusammensetzung als auch die
+charakteristische Bearbeitung des Goldes ihm wohl gelingen dürfte; denn
+ich sah Alles gegen unsere Liebe verschworen und traute selbst meinen
+Nächsten nicht. Indessen begnügte ich mich damit, zu sagen, ich ließe
+mich keineswegs durch diese Kette überzeugen, daß mein Kamanita nicht
+mehr am Leben sei.
+
+Mein Vater verließ mich nun in großem Zorn, und ich konnte mich in der
+Einsamkeit ganz meiner Verzweiflung hingeben.
+
+
+
+
+XXVII. DER WAHRHEITSAKT (SACCAKIRIYA)
+
+
+Die resten Stunden der Nacht verbrachte ich in dieser Zeit immer auf der
+Terrasse der Sorgenlosen, entweder allein oder mit Medini zusammen. An
+diesem Abend war ich allein da, was mir in meiner augenblicklichen
+Stimmung auch das liebste war. Der Vollmond strahlte herab wie damals,
+und ich stand vor dem großen blütenreichen Asoka, um mir von ihm, dem
+"Herzfrieden", eine tröstende Vorbedeutung für mein friedloses Herz zu
+erbitten. Und ich sagte zu mir selber: "Wenn zwischen mir und dem Stamm
+eine safrangelbe Blume niederfällt, bevor ich bis hundert gezählt habe,
+dann ist mein geliebter Kamanita noch am Leben."
+
+Als ich bis fünfzig gezählt hatte, fiel eine Blume nieder, aber eine
+orangefarbige. Als ich die Zahl achtzig erreicht hatte, fing ich an,
+langsamer und immer langsamer zu zählen. Da öffnete sich knarrend eine
+Tür in der Ecke zwischen Terrasse und Hausmauer, wo eine Treppe in den
+Hof hinunterführte--ein Zugang, der eigentlich nur für Arbeiter und
+Gärtner bestimmt war.
+
+Mein Vater trat hervor und hinter ihm Satagira. Ein paar bis an die
+Zähne bewaffnete Reisige folgten, danach kam ein Mann, der die anderen
+um Haupteslänge überragte, und zuletzt beschlossen noch andere Reisige
+diesen seltsamen, ja unerklärlichen Aufzug. Zwei von den letzteren
+blieben als Wache an der Tür zurück, alle übrigen kamen auf mich zu.
+Dabei fiel es mir auf, daß der Riese in ihrer Mitte nur mit Mühe gehen
+konnte, und daß bei jedem seiner Schritte ein unheimliches Klirren und
+Rasseln ertönte.
+
+In diesem Augenblick schwebte eine safrangelbe Asokablume nieder und
+blieb gerade vor meinen Füßen liegen. Aber ich hatte vor Verwunderung zu
+zählen aufgehört und wußte daher nicht mehr festzustellen, ob sie vor
+oder nach der Zahl Hundert gefallen war.
+
+Als die Gruppe nun aus dem Mauerschatten in das volle Mondlicht
+heraustrat, sah ich mit Entsetzen, daß jene Riesengestalt mit
+Eisenketten beladen war. Die Hände waren ihm auf dem Rücken gefesselt;
+um die Fußknöchel klirrten schwere, durch Kugelstangen verbundene
+eiserne Ringe, von denen doppelte Eisenketten zum Halsringe
+hinaufführten, an welchen wiederum zwei andere Ketten befestigt waren,
+die von zwei Reisigen gehalten wurden. Wie bei Einem, der zum Richtplatz
+geführt wird, hing ihm ein Gewinde von roten Kanaverablüten um den
+Nacken und die haarige Brust, und das rotgelbe Backsteinpulver, mit dem
+sein Haupt bestreut war, ließ das wirr über die Stirn herabhängende Haar
+und den fast bis an die Augen reichenden Bart noch wilder erscheinen.
+Aus dieser Maske hervor blitzten die Augen mir entgegen--jedoch nur eben
+blitzartig schnell; dann senkte sich der Blick und irrte scheu wie der
+eines bösen Tieres am Boden umher.
+
+Wen ich vor mir hatte, danach hätte ich auch _dann_ nicht zu fragen
+gebraucht, wenn die Kanaverablüten jenes Wahrzeichen seines furchtbaren
+Namens verdeckt hätten: das Halsband von Menschendaumen.[1]
+
+ [1] Angulimala = Fingerkranz.
+
+"Nun, Angulimala," brach Satagira das Schweigen, "wiederhole vor dieser
+edlen Jungfrau, was du auf der Folter von der Ermordung des jungen
+Kaufmanns Kamanita aus Ujjeni gestanden hast."
+
+"Kamanita wurde nicht ermordet," antwortete der Räuber mürrisch,
+"sondern gefangen genommen und unseren Gebräuchen gemäß umgebracht."
+
+Und er erzählte mir nun in wenigen Worten, was mein Vater mir schon
+darüber gesagt hatte.
+
+Ich stand unterdessen mit dem Rücken an den Asokabaum gelehnt und hielt
+mich mit beiden Händen an den Stamm gestützt, die Fingernägel krampfhaft
+in die Rinde grabend, um nicht umzusinken. Als Angulimala zu Ende
+gesprochen hatte, schien sich Alles um mich im Kreise zu drehen. Noch
+gab ich es aber nicht auf.
+
+"Du bist ein ehrloser Räuber und Mörder," sagte ich, "was kann mir dein
+Wort gelten? Warum solltest du nicht aussagen, was der dir befiehlt, in
+dessen Gewalt dich deine Missetaten gebracht haben?"
+
+Und wie auf eine plötzliche Eingebung, die mich selber überraschte und
+mir fast einen Hoffnungsschimmer aufleuchten ließ, fügte ich hinzu:
+
+"Du darfst mir ja nicht einmal in die Augen sehen--du, der Schrecken
+aller Menschen--mir, einem schwachen Mädchen! Du darfst es nicht--weil
+du auf Anstiftung dieses Mannes eine feige Lüge sagst."
+
+Angulimala blickte nicht auf, aber er lachte grimmig und antwortete mit
+einer Stimme, die wie das Brummen eines gefesselten Raubtieres klang:
+
+"Wozu sollte das wohl gut sein, dir in die Augen zu sehen? Das überlasse
+ich den jungen Fanten. Dem Blicke eines ehrlosen Räubers würdest du ja
+doch ebensowenig glauben wie seinen Worten. Und von seinem Eide würdest
+du wohl auch nicht mehr halten."
+
+Er trat einen Schritt näher.
+
+"Wohlan, Mädchen! So sei nun Zeugin meines 'Wahrheitsaktes'."
+
+Noch einmal traf mich der Blitz seines Blickes, als dieser sich aufwärts
+nach dem Monde richtete, so daß mitten im Gewirr seines mißfarbigen
+Haares und Bartes nur die weißen Augäpfel zu sehen waren. Seine Brust
+arbeitete, daß die roten Blumen sich tanzend bewegten, und mit einer
+Stimme, wie wenn der Donner zwischen den Wolken rollt, rief er:
+
+"Die du den Tiger zäumest, schlangengekrönte, nächtige Göttin! Die du im
+Mondschein auf Bergeszinnen tanzest, mit dem Schädelhalsband rasselnd,
+zähnefletschend, die Blutschale schwingend, Kali, Herrin der Räuber, die
+du mich durch tausend Gefahren geführt hast, höre mich! So wahr ich nie
+mit dem Opfer kargte, so wahr ich deine Gesetze immer treulich gehalten
+habe, so wahr ich auch mit diesem Kamanita getreu verfuhr nach deiner
+Satzung, die uns 'Absendern' gebietet, wenn das Lösegeld nicht zur
+festgesetzten Stunde eintrifft, den Gefangenen mitten durchzusägen und
+die Körperteile auf die Landstraße zu werfen:--so wahr wirst du mir
+jetzt in meiner höchsten Not beistehen, meine Ketten zerreißen und mich
+aus den Händen meiner Feinde befreien!"
+
+Indem er das sagte, machte er eine gewaltsame Bewegung--die Ketten
+klirrten--Anne und Beine waren frei--die beiden Reisigen, die ihn
+hielten, lagen am Boden, einen dritten schlug er mit dem Kettenstück,
+das an seinem Handgelenke hing, nieder, und bevor jemand von uns recht
+begriff, was eigentlich geschehen war, hatte Angulimala sich über die
+Brustwehr geschwungen. Mit einem wilden Schrei stürmte Satagira ihm
+nach.--Das war das Letzte, was ich sah und hörte.
+
+Nachher erfuhr ich, daß Angulimala gestürzt sei, sich einen Fuß
+gebrochen habe und von der Wache festgenommen worden sei; später sei er
+dann im Gefängnis auf der Folter gestorben, und sein Kopf über dem
+nördlichen Stadttor aufgesteckt worden, woselbst Medini und Somadatta
+ihn gesehen haben.
+
+Durch den Wahrheitsakt Angulimalas war der letzte Zweifel und die letzte
+Hoffnung von mir gewichen. Denn ich wußte wohl, daß selbst jene
+teuflische Göttin kein Wunder zu seiner Rettung hätte wirken können,
+wenn er nicht die Macht der Wahrheit auf seiner Seite gehabt hätte.
+
+Was nun aus mir wurde, darum kümmerte ich mich wenig, denn auf dieser
+Erde war ja doch Alles für mich verloren. Nur im Paradiese des Westens
+konnten wir uns wiedersehen: du warst vorausgegangen, und ich würde, so
+hoffte ich, bald folgen. Dort blühte das Glück, alles andere war
+gleichgültig.
+
+Da nun Satagira sein Werben fortsetzte und meine Mutter mir immer wieder
+jammernd und weinend Vorstellungen machte, sie würde gebrochenen Herzens
+sterben, wenn sie durch mich die Schmach erlitte, daß ich unverheiratet
+im Elternhause sitzen bliebe--hätte sie dann doch ebensogut das
+häßlichste Mädchen von Kosambi zur Welt bringen können!--da erlahmte
+endlich nach und nach mein Widerstand.
+
+Übrigens hatte ich auch jetzt nicht mehr so viel gegen Satagira
+einzuwenden wie früher. Ich konnte nicht umhin, die Standhaftigkeit und
+Treue seiner Neigung anzuerkennen, und ich fühlte auch, daß ich ihm
+Dankbarkeit schuldig war, weil er den Tod meines Geliebten gerächt
+hatte.
+
+So wurde ich denn--als wiederum fast ein Jahr verstrichen war--die Braut
+Satagiras.
+
+
+
+
+XXVIII. AM GESTADE DER HIMMLISCHEN GANGA
+
+
+Als Kamanita merkte, daß selbst hier, am Orte der Seligkeit, diese
+Erinnerungen die noch zarte, neuerwachte Seele der Geliebten wie mit
+dunklen Fittichen überschatteten, faßte er sie bei der Hand und führte
+sie weiter, indem er ihren gemeinsamen Flug nach jenem lieblichen Hügel
+richtete, auf dessen Abhang er kürzlich gelegen und dem Spiele der
+Schwebenden zugeschaut hatte.
+
+Hier lagerten sie sich. Schon waren Haine und Gebüsche, Wiesen und
+Hügelabhänge voll unzähliger schwebender Gestalten, roter, blauer und
+weißer. Immer neue Gruppen umringten sie, um die Neuerwachte zu
+begrüßen. Und die beiden mischten sich in die Reihen der Spielenden.
+
+Schon lange waren sie hin und her durch die Haine, um die Felsen, über
+Wiesen und Lotusteiche geschwebt, wohin der Reigen sie führte, als ihnen
+jene Weiße begegnete, die damals Kamanita aufgefordert hatte, mit ihr
+die Fahrt nach der Ganga zu wagen. Als sie sich im Tanze die Hände
+reichten, fragte sie mit einem lieblichen Lächeln:
+
+"Bist du nun auch am Gestade der Ganga gewesen? Jetzt hast du ja eine
+Begleiterin."
+
+"Noch nicht," antwortete Kamanita.
+
+"Was ist das?" fragte Vasitthi.
+
+Und Kamanita erzählte es ihr.
+
+"Da wollen wir hin," sagte Vasitthi. "O, wie oft habe ich unten im
+trüben Erdental hinaufgeblickt zu dem fernen Abglanz ihres
+Himmelstromes, und an die seligen Gefilde gedacht, die von ihr
+umschlungen und bewässert werden, und gefragt, ob wir wohl einst an
+diesem Ort der Wonne vereinigt sein würden. Unwiderstehlich zieht es
+mich jetzt dahin, mit dir zusammen an ihrem Gestade zu weilen."
+
+Sie lösten sich aus der Kette des Reigens und lenkten ihren Flug in
+einer Richtung, die sie von ihrem eigenen Teiche weit wegführte. Nach
+einiger Zeit sahen sie keine Weiher mehr, deren Lotusrosen selige
+Gestalten trugen, immer mehr nahm die Blütenpracht ab, immer seltener
+begegneten sie schwebenden Gestalten; Herden von Antilopen belebten die
+Ebene, auf den Seen segelten Schwäne, eine Schleppe von blanken Wellen
+über das dunkle Wasser nach sich ziehend. Die Hügel, die anfangs immer
+schroffer und felsiger geworden waren, verschwanden gänzlich.
+
+Sie schwebten über eine flache, wüstenartige Ebene, die mit Tigergras
+und Dornengebüsch bestanden war. Vor ihnen spannte sich der unabsehbare
+Bogen eines Palmenwaldes.
+
+Sie erreichten den Wald. Immer tiefer umgab sie der Schatten. Die
+narbigen Schäfte leuchteten wie Bronze. Hoch oben rauschten die Wipfel
+mit ehernem Klange.
+
+Vor ihnen fingen glitzernde Punkte und Streifen zu tanzen an. Und
+plötzlich strömte ihnen ein solcher Lichtglanz entgegen, daß sie die
+Hände vor die Augen halten mußten. Es war, als ob im Walde eine
+ungeheure Kolonnade von blanken Silbersäulen stände, die das Licht der
+aufgehenden Sonne zurückwarf.
+
+Als sie sich getrauten, die Hände wieder von den Augen zu nehmen,
+schwebten sie gerade zwischen den letzten Palmen des Waldes hinaus.
+
+Vor ihnen lag die himmlische Ganga, bis zum Horizonte ihre silbrige
+Fläche breitend, während zu ihren Füßen flache Wellenzungen, wie
+flüssiges Sternenlicht, flammenartig den perlgrauen Sand des flachen
+Ufers beleckten.
+
+Wenn sonst der Himmel nach unten zu allmählich heller wird, so war es
+hier umgekehrt: das Ultramarinblau ging in Indigo über, das schließlich
+mit einem fast gänzlich schwarzen Rand sich auf die silberweiße Kimmung
+stützte.
+
+Vom Dufte der Paradiesblüten war nichts mehr zu spüren. Wie aber im
+Malachittale um den Korallenbaum jener erinnerungsschwangere Duft aller
+Düfte gesammelt stand, so wehte hier den Weltenstrom entlang ein kühler
+und herber Hauch, dem das Fehlen aller Düfte, das vollkommen Reine als
+einziger Duft eignete. Und Vasitthi schien ihn begierig wie einen
+erfrischenden Trank einzuschlürfen, während er Kamanita den Atem raubte.
+
+Auch von jener lieblichen Musik der Genien vernahm man hier nicht den
+leisesten Ton. Aber aus dem Strome schienen mächtige, donnerartig
+dröhnende Klänge emporzusteigen.
+
+"Horch!"--flüsterte Vasitthi und erhob ihre Hand.
+
+"Sonderbar!"--sagte Kamanita. "Einst war ich in eine Hütte eingekehrt,
+die an dem Ausgange einer Bergschlucht lag und an der ein kleiner,
+lieblicher Bach vorüberfloß, in dessen klarem Wasser ich nach meiner
+Wanderung meine Füße wusch. Während der Nacht ging ein mächtiger Regen
+nieder, und als ich in der Hütte wach lag, hörte ich, wie der Bach, der
+abends nur leise gerauscht hatte, immer ungestümer brauste und tobte.
+Zugleich aber vernahm ich einen polternden, donnernden Schall, den ich
+mir durchaus nicht zu erklären wußte. Am nächsten Morgen sah ich nun,
+daß aus dem klaren Bach ein reißender Gebirgsstrom mit grauen,
+schäumenden Fluten geworden war, in welchem große Steine rollend und
+springend dahinstürzten. Und diese waren es, die dies Getöse verursacht
+hatten. Wie mag es wohl kommen, daß nun hier, beim Anhören jener Klänge,
+diese Erinnerung aus meiner Pilgerschaft in mir emporsteigt?"
+
+"Es kommt daher," antwortete Vasitthi, "weil in jenem Gebirgsbache
+Steine, in dem Strome der himmlischen Ganga aber Welten gerollt und
+mitgetrieben werden, und die sind es, von denen jene donnerartig
+dröhnenden Klänge herrühren."
+
+"Welten!"--rief Kamanita entsetzt.
+
+Vasitthi lächelte und schwebte dabei weiter; aber erschrocken hielt
+Kamanita sie an ihrem Gewände zurück.
+
+"Hüte dich, Vasitthi! Wer weiß, welche Mächte, welche furchtbaren Kräfte
+draußen über diesem Weltenstrome schweben, Mächte, in deren Gewalt du
+geraten könntest, wenn du dieses Ufer verließest. Ich zittere schon bei
+dem Gedanken, dich plötzlich fortgerissen zu sehen."
+
+"Dürftest du mir dann nicht folgen?"
+
+"Gewiß würde ich dir folgen. Wer weiß aber, ob ich dich erreichen
+könnte, ob man uns nicht voneinander reißen würde? Und wenn wir auch
+zusammen blieben, welcher Jammer wäre es doch, in das Unbegrenzte
+getragen zu werden, weit weg von diesem trauten Orte der Seligkeit."
+
+"In das Unbegrenzte!" wiederholte Vasitthi sinnend, und ihr Blick
+schweifte über die Fläche der himmlischen Ganga hinaus bis dorthin, wo
+die silberne Flut den schwarzen Himmelsrand erreichte, und schien noch
+immer weiterdringen zu wollen;--"und kann denn ewige Seligkeit bestehen,
+wo Begrenzung ist?" sprach sie gleichsam in Gedanken verloren.
+
+"Vasitthi!" rief Kamanita, ernstlich erschreckend--"ich wollte, ich
+hätte dich nie hierher geführt! Komm, Geliebte, komm!"
+
+Und noch ängstlicher als vom Korallenbaume zog er sie von dannen.
+
+Nicht unwillig folgte sie ihm, wobei sie jedoch zwischen den äußersten
+Palmen das Haupt wandte und einen letzten Blick auf den himmlischen
+Strom warf....
+
+ * * * * *
+
+Und wiederum thronten sie auf ihren Lotussitzen im kristallklaren
+Teiche, wiederum schwebten sie zwischen juwelenblühenden Bäumen und
+mischten sich unter die Reihen der Seligen und genossen die himmlischen
+Wonnen, glücklich in ihrer ungetrübten Liebe.
+
+Aber als sie im Reigen einmal der Weißen begegneten, sagte diese:
+
+"So seid ihr also wirklich am Gestade der Ganga gewesen?"
+
+"Wie kannst du es wissen, daß wir dort gewesen sind?"
+
+"Ich sehe es; denn Alle, die da waren, tragen gleichsam einen Schatten
+über den Brauen. Deshalb will ich auch nicht dahin. Und ihr werdet auch
+nicht zum zweiten Male hingehen, niemand tut das"
+
+
+
+
+XXIX. IM DUFTE DER KORALLENBLÜTEN
+
+
+Sie besuchten in der Tat nicht wieder jenes ungastliche Gestade der
+himmlischen Ganga. Oft aber lenkten sie ihren Flug nach dem Tale der
+Malachitfelsen. Unter der mächtigen Krone des Korallenbaumes gelagert,
+atmeten sie jenen Duft aller Düfte, der den karmesinroten Blüten
+entströmte, und in der Tiefe ihrer Erinnerung öffnete sich dann die
+Aussicht auf ihre früheren Leben.
+
+Bald in Palästen, bald in Hütten sahen sie sich nun wieder, aber ob in
+Seide und Musselin gehüllt oder in die groben Erzeugnisse des
+Dorfwebstuhles gekleidet: immer war die gegenseitige Liebe da. Bald
+wurde sie durch das Glück der Vereinigung gekrönt, bald war die Trennung
+durch Lebensgeschicke oder durch den Tod ihr jammervolles Los: aber
+glücklich oder unglücklich, die Liebe blieb dieselbe.
+
+Und sie sahen sich in anderen Zeiten, da die Menschen gewaltiger waren
+als jetzt, in jenen ewig unvergessenen Heroentagen, als er sich aus
+ihren Armen riß und seinen Kampfilfen bestieg, um nach der Ilfenstadt zu
+ziehen und seinen Freunden, den Pandaverprinzen, im Kampfe gegen die
+Kuruinge beizustehen; wo er dann an der Seite Arjunas und Krishnas
+kämpfend, am zehnten Tage der Riesenschlacht auf der Ebene Kurukschetra
+seine Heldenseele aushauchte. Sie aber, als sie die Nachricht von seinem
+Tode empfing, bestieg vor dem Palaste, von allen ihren Frauen gefolgt,
+den Scheiterhaufen, den sie mit eigener Hand anzündete.
+
+ * * * * *
+
+Und wieder sahen sie sich in fremden Gegenden und in anderer Natur. Es
+war nicht länger das Tal der Ganga und der Jamuna mit seinen prächtigen,
+palastreichen Städten, wo waffenstrahlende Krieger, stolze Brahmanen,
+reiche Bürger und fleißige Çudras die Straßen belebten; mit seinen
+Reisfeldern und vielstämmigen Feigenbaumriesen, seinen Palmenhainen
+und seinen Dschungeln, seinen Elefanten und Tigern und den
+weithinleuchtenden Schneezinnen des Himavat. Dieser Schauplatz, der mit
+seiner mannigfachen tropischen Pracht so oft ihr gemeinsames Leben
+umschlossen hatte, als ob es keine andere Welt gäbe, verschwand nun
+gänzlich, um einem öderen und herberen Lande Platz zu machen.
+
+Hier brennt freilich die Sommersonne so heiß wie an der Ganga, trocknet
+die Wasseradern aus und versengt das Gras. Aber im Winter beraubt der
+Frost die Wälder ihres Laubes, und Reif bedeckt die Felder. Keine Städte
+erheben ihre Türme, aber weitgedehnte Dörfer mit großen Hürden liegen
+mitten in ihren weidereichen Triften, und die schützende Anhöhe daneben
+ist durch Wälle und rohe Mauern in eine kleine Feste verwandelt. Ein
+kriegerisches Hirtenvolk ist hier seßhaft. Die Wälder sind voll von
+Wölfen, und meilenweit hört der zitternde Wanderer das Gebrüll des
+Löwen, "des furchtbaren, schweifenden, in Bergen hausenden Wildes"--wie
+_er_ ihn nennt; denn er ist ein Sänger.
+
+Nach langer Wanderung nähert er sich einem Dorfe, als unbekannter, aber
+willkommener Gast; denn das ist er überall. Über seiner Schulter hängt
+seine einzige sichtbare Habe, eine kleine Laute; aber im Kopfe trägt er
+das ganze kostbare Erbe seiner Väter: alte, geheime Hymnen an Agni und
+Indra, an Varuna und Mitra, ja sogar an unbekannte Götter; Kriegs- und
+Trinklieder für die Männer; Liebeslieder für die Mädchen; segnende
+Zaubersprüche für die Milchspendenden. Und er hat Kraft und Kenntnisse,
+um diesen Vorrat aus eigenen Mitteln zu vermehren. Wo wäre wohl ein
+solcher Gast nicht willkommen?
+
+Es ist um die Zeit, da die Rinder nach Hause getrieben werden. An der
+Spitze einer Herde schreitet mit der höchsten Anmut in allen Bewegungen
+des jugendlichen Körpers ein hochgewachsenes Mädchen; ihr zur Seite geht
+ihre Lieblingskuh, deren Glocke die anderen folgen, und leckt ab und zu
+ihre Hand. Er bietet ihr guten Abend; sie erwidert freundlich den Gruß.
+Lächelnd sehen sie sich an--und es ist derselbe Blick, der im Lustparke
+von Kosambi zwischen der Ballspielerin auf der Bühne und dem fremden
+Zuschauer hin und her flog.
+
+ * * * * *
+
+Aber auch das Land der fünf Ströme, nachdem es sie mehrmals beherbergt
+hat, verschwindet, wie zuvor das Gangatal--andere Gegenden tun sich auf,
+andere Menschen und Sitten umgeben sie--Alles rauher, wilder und
+ärmlicher.
+
+Die Steppe, über welche der Zug sich hinzieht--Reiter, Wagen und
+Fußgänger in endloser Reihe--ist weiß von Schnee. Die Luft ist voll von
+den wirbelnden Flocken. Schwarze Berge schauen schattenartig herein. Aus
+dem Zeltdache eines schweren Ochsenwagens beugt sich ein Mädchen so
+lebhaft hervor, daß der Schafpelz zur Seite gleitet, und die goldene
+Haarfülle ihr über Wangen, Hals und Brust niederwallt. Angst leuchtet
+aus ihren Augen, als sie hinausspäht, wohin alle Blicke sich wenden,
+alle Finger hinzeigen:--wie eine dunkle, vom Winde aufgewirbelte Wolke
+braust eine Reiterhorde heran. Aber vertrauensvoll lächelt sie, als ihr
+Blick dem des Jünglings begegnet, der neben dem Wagen auf einem
+schwarzen Stiere reitet;--und es ist wieder derselbe Blick, wenn auch
+aus blauen Augen. Dieser Blick entflammt das Herz des blonden Jünglings,
+der seine Streitaxt schwingt und laut rufend mit den anderen Kriegern
+dem Feind entgegenstürmt--entflammt es und wärmt es noch, als es vom
+kalten Eisen eines Skythenpfeiles durchbohrt wird.
+
+ * * * * *
+
+Aber noch größere Veränderungen erlebten sie; noch weitere Wanderungen
+unternahmen sie, vom Dufte des Korallenbaumes geleitet.
+
+Sie fanden sich selbst als Hirsch und Hinde im ungeheuren Walde. Wortlos
+war jetzt ihre Liebe, aber nicht blicklos. Und wiederum war es derselbe
+Blick:--tief im innersten Dunkel ihrer großen, ahnungsvollen Augen
+leuchtete noch, wenn auch wie durch trübe Nebelbläue hindurch, derselbe
+Funken, der so strahlend von Menschenauge zu Menschenauge den Weg
+gefunden hatte.
+
+Sie ästen zusammen, nebeneinander wateten sie im klaren, kühlen
+Waldbach, Körper an Körper ruhten sie im hohen, weichen Grase. Gemeinsam
+waren ihre Freuden, gemeinsam zitterten sie vor Angst, wenn plötzlich
+ein Ast lebendig wurde und der Rachen des Pythons sich aufsperrte; oder
+wenn in der Stille der Nacht eine fast unhörbare, schleichende Bewegung
+von ihren regen Ohren aufgefangen wurde, während ihre geblähten Nüstern
+den scharfen Geruch eines Raubtieres witterten, und sie dann in
+mächtigen Sätzen davonflohen, gerade als es im Gebüsche knisterte und
+knackte und das Zorngebrüll des zu kurz gekommenen Tigers durch den
+jetzt ringsum lebendig werdenden Wald rollte.
+
+Viele Jahre schon hatten sie so gemeinsam alle Wonnen und Schrecken des
+Waldes durchgekostet, als sie eines Tages an einem schattigen Orte die
+jungen saftigen Schößlinge benagten. Da geschah es, daß die Hinde sich
+in die Wildschlinge eines Jägers verstrickte. Vergebens arbeitete das
+Männchen mit Zacken und Klauen, um die Bande, welche die Freundin
+fesselten, zu zersprengen, und ließ nicht davon ab, bis der Jäger sich
+nahte. Dann stellte er sich diesem mit gefälltem Geweih entgegen und
+bald machte der Jagdspieß beider Leben ein Ende.
+
+ * * * * *
+
+Und als ein paar Goldadler horsteten sie hoch im wilden Felsengebirge,
+schwebten über die bläulichen Abgründe des Himavat und umkreisten seine
+schneeigen Zinnen.--
+
+Als zwei Delphine aber befuhren sie die grenzenlose Salzflut des
+Ozeans.--
+
+Ja, einmal erwuchsen sie als zwei Palmen auf einer Insel mitten im
+Weltmeere, schlangen im kühlen Strandsande ihre Wurzeln ineinander und
+ließen gemeinsam ihre Wipfel im Seewinde rauschen.
+
+ * * * * *
+
+Und wie ein Fürstenpaar sich zur Kurzweil und Belehrung vom Hoferzähler
+mancherlei vortragen läßt--bald den Lebenslauf eines Königs, bald eine
+einfache Dorfgeschichte, bald ein Heldenepos, bald eine Sage aus uralten
+Tagen, bald irgend eine Tierfabel oder ein Märchen, und dabei weiß: wie
+oft es uns auch gelüstet, zu lauschen, so ist doch nicht zu befürchten,
+daß diesem trefflichen Erzähler jemals der Stoff ausgeht, da der Hort
+seiner Sagenkenntnisse und die Fülle seines Erfindungsvermögens
+unerschöpflich sind--ebenso wußten diese beiden:--wie oft und wie lange
+wir auch hier weilen, und wäre es auch eine ganze Ewigkeit hindurch, so
+ist doch keine Gefahr da, daß dieser Duft keine Erinnerungen mehr wecken
+könnte; denn je weiter wir in die Zeit hinabsteigen, um so weiter
+schiebt sich die Vorzeit zurück.
+
+Und sie wunderten sich sehr.
+
+"Wir sind so alt wie die Welt," sagte Vasitthi.
+
+
+
+
+XXX. "ALLES ENTSTANDENE--"
+
+
+"Gewiss sind wir so alt wie die Welt," sagte Kamanita. "Aber bisher sind
+wir immer ruhelos gewandert, und immer wieder hat uns der Tod in ein
+neues Leben gestürzt. Jetzt aber haben wir endlich eine Stätte erreicht,
+wo es kein Vergehen mehr gibt, sondern nur ewige Wonne unser Los ist."
+
+Als er so sprach, kehrten sie gerade vom Korallenbaume zu ihrem Teiche
+zurück. Er wollte sich soeben auf seine Lotusrose niedersenken, als er
+zu bemerken glaubte, daß ihre rote Farbe an Frische und Glanz etwas
+eingebüßt habe. Ja, als er nun über ihr in der Luft schwebend stehen
+blieb und aufmerksam auf sie hinunterblickte, sah er mit Schrecken, daß
+die Kronenblätter am Rande bräunlich und gleichsam verbrannt waren, und
+daß ihre Spitzen sich erschlaffend krümmten.
+
+Nicht anders sah Vasitthis weißer Lotus aus, über dem auch sie stehen
+geblieben war, offenbar durch dieselbe Wahrnehmung gefesselt.
+
+Er richtete seinen Blick nach seinem blauen Nachbar. _Sein_ Lotus zeigte
+die gleiche Wandlung und es fiel Kamanita auf, daß sein Gesicht nicht so
+freudig strahlte wie damals, als er ihn zuerst begrüßt hatte; die Züge
+waren nicht so belebt wie früher, seine Haltung war nicht so frei, ja in
+seinem Blick las er dieselbe Befremdung, die ihn und Vasitthi ergriffen
+hatte.
+
+Und so war es in der Tat überall, wo er hinsah. Mit Blumen und Gestalten
+war eine Veränderung vor sich gegangen.
+
+Wieder senkte er prüfend den Blick zu seinem eigenen Lotus nieder. Ein
+Kronenblatt schien lebendig zu werden--langsam neigte es sich vornüber
+und fiel losgelöst auf die Wasserfläche.
+
+Gleichzeitig aber hatte sich von jeder Lotusblume ein Kronenblatt
+abgelöst--die Wasserfläche glitzerte zitternd und schaukelte leise die
+bunten Blätternachen. Durch die Haine am Ufer ging ein Frösteln, und ein
+juwelenfunkelnder Blütenregen fiel zur Erde. Ein Seufzer entrang sich
+jeder Brust, und eine leise, doch schneidende Disharmonie durchdrang die
+Musik der himmlischen Genien.
+
+"Vasitthi, Geliebte!" rief Kamanita, bestürzt ihre Hand
+ergreifend--"siehst du? Hörst du?--Was ist denn dies? Was kann das
+bedeuten?"
+
+Aber Vasitthi sah ihn ruhig lächelnd an:
+
+"Daran hat er gedacht, als er sagte:
+
+'Alles Entstandene auflösend weht dahin der Verwesung Hauch,
+Wie ein irdischer Prachtgarten welken Paradiesblumen auch.'"
+
+"Wer hat denn diesen schrecklichen, diesen hoffnungsvernichtenden
+Ausspruch getan?"
+
+"Wer denn sonst als er, der Erhabene, der Wandels-und Wissensbewährte,
+der aus Mitleid mit den Menschen die Lehre darlegt, Allen zur
+Aufklärung, dem Einzelnen zum Trost; der die Welt mit ihren edlen und
+unedlen Wesen, ihren Scharen von Göttern, Menschen und Dämonen offenbart
+und erklärt, der Wegweiser, der den Weg aus dieser Wandelwelt zeigt: der
+Erhabene, der Vollendete, der Buddha."
+
+"Der Buddha hätte das gesagt? O nein, Vasitthi, das glaub' ich nicht.
+Vielfach werden ja die Worte solch großer Lehrer mißverstanden und
+unrichtig wiedergegeben, wie ich selber am besten weiß. Denn einst, zu
+Rajagaha, habe ich in der Vorhalle eines Hafners mit einem törichten
+Asketen zusammen übernachtet, der mir durchaus die Lehre des Buddha
+darlegen wollte. Was er vorbrachte, war aber trauriges Zeug, eine
+grüblerische, vernagelte Lehre, wiewohl ich schon spüren konnte, daß
+echte Aussprüche des Erhabenen ihr zugrunde lagen--jedoch verballhornt
+und von diesem Querkopfe umgedeutet. Gewiß hat man auch dir dies Wort
+falsch berichtet."
+
+"Nicht doch, mein Freund! Denn aus dem Munde des Erhabenen selber habe
+ich es ja."
+
+"Wie, Geliebte? So hast du denn selbst den Vollendeten von Angesicht zu
+Angesicht gesehen?"
+
+"Gewiß habe ich das. Zu seinen Füßen bin ich ja gesessen."
+
+"Glücklich preise ich dich, Vassitthi! Glücklich--das sehe ich ja--bist
+du jetzt in der Erinnerung. Ach, auch ich würde ja glücklich und
+zuversichtlich sein wie du, wenn nicht im letzten Augenblick mein böses
+Geschick--die eben reif gewordene Frucht von schlechten Taten der
+Vergangenheit--mich des Glücks beraubt hätte, den erhabenen Buddha zu
+sehen. Denn ein gewaltsamer Tod raffte mich dahin, als ich auf dem Wege
+zu ihm war, in demselben Orte, in dem er weilte, eben gerade in
+Rajagaha, an dem Morgen nach meinem Gespräch mit jenem törichten
+Asketen. Nur etwa noch eine Viertelstunde entfernt von dem Mangohaine,
+in dem der Erhabene sich aufhielt, ereilte mich mein Schicksal. Aber nun
+ist mir _dies_ zum Tröste gegeben, daß meine Vasitthi das erreichte, was
+mir versagt blieb. O, erzähle mir Alles davon, wie du zu ihm, dem
+Erhabenen, kamst. Denn gewiß wird mich das aufrichten und stärken, und
+jenes Wort, das mir so schrecklich, so hoffnungsvernichtend erschien,
+wird mir dann verständlich werden und seinen Stachel verlieren, ja
+vielleicht sogar irgend einen geheimen Trostgrund enthalten."
+
+"Gern, mein Freund," antwortete Vasitthi.
+
+Sie ließen sich auf ihre Lotusrosen nieder, und Vasitthi setzte den
+Bericht ihrer Erlebnisse fort.
+
+
+
+
+XXXI. DIE ERSCHEINUNG AUF DER TERRASSE
+
+
+Als Satagira sein Ziel, mich als Frau zu besitzen, erreicht hatte,
+erkaltete seine Liebe schnell, um so mehr, als sie ja von meiner Seite
+keine Erwiderung fand. Ich hatte versprochen, ihm eine treue Gattin zu
+sein, und er wußte wohl, daß ich mein Versprechen halten würde. Mehr
+stand aber auch nicht in meiner Macht, selbst wenn ich es gewollt hätte.
+
+Da ich ihm nur eine Tochter gebar, die schon im zweiten Jahre starb,
+wunderte sich niemand--und ich wahrlich am wenigsten--darüber, daß er
+sich eine zweite Frau nahm. Diese gebar ihm den erwünschten Sohn.
+Dadurch bekam sie die erste Stellung im Hause; auch verstand sie, seine
+Liebe, auf die ich so willig verzichtet hatte, auf geschickte Weise zu
+fesseln. Außerdem nahmen die Geschäfte meinen Gemahl immer mehr in
+Anspruch, denn er war nach dem Tode seines Vaters mit dessen Stellung
+betraut worden.
+
+So gingen mehrere Jahre ruhig dahin, und ich vereinsamte mehr und mehr,
+was mir denn auch ganz recht war. Ich gab mich meiner Trauer hin,
+verkehrte mit meinen Erinnerungen und lebte in der Hoffnung auf ein
+Wiedersehen hier oben, eine Hoffnung, die mich ja auch nicht getäuscht
+hat.
+
+Der Palast Satagiras lag an derselben Schlucht, aus der du so oft nach
+der "Terrasse der Sorgenlosen" hinaufgestiegen bist, aber an einer viel
+steileren Stelle, und hatte eine ganz ähnliche Terrasse wie mein
+Vaterhaus. Hier pflegte ich alle schönen Abende zuzubringen, ja in der
+heißen Zeit blieb ich dort oft die ganze Nacht, auf einem Ruhebett
+schlafend. Denn die Felswand der Schlucht, die noch dazu von hohem
+Mauerwerk gekrönt wurde, war so steil und glatt, daß gewiß kein Mensch
+an ihr hinaufklettern konnte.
+
+Einmal in einer herrlichen, milden Mondnacht lag ich nun dort auf meinem
+Lager, ohne zu schlafen. Ich dachte an dich, und zwar an jenen ersten
+Abend unseres Zusammenseins; der Augenblick, wo ich mit Medini auf der
+marmornen Bank der Terrasse saß und eure Ankunft erwartete, stand mir so
+lebhaft vor der Seele, und ich dachte daran, wie sich dann plötzlich,
+noch bevor wir es hofften, deine Gestalt über den Mauerrand erhob--denn
+du warst ja in deinem ungestümen Eifer Somadatta zuvorgekommen.
+
+In diese süßen Träume verloren, hatte ich unwillkürlich meinen Blick auf
+der Brustwehr ruhen lassen, als plötzlich eine Gestalt sich über
+dieselbe erhob.
+
+Ich war so überzeugt, daß nie und nimmer ein Mensch diese Stelle
+erklimmen könne, daß ich gar nicht daran zweifelte, dein Geist, von
+meiner Sehnsucht heraufbeschworen, käme, um mich zu trösten und um mir
+Kunde zu bringen von dem seligen Orte, wo du mich erwartetest.
+
+Deshalb erschrak ich denn auch gar nicht, sondern stand auf und breitete
+die Arme gegen den Kommenden aus.
+
+Wie nun aber dieser auf der Terrasse stand und sich mit raschen
+Schritten näherte, sah ich, daß seine Gestalt viel größer als die deine,
+ja sogar riesenhaft war, und ich merkte, daß ich den Geist Angulimalas
+vor mir hatte. Nun erschrak ich so heftig, daß ich mich am Kopfende der
+Ruhebank festhalten mußte, um nicht umzusinken.
+
+"Wen hast du erwartet?" fragte der Furchtbare, an mich herantretend.
+
+"Einen Geist, aber nicht den deinen," antwortete ich.
+
+"Kamanitas Geist?"
+
+Ich nickte.
+
+"Als du jene Bewegung des Bewillkommnens machtest," fuhr er
+fort,--"fürchtete ich, daß du einen Liebhaber hättest, der dich des
+Nachts hier besuchte. Denn in dem Falle würdest du mir nicht helfen. Und
+ich habe deine Hilfe so nötig, wie du jetzt die meinige."
+
+Bei diesen sonderbaren Worten wagte ich aufzublicken, und nun schien es
+mir, daß ich keinen Geist, sondern ein Wesen aus Fleisch und Blut vor
+mir habe. Aber der Mond stand hinter ihm, und geblendet von seinen
+Strahlen und vom Schrecken verwirrt, konnte ich nur die mächtigen
+Umrisse einer Gestalt sehen, die wohl auch einem Dämon angehören
+konnten.
+
+"Ich bin nicht der Geist Angulimalas," sagte er, meinen Zweifel
+erratend, "ich bin er selber, ein Mensch wie du."
+
+Ich fing heftig zu zittern an, nicht vor Angst, sondern, weil ich dem
+Menschen gegenüberstand, der meinen Geliebten grausam ermordet hatte.
+
+"Fürchte dich nicht, edle Frau!" fuhr er fort--"du hast von mir nichts
+zu befürchten; bist du doch der einzige Mensch, vor dem ich selber mich
+gefürchtet habe, und dem ich, wie du so richtig sagtest, nicht in die
+Augen sehen durfte, weil ich dich betrog."
+
+"Du betrogst mich?" rief ich, und kaum weiß ich, ob in meiner Seele
+Freude aufstieg, geweckt durch die Hoffnung, mein Geliebter sei noch am
+Leben, oder ob noch größere Verzweiflung mich bei dem Gedanken ergriff,
+daß ich mich hatte verleiten lassen, mich von dem Lebenden zu trennen.
+
+"Ich tat es," antwortete er, "und deshalb sind wir aufeinander
+angewiesen. Denn wir haben beide etwas zu rächen und an demselben Mann:
+an Satagira!"
+
+Mit dem Anstand eines Fürsten machte dieser Räuber eine Handbewegung,
+mit der er mich aufforderte, mich zu setzen, als ob er mir viel zu sagen
+hätte. Ich, die ich mich nur noch mit Mühe aufrechthalten konnte, ließ
+mich willenlos auf die Bank niedersinken, und staunte ihn an, atemlos
+begierig auf seine nächsten Worte, die mich über das Schicksal des
+Geliebten aufklären mußten.
+
+"Kamanita mit seiner Karawane," fuhr er fort--"fiel mir in der
+Waldgegend Vedisas in die Hände. Er verteidigte sich tapfer, wurde aber
+unverwundet gefangen genommen, und als das Lösegeld zur rechten Zeit
+eintraf, unbehelligt nach Hause geschickt. Wohlbehalten kam er in Ujjeni
+an."
+
+Bei dieser Nachricht entrang sich ein tiefer Seufzer meiner Brust. Ich
+empfand in diesem Augenblick nur Freude darüber, den Geliebten unter den
+Lebenden zu wissen, so töricht dies Gefühl auch war. Denn durch das
+Leben war er mir noch mehr als durch den Tod entfernt.
+
+"Als ich in Satagiras Gewalt fiel," fuhr Angulimala fort, "erkannte
+dieser sofort die kristallene Kette mit dem Tieraugen-Amulett an meinem
+Halse, als dieselbe, die Kamanita angehört hatte. Am folgenden Abend kam
+er allein in mein Gefängnis und versprach mir, zu meinem größten
+Erstaunen, mir die Freiheit zu schenken, wenn ich vor einem Mädchen
+beschwören wollte, daß ich Kamanita umgebracht habe. 'Dein Eid allein,'
+sagte er, 'würde sie freilich nicht überzeugen, aber einem
+'Wahrheitsakte' muß sie glauben.'--Er erklärte mir jetzt, ich sollte in
+der ersten Stunde der Nacht auf eine Terrasse geführt werden, wo das
+Mädchen sich aufhalten werde. Er wollte dafür sorgen, daß die Fesseln
+durchfeilt wären, so daß ich sie unschwer sprengen könne, worauf es dann
+ein leichtes für mich sei, mich über die Brustwehr zu schwingen, in die
+Schlucht hinabzusteigen und derselben abwärts folgend zu entfliehen, da
+sie schließlich in eine enge Rinne ausmünde, durch die ein kleiner Bach
+unter der Stadtmauer sich in die Ganga ergösse. Mit einem feierlichen
+Eide schwor er mir zu, mich an der Flucht aus Kosambi nicht hindern zu
+wollen.
+
+Zwar traute ich ihm nicht allzusehr, aber ich sah keinen anderen Ausweg.
+Einen ganz falschen Wahrheitsakt zu begeben, dazu hätte mich allerdings
+nichts verleiten können, denn ich hätte ja dadurch das furchtbarste
+Zorngericht der beleidigten Göttin auf mich geladen. Aber ich erkannte
+sofort, wie ich meinen Schwur so einrichten könnte, daß ich nicht mit
+klaren Worten eine Unwahrheit sagte, während dennoch ein jeder
+heraushören würde, daß ich Kamanita getötet habe: und ich vertraute
+darauf, daß Kali, die an allen Schlauheiten Gefallen findet, mir wegen
+dieses Kraftstückes mit aller Macht beistehen und mich heil durch die
+Gefahren führen würde, die ein Verrat Satagiras mir bereiten möchte.
+
+Alles ging nun in der Tat, wie es zwischen uns verabredet war, und du
+selber hast gesehen, wie ich die eisernen Ketten sprengte. Noch heute
+weiß ich aber nicht, ob Satagira Wort gehalten und die Ketten hat
+durchfeilen lassen, wie er es mir versprochen hatte, oder ob mir Kali
+durch ein Wunder half. Doch glaube ich eher das erstere. Denn kaum war
+ich einige Klafter in die Ganga hinausgeschwommen, so wurde ich von
+einem Boote voll Bewaffneter überfallen. Auf diesen Hinterhalt hatte er
+also vertraut. Hier aber zeigte es sich, was die Hilfe Kalis wert ist:
+denn obwohl die an meinen Handgelenken hängenden Kettenstücke meine
+einzigen Waffen waren, gelang es mir doch, alle Krieger totzuschlagen,
+und auf dem während des Kampfes gekenterten Boote erreichte ich
+glücklich das sichere nördliche Ufer; freilich nicht ohne so viele und
+tiefe Wunden davonzutragen, daß ein ganzes Jahr verging, bevor ich mich
+davon erholt hatte. In dieser Zeit habe ich aber oft genug geschworen,
+daß Satagira mir dies büßen solle. Und nun ist die Zeit dazu gekommen."
+
+In meiner Seele wütete ein Sturm von Entrüstung über diesen an mir
+verübten, unerhörten Betrug. Ich konnte es dem Räuber nicht verdenken,
+daß er durch dies Mittel sein Leben gerettet hatte, und da er seine
+Hände nicht mit dem Blute meines Geliebten befleckt hatte, vergaß ich in
+diesem Augenblick, wieviel anderes unschuldiges Blut aber an ihnen
+klebte, und empfand weder Schreck noch Abscheu vor diesem Manne, der mir
+die Botschaft gebracht hatte, daß mein Kamanita noch auf dieser Erde
+wanderte wie ich selber. Aber ein bitterer Haß erhob sich in mir gegen
+ihn, der schuld daran war, daß wir beide getrennt unsere Erdenwanderung
+zu Ende führen mußten, und die Drohung Angulimalas gegen sein Leben
+vernahm ich mit einer unwillkürlichen Freude, die wohl in meinem
+Oesichtsausdrucke zu lesen war.
+
+Denn mit erregter, leidenschaftlicher Stimme fuhr Angulimala fort:
+
+"Ich sehe, hohe Frau! daß deine edle Seele nach Rache dürstet, und die
+soll dir auch bald werden. Deshalb bin ich ja hierher gekommen. Schon
+viele Wochen habe ich hier vor Kosambi auf Satagira gelauert. Endlich
+habe ich jetzt aus sicherer Quelle in Erfahrung gebracht, daß er in
+diesen Tagen die Stadt verlassen wird, um sich nach den östlichen Gauen
+zu begeben, wo ein zwischen zwei Dörfern schwebender Rechtsstreit zu
+schlichten ist. Ehe ich davon wußte, war mein ursprünglicher Plan, ihn
+zu zwingen, einen Ausfall gegen mich zu machen, um mich wieder gefangen
+zu nehmen; diese seine Reise macht es mir aber noch bequemer. Freilich
+habe ich infolge meiner ersten Absicht kein Geheimnis aus meiner
+Anwesenheit gemacht, sondern meine Taten für mich sprechen lassen, und
+das Gerücht von meinem Wiedererscheinen ist längst verbreitet. Obwohl
+die meisten glauben, daß irgend ein Betrüger erstanden ist und sich für
+Angulimala ausgibt, so hat doch die Furcht schon so sehr um sich
+gegriffen, daß nur größere und gut bewaffnete Züge sich in die bewaldete
+östliche Gegend, wo ich hause, hinauswagen. Du scheinst freilich davon
+nichts gehört zu haben, weil du eben als eine um ihr Lebensglück
+betrogene Frau allein mit deiner Trauer verkehrst."
+
+"Ich habe wohl von einer dreisten Räuberbande vernommen," sagte ich,
+"aber deinen Namen noch nicht nennen gehört, weshalb ich auch glaubte,
+deinen Geist zu sehen."
+
+"Satagira aber hat mich nennen gehört," fuhr der Räuber fort, "verlasse
+dich darauf, und da er guten Grund hat, zu glauben, daß es der richtige
+Angulimala ist und noch besseren Grund, diesen zu fürchten, so ist
+anzunehmen, daß er nicht nur unter starker Bedeckung reisen, sondern
+auch noch andere Vorsichtsmaßregeln treffen und sich vieler auf
+Täuschung berechneter Schliche bedienen wird. Indessen, obschon die
+Bande, über die ich gebiete, nicht sehr groß ist, soll weder das eine
+noch das andere ihm helfen, wenn ich nur mit Sicherheit weiß, zu welcher
+Stunde er auszieht und welchen Weg er einschlägt. Und dies ist es, was
+ich durch dich zu erfahren hoffe."
+
+Wenn ich auch bis jetzt stumm und gleichsam in einen Bann geschlagen
+seiner Erklärung gelauscht hatte, ohne zu bedenken, wieviel ich mir
+schon dadurch vergab, so stand ich doch bei dieser Zumutung entrüstet
+auf und fragte ihn, was ihm wohl berechtige, zu glauben, daß ich tief
+genug gesunken wäre, um einen Dieb und Räuber zum Bundesgenossen zu
+nehmen.
+
+"Bei einem Bundesgenossen," erwiderte Angulimala ruhig, "ist die
+Hauptsache, daß er zuverlässig ist, und du fühlst wohl, daß du dich in
+dieser Sache ganz auf mich verlassen kannst. Auch brauche ich deine
+Hilfe, denn nur durch sie kann ich das, was ich wünsche, mit Sicherheit
+erfahren. Wohl habe ich eine sonst gute Quelle für Nachrichten, durch
+die ich eben auch von der bevorstehenden Reise Satagiras weiß; aber wenn
+er vorsichtshalber ein falsches Gerücht verbreitet, so kann auch sie
+getrübt werden. Du aber bedarfst meiner, weil eine stolze und edle Seele
+in einem Fall wie dem deinigen nur durch den Tod des Verräters
+Genugtuung findet. Wärest du ein Mann, dann würdest du ihn selber töten;
+da du eine Frau bist, brauchst du dazu meines Armes."
+
+Ich wollte ihn heftig abweisen, aber er gab mir mit einer so würdigen
+Handbewegung zu verstehen, er habe noch nicht Alles gesagt, daß ich
+gegen meinen Willen schwieg.
+
+"Dies, edle Frau," fuhr er fort, "ist die Rache. Aber es gibt noch ein
+Anderes, Wichtigeres. Für dich: das künftige Glück zu ergreifen; für
+mich: Vergangenes zu sühnen. Mit Recht sagt man ja von mir, daß ich
+grausam sei, ohne Mitleid gegen Mensch und Tier. Ja, ich habe tausend
+Taten vollbracht, für deren jede man hundert oder tausend Jahre in einer
+Erzhölle büßen muß, wie die Priester lehren. Zwar hatte ich einen
+gelehrten und weisen Freund, Vajacravas, den das Volk jetzt sogar als
+einen Heiligen verehrt, und an dessen Grab ich auch reichlich geopfert
+habe: der hat uns oft bewiesen, daß es solche Höllenstrafen nicht gebe,
+und daß der Räuber im Gegenteil das brahmandurchdrungenste Wesen und die
+Krone der Schöpfung sei. Doch hat er mich nie so recht davon überzeugen
+können....
+
+Sei dem nun, wie es wolle. Ob es Höllenstrafen gibt oder nicht:--gewiß
+ist es, daß von allen meinen Taten nur eine mir schwer auf dem Herzen
+liegt, und zwar die, daß ich mit meinem schlauen Wahrheitsakt dich
+betrogen habe. Schon damals durfte ich dir nicht ins Gesicht sehen, und
+die Erinnerung an jene Stunde sitzt mir noch immer wie ein Dorn im
+Fleische. Nun wohl, was ich damals gegen dich verbrach, möchte ich jetzt
+wieder gut machen, soweit es noch möglich ist; die bösen Folgen möchte
+ich vernichten. Du wurdest durch meine Schuld von dem tot geglaubten
+Kamanita getrennt und an diesen falschen Satagira gebunden. Diese Fessel
+will ich dir nun abnehmen, so daß du wieder frei bist, dich mit dem
+Geliebten zu verbinden; und ich selber will nach Ujjeni gehen und ihn
+heil und sicher herbringen. Nun tue du das deinige, ich werde das
+meinige tun. Für eine schöne Frau ist es ja nicht schwer, dem Gemahl ein
+Geheimnis zu entlocken. Morgen, sobald es dunkel ist, komme ich hierher,
+um mir den Bescheid von dir zu holen."
+
+Er verbeugte sich tief, und bevor es mir in meiner Verwirrung und
+Bestürzung möglich war, ein Wort hervorzubringen, war er so plötzlich
+von der Terrasse verschwunden, wie er erschienen war.
+
+
+
+
+XXXII. SATAGIRA
+
+
+Die ganze Nacht blieb ich auf der Terrasse, eine willenlose Beute der
+entfesselten, mir unbekannten Leidenschaften, die mit meinem Herzen ihr
+Spiel trieben wie Wirbelwinde mit einem Blatt.
+
+Mein Kamanita war noch am Leben! Er hatte in seiner fernen Heimat von
+meiner Heirat gehört--denn sonst wäre er ja längst gekommen. Wie
+treulos--oder wie erbärmlich schwach mußte ich in seinen Augen sein! Und
+an dieser meiner Erniedrigung war allein Satagira schuld. Mein Haß gegen
+ihn wurde mit jeder Minute tödlicher, und tief fühlte ich die Wahrheit
+in Angulimalas Worten, daß ich, wenn ich ein Mann gewesen wäre,
+sicherlich Satagira getötet hätte.
+
+Dann zeigte sich wieder jene Aussicht, die Angulimala mir so unerwartet
+eröffnet hatte:--wenn ich frei war, konnte ich den Geliebten heiraten.
+Bei diesem Gedanken geriet mein ganzes Wesen in einen so stürmischen
+Aufruhr, daß ich glaubte, das Blut müßte mir Brust und Schläfen
+sprengen. Außerstande, mich aufrechtzuhalten, vermochte ich nicht
+einmal, nach der Bank zu wanken, sondern sank auf die marmornen Fliesen
+nieder, und die Sinne vergingen mir.
+
+Die Kühle des Morgentaues brachte mich zu meinem unseligen Dasein mit
+seinen furchtbaren Fragen zurück.
+
+War es denn Wahrheit, daß ich mich mit einem Räuber und tausendfachen
+Mörder verbinden wollte, um den Mann aus dem Wege zu räumen, der mich
+einst um das Hochzeitsfeuer geführt hatte?
+
+Aber ich wußte ja noch gar nicht, wann mein Gemahl fortzöge! Und wie
+sollte ich die Zeit seiner Abreise, wie auch den genauen Weg, den er zu
+nehmen beabsichtigte, erfahren, wenn er ein Geheimnis daraus machte?
+
+"Für eine schöne Frau ist es ja nicht schwierig, dem Gemahl ein
+Geheimnis zu entlocken"--diese Worte des Räubers klangen mir noch im
+Ohre und zeigten mir die ganze Niedrigkeit einer solchen Handlungsweise.
+Nie würde ich mich dazu entschließen können, mich durch Zärtlichkeit in
+sein Vertrauen einzuschleichen, um ihn dann seinem Todfeinde zu
+verraten. Aber gerade dadurch, daß ich dies so deutlich fühlte, wurde es
+mir auch klar, daß es eigentlich nur das verräterische und heuchlerische
+Erschleichen des Geheimnisses war, das ich so von Grund aus
+verabscheute. Wäre ich aber schon im Besitz des Geheimnisses
+gewesen--hätte ich gewußt, wo ich hingehen und eine Tafel finden könnte,
+auf der Alles aufgeschrieben stand:--dann würde ich sicher die tödliche
+Kunde Angulimala mitgeteilt haben.
+
+Wie mir dies nun klar wurde, zitterte ich vor Entsetzen, als ob ich
+schon schuldig an Satagiras Tod wäre. Ich dankte meinem Schicksal, daß
+keine Möglichkeit für mich vorhanden war, diese Kunde zu erlangen; denn
+wenn ich auch vielleicht hätte erfahren können, zu welcher Stunde sie
+aufbrechen würden, so konnte doch nur Satagira selbst und höchstens noch
+ein Vertrauter wissen, welche Wege und Stege man gewählt hatte.
+
+Ich sah die aufgehende Sonne die Türme und Kuppeln Kosambis vergolden,
+so wie ich dies hinreißende Schauspiel von der Terrasse der Sorgenlosen
+aus so oft--aber ach! mit wie ganz anderen Gefühlen--betrachtet hatte,
+wenn ich selige Nachtstunden dort mit dir verbrachte. Unglücklich wie
+noch nie zuvor, matt und elend, als ob ich in dieser Nacht um Jahrzehnte
+gealtert wäre, begab ich mich in den Palast zurück.
+
+Um nach meinem Zimmer zu kommen, mußte ich durch eine lange Galerie
+gehen, nach der einige Räume mit vergitterten Fenstern sich öffneten.
+Als ich an einem derselben vorüberschritt, vernahm ich Stimmen. Die
+eine--die meines Gemahls--hub gerade an:
+
+"Gut, wir wollen also heute Nacht--eine Stunde nach
+Mitternacht--aufbrechen."
+
+Ich war unwillkürlich stehen geblieben. Die Stunde wußte ich also! Aber
+den Weg? Die Schamröte stieg mir ins Gesicht, weil ich den Lauscher an
+der Tür spielte--"fliehe, fliehe!" rief es in mir--"noch ist es Zeit!"
+Aber ich blieb wie angewurzelt stehen.
+
+Satagira sprach indessen nicht weiter. Er mochte meine Schritte und ihr
+Aufhören an der Tür bemerkt haben; denn diese wurde plötzlich
+aufgerissen. Mein Gemahl stand vor mir.
+
+"Ich hörte deine Stimme im Vorbeigehen," sagte ich mit raschem
+Entschluß, "und dachte daran, anzufragen, ob ich dir einige
+Erfrischungen bringen sollte, da du so früh den Geschäften obliegst.
+Dann befürchtete ich wieder, dich zu stören und wollte weitergehen."
+
+Satagira sah mich ohne Mißtrauen, ja sogar sehr freundlich an.
+
+"Ich danke dir," sagte er, "ich bedarf keiner Erfrischungen, aber du
+störst mich keineswegs. Im Gegenteil, ich wollte gerade nach dir
+schicken und fürchtete nur, daß du noch nicht aufgestanden wärest. Du
+kannst mir gerade jetzt von dem größten Nutzen sein."
+
+Er lud mich ein, in das Zimmer zu treten, was ich mit der höchsten
+Verwunderung tat, sehr darauf gespannt, Was für einen Dienst er wohl von
+mir begehrte, gerade in diesem Augenblick, wo ein tödlicher Anschlag
+gegen ihn mein Gemüt erfüllte.
+
+Ein Mann, in dem ich einen Reiterführer und Vertrauten Satagiras
+erkannte, saß auf einem niedrigen Sitz. Er erhob sich bei meinem
+Eintreten und verbeugte sich tief. Satagira ließ mich neben sich Platz
+nehmen, winkte dem Reiteranführer, sich wieder zu setzen, und wandte
+sich zu mir.
+
+"Es handelt sich, meine liebe Vasitthi, um Folgendes: Ich muß möglichst
+bald eine Reise antreten, um einen Dorfstreit in den östlichen Gauen zu
+schlichten. Nun haben sich seit einigen Wochen in den Waldgegenden
+östlich von Kosambi, und zwar recht nahe der Stadt, Räuber gezeigt. Es
+geht sogar das törichte Gerücht, ihr Führer sei kein anderer als
+Angulimala, indem man die unerhörte Frechheit hat, zu behaupten,
+Angulimala sei damals aus dem Gefängnis entflohen, und ich hätte statt
+seines Kopfes einen anderen, dem seinen ähnlichen, über dem Tor
+aufgesteckt. Über solche Märchen können wir freilich lachen. Allerdings
+aber scheint dieser Räuber dem berühmten Angulimala an Dreistigkeit
+nicht viel nachzugeben, und wenn er sich wirklich für jenen ausgibt, um
+durch den glorreichen Namen großen Anhang zu finden, so geht er gewiß
+darauf aus, irgend eine recht glänzende Tat zu vollbringen. Deshalb ist
+immerhin eine gewisse Vorsicht geboten."
+
+Auf einem kleinen, mit edlen Steinen ausgelegten Tische neben ihm lag
+ein seidenes Tuch. Er nahm es und wischte sich damit die Stirn. Es sei
+doch heute, meinte er, trotz der frühen Stunde recht heiß. Ich merkte
+wohl, daß es die Angst vor Angulimala war, die ihm den Schweiß aus den
+Poren trieb. Aber anstatt daß dadurch mein Mitleid geweckt worden wäre,
+fühlte ich bei diesem Anblick vielmehr nur Verachtung für ihn. Ich sah,
+daß er kein Held war und fragte mich verwundert, durch welchen
+Glücksfall er dazu gekommen wäre, Angulimala gefangen zu nehmen,
+Angulimala, den Räuber, der mir vorkam wie der furchtbare Bhima im
+Mahabharata, an dessen Seite du ja selber, mein lieber Kamanita, auf der
+Ebene Kurukschetra gekämpft hast.
+
+"Nun kann ich aber," fuhr indessen mein Gemahl fort, "nicht gut in jenen
+Dörfern mit einem ganzen Heere ankommen, ja ich möchte sogar nicht gern
+mehr als dreißig Reiter auf diese Reise mit mir nehmen. Um so mehr aber
+ist Vorsicht und sogar täuschende List geboten. Ich habe dies gerade mit
+meinem getreuen Panduka besprochen, und er hat mir einen guten Vorschlag
+gemacht, den ich dir auch mitteile, damit du nicht während dieser Tage
+in allzu großer Angst um mich bist."
+
+Ich murmelte etwas, das einen Dank für diese Rücksichtnahme bedeuten
+sollte.
+
+"Panduka," fuhr er fort, "wird also recht augenfällig alle
+Vorbereitungen treffen, als ob ich morgen früh mit einer ziemlich
+ansehnlichen Truppenmacht gen Osten einen Zug machen wollte, um die
+Räuber zu fangen. Wenn diese also--was ich nicht bezweifle--hier in der
+Stadt Helfershelfer haben, die sie auf dem Laufenden halten, so werden
+sie dadurch hinters Licht geführt. Mittlerweile breche ich mit meinen
+dreißig Reitern eine Stunde nach Mitternacht auf, und zwar durch das
+südliche Tor, und ziehe durch das Hügelland in einem großen Bogen
+ostwärts. Doch möchte ich auch hier gern die Hauptstraßen vermeiden, bis
+ich einige Meilen von Kosambi entfernt bin. Nun liegt ja aber gerade in
+dieser Gegend das Sommerhaus deines Vaters, und du kennst von Kind auf
+alle Wege und Stege dort--kannst mir also, denke ich, hier mit deinem
+Rate viel nützen."
+
+Ich war sofort dazu bereit, und während ich ihm Alles ausführlich
+beschrieb, ließ ich mir eine Tafel geben und zeichnete darauf eine
+genaue Karte von der Umgebung jenes Hauses, mit Kreuzzeichen an den
+Stellen, die er sich besonders merken mußte. Vor allem aber empfahl ich
+ihm einen Pfad, der durch eine Schlucht führte. Diese verengte sich
+allmählich so sehr, daß auf einer kurzen Strecke nicht zwei Reiter
+nebeneinander reiten konnten, dafür war aber dieser Weg so unbekannt,
+daß, selbst wenn die Räuber ahnen sollten, daß er einen solchen Umweg
+machte, gewiß niemand ihn dort suchen würde.
+
+In dieser Schlucht aber hatte ich als ein unschuldiges Kind mit meinen
+Brüdern und Medini und den Kindern unseres Pächters gespielt.
+
+Satagira bemerkte, daß meine Hand, die auf die Tafel zeichnete,
+zitterte, und fragte mich, ob ich Fieber hätte. Ich antwortete, daß es
+nur etwas Müdigkeit nach einer schlaflosen Nacht sei. Er ergriff aber
+meine Hand und fand besorgt, daß sie kalt und feucht sei, und als ich
+sie mit der Bemerkung, das habe gar nichts zu sagen, zurückziehen
+wollte, behielt er sie in der seinen, während er mich ermahnte,
+vorsichtig zu sein und mich zu schonen; und in seinem Blick und seiner
+Stimme bemerkte ich mit unsagbarem Unwillen, ja mit Entsetzen etwas von
+der bewundernden Zärtlichkeit aus jener Zeit, als er vergebens um mich
+warb. Ich beeilte mich zu sagen, daß ich mich wirklich nicht ganz wohl
+fühlte und mich gleich zur Ruhe begeben wollte.
+
+Satagira folgte mir aber noch in die Galerie hinaus, und hier, wo wir
+allein waren, fing er an, sich zu entschuldigen: er habe allerdings über
+die Mutter seines Sohnes mich jetzt lange Zeit vernachlässigt; aber nach
+seiner Rückkehr sollte das anders werden; ich würde nicht länger nötig
+haben, die Nacht allein auf der Terrasse zuzubringen.
+
+Wenn auch jene Zärtlichkeit, die dem Grabe einer verschollenen
+Jugendliebe entstiegen schien, bei der ich anerkennen mußte, daß sie
+sogar mit einer gewissen halsstarrigen Treue nur mir gegolten hatte,
+nicht umhin konnte, mein Herz etwas zu seinen Gunsten zu stimmen, so daß
+ich einen Augenblick in meinem Vorsatz wankte: so waren doch die letzten
+Worte, die mit einem süßlichen Lächeln und einer ekelhaften
+Vertraulichkeit vorgebracht wurden, nur zu geeignet, diese Wirkung
+wieder aufzuheben, indem sie mich an Rechte gemahnten, die er sich mir
+gegenüber durch seinen feigen Verrat erschlichen hatte.
+
+
+
+
+XXXIII. ANGULIMALA
+
+
+Eine schreckliche Ruhe kam über mich, als ich jetzt in meine Zimmer
+zurückkehrte. Es gab nichts mehr zu bedenken, kein Zweifel war zu
+bekämpfen, keine Fragen wollten beantwortet sein. Alles war entschieden.
+Sein Karma wollte es so. Offenbar war er durch seinen doppelten Verrat
+mir und Angulimala verfallen.
+
+So groß war diese Ruhe, daß ich einschlief, sobald ich mich auf das
+Lager gestreckt hatte--als ob meine Natur ängstlich bemüht gewesen wäre,
+über diese inhaltslosen Wartestunden hinwegzukommen.
+
+Als es dunkel wurde, ging ich auf die Terrasse. Der Mond war noch nicht
+aufgegangen. Ich brauchte nicht lange zu warten. Die mächtige Gestalt
+Angulimalas schwang sich über die Brustwehr und kam auf die Bank zu, auf
+der ich, halb abgewendet, saß.
+
+Ich rührte mich nicht, und ohne den Blick von dem Muster der bunten
+Marmorfliesen zu erheben, sprach ich:--
+
+"Was du zu wissen wünschest, weiß ich. Alles: die Stunde, wann er
+fortzieht, die Stärke seiner Begleitung, die Richtung, die er
+einschlägt, und Wege und Pfade, denen er folgt. Von seinem bösen Karma
+getrieben, hat er selber mir seine Vertraulichkeit aufgedrungen, sonst
+wüßte ich das alles nicht, denn nie hätte ich es ihm durch heuchlerische
+Zärtlichkeit entlockt."
+
+Ich hatte mir diese Worte wohl überlegt; denn so töricht sind wir in
+unserem Stolz, daß es selbst jetzt, da ich mich zum Handlanger eines
+Verbrechers machte, für mich ein unerträglicher Gedanke war, in seinen
+Augen niedriger zu erscheinen, als ich wirklich war.
+
+Nicht weniger überlegt waren meine weiteren Worte.
+
+"Von all dem wirst du aber keine Silbe erfahren, wofern du mir nicht
+zuerst versprichst, daß du ihn _nur_ töten, auf keine Weise aber quälen
+wirst, und daß du nur _ihn_, jedoch keinen seiner Begleiter töten wirst,
+wenn du es nicht zur Selbstverteidigung nötig hast. Ich werde dir aber
+eine Stelle zeigen, wo du ihn ganz allein und ohne Handgemenge tödlich
+treffen kannst. Dies also mußt du mir mit einem feierlichen Eide
+versprechen. Sonst kannst du mich töten, wirst aber kein Wort mehr von
+mir vernehmen."
+
+"So wahr ich bis heute ein treuer Diener Kalis war," erwiderte
+Angulimala, "so gewiß will ich keinen von seinen Begleitern töten, und
+so gewiß soll er auch keine Qual erleiden."
+
+"Gut," sagte ich, "ich will dir trauen. So höre also nun und merke dir
+Alles genau. Wenn du hier in der Stadt Hehler hast, so wirst du schon
+erfahren haben, daß Vorbereitungen getroffen werden, um morgen gegen die
+Räuber vorzugehen. Das ist aber alles leerer Schein, um dich zu
+täuschen. In Wirklichkeit verläßt Satagira, von dreißig Reitern gefolgt,
+noch heute, eine Stunde nach Mitternacht, die Stadt durch das südliche
+Tor, läßt den Sinsapawald links liegen und biegt noch etwas südlicher
+aus, um auf Nebenwegen durch das Hügelland ostwärts zu ziehen."
+
+Und ich gab ihm nun eine ganz genaue Beschreibung der Gegend bis zu
+jener engen Schlucht, durch die Satagira kommen mußte, und wo er ihn
+leicht und sicher erschlagen konnte.
+
+Meiner Rede folgte ein bedrückendes Schweigen, währenddessen ich nur
+mein eigenes schweres Atemholen hörte. Ich fühlte, daß ich noch nicht
+Kraft genug hatte, um mich zu erheben und wegzugehen, wie ich es mir
+vorgenommen hatte.
+
+Endlich sprach Angulimala, und schon der milde, ja traurige Klang seiner
+Stimme überraschte mich derart, daß ich fast erschrak und unwillkürlich
+zusammenfuhr.
+
+"So wäre es denn also nun geschehen," sagte er, "und du, die zarte,
+milde Frau, die du gewiß niemals mit Willen auch nur dem geringsten
+Geschöpfe ein Leid zugefügt hast, du wärest nunmehr im Bunde mit dem
+schlechtesten Menschen, dessen Hände von Blut triefen, ja der Mord
+deines Gatten lastete auf deinem Gewissen und würde für dich seine
+schwarzen Karmafäden auf abschüssiger Fährte bis in die höllische Welt
+weiter wirken--ja, so wäre es in der Tat, wenn du jetzt zu dem Räuber
+Angulimala geredet hättest."
+
+Ich wußte nicht, ob ich meinen Ohren trauen sollte. Zu wem sonst hatte
+ich denn geredet? War es doch die Stimme Angulimalas, wenn auch mit
+jener sonderbaren Veränderung des Klanges; und als ich mich jetzt
+bestürzt umwandte und ihn scharf ansah, war es außer allem Zweifel, daß
+der Räuberhäuptling vor mir stand, wenn auch in seiner ganzen Haltung
+sich gleichsam ein anderer Charakter ausdrückte als der, der mich Tags
+zuvor in seinem furchtbaren Banne gehalten hatte.
+
+"Aber sei unbesorgt, edle Frau"--fügte er hinzu--"dies Alles ist nicht
+geschehen. Nichts ist geschehen, nicht mehr, als wenn du deine Rede an
+diesen Baum gerichtet hättest."
+
+Diese Worte waren mir so rätselhaft wie die vorhergehenden. So viel aber
+verstand ich, daß er aus irgend einem Grunde seinen Racheplan gegen
+Satagira aufgegeben hatte.
+
+Nachdem ich mich durch furchtbare Seelenkämpfe zu dieser unnatürlichen
+Höhe des Verbrechens emporgerungen hatte, war dies plötzliche
+unbegreifliche Zerrinnen, diese spukhafte Verflüchtigung des Werkes eine
+Enttäuschung, die ich nicht ertrug. Die krankhafte Spannung meines
+Gemütes machte sich Luft in einem Strome von Schimpfworten, die ich
+Angulimala ins Gesicht schleuderte. Ich nannte ihn einen ehrlosen
+Schuft, einen wortbrecherischen, leeren Prahler, eine Memme und was weiß
+ich noch--das Schlimmste, was mir einfallen wollte, denn ich hoffte, daß
+dieser wegen seines Jähzorns in ganz Indien berüchtigte Mann,
+solchermaßen gereizt, mich mit einem Schlage seiner eisernen Faust
+leblos zu Boden strecken würde.
+
+Als ich aber schwieg, eher, weil mir der Atem als der Wortvorrat
+ausging, antwortete mir Angulimala mit beschämender Ruhe:--
+
+"Dies alles und noch Schimpflicheres habe ich ja von dir verdient, und
+nicht einmal den alten Angulimala hättest du damit, glaube ich, so
+reizen können, daß er dich getötet hätte--denn dies zu erreichen ist ja,
+wie ich wohl erkenne, deine Absicht. Aber wenn auch jetzt ein anderer
+mir noch Schlimmeres gesagt hätte, so würde ich das nicht nur ruhig
+ertragen haben, sondern ihm sogar dankbar dafür sein, daß er mir
+Gelegenheit gab, eine heilsame Prüfung zu bestehen. Hat doch der Meister
+selber mich gelehrt: 'Der Erde gleich, Angulimala, sollst du Gleichmut
+üben. Gleichwie man da auf die Erde Reines hinwirft und Unreines
+hinwirft, und die Erde sich weder darob entsetzt noch sich sträubt--also
+sollst du, Angulimala, der Erde gleich Gleichmut üben.' Denn du sprichst
+ja, Vasitthi, nicht mit dem Räuber, sondern mit dem Jünger Angulimala."
+
+"Was für ein Jünger? Welcher Meister?" fragte ich mit verächtlicher
+Ungeduld, obwohl die seltsame Sprache dieses unbegreiflichen Mannes
+nicht verfehlte, eine eigentümliche, fast bestrickende Wirkung auf mich
+auszuüben.
+
+"Den sie den Vollendeten nennen, den Weltkenner, den vollkommen
+Erwachten, den Buddha," antwortete er, "der ist der Meister. Du hast
+doch wohl auch schon von ihm gehört?"
+
+Ich schüttelte den Kopf.
+
+"Glücklich preise ich mich," rief er, "daß ich es bin, durch dessen Mund
+du zuerst den Namen des Gesegneten vernimmst. Hat Angulimala dir einst
+als der Räuber viel Böses getan, so hat er dir jetzt als Jünger noch
+mehr Gutes getan."
+
+"Wer ist denn dieser Buddha?" fragte ich wieder in demselben Tone, ohne
+mir es anmerken lassen zu wollen, wie sehr meine Teilnahme geweckt
+war.--"Was hat er mit diesem deinem rätselhaften Betragen zu tun, und
+was könnte mir das für Segen bringen, seinen Namen zu hören?"
+
+"Auch nur den Namen dessen zu hören, den sie den Willkommenen nennen,"
+sagte Angulimala, "ist wie der erste Schimmer einer Leuchte für den, der
+im Dunkel sitzt. Aber ich will dir jetzt Alles erzählen, wie er mir
+begegnet ist und mein Leben gewendet hat; denn gewiß ist das nicht zum
+wenigsten deinetwegen gerade heute geschehen."
+
+Schon am ersten Abend hatte mich trotz der Wildheit, die seinem Wesen
+entströmte, ein gewisser Anstand seines Betragens überrascht; noch
+auffallender war aber die ungesuchte Würde, mit der er jetzt neben mir
+Platz nahm, wie Einer, der sich bei seinesgleichen fühlt.
+
+
+
+
+XXXIV. DIE SPEERHÖLLE
+
+
+Ich stand heute--hub er an--ein paar Stunden nach Sonnenaufgang am
+Waldesrande und spähte nach den Türmen Kosambis hinüber, meine Rache an
+Satagira im Sinne, und die Frage erwägend, ob du mir wohl die
+erwünschten Aufklärungen bringen würdest: als ich auf der Straße, die
+vom östlichen Stadttor zum Walde führt, einen einsamen, in einen gelben
+Mantel gehüllten Wanderer gewahr wurde, der rüstig einherschritt. Zu
+beiden Seiten des Weges aber waren Hirten und Landleute mit ihren
+Arbeiten beschäftigt. Und ich sah nun, wie diejenigen, die dem Wege am
+nächsten waren, jenem einsamen Wanderer etwas zuriefen, während auch die
+weiter entfernten mit ihrer Arbeit innehielten, ihm nachsahen und mit
+Fingern auf ihn zeigten. Und die Nächststehenden schienen ihn, je weiter
+er vorwärts schritt, um so eifriger zu warnen, ja aufhalten zu wollen,
+indem einige ihm nachliefen und seinen Mantel ergriffen, und dann mit
+eifrigen und entsetzten Gebärden nach dem Walde zeigten. Fast glaubte
+ich hören zu können, wie sie ihm zuriefen: "Nicht weiter! Gehe nicht in
+den Wald! Dort haust ja der schreckliche Räuber Angulimala."
+
+Aber jener Wanderer schritt unbekümmert weiter, dem Walde zu. Und jetzt
+sah ich an seinem Mantel und an seinem kahlgeschorenen Kopfe, daß es ein
+Asket war, einer von denen, die dem Orden des Sakyersohnes angehören,
+ein alter Mann von stattlicher Gestalt.
+
+Und ich gedachte bei mir: "Wunderbar, wahrlich, außerordentlich ist es!
+Auf diesem Wege sind schon zehn Mann, ja dreißig und fünfzig Mann
+vereint und bewaffnet ausgezogen und sind alle in meine Gewalt geraten:
+und dieser Asket da kommt allein, wie ein Eroberer heran!"
+
+Und es verdroß mich, daß er so offen meiner Macht Hohn sprach. So
+entschloß ich mich denn, ihn zu töten, um so mehr, als ich mir dachte,
+möglicherweise sei er als Späher von Satagira in den Wald geschickt.
+Denn diese Asketen--so meinte ich--sind ja alle heuchlerisch und feil
+und lassen sich zu Allem gebrauchen, indem sie auf die Sicherheit bauen,
+die sie durch den Aberglauben des Volkes genießen--denn so hatte ich von
+meinem gelehrten Freunde Vajaçravas gelernt, die Sache zu betrachten.
+
+Schnell entschlossen ergriff ich meinen Speer, hängte Bogen und Köcher
+um und ging dem Asketen, der jetzt in den Wald eingetreten war, Schritt
+für Schritt nach.
+
+Als ich aber eine günstige Stelle erreicht hatte, wo keine Bäume uns
+trennten, blieb ich stehen, nahm den Bogen von der Schulter und schoß
+einen Pfeil so ab, daß er dem Wanderer in die linke Seite des Rückens
+eindringen und sein Herz durchbohren mußte; aber er flog über den Kopf
+des Asketen dahin.
+
+"Da muß sich unter meine Pfeile ein ganz schlechter verirrt haben,"
+sagte ich mir, nahm meinen Köcher zur Hand und wählte einen schön
+gefiederten, tadellosen Pfeil, mit dem ich so zielte, daß er dem Asketen
+das Genick durchbohren mußte. Der Pfeil schlug aber links von ihm in
+einen Baumstamm ein. Der nächste flog rechts von ihm vorbei, und so ging
+es mit allen Pfeilen, bis mein Köcher geleert war.
+
+"Unbegreiflich, außerordentlich ist das!" dachte ich bei mir. "Habe ich
+mich doch oft damit belustigt, einen Gefangenen mit dem Rücken an einen
+Zaun zu stellen und die Pfeile so nach ihm zu schießen, daß, nachdem er
+zur Seite getreten, der ganze Umriß seines Körpers durch die im Zaune
+steckenden Pfeile abgezeichnet war--und das auf eine noch größere
+Entfernung. Bin ich doch gewohnt, mit meinem Pfeil den Adler im vollen
+Flug aus der Luft zu holen. Was fehlt denn heute meiner Hand?"
+
+Unterdessen hatte jener Asket einen ziemlichen Vorsprung gewonnen, und
+ich begann hinter ihm her zu laufen, um ihn mit dem Speere zu töten.
+Nachdem ich ihm aber auf etwa fünfzig Schritte nahe gekommen war, gewann
+ich ihm keinen Schritt mehr ab, obschon ich mit aller Macht rannte,
+jener Asket aber ganz gemach vorwärts zu schreiten schien.
+
+Da sagte ich zu mir selber: "Wahrlich, dies ist noch das Wunderbarste
+von Allem! Habe ich doch sonst oft den scheuen Ilfen und den flüchtigen
+Hirsch eingeholt, und diesen gemach dahinschreitenden Asketen kann ich
+jetzt, mit aller Macht laufend, nicht einholen. Was fehlt denn heute
+meinen Füßen?"
+
+Und ich blieb stehen und rief ihm zu:
+
+"Stehe, Asket! Stehe!"
+
+Er aber schritt ruhig weiter und rief zurück:
+
+"Ich stehe, Angulimala! Stehe auch du!"
+
+Da wunderte ich mich denn wieder gar sehr und dachte: "Offenbar hat
+dieser Asket soeben durch irgend einen Wahrheitsakt mein Pfeilschießen
+vereitelt, durch irgend einen Wahrheitsakt mein Laufen vereitelt. Wie
+kann er denn also jetzt eine offenbare Unwahrheit sagen, indem er zu
+stehen behauptet, während er doch geht, mich aber zum Stehenbleiben
+auffordert, obschon er sehr wohl sieht, daß ich bereits so still stehe
+wie dieser Baum? So würde wohl die fliegende Gans zur Eiche sagen: 'Ich
+stehe, Eiche! Stehe auch du!' Sicher muß also hier etwas dahinter
+stecken. Wohl möchte es mehr wert sein, den geheimen Sinn dieser
+Asketenworte zu verstehen als einen Asketen zu töten."
+
+Und ich rief ihm zu:
+
+"Wandelnd wähnst du dich stätig, Asket, und mich, der stätig, wähnst du
+wandelnd. Erkläre mir das, Asket! Wie bist du stätig, wie bin ich
+unstät?" Und er antwortete mir:
+
+"Ich, der ich keinem Wesen Leides antue, bin beständig, wandle nicht
+mehr; du aber, der du gegen die Wesen wütest, mußt ruhelos von
+Leidensort zu Leidensort wandeln."
+
+Ich antwortete wieder:
+
+"Daß wir immer wandeln, habe ich wohl gehört. Das vom Beständigsein, vom
+Nachtwandeln verstehe ich aber nicht. Wolle, Ehrwürdiger, mir das kurz
+Gesagte ausführlich erläutern. Sieh, ich habe meinen Speer von mir getan
+und feierlich schwöre ich dir: ich schenke dir Frieden!"
+
+"Zum zweiten Male, Angulimala," sagte er, "hast du falsch geschworen."
+
+"Zum zweiten Male?"
+
+"Das erste Mal geschah es bei jenem falschen Wahrheitsakt."
+
+Das schien mir nun nicht der Wunder geringstes, daß er um jene geheime
+Sache wußte; aber ohne mich dabei aufzuhalten, beeilte ich mich, meine
+schlaue Handlung zu verteidigen.
+
+"Meine Worte, Ehrwürdiger, waren da freilich gleichsam auf Schrauben
+gestellt, aber mit den Worten beschwor ich nichts Falsches, nur der Sinn
+war täusehend. Das aber, was ich dir schwöre, ist sowohl den Worten wie
+dem Sinne nach wahr."
+
+"Nicht doch," antwortete er, "denn du kannst mir keinen Frieden
+schenken. Wohl dir, wenn du dir von mir den Frieden schenken ließest."
+
+Dabei hatte er sich umgewandt und winkte mir freundlich, heranzutreten.
+
+"Gern, Ehrwürdiger," sagte ich demütig.
+
+"So höre denn und gib wohl acht!"
+
+Er setzte sich im Schatten eines großen Baumes nieder und hieß mich zu
+seinen Füßen Platz nehmen.
+
+Und er fing an, mich über gute und böse Taten und über ihre Folgen zu
+belehren, indem er mir Alles ausführlich auseinandersetzte, so wie man
+zu einem Kinde spricht. Denn ich war ja ganz ungelehrt, während sonst
+Asketenschüler meistens Brahmanenjünglinge sind, die sogar den Veda
+kennen. Ich aber hatte so tiefgedachten Reden nie gelauscht, seitdem ich
+im nächtlichen Walde zu den Füßen Vajaçravas' gesessen, von dem ich dir
+schon erzählt habe, und den du wohl auch sonst hast nennen hören.
+
+Als nun aber dieser Asket mir offenbarte, daß nicht eine willkürliche
+Göttermacht, sondern unser eigenes Herz allein durch seine Gedanken und
+Taten uns hier und dort geboren werden läßt, bald auf Erden, bald in
+einem Himmel, bald wieder in einer Hölle--da mußte ich eben an jenen
+Vajaçravas denken, wie er uns durch Vernunftgründe und mittelst der
+Schrift bewies, daß es keine Höllenstrafen geben könne, und daß alle
+darauf bezüglichen Stellen in der heiligen Schrift von den schwachen und
+feigen Seelen in dieselbe hineingeschmuggelt seien, um die starken und
+mutigen durch solche Drohungen einzuschüchtern und dadurch sich vor der
+Gewalttätigkeit der letzteren zu schützen.--"Freund Vajaçravas," dachte
+ich, "hat mich niemals so ganz überzeugen können. Ob wohl dieser Asket
+es vermag? Hier steht eben Meinung gegen Meinung, Gelehrter gegen
+Gelehrten. Denn selbst, wenn auch dieser Asket einer der großen Jünger
+des Sakyersohnes sein sollte, so wurde ja auch Vajaçravas von seinen
+Anhängern hochgepriesen, und jetzt, nach seinem Tode, wird er sogar vom
+gemeinen Volke als ein Heiliger verehrt. Wer will also entscheiden, wer
+von diesen beiden recht hat?"
+
+"Du bist nicht mehr ganz bei der Sache, Angulimala," sagte da der Asket:
+"du denkst an jenen Vajaçravas und an seine Irrlehren."
+
+Sehr verwundert gab ich das zu.
+
+"So hat denn der Ehrwürdige auch meinen Freund Vajaçravas gekannt?"
+
+"Man hat mir sein Grab vor dem Tore gezeigt, und ich sah, wie dort
+törichte Reisende ihr Gebet verrichteten in dem Wahne, er sei ein
+Heiliger"
+
+"So ist er denn kein Heiliger?"
+
+"Nun, wir wollen, wenn es dir so scheint, ihn aufsuchen und sehen, wie
+es ihm mit seiner Heiligkeit nun geht."
+
+Der Asket sagte dies, als ob es sich darum handele, von einem Hause ins
+andere zu gehen. Ganz bestürzt starrte ich ihn an:
+
+"Ihn aufsuchen? Vajaçravas? Wie wäre denn das möglich?"
+
+"Gib mir deine Hand," sprach er. "Ich werde mich in jene
+Selbstvertiefung versenken, durch die in einem standhaften Herzen der zu
+den Göttern und der zu den Dämonen führende Weg sichtbar werden. Da
+wollen wir denn seiner Fährte folgen, und was ich sehe, wirst auch du
+sehen."
+
+Ich reichte ihm meine Hand. Eine Weile saß er schweigend da, die Augen
+gesenkt, die Pupillen nach innen gerichtet, und ich spürte nichts.
+Plötzlich aber war es mir, wie es wohl einem Schwimmer sein mag, wenn
+der Dämon, der im Wasser haust, seinen Arm ergreift und ihn nach unten
+zieht, so daß der blaue Himmel und die Bäume des Ufers verschwinden,
+indem die Welle über seinem Kopfe zusammenschlägt, und immer tiefer
+werdendes Dunkel ihn umgibt. Bisweilen aber loderte auch Flammenschein
+um mich, und mächtiges Getöse dröhnte mir im Ohre.
+
+Schließlich befand ich mich wie in einer ungeheuren Höhle, die ganz
+dunkel war, jedoch durch unzählige kurz zuckende Blitze unruhig
+beleuchtet wurde. Als ich mich etwas an die Dunkelheit gewöhnt hatte,
+entdeckte ich, daß diese Blitze von dem Erglänzen eiserner Speerspitzen
+herrührten, die hin und her fuhren, als ob Lanzen von unsichtbaren Armen
+geschwungen würden--etwa in einer Geisterschlacht. Auch hörte ich
+Schreie, aber nicht wilde und mutige wie von kampfestrunkenen Streitern,
+sondern Schmerzensschreie und Stöhnen Verwundeter, die ich jedoch nicht
+sah. Denn diese Schreckenslaute kamen aus dem Hintergrunde, wo das
+Zucken der Lanzenspitzen einen einzigen zitternden und wirbelnden Nebel
+bildete. Der Vordergrund aber war leer.
+
+Hier traten nun aber drei Gestalten herein, von einem rechts
+einmündenden, schwarzen Höhlenschlund gleichsam ausgespieen. Der Mann in
+der Mitte war Vajaçravas; sein nackter Körper zitterte vom Kopf bis zu
+den Füßen, als ob er heftig fröre oder vom Fieber geschüttelt würde.
+Seine Begleiter hatten beide einen menschlichen Rumpf, der aber von
+Vogelbeinen mit starken Krallen getragen wurde, während er bei dem einen
+von einem Fischkopfe, bei dem anderen von einem Hundekopfe gekrönt war.
+In den Händen trug jeder einen langen Speer.
+
+Der mit dem Fischkopf sprach zuerst:
+
+"Dies, Ehrwürdiger, ist die Speerhölle, wo du nach dem Spruch des
+Höllenrichters zehntausendjährige Strafe abzubüßen hast, indem du von
+diesen zuckenden Speeren ununterbrochen durchbohrt wirst;--um dann je
+nach deinen sonstigen Taten irgendwo wiedergeboren zu werden.
+
+Dann sprach der mit dem Hundekopf:
+
+"So oft sich, Ehrwürdiger, in deinem Herzen zwei Speere kreuzen, wisse,
+daß dann tausend Jahre von deiner Höllenqual um sind."
+
+Kaum hatte er dies gesagt, so schwangen beide Höllenwächter ihre Lanzen
+und durchbohrten Vajaçravas. Wie auf ein gegebenes Zeichen zuckten jetzt
+alle Speere ringsum auf ihn los und durchbohrten ihn mit ihren Spitzen
+von allen Seiten, wie eine Schar von Raben sich über ein hingeworfenes
+Aas wirft und ihre Schnäbel in das Fleisch hackt. Bei diesem
+schrecklichen Anblick und den jammervollen Schreien, die Vajaçravas in
+seiner Qual ausstieß, vergingen mir die Sinne.
+
+Als ich wieder erwachte, lag ich im Walde, unter dem großen Baume, zu
+Füßen des Erhabenen hingestreckt.
+
+"Hast du gesehen, Angulimala?"
+
+"Ich habe gesehen, o Herr."
+
+Und ich wagte nicht einmal hinzuzufügen: "Errette mich!" Denn wie konnte
+_ich_ begehren, errettet zu werden?
+
+"Wenn du nun nach der Auflösung deines Leibes infolge deiner Taten auf
+abschüssige Fährte gelangst, in höllische Welt, und der Richtender
+Schatten über dich denselben Spruch ergehen läßt, und die Höllenwächter
+dich in die Speerhölle zu derselben Strafe führen: geschieht dir dann
+zuviel, Angulimala?"
+
+"Nein, Herr, es geschieht mir nicht zu viel."
+
+"Ein Wandel aber, von dem du selber gestehst, daß er gerechterweise zu
+solchen, unausdenkbaren Qualen führt, ist das wohl, Angulimala, ein
+Wandel, der wert ist, fortgesetzt zu werden?"
+
+"Nein, o Herr! Diesem Wandel will ich entsagen, abschwören will ich
+meine teuflischen Gewohnheiten um ein Wort deiner Wahrheit."
+
+"Vor Zeiten einmal, Angulimala, hat der Richter der Schatten innig
+erwogen: 'Wer da wahrlich Übeltaten in der Welt verübt, wird mit solchen
+mannigfachen Strafen gestraft. O, daß ich doch Menschentum erreichte,
+und daß ein Vollendeter, ein vollkommen erwachter Buddha in der Welt
+erschiene, und ich um ihn, den Erhabenen, sein könnte: und daß er, der
+Erhabene, mir die Satzung darlegte, und daß ich sie verstände!'
+
+Was nun jener Richter der Schatten sich so innig erwünschte, das ist
+dir, Angulimala, geworden. Du hast das Menschentum erreicht. Gleichwie
+aber, Angulimala, auf diesem indischen Festlande nur wenig freundliche
+Haine, herrliche Wälder, schöne Hügel und liebliche Lotusteiche sich
+befinden, sondern im Vergleich damit reißende Flüsse, Urwälder, öde
+Felsgebirge und dürre Wüsten bei weitem zahlreicher sind:
+
+ebenso auch werden nur wenig Wesen unter den Menschen geboren im
+Vergleich zu den weit zahlreicheren Wesen, die in anderen Reichen als
+dem der Menschheit zum Dasein gelangen;--
+
+ebenso auch sind nur wenige Geschlechter gleichzeitig mit einem Buddha
+auf Erden, im Vergleich zu den weit zahlreicheren, zu deren Zeit kein
+Buddha erstanden ist;--
+
+ebenso auch wird es von jenen wenigen Geschlechtern nur wenigen Wesen
+zuteil, den Vollendeten zu sehen, im Vergleich zu jenen weit
+zahlreicheren, die ihn nicht sehen.
+
+Du aber, Angulimala, hast Menschentum erlangt; und zwar zu einer Zeit,
+wo ein vollkommener Buddha in der Welt erschienen ist, und du hast ihn
+gesehen und du kannst um ihn, den Erhabenen, sein."
+
+Als ich diese Worte vernahm, faltete ich die Hände und rief:
+
+"Heil dir, o Heiliger! So bist du denn selber der vollkommen erwachte
+Buddha! So hat denn das edelste der Wesen sich des schlechtesten
+erbarmt! So willst denn du, Erhabener, mir erlauben, um dich zu sein?"
+
+"Ich will's," antwortete der Erhabene. "Und so vernimm nun auch dieses:
+
+ebenso gibt es unter den wenigen, die den Erhabenen sehen, nur wenige,
+die seine Satzung hören, und von diesen nur wenige, die sie verstehen.
+Du aber wirst die Satzung hören und verstehen. Komm, Jünger!"
+
+Und der Erhabene war in den Wald hineingeschritten gleichwie ein
+Elefantenjäger, der auf seinem zahmen Ilfen reitet. Er verließ aber den
+Wald wieder, gleichwie ein Elefantenjäger den Wald verläßt, von einem
+wilden, durch seine Kunst bezähmten Ilfen gefolgt.
+
+So bin ich denn nun zu dir gekommen, Vasitthi: nicht der Räuber
+Angulimala, sondern der Jünger Angulimala. Sieh, ich habe Speer und
+Keule, Stock und Geißel von mir geworfen, habe Töten und Quälen
+abgeschworen, und vor mir haben alle Wesen Frieden.
+
+
+
+
+XXXV. LAUTERE SPENDE
+
+
+Ich weiss nicht, wie lange es dauerte, ehe ich meine Lippen öffnete,
+aber eine recht lange Zeit, glaube ich, saß ich stumm da und ließ Alles,
+was mir Angulimala erzählt hatte, Punkt für Punkt vor mir auftauchen,
+und dachte darüber nach und wunderte mich immer mehr. Denn obwohl ich
+viele Sagen aus alter Zeit von göttlichen Wundern und besonders von den
+Wundertaten Krishnas, als er auf dieser Erde wanderte, gehört hatte, so
+kamen sie mir doch alle miteinander geringfügig vor, wenn ich sie mit
+dem verglich, was an diesem Tage Angulimala im Walde widerfahren war.
+
+Und ich fragte mich nun selber, ob jener große Mann, der in wenigen
+Stunden aus dem schrecklichen Räuber diesen sanften Menschen, der soeben
+zu mir gesprochen, gemacht hatte--jener "Vollendete", der das Wildeste,
+was es in der ganzen Natur gab, so leicht und sicher gezähmt hatte: ob
+er nicht auch imstande sei, mein friedloses, von Leidenschaften
+stürmisch bewegtes Herz zu beruhigen und durch das Licht seiner Worte
+die nächtige Trauerwolke von ihm zu verscheuchen? Oder war dies
+vielleicht noch schwieriger, ja wohl gar eine Aufgabe, deren Lösung
+selbst die Kräfte des heiligsten Asketen überstieg?
+
+Fast fürchtete ich, das letztere möchte der Fall sein, aber ich fragte
+doch, wo wohl jener große Asket, den er seinen Meister nannte, sich
+aufhielte, und ob auch ich ihn wohl aufsuchen könne.
+
+"Recht so," antwortete Angulimala, "daß du sofort danach fragst--und
+wonach solltest du auch sonst fragen? Deshalb bin ich ja zu dir
+gekommen. Die wir im Bösen Verbündete sein wollten, wir werden es jetzt
+im Guten sein. Der Erhabene weilt jetzt im Sinsapawalde, von dem du
+selber sprachst. Begib dich morgen dorthin, aber erst gegen Abend. Denn
+dann haben die Mönche ihre Gedenkenruhe beendigt und versammeln sich am
+alten Krishnatempel, und der Erhabene spricht da zu ihnen und zu den
+sonst Anwesenden. Zu dieser Stunde gehen nämlich viele Männer und Frauen
+von der Stadt dort hinaus, um den Gesegneten zu sehen und seinen
+lichtspendenden Worten zu lauschen; und mit jedem Abend wird der Andrang
+größer. Oft dauert ein solcher Vortrag bis in die späte Nacht hinein.
+Von alledem war ich schon genau unterrichtet, weil ich in der
+Sündhaftigkeit meines Herzens den scheußlichen Plan geschmiedet hatte,
+mit meinen Leuten nächstens die Versammlung zu überfallen. Die Gaben an
+Lebensmitteln und Stoffen, die viele der Besucher als Geschenke für den
+Orden mitbringen, bilden schon eine--wenn auch nicht reiche--so doch
+keineswegs ganz zu verschmähende Beute. Besonders aber gedachte ich
+einige vornehme Bürger aufzuheben und schweres Lösegeld von ihnen zu
+erpressen, und verband damit die Hoffnung, durch einen so dreisten
+Handstreich, gerade vor den Toren der Stadt, Satagira endlich aus den
+Mauern herauszulocken. Denn als ich den Plan faßte, war mir seine
+bevorstehende Reise noch unbekannt.--Versäume also nicht, edle Frau,
+morgen gegen Abend nach dem alten Krishnatempel zu gehen, das wird dir
+lange zum Heil gereichen. Mich verlangt es jetzt eiligst dahin zu
+kommen, ob ich wohl noch etwas hören werde. Doch in solchen schönen
+Mondnächten bleiben die Mönche lange beisammen, in religiöse Gespräche
+vertieft, und erlauben Einem gern zuzuhören."
+
+Er verbeugte sich tief vor mir und entfernte sich schnell.--
+
+Am nächsten Vormittage schickte ich nach Medini, die nun ebenso bereit
+war, mit ihrem Gatten Somadatta mir Gefolge nach dem Krishnahain zu
+leisten, wie damals, als es sich darum handelte, die Begegnung zweier
+Liebenden zu vermitteln. In der Tat hatte sie schon vorher einmal ihren
+Gatten gebeten, sie eines Abends dort hinaus zu bringen, denn sie ließ
+sich nicht leicht etwas entgehen, wovon die Leute sprachen. Somadatta
+aber hatte sich vor dem Hausbrahmanen gefürchtet, und so war sie denn
+hocherfreut, durch die Aufforderung der Ministersgattin jenem Tyrannen
+gegenüber gedeckt zu sein.
+
+Wir fuhren sofort nach den Kaufhallen, wo Somadatta, der dort seine
+Geschäfte besorgte, uns behilflich war, solche Stoffe auszusuchen, die
+für die Bekleidung der Mönche und der Nonnen geeignet waren. Auch kaufte
+ich dort eine große Menge Arzneien. Wieder nach Hause gekommen,
+plünderten wir die Vorratskammern: Krüge mit dem feinsten öl, Kisten mit
+Honig, mit Butter und mit Zucker, Schüsseln mit Eingemachtem aller Art
+wurden für unseren frommen Zweck zur Seite gestellt. Meine eigenen
+Schränke mußten das Ausgesuchteste, was sie an wohlriechendem Wasser,
+Sandelstaub und Kampfer bargen, hergeben, und dann ging es in den
+Garten, dessen Blumenflor nicht geschont wurde.
+
+Als die ersehnte Stunde kam, waren schon alle diese Sachen auf einen mit
+Maultieren bespannten Wagen geladen. Wir selber nahmen unter dem Zelte
+eines anderen Wagens Platz, und von den zwei silberweißen
+Vollblut-Sindhrossen gezogen, die jeden Morgen dreijährigen Reis aus
+meiner Hand fraßen, fuhren wir zum Stadttor hinaus.
+
+Die Sonne näherte sich schon den Kuppeln und Türmen der Stadt hinter
+uns, und ihre Strahlen vergoldeten den Staub, der den ganzen Weg entlang
+aufgewirbelt wurde von den vielen, die wie wir--meistens jedoch zu
+Fuß--hinauspilgerten, um den Buddha zu sehen und zu hören.
+
+Bald erreichten wir den Eingang zum Walde. Hier ließen wir die Wagen
+halten und begaben uns zu Fuß weiter, von Dienern gefolgt, welche die
+mitgebrachten Weihgeschenke trugen.
+
+Seit jener Nacht aber, als wir dort voneinander Abschied nahmen, war ich
+in diesem Walde nicht wieder gewesen. Als ich nun--in derselben
+Begleitung--in seinen kühlen Schatten eintrat, überwältigte mich ein
+solcher Erinnerungsduft, der, gleichsam für mich hier aufgespeichert, im
+Verlaufe der Jahre seine Süßigkeit bis zur Giftigkeit konzentriert
+hatte, daß ich betäubt stehen blieb. Es war mir, als ob meine Liebe, in
+voller Stärke erwacht, sich mir in den Weg stellte, mich der
+Fahnenflucht und des Verrates zeihend. Denn ich kam ja nicht hierher, um
+ihr durch Einatmen des Erinnerungsduftes neue Nahrung zu geben, sondern
+um für mein enttäuschtes und gequältes Herz den Frieden zu suchen. Hieß
+das aber nicht vergessen, der Liebe entsagen wollen? War das nicht
+Wortbruch und feiger Verrat?
+
+In solchem bangen Zweifel stand ich da, unschlüssig, ob ich weitergehen
+oder umkehren solle--zu großer Enttäuschung Medinis, die vor Ungeduld
+trippelte, wenn Andere uns überholten.
+
+Jedoch der Anblick dieses Waldinneren, von der späten Nachmittagssonne
+mild und goldig durchstrahlt--das leise, gleichsam mahnende Rauschen und
+Lispeln der Blätter--die Leute, die beim Eintreten sofort verstummten
+und sich erwartungsvoll, fast scheu umsahen--hier und dort, in einiger
+Entfernung, am Fuße eines mächtigen Baumstammes, ein in die Falten
+seines gelben Mantels gehüllter Asket, mit untergeschlagenen Beinen und
+in Selbstvertiefung versunken, aus der erwachend wohl dann auch dieser
+und jener sich erhob und, ohne sich umzusehen, dieselbe Richtung
+einschlug, in der alle einem noch unsichtbaren Ziele zustrebten:--alles
+dies trug einen so still erhabenen Charakter und schien davon zu zeugen,
+daß hier Geschehnisse vorgingen so seltener, ja heiliger Art, daß sich
+keine Macht in der Welt dagegen stellen dürfte, ja, daß selbst die
+Liebe, wenn sie ihre Stimme dagegen erhöbe, ihres ganzen göttlichen
+Rechtes verlustig gehen würde.
+
+So schritt ich denn entschlossen weiter, und die an Angulimala
+gerichteten Worte des Erhabenen von den vielen Menschengeschlechtern,
+die dahinleben, ohne daß ein Buddha in der Welt wäre, und von den so
+äußerst wenigen selbst unter den Zeitgenossen eines Buddha, denen es
+beschieden sei, ihn zu hören und zu sehen--diese Worte hallten mir im
+Ohre, wie das Läuten einer Tempelglocke, und ich fühlte mich wie eine
+Gebenedeite, die einem Erlebnisse entgegengeht, um welches kommende
+Geschlechter sie beneiden.
+
+Als wir die Lichtung erreichten, wo die Tempelruine stand, waren hier
+schon viele Leute versammelt, sowohl Laien wie Mönche. Sie standen in
+Gruppen verteilt, die meisten in der Nähe der Ruine, die sich uns
+gegenüber erhob. Nahe an der Stelle, wo wir die Waldwiese betraten,
+bemerkte ich eine größere Gruppe von Mönchen, unter welchen mir ein
+wahrer Riese auffallen mußte, denn er überragte auch die höchsten neben
+ihm Stehenden um Haupteslänge.
+
+Während wir uns nun umsahen, wohin wir wohl am besten unsere Schritte
+lenken sollten, trat zwischen uns und jenen Mönchen ein alter Asket aus
+dem Walde heraus. Seine hohe Gestalt hatte eine so königliche Haltung,
+und eine so heitere Ruhe strahlte aus seinen edlen Zügen, daß mir sofort
+der Gedanke kam: ob dieser Asket wohl der Sakyersohn sein sollte, den
+sie den Buddha nennen?
+
+In seiner Hand trug er einige Sinsapablätter, und an jene Mönche sich
+wendend, sprach er:
+
+"Was meint ihr, ihr Jünger, was ist mehr, diese Sinsapablätter, die ich
+in der Hand halte, oder die anderen Blätter droben im Sinsapawalde?"
+
+Und die Mönche antworteten:
+
+"Die Blätter, die der Erhabene in der Hand hält, sind wenige, und viel
+mehr sind jene Blätter droben im Sinsapawalde."
+
+"So auch," sagte er, der--wie ich jetzt wußte--der Buddha war--"so auch,
+ihr Jünger, ist das viel mehr, was ich erkannt und euch nicht verkündet,
+als das, was ich euch verkündet habe. Und warum, ihr Jünger, habe ich
+euch jenes nicht verkündet? Weil es euch keinen Gewinn bringt, weil es
+nicht den Wandel in Heiligkeit fördert, weil es nicht zur Abkehr vom
+Irdischen, zum Untergang aller Lust, zum Aufhören des Vergänglichen, zum
+Frieden, zum Nirvana führt."
+
+'So hatte also jener törichte Greis doch darin recht!' rief Kamanita.
+
+'Welcher Greis?' fragte Vasitthi.
+
+'Jener Asket, mit dem ich--wie ich dir erzählte--im Vororte Rajagahas,
+in der Halle eines Hafners, die Nacht zubrachte, die letzte meines
+Erdenlebens, Er wollte mir durchaus die Lehre des Erhabenen darlegen,
+was ihm, wie ich wohl merkte, nicht sonderlich gelang. Aber er brachte
+doch offenbar viele echte Aussprüche vor, und unter diesen eben auch
+wortgetreu, was du mir jetzt berichtet hast--sogar den Ort gab er
+richtig an und bewegte mich dadurch tief. Freilich, hätte ich geahnt,
+daß du dabei anwesend warst, dann wäre ich noch tiefer ergriffen
+worden.'
+
+'Er mag wohl selber sich unter den Anwesenden befunden haben,' sagte
+Vasitthi, jedenfalls hat er dir genau berichtet. Und der Erhabene fügte
+noch hinzu:
+
+"Und was, ihr Jünger, habe ich euch verkündet? Was das Leiden ist, habe
+ich euch verkündet. Was die Entstehung des Leidens ist, was die
+Leidensvernichtung ist, was der zur Leidensvernichtung führende Weg
+ist--dies alles habe ich euch verkündet. Darum, ihr Jünger, was ich
+offenbart habe, das lasset offenbart sein, und was ich unoffenbart
+gelassen habe, das lasset unoffenbart bleiben."
+
+Indem er diese Worte sprach, öffnete er die Hand und ließ die Blätter
+fallen. Als nun das eine wirbelnd in meine Nähe hinflatterte, nahm ich
+mir ein Herz, trat eilig hervor und fing es auf, noch bevor es die Erde
+berührt hatte, indem ich es somit gleichsam aus seiner Hand empfing--um
+dann dies unschätzbare Erinnerungszeichen an meinem Busen zu verbergen,
+ein Symbol des Wenigen, aber einzig Nötigen, das uns der Vollendete aus
+seinem unermeßlichen Wissenshort mitteilte, das mich bis zu meinem Tode
+nicht mehr verlassen sollte.
+
+Diese meine Bewegung zog die Aufmerksamkeit des Erhabenen auf mich.
+Jener riesenhafte Mönch verbeugte sich jetzt vor ihm und machte ihm
+flüsternd eine Mitteilung, worauf der Meister mich noch einmal ansah und
+dann dem Mönche einen Wink gab.
+
+Dieser trat auf uns zu.
+
+Wir verneigten uns alle tief, und ich sagte, daß ich, die Gemahlin des
+Ministers Satagira, einige geringe Gaben für den Orden der Heiligen
+mitgebracht hätte, um deren gütige Annahme ich bäte, und daß wir alle
+gekommen wären, um die Worte der Wahrheit zu vernehmen.
+
+"Tritt näher, edle Frau," sagte der Mönch--und sofort hörte ich, daß es
+Angulimala war--"der Erhabene will selber deine Gaben in Empfang
+nehmen."
+
+Wir traten alle bis auf ein paar Schritte an den Erhabenen heran und
+verneigten uns tief, ihn ehrfurchtsvoll mit den vor der Stirn
+gehaltenen, zusammengelegten Händen begrüßend, ohne daß ich ein Wort
+hervorzubringen vermochte.
+
+"Reich sind deine Gaben, edle Frau," sagte der Erhabene, "und meine
+Jünger haben wenige Bedürfnisse. Erben der Wahrheit sind sie, nicht
+Erben der Not. Aber auch die Buddhas der Vorzeit haben es so gehalten
+und gern Spenden frommer Anhänger entgegengenommen, damit diesen
+Gelegenheit werde, die Tugend des Almosengebens zu üben. Denn wenn die
+Wesen die Frucht des Gebens kennten, wie ich sie kenne, dann würden sie,
+wenn sie auch nur eine Handvoll Reis übrig hätten, diese nicht
+verzehren, ohne einem noch Ärmeren davon zu geben, und der Gedanke des
+Eigennutzes, der ihren Geist verdunkelt, würde aus ihm entweichen. So
+sei denn deine Spende vom Orden des Buddha mit Dank angenommen--eine
+lautere Spende. Denn das nenne ich eine lautere Spende, durch welche der
+Geber geläutert wird und der Empfänger auch. Und wie geschieht das? Da
+ist, Vasitthi, der Geber sittenrein, edel geartet, und die Empfänger
+sind sittenrein, edel geartet; so wird bei einer Spende der Geber
+geläutert und der Empfänger. Das ist, Vasitthi, höchste Lauterkeit der
+Spende--einer solchen, die du dargebracht hast."
+
+Darauf wandte der Erhabene sich an Angulimala:
+
+"Geh, mein Lieber, und laß diese Geschenke zu den Vorräten bringen.
+Zuerst aber weise unseren edlen Gästen Plätze an vor den Stufen des
+Tempels, denn von dort aus werde ich den heute Anwesenden die Lehre
+darlegen."
+
+Angulimala hieß die Diener warten und forderte uns auf, ihm zu folgen.
+Zuerst aber ließen wir uns alles, was wir an Blumen mitgebracht hatten,
+und auch einige schöne Teppiche herausgeben. Dann gingen wir, von unserm
+stattlichen Begleiter geführt, durch die zusammenströmende Menge, die
+uns ehrerbietig Platz machte, nach dem Tempel.
+
+Hier breiteten wir die Teppiche über die Stufen und schlangen
+Blumengewinde um die alten, verwitterten und zerbröckelten Säulen. Dann
+zerpflückten Medini und ich einen ganzen Korb voll Rosen und streuten
+die Blütenblätter über den Teppich auf der obersten Stufe, für den
+Erhabenen, darauf zu stehen.
+
+Unterdessen hatten die Versammelten sich in einem großen Halbkreise
+geordnet, die Laien links, die Mönche und Nonnen rechts vom Tempel--die
+vordersten Reihen im Grase sitzend. Und auch wir nahmen jetzt auf einer
+umgestürzten Säule Platz, nur wenige Schritte von den Stufen entfernt.
+
+Es mochten wohl etwa fünfhundert Menschen dort versammelt sein, aber
+eine fast lautlose Stille herrschte in der Runde, und man vernahm nur
+das stoßweise Rauschen und das leise Blätterlispeln des Waldes.
+
+
+
+
+XXXVI. BUDDHA UND KRISHNA
+
+
+Die untergehende Sonne schoß ihre Strahlenbündel zwischen die Stämme
+hindurch, die lautlos wartende Versammlung im Waldesgrunde gleichsam mit
+einem göttlichen Segensgruß weihend, und rosige Abendwölkchen lugten
+immer leuchtender durch die Baumwipfel, als ob draußen, aus der Bläue
+der Luft hervorschwebend, eine zweite Versammlung himmlischer Scharen
+sich bildete.
+
+Der Tempelbau vor mir trank mit seinen schwarzen, zerbröckelten Steinen
+diese letzte Sonnenglut, wie ein hinfälliger Alter einen
+Verjüngungstrank schlürft. Unter dem Zauber der rotgoldigen Lichter und
+der purpurnen Schatten belebten seine Massen sich wunderbar. Die
+schartigen Ränder der Säulenkannelüren glitzerten, die Ecken sprühten,
+die Schnecken krümmten sich, das Wellenmuster schäumte Gold, das
+Blätterwerk wuchs. Die stufenartigen Absätze des hohen Unterbaues
+entlang, um Plinthen und Kapitäle, am Gebälk und auf den Terrassen des
+kuppelförmigen Daches--überall regte es sich in wirrem Durcheinander
+seltsamer und mystischer Formen. Götter traten im Glorienschein hervor,
+mehrköpfige und vielarmige Gestalten mit üppig wuchernden, vielfach
+verstümmelten Gliedmaßen, dieser vier kopflose Hälse streckend, jener
+acht Armstümpfe schwenkend. Brüste und Hüften schwellgliedriger
+Göttinnen entschleierten sich und wälzten sich heran, und ihre runden
+Gesichter neigten sich unter der Last turmhoher diademgeschmückter
+Haaraufsätze, ein sonniges Lächeln um die vollen, sinnigen Lippen. Die
+Schlangenleiber der Dämonen wanden sich, Greifenflügel spannten sich,
+zähnefletschend grinsten grimme Unholdsfratzen; Menschenkörper
+wimmelten, Elefantenrüssel, Pferdeköpfe, Stierhörner, Hirschgeweihe,
+Krokodilkiefer, Affenmäuler und Tigerrachen taumelten in wirrem Knäuel
+durcheinander.
+
+Das war kein bildwerkgeschmückter Bau mehr: das waren lebendig gewordene
+Bildwerke, die, den Bann des Bauwerkes brechend, sich von seiner Masse
+loslösten und diese kaum noch als Stütze duldeten. Eine ganze Welt
+schien aus ihrem steinernen Schlaf erwacht zu sein und mit ihren
+Tausenden von Gestalten sich hervorzudrängen um zu lauschen--dem Manne
+zu lauschen, der dort von ihrem Schwarm umschlossen und überschattet auf
+der obersten Stufe stand, golden glänzend in den länglich herabfallenden
+Mantelfalten--er, der Lebendige, der einzig Ruhige mitten im unruhigen
+Wahnleben des Leblosen.
+
+Jetzt war es, als ob die Stille der Versammlung noch tiefer würde, ja,
+mir schien es, daß auch die Bäume ihr Blätterlispeln einstellten.
+
+Und der Erhabene hub an zu reden.
+
+Er sprach von dem Tempel, auf dessen Stufen er stand, und wo unsere
+Vorfahren jahrhundertelang Krishna angebetet hatten, um durch das
+Vorbild seines Heroenlebens zu einem heldenhaften Wirken und Dulden hier
+auf Erden aufgemuntert und durch seine Gnade gestärkt zu werden, und um
+dann nach dem Tode in sein Freudenparadies einzugehen und dort
+himmlische Wonne zu genießen. Nun aber hätten wir, die Nachkommen uns
+dort eingefunden, um aus dem Munde eines vollkommenen Buddha die Worte
+der Wahrheit zu vernehmen, um zu lernen, einen lauteren, heiligen Wandel
+zu führen, und schließlich, durch völlige Überwindung jedes Verlangens
+nach dem Vergänglichen, das Ende des Leidens zu erreichen, das Nirvana.
+So vollende er, der Buddha, der völlig Erwachte, das Werk des träumenden
+Gottes, so vollendeten wir, die Erwachsenen, was unsere Vorfahren in
+kindlich erhabenem Schwärmen begonnen hätten.
+
+"Dort seht ihr," sagte er, "wie ein trefflicher Künstler längst
+vergangener Tage den Elefantenkampf Krishnas in Stein gebildet hat"--und
+er zeigte auf ein mächtiges Reliefstück, das fast vor meinen Füßen lag,
+die eine Ecke in den Rasen bohrend, die andere auf ein halb begrabenes
+Kapital gestützt. In der letzten Sonnenglut, die den bemoosten Stein
+streifte, erkannte man noch deutlich eine Gruppe--einen Jüngling, der,
+den Fuß auf den Kopf eines gefallenen Ilfen setzend, diesem einen Hauer
+ausbricht.
+
+Und der Erhabene erzählte nun, wie der König von Mathura, der
+schreckliche Tyrann Kamsa, nachdem er Krishna zu einem Wettkampf an
+seinem Hofe eingeladen hatte, im geheimen seinem Elefantentreiber
+befahl, am Eingang des Kampfplatzes den wildesten Kriegselefanten aus
+seinem Stalle auf den ahnungslosen Jüngling zu hetzen. Wie aber dann
+dieser das Ungetüm tötete und, zum Schrecken des Königs, blutbesprengt
+und den abgebrochenen Hauer in der Hand, die Arena betrat.
+
+"Aber auch auf den Erhabenen"--so führte er weiter aus--"hatten seine
+Feinde einen wilden Elefanten gehetzt. Und beim Anblick des
+heranstürmenden Ungetüms wurde der Erhabene von Mitleid ergriffen. Denn
+das Blut strömte dem Tiere am Bug herunter aus den Wunden, die ihm die
+Lanzen der Hetzer beigebracht hatten. Noch mehr aber erfaßte ihn
+Mitleid, weil er da ein armes, in blindwütender Leidenschaft befangenes
+Wesen vor sich sah, von der Natur mit Mut und ungeheurer Kraft begabt,
+aber mit wenig Verstand versehen, und um dies Wenige durch die
+Grausamkeit schlechter Menschen gebracht, die es in einen Zustand von
+Wahnsinn gesetzt hatten, in welchem es nun gar einen Buddha umbringen
+mußte:--ein wildes, verblendetes Wesen, dem es nur schwer gelingen
+mochte, durch unendlich lange Wanderungen günstiges Menschentum zu
+erlangen und den Weg der Erlösung zu betreten. Solchermaßen von Mitleid
+ganz erfüllt, konnte der Erhabene keine Furcht empfinden, und kein
+Gedanke an eigene Gefahr konnte in ihm aufkommen. Denn er überlegte
+sich: wenn es mir gelänge, auch nur den schwächsten Lichtstrahl in diese
+stürmische Finsternis zu werfen, so würde ein solcher Lichtsamen nach
+und nach aufgehen, und wenn dann dies Wesen, durch dessen Schein
+geleitet, Menschentum erreichte, dann würde es auf Erden noch die Lehre
+des Erhabenen vorfinden, den es einst erschlug, und diese Lehre würde
+ihm zur Erlösung verhelfen.
+
+"Von diesem Gedanken erfüllt, blieb der Erhabene mitten auf der Straße
+stehen, erhob besänftigend die Hand, blickte den Wüterich liebevoll an
+und sprach milde Worte, deren Klang das Herz des Wilden erreichte. Der
+riesige Ilf stockte in seinem Sturmlauf, wiegte unschlüssig seinen
+bergähnlichen Kopf hin und her, indem er anstatt des Donnergebrülls, das
+er vorher hatte hören lassen, einige fast ängstliche Trompetenrufe
+ausstieß. Dabei bewegte er den Rüssel in der Luft suchend nach allen
+Richtungen hin und her--so wie es ein angeschossener Elefant im Walde
+tut, wenn er die Fährte seines verborgenen Feindes verloren hat und sie
+wieder aufzuwittern hofft--und in der Tat hatte dieser sich ja in seinem
+Feinde geirrt. Endlich kam er langsam bis auf einige Schritte an den
+Erhabenen heran und beugte die Kniee, wie er es vor seinem Herrn zu tun
+gewohnt war, wenn dieser ihn besteigen wollte. Und von dem bezähmten
+Elefanten gefolgt, trat der Erhabene zur Beschämung seiner Feinde in den
+Park hinein, nach welchem er eben unterwegs war.
+
+"Auf solche Weise"--so schloß der Buddha diesen Vergleich--"nimmt der
+Erhabene den Elefantenkampf Krishhas auf, vergeistigt ihn, veredelt ihn,
+vervollkommnet ihn!"
+
+Während ich dieser Erzählung lauschte--wie konnte ich da anders als an
+Angulimala denken, den Wildesten der Wilden, der noch gestern den Buddha
+hatte umbringen wollen und durch die unwiderstehliche Macht seiner
+Persönlichkeit bezähmt, ja bekehrt worden war, so daß ich ihn jetzt
+drüben in den Reihen der Mönche andächtig sitzen sah--selbst im Äußeren
+ein anderer geworden. Und so erschien es mir denn, daß die Worte des
+Erhabenen ganz besonders an mich gerichtet waren, als an die einzige
+Person--wenigstens außerhalb des Mönchskreises--die um diese Sache wußte
+und den geheimen Sinn der Rede verstehen konnte.
+
+Weiter sprach nun der Erhabene von Krishna als dem
+"sechzehntausendeinhundertfachen Bräutigam", als welchen ihn unsere
+Vorfahren hier geehrt hatten, und wieder hatte ich ein Gefühl, als ob
+dieses einen geheimen Bezug auf mich hätte, denn ich erinnerte mich ja,
+wie in jener Nacht unserer letzten Zusammenkunft die häßliche alte Hexe
+den göttlichen Heros mit diesem Namen genannt hatte, den ich nicht ganz
+ohne Herzklopfen vernahm. Mit einem leisen Anflug von Humor erzählte der
+Erhabene dann, wie Krishna von allen den Schätzen Besitz nahm, die er
+aus der Burg des Dämonenkönigs Naraka entführt hatte. 'Und an einem
+glücklichen Tage,' heißt es, 'vermählte er sich mit all den Jungfrauen,
+zu gleicher Zeit, indem er jeder einzelnen als ihr Gatte erschien.
+Sechzehntausendeinhundert aber war die Zahl seiner Frauen, und in so
+vielen einzelnen Gestalten verkörperte sich der Gott, so daß ein jedes
+Mädchen meinte: mich allein hat der Herr erwählt.'
+
+"Wenn ich aber"--also fuhr der Erhabene fort--"die Lehre verkünde und
+vor mir eine Versammlung von mehreren hundert Mönchen und Nonnen und
+Laienanhängern beiderlei Geschlechtes lauschend sitzt, denkt ein jeder
+von allen diesen Zuhörern: 'Nur für mich hat der Asket Gautama die Lehre
+verkündet.' Denn auf das einzelne Gemüt eines jeden Friedensuchenden
+richte ich da die Kraft meines Geistes, bringe es zur Ruhe, einige es,
+füge es zusammen.
+
+"So halte ich es allezeit, und auf diese Weise nehme ich den
+sechzehntausendeinhundertfachen Bräutigamsstand Krishnas auf,
+durchgeistige ihn, veredle ihn, vollende ihn."
+
+Da war es mir nun, als ob der Erhabene meine Gedanken mir abgelesen
+hätte und mir einen geheimen Verweis gäbe, auf daß ich nicht durch den
+Wahn einer bevorzugten Stellung eine verderbliche Eitelkeit in mir
+aufkommen ließe.
+
+Und der Buddha sprach nun weiter davon, wie Krishna nach dem Glauben
+unserer Vorfahren, obschon er an sich der höchste Gott war, der die
+ganze Welt trägt und erhält, dennoch durch Mitleid mit den Wesen bewegt,
+mit einem Teil seines Selbstes von seinem hohen Himmel herabstieg und
+sich als Mensch unter Menschen gebären ließ. Ihn aber, den Erhabenen,
+als er nach heißem Ringen die vollkommene Erleuchtung, die selige,
+unerschütterliche Erlösungsgewißheit sich zu eigen gemacht hatte, kam
+das Verlangen an, im Genuß dieser seligen Heiterkeit zu verharren und
+Anderen die Lehre nicht zu verkünden. "Denn dies genußsüchtige
+Geschlecht--so dachte ich--wird das Sichlosmachen von allen Gebilden,
+die Versiegung der Lebenslust, die Wahnerlöschung kaum verstehen, und
+aus der Darlegung der Lehre wird mir nur Mühe und Plage erwachsen. So
+neigte sich mein Gemüt zur Verschlossenheit, nicht zur Darlegung der
+Lehre. Und ich blickte dann noch einmal mit dem erwachten Auge in die
+Welt. Und wie man in einem Lotusweiher einige Lotusrosen sieht, die sich
+im Wasser entwickeln und unter dem Wasserspiegel bleiben, andere, die
+bis zum Wasserspiegel dringen und darauf schwimmen, und endlich
+einzelne, die über das Wasser emporsteigen und unbenetzt vom Wasser
+dastehen: also sah ich in der Welt Wesen gemeiner Art und Wesen edler
+Art und Wesen der edelsten Art. Und ich dachte: Ohne Gehör der Lehre
+verlieren sie sich: diese werden die Lehre verstehen. Und aus Mitleid
+mit den Wesen entschloß ich mich dazu, auf den ungetrübten Besitz der
+seligen Nirvanaruhe zeitweilig zu verzichten und der Welt die Lehre zu
+verkünden.
+
+"So nimmt ein vollkommener Buddha Krishnas Herabsteigen vom Himmel und
+sein Menschwerden auf, verinnigt es, verklärt es, vollendet es."
+
+Da kam mir ein Gefühl unsagbarer Freude, denn ich wußte, daß der Buddha
+mich zu den Lotusrosen zählte, die aus der Wassertiefe bis zur
+Spiegelfläche gedrungen sind, und daß ich durch seine Hilfe einst mich
+darüber emporheben und frei dastehen würde, unbenetzt von der Materie.
+
+Und der Erhabene erzählte die Heroentaten Krishnas, durch welche er zum
+Heile der Wesen die Welt von Unholden und bösen Herrschern befreite,
+indem er die Schlange der Gewässer Koliya bezwang, den stiergestaltigen
+Dämon Aristha erschlug, die verheerenden Unholde Dhenuka und Kishi und
+den Dämonenfürsten Naraka vernichtete, die bösen Könige Kamsa und
+Paundraka und andere blutige Tyrannen, den Schrecken hilfloser Menschen,
+besiegte und tötete und so auf mannigfache Weise das leidige Los der
+Menschen linderte. Der Erhabene aber bekämpfe nicht die Feinde, die von
+außen die Menschen bedrohen, sondern die Unholde in seinem eigenen
+Herzen: Gier, Haß und Irrwahn, Eigenliebe, Lustverlangen, Durst nach
+Vergänglichem; und er befreie nicht die Menschheit von diesem und jenem
+Ungemach, sondern vom Leiden.
+
+Vom Leiden sprach dann der Gesegnete, wie es überall und immer dem Leben
+als sein Schatten folgt. Da war es mir, als ob eine milde Hand mein
+eigenes Liebesleiden aufhöbe, von mir wegnähme, und es in die große
+Leidensmasse hineinwürfe, wo es in dem allgemeinem Strudel meinem Blick
+entschwand. Innig tief empfand ich, daß ich da kein Recht auf dauerndes
+Glück habe, wo Alle leiden. Ich hatte mein Glück genossen: es war
+entstanden, hatte sich entfaltet und war vergangen, wie uns der Buddha
+lehrte, daß Alles in dieser Welt durch eine Ursache entsteht und nach
+Verlauf seiner Zeit--über kurz oder lang--wieder vergehen muß; und daß
+eben diese Vergänglichkeit, in welcher die Wesenlosigkeit eines jeden
+Dinges sich entschleiert, der letzte unaufhebbare Grund des Leidens
+sei--unaufhebbar, solange die Daseinslust unausgerottet fortwuchert und
+immer Neues entstehen läßt. Ja, wie ein jeder an diesem Weltleiden schon
+durch sein Dasein mitschuldig ist, so müsse ich--kam es mir vor--wenn
+ich von Schmerz verschont geblieben wäre, mich jetzt doppelt schuldig
+fühlen und ein Verlangen empfinden, auch mein Teil zu tragen. So konnte
+ich denn nicht mehr mein eigenes Los bejammern, vielmehr wurde bei
+seinen Worten der Gedanke in mir wach: "O, daß doch alle Wesen nicht
+länger zu leiden hätten! daß doch diesem Heiligen sein Erlösungswerk so
+gelänge, daß sie Alle, Alle entsündigt und erleuchtet, das Ende alles
+Leidens erreichten!"
+
+Und auch von diesem Ende des Leidens und der Welt, von der Überwindung
+jeder Daseinsform, von der Erlösung in wunschloser Gleichmütigkeit, von
+der Wahnerlöschung, von Nirvana sprach nun der Meister--seltsame,
+wunderbare Worte von der einzigen Insel im wogenden Meere des Werdens,
+dessen Todesbrandung machtlos an ihrem Felsenufer zerschäumte, und nach
+welcher die Lehre des Vollendeten wie ein sicheres Fahrzeug
+hinüberführe. Und er sprach von dieser seligen Stätte des Friedens,
+nicht wie Einer spricht, der uns erzählt, was er von Anderen--von
+Priestern--gehört hat, und auch nicht wie ein Sänger, der seine
+Einbildungskraft schweifen läßt, sondern wie Einer, der Selbsterlebtes
+und Geschautes mitteilt.
+
+Vieles freilich sagte er dabei, was ich, die ungelehrte Frau, nicht
+verstand, und was wohl selbst dem Gelehrtesten nicht leicht verständlich
+gewesen wäre, Manches vermochte ich nicht miteinander zu verknüpfen,
+denn hier war Sein und Nichtsein zugleich, nicht Leben und doch noch
+weniger Leblosigkeit. Mir war aber zu Mute, wie einem, der ein neues,
+allen anderen unähnliches Lied hört, von dem er nur wenige Worte
+auffassen kann, während die Töne ihm Alles sagend ins Herz dringen. Und
+welche Töne! Töne von solch kristallener Reinheit, daß alle anderen
+dagegen gehalten, Einem wie leeres Geräusch vorkommen mußten, Klänge,
+die von so fern her, von solch überweltlichen Höhen herübergrüßten, daß
+eine neue, ungeahnte Sehnsucht erweckt wurde, von der man fühlte, daß
+sie von nichts Irdischem oder Erdenähnlichem jemals gestillt werden
+könnte, und daß sie ungestillt nie mehr ganz schwinden würde.
+
+Unterdessen war es völlig Nacht geworden. Das schwache Licht des Mondes,
+der hinter dem Tempel aufging, warf dessen Schatten quer über die ganze
+Waldwiese. Kaum sah man noch die Gestalt des Redners. Diese
+übermenschlichen Worte schienen aus dem Heiligtum selber herauszutönen,
+das alle die tausende wilden und wirren, lebentäuschenden Gestalten
+wieder in seine Schattenmasse verschlungen hatte und in einfachen,
+wuchtigen Formen sich auftürmte--ein Grabmal alles irdischen und
+himmlischen Lebens.
+
+Die Hände um die Kniee gefaltet, saß ich lauschend da und blickte zum
+Himmel empor, wo große Sterne über den dunkeln Baumwipfeln funkelten.
+Leuchtend durchquerte ihn die himmlische Ganga. Da gedachte ich jener
+Stunde, als wir beide hier an derselben Stelle feierlich die Hände zu
+ihr emporhoben und bei ihren silbernen Fluten, die diese Lotusteiche
+speisen, uns zuschworen, hier, im Paradiese des Westens, uns
+wiederzusehen--in einem Freudenhimmel, gleich demjenigen Krishnas, von
+welchem jetzt auch der Erhabene sprach, als von dem Orte, dem die
+Gläubigen zustrebten. Und als ich daran dachte, wurde mir wehmütig ums
+Herz, aber ich konnte kein Verlangen in mir spüren nach einem solchen
+Paradiesleben--denn ein Schimmer von etwas unendlich Höherem hatte mein
+Auge erleuchtet.
+
+Und ohne Enttäuschung, ohne schmerzliche Bewegung, wie etwa bei Einem,
+dem die teuerste Hoffnung zerstört wird, vernahm ich die Worte des
+Erhabenen:
+
+"Alles Entstandene auflösend weht dahin der Verwesung Hauch,
+Wie ein irdischer Prachtgarten welken Paradiesblumen auch."
+
+
+
+XXXVII. PARADIESWELKEN
+
+
+"Ja, mein Freund," fügte Vasitthi hinzu, "ohne Enttäuschung vernahm ich
+jene Worte, die dir so hoffnungsvernichtend erschienen, wie ich jetzt
+ohne Schmerz, ja sogar mit Freude sehe, wie hier ringsum die Wahrheit
+dieser Worte zur Wirklichkeit wird."
+
+Während der Erzählung Vasitthis war in der Tat das Welken langsam, aber
+unaufhaltsam fortgeschriten, und es konnte nunmehr nicht der leiseste
+Zweifel bestehen, daß alle diese Wesen und ihre Umgebungen dem Untergang
+und der völligen Auflösung entgegensiechten.
+
+Die Lotusrosen hatten schon mehr als die Hälfte ihrer Kronenblätter
+gefällt, und das Wasser glitzerte nur noch spärlich hervor zwischen
+diesen bunten Schifflein, jeden Augenblick in Zittern versetzt durch das
+Fallen eines Blattes. Auf ihren schmuckberaubten Blumenthronen saßen die
+Gestalten in mehr oder weniger zusammengesunkenen Stellungen; diesem war
+der Kopf vornüber auf die Brust, jenem seitlings auf die Schulter
+gesunken, und wie Fieberschauer durchzuckte es sie jedesmal, wenn ein
+fröstelndes Schaudern die schon gelichteten Wipfel der Haine durchlief,
+so daß Blüten und Blätter herniederregneten. Traurig gedämpft, und immer
+häufiger von schmerzlichen Dissonanzen durchzogen, klang die Musik der
+himmlischen Genien; tiefe Seufzer und angstvolles Stöhnen mischten sich
+hinein. Alles, was geleuchtet hatte--Gesichter und Gewänder der Seligen
+und der Genien, Wolken und Blumen--, sie alle verloren mehr und mehr
+ihren Glanz, und ein bläulicher Dämmerungsnebel schien seine Fäden um
+die Fernen zu spinnen. Aus dem frischen Blumenduft, der vorher so
+herzerquickend Alles durchhaucht hatte, war aber jetzt allmählich ein
+atembeklemmender und sinnenbetäubender, einschläfernder Geruch geworden.
+
+Und Kamanita zeigte umher mit einer matten Handbewegung:
+
+"Wie kann man denn, Vasitthi, an einem solchen Anblick Freude
+empfinden?"
+
+"Deshalb, mein Freund, kann ich mich über diesen Anblick freuen, weil,
+wenn dies Alles dauerhaft und unvergänglich wäre, es kein Höheres gäbe.
+Nun aber gibt es ein Höheres, denn dies vergeht--und es gibt ein
+Unvergängliches, Unentstandenes. Das eben nennt der Erhabene "Freude der
+Vergänglichkeit", und deshalb sagt er: 'Wenn du den Untergang des
+Erschaffenen erkannt hast, dann kennst du das Unerschaffene'."
+
+Durch diese zuversichtlichen Worte belebten sich die Züge Kamanitas, wie
+eine vor Trockenheit hinwelkende Blume sich unter dem Regen erholt.
+
+"Gepriesen seist du, Vasitthi! zu meinem Heile bist du mir gegeben. Ja,
+ich fühle es: darin nur haben wir gefehlt, daß unsere Sehnsucht nicht
+hoch genug gezielt hat. Denn wir ersehnten uns ja dies Leben in einem
+Blumenparadiese. Und Blumen müssen freilich, ihrer Natur nach,
+verwelken. Unvergänglich aber sind die Sterne; nach ewigen Gesetzen
+wandeln sie ihre Bahnen. Und sieh dort, Vasitthi, während alles andere
+die blassen Spuren des Verfalles zeigt, gießt jenes Flüßchen--ein Zweig
+der himmlischen Ganga--sein Wasser ebenso sternenklar und ebenso
+reichlich wie je in unseren Teich--weil es eben von der Sternenwelt
+kommt. Wer das erreichen könnte, unter den Sternengöttern wieder ins
+Dasein zu treten, der wäre über den Kreislauf des Vergänglichen
+erhaben."
+
+"Warum sollten wir das nicht erreichen können?" fragte Vasitthi. "Denn
+ich habe ja von Mönchen gehört, die ihren Sinn und ihr Herz darauf
+richteten, im Reiche des hunderttausendfachen Brahma wiederzukehren. Und
+auch jetzt kann es noch nicht zu spät sein, wenn das alte Wort aus dem
+hohen Liede wahr ist:
+
+'Das Sein, an welches denkend er aus diesem Leibe scheidet,
+In dieses Sein wird jedesmal er drüben eingekleidet'."
+
+"Vasitthi! du gibst mir jenen übermenschlichen Mut! Wohlan, wir wollen
+unser ganzes Sinnen darauf richten, im Reiche des hunderttausendfachen
+Brahma wieder ins Dasein zu treten."
+
+Kaum hatten sie diesen Entschluß gefaßt, so brauste ein mächtiger
+Sturmwind durch die Haine und über die Teiche. Blüten und Blätter
+wirbelten haufenweise dahin, die Lotusthronenden duckten sich und zogen
+stöhnend den Mantel dichter um die zitternden Glieder.
+
+Wie aber Einer, der in der eingeschlossenen, düftegesättigten Luft eines
+Zimmers am Ersticken ist, wenn der frische Meerwind, salzig von den
+Fluten des Ozeans, durch das geöffnete Fenster hereinweht, diesen aus
+voller Brust atmet und sich neu belebt fühlt: also wurde Kamanita und
+Vasitthi zu Mute, als ihnen jener Duft des völlig Reinen
+entgegenströmte, den sie einst am Gestade der himmlischen Ganga geatmet
+hatten.
+
+"Merkst du's?" fragte Vasitthi.
+
+"Ein Gruß von der Ganga. Und horch, sie ruft," sagte Kamanita.
+
+Denn die klagende Sterbeweise der Genien wurde jetzt durch jene
+feierlichen, donnerähnlichen Klänge übertäubt.
+
+"Gut, daß wir schon den Weg kennen," jubelte Vasitthi. "Fürchtest du
+dich noch, mein Freund?"
+
+"Wie sollte ich mich fürchten? Komm!"
+
+Und wie ein Vogelpaar sich aus dem Neste stürzt und dem Winde
+entgegenfliegt, also flogen sie von dannen.
+
+Alle starrten ihnen nach, verwundert, daß es hier noch Wesen gäbe, die
+Kraft und Mut zu einem Fluge besäßen.
+
+Als sie aber so dem Winde entgegenflogen, entstand ein Wirbelsturm, der
+hinter ihnen Alles entblätterte und entseelte, dem hinsiechenden Leben
+Sukhavatis ein Ende machend.
+
+Bald war der Palmenwald erreicht, bald durchflogen. Vor ihnen breitete
+sich die silbrige Fläche des Weltenstromes bis zum schwarzblauen
+Himmelsrande.
+
+Sie schwebten über seine Fluten hinaus, und sofort wurden sie von der
+dort herrschenden Luftströmung erfaßt und im Sturmesflug davongetragen.
+Durch die Schnelligkeit der Fahrt und unter dem mächtigen Getöse wie von
+Donner und Glockengeläute schwanden ihnen die Sinne.
+
+
+
+
+XXXVIII. IM REICHE DES HUNDERTTAUSENDFACHEN BRAHMA
+
+
+Und Kamanita und Vasitthi traten wieder ins Dasein, im Reiche des
+hunderttausendfachen Brahma, als die Götter eines Doppelgestirns.
+
+Der leuchtende Astralstoff, an den die geistige Wesenheit Kamanitas
+gebunden war, umhüllte gleichmäßig den Himmelskörper, der von seiner
+Kraft belebt, von seinem Willen gelenkt wurde. Durch diesen Willen wurde
+der Stern zunächst um seine Achse gedreht, und diese Bewegung war sein
+Eigenleben, war seine Selbstliebe.
+
+Und er spiegelte sich im Glanze Vasitthis und spiegelte ihren Glanz
+wider. Strahlenwechselnd umkreisten sie einen Mittelpunkt, wo sich ihre
+Strahlen sammelten. Dieser Punkt war ihre Liebe, das Kreisen darum war
+ihr Liebesleben, und daß sie sich dabei ineinander spiegelten--das war
+ihre Liebeswonne.
+
+Allseitig Auge, schaute jeder von ihnen gleichzeitig nach allen
+Richtungen des unendlichen Raumes. Und überall sahen sie zahllose
+Sternengötter, wie sie selber, deren Strahlenblicke sie empfingen und
+erwiderten. Da war zunächst eine Anzahl, die mit ihnen zusammen eine
+Gruppe für sich bildeten; daneben andere Gruppen, die mit der ihrigen
+zusammen ein ganzes Weltsystem ausmachten; ferner andere Systeme, die
+sich zu einer Kette von Systemen verbanden, und weiter noch mehrere
+Ketten, und Ringe von Ketten, und Sphären von Kettenringen. Und Kamanita
+und Vasitthi lenkten nun ihr Doppelgestirn in harmonischem Fluge unter
+den anderen Sternen und Doppelgestirnen ihrer Gruppe, indem sie, wie in
+einem wohlgeordneten Tanzreigen, ihren Nachbarn weder zu nahe kamen,
+noch sich zu weit von ihnen entfernten, während alle gegenseitig, durch
+eine gewisse Sympathie, einander die genaue Richtung und das rechte Maß
+der Bewegung mitteilten. Dabei bildete sich aber auch gleichsam ein
+gemeinsamer Wille, der ihre ganze Gruppe in die Bewegung der Gruppen
+ihres Systems einlenkte, welches dann wiederum auf dieselbe Weise unter
+seinesgleichen sich weiterbewegte.
+
+Und diese Teilnahme am ungeheuren, schwebenden Tanze der Weltkörper,
+diese gemeinsame und endlos vielfältige Wechselbewegung--das war ihre
+Weltangehörigkeit, ihr Außenleben, ihre Alles umfassende und
+durchdringende Nächstenliebe.
+
+Was aber hier Harmonie der Bewegung ist, das erscheint den unterhalb der
+Sternengötter weilenden Luftgöttern als Harmonie der Klänge; durch
+Teilnahme an ihrem Genüsse ahmen die himmlischen Genien in den
+Paradiesen diese Harmonien in ihren wonnigen Weisen nach, und indem ein
+schwacher Abklang von diesen bisweilen bis an die Erde dringt--so
+schwach, daß er nur von den geistigen Ohren der Erwachten aufgefangen
+wird--reden die Seher rätselhaft von der Harmonie der Sphären, und die
+großen Künstler der Musik schaffen nach, was sie in ihrer Begeisterung
+sich erlauscht haben; und dies ist das höchste Entzücken der
+Menschenkinder. Aber wie das Sein zu dem immer trüber werdenden Schein
+sich verhält--also verhält sich zu diesem Entzücken der Menschen über
+Klänge und Töne und Weisen die Daseinswonne der Sternengötter.
+
+Denn eben dies ist ihre Lebenslust, ihre Daseinswonne.
+
+Aber alle diese Bewegungen, diese ungeheuren Reigen der Weltsysteme,
+umkreisten ein einziges Wesen: den in der Mitte des Weltganzen
+thronenden hunderttausendfachen Brahma, dessen unermeßlicher Glanz alle
+Sternengötter durchdrang, und dem sie alle den Glanz wieder
+zurückstrahlten, wie so viele Spiegel seiner Herrlichkeit; dessen
+unerschöpfliche Kraft, wie eine nie versiegende Quelle, ihnen allen ihre
+Bewegung mitteilte, und in dem sich ihre Bewegungen alle konzentrierten.
+
+Und dies war ihr Brahmadurchdrungensein, ihre Gemeinschaft mit dem
+höchsten Gott, ihr Gebenedeitsein, ihre Anbetung, ihre Seligkeit.
+
+Wenn sie aber in Brahma den Alles sammelnden Mittelpunkt hatten, so war
+diese Brahmawelt auch, obschon unendlich, dennoch gleichsam begrenzt.
+Wie das Auge des Menschen schon in uralten Zeiten ahnend am
+Himmelsgewölbe einen "Tierkreis" entdeckt hat, so sahen die
+Sternengötter hier unzählige Tierkreise in- und umeinander
+beschrieben--eine ganze Sphärenfläche von Bildern webend, indem die
+fernsten Sternengruppen zu leuchtenden Figuren zusammenschmolzen.
+Ineinanderstrahlend, auseinanderleuchtend, erschienen da Gestalten,
+Astralformen aller Wesen, die auf den Weltkörpern oder zwischen ihnen
+leben und weben, bleibende Urbilder alles dessen, was, in die groben
+Elemente sich hüllend, unaufhörlich entsteht und vergeht im wandelbaren
+Flusse des Werdens.
+
+Und dies Schauen der Urbilder war ihr Weltwissen.
+
+Dieweil sie aber alläugig, ohne von diesem fort auf jenes hinzusehen,
+ohne zu blinzeln, mit einem Blicke die Einheit Gottes und die Vielheit
+der Weltwesen erschauten: fiel für sie Gottesweisheit und Weltwissen in
+Eins zusammen. Wenn nämlich ein Mensch auf die göttliche Einheit den
+Blick richtet, dann entschwindet ihm die Gestaltenvielheit der
+Wandelwelt; und wiederum, wenn er diese betrachtet, kann er die Einheit
+nicht mehr festhalten. Somit bleibt sein Wissen ein zerstückeltes, immer
+schwankendes, ein von Zweifel fortwährend bedrohtes Wissen. Sie aber
+sahen auf einmal Zentrum und Kreis, und deshalb war ihr Wissen ein
+einheitliches, nimmer schwankendes, von keinem Zweifel bedrohtes Wissen.
+
+Durch diese ganze leuchtende Brahmawelt floß nun die Zeit still und
+unbemerkbar. Wie man einem ruhig und gerade dahinfließenden, völlig
+klaren Strome, dessen Flut von keinem Widerstand irgendwie gehemmt oder
+gebrochen wird, die Bewegung nicht ansieht: ebenso war die Flut der Zeit
+hier unmerkbar, weil sie von keinen aufsteigenden und absteigenden
+Gedanken und Gefühlen Widerstand erfuhr.
+
+Diese Unmerkbarkeit des Zeitverlaufs war ihre Ewigkeit.
+
+Und diese Ewigkeit war ein Wahn.
+
+So war denn auch Alles, was sie in sich befaßte: ihr Wissen, ihre
+Gottseligkeit, ihre Daseinswonne, ihr Weltleben, ihr Liebesleben und ihr
+Eigenleben in Wahn getaucht, mit der Farbe des Wahns behaftet.
+
+
+
+
+XXXIX. WELTENDÄMMERUNG
+
+
+Denn es geschah einmal, daß in Kamanita ein Gefühl von Unbehagen, von
+Mangel aufstieg.
+
+Da richtete er unwillkürlich seine Aufmerksamkeit auf den
+hunderttausendfachen Brahma, als die Quelle aller Fülle. Aber jene
+Empfindung wurde dadurch nicht verscheucht, sondern nahm von
+Jahrtausend-Dekade zu Jahrtausend-Dekade fast bemerkbar zu.
+
+Denn durch jenes aufsteigende Gefühl war der bisher unmerkbar stille
+Strom der Zeit auf Widerstand gestoßen, wie durch eine auftauchende
+Insel, an deren Felsenriff er jetzt schäumend vorüberflutete. Und es
+entstand sofort ein "Vorher" und ein "Nachher"--wie in einem Flusse
+durch ein auftauchendes Riff ein "vor" und "nach" der Stromschnelle
+entsteht.
+
+Und es schien Kamanita, als ob der hunderttausendfache Brahma jetzt
+nicht ganz so klar leuchte, wie vorher.
+
+Nachdem er aber fünf Millionen Jahre den Brahma betrachtet hatte, kam es
+ihm vor, als ob er ihn jetzt schon lange beobachtet habe, ohne Gewißheit
+zu erlangen.
+
+Und er richtete seine Aufmerksamkeit auf Vasitthi.
+
+Da wurde er inne, daß auch sie aufmerksam den Brahma beobachtete.
+
+Da geriet er in Bestürzung. Mit dieser Bestürzung kamen die Gefühle. Mit
+den Gefühlen kamen die Gedanken, mit den Gedanken kam die
+Gedankensprache.
+
+Und er sprach:
+
+"Vasitthi, siehst du es auch? Was ist es mit dem hunderttausendfachen
+Brahma?"
+
+Nach hunderttausend Jahren antwortete Vasitthi:
+
+"Das ist es mit dem hunderttausendfachen Brahma, daß sein Glanz
+abnimmt."
+
+"Mir will es auch so scheinen," sagte Kamanita nach Ablauf einer
+gleichen Zeit "Freilich kann das ja nur eine vorübergehende
+Erscheinung sein. Aber schon das kommt mir wunderlich vor, daß am
+hunderttausendfachen Brahma überhaupt eine Veränderung stattfinden
+kann."
+
+Nach geraumer Weile, nach einigen Millionen Jahren, sprach Kamanita
+weiter:
+
+"Ich weiß nicht, ob ich vielleicht geblendet bin. Bemerkst du etwa,
+Vasitthi, daß der Glanz des hunderttausendfachen Brahma wieder zunimmt?"
+
+Nach fünfmal hunderttausend Jahren antwortete Vasitthi:
+
+"Der Glanz des hunderttausendfachen Brahma nimmt nicht zu, sondern nimmt
+stätig ab."
+
+Wie ein Stück Eisen, das, weißglühend aus dem Schmiedeofen
+genommen, bald danach rotglühend wird: also hatte der Glanz des
+hunderttausendfachen Brahma jetzt einen rötlichen Schein bekommen.
+
+"Mich wundert, was das wohl zu bedeuten hat," sagte Kamanita.
+
+"Das hat es zu bedeuten, mein Freund, daß der Glanz des
+hunderttausendfachen Brahma im Erlöschen begriffen ist."
+
+"Unmöglich, Vasitthi, unmöglich! Was würde dann aus dem Glänze und der
+Herrlichkeit dieser ganzen Brahmawelt werden?"
+
+"Daran hat er gedacht, als er sagte:
+
+'Bis in den höchsten Lichthimmel drängt das Leben sich--und zerfällt.
+Wisset, einmal erlischt gänzlich auch der Glanz einer Brahmawelt'"
+
+Schon nach einigen tausend Jahren erfolgte die ängstlich überstürzte
+Frage Kamanitas:
+
+"Wer hat denn diesen schrecklichen, diesen weltzermalmenden Ausspruch
+getan?"
+
+"Wer sonst, als er, der Erhabene, der Weltkenner, der Vollendete, der
+Buddha."
+
+Da wurde Kamanita nachdenklich.
+
+Eine geraume Zeit überlegte er sich diese Worte und erinnerte sich an
+manches.
+
+Da sprach er:
+
+"Einst schon, o Vasitthi, in Sukhavati, im Paradiese des Westens,
+sagtest du einen Spruch des Buddha her, der sich vor unseren Augen
+erfüllte. Und ich besinne mich, wie du dort eine ganze Rede von ihm, dem
+Erhabenen, mir treu berichtetest, in welcher jener Spruch vorkam. Dies
+weltzermalmende Wort aber war darin nicht enthalten. So hast du denn, o
+Vasitthi, noch andere Reden vom Erhabenen gehört?"
+
+"Viele, mein Freund, denn mehr als ein halbes Jahr verbrachte ich
+täglich in seiner Nähe. Ja, auch sogar die letzten von ihm geäußerten
+Worte habe ich vernommen."
+
+Kamanita sah sie mit Bewunderung und Ehrfurcht an. Dann sprach er:
+
+"So bist du eben deshalb, wie ich meine, das weiseste Wesen in dieser
+ganzen Brahmawelt. Denn alle diese Sternengötter ringsum sind in
+Bestürzung geraten, leuchten unstät, flackern und blinken; und auch der
+hunderttausendfache Brahma selber ist unruhig geworden, und aus seinem
+trüberen Glänze zucken dann und wann gleichsam Zornesblitze hervor. Du
+aber leuchtest ruhig, wie eine Lampe an windstillem Ort. Und auch das
+ist ein Zeichen der Störung, daß die Bewegung dieser Himmelskörper jetzt
+hörbar wird--wie wir einst, fern von hier, im Paradiese am Gestade der
+himmlischen Ganga stehend, donnerartige Klänge und mächtige Töne wie von
+fernem Glockengeläute aus dieser Brahmawelt vernahmen, so hören wir es
+jetzt von allen Seiten. Das deutet darauf, daß die Harmonie der
+Bewegungen gestört ist, daß Entzweiung und Auseinandertreten der Kräfte
+sich einstellt. Denn richtig heißt es ja: 'Wo Mangel ist, wird Lärm
+erzeugt, die Fülle ist in sich gefaßt.' Und so zweifle ich nicht daran,
+daß du recht hast. Wohlan, Vasitthi, während ringsum uns nun diese
+Brahmawelt erlischt und der Vernichtung anheimfällt, teile du mir deine
+Erinnerungen an den Vollendeten mit, damit ich ruhig werde wie du. Teile
+mir Alles aus deinem Leben mit! denn wohl mag es sein, daß wir zum
+letzten Male an einem Orte vereinigt sind, wo Geschehnisse von Geist zu
+Geist sich mitteilen lassen, und noch bleibt es mir unerklärlich, wie
+Angulimala bei mir in Ujjeni erschien, obwohl ich über sein Asketentum
+aufgeklärt wurde. Jene seine Erscheinung aber gab den Anstoß zu meinem
+Pilgergang, war die Ursache, daß ich nicht auf abschüssige Pfade kam,
+sondern im Paradiese des Westens auferstand, um von dort aus, durch
+deine Hilfe, zu dieser höchsten Himmelswelt emporzusteigen, wo wir
+unermeßliche Zeiträume hindurch göttliches Leben genossen haben. Es ahnt
+mir aber, daß auch jener Anstoß zu meiner Pilgerschaft von dir ausging.
+Dies nun, vor allem aber auch, wie es kam, daß du zu meinem Heile im
+Paradiese erschienst und nicht an einem weit höheren Orte der Seligkeit
+wieder ins Dasein tratest, möchte ich nun erfahren."
+
+Und während von Jahrhunderttausend zu Jahrhunderttausend die zunehmende
+Trübung des Brahmaglanzes immer bemerkbarer wurde und die Sternengötter
+immer mehr erblaßten;
+
+während diese immer unruhiger flackerten und sprühten, und aus dem
+trüber werdenden Glutkreise des Brahma ungeheure Flammenstreifen
+hervorschossen und durch den ganzen Raum hin und her fegten, als ob der
+Gott mit hundert Riesenarmen nach dem unsichtbaren Feinde suchte, der
+ihn bedrängte;
+
+während durch die gestörten Bewegungen der Himmelskörper sich
+Wirbelströmungen erhoben, die ganze Sternensysteme aus dem Brahmareiche
+hinausrissen, an deren Stelle dann die Finsterniswelle des leeren Raumes
+hereinbrach, wie das Meerwasser da hereinstürzt, wo das Schiff einen
+Leck bekommen hat;
+
+und während an anderen Stellen Systeme ineinander gerieten und ein
+Weltbrand sich entzündete, dessen Explosionen Garben von Sternschnuppen
+bis in den Glutschlund des Brahma schleuderten;
+
+während die Donnerschläge der zusammenbrechenden und
+ineinanderstürzenden Harmonien--das Todesröcheln der Sphärenmusik--immer
+furchtbarer von Himmelsgegend zu Himmelsgegend rollten und
+widerhallten:--
+
+teilte Vasitthi unverstört, in gemessener Weise, Kamanita ihre letzten
+irdischen Erlebnisse mit.
+
+
+
+
+XL. IM KRISHNAHAIN
+
+
+Seit jenem ersten Abend versäumte ich keine Gelegenheit, um den
+Krishnahain zu besuchen und durch die Worte des Erhabenen oder eines
+seiner großen Schüler tiefer in die Lehre eingeführt zu werden.
+
+Während mein Gemahl nun noch abwesend war, stieg die Furcht der Bürger
+Kosambis vor dem Räuber Angulimala von Tag zu Tag. Gerade dadurch, daß
+von neuen Taten nichts verlautete, wurde die Phantasie aufgeregt.
+Plötzlich verbreitete sich das Gerücht, Angulimala wolle eines Abends
+den Krishnahain überfallen und die dort zum Besuch versammelten Bürger,
+ja wohl gar den Buddha selbst entführen. Dadurch steigerte sich die
+Erregung der Gemüter fast bis zum Aufruhr. Man sagte sich, daß, wenn
+durch verruchte Räuberhände dem Erhabenen vor Kosambi ein Leid geschähe,
+dann würde der Zorn der Götter die ganze Stadt treffen.
+
+Ungeheure Menschenmengen wogten durch die Straßen, und, vor dem
+königlichen Palast sich sammelnd, verlangten sie drohend, daß König
+Udana dies Unheil abwenden und Angulimala unschädlich machen solle.
+
+Am folgenden Tage kehrte Satagira zurück.
+
+Er überhäufte mich sofort mit Lob wegen meines guten Rats, dem er es
+allein danken wollte, daß er heil nach Hause kam. Vajira, seine zweite
+Frau, die mit ihrem Söhnlein auf dem Arm erschien, um ihn zu
+bewillkommnen, wurde kurz abgefertigt: er habe mit mir noch Wichtiges zu
+besprechen.
+
+Als wir nun wieder allein waren, fing er zu meinem unsagbaren Unbehagen
+sofort an, von seiner Liebe zu reden, wie er mich unterwegs vermißt, wie
+sehr er sich auf diese Stunde des Wiedersehens gefreut habe.
+
+Schon wollte ich von den Unruhen in der Stadt erzählen, um ihn auf
+andere Gedanken zu bringen, als der Kämmerer gemeldet wurde, der ihn zum
+König rief.
+
+Nach etwa einer Stunde kehrte er zurück--ein anderer Mensch. Blaß, mit
+verstörten Zügen trat er bei mir ein, warf sich auf eine Bank und rief,
+er sei der unglückseligste Mann im ganzen Reiche, eine gefallene Größe,
+bald ein Bettler, wenn nicht gar Kerker oder Verbannung ihm drohe, und
+an seinem ganzen Unglück sei seine grenzenlose Liebe zu mir schuld, die
+ich nicht einmal erwidere. Auf meine wiederholte Aufforderung, mir doch
+zu sagen, was geschehen sei, beruhigte er sich endlich so weit, daß er,
+unter vielen Verzweiflungsausbrüchen und während er sich fortwährend die
+Schweißtropfen von der Stirn trocknete, mir den ganzen Vorgang im
+Palaste berichten konnte.
+
+Der König hatte ihn sehr ungnädig empfangen und ohne etwas von dem
+geschlichteten Dorfstreit hören zu wollen, ihm unter Drohungen geboten,
+die volle Wahrheit über Angulimala einzugestehen, die Satagira jetzt
+auch mir beichten mußte, ohne zu ahnen, wie gut ich schon davon
+unterrichtet war. Übrigens sah er darin nur einen Beweis seiner
+"grenzenlosen Liebe" zu mir, und erwähnte meine Liebe zu dir leichthin
+als eine törichte Jugendschwärmerei, die ja jedenfalls zu nichts geführt
+hätte.
+
+Die Sache war aber auf folgende Weise dem König zu Ohren gekommen.
+
+Während der Abwesenheit Satagiras war es der Polizei gelungen, den
+Helfershelfer Angulimalas aufzuspüren, und dieser hatte im peinlichen
+Verhör bekräftigt, daß jener Räuber wirklich Angulimala selber sei, der
+damals nicht, wie der Minister immer behauptet hatte, auf der Folter
+gestorben, sondern entflohen wäre; auch jenen Anschlag Angulimalas auf
+den Krishnahain hatte er bekannt. Der Fürst war natürlich aufs höchste
+darüber erzürnt, daß Satagira seinerzeit den furchtbaren Räuber hatte
+entschlüpfen lassen und dann ganz Kosambi und seinen König durch einen
+aufgesteckten falschen Kopf betrogen hatte; er wollte auf keine Worte
+der Verteidigung oder auch nur der Entschuldigung hören. Wenn Satagira
+nicht binnen drei Tagen Angulimala unschädlich machte--wie es das Volk
+so stürmisch verlangte--dann würden ihn alle Folgen der fürstlichen
+Ungnade aufs empfindlichste treffen.
+
+Nachdem Satagira dies erzählt hatte, warf er sich weinend auf die Bank,
+raufte sich die Haare und gebärdete sich wie ein Wahnsinniger.
+
+"Sei getrost, mein Gemahl," sagte, ich. "Folge meinem Rate, und nicht
+erst in drei Tagen, sondern noch heute sollst du wieder im Besitz der
+fürstlichen Gunst sein, ja nicht nur das, sondern diese wird noch
+strahlender über dich leuchten denn je zuvor."
+
+Satagira setzte sich auf und sah mich an, wie man wohl ein Naturwunder
+anstaunt.
+
+"Und wozu rätst du mir denn?"
+
+"Du sollst zum König zurückkehren und ihn überreden, sich nach dem
+Sinsapawalde vor der Stadt zu begeben, dort am alten Tempel den Buddha
+aufzusuchen und ihn um Rat zu fragen. Der Rest wird dann von selber
+folgen."
+
+"Du bist eine kluge Frau," sagte Satagira. "Jedenfalls ist dieser Rat
+sehr gut, denn jener Buddha soll ja der weiseste aller Menschen sein.
+Wenn es auch schwerlich so gute Folgen für mich haben kann, wie du dir
+denkst, so will ich doch den Versuch machen."
+
+"Daß die Folgen nicht ausbleiben werden," antwortete ich, "dafür stehe
+ich mit meiner Ehre ein."
+
+"Ich glaube dir, Vasitthi," rief er, indem er aufsprang und meine Hand
+ergriff. "Wie wäre es möglich, dir nicht zu glauben. Beim Indra! Du bist
+eine wunderbare Frau, und ich sehe jetzt, wie wenig ich mich irrte, als
+ich in meiner noch unerfahrenen Jugend, wie einem Instinkte gehorchend,
+aus dem reichen Mädchenflor Kosambis dich allein ausersah und mich auch
+durch deine Kälte von meiner Liebe nicht abbringen ließ."
+
+Die Feurigkeit, mit welcher er mich lobte, ließ mich fast bereuen, daß
+ich ihm den hilfreichen Rat gegeben hatte, aber schon seine nächsten
+Worte beruhigten mich, denn er sprach jetzt von seiner Dankbarkeit, die
+unerschöpflich sein würde, auf welche Probe ich sie auch stellte.
+
+"Nur eine einzige Bitte habe ich, durch deren Erfüllung du mir deine
+Dankbarkeit hinreichend bezeugen kannst."
+
+"Nenne sie mir sofort," rief er, "und wenn du auch verlangst, daß ich
+Vajira mit ihrem Sohne zu ihren Eltern zurückschicke, so werde ich es
+unweigerlich tun."
+
+"Meine Bitte ist eine gerechte, keine ungerechte, aber ich werde sie
+erst vorbringen, wenn mein Rat sich in vollstem Maße bewährt hat. Eile
+du aber nun zum Palast und setze beim Fürsten diesen Besuch durch."
+
+Ziemlich bald kehrte er zurück, glücklich, daß es ihm gelungen war, den
+König zu diesem Ausflug zu bestimmen.
+
+"Erst als Udena vernahm, daß der Rat von dir herrührte," sagte er, "und
+daß du mit deiner Ehre dich für den guten Erfolg verbürgtest, gab er
+nach, denn auch er hält große Stücke auf dich. O, wie stolz bin ich auf
+eine solche Gemahlin!"
+
+Diese und ähnliche Worte, an denen er es in seiner zuversichtlichen
+Stimmung nicht fehlen ließ, waren mir peinlich genug und wären es noch
+mehr gewesen, wenn ich nicht bei dieser ganzen Sache meine geheimen
+Gedanken gehabt hätte.
+
+Wir begaben uns nun sofort nach dem Palast, wo schon Vorbereitungen zur
+Fahrt getroffen wurden.
+
+Sobald die Strahlen der Sonne ihre Glut etwas milderten, bestieg König
+Udena seinen Staatselefanten, die vielgerühmte Bhaddavatika, die, weil
+sie schon sehr alt war, nur noch bei den feierlichsten Gelegenheiten
+benutzt wurde. Wir, der Kämmerer, der Schatzmeister und andere hohe
+Würdenträger folgten in Wagen nach, zweihundert Reiter eröffneten und
+ebensoviele beschlossen den Zug.
+
+Am Eingange des Waldes ließ der König Bhaddavatika niederknien und stieg
+ab; wir anderen verließen die Wagen und begaben uns In seinem Gefolge zu
+Fuß nach dem Krishnatempel, wo der Buddha, der vom fürstlichen Besuche
+schon unterrichtet war, von seinen Jüngern umgeben, uns erwartete.
+
+Der König bot dem Erhabenen ehrerbietigen Gruß dar und setzte sich zur
+Seite nieder. Als nun auch wir andern Platz genommen hatten, fragte der
+Vollendete:
+
+"Was ist dir, edler König? Hat etwa der König von Benares oder irgend
+ein anderer deiner fürstlichen Nachbarn dein Land mit Krieg bedroht?"
+
+"Nicht hat, o Herr, der König von Benares, noch irgend einer meiner
+fürstlichen Nachbarn mich bedroht: ein Räuber, o Herr, lebt in meinem
+Lande, Angulimala genannt, grausam und blutgierig, an Mord und Totschlag
+gewöhnt, ohne Mitleid gegen Mensch und Tier. Der macht die Dörfer
+undörflich, die Städte unstädtlich, die Länder unländlich. Er bringt die
+Leute um und hängt sich ihre Daumen um den Hals. Und in der Bosheit
+seines Herzens hat er jetzt den Plan gefaßt, diesen heiligen Hain zu
+überfallen und den Erhabenen und seine Anhänger zu entführen. Ob solch
+großer Gefahr entsetzt, murrt mein Volk, drängt sich in großen Scharen
+um meinen Palast und verlangt, daß ich diesen Angulimala unschädlich
+mache. Das also liegt mir allein im Sinne."
+
+"Wenn du aber, edler König, Angulimala sähest, mit geschorenem Haar und
+Barte, mit fahlem Gewande bekleidet, dem Töten entfremdet, dem Stehlen
+entwöhnt, zufrieden mit _einer_ Mahlzeit, keusch wandelnd, tugendrein,
+edel geartet: was würdest du dann mit ihm machen?"
+
+"Wir würden ihn, o Herr, ehrerbietig begrüßen, uns vor ihm erheben und
+ihn zu sitzen einladen, ihn bitten, Kleidung, Speise, Lager und Arznei
+für den Fall einer Krankheit anzunehmen, würden ihm, wie sich's gebührt,
+Schutz und Schirm und Obhut angedeihen lassen. Wie aber sollte, o Herr,
+ein so arger, bösartiger Mensch eine solche Tugendläuterung erfahren?"
+
+Nun saß aber der ehrwürdige Angulimala nicht fern vom Erhabenen. Und der
+Erhabene wies mit dem rechten Arme hin und sprach also zu König Udena:
+
+"Dieser, edler Fürst, ist Angulimala."
+
+Da entfärbte sich das Gesicht des Königs vor Angst. Aber bei weitem
+stärker war das Entsetzen Satagiras. Seine Augen schienen aus ihren
+Höhlen springen zu wollen, seine Haare sträubten sich, kalter Schweiß
+tropfte von seiner Stirn.
+
+"Weh mir," rief er, "ja, jener ist gewißlich Angulimala, und ich Elender
+habe meinen König verleitet, sich in seine Gewalt zu begeben."
+
+Dabei sah ich's ihm nur zu deutlich an, daß er nur deshalb so vor Angst
+bebte, weil er sich selbst in der Gewalt seines Todfeindes wähnte.
+
+"Dieser Schreckliche," rief er weiter, "hat uns alle betrogen--hat den
+Erhabenen selbst betrogen und auch meine leichtgläubige Gemahlin, die,
+wie alle Frauen, viel auf Bekehrungsgeschichten gibt. So sind wir in
+diese Falle gegangen."
+
+Und seine Blicke irrten umher, als ob er hinter jedem Baum ein halbes
+Dutzend Räuber entdeckte. Mit stotternder Stimme und zitternder Hand
+beschwor er den König, durch eilige Flucht seine teure Person in
+Sicherheit zu bringen.
+
+Da trat ich denn vor und sprach:
+
+"Sei ruhig, mein Gemahl! Ich bin imstande, sowohl dich wie meinen edlen
+Fürsten zu überzeugen, daß hier keine Falle gelegt ist und daß keine
+Gefahr droht."
+
+Und ich erzählte jetzt, wie ich, von Angulimala überredet, mit ihm
+zusammen einen Anschlag gegen das Leben meines Gemahls vorgehabt hätte,
+und wie dieser Anschlag eben nur durch die Bekehrung meines Verbündeten
+vereitelt worden sei.
+
+Als Satagira hörte, wie nahe er dem Tode gewesen war, mußte er sich auf
+den Arm des Kämmerers stützen, um nicht umzusinken.
+
+Ich bat nun den König fußfällig, meinem Gemahl zu verzeihen, wie ich ihm
+verziehen habe, da er durch Leidenschaft irregeführt gesündigt habe und
+dabei wohl auch unbewußt einer höheren Führung gefolgt sei, die vor
+unseren Augen das höchste Wunder wirken wollte: anstatt daß man einen
+Räuber hingerichtet hätte, sei jetzt aus einem Räuber ein Heiliger
+geworden.
+
+Und als der Fürst mir gnädig zugesagt hatte, meinem Gemahl wieder seine
+volle Gunst zuzuwenden, sprach ich zu Satagira:
+
+"Mein Versprechen habe ich nun gehalten. So halte auch du das deine und
+gewähre mir meine einzige Bitte. Diese aber geht dahin, du mögest mir
+gestatten, in den heiligen Orden des Buddha einzutreten."
+
+Mit einem stummen Kopfnicken gab Satagira seine Einwilligung, wie er
+denn auch nicht anders konnte.
+
+Der König aber, der nun ganz beruhigt war, trat an Angulimala heran,
+sprach freundlich und ehrerbietig zu ihm und sicherte ihm seinen
+fürstlichen Schutz zu. Darauf ging er wieder zum Buddha hin, verneigte
+sich tief und sprach:
+
+"Wunderbar ist es in der Tat, o Herr, wie da der Erhabene Unbändige
+bändigt. Denn diesen Angulimala, den wir weder mit Strafe noch Schwert
+bezwingen konnten, den hat der Erhabene ohne Strafe und Schwert
+bezwungen. Dieser doppelt und dreifach heilige Hain aber, wo uns ein
+solches Wunder kund ward, soll von heute ab auf ewige Zeiten dem Orden
+der Heiligen gehören. Und der Erhabene möge mir gestatten, darin einen
+Bau zur Unterkunft der Mönche und einen zweiten für die Nonnen zu
+errichten."
+
+Mit würdevoller Dankbezeugung nahm der Erhabene das fürstliche Geschenk
+an. Darauf empfahl sich der König und entfernte sich mit seinem Gefolge.
+Ich aber blieb zurück unter der Obhut der anwesenden Schwestern, um
+schon am folgenden Tage das Gelübde abzulegen.
+
+
+
+
+XLI. DER LEICHTE SPRUCH
+
+
+Ich war nun Ordensschwester geworden und begab mich jeden Tag früh
+morgens mit meiner Almosenschale nach Kosambi, wo ich von Haus zu Haus
+ging, bis sie gefüllt war--obwohl Satagira mir diesen Bettelgang nur zu
+gern erspart hätte.
+
+Eines Tages stellte ich mich auch am Eingange seines Palastes hin, weil
+die ältesten Nonnen mir geraten hatten, mich auch dieser Prüfung zu
+unterziehen. Da trat Satagira gerade in den Torweg, wich mir aber scheu
+aus und verhüllte traurig sein Antlitz. Gleich danach kam dann der
+Hausmeier und bat mich weinend, doch ja zu gestatten, daß Alles, wofür
+ich Gebrauch habe, mir täglich zugeschickt werde. Ich aber antwortete
+ihm, daß es mir gezieme, der Ordensregel nachzukommen.
+
+Wenn ich von diesem Gange zurückgekehrt war und das Gespendete verzehrt
+hatte, womit dann für den ganzen Tag die elende Nahrungsfrage erledigt
+war, wurde ich von einer der älteren Nonnen unterrichtet, und abends
+lauschte ich in der Versammlung den Worten des Erhabenen oder auch denen
+eines großen Jüngers, wie Sariputta oder Ananda. Nachher aber geschah es
+wohl, daß eine Schwester die andere aufsuchte: "Entzückend, Schwester,
+ist der Sinsapawald, herrlich die klare Mondnacht, die Bäume stehen in
+voller Blüte, himmlische Düfte, meint man, wehen umher. Wohlan, laß uns
+Schwester Sumedha aufsuchen. Sie ist eine Hüterin des Wortes, ein Hort
+der Lehre. Ihre Rede dürfte wohl diesem Sinsapawalde doppelten Glanz
+verleihen." Und wir brachten dann den größten Teil einer solchen Nacht
+mit sinnigen Gesprächen zu.
+
+Dies Leben in der freien Natur, diese fortwährende Geistestätigkeit und
+der rege Gedankenaustausch, wodurch keine Zeit für trübes Hinbrüten über
+eigenen Schmerz oder für müßige Träumereien übrig blieb, endlich die
+Erhebung und Läuterung des Gemütes durch die Macht der Wahrheit--all
+dies stärkte mir Körper und Geist wunderbar. Ein neues und edleres Leben
+tat sich vor mir auf, und ich genoß ein ruhiges, heiteres Glück, von dem
+ich mir wenige Wochen vorher nichts hätte träumen lassen.
+
+Als die Regenzeit kam, stand schon das Gebäude für die Schwestern
+bereit, mit geräumiger Halle zum gemeinsamen Aufenthalte und mit Zellen
+für jede einzelne. Mein Gemahl und einige andere reiche Bürger, die
+Verwandte unter den Nonnen hatten, ließen es sich nicht nehmen, diese
+unsere Heimstätte mit Matten und Teppichen, Stühlen und Ruhebetten
+auszustatten, so daß wir reichlich mit Allem versehen waren, was zur
+vernünftigen Bequemlichkeit des Lebens gehört, und seiner Üppigkeit um
+so lieber entrieten. So ging denn auch diese Zeit der Eingeschlossenheit
+leidlich genug dahin, im regelmäßigen Wechsel von gemeinsamen
+Unterhaltungen über religiöse Fragen und von Selbstdenken und
+Vertiefung. Gegen Abend aber begaben wir uns, wenn das Wetter es
+erlaubte, nach der großen Halle der Mönche, um dem Meister zu lauschen,
+oder es kam auch der Erhabene oder einer der großen Jünger zu uns
+herüber.
+
+Als nun aber der Wald, den der Meister lobt, erfrischt und verjüngt, in
+hundertfacher Blätterfülle und Blumenpracht uns wieder einlud, unter
+sein freies Obdach unsere einsame Gedenkenruhe und unsere gemeinsamen
+Versammlungen zu verlegen, da traf uns die betrübende Kunde, daß der
+Erhabene sich jetzt bereit mache, seine Wanderung nach den östlichen
+Gegenden anzutreten. Aber freilich hatten wir ja nicht hoffen dürfen,
+daß er immer in Kosambi bleiben werde; auch wußten wir, wie töricht es
+ist, Ober etwas Unvermeidliches zu klagen, und wie wenig wir uns des
+Meisters würdig zeigten, wenn wir uns von Trauer überwältigen ließen.
+
+So begaben wir uns denn in später Nachmittagsstunde gefaßt und ruhig
+nach dem Krishnatempel, um zum letzten Male für lange Zeit den Worten
+des Buddha zu lauschen und dann von ihm Abschied zu nehmen.
+
+Auf den Stufen stehend, redete der Erhabene vom Vergehen alles
+Entstandenen, von der Auflösung alles dessen, was sich zusammengesetzt
+hat, von der Flüchtigkeit aller Erscheinungen, von der Wesenlosigkeit
+aller Gestaltungen. Und nachdem er gezeigt hatte, wie nirgends in dieser
+oder in jener Welt, soweit die Daseinslust keimt, nirgendwo in Raum und
+Zeit eine feste Stelle, ein bleibender Zufluchtsort zu finden ist,
+sprach er jenes Wort, das du mit Recht "weltzermalmend" nanntest, und
+das sich jetzt rings um uns verwirklicht:
+
+"Bis in den höchsten Lichthimmel drängt das Leben sich und zerfällt;--
+Wisset, einmal erlischt gänzlich auch der Glanz einer Brahmawelt."
+
+Es war uns Schwestern von einem der Jünger gesagt worden, daß wir nach
+dem Vortrage eine nach der anderen zum Erhabenen gehen sollten, um von
+ihm Abschied zu nehmen und einen Geleitspruch für unser weiteres Streben
+von ihm zu empfangen. Da ich eine der jüngsten war und mich
+geflissentlich zurückhielt, gelang es mir, die letzte zu werden. Denn
+ich gönnte es keiner anderen, nach mir mit dem Erhabenen zu reden, und
+meinte auch, daß mir dadurch eine ruhigere, längere Unterredung
+ermöglicht würde, als wenn andere hinter mir warteten.
+
+Nachdem ich mich nun ehrfurchtsvoll verneigt hatte, blickte mich der
+Erhabene an mit einem Blicke, der mich bis ins Innerste durchleuchtete,
+und sprach:
+
+"Und dir, Vasitthi, gebe ich an der Schwelle dieses zerfallenden
+Heiligtums des sechzehntausendeinhundertfachen Bräutigams zum
+Meingedenken und zum Durchdenken unter dem Laubdache dieses
+Sinsapawaldes, von dem du ein Blatt am Herzen und einen Schatten im
+Herzen trägst--folgenden Spruch: '_Überall, wo Liebe entsteht, entsteht
+auch Leid_.'"
+
+"Ist das Alles?" fragte ich törichterweise.
+
+"Alles und genug."
+
+"Und ist es, o Herr, gestattet, wenn ich mit dem Spruche zu Ende bin,
+wenn ich mir den Sinn völlig zu eigen gemacht habe, zum Erhabenen zu
+pilgern, um einen neuen Spruch zu empfangen?"
+
+"Es ist gestattet, wenn du noch das Bedürfnis hast, den Erhabenen zu
+fragen."
+
+"Wie sollte ich nicht das Bedürfnis haben? Du bist ja, o Herr, unsere
+Zuflucht."
+
+"Nimm deine Zuflucht zu dir selber, nimm deine Zuflucht zur Lehre!"
+
+"Das will ich. Doch du, o Herr, bist ja das Selbst der Jünger, bist die
+lebendige Lehre. Und du hast ja gesagt: es ist gestattet."
+
+"Wenn dich der Weg nicht müht."
+
+"Kein Weg kann mich mühen."
+
+"Der Weg ist weit, Vasitthi! Weiter ist der Weg als du dir denkst,
+weiter, als Menschengedanken es auszudenken vermögen."
+
+"Und führte der Weg auch durch tausend Leben, über tausend Welten: kein
+Weg wird mich mühen."
+
+"Schon gut, Vasitthi! Gehab dich wohl, und gedenke deines Spruchs."
+
+In diesem Augenblick nahte der König mit großem Gefolge, um vom
+Erhabenen Abschied zu nehmen.
+
+Ich zog mich in die hinterste Reihe zurück, von wo aus ich ein ziemlich
+zerstreuter Zeuge der weiteren Vorgänge dieses letzten Abends war. Denn
+ich kann nicht leugnen, daß ich mich durch den so sehr leichten Spruch,
+den mir der Erhabene gegeben hatte, etwas enttäuscht fühlte. Hatten doch
+mehrere der Schwestern ganz andere schwierige Sprüche zur geistigen
+Verarbeitung vom Erhabenen zugeteilt bekommen: die eine den Spruch vom
+Entstehen aus Ursachen, die andere den vom Nichtselbst, eine dritte den
+von der Vergänglichkeit der Erscheinungen. So meinte ich denn, eine
+Zurücksetzung erfahren zu haben, was mich sehr betrübte. Wie ich aber
+weiter darüber nachdachte, kam mir die Vermutung, daß der Erhabene
+vielleicht bei mir etwas Selbstüberhebung bemerkt habe und sie auf diese
+Weise dämpfen wolle. Und ich nahm mir vor, auf der Hut zu sein, um nicht
+durch Eitelkeit und Selbstgefälligkeit in meinem geistigen Wachstum
+gehindert zu werden. Bald würde ich mich ja rühmen können, mit dem
+Spruche zu Ende zu sein, und durfte mir dann einen neuen von den Lippen
+des Erhabenen selber holen.
+
+In dieser Zuversicht sah ich früh am nächsten Morgen den Buddha mit
+vielen Jüngern von dannen wandern--unter diesen selbstverständlich auch
+Ananda, der ja des Meisters wartete und immer um ihn war, und der mir
+stets auf seine milde Art so besonders wohlwollend begegnet war, daß ich
+fühlte, ich würde auch ihn und seinen aufmunternden Blick sehr
+vermissen, noch mehr als den weisen Sariputta, der durch seine scharf
+zergliedernden Auseinandersetzungen mir in manchem schwierigen Punkt
+geholfen hatte. Nun war ich meinen eigenen Kräften überlassen.
+
+Sobald ich von meinem Almosengange zurückgekehrt war und mein Mahl
+verzehrt hatte, suchte ich mir einen schönen Baum aus, der in der Mitte
+einer kleinen Waldwiese stand--das wahre Urbild jener "mächtigen,
+lärmentrückten Bäume", von denen es heißt, daß Menschen darunter sitzen
+und denken können.
+
+Das tat ich nun, indem ich meinen Spruch ernstlich vornahm. Als ich
+gegen Abend nach der Versammlungshalle zurückkehrte, brachte ich, als
+Ausbeute meiner Tagesarbeit, eine innere Unruhe mit mir und eine leise
+Ahnung, was für eine Bewandtnis es mit diesem Spruche haben mochte. Als
+ich aber am folgenden Abend nach beendigter Gedenkenruhe zurückkehrte,
+wußte ich schon genau, was der Erhabene gemeint hatte, als er mir diesen
+Spruch gab.
+
+Ich hatte ja geglaubt, auf dem graden Wege zum vollkommenen Frieden mich
+zu befinden und meine Liebe mit ihren leidenschaftlichen Erregungen weit
+hinter mir zu haben. Aber jener unvergleichliche Herzenskenner hatte gar
+wohl gesehen, daß die Liebe keineswegs von mir überwunden war, sondern
+daß sie nur durch den mächtigen Einfluß des neuen Lebens verscheucht,
+sich In einen Innersten Winkel zurückgezogen hatte, um dort ihre Zeit zu
+erwarten. So wollte er denn, daß ich dadurch, daß ich meine
+Aufmerksamkeit auf sie richtete, sie aus diesem Schlupfloche
+hervorlocken solle, um sie dann zu überwinden.
+
+Und freilich kam sie auch hervor, aber mit solcher Macht, daß ich mich
+sofort mitten in schweren, ja zerrüttenden Seelenkämpfen befand und
+einsah, daß mir kein leichter Sieg beschieden sei.
+
+Die überraschende Kunde, daß mein Geliebter damals nicht getötet worden
+war und aller Wahrscheinlichkeit nach noch mit mir diese Erdenluft
+atmete, war jetzt freilich mehr als ein halbes Jahr alt. Als aber durch
+die Erscheinung auf der Terrasse jenes Wissen so plötzlich in mir
+auftauchte, wurde es sofort wieder durch die stürmischen Gemütswellen,
+die es selber aufregte, gleichsam überschwemmt und tauchte fast wieder
+in ihren Strudel unter. Haßgefühl, Rachegedanken, Brüten über
+Verbrecherpläne wechselten in einem wahren Dämonenreigen--dann kam
+Angulimalas Bekehrung, der überwältigende Eindruck des Buddha, das neue
+Leben, der Tagesanbruch einer neuen, gänzlich ungeahnten Welt, deren
+Elemente in der Vernichtung aller Elemente der alten bestanden. Nun aber
+war der erste Sturm des Neuen vorüber, der große Meister dieses heiligen
+Zaubers war aus meinem Gesichtskreis entschwunden, und ich saß einsam
+da, meinen Blick auf die Liebe--auf meine Liebe gerichtet. Da tauchte
+jene Kunde nun wieder klar hervor und eine grenzenlose Sehnsucht nach
+dem fernen, noch lebenden Geliebten erfaßte mich.
+
+Aber lebte er denn auch noch?--Und liebte er mich denn noch?
+
+Solche Fragen regten durch ihre bange Ungewißheit meine Sehnsucht nur
+noch mehr auf, und mit der Überwindung meiner Liebe, mit der Aneignung
+des Spruches wollte es nicht vorwärtsgehen. Immer dachte ich über die
+Liebe nach und kam nicht zum Leid und zur Leidensentstehung.
+
+Diese meine immer aussichtsloseren Seelenkämpfe blieben den anderen
+Schwestern nicht verborgen. Ich hörte wohl, wie sie von mir sprachen:
+
+"Vasitthi, die frühere Ministersgattin, die doch selbst der strenge
+Sariputta wegen ihrer schnellen und sicheren Auffassung auch schwieriger
+Punkte der Lehre uns des öfteren gepriesen hat, sie kann jetzt mit ihrem
+doch so leichten Spruch nicht fertig werden."
+
+Dadurch wurde ich noch mehr entmutigt. Scham und Verzweiflung
+bemächtigten sich meiner und zuletzt glaubte ich, diesen Zustand nicht
+mehr ertragen zu können.
+
+
+
+
+XLII. DIE KRANKE NONNE
+
+
+Um diese Zeit kam wöchentlich einmal einer der Brüder zu uns herüber und
+legte uns die Lehre dar. Als nun Angulimala an der Reihe war, ging ich
+nicht in die Versammlungshalle, sondern blieb in meiner Zelle auf der
+Ruhebank liegen und bat eine Nachbarschwester, Angulimala zu sagen:
+
+"Die Schwester Vasitthi, Ehrwürdiger, liegt in ihrer Zelle krank
+darnieder und kann in der Versammlung nicht erscheinen. Wolle,
+Ehrwürdiger, nach dem Vortrag dich nach der Zelle Schwester Vasitthis
+begeben, um auch ihr, der Kranken, die Lehre darzulegen."
+
+Und der ehrwürdige Angulimala kam nach dem Vortrag in meine Zelle,
+grüßte mich ehrerbietig und setzte sich neben mein Lager.
+
+"Du siehst hier, Bruder," sagte ich dann, "was niemand sehen sollte:
+eine liebeskranke Nonne, und an dieser meiner Krankheit bist du selber
+schuld, denn du hast mich des Gegenstandes meiner Liebe beraubt. Zwar
+hast du mich dann zu diesem großen Arzte gebracht, der von der ganzen
+Lebenskrankheit heilt; aber seine starke Heilkunst kann jetzt nicht
+weiter auf mich einwirken. In seiner großen Weisheit hat er dies wohl
+erkannt und hat mir ein Mittel gegeben, um den schleichenden
+Krankheitsstoff zur Ausscheidung durch eine Fieberkrisis zu bringen. So
+siehst du denn nun das Sehnsuchtsfieber in mir wüten. Und nun will ich
+dich an ein Versprechen mahnen, das du mir einst gegeben hast, in jener
+Nacht nämlich, wo du mich zu dem Verbrechen verleiten wolltest, dessen
+Ausführung nur durch das Dazwischentreten des Erhabenen vereitelt wurde.
+Damals sagtest du, du würdest nach Ujjeni gehen und mir sichere Kunde
+von Kamanita bringen, ob er noch am Leben sei, und wie es ihm ergehe.
+Was mir nun der Räuber einst versprach, das fordere ich jetzt vom
+Mönche. Denn mein Verlangen zu wissen, ob Kamanita lebt und wie er lebt,
+ist ein so gebieterisches, daß, bevor es nicht gestillt worden ist, für
+keinen anderen Gedanken, für kein anderes Gefühl in meiner Seele Raum
+ist, und es mir somit unmöglich ist, auch nur den kleinsten Schritt
+weiter auf diesem unserem Heilswege zu tun. Deshalb mußt du dies für
+mich tun und mein Gemüt durch irgend eine Gewißheit beruhigen."
+
+Nachdem ich also gesprochen hatte, erhob sich Angulimala und sagte:
+
+"Wie du es eben, Schwester Vasitthi, von mir verlangst," verbeugte sich
+tief und schritt zur Tür hinaus.
+
+Er ging aber geradeswegs nach seiner Zelle, um seine Almosenschale zu
+holen und verließ noch in derselben Stunde den Sinsapawald. Man glaubte
+allgemein, er sei dem Erhabenen nachgepilgert. Nur ich kannte das Ziel
+seiner Wanderung.
+
+Nach diesem Schritt fühlte ich mich in der Tat etwas beruhigt, obwohl
+ich bald zu zweifeln anfing, ob ich ihm nicht einen Gruß oder eine
+Botschaft an den Geliebten hätte mitgeben sollen. Aber es kam mir
+unpassend und unheilig vor, einen Mönch auf solche Weise als
+Liebesvermittler zu gebrauchen, während er doch ganz gut nach einer
+entfernten Stadt gehen und berichten konnte, was er dort gesehen. Auch
+würde es etwas ganz anderes sein--meinte ich mit geheimer Hoffnung--wenn
+er, ohne einen Auftrag zu haben und nur seinem eigenen Urteil folgend,
+sich entschließen sollte, mit dem Geliebten von mir zu sprechen.
+
+"Ich selber werde nach Ujjeni gehen und ihn heil und sicher
+herbringen"--diese Worte hallten immer in meinem Innersten wider. Würde
+der Mönch vielleicht das Versprechen des Räubers einlösen? Warum denn
+nicht, wenn er selber einsah, daß es für uns beide notwendig war,
+einander zu sehen und zu sprechen?
+
+Und damit kam ein neuer Gedanke, der, von einem, ungeahnten
+Hoffnungsschimmer umstrahlt, mich zunächst blendete und verwirrte. Wenn
+mein Geliebter zurückkäme--was hinderte mich dann, aus dem Orden
+auszutreten und seine Frau zu werden?
+
+Als diese Frage auftauchte, bedeckte eine brennende Röte mein Gesicht,
+das ich unwillkürlich in meinen Händen verbarg aus Furcht, jemand könne
+mich gerade beobachten. Welcher häßlichen Mißdeutung würde nicht eine
+solche Handlung ausgesetzt sein! Sähe das nicht aus, als ob ich den
+Orden des Buddha lediglich als eine Brücke betrachtet hätte, um aus
+einer unlieben Heirat in eine liebe hinüberzuwandeln? Gewiß würde das
+von Vielen so ausgelegt werden. Aber was könnte mir schließlich am
+Urteil Anderer liegen? Und wieviel besser wäre es nicht, eine fromme
+Laienschwester zu sein, die treu zum Orden hielt, als eine
+Ordensschwester, deren Herz außerhalb des Ordens weilte.
+
+Ja, wenn auch Angulimala mir nur die Mitteilung brächte, daß mein
+Kamanita noch lebe, und ich der Schilderung ihrer Begegnung entnähme,
+daß der Geliebte mir noch immer in treuer Sehnsucht ergeben sei: dann
+würde ich ja auch selber nach Ujjeni pilgern können. Und ich malte mir
+aus, wie ich eines Morgens als wandernde Asketin am Eingange deines
+Hauses stehen würde, wie du mir dann eigenhändig die Almosenschale
+füllen und mich dabei erkennen würdest--und dann die ganze
+unbeschreibliche Freude, uns wiedergefunden zu haben.
+
+Freilich war es eine weite Wanderung nach Ujjeni, und es geziemte einer
+Nonne nicht, allein zu pilgern. Aber ich brauchte nicht lange nach einer
+Begleiterin zu suchen. Gerade in dieser Zeit fand Somadatta ein
+trauriges Ende. Seine Leidenschaft für die unseligen Würfel hatte immer
+mehr die Oberhand gewonnen, und nachdem er seine ganze Habe verspielt
+hatte, ertränkte er sich in der Ganga. Die tief erschütterte Medini trat
+nunmehr in den Orden ein. Es mochte wohl weniger das religiöse Leben
+selbst in seiner herben Strenge und mit seinem hohen Ziele sein, was sie
+unwiderstehlich in diesen heiligen Hain zog, als vielmehr das Bedürfnis,
+immer in meiner Nähe zu weilen; denn ihr kindliches Herz hing mit
+rührender Treue an mir. Und so zweifelte ich denn auch nicht daran, daß
+sie, wenn ich ihr mein Vorhaben offenbarte, mit mir nach Ujjeni, ja,
+wenn es sein sollte, bis an das Ende der Welt gehen würde. Auch jetzt
+schon gereichte mir ihre Gesellschaft vielfach zur Aufmunterung, wie ich
+denn andererseits auch ihre aufrichtige Trauer über den Verlust ihres
+Gemahls durch tröstende Worte milderte.
+
+Als nun die Zeit kam, wo Angulimalas Rückkehr zu erwarten war, ging ich
+nachmittags immer nach dem südwestlichen Rande des Waldes und setzte
+mich unter einen schönen Baum auf einer mäßigen Anhöhe, von welcher aus
+ich dem Wege, den er kommen mußte, weit mit dem Blicke folgen konnte.
+Ich dachte mir, er würde wohl gegen Abend sein Ziel erreichen.
+
+Eine Woche hielt ich dort vergebens Wache, war aber auch darauf gefaßt,
+einen ganzen Monat lang warten zu müssen. Am achten Tage aber, als die
+Sonne schon so tief stand, daß ich mir mit der Hand die Augen beschatten
+mußte, wurde ich in der Ferne eine Gestalt gewahr, die sich dem Walde
+näherte. Bald erglänzte ihr gelber Mantel, und als sie an einem
+heimkehrenden Waldarbeiter vorüberschritt, erkannte man, daß
+sie von ganz ungewöhnlich hohem Wüchse war. Es war in der Tat
+Angulimala--allein. Meinen Kamanita hatte er nicht "heil und sicher
+mitgebracht"--was tat's? Wenn er mir nur versichern konnte, daß der
+Geliebte am Leben sei, dann würde ich ja selber den Weg zu ihm finden.
+
+Heftig pochte mein Herz, als Angulimala vor mir stand und mich mit
+höflichem Anstand begrüßte.
+
+"Kamanita lebt in seiner Vaterstadt in großem Wohlstand," sagte er, "ich
+habe ihn selber gesehen und gesprochen."
+
+Und er erzählte mir nun, wie er eines Morgens an dein palastähnliches
+Haus gekommen sei, wie deine beiden Frauen ihn gröblich beschimpft
+hätten, wie du dann selber hinzugetreten seiest, die bösen Frauen ins
+Haus gejagt und ihn freundlich und entschuldigend angeredet hättest.
+
+Als er nun Alles--so wie es dir ja bekannt ist--genau berichtet hatte,
+verbeugte er sich vor mir, schlug den Mantel wieder um die Schulter und
+wandte sich um, als ob er in derselben Richtung weiter wandern wollte,
+statt in den Wald hineinzugehen.
+
+Verwundert fragte ich ihn, ob er nicht nach der Halle der Mönche gehe.
+
+"Ich habe nun," antwortete er, "deinen Auftrag getreulich ausgerichtet,
+und nichts gibt es jetzt mehr, was mich hindern könnte, meinen Weg
+ostwärts zu nehmen, in den Spuren des Erhabenen, nach Benares und
+Rajagaha, wo ich ihn nun antreffen werde."
+
+Also sprechend, ging dieser mächtige Mann mit weit ausholenden Schritten
+fürbaß, den Waldrand entlang, ohne sich die geringste Rast zu gönnen.
+
+Ich starrte ihm lange nach und sah, wie die untergehende Sonne seinen
+Schatten weit vor ihm bis zum Hügelrande am Horizonte, ja gleichsam noch
+darüber hinaus streckte, als ob seine Sehnsucht ihm ungestüm vorauseile,
+während ich wie eine Gelähmte zurückblieb ohne ein Sehnsuchtsziel für
+irgend eine liebe Hoffnung.
+
+Mein Herz war gestorben, mein Traum zerronnen. Das herbe Asketenwort:
+"ein Schmutzwinkel ist die Häuslichkeit", hallte durch mein ödes Gemüt
+wider. Auf jener herrlichen Terrasse der Sorgenlosen, unter freiem,
+sternenblinkendem und monddurchstrahltem Himmel war ja meine Liebe
+daheim. Wie hätte ich Törin je daran denken können, sie nach jener
+schmutzwinkligen Häuslichkeit in Ujjeni betteln zu schicken, damit
+zankende Frauen sie mit Schimpfreden begeiferten?
+
+Mit Mühe schleppte ich mich nach meiner Zelle zurück, um mich auf das
+Krankenlager zu strecken. Diese plötzliche Vernichtung meiner fieberhaft
+erregten Hoffnungen war zuviel für meine schon durch monatelange
+Seelenkämpfe erschütterte Widerstandskraft. Mit einer Selbstaufopferung
+ohnegleichen pflegte Medini mich Tag und Nacht. Sobald aber, durch ihre
+Sorgfalt gestützt, mein Geist sich über die Schmerzen und den
+Fieberbrand erheben konnte, reifte mein Wanderplan in einer neuen
+Richtung aus. Nicht dorthin, wo ich Angulimala hingeschickt hatte,
+sondern dorthin, wo er jetzt von selber hinwanderte, wollte ich nun
+pilgern: den Spuren des Erhabenen wollte ich folgen, bis ich ihn träfe.
+War ich denn nicht mit meinem Spruche zu Ende? Wie mit der Liebe Leid
+entsteht, hatte ich ja im tiefsten Grunde erfahren. Und so durfte ich
+denn auch, meinte ich, den Buddha aufsuchen und von der Kraft des
+Heiligen mich neu beleben lassen, um nach dem höchsten Ziele weiter
+vorwärtsstreben zu können.
+
+Ich vertraute denn auch dies mein Vorhaben der guten Medini an, die
+sofort mit wahrem Feuereifer den unerwarteten Gedanken aufnahm und sich
+in ihrem kindlichen Gemüt ausmalte, wie herrlich es sein würde, mit mir
+zusammen durch liebliche Gegenden zu streifen, frei wie die Vögel durch
+die Luft, wenn die Wanderzeit sie nach fernen Himmelsstrichen ruft.
+
+Freilich mußten wir erst geduldig warten, bis ich wieder hinlänglich zu
+Kräften gekommen war. Und als dies einigermaßen der Fall war, legte uns
+die schon eingetretene Regenzeit eine noch längere Geduldsprobe auf.
+
+In seiner letzten Rede hatte der Erhabene uns zugerufen:
+
+"Gleich wie etwa, wenn im letzten Monat der Regenzeit, im Herbste, nach
+Zerstreuung und Vertreibung der wasserschwangeren Wolken, die Sonne am
+Himmel aufgeht und alle Nebel der Lüfte strahlend verscheucht und flammt
+und leuchtet: ebenso nun auch, ihr Jünger, erscheint da diese
+Lebensführung, die gegenwärtiges Wohl sowie künftiges Wohl bringt, und
+verscheucht strahlend die Redereien gewöhnlicher Büßer und Geistlicher
+und flammt und leuchtet."
+
+Als nun die Natur ringsum uns dies Bild verwirklichte, verließen wir den
+Krishnahain vor Kosambi, und unsere Schritte ostwärts lenkend, eilten
+wir jener Sonne einer heiligen Lebensführung entgegen.
+
+
+
+
+XLIII. DAS NIRVANA DES VOLLENDETEN
+
+
+Meine Entkräftung erlaubte es mir nicht, lange Tageswanderungen zu
+unternehmen und nötigte uns bisweilen, uns einen Ruhetag zu gönnen, so
+daß wir erst nach einer einmonatigen Pilgerfahrt in Vesali ankamen, wo,
+wie wir wußten, der Erhabene sich längere Zeit aufgehalten hatte, von wo
+er aber vor etwa sechs Wochen weiter gewandert war.
+
+Kurz vorher hatten wir in einem Dorfe, wo Anhänger der Lehre wohnten,
+gehört, daß Sariputta und Moggallana in das Nirvana eingegangen waren.
+Der Gedanke, daß diese beiden großen Jünger, die Häuptlinge der Lehre,
+wie wir sie nannten, nicht mehr auf Erden weilten, erschütterte mich
+tief. Wohl wußten wir alle, daß auch diese Großen, ja der Buddha selber,
+nur Menschen waren wie wir; aber die Vorstellung, daß sie uns verlassen
+könnten, war nie in uns aufgetaucht. Sariputta, der mir so oft auf seine
+bedächtige Weise schwierige Fragen der Lehre gelöst hatte, war
+davongegangen. Er war der Jünger, der dem Meister ähnlich sah, und er
+stand wie der Erhabene in seinem achtzigsten Lebensjahre; wäre es
+möglich, daß auch der Buddha selber sich schon dem Ende seines
+Erdenlebens näherte?
+
+Vielleicht, daß die Unruhe, die durch diese Furcht entstand, einen
+schleichenden Rest meines Fieberzustandes wieder anschürte: jedenfalls
+kam ich erschöpft und krank in Vesali an. Hier lebte eine reiche
+Anhängerin des Ordens, die es sich angelegen sein ließ, für die
+durchziehenden Mönche und Nonnen auf jede Weise zu sorgen. Wie sie nun
+erfuhr, daß eine kranke Nonne angekommen sei, suchte sie mich sofort
+auf, brachte Medini und mich nach ihrem Hause und pflegte mich dort
+sorgsam.
+
+Ihr gegenüber äußerte ich gar bald meine Furcht: ob es wohl möglich sei,
+daß der Erhabene, der ebenso alt sei wie Sariputta, uns nun auch bald
+verlassen würde?
+
+Da brach die fromme Seele in einen Strom von Tränen aus und rief
+schluchzend:
+
+"Ach! So weißt du es denn noch nicht? Hier in Vesali--vor zwei Monaten
+etwa--hat ja der Gesegnete vorausgesagt, daß nach drei Monaten sein
+Nirvana stattfinden wird. Wir haben ihn alle hier zum letzten Male
+gesehen. Und man denke: wenn nur Ananda Verstand genug besessen und zu
+rechter Zeit gesprochen hätte, dann wäre das nimmer geschehen, und der
+Buddha hätte bis zum Ende dieser Weltperiode fortgelebt!"
+
+Ich fragte, was denn der gute Ananda damit zu tun habe, und auf welche
+Weise er eine solche Rüge verdient habe.
+
+"Auf folgende Weise," antwortete die Frau. "Eines Tages weilte der
+Erhabene mit Ananda vor der Stadt bei dem Capala-Tempel. Da sagte nun
+der Gesegnete zu Ananda: wer auch immer die geistigen Kräfte in sich
+vollkommen entwickelt habe, der könne, wenn er wolle, durch eine ganze
+Weltperiode am Leben bleiben. O über diesen einfältigen Ananda, daß er,
+trotz dieses deutlichen Winkes, nicht sofort sprach: 'Möge doch der
+Erhabene eine Weltperiode hindurch zum Heile Vieler am Leben bleiben!'
+Sicher war sein Geist von Mara, dem Bösen, besessen, da er seine Bitte
+erst dann vorbrachte, als es zu spät war."
+
+"Wie konnte es aber zu spät sein," fragte ich, "da ja der Erhabene noch
+lebt?"
+
+"Das war folgendermaßen. Du mußt nämlich wissen, vor fünfzig Jahren, als
+der Erhabene in Uruvela sich das Buddhawissen errungen hatte, und nach
+siebenjährigem Kampfe den Besitz heiliger Gemütsruhe genießend, unter
+dem Nyagrodhabaume des Ziegenhirten weilte: da nahte sich ihm Mara, der
+Böse, gar sehr besorgt wegen der Gefahr, die seinem Reiche durch den
+Buddha drohte; und in der Hoffnung, die Verbreitung der Lehre zu
+verhindern, sprach er: 'Heil dir! Jetzt ist es Zeit für den Erhabenen,
+in das Nirvana einzugehen!' Aber der Buddha antwortete: 'Nicht eher
+werde ich, du Böser, in das Nirvana eingehen, als bis ich der Menschheit
+die Lehre verkündet habe; nicht eher, als bis ich mir Jünger geworben
+habe, die imstande sind, diese Lehre gegen Angriffe zu verteidigen und
+sie weiter zu verkünden. Erst dann, Böser, werde ich in das Nirvana
+eingehen, wenn das Reich der Wahrheit fest begründet ist.'
+
+Nachdem nun aber der Erhabene hier am Çapalaheiligtum so, wie ich dir
+sagte, zu Ananda gesprochen hatte und dieser, ohne den Wink zu
+verstehen, weggegangen war, nahte sich Mara, der Böse, dem Erhabenen und
+sprach zu ihm: 'Heil dir! Jetzt ist für den Erhabenen die Zeit gekommen,
+in das Nirvana einzugehen. Was mir der Erhabene damals unter dem
+Nyagrodhabaume des Ziegenhirten zu Uruvela als Bedingung für sein
+Nirvana angab, das ist ja jetzt erfüllt. Fest gegründet ist das Reich
+der Wahrheit. Möge also der Erhabene jetzt in das Nirvana eingehen!' Da
+sprach der Buddha zu Mara, dem Bösen, also: 'Sei du, o Böser, ohne
+Sorge! Das Nirvana des Vollendeten wird bald stattfinden; nach Verlauf
+von drei Monaten von jetzt ab wird der Vollendete in das Nirvana
+eingehen.' Bei diesen Worten aber erzitterte die Erde, wie du es wohl
+auch selber bemerkt haben wirst."
+
+In der Tat hatten wir in Kosambi, etwa einen Monat bevor ich den
+heiligen Hain verließ, ein leichtes Erdbeben gespürt, was ich ihr nun
+auch sagte.
+
+"Siehst du!" rief die Frau erregt--"überall haben sie es gespürt. Die
+ganze Erde bebte, und die Trommeln der Götter dröhnten, als der
+Vollendete auf längere Lebensdauer verzichtete. Ach, daß doch der
+einfältige Ananda zu rechter Zeit den ihm so deutlich gegebenen Wink
+verstanden hätte! Denn als er nun, durch dies Erdbeben aus seiner
+Selbstvertiefung geweckt, zum Erhabenen zurückkam und ihn bat, er möge
+doch noch den Rest dieser Weltperiode hindurch am Leben bleiben:--da
+hatte ja der Vollendete schon Mara sein Wort gegeben und auf längere
+Lebensdauer verzichtet."
+
+Aus diesen Reden der frommen, aber etwas abergläubischen Frau entnahm
+ich, daß der Erhabene während seines Aufenthaltes in Vesali Zeichen des
+herannahenden Todes gespürt und wohl den Jüngern gesagt habe, daß er
+bald sterben würde.
+
+So litt es mich denn nicht länger unter dem gastlichen Dache. Ich mußte
+den Buddha erreichen, bevor er uns verließ. Das war ja unser großer
+Trost gewesen, daß wir uns immer an ihn, den unerschöpflichen Quell der
+Wahrheit, wenden konnten. Nur von ihm konnten ja alle Zweifel meiner
+geängstigten Seele gelöst werden; nur er in der ganzen Welt war ja
+imstande, mir den Frieden wiederzugeben, den ich einst gekostet hatte,
+als ich am alten Krishnatempel im Sinsapawalde bei Kosambi ihm zu Füßen
+saß.
+
+So brachen wir denn auf, als, nach Verlauf von zehn Tagen meine Kräfte
+mir das Wandern einigermaßen erlaubten. Meine gute Wirtin, die sich ein
+Gewissen daraus machte, mich in meinem geschwächten Zustande weitergehen
+zu lassen, tröstete ich mit dem Versprechen, ihren Gruß dem Erhabenen zu
+Füßen zu legen.
+
+Wir gingen nun in nordwestlicher Richtung weiter in den Spuren des
+Erhabenen, die wir immer frischer fanden, je weiter wir vordrangen, von
+Ort zu Ort uns erkundigend. In Ambagama war er acht Tage vorher gewesen;
+den Salahain von Bhoganagara hatte er drei Tage vor unserer Ankunft
+verlassen, um sich nach Pava zu begeben.
+
+Sehr ermüdet trafen wir am frühen Nachmittage in diesem Orte ein.
+
+Das erste Haus, das uns auffiel, gehörte einem Kupferschmied, wie an den
+vielen Metallwaren zu erkennen war, die an der Mauer entlang standen.
+Aber kein Hammerschlag ertönte; es schien ein Feiertag zu sein, und im
+Hofe wurden am Brunnen von den Dienern Schüsseln und Platten abgespült,
+als ob dort eine Hochzeit stattgefunden hätte.
+
+Da trat ein kleiner, festlich gekleideter Mann auf uns zu und bat
+höflich, unsere Almosenschalen füllen zu dürfen.
+
+"Wäret ihr einige Stunden früher gekommen," fügte er hinzu, "dann hätte
+ich bei meinem Feste noch zwei liebe und würdige Gäste gehabt, denn euer
+Meister, der Erhabene, hat heute mit seinen Mönchen bei mir gespeist."
+
+"So ist denn der Erhabene noch hier in Pava?"
+
+"Jetzt nicht mehr, Ehrwürdigste," antwortete der Kupferschmied. "Gleich
+nach der Mahlzeit wurde der Erhabene von einer schweren Krankheit
+befallen, mit scharfen Schmerzen, die ihn einer Ohnmacht nahe brachten,
+so daß wir alle sehr erschraken. Aber der Erhabene überwand diesen
+Anfall und begab sich vor etwa einer Stunde weiter nach Kusinara."
+
+Am liebsten wäre ich sofort weiter gewandert, denn was der Schmied von
+diesem Krankheitsanfall sagte, ließ mich das Schlimmste befürchten. Aber
+es war eine gebieterische Notwendigkeit, den Körper nicht nur durch
+Speise, sondern auch durch kurze Ruhe zu stärken.
+
+Der Weg von Pava nach Kusinara war nicht zu verfehlen. Er führte bald
+von den bebauten Feldern fort, durch Tigergras und Gestrüpp, immer
+tiefer in die Dschungeln. Wir durchwateten einen kleinen Fluß und
+erfrischten uns ein wenig durch Baden. Nach kurzer Ruhe brachen wir
+wieder auf. Es wollte Abend werden, und ich konnte mich nur mit Mühe
+weiterschleppen.
+
+Medini versuchte mich zu überreden, unter einem Baume auf einer kleinen
+Anhöhe zu übernachten. Es habe keine so große Eile:
+
+"Dies Kusinara ist wohl nicht viel mehr als ein Dorf und scheint ganz in
+den Dschungeln begraben zu sein. Wie kannst du nur glauben, daß der
+Vollendete hier sterben wird? Gewiß wird er einmal im Jetavanapark bei
+Savitti, oder in einem seiner beiden Haine bei Rajagaha von dannen
+scheiden; aber der Erhabene wird doch nicht in dieser Einöde erlöschen!
+Wer hat denn je von Kusinara gehört?"
+
+"Vielleicht wird man von jetzt ab von Kusinara hören," sagte ich und
+ging weiter.
+
+Meine Kräfte waren aber bald so erschöpft, daß ich mich entschließen
+mußte, die nächste baumlose Anhöhe zu besteigen, in der Hoffnung, von
+dort aus die Nähe Kusinaras erkennen zu können. Sonst mußten wir die
+Nacht dort oben zubringen, wo wir dem Angriffe der Raubtiere und
+Schlangen weniger ausgesetzt waren und auch den fiebererzeugenden
+Ausdünstungen einigermaßen entrückt blieben.
+
+Dort oben angelangt, spähten wir vergebens nach einem Anzeichen
+menschlicher Wohnsitze aus. Scheinbar ununterbrochen stiegen die
+Dschungeln vor uns allmählich aufwärts, wie ein Teppich, den man in die
+Höhe zieht. Bald aber tauchten große Bäume aus dem niedrigen Gebüsch
+auf; die dichten Laubmassen eines Hochwaldes wölbten ihre Kuppeln
+übereinander, und in einer schwarzen Schlucht schäumte ein Wildbach,
+derselbe Strom, in dessen ruhig fließendem Wasser wir kurz vorher
+gebadet hatten.
+
+Den ganzen Tag über war es schwül und trübe gewesen. Hier wehte uns nun
+ein frischer Hauch entgegen, und immer klarer wurde es vor unseren
+Augen, als ob ein Schleier nach dem andern gelüftet würde.
+
+Ungeheure Felsenmauern türmten sich über dem Walde empor, und als ihr
+Dach bauten grüne Bergkuppen sich immer höher hinauf--bewaldete Berge
+mußten es ja sein, obwohl sie wie Mooskissen aussahen--immer höher, bis
+sie im Himmel selber zu verschwinden schienen.
+
+Nur eine einzige langgestreckte, rötliche Wolke schwebte dort oben.
+
+Während wir sie betrachteten, fing sie an gar seltsam zu glühen.
+Gleichwie wenn mein Vater mit der Zange ein Stück geläuterten Goldes aus
+dem Schmelzofen herausnahm und, nachdem es abgekühlt war, es auf eine
+lichtblaue seidene Decke hinlegte: also erglänzte jetzt dies leuchtende
+Luftgebilde in scharf begrenzten goldig-blanken Flächen; dazwischen aber
+dämmerten duftig hellgrüne Streifen und zogen sich fächerförmig nach
+unten, indem sie erblassend in die farblose Luftschicht untertauchten,
+als ob sie die grünen Bergkuppen erreichen wollten. Immer rötlicher
+glühten die Flächen, immer grüner wurden die Schatten.
+
+Das war keine Wolke!
+
+"Der Himavat!" flüsterte Medini, überwältigt und ergriffen meinen Arm
+berührend.
+
+Ja, da erhob er sich vor uns, der Berg der Berge, die Stätte des ewigen
+Schnees, die Wohnung der Götter, der Aufenthalt der Heiligen! Der
+Himavat--schon von Kindheit an hatte mich dieser Name mit tiefen
+Gefühlen von Scheu und Ehrfurcht, mit heimlicher Ahnung des Erhabenen
+erfüllt! Wie oft hatte ich in Sagen und Märchen den Satz gehört: "und er
+begab sich nach dem Himavat und lebte dort ein Asketenleben"! Zu
+Tausenden und Abertausenden waren sie dort hinaufgestiegen, die
+Erlösungsuchenden, um in der Bergeinsamkeit durch Bußübungen sich das
+Heil zu erringen--jeder mit seinem Wahn: und nun nahte er, der einzige
+Wahnlose, dessen Spuren wir folgten.
+
+Während ich also dachte, erlosch das leuchtende Bild, als ob der Himmel
+es in sich aufgesogen hätte.
+
+Ich fühlte mich aber durch diesen Anblick so wunderbar belebt und
+gestärkt, daß ich an keine Ruhe mehr dachte.
+
+"Wenn auch der Erhabene," sagte ich zu Medini, "uns bis zu jenem Gipfel
+voranschritt, um von solchem erhabenen Standorte aus in jenes höchste
+der Gefilde einzugehen: so würde ich ihm doch folgen und ihn erreichen."
+
+Und ich wanderte mutig weiter. Wir waren aber keine halbe Stunde
+gegangen, da verschwand das Gestrüpp plötzlich, und bebautes Land lag
+vor uns. Es war schon ganz dunkel, und der Vollmond ging groß und
+glühend über dem uns gegenüberliegenden Walde auf, als wir endlich
+Kusinara erreichten.
+
+Es war in der Tat nicht viel mehr als ein Dorf der Mallas, mit Mauern
+und Häusern von gestampftem Lehm und Weidengeflecht. Mein erster
+Eindruck war, daß eine verheerende Krankheit das Städtchen entvölkert
+haben müsse. Vor den Haustüren saßen einige alte und kranke Leute und
+jammerten laut.
+
+Wir fragten sie, was denn geschehen sei.
+
+"Ach," riefen sie händeringend: "Gar zu bald wird der Vollendete
+sterben. Noch in dieser Stunde wird das Licht der Welt erlöschen. Die
+Mallas sind nach dem Salahain gegangen, um den Heiligen zu sehen und zu
+verehren. Denn kurz vor Sonnenuntergang kam Ananda in unsere Stadt und
+begab sich zur Markthalle, wo die Mallas eine öffentliche Sache
+berieten, und sagte: 'Heute, noch vor Mitternacht, o Mallas, wird das
+Nirvana des Vollendeten stattfinden. Sorget, daß ihr euch nicht später
+einen Vorwurf machen müßt: in unserer Stadt ist der Buddha gestorben,
+und wir benutzten nicht die Gelegenheit, um den Vollendeten in seinen
+letzten Stunden zu besuchen.' So zogen denn die Mallas mit Weibern und
+Kindern, klagend und jammernd, nach dem Salahain. Wir aber sind zu alt
+und schwach, wir mußten hier zurückbleiben und können den Erhabenen
+nicht in seinen letzten Stunden verehren."
+
+Wir ließen uns nun den Weg von der Stadt nach jenem Salahaine zeigen.
+Dieser Weg war aber, als wir ihn betraten, schon gänzlich angefüllt mit
+den Scharen der zurückkehrenden Mallas. Wir eilten also lieber
+querfeldein, nach einer Ecke des Wäldchens zu.
+
+Hier stand, an einen Baumstamm gelehnt, ein Mönch und weinte. In dem
+Augenblick, da ich ergriffen stehen blieb, erhob er sein Antlitz zum
+Himmel--das volle Mondlicht fiel auf die schmerzdurchdrungenen Züge, und
+ich erkannte Ananda.
+
+"So bin ich doch zu spät gekommen," sagte ich mir, und ich fühlte, wie
+meine Kräfte mich verließen.
+
+Ich vernahm aber ein Rascheln im Gebüsch und sah einen riesengroßen
+Mönch hervortreten und seine Hand auf Anandas Schulter legen:
+
+"Bruder Ananda, der Meister ruft dich."
+
+So sollte ich doch noch den Buddha in seinen letzten Augenblicken sehen!
+Sofort kehrten meine Kräfte wieder und befähigten mich, den beiden zu
+folgen.
+
+Jetzt bemerkte und erkannte Angulimala uns. Seinen besorgten Blick
+richtig deutend, sagte ich:
+
+"Fürchte nicht, Bruder, daß wir durch lautes Weinen und weibisches
+Klagen die letzten Augenblicke des Vollendeten stören werden. Wir haben
+uns von Vesali bis hierher keine Ruhe gegönnt, um den Erhabenen noch zu
+sehen. Verwehre uns den Zutritt nicht, wir wollen stark sein."
+
+Da winkte er uns, ihnen zu folgen.
+
+Wir hatten nicht weit zu gehen.
+
+Auf einer kleinen Waldwiese waren wohl an die zweihundert Brüder
+versammelt und standen da in einem Halbkreise. In der Mitte erhoben sich
+zwei Salabäume, die eine einzige Masse von weißen Blüten bildeten, und
+unter ihnen, auf einem Lager von gelben Mänteln, die zwischen den beiden
+Stämmen ausgebreitet waren, ruhte der Vollendete, den Kopf auf den
+rechten Arm gestützt. Und die Blüten regneten leise über ihn herab.
+
+Hinter ihm sah ich im Geiste die jetzt im Nachtdunkel verborgenen, in
+ewigen Schnee gehüllten Zinnen des Himavat, von denen ich soeben einen
+flüchtigen, traumhaften Anblick genossen hatte, dem ich es verdankte,
+daß ich jetzt hier vor dem Vollendeten stand. Der überirdische Glanz
+aber, der von ihnen herübergegrüßt hatte, strahlte mir jetzt in
+geistiger Verklärung von seinem Gesichte wider. Auch er, der Erhabene,
+schien ja, ebenso wie jene wolkenartig schwebenden Gipfel, der Erde gar
+nicht anzugehören, und doch war er wie sie, von derselben Ebene aus, die
+uns alle trägt, bis zu jener unermeßlichen Geisteshöhe emporgestiegen,
+von welcher aus er jetzt im Begriff stand, dem Blick der Menschen und
+der Götter zu entschwinden.
+
+Und er sprach zu dem vor ihm stehenden Ananda:
+
+"Ich weiß wohl, Ananda, daß du einsam weintest in dem Gedanken: 'Ich bin
+noch nicht frei von Sünden, ich habe noch nicht das Ziel erreicht, und
+mein Meister wird jetzt in das Nirvana eingehen--er, der sich meiner
+erbarmte.' Aber nicht also, Ananda--klage nicht, jammere nicht! Habe ich
+es dir nicht zuvor gesagt, Ananda:--von Allem, was man lieb hat, muß man
+scheiden? Wie wäre es möglich, Ananda, daß das, was entstanden ist,
+nicht verginge? Du aber, Ananda, hast lange Zeit den Vollendeten geehrt,
+in Liebe und Güte, mit Freuden, ohne Falsch. Du hast Gutes getan. Strebe
+ernstlich, und du wirst bald frei sein von Sinnenbegier, von Ichsucht
+und von Irrwahn."
+
+Wie um zu zeigen, daß er sich nicht mehr von Trauer überwältigen ließe,
+fragte nun Ananda, indem er mit Gewalt seine Stimme beherrschte, was die
+Jünger mit den sterblichen Resten des Vollendeten tun sollten.
+
+"Laßt euch das nicht kümmern," antwortete der Buddha. "Es gibt weise und
+fromme Anhänger unter den Adligen, unter den Brahmanen, unter den
+bürgerlichen Hausvätern--sie werden den sterblichen Resten des
+Vollendeten die letzte Ehre erweisen. Ihr aber habt Wichtigeres zu tun.
+Gedenket des Ewigen, nicht des Sterblichen; eilet vorwärts, schauet
+nicht zurück."
+
+Und indem er seinen Blick im Kreise herumgehen ließ und jeden einzelnen
+ansah, sprach er weiter:
+
+"Es möchte sein, ihr Jünger, daß ihr also denkt: 'das Wort hat seinen
+Meister verloren, wir haben keinen Meister mehr.' Aber so müßt ihr nicht
+meinen. Die Lehre, ihr Jünger, die ich euch gelehrt habe, die ist euer
+Meister, wenn ich von dannen gegangen bin. Darum haltet euch an keiner
+äußeren Stütze. Haltet fest an der Lehre, wie an einer Stütze! Seid eure
+eigene Leuchte, eure eigene Stütze."
+
+Auch mich bemerkte er dann--voll Mitleid ruhte der Blick des
+Allerbarmers auf mir, und ich fühlte, daß mein Pilgergang nicht
+vergeblich gewesen war.
+
+Nach einer kurzen Weile sprach er dann:
+
+"Es möchte sein, ihr Jünger, daß in jemand von euch irgend ein Zweifel
+aufstiege hinsichtlich des Meisters oder hinsichtlich der Lehre. Fragt
+frei, ihr Jünger, auf daß ihr euch nicht später den Vorwurf zu machen
+habt: 'der Meister war bei uns, von Angesicht zu Angesicht, und wir
+haben ihn nicht gefragt.'"
+
+Da er also gesprochen, also uns aufgefordert hatte, schwiegen Alle.
+
+Wie hätte wohl auch da noch ein Zweifel bestehen können angesichts des
+dahinscheidenden Meisters? Wie er dalag, von milden Mondstrahlen
+überflutet--als ob himmlische Genien ihm das Sterbebad bereiteten; von
+den niederregnenden Blüten bestreut--als ob die Erde ihren Verlust
+beweine; inmitten der tief erschütterten Jüngerschar selber
+unerschüttert, ruhig, heiter: wer fühlte da nicht, daß dieser vollkommen
+Heilige auf ewig alles Unvollkommene abgetan, alle Übel überwunden
+hatte? Was sie da "das sichtbare Nirvana" nennen, das sahen wir ja vor
+uns in den leuchtenden Zügen des weltverlassenden Buddha.
+
+Und Ananda faltete seine Hände und sagte, inniglich ergriffen:
+
+"Wie wunderbar ist doch dies, o Herr! Wahrlich, ich glaube, in dieser
+ganzen Versammlung ist auch nicht einer, in dem sich ein Zweifel regt."
+
+Und der Erhabene antwortete ihm:
+
+"Aus der Fülle deines Glaubens, Ananda, hast du gesprochen. Ich aber
+weiß, daß in keinem sich ein Zweifel regt. Selbst wer am weitesten
+zurück war, ist erleuchtet worden und wird schließlich das Ziel
+erreichen."
+
+Bei dieser Verheißung war es wohl jedem von uns, als ob eine starke Hand
+ihm die Pforte der Ewigkeit auftue.
+
+Noch einmal öffneten sich die Lippen, die der Welt die höchste und
+letzte Wahrheit verkündet hatten:
+
+"Wohlan, ihr Jünger, wahrlich, ich sage euch: vergänglich ist jegliche
+Gestaltung. Ringet ohne Unterlaß!"
+
+Das waren die letzten Worte des Erhabenen.
+
+
+
+
+XLIV. VASITTHIS VERMÄCHTNIS
+
+
+Und es waren die letzten, die ich auf Erden vernahm.
+
+Meine Lebenskraft war erschöpft, das Fieber umnebelte meine Sinne. Wie
+flüchtige Traumbilder sah ich noch Gestalten um mich her--Medinis
+Gesicht war oft dem meinigen nahe. Dann wurde Alles dunkel. Plötzlich
+aber war es mir, als ob ein kühles Bad meinen Fieberbrand lösche. Nein,
+ich fühlte mich, wie ein Wanderer, in der Sonnenglut an einem Teiche
+stehend, sich wohl vorstellen mag, daß die Lotuspflanze sich fühlen muß,
+die, gänzlich in quellenkühles Naß getaucht, ihre Labung mit allen
+Fasern einsaugt. Gleichzeitig hellte es sich nach oben auf, und ich sah
+dort über mir eine große schwimmende, rote Lotusrose; und über ihren
+Rand neigte sich dein liebes Gesicht hervor. Da stieg ich von selber
+aufwärts und ich erwachte neben dir, im Paradiese des Westens!"
+
+"Und gepriesen seist du," sagte Kamanita, "daß du, von deiner Liebe
+gelenkt, jenen Weg nahmst. Wo wäre ich wohl jetzt, wenn du dich mir dort
+nicht zugesellt hättest? Zwar weiß ich nicht, wohin wir uns aus den
+Trümmern dieses schrecklichen Weltunterganges retten können--doch du
+flößest mir Zuversicht ein, denn du scheinst von diesen Schrecknissen so
+unerschüttert zu sein, wie der Sonnenstrahl vom Sturm."
+
+"Wer das Größte gesehen hat, mein Freund, den bewegt das Geringere
+nicht. Geringfügig aber ist ja dies, daß Tausende und Abertausende von
+Welten vergehen, im Vergleich damit, daß ein vollendeter Buddha in das
+Nirvana eingeht. Denn alles dies, was wir rings um uns sehen, ist nur
+eine Veränderung, und alle diese Wesen werden wieder ins Dasein treten.
+Jener hunderttausendfache Brahma, der sich zornglühend gegen das
+Unabänderliche sträubt und wohl gar _uns_ neidisch ansieht, weil wir
+noch ruhig leuchten: der wird auf irgend einer niedrigeren Stufe wieder
+erscheinen, während vielleicht ein hochstrebender Menschengeist als der
+Brahma entsteht; jedes Wesen aber wird sich dort befinden, wo sein
+innerster Herzenswille und seine Geisteskraft es hinführt. Im ganzen
+jedoch wird Alles sein wie es war, weder besser noch schlimmer; weil es
+eben gleichsam aus demselben Stoff gemacht ist. Deshalb nenne ich dies
+geringfügig. Und deshalb ist es nicht nur keineswegs schrecklich,
+sondern sogar erfreulich, diesen Weltuntergang zu erleben. Denn wäre
+diese Brahmawelt ewig, dann gäbe es ja nichts Höheres."
+
+"So weißt du denn ein Höheres als diese Brahmawelt?"
+
+"Diese Brahmawelt ist, wie du siehst, vergänglich. Aber es gibt ein
+Unvergängliches, ein Ungewordenes. 'Es gibt,' sagt der Herr, 'eine
+Stätte, wo nicht Erde noch Wasser ist, nicht Licht noch Luft, weder
+Raumunendlichkeit noch Bewußtseinsunendlichkeit, weder Vorstellung noch
+Nichtvorstellung. Das heiße ich, ihr Jünger, weder Kommen noch Gehen,
+weder Sterben noch Geburt; das ist des Leidens Ende, die Stätte der
+Ruhe, das Land des Friedens, das unsichtbare Nirvana.'"
+
+"Hilf mir, du Heilige, daß wir dort, im Lande des Friedens,
+auferstehen!"
+
+"'Auferstehen'--hat der Herr gesagt--"das trifft dort nicht zu;
+Nichtauferstehen, das trifft dort nicht zu. Womit du bezeichnend irgend
+etwas greifbar machen und erfassen kannst--das trifft dort nicht zu.'"
+
+"Was soll mir aber das Ungreifbare?"
+
+"Lieber frage: was greifbar ist, ist das noch wert, die Hand danach
+auszustrecken?"
+
+"Ach, Vasitthi, wahrlich, ich glaube, einst muß ich einen Brahmanenmord
+oder ein ähnliches Verbrechen begangen haben, das mich mit seiner
+Vergeltung so grausam in dem Gäßchen Rajagahas traf. Denn wäre ich dort
+nicht jäh ums Leben gekommen, so hätte ich dem Erhabenen zu Füßen
+gesessen, ja gewiß wäre ich auch wie du bei seinem Nirvana zugegen
+gewesen. Und ich würde sein wie du bist.--Aber wohlan, Vasitthi--während
+uns noch Gedanken und Vorstellungen gehören, tue mir dies zu Liebe.
+Beschreibe mir den Vollendeten genau, auf daß ich ihn im Geiste sehe und
+somit das erreiche, was mir auf Erden nicht vergönnt war: gewiß wird das
+mir den Frieden geben."
+
+"Gern, mein Freund," antwortete Vasitthi. Und sie schilderte ihm die
+Erscheinung des Vollendeten, Zug um Zug, auch nicht das Geringste
+vergessend.
+
+Aber mißmutig sagte Kamanita:
+
+"Ach, was helfen Beschreibungen! Was du da sagst, das könnte alles
+ebensogut auf jenen alten Asketen passen, von dem ich dir erzählt habe,
+daß ich mit ihm zusammen zu Rajagaha in der Halle eines Hafners die
+Nacht zubrachte, und der wohl nicht ganz so töricht war, wie ich
+geglaubt habe, denn er hat doch, wie ich jetzt merke, manches Richtige
+gesagt. Wohlan, Vasitthi, sage mir nichts mehr, sondern stelle dir im
+Geiste den Vollendeten vor, bis du ihn siehst, wie du ihn zuletzt von
+Angesicht zu Angesicht gesehen hast; und infolge unserer geistigen
+Gemeinschaft werde ich dann vielleicht an dieser Vision teilnehmen."
+
+"Gern, mein Freund."
+
+Und Vasitthi stellte sich den Vollendeten vor, wie er im Begriff war, in
+das Nirvana einzugehen.
+
+"Siehst du ihn, mein Lieber?"
+
+"Noch nicht, Vasitthi."
+
+"Ich muß dies Phantasiebild versinnlichen," dachte Vasitthi.
+
+Und sie sah sich im unermeßlichen Raume um, wo die Brahmawelt im
+Erlöschen begriffen war.
+
+Gleichwie etwa ein großer Erzgießer, wenn er die Form eines herrlichen
+Götterbildes fertiggestellt hat, und es ihm an Erz gebricht um diese
+Form zu füllen, sich nun in seiner Werkstatt umsieht; und was da alles
+umhersteht an kleinen Götterbildern, Figuren, Vasen und Gefäßen, sein
+ganzes Eigentum, das Werk seines Lebens,--das wirft er alles gern und
+willig in den Schmelzofen, um dies eine herrliche Götterbild vollkommen
+gießen zu können:
+
+also sah Vasitthi sich im unermeßlichen Räume um:
+
+und was da alles noch von erblassendem Licht und zerfließenden Formen
+dieser Brahmawelt übrig war, das zog sie durch ihre Geisteskraft an
+sich, den ganzen Raum entvölkernd, und bannte diese ganze Masse von
+Astralstoff in die Formen ihrer Phantasie und schuf so im Räume ein
+kolossales leuchtendes Bild des Vollendeten, wie er im Begriff war, in
+das Nirvana einzugehen.
+
+Und wie sie dies Bild sich gegenüber erblickte, erhob sich in ihr keine
+Neigung, keine Wehmut.
+
+Denn selbst der große Heilige Upagupta, als er durch die Zauberkunst
+Maras, des Bösen, die Gestalt des längst gestorbenen Buddha zu sehen
+bekam, da erhob sich in ihm Neigung, so daß er sich vor der
+Trugerscheinung anbetend niederwarf und von Wehmut übermannt klagte:
+"Wehe über diese erbarmungslose Unbeständigkeit, daß sie auch so
+herrliche Gestalten auflöst! Denn der so herrliche Körper des großen
+Heiligen unterlag der Vergänglichkeit und ist der Vernichtung
+anheimgefallen."
+
+Nicht aber so Vasitthi.
+
+Unbewegt, gesammelten Geistes betrachtete sie die Erscheinung, wie ein
+Künstler sein Werk, nur darauf bedacht, dieselbe Kamanita mitzuteilen.
+
+"Jetzt fange ich an, eine Gestalt zu sehen," sagte dieser. "O halte sie
+fest, laß sie noch deutlicher aufleuchten!"
+
+Da blickte Vasitthi sich wieder im Raume um.
+
+In seiner Mitte war noch der rotglühende, zornesblitzende Glanz des
+hunderttausendfachen Brahma geblieben.
+
+Und Vasitthi riß durch ihre Geisteskraft diese höchste Gottheit aus
+ihrer Stätte und bannte sie in die Form der Buddhaerscheinung hinein. Da
+erleuchtete sich diese und belebte sich, wie Einer, der einen stärkenden
+Trank genießt.
+
+"Jetzt seh' ich sie schon deutlicher," sagte Kamanita.
+
+Da schien es Vasitthi, als ob der Buddha zu ihr spräche:
+
+"So bist du denn gekommen, meine Tochter. Bist du mit deinem Spruch zu
+Ende?"
+
+Und wie man seinem Traumbilde antwortet, entgegnete Vasitthi:
+
+"Ich bin damit zu Ende, Herr."
+
+"Recht so, meine Tochter! Und der lange Weg hat dich nicht gemüht? Noch
+bedarfst du der Hilfe des Vollendeten?"
+
+"Nein, o Herr, ich bedarf nicht mehr der Hilfe des Vollendeten."
+
+"Recht so, meine Tochter! Bei dir selber hast du Zuflucht genommen, in
+deinem eigenen Selbst ruhest du, Vasitthi."
+
+"Mein Selbst habe ich kennen gelernt, o Herr. Wie man die Blattscheiden
+eines Pisangstammes aufrollt und findet darin kein Kernholz, aus dem
+eine feste Stütze zu zimmern wäre; also habe ich da mein Selbst kennen
+gelernt: ein Haufen wechselnder Gestaltungen, in denen nichts Ewiges
+ist, worin man ruhen könnte. Und ich gebe dies mein Selbst auf: 'das bin
+ich nicht, das gehört mir nicht'--also urteile ich darüber."
+
+"Recht so, meine Tochter! Nur an der Lehre hältst du dich noch fest."
+
+"Die Lehre, o Herr, hat mich zum Ziel gebracht. Wie einer, der mittelst
+eines Flosses einen Strom durchquert hat, wenn er das jenseitige Ufer
+betritt, das Floß nicht festhält, nicht mit sich schleppt: also halte
+ich mich nicht mehr an der Lehre fest, lasse die Lehre fahren."
+
+"Recht so, meine Tochter! Solcherweise nirgend anhänglich haftend, wirst
+du bei mir am Orte des Friedens auferstehen."
+
+"'Auferstehen,' hast du gesagt, o Herr, 'das trifft nicht zu.
+Nichtauferstehen, das trifft nicht zu.' Und auch diese Lehre, daß weder
+Auferstehen noch Nichtauferstehen zutrifft--auch die trifft nicht mehr
+zu. Nichts trifft mehr zu, _und am wenigsten trifft das Nichts zu_. Also
+hab' ich es jetzt verstanden."
+
+Da lächelte die Buddhaerscheinung ein leuchtendes Lächeln.
+
+"Jetzt werde ich auch die Züge gewahr," sagte Kamanita. "Wie ein
+Spiegelbild in fließendem Wasser erkenne ich sie undeutlich. O, halte
+sie fest, stätige sie, Vasitthi!"
+
+Vasitthi sah sich im Raume um.
+
+Der Raum war leer.
+
+Da warf Vasitthi ihre eigene Körperlichkeit in die Astralmasse der
+Erscheinung hinein.
+
+Kamanita merkte, wie Vasitthi entschwand. Wie aber ein Sterbender ein
+Vermächtnis hinterläßt, so hatte Vasitthi ihm jetzt das Buddhabild
+vermacht, das mit ihm allein im Räume zurückblieb, und das er jetzt
+deutlich erkannte.
+
+"Jener alte Asket, mit dem ich in Rajagaha übernachtete und den ich
+töricht schalt, das war ja der Vollendete! O über mich Toren! Gab es je
+einen größeren Toren als mich? Was ich als das höchste Heil, als die
+Erlösung selber ersehnte, das hab' ich ja schon seit Milliarden von
+Jahren besessen!"
+
+Da näherte sich ihm die Erscheinung wie eine heranziehende Wolke und
+hüllte ihn in einen glänzenden Nebel ein.
+
+
+
+
+XLV. WELTENNACHT UND WELTENGRAUEN
+
+
+Wie in einer Festhalle, wenn alle Fackeln und Lampen ausgelöscht sind,
+in einer Ecke vor einem heiligen Bilde ein Lämpchen noch brennen bleibt:
+also blieb Kamanita in der Weltennacht allein zurück.
+
+Denn wie seine Leiblichkeit in den Astralstoff jener Buddhaerscheinung
+gehüllt war, so war seine Seele ganz und gar vom Buddhagedanken umhüllt:
+und das war das Öl, welches die Flamme dieses Lämpchens speiste.
+
+Das ganze Gespräch, das er in der Vorhalle des Hafners zu Rajagaha mit
+dem Erhabenen gehabt hatte, stieg Satz für Satz, Wort für Wort in seiner
+Erinnerung auf. Nachdem er es aber ganz durchgegangen war, hub er wieder
+von vorne an. Und jeder Satz war ihm da wie eine Pforte, von der aus
+sich neue Gedankenwege eröffneten, die wiederum zu anderen führten. Und
+er wanderte sie alle, bedächtigen Schrittes, und nichts war da, was ihm
+dunkel blieb.
+
+Und während sein Geist da solchermaßen den Buddhagedanken in sich
+hineinspann und verarbeitete, sog seine Körperlichkeit immer mehr von
+dem sie umgebenden Astralnebel in sich, so daß dieser endlich
+durchsichtig wurde. Und die Finsternis der Weltennacht fing an sich als
+ein zartes Blau zu zeigen, das immer dunkler ward.
+
+Da dachte Kamanita:
+
+"Draußen herrscht nun die ungeheure Finsternis der Weltennacht. Einst
+aber wird die Zeit kommen, da der Tag graut und eine neue Brahmawelt ins
+Dasein tritt. Wenn mein Sinnen und Trachten nun darauf gerichtet wäre,
+der hunderttausendfache Brahma zu sein, der diese Welt ins Leben rufen
+wird, so sehe ich nicht, wer mir da den Rang ablaufen könnte. Denn
+während alle Wesen jener Brahmawelt in Ohnmacht und Nichtsein versunken
+sind, bin ich hier wach und geistesmächtig zur Stelle. Ja, ich könnte,
+wenn ich wollte, in diesem Augenblick jene Wesen alle ins Dasein rufen,
+jedes an seine Stelle, und den neuen Weltentag beginnen. Eins aber
+könnte ich nicht: Vasitthi könnte ich nimmer wieder ins Dasein rufen.
+Vasitthi ist davongegangen in jenem Entschwinden, das keine Daseinskeime
+zurückläßt; kein Gott und kein Brahma kann sie finden. Was aber soll mir
+ein Leben ohne Vasitthi, die im Leben das Schönste und Beste war? Und
+was soll mir ein Brahmasein, über welches man hinausgehen kann? Was soll
+mir die Zeitlichkeit, wenn es eine Ewigkeit gibt?
+
+"Es gibt eine Ewigkeit und einen Weg in die Ewigkeit. Einst hat mich ein
+alter Waldbrahmane gelehrt, daß um das Herz hundert feine Adern
+gesponnen sind, durch welche die Seele in dem ganzen Körper
+umherschweifen kann; eine einzige Ader aber gäbe es, die zum Scheitel
+führe, und durch diese verlasse die Seele den Körper. So gibt es auch
+hundert, ja tausend und hunderttausend Wege, die in dieser Welt
+umherführen, durch mannigfache Leidensstätten, langwierige und
+kurzwierige, schön ausgestattete und häßlich ausgestattete: Himmel und
+Menschenwelt und Tierreiche und Höllen. Aber einen einzigen Weg gibt es,
+der aus dieser Welt gänzlich hinausführt. Das ist der Weg in die
+Ewigkeit, der Weg ins Unbetretene. Auf diesem Wege befinde ich mich
+jetzt. Wohlan, ich will ihn zu Ende gehen."
+
+Und er dachte den Buddhagedanken von dem zur Leidensvernichtung
+führenden Wege immer weiter.
+
+Und immer dunkler wurde das Blau der durchscheinenden Weltennacht.
+
+Wie dasselbe aber anfing fast schwarz zu werden, leuchtete der neue
+Brahma auf, ein hunderttausendfacher Brahma, der hunderttausend Welten
+erleuchtet und erhält.
+
+Und der Brahma ließ den frohen Weckruf ergehen:
+
+"Wachet auf, ihr Wesen alle, die ihr diese ganze Weltennacht hindurch im
+Schoße des Nichtseins ruhtet! Hierher, die neue Brahmawelt zu bilden,
+den neuen Weltentag zu genießen, jeder an seiner Stätte, jeder nach
+seiner Kraft!"
+
+Und die Wesen und Welten tauchten aus dem Nichtsein der Finsternis
+hervor, Stern an Stern, und wie Jauchzen von hunderttausend Stimmen und
+Schall von hunderttausend Pauken und Muschelhörnern erklang es:
+
+"Heil dem hunderttausendfachen Brahma, der uns zum neuen Weltentage
+ruft! Heil uns, die wir berufen sind, den Weltentag mit ihm zu genießen,
+seinen göttlichen Glanz selig widerzuspiegeln!"
+
+Als Kamanita dies sah und vernahm, wurde er von tiefem Mitleid
+ergriffen.
+
+"Diese Wesen und Welten, diese Sternengötter und der hunderttausendfache
+Brahma selber jauchzen dem Weltentage entgegen, erfreuen sich des
+Lebens. Und warum? Weil sie es nicht kennen."
+
+Durch dies sein Mitleid mit der Welt, mit den Göttern und mit dem
+höchsten Gott überwand Kamanita den letzten Rest von Eigenliebe.
+
+Aber er erwog nun:
+
+"Auch während dieses Weltentages werden ja vollendete Buddhas
+erscheinen, welche die Wahrheit verkünden. Wenn nun diese Gottheiten die
+Heilswahrheit vernehmen und sich erinnern, daß sie im ersten Grauen des
+Weltentages ein Wesen gesehen haben, das aus der Welt hinausging, dann
+wird ihnen diese Erinnerung zum Vorteil gedeihen. 'Schon einer aus
+unserer Mitte, gleichsam ein Teil von uns, ist auf jenem Weg
+vorausgegangen,' werden sie sich sagen und das wird ihnen zum Heil
+gereichen. Also helfe ich Allen, indem ich mir selber helfe. Denn
+niemand kann in Wahrheit sich selber helfen, ohne Allen zu helfen."
+
+Da bemerkten nun bald einige, dann immer mehrere der Sternengötter, daß
+Einer da war, der nicht wie die anderen klarer und klarer leuchtete,
+sondern vielmehr an Glanz abnahm.
+
+Und sie riefen ihm zu:
+
+"Heda, Bruder! Blicke doch auf den großen, den hunderttausendfachen
+Brahma, auf daß dein Glanz sich erfrische, auf daß du aufleuchten mögest
+wie wir! Auch du, Bruder, bist ja berufen, den Glanz des höchsten Gottes
+selig widerzuspiegeln."
+
+Als die Götter ihn so anriefen, blickte Kamanita weder hin, noch hörte
+er hin.
+
+Und die Götter, die ihn noch trüber werden sahen, wurden um ihn gar sehr
+besorgt. Und sie wandten sich an Brahma:
+
+"Großer Brahma! Erleuchter und Erhalter! O siehe doch dies arme Wesen,
+das zu schwach ist, um mitzufolgen, dessen Glanz abnimmt, anstatt
+zuzunehmen! O, richte doch deine Aufmerksamkeit auf ihn, erleuchte ihn,
+erfrische ihn! Auch ihn hast du ja gerufen, damit er deinen göttlichen
+Glanz selig widerspiegele."
+
+Und der große Brahma, voll Fürsorge für die Wesen, richtete seine
+Aufmerksamkeit auf Kamanita, um ihn zu erfrischen und zu stärken.
+
+Aber der Glanz Kamanitas nahm trotzdem zusehends ab.
+
+Da verdroß es nun den großen Brahma mehr, daß dies eine Wesen sich von
+ihm nicht erhellen ließ und seinen Glanz nicht widerspiegelte, als es
+ihn erfreute, daß hunderttausend Welten sich in seinem Lichte sonnten
+und ihn jauchzend priesen.
+
+Und er zog einen großen Teil seiner göttlichen Leuchtkraft von den
+Welten zurück--Leuchtkraft genug, um tausend Welten zu entzünden--und
+richtete sie auf Kamanita.
+
+Aber der Glanz Kamanitas nahm immer noch ab, als ob er dem völligen
+Erlöschen entgegenginge.
+
+Nun geriet Brahma in große Angst, in große Besorgnis:
+
+"Dieser eine entzieht sich meiner Macht--so bin ich denn nicht
+allmächtig? Nicht kenn' ich den Weg, den er geht--so bin ich denn nicht
+allwissend? Denn nicht erlischt jener, wie die Wesen im Tode erlöschen,
+um je nach den Werken wiedergeboren zu werden; nicht, wie die Welten in
+der Brahmanacht erlöschen, um sich wieder zu entzünden. Welches Licht
+leuchtet denn ihm, daß er das meine verschmäht? So gibt es also ein
+Licht, leuchtender als das meine? So gibt es also einen Weg, dem meinen
+entgegengesetzt--einen Weg ins Unbetretene? Werde ich wohl selber jemals
+diesen Weg einschlagen--den Weg ins Unbetretene?"
+
+Und auch die Sternengötter alle gerieten in große Angst, in große
+Besorgnis:
+
+"Dieser eine entzieht sich der Macht des großen Brahma--so ist denn der
+große Brahma nicht allmächtig? Welches Licht leuchtet wohl ihm, daß er
+dasjenige des großen Brahma verschmäht? So gibt es denn ein Licht,
+herrlicher als das göttliche, das wir selig widerspiegeln? So gibt es
+also einen Weg, dem unseren entgegengesetzt--einen Weg ins Unbetretene?
+Werden wir wohl jemals diesen Weg einschlagen--den Weg ins Unbetretene?"
+
+Da erwog nun der hunderttausendfache Brahma:
+
+"Wohlan, ich werde meine Leuchtkraft, die jetzt in dem Raume verbreitet
+ist, wieder zurückziehen und werde alle diese Welten wiederum in das
+Dunkel der Brahmanacht versenken. Und in einen einzigen Strahl gesammelt
+werde ich mein Licht auf jenes Wesen richten, um es für diese meine
+Brahmawelt noch zu retten."
+
+Und der hunderttausendfache Brahma zog nun seine in dem Raume
+verbreitete Leuchtkraft an sich zurück, so daß alle die Welten wieder in
+das Dunkel der Brahmanacht versanken. Und indem er sein Licht in einen
+einzigen Strahl sammelte, richtete er diesen auf Kamanita.
+
+"Nun muß an dieser Stelle der strahlendste Stern meiner ganzen
+Brahmawelt leuchten!" dachte er.
+
+Da zog der hunderttausendfache Brahma diesen einzigen Strahl, mit
+Leuchtkraft genug um hunderttausend Welten zu entzünden, an sich zurück
+und verbreitete dann wieder sein Licht durch den ganzen Raum.
+
+An der Stelle aber, wo er hoffte, den strahlendsten Stern leuchten zu
+sehen, war nur noch ein verglimmendes Fünkchen zu entdecken.
+
+Und während im unermeßlichen Raume Welten an Welten aufleuchtend und
+aufjauchzend zum neuen Brahmatage sich hervordrängten, erlosch der
+Pilger Kamanita gänzlich, wie eine Lampe erlischt, wenn sie den letzten
+in ihren Docht aufgesogenen Öltropfen verzehrt hat.
+
+Ende
+
+
+
+
+NOTE
+
+
+Mit Ausnahme der Begegnung des Buddha und des Pilgers in der Vorhalle
+des Hafners (_Majjhimanikayo_ Nr. 140, wo aber der Pilger den Buddha
+versteht und erkennt) und der Bekehrung Angulimalas[1] sind die in
+diesem Buche erzählten Begebenheiten von mir frei erfunden--was ich
+deshalb bemerke, weil einige Leser des Manuskriptes glaubten, ich hätte
+irgend eine indische Sage bearbeitet. Nur die Schilderung des
+Ballspieles habe ich aus _Dandins_ Novellenkranze _Daçakumaracaritam_
+genommen; auch in der glänzenden Einleitung der deutschen Übersetzung
+dieses Werkes--von _J.J. Meyer_--fand ich manchen guten Wink. Daß ich
+zum Ausmalen des Milieus kulturhistorische Werke älteren und neueren
+Datums--vor allen die _Jatakas_--benutzt habe, versteht sich wohl von
+selber; von modernen Werken sei hier _Richard Schmidts_ "_Beiträge zur
+indischen Erotik_" als ausgiebige Fundgrube erwähnt (Lotus-Verlag,
+Leipzig 1902; in demselben Verlage ist Daçakumaracaritam erschienen).
+
+ [1] XXXIV. Kap. Die Einzelheiten der Legende nach Majjh. No. 86. Doch
+ ist das vereitelte Pfeilschießen von mir hinzugefügt. Das Höllenbild
+ findet sich auch nicht dort, sondern in No. 50; die daran sich
+ schließende Stelle vom Höllenrichter ist aus No. 130 genommen; die dann
+ folgende Skala von den Vielen und den Wenigen gehört einem andern Teile
+ des Kanons an (Anguttara-Nikayo--nach K.E. Neumanns "Buddhistischer
+ Anthologie", p. 104 ff.).
+
+Die echten Buddhaworte sind durch ihren Stil leicht als solche zu
+erkennen--wiewohl einige nachgemachte (p. 140 bis 144) mit ihnen
+verwechselt werden können. Sie sind meistens dem großartigen
+Übersetzungswerke Dr. _Karl E. Neumanns_ "_Die Reden Buddhos_"
+(Majjhimanikayo) entnommen. Aber auch dem epochemachenden und noch immer
+unübertroffenen Werke Prof. _Oldenbergs_ ("Buddha") verdanke ich einige
+wichtige Stellen.
+
+Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß die wenigen Upanishadstellen (p.
+36ff., 129, 141) nach Prof. _Deussens_ "Sechzig Upanishads des Veda"
+zitiert sind. Dem zweiten großen Übersetzungswerke dieses trefflichen
+und unermüdlichen Forschers "_Die Sutras des Vedanta_" verdankt mein
+_zehntes Kapitel_ seine Entstehung. Wenn dies kuriose Stück inhaltlich
+eine Darstellung des Indischen Übermenschentums ist--als des äußersten
+Gegensatzes zum Buddhismus--so ist es in seiner Form eine peinlich
+genaue Nachbildung des vedantischen Sutrastils, mit der änigmatischen
+Kürze des Textes, dessen eigentliches Prinzip--wie Deussen richtig
+erkannt hat--darin besteht, nur Stichworte für das Gedächtnis,
+keineswegs aber die für den Sinn wichtigen Worte zu geben; so konnte man
+ohne Gefahr den Text schriftlich fixieren, da er doch von keinem
+verstanden wurde, dem der Lehrer nicht auch mündlich den Kommentar
+mitteilte, der dann gewöhnlich um so pedantisch umständlicher ausfiel.
+Allerdings sind diese _Kali-Sutras_--wie der ganze Vajaçavas--eine
+scherzhafte Fiktion von mir,--aber eine, glaube ich, von der jeder
+Kenner des alten Indien zugeben wird, daß sie sich innerhalb der Grenzen
+des Möglichen--ja sogar des Wahrscheinlichen--hält. Indien ist eben das
+Land, wo auch der Räuber philosophieren muß und es gelegentlich bis zum
+"wunderlichen Heiligen" treibt, und wo auch der Höllenwächter "höflich
+bis zur letzten Galgensprosse" bleibt.
+
+Sollte nun einen solchen Kenner die Lust anwandeln, mich wegen einiger
+Ungenauigkeiten zu schulmeistern, so bitte ich ihn, zu bedenken, daß
+der, der den "Pilger Kamanita" schrieb, wohl am besten weiß, welche
+Freiheiten er sich genommen hat und warum. So hätte ich ja leicht
+anstatt des späteren Sukhavati den Himmel der dreiunddreißig Götter
+nehmen können und wäre dann korrekt geblieben. Aber was in aller Welt
+hätte ich mit dreiunddreißig Göttern anstellen sollen, da ich nicht
+einmal in Sukhavati für den einen Amithaba Verwendung hatte? So ließ
+mich denn auch als Dichter die Frage recht kalt, ob das Mahabharatam
+schon zur Zeit des Buddha existierte, und in welcher Form. Auch gestehe
+ich gern, daß ich gar nicht weiß, ob man von Kusinara aus die
+Schneegipfel des Himalaya erblicken kann, ja daß ich dies sogar sehr
+bezweifle; wiewohl nicht der Entfernung wegen, da Schlagintweit aus noch
+größerer den Gaurisankar von der Ebene aus gesehen hat. Dem sei nun wie
+es wolle: ich bin der Ansicht, daß die Forderungen der Poesie denen der
+Geographie vorangehen.
+
+Dagegen würde ich mir nie erlaubt haben, am ursprünglichen Buddhismus
+"poetischer" Zwecke halber auch nur den geringsten Zug zu ändern; denn
+daß ich, wie gesagt, die später so höchst populäre Vorstellung von
+Sukhavati hineingezogen habe, wird man mir nicht als eine solche
+Entstellung anrechnen können, da doch der Sache nach identische
+Vorstellungen im ältesten Buddhismus lebendig sind. Vielmehr ist es mir
+ein Herzensbedürfnis gewesen, ein echtes Bild buddhistischer Lebens- und
+Weltanschauung aufzurollen. Wenn Dr. _K.E. Neumann_, ohne dessen
+Arbeiten diese Dichtung nicht hätte entstehen können, in seinem Nachwort
+zum "Wahrheitspfad" vor dreizehn Jahren schrieb: "Die letzten
+Jahrzehnte, die letzten Jahre haben uns erst Aufschluß darüber gegeben,
+wer der Buddha war und was er gelehrt hat....Die Poesie des Buddhismus,
+sein Innerstes, ist uns aber noch ein Buch mit fünf Siegeln. Eins nach
+dem andern muß gelöst werden, wollen wir sein Herz verstehen
+lernen....Nachdem die Gelehrten das Ihrige getan haben, komme nun der
+Dichter und tue das Seinige: die Pali-Urkunden warten auf ihn. Dann erst
+wird die Buddhalehre auch bei uns zum Leben erwachen, wird deutsch unter
+Deutschen blühn"--so hoffe ich, daß mein gelehrter und verehrter
+Freund--und vielleicht mancher mit ihm--in diesem Werk den Anfang der
+Erfüllung jenes Wunsches begrüßen wird.
+
+Dresden, September 1906 Karl Gjellerup
+
+
+
+***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER PILGER KAMANITA***
+
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+will be renamed.
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+(and you!) can copy and distribute it in the United States without
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+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
+individual work is in the public domain in the United States and you are
+located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
+copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
+works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
+are removed. Of course, we hope that you will support the Project
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+<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Transitional//EN"
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+<html>
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+<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=ISO-8859-1" />
+<title>The Project Gutenberg eBook of Der Pilger Kamanita, by Karl Adolph Gjellerup</title>
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+<body>
+<h1 class="center">The Project Gutenberg eBook, Der Pilger Kamanita, by Karl Adolph Gjellerup</h1>
+<pre>
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at <a href = "https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a></pre>
+<p>Title: Der Pilger Kamanita</p>
+<p>Author: Karl Adolph Gjellerup</p>
+<p>Release Date: February 7, 2005 [eBook #14962]</p>
+<p>Language: German</p>
+<p>Character set encoding: ISO-8859-1</p>
+<p>***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER PILGER KAMANITA***</p>
+<p>&nbsp;</p>
+<h3 class="center">E-text prepared by Inka Weide<br />
+ and the Project Gutenberg Online Distributed Proofreading Team</h3>
+<p>&nbsp;</p>
+ <hr />
+<p>&nbsp;</p>
+<p>&nbsp;</p>
+ <h1>Der Pilger Kamanita</h1>
+ <h2>Ein Legendenroman von Karl Gjellerup</h2>
+ <br />
+ &nbsp;<br />
+ &nbsp;
+ <h2>Inhaltsverzeichnis</h2>
+ <br />
+ <a href="#chap_i">I. DER ERHABENE BEGR&Uuml;SST DIE STADT DER F&Uuml;NF
+ H&Uuml;GEL</a><br />
+ <a href="#chap_ii">II. DIE BEGEGNUNG</a><br />
+ <a href="#chap_iii">III. NACH DEM UFER DER GANGA</a><br />
+ <a href="#chap_iv">IV. DIE BALLSPIELERIN</a><br />
+ <a href="#chap_v">V. DAS MAGISCHE BILDNIS</a><br />
+ <a href="#chap_vi">VI. AUF DER TERRASSE DER SORGENLOSEN</a><br />
+ <a href="#chap_vii">VII. IN DER SCHLUCHT</a><br />
+ <a href="#chap_viii">VIII. DIE PARADIESKNOSPE</a><br />
+ <a href="#chap_ix">IX. UNTER DEM R&Auml;UBERGESTIRN</a><br />
+ <a href="#chap_x">X. GEHEIMLEHRE</a><br />
+ <a href="#chap_xi">XI. DER ELEFANTENR&Uuml;SSEL</a><br />
+ <a href="#chap_xii">XII. AM GRABE DES HEILIGEN VAJA&Ccedil;RAVAS</a><br />
+ <a href="#chap_xiii">XIII. DER LEBEMANN</a><br />
+ <a href="#chap_xiv">XIV. DER EHEMANN</a><br />
+ <a href="#chap_xv">XV. DER KAHLE PFAFF</a><br />
+ <a href="#chap_xvi">XVI. KAMPFBEREIT</a><br />
+ <a href="#chap_xvii">XVII. IN DIE HEIMATLOSIGKEIT</a><br />
+ <a href="#chap_xviii">XVIII. IN DER HALLE DES HAFNERS</a><br />
+ <a href="#chap_xix">XIX. DER MEISTER</a><br />
+ <a href="#chap_xx">XX. DAS UNVERN&Uuml;NFTIGE KIND</a><br />
+ <a href="#chap_xxi">XXI. MITTEN IM LAUFE</a><br />
+ <a href="#chap_xxii">XXII. IM PARADIESE DES WESTENS</a><br />
+ <a href="#chap_xxiii">XXIII. SELIGE REIGEN</a><br />
+ <a href="#chap_xxiv">XXIV. DER KORALLENBAUM</a><br />
+ <a href="#chap_xxv">XXV. DIE KNOSPE &Ouml;FFNET SICH</a><br />
+ <a href="#chap_xxvi">XXVI. DIE KETTE MIT DEM TIGERAUGE</a><br />
+ <a href="#chap_xxvii">XXVII. DER WAHRHEITSAKT (SACCAKIRIYA)</a><br />
+ <a href="#chap_xxviii">XXVIII. AM GESTADE DER HIMMLISCHEN GANGA</a><br />
+ <a href="#chap_xxix">XXIX. IM DUFTE DER KORALLENBL&Uuml;TEN</a><br />
+ <a href="#chap_xxx">XXX. "ALLES ENTSTANDENE--"</a><br />
+ <a href="#chap_xxxi">XXXI. DIE ERSCHEINUNG AUF DER TERRASSE</a><br />
+ <a href="#chap_xxxii">XXXII. SATAGIRA</a><br />
+ <a href="#chap_xxxiii">XXXIII. ANGULIMALA</a><br />
+ <a href="#chap_xxxiv">XXXIV. DIE SPEERH&Ouml;LLE</a><br />
+ <a href="#chap_xxxv">XXXV. LAUTERE SPENDE</a><br />
+ <a href="#chap_xxxvi">XXXVI. BUDDHA UND KRISHNA</a><br />
+ <a href="#chap_xxxvii">XXXVII. PARADIESWELKEN</a><br />
+ <a href="#chap_xxxviii">XXXVIII. IM REICHE DES HUNDERTTAUSENDFACHEN BRAHMA</a><br />
+ <a href="#chap_xxxix">XXXIX. WELTEND&Auml;MMERUNG</a><br />
+ <a href="#chap_xl">XL. IM KRISHNAHAIN</a><br />
+ <a href="#chap_xli">XLI. DER LEICHTE SPRUCH</a><br />
+ <a href="#chap_xlii">XLII. DIE KRANKE NONNE</a><br />
+ <a href="#chap_xliii">XLIII. DAS NIRVANA DES VOLLENDETEN</a><br />
+ <a href="#chap_xliv">XLIV. VASITTHIS VERM&Auml;CHTNIS</a><br />
+ <a href="#chap_xlv">XLV. WELTENNACHT UND WELTENGRAUEN</a><br />
+ <a href="#chap_note">NOTE</a> <br />
+ <br />
+<p>&nbsp;</p>
+
+ <p><img src="images/title.png" width="530" height="275" align="middle"
+ alt="buddha" /></p>
+ <h2><a id="chap_i" name="chap_i">I. DER ERHABENE BEGR&Uuml;SST DIE STADT DER
+ F&Uuml;NF H&Uuml;GEL</a></h2>
+ <p><img src="images/i.png" width="93" height="93" align="left" alt="E" />inst
+ wanderte der Buddha im Lande Magadha von Ort zu Ort und kam nach Rajagaha. Der Tag
+ ging schon zur Neige, als der Erhabene sich der Stadt der f&uuml;nf H&uuml;gel
+ n&auml;herte. Gleich dem Abglanz einer segnenden G&ouml;tterhand breiteten sich die
+ milden Strahlen der Sonne &uuml;ber die weite, mit gr&uuml;nen Reisfeldern und Wiesen
+ bedeckte Ebene. Hier und dort zeigten kleine an der Erde hinkriechende W&ouml;lkchen,
+ wie aus reinstem Goldstaube, da&szlig; Menschen und Ochsen von der Feldarbeit
+ heimkehrten; und die langgestreckten Schatten der Baumgruppen waren wie von einer
+ regenbogenfarbigen Glorie umgeben. Aus dem Kranze der bl&uuml;henden G&auml;rten
+ gl&auml;nzten die Torzinnen, Terrassen, Kuppeln und T&uuml;rme der Hauptstadt hervor,
+ und in unvergleichlichem Farbenschmelz, als w&auml;ren sie aus Topasen, Amethysten
+ und Opalen gebildet, lag die Reihe der Felsenh&uuml;gel da.</p>
+ <p>Von diesem Anblick ergriffen, blieb der Erhabene stehen. Mit Freuden
+ begr&uuml;sste er jene vertrauten Formen, die so manche Erinnerungen f&uuml;r ihn
+ bargen: das graue Horn, das breite Joch, den Seherfelsen und den Geierkulm, "dessen
+ sch&ouml;ner Gipfel die andern wie ein Dach &uuml;berragt";--vor allen aber Vibhara,
+ den Berg der heissen Quellen, der mit seiner H&ouml;hle des Sattapannibaumes dem
+ Heimatlosen eine erste Heimat bereitet hatte--die erste Rast auf dem letzten Wege vom
+ Sansara ins Nirvana.</p>
+ <p>Denn als er damals "noch in frischer Bl&uuml;te, mit gl&auml;nzendem, dunklem
+ Haar, im Genusse gl&uuml;cklicher Jugend, im ersten Mannesalter, gegen den Wunsch
+ seiner weinenden und klagenden Eltern" das f&uuml;rstliche Vaterhaus im
+ n&ouml;rdlichen Lande der Sakyer verlassen und seine Schritte nach dem Gangatal
+ gerichtet hatte, da g&ouml;nnte er sich erst dort einen l&auml;ngeren Aufenthalt,
+ indem er jeden Morgen um Almosenspeise nach Rajagaha ging. In jener H&ouml;hle hatte
+ ihn auch damals der K&ouml;nig von Magadha, Bimbisara, besucht und ihn vergebens
+ beschworen, ins Elternhaus und ins Weltleben zur&uuml;ckzukehren, bis der F&uuml;rst,
+ durch die Worte des jungen Asketen umgestimmt, das erste Vertrauen fasste, das ihn
+ sp&auml;ter zum Anh&auml;nger des Buddha machte.</p>
+ <p>Lange Zeit war seitdem verflossen--ein halbes Jahrhundert, in dem er nicht nur
+ seinen eigenen Lebenslauf, sondern den Lauf der Welt gewendet hatte. Welcher
+ Unterschied zwischen damals, als er dr&uuml;ben in der H&ouml;hle des
+ Sattapannibaumes weilte, und jetzt! Damals war er noch ein Suchender, ein nach der
+ Erl&ouml;sung Ringender: schreckliche Seelenk&auml;mpfe standen ihm noch bevor,
+ jahrelange, ebenso furchtbare wie fruchtlose Kasteiungen, bei deren Schilderungen
+ selbst dem Beherztesten seiner Zuh&ouml;rer sich die Haare vor Entsetzen
+ str&auml;ubten;--bis er dann endlich, nach v&ouml;lliger &Uuml;berwindung solcher
+ Schmerzensaskese, durch inbr&uuml;nstige Selbstvertiefung die Erleuchtung errang und
+ zum Heil der Wesen als ein allerh&ouml;chster, vollendeter Buddha aus dem Kampfe
+ hervorging.</p>
+ <p>Damals &auml;hnelte sein Leben einem unst&auml;ten Vormittag in der Regenzeit, wo
+ blendender Sonnenschein und tiefe Schatten wechseln, w&auml;hrend der Monsun die
+ Wolken immer h&ouml;her aufeinander t&uuml;rmt, und das t&ouml;dlich drohende
+ Gewitter immer n&auml;her grollt. Jetzt aber war es von demselben abendlichen,
+ heiteren Frieden erf&uuml;llt, der &uuml;ber dieser Landschaft ruhte, und der immer
+ tiefer und verkl&auml;rter zu werden schien, je mehr der Sonnenball sich dem
+ Horizonte n&auml;herte. Auch die Sonne seines Lebenstages neigte sich ja dem
+ Untergange zu. Sein Werk war vollbracht. Das Reich der Wahrheit war fest
+ begr&uuml;ndet, die Heilslehre der Menschheit verk&uuml;ndet; viele wandel- und
+ wissensbew&auml;hrte M&ouml;nche und Nonnen und Laien-Anh&auml;nger beiderlei
+ Geschlechts waren f&auml;hig, dieses Reich zu sch&uuml;tzen, diese Lehre
+ aufrechtzuerhalten und weiterzuverbreiten. Und schon stand nach den Erw&auml;gungen
+ dieses Tages, den er mit einsamer Wanderung zugebracht hatte, die Erkenntnis in
+ seinem Herzen fest: gar bald wird es f&uuml;r mich Zeit sein, auf immer diese Welt zu
+ verlassen, aus der ich mich selber und alle, die mir folgen, erl&ouml;st habe, und in
+ die Ruhe Nirvanas einzugehen.--</p>
+ <p>Und die Gegend mit wehm&uuml;tigem Gefallen &uuml;berblickend, sprach der Erhabene
+ bei sich selber:</p>
+ <p>"Lieblich f&uuml;rwahr ist Rajagaha, die Stadt der f&uuml;nf H&uuml;gel, reizend
+ sind ihre Umgebungen! Reich gesegnet sind die Felder, herzerfreuend die
+ baumbeschatteten, wasserblinkenden Auen, &uuml;beraus anmutig die buschigen
+ Felsenh&uuml;gel.--Zum letzten Male sehe ich ja jetzt von diesem sch&ouml;nsten
+ Punkte aus diese liebliche Gegend. Nur einmal noch, wenn ich weiterziehe und mich auf
+ jenem Joche umwende, werde ich von dr&uuml;ben das liebliche Tal Rajagahas erblicken
+ und dann nimmermehr."</p>
+ <p>In der Stadt ragten nur noch zwei Bauwerke goldig in das Sonnenlicht empor: der
+ h&ouml;chste Turm des K&ouml;nigspalastes, von wo aus Bimbisara ihn zuerst
+ ersp&auml;ht hatte, als er, ein junger unbekannter Asket, seine Stra&szlig;e zog und
+ durch seinen hohen Anstand die Aufmerksamkeit des Magadhak&ouml;nigs auf sich
+ lenkte;--und der Kuppelaufsatz des Indratempels, in welchem damals, bevor sein Wort
+ die Menschen von blutigem Aberglauben erl&ouml;st hatte, Tausende und Abertausende
+ von unschuldigen Tieren j&auml;hrlich dem Gott zu Ehren hingeschlachtet wurden. Nun
+ tauchten auch die Turmzinnen erl&ouml;schend in das steigende Schattenmeer unter, und
+ nur jener Kegel von goldenen, &uuml;bereinandergespannten Sonnenschirmen,<a
+ href="#fu1">[1]</a> der den Tempeldom kr&ouml;nte, gl&uuml;hte noch, gleichsam frei
+ in der Luft schwebend, als ein Wahrzeichen der "K&ouml;nigsstadt"<a
+ href="#fu2">[2]</a>;--immer r&ouml;ter spr&uuml;hte und funkelte er auf dem
+ dunkelblauen Hintergrund von hochragenden Baumwipfeln. Und hier erblickte der
+ Erhabene das immer noch ziemlich entfernte Ziel seiner Wanderung. Denn jene
+ Baumwipfel waren die des Mangohaines jenseits der Stadt, der ihm von seinem
+ Anh&auml;nger Jivaka, dem Leibarzt des K&ouml;nigs, geschenkt worden war, und in
+ welchem ein sch&ouml;nes Klostergeb&auml;ude den M&ouml;nchen gesunde und bequeme
+ Unterkunft gew&auml;hrte.</p>
+ <p><a id="fu1" name="fu1"></a></p>
+ <blockquote>
+ [1] Der goldene Sonnenschirm ist das Emblem der K&ouml;nigsw&uuml;rde.
+ </blockquote>
+ <br />
+ <br />
+ <p><a id="fu2" name="fu2"></a></p>
+ <blockquote>
+ [2] Rajagaha (Sanskrit: Rajagriha) = K&ouml;nigsstadt, jetzt Rajgir, 10 Meilen
+ s&uuml;d&ouml;stlich von Patna.
+ </blockquote>
+ <br />
+ <br />
+ <p>Nach diesem Besitztum des Ordens hatte nun der Erhabene die ihn begleitenden
+ M&ouml;nche--zweihundert an der Zahl--unter der Leitung seines Vetters und treuen
+ Begleiters Ananda vorausgehen lassen, weil es ihn lockte, die Wonne einer einsamen
+ Tageswanderung zu kosten. Und es war ihm bekannt, da&szlig; um die Zeit des
+ Sonnenunterganges von Westen her ein Zug junger M&ouml;nche, gef&uuml;hrt vom weisen
+ Sariputta, dem gro&szlig;en Sch&uuml;ler, in dem Mangohain eintreffen w&uuml;rde. In
+ seinem lebhaften, auf das Anschauliche gerichteten Geiste spielte sich nun das
+ Schauspiel ab, wie die ankommenden M&ouml;nche mit den schon anwesenden sich
+ freundlich begr&uuml;&szlig;ten, wie ihnen von jenen Sitz und Lagerstatt angewiesen,
+ Mantel und Almosenschale abgenommen wurden, und wie dabei gro&szlig;er L&auml;rm und
+ lautes Geschrei entstand, als ob Fischer um die Beute rauften. Und ihm, der stille
+ Betrachtung liebte und dem L&auml;rm abhold war, wie der einsam wandernde L&ouml;we:
+ ihm war gerade jetzt, nach der k&ouml;stlichen Ruhe der einsamen Wanderung und dem
+ friedlichen Segen dieser Abendlandschaft, der Gedanke doppelt peinlich, in ein
+ solches Treiben hineinzugeraten.</p>
+ <p>Und so entschlo&szlig; er sich im Weiterschreiten, nicht durch die Stadt nach
+ seinem Mangohain zu gehen, sondern in dem ersten besten Hause des Vorortes, in dem er
+ Unterkunft finden konnte, sein Nachtlager aufzuschlagen.</p>
+ <p>Unterdessen waren die goldigen Flammen des westlichen Himmels in brennende
+ Oranget&ouml;ne verweht und diese wiederum in die feurigste Scharlachglut
+ zerschmolzen. Ringsum leuchteten die Felder immer gr&uuml;ner und gr&uuml;ner, als ob
+ die Erde ein Smaragd w&auml;re, der von innen durchstrahlt w&uuml;rde. Aber schon
+ umspann ein traumhaft violetter Dunst die Ferne, w&auml;hrend eine fast
+ &uuml;bersinnliche Purpurflut--man wu&szlig;te nicht, ob Licht, ob Schatten--wie von
+ &uuml;berallher niedersinkend, emporsteigend und hereinstr&ouml;mend, den ganzen Raum
+ durchwallte, Festes aufl&ouml;send und Loses sammelnd, Nahes fortschwemmend und
+ Fernes heranflutend, Alles aber in Schwanken und flimmerndes Zittern
+ versetzend....</p>
+ <p>Durch die Schritte des einsamen Wanderers emporgeschreckt, hakte ein fliegender
+ Hund seine ledernen Fl&uuml;gel von dem Zweig eines schwarzen Salabaumes los und
+ strich mit piepsendem Schrei durch die D&auml;mmerung, um den Obstg&auml;rten des
+ dorf&auml;hnlichen Vorortes einen Besuch abzustatten.</p>
+ <p>So war es Abend geworden, als der Erhabene diesen Vorort Rajagahas erreichte.</p>
+ <h2><a id="chap_ii" name="chap_ii">II. DIE BEGEGNUNG</a></h2>
+ <p><img src="images/ii.png" width="93" height="93" align="left" alt="B" />eim ersten
+ Hause, dessen Wand bl&auml;ulich zwischen den Gartenb&auml;umen hervorschimmerte,
+ gedachte der Erhabene vorzusprechen. Wie er sich nun aber der T&uuml;r n&auml;hern
+ wollte, wurde er ein Netz gewahr, das auf einen Ast geh&auml;ngt war. Und der
+ Erhabene schritt f&uuml;rbass, das Haus des Vogelstellers verschm&auml;hend.</p>
+ <p>An diesem &auml;u&szlig;eren Rande des Ortes waren die H&auml;user sp&auml;rlich
+ verstreut, auch hatte dort unl&auml;ngst eine Feuersbrunst gew&uuml;tet, und so
+ dauerte es denn eine Weile, bis er wieder an eine menschliche Wohnung kam. Es war
+ dies das Geh&ouml;ft eines wohlhabenden Brahmanen. Der Erhabene war schon zum Tor
+ hereingetreten, da h&ouml;rte er, wie drinnen die beiden Frauen des Brahmanen
+ keiften, mit lauten schreienden Stimmen sich zankten und sich gegenseitig mit groben
+ Schimpfworten bewarfen. Und der Erhabene wendete sich um, trat wieder zum Torwege
+ hinaus und schritt f&uuml;rba&szlig;.</p>
+ <p>Der Lustgarten jenes reichen Brahmanen erstreckte sich weithin den Weg entlang.
+ Der Erhabene begann schon M&uuml;digkeit zu sp&uuml;ren, und sein rechter Fu&szlig;,
+ von einem scharfen Stein verletzt, schmerzte ihn im Weiterschreiten. So n&auml;herte
+ er sich endlich dem n&auml;chsten Wohnhause, das schon von weitem sichtbar war; denn
+ heller Lichtschimmer str&ouml;mte quer &uuml;ber den Weg durch das Gitter der
+ Fensterl&auml;den und die offenstehende T&uuml;r. W&auml;re aber auch ein Blinder
+ gekommen, so h&auml;tte er doch das Haus bemerkt, denn &uuml;berm&uuml;tiges Lachen,
+ Becherklang, Stampfen tanzender F&uuml;&szlig;e und lieblich heitere T&ouml;ne der
+ siebensaitigen Vina drangen ins Freie heraus; an den T&uuml;rpfosten gelehnt aber
+ stand ein sch&ouml;nes M&auml;dchen in reichem Seidengewand und mit Jasmingewinden
+ behangen. Lachend ihre vom Betelkauen roten Z&auml;hne zeigend, lud sie den Wanderer
+ ein: "Tritt herein, Fremder! Hier wohnt die Freude."</p>
+ <p>Und der Erhabene schritt f&uuml;rba&szlig;, seines Wortes gedenkend: "Als Weinen
+ gilt im Orden der Heiligen das Singen; als Tollsein gilt im Orden der Heiligen der
+ Tanz; als kindisch gilt im Orden der Heiligen das Z&auml;hnezeigen zur Unzeit, das
+ Lachen: Gen&uuml;g' euch in Wahrheit Entz&uuml;ckten das L&auml;cheln des
+ l&auml;chelnden Blickes."</p>
+ <p>Das Nachbarhaus war nicht weit entfernt, aber der L&auml;rm der Zecher und der
+ Vinaspieler drang bis dahin, und so ging der Buddha weiter bis zum n&auml;chsten
+ Hause. Neben diesem waren aber zwei Metzgergesellen beim letzten Schimmer des
+ Tageslichtes eifrig am Werk, eine soeben geschlachtete Kuh mit scharfen Messern zu
+ zerlegen.</p>
+ <p>Und der Erhabene schritt an der Wohnung des Schl&auml;chters vor&uuml;ber.</p>
+ <p>Vor dem n&auml;chsten Hause standen viele Sch&uuml;sseln und N&auml;pfe aus
+ frischem Ton, die Ausbeute einer rechtschaffenen Tagesarbeit; unter einer Tamarinde
+ befand sich das T&ouml;pferrad, und der Hafner l&ouml;ste gerade eine Sch&uuml;ssel
+ davon ab und trug sie zu den anderen.</p>
+ <p>Der Erhabene trat zum Hafner hin, begr&uuml;&szlig;te ihn h&ouml;flich und
+ sagte:</p>
+ <p>"Wenn es dir, Abk&ouml;mmling Bhagas, nicht ungelegen ist, bleibe ich &uuml;ber
+ Nacht in deinem Vorsaale."</p>
+ <p>"Es ist mir, o Herr, nicht ungelegen. Doch ist soeben ein Pilger angekommen,
+ m&uuml;de von einer langen Wanderung. Und er hat schon sein Lager hier aufgeschlagen.
+ Wenn es ihm recht ist, m&ouml;gest du bleiben, o Herr, nach Belieben."</p>
+ <p>Und der Erhabene &uuml;berlegte sich: "Einsamkeit freilich ist der beste
+ Gef&auml;hrte. Aber dieser liebe Pilger ist hier sp&auml;t angekommen, wie ich
+ selber, m&uuml;de von einer langen Wanderung. Und er ist an den H&auml;usern
+ unreiner, blutiger Gewerbe vorbeigegangen, ist an dem Hause des Zankes und des
+ geh&auml;ssigen Streits und an dem Hause des L&auml;rms und der unw&uuml;rdigen
+ Freuden vor&uuml;bergeschritten, um erst hier beim Hafner einzukehren. Mit einem
+ solchen Manne zusammen kann man die Nacht verbringen."</p>
+ <p>So trat denn der Erhabene in die Vorhalle ein, wo er einen jungen Mann von edlen
+ Gesichtsz&uuml;gen gewahr wurde, der in der einen Ecke auf einer Matte sa&szlig;.</p>
+ <p>"Wenn es dir, Pilger, nicht ungelegen ist," sprach der Erhabene zu ihm, "bleibe
+ ich &uuml;ber Nacht hier im Vorsaale."</p>
+ <p>"Ger&auml;umig, Bruder, ist der Vorsaal des Hafners; bleibe der Ehrw&uuml;rdige
+ nach Belieben."</p>
+ <p>Da breitete nun der Erhabene an der einen Wand die Strohmatte hin und setzte sich
+ nieder, die Beine gekreuzt, den K&ouml;rper gerade aufgerichtet, in heiliges Sinnen
+ versunken. Und der Erhabene brachte die ersten Stunden der Nacht sitzend zu. Und auch
+ der junge Pilger brachte die ersten Stunden der Nacht sitzend zu.</p>
+ <p>Da gedachte denn der Erhabene bei sich: "Ob wohl dieser edle Sohn fr&ouml;hlich
+ beflissen ist?--Wie, wenn ich ihn nun darum fragte?"</p>
+ <p>Und der Erhabene wandte sich also an den jungen Pilger:</p>
+ <p>"Weshalb, o Pilger, bist du in die Heimatlosigkeit gegangen?"</p>
+ <p>Der junge Pilger antwortete:</p>
+ <p>"Nur ein paar Nachtstunden sind vergangen. Wohlan, wenn mir der Ehrw&uuml;rdige
+ seine Aufmerksamkeit schenken will, werde ich erz&auml;hlen, weshalb ich in die
+ Heimatlosigkeit gegangen bin."</p>
+ <p>Der Erhabene gab durch freundliches Kopfnicken sein Einverst&auml;ndnis zu
+ erkennen, und der junge Pilger hub zu erz&auml;hlen an.</p>
+ <h2><a id="chap_iii" name="chap_iii">III. NACH DEM UFER DER GANGA</a></h2>
+ <p><img src="images/iii.png" width="93" height="93" align="left" alt="I" />ch heisse
+ Kamanita mit Namen und bin in Ujjeni geboren, einer weit im S&uuml;den gelegenen
+ Stadt, im Lande Avanti, im Gebirge. Dort kam ich in einer beg&uuml;terten, wenn auch
+ nicht sehr vornehmen Kaufmannsfamilie zur Welt. Mein Vater lie&szlig; mir eine gute
+ Erziehung zuteil werden, und als ich die Opferschnur anlegte, war ich schon ziemlich
+ im Besitze der meisten Fertigkeiten, die sich f&uuml;r einen jungen Mann von Stand
+ passen, so da&szlig; man allgemein glaubte, ich m&uuml;&szlig;te in Takkasila<a
+ href="#fu3">[1]</a> erzogen worden sein. Im Ringkampf und im Degenfechten war ich
+ einer der ersten; ich hatte eine sch&ouml;ne, wohlge&uuml;bte Singstimme und verstand
+ die Vina kunstreich zu schlagen; ich konnte alle Gedichte Bharatas und noch viele
+ andere auswendig hersagen; mit den Geheimnissen der Metrik war ich aufs innigste
+ vertraut, und verstand auch selber gef&uuml;hlvolle und sinnreiche Verse zu
+ schreiben. Im Zeichnen und Malen &uuml;bertrafen mich nur Wenige, und meine Art
+ Blumen zu streuen wurde allgemein bewundert. Gro&szlig; war mein Geschick im
+ F&auml;rben der Kristalle und meine Kenntnis von der Herkunft der Juwelen; keine
+ Papageien oder Predigerkr&auml;hen sprachen so gut wie diejenigen, die ich
+ abgerichtet hatte. Auch verstand ich von Grund aus das vierundsechzigfeldige
+ Brettspiel, das St&auml;bchenspiel, das Bogenspiel und das Ballspiel in allen seinen
+ Abarten, sowie allerlei R&auml;tsel- und Blumenspiele. Und es wurde, o Fremder, eine
+ sprichw&ouml;rtliche Redensart in Ujjeni: "Vielbef&auml;higt wie der junge
+ Kamanita."</p>
+ <p><a id="fu3" name="fu3"></a></p>
+ <blockquote>
+ [1] Das Oxford des alten Indien (in Pendschab gelegen).
+ </blockquote>
+ <br />
+ <br />
+ <p>Als ich zwanzig Jahre alt war, lie&szlig; mein Vater mich eines Tages rufen und
+ sprach also zu mir:</p>
+ <p>"Mein Sohn, deine Erziehung ist jetzt vollendet, und es ist Zeit, da&szlig; du
+ dich in der Welt umsiehst und dein Kaufmannsleben beginnst, auch habe ich daf&uuml;r
+ jetzt eine gute Gelegenheit gefunden. In diesen Tagen schickt unser K&ouml;nig eine
+ Gesandtschaft an den K&ouml;nig Udena in Kosambi, weit von hier, im Norden. Dort habe
+ ich aber einen Gastfreund Panada. Der hat mir l&auml;ngst gesagt, in Kosambi
+ w&auml;re mit Produkten unseres Landes, besonders mit Bergkristallen und
+ Sandelpulver, sowie mit unseren kunstvollen Rohrgeflechten und Weberwaren ein gutes
+ Gesch&auml;ft zu machen. Ich habe aber immer eine solche Gesch&auml;ftsreise als ein
+ gro&szlig;es Wagnis gescheut wegen der vielen Gefahren des Weges. Wer nun aber die
+ Hin- und Herreise im Gefolge dieser Gesandtschaft macht, f&uuml;r den ist gar keine
+ Gefahr vorhanden. Wohlan, mein Sohn, wir wollen auf den Lagerplatz gehen und uns die
+ zw&ouml;lf Ochsenwagen und die Waren ansehen, die ich f&uuml;r deine Fahrt bestimmt
+ habe; du wirst f&uuml;r unsere Produkte Musselin aus Benares und ausgesuchten Reis
+ mit zur&uuml;ckbringen, und das wird, hoffe ich, ein glorreicher Anfang deiner
+ kaufm&auml;nnischen Laufbahn sein; auch wirst du Gelegenheit haben, fremde
+ L&auml;nder mit anderer Natur und anderen Sitten kennen zu lernen und unterwegs mit
+ Hofleuten, M&auml;nnern vom h&ouml;chsten Anstande und feinsten Betragen
+ tagt&auml;glich zu verkehren, was ich f&uuml;r einen hohen Gewinn erachte; denn ein
+ Kaufherr mu&szlig; ein Weltmann sein."</p>
+ <p>Ich dankte meinem Vater unter Freudentr&auml;nen, und schon wenige Tage danach
+ nahm ich vom Elternhause Abschied.</p>
+ <p>Wie schlug mein Herz vor freudiger Erwartung, als ich inmitten dieses
+ pr&auml;chtigen Zuges, an der Spitze meiner Karren, zum Stadttor hinauszog und die
+ weite Welt offen vor mir lag. Jeder Tag dieser Reise war mir wie ein Fest, und wenn
+ abends die Lagerfeuer flammten, um Tiger und Panther zu verscheuchen, und ich im
+ Kreise &auml;lterer und vornehmer M&auml;nner an der Seite des Gesandten sa&szlig;,
+ d&uuml;nkte ich mich vollends im M&auml;rchenland.</p>
+ <p>Durch den herrlichen Waldbereich Vedisas und &uuml;ber die sanften
+ H&ouml;henz&uuml;ge des Vindhyagebirges erreichten wir die ungeheure n&ouml;rdliche
+ Ebene, wo eine ganz neue Welt sich mir er&ouml;ffnete; denn ich h&auml;tte nie
+ gedacht, da&szlig; die Erde so flach und so gro&szlig; sei. Und etwa einen Monat nach
+ unserer Abreise sahen wir an einem herrlichen Abend, von einer palmengekr&ouml;nten
+ Anh&ouml;he aus, zwei goldene B&auml;nder, die sich dem Dunstkreise des Horizontes
+ entwanden, das unendliche Gr&uuml;n durchzogen und sich allm&auml;hlich einander
+ n&auml;herten, bis sie sich zu einem breiten Band vereinigten.</p>
+ <p>Eine Hand ber&uuml;hrte meine Schulter.</p>
+ <p>Es war der Gesandte, der an mich herangetreten war.</p>
+ <p>"Da siehst du, Kamanita, die heilige Jamuna und die hochheilige Ganga, die dort
+ vor unseren Augen ihre Fluten vereinigen."</p>
+ <p>Unwillk&uuml;rlich erhob ich anbetend meine H&auml;nde.</p>
+ <p>"Du tust recht, sie also zu gr&uuml;&szlig;en," fuhr mein Besch&uuml;tzer fort.
+ "Denn wenn die Ganga von dem G&ouml;ttersitz im n&ouml;rdlichen Schneegebirge kommt
+ und gleichsam aus der Ewigkeit flutet, so kommt die Jamuna aus fernen Heldenzeiten,
+ und ihre Fluten haben die Tr&uuml;mmer der Ilfenstadt<a href="#fu4">[1]</a>
+ gespiegelt und jene Ebene besp&uuml;lt, wo die Panduinge und die Kuruinge um die
+ Herrschaft rangen, wo Karna in seinem Zelte grollte, wo Krishna selber die Rosse
+ Arjunas lenkte--doch ich brauche dich ja nicht daran zu erinnern, da du in den alten
+ Heldenliedern wohl bewandert bist. Oft habe ich dr&uuml;ben auf jener spitzen
+ Landzunge gestanden und gesehen, wie die blauen Wogen der Jamuna neben den gelben der
+ Ganga dahinflossen, ohne sich mit ihnen zu vermischen, so wie die Kriegerkaste neben
+ der Brahmanenkaste unvermischt besteht. Dann kam es mir vor, als ob ich mit dem
+ Rauschen dieser blauen Fluten auch kriegerische Kl&auml;nge vern&auml;hme,
+ Waffenget&ouml;se und H&ouml;rnerrufe, Wiehern von Rossen und Trompeten der
+ Kampfilfen, und mein Herz schlug h&ouml;her, denn auch meine Ahnen waren ja dabei
+ gewesen und der Sand Kurukschetras hatte ihr Heldenblut getrunken."</p>
+ <p><a id="fu4" name="fu4"></a></p>
+ <blockquote>
+ [1] Hastinapura = Elefantenstadt. Das Wort "Ilf" hat <i>Adolph Holtzmann</i>
+ gepr&auml;gt ("Indische Sagen" XXIX).
+ </blockquote>
+ <br />
+ <br />
+ <p>Voll Bewunderung blickte ich zu diesem Manne aus der Kriegerkaste empor, in dessen
+ Familie solche Erinnerungen lebten.</p>
+ <p>Er aber fa&szlig;te mich an der Hand.</p>
+ <p>"Komm, mein Sohn, und begr&uuml;&szlig;e das Ziel deiner ersten Reise."</p>
+ <p>Und er f&uuml;hrte mich nur wenige Schritte um ein dichtes Geb&uuml;sch herum, das
+ bis jetzt die Aussicht nach Osten verdeckt hatte.</p>
+ <p>Als diese sich nun pl&ouml;tzlich &ouml;ffnete, stie&szlig; ich unwillk&uuml;rlich
+ einen Schrei der Bewunderung aus.</p>
+ <p>Dort--an einer Biegung der breiten Ganga--lag eine gro&szlig;e Stadt: Kosambi.</p>
+ <p>Mit ihren Mauern und T&uuml;rmen, ihrer aufsteigenden H&auml;usermasse, ihren
+ Terrassen, ihren Quais und Gh&acirc;ts<a href="#fu5">[1]</a> sah sie, von der
+ untergehenden Sonne beleuchtet, wahrlich aus, als w&auml;re sie ganz und gar aus
+ rotem Gold gebaut--so wie es ja Benares war, bis die S&uuml;nden der Einwohner es in
+ Stein und M&ouml;rtel verwandelten;--die wirklich goldenen Kuppeln aber gl&auml;nzten
+ wie ebensoviele Sonnen. Oben von den Tempelh&ouml;fen stiegen dunkle, rotbraune
+ Rauchs&auml;ulen, von den Leichenverbrennungsst&auml;tten am Ufer solche von
+ hellblauer Farbe, kerzengerade in die H&ouml;he, und, gleichsam von ihnen getragen,
+ schwebte baldachinartig &uuml;ber dem Ganzen ein Schleier wie aus den zartesten
+ Perlmuttert&ouml;nen gewoben, w&auml;hrend dahinter alle Farben, die da brennen und
+ leuchten k&ouml;nnen, &uuml;ber den Himmel ausgegossen durcheinander gl&uuml;hten.
+ Auf dem heiligen Strom, der diesen Glanz widerspiegelte, schaukelten unz&auml;hlige
+ Boote mit bunten Segeln und Wimpeln, und trotz der Entfernung sah man, wie die
+ breiten Treppen der Gh&acirc;ts von Leuten wimmelten, w&auml;hrend viele schon unten
+ in den glitzernden Wellen pl&auml;tscherten. Ein fr&ouml;hliches Ger&auml;usch, wie
+ das Summen eines Bienenkorbes, drang von Zeit zu Zeit zu uns herauf.</p>
+ <p><a id="fu5" name="fu5"></a></p>
+ <blockquote>
+ [1] Landungsplatz mit prachtvollen Freitreppen f&uuml;r Badende--gew&ouml;hnlich
+ von Vorspr&uuml;ngen und Kiosken unterbrochen und durch einen monumentalen Torbau
+ abgeschlossen.
+ </blockquote>
+ <br />
+ <br />
+ <p>Du kannst dir denken, da&szlig; ich eher eine Stadt der dreiunddrei&szlig;ig
+ G&ouml;tter als eine der Menschen zu sehen vermeinte, wie denn &uuml;berhaupt das
+ Gangatal mit seinem &uuml;ppigen Reichtum uns Bergbewohnern wie das Paradies vorkam.
+ Und f&uuml;r mich sollte ja auch hier das Paradies auf Erden sich zeigen.</p>
+ <p>Noch in derselben Nacht schlief ich unter dem wirtlichen Dache Panadas, des
+ Gastfreundes meines Vaters. Fr&uuml;h am folgenden Tage eilte ich aber zum
+ n&auml;chsten Gh&acirc;t und stieg mit unbeschreiblichen Gef&uuml;hlen in die
+ heiligen Wogen, um nicht nur den Reisestaub, sondern auch meine S&uuml;nden
+ abzusp&uuml;len. Diese waren infolge meiner Jugend ja nur gering; ich f&uuml;llte
+ aber eine gro&szlig;e Flasche mit dem Gangawasser, um sie meinem Vater mitzubringen.
+ Sie ist jedoch, wie du erfahren wirst, leider nie in seinen Besitz gekommen.</p>
+ <p>Der edle Panada, ein Greis von ehrw&uuml;rdigstem Aussehen, f&uuml;hrte mich nun
+ nach den Kaufhallen, und durch seine freundliche Hilfe gelang es mir, im Verlaufe der
+ folgenden Tage meine Waren vorteilhaft zu verkaufen und eine &uuml;berreiche Menge
+ von den bei uns sehr gesch&auml;tzten Produkten der n&ouml;rdlichen Ebene
+ einzukaufen.</p>
+ <p>Dies mein Gesch&auml;ft war gl&uuml;cklich zu Ende gebracht, bevor die
+ Gesandtschaft noch daran dachte, sich zur Abreise zu r&uuml;sten, was mich keineswegs
+ verdro&szlig;; denn ich hatte nun volle Freiheit, mir die Stadt anzusehen und ihre
+ Vergn&uuml;gungen zu genie&szlig;en, was ich in der Gesellschaft Somadattas, des
+ Sohnes meines Wirtes, in ausgiebigstem Ma&szlig;e tat.</p>
+ <h2><a id="chap_iv" name="chap_iv">IV. DIE BALLSPIELERIN</a></h2>
+ <p><img src="images/iv.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />n einem
+ sch&ouml;nen Nachmittage begaben wir uns in einen &ouml;ffentlichen Garten vor der
+ Stadt--eine gar pr&auml;chtige Anlage unmittelbar am hohen Ufer der Ganga mit
+ schattigen Baumgruppen, gro&szlig;en Lotusteichen, Marmorh&auml;uschen und
+ Jasminlauben, wo zu dieser Tageszeit immer ein reges Treiben herrschte. Hier
+ lie&szlig;en wir uns in einer goldenen Schaukel von der Dienerschaft schaukeln,
+ w&auml;hrend wir den herzerfreuenden T&ouml;nen der liebestrunkenen Kokila und dem
+ s&uuml;&szlig;en Plaudern der gr&uuml;nen Papageien lauschten. Da erhob sich
+ pl&ouml;tzlich ein gar erheiterndes Klingen von Fu&szlig;spangen. Sofort sprang mein
+ Freund aus der Schaukel und rief:</p>
+ <p>"Sieh da! Gerade kommen die sch&ouml;nsten M&auml;dchen von Kosambi, auserlesene
+ Jungfrauen aus den reichsten und vornehmsten H&auml;usern, um die Vindhya-bewohnende
+ G&ouml;ttin durch Ballspiel zu verehren. Du kannst von Gl&uuml;ck sagen, Gastfreund!
+ denn bei diesem Spiel kann man sie ungehindert sehen! Komm, wir wollen diese
+ Gelegenheit nicht vers&auml;umen."</p>
+ <p>Ich lie&szlig; mir dies nat&uuml;rlich nicht zweimal sagen, sondern folgte eiligst
+ meinem Freunde.</p>
+ <p>Auf einer gro&szlig;en, edelsteinbesetzten. B&uuml;hne erschienen sofort die
+ M&auml;dchen, zum Spiele bereit. Wenn es nun schon eine seltene Augenweide war, diese
+ Schar von Sch&ouml;nheiten in ihrem Glanz von schimmernder Seide, duftigen
+ Musselinschleiern, Perlen, Edelsteinen und Goldspangen zu sehen--was soll man dann
+ erst von dem Spiele selbst sagen, das diesen Schwellgliederigen die mannigfaltigste
+ Gelegenheit gab, ihre ganze Anmut in &uuml;beraus reizenden Stellungen und Bewegungen
+ zu entfalten? Und doch war das nur gleichsam ein Vorspiel. Denn als diese
+ Gazellen&auml;ugigen uns eine geraume Zeit durch die verschiedenartigsten Spiele
+ erg&ouml;tzt hatten, traten sie alle zur&uuml;ck, und nur eine blieb in der Mitte der
+ edelsteinbesetzten B&uuml;hne--und in der Mitte meines Herzens stehen.</p>
+ <p>Ach, mein Freund, was soll ich sagen! Von ihrer Sch&ouml;nheit zu reden w&auml;re
+ Verwegenheit! Denn ich m&uuml;&szlig;te ein Dichter sein wie Bharata selbst, um auch
+ nur einen schwachen Abglanz davon deiner Phantasie vorzuzaubern. Es sei genug,
+ hervorzuheben, da&szlig; diese Mondgesichtige von makelloser Gestalt und an allen
+ Gliedern von frischer Jugend umbl&uuml;ht war, da&szlig; sie mir als die leibliche
+ Gl&uuml;cks- und Sch&ouml;nheitsg&ouml;ttin erschien, und da&szlig; alle meine
+ K&ouml;rperh&auml;rchen sich bei diesem Anblick vor Entz&uuml;cken str&auml;ubten.
+ Und nun begann sie zu Ehren der G&ouml;ttin, deren Verk&ouml;rperung sie schien, ein
+ kunstreiches Spiel. L&auml;ssig warf sie den Ball zu Boden, und als er dann langsam
+ emporstieg, gab sie ihm mit ihrer sch&ouml;&szlig;linggleichen Hand, deren Daumen sie
+ etwas kr&uuml;mmte und deren zarte Finger sie ausstreckte, einen kr&auml;ftigen
+ Schlag, trieb dann den aufsteigenden Ball mit dem Handr&uuml;cken empor und fing ihn
+ beim Herabfallen in der Luft wieder auf. Sie warf ihn in langsamem, in mittlerem und
+ in raschem Tempo, bald ihn anfeuernd, bald ihn bes&auml;nftigend, schlug ihn
+ abwechselnd mit der linken und mit der rechten Hand, trieb ihn in jede
+ Himmelsrichtung und wieder zur&uuml;ck. Wenn du--wie's mir aus deinem
+ verst&auml;ndnisvollen Blick scheinen will--mit der Spielballwissenschaft vertraut
+ bist, so brauche ich dir nichts zu sagen, als da&szlig; du wohl niemals das Curnapada
+ und das Gitamarga so vollkommen ausgef&uuml;hrt gesehen haben wirst.</p>
+ <p>Dann aber machte sie etwas, was ich nie gesehen und wovon ich auch nie geh&ouml;rt
+ habe. Sie nahm n&auml;mlich zwei goldene B&auml;lle, und w&auml;hrend ihre
+ F&uuml;&szlig;e zum Klange ihrer Schmuckjuwelen sich tanzend bewegten, lie&szlig; sie
+ diese B&auml;lle so schnell in blitzartigen Linien springen, da&szlig; man gleichsam
+ nur die Goldst&auml;bchen eines K&auml;figs sah, in dem ein Wundervogel niedlich
+ umherh&uuml;pfte. Dabei geschah es, da&szlig; unsere Blicke sich pl&ouml;tzlich
+ begegneten; und noch heute, o Fremder, verstehe ich nicht, wie es zuging, da&szlig;
+ ich nicht augenblicklich tot niedersank, um in einem Wonnehimmel wiedergeboren zu
+ werden. Aber es mag wohl sein, da&szlig; meine Werke eines vorhergehenden Lebens,
+ deren Fr&uuml;chte ich in <i>diesem</i> genie&szlig;en mu&szlig;, noch nicht
+ ersch&ouml;pft waren; denn dieser Rest meines Wandels von einst hat mich ja in der
+ Tat durch mehrere t&ouml;dliche Gefahren bis auf den heutigen Tag gebracht und wird
+ wohl noch lange vorhalten.</p>
+ <p>Gerade jetzt aber entfloh ihr einer der B&auml;lle, die ihr bisher so gehorsam
+ gewesen waren, und sprang in einem m&auml;chtigen Satze von der B&uuml;hne herunter.
+ Viele junge Leute eilten ihm nach; ich und ein junger, reich gekleideter Mann
+ erreichten ihn gleichzeitig und wir gerieten aneinander, weil keiner ihn dem anderen
+ g&ouml;nnte. Durch mein genaues Vertrautsein mit den Kniffen der Ringerkunst gelang
+ es mir, ihm ein Bein zu stellen; er aber ergriff, um mich zur&uuml;ckzuhalten, meine
+ kristallene Halskette, an der ich ein Amulett trug. Die Kette zerri&szlig;, er
+ st&uuml;rzte zu Boden und ich erhaschte den Ball. W&uuml;tend sprang er auf und
+ schleuderte mir die Kette vor die F&uuml;&szlig;e. Das Amulett war ein Tigerauge,
+ kein gerade sehr kostbarer Stein, aber dieser war ein unfehlbares Mittel gegen den
+ b&ouml;sen Blick--und jetzt, als der seine mich traf, mu&szlig;te ich ihn gerade
+ vermissen. Aber was k&uuml;mmerte mich das? Hielt ich doch den Ball, den ihre
+ Lotushand soeben ber&uuml;hrt hatte, in H&auml;nden, und als sehr geschicktem
+ Ballspieler gelang es mir, einen so genau berechneten Wurf zu tun, da&szlig; der Ball
+ gerade vor der einen Ecke der B&uuml;hne aufschlug, um dann mit einem
+ m&auml;&szlig;igen Sprung gleichsam bez&auml;hmt in den Bereich der sch&ouml;nen
+ Spielerin zu gelangen, die keinen Augenblick aufgeh&ouml;rt hatte, den anderen Ball
+ in Bewegung zu erhalten, und sich nun wieder in ihren Goldk&auml;fig einspann--unter
+ gro&szlig;em Jubel der zahlreichen Zuschauer.</p>
+ <p>Damit war denn nun die Ballspielverehrung der Lakshmi zu Ende, die M&auml;dchen
+ verschwanden von der B&uuml;hne, und wir begaben uns auf den Heimweg.</p>
+ <p>Unterwegs meinte mein Freund, es sei gut, da&szlig; ich nichts dort am Hofe
+ erreichen wollte, denn der junge Mann, dem ich den Ball abgejagt h&auml;tte, sei kein
+ geringerer als der Sohn des Ministers, und man habe es ihm angesehen, da&szlig; er
+ mir unvers&ouml;hnlichen Ha&szlig; geschworen habe. Das lie&szlig; mich nun
+ v&ouml;llig kalt; wie viel lieber h&auml;tte ich erfahren, wer meine G&ouml;ttin war.
+ Ich scheute mich aber, danach zu fragen, ja, als Somadatta mich mit der Sch&ouml;nen
+ necken wollte, tat ich sehr gleichg&uuml;ltig, lobte in Kennerausdr&uuml;cken ihre
+ Fertigkeit im Spielen, f&uuml;gte jedoch hinzu, da&szlig; wir in meiner Heimatstadt
+ wenigstens ebenso geschickte Spielerinnen h&auml;tten--w&auml;hrend ich in meinem
+ Herzen der Unvergleichlichen diese L&uuml;ge abbat.</p>
+ <p>Ich brauche wohl kaum zu sagen, da&szlig; diese Nacht kein Schlaf in meine Augen
+ kam, die ich nur schlo&szlig;, um immer wieder von der reizenden Erscheinung
+ umschwebt zu werden. Den n&auml;chsten Tag brachte ich in einer von allem
+ Tagesl&auml;rm entfernten Ecke des Hausgartens zu, wo der Sandboden unter einem
+ Mangobaum meinem von Liebesglut gepeinigten K&ouml;rper K&uuml;hlung bot, die
+ siebensaitige Vina als einzige Gef&auml;hrtin, der ich meine Sehnsucht anvertraute.
+ Sobald aber die abnehmende Tageshitze einen Ausflug erlaubte, &uuml;berredete ich
+ Somadatta, mit mir nach dem Lustgarten zu fahren, obschon er es vorgezogen
+ h&auml;tte, einem Wachtelkampf beizuwohnen. Aber umsonst durchirrte ich den ganzen
+ Park--viele M&auml;dchen waren da, &uuml;berall ihr Spiel treibend, als wollten sie
+ mich mit falscher Hoffnung von einem Ort zum anderen locken; aber jene einzige,
+ Lakshmis Ebenbild, war nicht darunter.</p>
+ <p>Nun tat ich, als ob ich eine unwiderstehliche Sehnsucht h&auml;tte, das
+ eigent&uuml;mliche Leben an der Ganga wieder zu genie&szlig;en. Wir besuchten alle
+ Gh&acirc;ts und bestiegen schlie&szlig;lich eine Barke, um uns in die fr&ouml;hliche
+ Flottille zu mischen, die jeden Abend auf den Wogen des heiligen Stromes schaukelte,
+ bis das Farbenspiel und der Goldglanz erloschen und Lichter von Fackeln und Lampions
+ auf dem Strome tanzten und wirbelten.</p>
+ <p>Dann mu&szlig;te ich endlich meine ebenso stumme wie st&uuml;rmische Hoffnung
+ aufgeben und den Bootsf&uuml;hrer anweisen, nach dem n&auml;chsten Gh&acirc;t zu
+ steuern.</p>
+ <p>Nach einer schlaflosen Nacht blieb ich in meinem Zimmer, und um meinen Geist, der
+ doch nur von ihrem Bild erf&uuml;llt war, zu besch&auml;ftigen und zu zerstreuen, bis
+ ich wieder in den Lustgarten eilen konnte, versuchte ich mittelst Pinsel und Farben
+ ihre holde Erscheinung, wie sie tanzenden Schrittes den Ball schlug, auf die Tafel zu
+ bannen. Keinen Bissen vermochte ich zu mir zu nehmen; denn wie der lieblich singende
+ &Ccedil;akora nur von Mondstrahlen lebt, also lebte ich nur von den Strahlen jener
+ Mondgesichtigen, obgleich sie mich nur durch den Nebel der Erinnerung erreichten;
+ doch hoffte ich zuversichtlich, da&szlig; sie an diesem Abend im Lustgarten mit ihrem
+ vollen Glanz mich letzen und beleben w&uuml;rden. Aber auch diesmal wurde ich
+ entt&auml;uscht. Nun wollte Somadatta mich in ein Spielhaus mitnehmen, denn er war so
+ versessen auf das W&uuml;rfelspiel wie Nala, nachdem der D&auml;mon Kali in ihn
+ gefahren war. Ich sch&uuml;tzte indessen M&uuml;digkeit vor. Aber anstatt nach Hause
+ zu gehen, begab ich mich wieder nach den Gh&acirc;ts und auf den Flu&szlig;
+ hinaus--leider nicht mit besserem Erfolg als am vorhergehenden Abend.</p>
+ <h2><a id="chap_v" name="chap_v">V. DAS MAGISCHE BILDNIS</a></h2>
+ <p><img src="images/v.png" width="93" height="93" align="left" alt="D" />a ich
+ wu&szlig;te, da&szlig; f&uuml;r mich doch nicht an Schlaf zu denken war, legte ich
+ mich an diesem Abend gar nicht zu Bett, sondern setzte mich auf das zur Andacht
+ bestimmte Graslager am Kopfende des Bettes, und brachte dort unter inbr&uuml;nstigen
+ Liebesbetrachtungen und im Gebet an die lotustragende Lakshmi, ihr himmlisches
+ Urbild, in frommer und geziemender Weise die Nacht zu; aber die fr&uuml;he
+ Morgensonne fand mich wieder mit Pinsel und Farben an der Arbeit.</p>
+ <p>Mehrere Stunden waren mir dabei im Fluge vergangen, als Somadatta hereintrat. Ich
+ hatte gerade noch Zeit, die Tafel und die Malwerkzeuge unters Bett zu schieben, als
+ ich ihn kommen h&ouml;rte. Dies tat ich ganz unwillk&uuml;rlich.</p>
+ <p>Somadatta nahm einen niedrigen Stuhl, setzte sich neben mich und betrachtete mich
+ l&auml;chelnd.</p>
+ <p>"Ich merke wohl," sagte er, "da&szlig; unserem Hause die Ehre widerfahren soll,
+ die Ausgangsst&auml;tte eines Heiligen zu sein. Du fastest ja, wie es nur die
+ strengsten Asketen tun, und enth&auml;ltst dich der &uuml;ppigen Gewohnheit des
+ Lagers. Denn weder auf den Kopf- und Fu&szlig;kissen noch auf der Matratze ist der
+ geringste Eindruck deines K&ouml;rpers zu sehen, und die wei&szlig;e Decke ist
+ faltenlos. Obwohl du durch das Fasten schon recht schm&auml;chtig geworden bist, ist
+ dein K&ouml;rper doch wohl noch nicht ganz ohne Gewicht, was sich &uuml;brigens auch
+ hier am Grassitze zeigt, wo du offenbar die Nacht in Gebet und Selbstvertiefung
+ zugebracht hast. Aber ich finde doch, da&szlig; f&uuml;r einen so heiligen Bewohner
+ dies Zimmer etwas zu weltlich aussieht. Hier auf dem Nachttisch die freilich
+ unber&uuml;hrte Salbenb&uuml;chse und der Napf mit Sandelstaub, das Gef&auml;&szlig;
+ mit wohlriechendem Wasser und die Dose mit Zitronenbaumrinde und Betel. Dort an der
+ Wand die gelben Amaranthkr&auml;nze, die Laute--aber wo ist denn das Malbrett, das
+ doch sonst an jenem Haken h&auml;ngt?"</p>
+ <p>W&auml;hrend ich in meiner Verlegenheit auf diese Frage keine Antwort zu finden
+ vermochte, entdeckte er nun das vermi&szlig;te Brett und zog es unter dem Bett
+ hervor.</p>
+ <p>"Ei, was ist denn das f&uuml;r ein b&ouml;ser, abgefeimter Zauberer," rief er,
+ "der hier auf dem Brett, das ich doch selber ganz leer an jenen Haken geh&auml;ngt
+ habe, das reizende Bild eines ballspielenden M&auml;dchens durch magische Kraft hat
+ entstehen lassen--offenbar in der b&ouml;sen Absicht, den angehenden Asketen gleich
+ im Anfange mit Versuchungen anzufallen und ihm Sinne und Gedanken zu verwirren! Oder
+ am Ende ist es ein Gott, denn wir wissen ja, da&szlig; die G&ouml;tter sich vor der
+ Allmacht der gro&szlig;en Asketen f&uuml;rchten; und bei solch einem Beginnen wie dem
+ deinigen k&ouml;nnte schon das Vindhyagebirge vor der Inbrunst deiner Bu&szlig;e zu
+ rauchen anfangen, ja durch die Aufh&auml;ufung deines Verdienstes m&uuml;&szlig;te
+ das Reich der himmlischen G&ouml;tter ins Wanken kommen. Und jetzt wei&szlig; ich
+ auch, welcher Gott es ist: gewi&szlig; ist es der, den sie den unsichtbaren nennen,
+ der Gott mit den Blumenpfeilen, der einen Fisch im Banner tr&auml;gt--Kama, der
+ Liebesgott, von dem du ja auch deinen Namen hast. Und--Himmel, was seh' ich! das ist
+ ja Vasitthi, die Tochter des reichen Goldschmiedes."</p>
+ <p>Als ich so zum ersten Male den Namen der Geliebten h&ouml;rte, fing mein Herz
+ heftig zu pochen an, und mein Gesicht entf&auml;rbte sich vor Erregung.</p>
+ <p>"Ich sehe, lieber Freund," fuhr der schlimme Spa&szlig;macher fort, "da&szlig;
+ dieser Gedanke von dem Zauber Kamas dich in gro&szlig;en Schrecken versetzt, und in
+ der Tat m&uuml;ssen wir etwas tun, um seinem Zorn zu entgehen. Da ist aber ein
+ Weiberrat nicht zu verachten. Ich will dies magische Bild meiner geliebten Medini
+ zeigen, die auch mit beim Tanze war und &uuml;berdies die Milchschwester der
+ sch&ouml;nen Vasitthi ist."</p>
+ <p>Hiermit wollte er sich mit dem Bilde entfernen. Da ich nun wohl merkte, was der
+ Schelm vorhatte, hie&szlig; ich ihn warten, weil dem Bilde noch eine Inschrift
+ fehlte. Ich mischte mir die sch&ouml;nste feurig-rote Farbe und in gar kurzer Zeit
+ schrieb ich mit den zierlichsten Schriftz&uuml;gen einen vierzeiligen Vers, der sehr
+ einfach den Vorgang mit dem goldenen Ball erz&auml;hlte. Wenn man aber die Zeilen
+ r&uuml;ckw&auml;rts las, besagte der Vers, da&szlig; jener Ball, mit dem sie gespielt
+ hatte, mein Herz sei, das ich selber ihr zur&uuml;ckschickte, wenn sie es auch
+ davonjage; man konnte aber auch den Vers quer durch die Zeilen von oben nach unten
+ lesen, und dann enthielt er eine Klage &uuml;ber die Verzweiflung, in die mich die
+ Trennung von ihr gest&uuml;rzt hatte; las man aber in umgekehrter Richtung, dann
+ wurde man gewahr, da&szlig; ich doch zu hoffen wagte.</p>
+ <p>Von dem, was ich solcherma&szlig;en hineingeheimni&szlig;t hatte, lie&szlig; ich
+ aber nichts verlauten, und so war denn Somadatta von dieser Probe meiner Dichtkunst,
+ die ihm gar zu einfach schien, auch nicht sonderlich erbaut. Er meinte, ich
+ m&uuml;sse durchaus davon sprechen, wie Gott Kama, durch meine Askese in Schreck
+ versetzt, das Zauberbild zu meiner Versuchung hervorgezaubert und mich dadurch
+ &uuml;berwunden h&auml;tte--wie denn jeder immer am meisten von seinem eigenen Witze
+ entz&uuml;ckt ist.</p>
+ <p>Als nun Somadatta das Bild entf&uuml;hrt hatte, f&uuml;hlte ich mich in einer
+ gehobenen und tatkr&auml;ftigen Stimmung, weil doch nun ein Schritt getan war, der
+ vielleicht in seinen Folgen zum ersehnten Gl&uuml;cksziel f&uuml;hren mochte. Ich
+ konnte wieder essen und trinken, und nachdem ich mich gest&auml;rkt hatte, nahm ich
+ die Vina von der Wand und lie&szlig; ihre Saiten bald melodisch seufzen, bald jubeln,
+ w&auml;hrend ich den himmlischen Namen Vasitthi in immer neuen T&ouml;nen
+ wiederholte.</p>
+ <p>So fand mich denn auch Somadatta, als er mehrere Stunden sp&auml;ter mit dem Bild
+ in der Hand wieder hereintrat.</p>
+ <p>"Die ballspielkundige Zerst&ouml;rerin deiner Ruhe hat auch gedichtet," sagte er,
+ "aber vielen Sinn finde ich eben nicht in ihren Versen aufgespeichert, wenn auch die
+ Schrift f&uuml;r ungew&ouml;hnlich h&uuml;bsch gelten darf."</p>
+ <p>Wirklich gewahrte ich--mit welchem Entz&uuml;cken, vermag ich nicht zu
+ sagen--einen zweiten Vierzeiler, der mit Schriftz&uuml;gen wie zarte
+ Bl&uuml;tenzweige auf das Brett gleichsam hingehaucht war. Somadatta freilich hatte
+ keinen Sinn darin finden k&ouml;nnen, denn das Ganze bezog sich eben auf das, was er
+ nicht bemerkt hatte, und zeigte mir, da&szlig; die Holde meine Strophe in allen
+ Richtungen--r&uuml;ckw&auml;rts, nach unten und aufw&auml;rts--richtig gelesen hatte,
+ was mir einen hohen Begriff von ihrer Bildung und ihren Kenntnissen gab, wie denn
+ auch ihr feiner Geist sich in der anmutig scherzenden Wendung zeigte, mit welcher sie
+ meine feurige Erkl&auml;rung als eine h&ouml;fliche Galanterie hinnahm, der man nicht
+ allzu gro&szlig;e Bedeutung beimessen d&uuml;rfe.</p>
+ <p>Nun versuchte ich freilich auch dieselben Lesemethoden auf ihre Strophe
+ anzuwenden, in der Hoffnung, vielleicht doch ein verbl&uuml;mtes Gest&auml;ndnis oder
+ irgend eine geheime Botschaft, wohl gar die Einladung zu einem Stelldichein darin zu
+ finden; jedoch vergeblich. Ich sagte mir denn auch sogleich, da&szlig; dies gerade
+ ein Beweis der h&ouml;chsten und feinsten weiblichen Gesittung sei: die Liebliche
+ zeigte mir, da&szlig; sie wohl imstande sei, die Subtilit&auml;t und die verwegenen
+ Pfade des m&auml;nnlichen Geistes zu verstehen, da&szlig; sie sich aber nicht
+ verleiten lasse, seinen Spuren zu folgen.</p>
+ <p>&Uuml;ber meine entt&auml;uschte Erwartung wurde ich nun auch sofort durch die
+ Worte Somadattas getr&ouml;stet.</p>
+ <p>"Aber diese Sch&ouml;nbrauige, wenn sie auch keine gro&szlig;e Dichterin ist, hat
+ doch wahrlich ein gutes Herz. Sie wei&szlig;, da&szlig; ich schon seit langer Zeit
+ meine geliebte Medini, ihre Milchschwester, nicht gesehen habe, au&szlig;er in
+ gro&szlig;er Gesellschaft, wo nur die Augen sprechen k&ouml;nnen, und auch die nur
+ verstohlen. Und so gibt sie uns Gelegenheit, uns in der folgenden Nacht auf der
+ Terrasse des v&auml;terlichen Palastes zu treffen. Diese Nacht ist es leider nicht
+ m&ouml;glich, weil ihr Vater ein Gastmahl gibt; so lange m&uuml;ssen wir uns also
+ gedulden. Vielleicht hast du Lust, mich bei diesem Abenteuer zu begleiten?"</p>
+ <p>Dabei lachte er ganz verschmitzt, und ich lachte ebenso und sicherte ihm meine
+ Begleitung zu. In der vortrefflichsten Laune nahmen wir das Brettspiel, das an die
+ Wand gelehnt war, und wollten uns durch diese den Geist anregende Besch&auml;ftigung
+ die Zeit verk&uuml;rzen, als ein Diener hereintrat und sagte, ein Fremder
+ w&uuml;nsche mich zu sprechen.</p>
+ <p>Ich ging in die Vorhalle und traf da den Bedienten des Gesandten, der mir sagte,
+ ich m&uuml;sse mich zur Abreise fertig machen und mich schon in dieser Nacht mit
+ meinen Wagen im Hofe des Palastes einfinden, damit man beim ersten Morgengrauen
+ aufbrechen k&ouml;nne.</p>
+ <p>Meine Verzweiflung kannte keine Grenzen. Ich w&auml;hnte, ich m&uuml;sse
+ unversehens irgend eine Gottheit beleidigt haben. Sobald ich meine Gedanken
+ einigerma&szlig;en sammeln konnte, st&uuml;rzte ich zum Gesandten und log ihm eine
+ Menge vor von einem Gesch&auml;ft, das noch nicht ganz abgewickelt w&auml;re und
+ unm&ouml;glich in so kurzer Frist zum gedeihlichen Abschlu&szlig; gebracht werden
+ k&ouml;nnte. Mit hei&szlig;en Tr&auml;nen beschwor ich ihn, die Reise nur noch um
+ einen Tag zu verschieben.</p>
+ <p>"Du sagtest mir doch schon vor acht Tagen, da&szlig; du fertig w&auml;rest,"
+ entgegnete er.</p>
+ <p>Ich aber versicherte ihm, da&szlig; sich nachher unverhofft noch eine Aussicht auf
+ einen bedeutenden Gewinn er&ouml;ffnet h&auml;tte. Und das war auch keine Unwahrheit,
+ denn welcher Gewinn hatte f&uuml;r mich mehr zu bedeuten, als die Eroberung dieses
+ unvergleichlichen M&auml;dchens?--Und so gelang es mir denn endlich, ihm diesen einen
+ Tag abzulisten.</p>
+ <p>Die Stunden des folgenden Tages vergingen schnell mit den n&ouml;tigen
+ Reisevorbereitungen, so da&szlig; mir die Zeit, trotz meiner Sehnsucht, nicht allzu
+ lang wurde. Als der Abend hereinbrach, standen die Karren beladen im Hof. Alles war
+ zum Vorspannen bereit, um, sobald ich--noch vor Morgengrauen--erschien, aufbrechen zu
+ k&ouml;nnen.</p>
+ <h2><a id="chap_vi" name="chap_vi">VI. AUF DER TERRASSE DER SORGENLOSEN</a></h2>
+ <p><img src="images/vi.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />ls es nun
+ v&ouml;llig Nacht geworden war, begaben wir, Somadatta und ich, uns in dunkelfarbiger
+ Kleidung, hoch aufgesch&uuml;rzt, fest geg&uuml;rtet und das Schwert in der Hand,
+ nach der Westseite des palastartigen Hauses des reichen Goldschmiedes, wo sich die
+ Terrasse &uuml;ber der steilen Felswand einer Schlucht befand. Mit Hilfe einer
+ mitgebrachten Bambusstange erkletterten wir nun, die wenigen Vorspr&uuml;nge
+ geschickt benutzend, die in tiefen Schatten geh&uuml;llte Felsenwand,
+ &uuml;berstiegen dann mit Leichtigkeit die Mauer und befanden uns nun auf einer
+ gro&szlig;en, mit Palmen, Asokab&auml;umen und pr&auml;chtigen Blumenpflanzen aller
+ Art geschm&uuml;ckten Terrasse, die, in Mondlicht gebadet, sich vor uns
+ ausbreitete.</p>
+ <p>Nicht weit von mir entfernt sah ich die der Lakshmi &auml;hnliche
+ Gro&szlig;&auml;ugige, die mit meinem Herzen Ball spielte, neben einem jungen
+ M&auml;dchen auf einer Ruhebank sitzen, und bei diesem Anblick fing ich an so heftig
+ an allen Gliedern zu zittern, da&szlig; ich mich an die Br&uuml;stung lehnen
+ mu&szlig;te, deren marmorne K&auml;lte meine in Feuersglut schon entschwindenden
+ Sinne erfrischte und st&auml;rkte. Indessen war Somadatta auf seine Geliebte
+ zugeeilt, die mit einem leisen Ruf aufgesprungen war.</p>
+ <p>Nun fa&szlig;te ich mich denn auch so weit, da&szlig; ich mich der
+ Unvergleichlichen n&auml;hern konnte, die, anscheinend &uuml;berrascht durch die
+ Ankunft eines Fremden, sich erhoben hatte und unschl&uuml;ssig schien, ob sie bleiben
+ oder gehen sollte, w&auml;hrend sich ihr Auge, wie das der erschreckten jungen
+ Antilope, wiederholt mit Seitenblicken aus dem &auml;u&szlig;ersten Augenwinkel auf
+ mich richtete, wobei sie wie eine vom leisen Winde geschaukelte Ranke bebte. Ich aber
+ stand da in best&auml;ndig wachsender Verwirrung, mit gestr&auml;ubten Wangenhaaren
+ und weit aufgebl&uuml;hten Augen und konnte nur m&uuml;hsam einige Worte von dem
+ unverhofften Gl&uuml;ck, sie hier zu treffen, hervorstammeln. Als sie aber meine
+ gro&szlig;e Zaghaftigkeit bemerkte, schien sie selber ruhiger zu werden. Sie setzte
+ sich wieder auf die Bank und lud mich mit einer l&auml;ssigen Bewegung ihrer
+ Lotushand ein, neben ihr Platz zu nehmen, w&auml;hrend sie mit einer Stimme, die sehr
+ leicht und gar lieblich zitterte, mir versicherte, sie sei sehr gl&uuml;cklich
+ &uuml;ber diese Gelegenheit, mir zu danken, weil ich ihr den Ball mit solcher
+ Geschicklichkeit zur&uuml;ckgeworfen h&auml;tte, da&szlig; keine St&ouml;rung im
+ Spiel entstanden sei; denn w&auml;re das geschehen, so w&uuml;rde ihr ganzes
+ Verdienst dahin gewesen sein, und die von ihr ungeschickt verehrte G&ouml;ttin
+ h&auml;tte ihr gez&uuml;rnt oder ihr wenigstens kein Gl&uuml;ck geschenkt. Darauf
+ antwortete ich, sie habe mir nicht zu danken, da ich h&ouml;chstens das wieder gut
+ gemacht h&auml;tte, was ich selber verfehlt; und als sie nicht verstand, wie ich das
+ meinte, wagte ich sie daran zu erinnern, wie unsere Blicke sich begegnet hatten und
+ sie darob verwirrt den Ball schief traf, so da&szlig; er ihr davonflog. Sie aber
+ err&ouml;tete heftig und wollte das durchaus nicht zugeben--was h&auml;tte sie denn
+ auch dabei verwirren k&ouml;nnen?</p>
+ <p>"Ich denke," antwortete ich, "da&szlig; meine weit aufgebl&uuml;hten Augen
+ gleichsam einen solchen Duft von Bewunderung haben entstr&ouml;men lassen, da&szlig;
+ du dadurch einen Augenblick bet&auml;ubt wurdest und mit der Hand daneben
+ schlugst."</p>
+ <p>"Ei, was sprichst du mir da von Bewunderung," antwortete sie, "du bist ja gewohnt,
+ in deiner Heimat noch viel geschicktere Spielerinnen zu sehen."</p>
+ <p>Aus dieser &Auml;u&szlig;erung entnahm ich mit Genugtuung, da&szlig; man sich
+ &uuml;ber mich unterhalten hatte, und da&szlig; meine an Somadatta gerichteten Worte
+ ihr getreulich mitgeteilt worden waren. Doch wurde mir auch hei&szlig; und kalt bei
+ dem Gedanken, da&szlig; ich ja fast geringsch&auml;tzig &uuml;ber sie gesprochen
+ hatte, und ich beeilte mich, ihr zu versichern, da&szlig; daran kein wahres Wort
+ gewesen w&auml;re, und da&szlig; ich nur so gesprochen h&auml;tte, um nicht mein
+ s&uuml;&szlig;es Geheimnis dem Freunde preiszugeben. Das wollte sie aber nicht
+ glauben, oder tat wenigstens so; und dar&uuml;ber verga&szlig; ich dann
+ gl&uuml;cklich meine ganze Sch&uuml;chternheit, geriet in gro&szlig;en Eifer, um sie
+ zu &uuml;berzeugen, und erz&auml;hlte ihr, wie bei ihrem Anblick der Liebesgott seine
+ Blumenpfeile auf mich hatte regnen lassen. Ich sei &uuml;berzeugt, da&szlig; sie in
+ einem fr&uuml;heren Leben meine Frau gewesen sei, denn woher k&auml;me wohl sonst
+ eine so pl&ouml;tzliche und unwiderstehliche Liebe? Wenn dem aber so sei, dann
+ m&uuml;sse doch auch sie in mir ihren ehemaligen Gemahl erkannt haben, und es
+ m&uuml;sse auch bei ihr eine solche Liebe entstanden sein.</p>
+ <p>Mit solchen dreisten Worten drang ich ungest&uuml;m auf sie ein, bis sie endlich
+ ihre gl&uuml;hende, tr&auml;nenperlende Wange an meiner Brust verbarg und mir in kaum
+ h&ouml;rbaren Worten gestand, da&szlig; es ihr ebenso gegangen sei wie mir, und
+ da&szlig; sie gewi&szlig; gestorben w&auml;re, wenn ihre Milchschwester ihr nicht
+ noch rechtzeitig das Bild gebracht h&auml;tte.</p>
+ <p>Dann k&uuml;&szlig;ten und herzten wir uns unz&auml;hlige Male und meinten vor
+ Wonne vergehen zu m&uuml;ssen, bis pl&ouml;tzlich der Gedanke an meine unmittelbar
+ bevorstehende Abreise wie ein schwarzer Schatten &uuml;ber meine Fr&ouml;hlichkeit
+ fiel und mir einen tiefen Seufzer erpre&szlig;te.</p>
+ <p>Erschrocken fragte Vasitthi, warum ich also seufzte. Als ich ihr aber dann den
+ Grund nannte, sank sie wie ohnm&auml;chtig auf die Bank zur&uuml;ck, und brach in
+ einen unersch&ouml;pflichen Tr&auml;nenstrom und in herzzerrei&szlig;endes Schluchzen
+ aus. Vergeblich waren meine Versuche, die innig Geliebte zu tr&ouml;sten. Umsonst
+ versicherte ich ihr, da&szlig; ich, sobald die Regenzeit vor&uuml;ber sei,
+ zur&uuml;ckkehren und sie dann nimmermehr verlassen wolle, wenn ich mich auch als
+ Tagel&ouml;hner in Kosambi verdingen m&uuml;sse.--In den Wind gesprochen waren alle
+ Beteuerungen, da&szlig; meine Verzweiflung bei der Trennung nicht geringer sei als
+ die ihre, und da&szlig; nur die harte, unerbittliche Notwendigkeit mich so bald von
+ ihr wegrisse. Kaum da&szlig; sie unter Schluchzen ein paar Worte hervorbringen
+ konnte, um zu fragen, warum es denn so notwendig sei, schon morgen, nachdem wir uns
+ eben erst gefunden h&auml;tten, abzureisen--und als ich ihr dies dann sehr genau und
+ umst&auml;ndlich erkl&auml;rte, schien sie keine Silbe davon zu h&ouml;ren oder zu
+ verstehen. O, sie s&auml;he schon, da&szlig; ich mich danach sehne, nach meiner
+ Vaterstadt zur&uuml;ckzukommen, wo es noch viel sch&ouml;nere M&auml;dchen als sie
+ g&auml;be, die auch viel besser Ball spielen k&ouml;nnten, wie ich es ja selber
+ gesagt h&auml;tte!</p>
+ <p>Ich mochte sagen, beteuern und beschw&ouml;ren was ich wollte--sie blieb dabei,
+ und immer reichlicher flossen ihre Tr&auml;nen. Kann man sich wundern, da&szlig; ich
+ bald darauf zu ihren F&uuml;&szlig;en lag, ihre schlaff herabh&auml;ngende Hand mit
+ K&uuml;ssen und Tr&auml;nen bedeckte und ihr versprach, nicht abzureisen? Und wer war
+ dann seliger als ich, als Vasitthi mich nun mit ihren weichen Armen umschlang und
+ mich wieder und wieder k&uuml;&szlig;te und vor Freude lachte und weinte. Freilich
+ sagte sie nun gleich: "Da siehst du, es ist gar nicht so notwendig, da&szlig; du
+ schon wegreisest, denn dann m&uuml;&szlig;test du es ja unbedingt tun."--Als ich mich
+ aber anschickte, ihr Alles noch einmal auseinanderzusetzen, schlo&szlig; sie mir den
+ Mund mit einem Kusse und sagte, sie wisse, da&szlig; ich sie liebe, und sie meine
+ nicht wirklich, was sie von den M&auml;dchen meiner Vaterstadt gesagt h&auml;tte.
+ Unter z&auml;rtlichen Liebkosungen und traulichem Plaudern flogen die Stunden wie im
+ Traume dahin, und es w&auml;re kein Ende all der Seligkeit gewesen, wenn nicht
+ pl&ouml;tzlich Somadatta mit Medini gekommen w&auml;re, um uns zu sagen, da&szlig; es
+ die h&ouml;chste Zeit sei, an die Heimkehr zu denken.</p>
+ <p>In unserem Hofe fanden wir Alles zum Aufbruch bereit. Ich rief den F&uuml;hrer der
+ Ochsenkarren und schickte ihn eiligst zum Gesandten mit dem Bescheid, da&szlig; mein
+ Gesch&auml;ft leider noch nicht v&ouml;llig erledigt sei, und ich infolgedessen
+ darauf verzichten m&uuml;sse, die Heimreise unter dem Schutze der Gesandtschaft zu
+ machen. Ich bat ihn nur, meinen Eltern einen Gru&szlig; zu bringen und empfahl mich
+ seiner Gewogenheit.</p>
+ <p>Kaum hatte ich mich auf mein Lager gestreckt, um--wenn m&ouml;glich--einiger
+ Stunden Schlafes zu genie&szlig;en, als der Gesandte selber hereintrat. Erschrocken
+ sprang ich auf und verbeugte mich tief vor ihm, w&auml;hrend er mit ziemlich barscher
+ Stimme fragte, was dies unglaubliche Betragen bedeuten sollte--ich h&auml;tte ihm
+ sofort zu folgen.</p>
+ <p>Nun wollte ich anfangen, von meinem noch immer unbeendigten Gesch&auml;ft zu
+ reden, aber er unterbrach mich gebieterisch:</p>
+ <p>"Ach was, Gesch&auml;ft! La&szlig; es mit der L&uuml;ge jetzt genug sein. Ich
+ sollte wohl wissen, was f&uuml;r Gesch&auml;fte im Gange sind, wenn ein junger Fant
+ pl&ouml;tzlich eine Stadt nicht verlassen kann, selbst wenn ich nicht gesehen
+ h&auml;tte, da&szlig; deine Ochsenkarren vorgespannt und beladen im Hofe halten."</p>
+ <p>Da stand ich nun blutrot und zitternd als ein vollkommen Ertappter. Als er mich
+ aber ihm augenblicklich zu folgen hie&szlig;, da schon ohnehin zu viel der kostbaren
+ k&uuml;hlen Tageszeit verloren gegangen sei, stie&szlig; er bei mir auf einen
+ Widerstand, mit dem er offenbar nicht gerechnet hatte. Vom befehlenden Ton ging er
+ zum drohenden, von diesem zuletzt zum bittenden &uuml;ber. Er erinnerte mich daran,
+ wie meine Eltern sich nur deshalb entschlossen h&auml;tten, mich auf eine so weite
+ Reise zu schicken, weil sie gewu&szlig;t, da&szlig; ich sie in seiner Begleitung und
+ unter seinem Schutze hin und zur&uuml;ck machen k&ouml;nnte.</p>
+ <p>Er h&auml;tte aber keinen f&uuml;r seinen Zweck weniger geeigneten Grund ins Feld
+ f&uuml;hren k&ouml;nnen. Denn ich sagte mir sofort: dann w&uuml;rde ich ja auch wohl
+ warten m&uuml;ssen, bis wieder einmal eine Gesandtschaft nach Kosambi ginge, bevor
+ ich zu meiner Vasitthi zur&uuml;ckkehren k&ouml;nnte! Nein, ich wollte meinem Vater
+ schon zeigen, da&szlig; ich wohl imstande sei, allein eine Karawane durch alle
+ Beschwerlichkeiten und Gefahren des Weges zu leiten.</p>
+ <p>Diese Gefahren schilderte mir der Gesandte nun zwar drohend genug, aber das alles
+ war in den Wind gesprochen. Endlich verlie&szlig; er mich in gro&szlig;em Zorn: ihn
+ treffe keine Schuld, ich m&uuml;sse jetzt selber meine Torheit ausbaden.</p>
+ <p>Mir war es, als ob eine gro&szlig;e Last von mir genommen w&auml;re. Ich hatte
+ mich ja jetzt so ganz meiner Liebe hingegeben. In diesem s&uuml;&szlig;en
+ Bewu&szlig;tsein schlief ich fest ein und erwachte erst, als es Zeit war, sich nach
+ der Terrasse zu begeben, wo unsere Geliebten unser harrten.</p>
+ <p>Nacht um Nacht trafen wir uns nun dort, und bei jeder Begegnung entdeckten wir
+ neue Sch&auml;tze in unserer gegenseitigen Neigung und trugen eine noch
+ gr&ouml;&szlig;ere Sehnsucht nach dem Wiedersehen von dannen. Das Mondlicht wollte
+ mir silberner erscheinen, der Marmor k&uuml;hler, der Duft der Doppeljasminen
+ berauschender, der Ruf der Kokila liebestrunkener, das Rauschen der Palmen
+ tr&auml;umerischer und das unruhige Fl&uuml;stern der Asokas noch
+ verhei&szlig;ungsvoller, als diese Dinge sonstwo in der Welt sein mochten.</p>
+ <p>O, wie deutlich besinne ich mich auf jene herrlichen Asokas, die l&auml;ngs der
+ ganzen Terrasse standen, und unter denen wir so oft gewandelt sind, uns mit den Armen
+ umschlungen haltend! "Die Terrasse der Sorgenlosen" wurde sie nach diesen B&auml;umen
+ genannt, denn "den sorgenlosen Baum" und auch "Herzensfrieden" nennen ja die Dichter
+ den Asoka, den ich nirgends so sch&ouml;n gewachsen gesehen habe wie gerade dort. Die
+ speerf&ouml;rmigen, nimmer ruhigen Bl&auml;tter gl&auml;nzten in den Mondstrahlen und
+ lispelten im leisen Nachtwinde, und zwischen ihnen gl&uuml;hten die goldigen,
+ orangefarbenen und scharlachroten Blumen, obschon die Vasantazeit erst im Anzuge war.
+ Aber wie sollten denn auch, o Bruder, diese B&auml;ume dort nicht schon in voller
+ Bl&uuml;tenpracht stehen, da der Asoka ja gleich seine Knospen &ouml;ffnet, sobald
+ der Fu&szlig; eines sch&ouml;nen M&auml;dchens seine Wurzeln ber&uuml;hrt!</p>
+ <p>In einer wunderbaren Vollmondnacht--mir ist's, als sei es gestern gewesen--stand
+ ich unter diesen B&auml;umen neben der holden Ursache ihrer Fr&uuml;hbl&uuml;te,
+ meiner lieblichen Vasitthi. &Uuml;ber den tiefen Schatten der Schlucht schauten wir
+ weit hinaus ins Land, sahen die Silberb&auml;nder der beiden Fl&uuml;sse sich durch
+ die ungeheure Ebene winden und sich an der hochheiligen St&auml;tte vereinigen, die
+ sie die "Dreilocke" nennen, weil sie glauben, da&szlig; die himmlische Ganga als
+ dritte sich dort mit ihnen verbinde. Diese zeigte mir aber Vasitthi &uuml;ber den
+ Wipfeln der B&auml;ume--denn mit diesem sch&ouml;nen Namen nennen sie ja hier das
+ Himmelslicht, das wir im S&uuml;den als die Milchstra&szlig;e kennen.</p>
+ <p><a id="p36" name="p36">Dann</a> sprachen wir von dem m&auml;chtigen Himavat im
+ Norden, aus dem die Ganga herflutete, dessen Schneegipfel die Wohnung der
+ G&ouml;tter, dessen unerme&szlig;liche W&auml;lder und tiefe Felsenkl&uuml;fte der
+ Aufenthalt der gro&szlig;en Asketen waren. Noch lieber aber folgte ich der Jamuna
+ aufw&auml;rts.</p>
+ <p>"O," rief ich, "da&szlig; ich doch einen M&auml;rchennachen h&auml;tte, aus
+ Perlmutterschale, von meinen W&uuml;nschen besegelt, von meinem Willen gelenkt, damit
+ er uns jenen silbernen Strom hinauftragen k&ouml;nnte. Dann m&uuml;&szlig;te sich die
+ Ilfenstadt wieder aus ihren Tr&uuml;mmern erheben, und die ragenden Pal&auml;ste
+ w&uuml;rden vom Gelage der Zecher und vom Streit der W&uuml;rfelspieler widerhallen.
+ Der Sand Kurukschetras m&uuml;&szlig;te seine Toten wiedergeben. Da w&uuml;rde der
+ greise Bhishma, in silberner R&uuml;stung und wei&szlig;em Gelock auf hohem Wagen
+ emporragend, seine glattr&ouml;hrigen Pfeile &uuml;ber die Feinde regnen lassen; der
+ tapfere Phagadatta w&uuml;rde auf seinem kampfw&uuml;tigen, r&uuml;sselschwingenden
+ Ilfenstier heranst&uuml;rmen, der gewandte Krishna das wei&szlig;e Viergespann
+ Arjunas in das wildeste Kampfget&uuml;mmel hineinjagen. O, wie sehr habe ich den
+ Gesandten um seine Zugeh&ouml;rigkeit zur Kriegerkaste beneidet, als er mir sagte,
+ seine Vorfahren h&auml;tten an jener unverge&szlig;lichen Schlacht teilgenommen! Aber
+ das war t&ouml;richt! Denn nicht nur im Geschlechte gibt es ja Vorfahren, sondern wir
+ selber sind unsere eigenen Vorfahren. Wo war ich damals? Vielleicht eben dort, unter
+ den K&auml;mpfenden. Denn obwohl ich ein Kaufmannssohn bin, habe ich immer meine
+ gr&ouml;&szlig;te Freude an Waffenspielen gehabt, und ich darf wohl sagen, da&szlig;
+ ich mit dem Degen in der Hand meinen Mann stelle."</p>
+ <p>Vasitthi umarmte mich st&uuml;rmisch und nannte mich ihren Helden: ich sei ganz
+ gewi&szlig; einer jener Heroen, die in den Liedern leben. Welcher, k&ouml;nnten wir
+ freilich nicht wissen, da durch diesen s&uuml;&szlig;en Wohlgeruch der sorgenlosen
+ B&auml;ume der Duft des Korallenbaumes kaum zu uns dringen w&uuml;rde.</p>
+ <p>Ich fragte sie, was denn das f&uuml;r ein Duft sei, denn davon hatte ich nie etwas
+ geh&ouml;rt--wie ich denn &uuml;berhaupt fand, da&szlig;, wie alles andere, auch das
+ M&auml;rchen hier an der Ganga &uuml;ppiger bl&uuml;hte als bei uns im Gebirge.</p>
+ <p>Und sie erz&auml;hlte mir, wie Krishna einst auf seinem Fluge durch Indras Welt im
+ Kampfspiel den himmlischen Korallenbaum gewonnen und ihn in seinen Garten gepflanzt
+ habe, einen Baum, dessen tiefrote Bl&uuml;ten weit in die Runde ihren Duft
+ verbreiten. Und wer diesen Duft eingesogen habe, der erinnere sich in seinem Herzen
+ langer, langer Vergangenheit, l&auml;ngst entschwundener Zeiten aus fr&uuml;heren
+ Leben.</p>
+ <p>"Aber nur die Heiligen k&ouml;nnen schon hier auf Erden diesen Duft einatmen,"
+ sagte sie und f&uuml;gte fast schalkhaft hinzu: "und wir beide werden wohl keine
+ werden. Aber was tut's? Wenn wir auch nicht Nala und Damayanti waren, so haben wir
+ uns gewi&szlig; so lieb gehabt wie sie,--welche nun auch unsere Namen gewesen sein
+ m&ouml;gen. Und vielleicht sind Liebe und Treue das einzig Wirkliche, das Namen und
+ Gestalten wechselt. Sie sind die Melodien, und wir die Lauten, auf denen sie gespielt
+ werden. Die Laute zerbricht, und eine andere wird gestimmt; aber die Melodie bleibt
+ dieselbe. Sie klingt freilich voller und feiner auf dem einen Instrument als auf dem
+ anderen, wie ja auch meine neue Vina viel sch&ouml;ner t&ouml;nt als die alte. Wir
+ aber sind zwei herrliche Lauten f&uuml;r die G&ouml;tter darauf zu spielen, die
+ wonnigste aller Weisen darauf ert&ouml;nen zu lassen."</p>
+ <p>Ich dr&uuml;ckte sie stumm an mich, innig ergriffen und verwundert ob solcher
+ seltsamen Gedanken. Sie aber f&uuml;gte mit leisem Lachen hinzu, indem sie wohl meine
+ Gedanken erriet:</p>
+ <p>"Freilich darf ich eigentlich nicht solche Gedanken haben, denn unser alter
+ Hausbrahmane wurde einmal recht b&ouml;se, als ich etwas &Auml;hnliches verlauten
+ lie&szlig;: ich solle nur zu Krishna beten und das Denken den Brahmanen
+ &uuml;berlassen. Da ich nun also nicht denken, wohl aber glauben darf, so will ich
+ glauben, da&szlig; wir wirklich und wahrhaftig Nala und Damayanti waren."</p>
+ <p>Und indem sie ihre H&auml;nde betend zum bl&uuml;tenschimmernden,
+ bl&auml;tterflimmernden Wipfel vor uns emporhob, sprach sie den Baum an mit den
+ Worten, die Damayanti, im Walde umherirrend, an den Asoka richtet, nur da&szlig; die
+ schmiegsamen Clokaverse des Dichters sich wie von selber auf ihren Lippen mehrten und
+ reicher bl&uuml;hten, wie ein Sch&ouml;&szlig;ling, der in geweihten Boden
+ umgepflanzt ist:</p>
+ <p>"Du Sorgenloser! der Wehklage lausche der sorgenvollen Maid!<br />
+ Der du den Namen tr&auml;gst 'Herzfrieden'! diesem Herzen den Frieden schenk'!<br />
+ Mit Blumenaugen umhersp&auml;hend, sprechend mit Bl&auml;tterzungen fein,<br />
+ Gieb Kunde mir, wo mein Herzwalter wandert, wo jetzt mein Nala weilt".</p>
+ <p>Dann blickte sie mich mit liebevollen Augen an, in deren Tr&auml;nen das Mondlicht
+ sich spiegelte, und sagte mit bebenden Lippen:</p>
+ <p>"Wenn du fern von hier bist und an diesen Ort unserer Seligkeit zur&uuml;ckdenkst,
+ dann stelle dir vor, da&szlig; ich hier stehe und so mit diesem sch&ouml;nen Baume
+ spreche. Nur sage ich dann nicht 'Nala', sondern 'Kamanita'."</p>
+ <p>Ich schlo&szlig; sie in meine Arme und pre&szlig;te meine Lippen auf die
+ ihren.</p>
+ <p>In diesem Augenblick rauschte der Wipfel &uuml;ber uns. Eine gro&szlig;e,
+ leuchtend rote Blume schwebte herab und lie&szlig; sich auf unsere
+ tr&auml;nenfeuchten Wangen nieder. Vasitthi nahm sie l&auml;chelnd in die Hand,
+ weihte sie mit einem Kusse und reichte sie mir. Ich verbarg sie an meiner Brust.</p>
+ <p>Mehrere Blumen waren in dem Baumgange zur Erde gefallen. Medini, die neben
+ Somadatta auf einer Bank nicht weit von uns entfernt sa&szlig;, sprang auf, und,
+ einige gelbe Asokabl&uuml;ten emporhaltend, rief sie, indem sie auf uns zukam:</p>
+ <p>"Sieh, Schwester! Die Blumen fangen schon an abzufallen. Bald werden genug
+ f&uuml;r dein Bad da sein."</p>
+ <p>"Aber diese gelben darf Vasitthi freilich nicht in ihr Badewasser tun," f&uuml;gte
+ mein immer schalkhafter Freund hinzu, "wenn ihr blumenhafter Leib ihrer Liebe
+ gem&auml;&szlig; bl&uuml;hen soll, sondern nur solche scharlachrote, wie jene, die
+ Freund Kamanita soeben in seinem Gewande verbarg. Denn im goldenen Buch der Liebe
+ hei&szlig;t es: 'Safrangelbe Neigung nennt man sie, wenn sie zwar in die Augen
+ f&auml;llt, aber wieder verloren geht; scharlachrot aber nennt man sie, wenn sie
+ nicht wieder verloren geht und &uuml;berm&auml;&szlig;ig in die Augen
+ f&auml;llt'"</p>
+ <p>Dabei lachten er und seine Medini auf ihre lustige, vertrauliche Weise.</p>
+ <p>Vasitthi aber antwortete ernst, wenn auch mit ihrem s&uuml;&szlig;en L&auml;cheln,
+ indem sie meine Hand fest und sanft dr&uuml;ckte:</p>
+ <p>"Du irrst dich, lieber Somadatta! Meine Liebe hat keine Blumenfarbe. Denn ich habe
+ sagen h&ouml;ren, die Farbe der echtesten Liebe sei nicht rot, sondern
+ schwarz--schwarz wie der Hals Qivas wurde, als der Gott das Gift verschlang, das
+ sonst die Wesen vernichtet h&auml;tte. Und so mu&szlig; es auch sein: auch das Gift
+ des Lebens mu&szlig; die wahre Liebe vertragen k&ouml;nnen, und willig mu&szlig; sie
+ das Bitterste kosten, um es dem Geliebten zu ersparen. Und gewi&szlig; wird sie
+ lieber davon ihre Farbe w&auml;hlen, als von allen leuchtenden Freuden."</p>
+ <p>Also sprach meine geliebte Vasitthi in jener Nacht unter den sorgenlosen
+ B&auml;umen.</p>
+ <h2><a id="chap_vii" name="chap_vii">VII. IN DER SCHLUCHT</a></h2>
+ <p><img src="images/vii.png" width="93" height="93" align="left" alt="T" />ief bewegt
+ durch diese lebhafte Erinnerung, schwieg der Pilger eine kleine Weile. Dann seufzte
+ er, strich sich mit der Hand &uuml;ber die Stirn und fuhr in seiner Erz&auml;hlung
+ fort.</p>
+ <p>Kurz, Bruder, ich ging w&auml;hrend dieser ganzen Zeit wie in einem Rausche von
+ Seligkeit umher, und meine F&uuml;&szlig;e schienen kaum mehr die Erde zu
+ ber&uuml;hren. Einmal mu&szlig;te ich laut lachen, weil ich h&ouml;rte, da&szlig; es
+ Leute gebe, die diese Welt ein Jammertal nennen und ihre Gedanken und W&uuml;nsche
+ darauf richten, nicht mehr unter den Menschen wiedergeboren zu werden. "Welch
+ ausgemachte Toren, Somadatta!" rief ich, "als ob es einen vollkommeneren Ort der
+ Seligkeit geben k&ouml;nnte als die Terrasse der Sorgenlosen."</p>
+ <p>Aber unter der Terrasse war die Schlucht.</p>
+ <p>In diese waren wir gerade hinuntergeklettert, als ich jene t&ouml;richten Worte
+ ausrief, und als sollte mir gezeigt werden, da&szlig; auch die h&ouml;chste
+ Erdenwonne ihre Bitterkeit hat, wurden wir in demselben Augenblick von mehreren
+ bewaffneten M&auml;nnern angefallen. Wie viele es waren, vermochten wir in der tiefen
+ Dunkelheit nicht zu unterscheiden. Gl&uuml;cklicherweise konnten wir uns den
+ R&uuml;cken durch die Felsenwand decken, und mit dem beruhigenden Bewu&szlig;tsein,
+ nur von vorn bedroht zu sein, fingen wir an, f&uuml;r unser Leben und unsere Liebe zu
+ fechten. Wir bissen die Z&auml;hne zusammen und waren schweigsam wie die Nacht,
+ w&auml;hrend wir so ruhig wie m&ouml;glich parierten und stie&szlig;en; unsere Gegner
+ aber heulten wie die Teufel, um sich gegenseitig anzufeuern, und wir vermeinten acht
+ bis zehn Stimmen unterscheiden zu k&ouml;nnen. Wenn sie nun auch ein paar bessere
+ Degen vorfanden, als sie erwartet haben mochten, so war unsere Stellung doch ernst
+ genug. Bald lagen aber zwei von ihnen auf der Erde, und ihre K&ouml;rper hinderten
+ die anderen, die f&uuml;rchteten, &uuml;ber sie zu stolpern und so unseren
+ Schwertspitzen &uuml;berliefert zu werden, betr&auml;chtlich am K&auml;mpfen. Sie
+ mochten sich einige Schritte zur&uuml;ckgezogen haben, denn wir f&uuml;hlten nicht
+ mehr ihren hei&szlig;en Atem im Gesicht.</p>
+ <p>Ich fl&uuml;sterte Somadatta ein paar Worte zu, und wir r&uuml;ckten mehrere
+ Schritte zur Seite, in der Hoffnung, da&szlig; die Angreifer, uns an der alten Stelle
+ w&auml;hnend, einen pl&ouml;tzlichen Vorsto&szlig; machen und dabei anstatt an uns an
+ die Felsenwand geraten und an dieser ihre Schwertspitzen zerbrechen w&uuml;rden,
+ w&auml;hrend die unserigen ihnen geh&ouml;rig zwischen die Rippen fahren sollten.
+ Obwohl wir nun die &auml;u&szlig;erste Vorsicht beobachteten, mu&szlig; aber doch
+ wohl ein leises Ger&auml;usch ihren Verdacht erweckt haben. Denn der erhoffte blinde
+ Angriff erfolgte nicht, wohl aber sah ich pl&ouml;tzlich einen schmalen Lichtstreif
+ die Wand treffen und wurde auch gewahr, da&szlig; dieser Strahl von einem Lampendocht
+ herkam, der offenbar in einer vorsichtig ge&ouml;ffneten Dose steckte, neben der sich
+ auch eine warzige Nase und ein zusammengekniffenes Auge zeigten.</p>
+ <p>Da die Bambusstange, mit deren Hilfe wir die Terrasse erklommen hatten,
+ gl&uuml;cklicherweise sich noch in meiner linken Hand befand, stie&szlig; ich beherzt
+ zu--ein lauter Schrei, das Verschwinden des Strahls und das Klirren des zu Boden
+ gefallenen L&auml;mpchens bezeugten, wie gut ich getroffen hatte; und diesen
+ Augenblick benutzten wir nun, in der Richtung, in der wir gekommen waren, eilends
+ davon zu laufen. Wir wu&szlig;ten, da&szlig; hier die Kluft allm&auml;hlich enger
+ wurde und ziemlich steil aufstieg, und da&szlig; man zuletzt ohne
+ &uuml;berm&auml;&szlig;ige M&uuml;he die H&ouml;he erklettern konnte. Doch war es ein
+ gro&szlig;es Gl&uuml;ck, da&szlig; unsere Angreifer die Verfolgung in der Finsternis
+ sehr bald aufgaben, denn beim letzten Aufstieg drohten meine Kr&auml;fte mich zu
+ verlassen, und ich f&uuml;hlte, da&szlig; ich aus mehreren Wunden heftig blutete;
+ auch mein Freund war verwundet, obschon leichter.</p>
+ <p>Oben angekommen, zerschnitten wir mein Gewand und verbanden notd&uuml;rftig unsere
+ Wunden, und so gelangte ich denn endlich, auf Somadattas Arm gest&uuml;tzt,
+ gl&uuml;cklich nach Hause, wo ich dann mehrere Wochen auf dem Schmerzenslager
+ zubringen mu&szlig;te.</p>
+ <p>Da lag ich nun, von dreifachem Leid geplagt. Denn die Wunden und das Fieber
+ verbrannten mir den Leib, und sehrende Sehnsucht nach der Geliebten verzehrte meine
+ Seele--bald aber kam noch die Besorgnis um ihr teures Leben hinzu. Denn das zarte,
+ blumenhafte Wesen hatte die Nachricht von der t&ouml;dlichen Gefahr, in der ich
+ geschwebt hatte und vielleicht noch immer schwebte, nicht ertragen k&ouml;nnen und
+ war von einer schweren Krankheit befallen worden. Ihre getreue Milchschwester Medini
+ ging aber tagt&auml;glich von einem Krankenlager zum anderen, und so fehlte es uns
+ wenigstens nicht an dauernder Verbindung und an sinnigem Verkehr. Blumen wanderten
+ zwischen uns hin und her, und da wir beide in die Wissenschaft der Blumensprache
+ eingeweiht waren, vertrauten wir uns durch diese lieblichen Boten gar mancherlei an.
+ Sp&auml;ter, als unsere Kr&auml;fte sich hoben, fand auch manch zierlicher Vers den
+ Weg von Hand zu Hand, und so h&auml;tte unser Zustand sich bald recht ertr&auml;glich
+ gestaltet, wenn nicht mit der Genesung, der wir in gleichem Schritt uns
+ n&auml;herten--gleichsam zu treu verbunden, als da&szlig; der eine dem anderen darin
+ vorauseilen wollte--auch die Zukunft an uns herangetreten w&auml;re und uns mit
+ schweren Sorgen erf&uuml;llt h&auml;tte.</p>
+ <p>Es war uns n&auml;mlich nicht verborgen geblieben, welcher Art jener scheinbar so
+ r&auml;tselhafte &Uuml;berfall gewesen war. Kein anderer als der Sohn des
+ Ministers--Satagira war sein verha&szlig;ter Name--, mit dem ich an jenem
+ unverge&szlig;lichen Nachmittage im Parke um Vasitthis Ball gerungen hatte: kein
+ anderer war es als er, der die gedungenen M&ouml;rder auf mich gehetzt hatte. Ohne
+ Zweifel hatte er bemerkt, da&szlig; ich nach der Abreise der Gesandtschaft noch immer
+ in der Stadt zur&uuml;ckblieb, und sein dadurch geweckter Argwohn hatte gar bald
+ meine n&auml;chtlichen Besuche auf der Terrasse ersp&auml;ht.</p>
+ <p>Ach, jene Terrasse der Sorgenlosen war unserer Liebe jetzt wie ein versunkenes
+ Eiland. Wohl h&auml;tte ich freudig immer wieder und wieder mein Leben in die Schanze
+ geschlagen, um die Holde dort zu umfangen. Aber selbst wenn Vasitthi das Herz gehabt
+ h&auml;tte, mich alln&auml;chtlich t&ouml;dlicher Gefahr auszusetzen, so blieb uns
+ doch eine solche Versuchung erspart. Der b&ouml;se Satagira mu&szlig;te die Eltern
+ meiner Geliebten von unseren geheimen Zusammenk&uuml;nften unterrichtet haben, denn
+ es zeigte sich bald, da&szlig; Vasitthi sorgf&auml;ltig und argw&ouml;hnisch
+ &uuml;berwacht wurde, und da&szlig; der Aufenthalt auf der Terrasse ihr nach
+ Sonnenuntergang verboten war--angeblich wegen ihrer noch gef&auml;hrdeten
+ Gesundheit.</p>
+ <p>So war denn unsere Liebe obdachlos! Die sich so gern im Verborgenen heimisch
+ f&uuml;hlt, durfte nur dort zu Hause sein, wo es alle Welt war!--In jenem
+ &ouml;ffentlichen Garten, wo ich zuerst ihre g&ouml;ttliche Gestalt erblickt und sie
+ ein paarmal schon vergebens gesucht hatte, trafen wir uns wie von ungef&auml;hr. Aber
+ was f&uuml;r eine Begegnung war das! Wie fl&uuml;chtig die gestohlenen Minuten, wie
+ zaghaft und sparsam die hastigen Worte, wie gezwungen die Bewegungen, die sich
+ neugierigen oder wohl gar sp&auml;henden Blicken ausgesetzt f&uuml;hlten! Vasitthi
+ beschwor mich, die Stadt, wo mir in ihrer N&auml;he t&ouml;dliche Gefahr drohte,
+ sofort zu verlassen. Sie klagte sich bitter an, da&szlig; sie an jenem
+ unverge&szlig;lichen ersten Abend auf der Terrasse durch ihren Eigensinn mich zum
+ Bleiben &uuml;berredet und mich dadurch beinahe schon in den Rachen des Todes
+ getrieben habe; vielleicht w&uuml;rden in diesem Augenblick neue Meuchelm&ouml;rder
+ gegen mich gedungen. Wenn ich mich nicht durch schleunigste Abreise dieser Gefahr
+ entz&ouml;ge, machte ich sie zur M&ouml;rderin ihres Liebsten! Unterdr&uuml;cktes
+ Schluchzen erstickte ihre Stimme, und ich mu&szlig;te daneben stehen, ohne sie in
+ meine Arme schlie&szlig;en und ihr die Tr&auml;nen, die schwer wie Gewittertropfen
+ ihre blassen Wangen herabrollten, wegk&uuml;ssen zu k&ouml;nnen. Einen solchen
+ Abschied ertrug ich nicht, und ich erkl&auml;rte ihr, ich k&ouml;nne nicht von dannen
+ reisen, ohne vorher eine Zusammenkunft mit ihr zu haben, wie diese nun auch zu
+ bewerkstelligen sei.</p>
+ <p>Vasitthis verzweifelt flehender Blick, als wir gerade in diesem Moment durch das
+ Nahen mehrerer Personen uns zu trennen gen&ouml;tigt wurden, konnte meinen
+ Entschlu&szlig; nicht zum Wanken bringen. Ich vertraute auf die Erfindungsgabe meiner
+ Geliebten, die nunmehr, durch Sehnsucht nach mir und durch Angst um mein Leben
+ angespornt und von der schlauen und in Liebessachen bewanderten Milchschwester Medini
+ beraten, gewi&szlig; einen Ausweg finden w&uuml;rde. Hierin t&auml;uschte ich mich
+ nicht; denn noch in derselben Nacht konnte Somadatta mir ihren recht
+ verhei&szlig;ungsvollen Plan mitteilen.</p>
+ <h2><a id="chap_viii" name="chap_viii">VIII. DIE PARADIESKNOSPE</a></h2>
+ <p><img src="images/viii.png" width="93" height="93" align="left" alt="E" />twas
+ au&szlig;erhalb der &ouml;stlichen Mauer Kosambis liegt ein sch&ouml;ner Sinsapawald
+ der eigentlich ein heiliger Hain ist. Auf einer Lichtung steht noch das Heiligtum,
+ freilich in sehr verfallenem Zustande. Schon l&auml;ngst fand in diesem uralten
+ Tempelchen kein Opferdienst mehr statt, weil dem Krishna, dem es geweiht ist, ein
+ neuer, weit gr&ouml;&szlig;erer und prachtvoller Tempel in der Stadt selber erstanden
+ war. In der Ruine aber hauste au&szlig;er einem Eulenpaar eine Heilige, die des Rufes
+ geno&szlig;, mit Geistern in Verbindung zu stehen, durch deren Hilfe sie einen
+ Einblick in die Zukunft bekam--einen Einblick, den die gute Seele Opfergabe
+ darbietenden Mitmenschen nicht vorenthielt. Solche pilgerten denn auch in
+ gro&szlig;er Zahl zu ihr hin, und zwar vornehmlich nach Sonnenuntergang junge
+ verliebte Leute beiderlei Geschlechts, und es gab b&ouml;swillige Zungen, die
+ behaupteten, die Alte sei eher eine Kupplerin, denn eine Heilige zu nennen. Wie dem
+ nun auch sein m&ouml;ge, <i>diese</i> Heiligkeit war gerade das, was wir brauchten,
+ und ihr Tempelchen wurde als St&auml;tte unserer Zusammenkunft ausersehen.</p>
+ <p>Am n&auml;chsten Tage zog ich mit meinen Ochsenkarren ab, und zwar zu der Stunde,
+ da sich die Leute in den Bazar oder in die Gerichtshalle begaben. Dabei w&auml;hlte
+ ich geflissentlich die belebtesten Stra&szlig;en, so da&szlig; meine Abreise meinem
+ Feinde Satagira gewi&szlig; kein Geheimnis bleiben konnte. Aber schon nach wenigen
+ Stunden der Fahrt machte ich in einem gro&szlig;en Dorfe Halt und lie&szlig; meine
+ Karawane dort ihr Nachtquartier beziehen, zu nicht geringer Freude meiner Leute. Ich
+ selbst bestieg ein frisches Pferd und ritt gegen Sonnenuntergang, in den groben
+ Mantel eines meiner Diener geh&uuml;llt, denselben Weg nach Kosambi zur&uuml;ck.</p>
+ <p>Es war v&ouml;llig Nacht geworden, bis ich den Sinsapawald erreichte. Als ich
+ behutsam mein Reittier zwischen die St&auml;mme hineinlenkte, wurde ich, wie zum
+ Willkommen, von dem herrlichen Dufte der Nachtlotusbl&uuml;ten auf dem alten
+ Krishnateiche empfangen. Bald zeichnete das zerbr&ouml;ckelnde, von
+ G&ouml;tterbildern wimmelnde Tempeldach seine zackigen und wirren Formen gegen den
+ sternenfunkelnden Himmel. Ich war am Ziele. Kaum hatte ich mich aus dem Sattel
+ geschwungen, so waren auch meine Freunde schon an meiner Seite. Mit einem Aufschrei
+ des Entz&uuml;ckens st&uuml;rzten Vasitthi und ich einander in die Arme, halb
+ besinnungslos vor Freude des Wiedersehens, und ich wei&szlig; nur noch von
+ Liebkosungen, stammelnden Worten der Z&auml;rtlichkeit und Beteuerung unserer Liebe
+ und Treue, bis ich j&auml;h emporschrak durch das unerwartete Gef&uuml;hl eines weich
+ f&auml;chelnden Fittichs, der mir die Wange streifte, worauf sofort der Schrei einer
+ Eule und der h&auml;&szlig;liche Klang einer gesprungenen Bronzeglocke mich
+ v&ouml;llig aus der Liebesverz&uuml;ckung erweckten.</p>
+ <p>Medini hatte am Strange der alten Gebetglocke gezogen und dadurch die Eule aus der
+ Nische, in der sie hauste, verscheucht. Dies tat das gute M&auml;dchen nicht so sehr,
+ um die Heilige zu rufen, als vielmehr, weil sie sah, da&szlig; diese schon zum
+ Tempelchen herauskam, offenbar ungehalten, weil sie Stimmen im heiligen Bezirk
+ vernommen hatte, ohne da&szlig; gel&auml;utet oder angepocht worden w&auml;re.</p>
+ <p>Medini erkl&auml;rte der Alten, der gro&szlig;e Ruf ihrer Heiligkeit und ihrer
+ erstaunlichen Kenntnisse habe sie und diesen jungen Mann--wobei sie auf Somadatta
+ zeigte--bewogen, sie aufzusuchen, um Auskunft &uuml;ber das zu erhalten, was von der
+ Zeit noch verborgen sei. Die Heilige erhob pr&uuml;fend den Blick zum Himmel und
+ meinte, da das Siebengestirn gerade eine ungemein g&uuml;nstige Stellung zum
+ Polarstern einn&auml;hme, d&uuml;rfte sie wohl hoffen, da&szlig; die Geister ihre
+ Hilfe nicht versagen w&uuml;rden; worauf sie Somadatta und Medini einlud, in das Haus
+ Krishnas, des sechzehntausendeinhundertfachen Br&auml;utigams<a href="#fu6">[1]</a>,
+ einzutreten, der einem liebenden Paar gern seine Herzensw&uuml;nsche gew&auml;hre.
+ Vasitthi und ich blieben aber, als vermeintliche Dienerschaft, drau&szlig;en
+ zur&uuml;ck.</p>
+ <p><a id="fu6" name="fu6"></a></p>
+ <blockquote>
+ [1] Die sich an diesen seltsamen Namen kn&uuml;pfende Legende wird im Kapitel "<a
+ href="#chap_xxxvi">Buddha und Krishna</a>" erz&auml;hlt--s.S. 242 ff.
+ </blockquote>
+ <br />
+ <br />
+ <p>Wie wir uns nun zuschwuren, da&szlig; nur der Alles hinraffende Tod uns sollte
+ trennen k&ouml;nnen, wie wir von meiner baldigen R&uuml;ckkehr, sobald die Regenzeit
+ vor&uuml;ber w&auml;re, sprachen und Mittel und Wege er&ouml;rterten, um ihre sehr
+ reichen Eltern dahin zu bringen, da&szlig; sie in unsere Verbindung einwilligten, und
+ wie dies von unz&auml;hligen K&uuml;ssen, Tr&auml;nen und Umarmungen unterbrochen
+ wurde: das w&auml;re ich nicht einmal mehr imstande, dir genau zu erz&auml;hlen, denn
+ es ist in meinem Ged&auml;chtnis nur wie die Erinnerung an einen wirren Traum
+ zur&uuml;ckgeblieben. Noch weniger aber kann ich, wenn du selbst nicht &Auml;hnliches
+ erlebt hast, dir eine Vorstellung davon geben, wie sich in jeder Umarmung wonniges
+ Entz&uuml;cken und herzzerrei&szlig;ende Verzweiflung umschlangen; denn eine jede
+ gemahnte daran, da&szlig; die letzte f&uuml;r diesmal bald folgen w&uuml;rde; und wer
+ stand daf&uuml;r ein, da&szlig; diese dann nicht die letzte &uuml;berhaupt war?</p>
+ <p>Nur gar zu bald traten Somadatta und Medini wieder aus dem Tempel heraus. Die
+ Heilige wollte nun auch uns die Zukunft offenbaren, aber Vasitthi entsetzte sich ob
+ dieses Gedankens.</p>
+ <p>"Wie sollte ich es denn ertragen, wenn eine unheildrohende Zukunft sich
+ entschleierte?" rief sie aus.</p>
+ <p>"Warum denn auch gerade unheildrohend?" meinte die wohlwollende Alte, die wohl
+ wegen ihrer Heiligkeit freundliche Lebenserfahrungen gemacht haben mochte. "Auch dem
+ Diener bl&uuml;ht das Gl&uuml;ck," f&uuml;gte sie verhei&szlig;ungsvoll hinzu.</p>
+ <p>Aber Vasitthi lie&szlig; sich durch ihre Worte nicht locken; schluchzend
+ umklammerte sie meinen Hals.</p>
+ <p>"Ach, mein einzig Geliebter," rief sie, "mir ist es, als ob die Zukunft mit
+ unerbittlichem Gesicht dreinschaute. O, ich f&uuml;hle es,--ich werde dich nie mehr
+ wiedersehen!"</p>
+ <p>Obwohl mich diese Worte mit eisigem Schauer durchrieselten, versuchte ich ihr doch
+ diese grundlose Angst auszureden; aber eben, weil sie grundlos war, vermochten meine
+ beredtesten Worte wenig oder gar nichts. Die Tr&auml;nen rollten unaufhaltsam
+ &uuml;ber Vasitthis Wangen; mit einem Blick &uuml;berirdischer Liebe ergriff sie
+ meine Hand und dr&uuml;ckte sie an ihre Brust.</p>
+ <p>"Aber wenn wir uns hier nicht mehr sehen sollten, so wollen wir uns doch treu
+ bleiben, und wenn dies kurze und leidenvolle Erdenleben vor&uuml;ber ist, wollen wir
+ uns im Paradiese wiederfinden und dort vereinigt auf immer himmlische Wonne
+ genie&szlig;en.... O, Kamanita! Versprich mir das--wie viel st&auml;rker wird das
+ mich aufrichten als alle tr&ouml;stenden Worte! Denn diese sind ja doch gegen den
+ unvermeidlichen, schon heranbrausenden Schicksalsstrom so ohnm&auml;chtig wie das
+ Schilf gegen die Wasserflut. Aber allm&auml;chtig, neues Leben geb&auml;rend, ist der
+ heilige, feste Entschlu&szlig;."</p>
+ <p>"Wenn es nur darauf ankommt, geliebte Vasitthi--wie sollte ich dich dann nicht
+ &uuml;berall finden?" sagte ich, "aber hoffen wir, da&szlig; es in dieser Welt
+ geschehen wird!"</p>
+ <p>"Hier ist Alles unsicher, und schon der Augenblick, in dem wir sprechen,
+ geh&ouml;rt uns nicht an--aber nicht so im Paradiese."</p>
+ <p>"Ach, Vasitthi," seufzte ich, "gibt es ein Paradies--und wo liegt es?"</p>
+ <p>"Wo die Sonne untergeht," sagte sie mit voller &Uuml;berzeugung, "liegt das
+ Paradies des grenzenlosen Lichtes, und Allen, die den Mut haben, das Irdische zu
+ verachten und ihr Denken auf jenen Ort der Seligkeit zu richten, steht dort eine
+ reine Geburt bevor, aus dem Scho&szlig;e einer Lotusblume. Die erste Sehnsucht nach
+ jenem Paradiese bringt dort im heiligen, kristallklaren See eine Knospe hervor, jeder
+ reine Gedanke, jede gute Tat l&auml;&szlig;t sie anschwellen, w&auml;hrend alles
+ B&ouml;se, was in Gedanken, Wort und Tat vollbracht wird, wie ein Wurm in ihr nagt
+ und sie dem Verwelken nahe bringt."</p>
+ <p>Ihre Augen leuchteten gleich Tempelkerzen, als sie so sprach mit einer Stimme, die
+ wie die lieblichste Musik klang.</p>
+ <p>Dann erhob sie ihre Hand und zeigte hinauf, wo &uuml;ber den schwarzen Wipfeln der
+ Sinsapab&auml;ume die Milchstra&szlig;e sich in sanft strahlendem Alabasterglanz
+ durch die mit funkelnden Sternen &uuml;bers&auml;te, purpurdunkle Himmelsebene
+ streckte.--</p>
+ <p>"Sieh dort, Kamanita," rief sie--"die himmlische Ganga! Schw&ouml;ren wir bei
+ ihren silbernen Wellen, die die Lotusseen jener seligen Gefilde speisen,--unsere
+ ganze Seele darauf zu richten, dort unserer Liebe eine ewige Heimat zu bereiten."</p>
+ <p>Seltsam bewegt, hingerissen und in meinem Innersten tief ersch&uuml;ttert, erhob
+ ich meine Hand zu der ihren, und unsere Herzen bebten gemeinsam bei dem
+ g&ouml;ttlichen Gedanken, da&szlig; in diesem Augenblick in unabsehbaren Weltenfernen
+ hoch &uuml;ber den St&uuml;rmen dieses irdischen Daseins eine Doppelknospe ewigen
+ Liebeslebens sich bildete.</p>
+ <p>Als ob hiermit ihre Kr&auml;fte ersch&ouml;pft w&auml;ren, sank Vasitthi in meine
+ Arme, wo sie wie leblos liegen blieb, nachdem sie noch einen hinsterbenden
+ Abschiedsku&szlig; auf meine Lippen gedr&uuml;ckt hatte.</p>
+ <p>Ich legte sie sanft in die Arme Medinis, bestieg mein Pferd und ritt davon, ohne
+ da&szlig; ich mich noch einmal umzusehen wagte.</p>
+ <h2><a id="chap_ix" name="chap_ix">IX. UNTER DEM R&Auml;UBERGESTIRN</a></h2>
+ <p><img src="images/ix.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />ls ich das
+ Dorf, wo meine Leute Nachtquartier bezogen hatten, wieder erreichte, z&ouml;gerte ich
+ nicht, diese zu wecken, und schon ein paar Stunden vor Sonnenaufgang war die Karawane
+ unterwegs.</p>
+ <p>Am zw&ouml;lften Tage erreichten wir um die Mittagsstunde ein gar liebliches Tal
+ in der waldigen Gegend Vedisas. Ein kleiner kristallklarer Flu&szlig; wand sich
+ gemach durch die gr&uuml;nen Wiesen; die sanft ansteigenden H&uuml;gel waren mit
+ bl&uuml;hendem Geb&uuml;sch bestanden, das einen w&uuml;rzigen Duft verbreitete; etwa
+ in der Mitte der langgestreckten Talsohle und unfern dem Fl&uuml;&szlig;chen erhob
+ sich ein Nyagrodhabaum, dessen undurchdringliche Laubkuppel einen schwarzen Schatten
+ auf die smaragdene Matte warf und, von ihren tausend Nebenst&auml;mmen gest&uuml;tzt,
+ einen Hain bildete, in dem wohl zehn Karawanen wie die meinige h&auml;tten Obdach
+ finden k&ouml;nnen.</p>
+ <p>Die Stelle war mir von der Hinreise wohl erinnerlich, und ich hatte sie schon zur
+ Lagerst&auml;tte ausersehen. Es wurde also Halt gemacht. Die wegm&uuml;den Ochsen
+ wateten in den Strom hinaus und tranken begehrlich das k&uuml;hle Na&szlig;, um sich
+ dann am zarten Ufergras zu laben. Die Leute erfrischten sich durch ein Bad und
+ machten sich dann gleich daran, d&uuml;rre Zweige zu sammeln und ein Feuer zum
+ Reiskochen anzuz&uuml;nden, w&auml;hrend ich selbst--auch durch ein Bad
+ erfrischt--mich im tiefsten Schatten, an eine Wurzel des Hauptstammes angelehnt,
+ hinstreckte, um an Vasitthi zu denken und bald in der Tat von ihr zu tr&auml;umen. An
+ der Hand des geliebten M&auml;dchens schwebte ich durch paradiesische Gefilde.</p>
+ <p>Ein gro&szlig;es Geschrei brachte mich j&auml;h zur rauhen Wirklichkeit
+ zur&uuml;ck. Als ob ein b&ouml;ser Zauberer sie aus der Erde h&auml;tte emporwachsen
+ lassen, wimmelten bewaffnete M&auml;nner um uns herum, und das nahe Geb&uuml;sch
+ entsandte immer neue. Sie waren schon bei den Wagen, die ich in einem Kreise um den
+ Baum hatte aufstellen lassen, und fochten mit meinen Leuten, die alle im Gebrauch der
+ Waffen ge&uuml;bt waren und sich tapfer verteidigten. Bald war ich mitten im
+ Kampfget&uuml;mmel. Mehrere R&auml;uber fielen von meiner Hand. Pl&ouml;tzlich sah
+ ich einen gro&szlig;en, b&auml;rtigen Mann von schrecklichem Aussehen vor mir; sein
+ Oberk&ouml;rper war unbekleidet, und um den Hals trug er eine dreifache Reihe von
+ Menschendaumen. Da wu&szlig;te ich denn: "Das ist der R&auml;uber Angulimala, der
+ grausame, der blutgierige, der die D&ouml;rfer und&ouml;rflich, die St&auml;dte
+ unst&auml;dtlich, die L&auml;nder unl&auml;ndlich macht, der die Leute umbringt und
+ ihre Daumen sich um den Hals h&auml;ngt." Und ich glaubte schon, meine letzte Stunde
+ sei gekommen.</p>
+ <p>Wirklich schlug mir dies Unget&uuml;m sofort das Schwert aus der Hand"-eine
+ Leistung, die ich keinem Wesen aus Fleisch und Blut zugetraut h&auml;tte. Bald lag
+ ich an H&auml;nden und F&uuml;&szlig;en gefesselt auf der Erde. Um mich her waren
+ alle meine Leute erschlagen bis auf einen, einen alten Diener meines Vaters, der von
+ der Menge &uuml;berw&auml;ltigt worden und, ebenso wie ich, unverwundet in
+ Gefangenschaft geraten war. Ringsum, unter dem schattigen Dache des Riesenbaumes, in
+ Gruppen gelagert, taten die R&auml;uber sich g&uuml;tlich.</p>
+ <p>Jene kristallene Kette mit dem Tigerauge, von der ich dir schon erz&auml;hlt habe,
+ wie sie beim Ringkampf mit Satagira um Vasitthis Ball zerri&szlig;"-jene Kette, die
+ mir meine gute Mutter beim Abschied als Amulett umgeh&auml;ngt hatte, war mir durch
+ Angulimalas blutige M&ouml;rderhand vom Halse gezerrt worden. Noch viel schmerzlicher
+ war mir aber der Verlust der Asokablume, die ich seit jener Nacht auf der Terrasse
+ immer an meinem Herzen getragen hatte. Nicht weit von mir glaubte ich sie zu
+ entdecken, ein rotes Fl&auml;mmchen im zerstampften Grase, gerade dort, wo die
+ j&uuml;ngsten R&auml;uber hin und her liefen, das dampfende Fleisch des schnell
+ geschlachteten und gebratenen Rindes und K&uuml;rbisflaschen mit Branntwein den
+ Schmausenden zu bringen. Mir war es, als ob sie mein Herz zerstampften, so oft ich
+ meine arme Asokablume unter ihren schmutzigen F&uuml;&szlig;en verschwinden sah, um
+ immer weniger leuchtend zum Vorschein zu kommen, bis ich sie gar nicht mehr
+ ersp&auml;hen konnte. Und ich dachte, ob wohl Vasitthi jetzt vor dem sorgenlosen
+ Baume st&auml;nde, um ihn zu befragen? Wie gut dann, da&szlig; er ihr nicht sagen
+ konnte, wo ich weilte, denn gewi&szlig; h&auml;tte sie vor Schreck ihre zarte Seele
+ ausgehaucht, wenn sie mich in dieser Umgebung gesehen h&auml;tte.</p>
+ <p>Nur ein Dutzend Schritte von mir entfernt zechte der furchtbare Angulimala selber
+ mit einigen seiner Vertrauten. Flei&szlig;ig machte die Flasche die Runde, und die
+ Gesichter"--mit Ausnahme eines einzigen, von dem ich noch sp&auml;ter sprechen
+ werde"--wurden immer r&ouml;ter, w&auml;hrend die R&auml;uber sich lebhaft, fast
+ erregt unterhielten, ja bald in offenbaren Streit gerieten.</p>
+ <p>Leider geh&ouml;rte die Wissenschaft der Gaunersprache damals noch nicht zu meinen
+ vielen F&auml;higkeiten--woraus man ersieht, wie wenig der Mensch beurteilen kann,
+ welche Kenntnisse ihm am n&uuml;tzlichsten sein werden. Gar zu gern h&auml;tte ich
+ den Sinn ihrer lauten Rede verstanden, denn ich konnte nicht in Zweifel sein,
+ da&szlig; sie mich und mein Schicksal betraf. Die Mienen und Geb&auml;rden zeigten
+ mir das mit unheimlicher Deutlichkeit, und wahre Flammenblicke, die unter den
+ dichten, zusammengewachsenen Brauen des H&auml;uptlings von Zeit zu Zeit nach mir
+ her&uuml;berblitzten, lie&szlig;en mich mein Amulett gegen den b&ouml;sen Blick, das
+ jetzt auf der zottigen Brust des Ungeheuers selber ergl&auml;nzte, sehr vermissen. In
+ der Tat hatte ich, wie ich sp&auml;ter erfuhr, einen Liebling Angulimalas und dazu
+ den besten Degen der ganzen Bande vor seinen Augen niedergestreckt, und der
+ H&auml;uptling hatte mich nur deshalb nicht get&ouml;tet, weil er seine Rachsucht
+ durch den Anblick meiner langsamen Todesmarter zu stillen gedachte. Die anderen aber
+ wollten nicht zugeben, da&szlig; eine reiche Beute, die von Rechts wegen der ganzen
+ Bande geh&ouml;rte, auf solche Weise nutzlos vergeudet w&uuml;rde. Ein kahler, glatt
+ rasierter Mann, der wie ein Priester aussah, fiel mir als Angulimalas Hauptgegner
+ auf, der allein es verstand, diesen Wilden zu b&auml;ndigen. Er war auch der einzige,
+ dessen Gesichtsfarbe w&auml;hrend des Zechens seine Bl&auml;sse bewahrte. Nach einem
+ langen Streit, w&auml;hrenddessen Angulimala ein paarmal in die H&ouml;he fuhr und
+ zum Schwerte griff, siegte schlie&szlig;lich--zu meinem Heile--der professionelle
+ Gesichtspunkt.</p>
+ <p>Die Bande Angulimalas geh&ouml;rte n&auml;mlich zu den "Absendern"--so genannt,
+ weil es zu ihren Regeln geh&ouml;rt, von zwei Gefangenen den einen abzusenden, damit
+ er das geforderte L&ouml;segeld auftreibe. Wenn sie einen Vater und seinen Sohn
+ gefangen nahmen, hie&szlig;en sie den Vater gehen, das L&ouml;segeld f&uuml;r den
+ Sohn zu beschaffen; von zwei Br&uuml;dern schickten sie den &auml;lteren; war ein
+ Lehrer mit seinem J&uuml;nger in ihre H&auml;nde gefallen, so wurde der J&uuml;nger
+ abgesandt, hatten sie einen Herrn und seinen Diener gefangen, so mu&szlig;te der
+ Diener gehen--darum eben hie&szlig;en sie "Absender". Zu diesem Zwecke hatten sie,
+ ihrer Sitte gem&auml;&szlig;, jenen Diener meines Vaters geschont, w&auml;hrend sie
+ alle meine anderen Leute niedermetzelten; denn obschon etwas bejahrt, war dieser noch
+ r&uuml;stig und sah klug und erfahren aus--wie er denn auch schon mehrmals Karawanen
+ gef&uuml;hrt hatte.</p>
+ <p>Er wurde nun seiner Fesseln entledigt und noch an demselben Abend abgeschickt,
+ nachdem ich ihm eine vertrauliche Botschaft mitgegeben hatte, an der meine Eltern die
+ Richtigkeit der Sache erkennen konnten. Bevor er sich auf den Weg begab, ritzte aber
+ Angulimala einige Zeichen in ein Palmblatt und &uuml;bergab es ihm. Es war eine Art
+ Geleitbrief f&uuml;r den Fall, da&szlig; er auf dem R&uuml;ckweg, wenn er die Summe
+ bei sich trug, in die H&auml;nde anderer R&auml;uber fallen sollte. Denn Angulimalas
+ Name war so gef&uuml;rchtet, da&szlig; selbst R&auml;uber, die K&ouml;nigsgeschenke
+ von der Stra&szlig;e entf&uuml;hrten, sich nimmer vermessen h&auml;tten, etwas, das
+ sein Eigentum war, auch nur anzur&uuml;hren.</p>
+ <p>Auch mir wurden nun bald die Fesseln abgenommen, da man wohl wu&szlig;te,
+ da&szlig; ich nicht t&ouml;richt genug sein w&uuml;rde, einen Fluchtversuch zu
+ machen. Das erste, wozu ich meine Freiheit benutzte, war, da&szlig; ich nach der
+ Stelle hinst&uuml;rzte, wo ich die Asokablume hatte verschwinden sehen. Aber ach,
+ nicht einmal mehr ein farbloses Restchen konnte ich von ihr entdecken! Diese zarte
+ Blumenflamme schien unter den rohen R&auml;uberf&uuml;&szlig;en g&auml;nzlich zu
+ Asche zerstampft. War sie ein Wahrzeichen unseres Liebesgl&uuml;cks?</p>
+ <p>Ziemlich frei lebte und bewegte ich mich jetzt unter diesen gef&auml;hrlichen
+ Gesellen, in der Erwartung des L&ouml;segeldes, das binnen zwei Monaten kommen
+ mu&szlig;te.</p>
+ <p>Da wir uns in der dunklen H&auml;lfte des Monats befanden, gingen die
+ Diebst&auml;hle und R&auml;ubereien lebhaft vonstatten. Denn diese Zeit, die der
+ furchtbaren G&ouml;ttin Kali geh&ouml;rt, wird fast ausschlie&szlig;lich zu den
+ regelm&auml;&szlig;igen Gesch&auml;ften benutzt, so da&szlig; keine Nacht ohne irgend
+ einen &Uuml;berfall oder Einbruch verging. Mehrmals wurden auch ganze D&ouml;rfer
+ gepl&uuml;ndert. In der f&uuml;nfzehnten Nacht des abnehmenden Mondes aber wurde
+ Kalis Fest mit grauser Feierlichkeit begangen. Nicht nur Stiere und zahllose schwarze
+ Ziegen, sondern auch einige ungl&uuml;ckliche Gefangene wurden vor ihrem Bild
+ geschlachtet; man stellte das Opfer vor den Altar und &ouml;ffnete ihm eine
+ Schlagader, so da&szlig; das Blut gerade in den aufgerissenen Mund der
+ scheu&szlig;lichen, mit Menschensch&auml;deln behangenen Gestalt spritzte. Danach
+ folgte eine wilde Orgie, wobei die R&auml;uber sich im Rauschtrank bis zur
+ Besinnungslosigkeit besoffen und sich mit den Bajaderen erg&ouml;tzten, die man zu
+ diesem Zwecke mit beispielloser Dreistigkeit aus einem gro&szlig;en Tempel
+ entf&uuml;hrt hatte. Angulimala, der in seiner Weinlaune gro&szlig;m&uuml;tig wurde,
+ wollte auch mich mit einer sch&ouml;nen, jungen Bajadere begl&uuml;cken. Da ich aber
+ in Erinnerung an Vasitthi das M&auml;dchen verschm&auml;hte, so da&szlig; es ob
+ dieser Schmach in Tr&auml;nen ausbrach, geriet er dar&uuml;ber in eine solche Wut,
+ da&szlig; er mich ergriff und auf der Stelle erdrosselt h&auml;tte, w&auml;re mir
+ nicht jener kahle, glattrasierte R&auml;uber zu Hilfe gekommen. Wenige Worte von ihm
+ gen&uuml;gten, um den eisernen Griff des H&auml;uptlings erschlaffen zu lassen und
+ ihn dann, brummend wie eine notd&uuml;rftig bez&auml;hmte Bestie, fortzuschicken.</p>
+ <p>Dieser merkw&uuml;rdige Mann, der jetzt zum zweitenmal mein Retter wurde--mit
+ H&auml;nden, die von dem von ihm geleiteten schrecklichen Kaliopfer noch blutig
+ waren--war der Sohn eines Brahmanen. Weil er aber unter einer
+ R&auml;uberkonstellation geboren war, wandte er sich dem R&auml;uberhandwerke zu.
+ Zuerst hatte er den "W&uuml;rgern" angeh&ouml;rt, trat aber auf Grund
+ wissenschaftlicher Erw&auml;gungen zu den "Absendern" &uuml;ber. Vom v&auml;terlichen
+ Hause her hatte er n&auml;mlich einen Hang zu religi&ouml;sen Betrachtungen und nicht
+ weniger zu gelehrten Er&ouml;rterungen ererbt. So leitete er einerseits den
+ Opferdienst als Priester--und man schrieb das seltene Gl&uuml;ck dieser Bande fast
+ ebensosehr seiner Priesterwissenschaft wie der F&uuml;hrert&uuml;chtigkeit
+ Angulimalas zu--andererseits trug er auch die Wissenschaft des R&auml;uberwesens in
+ systematischer Form vor, und zwar sowohl die Technik wie die Moral; denn ich merkte
+ zu meinem Erstaunen, da&szlig; die R&auml;uber eine solche hatten, und sich
+ keineswegs f&uuml;r schlechtere Menschen als andere hielten.</p>
+ <p>Diese Vortr&auml;ge fanden besonders nachts in der lichten H&auml;lfte des Monates
+ statt, in der--abgesehen von zuf&auml;lligen Vorkommnissen--die Gesch&auml;fte
+ ruhten. Auf einer Waldwiese hockten die Zuh&ouml;rer in mehreren
+ halbkreisf&ouml;rmigen Reihen um den ehrw&uuml;rdigen Vaja&ccedil;ravas, der mit
+ untergeschlagenen Beinen dasa&szlig;. Sein m&auml;chtiger haarloser Sch&auml;del
+ ergl&auml;nzte im Mondlicht, und seine ganze Erscheinung war der eines vedischen
+ Lehrers nicht un&auml;hnlich, der in der Stille der Mondnacht den Insassen der
+ Waldeinsiedelei die Geheimlehre mitteilt--aber manches unheilig wilde Gesicht, ja
+ manche Galgenphysiognomie war rings in der Runde zu schauen. Mir ist es in der Tat,
+ als ob ich sie in diesem Augenblick s&auml;he--als ob ich das tiefe auf und ab
+ schwellende Brausen des ungeheuren Waldes h&ouml;rte, manchmal durch das ferne
+ Gebr&uuml;ll eines Tigers oder das heisere Bellen des Panthers unterbrochen--und
+ dazu, ruhig flie&szlig;end wie ein Strom, die Stimme Vaja&ccedil;ravas'--diesen
+ tiefen, vollt&ouml;nenden Ba&szlig;, eine k&ouml;stliche Erbschaft ungez&auml;hlter
+ Generationen von Udgatars<a href="#fu7">[1]</a>.</p>
+ <p><a id="fu7" name="fu7"></a></p>
+ <blockquote>
+ [1] Vedischer Opfers&auml;nger.
+ </blockquote>
+ <br />
+ <br />
+ <p>Zu diesen Vortr&auml;gen hatte ich Zutritt, weil Vaja&ccedil;ravas eine Vorliebe
+ f&uuml;r mich gefa&szlig;t hatte. Er behauptete sogar, ich sei unter einem
+ R&auml;uberstern geboren wie er, und ich w&uuml;rde mich einmal den Dienern Kalis
+ zugesellen, weshalb es mir n&uuml;tzlich sei, seiner Rede zu lauschen, die
+ unzweifelhaft den in mir noch schlummernden Trieb wachrufen w&uuml;rde. Ich habe da
+ also sehr merkw&uuml;rdige Vorlesungen von ihm geh&ouml;rt &uuml;ber die
+ verschiedenen "Sekten Kalis"--gew&ouml;hnlich Diebe und R&auml;uber genannt--und
+ &uuml;ber ihre unterschiedlichsten Gebr&auml;uche. Ebenso lehrreich wie unterhaltend
+ waren seine Exkurse &uuml;ber Themata wie: "Die N&uuml;tzlichkeit der Dirnen zum
+ Hineinlegen der Polizei", oder "Kennzeichen der f&uuml;r Bestechung zug&auml;nglichen
+ Beamten h&ouml;heren und niederen Ranges, nebst kurzer Anweisung &uuml;ber die in
+ Frage kommenden Geldbetr&auml;ge". Von scharfsinnigster Menschenbeobachtung und
+ strengster Schlu&szlig;folgerung zeugte seine Behandlung der Frage "Wie und warum die
+ Spitzbuben sich auf den ersten Blick gegenseitig erkennen, w&auml;hrend die ehrlichen
+ Leute es nicht tun, und welche Vorteile aus diesem Umstande ersteren erwachsen",
+ nicht zu reden von den gl&auml;nzenden Ausf&uuml;hrungen: "&Uuml;ber die
+ Stupidit&auml;t der Nachtw&auml;chter im allgemeinen, eine anregende Betrachtung
+ f&uuml;r Anf&auml;nger"--bei welchen der n&auml;chtliche Wald von einem Lachchor
+ widerhallte, so da&szlig; man von allen Seiten des Lagers zusammenstr&ouml;mte, um zu
+ h&ouml;ren, was los sei.</p>
+ <p>Aber auch trockene technische Fragen wu&szlig;te der Meister interessant zu
+ behandeln, und ich erinnere mich wirklich fesselnder Schilderungen, wie man
+ ger&auml;uschlos eine Bresche in der Wand macht oder einen unterirdischen Gang
+ kunstgerecht anlegt. Die richtige Verfertigung der verschiedenen Arten von
+ Brecheisen, besonders des sogenannten "Schlangenmaules", sowie des
+ "krebsf&ouml;rmigen" Hakens wurde sehr anschaulich dargelegt; der Gebrauch des leisen
+ Saitenspieles, um zu erkunden, ob jemand wacht, und des aus Holz gemachten
+ M&auml;nnerkopfes, den man zur T&uuml;r oder zum Fenster hereinsteckt, um zu sehen,
+ ob dieser vermeintliche Einbrecher bemerkt wird--alles dies wurde gr&uuml;ndlich
+ besprochen. Seine Er&ouml;rterungen, wie man bei Ausf&uuml;hrung eines Diebstahls
+ unbedingt jeden umbringen m&uuml;sse, der sp&auml;ter als Zeuge w&uuml;rde auftreten
+ k&ouml;nnen, sowie die allgemeinen Betrachtungen, wie ein Dieb nicht mit einem
+ moralischen Wandel behaftet sein d&uuml;rfe, sondern rauh, hart und gewaltt&auml;tig,
+ gelegentlich dem Rauschtrank und den Dirnen ergeben sein m&uuml;sse, z&auml;hlen zu
+ den gelehrtesten und geistreichsten Vortr&auml;gen, die ich je geh&ouml;rt habe.</p>
+ <p>Um dir aber eine richtige Vorstellung von diesem wahrhaft profunden Geiste zu
+ geben, mu&szlig; ich dir die ber&uuml;hmteste Stelle aus seinem in fast kanonischem
+ Ansehen stehenden Kommentar zu den uralten Kali-Sutras, der Geheimlehre der Diebe,
+ hersagen.<a href="#fu8">[1]</a></p>
+ <p><a id="fu8" name="fu8"></a></p>
+ <blockquote>
+ [1] &Uuml;ber den indischen Sutrastil und das folgende Kapitel siehe die <a
+ href="#chap_note">Note am Schlusse des Werkes</a>.
+ </blockquote>
+ <br />
+ <br />
+
+ <h2><a id="chap_x" name="chap_x">X. GEHEIMLEHRE</a></h2>
+ <p><img src="images/x.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />lso: Das
+ 476. Sutram lautet: <i>"Auch die g&ouml;ttliche, meint
+ ihr?--Nein!--Unverantwortlichkeit--wegen des Raumes der Schrift, der
+ Tradition."</i></p>
+ <p>Der ehrw&uuml;rdige Vaja&ccedil;ravas kommentiert dies folgenderma&szlig;en:</p>
+ <p><i>"Auch die g&ouml;ttliche--"</i> n&auml;mlich Strafe. Denn im vorhergehenden
+ Sutram war von solchen Strafen die Rede, welche der F&uuml;rst oder die Obrigkeit
+ &uuml;ber den R&auml;uber verh&auml;ngt, als da sind: Hand-, Fu&szlig;- und
+ Nasenverst&uuml;mmelung, der Breikessel, der Pechkranz, das Drachenmaul, das
+ Spie&szlig;rutenlaufen, der Marterbock, die siedende &Ouml;lbetr&auml;ufelung, die
+ Enthauptung, das Zerrei&szlig;en durch Hunde, die Pf&auml;hlung bei lebendigem
+ Leibe--hinreichende Gr&uuml;nde, warum der R&auml;uber sich wom&ouml;glich nicht
+ fangen lassen darf, wenn er aber doch gefangen worden ist, auf jede Weise zu
+ entfliehen versuchen soll.</p>
+ <p>Nun meinen einige: auch g&ouml;ttliche Strafe drohe dem R&auml;uber. "Nein," sagt
+ unser Sutram; und zwar deshalb nicht, weil <i>Verantwortungslosigkeit</i> statthat.
+ Welches auf drei Weisen ersichtlich ist: durch Vernunft, durch den Veda und durch die
+ &uuml;berlieferten Heldenlieder.</p>
+ <p><i>"Wegen des Raumes"</i>--hiermit ist folgende Vernunfterw&auml;gung gemeint.
+ Wenn ich einem Menschen oder einem Tier den Kopf abhaue, so f&auml;hrt das Schwert
+ zwischen die unteilbaren Teilchen hindurch; denn diese selbst kann es, eben wegen
+ ihrer Unteilbarkeit, nicht durchschneiden. Was es durchschneidet, ist der die
+ Teilchen trennende leere Raum. Diesem aber kann man, eben wegen seiner Leerheit,
+ keinen Schaden zuf&uuml;gen. Denn einem Nichts schaden ist gleich: nicht schaden.
+ Folglich kann man durch dies Durchschneiden des Raumes keine Verantwortlichkeit auf
+ sich laden, und eine g&ouml;ttliche Strafe kann nicht stattfinden. Wenn aber dies vom
+ T&ouml;ten gilt, wieviel mehr dann von Handlungen, die von den Menschen geringer
+ bestraft werden!</p>
+ <p>Soweit die Vernunft, nunmehr die Schrift.</p>
+ <p>Der heilige Veda lehrt uns, da&szlig; das einzige wahrhaft Existierende, die
+ h&ouml;chste Gottheit, das Brahman ist. Wenn dies aber wahr ist, dann ist offenbar
+ alle T&ouml;tung eine leere T&auml;uschung. Dies sagt auch der Veda mit deutlichen
+ Worten an der Stelle, wo Yama, der Todesgott, den jungen Na&ccedil;iketas &uuml;ber
+ dies Brahman belehrt und unter anderem sagt:</p>
+ <p>Wer, t&ouml;tend, glaubt, da&szlig; er t&ouml;tet,<br />
+ Wer, get&ouml;tet, zu sterben glaubt,<br />
+ Irr geht dieser wie jener:--<br />
+ Der stirbt nicht, und der t&ouml;tet nicht.</p>
+ <p>Noch &uuml;berzeugender aber wird diese abgr&uuml;ndige Wahrheit im Heldenliede
+ von Krishna und Arjuna uns offenbart. Denn Krishna, der an sich das ungewordene,
+ unverg&auml;ngliche, ewige, allgewaltige, unerdenkliche Wesen war, der h&ouml;chste
+ Gott, der sich zum Heil der Wesen als Mensch hatte geb&auml;ren lassen--Krishna half
+ in den letzten Tagen seines Erdenwandeins dem K&ouml;nige der Panduinge, dem
+ hochherzigen Arjuna, im Kriege gegen die Kuruinge, weil diese ihm und seinen
+ Br&uuml;dern gro&szlig;es Unrecht getan hatten. Als nun die beiden Heere in
+ Schlachtordnung ihre waffenstrotzenden Reihen einander gegen&uuml;berstellten,
+ erblickte Arjuna auf der gegnerischen Seite manchen einstigen Freund, manchen Vetter
+ und Gevatter der vergangenen Tage: denn die Panduinge und die Kuruinge waren
+ S&ouml;hne von zwei Br&uuml;dern. Und Arjuna ward im Herzen innig ger&uuml;hrt, und
+ er z&ouml;gerte, das Zeichen zur blutigen Schlacht zu geben; denn er mochte nicht
+ jene t&ouml;ten, die einst die Seinen gewesen. So stand er gesenkten Hauptes, von
+ schmerzlichem Zaudern zernagt, unschl&uuml;ssig auf seinem Streitwagen: und neben ihm
+ der goldene Gott, Krishna, der sein Wagenlenker war. Und Krishna erriet die Gedanken
+ des edlen Pandaverf&uuml;rsten. Und er zeigte l&auml;chelnd auf die beiden
+ Heeresmassen und belehrte ihn, wie alle jene Wesen nur scheinbar entstehen und
+ vergehen, weil in ihnen allen nur das eine unerstandene und unverg&auml;ngliche, von
+ der Geburt und vom Tode unber&uuml;hrte Wesen besteht:</p>
+ <p>Wer einen f&uuml;r den M&ouml;rder h&auml;lt,<br />
+ Wer einen hier gemordet meint,<br />
+ Der kennt und wei&szlig; von beiden nichts:--<br />
+ Denn Keiner mordet, Keiner stirbt.<br />
+ Wohlan, den Kampf beginne du!</p>
+ <p>Solcherma&szlig;en belehrt, gab der Pandaverf&uuml;rst das Zeichen zum Beginn der
+ ungeheuren Schlacht und siegte. Also machte Krishna, der menschgewordene h&ouml;chste
+ Gott, durch Offenbarung dieser gro&szlig;en Geheimlehre Arjuna von einem
+ flachsinnigen und weichherzigen Mann zu einem tiefsinnigen und hartherzigen Weisen
+ und Helden.</p>
+ <p>So gilt denn nun in Wahrheit folgendes:</p>
+ <p>Was Einer begeht und begehen l&auml;&szlig;t: wer zerst&ouml;rt und zerst&ouml;ren
+ l&auml;&szlig;t, wer schl&auml;gt und schlagen l&auml;&szlig;t, wer Lebendiges
+ umbringt, Nichtgegebenes nimmt, in H&auml;user einbricht, fremdes Gut raubt: Was
+ Einer begeht, er ladet keine Schuld auf sich.--Und wer da gleich mit einer scharf
+ geschliffenen Schlachtscheibe alles Lebendige auf dieser Erde zu einer einzigen Masse
+ Mus, zu einer einzigen Masse Brei machte, der hat darum keine Schuld, begeht kein
+ Unrecht. Und wer auch am s&uuml;dlichen Ufer der Ganga verheerend und mordend
+ dahinz&ouml;ge, so hat der darum keine Schuld: und wer da auch am n&ouml;rdlichen
+ Ufer der Ganga spendend und schenkend dahinz&ouml;ge, so hat der darum kein
+ Verdienst. Durch Milde, Sanftmut, Selbstverzicht erwirbt man kein Verdienst, begeht
+ man nichts Gutes.</p>
+ <p>Und es folgt nun das erstaunliche, ja schreckliche</p>
+ <center>
+ <i>477. Sutram</i>,
+ </center>
+ <p>welches in seiner frappanten K&uuml;rze lautet:</p>
+ <p><i>"Vielmehr--wegen des Essers."</i></p>
+ <p>Den Sinn dieser wenigen, in tiefstes Geheimnis sich h&uuml;llenden Worte
+ erschlie&szlig;t uns der ehrw&uuml;rdige Vaja&ccedil;ravas folgenderma&szlig;en:</p>
+ <p>Weit davon entfernt, da&szlig; g&ouml;ttliche Strafe dem R&auml;uber und
+ Totschl&auml;ger droht, findet "<i>vielmehr</i>" das Entgegengesetzte statt:
+ n&auml;mlich Gott&auml;hnlichkeit, was aus den Vedastellen hervorgeht, wo der
+ h&ouml;chste Gott als der "<i>Esser</i>" gepriesen wird, wie:</p>
+ <p>Der Krieger und Brahmanen i&szlig;t wie Brot,<br />
+ Das mit des Todes Br&uuml;he er begie&szlig;t.</p>
+ <p>Wie n&auml;mlich die Welt in Brahman ihren Ursprung hat, so auch ihr Vergehen,
+ indem das Brahman sie immer wieder hervorgehen l&auml;&szlig;t und sie immer wieder
+ vernichtet. Gott ist somit nicht nur der Sch&ouml;pfer, sondern auch der Verschlinger
+ aller Wesen, von denen hier nur "Krieger und Brahmanen" genannt werden, als die
+ Vornehmsten, die f&uuml;r alle stehen. Wie es denn auch an einer anderen Stelle
+ hei&szlig;t:</p>
+ <p>Ich esse Alle, aber mich i&szlig;t niemand.</p>
+ <p>Diese Worte sagte n&auml;mlich der h&ouml;chste Gott, als er in der Gestalt eines
+ Widders den Knaben Medhatithi zur Himmelswelt trug. Denn ungehalten &uuml;ber seine
+ gewaltsame Entf&uuml;hrung verlangte dieser zu wissen, wer sein Entf&uuml;hrer sei:
+ "Sage mir, wer du bist, sonst werde ich, ein Brahmane, dich mit meinem Zorn treffen."
+ Da gab nun der Widdergestaltige sich zu erkennen als jenes h&ouml;chste Brahman, das
+ Alles in Allem ist, mit den Worten:</p>
+ <p>Wer ist's, der t&ouml;tet und gefangen nimmt?<br />
+ Wer ist der Widder, der dich f&uuml;hrt von dannen?<br />
+ Ich bin es, der in dieser Form erscheint,<br />
+ Ich bin es, der erscheint in allen Formen.</p>
+ <p>Wenn Einer f&uuml;rchtet sich vor was auch immer,<br />
+ Ich bin's, der f&uuml;rchtet und der f&uuml;rchten macht;<br />
+ Doch in der Gr&ouml;&szlig;e ist ein Unterschied:<br />
+ Ich esse Alle, aber mich i&szlig;t niemand.</p>
+ <p>Wer k&ouml;nnte mich erkennen, wer erkl&auml;ren?<br />
+ Ich schlug die Feinde alle, mich schlug niemand.</p>
+ <p>Hier mu&szlig; es nun auch dem bl&ouml;desten Auge klar werden, da&szlig; die
+ Brahman&auml;hnlichkeit nicht darin liegen kann, geschlagen und gegessen zu
+ werden--wie es der Fall sein m&uuml;&szlig;te, wenn Sanftmut und Selbstverzicht etwas
+ Gutes w&auml;re--sondern im Gegenteil darin, alle Anderen zu schlagen und zu
+ essen--d.h. auszunutzen und zu vernichten--selbst aber von niemand Schaden zu
+ leiden.</p>
+ <p>Es kann demnach keinem Zweifel unterliegen, da&szlig; jene Lehre--von der
+ H&ouml;llenstrafe der Gewaltt&auml;ter--von den Schwachen erfunden ist, um sich vor
+ der Gewaltt&auml;tigkeit der Starken zu sch&uuml;tzen, indem sie dadurch die
+ letzteren einsch&uuml;chtern wollen.</p>
+ <p>Und wenn im Veda einige Stellen diese Lehre enthalten, so m&uuml;ssen sie--weil
+ mit den Haupts&auml;tzen unvereinbar--von jenen f&auml;lschlich eingeschoben worden
+ sein.</p>
+ <p>Wenn also der Rigveda sagt, da&szlig;, obwohl die ganze Welt eigentlich das
+ Brahman ist, der Gott dennoch den Menschen als das Brahmandurchdrungenste
+ erkenne:--so mu&szlig; nunmehr anerkannt werden, da&szlig; unter den Menschen
+ wiederum der echte und wahre R&auml;uber das Brahmandurchdrungenste Wesen ist und
+ somit die Krone der Sch&ouml;pfung darstellt. Was aber den Dieb anbelangt, der sich
+ zur R&auml;uberschaft nicht erhebt, so ist es, weil die Schrift des &ouml;fteren
+ erkl&auml;rt, da&szlig; die Meinung "dies geh&ouml;rt mir" eine Wahnvorstellung ist,
+ die dem h&ouml;chsten Zwecke des Menschen hinderlich ist, ohne weiteres klar,
+ da&szlig; der Dieb, der eben die best&auml;ndige tats&auml;chliche Widerlegung jenes
+ Wahnes "dies geh&ouml;rt mir" zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, die h&ouml;chste
+ Wahrheit vertritt. Doch steht, wegen seiner Gewaltt&auml;tigkeit, der R&auml;uber
+ h&ouml;her.</p>
+ <p>So ist denn nun das "Krone-der-Sch&ouml;pfung-Sein" des R&auml;ubers erwiesen,
+ sowohl durch Vernunfterw&auml;gung, wie mittelst der Schrift, und ist als
+ unwiderlegbar zu betrachten.</p>
+ <h2><a id="chap_xi" name="chap_xi">XI. DER ELEFANTENR&Uuml;SSEL</a></h2>
+ <p><img src="images/xi.png" width="93" height="93" align="left" alt="N" />ach dieser
+ Probe der seltsamen Denkweise dieses au&szlig;erordentlichen Mannes--dem man
+ wenigstens nicht, wie so vielen anderen ber&uuml;hmten Denkern, zur Last legen kann,
+ da&szlig; er seine Theorie nicht in die Praxis umsetzte--nehme ich den Faden meiner
+ Erz&auml;hlung wieder auf.</p>
+ <p>Bei solchen mannigfachen Erlebnissen und neuen Geistesbesch&auml;ftigungen--ich
+ vers&auml;umte selbstverst&auml;ndlich nicht, die Gaunersprache mir zu eigen zu
+ machen--konnte die Wartezeit mir nicht lang werden. Je mehr sie sich aber ihrem Ende
+ n&auml;herte, um so mehr wurde meine Seelenruhe durch dr&uuml;ckende Besorgnisse
+ ersch&uuml;ttert. W&uuml;rde das L&ouml;segeld &uuml;berhaupt ankommen? Wenn auch
+ jener Geleitbrief den Diener gegen R&auml;uber sch&uuml;tzte, so k&ouml;nnte ihn ja
+ unterwegs ein Tiger zerrei&szlig;en oder ein angeschwollener Flu&szlig;
+ fortschwemmen, oder irgend einer der zahllosen, nicht vorauszusehenden Zuf&auml;lle
+ einer Reise ihn aufhalten, bis es zu sp&auml;t war. Die Flammenblicke Angulimalas
+ schossen oft so b&ouml;swillig nach mir hin, als ob er diesen Fall erhoffte, und der
+ Angstschwei&szlig; brach mir dann aus allen Poren. Wie wundervoll systematisch
+ eingeleitet und scharf logisch begr&uuml;ndet auch die Ausf&uuml;hrung
+ Vaja&ccedil;ravas' dar&uuml;ber war, da&szlig; in jedem Fall, in dem das
+ L&ouml;segeld nicht zur rechten Stunde gebracht w&uuml;rde, der Betreffende mit einer
+ Baums&auml;ge durchzus&auml;gen und beide Teile mitten auf die Landstra&szlig;e
+ hinzuwerfen seien--und zwar der Kopfteil nach der Seite des aufgehenden Mondes zu: so
+ gestehe ich doch, da&szlig; meine Bewunderung f&uuml;r diese wissenschaftlich
+ gewi&szlig; staunenswerte Leistung meines gelehrten Freundes durch eine
+ eigent&uuml;mliche Bewegung meines etwas "betroffenen" Bauchfelles einigerma&szlig;en
+ beeintr&auml;chtigt wurde, zumal als wirklich die doppelz&auml;hnige Baums&auml;ge,
+ die bei solchen Gelegenheiten benutzt wurde, hergebracht und zur Veranschaulichung
+ von zwei grimmigen Gesellen an einem einen Menschen vorstellenden B&uuml;ndel in
+ Wirksamkeit gesetzt wurde.</p>
+ <p>Vaja&ccedil;ravas, der bemerkte, wie mir &uuml;bel wurde, klopfte mir aufmunternd
+ auf die Schulter und meinte, das ginge mich ja nichts an. Dadurch sch&ouml;pfte ich
+ nat&uuml;rlich die Hoffnung, da&szlig; er mich im Notfalle zum dritten Male retten
+ w&uuml;rde. Als ich aber in dankbarstem Tone etwas davon verlauten lie&szlig;, machte
+ er ein gar ernstes Gesicht und sprach:</p>
+ <p>"Wenn dir dein Karma wirklich so gram sein sollte, da&szlig; das L&ouml;segeld
+ nicht zur rechten Zeit ankommt, und w&auml;re es auch nur um einen halben Tag
+ versp&auml;tet, dann kann dir freilich kein Gott und kein Teufel helfen, denn die
+ Gesetze Kalis sind unverbr&uuml;chlich. Jedoch, sei getrost, mein Sohn! Du bist noch
+ zu ganz anderen Dingen bestimmt. Und f&uuml;r dich f&uuml;rchte ich eher, da&szlig;
+ du einmal, nach einem ruhmreichen R&auml;uberleben, auf einem &ouml;ffentlichen
+ Platze enthauptet oder gepf&auml;hlt wirst--doch das hat ja noch gute Weile."</p>
+ <p>Ich k&ouml;nnte nicht sagen, da&szlig; dieser Trost mich sehr aufgerichtet
+ h&auml;tte, und so f&uuml;hlte ich mich denn nicht wenig erleichtert, als eine volle
+ Woche vor Ablauf der Frist unser getreuer alter Diener mit der geforderten Geldsumme
+ eintraf. Ich nahm Abschied von meinem furchtbaren Wirt, der in Erinnerung an seinen
+ erschlagenen Freund finster dreinblickte, als ob er mich lieber h&auml;tte
+ durchs&auml;gen lassen, und dr&uuml;ckte z&auml;rtlich die Hand des Brahmanen, der
+ eine Tr&auml;ne der R&uuml;hrung durch die Zuversicht bannte, wir w&uuml;rden uns
+ sicher noch auf den n&auml;chtlichen Pfaden Kalis begegnen. So zogen wir beide denn
+ ab, von vier R&auml;ubern begleitet, die mit ihrer Haut f&uuml;r unsere sichere
+ Ankunft in Ujjeni hafteten. Denn Angulimala, der um seine R&auml;uberehre sehr
+ besorgt war, versprach ihnen, als er uns verabschiedete, wenn ich nicht heil in
+ meiner Vaterstadt abgeliefert w&uuml;rde, ihnen die Haut &uuml;ber die Ohren zu
+ ziehen und ihre Felle an den vier Ecken eines Kreuzweges aufzuh&auml;ngen; und es war
+ bekannt, da&szlig; er immer sein Versprechen hielt. Gl&uuml;cklicherweise wurde das
+ hier nicht n&ouml;tig, und die vier Gesellen, die sich unterwegs sehr wacker
+ betrugen, m&ouml;gen noch in diesem Augenblick im Dienste der
+ sch&auml;delhalsbandsch&uuml;ttelnden T&auml;nzerin sein.</p>
+ <p>Wir erreichten Ujjeni ohne weitere Abenteuer, und ich hatte in der Tat auch an den
+ erlebten genug. Die Freude meiner Eltern, mich wiederzusehen, war unbeschreiblich. Um
+ so unm&ouml;glicher war es, ihnen die Erlaubnis abzuringen, bald wieder eine Reise
+ nach Kosambi zu unternehmen. Mein Vater hatte ja au&szlig;er der nicht unbedeutenden
+ L&ouml;sesumme auch alle Waren meiner Karawane und alle Leute verloren und war so
+ bald nicht imstande, eine neue Karawane auszur&uuml;sten. Aber dies war nur ein
+ kleines Hindernis im Verh&auml;ltnis zu dem Schrecken, der meine Eltern beim Gedanken
+ an die Gefahren des Weges befiel. Auch h&ouml;rte man ab und zu immer wieder von
+ furchtbaren Taten Angulimalas, und ich kann nicht leugnen, da&szlig; es mich wenig
+ gel&uuml;stete, noch einmal in seine H&auml;nde zu fallen. Eine Botschaft nach
+ Kosambi gelangen zu lassen, gab es in dieser Zeit durchaus keine M&ouml;glichkeit,
+ und so mu&szlig;te ich mich denn mit der Erinnerung begn&uuml;gen und in fester
+ Zuversicht auf die Treue meiner angebeteten Vasitthi mich auf bessere Zeiten
+ vertr&ouml;sten.</p>
+ <p>Diese kamen denn endlich auch. Eines Tages flog wie ein Lauffeuer die Nachricht
+ durch die Stadt, der schreckliche Angulimala sei von Satagira, dem Sohne des
+ Ministers in Kosambi, aufs Haupt geschlagen, die Bande niedergemetzelt oder
+ zersprengt, der H&auml;uptling aber mit vielen der hervorragendsten R&auml;uber
+ gefangen genommen und hingerichtet worden.</p>
+ <p>Nun konnten meine Eltern meinen st&uuml;rmischen Bitten nicht mehr widerstehen.
+ Man hatte in der Tat guten Grund, anzunehmen, da&szlig; jetzt f&uuml;r l&auml;ngere
+ Zeit die Stra&szlig;en frei sein w&uuml;rden, und mein Vater war nicht abgeneigt,
+ wieder mit einer Karawane sein Gl&uuml;ck zu versuchen. Da befiel mich pl&ouml;tzlich
+ eine Krankheit, und als ich vom Lager wieder aufstand, war die Regenzeit schon so
+ nahe heranger&uuml;ckt, da&szlig; man diese erst abwarten mu&szlig;te. Dann stand
+ aber auch meiner Abreise nichts mehr entgegen. Mit vielen Ermahnungen zur Vorsicht
+ nahmen meine Eltern Abschied von mir, und ich befand mich wieder unterwegs an der
+ Spitze einer wohlversehenen Karawane von drei&szlig;ig Ochsenkarren, freudigen und
+ mutigen Herzens und von brennender Sehnsucht getrieben.</p>
+ <p>Unsere Reise ging so glatt vonstatten, wie das erste Mal, und an einem
+ sch&ouml;nen Morgen zog ich, halb n&auml;rrisch vor Freude, in Kosambi ein. Hier
+ gewahrte ich nun bald ein ungew&ouml;hnliches Menschengedr&auml;nge in den
+ Stra&szlig;en. Ich kam infolgedessen immer langsamer vorw&auml;rts, bis mein Zug an
+ einer Stelle, wo er eine Hauptverkehrsader der Stadt zu durchkreuzen hatte, endlich
+ v&ouml;llig zum Stillstehen gebracht wurde. Es war schlechterdings nicht
+ m&ouml;glich, durch die Menge hindurchzudringen, und ich bemerkte nun auch, da&szlig;
+ jene Hauptstra&szlig;e durch Fahnenstangen, von den Fenstern und S&ouml;llern
+ herabh&auml;ngende Teppiche und quer&uuml;ber gespannte Blumengewinde aufs
+ pr&auml;chtigste geschm&uuml;ckt war--wie f&uuml;r irgend einen Aufzug. Fluchend vor
+ Ungeduld, fragte ich die vor mir Stehenden, was hier los sei.</p>
+ <p>"Ei," riefen sie, "wei&szlig;t du denn nicht, da&szlig; heute Satagira, der Sohn
+ des Ministers, seine Hochzeit feiert? Du kannst dich gl&uuml;cklich preisen, gerade
+ zu rechter Zeit eingetroffen zu sein, denn der Zug kommt jetzt vom Krishnatempel hier
+ vor&uuml;ber, und eine solche Pracht hast du gewi&szlig; noch nirgends gesehen."</p>
+ <p>Da&szlig; Satagira Hochzeit hielt, war mir eine ebenso wichtige wie willkommene
+ Nachricht, weil sein Werben um meine Vasitthi bei ihren Eltern eins der
+ gr&ouml;&szlig;ten Hindernisse f&uuml;r unsere Vereinigung gewesen w&auml;re. So
+ lie&szlig; ich mir denn das Warten gefallen, um so mehr als es nicht lange dauern
+ konnte; denn schon waren die Lanzenspitzen einer Reiterabteilung sichtbar, die unter
+ ohrenbet&auml;ubendem Jubel vor&uuml;berzog. Diese Reiter genossen, wie man mir
+ mitteilte, in Kosambi die gr&ouml;&szlig;te Volksgunst, weil haupts&auml;chlich sie
+ es waren, die die Bande Angulimalas unsch&auml;dlich gemacht hatten.</p>
+ <p>Fast unmittelbar hinter ihnen kam der Elefant, der die Braut trug--allerdings ein
+ &uuml;berw&auml;ltigender Anblick. Die knorrige, h&uuml;gelartige Stirn des
+ Riesentieres war, dem G&ouml;tterberg Meru &auml;hnlich, mit einem Flor von
+ mannigfarbigen Edelsteinen bedeckt. Wie bei einem br&uuml;nstigen Ilfenstier der Saft
+ an den Schl&auml;fen und Wangen herabtr&auml;ufelt, und Bienenschw&auml;rme, von
+ seinem s&uuml;&szlig;en Duft angelockt, dar&uuml;ber h&auml;ngen, also
+ ergl&auml;nzten hier Schl&auml;fen und Wangen von den wundervollsten Perlen und
+ dar&uuml;ber baumelten durchsichtige Geh&auml;nge von schwarzen Diamanten--eine
+ Wirkung, die zum Aufschreien sch&ouml;n war. Die m&auml;chtigen Hauer waren mit dem
+ feinsten Golde beschlagen; und aus demselben edlen Metalle war die mit gro&szlig;en
+ Rubinen besetzte Brustplatte, von der der duftigste blaue Benaresmusselin herabhing
+ und die kr&auml;ftigen Beine des Tieres--wie Morgennebel die Baumst&auml;mme--leicht
+ umwallte.</p>
+ <p>Aber es war der R&uuml;ssel des Staatselefanten, der vor allem meinen Blick
+ fesselte. Auch zu Hause, in Ujjeni, hatte ich ja bei Prozessionen sehr prachtvolle
+ Dekorationen der Elefantenr&uuml;ssel gesehen, aber niemals eine, die so
+ geschmackvoll gewesen w&auml;re wie diese. Bei uns n&auml;mlich wurde der R&uuml;ssel
+ in Felder eingeteilt, die irgend ein feines Muster bildeten, und war also ganz mit
+ Farbe gedeckt. Hier aber war die Haut als Untergrund frei gelassen, und &uuml;ber
+ diesen ast&auml;hnlichen Grund war ein loses Laubgeranke von lanzettf&ouml;rmigen
+ Asokabl&auml;ttern geschlungen, aus dem gelbe, orangefarbene und scharlachrote Blumen
+ hervorleuchteten--Alles in k&ouml;stlichster ornamentaler Stilisierung
+ ausgef&uuml;hrt.</p>
+ <p>W&auml;hrend ich nun mit dem Blick eines Kenners dies Wunderwerk studierte, kam
+ ein gar wehm&uuml;tiges Gef&uuml;hl &uuml;ber mich, indem ich gleichsam den ganzen
+ Liebesduft jener seligen N&auml;chte auf der Terrasse wieder einatmete. Mein Herz
+ begann heftig zu pochen, da ich unwillk&uuml;rlich an meine eigene Hochzeit denken
+ mu&szlig;te; denn welcher Schmuck konnte sinniger erfunden werden f&uuml;r das Tier,
+ welches dereinst Vasitthi tragen sollte, als gerade dieser, da ja die "Terrasse der
+ Sorgenlosen" wegen ihrer wunderbaren Asokabl&uuml;ten in ganz Kosambi ber&uuml;hmt
+ war?</p>
+ <p>In diesem fast traumhaften Zustande vernahm ich, wie eine Frau neben mir zu einer
+ anderen sagte:</p>
+ <p>"Aber die Braut--die sieht doch gar nicht fr&ouml;hlich aus!"</p>
+ <p>Unwillk&uuml;rlich blickte ich in die H&ouml;he, und ein seltsam unheimliches
+ Gef&uuml;hl beschlich mich, als ich die Gestalt gewahr wurde, die dort unter dem
+ purpurnen Baldachin sa&szlig;. Gestalt, sage ich--das Gesicht konnte ich nicht sehen,
+ weil der Kopf vorn&uuml;ber auf die Brust gesunken war--aber auch von einer Gestalt
+ sah man wenig, und es schien, als ob in jener Masse von regenbogenfarbigen Musselins,
+ wenn auch ein K&ouml;rper, so doch kein mit lebendiger, widerstandsf&auml;higer Kraft
+ begabter steckte. Die Art und Weise, wie sie hin und her schwankte bei den Bewegungen
+ des Tieres, dessen m&auml;chtige Schritte das Zelt auf seinem R&uuml;cken in starkes
+ Schaukeln versetzten, hatte etwas unsagbar Trauriges, ja fast etwas Grauenerregendes
+ an sich. Man konnte in der Tat bef&uuml;rchten, da&szlig; sie im n&auml;chsten
+ Augenblick herunterst&uuml;rzen w&uuml;rde. Eine solche Furcht mochte auch die hinter
+ ihr stehende Dienerin bewegen, denn sie fa&szlig;te die Braut an den Schultern und
+ neigte sich zu ihr vor, um ihr aufmunternde Worte ins Ohr zu fl&uuml;stern.</p>
+ <p>Ein eisiger Schreck l&auml;hmte mich, als ich in dieser vermeintlichen
+ Dienerin--Medini erkannte. Und ehe mir diese Ahnung noch deutlich geworden war, hatte
+ die Braut Satagiras den Kopf erhoben.</p>
+ <p>Es war meine Vasitthi.</p>
+ <h2><a id="chap_xii" name="chap_xii">XII. AM GRABE DES HEILIGEN
+ VAJA&Ccedil;RAVAS</a></h2>
+ <p><img src="images/xii.png" width="93" height="93" align="left" alt="J" />a, sie war
+ es. Keine M&ouml;glichkeit, sich in diesen Z&uuml;gen zu t&auml;uschen,--und doch
+ &auml;hnelten sie sich selber nicht, und &auml;hnelten in der Tat nichts, das ich je
+ gesehen hatte; in einem so namenlosen, &uuml;bermenschlichen Jammer schienen sie
+ versteinert zu sein.</p>
+ <p>Als ich wieder zur Besinnung kam, zogen gerade die Letzten des Zuges vor&uuml;ber.
+ Man schrieb meine pl&ouml;tzliche Ohnmacht der Hitze und dem Menschengedr&auml;nge
+ zu. Willenlos lie&szlig; ich mich in die n&auml;chste Karawanserei bringen.</p>
+ <p>Hier warf ich mich in der dunkelsten Ecke nieder, das Gesicht nach der Wand
+ gekehrt, und blieb da, in Tr&auml;nen gebadet und alle Speise verschm&auml;hend,
+ tagelang liegen, nachdem ich jenem alten Diener und Karawanenf&uuml;hrer, der mich
+ schon auf der ersten Fahrt begleitet, Anweisung gegeben hatte, so schnell wie
+ m&ouml;glich und selbst unter schlechten Bedingungen unsere Waren loszuschlagen, da
+ ich zu krank sei, um mich mit Gesch&auml;ften abzugeben. In der Tat konnte ich nur an
+ meinen unfa&szlig;baren Verlust denken; auch wollte ich mich nicht in der Stadt
+ zeigen, um von niemand erkannt zu werden. Denn ich wollte vor allem verhindern,
+ da&szlig; Vasitthi von meiner Anwesenheit etwas erf&uuml;hre.</p>
+ <p>Ihr Bild, wie ich sie zuletzt gesehen, schwebte mir fortw&auml;hrend vor der
+ Seele. Wohl war ich &uuml;ber ihren Wankelmut oder eher ihre Schw&auml;che
+ entr&uuml;stet; denn ich sah wohl ein, da&szlig; nur die letzte in Frage kam, und
+ da&szlig; sie dem Dr&auml;ngen der Eltern nicht hatte widerstehen k&ouml;nnen.
+ Da&szlig; sie dem triumphierenden Ministersohn nicht ihr Herz zugewandt hatte, davon
+ zeugten ihre Haltung und Miene deutlich genug. Wenn ich mich aber ihrer erinnerte,
+ wie sie im Krishnahaine leuchtenden Blickes mir ewige Treue zugeschworen hatte,
+ verstand ich nicht, wie es m&ouml;glich war, da&szlig; sie so bald nachgegeben hatte,
+ und ich sagte mir unter bitterem Seufzen, da&szlig; auf M&auml;dchenschw&uuml;re kein
+ Verla&szlig; sei. Aber immer wieder tauchte jenes Gesicht voll tiefsten Jammers vor
+ mir auf--und sofort war dann auch jeder Groll verscheucht, nur das innigste Mitleid
+ wallte ihm entgegen; und so beschlo&szlig; ich fest, ihren Kummer nicht dadurch noch
+ zu vermehren, da&szlig; von meiner jetzigen Anwesenheit in Kosambi ihr etwas zu
+ Geh&ouml;r k&auml;me. Nie mehr sollte sie etwas von mir erfahren; sicher w&uuml;rde
+ sie dann glauben, da&szlig; ich gestorben sei, und sich in ihr Schicksal, dem es ja
+ an &auml;u&szlig;erem Glanz nicht fehlte, nach und nach ergeben.</p>
+ <p>Ein g&uuml;nstiger Umstand f&uuml;gte es, da&szlig; mein alter Diener unerwartet
+ schnell die Waren sehr vorteilhaft eintauschte oder verkaufte, so da&szlig; ich schon
+ nach wenigen Tagen in fr&uuml;her Morgenstunde mit meiner Karawane Kosambi verlassen
+ konnte.</p>
+ <p>Als ich nun durch das westliche Stadttor hinausgekommen war, wandte ich mich um
+ und warf einen letzten Blick auf die Stadt, in deren Mauern ich so
+ Unverge&szlig;liches an Freude und Leid erlebt hatte. Vor einigen Tagen, als ich
+ eingezogen, war ich derma&szlig;en von ungeduldiger Erwartung erfa&szlig;t gewesen,
+ da&szlig; ich f&uuml;r nichts in der N&auml;he ein Auge gehabt hatte. So wurde ich
+ denn jetzt zum ersten Male gewahr, da&szlig; nicht nur die Zinnen des Tores, sondern
+ auch der Mauerrand zu beiden Seiten mit aufgespie&szlig;ten Menschenk&ouml;pfen
+ schrecklich geschm&uuml;ckt war?</p>
+ <p>Kein Zweifel--es waren die K&ouml;pfe der hingerichteten R&auml;uber aus der Bande
+ Angulimalas!</p>
+ <p>Zum ersten Male, seitdem ich Vasitthis Gesicht unter dem Baldachin gesehen,
+ erf&uuml;llte mich jetzt ein anderes Gef&uuml;hl als das der Trauer, indem ich mit
+ unaussprechlichem Schauder diese K&ouml;pfe betrachtete, von denen die Geier
+ l&auml;ngst nur das Knochenger&uuml;st &uuml;brig gelassen hatten und h&ouml;chstens
+ noch die Z&ouml;pfe oder hier und dort einen Bart, dessen Urw&uuml;chsigkeit sein
+ Gebiet gesch&uuml;tzt hatte. So w&auml;ren sie alle unerkennbar gewesen, wenn nicht
+ einer durch den wilden, roten Bart, ein anderer durch die nach der Art der
+ asketischen Flechtentr&auml;ger am Scheitel aufgewundenen Z&ouml;pfe sich verraten
+ h&auml;tte. Diese beiden und zweifelsohne auch viele der anderen hatten mir oft in
+ der n&auml;chtlichen Runde kameradschaftlich zugenickt, und ich erinnerte mich mit
+ entsetzlicher Anschaulichkeit, wie dieser rote Bart, im Mondesstrahle spr&uuml;hend,
+ bei jenem Vortrage &uuml;ber die Stupidit&auml;t der Nachtw&auml;chter vor Lustigkeit
+ gewackelt hatte, ja fast vermeinte ich aus dem lippenlosen Munde noch das
+ dr&ouml;hnende Gel&auml;chter zu h&ouml;ren.</p>
+ <p>Aber auf der mittleren Torzinne ergl&auml;nzte, etwas &uuml;ber die anderen
+ erhoben, ein m&auml;chtiger Sch&auml;del im Strahle der aufgehenden Sonne und zog
+ gebieterisch meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Wie sollte ich diese Formen nicht
+ wiedererkennen? Der war's, der uns damals zum Lachen gebracht hatte, ohne selbst eine
+ Miene seines Brahmanengesichtes zu verziehen. Vaja&ccedil;ravas' Kopf dominierte
+ hier, w&auml;hrend der Angulimalas zweifelsohne &uuml;ber dem &ouml;stlichen Stadttor
+ aufgesteckt war. Und ein sonderbares Gef&uuml;hl beschlich mich bei dem Gedanken, wie
+ gr&uuml;ndlich er einst die verschiedenen Arten von Todesstrafen expliziert
+ hatte--das Vierteilen, das Zerrei&szlig;en durch Hunde, die Pf&auml;hlung, die
+ Enthauptung--und wie sorgf&auml;ltig er dadurch begr&uuml;nden wollte, da&szlig; der
+ R&auml;uber sich nicht fangen lassen d&uuml;rfe; wenn er aber schon einmal gefangen
+ sei, versuchen m&uuml;sse, durch alle Mittel zu entfliehen. Ach! Was hatte ihm seine
+ Wissenschaft geholfen? So wenig vermag der Mensch seinem Schicksal zu entgehen, das
+ ja nur die Frucht unserer Taten ist--sei es in diesem, sei es in einem vorhergehenden
+ Leben!</p>
+ <p>Und mir war es, als ob er durch seine leeren Augenh&ouml;hlen mich gar ernst
+ betrachtete und sein halb ge&ouml;ffneter Mund mir zuriefe: "... Kamanita, Kamanita!
+ betrachte mich genau, achte wohl auf diesen Anblick! Auch du, mein Sohn, bist unter
+ einem R&auml;ubergestirn geboren, auch du wirst die n&auml;chtigen Pfade Kalis
+ betreten, und ebenso wie ich hier, wirst auch du einmal irgendwo enden."</p>
+ <p>Aber seltsam genug: diese Phantasie, die so lebhaft wie eine sinnliche Wahrnehmung
+ war, erf&uuml;llte mich nicht mit Schrecken und Schaudern. Meine vermeintlich
+ vorgeschriebene R&auml;uberlaufbahn, der ich noch nie einen ernsten Gedanken
+ geschenkt hatte, stand pl&ouml;tzlich nicht nur in ernstem, sondern sogar in
+ verlockendem Lichte vor mir.</p>
+ <p>R&auml;uberh&auml;uptling!--Was konnte mir Elenden erw&uuml;nschter sein? Denn
+ daran zweifelte ich keinen Augenblick, da&szlig; ich mit meinen vielen
+ F&auml;higkeiten und Kenntnissen, und besonders mit denen, die ich dem Unterricht des
+ ehrw&uuml;rdigen Vaja&ccedil;ravas verdankte, eine leitende Stellung einnehmen
+ w&uuml;rde. Und welche Stellung k&auml;me denn f&uuml;r mich der eines
+ R&auml;uberh&auml;uptlings gleich? War doch selbst die eines K&ouml;nigs dagegen
+ gering zu sch&auml;tzen. Denn konnte die mir Rache an Satagira verschaffen? Konnte
+ die Vasitthi in meine Arme f&uuml;hren? Ich sah mich selbst mitten im Walde im Kampfe
+ mit Satagira, dem ich mit einem wuchtigen Schwerthieb den Sch&auml;del spaltete; und
+ wieder sah ich mich, wie ich die ohnm&auml;chtige Vasitthi in meinen Armen aus dem
+ brennenden, von R&auml;uberstimmen widerhallenden Palast entf&uuml;hrte.</p>
+ <p>Zum ersten Maie seit jenem jammervollen Anblick schlug mein Herz wieder mutig und
+ hoffnungsvoll einer Zukunft entgegen; zum ersten Male w&uuml;nschte ich mir nicht den
+ Tod, sondern das Leben.</p>
+ <p>Von solchen Bildern erf&uuml;llt war ich kaum tausend Schritte weiter gezogen, als
+ ich vor mir auf dem Wege eine von der entgegengesetzten Seite kommende Karawane
+ halten sah, w&auml;hrend der F&uuml;hrer an einem kleinen H&uuml;gel unmittelbar an
+ der Landstra&szlig;e offenbar ein Opfer darbrachte.</p>
+ <p>Ich ging auf ihn zu, gr&uuml;&szlig;te ihn h&ouml;flich und fragte ihn, welche
+ Gottheit er hier verehrte.</p>
+ <p>"In diesem Grabe," antwortete er, "ruht der heilige Vaja&ccedil;ravas, dessen
+ Schutze ich es verdanke, da&szlig; ich, durch eine gef&auml;hrliche Gegend ziehend,
+ heil und unversehrt an Leib und Gut nach Hause komme. Und ich rate dir sehr, es ja
+ nicht zu vers&auml;umen, hier ein passendes Opfer darzubringen. Denn wenn du auch
+ beim Einziehen in das waldige Gebiet hundert Waldh&uuml;ter mietetest, so w&uuml;rden
+ die dir keine so gute Hilfe gegen R&auml;uber sein, wie es der Schutz dieses Heiligen
+ ist."</p>
+ <p>"Mein lieber Mann!" entgegnete ich, "dieser Grabh&uuml;gel scheint nur wenige
+ Monate alt zu sein, und wenn in ihm ein Vaja&ccedil;ravas begraben liegt, so wird das
+ gewi&szlig; kein Heiliger sein, sondern der R&auml;uber dieses Namens."</p>
+ <p>Der Kaufmann aber nickte ruhig zustimmend.</p>
+ <p>"Der n&auml;mliche--gewi&szlig;.... Ich sah, wie er an dieser Stelle gepf&auml;hlt
+ wurde. Und sein Kopf steckt noch &uuml;ber dem Tor. Nachdem er aber so die vom
+ F&uuml;rsten verh&auml;ngte Strafe erlitten hat, ist er, dadurch von seinen
+ S&uuml;nden gel&auml;utert, fleckenlos in den Himmel eingegangen, und sein Geist
+ sch&uuml;tzt jetzt den Reisenden gegen R&auml;uber. Auch sagt man &uuml;brigens,
+ da&szlig; er schon w&auml;hrend seines R&auml;uberlebens ein gar gelehrter und fast
+ heiliger Mann gewesen sei; denn er wu&szlig;te selbst geheime Teile des Veda
+ auswendig--wenigstens hei&szlig;t es so."</p>
+ <p>"Das verh&auml;lt sich wirklich so," versetzte ich, "denn ich habe ihn sehr gut
+ gekannt und darf mich sogar seinen Freund nennen."</p>
+ <p>Als der Kaufmann mich bei diesen Worten etwas erschrocken ansah, fuhr ich
+ fort:</p>
+ <p>"Du mu&szlig;t n&auml;mlich wissen, da&szlig; ich einst bei dieser Bande in
+ Gefangenschaft geraten war, und da&szlig; Vaja&ccedil;ravas mir bei dieser
+ Gelegenheit zweimal das Leben gerettet hat."</p>
+ <p>Der Blick des Kaufmanns ging vom Schrecken zu bewunderndem Neid &uuml;ber:</p>
+ <p>"Nun, dann kannst du dich wahrlich gl&uuml;cklich preisen. St&uuml;nde ich so bei
+ ihm in Gunst, dann w&uuml;rde ich in wenigen Jahren der reichste Mann in Kosambi
+ sein. Und nun, eine gl&uuml;ckliche Reise, Beneidenswerter!"</p>
+ <p>Damit lie&szlig; er seine Karawane sich wieder in Bewegung setzen.</p>
+ <p>Ich vers&auml;umte selbstverst&auml;ndlich nicht, am Grabe meines ber&uuml;hmten
+ und verehrten Freundes eine Totenspende niederzulegen, mein Gebet ging aber, allen
+ anderen hier abgehaltenen entgegen, darauf hinaus, da&szlig; er mich geradeswegs in
+ die Arme der n&auml;chsten R&auml;uberbande leiten sollte, der ich mich dann mit
+ seiner Hilfe anschlie&szlig;en wollte und deren F&uuml;hrung, woran ich nicht
+ zweifelte, bald von selber in meine H&auml;nde &uuml;bergehen w&uuml;rde.</p>
+ <p>Es sollte sich aber deutlich zeigen, da&szlig; mein gelehrter und nunmehr durch
+ Volksmund heilig gesprochener Freund sich geirrt hatte, als er annahm, eine
+ R&auml;uberkonstellation habe &uuml;ber meiner Geburt geleuchtet. Denn auf dem ganzen
+ Weg nach Ujjeni trafen wir keine Spur von R&auml;ubern, und doch wurde, kaum eine
+ Woche nachdem wir einen gro&szlig;en Wald hart an der Grenze Avantis gekreuzt hatten,
+ eine Karawane, der wir begegnet waren, in eben diesem Walde von R&auml;ubern
+ &uuml;berfallen.</p>
+ <p>Es ist mir eine Quelle sonderbarer Betrachtungen gewesen, da&szlig; es anscheinend
+ auf einem reinen Zufall beruhte, wenn ich im b&uuml;rgerlichen Leben blieb, anstatt,
+ wie mein Herz brennend begehrte, in das R&auml;uberleben einzutreten. Freilich mag
+ wohl von den n&auml;chtigen Pfaden Kalis auch einer auf den Weg der Pilgerschaft
+ ausm&uuml;nden, wie ja auch von den vom Herzen ausgehenden, mit f&uuml;nffarbigem
+ Safte erf&uuml;llten hundertundein Adern eine einzige nach dem Kopfe f&uuml;hrt und
+ diejenige ist, durch welche beim Tode die Seele den K&ouml;rper verl&auml;&szlig;t.
+ So k&ouml;nnte ich ja auch in dem Falle, da&szlig; ich R&auml;uber geworden
+ w&auml;re, noch immer jetzt ein Pilger sein und mich auf dem Wege nach dem Ziele der
+ Erl&ouml;sung befinden. Wenn aber Einer die Erl&ouml;sung erlangt, dann werden seine
+ Werke, b&ouml;se wie gute, zu nichts, durch die Glut des Wissens gleichsam zur Asche
+ verbrannt.</p>
+ <p>Auch mu&szlig; ich sagen, da&szlig; jene Zwischenzeit, im R&auml;uberleben oder im
+ b&uuml;rgerlichen verbracht, vielleicht hinsichtlich der moralischen Fr&uuml;chte
+ nicht so verschieden ausgefallen w&auml;re, wie es dir, o Bruder, wohl scheinen mag.
+ Denn ich habe, w&auml;hrend ich unter den R&auml;ubern lebte, wohl bemerkt, da&szlig;
+ es auch unter ihnen sehr verschiedenartige Leute gibt, und zwar einige mit sehr
+ vortrefflichen Eigenschaften, und da&szlig;, wenn man von gewissen
+ &Auml;u&szlig;erlichkeiten absieht, der Unterschied zwischen R&auml;ubern und
+ ehrlichen Leuten nicht ganz so ungeheuer ist, wie die letzteren es sich gern
+ vorstellen. Und andererseits habe ich in der reifen Periode meines Lebens, in die ich
+ nunmehr eintrat, nicht umhin k&ouml;nnen zu bemerken, da&szlig; die ehrlichen Leute
+ den Dieben und R&auml;ubern in das Handwerk pfuschen, einige gelegentlich und
+ gleichsam improvisierend, andere best&auml;ndig und mit gro&szlig;er und f&uuml;r sie
+ sehr bek&ouml;mmlicher Meisterschaft, so da&szlig; durch gegenseitige Ann&auml;herung
+ sogar nicht wenig Ber&uuml;hrung zwischen beiden Gruppen stattfindet.</p>
+ <p>Weshalb ich denn auch nicht wei&szlig;, ob ich durch das g&uuml;nstige Schicksal,
+ das mich von den n&auml;chtigen Pfaden der sch&auml;delhalsbandsch&uuml;ttelnden
+ T&auml;nzerin fernhielt, eigentlich so sehr viel gewonnen habe."--</p>
+ <p>Nach dieser tiefsinnigen Betrachtung schwieg der Pilger Kamanita und richtete in
+ Sinnen versunken seinen Blick nach dem Vollmond, der gro&szlig; und gl&uuml;hend
+ drau&szlig;en &uuml;ber dem fernen Wald--dem Aufenthalt der R&auml;uber--aufstieg und
+ sein Licht gerade in die offene Halle des Hafners hereinstr&ouml;men lie&szlig;, wo
+ es den gelben Mantel des Erhabenen in lauteres Gold zu verwandeln schien, wie die
+ Bekleidung eines G&ouml;tterbildes.</p>
+ <p>Der Erhabene, auf den der Pilger, vom Glanze angezogen und dennoch ohne zu ahnen,
+ wen er sah, unwillk&uuml;rlich seinen Blick richtete, gab durch ein langsames
+ Kopfnicken seine Teilnahme zu erkennen und sagte:</p>
+ <p>"Noch seh' ich dich, Pilger, vielmehr der H&auml;uslichkeit als der Hauslosigkeit
+ zuschreiten, obwohl der Weg in die letztere sich dir wahrlich deutlich genug
+ er&ouml;ffnet hatte."</p>
+ <p>"So ist es, Ehrw&uuml;rdiger! Bl&ouml;den Auges sah ich diesen Ausweg nicht,
+ sondern schritt eben, wie du sagtest, der H&auml;uslichkeit zu."</p>
+ <p>Und nach einem tiefen Seufzer fuhr der Pilger mit frischer und heiterer Stimme in
+ dem Bericht seiner Erlebnisse fort.</p>
+ <h2><a id="chap_xiii" name="chap_xiii">XIII. DER LEBEMANN</a></h2>
+ <p><img src="images/xiii.png" width="93" height="93" align="left" alt="S" />o lebte
+ ich denn im Elternhause zu Ujjeni.--Diese meine Vaterstadt, o Fremder, ist ja aber
+ nicht weniger durch ihre Lustbarkeit und rauschende Lebensfreude als wegen ihrer
+ gl&auml;nzenden Pal&auml;ste, und pr&auml;chtigen Tempel in ganz Indien ber&uuml;hmt.
+ Ihre breiten Stra&szlig;en hallen bei Tage vom Wiehern der Pferde und Trompeten der
+ Elefanten wider, und bei Nacht vom Lautenspiele der Verliebten und von den Liedern
+ fr&ouml;hlicher Zecher.</p>
+ <p>Besonders aber erfreuen sich die Het&auml;ren Ujjenis eines
+ au&szlig;erordentlichen Rufes. Von den gro&szlig;en Kurtisanen, die in Pal&auml;sten
+ wohnen, Tempel den G&ouml;ttern und &ouml;ffentliche G&auml;rten dem Volke stiften
+ und in deren Empfangss&auml;len man Dichter und K&uuml;nstler, Schauspieler, vornehme
+ Fremde, ja manchmal sogar Prinzen trifft--bis zu den gew&ouml;hnlichen Dirnen herab
+ sind sie alle von schwellgliedriger Sch&ouml;nheit und unbeschreiblicher Anmut. Bei
+ den gro&szlig;en Festlichkeiten, bei Aufz&uuml;gen und Schaustellungen bilden sie den
+ Hauptschmuck der blumenprangenden, wimpelumflatterten Stra&szlig;en. In
+ cochenilleroten Kleidern, duftende Kr&auml;nze in den H&auml;nden, von
+ Wohlger&uuml;chen umwallt, von Diamanten funkelnd, siehst du sie dann, o Bruder, auf
+ ihren besonderen Prachttrib&uuml;nen sitzen oder die Stra&szlig;en dahinziehen, mit
+ liebevollen Blicken, aufreizenden Geb&auml;rden und lachenden Scherzworten
+ allerw&auml;rts die Sinnenglut der Lustverlangenden zu hellen Flammen
+ sch&uuml;rend.</p>
+ <p>Vom K&ouml;nig verehrt, vom Volke angebetet, von den Dichtern besungen,
+ hei&szlig;en sie ja "die bunte Blumenkrone des felsenragenden Ujjeni" und ziehen uns
+ den Neid der weniger beg&uuml;nstigten Nachbarst&auml;dte zu. &Ouml;fters gastieren
+ auch dort die hervorragendsten unserer Sch&ouml;nheiten, ja es kommt sogar vor,
+ da&szlig; eine solche durch eine k&ouml;nigliche Verordnung zur&uuml;ckgerufen werden
+ mu&szlig;.</p>
+ <p>Mir, der ich nun meinen lebenverzehrenden Kummer ertr&auml;nken wollte, wurde von
+ den H&auml;nden dieser fr&ouml;hlichen Schwesterschaft der goldige Lustkelch des
+ berauschenden Vergessenheitstrankes willig und reichlich an die Lippen gef&uuml;hrt.
+ Durch meine vielen F&auml;higkeiten und gro&szlig;en Kenntnisse der sch&ouml;nen
+ K&uuml;nste aller Art und nicht weniger aller geselligen Spiele wurde ich ein gern
+ gesehener Gast der gro&szlig;en Kurtisanen, von denen eine sogar, deren Gunst mit
+ Geld kaum aufzuwiegen war, sich zuletzt so leidenschaftlich in mich verliebte,
+ da&szlig; sie sich meinetwegen mit einem Prinzen &uuml;berwarf. Andererseits wurde
+ ich durch meine v&ouml;llige Beherrschung der Gaunersprache leicht vertraut mit den
+ Dirnen der G&auml;&szlig;chen, deren Gesellschaft ich auf dem Wege derben
+ Lebensgenusses keineswegs verschm&auml;hte, und von denen mehrere mir von Herzen
+ ergeben waren.</p>
+ <p>So tauchte ich denn tief in den rauschenden Strudel der Vergn&uuml;gungen meiner
+ Vaterstadt, und es wurde, o Fremder, eine sprichw&ouml;rtliche Redensart in Ujjeni:
+ "Ein Lebemann wie der junge Kamanita."</p>
+ <p>Nun zeigte es sich aber, da&szlig; schlechte Gewohnheiten, ja selbst Laster
+ manchmal dem Menschen einen Gl&uuml;cksfall bringen, so da&szlig; der weltlich
+ Gesinnte nicht leicht entscheiden kann, ob er am meisten seinen guten oder seinen
+ schlechten Eigenschaften sein Gedeihen zu verdanken hat.</p>
+ <p>Jene Vertrautheit mit den niedrigeren Dirnen kam mir n&auml;mlich sehr zustatten.
+ Im Hause meines Vaters wurde ein Einbruch ver&uuml;bt, und Juwelen, die ihm zum
+ gro&szlig;en Teil zur Sch&auml;tzung anvertraut waren, gestohlen, und zwar in einem
+ Betrage, der kaum mehr zu ersetzen war. Ich war au&szlig;er mir, denn v&ouml;lliger
+ Ruin drohte uns. Vergebens bot ich alle die Kenntnisse auf, die ich im Walde mir
+ erworben hatte. Nach der Weise, wie der unterirdische Gang angelegt war, konnte ich
+ wohl sagen, was f&uuml;r einer Art von Dieben die T&auml;terschaft zuzuschreiben sei.
+ Aber selbst dieser so n&uuml;tzliche Wink war zwecklos f&uuml;r die Polizei--die
+ allerdings in Ujjeni nicht auf &auml;hnlicher H&ouml;he steht wie die
+ Het&auml;renwirtschaft, was vielleicht nicht ganz ohne inneren Zusammenhang sein mag.
+ Habe ich doch in einem sehr gelehrten Vortrag &uuml;ber das Liebesleben der
+ verschiedenen St&auml;nde folgenden Satz geh&ouml;rt: "Die Liebesabenteuer des
+ Polizeimeisters haben w&auml;hrend der n&auml;chtlichen Inspizierung stattzufinden
+ und zwar mit den Stadtdirnen;"--was in Verbindung mit jener Vorlesung
+ Vaja&ccedil;ravas' "&Uuml;ber die N&uuml;tzlichkeit der Dirnen zum Hineinlegen der
+ Polizei" in jener Zeit des &auml;ngstlichen Wartens mir manches zu denken gab.</p>
+ <p>Nun scheint es ja aber in dieser unserer sonderbaren Welt so eingerichtet zu sein,
+ da&szlig; die linke Seite f&uuml;r das aufkommen mu&szlig;, was die rechte
+ vers&auml;umt. Und so geschah es denn auch hier, da&szlig; jene &uuml;ppige
+ Bl&uuml;te Ujjenis mir die Frucht trug, welche der, vielleicht wegen dieser
+ &Uuml;ppigkeit etwas k&uuml;mmerlich geratene Dornenhag des Polizeiwesens zu zeitigen
+ nicht vermochte. Denn die guten M&auml;dchen, als sie mich wegen der mir und den
+ Meinigen drohenden Not untr&ouml;stlich sahen, ermittelten die T&auml;ter und zwangen
+ sie, durch Androhung v&ouml;lliger Entziehung ihrer Gunst, die Beute wieder
+ herauszugeben, so da&szlig; wir glimpflich davon kamen, mit Verlust des Wenigen, das
+ schon verpra&szlig;t gewesen, und mit einem Schrecken, der f&uuml;r mich nicht ohne
+ gute Wirkung blieb.</p>
+ <p>Durch ihn wurde ich n&auml;mlich aus meinem Zeit und Jugendkraft unn&uuml;tz
+ vergeudenden W&uuml;stlingsleben aufger&uuml;ttelt. Dieses war ohnehin zu einem Punkt
+ gelangt, wo es mich entweder unter dem Joch der Gewohnheit v&ouml;llig knechten und
+ versumpfen lassen, oder aber mich anzuwidern anfangen mu&szlig;te. Die letztere
+ Wirkung wurde nun eben durch jenes Erlebnis gef&ouml;rdert. Ich hatte die Armut mir
+ ins Gesicht starren sehen--die Armut, der mich jenes Leben wehrlos &uuml;berliefert
+ h&auml;tte, um mich dann treulos mit allen seinen kostspieligen Freuden zu verlassen.
+ Nun besann ich mich auf jenes Wort des Kaufmannes am Grabe Vaja&ccedil;ravas: "Wenn
+ ich so hoch in Gunst bei Vaja&ccedil;ravas st&auml;nde wie du, dann w&uuml;rde ich in
+ wenigen Jahren der reichste Mann in Kosambi sein." Und ich beschlo&szlig;, der
+ reichste Mann in Ujjeni zu werden, und zu diesem Zwecke mich mit aller Kraft auf den
+ Karawanenhandel zu verlegen.</p>
+ <p>Ob nun mein im Jenseits weilender Freund und Meister, Vaja&ccedil;ravas, mir bei
+ meinen Unternehmungen in eigener Person beistand, wage ich nicht zu entscheiden,
+ wiewohl ich es manchmal glaubte; sicher aber ist, da&szlig; seine Worte es jetzt
+ nachtr&auml;glich taten. Denn da&szlig; ich durch seine Belehrung mit allen
+ Gewohnheiten und Gebr&auml;uchen der verschiedenen R&auml;uberarten vertraut, ja
+ selbst in ihre geheimen Regeln eingeweiht war, das setzte mich jetzt in den Stand,
+ ohne t&ouml;richte Waghalsigkeit Unternehmungen durchzuf&uuml;hren, die ein anderer
+ nimmermehr h&auml;tte wagen d&uuml;rfen. Gerade solche aber suchte ich mir jetzt aus
+ und gab mich mit gew&ouml;hnlichen Reisen gar nicht mehr ab.</p>
+ <p>Wenn ich nun eine gro&szlig;e Karawane nach einer Stadt f&uuml;hrte, zu der
+ monatelang keine andere hatte vordringen k&ouml;nnen, weil gerade zu der Zeit starke
+ R&auml;uberbanden die Gegend gleichsam abgesperrt hatten, so fand ich die Einwohner
+ derma&szlig;en auf meine Waren erpicht, da&szlig; ich diese manchmal mit dem
+ zehnfachen Gewinn absetzen konnte. Aber damit nicht genug: einen unsch&auml;tzbaren
+ Vorteil zog ich aus jener Belehrung "&uuml;ber die Kennzeichen der f&uuml;r
+ Bestechung zug&auml;nglichen Beamten h&ouml;heren und niederen Ranges nebst Anweisung
+ &uuml;ber die dabei in Frage kommenden Geldbetr&auml;ge"; und was ich im Verlauf
+ weniger Jahre durch geschickte Benutzung dieser Winke gewonnen habe, kommt f&uuml;r
+ sich allein einem m&auml;&szlig;igen Verm&ouml;gen gleich.--</p>
+ <p>So vergingen denn einige Jahre in gesundem Wechsel zwischen allerlei
+ Lebensgen&uuml;ssen meiner freudigen Vaterstadt und gefahrreichen
+ Gesch&auml;ftsreisen, die &uuml;brigens bei allem Ernst auch nicht die Lust
+ ausschlossen; denn ich stieg in den fremden St&auml;dten immer bei einer Het&auml;re
+ ab, an die ich gew&ouml;hnlich von einer gemeinsamen Ujjenier Freundin empfohlen war,
+ und die meine Kaufmannsgesch&auml;fte oft gar schlau f&uuml;r mich
+ einf&auml;delte.</p>
+ <p>Eines Tages trat nun mein Vater vormittags in mein Zimmer, als ich gerade damit
+ besch&auml;ftigt war, auf meine Lippen Lackfarbe aufzutragen, w&auml;hrend ich
+ gleichzeitig meinem Diener Anweisungen gab, der im Hofe vor meinem Fenster mein
+ Lieblingspferd sattelte. Das mu&szlig;te diesmal mit besonderer Sorgfalt geschehen,
+ und es sollten durch eine eigenartige Vorrichtung Kissen angeschnallt werden, denn
+ ich mu&szlig;te unterwegs eine Gazellen&auml;ugige vor mir im Sattel halten. Ich
+ hatte n&auml;mlich mit mehreren Freunden und Freundinnen einen Besuch in einem
+ &ouml;ffentlichen Garten verabredet.</p>
+ <p>Ich wollte sofort meinem Vater Erfrischungen bringen lassen; er lehnte es aber ab,
+ und als ich ihm aus meiner goldenen Dose wohlriechende Mundk&uuml;gelchen anbot,
+ schlug er auch diese aus und nahm nur etwas Betel. Ich schlo&szlig; daraus sofort,
+ nicht ohne einige Beklemmung, da&szlig; er wohl etwas Ernstes vorhaben mochte.</p>
+ <p>"Ich sehe, da&szlig; du dich zu einem Vergn&uuml;gungsausflug bereit machst, mein
+ Sohn," sagte er, nachdem er auf dem ihm von mir gebotenen Sitze Platz genommen hatte;
+ "auch kann ich dies keineswegs tadeln, da du erst k&uuml;rzlich von einer
+ anstrengenden Gesch&auml;ftsreise zur&uuml;ckgekehrt bist. Wo willst du heute hin,
+ mein Sohn?"</p>
+ <p>"Ich will, Vater, mit einigen Freunden und Freundinnen nach dem Garten der hundert
+ Lotusteiche reiten, wo wir uns mit Spielen belustigen wollen."</p>
+ <p>"Gut, sehr gut, mein Sohn! Reizend, entz&uuml;ckend ist ja der Aufenthalt im
+ Garten der hundert Lotusteiche--tiefer Schatten der B&auml;ume und k&uuml;hlender
+ Hauch des Wassers laden da zum Verweilen ein. Auch sind artige und sinnige Spiele zu
+ loben, denn sie besch&auml;ftigen K&ouml;rper und Geist ohne sie anzustrengen. Ob
+ wohl jetzt noch dieselben Spiele gebr&auml;uchlich sind, die wir in meiner Jugend
+ spielten? Was meinst du, Kamanita, wird wohl heute dort gespielt werden?"</p>
+ <p>"Es kommt darauf an, Vater, wer von uns mit seinem Vorschlage durchdringt. Ich
+ wei&szlig;, da&szlig; Nimi das Wasserspritzspiel vorschlagen will."</p>
+ <p>"Das kenne ich nicht," sagte mein Vater.</p>
+ <p>"Nein, Nimi hat es im S&uuml;den gelernt, wo es sehr Mode ist. Man f&uuml;llt
+ dabei Bambusrohre mit Wasser und bespritzt sich gegenseitig, und wer am nassesten
+ wird, hat verloren. Das ist sehr drollig.--Kolliya aber will den Kadambakampf in
+ Vorschlag bringen."</p>
+ <p>Mein Vater sch&uuml;ttelte den Kopf:</p>
+ <p>"Das kenn' ich auch nicht."</p>
+ <p>"O, das ist jetzt sehr beliebt. Die Spielenden teilen sich in zwei Parteien, die
+ einander bek&auml;mpfen, und dabei dienen eben die Zweige des Kadambastrauches mit
+ ihren gro&szlig;en, goldigen Bl&uuml;ten als gar pr&auml;chtige Schlagwaffen. Durch
+ den Bl&uuml;tenstaub sind die Wunden kenntlich, so da&szlig; die Kampfrichter danach
+ entscheiden k&ouml;nnen, welche Partei gewonnen hat. Das Ganze ist recht spannend und
+ hat etwas Zierliches. Ich aber beabsichtige, das Hochzeitsspiel vorzuschlagen."</p>
+ <p>"Das ist ein gutes altes Spiel," sagte mein Vater mit einem auffallenden
+ Schmunzeln, "und es freut mich recht, da&szlig; du daf&uuml;r eintreten willst, denn
+ das zeugt von deiner Gesinnung. Vom Spiel zum Ernst ist der Schritt nicht gar zu
+ gro&szlig;."</p>
+ <p>Dabei schmunzelte er wieder selbstgef&auml;llig, und mir wurde recht gruselig
+ zumute.</p>
+ <p>"Ja, mein Sohn," fuhr er fort, "ich komme dabei gerade auf das, was mich heute zu
+ dir gef&uuml;hrt hat. Du hast bei deinen vielen Kaufmannsreisen durch
+ Geschicklichkeit und Gl&uuml;ck unser Verm&ouml;gen vervielfacht, so da&szlig; das
+ Gedeihen unserer Gesch&auml;fte in Ujjeni sprichw&ouml;rtlich geworden ist.
+ Andererseits hast du aber auch in vollen Z&uuml;gen deine Jugendfreiheit genossen.
+ Aus dem ersteren folgt, da&szlig; du wohl imstande bist, deinen eigenen Haushalt zu
+ gr&uuml;nden. Aus dem zweiten, da&szlig; es jetzt auch f&uuml;r dich an der Zeit ist,
+ dies zu tun und daran zu denken, den Faden des Geschlechts weiterzuspinnen. Um dir,
+ meinem lieben Sohn, alles recht leicht zu machen, habe ich schon im Voraus eine Braut
+ f&uuml;r dich ausgesucht. Es ist die &auml;lteste Tochter unseres Nachbars Sanjaya,
+ des gro&szlig;en Kaufmannes, die erst k&uuml;rzlich das heiratsf&auml;hige Alter
+ erreicht hat. Sie stammt also, wie du siehst, aus einer ebenb&uuml;rtigen, achtbaren
+ und sehr beg&uuml;terten Familie und hat gro&szlig;en Verwandtenanhang, sowohl von
+ v&auml;terlicher wie von m&uuml;tterlicher Seite. Ihr K&ouml;rper ist makellos; sie
+ hat Haare von der Schw&auml;rze der Biene, ein Gesicht wie der Mond, die Augen eines
+ Gazellenlammes, eine der Sesambl&uuml;te &auml;hnelnde Nase, Z&auml;hne wie Perlen
+ und Bimbalippen, von denen eine Stimme so s&uuml;&szlig; wie die der Kokila
+ ert&ouml;nt. Ihr Schenkelpaar ist herzerfreuend wie ein Pisangstamm, und durch die
+ F&uuml;lle der H&uuml;ften beschwert, hat ihr Gang die l&auml;ssige Majest&auml;t des
+ Ilfen. Du wirst also unm&ouml;glich etwas gegen sie einwenden k&ouml;nnen."</p>
+ <p>Ich hatte in der Tat nichts gegen sie einzuwenden, au&szlig;er etwa, da&szlig;
+ ihre vielen mir so poetisch angepriesenen Reize mich v&ouml;llig kalt lie&szlig;en.
+ Und ich gestehe, da&szlig; von allen Hochzeitszeremonien mir diejenige der drei
+ N&auml;chte der Enthaltsamkeit, in denen ich der Satzung gem&auml;&szlig; mit meiner
+ jungen Gattin, nichts Scharfgew&uuml;rztes essend, auf dem Boden schlafend und das
+ Hausfeuer unterhaltend, die Keuschheit zu bewahren hatte, die am wenigsten
+ l&auml;stige war.</p>
+ <p>Eine ungeliebte Frau, o Bruder, macht das Heim nicht lieb und das Haus nicht
+ fesselnd, und so begab ich mich von jetzt ab fast noch williger als zuvor auf Reisen
+ und k&uuml;mmerte mich in der Zwischenzeit nur um meine Gesch&auml;fte. Und da
+ ich--um der Wahrheit die Ehre zu geben--bei diesen nicht gar zu skrupelhaft zu Werke
+ ging, sondern ohne viel Bedenken meinen Vorteil nahm, wo ich ihn sah, so wuchs mein
+ Reichtum derma&szlig;en, da&szlig; ich mich nach wenigen Jahren dem Ziel meines
+ Ehrgeizes nahe fand und einer der reichsten B&uuml;rger meiner Vaterstadt war.</p>
+ <p>Nun wollte ich aber auch als Hausherr und Familienvater--denn meine Gattin hatte
+ mir zwei T&ouml;chter geboren--meines Reichtums recht genie&szlig;en und besonders
+ auch vor meinen Mitb&uuml;rgern damit prunken. Ich erwarb mir deshalb ein
+ gro&szlig;es Grundst&uuml;ck in der Vorstadt, wo ich einen gar pr&auml;chtigen
+ Lustgarten anlegte und in seiner Mitte ein ger&auml;umiges, mit marmornen
+ S&auml;ulenhallen versehenes Haus errichten lie&szlig;. Dies Besitztum wurde zu den
+ Wundern Ujjenis gerechnet, und selbst der K&ouml;nig kam, um es zu besichtigen.</p>
+ <p>Hier veranstaltete ich nun m&auml;rchenhafte Gartenfeste und gab die
+ &uuml;ppigsten Gastm&auml;hler. Denn ich hatte mich mehr und mehr auf die Freuden der
+ Tafel geworfen. Die leckersten Speisen, die zur betreffenden Jahreszeit
+ &uuml;berhaupt f&uuml;r Geld zu haben waren, mu&szlig;ten auf meinem Tische sein,
+ selbst zu den t&auml;glichen Mahlzeiten. Damals war ich nicht, wie du mich jetzt
+ siehst, durch lange Wanderungen, durch Waldaufenthalt und Askese hager und abgezehrt,
+ sondern von bl&uuml;hender K&ouml;rperf&uuml;lle; ja ein B&auml;uchlein hatte schon
+ angefangen sich zu runden.</p>
+ <p>Und es wurde, o Fremder, eine sprichw&ouml;rtliche Redensart in Ujjeni: "Man
+ i&szlig;t bei ihm, wie beim Kaufmann Kamanita."</p>
+ <h2><a id="chap_xiv" name="chap_xiv">XIV. DER EHEMANN</a></h2>
+ <p><img src="images/xiv.png" width="93" height="93" align="left" alt="E" />ines
+ Morgens ging ich in den Anlagen mit meinem Oberg&auml;rtner, um zu erw&auml;gen
+ welche neue Verbesserungen anzubringen w&auml;ren, als mein Vater auf seinem alten
+ Esel in den Hof ritt. Ich eilte hin, um ihm beim Absteigen behilflich zu sein, und
+ wollte ihn in den Garten f&uuml;hren, da ich glaubte, er k&auml;me, um dessen
+ Blumenpracht zu genie&szlig;en. Er zog es aber vor, ins erste beste Zimmer zu treten,
+ und als ich dem Diener befahl, Erfrischungen zu bringen, schlug er auch diese aus--er
+ wolle ungest&ouml;rt mit mir sprechen.</p>
+ <p>Etwas unheimlich ber&uuml;hrt, eine drohende Gefahr witternd, nahm ich neben ihm
+ auf einem niedrigen Sitze Platz.</p>
+ <p>"Mein Sohn," fing er nun sehr ernst an, "deine Frau hat dir nur zwei T&ouml;chter
+ geboren, und es ist keine Aussicht, da&szlig; sie dir einen Sohn schenken wird. Nun
+ hei&szlig;t es ja aber sehr richtig, da&szlig; der Mann erb&auml;rmlich stirbt,
+ f&uuml;r den kein Sohn das Totenopfer vollziehen kann. Ich tadle dich nicht, mein
+ Sohn," f&uuml;gte er hinzu, als er bemerken mochte, da&szlig; ich etwas unruhig
+ wurde; und obwohl ich nicht wu&szlig;te, wodurch ich mir in diesem Handel h&auml;tte
+ Tadel verdienen k&ouml;nnen, dankte ich ihm mit geziemender Demut f&uuml;r seine
+ Milde und k&uuml;&szlig;te seine Hand.</p>
+ <p>"Nein, ich mu&szlig; mich selber tadeln, weil ich bei der Wahl deiner Frau mich
+ durch weltliche R&uuml;cksichten auf Familie und G&uuml;ter zu sehr habe blenden
+ lassen und nicht gen&uuml;gend auf die Zeichen achtete. Das M&auml;dchen, das ich
+ jetzt f&uuml;r dich im Auge habe, ist zwar aus einer wenig hervorragenden und
+ keineswegs beg&uuml;terten Familie; auch kann man ihr das, was der
+ oberfl&auml;chliche Betrachter 'Sch&ouml;nheit' nennt, nicht nachr&uuml;hmen.
+ Daf&uuml;r aber hat sie einen tief sitzenden und nach rechts gedrehten Nabel; sowohl
+ H&auml;nde wie F&uuml;&szlig;e weisen Lotus-, Krug- und Radmal auf; ihr Haar ist ganz
+ glatt, nur im Nacken hat sie zwei nach rechts gewundene Locken. Von einem
+ M&auml;dchen, das solche Zeichen besitzt, sagen ja die Weisen, da&szlig; es f&uuml;nf
+ Heldens&ouml;hne geb&auml;ren wird."</p>
+ <p>Ich erkl&auml;rte mich mit dieser Aussicht vollkommen befriedigt, dankte meinem
+ Vater f&uuml;r die G&uuml;te, mit der er f&uuml;r mich sorgte, und sagte, ich sei
+ bereit, das M&auml;dchen sofort heimzuf&uuml;hren. Denn ich dachte: wenn es doch sein
+ mu&szlig;!...</p>
+ <p>"Sofort?" rief mein Vater erschrocken aus. "Aber, mein Sohn! D&auml;mpfe dein
+ Ungest&uuml;m! Wir sind ja jetzt im s&uuml;dlichen Laufe der Sonne. Wenn diese
+ Gottheit in ihren n&ouml;rdlichen Lauf eintritt, und wir dann die Monatsh&auml;lfte,
+ in welcher der Mond zunimmt, erreichen, dann wollen wir einen g&uuml;nstigen Tag zur
+ Handergreifung erw&auml;hlen--aber eher nicht--eher nicht, mein Sohn! Was w&uuml;rden
+ uns sonst alle guten Eigenschaften der Braut n&uuml;tzen?"</p>
+ <p>Ich bat meinen Vater, unbesorgt zu sein. Ich w&uuml;rde mich so lange gedulden und
+ mich in allen Punkten von seiner Weisheit leiten lassen; worauf er meinen Gehorsam
+ lobte, mir seinen Segen erteilte und mir gestattete, da&szlig; ich Erfrischungen
+ kommen lie&szlig;.</p>
+ <p>Endlich nahte der von mir nicht sehr ersehnte Tag, auf den sich alle
+ gl&uuml;ckverhei&szlig;enden Zeichen vereinten. Die Zeremonien waren diesmal noch
+ viel umst&auml;ndlicher; ich hatte vorher volle vierzehn Tage gebraucht, um alle
+ notwendigen Spr&uuml;che genau einzustudieren. Welche Angst ich w&auml;hrend der
+ Handergreifung im Hause meines Schwiegervaters ausgestanden habe, l&auml;&szlig;t
+ sich mit Worten kaum beschreiben, Ich zitterte fortw&auml;hrend vor Furcht, da&szlig;
+ ich irgend einen Vers nicht ganz richtig oder genau bei der Bewegung, zu der er
+ geh&ouml;rte, hersagen m&ouml;chte; denn mein Vater h&auml;tte mir das ja nie
+ vergeben. Und dar&uuml;ber h&auml;tte ich beinahe die Hauptsache vergessen, denn
+ anstatt ihren Daumen zu ergreifen, fa&szlig;te ich nach ihren vier Fingern, als ob
+ ich w&uuml;nschte, da&szlig; sie mir T&ouml;chter geb&auml;ren sollte--aber
+ gl&uuml;cklicherweise hatte die Braut Geistesgegenwart genug, um mir den Daumen in
+ die Hand zu schieben.</p>
+ <p>Ich war ganz in Schwei&szlig; gebadet, als ich endlich zur Abfahrt die Stiere
+ einspannen konnte, w&auml;hrend meine Braut in die Kummetl&ouml;cher der Geschirre je
+ einen Zweig von einem fruchttragenden Baume steckte. Ich sprach aber den betreffenden
+ Halbvers mit dem Bewu&szlig;tsein, da&szlig; jetzt das Schlimmste vor&uuml;ber sei.
+ Die Gefahren waren jedoch keineswegs &uuml;berstanden.</p>
+ <p>Zwar erreichten wir mein Haus, ohne da&szlig; irgend einer von den vielen kleinen
+ Unf&auml;llen, die bei einer solchen Gelegenheit wie auf der Lauer liegen, unterwegs
+ sich ereignet h&auml;tte. Vor der T&uuml;r angekommen, wurde die Braut von drei
+ Brahmanenfrauen unbescholtenen Wandels, die alle nur Knaben geboren hatten, und deren
+ M&auml;nner noch lebten, vom Wagen gehoben. So weit ging Alles gut. Nun aber kannst
+ du dir, Bruder, meinen Schrecken denken, als beim Eintreten ins Haus der Fu&szlig;
+ meiner Frau <i>beinahe</i> die Schwelle ber&uuml;hrt h&auml;tte. Ich wei&szlig; noch
+ heute nicht, woher ich die Entschlossenheit nahm, sie in meinen Armen hoch empor zu
+ heben und dadurch zu verh&uuml;ten, da&szlig; eine Ber&uuml;hrung wirklich
+ stattf&auml;nde. Immerhin war eine solche Unregelm&auml;&szlig;igkeit beim
+ Hineingehen schlimm genug, und dazu kam, da&szlig; ich nun selber verga&szlig;, mit
+ dem rechten Fu&szlig; zuerst einzutreten. Gl&uuml;cklicherweise waren Alle, und
+ besonders mein Vater, &uuml;ber die drohende Ber&uuml;hrung der Schwelle
+ derma&szlig;en entsetzt, da&szlig; mein Fehltritt fast g&auml;nzlich unbeachtet
+ blieb.</p>
+ <p>In der Mitte des Hauses nahm ich zur Linken meiner Frau auf einem roten Stierfell
+ Platz, das mit der Nackenseite nach Osten und mit der Haarseite nach oben lag. Nun
+ hatte mein Vater nach langem Suchen und mit unendlicher M&uuml;he ein m&auml;nnliches
+ Wunderkind ausfindig gemacht, das selber nur Br&uuml;der und keine Schwester--auch
+ keine gestorbene--hatte und von einem Vater stammte, der sich in demselben Fall
+ befand, nur Br&uuml;der zu haben, was sogar auch noch von dessen Vater galt--alles
+ gerichtlich bescheinigt. Dies Kn&auml;blein sollte nun meiner Braut auf den
+ Scho&szlig; gesetzt werden. Schon stand an ihrer Seite die kupferne Sch&uuml;ssel
+ bereit mit den im Schlamme gewachsenen Lotusblumen, die sie dem Kinde in die
+ zusammengelegten H&auml;nde geben sollte;--da war das Ungl&uuml;cksmenschlein
+ nirgends zu finden. Erst nachher, als es schon zu sp&auml;t war, entdeckte ein
+ Diener, da&szlig; der Kleine das Opferbett zwischen den Feuern gar zu verlockend
+ gefunden und sich in dem weichen Grase gew&auml;lzt hatte, bis er fast g&auml;nzlich
+ darin begraben war. Nun mu&szlig;te nat&uuml;rlich das Opferbett neu geschichtet und
+ dazu frisches Kugagras geschnitten werden--was schon an sich verkehrt war, weil ja
+ das Gras bei Sonnenaufgang geschnitten sein mu&szlig;.</p>
+ <p>Diese Krone des ganzen Werkes fahren lassend, mu&szlig;ten wir uns mit einem in
+ aller Hast herbeigeschafften Kn&auml;blein begn&uuml;gen, dessen Mutter nur
+ S&ouml;hne geboren hatte. Mein Vater war aber &uuml;ber das Mi&szlig;lingen dieser
+ Ma&szlig;regel, auf die er so gro&szlig;e Hoffnung gesetzt hatte, derma&szlig;en
+ erregt, da&szlig; ich f&uuml;rchtete, der Schlag k&ouml;nne pl&ouml;tzlich seinem
+ teuren Leben ein Ende machen. Freilich w&auml;re er unter keinen Umst&auml;nden jetzt
+ gestorben, um nur nicht dadurch den Zeremonien den allerverderblichsten Abbruch zu
+ tun. Diese tr&ouml;stliche Betrachtung stellte ich aber damals nicht an. W&auml;hrend
+ ich von entsetzlicher Furcht gequ&auml;lt wurde, mu&szlig;te ich die Wartezeit bis
+ zur Ankunft des Ersatzknaben damit ausf&uuml;llen, da&szlig; ich ununterbrochen
+ geeignete Spr&uuml;che hersagte, damit ja nicht eine leere Pause entst&auml;nde.</p>
+ <p>In dieser Stunde aber gelobte ich mir fest, da&szlig; ich, was auch kommen
+ m&ouml;chte, nie wieder heiraten w&uuml;rde.</p>
+ <p>Nachdem endlich Alles erledigt war, mu&szlig;te ich mit meiner Gemahlin--die gar
+ nicht ein solcher Ausbund von H&auml;&szlig;lichkeit war, wie ich nach der Empfehlung
+ meines Vaters erwartet hatte--zw&ouml;lf N&auml;chte in g&auml;nzlicher
+ Enthaltsamkeit und unter strengem Fasten, auf dem Fu&szlig;boden schlafend,
+ zubringen. Diesmal waren es n&auml;mlich <i>zw&ouml;lf</i> N&auml;chte, weil mein
+ Vater meinte, wir m&uuml;&szlig;ten lieber zuviel, denn zuwenig des Guten tun. Dabei
+ empfand ich nun freilich recht schmerzlich, da&szlig; ich w&auml;hrend der ganzen
+ Zeit alle meine gew&uuml;rzten Lieblingsgerichte entbehren mu&szlig;te.</p>
+ <p>Indessen auch diese Probe wurde &uuml;berstanden, und das Leben ging in dem alten
+ Geleise weiter--jedoch mit einem sehr wesentlichen Unterschied. Es sollte sich mir
+ n&auml;mlich nun bald zeigen, wie berechtigt meine Scheu vor dem neuen
+ Heiratsvorschlag meines Vaters gewesen war. Wohl hatte ich mich sofort damit
+ getr&ouml;stet, da&szlig; man, wenn man <i>eine</i> Frau hatte, auch zwei haben
+ konnte. Aber, ach! wie hatte ich mich darin get&auml;uscht!</p>
+ <p>Meine erste Frau hatte immer einen sanftm&uuml;tigen Charakter gezeigt, der eher
+ zum Stumpfsinn als zu auffahrender Heftigkeit neigte; und auch meiner zweiten Frau
+ r&uuml;hmte man eine echt weibliche Milde nach. So sind ja auch, o Bruder, das Wasser
+ und das Hausfeuer alle beide gar wohlt&auml;tige Dinge; wenn sie aber auf dem
+ Kochherd zusammentreffen, dann zischt's. Und so hat es denn von jenem
+ Ungl&uuml;ckstage an in meinem Hause gezischt. Aber wie wurde es erst, als meine
+ zweite Frau mir nun wirklich den ersten jener f&uuml;nf verhei&szlig;enen
+ Heldens&ouml;hne gebar! Nun beschuldigte mich meine erste Frau, ich h&auml;tte mit
+ ihr keine S&ouml;hne haben wollen und nicht die rechten Opfer gebracht, um so einen
+ Vorwand zu haben, eine andere zu heiraten; w&auml;hrend meine zweite Frau, wenn sie
+ von der ersten gereizt wurde, es an bitterem Hohn ihr gegen&uuml;ber nicht fehlen
+ lie&szlig;. Auch herrschte ein fortw&auml;hrender Rangstreit; meine erste Frau
+ forderte als solche den Vorrang, w&auml;hrend meine zweite als Mutter meines Sohnes
+ dieselbe Forderung erhob.</p>
+ <p>Aber bald sollte es noch schlimmer kommen. Eines Tages st&uuml;rzte meine zweite
+ Frau ganz zitternd vor Erregung zu mir herein und verlangte, ich sollte die erste
+ fortschicken, da diese meinen Sohn vergiften wolle--der Knabe hatte n&auml;mlich
+ Leibschneiden bekommen, weil er genascht hatte. Ich wies sie streng zurecht, kaum
+ aber war ich sie los geworden, als die erste hereinst&uuml;rzte und rief, ihre beiden
+ L&auml;mmchen w&auml;ren ihres Lebens nicht mehr sicher, solange jenes
+ niedertr&auml;chtige Weib im Hause bliebe--ihre Nebenbuhlerin wolle meine
+ T&ouml;chterchen aus dem Wege r&auml;umen, damit deren Mitgift nicht das Erbe ihres
+ Sohnes vermindern sollte.</p>
+ <p>So war denn unter meinem Dach kein Frieden mehr zu finden. Wenn du, o Bruder,
+ vorhin vielleicht am Geh&ouml;fte des reichen Brahmanen unweit von hier stehen
+ geblieben bist und geh&ouml;rt hast, wie drinnen die beiden Frauen des Brahmanen
+ keiften, mit lauten, schreienden Stimmen sich zankten und sich gegenseitig mit groben
+ Schimpfworten bewarfen--dann bist du sozusagen auch an meinem Hause
+ vor&uuml;bergekommen.</p>
+ <p>Und es wurde nun leider auch eine sprichw&ouml;rtliche Redensart in Ujjeni; "Die
+ beiden vertragen sich wie die Frauen Kamanitas."</p>
+ <h2><a id="chap_xv" name="chap_xv">XV. DER KAHLE PFAFF</a></h2>
+ <p><img src="images/xv.png" width="93" height="93" align="left" alt="S" />o waren die
+ Verh&auml;ltnisse in meinem Hausstande, als ich mich eines Vormittags in dem
+ ger&auml;umigen, auf der Schattenseite gelegenen Zimmer befand, das ich zum Besorgen
+ aller gesch&auml;ftlichen Angelegenheiten benutzte, und das deswegen dem Hofe
+ zugekehrt war; denn es war mir bequem, von dort aus die wirtschaftlichen
+ Vorg&auml;nge im Auge behalten zu k&ouml;nnen. Vor mir stand ein bew&auml;hrter
+ Diener, der alle meine Fahrten w&auml;hrend einer Reihe von Jahren mitgemacht hatte,
+ und ich gab ihm genaue Anweisungen &uuml;ber die F&uuml;hrung einer Karawane nach
+ einem ziemlich entfernten Orte, sowie &uuml;ber die Art und Weise, wie er dort am
+ besten die Waren w&uuml;rde absetzen k&ouml;nnen, welche Produkte er von dort aus
+ zur&uuml;ckbringen m&uuml;sse, welche Gesch&auml;ftsverbindungen er dort
+ anzukn&uuml;pfen habe und was dergleichen mehr war--denn ich wollte ihm die ganze
+ Sache anvertrauen.</p>
+ <p>Allerdings war meine H&auml;uslichkeit weniger anheimelnd als je, und man
+ k&ouml;nnte glauben, da&szlig; ich mit Freuden jede Gelegenheit ergriffen h&auml;tte,
+ um in der Fremde umherzuschweifen. Aber ich fing jetzt an, etwas bequem und
+ verw&ouml;hnt zu werden und scheute eine l&auml;ngere Reise, nicht nur wegen der
+ Strapazen der Fahrt, sondern vor allem wegen der kargen Kost, mit der man, wenigstens
+ unterwegs, vorlieb nehmen mu&szlig;te. Ja, wenn man auch an Ort und Stelle
+ angekommen, das Verlorene nachholen und sich recht g&uuml;tlich tun wollte, so erlitt
+ man doch oft Entt&auml;uschungen, und jedenfalls, so gut wie am eigenen Tische
+ a&szlig; ich dort nirgends.</p>
+ <p>So hatte ich denn angefangen, meine Karawanen unter zuverl&auml;ssigen
+ F&uuml;hrern auszusenden, w&auml;hrend ich selber zu Hause sitzen blieb.</p>
+ <p>Als ich nun mitten in meinen sehr umst&auml;ndlichen und gar wohl&uuml;berlegten
+ Anweisungen war, erschallten vom Hofe her die z&auml;nkischen Stimmen meiner beiden
+ Frauen, und zwar ungew&ouml;hnlich laut und mit einem Redeflu&szlig;, der nicht
+ aufh&ouml;ren zu wollen schien. &Auml;rgerlich &uuml;ber diese l&auml;stige
+ St&ouml;rung sprang ich schlie&szlig;lich auf, und nachdem ich vergebens durchs
+ Fenster geblickt hatte, trat ich in den Hof hinaus.</p>
+ <p>Ich sah meine beiden Frauen am Eingangstor stehen. Aber weit davon entfernt, sie
+ in gegenseitigem Zank zu finden--wie ich es erwartet hatte--, traf ich sie zum ersten
+ Male einig, indem sie sich einen gemeinsamen Gegner ausgesucht hatten, &uuml;ber den
+ sich ihr vereinigter Zorn ergo&szlig;. Dieser Ungl&uuml;ckliche war ein wandernder
+ Asket, der an den Torpfosten gelehnt dastand, und ruhig diesen Strom von
+ Beschimpfungen &uuml;ber sich ergehen lie&szlig;. Was der eigentliche Grund ihres
+ Angriffes war, habe ich nie erfahren, vermute aber, da&szlig; der bei beiden stark
+ entwickelte m&uuml;tterliche Instinkt in diesem Entsager einen Verr&auml;ter gegen
+ die heilige Sache der menschlichen Vermehrung und einen Feind ihres Geschlechts
+ gewittert hatte, und da&szlig; sie sich so unwillk&uuml;rlich &uuml;ber ihn geworfen
+ hatten wie zwei Ichneumons &uuml;ber eine Cobra.</p>
+ <p>"Pfui &uuml;ber ihn, den kahlen Pfaffen, den schamlosen Bettler!--Sieh nur, wie er
+ dasteht, mit gebeugten Schultern und gesenktem Blick--Fr&ouml;mmigkeit,
+ Beschaulichkeit atmet er aus, der Heuchler, der Glei&szlig;ner! Nach dem Kochtopf
+ sp&auml;ht er hin, schaut nach und schn&uuml;ffelt und schnuppert--wie der Esel, vom
+ Karren losgeschnallt, im Hofe zum Kehrichthaufen geht und hinsp&auml;ht, und
+ nachschaut, und schn&uuml;ffelt und schnuppert.... Pfui &uuml;ber ihn, den faulen
+ Tagedieb, den schamlosen Bettler, den kahlen Pfaffen!"</p>
+ <p>Der Gegenstand dieser und &auml;hnlicher Schm&auml;hreden, jener wandernde Asket,
+ ein Mann von auffallend hohem Wuchse, stand unterdessen immer noch an den
+ T&uuml;rpfosten gelehnt, in gelassener Haltung da. Sein Mantel, von der gelben Farbe
+ der Kanikarablume und dem deinigen nicht un&auml;hnlich, fiel in malerischen Falten
+ &uuml;ber seine linke Schulter bis zu den F&uuml;&szlig;en hinab und lie&szlig; einen
+ kr&auml;ftigen K&ouml;rperbau erraten. Der schlaff herabh&auml;ngende rechte Arm war
+ unbedeckt, und ich konnte nicht umhin, das gewaltige Geflecht der Muskeln zu
+ bewundern, das eher der wohlerworbene Besitz eines Kriegers als das m&uuml;&szlig;ige
+ Erbteil eines Asketen zu sein schien; auch die t&ouml;nerne Almosenschale mutete mich
+ in seiner nervigen Hand ebenso sonderbar und unangemessen an, wie eine eiserne Keule
+ mir dort an rechter Stelle erschienen w&auml;re. Sein Kopf war geneigt, der Blick zu
+ Boden gesenkt, keine Miene verzog sich um den Mundwinkel, und so stand er regungslos
+ da, als ob ein t&uuml;chtiger K&uuml;nstler das Bild eines wandernden Asketen in
+ Stein gehauen und fein bemalt und bekleidet h&auml;tte, und ich nun dieses Bildwerk
+ an meinem Tor h&auml;tte aufstellen lassen--etwa als Wahrzeichen meiner
+ Freigebigkeit.</p>
+ <p>Diese seine Ungest&ouml;rtheit, die ich f&uuml;r Sanftmut hielt, meine beiden
+ Frauen aber als Verachtung auffa&szlig;ten, spornte nat&uuml;rlich diese zu immer
+ gr&ouml;&szlig;eren Anstrengungen an, und so w&auml;re es wohl schlie&szlig;lich zu
+ T&auml;tlichkeiten gekommen, wenn ich nicht dazwischen getreten w&auml;re, meinen
+ b&ouml;sen Frauen ihr sch&auml;ndliches Betragen verwiesen und sie ins Haus gejagt
+ h&auml;tte.</p>
+ <p>Dann trat ich zum Asketen hin, verneigte mich ehrerbietig und sprach:</p>
+ <p>"Wolle, Ehrw&uuml;rdigster, dir nicht zu Herzen nehmen, was diese Frauen, deren
+ Verstand ja kaum zwei Finger breit ist, an Ungeb&uuml;hrlichem, Unziemlichem gesagt
+ haben m&ouml;gen! Wolle, Ehrw&uuml;rdigster, nicht deshalb mit deinem Asketenzorn
+ dies mein Haus vernichtend treffen! Ich will ja, Ehrw&uuml;rdigster, selber deine
+ Almosenschale mit dem Besten f&uuml;llen, was das Haus vermag--welch ein Gl&uuml;ck,
+ da&szlig; sie noch leer ist! Ich will sie f&uuml;llen, da&szlig; kein Bissen mehr
+ hineingeht, und kein Nachbar sich heute dadurch, da&szlig; er dich ern&auml;hrt,
+ Verdienst erwerben kann. Du bist auch wahrlich nicht vor die unrechte Schmiede
+ gekommen, Ehrw&uuml;rdigster, und ich denke, das Essen wird dir munden, denn es ist
+ sogar eine sprichw&ouml;rtliche Redensart hier in Ujjeni: 'Man i&szlig;t bei ihm, wie
+ beim Kaufmann Kamanita'--und der bin ich. Wolle also, Ehrw&uuml;rdiger, nicht
+ &uuml;ber das Vorgefallene z&uuml;rnen und meinem Hause fluchen."</p>
+ <p>Der Asket aber antwortete darauf, mit nicht eben unfreundlicher Miene:</p>
+ <p>"Wie k&ouml;nnte ich wohl, o Hausvater, &uuml;ber solche Schimpfereien
+ z&uuml;rnen, da es mir doch zusteht, wegen viel gr&ouml;berer Behandlung sogar
+ dankbar zu sein. Denn einst, o Hausvater, begab ich mich, zeitig ger&uuml;stet, mit
+ Mantel und Schale versehen, in eine Stadt, um Almosenspeisen zu sammeln. In dieser
+ Stadt aber hatte Mara, der Teufel, gerade damals die Brahmanen und Hausv&auml;ter
+ gegen den Orden der Heiligen aufgehetzt. 'Geht mir mit euren tugendhaften,
+ edelgearteten Asketen! Beschimpft sie, beleidigt sie, verjagt sie, verfolgt sie.' Und
+ so geschah es, Hausvater, als ich nun die Stra&szlig;en daherging, da&szlig; bald ein
+ Stein mir an den Kopf flog, bald ein Scherben mich im Gesicht traf, bald ein Stock
+ meinen Arm halb zerquetschte. Als ich nun mit zerschnittenem, von Blut
+ &uuml;berstr&ouml;mtem Kopfe, mit zerbrochener Schale und zerrissenem Mantel zum
+ Meister zur&uuml;ckkam, sagte dieser: 'Dulde nur, Asket, dulde nur! Um welcher Tat
+ Vergeltung du viele Jahre H&ouml;llenqual erlitten h&auml;ttest, dieser Tat
+ Vergeltung findest du noch bei Lebzeiten.'</p>
+ <p>Bei den ersten Lauten seiner Stimme zuckte mir ein j&auml;her Schreck durch den
+ Leib vom Scheitel bis zur Sohle, und mit jedem Wort durchdrang ein eisiges Erstarren
+ tiefer mein ganzes Wesen. Denn das war ja, o Bruder, die Stimme Angulimalas, des
+ R&auml;ubers--wie konnte ich daran zweifeln? Und als mein krampfhafter Blick sich an
+ sein Gesicht heftete, erkannte ich auch dieses wieder, obschon ihm fr&uuml;her der
+ Bart fast bis an die Augen gegangen und das Haar ihm tief in die Stirn gewachsen war,
+ w&auml;hrend er jetzt kahl und rasiert vor mir stand. Nur zu gut erkannte ich die
+ Augen unter den buschigen, zusammengewachsenen Brauen wieder, obwohl sie mir nicht
+ wie damals Zornesblitze entgegenspr&uuml;hten, sondern mit tiefer Verstellungskunst
+ mich vielmehr freundlich anblickten; und die sehnigen Finger, die die Almosenschale
+ umspannten--gewi&szlig; waren es dieselben, die einst wie Teufelskrallen meine Kehle
+ umklammert hatten.</p>
+ <p>"Wie sollte ich wohl, o Hausvater"--fuhr mein unheimlicher Gast fort,--"wie sollte
+ ich wohl &uuml;ber Schimpfreden in Zorn geraten? Denn der Meister hat ja gesagt:
+ 'Wenn auch, ihr J&uuml;nger, R&auml;uber und M&ouml;rder euch mit einer Baums&auml;ge
+ Gelenke und Glieder abtrennten, so w&uuml;rde, wer da in Wut geriete, nicht meine
+ Weisung erf&uuml;llen.'"</p>
+ <p>Als ich aber, o Bruder, diese Worte mit ihrer so teuflisch versteckten und mir so
+ deutlichen Drohung vernahm, zitterten mir die Beine derma&szlig;en, da&szlig; ich
+ mich an der Wand festhalten mu&szlig;te, um nicht umzusinken. Nur mit M&uuml;he
+ vermochte ich mich so weit zusammenzunehmen, da&szlig; ich, mehr noch durch
+ Geb&auml;rden als mit einigen hergestammelten Worten, dem als Asketen verkleideten
+ R&auml;uber bedeuten konnte, er m&ouml;chte sich gedulden, bis ich die Speisen
+ beschafft h&auml;tte.</p>
+ <p>Dann eilte ich, so schnell wie meine wackeligen Beine mich tragen wollten, quer
+ &uuml;ber den Hof in die gro&szlig;e K&uuml;che, wo gerade das Mittagsmahl f&uuml;r
+ meine Familie und die ganze Haushaltung zubereitet wurde, und es in allen Pfannen und
+ T&ouml;pfen briet und brodelte. Hier w&auml;hlte ich nun ebenso schnell wie
+ sorgf&auml;ltig das Beste und Schmackhafteste aus. Mit einer goldenen Kelle bewaffnet
+ und von einer ganzen Schar sch&uuml;sseltragender Diener gefolgt, st&uuml;rzte ich
+ wieder in den Hof, um meinen furchtbaren Gast zu bedienen und wom&ouml;glich zu
+ vers&ouml;hnen.</p>
+ <p>Angulimala aber war verschwunden.</p>
+ <h2><a id="chap_xvi" name="chap_xvi">XVI. KAMPFBEREIT</a></h2>
+ <p><img src="images/xvi.png" width="93" height="93" align="left" alt="H" />alb
+ ohnm&auml;chtig sank ich auf eine Bank nieder. Doch fingen meine Gedanken sofort
+ wieder zu arbeiten an. Angulimala war dagewesen, dessen war kein Zweifel; und auch
+ der Grund seines Kommens war mir nur zu klar. Wie viele Geschichten hatte ich nicht
+ &uuml;ber seine Unvers&ouml;hnlichkeit und Rachsucht geh&ouml;rt! Nun hatte ich ja
+ aber das Ungl&uuml;ck gehabt, seinen besten Freund zu erschlagen, und von meinem
+ Aufenthalt unter den R&auml;ubern wu&szlig;te ich wohl, da&szlig; die Freundschaft
+ bei ihnen nicht weniger gilt als bei einer ehrsamen B&uuml;rgerschaft, wenn nicht
+ sogar weit mehr. Als ich aber sein Gefangener war, konnte Angulimala mich nicht
+ t&ouml;ten, ohne sich gegen die Regeln der "Absender" zu vers&uuml;ndigen; und
+ trotzdem h&auml;tte er es zweimal beinahe getan und damit einen unausl&ouml;schlichen
+ Fleck auf seine R&auml;uberehre gesetzt. Nun aber hatte er endlich dieses, von dem
+ sonstigen Gebiete seiner T&auml;tigkeit weit abseits gelegene Land aufsuchen
+ k&ouml;nnen und wollte jetzt das Vers&auml;umte nachholen. In der Verkleidung eines
+ Asketen hatte er die &Ouml;rtlichkeiten bequem in Augenschein nehmen k&ouml;nnen und
+ ohne Zweifel wollte er noch in derselben Nacht handeln. Wenn er auch bemerkt haben
+ mochte, da&szlig; ich ihn wieder erkannte, durfte er doch nicht z&ouml;gern, denn
+ diese Nacht war die letzte der dunklen H&auml;lfte des Monats, und ein Unternehmen
+ wie dieses in der lichten H&auml;lfte auszuf&uuml;hren, w&auml;re ein Versto&szlig;
+ gegen die heiligen R&auml;ubergesetze gewesen, der ihm den strafenden Zorn der
+ schrecklichen G&ouml;ttin Kali h&auml;tte zuziehen m&uuml;ssen.</p>
+ <p>Sofort lie&szlig; ich mein bestes Pferd satteln und ritt in die Stadt nach dem
+ Palast des K&ouml;nigs. Leicht h&auml;tte ich bei ihm Zutritt erhalten, aber zu
+ meiner Entt&auml;uschung erfuhr ich, da&szlig; er sich gerade in einem seiner fernen
+ Jagdschl&ouml;sser aufhielt. Ich mu&szlig;te mich also damit begn&uuml;gen, den
+ Minister aufzusuchen. Dieser war gerade derselbe Mann, der einst jene Gesandtschaft
+ nach Kosambi gef&uuml;hrt hatte und in dessen Obhut, wie du dich erinnern wirst, ich
+ wohl hin--aber nicht zur&uuml;ckgereist war. Seit jenem Tage nun, an dem ich mich
+ geweigert hatte, ihm zu folgen, war er mir nicht sehr gewogen, was ich bei
+ verschiedenen Begegnungen gesp&uuml;rt hatte, wie ich denn auch wu&szlig;te,
+ da&szlig; er sich des &ouml;fteren &uuml;ber meinen Lebenswandel aufgehalten hatte.
+ Bei ihm meine Sache vorbringen zu m&uuml;ssen, war mir nicht gerade angenehm;
+ indessen ihre Berechtigung, ja sogar Verdienstlichkeit war so augenscheinlich,
+ da&szlig; hier, wie mir schien, f&uuml;r pers&ouml;nliche Ab- oder Zuneigung wenig
+ Spielraum war.</p>
+ <p>Ich erz&auml;hlte ihm also so kurz und klar wie m&ouml;glich, was sich in meinem
+ Hofe zugetragen hatte, und f&uuml;gte die fast selbstverst&auml;ndliche Bitte hinzu,
+ eine Truppenabteilung m&ouml;ge f&uuml;r die Nacht in meinem Haus und Garten
+ aufgestellt werden, um mein Besitztum gegen den sicher zu erwartenden Angriff der
+ R&auml;uber zu verteidigen und so viele wie m&ouml;glich von diesen
+ gefangenzunehmen.</p>
+ <p>Der Minister h&ouml;rte mich schweigend und mit einem unergr&uuml;ndlichen
+ L&auml;cheln an. Dann sagte er:</p>
+ <p>"Mein guter Kamanita! Ich wei&szlig; nicht, ob du heute schon einen recht
+ kr&auml;ftigen Fr&uuml;htrunk zu dir genommen hast, oder noch unter dem Einflu&szlig;
+ einer deiner in Ujjeni sprichw&ouml;rtlich ber&uuml;hmten n&auml;chtlichen Gelage
+ stehst, oder ob du dir gar &uuml;berhaupt durch deine ebenfalls sprichw&ouml;rtlich
+ ber&uuml;hmten scharf gew&uuml;rzten Leckereien derma&szlig;en den Magen verdorben
+ hast, da&szlig; du nicht nur bei Nacht, sondern auch am hellen Tag b&ouml;se
+ Tr&auml;ume hast. Denn nur als einen solchen kann ich diese h&uuml;bsche Geschichte
+ betrachten, zumal wir wissen, da&szlig; Angulimala l&auml;ngst nicht mehr unter den
+ Lebenden weilt."</p>
+ <p>"Das war aber ein falsches Ger&uuml;cht, wie wir jetzt sehen," rief ich
+ ungeduldig.</p>
+ <p>"<i>Ich</i> sehe das keineswegs," versetzte er in scharfem Ton. "Von falschem
+ Ger&uuml;cht kann hier keine Rede sein, denn kurze Zeit nach der Begebenheit hat
+ Satagira selber mir in Kosambi erz&auml;hlt, da&szlig; Angulimala in den
+ unterirdischen Gew&ouml;lben des Ministerpalastes unter den Folterwerkzeugen
+ gestorben sei, und ich habe noch seinen Kopf &uuml;ber dem &ouml;stlichen Stadttor
+ aufgespie&szlig;t gesehen."</p>
+ <p>"Ich wei&szlig; nicht, wessen Kopf du dort gesehen hast," sagte ich--"das aber
+ wei&szlig; ich genau, da&szlig; ich noch vor einer Stunde den Kopf Angulimalas
+ wohlbehalten auf seinen Schultern gesehen habe, und da&szlig; ich so wenig deinen
+ Spott verdiene, da&szlig; du mir vielmehr danken solltest, weil du durch mich
+ Gelegenheit bekommst--</p>
+ <p>"Einen toten Mann totzuschlagen und aus mir selbst einen Narren zu machen,"
+ unterbrach mich der Minister--"ich danke!"</p>
+ <p>"Dann bitte ich wenigstens zu bedenken, da&szlig; es sich hier nicht um den ersten
+ besten Besitz handelt, sondern um ein Haus und um Gartenanlagen, die zu den Wundern
+ Ujjenis gerechnet werden, und die unser gn&auml;diger K&ouml;nig selber mit
+ gro&szlig;er Bewunderung besichtigt hat. Er wird dir's nicht danken, wenn Angulimala
+ diese Herrlichkeiten seiner Hauptstadt ein&auml;schert."</p>
+ <p>"O, das k&uuml;mmert mich wenig," antwortete dieser Unmensch lachend. "Folge
+ meinem Rat, gehe nach Hause, beruhige dich durch ein Schl&auml;fchen und la&szlig;
+ die Sache dich nicht weiter k&uuml;mmern. Das Ganze kommt &uuml;brigens daher,
+ da&szlig; du dich damals in Kosambi in ein galantes Abenteuer gest&uuml;rzt hast und
+ t&ouml;richt genug warst, meine Worte in den Wind zu schlagen und nicht mit mir
+ abzureisen. H&auml;ttest du das getan, dann w&auml;rest du nie in Angulimalas
+ H&auml;nde gefallen und w&uuml;rdest jetzt nicht von einer grundlosen und leeren
+ Angst geplagt. Auch ist dein monatelanges Zusammenleben mit dem R&auml;ubergesindel
+ f&uuml;r deine Sitten nicht g&uuml;nstig gewesen, wie wir ja alle hier in Ujjeni
+ gesehen haben."</p>
+ <p>Er erging sich noch in einigen moralisierenden Gemeinpl&auml;tzen und
+ entlie&szlig; mich dann.</p>
+ <p>Schon unterwegs &uuml;berlegte ich mir, was nun, da ich auf mich selber angewiesen
+ war, zu tun sei. In meinem Hause angekommen, lie&szlig; ich sofort alle beweglichen
+ Sch&auml;tze, die sich da fanden, vornehmlich solche Dinge wie kostbare Teppiche,
+ eingelegte Tische und &auml;hnliches in den Hof bringen und dort auf Karren verladen,
+ um diesen Teil meiner G&uuml;ter in der inneren Stadt in Sicherheit zu bringen.
+ Gleichzeitig lie&szlig; ich an alle meine Leute Waffen verteilen--sowohl Karren wie
+ Waffen waren ja reichlich wegen der beabsichtigten Karawanenfahrt vorhanden. Aber
+ dabei lie&szlig; ich es nicht bewenden. Das Allererste, was ich zu tun hatte, war,
+ einige vertraute Diener in die Stadt zu schicken, um dort gegen Versprechen eines
+ ansehnlichen Lohnes mutige und waffent&uuml;chtige Kerle f&uuml;r die Nacht zu
+ werben. F&uuml;r jeden anderen w&auml;re dies nun freilich ein gar gef&auml;hrliches
+ Wagest&uuml;ck gewesen; denn wie leicht konnten solche Leute im entscheidenden
+ Augenblick mit den Angreifern gemeinsame Sache machen! Ich vertraute aber gewissen
+ Freundinnen, die meinen Dienern nur zuverl&auml;ssige Spitzbuben
+ empfahlen--n&auml;mlich solche, die zwar sonst zu Allem f&auml;hig sind, denen aber
+ doch ihr feierlich gegebenes Wort und das genommene Handgeld heilig sind. Da ich dies
+ Gesindel und seine sonderbaren Gewohnheiten kannte, wu&szlig;te ich wohl, was ich
+ tat.</p>
+ <p>W&auml;hrend dieser Vorbereitungen schickte ich, da ich selber nicht Zeit hatte,
+ zu meinen Frauen zu gehen, einen Diener zu einer jeden von ihnen und lie&szlig; ihnen
+ sagen, sie m&uuml;&szlig;ten sich bereit halten--die erste mit ihren beiden
+ T&ouml;chterchen, die zweite mit ihrem S&ouml;hnlein--noch heute nach der Stadt ins
+ Vaterhaus zu ziehen. Da&szlig; es nur f&uuml;r die eine Nacht sein sollte, lie&szlig;
+ ich sie nicht wissen, weil ich wohlweislich bedacht hatte, wenn sie erst einmal dort
+ w&auml;ren, k&ouml;nnten sie auch eine Woche oder l&auml;nger dort bleiben, und ich
+ w&uuml;rde unterdessen zu Hause einen ungeahnten Frieden
+ genie&szlig;en--vorausgesetzt nat&uuml;rlich, da&szlig; es mir gel&auml;nge, den
+ Angriff abzuschlagen. Ebensowenig lie&szlig; ich sie den Grund zu dieser
+ Ma&szlig;regel erfahren, weil man ja &uuml;berhaupt Weibern gegen&uuml;ber sich nicht
+ auf Gr&uuml;nde berufen soll.</p>
+ <p>Ich war nun gerade im Begriff, meiner bewaffneten Dienerschaft eine anfeuernde
+ Rede zu halten, wie ich das bei gefahrdrohenden Gelegenheiten w&auml;hrend einer
+ Karawanenreise immer und mit gro&szlig;em Erfolg getan hatte. Da st&uuml;rzten
+ gleichzeitig, wie auf Verabredung, aus zwei verschiedenen T&uuml;ren meine beiden
+ Frauen in den Hof, mit verst&ouml;rten Mienen und lautem Schreien, so da&szlig; Alle
+ sich nach ihnen umsahen, und ich meine kaum angefangene Rede unterbrechen
+ mu&szlig;te. Die erste schleppte die beiden T&ouml;chterlein, die zweite mein
+ S&ouml;hnchen mit sich.</p>
+ <p>Vor mir angelangt, zeigte die eine auf die andere und beide schrien:</p>
+ <p>"So ist es denn endlich diesem schlechten Weib gelungen, dein Herz gegen mich zu
+ wenden, da&szlig; du mich versto&szlig;en willst, und mir, deiner getreuen Ehefrau,
+ die Schande antust, mich ins Vaterhaus zur&uuml;ckzuschicken mit deinen unschuldigen
+ T&ouml;chterlein--(mit deinem armen S&ouml;hnlein)--."</p>
+ <p>Die &uuml;bersch&auml;umende Wut, unterst&uuml;tzt von ihrem angeborenen kurzen
+ Verstande, verursachte, da&szlig; keine von ihnen merkte, wie die andere <i>sie</i>
+ genau derselben Sache beschuldigte, die sie selbst dieser zur Last legte, und sich
+ genau &uuml;ber das gleiche Schicksal beklagte, das sie selbst als das ihrige
+ beweinte, und da&szlig; also jedenfalls ein Irrtum vorliegen mu&szlig;te. Aber weit
+ entfernt davon, so etwas zu ahnen, schrien und heulten sie immer weiter, wobei sie
+ sich die Haare rauften und ihre Br&uuml;ste mit den F&auml;usten schlugen, bis sie
+ dann, wie zur Erholung, sich gegen die vermeintliche siegreiche Gegnerin in
+ Schimpfreden ergingen, die an Grobheit Alles, was ich je in der Gesellschaft
+ &uuml;belberufener Weiber geh&ouml;rt hatte, weit &uuml;bertrafen.</p>
+ <p>Endlich gelang es mir doch, zu Wort zu kommen und ihnen, wenn auch mit
+ gro&szlig;er M&uuml;he, klar zu machen, da&szlig; sie meine Diener g&auml;nzlich
+ mi&szlig;verstanden h&auml;tten, da&szlig; keine von ihnen zu ihren eigenen Eltern
+ zur&uuml;ckgeschickt werden sollte, sondern da&szlig; sie beide in das Haus meiner
+ Eltern gebracht w&uuml;rden, und zwar nicht zur Strafe oder als Zeichen meiner
+ Ungnade, sondern lediglich um ihrer und der Kinder Sicherheit willen. Als ich nun
+ aber sah, da&szlig; sie dies vollkommen begriffen hatten, lie&szlig; ich mich
+ hinrei&szlig;en und rief:</p>
+ <p>"Das habt ihr von eurer Unart, nun lernet endlich euch anst&auml;ndig zu betragen!
+ Da habt ihr euren "kahlen Pfaffen"! Wer, glaubt ihr wohl, da&szlig; das war?
+ <i>Angulimala</i> war es, der R&auml;uber, der Schreckliche, der die Menschen
+ t&ouml;tet und sich ihre Daumen um den Hals h&auml;ngt! <i>Den</i> habt ihr
+ beschimpft, <i>den</i> habt ihr gereizt! Ein Wunder, da&szlig; er euch nicht mit der
+ Almosenschale totgeschlagen hat. Wir anderen, wenn jemand von uns in seine H&auml;nde
+ f&auml;llt, wir werden es ausbaden m&uuml;ssen, und wer wei&szlig;, ob ihr noch im
+ Hause meines Vaters vor ihm sicher seid."</p>
+ <p>Als meinen Frauen der Sinn dieser Rede v&ouml;llig aufging, fingen sie alsbald an
+ zu schreien, als ob sie schon die Messerschneide an der Kehle sp&uuml;rten, und
+ wollten mit den Kindern zum Tor hinausst&uuml;rzen. Ich lie&szlig; sie jedoch
+ zur&uuml;ckhalten und setzte ihnen umst&auml;ndlich auseinander, da&szlig;
+ vorl&auml;ufig noch gar keine Gefahr zu bef&uuml;rchten sei, da Angulimala, wie ich
+ wohl wu&szlig;te, uns auf keinen Fall vor Mitternacht angreifen w&uuml;rde. Dann
+ hie&szlig; ich sie in die Wohnung zur&uuml;ckkehren und Alles zusammenpacken, was sie
+ und die Kinder w&auml;hrend der Zeit, die sie, der R&auml;ubergefahr wegen, in der
+ Stadt bleiben mu&szlig;ten, n&ouml;tig haben k&ouml;nnten. Das taten sie denn auch
+ sofort.</p>
+ <p>Dabei hatte ich nun allerdings die Wirkung nicht bedacht, die meine Worte auf
+ meine Leute haben k&ouml;nnten. Und diese erwies sich bald als wenig g&uuml;nstig.
+ Denn als sie erfuhren, da&szlig; es der schreckliche, f&uuml;r tot gehaltene
+ Angulimala war, der mein Haus ausgekundschaftet hatte und es sicher in der Nacht
+ angreifen wollte, schlich erst der eine und andere still davon, dann aber warfen sie
+ zu Dutzenden die Waffen von sich und erkl&auml;rten, mit einem solchen Teufel nicht
+ anbinden zu wollen: das k&ouml;nne man keineswegs von ihnen verlangen. Auch die in
+ der Stadt Angeworbenen, von denen gerade jetzt die ersten ankamen und h&ouml;rten,
+ wie die Dinge standen, meinten, so h&auml;tten sie nicht gewettet und zogen wieder
+ ab. Nur etwa zwanzig meiner eigenen Leute, an ihrer Spitze mein braver Hausmeier,
+ erkl&auml;rten, sie wollten mich nicht verlassen, sondern bis zum letzten
+ Blutstropfen das Haus verteidigen, denn sie sahen wohl, da&szlig; ich entschlossen
+ war, diesen herrlichen Besitz, an dem mein Herz hing, nicht preiszugeben, sondern,
+ wenn es sein m&uuml;&szlig;te, mit ihm unterzugehen.</p>
+ <p>Mehrere entschlossene Kerle aus der Stadt, die die Aussicht auf einen
+ t&uuml;chtigen Kampf fast noch mehr als das Geld lockte und die sich nicht einmal vor
+ dem Namen Angulimala f&uuml;rchteten, ja sich wohl gar einredeten, da&szlig; sie,
+ nachdem sie sich brav geschlagen und gefangengenommen worden, der Bande einverleibt
+ werden w&uuml;rden--mehrere solche verzweifelte Gesellen schlossen sich an, und so
+ gebot ich doch zuletzt &uuml;ber gegen vierzig wohlbewaffnete und tapfere
+ M&auml;nner.</p>
+ <p>Unterdessen war es fast Abend geworden, und der Wagen f&uuml;r meine Frauen fuhr
+ vor. Diese kamen mit den Kindern einigerma&szlig;en beruhigt heraus; aber ein neues
+ Geheul erhob sich sofort, als sie merkten, da&szlig; ich nicht mitfahren wollte, ja
+ &uuml;berhaupt nicht beabsichtigte, das Haus zu verlassen. Sie warfen sich auf die
+ Knie, ergriffen mein Gewand und beschworen mich unter str&ouml;menden Tr&auml;nen,
+ mich mit ihnen zu retten: "Unser Gebieter, unser Besch&uuml;tzer, verla&szlig; uns
+ nicht, st&uuml;rze dich nicht in den Rachen des Todes!" Ich erkl&auml;rte ihnen,
+ da&szlig;, wenn ich meinen Posten verlie&szlig;e, dies Haus sicher ein Raub der
+ Flammen und pl&uuml;ndernder H&auml;nde werden, und mein Sohn den Hauptteil seines
+ Erbes verlieren w&uuml;rde, w&auml;hrend es jetzt noch vielleicht durch tapferes
+ Ausharren zu retten sei, da man nicht wisse, ob Angulimala mit gro&szlig;er
+ St&auml;rke angreifen w&uuml;rde.</p>
+ <p>"Ach, weh uns!" riefen sie, "unser Herr und Besch&uuml;tzer verl&auml;&szlig;t
+ uns! Und der schreckliche Angulimala wird ihn umbringen und seine Daumen an der
+ Halskette tragen! Zu Tode martern wird er unseren Gemahl in seinem furchtbaren Grimm,
+ und unsere Schuld wird es sein! Um unserer Schimpfreden willen mu&szlig; unser Gatte
+ leiden, und uns wird es deshalb in der H&ouml;lle &uuml;bel ergehen!"</p>
+ <p>Ich versuchte sie zu beruhigen so gut es ging, und als sie sahen, da&szlig; ich
+ unersch&uuml;tterlich war, mu&szlig;ten sie sich dazu bequemen, den Wagen zu
+ besteigen. Kaum aber hatten sie ihre Pl&auml;tze eingenommen, so fingen sie an sich
+ mit gegenseitigen Beschuldigungen anzufeinden.</p>
+ <p>"Du warst's, die anfing."--"Nein, du--du hast mich auf ihn aufmerksam gemacht, wie
+ er dort am Torpfosten stand. Jawohl--gerade dort, du zeigtest mit Fingern auf
+ ihn."</p>
+ <p>"Und du hast nach ihm ausgespuckt--roten Speichel--<i>ich</i> hatte noch keinen
+ Betel gekaut, das tu ich morgens nie."--"Aber du nanntest ihn einen Landstreicher,
+ einen faulen Bettler."--"Und du einen kahlen Pfaffen...."</p>
+ <p>Und so ging's weiter; aber das Knarren der R&auml;der, als die Ochsen jetzt
+ anzogen, &uuml;bert&auml;ubte ihre Stimmen,</p>
+ <h2><a id="chap_xvii" name="chap_xvii">XVII. IN DIE HEIMATLOSIGKEITi</a></h2>
+ <p><img src="images/xvii.png" width="93" height="93" align="left" alt="W" />elch
+ ungekannte Stille umfing mich jetzt, o Bruder, als ich, nachdem ich den Leuten ihre
+ Posten angewiesen hatte, wieder ins Haus trat! Da&szlig; ich die Stimmen meiner
+ Frauen nicht h&ouml;rte--das war es nicht allein, sondern da&szlig; ich diese Stimmen
+ sich zum Torweg hinaus hatte entfernen h&ouml;ren, da&szlig; keine M&ouml;glichkeit
+ da war, aus irgend welchen Ecken pl&ouml;tzlich die keifenden Stimmen zu vernehmen,
+ bis sie, gegenseitig sich steigernd, sich schlie&szlig;lich zu einem
+ mi&szlig;t&ouml;nigen Zankduett vereinigten oder vielmehr entzweiten:--das war es,
+ was meinem Hause eine f&uuml;r mich fast unbegreifliche und unsagbar wohltuende Ruhe
+ verlieh.</p>
+ <p>So erschien mir nun mein von weiten Parkanlagen umfriedeter Palast herrlicher denn
+ je, und ich zitterte bei dem Gedanken, da&szlig; diese Herrlichkeit in wenigen
+ Stunden durch verruchte R&auml;uberh&auml;nde vernichtet werden sollte. Weit weniger
+ k&uuml;mmerte mich die Angst um mein eigenes Leben, als die best&auml;ndige, lebhafte
+ Vorstellung, wie diese wohlgepflegten Baumg&auml;nge verw&uuml;stet, diese
+ kunstfertig ausgehauenen Marmors&auml;ulen gest&uuml;rzt werden w&uuml;rden, und
+ da&szlig; all dies, dessen Herrichtung mir so viele &Uuml;berlegung und so
+ langwierige M&uuml;he gekostet, dessen Vollendung mir so gro&szlig;e Freude gemacht
+ hatte, ein Tr&uuml;mmerhaufen sein w&uuml;rde, wenn die Sonne wieder aufging. Denn
+ nur zu gut kannte ich ja die Spuren Angulimalas.</p>
+ <p>Indessen war nun f&uuml;r mich nichts anderes mehr zu tun als zu warten; und bis
+ zur Mitternacht blieben noch mehrere Stunden.</p>
+ <p>Nun hatte ich aber stets in einer immerfort rollenden Kette von Vergn&uuml;gungen
+ und Gesch&auml;ften gelebt, so da&szlig; ich nie zur Besinnung kam; und wie ich hier,
+ ohne irgend etwas zu tun zu haben, allein in einem nach der S&auml;ulenhalle und dem
+ Garten sich &ouml;ffnenden Zimmer, mitten im totenstillen Palast, dasa&szlig;,
+ erlebte ich gewisserma&szlig;en seit meiner fr&uuml;hesten Jugend die ersten Stunden,
+ die g&auml;nzlich mir selbst geh&ouml;rten. Da fingen nun auch meine freigelassenen
+ Gedanken an, sich zum erstenmal auf mich selber zu richten; und mein ganzes Leben zog
+ an mir vor&uuml;ber. Und indem ich es so gleichsam als ein Fremder betrachtete,
+ konnte ich keinerlei Gefallen daran finden.</p>
+ <p>Diese Betrachtungen unterbrach ich ein paarmal, um einen Gang durch Haus, Hof und
+ Garten zu machen und mich so zu vergewissern, da&szlig; die Leute wachten. Als ich
+ zum dritten- oder viertenmal zwischen die S&auml;ulen hinaustrat, bemerkte mein durch
+ so viele Karawanenfahrten ge&uuml;btes Auge am Stande der Sternbilder, da&szlig; es
+ nur noch eine halbe Stunde bis Mitternacht war. Ich machte eilig die Runde und
+ ermahnte meine Leute zur &auml;u&szlig;ersten Wachsamkeit. Ich selbst f&uuml;hlte
+ mein Blut in allen Adern h&auml;mmern, und die Kehle wollte sich vor angstvoller
+ Spannung zusammenschn&uuml;ren. Nach dem Zimmer zur&uuml;ckgekehrt, setzte ich mich
+ nieder wie zuvor. Aber kein Gedanke wollte sich regen; ich sp&uuml;rte einen starken
+ Druck vor der Brust, und bald war es mir, als ob ich ersticken m&uuml;&szlig;te.</p>
+ <p>Ich sprang auf und trat, um Luft zu sch&ouml;pfen, zwischen die S&auml;ulen
+ hinaus. Ein weichf&auml;chelnder Hauch strich mir pl&ouml;tzlich &uuml;ber die Wange
+ und gleich danach ert&ouml;nte das Geschrei einer Eule; in demselben Augenblick wehte
+ mir von den Gartenteichen ein starker Duft von Nachtlotusbl&uuml;ten entgegen. Ich
+ hatte den Blick erhoben, um wiederum nach den Sternen die Zeit zu bemessen: da sah
+ ich quer &uuml;ber dem tiefblauen Ausschnitt des Himmels zwischen den schwarzen
+ Baumwipfeln den mild leuchtenden Streifen der Milchstra&szlig;e.</p>
+ <p>"Die himmlische Ganga," murmelte ich unwillk&uuml;rlich. Da war es auf einmal, als
+ ob jener Druck vor der Brust sich aufl&ouml;ste und in einer warmen Welle
+ emporstiege, um sich schlie&szlig;lich in einem hei&szlig;en Tr&auml;nenstrom durch
+ die Augen zu ergie&szlig;en.</p>
+ <p>Wohl hatte ich vorher, als mein Leben an meinem inneren Blicke vor&uuml;berzog,
+ auch an Vasitthi und an die Zeit meiner Liebe gedacht--aber wie an etwas Fernes und
+ Fremdes, das mir fast wie ein t&ouml;richter Traum erschien. Jetzt aber <i>dachte</i>
+ ich nicht mehr daran, sondern erlebte es wieder; ich war auf einmal ich selber von
+ damals und ich selber von jetzt, und mit wahrem Entsetzen wurde ich den ganzen
+ Unterschied inne. Damals besa&szlig; ich nichts au&szlig;er mir selbst und meiner
+ Liebe; wie w&auml;ren die zu trennen gewesen? <i>Jetzt</i>--o, was besa&szlig; ich
+ jetzt nicht alles! Frauen und Kinder, Elefanten, Rosse und Rinder, Zugochsen, Diener
+ und Sklaven, reich gef&uuml;llte Warenh&auml;user, Gold und Juwelen, einen Lustpark
+ und einen Palast, um die mich meine Mitb&uuml;rger beneideten--wo aber war ich selber
+ geblieben? Wie in einer mi&szlig;ratenen Frucht war der Kern eingetrocknet,
+ verschwunden, und Alles war zur Schale geworden!...</p>
+ <p>Wie erwachend sah ich mich um.</p>
+ <p>Der weitgedehnte Park, der seine schwarzen Baumkronen gegen den
+ sternenbes&auml;ten, von der Milchstra&szlig;e durchzogenen Nachthimmel erhob, und
+ die stolze Halle, wo alabasterne Lampen zwischen den S&auml;ulen leuchteten: sie
+ erschienen mir jetzt in einem ganz neuen Licht; feindselig und drohend umgaben sie
+ mich, wie pr&auml;chtig schimmernde Vampyre, die schon fast mein ganzes Herzblut
+ ausgesogen hatten und begierig g&auml;hnten, um sich noch an den letzten Tropfen zu
+ laben und nur den d&uuml;rren Leichnam eines verfehlten Menschenlebens &uuml;brig zu
+ lassen.</p>
+ <p>Ein ferner undeutlicher L&auml;rm--Murmeln oder Tritte, wie mir schien--schreckte
+ mich auf. Das entbl&ouml;&szlig;te Schwert in der Hand, sprang ich ein paar Stufen
+ hinunter, und blieb dann stehen, um zu lauschen. Die R&auml;uber!--Doch nein! Alles
+ war still, Alles blieb still; weit und breit r&uuml;hrte sich nichts. Es war nur
+ einer jener unergr&uuml;ndlichen Laute der Nachtstille, die mich so oft am Wachtfeuer
+ der Karawane hatten aufspringen lassen.--Drau&szlig;en war nichts! Aber was war das
+ in <i>mir</i>? Das war nicht mehr Angst, was mir jetzt das Blut in den Schl&auml;fen
+ pochen lie&szlig;; und auch der Mut der Verzweiflung war es nicht; nein, das war
+ frohlockender Jubel:</p>
+ <p>"Willkommen, ihr R&auml;uber! Nur her, Angulimala! Verw&uuml;stet, &auml;schert
+ ein! Das sind ja meine Todfeinde, die ihr vernichtet! Was mich erdr&uuml;cken
+ w&uuml;rde, nehmt ihr von mir! Her zu mir! Die Schwerter in mein Blut getaucht! Das
+ ist ja mein &auml;rgster Feind, den ihr durchbohrt, dieser Leib, der der Wollust
+ ergebene, der V&ouml;llerei verfallene! Das ist ja mein schlimmster Besitz, dies
+ Leben, das ihr mir nehmt.--Willkommen, R&auml;uber, gute Freunde, alte
+ Kameraden!"</p>
+ <p>Es konnte ja nicht lange dauern; Mitternacht war vor&uuml;ber. Und wie freute ich
+ mich jetzt auf den Kampf! Angulimala w&uuml;rde mich suchen: ich wollte doch sehen,
+ ob er mir auch diesmal das Schwert aus der Hand schlagen k&ouml;nnte! O, wie
+ s&uuml;&szlig; w&uuml;rde das sein, zu sterben, nachdem ich ihn durchbohrt--ihn, der
+ allein die Schuld an meinem ganzen Ungl&uuml;ck trug.</p>
+ <p>"Es kann nicht mehr lange dauern"--wie oft mag ich mir in jenen Nachtstunden
+ diesen Trost wiederholt haben!</p>
+ <p>Jetzt--endlich! Nein, es war ein Rauschen der Baumwipfel, das in der Ferne
+ dahinstarb, um sich wieder zu erheben. Es klang als ob ein gro&szlig;es zottiges Tier
+ sich sch&uuml;ttelte. Immer wieder geschah es, und einmal ert&ouml;nte der kurze
+ Schrei irgend eines Vogels.</p>
+ <p>Waren das nicht Zeichen des herannahenden Tages?</p>
+ <p>Mir wurde kalt vor Schrecken. War es m&ouml;glich, da&szlig; ich entt&auml;uscht
+ werden sollte? Ja, ich zitterte jetzt bei dem Gedanken, da&szlig; die R&auml;uber
+ schlie&szlig;lich <i>nicht</i> k&auml;men. Wie greifbar nahe war mir das Ende
+ erschienen--ein kurzer, aufregender Kampf und dann der Tod, kaum gesp&uuml;rt. Nichts
+ schien mir nun so trostlos, als die gemeine Aussicht, am Morgen hier angetroffen zu
+ werden, in der alten Umgebung, selbst wieder der alte und dem alten Leben
+ verschrieben. Sollte das wirklich geschehen?--K&auml;men sie nicht, die Befreier! Es
+ mu&szlig;te sicher die h&ouml;chste Zeit sein--ich wagte nicht einmal nachzuforschen.
+ Aber wie war das m&ouml;glich? War ich am Ende doch das Opfer einer
+ Sinnest&auml;uschung geworden, als ich in jenem Asketen Angulimala erkannte? Wieder
+ und wieder warf ich diese Frage auf, jedoch ich konnte das nicht glauben. Dann aber
+ mu&szlig;te er ja noch kommen--ohne Zweck hatte er sich doch gewi&szlig; nicht in
+ dieser sehr geschickten Verkleidung bei mir eingefunden, um sofort wieder zu
+ verschwinden, als ob ihn die Erde verschlungen h&auml;tte. Denn ich hatte
+ Nachforschungen angestellt und wu&szlig;te, da&szlig; er nirgends sonst um
+ Almosenspeise vorgesprochen hatte.</p>
+ <p>Das schlaftrunkene Kr&auml;hen eines jungen Hahnes im nahen Hofe weckte mich aus
+ meinem Gr&uuml;beln. Das Sternbild, das ich suchte, konnte ich kaum mehr finden;
+ einige seiner Sterne waren schon hinter die Baumwipfel gesunken, und die Gestirne
+ hatten, mit Ausnahme der am h&ouml;chsten stehenden, ihr klares Funkeln
+ eingeb&uuml;&szlig;t. Es war kein Zweifel: das Tagesgrauen k&uuml;ndigte sich schon
+ an, und ein Angriff Angulimalas war v&ouml;llig ausgeschlossen.</p>
+ <p>Von allem Wunderlichen, was ich in dieser Nacht erlebte, kam aber jetzt das
+ Wunderlichste.</p>
+ <p>Diese Erkenntnis war n&auml;mlich von keinem Gef&uuml;hl der Entt&auml;uschung
+ begleitet, noch weniger freilich von einer Erleichterung durch das Verschwinden aller
+ Gefahr. Sondern ein neuer Gedanke war da und erf&uuml;llte mich ganz:</p>
+ <p>"Was habe ich denn auch diese R&auml;uber n&ouml;tig?</p>
+ <p>Ihre Fackeln und Pechkr&auml;nze wollte ich, um von der Last dieses
+ pr&auml;chtigen Besitztums befreit zu werden. Aber es gibt ja M&auml;nner, die
+ freiwillig sich ihres Besitzes ent&auml;u&szlig;ern und als Pilger umherziehen. Wie
+ ein Vogel, wohin er auch fliegt, nur mit seinen Fittichen versehen fliegt, ebenso ist
+ auch der Pilger mit dem Gewande zufrieden, das seinen Leib deckt, mit der
+ Almosenspeise, die sein Leben fristet. Und ich habe sie ja preisend sagen h&ouml;ren:
+ 'Ein Gef&auml;ngnis, ein Schmutzwinkel ist die H&auml;uslichkeit, der freie
+ Himmelsraum ist die Pilgerschaft.'</p>
+ <p>Und die Schwerter der R&auml;uber rief ich an, um diesen Leib zu t&ouml;ten. Wenn
+ aber dieser Leib zerf&auml;llt, bildet sich ja ein neuer, und aus diesem Leben geht
+ ein neues als seine Frucht hervor.--Was f&uuml;r eins w&uuml;rde wohl aber aus dem
+ meinigen hervorgehen? Freilich haben wir ja, Vasitthi und ich, uns bei jener
+ himmlischen Ganga, deren Silberwellen die Lotusteiche des westlichen Paradieses
+ speisen, feierlich zugeschworen, uns in jenen seligen Gefilden zu finden--und mit
+ jenem Schwur hat sich; wie sie sagte, dort im heiligen, kristallklaren See f&uuml;r
+ jeden von uns eine Lebensknospe gebildet; durch jeden reinen Gedanken, jede gute Tat
+ m&uuml;sse sie wachsen, alles B&ouml;se und Nichtsw&uuml;rdige aber werde wie ein
+ Wurm an ihr nagen. Ach, l&auml;ngst mu&szlig; ja die meinige zernagt sein! Ich habe
+ ja auf mein Leben zur&uuml;ck geblickt: nichtsw&uuml;rdig hat es sich gestaltet,
+ Nichtsw&uuml;rdiges w&uuml;rde aus ihm hervorgehen. Was h&auml;tte ich denn durch
+ einen solchen Tausch gewonnen?</p>
+ <p>Nun gibt es ja aber M&auml;nner, die schon in diesem Leben jede irdische
+ Wiedergeburt vernichten und die unersch&uuml;tterliche Gewi&szlig;heit ewiger
+ Seligkeit gewinnen. Und das sind eben dieselben M&auml;nner, die, Alles hinter sich
+ lassend, frei umherpilgern.</p>
+ <p>Was sollen mir also die Brandfackeln der R&auml;uber, was ihre Schwerter?"</p>
+ <p>Und ich, der ich zuerst vor den R&auml;ubern angstvoll gezittert und nachher mich
+ ungeduldig nach ihnen gesehnt und meine Hoffnung auf sie gesetzt hatte--ich
+ f&uuml;rchtete mich weder vor ihnen, noch erhoffte ich von ihnen irgend etwas; von
+ Furcht und Hoffnung frei, empfand ich eine gro&szlig;e Ruhe. In dieser Ruhe kostete
+ ich aber einen Vorgeschmack der Wonne, die denjenigen zu eigen ist, die das Ziel der
+ Pilgerschaft erreicht haben; denn wie ich den R&auml;ubern gegen&uuml;berstand, so
+ m&ouml;gen sie wohl allen M&auml;chten der Welt gegen&uuml;berstehen: weder
+ f&uuml;rchten sie solche, noch hoffen sie etwas von ihnen, sondern verharren in
+ Frieden.</p>
+ <p>Und ich, der ich noch vor vierundzwanzig Stunden mich scheute, eine kurze Reise
+ anzutreten wegen der Strapazen und der kargen Kost des Karawanenlebens, ich
+ beschlo&szlig; jetzt, ohne Zagen und Wanken, bis an das Ende meiner Tage obdachlos zu
+ Fu&szlig; zu wandern, mein Leben fristend "so wie es eben kommt".</p>
+ <p>Ohne auch nur noch einmal in das Haus zur&uuml;ckzukehren, ging ich geradenwegs
+ nach einer zwischen Garten und Hof gelegenen Scheune, wo allerlei Ger&auml;te
+ aufbewahrt wurden. Dort nahm ich den Stock eines Ochsentreibers und schnitt die
+ Spitze ab, um ihn als Wanderstab zu benutzen, und eine K&uuml;rbisflasche, wie die
+ G&auml;rtner und Feldarbeiter sie bei sich tragen, h&auml;ngte ich um.</p>
+ <p>Am Brunnen im Hofe f&uuml;llte ich die Flasche.</p>
+ <p>Da trat der Hausmeier an mich heran.</p>
+ <p>"Angulimala und seine R&auml;uber kommen wohl jetzt nicht mehr, o Herr?"</p>
+ <p>"Nein, Kolita, sie kommen nicht mehr."</p>
+ <p>"Aber wie, o Herr? Gehst du schon aus?"</p>
+ <p>"So ist es, Kolita, ich gehe aus, und eben davon wollte ich mit dir sprechen. Denn
+ ich gehe jetzt den Weg, den sie den Weg der h&ouml;chsten Zugv&ouml;gel nennen. Von
+ diesem Weg, Kolita, gibt es aber f&uuml;r einen, der auf ihm ausharrt, keine
+ R&uuml;ckkehr. Keine R&uuml;ckkehr nach dem Tode in diese Welt, wieviel weniger
+ w&auml;hrend des Lebens nach diesem Hause. Dies Haus aber gebe ich in deine Obhut,
+ denn du hast dich treu bew&auml;hrt bis in den Tod. Verwalte Haus und Verm&ouml;gen,
+ bis mein Sohn das Mannesalter erreicht. Gr&uuml;&szlig;e meinen Vater und meine
+ Frauen, und gehab dich wohl!"</p>
+ <p>Nachdem ich also gesprochen, und meine Hand, die der gute Kolita mit K&uuml;ssen
+ und Tr&auml;nen bedeckte, frei gemacht hatte, schritt ich dem Tore zu. Und beim
+ Anblick des Pfostens, an dem die Gestalt des Asketen gelehnt hatte, dachte ich: wenn
+ ihre &Auml;hnlichkeit mit Angulimala nur eine Erscheinung war, so habe ich nun diese
+ Erscheinung richtig gedeutet.</p>
+ <p>Schnell, ohne mich umzusehen, durchschritt ich den Vorort mit seinen G&auml;rten;
+ und vor mir erstreckte sich, wie in die Unendlichkeit fortlaufend, im ersten Schimmer
+ des Tagesgrauens, die &ouml;de Landstra&szlig;e.</p>
+ <p>So bin ich, Ehrw&uuml;rdiger, in die Heimatlosigkeit gegangen.</p>
+ <h2><a id="chap_xviii" name="chap_xviii">XVIII. IN DER HALLE DES HAFNERS</a></h2>
+ <p><img src="images/xviii.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />ls der
+ Pilger Kamanita mit diesen Worten seine Erz&auml;hlung zu Ende gef&uuml;hrt hatte,
+ schwieg er und sah sinnend in die Landschaft hinaus.</p>
+ <p>Und auch der Erhabene schwieg und sah sinnend in die Landschaft hinaus.
+ Gro&szlig;e B&auml;ume waren da sichtbar, n&auml;here und fernere, einige sich in
+ schattige Massen sammelnd, andere sich duftig in wolkenartige Gebilde aufl&ouml;send,
+ um nebelhaft in der Ferne zu zerflie&szlig;en.</p>
+ <p>Der Mond stand jetzt &uuml;ber dem Dachvorsprung, und sein Licht drang in den
+ vorderen Teil der Halle, wo es wie drei auf die Bleiche gebreitete wei&szlig;e
+ T&uuml;cher auf dem Boden lag, w&auml;hrend die linken Seiten der Pfeiler
+ gl&auml;nzten, als ob sie mit Silber beschlagen w&auml;ren.</p>
+ <p>In der tiefen Stille der Nacht h&ouml;rte man, wie eine B&uuml;ffelkuh irgendwo in
+ der N&auml;he mit regelm&auml;&szlig;igen kurzen Rucken das Gras abrupfte.</p>
+ <p>Und der Erhabene &uuml;berlegte bei sich:</p>
+ <p>"Sollte ich wohl jetzt diesem Pilger sagen, was ich alles von Vasitthi wei&szlig;?
+ Wie treu sie ihm war, wie sie ohne eigene Schuld, durch schn&ouml;den Betrug, dahin
+ gebracht wurde, Satagira zu heiraten? Wie es <i>ihr</i> Werk war, da&szlig;
+ Angulimala in Ujjeni erschien, und da&szlig; dadurch auch er, Kamanita, selber sich
+ auf diesem Pilgerwege befindet, anstatt in schmutzigem Wohlleben zu verk&uuml;mmern.
+ Sollte ich ihm offenbaren, auf welchem Wege sich jetzt Vasitthi befindet?"</p>
+ <p>Und er entschied sich dahin, da&szlig; die Zeit daf&uuml;r noch nicht gekommen
+ sei, und da&szlig; ein solches Wissen dem Streben des Pilgers nicht f&ouml;rderlich
+ sein k&ouml;nne.</p>
+ <p>Da sprach der Erhabene:</p>
+ <p>"Von Liebem getrennt sein, ist Leiden, mit Unliebem vereint sein, ist Leiden.
+ Wurde dies gesagt, so wurde es darum gesagt."</p>
+ <p>"O wie wahr!" rief Kamanita mit bewegter Stimme--"wie &uuml;beraus tief und wahr!
+ Wer hat denn, o Fremder, diesen trefflichen Ausspruch getan?"</p>
+ <p>"La&szlig; es gut sein, Pilger. Gleichviel, wer ihn getan hat, wenn du nur seine
+ Wahrheit f&uuml;hlst und erkennst."</p>
+ <p>"Wie sollte ich nicht! Enth&auml;lt er doch in wenigen Worten den ganzen Jammer
+ meines Lebens. H&auml;tte ich mir nicht schon einen Meister erw&auml;hlt, ich
+ w&uuml;rde keinen anderen als den Trefflichen, von dem diese Worte stammen,
+ aufsuchen."</p>
+ <p>"So hast du also, o Pilger, einen Meister, zu dessen Lehre du dich bekennst, in
+ dessen Namen du ausgezogen bist?"</p>
+ <p>"Zwar bin ich nicht, Ehrw&uuml;rdiger, in irgend jemandes Namen ausgezogen,
+ vielmehr dachte ich damals allein das Ziel zu erringen. Und wenn ich tags&uuml;ber in
+ der N&auml;he eines Dorfes, am Fu&szlig;e eines Baumes oder im tiefen Walde rastete,
+ dann lag ich inbr&uuml;nstig dem tiefsten Denken ob. Und ich hing, o
+ Ehrw&uuml;rdiger, Gedanken wie den folgenden nach: 'Was ist die Seele? Was ist die
+ Welt? Ist die Welt ewig? Ist die Seele ewig? Ist die Welt zeitlich? Ist die Seele
+ zeitlich? Ist die Welt ewig und die Seele zeitlich? Ist die Seele ewig und die Welt
+ zeitlich?' Oder: 'Warum hat der h&ouml;chste Brahma diese Welt aus sich hervorgehen
+ lassen? Und wenn der h&ouml;chste Brahma vollkommen und reine Wonne ist, wie kommt es
+ dann, da&szlig; die von ihm erschaffene Welt unvollkommen und mit Leiden behaftet
+ ist?'</p>
+ <p>Und indem ich, Ehrw&uuml;rdiger, solchen Gedanken nachhing, kam ich zu keiner
+ befriedigenden L&ouml;sung. Es erhoben sich vielmehr immer neue Zweifel, und dem
+ Ziel, um dessen willen edle S&ouml;hne f&uuml;r immer das Haus verlassen und in die
+ Heimatlosigkeit gehen, schien ich mich um keinen Schritt gen&auml;hert zu haben."</p>
+ <p>"Ebenso, o Pilger, wie wenn Einer dem Horizonte nachliefe: 'O, da&szlig; ich doch
+ heute oder morgen den Horizont erreichen k&ouml;nnte!'--ebenso entflieht das Ziel
+ demjenigen, der solchen Fragen nachgeht"</p>
+ <p>Kamanita nickte nachdenklich und fuhr dann fort:</p>
+ <p>"Da geschah es eines Tages, als die Schatten der B&auml;ume schon l&auml;nger zu
+ werden begannen, da&szlig; ich in der Lichtung eines Waldes auf eine Klause
+ stie&szlig;. Und ich sah da junge, wei&szlig; gekleidete M&auml;nner, von denen
+ einige die K&uuml;he molken, w&auml;hrend andere Holz spalteten und wieder andere die
+ Eimer an der Quelle sp&uuml;lten. Auf einer Matte vor der Halle sa&szlig; ein alter
+ Brahmane, bei dem diese jungen Leute offenbar die Lieder und Spr&uuml;che lernten. Er
+ begr&uuml;&szlig;te mich freundlich, und obwohl es, wie er sagte, nur eine knappe
+ Stunde bis zum n&auml;chsten Dorfe sei, bat er mich, ihr Mahl zu teilen und bei ihnen
+ zu &uuml;bernachten. Das tat ich denn auch dankbar genug, und bevor ich mich zum
+ Schlafen hinlegte, hatte ich manche gute und beherzigenswerte Rede geh&ouml;rt. Als
+ ich nun am folgenden Tage weitergehen wollte, fragte mich der Brahmane: 'Wer ist dein
+ Meister, o Pilger, und in wessen Namen bist du ausgezogen?' Und ich antwortete, wie
+ ich dir geantwortet habe.</p>
+ <p>Da sagte denn der Brahmane: 'Wie wirst du, o Pilger, jenes hohe Ziel erreichen,
+ wenn du allein wanderst wie das Nashorn, anstatt wie der weise Elefant in einer
+ Herde, von einem erfahrenen F&uuml;hrer geleitet?'</p>
+ <p>Dabei blickte er beim Worte 'Herde' wohlwollend auf die umherstehenden jungen
+ Leute, beim Worte 'F&uuml;hrer' schien er selbstgef&auml;llig in sich
+ hineinzul&auml;cheln.</p>
+ <p><a id="p129" name="p129">'Denn,'</a> fuhr er dann fort, 'gar zu hoch ist ja dies
+ f&uuml;r eigenes, tiefes Denken, und ohne einen Lehrer gibt es hier gar keinen
+ Zugang. Andererseits aber sagt auch der Veda in der Belehrung &Ccedil;vetaketus:
+ "Gleichwie, o Teurer, ein Mann, den sie aus dem Lande der Gandharer mit verbundenen
+ Augen hergef&uuml;hrt und dann in die Ein&ouml;de losgelassen haben, nach Osten oder
+ nach Norden, oder nach S&uuml;den verschlagen wird, weil er mit verbundenen Augen
+ hergef&uuml;hrt und mit verbundenen Augen losgelassen worden war; aber nachdem ihm
+ jemand die Binde abgenommen und zu ihm gesprochen: 'Dort hinaus wohnen die Gandharer,
+ dort hinaus gehe,' von Dorf zu Dorf sich weiterfragend, belehrt und verst&auml;ndig
+ zu den Gandharern heimgelangt: also auch ist ein Mann, der hienieden einen Lehrer
+ gefunden hat, sich bewu&szlig;t: diesem Welttreiben werde ich nur so lange
+ angeh&ouml;ren, bis ich erl&ouml;st sein werde, und dann werde ich heimgehen.'"</p>
+ <p>Nun merkte ich wohl, da&szlig; dieser Brahmane darauf ausging, mich zum
+ Sch&uuml;ler zu gewinnen. Aber eben diese Begehrlichkeit erweckte bei mir kein
+ Zutrauen. Gar wohl aber gefiel mir jenes Vedawort, das ich im Weitergehen mir immer
+ wiederholte, um es zu behalten. Dabei fiel mir ein Spruch ein, den ich einmal
+ &uuml;ber einen Meister geh&ouml;rt hatte: 'Den Vollendeten verlangt es nicht nach
+ J&uuml;ngern, aber die J&uuml;nger verlangt es nach dem Vollendeten.' Wie mu&szlig;
+ der, dachte ich mir, ein ganz anderer Mann sein als dieser Waldbrahmane! Und es
+ verlangte mich, Ehrw&uuml;rdiger, nach jenem nicht verlangenden Meister."</p>
+ <p>"Wer war wohl aber der Meister, den du also hattest preisen h&ouml;ren, und wie
+ nennt er sich?"</p>
+ <p>"Es ist, o Bruder, der Asket Gautama, der Sakyersohn, der dem Erbe der Sakyer
+ entsagt hat. Diesen Meister Gautama aber begr&uuml;&szlig;t man allenthalben mit dem
+ frohen Ruhmesruf: 'Das ist der Erhabene, der Heilige, der Wissens- und
+ Wandelsbew&auml;hrte, der Meister der G&ouml;tter und Menschen, der vollkommen
+ Erwachte, der Buddha.' Um des Erhabenen willen pilgere ich nun; zu seiner Lehre will
+ ich mich bekennen."</p>
+ <p>"Wo aber, Pilger, weilt er jetzt, der Erhabene, vollkommen Erwachte?"</p>
+ <p>"Es liegt, o Bruder, oben im n&ouml;rdlichen Reiche Kosala, eine Stadt, die
+ Savatthi hei&szlig;t. Und vor der Stadt ist der Waldpark Jetavana, mit
+ m&auml;chtigen, tiefen Schatten spendenden B&auml;umen, worunter Menschen
+ l&auml;rmentr&uuml;ckt sitzen und denken k&ouml;nnen, mit klaren, K&uuml;hlung
+ aushauchenden Teichen, mit smaragdenen Matten, mit zahllosen Blumen in mannigfaltigen
+ Farben. Diesen Hain aber hat der reiche Kaufmann Anathapindika schon vor Jahren vom
+ Prinzen Jeta um so viel Gold erstanden, da&szlig; damit der ganze Boden bedeckt
+ werden k&ouml;nnte, und hat ihn dann dem Buddha &uuml;bergeben. Dort also in
+ Jetavana, dem lieblichen, Weisenscharen-durchwandelten, hat er, der Erhabene, der
+ vollkommen Erwachte, gegenw&auml;rtig seinen Aufenthalt. Und im Verlaufe von etwa
+ vier Wochen hoffe ich, wenn ich r&uuml;stig ausschreite, den Abstand von hier nach
+ Savatthi bew&auml;ltigt zu haben und zu seinen, des Erhabenen, F&uuml;&szlig;en zu
+ sitzen."</p>
+ <p>"Hast du aber, Pilger, ihn, den Erhabenen, schon einmal gesehen, und w&uuml;rdest
+ du ihn, wenn du ihn s&auml;hest, erkennen?"</p>
+ <p>"Nein, Bruder, ich habe ihn, den Erhabenen, noch nicht gesehen, und s&auml;he ich
+ ihn, so w&uuml;rde ich ihn nicht erkennen."</p>
+ <p>Da dachte denn der Erhabene bei sich: "Um meinetwillen pilgert dieser Pilger, zu
+ meinem Namen bekennt er sich; wie, wenn ich ihm nun die Lehre darlegte?" Und der
+ Erhabene wandte sich an Kamanita und sprach:</p>
+ <p>"Der Mond hat sich erst gerade &uuml;ber den Dachvorsprung erhoben, wir sind noch
+ nicht tief in der Nacht, und langer Schlaf ist dem Geiste nicht gut. Wohlan, wenn es
+ dir recht ist, will ich als Gegengeschenk f&uuml;r deine Erz&auml;hlung dir die Lehre
+ des Buddha darlegen."</p>
+ <p>"Es ist mir recht, Bruder, und ich bitte dich, es zu tun."</p>
+ <p>"So h&ouml;re, Pilger, und achte wohl auf meine Rede."</p>
+ <h2><a id="chap_xix" name="chap_xix">XIX. DER MEISTER</a></h2>
+ <p><img src="images/xix.png" width="93" height="93" align="left" alt="U" />nd der
+ Erhabene sprach: "Der Vollendete, Bruder, der vollkommen Erwachte hat zu Benares, am
+ Sehersteine im Gazellenhain, das Rad der Lehre ins Rollen gesetzt. Und dawiderstellen
+ kann sich kein Asket und kein Priester, kein Gott und kein Teufel, noch irgendwer in
+ der Welt. Sie ist die Enth&uuml;llung, die Offenbarung der vier heiligen Wahrheiten.
+ Welcher vier? Der heiligen Wahrheit vom Leiden, der heiligen Wahrheit von der
+ Leidensentstehung, der heiligen Wahrheit von der Leidensvernichtung, der heiligen
+ Wahrheit von dem zur Leidensvernichtung f&uuml;hrenden Pfad.</p>
+ <p>Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit vom Leiden? Geburt ist Leiden, Alter
+ ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Sterben ist Leiden; Kummer, Jammer, Schmerz, Gram
+ und Verzweiflung sind Leiden; von Liebem getrennt sein, ist Leiden, mit Unliebem
+ vereint sein, ist Leiden; das, was man begehrt, nicht erlangen, ist Leiden; kurz, die
+ verschiedenen Formen des Anhangens sind Leiden. Das hei&szlig;t man, Bruder, die
+ heilige Wahrheit vom Leiden.</p>
+ <p>Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit von der Leidensentstehung? Es ist
+ dieser Durst, der von Wiedergeburt zu Wiedergeburt f&uuml;hrende, von Lust und
+ Leidenschaft begleitete, bald da, bald dort sich erg&ouml;tzende, ist der
+ L&uuml;stedurst, der Werdedurst, der Verg&auml;nglichkeitsdurst. Das nennt man,
+ Bruder, die heilige Wahrheit von der Leidensentstehung.</p>
+ <p>Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit von der Leidensvernichtung? Es ist eben
+ dieses Durstes vollkommene, restlose Vernichtung, das Verlassen, das Sichlosmachen,
+ die Befreiung, die Erl&ouml;sung von ihm. Das nennt man, Bruder, die heilige Wahrheit
+ von der Leidensvernichtung.</p>
+ <p>Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit von dem zur Leidensvernichtung
+ f&uuml;hrenden Wege? Dieser heilige, achtf&auml;ltige Pfad ist es, der da besteht in
+ rechtem Erkennen, rechtem Entschlie&szlig;en, rechter Rede, rechtem Handeln, rechtem
+ Wandeln, rechtem Streben, rechtem Gedenken, rechtem Sichversenken. Das nennt man,
+ Bruder, die heilige Wahrheit von dem zur Leidensvernichtung f&uuml;hrenden Wege."</p>
+ <p>Nachdem nun der Meister auf solche Weise die vier Ecksteine errichtet hatte, ging
+ er daran, das ganze Lehrgeb&auml;ude aufzuf&uuml;hren, zu einem wohnlichen Heim
+ f&uuml;r die Gedanken und Gesinnungen seines Sch&uuml;lers; er erl&auml;uterte jeden
+ einzelnen Satz, wie man jeden einzelnen Stein behaut und gl&auml;ttet, und so wie man
+ Stein auf Stein legt, f&uuml;gte er Satz zu Satz, &uuml;berall sorgf&auml;ltig
+ grundlegend und Alles genau aneinander passend. Der S&auml;ule des Leidensgedankens
+ zur Seite stellte er die S&auml;ule des Verg&auml;nglichkeitsgedankens; beide
+ verbindend und von beiden getragen, schlo&szlig; sich aber als Geb&auml;lk der
+ schwerwiegende Gedanke von der Wesenlosigkeit aller Erscheinungen an. Durch solch
+ m&auml;chtiges Portal stieg er, seinen Sch&uuml;ler behutsam f&uuml;hrend, Schritt
+ f&uuml;r Schritt die wohlgef&uuml;gte Stufenleiter des Grundfolgegesetzes mehrmals
+ auf und ab, &uuml;berall befestigend und vervollkommnend.</p>
+ <p>Und wie ein geschickter Baumeister beim Errichten eines Prachtgeb&auml;udes an
+ passenden Stellen Bildwerke einf&uuml;gt, und zwar so, da&szlig; sie nicht nur als
+ Schmuck, sondern auch als tragende oder st&uuml;tzende Teile dienen, also brachte der
+ Erhabene auch manchmal ein gef&auml;lliges und sinniges Gleichnis an, da ja durch ein
+ Gleichnis oft der dunkle Sinn einer tiefgedachten Rede klar wird.</p>
+ <p>Schlie&szlig;lich aber fa&szlig;te er das Ganze zusammen, indem er ihm gleichsam
+ die deckende, weithin leuchtende Kuppel aufsetzte, und sprach:</p>
+ <p>"Durch Haften, o Pilger, kommst du zum Entstehen; durch Nichthaften kommst du
+ nicht zum Entstehen.</p>
+ <p>Ein M&ouml;nch aber, der nirgend anh&auml;nglich haftet, dem geht in der
+ ungetr&uuml;bten Heiterkeit seines Gleichmutes dieses Schauen auf:
+ Unersch&uuml;tterlich ist meine Erl&ouml;sung, dies ist die letzte Geburt, nicht gibt
+ es ferner ein neues Sein.</p>
+ <p>So ist nun ein dahin gelangter M&ouml;nch mit dieser h&ouml;chsten Weisheit
+ belehnt. Das ist ja, Pilger, die h&ouml;chste, heilige Weisheit: alles Leiden
+ versiegt zu wissen. Wer ihrer teilhaftig geworden, der hat eine Freiheit gefunden,
+ die wahrhaft, unantastbar besteht. Denn das, Pilger, ist ja falsch, was eitel und
+ verg&auml;nglich ist: und das ist wahr, was echt und unverg&auml;nglich' ist: die
+ Wahnerl&ouml;schung.</p>
+ <p>Und er, der von Hause aus der Geburt, dem Altern und dem Tode unterworfen war, er
+ hat nun, das Unheil dieses Naturgesetzes merkend, sich die geburtlose, alterslose,
+ todlose Sicherheit errungen; er, der der Krankheit, dem Schmutze, der S&uuml;nde
+ unterworfen war, hat die unverg&auml;ngliche, reine, heilige Sicherheit erreicht:</p>
+ <p>Im Erl&ouml;sten ist die Erl&ouml;sung, versiegt ist das Leben, gewirkt das Werk,
+ nicht mehr ist f&uuml;r mich diese Welt da.</p>
+ <p>Ein solcher, o Pilger, wird 'Endiger' genannt, denn er hat dem Leiden ein Ende
+ gemacht.</p>
+ <p>Ein solcher, o Pilger, wird 'Ausl&ouml;scher' genannt, denn den Wahn von 'Ich' und
+ 'Mein' hat er ausgel&ouml;scht.</p>
+ <p>Ein solcher, o Pilger, wird 'Ausroder' genannt, denn den Lebenstrieb hat er mit
+ der Wurzel ausgerodet, so da&szlig; kein Leben mehr keimen kann.</p>
+ <p>Ein solcher, solange er im Leibe ist, sehen ihn die Menschen und G&ouml;tter;
+ nachdem aber sein Leib im Tode zerfallen ist, sehen ihn die Menschen und G&ouml;tter
+ nicht mehr. Und auch die Natur, die Alles ersp&auml;hende, sieht ihn nicht mehr:
+ geblendet hat er das Auge der Natur, entschwunden ist er der b&ouml;sen.</p>
+ <p>Den Strom des Werdens durchkreuzend, hat er die Insel erreicht, die einzige, das
+ Jenseits von Alter und Tod--das Nirvana."</p>
+ <h2><a id="chap_xx" name="chap_xx">XX. DAS UNVERN&Uuml;NFTIGE KIND</a></h2>
+ <p><img src="images/xx.png" width="93" height="93" align="left" alt="N" />achdem der
+ Erhabene seine Belehrung also beschlossen hatte, blieb der Pilger Kamanita lange Zeit
+ stumm und regungslos sitzen, in widerstreitenden und zweifelnden Gedanken befangen.
+ Endlich sagte er: "Du hast mir da, Ehrw&uuml;rdiger, gar vieles davon gesagt, wie der
+ M&ouml;nch dem Leiden schon bei Lebzeiten ein Ende macht, aber nichts davon, was aus
+ ihm wird, wenn dann sein Leib im Tode zerf&auml;llt und zu den Elementen
+ zur&uuml;ckkehrt, ausgenommen, da&szlig; von da ab weder Menschen noch G&ouml;tter,
+ noch die Natur selber ihn sehen. Aber von einem ewigen Leben, von h&ouml;chster Wonne
+ und himmlischer Seligkeit"-davon habe ich nichts vernommen. Hat denn der Erhabene
+ dar&uuml;ber nichts offenbart?</p>
+ <p>"So ist es, Bruder, so ist es. Der Erhabene hat dar&uuml;ber nichts
+ offenbart."</p>
+ <p>"Dann hei&szlig;t das so viel, als da&szlig; der Erhabene von dieser wichtigsten
+ Frage nicht mehr wei&szlig; als ich selber," versetzte Kamanita unmutig.</p>
+ <p>"Meinst du? So h&ouml;re denn, Pilger. In jenem Sinsapawalde bei Kosambi, wo du
+ und deine Vasitthi euch ewige Treue und Wiedersehen im Paradiese des Westens
+ zugeschworen habt, weilte auch zu einer Zeit der Erhabene. Und der Erhabene trat aus
+ dem Walde, ein B&uuml;ndel Sinsapabl&auml;tter in der Hand, und sprach zu den
+ J&uuml;ngern: 'Was meint ihr, ihr J&uuml;nger, ist mehr, diese Sinsapabl&auml;tter,
+ die ich in die Hand genommen habe, oder die anderen Bl&auml;tter droben im
+ Sinsapawalde?' Und ohne sich lange zu besinnen, antworteten sie: 'Die Bl&auml;tter,
+ Herr, die der Erhabene in die Hand genommen hat, sind wenige, und viel mehr sind jene
+ Bl&auml;tter droben im Sinsapawalde.' 'Ebenso auch, ihr J&uuml;nger,' sprach der
+ Erhabene, 'ist das viel mehr, was ich erkannt und euch nicht verk&uuml;ndet, als das,
+ was ich euch verk&uuml;ndet habe. Und warum, ihr J&uuml;nger, habe ich euch jenes
+ nicht verk&uuml;ndet? Weil es nicht heilsam, nicht urasketent&uuml;mlich ist, nicht
+ zur Abkehr, nicht zur Wendung, nicht zur Aufl&ouml;sung, nicht zum Erwachen, nicht
+ zum Nirvana f&uuml;hrt."</p>
+ <p>"Wenn der Erhabene im Sinsapawalde vor Kosambi also gesprochen hat," antwortete
+ Kamanita, "dann d&uuml;rfte die Sache noch schlimmer stehen. Denn er hat dann
+ &uuml;ber diesen Punkt geschwiegen, um die J&uuml;nger nicht zu entmutigen, oder gar
+ abzuschrecken, indem er ihnen die letzte Wahrheit enth&uuml;llte: n&auml;mlich die
+ Vernichtung. Diese scheint mir denn auch als notwendige Folge aus dem hervorzugehen,
+ was du mir auseinandergesetzt hast. Denn nachdem alle Gegenst&auml;nde der f&uuml;nf
+ Sinne und des Denkens als verg&auml;nglich, wesenlos und leidvoll abgewiesen und
+ verneint sind, bleiben eben keine Bestimmungen &uuml;brig, mittelst welcher irgend
+ etwas zu fassen w&auml;re. Und so verstehe ich denn, Ehrw&uuml;rdiger, die mir von
+ dir dargelegte Lehre dahin, da&szlig; ein M&ouml;nch, der alle Unreinheit von sich
+ abgetan hat, wenn sein Leib zerbricht, der Vernichtung anheimf&auml;llt, da&szlig; er
+ vergeht, da&szlig; er nicht mehr ist jenseits des Todes."</p>
+ <p>"Sagtest du mir nicht, Pilger," fragte dann der Buddha, "da&szlig; du binnen eines
+ Monats zu F&uuml;&szlig;en des Erhabenen im Waldparke Jetavana bei Savatthi sitzen
+ w&uuml;rdest?"</p>
+ <p>"Das hoff ich sicher zu tun, Ehrw&uuml;rdiger; warum fragst du mich?"</p>
+ <p>"Wenn du nun also zu F&uuml;&szlig;en des Erhabenen sitzest, was meinst du dann,
+ Freund--die K&ouml;rperform, die du dann siehst, die du mit den H&auml;nden
+ ber&uuml;hren kannst--ist die der Vollendete, siehst du es also an?"</p>
+ <p>"Das tue ich nicht, Ehrw&uuml;rdiger."</p>
+ <p>"Wenn nun aber der Erhabene mit dir spricht,--das Bewu&szlig;tsein, das dann zum
+ Vorschein kommt, mit seinen Empfindungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen--ist denn
+ das der Vollendete? Siehst du es also an?"</p>
+ <p>"Das tue ich nicht, Ehrw&uuml;rdiger." "So sind wohl, Freund, der K&ouml;rper und
+ das Bewu&szlig;tsein zusammengenommen der Vollendete?"</p>
+ <p>"Auch so sehe ich es nicht an, Ehrw&uuml;rdiger."</p>
+ <p>"Ist denn der Vollendete geschieden von dem K&ouml;rper? oder vom
+ Bewu&szlig;tsein? oder von beiden? Siehst du es so an, Freund?"</p>
+ <p>"Er ist insofern von ihnen geschieden, als sein Wesen durch diese Bestimmungen
+ noch nicht ersch&ouml;pft ist."</p>
+ <p>"Welche Bestimmungen hast du denn nun, Freund, au&szlig;er denen der
+ K&ouml;rperlichkeit mit allen ihren sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften und dem
+ Bewu&szlig;tsein mit seinem ganzen Inhalt von Empfindungen, Wahrnehmungen und
+ Vorstellungen--welche Bestimmungen hast du noch au&szlig;erdem, mittelst welcher du
+ das noch nicht Ersch&ouml;pfte im Wesen des Vollendeten ersch&ouml;pfen kannst?"</p>
+ <p>"Solcher anderer Bestimmungen, Ehrw&uuml;rdiger, habe ich freilich keine."</p>
+ <p>"So ist also, Freund Kamanita, schon hier in der Sinnenwelt der Vollendete nicht
+ in Wahrheit und Wesenhaftigkeit f&uuml;r dich zu erfassen. Hast du da also ein Recht,
+ zu sagen, da&szlig; der Vollendete--oder der M&ouml;nch, der alle Unreinheit von sich
+ abgetan hat--wenn sein Leben zerbricht, der Vernichtung anheimf&auml;llt, da&szlig;
+ er nicht ist jenseits des Todes; lediglich, weil du kein Mittel besitzest, um ihn
+ dort in Wahrheit und Wesenhaftigkeit zu erfassen?"</p>
+ <p>Solcherma&szlig;en befragt, sa&szlig; der Pilger Kamanita eine Weile, gebeugten
+ Rumpfes, gesenkten Kopfes, schweigend da.</p>
+ <p>"Wenn ich auch kein Recht habe, das zu behaupten," sagte er schlie&szlig;lich, "so
+ scheint es mir doch deutlich genug eben aus jenem Schweigen des Vollendeten
+ hervorzugehen. Denn gewi&szlig; h&auml;tte er nicht geschwiegen, wenn er etwas
+ Erfreuliches mitzuteilen gehabt h&auml;tte, was ja der Fall w&auml;re, wenn er
+ w&uuml;&szlig;te, da&szlig; den M&ouml;nch, der dem Leiden ein Ende gemacht hat, nach
+ dem Tode keineswegs Vernichtung, sondern ewiges, seliges Leben erwartet. Denn eine
+ solche Mitteilung k&ouml;nnte ja die J&uuml;nger nur anspornen und ihnen in ihrem
+ rechten Streben f&ouml;rderlich sein."</p>
+ <p>"W&auml;hnst du, Freund? Wie nun aber, wenn der Vollendete als letztes Ziel nicht
+ die Vernichtung des Leidens hingestellt h&auml;tte--ebenso wie er mit dem Leiden
+ selbst anfing--sondern noch dar&uuml;ber hinaus ein ewiges, seliges Leben jenseits
+ des Todes gepriesen h&auml;tte? Und gar viele von den J&uuml;ngern h&auml;tten an
+ dieser Vorstellung Gefallen gefunden, hingen ihr anh&auml;nglich an, ersehnten ihre
+ Erf&uuml;llung mit hei&szlig;er Sucht, die alle Heiterkeit der Gedenkenruhe
+ tr&uuml;bte: h&auml;tten sie sich dann nicht wieder unversehens in das gewaltige
+ Fangnetz der Lebenslust verstrickt? Und indem sie sich an ein Jenseits hielten,
+ hierf&uuml;r aber notwendigerweise alle Farben vom Diesseits n&auml;hmen, w&uuml;rden
+ sie da nicht, je mehr sie dem Jenseits nachjagten, eben am Diesseits festkleben?
+ Gleichwie etwa ein Kettenhund, der an einen festen Pfahl gebunden ist und loszukommen
+ versucht, sich um diesen Pfahl im Kreise dreht:--ebenso w&uuml;rden jene lieben
+ J&uuml;nger aus Abscheu vor dem diesseitigen Leben sich gerade um das diesseitige
+ Leben im Kreise drehen."</p>
+ <p><a id="p140" name="p140">"Wenn</a> ich auch diese Gefahr zugeben mu&szlig;," gab
+ Kamanita zur Antwort, "so halte ich doch das andere &Uuml;bel, die durch das
+ Schweigen hervorgerufene Unsicherheit, f&uuml;r viel gef&auml;hrlicher, weil es von
+ vornherein den Eifer l&auml;hmt. Denn wie kann wohl der J&uuml;nger entschlossen und
+ mutig mit allen Kr&auml;ften streben, dem Leiden ein Ende zu machen, wenn er nicht
+ wei&szlig;, was darauf folgt--ob ewige Seligkeit oder Nichtsein?"</p>
+ <p>"Was meinst du, Freund, wenn da ein Haus w&auml;re, das vom Feuer ergriffen
+ w&uuml;rde, und der Diener liefe, den Herrn zu wecken: 'Steh auf, Herr! Flieh! Das
+ Haus brennt! Schon flammen die Balken, und das Dach will einst&uuml;rzen'--w&uuml;rde
+ wohl dann der Herr erwidern: 'Geh, mein Lieber, und sieh nach, ob es drau&szlig;en
+ regnet und st&uuml;rmt, oder ob es eine liebliche Mondnacht ist; und ist letzteres
+ der Fall, dann wollen wir uns ins Freie begeben."'</p>
+ <p>"Wie k&ouml;nnte wohl, Ehrw&uuml;rdiger, der Herr also antworten? Denn der Diener
+ hat ihm ja angstvoll zugerufen: 'Flieh, Herr! Das Haus brennt! Schon flammen die
+ Balken, und das Dach will einst&uuml;rzen'."</p>
+ <p>"Freilich hat der Diener ihm das zugerufen. Wenn nun aber dennoch der Herr
+ antwortete: 'Geh, mein Lieber, und sieh nach, ob es drau&szlig;en regnet und
+ st&uuml;rmt, oder ob es eine liebliche Mondnacht ist; und ist letzteres der Fall,
+ dann wollen wir uns ins Freie begeben'--w&uuml;rdest du dann nicht daraus
+ schlie&szlig;en, da&szlig; der Herr gar nicht richtig geh&ouml;rt hat, was ihm der
+ getreue Diener zurief? da&szlig; es ihm keineswegs klar geworden ist, welche
+ t&ouml;dliche Gefahr &uuml;ber seinem Kopfe schwebt?"</p>
+ <p><a id="p141" name="p141">"Freilich</a> m&uuml;&szlig;te ich ja diese
+ Schlu&szlig;folgerung ziehen, Ehrw&uuml;rdiger, da es anderenfalls undenkbar
+ w&auml;re, da&szlig; der Mann eine solche t&ouml;richte Antwort geben
+ k&ouml;nnte."</p>
+ <p>"Ebenso nun auch, Pilger--wandere, als ob dein Haupt von Flammen umgeben
+ w&auml;re! denn das Haus brennt. Und welches Haus? Die Welt! Durch welches Feuer
+ entflammt? Durch der Begierde Feuer, durch des Hasses Feuer, durch der Verblendung
+ Feuer. Die ganze Welt wird von Flammen verzehrt, die ganze Welt ist von Rauch
+ umw&ouml;lkt, die ganze Welt erbebt."</p>
+ <p>Solcherma&szlig;en angerufen, zitterte der Pilger Kamanita, wie ein junger
+ B&uuml;ffel zittert, wenn er zum erstenmal aus dem Dickicht den Ruf des L&ouml;wen
+ vernimmt. Gebeugten Rumpfes, gesenkten Kopfes, das Gesicht von brennender R&ouml;te
+ &uuml;bergossen, sa&szlig; er eine Weile schweigend da. Dann sagte er mit
+ m&uuml;rrischer, obwohl etwas bebender Stimme:</p>
+ <p>"Das will mir aber dennoch nicht gefallen, da&szlig; der Erhabene dar&uuml;ber
+ nichts offenbart hat, wenn er etwas Verhei&szlig;ungsvolles dar&uuml;ber h&auml;tte
+ mitteilen k&ouml;nnen. Und auch wenn er geschwiegen hat, weil das, was er
+ wu&szlig;te, eben trostlos und abschreckend ist, oder weil er &uuml;berhaupt nichts
+ wu&szlig;te: so will mir das auch nicht gefallen. Denn des Menschen Sinnen und
+ Trachten geht auf Gl&uuml;ckseligkeit und Wonne, was auch in der Natur begr&uuml;ndet
+ ist und nicht anders sein kann. Und so habe ich ja auch die Brahmanischen Priester
+ verk&uuml;nden h&ouml;ren:</p>
+ <p>'Gesetzt, es sei ein Jungling, ein wackerer J&uuml;ngling, ein lernbegieriger, der
+ schnellste, kr&auml;ftigste, st&auml;rkste, und ihm geh&ouml;rte die ganze Erde mit
+ all ihrem Reichtum: so ist das eine menschliche Wonne. Aber hundert menschliche
+ Wonnen sind <i>eine</i> Wonne der himmlischen Genien. Und hundert Wonnen der
+ himmlischen Genien sind <i>eine</i> Wonne der G&ouml;tter. Und hundert Wonnen der
+ G&ouml;tter sind <i>eine</i> Wonne des Indra. Und hundert Wonnen des Indra sind
+ <i>eine</i> Wonne des Prajapati, und hundert Wonnen des Prajapati sind <i>eine</i>
+ Wonne des Brahman. Dies ist die h&ouml;chste Wonne, dies ist der Weg zur
+ h&ouml;chsten Wonne!'"</p>
+ <p>"Gleichwie, o Pilger, wenn da ein unerfahrenes Kind w&auml;re, der
+ vern&uuml;nftigen Erw&auml;gung unf&auml;hig. Dieses Kind empf&auml;nde in einem
+ Zahne brennenden, stechenden, bohrenden Schmerz; und es liefe zu einem kundigen,
+ bew&auml;hrten Arzt und klagte ihm seine Not: 'Wolle, Ehrw&uuml;rdigster, durch deine
+ Kunst schaffen, da&szlig; ich in diesem Zahn anstatt des Schmerzes ein wonniges
+ Hochgef&uuml;hl empfinde.' Und der Arzt antwortete: 'Liebes Kind, meine Kunst
+ befa&szlig;t sich nur damit, den Schmerz zu beseitigen.'--Aber das unvern&uuml;nftige
+ Kind finge an zu klagen: 'Habe ich doch, ach! in diesem Zahne nun so lange
+ brennenden, stechenden, bohrenden Schmerz empfunden; wie billig ist es da, da&szlig;
+ ich jetzt statt dessen ein wonniges Gef&uuml;hl, s&uuml;&szlig;e Lust darin
+ gen&ouml;sse. Auch gibt es ja, habe ich geh&ouml;rt, kundige, bew&auml;hrte
+ &Auml;rzte, deren Kunst so weit reicht, und ich glaubte, da&szlig; du ein solcher
+ w&auml;rest!' Und dies unvern&uuml;nftige Kind liefe nun zu einem Heilzauberer, einem
+ Wunderarzt aus dem Lande der Gandarer, einem Marktschreier, der durch einen
+ &ouml;ffentlichen Ausrufer zum Schall von Trommeln und Muschelh&ouml;rnern auf den
+ Stra&szlig;en verk&uuml;nden lie&szlig;e: 'Gesundheit ist das h&ouml;chste Gut,
+ Gesundheit ist des Menschen Ziel. Bl&uuml;hende, &uuml;ppige Gesundheit, wohliges,
+ wonniges Hochgef&uuml;hl in allen Gliedern, in allen Adern und Fasern des
+ K&ouml;rpers, wie es die seligen G&ouml;tter genie&szlig;en, kann auch der
+ Kr&auml;nkste um eine geringe Opfergabe durch meine Hilfe erlangen.' Zu diesem
+ Wunderarzt liefe das Kind und klagte ihm seine Not: 'Wolle, Ehrw&uuml;rdigster, durch
+ deine Kunst schaffen, da&szlig; ich in diesem Zahn anstatt des Schmerzes ein
+ wohliges, wonniges Hochgef&uuml;hl genie&szlig;e.' Und der Zauberer antwortete:
+ 'Liebes Kind, gerade darin besteht meine Kunst.' Und nachdem er das ihm vom Kinde
+ dargereichte Geld eingestrichen, ber&uuml;hrte er den Zahn mit seinem Finger und
+ br&auml;chte eine magische Wirkung hervor, wodurch ein wonniges Lustgef&uuml;hl
+ sofort den Schmerz verdr&auml;ngte. Und das unvern&uuml;nftige Kind liefe erfreut und
+ hochbegl&uuml;ckt nach Hause.--Nach einer kurzen Weile aber lie&szlig;e das
+ Lustgef&uuml;hl nach, und der Schmerz stellte sich wieder ein. Und warum? <i>Weil ja
+ die Ursache des &Uuml;bels nicht beseitigt war</i>.</p>
+ <p>Aber, o Pilger, ein verst&auml;ndiger Mann empf&auml;nde in einem Zahn brennenden,
+ stechenden, bohrenden Schmerz. Und er ginge zu dem kundigen, bew&auml;hrten Arzt und
+ klagte ihm seine Not: 'Wolle, Ehrw&uuml;rdigster, durch deine Kunst mich von diesem
+ Schmerz befreien.' Und der Arzt antwortete: 'Wenn du, mein Lieber, nichts weiter von
+ mir verlangst, so viel vertraue ich meiner Kunst.' 'Was k&ouml;nnte ich wohl weiter
+ verlangen?' fragte der verst&auml;ndige Mann. Und der Arzt untersuchte den Zahn und
+ f&auml;nde die Ursache des Schmerzes in einer Entz&uuml;ndung an der Zahnwurzel. 'Geh
+ nach Hause, mein Lieber, und lasse dir an dieser Stelle einen Blutegel setzen. Wenn
+ er sich vollgesogen hat und abf&auml;llt, dann lege diese Kr&auml;uter auf die Wunde.
+ Dann wird der Eiter und das ungesunde Blut entfernt sein, und der Schmerz wird
+ aufh&ouml;ren.' Und der verst&auml;ndige Mann ginge nach Hause und t&auml;te, wie der
+ Arzt ihm gesagt. Und der Schmerz verginge und kehrte nicht wieder. Und warum nicht?
+ <i>Weil ja die Ursache des &Uuml;bels beseitigt war</i>."</p>
+ <p>Als nun der Erhabene nach Beendigung dieses Gleichnisses schwieg, sa&szlig; der
+ Pilger Kamanita verstummt und verst&ouml;rt, gebeugten Rumpfes, gesenkten Hauptes,
+ das Antlitz von brennender R&ouml;te &uuml;bergossen, wortlos da, und der
+ Angstschwei&szlig; tr&ouml;pfelte ihm von der Stirn herab und rieselte ihm aus den
+ Achselh&ouml;hlen herunter. F&uuml;hlte er sich doch von diesem Ehrw&uuml;rdigen mit
+ einem unvern&uuml;nftigen Kinde verglichen und ihm gleichgestellt. Und da er trotz
+ aller Anstrengung keine Antwort zu finden vermochte, war er dem Weinen nahe.</p>
+ <p>Endlich, als er seine Stimme beherrschen konnte, fragte er kleinlaut:</p>
+ <p>"Hast du, Ehrw&uuml;rdiger, dies alles aus dem Munde des Erhabenen, des
+ vollendeten Buddha selber?"</p>
+ <p>Selten geschieht es, da&szlig; Vollendete l&auml;cheln. Bei dieser Frage jedoch
+ umspielte ein L&auml;cheln die Lippen des Erhabenen.</p>
+ <p>"Das freilich nicht, Bruder."</p>
+ <p>Als der Pilger Kamanita dies vernahm, richtete er freudig seinen K&ouml;rper
+ empor, blickte leuchtenden Auges auf und sprach mit frisch belebter Stimme:</p>
+ <p>"Dachte ich's doch! O, ich wu&szlig;te ja, da&szlig; dies nicht die ureigene Lehre
+ des Vollendeten sein k&ouml;nne, sondern nur deine eigene mi&szlig;verst&auml;ndlich
+ ergr&uuml;belte Auslegung derselben. Hei&szlig;t es ja doch, da&szlig; die Lehre des
+ Buddha im Anfange beseligend, in der Mitte beseligend und am Ende beseligend sei. Wie
+ aber k&ouml;nnte jemand das von einer Lehre sagen, die mir nicht ein ewiges, seliges
+ Leben in h&ouml;chster Wonne verhei&szlig;t? Nun, in wenigen Wochen werde ich ja zu
+ F&uuml;&szlig;en des Vollendeten sitzen und von seinen eigenen Lippen die Heilslehre
+ empfangen, wie ein Kind aus der Mutterbrust seine s&uuml;&szlig;e Nahrung saugt. Und
+ auch du wirst da sein und richtig belehrt von deiner irrigen, verderblichen
+ Auffassung zur&uuml;ckkommen. Aber sieh, jene Streifen des Mondlichtes haben sich
+ fast bis zur Schwelle der Halle zur&uuml;ckgezogen; wir m&uuml;ssen tief in der Nacht
+ sein. Wohlan, wir wollen uns jetzt schlafen legen."</p>
+ <p>"Wie es dir, Bruder, belieben mag," antwortete der Erhabene freundlich.</p>
+ <p>Und sich fester in seinen Mantel h&uuml;llend, legte der Erhabene sich auf der
+ Matte in der Stellung des L&ouml;wen hin, auf den rechten Arm gest&uuml;tzt, den
+ linken Fu&szlig; auf dem rechten ruhen lassend.</p>
+ <p>Und der Stunde des Erwachens gedenkend, schlief er sofort ein.</p>
+ <h2><a id="chap_xxi" name="chap_xxi">XXI. MITTEN IM LAUFE</a></h2>
+ <p><img src="images/xxi.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />ls der
+ Erhabene beim ersten Morgengrauen erwachte, sah er, wie der Pilger Kamanita emsig
+ seine Matte zusammenrollte, seine K&uuml;rbisflasche umh&auml;ngte und sich nach dem
+ Stabe umsah, den er nicht gleich in der Ecke bemerkte, weil er umgefallen war. Dabei
+ hatte er in allen seinen Bewegungen das Gepr&auml;ge eines Menschen, der es sehr
+ eilig hat.</p>
+ <p>Der Erhabene setzte sich auf und gr&uuml;&szlig;te ihn freundlich.</p>
+ <p>"Willst du schon aufbrechen, Bruder?"</p>
+ <p>"Freilich, freilich," rief Kamanita erregt. "Denke dir, es ist wirklich kaum zu
+ glauben--rein zum Lachen, und doch so wunderbar--ein wahres Gl&uuml;ck! Vor wenigen
+ Minuten erwachte ich und f&uuml;hlte mich, nach dem vielen Reden von gestern, recht
+ trocken im Halse. Ich sprang sofort auf und lief zum Brunnen--unter den Tamarinden,
+ quer &uuml;ber den Weg. Dort stand schon ein M&auml;dchen und sch&ouml;pfte Wasser.
+ Und was meinst du wohl, was ich von ihr h&ouml;re?--Der Vollendete ist gar nicht in
+ Savatthi! Und wo ist er denn, glaubst du? Gestern ist er, von dreihundert
+ M&ouml;nchen begleitet, hier in Rajagaha angekommen! Und er weilt jetzt in seinem
+ Mangohaine jenseits der Stadt. In einer Stunde, in weniger vielleicht, werde ich ihn
+ gesehen haben--ich, der ich glaubte, noch vier Wochen pilgern zu m&uuml;ssen! Was
+ sage ich--in einer Stunde?--Es ist nur eine gute halbe Stunde bis dahin, sagte das
+ M&auml;dchen, wenn man nicht durch die Hauptstra&szlig;en geht, sondern durch die
+ G&auml;&szlig;chen und H&ouml;fe nach dem Westtor l&auml;uft...ich kann mir's kaum
+ denken! Mir brennt der Boden unter den Sohlen--leb' wohl, Bruder! Du hast es gut mit
+ mir gemeint, und ich werde nicht unterlassen, auch dich zum Erhabenen zu
+ f&uuml;hren--jetzt aber kann ich mich wahrlich keinen Augenblick mehr aufhalten."</p>
+ <p>Und der Pilger Kamanita st&uuml;rzte aus der Halle hinaus und lief die
+ Stra&szlig;e dahin, so schnell ihn die Beine nur tragen wollten. Als er aber das
+ Stadttor Rajagahas erreichte, war es noch nicht ge&ouml;ffnet, und er mu&szlig;te
+ eine kleine Weile warten, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam und seine Ungeduld aufs
+ h&ouml;chste steigerte.</p>
+ <p>Indessen benutzte er die Zeit, um von einer alten Frau, die einen Korb voll
+ Gem&uuml;se nach der Stadt trug und, wie er selbst, dort warten mu&szlig;te, genaue
+ Erkundigungen &uuml;ber den k&uuml;rzesten Weg einzuziehen--wie er durch jene
+ G&auml;&szlig;chen, rechts an einem Tempelchen und links an einem Brunnen
+ vor&uuml;bergehen m&uuml;sse und dann einen Turm ja nicht aus den Augen verlieren
+ d&uuml;rfe, so da&szlig; er die vor der Stadtmauer verlorene Zeit vielleicht
+ innerhalb derselben einholen k&ouml;nne.</p>
+ <p>Als nun das Tor sich ge&ouml;ffnet hatte, st&uuml;rzte er unaufhaltsam in der ihm
+ bezeichneten Richtung fort. Manchmal rannte er ein paar Kinder &uuml;ber den Haufen,
+ rempelte eine Frau an, die am Rinnstein Geschirr sp&uuml;lte, so da&szlig; eine
+ Sch&uuml;ssel ihr klirrend davonrollte und zerbrach, oder er stie&szlig; mit einem
+ Wassertr&auml;ger zusammen. Aber die Schimpfworte, die hinter ihm herflogen,
+ erreichten verschlossene Ohren, so ganz war er von dem einen Gedanken erf&uuml;llt,
+ da&szlig; er bald, ganz bald den Buddha sehen w&uuml;rde.</p>
+ <p>"Welches Gl&uuml;ck!" sagte er zu sich selber. "Wie viele Geschlechter leben
+ dahin, ohne da&szlig; ein Buddha auf der Erde mit ihnen zusammen wandert; und von dem
+ Geschlecht, das einen Buddha zum Zeitgenossen hat--o wie so wenige sind es, die ihn
+ sehen! Mir aber ist jetzt dies Gl&uuml;ck gewi&szlig;!--Immer habe ich ja
+ gef&uuml;rchtet, da&szlig; auf dem weiten, gefahrvollen Wege wilde Tiere oder
+ R&auml;uber mich um dies Gl&uuml;ck bringen k&ouml;nnten, jetzt aber kann es mir
+ nicht mehr geraubt werden!"</p>
+ <p>W&auml;hrend er so dachte, war er in ein sehr enges G&auml;&szlig;chen eingebogen.
+ In seinem t&ouml;richten Vorw&auml;rtsst&uuml;rmen sah er nicht, da&szlig; vom
+ anderen Ende her eine Kuh, die aus irgend einem Grunde scheu geworden war, ihm
+ entgegenst&uuml;rzte, bemerkte auch nicht, wie ein paar Leute vor ihm sich eiligst in
+ ein Haus fl&uuml;chteten, und andere sich hinter einem vorspringenden Mauerst&uuml;ck
+ verbargen; er h&ouml;rte nicht den Ruf, durch den eine auf einem S&ouml;ller stehende
+ Frau ihn warnen wollte--er sp&auml;hte nur hinauf nach den Turmzinnen, die ihn am
+ Verfehlen des Weges hindern sollten.</p>
+ <p>Erst als es zum Ausweichen zu sp&auml;t war, sah er entsetzt, gerade vor sich, die
+ dampfenden N&uuml;stern, die mit Blut unterlaufenen Augen und das blanke Horn, das
+ ihm unmittelbar danach tief in die Seite drang.</p>
+ <p>Mit einem lauten Schrei fiel er an der Mauer nieder. Die Kuh st&uuml;rzte weiter
+ und verschwand in einer anderen Stra&szlig;e.</p>
+ <p>Sofort eilten nun Leute herbei, teils aus Neugier, teils um zu helfen. Das Weib,
+ das ihn gewarnt hatte, brachte Wasser, um die Wunde zu reinigen. Man zerri&szlig;
+ seinen Mantel, um ihm einen Verband anzulegen und wom&ouml;glich das Blut zu stillen,
+ das wie ein Quell hervorbrach.</p>
+ <p>Kamanita hatte fast keinen Augenblick das Bewu&szlig;tsein verloren. Es war ihm
+ sofort klar, da&szlig; dies seinen Tod bedeute. Aber weder diese Vorstellung, noch
+ die Schmerzen qu&auml;lten ihn so sehr, wie die Angst, da&szlig; er den Buddha jetzt
+ nicht zu sehen bek&auml;me. Mit bewegter Stimme flehte er die Umstehenden an, ihn
+ nach dem Mangohaine zum Buddha zu tragen:</p>
+ <p>"So weit bin ich gepilgert, ihr lieben Leute!--So nahe war ich schon am Ziel! O,
+ habt Erbarmen mit mir, z&ouml;gert nicht, mich dahin zu tragen! Denkt nicht an die
+ Schmerzen, f&uuml;rchtet nicht, da&szlig; ich ihnen unterliege--ich werde nicht
+ sterben, bevor ihr mich dem Vollendeten zu F&uuml;&szlig;en niedergelegt habt, und
+ dann werde ich selig sterben, selig auferstehen."</p>
+ <p>Einige liefen nun, Stangen und eine Matratze zu holen. Eine Frau brachte ein
+ st&auml;rkendes Getr&auml;nk, von dem Kamanita ein paar L&ouml;ffel voll nahm. Die
+ M&auml;nner waren uneinig, welcher Weg zur Versammlungshalle im Mangohaine der
+ k&uuml;rzeste sei, da es wohl auf jeden Schritt ankommen konnte. Denn es war jedem
+ klar, da&szlig; es mit dem Pilger bald zu Ende ging.</p>
+ <p>"Da kommen J&uuml;nger des Vollendeten!" rief einer der Umstehenden, das
+ G&auml;&szlig;chen hinanzeigend, "die werden uns das am besten sagen
+ k&ouml;nnen."</p>
+ <p>Wirklich nahten sich einige M&ouml;nche aus dem Orden des Buddha, in gelbe
+ M&auml;ntel geh&uuml;llt, die den rechten Ann frei lie&szlig;en, und die
+ Almosenschale in der Hand. Die meisten waren j&uuml;ngere Leute; aber zuv&ouml;rderst
+ schritten zwei ehrw&uuml;rdige Gestalten: ein Greis, dessen ernstes, etwas strenges
+ Gesicht mit dem durchdringenden Blick und dem kr&auml;ftigen Kinn unwillk&uuml;rlich
+ die Aufmerksamkeit auf sich lenkte, und ein Mann in mittleren Jahren, aus dessen
+ Z&uuml;gen eine so herzgewinnende Milde leuchtete, da&szlig; er dadurch fast das
+ Aussehen eines J&uuml;nglings bekam. Auch konnte ein erfahrener Beobachter in seiner
+ Haltung und in den etwas lebhaften Bewegungen, wie auch im feurigen Blicke, die
+ unver&auml;u&szlig;erlichen Merkmale der Kriegerkaste entdecken, w&auml;hrend die
+ bed&auml;chtige Ruhe des &Auml;lteren den geborenen Brahmanen verriet. An hohem Wuchs
+ und f&uuml;rstlichem Anstand kamen aber beide einander gleich.</p>
+ <p>Als diese M&ouml;nche bei der Gruppe, die sich um den verwundeten Mann gebildet
+ hatte, Halt machten, erz&auml;hlten ihnen viele redselige Zungen sofort, was
+ vorgefallen war, und da&szlig; man im Begriff sei, diesen verwundeten Pilger auf
+ einer Bahre--die gerade gebracht wurde--nach dem Mangohaine zum Buddha zu tragen, um
+ dadurch seinen sehnlichen Wunsch zu erf&uuml;llen;--ob nicht einer der j&uuml;ngeren
+ M&ouml;nche mit zur&uuml;ckkehren wolle, um ihnen den k&uuml;rzesten Weg nach der
+ Stelle zu weisen, wo der Erhabene sich augenblicklich aufhielt?</p>
+ <p>"Der Erhabene," antwortete der Greis mit dem strengen Gesicht, "ist nicht im
+ Mangohaine, und wir wissen selbst noch nicht, wo er sich aufh&auml;lt."</p>
+ <p>Bei dieser Antwort entrang ein verzweifeltes St&ouml;hnen sich der wunden Brust
+ Kamanitas.</p>
+ <p>"Aber freilich kann er nicht weit von hier sein," f&uuml;gte der J&uuml;ngere
+ hinzu. "Der Erhabene hat gestern die M&ouml;nchsgemeinschaft vorausgeschickt und ist
+ allein weitergegangen. Er wird sich wohl versp&auml;tet haben und irgendwo,
+ vielleicht im Vororte, eingekehrt sein. Wir sind jetzt unterwegs, ihn zu suchen."</p>
+ <p>"O, suchet eifrig, findet ihn!" rief Kamanita.</p>
+ <p>"Wenn wir auch w&uuml;&szlig;ten, wo der Erhabene ist, so ginge es doch nicht an,
+ diesen Verwundeten hinzutragen," meinte der strenge M&ouml;nch. "Denn die
+ Ersch&uuml;tterung auf der Bahre w&uuml;rde seinen Zustand schnell verschlimmern, und
+ wenn er es auch &uuml;berst&auml;nde, so w&uuml;rde er doch sterbend ankommen, und
+ sein Geist w&uuml;rde nicht f&auml;hig sein, die Worte des Erhabenen zu erfassen.
+ Wenn er sich aber jetzt schont, und von einem kundigen Wundarzt behandelt und
+ sorgf&auml;ltig gepflegt wird, dann ist doch immer noch Hoffnung vorhanden, da&szlig;
+ er so weit zu Kr&auml;ften kommen kann, um der Rede des Erhabenen zu lauschen.</p>
+ <p>Aber Kamanita zeigte ungeduldig auf die Bahre:</p>
+ <p>"Keine Zeit--sterben--mich mitnehmen--ihn sehen--ber&uuml;hren--selig
+ sterben--mitnehmen--eilet!"</p>
+ <p>Achselzuckend wandte sich der M&ouml;nch an die j&uuml;ngeren Br&uuml;der:</p>
+ <p>"Dieser arme Mann h&auml;lt den siegreich Vollendeten f&uuml;r ein
+ G&ouml;tzenbild, bei dessen Ber&uuml;hrung man ents&uuml;hnt wird."</p>
+ <p>"Er hat Vertrauen zum Vollendeten gefa&szlig;t, Sariputta, wenn ihm auch das
+ tiefere Verst&auml;ndnis fehlt," sagte der andere und beugte sich &uuml;ber den
+ Verwundeten, um den Grad seiner Kr&auml;fte festzustellen; "vielleicht k&ouml;nnte
+ man es doch wagen. Der Arme dauert mich, und ich glaube, man kann ihm nichts Besseres
+ antun, als den Versuch zu machen."</p>
+ <p>Ein dankbarer Blick des Pilgers belohnte ihn f&uuml;r seine F&uuml;rsprache.</p>
+ <p>"Wie es dir beliebt, Ananda," antwortete Sariputta freundlich.</p>
+ <p>In diesem Augenblick kam von der Seite, von welcher auch Kamanita gekommen war,
+ ein Hafner gegangen, der auf dem R&uuml;cken einen Korb mit allerlei T&ouml;pferwaren
+ trug. Als er den Pilger Kamanita bemerkte, den man soeben mit gro&szlig;er Vorsicht,
+ aber nicht ohne ihm heftige Schmerzen zu verursachen, auf die Bahre gelegt hatte,
+ blieb er erschrocken stehen--und zwar so pl&ouml;tzlich, da&szlig; die
+ aufeinanderget&uuml;rmten Sch&uuml;sseln, die er auf dem Kopfe trug, zu Boden fielen
+ und zerbrachen.</p>
+ <p>"Ihr G&ouml;tter! Was ist denn hier vorgefallen? Das ist ja der fromme Pilger, der
+ meiner Halle die Ehre angetan hat, dort zu &uuml;bernachten. In der Gesellschaft
+ eines M&ouml;nches, der dasselbe Gewand trug, wie diese Ehrw&uuml;rdigen, hat er in
+ meinem Hause die Nacht zugebracht."</p>
+ <p>"War jener M&ouml;nch ein alter Mann und von hoher Gestalt?" fragte Sariputta.</p>
+ <p>"Gewi&szlig;, Ehrw&uuml;rdiger--und er schien mir dir selber nicht un&auml;hnlich
+ zu sein."</p>
+ <p>Da wu&szlig;ten nun die M&ouml;nche, da&szlig; sie nicht l&auml;nger zu suchen
+ brauchten, und da&szlig; der Erhabene im Hause des Hafners war. Denn "der
+ J&uuml;nger, der dem Meister &auml;hnelt"--also wurde ja Sariputta genannt.</p>
+ <p>"Ist es m&ouml;glich?" sagte Ananda und blickte von dem Verwundeten auf, der durch
+ die Schmerzen, die ihm das Emporheben verursacht hatte, fast bewu&szlig;tlos geworden
+ war und die Ankunft des Hafners gar nicht bemerkt hatte.--"Ist es m&ouml;glich?
+ Dieser arme Mann h&auml;tte das Gl&uuml;ck, nach dem er so sehnlich trachtet, die
+ ganze Nacht genossen, ohne es auch nur im geringsten zu ahnen?"</p>
+ <p>"Das ist die Art des Toren," sagte Sariputta. "Aber gehen wir; jetzt kann er ja
+ hingebracht werden."</p>
+ <p>"Einen Augenblick!" rief Ananda, "die Schmerzen haben ihn
+ &uuml;berw&auml;ltigt."</p>
+ <p>In der Tat zeigte der leere Blick Kamanitas, da&szlig; er kaum bemerkte, was um
+ ihn vorging. Es fing an, ihm schwarz vor den Augen zu werden. Aber der lange Streifen
+ des Morgenhimmels, der oben zwischen den hohen Mauern leuchtete, drang doch noch bis
+ zu seinem Bewu&szlig;tsein durch und mochte ihm wohl als die den Nachthimmel
+ durchquerende Milchstra&szlig;e erscheinen. Seine Lippen bewegten sich:</p>
+ <p>"Die Ganga--," murmelte er.</p>
+ <p>"Seine Sinne wandern," sagte Ananda.</p>
+ <p>Die Zun&auml;chststehenden, die das Wort vernommen hatten, fa&szlig;ten es anders
+ auf.</p>
+ <p>"Er w&uuml;nscht jetzt an die Ganga gebracht zu werden, damit die heiligen Wogen
+ seine S&uuml;nden absp&uuml;len.--Aber Mutter Ganga ist ja weit von hier--wer
+ k&ouml;nnte ihn wohl dahin tragen?"</p>
+ <p>"Erst der Buddha, dann die Ganga!"--murmelte Sariputta mit dem halb
+ ver&auml;chtlichen Mitleid des Weisen einem Toren gegen&uuml;ber, der unrettbar von
+ einem Aberglauben in den anderen f&auml;llt.</p>
+ <p>Aber pl&ouml;tzlich belebten die Augen Kamanitas sich wunderbar. Ein seliges
+ L&auml;cheln verkl&auml;rte seine Z&uuml;ge. Sein K&ouml;rper wollte sich aufrichten.
+ Ananda st&uuml;tzte ihn.</p>
+ <p>"Die himmlische Ganga," fl&uuml;sterte er mit schwacher, aber freudiger Stimme,
+ und zeigte mit der rechten Hand nach dem Himmelsstreifen &uuml;ber seinem Haupte:
+ "Die himmlische Ganga!--wir schwuren--bei ihren Wellen--Vasitthi--"</p>
+ <p>Sein K&ouml;rper zitterte, Blut quoll ihm aus dem Munde, und in den Armen Anandas
+ verschied er.--</p>
+ <p>Kaum eine halbe Stunde sp&auml;ter traten Sariputta und Ananda, von den
+ M&ouml;nchen begleitet, in die Halle des Hafners ein, begr&uuml;&szlig;ten den
+ Erhabenen ehrerbietig und setzten sich ihm zur Seite nieder.</p>
+ <p>"Nun, mein lieber Sariputta," fragte da der Erhabene, nachdem er ihnen
+ freundlichen Gru&szlig; entboten,--"hat die junge M&ouml;nchsgemeinde unter deiner
+ F&uuml;hrung die weite Wanderung gut und ohne Unf&auml;lle &uuml;berstanden? Habt ihr
+ Mangel an Nahrung oder Arznei f&uuml;r die Kranken unterwegs gehabt? Ist die
+ J&uuml;ngerschaft fr&ouml;hlich beflissen?"</p>
+ <p>"Gl&uuml;cklich bin ich, Ehrw&uuml;rdigster, sagen zu k&ouml;nnen, da&szlig; es
+ uns an nichts gefehlt hat, und da&szlig; die jungen M&ouml;nche voll Eifer und
+ Zuversicht, sich nur danach sehnen, den Erhabenen von Angesicht zu Angesicht zu
+ sehen. Diese edlen J&uuml;nglinge, Kenner des Wortes, Nachfolger der Lehre, habe ich
+ mitgenommen, um sie schon jetzt dem Meister vorzustellen."</p>
+ <p>Bei diesen Worten erhoben sich drei junge M&ouml;nche und begr&uuml;&szlig;ten den
+ Erhabenen mit zusammengelegten H&auml;nden:</p>
+ <p>"Heil dem Erhabenen, dem vollendeten Buddha--Heil!"</p>
+ <p>"Seid mir willkommen," sprach der Erhabene und lud sie mit einer Handbewegung
+ wieder zum Sitzen ein.</p>
+ <p>"Und ist auch der Erhabene," fragte Ananda, "nach der gestrigen Wanderung ohne
+ &Uuml;berm&uuml;dung oder &uuml;ble Folgen gut hier angekommen? Und hat der Erhabene
+ in dieser Halle die Nacht leidlich zugebracht?"</p>
+ <p>"So ist es, Br&uuml;der. Ich bin bei einbrechender Dunkelheit zwar recht
+ m&uuml;de, doch ohne &uuml;ble Folgen der Wanderung hier angekommen und habe in der
+ Gesellschaft eines fremden Pilgers die Nacht nicht eben schlecht zugebracht."</p>
+ <p>"Dieser Pilger," nahm Sariputta das Wort, "ist in den Stra&szlig;en Rajagahas
+ durch eine Kuh des Lebens beraubt worden."</p>
+ <p>"Und nicht ahnend, mit wem er die Nacht hier zugebracht hatte," f&uuml;gte Ananda
+ hinzu, "begehrte er sehnlich, zu F&uuml;&szlig;en des Erhabenen gebracht zu
+ werden."</p>
+ <p>"Bald danach freilich verlangte er, man m&ouml;chte ihn nach der Ganga tragen,"
+ bemerkte Sariputta.</p>
+ <p>"Nicht doch, Bruder Sariputta!"--berichtigte Ananda. "Denn er sprach von der
+ <i>himmlischen</i> Ganga. Leuchtenden Blickes gedachte er eines Schwures und nannte
+ dabei einen Frauennamen--Vasitthi, glaube ich--und so verschied er."</p>
+ <p>"Irgend einen Frauennamen auf den Lippen, ging er von dannen," sagte
+ Sariputta.--"Wo ist er wohl wieder ins Dasein getreten?"</p>
+ <p>"T&ouml;richt, ihr J&uuml;nger, war der Pilger Kamanita, einem unvern&uuml;nftigen
+ Kinde vergleichbar. Diesem Pilger, ihr J&uuml;nger, der in meinem Namen umherzog und
+ sich zur Lehre des Erhabenen bekennen wollte, habe ich die Lehre ausf&uuml;hrlich und
+ eingehend dargelegt. Und er hat an der Lehre Ansto&szlig; genommen. Auf Seligkeit und
+ Himmelswonnen war das Sehnen und Trachten seines Herzens gerichtet. Der Pilger
+ Kamanita, ihr J&uuml;nger, ist in Sukhavati, im Paradiese des Westens, wieder ins
+ Dasein getreten, tausend- und abertausendj&auml;hrige Himmelswonnen zu
+ genie&szlig;en."</p>
+ <h2><a id="chap_xxii" name="chap_xxii">XXII. IM PARADIESE DES WESTENS</a></h2>
+ <p><img src="images/xxii.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />ls der
+ Erhabene in der Halle des Hafners zu Rajagaha diese Worte sprach, erwachte der Pilger
+ Kamanita im Paradiese des Westens. In einen roten Mantel geh&uuml;llt, der zart und
+ gl&auml;nzend wie ein Blumenblatt in reichem Faltenwurf um ihn herabflo&szlig;, fand
+ er sich mit untergeschlagenen Beinen, auf einer m&auml;chtigen, gleichfarbigen
+ Lotusrose sitzend, die mitten auf einem gro&szlig;en Teiche schwamm. Auf der weiten
+ Wasserfl&auml;che waren &uuml;berall solche Lotusblumen zu sehen, rote, blaue und
+ wei&szlig;e, einige noch als Knospen, andere, obwohl ziemlich entwickelt, doch immer
+ noch geschlossen, aber unz&auml;hlige offen wie die seine; und fast auf einer jeden
+ thronte eine menschliche Gestalt, deren faltiges Gewand aus den Blumenbl&auml;ttern
+ emporzuwachsen schien.</p>
+ <p>Auf den schr&auml;gen Ufern des Teiches, im gr&uuml;nsten Gras, lachte ein
+ Blumenflor, als ob alle Edelsteine der Erde hier in Blumengestalt wiedergeboren
+ w&auml;ren, ihren Glanz und ihr durchleuchtetes Farbenspiel beibehaltend, aber den
+ harten Panzer, den sie in ihrem Erdenleben getragen, gegen die Weiche, schmiegsame,
+ lebendige Pflanzenh&uuml;lle eintauschend. So war auch der Duft, den sie aushauchten,
+ m&auml;chtiger als die herrlichste Essenz, die je in ein kristallenes Fl&auml;schchen
+ eingeschlossen wurde, und hatte doch die ganze herzhafte Frische des nat&uuml;rlichen
+ Blumenduftes.</p>
+ <p>Von diesem fesselnden Ufersaum schweifte nun der entz&uuml;ckte Blick weiter
+ zwischen hohen und breitwipfeligen, smaragdlaubigen und juwelenbl&uuml;henden
+ B&auml;umen, die bald einzeln sich erhoben, bald in Gruppen zusammen standen, bald
+ tiefe Haine bildeten, hin&uuml;ber nach den anmutigsten Felsenh&uuml;geln, die bald
+ nackt ihre kristallenen, marmornen und alabasternen Formen zeigten, bald sie mit
+ dichtem Geb&uuml;sch bedeckten oder mit duftigem Bl&uuml;tenflor verh&uuml;llten. An
+ einer Stelle aber wichen Haine und Felsen g&auml;nzlich zur Seite, um einem
+ sch&ouml;nen Flu&szlig; Raum zu geben, der sich still, wie ein Strom von
+ Sternenglanz, in den Teich ergo&szlig;.</p>
+ <p>&Uuml;ber die ganze Gegend w&ouml;lbte sich ein Himmel, dessen Ultramarinblau nach
+ unten zu eher noch tiefer wurde, und unter dieser Kuppel schwebten wei&szlig;e,
+ geballte W&ouml;lkchen, auf welchen liebliche Genien gelagert waren, deren
+ Instrumente den ganzen Raum mit den Zauberkl&auml;ngen wonniger Weisen
+ erf&uuml;llten.</p>
+ <p>Aber an diesem Himmel war keine Sonne zu sehen, noch bedurfte es einer solchen.
+ Denn von den W&ouml;lkchen und den Genien, von Felsen und Blumen, vom Wasser und von
+ den Lotusrosen, von den Gew&auml;ndern der Seligen, noch mehr aber von ihren
+ Gesichtern strahlte ein wundersames Licht aus. Und wie dies Licht von strahlender
+ Helligkeit war, ohne doch im mindesten zu blenden, so wurde die weiche,
+ duftges&auml;ttigte W&auml;rme durch den st&auml;ndigen Hauch des Wassers erfrischt,
+ und schon diese Luft einzuatmen war eine Lust, der nichts auf Erden gleichkommt.</p>
+ <p>Als Kamanita den ersten Anblick dieser Herrlichkeiten so weit verwunden hatte,
+ da&szlig; sie ihn nicht mehr &uuml;berw&auml;ltigten, sondern anfingen, sich ihm als
+ seine nat&uuml;rliche Umgebung unterzuordnen, richtete er seine Aufmerksamkeit auf
+ jene anderen Wesen, die, wie er selber, ringsum auf den schwimmenden Lotusthronen
+ sa&szlig;en. Er bemerkte bald, da&szlig; die rot gekleideten m&auml;nnlichen, die
+ wei&szlig; gekleideten weiblichen Geschlechts waren, w&auml;hrend von den in blaue
+ M&auml;ntel geh&uuml;llten Gestalten, wie ihm schien, einige diesem, einige jenem
+ Geschlechte angeh&ouml;rten. Alle miteinander aber standen sie in vollster
+ Jugendbl&uuml;te, und alle schienen von freundlichster Gesinnung erf&uuml;llt zu
+ sein.</p>
+ <p>Ein Nachbar in blauem Mantel fl&ouml;&szlig;te ihm besonderes Vertrauen ein, und
+ die Lust, ein Gespr&auml;ch mit ihm anzukn&uuml;pfen, regte sich in ihm.</p>
+ <p>"Ob es wohl angeht, von selber und unaufgefordert diesen Ehrw&uuml;rdigen zu
+ fragen?" dachte er. "Gar zu gern m&ouml;chte ich doch wissen, wo ich bin."</p>
+ <p>Zu seiner gr&ouml;&szlig;ten Verwunderung erfolgte die Antwort sofort, lautlos und
+ ohne da&szlig; der Blaue die Lippen auch nur leise bewegt h&auml;tte:</p>
+ <p>"Du bist in Sukhavati, dem Orte der Seligkeit."</p>
+ <p>Unwillk&uuml;rlich fragte Kamanita in Gedanken weiter:</p>
+ <p>"Du warst hier, Ehrw&uuml;rdigster, als ich die Augen aufschlug, denn mein Blick
+ fiel sofort auf dich. Bist du vielleicht gleichzeitig mit mir erwacht, oder warst du
+ schon lange hier?"</p>
+ <p>"Seit undenklichen Zeiten bin ich hier," antwortete der Blaue, "und ich w&uuml;rde
+ glauben, da&szlig; ich von Ewigkeit her hier w&auml;re, wenn ich nicht so oft gesehen
+ h&auml;tte, wie eine Lotusblume sich &ouml;ffnete und ein neues Wesen zum Vorschein
+ kam--und wenn nicht der Duft des Korallenbaumes w&auml;re."</p>
+ <p>"Was ist's denn mit diesem Duft?"</p>
+ <p>"Das wirst du selber bald entdecken. Der Korallenbaum ist das gr&ouml;&szlig;te
+ Wunder dieses Paradieses."</p>
+ <p>Die Musik der himmlischen Genien, die wie von selber dieses lautlose Gespr&auml;ch
+ zu begleiten schien, mit ihren Weisen und Kl&auml;ngen sich jedem Satz desselben
+ anschmiegend, gleichsam um seinen Sinn zu vertiefen und das klar zu machen, was die
+ Worte nicht fassen konnten, wob bei diesen Worten ein seltsam mystisches Tongebilde,
+ und es schien dem lauschenden Kamanita, als ob in seinem Geiste unendliche Tiefen
+ sich &ouml;ffneten, in deren Schatten formlose Erinnerungen sich regten, ohne
+ erwachen zu k&ouml;nnen.</p>
+ <p>"Das gr&ouml;&szlig;te Wunder!" sagte er nach einer Pause. "Ich meinte, von allem
+ Wunderbaren hier sei das Wunderbarste jener herrliche Strom, der sich in unsern Teich
+ ergie&szlig;t."</p>
+ <p>"Die himmlische Ganga," nickte der Blaue.</p>
+ <p>"Die himmlische Ganga!"--wiederholte Kamanita tr&auml;umerisch, und wiederum
+ &uuml;berkam ihn, nur in verst&auml;rktem Ma&szlig;e, jenes Gef&uuml;hl von etwas,
+ das er kennen m&uuml;sse und doch nicht kennen konnte, w&auml;hrend die
+ geheimnisvollen T&ouml;ne in den tiefsten Abgr&uuml;nden seines eigenen Selbstes die
+ Quellen jenes Stromes zu suchen schienen.</p>
+ <h2><a id="chap_xxiii" name="chap_xxiii">XXIII. SELIGE REIGEN</a></h2>
+ <p><img src="images/xxiii.png" width="93" height="93" align="left" alt="M" />it
+ Verwunderung bemerkte Kamanita jetzt, wie eine nicht weit von ihm auf ihrer Lotusrose
+ thronende wei&szlig;e Gestalt pl&ouml;tzlich in die H&ouml;he wuchs. Die
+ aufgeh&auml;ufte Masse der eckigen Mantelfalten wickelte sich auseinander, bis das
+ Gewand geradlinig von den Schultern bis zum goldigen Saume hinabflo&szlig;. Und
+ dieser ber&uuml;hrte schon nicht mehr die Blumenbl&auml;tter--die Gestalt schwebte
+ frei &uuml;ber den Teich hin, &uuml;ber das Ufer hinauf, und verschwand zwischen den
+ B&auml;umen und hinter dem Geb&uuml;sch.</p>
+ <p>"Wie herrlich mu&szlig; das sein!"--dachte Kamanita. "Aber das ist wohl eine sehr
+ schwierige Kunst, obschon es aussieht, als ob es gar nichts w&auml;re. Ob ich das
+ wohl jemals lernen kann?"</p>
+ <p>"Du kannst schon, wenn du nur willst," antwortete der Blaue, an den die letzte
+ Frage gerichtet war.</p>
+ <p>Sofort hatte Kamanita die Empfindung, als ob etwas seinen K&ouml;rper in die
+ H&ouml;he h&ouml;be. Er schwebte schon quer &uuml;ber den Teich nach dem Ufer zu, und
+ bald war er mitten im Gr&uuml;nen. Wohin er seinen Blick w&uuml;nschend richtete,
+ dorthin ging sein Flug, schnell oder langsam, je nach Verlangen. Er sah nun andere
+ Lotusteiche, ebenso herrlich wie der, den er eben verlassen hatte, durchstreifte
+ liebliche Haine, wo bunte V&ouml;gel von Zweig zu Zweig h&uuml;pften und ihr
+ melodisches Zwitschern mit dem leisen Rauschen der Wipfel mischten, strich &uuml;ber
+ blumenreiche Auen hin, wo niedliche Antilopen ihr Spiel trieben, ohne sich im
+ geringsten vor ihm zu f&uuml;rchten, und lie&szlig; sich endlich auf dem sanften
+ Abhang eines H&uuml;gels nieder. Zwischen Baumst&auml;mmen und bl&uuml;hendem
+ Geb&uuml;sch sah er die Ecke eines Teiches, wo das Wasser rings um die gro&szlig;en
+ Lotusbl&uuml;ten glitzerte, deren Blumenthrone hier und dort eine selige Gestalt
+ trugen, w&auml;hrend mehrere selbst von den ganz entfalteten leer waren.</p>
+ <p>Es war n&auml;mlich offenbar gerade ein Augenblick des allgemeinen
+ Schw&auml;rmens. Wie an einem warmen Sommerabend die Leuchtk&auml;fer unter den
+ B&auml;umen und um das Geb&uuml;sch hin und her kreisen, ein stilles, leuchtendes
+ Treiben, also schwebten hier die seligen Gestalten, einzeln und paarweise, in ganzen
+ Gruppen oder Reihen durch die Haine und um die Felsen. Dabei sah man es ihren Mienen
+ und Blicken an, da&szlig; sie sich lebhaft miteinander unterhielten und man ahnte die
+ unsichtbaren F&auml;den des Gespr&auml;ches, die sich zwischen den lautlos
+ Dahinziehenden hin&uuml;ber und her&uuml;ber spannen.</p>
+ <p>In s&uuml;&szlig;er, traumhafter Befangenheit geno&szlig; Kamanita dies reizende
+ Schauspiel. Nach und nach entstand in ihm ein Verlangen, sich mit diesen
+ Fr&ouml;hlichen zu unterhalten.</p>
+ <p>Sofort war er von einer ganzen Gesellschaft umringt, die ihn freundlich
+ begr&uuml;&szlig;te als den Neuangekommenen, den soeben Erwachten.</p>
+ <p>Kamanita wunderte sich sehr und fragte, ob denn das Ger&uuml;cht von seinem
+ Entstehen sich schon &uuml;berall in Sukhavati verbreitet h&auml;tte.</p>
+ <p>"O, wenn ein Lotus sich &ouml;ffnet, regen sich alle Lotusblumen in den
+ Paradiesteichen, und jedes Wesen f&uuml;hlt, wenn hier irgendwo ein neues Wesen zur
+ Seligkeit erwacht."</p>
+ <p>"Aber wie k&ouml;nnt ihr wissen, da&szlig; gerade ich der Neue bin?"</p>
+ <p>Die ihn Umschwebenden l&auml;chelten lieblich.</p>
+ <p>"Du bist noch nicht so ganz erwacht."</p>
+ <p>"Du blickst uns an, als ob du Traumgestalten s&auml;hest und dich davor
+ f&uuml;rchtetest, da&szlig; sie pl&ouml;tzlich verschwinden k&ouml;nnten und
+ da&szlig; eine rauhe Wirklichkeit dich wieder umgeben m&ouml;chte."</p>
+ <p>Kamanita sch&uuml;ttelte den Kopf.</p>
+ <p>"Ich verstehe euch nicht so recht. Was sind Traumgestalten?"</p>
+ <p>"Ihr verge&szlig;t," sagte eine Wei&szlig;gekleidete, "da&szlig; er gewi&szlig;
+ noch nicht am Korallenbaume war."</p>
+ <p>"Nein, dort war ich noch nicht. Aber ich habe doch schon von ihm geh&ouml;rt. Mein
+ Nachbar im Teiche sprach mir davon; der Baum soll solch ein Wunder sein. Was ist's
+ denn mit ihm?"</p>
+ <p>Aber sie l&auml;chelten alle geheimnisvoll, sich gegenseitig anblickend und den
+ Kopf sch&uuml;ttelnd.</p>
+ <p>"Ich m&ouml;chte gern sofort hin. Will mir niemand den Weg zeigen?"</p>
+ <p>"Den Weg findest du schon selber, wenn die Zeit gekommen ist."</p>
+ <p>Kamanita strich sich mit der Hand &uuml;ber die Stirn.</p>
+ <p>"Noch ein Wunderding war da, von dem er sprach....Ja! Die himmlische Ganga....Von
+ ihr wird unser Teich gespeist. Ist das mit dem eurigen auch so?"</p>
+ <p>Die Wei&szlig;gekleidete zeigte nach dem klaren Fl&uuml;&szlig;chen, das sich um
+ den Fu&szlig; des H&uuml;gels wand und in gem&auml;chlichen Kr&uuml;mmungen sich dem
+ Teiche zuschl&auml;ngelte.</p>
+ <p>"Das ist unser Zuflu&szlig;. Unz&auml;hlige solcher Adern durchziehen diese
+ Gefilde, und auch das, was du gesehen hast, ist nur eine solche, wenn auch eine
+ gr&ouml;&szlig;ere. Aber die himmlische Ganga selber umschlie&szlig;t das ganze
+ Sukhavati."</p>
+ <p>"Hast du auch sie selber gesehen?"</p>
+ <p>Die Wei&szlig;e sch&uuml;ttelte den Kopf.</p>
+ <p>"So kann man denn nicht dorthin kommen?"</p>
+ <p>"Man kann schon," antworteten sie alle. "Aber keiner von uns war dort. Warum
+ sollten wir auch? Nirgends kann es sch&ouml;ner sein als hier. Einige andere freilich
+ waren da--aber sie sind nie wieder hingeflogen."</p>
+ <p>"Warum denn nicht?"</p>
+ <p>Die Wei&szlig;e zeigte nach dem Teiche:</p>
+ <p>"Siehst du den Roten dort, fast am anderen Ufer?--Er war dort, es ist lange, lange
+ her. Wollen wir ihn fragen, ob er sp&auml;ter noch einmal nach dem Gestade der Ganga
+ geflogen ist?"</p>
+ <p>"Nimmermehr," klang sofort die Antwort des Roten.</p>
+ <p>"Und warum denn nicht?"</p>
+ <p>"Fliege selber hin und hole dir Antwort."</p>
+ <p>"Wollen wir? Mit dir zusammen darf ich schon."</p>
+ <p>"Ich m&ouml;chte wohl hin--aber jetzt nicht."</p>
+ <p>Aus einem nahen Hain schwebte ein Zug seliger Gestalten hervor, schlang sich zu
+ einem Reigen um das Wiesengeb&uuml;sch, und indem die Reihe sich ausdehnte, ergriff
+ die &auml;u&szlig;erste Gestalt--eine hellblaue--die Hand der Wei&szlig;en. Diese
+ reichte einladend ihre andere Hand Kamanita hin.</p>
+ <p>Er dankte ihr l&auml;chelnd, sch&uuml;ttelte aber leise den Kopf:--</p>
+ <p>"Noch m&ouml;chte ich lieber zusehen."</p>
+ <p>"Ja, ruhe nur, und erwache. Auf Wiedersehen!"</p>
+ <p>Und von der Hellblauen sanft fortgezogen, schwebte sie von dannen, im luftigen
+ Ringeltanz.</p>
+ <p>Und auch die anderen zogen mit freundlichem, aufmunterndem Gru&szlig; davon, um
+ ihm Ruhe zur Sammlung zu geben.</p>
+ <h2><a id="chap_xxiv" name="chap_xxiv">XIV. DER KORALLENBAUM</a></h2>
+ <p><img src="images/xxiv.png" width="93" height="93" align="left" alt="K" />amanita
+ folgte ihnen lange mit dem Blick und wunderte sich. Und dann wunderte er sich
+ &uuml;ber sein Wundern. "Wie kommt es denn, da&szlig; Alles mich hier so seltsam
+ anmutet? Wenn ich hierher geh&ouml;re, warum scheint mir dann nicht Alles
+ selbstverst&auml;ndlich?--Aber jede neue Erscheinung hier ist mir r&auml;tselhaft und
+ setzt mich in Erstaunen. Zum Beispiel dieser Duft, der jetzt pl&ouml;tzlich an mir
+ vor&uuml;berweht. Wie ist er doch so ganz verschieden von allem anderen Blumendufte
+ hier--viel voller und m&auml;chtiger, anziehend und beunruhigend zugleich. Wo mag er
+ wohl herkommen?</p>
+ <p>...Aber wo mag ich wohl selber herkommen? Es scheint, als ob ich vor kurzem noch
+ ein Nichts gewesen bin. Oder habe ich doch ein Dasein gehabt, nur nicht hier? Aber wo
+ dann? Und wie bin ich denn hierhergekommen?"</p>
+ <p>W&auml;hrend diese Fragen in ihm aufstiegen, hatte sich sein K&ouml;rper, ohne
+ da&szlig; er es bemerkte, vom Rasen losgel&ouml;st, und er schwebte schon
+ weiter--aber in keiner von den Richtungen, denen die anderen gefolgt waren. Kamanita
+ stieg aufw&auml;rts, gegen eine Einsattelung im Gipfel des H&uuml;gels. Als er
+ &uuml;ber sie hinstrich, wurde er von einem noch st&auml;rkeren Hauch jenes neuen,
+ seltsamen Duftes empfangen.</p>
+ <p>Kamanita flog weiter.</p>
+ <p>Jenseits des H&uuml;gels verlor die Gegend etwas an Lieblichkeit. Der Blumenflor
+ war sp&auml;rlicher, das Geb&uuml;sch dunkler, die Haine dichter, die Felsen
+ schroffer und h&ouml;her. Herden von Gazellen weideten da, aber nur ganz vereinzelt
+ zeigte sich eine selige Gestalt.</p>
+ <p>Das Tal verengte sich und m&uuml;ndete in eine Kluft. Hier war jener Duft noch
+ st&auml;rker. Immer schneller wurde seine Flucht, immer nackter, steiler und
+ h&ouml;her schlossen sich die Felsenw&auml;nde zusammen, bis nirgends mehr ein
+ Ausgang zu sehen war.</p>
+ <p>Die Schlucht machte ein paar scharfe Wendungen und &ouml;ffnete sich
+ pl&ouml;tzlich.</p>
+ <p>Um Kamanita breitete sich ein von himmelstrebenden Malachitfelsen eingeschlossener
+ Talkessel, und mitten in diesem stand der Wunderbaum.</p>
+ <p>Stamm und &Auml;ste waren von blanker, roter Koralle; ein wenig gelblicher war die
+ R&ouml;te des krausen Laubwerkes, aus dem die Bl&uuml;ten tief karmesinfarbig
+ hervorgl&uuml;hten.</p>
+ <p>&Uuml;ber Felsenzinnen und Baumwipfel spannte der Himmel sich dunkelblau, ohne
+ da&szlig; ein einziges W&ouml;lkchen zu sehen war. Auch drang die Musik der Genien
+ kaum hierher--was noch in der Luft zitterte, war wie eine Erinnerung an l&auml;ngst
+ geh&ouml;rte Melodien.</p>
+ <p>Nur drei Farben waren da: das Ultramarinblau des Himmels, das Malachitgr&uuml;n
+ der Felsen, das Korallenrot des Baumes. Und nur <i>ein</i> Duft--jener
+ geheimnisvolle, allen anderen un&auml;hnliche Duft der karmesinroten Blumen, der
+ Kamanita hierher gef&uuml;hrt hatte.</p>
+ <p>Und alsbald zeigte sich nun auch die Wunderart dieses Duftes:</p>
+ <p>Als Kamanita ihn hier einsog, wo er verdichtet den ganzen Kessel f&uuml;llte,
+ erweiterte sich pl&ouml;tzlich sein Bewu&szlig;tsein und &uuml;berschwemmte und
+ durchbrach die Schranke, die bis jetzt hinter seinem Erwachen im Teiche errichtet
+ gewesen war.</p>
+ <p>Sein vorheriges Leben lag offen vor ihm:</p>
+ <p>Er sah die Halle des Hafners, wo er mit jenem t&ouml;richten Buddham&ouml;nch im
+ Gespr&auml;che sa&szlig;; er sah das G&auml;&szlig;chen in Rajagaha, das er
+ durcheilte, und die ihm entgegenst&uuml;rmende Kuh--dann die best&uuml;rzten
+ Gesichter ringsum und die gelbgekleideten M&ouml;nche....</p>
+ <p>Und er sah die Waldungen und Landstra&szlig;en seiner Pilgerschaft, seinen Palast
+ und seine beiden Frauen, die Het&auml;ren Ujjenis, die R&auml;uber, den Krishnahain
+ und die Terrasse der Sorgenlosen mit Vasitthi, das Elternhaus und die
+ Kinderstube....</p>
+ <p>Und dahinter sah er ein anderes Leben und noch eins und noch eins--und immer noch
+ andere, wie man die Baumreihe einer Landstra&szlig;e sieht, bis die B&auml;ume zu
+ Punkten werden und die Punkte in einen einzigen Schattenstreifen
+ zusammenschmelzen.</p>
+ <p>Bei diesem Anblick schwindelte ihm. Und sofort befand er sich wieder in der Kluft,
+ wie ein Blatt, das vom Winde getrieben wird. Denn das erstemal h&auml;lt niemand den
+ Duft des Korallenbaumes lange aus, und der Selbsterhaltungstrieb f&uuml;hrt Jeden
+ beim ersten Schwindel von dannen.</p>
+ <p>Als er nun ruhiger durch das offene Tal schwebte, erwog Kamanita:</p>
+ <p>"Jetzt verstehe ich, warum die Wei&szlig;e sagte, ich sei wohl noch nicht am
+ Korallenbaume gewesen. Denn freilich konnte ich damals nicht verstehen, was sie mit
+ 'Traumgestalten' meinten; jetzt aber wei&szlig; ich es, denn in jenem Leben habe ich
+ ja solche gesehen. Und jetzt begreife ich auch, warum ich hier bin. Ich wollte ja im
+ Mangohaine bei Rajagaha den Buddha aufsuchen. Freilich wurde das durch meinen
+ pl&ouml;tzlichen, gewaltsamen Tod vereitelt, aber mein guter Wille ist mir
+ angerechnet worden, und so bin ich an diesen Ort der Seligkeit gelangt, als ob ich zu
+ seinen F&uuml;&szlig;en gesessen und in seiner beseligenden Lehre gestorben
+ w&auml;re. Also ist mein Pilgergang nicht vergebens gewesen."</p>
+ <p>Und Kamanita erreichte bald wieder den Teich und lie&szlig; sich auf seine rote
+ Lotusrose nieder, wie ein Vogel, der sein Nest aufsucht.</p>
+ <h2><a id="chap_xxv" name="chap_xxv">XXV. DIE KNOSPE &Ouml;FFNET SICH</a></h2>
+ <p><img src="images/xxv.png" width="93" height="93" align="left"
+ alt="P" />l&ouml;tzlich schien es Kamanita, als ob unten im Teiche sich etwas
+ Lebendiges bewege. In der kristallenen Tiefe wurde er undeutlich einen aufsteigenden
+ Schatten gewahr. Das Wasser brodelte und wallte, und eine gro&szlig;e Lotusknospe mit
+ roter Spitze scho&szlig; wie ein Fisch aus der Flut empor, um dann schwimmend auf der
+ Wasserfl&auml;che sich zu wiegen, die erst in Kreisen wellte und dann noch lange
+ danach wie zersplittert zitterte und glitzerte, farbenspr&uuml;hend, als ob der Teich
+ mit flie&szlig;enden Diamanten gef&uuml;llt w&auml;re, w&auml;hrend der Widerschein
+ der Wasserblinke wie kleine Flammen &uuml;ber die Lotusbl&auml;tter, die
+ Gew&auml;nder und die Gesichter der seligen Gestalten emporflatterte.</p>
+ <p>Und auch das Gem&uuml;t Kamanitas erzitterte und strahlte in allen seinen
+ verborgenen Farben, auch &uuml;ber sein Herz schien ein Widerschein freudiger
+ Bewegung spielend hinzutanzen.</p>
+ <p>"Was war das wohl?" fragte sein Blick den blauen Nachbar.</p>
+ <p>"Tief unten, in weiten Weltfernen, auf der tr&uuml;ben Erde, hat in diesem
+ Augenblick eine menschliche Seele ihren Herzenswunsch darauf gerichtet, hier in
+ Sukhavati wieder ins Dasein zu treten. Nun wollen wir auch beobachten, ob die Knospe
+ sich sch&ouml;n entwickelt und zum Bl&uuml;hen gelangt. Denn gar manche Seele richtet
+ ihren Wunsch auf den reinen Ort der Seligkeit, vermag aber nicht, danach zu leben,
+ sondern verstrickt sich wieder in unheilige Leidenschaften, versinkt in die Lust des
+ Fleisches und bleibt an dem Erdenschmutze haften. Dann aber verk&uuml;mmert die
+ Knospe und verschwindet zuletzt g&auml;nzlich. Diesmal ist es, wie du siehst, eine
+ m&auml;nnliche Seele. Eine solche kommt in dem bunten Welttreiben leichter vom
+ Paradieswege ab, weshalb du auch bemerken wirst, da&szlig;, wenn auch die roten und
+ die wei&szlig;en sich an Zahl ziemlich gleichkommen, unter den blauen die helleren,
+ weiblichen, bei weitem die meisten sind."</p>
+ <p>Bei dieser Mitteilung erbebte das Herz Kamanitas gar sonderbar, als ob auf einmal
+ schmerzliche Freude und lustgeb&auml;rendes Weh es in schwankende Bewegung setzten,
+ und sein Blick ruhte r&auml;tselratend auf einer geschlossenen Lotusrose, die,
+ wei&szlig; wie die Brust eines Schwans, dicht neben ihm sich in dem noch leise
+ bewegten Wasser anmutig wiegte.</p>
+ <p>"Kannst du dich auch darauf besinnen, da&szlig; du einmal gesehen hast, wie die
+ Knospe meines Lotus sich aus der Tiefe erhob?" fragte er den erfahrenen Nachbar.</p>
+ <p>"Gewi&szlig;, denn sie tauchte ja zusammen mit dieser wei&szlig;en Blume auf, die
+ du jetzt gerade betrachtest. Und ich habe das Paar immer beobachtet, manchmal nicht
+ ohne Besorgnis. Denn ziemlich bald fing deine Knospe an, sichtlich
+ zusammenzuschrumpfen und sie war fast g&auml;nzlich unter die W&auml;sserfl&auml;che
+ hinabgesunken, als sie sich pl&ouml;tzlich wieder erhob, voller und blanker wurde und
+ sich dann gar pr&auml;chtig bis zum Entfalten entwickelte. Die wei&szlig;e aber wuchs
+ langsam, allm&auml;hlich und gleichm&auml;&szlig;ig ihrer Entfaltung entgegen--dann
+ aber wurde auch sie pl&ouml;tzlich wie von einer Krankheit befallen. Doch sie erholte
+ sich rasch wieder und wurde solch herrliche Blume, wie du sie jetzt vor dir
+ siehst."</p>
+ <p>Bei diesen Worten erhob sich in Kamanita eine so freudige Bewegung, da&szlig; es
+ ihn d&uuml;nken wollte, als sei er bis jetzt nur ein tr&uuml;ber Gast an einem
+ tr&uuml;ben Ort gewesen,--derma&szlig;en schien jetzt Alles um ihn herum zu leuchten,
+ zu duften und zu klingen.</p>
+ <p>Und als ob sein Blick, der unverwandt auf dem wei&szlig;en Lotus ruhte, ein
+ Zauberstab w&auml;re, um verborgene Sch&auml;tze zu heben, regte sich die Spitze der
+ Blume, die Bl&auml;tter bogen ihre R&auml;nder nach vorne und neigten sich nach allen
+ Seiten; und sieh'--in ihrer Mitte sa&szlig; Vasitthi mit weit ge&ouml;ffneten Augen,
+ deren s&uuml;&szlig; l&auml;chelnder B&uuml;ck dem seinigen begegnete.</p>
+ <p>Und Kamanita und Vasitthi streckten gleichzeitig die Arme nach einander aus, und,
+ ihre H&auml;nde ineinanderlegend, schwebten sie &uuml;ber den Teich dem Ufer zu.</p>
+ <p>Kamanita merkte wohl, da&szlig; Vasitthi ihn noch nicht wiedererkannte, sondern
+ sich ihm nur unwillk&uuml;rlich zuwandte, wie die Sonnenblume der Sonne. Wie
+ h&auml;tte sie ihn auch erkennen sollen, da doch niemand sofort bei seinem Erwachen
+ sich seines vorausgegangenen Lebens erinnerte--wenn auch in den Tiefen ihres
+ Gem&uuml;tes sich bei seinem Anblick dunkle Ahnungen regen mochten, wie einst bei
+ ihm, als sein Nachbar von der himmlischen Ganga sprach.</p>
+ <p>Er zeigte ihr den strahlenden Flu&szlig;, der sich still in den Teich
+ ergo&szlig;:</p>
+ <p>"So speisen die silbrigen Wellen der himmlischen Ganga alle Lotusteiche in den
+ Gefilden der Seligen."</p>
+ <p>"Die himmlische Ganga?" wiederholte sie fragend und strich sich mit der Hand
+ &uuml;ber die Stirn.</p>
+ <p>"Komm, wir wollen nach dem Korallenbaum."</p>
+ <p>"Dort aber ist der Hain und das Geb&uuml;sch so lieblich, und sie spielen dort
+ solch heitere Spiele," sagte Vasitthi, nach einer anderen Richtung zeigend.</p>
+ <p>"Nachher! Jetzt wollen wir zuerst nach dem Korallenbaum, um dich durch seinen
+ Wunderduft zu erquicken."</p>
+ <p>Wie ein Kind, das man durch Versprechen auf ein neues Spielzeug dar&uuml;ber
+ getr&ouml;stet hat, da&szlig; es am fr&ouml;hlichen Treiben der Kameraden nicht
+ teilnehmen darf, so folgte Vasitthi ihm willig. Als der Duft ihnen entgegenzuwehen
+ begann, belebten sich ihre Z&uuml;ge mehr und mehr.</p>
+ <p>"Wo f&uuml;hrst du mich hin?" fragte sie, als sie in die enge Felsenschlucht
+ einlenkten. "Niemals bin ich noch so erwartungsvoll gewesen. Und es kommt mir vor,
+ als ob ich schon oft voll Erwartung war, obschon dein L&auml;cheln mich daran
+ erinnert, da&szlig; ich ja eben erst zum Bewu&szlig;tsein erwacht bin. Aber du hast
+ dich geirrt, hier kann man ja nicht weiter."</p>
+ <p>"O, man kann weiter, viel, <i>viel</i> weiter," l&auml;chelte Kamanita, "und
+ vielleicht wirst du jetzt gewahr, da&szlig; jenes Gef&uuml;hl dich nicht
+ get&auml;uscht hat, liebste Vasitthi!"</p>
+ <p>Und schon &ouml;ffnete sich vor ihnen das Talbecken der Malachitfelsen mit dem
+ roten Korallenbaum und dem tiefblauen Himmel, und der Duft aller D&uuml;fte umfing
+ sie.</p>
+ <p>Vasitthi legte die H&auml;nde auf ihre Brust, wie um ihr gar zu tiefes Atmen zu
+ hemmen, und am schnellen Wechsel von Licht und Schatten in ihren Z&uuml;gen erkannte
+ Kamanita, wie der Sturm der Lebenserinnerungen &uuml;ber sie dahinbrauste.</p>
+ <p>Pl&ouml;tzlich erhob sie ihre Arme und warf sich an seine Brust:</p>
+ <p>"Kamanita, mein Liebster!"</p>
+ <p>Und er trug sie von dannen, im Eilfluge durch die Schlucht
+ zur&uuml;ckst&uuml;rmend.</p>
+ <p>Im offenen, noch etwas ernsten Tal, mit dunklem Geb&uuml;sch und dichten Hainen,
+ wo die Gazellen spielten, aber keine menschliche Gestalt die Einsamkeit st&ouml;rte,
+ lie&szlig; er sich mit ihr unter einem Baume nieder.</p>
+ <p>"O, du &Auml;rmster!"--sprach Vasitthi, "was mu&szlig;t du gelitten haben! Und was
+ mu&szlig;t du von mir gedacht haben, als du erfuhrst, da&szlig; ich Satagira
+ geheiratet hatte!"</p>
+ <p>Aber Kamanita erz&auml;hlte ihr, wie er das nicht durch eine Nachricht erfahren,
+ sondern selber in der Hauptstra&szlig;e Kosambis den Hochzeitszug gesehen habe, und
+ wie der namenlose Jammer, der auf ihrem Gesichte gepr&auml;gt stand, ihn unmittelbar
+ davon &uuml;berzeugt habe, da&szlig; sie nur dem Zwang ihrer Eltern nachgegeben
+ h&auml;tte.</p>
+ <p>"Aber keine Macht der Erde h&auml;tte mich gezwungen, du einzig Geliebter, wenn
+ ich nicht h&auml;tte glauben m&uuml;ssen, den sicheren Beweis zu haben, da&szlig; du
+ nicht mehr am Leben seist."</p>
+ <p>Und Vasitthi hub an, ihre damaligen Erlebnisse zu berichten.</p>
+ <h2><a id="chap_xxvi" name="chap_xxvi">XXVI. DIE KETTE MIT DEM TIGERAUGE</a></h2>
+ <p><img src="images/xxvi.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />ls du,
+ mein Freund, Kosambi verlassen hattest, schleppte ich meine Tage und N&auml;chte
+ elend dahin, wie es ein M&auml;dchen tut, das vom schleichenden Fieber der Sehnsucht
+ verzehrt wird und dabei in tausend &Auml;ngsten um den Geliebten schwebt. Ich
+ wu&szlig;te ja nicht einmal, ob du noch die Erdenluft mit mir atmetest. Denn ich
+ hatte gar oft von den Gefahren solcher Reisen geh&ouml;rt. Und nun mu&szlig;te ich
+ mir auch noch die schrecklichsten Vorw&uuml;rfe machen, weil ich ja selber durch den
+ t&ouml;richten Eigensinn meiner Liebe die Schuld daran trug, da&szlig; du nicht unter
+ dem Schutze der Gesandtschaft die R&uuml;ckreise in v&ouml;lliger Sicherheit gemacht
+ hattest. Und dennoch vermochte ich nicht, diese meine Unbesonnenheit zu bereuen, da
+ ich ihr doch alle jene sch&ouml;nen Erinnerungen verdankte, die mein ganzer Schatz
+ waren.</p>
+ <p>Selbst Medinis aufmunternde und tr&ouml;stende Worte vermochten nur selten die
+ Wolke meiner Schwermut zeitweilig zu vertreiben. Mein bester und treuester Freund war
+ der sch&ouml;ne Asokabaum, unter dem wir in jener herrlichen Mondnacht standen, die
+ du, mein s&uuml;&szlig;er Freund, gewi&szlig; nicht vergessen hast, und den ich
+ damals mit den Worten Damayantis anredete. Unz&auml;hlige Male versuchte ich aus dem
+ Rauschen seiner Bl&auml;tter eine Antwort auf meine besorgte Frage
+ herauszuh&ouml;ren, in dem Fallen einer Blume oder dem Spiele der Lichtflecken auf
+ dem Boden irgend eine Vorbedeutung zu sehen. War dann einmal ein solches
+ selbstgemachtes Orakelzeichen im g&uuml;nstigen Sinne ausgefallen, dann konnte ich
+ mich einen ganzen Tag oder noch l&auml;nger fast gl&uuml;cklich f&uuml;hlen und
+ hoffnungsvoll in die Zukunft schauen. Gerade dadurch wuchs dann aber die Sehnsucht,
+ und mit ihr kehrten dann die Bef&uuml;rchtungen zur&uuml;ck, wie b&ouml;se
+ Tr&auml;ume der Fieberhitze entwachsen.</p>
+ <p>In diesem Zustand war es fast eine Wohltat, da&szlig; es bald nicht l&auml;nger
+ meiner Liebe erlaubt wurde, in einsamer Tatenlosigkeit nur ihrem Leide zu leben,
+ sondern da&szlig; sie in eine Kampfstellung gedr&auml;ngt wurde, in der sie alle ihre
+ Kr&auml;fte zusammennehmen mu&szlig;te, wenn ich mich auch dadurch fast mit meinen
+ N&auml;chsten v&ouml;llig entzweit h&auml;tte.</p>
+ <p>Satagira, der Sohn des Ministers, verfolgte mich n&auml;mlich jetzt immer eifriger
+ mit den Zeichen seiner Liebe, und ich konnte mich nicht mehr in einem
+ &ouml;ffentlichen Lustgarten mit meinen Gespielinnen zeigen, ohne da&szlig; er da war
+ und mich zum Gegenstand seiner aufdringlichen Aufmerksamkeit machte. Da&szlig; ich
+ diese nicht im geringsten erwiderte, ja ihm deutlicher, als es h&ouml;flich war,
+ zeigte, wie sehr sie mir verha&szlig;t war, hatte nicht die mindeste abk&uuml;hlende
+ Wirkung. Bald fingen nun meine Eltern an, erst mit allerlei Andeutungen, dann immer
+ unverbl&uuml;mter, seine Sache zu bef&uuml;rworten, und als er schlie&szlig;lich mit
+ seinem Werben offert hervortrat, verlangten sie, da&szlig; ich ihm meine Hand geben
+ sollte. Ich versicherte Ihnen unter bitteren Tr&auml;nen, niemals Satagira lieben zu
+ k&ouml;nnen; das machte jedoch nur wenig Eindruck auf sie. Aber ebensowenig wirkten
+ auf mich ihre Vorstellungen, ihr Bitten und Z&uuml;rnen, das Flehen meiner Mutter,
+ die Drohungen meines Vaters.</p>
+ <p>In die Enge getrieben, erkl&auml;rte ich ihnen zuletzt geradeaus, da&szlig; ich
+ mich <i>dir</i>--von dem sie schon durch Satagira geh&ouml;rt hatten--versprochen
+ h&auml;tte, und da&szlig; keine Macht der Welt mich zwingen k&ouml;nnte, dir das
+ heilige Wort zu brechen und einem Anderen anzugeh&ouml;ren. K&auml;me es aber zum
+ &Auml;u&szlig;ersten, dann w&uuml;rde ich durch dauernde Verweigerung jedweder
+ Nahrung mir selber den Tod geben.</p>
+ <p>Als meine Eltern nun merkten, da&szlig; ich wohl imstande war, diese Drohung
+ auszuf&uuml;hren, gaben sie endlich, wenn auch sehr betr&uuml;bt und erz&uuml;rnt,
+ die Sache auf; und auch Satagira schien sich nun in sein Schicksal zu f&uuml;gen und
+ darauf bedacht zu sein, sich &uuml;ber seine Niederlage in der Liebe durch
+ Siegestaten auf einem rauheren Schlachtfelde zu tr&ouml;sten.</p>
+ <p>In dieser Zeit meldete das Ger&uuml;cht viel Schreckliches von dem R&auml;uber
+ Angulimala, der mit seiner Bande ganze Gegenden verheerte, die D&ouml;rfer
+ ein&auml;scherte und die Wege so unsicher machte, da&szlig; zuletzt fast niemand mehr
+ wagte, nach Kosambi zu reisen. Ich geriet darob in gro&szlig;e Angst, denn ich
+ f&uuml;rchtete nat&uuml;rlich, da&szlig; du jetzt endlich kommen und unterwegs in
+ seine H&auml;nde fallen m&ouml;chtest. Es verlautete nun pl&ouml;tzlich, Satagira
+ habe den Oberbefehl &uuml;ber eine gro&szlig;e Truppenmacht erhalten, um die ganze
+ Gegend von Kosambi zu s&auml;ubern und wom&ouml;glich Angulimala selber und die
+ anderen Hauptf&uuml;hrer der Bande gefangen zu nehmen. Er habe, hie&szlig; es,
+ geschworen, dies zu erreichen oder bei dem Versuche im Kampfe zu fallen.</p>
+ <p>So wenig ich auch sonst dem Sohne des Ministers hold war, so konnte ich doch nicht
+ umhin, ihm diesmal besten Erfolg zu g&ouml;nnen, und als er auszog, folgten meine
+ segnenden W&uuml;nsche seinen Fahnen.</p>
+ <p>Etwa eine Woche sp&auml;ter war ich mit Medini im Garten, als wir von der
+ Stra&szlig;e her lautes Geschrei vernahmen. Medini lief sofort hin, um zu erfahren,
+ was geschehen sei und meldete alsbald, Satagira kehre im Triumph nach der Stadt
+ zur&uuml;ck, nachdem er die R&auml;uber niedergemetzelt oder gefangen genommen habe;
+ auch der schreckliche Angulimala sei lebendig in seine H&auml;nde gefallen. Sie
+ forderte mich auf, mit ihr und Somadatta auf die Stra&szlig;e zu gehen, um den Einzug
+ der Krieger und der gefangenen R&auml;uber zu sehen, aber ich wollte nicht, weil ich
+ es Satagira nicht g&ouml;nnte, mich unter den Zuschauern seines Triumphes zu sehen.
+ So blieb ich denn allein zur&uuml;ck, &uuml;bergl&uuml;cklich bei dem Gedanken,
+ da&szlig; die Wege f&uuml;r meinen Geliebten jetzt wieder ge&ouml;ffnet seien. Denn
+ so wenig ahnen ja die Sterblichen den Gang des Schick-sals, da&szlig; sie manchmal,
+ wie ich es damals tat, als einen Gl&uuml;ckstag den Tag begr&uuml;&szlig;en, an
+ welchem gerade ihr Leben eine Wendung zum D&uuml;steren nimmt.</p>
+ <p>Am folgenden Morgen trat mein Vater in mein Zimmer. Er &uuml;berreichte mir eine
+ kristallene Kette mit einem Tigeraugen-Amulett und fragte mich, ob ich sie wohl
+ erkenne.</p>
+ <p>Mir war, als ob ich umsinken m&uuml;&szlig;te, aber ich nahm alle meine
+ Kr&auml;fte zusammen und antwortete, die Kette &auml;hnele einer, die du immer um den
+ Hals getragen h&auml;ttest.</p>
+ <p>"Sie &auml;hnelt ihr nicht," sagte mein Vater mit grausamer Ruhe--"sie <i>ist</i>
+ es. Als Angulimala gefangen genommen wurde, trug er sie, und Satagira erkannte sie
+ sofort wieder. Denn, wie er mir erz&auml;hlte, hat er einmal mit Kamanita im Parke um
+ deinen Ball gerungen. Dabei zerri&szlig; Kamanitas Kette, die er ergriffen hatte, um
+ seinen Widersacher daran zur&uuml;ckzuhalten, und blieb in seinen H&auml;nden, so
+ da&szlig; er sie genau betrachten konnte. Er war &uuml;berzeugt, sich nicht zu
+ t&auml;uschen. Auch hat dann Angulimala, peinlich befragt, eingestanden, da&szlig; er
+ vor etwa zwei Jahren die Karawane Kamanitas auf ihrem R&uuml;ckwege nach Ujjeni in
+ der Gegend von Vedisa angegriffen, die Leute niedergemetzelt und Kamanita mit einem
+ Diener gefangen genommen habe. Den Diener schickte er nach Ujjeni um L&ouml;segeld.
+ Da dies aber aus irgend einem Grunde ausblieb, hat er nach dem Brauch der R&auml;uber
+ Kamanita get&ouml;tet."</p>
+ <p>Bei diesen schrecklichen Worten h&auml;tte mich wohl die Besinnung verlassen, wenn
+ sich nicht meinen verzweifelten Gedanken sofort eine M&ouml;glichkeit er&ouml;ffnet
+ h&auml;tte, noch gegen die Hoffnung selbst zu hoffen:</p>
+ <p>"Satagira ist ein schlechter und verschlagener Mensch," antwortete ich mit
+ scheinbarer Ruhe, "der vor keinem Betrug zur&uuml;ckschreckt, und er hat sein Herz
+ oder vielmehr seinen Stolz darauf gesetzt, mich zur Frau zu gewinnen. Wenn er damals
+ die Kette so genau betrachtet hat, was sollte ihn dann hindern, eine &auml;hnliche
+ anfertigen zu lassen? Ich glaube, als er von Angulimala h&ouml;rte, ist er auf diesen
+ Gedanken verfallen. H&auml;tte er auch nicht Angulimala selber gefangen, so
+ k&ouml;nnte er doch immer sagen, die Kette sei im Besitz der R&auml;uber gefunden
+ worden und sie h&auml;tten eingestanden, Kamanita get&ouml;tet zu haben."</p>
+ <p>"Das ist kaum m&ouml;glich, meine Tochter," sagte mein Vater
+ kopfsch&uuml;ttelnd--"und zwar aus einem Grunde, den du freilich nicht sehen kannst,
+ den ich aber gl&uuml;cklicherweise als Goldschmied dir aufdecken kann. Wenn du die
+ kleinen Goldglieder betrachtest, die die Kristallst&uuml;cke miteinander verbinden,
+ so wirst du bemerken, da&szlig; das Metall r&ouml;tlicher ist als das der hiesigen
+ Schmucksachen, weil wir in unseren Legierungen mehr Silber als Kupfer verwenden. Auch
+ ist die Arbeit gerade von der etwas gr&ouml;beren Art, wie man sie in den
+ Gebirgsl&auml;ndern ausf&uuml;hrt."</p>
+ <p>Mir schwebte die Antwort auf der Zunge, er sei selber ein so geschickter
+ Goldschmied, da&szlig; sowohl die richtige Zusammensetzung als auch die
+ charakteristische Bearbeitung des Goldes ihm wohl gelingen d&uuml;rfte; denn ich sah
+ Alles gegen unsere Liebe verschworen und traute selbst meinen N&auml;chsten nicht.
+ Indessen begn&uuml;gte ich mich damit, zu sagen, ich lie&szlig;e mich keineswegs
+ durch diese Kette &uuml;berzeugen, da&szlig; mein Kamanita nicht mehr am Leben
+ sei.</p>
+ <p>Mein Vater verlie&szlig; mich nun in gro&szlig;em Zorn, und ich konnte mich in der
+ Einsamkeit ganz meiner Verzweiflung hingeben.</p>
+ <h2><a id="chap_xxvii" name="chap_xxvii">XXVII. DER WAHRHEITSAKT
+ (SACCAKIRIYA)</a></h2>
+ <p><img src="images/xxvii.png" width="93" height="93" align="left" alt="D" />ie
+ resten Stunden der Nacht verbrachte ich in dieser Zeit immer auf der Terrasse der
+ Sorgenlosen, entweder allein oder mit Medini zusammen. An diesem Abend war ich allein
+ da, was mir in meiner augenblicklichen Stimmung auch das liebste war. Der Vollmond
+ strahlte herab wie damals, und ich stand vor dem gro&szlig;en bl&uuml;tenreichen
+ Asoka, um mir von ihm, dem "Herzfrieden", eine tr&ouml;stende Vorbedeutung f&uuml;r
+ mein friedloses Herz zu erbitten. Und ich sagte zu mir selber: "Wenn zwischen mir und
+ dem Stamm eine safrangelbe Blume niederf&auml;llt, bevor ich bis hundert gez&auml;hlt
+ habe, dann ist mein geliebter Kamanita noch am Leben."</p>
+ <p>Als ich bis f&uuml;nfzig gez&auml;hlt hatte, fiel eine Blume nieder, aber eine
+ orangefarbige. Als ich die Zahl achtzig erreicht hatte, fing ich an, langsamer und
+ immer langsamer zu z&auml;hlen. Da &ouml;ffnete sich knarrend eine T&uuml;r in der
+ Ecke zwischen Terrasse und Hausmauer, wo eine Treppe in den Hof
+ hinunterf&uuml;hrte--ein Zugang, der eigentlich nur f&uuml;r Arbeiter und
+ G&auml;rtner bestimmt war.</p>
+ <p>Mein Vater trat hervor und hinter ihm Satagira. Ein paar bis an die Z&auml;hne
+ bewaffnete Reisige folgten, danach kam ein Mann, der die anderen um Hauptesl&auml;nge
+ &uuml;berragte, und zuletzt beschlossen noch andere Reisige diesen seltsamen, ja
+ unerkl&auml;rlichen Aufzug. Zwei von den letzteren blieben als Wache an der T&uuml;r
+ zur&uuml;ck, alle &uuml;brigen kamen auf mich zu. Dabei fiel es mir auf, da&szlig;
+ der Riese in ihrer Mitte nur mit M&uuml;he gehen konnte, und da&szlig; bei jedem
+ seiner Schritte ein unheimliches Klirren und Rasseln ert&ouml;nte.</p>
+ <p>In diesem Augenblick schwebte eine safrangelbe Asokablume nieder und blieb gerade
+ vor meinen F&uuml;&szlig;en liegen. Aber ich hatte vor Verwunderung zu z&auml;hlen
+ aufgeh&ouml;rt und wu&szlig;te daher nicht mehr festzustellen, ob sie vor oder nach
+ der Zahl Hundert gefallen war.</p>
+ <p>Als die Gruppe nun aus dem Mauerschatten in das volle Mondlicht heraustrat, sah
+ ich mit Entsetzen, da&szlig; jene Riesengestalt mit Eisenketten beladen war. Die
+ H&auml;nde waren ihm auf dem R&uuml;cken gefesselt; um die Fu&szlig;kn&ouml;chel
+ klirrten schwere, durch Kugelstangen verbundene eiserne Ringe, von denen doppelte
+ Eisenketten zum Halsringe hinauff&uuml;hrten, an welchen wiederum zwei andere Ketten
+ befestigt waren, die von zwei Reisigen gehalten wurden. Wie bei Einem, der zum
+ Richtplatz gef&uuml;hrt wird, hing ihm ein Gewinde von roten Kanaverabl&uuml;ten um
+ den Nacken und die haarige Brust, und das rotgelbe Backsteinpulver, mit dem sein
+ Haupt bestreut war, lie&szlig; das wirr &uuml;ber die Stirn herabh&auml;ngende Haar
+ und den fast bis an die Augen reichenden Bart noch wilder erscheinen. Aus dieser
+ Maske hervor blitzten die Augen mir entgegen--jedoch nur eben blitzartig schnell;
+ dann senkte sich der Blick und irrte scheu wie der eines b&ouml;sen Tieres am Boden
+ umher.</p>
+ <p>Wen ich vor mir hatte, danach h&auml;tte ich auch <i>dann</i> nicht zu fragen
+ gebraucht, wenn die Kanaverabl&uuml;ten jenes Wahrzeichen seines furchtbaren Namens
+ verdeckt h&auml;tten: das Halsband von Menschendaumen.<a href="#fu9">[1]</a></p>
+ <p><a id="fu9" name="fu9"></a></p>
+ <blockquote>
+ [1] Angulimala = Fingerkranz.
+ </blockquote>
+ <br />
+ <br />
+ <p>"Nun, Angulimala," brach Satagira das Schweigen, "wiederhole vor dieser edlen
+ Jungfrau, was du auf der Folter von der Ermordung des jungen Kaufmanns Kamanita aus
+ Ujjeni gestanden hast."</p>
+ <p>"Kamanita wurde nicht ermordet," antwortete der R&auml;uber m&uuml;rrisch,
+ "sondern gefangen genommen und unseren Gebr&auml;uchen gem&auml;&szlig;
+ umgebracht."</p>
+ <p>Und er erz&auml;hlte mir nun in wenigen Worten, was mein Vater mir schon
+ dar&uuml;ber gesagt hatte.</p>
+ <p>Ich stand unterdessen mit dem R&uuml;cken an den Asokabaum gelehnt und hielt mich
+ mit beiden H&auml;nden an den Stamm gest&uuml;tzt, die Fingern&auml;gel krampfhaft in
+ die Rinde grabend, um nicht umzusinken. Als Angulimala zu Ende gesprochen hatte,
+ schien sich Alles um mich im Kreise zu drehen. Noch gab ich es aber nicht auf.</p>
+ <p>"Du bist ein ehrloser R&auml;uber und M&ouml;rder," sagte ich, "was kann mir dein
+ Wort gelten? Warum solltest du nicht aussagen, was der dir befiehlt, in dessen Gewalt
+ dich deine Missetaten gebracht haben?"</p>
+ <p>Und wie auf eine pl&ouml;tzliche Eingebung, die mich selber &uuml;berraschte und
+ mir fast einen Hoffnungsschimmer aufleuchten lie&szlig;, f&uuml;gte ich hinzu:</p>
+ <p>"Du darfst mir ja nicht einmal in die Augen sehen--du, der Schrecken aller
+ Menschen--mir, einem schwachen M&auml;dchen! Du darfst es nicht--weil du auf
+ Anstiftung dieses Mannes eine feige L&uuml;ge sagst."</p>
+ <p>Angulimala blickte nicht auf, aber er lachte grimmig und antwortete mit einer
+ Stimme, die wie das Brummen eines gefesselten Raubtieres klang:</p>
+ <p>"Wozu sollte das wohl gut sein, dir in die Augen zu sehen? Das &uuml;berlasse ich
+ den jungen Fanten. Dem Blicke eines ehrlosen R&auml;ubers w&uuml;rdest du ja doch
+ ebensowenig glauben wie seinen Worten. Und von seinem Eide w&uuml;rdest du wohl auch
+ nicht mehr halten."</p>
+ <p>Er trat einen Schritt n&auml;her.</p>
+ <p>"Wohlan, M&auml;dchen! So sei nun Zeugin meines 'Wahrheitsaktes'."</p>
+ <p>Noch einmal traf mich der Blitz seines Blickes, als dieser sich aufw&auml;rts nach
+ dem Monde richtete, so da&szlig; mitten im Gewirr seines mi&szlig;farbigen Haares und
+ Bartes nur die wei&szlig;en Aug&auml;pfel zu sehen waren. Seine Brust arbeitete,
+ da&szlig; die roten Blumen sich tanzend bewegten, und mit einer Stimme, wie wenn der
+ Donner zwischen den Wolken rollt, rief er:</p>
+ <p>"Die du den Tiger z&auml;umest, schlangengekr&ouml;nte, n&auml;chtige G&ouml;ttin!
+ Die du im Mondschein auf Bergeszinnen tanzest, mit dem Sch&auml;delhalsband rasselnd,
+ z&auml;hnefletschend, die Blutschale schwingend, Kali, Herrin der R&auml;uber, die du
+ mich durch tausend Gefahren gef&uuml;hrt hast, h&ouml;re mich! So wahr ich nie mit
+ dem Opfer kargte, so wahr ich deine Gesetze immer treulich gehalten habe, so wahr ich
+ auch mit diesem Kamanita getreu verfuhr nach deiner Satzung, die uns 'Absendern'
+ gebietet, wenn das L&ouml;segeld nicht zur festgesetzten Stunde eintrifft, den
+ Gefangenen mitten durchzus&auml;gen und die K&ouml;rperteile auf die Landstra&szlig;e
+ zu werfen:--so wahr wirst du mir jetzt in meiner h&ouml;chsten Not beistehen, meine
+ Ketten zerrei&szlig;en und mich aus den H&auml;nden meiner Feinde befreien!"</p>
+ <p>Indem er das sagte, machte er eine gewaltsame Bewegung--die Ketten klirrten--Anne
+ und Beine waren frei--die beiden Reisigen, die ihn hielten, lagen am Boden, einen
+ dritten schlug er mit dem Kettenst&uuml;ck, das an seinem Handgelenke hing, nieder,
+ und bevor jemand von uns recht begriff, was eigentlich geschehen war, hatte
+ Angulimala sich &uuml;ber die Brustwehr geschwungen. Mit einem wilden Schrei
+ st&uuml;rmte Satagira ihm nach.--Das war das Letzte, was ich sah und h&ouml;rte.</p>
+ <p>Nachher erfuhr ich, da&szlig; Angulimala gest&uuml;rzt sei, sich einen Fu&szlig;
+ gebrochen habe und von der Wache festgenommen worden sei; sp&auml;ter sei er dann im
+ Gef&auml;ngnis auf der Folter gestorben, und sein Kopf &uuml;ber dem n&ouml;rdlichen
+ Stadttor aufgesteckt worden, woselbst Medini und Somadatta ihn gesehen haben.</p>
+ <p>Durch den Wahrheitsakt Angulimalas war der letzte Zweifel und die letzte Hoffnung
+ von mir gewichen. Denn ich wu&szlig;te wohl, da&szlig; selbst jene teuflische
+ G&ouml;ttin kein Wunder zu seiner Rettung h&auml;tte wirken k&ouml;nnen, wenn er
+ nicht die Macht der Wahrheit auf seiner Seite gehabt h&auml;tte.</p>
+ <p>Was nun aus mir wurde, darum k&uuml;mmerte ich mich wenig, denn auf dieser Erde
+ war ja doch Alles f&uuml;r mich verloren. Nur im Paradiese des Westens konnten wir
+ uns wiedersehen: du warst vorausgegangen, und ich w&uuml;rde, so hoffte ich, bald
+ folgen. Dort bl&uuml;hte das Gl&uuml;ck, alles andere war gleichg&uuml;ltig.</p>
+ <p>Da nun Satagira sein Werben fortsetzte und meine Mutter mir immer wieder jammernd
+ und weinend Vorstellungen machte, sie w&uuml;rde gebrochenen Herzens sterben, wenn
+ sie durch mich die Schmach erlitte, da&szlig; ich unverheiratet im Elternhause sitzen
+ bliebe--h&auml;tte sie dann doch ebensogut das h&auml;&szlig;lichste M&auml;dchen von
+ Kosambi zur Welt bringen k&ouml;nnen!--da erlahmte endlich nach und nach mein
+ Widerstand.</p>
+ <p>&Uuml;brigens hatte ich auch jetzt nicht mehr so viel gegen Satagira einzuwenden
+ wie fr&uuml;her. Ich konnte nicht umhin, die Standhaftigkeit und Treue seiner Neigung
+ anzuerkennen, und ich f&uuml;hlte auch, da&szlig; ich ihm Dankbarkeit schuldig war,
+ weil er den Tod meines Geliebten ger&auml;cht hatte.</p>
+ <p>So wurde ich denn--als wiederum fast ein Jahr verstrichen war--die Braut
+ Satagiras.</p>
+ <h2><a id="chap_xxviii" name="chap_xxviii">XXVIII. AM GESTADE DER HIMMLISCHEN
+ GANGA</a></h2>
+ <p><img src="images/xxviii.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />ls
+ Kamanita merkte, da&szlig; selbst hier, am Orte der Seligkeit, diese Erinnerungen die
+ noch zarte, neuerwachte Seele der Geliebten wie mit dunklen Fittichen
+ &uuml;berschatteten, fa&szlig;te er sie bei der Hand und f&uuml;hrte sie weiter,
+ indem er ihren gemeinsamen Flug nach jenem lieblichen H&uuml;gel richtete, auf dessen
+ Abhang er k&uuml;rzlich gelegen und dem Spiele der Schwebenden zugeschaut hatte.</p>
+ <p>Hier lagerten sie sich. Schon waren Haine und Geb&uuml;sche, Wiesen und
+ H&uuml;gelabh&auml;nge voll unz&auml;hliger schwebender Gestalten, roter, blauer und
+ wei&szlig;er. Immer neue Gruppen umringten sie, um die Neuerwachte zu
+ begr&uuml;&szlig;en. Und die beiden mischten sich in die Reihen der Spielenden.</p>
+ <p>Schon lange waren sie hin und her durch die Haine, um die Felsen, &uuml;ber Wiesen
+ und Lotusteiche geschwebt, wohin der Reigen sie f&uuml;hrte, als ihnen jene
+ Wei&szlig;e begegnete, die damals Kamanita aufgefordert hatte, mit ihr die Fahrt nach
+ der Ganga zu wagen. Als sie sich im Tanze die H&auml;nde reichten, fragte sie mit
+ einem lieblichen L&auml;cheln:</p>
+ <p>"Bist du nun auch am Gestade der Ganga gewesen? Jetzt hast du ja eine
+ Begleiterin."</p>
+ <p>"Noch nicht," antwortete Kamanita.</p>
+ <p>"Was ist das?" fragte Vasitthi.</p>
+ <p>Und Kamanita erz&auml;hlte es ihr.</p>
+ <p>"Da wollen wir hin," sagte Vasitthi. "O, wie oft habe ich unten im tr&uuml;ben
+ Erdental hinaufgeblickt zu dem fernen Abglanz ihres Himmelstromes, und an die seligen
+ Gefilde gedacht, die von ihr umschlungen und bew&auml;ssert werden, und gefragt, ob
+ wir wohl einst an diesem Ort der Wonne vereinigt sein w&uuml;rden. Unwiderstehlich
+ zieht es mich jetzt dahin, mit dir zusammen an ihrem Gestade zu weilen."</p>
+ <p>Sie l&ouml;sten sich aus der Kette des Reigens und lenkten ihren Flug in einer
+ Richtung, die sie von ihrem eigenen Teiche weit wegf&uuml;hrte. Nach einiger Zeit
+ sahen sie keine Weiher mehr, deren Lotusrosen selige Gestalten trugen, immer mehr
+ nahm die Bl&uuml;tenpracht ab, immer seltener begegneten sie schwebenden Gestalten;
+ Herden von Antilopen belebten die Ebene, auf den Seen segelten Schw&auml;ne, eine
+ Schleppe von blanken Wellen &uuml;ber das dunkle Wasser nach sich ziehend. Die
+ H&uuml;gel, die anfangs immer schroffer und felsiger geworden waren, verschwanden
+ g&auml;nzlich.</p>
+ <p>Sie schwebten &uuml;ber eine flache, w&uuml;stenartige Ebene, die mit Tigergras
+ und Dornengeb&uuml;sch bestanden war. Vor ihnen spannte sich der unabsehbare Bogen
+ eines Palmenwaldes.</p>
+ <p>Sie erreichten den Wald. Immer tiefer umgab sie der Schatten. Die narbigen
+ Sch&auml;fte leuchteten wie Bronze. Hoch oben rauschten die Wipfel mit ehernem
+ Klange.</p>
+ <p>Vor ihnen fingen glitzernde Punkte und Streifen zu tanzen an. Und pl&ouml;tzlich
+ str&ouml;mte ihnen ein solcher Lichtglanz entgegen, da&szlig; sie die H&auml;nde vor
+ die Augen halten mu&szlig;ten. Es war, als ob im Walde eine ungeheure Kolonnade von
+ blanken Silbers&auml;ulen st&auml;nde, die das Licht der aufgehenden Sonne
+ zur&uuml;ckwarf.</p>
+ <p>Als sie sich getrauten, die H&auml;nde wieder von den Augen zu nehmen, schwebten
+ sie gerade zwischen den letzten Palmen des Waldes hinaus.</p>
+ <p>Vor ihnen lag die himmlische Ganga, bis zum Horizonte ihre silbrige Fl&auml;che
+ breitend, w&auml;hrend zu ihren F&uuml;&szlig;en flache Wellenzungen, wie
+ fl&uuml;ssiges Sternenlicht, flammenartig den perlgrauen Sand des flachen Ufers
+ beleckten.</p>
+ <p>Wenn sonst der Himmel nach unten zu allm&auml;hlich heller wird, so war es hier
+ umgekehrt: das Ultramarinblau ging in Indigo &uuml;ber, das schlie&szlig;lich mit
+ einem fast g&auml;nzlich schwarzen Rand sich auf die silberwei&szlig;e Kimmung
+ st&uuml;tzte.</p>
+ <p>Vom Dufte der Paradiesbl&uuml;ten war nichts mehr zu sp&uuml;ren. Wie aber im
+ Malachittale um den Korallenbaum jener erinnerungsschwangere Duft aller D&uuml;fte
+ gesammelt stand, so wehte hier den Weltenstrom entlang ein k&uuml;hler und herber
+ Hauch, dem das Fehlen aller D&uuml;fte, das vollkommen Reine als einziger Duft
+ eignete. Und Vasitthi schien ihn begierig wie einen erfrischenden Trank
+ einzuschl&uuml;rfen, w&auml;hrend er Kamanita den Atem raubte.</p>
+ <p>Auch von jener lieblichen Musik der Genien vernahm man hier nicht den leisesten
+ Ton. Aber aus dem Strome schienen m&auml;chtige, donnerartig dr&ouml;hnende
+ Kl&auml;nge emporzusteigen.</p>
+ <p>"Horch!"--fl&uuml;sterte Vasitthi und erhob ihre Hand.</p>
+ <p>"Sonderbar!"--sagte Kamanita. "Einst war ich in eine H&uuml;tte eingekehrt, die an
+ dem Ausgange einer Bergschlucht lag und an der ein kleiner, lieblicher Bach
+ vor&uuml;berflo&szlig;, in dessen klarem Wasser ich nach meiner Wanderung meine
+ F&uuml;&szlig;e wusch. W&auml;hrend der Nacht ging ein m&auml;chtiger Regen nieder,
+ und als ich in der H&uuml;tte wach lag, h&ouml;rte ich, wie der Bach, der abends nur
+ leise gerauscht hatte, immer ungest&uuml;mer brauste und tobte. Zugleich aber vernahm
+ ich einen polternden, donnernden Schall, den ich mir durchaus nicht zu erkl&auml;ren
+ wu&szlig;te. Am n&auml;chsten Morgen sah ich nun, da&szlig; aus dem klaren Bach ein
+ rei&szlig;ender Gebirgsstrom mit grauen, sch&auml;umenden Fluten geworden war, in
+ welchem gro&szlig;e Steine rollend und springend dahinst&uuml;rzten. Und diese waren
+ es, die dies Get&ouml;se verursacht hatten. Wie mag es wohl kommen, da&szlig; nun
+ hier, beim Anh&ouml;ren jener Kl&auml;nge, diese Erinnerung aus meiner Pilgerschaft
+ in mir emporsteigt?"</p>
+ <p>"Es kommt daher," antwortete Vasitthi, "weil in jenem Gebirgsbache Steine, in dem
+ Strome der himmlischen Ganga aber Welten gerollt und mitgetrieben werden, und die
+ sind es, von denen jene donnerartig dr&ouml;hnenden Kl&auml;nge herr&uuml;hren."</p>
+ <p>"Welten!"--rief Kamanita entsetzt.</p>
+ <p>Vasitthi l&auml;chelte und schwebte dabei weiter; aber erschrocken hielt Kamanita
+ sie an ihrem Gew&auml;nde zur&uuml;ck.</p>
+ <p>"H&uuml;te dich, Vasitthi! Wer wei&szlig;, welche M&auml;chte, welche furchtbaren
+ Kr&auml;fte drau&szlig;en &uuml;ber diesem Weltenstrome schweben, M&auml;chte, in
+ deren Gewalt du geraten k&ouml;nntest, wenn du dieses Ufer verlie&szlig;est. Ich
+ zittere schon bei dem Gedanken, dich pl&ouml;tzlich fortgerissen zu sehen."</p>
+ <p>"D&uuml;rftest du mir dann nicht folgen?"</p>
+ <p>"Gewi&szlig; w&uuml;rde ich dir folgen. Wer wei&szlig; aber, ob ich dich erreichen
+ k&ouml;nnte, ob man uns nicht voneinander rei&szlig;en w&uuml;rde? Und wenn wir auch
+ zusammen blieben, welcher Jammer w&auml;re es doch, in das Unbegrenzte getragen zu
+ werden, weit weg von diesem trauten Orte der Seligkeit."</p>
+ <p>"In das Unbegrenzte!" wiederholte Vasitthi sinnend, und ihr Blick schweifte
+ &uuml;ber die Fl&auml;che der himmlischen Ganga hinaus bis dorthin, wo die silberne
+ Flut den schwarzen Himmelsrand erreichte, und schien noch immer weiterdringen zu
+ wollen;--"und kann denn ewige Seligkeit bestehen, wo Begrenzung ist?" sprach sie
+ gleichsam in Gedanken verloren.</p>
+ <p>"Vasitthi!" rief Kamanita, ernstlich erschreckend--"ich wollte, ich h&auml;tte
+ dich nie hierher gef&uuml;hrt! Komm, Geliebte, komm!"</p>
+ <p>Und noch &auml;ngstlicher als vom Korallenbaume zog er sie von dannen.</p>
+ <p>Nicht unwillig folgte sie ihm, wobei sie jedoch zwischen den &auml;u&szlig;ersten
+ Palmen das Haupt wandte und einen letzten Blick auf den himmlischen Strom
+ warf....</p>
+ <center>
+ *&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;*<br />
+ *
+ </center>
+ <p>Und wiederum thronten sie auf ihren Lotussitzen im kristallklaren Teiche, wiederum
+ schwebten sie zwischen juwelenbl&uuml;henden B&auml;umen und mischten sich unter die
+ Reihen der Seligen und genossen die himmlischen Wonnen, gl&uuml;cklich in ihrer
+ ungetr&uuml;bten Liebe.</p>
+ <p>Aber als sie im Reigen einmal der Wei&szlig;en begegneten, sagte diese:</p>
+ <p>"So seid ihr also wirklich am Gestade der Ganga gewesen?"</p>
+ <p>"Wie kannst du es wissen, da&szlig; wir dort gewesen sind?"</p>
+ <p>"Ich sehe es; denn Alle, die da waren, tragen gleichsam einen Schatten &uuml;ber
+ den Brauen. Deshalb will ich auch nicht dahin. Und ihr werdet auch nicht zum zweiten
+ Male hingehen, niemand tut das"</p>
+ <h2><a id="chap_xxix" name="chap_xxix">XXIX. IM DUFTE DER
+ KORALLENBL&Uuml;TEN</a></h2>
+ <p><img src="images/xxix.png" width="93" height="93" align="left" alt="S" />ie
+ besuchten in der Tat nicht wieder jenes ungastliche Gestade der himmlischen Ganga.
+ Oft aber lenkten sie ihren Flug nach dem Tale der Malachitfelsen. Unter der
+ m&auml;chtigen Krone des Korallenbaumes gelagert, atmeten sie jenen Duft aller
+ D&uuml;fte, der den karmesinroten Bl&uuml;ten entstr&ouml;mte, und in der Tiefe ihrer
+ Erinnerung &ouml;ffnete sich dann die Aussicht auf ihre fr&uuml;heren Leben.</p>
+ <p>Bald in Pal&auml;sten, bald in H&uuml;tten sahen sie sich nun wieder, aber ob in
+ Seide und Musselin geh&uuml;llt oder in die groben Erzeugnisse des Dorfwebstuhles
+ gekleidet: immer war die gegenseitige Liebe da. Bald wurde sie durch das Gl&uuml;ck
+ der Vereinigung gekr&ouml;nt, bald war die Trennung durch Lebensgeschicke oder durch
+ den Tod ihr jammervolles Los: aber gl&uuml;cklich oder ungl&uuml;cklich, die Liebe
+ blieb dieselbe.</p>
+ <p>Und sie sahen sich in anderen Zeiten, da die Menschen gewaltiger waren als jetzt,
+ in jenen ewig unvergessenen Heroentagen, als er sich aus ihren Armen ri&szlig; und
+ seinen Kampfilfen bestieg, um nach der Ilfenstadt zu ziehen und seinen Freunden, den
+ Pandaverprinzen, im Kampfe gegen die Kuruinge beizustehen; wo er dann an der Seite
+ Arjunas und Krishnas k&auml;mpfend, am zehnten Tage der Riesenschlacht auf der Ebene
+ Kurukschetra seine Heldenseele aushauchte. Sie aber, als sie die Nachricht von seinem
+ Tode empfing, bestieg vor dem Palaste, von allen ihren Frauen gefolgt, den
+ Scheiterhaufen, den sie mit eigener Hand anz&uuml;ndete.</p>
+ <center>
+ *&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;*<br />
+ *
+ </center>
+ <p>Und wieder sahen sie sich in fremden Gegenden und in anderer Natur. Es war nicht
+ l&auml;nger das Tal der Ganga und der Jamuna mit seinen pr&auml;chtigen,
+ palastreichen St&auml;dten, wo waffenstrahlende Krieger, stolze Brahmanen, reiche
+ B&uuml;rger und flei&szlig;ige &Ccedil;udras die Stra&szlig;en belebten; mit seinen
+ Reisfeldern und vielst&auml;mmigen Feigenbaumriesen, seinen Palmenhainen und seinen
+ Dschungeln, seinen Elefanten und Tigern und den weithinleuchtenden Schneezinnen des
+ Himavat. Dieser Schauplatz, der mit seiner mannigfachen tropischen Pracht so oft ihr
+ gemeinsames Leben umschlossen hatte, als ob es keine andere Welt g&auml;be,
+ verschwand nun g&auml;nzlich, um einem &ouml;deren und herberen Lande Platz zu
+ machen.</p>
+ <p>Hier brennt freilich die Sommersonne so hei&szlig; wie an der Ganga, trocknet die
+ Wasseradern aus und versengt das Gras. Aber im Winter beraubt der Frost die
+ W&auml;lder ihres Laubes, und Reif bedeckt die Felder. Keine St&auml;dte erheben ihre
+ T&uuml;rme, aber weitgedehnte D&ouml;rfer mit gro&szlig;en H&uuml;rden liegen mitten
+ in ihren weidereichen Triften, und die sch&uuml;tzende Anh&ouml;he daneben ist durch
+ W&auml;lle und rohe Mauern in eine kleine Feste verwandelt. Ein kriegerisches
+ Hirtenvolk ist hier se&szlig;haft. Die W&auml;lder sind voll von W&ouml;lfen, und
+ meilenweit h&ouml;rt der zitternde Wanderer das Gebr&uuml;ll des L&ouml;wen, "des
+ furchtbaren, schweifenden, in Bergen hausenden Wildes"--wie <i>er</i> ihn nennt; denn
+ er ist ein S&auml;nger.</p>
+ <p>Nach langer Wanderung n&auml;hert er sich einem Dorfe, als unbekannter, aber
+ willkommener Gast; denn das ist er &uuml;berall. &Uuml;ber seiner Schulter h&auml;ngt
+ seine einzige sichtbare Habe, eine kleine Laute; aber im Kopfe tr&auml;gt er das
+ ganze kostbare Erbe seiner V&auml;ter: alte, geheime Hymnen an Agni und Indra, an
+ Varuna und Mitra, ja sogar an unbekannte G&ouml;tter; Kriegs- und Trinklieder
+ f&uuml;r die M&auml;nner; Liebeslieder f&uuml;r die M&auml;dchen; segnende
+ Zauberspr&uuml;che f&uuml;r die Milchspendenden. Und er hat Kraft und Kenntnisse, um
+ diesen Vorrat aus eigenen Mitteln zu vermehren. Wo w&auml;re wohl ein solcher Gast
+ nicht willkommen?</p>
+ <p>Es ist um die Zeit, da die Rinder nach Hause getrieben werden. An der Spitze einer
+ Herde schreitet mit der h&ouml;chsten Anmut in allen Bewegungen des jugendlichen
+ K&ouml;rpers ein hochgewachsenes M&auml;dchen; ihr zur Seite geht ihre Lieblingskuh,
+ deren Glocke die anderen folgen, und leckt ab und zu ihre Hand. Er bietet ihr guten
+ Abend; sie erwidert freundlich den Gru&szlig;. L&auml;chelnd sehen sie sich an--und
+ es ist derselbe Blick, der im Lustparke von Kosambi zwischen der Ballspielerin auf
+ der B&uuml;hne und dem fremden Zuschauer hin und her flog.</p>
+ <center>
+ *&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;*<br />
+ *
+ </center>
+ <p>Aber auch das Land der f&uuml;nf Str&ouml;me, nachdem es sie mehrmals beherbergt
+ hat, verschwindet, wie zuvor das Gangatal--andere Gegenden tun sich auf, andere
+ Menschen und Sitten umgeben sie--Alles rauher, wilder und &auml;rmlicher.</p>
+ <p>Die Steppe, &uuml;ber welche der Zug sich hinzieht--Reiter, Wagen und
+ Fu&szlig;g&auml;nger in endloser Reihe--ist wei&szlig; von Schnee. Die Luft ist voll
+ von den wirbelnden Flocken. Schwarze Berge schauen schattenartig herein. Aus dem
+ Zeltdache eines schweren Ochsenwagens beugt sich ein M&auml;dchen so lebhaft hervor,
+ da&szlig; der Schafpelz zur Seite gleitet, und die goldene Haarf&uuml;lle ihr
+ &uuml;ber Wangen, Hals und Brust niederwallt. Angst leuchtet aus ihren Augen, als sie
+ hinaussp&auml;ht, wohin alle Blicke sich wenden, alle Finger hinzeigen:--wie eine
+ dunkle, vom Winde aufgewirbelte Wolke braust eine Reiterhorde heran. Aber
+ vertrauensvoll l&auml;chelt sie, als ihr Blick dem des J&uuml;nglings begegnet, der
+ neben dem Wagen auf einem schwarzen Stiere reitet;--und es ist wieder derselbe Blick,
+ wenn auch aus blauen Augen. Dieser Blick entflammt das Herz des blonden
+ J&uuml;nglings, der seine Streitaxt schwingt und laut rufend mit den anderen Kriegern
+ dem Feind entgegenst&uuml;rmt--entflammt es und w&auml;rmt es noch, als es vom kalten
+ Eisen eines Skythenpfeiles durchbohrt wird.</p>
+ <center>
+ *&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;*<br />
+ *
+ </center>
+ <p>Aber noch gr&ouml;&szlig;ere Ver&auml;nderungen erlebten sie; noch weitere
+ Wanderungen unternahmen sie, vom Dufte des Korallenbaumes geleitet.</p>
+ <p>Sie fanden sich selbst als Hirsch und Hinde im ungeheuren Walde. Wortlos war jetzt
+ ihre Liebe, aber nicht blicklos. Und wiederum war es derselbe Blick:--tief im
+ innersten Dunkel ihrer gro&szlig;en, ahnungsvollen Augen leuchtete noch, wenn auch
+ wie durch tr&uuml;be Nebelbl&auml;ue hindurch, derselbe Funken, der so strahlend von
+ Menschenauge zu Menschenauge den Weg gefunden hatte.</p>
+ <p>Sie &auml;sten zusammen, nebeneinander wateten sie im klaren, k&uuml;hlen
+ Waldbach, K&ouml;rper an K&ouml;rper ruhten sie im hohen, weichen Grase. Gemeinsam
+ waren ihre Freuden, gemeinsam zitterten sie vor Angst, wenn pl&ouml;tzlich ein Ast
+ lebendig wurde und der Rachen des Pythons sich aufsperrte; oder wenn in der Stille
+ der Nacht eine fast unh&ouml;rbare, schleichende Bewegung von ihren regen Ohren
+ aufgefangen wurde, w&auml;hrend ihre gebl&auml;hten N&uuml;stern den scharfen Geruch
+ eines Raubtieres witterten, und sie dann in m&auml;chtigen S&auml;tzen davonflohen,
+ gerade als es im Geb&uuml;sche knisterte und knackte und das Zorngebr&uuml;ll des zu
+ kurz gekommenen Tigers durch den jetzt ringsum lebendig werdenden Wald rollte.</p>
+ <p>Viele Jahre schon hatten sie so gemeinsam alle Wonnen und Schrecken des Waldes
+ durchgekostet, als sie eines Tages an einem schattigen Orte die jungen saftigen
+ Sch&ouml;&szlig;linge benagten. Da geschah es, da&szlig; die Hinde sich in die
+ Wildschlinge eines J&auml;gers verstrickte. Vergebens arbeitete das M&auml;nnchen mit
+ Zacken und Klauen, um die Bande, welche die Freundin fesselten, zu zersprengen, und
+ lie&szlig; nicht davon ab, bis der J&auml;ger sich nahte. Dann stellte er sich diesem
+ mit gef&auml;lltem Geweih entgegen und bald machte der Jagdspie&szlig; beider Leben
+ ein Ende.</p>
+ <center>
+ *&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;*<br />
+ *
+ </center>
+ <p>Und als ein paar Goldadler horsteten sie hoch im wilden Felsengebirge, schwebten
+ &uuml;ber die bl&auml;ulichen Abgr&uuml;nde des Himavat und umkreisten seine
+ schneeigen Zinnen.--</p>
+ <p>Als zwei Delphine aber befuhren sie die grenzenlose Salzflut des Ozeans.--</p>
+ <p>Ja, einmal erwuchsen sie als zwei Palmen auf einer Insel mitten im Weltmeere,
+ schlangen im k&uuml;hlen Strandsande ihre Wurzeln ineinander und lie&szlig;en
+ gemeinsam ihre Wipfel im Seewinde rauschen.</p>
+ <center>
+ *&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;*<br />
+ *
+ </center>
+ <p>Und wie ein F&uuml;rstenpaar sich zur Kurzweil und Belehrung vom Hoferz&auml;hler
+ mancherlei vortragen l&auml;&szlig;t--bald den Lebenslauf eines K&ouml;nigs, bald
+ eine einfache Dorfgeschichte, bald ein Heldenepos, bald eine Sage aus uralten Tagen,
+ bald irgend eine Tierfabel oder ein M&auml;rchen, und dabei wei&szlig;: wie oft es
+ uns auch gel&uuml;stet, zu lauschen, so ist doch nicht zu bef&uuml;rchten, da&szlig;
+ diesem trefflichen Erz&auml;hler jemals der Stoff ausgeht, da der Hort seiner
+ Sagenkenntnisse und die F&uuml;lle seines Erfindungsverm&ouml;gens
+ unersch&ouml;pflich sind--ebenso wu&szlig;ten diese beiden:--wie oft und wie lange
+ wir auch hier weilen, und w&auml;re es auch eine ganze Ewigkeit hindurch, so ist doch
+ keine Gefahr da, da&szlig; dieser Duft keine Erinnerungen mehr wecken k&ouml;nnte;
+ denn je weiter wir in die Zeit hinabsteigen, um so weiter schiebt sich die Vorzeit
+ zur&uuml;ck.</p>
+ <p>Und sie wunderten sich sehr.</p>
+ <p>"Wir sind so alt wie die Welt," sagte Vasitthi.</p>
+ <h2><a id="chap_xxx" name="chap_xxx">XXX. "ALLES ENTSTANDENE--"</a></h2>
+ <p><img src="images/xxx.png" width="93" height="93" align="left" alt="G" />ewiss sind
+ wir so alt wie die Welt," sagte Kamanita. "Aber bisher sind wir immer ruhelos
+ gewandert, und immer wieder hat uns der Tod in ein neues Leben gest&uuml;rzt. Jetzt
+ aber haben wir endlich eine St&auml;tte erreicht, wo es kein Vergehen mehr gibt,
+ sondern nur ewige Wonne unser Los ist."</p>
+ <p>Als er so sprach, kehrten sie gerade vom Korallenbaume zu ihrem Teiche
+ zur&uuml;ck. Er wollte sich soeben auf seine Lotusrose niedersenken, als er zu
+ bemerken glaubte, da&szlig; ihre rote Farbe an Frische und Glanz etwas
+ eingeb&uuml;&szlig;t habe. Ja, als er nun &uuml;ber ihr in der Luft schwebend stehen
+ blieb und aufmerksam auf sie hinunterblickte, sah er mit Schrecken, da&szlig; die
+ Kronenbl&auml;tter am Rande br&auml;unlich und gleichsam verbrannt waren, und
+ da&szlig; ihre Spitzen sich erschlaffend kr&uuml;mmten.</p>
+ <p>Nicht anders sah Vasitthis wei&szlig;er Lotus aus, &uuml;ber dem auch sie stehen
+ geblieben war, offenbar durch dieselbe Wahrnehmung gefesselt.</p>
+ <p>Er richtete seinen Blick nach seinem blauen Nachbar. <i>Sein</i> Lotus zeigte die
+ gleiche Wandlung und es fiel Kamanita auf, da&szlig; sein Gesicht nicht so freudig
+ strahlte wie damals, als er ihn zuerst begr&uuml;&szlig;t hatte; die Z&uuml;ge waren
+ nicht so belebt wie fr&uuml;her, seine Haltung war nicht so frei, ja in seinem Blick
+ las er dieselbe Befremdung, die ihn und Vasitthi ergriffen hatte.</p>
+ <p>Und so war es in der Tat &uuml;berall, wo er hinsah. Mit Blumen und Gestalten war
+ eine Ver&auml;nderung vor sich gegangen.</p>
+ <p>Wieder senkte er pr&uuml;fend den Blick zu seinem eigenen Lotus nieder. Ein
+ Kronenblatt schien lebendig zu werden--langsam neigte es sich vorn&uuml;ber und fiel
+ losgel&ouml;st auf die Wasserfl&auml;che.</p>
+ <p>Gleichzeitig aber hatte sich von jeder Lotusblume ein Kronenblatt
+ abgel&ouml;st--die Wasserfl&auml;che glitzerte zitternd und schaukelte leise die
+ bunten Bl&auml;tternachen. Durch die Haine am Ufer ging ein Fr&ouml;steln, und ein
+ juwelenfunkelnder Bl&uuml;tenregen fiel zur Erde. Ein Seufzer entrang sich jeder
+ Brust, und eine leise, doch schneidende Disharmonie durchdrang die Musik der
+ himmlischen Genien.</p>
+ <p>"Vasitthi, Geliebte!" rief Kamanita, best&uuml;rzt ihre Hand ergreifend--"siehst
+ du? H&ouml;rst du?--Was ist denn dies? Was kann das bedeuten?"</p>
+ <p>Aber Vasitthi sah ihn ruhig l&auml;chelnd an:</p>
+ <p>"Daran hat er gedacht, als er sagte:</p>
+ <p>'Alles Entstandene aufl&ouml;send weht dahin der Verwesung Hauch,<br />
+ Wie ein irdischer Prachtgarten welken Paradiesblumen auch.'"</p>
+ <p>"Wer hat denn diesen schrecklichen, diesen hoffnungsvernichtenden Ausspruch
+ getan?"</p>
+ <p>"Wer denn sonst als er, der Erhabene, der Wandels-und Wissensbew&auml;hrte, der
+ aus Mitleid mit den Menschen die Lehre darlegt, Allen zur Aufkl&auml;rung, dem
+ Einzelnen zum Trost; der die Welt mit ihren edlen und unedlen Wesen, ihren Scharen
+ von G&ouml;ttern, Menschen und D&auml;monen offenbart und erkl&auml;rt, der
+ Wegweiser, der den Weg aus dieser Wandelwelt zeigt: der Erhabene, der Vollendete, der
+ Buddha."</p>
+ <p>"Der Buddha h&auml;tte das gesagt? O nein, Vasitthi, das glaub' ich nicht.
+ Vielfach werden ja die Worte solch gro&szlig;er Lehrer mi&szlig;verstanden und
+ unrichtig wiedergegeben, wie ich selber am besten wei&szlig;. Denn einst, zu
+ Rajagaha, habe ich in der Vorhalle eines Hafners mit einem t&ouml;richten Asketen
+ zusammen &uuml;bernachtet, der mir durchaus die Lehre des Buddha darlegen wollte. Was
+ er vorbrachte, war aber trauriges Zeug, eine gr&uuml;blerische, vernagelte Lehre,
+ wiewohl ich schon sp&uuml;ren konnte, da&szlig; echte Ausspr&uuml;che des Erhabenen
+ ihr zugrunde lagen--jedoch verballhornt und von diesem Querkopfe umgedeutet.
+ Gewi&szlig; hat man auch dir dies Wort falsch berichtet."</p>
+ <p>"Nicht doch, mein Freund! Denn aus dem Munde des Erhabenen selber habe ich es
+ ja."</p>
+ <p>"Wie, Geliebte? So hast du denn selbst den Vollendeten von Angesicht zu Angesicht
+ gesehen?"</p>
+ <p>"Gewi&szlig; habe ich das. Zu seinen F&uuml;&szlig;en bin ich ja gesessen."</p>
+ <p>"Gl&uuml;cklich preise ich dich, Vassitthi! Gl&uuml;cklich--das sehe ich ja--bist
+ du jetzt in der Erinnerung. Ach, auch ich w&uuml;rde ja gl&uuml;cklich und
+ zuversichtlich sein wie du, wenn nicht im letzten Augenblick mein b&ouml;ses
+ Geschick--die eben reif gewordene Frucht von schlechten Taten der Vergangenheit--mich
+ des Gl&uuml;cks beraubt h&auml;tte, den erhabenen Buddha zu sehen. Denn ein
+ gewaltsamer Tod raffte mich dahin, als ich auf dem Wege zu ihm war, in demselben
+ Orte, in dem er weilte, eben gerade in Rajagaha, an dem Morgen nach meinem
+ Gespr&auml;ch mit jenem t&ouml;richten Asketen. Nur etwa noch eine Viertelstunde
+ entfernt von dem Mangohaine, in dem der Erhabene sich aufhielt, ereilte mich mein
+ Schicksal. Aber nun ist mir <i>dies</i> zum Tr&ouml;ste gegeben, da&szlig; meine
+ Vasitthi das erreichte, was mir versagt blieb. O, erz&auml;hle mir Alles davon, wie
+ du zu ihm, dem Erhabenen, kamst. Denn gewi&szlig; wird mich das aufrichten und
+ st&auml;rken, und jenes Wort, das mir so schrecklich, so hoffnungsvernichtend
+ erschien, wird mir dann verst&auml;ndlich werden und seinen Stachel verlieren, ja
+ vielleicht sogar irgend einen geheimen Trostgrund enthalten."</p>
+ <p>"Gern, mein Freund," antwortete Vasitthi.</p>
+ <p>Sie lie&szlig;en sich auf ihre Lotusrosen nieder, und Vasitthi setzte den Bericht
+ ihrer Erlebnisse fort.</p>
+ <h2><a id="chap_xxxi" name="chap_xxxi">XXXI. DIE ERSCHEINUNG AUF DER
+ TERRASSE</a></h2>
+ <p><img src="images/xxxi.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />ls
+ Satagira sein Ziel, mich als Frau zu besitzen, erreicht hatte, erkaltete seine Liebe
+ schnell, um so mehr, als sie ja von meiner Seite keine Erwiderung fand. Ich hatte
+ versprochen, ihm eine treue Gattin zu sein, und er wu&szlig;te wohl, da&szlig; ich
+ mein Versprechen halten w&uuml;rde. Mehr stand aber auch nicht in meiner Macht,
+ selbst wenn ich es gewollt h&auml;tte.</p>
+ <p>Da ich ihm nur eine Tochter gebar, die schon im zweiten Jahre starb, wunderte sich
+ niemand--und ich wahrlich am wenigsten--dar&uuml;ber, da&szlig; er sich eine zweite
+ Frau nahm. Diese gebar ihm den erw&uuml;nschten Sohn. Dadurch bekam sie die erste
+ Stellung im Hause; auch verstand sie, seine Liebe, auf die ich so willig verzichtet
+ hatte, auf geschickte Weise zu fesseln. Au&szlig;erdem nahmen die Gesch&auml;fte
+ meinen Gemahl immer mehr in Anspruch, denn er war nach dem Tode seines Vaters mit
+ dessen Stellung betraut worden.</p>
+ <p>So gingen mehrere Jahre ruhig dahin, und ich vereinsamte mehr und mehr, was mir
+ denn auch ganz recht war. Ich gab mich meiner Trauer hin, verkehrte mit meinen
+ Erinnerungen und lebte in der Hoffnung auf ein Wiedersehen hier oben, eine Hoffnung,
+ die mich ja auch nicht get&auml;uscht hat.</p>
+ <p>Der Palast Satagiras lag an derselben Schlucht, aus der du so oft nach der
+ "Terrasse der Sorgenlosen" hinaufgestiegen bist, aber an einer viel steileren Stelle,
+ und hatte eine ganz &auml;hnliche Terrasse wie mein Vaterhaus. Hier pflegte ich alle
+ sch&ouml;nen Abende zuzubringen, ja in der hei&szlig;en Zeit blieb ich dort oft die
+ ganze Nacht, auf einem Ruhebett schlafend. Denn die Felswand der Schlucht, die noch
+ dazu von hohem Mauerwerk gekr&ouml;nt wurde, war so steil und glatt, da&szlig;
+ gewi&szlig; kein Mensch an ihr hinaufklettern konnte.</p>
+ <p>Einmal in einer herrlichen, milden Mondnacht lag ich nun dort auf meinem Lager,
+ ohne zu schlafen. Ich dachte an dich, und zwar an jenen ersten Abend unseres
+ Zusammenseins; der Augenblick, wo ich mit Medini auf der marmornen Bank der Terrasse
+ sa&szlig; und eure Ankunft erwartete, stand mir so lebhaft vor der Seele, und ich
+ dachte daran, wie sich dann pl&ouml;tzlich, noch bevor wir es hofften, deine Gestalt
+ &uuml;ber den Mauerrand erhob--denn du warst ja in deinem ungest&uuml;men Eifer
+ Somadatta zuvorgekommen.</p>
+ <p>In diese s&uuml;&szlig;en Tr&auml;ume verloren, hatte ich unwillk&uuml;rlich
+ meinen Blick auf der Brustwehr ruhen lassen, als pl&ouml;tzlich eine Gestalt sich
+ &uuml;ber dieselbe erhob.</p>
+ <p>Ich war so &uuml;berzeugt, da&szlig; nie und nimmer ein Mensch diese Stelle
+ erklimmen k&ouml;nne, da&szlig; ich gar nicht daran zweifelte, dein Geist, von meiner
+ Sehnsucht heraufbeschworen, k&auml;me, um mich zu tr&ouml;sten und um mir Kunde zu
+ bringen von dem seligen Orte, wo du mich erwartetest.</p>
+ <p>Deshalb erschrak ich denn auch gar nicht, sondern stand auf und breitete die Arme
+ gegen den Kommenden aus.</p>
+ <p>Wie nun aber dieser auf der Terrasse stand und sich mit raschen Schritten
+ n&auml;herte, sah ich, da&szlig; seine Gestalt viel gr&ouml;&szlig;er als die deine,
+ ja sogar riesenhaft war, und ich merkte, da&szlig; ich den Geist Angulimalas vor mir
+ hatte. Nun erschrak ich so heftig, da&szlig; ich mich am Kopfende der Ruhebank
+ festhalten mu&szlig;te, um nicht umzusinken.</p>
+ <p>"Wen hast du erwartet?" fragte der Furchtbare, an mich herantretend.</p>
+ <p>"Einen Geist, aber nicht den deinen," antwortete ich.</p>
+ <p>"Kamanitas Geist?"</p>
+ <p>Ich nickte.</p>
+ <p>"Als du jene Bewegung des Bewillkommnens machtest," fuhr er fort,--"f&uuml;rchtete
+ ich, da&szlig; du einen Liebhaber h&auml;ttest, der dich des Nachts hier besuchte.
+ Denn in dem Falle w&uuml;rdest du mir nicht helfen. Und ich habe deine Hilfe so
+ n&ouml;tig, wie du jetzt die meinige."</p>
+ <p>Bei diesen sonderbaren Worten wagte ich aufzublicken, und nun schien es mir,
+ da&szlig; ich keinen Geist, sondern ein Wesen aus Fleisch und Blut vor mir habe. Aber
+ der Mond stand hinter ihm, und geblendet von seinen Strahlen und vom Schrecken
+ verwirrt, konnte ich nur die m&auml;chtigen Umrisse einer Gestalt sehen, die wohl
+ auch einem D&auml;mon angeh&ouml;ren konnten.</p>
+ <p>"Ich bin nicht der Geist Angulimalas," sagte er, meinen Zweifel erratend, "ich bin
+ er selber, ein Mensch wie du."</p>
+ <p>Ich fing heftig zu zittern an, nicht vor Angst, sondern, weil ich dem Menschen
+ gegen&uuml;berstand, der meinen Geliebten grausam ermordet hatte.</p>
+ <p>"F&uuml;rchte dich nicht, edle Frau!" fuhr er fort--"du hast von mir nichts zu
+ bef&uuml;rchten; bist du doch der einzige Mensch, vor dem ich selber mich
+ gef&uuml;rchtet habe, und dem ich, wie du so richtig sagtest, nicht in die Augen
+ sehen durfte, weil ich dich betrog."</p>
+ <p>"Du betrogst mich?" rief ich, und kaum wei&szlig; ich, ob in meiner Seele Freude
+ aufstieg, geweckt durch die Hoffnung, mein Geliebter sei noch am Leben, oder ob noch
+ gr&ouml;&szlig;ere Verzweiflung mich bei dem Gedanken ergriff, da&szlig; ich mich
+ hatte verleiten lassen, mich von dem Lebenden zu trennen.</p>
+ <p>"Ich tat es," antwortete er, "und deshalb sind wir aufeinander angewiesen. Denn
+ wir haben beide etwas zu r&auml;chen und an demselben Mann: an Satagira!"</p>
+ <p>Mit dem Anstand eines F&uuml;rsten machte dieser R&auml;uber eine Handbewegung,
+ mit der er mich aufforderte, mich zu setzen, als ob er mir viel zu sagen h&auml;tte.
+ Ich, die ich mich nur noch mit M&uuml;he aufrechthalten konnte, lie&szlig; mich
+ willenlos auf die Bank niedersinken, und staunte ihn an, atemlos begierig auf seine
+ n&auml;chsten Worte, die mich &uuml;ber das Schicksal des Geliebten aufkl&auml;ren
+ mu&szlig;ten.</p>
+ <p>"Kamanita mit seiner Karawane," fuhr er fort--"fiel mir in der Waldgegend Vedisas
+ in die H&auml;nde. Er verteidigte sich tapfer, wurde aber unverwundet gefangen
+ genommen, und als das L&ouml;segeld zur rechten Zeit eintraf, unbehelligt nach Hause
+ geschickt. Wohlbehalten kam er in Ujjeni an."</p>
+ <p>Bei dieser Nachricht entrang sich ein tiefer Seufzer meiner Brust. Ich empfand in
+ diesem Augenblick nur Freude dar&uuml;ber, den Geliebten unter den Lebenden zu
+ wissen, so t&ouml;richt dies Gef&uuml;hl auch war. Denn durch das Leben war er mir
+ noch mehr als durch den Tod entfernt.</p>
+ <p>"Als ich in Satagiras Gewalt fiel," fuhr Angulimala fort, "erkannte dieser sofort
+ die kristallene Kette mit dem Tieraugen-Amulett an meinem Halse, als dieselbe, die
+ Kamanita angeh&ouml;rt hatte. Am folgenden Abend kam er allein in mein Gef&auml;ngnis
+ und versprach mir, zu meinem gr&ouml;&szlig;ten Erstaunen, mir die Freiheit zu
+ schenken, wenn ich vor einem M&auml;dchen beschw&ouml;ren wollte, da&szlig; ich
+ Kamanita umgebracht habe. 'Dein Eid allein,' sagte er, 'w&uuml;rde sie freilich nicht
+ &uuml;berzeugen, aber einem 'Wahrheitsakte' mu&szlig; sie glauben.'--Er erkl&auml;rte
+ mir jetzt, ich sollte in der ersten Stunde der Nacht auf eine Terrasse gef&uuml;hrt
+ werden, wo das M&auml;dchen sich aufhalten werde. Er wollte daf&uuml;r sorgen,
+ da&szlig; die Fesseln durchfeilt w&auml;ren, so da&szlig; ich sie unschwer sprengen
+ k&ouml;nne, worauf es dann ein leichtes f&uuml;r mich sei, mich &uuml;ber die
+ Brustwehr zu schwingen, in die Schlucht hinabzusteigen und derselben abw&auml;rts
+ folgend zu entfliehen, da sie schlie&szlig;lich in eine enge Rinne ausm&uuml;nde,
+ durch die ein kleiner Bach unter der Stadtmauer sich in die Ganga erg&ouml;sse. Mit
+ einem feierlichen Eide schwor er mir zu, mich an der Flucht aus Kosambi nicht hindern
+ zu wollen.</p>
+ <p>Zwar traute ich ihm nicht allzusehr, aber ich sah keinen anderen Ausweg. Einen
+ ganz falschen Wahrheitsakt zu begeben, dazu h&auml;tte mich allerdings nichts
+ verleiten k&ouml;nnen, denn ich h&auml;tte ja dadurch das furchtbarste Zorngericht
+ der beleidigten G&ouml;ttin auf mich geladen. Aber ich erkannte sofort, wie ich
+ meinen Schwur so einrichten k&ouml;nnte, da&szlig; ich nicht mit klaren Worten eine
+ Unwahrheit sagte, w&auml;hrend dennoch ein jeder heraush&ouml;ren w&uuml;rde,
+ da&szlig; ich Kamanita get&ouml;tet habe: und ich vertraute darauf, da&szlig; Kali,
+ die an allen Schlauheiten Gefallen findet, mir wegen dieses Kraftst&uuml;ckes mit
+ aller Macht beistehen und mich heil durch die Gefahren f&uuml;hren w&uuml;rde, die
+ ein Verrat Satagiras mir bereiten m&ouml;chte.</p>
+ <p>Alles ging nun in der Tat, wie es zwischen uns verabredet war, und du selber hast
+ gesehen, wie ich die eisernen Ketten sprengte. Noch heute wei&szlig; ich aber nicht,
+ ob Satagira Wort gehalten und die Ketten hat durchfeilen lassen, wie er es mir
+ versprochen hatte, oder ob mir Kali durch ein Wunder half. Doch glaube ich eher das
+ erstere. Denn kaum war ich einige Klafter in die Ganga hinausgeschwommen, so wurde
+ ich von einem Boote voll Bewaffneter &uuml;berfallen. Auf diesen Hinterhalt hatte er
+ also vertraut. Hier aber zeigte es sich, was die Hilfe Kalis wert ist: denn obwohl
+ die an meinen Handgelenken h&auml;ngenden Kettenst&uuml;cke meine einzigen Waffen
+ waren, gelang es mir doch, alle Krieger totzuschlagen, und auf dem w&auml;hrend des
+ Kampfes gekenterten Boote erreichte ich gl&uuml;cklich das sichere n&ouml;rdliche
+ Ufer; freilich nicht ohne so viele und tiefe Wunden davonzutragen, da&szlig; ein
+ ganzes Jahr verging, bevor ich mich davon erholt hatte. In dieser Zeit habe ich aber
+ oft genug geschworen, da&szlig; Satagira mir dies b&uuml;&szlig;en solle. Und nun ist
+ die Zeit dazu gekommen."</p>
+ <p>In meiner Seele w&uuml;tete ein Sturm von Entr&uuml;stung &uuml;ber diesen an mir
+ ver&uuml;bten, unerh&ouml;rten Betrug. Ich konnte es dem R&auml;uber nicht verdenken,
+ da&szlig; er durch dies Mittel sein Leben gerettet hatte, und da er seine H&auml;nde
+ nicht mit dem Blute meines Geliebten befleckt hatte, verga&szlig; ich in diesem
+ Augenblick, wieviel anderes unschuldiges Blut aber an ihnen klebte, und empfand weder
+ Schreck noch Abscheu vor diesem Manne, der mir die Botschaft gebracht hatte,
+ da&szlig; mein Kamanita noch auf dieser Erde wanderte wie ich selber. Aber ein
+ bitterer Ha&szlig; erhob sich in mir gegen ihn, der schuld daran war, da&szlig; wir
+ beide getrennt unsere Erdenwanderung zu Ende f&uuml;hren mu&szlig;ten, und die
+ Drohung Angulimalas gegen sein Leben vernahm ich mit einer unwillk&uuml;rlichen
+ Freude, die wohl in meinem Oesichtsausdrucke zu lesen war.</p>
+ <p>Denn mit erregter, leidenschaftlicher Stimme fuhr Angulimala fort:</p>
+ <p>"Ich sehe, hohe Frau! da&szlig; deine edle Seele nach Rache d&uuml;rstet, und die
+ soll dir auch bald werden. Deshalb bin ich ja hierher gekommen. Schon viele Wochen
+ habe ich hier vor Kosambi auf Satagira gelauert. Endlich habe ich jetzt aus sicherer
+ Quelle in Erfahrung gebracht, da&szlig; er in diesen Tagen die Stadt verlassen wird,
+ um sich nach den &ouml;stlichen Gauen zu begeben, wo ein zwischen zwei D&ouml;rfern
+ schwebender Rechtsstreit zu schlichten ist. Ehe ich davon wu&szlig;te, war mein
+ urspr&uuml;nglicher Plan, ihn zu zwingen, einen Ausfall gegen mich zu machen, um mich
+ wieder gefangen zu nehmen; diese seine Reise macht es mir aber noch bequemer.
+ Freilich habe ich infolge meiner ersten Absicht kein Geheimnis aus meiner Anwesenheit
+ gemacht, sondern meine Taten f&uuml;r mich sprechen lassen, und das Ger&uuml;cht von
+ meinem Wiedererscheinen ist l&auml;ngst verbreitet. Obwohl die meisten glauben,
+ da&szlig; irgend ein Betr&uuml;ger erstanden ist und sich f&uuml;r Angulimala
+ ausgibt, so hat doch die Furcht schon so sehr um sich gegriffen, da&szlig; nur
+ gr&ouml;&szlig;ere und gut bewaffnete Z&uuml;ge sich in die bewaldete &ouml;stliche
+ Gegend, wo ich hause, hinauswagen. Du scheinst freilich davon nichts geh&ouml;rt zu
+ haben, weil du eben als eine um ihr Lebensgl&uuml;ck betrogene Frau allein mit deiner
+ Trauer verkehrst."</p>
+ <p>"Ich habe wohl von einer dreisten R&auml;uberbande vernommen," sagte ich, "aber
+ deinen Namen noch nicht nennen geh&ouml;rt, weshalb ich auch glaubte, deinen Geist zu
+ sehen."</p>
+ <p>"Satagira aber hat mich nennen geh&ouml;rt," fuhr der R&auml;uber fort, "verlasse
+ dich darauf, und da er guten Grund hat, zu glauben, da&szlig; es der richtige
+ Angulimala ist und noch besseren Grund, diesen zu f&uuml;rchten, so ist anzunehmen,
+ da&szlig; er nicht nur unter starker Bedeckung reisen, sondern auch noch andere
+ Vorsichtsma&szlig;regeln treffen und sich vieler auf T&auml;uschung berechneter
+ Schliche bedienen wird. Indessen, obschon die Bande, &uuml;ber die ich gebiete, nicht
+ sehr gro&szlig; ist, soll weder das eine noch das andere ihm helfen, wenn ich nur mit
+ Sicherheit wei&szlig;, zu welcher Stunde er auszieht und welchen Weg er
+ einschl&auml;gt. Und dies ist es, was ich durch dich zu erfahren hoffe."</p>
+ <p>Wenn ich auch bis jetzt stumm und gleichsam in einen Bann geschlagen seiner
+ Erkl&auml;rung gelauscht hatte, ohne zu bedenken, wieviel ich mir schon dadurch
+ vergab, so stand ich doch bei dieser Zumutung entr&uuml;stet auf und fragte ihn, was
+ ihm wohl berechtige, zu glauben, da&szlig; ich tief genug gesunken w&auml;re, um
+ einen Dieb und R&auml;uber zum Bundesgenossen zu nehmen.</p>
+ <p>"Bei einem Bundesgenossen," erwiderte Angulimala ruhig, "ist die Hauptsache,
+ da&szlig; er zuverl&auml;ssig ist, und du f&uuml;hlst wohl, da&szlig; du dich in
+ dieser Sache ganz auf mich verlassen kannst. Auch brauche ich deine Hilfe, denn nur
+ durch sie kann ich das, was ich w&uuml;nsche, mit Sicherheit erfahren. Wohl habe ich
+ eine sonst gute Quelle f&uuml;r Nachrichten, durch die ich eben auch von der
+ bevorstehenden Reise Satagiras wei&szlig;; aber wenn er vorsichtshalber ein falsches
+ Ger&uuml;cht verbreitet, so kann auch sie getr&uuml;bt werden. Du aber bedarfst
+ meiner, weil eine stolze und edle Seele in einem Fall wie dem deinigen nur durch den
+ Tod des Verr&auml;ters Genugtuung findet. W&auml;rest du ein Mann, dann w&uuml;rdest
+ du ihn selber t&ouml;ten; da du eine Frau bist, brauchst du dazu meines Armes."</p>
+ <p>Ich wollte ihn heftig abweisen, aber er gab mir mit einer so w&uuml;rdigen
+ Handbewegung zu verstehen, er habe noch nicht Alles gesagt, da&szlig; ich gegen
+ meinen Willen schwieg.</p>
+ <p>"Dies, edle Frau," fuhr er fort, "ist die Rache. Aber es gibt noch ein Anderes,
+ Wichtigeres. F&uuml;r dich: das k&uuml;nftige Gl&uuml;ck zu ergreifen; f&uuml;r mich:
+ Vergangenes zu s&uuml;hnen. Mit Recht sagt man ja von mir, da&szlig; ich grausam sei,
+ ohne Mitleid gegen Mensch und Tier. Ja, ich habe tausend Taten vollbracht, f&uuml;r
+ deren jede man hundert oder tausend Jahre in einer Erzh&ouml;lle b&uuml;&szlig;en
+ mu&szlig;, wie die Priester lehren. Zwar hatte ich einen gelehrten und weisen Freund,
+ Vajacravas, den das Volk jetzt sogar als einen Heiligen verehrt, und an dessen Grab
+ ich auch reichlich geopfert habe: der hat uns oft bewiesen, da&szlig; es solche
+ H&ouml;llenstrafen nicht gebe, und da&szlig; der R&auml;uber im Gegenteil das
+ brahmandurchdrungenste Wesen und die Krone der Sch&ouml;pfung sei. Doch hat er mich
+ nie so recht davon &uuml;berzeugen k&ouml;nnen....</p>
+ <p>Sei dem nun, wie es wolle. Ob es H&ouml;llenstrafen gibt oder nicht:--gewi&szlig;
+ ist es, da&szlig; von allen meinen Taten nur eine mir schwer auf dem Herzen liegt,
+ und zwar die, da&szlig; ich mit meinem schlauen Wahrheitsakt dich betrogen habe.
+ Schon damals durfte ich dir nicht ins Gesicht sehen, und die Erinnerung an jene
+ Stunde sitzt mir noch immer wie ein Dorn im Fleische. Nun wohl, was ich damals gegen
+ dich verbrach, m&ouml;chte ich jetzt wieder gut machen, soweit es noch m&ouml;glich
+ ist; die b&ouml;sen Folgen m&ouml;chte ich vernichten. Du wurdest durch meine Schuld
+ von dem tot geglaubten Kamanita getrennt und an diesen falschen Satagira gebunden.
+ Diese Fessel will ich dir nun abnehmen, so da&szlig; du wieder frei bist, dich mit
+ dem Geliebten zu verbinden; und ich selber will nach Ujjeni gehen und ihn heil und
+ sicher herbringen. Nun tue du das deinige, ich werde das meinige tun. F&uuml;r eine
+ sch&ouml;ne Frau ist es ja nicht schwer, dem Gemahl ein Geheimnis zu entlocken.
+ Morgen, sobald es dunkel ist, komme ich hierher, um mir den Bescheid von dir zu
+ holen."</p>
+ <p>Er verbeugte sich tief, und bevor es mir in meiner Verwirrung und Best&uuml;rzung
+ m&ouml;glich war, ein Wort hervorzubringen, war er so pl&ouml;tzlich von der Terrasse
+ verschwunden, wie er erschienen war.</p>
+ <h2><a id="chap_xxxii" name="chap_xxxii">XXXII. SATAGIRA</a></h2>
+ <p><img src="images/xxxii.png" width="93" height="93" align="left" alt="D" />ie ganze
+ Nacht blieb ich auf der Terrasse, eine willenlose Beute der entfesselten, mir
+ unbekannten Leidenschaften, die mit meinem Herzen ihr Spiel trieben wie Wirbelwinde
+ mit einem Blatt.</p>
+ <p>Mein Kamanita war noch am Leben! Er hatte in seiner fernen Heimat von meiner
+ Heirat geh&ouml;rt--denn sonst w&auml;re er ja l&auml;ngst gekommen. Wie
+ treulos--oder wie erb&auml;rmlich schwach mu&szlig;te ich in seinen Augen sein! Und
+ an dieser meiner Erniedrigung war allein Satagira schuld. Mein Ha&szlig; gegen ihn
+ wurde mit jeder Minute t&ouml;dlicher, und tief f&uuml;hlte ich die Wahrheit in
+ Angulimalas Worten, da&szlig; ich, wenn ich ein Mann gewesen w&auml;re, sicherlich
+ Satagira get&ouml;tet h&auml;tte.</p>
+ <p>Dann zeigte sich wieder jene Aussicht, die Angulimala mir so unerwartet
+ er&ouml;ffnet hatte:--wenn ich frei war, konnte ich den Geliebten heiraten. Bei
+ diesem Gedanken geriet mein ganzes Wesen in einen so st&uuml;rmischen Aufruhr,
+ da&szlig; ich glaubte, das Blut m&uuml;&szlig;te mir Brust und Schl&auml;fen
+ sprengen. Au&szlig;erstande, mich aufrechtzuhalten, vermochte ich nicht einmal, nach
+ der Bank zu wanken, sondern sank auf die marmornen Fliesen nieder, und die Sinne
+ vergingen mir.</p>
+ <p>Die K&uuml;hle des Morgentaues brachte mich zu meinem unseligen Dasein mit seinen
+ furchtbaren Fragen zur&uuml;ck.</p>
+ <p>War es denn Wahrheit, da&szlig; ich mich mit einem R&auml;uber und tausendfachen
+ M&ouml;rder verbinden wollte, um den Mann aus dem Wege zu r&auml;umen, der mich einst
+ um das Hochzeitsfeuer gef&uuml;hrt hatte?</p>
+ <p>Aber ich wu&szlig;te ja noch gar nicht, wann mein Gemahl fortz&ouml;ge! Und wie
+ sollte ich die Zeit seiner Abreise, wie auch den genauen Weg, den er zu nehmen
+ beabsichtigte, erfahren, wenn er ein Geheimnis daraus machte?</p>
+ <p>"F&uuml;r eine sch&ouml;ne Frau ist es ja nicht schwierig, dem Gemahl ein
+ Geheimnis zu entlocken"--diese Worte des R&auml;ubers klangen mir noch im Ohre und
+ zeigten mir die ganze Niedrigkeit einer solchen Handlungsweise. Nie w&uuml;rde ich
+ mich dazu entschlie&szlig;en k&ouml;nnen, mich durch Z&auml;rtlichkeit in sein
+ Vertrauen einzuschleichen, um ihn dann seinem Todfeinde zu verraten. Aber gerade
+ dadurch, da&szlig; ich dies so deutlich f&uuml;hlte, wurde es mir auch klar,
+ da&szlig; es eigentlich nur das verr&auml;terische und heuchlerische Erschleichen des
+ Geheimnisses war, das ich so von Grund aus verabscheute. W&auml;re ich aber schon im
+ Besitz des Geheimnisses gewesen--h&auml;tte ich gewu&szlig;t, wo ich hingehen und
+ eine Tafel finden k&ouml;nnte, auf der Alles aufgeschrieben stand:--dann w&uuml;rde
+ ich sicher die t&ouml;dliche Kunde Angulimala mitgeteilt haben.</p>
+ <p>Wie mir dies nun klar wurde, zitterte ich vor Entsetzen, als ob ich schon schuldig
+ an Satagiras Tod w&auml;re. Ich dankte meinem Schicksal, da&szlig; keine
+ M&ouml;glichkeit f&uuml;r mich vorhanden war, diese Kunde zu erlangen; denn wenn ich
+ auch vielleicht h&auml;tte erfahren k&ouml;nnen, zu welcher Stunde sie aufbrechen
+ w&uuml;rden, so konnte doch nur Satagira selbst und h&ouml;chstens noch ein
+ Vertrauter wissen, welche Wege und Stege man gew&auml;hlt hatte.</p>
+ <p>Ich sah die aufgehende Sonne die T&uuml;rme und Kuppeln Kosambis vergolden, so wie
+ ich dies hinrei&szlig;ende Schauspiel von der Terrasse der Sorgenlosen aus so
+ oft--aber ach! mit wie ganz anderen Gef&uuml;hlen--betrachtet hatte, wenn ich selige
+ Nachtstunden dort mit dir verbrachte. Ungl&uuml;cklich wie noch nie zuvor, matt und
+ elend, als ob ich in dieser Nacht um Jahrzehnte gealtert w&auml;re, begab ich mich in
+ den Palast zur&uuml;ck.</p>
+ <p>Um nach meinem Zimmer zu kommen, mu&szlig;te ich durch eine lange Galerie gehen,
+ nach der einige R&auml;ume mit vergitterten Fenstern sich &ouml;ffneten. Als ich an
+ einem derselben vor&uuml;berschritt, vernahm ich Stimmen. Die eine--die meines
+ Gemahls--hub gerade an:</p>
+ <p>"Gut, wir wollen also heute Nacht--eine Stunde nach Mitternacht--aufbrechen."</p>
+ <p>Ich war unwillk&uuml;rlich stehen geblieben. Die Stunde wu&szlig;te ich also! Aber
+ den Weg? Die Schamr&ouml;te stieg mir ins Gesicht, weil ich den Lauscher an der
+ T&uuml;r spielte--"fliehe, fliehe!" rief es in mir--"noch ist es Zeit!" Aber ich
+ blieb wie angewurzelt stehen.</p>
+ <p>Satagira sprach indessen nicht weiter. Er mochte meine Schritte und ihr
+ Aufh&ouml;ren an der T&uuml;r bemerkt haben; denn diese wurde pl&ouml;tzlich
+ aufgerissen. Mein Gemahl stand vor mir.</p>
+ <p>"Ich h&ouml;rte deine Stimme im Vorbeigehen," sagte ich mit raschem
+ Entschlu&szlig;, "und dachte daran, anzufragen, ob ich dir einige Erfrischungen
+ bringen sollte, da du so fr&uuml;h den Gesch&auml;ften obliegst. Dann
+ bef&uuml;rchtete ich wieder, dich zu st&ouml;ren und wollte weitergehen."</p>
+ <p>Satagira sah mich ohne Mi&szlig;trauen, ja sogar sehr freundlich an.</p>
+ <p>"Ich danke dir," sagte er, "ich bedarf keiner Erfrischungen, aber du st&ouml;rst
+ mich keineswegs. Im Gegenteil, ich wollte gerade nach dir schicken und f&uuml;rchtete
+ nur, da&szlig; du noch nicht aufgestanden w&auml;rest. Du kannst mir gerade jetzt von
+ dem gr&ouml;&szlig;ten Nutzen sein."</p>
+ <p>Er lud mich ein, in das Zimmer zu treten, was ich mit der h&ouml;chsten
+ Verwunderung tat, sehr darauf gespannt, Was f&uuml;r einen Dienst er wohl von mir
+ begehrte, gerade in diesem Augenblick, wo ein t&ouml;dlicher Anschlag gegen ihn mein
+ Gem&uuml;t erf&uuml;llte.</p>
+ <p>Ein Mann, in dem ich einen Reiterf&uuml;hrer und Vertrauten Satagiras erkannte,
+ sa&szlig; auf einem niedrigen Sitz. Er erhob sich bei meinem Eintreten und verbeugte
+ sich tief. Satagira lie&szlig; mich neben sich Platz nehmen, winkte dem
+ Reiteranf&uuml;hrer, sich wieder zu setzen, und wandte sich zu mir.</p>
+ <p>"Es handelt sich, meine liebe Vasitthi, um Folgendes: Ich mu&szlig; m&ouml;glichst
+ bald eine Reise antreten, um einen Dorfstreit in den &ouml;stlichen Gauen zu
+ schlichten. Nun haben sich seit einigen Wochen in den Waldgegenden &ouml;stlich von
+ Kosambi, und zwar recht nahe der Stadt, R&auml;uber gezeigt. Es geht sogar das
+ t&ouml;richte Ger&uuml;cht, ihr F&uuml;hrer sei kein anderer als Angulimala, indem
+ man die unerh&ouml;rte Frechheit hat, zu behaupten, Angulimala sei damals aus dem
+ Gef&auml;ngnis entflohen, und ich h&auml;tte statt seines Kopfes einen anderen, dem
+ seinen &auml;hnlichen, &uuml;ber dem Tor aufgesteckt. &Uuml;ber solche M&auml;rchen
+ k&ouml;nnen wir freilich lachen. Allerdings aber scheint dieser R&auml;uber dem
+ ber&uuml;hmten Angulimala an Dreistigkeit nicht viel nachzugeben, und wenn er sich
+ wirklich f&uuml;r jenen ausgibt, um durch den glorreichen Namen gro&szlig;en Anhang
+ zu finden, so geht er gewi&szlig; darauf aus, irgend eine recht gl&auml;nzende Tat zu
+ vollbringen. Deshalb ist immerhin eine gewisse Vorsicht geboten."</p>
+ <p>Auf einem kleinen, mit edlen Steinen ausgelegten Tische neben ihm lag ein seidenes
+ Tuch. Er nahm es und wischte sich damit die Stirn. Es sei doch heute, meinte er,
+ trotz der fr&uuml;hen Stunde recht hei&szlig;. Ich merkte wohl, da&szlig; es die
+ Angst vor Angulimala war, die ihm den Schwei&szlig; aus den Poren trieb. Aber anstatt
+ da&szlig; dadurch mein Mitleid geweckt worden w&auml;re, f&uuml;hlte ich bei diesem
+ Anblick vielmehr nur Verachtung f&uuml;r ihn. Ich sah, da&szlig; er kein Held war und
+ fragte mich verwundert, durch welchen Gl&uuml;cksfall er dazu gekommen w&auml;re,
+ Angulimala gefangen zu nehmen, Angulimala, den R&auml;uber, der mir vorkam wie der
+ furchtbare Bhima im Mahabharata, an dessen Seite du ja selber, mein lieber Kamanita,
+ auf der Ebene Kurukschetra gek&auml;mpft hast.</p>
+ <p>"Nun kann ich aber," fuhr indessen mein Gemahl fort, "nicht gut in jenen
+ D&ouml;rfern mit einem ganzen Heere ankommen, ja ich m&ouml;chte sogar nicht gern
+ mehr als drei&szlig;ig Reiter auf diese Reise mit mir nehmen. Um so mehr aber ist
+ Vorsicht und sogar t&auml;uschende List geboten. Ich habe dies gerade mit meinem
+ getreuen Panduka besprochen, und er hat mir einen guten Vorschlag gemacht, den ich
+ dir auch mitteile, damit du nicht w&auml;hrend dieser Tage in allzu gro&szlig;er
+ Angst um mich bist."</p>
+ <p>Ich murmelte etwas, das einen Dank f&uuml;r diese R&uuml;cksichtnahme bedeuten
+ sollte.</p>
+ <p>"Panduka," fuhr er fort, "wird also recht augenf&auml;llig alle Vorbereitungen
+ treffen, als ob ich morgen fr&uuml;h mit einer ziemlich ansehnlichen Truppenmacht gen
+ Osten einen Zug machen wollte, um die R&auml;uber zu fangen. Wenn diese also--was ich
+ nicht bezweifle--hier in der Stadt Helfershelfer haben, die sie auf dem Laufenden
+ halten, so werden sie dadurch hinters Licht gef&uuml;hrt. Mittlerweile breche ich mit
+ meinen drei&szlig;ig Reitern eine Stunde nach Mitternacht auf, und zwar durch das
+ s&uuml;dliche Tor, und ziehe durch das H&uuml;gelland in einem gro&szlig;en Bogen
+ ostw&auml;rts. Doch m&ouml;chte ich auch hier gern die Hauptstra&szlig;en vermeiden,
+ bis ich einige Meilen von Kosambi entfernt bin. Nun liegt ja aber gerade in dieser
+ Gegend das Sommerhaus deines Vaters, und du kennst von Kind auf alle Wege und Stege
+ dort--kannst mir also, denke ich, hier mit deinem Rate viel n&uuml;tzen."</p>
+ <p>Ich war sofort dazu bereit, und w&auml;hrend ich ihm Alles ausf&uuml;hrlich
+ beschrieb, lie&szlig; ich mir eine Tafel geben und zeichnete darauf eine genaue Karte
+ von der Umgebung jenes Hauses, mit Kreuzzeichen an den Stellen, die er sich besonders
+ merken mu&szlig;te. Vor allem aber empfahl ich ihm einen Pfad, der durch eine
+ Schlucht f&uuml;hrte. Diese verengte sich allm&auml;hlich so sehr, da&szlig; auf
+ einer kurzen Strecke nicht zwei Reiter nebeneinander reiten konnten, daf&uuml;r war
+ aber dieser Weg so unbekannt, da&szlig;, selbst wenn die R&auml;uber ahnen sollten,
+ da&szlig; er einen solchen Umweg machte, gewi&szlig; niemand ihn dort suchen
+ w&uuml;rde.</p>
+ <p>In dieser Schlucht aber hatte ich als ein unschuldiges Kind mit meinen
+ Br&uuml;dern und Medini und den Kindern unseres P&auml;chters gespielt.</p>
+ <p>Satagira bemerkte, da&szlig; meine Hand, die auf die Tafel zeichnete, zitterte,
+ und fragte mich, ob ich Fieber h&auml;tte. Ich antwortete, da&szlig; es nur etwas
+ M&uuml;digkeit nach einer schlaflosen Nacht sei. Er ergriff aber meine Hand und fand
+ besorgt, da&szlig; sie kalt und feucht sei, und als ich sie mit der Bemerkung, das
+ habe gar nichts zu sagen, zur&uuml;ckziehen wollte, behielt er sie in der seinen,
+ w&auml;hrend er mich ermahnte, vorsichtig zu sein und mich zu schonen; und in seinem
+ Blick und seiner Stimme bemerkte ich mit unsagbarem Unwillen, ja mit Entsetzen etwas
+ von der bewundernden Z&auml;rtlichkeit aus jener Zeit, als er vergebens um mich warb.
+ Ich beeilte mich zu sagen, da&szlig; ich mich wirklich nicht ganz wohl f&uuml;hlte
+ und mich gleich zur Ruhe begeben wollte.</p>
+ <p>Satagira folgte mir aber noch in die Galerie hinaus, und hier, wo wir allein
+ waren, fing er an, sich zu entschuldigen: er habe allerdings &uuml;ber die Mutter
+ seines Sohnes mich jetzt lange Zeit vernachl&auml;ssigt; aber nach seiner
+ R&uuml;ckkehr sollte das anders werden; ich w&uuml;rde nicht l&auml;nger n&ouml;tig
+ haben, die Nacht allein auf der Terrasse zuzubringen.</p>
+ <p>Wenn auch jene Z&auml;rtlichkeit, die dem Grabe einer verschollenen Jugendliebe
+ entstiegen schien, bei der ich anerkennen mu&szlig;te, da&szlig; sie sogar mit einer
+ gewissen halsstarrigen Treue nur mir gegolten hatte, nicht umhin konnte, mein Herz
+ etwas zu seinen Gunsten zu stimmen, so da&szlig; ich einen Augenblick in meinem
+ Vorsatz wankte: so waren doch die letzten Worte, die mit einem s&uuml;&szlig;lichen
+ L&auml;cheln und einer ekelhaften Vertraulichkeit vorgebracht wurden, nur zu
+ geeignet, diese Wirkung wieder aufzuheben, indem sie mich an Rechte gemahnten, die er
+ sich mir gegen&uuml;ber durch seinen feigen Verrat erschlichen hatte.</p>
+ <h2><a id="chap_xxxiii" name="chap_xxxiii">XXXIII. ANGULIMALA</a></h2>
+ <p><img src="images/xxxiii.png" width="93" height="93" align="left" alt="E" />ine
+ schreckliche Ruhe kam &uuml;ber mich, als ich jetzt in meine Zimmer
+ zur&uuml;ckkehrte. Es gab nichts mehr zu bedenken, kein Zweifel war zu
+ bek&auml;mpfen, keine Fragen wollten beantwortet sein. Alles war entschieden. Sein
+ Karma wollte es so. Offenbar war er durch seinen doppelten Verrat mir und Angulimala
+ verfallen.</p>
+ <p>So gro&szlig; war diese Ruhe, da&szlig; ich einschlief, sobald ich mich auf das
+ Lager gestreckt hatte--als ob meine Natur &auml;ngstlich bem&uuml;ht gewesen
+ w&auml;re, &uuml;ber diese inhaltslosen Wartestunden hinwegzukommen.</p>
+ <p>Als es dunkel wurde, ging ich auf die Terrasse. Der Mond war noch nicht
+ aufgegangen. Ich brauchte nicht lange zu warten. Die m&auml;chtige Gestalt
+ Angulimalas schwang sich &uuml;ber die Brustwehr und kam auf die Bank zu, auf der
+ ich, halb abgewendet, sa&szlig;.</p>
+ <p>Ich r&uuml;hrte mich nicht, und ohne den Blick von dem Muster der bunten
+ Marmorfliesen zu erheben, sprach ich:--</p>
+ <p>"Was du zu wissen w&uuml;nschest, wei&szlig; ich. Alles: die Stunde, wann er
+ fortzieht, die St&auml;rke seiner Begleitung, die Richtung, die er einschl&auml;gt,
+ und Wege und Pfade, denen er folgt. Von seinem b&ouml;sen Karma getrieben, hat er
+ selber mir seine Vertraulichkeit aufgedrungen, sonst w&uuml;&szlig;te ich das alles
+ nicht, denn nie h&auml;tte ich es ihm durch heuchlerische Z&auml;rtlichkeit
+ entlockt."</p>
+ <p>Ich hatte mir diese Worte wohl &uuml;berlegt; denn so t&ouml;richt sind wir in
+ unserem Stolz, da&szlig; es selbst jetzt, da ich mich zum Handlanger eines
+ Verbrechers machte, f&uuml;r mich ein unertr&auml;glicher Gedanke war, in seinen
+ Augen niedriger zu erscheinen, als ich wirklich war.</p>
+ <p>Nicht weniger &uuml;berlegt waren meine weiteren Worte.</p>
+ <p>"Von all dem wirst du aber keine Silbe erfahren, wofern du mir nicht zuerst
+ versprichst, da&szlig; du ihn <i>nur</i> t&ouml;ten, auf keine Weise aber qu&auml;len
+ wirst, und da&szlig; du nur <i>ihn</i>, jedoch keinen seiner Begleiter t&ouml;ten
+ wirst, wenn du es nicht zur Selbstverteidigung n&ouml;tig hast. Ich werde dir aber
+ eine Stelle zeigen, wo du ihn ganz allein und ohne Handgemenge t&ouml;dlich treffen
+ kannst. Dies also mu&szlig;t du mir mit einem feierlichen Eide versprechen. Sonst
+ kannst du mich t&ouml;ten, wirst aber kein Wort mehr von mir vernehmen."</p>
+ <p>"So wahr ich bis heute ein treuer Diener Kalis war," erwiderte Angulimala, "so
+ gewi&szlig; will ich keinen von seinen Begleitern t&ouml;ten, und so gewi&szlig; soll
+ er auch keine Qual erleiden."</p>
+ <p>"Gut," sagte ich, "ich will dir trauen. So h&ouml;re also nun und merke dir Alles
+ genau. Wenn du hier in der Stadt Hehler hast, so wirst du schon erfahren haben,
+ da&szlig; Vorbereitungen getroffen werden, um morgen gegen die R&auml;uber
+ vorzugehen. Das ist aber alles leerer Schein, um dich zu t&auml;uschen. In
+ Wirklichkeit verl&auml;&szlig;t Satagira, von drei&szlig;ig Reitern gefolgt, noch
+ heute, eine Stunde nach Mitternacht, die Stadt durch das s&uuml;dliche Tor,
+ l&auml;&szlig;t den Sinsapawald links liegen und biegt noch etwas s&uuml;dlicher aus,
+ um auf Nebenwegen durch das H&uuml;gelland ostw&auml;rts zu ziehen."</p>
+ <p>Und ich gab ihm nun eine ganz genaue Beschreibung der Gegend bis zu jener engen
+ Schlucht, durch die Satagira kommen mu&szlig;te, und wo er ihn leicht und sicher
+ erschlagen konnte.</p>
+ <p>Meiner Rede folgte ein bedr&uuml;ckendes Schweigen, w&auml;hrenddessen ich nur
+ mein eigenes schweres Atemholen h&ouml;rte. Ich f&uuml;hlte, da&szlig; ich noch nicht
+ Kraft genug hatte, um mich zu erheben und wegzugehen, wie ich es mir vorgenommen
+ hatte.</p>
+ <p>Endlich sprach Angulimala, und schon der milde, ja traurige Klang seiner Stimme
+ &uuml;berraschte mich derart, da&szlig; ich fast erschrak und unwillk&uuml;rlich
+ zusammenfuhr.</p>
+ <p>"So w&auml;re es denn also nun geschehen," sagte er, "und du, die zarte, milde
+ Frau, die du gewi&szlig; niemals mit Willen auch nur dem geringsten Gesch&ouml;pfe
+ ein Leid zugef&uuml;gt hast, du w&auml;rest nunmehr im Bunde mit dem schlechtesten
+ Menschen, dessen H&auml;nde von Blut triefen, ja der Mord deines Gatten lastete auf
+ deinem Gewissen und w&uuml;rde f&uuml;r dich seine schwarzen Karmaf&auml;den auf
+ absch&uuml;ssiger F&auml;hrte bis in die h&ouml;llische Welt weiter wirken--ja, so
+ w&auml;re es in der Tat, wenn du jetzt zu dem R&auml;uber Angulimala geredet
+ h&auml;ttest."</p>
+ <p>Ich wu&szlig;te nicht, ob ich meinen Ohren trauen sollte. Zu wem sonst hatte ich
+ denn geredet? War es doch die Stimme Angulimalas, wenn auch mit jener sonderbaren
+ Ver&auml;nderung des Klanges; und als ich mich jetzt best&uuml;rzt umwandte und ihn
+ scharf ansah, war es au&szlig;er allem Zweifel, da&szlig; der
+ R&auml;uberh&auml;uptling vor mir stand, wenn auch in seiner ganzen Haltung sich
+ gleichsam ein anderer Charakter ausdr&uuml;ckte als der, der mich Tags zuvor in
+ seinem furchtbaren Banne gehalten hatte.</p>
+ <p>"Aber sei unbesorgt, edle Frau"--f&uuml;gte er hinzu--"dies Alles ist nicht
+ geschehen. Nichts ist geschehen, nicht mehr, als wenn du deine Rede an diesen Baum
+ gerichtet h&auml;ttest."</p>
+ <p>Diese Worte waren mir so r&auml;tselhaft wie die vorhergehenden. So viel aber
+ verstand ich, da&szlig; er aus irgend einem Grunde seinen Racheplan gegen Satagira
+ aufgegeben hatte.</p>
+ <p>Nachdem ich mich durch furchtbare Seelenk&auml;mpfe zu dieser unnat&uuml;rlichen
+ H&ouml;he des Verbrechens emporgerungen hatte, war dies pl&ouml;tzliche
+ unbegreifliche Zerrinnen, diese spukhafte Verfl&uuml;chtigung des Werkes eine
+ Entt&auml;uschung, die ich nicht ertrug. Die krankhafte Spannung meines Gem&uuml;tes
+ machte sich Luft in einem Strome von Schimpfworten, die ich Angulimala ins Gesicht
+ schleuderte. Ich nannte ihn einen ehrlosen Schuft, einen wortbrecherischen, leeren
+ Prahler, eine Memme und was wei&szlig; ich noch--das Schlimmste, was mir einfallen
+ wollte, denn ich hoffte, da&szlig; dieser wegen seines J&auml;hzorns in ganz Indien
+ ber&uuml;chtigte Mann, solcherma&szlig;en gereizt, mich mit einem Schlage seiner
+ eisernen Faust leblos zu Boden strecken w&uuml;rde.</p>
+ <p>Als ich aber schwieg, eher, weil mir der Atem als der Wortvorrat ausging,
+ antwortete mir Angulimala mit besch&auml;mender Ruhe:--</p>
+ <p>"Dies alles und noch Schimpflicheres habe ich ja von dir verdient, und nicht
+ einmal den alten Angulimala h&auml;ttest du damit, glaube ich, so reizen k&ouml;nnen,
+ da&szlig; er dich get&ouml;tet h&auml;tte--denn dies zu erreichen ist ja, wie ich
+ wohl erkenne, deine Absicht. Aber wenn auch jetzt ein anderer mir noch Schlimmeres
+ gesagt h&auml;tte, so w&uuml;rde ich das nicht nur ruhig ertragen haben, sondern ihm
+ sogar dankbar daf&uuml;r sein, da&szlig; er mir Gelegenheit gab, eine heilsame
+ Pr&uuml;fung zu bestehen. Hat doch der Meister selber mich gelehrt: 'Der Erde gleich,
+ Angulimala, sollst du Gleichmut &uuml;ben. Gleichwie man da auf die Erde Reines
+ hinwirft und Unreines hinwirft, und die Erde sich weder darob entsetzt noch sich
+ str&auml;ubt--also sollst du, Angulimala, der Erde gleich Gleichmut &uuml;ben.' Denn
+ du sprichst ja, Vasitthi, nicht mit dem R&auml;uber, sondern mit dem J&uuml;nger
+ Angulimala."</p>
+ <p>"Was f&uuml;r ein J&uuml;nger? Welcher Meister?" fragte ich mit ver&auml;chtlicher
+ Ungeduld, obwohl die seltsame Sprache dieses unbegreiflichen Mannes nicht verfehlte,
+ eine eigent&uuml;mliche, fast bestrickende Wirkung auf mich auszu&uuml;ben.</p>
+ <p>"Den sie den Vollendeten nennen, den Weltkenner, den vollkommen Erwachten, den
+ Buddha," antwortete er, "der ist der Meister. Du hast doch wohl auch schon von ihm
+ geh&ouml;rt?"</p>
+ <p>Ich sch&uuml;ttelte den Kopf.</p>
+ <p>"Gl&uuml;cklich preise ich mich," rief er, "da&szlig; ich es bin, durch dessen
+ Mund du zuerst den Namen des Gesegneten vernimmst. Hat Angulimala dir einst als der
+ R&auml;uber viel B&ouml;ses getan, so hat er dir jetzt als J&uuml;nger noch mehr
+ Gutes getan."</p>
+ <p>"Wer ist denn dieser Buddha?" fragte ich wieder in demselben Tone, ohne mir es
+ anmerken lassen zu wollen, wie sehr meine Teilnahme geweckt war.--"Was hat er mit
+ diesem deinem r&auml;tselhaften Betragen zu tun, und was k&ouml;nnte mir das f&uuml;r
+ Segen bringen, seinen Namen zu h&ouml;ren?"</p>
+ <p>"Auch nur den Namen dessen zu h&ouml;ren, den sie den Willkommenen nennen," sagte
+ Angulimala, "ist wie der erste Schimmer einer Leuchte f&uuml;r den, der im Dunkel
+ sitzt. Aber ich will dir jetzt Alles erz&auml;hlen, wie er mir begegnet ist und mein
+ Leben gewendet hat; denn gewi&szlig; ist das nicht zum wenigsten deinetwegen gerade
+ heute geschehen."</p>
+ <p>Schon am ersten Abend hatte mich trotz der Wildheit, die seinem Wesen
+ entstr&ouml;mte, ein gewisser Anstand seines Betragens &uuml;berrascht; noch
+ auffallender war aber die ungesuchte W&uuml;rde, mit der er jetzt neben mir Platz
+ nahm, wie Einer, der sich bei seinesgleichen f&uuml;hlt.</p>
+ <h2><a id="chap_xxxiv" name="chap_xxxiv">XXXIV. DIE SPEERH&Ouml;LLE</a></h2>
+ <p><img src="images/xxxiv.png" width="93" height="93" align="left" alt="I" />ch stand
+ heute--hub er an--ein paar Stunden nach Sonnenaufgang am Waldesrande und sp&auml;hte
+ nach den T&uuml;rmen Kosambis hin&uuml;ber, meine Rache an Satagira im Sinne, und die
+ Frage erw&auml;gend, ob du mir wohl die erw&uuml;nschten Aufkl&auml;rungen bringen
+ w&uuml;rdest: als ich auf der Stra&szlig;e, die vom &ouml;stlichen Stadttor zum Walde
+ f&uuml;hrt, einen einsamen, in einen gelben Mantel geh&uuml;llten Wanderer gewahr
+ wurde, der r&uuml;stig einherschritt. Zu beiden Seiten des Weges aber waren Hirten
+ und Landleute mit ihren Arbeiten besch&auml;ftigt. Und ich sah nun, wie diejenigen,
+ die dem Wege am n&auml;chsten waren, jenem einsamen Wanderer etwas zuriefen,
+ w&auml;hrend auch die weiter entfernten mit ihrer Arbeit innehielten, ihm nachsahen
+ und mit Fingern auf ihn zeigten. Und die N&auml;chststehenden schienen ihn, je weiter
+ er vorw&auml;rts schritt, um so eifriger zu warnen, ja aufhalten zu wollen, indem
+ einige ihm nachliefen und seinen Mantel ergriffen, und dann mit eifrigen und
+ entsetzten Geb&auml;rden nach dem Walde zeigten. Fast glaubte ich h&ouml;ren zu
+ k&ouml;nnen, wie sie ihm zuriefen: "Nicht weiter! Gehe nicht in den Wald! Dort haust
+ ja der schreckliche R&auml;uber Angulimala."</p>
+ <p>Aber jener Wanderer schritt unbek&uuml;mmert weiter, dem Walde zu. Und jetzt sah
+ ich an seinem Mantel und an seinem kahlgeschorenen Kopfe, da&szlig; es ein Asket war,
+ einer von denen, die dem Orden des Sakyersohnes angeh&ouml;ren, ein alter Mann von
+ stattlicher Gestalt.</p>
+ <p>Und ich gedachte bei mir: "Wunderbar, wahrlich, au&szlig;erordentlich ist es! Auf
+ diesem Wege sind schon zehn Mann, ja drei&szlig;ig und f&uuml;nfzig Mann vereint und
+ bewaffnet ausgezogen und sind alle in meine Gewalt geraten: und dieser Asket da kommt
+ allein, wie ein Eroberer heran!"</p>
+ <p>Und es verdro&szlig; mich, da&szlig; er so offen meiner Macht Hohn sprach. So
+ entschlo&szlig; ich mich denn, ihn zu t&ouml;ten, um so mehr, als ich mir dachte,
+ m&ouml;glicherweise sei er als Sp&auml;her von Satagira in den Wald geschickt. Denn
+ diese Asketen--so meinte ich--sind ja alle heuchlerisch und feil und lassen sich zu
+ Allem gebrauchen, indem sie auf die Sicherheit bauen, die sie durch den Aberglauben
+ des Volkes genie&szlig;en--denn so hatte ich von meinem gelehrten Freunde
+ Vaja&ccedil;ravas gelernt, die Sache zu betrachten.</p>
+ <p>Schnell entschlossen ergriff ich meinen Speer, h&auml;ngte Bogen und K&ouml;cher
+ um und ging dem Asketen, der jetzt in den Wald eingetreten war, Schritt f&uuml;r
+ Schritt nach.</p>
+ <p>Als ich aber eine g&uuml;nstige Stelle erreicht hatte, wo keine B&auml;ume uns
+ trennten, blieb ich stehen, nahm den Bogen von der Schulter und scho&szlig; einen
+ Pfeil so ab, da&szlig; er dem Wanderer in die linke Seite des R&uuml;ckens eindringen
+ und sein Herz durchbohren mu&szlig;te; aber er flog &uuml;ber den Kopf des Asketen
+ dahin.</p>
+ <p>"Da mu&szlig; sich unter meine Pfeile ein ganz schlechter verirrt haben," sagte
+ ich mir, nahm meinen K&ouml;cher zur Hand und w&auml;hlte einen sch&ouml;n
+ gefiederten, tadellosen Pfeil, mit dem ich so zielte, da&szlig; er dem Asketen das
+ Genick durchbohren mu&szlig;te. Der Pfeil schlug aber links von ihm in einen
+ Baumstamm ein. Der n&auml;chste flog rechts von ihm vorbei, und so ging es mit allen
+ Pfeilen, bis mein K&ouml;cher geleert war.</p>
+ <p>"Unbegreiflich, au&szlig;erordentlich ist das!" dachte ich bei mir. "Habe ich mich
+ doch oft damit belustigt, einen Gefangenen mit dem R&uuml;cken an einen Zaun zu
+ stellen und die Pfeile so nach ihm zu schie&szlig;en, da&szlig;, nachdem er zur Seite
+ getreten, der ganze Umri&szlig; seines K&ouml;rpers durch die im Zaune steckenden
+ Pfeile abgezeichnet war--und das auf eine noch gr&ouml;&szlig;ere Entfernung. Bin ich
+ doch gewohnt, mit meinem Pfeil den Adler im vollen Flug aus der Luft zu holen. Was
+ fehlt denn heute meiner Hand?"</p>
+ <p>Unterdessen hatte jener Asket einen ziemlichen Vorsprung gewonnen, und ich begann
+ hinter ihm her zu laufen, um ihn mit dem Speere zu t&ouml;ten. Nachdem ich ihm aber
+ auf etwa f&uuml;nfzig Schritte nahe gekommen war, gewann ich ihm keinen Schritt mehr
+ ab, obschon ich mit aller Macht rannte, jener Asket aber ganz gemach vorw&auml;rts zu
+ schreiten schien.</p>
+ <p>Da sagte ich zu mir selber: "Wahrlich, dies ist noch das Wunderbarste von Allem!
+ Habe ich doch sonst oft den scheuen Ilfen und den fl&uuml;chtigen Hirsch eingeholt,
+ und diesen gemach dahinschreitenden Asketen kann ich jetzt, mit aller Macht laufend,
+ nicht einholen. Was fehlt denn heute meinen F&uuml;&szlig;en?"</p>
+ <p>Und ich blieb stehen und rief ihm zu:</p>
+ <p>"Stehe, Asket! Stehe!"</p>
+ <p>Er aber schritt ruhig weiter und rief zur&uuml;ck:</p>
+ <p>"Ich stehe, Angulimala! Stehe auch du!"</p>
+ <p>Da wunderte ich mich denn wieder gar sehr und dachte: "Offenbar hat dieser Asket
+ soeben durch irgend einen Wahrheitsakt mein Pfeilschie&szlig;en vereitelt, durch
+ irgend einen Wahrheitsakt mein Laufen vereitelt. Wie kann er denn also jetzt eine
+ offenbare Unwahrheit sagen, indem er zu stehen behauptet, w&auml;hrend er doch geht,
+ mich aber zum Stehenbleiben auffordert, obschon er sehr wohl sieht, da&szlig; ich
+ bereits so still stehe wie dieser Baum? So w&uuml;rde wohl die fliegende Gans zur
+ Eiche sagen: 'Ich stehe, Eiche! Stehe auch du!' Sicher mu&szlig; also hier etwas
+ dahinter stecken. Wohl m&ouml;chte es mehr wert sein, den geheimen Sinn dieser
+ Asketenworte zu verstehen als einen Asketen zu t&ouml;ten."</p>
+ <p>Und ich rief ihm zu:</p>
+ <p>"Wandelnd w&auml;hnst du dich st&auml;tig, Asket, und mich, der st&auml;tig,
+ w&auml;hnst du wandelnd. Erkl&auml;re mir das, Asket! Wie bist du st&auml;tig, wie
+ bin ich unst&auml;t?" Und er antwortete mir:</p>
+ <p>"Ich, der ich keinem Wesen Leides antue, bin best&auml;ndig, wandle nicht mehr; du
+ aber, der du gegen die Wesen w&uuml;test, mu&szlig;t ruhelos von Leidensort zu
+ Leidensort wandeln."</p>
+ <p>Ich antwortete wieder:</p>
+ <p>"Da&szlig; wir immer wandeln, habe ich wohl geh&ouml;rt. Das vom
+ Best&auml;ndigsein, vom Nachtwandeln verstehe ich aber nicht. Wolle,
+ Ehrw&uuml;rdiger, mir das kurz Gesagte ausf&uuml;hrlich erl&auml;utern. Sieh, ich
+ habe meinen Speer von mir getan und feierlich schw&ouml;re ich dir: ich schenke dir
+ Frieden!"</p>
+ <p>"Zum zweiten Male, Angulimala," sagte er, "hast du falsch geschworen."</p>
+ <p>"Zum zweiten Male?"</p>
+ <p>"Das erste Mal geschah es bei jenem falschen Wahrheitsakt."</p>
+ <p>Das schien mir nun nicht der Wunder geringstes, da&szlig; er um jene geheime Sache
+ wu&szlig;te; aber ohne mich dabei aufzuhalten, beeilte ich mich, meine schlaue
+ Handlung zu verteidigen.</p>
+ <p>"Meine Worte, Ehrw&uuml;rdiger, waren da freilich gleichsam auf Schrauben
+ gestellt, aber mit den Worten beschwor ich nichts Falsches, nur der Sinn war
+ t&auml;usehend. Das aber, was ich dir schw&ouml;re, ist sowohl den Worten wie dem
+ Sinne nach wahr."</p>
+ <p>"Nicht doch," antwortete er, "denn du kannst mir keinen Frieden schenken. Wohl
+ dir, wenn du dir von mir den Frieden schenken lie&szlig;est."</p>
+ <p>Dabei hatte er sich umgewandt und winkte mir freundlich, heranzutreten.</p>
+ <p>"Gern, Ehrw&uuml;rdiger," sagte ich dem&uuml;tig.</p>
+ <p>"So h&ouml;re denn und gib wohl acht!"</p>
+ <p>Er setzte sich im Schatten eines gro&szlig;en Baumes nieder und hie&szlig; mich zu
+ seinen F&uuml;&szlig;en Platz nehmen.</p>
+ <p>Und er fing an, mich &uuml;ber gute und b&ouml;se Taten und &uuml;ber ihre Folgen
+ zu belehren, indem er mir Alles ausf&uuml;hrlich auseinandersetzte, so wie man zu
+ einem Kinde spricht. Denn ich war ja ganz ungelehrt, w&auml;hrend sonst
+ Asketensch&uuml;ler meistens Brahmanenj&uuml;nglinge sind, die sogar den Veda kennen.
+ Ich aber hatte so tiefgedachten Reden nie gelauscht, seitdem ich im n&auml;chtlichen
+ Walde zu den F&uuml;&szlig;en Vaja&ccedil;ravas' gesessen, von dem ich dir schon
+ erz&auml;hlt habe, und den du wohl auch sonst hast nennen h&ouml;ren.</p>
+ <p>Als nun aber dieser Asket mir offenbarte, da&szlig; nicht eine willk&uuml;rliche
+ G&ouml;ttermacht, sondern unser eigenes Herz allein durch seine Gedanken und Taten
+ uns hier und dort geboren werden l&auml;&szlig;t, bald auf Erden, bald in einem
+ Himmel, bald wieder in einer H&ouml;lle--da mu&szlig;te ich eben an jenen
+ Vaja&ccedil;ravas denken, wie er uns durch Vernunftgr&uuml;nde und mittelst der
+ Schrift bewies, da&szlig; es keine H&ouml;llenstrafen geben k&ouml;nne, und da&szlig;
+ alle darauf bez&uuml;glichen Stellen in der heiligen Schrift von den schwachen und
+ feigen Seelen in dieselbe hineingeschmuggelt seien, um die starken und mutigen durch
+ solche Drohungen einzusch&uuml;chtern und dadurch sich vor der Gewaltt&auml;tigkeit
+ der letzteren zu sch&uuml;tzen.--"Freund Vaja&ccedil;ravas," dachte ich, "hat mich
+ niemals so ganz &uuml;berzeugen k&ouml;nnen. Ob wohl dieser Asket es vermag? Hier
+ steht eben Meinung gegen Meinung, Gelehrter gegen Gelehrten. Denn selbst, wenn auch
+ dieser Asket einer der gro&szlig;en J&uuml;nger des Sakyersohnes sein sollte, so
+ wurde ja auch Vaja&ccedil;ravas von seinen Anh&auml;ngern hochgepriesen, und jetzt,
+ nach seinem Tode, wird er sogar vom gemeinen Volke als ein Heiliger verehrt. Wer will
+ also entscheiden, wer von diesen beiden recht hat?"</p>
+ <p>"Du bist nicht mehr ganz bei der Sache, Angulimala," sagte da der Asket: "du
+ denkst an jenen Vaja&ccedil;ravas und an seine Irrlehren."</p>
+ <p>Sehr verwundert gab ich das zu.</p>
+ <p>"So hat denn der Ehrw&uuml;rdige auch meinen Freund Vaja&ccedil;ravas
+ gekannt?"</p>
+ <p>"Man hat mir sein Grab vor dem Tore gezeigt, und ich sah, wie dort t&ouml;richte
+ Reisende ihr Gebet verrichteten in dem Wahne, er sei ein Heiliger"</p>
+ <p>"So ist er denn kein Heiliger?"</p>
+ <p>"Nun, wir wollen, wenn es dir so scheint, ihn aufsuchen und sehen, wie es ihm mit
+ seiner Heiligkeit nun geht."</p>
+ <p>Der Asket sagte dies, als ob es sich darum handele, von einem Hause ins andere zu
+ gehen. Ganz best&uuml;rzt starrte ich ihn an:</p>
+ <p>"Ihn aufsuchen? Vaja&ccedil;ravas? Wie w&auml;re denn das m&ouml;glich?"</p>
+ <p>"Gib mir deine Hand," sprach er. "Ich werde mich in jene Selbstvertiefung
+ versenken, durch die in einem standhaften Herzen der zu den G&ouml;ttern und der zu
+ den D&auml;monen f&uuml;hrende Weg sichtbar werden. Da wollen wir denn seiner
+ F&auml;hrte folgen, und was ich sehe, wirst auch du sehen."</p>
+ <p>Ich reichte ihm meine Hand. Eine Weile sa&szlig; er schweigend da, die Augen
+ gesenkt, die Pupillen nach innen gerichtet, und ich sp&uuml;rte nichts.
+ Pl&ouml;tzlich aber war es mir, wie es wohl einem Schwimmer sein mag, wenn der
+ D&auml;mon, der im Wasser haust, seinen Arm ergreift und ihn nach unten zieht, so
+ da&szlig; der blaue Himmel und die B&auml;ume des Ufers verschwinden, indem die Welle
+ &uuml;ber seinem Kopfe zusammenschl&auml;gt, und immer tiefer werdendes Dunkel ihn
+ umgibt. Bisweilen aber loderte auch Flammenschein um mich, und m&auml;chtiges
+ Get&ouml;se dr&ouml;hnte mir im Ohre.</p>
+ <p>Schlie&szlig;lich befand ich mich wie in einer ungeheuren H&ouml;hle, die ganz
+ dunkel war, jedoch durch unz&auml;hlige kurz zuckende Blitze unruhig beleuchtet
+ wurde. Als ich mich etwas an die Dunkelheit gew&ouml;hnt hatte, entdeckte ich,
+ da&szlig; diese Blitze von dem Ergl&auml;nzen eiserner Speerspitzen herr&uuml;hrten,
+ die hin und her fuhren, als ob Lanzen von unsichtbaren Armen geschwungen
+ w&uuml;rden--etwa in einer Geisterschlacht. Auch h&ouml;rte ich Schreie, aber nicht
+ wilde und mutige wie von kampfestrunkenen Streitern, sondern Schmerzensschreie und
+ St&ouml;hnen Verwundeter, die ich jedoch nicht sah. Denn diese Schreckenslaute kamen
+ aus dem Hintergrunde, wo das Zucken der Lanzenspitzen einen einzigen zitternden und
+ wirbelnden Nebel bildete. Der Vordergrund aber war leer.</p>
+ <p>Hier traten nun aber drei Gestalten herein, von einem rechts einm&uuml;ndenden,
+ schwarzen H&ouml;hlenschlund gleichsam ausgespieen. Der Mann in der Mitte war
+ Vaja&ccedil;ravas; sein nackter K&ouml;rper zitterte vom Kopf bis zu den
+ F&uuml;&szlig;en, als ob er heftig fr&ouml;re oder vom Fieber gesch&uuml;ttelt
+ w&uuml;rde. Seine Begleiter hatten beide einen menschlichen Rumpf, der aber von
+ Vogelbeinen mit starken Krallen getragen wurde, w&auml;hrend er bei dem einen von
+ einem Fischkopfe, bei dem anderen von einem Hundekopfe gekr&ouml;nt war. In den
+ H&auml;nden trug jeder einen langen Speer.</p>
+ <p>Der mit dem Fischkopf sprach zuerst:</p>
+ <p>"Dies, Ehrw&uuml;rdiger, ist die Speerh&ouml;lle, wo du nach dem Spruch des
+ H&ouml;llenrichters zehntausendj&auml;hrige Strafe abzub&uuml;&szlig;en hast, indem
+ du von diesen zuckenden Speeren ununterbrochen durchbohrt wirst;--um dann je nach
+ deinen sonstigen Taten irgendwo wiedergeboren zu werden.</p>
+ <p>Dann sprach der mit dem Hundekopf:</p>
+ <p>"So oft sich, Ehrw&uuml;rdiger, in deinem Herzen zwei Speere kreuzen, wisse,
+ da&szlig; dann tausend Jahre von deiner H&ouml;llenqual um sind."</p>
+ <p>Kaum hatte er dies gesagt, so schwangen beide H&ouml;llenw&auml;chter ihre Lanzen
+ und durchbohrten Vaja&ccedil;ravas. Wie auf ein gegebenes Zeichen zuckten jetzt alle
+ Speere ringsum auf ihn los und durchbohrten ihn mit ihren Spitzen von allen Seiten,
+ wie eine Schar von Raben sich &uuml;ber ein hingeworfenes Aas wirft und ihre
+ Schn&auml;bel in das Fleisch hackt. Bei diesem schrecklichen Anblick und den
+ jammervollen Schreien, die Vaja&ccedil;ravas in seiner Qual ausstie&szlig;, vergingen
+ mir die Sinne.</p>
+ <p>Als ich wieder erwachte, lag ich im Walde, unter dem gro&szlig;en Baume, zu
+ F&uuml;&szlig;en des Erhabenen hingestreckt.</p>
+ <p>"Hast du gesehen, Angulimala?"</p>
+ <p>"Ich habe gesehen, o Herr."</p>
+ <p>Und ich wagte nicht einmal hinzuzuf&uuml;gen: "Errette mich!" Denn wie konnte
+ <i>ich</i> begehren, errettet zu werden?</p>
+ <p>"Wenn du nun nach der Aufl&ouml;sung deines Leibes infolge deiner Taten auf
+ absch&uuml;ssige F&auml;hrte gelangst, in h&ouml;llische Welt, und der Richtender
+ Schatten &uuml;ber dich denselben Spruch ergehen l&auml;&szlig;t, und die
+ H&ouml;llenw&auml;chter dich in die Speerh&ouml;lle zu derselben Strafe f&uuml;hren:
+ geschieht dir dann zuviel, Angulimala?"</p>
+ <p>"Nein, Herr, es geschieht mir nicht zu viel."</p>
+ <p>"Ein Wandel aber, von dem du selber gestehst, da&szlig; er gerechterweise zu
+ solchen, unausdenkbaren Qualen f&uuml;hrt, ist das wohl, Angulimala, ein Wandel, der
+ wert ist, fortgesetzt zu werden?"</p>
+ <p>"Nein, o Herr! Diesem Wandel will ich entsagen, abschw&ouml;ren will ich meine
+ teuflischen Gewohnheiten um ein Wort deiner Wahrheit."</p>
+ <p>"Vor Zeiten einmal, Angulimala, hat der Richter der Schatten innig erwogen: 'Wer
+ da wahrlich &Uuml;beltaten in der Welt ver&uuml;bt, wird mit solchen mannigfachen
+ Strafen gestraft. O, da&szlig; ich doch Menschentum erreichte, und da&szlig; ein
+ Vollendeter, ein vollkommen erwachter Buddha in der Welt erschiene, und ich um ihn,
+ den Erhabenen, sein k&ouml;nnte: und da&szlig; er, der Erhabene, mir die Satzung
+ darlegte, und da&szlig; ich sie verst&auml;nde!'</p>
+ <p>Was nun jener Richter der Schatten sich so innig erw&uuml;nschte, das ist dir,
+ Angulimala, geworden. Du hast das Menschentum erreicht. Gleichwie aber, Angulimala,
+ auf diesem indischen Festlande nur wenig freundliche Haine, herrliche W&auml;lder,
+ sch&ouml;ne H&uuml;gel und liebliche Lotusteiche sich befinden, sondern im Vergleich
+ damit rei&szlig;ende Fl&uuml;sse, Urw&auml;lder, &ouml;de Felsgebirge und d&uuml;rre
+ W&uuml;sten bei weitem zahlreicher sind:</p>
+ <p>ebenso auch werden nur wenig Wesen unter den Menschen geboren im Vergleich zu den
+ weit zahlreicheren Wesen, die in anderen Reichen als dem der Menschheit zum Dasein
+ gelangen;--</p>
+ <p>ebenso auch sind nur wenige Geschlechter gleichzeitig mit einem Buddha auf Erden,
+ im Vergleich zu den weit zahlreicheren, zu deren Zeit kein Buddha erstanden
+ ist;--</p>
+ <p>ebenso auch wird es von jenen wenigen Geschlechtern nur wenigen Wesen zuteil, den
+ Vollendeten zu sehen, im Vergleich zu jenen weit zahlreicheren, die ihn nicht
+ sehen.</p>
+ <p>Du aber, Angulimala, hast Menschentum erlangt; und zwar zu einer Zeit, wo ein
+ vollkommener Buddha in der Welt erschienen ist, und du hast ihn gesehen und du kannst
+ um ihn, den Erhabenen, sein."</p>
+ <p>Als ich diese Worte vernahm, faltete ich die H&auml;nde und rief:</p>
+ <p>"Heil dir, o Heiliger! So bist du denn selber der vollkommen erwachte Buddha! So
+ hat denn das edelste der Wesen sich des schlechtesten erbarmt! So willst denn du,
+ Erhabener, mir erlauben, um dich zu sein?"</p>
+ <p>"Ich will's," antwortete der Erhabene. "Und so vernimm nun auch dieses:</p>
+ <p>ebenso gibt es unter den wenigen, die den Erhabenen sehen, nur wenige, die seine
+ Satzung h&ouml;ren, und von diesen nur wenige, die sie verstehen. Du aber wirst die
+ Satzung h&ouml;ren und verstehen. Komm, J&uuml;nger!"</p>
+ <p>Und der Erhabene war in den Wald hineingeschritten gleichwie ein
+ Elefantenj&auml;ger, der auf seinem zahmen Ilfen reitet. Er verlie&szlig; aber den
+ Wald wieder, gleichwie ein Elefantenj&auml;ger den Wald verl&auml;&szlig;t, von einem
+ wilden, durch seine Kunst bez&auml;hmten Ilfen gefolgt.</p>
+ <p>So bin ich denn nun zu dir gekommen, Vasitthi: nicht der R&auml;uber Angulimala,
+ sondern der J&uuml;nger Angulimala. Sieh, ich habe Speer und Keule, Stock und
+ Gei&szlig;el von mir geworfen, habe T&ouml;ten und Qu&auml;len abgeschworen, und vor
+ mir haben alle Wesen Frieden.</p>
+ <h2><a id="chap_xxxv" name="chap_xxxv">XXXV. LAUTERE SPENDE</a></h2>
+ <p><img src="images/xxxv.png" width="93" height="93" align="left" alt="I" />ch weiss
+ nicht, wie lange es dauerte, ehe ich meine Lippen &ouml;ffnete, aber eine recht lange
+ Zeit, glaube ich, sa&szlig; ich stumm da und lie&szlig; Alles, was mir Angulimala
+ erz&auml;hlt hatte, Punkt f&uuml;r Punkt vor mir auftauchen, und dachte dar&uuml;ber
+ nach und wunderte mich immer mehr. Denn obwohl ich viele Sagen aus alter Zeit von
+ g&ouml;ttlichen Wundern und besonders von den Wundertaten Krishnas, als er auf dieser
+ Erde wanderte, geh&ouml;rt hatte, so kamen sie mir doch alle miteinander
+ geringf&uuml;gig vor, wenn ich sie mit dem verglich, was an diesem Tage Angulimala im
+ Walde widerfahren war.</p>
+ <p>Und ich fragte mich nun selber, ob jener gro&szlig;e Mann, der in wenigen Stunden
+ aus dem schrecklichen R&auml;uber diesen sanften Menschen, der soeben zu mir
+ gesprochen, gemacht hatte--jener "Vollendete", der das Wildeste, was es in der ganzen
+ Natur gab, so leicht und sicher gez&auml;hmt hatte: ob er nicht auch imstande sei,
+ mein friedloses, von Leidenschaften st&uuml;rmisch bewegtes Herz zu beruhigen und
+ durch das Licht seiner Worte die n&auml;chtige Trauerwolke von ihm zu verscheuchen?
+ Oder war dies vielleicht noch schwieriger, ja wohl gar eine Aufgabe, deren
+ L&ouml;sung selbst die Kr&auml;fte des heiligsten Asketen &uuml;berstieg?</p>
+ <p>Fast f&uuml;rchtete ich, das letztere m&ouml;chte der Fall sein, aber ich fragte
+ doch, wo wohl jener gro&szlig;e Asket, den er seinen Meister nannte, sich aufhielte,
+ und ob auch ich ihn wohl aufsuchen k&ouml;nne.</p>
+ <p>"Recht so," antwortete Angulimala, "da&szlig; du sofort danach fragst--und wonach
+ solltest du auch sonst fragen? Deshalb bin ich ja zu dir gekommen. Die wir im
+ B&ouml;sen Verb&uuml;ndete sein wollten, wir werden es jetzt im Guten sein. Der
+ Erhabene weilt jetzt im Sinsapawalde, von dem du selber sprachst. Begib dich morgen
+ dorthin, aber erst gegen Abend. Denn dann haben die M&ouml;nche ihre Gedenkenruhe
+ beendigt und versammeln sich am alten Krishnatempel, und der Erhabene spricht da zu
+ ihnen und zu den sonst Anwesenden. Zu dieser Stunde gehen n&auml;mlich viele
+ M&auml;nner und Frauen von der Stadt dort hinaus, um den Gesegneten zu sehen und
+ seinen lichtspendenden Worten zu lauschen; und mit jedem Abend wird der Andrang
+ gr&ouml;&szlig;er. Oft dauert ein solcher Vortrag bis in die sp&auml;te Nacht hinein.
+ Von alledem war ich schon genau unterrichtet, weil ich in der S&uuml;ndhaftigkeit
+ meines Herzens den scheu&szlig;lichen Plan geschmiedet hatte, mit meinen Leuten
+ n&auml;chstens die Versammlung zu &uuml;berfallen. Die Gaben an Lebensmitteln und
+ Stoffen, die viele der Besucher als Geschenke f&uuml;r den Orden mitbringen, bilden
+ schon eine--wenn auch nicht reiche--so doch keineswegs ganz zu verschm&auml;hende
+ Beute. Besonders aber gedachte ich einige vornehme B&uuml;rger aufzuheben und
+ schweres L&ouml;segeld von ihnen zu erpressen, und verband damit die Hoffnung, durch
+ einen so dreisten Handstreich, gerade vor den Toren der Stadt, Satagira endlich aus
+ den Mauern herauszulocken. Denn als ich den Plan fa&szlig;te, war mir seine
+ bevorstehende Reise noch unbekannt.--Vers&auml;ume also nicht, edle Frau, morgen
+ gegen Abend nach dem alten Krishnatempel zu gehen, das wird dir lange zum Heil
+ gereichen. Mich verlangt es jetzt eiligst dahin zu kommen, ob ich wohl noch etwas
+ h&ouml;ren werde. Doch in solchen sch&ouml;nen Mondn&auml;chten bleiben die
+ M&ouml;nche lange beisammen, in religi&ouml;se Gespr&auml;che vertieft, und erlauben
+ Einem gern zuzuh&ouml;ren."</p>
+ <p>Er verbeugte sich tief vor mir und entfernte sich schnell.--</p>
+ <p>Am n&auml;chsten Vormittage schickte ich nach Medini, die nun ebenso bereit war,
+ mit ihrem Gatten Somadatta mir Gefolge nach dem Krishnahain zu leisten, wie damals,
+ als es sich darum handelte, die Begegnung zweier Liebenden zu vermitteln. In der Tat
+ hatte sie schon vorher einmal ihren Gatten gebeten, sie eines Abends dort hinaus zu
+ bringen, denn sie lie&szlig; sich nicht leicht etwas entgehen, wovon die Leute
+ sprachen. Somadatta aber hatte sich vor dem Hausbrahmanen gef&uuml;rchtet, und so war
+ sie denn hocherfreut, durch die Aufforderung der Ministersgattin jenem Tyrannen
+ gegen&uuml;ber gedeckt zu sein.</p>
+ <p>Wir fuhren sofort nach den Kaufhallen, wo Somadatta, der dort seine Gesch&auml;fte
+ besorgte, uns behilflich war, solche Stoffe auszusuchen, die f&uuml;r die Bekleidung
+ der M&ouml;nche und der Nonnen geeignet waren. Auch kaufte ich dort eine gro&szlig;e
+ Menge Arzneien. Wieder nach Hause gekommen, pl&uuml;nderten wir die Vorratskammern:
+ Kr&uuml;ge mit dem feinsten &ouml;l, Kisten mit Honig, mit Butter und mit Zucker,
+ Sch&uuml;sseln mit Eingemachtem aller Art wurden f&uuml;r unseren frommen Zweck zur
+ Seite gestellt. Meine eigenen Schr&auml;nke mu&szlig;ten das Ausgesuchteste, was sie
+ an wohlriechendem Wasser, Sandelstaub und Kampfer bargen, hergeben, und dann ging es
+ in den Garten, dessen Blumenflor nicht geschont wurde.</p>
+ <p>Als die ersehnte Stunde kam, waren schon alle diese Sachen auf einen mit
+ Maultieren bespannten Wagen geladen. Wir selber nahmen unter dem Zelte eines anderen
+ Wagens Platz, und von den zwei silberwei&szlig;en Vollblut-Sindhrossen gezogen, die
+ jeden Morgen dreij&auml;hrigen Reis aus meiner Hand fra&szlig;en, fuhren wir zum
+ Stadttor hinaus.</p>
+ <p>Die Sonne n&auml;herte sich schon den Kuppeln und T&uuml;rmen der Stadt hinter
+ uns, und ihre Strahlen vergoldeten den Staub, der den ganzen Weg entlang aufgewirbelt
+ wurde von den vielen, die wie wir--meistens jedoch zu Fu&szlig;--hinauspilgerten, um
+ den Buddha zu sehen und zu h&ouml;ren.</p>
+ <p>Bald erreichten wir den Eingang zum Walde. Hier lie&szlig;en wir die Wagen halten
+ und begaben uns zu Fu&szlig; weiter, von Dienern gefolgt, welche die mitgebrachten
+ Weihgeschenke trugen.</p>
+ <p>Seit jener Nacht aber, als wir dort voneinander Abschied nahmen, war ich in diesem
+ Walde nicht wieder gewesen. Als ich nun--in derselben Begleitung--in seinen
+ k&uuml;hlen Schatten eintrat, &uuml;berw&auml;ltigte mich ein solcher
+ Erinnerungsduft, der, gleichsam f&uuml;r mich hier aufgespeichert, im Verlaufe der
+ Jahre seine S&uuml;&szlig;igkeit bis zur Giftigkeit konzentriert hatte, da&szlig; ich
+ bet&auml;ubt stehen blieb. Es war mir, als ob meine Liebe, in voller St&auml;rke
+ erwacht, sich mir in den Weg stellte, mich der Fahnenflucht und des Verrates zeihend.
+ Denn ich kam ja nicht hierher, um ihr durch Einatmen des Erinnerungsduftes neue
+ Nahrung zu geben, sondern um f&uuml;r mein entt&auml;uschtes und gequ&auml;ltes Herz
+ den Frieden zu suchen. Hie&szlig; das aber nicht vergessen, der Liebe entsagen
+ wollen? War das nicht Wortbruch und feiger Verrat?</p>
+ <p>In solchem bangen Zweifel stand ich da, unschl&uuml;ssig, ob ich weitergehen oder
+ umkehren solle--zu gro&szlig;er Entt&auml;uschung Medinis, die vor Ungeduld
+ trippelte, wenn Andere uns &uuml;berholten.</p>
+ <p>Jedoch der Anblick dieses Waldinneren, von der sp&auml;ten Nachmittagssonne mild
+ und goldig durchstrahlt--das leise, gleichsam mahnende Rauschen und Lispeln der
+ Bl&auml;tter--die Leute, die beim Eintreten sofort verstummten und sich
+ erwartungsvoll, fast scheu umsahen--hier und dort, in einiger Entfernung, am
+ Fu&szlig;e eines m&auml;chtigen Baumstammes, ein in die Falten seines gelben Mantels
+ geh&uuml;llter Asket, mit untergeschlagenen Beinen und in Selbstvertiefung versunken,
+ aus der erwachend wohl dann auch dieser und jener sich erhob und, ohne sich
+ umzusehen, dieselbe Richtung einschlug, in der alle einem noch unsichtbaren Ziele
+ zustrebten:--alles dies trug einen so still erhabenen Charakter und schien davon zu
+ zeugen, da&szlig; hier Geschehnisse vorgingen so seltener, ja heiliger Art, da&szlig;
+ sich keine Macht in der Welt dagegen stellen d&uuml;rfte, ja, da&szlig; selbst die
+ Liebe, wenn sie ihre Stimme dagegen erh&ouml;be, ihres ganzen g&ouml;ttlichen Rechtes
+ verlustig gehen w&uuml;rde.</p>
+ <p>So schritt ich denn entschlossen weiter, und die an Angulimala gerichteten Worte
+ des Erhabenen von den vielen Menschengeschlechtern, die dahinleben, ohne da&szlig;
+ ein Buddha in der Welt w&auml;re, und von den so &auml;u&szlig;erst wenigen selbst
+ unter den Zeitgenossen eines Buddha, denen es beschieden sei, ihn zu h&ouml;ren und
+ zu sehen--diese Worte hallten mir im Ohre, wie das L&auml;uten einer Tempelglocke,
+ und ich f&uuml;hlte mich wie eine Gebenedeite, die einem Erlebnisse entgegengeht, um
+ welches kommende Geschlechter sie beneiden.</p>
+ <p>Als wir die Lichtung erreichten, wo die Tempelruine stand, waren hier schon viele
+ Leute versammelt, sowohl Laien wie M&ouml;nche. Sie standen in Gruppen verteilt, die
+ meisten in der N&auml;he der Ruine, die sich uns gegen&uuml;ber erhob. Nahe an der
+ Stelle, wo wir die Waldwiese betraten, bemerkte ich eine gr&ouml;&szlig;ere Gruppe
+ von M&ouml;nchen, unter welchen mir ein wahrer Riese auffallen mu&szlig;te, denn er
+ &uuml;berragte auch die h&ouml;chsten neben ihm Stehenden um Hauptesl&auml;nge.</p>
+ <p>W&auml;hrend wir uns nun umsahen, wohin wir wohl am besten unsere Schritte lenken
+ sollten, trat zwischen uns und jenen M&ouml;nchen ein alter Asket aus dem Walde
+ heraus. Seine hohe Gestalt hatte eine so k&ouml;nigliche Haltung, und eine so heitere
+ Ruhe strahlte aus seinen edlen Z&uuml;gen, da&szlig; mir sofort der Gedanke kam: ob
+ dieser Asket wohl der Sakyersohn sein sollte, den sie den Buddha nennen?</p>
+ <p>In seiner Hand trug er einige Sinsapabl&auml;tter, und an jene M&ouml;nche sich
+ wendend, sprach er:</p>
+ <p>"Was meint ihr, ihr J&uuml;nger, was ist mehr, diese Sinsapabl&auml;tter, die ich
+ in der Hand halte, oder die anderen Bl&auml;tter droben im Sinsapawalde?"</p>
+ <p>Und die M&ouml;nche antworteten:</p>
+ <p>"Die Bl&auml;tter, die der Erhabene in der Hand h&auml;lt, sind wenige, und viel
+ mehr sind jene Bl&auml;tter droben im Sinsapawalde."</p>
+ <p>"So auch," sagte er, der--wie ich jetzt wu&szlig;te--der Buddha war--"so auch, ihr
+ J&uuml;nger, ist das viel mehr, was ich erkannt und euch nicht verk&uuml;ndet, als
+ das, was ich euch verk&uuml;ndet habe. Und warum, ihr J&uuml;nger, habe ich euch
+ jenes nicht verk&uuml;ndet? Weil es euch keinen Gewinn bringt, weil es nicht den
+ Wandel in Heiligkeit f&ouml;rdert, weil es nicht zur Abkehr vom Irdischen, zum
+ Untergang aller Lust, zum Aufh&ouml;ren des Verg&auml;nglichen, zum Frieden, zum
+ Nirvana f&uuml;hrt."</p>
+ <p>'So hatte also jener t&ouml;richte Greis doch darin recht!' rief Kamanita.</p>
+ <p>'Welcher Greis?' fragte Vasitthi.</p>
+ <p>'Jener Asket, mit dem ich--wie ich dir erz&auml;hlte--im Vororte Rajagahas, in der
+ Halle eines Hafners, die Nacht zubrachte, die letzte meines Erdenlebens, Er wollte
+ mir durchaus die Lehre des Erhabenen darlegen, was ihm, wie ich wohl merkte, nicht
+ sonderlich gelang. Aber er brachte doch offenbar viele echte Ausspr&uuml;che vor, und
+ unter diesen eben auch wortgetreu, was du mir jetzt berichtet hast--sogar den Ort gab
+ er richtig an und bewegte mich dadurch tief. Freilich, h&auml;tte ich geahnt,
+ da&szlig; du dabei anwesend warst, dann w&auml;re ich noch tiefer ergriffen
+ worden.'</p>
+ <p>'Er mag wohl selber sich unter den Anwesenden befunden haben,' sagte Vasitthi,
+ jedenfalls hat er dir genau berichtet. Und der Erhabene f&uuml;gte noch hinzu:</p>
+ <p>"Und was, ihr J&uuml;nger, habe ich euch verk&uuml;ndet? Was das Leiden ist, habe
+ ich euch verk&uuml;ndet. Was die Entstehung des Leidens ist, was die
+ Leidensvernichtung ist, was der zur Leidensvernichtung f&uuml;hrende Weg ist--dies
+ alles habe ich euch verk&uuml;ndet. Darum, ihr J&uuml;nger, was ich offenbart habe,
+ das lasset offenbart sein, und was ich unoffenbart gelassen habe, das lasset
+ unoffenbart bleiben."</p>
+ <p>Indem er diese Worte sprach, &ouml;ffnete er die Hand und lie&szlig; die
+ Bl&auml;tter fallen. Als nun das eine wirbelnd in meine N&auml;he hinflatterte, nahm
+ ich mir ein Herz, trat eilig hervor und fing es auf, noch bevor es die Erde
+ ber&uuml;hrt hatte, indem ich es somit gleichsam aus seiner Hand empfing--um dann
+ dies unsch&auml;tzbare Erinnerungszeichen an meinem Busen zu verbergen, ein Symbol
+ des Wenigen, aber einzig N&ouml;tigen, das uns der Vollendete aus seinem
+ unerme&szlig;lichen Wissenshort mitteilte, das mich bis zu meinem Tode nicht mehr
+ verlassen sollte.</p>
+ <p>Diese meine Bewegung zog die Aufmerksamkeit des Erhabenen auf mich. Jener
+ riesenhafte M&ouml;nch verbeugte sich jetzt vor ihm und machte ihm fl&uuml;sternd
+ eine Mitteilung, worauf der Meister mich noch einmal ansah und dann dem M&ouml;nche
+ einen Wink gab.</p>
+ <p>Dieser trat auf uns zu.</p>
+ <p>Wir verneigten uns alle tief, und ich sagte, da&szlig; ich, die Gemahlin des
+ Ministers Satagira, einige geringe Gaben f&uuml;r den Orden der Heiligen mitgebracht
+ h&auml;tte, um deren g&uuml;tige Annahme ich b&auml;te, und da&szlig; wir alle
+ gekommen w&auml;ren, um die Worte der Wahrheit zu vernehmen.</p>
+ <p>"Tritt n&auml;her, edle Frau," sagte der M&ouml;nch--und sofort h&ouml;rte ich,
+ da&szlig; es Angulimala war--"der Erhabene will selber deine Gaben in Empfang
+ nehmen."</p>
+ <p>Wir traten alle bis auf ein paar Schritte an den Erhabenen heran und verneigten
+ uns tief, ihn ehrfurchtsvoll mit den vor der Stirn gehaltenen, zusammengelegten
+ H&auml;nden begr&uuml;&szlig;end, ohne da&szlig; ich ein Wort hervorzubringen
+ vermochte.</p>
+ <p>"Reich sind deine Gaben, edle Frau," sagte der Erhabene, "und meine J&uuml;nger
+ haben wenige Bed&uuml;rfnisse. Erben der Wahrheit sind sie, nicht Erben der Not. Aber
+ auch die Buddhas der Vorzeit haben es so gehalten und gern Spenden frommer
+ Anh&auml;nger entgegengenommen, damit diesen Gelegenheit werde, die Tugend des
+ Almosengebens zu &uuml;ben. Denn wenn die Wesen die Frucht des Gebens kennten, wie
+ ich sie kenne, dann w&uuml;rden sie, wenn sie auch nur eine Handvoll Reis &uuml;brig
+ h&auml;tten, diese nicht verzehren, ohne einem noch &Auml;rmeren davon zu geben, und
+ der Gedanke des Eigennutzes, der ihren Geist verdunkelt, w&uuml;rde aus ihm
+ entweichen. So sei denn deine Spende vom Orden des Buddha mit Dank angenommen--eine
+ lautere Spende. Denn das nenne ich eine lautere Spende, durch welche der Geber
+ gel&auml;utert wird und der Empf&auml;nger auch. Und wie geschieht das? Da ist,
+ Vasitthi, der Geber sittenrein, edel geartet, und die Empf&auml;nger sind sittenrein,
+ edel geartet; so wird bei einer Spende der Geber gel&auml;utert und der
+ Empf&auml;nger. Das ist, Vasitthi, h&ouml;chste Lauterkeit der Spende--einer solchen,
+ die du dargebracht hast."</p>
+ <p>Darauf wandte der Erhabene sich an Angulimala:</p>
+ <p>"Geh, mein Lieber, und la&szlig; diese Geschenke zu den Vorr&auml;ten bringen.
+ Zuerst aber weise unseren edlen G&auml;sten Pl&auml;tze an vor den Stufen des
+ Tempels, denn von dort aus werde ich den heute Anwesenden die Lehre darlegen."</p>
+ <p>Angulimala hie&szlig; die Diener warten und forderte uns auf, ihm zu folgen.
+ Zuerst aber lie&szlig;en wir uns alles, was wir an Blumen mitgebracht hatten, und
+ auch einige sch&ouml;ne Teppiche herausgeben. Dann gingen wir, von unserm stattlichen
+ Begleiter gef&uuml;hrt, durch die zusammenstr&ouml;mende Menge, die uns ehrerbietig
+ Platz machte, nach dem Tempel.</p>
+ <p>Hier breiteten wir die Teppiche &uuml;ber die Stufen und schlangen Blumengewinde
+ um die alten, verwitterten und zerbr&ouml;ckelten S&auml;ulen. Dann zerpfl&uuml;ckten
+ Medini und ich einen ganzen Korb voll Rosen und streuten die Bl&uuml;tenbl&auml;tter
+ &uuml;ber den Teppich auf der obersten Stufe, f&uuml;r den Erhabenen, darauf zu
+ stehen.</p>
+ <p>Unterdessen hatten die Versammelten sich in einem gro&szlig;en Halbkreise
+ geordnet, die Laien links, die M&ouml;nche und Nonnen rechts vom Tempel--die
+ vordersten Reihen im Grase sitzend. Und auch wir nahmen jetzt auf einer
+ umgest&uuml;rzten S&auml;ule Platz, nur wenige Schritte von den Stufen entfernt.</p>
+ <p>Es mochten wohl etwa f&uuml;nfhundert Menschen dort versammelt sein, aber eine
+ fast lautlose Stille herrschte in der Runde, und man vernahm nur das sto&szlig;weise
+ Rauschen und das leise Bl&auml;tterlispeln des Waldes.</p>
+ <h2><a id="chap_xxxvi" name="chap_xxxvi">XXXVI. BUDDHA UND KRISHNA</a></h2>
+ <p><img src="images/xxxvi.png" width="93" height="93" align="left" alt="D" />ie
+ untergehende Sonne scho&szlig; ihre Strahlenb&uuml;ndel zwischen die St&auml;mme
+ hindurch, die lautlos wartende Versammlung im Waldesgrunde gleichsam mit einem
+ g&ouml;ttlichen Segensgru&szlig; weihend, und rosige Abendw&ouml;lkchen lugten immer
+ leuchtender durch die Baumwipfel, als ob drau&szlig;en, aus der Bl&auml;ue der Luft
+ hervorschwebend, eine zweite Versammlung himmlischer Scharen sich bildete.</p>
+ <p>Der Tempelbau vor mir trank mit seinen schwarzen, zerbr&ouml;ckelten Steinen diese
+ letzte Sonnenglut, wie ein hinf&auml;lliger Alter einen Verj&uuml;ngungstrank
+ schl&uuml;rft. Unter dem Zauber der rotgoldigen Lichter und der purpurnen Schatten
+ belebten seine Massen sich wunderbar. Die schartigen R&auml;nder der
+ S&auml;ulenkannel&uuml;ren glitzerten, die Ecken spr&uuml;hten, die Schnecken
+ kr&uuml;mmten sich, das Wellenmuster sch&auml;umte Gold, das Bl&auml;tterwerk wuchs.
+ Die stufenartigen Abs&auml;tze des hohen Unterbaues entlang, um Plinthen und
+ Kapit&auml;le, am Geb&auml;lk und auf den Terrassen des kuppelf&ouml;rmigen
+ Daches--&uuml;berall regte es sich in wirrem Durcheinander seltsamer und mystischer
+ Formen. G&ouml;tter traten im Glorienschein hervor, mehrk&ouml;pfige und vielarmige
+ Gestalten mit &uuml;ppig wuchernden, vielfach verst&uuml;mmelten Gliedma&szlig;en,
+ dieser vier kopflose H&auml;lse streckend, jener acht Armst&uuml;mpfe schwenkend.
+ Br&uuml;ste und H&uuml;ften schwellgliedriger G&ouml;ttinnen entschleierten sich und
+ w&auml;lzten sich heran, und ihre runden Gesichter neigten sich unter der Last
+ turmhoher diademgeschm&uuml;ckter Haaraufs&auml;tze, ein sonniges L&auml;cheln um die
+ vollen, sinnigen Lippen. Die Schlangenleiber der D&auml;monen wanden sich,
+ Greifenfl&uuml;gel spannten sich, z&auml;hnefletschend grinsten grimme
+ Unholdsfratzen; Menschenk&ouml;rper wimmelten, Elefantenr&uuml;ssel,
+ Pferdek&ouml;pfe, Stierh&ouml;rner, Hirschgeweihe, Krokodilkiefer, Affenm&auml;uler
+ und Tigerrachen taumelten in wirrem Kn&auml;uel durcheinander.</p>
+ <p>Das war kein bildwerkgeschm&uuml;ckter Bau mehr: das waren lebendig gewordene
+ Bildwerke, die, den Bann des Bauwerkes brechend, sich von seiner Masse losl&ouml;sten
+ und diese kaum noch als St&uuml;tze duldeten. Eine ganze Welt schien aus ihrem
+ steinernen Schlaf erwacht zu sein und mit ihren Tausenden von Gestalten sich
+ hervorzudr&auml;ngen um zu lauschen--dem Manne zu lauschen, der dort von ihrem
+ Schwarm umschlossen und &uuml;berschattet auf der obersten Stufe stand, golden
+ gl&auml;nzend in den l&auml;nglich herabfallenden Mantelfalten--er, der Lebendige,
+ der einzig Ruhige mitten im unruhigen Wahnleben des Leblosen.</p>
+ <p>Jetzt war es, als ob die Stille der Versammlung noch tiefer w&uuml;rde, ja, mir
+ schien es, da&szlig; auch die B&auml;ume ihr Bl&auml;tterlispeln einstellten.</p>
+ <p>Und der Erhabene hub an zu reden.</p>
+ <p>Er sprach von dem Tempel, auf dessen Stufen er stand, und wo unsere Vorfahren
+ jahrhundertelang Krishna angebetet hatten, um durch das Vorbild seines Heroenlebens
+ zu einem heldenhaften Wirken und Dulden hier auf Erden aufgemuntert und durch seine
+ Gnade gest&auml;rkt zu werden, und um dann nach dem Tode in sein Freudenparadies
+ einzugehen und dort himmlische Wonne zu genie&szlig;en. Nun aber h&auml;tten wir, die
+ Nachkommen uns dort eingefunden, um aus dem Munde eines vollkommenen Buddha die Worte
+ der Wahrheit zu vernehmen, um zu lernen, einen lauteren, heiligen Wandel zu
+ f&uuml;hren, und schlie&szlig;lich, durch v&ouml;llige &Uuml;berwindung jedes
+ Verlangens nach dem Verg&auml;nglichen, das Ende des Leidens zu erreichen, das
+ Nirvana. So vollende er, der Buddha, der v&ouml;llig Erwachte, das Werk des
+ tr&auml;umenden Gottes, so vollendeten wir, die Erwachsenen, was unsere Vorfahren in
+ kindlich erhabenem Schw&auml;rmen begonnen h&auml;tten.</p>
+ <p>"Dort seht ihr," sagte er, "wie ein trefflicher K&uuml;nstler l&auml;ngst
+ vergangener Tage den Elefantenkampf Krishnas in Stein gebildet hat"--und er zeigte
+ auf ein m&auml;chtiges Reliefst&uuml;ck, das fast vor meinen F&uuml;&szlig;en lag,
+ die eine Ecke in den Rasen bohrend, die andere auf ein halb begrabenes Kapital
+ gest&uuml;tzt. In der letzten Sonnenglut, die den bemoosten Stein streifte, erkannte
+ man noch deutlich eine Gruppe--einen J&uuml;ngling, der, den Fu&szlig; auf den Kopf
+ eines gefallenen Ilfen setzend, diesem einen Hauer ausbricht.</p>
+ <p>Und der Erhabene erz&auml;hlte nun, wie der K&ouml;nig von Mathura, der
+ schreckliche Tyrann Kamsa, nachdem er Krishna zu einem Wettkampf an seinem Hofe
+ eingeladen hatte, im geheimen seinem Elefantentreiber befahl, am Eingang des
+ Kampfplatzes den wildesten Kriegselefanten aus seinem Stalle auf den ahnungslosen
+ J&uuml;ngling zu hetzen. Wie aber dann dieser das Unget&uuml;m t&ouml;tete und, zum
+ Schrecken des K&ouml;nigs, blutbesprengt und den abgebrochenen Hauer in der Hand, die
+ Arena betrat.</p>
+ <p>"Aber auch auf den Erhabenen"--so f&uuml;hrte er weiter aus--"hatten seine Feinde
+ einen wilden Elefanten gehetzt. Und beim Anblick des heranst&uuml;rmenden
+ Unget&uuml;ms wurde der Erhabene von Mitleid ergriffen. Denn das Blut str&ouml;mte
+ dem Tiere am Bug herunter aus den Wunden, die ihm die Lanzen der Hetzer beigebracht
+ hatten. Noch mehr aber erfa&szlig;te ihn Mitleid, weil er da ein armes, in
+ blindw&uuml;tender Leidenschaft befangenes Wesen vor sich sah, von der Natur mit Mut
+ und ungeheurer Kraft begabt, aber mit wenig Verstand versehen, und um dies Wenige
+ durch die Grausamkeit schlechter Menschen gebracht, die es in einen Zustand von
+ Wahnsinn gesetzt hatten, in welchem es nun gar einen Buddha umbringen
+ mu&szlig;te:--ein wildes, verblendetes Wesen, dem es nur schwer gelingen mochte,
+ durch unendlich lange Wanderungen g&uuml;nstiges Menschentum zu erlangen und den Weg
+ der Erl&ouml;sung zu betreten. Solcherma&szlig;en von Mitleid ganz erf&uuml;llt,
+ konnte der Erhabene keine Furcht empfinden, und kein Gedanke an eigene Gefahr konnte
+ in ihm aufkommen. Denn er &uuml;berlegte sich: wenn es mir gel&auml;nge, auch nur den
+ schw&auml;chsten Lichtstrahl in diese st&uuml;rmische Finsternis zu werfen, so
+ w&uuml;rde ein solcher Lichtsamen nach und nach aufgehen, und wenn dann dies Wesen,
+ durch dessen Schein geleitet, Menschentum erreichte, dann w&uuml;rde es auf Erden
+ noch die Lehre des Erhabenen vorfinden, den es einst erschlug, und diese Lehre
+ w&uuml;rde ihm zur Erl&ouml;sung verhelfen.</p>
+ <p>"Von diesem Gedanken erf&uuml;llt, blieb der Erhabene mitten auf der Stra&szlig;e
+ stehen, erhob bes&auml;nftigend die Hand, blickte den W&uuml;terich liebevoll an und
+ sprach milde Worte, deren Klang das Herz des Wilden erreichte. Der riesige Ilf
+ stockte in seinem Sturmlauf, wiegte unschl&uuml;ssig seinen berg&auml;hnlichen Kopf
+ hin und her, indem er anstatt des Donnergebr&uuml;lls, das er vorher hatte h&ouml;ren
+ lassen, einige fast &auml;ngstliche Trompetenrufe ausstie&szlig;. Dabei bewegte er
+ den R&uuml;ssel in der Luft suchend nach allen Richtungen hin und her--so wie es ein
+ angeschossener Elefant im Walde tut, wenn er die F&auml;hrte seines verborgenen
+ Feindes verloren hat und sie wieder aufzuwittern hofft--und in der Tat hatte dieser
+ sich ja in seinem Feinde geirrt. Endlich kam er langsam bis auf einige Schritte an
+ den Erhabenen heran und beugte die Kniee, wie er es vor seinem Herrn zu tun gewohnt
+ war, wenn dieser ihn besteigen wollte. Und von dem bez&auml;hmten Elefanten gefolgt,
+ trat der Erhabene zur Besch&auml;mung seiner Feinde in den Park hinein, nach welchem
+ er eben unterwegs war.</p>
+ <p>"Auf solche Weise"--so schlo&szlig; der Buddha diesen Vergleich--"nimmt der
+ Erhabene den Elefantenkampf Krishhas auf, vergeistigt ihn, veredelt ihn,
+ vervollkommnet ihn!"</p>
+ <p>W&auml;hrend ich dieser Erz&auml;hlung lauschte--wie konnte ich da anders als an
+ Angulimala denken, den Wildesten der Wilden, der noch gestern den Buddha hatte
+ umbringen wollen und durch die unwiderstehliche Macht seiner Pers&ouml;nlichkeit
+ bez&auml;hmt, ja bekehrt worden war, so da&szlig; ich ihn jetzt dr&uuml;ben in den
+ Reihen der M&ouml;nche and&auml;chtig sitzen sah--selbst im &Auml;u&szlig;eren ein
+ anderer geworden. Und so erschien es mir denn, da&szlig; die Worte des Erhabenen ganz
+ besonders an mich gerichtet waren, als an die einzige Person--wenigstens
+ au&szlig;erhalb des M&ouml;nchskreises--die um diese Sache wu&szlig;te und den
+ geheimen Sinn der Rede verstehen konnte.</p>
+ <p>Weiter sprach nun der Erhabene von Krishna als dem
+ "sechzehntausendeinhundertfachen Br&auml;utigam", als welchen ihn unsere Vorfahren
+ hier geehrt hatten, und wieder hatte ich ein Gef&uuml;hl, als ob dieses einen
+ geheimen Bezug auf mich h&auml;tte, denn ich erinnerte mich ja, wie in jener Nacht
+ unserer letzten Zusammenkunft die h&auml;&szlig;liche alte Hexe den g&ouml;ttlichen
+ Heros mit diesem Namen genannt hatte, den ich nicht ganz ohne Herzklopfen vernahm.
+ Mit einem leisen Anflug von Humor erz&auml;hlte der Erhabene dann, wie Krishna von
+ allen den Sch&auml;tzen Besitz nahm, die er aus der Burg des D&auml;monenk&ouml;nigs
+ Naraka entf&uuml;hrt hatte. 'Und an einem gl&uuml;cklichen Tage,' hei&szlig;t es,
+ 'verm&auml;hlte er sich mit all den Jungfrauen, zu gleicher Zeit, indem er jeder
+ einzelnen als ihr Gatte erschien. Sechzehntausendeinhundert aber war die Zahl seiner
+ Frauen, und in so vielen einzelnen Gestalten verk&ouml;rperte sich der Gott, so
+ da&szlig; ein jedes M&auml;dchen meinte: mich allein hat der Herr erw&auml;hlt.'</p>
+ <p>"Wenn ich aber"--also fuhr der Erhabene fort--"die Lehre verk&uuml;nde und vor mir
+ eine Versammlung von mehreren hundert M&ouml;nchen und Nonnen und Laienanh&auml;ngern
+ beiderlei Geschlechtes lauschend sitzt, denkt ein jeder von allen diesen
+ Zuh&ouml;rern: 'Nur f&uuml;r mich hat der Asket Gautama die Lehre verk&uuml;ndet.'
+ Denn auf das einzelne Gem&uuml;t eines jeden Friedensuchenden richte ich da die Kraft
+ meines Geistes, bringe es zur Ruhe, einige es, f&uuml;ge es zusammen.</p>
+ <p>"So halte ich es allezeit, und auf diese Weise nehme ich den
+ sechzehntausendeinhundertfachen Br&auml;utigamsstand Krishnas auf, durchgeistige ihn,
+ veredle ihn, vollende ihn."</p>
+ <p>Da war es mir nun, als ob der Erhabene meine Gedanken mir abgelesen h&auml;tte und
+ mir einen geheimen Verweis g&auml;be, auf da&szlig; ich nicht durch den Wahn einer
+ bevorzugten Stellung eine verderbliche Eitelkeit in mir aufkommen lie&szlig;e.</p>
+ <p>Und der Buddha sprach nun weiter davon, wie Krishna nach dem Glauben unserer
+ Vorfahren, obschon er an sich der h&ouml;chste Gott war, der die ganze Welt
+ tr&auml;gt und erh&auml;lt, dennoch durch Mitleid mit den Wesen bewegt, mit einem
+ Teil seines Selbstes von seinem hohen Himmel herabstieg und sich als Mensch unter
+ Menschen geb&auml;ren lie&szlig;. Ihn aber, den Erhabenen, als er nach hei&szlig;em
+ Ringen die vollkommene Erleuchtung, die selige, unersch&uuml;tterliche
+ Erl&ouml;sungsgewi&szlig;heit sich zu eigen gemacht hatte, kam das Verlangen an, im
+ Genu&szlig; dieser seligen Heiterkeit zu verharren und Anderen die Lehre nicht zu
+ verk&uuml;nden. "Denn dies genu&szlig;s&uuml;chtige Geschlecht--so dachte ich--wird
+ das Sichlosmachen von allen Gebilden, die Versiegung der Lebenslust, die
+ Wahnerl&ouml;schung kaum verstehen, und aus der Darlegung der Lehre wird mir nur
+ M&uuml;he und Plage erwachsen. So neigte sich mein Gem&uuml;t zur Verschlossenheit,
+ nicht zur Darlegung der Lehre. Und ich blickte dann noch einmal mit dem erwachten
+ Auge in die Welt. Und wie man in einem Lotusweiher einige Lotusrosen sieht, die sich
+ im Wasser entwickeln und unter dem Wasserspiegel bleiben, andere, die bis zum
+ Wasserspiegel dringen und darauf schwimmen, und endlich einzelne, die &uuml;ber das
+ Wasser emporsteigen und unbenetzt vom Wasser dastehen: also sah ich in der Welt Wesen
+ gemeiner Art und Wesen edler Art und Wesen der edelsten Art. Und ich dachte: Ohne
+ Geh&ouml;r der Lehre verlieren sie sich: diese werden die Lehre verstehen. Und aus
+ Mitleid mit den Wesen entschlo&szlig; ich mich dazu, auf den ungetr&uuml;bten Besitz
+ der seligen Nirvanaruhe zeitweilig zu verzichten und der Welt die Lehre zu
+ verk&uuml;nden.</p>
+ <p>"So nimmt ein vollkommener Buddha Krishnas Herabsteigen vom Himmel und sein
+ Menschwerden auf, verinnigt es, verkl&auml;rt es, vollendet es."</p>
+ <p>Da kam mir ein Gef&uuml;hl unsagbarer Freude, denn ich wu&szlig;te, da&szlig; der
+ Buddha mich zu den Lotusrosen z&auml;hlte, die aus der Wassertiefe bis zur
+ Spiegelfl&auml;che gedrungen sind, und da&szlig; ich durch seine Hilfe einst mich
+ dar&uuml;ber emporheben und frei dastehen w&uuml;rde, unbenetzt von der Materie.</p>
+ <p>Und der Erhabene erz&auml;hlte die Heroentaten Krishnas, durch welche er zum Heile
+ der Wesen die Welt von Unholden und b&ouml;sen Herrschern befreite, indem er die
+ Schlange der Gew&auml;sser Koliya bezwang, den stiergestaltigen D&auml;mon Aristha
+ erschlug, die verheerenden Unholde Dhenuka und Kishi und den D&auml;monenf&uuml;rsten
+ Naraka vernichtete, die b&ouml;sen K&ouml;nige Kamsa und Paundraka und andere blutige
+ Tyrannen, den Schrecken hilfloser Menschen, besiegte und t&ouml;tete und so auf
+ mannigfache Weise das leidige Los der Menschen linderte. Der Erhabene aber
+ bek&auml;mpfe nicht die Feinde, die von au&szlig;en die Menschen bedrohen, sondern
+ die Unholde in seinem eigenen Herzen: Gier, Ha&szlig; und Irrwahn, Eigenliebe,
+ Lustverlangen, Durst nach Verg&auml;nglichem; und er befreie nicht die Menschheit von
+ diesem und jenem Ungemach, sondern vom Leiden.</p>
+ <p>Vom Leiden sprach dann der Gesegnete, wie es &uuml;berall und immer dem Leben als
+ sein Schatten folgt. Da war es mir, als ob eine milde Hand mein eigenes Liebesleiden
+ aufh&ouml;be, von mir wegn&auml;hme, und es in die gro&szlig;e Leidensmasse
+ hineinw&uuml;rfe, wo es in dem allgemeinem Strudel meinem Blick entschwand. Innig
+ tief empfand ich, da&szlig; ich da kein Recht auf dauerndes Gl&uuml;ck habe, wo Alle
+ leiden. Ich hatte mein Gl&uuml;ck genossen: es war entstanden, hatte sich entfaltet
+ und war vergangen, wie uns der Buddha lehrte, da&szlig; Alles in dieser Welt durch
+ eine Ursache entsteht und nach Verlauf seiner Zeit--&uuml;ber kurz oder lang--wieder
+ vergehen mu&szlig;; und da&szlig; eben diese Verg&auml;nglichkeit, in welcher die
+ Wesenlosigkeit eines jeden Dinges sich entschleiert, der letzte unaufhebbare Grund
+ des Leidens sei--unaufhebbar, solange die Daseinslust unausgerottet fortwuchert und
+ immer Neues entstehen l&auml;&szlig;t. Ja, wie ein jeder an diesem Weltleiden schon
+ durch sein Dasein mitschuldig ist, so m&uuml;sse ich--kam es mir vor--wenn ich von
+ Schmerz verschont geblieben w&auml;re, mich jetzt doppelt schuldig f&uuml;hlen und
+ ein Verlangen empfinden, auch mein Teil zu tragen. So konnte ich denn nicht mehr mein
+ eigenes Los bejammern, vielmehr wurde bei seinen Worten der Gedanke in mir wach: "O,
+ da&szlig; doch alle Wesen nicht l&auml;nger zu leiden h&auml;tten! da&szlig; doch
+ diesem Heiligen sein Erl&ouml;sungswerk so gel&auml;nge, da&szlig; sie Alle, Alle
+ ents&uuml;ndigt und erleuchtet, das Ende alles Leidens erreichten!"</p>
+ <p>Und auch von diesem Ende des Leidens und der Welt, von der &Uuml;berwindung jeder
+ Daseinsform, von der Erl&ouml;sung in wunschloser Gleichm&uuml;tigkeit, von der
+ Wahnerl&ouml;schung, von Nirvana sprach nun der Meister--seltsame, wunderbare Worte
+ von der einzigen Insel im wogenden Meere des Werdens, dessen Todesbrandung machtlos
+ an ihrem Felsenufer zersch&auml;umte, und nach welcher die Lehre des Vollendeten wie
+ ein sicheres Fahrzeug hin&uuml;berf&uuml;hre. Und er sprach von dieser seligen
+ St&auml;tte des Friedens, nicht wie Einer spricht, der uns erz&auml;hlt, was er von
+ Anderen--von Priestern--geh&ouml;rt hat, und auch nicht wie ein S&auml;nger, der
+ seine Einbildungskraft schweifen l&auml;&szlig;t, sondern wie Einer, der
+ Selbsterlebtes und Geschautes mitteilt.</p>
+ <p>Vieles freilich sagte er dabei, was ich, die ungelehrte Frau, nicht verstand, und
+ was wohl selbst dem Gelehrtesten nicht leicht verst&auml;ndlich gewesen w&auml;re,
+ Manches vermochte ich nicht miteinander zu verkn&uuml;pfen, denn hier war Sein und
+ Nichtsein zugleich, nicht Leben und doch noch weniger Leblosigkeit. Mir war aber zu
+ Mute, wie einem, der ein neues, allen anderen un&auml;hnliches Lied h&ouml;rt, von
+ dem er nur wenige Worte auffassen kann, w&auml;hrend die T&ouml;ne ihm Alles sagend
+ ins Herz dringen. Und welche T&ouml;ne! T&ouml;ne von solch kristallener Reinheit,
+ da&szlig; alle anderen dagegen gehalten, Einem wie leeres Ger&auml;usch vorkommen
+ mu&szlig;ten, Kl&auml;nge, die von so fern her, von solch &uuml;berweltlichen
+ H&ouml;hen her&uuml;bergr&uuml;&szlig;ten, da&szlig; eine neue, ungeahnte Sehnsucht
+ erweckt wurde, von der man f&uuml;hlte, da&szlig; sie von nichts Irdischem oder
+ Erden&auml;hnlichem jemals gestillt werden k&ouml;nnte, und da&szlig; sie ungestillt
+ nie mehr ganz schwinden w&uuml;rde.</p>
+ <p>Unterdessen war es v&ouml;llig Nacht geworden. Das schwache Licht des Mondes, der
+ hinter dem Tempel aufging, warf dessen Schatten quer &uuml;ber die ganze Waldwiese.
+ Kaum sah man noch die Gestalt des Redners. Diese &uuml;bermenschlichen Worte schienen
+ aus dem Heiligtum selber herauszut&ouml;nen, das alle die tausende wilden und wirren,
+ lebent&auml;uschenden Gestalten wieder in seine Schattenmasse verschlungen hatte und
+ in einfachen, wuchtigen Formen sich auft&uuml;rmte--ein Grabmal alles irdischen und
+ himmlischen Lebens.</p>
+ <p>Die H&auml;nde um die Kniee gefaltet, sa&szlig; ich lauschend da und blickte zum
+ Himmel empor, wo gro&szlig;e Sterne &uuml;ber den dunkeln Baumwipfeln funkelten.
+ Leuchtend durchquerte ihn die himmlische Ganga. Da gedachte ich jener Stunde, als wir
+ beide hier an derselben Stelle feierlich die H&auml;nde zu ihr emporhoben und bei
+ ihren silbernen Fluten, die diese Lotusteiche speisen, uns zuschworen, hier, im
+ Paradiese des Westens, uns wiederzusehen--in einem Freudenhimmel, gleich demjenigen
+ Krishnas, von welchem jetzt auch der Erhabene sprach, als von dem Orte, dem die
+ Gl&auml;ubigen zustrebten. Und als ich daran dachte, wurde mir wehm&uuml;tig ums
+ Herz, aber ich konnte kein Verlangen in mir sp&uuml;ren nach einem solchen
+ Paradiesleben--denn ein Schimmer von etwas unendlich H&ouml;herem hatte mein Auge
+ erleuchtet.</p>
+ <p>Und ohne Entt&auml;uschung, ohne schmerzliche Bewegung, wie etwa bei Einem, dem
+ die teuerste Hoffnung zerst&ouml;rt wird, vernahm ich die Worte des Erhabenen:</p>
+ <p>"Alles Entstandene aufl&ouml;send weht dahin der Verwesung Hauch, Wie ein
+ irdischer Prachtgarten welken Paradiesblumen auch."</p>
+ <h2><a id="chap_xxxvii" name="chap_xxxvii">XXXVII. PARADIESWELKEN</a></h2>
+ <p><img src="images/xxxvii.png" width="93" height="93" align="left" alt="J" />a, mein
+ Freund," f&uuml;gte Vasitthi hinzu, ohne Entt&auml;uschung vernahm ich jene Worte,
+ die dir so hoffnungsvernichtend erschienen, wie ich jetzt ohne Schmerz, ja sogar mit
+ Freude sehe, wie hier ringsum die Wahrheit dieser Worte zur Wirklichkeit wird."</p>
+ <p>W&auml;hrend der Erz&auml;hlung Vasitthis war in der Tat das Welken langsam, aber
+ unaufhaltsam fortgeschriten, und es konnte nunmehr nicht der leiseste Zweifel
+ bestehen, da&szlig; alle diese Wesen und ihre Umgebungen dem Untergang und der
+ v&ouml;lligen Aufl&ouml;sung entgegensiechten.</p>
+ <p>Die Lotusrosen hatten schon mehr als die H&auml;lfte ihrer Kronenbl&auml;tter
+ gef&auml;llt, und das Wasser glitzerte nur noch sp&auml;rlich hervor zwischen diesen
+ bunten Schifflein, jeden Augenblick in Zittern versetzt durch das Fallen eines
+ Blattes. Auf ihren schmuckberaubten Blumenthronen sa&szlig;en die Gestalten in mehr
+ oder weniger zusammengesunkenen Stellungen; diesem war der Kopf vorn&uuml;ber auf die
+ Brust, jenem seitlings auf die Schulter gesunken, und wie Fieberschauer durchzuckte
+ es sie jedesmal, wenn ein fr&ouml;stelndes Schaudern die schon gelichteten Wipfel der
+ Haine durchlief, so da&szlig; Bl&uuml;ten und Bl&auml;tter herniederregneten. Traurig
+ ged&auml;mpft, und immer h&auml;ufiger von schmerzlichen Dissonanzen durchzogen,
+ klang die Musik der himmlischen Genien; tiefe Seufzer und angstvolles St&ouml;hnen
+ mischten sich hinein. Alles, was geleuchtet hatte--Gesichter und Gew&auml;nder der
+ Seligen und der Genien, Wolken und Blumen--, sie alle verloren mehr und mehr ihren
+ Glanz, und ein bl&auml;ulicher D&auml;mmerungsnebel schien seine F&auml;den um die
+ Fernen zu spinnen. Aus dem frischen Blumenduft, der vorher so herzerquickend Alles
+ durchhaucht hatte, war aber jetzt allm&auml;hlich ein atembeklemmender und
+ sinnenbet&auml;ubender, einschl&auml;fernder Geruch geworden.</p>
+ <p>Und Kamanita zeigte umher mit einer matten Handbewegung:</p>
+ <p>"Wie kann man denn, Vasitthi, an einem solchen Anblick Freude empfinden?"</p>
+ <p>"Deshalb, mein Freund, kann ich mich &uuml;ber diesen Anblick freuen, weil, wenn
+ dies Alles dauerhaft und unverg&auml;nglich w&auml;re, es kein H&ouml;heres
+ g&auml;be. Nun aber gibt es ein H&ouml;heres, denn dies vergeht--und es gibt ein
+ Unverg&auml;ngliches, Unentstandenes. Das eben nennt der Erhabene "Freude der
+ Verg&auml;nglichkeit", und deshalb sagt er: 'Wenn du den Untergang des Erschaffenen
+ erkannt hast, dann kennst du das Unerschaffene'."</p>
+ <p>Durch diese zuversichtlichen Worte belebten sich die Z&uuml;ge Kamanitas, wie eine
+ vor Trockenheit hinwelkende Blume sich unter dem Regen erholt.</p>
+ <p>"Gepriesen seist du, Vasitthi! zu meinem Heile bist du mir gegeben. Ja, ich
+ f&uuml;hle es: darin nur haben wir gefehlt, da&szlig; unsere Sehnsucht nicht hoch
+ genug gezielt hat. Denn wir ersehnten uns ja dies Leben in einem Blumenparadiese. Und
+ Blumen m&uuml;ssen freilich, ihrer Natur nach, verwelken. Unverg&auml;nglich aber
+ sind die Sterne; nach ewigen Gesetzen wandeln sie ihre Bahnen. Und sieh dort,
+ Vasitthi, w&auml;hrend alles andere die blassen Spuren des Verfalles zeigt,
+ gie&szlig;t jenes Fl&uuml;&szlig;chen--ein Zweig der himmlischen Ganga--sein Wasser
+ ebenso sternenklar und ebenso reichlich wie je in unseren Teich--weil es eben von der
+ Sternenwelt kommt. Wer das erreichen k&ouml;nnte, unter den Sterneng&ouml;ttern
+ wieder ins Dasein zu treten, der w&auml;re &uuml;ber den Kreislauf des
+ Verg&auml;nglichen erhaben."</p>
+ <p>"Warum sollten wir das nicht erreichen k&ouml;nnen?" fragte Vasitthi. "Denn ich
+ habe ja von M&ouml;nchen geh&ouml;rt, die ihren Sinn und ihr Herz darauf richteten,
+ im Reiche des hunderttausendfachen Brahma wiederzukehren. Und auch jetzt kann es noch
+ nicht zu sp&auml;t sein, wenn das alte Wort aus dem hohen Liede wahr ist:</p>
+ <p>'Das Sein, an welches denkend er aus diesem Leibe scheidet,<br />
+ In dieses Sein wird jedesmal er dr&uuml;ben eingekleidet'."</p>
+ <p>"Vasitthi! du gibst mir jenen &uuml;bermenschlichen Mut! Wohlan, wir wollen unser
+ ganzes Sinnen darauf richten, im Reiche des hunderttausendfachen Brahma wieder ins
+ Dasein zu treten."</p>
+ <p>Kaum hatten sie diesen Entschlu&szlig; gefa&szlig;t, so brauste ein m&auml;chtiger
+ Sturmwind durch die Haine und &uuml;ber die Teiche. Bl&uuml;ten und Bl&auml;tter
+ wirbelten haufenweise dahin, die Lotusthronenden duckten sich und zogen st&ouml;hnend
+ den Mantel dichter um die zitternden Glieder.</p>
+ <p>Wie aber Einer, der in der eingeschlossenen, d&uuml;fteges&auml;ttigten Luft eines
+ Zimmers am Ersticken ist, wenn der frische Meerwind, salzig von den Fluten des
+ Ozeans, durch das ge&ouml;ffnete Fenster hereinweht, diesen aus voller Brust atmet
+ und sich neu belebt f&uuml;hlt: also wurde Kamanita und Vasitthi zu Mute, als ihnen
+ jener Duft des v&ouml;llig Reinen entgegenstr&ouml;mte, den sie einst am Gestade der
+ himmlischen Ganga geatmet hatten.</p>
+ <p>"Merkst du's?" fragte Vasitthi.</p>
+ <p>"Ein Gru&szlig; von der Ganga. Und horch, sie ruft," sagte Kamanita.</p>
+ <p>Denn die klagende Sterbeweise der Genien wurde jetzt durch jene feierlichen,
+ donner&auml;hnlichen Kl&auml;nge &uuml;bert&auml;ubt.</p>
+ <p>"Gut, da&szlig; wir schon den Weg kennen," jubelte Vasitthi. "F&uuml;rchtest du
+ dich noch, mein Freund?"</p>
+ <p>"Wie sollte ich mich f&uuml;rchten? Komm!"</p>
+ <p>Und wie ein Vogelpaar sich aus dem Neste st&uuml;rzt und dem Winde entgegenfliegt,
+ also flogen sie von dannen.</p>
+ <p>Alle starrten ihnen nach, verwundert, da&szlig; es hier noch Wesen g&auml;be, die
+ Kraft und Mut zu einem Fluge bes&auml;&szlig;en.</p>
+ <p>Als sie aber so dem Winde entgegenflogen, entstand ein Wirbelsturm, der hinter
+ ihnen Alles entbl&auml;tterte und entseelte, dem hinsiechenden Leben Sukhavatis ein
+ Ende machend.</p>
+ <p>Bald war der Palmenwald erreicht, bald durchflogen. Vor ihnen breitete sich die
+ silbrige Fl&auml;che des Weltenstromes bis zum schwarzblauen Himmelsrande.</p>
+ <p>Sie schwebten &uuml;ber seine Fluten hinaus, und sofort wurden sie von der dort
+ herrschenden Luftstr&ouml;mung erfa&szlig;t und im Sturmesflug davongetragen. Durch
+ die Schnelligkeit der Fahrt und unter dem m&auml;chtigen Get&ouml;se wie von Donner
+ und Glockengel&auml;ute schwanden ihnen die Sinne.</p>
+ <h2><a id="chap_xxxviii" name="chap_xxxviii">XXXVIII. IM REICHE DES
+ HUNDERTTAUSENDFACHEN BRAHMA</a></h2>
+ <p><img src="images/xxxviii.png" width="93" height="93" align="left" alt="U" />nd
+ Kamanita und Vasitthi traten wieder ins Dasein, im Reiche des hunderttausendfachen
+ Brahma, als die G&ouml;tter eines Doppelgestirns.</p>
+ <p>Der leuchtende Astralstoff, an den die geistige Wesenheit Kamanitas gebunden war,
+ umh&uuml;llte gleichm&auml;&szlig;ig den Himmelsk&ouml;rper, der von seiner Kraft
+ belebt, von seinem Willen gelenkt wurde. Durch diesen Willen wurde der Stern
+ zun&auml;chst um seine Achse gedreht, und diese Bewegung war sein Eigenleben, war
+ seine Selbstliebe.</p>
+ <p>Und er spiegelte sich im Glanze Vasitthis und spiegelte ihren Glanz wider.
+ Strahlenwechselnd umkreisten sie einen Mittelpunkt, wo sich ihre Strahlen sammelten.
+ Dieser Punkt war ihre Liebe, das Kreisen darum war ihr Liebesleben, und da&szlig; sie
+ sich dabei ineinander spiegelten--das war ihre Liebeswonne.</p>
+ <p>Allseitig Auge, schaute jeder von ihnen gleichzeitig nach allen Richtungen des
+ unendlichen Raumes. Und &uuml;berall sahen sie zahllose Sterneng&ouml;tter, wie sie
+ selber, deren Strahlenblicke sie empfingen und erwiderten. Da war zun&auml;chst eine
+ Anzahl, die mit ihnen zusammen eine Gruppe f&uuml;r sich bildeten; daneben andere
+ Gruppen, die mit der ihrigen zusammen ein ganzes Weltsystem ausmachten; ferner andere
+ Systeme, die sich zu einer Kette von Systemen verbanden, und weiter noch mehrere
+ Ketten, und Ringe von Ketten, und Sph&auml;ren von Kettenringen. Und Kamanita und
+ Vasitthi lenkten nun ihr Doppelgestirn in harmonischem Fluge unter den anderen
+ Sternen und Doppelgestirnen ihrer Gruppe, indem sie, wie in einem wohlgeordneten
+ Tanzreigen, ihren Nachbarn weder zu nahe kamen, noch sich zu weit von ihnen
+ entfernten, w&auml;hrend alle gegenseitig, durch eine gewisse Sympathie, einander die
+ genaue Richtung und das rechte Ma&szlig; der Bewegung mitteilten. Dabei bildete sich
+ aber auch gleichsam ein gemeinsamer Wille, der ihre ganze Gruppe in die Bewegung der
+ Gruppen ihres Systems einlenkte, welches dann wiederum auf dieselbe Weise unter
+ seinesgleichen sich weiterbewegte.</p>
+ <p>Und diese Teilnahme am ungeheuren, schwebenden Tanze der Weltk&ouml;rper, diese
+ gemeinsame und endlos vielf&auml;ltige Wechselbewegung--das war ihre
+ Weltangeh&ouml;rigkeit, ihr Au&szlig;enleben, ihre Alles umfassende und
+ durchdringende N&auml;chstenliebe.</p>
+ <p>Was aber hier Harmonie der Bewegung ist, das erscheint den unterhalb der
+ Sterneng&ouml;tter weilenden Luftg&ouml;ttern als Harmonie der Kl&auml;nge; durch
+ Teilnahme an ihrem Gen&uuml;sse ahmen die himmlischen Genien in den Paradiesen diese
+ Harmonien in ihren wonnigen Weisen nach, und indem ein schwacher Abklang von diesen
+ bisweilen bis an die Erde dringt--so schwach, da&szlig; er nur von den geistigen
+ Ohren der Erwachten aufgefangen wird--reden die Seher r&auml;tselhaft von der
+ Harmonie der Sph&auml;ren, und die gro&szlig;en K&uuml;nstler der Musik schaffen
+ nach, was sie in ihrer Begeisterung sich erlauscht haben; und dies ist das
+ h&ouml;chste Entz&uuml;cken der Menschenkinder. Aber wie das Sein zu dem immer
+ tr&uuml;ber werdenden Schein sich verh&auml;lt--also verh&auml;lt sich zu diesem
+ Entz&uuml;cken der Menschen &uuml;ber Kl&auml;nge und T&ouml;ne und Weisen die
+ Daseinswonne der Sterneng&ouml;tter.</p>
+ <p>Denn eben dies ist ihre Lebenslust, ihre Daseinswonne.</p>
+ <p>Aber alle diese Bewegungen, diese ungeheuren Reigen der Weltsysteme, umkreisten
+ ein einziges Wesen: den in der Mitte des Weltganzen thronenden hunderttausendfachen
+ Brahma, dessen unerme&szlig;licher Glanz alle Sterneng&ouml;tter durchdrang, und dem
+ sie alle den Glanz wieder zur&uuml;ckstrahlten, wie so viele Spiegel seiner
+ Herrlichkeit; dessen unersch&ouml;pfliche Kraft, wie eine nie versiegende Quelle,
+ ihnen allen ihre Bewegung mitteilte, und in dem sich ihre Bewegungen alle
+ konzentrierten.</p>
+ <p>Und dies war ihr Brahmadurchdrungensein, ihre Gemeinschaft mit dem h&ouml;chsten
+ Gott, ihr Gebenedeitsein, ihre Anbetung, ihre Seligkeit.</p>
+ <p>Wenn sie aber in Brahma den Alles sammelnden Mittelpunkt hatten, so war diese
+ Brahmawelt auch, obschon unendlich, dennoch gleichsam begrenzt. Wie das Auge des
+ Menschen schon in uralten Zeiten ahnend am Himmelsgew&ouml;lbe einen "Tierkreis"
+ entdeckt hat, so sahen die Sterneng&ouml;tter hier unz&auml;hlige Tierkreise in- und
+ umeinander beschrieben--eine ganze Sph&auml;renfl&auml;che von Bildern webend, indem
+ die fernsten Sternengruppen zu leuchtenden Figuren zusammenschmolzen.
+ Ineinanderstrahlend, auseinanderleuchtend, erschienen da Gestalten, Astralformen
+ aller Wesen, die auf den Weltk&ouml;rpern oder zwischen ihnen leben und weben,
+ bleibende Urbilder alles dessen, was, in die groben Elemente sich h&uuml;llend,
+ unaufh&ouml;rlich entsteht und vergeht im wandelbaren Flusse des Werdens.</p>
+ <p>Und dies Schauen der Urbilder war ihr Weltwissen.</p>
+ <p>Dieweil sie aber all&auml;ugig, ohne von diesem fort auf jenes hinzusehen, ohne zu
+ blinzeln, mit einem Blicke die Einheit Gottes und die Vielheit der Weltwesen
+ erschauten: fiel f&uuml;r sie Gottesweisheit und Weltwissen in Eins zusammen. Wenn
+ n&auml;mlich ein Mensch auf die g&ouml;ttliche Einheit den Blick richtet, dann
+ entschwindet ihm die Gestaltenvielheit der Wandelwelt; und wiederum, wenn er diese
+ betrachtet, kann er die Einheit nicht mehr festhalten. Somit bleibt sein Wissen ein
+ zerst&uuml;ckeltes, immer schwankendes, ein von Zweifel fortw&auml;hrend bedrohtes
+ Wissen. Sie aber sahen auf einmal Zentrum und Kreis, und deshalb war ihr Wissen ein
+ einheitliches, nimmer schwankendes, von keinem Zweifel bedrohtes Wissen.</p>
+ <p>Durch diese ganze leuchtende Brahmawelt flo&szlig; nun die Zeit still und
+ unbemerkbar. Wie man einem ruhig und gerade dahinflie&szlig;enden, v&ouml;llig klaren
+ Strome, dessen Flut von keinem Widerstand irgendwie gehemmt oder gebrochen wird, die
+ Bewegung nicht ansieht: ebenso war die Flut der Zeit hier unmerkbar, weil sie von
+ keinen aufsteigenden und absteigenden Gedanken und Gef&uuml;hlen Widerstand
+ erfuhr.</p>
+ <p>Diese Unmerkbarkeit des Zeitverlaufs war ihre Ewigkeit.</p>
+ <p>Und diese Ewigkeit war ein Wahn.</p>
+ <p>So war denn auch Alles, was sie in sich befa&szlig;te: ihr Wissen, ihre
+ Gottseligkeit, ihre Daseinswonne, ihr Weltleben, ihr Liebesleben und ihr Eigenleben
+ in Wahn getaucht, mit der Farbe des Wahns behaftet.</p>
+ <h2><a id="chap_xxxix" name="chap_xxxix">XXXIX. WELTEND&Auml;MMERUNG</a></h2>
+ <p><img src="images/xxxix.png" width="93" height="93" align="left" alt="D" />enn es
+ geschah einmal, da&szlig; in Kamanita ein Gef&uuml;hl von Unbehagen, von Mangel
+ aufstieg.</p>
+ <p>Da richtete er unwillk&uuml;rlich seine Aufmerksamkeit auf den
+ hunderttausendfachen Brahma, als die Quelle aller F&uuml;lle. Aber jene Empfindung
+ wurde dadurch nicht verscheucht, sondern nahm von Jahrtausend-Dekade zu
+ Jahrtausend-Dekade fast bemerkbar zu.</p>
+ <p>Denn durch jenes aufsteigende Gef&uuml;hl war der bisher unmerkbar stille Strom
+ der Zeit auf Widerstand gesto&szlig;en, wie durch eine auftauchende Insel, an deren
+ Felsenriff er jetzt sch&auml;umend vor&uuml;berflutete. Und es entstand sofort ein
+ "Vorher" und ein "Nachher"--wie in einem Flusse durch ein auftauchendes Riff ein
+ "vor" und "nach" der Stromschnelle entsteht.</p>
+ <p>Und es schien Kamanita, als ob der hunderttausendfache Brahma jetzt nicht ganz so
+ klar leuchte, wie vorher.</p>
+ <p>Nachdem er aber f&uuml;nf Millionen Jahre den Brahma betrachtet hatte, kam es ihm
+ vor, als ob er ihn jetzt schon lange beobachtet habe, ohne Gewi&szlig;heit zu
+ erlangen.</p>
+ <p>Und er richtete seine Aufmerksamkeit auf Vasitthi.</p>
+ <p>Da wurde er inne, da&szlig; auch sie aufmerksam den Brahma beobachtete.</p>
+ <p>Da geriet er in Best&uuml;rzung. Mit dieser Best&uuml;rzung kamen die
+ Gef&uuml;hle. Mit den Gef&uuml;hlen kamen die Gedanken, mit den Gedanken kam die
+ Gedankensprache.</p>
+ <p>Und er sprach:</p>
+ <p>"Vasitthi, siehst du es auch? Was ist es mit dem hunderttausendfachen Brahma?"</p>
+ <p>Nach hunderttausend Jahren antwortete Vasitthi:</p>
+ <p>"Das ist es mit dem hunderttausendfachen Brahma, da&szlig; sein Glanz
+ abnimmt."</p>
+ <p>"Mir will es auch so scheinen," sagte Kamanita nach Ablauf einer gleichen Zeit
+ "Freilich kann das ja nur eine vor&uuml;bergehende Erscheinung sein. Aber schon das
+ kommt mir wunderlich vor, da&szlig; am hunderttausendfachen Brahma &uuml;berhaupt
+ eine Ver&auml;nderung stattfinden kann."</p>
+ <p>Nach geraumer Weile, nach einigen Millionen Jahren, sprach Kamanita weiter:</p>
+ <p>"Ich wei&szlig; nicht, ob ich vielleicht geblendet bin. Bemerkst du etwa,
+ Vasitthi, da&szlig; der Glanz des hunderttausendfachen Brahma wieder zunimmt?"</p>
+ <p>Nach f&uuml;nfmal hunderttausend Jahren antwortete Vasitthi:</p>
+ <p>"Der Glanz des hunderttausendfachen Brahma nimmt nicht zu, sondern nimmt
+ st&auml;tig ab."</p>
+ <p>Wie ein St&uuml;ck Eisen, das, wei&szlig;gl&uuml;hend aus dem Schmiedeofen
+ genommen, bald danach rotgl&uuml;hend wird: also hatte der Glanz des
+ hunderttausendfachen Brahma jetzt einen r&ouml;tlichen Schein bekommen.</p>
+ <p>"Mich wundert, was das wohl zu bedeuten hat," sagte Kamanita.</p>
+ <p>"Das hat es zu bedeuten, mein Freund, da&szlig; der Glanz des hunderttausendfachen
+ Brahma im Erl&ouml;schen begriffen ist."</p>
+ <p>"Unm&ouml;glich, Vasitthi, unm&ouml;glich! Was w&uuml;rde dann aus dem Gl&auml;nze
+ und der Herrlichkeit dieser ganzen Brahmawelt werden?"</p>
+ <p>"Daran hat er gedacht, als er sagte:</p>
+ <p>'Bis in den h&ouml;chsten Lichthimmel dr&auml;ngt das Leben sich--und
+ zerf&auml;llt.<br />
+ Wisset, einmal erlischt g&auml;nzlich auch der Glanz einer Brahmawelt'"</p>
+ <p>Schon nach einigen tausend Jahren erfolgte die &auml;ngstlich
+ &uuml;berst&uuml;rzte Frage Kamanitas:</p>
+ <p>"Wer hat denn diesen schrecklichen, diesen weltzermalmenden Ausspruch getan?"</p>
+ <p>"Wer sonst, als er, der Erhabene, der Weltkenner, der Vollendete, der Buddha."</p>
+ <p>Da wurde Kamanita nachdenklich.</p>
+ <p>Eine geraume Zeit &uuml;berlegte er sich diese Worte und erinnerte sich an
+ manches.</p>
+ <p>Da sprach er:</p>
+ <p>"Einst schon, o Vasitthi, in Sukhavati, im Paradiese des Westens, sagtest du einen
+ Spruch des Buddha her, der sich vor unseren Augen erf&uuml;llte. Und ich besinne
+ mich, wie du dort eine ganze Rede von ihm, dem Erhabenen, mir treu berichtetest, in
+ welcher jener Spruch vorkam. Dies weltzermalmende Wort aber war darin nicht
+ enthalten. So hast du denn, o Vasitthi, noch andere Reden vom Erhabenen
+ geh&ouml;rt?"</p>
+ <p>"Viele, mein Freund, denn mehr als ein halbes Jahr verbrachte ich t&auml;glich in
+ seiner N&auml;he. Ja, auch sogar die letzten von ihm ge&auml;u&szlig;erten Worte habe
+ ich vernommen."</p>
+ <p>Kamanita sah sie mit Bewunderung und Ehrfurcht an. Dann sprach er:</p>
+ <p>"So bist du eben deshalb, wie ich meine, das weiseste Wesen in dieser ganzen
+ Brahmawelt. Denn alle diese Sterneng&ouml;tter ringsum sind in Best&uuml;rzung
+ geraten, leuchten unst&auml;t, flackern und blinken; und auch der hunderttausendfache
+ Brahma selber ist unruhig geworden, und aus seinem tr&uuml;beren Gl&auml;nze zucken
+ dann und wann gleichsam Zornesblitze hervor. Du aber leuchtest ruhig, wie eine Lampe
+ an windstillem Ort. Und auch das ist ein Zeichen der St&ouml;rung, da&szlig; die
+ Bewegung dieser Himmelsk&ouml;rper jetzt h&ouml;rbar wird--wie wir einst, fern von
+ hier, im Paradiese am Gestade der himmlischen Ganga stehend, donnerartige Kl&auml;nge
+ und m&auml;chtige T&ouml;ne wie von fernem Glockengel&auml;ute aus dieser Brahmawelt
+ vernahmen, so h&ouml;ren wir es jetzt von allen Seiten. Das deutet darauf, da&szlig;
+ die Harmonie der Bewegungen gest&ouml;rt ist, da&szlig; Entzweiung und
+ Auseinandertreten der Kr&auml;fte sich einstellt. Denn richtig hei&szlig;t es ja: 'Wo
+ Mangel ist, wird L&auml;rm erzeugt, die F&uuml;lle ist in sich gefa&szlig;t.' Und so
+ zweifle ich nicht daran, da&szlig; du recht hast. Wohlan, Vasitthi, w&auml;hrend
+ ringsum uns nun diese Brahmawelt erlischt und der Vernichtung anheimf&auml;llt, teile
+ du mir deine Erinnerungen an den Vollendeten mit, damit ich ruhig werde wie du. Teile
+ mir Alles aus deinem Leben mit! denn wohl mag es sein, da&szlig; wir zum letzten Male
+ an einem Orte vereinigt sind, wo Geschehnisse von Geist zu Geist sich mitteilen
+ lassen, und noch bleibt es mir unerkl&auml;rlich, wie Angulimala bei mir in Ujjeni
+ erschien, obwohl ich &uuml;ber sein Asketentum aufgekl&auml;rt wurde. Jene seine
+ Erscheinung aber gab den Ansto&szlig; zu meinem Pilgergang, war die Ursache,
+ da&szlig; ich nicht auf absch&uuml;ssige Pfade kam, sondern im Paradiese des Westens
+ auferstand, um von dort aus, durch deine Hilfe, zu dieser h&ouml;chsten Himmelswelt
+ emporzusteigen, wo wir unerme&szlig;liche Zeitr&auml;ume hindurch g&ouml;ttliches
+ Leben genossen haben. Es ahnt mir aber, da&szlig; auch jener Ansto&szlig; zu meiner
+ Pilgerschaft von dir ausging. Dies nun, vor allem aber auch, wie es kam, da&szlig; du
+ zu meinem Heile im Paradiese erschienst und nicht an einem weit h&ouml;heren Orte der
+ Seligkeit wieder ins Dasein tratest, m&ouml;chte ich nun erfahren."</p>
+ <p>Und w&auml;hrend von Jahrhunderttausend zu Jahrhunderttausend die zunehmende
+ Tr&uuml;bung des Brahmaglanzes immer bemerkbarer wurde und die Sterneng&ouml;tter
+ immer mehr erbla&szlig;ten;</p>
+ <p>w&auml;hrend diese immer unruhiger flackerten und spr&uuml;hten, und aus dem
+ tr&uuml;ber werdenden Glutkreise des Brahma ungeheure Flammenstreifen hervorschossen
+ und durch den ganzen Raum hin und her fegten, als ob der Gott mit hundert Riesenarmen
+ nach dem unsichtbaren Feinde suchte, der ihn bedr&auml;ngte;</p>
+ <p>w&auml;hrend durch die gest&ouml;rten Bewegungen der Himmelsk&ouml;rper sich
+ Wirbelstr&ouml;mungen erhoben, die ganze Sternensysteme aus dem Brahmareiche
+ hinausrissen, an deren Stelle dann die Finsterniswelle des leeren Raumes hereinbrach,
+ wie das Meerwasser da hereinst&uuml;rzt, wo das Schiff einen Leck bekommen hat;</p>
+ <p>und w&auml;hrend an anderen Stellen Systeme ineinander gerieten und ein Weltbrand
+ sich entz&uuml;ndete, dessen Explosionen Garben von Sternschnuppen bis in den
+ Glutschlund des Brahma schleuderten;</p>
+ <p>w&auml;hrend die Donnerschl&auml;ge der zusammenbrechenden und
+ ineinanderst&uuml;rzenden Harmonien--das Todesr&ouml;cheln der
+ Sph&auml;renmusik--immer furchtbarer von Himmelsgegend zu Himmelsgegend rollten und
+ widerhallten:--</p>
+ <p>teilte Vasitthi unverst&ouml;rt, in gemessener Weise, Kamanita ihre letzten
+ irdischen Erlebnisse mit.</p>
+ <h2><a id="chap_xl" name="chap_xl">XL. IM KRISHNAHAIN</a></h2>
+ <p><img src="images/xl.png" width="93" height="93" align="left" alt="S" />eit jenem
+ ersten Abend vers&auml;umte ich keine Gelegenheit, um den Krishnahain zu besuchen und
+ durch die Worte des Erhabenen oder eines seiner gro&szlig;en Sch&uuml;ler tiefer in
+ die Lehre eingef&uuml;hrt zu werden.</p>
+ <p>W&auml;hrend mein Gemahl nun noch abwesend war, stieg die Furcht der B&uuml;rger
+ Kosambis vor dem R&auml;uber Angulimala von Tag zu Tag. Gerade dadurch, da&szlig; von
+ neuen Taten nichts verlautete, wurde die Phantasie aufgeregt. Pl&ouml;tzlich
+ verbreitete sich das Ger&uuml;cht, Angulimala wolle eines Abends den Krishnahain
+ &uuml;berfallen und die dort zum Besuch versammelten B&uuml;rger, ja wohl gar den
+ Buddha selbst entf&uuml;hren. Dadurch steigerte sich die Erregung der Gem&uuml;ter
+ fast bis zum Aufruhr. Man sagte sich, da&szlig;, wenn durch verruchte
+ R&auml;uberh&auml;nde dem Erhabenen vor Kosambi ein Leid gesch&auml;he, dann
+ w&uuml;rde der Zorn der G&ouml;tter die ganze Stadt treffen.</p>
+ <p>Ungeheure Menschenmengen wogten durch die Stra&szlig;en, und, vor dem
+ k&ouml;niglichen Palast sich sammelnd, verlangten sie drohend, da&szlig; K&ouml;nig
+ Udana dies Unheil abwenden und Angulimala unsch&auml;dlich machen solle.</p>
+ <p>Am folgenden Tage kehrte Satagira zur&uuml;ck.</p>
+ <p>Er &uuml;berh&auml;ufte mich sofort mit Lob wegen meines guten Rats, dem er es
+ allein danken wollte, da&szlig; er heil nach Hause kam. Vajira, seine zweite Frau,
+ die mit ihrem S&ouml;hnlein auf dem Arm erschien, um ihn zu bewillkommnen, wurde kurz
+ abgefertigt: er habe mit mir noch Wichtiges zu besprechen.</p>
+ <p>Als wir nun wieder allein waren, fing er zu meinem unsagbaren Unbehagen sofort an,
+ von seiner Liebe zu reden, wie er mich unterwegs vermi&szlig;t, wie sehr er sich auf
+ diese Stunde des Wiedersehens gefreut habe.</p>
+ <p>Schon wollte ich von den Unruhen in der Stadt erz&auml;hlen, um ihn auf andere
+ Gedanken zu bringen, als der K&auml;mmerer gemeldet wurde, der ihn zum K&ouml;nig
+ rief.</p>
+ <p>Nach etwa einer Stunde kehrte er zur&uuml;ck--ein anderer Mensch. Bla&szlig;, mit
+ verst&ouml;rten Z&uuml;gen trat er bei mir ein, warf sich auf eine Bank und rief, er
+ sei der ungl&uuml;ckseligste Mann im ganzen Reiche, eine gefallene Gr&ouml;&szlig;e,
+ bald ein Bettler, wenn nicht gar Kerker oder Verbannung ihm drohe, und an seinem
+ ganzen Ungl&uuml;ck sei seine grenzenlose Liebe zu mir schuld, die ich nicht einmal
+ erwidere. Auf meine wiederholte Aufforderung, mir doch zu sagen, was geschehen sei,
+ beruhigte er sich endlich so weit, da&szlig; er, unter vielen
+ Verzweiflungsausbr&uuml;chen und w&auml;hrend er sich fortw&auml;hrend die
+ Schwei&szlig;tropfen von der Stirn trocknete, mir den ganzen Vorgang im Palaste
+ berichten konnte.</p>
+ <p>Der K&ouml;nig hatte ihn sehr ungn&auml;dig empfangen und ohne etwas von dem
+ geschlichteten Dorfstreit h&ouml;ren zu wollen, ihm unter Drohungen geboten, die
+ volle Wahrheit &uuml;ber Angulimala einzugestehen, die Satagira jetzt auch mir
+ beichten mu&szlig;te, ohne zu ahnen, wie gut ich schon davon unterrichtet war.
+ &Uuml;brigens sah er darin nur einen Beweis seiner "grenzenlosen Liebe" zu mir, und
+ erw&auml;hnte meine Liebe zu dir leichthin als eine t&ouml;richte
+ Jugendschw&auml;rmerei, die ja jedenfalls zu nichts gef&uuml;hrt h&auml;tte.</p>
+ <p>Die Sache war aber auf folgende Weise dem K&ouml;nig zu Ohren gekommen.</p>
+ <p>W&auml;hrend der Abwesenheit Satagiras war es der Polizei gelungen, den
+ Helfershelfer Angulimalas aufzusp&uuml;ren, und dieser hatte im peinlichen
+ Verh&ouml;r bekr&auml;ftigt, da&szlig; jener R&auml;uber wirklich Angulimala selber
+ sei, der damals nicht, wie der Minister immer behauptet hatte, auf der Folter
+ gestorben, sondern entflohen w&auml;re; auch jenen Anschlag Angulimalas auf den
+ Krishnahain hatte er bekannt. Der F&uuml;rst war nat&uuml;rlich aufs h&ouml;chste
+ dar&uuml;ber erz&uuml;rnt, da&szlig; Satagira seinerzeit den furchtbaren R&auml;uber
+ hatte entschl&uuml;pfen lassen und dann ganz Kosambi und seinen K&ouml;nig durch
+ einen aufgesteckten falschen Kopf betrogen hatte; er wollte auf keine Worte der
+ Verteidigung oder auch nur der Entschuldigung h&ouml;ren. Wenn Satagira nicht binnen
+ drei Tagen Angulimala unsch&auml;dlich machte--wie es das Volk so st&uuml;rmisch
+ verlangte--dann w&uuml;rden ihn alle Folgen der f&uuml;rstlichen Ungnade aufs
+ empfindlichste treffen.</p>
+ <p>Nachdem Satagira dies erz&auml;hlt hatte, warf er sich weinend auf die Bank,
+ raufte sich die Haare und geb&auml;rdete sich wie ein Wahnsinniger.</p>
+ <p>"Sei getrost, mein Gemahl," sagte, ich. "Folge meinem Rate, und nicht erst in drei
+ Tagen, sondern noch heute sollst du wieder im Besitz der f&uuml;rstlichen Gunst sein,
+ ja nicht nur das, sondern diese wird noch strahlender &uuml;ber dich leuchten denn je
+ zuvor."</p>
+ <p>Satagira setzte sich auf und sah mich an, wie man wohl ein Naturwunder
+ anstaunt.</p>
+ <p>"Und wozu r&auml;tst du mir denn?"</p>
+ <p>"Du sollst zum K&ouml;nig zur&uuml;ckkehren und ihn &uuml;berreden, sich nach dem
+ Sinsapawalde vor der Stadt zu begeben, dort am alten Tempel den Buddha aufzusuchen
+ und ihn um Rat zu fragen. Der Rest wird dann von selber folgen."</p>
+ <p>"Du bist eine kluge Frau," sagte Satagira. "Jedenfalls ist dieser Rat sehr gut,
+ denn jener Buddha soll ja der weiseste aller Menschen sein. Wenn es auch schwerlich
+ so gute Folgen f&uuml;r mich haben kann, wie du dir denkst, so will ich doch den
+ Versuch machen."</p>
+ <p>"Da&szlig; die Folgen nicht ausbleiben werden," antwortete ich, "daf&uuml;r stehe
+ ich mit meiner Ehre ein."</p>
+ <p>"Ich glaube dir, Vasitthi," rief er, indem er aufsprang und meine Hand ergriff.
+ "Wie w&auml;re es m&ouml;glich, dir nicht zu glauben. Beim Indra! Du bist eine
+ wunderbare Frau, und ich sehe jetzt, wie wenig ich mich irrte, als ich in meiner noch
+ unerfahrenen Jugend, wie einem Instinkte gehorchend, aus dem reichen M&auml;dchenflor
+ Kosambis dich allein ausersah und mich auch durch deine K&auml;lte von meiner Liebe
+ nicht abbringen lie&szlig;."</p>
+ <p>Die Feurigkeit, mit welcher er mich lobte, lie&szlig; mich fast bereuen, da&szlig;
+ ich ihm den hilfreichen Rat gegeben hatte, aber schon seine n&auml;chsten Worte
+ beruhigten mich, denn er sprach jetzt von seiner Dankbarkeit, die unersch&ouml;pflich
+ sein w&uuml;rde, auf welche Probe ich sie auch stellte.</p>
+ <p>"Nur eine einzige Bitte habe ich, durch deren Erf&uuml;llung du mir deine
+ Dankbarkeit hinreichend bezeugen kannst."</p>
+ <p>"Nenne sie mir sofort," rief er, "und wenn du auch verlangst, da&szlig; ich Vajira
+ mit ihrem Sohne zu ihren Eltern zur&uuml;ckschicke, so werde ich es unweigerlich
+ tun."</p>
+ <p>"Meine Bitte ist eine gerechte, keine ungerechte, aber ich werde sie erst
+ vorbringen, wenn mein Rat sich in vollstem Ma&szlig;e bew&auml;hrt hat. Eile du aber
+ nun zum Palast und setze beim F&uuml;rsten diesen Besuch durch."</p>
+ <p>Ziemlich bald kehrte er zur&uuml;ck, gl&uuml;cklich, da&szlig; es ihm gelungen
+ war, den K&ouml;nig zu diesem Ausflug zu bestimmen.</p>
+ <p>"Erst als Udena vernahm, da&szlig; der Rat von dir herr&uuml;hrte," sagte er, "und
+ da&szlig; du mit deiner Ehre dich f&uuml;r den guten Erfolg verb&uuml;rgtest, gab er
+ nach, denn auch er h&auml;lt gro&szlig;e St&uuml;cke auf dich. O, wie stolz bin ich
+ auf eine solche Gemahlin!"</p>
+ <p>Diese und &auml;hnliche Worte, an denen er es in seiner zuversichtlichen Stimmung
+ nicht fehlen lie&szlig;, waren mir peinlich genug und w&auml;ren es noch mehr
+ gewesen, wenn ich nicht bei dieser ganzen Sache meine geheimen Gedanken gehabt
+ h&auml;tte.</p>
+ <p>Wir begaben uns nun sofort nach dem Palast, wo schon Vorbereitungen zur Fahrt
+ getroffen wurden.</p>
+ <p>Sobald die Strahlen der Sonne ihre Glut etwas milderten, bestieg K&ouml;nig Udena
+ seinen Staatselefanten, die vielger&uuml;hmte Bhaddavatika, die, weil sie schon sehr
+ alt war, nur noch bei den feierlichsten Gelegenheiten benutzt wurde. Wir, der
+ K&auml;mmerer, der Schatzmeister und andere hohe W&uuml;rdentr&auml;ger folgten in
+ Wagen nach, zweihundert Reiter er&ouml;ffneten und ebensoviele beschlossen den
+ Zug.</p>
+ <p>Am Eingange des Waldes lie&szlig; der K&ouml;nig Bhaddavatika niederknien und
+ stieg ab; wir anderen verlie&szlig;en die Wagen und begaben uns In seinem Gefolge zu
+ Fu&szlig; nach dem Krishnatempel, wo der Buddha, der vom f&uuml;rstlichen Besuche
+ schon unterrichtet war, von seinen J&uuml;ngern umgeben, uns erwartete.</p>
+ <p>Der K&ouml;nig bot dem Erhabenen ehrerbietigen Gru&szlig; dar und setzte sich zur
+ Seite nieder. Als nun auch wir andern Platz genommen hatten, fragte der
+ Vollendete:</p>
+ <p>"Was ist dir, edler K&ouml;nig? Hat etwa der K&ouml;nig von Benares oder irgend
+ ein anderer deiner f&uuml;rstlichen Nachbarn dein Land mit Krieg bedroht?"</p>
+ <p>"Nicht hat, o Herr, der K&ouml;nig von Benares, noch irgend einer meiner
+ f&uuml;rstlichen Nachbarn mich bedroht: ein R&auml;uber, o Herr, lebt in meinem
+ Lande, Angulimala genannt, grausam und blutgierig, an Mord und Totschlag
+ gew&ouml;hnt, ohne Mitleid gegen Mensch und Tier. Der macht die D&ouml;rfer
+ und&ouml;rflich, die St&auml;dte unst&auml;dtlich, die L&auml;nder unl&auml;ndlich.
+ Er bringt die Leute um und h&auml;ngt sich ihre Daumen um den Hals. Und in der
+ Bosheit seines Herzens hat er jetzt den Plan gefa&szlig;t, diesen heiligen Hain zu
+ &uuml;berfallen und den Erhabenen und seine Anh&auml;nger zu entf&uuml;hren. Ob solch
+ gro&szlig;er Gefahr entsetzt, murrt mein Volk, dr&auml;ngt sich in gro&szlig;en
+ Scharen um meinen Palast und verlangt, da&szlig; ich diesen Angulimala
+ unsch&auml;dlich mache. Das also liegt mir allein im Sinne."</p>
+ <p>"Wenn du aber, edler K&ouml;nig, Angulimala s&auml;hest, mit geschorenem Haar und
+ Barte, mit fahlem Gewande bekleidet, dem T&ouml;ten entfremdet, dem Stehlen
+ entw&ouml;hnt, zufrieden mit <i>einer</i> Mahlzeit, keusch wandelnd, tugendrein, edel
+ geartet: was w&uuml;rdest du dann mit ihm machen?"</p>
+ <p>"Wir w&uuml;rden ihn, o Herr, ehrerbietig begr&uuml;&szlig;en, uns vor ihm erheben
+ und ihn zu sitzen einladen, ihn bitten, Kleidung, Speise, Lager und Arznei f&uuml;r
+ den Fall einer Krankheit anzunehmen, w&uuml;rden ihm, wie sich's geb&uuml;hrt, Schutz
+ und Schirm und Obhut angedeihen lassen. Wie aber sollte, o Herr, ein so arger,
+ b&ouml;sartiger Mensch eine solche Tugendl&auml;uterung erfahren?"</p>
+ <p>Nun sa&szlig; aber der ehrw&uuml;rdige Angulimala nicht fern vom Erhabenen. Und
+ der Erhabene wies mit dem rechten Arme hin und sprach also zu K&ouml;nig Udena:</p>
+ <p>"Dieser, edler F&uuml;rst, ist Angulimala."</p>
+ <p>Da entf&auml;rbte sich das Gesicht des K&ouml;nigs vor Angst. Aber bei weitem
+ st&auml;rker war das Entsetzen Satagiras. Seine Augen schienen aus ihren H&ouml;hlen
+ springen zu wollen, seine Haare str&auml;ubten sich, kalter Schwei&szlig; tropfte von
+ seiner Stirn.</p>
+ <p>"Weh mir," rief er, "ja, jener ist gewi&szlig;lich Angulimala, und ich Elender
+ habe meinen K&ouml;nig verleitet, sich in seine Gewalt zu begeben."</p>
+ <p>Dabei sah ich's ihm nur zu deutlich an, da&szlig; er nur deshalb so vor Angst
+ bebte, weil er sich selbst in der Gewalt seines Todfeindes w&auml;hnte.</p>
+ <p>"Dieser Schreckliche," rief er weiter, "hat uns alle betrogen--hat den Erhabenen
+ selbst betrogen und auch meine leichtgl&auml;ubige Gemahlin, die, wie alle Frauen,
+ viel auf Bekehrungsgeschichten gibt. So sind wir in diese Falle gegangen."</p>
+ <p>Und seine Blicke irrten umher, als ob er hinter jedem Baum ein halbes Dutzend
+ R&auml;uber entdeckte. Mit stotternder Stimme und zitternder Hand beschwor er den
+ K&ouml;nig, durch eilige Flucht seine teure Person in Sicherheit zu bringen.</p>
+ <p>Da trat ich denn vor und sprach:</p>
+ <p>"Sei ruhig, mein Gemahl! Ich bin imstande, sowohl dich wie meinen edlen
+ F&uuml;rsten zu &uuml;berzeugen, da&szlig; hier keine Falle gelegt ist und da&szlig;
+ keine Gefahr droht."</p>
+ <p>Und ich erz&auml;hlte jetzt, wie ich, von Angulimala &uuml;berredet, mit ihm
+ zusammen einen Anschlag gegen das Leben meines Gemahls vorgehabt h&auml;tte, und wie
+ dieser Anschlag eben nur durch die Bekehrung meines Verb&uuml;ndeten vereitelt worden
+ sei.</p>
+ <p>Als Satagira h&ouml;rte, wie nahe er dem Tode gewesen war, mu&szlig;te er sich auf
+ den Arm des K&auml;mmerers st&uuml;tzen, um nicht umzusinken.</p>
+ <p>Ich bat nun den K&ouml;nig fu&szlig;f&auml;llig, meinem Gemahl zu verzeihen, wie
+ ich ihm verziehen habe, da er durch Leidenschaft irregef&uuml;hrt ges&uuml;ndigt habe
+ und dabei wohl auch unbewu&szlig;t einer h&ouml;heren F&uuml;hrung gefolgt sei, die
+ vor unseren Augen das h&ouml;chste Wunder wirken wollte: anstatt da&szlig; man einen
+ R&auml;uber hingerichtet h&auml;tte, sei jetzt aus einem R&auml;uber ein Heiliger
+ geworden.</p>
+ <p>Und als der F&uuml;rst mir gn&auml;dig zugesagt hatte, meinem Gemahl wieder seine
+ volle Gunst zuzuwenden, sprach ich zu Satagira:</p>
+ <p>"Mein Versprechen habe ich nun gehalten. So halte auch du das deine und
+ gew&auml;hre mir meine einzige Bitte. Diese aber geht dahin, du m&ouml;gest mir
+ gestatten, in den heiligen Orden des Buddha einzutreten."</p>
+ <p>Mit einem stummen Kopfnicken gab Satagira seine Einwilligung, wie er denn auch
+ nicht anders konnte.</p>
+ <p>Der K&ouml;nig aber, der nun ganz beruhigt war, trat an Angulimala heran, sprach
+ freundlich und ehrerbietig zu ihm und sicherte ihm seinen f&uuml;rstlichen Schutz zu.
+ Darauf ging er wieder zum Buddha hin, verneigte sich tief und sprach:</p>
+ <p>"Wunderbar ist es in der Tat, o Herr, wie da der Erhabene Unb&auml;ndige
+ b&auml;ndigt. Denn diesen Angulimala, den wir weder mit Strafe noch Schwert bezwingen
+ konnten, den hat der Erhabene ohne Strafe und Schwert bezwungen. Dieser doppelt und
+ dreifach heilige Hain aber, wo uns ein solches Wunder kund ward, soll von heute ab
+ auf ewige Zeiten dem Orden der Heiligen geh&ouml;ren. Und der Erhabene m&ouml;ge mir
+ gestatten, darin einen Bau zur Unterkunft der M&ouml;nche und einen zweiten f&uuml;r
+ die Nonnen zu errichten."</p>
+ <p>Mit w&uuml;rdevoller Dankbezeugung nahm der Erhabene das f&uuml;rstliche Geschenk
+ an. Darauf empfahl sich der K&ouml;nig und entfernte sich mit seinem Gefolge. Ich
+ aber blieb zur&uuml;ck unter der Obhut der anwesenden Schwestern, um schon am
+ folgenden Tage das Gel&uuml;bde abzulegen.</p>
+ <h2><a id="chap_xli" name="chap_xli">XLI. DER LEICHTE SPRUCH</a></h2>
+ <p><img src="images/xli.png" width="93" height="93" align="left" alt="I" />ch war nun
+ Ordensschwester geworden und begab mich jeden Tag fr&uuml;h morgens mit meiner
+ Almosenschale nach Kosambi, wo ich von Haus zu Haus ging, bis sie gef&uuml;llt
+ war--obwohl Satagira mir diesen Bettelgang nur zu gern erspart h&auml;tte.</p>
+ <p>Eines Tages stellte ich mich auch am Eingange seines Palastes hin, weil die
+ &auml;ltesten Nonnen mir geraten hatten, mich auch dieser Pr&uuml;fung zu
+ unterziehen. Da trat Satagira gerade in den Torweg, wich mir aber scheu aus und
+ verh&uuml;llte traurig sein Antlitz. Gleich danach kam dann der Hausmeier und bat
+ mich weinend, doch ja zu gestatten, da&szlig; Alles, wof&uuml;r ich Gebrauch habe,
+ mir t&auml;glich zugeschickt werde. Ich aber antwortete ihm, da&szlig; es mir
+ gezieme, der Ordensregel nachzukommen.</p>
+ <p>Wenn ich von diesem Gange zur&uuml;ckgekehrt war und das Gespendete verzehrt
+ hatte, womit dann f&uuml;r den ganzen Tag die elende Nahrungsfrage erledigt war,
+ wurde ich von einer der &auml;lteren Nonnen unterrichtet, und abends lauschte ich in
+ der Versammlung den Worten des Erhabenen oder auch denen eines gro&szlig;en
+ J&uuml;ngers, wie Sariputta oder Ananda. Nachher aber geschah es wohl, da&szlig; eine
+ Schwester die andere aufsuchte: "Entz&uuml;ckend, Schwester, ist der Sinsapawald,
+ herrlich die klare Mondnacht, die B&auml;ume stehen in voller Bl&uuml;te, himmlische
+ D&uuml;fte, meint man, wehen umher. Wohlan, la&szlig; uns Schwester Sumedha
+ aufsuchen. Sie ist eine H&uuml;terin des Wortes, ein Hort der Lehre. Ihre Rede
+ d&uuml;rfte wohl diesem Sinsapawalde doppelten Glanz verleihen." Und wir brachten
+ dann den gr&ouml;&szlig;ten Teil einer solchen Nacht mit sinnigen Gespr&auml;chen
+ zu.</p>
+ <p>Dies Leben in der freien Natur, diese fortw&auml;hrende Geistest&auml;tigkeit und
+ der rege Gedankenaustausch, wodurch keine Zeit f&uuml;r tr&uuml;bes Hinbr&uuml;ten
+ &uuml;ber eigenen Schmerz oder f&uuml;r m&uuml;&szlig;ige Tr&auml;umereien &uuml;brig
+ blieb, endlich die Erhebung und L&auml;uterung des Gem&uuml;tes durch die Macht der
+ Wahrheit--all dies st&auml;rkte mir K&ouml;rper und Geist wunderbar. Ein neues und
+ edleres Leben tat sich vor mir auf, und ich geno&szlig; ein ruhiges, heiteres
+ Gl&uuml;ck, von dem ich mir wenige Wochen vorher nichts h&auml;tte tr&auml;umen
+ lassen.</p>
+ <p>Als die Regenzeit kam, stand schon das Geb&auml;ude f&uuml;r die Schwestern
+ bereit, mit ger&auml;umiger Halle zum gemeinsamen Aufenthalte und mit Zellen f&uuml;r
+ jede einzelne. Mein Gemahl und einige andere reiche B&uuml;rger, die Verwandte unter
+ den Nonnen hatten, lie&szlig;en es sich nicht nehmen, diese unsere Heimst&auml;tte
+ mit Matten und Teppichen, St&uuml;hlen und Ruhebetten auszustatten, so da&szlig; wir
+ reichlich mit Allem versehen waren, was zur vern&uuml;nftigen Bequemlichkeit des
+ Lebens geh&ouml;rt, und seiner &Uuml;ppigkeit um so lieber entrieten. So ging denn
+ auch diese Zeit der Eingeschlossenheit leidlich genug dahin, im
+ regelm&auml;&szlig;igen Wechsel von gemeinsamen Unterhaltungen &uuml;ber
+ religi&ouml;se Fragen und von Selbstdenken und Vertiefung. Gegen Abend aber begaben
+ wir uns, wenn das Wetter es erlaubte, nach der gro&szlig;en Halle der M&ouml;nche, um
+ dem Meister zu lauschen, oder es kam auch der Erhabene oder einer der gro&szlig;en
+ J&uuml;nger zu uns her&uuml;ber.</p>
+ <p>Als nun aber der Wald, den der Meister lobt, erfrischt und verj&uuml;ngt, in
+ hundertfacher Bl&auml;tterf&uuml;lle und Blumenpracht uns wieder einlud, unter sein
+ freies Obdach unsere einsame Gedenkenruhe und unsere gemeinsamen Versammlungen zu
+ verlegen, da traf uns die betr&uuml;bende Kunde, da&szlig; der Erhabene sich jetzt
+ bereit mache, seine Wanderung nach den &ouml;stlichen Gegenden anzutreten. Aber
+ freilich hatten wir ja nicht hoffen d&uuml;rfen, da&szlig; er immer in Kosambi
+ bleiben werde; auch wu&szlig;ten wir, wie t&ouml;richt es ist, Ober etwas
+ Unvermeidliches zu klagen, und wie wenig wir uns des Meisters w&uuml;rdig zeigten,
+ wenn wir uns von Trauer &uuml;berw&auml;ltigen lie&szlig;en.</p>
+ <p>So begaben wir uns denn in sp&auml;ter Nachmittagsstunde gefa&szlig;t und ruhig
+ nach dem Krishnatempel, um zum letzten Male f&uuml;r lange Zeit den Worten des Buddha
+ zu lauschen und dann von ihm Abschied zu nehmen.</p>
+ <p>Auf den Stufen stehend, redete der Erhabene vom Vergehen alles Entstandenen, von
+ der Aufl&ouml;sung alles dessen, was sich zusammengesetzt hat, von der
+ Fl&uuml;chtigkeit aller Erscheinungen, von der Wesenlosigkeit aller Gestaltungen. Und
+ nachdem er gezeigt hatte, wie nirgends in dieser oder in jener Welt, soweit die
+ Daseinslust keimt, nirgendwo in Raum und Zeit eine feste Stelle, ein bleibender
+ Zufluchtsort zu finden ist, sprach er jenes Wort, das du mit Recht "weltzermalmend"
+ nanntest, und das sich jetzt rings um uns verwirklicht:</p>
+ <p>"Bis in den h&ouml;chsten Lichthimmel dr&auml;ngt das Leben sich und
+ zerf&auml;llt;--<br />
+ Wisset, einmal erlischt g&auml;nzlich auch der Glanz einer Brahmawelt."</p>
+ <p>Es war uns Schwestern von einem der J&uuml;nger gesagt worden, da&szlig; wir nach
+ dem Vortrage eine nach der anderen zum Erhabenen gehen sollten, um von ihm Abschied
+ zu nehmen und einen Geleitspruch f&uuml;r unser weiteres Streben von ihm zu
+ empfangen. Da ich eine der j&uuml;ngsten war und mich geflissentlich
+ zur&uuml;ckhielt, gelang es mir, die letzte zu werden. Denn ich g&ouml;nnte es keiner
+ anderen, nach mir mit dem Erhabenen zu reden, und meinte auch, da&szlig; mir dadurch
+ eine ruhigere, l&auml;ngere Unterredung erm&ouml;glicht w&uuml;rde, als wenn andere
+ hinter mir warteten.</p>
+ <p>Nachdem ich mich nun ehrfurchtsvoll verneigt hatte, blickte mich der Erhabene an
+ mit einem Blicke, der mich bis ins Innerste durchleuchtete, und sprach:</p>
+ <p>"Und dir, Vasitthi, gebe ich an der Schwelle dieses zerfallenden Heiligtums des
+ sechzehntausendeinhundertfachen Br&auml;utigams zum Meingedenken und zum Durchdenken
+ unter dem Laubdache dieses Sinsapawaldes, von dem du ein Blatt am Herzen und einen
+ Schatten im Herzen tr&auml;gst--folgenden Spruch: '<i>&Uuml;berall, wo Liebe
+ entsteht, entsteht auch Leid</i>.'"</p>
+ <p>"Ist das Alles?" fragte ich t&ouml;richterweise.</p>
+ <p>"Alles und genug."</p>
+ <p>"Und ist es, o Herr, gestattet, wenn ich mit dem Spruche zu Ende bin, wenn ich mir
+ den Sinn v&ouml;llig zu eigen gemacht habe, zum Erhabenen zu pilgern, um einen neuen
+ Spruch zu empfangen?"</p>
+ <p>"Es ist gestattet, wenn du noch das Bed&uuml;rfnis hast, den Erhabenen zu
+ fragen."</p>
+ <p>"Wie sollte ich nicht das Bed&uuml;rfnis haben? Du bist ja, o Herr, unsere
+ Zuflucht."</p>
+ <p>"Nimm deine Zuflucht zu dir selber, nimm deine Zuflucht zur Lehre!"</p>
+ <p>"Das will ich. Doch du, o Herr, bist ja das Selbst der J&uuml;nger, bist die
+ lebendige Lehre. Und du hast ja gesagt: es ist gestattet."</p>
+ <p>"Wenn dich der Weg nicht m&uuml;ht."</p>
+ <p>"Kein Weg kann mich m&uuml;hen."</p>
+ <p>"Der Weg ist weit, Vasitthi! Weiter ist der Weg als du dir denkst, weiter, als
+ Menschengedanken es auszudenken verm&ouml;gen."</p>
+ <p>"Und f&uuml;hrte der Weg auch durch tausend Leben, &uuml;ber tausend Welten: kein
+ Weg wird mich m&uuml;hen."</p>
+ <p>"Schon gut, Vasitthi! Gehab dich wohl, und gedenke deines Spruchs."</p>
+ <p>In diesem Augenblick nahte der K&ouml;nig mit gro&szlig;em Gefolge, um vom
+ Erhabenen Abschied zu nehmen.</p>
+ <p>Ich zog mich in die hinterste Reihe zur&uuml;ck, von wo aus ich ein ziemlich
+ zerstreuter Zeuge der weiteren Vorg&auml;nge dieses letzten Abends war. Denn ich kann
+ nicht leugnen, da&szlig; ich mich durch den so sehr leichten Spruch, den mir der
+ Erhabene gegeben hatte, etwas entt&auml;uscht f&uuml;hlte. Hatten doch mehrere der
+ Schwestern ganz andere schwierige Spr&uuml;che zur geistigen Verarbeitung vom
+ Erhabenen zugeteilt bekommen: die eine den Spruch vom Entstehen aus Ursachen, die
+ andere den vom Nichtselbst, eine dritte den von der Verg&auml;nglichkeit der
+ Erscheinungen. So meinte ich denn, eine Zur&uuml;cksetzung erfahren zu haben, was
+ mich sehr betr&uuml;bte. Wie ich aber weiter dar&uuml;ber nachdachte, kam mir die
+ Vermutung, da&szlig; der Erhabene vielleicht bei mir etwas Selbst&uuml;berhebung
+ bemerkt habe und sie auf diese Weise d&auml;mpfen wolle. Und ich nahm mir vor, auf
+ der Hut zu sein, um nicht durch Eitelkeit und Selbstgef&auml;lligkeit in meinem
+ geistigen Wachstum gehindert zu werden. Bald w&uuml;rde ich mich ja r&uuml;hmen
+ k&ouml;nnen, mit dem Spruche zu Ende zu sein, und durfte mir dann einen neuen von den
+ Lippen des Erhabenen selber holen.</p>
+ <p>In dieser Zuversicht sah ich fr&uuml;h am n&auml;chsten Morgen den Buddha mit
+ vielen J&uuml;ngern von dannen wandern--unter diesen selbstverst&auml;ndlich auch
+ Ananda, der ja des Meisters wartete und immer um ihn war, und der mir stets auf seine
+ milde Art so besonders wohlwollend begegnet war, da&szlig; ich f&uuml;hlte, ich
+ w&uuml;rde auch ihn und seinen aufmunternden Blick sehr vermissen, noch mehr als den
+ weisen Sariputta, der durch seine scharf zergliedernden Auseinandersetzungen mir in
+ manchem schwierigen Punkt geholfen hatte. Nun war ich meinen eigenen Kr&auml;ften
+ &uuml;berlassen.</p>
+ <p>Sobald ich von meinem Almosengange zur&uuml;ckgekehrt war und mein Mahl verzehrt
+ hatte, suchte ich mir einen sch&ouml;nen Baum aus, der in der Mitte einer kleinen
+ Waldwiese stand--das wahre Urbild jener "m&auml;chtigen, l&auml;rmentr&uuml;ckten
+ B&auml;ume", von denen es hei&szlig;t, da&szlig; Menschen darunter sitzen und denken
+ k&ouml;nnen.</p>
+ <p>Das tat ich nun, indem ich meinen Spruch ernstlich vornahm. Als ich gegen Abend
+ nach der Versammlungshalle zur&uuml;ckkehrte, brachte ich, als Ausbeute meiner
+ Tagesarbeit, eine innere Unruhe mit mir und eine leise Ahnung, was f&uuml;r eine
+ Bewandtnis es mit diesem Spruche haben mochte. Als ich aber am folgenden Abend nach
+ beendigter Gedenkenruhe zur&uuml;ckkehrte, wu&szlig;te ich schon genau, was der
+ Erhabene gemeint hatte, als er mir diesen Spruch gab.</p>
+ <p>Ich hatte ja geglaubt, auf dem graden Wege zum vollkommenen Frieden mich zu
+ befinden und meine Liebe mit ihren leidenschaftlichen Erregungen weit hinter mir zu
+ haben. Aber jener unvergleichliche Herzenskenner hatte gar wohl gesehen, da&szlig;
+ die Liebe keineswegs von mir &uuml;berwunden war, sondern da&szlig; sie nur durch den
+ m&auml;chtigen Einflu&szlig; des neuen Lebens verscheucht, sich In einen Innersten
+ Winkel zur&uuml;ckgezogen hatte, um dort ihre Zeit zu erwarten. So wollte er denn,
+ da&szlig; ich dadurch, da&szlig; ich meine Aufmerksamkeit auf sie richtete, sie aus
+ diesem Schlupfloche hervorlocken solle, um sie dann zu &uuml;berwinden.</p>
+ <p>Und freilich kam sie auch hervor, aber mit solcher Macht, da&szlig; ich mich
+ sofort mitten in schweren, ja zerr&uuml;ttenden Seelenk&auml;mpfen befand und einsah,
+ da&szlig; mir kein leichter Sieg beschieden sei.</p>
+ <p>Die &uuml;berraschende Kunde, da&szlig; mein Geliebter damals nicht get&ouml;tet
+ worden war und aller Wahrscheinlichkeit nach noch mit mir diese Erdenluft atmete, war
+ jetzt freilich mehr als ein halbes Jahr alt. Als aber durch die Erscheinung auf der
+ Terrasse jenes Wissen so pl&ouml;tzlich in mir auftauchte, wurde es sofort wieder
+ durch die st&uuml;rmischen Gem&uuml;tswellen, die es selber aufregte, gleichsam
+ &uuml;berschwemmt und tauchte fast wieder in ihren Strudel unter.
+ Ha&szlig;gef&uuml;hl, Rachegedanken, Br&uuml;ten &uuml;ber Verbrecherpl&auml;ne
+ wechselten in einem wahren D&auml;monenreigen--dann kam Angulimalas Bekehrung, der
+ &uuml;berw&auml;ltigende Eindruck des Buddha, das neue Leben, der Tagesanbruch einer
+ neuen, g&auml;nzlich ungeahnten Welt, deren Elemente in der Vernichtung aller
+ Elemente der alten bestanden. Nun aber war der erste Sturm des Neuen vor&uuml;ber,
+ der gro&szlig;e Meister dieses heiligen Zaubers war aus meinem Gesichtskreis
+ entschwunden, und ich sa&szlig; einsam da, meinen Blick auf die Liebe--auf meine
+ Liebe gerichtet. Da tauchte jene Kunde nun wieder klar hervor und eine grenzenlose
+ Sehnsucht nach dem fernen, noch lebenden Geliebten erfa&szlig;te mich.</p>
+ <p>Aber lebte er denn auch noch?--Und liebte er mich denn noch?</p>
+ <p>Solche Fragen regten durch ihre bange Ungewi&szlig;heit meine Sehnsucht nur noch
+ mehr auf, und mit der &Uuml;berwindung meiner Liebe, mit der Aneignung des Spruches
+ wollte es nicht vorw&auml;rtsgehen. Immer dachte ich &uuml;ber die Liebe nach und kam
+ nicht zum Leid und zur Leidensentstehung.</p>
+ <p>Diese meine immer aussichtsloseren Seelenk&auml;mpfe blieben den anderen
+ Schwestern nicht verborgen. Ich h&ouml;rte wohl, wie sie von mir sprachen:</p>
+ <p>"Vasitthi, die fr&uuml;here Ministersgattin, die doch selbst der strenge Sariputta
+ wegen ihrer schnellen und sicheren Auffassung auch schwieriger Punkte der Lehre uns
+ des &ouml;fteren gepriesen hat, sie kann jetzt mit ihrem doch so leichten Spruch
+ nicht fertig werden."</p>
+ <p>Dadurch wurde ich noch mehr entmutigt. Scham und Verzweiflung bem&auml;chtigten
+ sich meiner und zuletzt glaubte ich, diesen Zustand nicht mehr ertragen zu
+ k&ouml;nnen.</p>
+ <h2><a id="chap_xlii" name="chap_xlii">XLII. DIE KRANKE NONNE</a></h2>
+ <p><img src="images/xlii.png" width="93" height="93" align="left" alt="U" />m diese
+ Zeit kam w&ouml;chentlich einmal einer der Br&uuml;der zu uns her&uuml;ber und legte
+ uns die Lehre dar. Als nun Angulimala an der Reihe war, ging ich nicht in die
+ Versammlungshalle, sondern blieb in meiner Zelle auf der Ruhebank liegen und bat eine
+ Nachbarschwester, Angulimala zu sagen:</p>
+ <p>"Die Schwester Vasitthi, Ehrw&uuml;rdiger, liegt in ihrer Zelle krank darnieder
+ und kann in der Versammlung nicht erscheinen. Wolle, Ehrw&uuml;rdiger, nach dem
+ Vortrag dich nach der Zelle Schwester Vasitthis begeben, um auch ihr, der Kranken,
+ die Lehre darzulegen."</p>
+ <p>Und der ehrw&uuml;rdige Angulimala kam nach dem Vortrag in meine Zelle,
+ gr&uuml;&szlig;te mich ehrerbietig und setzte sich neben mein Lager.</p>
+ <p>"Du siehst hier, Bruder," sagte ich dann, "was niemand sehen sollte: eine
+ liebeskranke Nonne, und an dieser meiner Krankheit bist du selber schuld, denn du
+ hast mich des Gegenstandes meiner Liebe beraubt. Zwar hast du mich dann zu diesem
+ gro&szlig;en Arzte gebracht, der von der ganzen Lebenskrankheit heilt; aber seine
+ starke Heilkunst kann jetzt nicht weiter auf mich einwirken. In seiner gro&szlig;en
+ Weisheit hat er dies wohl erkannt und hat mir ein Mittel gegeben, um den
+ schleichenden Krankheitsstoff zur Ausscheidung durch eine Fieberkrisis zu bringen. So
+ siehst du denn nun das Sehnsuchtsfieber in mir w&uuml;ten. Und nun will ich dich an
+ ein Versprechen mahnen, das du mir einst gegeben hast, in jener Nacht n&auml;mlich,
+ wo du mich zu dem Verbrechen verleiten wolltest, dessen Ausf&uuml;hrung nur durch das
+ Dazwischentreten des Erhabenen vereitelt wurde. Damals sagtest du, du w&uuml;rdest
+ nach Ujjeni gehen und mir sichere Kunde von Kamanita bringen, ob er noch am Leben
+ sei, und wie es ihm ergehe. Was mir nun der R&auml;uber einst versprach, das fordere
+ ich jetzt vom M&ouml;nche. Denn mein Verlangen zu wissen, ob Kamanita lebt und wie er
+ lebt, ist ein so gebieterisches, da&szlig;, bevor es nicht gestillt worden ist,
+ f&uuml;r keinen anderen Gedanken, f&uuml;r kein anderes Gef&uuml;hl in meiner Seele
+ Raum ist, und es mir somit unm&ouml;glich ist, auch nur den kleinsten Schritt weiter
+ auf diesem unserem Heilswege zu tun. Deshalb mu&szlig;t du dies f&uuml;r mich tun und
+ mein Gem&uuml;t durch irgend eine Gewi&szlig;heit beruhigen."</p>
+ <p>Nachdem ich also gesprochen hatte, erhob sich Angulimala und sagte:</p>
+ <p>"Wie du es eben, Schwester Vasitthi, von mir verlangst," verbeugte sich tief und
+ schritt zur T&uuml;r hinaus.</p>
+ <p>Er ging aber geradeswegs nach seiner Zelle, um seine Almosenschale zu holen und
+ verlie&szlig; noch in derselben Stunde den Sinsapawald. Man glaubte allgemein, er sei
+ dem Erhabenen nachgepilgert. Nur ich kannte das Ziel seiner Wanderung.</p>
+ <p>Nach diesem Schritt f&uuml;hlte ich mich in der Tat etwas beruhigt, obwohl ich
+ bald zu zweifeln anfing, ob ich ihm nicht einen Gru&szlig; oder eine Botschaft an den
+ Geliebten h&auml;tte mitgeben sollen. Aber es kam mir unpassend und unheilig vor,
+ einen M&ouml;nch auf solche Weise als Liebesvermittler zu gebrauchen, w&auml;hrend er
+ doch ganz gut nach einer entfernten Stadt gehen und berichten konnte, was er dort
+ gesehen. Auch w&uuml;rde es etwas ganz anderes sein--meinte ich mit geheimer
+ Hoffnung--wenn er, ohne einen Auftrag zu haben und nur seinem eigenen Urteil folgend,
+ sich entschlie&szlig;en sollte, mit dem Geliebten von mir zu sprechen.</p>
+ <p>"Ich selber werde nach Ujjeni gehen und ihn heil und sicher herbringen"--diese
+ Worte hallten immer in meinem Innersten wider. W&uuml;rde der M&ouml;nch vielleicht
+ das Versprechen des R&auml;ubers einl&ouml;sen? Warum denn nicht, wenn er selber
+ einsah, da&szlig; es f&uuml;r uns beide notwendig war, einander zu sehen und zu
+ sprechen?</p>
+ <p>Und damit kam ein neuer Gedanke, der, von einem, ungeahnten Hoffnungsschimmer
+ umstrahlt, mich zun&auml;chst blendete und verwirrte. Wenn mein Geliebter
+ zur&uuml;ckk&auml;me--was hinderte mich dann, aus dem Orden auszutreten und seine
+ Frau zu werden?</p>
+ <p>Als diese Frage auftauchte, bedeckte eine brennende R&ouml;te mein Gesicht, das
+ ich unwillk&uuml;rlich in meinen H&auml;nden verbarg aus Furcht, jemand k&ouml;nne
+ mich gerade beobachten. Welcher h&auml;&szlig;lichen Mi&szlig;deutung w&uuml;rde
+ nicht eine solche Handlung ausgesetzt sein! S&auml;he das nicht aus, als ob ich den
+ Orden des Buddha lediglich als eine Br&uuml;cke betrachtet h&auml;tte, um aus einer
+ unlieben Heirat in eine liebe hin&uuml;berzuwandeln? Gewi&szlig; w&uuml;rde das von
+ Vielen so ausgelegt werden. Aber was k&ouml;nnte mir schlie&szlig;lich am Urteil
+ Anderer liegen? Und wieviel besser w&auml;re es nicht, eine fromme Laienschwester zu
+ sein, die treu zum Orden hielt, als eine Ordensschwester, deren Herz au&szlig;erhalb
+ des Ordens weilte.</p>
+ <p>Ja, wenn auch Angulimala mir nur die Mitteilung br&auml;chte, da&szlig; mein
+ Kamanita noch lebe, und ich der Schilderung ihrer Begegnung entn&auml;hme, da&szlig;
+ der Geliebte mir noch immer in treuer Sehnsucht ergeben sei: dann w&uuml;rde ich ja
+ auch selber nach Ujjeni pilgern k&ouml;nnen. Und ich malte mir aus, wie ich eines
+ Morgens als wandernde Asketin am Eingange deines Hauses stehen w&uuml;rde, wie du mir
+ dann eigenh&auml;ndig die Almosenschale f&uuml;llen und mich dabei erkennen
+ w&uuml;rdest--und dann die ganze unbeschreibliche Freude, uns wiedergefunden zu
+ haben.</p>
+ <p>Freilich war es eine weite Wanderung nach Ujjeni, und es geziemte einer Nonne
+ nicht, allein zu pilgern. Aber ich brauchte nicht lange nach einer Begleiterin zu
+ suchen. Gerade in dieser Zeit fand Somadatta ein trauriges Ende. Seine Leidenschaft
+ f&uuml;r die unseligen W&uuml;rfel hatte immer mehr die Oberhand gewonnen, und
+ nachdem er seine ganze Habe verspielt hatte, ertr&auml;nkte er sich in der Ganga. Die
+ tief ersch&uuml;tterte Medini trat nunmehr in den Orden ein. Es mochte wohl weniger
+ das religi&ouml;se Leben selbst in seiner herben Strenge und mit seinem hohen Ziele
+ sein, was sie unwiderstehlich in diesen heiligen Hain zog, als vielmehr das
+ Bed&uuml;rfnis, immer in meiner N&auml;he zu weilen; denn ihr kindliches Herz hing
+ mit r&uuml;hrender Treue an mir. Und so zweifelte ich denn auch nicht daran,
+ da&szlig; sie, wenn ich ihr mein Vorhaben offenbarte, mit mir nach Ujjeni, ja, wenn
+ es sein sollte, bis an das Ende der Welt gehen w&uuml;rde. Auch jetzt schon gereichte
+ mir ihre Gesellschaft vielfach zur Aufmunterung, wie ich denn andererseits auch ihre
+ aufrichtige Trauer &uuml;ber den Verlust ihres Gemahls durch tr&ouml;stende Worte
+ milderte.</p>
+ <p>Als nun die Zeit kam, wo Angulimalas R&uuml;ckkehr zu erwarten war, ging ich
+ nachmittags immer nach dem s&uuml;dwestlichen Rande des Waldes und setzte mich unter
+ einen sch&ouml;nen Baum auf einer m&auml;&szlig;igen Anh&ouml;he, von welcher aus ich
+ dem Wege, den er kommen mu&szlig;te, weit mit dem Blicke folgen konnte. Ich dachte
+ mir, er w&uuml;rde wohl gegen Abend sein Ziel erreichen.</p>
+ <p>Eine Woche hielt ich dort vergebens Wache, war aber auch darauf gefa&szlig;t,
+ einen ganzen Monat lang warten zu m&uuml;ssen. Am achten Tage aber, als die Sonne
+ schon so tief stand, da&szlig; ich mir mit der Hand die Augen beschatten mu&szlig;te,
+ wurde ich in der Ferne eine Gestalt gewahr, die sich dem Walde n&auml;herte. Bald
+ ergl&auml;nzte ihr gelber Mantel, und als sie an einem heimkehrenden Waldarbeiter
+ vor&uuml;berschritt, erkannte man, da&szlig; sie von ganz ungew&ouml;hnlich hohem
+ W&uuml;chse war. Es war in der Tat Angulimala--allein. Meinen Kamanita hatte er nicht
+ "heil und sicher mitgebracht"--was tat's? Wenn er mir nur versichern konnte,
+ da&szlig; der Geliebte am Leben sei, dann w&uuml;rde ich ja selber den Weg zu ihm
+ finden.</p>
+ <p>Heftig pochte mein Herz, als Angulimala vor mir stand und mich mit h&ouml;flichem
+ Anstand begr&uuml;&szlig;te.</p>
+ <p>"Kamanita lebt in seiner Vaterstadt in gro&szlig;em Wohlstand," sagte er, "ich
+ habe ihn selber gesehen und gesprochen."</p>
+ <p>Und er erz&auml;hlte mir nun, wie er eines Morgens an dein palast&auml;hnliches
+ Haus gekommen sei, wie deine beiden Frauen ihn gr&ouml;blich beschimpft h&auml;tten,
+ wie du dann selber hinzugetreten seiest, die b&ouml;sen Frauen ins Haus gejagt und
+ ihn freundlich und entschuldigend angeredet h&auml;ttest.</p>
+ <p>Als er nun Alles--so wie es dir ja bekannt ist--genau berichtet hatte, verbeugte
+ er sich vor mir, schlug den Mantel wieder um die Schulter und wandte sich um, als ob
+ er in derselben Richtung weiter wandern wollte, statt in den Wald hineinzugehen.</p>
+ <p>Verwundert fragte ich ihn, ob er nicht nach der Halle der M&ouml;nche gehe. "Ich
+ habe nun," antwortete er, "deinen Auftrag getreulich ausgerichtet, und nichts gibt es
+ jetzt mehr, was mich hindern k&ouml;nnte, meinen Weg ostw&auml;rts zu nehmen, in den
+ Spuren des Erhabenen, nach Benares und Rajagaha, wo ich ihn nun antreffen werde."</p>
+ <p>Also sprechend, ging dieser m&auml;chtige Mann mit weit ausholenden Schritten
+ f&uuml;rba&szlig;, den Waldrand entlang, ohne sich die geringste Rast zu
+ g&ouml;nnen.</p>
+ <p>Ich starrte ihm lange nach und sah, wie die untergehende Sonne seinen Schatten
+ weit vor ihm bis zum H&uuml;gelrande am Horizonte, ja gleichsam noch dar&uuml;ber
+ hinaus streckte, als ob seine Sehnsucht ihm ungest&uuml;m vorauseile, w&auml;hrend
+ ich wie eine Gel&auml;hmte zur&uuml;ckblieb ohne ein Sehnsuchtsziel f&uuml;r irgend
+ eine liebe Hoffnung.</p>
+ <p>Mein Herz war gestorben, mein Traum zerronnen. Das herbe Asketenwort: "ein
+ Schmutzwinkel ist die H&auml;uslichkeit", hallte durch mein &ouml;des Gem&uuml;t
+ wider. Auf jener herrlichen Terrasse der Sorgenlosen, unter freiem, sternenblinkendem
+ und monddurchstrahltem Himmel war ja meine Liebe daheim. Wie h&auml;tte ich
+ T&ouml;rin je daran denken k&ouml;nnen, sie nach jener schmutzwinkligen
+ H&auml;uslichkeit in Ujjeni betteln zu schicken, damit zankende Frauen sie mit
+ Schimpfreden begeiferten?</p>
+ <p>Mit M&uuml;he schleppte ich mich nach meiner Zelle zur&uuml;ck, um mich auf das
+ Krankenlager zu strecken. Diese pl&ouml;tzliche Vernichtung meiner fieberhaft
+ erregten Hoffnungen war zuviel f&uuml;r meine schon durch monatelange
+ Seelenk&auml;mpfe ersch&uuml;tterte Widerstandskraft. Mit einer Selbstaufopferung
+ ohnegleichen pflegte Medini mich Tag und Nacht. Sobald aber, durch ihre Sorgfalt
+ gest&uuml;tzt, mein Geist sich &uuml;ber die Schmerzen und den Fieberbrand erheben
+ konnte, reifte mein Wanderplan in einer neuen Richtung aus. Nicht dorthin, wo ich
+ Angulimala hingeschickt hatte, sondern dorthin, wo er jetzt von selber hinwanderte,
+ wollte ich nun pilgern: den Spuren des Erhabenen wollte ich folgen, bis ich ihn
+ tr&auml;fe. War ich denn nicht mit meinem Spruche zu Ende? Wie mit der Liebe Leid
+ entsteht, hatte ich ja im tiefsten Grunde erfahren. Und so durfte ich denn auch,
+ meinte ich, den Buddha aufsuchen und von der Kraft des Heiligen mich neu beleben
+ lassen, um nach dem h&ouml;chsten Ziele weiter vorw&auml;rtsstreben zu
+ k&ouml;nnen.</p>
+ <p>Ich vertraute denn auch dies mein Vorhaben der guten Medini an, die sofort mit
+ wahrem Feuereifer den unerwarteten Gedanken aufnahm und sich in ihrem kindlichen
+ Gem&uuml;t ausmalte, wie herrlich es sein w&uuml;rde, mit mir zusammen durch
+ liebliche Gegenden zu streifen, frei wie die V&ouml;gel durch die Luft, wenn die
+ Wanderzeit sie nach fernen Himmelsstrichen ruft.</p>
+ <p>Freilich mu&szlig;ten wir erst geduldig warten, bis ich wieder hinl&auml;nglich zu
+ Kr&auml;ften gekommen war. Und als dies einigerma&szlig;en der Fall war, legte uns
+ die schon eingetretene Regenzeit eine noch l&auml;ngere Geduldsprobe auf.</p>
+ <p>In seiner letzten Rede hatte der Erhabene uns zugerufen:</p>
+ <p>"Gleich wie etwa, wenn im letzten Monat der Regenzeit, im Herbste, nach
+ Zerstreuung und Vertreibung der wasserschwangeren Wolken, die Sonne am Himmel aufgeht
+ und alle Nebel der L&uuml;fte strahlend verscheucht und flammt und leuchtet: ebenso
+ nun auch, ihr J&uuml;nger, erscheint da diese Lebensf&uuml;hrung, die
+ gegenw&auml;rtiges Wohl sowie k&uuml;nftiges Wohl bringt, und verscheucht strahlend
+ die Redereien gew&ouml;hnlicher B&uuml;&szlig;er und Geistlicher und flammt und
+ leuchtet."</p>
+ <p>Als nun die Natur ringsum uns dies Bild verwirklichte, verlie&szlig;en wir den
+ Krishnahain vor Kosambi, und unsere Schritte ostw&auml;rts lenkend, eilten wir jener
+ Sonne einer heiligen Lebensf&uuml;hrung entgegen.</p>
+ <h2><a id="chap_xliii" name="chap_xliii">XLIII. DAS NIRVANA DES VOLLENDETEN</a></h2>
+ <p><img src="images/xliii.png" width="93" height="93" align="left" alt="M" />eine
+ Entkr&auml;ftung erlaubte es mir nicht, lange Tageswanderungen zu unternehmen und
+ n&ouml;tigte uns bisweilen, uns einen Ruhetag zu g&ouml;nnen, so da&szlig; wir erst
+ nach einer einmonatigen Pilgerfahrt in Vesali ankamen, wo, wie wir wu&szlig;ten, der
+ Erhabene sich l&auml;ngere Zeit aufgehalten hatte, von wo er aber vor etwa sechs
+ Wochen weiter gewandert war.</p>
+ <p>Kurz vorher hatten wir in einem Dorfe, wo Anh&auml;nger der Lehre wohnten,
+ geh&ouml;rt, da&szlig; Sariputta und Moggallana in das Nirvana eingegangen waren. Der
+ Gedanke, da&szlig; diese beiden gro&szlig;en J&uuml;nger, die H&auml;uptlinge der
+ Lehre, wie wir sie nannten, nicht mehr auf Erden weilten, ersch&uuml;tterte mich
+ tief. Wohl wu&szlig;ten wir alle, da&szlig; auch diese Gro&szlig;en, ja der Buddha
+ selber, nur Menschen waren wie wir; aber die Vorstellung, da&szlig; sie uns verlassen
+ k&ouml;nnten, war nie in uns aufgetaucht. Sariputta, der mir so oft auf seine
+ bed&auml;chtige Weise schwierige Fragen der Lehre gel&ouml;st hatte, war
+ davongegangen. Er war der J&uuml;nger, der dem Meister &auml;hnlich sah, und er stand
+ wie der Erhabene in seinem achtzigsten Lebensjahre; w&auml;re es m&ouml;glich,
+ da&szlig; auch der Buddha selber sich schon dem Ende seines Erdenlebens
+ n&auml;herte?</p>
+ <p>Vielleicht, da&szlig; die Unruhe, die durch diese Furcht entstand, einen
+ schleichenden Rest meines Fieberzustandes wieder ansch&uuml;rte: jedenfalls kam ich
+ ersch&ouml;pft und krank in Vesali an. Hier lebte eine reiche Anh&auml;ngerin des
+ Ordens, die es sich angelegen sein lie&szlig;, f&uuml;r die durchziehenden
+ M&ouml;nche und Nonnen auf jede Weise zu sorgen. Wie sie nun erfuhr, da&szlig; eine
+ kranke Nonne angekommen sei, suchte sie mich sofort auf, brachte Medini und mich nach
+ ihrem Hause und pflegte mich dort sorgsam.</p>
+ <p>Ihr gegen&uuml;ber &auml;u&szlig;erte ich gar bald meine Furcht: ob es wohl
+ m&ouml;glich sei, da&szlig; der Erhabene, der ebenso alt sei wie Sariputta, uns nun
+ auch bald verlassen w&uuml;rde?</p>
+ <p>Da brach die fromme Seele in einen Strom von Tr&auml;nen aus und rief
+ schluchzend:</p>
+ <p>"Ach! So wei&szlig;t du es denn noch nicht? Hier in Vesali--vor zwei Monaten
+ etwa--hat ja der Gesegnete vorausgesagt, da&szlig; nach drei Monaten sein Nirvana
+ stattfinden wird. Wir haben ihn alle hier zum letzten Male gesehen. Und man denke:
+ wenn nur Ananda Verstand genug besessen und zu rechter Zeit gesprochen h&auml;tte,
+ dann w&auml;re das nimmer geschehen, und der Buddha h&auml;tte bis zum Ende dieser
+ Weltperiode fortgelebt!"</p>
+ <p>Ich fragte, was denn der gute Ananda damit zu tun habe, und auf welche Weise er
+ eine solche R&uuml;ge verdient habe.</p>
+ <p>"Auf folgende Weise," antwortete die Frau. "Eines Tages weilte der Erhabene mit
+ Ananda vor der Stadt bei dem Capala-Tempel. Da sagte nun der Gesegnete zu Ananda: wer
+ auch immer die geistigen Kr&auml;fte in sich vollkommen entwickelt habe, der
+ k&ouml;nne, wenn er wolle, durch eine ganze Weltperiode am Leben bleiben. O &uuml;ber
+ diesen einf&auml;ltigen Ananda, da&szlig; er, trotz dieses deutlichen Winkes, nicht
+ sofort sprach: 'M&ouml;ge doch der Erhabene eine Weltperiode hindurch zum Heile
+ Vieler am Leben bleiben!' Sicher war sein Geist von Mara, dem B&ouml;sen, besessen,
+ da er seine Bitte erst dann vorbrachte, als es zu sp&auml;t war."</p>
+ <p>"Wie konnte es aber zu sp&auml;t sein," fragte ich, "da ja der Erhabene noch
+ lebt?"</p>
+ <p>"Das war folgenderma&szlig;en. Du mu&szlig;t n&auml;mlich wissen, vor f&uuml;nfzig
+ Jahren, als der Erhabene in Uruvela sich das Buddhawissen errungen hatte, und nach
+ siebenj&auml;hrigem Kampfe den Besitz heiliger Gem&uuml;tsruhe genie&szlig;end, unter
+ dem Nyagrodhabaume des Ziegenhirten weilte: da nahte sich ihm Mara, der B&ouml;se,
+ gar sehr besorgt wegen der Gefahr, die seinem Reiche durch den Buddha drohte; und in
+ der Hoffnung, die Verbreitung der Lehre zu verhindern, sprach er: 'Heil dir! Jetzt
+ ist es Zeit f&uuml;r den Erhabenen, in das Nirvana einzugehen!' Aber der Buddha
+ antwortete: 'Nicht eher werde ich, du B&ouml;ser, in das Nirvana eingehen, als bis
+ ich der Menschheit die Lehre verk&uuml;ndet habe; nicht eher, als bis ich mir
+ J&uuml;nger geworben habe, die imstande sind, diese Lehre gegen Angriffe zu
+ verteidigen und sie weiter zu verk&uuml;nden. Erst dann, B&ouml;ser, werde ich in das
+ Nirvana eingehen, wenn das Reich der Wahrheit fest begr&uuml;ndet ist.'</p>
+ <p>Nachdem nun aber der Erhabene hier am &Ccedil;apalaheiligtum so, wie ich dir
+ sagte, zu Ananda gesprochen hatte und dieser, ohne den Wink zu verstehen, weggegangen
+ war, nahte sich Mara, der B&ouml;se, dem Erhabenen und sprach zu ihm: 'Heil dir!
+ Jetzt ist f&uuml;r den Erhabenen die Zeit gekommen, in das Nirvana einzugehen. Was
+ mir der Erhabene damals unter dem Nyagrodhabaume des Ziegenhirten zu Uruvela als
+ Bedingung f&uuml;r sein Nirvana angab, das ist ja jetzt erf&uuml;llt. Fest
+ gegr&uuml;ndet ist das Reich der Wahrheit. M&ouml;ge also der Erhabene jetzt in das
+ Nirvana eingehen!' Da sprach der Buddha zu Mara, dem B&ouml;sen, also: 'Sei du, o
+ B&ouml;ser, ohne Sorge! Das Nirvana des Vollendeten wird bald stattfinden; nach
+ Verlauf von drei Monaten von jetzt ab wird der Vollendete in das Nirvana eingehen.'
+ Bei diesen Worten aber erzitterte die Erde, wie du es wohl auch selber bemerkt haben
+ wirst."</p>
+ <p>In der Tat hatten wir in Kosambi, etwa einen Monat bevor ich den heiligen Hain
+ verlie&szlig;, ein leichtes Erdbeben gesp&uuml;rt, was ich ihr nun auch sagte.</p>
+ <p>"Siehst du!" rief die Frau erregt--"&uuml;berall haben sie es gesp&uuml;rt. Die
+ ganze Erde bebte, und die Trommeln der G&ouml;tter dr&ouml;hnten, als der Vollendete
+ auf l&auml;ngere Lebensdauer verzichtete. Ach, da&szlig; doch der einf&auml;ltige
+ Ananda zu rechter Zeit den ihm so deutlich gegebenen Wink verstanden h&auml;tte! Denn
+ als er nun, durch dies Erdbeben aus seiner Selbstvertiefung geweckt, zum Erhabenen
+ zur&uuml;ckkam und ihn bat, er m&ouml;ge doch noch den Rest dieser Weltperiode
+ hindurch am Leben bleiben:--da hatte ja der Vollendete schon Mara sein Wort gegeben
+ und auf l&auml;ngere Lebensdauer verzichtet."</p>
+ <p>Aus diesen Reden der frommen, aber etwas abergl&auml;ubischen Frau entnahm ich,
+ da&szlig; der Erhabene w&auml;hrend seines Aufenthaltes in Vesali Zeichen des
+ herannahenden Todes gesp&uuml;rt und wohl den J&uuml;ngern gesagt habe, da&szlig; er
+ bald sterben w&uuml;rde.</p>
+ <p>So litt es mich denn nicht l&auml;nger unter dem gastlichen Dache. Ich mu&szlig;te
+ den Buddha erreichen, bevor er uns verlie&szlig;. Das war ja unser gro&szlig;er Trost
+ gewesen, da&szlig; wir uns immer an ihn, den unersch&ouml;pflichen Quell der
+ Wahrheit, wenden konnten. Nur von ihm konnten ja alle Zweifel meiner
+ ge&auml;ngstigten Seele gel&ouml;st werden; nur er in der ganzen Welt war ja
+ imstande, mir den Frieden wiederzugeben, den ich einst gekostet hatte, als ich am
+ alten Krishnatempel im Sinsapawalde bei Kosambi ihm zu F&uuml;&szlig;en
+ sa&szlig;.</p>
+ <p>So brachen wir denn auf, als, nach Verlauf von zehn Tagen meine Kr&auml;fte mir
+ das Wandern einigerma&szlig;en erlaubten. Meine gute Wirtin, die sich ein Gewissen
+ daraus machte, mich in meinem geschw&auml;chten Zustande weitergehen zu lassen,
+ tr&ouml;stete ich mit dem Versprechen, ihren Gru&szlig; dem Erhabenen zu
+ F&uuml;&szlig;en zu legen.</p>
+ <p>Wir gingen nun in nordwestlicher Richtung weiter in den Spuren des Erhabenen, die
+ wir immer frischer fanden, je weiter wir vordrangen, von Ort zu Ort uns erkundigend.
+ In Ambagama war er acht Tage vorher gewesen; den Salahain von Bhoganagara hatte er
+ drei Tage vor unserer Ankunft verlassen, um sich nach Pava zu begeben.</p>
+ <p>Sehr erm&uuml;det trafen wir am fr&uuml;hen Nachmittage in diesem Orte ein.</p>
+ <p>Das erste Haus, das uns auffiel, geh&ouml;rte einem Kupferschmied, wie an den
+ vielen Metallwaren zu erkennen war, die an der Mauer entlang standen. Aber kein
+ Hammerschlag ert&ouml;nte; es schien ein Feiertag zu sein, und im Hofe wurden am
+ Brunnen von den Dienern Sch&uuml;sseln und Platten abgesp&uuml;lt, als ob dort eine
+ Hochzeit stattgefunden h&auml;tte.</p>
+ <p>Da trat ein kleiner, festlich gekleideter Mann auf uns zu und bat h&ouml;flich,
+ unsere Almosenschalen f&uuml;llen zu d&uuml;rfen.</p>
+ <p>"W&auml;ret ihr einige Stunden fr&uuml;her gekommen," f&uuml;gte er hinzu, "dann
+ h&auml;tte ich bei meinem Feste noch zwei liebe und w&uuml;rdige G&auml;ste gehabt,
+ denn euer Meister, der Erhabene, hat heute mit seinen M&ouml;nchen bei mir
+ gespeist."</p>
+ <p>"So ist denn der Erhabene noch hier in Pava?"</p>
+ <p>"Jetzt nicht mehr, Ehrw&uuml;rdigste," antwortete der Kupferschmied. "Gleich nach
+ der Mahlzeit wurde der Erhabene von einer schweren Krankheit befallen, mit scharfen
+ Schmerzen, die ihn einer Ohnmacht nahe brachten, so da&szlig; wir alle sehr
+ erschraken. Aber der Erhabene &uuml;berwand diesen Anfall und begab sich vor etwa
+ einer Stunde weiter nach Kusinara."</p>
+ <p>Am liebsten w&auml;re ich sofort weiter gewandert, denn was der Schmied von diesem
+ Krankheitsanfall sagte, lie&szlig; mich das Schlimmste bef&uuml;rchten. Aber es war
+ eine gebieterische Notwendigkeit, den K&ouml;rper nicht nur durch Speise, sondern
+ auch durch kurze Ruhe zu st&auml;rken.</p>
+ <p>Der Weg von Pava nach Kusinara war nicht zu verfehlen. Er f&uuml;hrte bald von den
+ bebauten Feldern fort, durch Tigergras und Gestr&uuml;pp, immer tiefer in die
+ Dschungeln. Wir durchwateten einen kleinen Flu&szlig; und erfrischten uns ein wenig
+ durch Baden. Nach kurzer Ruhe brachen wir wieder auf. Es wollte Abend werden, und ich
+ konnte mich nur mit M&uuml;he weiterschleppen.</p>
+ <p>Medini versuchte mich zu &uuml;berreden, unter einem Baume auf einer kleinen
+ Anh&ouml;he zu &uuml;bernachten. Es habe keine so gro&szlig;e Eile:</p>
+ <p>"Dies Kusinara ist wohl nicht viel mehr als ein Dorf und scheint ganz in den
+ Dschungeln begraben zu sein. Wie kannst du nur glauben, da&szlig; der Vollendete hier
+ sterben wird? Gewi&szlig; wird er einmal im Jetavanapark bei Savitti, oder in einem
+ seiner beiden Haine bei Rajagaha von dannen scheiden; aber der Erhabene wird doch
+ nicht in dieser Ein&ouml;de erl&ouml;schen! Wer hat denn je von Kusinara
+ geh&ouml;rt?"</p>
+ <p>"Vielleicht wird man von jetzt ab von Kusinara h&ouml;ren," sagte ich und ging
+ weiter.</p>
+ <p>Meine Kr&auml;fte waren aber bald so ersch&ouml;pft, da&szlig; ich mich
+ entschlie&szlig;en mu&szlig;te, die n&auml;chste baumlose Anh&ouml;he zu besteigen,
+ in der Hoffnung, von dort aus die N&auml;he Kusinaras erkennen zu k&ouml;nnen. Sonst
+ mu&szlig;ten wir die Nacht dort oben zubringen, wo wir dem Angriffe der Raubtiere und
+ Schlangen weniger ausgesetzt waren und auch den fiebererzeugenden Ausd&uuml;nstungen
+ einigerma&szlig;en entr&uuml;ckt blieben.</p>
+ <p>Dort oben angelangt, sp&auml;hten wir vergebens nach einem Anzeichen menschlicher
+ Wohnsitze aus. Scheinbar ununterbrochen stiegen die Dschungeln vor uns
+ allm&auml;hlich aufw&auml;rts, wie ein Teppich, den man in die H&ouml;he zieht. Bald
+ aber tauchten gro&szlig;e B&auml;ume aus dem niedrigen Geb&uuml;sch auf; die dichten
+ Laubmassen eines Hochwaldes w&ouml;lbten ihre Kuppeln &uuml;bereinander, und in einer
+ schwarzen Schlucht sch&auml;umte ein Wildbach, derselbe Strom, in dessen ruhig
+ flie&szlig;endem Wasser wir kurz vorher gebadet hatten.</p>
+ <p>Den ganzen Tag &uuml;ber war es schw&uuml;l und tr&uuml;be gewesen. Hier wehte uns
+ nun ein frischer Hauch entgegen, und immer klarer wurde es vor unseren Augen, als ob
+ ein Schleier nach dem andern gel&uuml;ftet w&uuml;rde.</p>
+ <p>Ungeheure Felsenmauern t&uuml;rmten sich &uuml;ber dem Walde empor, und als ihr
+ Dach bauten gr&uuml;ne Bergkuppen sich immer h&ouml;her hinauf--bewaldete Berge
+ mu&szlig;ten es ja sein, obwohl sie wie Mooskissen aussahen--immer h&ouml;her, bis
+ sie im Himmel selber zu verschwinden schienen.</p>
+ <p>Nur eine einzige langgestreckte, r&ouml;tliche Wolke schwebte dort oben.</p>
+ <p>W&auml;hrend wir sie betrachteten, fing sie an gar seltsam zu gl&uuml;hen.
+ Gleichwie wenn mein Vater mit der Zange ein St&uuml;ck gel&auml;uterten Goldes aus
+ dem Schmelzofen herausnahm und, nachdem es abgek&uuml;hlt war, es auf eine lichtblaue
+ seidene Decke hinlegte: also ergl&auml;nzte jetzt dies leuchtende Luftgebilde in
+ scharf begrenzten goldig-blanken Fl&auml;chen; dazwischen aber d&auml;mmerten duftig
+ hellgr&uuml;ne Streifen und zogen sich f&auml;cherf&ouml;rmig nach unten, indem sie
+ erblassend in die farblose Luftschicht untertauchten, als ob sie die gr&uuml;nen
+ Bergkuppen erreichen wollten. Immer r&ouml;tlicher gl&uuml;hten die Fl&auml;chen,
+ immer gr&uuml;ner wurden die Schatten.</p>
+ <p>Das war keine Wolke!</p>
+ <p>"Der Himavat!" fl&uuml;sterte Medini, &uuml;berw&auml;ltigt und ergriffen meinen
+ Arm ber&uuml;hrend.</p>
+ <p>Ja, da erhob er sich vor uns, der Berg der Berge, die St&auml;tte des ewigen
+ Schnees, die Wohnung der G&ouml;tter, der Aufenthalt der Heiligen! Der Himavat--schon
+ von Kindheit an hatte mich dieser Name mit tiefen Gef&uuml;hlen von Scheu und
+ Ehrfurcht, mit heimlicher Ahnung des Erhabenen erf&uuml;llt! Wie oft hatte ich in
+ Sagen und M&auml;rchen den Satz geh&ouml;rt: "und er begab sich nach dem Himavat und
+ lebte dort ein Asketenleben"! Zu Tausenden und Abertausenden waren sie dort
+ hinaufgestiegen, die Erl&ouml;sungsuchenden, um in der Bergeinsamkeit durch
+ Bu&szlig;&uuml;bungen sich das Heil zu erringen--jeder mit seinem Wahn: und nun nahte
+ er, der einzige Wahnlose, dessen Spuren wir folgten.</p>
+ <p>W&auml;hrend ich also dachte, erlosch das leuchtende Bild, als ob der Himmel es in
+ sich aufgesogen h&auml;tte.</p>
+ <p>Ich f&uuml;hlte mich aber durch diesen Anblick so wunderbar belebt und
+ gest&auml;rkt, da&szlig; ich an keine Ruhe mehr dachte.</p>
+ <p>"Wenn auch der Erhabene," sagte ich zu Medini, "uns bis zu jenem Gipfel
+ voranschritt, um von solchem erhabenen Standorte aus in jenes h&ouml;chste der
+ Gefilde einzugehen: so w&uuml;rde ich ihm doch folgen und ihn erreichen."</p>
+ <p>Und ich wanderte mutig weiter. Wir waren aber keine halbe Stunde gegangen, da
+ verschwand das Gestr&uuml;pp pl&ouml;tzlich, und bebautes Land lag vor uns. Es war
+ schon ganz dunkel, und der Vollmond ging gro&szlig; und gl&uuml;hend &uuml;ber dem
+ uns gegen&uuml;berliegenden Walde auf, als wir endlich Kusinara erreichten.</p>
+ <p>Es war in der Tat nicht viel mehr als ein Dorf der Mallas, mit Mauern und
+ H&auml;usern von gestampftem Lehm und Weidengeflecht. Mein erster Eindruck war,
+ da&szlig; eine verheerende Krankheit das St&auml;dtchen entv&ouml;lkert haben
+ m&uuml;sse. Vor den Haust&uuml;ren sa&szlig;en einige alte und kranke Leute und
+ jammerten laut.</p>
+ <p>Wir fragten sie, was denn geschehen sei.</p>
+ <p>"Ach," riefen sie h&auml;nderingend: "Gar zu bald wird der Vollendete sterben.
+ Noch in dieser Stunde wird das Licht der Welt erl&ouml;schen. Die Mallas sind nach
+ dem Salahain gegangen, um den Heiligen zu sehen und zu verehren. Denn kurz vor
+ Sonnenuntergang kam Ananda in unsere Stadt und begab sich zur Markthalle, wo die
+ Mallas eine &ouml;ffentliche Sache berieten, und sagte: 'Heute, noch vor Mitternacht,
+ o Mallas, wird das Nirvana des Vollendeten stattfinden. Sorget, da&szlig; ihr euch
+ nicht sp&auml;ter einen Vorwurf machen m&uuml;&szlig;t: in unserer Stadt ist der
+ Buddha gestorben, und wir benutzten nicht die Gelegenheit, um den Vollendeten in
+ seinen letzten Stunden zu besuchen.' So zogen denn die Mallas mit Weibern und
+ Kindern, klagend und jammernd, nach dem Salahain. Wir aber sind zu alt und schwach,
+ wir mu&szlig;ten hier zur&uuml;ckbleiben und k&ouml;nnen den Erhabenen nicht in
+ seinen letzten Stunden verehren."</p>
+ <p>Wir lie&szlig;en uns nun den Weg von der Stadt nach jenem Salahaine zeigen. Dieser
+ Weg war aber, als wir ihn betraten, schon g&auml;nzlich angef&uuml;llt mit den
+ Scharen der zur&uuml;ckkehrenden Mallas. Wir eilten also lieber querfeldein, nach
+ einer Ecke des W&auml;ldchens zu.</p>
+ <p>Hier stand, an einen Baumstamm gelehnt, ein M&ouml;nch und weinte. In dem
+ Augenblick, da ich ergriffen stehen blieb, erhob er sein Antlitz zum Himmel--das
+ volle Mondlicht fiel auf die schmerzdurchdrungenen Z&uuml;ge, und ich erkannte
+ Ananda.</p>
+ <p>"So bin ich doch zu sp&auml;t gekommen," sagte ich mir, und ich f&uuml;hlte, wie
+ meine Kr&auml;fte mich verlie&szlig;en.</p>
+ <p>Ich vernahm aber ein Rascheln im Geb&uuml;sch und sah einen riesengro&szlig;en
+ M&ouml;nch hervortreten und seine Hand auf Anandas Schulter legen:</p>
+ <p>"Bruder Ananda, der Meister ruft dich."</p>
+ <p>So sollte ich doch noch den Buddha in seinen letzten Augenblicken sehen! Sofort
+ kehrten meine Kr&auml;fte wieder und bef&auml;higten mich, den beiden zu folgen.</p>
+ <p>Jetzt bemerkte und erkannte Angulimala uns. Seinen besorgten Blick richtig
+ deutend, sagte ich:</p>
+ <p>"F&uuml;rchte nicht, Bruder, da&szlig; wir durch lautes Weinen und weibisches
+ Klagen die letzten Augenblicke des Vollendeten st&ouml;ren werden. Wir haben uns von
+ Vesali bis hierher keine Ruhe geg&ouml;nnt, um den Erhabenen noch zu sehen. Verwehre
+ uns den Zutritt nicht, wir wollen stark sein."</p>
+ <p>Da winkte er uns, ihnen zu folgen.</p>
+ <p>Wir hatten nicht weit zu gehen.</p>
+ <p>Auf einer kleinen Waldwiese waren wohl an die zweihundert Br&uuml;der versammelt
+ und standen da in einem Halbkreise. In der Mitte erhoben sich zwei Salab&auml;ume,
+ die eine einzige Masse von wei&szlig;en Bl&uuml;ten bildeten, und unter ihnen, auf
+ einem Lager von gelben M&auml;nteln, die zwischen den beiden St&auml;mmen
+ ausgebreitet waren, ruhte der Vollendete, den Kopf auf den rechten Arm gest&uuml;tzt.
+ Und die Bl&uuml;ten regneten leise &uuml;ber ihn herab.</p>
+ <p>Hinter ihm sah ich im Geiste die jetzt im Nachtdunkel verborgenen, in ewigen
+ Schnee geh&uuml;llten Zinnen des Himavat, von denen ich soeben einen fl&uuml;chtigen,
+ traumhaften Anblick genossen hatte, dem ich es verdankte, da&szlig; ich jetzt hier
+ vor dem Vollendeten stand. Der &uuml;berirdische Glanz aber, der von ihnen
+ her&uuml;bergegr&uuml;&szlig;t hatte, strahlte mir jetzt in geistiger Verkl&auml;rung
+ von seinem Gesichte wider. Auch er, der Erhabene, schien ja, ebenso wie jene
+ wolkenartig schwebenden Gipfel, der Erde gar nicht anzugeh&ouml;ren, und doch war er
+ wie sie, von derselben Ebene aus, die uns alle tr&auml;gt, bis zu jener
+ unerme&szlig;lichen Geistesh&ouml;he emporgestiegen, von welcher aus er jetzt im
+ Begriff stand, dem Blick der Menschen und der G&ouml;tter zu entschwinden.</p>
+ <p>Und er sprach zu dem vor ihm stehenden Ananda:</p>
+ <p>"Ich wei&szlig; wohl, Ananda, da&szlig; du einsam weintest in dem Gedanken: 'Ich
+ bin noch nicht frei von S&uuml;nden, ich habe noch nicht das Ziel erreicht, und mein
+ Meister wird jetzt in das Nirvana eingehen--er, der sich meiner erbarmte.' Aber nicht
+ also, Ananda--klage nicht, jammere nicht! Habe ich es dir nicht zuvor gesagt,
+ Ananda:--von Allem, was man lieb hat, mu&szlig; man scheiden? Wie w&auml;re es
+ m&ouml;glich, Ananda, da&szlig; das, was entstanden ist, nicht verginge? Du aber,
+ Ananda, hast lange Zeit den Vollendeten geehrt, in Liebe und G&uuml;te, mit Freuden,
+ ohne Falsch. Du hast Gutes getan. Strebe ernstlich, und du wirst bald frei sein von
+ Sinnenbegier, von Ichsucht und von Irrwahn."</p>
+ <p>Wie um zu zeigen, da&szlig; er sich nicht mehr von Trauer &uuml;berw&auml;ltigen
+ lie&szlig;e, fragte nun Ananda, indem er mit Gewalt seine Stimme beherrschte, was die
+ J&uuml;nger mit den sterblichen Resten des Vollendeten tun sollten.</p>
+ <p>"La&szlig;t euch das nicht k&uuml;mmern," antwortete der Buddha. "Es gibt weise
+ und fromme Anh&auml;nger unter den Adligen, unter den Brahmanen, unter den
+ b&uuml;rgerlichen Hausv&auml;tern--sie werden den sterblichen Resten des Vollendeten
+ die letzte Ehre erweisen. Ihr aber habt Wichtigeres zu tun. Gedenket des Ewigen,
+ nicht des Sterblichen; eilet vorw&auml;rts, schauet nicht zur&uuml;ck."</p>
+ <p>Und indem er seinen Blick im Kreise herumgehen lie&szlig; und jeden einzelnen
+ ansah, sprach er weiter:</p>
+ <p>"Es m&ouml;chte sein, ihr J&uuml;nger, da&szlig; ihr also denkt: 'das Wort hat
+ seinen Meister verloren, wir haben keinen Meister mehr.' Aber so m&uuml;&szlig;t ihr
+ nicht meinen. Die Lehre, ihr J&uuml;nger, die ich euch gelehrt habe, die ist euer
+ Meister, wenn ich von dannen gegangen bin. Darum haltet euch an keiner
+ &auml;u&szlig;eren St&uuml;tze. Haltet fest an der Lehre, wie an einer St&uuml;tze!
+ Seid eure eigene Leuchte, eure eigene St&uuml;tze."</p>
+ <p>Auch mich bemerkte er dann--voll Mitleid ruhte der Blick des Allerbarmers auf mir,
+ und ich f&uuml;hlte, da&szlig; mein Pilgergang nicht vergeblich gewesen war.</p>
+ <p>Nach einer kurzen Weile sprach er dann:</p>
+ <p>"Es m&ouml;chte sein, ihr J&uuml;nger, da&szlig; in jemand von euch irgend ein
+ Zweifel aufstiege hinsichtlich des Meisters oder hinsichtlich der Lehre. Fragt frei,
+ ihr J&uuml;nger, auf da&szlig; ihr euch nicht sp&auml;ter den Vorwurf zu machen habt:
+ 'der Meister war bei uns, von Angesicht zu Angesicht, und wir haben ihn nicht
+ gefragt.'"</p>
+ <p>Da er also gesprochen, also uns aufgefordert hatte, schwiegen Alle.</p>
+ <p>Wie h&auml;tte wohl auch da noch ein Zweifel bestehen k&ouml;nnen angesichts des
+ dahinscheidenden Meisters? Wie er dalag, von milden Mondstrahlen &uuml;berflutet--als
+ ob himmlische Genien ihm das Sterbebad bereiteten; von den niederregnenden
+ Bl&uuml;ten bestreut--als ob die Erde ihren Verlust beweine; inmitten der tief
+ ersch&uuml;tterten J&uuml;ngerschar selber unersch&uuml;ttert, ruhig, heiter: wer
+ f&uuml;hlte da nicht, da&szlig; dieser vollkommen Heilige auf ewig alles
+ Unvollkommene abgetan, alle &Uuml;bel &uuml;berwunden hatte? Was sie da "das
+ sichtbare Nirvana" nennen, das sahen wir ja vor uns in den leuchtenden Z&uuml;gen des
+ weltverlassenden Buddha.</p>
+ <p>Und Ananda faltete seine H&auml;nde und sagte, inniglich ergriffen:</p>
+ <p>"Wie wunderbar ist doch dies, o Herr! Wahrlich, ich glaube, in dieser ganzen
+ Versammlung ist auch nicht einer, in dem sich ein Zweifel regt."</p>
+ <p>Und der Erhabene antwortete ihm:</p>
+ <p>"Aus der F&uuml;lle deines Glaubens, Ananda, hast du gesprochen. Ich aber
+ wei&szlig;, da&szlig; in keinem sich ein Zweifel regt. Selbst wer am weitesten
+ zur&uuml;ck war, ist erleuchtet worden und wird schlie&szlig;lich das Ziel
+ erreichen."</p>
+ <p>Bei dieser Verhei&szlig;ung war es wohl jedem von uns, als ob eine starke Hand ihm
+ die Pforte der Ewigkeit auftue.</p>
+ <p>Noch einmal &ouml;ffneten sich die Lippen, die der Welt die h&ouml;chste und
+ letzte Wahrheit verk&uuml;ndet hatten:</p>
+ <p>"Wohlan, ihr J&uuml;nger, wahrlich, ich sage euch: verg&auml;nglich ist jegliche
+ Gestaltung. Ringet ohne Unterla&szlig;!"</p>
+ <p>Das waren die letzten Worte des Erhabenen.</p>
+ <h2><a id="chap_xliv" name="chap_xliv">XLIV. VASITTHIS VERM&Auml;CHTNIS</a></h2>
+ <p><img src="images/xliv.png" width="93" height="93" align="left" alt="U" />nd es
+ waren die letzten, die ich auf Erden vernahm.</p>
+ <p>Meine Lebenskraft war ersch&ouml;pft, das Fieber umnebelte meine Sinne. Wie
+ fl&uuml;chtige Traumbilder sah ich noch Gestalten um mich her--Medinis Gesicht war
+ oft dem meinigen nahe. Dann wurde Alles dunkel. Pl&ouml;tzlich aber war es mir, als
+ ob ein k&uuml;hles Bad meinen Fieberbrand l&ouml;sche. Nein, ich f&uuml;hlte mich,
+ wie ein Wanderer, in der Sonnenglut an einem Teiche stehend, sich wohl vorstellen
+ mag, da&szlig; die Lotuspflanze sich f&uuml;hlen mu&szlig;, die, g&auml;nzlich in
+ quellenk&uuml;hles Na&szlig; getaucht, ihre Labung mit allen Fasern einsaugt.
+ Gleichzeitig hellte es sich nach oben auf, und ich sah dort &uuml;ber mir eine
+ gro&szlig;e schwimmende, rote Lotusrose; und &uuml;ber ihren Rand neigte sich dein
+ liebes Gesicht hervor. Da stieg ich von selber aufw&auml;rts und ich erwachte neben
+ dir, im Paradiese des Westens!"</p>
+ <p>"Und gepriesen seist du," sagte Kamanita, "da&szlig; du, von deiner Liebe gelenkt,
+ jenen Weg nahmst. Wo w&auml;re ich wohl jetzt, wenn du dich mir dort nicht zugesellt
+ h&auml;ttest? Zwar wei&szlig; ich nicht, wohin wir uns aus den Tr&uuml;mmern dieses
+ schrecklichen Weltunterganges retten k&ouml;nnen--doch du fl&ouml;&szlig;est mir
+ Zuversicht ein, denn du scheinst von diesen Schrecknissen so unersch&uuml;ttert zu
+ sein, wie der Sonnenstrahl vom Sturm."</p>
+ <p>"Wer das Gr&ouml;&szlig;te gesehen hat, mein Freund, den bewegt das Geringere
+ nicht. Geringf&uuml;gig aber ist ja dies, da&szlig; Tausende und Abertausende von
+ Welten vergehen, im Vergleich damit, da&szlig; ein vollendeter Buddha in das Nirvana
+ eingeht. Denn alles dies, was wir rings um uns sehen, ist nur eine Ver&auml;nderung,
+ und alle diese Wesen werden wieder ins Dasein treten. Jener hunderttausendfache
+ Brahma, der sich zorngl&uuml;hend gegen das Unab&auml;nderliche str&auml;ubt und wohl
+ gar <i>uns</i> neidisch ansieht, weil wir noch ruhig leuchten: der wird auf irgend
+ einer niedrigeren Stufe wieder erscheinen, w&auml;hrend vielleicht ein hochstrebender
+ Menschengeist als der Brahma entsteht; jedes Wesen aber wird sich dort befinden, wo
+ sein innerster Herzenswille und seine Geisteskraft es hinf&uuml;hrt. Im ganzen jedoch
+ wird Alles sein wie es war, weder besser noch schlimmer; weil es eben gleichsam aus
+ demselben Stoff gemacht ist. Deshalb nenne ich dies geringf&uuml;gig. Und deshalb ist
+ es nicht nur keineswegs schrecklich, sondern sogar erfreulich, diesen Weltuntergang
+ zu erleben. Denn w&auml;re diese Brahmawelt ewig, dann g&auml;be es ja nichts
+ H&ouml;heres."</p>
+ <p>"So wei&szlig;t du denn ein H&ouml;heres als diese Brahmawelt?"</p>
+ <p>"Diese Brahmawelt ist, wie du siehst, verg&auml;nglich. Aber es gibt ein
+ Unverg&auml;ngliches, ein Ungewordenes. 'Es gibt,' sagt der Herr, 'eine St&auml;tte,
+ wo nicht Erde noch Wasser ist, nicht Licht noch Luft, weder Raumunendlichkeit noch
+ Bewu&szlig;tseinsunendlichkeit, weder Vorstellung noch Nichtvorstellung. Das
+ hei&szlig;e ich, ihr J&uuml;nger, weder Kommen noch Gehen, weder Sterben noch Geburt;
+ das ist des Leidens Ende, die St&auml;tte der Ruhe, das Land des Friedens, das
+ unsichtbare Nirvana.'"</p>
+ <p>"Hilf mir, du Heilige, da&szlig; wir dort, im Lande des Friedens,
+ auferstehen!"</p>
+ <p>"'Auferstehen'--hat der Herr gesagt--"das trifft dort nicht zu; Nichtauferstehen,
+ das trifft dort nicht zu. Womit du bezeichnend irgend etwas greifbar machen und
+ erfassen kannst--das trifft dort nicht zu.'"</p>
+ <p>"Was soll mir aber das Ungreifbare?"</p>
+ <p>"Lieber frage: was greifbar ist, ist das noch wert, die Hand danach
+ auszustrecken?"</p>
+ <p>"Ach, Vasitthi, wahrlich, ich glaube, einst mu&szlig; ich einen Brahmanenmord oder
+ ein &auml;hnliches Verbrechen begangen haben, das mich mit seiner Vergeltung so
+ grausam in dem G&auml;&szlig;chen Rajagahas traf. Denn w&auml;re ich dort nicht
+ j&auml;h ums Leben gekommen, so h&auml;tte ich dem Erhabenen zu F&uuml;&szlig;en
+ gesessen, ja gewi&szlig; w&auml;re ich auch wie du bei seinem Nirvana zugegen
+ gewesen. Und ich w&uuml;rde sein wie du bist.--Aber wohlan, Vasitthi--w&auml;hrend
+ uns noch Gedanken und Vorstellungen geh&ouml;ren, tue mir dies zu Liebe. Beschreibe
+ mir den Vollendeten genau, auf da&szlig; ich ihn im Geiste sehe und somit das
+ erreiche, was mir auf Erden nicht verg&ouml;nnt war: gewi&szlig; wird das mir den
+ Frieden geben."</p>
+ <p>"Gern, mein Freund," antwortete Vasitthi. Und sie schilderte ihm die Erscheinung
+ des Vollendeten, Zug um Zug, auch nicht das Geringste vergessend.</p>
+ <p>Aber mi&szlig;mutig sagte Kamanita:</p>
+ <p>"Ach, was helfen Beschreibungen! Was du da sagst, das k&ouml;nnte alles ebensogut
+ auf jenen alten Asketen passen, von dem ich dir erz&auml;hlt habe, da&szlig; ich mit
+ ihm zusammen zu Rajagaha in der Halle eines Hafners die Nacht zubrachte, und der wohl
+ nicht ganz so t&ouml;richt war, wie ich geglaubt habe, denn er hat doch, wie ich
+ jetzt merke, manches Richtige gesagt. Wohlan, Vasitthi, sage mir nichts mehr, sondern
+ stelle dir im Geiste den Vollendeten vor, bis du ihn siehst, wie du ihn zuletzt von
+ Angesicht zu Angesicht gesehen hast; und infolge unserer geistigen Gemeinschaft werde
+ ich dann vielleicht an dieser Vision teilnehmen."</p>
+ <p>"Gern, mein Freund."</p>
+ <p>Und Vasitthi stellte sich den Vollendeten vor, wie er im Begriff war, in das
+ Nirvana einzugehen.</p>
+ <p>"Siehst du ihn, mein Lieber?"</p>
+ <p>"Noch nicht, Vasitthi."</p>
+ <p>"Ich mu&szlig; dies Phantasiebild versinnlichen," dachte Vasitthi.</p>
+ <p>Und sie sah sich im unerme&szlig;lichen Raume um, wo die Brahmawelt im
+ Erl&ouml;schen begriffen war.</p>
+ <p>Gleichwie etwa ein gro&szlig;er Erzgie&szlig;er, wenn er die Form eines herrlichen
+ G&ouml;tterbildes fertiggestellt hat, und es ihm an Erz gebricht um diese Form zu
+ f&uuml;llen, sich nun in seiner Werkstatt umsieht; und was da alles umhersteht an
+ kleinen G&ouml;tterbildern, Figuren, Vasen und Gef&auml;&szlig;en, sein ganzes
+ Eigentum, das Werk seines Lebens,--das wirft er alles gern und willig in den
+ Schmelzofen, um dies eine herrliche G&ouml;tterbild vollkommen gie&szlig;en zu
+ k&ouml;nnen:</p>
+ <p>also sah Vasitthi sich im unerme&szlig;lichen R&auml;ume um:</p>
+ <p>und was da alles noch von erblassendem Licht und zerflie&szlig;enden Formen dieser
+ Brahmawelt &uuml;brig war, das zog sie durch ihre Geisteskraft an sich, den ganzen
+ Raum entv&ouml;lkernd, und bannte diese ganze Masse von Astralstoff in die Formen
+ ihrer Phantasie und schuf so im R&auml;ume ein kolossales leuchtendes Bild des
+ Vollendeten, wie er im Begriff war, in das Nirvana einzugehen.</p>
+ <p>Und wie sie dies Bild sich gegen&uuml;ber erblickte, erhob sich in ihr keine
+ Neigung, keine Wehmut.</p>
+ <p>Denn selbst der gro&szlig;e Heilige Upagupta, als er durch die Zauberkunst Maras,
+ des B&ouml;sen, die Gestalt des l&auml;ngst gestorbenen Buddha zu sehen bekam, da
+ erhob sich in ihm Neigung, so da&szlig; er sich vor der Trugerscheinung anbetend
+ niederwarf und von Wehmut &uuml;bermannt klagte: "Wehe &uuml;ber diese erbarmungslose
+ Unbest&auml;ndigkeit, da&szlig; sie auch so herrliche Gestalten aufl&ouml;st! Denn
+ der so herrliche K&ouml;rper des gro&szlig;en Heiligen unterlag der
+ Verg&auml;nglichkeit und ist der Vernichtung anheimgefallen."</p>
+ <p>Nicht aber so Vasitthi.</p>
+ <p>Unbewegt, gesammelten Geistes betrachtete sie die Erscheinung, wie ein
+ K&uuml;nstler sein Werk, nur darauf bedacht, dieselbe Kamanita mitzuteilen.</p>
+ <p>"Jetzt fange ich an, eine Gestalt zu sehen," sagte dieser. "O halte sie fest,
+ la&szlig; sie noch deutlicher aufleuchten!"</p>
+ <p>Da blickte Vasitthi sich wieder im Raume um.</p>
+ <p>In seiner Mitte war noch der rotgl&uuml;hende, zornesblitzende Glanz des
+ hunderttausendfachen Brahma geblieben.</p>
+ <p>Und Vasitthi ri&szlig; durch ihre Geisteskraft diese h&ouml;chste Gottheit aus
+ ihrer St&auml;tte und bannte sie in die Form der Buddhaerscheinung hinein. Da
+ erleuchtete sich diese und belebte sich, wie Einer, der einen st&auml;rkenden Trank
+ genie&szlig;t.</p>
+ <p>"Jetzt seh' ich sie schon deutlicher," sagte Kamanita.</p>
+ <p>Da schien es Vasitthi, als ob der Buddha zu ihr spr&auml;che:</p>
+ <p>"So bist du denn gekommen, meine Tochter. Bist du mit deinem Spruch zu Ende?"</p>
+ <p>Und wie man seinem Traumbilde antwortet, entgegnete Vasitthi:</p>
+ <p>"Ich bin damit zu Ende, Herr."</p>
+ <p>"Recht so, meine Tochter! Und der lange Weg hat dich nicht gem&uuml;ht? Noch
+ bedarfst du der Hilfe des Vollendeten?"</p>
+ <p>"Nein, o Herr, ich bedarf nicht mehr der Hilfe des Vollendeten."</p>
+ <p>"Recht so, meine Tochter! Bei dir selber hast du Zuflucht genommen, in deinem
+ eigenen Selbst ruhest du, Vasitthi."</p>
+ <p>"Mein Selbst habe ich kennen gelernt, o Herr. Wie man die Blattscheiden eines
+ Pisangstammes aufrollt und findet darin kein Kernholz, aus dem eine feste St&uuml;tze
+ zu zimmern w&auml;re; also habe ich da mein Selbst kennen gelernt: ein Haufen
+ wechselnder Gestaltungen, in denen nichts Ewiges ist, worin man ruhen k&ouml;nnte.
+ Und ich gebe dies mein Selbst auf: 'das bin ich nicht, das geh&ouml;rt mir
+ nicht'--also urteile ich dar&uuml;ber."</p>
+ <p>"Recht so, meine Tochter! Nur an der Lehre h&auml;ltst du dich noch fest."</p>
+ <p>"Die Lehre, o Herr, hat mich zum Ziel gebracht. Wie einer, der mittelst eines
+ Flosses einen Strom durchquert hat, wenn er das jenseitige Ufer betritt, das
+ Flo&szlig; nicht festh&auml;lt, nicht mit sich schleppt: also halte ich mich nicht
+ mehr an der Lehre fest, lasse die Lehre fahren."</p>
+ <p>"Recht so, meine Tochter! Solcherweise nirgend anh&auml;nglich haftend, wirst du
+ bei mir am Orte des Friedens auferstehen."</p>
+ <p>"'Auferstehen,' hast du gesagt, o Herr, 'das trifft nicht zu. Nichtauferstehen,
+ das trifft nicht zu.' Und auch diese Lehre, da&szlig; weder Auferstehen noch
+ Nichtauferstehen zutrifft--auch die trifft nicht mehr zu. Nichts trifft mehr zu,
+ <i>und am wenigsten trifft das Nichts zu</i>. Also hab' ich es jetzt verstanden."</p>
+ <p>Da l&auml;chelte die Buddhaerscheinung ein leuchtendes L&auml;cheln.</p>
+ <p>"Jetzt werde ich auch die Z&uuml;ge gewahr," sagte Kamanita. "Wie ein Spiegelbild
+ in flie&szlig;endem Wasser erkenne ich sie undeutlich. O, halte sie fest,
+ st&auml;tige sie, Vasitthi!"</p>
+ <p>Vasitthi sah sich im Raume um.</p>
+ <p>Der Raum war leer.</p>
+ <p>Da warf Vasitthi ihre eigene K&ouml;rperlichkeit in die Astralmasse der
+ Erscheinung hinein.</p>
+ <p>Kamanita merkte, wie Vasitthi entschwand. Wie aber ein Sterbender ein
+ Verm&auml;chtnis hinterl&auml;&szlig;t, so hatte Vasitthi ihm jetzt das Buddhabild
+ vermacht, das mit ihm allein im R&auml;ume zur&uuml;ckblieb, und das er jetzt
+ deutlich erkannte.</p>
+ <p>"Jener alte Asket, mit dem ich in Rajagaha &uuml;bernachtete und den ich
+ t&ouml;richt schalt, das war ja der Vollendete! O &uuml;ber mich Toren! Gab es je
+ einen gr&ouml;&szlig;eren Toren als mich? Was ich als das h&ouml;chste Heil, als die
+ Erl&ouml;sung selber ersehnte, das hab' ich ja schon seit Milliarden von Jahren
+ besessen!"</p>
+ <p>Da n&auml;herte sich ihm die Erscheinung wie eine heranziehende Wolke und
+ h&uuml;llte ihn in einen gl&auml;nzenden Nebel ein.</p>
+ <h2><a id="chap_xlv" name="chap_xlv">XLV. WELTENNACHT UND WELTENGRAUEN</a></h2>
+ <p><img src="images/xlv.png" width="93" height="93" align="left" alt="W" />ie in
+ einer Festhalle, wenn alle Fackeln und Lampen ausgel&ouml;scht sind, in einer Ecke
+ vor einem heiligen Bilde ein L&auml;mpchen noch brennen bleibt: also blieb Kamanita
+ in der Weltennacht allein zur&uuml;ck.</p>
+ <p>Denn wie seine Leiblichkeit in den Astralstoff jener Buddhaerscheinung
+ geh&uuml;llt war, so war seine Seele ganz und gar vom Buddhagedanken umh&uuml;llt:
+ und das war das &Ouml;l, welches die Flamme dieses L&auml;mpchens speiste.</p>
+ <p>Das ganze Gespr&auml;ch, das er in der Vorhalle des Hafners zu Rajagaha mit dem
+ Erhabenen gehabt hatte, stieg Satz f&uuml;r Satz, Wort f&uuml;r Wort in seiner
+ Erinnerung auf. Nachdem er es aber ganz durchgegangen war, hub er wieder von vorne
+ an. Und jeder Satz war ihm da wie eine Pforte, von der aus sich neue Gedankenwege
+ er&ouml;ffneten, die wiederum zu anderen f&uuml;hrten. Und er wanderte sie alle,
+ bed&auml;chtigen Schrittes, und nichts war da, was ihm dunkel blieb.</p>
+ <p>Und w&auml;hrend sein Geist da solcherma&szlig;en den Buddhagedanken in sich
+ hineinspann und verarbeitete, sog seine K&ouml;rperlichkeit immer mehr von dem sie
+ umgebenden Astralnebel in sich, so da&szlig; dieser endlich durchsichtig wurde. Und
+ die Finsternis der Weltennacht fing an sich als ein zartes Blau zu zeigen, das immer
+ dunkler ward.</p>
+ <p>Da dachte Kamanita:</p>
+ <p>"Drau&szlig;en herrscht nun die ungeheure Finsternis der Weltennacht. Einst aber
+ wird die Zeit kommen, da der Tag graut und eine neue Brahmawelt ins Dasein tritt.
+ Wenn mein Sinnen und Trachten nun darauf gerichtet w&auml;re, der hunderttausendfache
+ Brahma zu sein, der diese Welt ins Leben rufen wird, so sehe ich nicht, wer mir da
+ den Rang ablaufen k&ouml;nnte. Denn w&auml;hrend alle Wesen jener Brahmawelt in
+ Ohnmacht und Nichtsein versunken sind, bin ich hier wach und geistesm&auml;chtig zur
+ Stelle. Ja, ich k&ouml;nnte, wenn ich wollte, in diesem Augenblick jene Wesen alle
+ ins Dasein rufen, jedes an seine Stelle, und den neuen Weltentag beginnen. Eins aber
+ k&ouml;nnte ich nicht: Vasitthi k&ouml;nnte ich nimmer wieder ins Dasein rufen.
+ Vasitthi ist davongegangen in jenem Entschwinden, das keine Daseinskeime
+ zur&uuml;ckl&auml;&szlig;t; kein Gott und kein Brahma kann sie finden. Was aber soll
+ mir ein Leben ohne Vasitthi, die im Leben das Sch&ouml;nste und Beste war? Und was
+ soll mir ein Brahmasein, &uuml;ber welches man hinausgehen kann? Was soll mir die
+ Zeitlichkeit, wenn es eine Ewigkeit gibt?</p>
+ <p>"Es gibt eine Ewigkeit und einen Weg in die Ewigkeit. Einst hat mich ein alter
+ Waldbrahmane gelehrt, da&szlig; um das Herz hundert feine Adern gesponnen sind, durch
+ welche die Seele in dem ganzen K&ouml;rper umherschweifen kann; eine einzige Ader
+ aber g&auml;be es, die zum Scheitel f&uuml;hre, und durch diese verlasse die Seele
+ den K&ouml;rper. So gibt es auch hundert, ja tausend und hunderttausend Wege, die in
+ dieser Welt umherf&uuml;hren, durch mannigfache Leidensst&auml;tten, langwierige und
+ kurzwierige, sch&ouml;n ausgestattete und h&auml;&szlig;lich ausgestattete: Himmel
+ und Menschenwelt und Tierreiche und H&ouml;llen. Aber einen einzigen Weg gibt es, der
+ aus dieser Welt g&auml;nzlich hinausf&uuml;hrt. Das ist der Weg in die Ewigkeit, der
+ Weg ins Unbetretene. Auf diesem Wege befinde ich mich jetzt. Wohlan, ich will ihn zu
+ Ende gehen."</p>
+ <p>Und er dachte den Buddhagedanken von dem zur Leidensvernichtung f&uuml;hrenden
+ Wege immer weiter.</p>
+ <p>Und immer dunkler wurde das Blau der durchscheinenden Weltennacht.</p>
+ <p>Wie dasselbe aber anfing fast schwarz zu werden, leuchtete der neue Brahma auf,
+ ein hunderttausendfacher Brahma, der hunderttausend Welten erleuchtet und
+ erh&auml;lt.</p>
+ <p>Und der Brahma lie&szlig; den frohen Weckruf ergehen:</p>
+ <p>"Wachet auf, ihr Wesen alle, die ihr diese ganze Weltennacht hindurch im
+ Scho&szlig;e des Nichtseins ruhtet! Hierher, die neue Brahmawelt zu bilden, den neuen
+ Weltentag zu genie&szlig;en, jeder an seiner St&auml;tte, jeder nach seiner
+ Kraft!"</p>
+ <p>Und die Wesen und Welten tauchten aus dem Nichtsein der Finsternis hervor, Stern
+ an Stern, und wie Jauchzen von hunderttausend Stimmen und Schall von hunderttausend
+ Pauken und Muschelh&ouml;rnern erklang es:</p>
+ <p>"Heil dem hunderttausendfachen Brahma, der uns zum neuen Weltentage ruft! Heil
+ uns, die wir berufen sind, den Weltentag mit ihm zu genie&szlig;en, seinen
+ g&ouml;ttlichen Glanz selig widerzuspiegeln!"</p>
+ <p>Als Kamanita dies sah und vernahm, wurde er von tiefem Mitleid ergriffen.</p>
+ <p>"Diese Wesen und Welten, diese Sterneng&ouml;tter und der hunderttausendfache
+ Brahma selber jauchzen dem Weltentage entgegen, erfreuen sich des Lebens. Und warum?
+ Weil sie es nicht kennen."</p>
+ <p>Durch dies sein Mitleid mit der Welt, mit den G&ouml;ttern und mit dem
+ h&ouml;chsten Gott &uuml;berwand Kamanita den letzten Rest von Eigenliebe.</p>
+ <p>Aber er erwog nun:</p>
+ <p>"Auch w&auml;hrend dieses Weltentages werden ja vollendete Buddhas erscheinen,
+ welche die Wahrheit verk&uuml;nden. Wenn nun diese Gottheiten die Heilswahrheit
+ vernehmen und sich erinnern, da&szlig; sie im ersten Grauen des Weltentages ein Wesen
+ gesehen haben, das aus der Welt hinausging, dann wird ihnen diese Erinnerung zum
+ Vorteil gedeihen. 'Schon einer aus unserer Mitte, gleichsam ein Teil von uns, ist auf
+ jenem Weg vorausgegangen,' werden sie sich sagen und das wird ihnen zum Heil
+ gereichen. Also helfe ich Allen, indem ich mir selber helfe. Denn niemand kann in
+ Wahrheit sich selber helfen, ohne Allen zu helfen."</p>
+ <p>Da bemerkten nun bald einige, dann immer mehrere der Sterneng&ouml;tter, da&szlig;
+ Einer da war, der nicht wie die anderen klarer und klarer leuchtete, sondern vielmehr
+ an Glanz abnahm.</p>
+ <p>Und sie riefen ihm zu:</p>
+ <p>"Heda, Bruder! Blicke doch auf den gro&szlig;en, den hunderttausendfachen Brahma,
+ auf da&szlig; dein Glanz sich erfrische, auf da&szlig; du aufleuchten m&ouml;gest wie
+ wir! Auch du, Bruder, bist ja berufen, den Glanz des h&ouml;chsten Gottes selig
+ widerzuspiegeln."</p>
+ <p>Als die G&ouml;tter ihn so anriefen, blickte Kamanita weder hin, noch h&ouml;rte
+ er hin.</p>
+ <p>Und die G&ouml;tter, die ihn noch tr&uuml;ber werden sahen, wurden um ihn gar sehr
+ besorgt. Und sie wandten sich an Brahma:</p>
+ <p>"Gro&szlig;er Brahma! Erleuchter und Erhalter! O siehe doch dies arme Wesen, das
+ zu schwach ist, um mitzufolgen, dessen Glanz abnimmt, anstatt zuzunehmen! O, richte
+ doch deine Aufmerksamkeit auf ihn, erleuchte ihn, erfrische ihn! Auch ihn hast du ja
+ gerufen, damit er deinen g&ouml;ttlichen Glanz selig widerspiegele."</p>
+ <p>Und der gro&szlig;e Brahma, voll F&uuml;rsorge f&uuml;r die Wesen, richtete seine
+ Aufmerksamkeit auf Kamanita, um ihn zu erfrischen und zu st&auml;rken.</p>
+ <p>Aber der Glanz Kamanitas nahm trotzdem zusehends ab.</p>
+ <p>Da verdro&szlig; es nun den gro&szlig;en Brahma mehr, da&szlig; dies eine Wesen
+ sich von ihm nicht erhellen lie&szlig; und seinen Glanz nicht widerspiegelte, als es
+ ihn erfreute, da&szlig; hunderttausend Welten sich in seinem Lichte sonnten und ihn
+ jauchzend priesen.</p>
+ <p>Und er zog einen gro&szlig;en Teil seiner g&ouml;ttlichen Leuchtkraft von den
+ Welten zur&uuml;ck--Leuchtkraft genug, um tausend Welten zu entz&uuml;nden--und
+ richtete sie auf Kamanita.</p>
+ <p>Aber der Glanz Kamanitas nahm immer noch ab, als ob er dem v&ouml;lligen
+ Erl&ouml;schen entgegenginge.</p>
+ <p>Nun geriet Brahma in gro&szlig;e Angst, in gro&szlig;e Besorgnis:</p>
+ <p>"Dieser eine entzieht sich meiner Macht--so bin ich denn nicht allm&auml;chtig?
+ Nicht kenn' ich den Weg, den er geht--so bin ich denn nicht allwissend? Denn nicht
+ erlischt jener, wie die Wesen im Tode erl&ouml;schen, um je nach den Werken
+ wiedergeboren zu werden; nicht, wie die Welten in der Brahmanacht erl&ouml;schen, um
+ sich wieder zu entz&uuml;nden. Welches Licht leuchtet denn ihm, da&szlig; er das
+ meine verschm&auml;ht? So gibt es also ein Licht, leuchtender als das meine? So gibt
+ es also einen Weg, dem meinen entgegengesetzt--einen Weg ins Unbetretene? Werde ich
+ wohl selber jemals diesen Weg einschlagen--den Weg ins Unbetretene?"</p>
+ <p>Und auch die Sterneng&ouml;tter alle gerieten in gro&szlig;e Angst, in gro&szlig;e
+ Besorgnis:</p>
+ <p>"Dieser eine entzieht sich der Macht des gro&szlig;en Brahma--so ist denn der
+ gro&szlig;e Brahma nicht allm&auml;chtig? Welches Licht leuchtet wohl ihm, da&szlig;
+ er dasjenige des gro&szlig;en Brahma verschm&auml;ht? So gibt es denn ein Licht,
+ herrlicher als das g&ouml;ttliche, das wir selig widerspiegeln? So gibt es also einen
+ Weg, dem unseren entgegengesetzt--einen Weg ins Unbetretene? Werden wir wohl jemals
+ diesen Weg einschlagen--den Weg ins Unbetretene?"</p>
+ <p>Da erwog nun der hunderttausendfache Brahma:</p>
+ <p>"Wohlan, ich werde meine Leuchtkraft, die jetzt in dem Raume verbreitet ist,
+ wieder zur&uuml;ckziehen und werde alle diese Welten wiederum in das Dunkel der
+ Brahmanacht versenken. Und in einen einzigen Strahl gesammelt werde ich mein Licht
+ auf jenes Wesen richten, um es f&uuml;r diese meine Brahmawelt noch zu retten."</p>
+ <p>Und der hunderttausendfache Brahma zog nun seine in dem Raume verbreitete
+ Leuchtkraft an sich zur&uuml;ck, so da&szlig; alle die Welten wieder in das Dunkel
+ der Brahmanacht versanken. Und indem er sein Licht in einen einzigen Strahl sammelte,
+ richtete er diesen auf Kamanita.</p>
+ <p>"Nun mu&szlig; an dieser Stelle der strahlendste Stern meiner ganzen Brahmawelt
+ leuchten!" dachte er.</p>
+ <p>Da zog der hunderttausendfache Brahma diesen einzigen Strahl, mit Leuchtkraft
+ genug um hunderttausend Welten zu entz&uuml;nden, an sich zur&uuml;ck und verbreitete
+ dann wieder sein Licht durch den ganzen Raum.</p>
+ <p>An der Stelle aber, wo er hoffte, den strahlendsten Stern leuchten zu sehen, war
+ nur noch ein verglimmendes F&uuml;nkchen zu entdecken.</p>
+ <p>Und w&auml;hrend im unerme&szlig;lichen Raume Welten an Welten aufleuchtend und
+ aufjauchzend zum neuen Brahmatage sich hervordr&auml;ngten, erlosch der Pilger
+ Kamanita g&auml;nzlich, wie eine Lampe erlischt, wenn sie den letzten in ihren Docht
+ aufgesogenen &Ouml;ltropfen verzehrt hat.</p>
+ Ende <br />
+ <hr />
+ <h2><a id="chap_note" name="chap_note">NOTE</a></h2>
+ <p>Mit Ausnahme der Begegnung des Buddha und des Pilgers in der Vorhalle des Hafners
+ (<i>Majjhimanikayo</i> Nr. 140, wo aber der Pilger den Buddha versteht und erkennt)
+ und der Bekehrung Angulimalas<a href="#fu10">[1]</a> sind die in diesem Buche
+ erz&auml;hlten Begebenheiten von mir frei erfunden--was ich deshalb bemerke, weil
+ einige Leser des Manuskriptes glaubten, ich h&auml;tte irgend eine indische Sage
+ bearbeitet. Nur die Schilderung des Ballspieles habe ich aus <i>Dandins</i>
+ Novellenkranze <i>Da&ccedil;akumaracaritam</i> genommen; auch in der gl&auml;nzenden
+ Einleitung der deutschen &Uuml;bersetzung dieses Werkes--von <i>J.J. Meyer</i>--fand
+ ich manchen guten Wink. Da&szlig; ich zum Ausmalen des Milieus kulturhistorische
+ Werke &auml;lteren und neueren Datums--vor allen die <i>Jatakas</i>--benutzt habe,
+ versteht sich wohl von selber; von modernen Werken sei hier <i>Richard Schmidts</i>
+ "<i>Beitr&auml;ge zur indischen Erotik</i>" als ausgiebige Fundgrube erw&auml;hnt
+ (Lotus-Verlag, Leipzig 1902; in demselben Verlage ist Da&ccedil;akumaracaritam
+ erschienen).</p>
+ <p><a id="fu10" name="fu10"></a></p>
+ <blockquote>
+ [1] <a href="#chap_xxxiv">XXXIV. Kap.</a> Die Einzelheiten der Legende nach Majjh.
+ No. 86. Doch ist das vereitelte Pfeilschie&szlig;en von mir hinzugef&uuml;gt. Das
+ H&ouml;llenbild findet sich auch nicht dort, sondern in No. 50; die daran sich
+ schlie&szlig;ende Stelle vom H&ouml;llenrichter ist aus No. 130 genommen; die dann
+ folgende Skala von den Vielen und den Wenigen geh&ouml;rt einem andern Teile des
+ Kanons an (Anguttara-Nikayo--nach K.E. Neumanns "Buddhistischer Anthologie", p. 104
+ ff.).
+ </blockquote>
+ <br />
+ <br />
+ <p>Die echten Buddhaworte sind durch ihren Stil leicht als solche zu
+ erkennen--wiewohl einige nachgemachte <a href="#p140">(p. 140 bis 144)</a> mit ihnen
+ verwechselt werden k&ouml;nnen. Sie sind meistens dem gro&szlig;artigen
+ &Uuml;bersetzungswerke Dr. <i>Karl E. Neumanns</i> "<i>Die Reden Buddhos</i>"
+ (Majjhimanikayo) entnommen. Aber auch dem epochemachenden und noch immer
+ un&uuml;bertroffenen Werke Prof. <i>Oldenbergs</i> ("Buddha") verdanke ich einige
+ wichtige Stellen.</p>
+ <p>Es braucht kaum bemerkt zu werden, da&szlig; die wenigen Upanishadstellen (p. <a
+ href="#p36">36ff</a>., <a href="#p129">129</a>, <a href="#p141">141</a>) nach Prof.
+ <i>Deussens</i> "Sechzig Upanishads des Veda" zitiert sind. Dem zweiten gro&szlig;en
+ &Uuml;bersetzungswerke dieses trefflichen und unerm&uuml;dlichen Forschers "<i>Die
+ Sutras des Vedanta</i>" verdankt mein <i>zehntes Kapitel</i> seine Entstehung. Wenn
+ dies kuriose St&uuml;ck inhaltlich eine Darstellung des Indischen
+ &Uuml;bermenschentums ist--als des &auml;u&szlig;ersten Gegensatzes zum
+ Buddhismus--so ist es in seiner Form eine peinlich genaue Nachbildung des
+ vedantischen Sutrastils, mit der &auml;nigmatischen K&uuml;rze des Textes, dessen
+ eigentliches Prinzip--wie Deussen richtig erkannt hat--darin besteht, nur Stichworte
+ f&uuml;r das Ged&auml;chtnis, keineswegs aber die f&uuml;r den Sinn wichtigen Worte
+ zu geben; so konnte man ohne Gefahr den Text schriftlich fixieren, da er doch von
+ keinem verstanden wurde, dem der Lehrer nicht auch m&uuml;ndlich den Kommentar
+ mitteilte, der dann gew&ouml;hnlich um so pedantisch umst&auml;ndlicher ausfiel.
+ Allerdings sind diese <i>Kali-Sutras</i>--wie der ganze Vaja&ccedil;avas--eine
+ scherzhafte Fiktion von mir,--aber eine, glaube ich, von der jeder Kenner des alten
+ Indien zugeben wird, da&szlig; sie sich innerhalb der Grenzen des M&ouml;glichen--ja
+ sogar des Wahrscheinlichen--h&auml;lt. Indien ist eben das Land, wo auch der
+ R&auml;uber philosophieren mu&szlig; und es gelegentlich bis zum "wunderlichen
+ Heiligen" treibt, und wo auch der H&ouml;llenw&auml;chter "h&ouml;flich bis zur
+ letzten Galgensprosse" bleibt.</p>
+ <p>Sollte nun einen solchen Kenner die Lust anwandeln, mich wegen einiger
+ Ungenauigkeiten zu schulmeistern, so bitte ich ihn, zu bedenken, da&szlig; der, der
+ den "Pilger Kamanita" schrieb, wohl am besten wei&szlig;, welche Freiheiten er sich
+ genommen hat und warum. So h&auml;tte ich ja leicht anstatt des sp&auml;teren
+ Sukhavati den Himmel der dreiunddrei&szlig;ig G&ouml;tter nehmen k&ouml;nnen und
+ w&auml;re dann korrekt geblieben. Aber was in aller Welt h&auml;tte ich mit
+ dreiunddrei&szlig;ig G&ouml;ttern anstellen sollen, da ich nicht einmal in Sukhavati
+ f&uuml;r den einen Amithaba Verwendung hatte? So lie&szlig; mich denn auch als
+ Dichter die Frage recht kalt, ob das Mahabharatam schon zur Zeit des Buddha
+ existierte, und in welcher Form. Auch gestehe ich gern, da&szlig; ich gar nicht
+ wei&szlig;, ob man von Kusinara aus die Schneegipfel des Himalaya erblicken kann, ja
+ da&szlig; ich dies sogar sehr bezweifle; wiewohl nicht der Entfernung wegen, da
+ Schlagintweit aus noch gr&ouml;&szlig;erer den Gaurisankar von der Ebene aus gesehen
+ hat. Dem sei nun wie es wolle: ich bin der Ansicht, da&szlig; die Forderungen der
+ Poesie denen der Geographie vorangehen.</p>
+ <p>Dagegen w&uuml;rde ich mir nie erlaubt haben, am urspr&uuml;nglichen Buddhismus
+ "poetischer" Zwecke halber auch nur den geringsten Zug zu &auml;ndern; denn da&szlig;
+ ich, wie gesagt, die sp&auml;ter so h&ouml;chst popul&auml;re Vorstellung von
+ Sukhavati hineingezogen habe, wird man mir nicht als eine solche Entstellung
+ anrechnen k&ouml;nnen, da doch der Sache nach identische Vorstellungen im
+ &auml;ltesten Buddhismus lebendig sind. Vielmehr ist es mir ein Herzensbed&uuml;rfnis
+ gewesen, ein echtes Bild buddhistischer Lebens- und Weltanschauung aufzurollen. Wenn
+ Dr. <i>K.E. Neumann</i>, ohne dessen Arbeiten diese Dichtung nicht h&auml;tte
+ entstehen k&ouml;nnen, in seinem Nachwort zum "Wahrheitspfad" vor dreizehn Jahren
+ schrieb: "Die letzten Jahrzehnte, die letzten Jahre haben uns erst Aufschlu&szlig;
+ dar&uuml;ber gegeben, wer der Buddha war und was er gelehrt hat....Die Poesie des
+ Buddhismus, sein Innerstes, ist uns aber noch ein Buch mit f&uuml;nf Siegeln. Eins
+ nach dem andern mu&szlig; gel&ouml;st werden, wollen wir sein Herz verstehen
+ lernen....Nachdem die Gelehrten das Ihrige getan haben, komme nun der Dichter und tue
+ das Seinige: die Pali-Urkunden warten auf ihn. Dann erst wird die Buddhalehre auch
+ bei uns zum Leben erwachen, wird deutsch unter Deutschen bl&uuml;hn"--so hoffe ich,
+ da&szlig; mein gelehrter und verehrter Freund--und vielleicht mancher mit ihm--in
+ diesem Werk den Anfang der Erf&uuml;llung jenes Wunsches begr&uuml;&szlig;en
+ wird.</p>
+ <table border="0" width="100%" summary="Dresden, September 1906">
+ <tr>
+ <td align="left">Dresden, September 1906</td>
+ <td align="right"><i>Karl Gjellerup</i></td>
+ </tr>
+ </table>
+
+<p>&nbsp;</p>
+<hr />
+<p>***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER PILGER KAMANITA***</p>
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+works. See paragraph 1.E below.
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+of the directory path. The path is based on the etext number (which is
+identical to the filename). The path to the file is made up of single
+digits corresponding to all but the last digit in the filename. For
+example an eBook of filename 10234 would be found at:
+
+https://www.gutenberg.org/dirs/1/0/2/3/10234
+
+or filename 24689 would be found at:
+https://www.gutenberg.org/dirs/2/4/6/8/24689
+
+An alternative method of locating eBooks:
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+*** END: FULL LICENSE ***
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+This eBook, including all associated images, markup, improvements,
+metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be
+in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES.
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+Procedures for determining public domain status are described in
+the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org.
+
+No investigation has been made concerning possible copyrights in
+jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize
+this eBook outside of the United States should confirm copyright
+status under the laws that apply to them.
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+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
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