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| author | Roger Frank <rfrank@pglaf.org> | 2025-10-15 04:45:43 -0700 |
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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + + + + +Title: Der Pilger Kamanita + +Author: Karl Adolph Gjellerup + +Release Date: February 7, 2005 [eBook #14962] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + + +***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER PILGER KAMANITA*** + + +E-text prepared by Inka Weide and the Project Gutenberg Online Distributed +Proofreading Team + + + +DER PILGER KAMANITA + +Ein Legendenroman + +von + +KARL GJELLERUP + + + + + + + +[Illustration] + + +I. DER ERHABENE BEGRÜSST DIE STADT DER FÜNF HÜGEL + + +Einst wanderte der Buddha im Lande Magadha von Ort zu Ort und kam nach +Rajagaha. Der Tag ging schon zur Neige, als der Erhabene sich der Stadt +der fünf Hügel näherte. Gleich dem Abglanz einer segnenden Götterhand +breiteten sich die milden Strahlen der Sonne über die weite, mit grünen +Reisfeldern und Wiesen bedeckte Ebene. Hier und dort zeigten kleine an +der Erde hinkriechende Wölkchen, wie aus reinstem Goldstaube, daß +Menschen und Ochsen von der Feldarbeit heimkehrten; und die +langgestreckten Schatten der Baumgruppen waren wie von einer +regenbogenfarbigen Glorie umgeben. Aus dem Kranze der blühenden Gärten +glänzten die Torzinnen, Terrassen, Kuppeln und Türme der Hauptstadt +hervor, und in unvergleichlichem Farbenschmelz, als wären sie aus +Topasen, Amethysten und Opalen gebildet, lag die Reihe der Felsenhügel +da. + +Von diesem Anblick ergriffen, blieb der Erhabene stehen. Mit Freuden +begrüsste er jene vertrauten Formen, die so manche Erinnerungen für ihn +bargen: das graue Horn, das breite Joch, den Seherfelsen und den +Geierkulm, "dessen schöner Gipfel die andern wie ein Dach +überragt";--vor allen aber Vibhara, den Berg der heissen Quellen, der +mit seiner Höhle des Sattapannibaumes dem Heimatlosen eine erste Heimat +bereitet hatte--die erste Rast auf dem letzten Wege vom Sansara ins +Nirvana. + +Denn als er damals "noch in frischer Blüte, mit glänzendem, dunklem +Haar, im Genusse glücklicher Jugend, im ersten Mannesalter, gegen den +Wunsch seiner weinenden und klagenden Eltern" das fürstliche Vaterhaus +im nördlichen Lande der Sakyer verlassen und seine Schritte nach dem +Gangatal gerichtet hatte, da gönnte er sich erst dort einen längeren +Aufenthalt, indem er jeden Morgen um Almosenspeise nach Rajagaha ging. +In jener Höhle hatte ihn auch damals der König von Magadha, Bimbisara, +besucht und ihn vergebens beschworen, ins Elternhaus und ins Weltleben +zurückzukehren, bis der Fürst, durch die Worte des jungen Asketen +umgestimmt, das erste Vertrauen fasste, das ihn später zum Anhänger des +Buddha machte. + +Lange Zeit war seitdem verflossen--ein halbes Jahrhundert, in dem er +nicht nur seinen eigenen Lebenslauf, sondern den Lauf der Welt gewendet +hatte. Welcher Unterschied zwischen damals, als er drüben in der Höhle +des Sattapannibaumes weilte, und jetzt! Damals war er noch ein +Suchender, ein nach der Erlösung Ringender: schreckliche Seelenkämpfe +standen ihm noch bevor, jahrelange, ebenso furchtbare wie fruchtlose +Kasteiungen, bei deren Schilderungen selbst dem Beherztesten seiner +Zuhörer sich die Haare vor Entsetzen sträubten;--bis er dann endlich, +nach völliger Überwindung solcher Schmerzensaskese, durch inbrünstige +Selbstvertiefung die Erleuchtung errang und zum Heil der Wesen als ein +allerhöchster, vollendeter Buddha aus dem Kampfe hervorging. + +Damals ähnelte sein Leben einem unstäten Vormittag in der Regenzeit, wo +blendender Sonnenschein und tiefe Schatten wechseln, während der Monsun +die Wolken immer höher aufeinander türmt, und das tödlich drohende +Gewitter immer näher grollt. Jetzt aber war es von demselben +abendlichen, heiteren Frieden erfüllt, der über dieser Landschaft ruhte, +und der immer tiefer und verklärter zu werden schien, je mehr der +Sonnenball sich dem Horizonte näherte. Auch die Sonne seines Lebenstages +neigte sich ja dem Untergange zu. Sein Werk war vollbracht. Das Reich +der Wahrheit war fest begründet, die Heilslehre der Menschheit +verkündet; viele wandel- und wissensbewährte Mönche und Nonnen und +Laien-Anhänger beiderlei Geschlechts waren fähig, dieses Reich zu +schützen, diese Lehre aufrechtzuerhalten und weiterzuverbreiten. Und +schon stand nach den Erwägungen dieses Tages, den er mit einsamer +Wanderung zugebracht hatte, die Erkenntnis in seinem Herzen fest: gar +bald wird es für mich Zeit sein, auf immer diese Welt zu verlassen, aus +der ich mich selber und alle, die mir folgen, erlöst habe, und in die +Ruhe Nirvanas einzugehen.-- + +Und die Gegend mit wehmütigem Gefallen überblickend, sprach der Erhabene +bei sich selber: + +"Lieblich fürwahr ist Rajagaha, die Stadt der fünf Hügel, reizend sind +ihre Umgebungen! Reich gesegnet sind die Felder, herzerfreuend die +baumbeschatteten, wasserblinkenden Auen, überaus anmutig die buschigen +Felsenhügel.--Zum letzten Male sehe ich ja jetzt von diesem schönsten +Punkte aus diese liebliche Gegend. Nur einmal noch, wenn ich weiterziehe +und mich auf jenem Joche umwende, werde ich von drüben das liebliche Tal +Rajagahas erblicken und dann nimmermehr." + +In der Stadt ragten nur noch zwei Bauwerke goldig in das Sonnenlicht +empor: der höchste Turm des Königspalastes, von wo aus Bimbisara ihn +zuerst erspäht hatte, als er, ein junger unbekannter Asket, seine Straße +zog und durch seinen hohen Anstand die Aufmerksamkeit des Magadhakönigs +auf sich lenkte;--und der Kuppelaufsatz des Indratempels, in welchem +damals, bevor sein Wort die Menschen von blutigem Aberglauben erlöst +hatte, Tausende und Abertausende von unschuldigen Tieren jährlich dem +Gott zu Ehren hingeschlachtet wurden. Nun tauchten auch die Turmzinnen +erlöschend in das steigende Schattenmeer unter, und nur jener Kegel von +goldenen, übereinandergespannten Sonnenschirmen,[1] der den Tempeldom +krönte, glühte noch, gleichsam frei in der Luft schwebend, als ein +Wahrzeichen der "Königsstadt"[2];--immer röter sprühte und funkelte er +auf dem dunkelblauen Hintergrund von hochragenden Baumwipfeln. Und hier +erblickte der Erhabene das immer noch ziemlich entfernte Ziel seiner +Wanderung. Denn jene Baumwipfel waren die des Mangohaines jenseits der +Stadt, der ihm von seinem Anhänger Jivaka, dem Leibarzt des Königs, +geschenkt worden war, und in welchem ein schönes Klostergebäude den +Mönchen gesunde und bequeme Unterkunft gewährte. + + [1] Der goldene Sonnenschirm ist das Emblem der Königswürde. + + [2] Rajagaha (Sanskrit: Rajagriha) = Königsstadt, jetzt Rajgir, 10 + Meilen südöstlich von Patna. + +Nach diesem Besitztum des Ordens hatte nun der Erhabene die ihn +begleitenden Mönche--zweihundert an der Zahl--unter der Leitung seines +Vetters und treuen Begleiters Ananda vorausgehen lassen, weil es ihn +lockte, die Wonne einer einsamen Tageswanderung zu kosten. Und es war +ihm bekannt, daß um die Zeit des Sonnenunterganges von Westen her ein +Zug junger Mönche, geführt vom weisen Sariputta, dem großen Schüler, in +dem Mangohain eintreffen würde. In seinem lebhaften, auf das +Anschauliche gerichteten Geiste spielte sich nun das Schauspiel ab, wie +die ankommenden Mönche mit den schon anwesenden sich freundlich +begrüßten, wie ihnen von jenen Sitz und Lagerstatt angewiesen, Mantel +und Almosenschale abgenommen wurden, und wie dabei großer Lärm und +lautes Geschrei entstand, als ob Fischer um die Beute rauften. Und ihm, +der stille Betrachtung liebte und dem Lärm abhold war, wie der einsam +wandernde Löwe: ihm war gerade jetzt, nach der köstlichen Ruhe der +einsamen Wanderung und dem friedlichen Segen dieser Abendlandschaft, der +Gedanke doppelt peinlich, in ein solches Treiben hineinzugeraten. + +Und so entschloß er sich im Weiterschreiten, nicht durch die Stadt nach +seinem Mangohain zu gehen, sondern in dem ersten besten Hause des +Vorortes, in dem er Unterkunft finden konnte, sein Nachtlager +aufzuschlagen. + +Unterdessen waren die goldigen Flammen des westlichen Himmels in +brennende Orangetöne verweht und diese wiederum in die feurigste +Scharlachglut zerschmolzen. Ringsum leuchteten die Felder immer grüner +und grüner, als ob die Erde ein Smaragd wäre, der von innen durchstrahlt +würde. Aber schon umspann ein traumhaft violetter Dunst die Ferne, +während eine fast übersinnliche Purpurflut--man wußte nicht, ob Licht, +ob Schatten--wie von überallher niedersinkend, emporsteigend und +hereinströmend, den ganzen Raum durchwallte, Festes auflösend und Loses +sammelnd, Nahes fortschwemmend und Fernes heranflutend, Alles aber in +Schwanken und flimmerndes Zittern versetzend.... + +Durch die Schritte des einsamen Wanderers emporgeschreckt, hakte ein +fliegender Hund seine ledernen Flügel von dem Zweig eines schwarzen +Salabaumes los und strich mit piepsendem Schrei durch die Dämmerung, um +den Obstgärten des dorfähnlichen Vorortes einen Besuch abzustatten. + +So war es Abend geworden, als der Erhabene diesen Vorort Rajagahas +erreichte. + + + + +II. DIE BEGEGNUNG + + +Beim ersten Hause, dessen Wand bläulich zwischen den Gartenbäumen +hervorschimmerte, gedachte der Erhabene vorzusprechen. Wie er sich nun +aber der Tür nähern wollte, wurde er ein Netz gewahr, das auf einen Ast +gehängt war. Und der Erhabene schritt fürbass, das Haus des +Vogelstellers verschmähend. + +An diesem äußeren Rande des Ortes waren die Häuser spärlich verstreut, +auch hatte dort unlängst eine Feuersbrunst gewütet, und so dauerte es +denn eine Weile, bis er wieder an eine menschliche Wohnung kam. Es war +dies das Gehöft eines wohlhabenden Brahmanen. Der Erhabene war schon zum +Tor hereingetreten, da hörte er, wie drinnen die beiden Frauen des +Brahmanen keiften, mit lauten schreienden Stimmen sich zankten und sich +gegenseitig mit groben Schimpfworten bewarfen. Und der Erhabene wendete +sich um, trat wieder zum Torwege hinaus und schritt fürbaß. + +Der Lustgarten jenes reichen Brahmanen erstreckte sich weithin den Weg +entlang. Der Erhabene begann schon Müdigkeit zu spüren, und sein rechter +Fuß, von einem scharfen Stein verletzt, schmerzte ihn im +Weiterschreiten. So näherte er sich endlich dem nächsten Wohnhause, das +schon von weitem sichtbar war; denn heller Lichtschimmer strömte quer +über den Weg durch das Gitter der Fensterläden und die offenstehende +Tür. Wäre aber auch ein Blinder gekommen, so hätte er doch das Haus +bemerkt, denn übermütiges Lachen, Becherklang, Stampfen tanzender Füße +und lieblich heitere Töne der siebensaitigen Vina drangen ins Freie +heraus; an den Türpfosten gelehnt aber stand ein schönes Mädchen in +reichem Seidengewand und mit Jasmingewinden behangen. Lachend ihre vom +Betelkauen roten Zähne zeigend, lud sie den Wanderer ein: "Tritt herein, +Fremder! Hier wohnt die Freude." + +Und der Erhabene schritt fürbaß, seines Wortes gedenkend: "Als Weinen +gilt im Orden der Heiligen das Singen; als Tollsein gilt im Orden der +Heiligen der Tanz; als kindisch gilt im Orden der Heiligen das +Zähnezeigen zur Unzeit, das Lachen: Genüg' euch in Wahrheit Entzückten +das Lächeln des lächelnden Blickes." + +Das Nachbarhaus war nicht weit entfernt, aber der Lärm der Zecher und +der Vinaspieler drang bis dahin, und so ging der Buddha weiter bis zum +nächsten Hause. Neben diesem waren aber zwei Metzgergesellen beim +letzten Schimmer des Tageslichtes eifrig am Werk, eine soeben +geschlachtete Kuh mit scharfen Messern zu zerlegen. + +Und der Erhabene schritt an der Wohnung des Schlächters vorüber. + +Vor dem nächsten Hause standen viele Schüsseln und Näpfe aus frischem +Ton, die Ausbeute einer rechtschaffenen Tagesarbeit; unter einer +Tamarinde befand sich das Töpferrad, und der Hafner löste gerade eine +Schüssel davon ab und trug sie zu den anderen. + +Der Erhabene trat zum Hafner hin, begrüßte ihn höflich und sagte: + +"Wenn es dir, Abkömmling Bhagas, nicht ungelegen ist, bleibe ich über +Nacht in deinem Vorsaale." + +"Es ist mir, o Herr, nicht ungelegen. Doch ist soeben ein Pilger +angekommen, müde von einer langen Wanderung. Und er hat schon sein Lager +hier aufgeschlagen. Wenn es ihm recht ist, mögest du bleiben, o Herr, +nach Belieben." + +Und der Erhabene überlegte sich: "Einsamkeit freilich ist der beste +Gefährte. Aber dieser liebe Pilger ist hier spät angekommen, wie ich +selber, müde von einer langen Wanderung. Und er ist an den Häusern +unreiner, blutiger Gewerbe vorbeigegangen, ist an dem Hause des Zankes +und des gehässigen Streits und an dem Hause des Lärms und der unwürdigen +Freuden vorübergeschritten, um erst hier beim Hafner einzukehren. Mit +einem solchen Manne zusammen kann man die Nacht verbringen." + +So trat denn der Erhabene in die Vorhalle ein, wo er einen jungen Mann +von edlen Gesichtszügen gewahr wurde, der in der einen Ecke auf einer +Matte saß. + +"Wenn es dir, Pilger, nicht ungelegen ist," sprach der Erhabene zu ihm, +"bleibe ich über Nacht hier im Vorsaale." + +"Geräumig, Bruder, ist der Vorsaal des Hafners; bleibe der Ehrwürdige +nach Belieben." + +Da breitete nun der Erhabene an der einen Wand die Strohmatte hin und +setzte sich nieder, die Beine gekreuzt, den Körper gerade aufgerichtet, +in heiliges Sinnen versunken. Und der Erhabene brachte die ersten +Stunden der Nacht sitzend zu. Und auch der junge Pilger brachte die +ersten Stunden der Nacht sitzend zu. + +Da gedachte denn der Erhabene bei sich: "Ob wohl dieser edle Sohn +fröhlich beflissen ist?--Wie, wenn ich ihn nun darum fragte?" + +Und der Erhabene wandte sich also an den jungen Pilger: + +"Weshalb, o Pilger, bist du in die Heimatlosigkeit gegangen?" + +Der junge Pilger antwortete: + +"Nur ein paar Nachtstunden sind vergangen. Wohlan, wenn mir der +Ehrwürdige seine Aufmerksamkeit schenken will, werde ich erzählen, +weshalb ich in die Heimatlosigkeit gegangen bin." + +Der Erhabene gab durch freundliches Kopfnicken sein Einverständnis zu +erkennen, und der junge Pilger hub zu erzählen an. + + + + +III. NACH DEM UFER DER GANGA + + +Ich heisse Kamanita mit Namen und bin in Ujjeni geboren, einer weit im +Süden gelegenen Stadt, im Lande Avanti, im Gebirge. Dort kam ich in +einer begüterten, wenn auch nicht sehr vornehmen Kaufmannsfamilie zur +Welt. Mein Vater ließ mir eine gute Erziehung zuteil werden, und als ich +die Opferschnur anlegte, war ich schon ziemlich im Besitze der meisten +Fertigkeiten, die sich für einen jungen Mann von Stand passen, so daß +man allgemein glaubte, ich müßte in Takkasila[1] erzogen worden sein. Im +Ringkampf und im Degenfechten war ich einer der ersten; ich hatte eine +schöne, wohlgeübte Singstimme und verstand die Vina kunstreich zu +schlagen; ich konnte alle Gedichte Bharatas und noch viele andere +auswendig hersagen; mit den Geheimnissen der Metrik war ich aufs +innigste vertraut, und verstand auch selber gefühlvolle und sinnreiche +Verse zu schreiben. Im Zeichnen und Malen übertrafen mich nur Wenige, +und meine Art Blumen zu streuen wurde allgemein bewundert. Groß war mein +Geschick im Färben der Kristalle und meine Kenntnis von der Herkunft der +Juwelen; keine Papageien oder Predigerkrähen sprachen so gut wie +diejenigen, die ich abgerichtet hatte. Auch verstand ich von Grund aus +das vierundsechzigfeldige Brettspiel, das Stäbchenspiel, das Bogenspiel +und das Ballspiel in allen seinen Abarten, sowie allerlei Rätsel- und +Blumenspiele. Und es wurde, o Fremder, eine sprichwörtliche Redensart in +Ujjeni: "Vielbefähigt wie der junge Kamanita." + + [1] Das Oxford des alten Indien (in Pendschab gelegen). + +Als ich zwanzig Jahre alt war, ließ mein Vater mich eines Tages rufen +und sprach also zu mir: + +"Mein Sohn, deine Erziehung ist jetzt vollendet, und es ist Zeit, daß du +dich in der Welt umsiehst und dein Kaufmannsleben beginnst, auch habe +ich dafür jetzt eine gute Gelegenheit gefunden. In diesen Tagen schickt +unser König eine Gesandtschaft an den König Udena in Kosambi, weit von +hier, im Norden. Dort habe ich aber einen Gastfreund Panada. Der hat mir +längst gesagt, in Kosambi wäre mit Produkten unseres Landes, besonders +mit Bergkristallen und Sandelpulver, sowie mit unseren kunstvollen +Rohrgeflechten und Weberwaren ein gutes Geschäft zu machen. Ich habe +aber immer eine solche Geschäftsreise als ein großes Wagnis gescheut +wegen der vielen Gefahren des Weges. Wer nun aber die Hin- und Herreise +im Gefolge dieser Gesandtschaft macht, für den ist gar keine Gefahr +vorhanden. Wohlan, mein Sohn, wir wollen auf den Lagerplatz gehen und +uns die zwölf Ochsenwagen und die Waren ansehen, die ich für deine Fahrt +bestimmt habe; du wirst für unsere Produkte Musselin aus Benares und +ausgesuchten Reis mit zurückbringen, und das wird, hoffe ich, ein +glorreicher Anfang deiner kaufmännischen Laufbahn sein; auch wirst du +Gelegenheit haben, fremde Länder mit anderer Natur und anderen Sitten +kennen zu lernen und unterwegs mit Hofleuten, Männern vom höchsten +Anstande und feinsten Betragen tagtäglich zu verkehren, was ich für +einen hohen Gewinn erachte; denn ein Kaufherr muß ein Weltmann sein." + +Ich dankte meinem Vater unter Freudentränen, und schon wenige Tage +danach nahm ich vom Elternhause Abschied. + +Wie schlug mein Herz vor freudiger Erwartung, als ich inmitten dieses +prächtigen Zuges, an der Spitze meiner Karren, zum Stadttor hinauszog +und die weite Welt offen vor mir lag. Jeder Tag dieser Reise war mir wie +ein Fest, und wenn abends die Lagerfeuer flammten, um Tiger und Panther +zu verscheuchen, und ich im Kreise älterer und vornehmer Männer an der +Seite des Gesandten saß, dünkte ich mich vollends im Märchenland. + +Durch den herrlichen Waldbereich Vedisas und über die sanften Höhenzüge +des Vindhyagebirges erreichten wir die ungeheure nördliche Ebene, wo +eine ganz neue Welt sich mir eröffnete; denn ich hätte nie gedacht, daß +die Erde so flach und so groß sei. Und etwa einen Monat nach unserer +Abreise sahen wir an einem herrlichen Abend, von einer palmengekrönten +Anhöhe aus, zwei goldene Bänder, die sich dem Dunstkreise des Horizontes +entwanden, das unendliche Grün durchzogen und sich allmählich einander +näherten, bis sie sich zu einem breiten Band vereinigten. + +Eine Hand berührte meine Schulter. + +Es war der Gesandte, der an mich herangetreten war. + +"Da siehst du, Kamanita, die heilige Jamuna und die hochheilige Ganga, +die dort vor unseren Augen ihre Fluten vereinigen." + +Unwillkürlich erhob ich anbetend meine Hände. + +"Du tust recht, sie also zu grüßen," fuhr mein Beschützer fort. "Denn +wenn die Ganga von dem Göttersitz im nördlichen Schneegebirge kommt und +gleichsam aus der Ewigkeit flutet, so kommt die Jamuna aus fernen +Heldenzeiten, und ihre Fluten haben die Trümmer der Ilfenstadt[1] +gespiegelt und jene Ebene bespült, wo die Panduinge und die Kuruinge um +die Herrschaft rangen, wo Karna in seinem Zelte grollte, wo Krishna +selber die Rosse Arjunas lenkte--doch ich brauche dich ja nicht daran zu +erinnern, da du in den alten Heldenliedern wohl bewandert bist. Oft habe +ich drüben auf jener spitzen Landzunge gestanden und gesehen, wie die +blauen Wogen der Jamuna neben den gelben der Ganga dahinflossen, ohne +sich mit ihnen zu vermischen, so wie die Kriegerkaste neben der +Brahmanenkaste unvermischt besteht. Dann kam es mir vor, als ob ich mit +dem Rauschen dieser blauen Fluten auch kriegerische Klänge vernähme, +Waffengetöse und Hörnerrufe, Wiehern von Rossen und Trompeten der +Kampfilfen, und mein Herz schlug höher, denn auch meine Ahnen waren ja +dabei gewesen und der Sand Kurukschetras hatte ihr Heldenblut +getrunken." + + [1] Hastinapura = Elefantenstadt. Das Wort "Ilf" hat _Adolph Holtzmann_ + geprägt ("Indische Sagen" XXIX). + +Voll Bewunderung blickte ich zu diesem Manne aus der Kriegerkaste empor, +in dessen Familie solche Erinnerungen lebten. + +Er aber faßte mich an der Hand. + +"Komm, mein Sohn, und begrüße das Ziel deiner ersten Reise." + +Und er führte mich nur wenige Schritte um ein dichtes Gebüsch herum, das +bis jetzt die Aussicht nach Osten verdeckt hatte. + +Als diese sich nun plötzlich öffnete, stieß ich unwillkürlich einen +Schrei der Bewunderung aus. + +Dort--an einer Biegung der breiten Ganga--lag eine große Stadt: Kosambi. + +Mit ihren Mauern und Türmen, ihrer aufsteigenden Häusermasse, ihren +Terrassen, ihren Quais und Ghâts[1] sah sie, von der untergehenden Sonne +beleuchtet, wahrlich aus, als wäre sie ganz und gar aus rotem Gold +gebaut--so wie es ja Benares war, bis die Sünden der Einwohner es in +Stein und Mörtel verwandelten;--die wirklich goldenen Kuppeln aber +glänzten wie ebensoviele Sonnen. Oben von den Tempelhöfen stiegen +dunkle, rotbraune Rauchsäulen, von den Leichenverbrennungsstätten am +Ufer solche von hellblauer Farbe, kerzengerade in die Höhe, und, +gleichsam von ihnen getragen, schwebte baldachinartig über dem Ganzen +ein Schleier wie aus den zartesten Perlmuttertönen gewoben, während +dahinter alle Farben, die da brennen und leuchten können, über den +Himmel ausgegossen durcheinander glühten. Auf dem heiligen Strom, der +diesen Glanz widerspiegelte, schaukelten unzählige Boote mit bunten +Segeln und Wimpeln, und trotz der Entfernung sah man, wie die breiten +Treppen der Ghâts von Leuten wimmelten, während viele schon unten in den +glitzernden Wellen plätscherten. Ein fröhliches Geräusch, wie das Summen +eines Bienenkorbes, drang von Zeit zu Zeit zu uns herauf. + + [1] Landungsplatz mit prachtvollen Freitreppen für Badende--gewöhnlich + von Vorsprüngen und Kiosken unterbrochen und durch einen monumentalen + Torbau abgeschlossen. + +Du kannst dir denken, daß ich eher eine Stadt der dreiunddreißig Götter +als eine der Menschen zu sehen vermeinte, wie denn überhaupt das +Gangatal mit seinem üppigen Reichtum uns Bergbewohnern wie das Paradies +vorkam. Und für mich sollte ja auch hier das Paradies auf Erden sich +zeigen. + +Noch in derselben Nacht schlief ich unter dem wirtlichen Dache Panadas, +des Gastfreundes meines Vaters. Früh am folgenden Tage eilte ich aber +zum nächsten Ghât und stieg mit unbeschreiblichen Gefühlen in die +heiligen Wogen, um nicht nur den Reisestaub, sondern auch meine Sünden +abzuspülen. Diese waren infolge meiner Jugend ja nur gering; ich füllte +aber eine große Flasche mit dem Gangawasser, um sie meinem Vater +mitzubringen. Sie ist jedoch, wie du erfahren wirst, leider nie in +seinen Besitz gekommen. + +Der edle Panada, ein Greis von ehrwürdigstem Aussehen, führte mich nun +nach den Kaufhallen, und durch seine freundliche Hilfe gelang es mir, im +Verlaufe der folgenden Tage meine Waren vorteilhaft zu verkaufen und +eine überreiche Menge von den bei uns sehr geschätzten Produkten der +nördlichen Ebene einzukaufen. + +Dies mein Geschäft war glücklich zu Ende gebracht, bevor die +Gesandtschaft noch daran dachte, sich zur Abreise zu rüsten, was mich +keineswegs verdroß; denn ich hatte nun volle Freiheit, mir die Stadt +anzusehen und ihre Vergnügungen zu genießen, was ich in der Gesellschaft +Somadattas, des Sohnes meines Wirtes, in ausgiebigstem Maße tat. + + + + +IV. DIE BALLSPIELERIN + + +An einem schönen Nachmittage begaben wir uns in einen öffentlichen +Garten vor der Stadt--eine gar prächtige Anlage unmittelbar am hohen +Ufer der Ganga mit schattigen Baumgruppen, großen Lotusteichen, +Marmorhäuschen und Jasminlauben, wo zu dieser Tageszeit immer ein reges +Treiben herrschte. Hier ließen wir uns in einer goldenen Schaukel von +der Dienerschaft schaukeln, während wir den herzerfreuenden Tönen der +liebestrunkenen Kokila und dem süßen Plaudern der grünen Papageien +lauschten. Da erhob sich plötzlich ein gar erheiterndes Klingen von +Fußspangen. Sofort sprang mein Freund aus der Schaukel und rief: + +"Sieh da! Gerade kommen die schönsten Mädchen von Kosambi, auserlesene +Jungfrauen aus den reichsten und vornehmsten Häusern, um die +Vindhya-bewohnende Göttin durch Ballspiel zu verehren. Du kannst von +Glück sagen, Gastfreund! denn bei diesem Spiel kann man sie ungehindert +sehen! Komm, wir wollen diese Gelegenheit nicht versäumen." + +Ich ließ mir dies natürlich nicht zweimal sagen, sondern folgte eiligst +meinem Freunde. + +Auf einer großen, edelsteinbesetzten. Bühne erschienen sofort die +Mädchen, zum Spiele bereit. Wenn es nun schon eine seltene Augenweide +war, diese Schar von Schönheiten in ihrem Glanz von schimmernder Seide, +duftigen Musselinschleiern, Perlen, Edelsteinen und Goldspangen zu +sehen--was soll man dann erst von dem Spiele selbst sagen, das diesen +Schwellgliederigen die mannigfaltigste Gelegenheit gab, ihre ganze Anmut +in überaus reizenden Stellungen und Bewegungen zu entfalten? Und doch +war das nur gleichsam ein Vorspiel. Denn als diese Gazellenäugigen uns +eine geraume Zeit durch die verschiedenartigsten Spiele ergötzt hatten, +traten sie alle zurück, und nur eine blieb in der Mitte der +edelsteinbesetzten Bühne--und in der Mitte meines Herzens stehen. + +Ach, mein Freund, was soll ich sagen! Von ihrer Schönheit zu reden wäre +Verwegenheit! Denn ich müßte ein Dichter sein wie Bharata selbst, um +auch nur einen schwachen Abglanz davon deiner Phantasie vorzuzaubern. Es +sei genug, hervorzuheben, daß diese Mondgesichtige von makelloser +Gestalt und an allen Gliedern von frischer Jugend umblüht war, daß sie +mir als die leibliche Glücks- und Schönheitsgöttin erschien, und daß +alle meine Körperhärchen sich bei diesem Anblick vor Entzücken +sträubten. Und nun begann sie zu Ehren der Göttin, deren Verkörperung +sie schien, ein kunstreiches Spiel. Lässig warf sie den Ball zu Boden, +und als er dann langsam emporstieg, gab sie ihm mit ihrer +schößlinggleichen Hand, deren Daumen sie etwas krümmte und deren zarte +Finger sie ausstreckte, einen kräftigen Schlag, trieb dann den +aufsteigenden Ball mit dem Handrücken empor und fing ihn beim +Herabfallen in der Luft wieder auf. Sie warf ihn in langsamem, in +mittlerem und in raschem Tempo, bald ihn anfeuernd, bald ihn +besänftigend, schlug ihn abwechselnd mit der linken und mit der rechten +Hand, trieb ihn in jede Himmelsrichtung und wieder zurück. Wenn +du--wie's mir aus deinem verständnisvollen Blick scheinen will--mit der +Spielballwissenschaft vertraut bist, so brauche ich dir nichts zu sagen, +als daß du wohl niemals das Curnapada und das Gitamarga so vollkommen +ausgeführt gesehen haben wirst. + +Dann aber machte sie etwas, was ich nie gesehen und wovon ich auch nie +gehört habe. Sie nahm nämlich zwei goldene Bälle, und während ihre Füße +zum Klange ihrer Schmuckjuwelen sich tanzend bewegten, ließ sie diese +Bälle so schnell in blitzartigen Linien springen, daß man gleichsam nur +die Goldstäbchen eines Käfigs sah, in dem ein Wundervogel niedlich +umherhüpfte. Dabei geschah es, daß unsere Blicke sich plötzlich +begegneten; und noch heute, o Fremder, verstehe ich nicht, wie es +zuging, daß ich nicht augenblicklich tot niedersank, um in einem +Wonnehimmel wiedergeboren zu werden. Aber es mag wohl sein, daß meine +Werke eines vorhergehenden Lebens, deren Früchte ich in _diesem_ +genießen muß, noch nicht erschöpft waren; denn dieser Rest meines +Wandels von einst hat mich ja in der Tat durch mehrere tödliche Gefahren +bis auf den heutigen Tag gebracht und wird wohl noch lange vorhalten. + +Gerade jetzt aber entfloh ihr einer der Bälle, die ihr bisher so +gehorsam gewesen waren, und sprang in einem mächtigen Satze von der +Bühne herunter. Viele junge Leute eilten ihm nach; ich und ein junger, +reich gekleideter Mann erreichten ihn gleichzeitig und wir gerieten +aneinander, weil keiner ihn dem anderen gönnte. Durch mein genaues +Vertrautsein mit den Kniffen der Ringerkunst gelang es mir, ihm ein Bein +zu stellen; er aber ergriff, um mich zurückzuhalten, meine kristallene +Halskette, an der ich ein Amulett trug. Die Kette zerriß, er stürzte zu +Boden und ich erhaschte den Ball. Wütend sprang er auf und schleuderte +mir die Kette vor die Füße. Das Amulett war ein Tigerauge, kein gerade +sehr kostbarer Stein, aber dieser war ein unfehlbares Mittel gegen den +bösen Blick--und jetzt, als der seine mich traf, mußte ich ihn gerade +vermissen. Aber was kümmerte mich das? Hielt ich doch den Ball, den ihre +Lotushand soeben berührt hatte, in Händen, und als sehr geschicktem +Ballspieler gelang es mir, einen so genau berechneten Wurf zu tun, daß +der Ball gerade vor der einen Ecke der Bühne aufschlug, um dann mit +einem mäßigen Sprung gleichsam bezähmt in den Bereich der schönen +Spielerin zu gelangen, die keinen Augenblick aufgehört hatte, den +anderen Ball in Bewegung zu erhalten, und sich nun wieder in ihren +Goldkäfig einspann--unter großem Jubel der zahlreichen Zuschauer. + +Damit war denn nun die Ballspielverehrung der Lakshmi zu Ende, die +Mädchen verschwanden von der Bühne, und wir begaben uns auf den Heimweg. + +Unterwegs meinte mein Freund, es sei gut, daß ich nichts dort am Hofe +erreichen wollte, denn der junge Mann, dem ich den Ball abgejagt hätte, +sei kein geringerer als der Sohn des Ministers, und man habe es ihm +angesehen, daß er mir unversöhnlichen Haß geschworen habe. Das ließ mich +nun völlig kalt; wie viel lieber hätte ich erfahren, wer meine Göttin +war. Ich scheute mich aber, danach zu fragen, ja, als Somadatta mich mit +der Schönen necken wollte, tat ich sehr gleichgültig, lobte in +Kennerausdrücken ihre Fertigkeit im Spielen, fügte jedoch hinzu, daß wir +in meiner Heimatstadt wenigstens ebenso geschickte Spielerinnen +hätten--während ich in meinem Herzen der Unvergleichlichen diese Lüge +abbat. + +Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß diese Nacht kein Schlaf in meine +Augen kam, die ich nur schloß, um immer wieder von der reizenden +Erscheinung umschwebt zu werden. Den nächsten Tag brachte ich in einer +von allem Tageslärm entfernten Ecke des Hausgartens zu, wo der Sandboden +unter einem Mangobaum meinem von Liebesglut gepeinigten Körper Kühlung +bot, die siebensaitige Vina als einzige Gefährtin, der ich meine +Sehnsucht anvertraute. Sobald aber die abnehmende Tageshitze einen +Ausflug erlaubte, überredete ich Somadatta, mit mir nach dem Lustgarten +zu fahren, obschon er es vorgezogen hätte, einem Wachtelkampf +beizuwohnen. Aber umsonst durchirrte ich den ganzen Park--viele Mädchen +waren da, überall ihr Spiel treibend, als wollten sie mich mit falscher +Hoffnung von einem Ort zum anderen locken; aber jene einzige, Lakshmis +Ebenbild, war nicht darunter. + +Nun tat ich, als ob ich eine unwiderstehliche Sehnsucht hätte, das +eigentümliche Leben an der Ganga wieder zu genießen. Wir besuchten alle +Ghâts und bestiegen schließlich eine Barke, um uns in die fröhliche +Flottille zu mischen, die jeden Abend auf den Wogen des heiligen Stromes +schaukelte, bis das Farbenspiel und der Goldglanz erloschen und Lichter +von Fackeln und Lampions auf dem Strome tanzten und wirbelten. + +Dann mußte ich endlich meine ebenso stumme wie stürmische Hoffnung +aufgeben und den Bootsführer anweisen, nach dem nächsten Ghât zu +steuern. + +Nach einer schlaflosen Nacht blieb ich in meinem Zimmer, und um meinen +Geist, der doch nur von ihrem Bild erfüllt war, zu beschäftigen und zu +zerstreuen, bis ich wieder in den Lustgarten eilen konnte, versuchte ich +mittelst Pinsel und Farben ihre holde Erscheinung, wie sie tanzenden +Schrittes den Ball schlug, auf die Tafel zu bannen. Keinen Bissen +vermochte ich zu mir zu nehmen; denn wie der lieblich singende Çakora +nur von Mondstrahlen lebt, also lebte ich nur von den Strahlen jener +Mondgesichtigen, obgleich sie mich nur durch den Nebel der Erinnerung +erreichten; doch hoffte ich zuversichtlich, daß sie an diesem Abend im +Lustgarten mit ihrem vollen Glanz mich letzen und beleben würden. Aber +auch diesmal wurde ich enttäuscht. Nun wollte Somadatta mich in ein +Spielhaus mitnehmen, denn er war so versessen auf das Würfelspiel wie +Nala, nachdem der Dämon Kali in ihn gefahren war. Ich schützte indessen +Müdigkeit vor. Aber anstatt nach Hause zu gehen, begab ich mich wieder +nach den Ghâts und auf den Fluß hinaus--leider nicht mit besserem Erfolg +als am vorhergehenden Abend. + + + + +V. DAS MAGISCHE BILDNIS + + +Da ich wußte, daß für mich doch nicht an Schlaf zu denken war, legte ich +mich an diesem Abend gar nicht zu Bett, sondern setzte mich auf das zur +Andacht bestimmte Graslager am Kopfende des Bettes, und brachte dort +unter inbrünstigen Liebesbetrachtungen und im Gebet an die lotustragende +Lakshmi, ihr himmlisches Urbild, in frommer und geziemender Weise die +Nacht zu; aber die frühe Morgensonne fand mich wieder mit Pinsel und +Farben an der Arbeit. + +Mehrere Stunden waren mir dabei im Fluge vergangen, als Somadatta +hereintrat. Ich hatte gerade noch Zeit, die Tafel und die Malwerkzeuge +unters Bett zu schieben, als ich ihn kommen hörte. Dies tat ich ganz +unwillkürlich. + +Somadatta nahm einen niedrigen Stuhl, setzte sich neben mich und +betrachtete mich lächelnd. + +"Ich merke wohl," sagte er, "daß unserem Hause die Ehre widerfahren +soll, die Ausgangsstätte eines Heiligen zu sein. Du fastest ja, wie es +nur die strengsten Asketen tun, und enthältst dich der üppigen +Gewohnheit des Lagers. Denn weder auf den Kopf- und Fußkissen noch auf +der Matratze ist der geringste Eindruck deines Körpers zu sehen, und die +weiße Decke ist faltenlos. Obwohl du durch das Fasten schon recht +schmächtig geworden bist, ist dein Körper doch wohl noch nicht ganz ohne +Gewicht, was sich übrigens auch hier am Grassitze zeigt, wo du offenbar +die Nacht in Gebet und Selbstvertiefung zugebracht hast. Aber ich finde +doch, daß für einen so heiligen Bewohner dies Zimmer etwas zu weltlich +aussieht. Hier auf dem Nachttisch die freilich unberührte Salbenbüchse +und der Napf mit Sandelstaub, das Gefäß mit wohlriechendem Wasser und +die Dose mit Zitronenbaumrinde und Betel. Dort an der Wand die gelben +Amaranthkränze, die Laute--aber wo ist denn das Malbrett, das doch sonst +an jenem Haken hängt?" + +Während ich in meiner Verlegenheit auf diese Frage keine Antwort zu +finden vermochte, entdeckte er nun das vermißte Brett und zog es unter +dem Bett hervor. + +"Ei, was ist denn das für ein böser, abgefeimter Zauberer," rief er, +"der hier auf dem Brett, das ich doch selber ganz leer an jenen Haken +gehängt habe, das reizende Bild eines ballspielenden Mädchens durch +magische Kraft hat entstehen lassen--offenbar in der bösen Absicht, den +angehenden Asketen gleich im Anfange mit Versuchungen anzufallen und ihm +Sinne und Gedanken zu verwirren! Oder am Ende ist es ein Gott, denn wir +wissen ja, daß die Götter sich vor der Allmacht der großen Asketen +fürchten; und bei solch einem Beginnen wie dem deinigen könnte schon das +Vindhyagebirge vor der Inbrunst deiner Buße zu rauchen anfangen, ja +durch die Aufhäufung deines Verdienstes müßte das Reich der himmlischen +Götter ins Wanken kommen. Und jetzt weiß ich auch, welcher Gott es ist: +gewiß ist es der, den sie den unsichtbaren nennen, der Gott mit den +Blumenpfeilen, der einen Fisch im Banner trägt--Kama, der Liebesgott, +von dem du ja auch deinen Namen hast. Und--Himmel, was seh' ich! das ist +ja Vasitthi, die Tochter des reichen Goldschmiedes." + +Als ich so zum ersten Male den Namen der Geliebten hörte, fing mein Herz +heftig zu pochen an, und mein Gesicht entfärbte sich vor Erregung. + +"Ich sehe, lieber Freund," fuhr der schlimme Spaßmacher fort, "daß +dieser Gedanke von dem Zauber Kamas dich in großen Schrecken versetzt, +und in der Tat müssen wir etwas tun, um seinem Zorn zu entgehen. Da ist +aber ein Weiberrat nicht zu verachten. Ich will dies magische Bild +meiner geliebten Medini zeigen, die auch mit beim Tanze war und überdies +die Milchschwester der schönen Vasitthi ist." + +Hiermit wollte er sich mit dem Bilde entfernen. Da ich nun wohl merkte, +was der Schelm vorhatte, hieß ich ihn warten, weil dem Bilde noch eine +Inschrift fehlte. Ich mischte mir die schönste feurig-rote Farbe und in +gar kurzer Zeit schrieb ich mit den zierlichsten Schriftzügen einen +vierzeiligen Vers, der sehr einfach den Vorgang mit dem goldenen Ball +erzählte. Wenn man aber die Zeilen rückwärts las, besagte der Vers, daß +jener Ball, mit dem sie gespielt hatte, mein Herz sei, das ich selber +ihr zurückschickte, wenn sie es auch davonjage; man konnte aber auch den +Vers quer durch die Zeilen von oben nach unten lesen, und dann enthielt +er eine Klage über die Verzweiflung, in die mich die Trennung von ihr +gestürzt hatte; las man aber in umgekehrter Richtung, dann wurde man +gewahr, daß ich doch zu hoffen wagte. + +Von dem, was ich solchermaßen hineingeheimnißt hatte, ließ ich aber +nichts verlauten, und so war denn Somadatta von dieser Probe meiner +Dichtkunst, die ihm gar zu einfach schien, auch nicht sonderlich erbaut. +Er meinte, ich müsse durchaus davon sprechen, wie Gott Kama, durch meine +Askese in Schreck versetzt, das Zauberbild zu meiner Versuchung +hervorgezaubert und mich dadurch überwunden hätte--wie denn jeder immer +am meisten von seinem eigenen Witze entzückt ist. + +Als nun Somadatta das Bild entführt hatte, fühlte ich mich in einer +gehobenen und tatkräftigen Stimmung, weil doch nun ein Schritt getan +war, der vielleicht in seinen Folgen zum ersehnten Glücksziel führen +mochte. Ich konnte wieder essen und trinken, und nachdem ich mich +gestärkt hatte, nahm ich die Vina von der Wand und ließ ihre Saiten bald +melodisch seufzen, bald jubeln, während ich den himmlischen Namen +Vasitthi in immer neuen Tönen wiederholte. + +So fand mich denn auch Somadatta, als er mehrere Stunden später mit dem +Bild in der Hand wieder hereintrat. + +"Die ballspielkundige Zerstörerin deiner Ruhe hat auch gedichtet," sagte +er, "aber vielen Sinn finde ich eben nicht in ihren Versen +aufgespeichert, wenn auch die Schrift für ungewöhnlich hübsch gelten +darf." + +Wirklich gewahrte ich--mit welchem Entzücken, vermag ich nicht zu +sagen--einen zweiten Vierzeiler, der mit Schriftzügen wie zarte +Blütenzweige auf das Brett gleichsam hingehaucht war. Somadatta freilich +hatte keinen Sinn darin finden können, denn das Ganze bezog sich eben +auf das, was er nicht bemerkt hatte, und zeigte mir, daß die Holde meine +Strophe in allen Richtungen--rückwärts, nach unten und aufwärts--richtig +gelesen hatte, was mir einen hohen Begriff von ihrer Bildung und ihren +Kenntnissen gab, wie denn auch ihr feiner Geist sich in der anmutig +scherzenden Wendung zeigte, mit welcher sie meine feurige Erklärung als +eine höfliche Galanterie hinnahm, der man nicht allzu große Bedeutung +beimessen dürfe. + +Nun versuchte ich freilich auch dieselben Lesemethoden auf ihre Strophe +anzuwenden, in der Hoffnung, vielleicht doch ein verblümtes Geständnis +oder irgend eine geheime Botschaft, wohl gar die Einladung zu einem +Stelldichein darin zu finden; jedoch vergeblich. Ich sagte mir denn auch +sogleich, daß dies gerade ein Beweis der höchsten und feinsten +weiblichen Gesittung sei: die Liebliche zeigte mir, daß sie wohl +imstande sei, die Subtilität und die verwegenen Pfade des männlichen +Geistes zu verstehen, daß sie sich aber nicht verleiten lasse, seinen +Spuren zu folgen. + +Über meine enttäuschte Erwartung wurde ich nun auch sofort durch die +Worte Somadattas getröstet. + +"Aber diese Schönbrauige, wenn sie auch keine große Dichterin ist, hat +doch wahrlich ein gutes Herz. Sie weiß, daß ich schon seit langer Zeit +meine geliebte Medini, ihre Milchschwester, nicht gesehen habe, außer in +großer Gesellschaft, wo nur die Augen sprechen können, und auch die nur +verstohlen. Und so gibt sie uns Gelegenheit, uns in der folgenden Nacht +auf der Terrasse des väterlichen Palastes zu treffen. Diese Nacht ist es +leider nicht möglich, weil ihr Vater ein Gastmahl gibt; so lange müssen +wir uns also gedulden. Vielleicht hast du Lust, mich bei diesem +Abenteuer zu begleiten?" + +Dabei lachte er ganz verschmitzt, und ich lachte ebenso und sicherte ihm +meine Begleitung zu. In der vortrefflichsten Laune nahmen wir das +Brettspiel, das an die Wand gelehnt war, und wollten uns durch diese den +Geist anregende Beschäftigung die Zeit verkürzen, als ein Diener +hereintrat und sagte, ein Fremder wünsche mich zu sprechen. + +Ich ging in die Vorhalle und traf da den Bedienten des Gesandten, der +mir sagte, ich müsse mich zur Abreise fertig machen und mich schon in +dieser Nacht mit meinen Wagen im Hofe des Palastes einfinden, damit man +beim ersten Morgengrauen aufbrechen könne. + +Meine Verzweiflung kannte keine Grenzen. Ich wähnte, ich müsse +unversehens irgend eine Gottheit beleidigt haben. Sobald ich meine +Gedanken einigermaßen sammeln konnte, stürzte ich zum Gesandten und log +ihm eine Menge vor von einem Geschäft, das noch nicht ganz abgewickelt +wäre und unmöglich in so kurzer Frist zum gedeihlichen Abschluß gebracht +werden könnte. Mit heißen Tränen beschwor ich ihn, die Reise nur noch um +einen Tag zu verschieben. + +"Du sagtest mir doch schon vor acht Tagen, daß du fertig wärest," +entgegnete er. + +Ich aber versicherte ihm, daß sich nachher unverhofft noch eine Aussicht +auf einen bedeutenden Gewinn eröffnet hätte. Und das war auch keine +Unwahrheit, denn welcher Gewinn hatte für mich mehr zu bedeuten, als die +Eroberung dieses unvergleichlichen Mädchens?--Und so gelang es mir denn +endlich, ihm diesen einen Tag abzulisten. + +Die Stunden des folgenden Tages vergingen schnell mit den nötigen +Reisevorbereitungen, so daß mir die Zeit, trotz meiner Sehnsucht, nicht +allzu lang wurde. Als der Abend hereinbrach, standen die Karren beladen +im Hof. Alles war zum Vorspannen bereit, um, sobald ich--noch vor +Morgengrauen--erschien, aufbrechen zu können. + + + + +VI. AUF DER TERRASSE DER SORGENLOSEN + + +Als es nun völlig Nacht geworden war, begaben wir, Somadatta und ich, +uns in dunkelfarbiger Kleidung, hoch aufgeschürzt, fest gegürtet und das +Schwert in der Hand, nach der Westseite des palastartigen Hauses des +reichen Goldschmiedes, wo sich die Terrasse über der steilen Felswand +einer Schlucht befand. Mit Hilfe einer mitgebrachten Bambusstange +erkletterten wir nun, die wenigen Vorsprünge geschickt benutzend, die in +tiefen Schatten gehüllte Felsenwand, überstiegen dann mit Leichtigkeit +die Mauer und befanden uns nun auf einer großen, mit Palmen, Asokabäumen +und prächtigen Blumenpflanzen aller Art geschmückten Terrasse, die, in +Mondlicht gebadet, sich vor uns ausbreitete. + +Nicht weit von mir entfernt sah ich die der Lakshmi ähnliche Großäugige, +die mit meinem Herzen Ball spielte, neben einem jungen Mädchen auf einer +Ruhebank sitzen, und bei diesem Anblick fing ich an so heftig an allen +Gliedern zu zittern, daß ich mich an die Brüstung lehnen mußte, deren +marmorne Kälte meine in Feuersglut schon entschwindenden Sinne +erfrischte und stärkte. Indessen war Somadatta auf seine Geliebte +zugeeilt, die mit einem leisen Ruf aufgesprungen war. + +Nun faßte ich mich denn auch so weit, daß ich mich der Unvergleichlichen +nähern konnte, die, anscheinend überrascht durch die Ankunft eines +Fremden, sich erhoben hatte und unschlüssig schien, ob sie bleiben oder +gehen sollte, während sich ihr Auge, wie das der erschreckten jungen +Antilope, wiederholt mit Seitenblicken aus dem äußersten Augenwinkel auf +mich richtete, wobei sie wie eine vom leisen Winde geschaukelte Ranke +bebte. Ich aber stand da in beständig wachsender Verwirrung, mit +gesträubten Wangenhaaren und weit aufgeblühten Augen und konnte nur +mühsam einige Worte von dem unverhofften Glück, sie hier zu treffen, +hervorstammeln. Als sie aber meine große Zaghaftigkeit bemerkte, schien +sie selber ruhiger zu werden. Sie setzte sich wieder auf die Bank und +lud mich mit einer lässigen Bewegung ihrer Lotushand ein, neben ihr +Platz zu nehmen, während sie mit einer Stimme, die sehr leicht und gar +lieblich zitterte, mir versicherte, sie sei sehr glücklich über diese +Gelegenheit, mir zu danken, weil ich ihr den Ball mit solcher +Geschicklichkeit zurückgeworfen hätte, daß keine Störung im Spiel +entstanden sei; denn wäre das geschehen, so würde ihr ganzes Verdienst +dahin gewesen sein, und die von ihr ungeschickt verehrte Göttin hätte +ihr gezürnt oder ihr wenigstens kein Glück geschenkt. Darauf antwortete +ich, sie habe mir nicht zu danken, da ich höchstens das wieder gut +gemacht hätte, was ich selber verfehlt; und als sie nicht verstand, wie +ich das meinte, wagte ich sie daran zu erinnern, wie unsere Blicke sich +begegnet hatten und sie darob verwirrt den Ball schief traf, so daß er +ihr davonflog. Sie aber errötete heftig und wollte das durchaus nicht +zugeben--was hätte sie denn auch dabei verwirren können? + +"Ich denke," antwortete ich, "daß meine weit aufgeblühten Augen +gleichsam einen solchen Duft von Bewunderung haben entströmen lassen, +daß du dadurch einen Augenblick betäubt wurdest und mit der Hand daneben +schlugst." + +"Ei, was sprichst du mir da von Bewunderung," antwortete sie, "du bist +ja gewohnt, in deiner Heimat noch viel geschicktere Spielerinnen zu +sehen." + +Aus dieser Äußerung entnahm ich mit Genugtuung, daß man sich über mich +unterhalten hatte, und daß meine an Somadatta gerichteten Worte ihr +getreulich mitgeteilt worden waren. Doch wurde mir auch heiß und kalt +bei dem Gedanken, daß ich ja fast geringschätzig über sie gesprochen +hatte, und ich beeilte mich, ihr zu versichern, daß daran kein wahres +Wort gewesen wäre, und daß ich nur so gesprochen hätte, um nicht mein +süßes Geheimnis dem Freunde preiszugeben. Das wollte sie aber nicht +glauben, oder tat wenigstens so; und darüber vergaß ich dann glücklich +meine ganze Schüchternheit, geriet in großen Eifer, um sie zu +überzeugen, und erzählte ihr, wie bei ihrem Anblick der Liebesgott seine +Blumenpfeile auf mich hatte regnen lassen. Ich sei überzeugt, daß sie in +einem früheren Leben meine Frau gewesen sei, denn woher käme wohl sonst +eine so plötzliche und unwiderstehliche Liebe? Wenn dem aber so sei, +dann müsse doch auch sie in mir ihren ehemaligen Gemahl erkannt haben, +und es müsse auch bei ihr eine solche Liebe entstanden sein. + +Mit solchen dreisten Worten drang ich ungestüm auf sie ein, bis sie +endlich ihre glühende, tränenperlende Wange an meiner Brust verbarg und +mir in kaum hörbaren Worten gestand, daß es ihr ebenso gegangen sei wie +mir, und daß sie gewiß gestorben wäre, wenn ihre Milchschwester ihr +nicht noch rechtzeitig das Bild gebracht hätte. + +Dann küßten und herzten wir uns unzählige Male und meinten vor Wonne +vergehen zu müssen, bis plötzlich der Gedanke an meine unmittelbar +bevorstehende Abreise wie ein schwarzer Schatten über meine Fröhlichkeit +fiel und mir einen tiefen Seufzer erpreßte. + +Erschrocken fragte Vasitthi, warum ich also seufzte. Als ich ihr aber +dann den Grund nannte, sank sie wie ohnmächtig auf die Bank zurück, und +brach in einen unerschöpflichen Tränenstrom und in herzzerreißendes +Schluchzen aus. Vergeblich waren meine Versuche, die innig Geliebte zu +trösten. Umsonst versicherte ich ihr, daß ich, sobald die Regenzeit +vorüber sei, zurückkehren und sie dann nimmermehr verlassen wolle, wenn +ich mich auch als Tagelöhner in Kosambi verdingen müsse.--In den Wind +gesprochen waren alle Beteuerungen, daß meine Verzweiflung bei der +Trennung nicht geringer sei als die ihre, und daß nur die harte, +unerbittliche Notwendigkeit mich so bald von ihr wegrisse. Kaum daß sie +unter Schluchzen ein paar Worte hervorbringen konnte, um zu fragen, +warum es denn so notwendig sei, schon morgen, nachdem wir uns eben erst +gefunden hätten, abzureisen--und als ich ihr dies dann sehr genau und +umständlich erklärte, schien sie keine Silbe davon zu hören oder zu +verstehen. O, sie sähe schon, daß ich mich danach sehne, nach meiner +Vaterstadt zurückzukommen, wo es noch viel schönere Mädchen als sie +gäbe, die auch viel besser Ball spielen könnten, wie ich es ja selber +gesagt hätte! + +Ich mochte sagen, beteuern und beschwören was ich wollte--sie blieb +dabei, und immer reichlicher flossen ihre Tränen. Kann man sich wundern, +daß ich bald darauf zu ihren Füßen lag, ihre schlaff herabhängende Hand +mit Küssen und Tränen bedeckte und ihr versprach, nicht abzureisen? Und +wer war dann seliger als ich, als Vasitthi mich nun mit ihren weichen +Armen umschlang und mich wieder und wieder küßte und vor Freude lachte +und weinte. Freilich sagte sie nun gleich: "Da siehst du, es ist gar +nicht so notwendig, daß du schon wegreisest, denn dann müßtest du es ja +unbedingt tun."--Als ich mich aber anschickte, ihr Alles noch einmal +auseinanderzusetzen, schloß sie mir den Mund mit einem Kusse und sagte, +sie wisse, daß ich sie liebe, und sie meine nicht wirklich, was sie von +den Mädchen meiner Vaterstadt gesagt hätte. Unter zärtlichen +Liebkosungen und traulichem Plaudern flogen die Stunden wie im Traume +dahin, und es wäre kein Ende all der Seligkeit gewesen, wenn nicht +plötzlich Somadatta mit Medini gekommen wäre, um uns zu sagen, daß es +die höchste Zeit sei, an die Heimkehr zu denken. + +In unserem Hofe fanden wir Alles zum Aufbruch bereit. Ich rief den +Führer der Ochsenkarren und schickte ihn eiligst zum Gesandten mit dem +Bescheid, daß mein Geschäft leider noch nicht völlig erledigt sei, und +ich infolgedessen darauf verzichten müsse, die Heimreise unter dem +Schutze der Gesandtschaft zu machen. Ich bat ihn nur, meinen Eltern +einen Gruß zu bringen und empfahl mich seiner Gewogenheit. + +Kaum hatte ich mich auf mein Lager gestreckt, um--wenn möglich--einiger +Stunden Schlafes zu genießen, als der Gesandte selber hereintrat. +Erschrocken sprang ich auf und verbeugte mich tief vor ihm, während er +mit ziemlich barscher Stimme fragte, was dies unglaubliche Betragen +bedeuten sollte--ich hätte ihm sofort zu folgen. + +Nun wollte ich anfangen, von meinem noch immer unbeendigten Geschäft zu +reden, aber er unterbrach mich gebieterisch: + +"Ach was, Geschäft! Laß es mit der Lüge jetzt genug sein. Ich sollte +wohl wissen, was für Geschäfte im Gange sind, wenn ein junger Fant +plötzlich eine Stadt nicht verlassen kann, selbst wenn ich nicht gesehen +hätte, daß deine Ochsenkarren vorgespannt und beladen im Hofe halten." + +Da stand ich nun blutrot und zitternd als ein vollkommen Ertappter. Als +er mich aber ihm augenblicklich zu folgen hieß, da schon ohnehin zu viel +der kostbaren kühlen Tageszeit verloren gegangen sei, stieß er bei mir +auf einen Widerstand, mit dem er offenbar nicht gerechnet hatte. Vom +befehlenden Ton ging er zum drohenden, von diesem zuletzt zum bittenden +über. Er erinnerte mich daran, wie meine Eltern sich nur deshalb +entschlossen hätten, mich auf eine so weite Reise zu schicken, weil sie +gewußt, daß ich sie in seiner Begleitung und unter seinem Schutze hin +und zurück machen könnte. + +Er hätte aber keinen für seinen Zweck weniger geeigneten Grund ins Feld +führen können. Denn ich sagte mir sofort: dann würde ich ja auch wohl +warten müssen, bis wieder einmal eine Gesandtschaft nach Kosambi ginge, +bevor ich zu meiner Vasitthi zurückkehren könnte! Nein, ich wollte +meinem Vater schon zeigen, daß ich wohl imstande sei, allein eine +Karawane durch alle Beschwerlichkeiten und Gefahren des Weges zu leiten. + +Diese Gefahren schilderte mir der Gesandte nun zwar drohend genug, aber +das alles war in den Wind gesprochen. Endlich verließ er mich in großem +Zorn: ihn treffe keine Schuld, ich müsse jetzt selber meine Torheit +ausbaden. + +Mir war es, als ob eine große Last von mir genommen wäre. Ich hatte mich +ja jetzt so ganz meiner Liebe hingegeben. In diesem süßen Bewußtsein +schlief ich fest ein und erwachte erst, als es Zeit war, sich nach der +Terrasse zu begeben, wo unsere Geliebten unser harrten. + +Nacht um Nacht trafen wir uns nun dort, und bei jeder Begegnung +entdeckten wir neue Schätze in unserer gegenseitigen Neigung und trugen +eine noch größere Sehnsucht nach dem Wiedersehen von dannen. Das +Mondlicht wollte mir silberner erscheinen, der Marmor kühler, der Duft +der Doppeljasminen berauschender, der Ruf der Kokila liebestrunkener, +das Rauschen der Palmen träumerischer und das unruhige Flüstern der +Asokas noch verheißungsvoller, als diese Dinge sonstwo in der Welt sein +mochten. + +O, wie deutlich besinne ich mich auf jene herrlichen Asokas, die längs +der ganzen Terrasse standen, und unter denen wir so oft gewandelt sind, +uns mit den Armen umschlungen haltend! "Die Terrasse der Sorgenlosen" +wurde sie nach diesen Bäumen genannt, denn "den sorgenlosen Baum" und +auch "Herzensfrieden" nennen ja die Dichter den Asoka, den ich nirgends +so schön gewachsen gesehen habe wie gerade dort. Die speerförmigen, +nimmer ruhigen Blätter glänzten in den Mondstrahlen und lispelten im +leisen Nachtwinde, und zwischen ihnen glühten die goldigen, +orangefarbenen und scharlachroten Blumen, obschon die Vasantazeit erst +im Anzuge war. Aber wie sollten denn auch, o Bruder, diese Bäume dort +nicht schon in voller Blütenpracht stehen, da der Asoka ja gleich seine +Knospen öffnet, sobald der Fuß eines schönen Mädchens seine Wurzeln +berührt! + +In einer wunderbaren Vollmondnacht--mir ist's, als sei es gestern +gewesen--stand ich unter diesen Bäumen neben der holden Ursache ihrer +Frühblüte, meiner lieblichen Vasitthi. Über den tiefen Schatten der +Schlucht schauten wir weit hinaus ins Land, sahen die Silberbänder der +beiden Flüsse sich durch die ungeheure Ebene winden und sich an der +hochheiligen Stätte vereinigen, die sie die "Dreilocke" nennen, weil sie +glauben, daß die himmlische Ganga als dritte sich dort mit ihnen +verbinde. Diese zeigte mir aber Vasitthi über den Wipfeln der +Bäume--denn mit diesem schönen Namen nennen sie ja hier das +Himmelslicht, das wir im Süden als die Milchstraße kennen. + +Dann sprachen wir von dem mächtigen Himavat im Norden, aus dem die Ganga +herflutete, dessen Schneegipfel die Wohnung der Götter, dessen +unermeßliche Wälder und tiefe Felsenklüfte der Aufenthalt der großen +Asketen waren. Noch lieber aber folgte ich der Jamuna aufwärts. + +"O," rief ich, "daß ich doch einen Märchennachen hätte, aus +Perlmutterschale, von meinen Wünschen besegelt, von meinem Willen +gelenkt, damit er uns jenen silbernen Strom hinauftragen könnte. Dann +müßte sich die Ilfenstadt wieder aus ihren Trümmern erheben, und die +ragenden Paläste würden vom Gelage der Zecher und vom Streit der +Würfelspieler widerhallen. Der Sand Kurukschetras müßte seine Toten +wiedergeben. Da würde der greise Bhishma, in silberner Rüstung und +weißem Gelock auf hohem Wagen emporragend, seine glattröhrigen Pfeile +über die Feinde regnen lassen; der tapfere Phagadatta würde auf seinem +kampfwütigen, rüsselschwingenden Ilfenstier heranstürmen, der gewandte +Krishna das weiße Viergespann Arjunas in das wildeste Kampfgetümmel +hineinjagen. O, wie sehr habe ich den Gesandten um seine Zugehörigkeit +zur Kriegerkaste beneidet, als er mir sagte, seine Vorfahren hätten an +jener unvergeßlichen Schlacht teilgenommen! Aber das war töricht! Denn +nicht nur im Geschlechte gibt es ja Vorfahren, sondern wir selber sind +unsere eigenen Vorfahren. Wo war ich damals? Vielleicht eben dort, unter +den Kämpfenden. Denn obwohl ich ein Kaufmannssohn bin, habe ich immer +meine größte Freude an Waffenspielen gehabt, und ich darf wohl sagen, +daß ich mit dem Degen in der Hand meinen Mann stelle." + +Vasitthi umarmte mich stürmisch und nannte mich ihren Helden: ich sei +ganz gewiß einer jener Heroen, die in den Liedern leben. Welcher, +könnten wir freilich nicht wissen, da durch diesen süßen Wohlgeruch der +sorgenlosen Bäume der Duft des Korallenbaumes kaum zu uns dringen würde. + +Ich fragte sie, was denn das für ein Duft sei, denn davon hatte ich nie +etwas gehört--wie ich denn überhaupt fand, daß, wie alles andere, auch +das Märchen hier an der Ganga üppiger blühte als bei uns im Gebirge. + +Und sie erzählte mir, wie Krishna einst auf seinem Fluge durch Indras +Welt im Kampfspiel den himmlischen Korallenbaum gewonnen und ihn in +seinen Garten gepflanzt habe, einen Baum, dessen tiefrote Blüten weit in +die Runde ihren Duft verbreiten. Und wer diesen Duft eingesogen habe, +der erinnere sich in seinem Herzen langer, langer Vergangenheit, längst +entschwundener Zeiten aus früheren Leben. + +"Aber nur die Heiligen können schon hier auf Erden diesen Duft +einatmen," sagte sie und fügte fast schalkhaft hinzu: "und wir beide +werden wohl keine werden. Aber was tut's? Wenn wir auch nicht Nala und +Damayanti waren, so haben wir uns gewiß so lieb gehabt wie sie,--welche +nun auch unsere Namen gewesen sein mögen. Und vielleicht sind Liebe und +Treue das einzig Wirkliche, das Namen und Gestalten wechselt. Sie sind +die Melodien, und wir die Lauten, auf denen sie gespielt werden. Die +Laute zerbricht, und eine andere wird gestimmt; aber die Melodie bleibt +dieselbe. Sie klingt freilich voller und feiner auf dem einen Instrument +als auf dem anderen, wie ja auch meine neue Vina viel schöner tönt als +die alte. Wir aber sind zwei herrliche Lauten für die Götter darauf zu +spielen, die wonnigste aller Weisen darauf ertönen zu lassen." + +Ich drückte sie stumm an mich, innig ergriffen und verwundert ob solcher +seltsamen Gedanken. Sie aber fügte mit leisem Lachen hinzu, indem sie +wohl meine Gedanken erriet: + +"Freilich darf ich eigentlich nicht solche Gedanken haben, denn unser +alter Hausbrahmane wurde einmal recht böse, als ich etwas Ähnliches +verlauten ließ: ich solle nur zu Krishna beten und das Denken den +Brahmanen überlassen. Da ich nun also nicht denken, wohl aber glauben +darf, so will ich glauben, daß wir wirklich und wahrhaftig Nala und +Damayanti waren." + +Und indem sie ihre Hände betend zum blütenschimmernden, +blätterflimmernden Wipfel vor uns emporhob, sprach sie den Baum an mit +den Worten, die Damayanti, im Walde umherirrend, an den Asoka richtet, +nur daß die schmiegsamen Clokaverse des Dichters sich wie von selber auf +ihren Lippen mehrten und reicher blühten, wie ein Schößling, der in +geweihten Boden umgepflanzt ist: + +"Du Sorgenloser! der Wehklage lausche der sorgenvollen Maid! +Der du den Namen trägst 'Herzfrieden'! diesem Herzen den Frieden schenk'! +Mit Blumenaugen umherspähend, sprechend mit Blätterzungen fein, +Gieb Kunde mir, wo mein Herzwalter wandert, wo jetzt mein Nala weilt". + +Dann blickte sie mich mit liebevollen Augen an, in deren Tränen das +Mondlicht sich spiegelte, und sagte mit bebenden Lippen: + +"Wenn du fern von hier bist und an diesen Ort unserer Seligkeit +zurückdenkst, dann stelle dir vor, daß ich hier stehe und so mit diesem +schönen Baume spreche. Nur sage ich dann nicht 'Nala', sondern +'Kamanita'." + +Ich schloß sie in meine Arme und preßte meine Lippen auf die ihren. + +In diesem Augenblick rauschte der Wipfel über uns. Eine große, leuchtend +rote Blume schwebte herab und ließ sich auf unsere tränenfeuchten Wangen +nieder. Vasitthi nahm sie lächelnd in die Hand, weihte sie mit einem +Kusse und reichte sie mir. Ich verbarg sie an meiner Brust. + +Mehrere Blumen waren in dem Baumgange zur Erde gefallen. Medini, die +neben Somadatta auf einer Bank nicht weit von uns entfernt saß, sprang +auf, und, einige gelbe Asokablüten emporhaltend, rief sie, indem sie auf +uns zukam: + +"Sieh, Schwester! Die Blumen fangen schon an abzufallen. Bald werden +genug für dein Bad da sein." + +"Aber diese gelben darf Vasitthi freilich nicht in ihr Badewasser tun," +fügte mein immer schalkhafter Freund hinzu, "wenn ihr blumenhafter Leib +ihrer Liebe gemäß blühen soll, sondern nur solche scharlachrote, wie +jene, die Freund Kamanita soeben in seinem Gewande verbarg. Denn im +goldenen Buch der Liebe heißt es: 'Safrangelbe Neigung nennt man sie, +wenn sie zwar in die Augen fällt, aber wieder verloren geht; +scharlachrot aber nennt man sie, wenn sie nicht wieder verloren geht und +übermäßig in die Augen fällt'" + +Dabei lachten er und seine Medini auf ihre lustige, vertrauliche Weise. + +Vasitthi aber antwortete ernst, wenn auch mit ihrem süßen Lächeln, indem +sie meine Hand fest und sanft drückte: + +"Du irrst dich, lieber Somadatta! Meine Liebe hat keine Blumenfarbe. +Denn ich habe sagen hören, die Farbe der echtesten Liebe sei nicht rot, +sondern schwarz--schwarz wie der Hals Qivas wurde, als der Gott das Gift +verschlang, das sonst die Wesen vernichtet hätte. Und so muß es auch +sein: auch das Gift des Lebens muß die wahre Liebe vertragen können, und +willig muß sie das Bitterste kosten, um es dem Geliebten zu ersparen. +Und gewiß wird sie lieber davon ihre Farbe wählen, als von allen +leuchtenden Freuden." + +Also sprach meine geliebte Vasitthi in jener Nacht unter den sorgenlosen +Bäumen. + + + + +VII. IN DER SCHLUCHT + + +Tief bewegt durch diese lebhafte Erinnerung, schwieg der Pilger eine +kleine Weile. Dann seufzte er, strich sich mit der Hand über die Stirn +und fuhr in seiner Erzählung fort. + +Kurz, Bruder, ich ging während dieser ganzen Zeit wie in einem Rausche +von Seligkeit umher, und meine Füße schienen kaum mehr die Erde zu +berühren. Einmal mußte ich laut lachen, weil ich hörte, daß es Leute +gebe, die diese Welt ein Jammertal nennen und ihre Gedanken und Wünsche +darauf richten, nicht mehr unter den Menschen wiedergeboren zu werden. +"Welch ausgemachte Toren, Somadatta!" rief ich, "als ob es einen +vollkommeneren Ort der Seligkeit geben könnte als die Terrasse der +Sorgenlosen." + +Aber unter der Terrasse war die Schlucht. + +In diese waren wir gerade hinuntergeklettert, als ich jene törichten +Worte ausrief, und als sollte mir gezeigt werden, daß auch die höchste +Erdenwonne ihre Bitterkeit hat, wurden wir in demselben Augenblick von +mehreren bewaffneten Männern angefallen. Wie viele es waren, vermochten +wir in der tiefen Dunkelheit nicht zu unterscheiden. Glücklicherweise +konnten wir uns den Rücken durch die Felsenwand decken, und mit dem +beruhigenden Bewußtsein, nur von vorn bedroht zu sein, fingen wir an, +für unser Leben und unsere Liebe zu fechten. Wir bissen die Zähne +zusammen und waren schweigsam wie die Nacht, während wir so ruhig wie +möglich parierten und stießen; unsere Gegner aber heulten wie die +Teufel, um sich gegenseitig anzufeuern, und wir vermeinten acht bis zehn +Stimmen unterscheiden zu können. Wenn sie nun auch ein paar bessere +Degen vorfanden, als sie erwartet haben mochten, so war unsere Stellung +doch ernst genug. Bald lagen aber zwei von ihnen auf der Erde, und ihre +Körper hinderten die anderen, die fürchteten, über sie zu stolpern und +so unseren Schwertspitzen überliefert zu werden, beträchtlich am +Kämpfen. Sie mochten sich einige Schritte zurückgezogen haben, denn wir +fühlten nicht mehr ihren heißen Atem im Gesicht. + +Ich flüsterte Somadatta ein paar Worte zu, und wir rückten mehrere +Schritte zur Seite, in der Hoffnung, daß die Angreifer, uns an der alten +Stelle wähnend, einen plötzlichen Vorstoß machen und dabei anstatt an +uns an die Felsenwand geraten und an dieser ihre Schwertspitzen +zerbrechen würden, während die unserigen ihnen gehörig zwischen die +Rippen fahren sollten. Obwohl wir nun die äußerste Vorsicht +beobachteten, muß aber doch wohl ein leises Geräusch ihren Verdacht +erweckt haben. Denn der erhoffte blinde Angriff erfolgte nicht, wohl +aber sah ich plötzlich einen schmalen Lichtstreif die Wand treffen und +wurde auch gewahr, daß dieser Strahl von einem Lampendocht herkam, der +offenbar in einer vorsichtig geöffneten Dose steckte, neben der sich +auch eine warzige Nase und ein zusammengekniffenes Auge zeigten. + +Da die Bambusstange, mit deren Hilfe wir die Terrasse erklommen hatten, +glücklicherweise sich noch in meiner linken Hand befand, stieß ich +beherzt zu--ein lauter Schrei, das Verschwinden des Strahls und das +Klirren des zu Boden gefallenen Lämpchens bezeugten, wie gut ich +getroffen hatte; und diesen Augenblick benutzten wir nun, in der +Richtung, in der wir gekommen waren, eilends davon zu laufen. Wir +wußten, daß hier die Kluft allmählich enger wurde und ziemlich steil +aufstieg, und daß man zuletzt ohne übermäßige Mühe die Höhe erklettern +konnte. Doch war es ein großes Glück, daß unsere Angreifer die +Verfolgung in der Finsternis sehr bald aufgaben, denn beim letzten +Aufstieg drohten meine Kräfte mich zu verlassen, und ich fühlte, daß ich +aus mehreren Wunden heftig blutete; auch mein Freund war verwundet, +obschon leichter. + +Oben angekommen, zerschnitten wir mein Gewand und verbanden notdürftig +unsere Wunden, und so gelangte ich denn endlich, auf Somadattas Arm +gestützt, glücklich nach Hause, wo ich dann mehrere Wochen auf dem +Schmerzenslager zubringen mußte. + +Da lag ich nun, von dreifachem Leid geplagt. Denn die Wunden und das +Fieber verbrannten mir den Leib, und sehrende Sehnsucht nach der +Geliebten verzehrte meine Seele--bald aber kam noch die Besorgnis um ihr +teures Leben hinzu. Denn das zarte, blumenhafte Wesen hatte die +Nachricht von der tödlichen Gefahr, in der ich geschwebt hatte und +vielleicht noch immer schwebte, nicht ertragen können und war von einer +schweren Krankheit befallen worden. Ihre getreue Milchschwester Medini +ging aber tagtäglich von einem Krankenlager zum anderen, und so fehlte +es uns wenigstens nicht an dauernder Verbindung und an sinnigem Verkehr. +Blumen wanderten zwischen uns hin und her, und da wir beide in die +Wissenschaft der Blumensprache eingeweiht waren, vertrauten wir uns +durch diese lieblichen Boten gar mancherlei an. Später, als unsere +Kräfte sich hoben, fand auch manch zierlicher Vers den Weg von Hand zu +Hand, und so hätte unser Zustand sich bald recht erträglich gestaltet, +wenn nicht mit der Genesung, der wir in gleichem Schritt uns +näherten--gleichsam zu treu verbunden, als daß der eine dem anderen +darin vorauseilen wollte--auch die Zukunft an uns herangetreten wäre und +uns mit schweren Sorgen erfüllt hätte. + +Es war uns nämlich nicht verborgen geblieben, welcher Art jener +scheinbar so rätselhafte Überfall gewesen war. Kein anderer als der Sohn +des Ministers--Satagira war sein verhaßter Name--, mit dem ich an jenem +unvergeßlichen Nachmittage im Parke um Vasitthis Ball gerungen hatte: +kein anderer war es als er, der die gedungenen Mörder auf mich gehetzt +hatte. Ohne Zweifel hatte er bemerkt, daß ich nach der Abreise der +Gesandtschaft noch immer in der Stadt zurückblieb, und sein dadurch +geweckter Argwohn hatte gar bald meine nächtlichen Besuche auf der +Terrasse erspäht. + +Ach, jene Terrasse der Sorgenlosen war unserer Liebe jetzt wie ein +versunkenes Eiland. Wohl hätte ich freudig immer wieder und wieder mein +Leben in die Schanze geschlagen, um die Holde dort zu umfangen. Aber +selbst wenn Vasitthi das Herz gehabt hätte, mich allnächtlich tödlicher +Gefahr auszusetzen, so blieb uns doch eine solche Versuchung erspart. +Der böse Satagira mußte die Eltern meiner Geliebten von unseren geheimen +Zusammenkünften unterrichtet haben, denn es zeigte sich bald, daß +Vasitthi sorgfältig und argwöhnisch überwacht wurde, und daß der +Aufenthalt auf der Terrasse ihr nach Sonnenuntergang verboten +war--angeblich wegen ihrer noch gefährdeten Gesundheit. + +So war denn unsere Liebe obdachlos! Die sich so gern im Verborgenen +heimisch fühlt, durfte nur dort zu Hause sein, wo es alle Welt war!--In +jenem öffentlichen Garten, wo ich zuerst ihre göttliche Gestalt erblickt +und sie ein paarmal schon vergebens gesucht hatte, trafen wir uns wie +von ungefähr. Aber was für eine Begegnung war das! Wie flüchtig die +gestohlenen Minuten, wie zaghaft und sparsam die hastigen Worte, wie +gezwungen die Bewegungen, die sich neugierigen oder wohl gar spähenden +Blicken ausgesetzt fühlten! Vasitthi beschwor mich, die Stadt, wo mir in +ihrer Nähe tödliche Gefahr drohte, sofort zu verlassen. Sie klagte sich +bitter an, daß sie an jenem unvergeßlichen ersten Abend auf der Terrasse +durch ihren Eigensinn mich zum Bleiben überredet und mich dadurch +beinahe schon in den Rachen des Todes getrieben habe; vielleicht würden +in diesem Augenblick neue Meuchelmörder gegen mich gedungen. Wenn ich +mich nicht durch schleunigste Abreise dieser Gefahr entzöge, machte ich +sie zur Mörderin ihres Liebsten! Unterdrücktes Schluchzen erstickte ihre +Stimme, und ich mußte daneben stehen, ohne sie in meine Arme schließen +und ihr die Tränen, die schwer wie Gewittertropfen ihre blassen Wangen +herabrollten, wegküssen zu können. Einen solchen Abschied ertrug ich +nicht, und ich erklärte ihr, ich könne nicht von dannen reisen, ohne +vorher eine Zusammenkunft mit ihr zu haben, wie diese nun auch zu +bewerkstelligen sei. + +Vasitthis verzweifelt flehender Blick, als wir gerade in diesem Moment +durch das Nahen mehrerer Personen uns zu trennen genötigt wurden, konnte +meinen Entschluß nicht zum Wanken bringen. Ich vertraute auf die +Erfindungsgabe meiner Geliebten, die nunmehr, durch Sehnsucht nach mir +und durch Angst um mein Leben angespornt und von der schlauen und in +Liebessachen bewanderten Milchschwester Medini beraten, gewiß einen +Ausweg finden würde. Hierin täuschte ich mich nicht; denn noch in +derselben Nacht konnte Somadatta mir ihren recht verheißungsvollen Plan +mitteilen. + + + + +VIII. DIE PARADIESKNOSPE + + +Etwas außerhalb der östlichen Mauer Kosambis liegt ein schöner +Sinsapawald der eigentlich ein heiliger Hain ist. Auf einer Lichtung +steht noch das Heiligtum, freilich in sehr verfallenem Zustande. Schon +längst fand in diesem uralten Tempelchen kein Opferdienst mehr statt, +weil dem Krishna, dem es geweiht ist, ein neuer, weit größerer und +prachtvoller Tempel in der Stadt selber erstanden war. In der Ruine aber +hauste außer einem Eulenpaar eine Heilige, die des Rufes genoß, mit +Geistern in Verbindung zu stehen, durch deren Hilfe sie einen Einblick +in die Zukunft bekam--einen Einblick, den die gute Seele Opfergabe +darbietenden Mitmenschen nicht vorenthielt. Solche pilgerten denn auch +in großer Zahl zu ihr hin, und zwar vornehmlich nach Sonnenuntergang +junge verliebte Leute beiderlei Geschlechts, und es gab böswillige +Zungen, die behaupteten, die Alte sei eher eine Kupplerin, denn eine +Heilige zu nennen. Wie dem nun auch sein möge, _diese_ Heiligkeit war +gerade das, was wir brauchten, und ihr Tempelchen wurde als Stätte +unserer Zusammenkunft ausersehen. + +Am nächsten Tage zog ich mit meinen Ochsenkarren ab, und zwar zu der +Stunde, da sich die Leute in den Bazar oder in die Gerichtshalle +begaben. Dabei wählte ich geflissentlich die belebtesten Straßen, so daß +meine Abreise meinem Feinde Satagira gewiß kein Geheimnis bleiben +konnte. Aber schon nach wenigen Stunden der Fahrt machte ich in einem +großen Dorfe Halt und ließ meine Karawane dort ihr Nachtquartier +beziehen, zu nicht geringer Freude meiner Leute. Ich selbst bestieg ein +frisches Pferd und ritt gegen Sonnenuntergang, in den groben Mantel +eines meiner Diener gehüllt, denselben Weg nach Kosambi zurück. + +Es war völlig Nacht geworden, bis ich den Sinsapawald erreichte. Als ich +behutsam mein Reittier zwischen die Stämme hineinlenkte, wurde ich, wie +zum Willkommen, von dem herrlichen Dufte der Nachtlotusblüten auf dem +alten Krishnateiche empfangen. Bald zeichnete das zerbröckelnde, von +Götterbildern wimmelnde Tempeldach seine zackigen und wirren Formen +gegen den sternenfunkelnden Himmel. Ich war am Ziele. Kaum hatte ich +mich aus dem Sattel geschwungen, so waren auch meine Freunde schon an +meiner Seite. Mit einem Aufschrei des Entzückens stürzten Vasitthi und +ich einander in die Arme, halb besinnungslos vor Freude des +Wiedersehens, und ich weiß nur noch von Liebkosungen, stammelnden Worten +der Zärtlichkeit und Beteuerung unserer Liebe und Treue, bis ich jäh +emporschrak durch das unerwartete Gefühl eines weich fächelnden +Fittichs, der mir die Wange streifte, worauf sofort der Schrei einer +Eule und der häßliche Klang einer gesprungenen Bronzeglocke mich völlig +aus der Liebesverzückung erweckten. + +Medini hatte am Strange der alten Gebetglocke gezogen und dadurch die +Eule aus der Nische, in der sie hauste, verscheucht. Dies tat das gute +Mädchen nicht so sehr, um die Heilige zu rufen, als vielmehr, weil sie +sah, daß diese schon zum Tempelchen herauskam, offenbar ungehalten, weil +sie Stimmen im heiligen Bezirk vernommen hatte, ohne daß geläutet oder +angepocht worden wäre. + +Medini erklärte der Alten, der große Ruf ihrer Heiligkeit und ihrer +erstaunlichen Kenntnisse habe sie und diesen jungen Mann--wobei sie auf +Somadatta zeigte--bewogen, sie aufzusuchen, um Auskunft über das zu +erhalten, was von der Zeit noch verborgen sei. Die Heilige erhob prüfend +den Blick zum Himmel und meinte, da das Siebengestirn gerade eine +ungemein günstige Stellung zum Polarstern einnähme, dürfte sie +wohl hoffen, daß die Geister ihre Hilfe nicht versagen würden; +worauf sie Somadatta und Medini einlud, in das Haus Krishnas, des +sechzehntausendeinhundertfachen Bräutigams[1], einzutreten, der einem +liebenden Paar gern seine Herzenswünsche gewähre. Vasitthi und ich +blieben aber, als vermeintliche Dienerschaft, draußen zurück. + + [1] Die sich an diesen seltsamen Namen knüpfende Legende wird im + Kapitel "Buddha und Krishna" erzählt--s.S. 242 ff. + +Wie wir uns nun zuschwuren, daß nur der Alles hinraffende Tod uns sollte +trennen können, wie wir von meiner baldigen Rückkehr, sobald die +Regenzeit vorüber wäre, sprachen und Mittel und Wege erörterten, um ihre +sehr reichen Eltern dahin zu bringen, daß sie in unsere Verbindung +einwilligten, und wie dies von unzähligen Küssen, Tränen und Umarmungen +unterbrochen wurde: das wäre ich nicht einmal mehr imstande, dir genau +zu erzählen, denn es ist in meinem Gedächtnis nur wie die Erinnerung an +einen wirren Traum zurückgeblieben. Noch weniger aber kann ich, wenn du +selbst nicht Ähnliches erlebt hast, dir eine Vorstellung davon geben, +wie sich in jeder Umarmung wonniges Entzücken und herzzerreißende +Verzweiflung umschlangen; denn eine jede gemahnte daran, daß die letzte +für diesmal bald folgen würde; und wer stand dafür ein, daß diese dann +nicht die letzte überhaupt war? + +Nur gar zu bald traten Somadatta und Medini wieder aus dem Tempel +heraus. Die Heilige wollte nun auch uns die Zukunft offenbaren, aber +Vasitthi entsetzte sich ob dieses Gedankens. + +"Wie sollte ich es denn ertragen, wenn eine unheildrohende Zukunft sich +entschleierte?" rief sie aus. + +"Warum denn auch gerade unheildrohend?" meinte die wohlwollende Alte, +die wohl wegen ihrer Heiligkeit freundliche Lebenserfahrungen gemacht +haben mochte. "Auch dem Diener blüht das Glück," fügte sie +verheißungsvoll hinzu. + +Aber Vasitthi ließ sich durch ihre Worte nicht locken; schluchzend +umklammerte sie meinen Hals. + +"Ach, mein einzig Geliebter," rief sie, "mir ist es, als ob die Zukunft +mit unerbittlichem Gesicht dreinschaute. O, ich fühle es,--ich werde +dich nie mehr wiedersehen!" + +Obwohl mich diese Worte mit eisigem Schauer durchrieselten, versuchte +ich ihr doch diese grundlose Angst auszureden; aber eben, weil sie +grundlos war, vermochten meine beredtesten Worte wenig oder gar nichts. +Die Tränen rollten unaufhaltsam über Vasitthis Wangen; mit einem Blick +überirdischer Liebe ergriff sie meine Hand und drückte sie an ihre +Brust. + +"Aber wenn wir uns hier nicht mehr sehen sollten, so wollen wir uns doch +treu bleiben, und wenn dies kurze und leidenvolle Erdenleben vorüber +ist, wollen wir uns im Paradiese wiederfinden und dort vereinigt auf +immer himmlische Wonne genießen.... O, Kamanita! Versprich mir das--wie +viel stärker wird das mich aufrichten als alle tröstenden Worte! Denn +diese sind ja doch gegen den unvermeidlichen, schon heranbrausenden +Schicksalsstrom so ohnmächtig wie das Schilf gegen die Wasserflut. Aber +allmächtig, neues Leben gebärend, ist der heilige, feste Entschluß." + +"Wenn es nur darauf ankommt, geliebte Vasitthi--wie sollte ich dich dann +nicht überall finden?" sagte ich, "aber hoffen wir, daß es in dieser +Welt geschehen wird!" + +"Hier ist Alles unsicher, und schon der Augenblick, in dem wir sprechen, +gehört uns nicht an--aber nicht so im Paradiese." + +"Ach, Vasitthi," seufzte ich, "gibt es ein Paradies--und wo liegt es?" + +"Wo die Sonne untergeht," sagte sie mit voller Überzeugung, "liegt das +Paradies des grenzenlosen Lichtes, und Allen, die den Mut haben, das +Irdische zu verachten und ihr Denken auf jenen Ort der Seligkeit zu +richten, steht dort eine reine Geburt bevor, aus dem Schoße einer +Lotusblume. Die erste Sehnsucht nach jenem Paradiese bringt dort im +heiligen, kristallklaren See eine Knospe hervor, jeder reine Gedanke, +jede gute Tat läßt sie anschwellen, während alles Böse, was in Gedanken, +Wort und Tat vollbracht wird, wie ein Wurm in ihr nagt und sie dem +Verwelken nahe bringt." + +Ihre Augen leuchteten gleich Tempelkerzen, als sie so sprach mit einer +Stimme, die wie die lieblichste Musik klang. + +Dann erhob sie ihre Hand und zeigte hinauf, wo über den schwarzen +Wipfeln der Sinsapabäume die Milchstraße sich in sanft strahlendem +Alabasterglanz durch die mit funkelnden Sternen übersäte, purpurdunkle +Himmelsebene streckte.-- + +"Sieh dort, Kamanita," rief sie--"die himmlische Ganga! Schwören wir bei +ihren silbernen Wellen, die die Lotusseen jener seligen Gefilde +speisen,--unsere ganze Seele darauf zu richten, dort unserer Liebe eine +ewige Heimat zu bereiten." + +Seltsam bewegt, hingerissen und in meinem Innersten tief erschüttert, +erhob ich meine Hand zu der ihren, und unsere Herzen bebten gemeinsam +bei dem göttlichen Gedanken, daß in diesem Augenblick in unabsehbaren +Weltenfernen hoch über den Stürmen dieses irdischen Daseins eine +Doppelknospe ewigen Liebeslebens sich bildete. + +Als ob hiermit ihre Kräfte erschöpft wären, sank Vasitthi in meine Arme, +wo sie wie leblos liegen blieb, nachdem sie noch einen hinsterbenden +Abschiedskuß auf meine Lippen gedrückt hatte. + +Ich legte sie sanft in die Arme Medinis, bestieg mein Pferd und ritt +davon, ohne daß ich mich noch einmal umzusehen wagte. + + + + +IX. UNTER DEM RÄUBERGESTIRN + + +Als ich das Dorf, wo meine Leute Nachtquartier bezogen hatten, wieder +erreichte, zögerte ich nicht, diese zu wecken, und schon ein paar +Stunden vor Sonnenaufgang war die Karawane unterwegs. + +Am zwölften Tage erreichten wir um die Mittagsstunde ein gar liebliches +Tal in der waldigen Gegend Vedisas. Ein kleiner kristallklarer Fluß wand +sich gemach durch die grünen Wiesen; die sanft ansteigenden Hügel waren +mit blühendem Gebüsch bestanden, das einen würzigen Duft verbreitete; +etwa in der Mitte der langgestreckten Talsohle und unfern dem Flüßchen +erhob sich ein Nyagrodhabaum, dessen undurchdringliche Laubkuppel einen +schwarzen Schatten auf die smaragdene Matte warf und, von ihren tausend +Nebenstämmen gestützt, einen Hain bildete, in dem wohl zehn Karawanen +wie die meinige hätten Obdach finden können. + +Die Stelle war mir von der Hinreise wohl erinnerlich, und ich hatte sie +schon zur Lagerstätte ausersehen. Es wurde also Halt gemacht. Die +wegmüden Ochsen wateten in den Strom hinaus und tranken begehrlich das +kühle Naß, um sich dann am zarten Ufergras zu laben. Die Leute +erfrischten sich durch ein Bad und machten sich dann gleich daran, dürre +Zweige zu sammeln und ein Feuer zum Reiskochen anzuzünden, während ich +selbst--auch durch ein Bad erfrischt--mich im tiefsten Schatten, an eine +Wurzel des Hauptstammes angelehnt, hinstreckte, um an Vasitthi zu denken +und bald in der Tat von ihr zu träumen. An der Hand des geliebten +Mädchens schwebte ich durch paradiesische Gefilde. + +Ein großes Geschrei brachte mich jäh zur rauhen Wirklichkeit zurück. Als +ob ein böser Zauberer sie aus der Erde hätte emporwachsen lassen, +wimmelten bewaffnete Männer um uns herum, und das nahe Gebüsch entsandte +immer neue. Sie waren schon bei den Wagen, die ich in einem Kreise um +den Baum hatte aufstellen lassen, und fochten mit meinen Leuten, die +alle im Gebrauch der Waffen geübt waren und sich tapfer verteidigten. +Bald war ich mitten im Kampfgetümmel. Mehrere Räuber fielen von meiner +Hand. Plötzlich sah ich einen großen, bärtigen Mann von schrecklichem +Aussehen vor mir; sein Oberkörper war unbekleidet, und um den Hals trug +er eine dreifache Reihe von Menschendaumen. Da wußte ich denn: "Das ist +der Räuber Angulimala, der grausame, der blutgierige, der die Dörfer +undörflich, die Städte unstädtlich, die Länder unländlich macht, der die +Leute umbringt und ihre Daumen sich um den Hals hängt." Und ich glaubte +schon, meine letzte Stunde sei gekommen. + +Wirklich schlug mir dies Ungetüm sofort das Schwert aus der Hand"-eine +Leistung, die ich keinem Wesen aus Fleisch und Blut zugetraut hätte. +Bald lag ich an Händen und Füßen gefesselt auf der Erde. Um mich her +waren alle meine Leute erschlagen bis auf einen, einen alten Diener +meines Vaters, der von der Menge überwältigt worden und, ebenso wie ich, +unverwundet in Gefangenschaft geraten war. Ringsum, unter dem schattigen +Dache des Riesenbaumes, in Gruppen gelagert, taten die Räuber sich +gütlich. + +Jene kristallene Kette mit dem Tigerauge, von der ich dir schon erzählt +habe, wie sie beim Ringkampf mit Satagira um Vasitthis Ball zerriß"-jene +Kette, die mir meine gute Mutter beim Abschied als Amulett umgehängt +hatte, war mir durch Angulimalas blutige Mörderhand vom Halse gezerrt +worden. Noch viel schmerzlicher war mir aber der Verlust der Asokablume, +die ich seit jener Nacht auf der Terrasse immer an meinem Herzen +getragen hatte. Nicht weit von mir glaubte ich sie zu entdecken, ein +rotes Flämmchen im zerstampften Grase, gerade dort, wo die jüngsten +Räuber hin und her liefen, das dampfende Fleisch des schnell +geschlachteten und gebratenen Rindes und Kürbisflaschen mit Branntwein +den Schmausenden zu bringen. Mir war es, als ob sie mein Herz +zerstampften, so oft ich meine arme Asokablume unter ihren schmutzigen +Füßen verschwinden sah, um immer weniger leuchtend zum Vorschein zu +kommen, bis ich sie gar nicht mehr erspähen konnte. Und ich dachte, ob +wohl Vasitthi jetzt vor dem sorgenlosen Baume stände, um ihn zu +befragen? Wie gut dann, daß er ihr nicht sagen konnte, wo ich weilte, +denn gewiß hätte sie vor Schreck ihre zarte Seele ausgehaucht, wenn sie +mich in dieser Umgebung gesehen hätte. + +Nur ein Dutzend Schritte von mir entfernt zechte der furchtbare +Angulimala selber mit einigen seiner Vertrauten. Fleißig machte die +Flasche die Runde, und die Gesichter"--mit Ausnahme eines einzigen, von +dem ich noch später sprechen werde"--wurden immer röter, während die +Räuber sich lebhaft, fast erregt unterhielten, ja bald in offenbaren +Streit gerieten. + +Leider gehörte die Wissenschaft der Gaunersprache damals noch nicht zu +meinen vielen Fähigkeiten--woraus man ersieht, wie wenig der Mensch +beurteilen kann, welche Kenntnisse ihm am nützlichsten sein werden. Gar +zu gern hätte ich den Sinn ihrer lauten Rede verstanden, denn ich konnte +nicht in Zweifel sein, daß sie mich und mein Schicksal betraf. Die +Mienen und Gebärden zeigten mir das mit unheimlicher Deutlichkeit, und +wahre Flammenblicke, die unter den dichten, zusammengewachsenen Brauen +des Häuptlings von Zeit zu Zeit nach mir herüberblitzten, ließen mich +mein Amulett gegen den bösen Blick, das jetzt auf der zottigen Brust des +Ungeheuers selber erglänzte, sehr vermissen. In der Tat hatte ich, wie +ich später erfuhr, einen Liebling Angulimalas und dazu den besten Degen +der ganzen Bande vor seinen Augen niedergestreckt, und der Häuptling +hatte mich nur deshalb nicht getötet, weil er seine Rachsucht durch den +Anblick meiner langsamen Todesmarter zu stillen gedachte. Die anderen +aber wollten nicht zugeben, daß eine reiche Beute, die von Rechts wegen +der ganzen Bande gehörte, auf solche Weise nutzlos vergeudet würde. Ein +kahler, glatt rasierter Mann, der wie ein Priester aussah, fiel mir als +Angulimalas Hauptgegner auf, der allein es verstand, diesen Wilden zu +bändigen. Er war auch der einzige, dessen Gesichtsfarbe während des +Zechens seine Blässe bewahrte. Nach einem langen Streit, währenddessen +Angulimala ein paarmal in die Höhe fuhr und zum Schwerte griff, siegte +schließlich--zu meinem Heile--der professionelle Gesichtspunkt. + +Die Bande Angulimalas gehörte nämlich zu den "Absendern"--so genannt, +weil es zu ihren Regeln gehört, von zwei Gefangenen den einen +abzusenden, damit er das geforderte Lösegeld auftreibe. Wenn sie einen +Vater und seinen Sohn gefangen nahmen, hießen sie den Vater gehen, das +Lösegeld für den Sohn zu beschaffen; von zwei Brüdern schickten sie den +älteren; war ein Lehrer mit seinem Jünger in ihre Hände gefallen, so +wurde der Jünger abgesandt, hatten sie einen Herrn und seinen Diener +gefangen, so mußte der Diener gehen--darum eben hießen sie "Absender". +Zu diesem Zwecke hatten sie, ihrer Sitte gemäß, jenen Diener meines +Vaters geschont, während sie alle meine anderen Leute niedermetzelten; +denn obschon etwas bejahrt, war dieser noch rüstig und sah klug und +erfahren aus--wie er denn auch schon mehrmals Karawanen geführt hatte. + +Er wurde nun seiner Fesseln entledigt und noch an demselben Abend +abgeschickt, nachdem ich ihm eine vertrauliche Botschaft mitgegeben +hatte, an der meine Eltern die Richtigkeit der Sache erkennen konnten. +Bevor er sich auf den Weg begab, ritzte aber Angulimala einige Zeichen +in ein Palmblatt und übergab es ihm. Es war eine Art Geleitbrief für den +Fall, daß er auf dem Rückweg, wenn er die Summe bei sich trug, in die +Hände anderer Räuber fallen sollte. Denn Angulimalas Name war so +gefürchtet, daß selbst Räuber, die Königsgeschenke von der Straße +entführten, sich nimmer vermessen hätten, etwas, das sein Eigentum war, +auch nur anzurühren. + +Auch mir wurden nun bald die Fesseln abgenommen, da man wohl wußte, daß +ich nicht töricht genug sein würde, einen Fluchtversuch zu machen. Das +erste, wozu ich meine Freiheit benutzte, war, daß ich nach der Stelle +hinstürzte, wo ich die Asokablume hatte verschwinden sehen. Aber ach, +nicht einmal mehr ein farbloses Restchen konnte ich von ihr entdecken! +Diese zarte Blumenflamme schien unter den rohen Räuberfüßen gänzlich zu +Asche zerstampft. War sie ein Wahrzeichen unseres Liebesglücks? + +Ziemlich frei lebte und bewegte ich mich jetzt unter diesen gefährlichen +Gesellen, in der Erwartung des Lösegeldes, das binnen zwei Monaten +kommen mußte. + +Da wir uns in der dunklen Hälfte des Monats befanden, gingen die +Diebstähle und Räubereien lebhaft vonstatten. Denn diese Zeit, die der +furchtbaren Göttin Kali gehört, wird fast ausschließlich zu den +regelmäßigen Geschäften benutzt, so daß keine Nacht ohne irgend einen +Überfall oder Einbruch verging. Mehrmals wurden auch ganze Dörfer +geplündert. In der fünfzehnten Nacht des abnehmenden Mondes aber wurde +Kalis Fest mit grauser Feierlichkeit begangen. Nicht nur Stiere und +zahllose schwarze Ziegen, sondern auch einige unglückliche Gefangene +wurden vor ihrem Bild geschlachtet; man stellte das Opfer vor den Altar +und öffnete ihm eine Schlagader, so daß das Blut gerade in den +aufgerissenen Mund der scheußlichen, mit Menschenschädeln behangenen +Gestalt spritzte. Danach folgte eine wilde Orgie, wobei die Räuber sich +im Rauschtrank bis zur Besinnungslosigkeit besoffen und sich mit den +Bajaderen ergötzten, die man zu diesem Zwecke mit beispielloser +Dreistigkeit aus einem großen Tempel entführt hatte. Angulimala, der in +seiner Weinlaune großmütig wurde, wollte auch mich mit einer schönen, +jungen Bajadere beglücken. Da ich aber in Erinnerung an Vasitthi das +Mädchen verschmähte, so daß es ob dieser Schmach in Tränen ausbrach, +geriet er darüber in eine solche Wut, daß er mich ergriff und auf der +Stelle erdrosselt hätte, wäre mir nicht jener kahle, glattrasierte +Räuber zu Hilfe gekommen. Wenige Worte von ihm genügten, um den eisernen +Griff des Häuptlings erschlaffen zu lassen und ihn dann, brummend wie +eine notdürftig bezähmte Bestie, fortzuschicken. + +Dieser merkwürdige Mann, der jetzt zum zweitenmal mein Retter wurde--mit +Händen, die von dem von ihm geleiteten schrecklichen Kaliopfer noch +blutig waren--war der Sohn eines Brahmanen. Weil er aber unter einer +Räuberkonstellation geboren war, wandte er sich dem Räuberhandwerke zu. +Zuerst hatte er den "Würgern" angehört, trat aber auf Grund +wissenschaftlicher Erwägungen zu den "Absendern" über. Vom väterlichen +Hause her hatte er nämlich einen Hang zu religiösen Betrachtungen und +nicht weniger zu gelehrten Erörterungen ererbt. So leitete er einerseits +den Opferdienst als Priester--und man schrieb das seltene Glück dieser +Bande fast ebensosehr seiner Priesterwissenschaft wie der +Führertüchtigkeit Angulimalas zu--andererseits trug er auch die +Wissenschaft des Räuberwesens in systematischer Form vor, und zwar +sowohl die Technik wie die Moral; denn ich merkte zu meinem Erstaunen, +daß die Räuber eine solche hatten, und sich keineswegs für schlechtere +Menschen als andere hielten. + +Diese Vorträge fanden besonders nachts in der lichten Hälfte des Monates +statt, in der--abgesehen von zufälligen Vorkommnissen--die Geschäfte +ruhten. Auf einer Waldwiese hockten die Zuhörer in mehreren +halbkreisförmigen Reihen um den ehrwürdigen Vajaçravas, der mit +untergeschlagenen Beinen dasaß. Sein mächtiger haarloser Schädel +erglänzte im Mondlicht, und seine ganze Erscheinung war der eines +vedischen Lehrers nicht unähnlich, der in der Stille der Mondnacht den +Insassen der Waldeinsiedelei die Geheimlehre mitteilt--aber manches +unheilig wilde Gesicht, ja manche Galgenphysiognomie war rings in der +Runde zu schauen. Mir ist es in der Tat, als ob ich sie in diesem +Augenblick sähe--als ob ich das tiefe auf und ab schwellende Brausen des +ungeheuren Waldes hörte, manchmal durch das ferne Gebrüll eines Tigers +oder das heisere Bellen des Panthers unterbrochen--und dazu, ruhig +fließend wie ein Strom, die Stimme Vajaçravas'--diesen tiefen, +volltönenden Baß, eine köstliche Erbschaft ungezählter Generationen von +Udgatars[1]. + + [1] Vedischer Opfersänger. + +Zu diesen Vorträgen hatte ich Zutritt, weil Vajaçravas eine Vorliebe für +mich gefaßt hatte. Er behauptete sogar, ich sei unter einem Räuberstern +geboren wie er, und ich würde mich einmal den Dienern Kalis zugesellen, +weshalb es mir nützlich sei, seiner Rede zu lauschen, die unzweifelhaft +den in mir noch schlummernden Trieb wachrufen würde. Ich habe da also +sehr merkwürdige Vorlesungen von ihm gehört über die verschiedenen +"Sekten Kalis"--gewöhnlich Diebe und Räuber genannt--und über ihre +unterschiedlichsten Gebräuche. Ebenso lehrreich wie unterhaltend waren +seine Exkurse über Themata wie: "Die Nützlichkeit der Dirnen zum +Hineinlegen der Polizei", oder "Kennzeichen der für Bestechung +zugänglichen Beamten höheren und niederen Ranges, nebst kurzer Anweisung +über die in Frage kommenden Geldbeträge". Von scharfsinnigster +Menschenbeobachtung und strengster Schlußfolgerung zeugte seine +Behandlung der Frage "Wie und warum die Spitzbuben sich auf den ersten +Blick gegenseitig erkennen, während die ehrlichen Leute es nicht tun, +und welche Vorteile aus diesem Umstande ersteren erwachsen", nicht zu +reden von den glänzenden Ausführungen: "Über die Stupidität der +Nachtwächter im allgemeinen, eine anregende Betrachtung für +Anfänger"--bei welchen der nächtliche Wald von einem Lachchor +widerhallte, so daß man von allen Seiten des Lagers zusammenströmte, um +zu hören, was los sei. + +Aber auch trockene technische Fragen wußte der Meister interessant zu +behandeln, und ich erinnere mich wirklich fesselnder Schilderungen, wie +man geräuschlos eine Bresche in der Wand macht oder einen unterirdischen +Gang kunstgerecht anlegt. Die richtige Verfertigung der verschiedenen +Arten von Brecheisen, besonders des sogenannten "Schlangenmaules", sowie +des "krebsförmigen" Hakens wurde sehr anschaulich dargelegt; der +Gebrauch des leisen Saitenspieles, um zu erkunden, ob jemand wacht, und +des aus Holz gemachten Männerkopfes, den man zur Tür oder zum Fenster +hereinsteckt, um zu sehen, ob dieser vermeintliche Einbrecher bemerkt +wird--alles dies wurde gründlich besprochen. Seine Erörterungen, wie man +bei Ausführung eines Diebstahls unbedingt jeden umbringen müsse, der +später als Zeuge würde auftreten können, sowie die allgemeinen +Betrachtungen, wie ein Dieb nicht mit einem moralischen Wandel behaftet +sein dürfe, sondern rauh, hart und gewalttätig, gelegentlich dem +Rauschtrank und den Dirnen ergeben sein müsse, zählen zu den +gelehrtesten und geistreichsten Vorträgen, die ich je gehört habe. + +Um dir aber eine richtige Vorstellung von diesem wahrhaft profunden +Geiste zu geben, muß ich dir die berühmteste Stelle aus seinem in fast +kanonischem Ansehen stehenden Kommentar zu den uralten Kali-Sutras, der +Geheimlehre der Diebe, hersagen.[1] + + [1] Über den indischen Sutrastil und das folgende Kapitel siehe die + Note am Schlusse des Werkes. + + + + +X. Geheimlehre + + +Also: Das 476. Sutram lautet: _"Auch die göttliche, meint +ihr?--Nein!--Unverantwortlichkeit--wegen des Raumes der Schrift, der +Tradition."_ + +Der ehrwürdige Vajaçravas kommentiert dies folgendermaßen: + +_"Auch die göttliche--"_ nämlich Strafe. Denn im vorhergehenden +Sutram war von solchen Strafen die Rede, welche der Fürst oder die +Obrigkeit über den Räuber verhängt, als da sind: Hand-, Fuß- und +Nasenverstümmelung, der Breikessel, der Pechkranz, das Drachenmaul, das +Spießrutenlaufen, der Marterbock, die siedende Ölbeträufelung, die +Enthauptung, das Zerreißen durch Hunde, die Pfählung bei lebendigem +Leibe--hinreichende Gründe, warum der Räuber sich womöglich nicht fangen +lassen darf, wenn er aber doch gefangen worden ist, auf jede Weise zu +entfliehen versuchen soll. + +Nun meinen einige: auch göttliche Strafe drohe dem Räuber. "Nein," sagt +unser Sutram; und zwar deshalb nicht, weil _Verantwortungslosigkeit_ +statthat. Welches auf drei Weisen ersichtlich ist: durch Vernunft, durch +den Veda und durch die überlieferten Heldenlieder. + +_"Wegen des Raumes"_--hiermit ist folgende Vernunfterwägung gemeint. +Wenn ich einem Menschen oder einem Tier den Kopf abhaue, so fährt das +Schwert zwischen die unteilbaren Teilchen hindurch; denn diese selbst +kann es, eben wegen ihrer Unteilbarkeit, nicht durchschneiden. Was es +durchschneidet, ist der die Teilchen trennende leere Raum. Diesem aber +kann man, eben wegen seiner Leerheit, keinen Schaden zufügen. Denn einem +Nichts schaden ist gleich: nicht schaden. Folglich kann man durch dies +Durchschneiden des Raumes keine Verantwortlichkeit auf sich laden, und +eine göttliche Strafe kann nicht stattfinden. Wenn aber dies vom Töten +gilt, wieviel mehr dann von Handlungen, die von den Menschen geringer +bestraft werden! + +Soweit die Vernunft, nunmehr die Schrift. + +Der heilige Veda lehrt uns, daß das einzige wahrhaft Existierende, die +höchste Gottheit, das Brahman ist. Wenn dies aber wahr ist, dann ist +offenbar alle Tötung eine leere Täuschung. Dies sagt auch der Veda mit +deutlichen Worten an der Stelle, wo Yama, der Todesgott, den jungen +Naçiketas über dies Brahman belehrt und unter anderem sagt: + +Wer, tötend, glaubt, daß er tötet, +Wer, getötet, zu sterben glaubt, +Irr geht dieser wie jener:-- +Der stirbt nicht, und der tötet nicht. + +Noch überzeugender aber wird diese abgründige Wahrheit im Heldenliede +von Krishna und Arjuna uns offenbart. Denn Krishna, der an sich das +ungewordene, unvergängliche, ewige, allgewaltige, unerdenkliche Wesen +war, der höchste Gott, der sich zum Heil der Wesen als Mensch hatte +gebären lassen--Krishna half in den letzten Tagen seines Erdenwandeins +dem Könige der Panduinge, dem hochherzigen Arjuna, im Kriege gegen die +Kuruinge, weil diese ihm und seinen Brüdern großes Unrecht getan hatten. +Als nun die beiden Heere in Schlachtordnung ihre waffenstrotzenden +Reihen einander gegenüberstellten, erblickte Arjuna auf der gegnerischen +Seite manchen einstigen Freund, manchen Vetter und Gevatter der +vergangenen Tage: denn die Panduinge und die Kuruinge waren Söhne von +zwei Brüdern. Und Arjuna ward im Herzen innig gerührt, und er zögerte, +das Zeichen zur blutigen Schlacht zu geben; denn er mochte nicht jene +töten, die einst die Seinen gewesen. So stand er gesenkten Hauptes, von +schmerzlichem Zaudern zernagt, unschlüssig auf seinem Streitwagen: und +neben ihm der goldene Gott, Krishna, der sein Wagenlenker war. Und +Krishna erriet die Gedanken des edlen Pandaverfürsten. Und er zeigte +lächelnd auf die beiden Heeresmassen und belehrte ihn, wie alle jene +Wesen nur scheinbar entstehen und vergehen, weil in ihnen allen nur das +eine unerstandene und unvergängliche, von der Geburt und vom Tode +unberührte Wesen besteht: + +Wer einen für den Mörder hält, +Wer einen hier gemordet meint, +Der kennt und weiß von beiden nichts:-- +Denn Keiner mordet, Keiner stirbt. +Wohlan, den Kampf beginne du! + +Solchermaßen belehrt, gab der Pandaverfürst das Zeichen zum Beginn der +ungeheuren Schlacht und siegte. Also machte Krishna, der menschgewordene +höchste Gott, durch Offenbarung dieser großen Geheimlehre Arjuna von +einem flachsinnigen und weichherzigen Mann zu einem tiefsinnigen und +hartherzigen Weisen und Helden. + +So gilt denn nun in Wahrheit folgendes: + +Was Einer begeht und begehen läßt: wer zerstört und zerstören läßt, wer +schlägt und schlagen läßt, wer Lebendiges umbringt, Nichtgegebenes +nimmt, in Häuser einbricht, fremdes Gut raubt: Was Einer begeht, er +ladet keine Schuld auf sich.--Und wer da gleich mit einer scharf +geschliffenen Schlachtscheibe alles Lebendige auf dieser Erde zu einer +einzigen Masse Mus, zu einer einzigen Masse Brei machte, der hat darum +keine Schuld, begeht kein Unrecht. Und wer auch am südlichen Ufer der +Ganga verheerend und mordend dahinzöge, so hat der darum keine Schuld: +und wer da auch am nördlichen Ufer der Ganga spendend und schenkend +dahinzöge, so hat der darum kein Verdienst. Durch Milde, Sanftmut, +Selbstverzicht erwirbt man kein Verdienst, begeht man nichts Gutes. + +Und es folgt nun das erstaunliche, ja schreckliche + + _477. Sutram_, + +welches in seiner frappanten Kürze lautet: + +_"Vielmehr--wegen des Essers."_ + +Den Sinn dieser wenigen, in tiefstes Geheimnis sich hüllenden Worte +erschließt uns der ehrwürdige Vajaçravas folgendermaßen: + +Weit davon entfernt, daß göttliche Strafe dem Räuber und Totschläger +droht, findet "_vielmehr_" das Entgegengesetzte statt: nämlich +Gottähnlichkeit, was aus den Vedastellen hervorgeht, wo der höchste Gott +als der "_Esser_" gepriesen wird, wie: + +Der Krieger und Brahmanen ißt wie Brot, +Das mit des Todes Brühe er begießt. + +Wie nämlich die Welt in Brahman ihren Ursprung hat, so auch ihr +Vergehen, indem das Brahman sie immer wieder hervorgehen läßt und sie +immer wieder vernichtet. Gott ist somit nicht nur der Schöpfer, sondern +auch der Verschlinger aller Wesen, von denen hier nur "Krieger und +Brahmanen" genannt werden, als die Vornehmsten, die für alle stehen. Wie +es denn auch an einer anderen Stelle heißt: + +Ich esse Alle, aber mich ißt niemand. + +Diese Worte sagte nämlich der höchste Gott, als er in der Gestalt eines +Widders den Knaben Medhatithi zur Himmelswelt trug. Denn ungehalten über +seine gewaltsame Entführung verlangte dieser zu wissen, wer sein +Entführer sei: "Sage mir, wer du bist, sonst werde ich, ein Brahmane, +dich mit meinem Zorn treffen." Da gab nun der Widdergestaltige sich zu +erkennen als jenes höchste Brahman, das Alles in Allem ist, mit den +Worten: + +Wer ist's, der tötet und gefangen nimmt? +Wer ist der Widder, der dich führt von dannen? +Ich bin es, der in dieser Form erscheint, +Ich bin es, der erscheint in allen Formen. + +Wenn Einer fürchtet sich vor was auch immer, +Ich bin's, der fürchtet und der fürchten macht; +Doch in der Größe ist ein Unterschied: +Ich esse Alle, aber mich ißt niemand. + +Wer könnte mich erkennen, wer erklären? +Ich schlug die Feinde alle, mich schlug niemand. + +Hier muß es nun auch dem blödesten Auge klar werden, daß die +Brahmanähnlichkeit nicht darin liegen kann, geschlagen und gegessen zu +werden--wie es der Fall sein müßte, wenn Sanftmut und Selbstverzicht +etwas Gutes wäre--sondern im Gegenteil darin, alle Anderen zu schlagen +und zu essen--d.h. auszunutzen und zu vernichten--selbst aber von +niemand Schaden zu leiden. + +Es kann demnach keinem Zweifel unterliegen, daß jene Lehre--von der +Höllenstrafe der Gewalttäter--von den Schwachen erfunden ist, um sich +vor der Gewalttätigkeit der Starken zu schützen, indem sie dadurch die +letzteren einschüchtern wollen. + +Und wenn im Veda einige Stellen diese Lehre enthalten, so müssen +sie--weil mit den Hauptsätzen unvereinbar--von jenen fälschlich +eingeschoben worden sein. + +Wenn also der Rigveda sagt, daß, obwohl die ganze Welt eigentlich +das Brahman ist, der Gott dennoch den Menschen als das +Brahmandurchdrungenste erkenne:--so muß nunmehr anerkannt werden, +daß unter den Menschen wiederum der echte und wahre Räuber das +Brahmandurchdrungenste Wesen ist und somit die Krone der Schöpfung +darstellt. Was aber den Dieb anbelangt, der sich zur Räuberschaft nicht +erhebt, so ist es, weil die Schrift des öfteren erklärt, daß die Meinung +"dies gehört mir" eine Wahnvorstellung ist, die dem höchsten Zwecke des +Menschen hinderlich ist, ohne weiteres klar, daß der Dieb, der eben die +beständige tatsächliche Widerlegung jenes Wahnes "dies gehört mir" zu +seiner Lebensaufgabe gemacht hat, die höchste Wahrheit vertritt. Doch +steht, wegen seiner Gewalttätigkeit, der Räuber höher. + +So ist denn nun das "Krone-der-Schöpfung-Sein" des Räubers erwiesen, +sowohl durch Vernunfterwägung, wie mittelst der Schrift, und ist als +unwiderlegbar zu betrachten. + + + + +XI. DER ELEFANTENRÜSSEL + + +Nach dieser Probe der seltsamen Denkweise dieses außerordentlichen +Mannes--dem man wenigstens nicht, wie so vielen anderen berühmten +Denkern, zur Last legen kann, daß er seine Theorie nicht in die Praxis +umsetzte--nehme ich den Faden meiner Erzählung wieder auf. + +Bei solchen mannigfachen Erlebnissen und neuen +Geistesbeschäftigungen--ich versäumte selbstverständlich nicht, die +Gaunersprache mir zu eigen zu machen--konnte die Wartezeit mir nicht +lang werden. Je mehr sie sich aber ihrem Ende näherte, um so mehr wurde +meine Seelenruhe durch drückende Besorgnisse erschüttert. Würde das +Lösegeld überhaupt ankommen? Wenn auch jener Geleitbrief den Diener +gegen Räuber schützte, so könnte ihn ja unterwegs ein Tiger zerreißen +oder ein angeschwollener Fluß fortschwemmen, oder irgend einer der +zahllosen, nicht vorauszusehenden Zufälle einer Reise ihn aufhalten, bis +es zu spät war. Die Flammenblicke Angulimalas schossen oft so böswillig +nach mir hin, als ob er diesen Fall erhoffte, und der Angstschweiß brach +mir dann aus allen Poren. Wie wundervoll systematisch eingeleitet und +scharf logisch begründet auch die Ausführung Vajaçravas' darüber war, +daß in jedem Fall, in dem das Lösegeld nicht zur rechten Stunde gebracht +würde, der Betreffende mit einer Baumsäge durchzusägen und beide Teile +mitten auf die Landstraße hinzuwerfen seien--und zwar der Kopfteil nach +der Seite des aufgehenden Mondes zu: so gestehe ich doch, daß meine +Bewunderung für diese wissenschaftlich gewiß staunenswerte Leistung +meines gelehrten Freundes durch eine eigentümliche Bewegung meines etwas +"betroffenen" Bauchfelles einigermaßen beeinträchtigt wurde, zumal als +wirklich die doppelzähnige Baumsäge, die bei solchen Gelegenheiten +benutzt wurde, hergebracht und zur Veranschaulichung von zwei grimmigen +Gesellen an einem einen Menschen vorstellenden Bündel in Wirksamkeit +gesetzt wurde. + +Vajaçravas, der bemerkte, wie mir übel wurde, klopfte mir aufmunternd +auf die Schulter und meinte, das ginge mich ja nichts an. Dadurch +schöpfte ich natürlich die Hoffnung, daß er mich im Notfalle zum dritten +Male retten würde. Als ich aber in dankbarstem Tone etwas davon +verlauten ließ, machte er ein gar ernstes Gesicht und sprach: + +"Wenn dir dein Karma wirklich so gram sein sollte, daß das Lösegeld +nicht zur rechten Zeit ankommt, und wäre es auch nur um einen halben Tag +verspätet, dann kann dir freilich kein Gott und kein Teufel helfen, denn +die Gesetze Kalis sind unverbrüchlich. Jedoch, sei getrost, mein Sohn! +Du bist noch zu ganz anderen Dingen bestimmt. Und für dich fürchte ich +eher, daß du einmal, nach einem ruhmreichen Räuberleben, auf einem +öffentlichen Platze enthauptet oder gepfählt wirst--doch das hat ja noch +gute Weile." + +Ich könnte nicht sagen, daß dieser Trost mich sehr aufgerichtet hätte, +und so fühlte ich mich denn nicht wenig erleichtert, als eine volle +Woche vor Ablauf der Frist unser getreuer alter Diener mit der +geforderten Geldsumme eintraf. Ich nahm Abschied von meinem furchtbaren +Wirt, der in Erinnerung an seinen erschlagenen Freund finster +dreinblickte, als ob er mich lieber hätte durchsägen lassen, und drückte +zärtlich die Hand des Brahmanen, der eine Träne der Rührung durch die +Zuversicht bannte, wir würden uns sicher noch auf den nächtlichen Pfaden +Kalis begegnen. So zogen wir beide denn ab, von vier Räubern begleitet, +die mit ihrer Haut für unsere sichere Ankunft in Ujjeni hafteten. Denn +Angulimala, der um seine Räuberehre sehr besorgt war, versprach ihnen, +als er uns verabschiedete, wenn ich nicht heil in meiner Vaterstadt +abgeliefert würde, ihnen die Haut über die Ohren zu ziehen und ihre +Felle an den vier Ecken eines Kreuzweges aufzuhängen; und es war +bekannt, daß er immer sein Versprechen hielt. Glücklicherweise wurde das +hier nicht nötig, und die vier Gesellen, die sich unterwegs sehr wacker +betrugen, mögen noch in diesem Augenblick im Dienste der +schädelhalsbandschüttelnden Tänzerin sein. + +Wir erreichten Ujjeni ohne weitere Abenteuer, und ich hatte in der Tat +auch an den erlebten genug. Die Freude meiner Eltern, mich +wiederzusehen, war unbeschreiblich. Um so unmöglicher war es, ihnen die +Erlaubnis abzuringen, bald wieder eine Reise nach Kosambi zu +unternehmen. Mein Vater hatte ja außer der nicht unbedeutenden Lösesumme +auch alle Waren meiner Karawane und alle Leute verloren und war so bald +nicht imstande, eine neue Karawane auszurüsten. Aber dies war nur ein +kleines Hindernis im Verhältnis zu dem Schrecken, der meine Eltern beim +Gedanken an die Gefahren des Weges befiel. Auch hörte man ab und zu +immer wieder von furchtbaren Taten Angulimalas, und ich kann nicht +leugnen, daß es mich wenig gelüstete, noch einmal in seine Hände zu +fallen. Eine Botschaft nach Kosambi gelangen zu lassen, gab es in dieser +Zeit durchaus keine Möglichkeit, und so mußte ich mich denn mit der +Erinnerung begnügen und in fester Zuversicht auf die Treue meiner +angebeteten Vasitthi mich auf bessere Zeiten vertrösten. + +Diese kamen denn endlich auch. Eines Tages flog wie ein Lauffeuer die +Nachricht durch die Stadt, der schreckliche Angulimala sei von Satagira, +dem Sohne des Ministers in Kosambi, aufs Haupt geschlagen, die Bande +niedergemetzelt oder zersprengt, der Häuptling aber mit vielen der +hervorragendsten Räuber gefangen genommen und hingerichtet worden. + +Nun konnten meine Eltern meinen stürmischen Bitten nicht mehr +widerstehen. Man hatte in der Tat guten Grund, anzunehmen, daß jetzt für +längere Zeit die Straßen frei sein würden, und mein Vater war nicht +abgeneigt, wieder mit einer Karawane sein Glück zu versuchen. Da befiel +mich plötzlich eine Krankheit, und als ich vom Lager wieder aufstand, +war die Regenzeit schon so nahe herangerückt, daß man diese erst +abwarten mußte. Dann stand aber auch meiner Abreise nichts mehr +entgegen. Mit vielen Ermahnungen zur Vorsicht nahmen meine Eltern +Abschied von mir, und ich befand mich wieder unterwegs an der Spitze +einer wohlversehenen Karawane von dreißig Ochsenkarren, freudigen und +mutigen Herzens und von brennender Sehnsucht getrieben. + +Unsere Reise ging so glatt vonstatten, wie das erste Mal, und an einem +schönen Morgen zog ich, halb närrisch vor Freude, in Kosambi ein. Hier +gewahrte ich nun bald ein ungewöhnliches Menschengedränge in den +Straßen. Ich kam infolgedessen immer langsamer vorwärts, bis mein Zug an +einer Stelle, wo er eine Hauptverkehrsader der Stadt zu durchkreuzen +hatte, endlich völlig zum Stillstehen gebracht wurde. Es war +schlechterdings nicht möglich, durch die Menge hindurchzudringen, und +ich bemerkte nun auch, daß jene Hauptstraße durch Fahnenstangen, von den +Fenstern und Söllern herabhängende Teppiche und querüber gespannte +Blumengewinde aufs prächtigste geschmückt war--wie für irgend einen +Aufzug. Fluchend vor Ungeduld, fragte ich die vor mir Stehenden, was +hier los sei. + +"Ei," riefen sie, "weißt du denn nicht, daß heute Satagira, der Sohn des +Ministers, seine Hochzeit feiert? Du kannst dich glücklich preisen, +gerade zu rechter Zeit eingetroffen zu sein, denn der Zug kommt jetzt +vom Krishnatempel hier vorüber, und eine solche Pracht hast du gewiß +noch nirgends gesehen." + +Daß Satagira Hochzeit hielt, war mir eine ebenso wichtige wie +willkommene Nachricht, weil sein Werben um meine Vasitthi bei ihren +Eltern eins der größten Hindernisse für unsere Vereinigung gewesen wäre. +So ließ ich mir denn das Warten gefallen, um so mehr als es nicht lange +dauern konnte; denn schon waren die Lanzenspitzen einer Reiterabteilung +sichtbar, die unter ohrenbetäubendem Jubel vorüberzog. Diese Reiter +genossen, wie man mir mitteilte, in Kosambi die größte Volksgunst, weil +hauptsächlich sie es waren, die die Bande Angulimalas unschädlich +gemacht hatten. + +Fast unmittelbar hinter ihnen kam der Elefant, der die Braut +trug--allerdings ein überwältigender Anblick. Die knorrige, hügelartige +Stirn des Riesentieres war, dem Götterberg Meru ähnlich, mit einem Flor +von mannigfarbigen Edelsteinen bedeckt. Wie bei einem brünstigen +Ilfenstier der Saft an den Schläfen und Wangen herabträufelt, und +Bienenschwärme, von seinem süßen Duft angelockt, darüber hängen, also +erglänzten hier Schläfen und Wangen von den wundervollsten Perlen und +darüber baumelten durchsichtige Gehänge von schwarzen Diamanten--eine +Wirkung, die zum Aufschreien schön war. Die mächtigen Hauer waren mit +dem feinsten Golde beschlagen; und aus demselben edlen Metalle war die +mit großen Rubinen besetzte Brustplatte, von der der duftigste blaue +Benaresmusselin herabhing und die kräftigen Beine des Tieres--wie +Morgennebel die Baumstämme--leicht umwallte. + +Aber es war der Rüssel des Staatselefanten, der vor allem meinen Blick +fesselte. Auch zu Hause, in Ujjeni, hatte ich ja bei Prozessionen sehr +prachtvolle Dekorationen der Elefantenrüssel gesehen, aber niemals eine, +die so geschmackvoll gewesen wäre wie diese. Bei uns nämlich wurde der +Rüssel in Felder eingeteilt, die irgend ein feines Muster bildeten, und +war also ganz mit Farbe gedeckt. Hier aber war die Haut als Untergrund +frei gelassen, und über diesen astähnlichen Grund war ein loses +Laubgeranke von lanzettförmigen Asokablättern geschlungen, aus dem +gelbe, orangefarbene und scharlachrote Blumen hervorleuchteten--Alles in +köstlichster ornamentaler Stilisierung ausgeführt. + +Während ich nun mit dem Blick eines Kenners dies Wunderwerk studierte, +kam ein gar wehmütiges Gefühl über mich, indem ich gleichsam den ganzen +Liebesduft jener seligen Nächte auf der Terrasse wieder einatmete. Mein +Herz begann heftig zu pochen, da ich unwillkürlich an meine eigene +Hochzeit denken mußte; denn welcher Schmuck konnte sinniger erfunden +werden für das Tier, welches dereinst Vasitthi tragen sollte, als gerade +dieser, da ja die "Terrasse der Sorgenlosen" wegen ihrer wunderbaren +Asokablüten in ganz Kosambi berühmt war? + +In diesem fast traumhaften Zustande vernahm ich, wie eine Frau neben mir +zu einer anderen sagte: + +"Aber die Braut--die sieht doch gar nicht fröhlich aus!" + +Unwillkürlich blickte ich in die Höhe, und ein seltsam unheimliches +Gefühl beschlich mich, als ich die Gestalt gewahr wurde, die dort unter +dem purpurnen Baldachin saß. Gestalt, sage ich--das Gesicht konnte ich +nicht sehen, weil der Kopf vornüber auf die Brust gesunken war--aber +auch von einer Gestalt sah man wenig, und es schien, als ob in jener +Masse von regenbogenfarbigen Musselins, wenn auch ein Körper, so doch +kein mit lebendiger, widerstandsfähiger Kraft begabter steckte. Die Art +und Weise, wie sie hin und her schwankte bei den Bewegungen des Tieres, +dessen mächtige Schritte das Zelt auf seinem Rücken in starkes Schaukeln +versetzten, hatte etwas unsagbar Trauriges, ja fast etwas +Grauenerregendes an sich. Man konnte in der Tat befürchten, daß sie im +nächsten Augenblick herunterstürzen würde. Eine solche Furcht mochte +auch die hinter ihr stehende Dienerin bewegen, denn sie faßte die Braut +an den Schultern und neigte sich zu ihr vor, um ihr aufmunternde Worte +ins Ohr zu flüstern. + +Ein eisiger Schreck lähmte mich, als ich in dieser vermeintlichen +Dienerin--Medini erkannte. Und ehe mir diese Ahnung noch deutlich +geworden war, hatte die Braut Satagiras den Kopf erhoben. + +Es war meine Vasitthi. + + + + +XII. AM GRABE DES HEILIGEN VAJAÇRAVAS + + +Ja, sie war es. Keine Möglichkeit, sich in diesen Zügen zu +täuschen,--und doch ähnelten sie sich selber nicht, und ähnelten in der +Tat nichts, das ich je gesehen hatte; in einem so namenlosen, +übermenschlichen Jammer schienen sie versteinert zu sein. + +Als ich wieder zur Besinnung kam, zogen gerade die Letzten des Zuges +vorüber. Man schrieb meine plötzliche Ohnmacht der Hitze und dem +Menschengedränge zu. Willenlos ließ ich mich in die nächste Karawanserei +bringen. + +Hier warf ich mich in der dunkelsten Ecke nieder, das Gesicht nach der +Wand gekehrt, und blieb da, in Tränen gebadet und alle Speise +verschmähend, tagelang liegen, nachdem ich jenem alten Diener und +Karawanenführer, der mich schon auf der ersten Fahrt begleitet, +Anweisung gegeben hatte, so schnell wie möglich und selbst unter +schlechten Bedingungen unsere Waren loszuschlagen, da ich zu krank sei, +um mich mit Geschäften abzugeben. In der Tat konnte ich nur an meinen +unfaßbaren Verlust denken; auch wollte ich mich nicht in der Stadt +zeigen, um von niemand erkannt zu werden. Denn ich wollte vor allem +verhindern, daß Vasitthi von meiner Anwesenheit etwas erführe. + +Ihr Bild, wie ich sie zuletzt gesehen, schwebte mir fortwährend vor der +Seele. Wohl war ich über ihren Wankelmut oder eher ihre Schwäche +entrüstet; denn ich sah wohl ein, daß nur die letzte in Frage kam, und +daß sie dem Drängen der Eltern nicht hatte widerstehen können. Daß sie +dem triumphierenden Ministersohn nicht ihr Herz zugewandt hatte, davon +zeugten ihre Haltung und Miene deutlich genug. Wenn ich mich aber ihrer +erinnerte, wie sie im Krishnahaine leuchtenden Blickes mir ewige Treue +zugeschworen hatte, verstand ich nicht, wie es möglich war, daß sie so +bald nachgegeben hatte, und ich sagte mir unter bitterem Seufzen, daß +auf Mädchenschwüre kein Verlaß sei. Aber immer wieder tauchte jenes +Gesicht voll tiefsten Jammers vor mir auf--und sofort war dann auch +jeder Groll verscheucht, nur das innigste Mitleid wallte ihm entgegen; +und so beschloß ich fest, ihren Kummer nicht dadurch noch zu vermehren, +daß von meiner jetzigen Anwesenheit in Kosambi ihr etwas zu Gehör käme. +Nie mehr sollte sie etwas von mir erfahren; sicher würde sie dann +glauben, daß ich gestorben sei, und sich in ihr Schicksal, dem es ja an +äußerem Glanz nicht fehlte, nach und nach ergeben. + +Ein günstiger Umstand fügte es, daß mein alter Diener unerwartet schnell +die Waren sehr vorteilhaft eintauschte oder verkaufte, so daß ich schon +nach wenigen Tagen in früher Morgenstunde mit meiner Karawane Kosambi +verlassen konnte. + +Als ich nun durch das westliche Stadttor hinausgekommen war, wandte ich +mich um und warf einen letzten Blick auf die Stadt, in deren Mauern ich +so Unvergeßliches an Freude und Leid erlebt hatte. Vor einigen Tagen, +als ich eingezogen, war ich dermaßen von ungeduldiger Erwartung erfaßt +gewesen, daß ich für nichts in der Nähe ein Auge gehabt hatte. So wurde +ich denn jetzt zum ersten Male gewahr, daß nicht nur die Zinnen des +Tores, sondern auch der Mauerrand zu beiden Seiten mit aufgespießten +Menschenköpfen schrecklich geschmückt war? + +Kein Zweifel--es waren die Köpfe der hingerichteten Räuber aus der Bande +Angulimalas! + +Zum ersten Male, seitdem ich Vasitthis Gesicht unter dem Baldachin +gesehen, erfüllte mich jetzt ein anderes Gefühl als das der Trauer, +indem ich mit unaussprechlichem Schauder diese Köpfe betrachtete, von +denen die Geier längst nur das Knochengerüst übrig gelassen hatten und +höchstens noch die Zöpfe oder hier und dort einen Bart, dessen +Urwüchsigkeit sein Gebiet geschützt hatte. So wären sie alle unerkennbar +gewesen, wenn nicht einer durch den wilden, roten Bart, ein anderer +durch die nach der Art der asketischen Flechtenträger am Scheitel +aufgewundenen Zöpfe sich verraten hätte. Diese beiden und zweifelsohne +auch viele der anderen hatten mir oft in der nächtlichen Runde +kameradschaftlich zugenickt, und ich erinnerte mich mit entsetzlicher +Anschaulichkeit, wie dieser rote Bart, im Mondesstrahle sprühend, bei +jenem Vortrage über die Stupidität der Nachtwächter vor Lustigkeit +gewackelt hatte, ja fast vermeinte ich aus dem lippenlosen Munde noch +das dröhnende Gelächter zu hören. + +Aber auf der mittleren Torzinne erglänzte, etwas über die anderen +erhoben, ein mächtiger Schädel im Strahle der aufgehenden Sonne und zog +gebieterisch meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Wie sollte ich diese +Formen nicht wiedererkennen? Der war's, der uns damals zum Lachen +gebracht hatte, ohne selbst eine Miene seines Brahmanengesichtes zu +verziehen. Vajaçravas' Kopf dominierte hier, während der Angulimalas +zweifelsohne über dem östlichen Stadttor aufgesteckt war. Und ein +sonderbares Gefühl beschlich mich bei dem Gedanken, wie gründlich er +einst die verschiedenen Arten von Todesstrafen expliziert hatte--das +Vierteilen, das Zerreißen durch Hunde, die Pfählung, die +Enthauptung--und wie sorgfältig er dadurch begründen wollte, daß der +Räuber sich nicht fangen lassen dürfe; wenn er aber schon einmal +gefangen sei, versuchen müsse, durch alle Mittel zu entfliehen. Ach! Was +hatte ihm seine Wissenschaft geholfen? So wenig vermag der Mensch seinem +Schicksal zu entgehen, das ja nur die Frucht unserer Taten ist--sei es +in diesem, sei es in einem vorhergehenden Leben! + +Und mir war es, als ob er durch seine leeren Augenhöhlen mich gar ernst +betrachtete und sein halb geöffneter Mund mir zuriefe: "... Kamanita, +Kamanita! betrachte mich genau, achte wohl auf diesen Anblick! Auch du, +mein Sohn, bist unter einem Räubergestirn geboren, auch du wirst die +nächtigen Pfade Kalis betreten, und ebenso wie ich hier, wirst auch du +einmal irgendwo enden." + +Aber seltsam genug: diese Phantasie, die so lebhaft wie eine sinnliche +Wahrnehmung war, erfüllte mich nicht mit Schrecken und Schaudern. Meine +vermeintlich vorgeschriebene Räuberlaufbahn, der ich noch nie einen +ernsten Gedanken geschenkt hatte, stand plötzlich nicht nur in ernstem, +sondern sogar in verlockendem Lichte vor mir. + +Räuberhäuptling!--Was konnte mir Elenden erwünschter sein? Denn daran +zweifelte ich keinen Augenblick, daß ich mit meinen vielen Fähigkeiten +und Kenntnissen, und besonders mit denen, die ich dem Unterricht des +ehrwürdigen Vajaçravas verdankte, eine leitende Stellung einnehmen +würde. Und welche Stellung käme denn für mich der eines Räuberhäuptlings +gleich? War doch selbst die eines Königs dagegen gering zu schätzen. +Denn konnte die mir Rache an Satagira verschaffen? Konnte die Vasitthi +in meine Arme führen? Ich sah mich selbst mitten im Walde im Kampfe mit +Satagira, dem ich mit einem wuchtigen Schwerthieb den Schädel spaltete; +und wieder sah ich mich, wie ich die ohnmächtige Vasitthi in meinen +Armen aus dem brennenden, von Räuberstimmen widerhallenden Palast +entführte. + +Zum ersten Maie seit jenem jammervollen Anblick schlug mein Herz wieder +mutig und hoffnungsvoll einer Zukunft entgegen; zum ersten Male wünschte +ich mir nicht den Tod, sondern das Leben. + +Von solchen Bildern erfüllt war ich kaum tausend Schritte weiter +gezogen, als ich vor mir auf dem Wege eine von der entgegengesetzten +Seite kommende Karawane halten sah, während der Führer an einem kleinen +Hügel unmittelbar an der Landstraße offenbar ein Opfer darbrachte. + +Ich ging auf ihn zu, grüßte ihn höflich und fragte ihn, welche Gottheit +er hier verehrte. + +"In diesem Grabe," antwortete er, "ruht der heilige Vajaçravas, dessen +Schutze ich es verdanke, daß ich, durch eine gefährliche Gegend ziehend, +heil und unversehrt an Leib und Gut nach Hause komme. Und ich rate dir +sehr, es ja nicht zu versäumen, hier ein passendes Opfer darzubringen. +Denn wenn du auch beim Einziehen in das waldige Gebiet hundert Waldhüter +mietetest, so würden die dir keine so gute Hilfe gegen Räuber sein, wie +es der Schutz dieses Heiligen ist." + +"Mein lieber Mann!" entgegnete ich, "dieser Grabhügel scheint nur wenige +Monate alt zu sein, und wenn in ihm ein Vajaçravas begraben liegt, so +wird das gewiß kein Heiliger sein, sondern der Räuber dieses Namens." + +Der Kaufmann aber nickte ruhig zustimmend. + +"Der nämliche--gewiß.... Ich sah, wie er an dieser Stelle gepfählt +wurde. Und sein Kopf steckt noch über dem Tor. Nachdem er aber so die +vom Fürsten verhängte Strafe erlitten hat, ist er, dadurch von seinen +Sünden geläutert, fleckenlos in den Himmel eingegangen, und sein Geist +schützt jetzt den Reisenden gegen Räuber. Auch sagt man übrigens, daß er +schon während seines Räuberlebens ein gar gelehrter und fast heiliger +Mann gewesen sei; denn er wußte selbst geheime Teile des Veda +auswendig--wenigstens heißt es so." + +"Das verhält sich wirklich so," versetzte ich, "denn ich habe ihn sehr +gut gekannt und darf mich sogar seinen Freund nennen." + +Als der Kaufmann mich bei diesen Worten etwas erschrocken ansah, fuhr +ich fort: + +"Du mußt nämlich wissen, daß ich einst bei dieser Bande in +Gefangenschaft geraten war, und daß Vajaçravas mir bei dieser +Gelegenheit zweimal das Leben gerettet hat." + +Der Blick des Kaufmanns ging vom Schrecken zu bewunderndem Neid über: + +"Nun, dann kannst du dich wahrlich glücklich preisen. Stünde ich so bei +ihm in Gunst, dann würde ich in wenigen Jahren der reichste Mann in +Kosambi sein. Und nun, eine glückliche Reise, Beneidenswerter!" + +Damit ließ er seine Karawane sich wieder in Bewegung setzen. + +Ich versäumte selbstverständlich nicht, am Grabe meines berühmten und +verehrten Freundes eine Totenspende niederzulegen, mein Gebet ging aber, +allen anderen hier abgehaltenen entgegen, darauf hinaus, daß er mich +geradeswegs in die Arme der nächsten Räuberbande leiten sollte, der ich +mich dann mit seiner Hilfe anschließen wollte und deren Führung, woran +ich nicht zweifelte, bald von selber in meine Hände übergehen würde. + +Es sollte sich aber deutlich zeigen, daß mein gelehrter und nunmehr +durch Volksmund heilig gesprochener Freund sich geirrt hatte, als er +annahm, eine Räuberkonstellation habe über meiner Geburt geleuchtet. +Denn auf dem ganzen Weg nach Ujjeni trafen wir keine Spur von Räubern, +und doch wurde, kaum eine Woche nachdem wir einen großen Wald hart an +der Grenze Avantis gekreuzt hatten, eine Karawane, der wir begegnet +waren, in eben diesem Walde von Räubern überfallen. + +Es ist mir eine Quelle sonderbarer Betrachtungen gewesen, daß es +anscheinend auf einem reinen Zufall beruhte, wenn ich im bürgerlichen +Leben blieb, anstatt, wie mein Herz brennend begehrte, in das +Räuberleben einzutreten. Freilich mag wohl von den nächtigen Pfaden +Kalis auch einer auf den Weg der Pilgerschaft ausmünden, wie ja auch von +den vom Herzen ausgehenden, mit fünffarbigem Safte erfüllten +hundertundein Adern eine einzige nach dem Kopfe führt und diejenige ist, +durch welche beim Tode die Seele den Körper verläßt. So könnte ich ja +auch in dem Falle, daß ich Räuber geworden wäre, noch immer jetzt ein +Pilger sein und mich auf dem Wege nach dem Ziele der Erlösung befinden. +Wenn aber Einer die Erlösung erlangt, dann werden seine Werke, böse wie +gute, zu nichts, durch die Glut des Wissens gleichsam zur Asche +verbrannt. + +Auch muß ich sagen, daß jene Zwischenzeit, im Räuberleben oder im +bürgerlichen verbracht, vielleicht hinsichtlich der moralischen Früchte +nicht so verschieden ausgefallen wäre, wie es dir, o Bruder, wohl +scheinen mag. Denn ich habe, während ich unter den Räubern lebte, wohl +bemerkt, daß es auch unter ihnen sehr verschiedenartige Leute gibt, und +zwar einige mit sehr vortrefflichen Eigenschaften, und daß, wenn man von +gewissen Äußerlichkeiten absieht, der Unterschied zwischen Räubern und +ehrlichen Leuten nicht ganz so ungeheuer ist, wie die letzteren es sich +gern vorstellen. Und andererseits habe ich in der reifen Periode meines +Lebens, in die ich nunmehr eintrat, nicht umhin können zu bemerken, daß +die ehrlichen Leute den Dieben und Räubern in das Handwerk pfuschen, +einige gelegentlich und gleichsam improvisierend, andere beständig und +mit großer und für sie sehr bekömmlicher Meisterschaft, so daß durch +gegenseitige Annäherung sogar nicht wenig Berührung zwischen beiden +Gruppen stattfindet. + +Weshalb ich denn auch nicht weiß, ob ich durch das günstige Schicksal, +das mich von den nächtigen Pfaden der schädelhalsbandschüttelnden +Tänzerin fernhielt, eigentlich so sehr viel gewonnen habe."-- + +Nach dieser tiefsinnigen Betrachtung schwieg der Pilger Kamanita und +richtete in Sinnen versunken seinen Blick nach dem Vollmond, der groß +und glühend draußen über dem fernen Wald--dem Aufenthalt der +Räuber--aufstieg und sein Licht gerade in die offene Halle des Hafners +hereinströmen ließ, wo es den gelben Mantel des Erhabenen in lauteres +Gold zu verwandeln schien, wie die Bekleidung eines Götterbildes. + +Der Erhabene, auf den der Pilger, vom Glanze angezogen und dennoch ohne +zu ahnen, wen er sah, unwillkürlich seinen Blick richtete, gab durch ein +langsames Kopfnicken seine Teilnahme zu erkennen und sagte: + +"Noch seh' ich dich, Pilger, vielmehr der Häuslichkeit als der +Hauslosigkeit zuschreiten, obwohl der Weg in die letztere sich dir +wahrlich deutlich genug eröffnet hatte." + +"So ist es, Ehrwürdiger! Blöden Auges sah ich diesen Ausweg nicht, +sondern schritt eben, wie du sagtest, der Häuslichkeit zu." + +Und nach einem tiefen Seufzer fuhr der Pilger mit frischer und heiterer +Stimme in dem Bericht seiner Erlebnisse fort. + + + + +XIII. DER LEBEMANN + + +So lebte ich denn im Elternhause zu Ujjeni.--Diese meine Vaterstadt, o +Fremder, ist ja aber nicht weniger durch ihre Lustbarkeit und rauschende +Lebensfreude als wegen ihrer glänzenden Paläste, und prächtigen Tempel +in ganz Indien berühmt. Ihre breiten Straßen hallen bei Tage vom Wiehern +der Pferde und Trompeten der Elefanten wider, und bei Nacht vom +Lautenspiele der Verliebten und von den Liedern fröhlicher Zecher. + +Besonders aber erfreuen sich die Hetären Ujjenis eines außerordentlichen +Rufes. Von den großen Kurtisanen, die in Palästen wohnen, Tempel den +Göttern und öffentliche Gärten dem Volke stiften und in deren +Empfangssälen man Dichter und Künstler, Schauspieler, vornehme Fremde, +ja manchmal sogar Prinzen trifft--bis zu den gewöhnlichen Dirnen herab +sind sie alle von schwellgliedriger Schönheit und unbeschreiblicher +Anmut. Bei den großen Festlichkeiten, bei Aufzügen und Schaustellungen +bilden sie den Hauptschmuck der blumenprangenden, wimpelumflatterten +Straßen. In cochenilleroten Kleidern, duftende Kränze in den Händen, von +Wohlgerüchen umwallt, von Diamanten funkelnd, siehst du sie dann, o +Bruder, auf ihren besonderen Prachttribünen sitzen oder die Straßen +dahinziehen, mit liebevollen Blicken, aufreizenden Gebärden und +lachenden Scherzworten allerwärts die Sinnenglut der Lustverlangenden zu +hellen Flammen schürend. + +Vom König verehrt, vom Volke angebetet, von den Dichtern besungen, +heißen sie ja "die bunte Blumenkrone des felsenragenden Ujjeni" und +ziehen uns den Neid der weniger begünstigten Nachbarstädte zu. Öfters +gastieren auch dort die hervorragendsten unserer Schönheiten, ja es +kommt sogar vor, daß eine solche durch eine königliche Verordnung +zurückgerufen werden muß. + +Mir, der ich nun meinen lebenverzehrenden Kummer ertränken wollte, wurde +von den Händen dieser fröhlichen Schwesterschaft der goldige Lustkelch +des berauschenden Vergessenheitstrankes willig und reichlich an die +Lippen geführt. Durch meine vielen Fähigkeiten und großen Kenntnisse der +schönen Künste aller Art und nicht weniger aller geselligen Spiele wurde +ich ein gern gesehener Gast der großen Kurtisanen, von denen eine sogar, +deren Gunst mit Geld kaum aufzuwiegen war, sich zuletzt so +leidenschaftlich in mich verliebte, daß sie sich meinetwegen mit einem +Prinzen überwarf. Andererseits wurde ich durch meine völlige +Beherrschung der Gaunersprache leicht vertraut mit den Dirnen der +Gäßchen, deren Gesellschaft ich auf dem Wege derben Lebensgenusses +keineswegs verschmähte, und von denen mehrere mir von Herzen ergeben +waren. + +So tauchte ich denn tief in den rauschenden Strudel der Vergnügungen +meiner Vaterstadt, und es wurde, o Fremder, eine sprichwörtliche +Redensart in Ujjeni: "Ein Lebemann wie der junge Kamanita." + +Nun zeigte es sich aber, daß schlechte Gewohnheiten, ja selbst Laster +manchmal dem Menschen einen Glücksfall bringen, so daß der weltlich +Gesinnte nicht leicht entscheiden kann, ob er am meisten seinen guten +oder seinen schlechten Eigenschaften sein Gedeihen zu verdanken hat. + +Jene Vertrautheit mit den niedrigeren Dirnen kam mir nämlich sehr +zustatten. Im Hause meines Vaters wurde ein Einbruch verübt, und +Juwelen, die ihm zum großen Teil zur Schätzung anvertraut waren, +gestohlen, und zwar in einem Betrage, der kaum mehr zu ersetzen war. Ich +war außer mir, denn völliger Ruin drohte uns. Vergebens bot ich alle die +Kenntnisse auf, die ich im Walde mir erworben hatte. Nach der Weise, wie +der unterirdische Gang angelegt war, konnte ich wohl sagen, was für +einer Art von Dieben die Täterschaft zuzuschreiben sei. Aber selbst +dieser so nützliche Wink war zwecklos für die Polizei--die allerdings in +Ujjeni nicht auf ähnlicher Höhe steht wie die Hetärenwirtschaft, was +vielleicht nicht ganz ohne inneren Zusammenhang sein mag. Habe ich doch +in einem sehr gelehrten Vortrag über das Liebesleben der verschiedenen +Stände folgenden Satz gehört: "Die Liebesabenteuer des Polizeimeisters +haben während der nächtlichen Inspizierung stattzufinden und zwar mit +den Stadtdirnen;"--was in Verbindung mit jener Vorlesung Vajaçravas' +"Über die Nützlichkeit der Dirnen zum Hineinlegen der Polizei" in jener +Zeit des ängstlichen Wartens mir manches zu denken gab. + +Nun scheint es ja aber in dieser unserer sonderbaren Welt so +eingerichtet zu sein, daß die linke Seite für das aufkommen muß, was die +rechte versäumt. Und so geschah es denn auch hier, daß jene üppige Blüte +Ujjenis mir die Frucht trug, welche der, vielleicht wegen dieser +Üppigkeit etwas kümmerlich geratene Dornenhag des Polizeiwesens zu +zeitigen nicht vermochte. Denn die guten Mädchen, als sie mich wegen der +mir und den Meinigen drohenden Not untröstlich sahen, ermittelten die +Täter und zwangen sie, durch Androhung völliger Entziehung ihrer Gunst, +die Beute wieder herauszugeben, so daß wir glimpflich davon kamen, mit +Verlust des Wenigen, das schon verpraßt gewesen, und mit einem +Schrecken, der für mich nicht ohne gute Wirkung blieb. + +Durch ihn wurde ich nämlich aus meinem Zeit und Jugendkraft unnütz +vergeudenden Wüstlingsleben aufgerüttelt. Dieses war ohnehin zu einem +Punkt gelangt, wo es mich entweder unter dem Joch der Gewohnheit völlig +knechten und versumpfen lassen, oder aber mich anzuwidern anfangen +mußte. Die letztere Wirkung wurde nun eben durch jenes Erlebnis +gefördert. Ich hatte die Armut mir ins Gesicht starren sehen--die Armut, +der mich jenes Leben wehrlos überliefert hätte, um mich dann treulos mit +allen seinen kostspieligen Freuden zu verlassen. Nun besann ich mich auf +jenes Wort des Kaufmannes am Grabe Vajaçravas: "Wenn ich so hoch in +Gunst bei Vajaçravas stände wie du, dann würde ich in wenigen Jahren der +reichste Mann in Kosambi sein." Und ich beschloß, der reichste Mann in +Ujjeni zu werden, und zu diesem Zwecke mich mit aller Kraft auf den +Karawanenhandel zu verlegen. + +Ob nun mein im Jenseits weilender Freund und Meister, Vajaçravas, mir +bei meinen Unternehmungen in eigener Person beistand, wage ich nicht zu +entscheiden, wiewohl ich es manchmal glaubte; sicher aber ist, daß seine +Worte es jetzt nachträglich taten. Denn daß ich durch seine Belehrung +mit allen Gewohnheiten und Gebräuchen der verschiedenen Räuberarten +vertraut, ja selbst in ihre geheimen Regeln eingeweiht war, das setzte +mich jetzt in den Stand, ohne törichte Waghalsigkeit Unternehmungen +durchzuführen, die ein anderer nimmermehr hätte wagen dürfen. Gerade +solche aber suchte ich mir jetzt aus und gab mich mit gewöhnlichen +Reisen gar nicht mehr ab. + +Wenn ich nun eine große Karawane nach einer Stadt führte, zu der +monatelang keine andere hatte vordringen können, weil gerade zu der Zeit +starke Räuberbanden die Gegend gleichsam abgesperrt hatten, so fand ich +die Einwohner dermaßen auf meine Waren erpicht, daß ich diese manchmal +mit dem zehnfachen Gewinn absetzen konnte. Aber damit nicht genug: einen +unschätzbaren Vorteil zog ich aus jener Belehrung "über die Kennzeichen +der für Bestechung zugänglichen Beamten höheren und niederen Ranges +nebst Anweisung über die dabei in Frage kommenden Geldbeträge"; und was +ich im Verlauf weniger Jahre durch geschickte Benutzung dieser Winke +gewonnen habe, kommt für sich allein einem mäßigen Vermögen gleich.-- + +So vergingen denn einige Jahre in gesundem Wechsel zwischen allerlei +Lebensgenüssen meiner freudigen Vaterstadt und gefahrreichen +Geschäftsreisen, die übrigens bei allem Ernst auch nicht die Lust +ausschlossen; denn ich stieg in den fremden Städten immer bei einer +Hetäre ab, an die ich gewöhnlich von einer gemeinsamen Ujjenier Freundin +empfohlen war, und die meine Kaufmannsgeschäfte oft gar schlau für mich +einfädelte. + +Eines Tages trat nun mein Vater vormittags in mein Zimmer, als ich +gerade damit beschäftigt war, auf meine Lippen Lackfarbe aufzutragen, +während ich gleichzeitig meinem Diener Anweisungen gab, der im Hofe vor +meinem Fenster mein Lieblingspferd sattelte. Das mußte diesmal mit +besonderer Sorgfalt geschehen, und es sollten durch eine eigenartige +Vorrichtung Kissen angeschnallt werden, denn ich mußte unterwegs eine +Gazellenäugige vor mir im Sattel halten. Ich hatte nämlich mit mehreren +Freunden und Freundinnen einen Besuch in einem öffentlichen Garten +verabredet. + +Ich wollte sofort meinem Vater Erfrischungen bringen lassen; er lehnte +es aber ab, und als ich ihm aus meiner goldenen Dose wohlriechende +Mundkügelchen anbot, schlug er auch diese aus und nahm nur etwas Betel. +Ich schloß daraus sofort, nicht ohne einige Beklemmung, daß er wohl +etwas Ernstes vorhaben mochte. + +"Ich sehe, daß du dich zu einem Vergnügungsausflug bereit machst, mein +Sohn," sagte er, nachdem er auf dem ihm von mir gebotenen Sitze Platz +genommen hatte; "auch kann ich dies keineswegs tadeln, da du erst +kürzlich von einer anstrengenden Geschäftsreise zurückgekehrt bist. Wo +willst du heute hin, mein Sohn?" + +"Ich will, Vater, mit einigen Freunden und Freundinnen nach dem Garten +der hundert Lotusteiche reiten, wo wir uns mit Spielen belustigen +wollen." + +"Gut, sehr gut, mein Sohn! Reizend, entzückend ist ja der Aufenthalt im +Garten der hundert Lotusteiche--tiefer Schatten der Bäume und kühlender +Hauch des Wassers laden da zum Verweilen ein. Auch sind artige und +sinnige Spiele zu loben, denn sie beschäftigen Körper und Geist ohne sie +anzustrengen. Ob wohl jetzt noch dieselben Spiele gebräuchlich sind, die +wir in meiner Jugend spielten? Was meinst du, Kamanita, wird wohl heute +dort gespielt werden?" + +"Es kommt darauf an, Vater, wer von uns mit seinem Vorschlage +durchdringt. Ich weiß, daß Nimi das Wasserspritzspiel vorschlagen will." + +"Das kenne ich nicht," sagte mein Vater. + +"Nein, Nimi hat es im Süden gelernt, wo es sehr Mode ist. Man füllt +dabei Bambusrohre mit Wasser und bespritzt sich gegenseitig, und wer am +nassesten wird, hat verloren. Das ist sehr drollig.--Kolliya aber will +den Kadambakampf in Vorschlag bringen." + +Mein Vater schüttelte den Kopf: + +"Das kenn' ich auch nicht." + +"O, das ist jetzt sehr beliebt. Die Spielenden teilen sich in zwei +Parteien, die einander bekämpfen, und dabei dienen eben die Zweige des +Kadambastrauches mit ihren großen, goldigen Blüten als gar prächtige +Schlagwaffen. Durch den Blütenstaub sind die Wunden kenntlich, so daß +die Kampfrichter danach entscheiden können, welche Partei gewonnen hat. +Das Ganze ist recht spannend und hat etwas Zierliches. Ich aber +beabsichtige, das Hochzeitsspiel vorzuschlagen." + +"Das ist ein gutes altes Spiel," sagte mein Vater mit einem auffallenden +Schmunzeln, "und es freut mich recht, daß du dafür eintreten willst, +denn das zeugt von deiner Gesinnung. Vom Spiel zum Ernst ist der Schritt +nicht gar zu groß." + +Dabei schmunzelte er wieder selbstgefällig, und mir wurde recht gruselig +zumute. + +"Ja, mein Sohn," fuhr er fort, "ich komme dabei gerade auf das, was mich +heute zu dir geführt hat. Du hast bei deinen vielen Kaufmannsreisen +durch Geschicklichkeit und Glück unser Vermögen vervielfacht, so daß das +Gedeihen unserer Geschäfte in Ujjeni sprichwörtlich geworden ist. +Andererseits hast du aber auch in vollen Zügen deine Jugendfreiheit +genossen. Aus dem ersteren folgt, daß du wohl imstande bist, deinen +eigenen Haushalt zu gründen. Aus dem zweiten, daß es jetzt auch für dich +an der Zeit ist, dies zu tun und daran zu denken, den Faden des +Geschlechts weiterzuspinnen. Um dir, meinem lieben Sohn, alles recht +leicht zu machen, habe ich schon im Voraus eine Braut für dich +ausgesucht. Es ist die älteste Tochter unseres Nachbars Sanjaya, des +großen Kaufmannes, die erst kürzlich das heiratsfähige Alter erreicht +hat. Sie stammt also, wie du siehst, aus einer ebenbürtigen, achtbaren +und sehr begüterten Familie und hat großen Verwandtenanhang, sowohl von +väterlicher wie von mütterlicher Seite. Ihr Körper ist makellos; sie hat +Haare von der Schwärze der Biene, ein Gesicht wie der Mond, die Augen +eines Gazellenlammes, eine der Sesamblüte ähnelnde Nase, Zähne wie +Perlen und Bimbalippen, von denen eine Stimme so süß wie die der Kokila +ertönt. Ihr Schenkelpaar ist herzerfreuend wie ein Pisangstamm, und +durch die Fülle der Hüften beschwert, hat ihr Gang die lässige Majestät +des Ilfen. Du wirst also unmöglich etwas gegen sie einwenden können." + +Ich hatte in der Tat nichts gegen sie einzuwenden, außer etwa, daß ihre +vielen mir so poetisch angepriesenen Reize mich völlig kalt ließen. Und +ich gestehe, daß von allen Hochzeitszeremonien mir diejenige der drei +Nächte der Enthaltsamkeit, in denen ich der Satzung gemäß mit meiner +jungen Gattin, nichts Scharfgewürztes essend, auf dem Boden schlafend +und das Hausfeuer unterhaltend, die Keuschheit zu bewahren hatte, die am +wenigsten lästige war. + +Eine ungeliebte Frau, o Bruder, macht das Heim nicht lieb und das Haus +nicht fesselnd, und so begab ich mich von jetzt ab fast noch williger +als zuvor auf Reisen und kümmerte mich in der Zwischenzeit nur um meine +Geschäfte. Und da ich--um der Wahrheit die Ehre zu geben--bei diesen +nicht gar zu skrupelhaft zu Werke ging, sondern ohne viel Bedenken +meinen Vorteil nahm, wo ich ihn sah, so wuchs mein Reichtum dermaßen, +daß ich mich nach wenigen Jahren dem Ziel meines Ehrgeizes nahe fand und +einer der reichsten Bürger meiner Vaterstadt war. + +Nun wollte ich aber auch als Hausherr und Familienvater--denn meine +Gattin hatte mir zwei Töchter geboren--meines Reichtums recht genießen +und besonders auch vor meinen Mitbürgern damit prunken. Ich erwarb mir +deshalb ein großes Grundstück in der Vorstadt, wo ich einen gar +prächtigen Lustgarten anlegte und in seiner Mitte ein geräumiges, mit +marmornen Säulenhallen versehenes Haus errichten ließ. Dies Besitztum +wurde zu den Wundern Ujjenis gerechnet, und selbst der König kam, um es +zu besichtigen. + +Hier veranstaltete ich nun märchenhafte Gartenfeste und gab die +üppigsten Gastmähler. Denn ich hatte mich mehr und mehr auf die Freuden +der Tafel geworfen. Die leckersten Speisen, die zur betreffenden +Jahreszeit überhaupt für Geld zu haben waren, mußten auf meinem Tische +sein, selbst zu den täglichen Mahlzeiten. Damals war ich nicht, wie du +mich jetzt siehst, durch lange Wanderungen, durch Waldaufenthalt und +Askese hager und abgezehrt, sondern von blühender Körperfülle; ja ein +Bäuchlein hatte schon angefangen sich zu runden. + +Und es wurde, o Fremder, eine sprichwörtliche Redensart in Ujjeni: "Man +ißt bei ihm, wie beim Kaufmann Kamanita." + + + + +XIV. DER EHEMANN + + +Eines Morgens ging ich in den Anlagen mit meinem Obergärtner, um zu +erwägen welche neue Verbesserungen anzubringen wären, als mein Vater auf +seinem alten Esel in den Hof ritt. Ich eilte hin, um ihm beim Absteigen +behilflich zu sein, und wollte ihn in den Garten führen, da ich glaubte, +er käme, um dessen Blumenpracht zu genießen. Er zog es aber vor, ins +erste beste Zimmer zu treten, und als ich dem Diener befahl, +Erfrischungen zu bringen, schlug er auch diese aus--er wolle ungestört +mit mir sprechen. + +Etwas unheimlich berührt, eine drohende Gefahr witternd, nahm ich neben +ihm auf einem niedrigen Sitze Platz. + +"Mein Sohn," fing er nun sehr ernst an, "deine Frau hat dir nur zwei +Töchter geboren, und es ist keine Aussicht, daß sie dir einen Sohn +schenken wird. Nun heißt es ja aber sehr richtig, daß der Mann +erbärmlich stirbt, für den kein Sohn das Totenopfer vollziehen kann. Ich +tadle dich nicht, mein Sohn," fügte er hinzu, als er bemerken mochte, +daß ich etwas unruhig wurde; und obwohl ich nicht wußte, wodurch ich mir +in diesem Handel hätte Tadel verdienen können, dankte ich ihm mit +geziemender Demut für seine Milde und küßte seine Hand. + +"Nein, ich muß mich selber tadeln, weil ich bei der Wahl deiner Frau +mich durch weltliche Rücksichten auf Familie und Güter zu sehr habe +blenden lassen und nicht genügend auf die Zeichen achtete. Das Mädchen, +das ich jetzt für dich im Auge habe, ist zwar aus einer wenig +hervorragenden und keineswegs begüterten Familie; auch kann man ihr das, +was der oberflächliche Betrachter 'Schönheit' nennt, nicht nachrühmen. +Dafür aber hat sie einen tief sitzenden und nach rechts gedrehten Nabel; +sowohl Hände wie Füße weisen Lotus-, Krug- und Radmal auf; ihr Haar ist +ganz glatt, nur im Nacken hat sie zwei nach rechts gewundene Locken. Von +einem Mädchen, das solche Zeichen besitzt, sagen ja die Weisen, daß es +fünf Heldensöhne gebären wird." + +Ich erklärte mich mit dieser Aussicht vollkommen befriedigt, dankte +meinem Vater für die Güte, mit der er für mich sorgte, und sagte, ich +sei bereit, das Mädchen sofort heimzuführen. Denn ich dachte: wenn es +doch sein muß!... + +"Sofort?" rief mein Vater erschrocken aus. "Aber, mein Sohn! Dämpfe dein +Ungestüm! Wir sind ja jetzt im südlichen Laufe der Sonne. Wenn diese +Gottheit in ihren nördlichen Lauf eintritt, und wir dann die +Monatshälfte, in welcher der Mond zunimmt, erreichen, dann wollen wir +einen günstigen Tag zur Handergreifung erwählen--aber eher nicht--eher +nicht, mein Sohn! Was würden uns sonst alle guten Eigenschaften der +Braut nützen?" + +Ich bat meinen Vater, unbesorgt zu sein. Ich würde mich so lange +gedulden und mich in allen Punkten von seiner Weisheit leiten lassen; +worauf er meinen Gehorsam lobte, mir seinen Segen erteilte und mir +gestattete, daß ich Erfrischungen kommen ließ. + +Endlich nahte der von mir nicht sehr ersehnte Tag, auf den sich alle +glückverheißenden Zeichen vereinten. Die Zeremonien waren diesmal noch +viel umständlicher; ich hatte vorher volle vierzehn Tage gebraucht, um +alle notwendigen Sprüche genau einzustudieren. Welche Angst ich während +der Handergreifung im Hause meines Schwiegervaters ausgestanden habe, +läßt sich mit Worten kaum beschreiben, Ich zitterte fortwährend vor +Furcht, daß ich irgend einen Vers nicht ganz richtig oder genau bei der +Bewegung, zu der er gehörte, hersagen möchte; denn mein Vater hätte mir +das ja nie vergeben. Und darüber hätte ich beinahe die Hauptsache +vergessen, denn anstatt ihren Daumen zu ergreifen, faßte ich nach ihren +vier Fingern, als ob ich wünschte, daß sie mir Töchter gebären +sollte--aber glücklicherweise hatte die Braut Geistesgegenwart genug, um +mir den Daumen in die Hand zu schieben. + +Ich war ganz in Schweiß gebadet, als ich endlich zur Abfahrt die Stiere +einspannen konnte, während meine Braut in die Kummetlöcher der Geschirre +je einen Zweig von einem fruchttragenden Baume steckte. Ich sprach aber +den betreffenden Halbvers mit dem Bewußtsein, daß jetzt das Schlimmste +vorüber sei. Die Gefahren waren jedoch keineswegs überstanden. + +Zwar erreichten wir mein Haus, ohne daß irgend einer von den vielen +kleinen Unfällen, die bei einer solchen Gelegenheit wie auf der Lauer +liegen, unterwegs sich ereignet hätte. Vor der Tür angekommen, wurde die +Braut von drei Brahmanenfrauen unbescholtenen Wandels, die alle nur +Knaben geboren hatten, und deren Männer noch lebten, vom Wagen gehoben. +So weit ging Alles gut. Nun aber kannst du dir, Bruder, meinen Schrecken +denken, als beim Eintreten ins Haus der Fuß meiner Frau _beinahe_ die +Schwelle berührt hätte. Ich weiß noch heute nicht, woher ich die +Entschlossenheit nahm, sie in meinen Armen hoch empor zu heben und +dadurch zu verhüten, daß eine Berührung wirklich stattfände. Immerhin +war eine solche Unregelmäßigkeit beim Hineingehen schlimm genug, und +dazu kam, daß ich nun selber vergaß, mit dem rechten Fuß zuerst +einzutreten. Glücklicherweise waren Alle, und besonders mein Vater, über +die drohende Berührung der Schwelle dermaßen entsetzt, daß mein +Fehltritt fast gänzlich unbeachtet blieb. + +In der Mitte des Hauses nahm ich zur Linken meiner Frau auf einem roten +Stierfell Platz, das mit der Nackenseite nach Osten und mit der +Haarseite nach oben lag. Nun hatte mein Vater nach langem Suchen und mit +unendlicher Mühe ein männliches Wunderkind ausfindig gemacht, das selber +nur Brüder und keine Schwester--auch keine gestorbene--hatte und von +einem Vater stammte, der sich in demselben Fall befand, nur Brüder zu +haben, was sogar auch noch von dessen Vater galt--alles gerichtlich +bescheinigt. Dies Knäblein sollte nun meiner Braut auf den Schoß gesetzt +werden. Schon stand an ihrer Seite die kupferne Schüssel bereit mit den +im Schlamme gewachsenen Lotusblumen, die sie dem Kinde in die +zusammengelegten Hände geben sollte;--da war das Unglücksmenschlein +nirgends zu finden. Erst nachher, als es schon zu spät war, entdeckte +ein Diener, daß der Kleine das Opferbett zwischen den Feuern gar zu +verlockend gefunden und sich in dem weichen Grase gewälzt hatte, bis er +fast gänzlich darin begraben war. Nun mußte natürlich das Opferbett neu +geschichtet und dazu frisches Kugagras geschnitten werden--was schon an +sich verkehrt war, weil ja das Gras bei Sonnenaufgang geschnitten sein +muß. + +Diese Krone des ganzen Werkes fahren lassend, mußten wir uns mit einem +in aller Hast herbeigeschafften Knäblein begnügen, dessen Mutter nur +Söhne geboren hatte. Mein Vater war aber über das Mißlingen dieser +Maßregel, auf die er so große Hoffnung gesetzt hatte, dermaßen erregt, +daß ich fürchtete, der Schlag könne plötzlich seinem teuren Leben ein +Ende machen. Freilich wäre er unter keinen Umständen jetzt gestorben, um +nur nicht dadurch den Zeremonien den allerverderblichsten Abbruch zu +tun. Diese tröstliche Betrachtung stellte ich aber damals nicht an. +Während ich von entsetzlicher Furcht gequält wurde, mußte ich die +Wartezeit bis zur Ankunft des Ersatzknaben damit ausfüllen, daß ich +ununterbrochen geeignete Sprüche hersagte, damit ja nicht eine leere +Pause entstände. + +In dieser Stunde aber gelobte ich mir fest, daß ich, was auch kommen +möchte, nie wieder heiraten würde. + +Nachdem endlich Alles erledigt war, mußte ich mit meiner Gemahlin--die +gar nicht ein solcher Ausbund von Häßlichkeit war, wie ich nach der +Empfehlung meines Vaters erwartet hatte--zwölf Nächte in gänzlicher +Enthaltsamkeit und unter strengem Fasten, auf dem Fußboden schlafend, +zubringen. Diesmal waren es nämlich _zwölf_ Nächte, weil mein Vater +meinte, wir müßten lieber zuviel, denn zuwenig des Guten tun. Dabei +empfand ich nun freilich recht schmerzlich, daß ich während der ganzen +Zeit alle meine gewürzten Lieblingsgerichte entbehren mußte. + +Indessen auch diese Probe wurde überstanden, und das Leben ging in dem +alten Geleise weiter--jedoch mit einem sehr wesentlichen Unterschied. Es +sollte sich mir nämlich nun bald zeigen, wie berechtigt meine Scheu vor +dem neuen Heiratsvorschlag meines Vaters gewesen war. Wohl hatte ich +mich sofort damit getröstet, daß man, wenn man _eine_ Frau hatte, auch +zwei haben konnte. Aber, ach! wie hatte ich mich darin getäuscht! + +Meine erste Frau hatte immer einen sanftmütigen Charakter gezeigt, der +eher zum Stumpfsinn als zu auffahrender Heftigkeit neigte; und auch +meiner zweiten Frau rühmte man eine echt weibliche Milde nach. So sind +ja auch, o Bruder, das Wasser und das Hausfeuer alle beide gar +wohltätige Dinge; wenn sie aber auf dem Kochherd zusammentreffen, dann +zischt's. Und so hat es denn von jenem Unglückstage an in meinem Hause +gezischt. Aber wie wurde es erst, als meine zweite Frau mir nun wirklich +den ersten jener fünf verheißenen Heldensöhne gebar! Nun beschuldigte +mich meine erste Frau, ich hätte mit ihr keine Söhne haben wollen und +nicht die rechten Opfer gebracht, um so einen Vorwand zu haben, eine +andere zu heiraten; während meine zweite Frau, wenn sie von der ersten +gereizt wurde, es an bitterem Hohn ihr gegenüber nicht fehlen ließ. Auch +herrschte ein fortwährender Rangstreit; meine erste Frau forderte als +solche den Vorrang, während meine zweite als Mutter meines Sohnes +dieselbe Forderung erhob. + +Aber bald sollte es noch schlimmer kommen. Eines Tages stürzte meine +zweite Frau ganz zitternd vor Erregung zu mir herein und verlangte, ich +sollte die erste fortschicken, da diese meinen Sohn vergiften wolle--der +Knabe hatte nämlich Leibschneiden bekommen, weil er genascht hatte. Ich +wies sie streng zurecht, kaum aber war ich sie los geworden, als die +erste hereinstürzte und rief, ihre beiden Lämmchen wären ihres Lebens +nicht mehr sicher, solange jenes niederträchtige Weib im Hause +bliebe--ihre Nebenbuhlerin wolle meine Töchterchen aus dem Wege räumen, +damit deren Mitgift nicht das Erbe ihres Sohnes vermindern sollte. + +So war denn unter meinem Dach kein Frieden mehr zu finden. Wenn du, o +Bruder, vorhin vielleicht am Gehöfte des reichen Brahmanen unweit von +hier stehen geblieben bist und gehört hast, wie drinnen die beiden +Frauen des Brahmanen keiften, mit lauten, schreienden Stimmen sich +zankten und sich gegenseitig mit groben Schimpfworten bewarfen--dann +bist du sozusagen auch an meinem Hause vorübergekommen. + +Und es wurde nun leider auch eine sprichwörtliche Redensart in Ujjeni; +"Die beiden vertragen sich wie die Frauen Kamanitas." + + + + +XV. DER KAHLE PFAFF + + +So waren die Verhältnisse in meinem Hausstande, als ich mich eines +Vormittags in dem geräumigen, auf der Schattenseite gelegenen Zimmer +befand, das ich zum Besorgen aller geschäftlichen Angelegenheiten +benutzte, und das deswegen dem Hofe zugekehrt war; denn es war mir +bequem, von dort aus die wirtschaftlichen Vorgänge im Auge behalten zu +können. Vor mir stand ein bewährter Diener, der alle meine Fahrten +während einer Reihe von Jahren mitgemacht hatte, und ich gab ihm genaue +Anweisungen über die Führung einer Karawane nach einem ziemlich +entfernten Orte, sowie über die Art und Weise, wie er dort am besten die +Waren würde absetzen können, welche Produkte er von dort aus +zurückbringen müsse, welche Geschäftsverbindungen er dort anzuknüpfen +habe und was dergleichen mehr war--denn ich wollte ihm die ganze Sache +anvertrauen. + +Allerdings war meine Häuslichkeit weniger anheimelnd als je, und man +könnte glauben, daß ich mit Freuden jede Gelegenheit ergriffen hätte, um +in der Fremde umherzuschweifen. Aber ich fing jetzt an, etwas bequem und +verwöhnt zu werden und scheute eine längere Reise, nicht nur wegen der +Strapazen der Fahrt, sondern vor allem wegen der kargen Kost, mit der +man, wenigstens unterwegs, vorlieb nehmen mußte. Ja, wenn man auch an +Ort und Stelle angekommen, das Verlorene nachholen und sich recht +gütlich tun wollte, so erlitt man doch oft Enttäuschungen, und +jedenfalls, so gut wie am eigenen Tische aß ich dort nirgends. + +So hatte ich denn angefangen, meine Karawanen unter zuverlässigen +Führern auszusenden, während ich selber zu Hause sitzen blieb. + +Als ich nun mitten in meinen sehr umständlichen und gar wohlüberlegten +Anweisungen war, erschallten vom Hofe her die zänkischen Stimmen meiner +beiden Frauen, und zwar ungewöhnlich laut und mit einem Redefluß, der +nicht aufhören zu wollen schien. Ärgerlich über diese lästige Störung +sprang ich schließlich auf, und nachdem ich vergebens durchs Fenster +geblickt hatte, trat ich in den Hof hinaus. + +Ich sah meine beiden Frauen am Eingangstor stehen. Aber weit davon +entfernt, sie in gegenseitigem Zank zu finden--wie ich es erwartet +hatte--, traf ich sie zum ersten Male einig, indem sie sich einen +gemeinsamen Gegner ausgesucht hatten, über den sich ihr vereinigter Zorn +ergoß. Dieser Unglückliche war ein wandernder Asket, der an den +Torpfosten gelehnt dastand, und ruhig diesen Strom von Beschimpfungen +über sich ergehen ließ. Was der eigentliche Grund ihres Angriffes war, +habe ich nie erfahren, vermute aber, daß der bei beiden stark +entwickelte mütterliche Instinkt in diesem Entsager einen Verräter gegen +die heilige Sache der menschlichen Vermehrung und einen Feind ihres +Geschlechts gewittert hatte, und daß sie sich so unwillkürlich über ihn +geworfen hatten wie zwei Ichneumons über eine Cobra. + +"Pfui über ihn, den kahlen Pfaffen, den schamlosen Bettler!--Sieh +nur, wie er dasteht, mit gebeugten Schultern und gesenktem +Blick--Frömmigkeit, Beschaulichkeit atmet er aus, der Heuchler, der +Gleißner! Nach dem Kochtopf späht er hin, schaut nach und schnüffelt und +schnuppert--wie der Esel, vom Karren losgeschnallt, im Hofe zum +Kehrichthaufen geht und hinspäht, und nachschaut, und schnüffelt und +schnuppert.... Pfui über ihn, den faulen Tagedieb, den schamlosen +Bettler, den kahlen Pfaffen!" + +Der Gegenstand dieser und ähnlicher Schmähreden, jener wandernde Asket, +ein Mann von auffallend hohem Wuchse, stand unterdessen immer noch an +den Türpfosten gelehnt, in gelassener Haltung da. Sein Mantel, von der +gelben Farbe der Kanikarablume und dem deinigen nicht unähnlich, fiel in +malerischen Falten über seine linke Schulter bis zu den Füßen hinab und +ließ einen kräftigen Körperbau erraten. Der schlaff herabhängende rechte +Arm war unbedeckt, und ich konnte nicht umhin, das gewaltige Geflecht +der Muskeln zu bewundern, das eher der wohlerworbene Besitz eines +Kriegers als das müßige Erbteil eines Asketen zu sein schien; auch die +tönerne Almosenschale mutete mich in seiner nervigen Hand ebenso +sonderbar und unangemessen an, wie eine eiserne Keule mir dort an +rechter Stelle erschienen wäre. Sein Kopf war geneigt, der Blick zu +Boden gesenkt, keine Miene verzog sich um den Mundwinkel, und so stand +er regungslos da, als ob ein tüchtiger Künstler das Bild eines +wandernden Asketen in Stein gehauen und fein bemalt und bekleidet hätte, +und ich nun dieses Bildwerk an meinem Tor hätte aufstellen lassen--etwa +als Wahrzeichen meiner Freigebigkeit. + +Diese seine Ungestörtheit, die ich für Sanftmut hielt, meine beiden +Frauen aber als Verachtung auffaßten, spornte natürlich diese zu immer +größeren Anstrengungen an, und so wäre es wohl schließlich zu +Tätlichkeiten gekommen, wenn ich nicht dazwischen getreten wäre, meinen +bösen Frauen ihr schändliches Betragen verwiesen und sie ins Haus gejagt +hätte. + +Dann trat ich zum Asketen hin, verneigte mich ehrerbietig und sprach: + +"Wolle, Ehrwürdigster, dir nicht zu Herzen nehmen, was diese Frauen, +deren Verstand ja kaum zwei Finger breit ist, an Ungebührlichem, +Unziemlichem gesagt haben mögen! Wolle, Ehrwürdigster, nicht deshalb mit +deinem Asketenzorn dies mein Haus vernichtend treffen! Ich will ja, +Ehrwürdigster, selber deine Almosenschale mit dem Besten füllen, was das +Haus vermag--welch ein Glück, daß sie noch leer ist! Ich will sie +füllen, daß kein Bissen mehr hineingeht, und kein Nachbar sich heute +dadurch, daß er dich ernährt, Verdienst erwerben kann. Du bist auch +wahrlich nicht vor die unrechte Schmiede gekommen, Ehrwürdigster, und +ich denke, das Essen wird dir munden, denn es ist sogar eine +sprichwörtliche Redensart hier in Ujjeni: 'Man ißt bei ihm, wie beim +Kaufmann Kamanita'--und der bin ich. Wolle also, Ehrwürdiger, nicht über +das Vorgefallene zürnen und meinem Hause fluchen." + +Der Asket aber antwortete darauf, mit nicht eben unfreundlicher Miene: + +"Wie könnte ich wohl, o Hausvater, über solche Schimpfereien zürnen, da +es mir doch zusteht, wegen viel gröberer Behandlung sogar dankbar zu +sein. Denn einst, o Hausvater, begab ich mich, zeitig gerüstet, mit +Mantel und Schale versehen, in eine Stadt, um Almosenspeisen zu sammeln. +In dieser Stadt aber hatte Mara, der Teufel, gerade damals die Brahmanen +und Hausväter gegen den Orden der Heiligen aufgehetzt. 'Geht mir mit +euren tugendhaften, edelgearteten Asketen! Beschimpft sie, beleidigt +sie, verjagt sie, verfolgt sie.' Und so geschah es, Hausvater, als ich +nun die Straßen daherging, daß bald ein Stein mir an den Kopf flog, bald +ein Scherben mich im Gesicht traf, bald ein Stock meinen Arm halb +zerquetschte. Als ich nun mit zerschnittenem, von Blut überströmtem +Kopfe, mit zerbrochener Schale und zerrissenem Mantel zum Meister +zurückkam, sagte dieser: 'Dulde nur, Asket, dulde nur! Um welcher Tat +Vergeltung du viele Jahre Höllenqual erlitten hättest, dieser Tat +Vergeltung findest du noch bei Lebzeiten.' + +Bei den ersten Lauten seiner Stimme zuckte mir ein jäher Schreck durch +den Leib vom Scheitel bis zur Sohle, und mit jedem Wort durchdrang ein +eisiges Erstarren tiefer mein ganzes Wesen. Denn das war ja, o Bruder, +die Stimme Angulimalas, des Räubers--wie konnte ich daran zweifeln? Und +als mein krampfhafter Blick sich an sein Gesicht heftete, erkannte ich +auch dieses wieder, obschon ihm früher der Bart fast bis an die Augen +gegangen und das Haar ihm tief in die Stirn gewachsen war, während er +jetzt kahl und rasiert vor mir stand. Nur zu gut erkannte ich die Augen +unter den buschigen, zusammengewachsenen Brauen wieder, obwohl sie mir +nicht wie damals Zornesblitze entgegensprühten, sondern mit tiefer +Verstellungskunst mich vielmehr freundlich anblickten; und die sehnigen +Finger, die die Almosenschale umspannten--gewiß waren es dieselben, die +einst wie Teufelskrallen meine Kehle umklammert hatten. + +"Wie sollte ich wohl, o Hausvater"--fuhr mein unheimlicher Gast +fort,--"wie sollte ich wohl über Schimpfreden in Zorn geraten? Denn der +Meister hat ja gesagt: 'Wenn auch, ihr Jünger, Räuber und Mörder euch +mit einer Baumsäge Gelenke und Glieder abtrennten, so würde, wer da in +Wut geriete, nicht meine Weisung erfüllen.'" + +Als ich aber, o Bruder, diese Worte mit ihrer so teuflisch versteckten +und mir so deutlichen Drohung vernahm, zitterten mir die Beine dermaßen, +daß ich mich an der Wand festhalten mußte, um nicht umzusinken. Nur mit +Mühe vermochte ich mich so weit zusammenzunehmen, daß ich, mehr noch +durch Gebärden als mit einigen hergestammelten Worten, dem als Asketen +verkleideten Räuber bedeuten konnte, er möchte sich gedulden, bis ich +die Speisen beschafft hätte. + +Dann eilte ich, so schnell wie meine wackeligen Beine mich tragen +wollten, quer über den Hof in die große Küche, wo gerade das Mittagsmahl +für meine Familie und die ganze Haushaltung zubereitet wurde, und es in +allen Pfannen und Töpfen briet und brodelte. Hier wählte ich nun ebenso +schnell wie sorgfältig das Beste und Schmackhafteste aus. Mit einer +goldenen Kelle bewaffnet und von einer ganzen Schar schüsseltragender +Diener gefolgt, stürzte ich wieder in den Hof, um meinen furchtbaren +Gast zu bedienen und womöglich zu versöhnen. + +Angulimala aber war verschwunden. + + + + +XVI. KAMPFBEREIT + + +Halb ohnmächtig sank ich auf eine Bank nieder. Doch fingen meine +Gedanken sofort wieder zu arbeiten an. Angulimala war dagewesen, dessen +war kein Zweifel; und auch der Grund seines Kommens war mir nur zu klar. +Wie viele Geschichten hatte ich nicht über seine Unversöhnlichkeit und +Rachsucht gehört! Nun hatte ich ja aber das Unglück gehabt, seinen +besten Freund zu erschlagen, und von meinem Aufenthalt unter den Räubern +wußte ich wohl, daß die Freundschaft bei ihnen nicht weniger gilt als +bei einer ehrsamen Bürgerschaft, wenn nicht sogar weit mehr. Als ich +aber sein Gefangener war, konnte Angulimala mich nicht töten, ohne sich +gegen die Regeln der "Absender" zu versündigen; und trotzdem hätte er es +zweimal beinahe getan und damit einen unauslöschlichen Fleck auf seine +Räuberehre gesetzt. Nun aber hatte er endlich dieses, von dem sonstigen +Gebiete seiner Tätigkeit weit abseits gelegene Land aufsuchen können und +wollte jetzt das Versäumte nachholen. In der Verkleidung eines Asketen +hatte er die Örtlichkeiten bequem in Augenschein nehmen können und ohne +Zweifel wollte er noch in derselben Nacht handeln. Wenn er auch bemerkt +haben mochte, daß ich ihn wieder erkannte, durfte er doch nicht zögern, +denn diese Nacht war die letzte der dunklen Hälfte des Monats, und ein +Unternehmen wie dieses in der lichten Hälfte auszuführen, wäre ein +Verstoß gegen die heiligen Räubergesetze gewesen, der ihm den strafenden +Zorn der schrecklichen Göttin Kali hätte zuziehen müssen. + +Sofort ließ ich mein bestes Pferd satteln und ritt in die Stadt nach dem +Palast des Königs. Leicht hätte ich bei ihm Zutritt erhalten, aber zu +meiner Enttäuschung erfuhr ich, daß er sich gerade in einem seiner +fernen Jagdschlösser aufhielt. Ich mußte mich also damit begnügen, den +Minister aufzusuchen. Dieser war gerade derselbe Mann, der einst jene +Gesandtschaft nach Kosambi geführt hatte und in dessen Obhut, wie du +dich erinnern wirst, ich wohl hin--aber nicht zurückgereist war. Seit +jenem Tage nun, an dem ich mich geweigert hatte, ihm zu folgen, war er +mir nicht sehr gewogen, was ich bei verschiedenen Begegnungen gespürt +hatte, wie ich denn auch wußte, daß er sich des öfteren über meinen +Lebenswandel aufgehalten hatte. Bei ihm meine Sache vorbringen zu +müssen, war mir nicht gerade angenehm; indessen ihre Berechtigung, ja +sogar Verdienstlichkeit war so augenscheinlich, daß hier, wie mir +schien, für persönliche Ab- oder Zuneigung wenig Spielraum war. + +Ich erzählte ihm also so kurz und klar wie möglich, was sich in meinem +Hofe zugetragen hatte, und fügte die fast selbstverständliche Bitte +hinzu, eine Truppenabteilung möge für die Nacht in meinem Haus und +Garten aufgestellt werden, um mein Besitztum gegen den sicher zu +erwartenden Angriff der Räuber zu verteidigen und so viele wie möglich +von diesen gefangenzunehmen. + +Der Minister hörte mich schweigend und mit einem unergründlichen Lächeln +an. Dann sagte er: + +"Mein guter Kamanita! Ich weiß nicht, ob du heute schon einen recht +kräftigen Frühtrunk zu dir genommen hast, oder noch unter dem Einfluß +einer deiner in Ujjeni sprichwörtlich berühmten nächtlichen Gelage +stehst, oder ob du dir gar überhaupt durch deine ebenfalls +sprichwörtlich berühmten scharf gewürzten Leckereien dermaßen den Magen +verdorben hast, daß du nicht nur bei Nacht, sondern auch am hellen Tag +böse Träume hast. Denn nur als einen solchen kann ich diese hübsche +Geschichte betrachten, zumal wir wissen, daß Angulimala längst nicht +mehr unter den Lebenden weilt." + +"Das war aber ein falsches Gerücht, wie wir jetzt sehen," rief ich +ungeduldig. + +"_Ich_ sehe das keineswegs," versetzte er in scharfem Ton. "Von falschem +Gerücht kann hier keine Rede sein, denn kurze Zeit nach der Begebenheit +hat Satagira selber mir in Kosambi erzählt, daß Angulimala in den +unterirdischen Gewölben des Ministerpalastes unter den Folterwerkzeugen +gestorben sei, und ich habe noch seinen Kopf über dem östlichen Stadttor +aufgespießt gesehen." + +"Ich weiß nicht, wessen Kopf du dort gesehen hast," sagte ich--"das aber +weiß ich genau, daß ich noch vor einer Stunde den Kopf Angulimalas +wohlbehalten auf seinen Schultern gesehen habe, und daß ich so wenig +deinen Spott verdiene, daß du mir vielmehr danken solltest, weil du +durch mich Gelegenheit bekommst-- + +"Einen toten Mann totzuschlagen und aus mir selbst einen Narren zu +machen," unterbrach mich der Minister--"ich danke!" + +"Dann bitte ich wenigstens zu bedenken, daß es sich hier nicht um den +ersten besten Besitz handelt, sondern um ein Haus und um Gartenanlagen, +die zu den Wundern Ujjenis gerechnet werden, und die unser gnädiger +König selber mit großer Bewunderung besichtigt hat. Er wird dir's nicht +danken, wenn Angulimala diese Herrlichkeiten seiner Hauptstadt +einäschert." + +"O, das kümmert mich wenig," antwortete dieser Unmensch lachend. "Folge +meinem Rat, gehe nach Hause, beruhige dich durch ein Schläfchen und laß +die Sache dich nicht weiter kümmern. Das Ganze kommt übrigens daher, daß +du dich damals in Kosambi in ein galantes Abenteuer gestürzt hast und +töricht genug warst, meine Worte in den Wind zu schlagen und nicht mit +mir abzureisen. Hättest du das getan, dann wärest du nie in Angulimalas +Hände gefallen und würdest jetzt nicht von einer grundlosen und leeren +Angst geplagt. Auch ist dein monatelanges Zusammenleben mit dem +Räubergesindel für deine Sitten nicht günstig gewesen, wie wir ja alle +hier in Ujjeni gesehen haben." + +Er erging sich noch in einigen moralisierenden Gemeinplätzen und entließ +mich dann. + +Schon unterwegs überlegte ich mir, was nun, da ich auf mich selber +angewiesen war, zu tun sei. In meinem Hause angekommen, ließ ich sofort +alle beweglichen Schätze, die sich da fanden, vornehmlich solche Dinge +wie kostbare Teppiche, eingelegte Tische und ähnliches in den Hof +bringen und dort auf Karren verladen, um diesen Teil meiner Güter in der +inneren Stadt in Sicherheit zu bringen. Gleichzeitig ließ ich an alle +meine Leute Waffen verteilen--sowohl Karren wie Waffen waren ja +reichlich wegen der beabsichtigten Karawanenfahrt vorhanden. Aber dabei +ließ ich es nicht bewenden. Das Allererste, was ich zu tun hatte, war, +einige vertraute Diener in die Stadt zu schicken, um dort gegen +Versprechen eines ansehnlichen Lohnes mutige und waffentüchtige Kerle +für die Nacht zu werben. Für jeden anderen wäre dies nun freilich ein +gar gefährliches Wagestück gewesen; denn wie leicht konnten solche Leute +im entscheidenden Augenblick mit den Angreifern gemeinsame Sache machen! +Ich vertraute aber gewissen Freundinnen, die meinen Dienern nur +zuverlässige Spitzbuben empfahlen--nämlich solche, die zwar sonst zu +Allem fähig sind, denen aber doch ihr feierlich gegebenes Wort und das +genommene Handgeld heilig sind. Da ich dies Gesindel und seine +sonderbaren Gewohnheiten kannte, wußte ich wohl, was ich tat. + +Während dieser Vorbereitungen schickte ich, da ich selber nicht Zeit +hatte, zu meinen Frauen zu gehen, einen Diener zu einer jeden von ihnen +und ließ ihnen sagen, sie müßten sich bereit halten--die erste mit ihren +beiden Töchterchen, die zweite mit ihrem Söhnlein--noch heute nach der +Stadt ins Vaterhaus zu ziehen. Daß es nur für die eine Nacht sein +sollte, ließ ich sie nicht wissen, weil ich wohlweislich bedacht hatte, +wenn sie erst einmal dort wären, könnten sie auch eine Woche oder länger +dort bleiben, und ich würde unterdessen zu Hause einen ungeahnten +Frieden genießen--vorausgesetzt natürlich, daß es mir gelänge, den +Angriff abzuschlagen. Ebensowenig ließ ich sie den Grund zu dieser +Maßregel erfahren, weil man ja überhaupt Weibern gegenüber sich nicht +auf Gründe berufen soll. + +Ich war nun gerade im Begriff, meiner bewaffneten Dienerschaft eine +anfeuernde Rede zu halten, wie ich das bei gefahrdrohenden Gelegenheiten +während einer Karawanenreise immer und mit großem Erfolg getan hatte. Da +stürzten gleichzeitig, wie auf Verabredung, aus zwei verschiedenen Türen +meine beiden Frauen in den Hof, mit verstörten Mienen und lautem +Schreien, so daß Alle sich nach ihnen umsahen, und ich meine kaum +angefangene Rede unterbrechen mußte. Die erste schleppte die beiden +Töchterlein, die zweite mein Söhnchen mit sich. + +Vor mir angelangt, zeigte die eine auf die andere und beide schrien: + +"So ist es denn endlich diesem schlechten Weib gelungen, dein Herz gegen +mich zu wenden, daß du mich verstoßen willst, und mir, deiner getreuen +Ehefrau, die Schande antust, mich ins Vaterhaus zurückzuschicken mit +deinen unschuldigen Töchterlein--(mit deinem armen Söhnlein)--." + +Die überschäumende Wut, unterstützt von ihrem angeborenen kurzen +Verstande, verursachte, daß keine von ihnen merkte, wie die andere _sie_ +genau derselben Sache beschuldigte, die sie selbst dieser zur Last +legte, und sich genau über das gleiche Schicksal beklagte, das sie +selbst als das ihrige beweinte, und daß also jedenfalls ein Irrtum +vorliegen mußte. Aber weit entfernt davon, so etwas zu ahnen, schrien +und heulten sie immer weiter, wobei sie sich die Haare rauften und ihre +Brüste mit den Fäusten schlugen, bis sie dann, wie zur Erholung, sich +gegen die vermeintliche siegreiche Gegnerin in Schimpfreden ergingen, +die an Grobheit Alles, was ich je in der Gesellschaft übelberufener +Weiber gehört hatte, weit übertrafen. + +Endlich gelang es mir doch, zu Wort zu kommen und ihnen, wenn auch mit +großer Mühe, klar zu machen, daß sie meine Diener gänzlich mißverstanden +hätten, daß keine von ihnen zu ihren eigenen Eltern zurückgeschickt +werden sollte, sondern daß sie beide in das Haus meiner Eltern gebracht +würden, und zwar nicht zur Strafe oder als Zeichen meiner Ungnade, +sondern lediglich um ihrer und der Kinder Sicherheit willen. Als ich nun +aber sah, daß sie dies vollkommen begriffen hatten, ließ ich mich +hinreißen und rief: + +"Das habt ihr von eurer Unart, nun lernet endlich euch anständig zu +betragen! Da habt ihr euren "kahlen Pfaffen"! Wer, glaubt ihr wohl, daß +das war? _Angulimala_ war es, der Räuber, der Schreckliche, der die +Menschen tötet und sich ihre Daumen um den Hals hängt! _Den_ habt ihr +beschimpft, _den_ habt ihr gereizt! Ein Wunder, daß er euch nicht mit +der Almosenschale totgeschlagen hat. Wir anderen, wenn jemand von uns in +seine Hände fällt, wir werden es ausbaden müssen, und wer weiß, ob ihr +noch im Hause meines Vaters vor ihm sicher seid." + +Als meinen Frauen der Sinn dieser Rede völlig aufging, fingen sie +alsbald an zu schreien, als ob sie schon die Messerschneide an der Kehle +spürten, und wollten mit den Kindern zum Tor hinausstürzen. Ich ließ sie +jedoch zurückhalten und setzte ihnen umständlich auseinander, daß +vorläufig noch gar keine Gefahr zu befürchten sei, da Angulimala, wie +ich wohl wußte, uns auf keinen Fall vor Mitternacht angreifen würde. +Dann hieß ich sie in die Wohnung zurückkehren und Alles zusammenpacken, +was sie und die Kinder während der Zeit, die sie, der Räubergefahr +wegen, in der Stadt bleiben mußten, nötig haben könnten. Das taten sie +denn auch sofort. + +Dabei hatte ich nun allerdings die Wirkung nicht bedacht, die meine +Worte auf meine Leute haben könnten. Und diese erwies sich bald als +wenig günstig. Denn als sie erfuhren, daß es der schreckliche, für tot +gehaltene Angulimala war, der mein Haus ausgekundschaftet hatte und es +sicher in der Nacht angreifen wollte, schlich erst der eine und andere +still davon, dann aber warfen sie zu Dutzenden die Waffen von sich und +erklärten, mit einem solchen Teufel nicht anbinden zu wollen: das könne +man keineswegs von ihnen verlangen. Auch die in der Stadt Angeworbenen, +von denen gerade jetzt die ersten ankamen und hörten, wie die Dinge +standen, meinten, so hätten sie nicht gewettet und zogen wieder ab. Nur +etwa zwanzig meiner eigenen Leute, an ihrer Spitze mein braver +Hausmeier, erklärten, sie wollten mich nicht verlassen, sondern bis zum +letzten Blutstropfen das Haus verteidigen, denn sie sahen wohl, daß ich +entschlossen war, diesen herrlichen Besitz, an dem mein Herz hing, nicht +preiszugeben, sondern, wenn es sein müßte, mit ihm unterzugehen. + +Mehrere entschlossene Kerle aus der Stadt, die die Aussicht auf einen +tüchtigen Kampf fast noch mehr als das Geld lockte und die sich nicht +einmal vor dem Namen Angulimala fürchteten, ja sich wohl gar einredeten, +daß sie, nachdem sie sich brav geschlagen und gefangengenommen worden, +der Bande einverleibt werden würden--mehrere solche verzweifelte +Gesellen schlossen sich an, und so gebot ich doch zuletzt über gegen +vierzig wohlbewaffnete und tapfere Männer. + +Unterdessen war es fast Abend geworden, und der Wagen für meine Frauen +fuhr vor. Diese kamen mit den Kindern einigermaßen beruhigt heraus; aber +ein neues Geheul erhob sich sofort, als sie merkten, daß ich nicht +mitfahren wollte, ja überhaupt nicht beabsichtigte, das Haus zu +verlassen. Sie warfen sich auf die Knie, ergriffen mein Gewand und +beschworen mich unter strömenden Tränen, mich mit ihnen zu retten: +"Unser Gebieter, unser Beschützer, verlaß uns nicht, stürze dich nicht +in den Rachen des Todes!" Ich erklärte ihnen, daß, wenn ich meinen +Posten verließe, dies Haus sicher ein Raub der Flammen und plündernder +Hände werden, und mein Sohn den Hauptteil seines Erbes verlieren würde, +während es jetzt noch vielleicht durch tapferes Ausharren zu retten sei, +da man nicht wisse, ob Angulimala mit großer Stärke angreifen würde. + +"Ach, weh uns!" riefen sie, "unser Herr und Beschützer verläßt uns! Und +der schreckliche Angulimala wird ihn umbringen und seine Daumen an der +Halskette tragen! Zu Tode martern wird er unseren Gemahl in seinem +furchtbaren Grimm, und unsere Schuld wird es sein! Um unserer +Schimpfreden willen muß unser Gatte leiden, und uns wird es deshalb in +der Hölle übel ergehen!" + +Ich versuchte sie zu beruhigen so gut es ging, und als sie sahen, daß +ich unerschütterlich war, mußten sie sich dazu bequemen, den Wagen zu +besteigen. Kaum aber hatten sie ihre Plätze eingenommen, so fingen sie +an sich mit gegenseitigen Beschuldigungen anzufeinden. + +"Du warst's, die anfing."--"Nein, du--du hast mich auf ihn aufmerksam +gemacht, wie er dort am Torpfosten stand. Jawohl--gerade dort, du +zeigtest mit Fingern auf ihn." + +"Und du hast nach ihm ausgespuckt--roten Speichel--_ich_ hatte noch +keinen Betel gekaut, das tu ich morgens nie."--"Aber du nanntest ihn +einen Landstreicher, einen faulen Bettler."--"Und du einen kahlen +Pfaffen...." + +Und so ging's weiter; aber das Knarren der Räder, als die Ochsen jetzt +anzogen, übertäubte ihre Stimmen, + + + + +XVII. IN DIE HEIMATLOSIGKEIT + + +Welch ungekannte Stille umfing mich jetzt, o Bruder, als ich, nachdem +ich den Leuten ihre Posten angewiesen hatte, wieder ins Haus trat! Daß +ich die Stimmen meiner Frauen nicht hörte--das war es nicht allein, +sondern daß ich diese Stimmen sich zum Torweg hinaus hatte entfernen +hören, daß keine Möglichkeit da war, aus irgend welchen Ecken plötzlich +die keifenden Stimmen zu vernehmen, bis sie, gegenseitig sich steigernd, +sich schließlich zu einem mißtönigen Zankduett vereinigten oder vielmehr +entzweiten:--das war es, was meinem Hause eine für mich fast +unbegreifliche und unsagbar wohltuende Ruhe verlieh. + +So erschien mir nun mein von weiten Parkanlagen umfriedeter Palast +herrlicher denn je, und ich zitterte bei dem Gedanken, daß diese +Herrlichkeit in wenigen Stunden durch verruchte Räuberhände vernichtet +werden sollte. Weit weniger kümmerte mich die Angst um mein eigenes +Leben, als die beständige, lebhafte Vorstellung, wie diese +wohlgepflegten Baumgänge verwüstet, diese kunstfertig ausgehauenen +Marmorsäulen gestürzt werden würden, und daß all dies, dessen +Herrichtung mir so viele Überlegung und so langwierige Mühe gekostet, +dessen Vollendung mir so große Freude gemacht hatte, ein Trümmerhaufen +sein würde, wenn die Sonne wieder aufging. Denn nur zu gut kannte ich ja +die Spuren Angulimalas. + +Indessen war nun für mich nichts anderes mehr zu tun als zu warten; und +bis zur Mitternacht blieben noch mehrere Stunden. + +Nun hatte ich aber stets in einer immerfort rollenden Kette von +Vergnügungen und Geschäften gelebt, so daß ich nie zur Besinnung kam; +und wie ich hier, ohne irgend etwas zu tun zu haben, allein in einem +nach der Säulenhalle und dem Garten sich öffnenden Zimmer, mitten im +totenstillen Palast, dasaß, erlebte ich gewissermaßen seit meiner +frühesten Jugend die ersten Stunden, die gänzlich mir selbst gehörten. +Da fingen nun auch meine freigelassenen Gedanken an, sich zum erstenmal +auf mich selber zu richten; und mein ganzes Leben zog an mir vorüber. +Und indem ich es so gleichsam als ein Fremder betrachtete, konnte ich +keinerlei Gefallen daran finden. + +Diese Betrachtungen unterbrach ich ein paarmal, um einen Gang durch +Haus, Hof und Garten zu machen und mich so zu vergewissern, daß die +Leute wachten. Als ich zum dritten- oder viertenmal zwischen die Säulen +hinaustrat, bemerkte mein durch so viele Karawanenfahrten geübtes Auge +am Stande der Sternbilder, daß es nur noch eine halbe Stunde bis +Mitternacht war. Ich machte eilig die Runde und ermahnte meine Leute zur +äußersten Wachsamkeit. Ich selbst fühlte mein Blut in allen Adern +hämmern, und die Kehle wollte sich vor angstvoller Spannung +zusammenschnüren. Nach dem Zimmer zurückgekehrt, setzte ich mich nieder +wie zuvor. Aber kein Gedanke wollte sich regen; ich spürte einen starken +Druck vor der Brust, und bald war es mir, als ob ich ersticken müßte. + +Ich sprang auf und trat, um Luft zu schöpfen, zwischen die Säulen +hinaus. Ein weichfächelnder Hauch strich mir plötzlich über die Wange +und gleich danach ertönte das Geschrei einer Eule; in demselben +Augenblick wehte mir von den Gartenteichen ein starker Duft von +Nachtlotusblüten entgegen. Ich hatte den Blick erhoben, um wiederum nach +den Sternen die Zeit zu bemessen: da sah ich quer über dem tiefblauen +Ausschnitt des Himmels zwischen den schwarzen Baumwipfeln den mild +leuchtenden Streifen der Milchstraße. + +"Die himmlische Ganga," murmelte ich unwillkürlich. Da war es auf +einmal, als ob jener Druck vor der Brust sich auflöste und in einer +warmen Welle emporstiege, um sich schließlich in einem heißen +Tränenstrom durch die Augen zu ergießen. + +Wohl hatte ich vorher, als mein Leben an meinem inneren Blicke +vorüberzog, auch an Vasitthi und an die Zeit meiner Liebe gedacht--aber +wie an etwas Fernes und Fremdes, das mir fast wie ein törichter Traum +erschien. Jetzt aber _dachte_ ich nicht mehr daran, sondern erlebte es +wieder; ich war auf einmal ich selber von damals und ich selber von +jetzt, und mit wahrem Entsetzen wurde ich den ganzen Unterschied inne. +Damals besaß ich nichts außer mir selbst und meiner Liebe; wie wären die +zu trennen gewesen? _Jetzt_--o, was besaß ich jetzt nicht alles! Frauen +und Kinder, Elefanten, Rosse und Rinder, Zugochsen, Diener und Sklaven, +reich gefüllte Warenhäuser, Gold und Juwelen, einen Lustpark und einen +Palast, um die mich meine Mitbürger beneideten--wo aber war ich selber +geblieben? Wie in einer mißratenen Frucht war der Kern eingetrocknet, +verschwunden, und Alles war zur Schale geworden!... + +Wie erwachend sah ich mich um. + +Der weitgedehnte Park, der seine schwarzen Baumkronen gegen den +sternenbesäten, von der Milchstraße durchzogenen Nachthimmel erhob, und +die stolze Halle, wo alabasterne Lampen zwischen den Säulen leuchteten: +sie erschienen mir jetzt in einem ganz neuen Licht; feindselig und +drohend umgaben sie mich, wie prächtig schimmernde Vampyre, die schon +fast mein ganzes Herzblut ausgesogen hatten und begierig gähnten, um +sich noch an den letzten Tropfen zu laben und nur den dürren Leichnam +eines verfehlten Menschenlebens übrig zu lassen. + +Ein ferner undeutlicher Lärm--Murmeln oder Tritte, wie mir +schien--schreckte mich auf. Das entblößte Schwert in der Hand, sprang +ich ein paar Stufen hinunter, und blieb dann stehen, um zu lauschen. Die +Räuber!--Doch nein! Alles war still, Alles blieb still; weit und breit +rührte sich nichts. Es war nur einer jener unergründlichen Laute der +Nachtstille, die mich so oft am Wachtfeuer der Karawane hatten +aufspringen lassen.--Draußen war nichts! Aber was war das in _mir_? Das +war nicht mehr Angst, was mir jetzt das Blut in den Schläfen pochen +ließ; und auch der Mut der Verzweiflung war es nicht; nein, das war +frohlockender Jubel: + +"Willkommen, ihr Räuber! Nur her, Angulimala! Verwüstet, äschert ein! +Das sind ja meine Todfeinde, die ihr vernichtet! Was mich erdrücken +würde, nehmt ihr von mir! Her zu mir! Die Schwerter in mein Blut +getaucht! Das ist ja mein ärgster Feind, den ihr durchbohrt, dieser +Leib, der der Wollust ergebene, der Völlerei verfallene! Das ist ja mein +schlimmster Besitz, dies Leben, das ihr mir nehmt.--Willkommen, Räuber, +gute Freunde, alte Kameraden!" + +Es konnte ja nicht lange dauern; Mitternacht war vorüber. Und wie freute +ich mich jetzt auf den Kampf! Angulimala würde mich suchen: ich wollte +doch sehen, ob er mir auch diesmal das Schwert aus der Hand schlagen +könnte! O, wie süß würde das sein, zu sterben, nachdem ich ihn +durchbohrt--ihn, der allein die Schuld an meinem ganzen Unglück trug. + +"Es kann nicht mehr lange dauern"--wie oft mag ich mir in jenen +Nachtstunden diesen Trost wiederholt haben! + +Jetzt--endlich! Nein, es war ein Rauschen der Baumwipfel, das in der +Ferne dahinstarb, um sich wieder zu erheben. Es klang als ob ein großes +zottiges Tier sich schüttelte. Immer wieder geschah es, und einmal +ertönte der kurze Schrei irgend eines Vogels. + +Waren das nicht Zeichen des herannahenden Tages? + +Mir wurde kalt vor Schrecken. War es möglich, daß ich enttäuscht werden +sollte? Ja, ich zitterte jetzt bei dem Gedanken, daß die Räuber +schließlich _nicht_ kämen. Wie greifbar nahe war mir das Ende +erschienen--ein kurzer, aufregender Kampf und dann der Tod, kaum +gespürt. Nichts schien mir nun so trostlos, als die gemeine Aussicht, am +Morgen hier angetroffen zu werden, in der alten Umgebung, selbst wieder +der alte und dem alten Leben verschrieben. Sollte das wirklich +geschehen?--Kämen sie nicht, die Befreier! Es mußte sicher die höchste +Zeit sein--ich wagte nicht einmal nachzuforschen. Aber wie war das +möglich? War ich am Ende doch das Opfer einer Sinnestäuschung geworden, +als ich in jenem Asketen Angulimala erkannte? Wieder und wieder warf ich +diese Frage auf, jedoch ich konnte das nicht glauben. Dann aber mußte er +ja noch kommen--ohne Zweck hatte er sich doch gewiß nicht in dieser sehr +geschickten Verkleidung bei mir eingefunden, um sofort wieder zu +verschwinden, als ob ihn die Erde verschlungen hätte. Denn ich hatte +Nachforschungen angestellt und wußte, daß er nirgends sonst um +Almosenspeise vorgesprochen hatte. + +Das schlaftrunkene Krähen eines jungen Hahnes im nahen Hofe weckte mich +aus meinem Grübeln. Das Sternbild, das ich suchte, konnte ich kaum mehr +finden; einige seiner Sterne waren schon hinter die Baumwipfel gesunken, +und die Gestirne hatten, mit Ausnahme der am höchsten stehenden, ihr +klares Funkeln eingebüßt. Es war kein Zweifel: das Tagesgrauen kündigte +sich schon an, und ein Angriff Angulimalas war völlig ausgeschlossen. + +Von allem Wunderlichen, was ich in dieser Nacht erlebte, kam aber jetzt +das Wunderlichste. + +Diese Erkenntnis war nämlich von keinem Gefühl der Enttäuschung +begleitet, noch weniger freilich von einer Erleichterung durch das +Verschwinden aller Gefahr. Sondern ein neuer Gedanke war da und erfüllte +mich ganz: + +"Was habe ich denn auch diese Räuber nötig? + +Ihre Fackeln und Pechkränze wollte ich, um von der Last dieses +prächtigen Besitztums befreit zu werden. Aber es gibt ja Männer, die +freiwillig sich ihres Besitzes entäußern und als Pilger umherziehen. Wie +ein Vogel, wohin er auch fliegt, nur mit seinen Fittichen versehen +fliegt, ebenso ist auch der Pilger mit dem Gewande zufrieden, das seinen +Leib deckt, mit der Almosenspeise, die sein Leben fristet. Und ich habe +sie ja preisend sagen hören: 'Ein Gefängnis, ein Schmutzwinkel ist die +Häuslichkeit, der freie Himmelsraum ist die Pilgerschaft.' + +Und die Schwerter der Räuber rief ich an, um diesen Leib zu töten. Wenn +aber dieser Leib zerfällt, bildet sich ja ein neuer, und aus diesem +Leben geht ein neues als seine Frucht hervor.--Was für eins würde wohl +aber aus dem meinigen hervorgehen? Freilich haben wir ja, Vasitthi und +ich, uns bei jener himmlischen Ganga, deren Silberwellen die Lotusteiche +des westlichen Paradieses speisen, feierlich zugeschworen, uns in jenen +seligen Gefilden zu finden--und mit jenem Schwur hat sich; wie sie +sagte, dort im heiligen, kristallklaren See für jeden von uns eine +Lebensknospe gebildet; durch jeden reinen Gedanken, jede gute Tat müsse +sie wachsen, alles Böse und Nichtswürdige aber werde wie ein Wurm an ihr +nagen. Ach, längst muß ja die meinige zernagt sein! Ich habe ja auf mein +Leben zurück geblickt: nichtswürdig hat es sich gestaltet, +Nichtswürdiges würde aus ihm hervorgehen. Was hätte ich denn durch einen +solchen Tausch gewonnen? + +Nun gibt es ja aber Männer, die schon in diesem Leben jede irdische +Wiedergeburt vernichten und die unerschütterliche Gewißheit ewiger +Seligkeit gewinnen. Und das sind eben dieselben Männer, die, Alles +hinter sich lassend, frei umherpilgern. + +Was sollen mir also die Brandfackeln der Räuber, was ihre Schwerter?" + +Und ich, der ich zuerst vor den Räubern angstvoll gezittert und nachher +mich ungeduldig nach ihnen gesehnt und meine Hoffnung auf sie gesetzt +hatte--ich fürchtete mich weder vor ihnen, noch erhoffte ich von ihnen +irgend etwas; von Furcht und Hoffnung frei, empfand ich eine große Ruhe. +In dieser Ruhe kostete ich aber einen Vorgeschmack der Wonne, die +denjenigen zu eigen ist, die das Ziel der Pilgerschaft erreicht haben; +denn wie ich den Räubern gegenüberstand, so mögen sie wohl allen Mächten +der Welt gegenüberstehen: weder fürchten sie solche, noch hoffen sie +etwas von ihnen, sondern verharren in Frieden. + +Und ich, der ich noch vor vierundzwanzig Stunden mich scheute, eine +kurze Reise anzutreten wegen der Strapazen und der kargen Kost des +Karawanenlebens, ich beschloß jetzt, ohne Zagen und Wanken, bis an das +Ende meiner Tage obdachlos zu Fuß zu wandern, mein Leben fristend "so +wie es eben kommt". + +Ohne auch nur noch einmal in das Haus zurückzukehren, ging ich +geradenwegs nach einer zwischen Garten und Hof gelegenen Scheune, wo +allerlei Geräte aufbewahrt wurden. Dort nahm ich den Stock eines +Ochsentreibers und schnitt die Spitze ab, um ihn als Wanderstab zu +benutzen, und eine Kürbisflasche, wie die Gärtner und Feldarbeiter sie +bei sich tragen, hängte ich um. + +Am Brunnen im Hofe füllte ich die Flasche. + +Da trat der Hausmeier an mich heran. + +"Angulimala und seine Räuber kommen wohl jetzt nicht mehr, o Herr?" + +"Nein, Kolita, sie kommen nicht mehr." + +"Aber wie, o Herr? Gehst du schon aus?" + +"So ist es, Kolita, ich gehe aus, und eben davon wollte ich mit dir +sprechen. Denn ich gehe jetzt den Weg, den sie den Weg der höchsten +Zugvögel nennen. Von diesem Weg, Kolita, gibt es aber für einen, der auf +ihm ausharrt, keine Rückkehr. Keine Rückkehr nach dem Tode in diese +Welt, wieviel weniger während des Lebens nach diesem Hause. Dies Haus +aber gebe ich in deine Obhut, denn du hast dich treu bewährt bis in den +Tod. Verwalte Haus und Vermögen, bis mein Sohn das Mannesalter erreicht. +Grüße meinen Vater und meine Frauen, und gehab dich wohl!" + +Nachdem ich also gesprochen, und meine Hand, die der gute Kolita mit +Küssen und Tränen bedeckte, frei gemacht hatte, schritt ich dem Tore zu. +Und beim Anblick des Pfostens, an dem die Gestalt des Asketen gelehnt +hatte, dachte ich: wenn ihre Ähnlichkeit mit Angulimala nur eine +Erscheinung war, so habe ich nun diese Erscheinung richtig gedeutet. + +Schnell, ohne mich umzusehen, durchschritt ich den Vorort mit seinen +Gärten; und vor mir erstreckte sich, wie in die Unendlichkeit +fortlaufend, im ersten Schimmer des Tagesgrauens, die öde Landstraße. + +So bin ich, Ehrwürdiger, in die Heimatlosigkeit gegangen. + + + + +XVIII. IN DER HALLE DES HAFNERS + + +Als der Pilger Kamanita mit diesen Worten seine Erzählung zu Ende +geführt hatte, schwieg er und sah sinnend in die Landschaft hinaus. + +Und auch der Erhabene schwieg und sah sinnend in die Landschaft hinaus. +Große Bäume waren da sichtbar, nähere und fernere, einige sich in +schattige Massen sammelnd, andere sich duftig in wolkenartige Gebilde +auflösend, um nebelhaft in der Ferne zu zerfließen. + +Der Mond stand jetzt über dem Dachvorsprung, und sein Licht drang in den +vorderen Teil der Halle, wo es wie drei auf die Bleiche gebreitete weiße +Tücher auf dem Boden lag, während die linken Seiten der Pfeiler +glänzten, als ob sie mit Silber beschlagen wären. + +In der tiefen Stille der Nacht hörte man, wie eine Büffelkuh irgendwo in +der Nähe mit regelmäßigen kurzen Rucken das Gras abrupfte. + +Und der Erhabene überlegte bei sich: + +"Sollte ich wohl jetzt diesem Pilger sagen, was ich alles von Vasitthi +weiß? Wie treu sie ihm war, wie sie ohne eigene Schuld, durch schnöden +Betrug, dahin gebracht wurde, Satagira zu heiraten? Wie es _ihr_ Werk +war, daß Angulimala in Ujjeni erschien, und daß dadurch auch er, +Kamanita, selber sich auf diesem Pilgerwege befindet, anstatt in +schmutzigem Wohlleben zu verkümmern. Sollte ich ihm offenbaren, auf +welchem Wege sich jetzt Vasitthi befindet?" + +Und er entschied sich dahin, daß die Zeit dafür noch nicht gekommen sei, +und daß ein solches Wissen dem Streben des Pilgers nicht förderlich sein +könne. + +Da sprach der Erhabene: + +"Von Liebem getrennt sein, ist Leiden, mit Unliebem vereint sein, ist +Leiden. Wurde dies gesagt, so wurde es darum gesagt." + +"O wie wahr!" rief Kamanita mit bewegter Stimme--"wie überaus tief und +wahr! Wer hat denn, o Fremder, diesen trefflichen Ausspruch getan?" + +"Laß es gut sein, Pilger. Gleichviel, wer ihn getan hat, wenn du nur +seine Wahrheit fühlst und erkennst." + +"Wie sollte ich nicht! Enthält er doch in wenigen Worten den ganzen +Jammer meines Lebens. Hätte ich mir nicht schon einen Meister erwählt, +ich würde keinen anderen als den Trefflichen, von dem diese Worte +stammen, aufsuchen." + +"So hast du also, o Pilger, einen Meister, zu dessen Lehre du dich +bekennst, in dessen Namen du ausgezogen bist?" + +"Zwar bin ich nicht, Ehrwürdiger, in irgend jemandes Namen ausgezogen, +vielmehr dachte ich damals allein das Ziel zu erringen. Und wenn ich +tagsüber in der Nähe eines Dorfes, am Fuße eines Baumes oder im tiefen +Walde rastete, dann lag ich inbrünstig dem tiefsten Denken ob. Und ich +hing, o Ehrwürdiger, Gedanken wie den folgenden nach: 'Was ist die +Seele? Was ist die Welt? Ist die Welt ewig? Ist die Seele ewig? Ist die +Welt zeitlich? Ist die Seele zeitlich? Ist die Welt ewig und die Seele +zeitlich? Ist die Seele ewig und die Welt zeitlich?' Oder: 'Warum hat +der höchste Brahma diese Welt aus sich hervorgehen lassen? Und wenn der +höchste Brahma vollkommen und reine Wonne ist, wie kommt es dann, daß +die von ihm erschaffene Welt unvollkommen und mit Leiden behaftet ist?' + +Und indem ich, Ehrwürdiger, solchen Gedanken nachhing, kam ich zu keiner +befriedigenden Lösung. Es erhoben sich vielmehr immer neue Zweifel, und +dem Ziel, um dessen willen edle Söhne für immer das Haus verlassen und +in die Heimatlosigkeit gehen, schien ich mich um keinen Schritt genähert +zu haben." + +"Ebenso, o Pilger, wie wenn Einer dem Horizonte nachliefe: 'O, daß ich +doch heute oder morgen den Horizont erreichen könnte!'--ebenso entflieht +das Ziel demjenigen, der solchen Fragen nachgeht" + +Kamanita nickte nachdenklich und fuhr dann fort: + +"Da geschah es eines Tages, als die Schatten der Bäume schon länger zu +werden begannen, daß ich in der Lichtung eines Waldes auf eine Klause +stieß. Und ich sah da junge, weiß gekleidete Männer, von denen einige +die Kühe molken, während andere Holz spalteten und wieder andere die +Eimer an der Quelle spülten. Auf einer Matte vor der Halle saß ein alter +Brahmane, bei dem diese jungen Leute offenbar die Lieder und Sprüche +lernten. Er begrüßte mich freundlich, und obwohl es, wie er sagte, nur +eine knappe Stunde bis zum nächsten Dorfe sei, bat er mich, ihr Mahl zu +teilen und bei ihnen zu übernachten. Das tat ich denn auch dankbar +genug, und bevor ich mich zum Schlafen hinlegte, hatte ich manche gute +und beherzigenswerte Rede gehört. Als ich nun am folgenden Tage +weitergehen wollte, fragte mich der Brahmane: 'Wer ist dein Meister, o +Pilger, und in wessen Namen bist du ausgezogen?' Und ich antwortete, wie +ich dir geantwortet habe. + +Da sagte denn der Brahmane: 'Wie wirst du, o Pilger, jenes hohe Ziel +erreichen, wenn du allein wanderst wie das Nashorn, anstatt wie der +weise Elefant in einer Herde, von einem erfahrenen Führer geleitet?' + +Dabei blickte er beim Worte 'Herde' wohlwollend auf die umherstehenden +jungen Leute, beim Worte 'Führer' schien er selbstgefällig in sich +hineinzulächeln. + +'Denn,' fuhr er dann fort, 'gar zu hoch ist ja dies für eigenes, tiefes +Denken, und ohne einen Lehrer gibt es hier gar keinen Zugang. +Andererseits aber sagt auch der Veda in der Belehrung Çvetaketus: +"Gleichwie, o Teurer, ein Mann, den sie aus dem Lande der Gandharer mit +verbundenen Augen hergeführt und dann in die Einöde losgelassen haben, +nach Osten oder nach Norden, oder nach Süden verschlagen wird, weil er +mit verbundenen Augen hergeführt und mit verbundenen Augen losgelassen +worden war; aber nachdem ihm jemand die Binde abgenommen und zu ihm +gesprochen: 'Dort hinaus wohnen die Gandharer, dort hinaus gehe,' von +Dorf zu Dorf sich weiterfragend, belehrt und verständig zu den +Gandharern heimgelangt: also auch ist ein Mann, der hienieden einen +Lehrer gefunden hat, sich bewußt: diesem Welttreiben werde ich nur so +lange angehören, bis ich erlöst sein werde, und dann werde ich +heimgehen.'" + +Nun merkte ich wohl, daß dieser Brahmane darauf ausging, mich zum +Schüler zu gewinnen. Aber eben diese Begehrlichkeit erweckte bei mir +kein Zutrauen. Gar wohl aber gefiel mir jenes Vedawort, das ich im +Weitergehen mir immer wiederholte, um es zu behalten. Dabei fiel mir ein +Spruch ein, den ich einmal über einen Meister gehört hatte: 'Den +Vollendeten verlangt es nicht nach Jüngern, aber die Jünger verlangt es +nach dem Vollendeten.' Wie muß der, dachte ich mir, ein ganz anderer +Mann sein als dieser Waldbrahmane! Und es verlangte mich, Ehrwürdiger, +nach jenem nicht verlangenden Meister." + +"Wer war wohl aber der Meister, den du also hattest preisen hören, und +wie nennt er sich?" + +"Es ist, o Bruder, der Asket Gautama, der Sakyersohn, der dem Erbe der +Sakyer entsagt hat. Diesen Meister Gautama aber begrüßt man allenthalben +mit dem frohen Ruhmesruf: 'Das ist der Erhabene, der Heilige, der +Wissens- und Wandelsbewährte, der Meister der Götter und Menschen, der +vollkommen Erwachte, der Buddha.' Um des Erhabenen willen pilgere ich +nun; zu seiner Lehre will ich mich bekennen." + +"Wo aber, Pilger, weilt er jetzt, der Erhabene, vollkommen Erwachte?" + +"Es liegt, o Bruder, oben im nördlichen Reiche Kosala, eine Stadt, die +Savatthi heißt. Und vor der Stadt ist der Waldpark Jetavana, mit +mächtigen, tiefen Schatten spendenden Bäumen, worunter Menschen +lärmentrückt sitzen und denken können, mit klaren, Kühlung aushauchenden +Teichen, mit smaragdenen Matten, mit zahllosen Blumen in mannigfaltigen +Farben. Diesen Hain aber hat der reiche Kaufmann Anathapindika schon vor +Jahren vom Prinzen Jeta um so viel Gold erstanden, daß damit der ganze +Boden bedeckt werden könnte, und hat ihn dann dem Buddha übergeben. Dort +also in Jetavana, dem lieblichen, Weisenscharen-durchwandelten, hat er, +der Erhabene, der vollkommen Erwachte, gegenwärtig seinen Aufenthalt. +Und im Verlaufe von etwa vier Wochen hoffe ich, wenn ich rüstig +ausschreite, den Abstand von hier nach Savatthi bewältigt zu haben und +zu seinen, des Erhabenen, Füßen zu sitzen." + +"Hast du aber, Pilger, ihn, den Erhabenen, schon einmal gesehen, und +würdest du ihn, wenn du ihn sähest, erkennen?" + +"Nein, Bruder, ich habe ihn, den Erhabenen, noch nicht gesehen, und sähe +ich ihn, so würde ich ihn nicht erkennen." + +Da dachte denn der Erhabene bei sich: "Um meinetwillen pilgert dieser +Pilger, zu meinem Namen bekennt er sich; wie, wenn ich ihm nun die Lehre +darlegte?" Und der Erhabene wandte sich an Kamanita und sprach: + +"Der Mond hat sich erst gerade über den Dachvorsprung erhoben, wir sind +noch nicht tief in der Nacht, und langer Schlaf ist dem Geiste nicht +gut. Wohlan, wenn es dir recht ist, will ich als Gegengeschenk für deine +Erzählung dir die Lehre des Buddha darlegen." + +"Es ist mir recht, Bruder, und ich bitte dich, es zu tun." + +"So höre, Pilger, und achte wohl auf meine Rede." + + + + +XIX. DER MEISTER + + +Und der Erhabene sprach: "Der Vollendete, Bruder, der vollkommen +Erwachte hat zu Benares, am Sehersteine im Gazellenhain, das Rad der +Lehre ins Rollen gesetzt. Und dawiderstellen kann sich kein Asket und +kein Priester, kein Gott und kein Teufel, noch irgendwer in der Welt. +Sie ist die Enthüllung, die Offenbarung der vier heiligen Wahrheiten. +Welcher vier? Der heiligen Wahrheit vom Leiden, der heiligen Wahrheit +von der Leidensentstehung, der heiligen Wahrheit von der +Leidensvernichtung, der heiligen Wahrheit von dem zur Leidensvernichtung +führenden Pfad. + +Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit vom Leiden? Geburt ist +Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Sterben ist Leiden; +Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung sind Leiden; von Liebem +getrennt sein, ist Leiden, mit Unliebem vereint sein, ist Leiden; das, +was man begehrt, nicht erlangen, ist Leiden; kurz, die verschiedenen +Formen des Anhangens sind Leiden. Das heißt man, Bruder, die heilige +Wahrheit vom Leiden. + +Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit von der Leidensentstehung? Es +ist dieser Durst, der von Wiedergeburt zu Wiedergeburt führende, von +Lust und Leidenschaft begleitete, bald da, bald dort sich ergötzende, +ist der Lüstedurst, der Werdedurst, der Vergänglichkeitsdurst. Das nennt +man, Bruder, die heilige Wahrheit von der Leidensentstehung. + +Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit von der Leidensvernichtung? +Es ist eben dieses Durstes vollkommene, restlose Vernichtung, das +Verlassen, das Sichlosmachen, die Befreiung, die Erlösung von ihm. Das +nennt man, Bruder, die heilige Wahrheit von der Leidensvernichtung. + +Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit von dem zur +Leidensvernichtung führenden Wege? Dieser heilige, achtfältige Pfad ist +es, der da besteht in rechtem Erkennen, rechtem Entschließen, rechter +Rede, rechtem Handeln, rechtem Wandeln, rechtem Streben, rechtem +Gedenken, rechtem Sichversenken. Das nennt man, Bruder, die heilige +Wahrheit von dem zur Leidensvernichtung führenden Wege." + +Nachdem nun der Meister auf solche Weise die vier Ecksteine errichtet +hatte, ging er daran, das ganze Lehrgebäude aufzuführen, zu einem +wohnlichen Heim für die Gedanken und Gesinnungen seines Schülers; er +erläuterte jeden einzelnen Satz, wie man jeden einzelnen Stein behaut +und glättet, und so wie man Stein auf Stein legt, fügte er Satz zu Satz, +überall sorgfältig grundlegend und Alles genau aneinander passend. Der +Säule des Leidensgedankens zur Seite stellte er die Säule des +Vergänglichkeitsgedankens; beide verbindend und von beiden getragen, +schloß sich aber als Gebälk der schwerwiegende Gedanke von der +Wesenlosigkeit aller Erscheinungen an. Durch solch mächtiges Portal +stieg er, seinen Schüler behutsam führend, Schritt für Schritt die +wohlgefügte Stufenleiter des Grundfolgegesetzes mehrmals auf und ab, +überall befestigend und vervollkommnend. + +Und wie ein geschickter Baumeister beim Errichten eines Prachtgebäudes +an passenden Stellen Bildwerke einfügt, und zwar so, daß sie nicht nur +als Schmuck, sondern auch als tragende oder stützende Teile dienen, also +brachte der Erhabene auch manchmal ein gefälliges und sinniges Gleichnis +an, da ja durch ein Gleichnis oft der dunkle Sinn einer tiefgedachten +Rede klar wird. + +Schließlich aber faßte er das Ganze zusammen, indem er ihm gleichsam die +deckende, weithin leuchtende Kuppel aufsetzte, und sprach: + +"Durch Haften, o Pilger, kommst du zum Entstehen; durch Nichthaften +kommst du nicht zum Entstehen. + +Ein Mönch aber, der nirgend anhänglich haftet, dem geht in der +ungetrübten Heiterkeit seines Gleichmutes dieses Schauen auf: +Unerschütterlich ist meine Erlösung, dies ist die letzte Geburt, nicht +gibt es ferner ein neues Sein. + +So ist nun ein dahin gelangter Mönch mit dieser höchsten Weisheit +belehnt. Das ist ja, Pilger, die höchste, heilige Weisheit: alles Leiden +versiegt zu wissen. Wer ihrer teilhaftig geworden, der hat eine Freiheit +gefunden, die wahrhaft, unantastbar besteht. Denn das, Pilger, ist ja +falsch, was eitel und vergänglich ist: und das ist wahr, was echt und +unvergänglich' ist: die Wahnerlöschung. + +Und er, der von Hause aus der Geburt, dem Altern und dem Tode +unterworfen war, er hat nun, das Unheil dieses Naturgesetzes merkend, +sich die geburtlose, alterslose, todlose Sicherheit errungen; er, der +der Krankheit, dem Schmutze, der Sünde unterworfen war, hat die +unvergängliche, reine, heilige Sicherheit erreicht: + +Im Erlösten ist die Erlösung, versiegt ist das Leben, gewirkt das Werk, +nicht mehr ist für mich diese Welt da. + +Ein solcher, o Pilger, wird 'Endiger' genannt, denn er hat dem Leiden +ein Ende gemacht. + +Ein solcher, o Pilger, wird 'Auslöscher' genannt, denn den Wahn von +'Ich' und 'Mein' hat er ausgelöscht. + +Ein solcher, o Pilger, wird 'Ausroder' genannt, denn den Lebenstrieb hat +er mit der Wurzel ausgerodet, so daß kein Leben mehr keimen kann. + +Ein solcher, solange er im Leibe ist, sehen ihn die Menschen und Götter; +nachdem aber sein Leib im Tode zerfallen ist, sehen ihn die Menschen und +Götter nicht mehr. Und auch die Natur, die Alles erspähende, sieht ihn +nicht mehr: geblendet hat er das Auge der Natur, entschwunden ist er der +bösen. + +Den Strom des Werdens durchkreuzend, hat er die Insel erreicht, die +einzige, das Jenseits von Alter und Tod--das Nirvana." + + + + +XX. DAS UNVERNÜNFTIGE KIND + + +Nachdem der Erhabene seine Belehrung also beschlossen hatte, blieb der +Pilger Kamanita lange Zeit stumm und regungslos sitzen, in +widerstreitenden und zweifelnden Gedanken befangen. Endlich sagte er: +"Du hast mir da, Ehrwürdiger, gar vieles davon gesagt, wie der Mönch dem +Leiden schon bei Lebzeiten ein Ende macht, aber nichts davon, was aus +ihm wird, wenn dann sein Leib im Tode zerfällt und zu den Elementen +zurückkehrt, ausgenommen, daß von da ab weder Menschen noch Götter, noch +die Natur selber ihn sehen. Aber von einem ewigen Leben, von höchster +Wonne und himmlischer Seligkeit"-davon habe ich nichts vernommen. Hat +denn der Erhabene darüber nichts offenbart? + +"So ist es, Bruder, so ist es. Der Erhabene hat darüber nichts +offenbart." + +"Dann heißt das so viel, als daß der Erhabene von dieser wichtigsten +Frage nicht mehr weiß als ich selber," versetzte Kamanita unmutig. + +"Meinst du? So höre denn, Pilger. In jenem Sinsapawalde bei Kosambi, wo +du und deine Vasitthi euch ewige Treue und Wiedersehen im Paradiese des +Westens zugeschworen habt, weilte auch zu einer Zeit der Erhabene. Und +der Erhabene trat aus dem Walde, ein Bündel Sinsapablätter in der Hand, +und sprach zu den Jüngern: 'Was meint ihr, ihr Jünger, ist mehr, diese +Sinsapablätter, die ich in die Hand genommen habe, oder die anderen +Blätter droben im Sinsapawalde?' Und ohne sich lange zu besinnen, +antworteten sie: 'Die Blätter, Herr, die der Erhabene in die Hand +genommen hat, sind wenige, und viel mehr sind jene Blätter droben im +Sinsapawalde.' 'Ebenso auch, ihr Jünger,' sprach der Erhabene, 'ist das +viel mehr, was ich erkannt und euch nicht verkündet, als das, was ich +euch verkündet habe. Und warum, ihr Jünger, habe ich euch jenes nicht +verkündet? Weil es nicht heilsam, nicht urasketentümlich ist, nicht zur +Abkehr, nicht zur Wendung, nicht zur Auflösung, nicht zum Erwachen, +nicht zum Nirvana führt." + +"Wenn der Erhabene im Sinsapawalde vor Kosambi also gesprochen hat," +antwortete Kamanita, "dann dürfte die Sache noch schlimmer stehen. Denn +er hat dann über diesen Punkt geschwiegen, um die Jünger nicht zu +entmutigen, oder gar abzuschrecken, indem er ihnen die letzte Wahrheit +enthüllte: nämlich die Vernichtung. Diese scheint mir denn auch als +notwendige Folge aus dem hervorzugehen, was du mir auseinandergesetzt +hast. Denn nachdem alle Gegenstände der fünf Sinne und des Denkens als +vergänglich, wesenlos und leidvoll abgewiesen und verneint sind, bleiben +eben keine Bestimmungen übrig, mittelst welcher irgend etwas zu fassen +wäre. Und so verstehe ich denn, Ehrwürdiger, die mir von dir dargelegte +Lehre dahin, daß ein Mönch, der alle Unreinheit von sich abgetan hat, +wenn sein Leib zerbricht, der Vernichtung anheimfällt, daß er vergeht, +daß er nicht mehr ist jenseits des Todes." + +"Sagtest du mir nicht, Pilger," fragte dann der Buddha, "daß du binnen +eines Monats zu Füßen des Erhabenen im Waldparke Jetavana bei Savatthi +sitzen würdest?" + +"Das hoff ich sicher zu tun, Ehrwürdiger; warum fragst du mich?" + +"Wenn du nun also zu Füßen des Erhabenen sitzest, was meinst du dann, +Freund--die Körperform, die du dann siehst, die du mit den Händen +berühren kannst--ist die der Vollendete, siehst du es also an?" + +"Das tue ich nicht, Ehrwürdiger." + +"Wenn nun aber der Erhabene mit dir spricht,--das Bewußtsein, das dann +zum Vorschein kommt, mit seinen Empfindungen, Wahrnehmungen und +Vorstellungen--ist denn das der Vollendete? Siehst du es also an?" + +"Das tue ich nicht, Ehrwürdiger." "So sind wohl, Freund, der Körper und +das Bewußtsein zusammengenommen der Vollendete?" + +"Auch so sehe ich es nicht an, Ehrwürdiger." + +"Ist denn der Vollendete geschieden von dem Körper? oder vom Bewußtsein? +oder von beiden? Siehst du es so an, Freund?" + +"Er ist insofern von ihnen geschieden, als sein Wesen durch diese +Bestimmungen noch nicht erschöpft ist." + +"Welche Bestimmungen hast du denn nun, Freund, außer denen der +Körperlichkeit mit allen ihren sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften und +dem Bewußtsein mit seinem ganzen Inhalt von Empfindungen, Wahrnehmungen +und Vorstellungen--welche Bestimmungen hast du noch außerdem, mittelst +welcher du das noch nicht Erschöpfte im Wesen des Vollendeten erschöpfen +kannst?" + +"Solcher anderer Bestimmungen, Ehrwürdiger, habe ich freilich keine." + +"So ist also, Freund Kamanita, schon hier in der Sinnenwelt der +Vollendete nicht in Wahrheit und Wesenhaftigkeit für dich zu erfassen. +Hast du da also ein Recht, zu sagen, daß der Vollendete--oder der Mönch, +der alle Unreinheit von sich abgetan hat--wenn sein Leben zerbricht, der +Vernichtung anheimfällt, daß er nicht ist jenseits des Todes; lediglich, +weil du kein Mittel besitzest, um ihn dort in Wahrheit und +Wesenhaftigkeit zu erfassen?" + +Solchermaßen befragt, saß der Pilger Kamanita eine Weile, gebeugten +Rumpfes, gesenkten Kopfes, schweigend da. + +"Wenn ich auch kein Recht habe, das zu behaupten," sagte er schließlich, +"so scheint es mir doch deutlich genug eben aus jenem Schweigen des +Vollendeten hervorzugehen. Denn gewiß hätte er nicht geschwiegen, wenn +er etwas Erfreuliches mitzuteilen gehabt hätte, was ja der Fall wäre, +wenn er wüßte, daß den Mönch, der dem Leiden ein Ende gemacht hat, nach +dem Tode keineswegs Vernichtung, sondern ewiges, seliges Leben erwartet. +Denn eine solche Mitteilung könnte ja die Jünger nur anspornen und ihnen +in ihrem rechten Streben förderlich sein." + +"Wähnst du, Freund? Wie nun aber, wenn der Vollendete als letztes Ziel +nicht die Vernichtung des Leidens hingestellt hätte--ebenso wie er mit +dem Leiden selbst anfing--sondern noch darüber hinaus ein ewiges, +seliges Leben jenseits des Todes gepriesen hätte? Und gar viele von den +Jüngern hätten an dieser Vorstellung Gefallen gefunden, hingen ihr +anhänglich an, ersehnten ihre Erfüllung mit heißer Sucht, die alle +Heiterkeit der Gedenkenruhe trübte: hätten sie sich dann nicht wieder +unversehens in das gewaltige Fangnetz der Lebenslust verstrickt? Und +indem sie sich an ein Jenseits hielten, hierfür aber notwendigerweise +alle Farben vom Diesseits nähmen, würden sie da nicht, je mehr sie dem +Jenseits nachjagten, eben am Diesseits festkleben? Gleichwie etwa ein +Kettenhund, der an einen festen Pfahl gebunden ist und loszukommen +versucht, sich um diesen Pfahl im Kreise dreht:--ebenso würden jene +lieben Jünger aus Abscheu vor dem diesseitigen Leben sich gerade um das +diesseitige Leben im Kreise drehen." + +"Wenn ich auch diese Gefahr zugeben muß," gab Kamanita zur Antwort, "so +halte ich doch das andere Übel, die durch das Schweigen hervorgerufene +Unsicherheit, für viel gefährlicher, weil es von vornherein den Eifer +lähmt. Denn wie kann wohl der Jünger entschlossen und mutig mit allen +Kräften streben, dem Leiden ein Ende zu machen, wenn er nicht weiß, was +darauf folgt--ob ewige Seligkeit oder Nichtsein?" + +"Was meinst du, Freund, wenn da ein Haus wäre, das vom Feuer ergriffen +würde, und der Diener liefe, den Herrn zu wecken: 'Steh auf, Herr! +Flieh! Das Haus brennt! Schon flammen die Balken, und das Dach will +einstürzen'--würde wohl dann der Herr erwidern: 'Geh, mein Lieber, und +sieh nach, ob es draußen regnet und stürmt, oder ob es eine liebliche +Mondnacht ist; und ist letzteres der Fall, dann wollen wir uns ins Freie +begeben."' + +"Wie könnte wohl, Ehrwürdiger, der Herr also antworten? Denn der Diener +hat ihm ja angstvoll zugerufen: 'Flieh, Herr! Das Haus brennt! Schon +flammen die Balken, und das Dach will einstürzen'." + +"Freilich hat der Diener ihm das zugerufen. Wenn nun aber dennoch der +Herr antwortete: 'Geh, mein Lieber, und sieh nach, ob es draußen regnet +und stürmt, oder ob es eine liebliche Mondnacht ist; und ist letzteres +der Fall, dann wollen wir uns ins Freie begeben'--würdest du dann nicht +daraus schließen, daß der Herr gar nicht richtig gehört hat, was ihm der +getreue Diener zurief? daß es ihm keineswegs klar geworden ist, welche +tödliche Gefahr über seinem Kopfe schwebt?" + +"Freilich müßte ich ja diese Schlußfolgerung ziehen, Ehrwürdiger, da es +anderenfalls undenkbar wäre, daß der Mann eine solche törichte Antwort +geben könnte." + +"Ebenso nun auch, Pilger--wandere, als ob dein Haupt von Flammen umgeben +wäre! denn das Haus brennt. Und welches Haus? Die Welt! Durch welches +Feuer entflammt? Durch der Begierde Feuer, durch des Hasses Feuer, durch +der Verblendung Feuer. Die ganze Welt wird von Flammen verzehrt, die +ganze Welt ist von Rauch umwölkt, die ganze Welt erbebt." + +Solchermaßen angerufen, zitterte der Pilger Kamanita, wie ein junger +Büffel zittert, wenn er zum erstenmal aus dem Dickicht den Ruf des Löwen +vernimmt. Gebeugten Rumpfes, gesenkten Kopfes, das Gesicht von +brennender Röte übergossen, saß er eine Weile schweigend da. Dann sagte +er mit mürrischer, obwohl etwas bebender Stimme: + +"Das will mir aber dennoch nicht gefallen, daß der Erhabene darüber +nichts offenbart hat, wenn er etwas Verheißungsvolles darüber hätte +mitteilen können. Und auch wenn er geschwiegen hat, weil das, was er +wußte, eben trostlos und abschreckend ist, oder weil er überhaupt nichts +wußte: so will mir das auch nicht gefallen. Denn des Menschen Sinnen und +Trachten geht auf Glückseligkeit und Wonne, was auch in der Natur +begründet ist und nicht anders sein kann. Und so habe ich ja auch die +Brahmanischen Priester verkünden hören: + +'Gesetzt, es sei ein Jungling, ein wackerer Jüngling, ein +lernbegieriger, der schnellste, kräftigste, stärkste, und ihm gehörte +die ganze Erde mit all ihrem Reichtum: so ist das eine menschliche +Wonne. Aber hundert menschliche Wonnen sind _eine_ Wonne der himmlischen +Genien. Und hundert Wonnen der himmlischen Genien sind _eine_ Wonne der +Götter. Und hundert Wonnen der Götter sind _eine_ Wonne des Indra. Und +hundert Wonnen des Indra sind _eine_ Wonne des Prajapati, und hundert +Wonnen des Prajapati sind _eine_ Wonne des Brahman. Dies ist die höchste +Wonne, dies ist der Weg zur höchsten Wonne!'" + +"Gleichwie, o Pilger, wenn da ein unerfahrenes Kind wäre, der +vernünftigen Erwägung unfähig. Dieses Kind empfände in einem Zahne +brennenden, stechenden, bohrenden Schmerz; und es liefe zu einem +kundigen, bewährten Arzt und klagte ihm seine Not: 'Wolle, +Ehrwürdigster, durch deine Kunst schaffen, daß ich in diesem Zahn +anstatt des Schmerzes ein wonniges Hochgefühl empfinde.' Und der Arzt +antwortete: 'Liebes Kind, meine Kunst befaßt sich nur damit, den Schmerz +zu beseitigen.'--Aber das unvernünftige Kind finge an zu klagen: 'Habe +ich doch, ach! in diesem Zahne nun so lange brennenden, stechenden, +bohrenden Schmerz empfunden; wie billig ist es da, daß ich jetzt statt +dessen ein wonniges Gefühl, süße Lust darin genösse. Auch gibt es ja, +habe ich gehört, kundige, bewährte Ärzte, deren Kunst so weit reicht, +und ich glaubte, daß du ein solcher wärest!' Und dies unvernünftige Kind +liefe nun zu einem Heilzauberer, einem Wunderarzt aus dem Lande der +Gandarer, einem Marktschreier, der durch einen öffentlichen Ausrufer zum +Schall von Trommeln und Muschelhörnern auf den Straßen verkünden ließe: +'Gesundheit ist das höchste Gut, Gesundheit ist des Menschen Ziel. +Blühende, üppige Gesundheit, wohliges, wonniges Hochgefühl in allen +Gliedern, in allen Adern und Fasern des Körpers, wie es die seligen +Götter genießen, kann auch der Kränkste um eine geringe Opfergabe durch +meine Hilfe erlangen.' Zu diesem Wunderarzt liefe das Kind und klagte +ihm seine Not: 'Wolle, Ehrwürdigster, durch deine Kunst schaffen, daß +ich in diesem Zahn anstatt des Schmerzes ein wohliges, wonniges +Hochgefühl genieße.' Und der Zauberer antwortete: 'Liebes Kind, gerade +darin besteht meine Kunst.' Und nachdem er das ihm vom Kinde +dargereichte Geld eingestrichen, berührte er den Zahn mit seinem Finger +und brächte eine magische Wirkung hervor, wodurch ein wonniges +Lustgefühl sofort den Schmerz verdrängte. Und das unvernünftige Kind +liefe erfreut und hochbeglückt nach Hause.--Nach einer kurzen Weile aber +ließe das Lustgefühl nach, und der Schmerz stellte sich wieder ein. Und +warum? _Weil ja die Ursache des Übels nicht beseitigt war_. + +Aber, o Pilger, ein verständiger Mann empfände in einem Zahn brennenden, +stechenden, bohrenden Schmerz. Und er ginge zu dem kundigen, bewährten +Arzt und klagte ihm seine Not: 'Wolle, Ehrwürdigster, durch deine Kunst +mich von diesem Schmerz befreien.' Und der Arzt antwortete: 'Wenn du, +mein Lieber, nichts weiter von mir verlangst, so viel vertraue ich +meiner Kunst.' 'Was könnte ich wohl weiter verlangen?' fragte der +verständige Mann. Und der Arzt untersuchte den Zahn und fände die +Ursache des Schmerzes in einer Entzündung an der Zahnwurzel. 'Geh nach +Hause, mein Lieber, und lasse dir an dieser Stelle einen Blutegel +setzen. Wenn er sich vollgesogen hat und abfällt, dann lege diese +Kräuter auf die Wunde. Dann wird der Eiter und das ungesunde Blut +entfernt sein, und der Schmerz wird aufhören.' Und der verständige Mann +ginge nach Hause und täte, wie der Arzt ihm gesagt. Und der Schmerz +verginge und kehrte nicht wieder. Und warum nicht? _Weil ja die Ursache +des Übels beseitigt war_." + +Als nun der Erhabene nach Beendigung dieses Gleichnisses schwieg, saß +der Pilger Kamanita verstummt und verstört, gebeugten Rumpfes, gesenkten +Hauptes, das Antlitz von brennender Röte übergossen, wortlos da, und der +Angstschweiß tröpfelte ihm von der Stirn herab und rieselte ihm aus den +Achselhöhlen herunter. Fühlte er sich doch von diesem Ehrwürdigen mit +einem unvernünftigen Kinde verglichen und ihm gleichgestellt. Und da er +trotz aller Anstrengung keine Antwort zu finden vermochte, war er dem +Weinen nahe. + +Endlich, als er seine Stimme beherrschen konnte, fragte er kleinlaut: + +"Hast du, Ehrwürdiger, dies alles aus dem Munde des Erhabenen, des +vollendeten Buddha selber?" + +Selten geschieht es, daß Vollendete lächeln. Bei dieser Frage jedoch +umspielte ein Lächeln die Lippen des Erhabenen. + +"Das freilich nicht, Bruder." + +Als der Pilger Kamanita dies vernahm, richtete er freudig seinen Körper +empor, blickte leuchtenden Auges auf und sprach mit frisch belebter +Stimme: + +"Dachte ich's doch! O, ich wußte ja, daß dies nicht die ureigene Lehre +des Vollendeten sein könne, sondern nur deine eigene mißverständlich +ergrübelte Auslegung derselben. Heißt es ja doch, daß die Lehre des +Buddha im Anfange beseligend, in der Mitte beseligend und am Ende +beseligend sei. Wie aber könnte jemand das von einer Lehre sagen, die +mir nicht ein ewiges, seliges Leben in höchster Wonne verheißt? Nun, in +wenigen Wochen werde ich ja zu Füßen des Vollendeten sitzen und von +seinen eigenen Lippen die Heilslehre empfangen, wie ein Kind aus der +Mutterbrust seine süße Nahrung saugt. Und auch du wirst da sein und +richtig belehrt von deiner irrigen, verderblichen Auffassung +zurückkommen. Aber sieh, jene Streifen des Mondlichtes haben sich fast +bis zur Schwelle der Halle zurückgezogen; wir müssen tief in der Nacht +sein. Wohlan, wir wollen uns jetzt schlafen legen." + +"Wie es dir, Bruder, belieben mag," antwortete der Erhabene freundlich. + +Und sich fester in seinen Mantel hüllend, legte der Erhabene sich auf +der Matte in der Stellung des Löwen hin, auf den rechten Arm gestützt, +den linken Fuß auf dem rechten ruhen lassend. + +Und der Stunde des Erwachens gedenkend, schlief er sofort ein. + + + + +XXI. MITTEN IM LAUFE + + +Als der Erhabene beim ersten Morgengrauen erwachte, sah er, wie der +Pilger Kamanita emsig seine Matte zusammenrollte, seine Kürbisflasche +umhängte und sich nach dem Stabe umsah, den er nicht gleich in der Ecke +bemerkte, weil er umgefallen war. Dabei hatte er in allen seinen +Bewegungen das Gepräge eines Menschen, der es sehr eilig hat. + +Der Erhabene setzte sich auf und grüßte ihn freundlich. + +"Willst du schon aufbrechen, Bruder?" + +"Freilich, freilich," rief Kamanita erregt. "Denke dir, es ist wirklich +kaum zu glauben--rein zum Lachen, und doch so wunderbar--ein wahres +Glück! Vor wenigen Minuten erwachte ich und fühlte mich, nach dem vielen +Reden von gestern, recht trocken im Halse. Ich sprang sofort auf und +lief zum Brunnen--unter den Tamarinden, quer über den Weg. Dort stand +schon ein Mädchen und schöpfte Wasser. Und was meinst du wohl, was ich +von ihr höre?--Der Vollendete ist gar nicht in Savatthi! Und wo ist er +denn, glaubst du? Gestern ist er, von dreihundert Mönchen begleitet, +hier in Rajagaha angekommen! Und er weilt jetzt in seinem Mangohaine +jenseits der Stadt. In einer Stunde, in weniger vielleicht, werde ich +ihn gesehen haben--ich, der ich glaubte, noch vier Wochen pilgern zu +müssen! Was sage ich--in einer Stunde?--Es ist nur eine gute halbe +Stunde bis dahin, sagte das Mädchen, wenn man nicht durch die +Hauptstraßen geht, sondern durch die Gäßchen und Höfe nach dem Westtor +läuft...ich kann mir's kaum denken! Mir brennt der Boden unter den +Sohlen--leb' wohl, Bruder! Du hast es gut mit mir gemeint, und ich werde +nicht unterlassen, auch dich zum Erhabenen zu führen--jetzt aber kann +ich mich wahrlich keinen Augenblick mehr aufhalten." + +Und der Pilger Kamanita stürzte aus der Halle hinaus und lief die Straße +dahin, so schnell ihn die Beine nur tragen wollten. Als er aber das +Stadttor Rajagahas erreichte, war es noch nicht geöffnet, und er mußte +eine kleine Weile warten, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam und seine +Ungeduld aufs höchste steigerte. + +Indessen benutzte er die Zeit, um von einer alten Frau, die einen Korb +voll Gemüse nach der Stadt trug und, wie er selbst, dort warten mußte, +genaue Erkundigungen über den kürzesten Weg einzuziehen--wie er durch +jene Gäßchen, rechts an einem Tempelchen und links an einem Brunnen +vorübergehen müsse und dann einen Turm ja nicht aus den Augen verlieren +dürfe, so daß er die vor der Stadtmauer verlorene Zeit vielleicht +innerhalb derselben einholen könne. + +Als nun das Tor sich geöffnet hatte, stürzte er unaufhaltsam in der ihm +bezeichneten Richtung fort. Manchmal rannte er ein paar Kinder über den +Haufen, rempelte eine Frau an, die am Rinnstein Geschirr spülte, so daß +eine Schüssel ihr klirrend davonrollte und zerbrach, oder er stieß mit +einem Wasserträger zusammen. Aber die Schimpfworte, die hinter ihm +herflogen, erreichten verschlossene Ohren, so ganz war er von dem einen +Gedanken erfüllt, daß er bald, ganz bald den Buddha sehen würde. + +"Welches Glück!" sagte er zu sich selber. "Wie viele Geschlechter leben +dahin, ohne daß ein Buddha auf der Erde mit ihnen zusammen wandert; und +von dem Geschlecht, das einen Buddha zum Zeitgenossen hat--o wie so +wenige sind es, die ihn sehen! Mir aber ist jetzt dies Glück +gewiß!--Immer habe ich ja gefürchtet, daß auf dem weiten, gefahrvollen +Wege wilde Tiere oder Räuber mich um dies Glück bringen könnten, jetzt +aber kann es mir nicht mehr geraubt werden!" + +Während er so dachte, war er in ein sehr enges Gäßchen eingebogen. In +seinem törichten Vorwärtsstürmen sah er nicht, daß vom anderen Ende her +eine Kuh, die aus irgend einem Grunde scheu geworden war, ihm +entgegenstürzte, bemerkte auch nicht, wie ein paar Leute vor ihm sich +eiligst in ein Haus flüchteten, und andere sich hinter einem +vorspringenden Mauerstück verbargen; er hörte nicht den Ruf, durch den +eine auf einem Söller stehende Frau ihn warnen wollte--er spähte nur +hinauf nach den Turmzinnen, die ihn am Verfehlen des Weges hindern +sollten. + +Erst als es zum Ausweichen zu spät war, sah er entsetzt, gerade vor +sich, die dampfenden Nüstern, die mit Blut unterlaufenen Augen und das +blanke Horn, das ihm unmittelbar danach tief in die Seite drang. + +Mit einem lauten Schrei fiel er an der Mauer nieder. Die Kuh stürzte +weiter und verschwand in einer anderen Straße. + +Sofort eilten nun Leute herbei, teils aus Neugier, teils um zu helfen. +Das Weib, das ihn gewarnt hatte, brachte Wasser, um die Wunde zu +reinigen. Man zerriß seinen Mantel, um ihm einen Verband anzulegen und +womöglich das Blut zu stillen, das wie ein Quell hervorbrach. + +Kamanita hatte fast keinen Augenblick das Bewußtsein verloren. Es war +ihm sofort klar, daß dies seinen Tod bedeute. Aber weder diese +Vorstellung, noch die Schmerzen quälten ihn so sehr, wie die Angst, daß +er den Buddha jetzt nicht zu sehen bekäme. Mit bewegter Stimme flehte er +die Umstehenden an, ihn nach dem Mangohaine zum Buddha zu tragen: + +"So weit bin ich gepilgert, ihr lieben Leute!--So nahe war ich schon am +Ziel! O, habt Erbarmen mit mir, zögert nicht, mich dahin zu tragen! +Denkt nicht an die Schmerzen, fürchtet nicht, daß ich ihnen +unterliege--ich werde nicht sterben, bevor ihr mich dem Vollendeten zu +Füßen niedergelegt habt, und dann werde ich selig sterben, selig +auferstehen." + +Einige liefen nun, Stangen und eine Matratze zu holen. Eine Frau brachte +ein stärkendes Getränk, von dem Kamanita ein paar Löffel voll nahm. Die +Männer waren uneinig, welcher Weg zur Versammlungshalle im Mangohaine +der kürzeste sei, da es wohl auf jeden Schritt ankommen konnte. Denn es +war jedem klar, daß es mit dem Pilger bald zu Ende ging. + +"Da kommen Jünger des Vollendeten!" rief einer der Umstehenden, das +Gäßchen hinanzeigend, "die werden uns das am besten sagen können." + +Wirklich nahten sich einige Mönche aus dem Orden des Buddha, in gelbe +Mäntel gehüllt, die den rechten Ann frei ließen, und die Almosenschale +in der Hand. Die meisten waren jüngere Leute; aber zuvörderst schritten +zwei ehrwürdige Gestalten: ein Greis, dessen ernstes, etwas strenges +Gesicht mit dem durchdringenden Blick und dem kräftigen Kinn +unwillkürlich die Aufmerksamkeit auf sich lenkte, und ein Mann in +mittleren Jahren, aus dessen Zügen eine so herzgewinnende Milde +leuchtete, daß er dadurch fast das Aussehen eines Jünglings bekam. Auch +konnte ein erfahrener Beobachter in seiner Haltung und in den etwas +lebhaften Bewegungen, wie auch im feurigen Blicke, die unveräußerlichen +Merkmale der Kriegerkaste entdecken, während die bedächtige Ruhe des +Älteren den geborenen Brahmanen verriet. An hohem Wuchs und fürstlichem +Anstand kamen aber beide einander gleich. + +Als diese Mönche bei der Gruppe, die sich um den verwundeten Mann +gebildet hatte, Halt machten, erzählten ihnen viele redselige Zungen +sofort, was vorgefallen war, und daß man im Begriff sei, diesen +verwundeten Pilger auf einer Bahre--die gerade gebracht wurde--nach dem +Mangohaine zum Buddha zu tragen, um dadurch seinen sehnlichen Wunsch zu +erfüllen;--ob nicht einer der jüngeren Mönche mit zurückkehren wolle, um +ihnen den kürzesten Weg nach der Stelle zu weisen, wo der Erhabene sich +augenblicklich aufhielt? + +"Der Erhabene," antwortete der Greis mit dem strengen Gesicht, "ist +nicht im Mangohaine, und wir wissen selbst noch nicht, wo er sich +aufhält." + +Bei dieser Antwort entrang ein verzweifeltes Stöhnen sich der wunden +Brust Kamanitas. + +"Aber freilich kann er nicht weit von hier sein," fügte der Jüngere +hinzu. "Der Erhabene hat gestern die Mönchsgemeinschaft vorausgeschickt +und ist allein weitergegangen. Er wird sich wohl verspätet haben und +irgendwo, vielleicht im Vororte, eingekehrt sein. Wir sind jetzt +unterwegs, ihn zu suchen." + +"O, suchet eifrig, findet ihn!" rief Kamanita. + +"Wenn wir auch wüßten, wo der Erhabene ist, so ginge es doch nicht an, +diesen Verwundeten hinzutragen," meinte der strenge Mönch. "Denn die +Erschütterung auf der Bahre würde seinen Zustand schnell verschlimmern, +und wenn er es auch überstände, so würde er doch sterbend ankommen, und +sein Geist würde nicht fähig sein, die Worte des Erhabenen zu erfassen. +Wenn er sich aber jetzt schont, und von einem kundigen Wundarzt +behandelt und sorgfältig gepflegt wird, dann ist doch immer noch +Hoffnung vorhanden, daß er so weit zu Kräften kommen kann, um der Rede +des Erhabenen zu lauschen. + +Aber Kamanita zeigte ungeduldig auf die Bahre: + +"Keine Zeit--sterben--mich mitnehmen--ihn sehen--berühren--selig +sterben--mitnehmen--eilet!" + +Achselzuckend wandte sich der Mönch an die jüngeren Brüder: + +"Dieser arme Mann hält den siegreich Vollendeten für ein Götzenbild, bei +dessen Berührung man entsühnt wird." + +"Er hat Vertrauen zum Vollendeten gefaßt, Sariputta, wenn ihm auch das +tiefere Verständnis fehlt," sagte der andere und beugte sich über den +Verwundeten, um den Grad seiner Kräfte festzustellen; "vielleicht könnte +man es doch wagen. Der Arme dauert mich, und ich glaube, man kann ihm +nichts Besseres antun, als den Versuch zu machen." + +Ein dankbarer Blick des Pilgers belohnte ihn für seine Fürsprache. + +"Wie es dir beliebt, Ananda," antwortete Sariputta freundlich. + +In diesem Augenblick kam von der Seite, von welcher auch Kamanita +gekommen war, ein Hafner gegangen, der auf dem Rücken einen Korb mit +allerlei Töpferwaren trug. Als er den Pilger Kamanita bemerkte, den man +soeben mit großer Vorsicht, aber nicht ohne ihm heftige Schmerzen zu +verursachen, auf die Bahre gelegt hatte, blieb er erschrocken +stehen--und zwar so plötzlich, daß die aufeinandergetürmten Schüsseln, +die er auf dem Kopfe trug, zu Boden fielen und zerbrachen. + +"Ihr Götter! Was ist denn hier vorgefallen? Das ist ja der fromme +Pilger, der meiner Halle die Ehre angetan hat, dort zu übernachten. In +der Gesellschaft eines Mönches, der dasselbe Gewand trug, wie diese +Ehrwürdigen, hat er in meinem Hause die Nacht zugebracht." + +"War jener Mönch ein alter Mann und von hoher Gestalt?" fragte +Sariputta. + +"Gewiß, Ehrwürdiger--und er schien mir dir selber nicht unähnlich zu +sein." + +Da wußten nun die Mönche, daß sie nicht länger zu suchen brauchten, und +daß der Erhabene im Hause des Hafners war. Denn "der Jünger, der dem +Meister ähnelt"--also wurde ja Sariputta genannt. + +"Ist es möglich?" sagte Ananda und blickte von dem Verwundeten auf, der +durch die Schmerzen, die ihm das Emporheben verursacht hatte, fast +bewußtlos geworden war und die Ankunft des Hafners gar nicht bemerkt +hatte.--"Ist es möglich? Dieser arme Mann hätte das Glück, nach dem er +so sehnlich trachtet, die ganze Nacht genossen, ohne es auch nur im +geringsten zu ahnen?" + +"Das ist die Art des Toren," sagte Sariputta. "Aber gehen wir; jetzt +kann er ja hingebracht werden." + +"Einen Augenblick!" rief Ananda, "die Schmerzen haben ihn überwältigt." + +In der Tat zeigte der leere Blick Kamanitas, daß er kaum bemerkte, was +um ihn vorging. Es fing an, ihm schwarz vor den Augen zu werden. Aber +der lange Streifen des Morgenhimmels, der oben zwischen den hohen Mauern +leuchtete, drang doch noch bis zu seinem Bewußtsein durch und mochte ihm +wohl als die den Nachthimmel durchquerende Milchstraße erscheinen. Seine +Lippen bewegten sich: + +"Die Ganga--," murmelte er. + +"Seine Sinne wandern," sagte Ananda. + +Die Zunächststehenden, die das Wort vernommen hatten, faßten es anders +auf. + +"Er wünscht jetzt an die Ganga gebracht zu werden, damit die heiligen +Wogen seine Sünden abspülen.--Aber Mutter Ganga ist ja weit von +hier--wer könnte ihn wohl dahin tragen?" + +"Erst der Buddha, dann die Ganga!"--murmelte Sariputta mit dem halb +verächtlichen Mitleid des Weisen einem Toren gegenüber, der unrettbar +von einem Aberglauben in den anderen fällt. + +Aber plötzlich belebten die Augen Kamanitas sich wunderbar. Ein seliges +Lächeln verklärte seine Züge. Sein Körper wollte sich aufrichten. Ananda +stützte ihn. + +"Die himmlische Ganga," flüsterte er mit schwacher, aber freudiger +Stimme, und zeigte mit der rechten Hand nach dem Himmelsstreifen über +seinem Haupte: "Die himmlische Ganga!--wir schwuren--bei ihren +Wellen--Vasitthi--" + +Sein Körper zitterte, Blut quoll ihm aus dem Munde, und in den Armen +Anandas verschied er.-- + +Kaum eine halbe Stunde später traten Sariputta und Ananda, von den +Mönchen begleitet, in die Halle des Hafners ein, begrüßten den Erhabenen +ehrerbietig und setzten sich ihm zur Seite nieder. + +"Nun, mein lieber Sariputta," fragte da der Erhabene, nachdem er ihnen +freundlichen Gruß entboten,--"hat die junge Mönchsgemeinde unter deiner +Führung die weite Wanderung gut und ohne Unfälle überstanden? Habt ihr +Mangel an Nahrung oder Arznei für die Kranken unterwegs gehabt? Ist die +Jüngerschaft fröhlich beflissen?" + +"Glücklich bin ich, Ehrwürdigster, sagen zu können, daß es uns an nichts +gefehlt hat, und daß die jungen Mönche voll Eifer und Zuversicht, sich +nur danach sehnen, den Erhabenen von Angesicht zu Angesicht zu sehen. +Diese edlen Jünglinge, Kenner des Wortes, Nachfolger der Lehre, habe ich +mitgenommen, um sie schon jetzt dem Meister vorzustellen." + +Bei diesen Worten erhoben sich drei junge Mönche und begrüßten den +Erhabenen mit zusammengelegten Händen: + +"Heil dem Erhabenen, dem vollendeten Buddha--Heil!" + +"Seid mir willkommen," sprach der Erhabene und lud sie mit einer +Handbewegung wieder zum Sitzen ein. + +"Und ist auch der Erhabene," fragte Ananda, "nach der gestrigen +Wanderung ohne Übermüdung oder üble Folgen gut hier angekommen? Und hat +der Erhabene in dieser Halle die Nacht leidlich zugebracht?" + +"So ist es, Brüder. Ich bin bei einbrechender Dunkelheit zwar recht +müde, doch ohne üble Folgen der Wanderung hier angekommen und habe in +der Gesellschaft eines fremden Pilgers die Nacht nicht eben schlecht +zugebracht." + +"Dieser Pilger," nahm Sariputta das Wort, "ist in den Straßen Rajagahas +durch eine Kuh des Lebens beraubt worden." + +"Und nicht ahnend, mit wem er die Nacht hier zugebracht hatte," fügte +Ananda hinzu, "begehrte er sehnlich, zu Füßen des Erhabenen gebracht zu +werden." + +"Bald danach freilich verlangte er, man möchte ihn nach der Ganga +tragen," bemerkte Sariputta. + +"Nicht doch, Bruder Sariputta!"--berichtigte Ananda. "Denn er sprach von +der _himmlischen_ Ganga. Leuchtenden Blickes gedachte er eines Schwures +und nannte dabei einen Frauennamen--Vasitthi, glaube ich--und so +verschied er." + +"Irgend einen Frauennamen auf den Lippen, ging er von dannen," sagte +Sariputta.--"Wo ist er wohl wieder ins Dasein getreten?" + +"Töricht, ihr Jünger, war der Pilger Kamanita, einem unvernünftigen +Kinde vergleichbar. Diesem Pilger, ihr Jünger, der in meinem Namen +umherzog und sich zur Lehre des Erhabenen bekennen wollte, habe ich die +Lehre ausführlich und eingehend dargelegt. Und er hat an der Lehre +Anstoß genommen. Auf Seligkeit und Himmelswonnen war das Sehnen und +Trachten seines Herzens gerichtet. Der Pilger Kamanita, ihr Jünger, ist +in Sukhavati, im Paradiese des Westens, wieder ins Dasein getreten, +tausend- und abertausendjährige Himmelswonnen zu genießen." + + + + +XXII. IM PARADIESE DES WESTENS + + +Als der Erhabene in der Halle des Hafners zu Rajagaha diese Worte +sprach, erwachte der Pilger Kamanita im Paradiese des Westens. In einen +roten Mantel gehüllt, der zart und glänzend wie ein Blumenblatt in +reichem Faltenwurf um ihn herabfloß, fand er sich mit untergeschlagenen +Beinen, auf einer mächtigen, gleichfarbigen Lotusrose sitzend, die +mitten auf einem großen Teiche schwamm. Auf der weiten Wasserfläche +waren überall solche Lotusblumen zu sehen, rote, blaue und weiße, einige +noch als Knospen, andere, obwohl ziemlich entwickelt, doch immer noch +geschlossen, aber unzählige offen wie die seine; und fast auf einer +jeden thronte eine menschliche Gestalt, deren faltiges Gewand aus den +Blumenblättern emporzuwachsen schien. + +Auf den schrägen Ufern des Teiches, im grünsten Gras, lachte ein +Blumenflor, als ob alle Edelsteine der Erde hier in Blumengestalt +wiedergeboren wären, ihren Glanz und ihr durchleuchtetes Farbenspiel +beibehaltend, aber den harten Panzer, den sie in ihrem Erdenleben +getragen, gegen die Weiche, schmiegsame, lebendige Pflanzenhülle +eintauschend. So war auch der Duft, den sie aushauchten, mächtiger als +die herrlichste Essenz, die je in ein kristallenes Fläschchen +eingeschlossen wurde, und hatte doch die ganze herzhafte Frische des +natürlichen Blumenduftes. + +Von diesem fesselnden Ufersaum schweifte nun der entzückte Blick weiter +zwischen hohen und breitwipfeligen, smaragdlaubigen und juwelenblühenden +Bäumen, die bald einzeln sich erhoben, bald in Gruppen zusammen standen, +bald tiefe Haine bildeten, hinüber nach den anmutigsten Felsenhügeln, +die bald nackt ihre kristallenen, marmornen und alabasternen Formen +zeigten, bald sie mit dichtem Gebüsch bedeckten oder mit duftigem +Blütenflor verhüllten. An einer Stelle aber wichen Haine und Felsen +gänzlich zur Seite, um einem schönen Fluß Raum zu geben, der sich still, +wie ein Strom von Sternenglanz, in den Teich ergoß. + +Über die ganze Gegend wölbte sich ein Himmel, dessen Ultramarinblau nach +unten zu eher noch tiefer wurde, und unter dieser Kuppel schwebten +weiße, geballte Wölkchen, auf welchen liebliche Genien gelagert waren, +deren Instrumente den ganzen Raum mit den Zauberklängen wonniger Weisen +erfüllten. + +Aber an diesem Himmel war keine Sonne zu sehen, noch bedurfte es einer +solchen. Denn von den Wölkchen und den Genien, von Felsen und Blumen, +vom Wasser und von den Lotusrosen, von den Gewändern der Seligen, noch +mehr aber von ihren Gesichtern strahlte ein wundersames Licht aus. Und +wie dies Licht von strahlender Helligkeit war, ohne doch im mindesten zu +blenden, so wurde die weiche, duftgesättigte Wärme durch den ständigen +Hauch des Wassers erfrischt, und schon diese Luft einzuatmen war eine +Lust, der nichts auf Erden gleichkommt. + +Als Kamanita den ersten Anblick dieser Herrlichkeiten so weit verwunden +hatte, daß sie ihn nicht mehr überwältigten, sondern anfingen, sich ihm +als seine natürliche Umgebung unterzuordnen, richtete er seine +Aufmerksamkeit auf jene anderen Wesen, die, wie er selber, ringsum auf +den schwimmenden Lotusthronen saßen. Er bemerkte bald, daß die rot +gekleideten männlichen, die weiß gekleideten weiblichen Geschlechts +waren, während von den in blaue Mäntel gehüllten Gestalten, wie ihm +schien, einige diesem, einige jenem Geschlechte angehörten. Alle +miteinander aber standen sie in vollster Jugendblüte, und alle schienen +von freundlichster Gesinnung erfüllt zu sein. + +Ein Nachbar in blauem Mantel flößte ihm besonderes Vertrauen ein, und +die Lust, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, regte sich in ihm. + +"Ob es wohl angeht, von selber und unaufgefordert diesen Ehrwürdigen zu +fragen?" dachte er. "Gar zu gern möchte ich doch wissen, wo ich bin." + +Zu seiner größten Verwunderung erfolgte die Antwort sofort, lautlos und +ohne daß der Blaue die Lippen auch nur leise bewegt hätte: + +"Du bist in Sukhavati, dem Orte der Seligkeit." + +Unwillkürlich fragte Kamanita in Gedanken weiter: + +"Du warst hier, Ehrwürdigster, als ich die Augen aufschlug, denn mein +Blick fiel sofort auf dich. Bist du vielleicht gleichzeitig mit mir +erwacht, oder warst du schon lange hier?" + +"Seit undenklichen Zeiten bin ich hier," antwortete der Blaue, "und ich +würde glauben, daß ich von Ewigkeit her hier wäre, wenn ich nicht so oft +gesehen hätte, wie eine Lotusblume sich öffnete und ein neues Wesen zum +Vorschein kam--und wenn nicht der Duft des Korallenbaumes wäre." + +"Was ist's denn mit diesem Duft?" + +"Das wirst du selber bald entdecken. Der Korallenbaum ist das größte +Wunder dieses Paradieses." + +Die Musik der himmlischen Genien, die wie von selber dieses lautlose +Gespräch zu begleiten schien, mit ihren Weisen und Klängen sich jedem +Satz desselben anschmiegend, gleichsam um seinen Sinn zu vertiefen und +das klar zu machen, was die Worte nicht fassen konnten, wob bei diesen +Worten ein seltsam mystisches Tongebilde, und es schien dem lauschenden +Kamanita, als ob in seinem Geiste unendliche Tiefen sich öffneten, in +deren Schatten formlose Erinnerungen sich regten, ohne erwachen zu +können. + +"Das größte Wunder!" sagte er nach einer Pause. "Ich meinte, von allem +Wunderbaren hier sei das Wunderbarste jener herrliche Strom, der sich in +unsern Teich ergießt." + +"Die himmlische Ganga," nickte der Blaue. + +"Die himmlische Ganga!"--wiederholte Kamanita träumerisch, und wiederum +überkam ihn, nur in verstärktem Maße, jenes Gefühl von etwas, das er +kennen müsse und doch nicht kennen konnte, während die geheimnisvollen +Töne in den tiefsten Abgründen seines eigenen Selbstes die Quellen jenes +Stromes zu suchen schienen. + + + + +XXIII. SELIGE REIGEN + + +Mit Verwunderung bemerkte Kamanita jetzt, wie eine nicht weit von ihm +auf ihrer Lotusrose thronende weiße Gestalt plötzlich in die Höhe wuchs. +Die aufgehäufte Masse der eckigen Mantelfalten wickelte sich +auseinander, bis das Gewand geradlinig von den Schultern bis zum +goldigen Saume hinabfloß. Und dieser berührte schon nicht mehr die +Blumenblätter--die Gestalt schwebte frei über den Teich hin, über das +Ufer hinauf, und verschwand zwischen den Bäumen und hinter dem Gebüsch. + +"Wie herrlich muß das sein!"--dachte Kamanita. "Aber das ist wohl eine +sehr schwierige Kunst, obschon es aussieht, als ob es gar nichts wäre. +Ob ich das wohl jemals lernen kann?" + +"Du kannst schon, wenn du nur willst," antwortete der Blaue, an den die +letzte Frage gerichtet war. + +Sofort hatte Kamanita die Empfindung, als ob etwas seinen Körper in die +Höhe höbe. Er schwebte schon quer über den Teich nach dem Ufer zu, und +bald war er mitten im Grünen. Wohin er seinen Blick wünschend richtete, +dorthin ging sein Flug, schnell oder langsam, je nach Verlangen. Er sah +nun andere Lotusteiche, ebenso herrlich wie der, den er eben verlassen +hatte, durchstreifte liebliche Haine, wo bunte Vögel von Zweig zu Zweig +hüpften und ihr melodisches Zwitschern mit dem leisen Rauschen der +Wipfel mischten, strich über blumenreiche Auen hin, wo niedliche +Antilopen ihr Spiel trieben, ohne sich im geringsten vor ihm zu +fürchten, und ließ sich endlich auf dem sanften Abhang eines Hügels +nieder. Zwischen Baumstämmen und blühendem Gebüsch sah er die Ecke eines +Teiches, wo das Wasser rings um die großen Lotusblüten glitzerte, deren +Blumenthrone hier und dort eine selige Gestalt trugen, während mehrere +selbst von den ganz entfalteten leer waren. + +Es war nämlich offenbar gerade ein Augenblick des allgemeinen +Schwärmens. Wie an einem warmen Sommerabend die Leuchtkäfer unter den +Bäumen und um das Gebüsch hin und her kreisen, ein stilles, leuchtendes +Treiben, also schwebten hier die seligen Gestalten, einzeln und +paarweise, in ganzen Gruppen oder Reihen durch die Haine und um die +Felsen. Dabei sah man es ihren Mienen und Blicken an, daß sie sich +lebhaft miteinander unterhielten und man ahnte die unsichtbaren Fäden +des Gespräches, die sich zwischen den lautlos Dahinziehenden hinüber und +herüber spannen. + +In süßer, traumhafter Befangenheit genoß Kamanita dies reizende +Schauspiel. Nach und nach entstand in ihm ein Verlangen, sich mit diesen +Fröhlichen zu unterhalten. + +Sofort war er von einer ganzen Gesellschaft umringt, die ihn freundlich +begrüßte als den Neuangekommenen, den soeben Erwachten. + +Kamanita wunderte sich sehr und fragte, ob denn das Gerücht von seinem +Entstehen sich schon überall in Sukhavati verbreitet hätte. + +"O, wenn ein Lotus sich öffnet, regen sich alle Lotusblumen in den +Paradiesteichen, und jedes Wesen fühlt, wenn hier irgendwo ein neues +Wesen zur Seligkeit erwacht." + +"Aber wie könnt ihr wissen, daß gerade ich der Neue bin?" + +Die ihn Umschwebenden lächelten lieblich. + +"Du bist noch nicht so ganz erwacht." + +"Du blickst uns an, als ob du Traumgestalten sähest und dich davor +fürchtetest, daß sie plötzlich verschwinden könnten und daß eine rauhe +Wirklichkeit dich wieder umgeben möchte." + +Kamanita schüttelte den Kopf. + +"Ich verstehe euch nicht so recht. Was sind Traumgestalten?" + +"Ihr vergeßt," sagte eine Weißgekleidete, "daß er gewiß noch nicht am +Korallenbaume war." + +"Nein, dort war ich noch nicht. Aber ich habe doch schon von ihm gehört. +Mein Nachbar im Teiche sprach mir davon; der Baum soll solch ein Wunder +sein. Was ist's denn mit ihm?" + +Aber sie lächelten alle geheimnisvoll, sich gegenseitig anblickend und +den Kopf schüttelnd. + +"Ich möchte gern sofort hin. Will mir niemand den Weg zeigen?" + +"Den Weg findest du schon selber, wenn die Zeit gekommen ist." + +Kamanita strich sich mit der Hand über die Stirn. + +"Noch ein Wunderding war da, von dem er sprach....Ja! Die himmlische +Ganga....Von ihr wird unser Teich gespeist. Ist das mit dem eurigen auch +so?" + +Die Weißgekleidete zeigte nach dem klaren Flüßchen, das sich um den Fuß +des Hügels wand und in gemächlichen Krümmungen sich dem Teiche +zuschlängelte. + +"Das ist unser Zufluß. Unzählige solcher Adern durchziehen diese +Gefilde, und auch das, was du gesehen hast, ist nur eine solche, wenn +auch eine größere. Aber die himmlische Ganga selber umschließt das ganze +Sukhavati." + +"Hast du auch sie selber gesehen?" + +Die Weiße schüttelte den Kopf. + +"So kann man denn nicht dorthin kommen?" + +"Man kann schon," antworteten sie alle. "Aber keiner von uns war dort. +Warum sollten wir auch? Nirgends kann es schöner sein als hier. Einige +andere freilich waren da--aber sie sind nie wieder hingeflogen." + +"Warum denn nicht?" + +Die Weiße zeigte nach dem Teiche: + +"Siehst du den Roten dort, fast am anderen Ufer?--Er war dort, es ist +lange, lange her. Wollen wir ihn fragen, ob er später noch einmal nach +dem Gestade der Ganga geflogen ist?" + +"Nimmermehr," klang sofort die Antwort des Roten. + +"Und warum denn nicht?" + +"Fliege selber hin und hole dir Antwort." + +"Wollen wir? Mit dir zusammen darf ich schon." + +"Ich möchte wohl hin--aber jetzt nicht." + +Aus einem nahen Hain schwebte ein Zug seliger Gestalten hervor, schlang +sich zu einem Reigen um das Wiesengebüsch, und indem die Reihe sich +ausdehnte, ergriff die äußerste Gestalt--eine hellblaue--die Hand der +Weißen. Diese reichte einladend ihre andere Hand Kamanita hin. + +Er dankte ihr lächelnd, schüttelte aber leise den Kopf:-- + +"Noch möchte ich lieber zusehen." + +"Ja, ruhe nur, und erwache. Auf Wiedersehen!" + +Und von der Hellblauen sanft fortgezogen, schwebte sie von dannen, im +luftigen Ringeltanz. + +Und auch die anderen zogen mit freundlichem, aufmunterndem Gruß davon, +um ihm Ruhe zur Sammlung zu geben. + + + + +XXIV. DER KORALLENBAUM + + +Kamanita folgte ihnen lange mit dem Blick und wunderte sich. Und dann +wunderte er sich über sein Wundern. "Wie kommt es denn, daß Alles mich +hier so seltsam anmutet? Wenn ich hierher gehöre, warum scheint mir dann +nicht Alles selbstverständlich?--Aber jede neue Erscheinung hier ist mir +rätselhaft und setzt mich in Erstaunen. Zum Beispiel dieser Duft, der +jetzt plötzlich an mir vorüberweht. Wie ist er doch so ganz verschieden +von allem anderen Blumendufte hier--viel voller und mächtiger, anziehend +und beunruhigend zugleich. Wo mag er wohl herkommen? + +...Aber wo mag ich wohl selber herkommen? Es scheint, als ob ich vor +kurzem noch ein Nichts gewesen bin. Oder habe ich doch ein Dasein +gehabt, nur nicht hier? Aber wo dann? Und wie bin ich denn +hierhergekommen?" + +Während diese Fragen in ihm aufstiegen, hatte sich sein Körper, ohne daß +er es bemerkte, vom Rasen losgelöst, und er schwebte schon weiter--aber +in keiner von den Richtungen, denen die anderen gefolgt waren. Kamanita +stieg aufwärts, gegen eine Einsattelung im Gipfel des Hügels. Als er +über sie hinstrich, wurde er von einem noch stärkeren Hauch jenes neuen, +seltsamen Duftes empfangen. + +Kamanita flog weiter. + +Jenseits des Hügels verlor die Gegend etwas an Lieblichkeit. Der +Blumenflor war spärlicher, das Gebüsch dunkler, die Haine dichter, die +Felsen schroffer und höher. Herden von Gazellen weideten da, aber nur +ganz vereinzelt zeigte sich eine selige Gestalt. + +Das Tal verengte sich und mündete in eine Kluft. Hier war jener Duft +noch stärker. Immer schneller wurde seine Flucht, immer nackter, steiler +und höher schlossen sich die Felsenwände zusammen, bis nirgends mehr ein +Ausgang zu sehen war. + +Die Schlucht machte ein paar scharfe Wendungen und öffnete sich +plötzlich. + +Um Kamanita breitete sich ein von himmelstrebenden Malachitfelsen +eingeschlossener Talkessel, und mitten in diesem stand der Wunderbaum. + +Stamm und Äste waren von blanker, roter Koralle; ein wenig gelblicher +war die Röte des krausen Laubwerkes, aus dem die Blüten tief +karmesinfarbig hervorglühten. + +Über Felsenzinnen und Baumwipfel spannte der Himmel sich dunkelblau, +ohne daß ein einziges Wölkchen zu sehen war. Auch drang die Musik der +Genien kaum hierher--was noch in der Luft zitterte, war wie eine +Erinnerung an längst gehörte Melodien. + +Nur drei Farben waren da: das Ultramarinblau des Himmels, das +Malachitgrün der Felsen, das Korallenrot des Baumes. Und nur _ein_ +Duft--jener geheimnisvolle, allen anderen unähnliche Duft der +karmesinroten Blumen, der Kamanita hierher geführt hatte. + +Und alsbald zeigte sich nun auch die Wunderart dieses Duftes: + +Als Kamanita ihn hier einsog, wo er verdichtet den ganzen Kessel füllte, +erweiterte sich plötzlich sein Bewußtsein und überschwemmte und +durchbrach die Schranke, die bis jetzt hinter seinem Erwachen im Teiche +errichtet gewesen war. + +Sein vorheriges Leben lag offen vor ihm: + +Er sah die Halle des Hafners, wo er mit jenem törichten Buddhamönch im +Gespräche saß; er sah das Gäßchen in Rajagaha, das er durcheilte, und +die ihm entgegenstürmende Kuh--dann die bestürzten Gesichter ringsum und +die gelbgekleideten Mönche.... + +Und er sah die Waldungen und Landstraßen seiner Pilgerschaft, seinen +Palast und seine beiden Frauen, die Hetären Ujjenis, die Räuber, den +Krishnahain und die Terrasse der Sorgenlosen mit Vasitthi, das +Elternhaus und die Kinderstube.... + +Und dahinter sah er ein anderes Leben und noch eins und noch eins--und +immer noch andere, wie man die Baumreihe einer Landstraße sieht, bis die +Bäume zu Punkten werden und die Punkte in einen einzigen +Schattenstreifen zusammenschmelzen. + +Bei diesem Anblick schwindelte ihm. Und sofort befand er sich wieder in +der Kluft, wie ein Blatt, das vom Winde getrieben wird. Denn das +erstemal hält niemand den Duft des Korallenbaumes lange aus, und der +Selbsterhaltungstrieb führt Jeden beim ersten Schwindel von dannen. + +Als er nun ruhiger durch das offene Tal schwebte, erwog Kamanita: + +"Jetzt verstehe ich, warum die Weiße sagte, ich sei wohl noch nicht am +Korallenbaume gewesen. Denn freilich konnte ich damals nicht verstehen, +was sie mit 'Traumgestalten' meinten; jetzt aber weiß ich es, denn in +jenem Leben habe ich ja solche gesehen. Und jetzt begreife ich auch, +warum ich hier bin. Ich wollte ja im Mangohaine bei Rajagaha den Buddha +aufsuchen. Freilich wurde das durch meinen plötzlichen, gewaltsamen Tod +vereitelt, aber mein guter Wille ist mir angerechnet worden, und so bin +ich an diesen Ort der Seligkeit gelangt, als ob ich zu seinen Füßen +gesessen und in seiner beseligenden Lehre gestorben wäre. Also ist mein +Pilgergang nicht vergebens gewesen." + +Und Kamanita erreichte bald wieder den Teich und ließ sich auf seine +rote Lotusrose nieder, wie ein Vogel, der sein Nest aufsucht. + + + + +XXV. DIE KNOSPE ÖFFNET SICH + + +Plötzlich schien es Kamanita, als ob unten im Teiche sich etwas +Lebendiges bewege. In der kristallenen Tiefe wurde er undeutlich einen +aufsteigenden Schatten gewahr. Das Wasser brodelte und wallte, und eine +große Lotusknospe mit roter Spitze schoß wie ein Fisch aus der Flut +empor, um dann schwimmend auf der Wasserfläche sich zu wiegen, die erst +in Kreisen wellte und dann noch lange danach wie zersplittert zitterte +und glitzerte, farbensprühend, als ob der Teich mit fließenden Diamanten +gefüllt wäre, während der Widerschein der Wasserblinke wie kleine +Flammen über die Lotusblätter, die Gewänder und die Gesichter der +seligen Gestalten emporflatterte. + +Und auch das Gemüt Kamanitas erzitterte und strahlte in allen seinen +verborgenen Farben, auch über sein Herz schien ein Widerschein freudiger +Bewegung spielend hinzutanzen. + +"Was war das wohl?" fragte sein Blick den blauen Nachbar. + +"Tief unten, in weiten Weltfernen, auf der trüben Erde, hat in diesem +Augenblick eine menschliche Seele ihren Herzenswunsch darauf gerichtet, +hier in Sukhavati wieder ins Dasein zu treten. Nun wollen wir auch +beobachten, ob die Knospe sich schön entwickelt und zum Blühen gelangt. +Denn gar manche Seele richtet ihren Wunsch auf den reinen Ort der +Seligkeit, vermag aber nicht, danach zu leben, sondern verstrickt sich +wieder in unheilige Leidenschaften, versinkt in die Lust des Fleisches +und bleibt an dem Erdenschmutze haften. Dann aber verkümmert die Knospe +und verschwindet zuletzt gänzlich. Diesmal ist es, wie du siehst, eine +männliche Seele. Eine solche kommt in dem bunten Welttreiben leichter +vom Paradieswege ab, weshalb du auch bemerken wirst, daß, wenn auch die +roten und die weißen sich an Zahl ziemlich gleichkommen, unter den +blauen die helleren, weiblichen, bei weitem die meisten sind." + +Bei dieser Mitteilung erbebte das Herz Kamanitas gar sonderbar, als ob +auf einmal schmerzliche Freude und lustgebärendes Weh es in schwankende +Bewegung setzten, und sein Blick ruhte rätselratend auf einer +geschlossenen Lotusrose, die, weiß wie die Brust eines Schwans, dicht +neben ihm sich in dem noch leise bewegten Wasser anmutig wiegte. + +"Kannst du dich auch darauf besinnen, daß du einmal gesehen hast, wie +die Knospe meines Lotus sich aus der Tiefe erhob?" fragte er den +erfahrenen Nachbar. + +"Gewiß, denn sie tauchte ja zusammen mit dieser weißen Blume auf, die du +jetzt gerade betrachtest. Und ich habe das Paar immer beobachtet, +manchmal nicht ohne Besorgnis. Denn ziemlich bald fing deine Knospe an, +sichtlich zusammenzuschrumpfen und sie war fast gänzlich unter die +Wässerfläche hinabgesunken, als sie sich plötzlich wieder erhob, voller +und blanker wurde und sich dann gar prächtig bis zum Entfalten +entwickelte. Die weiße aber wuchs langsam, allmählich und gleichmäßig +ihrer Entfaltung entgegen--dann aber wurde auch sie plötzlich wie von +einer Krankheit befallen. Doch sie erholte sich rasch wieder und wurde +solch herrliche Blume, wie du sie jetzt vor dir siehst." + +Bei diesen Worten erhob sich in Kamanita eine so freudige Bewegung, daß +es ihn dünken wollte, als sei er bis jetzt nur ein trüber Gast an einem +trüben Ort gewesen,--dermaßen schien jetzt Alles um ihn herum zu +leuchten, zu duften und zu klingen. + +Und als ob sein Blick, der unverwandt auf dem weißen Lotus ruhte, ein +Zauberstab wäre, um verborgene Schätze zu heben, regte sich die Spitze +der Blume, die Blätter bogen ihre Ränder nach vorne und neigten sich +nach allen Seiten; und sieh'--in ihrer Mitte saß Vasitthi mit weit +geöffneten Augen, deren süß lächelnder Bück dem seinigen begegnete. + +Und Kamanita und Vasitthi streckten gleichzeitig die Arme nach einander +aus, und, ihre Hände ineinanderlegend, schwebten sie über den Teich dem +Ufer zu. + +Kamanita merkte wohl, daß Vasitthi ihn noch nicht wiedererkannte, +sondern sich ihm nur unwillkürlich zuwandte, wie die Sonnenblume der +Sonne. Wie hätte sie ihn auch erkennen sollen, da doch niemand sofort +bei seinem Erwachen sich seines vorausgegangenen Lebens erinnerte--wenn +auch in den Tiefen ihres Gemütes sich bei seinem Anblick dunkle Ahnungen +regen mochten, wie einst bei ihm, als sein Nachbar von der himmlischen +Ganga sprach. + +Er zeigte ihr den strahlenden Fluß, der sich still in den Teich ergoß: + +"So speisen die silbrigen Wellen der himmlischen Ganga alle Lotusteiche +in den Gefilden der Seligen." + +"Die himmlische Ganga?" wiederholte sie fragend und strich sich mit der +Hand über die Stirn. + +"Komm, wir wollen nach dem Korallenbaum." + +"Dort aber ist der Hain und das Gebüsch so lieblich, und sie spielen +dort solch heitere Spiele," sagte Vasitthi, nach einer anderen Richtung +zeigend. + +"Nachher! Jetzt wollen wir zuerst nach dem Korallenbaum, um dich durch +seinen Wunderduft zu erquicken." + +Wie ein Kind, das man durch Versprechen auf ein neues Spielzeug darüber +getröstet hat, daß es am fröhlichen Treiben der Kameraden nicht +teilnehmen darf, so folgte Vasitthi ihm willig. Als der Duft ihnen +entgegenzuwehen begann, belebten sich ihre Züge mehr und mehr. + +"Wo führst du mich hin?" fragte sie, als sie in die enge Felsenschlucht +einlenkten. "Niemals bin ich noch so erwartungsvoll gewesen. Und es +kommt mir vor, als ob ich schon oft voll Erwartung war, obschon dein +Lächeln mich daran erinnert, daß ich ja eben erst zum Bewußtsein erwacht +bin. Aber du hast dich geirrt, hier kann man ja nicht weiter." + +"O, man kann weiter, viel, _viel_ weiter," lächelte Kamanita, "und +vielleicht wirst du jetzt gewahr, daß jenes Gefühl dich nicht getäuscht +hat, liebste Vasitthi!" + +Und schon öffnete sich vor ihnen das Talbecken der Malachitfelsen mit +dem roten Korallenbaum und dem tiefblauen Himmel, und der Duft aller +Düfte umfing sie. + +Vasitthi legte die Hände auf ihre Brust, wie um ihr gar zu tiefes Atmen +zu hemmen, und am schnellen Wechsel von Licht und Schatten in ihren +Zügen erkannte Kamanita, wie der Sturm der Lebenserinnerungen über sie +dahinbrauste. + +Plötzlich erhob sie ihre Arme und warf sich an seine Brust: + +"Kamanita, mein Liebster!" + +Und er trug sie von dannen, im Eilfluge durch die Schlucht +zurückstürmend. + +Im offenen, noch etwas ernsten Tal, mit dunklem Gebüsch und dichten +Hainen, wo die Gazellen spielten, aber keine menschliche Gestalt die +Einsamkeit störte, ließ er sich mit ihr unter einem Baume nieder. + +"O, du Ärmster!"--sprach Vasitthi, "was mußt du gelitten haben! Und was +mußt du von mir gedacht haben, als du erfuhrst, daß ich Satagira +geheiratet hatte!" + +Aber Kamanita erzählte ihr, wie er das nicht durch eine Nachricht +erfahren, sondern selber in der Hauptstraße Kosambis den Hochzeitszug +gesehen habe, und wie der namenlose Jammer, der auf ihrem Gesichte +geprägt stand, ihn unmittelbar davon überzeugt habe, daß sie nur dem +Zwang ihrer Eltern nachgegeben hätte. + +"Aber keine Macht der Erde hätte mich gezwungen, du einzig Geliebter, +wenn ich nicht hätte glauben müssen, den sicheren Beweis zu haben, daß +du nicht mehr am Leben seist." + +Und Vasitthi hub an, ihre damaligen Erlebnisse zu berichten. + + + + +XXVI. DIE KETTE MIT DEM TIGERAUGE + + +Als du, mein Freund, Kosambi verlassen hattest, schleppte ich meine Tage +und Nächte elend dahin, wie es ein Mädchen tut, das vom schleichenden +Fieber der Sehnsucht verzehrt wird und dabei in tausend Ängsten um den +Geliebten schwebt. Ich wußte ja nicht einmal, ob du noch die Erdenluft +mit mir atmetest. Denn ich hatte gar oft von den Gefahren solcher Reisen +gehört. Und nun mußte ich mir auch noch die schrecklichsten Vorwürfe +machen, weil ich ja selber durch den törichten Eigensinn meiner Liebe +die Schuld daran trug, daß du nicht unter dem Schutze der Gesandtschaft +die Rückreise in völliger Sicherheit gemacht hattest. Und dennoch +vermochte ich nicht, diese meine Unbesonnenheit zu bereuen, da ich ihr +doch alle jene schönen Erinnerungen verdankte, die mein ganzer Schatz +waren. + +Selbst Medinis aufmunternde und tröstende Worte vermochten nur selten +die Wolke meiner Schwermut zeitweilig zu vertreiben. Mein bester und +treuester Freund war der schöne Asokabaum, unter dem wir in jener +herrlichen Mondnacht standen, die du, mein süßer Freund, gewiß nicht +vergessen hast, und den ich damals mit den Worten Damayantis anredete. +Unzählige Male versuchte ich aus dem Rauschen seiner Blätter eine +Antwort auf meine besorgte Frage herauszuhören, in dem Fallen einer +Blume oder dem Spiele der Lichtflecken auf dem Boden irgend eine +Vorbedeutung zu sehen. War dann einmal ein solches selbstgemachtes +Orakelzeichen im günstigen Sinne ausgefallen, dann konnte ich mich einen +ganzen Tag oder noch länger fast glücklich fühlen und hoffnungsvoll in +die Zukunft schauen. Gerade dadurch wuchs dann aber die Sehnsucht, und +mit ihr kehrten dann die Befürchtungen zurück, wie böse Träume der +Fieberhitze entwachsen. + +In diesem Zustand war es fast eine Wohltat, daß es bald nicht länger +meiner Liebe erlaubt wurde, in einsamer Tatenlosigkeit nur ihrem Leide +zu leben, sondern daß sie in eine Kampfstellung gedrängt wurde, in der +sie alle ihre Kräfte zusammennehmen mußte, wenn ich mich auch dadurch +fast mit meinen Nächsten völlig entzweit hätte. + +Satagira, der Sohn des Ministers, verfolgte mich nämlich jetzt immer +eifriger mit den Zeichen seiner Liebe, und ich konnte mich nicht mehr in +einem öffentlichen Lustgarten mit meinen Gespielinnen zeigen, ohne daß +er da war und mich zum Gegenstand seiner aufdringlichen Aufmerksamkeit +machte. Daß ich diese nicht im geringsten erwiderte, ja ihm deutlicher, +als es höflich war, zeigte, wie sehr sie mir verhaßt war, hatte nicht +die mindeste abkühlende Wirkung. Bald fingen nun meine Eltern an, erst +mit allerlei Andeutungen, dann immer unverblümter, seine Sache zu +befürworten, und als er schließlich mit seinem Werben offert hervortrat, +verlangten sie, daß ich ihm meine Hand geben sollte. Ich versicherte +Ihnen unter bitteren Tränen, niemals Satagira lieben zu können; das +machte jedoch nur wenig Eindruck auf sie. Aber ebensowenig wirkten auf +mich ihre Vorstellungen, ihr Bitten und Zürnen, das Flehen meiner +Mutter, die Drohungen meines Vaters. + +In die Enge getrieben, erklärte ich ihnen zuletzt geradeaus, daß ich +mich _dir_--von dem sie schon durch Satagira gehört hatten--versprochen +hätte, und daß keine Macht der Welt mich zwingen könnte, dir das heilige +Wort zu brechen und einem Anderen anzugehören. Käme es aber zum +Äußersten, dann würde ich durch dauernde Verweigerung jedweder Nahrung +mir selber den Tod geben. + +Als meine Eltern nun merkten, daß ich wohl imstande war, diese Drohung +auszuführen, gaben sie endlich, wenn auch sehr betrübt und erzürnt, die +Sache auf; und auch Satagira schien sich nun in sein Schicksal zu fügen +und darauf bedacht zu sein, sich über seine Niederlage in der Liebe +durch Siegestaten auf einem rauheren Schlachtfelde zu trösten. + +In dieser Zeit meldete das Gerücht viel Schreckliches von dem Räuber +Angulimala, der mit seiner Bande ganze Gegenden verheerte, die Dörfer +einäscherte und die Wege so unsicher machte, daß zuletzt fast niemand +mehr wagte, nach Kosambi zu reisen. Ich geriet darob in große Angst, +denn ich fürchtete natürlich, daß du jetzt endlich kommen und unterwegs +in seine Hände fallen möchtest. Es verlautete nun plötzlich, Satagira +habe den Oberbefehl über eine große Truppenmacht erhalten, um die ganze +Gegend von Kosambi zu säubern und womöglich Angulimala selber und die +anderen Hauptführer der Bande gefangen zu nehmen. Er habe, hieß es, +geschworen, dies zu erreichen oder bei dem Versuche im Kampfe zu fallen. + +So wenig ich auch sonst dem Sohne des Ministers hold war, so konnte ich +doch nicht umhin, ihm diesmal besten Erfolg zu gönnen, und als er +auszog, folgten meine segnenden Wünsche seinen Fahnen. + +Etwa eine Woche später war ich mit Medini im Garten, als wir von der +Straße her lautes Geschrei vernahmen. Medini lief sofort hin, um zu +erfahren, was geschehen sei und meldete alsbald, Satagira kehre im +Triumph nach der Stadt zurück, nachdem er die Räuber niedergemetzelt +oder gefangen genommen habe; auch der schreckliche Angulimala sei +lebendig in seine Hände gefallen. Sie forderte mich auf, mit ihr und +Somadatta auf die Straße zu gehen, um den Einzug der Krieger und der +gefangenen Räuber zu sehen, aber ich wollte nicht, weil ich es Satagira +nicht gönnte, mich unter den Zuschauern seines Triumphes zu sehen. So +blieb ich denn allein zurück, überglücklich bei dem Gedanken, daß die +Wege für meinen Geliebten jetzt wieder geöffnet seien. Denn so wenig +ahnen ja die Sterblichen den Gang des Schick-sals, daß sie manchmal, wie +ich es damals tat, als einen Glückstag den Tag begrüßen, an welchem +gerade ihr Leben eine Wendung zum Düsteren nimmt. + +Am folgenden Morgen trat mein Vater in mein Zimmer. Er überreichte mir +eine kristallene Kette mit einem Tigeraugen-Amulett und fragte mich, ob +ich sie wohl erkenne. + +Mir war, als ob ich umsinken müßte, aber ich nahm alle meine Kräfte +zusammen und antwortete, die Kette ähnele einer, die du immer um den +Hals getragen hättest. + +"Sie ähnelt ihr nicht," sagte mein Vater mit grausamer Ruhe--"sie _ist_ +es. Als Angulimala gefangen genommen wurde, trug er sie, und Satagira +erkannte sie sofort wieder. Denn, wie er mir erzählte, hat er einmal mit +Kamanita im Parke um deinen Ball gerungen. Dabei zerriß Kamanitas Kette, +die er ergriffen hatte, um seinen Widersacher daran zurückzuhalten, und +blieb in seinen Händen, so daß er sie genau betrachten konnte. Er war +überzeugt, sich nicht zu täuschen. Auch hat dann Angulimala, peinlich +befragt, eingestanden, daß er vor etwa zwei Jahren die Karawane +Kamanitas auf ihrem Rückwege nach Ujjeni in der Gegend von Vedisa +angegriffen, die Leute niedergemetzelt und Kamanita mit einem Diener +gefangen genommen habe. Den Diener schickte er nach Ujjeni um Lösegeld. +Da dies aber aus irgend einem Grunde ausblieb, hat er nach dem Brauch +der Räuber Kamanita getötet." + +Bei diesen schrecklichen Worten hätte mich wohl die Besinnung verlassen, +wenn sich nicht meinen verzweifelten Gedanken sofort eine Möglichkeit +eröffnet hätte, noch gegen die Hoffnung selbst zu hoffen: + +"Satagira ist ein schlechter und verschlagener Mensch," antwortete ich +mit scheinbarer Ruhe, "der vor keinem Betrug zurückschreckt, und er hat +sein Herz oder vielmehr seinen Stolz darauf gesetzt, mich zur Frau zu +gewinnen. Wenn er damals die Kette so genau betrachtet hat, was sollte +ihn dann hindern, eine ähnliche anfertigen zu lassen? Ich glaube, als er +von Angulimala hörte, ist er auf diesen Gedanken verfallen. Hätte er +auch nicht Angulimala selber gefangen, so könnte er doch immer sagen, +die Kette sei im Besitz der Räuber gefunden worden und sie hätten +eingestanden, Kamanita getötet zu haben." + +"Das ist kaum möglich, meine Tochter," sagte mein Vater +kopfschüttelnd--"und zwar aus einem Grunde, den du freilich nicht sehen +kannst, den ich aber glücklicherweise als Goldschmied dir aufdecken +kann. Wenn du die kleinen Goldglieder betrachtest, die die +Kristallstücke miteinander verbinden, so wirst du bemerken, daß das +Metall rötlicher ist als das der hiesigen Schmucksachen, weil wir in +unseren Legierungen mehr Silber als Kupfer verwenden. Auch ist die +Arbeit gerade von der etwas gröberen Art, wie man sie in den +Gebirgsländern ausführt." + +Mir schwebte die Antwort auf der Zunge, er sei selber ein so geschickter +Goldschmied, daß sowohl die richtige Zusammensetzung als auch die +charakteristische Bearbeitung des Goldes ihm wohl gelingen dürfte; denn +ich sah Alles gegen unsere Liebe verschworen und traute selbst meinen +Nächsten nicht. Indessen begnügte ich mich damit, zu sagen, ich ließe +mich keineswegs durch diese Kette überzeugen, daß mein Kamanita nicht +mehr am Leben sei. + +Mein Vater verließ mich nun in großem Zorn, und ich konnte mich in der +Einsamkeit ganz meiner Verzweiflung hingeben. + + + + +XXVII. DER WAHRHEITSAKT (SACCAKIRIYA) + + +Die resten Stunden der Nacht verbrachte ich in dieser Zeit immer auf der +Terrasse der Sorgenlosen, entweder allein oder mit Medini zusammen. An +diesem Abend war ich allein da, was mir in meiner augenblicklichen +Stimmung auch das liebste war. Der Vollmond strahlte herab wie damals, +und ich stand vor dem großen blütenreichen Asoka, um mir von ihm, dem +"Herzfrieden", eine tröstende Vorbedeutung für mein friedloses Herz zu +erbitten. Und ich sagte zu mir selber: "Wenn zwischen mir und dem Stamm +eine safrangelbe Blume niederfällt, bevor ich bis hundert gezählt habe, +dann ist mein geliebter Kamanita noch am Leben." + +Als ich bis fünfzig gezählt hatte, fiel eine Blume nieder, aber eine +orangefarbige. Als ich die Zahl achtzig erreicht hatte, fing ich an, +langsamer und immer langsamer zu zählen. Da öffnete sich knarrend eine +Tür in der Ecke zwischen Terrasse und Hausmauer, wo eine Treppe in den +Hof hinunterführte--ein Zugang, der eigentlich nur für Arbeiter und +Gärtner bestimmt war. + +Mein Vater trat hervor und hinter ihm Satagira. Ein paar bis an die +Zähne bewaffnete Reisige folgten, danach kam ein Mann, der die anderen +um Haupteslänge überragte, und zuletzt beschlossen noch andere Reisige +diesen seltsamen, ja unerklärlichen Aufzug. Zwei von den letzteren +blieben als Wache an der Tür zurück, alle übrigen kamen auf mich zu. +Dabei fiel es mir auf, daß der Riese in ihrer Mitte nur mit Mühe gehen +konnte, und daß bei jedem seiner Schritte ein unheimliches Klirren und +Rasseln ertönte. + +In diesem Augenblick schwebte eine safrangelbe Asokablume nieder und +blieb gerade vor meinen Füßen liegen. Aber ich hatte vor Verwunderung zu +zählen aufgehört und wußte daher nicht mehr festzustellen, ob sie vor +oder nach der Zahl Hundert gefallen war. + +Als die Gruppe nun aus dem Mauerschatten in das volle Mondlicht +heraustrat, sah ich mit Entsetzen, daß jene Riesengestalt mit +Eisenketten beladen war. Die Hände waren ihm auf dem Rücken gefesselt; +um die Fußknöchel klirrten schwere, durch Kugelstangen verbundene +eiserne Ringe, von denen doppelte Eisenketten zum Halsringe +hinaufführten, an welchen wiederum zwei andere Ketten befestigt waren, +die von zwei Reisigen gehalten wurden. Wie bei Einem, der zum Richtplatz +geführt wird, hing ihm ein Gewinde von roten Kanaverablüten um den +Nacken und die haarige Brust, und das rotgelbe Backsteinpulver, mit dem +sein Haupt bestreut war, ließ das wirr über die Stirn herabhängende Haar +und den fast bis an die Augen reichenden Bart noch wilder erscheinen. +Aus dieser Maske hervor blitzten die Augen mir entgegen--jedoch nur eben +blitzartig schnell; dann senkte sich der Blick und irrte scheu wie der +eines bösen Tieres am Boden umher. + +Wen ich vor mir hatte, danach hätte ich auch _dann_ nicht zu fragen +gebraucht, wenn die Kanaverablüten jenes Wahrzeichen seines furchtbaren +Namens verdeckt hätten: das Halsband von Menschendaumen.[1] + + [1] Angulimala = Fingerkranz. + +"Nun, Angulimala," brach Satagira das Schweigen, "wiederhole vor dieser +edlen Jungfrau, was du auf der Folter von der Ermordung des jungen +Kaufmanns Kamanita aus Ujjeni gestanden hast." + +"Kamanita wurde nicht ermordet," antwortete der Räuber mürrisch, +"sondern gefangen genommen und unseren Gebräuchen gemäß umgebracht." + +Und er erzählte mir nun in wenigen Worten, was mein Vater mir schon +darüber gesagt hatte. + +Ich stand unterdessen mit dem Rücken an den Asokabaum gelehnt und hielt +mich mit beiden Händen an den Stamm gestützt, die Fingernägel krampfhaft +in die Rinde grabend, um nicht umzusinken. Als Angulimala zu Ende +gesprochen hatte, schien sich Alles um mich im Kreise zu drehen. Noch +gab ich es aber nicht auf. + +"Du bist ein ehrloser Räuber und Mörder," sagte ich, "was kann mir dein +Wort gelten? Warum solltest du nicht aussagen, was der dir befiehlt, in +dessen Gewalt dich deine Missetaten gebracht haben?" + +Und wie auf eine plötzliche Eingebung, die mich selber überraschte und +mir fast einen Hoffnungsschimmer aufleuchten ließ, fügte ich hinzu: + +"Du darfst mir ja nicht einmal in die Augen sehen--du, der Schrecken +aller Menschen--mir, einem schwachen Mädchen! Du darfst es nicht--weil +du auf Anstiftung dieses Mannes eine feige Lüge sagst." + +Angulimala blickte nicht auf, aber er lachte grimmig und antwortete mit +einer Stimme, die wie das Brummen eines gefesselten Raubtieres klang: + +"Wozu sollte das wohl gut sein, dir in die Augen zu sehen? Das überlasse +ich den jungen Fanten. Dem Blicke eines ehrlosen Räubers würdest du ja +doch ebensowenig glauben wie seinen Worten. Und von seinem Eide würdest +du wohl auch nicht mehr halten." + +Er trat einen Schritt näher. + +"Wohlan, Mädchen! So sei nun Zeugin meines 'Wahrheitsaktes'." + +Noch einmal traf mich der Blitz seines Blickes, als dieser sich aufwärts +nach dem Monde richtete, so daß mitten im Gewirr seines mißfarbigen +Haares und Bartes nur die weißen Augäpfel zu sehen waren. Seine Brust +arbeitete, daß die roten Blumen sich tanzend bewegten, und mit einer +Stimme, wie wenn der Donner zwischen den Wolken rollt, rief er: + +"Die du den Tiger zäumest, schlangengekrönte, nächtige Göttin! Die du im +Mondschein auf Bergeszinnen tanzest, mit dem Schädelhalsband rasselnd, +zähnefletschend, die Blutschale schwingend, Kali, Herrin der Räuber, die +du mich durch tausend Gefahren geführt hast, höre mich! So wahr ich nie +mit dem Opfer kargte, so wahr ich deine Gesetze immer treulich gehalten +habe, so wahr ich auch mit diesem Kamanita getreu verfuhr nach deiner +Satzung, die uns 'Absendern' gebietet, wenn das Lösegeld nicht zur +festgesetzten Stunde eintrifft, den Gefangenen mitten durchzusägen und +die Körperteile auf die Landstraße zu werfen:--so wahr wirst du mir +jetzt in meiner höchsten Not beistehen, meine Ketten zerreißen und mich +aus den Händen meiner Feinde befreien!" + +Indem er das sagte, machte er eine gewaltsame Bewegung--die Ketten +klirrten--Anne und Beine waren frei--die beiden Reisigen, die ihn +hielten, lagen am Boden, einen dritten schlug er mit dem Kettenstück, +das an seinem Handgelenke hing, nieder, und bevor jemand von uns recht +begriff, was eigentlich geschehen war, hatte Angulimala sich über die +Brustwehr geschwungen. Mit einem wilden Schrei stürmte Satagira ihm +nach.--Das war das Letzte, was ich sah und hörte. + +Nachher erfuhr ich, daß Angulimala gestürzt sei, sich einen Fuß +gebrochen habe und von der Wache festgenommen worden sei; später sei er +dann im Gefängnis auf der Folter gestorben, und sein Kopf über dem +nördlichen Stadttor aufgesteckt worden, woselbst Medini und Somadatta +ihn gesehen haben. + +Durch den Wahrheitsakt Angulimalas war der letzte Zweifel und die letzte +Hoffnung von mir gewichen. Denn ich wußte wohl, daß selbst jene +teuflische Göttin kein Wunder zu seiner Rettung hätte wirken können, +wenn er nicht die Macht der Wahrheit auf seiner Seite gehabt hätte. + +Was nun aus mir wurde, darum kümmerte ich mich wenig, denn auf dieser +Erde war ja doch Alles für mich verloren. Nur im Paradiese des Westens +konnten wir uns wiedersehen: du warst vorausgegangen, und ich würde, so +hoffte ich, bald folgen. Dort blühte das Glück, alles andere war +gleichgültig. + +Da nun Satagira sein Werben fortsetzte und meine Mutter mir immer wieder +jammernd und weinend Vorstellungen machte, sie würde gebrochenen Herzens +sterben, wenn sie durch mich die Schmach erlitte, daß ich unverheiratet +im Elternhause sitzen bliebe--hätte sie dann doch ebensogut das +häßlichste Mädchen von Kosambi zur Welt bringen können!--da erlahmte +endlich nach und nach mein Widerstand. + +Übrigens hatte ich auch jetzt nicht mehr so viel gegen Satagira +einzuwenden wie früher. Ich konnte nicht umhin, die Standhaftigkeit und +Treue seiner Neigung anzuerkennen, und ich fühlte auch, daß ich ihm +Dankbarkeit schuldig war, weil er den Tod meines Geliebten gerächt +hatte. + +So wurde ich denn--als wiederum fast ein Jahr verstrichen war--die Braut +Satagiras. + + + + +XXVIII. AM GESTADE DER HIMMLISCHEN GANGA + + +Als Kamanita merkte, daß selbst hier, am Orte der Seligkeit, diese +Erinnerungen die noch zarte, neuerwachte Seele der Geliebten wie mit +dunklen Fittichen überschatteten, faßte er sie bei der Hand und führte +sie weiter, indem er ihren gemeinsamen Flug nach jenem lieblichen Hügel +richtete, auf dessen Abhang er kürzlich gelegen und dem Spiele der +Schwebenden zugeschaut hatte. + +Hier lagerten sie sich. Schon waren Haine und Gebüsche, Wiesen und +Hügelabhänge voll unzähliger schwebender Gestalten, roter, blauer und +weißer. Immer neue Gruppen umringten sie, um die Neuerwachte zu +begrüßen. Und die beiden mischten sich in die Reihen der Spielenden. + +Schon lange waren sie hin und her durch die Haine, um die Felsen, über +Wiesen und Lotusteiche geschwebt, wohin der Reigen sie führte, als ihnen +jene Weiße begegnete, die damals Kamanita aufgefordert hatte, mit ihr +die Fahrt nach der Ganga zu wagen. Als sie sich im Tanze die Hände +reichten, fragte sie mit einem lieblichen Lächeln: + +"Bist du nun auch am Gestade der Ganga gewesen? Jetzt hast du ja eine +Begleiterin." + +"Noch nicht," antwortete Kamanita. + +"Was ist das?" fragte Vasitthi. + +Und Kamanita erzählte es ihr. + +"Da wollen wir hin," sagte Vasitthi. "O, wie oft habe ich unten im +trüben Erdental hinaufgeblickt zu dem fernen Abglanz ihres +Himmelstromes, und an die seligen Gefilde gedacht, die von ihr +umschlungen und bewässert werden, und gefragt, ob wir wohl einst an +diesem Ort der Wonne vereinigt sein würden. Unwiderstehlich zieht es +mich jetzt dahin, mit dir zusammen an ihrem Gestade zu weilen." + +Sie lösten sich aus der Kette des Reigens und lenkten ihren Flug in +einer Richtung, die sie von ihrem eigenen Teiche weit wegführte. Nach +einiger Zeit sahen sie keine Weiher mehr, deren Lotusrosen selige +Gestalten trugen, immer mehr nahm die Blütenpracht ab, immer seltener +begegneten sie schwebenden Gestalten; Herden von Antilopen belebten die +Ebene, auf den Seen segelten Schwäne, eine Schleppe von blanken Wellen +über das dunkle Wasser nach sich ziehend. Die Hügel, die anfangs immer +schroffer und felsiger geworden waren, verschwanden gänzlich. + +Sie schwebten über eine flache, wüstenartige Ebene, die mit Tigergras +und Dornengebüsch bestanden war. Vor ihnen spannte sich der unabsehbare +Bogen eines Palmenwaldes. + +Sie erreichten den Wald. Immer tiefer umgab sie der Schatten. Die +narbigen Schäfte leuchteten wie Bronze. Hoch oben rauschten die Wipfel +mit ehernem Klange. + +Vor ihnen fingen glitzernde Punkte und Streifen zu tanzen an. Und +plötzlich strömte ihnen ein solcher Lichtglanz entgegen, daß sie die +Hände vor die Augen halten mußten. Es war, als ob im Walde eine +ungeheure Kolonnade von blanken Silbersäulen stände, die das Licht der +aufgehenden Sonne zurückwarf. + +Als sie sich getrauten, die Hände wieder von den Augen zu nehmen, +schwebten sie gerade zwischen den letzten Palmen des Waldes hinaus. + +Vor ihnen lag die himmlische Ganga, bis zum Horizonte ihre silbrige +Fläche breitend, während zu ihren Füßen flache Wellenzungen, wie +flüssiges Sternenlicht, flammenartig den perlgrauen Sand des flachen +Ufers beleckten. + +Wenn sonst der Himmel nach unten zu allmählich heller wird, so war es +hier umgekehrt: das Ultramarinblau ging in Indigo über, das schließlich +mit einem fast gänzlich schwarzen Rand sich auf die silberweiße Kimmung +stützte. + +Vom Dufte der Paradiesblüten war nichts mehr zu spüren. Wie aber im +Malachittale um den Korallenbaum jener erinnerungsschwangere Duft aller +Düfte gesammelt stand, so wehte hier den Weltenstrom entlang ein kühler +und herber Hauch, dem das Fehlen aller Düfte, das vollkommen Reine als +einziger Duft eignete. Und Vasitthi schien ihn begierig wie einen +erfrischenden Trank einzuschlürfen, während er Kamanita den Atem raubte. + +Auch von jener lieblichen Musik der Genien vernahm man hier nicht den +leisesten Ton. Aber aus dem Strome schienen mächtige, donnerartig +dröhnende Klänge emporzusteigen. + +"Horch!"--flüsterte Vasitthi und erhob ihre Hand. + +"Sonderbar!"--sagte Kamanita. "Einst war ich in eine Hütte eingekehrt, +die an dem Ausgange einer Bergschlucht lag und an der ein kleiner, +lieblicher Bach vorüberfloß, in dessen klarem Wasser ich nach meiner +Wanderung meine Füße wusch. Während der Nacht ging ein mächtiger Regen +nieder, und als ich in der Hütte wach lag, hörte ich, wie der Bach, der +abends nur leise gerauscht hatte, immer ungestümer brauste und tobte. +Zugleich aber vernahm ich einen polternden, donnernden Schall, den ich +mir durchaus nicht zu erklären wußte. Am nächsten Morgen sah ich nun, +daß aus dem klaren Bach ein reißender Gebirgsstrom mit grauen, +schäumenden Fluten geworden war, in welchem große Steine rollend und +springend dahinstürzten. Und diese waren es, die dies Getöse verursacht +hatten. Wie mag es wohl kommen, daß nun hier, beim Anhören jener Klänge, +diese Erinnerung aus meiner Pilgerschaft in mir emporsteigt?" + +"Es kommt daher," antwortete Vasitthi, "weil in jenem Gebirgsbache +Steine, in dem Strome der himmlischen Ganga aber Welten gerollt und +mitgetrieben werden, und die sind es, von denen jene donnerartig +dröhnenden Klänge herrühren." + +"Welten!"--rief Kamanita entsetzt. + +Vasitthi lächelte und schwebte dabei weiter; aber erschrocken hielt +Kamanita sie an ihrem Gewände zurück. + +"Hüte dich, Vasitthi! Wer weiß, welche Mächte, welche furchtbaren Kräfte +draußen über diesem Weltenstrome schweben, Mächte, in deren Gewalt du +geraten könntest, wenn du dieses Ufer verließest. Ich zittere schon bei +dem Gedanken, dich plötzlich fortgerissen zu sehen." + +"Dürftest du mir dann nicht folgen?" + +"Gewiß würde ich dir folgen. Wer weiß aber, ob ich dich erreichen +könnte, ob man uns nicht voneinander reißen würde? Und wenn wir auch +zusammen blieben, welcher Jammer wäre es doch, in das Unbegrenzte +getragen zu werden, weit weg von diesem trauten Orte der Seligkeit." + +"In das Unbegrenzte!" wiederholte Vasitthi sinnend, und ihr Blick +schweifte über die Fläche der himmlischen Ganga hinaus bis dorthin, wo +die silberne Flut den schwarzen Himmelsrand erreichte, und schien noch +immer weiterdringen zu wollen;--"und kann denn ewige Seligkeit bestehen, +wo Begrenzung ist?" sprach sie gleichsam in Gedanken verloren. + +"Vasitthi!" rief Kamanita, ernstlich erschreckend--"ich wollte, ich +hätte dich nie hierher geführt! Komm, Geliebte, komm!" + +Und noch ängstlicher als vom Korallenbaume zog er sie von dannen. + +Nicht unwillig folgte sie ihm, wobei sie jedoch zwischen den äußersten +Palmen das Haupt wandte und einen letzten Blick auf den himmlischen +Strom warf.... + + * * * * * + +Und wiederum thronten sie auf ihren Lotussitzen im kristallklaren +Teiche, wiederum schwebten sie zwischen juwelenblühenden Bäumen und +mischten sich unter die Reihen der Seligen und genossen die himmlischen +Wonnen, glücklich in ihrer ungetrübten Liebe. + +Aber als sie im Reigen einmal der Weißen begegneten, sagte diese: + +"So seid ihr also wirklich am Gestade der Ganga gewesen?" + +"Wie kannst du es wissen, daß wir dort gewesen sind?" + +"Ich sehe es; denn Alle, die da waren, tragen gleichsam einen Schatten +über den Brauen. Deshalb will ich auch nicht dahin. Und ihr werdet auch +nicht zum zweiten Male hingehen, niemand tut das" + + + + +XXIX. IM DUFTE DER KORALLENBLÜTEN + + +Sie besuchten in der Tat nicht wieder jenes ungastliche Gestade der +himmlischen Ganga. Oft aber lenkten sie ihren Flug nach dem Tale der +Malachitfelsen. Unter der mächtigen Krone des Korallenbaumes gelagert, +atmeten sie jenen Duft aller Düfte, der den karmesinroten Blüten +entströmte, und in der Tiefe ihrer Erinnerung öffnete sich dann die +Aussicht auf ihre früheren Leben. + +Bald in Palästen, bald in Hütten sahen sie sich nun wieder, aber ob in +Seide und Musselin gehüllt oder in die groben Erzeugnisse des +Dorfwebstuhles gekleidet: immer war die gegenseitige Liebe da. Bald +wurde sie durch das Glück der Vereinigung gekrönt, bald war die Trennung +durch Lebensgeschicke oder durch den Tod ihr jammervolles Los: aber +glücklich oder unglücklich, die Liebe blieb dieselbe. + +Und sie sahen sich in anderen Zeiten, da die Menschen gewaltiger waren +als jetzt, in jenen ewig unvergessenen Heroentagen, als er sich aus +ihren Armen riß und seinen Kampfilfen bestieg, um nach der Ilfenstadt zu +ziehen und seinen Freunden, den Pandaverprinzen, im Kampfe gegen die +Kuruinge beizustehen; wo er dann an der Seite Arjunas und Krishnas +kämpfend, am zehnten Tage der Riesenschlacht auf der Ebene Kurukschetra +seine Heldenseele aushauchte. Sie aber, als sie die Nachricht von seinem +Tode empfing, bestieg vor dem Palaste, von allen ihren Frauen gefolgt, +den Scheiterhaufen, den sie mit eigener Hand anzündete. + + * * * * * + +Und wieder sahen sie sich in fremden Gegenden und in anderer Natur. Es +war nicht länger das Tal der Ganga und der Jamuna mit seinen prächtigen, +palastreichen Städten, wo waffenstrahlende Krieger, stolze Brahmanen, +reiche Bürger und fleißige Çudras die Straßen belebten; mit seinen +Reisfeldern und vielstämmigen Feigenbaumriesen, seinen Palmenhainen +und seinen Dschungeln, seinen Elefanten und Tigern und den +weithinleuchtenden Schneezinnen des Himavat. Dieser Schauplatz, der mit +seiner mannigfachen tropischen Pracht so oft ihr gemeinsames Leben +umschlossen hatte, als ob es keine andere Welt gäbe, verschwand nun +gänzlich, um einem öderen und herberen Lande Platz zu machen. + +Hier brennt freilich die Sommersonne so heiß wie an der Ganga, trocknet +die Wasseradern aus und versengt das Gras. Aber im Winter beraubt der +Frost die Wälder ihres Laubes, und Reif bedeckt die Felder. Keine Städte +erheben ihre Türme, aber weitgedehnte Dörfer mit großen Hürden liegen +mitten in ihren weidereichen Triften, und die schützende Anhöhe daneben +ist durch Wälle und rohe Mauern in eine kleine Feste verwandelt. Ein +kriegerisches Hirtenvolk ist hier seßhaft. Die Wälder sind voll von +Wölfen, und meilenweit hört der zitternde Wanderer das Gebrüll des +Löwen, "des furchtbaren, schweifenden, in Bergen hausenden Wildes"--wie +_er_ ihn nennt; denn er ist ein Sänger. + +Nach langer Wanderung nähert er sich einem Dorfe, als unbekannter, aber +willkommener Gast; denn das ist er überall. Über seiner Schulter hängt +seine einzige sichtbare Habe, eine kleine Laute; aber im Kopfe trägt er +das ganze kostbare Erbe seiner Väter: alte, geheime Hymnen an Agni und +Indra, an Varuna und Mitra, ja sogar an unbekannte Götter; Kriegs- und +Trinklieder für die Männer; Liebeslieder für die Mädchen; segnende +Zaubersprüche für die Milchspendenden. Und er hat Kraft und Kenntnisse, +um diesen Vorrat aus eigenen Mitteln zu vermehren. Wo wäre wohl ein +solcher Gast nicht willkommen? + +Es ist um die Zeit, da die Rinder nach Hause getrieben werden. An der +Spitze einer Herde schreitet mit der höchsten Anmut in allen Bewegungen +des jugendlichen Körpers ein hochgewachsenes Mädchen; ihr zur Seite geht +ihre Lieblingskuh, deren Glocke die anderen folgen, und leckt ab und zu +ihre Hand. Er bietet ihr guten Abend; sie erwidert freundlich den Gruß. +Lächelnd sehen sie sich an--und es ist derselbe Blick, der im Lustparke +von Kosambi zwischen der Ballspielerin auf der Bühne und dem fremden +Zuschauer hin und her flog. + + * * * * * + +Aber auch das Land der fünf Ströme, nachdem es sie mehrmals beherbergt +hat, verschwindet, wie zuvor das Gangatal--andere Gegenden tun sich auf, +andere Menschen und Sitten umgeben sie--Alles rauher, wilder und +ärmlicher. + +Die Steppe, über welche der Zug sich hinzieht--Reiter, Wagen und +Fußgänger in endloser Reihe--ist weiß von Schnee. Die Luft ist voll von +den wirbelnden Flocken. Schwarze Berge schauen schattenartig herein. Aus +dem Zeltdache eines schweren Ochsenwagens beugt sich ein Mädchen so +lebhaft hervor, daß der Schafpelz zur Seite gleitet, und die goldene +Haarfülle ihr über Wangen, Hals und Brust niederwallt. Angst leuchtet +aus ihren Augen, als sie hinausspäht, wohin alle Blicke sich wenden, +alle Finger hinzeigen:--wie eine dunkle, vom Winde aufgewirbelte Wolke +braust eine Reiterhorde heran. Aber vertrauensvoll lächelt sie, als ihr +Blick dem des Jünglings begegnet, der neben dem Wagen auf einem +schwarzen Stiere reitet;--und es ist wieder derselbe Blick, wenn auch +aus blauen Augen. Dieser Blick entflammt das Herz des blonden Jünglings, +der seine Streitaxt schwingt und laut rufend mit den anderen Kriegern +dem Feind entgegenstürmt--entflammt es und wärmt es noch, als es vom +kalten Eisen eines Skythenpfeiles durchbohrt wird. + + * * * * * + +Aber noch größere Veränderungen erlebten sie; noch weitere Wanderungen +unternahmen sie, vom Dufte des Korallenbaumes geleitet. + +Sie fanden sich selbst als Hirsch und Hinde im ungeheuren Walde. Wortlos +war jetzt ihre Liebe, aber nicht blicklos. Und wiederum war es derselbe +Blick:--tief im innersten Dunkel ihrer großen, ahnungsvollen Augen +leuchtete noch, wenn auch wie durch trübe Nebelbläue hindurch, derselbe +Funken, der so strahlend von Menschenauge zu Menschenauge den Weg +gefunden hatte. + +Sie ästen zusammen, nebeneinander wateten sie im klaren, kühlen +Waldbach, Körper an Körper ruhten sie im hohen, weichen Grase. Gemeinsam +waren ihre Freuden, gemeinsam zitterten sie vor Angst, wenn plötzlich +ein Ast lebendig wurde und der Rachen des Pythons sich aufsperrte; oder +wenn in der Stille der Nacht eine fast unhörbare, schleichende Bewegung +von ihren regen Ohren aufgefangen wurde, während ihre geblähten Nüstern +den scharfen Geruch eines Raubtieres witterten, und sie dann in +mächtigen Sätzen davonflohen, gerade als es im Gebüsche knisterte und +knackte und das Zorngebrüll des zu kurz gekommenen Tigers durch den +jetzt ringsum lebendig werdenden Wald rollte. + +Viele Jahre schon hatten sie so gemeinsam alle Wonnen und Schrecken des +Waldes durchgekostet, als sie eines Tages an einem schattigen Orte die +jungen saftigen Schößlinge benagten. Da geschah es, daß die Hinde sich +in die Wildschlinge eines Jägers verstrickte. Vergebens arbeitete das +Männchen mit Zacken und Klauen, um die Bande, welche die Freundin +fesselten, zu zersprengen, und ließ nicht davon ab, bis der Jäger sich +nahte. Dann stellte er sich diesem mit gefälltem Geweih entgegen und +bald machte der Jagdspieß beider Leben ein Ende. + + * * * * * + +Und als ein paar Goldadler horsteten sie hoch im wilden Felsengebirge, +schwebten über die bläulichen Abgründe des Himavat und umkreisten seine +schneeigen Zinnen.-- + +Als zwei Delphine aber befuhren sie die grenzenlose Salzflut des +Ozeans.-- + +Ja, einmal erwuchsen sie als zwei Palmen auf einer Insel mitten im +Weltmeere, schlangen im kühlen Strandsande ihre Wurzeln ineinander und +ließen gemeinsam ihre Wipfel im Seewinde rauschen. + + * * * * * + +Und wie ein Fürstenpaar sich zur Kurzweil und Belehrung vom Hoferzähler +mancherlei vortragen läßt--bald den Lebenslauf eines Königs, bald eine +einfache Dorfgeschichte, bald ein Heldenepos, bald eine Sage aus uralten +Tagen, bald irgend eine Tierfabel oder ein Märchen, und dabei weiß: wie +oft es uns auch gelüstet, zu lauschen, so ist doch nicht zu befürchten, +daß diesem trefflichen Erzähler jemals der Stoff ausgeht, da der Hort +seiner Sagenkenntnisse und die Fülle seines Erfindungsvermögens +unerschöpflich sind--ebenso wußten diese beiden:--wie oft und wie lange +wir auch hier weilen, und wäre es auch eine ganze Ewigkeit hindurch, so +ist doch keine Gefahr da, daß dieser Duft keine Erinnerungen mehr wecken +könnte; denn je weiter wir in die Zeit hinabsteigen, um so weiter +schiebt sich die Vorzeit zurück. + +Und sie wunderten sich sehr. + +"Wir sind so alt wie die Welt," sagte Vasitthi. + + + + +XXX. "ALLES ENTSTANDENE--" + + +"Gewiss sind wir so alt wie die Welt," sagte Kamanita. "Aber bisher sind +wir immer ruhelos gewandert, und immer wieder hat uns der Tod in ein +neues Leben gestürzt. Jetzt aber haben wir endlich eine Stätte erreicht, +wo es kein Vergehen mehr gibt, sondern nur ewige Wonne unser Los ist." + +Als er so sprach, kehrten sie gerade vom Korallenbaume zu ihrem Teiche +zurück. Er wollte sich soeben auf seine Lotusrose niedersenken, als er +zu bemerken glaubte, daß ihre rote Farbe an Frische und Glanz etwas +eingebüßt habe. Ja, als er nun über ihr in der Luft schwebend stehen +blieb und aufmerksam auf sie hinunterblickte, sah er mit Schrecken, daß +die Kronenblätter am Rande bräunlich und gleichsam verbrannt waren, und +daß ihre Spitzen sich erschlaffend krümmten. + +Nicht anders sah Vasitthis weißer Lotus aus, über dem auch sie stehen +geblieben war, offenbar durch dieselbe Wahrnehmung gefesselt. + +Er richtete seinen Blick nach seinem blauen Nachbar. _Sein_ Lotus zeigte +die gleiche Wandlung und es fiel Kamanita auf, daß sein Gesicht nicht so +freudig strahlte wie damals, als er ihn zuerst begrüßt hatte; die Züge +waren nicht so belebt wie früher, seine Haltung war nicht so frei, ja in +seinem Blick las er dieselbe Befremdung, die ihn und Vasitthi ergriffen +hatte. + +Und so war es in der Tat überall, wo er hinsah. Mit Blumen und Gestalten +war eine Veränderung vor sich gegangen. + +Wieder senkte er prüfend den Blick zu seinem eigenen Lotus nieder. Ein +Kronenblatt schien lebendig zu werden--langsam neigte es sich vornüber +und fiel losgelöst auf die Wasserfläche. + +Gleichzeitig aber hatte sich von jeder Lotusblume ein Kronenblatt +abgelöst--die Wasserfläche glitzerte zitternd und schaukelte leise die +bunten Blätternachen. Durch die Haine am Ufer ging ein Frösteln, und ein +juwelenfunkelnder Blütenregen fiel zur Erde. Ein Seufzer entrang sich +jeder Brust, und eine leise, doch schneidende Disharmonie durchdrang die +Musik der himmlischen Genien. + +"Vasitthi, Geliebte!" rief Kamanita, bestürzt ihre Hand +ergreifend--"siehst du? Hörst du?--Was ist denn dies? Was kann das +bedeuten?" + +Aber Vasitthi sah ihn ruhig lächelnd an: + +"Daran hat er gedacht, als er sagte: + +'Alles Entstandene auflösend weht dahin der Verwesung Hauch, +Wie ein irdischer Prachtgarten welken Paradiesblumen auch.'" + +"Wer hat denn diesen schrecklichen, diesen hoffnungsvernichtenden +Ausspruch getan?" + +"Wer denn sonst als er, der Erhabene, der Wandels-und Wissensbewährte, +der aus Mitleid mit den Menschen die Lehre darlegt, Allen zur +Aufklärung, dem Einzelnen zum Trost; der die Welt mit ihren edlen und +unedlen Wesen, ihren Scharen von Göttern, Menschen und Dämonen offenbart +und erklärt, der Wegweiser, der den Weg aus dieser Wandelwelt zeigt: der +Erhabene, der Vollendete, der Buddha." + +"Der Buddha hätte das gesagt? O nein, Vasitthi, das glaub' ich nicht. +Vielfach werden ja die Worte solch großer Lehrer mißverstanden und +unrichtig wiedergegeben, wie ich selber am besten weiß. Denn einst, zu +Rajagaha, habe ich in der Vorhalle eines Hafners mit einem törichten +Asketen zusammen übernachtet, der mir durchaus die Lehre des Buddha +darlegen wollte. Was er vorbrachte, war aber trauriges Zeug, eine +grüblerische, vernagelte Lehre, wiewohl ich schon spüren konnte, daß +echte Aussprüche des Erhabenen ihr zugrunde lagen--jedoch verballhornt +und von diesem Querkopfe umgedeutet. Gewiß hat man auch dir dies Wort +falsch berichtet." + +"Nicht doch, mein Freund! Denn aus dem Munde des Erhabenen selber habe +ich es ja." + +"Wie, Geliebte? So hast du denn selbst den Vollendeten von Angesicht zu +Angesicht gesehen?" + +"Gewiß habe ich das. Zu seinen Füßen bin ich ja gesessen." + +"Glücklich preise ich dich, Vassitthi! Glücklich--das sehe ich ja--bist +du jetzt in der Erinnerung. Ach, auch ich würde ja glücklich und +zuversichtlich sein wie du, wenn nicht im letzten Augenblick mein böses +Geschick--die eben reif gewordene Frucht von schlechten Taten der +Vergangenheit--mich des Glücks beraubt hätte, den erhabenen Buddha zu +sehen. Denn ein gewaltsamer Tod raffte mich dahin, als ich auf dem Wege +zu ihm war, in demselben Orte, in dem er weilte, eben gerade in +Rajagaha, an dem Morgen nach meinem Gespräch mit jenem törichten +Asketen. Nur etwa noch eine Viertelstunde entfernt von dem Mangohaine, +in dem der Erhabene sich aufhielt, ereilte mich mein Schicksal. Aber nun +ist mir _dies_ zum Tröste gegeben, daß meine Vasitthi das erreichte, was +mir versagt blieb. O, erzähle mir Alles davon, wie du zu ihm, dem +Erhabenen, kamst. Denn gewiß wird mich das aufrichten und stärken, und +jenes Wort, das mir so schrecklich, so hoffnungsvernichtend erschien, +wird mir dann verständlich werden und seinen Stachel verlieren, ja +vielleicht sogar irgend einen geheimen Trostgrund enthalten." + +"Gern, mein Freund," antwortete Vasitthi. + +Sie ließen sich auf ihre Lotusrosen nieder, und Vasitthi setzte den +Bericht ihrer Erlebnisse fort. + + + + +XXXI. DIE ERSCHEINUNG AUF DER TERRASSE + + +Als Satagira sein Ziel, mich als Frau zu besitzen, erreicht hatte, +erkaltete seine Liebe schnell, um so mehr, als sie ja von meiner Seite +keine Erwiderung fand. Ich hatte versprochen, ihm eine treue Gattin zu +sein, und er wußte wohl, daß ich mein Versprechen halten würde. Mehr +stand aber auch nicht in meiner Macht, selbst wenn ich es gewollt hätte. + +Da ich ihm nur eine Tochter gebar, die schon im zweiten Jahre starb, +wunderte sich niemand--und ich wahrlich am wenigsten--darüber, daß er +sich eine zweite Frau nahm. Diese gebar ihm den erwünschten Sohn. +Dadurch bekam sie die erste Stellung im Hause; auch verstand sie, seine +Liebe, auf die ich so willig verzichtet hatte, auf geschickte Weise zu +fesseln. Außerdem nahmen die Geschäfte meinen Gemahl immer mehr in +Anspruch, denn er war nach dem Tode seines Vaters mit dessen Stellung +betraut worden. + +So gingen mehrere Jahre ruhig dahin, und ich vereinsamte mehr und mehr, +was mir denn auch ganz recht war. Ich gab mich meiner Trauer hin, +verkehrte mit meinen Erinnerungen und lebte in der Hoffnung auf ein +Wiedersehen hier oben, eine Hoffnung, die mich ja auch nicht getäuscht +hat. + +Der Palast Satagiras lag an derselben Schlucht, aus der du so oft nach +der "Terrasse der Sorgenlosen" hinaufgestiegen bist, aber an einer viel +steileren Stelle, und hatte eine ganz ähnliche Terrasse wie mein +Vaterhaus. Hier pflegte ich alle schönen Abende zuzubringen, ja in der +heißen Zeit blieb ich dort oft die ganze Nacht, auf einem Ruhebett +schlafend. Denn die Felswand der Schlucht, die noch dazu von hohem +Mauerwerk gekrönt wurde, war so steil und glatt, daß gewiß kein Mensch +an ihr hinaufklettern konnte. + +Einmal in einer herrlichen, milden Mondnacht lag ich nun dort auf meinem +Lager, ohne zu schlafen. Ich dachte an dich, und zwar an jenen ersten +Abend unseres Zusammenseins; der Augenblick, wo ich mit Medini auf der +marmornen Bank der Terrasse saß und eure Ankunft erwartete, stand mir so +lebhaft vor der Seele, und ich dachte daran, wie sich dann plötzlich, +noch bevor wir es hofften, deine Gestalt über den Mauerrand erhob--denn +du warst ja in deinem ungestümen Eifer Somadatta zuvorgekommen. + +In diese süßen Träume verloren, hatte ich unwillkürlich meinen Blick auf +der Brustwehr ruhen lassen, als plötzlich eine Gestalt sich über +dieselbe erhob. + +Ich war so überzeugt, daß nie und nimmer ein Mensch diese Stelle +erklimmen könne, daß ich gar nicht daran zweifelte, dein Geist, von +meiner Sehnsucht heraufbeschworen, käme, um mich zu trösten und um mir +Kunde zu bringen von dem seligen Orte, wo du mich erwartetest. + +Deshalb erschrak ich denn auch gar nicht, sondern stand auf und breitete +die Arme gegen den Kommenden aus. + +Wie nun aber dieser auf der Terrasse stand und sich mit raschen +Schritten näherte, sah ich, daß seine Gestalt viel größer als die deine, +ja sogar riesenhaft war, und ich merkte, daß ich den Geist Angulimalas +vor mir hatte. Nun erschrak ich so heftig, daß ich mich am Kopfende der +Ruhebank festhalten mußte, um nicht umzusinken. + +"Wen hast du erwartet?" fragte der Furchtbare, an mich herantretend. + +"Einen Geist, aber nicht den deinen," antwortete ich. + +"Kamanitas Geist?" + +Ich nickte. + +"Als du jene Bewegung des Bewillkommnens machtest," fuhr er +fort,--"fürchtete ich, daß du einen Liebhaber hättest, der dich des +Nachts hier besuchte. Denn in dem Falle würdest du mir nicht helfen. Und +ich habe deine Hilfe so nötig, wie du jetzt die meinige." + +Bei diesen sonderbaren Worten wagte ich aufzublicken, und nun schien es +mir, daß ich keinen Geist, sondern ein Wesen aus Fleisch und Blut vor +mir habe. Aber der Mond stand hinter ihm, und geblendet von seinen +Strahlen und vom Schrecken verwirrt, konnte ich nur die mächtigen +Umrisse einer Gestalt sehen, die wohl auch einem Dämon angehören +konnten. + +"Ich bin nicht der Geist Angulimalas," sagte er, meinen Zweifel +erratend, "ich bin er selber, ein Mensch wie du." + +Ich fing heftig zu zittern an, nicht vor Angst, sondern, weil ich dem +Menschen gegenüberstand, der meinen Geliebten grausam ermordet hatte. + +"Fürchte dich nicht, edle Frau!" fuhr er fort--"du hast von mir nichts +zu befürchten; bist du doch der einzige Mensch, vor dem ich selber mich +gefürchtet habe, und dem ich, wie du so richtig sagtest, nicht in die +Augen sehen durfte, weil ich dich betrog." + +"Du betrogst mich?" rief ich, und kaum weiß ich, ob in meiner Seele +Freude aufstieg, geweckt durch die Hoffnung, mein Geliebter sei noch am +Leben, oder ob noch größere Verzweiflung mich bei dem Gedanken ergriff, +daß ich mich hatte verleiten lassen, mich von dem Lebenden zu trennen. + +"Ich tat es," antwortete er, "und deshalb sind wir aufeinander +angewiesen. Denn wir haben beide etwas zu rächen und an demselben Mann: +an Satagira!" + +Mit dem Anstand eines Fürsten machte dieser Räuber eine Handbewegung, +mit der er mich aufforderte, mich zu setzen, als ob er mir viel zu sagen +hätte. Ich, die ich mich nur noch mit Mühe aufrechthalten konnte, ließ +mich willenlos auf die Bank niedersinken, und staunte ihn an, atemlos +begierig auf seine nächsten Worte, die mich über das Schicksal des +Geliebten aufklären mußten. + +"Kamanita mit seiner Karawane," fuhr er fort--"fiel mir in der +Waldgegend Vedisas in die Hände. Er verteidigte sich tapfer, wurde aber +unverwundet gefangen genommen, und als das Lösegeld zur rechten Zeit +eintraf, unbehelligt nach Hause geschickt. Wohlbehalten kam er in Ujjeni +an." + +Bei dieser Nachricht entrang sich ein tiefer Seufzer meiner Brust. Ich +empfand in diesem Augenblick nur Freude darüber, den Geliebten unter den +Lebenden zu wissen, so töricht dies Gefühl auch war. Denn durch das +Leben war er mir noch mehr als durch den Tod entfernt. + +"Als ich in Satagiras Gewalt fiel," fuhr Angulimala fort, "erkannte +dieser sofort die kristallene Kette mit dem Tieraugen-Amulett an meinem +Halse, als dieselbe, die Kamanita angehört hatte. Am folgenden Abend kam +er allein in mein Gefängnis und versprach mir, zu meinem größten +Erstaunen, mir die Freiheit zu schenken, wenn ich vor einem Mädchen +beschwören wollte, daß ich Kamanita umgebracht habe. 'Dein Eid allein,' +sagte er, 'würde sie freilich nicht überzeugen, aber einem +'Wahrheitsakte' muß sie glauben.'--Er erklärte mir jetzt, ich sollte in +der ersten Stunde der Nacht auf eine Terrasse geführt werden, wo das +Mädchen sich aufhalten werde. Er wollte dafür sorgen, daß die Fesseln +durchfeilt wären, so daß ich sie unschwer sprengen könne, worauf es dann +ein leichtes für mich sei, mich über die Brustwehr zu schwingen, in die +Schlucht hinabzusteigen und derselben abwärts folgend zu entfliehen, da +sie schließlich in eine enge Rinne ausmünde, durch die ein kleiner Bach +unter der Stadtmauer sich in die Ganga ergösse. Mit einem feierlichen +Eide schwor er mir zu, mich an der Flucht aus Kosambi nicht hindern zu +wollen. + +Zwar traute ich ihm nicht allzusehr, aber ich sah keinen anderen Ausweg. +Einen ganz falschen Wahrheitsakt zu begeben, dazu hätte mich allerdings +nichts verleiten können, denn ich hätte ja dadurch das furchtbarste +Zorngericht der beleidigten Göttin auf mich geladen. Aber ich erkannte +sofort, wie ich meinen Schwur so einrichten könnte, daß ich nicht mit +klaren Worten eine Unwahrheit sagte, während dennoch ein jeder +heraushören würde, daß ich Kamanita getötet habe: und ich vertraute +darauf, daß Kali, die an allen Schlauheiten Gefallen findet, mir wegen +dieses Kraftstückes mit aller Macht beistehen und mich heil durch die +Gefahren führen würde, die ein Verrat Satagiras mir bereiten möchte. + +Alles ging nun in der Tat, wie es zwischen uns verabredet war, und du +selber hast gesehen, wie ich die eisernen Ketten sprengte. Noch heute +weiß ich aber nicht, ob Satagira Wort gehalten und die Ketten hat +durchfeilen lassen, wie er es mir versprochen hatte, oder ob mir Kali +durch ein Wunder half. Doch glaube ich eher das erstere. Denn kaum war +ich einige Klafter in die Ganga hinausgeschwommen, so wurde ich von +einem Boote voll Bewaffneter überfallen. Auf diesen Hinterhalt hatte er +also vertraut. Hier aber zeigte es sich, was die Hilfe Kalis wert ist: +denn obwohl die an meinen Handgelenken hängenden Kettenstücke meine +einzigen Waffen waren, gelang es mir doch, alle Krieger totzuschlagen, +und auf dem während des Kampfes gekenterten Boote erreichte ich +glücklich das sichere nördliche Ufer; freilich nicht ohne so viele und +tiefe Wunden davonzutragen, daß ein ganzes Jahr verging, bevor ich mich +davon erholt hatte. In dieser Zeit habe ich aber oft genug geschworen, +daß Satagira mir dies büßen solle. Und nun ist die Zeit dazu gekommen." + +In meiner Seele wütete ein Sturm von Entrüstung über diesen an mir +verübten, unerhörten Betrug. Ich konnte es dem Räuber nicht verdenken, +daß er durch dies Mittel sein Leben gerettet hatte, und da er seine +Hände nicht mit dem Blute meines Geliebten befleckt hatte, vergaß ich in +diesem Augenblick, wieviel anderes unschuldiges Blut aber an ihnen +klebte, und empfand weder Schreck noch Abscheu vor diesem Manne, der mir +die Botschaft gebracht hatte, daß mein Kamanita noch auf dieser Erde +wanderte wie ich selber. Aber ein bitterer Haß erhob sich in mir gegen +ihn, der schuld daran war, daß wir beide getrennt unsere Erdenwanderung +zu Ende führen mußten, und die Drohung Angulimalas gegen sein Leben +vernahm ich mit einer unwillkürlichen Freude, die wohl in meinem +Oesichtsausdrucke zu lesen war. + +Denn mit erregter, leidenschaftlicher Stimme fuhr Angulimala fort: + +"Ich sehe, hohe Frau! daß deine edle Seele nach Rache dürstet, und die +soll dir auch bald werden. Deshalb bin ich ja hierher gekommen. Schon +viele Wochen habe ich hier vor Kosambi auf Satagira gelauert. Endlich +habe ich jetzt aus sicherer Quelle in Erfahrung gebracht, daß er in +diesen Tagen die Stadt verlassen wird, um sich nach den östlichen Gauen +zu begeben, wo ein zwischen zwei Dörfern schwebender Rechtsstreit zu +schlichten ist. Ehe ich davon wußte, war mein ursprünglicher Plan, ihn +zu zwingen, einen Ausfall gegen mich zu machen, um mich wieder gefangen +zu nehmen; diese seine Reise macht es mir aber noch bequemer. Freilich +habe ich infolge meiner ersten Absicht kein Geheimnis aus meiner +Anwesenheit gemacht, sondern meine Taten für mich sprechen lassen, und +das Gerücht von meinem Wiedererscheinen ist längst verbreitet. Obwohl +die meisten glauben, daß irgend ein Betrüger erstanden ist und sich für +Angulimala ausgibt, so hat doch die Furcht schon so sehr um sich +gegriffen, daß nur größere und gut bewaffnete Züge sich in die bewaldete +östliche Gegend, wo ich hause, hinauswagen. Du scheinst freilich davon +nichts gehört zu haben, weil du eben als eine um ihr Lebensglück +betrogene Frau allein mit deiner Trauer verkehrst." + +"Ich habe wohl von einer dreisten Räuberbande vernommen," sagte ich, +"aber deinen Namen noch nicht nennen gehört, weshalb ich auch glaubte, +deinen Geist zu sehen." + +"Satagira aber hat mich nennen gehört," fuhr der Räuber fort, "verlasse +dich darauf, und da er guten Grund hat, zu glauben, daß es der richtige +Angulimala ist und noch besseren Grund, diesen zu fürchten, so ist +anzunehmen, daß er nicht nur unter starker Bedeckung reisen, sondern +auch noch andere Vorsichtsmaßregeln treffen und sich vieler auf +Täuschung berechneter Schliche bedienen wird. Indessen, obschon die +Bande, über die ich gebiete, nicht sehr groß ist, soll weder das eine +noch das andere ihm helfen, wenn ich nur mit Sicherheit weiß, zu welcher +Stunde er auszieht und welchen Weg er einschlägt. Und dies ist es, was +ich durch dich zu erfahren hoffe." + +Wenn ich auch bis jetzt stumm und gleichsam in einen Bann geschlagen +seiner Erklärung gelauscht hatte, ohne zu bedenken, wieviel ich mir +schon dadurch vergab, so stand ich doch bei dieser Zumutung entrüstet +auf und fragte ihn, was ihm wohl berechtige, zu glauben, daß ich tief +genug gesunken wäre, um einen Dieb und Räuber zum Bundesgenossen zu +nehmen. + +"Bei einem Bundesgenossen," erwiderte Angulimala ruhig, "ist die +Hauptsache, daß er zuverlässig ist, und du fühlst wohl, daß du dich in +dieser Sache ganz auf mich verlassen kannst. Auch brauche ich deine +Hilfe, denn nur durch sie kann ich das, was ich wünsche, mit Sicherheit +erfahren. Wohl habe ich eine sonst gute Quelle für Nachrichten, durch +die ich eben auch von der bevorstehenden Reise Satagiras weiß; aber wenn +er vorsichtshalber ein falsches Gerücht verbreitet, so kann auch sie +getrübt werden. Du aber bedarfst meiner, weil eine stolze und edle Seele +in einem Fall wie dem deinigen nur durch den Tod des Verräters +Genugtuung findet. Wärest du ein Mann, dann würdest du ihn selber töten; +da du eine Frau bist, brauchst du dazu meines Armes." + +Ich wollte ihn heftig abweisen, aber er gab mir mit einer so würdigen +Handbewegung zu verstehen, er habe noch nicht Alles gesagt, daß ich +gegen meinen Willen schwieg. + +"Dies, edle Frau," fuhr er fort, "ist die Rache. Aber es gibt noch ein +Anderes, Wichtigeres. Für dich: das künftige Glück zu ergreifen; für +mich: Vergangenes zu sühnen. Mit Recht sagt man ja von mir, daß ich +grausam sei, ohne Mitleid gegen Mensch und Tier. Ja, ich habe tausend +Taten vollbracht, für deren jede man hundert oder tausend Jahre in einer +Erzhölle büßen muß, wie die Priester lehren. Zwar hatte ich einen +gelehrten und weisen Freund, Vajacravas, den das Volk jetzt sogar als +einen Heiligen verehrt, und an dessen Grab ich auch reichlich geopfert +habe: der hat uns oft bewiesen, daß es solche Höllenstrafen nicht gebe, +und daß der Räuber im Gegenteil das brahmandurchdrungenste Wesen und die +Krone der Schöpfung sei. Doch hat er mich nie so recht davon überzeugen +können.... + +Sei dem nun, wie es wolle. Ob es Höllenstrafen gibt oder nicht:--gewiß +ist es, daß von allen meinen Taten nur eine mir schwer auf dem Herzen +liegt, und zwar die, daß ich mit meinem schlauen Wahrheitsakt dich +betrogen habe. Schon damals durfte ich dir nicht ins Gesicht sehen, und +die Erinnerung an jene Stunde sitzt mir noch immer wie ein Dorn im +Fleische. Nun wohl, was ich damals gegen dich verbrach, möchte ich jetzt +wieder gut machen, soweit es noch möglich ist; die bösen Folgen möchte +ich vernichten. Du wurdest durch meine Schuld von dem tot geglaubten +Kamanita getrennt und an diesen falschen Satagira gebunden. Diese Fessel +will ich dir nun abnehmen, so daß du wieder frei bist, dich mit dem +Geliebten zu verbinden; und ich selber will nach Ujjeni gehen und ihn +heil und sicher herbringen. Nun tue du das deinige, ich werde das +meinige tun. Für eine schöne Frau ist es ja nicht schwer, dem Gemahl ein +Geheimnis zu entlocken. Morgen, sobald es dunkel ist, komme ich hierher, +um mir den Bescheid von dir zu holen." + +Er verbeugte sich tief, und bevor es mir in meiner Verwirrung und +Bestürzung möglich war, ein Wort hervorzubringen, war er so plötzlich +von der Terrasse verschwunden, wie er erschienen war. + + + + +XXXII. SATAGIRA + + +Die ganze Nacht blieb ich auf der Terrasse, eine willenlose Beute der +entfesselten, mir unbekannten Leidenschaften, die mit meinem Herzen ihr +Spiel trieben wie Wirbelwinde mit einem Blatt. + +Mein Kamanita war noch am Leben! Er hatte in seiner fernen Heimat von +meiner Heirat gehört--denn sonst wäre er ja längst gekommen. Wie +treulos--oder wie erbärmlich schwach mußte ich in seinen Augen sein! Und +an dieser meiner Erniedrigung war allein Satagira schuld. Mein Haß gegen +ihn wurde mit jeder Minute tödlicher, und tief fühlte ich die Wahrheit +in Angulimalas Worten, daß ich, wenn ich ein Mann gewesen wäre, +sicherlich Satagira getötet hätte. + +Dann zeigte sich wieder jene Aussicht, die Angulimala mir so unerwartet +eröffnet hatte:--wenn ich frei war, konnte ich den Geliebten heiraten. +Bei diesem Gedanken geriet mein ganzes Wesen in einen so stürmischen +Aufruhr, daß ich glaubte, das Blut müßte mir Brust und Schläfen +sprengen. Außerstande, mich aufrechtzuhalten, vermochte ich nicht +einmal, nach der Bank zu wanken, sondern sank auf die marmornen Fliesen +nieder, und die Sinne vergingen mir. + +Die Kühle des Morgentaues brachte mich zu meinem unseligen Dasein mit +seinen furchtbaren Fragen zurück. + +War es denn Wahrheit, daß ich mich mit einem Räuber und tausendfachen +Mörder verbinden wollte, um den Mann aus dem Wege zu räumen, der mich +einst um das Hochzeitsfeuer geführt hatte? + +Aber ich wußte ja noch gar nicht, wann mein Gemahl fortzöge! Und wie +sollte ich die Zeit seiner Abreise, wie auch den genauen Weg, den er zu +nehmen beabsichtigte, erfahren, wenn er ein Geheimnis daraus machte? + +"Für eine schöne Frau ist es ja nicht schwierig, dem Gemahl ein +Geheimnis zu entlocken"--diese Worte des Räubers klangen mir noch im +Ohre und zeigten mir die ganze Niedrigkeit einer solchen Handlungsweise. +Nie würde ich mich dazu entschließen können, mich durch Zärtlichkeit in +sein Vertrauen einzuschleichen, um ihn dann seinem Todfeinde zu +verraten. Aber gerade dadurch, daß ich dies so deutlich fühlte, wurde es +mir auch klar, daß es eigentlich nur das verräterische und heuchlerische +Erschleichen des Geheimnisses war, das ich so von Grund aus +verabscheute. Wäre ich aber schon im Besitz des Geheimnisses +gewesen--hätte ich gewußt, wo ich hingehen und eine Tafel finden könnte, +auf der Alles aufgeschrieben stand:--dann würde ich sicher die tödliche +Kunde Angulimala mitgeteilt haben. + +Wie mir dies nun klar wurde, zitterte ich vor Entsetzen, als ob ich +schon schuldig an Satagiras Tod wäre. Ich dankte meinem Schicksal, daß +keine Möglichkeit für mich vorhanden war, diese Kunde zu erlangen; denn +wenn ich auch vielleicht hätte erfahren können, zu welcher Stunde sie +aufbrechen würden, so konnte doch nur Satagira selbst und höchstens noch +ein Vertrauter wissen, welche Wege und Stege man gewählt hatte. + +Ich sah die aufgehende Sonne die Türme und Kuppeln Kosambis vergolden, +so wie ich dies hinreißende Schauspiel von der Terrasse der Sorgenlosen +aus so oft--aber ach! mit wie ganz anderen Gefühlen--betrachtet hatte, +wenn ich selige Nachtstunden dort mit dir verbrachte. Unglücklich wie +noch nie zuvor, matt und elend, als ob ich in dieser Nacht um Jahrzehnte +gealtert wäre, begab ich mich in den Palast zurück. + +Um nach meinem Zimmer zu kommen, mußte ich durch eine lange Galerie +gehen, nach der einige Räume mit vergitterten Fenstern sich öffneten. +Als ich an einem derselben vorüberschritt, vernahm ich Stimmen. Die +eine--die meines Gemahls--hub gerade an: + +"Gut, wir wollen also heute Nacht--eine Stunde nach +Mitternacht--aufbrechen." + +Ich war unwillkürlich stehen geblieben. Die Stunde wußte ich also! Aber +den Weg? Die Schamröte stieg mir ins Gesicht, weil ich den Lauscher an +der Tür spielte--"fliehe, fliehe!" rief es in mir--"noch ist es Zeit!" +Aber ich blieb wie angewurzelt stehen. + +Satagira sprach indessen nicht weiter. Er mochte meine Schritte und ihr +Aufhören an der Tür bemerkt haben; denn diese wurde plötzlich +aufgerissen. Mein Gemahl stand vor mir. + +"Ich hörte deine Stimme im Vorbeigehen," sagte ich mit raschem +Entschluß, "und dachte daran, anzufragen, ob ich dir einige +Erfrischungen bringen sollte, da du so früh den Geschäften obliegst. +Dann befürchtete ich wieder, dich zu stören und wollte weitergehen." + +Satagira sah mich ohne Mißtrauen, ja sogar sehr freundlich an. + +"Ich danke dir," sagte er, "ich bedarf keiner Erfrischungen, aber du +störst mich keineswegs. Im Gegenteil, ich wollte gerade nach dir +schicken und fürchtete nur, daß du noch nicht aufgestanden wärest. Du +kannst mir gerade jetzt von dem größten Nutzen sein." + +Er lud mich ein, in das Zimmer zu treten, was ich mit der höchsten +Verwunderung tat, sehr darauf gespannt, Was für einen Dienst er wohl von +mir begehrte, gerade in diesem Augenblick, wo ein tödlicher Anschlag +gegen ihn mein Gemüt erfüllte. + +Ein Mann, in dem ich einen Reiterführer und Vertrauten Satagiras +erkannte, saß auf einem niedrigen Sitz. Er erhob sich bei meinem +Eintreten und verbeugte sich tief. Satagira ließ mich neben sich Platz +nehmen, winkte dem Reiteranführer, sich wieder zu setzen, und wandte +sich zu mir. + +"Es handelt sich, meine liebe Vasitthi, um Folgendes: Ich muß möglichst +bald eine Reise antreten, um einen Dorfstreit in den östlichen Gauen zu +schlichten. Nun haben sich seit einigen Wochen in den Waldgegenden +östlich von Kosambi, und zwar recht nahe der Stadt, Räuber gezeigt. Es +geht sogar das törichte Gerücht, ihr Führer sei kein anderer als +Angulimala, indem man die unerhörte Frechheit hat, zu behaupten, +Angulimala sei damals aus dem Gefängnis entflohen, und ich hätte statt +seines Kopfes einen anderen, dem seinen ähnlichen, über dem Tor +aufgesteckt. Über solche Märchen können wir freilich lachen. Allerdings +aber scheint dieser Räuber dem berühmten Angulimala an Dreistigkeit +nicht viel nachzugeben, und wenn er sich wirklich für jenen ausgibt, um +durch den glorreichen Namen großen Anhang zu finden, so geht er gewiß +darauf aus, irgend eine recht glänzende Tat zu vollbringen. Deshalb ist +immerhin eine gewisse Vorsicht geboten." + +Auf einem kleinen, mit edlen Steinen ausgelegten Tische neben ihm lag +ein seidenes Tuch. Er nahm es und wischte sich damit die Stirn. Es sei +doch heute, meinte er, trotz der frühen Stunde recht heiß. Ich merkte +wohl, daß es die Angst vor Angulimala war, die ihm den Schweiß aus den +Poren trieb. Aber anstatt daß dadurch mein Mitleid geweckt worden wäre, +fühlte ich bei diesem Anblick vielmehr nur Verachtung für ihn. Ich sah, +daß er kein Held war und fragte mich verwundert, durch welchen +Glücksfall er dazu gekommen wäre, Angulimala gefangen zu nehmen, +Angulimala, den Räuber, der mir vorkam wie der furchtbare Bhima im +Mahabharata, an dessen Seite du ja selber, mein lieber Kamanita, auf der +Ebene Kurukschetra gekämpft hast. + +"Nun kann ich aber," fuhr indessen mein Gemahl fort, "nicht gut in jenen +Dörfern mit einem ganzen Heere ankommen, ja ich möchte sogar nicht gern +mehr als dreißig Reiter auf diese Reise mit mir nehmen. Um so mehr aber +ist Vorsicht und sogar täuschende List geboten. Ich habe dies gerade mit +meinem getreuen Panduka besprochen, und er hat mir einen guten Vorschlag +gemacht, den ich dir auch mitteile, damit du nicht während dieser Tage +in allzu großer Angst um mich bist." + +Ich murmelte etwas, das einen Dank für diese Rücksichtnahme bedeuten +sollte. + +"Panduka," fuhr er fort, "wird also recht augenfällig alle +Vorbereitungen treffen, als ob ich morgen früh mit einer ziemlich +ansehnlichen Truppenmacht gen Osten einen Zug machen wollte, um die +Räuber zu fangen. Wenn diese also--was ich nicht bezweifle--hier in der +Stadt Helfershelfer haben, die sie auf dem Laufenden halten, so werden +sie dadurch hinters Licht geführt. Mittlerweile breche ich mit meinen +dreißig Reitern eine Stunde nach Mitternacht auf, und zwar durch das +südliche Tor, und ziehe durch das Hügelland in einem großen Bogen +ostwärts. Doch möchte ich auch hier gern die Hauptstraßen vermeiden, bis +ich einige Meilen von Kosambi entfernt bin. Nun liegt ja aber gerade in +dieser Gegend das Sommerhaus deines Vaters, und du kennst von Kind auf +alle Wege und Stege dort--kannst mir also, denke ich, hier mit deinem +Rate viel nützen." + +Ich war sofort dazu bereit, und während ich ihm Alles ausführlich +beschrieb, ließ ich mir eine Tafel geben und zeichnete darauf eine +genaue Karte von der Umgebung jenes Hauses, mit Kreuzzeichen an den +Stellen, die er sich besonders merken mußte. Vor allem aber empfahl ich +ihm einen Pfad, der durch eine Schlucht führte. Diese verengte sich +allmählich so sehr, daß auf einer kurzen Strecke nicht zwei Reiter +nebeneinander reiten konnten, dafür war aber dieser Weg so unbekannt, +daß, selbst wenn die Räuber ahnen sollten, daß er einen solchen Umweg +machte, gewiß niemand ihn dort suchen würde. + +In dieser Schlucht aber hatte ich als ein unschuldiges Kind mit meinen +Brüdern und Medini und den Kindern unseres Pächters gespielt. + +Satagira bemerkte, daß meine Hand, die auf die Tafel zeichnete, +zitterte, und fragte mich, ob ich Fieber hätte. Ich antwortete, daß es +nur etwas Müdigkeit nach einer schlaflosen Nacht sei. Er ergriff aber +meine Hand und fand besorgt, daß sie kalt und feucht sei, und als ich +sie mit der Bemerkung, das habe gar nichts zu sagen, zurückziehen +wollte, behielt er sie in der seinen, während er mich ermahnte, +vorsichtig zu sein und mich zu schonen; und in seinem Blick und seiner +Stimme bemerkte ich mit unsagbarem Unwillen, ja mit Entsetzen etwas von +der bewundernden Zärtlichkeit aus jener Zeit, als er vergebens um mich +warb. Ich beeilte mich zu sagen, daß ich mich wirklich nicht ganz wohl +fühlte und mich gleich zur Ruhe begeben wollte. + +Satagira folgte mir aber noch in die Galerie hinaus, und hier, wo wir +allein waren, fing er an, sich zu entschuldigen: er habe allerdings über +die Mutter seines Sohnes mich jetzt lange Zeit vernachlässigt; aber nach +seiner Rückkehr sollte das anders werden; ich würde nicht länger nötig +haben, die Nacht allein auf der Terrasse zuzubringen. + +Wenn auch jene Zärtlichkeit, die dem Grabe einer verschollenen +Jugendliebe entstiegen schien, bei der ich anerkennen mußte, daß sie +sogar mit einer gewissen halsstarrigen Treue nur mir gegolten hatte, +nicht umhin konnte, mein Herz etwas zu seinen Gunsten zu stimmen, so daß +ich einen Augenblick in meinem Vorsatz wankte: so waren doch die letzten +Worte, die mit einem süßlichen Lächeln und einer ekelhaften +Vertraulichkeit vorgebracht wurden, nur zu geeignet, diese Wirkung +wieder aufzuheben, indem sie mich an Rechte gemahnten, die er sich mir +gegenüber durch seinen feigen Verrat erschlichen hatte. + + + + +XXXIII. ANGULIMALA + + +Eine schreckliche Ruhe kam über mich, als ich jetzt in meine Zimmer +zurückkehrte. Es gab nichts mehr zu bedenken, kein Zweifel war zu +bekämpfen, keine Fragen wollten beantwortet sein. Alles war entschieden. +Sein Karma wollte es so. Offenbar war er durch seinen doppelten Verrat +mir und Angulimala verfallen. + +So groß war diese Ruhe, daß ich einschlief, sobald ich mich auf das +Lager gestreckt hatte--als ob meine Natur ängstlich bemüht gewesen wäre, +über diese inhaltslosen Wartestunden hinwegzukommen. + +Als es dunkel wurde, ging ich auf die Terrasse. Der Mond war noch nicht +aufgegangen. Ich brauchte nicht lange zu warten. Die mächtige Gestalt +Angulimalas schwang sich über die Brustwehr und kam auf die Bank zu, auf +der ich, halb abgewendet, saß. + +Ich rührte mich nicht, und ohne den Blick von dem Muster der bunten +Marmorfliesen zu erheben, sprach ich:-- + +"Was du zu wissen wünschest, weiß ich. Alles: die Stunde, wann er +fortzieht, die Stärke seiner Begleitung, die Richtung, die er +einschlägt, und Wege und Pfade, denen er folgt. Von seinem bösen Karma +getrieben, hat er selber mir seine Vertraulichkeit aufgedrungen, sonst +wüßte ich das alles nicht, denn nie hätte ich es ihm durch heuchlerische +Zärtlichkeit entlockt." + +Ich hatte mir diese Worte wohl überlegt; denn so töricht sind wir in +unserem Stolz, daß es selbst jetzt, da ich mich zum Handlanger eines +Verbrechers machte, für mich ein unerträglicher Gedanke war, in seinen +Augen niedriger zu erscheinen, als ich wirklich war. + +Nicht weniger überlegt waren meine weiteren Worte. + +"Von all dem wirst du aber keine Silbe erfahren, wofern du mir nicht +zuerst versprichst, daß du ihn _nur_ töten, auf keine Weise aber quälen +wirst, und daß du nur _ihn_, jedoch keinen seiner Begleiter töten wirst, +wenn du es nicht zur Selbstverteidigung nötig hast. Ich werde dir aber +eine Stelle zeigen, wo du ihn ganz allein und ohne Handgemenge tödlich +treffen kannst. Dies also mußt du mir mit einem feierlichen Eide +versprechen. Sonst kannst du mich töten, wirst aber kein Wort mehr von +mir vernehmen." + +"So wahr ich bis heute ein treuer Diener Kalis war," erwiderte +Angulimala, "so gewiß will ich keinen von seinen Begleitern töten, und +so gewiß soll er auch keine Qual erleiden." + +"Gut," sagte ich, "ich will dir trauen. So höre also nun und merke dir +Alles genau. Wenn du hier in der Stadt Hehler hast, so wirst du schon +erfahren haben, daß Vorbereitungen getroffen werden, um morgen gegen die +Räuber vorzugehen. Das ist aber alles leerer Schein, um dich zu +täuschen. In Wirklichkeit verläßt Satagira, von dreißig Reitern gefolgt, +noch heute, eine Stunde nach Mitternacht, die Stadt durch das südliche +Tor, läßt den Sinsapawald links liegen und biegt noch etwas südlicher +aus, um auf Nebenwegen durch das Hügelland ostwärts zu ziehen." + +Und ich gab ihm nun eine ganz genaue Beschreibung der Gegend bis zu +jener engen Schlucht, durch die Satagira kommen mußte, und wo er ihn +leicht und sicher erschlagen konnte. + +Meiner Rede folgte ein bedrückendes Schweigen, währenddessen ich nur +mein eigenes schweres Atemholen hörte. Ich fühlte, daß ich noch nicht +Kraft genug hatte, um mich zu erheben und wegzugehen, wie ich es mir +vorgenommen hatte. + +Endlich sprach Angulimala, und schon der milde, ja traurige Klang seiner +Stimme überraschte mich derart, daß ich fast erschrak und unwillkürlich +zusammenfuhr. + +"So wäre es denn also nun geschehen," sagte er, "und du, die zarte, +milde Frau, die du gewiß niemals mit Willen auch nur dem geringsten +Geschöpfe ein Leid zugefügt hast, du wärest nunmehr im Bunde mit dem +schlechtesten Menschen, dessen Hände von Blut triefen, ja der Mord +deines Gatten lastete auf deinem Gewissen und würde für dich seine +schwarzen Karmafäden auf abschüssiger Fährte bis in die höllische Welt +weiter wirken--ja, so wäre es in der Tat, wenn du jetzt zu dem Räuber +Angulimala geredet hättest." + +Ich wußte nicht, ob ich meinen Ohren trauen sollte. Zu wem sonst hatte +ich denn geredet? War es doch die Stimme Angulimalas, wenn auch mit +jener sonderbaren Veränderung des Klanges; und als ich mich jetzt +bestürzt umwandte und ihn scharf ansah, war es außer allem Zweifel, daß +der Räuberhäuptling vor mir stand, wenn auch in seiner ganzen Haltung +sich gleichsam ein anderer Charakter ausdrückte als der, der mich Tags +zuvor in seinem furchtbaren Banne gehalten hatte. + +"Aber sei unbesorgt, edle Frau"--fügte er hinzu--"dies Alles ist nicht +geschehen. Nichts ist geschehen, nicht mehr, als wenn du deine Rede an +diesen Baum gerichtet hättest." + +Diese Worte waren mir so rätselhaft wie die vorhergehenden. So viel aber +verstand ich, daß er aus irgend einem Grunde seinen Racheplan gegen +Satagira aufgegeben hatte. + +Nachdem ich mich durch furchtbare Seelenkämpfe zu dieser unnatürlichen +Höhe des Verbrechens emporgerungen hatte, war dies plötzliche +unbegreifliche Zerrinnen, diese spukhafte Verflüchtigung des Werkes eine +Enttäuschung, die ich nicht ertrug. Die krankhafte Spannung meines +Gemütes machte sich Luft in einem Strome von Schimpfworten, die ich +Angulimala ins Gesicht schleuderte. Ich nannte ihn einen ehrlosen +Schuft, einen wortbrecherischen, leeren Prahler, eine Memme und was weiß +ich noch--das Schlimmste, was mir einfallen wollte, denn ich hoffte, daß +dieser wegen seines Jähzorns in ganz Indien berüchtigte Mann, +solchermaßen gereizt, mich mit einem Schlage seiner eisernen Faust +leblos zu Boden strecken würde. + +Als ich aber schwieg, eher, weil mir der Atem als der Wortvorrat +ausging, antwortete mir Angulimala mit beschämender Ruhe:-- + +"Dies alles und noch Schimpflicheres habe ich ja von dir verdient, und +nicht einmal den alten Angulimala hättest du damit, glaube ich, so +reizen können, daß er dich getötet hätte--denn dies zu erreichen ist ja, +wie ich wohl erkenne, deine Absicht. Aber wenn auch jetzt ein anderer +mir noch Schlimmeres gesagt hätte, so würde ich das nicht nur ruhig +ertragen haben, sondern ihm sogar dankbar dafür sein, daß er mir +Gelegenheit gab, eine heilsame Prüfung zu bestehen. Hat doch der Meister +selber mich gelehrt: 'Der Erde gleich, Angulimala, sollst du Gleichmut +üben. Gleichwie man da auf die Erde Reines hinwirft und Unreines +hinwirft, und die Erde sich weder darob entsetzt noch sich sträubt--also +sollst du, Angulimala, der Erde gleich Gleichmut üben.' Denn du sprichst +ja, Vasitthi, nicht mit dem Räuber, sondern mit dem Jünger Angulimala." + +"Was für ein Jünger? Welcher Meister?" fragte ich mit verächtlicher +Ungeduld, obwohl die seltsame Sprache dieses unbegreiflichen Mannes +nicht verfehlte, eine eigentümliche, fast bestrickende Wirkung auf mich +auszuüben. + +"Den sie den Vollendeten nennen, den Weltkenner, den vollkommen +Erwachten, den Buddha," antwortete er, "der ist der Meister. Du hast +doch wohl auch schon von ihm gehört?" + +Ich schüttelte den Kopf. + +"Glücklich preise ich mich," rief er, "daß ich es bin, durch dessen Mund +du zuerst den Namen des Gesegneten vernimmst. Hat Angulimala dir einst +als der Räuber viel Böses getan, so hat er dir jetzt als Jünger noch +mehr Gutes getan." + +"Wer ist denn dieser Buddha?" fragte ich wieder in demselben Tone, ohne +mir es anmerken lassen zu wollen, wie sehr meine Teilnahme geweckt +war.--"Was hat er mit diesem deinem rätselhaften Betragen zu tun, und +was könnte mir das für Segen bringen, seinen Namen zu hören?" + +"Auch nur den Namen dessen zu hören, den sie den Willkommenen nennen," +sagte Angulimala, "ist wie der erste Schimmer einer Leuchte für den, der +im Dunkel sitzt. Aber ich will dir jetzt Alles erzählen, wie er mir +begegnet ist und mein Leben gewendet hat; denn gewiß ist das nicht zum +wenigsten deinetwegen gerade heute geschehen." + +Schon am ersten Abend hatte mich trotz der Wildheit, die seinem Wesen +entströmte, ein gewisser Anstand seines Betragens überrascht; noch +auffallender war aber die ungesuchte Würde, mit der er jetzt neben mir +Platz nahm, wie Einer, der sich bei seinesgleichen fühlt. + + + + +XXXIV. DIE SPEERHÖLLE + + +Ich stand heute--hub er an--ein paar Stunden nach Sonnenaufgang am +Waldesrande und spähte nach den Türmen Kosambis hinüber, meine Rache an +Satagira im Sinne, und die Frage erwägend, ob du mir wohl die +erwünschten Aufklärungen bringen würdest: als ich auf der Straße, die +vom östlichen Stadttor zum Walde führt, einen einsamen, in einen gelben +Mantel gehüllten Wanderer gewahr wurde, der rüstig einherschritt. Zu +beiden Seiten des Weges aber waren Hirten und Landleute mit ihren +Arbeiten beschäftigt. Und ich sah nun, wie diejenigen, die dem Wege am +nächsten waren, jenem einsamen Wanderer etwas zuriefen, während auch die +weiter entfernten mit ihrer Arbeit innehielten, ihm nachsahen und mit +Fingern auf ihn zeigten. Und die Nächststehenden schienen ihn, je weiter +er vorwärts schritt, um so eifriger zu warnen, ja aufhalten zu wollen, +indem einige ihm nachliefen und seinen Mantel ergriffen, und dann mit +eifrigen und entsetzten Gebärden nach dem Walde zeigten. Fast glaubte +ich hören zu können, wie sie ihm zuriefen: "Nicht weiter! Gehe nicht in +den Wald! Dort haust ja der schreckliche Räuber Angulimala." + +Aber jener Wanderer schritt unbekümmert weiter, dem Walde zu. Und jetzt +sah ich an seinem Mantel und an seinem kahlgeschorenen Kopfe, daß es ein +Asket war, einer von denen, die dem Orden des Sakyersohnes angehören, +ein alter Mann von stattlicher Gestalt. + +Und ich gedachte bei mir: "Wunderbar, wahrlich, außerordentlich ist es! +Auf diesem Wege sind schon zehn Mann, ja dreißig und fünfzig Mann +vereint und bewaffnet ausgezogen und sind alle in meine Gewalt geraten: +und dieser Asket da kommt allein, wie ein Eroberer heran!" + +Und es verdroß mich, daß er so offen meiner Macht Hohn sprach. So +entschloß ich mich denn, ihn zu töten, um so mehr, als ich mir dachte, +möglicherweise sei er als Späher von Satagira in den Wald geschickt. +Denn diese Asketen--so meinte ich--sind ja alle heuchlerisch und feil +und lassen sich zu Allem gebrauchen, indem sie auf die Sicherheit bauen, +die sie durch den Aberglauben des Volkes genießen--denn so hatte ich von +meinem gelehrten Freunde Vajaçravas gelernt, die Sache zu betrachten. + +Schnell entschlossen ergriff ich meinen Speer, hängte Bogen und Köcher +um und ging dem Asketen, der jetzt in den Wald eingetreten war, Schritt +für Schritt nach. + +Als ich aber eine günstige Stelle erreicht hatte, wo keine Bäume uns +trennten, blieb ich stehen, nahm den Bogen von der Schulter und schoß +einen Pfeil so ab, daß er dem Wanderer in die linke Seite des Rückens +eindringen und sein Herz durchbohren mußte; aber er flog über den Kopf +des Asketen dahin. + +"Da muß sich unter meine Pfeile ein ganz schlechter verirrt haben," +sagte ich mir, nahm meinen Köcher zur Hand und wählte einen schön +gefiederten, tadellosen Pfeil, mit dem ich so zielte, daß er dem Asketen +das Genick durchbohren mußte. Der Pfeil schlug aber links von ihm in +einen Baumstamm ein. Der nächste flog rechts von ihm vorbei, und so ging +es mit allen Pfeilen, bis mein Köcher geleert war. + +"Unbegreiflich, außerordentlich ist das!" dachte ich bei mir. "Habe ich +mich doch oft damit belustigt, einen Gefangenen mit dem Rücken an einen +Zaun zu stellen und die Pfeile so nach ihm zu schießen, daß, nachdem er +zur Seite getreten, der ganze Umriß seines Körpers durch die im Zaune +steckenden Pfeile abgezeichnet war--und das auf eine noch größere +Entfernung. Bin ich doch gewohnt, mit meinem Pfeil den Adler im vollen +Flug aus der Luft zu holen. Was fehlt denn heute meiner Hand?" + +Unterdessen hatte jener Asket einen ziemlichen Vorsprung gewonnen, und +ich begann hinter ihm her zu laufen, um ihn mit dem Speere zu töten. +Nachdem ich ihm aber auf etwa fünfzig Schritte nahe gekommen war, gewann +ich ihm keinen Schritt mehr ab, obschon ich mit aller Macht rannte, +jener Asket aber ganz gemach vorwärts zu schreiten schien. + +Da sagte ich zu mir selber: "Wahrlich, dies ist noch das Wunderbarste +von Allem! Habe ich doch sonst oft den scheuen Ilfen und den flüchtigen +Hirsch eingeholt, und diesen gemach dahinschreitenden Asketen kann ich +jetzt, mit aller Macht laufend, nicht einholen. Was fehlt denn heute +meinen Füßen?" + +Und ich blieb stehen und rief ihm zu: + +"Stehe, Asket! Stehe!" + +Er aber schritt ruhig weiter und rief zurück: + +"Ich stehe, Angulimala! Stehe auch du!" + +Da wunderte ich mich denn wieder gar sehr und dachte: "Offenbar hat +dieser Asket soeben durch irgend einen Wahrheitsakt mein Pfeilschießen +vereitelt, durch irgend einen Wahrheitsakt mein Laufen vereitelt. Wie +kann er denn also jetzt eine offenbare Unwahrheit sagen, indem er zu +stehen behauptet, während er doch geht, mich aber zum Stehenbleiben +auffordert, obschon er sehr wohl sieht, daß ich bereits so still stehe +wie dieser Baum? So würde wohl die fliegende Gans zur Eiche sagen: 'Ich +stehe, Eiche! Stehe auch du!' Sicher muß also hier etwas dahinter +stecken. Wohl möchte es mehr wert sein, den geheimen Sinn dieser +Asketenworte zu verstehen als einen Asketen zu töten." + +Und ich rief ihm zu: + +"Wandelnd wähnst du dich stätig, Asket, und mich, der stätig, wähnst du +wandelnd. Erkläre mir das, Asket! Wie bist du stätig, wie bin ich +unstät?" Und er antwortete mir: + +"Ich, der ich keinem Wesen Leides antue, bin beständig, wandle nicht +mehr; du aber, der du gegen die Wesen wütest, mußt ruhelos von +Leidensort zu Leidensort wandeln." + +Ich antwortete wieder: + +"Daß wir immer wandeln, habe ich wohl gehört. Das vom Beständigsein, vom +Nachtwandeln verstehe ich aber nicht. Wolle, Ehrwürdiger, mir das kurz +Gesagte ausführlich erläutern. Sieh, ich habe meinen Speer von mir getan +und feierlich schwöre ich dir: ich schenke dir Frieden!" + +"Zum zweiten Male, Angulimala," sagte er, "hast du falsch geschworen." + +"Zum zweiten Male?" + +"Das erste Mal geschah es bei jenem falschen Wahrheitsakt." + +Das schien mir nun nicht der Wunder geringstes, daß er um jene geheime +Sache wußte; aber ohne mich dabei aufzuhalten, beeilte ich mich, meine +schlaue Handlung zu verteidigen. + +"Meine Worte, Ehrwürdiger, waren da freilich gleichsam auf Schrauben +gestellt, aber mit den Worten beschwor ich nichts Falsches, nur der Sinn +war täusehend. Das aber, was ich dir schwöre, ist sowohl den Worten wie +dem Sinne nach wahr." + +"Nicht doch," antwortete er, "denn du kannst mir keinen Frieden +schenken. Wohl dir, wenn du dir von mir den Frieden schenken ließest." + +Dabei hatte er sich umgewandt und winkte mir freundlich, heranzutreten. + +"Gern, Ehrwürdiger," sagte ich demütig. + +"So höre denn und gib wohl acht!" + +Er setzte sich im Schatten eines großen Baumes nieder und hieß mich zu +seinen Füßen Platz nehmen. + +Und er fing an, mich über gute und böse Taten und über ihre Folgen zu +belehren, indem er mir Alles ausführlich auseinandersetzte, so wie man +zu einem Kinde spricht. Denn ich war ja ganz ungelehrt, während sonst +Asketenschüler meistens Brahmanenjünglinge sind, die sogar den Veda +kennen. Ich aber hatte so tiefgedachten Reden nie gelauscht, seitdem ich +im nächtlichen Walde zu den Füßen Vajaçravas' gesessen, von dem ich dir +schon erzählt habe, und den du wohl auch sonst hast nennen hören. + +Als nun aber dieser Asket mir offenbarte, daß nicht eine willkürliche +Göttermacht, sondern unser eigenes Herz allein durch seine Gedanken und +Taten uns hier und dort geboren werden läßt, bald auf Erden, bald in +einem Himmel, bald wieder in einer Hölle--da mußte ich eben an jenen +Vajaçravas denken, wie er uns durch Vernunftgründe und mittelst der +Schrift bewies, daß es keine Höllenstrafen geben könne, und daß alle +darauf bezüglichen Stellen in der heiligen Schrift von den schwachen und +feigen Seelen in dieselbe hineingeschmuggelt seien, um die starken und +mutigen durch solche Drohungen einzuschüchtern und dadurch sich vor der +Gewalttätigkeit der letzteren zu schützen.--"Freund Vajaçravas," dachte +ich, "hat mich niemals so ganz überzeugen können. Ob wohl dieser Asket +es vermag? Hier steht eben Meinung gegen Meinung, Gelehrter gegen +Gelehrten. Denn selbst, wenn auch dieser Asket einer der großen Jünger +des Sakyersohnes sein sollte, so wurde ja auch Vajaçravas von seinen +Anhängern hochgepriesen, und jetzt, nach seinem Tode, wird er sogar vom +gemeinen Volke als ein Heiliger verehrt. Wer will also entscheiden, wer +von diesen beiden recht hat?" + +"Du bist nicht mehr ganz bei der Sache, Angulimala," sagte da der Asket: +"du denkst an jenen Vajaçravas und an seine Irrlehren." + +Sehr verwundert gab ich das zu. + +"So hat denn der Ehrwürdige auch meinen Freund Vajaçravas gekannt?" + +"Man hat mir sein Grab vor dem Tore gezeigt, und ich sah, wie dort +törichte Reisende ihr Gebet verrichteten in dem Wahne, er sei ein +Heiliger" + +"So ist er denn kein Heiliger?" + +"Nun, wir wollen, wenn es dir so scheint, ihn aufsuchen und sehen, wie +es ihm mit seiner Heiligkeit nun geht." + +Der Asket sagte dies, als ob es sich darum handele, von einem Hause ins +andere zu gehen. Ganz bestürzt starrte ich ihn an: + +"Ihn aufsuchen? Vajaçravas? Wie wäre denn das möglich?" + +"Gib mir deine Hand," sprach er. "Ich werde mich in jene +Selbstvertiefung versenken, durch die in einem standhaften Herzen der zu +den Göttern und der zu den Dämonen führende Weg sichtbar werden. Da +wollen wir denn seiner Fährte folgen, und was ich sehe, wirst auch du +sehen." + +Ich reichte ihm meine Hand. Eine Weile saß er schweigend da, die Augen +gesenkt, die Pupillen nach innen gerichtet, und ich spürte nichts. +Plötzlich aber war es mir, wie es wohl einem Schwimmer sein mag, wenn +der Dämon, der im Wasser haust, seinen Arm ergreift und ihn nach unten +zieht, so daß der blaue Himmel und die Bäume des Ufers verschwinden, +indem die Welle über seinem Kopfe zusammenschlägt, und immer tiefer +werdendes Dunkel ihn umgibt. Bisweilen aber loderte auch Flammenschein +um mich, und mächtiges Getöse dröhnte mir im Ohre. + +Schließlich befand ich mich wie in einer ungeheuren Höhle, die ganz +dunkel war, jedoch durch unzählige kurz zuckende Blitze unruhig +beleuchtet wurde. Als ich mich etwas an die Dunkelheit gewöhnt hatte, +entdeckte ich, daß diese Blitze von dem Erglänzen eiserner Speerspitzen +herrührten, die hin und her fuhren, als ob Lanzen von unsichtbaren Armen +geschwungen würden--etwa in einer Geisterschlacht. Auch hörte ich +Schreie, aber nicht wilde und mutige wie von kampfestrunkenen Streitern, +sondern Schmerzensschreie und Stöhnen Verwundeter, die ich jedoch nicht +sah. Denn diese Schreckenslaute kamen aus dem Hintergrunde, wo das +Zucken der Lanzenspitzen einen einzigen zitternden und wirbelnden Nebel +bildete. Der Vordergrund aber war leer. + +Hier traten nun aber drei Gestalten herein, von einem rechts +einmündenden, schwarzen Höhlenschlund gleichsam ausgespieen. Der Mann in +der Mitte war Vajaçravas; sein nackter Körper zitterte vom Kopf bis zu +den Füßen, als ob er heftig fröre oder vom Fieber geschüttelt würde. +Seine Begleiter hatten beide einen menschlichen Rumpf, der aber von +Vogelbeinen mit starken Krallen getragen wurde, während er bei dem einen +von einem Fischkopfe, bei dem anderen von einem Hundekopfe gekrönt war. +In den Händen trug jeder einen langen Speer. + +Der mit dem Fischkopf sprach zuerst: + +"Dies, Ehrwürdiger, ist die Speerhölle, wo du nach dem Spruch des +Höllenrichters zehntausendjährige Strafe abzubüßen hast, indem du von +diesen zuckenden Speeren ununterbrochen durchbohrt wirst;--um dann je +nach deinen sonstigen Taten irgendwo wiedergeboren zu werden. + +Dann sprach der mit dem Hundekopf: + +"So oft sich, Ehrwürdiger, in deinem Herzen zwei Speere kreuzen, wisse, +daß dann tausend Jahre von deiner Höllenqual um sind." + +Kaum hatte er dies gesagt, so schwangen beide Höllenwächter ihre Lanzen +und durchbohrten Vajaçravas. Wie auf ein gegebenes Zeichen zuckten jetzt +alle Speere ringsum auf ihn los und durchbohrten ihn mit ihren Spitzen +von allen Seiten, wie eine Schar von Raben sich über ein hingeworfenes +Aas wirft und ihre Schnäbel in das Fleisch hackt. Bei diesem +schrecklichen Anblick und den jammervollen Schreien, die Vajaçravas in +seiner Qual ausstieß, vergingen mir die Sinne. + +Als ich wieder erwachte, lag ich im Walde, unter dem großen Baume, zu +Füßen des Erhabenen hingestreckt. + +"Hast du gesehen, Angulimala?" + +"Ich habe gesehen, o Herr." + +Und ich wagte nicht einmal hinzuzufügen: "Errette mich!" Denn wie konnte +_ich_ begehren, errettet zu werden? + +"Wenn du nun nach der Auflösung deines Leibes infolge deiner Taten auf +abschüssige Fährte gelangst, in höllische Welt, und der Richtender +Schatten über dich denselben Spruch ergehen läßt, und die Höllenwächter +dich in die Speerhölle zu derselben Strafe führen: geschieht dir dann +zuviel, Angulimala?" + +"Nein, Herr, es geschieht mir nicht zu viel." + +"Ein Wandel aber, von dem du selber gestehst, daß er gerechterweise zu +solchen, unausdenkbaren Qualen führt, ist das wohl, Angulimala, ein +Wandel, der wert ist, fortgesetzt zu werden?" + +"Nein, o Herr! Diesem Wandel will ich entsagen, abschwören will ich +meine teuflischen Gewohnheiten um ein Wort deiner Wahrheit." + +"Vor Zeiten einmal, Angulimala, hat der Richter der Schatten innig +erwogen: 'Wer da wahrlich Übeltaten in der Welt verübt, wird mit solchen +mannigfachen Strafen gestraft. O, daß ich doch Menschentum erreichte, +und daß ein Vollendeter, ein vollkommen erwachter Buddha in der Welt +erschiene, und ich um ihn, den Erhabenen, sein könnte: und daß er, der +Erhabene, mir die Satzung darlegte, und daß ich sie verstände!' + +Was nun jener Richter der Schatten sich so innig erwünschte, das ist +dir, Angulimala, geworden. Du hast das Menschentum erreicht. Gleichwie +aber, Angulimala, auf diesem indischen Festlande nur wenig freundliche +Haine, herrliche Wälder, schöne Hügel und liebliche Lotusteiche sich +befinden, sondern im Vergleich damit reißende Flüsse, Urwälder, öde +Felsgebirge und dürre Wüsten bei weitem zahlreicher sind: + +ebenso auch werden nur wenig Wesen unter den Menschen geboren im +Vergleich zu den weit zahlreicheren Wesen, die in anderen Reichen als +dem der Menschheit zum Dasein gelangen;-- + +ebenso auch sind nur wenige Geschlechter gleichzeitig mit einem Buddha +auf Erden, im Vergleich zu den weit zahlreicheren, zu deren Zeit kein +Buddha erstanden ist;-- + +ebenso auch wird es von jenen wenigen Geschlechtern nur wenigen Wesen +zuteil, den Vollendeten zu sehen, im Vergleich zu jenen weit +zahlreicheren, die ihn nicht sehen. + +Du aber, Angulimala, hast Menschentum erlangt; und zwar zu einer Zeit, +wo ein vollkommener Buddha in der Welt erschienen ist, und du hast ihn +gesehen und du kannst um ihn, den Erhabenen, sein." + +Als ich diese Worte vernahm, faltete ich die Hände und rief: + +"Heil dir, o Heiliger! So bist du denn selber der vollkommen erwachte +Buddha! So hat denn das edelste der Wesen sich des schlechtesten +erbarmt! So willst denn du, Erhabener, mir erlauben, um dich zu sein?" + +"Ich will's," antwortete der Erhabene. "Und so vernimm nun auch dieses: + +ebenso gibt es unter den wenigen, die den Erhabenen sehen, nur wenige, +die seine Satzung hören, und von diesen nur wenige, die sie verstehen. +Du aber wirst die Satzung hören und verstehen. Komm, Jünger!" + +Und der Erhabene war in den Wald hineingeschritten gleichwie ein +Elefantenjäger, der auf seinem zahmen Ilfen reitet. Er verließ aber den +Wald wieder, gleichwie ein Elefantenjäger den Wald verläßt, von einem +wilden, durch seine Kunst bezähmten Ilfen gefolgt. + +So bin ich denn nun zu dir gekommen, Vasitthi: nicht der Räuber +Angulimala, sondern der Jünger Angulimala. Sieh, ich habe Speer und +Keule, Stock und Geißel von mir geworfen, habe Töten und Quälen +abgeschworen, und vor mir haben alle Wesen Frieden. + + + + +XXXV. LAUTERE SPENDE + + +Ich weiss nicht, wie lange es dauerte, ehe ich meine Lippen öffnete, +aber eine recht lange Zeit, glaube ich, saß ich stumm da und ließ Alles, +was mir Angulimala erzählt hatte, Punkt für Punkt vor mir auftauchen, +und dachte darüber nach und wunderte mich immer mehr. Denn obwohl ich +viele Sagen aus alter Zeit von göttlichen Wundern und besonders von den +Wundertaten Krishnas, als er auf dieser Erde wanderte, gehört hatte, so +kamen sie mir doch alle miteinander geringfügig vor, wenn ich sie mit +dem verglich, was an diesem Tage Angulimala im Walde widerfahren war. + +Und ich fragte mich nun selber, ob jener große Mann, der in wenigen +Stunden aus dem schrecklichen Räuber diesen sanften Menschen, der soeben +zu mir gesprochen, gemacht hatte--jener "Vollendete", der das Wildeste, +was es in der ganzen Natur gab, so leicht und sicher gezähmt hatte: ob +er nicht auch imstande sei, mein friedloses, von Leidenschaften +stürmisch bewegtes Herz zu beruhigen und durch das Licht seiner Worte +die nächtige Trauerwolke von ihm zu verscheuchen? Oder war dies +vielleicht noch schwieriger, ja wohl gar eine Aufgabe, deren Lösung +selbst die Kräfte des heiligsten Asketen überstieg? + +Fast fürchtete ich, das letztere möchte der Fall sein, aber ich fragte +doch, wo wohl jener große Asket, den er seinen Meister nannte, sich +aufhielte, und ob auch ich ihn wohl aufsuchen könne. + +"Recht so," antwortete Angulimala, "daß du sofort danach fragst--und +wonach solltest du auch sonst fragen? Deshalb bin ich ja zu dir +gekommen. Die wir im Bösen Verbündete sein wollten, wir werden es jetzt +im Guten sein. Der Erhabene weilt jetzt im Sinsapawalde, von dem du +selber sprachst. Begib dich morgen dorthin, aber erst gegen Abend. Denn +dann haben die Mönche ihre Gedenkenruhe beendigt und versammeln sich am +alten Krishnatempel, und der Erhabene spricht da zu ihnen und zu den +sonst Anwesenden. Zu dieser Stunde gehen nämlich viele Männer und Frauen +von der Stadt dort hinaus, um den Gesegneten zu sehen und seinen +lichtspendenden Worten zu lauschen; und mit jedem Abend wird der Andrang +größer. Oft dauert ein solcher Vortrag bis in die späte Nacht hinein. +Von alledem war ich schon genau unterrichtet, weil ich in der +Sündhaftigkeit meines Herzens den scheußlichen Plan geschmiedet hatte, +mit meinen Leuten nächstens die Versammlung zu überfallen. Die Gaben an +Lebensmitteln und Stoffen, die viele der Besucher als Geschenke für den +Orden mitbringen, bilden schon eine--wenn auch nicht reiche--so doch +keineswegs ganz zu verschmähende Beute. Besonders aber gedachte ich +einige vornehme Bürger aufzuheben und schweres Lösegeld von ihnen zu +erpressen, und verband damit die Hoffnung, durch einen so dreisten +Handstreich, gerade vor den Toren der Stadt, Satagira endlich aus den +Mauern herauszulocken. Denn als ich den Plan faßte, war mir seine +bevorstehende Reise noch unbekannt.--Versäume also nicht, edle Frau, +morgen gegen Abend nach dem alten Krishnatempel zu gehen, das wird dir +lange zum Heil gereichen. Mich verlangt es jetzt eiligst dahin zu +kommen, ob ich wohl noch etwas hören werde. Doch in solchen schönen +Mondnächten bleiben die Mönche lange beisammen, in religiöse Gespräche +vertieft, und erlauben Einem gern zuzuhören." + +Er verbeugte sich tief vor mir und entfernte sich schnell.-- + +Am nächsten Vormittage schickte ich nach Medini, die nun ebenso bereit +war, mit ihrem Gatten Somadatta mir Gefolge nach dem Krishnahain zu +leisten, wie damals, als es sich darum handelte, die Begegnung zweier +Liebenden zu vermitteln. In der Tat hatte sie schon vorher einmal ihren +Gatten gebeten, sie eines Abends dort hinaus zu bringen, denn sie ließ +sich nicht leicht etwas entgehen, wovon die Leute sprachen. Somadatta +aber hatte sich vor dem Hausbrahmanen gefürchtet, und so war sie denn +hocherfreut, durch die Aufforderung der Ministersgattin jenem Tyrannen +gegenüber gedeckt zu sein. + +Wir fuhren sofort nach den Kaufhallen, wo Somadatta, der dort seine +Geschäfte besorgte, uns behilflich war, solche Stoffe auszusuchen, die +für die Bekleidung der Mönche und der Nonnen geeignet waren. Auch kaufte +ich dort eine große Menge Arzneien. Wieder nach Hause gekommen, +plünderten wir die Vorratskammern: Krüge mit dem feinsten öl, Kisten mit +Honig, mit Butter und mit Zucker, Schüsseln mit Eingemachtem aller Art +wurden für unseren frommen Zweck zur Seite gestellt. Meine eigenen +Schränke mußten das Ausgesuchteste, was sie an wohlriechendem Wasser, +Sandelstaub und Kampfer bargen, hergeben, und dann ging es in den +Garten, dessen Blumenflor nicht geschont wurde. + +Als die ersehnte Stunde kam, waren schon alle diese Sachen auf einen mit +Maultieren bespannten Wagen geladen. Wir selber nahmen unter dem Zelte +eines anderen Wagens Platz, und von den zwei silberweißen +Vollblut-Sindhrossen gezogen, die jeden Morgen dreijährigen Reis aus +meiner Hand fraßen, fuhren wir zum Stadttor hinaus. + +Die Sonne näherte sich schon den Kuppeln und Türmen der Stadt hinter +uns, und ihre Strahlen vergoldeten den Staub, der den ganzen Weg entlang +aufgewirbelt wurde von den vielen, die wie wir--meistens jedoch zu +Fuß--hinauspilgerten, um den Buddha zu sehen und zu hören. + +Bald erreichten wir den Eingang zum Walde. Hier ließen wir die Wagen +halten und begaben uns zu Fuß weiter, von Dienern gefolgt, welche die +mitgebrachten Weihgeschenke trugen. + +Seit jener Nacht aber, als wir dort voneinander Abschied nahmen, war ich +in diesem Walde nicht wieder gewesen. Als ich nun--in derselben +Begleitung--in seinen kühlen Schatten eintrat, überwältigte mich ein +solcher Erinnerungsduft, der, gleichsam für mich hier aufgespeichert, im +Verlaufe der Jahre seine Süßigkeit bis zur Giftigkeit konzentriert +hatte, daß ich betäubt stehen blieb. Es war mir, als ob meine Liebe, in +voller Stärke erwacht, sich mir in den Weg stellte, mich der +Fahnenflucht und des Verrates zeihend. Denn ich kam ja nicht hierher, um +ihr durch Einatmen des Erinnerungsduftes neue Nahrung zu geben, sondern +um für mein enttäuschtes und gequältes Herz den Frieden zu suchen. Hieß +das aber nicht vergessen, der Liebe entsagen wollen? War das nicht +Wortbruch und feiger Verrat? + +In solchem bangen Zweifel stand ich da, unschlüssig, ob ich weitergehen +oder umkehren solle--zu großer Enttäuschung Medinis, die vor Ungeduld +trippelte, wenn Andere uns überholten. + +Jedoch der Anblick dieses Waldinneren, von der späten Nachmittagssonne +mild und goldig durchstrahlt--das leise, gleichsam mahnende Rauschen und +Lispeln der Blätter--die Leute, die beim Eintreten sofort verstummten +und sich erwartungsvoll, fast scheu umsahen--hier und dort, in einiger +Entfernung, am Fuße eines mächtigen Baumstammes, ein in die Falten +seines gelben Mantels gehüllter Asket, mit untergeschlagenen Beinen und +in Selbstvertiefung versunken, aus der erwachend wohl dann auch dieser +und jener sich erhob und, ohne sich umzusehen, dieselbe Richtung +einschlug, in der alle einem noch unsichtbaren Ziele zustrebten:--alles +dies trug einen so still erhabenen Charakter und schien davon zu zeugen, +daß hier Geschehnisse vorgingen so seltener, ja heiliger Art, daß sich +keine Macht in der Welt dagegen stellen dürfte, ja, daß selbst die +Liebe, wenn sie ihre Stimme dagegen erhöbe, ihres ganzen göttlichen +Rechtes verlustig gehen würde. + +So schritt ich denn entschlossen weiter, und die an Angulimala +gerichteten Worte des Erhabenen von den vielen Menschengeschlechtern, +die dahinleben, ohne daß ein Buddha in der Welt wäre, und von den so +äußerst wenigen selbst unter den Zeitgenossen eines Buddha, denen es +beschieden sei, ihn zu hören und zu sehen--diese Worte hallten mir im +Ohre, wie das Läuten einer Tempelglocke, und ich fühlte mich wie eine +Gebenedeite, die einem Erlebnisse entgegengeht, um welches kommende +Geschlechter sie beneiden. + +Als wir die Lichtung erreichten, wo die Tempelruine stand, waren hier +schon viele Leute versammelt, sowohl Laien wie Mönche. Sie standen in +Gruppen verteilt, die meisten in der Nähe der Ruine, die sich uns +gegenüber erhob. Nahe an der Stelle, wo wir die Waldwiese betraten, +bemerkte ich eine größere Gruppe von Mönchen, unter welchen mir ein +wahrer Riese auffallen mußte, denn er überragte auch die höchsten neben +ihm Stehenden um Haupteslänge. + +Während wir uns nun umsahen, wohin wir wohl am besten unsere Schritte +lenken sollten, trat zwischen uns und jenen Mönchen ein alter Asket aus +dem Walde heraus. Seine hohe Gestalt hatte eine so königliche Haltung, +und eine so heitere Ruhe strahlte aus seinen edlen Zügen, daß mir sofort +der Gedanke kam: ob dieser Asket wohl der Sakyersohn sein sollte, den +sie den Buddha nennen? + +In seiner Hand trug er einige Sinsapablätter, und an jene Mönche sich +wendend, sprach er: + +"Was meint ihr, ihr Jünger, was ist mehr, diese Sinsapablätter, die ich +in der Hand halte, oder die anderen Blätter droben im Sinsapawalde?" + +Und die Mönche antworteten: + +"Die Blätter, die der Erhabene in der Hand hält, sind wenige, und viel +mehr sind jene Blätter droben im Sinsapawalde." + +"So auch," sagte er, der--wie ich jetzt wußte--der Buddha war--"so auch, +ihr Jünger, ist das viel mehr, was ich erkannt und euch nicht verkündet, +als das, was ich euch verkündet habe. Und warum, ihr Jünger, habe ich +euch jenes nicht verkündet? Weil es euch keinen Gewinn bringt, weil es +nicht den Wandel in Heiligkeit fördert, weil es nicht zur Abkehr vom +Irdischen, zum Untergang aller Lust, zum Aufhören des Vergänglichen, zum +Frieden, zum Nirvana führt." + +'So hatte also jener törichte Greis doch darin recht!' rief Kamanita. + +'Welcher Greis?' fragte Vasitthi. + +'Jener Asket, mit dem ich--wie ich dir erzählte--im Vororte Rajagahas, +in der Halle eines Hafners, die Nacht zubrachte, die letzte meines +Erdenlebens, Er wollte mir durchaus die Lehre des Erhabenen darlegen, +was ihm, wie ich wohl merkte, nicht sonderlich gelang. Aber er brachte +doch offenbar viele echte Aussprüche vor, und unter diesen eben auch +wortgetreu, was du mir jetzt berichtet hast--sogar den Ort gab er +richtig an und bewegte mich dadurch tief. Freilich, hätte ich geahnt, +daß du dabei anwesend warst, dann wäre ich noch tiefer ergriffen +worden.' + +'Er mag wohl selber sich unter den Anwesenden befunden haben,' sagte +Vasitthi, jedenfalls hat er dir genau berichtet. Und der Erhabene fügte +noch hinzu: + +"Und was, ihr Jünger, habe ich euch verkündet? Was das Leiden ist, habe +ich euch verkündet. Was die Entstehung des Leidens ist, was die +Leidensvernichtung ist, was der zur Leidensvernichtung führende Weg +ist--dies alles habe ich euch verkündet. Darum, ihr Jünger, was ich +offenbart habe, das lasset offenbart sein, und was ich unoffenbart +gelassen habe, das lasset unoffenbart bleiben." + +Indem er diese Worte sprach, öffnete er die Hand und ließ die Blätter +fallen. Als nun das eine wirbelnd in meine Nähe hinflatterte, nahm ich +mir ein Herz, trat eilig hervor und fing es auf, noch bevor es die Erde +berührt hatte, indem ich es somit gleichsam aus seiner Hand empfing--um +dann dies unschätzbare Erinnerungszeichen an meinem Busen zu verbergen, +ein Symbol des Wenigen, aber einzig Nötigen, das uns der Vollendete aus +seinem unermeßlichen Wissenshort mitteilte, das mich bis zu meinem Tode +nicht mehr verlassen sollte. + +Diese meine Bewegung zog die Aufmerksamkeit des Erhabenen auf mich. +Jener riesenhafte Mönch verbeugte sich jetzt vor ihm und machte ihm +flüsternd eine Mitteilung, worauf der Meister mich noch einmal ansah und +dann dem Mönche einen Wink gab. + +Dieser trat auf uns zu. + +Wir verneigten uns alle tief, und ich sagte, daß ich, die Gemahlin des +Ministers Satagira, einige geringe Gaben für den Orden der Heiligen +mitgebracht hätte, um deren gütige Annahme ich bäte, und daß wir alle +gekommen wären, um die Worte der Wahrheit zu vernehmen. + +"Tritt näher, edle Frau," sagte der Mönch--und sofort hörte ich, daß es +Angulimala war--"der Erhabene will selber deine Gaben in Empfang +nehmen." + +Wir traten alle bis auf ein paar Schritte an den Erhabenen heran und +verneigten uns tief, ihn ehrfurchtsvoll mit den vor der Stirn +gehaltenen, zusammengelegten Händen begrüßend, ohne daß ich ein Wort +hervorzubringen vermochte. + +"Reich sind deine Gaben, edle Frau," sagte der Erhabene, "und meine +Jünger haben wenige Bedürfnisse. Erben der Wahrheit sind sie, nicht +Erben der Not. Aber auch die Buddhas der Vorzeit haben es so gehalten +und gern Spenden frommer Anhänger entgegengenommen, damit diesen +Gelegenheit werde, die Tugend des Almosengebens zu üben. Denn wenn die +Wesen die Frucht des Gebens kennten, wie ich sie kenne, dann würden sie, +wenn sie auch nur eine Handvoll Reis übrig hätten, diese nicht +verzehren, ohne einem noch Ärmeren davon zu geben, und der Gedanke des +Eigennutzes, der ihren Geist verdunkelt, würde aus ihm entweichen. So +sei denn deine Spende vom Orden des Buddha mit Dank angenommen--eine +lautere Spende. Denn das nenne ich eine lautere Spende, durch welche der +Geber geläutert wird und der Empfänger auch. Und wie geschieht das? Da +ist, Vasitthi, der Geber sittenrein, edel geartet, und die Empfänger +sind sittenrein, edel geartet; so wird bei einer Spende der Geber +geläutert und der Empfänger. Das ist, Vasitthi, höchste Lauterkeit der +Spende--einer solchen, die du dargebracht hast." + +Darauf wandte der Erhabene sich an Angulimala: + +"Geh, mein Lieber, und laß diese Geschenke zu den Vorräten bringen. +Zuerst aber weise unseren edlen Gästen Plätze an vor den Stufen des +Tempels, denn von dort aus werde ich den heute Anwesenden die Lehre +darlegen." + +Angulimala hieß die Diener warten und forderte uns auf, ihm zu folgen. +Zuerst aber ließen wir uns alles, was wir an Blumen mitgebracht hatten, +und auch einige schöne Teppiche herausgeben. Dann gingen wir, von unserm +stattlichen Begleiter geführt, durch die zusammenströmende Menge, die +uns ehrerbietig Platz machte, nach dem Tempel. + +Hier breiteten wir die Teppiche über die Stufen und schlangen +Blumengewinde um die alten, verwitterten und zerbröckelten Säulen. Dann +zerpflückten Medini und ich einen ganzen Korb voll Rosen und streuten +die Blütenblätter über den Teppich auf der obersten Stufe, für den +Erhabenen, darauf zu stehen. + +Unterdessen hatten die Versammelten sich in einem großen Halbkreise +geordnet, die Laien links, die Mönche und Nonnen rechts vom Tempel--die +vordersten Reihen im Grase sitzend. Und auch wir nahmen jetzt auf einer +umgestürzten Säule Platz, nur wenige Schritte von den Stufen entfernt. + +Es mochten wohl etwa fünfhundert Menschen dort versammelt sein, aber +eine fast lautlose Stille herrschte in der Runde, und man vernahm nur +das stoßweise Rauschen und das leise Blätterlispeln des Waldes. + + + + +XXXVI. BUDDHA UND KRISHNA + + +Die untergehende Sonne schoß ihre Strahlenbündel zwischen die Stämme +hindurch, die lautlos wartende Versammlung im Waldesgrunde gleichsam mit +einem göttlichen Segensgruß weihend, und rosige Abendwölkchen lugten +immer leuchtender durch die Baumwipfel, als ob draußen, aus der Bläue +der Luft hervorschwebend, eine zweite Versammlung himmlischer Scharen +sich bildete. + +Der Tempelbau vor mir trank mit seinen schwarzen, zerbröckelten Steinen +diese letzte Sonnenglut, wie ein hinfälliger Alter einen +Verjüngungstrank schlürft. Unter dem Zauber der rotgoldigen Lichter und +der purpurnen Schatten belebten seine Massen sich wunderbar. Die +schartigen Ränder der Säulenkannelüren glitzerten, die Ecken sprühten, +die Schnecken krümmten sich, das Wellenmuster schäumte Gold, das +Blätterwerk wuchs. Die stufenartigen Absätze des hohen Unterbaues +entlang, um Plinthen und Kapitäle, am Gebälk und auf den Terrassen des +kuppelförmigen Daches--überall regte es sich in wirrem Durcheinander +seltsamer und mystischer Formen. Götter traten im Glorienschein hervor, +mehrköpfige und vielarmige Gestalten mit üppig wuchernden, vielfach +verstümmelten Gliedmaßen, dieser vier kopflose Hälse streckend, jener +acht Armstümpfe schwenkend. Brüste und Hüften schwellgliedriger +Göttinnen entschleierten sich und wälzten sich heran, und ihre runden +Gesichter neigten sich unter der Last turmhoher diademgeschmückter +Haaraufsätze, ein sonniges Lächeln um die vollen, sinnigen Lippen. Die +Schlangenleiber der Dämonen wanden sich, Greifenflügel spannten sich, +zähnefletschend grinsten grimme Unholdsfratzen; Menschenkörper +wimmelten, Elefantenrüssel, Pferdeköpfe, Stierhörner, Hirschgeweihe, +Krokodilkiefer, Affenmäuler und Tigerrachen taumelten in wirrem Knäuel +durcheinander. + +Das war kein bildwerkgeschmückter Bau mehr: das waren lebendig gewordene +Bildwerke, die, den Bann des Bauwerkes brechend, sich von seiner Masse +loslösten und diese kaum noch als Stütze duldeten. Eine ganze Welt +schien aus ihrem steinernen Schlaf erwacht zu sein und mit ihren +Tausenden von Gestalten sich hervorzudrängen um zu lauschen--dem Manne +zu lauschen, der dort von ihrem Schwarm umschlossen und überschattet auf +der obersten Stufe stand, golden glänzend in den länglich herabfallenden +Mantelfalten--er, der Lebendige, der einzig Ruhige mitten im unruhigen +Wahnleben des Leblosen. + +Jetzt war es, als ob die Stille der Versammlung noch tiefer würde, ja, +mir schien es, daß auch die Bäume ihr Blätterlispeln einstellten. + +Und der Erhabene hub an zu reden. + +Er sprach von dem Tempel, auf dessen Stufen er stand, und wo unsere +Vorfahren jahrhundertelang Krishna angebetet hatten, um durch das +Vorbild seines Heroenlebens zu einem heldenhaften Wirken und Dulden hier +auf Erden aufgemuntert und durch seine Gnade gestärkt zu werden, und um +dann nach dem Tode in sein Freudenparadies einzugehen und dort +himmlische Wonne zu genießen. Nun aber hätten wir, die Nachkommen uns +dort eingefunden, um aus dem Munde eines vollkommenen Buddha die Worte +der Wahrheit zu vernehmen, um zu lernen, einen lauteren, heiligen Wandel +zu führen, und schließlich, durch völlige Überwindung jedes Verlangens +nach dem Vergänglichen, das Ende des Leidens zu erreichen, das Nirvana. +So vollende er, der Buddha, der völlig Erwachte, das Werk des träumenden +Gottes, so vollendeten wir, die Erwachsenen, was unsere Vorfahren in +kindlich erhabenem Schwärmen begonnen hätten. + +"Dort seht ihr," sagte er, "wie ein trefflicher Künstler längst +vergangener Tage den Elefantenkampf Krishnas in Stein gebildet hat"--und +er zeigte auf ein mächtiges Reliefstück, das fast vor meinen Füßen lag, +die eine Ecke in den Rasen bohrend, die andere auf ein halb begrabenes +Kapital gestützt. In der letzten Sonnenglut, die den bemoosten Stein +streifte, erkannte man noch deutlich eine Gruppe--einen Jüngling, der, +den Fuß auf den Kopf eines gefallenen Ilfen setzend, diesem einen Hauer +ausbricht. + +Und der Erhabene erzählte nun, wie der König von Mathura, der +schreckliche Tyrann Kamsa, nachdem er Krishna zu einem Wettkampf an +seinem Hofe eingeladen hatte, im geheimen seinem Elefantentreiber +befahl, am Eingang des Kampfplatzes den wildesten Kriegselefanten aus +seinem Stalle auf den ahnungslosen Jüngling zu hetzen. Wie aber dann +dieser das Ungetüm tötete und, zum Schrecken des Königs, blutbesprengt +und den abgebrochenen Hauer in der Hand, die Arena betrat. + +"Aber auch auf den Erhabenen"--so führte er weiter aus--"hatten seine +Feinde einen wilden Elefanten gehetzt. Und beim Anblick des +heranstürmenden Ungetüms wurde der Erhabene von Mitleid ergriffen. Denn +das Blut strömte dem Tiere am Bug herunter aus den Wunden, die ihm die +Lanzen der Hetzer beigebracht hatten. Noch mehr aber erfaßte ihn +Mitleid, weil er da ein armes, in blindwütender Leidenschaft befangenes +Wesen vor sich sah, von der Natur mit Mut und ungeheurer Kraft begabt, +aber mit wenig Verstand versehen, und um dies Wenige durch die +Grausamkeit schlechter Menschen gebracht, die es in einen Zustand von +Wahnsinn gesetzt hatten, in welchem es nun gar einen Buddha umbringen +mußte:--ein wildes, verblendetes Wesen, dem es nur schwer gelingen +mochte, durch unendlich lange Wanderungen günstiges Menschentum zu +erlangen und den Weg der Erlösung zu betreten. Solchermaßen von Mitleid +ganz erfüllt, konnte der Erhabene keine Furcht empfinden, und kein +Gedanke an eigene Gefahr konnte in ihm aufkommen. Denn er überlegte +sich: wenn es mir gelänge, auch nur den schwächsten Lichtstrahl in diese +stürmische Finsternis zu werfen, so würde ein solcher Lichtsamen nach +und nach aufgehen, und wenn dann dies Wesen, durch dessen Schein +geleitet, Menschentum erreichte, dann würde es auf Erden noch die Lehre +des Erhabenen vorfinden, den es einst erschlug, und diese Lehre würde +ihm zur Erlösung verhelfen. + +"Von diesem Gedanken erfüllt, blieb der Erhabene mitten auf der Straße +stehen, erhob besänftigend die Hand, blickte den Wüterich liebevoll an +und sprach milde Worte, deren Klang das Herz des Wilden erreichte. Der +riesige Ilf stockte in seinem Sturmlauf, wiegte unschlüssig seinen +bergähnlichen Kopf hin und her, indem er anstatt des Donnergebrülls, das +er vorher hatte hören lassen, einige fast ängstliche Trompetenrufe +ausstieß. Dabei bewegte er den Rüssel in der Luft suchend nach allen +Richtungen hin und her--so wie es ein angeschossener Elefant im Walde +tut, wenn er die Fährte seines verborgenen Feindes verloren hat und sie +wieder aufzuwittern hofft--und in der Tat hatte dieser sich ja in seinem +Feinde geirrt. Endlich kam er langsam bis auf einige Schritte an den +Erhabenen heran und beugte die Kniee, wie er es vor seinem Herrn zu tun +gewohnt war, wenn dieser ihn besteigen wollte. Und von dem bezähmten +Elefanten gefolgt, trat der Erhabene zur Beschämung seiner Feinde in den +Park hinein, nach welchem er eben unterwegs war. + +"Auf solche Weise"--so schloß der Buddha diesen Vergleich--"nimmt der +Erhabene den Elefantenkampf Krishhas auf, vergeistigt ihn, veredelt ihn, +vervollkommnet ihn!" + +Während ich dieser Erzählung lauschte--wie konnte ich da anders als an +Angulimala denken, den Wildesten der Wilden, der noch gestern den Buddha +hatte umbringen wollen und durch die unwiderstehliche Macht seiner +Persönlichkeit bezähmt, ja bekehrt worden war, so daß ich ihn jetzt +drüben in den Reihen der Mönche andächtig sitzen sah--selbst im Äußeren +ein anderer geworden. Und so erschien es mir denn, daß die Worte des +Erhabenen ganz besonders an mich gerichtet waren, als an die einzige +Person--wenigstens außerhalb des Mönchskreises--die um diese Sache wußte +und den geheimen Sinn der Rede verstehen konnte. + +Weiter sprach nun der Erhabene von Krishna als dem +"sechzehntausendeinhundertfachen Bräutigam", als welchen ihn unsere +Vorfahren hier geehrt hatten, und wieder hatte ich ein Gefühl, als ob +dieses einen geheimen Bezug auf mich hätte, denn ich erinnerte mich ja, +wie in jener Nacht unserer letzten Zusammenkunft die häßliche alte Hexe +den göttlichen Heros mit diesem Namen genannt hatte, den ich nicht ganz +ohne Herzklopfen vernahm. Mit einem leisen Anflug von Humor erzählte der +Erhabene dann, wie Krishna von allen den Schätzen Besitz nahm, die er +aus der Burg des Dämonenkönigs Naraka entführt hatte. 'Und an einem +glücklichen Tage,' heißt es, 'vermählte er sich mit all den Jungfrauen, +zu gleicher Zeit, indem er jeder einzelnen als ihr Gatte erschien. +Sechzehntausendeinhundert aber war die Zahl seiner Frauen, und in so +vielen einzelnen Gestalten verkörperte sich der Gott, so daß ein jedes +Mädchen meinte: mich allein hat der Herr erwählt.' + +"Wenn ich aber"--also fuhr der Erhabene fort--"die Lehre verkünde und +vor mir eine Versammlung von mehreren hundert Mönchen und Nonnen und +Laienanhängern beiderlei Geschlechtes lauschend sitzt, denkt ein jeder +von allen diesen Zuhörern: 'Nur für mich hat der Asket Gautama die Lehre +verkündet.' Denn auf das einzelne Gemüt eines jeden Friedensuchenden +richte ich da die Kraft meines Geistes, bringe es zur Ruhe, einige es, +füge es zusammen. + +"So halte ich es allezeit, und auf diese Weise nehme ich den +sechzehntausendeinhundertfachen Bräutigamsstand Krishnas auf, +durchgeistige ihn, veredle ihn, vollende ihn." + +Da war es mir nun, als ob der Erhabene meine Gedanken mir abgelesen +hätte und mir einen geheimen Verweis gäbe, auf daß ich nicht durch den +Wahn einer bevorzugten Stellung eine verderbliche Eitelkeit in mir +aufkommen ließe. + +Und der Buddha sprach nun weiter davon, wie Krishna nach dem Glauben +unserer Vorfahren, obschon er an sich der höchste Gott war, der die +ganze Welt trägt und erhält, dennoch durch Mitleid mit den Wesen bewegt, +mit einem Teil seines Selbstes von seinem hohen Himmel herabstieg und +sich als Mensch unter Menschen gebären ließ. Ihn aber, den Erhabenen, +als er nach heißem Ringen die vollkommene Erleuchtung, die selige, +unerschütterliche Erlösungsgewißheit sich zu eigen gemacht hatte, kam +das Verlangen an, im Genuß dieser seligen Heiterkeit zu verharren und +Anderen die Lehre nicht zu verkünden. "Denn dies genußsüchtige +Geschlecht--so dachte ich--wird das Sichlosmachen von allen Gebilden, +die Versiegung der Lebenslust, die Wahnerlöschung kaum verstehen, und +aus der Darlegung der Lehre wird mir nur Mühe und Plage erwachsen. So +neigte sich mein Gemüt zur Verschlossenheit, nicht zur Darlegung der +Lehre. Und ich blickte dann noch einmal mit dem erwachten Auge in die +Welt. Und wie man in einem Lotusweiher einige Lotusrosen sieht, die sich +im Wasser entwickeln und unter dem Wasserspiegel bleiben, andere, die +bis zum Wasserspiegel dringen und darauf schwimmen, und endlich +einzelne, die über das Wasser emporsteigen und unbenetzt vom Wasser +dastehen: also sah ich in der Welt Wesen gemeiner Art und Wesen edler +Art und Wesen der edelsten Art. Und ich dachte: Ohne Gehör der Lehre +verlieren sie sich: diese werden die Lehre verstehen. Und aus Mitleid +mit den Wesen entschloß ich mich dazu, auf den ungetrübten Besitz der +seligen Nirvanaruhe zeitweilig zu verzichten und der Welt die Lehre zu +verkünden. + +"So nimmt ein vollkommener Buddha Krishnas Herabsteigen vom Himmel und +sein Menschwerden auf, verinnigt es, verklärt es, vollendet es." + +Da kam mir ein Gefühl unsagbarer Freude, denn ich wußte, daß der Buddha +mich zu den Lotusrosen zählte, die aus der Wassertiefe bis zur +Spiegelfläche gedrungen sind, und daß ich durch seine Hilfe einst mich +darüber emporheben und frei dastehen würde, unbenetzt von der Materie. + +Und der Erhabene erzählte die Heroentaten Krishnas, durch welche er zum +Heile der Wesen die Welt von Unholden und bösen Herrschern befreite, +indem er die Schlange der Gewässer Koliya bezwang, den stiergestaltigen +Dämon Aristha erschlug, die verheerenden Unholde Dhenuka und Kishi und +den Dämonenfürsten Naraka vernichtete, die bösen Könige Kamsa und +Paundraka und andere blutige Tyrannen, den Schrecken hilfloser Menschen, +besiegte und tötete und so auf mannigfache Weise das leidige Los der +Menschen linderte. Der Erhabene aber bekämpfe nicht die Feinde, die von +außen die Menschen bedrohen, sondern die Unholde in seinem eigenen +Herzen: Gier, Haß und Irrwahn, Eigenliebe, Lustverlangen, Durst nach +Vergänglichem; und er befreie nicht die Menschheit von diesem und jenem +Ungemach, sondern vom Leiden. + +Vom Leiden sprach dann der Gesegnete, wie es überall und immer dem Leben +als sein Schatten folgt. Da war es mir, als ob eine milde Hand mein +eigenes Liebesleiden aufhöbe, von mir wegnähme, und es in die große +Leidensmasse hineinwürfe, wo es in dem allgemeinem Strudel meinem Blick +entschwand. Innig tief empfand ich, daß ich da kein Recht auf dauerndes +Glück habe, wo Alle leiden. Ich hatte mein Glück genossen: es war +entstanden, hatte sich entfaltet und war vergangen, wie uns der Buddha +lehrte, daß Alles in dieser Welt durch eine Ursache entsteht und nach +Verlauf seiner Zeit--über kurz oder lang--wieder vergehen muß; und daß +eben diese Vergänglichkeit, in welcher die Wesenlosigkeit eines jeden +Dinges sich entschleiert, der letzte unaufhebbare Grund des Leidens +sei--unaufhebbar, solange die Daseinslust unausgerottet fortwuchert und +immer Neues entstehen läßt. Ja, wie ein jeder an diesem Weltleiden schon +durch sein Dasein mitschuldig ist, so müsse ich--kam es mir vor--wenn +ich von Schmerz verschont geblieben wäre, mich jetzt doppelt schuldig +fühlen und ein Verlangen empfinden, auch mein Teil zu tragen. So konnte +ich denn nicht mehr mein eigenes Los bejammern, vielmehr wurde bei +seinen Worten der Gedanke in mir wach: "O, daß doch alle Wesen nicht +länger zu leiden hätten! daß doch diesem Heiligen sein Erlösungswerk so +gelänge, daß sie Alle, Alle entsündigt und erleuchtet, das Ende alles +Leidens erreichten!" + +Und auch von diesem Ende des Leidens und der Welt, von der Überwindung +jeder Daseinsform, von der Erlösung in wunschloser Gleichmütigkeit, von +der Wahnerlöschung, von Nirvana sprach nun der Meister--seltsame, +wunderbare Worte von der einzigen Insel im wogenden Meere des Werdens, +dessen Todesbrandung machtlos an ihrem Felsenufer zerschäumte, und nach +welcher die Lehre des Vollendeten wie ein sicheres Fahrzeug +hinüberführe. Und er sprach von dieser seligen Stätte des Friedens, +nicht wie Einer spricht, der uns erzählt, was er von Anderen--von +Priestern--gehört hat, und auch nicht wie ein Sänger, der seine +Einbildungskraft schweifen läßt, sondern wie Einer, der Selbsterlebtes +und Geschautes mitteilt. + +Vieles freilich sagte er dabei, was ich, die ungelehrte Frau, nicht +verstand, und was wohl selbst dem Gelehrtesten nicht leicht verständlich +gewesen wäre, Manches vermochte ich nicht miteinander zu verknüpfen, +denn hier war Sein und Nichtsein zugleich, nicht Leben und doch noch +weniger Leblosigkeit. Mir war aber zu Mute, wie einem, der ein neues, +allen anderen unähnliches Lied hört, von dem er nur wenige Worte +auffassen kann, während die Töne ihm Alles sagend ins Herz dringen. Und +welche Töne! Töne von solch kristallener Reinheit, daß alle anderen +dagegen gehalten, Einem wie leeres Geräusch vorkommen mußten, Klänge, +die von so fern her, von solch überweltlichen Höhen herübergrüßten, daß +eine neue, ungeahnte Sehnsucht erweckt wurde, von der man fühlte, daß +sie von nichts Irdischem oder Erdenähnlichem jemals gestillt werden +könnte, und daß sie ungestillt nie mehr ganz schwinden würde. + +Unterdessen war es völlig Nacht geworden. Das schwache Licht des Mondes, +der hinter dem Tempel aufging, warf dessen Schatten quer über die ganze +Waldwiese. Kaum sah man noch die Gestalt des Redners. Diese +übermenschlichen Worte schienen aus dem Heiligtum selber herauszutönen, +das alle die tausende wilden und wirren, lebentäuschenden Gestalten +wieder in seine Schattenmasse verschlungen hatte und in einfachen, +wuchtigen Formen sich auftürmte--ein Grabmal alles irdischen und +himmlischen Lebens. + +Die Hände um die Kniee gefaltet, saß ich lauschend da und blickte zum +Himmel empor, wo große Sterne über den dunkeln Baumwipfeln funkelten. +Leuchtend durchquerte ihn die himmlische Ganga. Da gedachte ich jener +Stunde, als wir beide hier an derselben Stelle feierlich die Hände zu +ihr emporhoben und bei ihren silbernen Fluten, die diese Lotusteiche +speisen, uns zuschworen, hier, im Paradiese des Westens, uns +wiederzusehen--in einem Freudenhimmel, gleich demjenigen Krishnas, von +welchem jetzt auch der Erhabene sprach, als von dem Orte, dem die +Gläubigen zustrebten. Und als ich daran dachte, wurde mir wehmütig ums +Herz, aber ich konnte kein Verlangen in mir spüren nach einem solchen +Paradiesleben--denn ein Schimmer von etwas unendlich Höherem hatte mein +Auge erleuchtet. + +Und ohne Enttäuschung, ohne schmerzliche Bewegung, wie etwa bei Einem, +dem die teuerste Hoffnung zerstört wird, vernahm ich die Worte des +Erhabenen: + +"Alles Entstandene auflösend weht dahin der Verwesung Hauch, +Wie ein irdischer Prachtgarten welken Paradiesblumen auch." + + + +XXXVII. PARADIESWELKEN + + +"Ja, mein Freund," fügte Vasitthi hinzu, "ohne Enttäuschung vernahm ich +jene Worte, die dir so hoffnungsvernichtend erschienen, wie ich jetzt +ohne Schmerz, ja sogar mit Freude sehe, wie hier ringsum die Wahrheit +dieser Worte zur Wirklichkeit wird." + +Während der Erzählung Vasitthis war in der Tat das Welken langsam, aber +unaufhaltsam fortgeschriten, und es konnte nunmehr nicht der leiseste +Zweifel bestehen, daß alle diese Wesen und ihre Umgebungen dem Untergang +und der völligen Auflösung entgegensiechten. + +Die Lotusrosen hatten schon mehr als die Hälfte ihrer Kronenblätter +gefällt, und das Wasser glitzerte nur noch spärlich hervor zwischen +diesen bunten Schifflein, jeden Augenblick in Zittern versetzt durch das +Fallen eines Blattes. Auf ihren schmuckberaubten Blumenthronen saßen die +Gestalten in mehr oder weniger zusammengesunkenen Stellungen; diesem war +der Kopf vornüber auf die Brust, jenem seitlings auf die Schulter +gesunken, und wie Fieberschauer durchzuckte es sie jedesmal, wenn ein +fröstelndes Schaudern die schon gelichteten Wipfel der Haine durchlief, +so daß Blüten und Blätter herniederregneten. Traurig gedämpft, und immer +häufiger von schmerzlichen Dissonanzen durchzogen, klang die Musik der +himmlischen Genien; tiefe Seufzer und angstvolles Stöhnen mischten sich +hinein. Alles, was geleuchtet hatte--Gesichter und Gewänder der Seligen +und der Genien, Wolken und Blumen--, sie alle verloren mehr und mehr +ihren Glanz, und ein bläulicher Dämmerungsnebel schien seine Fäden um +die Fernen zu spinnen. Aus dem frischen Blumenduft, der vorher so +herzerquickend Alles durchhaucht hatte, war aber jetzt allmählich ein +atembeklemmender und sinnenbetäubender, einschläfernder Geruch geworden. + +Und Kamanita zeigte umher mit einer matten Handbewegung: + +"Wie kann man denn, Vasitthi, an einem solchen Anblick Freude +empfinden?" + +"Deshalb, mein Freund, kann ich mich über diesen Anblick freuen, weil, +wenn dies Alles dauerhaft und unvergänglich wäre, es kein Höheres gäbe. +Nun aber gibt es ein Höheres, denn dies vergeht--und es gibt ein +Unvergängliches, Unentstandenes. Das eben nennt der Erhabene "Freude der +Vergänglichkeit", und deshalb sagt er: 'Wenn du den Untergang des +Erschaffenen erkannt hast, dann kennst du das Unerschaffene'." + +Durch diese zuversichtlichen Worte belebten sich die Züge Kamanitas, wie +eine vor Trockenheit hinwelkende Blume sich unter dem Regen erholt. + +"Gepriesen seist du, Vasitthi! zu meinem Heile bist du mir gegeben. Ja, +ich fühle es: darin nur haben wir gefehlt, daß unsere Sehnsucht nicht +hoch genug gezielt hat. Denn wir ersehnten uns ja dies Leben in einem +Blumenparadiese. Und Blumen müssen freilich, ihrer Natur nach, +verwelken. Unvergänglich aber sind die Sterne; nach ewigen Gesetzen +wandeln sie ihre Bahnen. Und sieh dort, Vasitthi, während alles andere +die blassen Spuren des Verfalles zeigt, gießt jenes Flüßchen--ein Zweig +der himmlischen Ganga--sein Wasser ebenso sternenklar und ebenso +reichlich wie je in unseren Teich--weil es eben von der Sternenwelt +kommt. Wer das erreichen könnte, unter den Sternengöttern wieder ins +Dasein zu treten, der wäre über den Kreislauf des Vergänglichen +erhaben." + +"Warum sollten wir das nicht erreichen können?" fragte Vasitthi. "Denn +ich habe ja von Mönchen gehört, die ihren Sinn und ihr Herz darauf +richteten, im Reiche des hunderttausendfachen Brahma wiederzukehren. Und +auch jetzt kann es noch nicht zu spät sein, wenn das alte Wort aus dem +hohen Liede wahr ist: + +'Das Sein, an welches denkend er aus diesem Leibe scheidet, +In dieses Sein wird jedesmal er drüben eingekleidet'." + +"Vasitthi! du gibst mir jenen übermenschlichen Mut! Wohlan, wir wollen +unser ganzes Sinnen darauf richten, im Reiche des hunderttausendfachen +Brahma wieder ins Dasein zu treten." + +Kaum hatten sie diesen Entschluß gefaßt, so brauste ein mächtiger +Sturmwind durch die Haine und über die Teiche. Blüten und Blätter +wirbelten haufenweise dahin, die Lotusthronenden duckten sich und zogen +stöhnend den Mantel dichter um die zitternden Glieder. + +Wie aber Einer, der in der eingeschlossenen, düftegesättigten Luft eines +Zimmers am Ersticken ist, wenn der frische Meerwind, salzig von den +Fluten des Ozeans, durch das geöffnete Fenster hereinweht, diesen aus +voller Brust atmet und sich neu belebt fühlt: also wurde Kamanita und +Vasitthi zu Mute, als ihnen jener Duft des völlig Reinen +entgegenströmte, den sie einst am Gestade der himmlischen Ganga geatmet +hatten. + +"Merkst du's?" fragte Vasitthi. + +"Ein Gruß von der Ganga. Und horch, sie ruft," sagte Kamanita. + +Denn die klagende Sterbeweise der Genien wurde jetzt durch jene +feierlichen, donnerähnlichen Klänge übertäubt. + +"Gut, daß wir schon den Weg kennen," jubelte Vasitthi. "Fürchtest du +dich noch, mein Freund?" + +"Wie sollte ich mich fürchten? Komm!" + +Und wie ein Vogelpaar sich aus dem Neste stürzt und dem Winde +entgegenfliegt, also flogen sie von dannen. + +Alle starrten ihnen nach, verwundert, daß es hier noch Wesen gäbe, die +Kraft und Mut zu einem Fluge besäßen. + +Als sie aber so dem Winde entgegenflogen, entstand ein Wirbelsturm, der +hinter ihnen Alles entblätterte und entseelte, dem hinsiechenden Leben +Sukhavatis ein Ende machend. + +Bald war der Palmenwald erreicht, bald durchflogen. Vor ihnen breitete +sich die silbrige Fläche des Weltenstromes bis zum schwarzblauen +Himmelsrande. + +Sie schwebten über seine Fluten hinaus, und sofort wurden sie von der +dort herrschenden Luftströmung erfaßt und im Sturmesflug davongetragen. +Durch die Schnelligkeit der Fahrt und unter dem mächtigen Getöse wie von +Donner und Glockengeläute schwanden ihnen die Sinne. + + + + +XXXVIII. IM REICHE DES HUNDERTTAUSENDFACHEN BRAHMA + + +Und Kamanita und Vasitthi traten wieder ins Dasein, im Reiche des +hunderttausendfachen Brahma, als die Götter eines Doppelgestirns. + +Der leuchtende Astralstoff, an den die geistige Wesenheit Kamanitas +gebunden war, umhüllte gleichmäßig den Himmelskörper, der von seiner +Kraft belebt, von seinem Willen gelenkt wurde. Durch diesen Willen wurde +der Stern zunächst um seine Achse gedreht, und diese Bewegung war sein +Eigenleben, war seine Selbstliebe. + +Und er spiegelte sich im Glanze Vasitthis und spiegelte ihren Glanz +wider. Strahlenwechselnd umkreisten sie einen Mittelpunkt, wo sich ihre +Strahlen sammelten. Dieser Punkt war ihre Liebe, das Kreisen darum war +ihr Liebesleben, und daß sie sich dabei ineinander spiegelten--das war +ihre Liebeswonne. + +Allseitig Auge, schaute jeder von ihnen gleichzeitig nach allen +Richtungen des unendlichen Raumes. Und überall sahen sie zahllose +Sternengötter, wie sie selber, deren Strahlenblicke sie empfingen und +erwiderten. Da war zunächst eine Anzahl, die mit ihnen zusammen eine +Gruppe für sich bildeten; daneben andere Gruppen, die mit der ihrigen +zusammen ein ganzes Weltsystem ausmachten; ferner andere Systeme, die +sich zu einer Kette von Systemen verbanden, und weiter noch mehrere +Ketten, und Ringe von Ketten, und Sphären von Kettenringen. Und Kamanita +und Vasitthi lenkten nun ihr Doppelgestirn in harmonischem Fluge unter +den anderen Sternen und Doppelgestirnen ihrer Gruppe, indem sie, wie in +einem wohlgeordneten Tanzreigen, ihren Nachbarn weder zu nahe kamen, +noch sich zu weit von ihnen entfernten, während alle gegenseitig, durch +eine gewisse Sympathie, einander die genaue Richtung und das rechte Maß +der Bewegung mitteilten. Dabei bildete sich aber auch gleichsam ein +gemeinsamer Wille, der ihre ganze Gruppe in die Bewegung der Gruppen +ihres Systems einlenkte, welches dann wiederum auf dieselbe Weise unter +seinesgleichen sich weiterbewegte. + +Und diese Teilnahme am ungeheuren, schwebenden Tanze der Weltkörper, +diese gemeinsame und endlos vielfältige Wechselbewegung--das war ihre +Weltangehörigkeit, ihr Außenleben, ihre Alles umfassende und +durchdringende Nächstenliebe. + +Was aber hier Harmonie der Bewegung ist, das erscheint den unterhalb der +Sternengötter weilenden Luftgöttern als Harmonie der Klänge; durch +Teilnahme an ihrem Genüsse ahmen die himmlischen Genien in den +Paradiesen diese Harmonien in ihren wonnigen Weisen nach, und indem ein +schwacher Abklang von diesen bisweilen bis an die Erde dringt--so +schwach, daß er nur von den geistigen Ohren der Erwachten aufgefangen +wird--reden die Seher rätselhaft von der Harmonie der Sphären, und die +großen Künstler der Musik schaffen nach, was sie in ihrer Begeisterung +sich erlauscht haben; und dies ist das höchste Entzücken der +Menschenkinder. Aber wie das Sein zu dem immer trüber werdenden Schein +sich verhält--also verhält sich zu diesem Entzücken der Menschen über +Klänge und Töne und Weisen die Daseinswonne der Sternengötter. + +Denn eben dies ist ihre Lebenslust, ihre Daseinswonne. + +Aber alle diese Bewegungen, diese ungeheuren Reigen der Weltsysteme, +umkreisten ein einziges Wesen: den in der Mitte des Weltganzen +thronenden hunderttausendfachen Brahma, dessen unermeßlicher Glanz alle +Sternengötter durchdrang, und dem sie alle den Glanz wieder +zurückstrahlten, wie so viele Spiegel seiner Herrlichkeit; dessen +unerschöpfliche Kraft, wie eine nie versiegende Quelle, ihnen allen ihre +Bewegung mitteilte, und in dem sich ihre Bewegungen alle konzentrierten. + +Und dies war ihr Brahmadurchdrungensein, ihre Gemeinschaft mit dem +höchsten Gott, ihr Gebenedeitsein, ihre Anbetung, ihre Seligkeit. + +Wenn sie aber in Brahma den Alles sammelnden Mittelpunkt hatten, so war +diese Brahmawelt auch, obschon unendlich, dennoch gleichsam begrenzt. +Wie das Auge des Menschen schon in uralten Zeiten ahnend am +Himmelsgewölbe einen "Tierkreis" entdeckt hat, so sahen die +Sternengötter hier unzählige Tierkreise in- und umeinander +beschrieben--eine ganze Sphärenfläche von Bildern webend, indem die +fernsten Sternengruppen zu leuchtenden Figuren zusammenschmolzen. +Ineinanderstrahlend, auseinanderleuchtend, erschienen da Gestalten, +Astralformen aller Wesen, die auf den Weltkörpern oder zwischen ihnen +leben und weben, bleibende Urbilder alles dessen, was, in die groben +Elemente sich hüllend, unaufhörlich entsteht und vergeht im wandelbaren +Flusse des Werdens. + +Und dies Schauen der Urbilder war ihr Weltwissen. + +Dieweil sie aber alläugig, ohne von diesem fort auf jenes hinzusehen, +ohne zu blinzeln, mit einem Blicke die Einheit Gottes und die Vielheit +der Weltwesen erschauten: fiel für sie Gottesweisheit und Weltwissen in +Eins zusammen. Wenn nämlich ein Mensch auf die göttliche Einheit den +Blick richtet, dann entschwindet ihm die Gestaltenvielheit der +Wandelwelt; und wiederum, wenn er diese betrachtet, kann er die Einheit +nicht mehr festhalten. Somit bleibt sein Wissen ein zerstückeltes, immer +schwankendes, ein von Zweifel fortwährend bedrohtes Wissen. Sie aber +sahen auf einmal Zentrum und Kreis, und deshalb war ihr Wissen ein +einheitliches, nimmer schwankendes, von keinem Zweifel bedrohtes Wissen. + +Durch diese ganze leuchtende Brahmawelt floß nun die Zeit still und +unbemerkbar. Wie man einem ruhig und gerade dahinfließenden, völlig +klaren Strome, dessen Flut von keinem Widerstand irgendwie gehemmt oder +gebrochen wird, die Bewegung nicht ansieht: ebenso war die Flut der Zeit +hier unmerkbar, weil sie von keinen aufsteigenden und absteigenden +Gedanken und Gefühlen Widerstand erfuhr. + +Diese Unmerkbarkeit des Zeitverlaufs war ihre Ewigkeit. + +Und diese Ewigkeit war ein Wahn. + +So war denn auch Alles, was sie in sich befaßte: ihr Wissen, ihre +Gottseligkeit, ihre Daseinswonne, ihr Weltleben, ihr Liebesleben und ihr +Eigenleben in Wahn getaucht, mit der Farbe des Wahns behaftet. + + + + +XXXIX. WELTENDÄMMERUNG + + +Denn es geschah einmal, daß in Kamanita ein Gefühl von Unbehagen, von +Mangel aufstieg. + +Da richtete er unwillkürlich seine Aufmerksamkeit auf den +hunderttausendfachen Brahma, als die Quelle aller Fülle. Aber jene +Empfindung wurde dadurch nicht verscheucht, sondern nahm von +Jahrtausend-Dekade zu Jahrtausend-Dekade fast bemerkbar zu. + +Denn durch jenes aufsteigende Gefühl war der bisher unmerkbar stille +Strom der Zeit auf Widerstand gestoßen, wie durch eine auftauchende +Insel, an deren Felsenriff er jetzt schäumend vorüberflutete. Und es +entstand sofort ein "Vorher" und ein "Nachher"--wie in einem Flusse +durch ein auftauchendes Riff ein "vor" und "nach" der Stromschnelle +entsteht. + +Und es schien Kamanita, als ob der hunderttausendfache Brahma jetzt +nicht ganz so klar leuchte, wie vorher. + +Nachdem er aber fünf Millionen Jahre den Brahma betrachtet hatte, kam es +ihm vor, als ob er ihn jetzt schon lange beobachtet habe, ohne Gewißheit +zu erlangen. + +Und er richtete seine Aufmerksamkeit auf Vasitthi. + +Da wurde er inne, daß auch sie aufmerksam den Brahma beobachtete. + +Da geriet er in Bestürzung. Mit dieser Bestürzung kamen die Gefühle. Mit +den Gefühlen kamen die Gedanken, mit den Gedanken kam die +Gedankensprache. + +Und er sprach: + +"Vasitthi, siehst du es auch? Was ist es mit dem hunderttausendfachen +Brahma?" + +Nach hunderttausend Jahren antwortete Vasitthi: + +"Das ist es mit dem hunderttausendfachen Brahma, daß sein Glanz +abnimmt." + +"Mir will es auch so scheinen," sagte Kamanita nach Ablauf einer +gleichen Zeit "Freilich kann das ja nur eine vorübergehende +Erscheinung sein. Aber schon das kommt mir wunderlich vor, daß am +hunderttausendfachen Brahma überhaupt eine Veränderung stattfinden +kann." + +Nach geraumer Weile, nach einigen Millionen Jahren, sprach Kamanita +weiter: + +"Ich weiß nicht, ob ich vielleicht geblendet bin. Bemerkst du etwa, +Vasitthi, daß der Glanz des hunderttausendfachen Brahma wieder zunimmt?" + +Nach fünfmal hunderttausend Jahren antwortete Vasitthi: + +"Der Glanz des hunderttausendfachen Brahma nimmt nicht zu, sondern nimmt +stätig ab." + +Wie ein Stück Eisen, das, weißglühend aus dem Schmiedeofen +genommen, bald danach rotglühend wird: also hatte der Glanz des +hunderttausendfachen Brahma jetzt einen rötlichen Schein bekommen. + +"Mich wundert, was das wohl zu bedeuten hat," sagte Kamanita. + +"Das hat es zu bedeuten, mein Freund, daß der Glanz des +hunderttausendfachen Brahma im Erlöschen begriffen ist." + +"Unmöglich, Vasitthi, unmöglich! Was würde dann aus dem Glänze und der +Herrlichkeit dieser ganzen Brahmawelt werden?" + +"Daran hat er gedacht, als er sagte: + +'Bis in den höchsten Lichthimmel drängt das Leben sich--und zerfällt. +Wisset, einmal erlischt gänzlich auch der Glanz einer Brahmawelt'" + +Schon nach einigen tausend Jahren erfolgte die ängstlich überstürzte +Frage Kamanitas: + +"Wer hat denn diesen schrecklichen, diesen weltzermalmenden Ausspruch +getan?" + +"Wer sonst, als er, der Erhabene, der Weltkenner, der Vollendete, der +Buddha." + +Da wurde Kamanita nachdenklich. + +Eine geraume Zeit überlegte er sich diese Worte und erinnerte sich an +manches. + +Da sprach er: + +"Einst schon, o Vasitthi, in Sukhavati, im Paradiese des Westens, +sagtest du einen Spruch des Buddha her, der sich vor unseren Augen +erfüllte. Und ich besinne mich, wie du dort eine ganze Rede von ihm, dem +Erhabenen, mir treu berichtetest, in welcher jener Spruch vorkam. Dies +weltzermalmende Wort aber war darin nicht enthalten. So hast du denn, o +Vasitthi, noch andere Reden vom Erhabenen gehört?" + +"Viele, mein Freund, denn mehr als ein halbes Jahr verbrachte ich +täglich in seiner Nähe. Ja, auch sogar die letzten von ihm geäußerten +Worte habe ich vernommen." + +Kamanita sah sie mit Bewunderung und Ehrfurcht an. Dann sprach er: + +"So bist du eben deshalb, wie ich meine, das weiseste Wesen in dieser +ganzen Brahmawelt. Denn alle diese Sternengötter ringsum sind in +Bestürzung geraten, leuchten unstät, flackern und blinken; und auch der +hunderttausendfache Brahma selber ist unruhig geworden, und aus seinem +trüberen Glänze zucken dann und wann gleichsam Zornesblitze hervor. Du +aber leuchtest ruhig, wie eine Lampe an windstillem Ort. Und auch das +ist ein Zeichen der Störung, daß die Bewegung dieser Himmelskörper jetzt +hörbar wird--wie wir einst, fern von hier, im Paradiese am Gestade der +himmlischen Ganga stehend, donnerartige Klänge und mächtige Töne wie von +fernem Glockengeläute aus dieser Brahmawelt vernahmen, so hören wir es +jetzt von allen Seiten. Das deutet darauf, daß die Harmonie der +Bewegungen gestört ist, daß Entzweiung und Auseinandertreten der Kräfte +sich einstellt. Denn richtig heißt es ja: 'Wo Mangel ist, wird Lärm +erzeugt, die Fülle ist in sich gefaßt.' Und so zweifle ich nicht daran, +daß du recht hast. Wohlan, Vasitthi, während ringsum uns nun diese +Brahmawelt erlischt und der Vernichtung anheimfällt, teile du mir deine +Erinnerungen an den Vollendeten mit, damit ich ruhig werde wie du. Teile +mir Alles aus deinem Leben mit! denn wohl mag es sein, daß wir zum +letzten Male an einem Orte vereinigt sind, wo Geschehnisse von Geist zu +Geist sich mitteilen lassen, und noch bleibt es mir unerklärlich, wie +Angulimala bei mir in Ujjeni erschien, obwohl ich über sein Asketentum +aufgeklärt wurde. Jene seine Erscheinung aber gab den Anstoß zu meinem +Pilgergang, war die Ursache, daß ich nicht auf abschüssige Pfade kam, +sondern im Paradiese des Westens auferstand, um von dort aus, durch +deine Hilfe, zu dieser höchsten Himmelswelt emporzusteigen, wo wir +unermeßliche Zeiträume hindurch göttliches Leben genossen haben. Es ahnt +mir aber, daß auch jener Anstoß zu meiner Pilgerschaft von dir ausging. +Dies nun, vor allem aber auch, wie es kam, daß du zu meinem Heile im +Paradiese erschienst und nicht an einem weit höheren Orte der Seligkeit +wieder ins Dasein tratest, möchte ich nun erfahren." + +Und während von Jahrhunderttausend zu Jahrhunderttausend die zunehmende +Trübung des Brahmaglanzes immer bemerkbarer wurde und die Sternengötter +immer mehr erblaßten; + +während diese immer unruhiger flackerten und sprühten, und aus dem +trüber werdenden Glutkreise des Brahma ungeheure Flammenstreifen +hervorschossen und durch den ganzen Raum hin und her fegten, als ob der +Gott mit hundert Riesenarmen nach dem unsichtbaren Feinde suchte, der +ihn bedrängte; + +während durch die gestörten Bewegungen der Himmelskörper sich +Wirbelströmungen erhoben, die ganze Sternensysteme aus dem Brahmareiche +hinausrissen, an deren Stelle dann die Finsterniswelle des leeren Raumes +hereinbrach, wie das Meerwasser da hereinstürzt, wo das Schiff einen +Leck bekommen hat; + +und während an anderen Stellen Systeme ineinander gerieten und ein +Weltbrand sich entzündete, dessen Explosionen Garben von Sternschnuppen +bis in den Glutschlund des Brahma schleuderten; + +während die Donnerschläge der zusammenbrechenden und +ineinanderstürzenden Harmonien--das Todesröcheln der Sphärenmusik--immer +furchtbarer von Himmelsgegend zu Himmelsgegend rollten und +widerhallten:-- + +teilte Vasitthi unverstört, in gemessener Weise, Kamanita ihre letzten +irdischen Erlebnisse mit. + + + + +XL. IM KRISHNAHAIN + + +Seit jenem ersten Abend versäumte ich keine Gelegenheit, um den +Krishnahain zu besuchen und durch die Worte des Erhabenen oder eines +seiner großen Schüler tiefer in die Lehre eingeführt zu werden. + +Während mein Gemahl nun noch abwesend war, stieg die Furcht der Bürger +Kosambis vor dem Räuber Angulimala von Tag zu Tag. Gerade dadurch, daß +von neuen Taten nichts verlautete, wurde die Phantasie aufgeregt. +Plötzlich verbreitete sich das Gerücht, Angulimala wolle eines Abends +den Krishnahain überfallen und die dort zum Besuch versammelten Bürger, +ja wohl gar den Buddha selbst entführen. Dadurch steigerte sich die +Erregung der Gemüter fast bis zum Aufruhr. Man sagte sich, daß, wenn +durch verruchte Räuberhände dem Erhabenen vor Kosambi ein Leid geschähe, +dann würde der Zorn der Götter die ganze Stadt treffen. + +Ungeheure Menschenmengen wogten durch die Straßen, und, vor dem +königlichen Palast sich sammelnd, verlangten sie drohend, daß König +Udana dies Unheil abwenden und Angulimala unschädlich machen solle. + +Am folgenden Tage kehrte Satagira zurück. + +Er überhäufte mich sofort mit Lob wegen meines guten Rats, dem er es +allein danken wollte, daß er heil nach Hause kam. Vajira, seine zweite +Frau, die mit ihrem Söhnlein auf dem Arm erschien, um ihn zu +bewillkommnen, wurde kurz abgefertigt: er habe mit mir noch Wichtiges zu +besprechen. + +Als wir nun wieder allein waren, fing er zu meinem unsagbaren Unbehagen +sofort an, von seiner Liebe zu reden, wie er mich unterwegs vermißt, wie +sehr er sich auf diese Stunde des Wiedersehens gefreut habe. + +Schon wollte ich von den Unruhen in der Stadt erzählen, um ihn auf +andere Gedanken zu bringen, als der Kämmerer gemeldet wurde, der ihn zum +König rief. + +Nach etwa einer Stunde kehrte er zurück--ein anderer Mensch. Blaß, mit +verstörten Zügen trat er bei mir ein, warf sich auf eine Bank und rief, +er sei der unglückseligste Mann im ganzen Reiche, eine gefallene Größe, +bald ein Bettler, wenn nicht gar Kerker oder Verbannung ihm drohe, und +an seinem ganzen Unglück sei seine grenzenlose Liebe zu mir schuld, die +ich nicht einmal erwidere. Auf meine wiederholte Aufforderung, mir doch +zu sagen, was geschehen sei, beruhigte er sich endlich so weit, daß er, +unter vielen Verzweiflungsausbrüchen und während er sich fortwährend die +Schweißtropfen von der Stirn trocknete, mir den ganzen Vorgang im +Palaste berichten konnte. + +Der König hatte ihn sehr ungnädig empfangen und ohne etwas von dem +geschlichteten Dorfstreit hören zu wollen, ihm unter Drohungen geboten, +die volle Wahrheit über Angulimala einzugestehen, die Satagira jetzt +auch mir beichten mußte, ohne zu ahnen, wie gut ich schon davon +unterrichtet war. Übrigens sah er darin nur einen Beweis seiner +"grenzenlosen Liebe" zu mir, und erwähnte meine Liebe zu dir leichthin +als eine törichte Jugendschwärmerei, die ja jedenfalls zu nichts geführt +hätte. + +Die Sache war aber auf folgende Weise dem König zu Ohren gekommen. + +Während der Abwesenheit Satagiras war es der Polizei gelungen, den +Helfershelfer Angulimalas aufzuspüren, und dieser hatte im peinlichen +Verhör bekräftigt, daß jener Räuber wirklich Angulimala selber sei, der +damals nicht, wie der Minister immer behauptet hatte, auf der Folter +gestorben, sondern entflohen wäre; auch jenen Anschlag Angulimalas auf +den Krishnahain hatte er bekannt. Der Fürst war natürlich aufs höchste +darüber erzürnt, daß Satagira seinerzeit den furchtbaren Räuber hatte +entschlüpfen lassen und dann ganz Kosambi und seinen König durch einen +aufgesteckten falschen Kopf betrogen hatte; er wollte auf keine Worte +der Verteidigung oder auch nur der Entschuldigung hören. Wenn Satagira +nicht binnen drei Tagen Angulimala unschädlich machte--wie es das Volk +so stürmisch verlangte--dann würden ihn alle Folgen der fürstlichen +Ungnade aufs empfindlichste treffen. + +Nachdem Satagira dies erzählt hatte, warf er sich weinend auf die Bank, +raufte sich die Haare und gebärdete sich wie ein Wahnsinniger. + +"Sei getrost, mein Gemahl," sagte, ich. "Folge meinem Rate, und nicht +erst in drei Tagen, sondern noch heute sollst du wieder im Besitz der +fürstlichen Gunst sein, ja nicht nur das, sondern diese wird noch +strahlender über dich leuchten denn je zuvor." + +Satagira setzte sich auf und sah mich an, wie man wohl ein Naturwunder +anstaunt. + +"Und wozu rätst du mir denn?" + +"Du sollst zum König zurückkehren und ihn überreden, sich nach dem +Sinsapawalde vor der Stadt zu begeben, dort am alten Tempel den Buddha +aufzusuchen und ihn um Rat zu fragen. Der Rest wird dann von selber +folgen." + +"Du bist eine kluge Frau," sagte Satagira. "Jedenfalls ist dieser Rat +sehr gut, denn jener Buddha soll ja der weiseste aller Menschen sein. +Wenn es auch schwerlich so gute Folgen für mich haben kann, wie du dir +denkst, so will ich doch den Versuch machen." + +"Daß die Folgen nicht ausbleiben werden," antwortete ich, "dafür stehe +ich mit meiner Ehre ein." + +"Ich glaube dir, Vasitthi," rief er, indem er aufsprang und meine Hand +ergriff. "Wie wäre es möglich, dir nicht zu glauben. Beim Indra! Du bist +eine wunderbare Frau, und ich sehe jetzt, wie wenig ich mich irrte, als +ich in meiner noch unerfahrenen Jugend, wie einem Instinkte gehorchend, +aus dem reichen Mädchenflor Kosambis dich allein ausersah und mich auch +durch deine Kälte von meiner Liebe nicht abbringen ließ." + +Die Feurigkeit, mit welcher er mich lobte, ließ mich fast bereuen, daß +ich ihm den hilfreichen Rat gegeben hatte, aber schon seine nächsten +Worte beruhigten mich, denn er sprach jetzt von seiner Dankbarkeit, die +unerschöpflich sein würde, auf welche Probe ich sie auch stellte. + +"Nur eine einzige Bitte habe ich, durch deren Erfüllung du mir deine +Dankbarkeit hinreichend bezeugen kannst." + +"Nenne sie mir sofort," rief er, "und wenn du auch verlangst, daß ich +Vajira mit ihrem Sohne zu ihren Eltern zurückschicke, so werde ich es +unweigerlich tun." + +"Meine Bitte ist eine gerechte, keine ungerechte, aber ich werde sie +erst vorbringen, wenn mein Rat sich in vollstem Maße bewährt hat. Eile +du aber nun zum Palast und setze beim Fürsten diesen Besuch durch." + +Ziemlich bald kehrte er zurück, glücklich, daß es ihm gelungen war, den +König zu diesem Ausflug zu bestimmen. + +"Erst als Udena vernahm, daß der Rat von dir herrührte," sagte er, "und +daß du mit deiner Ehre dich für den guten Erfolg verbürgtest, gab er +nach, denn auch er hält große Stücke auf dich. O, wie stolz bin ich auf +eine solche Gemahlin!" + +Diese und ähnliche Worte, an denen er es in seiner zuversichtlichen +Stimmung nicht fehlen ließ, waren mir peinlich genug und wären es noch +mehr gewesen, wenn ich nicht bei dieser ganzen Sache meine geheimen +Gedanken gehabt hätte. + +Wir begaben uns nun sofort nach dem Palast, wo schon Vorbereitungen zur +Fahrt getroffen wurden. + +Sobald die Strahlen der Sonne ihre Glut etwas milderten, bestieg König +Udena seinen Staatselefanten, die vielgerühmte Bhaddavatika, die, weil +sie schon sehr alt war, nur noch bei den feierlichsten Gelegenheiten +benutzt wurde. Wir, der Kämmerer, der Schatzmeister und andere hohe +Würdenträger folgten in Wagen nach, zweihundert Reiter eröffneten und +ebensoviele beschlossen den Zug. + +Am Eingange des Waldes ließ der König Bhaddavatika niederknien und stieg +ab; wir anderen verließen die Wagen und begaben uns In seinem Gefolge zu +Fuß nach dem Krishnatempel, wo der Buddha, der vom fürstlichen Besuche +schon unterrichtet war, von seinen Jüngern umgeben, uns erwartete. + +Der König bot dem Erhabenen ehrerbietigen Gruß dar und setzte sich zur +Seite nieder. Als nun auch wir andern Platz genommen hatten, fragte der +Vollendete: + +"Was ist dir, edler König? Hat etwa der König von Benares oder irgend +ein anderer deiner fürstlichen Nachbarn dein Land mit Krieg bedroht?" + +"Nicht hat, o Herr, der König von Benares, noch irgend einer meiner +fürstlichen Nachbarn mich bedroht: ein Räuber, o Herr, lebt in meinem +Lande, Angulimala genannt, grausam und blutgierig, an Mord und Totschlag +gewöhnt, ohne Mitleid gegen Mensch und Tier. Der macht die Dörfer +undörflich, die Städte unstädtlich, die Länder unländlich. Er bringt die +Leute um und hängt sich ihre Daumen um den Hals. Und in der Bosheit +seines Herzens hat er jetzt den Plan gefaßt, diesen heiligen Hain zu +überfallen und den Erhabenen und seine Anhänger zu entführen. Ob solch +großer Gefahr entsetzt, murrt mein Volk, drängt sich in großen Scharen +um meinen Palast und verlangt, daß ich diesen Angulimala unschädlich +mache. Das also liegt mir allein im Sinne." + +"Wenn du aber, edler König, Angulimala sähest, mit geschorenem Haar und +Barte, mit fahlem Gewande bekleidet, dem Töten entfremdet, dem Stehlen +entwöhnt, zufrieden mit _einer_ Mahlzeit, keusch wandelnd, tugendrein, +edel geartet: was würdest du dann mit ihm machen?" + +"Wir würden ihn, o Herr, ehrerbietig begrüßen, uns vor ihm erheben und +ihn zu sitzen einladen, ihn bitten, Kleidung, Speise, Lager und Arznei +für den Fall einer Krankheit anzunehmen, würden ihm, wie sich's gebührt, +Schutz und Schirm und Obhut angedeihen lassen. Wie aber sollte, o Herr, +ein so arger, bösartiger Mensch eine solche Tugendläuterung erfahren?" + +Nun saß aber der ehrwürdige Angulimala nicht fern vom Erhabenen. Und der +Erhabene wies mit dem rechten Arme hin und sprach also zu König Udena: + +"Dieser, edler Fürst, ist Angulimala." + +Da entfärbte sich das Gesicht des Königs vor Angst. Aber bei weitem +stärker war das Entsetzen Satagiras. Seine Augen schienen aus ihren +Höhlen springen zu wollen, seine Haare sträubten sich, kalter Schweiß +tropfte von seiner Stirn. + +"Weh mir," rief er, "ja, jener ist gewißlich Angulimala, und ich Elender +habe meinen König verleitet, sich in seine Gewalt zu begeben." + +Dabei sah ich's ihm nur zu deutlich an, daß er nur deshalb so vor Angst +bebte, weil er sich selbst in der Gewalt seines Todfeindes wähnte. + +"Dieser Schreckliche," rief er weiter, "hat uns alle betrogen--hat den +Erhabenen selbst betrogen und auch meine leichtgläubige Gemahlin, die, +wie alle Frauen, viel auf Bekehrungsgeschichten gibt. So sind wir in +diese Falle gegangen." + +Und seine Blicke irrten umher, als ob er hinter jedem Baum ein halbes +Dutzend Räuber entdeckte. Mit stotternder Stimme und zitternder Hand +beschwor er den König, durch eilige Flucht seine teure Person in +Sicherheit zu bringen. + +Da trat ich denn vor und sprach: + +"Sei ruhig, mein Gemahl! Ich bin imstande, sowohl dich wie meinen edlen +Fürsten zu überzeugen, daß hier keine Falle gelegt ist und daß keine +Gefahr droht." + +Und ich erzählte jetzt, wie ich, von Angulimala überredet, mit ihm +zusammen einen Anschlag gegen das Leben meines Gemahls vorgehabt hätte, +und wie dieser Anschlag eben nur durch die Bekehrung meines Verbündeten +vereitelt worden sei. + +Als Satagira hörte, wie nahe er dem Tode gewesen war, mußte er sich auf +den Arm des Kämmerers stützen, um nicht umzusinken. + +Ich bat nun den König fußfällig, meinem Gemahl zu verzeihen, wie ich ihm +verziehen habe, da er durch Leidenschaft irregeführt gesündigt habe und +dabei wohl auch unbewußt einer höheren Führung gefolgt sei, die vor +unseren Augen das höchste Wunder wirken wollte: anstatt daß man einen +Räuber hingerichtet hätte, sei jetzt aus einem Räuber ein Heiliger +geworden. + +Und als der Fürst mir gnädig zugesagt hatte, meinem Gemahl wieder seine +volle Gunst zuzuwenden, sprach ich zu Satagira: + +"Mein Versprechen habe ich nun gehalten. So halte auch du das deine und +gewähre mir meine einzige Bitte. Diese aber geht dahin, du mögest mir +gestatten, in den heiligen Orden des Buddha einzutreten." + +Mit einem stummen Kopfnicken gab Satagira seine Einwilligung, wie er +denn auch nicht anders konnte. + +Der König aber, der nun ganz beruhigt war, trat an Angulimala heran, +sprach freundlich und ehrerbietig zu ihm und sicherte ihm seinen +fürstlichen Schutz zu. Darauf ging er wieder zum Buddha hin, verneigte +sich tief und sprach: + +"Wunderbar ist es in der Tat, o Herr, wie da der Erhabene Unbändige +bändigt. Denn diesen Angulimala, den wir weder mit Strafe noch Schwert +bezwingen konnten, den hat der Erhabene ohne Strafe und Schwert +bezwungen. Dieser doppelt und dreifach heilige Hain aber, wo uns ein +solches Wunder kund ward, soll von heute ab auf ewige Zeiten dem Orden +der Heiligen gehören. Und der Erhabene möge mir gestatten, darin einen +Bau zur Unterkunft der Mönche und einen zweiten für die Nonnen zu +errichten." + +Mit würdevoller Dankbezeugung nahm der Erhabene das fürstliche Geschenk +an. Darauf empfahl sich der König und entfernte sich mit seinem Gefolge. +Ich aber blieb zurück unter der Obhut der anwesenden Schwestern, um +schon am folgenden Tage das Gelübde abzulegen. + + + + +XLI. DER LEICHTE SPRUCH + + +Ich war nun Ordensschwester geworden und begab mich jeden Tag früh +morgens mit meiner Almosenschale nach Kosambi, wo ich von Haus zu Haus +ging, bis sie gefüllt war--obwohl Satagira mir diesen Bettelgang nur zu +gern erspart hätte. + +Eines Tages stellte ich mich auch am Eingange seines Palastes hin, weil +die ältesten Nonnen mir geraten hatten, mich auch dieser Prüfung zu +unterziehen. Da trat Satagira gerade in den Torweg, wich mir aber scheu +aus und verhüllte traurig sein Antlitz. Gleich danach kam dann der +Hausmeier und bat mich weinend, doch ja zu gestatten, daß Alles, wofür +ich Gebrauch habe, mir täglich zugeschickt werde. Ich aber antwortete +ihm, daß es mir gezieme, der Ordensregel nachzukommen. + +Wenn ich von diesem Gange zurückgekehrt war und das Gespendete verzehrt +hatte, womit dann für den ganzen Tag die elende Nahrungsfrage erledigt +war, wurde ich von einer der älteren Nonnen unterrichtet, und abends +lauschte ich in der Versammlung den Worten des Erhabenen oder auch denen +eines großen Jüngers, wie Sariputta oder Ananda. Nachher aber geschah es +wohl, daß eine Schwester die andere aufsuchte: "Entzückend, Schwester, +ist der Sinsapawald, herrlich die klare Mondnacht, die Bäume stehen in +voller Blüte, himmlische Düfte, meint man, wehen umher. Wohlan, laß uns +Schwester Sumedha aufsuchen. Sie ist eine Hüterin des Wortes, ein Hort +der Lehre. Ihre Rede dürfte wohl diesem Sinsapawalde doppelten Glanz +verleihen." Und wir brachten dann den größten Teil einer solchen Nacht +mit sinnigen Gesprächen zu. + +Dies Leben in der freien Natur, diese fortwährende Geistestätigkeit und +der rege Gedankenaustausch, wodurch keine Zeit für trübes Hinbrüten über +eigenen Schmerz oder für müßige Träumereien übrig blieb, endlich die +Erhebung und Läuterung des Gemütes durch die Macht der Wahrheit--all +dies stärkte mir Körper und Geist wunderbar. Ein neues und edleres Leben +tat sich vor mir auf, und ich genoß ein ruhiges, heiteres Glück, von dem +ich mir wenige Wochen vorher nichts hätte träumen lassen. + +Als die Regenzeit kam, stand schon das Gebäude für die Schwestern +bereit, mit geräumiger Halle zum gemeinsamen Aufenthalte und mit Zellen +für jede einzelne. Mein Gemahl und einige andere reiche Bürger, die +Verwandte unter den Nonnen hatten, ließen es sich nicht nehmen, diese +unsere Heimstätte mit Matten und Teppichen, Stühlen und Ruhebetten +auszustatten, so daß wir reichlich mit Allem versehen waren, was zur +vernünftigen Bequemlichkeit des Lebens gehört, und seiner Üppigkeit um +so lieber entrieten. So ging denn auch diese Zeit der Eingeschlossenheit +leidlich genug dahin, im regelmäßigen Wechsel von gemeinsamen +Unterhaltungen über religiöse Fragen und von Selbstdenken und +Vertiefung. Gegen Abend aber begaben wir uns, wenn das Wetter es +erlaubte, nach der großen Halle der Mönche, um dem Meister zu lauschen, +oder es kam auch der Erhabene oder einer der großen Jünger zu uns +herüber. + +Als nun aber der Wald, den der Meister lobt, erfrischt und verjüngt, in +hundertfacher Blätterfülle und Blumenpracht uns wieder einlud, unter +sein freies Obdach unsere einsame Gedenkenruhe und unsere gemeinsamen +Versammlungen zu verlegen, da traf uns die betrübende Kunde, daß der +Erhabene sich jetzt bereit mache, seine Wanderung nach den östlichen +Gegenden anzutreten. Aber freilich hatten wir ja nicht hoffen dürfen, +daß er immer in Kosambi bleiben werde; auch wußten wir, wie töricht es +ist, Ober etwas Unvermeidliches zu klagen, und wie wenig wir uns des +Meisters würdig zeigten, wenn wir uns von Trauer überwältigen ließen. + +So begaben wir uns denn in später Nachmittagsstunde gefaßt und ruhig +nach dem Krishnatempel, um zum letzten Male für lange Zeit den Worten +des Buddha zu lauschen und dann von ihm Abschied zu nehmen. + +Auf den Stufen stehend, redete der Erhabene vom Vergehen alles +Entstandenen, von der Auflösung alles dessen, was sich zusammengesetzt +hat, von der Flüchtigkeit aller Erscheinungen, von der Wesenlosigkeit +aller Gestaltungen. Und nachdem er gezeigt hatte, wie nirgends in dieser +oder in jener Welt, soweit die Daseinslust keimt, nirgendwo in Raum und +Zeit eine feste Stelle, ein bleibender Zufluchtsort zu finden ist, +sprach er jenes Wort, das du mit Recht "weltzermalmend" nanntest, und +das sich jetzt rings um uns verwirklicht: + +"Bis in den höchsten Lichthimmel drängt das Leben sich und zerfällt;-- +Wisset, einmal erlischt gänzlich auch der Glanz einer Brahmawelt." + +Es war uns Schwestern von einem der Jünger gesagt worden, daß wir nach +dem Vortrage eine nach der anderen zum Erhabenen gehen sollten, um von +ihm Abschied zu nehmen und einen Geleitspruch für unser weiteres Streben +von ihm zu empfangen. Da ich eine der jüngsten war und mich +geflissentlich zurückhielt, gelang es mir, die letzte zu werden. Denn +ich gönnte es keiner anderen, nach mir mit dem Erhabenen zu reden, und +meinte auch, daß mir dadurch eine ruhigere, längere Unterredung +ermöglicht würde, als wenn andere hinter mir warteten. + +Nachdem ich mich nun ehrfurchtsvoll verneigt hatte, blickte mich der +Erhabene an mit einem Blicke, der mich bis ins Innerste durchleuchtete, +und sprach: + +"Und dir, Vasitthi, gebe ich an der Schwelle dieses zerfallenden +Heiligtums des sechzehntausendeinhundertfachen Bräutigams zum +Meingedenken und zum Durchdenken unter dem Laubdache dieses +Sinsapawaldes, von dem du ein Blatt am Herzen und einen Schatten im +Herzen trägst--folgenden Spruch: '_Überall, wo Liebe entsteht, entsteht +auch Leid_.'" + +"Ist das Alles?" fragte ich törichterweise. + +"Alles und genug." + +"Und ist es, o Herr, gestattet, wenn ich mit dem Spruche zu Ende bin, +wenn ich mir den Sinn völlig zu eigen gemacht habe, zum Erhabenen zu +pilgern, um einen neuen Spruch zu empfangen?" + +"Es ist gestattet, wenn du noch das Bedürfnis hast, den Erhabenen zu +fragen." + +"Wie sollte ich nicht das Bedürfnis haben? Du bist ja, o Herr, unsere +Zuflucht." + +"Nimm deine Zuflucht zu dir selber, nimm deine Zuflucht zur Lehre!" + +"Das will ich. Doch du, o Herr, bist ja das Selbst der Jünger, bist die +lebendige Lehre. Und du hast ja gesagt: es ist gestattet." + +"Wenn dich der Weg nicht müht." + +"Kein Weg kann mich mühen." + +"Der Weg ist weit, Vasitthi! Weiter ist der Weg als du dir denkst, +weiter, als Menschengedanken es auszudenken vermögen." + +"Und führte der Weg auch durch tausend Leben, über tausend Welten: kein +Weg wird mich mühen." + +"Schon gut, Vasitthi! Gehab dich wohl, und gedenke deines Spruchs." + +In diesem Augenblick nahte der König mit großem Gefolge, um vom +Erhabenen Abschied zu nehmen. + +Ich zog mich in die hinterste Reihe zurück, von wo aus ich ein ziemlich +zerstreuter Zeuge der weiteren Vorgänge dieses letzten Abends war. Denn +ich kann nicht leugnen, daß ich mich durch den so sehr leichten Spruch, +den mir der Erhabene gegeben hatte, etwas enttäuscht fühlte. Hatten doch +mehrere der Schwestern ganz andere schwierige Sprüche zur geistigen +Verarbeitung vom Erhabenen zugeteilt bekommen: die eine den Spruch vom +Entstehen aus Ursachen, die andere den vom Nichtselbst, eine dritte den +von der Vergänglichkeit der Erscheinungen. So meinte ich denn, eine +Zurücksetzung erfahren zu haben, was mich sehr betrübte. Wie ich aber +weiter darüber nachdachte, kam mir die Vermutung, daß der Erhabene +vielleicht bei mir etwas Selbstüberhebung bemerkt habe und sie auf diese +Weise dämpfen wolle. Und ich nahm mir vor, auf der Hut zu sein, um nicht +durch Eitelkeit und Selbstgefälligkeit in meinem geistigen Wachstum +gehindert zu werden. Bald würde ich mich ja rühmen können, mit dem +Spruche zu Ende zu sein, und durfte mir dann einen neuen von den Lippen +des Erhabenen selber holen. + +In dieser Zuversicht sah ich früh am nächsten Morgen den Buddha mit +vielen Jüngern von dannen wandern--unter diesen selbstverständlich auch +Ananda, der ja des Meisters wartete und immer um ihn war, und der mir +stets auf seine milde Art so besonders wohlwollend begegnet war, daß ich +fühlte, ich würde auch ihn und seinen aufmunternden Blick sehr +vermissen, noch mehr als den weisen Sariputta, der durch seine scharf +zergliedernden Auseinandersetzungen mir in manchem schwierigen Punkt +geholfen hatte. Nun war ich meinen eigenen Kräften überlassen. + +Sobald ich von meinem Almosengange zurückgekehrt war und mein Mahl +verzehrt hatte, suchte ich mir einen schönen Baum aus, der in der Mitte +einer kleinen Waldwiese stand--das wahre Urbild jener "mächtigen, +lärmentrückten Bäume", von denen es heißt, daß Menschen darunter sitzen +und denken können. + +Das tat ich nun, indem ich meinen Spruch ernstlich vornahm. Als ich +gegen Abend nach der Versammlungshalle zurückkehrte, brachte ich, als +Ausbeute meiner Tagesarbeit, eine innere Unruhe mit mir und eine leise +Ahnung, was für eine Bewandtnis es mit diesem Spruche haben mochte. Als +ich aber am folgenden Abend nach beendigter Gedenkenruhe zurückkehrte, +wußte ich schon genau, was der Erhabene gemeint hatte, als er mir diesen +Spruch gab. + +Ich hatte ja geglaubt, auf dem graden Wege zum vollkommenen Frieden mich +zu befinden und meine Liebe mit ihren leidenschaftlichen Erregungen weit +hinter mir zu haben. Aber jener unvergleichliche Herzenskenner hatte gar +wohl gesehen, daß die Liebe keineswegs von mir überwunden war, sondern +daß sie nur durch den mächtigen Einfluß des neuen Lebens verscheucht, +sich In einen Innersten Winkel zurückgezogen hatte, um dort ihre Zeit zu +erwarten. So wollte er denn, daß ich dadurch, daß ich meine +Aufmerksamkeit auf sie richtete, sie aus diesem Schlupfloche +hervorlocken solle, um sie dann zu überwinden. + +Und freilich kam sie auch hervor, aber mit solcher Macht, daß ich mich +sofort mitten in schweren, ja zerrüttenden Seelenkämpfen befand und +einsah, daß mir kein leichter Sieg beschieden sei. + +Die überraschende Kunde, daß mein Geliebter damals nicht getötet worden +war und aller Wahrscheinlichkeit nach noch mit mir diese Erdenluft +atmete, war jetzt freilich mehr als ein halbes Jahr alt. Als aber durch +die Erscheinung auf der Terrasse jenes Wissen so plötzlich in mir +auftauchte, wurde es sofort wieder durch die stürmischen Gemütswellen, +die es selber aufregte, gleichsam überschwemmt und tauchte fast wieder +in ihren Strudel unter. Haßgefühl, Rachegedanken, Brüten über +Verbrecherpläne wechselten in einem wahren Dämonenreigen--dann kam +Angulimalas Bekehrung, der überwältigende Eindruck des Buddha, das neue +Leben, der Tagesanbruch einer neuen, gänzlich ungeahnten Welt, deren +Elemente in der Vernichtung aller Elemente der alten bestanden. Nun aber +war der erste Sturm des Neuen vorüber, der große Meister dieses heiligen +Zaubers war aus meinem Gesichtskreis entschwunden, und ich saß einsam +da, meinen Blick auf die Liebe--auf meine Liebe gerichtet. Da tauchte +jene Kunde nun wieder klar hervor und eine grenzenlose Sehnsucht nach +dem fernen, noch lebenden Geliebten erfaßte mich. + +Aber lebte er denn auch noch?--Und liebte er mich denn noch? + +Solche Fragen regten durch ihre bange Ungewißheit meine Sehnsucht nur +noch mehr auf, und mit der Überwindung meiner Liebe, mit der Aneignung +des Spruches wollte es nicht vorwärtsgehen. Immer dachte ich über die +Liebe nach und kam nicht zum Leid und zur Leidensentstehung. + +Diese meine immer aussichtsloseren Seelenkämpfe blieben den anderen +Schwestern nicht verborgen. Ich hörte wohl, wie sie von mir sprachen: + +"Vasitthi, die frühere Ministersgattin, die doch selbst der strenge +Sariputta wegen ihrer schnellen und sicheren Auffassung auch schwieriger +Punkte der Lehre uns des öfteren gepriesen hat, sie kann jetzt mit ihrem +doch so leichten Spruch nicht fertig werden." + +Dadurch wurde ich noch mehr entmutigt. Scham und Verzweiflung +bemächtigten sich meiner und zuletzt glaubte ich, diesen Zustand nicht +mehr ertragen zu können. + + + + +XLII. DIE KRANKE NONNE + + +Um diese Zeit kam wöchentlich einmal einer der Brüder zu uns herüber und +legte uns die Lehre dar. Als nun Angulimala an der Reihe war, ging ich +nicht in die Versammlungshalle, sondern blieb in meiner Zelle auf der +Ruhebank liegen und bat eine Nachbarschwester, Angulimala zu sagen: + +"Die Schwester Vasitthi, Ehrwürdiger, liegt in ihrer Zelle krank +darnieder und kann in der Versammlung nicht erscheinen. Wolle, +Ehrwürdiger, nach dem Vortrag dich nach der Zelle Schwester Vasitthis +begeben, um auch ihr, der Kranken, die Lehre darzulegen." + +Und der ehrwürdige Angulimala kam nach dem Vortrag in meine Zelle, +grüßte mich ehrerbietig und setzte sich neben mein Lager. + +"Du siehst hier, Bruder," sagte ich dann, "was niemand sehen sollte: +eine liebeskranke Nonne, und an dieser meiner Krankheit bist du selber +schuld, denn du hast mich des Gegenstandes meiner Liebe beraubt. Zwar +hast du mich dann zu diesem großen Arzte gebracht, der von der ganzen +Lebenskrankheit heilt; aber seine starke Heilkunst kann jetzt nicht +weiter auf mich einwirken. In seiner großen Weisheit hat er dies wohl +erkannt und hat mir ein Mittel gegeben, um den schleichenden +Krankheitsstoff zur Ausscheidung durch eine Fieberkrisis zu bringen. So +siehst du denn nun das Sehnsuchtsfieber in mir wüten. Und nun will ich +dich an ein Versprechen mahnen, das du mir einst gegeben hast, in jener +Nacht nämlich, wo du mich zu dem Verbrechen verleiten wolltest, dessen +Ausführung nur durch das Dazwischentreten des Erhabenen vereitelt wurde. +Damals sagtest du, du würdest nach Ujjeni gehen und mir sichere Kunde +von Kamanita bringen, ob er noch am Leben sei, und wie es ihm ergehe. +Was mir nun der Räuber einst versprach, das fordere ich jetzt vom +Mönche. Denn mein Verlangen zu wissen, ob Kamanita lebt und wie er lebt, +ist ein so gebieterisches, daß, bevor es nicht gestillt worden ist, für +keinen anderen Gedanken, für kein anderes Gefühl in meiner Seele Raum +ist, und es mir somit unmöglich ist, auch nur den kleinsten Schritt +weiter auf diesem unserem Heilswege zu tun. Deshalb mußt du dies für +mich tun und mein Gemüt durch irgend eine Gewißheit beruhigen." + +Nachdem ich also gesprochen hatte, erhob sich Angulimala und sagte: + +"Wie du es eben, Schwester Vasitthi, von mir verlangst," verbeugte sich +tief und schritt zur Tür hinaus. + +Er ging aber geradeswegs nach seiner Zelle, um seine Almosenschale zu +holen und verließ noch in derselben Stunde den Sinsapawald. Man glaubte +allgemein, er sei dem Erhabenen nachgepilgert. Nur ich kannte das Ziel +seiner Wanderung. + +Nach diesem Schritt fühlte ich mich in der Tat etwas beruhigt, obwohl +ich bald zu zweifeln anfing, ob ich ihm nicht einen Gruß oder eine +Botschaft an den Geliebten hätte mitgeben sollen. Aber es kam mir +unpassend und unheilig vor, einen Mönch auf solche Weise als +Liebesvermittler zu gebrauchen, während er doch ganz gut nach einer +entfernten Stadt gehen und berichten konnte, was er dort gesehen. Auch +würde es etwas ganz anderes sein--meinte ich mit geheimer Hoffnung--wenn +er, ohne einen Auftrag zu haben und nur seinem eigenen Urteil folgend, +sich entschließen sollte, mit dem Geliebten von mir zu sprechen. + +"Ich selber werde nach Ujjeni gehen und ihn heil und sicher +herbringen"--diese Worte hallten immer in meinem Innersten wider. Würde +der Mönch vielleicht das Versprechen des Räubers einlösen? Warum denn +nicht, wenn er selber einsah, daß es für uns beide notwendig war, +einander zu sehen und zu sprechen? + +Und damit kam ein neuer Gedanke, der, von einem, ungeahnten +Hoffnungsschimmer umstrahlt, mich zunächst blendete und verwirrte. Wenn +mein Geliebter zurückkäme--was hinderte mich dann, aus dem Orden +auszutreten und seine Frau zu werden? + +Als diese Frage auftauchte, bedeckte eine brennende Röte mein Gesicht, +das ich unwillkürlich in meinen Händen verbarg aus Furcht, jemand könne +mich gerade beobachten. Welcher häßlichen Mißdeutung würde nicht eine +solche Handlung ausgesetzt sein! Sähe das nicht aus, als ob ich den +Orden des Buddha lediglich als eine Brücke betrachtet hätte, um aus +einer unlieben Heirat in eine liebe hinüberzuwandeln? Gewiß würde das +von Vielen so ausgelegt werden. Aber was könnte mir schließlich am +Urteil Anderer liegen? Und wieviel besser wäre es nicht, eine fromme +Laienschwester zu sein, die treu zum Orden hielt, als eine +Ordensschwester, deren Herz außerhalb des Ordens weilte. + +Ja, wenn auch Angulimala mir nur die Mitteilung brächte, daß mein +Kamanita noch lebe, und ich der Schilderung ihrer Begegnung entnähme, +daß der Geliebte mir noch immer in treuer Sehnsucht ergeben sei: dann +würde ich ja auch selber nach Ujjeni pilgern können. Und ich malte mir +aus, wie ich eines Morgens als wandernde Asketin am Eingange deines +Hauses stehen würde, wie du mir dann eigenhändig die Almosenschale +füllen und mich dabei erkennen würdest--und dann die ganze +unbeschreibliche Freude, uns wiedergefunden zu haben. + +Freilich war es eine weite Wanderung nach Ujjeni, und es geziemte einer +Nonne nicht, allein zu pilgern. Aber ich brauchte nicht lange nach einer +Begleiterin zu suchen. Gerade in dieser Zeit fand Somadatta ein +trauriges Ende. Seine Leidenschaft für die unseligen Würfel hatte immer +mehr die Oberhand gewonnen, und nachdem er seine ganze Habe verspielt +hatte, ertränkte er sich in der Ganga. Die tief erschütterte Medini trat +nunmehr in den Orden ein. Es mochte wohl weniger das religiöse Leben +selbst in seiner herben Strenge und mit seinem hohen Ziele sein, was sie +unwiderstehlich in diesen heiligen Hain zog, als vielmehr das Bedürfnis, +immer in meiner Nähe zu weilen; denn ihr kindliches Herz hing mit +rührender Treue an mir. Und so zweifelte ich denn auch nicht daran, daß +sie, wenn ich ihr mein Vorhaben offenbarte, mit mir nach Ujjeni, ja, +wenn es sein sollte, bis an das Ende der Welt gehen würde. Auch jetzt +schon gereichte mir ihre Gesellschaft vielfach zur Aufmunterung, wie ich +denn andererseits auch ihre aufrichtige Trauer über den Verlust ihres +Gemahls durch tröstende Worte milderte. + +Als nun die Zeit kam, wo Angulimalas Rückkehr zu erwarten war, ging ich +nachmittags immer nach dem südwestlichen Rande des Waldes und setzte +mich unter einen schönen Baum auf einer mäßigen Anhöhe, von welcher aus +ich dem Wege, den er kommen mußte, weit mit dem Blicke folgen konnte. +Ich dachte mir, er würde wohl gegen Abend sein Ziel erreichen. + +Eine Woche hielt ich dort vergebens Wache, war aber auch darauf gefaßt, +einen ganzen Monat lang warten zu müssen. Am achten Tage aber, als die +Sonne schon so tief stand, daß ich mir mit der Hand die Augen beschatten +mußte, wurde ich in der Ferne eine Gestalt gewahr, die sich dem Walde +näherte. Bald erglänzte ihr gelber Mantel, und als sie an einem +heimkehrenden Waldarbeiter vorüberschritt, erkannte man, daß +sie von ganz ungewöhnlich hohem Wüchse war. Es war in der Tat +Angulimala--allein. Meinen Kamanita hatte er nicht "heil und sicher +mitgebracht"--was tat's? Wenn er mir nur versichern konnte, daß der +Geliebte am Leben sei, dann würde ich ja selber den Weg zu ihm finden. + +Heftig pochte mein Herz, als Angulimala vor mir stand und mich mit +höflichem Anstand begrüßte. + +"Kamanita lebt in seiner Vaterstadt in großem Wohlstand," sagte er, "ich +habe ihn selber gesehen und gesprochen." + +Und er erzählte mir nun, wie er eines Morgens an dein palastähnliches +Haus gekommen sei, wie deine beiden Frauen ihn gröblich beschimpft +hätten, wie du dann selber hinzugetreten seiest, die bösen Frauen ins +Haus gejagt und ihn freundlich und entschuldigend angeredet hättest. + +Als er nun Alles--so wie es dir ja bekannt ist--genau berichtet hatte, +verbeugte er sich vor mir, schlug den Mantel wieder um die Schulter und +wandte sich um, als ob er in derselben Richtung weiter wandern wollte, +statt in den Wald hineinzugehen. + +Verwundert fragte ich ihn, ob er nicht nach der Halle der Mönche gehe. + +"Ich habe nun," antwortete er, "deinen Auftrag getreulich ausgerichtet, +und nichts gibt es jetzt mehr, was mich hindern könnte, meinen Weg +ostwärts zu nehmen, in den Spuren des Erhabenen, nach Benares und +Rajagaha, wo ich ihn nun antreffen werde." + +Also sprechend, ging dieser mächtige Mann mit weit ausholenden Schritten +fürbaß, den Waldrand entlang, ohne sich die geringste Rast zu gönnen. + +Ich starrte ihm lange nach und sah, wie die untergehende Sonne seinen +Schatten weit vor ihm bis zum Hügelrande am Horizonte, ja gleichsam noch +darüber hinaus streckte, als ob seine Sehnsucht ihm ungestüm vorauseile, +während ich wie eine Gelähmte zurückblieb ohne ein Sehnsuchtsziel für +irgend eine liebe Hoffnung. + +Mein Herz war gestorben, mein Traum zerronnen. Das herbe Asketenwort: +"ein Schmutzwinkel ist die Häuslichkeit", hallte durch mein ödes Gemüt +wider. Auf jener herrlichen Terrasse der Sorgenlosen, unter freiem, +sternenblinkendem und monddurchstrahltem Himmel war ja meine Liebe +daheim. Wie hätte ich Törin je daran denken können, sie nach jener +schmutzwinkligen Häuslichkeit in Ujjeni betteln zu schicken, damit +zankende Frauen sie mit Schimpfreden begeiferten? + +Mit Mühe schleppte ich mich nach meiner Zelle zurück, um mich auf das +Krankenlager zu strecken. Diese plötzliche Vernichtung meiner fieberhaft +erregten Hoffnungen war zuviel für meine schon durch monatelange +Seelenkämpfe erschütterte Widerstandskraft. Mit einer Selbstaufopferung +ohnegleichen pflegte Medini mich Tag und Nacht. Sobald aber, durch ihre +Sorgfalt gestützt, mein Geist sich über die Schmerzen und den +Fieberbrand erheben konnte, reifte mein Wanderplan in einer neuen +Richtung aus. Nicht dorthin, wo ich Angulimala hingeschickt hatte, +sondern dorthin, wo er jetzt von selber hinwanderte, wollte ich nun +pilgern: den Spuren des Erhabenen wollte ich folgen, bis ich ihn träfe. +War ich denn nicht mit meinem Spruche zu Ende? Wie mit der Liebe Leid +entsteht, hatte ich ja im tiefsten Grunde erfahren. Und so durfte ich +denn auch, meinte ich, den Buddha aufsuchen und von der Kraft des +Heiligen mich neu beleben lassen, um nach dem höchsten Ziele weiter +vorwärtsstreben zu können. + +Ich vertraute denn auch dies mein Vorhaben der guten Medini an, die +sofort mit wahrem Feuereifer den unerwarteten Gedanken aufnahm und sich +in ihrem kindlichen Gemüt ausmalte, wie herrlich es sein würde, mit mir +zusammen durch liebliche Gegenden zu streifen, frei wie die Vögel durch +die Luft, wenn die Wanderzeit sie nach fernen Himmelsstrichen ruft. + +Freilich mußten wir erst geduldig warten, bis ich wieder hinlänglich zu +Kräften gekommen war. Und als dies einigermaßen der Fall war, legte uns +die schon eingetretene Regenzeit eine noch längere Geduldsprobe auf. + +In seiner letzten Rede hatte der Erhabene uns zugerufen: + +"Gleich wie etwa, wenn im letzten Monat der Regenzeit, im Herbste, nach +Zerstreuung und Vertreibung der wasserschwangeren Wolken, die Sonne am +Himmel aufgeht und alle Nebel der Lüfte strahlend verscheucht und flammt +und leuchtet: ebenso nun auch, ihr Jünger, erscheint da diese +Lebensführung, die gegenwärtiges Wohl sowie künftiges Wohl bringt, und +verscheucht strahlend die Redereien gewöhnlicher Büßer und Geistlicher +und flammt und leuchtet." + +Als nun die Natur ringsum uns dies Bild verwirklichte, verließen wir den +Krishnahain vor Kosambi, und unsere Schritte ostwärts lenkend, eilten +wir jener Sonne einer heiligen Lebensführung entgegen. + + + + +XLIII. DAS NIRVANA DES VOLLENDETEN + + +Meine Entkräftung erlaubte es mir nicht, lange Tageswanderungen zu +unternehmen und nötigte uns bisweilen, uns einen Ruhetag zu gönnen, so +daß wir erst nach einer einmonatigen Pilgerfahrt in Vesali ankamen, wo, +wie wir wußten, der Erhabene sich längere Zeit aufgehalten hatte, von wo +er aber vor etwa sechs Wochen weiter gewandert war. + +Kurz vorher hatten wir in einem Dorfe, wo Anhänger der Lehre wohnten, +gehört, daß Sariputta und Moggallana in das Nirvana eingegangen waren. +Der Gedanke, daß diese beiden großen Jünger, die Häuptlinge der Lehre, +wie wir sie nannten, nicht mehr auf Erden weilten, erschütterte mich +tief. Wohl wußten wir alle, daß auch diese Großen, ja der Buddha selber, +nur Menschen waren wie wir; aber die Vorstellung, daß sie uns verlassen +könnten, war nie in uns aufgetaucht. Sariputta, der mir so oft auf seine +bedächtige Weise schwierige Fragen der Lehre gelöst hatte, war +davongegangen. Er war der Jünger, der dem Meister ähnlich sah, und er +stand wie der Erhabene in seinem achtzigsten Lebensjahre; wäre es +möglich, daß auch der Buddha selber sich schon dem Ende seines +Erdenlebens näherte? + +Vielleicht, daß die Unruhe, die durch diese Furcht entstand, einen +schleichenden Rest meines Fieberzustandes wieder anschürte: jedenfalls +kam ich erschöpft und krank in Vesali an. Hier lebte eine reiche +Anhängerin des Ordens, die es sich angelegen sein ließ, für die +durchziehenden Mönche und Nonnen auf jede Weise zu sorgen. Wie sie nun +erfuhr, daß eine kranke Nonne angekommen sei, suchte sie mich sofort +auf, brachte Medini und mich nach ihrem Hause und pflegte mich dort +sorgsam. + +Ihr gegenüber äußerte ich gar bald meine Furcht: ob es wohl möglich sei, +daß der Erhabene, der ebenso alt sei wie Sariputta, uns nun auch bald +verlassen würde? + +Da brach die fromme Seele in einen Strom von Tränen aus und rief +schluchzend: + +"Ach! So weißt du es denn noch nicht? Hier in Vesali--vor zwei Monaten +etwa--hat ja der Gesegnete vorausgesagt, daß nach drei Monaten sein +Nirvana stattfinden wird. Wir haben ihn alle hier zum letzten Male +gesehen. Und man denke: wenn nur Ananda Verstand genug besessen und zu +rechter Zeit gesprochen hätte, dann wäre das nimmer geschehen, und der +Buddha hätte bis zum Ende dieser Weltperiode fortgelebt!" + +Ich fragte, was denn der gute Ananda damit zu tun habe, und auf welche +Weise er eine solche Rüge verdient habe. + +"Auf folgende Weise," antwortete die Frau. "Eines Tages weilte der +Erhabene mit Ananda vor der Stadt bei dem Capala-Tempel. Da sagte nun +der Gesegnete zu Ananda: wer auch immer die geistigen Kräfte in sich +vollkommen entwickelt habe, der könne, wenn er wolle, durch eine ganze +Weltperiode am Leben bleiben. O über diesen einfältigen Ananda, daß er, +trotz dieses deutlichen Winkes, nicht sofort sprach: 'Möge doch der +Erhabene eine Weltperiode hindurch zum Heile Vieler am Leben bleiben!' +Sicher war sein Geist von Mara, dem Bösen, besessen, da er seine Bitte +erst dann vorbrachte, als es zu spät war." + +"Wie konnte es aber zu spät sein," fragte ich, "da ja der Erhabene noch +lebt?" + +"Das war folgendermaßen. Du mußt nämlich wissen, vor fünfzig Jahren, als +der Erhabene in Uruvela sich das Buddhawissen errungen hatte, und nach +siebenjährigem Kampfe den Besitz heiliger Gemütsruhe genießend, unter +dem Nyagrodhabaume des Ziegenhirten weilte: da nahte sich ihm Mara, der +Böse, gar sehr besorgt wegen der Gefahr, die seinem Reiche durch den +Buddha drohte; und in der Hoffnung, die Verbreitung der Lehre zu +verhindern, sprach er: 'Heil dir! Jetzt ist es Zeit für den Erhabenen, +in das Nirvana einzugehen!' Aber der Buddha antwortete: 'Nicht eher +werde ich, du Böser, in das Nirvana eingehen, als bis ich der Menschheit +die Lehre verkündet habe; nicht eher, als bis ich mir Jünger geworben +habe, die imstande sind, diese Lehre gegen Angriffe zu verteidigen und +sie weiter zu verkünden. Erst dann, Böser, werde ich in das Nirvana +eingehen, wenn das Reich der Wahrheit fest begründet ist.' + +Nachdem nun aber der Erhabene hier am Çapalaheiligtum so, wie ich dir +sagte, zu Ananda gesprochen hatte und dieser, ohne den Wink zu +verstehen, weggegangen war, nahte sich Mara, der Böse, dem Erhabenen und +sprach zu ihm: 'Heil dir! Jetzt ist für den Erhabenen die Zeit gekommen, +in das Nirvana einzugehen. Was mir der Erhabene damals unter dem +Nyagrodhabaume des Ziegenhirten zu Uruvela als Bedingung für sein +Nirvana angab, das ist ja jetzt erfüllt. Fest gegründet ist das Reich +der Wahrheit. Möge also der Erhabene jetzt in das Nirvana eingehen!' Da +sprach der Buddha zu Mara, dem Bösen, also: 'Sei du, o Böser, ohne +Sorge! Das Nirvana des Vollendeten wird bald stattfinden; nach Verlauf +von drei Monaten von jetzt ab wird der Vollendete in das Nirvana +eingehen.' Bei diesen Worten aber erzitterte die Erde, wie du es wohl +auch selber bemerkt haben wirst." + +In der Tat hatten wir in Kosambi, etwa einen Monat bevor ich den +heiligen Hain verließ, ein leichtes Erdbeben gespürt, was ich ihr nun +auch sagte. + +"Siehst du!" rief die Frau erregt--"überall haben sie es gespürt. Die +ganze Erde bebte, und die Trommeln der Götter dröhnten, als der +Vollendete auf längere Lebensdauer verzichtete. Ach, daß doch der +einfältige Ananda zu rechter Zeit den ihm so deutlich gegebenen Wink +verstanden hätte! Denn als er nun, durch dies Erdbeben aus seiner +Selbstvertiefung geweckt, zum Erhabenen zurückkam und ihn bat, er möge +doch noch den Rest dieser Weltperiode hindurch am Leben bleiben:--da +hatte ja der Vollendete schon Mara sein Wort gegeben und auf längere +Lebensdauer verzichtet." + +Aus diesen Reden der frommen, aber etwas abergläubischen Frau entnahm +ich, daß der Erhabene während seines Aufenthaltes in Vesali Zeichen des +herannahenden Todes gespürt und wohl den Jüngern gesagt habe, daß er +bald sterben würde. + +So litt es mich denn nicht länger unter dem gastlichen Dache. Ich mußte +den Buddha erreichen, bevor er uns verließ. Das war ja unser großer +Trost gewesen, daß wir uns immer an ihn, den unerschöpflichen Quell der +Wahrheit, wenden konnten. Nur von ihm konnten ja alle Zweifel meiner +geängstigten Seele gelöst werden; nur er in der ganzen Welt war ja +imstande, mir den Frieden wiederzugeben, den ich einst gekostet hatte, +als ich am alten Krishnatempel im Sinsapawalde bei Kosambi ihm zu Füßen +saß. + +So brachen wir denn auf, als, nach Verlauf von zehn Tagen meine Kräfte +mir das Wandern einigermaßen erlaubten. Meine gute Wirtin, die sich ein +Gewissen daraus machte, mich in meinem geschwächten Zustande weitergehen +zu lassen, tröstete ich mit dem Versprechen, ihren Gruß dem Erhabenen zu +Füßen zu legen. + +Wir gingen nun in nordwestlicher Richtung weiter in den Spuren des +Erhabenen, die wir immer frischer fanden, je weiter wir vordrangen, von +Ort zu Ort uns erkundigend. In Ambagama war er acht Tage vorher gewesen; +den Salahain von Bhoganagara hatte er drei Tage vor unserer Ankunft +verlassen, um sich nach Pava zu begeben. + +Sehr ermüdet trafen wir am frühen Nachmittage in diesem Orte ein. + +Das erste Haus, das uns auffiel, gehörte einem Kupferschmied, wie an den +vielen Metallwaren zu erkennen war, die an der Mauer entlang standen. +Aber kein Hammerschlag ertönte; es schien ein Feiertag zu sein, und im +Hofe wurden am Brunnen von den Dienern Schüsseln und Platten abgespült, +als ob dort eine Hochzeit stattgefunden hätte. + +Da trat ein kleiner, festlich gekleideter Mann auf uns zu und bat +höflich, unsere Almosenschalen füllen zu dürfen. + +"Wäret ihr einige Stunden früher gekommen," fügte er hinzu, "dann hätte +ich bei meinem Feste noch zwei liebe und würdige Gäste gehabt, denn euer +Meister, der Erhabene, hat heute mit seinen Mönchen bei mir gespeist." + +"So ist denn der Erhabene noch hier in Pava?" + +"Jetzt nicht mehr, Ehrwürdigste," antwortete der Kupferschmied. "Gleich +nach der Mahlzeit wurde der Erhabene von einer schweren Krankheit +befallen, mit scharfen Schmerzen, die ihn einer Ohnmacht nahe brachten, +so daß wir alle sehr erschraken. Aber der Erhabene überwand diesen +Anfall und begab sich vor etwa einer Stunde weiter nach Kusinara." + +Am liebsten wäre ich sofort weiter gewandert, denn was der Schmied von +diesem Krankheitsanfall sagte, ließ mich das Schlimmste befürchten. Aber +es war eine gebieterische Notwendigkeit, den Körper nicht nur durch +Speise, sondern auch durch kurze Ruhe zu stärken. + +Der Weg von Pava nach Kusinara war nicht zu verfehlen. Er führte bald +von den bebauten Feldern fort, durch Tigergras und Gestrüpp, immer +tiefer in die Dschungeln. Wir durchwateten einen kleinen Fluß und +erfrischten uns ein wenig durch Baden. Nach kurzer Ruhe brachen wir +wieder auf. Es wollte Abend werden, und ich konnte mich nur mit Mühe +weiterschleppen. + +Medini versuchte mich zu überreden, unter einem Baume auf einer kleinen +Anhöhe zu übernachten. Es habe keine so große Eile: + +"Dies Kusinara ist wohl nicht viel mehr als ein Dorf und scheint ganz in +den Dschungeln begraben zu sein. Wie kannst du nur glauben, daß der +Vollendete hier sterben wird? Gewiß wird er einmal im Jetavanapark bei +Savitti, oder in einem seiner beiden Haine bei Rajagaha von dannen +scheiden; aber der Erhabene wird doch nicht in dieser Einöde erlöschen! +Wer hat denn je von Kusinara gehört?" + +"Vielleicht wird man von jetzt ab von Kusinara hören," sagte ich und +ging weiter. + +Meine Kräfte waren aber bald so erschöpft, daß ich mich entschließen +mußte, die nächste baumlose Anhöhe zu besteigen, in der Hoffnung, von +dort aus die Nähe Kusinaras erkennen zu können. Sonst mußten wir die +Nacht dort oben zubringen, wo wir dem Angriffe der Raubtiere und +Schlangen weniger ausgesetzt waren und auch den fiebererzeugenden +Ausdünstungen einigermaßen entrückt blieben. + +Dort oben angelangt, spähten wir vergebens nach einem Anzeichen +menschlicher Wohnsitze aus. Scheinbar ununterbrochen stiegen die +Dschungeln vor uns allmählich aufwärts, wie ein Teppich, den man in die +Höhe zieht. Bald aber tauchten große Bäume aus dem niedrigen Gebüsch +auf; die dichten Laubmassen eines Hochwaldes wölbten ihre Kuppeln +übereinander, und in einer schwarzen Schlucht schäumte ein Wildbach, +derselbe Strom, in dessen ruhig fließendem Wasser wir kurz vorher +gebadet hatten. + +Den ganzen Tag über war es schwül und trübe gewesen. Hier wehte uns nun +ein frischer Hauch entgegen, und immer klarer wurde es vor unseren +Augen, als ob ein Schleier nach dem andern gelüftet würde. + +Ungeheure Felsenmauern türmten sich über dem Walde empor, und als ihr +Dach bauten grüne Bergkuppen sich immer höher hinauf--bewaldete Berge +mußten es ja sein, obwohl sie wie Mooskissen aussahen--immer höher, bis +sie im Himmel selber zu verschwinden schienen. + +Nur eine einzige langgestreckte, rötliche Wolke schwebte dort oben. + +Während wir sie betrachteten, fing sie an gar seltsam zu glühen. +Gleichwie wenn mein Vater mit der Zange ein Stück geläuterten Goldes aus +dem Schmelzofen herausnahm und, nachdem es abgekühlt war, es auf eine +lichtblaue seidene Decke hinlegte: also erglänzte jetzt dies leuchtende +Luftgebilde in scharf begrenzten goldig-blanken Flächen; dazwischen aber +dämmerten duftig hellgrüne Streifen und zogen sich fächerförmig nach +unten, indem sie erblassend in die farblose Luftschicht untertauchten, +als ob sie die grünen Bergkuppen erreichen wollten. Immer rötlicher +glühten die Flächen, immer grüner wurden die Schatten. + +Das war keine Wolke! + +"Der Himavat!" flüsterte Medini, überwältigt und ergriffen meinen Arm +berührend. + +Ja, da erhob er sich vor uns, der Berg der Berge, die Stätte des ewigen +Schnees, die Wohnung der Götter, der Aufenthalt der Heiligen! Der +Himavat--schon von Kindheit an hatte mich dieser Name mit tiefen +Gefühlen von Scheu und Ehrfurcht, mit heimlicher Ahnung des Erhabenen +erfüllt! Wie oft hatte ich in Sagen und Märchen den Satz gehört: "und er +begab sich nach dem Himavat und lebte dort ein Asketenleben"! Zu +Tausenden und Abertausenden waren sie dort hinaufgestiegen, die +Erlösungsuchenden, um in der Bergeinsamkeit durch Bußübungen sich das +Heil zu erringen--jeder mit seinem Wahn: und nun nahte er, der einzige +Wahnlose, dessen Spuren wir folgten. + +Während ich also dachte, erlosch das leuchtende Bild, als ob der Himmel +es in sich aufgesogen hätte. + +Ich fühlte mich aber durch diesen Anblick so wunderbar belebt und +gestärkt, daß ich an keine Ruhe mehr dachte. + +"Wenn auch der Erhabene," sagte ich zu Medini, "uns bis zu jenem Gipfel +voranschritt, um von solchem erhabenen Standorte aus in jenes höchste +der Gefilde einzugehen: so würde ich ihm doch folgen und ihn erreichen." + +Und ich wanderte mutig weiter. Wir waren aber keine halbe Stunde +gegangen, da verschwand das Gestrüpp plötzlich, und bebautes Land lag +vor uns. Es war schon ganz dunkel, und der Vollmond ging groß und +glühend über dem uns gegenüberliegenden Walde auf, als wir endlich +Kusinara erreichten. + +Es war in der Tat nicht viel mehr als ein Dorf der Mallas, mit Mauern +und Häusern von gestampftem Lehm und Weidengeflecht. Mein erster +Eindruck war, daß eine verheerende Krankheit das Städtchen entvölkert +haben müsse. Vor den Haustüren saßen einige alte und kranke Leute und +jammerten laut. + +Wir fragten sie, was denn geschehen sei. + +"Ach," riefen sie händeringend: "Gar zu bald wird der Vollendete +sterben. Noch in dieser Stunde wird das Licht der Welt erlöschen. Die +Mallas sind nach dem Salahain gegangen, um den Heiligen zu sehen und zu +verehren. Denn kurz vor Sonnenuntergang kam Ananda in unsere Stadt und +begab sich zur Markthalle, wo die Mallas eine öffentliche Sache +berieten, und sagte: 'Heute, noch vor Mitternacht, o Mallas, wird das +Nirvana des Vollendeten stattfinden. Sorget, daß ihr euch nicht später +einen Vorwurf machen müßt: in unserer Stadt ist der Buddha gestorben, +und wir benutzten nicht die Gelegenheit, um den Vollendeten in seinen +letzten Stunden zu besuchen.' So zogen denn die Mallas mit Weibern und +Kindern, klagend und jammernd, nach dem Salahain. Wir aber sind zu alt +und schwach, wir mußten hier zurückbleiben und können den Erhabenen +nicht in seinen letzten Stunden verehren." + +Wir ließen uns nun den Weg von der Stadt nach jenem Salahaine zeigen. +Dieser Weg war aber, als wir ihn betraten, schon gänzlich angefüllt mit +den Scharen der zurückkehrenden Mallas. Wir eilten also lieber +querfeldein, nach einer Ecke des Wäldchens zu. + +Hier stand, an einen Baumstamm gelehnt, ein Mönch und weinte. In dem +Augenblick, da ich ergriffen stehen blieb, erhob er sein Antlitz zum +Himmel--das volle Mondlicht fiel auf die schmerzdurchdrungenen Züge, und +ich erkannte Ananda. + +"So bin ich doch zu spät gekommen," sagte ich mir, und ich fühlte, wie +meine Kräfte mich verließen. + +Ich vernahm aber ein Rascheln im Gebüsch und sah einen riesengroßen +Mönch hervortreten und seine Hand auf Anandas Schulter legen: + +"Bruder Ananda, der Meister ruft dich." + +So sollte ich doch noch den Buddha in seinen letzten Augenblicken sehen! +Sofort kehrten meine Kräfte wieder und befähigten mich, den beiden zu +folgen. + +Jetzt bemerkte und erkannte Angulimala uns. Seinen besorgten Blick +richtig deutend, sagte ich: + +"Fürchte nicht, Bruder, daß wir durch lautes Weinen und weibisches +Klagen die letzten Augenblicke des Vollendeten stören werden. Wir haben +uns von Vesali bis hierher keine Ruhe gegönnt, um den Erhabenen noch zu +sehen. Verwehre uns den Zutritt nicht, wir wollen stark sein." + +Da winkte er uns, ihnen zu folgen. + +Wir hatten nicht weit zu gehen. + +Auf einer kleinen Waldwiese waren wohl an die zweihundert Brüder +versammelt und standen da in einem Halbkreise. In der Mitte erhoben sich +zwei Salabäume, die eine einzige Masse von weißen Blüten bildeten, und +unter ihnen, auf einem Lager von gelben Mänteln, die zwischen den beiden +Stämmen ausgebreitet waren, ruhte der Vollendete, den Kopf auf den +rechten Arm gestützt. Und die Blüten regneten leise über ihn herab. + +Hinter ihm sah ich im Geiste die jetzt im Nachtdunkel verborgenen, in +ewigen Schnee gehüllten Zinnen des Himavat, von denen ich soeben einen +flüchtigen, traumhaften Anblick genossen hatte, dem ich es verdankte, +daß ich jetzt hier vor dem Vollendeten stand. Der überirdische Glanz +aber, der von ihnen herübergegrüßt hatte, strahlte mir jetzt in +geistiger Verklärung von seinem Gesichte wider. Auch er, der Erhabene, +schien ja, ebenso wie jene wolkenartig schwebenden Gipfel, der Erde gar +nicht anzugehören, und doch war er wie sie, von derselben Ebene aus, die +uns alle trägt, bis zu jener unermeßlichen Geisteshöhe emporgestiegen, +von welcher aus er jetzt im Begriff stand, dem Blick der Menschen und +der Götter zu entschwinden. + +Und er sprach zu dem vor ihm stehenden Ananda: + +"Ich weiß wohl, Ananda, daß du einsam weintest in dem Gedanken: 'Ich bin +noch nicht frei von Sünden, ich habe noch nicht das Ziel erreicht, und +mein Meister wird jetzt in das Nirvana eingehen--er, der sich meiner +erbarmte.' Aber nicht also, Ananda--klage nicht, jammere nicht! Habe ich +es dir nicht zuvor gesagt, Ananda:--von Allem, was man lieb hat, muß man +scheiden? Wie wäre es möglich, Ananda, daß das, was entstanden ist, +nicht verginge? Du aber, Ananda, hast lange Zeit den Vollendeten geehrt, +in Liebe und Güte, mit Freuden, ohne Falsch. Du hast Gutes getan. Strebe +ernstlich, und du wirst bald frei sein von Sinnenbegier, von Ichsucht +und von Irrwahn." + +Wie um zu zeigen, daß er sich nicht mehr von Trauer überwältigen ließe, +fragte nun Ananda, indem er mit Gewalt seine Stimme beherrschte, was die +Jünger mit den sterblichen Resten des Vollendeten tun sollten. + +"Laßt euch das nicht kümmern," antwortete der Buddha. "Es gibt weise und +fromme Anhänger unter den Adligen, unter den Brahmanen, unter den +bürgerlichen Hausvätern--sie werden den sterblichen Resten des +Vollendeten die letzte Ehre erweisen. Ihr aber habt Wichtigeres zu tun. +Gedenket des Ewigen, nicht des Sterblichen; eilet vorwärts, schauet +nicht zurück." + +Und indem er seinen Blick im Kreise herumgehen ließ und jeden einzelnen +ansah, sprach er weiter: + +"Es möchte sein, ihr Jünger, daß ihr also denkt: 'das Wort hat seinen +Meister verloren, wir haben keinen Meister mehr.' Aber so müßt ihr nicht +meinen. Die Lehre, ihr Jünger, die ich euch gelehrt habe, die ist euer +Meister, wenn ich von dannen gegangen bin. Darum haltet euch an keiner +äußeren Stütze. Haltet fest an der Lehre, wie an einer Stütze! Seid eure +eigene Leuchte, eure eigene Stütze." + +Auch mich bemerkte er dann--voll Mitleid ruhte der Blick des +Allerbarmers auf mir, und ich fühlte, daß mein Pilgergang nicht +vergeblich gewesen war. + +Nach einer kurzen Weile sprach er dann: + +"Es möchte sein, ihr Jünger, daß in jemand von euch irgend ein Zweifel +aufstiege hinsichtlich des Meisters oder hinsichtlich der Lehre. Fragt +frei, ihr Jünger, auf daß ihr euch nicht später den Vorwurf zu machen +habt: 'der Meister war bei uns, von Angesicht zu Angesicht, und wir +haben ihn nicht gefragt.'" + +Da er also gesprochen, also uns aufgefordert hatte, schwiegen Alle. + +Wie hätte wohl auch da noch ein Zweifel bestehen können angesichts des +dahinscheidenden Meisters? Wie er dalag, von milden Mondstrahlen +überflutet--als ob himmlische Genien ihm das Sterbebad bereiteten; von +den niederregnenden Blüten bestreut--als ob die Erde ihren Verlust +beweine; inmitten der tief erschütterten Jüngerschar selber +unerschüttert, ruhig, heiter: wer fühlte da nicht, daß dieser vollkommen +Heilige auf ewig alles Unvollkommene abgetan, alle Übel überwunden +hatte? Was sie da "das sichtbare Nirvana" nennen, das sahen wir ja vor +uns in den leuchtenden Zügen des weltverlassenden Buddha. + +Und Ananda faltete seine Hände und sagte, inniglich ergriffen: + +"Wie wunderbar ist doch dies, o Herr! Wahrlich, ich glaube, in dieser +ganzen Versammlung ist auch nicht einer, in dem sich ein Zweifel regt." + +Und der Erhabene antwortete ihm: + +"Aus der Fülle deines Glaubens, Ananda, hast du gesprochen. Ich aber +weiß, daß in keinem sich ein Zweifel regt. Selbst wer am weitesten +zurück war, ist erleuchtet worden und wird schließlich das Ziel +erreichen." + +Bei dieser Verheißung war es wohl jedem von uns, als ob eine starke Hand +ihm die Pforte der Ewigkeit auftue. + +Noch einmal öffneten sich die Lippen, die der Welt die höchste und +letzte Wahrheit verkündet hatten: + +"Wohlan, ihr Jünger, wahrlich, ich sage euch: vergänglich ist jegliche +Gestaltung. Ringet ohne Unterlaß!" + +Das waren die letzten Worte des Erhabenen. + + + + +XLIV. VASITTHIS VERMÄCHTNIS + + +Und es waren die letzten, die ich auf Erden vernahm. + +Meine Lebenskraft war erschöpft, das Fieber umnebelte meine Sinne. Wie +flüchtige Traumbilder sah ich noch Gestalten um mich her--Medinis +Gesicht war oft dem meinigen nahe. Dann wurde Alles dunkel. Plötzlich +aber war es mir, als ob ein kühles Bad meinen Fieberbrand lösche. Nein, +ich fühlte mich, wie ein Wanderer, in der Sonnenglut an einem Teiche +stehend, sich wohl vorstellen mag, daß die Lotuspflanze sich fühlen muß, +die, gänzlich in quellenkühles Naß getaucht, ihre Labung mit allen +Fasern einsaugt. Gleichzeitig hellte es sich nach oben auf, und ich sah +dort über mir eine große schwimmende, rote Lotusrose; und über ihren +Rand neigte sich dein liebes Gesicht hervor. Da stieg ich von selber +aufwärts und ich erwachte neben dir, im Paradiese des Westens!" + +"Und gepriesen seist du," sagte Kamanita, "daß du, von deiner Liebe +gelenkt, jenen Weg nahmst. Wo wäre ich wohl jetzt, wenn du dich mir dort +nicht zugesellt hättest? Zwar weiß ich nicht, wohin wir uns aus den +Trümmern dieses schrecklichen Weltunterganges retten können--doch du +flößest mir Zuversicht ein, denn du scheinst von diesen Schrecknissen so +unerschüttert zu sein, wie der Sonnenstrahl vom Sturm." + +"Wer das Größte gesehen hat, mein Freund, den bewegt das Geringere +nicht. Geringfügig aber ist ja dies, daß Tausende und Abertausende von +Welten vergehen, im Vergleich damit, daß ein vollendeter Buddha in das +Nirvana eingeht. Denn alles dies, was wir rings um uns sehen, ist nur +eine Veränderung, und alle diese Wesen werden wieder ins Dasein treten. +Jener hunderttausendfache Brahma, der sich zornglühend gegen das +Unabänderliche sträubt und wohl gar _uns_ neidisch ansieht, weil wir +noch ruhig leuchten: der wird auf irgend einer niedrigeren Stufe wieder +erscheinen, während vielleicht ein hochstrebender Menschengeist als der +Brahma entsteht; jedes Wesen aber wird sich dort befinden, wo sein +innerster Herzenswille und seine Geisteskraft es hinführt. Im ganzen +jedoch wird Alles sein wie es war, weder besser noch schlimmer; weil es +eben gleichsam aus demselben Stoff gemacht ist. Deshalb nenne ich dies +geringfügig. Und deshalb ist es nicht nur keineswegs schrecklich, +sondern sogar erfreulich, diesen Weltuntergang zu erleben. Denn wäre +diese Brahmawelt ewig, dann gäbe es ja nichts Höheres." + +"So weißt du denn ein Höheres als diese Brahmawelt?" + +"Diese Brahmawelt ist, wie du siehst, vergänglich. Aber es gibt ein +Unvergängliches, ein Ungewordenes. 'Es gibt,' sagt der Herr, 'eine +Stätte, wo nicht Erde noch Wasser ist, nicht Licht noch Luft, weder +Raumunendlichkeit noch Bewußtseinsunendlichkeit, weder Vorstellung noch +Nichtvorstellung. Das heiße ich, ihr Jünger, weder Kommen noch Gehen, +weder Sterben noch Geburt; das ist des Leidens Ende, die Stätte der +Ruhe, das Land des Friedens, das unsichtbare Nirvana.'" + +"Hilf mir, du Heilige, daß wir dort, im Lande des Friedens, +auferstehen!" + +"'Auferstehen'--hat der Herr gesagt--"das trifft dort nicht zu; +Nichtauferstehen, das trifft dort nicht zu. Womit du bezeichnend irgend +etwas greifbar machen und erfassen kannst--das trifft dort nicht zu.'" + +"Was soll mir aber das Ungreifbare?" + +"Lieber frage: was greifbar ist, ist das noch wert, die Hand danach +auszustrecken?" + +"Ach, Vasitthi, wahrlich, ich glaube, einst muß ich einen Brahmanenmord +oder ein ähnliches Verbrechen begangen haben, das mich mit seiner +Vergeltung so grausam in dem Gäßchen Rajagahas traf. Denn wäre ich dort +nicht jäh ums Leben gekommen, so hätte ich dem Erhabenen zu Füßen +gesessen, ja gewiß wäre ich auch wie du bei seinem Nirvana zugegen +gewesen. Und ich würde sein wie du bist.--Aber wohlan, Vasitthi--während +uns noch Gedanken und Vorstellungen gehören, tue mir dies zu Liebe. +Beschreibe mir den Vollendeten genau, auf daß ich ihn im Geiste sehe und +somit das erreiche, was mir auf Erden nicht vergönnt war: gewiß wird das +mir den Frieden geben." + +"Gern, mein Freund," antwortete Vasitthi. Und sie schilderte ihm die +Erscheinung des Vollendeten, Zug um Zug, auch nicht das Geringste +vergessend. + +Aber mißmutig sagte Kamanita: + +"Ach, was helfen Beschreibungen! Was du da sagst, das könnte alles +ebensogut auf jenen alten Asketen passen, von dem ich dir erzählt habe, +daß ich mit ihm zusammen zu Rajagaha in der Halle eines Hafners die +Nacht zubrachte, und der wohl nicht ganz so töricht war, wie ich +geglaubt habe, denn er hat doch, wie ich jetzt merke, manches Richtige +gesagt. Wohlan, Vasitthi, sage mir nichts mehr, sondern stelle dir im +Geiste den Vollendeten vor, bis du ihn siehst, wie du ihn zuletzt von +Angesicht zu Angesicht gesehen hast; und infolge unserer geistigen +Gemeinschaft werde ich dann vielleicht an dieser Vision teilnehmen." + +"Gern, mein Freund." + +Und Vasitthi stellte sich den Vollendeten vor, wie er im Begriff war, in +das Nirvana einzugehen. + +"Siehst du ihn, mein Lieber?" + +"Noch nicht, Vasitthi." + +"Ich muß dies Phantasiebild versinnlichen," dachte Vasitthi. + +Und sie sah sich im unermeßlichen Raume um, wo die Brahmawelt im +Erlöschen begriffen war. + +Gleichwie etwa ein großer Erzgießer, wenn er die Form eines herrlichen +Götterbildes fertiggestellt hat, und es ihm an Erz gebricht um diese +Form zu füllen, sich nun in seiner Werkstatt umsieht; und was da alles +umhersteht an kleinen Götterbildern, Figuren, Vasen und Gefäßen, sein +ganzes Eigentum, das Werk seines Lebens,--das wirft er alles gern und +willig in den Schmelzofen, um dies eine herrliche Götterbild vollkommen +gießen zu können: + +also sah Vasitthi sich im unermeßlichen Räume um: + +und was da alles noch von erblassendem Licht und zerfließenden Formen +dieser Brahmawelt übrig war, das zog sie durch ihre Geisteskraft an +sich, den ganzen Raum entvölkernd, und bannte diese ganze Masse von +Astralstoff in die Formen ihrer Phantasie und schuf so im Räume ein +kolossales leuchtendes Bild des Vollendeten, wie er im Begriff war, in +das Nirvana einzugehen. + +Und wie sie dies Bild sich gegenüber erblickte, erhob sich in ihr keine +Neigung, keine Wehmut. + +Denn selbst der große Heilige Upagupta, als er durch die Zauberkunst +Maras, des Bösen, die Gestalt des längst gestorbenen Buddha zu sehen +bekam, da erhob sich in ihm Neigung, so daß er sich vor der +Trugerscheinung anbetend niederwarf und von Wehmut übermannt klagte: +"Wehe über diese erbarmungslose Unbeständigkeit, daß sie auch so +herrliche Gestalten auflöst! Denn der so herrliche Körper des großen +Heiligen unterlag der Vergänglichkeit und ist der Vernichtung +anheimgefallen." + +Nicht aber so Vasitthi. + +Unbewegt, gesammelten Geistes betrachtete sie die Erscheinung, wie ein +Künstler sein Werk, nur darauf bedacht, dieselbe Kamanita mitzuteilen. + +"Jetzt fange ich an, eine Gestalt zu sehen," sagte dieser. "O halte sie +fest, laß sie noch deutlicher aufleuchten!" + +Da blickte Vasitthi sich wieder im Raume um. + +In seiner Mitte war noch der rotglühende, zornesblitzende Glanz des +hunderttausendfachen Brahma geblieben. + +Und Vasitthi riß durch ihre Geisteskraft diese höchste Gottheit aus +ihrer Stätte und bannte sie in die Form der Buddhaerscheinung hinein. Da +erleuchtete sich diese und belebte sich, wie Einer, der einen stärkenden +Trank genießt. + +"Jetzt seh' ich sie schon deutlicher," sagte Kamanita. + +Da schien es Vasitthi, als ob der Buddha zu ihr spräche: + +"So bist du denn gekommen, meine Tochter. Bist du mit deinem Spruch zu +Ende?" + +Und wie man seinem Traumbilde antwortet, entgegnete Vasitthi: + +"Ich bin damit zu Ende, Herr." + +"Recht so, meine Tochter! Und der lange Weg hat dich nicht gemüht? Noch +bedarfst du der Hilfe des Vollendeten?" + +"Nein, o Herr, ich bedarf nicht mehr der Hilfe des Vollendeten." + +"Recht so, meine Tochter! Bei dir selber hast du Zuflucht genommen, in +deinem eigenen Selbst ruhest du, Vasitthi." + +"Mein Selbst habe ich kennen gelernt, o Herr. Wie man die Blattscheiden +eines Pisangstammes aufrollt und findet darin kein Kernholz, aus dem +eine feste Stütze zu zimmern wäre; also habe ich da mein Selbst kennen +gelernt: ein Haufen wechselnder Gestaltungen, in denen nichts Ewiges +ist, worin man ruhen könnte. Und ich gebe dies mein Selbst auf: 'das bin +ich nicht, das gehört mir nicht'--also urteile ich darüber." + +"Recht so, meine Tochter! Nur an der Lehre hältst du dich noch fest." + +"Die Lehre, o Herr, hat mich zum Ziel gebracht. Wie einer, der mittelst +eines Flosses einen Strom durchquert hat, wenn er das jenseitige Ufer +betritt, das Floß nicht festhält, nicht mit sich schleppt: also halte +ich mich nicht mehr an der Lehre fest, lasse die Lehre fahren." + +"Recht so, meine Tochter! Solcherweise nirgend anhänglich haftend, wirst +du bei mir am Orte des Friedens auferstehen." + +"'Auferstehen,' hast du gesagt, o Herr, 'das trifft nicht zu. +Nichtauferstehen, das trifft nicht zu.' Und auch diese Lehre, daß weder +Auferstehen noch Nichtauferstehen zutrifft--auch die trifft nicht mehr +zu. Nichts trifft mehr zu, _und am wenigsten trifft das Nichts zu_. Also +hab' ich es jetzt verstanden." + +Da lächelte die Buddhaerscheinung ein leuchtendes Lächeln. + +"Jetzt werde ich auch die Züge gewahr," sagte Kamanita. "Wie ein +Spiegelbild in fließendem Wasser erkenne ich sie undeutlich. O, halte +sie fest, stätige sie, Vasitthi!" + +Vasitthi sah sich im Raume um. + +Der Raum war leer. + +Da warf Vasitthi ihre eigene Körperlichkeit in die Astralmasse der +Erscheinung hinein. + +Kamanita merkte, wie Vasitthi entschwand. Wie aber ein Sterbender ein +Vermächtnis hinterläßt, so hatte Vasitthi ihm jetzt das Buddhabild +vermacht, das mit ihm allein im Räume zurückblieb, und das er jetzt +deutlich erkannte. + +"Jener alte Asket, mit dem ich in Rajagaha übernachtete und den ich +töricht schalt, das war ja der Vollendete! O über mich Toren! Gab es je +einen größeren Toren als mich? Was ich als das höchste Heil, als die +Erlösung selber ersehnte, das hab' ich ja schon seit Milliarden von +Jahren besessen!" + +Da näherte sich ihm die Erscheinung wie eine heranziehende Wolke und +hüllte ihn in einen glänzenden Nebel ein. + + + + +XLV. WELTENNACHT UND WELTENGRAUEN + + +Wie in einer Festhalle, wenn alle Fackeln und Lampen ausgelöscht sind, +in einer Ecke vor einem heiligen Bilde ein Lämpchen noch brennen bleibt: +also blieb Kamanita in der Weltennacht allein zurück. + +Denn wie seine Leiblichkeit in den Astralstoff jener Buddhaerscheinung +gehüllt war, so war seine Seele ganz und gar vom Buddhagedanken umhüllt: +und das war das Öl, welches die Flamme dieses Lämpchens speiste. + +Das ganze Gespräch, das er in der Vorhalle des Hafners zu Rajagaha mit +dem Erhabenen gehabt hatte, stieg Satz für Satz, Wort für Wort in seiner +Erinnerung auf. Nachdem er es aber ganz durchgegangen war, hub er wieder +von vorne an. Und jeder Satz war ihm da wie eine Pforte, von der aus +sich neue Gedankenwege eröffneten, die wiederum zu anderen führten. Und +er wanderte sie alle, bedächtigen Schrittes, und nichts war da, was ihm +dunkel blieb. + +Und während sein Geist da solchermaßen den Buddhagedanken in sich +hineinspann und verarbeitete, sog seine Körperlichkeit immer mehr von +dem sie umgebenden Astralnebel in sich, so daß dieser endlich +durchsichtig wurde. Und die Finsternis der Weltennacht fing an sich als +ein zartes Blau zu zeigen, das immer dunkler ward. + +Da dachte Kamanita: + +"Draußen herrscht nun die ungeheure Finsternis der Weltennacht. Einst +aber wird die Zeit kommen, da der Tag graut und eine neue Brahmawelt ins +Dasein tritt. Wenn mein Sinnen und Trachten nun darauf gerichtet wäre, +der hunderttausendfache Brahma zu sein, der diese Welt ins Leben rufen +wird, so sehe ich nicht, wer mir da den Rang ablaufen könnte. Denn +während alle Wesen jener Brahmawelt in Ohnmacht und Nichtsein versunken +sind, bin ich hier wach und geistesmächtig zur Stelle. Ja, ich könnte, +wenn ich wollte, in diesem Augenblick jene Wesen alle ins Dasein rufen, +jedes an seine Stelle, und den neuen Weltentag beginnen. Eins aber +könnte ich nicht: Vasitthi könnte ich nimmer wieder ins Dasein rufen. +Vasitthi ist davongegangen in jenem Entschwinden, das keine Daseinskeime +zurückläßt; kein Gott und kein Brahma kann sie finden. Was aber soll mir +ein Leben ohne Vasitthi, die im Leben das Schönste und Beste war? Und +was soll mir ein Brahmasein, über welches man hinausgehen kann? Was soll +mir die Zeitlichkeit, wenn es eine Ewigkeit gibt? + +"Es gibt eine Ewigkeit und einen Weg in die Ewigkeit. Einst hat mich ein +alter Waldbrahmane gelehrt, daß um das Herz hundert feine Adern +gesponnen sind, durch welche die Seele in dem ganzen Körper +umherschweifen kann; eine einzige Ader aber gäbe es, die zum Scheitel +führe, und durch diese verlasse die Seele den Körper. So gibt es auch +hundert, ja tausend und hunderttausend Wege, die in dieser Welt +umherführen, durch mannigfache Leidensstätten, langwierige und +kurzwierige, schön ausgestattete und häßlich ausgestattete: Himmel und +Menschenwelt und Tierreiche und Höllen. Aber einen einzigen Weg gibt es, +der aus dieser Welt gänzlich hinausführt. Das ist der Weg in die +Ewigkeit, der Weg ins Unbetretene. Auf diesem Wege befinde ich mich +jetzt. Wohlan, ich will ihn zu Ende gehen." + +Und er dachte den Buddhagedanken von dem zur Leidensvernichtung +führenden Wege immer weiter. + +Und immer dunkler wurde das Blau der durchscheinenden Weltennacht. + +Wie dasselbe aber anfing fast schwarz zu werden, leuchtete der neue +Brahma auf, ein hunderttausendfacher Brahma, der hunderttausend Welten +erleuchtet und erhält. + +Und der Brahma ließ den frohen Weckruf ergehen: + +"Wachet auf, ihr Wesen alle, die ihr diese ganze Weltennacht hindurch im +Schoße des Nichtseins ruhtet! Hierher, die neue Brahmawelt zu bilden, +den neuen Weltentag zu genießen, jeder an seiner Stätte, jeder nach +seiner Kraft!" + +Und die Wesen und Welten tauchten aus dem Nichtsein der Finsternis +hervor, Stern an Stern, und wie Jauchzen von hunderttausend Stimmen und +Schall von hunderttausend Pauken und Muschelhörnern erklang es: + +"Heil dem hunderttausendfachen Brahma, der uns zum neuen Weltentage +ruft! Heil uns, die wir berufen sind, den Weltentag mit ihm zu genießen, +seinen göttlichen Glanz selig widerzuspiegeln!" + +Als Kamanita dies sah und vernahm, wurde er von tiefem Mitleid +ergriffen. + +"Diese Wesen und Welten, diese Sternengötter und der hunderttausendfache +Brahma selber jauchzen dem Weltentage entgegen, erfreuen sich des +Lebens. Und warum? Weil sie es nicht kennen." + +Durch dies sein Mitleid mit der Welt, mit den Göttern und mit dem +höchsten Gott überwand Kamanita den letzten Rest von Eigenliebe. + +Aber er erwog nun: + +"Auch während dieses Weltentages werden ja vollendete Buddhas +erscheinen, welche die Wahrheit verkünden. Wenn nun diese Gottheiten die +Heilswahrheit vernehmen und sich erinnern, daß sie im ersten Grauen des +Weltentages ein Wesen gesehen haben, das aus der Welt hinausging, dann +wird ihnen diese Erinnerung zum Vorteil gedeihen. 'Schon einer aus +unserer Mitte, gleichsam ein Teil von uns, ist auf jenem Weg +vorausgegangen,' werden sie sich sagen und das wird ihnen zum Heil +gereichen. Also helfe ich Allen, indem ich mir selber helfe. Denn +niemand kann in Wahrheit sich selber helfen, ohne Allen zu helfen." + +Da bemerkten nun bald einige, dann immer mehrere der Sternengötter, daß +Einer da war, der nicht wie die anderen klarer und klarer leuchtete, +sondern vielmehr an Glanz abnahm. + +Und sie riefen ihm zu: + +"Heda, Bruder! Blicke doch auf den großen, den hunderttausendfachen +Brahma, auf daß dein Glanz sich erfrische, auf daß du aufleuchten mögest +wie wir! Auch du, Bruder, bist ja berufen, den Glanz des höchsten Gottes +selig widerzuspiegeln." + +Als die Götter ihn so anriefen, blickte Kamanita weder hin, noch hörte +er hin. + +Und die Götter, die ihn noch trüber werden sahen, wurden um ihn gar sehr +besorgt. Und sie wandten sich an Brahma: + +"Großer Brahma! Erleuchter und Erhalter! O siehe doch dies arme Wesen, +das zu schwach ist, um mitzufolgen, dessen Glanz abnimmt, anstatt +zuzunehmen! O, richte doch deine Aufmerksamkeit auf ihn, erleuchte ihn, +erfrische ihn! Auch ihn hast du ja gerufen, damit er deinen göttlichen +Glanz selig widerspiegele." + +Und der große Brahma, voll Fürsorge für die Wesen, richtete seine +Aufmerksamkeit auf Kamanita, um ihn zu erfrischen und zu stärken. + +Aber der Glanz Kamanitas nahm trotzdem zusehends ab. + +Da verdroß es nun den großen Brahma mehr, daß dies eine Wesen sich von +ihm nicht erhellen ließ und seinen Glanz nicht widerspiegelte, als es +ihn erfreute, daß hunderttausend Welten sich in seinem Lichte sonnten +und ihn jauchzend priesen. + +Und er zog einen großen Teil seiner göttlichen Leuchtkraft von den +Welten zurück--Leuchtkraft genug, um tausend Welten zu entzünden--und +richtete sie auf Kamanita. + +Aber der Glanz Kamanitas nahm immer noch ab, als ob er dem völligen +Erlöschen entgegenginge. + +Nun geriet Brahma in große Angst, in große Besorgnis: + +"Dieser eine entzieht sich meiner Macht--so bin ich denn nicht +allmächtig? Nicht kenn' ich den Weg, den er geht--so bin ich denn nicht +allwissend? Denn nicht erlischt jener, wie die Wesen im Tode erlöschen, +um je nach den Werken wiedergeboren zu werden; nicht, wie die Welten in +der Brahmanacht erlöschen, um sich wieder zu entzünden. Welches Licht +leuchtet denn ihm, daß er das meine verschmäht? So gibt es also ein +Licht, leuchtender als das meine? So gibt es also einen Weg, dem meinen +entgegengesetzt--einen Weg ins Unbetretene? Werde ich wohl selber jemals +diesen Weg einschlagen--den Weg ins Unbetretene?" + +Und auch die Sternengötter alle gerieten in große Angst, in große +Besorgnis: + +"Dieser eine entzieht sich der Macht des großen Brahma--so ist denn der +große Brahma nicht allmächtig? Welches Licht leuchtet wohl ihm, daß er +dasjenige des großen Brahma verschmäht? So gibt es denn ein Licht, +herrlicher als das göttliche, das wir selig widerspiegeln? So gibt es +also einen Weg, dem unseren entgegengesetzt--einen Weg ins Unbetretene? +Werden wir wohl jemals diesen Weg einschlagen--den Weg ins Unbetretene?" + +Da erwog nun der hunderttausendfache Brahma: + +"Wohlan, ich werde meine Leuchtkraft, die jetzt in dem Raume verbreitet +ist, wieder zurückziehen und werde alle diese Welten wiederum in das +Dunkel der Brahmanacht versenken. Und in einen einzigen Strahl gesammelt +werde ich mein Licht auf jenes Wesen richten, um es für diese meine +Brahmawelt noch zu retten." + +Und der hunderttausendfache Brahma zog nun seine in dem Raume +verbreitete Leuchtkraft an sich zurück, so daß alle die Welten wieder in +das Dunkel der Brahmanacht versanken. Und indem er sein Licht in einen +einzigen Strahl sammelte, richtete er diesen auf Kamanita. + +"Nun muß an dieser Stelle der strahlendste Stern meiner ganzen +Brahmawelt leuchten!" dachte er. + +Da zog der hunderttausendfache Brahma diesen einzigen Strahl, mit +Leuchtkraft genug um hunderttausend Welten zu entzünden, an sich zurück +und verbreitete dann wieder sein Licht durch den ganzen Raum. + +An der Stelle aber, wo er hoffte, den strahlendsten Stern leuchten zu +sehen, war nur noch ein verglimmendes Fünkchen zu entdecken. + +Und während im unermeßlichen Raume Welten an Welten aufleuchtend und +aufjauchzend zum neuen Brahmatage sich hervordrängten, erlosch der +Pilger Kamanita gänzlich, wie eine Lampe erlischt, wenn sie den letzten +in ihren Docht aufgesogenen Öltropfen verzehrt hat. + +Ende + + + + +NOTE + + +Mit Ausnahme der Begegnung des Buddha und des Pilgers in der Vorhalle +des Hafners (_Majjhimanikayo_ Nr. 140, wo aber der Pilger den Buddha +versteht und erkennt) und der Bekehrung Angulimalas[1] sind die in +diesem Buche erzählten Begebenheiten von mir frei erfunden--was ich +deshalb bemerke, weil einige Leser des Manuskriptes glaubten, ich hätte +irgend eine indische Sage bearbeitet. Nur die Schilderung des +Ballspieles habe ich aus _Dandins_ Novellenkranze _Daçakumaracaritam_ +genommen; auch in der glänzenden Einleitung der deutschen Übersetzung +dieses Werkes--von _J.J. Meyer_--fand ich manchen guten Wink. Daß ich +zum Ausmalen des Milieus kulturhistorische Werke älteren und neueren +Datums--vor allen die _Jatakas_--benutzt habe, versteht sich wohl von +selber; von modernen Werken sei hier _Richard Schmidts_ "_Beiträge zur +indischen Erotik_" als ausgiebige Fundgrube erwähnt (Lotus-Verlag, +Leipzig 1902; in demselben Verlage ist Daçakumaracaritam erschienen). + + [1] XXXIV. Kap. Die Einzelheiten der Legende nach Majjh. No. 86. Doch + ist das vereitelte Pfeilschießen von mir hinzugefügt. Das Höllenbild + findet sich auch nicht dort, sondern in No. 50; die daran sich + schließende Stelle vom Höllenrichter ist aus No. 130 genommen; die dann + folgende Skala von den Vielen und den Wenigen gehört einem andern Teile + des Kanons an (Anguttara-Nikayo--nach K.E. Neumanns "Buddhistischer + Anthologie", p. 104 ff.). + +Die echten Buddhaworte sind durch ihren Stil leicht als solche zu +erkennen--wiewohl einige nachgemachte (p. 140 bis 144) mit ihnen +verwechselt werden können. Sie sind meistens dem großartigen +Übersetzungswerke Dr. _Karl E. Neumanns_ "_Die Reden Buddhos_" +(Majjhimanikayo) entnommen. Aber auch dem epochemachenden und noch immer +unübertroffenen Werke Prof. _Oldenbergs_ ("Buddha") verdanke ich einige +wichtige Stellen. + +Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß die wenigen Upanishadstellen (p. +36ff., 129, 141) nach Prof. _Deussens_ "Sechzig Upanishads des Veda" +zitiert sind. Dem zweiten großen Übersetzungswerke dieses trefflichen +und unermüdlichen Forschers "_Die Sutras des Vedanta_" verdankt mein +_zehntes Kapitel_ seine Entstehung. Wenn dies kuriose Stück inhaltlich +eine Darstellung des Indischen Übermenschentums ist--als des äußersten +Gegensatzes zum Buddhismus--so ist es in seiner Form eine peinlich +genaue Nachbildung des vedantischen Sutrastils, mit der änigmatischen +Kürze des Textes, dessen eigentliches Prinzip--wie Deussen richtig +erkannt hat--darin besteht, nur Stichworte für das Gedächtnis, +keineswegs aber die für den Sinn wichtigen Worte zu geben; so konnte man +ohne Gefahr den Text schriftlich fixieren, da er doch von keinem +verstanden wurde, dem der Lehrer nicht auch mündlich den Kommentar +mitteilte, der dann gewöhnlich um so pedantisch umständlicher ausfiel. +Allerdings sind diese _Kali-Sutras_--wie der ganze Vajaçavas--eine +scherzhafte Fiktion von mir,--aber eine, glaube ich, von der jeder +Kenner des alten Indien zugeben wird, daß sie sich innerhalb der Grenzen +des Möglichen--ja sogar des Wahrscheinlichen--hält. Indien ist eben das +Land, wo auch der Räuber philosophieren muß und es gelegentlich bis zum +"wunderlichen Heiligen" treibt, und wo auch der Höllenwächter "höflich +bis zur letzten Galgensprosse" bleibt. + +Sollte nun einen solchen Kenner die Lust anwandeln, mich wegen einiger +Ungenauigkeiten zu schulmeistern, so bitte ich ihn, zu bedenken, daß +der, der den "Pilger Kamanita" schrieb, wohl am besten weiß, welche +Freiheiten er sich genommen hat und warum. So hätte ich ja leicht +anstatt des späteren Sukhavati den Himmel der dreiunddreißig Götter +nehmen können und wäre dann korrekt geblieben. Aber was in aller Welt +hätte ich mit dreiunddreißig Göttern anstellen sollen, da ich nicht +einmal in Sukhavati für den einen Amithaba Verwendung hatte? So ließ +mich denn auch als Dichter die Frage recht kalt, ob das Mahabharatam +schon zur Zeit des Buddha existierte, und in welcher Form. Auch gestehe +ich gern, daß ich gar nicht weiß, ob man von Kusinara aus die +Schneegipfel des Himalaya erblicken kann, ja daß ich dies sogar sehr +bezweifle; wiewohl nicht der Entfernung wegen, da Schlagintweit aus noch +größerer den Gaurisankar von der Ebene aus gesehen hat. Dem sei nun wie +es wolle: ich bin der Ansicht, daß die Forderungen der Poesie denen der +Geographie vorangehen. + +Dagegen würde ich mir nie erlaubt haben, am ursprünglichen Buddhismus +"poetischer" Zwecke halber auch nur den geringsten Zug zu ändern; denn +daß ich, wie gesagt, die später so höchst populäre Vorstellung von +Sukhavati hineingezogen habe, wird man mir nicht als eine solche +Entstellung anrechnen können, da doch der Sache nach identische +Vorstellungen im ältesten Buddhismus lebendig sind. Vielmehr ist es mir +ein Herzensbedürfnis gewesen, ein echtes Bild buddhistischer Lebens- und +Weltanschauung aufzurollen. Wenn Dr. _K.E. Neumann_, ohne dessen +Arbeiten diese Dichtung nicht hätte entstehen können, in seinem Nachwort +zum "Wahrheitspfad" vor dreizehn Jahren schrieb: "Die letzten +Jahrzehnte, die letzten Jahre haben uns erst Aufschluß darüber gegeben, +wer der Buddha war und was er gelehrt hat....Die Poesie des Buddhismus, +sein Innerstes, ist uns aber noch ein Buch mit fünf Siegeln. Eins nach +dem andern muß gelöst werden, wollen wir sein Herz verstehen +lernen....Nachdem die Gelehrten das Ihrige getan haben, komme nun der +Dichter und tue das Seinige: die Pali-Urkunden warten auf ihn. Dann erst +wird die Buddhalehre auch bei uns zum Leben erwachen, wird deutsch unter +Deutschen blühn"--so hoffe ich, daß mein gelehrter und verehrter +Freund--und vielleicht mancher mit ihm--in diesem Werk den Anfang der +Erfüllung jenes Wunsches begrüßen wird. + +Dresden, September 1906 Karl Gjellerup + + + +***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER PILGER KAMANITA*** + + +******* This file should be named 14962-8.txt or 14962-8.zip ******* + + +This and all associated files of various formats will be found in: +https://www.gutenberg.org/dirs/1/4/9/6/14962 + + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. 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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at <a href = "https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a></pre> +<p>Title: Der Pilger Kamanita</p> +<p>Author: Karl Adolph Gjellerup</p> +<p>Release Date: February 7, 2005 [eBook #14962]</p> +<p>Language: German</p> +<p>Character set encoding: ISO-8859-1</p> +<p>***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER PILGER KAMANITA***</p> +<p> </p> +<h3 class="center">E-text prepared by Inka Weide<br /> + and the Project Gutenberg Online Distributed Proofreading Team</h3> +<p> </p> + <hr /> +<p> </p> +<p> </p> + <h1>Der Pilger Kamanita</h1> + <h2>Ein Legendenroman von Karl Gjellerup</h2> + <br /> + <br /> + + <h2>Inhaltsverzeichnis</h2> + <br /> + <a href="#chap_i">I. DER ERHABENE BEGRÜSST DIE STADT DER FÜNF + HÜGEL</a><br /> + <a href="#chap_ii">II. DIE BEGEGNUNG</a><br /> + <a href="#chap_iii">III. NACH DEM UFER DER GANGA</a><br /> + <a href="#chap_iv">IV. DIE BALLSPIELERIN</a><br /> + <a href="#chap_v">V. DAS MAGISCHE BILDNIS</a><br /> + <a href="#chap_vi">VI. AUF DER TERRASSE DER SORGENLOSEN</a><br /> + <a href="#chap_vii">VII. IN DER SCHLUCHT</a><br /> + <a href="#chap_viii">VIII. DIE PARADIESKNOSPE</a><br /> + <a href="#chap_ix">IX. UNTER DEM RÄUBERGESTIRN</a><br /> + <a href="#chap_x">X. GEHEIMLEHRE</a><br /> + <a href="#chap_xi">XI. DER ELEFANTENRÜSSEL</a><br /> + <a href="#chap_xii">XII. AM GRABE DES HEILIGEN VAJAÇRAVAS</a><br /> + <a href="#chap_xiii">XIII. DER LEBEMANN</a><br /> + <a href="#chap_xiv">XIV. DER EHEMANN</a><br /> + <a href="#chap_xv">XV. DER KAHLE PFAFF</a><br /> + <a href="#chap_xvi">XVI. KAMPFBEREIT</a><br /> + <a href="#chap_xvii">XVII. IN DIE HEIMATLOSIGKEIT</a><br /> + <a href="#chap_xviii">XVIII. IN DER HALLE DES HAFNERS</a><br /> + <a href="#chap_xix">XIX. DER MEISTER</a><br /> + <a href="#chap_xx">XX. DAS UNVERNÜNFTIGE KIND</a><br /> + <a href="#chap_xxi">XXI. MITTEN IM LAUFE</a><br /> + <a href="#chap_xxii">XXII. IM PARADIESE DES WESTENS</a><br /> + <a href="#chap_xxiii">XXIII. SELIGE REIGEN</a><br /> + <a href="#chap_xxiv">XXIV. DER KORALLENBAUM</a><br /> + <a href="#chap_xxv">XXV. DIE KNOSPE ÖFFNET SICH</a><br /> + <a href="#chap_xxvi">XXVI. DIE KETTE MIT DEM TIGERAUGE</a><br /> + <a href="#chap_xxvii">XXVII. DER WAHRHEITSAKT (SACCAKIRIYA)</a><br /> + <a href="#chap_xxviii">XXVIII. AM GESTADE DER HIMMLISCHEN GANGA</a><br /> + <a href="#chap_xxix">XXIX. IM DUFTE DER KORALLENBLÜTEN</a><br /> + <a href="#chap_xxx">XXX. "ALLES ENTSTANDENE--"</a><br /> + <a href="#chap_xxxi">XXXI. DIE ERSCHEINUNG AUF DER TERRASSE</a><br /> + <a href="#chap_xxxii">XXXII. SATAGIRA</a><br /> + <a href="#chap_xxxiii">XXXIII. ANGULIMALA</a><br /> + <a href="#chap_xxxiv">XXXIV. DIE SPEERHÖLLE</a><br /> + <a href="#chap_xxxv">XXXV. LAUTERE SPENDE</a><br /> + <a href="#chap_xxxvi">XXXVI. BUDDHA UND KRISHNA</a><br /> + <a href="#chap_xxxvii">XXXVII. PARADIESWELKEN</a><br /> + <a href="#chap_xxxviii">XXXVIII. IM REICHE DES HUNDERTTAUSENDFACHEN BRAHMA</a><br /> + <a href="#chap_xxxix">XXXIX. WELTENDÄMMERUNG</a><br /> + <a href="#chap_xl">XL. IM KRISHNAHAIN</a><br /> + <a href="#chap_xli">XLI. DER LEICHTE SPRUCH</a><br /> + <a href="#chap_xlii">XLII. DIE KRANKE NONNE</a><br /> + <a href="#chap_xliii">XLIII. DAS NIRVANA DES VOLLENDETEN</a><br /> + <a href="#chap_xliv">XLIV. VASITTHIS VERMÄCHTNIS</a><br /> + <a href="#chap_xlv">XLV. WELTENNACHT UND WELTENGRAUEN</a><br /> + <a href="#chap_note">NOTE</a> <br /> + <br /> +<p> </p> + + <p><img src="images/title.png" width="530" height="275" align="middle" + alt="buddha" /></p> + <h2><a id="chap_i" name="chap_i">I. DER ERHABENE BEGRÜSST DIE STADT DER + FÜNF HÜGEL</a></h2> + <p><img src="images/i.png" width="93" height="93" align="left" alt="E" />inst + wanderte der Buddha im Lande Magadha von Ort zu Ort und kam nach Rajagaha. Der Tag + ging schon zur Neige, als der Erhabene sich der Stadt der fünf Hügel + näherte. Gleich dem Abglanz einer segnenden Götterhand breiteten sich die + milden Strahlen der Sonne über die weite, mit grünen Reisfeldern und Wiesen + bedeckte Ebene. Hier und dort zeigten kleine an der Erde hinkriechende Wölkchen, + wie aus reinstem Goldstaube, daß Menschen und Ochsen von der Feldarbeit + heimkehrten; und die langgestreckten Schatten der Baumgruppen waren wie von einer + regenbogenfarbigen Glorie umgeben. Aus dem Kranze der blühenden Gärten + glänzten die Torzinnen, Terrassen, Kuppeln und Türme der Hauptstadt hervor, + und in unvergleichlichem Farbenschmelz, als wären sie aus Topasen, Amethysten + und Opalen gebildet, lag die Reihe der Felsenhügel da.</p> + <p>Von diesem Anblick ergriffen, blieb der Erhabene stehen. Mit Freuden + begrüsste er jene vertrauten Formen, die so manche Erinnerungen für ihn + bargen: das graue Horn, das breite Joch, den Seherfelsen und den Geierkulm, "dessen + schöner Gipfel die andern wie ein Dach überragt";--vor allen aber Vibhara, + den Berg der heissen Quellen, der mit seiner Höhle des Sattapannibaumes dem + Heimatlosen eine erste Heimat bereitet hatte--die erste Rast auf dem letzten Wege vom + Sansara ins Nirvana.</p> + <p>Denn als er damals "noch in frischer Blüte, mit glänzendem, dunklem + Haar, im Genusse glücklicher Jugend, im ersten Mannesalter, gegen den Wunsch + seiner weinenden und klagenden Eltern" das fürstliche Vaterhaus im + nördlichen Lande der Sakyer verlassen und seine Schritte nach dem Gangatal + gerichtet hatte, da gönnte er sich erst dort einen längeren Aufenthalt, + indem er jeden Morgen um Almosenspeise nach Rajagaha ging. In jener Höhle hatte + ihn auch damals der König von Magadha, Bimbisara, besucht und ihn vergebens + beschworen, ins Elternhaus und ins Weltleben zurückzukehren, bis der Fürst, + durch die Worte des jungen Asketen umgestimmt, das erste Vertrauen fasste, das ihn + später zum Anhänger des Buddha machte.</p> + <p>Lange Zeit war seitdem verflossen--ein halbes Jahrhundert, in dem er nicht nur + seinen eigenen Lebenslauf, sondern den Lauf der Welt gewendet hatte. Welcher + Unterschied zwischen damals, als er drüben in der Höhle des + Sattapannibaumes weilte, und jetzt! Damals war er noch ein Suchender, ein nach der + Erlösung Ringender: schreckliche Seelenkämpfe standen ihm noch bevor, + jahrelange, ebenso furchtbare wie fruchtlose Kasteiungen, bei deren Schilderungen + selbst dem Beherztesten seiner Zuhörer sich die Haare vor Entsetzen + sträubten;--bis er dann endlich, nach völliger Überwindung solcher + Schmerzensaskese, durch inbrünstige Selbstvertiefung die Erleuchtung errang und + zum Heil der Wesen als ein allerhöchster, vollendeter Buddha aus dem Kampfe + hervorging.</p> + <p>Damals ähnelte sein Leben einem unstäten Vormittag in der Regenzeit, wo + blendender Sonnenschein und tiefe Schatten wechseln, während der Monsun die + Wolken immer höher aufeinander türmt, und das tödlich drohende + Gewitter immer näher grollt. Jetzt aber war es von demselben abendlichen, + heiteren Frieden erfüllt, der über dieser Landschaft ruhte, und der immer + tiefer und verklärter zu werden schien, je mehr der Sonnenball sich dem + Horizonte näherte. Auch die Sonne seines Lebenstages neigte sich ja dem + Untergange zu. Sein Werk war vollbracht. Das Reich der Wahrheit war fest + begründet, die Heilslehre der Menschheit verkündet; viele wandel- und + wissensbewährte Mönche und Nonnen und Laien-Anhänger beiderlei + Geschlechts waren fähig, dieses Reich zu schützen, diese Lehre + aufrechtzuerhalten und weiterzuverbreiten. Und schon stand nach den Erwägungen + dieses Tages, den er mit einsamer Wanderung zugebracht hatte, die Erkenntnis in + seinem Herzen fest: gar bald wird es für mich Zeit sein, auf immer diese Welt zu + verlassen, aus der ich mich selber und alle, die mir folgen, erlöst habe, und in + die Ruhe Nirvanas einzugehen.--</p> + <p>Und die Gegend mit wehmütigem Gefallen überblickend, sprach der Erhabene + bei sich selber:</p> + <p>"Lieblich fürwahr ist Rajagaha, die Stadt der fünf Hügel, reizend + sind ihre Umgebungen! Reich gesegnet sind die Felder, herzerfreuend die + baumbeschatteten, wasserblinkenden Auen, überaus anmutig die buschigen + Felsenhügel.--Zum letzten Male sehe ich ja jetzt von diesem schönsten + Punkte aus diese liebliche Gegend. Nur einmal noch, wenn ich weiterziehe und mich auf + jenem Joche umwende, werde ich von drüben das liebliche Tal Rajagahas erblicken + und dann nimmermehr."</p> + <p>In der Stadt ragten nur noch zwei Bauwerke goldig in das Sonnenlicht empor: der + höchste Turm des Königspalastes, von wo aus Bimbisara ihn zuerst + erspäht hatte, als er, ein junger unbekannter Asket, seine Straße zog und + durch seinen hohen Anstand die Aufmerksamkeit des Magadhakönigs auf sich + lenkte;--und der Kuppelaufsatz des Indratempels, in welchem damals, bevor sein Wort + die Menschen von blutigem Aberglauben erlöst hatte, Tausende und Abertausende + von unschuldigen Tieren jährlich dem Gott zu Ehren hingeschlachtet wurden. Nun + tauchten auch die Turmzinnen erlöschend in das steigende Schattenmeer unter, und + nur jener Kegel von goldenen, übereinandergespannten Sonnenschirmen,<a + href="#fu1">[1]</a> der den Tempeldom krönte, glühte noch, gleichsam frei + in der Luft schwebend, als ein Wahrzeichen der "Königsstadt"<a + href="#fu2">[2]</a>;--immer röter sprühte und funkelte er auf dem + dunkelblauen Hintergrund von hochragenden Baumwipfeln. Und hier erblickte der + Erhabene das immer noch ziemlich entfernte Ziel seiner Wanderung. Denn jene + Baumwipfel waren die des Mangohaines jenseits der Stadt, der ihm von seinem + Anhänger Jivaka, dem Leibarzt des Königs, geschenkt worden war, und in + welchem ein schönes Klostergebäude den Mönchen gesunde und bequeme + Unterkunft gewährte.</p> + <p><a id="fu1" name="fu1"></a></p> + <blockquote> + [1] Der goldene Sonnenschirm ist das Emblem der Königswürde. + </blockquote> + <br /> + <br /> + <p><a id="fu2" name="fu2"></a></p> + <blockquote> + [2] Rajagaha (Sanskrit: Rajagriha) = Königsstadt, jetzt Rajgir, 10 Meilen + südöstlich von Patna. + </blockquote> + <br /> + <br /> + <p>Nach diesem Besitztum des Ordens hatte nun der Erhabene die ihn begleitenden + Mönche--zweihundert an der Zahl--unter der Leitung seines Vetters und treuen + Begleiters Ananda vorausgehen lassen, weil es ihn lockte, die Wonne einer einsamen + Tageswanderung zu kosten. Und es war ihm bekannt, daß um die Zeit des + Sonnenunterganges von Westen her ein Zug junger Mönche, geführt vom weisen + Sariputta, dem großen Schüler, in dem Mangohain eintreffen würde. In + seinem lebhaften, auf das Anschauliche gerichteten Geiste spielte sich nun das + Schauspiel ab, wie die ankommenden Mönche mit den schon anwesenden sich + freundlich begrüßten, wie ihnen von jenen Sitz und Lagerstatt angewiesen, + Mantel und Almosenschale abgenommen wurden, und wie dabei großer Lärm und + lautes Geschrei entstand, als ob Fischer um die Beute rauften. Und ihm, der stille + Betrachtung liebte und dem Lärm abhold war, wie der einsam wandernde Löwe: + ihm war gerade jetzt, nach der köstlichen Ruhe der einsamen Wanderung und dem + friedlichen Segen dieser Abendlandschaft, der Gedanke doppelt peinlich, in ein + solches Treiben hineinzugeraten.</p> + <p>Und so entschloß er sich im Weiterschreiten, nicht durch die Stadt nach + seinem Mangohain zu gehen, sondern in dem ersten besten Hause des Vorortes, in dem er + Unterkunft finden konnte, sein Nachtlager aufzuschlagen.</p> + <p>Unterdessen waren die goldigen Flammen des westlichen Himmels in brennende + Orangetöne verweht und diese wiederum in die feurigste Scharlachglut + zerschmolzen. Ringsum leuchteten die Felder immer grüner und grüner, als ob + die Erde ein Smaragd wäre, der von innen durchstrahlt würde. Aber schon + umspann ein traumhaft violetter Dunst die Ferne, während eine fast + übersinnliche Purpurflut--man wußte nicht, ob Licht, ob Schatten--wie von + überallher niedersinkend, emporsteigend und hereinströmend, den ganzen Raum + durchwallte, Festes auflösend und Loses sammelnd, Nahes fortschwemmend und + Fernes heranflutend, Alles aber in Schwanken und flimmerndes Zittern + versetzend....</p> + <p>Durch die Schritte des einsamen Wanderers emporgeschreckt, hakte ein fliegender + Hund seine ledernen Flügel von dem Zweig eines schwarzen Salabaumes los und + strich mit piepsendem Schrei durch die Dämmerung, um den Obstgärten des + dorfähnlichen Vorortes einen Besuch abzustatten.</p> + <p>So war es Abend geworden, als der Erhabene diesen Vorort Rajagahas erreichte.</p> + <h2><a id="chap_ii" name="chap_ii">II. DIE BEGEGNUNG</a></h2> + <p><img src="images/ii.png" width="93" height="93" align="left" alt="B" />eim ersten + Hause, dessen Wand bläulich zwischen den Gartenbäumen hervorschimmerte, + gedachte der Erhabene vorzusprechen. Wie er sich nun aber der Tür nähern + wollte, wurde er ein Netz gewahr, das auf einen Ast gehängt war. Und der + Erhabene schritt fürbass, das Haus des Vogelstellers verschmähend.</p> + <p>An diesem äußeren Rande des Ortes waren die Häuser spärlich + verstreut, auch hatte dort unlängst eine Feuersbrunst gewütet, und so + dauerte es denn eine Weile, bis er wieder an eine menschliche Wohnung kam. Es war + dies das Gehöft eines wohlhabenden Brahmanen. Der Erhabene war schon zum Tor + hereingetreten, da hörte er, wie drinnen die beiden Frauen des Brahmanen + keiften, mit lauten schreienden Stimmen sich zankten und sich gegenseitig mit groben + Schimpfworten bewarfen. Und der Erhabene wendete sich um, trat wieder zum Torwege + hinaus und schritt fürbaß.</p> + <p>Der Lustgarten jenes reichen Brahmanen erstreckte sich weithin den Weg entlang. + Der Erhabene begann schon Müdigkeit zu spüren, und sein rechter Fuß, + von einem scharfen Stein verletzt, schmerzte ihn im Weiterschreiten. So näherte + er sich endlich dem nächsten Wohnhause, das schon von weitem sichtbar war; denn + heller Lichtschimmer strömte quer über den Weg durch das Gitter der + Fensterläden und die offenstehende Tür. Wäre aber auch ein Blinder + gekommen, so hätte er doch das Haus bemerkt, denn übermütiges Lachen, + Becherklang, Stampfen tanzender Füße und lieblich heitere Töne der + siebensaitigen Vina drangen ins Freie heraus; an den Türpfosten gelehnt aber + stand ein schönes Mädchen in reichem Seidengewand und mit Jasmingewinden + behangen. Lachend ihre vom Betelkauen roten Zähne zeigend, lud sie den Wanderer + ein: "Tritt herein, Fremder! Hier wohnt die Freude."</p> + <p>Und der Erhabene schritt fürbaß, seines Wortes gedenkend: "Als Weinen + gilt im Orden der Heiligen das Singen; als Tollsein gilt im Orden der Heiligen der + Tanz; als kindisch gilt im Orden der Heiligen das Zähnezeigen zur Unzeit, das + Lachen: Genüg' euch in Wahrheit Entzückten das Lächeln des + lächelnden Blickes."</p> + <p>Das Nachbarhaus war nicht weit entfernt, aber der Lärm der Zecher und der + Vinaspieler drang bis dahin, und so ging der Buddha weiter bis zum nächsten + Hause. Neben diesem waren aber zwei Metzgergesellen beim letzten Schimmer des + Tageslichtes eifrig am Werk, eine soeben geschlachtete Kuh mit scharfen Messern zu + zerlegen.</p> + <p>Und der Erhabene schritt an der Wohnung des Schlächters vorüber.</p> + <p>Vor dem nächsten Hause standen viele Schüsseln und Näpfe aus + frischem Ton, die Ausbeute einer rechtschaffenen Tagesarbeit; unter einer Tamarinde + befand sich das Töpferrad, und der Hafner löste gerade eine Schüssel + davon ab und trug sie zu den anderen.</p> + <p>Der Erhabene trat zum Hafner hin, begrüßte ihn höflich und + sagte:</p> + <p>"Wenn es dir, Abkömmling Bhagas, nicht ungelegen ist, bleibe ich über + Nacht in deinem Vorsaale."</p> + <p>"Es ist mir, o Herr, nicht ungelegen. Doch ist soeben ein Pilger angekommen, + müde von einer langen Wanderung. Und er hat schon sein Lager hier aufgeschlagen. + Wenn es ihm recht ist, mögest du bleiben, o Herr, nach Belieben."</p> + <p>Und der Erhabene überlegte sich: "Einsamkeit freilich ist der beste + Gefährte. Aber dieser liebe Pilger ist hier spät angekommen, wie ich + selber, müde von einer langen Wanderung. Und er ist an den Häusern + unreiner, blutiger Gewerbe vorbeigegangen, ist an dem Hause des Zankes und des + gehässigen Streits und an dem Hause des Lärms und der unwürdigen + Freuden vorübergeschritten, um erst hier beim Hafner einzukehren. Mit einem + solchen Manne zusammen kann man die Nacht verbringen."</p> + <p>So trat denn der Erhabene in die Vorhalle ein, wo er einen jungen Mann von edlen + Gesichtszügen gewahr wurde, der in der einen Ecke auf einer Matte saß.</p> + <p>"Wenn es dir, Pilger, nicht ungelegen ist," sprach der Erhabene zu ihm, "bleibe + ich über Nacht hier im Vorsaale."</p> + <p>"Geräumig, Bruder, ist der Vorsaal des Hafners; bleibe der Ehrwürdige + nach Belieben."</p> + <p>Da breitete nun der Erhabene an der einen Wand die Strohmatte hin und setzte sich + nieder, die Beine gekreuzt, den Körper gerade aufgerichtet, in heiliges Sinnen + versunken. Und der Erhabene brachte die ersten Stunden der Nacht sitzend zu. Und auch + der junge Pilger brachte die ersten Stunden der Nacht sitzend zu.</p> + <p>Da gedachte denn der Erhabene bei sich: "Ob wohl dieser edle Sohn fröhlich + beflissen ist?--Wie, wenn ich ihn nun darum fragte?"</p> + <p>Und der Erhabene wandte sich also an den jungen Pilger:</p> + <p>"Weshalb, o Pilger, bist du in die Heimatlosigkeit gegangen?"</p> + <p>Der junge Pilger antwortete:</p> + <p>"Nur ein paar Nachtstunden sind vergangen. Wohlan, wenn mir der Ehrwürdige + seine Aufmerksamkeit schenken will, werde ich erzählen, weshalb ich in die + Heimatlosigkeit gegangen bin."</p> + <p>Der Erhabene gab durch freundliches Kopfnicken sein Einverständnis zu + erkennen, und der junge Pilger hub zu erzählen an.</p> + <h2><a id="chap_iii" name="chap_iii">III. NACH DEM UFER DER GANGA</a></h2> + <p><img src="images/iii.png" width="93" height="93" align="left" alt="I" />ch heisse + Kamanita mit Namen und bin in Ujjeni geboren, einer weit im Süden gelegenen + Stadt, im Lande Avanti, im Gebirge. Dort kam ich in einer begüterten, wenn auch + nicht sehr vornehmen Kaufmannsfamilie zur Welt. Mein Vater ließ mir eine gute + Erziehung zuteil werden, und als ich die Opferschnur anlegte, war ich schon ziemlich + im Besitze der meisten Fertigkeiten, die sich für einen jungen Mann von Stand + passen, so daß man allgemein glaubte, ich müßte in Takkasila<a + href="#fu3">[1]</a> erzogen worden sein. Im Ringkampf und im Degenfechten war ich + einer der ersten; ich hatte eine schöne, wohlgeübte Singstimme und verstand + die Vina kunstreich zu schlagen; ich konnte alle Gedichte Bharatas und noch viele + andere auswendig hersagen; mit den Geheimnissen der Metrik war ich aufs innigste + vertraut, und verstand auch selber gefühlvolle und sinnreiche Verse zu + schreiben. Im Zeichnen und Malen übertrafen mich nur Wenige, und meine Art + Blumen zu streuen wurde allgemein bewundert. Groß war mein Geschick im + Färben der Kristalle und meine Kenntnis von der Herkunft der Juwelen; keine + Papageien oder Predigerkrähen sprachen so gut wie diejenigen, die ich + abgerichtet hatte. Auch verstand ich von Grund aus das vierundsechzigfeldige + Brettspiel, das Stäbchenspiel, das Bogenspiel und das Ballspiel in allen seinen + Abarten, sowie allerlei Rätsel- und Blumenspiele. Und es wurde, o Fremder, eine + sprichwörtliche Redensart in Ujjeni: "Vielbefähigt wie der junge + Kamanita."</p> + <p><a id="fu3" name="fu3"></a></p> + <blockquote> + [1] Das Oxford des alten Indien (in Pendschab gelegen). + </blockquote> + <br /> + <br /> + <p>Als ich zwanzig Jahre alt war, ließ mein Vater mich eines Tages rufen und + sprach also zu mir:</p> + <p>"Mein Sohn, deine Erziehung ist jetzt vollendet, und es ist Zeit, daß du + dich in der Welt umsiehst und dein Kaufmannsleben beginnst, auch habe ich dafür + jetzt eine gute Gelegenheit gefunden. In diesen Tagen schickt unser König eine + Gesandtschaft an den König Udena in Kosambi, weit von hier, im Norden. Dort habe + ich aber einen Gastfreund Panada. Der hat mir längst gesagt, in Kosambi + wäre mit Produkten unseres Landes, besonders mit Bergkristallen und + Sandelpulver, sowie mit unseren kunstvollen Rohrgeflechten und Weberwaren ein gutes + Geschäft zu machen. Ich habe aber immer eine solche Geschäftsreise als ein + großes Wagnis gescheut wegen der vielen Gefahren des Weges. Wer nun aber die + Hin- und Herreise im Gefolge dieser Gesandtschaft macht, für den ist gar keine + Gefahr vorhanden. Wohlan, mein Sohn, wir wollen auf den Lagerplatz gehen und uns die + zwölf Ochsenwagen und die Waren ansehen, die ich für deine Fahrt bestimmt + habe; du wirst für unsere Produkte Musselin aus Benares und ausgesuchten Reis + mit zurückbringen, und das wird, hoffe ich, ein glorreicher Anfang deiner + kaufmännischen Laufbahn sein; auch wirst du Gelegenheit haben, fremde + Länder mit anderer Natur und anderen Sitten kennen zu lernen und unterwegs mit + Hofleuten, Männern vom höchsten Anstande und feinsten Betragen + tagtäglich zu verkehren, was ich für einen hohen Gewinn erachte; denn ein + Kaufherr muß ein Weltmann sein."</p> + <p>Ich dankte meinem Vater unter Freudentränen, und schon wenige Tage danach + nahm ich vom Elternhause Abschied.</p> + <p>Wie schlug mein Herz vor freudiger Erwartung, als ich inmitten dieses + prächtigen Zuges, an der Spitze meiner Karren, zum Stadttor hinauszog und die + weite Welt offen vor mir lag. Jeder Tag dieser Reise war mir wie ein Fest, und wenn + abends die Lagerfeuer flammten, um Tiger und Panther zu verscheuchen, und ich im + Kreise älterer und vornehmer Männer an der Seite des Gesandten saß, + dünkte ich mich vollends im Märchenland.</p> + <p>Durch den herrlichen Waldbereich Vedisas und über die sanften + Höhenzüge des Vindhyagebirges erreichten wir die ungeheure nördliche + Ebene, wo eine ganz neue Welt sich mir eröffnete; denn ich hätte nie + gedacht, daß die Erde so flach und so groß sei. Und etwa einen Monat nach + unserer Abreise sahen wir an einem herrlichen Abend, von einer palmengekrönten + Anhöhe aus, zwei goldene Bänder, die sich dem Dunstkreise des Horizontes + entwanden, das unendliche Grün durchzogen und sich allmählich einander + näherten, bis sie sich zu einem breiten Band vereinigten.</p> + <p>Eine Hand berührte meine Schulter.</p> + <p>Es war der Gesandte, der an mich herangetreten war.</p> + <p>"Da siehst du, Kamanita, die heilige Jamuna und die hochheilige Ganga, die dort + vor unseren Augen ihre Fluten vereinigen."</p> + <p>Unwillkürlich erhob ich anbetend meine Hände.</p> + <p>"Du tust recht, sie also zu grüßen," fuhr mein Beschützer fort. + "Denn wenn die Ganga von dem Göttersitz im nördlichen Schneegebirge kommt + und gleichsam aus der Ewigkeit flutet, so kommt die Jamuna aus fernen Heldenzeiten, + und ihre Fluten haben die Trümmer der Ilfenstadt<a href="#fu4">[1]</a> + gespiegelt und jene Ebene bespült, wo die Panduinge und die Kuruinge um die + Herrschaft rangen, wo Karna in seinem Zelte grollte, wo Krishna selber die Rosse + Arjunas lenkte--doch ich brauche dich ja nicht daran zu erinnern, da du in den alten + Heldenliedern wohl bewandert bist. Oft habe ich drüben auf jener spitzen + Landzunge gestanden und gesehen, wie die blauen Wogen der Jamuna neben den gelben der + Ganga dahinflossen, ohne sich mit ihnen zu vermischen, so wie die Kriegerkaste neben + der Brahmanenkaste unvermischt besteht. Dann kam es mir vor, als ob ich mit dem + Rauschen dieser blauen Fluten auch kriegerische Klänge vernähme, + Waffengetöse und Hörnerrufe, Wiehern von Rossen und Trompeten der + Kampfilfen, und mein Herz schlug höher, denn auch meine Ahnen waren ja dabei + gewesen und der Sand Kurukschetras hatte ihr Heldenblut getrunken."</p> + <p><a id="fu4" name="fu4"></a></p> + <blockquote> + [1] Hastinapura = Elefantenstadt. Das Wort "Ilf" hat <i>Adolph Holtzmann</i> + geprägt ("Indische Sagen" XXIX). + </blockquote> + <br /> + <br /> + <p>Voll Bewunderung blickte ich zu diesem Manne aus der Kriegerkaste empor, in dessen + Familie solche Erinnerungen lebten.</p> + <p>Er aber faßte mich an der Hand.</p> + <p>"Komm, mein Sohn, und begrüße das Ziel deiner ersten Reise."</p> + <p>Und er führte mich nur wenige Schritte um ein dichtes Gebüsch herum, das + bis jetzt die Aussicht nach Osten verdeckt hatte.</p> + <p>Als diese sich nun plötzlich öffnete, stieß ich unwillkürlich + einen Schrei der Bewunderung aus.</p> + <p>Dort--an einer Biegung der breiten Ganga--lag eine große Stadt: Kosambi.</p> + <p>Mit ihren Mauern und Türmen, ihrer aufsteigenden Häusermasse, ihren + Terrassen, ihren Quais und Ghâts<a href="#fu5">[1]</a> sah sie, von der + untergehenden Sonne beleuchtet, wahrlich aus, als wäre sie ganz und gar aus + rotem Gold gebaut--so wie es ja Benares war, bis die Sünden der Einwohner es in + Stein und Mörtel verwandelten;--die wirklich goldenen Kuppeln aber glänzten + wie ebensoviele Sonnen. Oben von den Tempelhöfen stiegen dunkle, rotbraune + Rauchsäulen, von den Leichenverbrennungsstätten am Ufer solche von + hellblauer Farbe, kerzengerade in die Höhe, und, gleichsam von ihnen getragen, + schwebte baldachinartig über dem Ganzen ein Schleier wie aus den zartesten + Perlmuttertönen gewoben, während dahinter alle Farben, die da brennen und + leuchten können, über den Himmel ausgegossen durcheinander glühten. + Auf dem heiligen Strom, der diesen Glanz widerspiegelte, schaukelten unzählige + Boote mit bunten Segeln und Wimpeln, und trotz der Entfernung sah man, wie die + breiten Treppen der Ghâts von Leuten wimmelten, während viele schon unten + in den glitzernden Wellen plätscherten. Ein fröhliches Geräusch, wie + das Summen eines Bienenkorbes, drang von Zeit zu Zeit zu uns herauf.</p> + <p><a id="fu5" name="fu5"></a></p> + <blockquote> + [1] Landungsplatz mit prachtvollen Freitreppen für Badende--gewöhnlich + von Vorsprüngen und Kiosken unterbrochen und durch einen monumentalen Torbau + abgeschlossen. + </blockquote> + <br /> + <br /> + <p>Du kannst dir denken, daß ich eher eine Stadt der dreiunddreißig + Götter als eine der Menschen zu sehen vermeinte, wie denn überhaupt das + Gangatal mit seinem üppigen Reichtum uns Bergbewohnern wie das Paradies vorkam. + Und für mich sollte ja auch hier das Paradies auf Erden sich zeigen.</p> + <p>Noch in derselben Nacht schlief ich unter dem wirtlichen Dache Panadas, des + Gastfreundes meines Vaters. Früh am folgenden Tage eilte ich aber zum + nächsten Ghât und stieg mit unbeschreiblichen Gefühlen in die + heiligen Wogen, um nicht nur den Reisestaub, sondern auch meine Sünden + abzuspülen. Diese waren infolge meiner Jugend ja nur gering; ich füllte + aber eine große Flasche mit dem Gangawasser, um sie meinem Vater mitzubringen. + Sie ist jedoch, wie du erfahren wirst, leider nie in seinen Besitz gekommen.</p> + <p>Der edle Panada, ein Greis von ehrwürdigstem Aussehen, führte mich nun + nach den Kaufhallen, und durch seine freundliche Hilfe gelang es mir, im Verlaufe der + folgenden Tage meine Waren vorteilhaft zu verkaufen und eine überreiche Menge + von den bei uns sehr geschätzten Produkten der nördlichen Ebene + einzukaufen.</p> + <p>Dies mein Geschäft war glücklich zu Ende gebracht, bevor die + Gesandtschaft noch daran dachte, sich zur Abreise zu rüsten, was mich keineswegs + verdroß; denn ich hatte nun volle Freiheit, mir die Stadt anzusehen und ihre + Vergnügungen zu genießen, was ich in der Gesellschaft Somadattas, des + Sohnes meines Wirtes, in ausgiebigstem Maße tat.</p> + <h2><a id="chap_iv" name="chap_iv">IV. DIE BALLSPIELERIN</a></h2> + <p><img src="images/iv.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />n einem + schönen Nachmittage begaben wir uns in einen öffentlichen Garten vor der + Stadt--eine gar prächtige Anlage unmittelbar am hohen Ufer der Ganga mit + schattigen Baumgruppen, großen Lotusteichen, Marmorhäuschen und + Jasminlauben, wo zu dieser Tageszeit immer ein reges Treiben herrschte. Hier + ließen wir uns in einer goldenen Schaukel von der Dienerschaft schaukeln, + während wir den herzerfreuenden Tönen der liebestrunkenen Kokila und dem + süßen Plaudern der grünen Papageien lauschten. Da erhob sich + plötzlich ein gar erheiterndes Klingen von Fußspangen. Sofort sprang mein + Freund aus der Schaukel und rief:</p> + <p>"Sieh da! Gerade kommen die schönsten Mädchen von Kosambi, auserlesene + Jungfrauen aus den reichsten und vornehmsten Häusern, um die Vindhya-bewohnende + Göttin durch Ballspiel zu verehren. Du kannst von Glück sagen, Gastfreund! + denn bei diesem Spiel kann man sie ungehindert sehen! Komm, wir wollen diese + Gelegenheit nicht versäumen."</p> + <p>Ich ließ mir dies natürlich nicht zweimal sagen, sondern folgte eiligst + meinem Freunde.</p> + <p>Auf einer großen, edelsteinbesetzten. Bühne erschienen sofort die + Mädchen, zum Spiele bereit. Wenn es nun schon eine seltene Augenweide war, diese + Schar von Schönheiten in ihrem Glanz von schimmernder Seide, duftigen + Musselinschleiern, Perlen, Edelsteinen und Goldspangen zu sehen--was soll man dann + erst von dem Spiele selbst sagen, das diesen Schwellgliederigen die mannigfaltigste + Gelegenheit gab, ihre ganze Anmut in überaus reizenden Stellungen und Bewegungen + zu entfalten? Und doch war das nur gleichsam ein Vorspiel. Denn als diese + Gazellenäugigen uns eine geraume Zeit durch die verschiedenartigsten Spiele + ergötzt hatten, traten sie alle zurück, und nur eine blieb in der Mitte der + edelsteinbesetzten Bühne--und in der Mitte meines Herzens stehen.</p> + <p>Ach, mein Freund, was soll ich sagen! Von ihrer Schönheit zu reden wäre + Verwegenheit! Denn ich müßte ein Dichter sein wie Bharata selbst, um auch + nur einen schwachen Abglanz davon deiner Phantasie vorzuzaubern. Es sei genug, + hervorzuheben, daß diese Mondgesichtige von makelloser Gestalt und an allen + Gliedern von frischer Jugend umblüht war, daß sie mir als die leibliche + Glücks- und Schönheitsgöttin erschien, und daß alle meine + Körperhärchen sich bei diesem Anblick vor Entzücken sträubten. + Und nun begann sie zu Ehren der Göttin, deren Verkörperung sie schien, ein + kunstreiches Spiel. Lässig warf sie den Ball zu Boden, und als er dann langsam + emporstieg, gab sie ihm mit ihrer schößlinggleichen Hand, deren Daumen sie + etwas krümmte und deren zarte Finger sie ausstreckte, einen kräftigen + Schlag, trieb dann den aufsteigenden Ball mit dem Handrücken empor und fing ihn + beim Herabfallen in der Luft wieder auf. Sie warf ihn in langsamem, in mittlerem und + in raschem Tempo, bald ihn anfeuernd, bald ihn besänftigend, schlug ihn + abwechselnd mit der linken und mit der rechten Hand, trieb ihn in jede + Himmelsrichtung und wieder zurück. Wenn du--wie's mir aus deinem + verständnisvollen Blick scheinen will--mit der Spielballwissenschaft vertraut + bist, so brauche ich dir nichts zu sagen, als daß du wohl niemals das Curnapada + und das Gitamarga so vollkommen ausgeführt gesehen haben wirst.</p> + <p>Dann aber machte sie etwas, was ich nie gesehen und wovon ich auch nie gehört + habe. Sie nahm nämlich zwei goldene Bälle, und während ihre + Füße zum Klange ihrer Schmuckjuwelen sich tanzend bewegten, ließ sie + diese Bälle so schnell in blitzartigen Linien springen, daß man gleichsam + nur die Goldstäbchen eines Käfigs sah, in dem ein Wundervogel niedlich + umherhüpfte. Dabei geschah es, daß unsere Blicke sich plötzlich + begegneten; und noch heute, o Fremder, verstehe ich nicht, wie es zuging, daß + ich nicht augenblicklich tot niedersank, um in einem Wonnehimmel wiedergeboren zu + werden. Aber es mag wohl sein, daß meine Werke eines vorhergehenden Lebens, + deren Früchte ich in <i>diesem</i> genießen muß, noch nicht + erschöpft waren; denn dieser Rest meines Wandels von einst hat mich ja in der + Tat durch mehrere tödliche Gefahren bis auf den heutigen Tag gebracht und wird + wohl noch lange vorhalten.</p> + <p>Gerade jetzt aber entfloh ihr einer der Bälle, die ihr bisher so gehorsam + gewesen waren, und sprang in einem mächtigen Satze von der Bühne herunter. + Viele junge Leute eilten ihm nach; ich und ein junger, reich gekleideter Mann + erreichten ihn gleichzeitig und wir gerieten aneinander, weil keiner ihn dem anderen + gönnte. Durch mein genaues Vertrautsein mit den Kniffen der Ringerkunst gelang + es mir, ihm ein Bein zu stellen; er aber ergriff, um mich zurückzuhalten, meine + kristallene Halskette, an der ich ein Amulett trug. Die Kette zerriß, er + stürzte zu Boden und ich erhaschte den Ball. Wütend sprang er auf und + schleuderte mir die Kette vor die Füße. Das Amulett war ein Tigerauge, + kein gerade sehr kostbarer Stein, aber dieser war ein unfehlbares Mittel gegen den + bösen Blick--und jetzt, als der seine mich traf, mußte ich ihn gerade + vermissen. Aber was kümmerte mich das? Hielt ich doch den Ball, den ihre + Lotushand soeben berührt hatte, in Händen, und als sehr geschicktem + Ballspieler gelang es mir, einen so genau berechneten Wurf zu tun, daß der Ball + gerade vor der einen Ecke der Bühne aufschlug, um dann mit einem + mäßigen Sprung gleichsam bezähmt in den Bereich der schönen + Spielerin zu gelangen, die keinen Augenblick aufgehört hatte, den anderen Ball + in Bewegung zu erhalten, und sich nun wieder in ihren Goldkäfig einspann--unter + großem Jubel der zahlreichen Zuschauer.</p> + <p>Damit war denn nun die Ballspielverehrung der Lakshmi zu Ende, die Mädchen + verschwanden von der Bühne, und wir begaben uns auf den Heimweg.</p> + <p>Unterwegs meinte mein Freund, es sei gut, daß ich nichts dort am Hofe + erreichen wollte, denn der junge Mann, dem ich den Ball abgejagt hätte, sei kein + geringerer als der Sohn des Ministers, und man habe es ihm angesehen, daß er + mir unversöhnlichen Haß geschworen habe. Das ließ mich nun + völlig kalt; wie viel lieber hätte ich erfahren, wer meine Göttin war. + Ich scheute mich aber, danach zu fragen, ja, als Somadatta mich mit der Schönen + necken wollte, tat ich sehr gleichgültig, lobte in Kennerausdrücken ihre + Fertigkeit im Spielen, fügte jedoch hinzu, daß wir in meiner Heimatstadt + wenigstens ebenso geschickte Spielerinnen hätten--während ich in meinem + Herzen der Unvergleichlichen diese Lüge abbat.</p> + <p>Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß diese Nacht kein Schlaf in meine Augen + kam, die ich nur schloß, um immer wieder von der reizenden Erscheinung + umschwebt zu werden. Den nächsten Tag brachte ich in einer von allem + Tageslärm entfernten Ecke des Hausgartens zu, wo der Sandboden unter einem + Mangobaum meinem von Liebesglut gepeinigten Körper Kühlung bot, die + siebensaitige Vina als einzige Gefährtin, der ich meine Sehnsucht anvertraute. + Sobald aber die abnehmende Tageshitze einen Ausflug erlaubte, überredete ich + Somadatta, mit mir nach dem Lustgarten zu fahren, obschon er es vorgezogen + hätte, einem Wachtelkampf beizuwohnen. Aber umsonst durchirrte ich den ganzen + Park--viele Mädchen waren da, überall ihr Spiel treibend, als wollten sie + mich mit falscher Hoffnung von einem Ort zum anderen locken; aber jene einzige, + Lakshmis Ebenbild, war nicht darunter.</p> + <p>Nun tat ich, als ob ich eine unwiderstehliche Sehnsucht hätte, das + eigentümliche Leben an der Ganga wieder zu genießen. Wir besuchten alle + Ghâts und bestiegen schließlich eine Barke, um uns in die fröhliche + Flottille zu mischen, die jeden Abend auf den Wogen des heiligen Stromes schaukelte, + bis das Farbenspiel und der Goldglanz erloschen und Lichter von Fackeln und Lampions + auf dem Strome tanzten und wirbelten.</p> + <p>Dann mußte ich endlich meine ebenso stumme wie stürmische Hoffnung + aufgeben und den Bootsführer anweisen, nach dem nächsten Ghât zu + steuern.</p> + <p>Nach einer schlaflosen Nacht blieb ich in meinem Zimmer, und um meinen Geist, der + doch nur von ihrem Bild erfüllt war, zu beschäftigen und zu zerstreuen, bis + ich wieder in den Lustgarten eilen konnte, versuchte ich mittelst Pinsel und Farben + ihre holde Erscheinung, wie sie tanzenden Schrittes den Ball schlug, auf die Tafel zu + bannen. Keinen Bissen vermochte ich zu mir zu nehmen; denn wie der lieblich singende + Çakora nur von Mondstrahlen lebt, also lebte ich nur von den Strahlen jener + Mondgesichtigen, obgleich sie mich nur durch den Nebel der Erinnerung erreichten; + doch hoffte ich zuversichtlich, daß sie an diesem Abend im Lustgarten mit ihrem + vollen Glanz mich letzen und beleben würden. Aber auch diesmal wurde ich + enttäuscht. Nun wollte Somadatta mich in ein Spielhaus mitnehmen, denn er war so + versessen auf das Würfelspiel wie Nala, nachdem der Dämon Kali in ihn + gefahren war. Ich schützte indessen Müdigkeit vor. Aber anstatt nach Hause + zu gehen, begab ich mich wieder nach den Ghâts und auf den Fluß + hinaus--leider nicht mit besserem Erfolg als am vorhergehenden Abend.</p> + <h2><a id="chap_v" name="chap_v">V. DAS MAGISCHE BILDNIS</a></h2> + <p><img src="images/v.png" width="93" height="93" align="left" alt="D" />a ich + wußte, daß für mich doch nicht an Schlaf zu denken war, legte ich + mich an diesem Abend gar nicht zu Bett, sondern setzte mich auf das zur Andacht + bestimmte Graslager am Kopfende des Bettes, und brachte dort unter inbrünstigen + Liebesbetrachtungen und im Gebet an die lotustragende Lakshmi, ihr himmlisches + Urbild, in frommer und geziemender Weise die Nacht zu; aber die frühe + Morgensonne fand mich wieder mit Pinsel und Farben an der Arbeit.</p> + <p>Mehrere Stunden waren mir dabei im Fluge vergangen, als Somadatta hereintrat. Ich + hatte gerade noch Zeit, die Tafel und die Malwerkzeuge unters Bett zu schieben, als + ich ihn kommen hörte. Dies tat ich ganz unwillkürlich.</p> + <p>Somadatta nahm einen niedrigen Stuhl, setzte sich neben mich und betrachtete mich + lächelnd.</p> + <p>"Ich merke wohl," sagte er, "daß unserem Hause die Ehre widerfahren soll, + die Ausgangsstätte eines Heiligen zu sein. Du fastest ja, wie es nur die + strengsten Asketen tun, und enthältst dich der üppigen Gewohnheit des + Lagers. Denn weder auf den Kopf- und Fußkissen noch auf der Matratze ist der + geringste Eindruck deines Körpers zu sehen, und die weiße Decke ist + faltenlos. Obwohl du durch das Fasten schon recht schmächtig geworden bist, ist + dein Körper doch wohl noch nicht ganz ohne Gewicht, was sich übrigens auch + hier am Grassitze zeigt, wo du offenbar die Nacht in Gebet und Selbstvertiefung + zugebracht hast. Aber ich finde doch, daß für einen so heiligen Bewohner + dies Zimmer etwas zu weltlich aussieht. Hier auf dem Nachttisch die freilich + unberührte Salbenbüchse und der Napf mit Sandelstaub, das Gefäß + mit wohlriechendem Wasser und die Dose mit Zitronenbaumrinde und Betel. Dort an der + Wand die gelben Amaranthkränze, die Laute--aber wo ist denn das Malbrett, das + doch sonst an jenem Haken hängt?"</p> + <p>Während ich in meiner Verlegenheit auf diese Frage keine Antwort zu finden + vermochte, entdeckte er nun das vermißte Brett und zog es unter dem Bett + hervor.</p> + <p>"Ei, was ist denn das für ein böser, abgefeimter Zauberer," rief er, + "der hier auf dem Brett, das ich doch selber ganz leer an jenen Haken gehängt + habe, das reizende Bild eines ballspielenden Mädchens durch magische Kraft hat + entstehen lassen--offenbar in der bösen Absicht, den angehenden Asketen gleich + im Anfange mit Versuchungen anzufallen und ihm Sinne und Gedanken zu verwirren! Oder + am Ende ist es ein Gott, denn wir wissen ja, daß die Götter sich vor der + Allmacht der großen Asketen fürchten; und bei solch einem Beginnen wie dem + deinigen könnte schon das Vindhyagebirge vor der Inbrunst deiner Buße zu + rauchen anfangen, ja durch die Aufhäufung deines Verdienstes müßte + das Reich der himmlischen Götter ins Wanken kommen. Und jetzt weiß ich + auch, welcher Gott es ist: gewiß ist es der, den sie den unsichtbaren nennen, + der Gott mit den Blumenpfeilen, der einen Fisch im Banner trägt--Kama, der + Liebesgott, von dem du ja auch deinen Namen hast. Und--Himmel, was seh' ich! das ist + ja Vasitthi, die Tochter des reichen Goldschmiedes."</p> + <p>Als ich so zum ersten Male den Namen der Geliebten hörte, fing mein Herz + heftig zu pochen an, und mein Gesicht entfärbte sich vor Erregung.</p> + <p>"Ich sehe, lieber Freund," fuhr der schlimme Spaßmacher fort, "daß + dieser Gedanke von dem Zauber Kamas dich in großen Schrecken versetzt, und in + der Tat müssen wir etwas tun, um seinem Zorn zu entgehen. Da ist aber ein + Weiberrat nicht zu verachten. Ich will dies magische Bild meiner geliebten Medini + zeigen, die auch mit beim Tanze war und überdies die Milchschwester der + schönen Vasitthi ist."</p> + <p>Hiermit wollte er sich mit dem Bilde entfernen. Da ich nun wohl merkte, was der + Schelm vorhatte, hieß ich ihn warten, weil dem Bilde noch eine Inschrift + fehlte. Ich mischte mir die schönste feurig-rote Farbe und in gar kurzer Zeit + schrieb ich mit den zierlichsten Schriftzügen einen vierzeiligen Vers, der sehr + einfach den Vorgang mit dem goldenen Ball erzählte. Wenn man aber die Zeilen + rückwärts las, besagte der Vers, daß jener Ball, mit dem sie gespielt + hatte, mein Herz sei, das ich selber ihr zurückschickte, wenn sie es auch + davonjage; man konnte aber auch den Vers quer durch die Zeilen von oben nach unten + lesen, und dann enthielt er eine Klage über die Verzweiflung, in die mich die + Trennung von ihr gestürzt hatte; las man aber in umgekehrter Richtung, dann + wurde man gewahr, daß ich doch zu hoffen wagte.</p> + <p>Von dem, was ich solchermaßen hineingeheimnißt hatte, ließ ich + aber nichts verlauten, und so war denn Somadatta von dieser Probe meiner Dichtkunst, + die ihm gar zu einfach schien, auch nicht sonderlich erbaut. Er meinte, ich + müsse durchaus davon sprechen, wie Gott Kama, durch meine Askese in Schreck + versetzt, das Zauberbild zu meiner Versuchung hervorgezaubert und mich dadurch + überwunden hätte--wie denn jeder immer am meisten von seinem eigenen Witze + entzückt ist.</p> + <p>Als nun Somadatta das Bild entführt hatte, fühlte ich mich in einer + gehobenen und tatkräftigen Stimmung, weil doch nun ein Schritt getan war, der + vielleicht in seinen Folgen zum ersehnten Glücksziel führen mochte. Ich + konnte wieder essen und trinken, und nachdem ich mich gestärkt hatte, nahm ich + die Vina von der Wand und ließ ihre Saiten bald melodisch seufzen, bald jubeln, + während ich den himmlischen Namen Vasitthi in immer neuen Tönen + wiederholte.</p> + <p>So fand mich denn auch Somadatta, als er mehrere Stunden später mit dem Bild + in der Hand wieder hereintrat.</p> + <p>"Die ballspielkundige Zerstörerin deiner Ruhe hat auch gedichtet," sagte er, + "aber vielen Sinn finde ich eben nicht in ihren Versen aufgespeichert, wenn auch die + Schrift für ungewöhnlich hübsch gelten darf."</p> + <p>Wirklich gewahrte ich--mit welchem Entzücken, vermag ich nicht zu + sagen--einen zweiten Vierzeiler, der mit Schriftzügen wie zarte + Blütenzweige auf das Brett gleichsam hingehaucht war. Somadatta freilich hatte + keinen Sinn darin finden können, denn das Ganze bezog sich eben auf das, was er + nicht bemerkt hatte, und zeigte mir, daß die Holde meine Strophe in allen + Richtungen--rückwärts, nach unten und aufwärts--richtig gelesen hatte, + was mir einen hohen Begriff von ihrer Bildung und ihren Kenntnissen gab, wie denn + auch ihr feiner Geist sich in der anmutig scherzenden Wendung zeigte, mit welcher sie + meine feurige Erklärung als eine höfliche Galanterie hinnahm, der man nicht + allzu große Bedeutung beimessen dürfe.</p> + <p>Nun versuchte ich freilich auch dieselben Lesemethoden auf ihre Strophe + anzuwenden, in der Hoffnung, vielleicht doch ein verblümtes Geständnis oder + irgend eine geheime Botschaft, wohl gar die Einladung zu einem Stelldichein darin zu + finden; jedoch vergeblich. Ich sagte mir denn auch sogleich, daß dies gerade + ein Beweis der höchsten und feinsten weiblichen Gesittung sei: die Liebliche + zeigte mir, daß sie wohl imstande sei, die Subtilität und die verwegenen + Pfade des männlichen Geistes zu verstehen, daß sie sich aber nicht + verleiten lasse, seinen Spuren zu folgen.</p> + <p>Über meine enttäuschte Erwartung wurde ich nun auch sofort durch die + Worte Somadattas getröstet.</p> + <p>"Aber diese Schönbrauige, wenn sie auch keine große Dichterin ist, hat + doch wahrlich ein gutes Herz. Sie weiß, daß ich schon seit langer Zeit + meine geliebte Medini, ihre Milchschwester, nicht gesehen habe, außer in + großer Gesellschaft, wo nur die Augen sprechen können, und auch die nur + verstohlen. Und so gibt sie uns Gelegenheit, uns in der folgenden Nacht auf der + Terrasse des väterlichen Palastes zu treffen. Diese Nacht ist es leider nicht + möglich, weil ihr Vater ein Gastmahl gibt; so lange müssen wir uns also + gedulden. Vielleicht hast du Lust, mich bei diesem Abenteuer zu begleiten?"</p> + <p>Dabei lachte er ganz verschmitzt, und ich lachte ebenso und sicherte ihm meine + Begleitung zu. In der vortrefflichsten Laune nahmen wir das Brettspiel, das an die + Wand gelehnt war, und wollten uns durch diese den Geist anregende Beschäftigung + die Zeit verkürzen, als ein Diener hereintrat und sagte, ein Fremder + wünsche mich zu sprechen.</p> + <p>Ich ging in die Vorhalle und traf da den Bedienten des Gesandten, der mir sagte, + ich müsse mich zur Abreise fertig machen und mich schon in dieser Nacht mit + meinen Wagen im Hofe des Palastes einfinden, damit man beim ersten Morgengrauen + aufbrechen könne.</p> + <p>Meine Verzweiflung kannte keine Grenzen. Ich wähnte, ich müsse + unversehens irgend eine Gottheit beleidigt haben. Sobald ich meine Gedanken + einigermaßen sammeln konnte, stürzte ich zum Gesandten und log ihm eine + Menge vor von einem Geschäft, das noch nicht ganz abgewickelt wäre und + unmöglich in so kurzer Frist zum gedeihlichen Abschluß gebracht werden + könnte. Mit heißen Tränen beschwor ich ihn, die Reise nur noch um + einen Tag zu verschieben.</p> + <p>"Du sagtest mir doch schon vor acht Tagen, daß du fertig wärest," + entgegnete er.</p> + <p>Ich aber versicherte ihm, daß sich nachher unverhofft noch eine Aussicht auf + einen bedeutenden Gewinn eröffnet hätte. Und das war auch keine Unwahrheit, + denn welcher Gewinn hatte für mich mehr zu bedeuten, als die Eroberung dieses + unvergleichlichen Mädchens?--Und so gelang es mir denn endlich, ihm diesen einen + Tag abzulisten.</p> + <p>Die Stunden des folgenden Tages vergingen schnell mit den nötigen + Reisevorbereitungen, so daß mir die Zeit, trotz meiner Sehnsucht, nicht allzu + lang wurde. Als der Abend hereinbrach, standen die Karren beladen im Hof. Alles war + zum Vorspannen bereit, um, sobald ich--noch vor Morgengrauen--erschien, aufbrechen zu + können.</p> + <h2><a id="chap_vi" name="chap_vi">VI. AUF DER TERRASSE DER SORGENLOSEN</a></h2> + <p><img src="images/vi.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />ls es nun + völlig Nacht geworden war, begaben wir, Somadatta und ich, uns in dunkelfarbiger + Kleidung, hoch aufgeschürzt, fest gegürtet und das Schwert in der Hand, + nach der Westseite des palastartigen Hauses des reichen Goldschmiedes, wo sich die + Terrasse über der steilen Felswand einer Schlucht befand. Mit Hilfe einer + mitgebrachten Bambusstange erkletterten wir nun, die wenigen Vorsprünge + geschickt benutzend, die in tiefen Schatten gehüllte Felsenwand, + überstiegen dann mit Leichtigkeit die Mauer und befanden uns nun auf einer + großen, mit Palmen, Asokabäumen und prächtigen Blumenpflanzen aller + Art geschmückten Terrasse, die, in Mondlicht gebadet, sich vor uns + ausbreitete.</p> + <p>Nicht weit von mir entfernt sah ich die der Lakshmi ähnliche + Großäugige, die mit meinem Herzen Ball spielte, neben einem jungen + Mädchen auf einer Ruhebank sitzen, und bei diesem Anblick fing ich an so heftig + an allen Gliedern zu zittern, daß ich mich an die Brüstung lehnen + mußte, deren marmorne Kälte meine in Feuersglut schon entschwindenden + Sinne erfrischte und stärkte. Indessen war Somadatta auf seine Geliebte + zugeeilt, die mit einem leisen Ruf aufgesprungen war.</p> + <p>Nun faßte ich mich denn auch so weit, daß ich mich der + Unvergleichlichen nähern konnte, die, anscheinend überrascht durch die + Ankunft eines Fremden, sich erhoben hatte und unschlüssig schien, ob sie bleiben + oder gehen sollte, während sich ihr Auge, wie das der erschreckten jungen + Antilope, wiederholt mit Seitenblicken aus dem äußersten Augenwinkel auf + mich richtete, wobei sie wie eine vom leisen Winde geschaukelte Ranke bebte. Ich aber + stand da in beständig wachsender Verwirrung, mit gesträubten Wangenhaaren + und weit aufgeblühten Augen und konnte nur mühsam einige Worte von dem + unverhofften Glück, sie hier zu treffen, hervorstammeln. Als sie aber meine + große Zaghaftigkeit bemerkte, schien sie selber ruhiger zu werden. Sie setzte + sich wieder auf die Bank und lud mich mit einer lässigen Bewegung ihrer + Lotushand ein, neben ihr Platz zu nehmen, während sie mit einer Stimme, die sehr + leicht und gar lieblich zitterte, mir versicherte, sie sei sehr glücklich + über diese Gelegenheit, mir zu danken, weil ich ihr den Ball mit solcher + Geschicklichkeit zurückgeworfen hätte, daß keine Störung im + Spiel entstanden sei; denn wäre das geschehen, so würde ihr ganzes + Verdienst dahin gewesen sein, und die von ihr ungeschickt verehrte Göttin + hätte ihr gezürnt oder ihr wenigstens kein Glück geschenkt. Darauf + antwortete ich, sie habe mir nicht zu danken, da ich höchstens das wieder gut + gemacht hätte, was ich selber verfehlt; und als sie nicht verstand, wie ich das + meinte, wagte ich sie daran zu erinnern, wie unsere Blicke sich begegnet hatten und + sie darob verwirrt den Ball schief traf, so daß er ihr davonflog. Sie aber + errötete heftig und wollte das durchaus nicht zugeben--was hätte sie denn + auch dabei verwirren können?</p> + <p>"Ich denke," antwortete ich, "daß meine weit aufgeblühten Augen + gleichsam einen solchen Duft von Bewunderung haben entströmen lassen, daß + du dadurch einen Augenblick betäubt wurdest und mit der Hand daneben + schlugst."</p> + <p>"Ei, was sprichst du mir da von Bewunderung," antwortete sie, "du bist ja gewohnt, + in deiner Heimat noch viel geschicktere Spielerinnen zu sehen."</p> + <p>Aus dieser Äußerung entnahm ich mit Genugtuung, daß man sich + über mich unterhalten hatte, und daß meine an Somadatta gerichteten Worte + ihr getreulich mitgeteilt worden waren. Doch wurde mir auch heiß und kalt bei + dem Gedanken, daß ich ja fast geringschätzig über sie gesprochen + hatte, und ich beeilte mich, ihr zu versichern, daß daran kein wahres Wort + gewesen wäre, und daß ich nur so gesprochen hätte, um nicht mein + süßes Geheimnis dem Freunde preiszugeben. Das wollte sie aber nicht + glauben, oder tat wenigstens so; und darüber vergaß ich dann + glücklich meine ganze Schüchternheit, geriet in großen Eifer, um sie + zu überzeugen, und erzählte ihr, wie bei ihrem Anblick der Liebesgott seine + Blumenpfeile auf mich hatte regnen lassen. Ich sei überzeugt, daß sie in + einem früheren Leben meine Frau gewesen sei, denn woher käme wohl sonst + eine so plötzliche und unwiderstehliche Liebe? Wenn dem aber so sei, dann + müsse doch auch sie in mir ihren ehemaligen Gemahl erkannt haben, und es + müsse auch bei ihr eine solche Liebe entstanden sein.</p> + <p>Mit solchen dreisten Worten drang ich ungestüm auf sie ein, bis sie endlich + ihre glühende, tränenperlende Wange an meiner Brust verbarg und mir in kaum + hörbaren Worten gestand, daß es ihr ebenso gegangen sei wie mir, und + daß sie gewiß gestorben wäre, wenn ihre Milchschwester ihr nicht + noch rechtzeitig das Bild gebracht hätte.</p> + <p>Dann küßten und herzten wir uns unzählige Male und meinten vor + Wonne vergehen zu müssen, bis plötzlich der Gedanke an meine unmittelbar + bevorstehende Abreise wie ein schwarzer Schatten über meine Fröhlichkeit + fiel und mir einen tiefen Seufzer erpreßte.</p> + <p>Erschrocken fragte Vasitthi, warum ich also seufzte. Als ich ihr aber dann den + Grund nannte, sank sie wie ohnmächtig auf die Bank zurück, und brach in + einen unerschöpflichen Tränenstrom und in herzzerreißendes Schluchzen + aus. Vergeblich waren meine Versuche, die innig Geliebte zu trösten. Umsonst + versicherte ich ihr, daß ich, sobald die Regenzeit vorüber sei, + zurückkehren und sie dann nimmermehr verlassen wolle, wenn ich mich auch als + Tagelöhner in Kosambi verdingen müsse.--In den Wind gesprochen waren alle + Beteuerungen, daß meine Verzweiflung bei der Trennung nicht geringer sei als + die ihre, und daß nur die harte, unerbittliche Notwendigkeit mich so bald von + ihr wegrisse. Kaum daß sie unter Schluchzen ein paar Worte hervorbringen + konnte, um zu fragen, warum es denn so notwendig sei, schon morgen, nachdem wir uns + eben erst gefunden hätten, abzureisen--und als ich ihr dies dann sehr genau und + umständlich erklärte, schien sie keine Silbe davon zu hören oder zu + verstehen. O, sie sähe schon, daß ich mich danach sehne, nach meiner + Vaterstadt zurückzukommen, wo es noch viel schönere Mädchen als sie + gäbe, die auch viel besser Ball spielen könnten, wie ich es ja selber + gesagt hätte!</p> + <p>Ich mochte sagen, beteuern und beschwören was ich wollte--sie blieb dabei, + und immer reichlicher flossen ihre Tränen. Kann man sich wundern, daß ich + bald darauf zu ihren Füßen lag, ihre schlaff herabhängende Hand mit + Küssen und Tränen bedeckte und ihr versprach, nicht abzureisen? Und wer war + dann seliger als ich, als Vasitthi mich nun mit ihren weichen Armen umschlang und + mich wieder und wieder küßte und vor Freude lachte und weinte. Freilich + sagte sie nun gleich: "Da siehst du, es ist gar nicht so notwendig, daß du + schon wegreisest, denn dann müßtest du es ja unbedingt tun."--Als ich mich + aber anschickte, ihr Alles noch einmal auseinanderzusetzen, schloß sie mir den + Mund mit einem Kusse und sagte, sie wisse, daß ich sie liebe, und sie meine + nicht wirklich, was sie von den Mädchen meiner Vaterstadt gesagt hätte. + Unter zärtlichen Liebkosungen und traulichem Plaudern flogen die Stunden wie im + Traume dahin, und es wäre kein Ende all der Seligkeit gewesen, wenn nicht + plötzlich Somadatta mit Medini gekommen wäre, um uns zu sagen, daß es + die höchste Zeit sei, an die Heimkehr zu denken.</p> + <p>In unserem Hofe fanden wir Alles zum Aufbruch bereit. Ich rief den Führer der + Ochsenkarren und schickte ihn eiligst zum Gesandten mit dem Bescheid, daß mein + Geschäft leider noch nicht völlig erledigt sei, und ich infolgedessen + darauf verzichten müsse, die Heimreise unter dem Schutze der Gesandtschaft zu + machen. Ich bat ihn nur, meinen Eltern einen Gruß zu bringen und empfahl mich + seiner Gewogenheit.</p> + <p>Kaum hatte ich mich auf mein Lager gestreckt, um--wenn möglich--einiger + Stunden Schlafes zu genießen, als der Gesandte selber hereintrat. Erschrocken + sprang ich auf und verbeugte mich tief vor ihm, während er mit ziemlich barscher + Stimme fragte, was dies unglaubliche Betragen bedeuten sollte--ich hätte ihm + sofort zu folgen.</p> + <p>Nun wollte ich anfangen, von meinem noch immer unbeendigten Geschäft zu + reden, aber er unterbrach mich gebieterisch:</p> + <p>"Ach was, Geschäft! Laß es mit der Lüge jetzt genug sein. Ich + sollte wohl wissen, was für Geschäfte im Gange sind, wenn ein junger Fant + plötzlich eine Stadt nicht verlassen kann, selbst wenn ich nicht gesehen + hätte, daß deine Ochsenkarren vorgespannt und beladen im Hofe halten."</p> + <p>Da stand ich nun blutrot und zitternd als ein vollkommen Ertappter. Als er mich + aber ihm augenblicklich zu folgen hieß, da schon ohnehin zu viel der kostbaren + kühlen Tageszeit verloren gegangen sei, stieß er bei mir auf einen + Widerstand, mit dem er offenbar nicht gerechnet hatte. Vom befehlenden Ton ging er + zum drohenden, von diesem zuletzt zum bittenden über. Er erinnerte mich daran, + wie meine Eltern sich nur deshalb entschlossen hätten, mich auf eine so weite + Reise zu schicken, weil sie gewußt, daß ich sie in seiner Begleitung und + unter seinem Schutze hin und zurück machen könnte.</p> + <p>Er hätte aber keinen für seinen Zweck weniger geeigneten Grund ins Feld + führen können. Denn ich sagte mir sofort: dann würde ich ja auch wohl + warten müssen, bis wieder einmal eine Gesandtschaft nach Kosambi ginge, bevor + ich zu meiner Vasitthi zurückkehren könnte! Nein, ich wollte meinem Vater + schon zeigen, daß ich wohl imstande sei, allein eine Karawane durch alle + Beschwerlichkeiten und Gefahren des Weges zu leiten.</p> + <p>Diese Gefahren schilderte mir der Gesandte nun zwar drohend genug, aber das alles + war in den Wind gesprochen. Endlich verließ er mich in großem Zorn: ihn + treffe keine Schuld, ich müsse jetzt selber meine Torheit ausbaden.</p> + <p>Mir war es, als ob eine große Last von mir genommen wäre. Ich hatte + mich ja jetzt so ganz meiner Liebe hingegeben. In diesem süßen + Bewußtsein schlief ich fest ein und erwachte erst, als es Zeit war, sich nach + der Terrasse zu begeben, wo unsere Geliebten unser harrten.</p> + <p>Nacht um Nacht trafen wir uns nun dort, und bei jeder Begegnung entdeckten wir + neue Schätze in unserer gegenseitigen Neigung und trugen eine noch + größere Sehnsucht nach dem Wiedersehen von dannen. Das Mondlicht wollte + mir silberner erscheinen, der Marmor kühler, der Duft der Doppeljasminen + berauschender, der Ruf der Kokila liebestrunkener, das Rauschen der Palmen + träumerischer und das unruhige Flüstern der Asokas noch + verheißungsvoller, als diese Dinge sonstwo in der Welt sein mochten.</p> + <p>O, wie deutlich besinne ich mich auf jene herrlichen Asokas, die längs der + ganzen Terrasse standen, und unter denen wir so oft gewandelt sind, uns mit den Armen + umschlungen haltend! "Die Terrasse der Sorgenlosen" wurde sie nach diesen Bäumen + genannt, denn "den sorgenlosen Baum" und auch "Herzensfrieden" nennen ja die Dichter + den Asoka, den ich nirgends so schön gewachsen gesehen habe wie gerade dort. Die + speerförmigen, nimmer ruhigen Blätter glänzten in den Mondstrahlen und + lispelten im leisen Nachtwinde, und zwischen ihnen glühten die goldigen, + orangefarbenen und scharlachroten Blumen, obschon die Vasantazeit erst im Anzuge war. + Aber wie sollten denn auch, o Bruder, diese Bäume dort nicht schon in voller + Blütenpracht stehen, da der Asoka ja gleich seine Knospen öffnet, sobald + der Fuß eines schönen Mädchens seine Wurzeln berührt!</p> + <p>In einer wunderbaren Vollmondnacht--mir ist's, als sei es gestern gewesen--stand + ich unter diesen Bäumen neben der holden Ursache ihrer Frühblüte, + meiner lieblichen Vasitthi. Über den tiefen Schatten der Schlucht schauten wir + weit hinaus ins Land, sahen die Silberbänder der beiden Flüsse sich durch + die ungeheure Ebene winden und sich an der hochheiligen Stätte vereinigen, die + sie die "Dreilocke" nennen, weil sie glauben, daß die himmlische Ganga als + dritte sich dort mit ihnen verbinde. Diese zeigte mir aber Vasitthi über den + Wipfeln der Bäume--denn mit diesem schönen Namen nennen sie ja hier das + Himmelslicht, das wir im Süden als die Milchstraße kennen.</p> + <p><a id="p36" name="p36">Dann</a> sprachen wir von dem mächtigen Himavat im + Norden, aus dem die Ganga herflutete, dessen Schneegipfel die Wohnung der + Götter, dessen unermeßliche Wälder und tiefe Felsenklüfte der + Aufenthalt der großen Asketen waren. Noch lieber aber folgte ich der Jamuna + aufwärts.</p> + <p>"O," rief ich, "daß ich doch einen Märchennachen hätte, aus + Perlmutterschale, von meinen Wünschen besegelt, von meinem Willen gelenkt, damit + er uns jenen silbernen Strom hinauftragen könnte. Dann müßte sich die + Ilfenstadt wieder aus ihren Trümmern erheben, und die ragenden Paläste + würden vom Gelage der Zecher und vom Streit der Würfelspieler widerhallen. + Der Sand Kurukschetras müßte seine Toten wiedergeben. Da würde der + greise Bhishma, in silberner Rüstung und weißem Gelock auf hohem Wagen + emporragend, seine glattröhrigen Pfeile über die Feinde regnen lassen; der + tapfere Phagadatta würde auf seinem kampfwütigen, rüsselschwingenden + Ilfenstier heranstürmen, der gewandte Krishna das weiße Viergespann + Arjunas in das wildeste Kampfgetümmel hineinjagen. O, wie sehr habe ich den + Gesandten um seine Zugehörigkeit zur Kriegerkaste beneidet, als er mir sagte, + seine Vorfahren hätten an jener unvergeßlichen Schlacht teilgenommen! Aber + das war töricht! Denn nicht nur im Geschlechte gibt es ja Vorfahren, sondern wir + selber sind unsere eigenen Vorfahren. Wo war ich damals? Vielleicht eben dort, unter + den Kämpfenden. Denn obwohl ich ein Kaufmannssohn bin, habe ich immer meine + größte Freude an Waffenspielen gehabt, und ich darf wohl sagen, daß + ich mit dem Degen in der Hand meinen Mann stelle."</p> + <p>Vasitthi umarmte mich stürmisch und nannte mich ihren Helden: ich sei ganz + gewiß einer jener Heroen, die in den Liedern leben. Welcher, könnten wir + freilich nicht wissen, da durch diesen süßen Wohlgeruch der sorgenlosen + Bäume der Duft des Korallenbaumes kaum zu uns dringen würde.</p> + <p>Ich fragte sie, was denn das für ein Duft sei, denn davon hatte ich nie etwas + gehört--wie ich denn überhaupt fand, daß, wie alles andere, auch das + Märchen hier an der Ganga üppiger blühte als bei uns im Gebirge.</p> + <p>Und sie erzählte mir, wie Krishna einst auf seinem Fluge durch Indras Welt im + Kampfspiel den himmlischen Korallenbaum gewonnen und ihn in seinen Garten gepflanzt + habe, einen Baum, dessen tiefrote Blüten weit in die Runde ihren Duft + verbreiten. Und wer diesen Duft eingesogen habe, der erinnere sich in seinem Herzen + langer, langer Vergangenheit, längst entschwundener Zeiten aus früheren + Leben.</p> + <p>"Aber nur die Heiligen können schon hier auf Erden diesen Duft einatmen," + sagte sie und fügte fast schalkhaft hinzu: "und wir beide werden wohl keine + werden. Aber was tut's? Wenn wir auch nicht Nala und Damayanti waren, so haben wir + uns gewiß so lieb gehabt wie sie,--welche nun auch unsere Namen gewesen sein + mögen. Und vielleicht sind Liebe und Treue das einzig Wirkliche, das Namen und + Gestalten wechselt. Sie sind die Melodien, und wir die Lauten, auf denen sie gespielt + werden. Die Laute zerbricht, und eine andere wird gestimmt; aber die Melodie bleibt + dieselbe. Sie klingt freilich voller und feiner auf dem einen Instrument als auf dem + anderen, wie ja auch meine neue Vina viel schöner tönt als die alte. Wir + aber sind zwei herrliche Lauten für die Götter darauf zu spielen, die + wonnigste aller Weisen darauf ertönen zu lassen."</p> + <p>Ich drückte sie stumm an mich, innig ergriffen und verwundert ob solcher + seltsamen Gedanken. Sie aber fügte mit leisem Lachen hinzu, indem sie wohl meine + Gedanken erriet:</p> + <p>"Freilich darf ich eigentlich nicht solche Gedanken haben, denn unser alter + Hausbrahmane wurde einmal recht böse, als ich etwas Ähnliches verlauten + ließ: ich solle nur zu Krishna beten und das Denken den Brahmanen + überlassen. Da ich nun also nicht denken, wohl aber glauben darf, so will ich + glauben, daß wir wirklich und wahrhaftig Nala und Damayanti waren."</p> + <p>Und indem sie ihre Hände betend zum blütenschimmernden, + blätterflimmernden Wipfel vor uns emporhob, sprach sie den Baum an mit den + Worten, die Damayanti, im Walde umherirrend, an den Asoka richtet, nur daß die + schmiegsamen Clokaverse des Dichters sich wie von selber auf ihren Lippen mehrten und + reicher blühten, wie ein Schößling, der in geweihten Boden + umgepflanzt ist:</p> + <p>"Du Sorgenloser! der Wehklage lausche der sorgenvollen Maid!<br /> + Der du den Namen trägst 'Herzfrieden'! diesem Herzen den Frieden schenk'!<br /> + Mit Blumenaugen umherspähend, sprechend mit Blätterzungen fein,<br /> + Gieb Kunde mir, wo mein Herzwalter wandert, wo jetzt mein Nala weilt".</p> + <p>Dann blickte sie mich mit liebevollen Augen an, in deren Tränen das Mondlicht + sich spiegelte, und sagte mit bebenden Lippen:</p> + <p>"Wenn du fern von hier bist und an diesen Ort unserer Seligkeit zurückdenkst, + dann stelle dir vor, daß ich hier stehe und so mit diesem schönen Baume + spreche. Nur sage ich dann nicht 'Nala', sondern 'Kamanita'."</p> + <p>Ich schloß sie in meine Arme und preßte meine Lippen auf die + ihren.</p> + <p>In diesem Augenblick rauschte der Wipfel über uns. Eine große, + leuchtend rote Blume schwebte herab und ließ sich auf unsere + tränenfeuchten Wangen nieder. Vasitthi nahm sie lächelnd in die Hand, + weihte sie mit einem Kusse und reichte sie mir. Ich verbarg sie an meiner Brust.</p> + <p>Mehrere Blumen waren in dem Baumgange zur Erde gefallen. Medini, die neben + Somadatta auf einer Bank nicht weit von uns entfernt saß, sprang auf, und, + einige gelbe Asokablüten emporhaltend, rief sie, indem sie auf uns zukam:</p> + <p>"Sieh, Schwester! Die Blumen fangen schon an abzufallen. Bald werden genug + für dein Bad da sein."</p> + <p>"Aber diese gelben darf Vasitthi freilich nicht in ihr Badewasser tun," fügte + mein immer schalkhafter Freund hinzu, "wenn ihr blumenhafter Leib ihrer Liebe + gemäß blühen soll, sondern nur solche scharlachrote, wie jene, die + Freund Kamanita soeben in seinem Gewande verbarg. Denn im goldenen Buch der Liebe + heißt es: 'Safrangelbe Neigung nennt man sie, wenn sie zwar in die Augen + fällt, aber wieder verloren geht; scharlachrot aber nennt man sie, wenn sie + nicht wieder verloren geht und übermäßig in die Augen + fällt'"</p> + <p>Dabei lachten er und seine Medini auf ihre lustige, vertrauliche Weise.</p> + <p>Vasitthi aber antwortete ernst, wenn auch mit ihrem süßen Lächeln, + indem sie meine Hand fest und sanft drückte:</p> + <p>"Du irrst dich, lieber Somadatta! Meine Liebe hat keine Blumenfarbe. Denn ich habe + sagen hören, die Farbe der echtesten Liebe sei nicht rot, sondern + schwarz--schwarz wie der Hals Qivas wurde, als der Gott das Gift verschlang, das + sonst die Wesen vernichtet hätte. Und so muß es auch sein: auch das Gift + des Lebens muß die wahre Liebe vertragen können, und willig muß sie + das Bitterste kosten, um es dem Geliebten zu ersparen. Und gewiß wird sie + lieber davon ihre Farbe wählen, als von allen leuchtenden Freuden."</p> + <p>Also sprach meine geliebte Vasitthi in jener Nacht unter den sorgenlosen + Bäumen.</p> + <h2><a id="chap_vii" name="chap_vii">VII. IN DER SCHLUCHT</a></h2> + <p><img src="images/vii.png" width="93" height="93" align="left" alt="T" />ief bewegt + durch diese lebhafte Erinnerung, schwieg der Pilger eine kleine Weile. Dann seufzte + er, strich sich mit der Hand über die Stirn und fuhr in seiner Erzählung + fort.</p> + <p>Kurz, Bruder, ich ging während dieser ganzen Zeit wie in einem Rausche von + Seligkeit umher, und meine Füße schienen kaum mehr die Erde zu + berühren. Einmal mußte ich laut lachen, weil ich hörte, daß es + Leute gebe, die diese Welt ein Jammertal nennen und ihre Gedanken und Wünsche + darauf richten, nicht mehr unter den Menschen wiedergeboren zu werden. "Welch + ausgemachte Toren, Somadatta!" rief ich, "als ob es einen vollkommeneren Ort der + Seligkeit geben könnte als die Terrasse der Sorgenlosen."</p> + <p>Aber unter der Terrasse war die Schlucht.</p> + <p>In diese waren wir gerade hinuntergeklettert, als ich jene törichten Worte + ausrief, und als sollte mir gezeigt werden, daß auch die höchste + Erdenwonne ihre Bitterkeit hat, wurden wir in demselben Augenblick von mehreren + bewaffneten Männern angefallen. Wie viele es waren, vermochten wir in der tiefen + Dunkelheit nicht zu unterscheiden. Glücklicherweise konnten wir uns den + Rücken durch die Felsenwand decken, und mit dem beruhigenden Bewußtsein, + nur von vorn bedroht zu sein, fingen wir an, für unser Leben und unsere Liebe zu + fechten. Wir bissen die Zähne zusammen und waren schweigsam wie die Nacht, + während wir so ruhig wie möglich parierten und stießen; unsere Gegner + aber heulten wie die Teufel, um sich gegenseitig anzufeuern, und wir vermeinten acht + bis zehn Stimmen unterscheiden zu können. Wenn sie nun auch ein paar bessere + Degen vorfanden, als sie erwartet haben mochten, so war unsere Stellung doch ernst + genug. Bald lagen aber zwei von ihnen auf der Erde, und ihre Körper hinderten + die anderen, die fürchteten, über sie zu stolpern und so unseren + Schwertspitzen überliefert zu werden, beträchtlich am Kämpfen. Sie + mochten sich einige Schritte zurückgezogen haben, denn wir fühlten nicht + mehr ihren heißen Atem im Gesicht.</p> + <p>Ich flüsterte Somadatta ein paar Worte zu, und wir rückten mehrere + Schritte zur Seite, in der Hoffnung, daß die Angreifer, uns an der alten Stelle + wähnend, einen plötzlichen Vorstoß machen und dabei anstatt an uns an + die Felsenwand geraten und an dieser ihre Schwertspitzen zerbrechen würden, + während die unserigen ihnen gehörig zwischen die Rippen fahren sollten. + Obwohl wir nun die äußerste Vorsicht beobachteten, muß aber doch + wohl ein leises Geräusch ihren Verdacht erweckt haben. Denn der erhoffte blinde + Angriff erfolgte nicht, wohl aber sah ich plötzlich einen schmalen Lichtstreif + die Wand treffen und wurde auch gewahr, daß dieser Strahl von einem Lampendocht + herkam, der offenbar in einer vorsichtig geöffneten Dose steckte, neben der sich + auch eine warzige Nase und ein zusammengekniffenes Auge zeigten.</p> + <p>Da die Bambusstange, mit deren Hilfe wir die Terrasse erklommen hatten, + glücklicherweise sich noch in meiner linken Hand befand, stieß ich beherzt + zu--ein lauter Schrei, das Verschwinden des Strahls und das Klirren des zu Boden + gefallenen Lämpchens bezeugten, wie gut ich getroffen hatte; und diesen + Augenblick benutzten wir nun, in der Richtung, in der wir gekommen waren, eilends + davon zu laufen. Wir wußten, daß hier die Kluft allmählich enger + wurde und ziemlich steil aufstieg, und daß man zuletzt ohne + übermäßige Mühe die Höhe erklettern konnte. Doch war es ein + großes Glück, daß unsere Angreifer die Verfolgung in der Finsternis + sehr bald aufgaben, denn beim letzten Aufstieg drohten meine Kräfte mich zu + verlassen, und ich fühlte, daß ich aus mehreren Wunden heftig blutete; + auch mein Freund war verwundet, obschon leichter.</p> + <p>Oben angekommen, zerschnitten wir mein Gewand und verbanden notdürftig unsere + Wunden, und so gelangte ich denn endlich, auf Somadattas Arm gestützt, + glücklich nach Hause, wo ich dann mehrere Wochen auf dem Schmerzenslager + zubringen mußte.</p> + <p>Da lag ich nun, von dreifachem Leid geplagt. Denn die Wunden und das Fieber + verbrannten mir den Leib, und sehrende Sehnsucht nach der Geliebten verzehrte meine + Seele--bald aber kam noch die Besorgnis um ihr teures Leben hinzu. Denn das zarte, + blumenhafte Wesen hatte die Nachricht von der tödlichen Gefahr, in der ich + geschwebt hatte und vielleicht noch immer schwebte, nicht ertragen können und + war von einer schweren Krankheit befallen worden. Ihre getreue Milchschwester Medini + ging aber tagtäglich von einem Krankenlager zum anderen, und so fehlte es uns + wenigstens nicht an dauernder Verbindung und an sinnigem Verkehr. Blumen wanderten + zwischen uns hin und her, und da wir beide in die Wissenschaft der Blumensprache + eingeweiht waren, vertrauten wir uns durch diese lieblichen Boten gar mancherlei an. + Später, als unsere Kräfte sich hoben, fand auch manch zierlicher Vers den + Weg von Hand zu Hand, und so hätte unser Zustand sich bald recht erträglich + gestaltet, wenn nicht mit der Genesung, der wir in gleichem Schritt uns + näherten--gleichsam zu treu verbunden, als daß der eine dem anderen darin + vorauseilen wollte--auch die Zukunft an uns herangetreten wäre und uns mit + schweren Sorgen erfüllt hätte.</p> + <p>Es war uns nämlich nicht verborgen geblieben, welcher Art jener scheinbar so + rätselhafte Überfall gewesen war. Kein anderer als der Sohn des + Ministers--Satagira war sein verhaßter Name--, mit dem ich an jenem + unvergeßlichen Nachmittage im Parke um Vasitthis Ball gerungen hatte: kein + anderer war es als er, der die gedungenen Mörder auf mich gehetzt hatte. Ohne + Zweifel hatte er bemerkt, daß ich nach der Abreise der Gesandtschaft noch immer + in der Stadt zurückblieb, und sein dadurch geweckter Argwohn hatte gar bald + meine nächtlichen Besuche auf der Terrasse erspäht.</p> + <p>Ach, jene Terrasse der Sorgenlosen war unserer Liebe jetzt wie ein versunkenes + Eiland. Wohl hätte ich freudig immer wieder und wieder mein Leben in die Schanze + geschlagen, um die Holde dort zu umfangen. Aber selbst wenn Vasitthi das Herz gehabt + hätte, mich allnächtlich tödlicher Gefahr auszusetzen, so blieb uns + doch eine solche Versuchung erspart. Der böse Satagira mußte die Eltern + meiner Geliebten von unseren geheimen Zusammenkünften unterrichtet haben, denn + es zeigte sich bald, daß Vasitthi sorgfältig und argwöhnisch + überwacht wurde, und daß der Aufenthalt auf der Terrasse ihr nach + Sonnenuntergang verboten war--angeblich wegen ihrer noch gefährdeten + Gesundheit.</p> + <p>So war denn unsere Liebe obdachlos! Die sich so gern im Verborgenen heimisch + fühlt, durfte nur dort zu Hause sein, wo es alle Welt war!--In jenem + öffentlichen Garten, wo ich zuerst ihre göttliche Gestalt erblickt und sie + ein paarmal schon vergebens gesucht hatte, trafen wir uns wie von ungefähr. Aber + was für eine Begegnung war das! Wie flüchtig die gestohlenen Minuten, wie + zaghaft und sparsam die hastigen Worte, wie gezwungen die Bewegungen, die sich + neugierigen oder wohl gar spähenden Blicken ausgesetzt fühlten! Vasitthi + beschwor mich, die Stadt, wo mir in ihrer Nähe tödliche Gefahr drohte, + sofort zu verlassen. Sie klagte sich bitter an, daß sie an jenem + unvergeßlichen ersten Abend auf der Terrasse durch ihren Eigensinn mich zum + Bleiben überredet und mich dadurch beinahe schon in den Rachen des Todes + getrieben habe; vielleicht würden in diesem Augenblick neue Meuchelmörder + gegen mich gedungen. Wenn ich mich nicht durch schleunigste Abreise dieser Gefahr + entzöge, machte ich sie zur Mörderin ihres Liebsten! Unterdrücktes + Schluchzen erstickte ihre Stimme, und ich mußte daneben stehen, ohne sie in + meine Arme schließen und ihr die Tränen, die schwer wie Gewittertropfen + ihre blassen Wangen herabrollten, wegküssen zu können. Einen solchen + Abschied ertrug ich nicht, und ich erklärte ihr, ich könne nicht von dannen + reisen, ohne vorher eine Zusammenkunft mit ihr zu haben, wie diese nun auch zu + bewerkstelligen sei.</p> + <p>Vasitthis verzweifelt flehender Blick, als wir gerade in diesem Moment durch das + Nahen mehrerer Personen uns zu trennen genötigt wurden, konnte meinen + Entschluß nicht zum Wanken bringen. Ich vertraute auf die Erfindungsgabe meiner + Geliebten, die nunmehr, durch Sehnsucht nach mir und durch Angst um mein Leben + angespornt und von der schlauen und in Liebessachen bewanderten Milchschwester Medini + beraten, gewiß einen Ausweg finden würde. Hierin täuschte ich mich + nicht; denn noch in derselben Nacht konnte Somadatta mir ihren recht + verheißungsvollen Plan mitteilen.</p> + <h2><a id="chap_viii" name="chap_viii">VIII. DIE PARADIESKNOSPE</a></h2> + <p><img src="images/viii.png" width="93" height="93" align="left" alt="E" />twas + außerhalb der östlichen Mauer Kosambis liegt ein schöner Sinsapawald + der eigentlich ein heiliger Hain ist. Auf einer Lichtung steht noch das Heiligtum, + freilich in sehr verfallenem Zustande. Schon längst fand in diesem uralten + Tempelchen kein Opferdienst mehr statt, weil dem Krishna, dem es geweiht ist, ein + neuer, weit größerer und prachtvoller Tempel in der Stadt selber erstanden + war. In der Ruine aber hauste außer einem Eulenpaar eine Heilige, die des Rufes + genoß, mit Geistern in Verbindung zu stehen, durch deren Hilfe sie einen + Einblick in die Zukunft bekam--einen Einblick, den die gute Seele Opfergabe + darbietenden Mitmenschen nicht vorenthielt. Solche pilgerten denn auch in + großer Zahl zu ihr hin, und zwar vornehmlich nach Sonnenuntergang junge + verliebte Leute beiderlei Geschlechts, und es gab böswillige Zungen, die + behaupteten, die Alte sei eher eine Kupplerin, denn eine Heilige zu nennen. Wie dem + nun auch sein möge, <i>diese</i> Heiligkeit war gerade das, was wir brauchten, + und ihr Tempelchen wurde als Stätte unserer Zusammenkunft ausersehen.</p> + <p>Am nächsten Tage zog ich mit meinen Ochsenkarren ab, und zwar zu der Stunde, + da sich die Leute in den Bazar oder in die Gerichtshalle begaben. Dabei wählte + ich geflissentlich die belebtesten Straßen, so daß meine Abreise meinem + Feinde Satagira gewiß kein Geheimnis bleiben konnte. Aber schon nach wenigen + Stunden der Fahrt machte ich in einem großen Dorfe Halt und ließ meine + Karawane dort ihr Nachtquartier beziehen, zu nicht geringer Freude meiner Leute. Ich + selbst bestieg ein frisches Pferd und ritt gegen Sonnenuntergang, in den groben + Mantel eines meiner Diener gehüllt, denselben Weg nach Kosambi zurück.</p> + <p>Es war völlig Nacht geworden, bis ich den Sinsapawald erreichte. Als ich + behutsam mein Reittier zwischen die Stämme hineinlenkte, wurde ich, wie zum + Willkommen, von dem herrlichen Dufte der Nachtlotusblüten auf dem alten + Krishnateiche empfangen. Bald zeichnete das zerbröckelnde, von + Götterbildern wimmelnde Tempeldach seine zackigen und wirren Formen gegen den + sternenfunkelnden Himmel. Ich war am Ziele. Kaum hatte ich mich aus dem Sattel + geschwungen, so waren auch meine Freunde schon an meiner Seite. Mit einem Aufschrei + des Entzückens stürzten Vasitthi und ich einander in die Arme, halb + besinnungslos vor Freude des Wiedersehens, und ich weiß nur noch von + Liebkosungen, stammelnden Worten der Zärtlichkeit und Beteuerung unserer Liebe + und Treue, bis ich jäh emporschrak durch das unerwartete Gefühl eines weich + fächelnden Fittichs, der mir die Wange streifte, worauf sofort der Schrei einer + Eule und der häßliche Klang einer gesprungenen Bronzeglocke mich + völlig aus der Liebesverzückung erweckten.</p> + <p>Medini hatte am Strange der alten Gebetglocke gezogen und dadurch die Eule aus der + Nische, in der sie hauste, verscheucht. Dies tat das gute Mädchen nicht so sehr, + um die Heilige zu rufen, als vielmehr, weil sie sah, daß diese schon zum + Tempelchen herauskam, offenbar ungehalten, weil sie Stimmen im heiligen Bezirk + vernommen hatte, ohne daß geläutet oder angepocht worden wäre.</p> + <p>Medini erklärte der Alten, der große Ruf ihrer Heiligkeit und ihrer + erstaunlichen Kenntnisse habe sie und diesen jungen Mann--wobei sie auf Somadatta + zeigte--bewogen, sie aufzusuchen, um Auskunft über das zu erhalten, was von der + Zeit noch verborgen sei. Die Heilige erhob prüfend den Blick zum Himmel und + meinte, da das Siebengestirn gerade eine ungemein günstige Stellung zum + Polarstern einnähme, dürfte sie wohl hoffen, daß die Geister ihre + Hilfe nicht versagen würden; worauf sie Somadatta und Medini einlud, in das Haus + Krishnas, des sechzehntausendeinhundertfachen Bräutigams<a href="#fu6">[1]</a>, + einzutreten, der einem liebenden Paar gern seine Herzenswünsche gewähre. + Vasitthi und ich blieben aber, als vermeintliche Dienerschaft, draußen + zurück.</p> + <p><a id="fu6" name="fu6"></a></p> + <blockquote> + [1] Die sich an diesen seltsamen Namen knüpfende Legende wird im Kapitel "<a + href="#chap_xxxvi">Buddha und Krishna</a>" erzählt--s.S. 242 ff. + </blockquote> + <br /> + <br /> + <p>Wie wir uns nun zuschwuren, daß nur der Alles hinraffende Tod uns sollte + trennen können, wie wir von meiner baldigen Rückkehr, sobald die Regenzeit + vorüber wäre, sprachen und Mittel und Wege erörterten, um ihre sehr + reichen Eltern dahin zu bringen, daß sie in unsere Verbindung einwilligten, und + wie dies von unzähligen Küssen, Tränen und Umarmungen unterbrochen + wurde: das wäre ich nicht einmal mehr imstande, dir genau zu erzählen, denn + es ist in meinem Gedächtnis nur wie die Erinnerung an einen wirren Traum + zurückgeblieben. Noch weniger aber kann ich, wenn du selbst nicht Ähnliches + erlebt hast, dir eine Vorstellung davon geben, wie sich in jeder Umarmung wonniges + Entzücken und herzzerreißende Verzweiflung umschlangen; denn eine jede + gemahnte daran, daß die letzte für diesmal bald folgen würde; und wer + stand dafür ein, daß diese dann nicht die letzte überhaupt war?</p> + <p>Nur gar zu bald traten Somadatta und Medini wieder aus dem Tempel heraus. Die + Heilige wollte nun auch uns die Zukunft offenbaren, aber Vasitthi entsetzte sich ob + dieses Gedankens.</p> + <p>"Wie sollte ich es denn ertragen, wenn eine unheildrohende Zukunft sich + entschleierte?" rief sie aus.</p> + <p>"Warum denn auch gerade unheildrohend?" meinte die wohlwollende Alte, die wohl + wegen ihrer Heiligkeit freundliche Lebenserfahrungen gemacht haben mochte. "Auch dem + Diener blüht das Glück," fügte sie verheißungsvoll hinzu.</p> + <p>Aber Vasitthi ließ sich durch ihre Worte nicht locken; schluchzend + umklammerte sie meinen Hals.</p> + <p>"Ach, mein einzig Geliebter," rief sie, "mir ist es, als ob die Zukunft mit + unerbittlichem Gesicht dreinschaute. O, ich fühle es,--ich werde dich nie mehr + wiedersehen!"</p> + <p>Obwohl mich diese Worte mit eisigem Schauer durchrieselten, versuchte ich ihr doch + diese grundlose Angst auszureden; aber eben, weil sie grundlos war, vermochten meine + beredtesten Worte wenig oder gar nichts. Die Tränen rollten unaufhaltsam + über Vasitthis Wangen; mit einem Blick überirdischer Liebe ergriff sie + meine Hand und drückte sie an ihre Brust.</p> + <p>"Aber wenn wir uns hier nicht mehr sehen sollten, so wollen wir uns doch treu + bleiben, und wenn dies kurze und leidenvolle Erdenleben vorüber ist, wollen wir + uns im Paradiese wiederfinden und dort vereinigt auf immer himmlische Wonne + genießen.... O, Kamanita! Versprich mir das--wie viel stärker wird das + mich aufrichten als alle tröstenden Worte! Denn diese sind ja doch gegen den + unvermeidlichen, schon heranbrausenden Schicksalsstrom so ohnmächtig wie das + Schilf gegen die Wasserflut. Aber allmächtig, neues Leben gebärend, ist der + heilige, feste Entschluß."</p> + <p>"Wenn es nur darauf ankommt, geliebte Vasitthi--wie sollte ich dich dann nicht + überall finden?" sagte ich, "aber hoffen wir, daß es in dieser Welt + geschehen wird!"</p> + <p>"Hier ist Alles unsicher, und schon der Augenblick, in dem wir sprechen, + gehört uns nicht an--aber nicht so im Paradiese."</p> + <p>"Ach, Vasitthi," seufzte ich, "gibt es ein Paradies--und wo liegt es?"</p> + <p>"Wo die Sonne untergeht," sagte sie mit voller Überzeugung, "liegt das + Paradies des grenzenlosen Lichtes, und Allen, die den Mut haben, das Irdische zu + verachten und ihr Denken auf jenen Ort der Seligkeit zu richten, steht dort eine + reine Geburt bevor, aus dem Schoße einer Lotusblume. Die erste Sehnsucht nach + jenem Paradiese bringt dort im heiligen, kristallklaren See eine Knospe hervor, jeder + reine Gedanke, jede gute Tat läßt sie anschwellen, während alles + Böse, was in Gedanken, Wort und Tat vollbracht wird, wie ein Wurm in ihr nagt + und sie dem Verwelken nahe bringt."</p> + <p>Ihre Augen leuchteten gleich Tempelkerzen, als sie so sprach mit einer Stimme, die + wie die lieblichste Musik klang.</p> + <p>Dann erhob sie ihre Hand und zeigte hinauf, wo über den schwarzen Wipfeln der + Sinsapabäume die Milchstraße sich in sanft strahlendem Alabasterglanz + durch die mit funkelnden Sternen übersäte, purpurdunkle Himmelsebene + streckte.--</p> + <p>"Sieh dort, Kamanita," rief sie--"die himmlische Ganga! Schwören wir bei + ihren silbernen Wellen, die die Lotusseen jener seligen Gefilde speisen,--unsere + ganze Seele darauf zu richten, dort unserer Liebe eine ewige Heimat zu bereiten."</p> + <p>Seltsam bewegt, hingerissen und in meinem Innersten tief erschüttert, erhob + ich meine Hand zu der ihren, und unsere Herzen bebten gemeinsam bei dem + göttlichen Gedanken, daß in diesem Augenblick in unabsehbaren Weltenfernen + hoch über den Stürmen dieses irdischen Daseins eine Doppelknospe ewigen + Liebeslebens sich bildete.</p> + <p>Als ob hiermit ihre Kräfte erschöpft wären, sank Vasitthi in meine + Arme, wo sie wie leblos liegen blieb, nachdem sie noch einen hinsterbenden + Abschiedskuß auf meine Lippen gedrückt hatte.</p> + <p>Ich legte sie sanft in die Arme Medinis, bestieg mein Pferd und ritt davon, ohne + daß ich mich noch einmal umzusehen wagte.</p> + <h2><a id="chap_ix" name="chap_ix">IX. UNTER DEM RÄUBERGESTIRN</a></h2> + <p><img src="images/ix.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />ls ich das + Dorf, wo meine Leute Nachtquartier bezogen hatten, wieder erreichte, zögerte ich + nicht, diese zu wecken, und schon ein paar Stunden vor Sonnenaufgang war die Karawane + unterwegs.</p> + <p>Am zwölften Tage erreichten wir um die Mittagsstunde ein gar liebliches Tal + in der waldigen Gegend Vedisas. Ein kleiner kristallklarer Fluß wand sich + gemach durch die grünen Wiesen; die sanft ansteigenden Hügel waren mit + blühendem Gebüsch bestanden, das einen würzigen Duft verbreitete; etwa + in der Mitte der langgestreckten Talsohle und unfern dem Flüßchen erhob + sich ein Nyagrodhabaum, dessen undurchdringliche Laubkuppel einen schwarzen Schatten + auf die smaragdene Matte warf und, von ihren tausend Nebenstämmen gestützt, + einen Hain bildete, in dem wohl zehn Karawanen wie die meinige hätten Obdach + finden können.</p> + <p>Die Stelle war mir von der Hinreise wohl erinnerlich, und ich hatte sie schon zur + Lagerstätte ausersehen. Es wurde also Halt gemacht. Die wegmüden Ochsen + wateten in den Strom hinaus und tranken begehrlich das kühle Naß, um sich + dann am zarten Ufergras zu laben. Die Leute erfrischten sich durch ein Bad und + machten sich dann gleich daran, dürre Zweige zu sammeln und ein Feuer zum + Reiskochen anzuzünden, während ich selbst--auch durch ein Bad + erfrischt--mich im tiefsten Schatten, an eine Wurzel des Hauptstammes angelehnt, + hinstreckte, um an Vasitthi zu denken und bald in der Tat von ihr zu träumen. An + der Hand des geliebten Mädchens schwebte ich durch paradiesische Gefilde.</p> + <p>Ein großes Geschrei brachte mich jäh zur rauhen Wirklichkeit + zurück. Als ob ein böser Zauberer sie aus der Erde hätte emporwachsen + lassen, wimmelten bewaffnete Männer um uns herum, und das nahe Gebüsch + entsandte immer neue. Sie waren schon bei den Wagen, die ich in einem Kreise um den + Baum hatte aufstellen lassen, und fochten mit meinen Leuten, die alle im Gebrauch der + Waffen geübt waren und sich tapfer verteidigten. Bald war ich mitten im + Kampfgetümmel. Mehrere Räuber fielen von meiner Hand. Plötzlich sah + ich einen großen, bärtigen Mann von schrecklichem Aussehen vor mir; sein + Oberkörper war unbekleidet, und um den Hals trug er eine dreifache Reihe von + Menschendaumen. Da wußte ich denn: "Das ist der Räuber Angulimala, der + grausame, der blutgierige, der die Dörfer undörflich, die Städte + unstädtlich, die Länder unländlich macht, der die Leute umbringt und + ihre Daumen sich um den Hals hängt." Und ich glaubte schon, meine letzte Stunde + sei gekommen.</p> + <p>Wirklich schlug mir dies Ungetüm sofort das Schwert aus der Hand"-eine + Leistung, die ich keinem Wesen aus Fleisch und Blut zugetraut hätte. Bald lag + ich an Händen und Füßen gefesselt auf der Erde. Um mich her waren + alle meine Leute erschlagen bis auf einen, einen alten Diener meines Vaters, der von + der Menge überwältigt worden und, ebenso wie ich, unverwundet in + Gefangenschaft geraten war. Ringsum, unter dem schattigen Dache des Riesenbaumes, in + Gruppen gelagert, taten die Räuber sich gütlich.</p> + <p>Jene kristallene Kette mit dem Tigerauge, von der ich dir schon erzählt habe, + wie sie beim Ringkampf mit Satagira um Vasitthis Ball zerriß"-jene Kette, die + mir meine gute Mutter beim Abschied als Amulett umgehängt hatte, war mir durch + Angulimalas blutige Mörderhand vom Halse gezerrt worden. Noch viel schmerzlicher + war mir aber der Verlust der Asokablume, die ich seit jener Nacht auf der Terrasse + immer an meinem Herzen getragen hatte. Nicht weit von mir glaubte ich sie zu + entdecken, ein rotes Flämmchen im zerstampften Grase, gerade dort, wo die + jüngsten Räuber hin und her liefen, das dampfende Fleisch des schnell + geschlachteten und gebratenen Rindes und Kürbisflaschen mit Branntwein den + Schmausenden zu bringen. Mir war es, als ob sie mein Herz zerstampften, so oft ich + meine arme Asokablume unter ihren schmutzigen Füßen verschwinden sah, um + immer weniger leuchtend zum Vorschein zu kommen, bis ich sie gar nicht mehr + erspähen konnte. Und ich dachte, ob wohl Vasitthi jetzt vor dem sorgenlosen + Baume stände, um ihn zu befragen? Wie gut dann, daß er ihr nicht sagen + konnte, wo ich weilte, denn gewiß hätte sie vor Schreck ihre zarte Seele + ausgehaucht, wenn sie mich in dieser Umgebung gesehen hätte.</p> + <p>Nur ein Dutzend Schritte von mir entfernt zechte der furchtbare Angulimala selber + mit einigen seiner Vertrauten. Fleißig machte die Flasche die Runde, und die + Gesichter"--mit Ausnahme eines einzigen, von dem ich noch später sprechen + werde"--wurden immer röter, während die Räuber sich lebhaft, fast + erregt unterhielten, ja bald in offenbaren Streit gerieten.</p> + <p>Leider gehörte die Wissenschaft der Gaunersprache damals noch nicht zu meinen + vielen Fähigkeiten--woraus man ersieht, wie wenig der Mensch beurteilen kann, + welche Kenntnisse ihm am nützlichsten sein werden. Gar zu gern hätte ich + den Sinn ihrer lauten Rede verstanden, denn ich konnte nicht in Zweifel sein, + daß sie mich und mein Schicksal betraf. Die Mienen und Gebärden zeigten + mir das mit unheimlicher Deutlichkeit, und wahre Flammenblicke, die unter den + dichten, zusammengewachsenen Brauen des Häuptlings von Zeit zu Zeit nach mir + herüberblitzten, ließen mich mein Amulett gegen den bösen Blick, das + jetzt auf der zottigen Brust des Ungeheuers selber erglänzte, sehr vermissen. In + der Tat hatte ich, wie ich später erfuhr, einen Liebling Angulimalas und dazu + den besten Degen der ganzen Bande vor seinen Augen niedergestreckt, und der + Häuptling hatte mich nur deshalb nicht getötet, weil er seine Rachsucht + durch den Anblick meiner langsamen Todesmarter zu stillen gedachte. Die anderen aber + wollten nicht zugeben, daß eine reiche Beute, die von Rechts wegen der ganzen + Bande gehörte, auf solche Weise nutzlos vergeudet würde. Ein kahler, glatt + rasierter Mann, der wie ein Priester aussah, fiel mir als Angulimalas Hauptgegner + auf, der allein es verstand, diesen Wilden zu bändigen. Er war auch der einzige, + dessen Gesichtsfarbe während des Zechens seine Blässe bewahrte. Nach einem + langen Streit, währenddessen Angulimala ein paarmal in die Höhe fuhr und + zum Schwerte griff, siegte schließlich--zu meinem Heile--der professionelle + Gesichtspunkt.</p> + <p>Die Bande Angulimalas gehörte nämlich zu den "Absendern"--so genannt, + weil es zu ihren Regeln gehört, von zwei Gefangenen den einen abzusenden, damit + er das geforderte Lösegeld auftreibe. Wenn sie einen Vater und seinen Sohn + gefangen nahmen, hießen sie den Vater gehen, das Lösegeld für den + Sohn zu beschaffen; von zwei Brüdern schickten sie den älteren; war ein + Lehrer mit seinem Jünger in ihre Hände gefallen, so wurde der Jünger + abgesandt, hatten sie einen Herrn und seinen Diener gefangen, so mußte der + Diener gehen--darum eben hießen sie "Absender". Zu diesem Zwecke hatten sie, + ihrer Sitte gemäß, jenen Diener meines Vaters geschont, während sie + alle meine anderen Leute niedermetzelten; denn obschon etwas bejahrt, war dieser noch + rüstig und sah klug und erfahren aus--wie er denn auch schon mehrmals Karawanen + geführt hatte.</p> + <p>Er wurde nun seiner Fesseln entledigt und noch an demselben Abend abgeschickt, + nachdem ich ihm eine vertrauliche Botschaft mitgegeben hatte, an der meine Eltern die + Richtigkeit der Sache erkennen konnten. Bevor er sich auf den Weg begab, ritzte aber + Angulimala einige Zeichen in ein Palmblatt und übergab es ihm. Es war eine Art + Geleitbrief für den Fall, daß er auf dem Rückweg, wenn er die Summe + bei sich trug, in die Hände anderer Räuber fallen sollte. Denn Angulimalas + Name war so gefürchtet, daß selbst Räuber, die Königsgeschenke + von der Straße entführten, sich nimmer vermessen hätten, etwas, das + sein Eigentum war, auch nur anzurühren.</p> + <p>Auch mir wurden nun bald die Fesseln abgenommen, da man wohl wußte, + daß ich nicht töricht genug sein würde, einen Fluchtversuch zu + machen. Das erste, wozu ich meine Freiheit benutzte, war, daß ich nach der + Stelle hinstürzte, wo ich die Asokablume hatte verschwinden sehen. Aber ach, + nicht einmal mehr ein farbloses Restchen konnte ich von ihr entdecken! Diese zarte + Blumenflamme schien unter den rohen Räuberfüßen gänzlich zu + Asche zerstampft. War sie ein Wahrzeichen unseres Liebesglücks?</p> + <p>Ziemlich frei lebte und bewegte ich mich jetzt unter diesen gefährlichen + Gesellen, in der Erwartung des Lösegeldes, das binnen zwei Monaten kommen + mußte.</p> + <p>Da wir uns in der dunklen Hälfte des Monats befanden, gingen die + Diebstähle und Räubereien lebhaft vonstatten. Denn diese Zeit, die der + furchtbaren Göttin Kali gehört, wird fast ausschließlich zu den + regelmäßigen Geschäften benutzt, so daß keine Nacht ohne irgend + einen Überfall oder Einbruch verging. Mehrmals wurden auch ganze Dörfer + geplündert. In der fünfzehnten Nacht des abnehmenden Mondes aber wurde + Kalis Fest mit grauser Feierlichkeit begangen. Nicht nur Stiere und zahllose schwarze + Ziegen, sondern auch einige unglückliche Gefangene wurden vor ihrem Bild + geschlachtet; man stellte das Opfer vor den Altar und öffnete ihm eine + Schlagader, so daß das Blut gerade in den aufgerissenen Mund der + scheußlichen, mit Menschenschädeln behangenen Gestalt spritzte. Danach + folgte eine wilde Orgie, wobei die Räuber sich im Rauschtrank bis zur + Besinnungslosigkeit besoffen und sich mit den Bajaderen ergötzten, die man zu + diesem Zwecke mit beispielloser Dreistigkeit aus einem großen Tempel + entführt hatte. Angulimala, der in seiner Weinlaune großmütig wurde, + wollte auch mich mit einer schönen, jungen Bajadere beglücken. Da ich aber + in Erinnerung an Vasitthi das Mädchen verschmähte, so daß es ob + dieser Schmach in Tränen ausbrach, geriet er darüber in eine solche Wut, + daß er mich ergriff und auf der Stelle erdrosselt hätte, wäre mir + nicht jener kahle, glattrasierte Räuber zu Hilfe gekommen. Wenige Worte von ihm + genügten, um den eisernen Griff des Häuptlings erschlaffen zu lassen und + ihn dann, brummend wie eine notdürftig bezähmte Bestie, fortzuschicken.</p> + <p>Dieser merkwürdige Mann, der jetzt zum zweitenmal mein Retter wurde--mit + Händen, die von dem von ihm geleiteten schrecklichen Kaliopfer noch blutig + waren--war der Sohn eines Brahmanen. Weil er aber unter einer + Räuberkonstellation geboren war, wandte er sich dem Räuberhandwerke zu. + Zuerst hatte er den "Würgern" angehört, trat aber auf Grund + wissenschaftlicher Erwägungen zu den "Absendern" über. Vom väterlichen + Hause her hatte er nämlich einen Hang zu religiösen Betrachtungen und nicht + weniger zu gelehrten Erörterungen ererbt. So leitete er einerseits den + Opferdienst als Priester--und man schrieb das seltene Glück dieser Bande fast + ebensosehr seiner Priesterwissenschaft wie der Führertüchtigkeit + Angulimalas zu--andererseits trug er auch die Wissenschaft des Räuberwesens in + systematischer Form vor, und zwar sowohl die Technik wie die Moral; denn ich merkte + zu meinem Erstaunen, daß die Räuber eine solche hatten, und sich + keineswegs für schlechtere Menschen als andere hielten.</p> + <p>Diese Vorträge fanden besonders nachts in der lichten Hälfte des Monates + statt, in der--abgesehen von zufälligen Vorkommnissen--die Geschäfte + ruhten. Auf einer Waldwiese hockten die Zuhörer in mehreren + halbkreisförmigen Reihen um den ehrwürdigen Vajaçravas, der mit + untergeschlagenen Beinen dasaß. Sein mächtiger haarloser Schädel + erglänzte im Mondlicht, und seine ganze Erscheinung war der eines vedischen + Lehrers nicht unähnlich, der in der Stille der Mondnacht den Insassen der + Waldeinsiedelei die Geheimlehre mitteilt--aber manches unheilig wilde Gesicht, ja + manche Galgenphysiognomie war rings in der Runde zu schauen. Mir ist es in der Tat, + als ob ich sie in diesem Augenblick sähe--als ob ich das tiefe auf und ab + schwellende Brausen des ungeheuren Waldes hörte, manchmal durch das ferne + Gebrüll eines Tigers oder das heisere Bellen des Panthers unterbrochen--und + dazu, ruhig fließend wie ein Strom, die Stimme Vajaçravas'--diesen + tiefen, volltönenden Baß, eine köstliche Erbschaft ungezählter + Generationen von Udgatars<a href="#fu7">[1]</a>.</p> + <p><a id="fu7" name="fu7"></a></p> + <blockquote> + [1] Vedischer Opfersänger. + </blockquote> + <br /> + <br /> + <p>Zu diesen Vorträgen hatte ich Zutritt, weil Vajaçravas eine Vorliebe + für mich gefaßt hatte. Er behauptete sogar, ich sei unter einem + Räuberstern geboren wie er, und ich würde mich einmal den Dienern Kalis + zugesellen, weshalb es mir nützlich sei, seiner Rede zu lauschen, die + unzweifelhaft den in mir noch schlummernden Trieb wachrufen würde. Ich habe da + also sehr merkwürdige Vorlesungen von ihm gehört über die + verschiedenen "Sekten Kalis"--gewöhnlich Diebe und Räuber genannt--und + über ihre unterschiedlichsten Gebräuche. Ebenso lehrreich wie unterhaltend + waren seine Exkurse über Themata wie: "Die Nützlichkeit der Dirnen zum + Hineinlegen der Polizei", oder "Kennzeichen der für Bestechung zugänglichen + Beamten höheren und niederen Ranges, nebst kurzer Anweisung über die in + Frage kommenden Geldbeträge". Von scharfsinnigster Menschenbeobachtung und + strengster Schlußfolgerung zeugte seine Behandlung der Frage "Wie und warum die + Spitzbuben sich auf den ersten Blick gegenseitig erkennen, während die ehrlichen + Leute es nicht tun, und welche Vorteile aus diesem Umstande ersteren erwachsen", + nicht zu reden von den glänzenden Ausführungen: "Über die + Stupidität der Nachtwächter im allgemeinen, eine anregende Betrachtung + für Anfänger"--bei welchen der nächtliche Wald von einem Lachchor + widerhallte, so daß man von allen Seiten des Lagers zusammenströmte, um zu + hören, was los sei.</p> + <p>Aber auch trockene technische Fragen wußte der Meister interessant zu + behandeln, und ich erinnere mich wirklich fesselnder Schilderungen, wie man + geräuschlos eine Bresche in der Wand macht oder einen unterirdischen Gang + kunstgerecht anlegt. Die richtige Verfertigung der verschiedenen Arten von + Brecheisen, besonders des sogenannten "Schlangenmaules", sowie des + "krebsförmigen" Hakens wurde sehr anschaulich dargelegt; der Gebrauch des leisen + Saitenspieles, um zu erkunden, ob jemand wacht, und des aus Holz gemachten + Männerkopfes, den man zur Tür oder zum Fenster hereinsteckt, um zu sehen, + ob dieser vermeintliche Einbrecher bemerkt wird--alles dies wurde gründlich + besprochen. Seine Erörterungen, wie man bei Ausführung eines Diebstahls + unbedingt jeden umbringen müsse, der später als Zeuge würde auftreten + können, sowie die allgemeinen Betrachtungen, wie ein Dieb nicht mit einem + moralischen Wandel behaftet sein dürfe, sondern rauh, hart und gewalttätig, + gelegentlich dem Rauschtrank und den Dirnen ergeben sein müsse, zählen zu + den gelehrtesten und geistreichsten Vorträgen, die ich je gehört habe.</p> + <p>Um dir aber eine richtige Vorstellung von diesem wahrhaft profunden Geiste zu + geben, muß ich dir die berühmteste Stelle aus seinem in fast kanonischem + Ansehen stehenden Kommentar zu den uralten Kali-Sutras, der Geheimlehre der Diebe, + hersagen.<a href="#fu8">[1]</a></p> + <p><a id="fu8" name="fu8"></a></p> + <blockquote> + [1] Über den indischen Sutrastil und das folgende Kapitel siehe die <a + href="#chap_note">Note am Schlusse des Werkes</a>. + </blockquote> + <br /> + <br /> + + <h2><a id="chap_x" name="chap_x">X. GEHEIMLEHRE</a></h2> + <p><img src="images/x.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />lso: Das + 476. Sutram lautet: <i>"Auch die göttliche, meint + ihr?--Nein!--Unverantwortlichkeit--wegen des Raumes der Schrift, der + Tradition."</i></p> + <p>Der ehrwürdige Vajaçravas kommentiert dies folgendermaßen:</p> + <p><i>"Auch die göttliche--"</i> nämlich Strafe. Denn im vorhergehenden + Sutram war von solchen Strafen die Rede, welche der Fürst oder die Obrigkeit + über den Räuber verhängt, als da sind: Hand-, Fuß- und + Nasenverstümmelung, der Breikessel, der Pechkranz, das Drachenmaul, das + Spießrutenlaufen, der Marterbock, die siedende Ölbeträufelung, die + Enthauptung, das Zerreißen durch Hunde, die Pfählung bei lebendigem + Leibe--hinreichende Gründe, warum der Räuber sich womöglich nicht + fangen lassen darf, wenn er aber doch gefangen worden ist, auf jede Weise zu + entfliehen versuchen soll.</p> + <p>Nun meinen einige: auch göttliche Strafe drohe dem Räuber. "Nein," sagt + unser Sutram; und zwar deshalb nicht, weil <i>Verantwortungslosigkeit</i> statthat. + Welches auf drei Weisen ersichtlich ist: durch Vernunft, durch den Veda und durch die + überlieferten Heldenlieder.</p> + <p><i>"Wegen des Raumes"</i>--hiermit ist folgende Vernunfterwägung gemeint. + Wenn ich einem Menschen oder einem Tier den Kopf abhaue, so fährt das Schwert + zwischen die unteilbaren Teilchen hindurch; denn diese selbst kann es, eben wegen + ihrer Unteilbarkeit, nicht durchschneiden. Was es durchschneidet, ist der die + Teilchen trennende leere Raum. Diesem aber kann man, eben wegen seiner Leerheit, + keinen Schaden zufügen. Denn einem Nichts schaden ist gleich: nicht schaden. + Folglich kann man durch dies Durchschneiden des Raumes keine Verantwortlichkeit auf + sich laden, und eine göttliche Strafe kann nicht stattfinden. Wenn aber dies vom + Töten gilt, wieviel mehr dann von Handlungen, die von den Menschen geringer + bestraft werden!</p> + <p>Soweit die Vernunft, nunmehr die Schrift.</p> + <p>Der heilige Veda lehrt uns, daß das einzige wahrhaft Existierende, die + höchste Gottheit, das Brahman ist. Wenn dies aber wahr ist, dann ist offenbar + alle Tötung eine leere Täuschung. Dies sagt auch der Veda mit deutlichen + Worten an der Stelle, wo Yama, der Todesgott, den jungen Naçiketas über + dies Brahman belehrt und unter anderem sagt:</p> + <p>Wer, tötend, glaubt, daß er tötet,<br /> + Wer, getötet, zu sterben glaubt,<br /> + Irr geht dieser wie jener:--<br /> + Der stirbt nicht, und der tötet nicht.</p> + <p>Noch überzeugender aber wird diese abgründige Wahrheit im Heldenliede + von Krishna und Arjuna uns offenbart. Denn Krishna, der an sich das ungewordene, + unvergängliche, ewige, allgewaltige, unerdenkliche Wesen war, der höchste + Gott, der sich zum Heil der Wesen als Mensch hatte gebären lassen--Krishna half + in den letzten Tagen seines Erdenwandeins dem Könige der Panduinge, dem + hochherzigen Arjuna, im Kriege gegen die Kuruinge, weil diese ihm und seinen + Brüdern großes Unrecht getan hatten. Als nun die beiden Heere in + Schlachtordnung ihre waffenstrotzenden Reihen einander gegenüberstellten, + erblickte Arjuna auf der gegnerischen Seite manchen einstigen Freund, manchen Vetter + und Gevatter der vergangenen Tage: denn die Panduinge und die Kuruinge waren + Söhne von zwei Brüdern. Und Arjuna ward im Herzen innig gerührt, und + er zögerte, das Zeichen zur blutigen Schlacht zu geben; denn er mochte nicht + jene töten, die einst die Seinen gewesen. So stand er gesenkten Hauptes, von + schmerzlichem Zaudern zernagt, unschlüssig auf seinem Streitwagen: und neben ihm + der goldene Gott, Krishna, der sein Wagenlenker war. Und Krishna erriet die Gedanken + des edlen Pandaverfürsten. Und er zeigte lächelnd auf die beiden + Heeresmassen und belehrte ihn, wie alle jene Wesen nur scheinbar entstehen und + vergehen, weil in ihnen allen nur das eine unerstandene und unvergängliche, von + der Geburt und vom Tode unberührte Wesen besteht:</p> + <p>Wer einen für den Mörder hält,<br /> + Wer einen hier gemordet meint,<br /> + Der kennt und weiß von beiden nichts:--<br /> + Denn Keiner mordet, Keiner stirbt.<br /> + Wohlan, den Kampf beginne du!</p> + <p>Solchermaßen belehrt, gab der Pandaverfürst das Zeichen zum Beginn der + ungeheuren Schlacht und siegte. Also machte Krishna, der menschgewordene höchste + Gott, durch Offenbarung dieser großen Geheimlehre Arjuna von einem + flachsinnigen und weichherzigen Mann zu einem tiefsinnigen und hartherzigen Weisen + und Helden.</p> + <p>So gilt denn nun in Wahrheit folgendes:</p> + <p>Was Einer begeht und begehen läßt: wer zerstört und zerstören + läßt, wer schlägt und schlagen läßt, wer Lebendiges + umbringt, Nichtgegebenes nimmt, in Häuser einbricht, fremdes Gut raubt: Was + Einer begeht, er ladet keine Schuld auf sich.--Und wer da gleich mit einer scharf + geschliffenen Schlachtscheibe alles Lebendige auf dieser Erde zu einer einzigen Masse + Mus, zu einer einzigen Masse Brei machte, der hat darum keine Schuld, begeht kein + Unrecht. Und wer auch am südlichen Ufer der Ganga verheerend und mordend + dahinzöge, so hat der darum keine Schuld: und wer da auch am nördlichen + Ufer der Ganga spendend und schenkend dahinzöge, so hat der darum kein + Verdienst. Durch Milde, Sanftmut, Selbstverzicht erwirbt man kein Verdienst, begeht + man nichts Gutes.</p> + <p>Und es folgt nun das erstaunliche, ja schreckliche</p> + <center> + <i>477. Sutram</i>, + </center> + <p>welches in seiner frappanten Kürze lautet:</p> + <p><i>"Vielmehr--wegen des Essers."</i></p> + <p>Den Sinn dieser wenigen, in tiefstes Geheimnis sich hüllenden Worte + erschließt uns der ehrwürdige Vajaçravas folgendermaßen:</p> + <p>Weit davon entfernt, daß göttliche Strafe dem Räuber und + Totschläger droht, findet "<i>vielmehr</i>" das Entgegengesetzte statt: + nämlich Gottähnlichkeit, was aus den Vedastellen hervorgeht, wo der + höchste Gott als der "<i>Esser</i>" gepriesen wird, wie:</p> + <p>Der Krieger und Brahmanen ißt wie Brot,<br /> + Das mit des Todes Brühe er begießt.</p> + <p>Wie nämlich die Welt in Brahman ihren Ursprung hat, so auch ihr Vergehen, + indem das Brahman sie immer wieder hervorgehen läßt und sie immer wieder + vernichtet. Gott ist somit nicht nur der Schöpfer, sondern auch der Verschlinger + aller Wesen, von denen hier nur "Krieger und Brahmanen" genannt werden, als die + Vornehmsten, die für alle stehen. Wie es denn auch an einer anderen Stelle + heißt:</p> + <p>Ich esse Alle, aber mich ißt niemand.</p> + <p>Diese Worte sagte nämlich der höchste Gott, als er in der Gestalt eines + Widders den Knaben Medhatithi zur Himmelswelt trug. Denn ungehalten über seine + gewaltsame Entführung verlangte dieser zu wissen, wer sein Entführer sei: + "Sage mir, wer du bist, sonst werde ich, ein Brahmane, dich mit meinem Zorn treffen." + Da gab nun der Widdergestaltige sich zu erkennen als jenes höchste Brahman, das + Alles in Allem ist, mit den Worten:</p> + <p>Wer ist's, der tötet und gefangen nimmt?<br /> + Wer ist der Widder, der dich führt von dannen?<br /> + Ich bin es, der in dieser Form erscheint,<br /> + Ich bin es, der erscheint in allen Formen.</p> + <p>Wenn Einer fürchtet sich vor was auch immer,<br /> + Ich bin's, der fürchtet und der fürchten macht;<br /> + Doch in der Größe ist ein Unterschied:<br /> + Ich esse Alle, aber mich ißt niemand.</p> + <p>Wer könnte mich erkennen, wer erklären?<br /> + Ich schlug die Feinde alle, mich schlug niemand.</p> + <p>Hier muß es nun auch dem blödesten Auge klar werden, daß die + Brahmanähnlichkeit nicht darin liegen kann, geschlagen und gegessen zu + werden--wie es der Fall sein müßte, wenn Sanftmut und Selbstverzicht etwas + Gutes wäre--sondern im Gegenteil darin, alle Anderen zu schlagen und zu + essen--d.h. auszunutzen und zu vernichten--selbst aber von niemand Schaden zu + leiden.</p> + <p>Es kann demnach keinem Zweifel unterliegen, daß jene Lehre--von der + Höllenstrafe der Gewalttäter--von den Schwachen erfunden ist, um sich vor + der Gewalttätigkeit der Starken zu schützen, indem sie dadurch die + letzteren einschüchtern wollen.</p> + <p>Und wenn im Veda einige Stellen diese Lehre enthalten, so müssen sie--weil + mit den Hauptsätzen unvereinbar--von jenen fälschlich eingeschoben worden + sein.</p> + <p>Wenn also der Rigveda sagt, daß, obwohl die ganze Welt eigentlich das + Brahman ist, der Gott dennoch den Menschen als das Brahmandurchdrungenste + erkenne:--so muß nunmehr anerkannt werden, daß unter den Menschen + wiederum der echte und wahre Räuber das Brahmandurchdrungenste Wesen ist und + somit die Krone der Schöpfung darstellt. Was aber den Dieb anbelangt, der sich + zur Räuberschaft nicht erhebt, so ist es, weil die Schrift des öfteren + erklärt, daß die Meinung "dies gehört mir" eine Wahnvorstellung ist, + die dem höchsten Zwecke des Menschen hinderlich ist, ohne weiteres klar, + daß der Dieb, der eben die beständige tatsächliche Widerlegung jenes + Wahnes "dies gehört mir" zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, die höchste + Wahrheit vertritt. Doch steht, wegen seiner Gewalttätigkeit, der Räuber + höher.</p> + <p>So ist denn nun das "Krone-der-Schöpfung-Sein" des Räubers erwiesen, + sowohl durch Vernunfterwägung, wie mittelst der Schrift, und ist als + unwiderlegbar zu betrachten.</p> + <h2><a id="chap_xi" name="chap_xi">XI. DER ELEFANTENRÜSSEL</a></h2> + <p><img src="images/xi.png" width="93" height="93" align="left" alt="N" />ach dieser + Probe der seltsamen Denkweise dieses außerordentlichen Mannes--dem man + wenigstens nicht, wie so vielen anderen berühmten Denkern, zur Last legen kann, + daß er seine Theorie nicht in die Praxis umsetzte--nehme ich den Faden meiner + Erzählung wieder auf.</p> + <p>Bei solchen mannigfachen Erlebnissen und neuen Geistesbeschäftigungen--ich + versäumte selbstverständlich nicht, die Gaunersprache mir zu eigen zu + machen--konnte die Wartezeit mir nicht lang werden. Je mehr sie sich aber ihrem Ende + näherte, um so mehr wurde meine Seelenruhe durch drückende Besorgnisse + erschüttert. Würde das Lösegeld überhaupt ankommen? Wenn auch + jener Geleitbrief den Diener gegen Räuber schützte, so könnte ihn ja + unterwegs ein Tiger zerreißen oder ein angeschwollener Fluß + fortschwemmen, oder irgend einer der zahllosen, nicht vorauszusehenden Zufälle + einer Reise ihn aufhalten, bis es zu spät war. Die Flammenblicke Angulimalas + schossen oft so böswillig nach mir hin, als ob er diesen Fall erhoffte, und der + Angstschweiß brach mir dann aus allen Poren. Wie wundervoll systematisch + eingeleitet und scharf logisch begründet auch die Ausführung + Vajaçravas' darüber war, daß in jedem Fall, in dem das + Lösegeld nicht zur rechten Stunde gebracht würde, der Betreffende mit einer + Baumsäge durchzusägen und beide Teile mitten auf die Landstraße + hinzuwerfen seien--und zwar der Kopfteil nach der Seite des aufgehenden Mondes zu: so + gestehe ich doch, daß meine Bewunderung für diese wissenschaftlich + gewiß staunenswerte Leistung meines gelehrten Freundes durch eine + eigentümliche Bewegung meines etwas "betroffenen" Bauchfelles einigermaßen + beeinträchtigt wurde, zumal als wirklich die doppelzähnige Baumsäge, + die bei solchen Gelegenheiten benutzt wurde, hergebracht und zur Veranschaulichung + von zwei grimmigen Gesellen an einem einen Menschen vorstellenden Bündel in + Wirksamkeit gesetzt wurde.</p> + <p>Vajaçravas, der bemerkte, wie mir übel wurde, klopfte mir aufmunternd + auf die Schulter und meinte, das ginge mich ja nichts an. Dadurch schöpfte ich + natürlich die Hoffnung, daß er mich im Notfalle zum dritten Male retten + würde. Als ich aber in dankbarstem Tone etwas davon verlauten ließ, machte + er ein gar ernstes Gesicht und sprach:</p> + <p>"Wenn dir dein Karma wirklich so gram sein sollte, daß das Lösegeld + nicht zur rechten Zeit ankommt, und wäre es auch nur um einen halben Tag + verspätet, dann kann dir freilich kein Gott und kein Teufel helfen, denn die + Gesetze Kalis sind unverbrüchlich. Jedoch, sei getrost, mein Sohn! Du bist noch + zu ganz anderen Dingen bestimmt. Und für dich fürchte ich eher, daß + du einmal, nach einem ruhmreichen Räuberleben, auf einem öffentlichen + Platze enthauptet oder gepfählt wirst--doch das hat ja noch gute Weile."</p> + <p>Ich könnte nicht sagen, daß dieser Trost mich sehr aufgerichtet + hätte, und so fühlte ich mich denn nicht wenig erleichtert, als eine volle + Woche vor Ablauf der Frist unser getreuer alter Diener mit der geforderten Geldsumme + eintraf. Ich nahm Abschied von meinem furchtbaren Wirt, der in Erinnerung an seinen + erschlagenen Freund finster dreinblickte, als ob er mich lieber hätte + durchsägen lassen, und drückte zärtlich die Hand des Brahmanen, der + eine Träne der Rührung durch die Zuversicht bannte, wir würden uns + sicher noch auf den nächtlichen Pfaden Kalis begegnen. So zogen wir beide denn + ab, von vier Räubern begleitet, die mit ihrer Haut für unsere sichere + Ankunft in Ujjeni hafteten. Denn Angulimala, der um seine Räuberehre sehr + besorgt war, versprach ihnen, als er uns verabschiedete, wenn ich nicht heil in + meiner Vaterstadt abgeliefert würde, ihnen die Haut über die Ohren zu + ziehen und ihre Felle an den vier Ecken eines Kreuzweges aufzuhängen; und es war + bekannt, daß er immer sein Versprechen hielt. Glücklicherweise wurde das + hier nicht nötig, und die vier Gesellen, die sich unterwegs sehr wacker + betrugen, mögen noch in diesem Augenblick im Dienste der + schädelhalsbandschüttelnden Tänzerin sein.</p> + <p>Wir erreichten Ujjeni ohne weitere Abenteuer, und ich hatte in der Tat auch an den + erlebten genug. Die Freude meiner Eltern, mich wiederzusehen, war unbeschreiblich. Um + so unmöglicher war es, ihnen die Erlaubnis abzuringen, bald wieder eine Reise + nach Kosambi zu unternehmen. Mein Vater hatte ja außer der nicht unbedeutenden + Lösesumme auch alle Waren meiner Karawane und alle Leute verloren und war so + bald nicht imstande, eine neue Karawane auszurüsten. Aber dies war nur ein + kleines Hindernis im Verhältnis zu dem Schrecken, der meine Eltern beim Gedanken + an die Gefahren des Weges befiel. Auch hörte man ab und zu immer wieder von + furchtbaren Taten Angulimalas, und ich kann nicht leugnen, daß es mich wenig + gelüstete, noch einmal in seine Hände zu fallen. Eine Botschaft nach + Kosambi gelangen zu lassen, gab es in dieser Zeit durchaus keine Möglichkeit, + und so mußte ich mich denn mit der Erinnerung begnügen und in fester + Zuversicht auf die Treue meiner angebeteten Vasitthi mich auf bessere Zeiten + vertrösten.</p> + <p>Diese kamen denn endlich auch. Eines Tages flog wie ein Lauffeuer die Nachricht + durch die Stadt, der schreckliche Angulimala sei von Satagira, dem Sohne des + Ministers in Kosambi, aufs Haupt geschlagen, die Bande niedergemetzelt oder + zersprengt, der Häuptling aber mit vielen der hervorragendsten Räuber + gefangen genommen und hingerichtet worden.</p> + <p>Nun konnten meine Eltern meinen stürmischen Bitten nicht mehr widerstehen. + Man hatte in der Tat guten Grund, anzunehmen, daß jetzt für längere + Zeit die Straßen frei sein würden, und mein Vater war nicht abgeneigt, + wieder mit einer Karawane sein Glück zu versuchen. Da befiel mich plötzlich + eine Krankheit, und als ich vom Lager wieder aufstand, war die Regenzeit schon so + nahe herangerückt, daß man diese erst abwarten mußte. Dann stand + aber auch meiner Abreise nichts mehr entgegen. Mit vielen Ermahnungen zur Vorsicht + nahmen meine Eltern Abschied von mir, und ich befand mich wieder unterwegs an der + Spitze einer wohlversehenen Karawane von dreißig Ochsenkarren, freudigen und + mutigen Herzens und von brennender Sehnsucht getrieben.</p> + <p>Unsere Reise ging so glatt vonstatten, wie das erste Mal, und an einem + schönen Morgen zog ich, halb närrisch vor Freude, in Kosambi ein. Hier + gewahrte ich nun bald ein ungewöhnliches Menschengedränge in den + Straßen. Ich kam infolgedessen immer langsamer vorwärts, bis mein Zug an + einer Stelle, wo er eine Hauptverkehrsader der Stadt zu durchkreuzen hatte, endlich + völlig zum Stillstehen gebracht wurde. Es war schlechterdings nicht + möglich, durch die Menge hindurchzudringen, und ich bemerkte nun auch, daß + jene Hauptstraße durch Fahnenstangen, von den Fenstern und Söllern + herabhängende Teppiche und querüber gespannte Blumengewinde aufs + prächtigste geschmückt war--wie für irgend einen Aufzug. Fluchend vor + Ungeduld, fragte ich die vor mir Stehenden, was hier los sei.</p> + <p>"Ei," riefen sie, "weißt du denn nicht, daß heute Satagira, der Sohn + des Ministers, seine Hochzeit feiert? Du kannst dich glücklich preisen, gerade + zu rechter Zeit eingetroffen zu sein, denn der Zug kommt jetzt vom Krishnatempel hier + vorüber, und eine solche Pracht hast du gewiß noch nirgends gesehen."</p> + <p>Daß Satagira Hochzeit hielt, war mir eine ebenso wichtige wie willkommene + Nachricht, weil sein Werben um meine Vasitthi bei ihren Eltern eins der + größten Hindernisse für unsere Vereinigung gewesen wäre. So + ließ ich mir denn das Warten gefallen, um so mehr als es nicht lange dauern + konnte; denn schon waren die Lanzenspitzen einer Reiterabteilung sichtbar, die unter + ohrenbetäubendem Jubel vorüberzog. Diese Reiter genossen, wie man mir + mitteilte, in Kosambi die größte Volksgunst, weil hauptsächlich sie + es waren, die die Bande Angulimalas unschädlich gemacht hatten.</p> + <p>Fast unmittelbar hinter ihnen kam der Elefant, der die Braut trug--allerdings ein + überwältigender Anblick. Die knorrige, hügelartige Stirn des + Riesentieres war, dem Götterberg Meru ähnlich, mit einem Flor von + mannigfarbigen Edelsteinen bedeckt. Wie bei einem brünstigen Ilfenstier der Saft + an den Schläfen und Wangen herabträufelt, und Bienenschwärme, von + seinem süßen Duft angelockt, darüber hängen, also + erglänzten hier Schläfen und Wangen von den wundervollsten Perlen und + darüber baumelten durchsichtige Gehänge von schwarzen Diamanten--eine + Wirkung, die zum Aufschreien schön war. Die mächtigen Hauer waren mit dem + feinsten Golde beschlagen; und aus demselben edlen Metalle war die mit großen + Rubinen besetzte Brustplatte, von der der duftigste blaue Benaresmusselin herabhing + und die kräftigen Beine des Tieres--wie Morgennebel die Baumstämme--leicht + umwallte.</p> + <p>Aber es war der Rüssel des Staatselefanten, der vor allem meinen Blick + fesselte. Auch zu Hause, in Ujjeni, hatte ich ja bei Prozessionen sehr prachtvolle + Dekorationen der Elefantenrüssel gesehen, aber niemals eine, die so + geschmackvoll gewesen wäre wie diese. Bei uns nämlich wurde der Rüssel + in Felder eingeteilt, die irgend ein feines Muster bildeten, und war also ganz mit + Farbe gedeckt. Hier aber war die Haut als Untergrund frei gelassen, und über + diesen astähnlichen Grund war ein loses Laubgeranke von lanzettförmigen + Asokablättern geschlungen, aus dem gelbe, orangefarbene und scharlachrote Blumen + hervorleuchteten--Alles in köstlichster ornamentaler Stilisierung + ausgeführt.</p> + <p>Während ich nun mit dem Blick eines Kenners dies Wunderwerk studierte, kam + ein gar wehmütiges Gefühl über mich, indem ich gleichsam den ganzen + Liebesduft jener seligen Nächte auf der Terrasse wieder einatmete. Mein Herz + begann heftig zu pochen, da ich unwillkürlich an meine eigene Hochzeit denken + mußte; denn welcher Schmuck konnte sinniger erfunden werden für das Tier, + welches dereinst Vasitthi tragen sollte, als gerade dieser, da ja die "Terrasse der + Sorgenlosen" wegen ihrer wunderbaren Asokablüten in ganz Kosambi berühmt + war?</p> + <p>In diesem fast traumhaften Zustande vernahm ich, wie eine Frau neben mir zu einer + anderen sagte:</p> + <p>"Aber die Braut--die sieht doch gar nicht fröhlich aus!"</p> + <p>Unwillkürlich blickte ich in die Höhe, und ein seltsam unheimliches + Gefühl beschlich mich, als ich die Gestalt gewahr wurde, die dort unter dem + purpurnen Baldachin saß. Gestalt, sage ich--das Gesicht konnte ich nicht sehen, + weil der Kopf vornüber auf die Brust gesunken war--aber auch von einer Gestalt + sah man wenig, und es schien, als ob in jener Masse von regenbogenfarbigen Musselins, + wenn auch ein Körper, so doch kein mit lebendiger, widerstandsfähiger Kraft + begabter steckte. Die Art und Weise, wie sie hin und her schwankte bei den Bewegungen + des Tieres, dessen mächtige Schritte das Zelt auf seinem Rücken in starkes + Schaukeln versetzten, hatte etwas unsagbar Trauriges, ja fast etwas Grauenerregendes + an sich. Man konnte in der Tat befürchten, daß sie im nächsten + Augenblick herunterstürzen würde. Eine solche Furcht mochte auch die hinter + ihr stehende Dienerin bewegen, denn sie faßte die Braut an den Schultern und + neigte sich zu ihr vor, um ihr aufmunternde Worte ins Ohr zu flüstern.</p> + <p>Ein eisiger Schreck lähmte mich, als ich in dieser vermeintlichen + Dienerin--Medini erkannte. Und ehe mir diese Ahnung noch deutlich geworden war, hatte + die Braut Satagiras den Kopf erhoben.</p> + <p>Es war meine Vasitthi.</p> + <h2><a id="chap_xii" name="chap_xii">XII. AM GRABE DES HEILIGEN + VAJAÇRAVAS</a></h2> + <p><img src="images/xii.png" width="93" height="93" align="left" alt="J" />a, sie war + es. Keine Möglichkeit, sich in diesen Zügen zu täuschen,--und doch + ähnelten sie sich selber nicht, und ähnelten in der Tat nichts, das ich je + gesehen hatte; in einem so namenlosen, übermenschlichen Jammer schienen sie + versteinert zu sein.</p> + <p>Als ich wieder zur Besinnung kam, zogen gerade die Letzten des Zuges vorüber. + Man schrieb meine plötzliche Ohnmacht der Hitze und dem Menschengedränge + zu. Willenlos ließ ich mich in die nächste Karawanserei bringen.</p> + <p>Hier warf ich mich in der dunkelsten Ecke nieder, das Gesicht nach der Wand + gekehrt, und blieb da, in Tränen gebadet und alle Speise verschmähend, + tagelang liegen, nachdem ich jenem alten Diener und Karawanenführer, der mich + schon auf der ersten Fahrt begleitet, Anweisung gegeben hatte, so schnell wie + möglich und selbst unter schlechten Bedingungen unsere Waren loszuschlagen, da + ich zu krank sei, um mich mit Geschäften abzugeben. In der Tat konnte ich nur an + meinen unfaßbaren Verlust denken; auch wollte ich mich nicht in der Stadt + zeigen, um von niemand erkannt zu werden. Denn ich wollte vor allem verhindern, + daß Vasitthi von meiner Anwesenheit etwas erführe.</p> + <p>Ihr Bild, wie ich sie zuletzt gesehen, schwebte mir fortwährend vor der + Seele. Wohl war ich über ihren Wankelmut oder eher ihre Schwäche + entrüstet; denn ich sah wohl ein, daß nur die letzte in Frage kam, und + daß sie dem Drängen der Eltern nicht hatte widerstehen können. + Daß sie dem triumphierenden Ministersohn nicht ihr Herz zugewandt hatte, davon + zeugten ihre Haltung und Miene deutlich genug. Wenn ich mich aber ihrer erinnerte, + wie sie im Krishnahaine leuchtenden Blickes mir ewige Treue zugeschworen hatte, + verstand ich nicht, wie es möglich war, daß sie so bald nachgegeben hatte, + und ich sagte mir unter bitterem Seufzen, daß auf Mädchenschwüre kein + Verlaß sei. Aber immer wieder tauchte jenes Gesicht voll tiefsten Jammers vor + mir auf--und sofort war dann auch jeder Groll verscheucht, nur das innigste Mitleid + wallte ihm entgegen; und so beschloß ich fest, ihren Kummer nicht dadurch noch + zu vermehren, daß von meiner jetzigen Anwesenheit in Kosambi ihr etwas zu + Gehör käme. Nie mehr sollte sie etwas von mir erfahren; sicher würde + sie dann glauben, daß ich gestorben sei, und sich in ihr Schicksal, dem es ja + an äußerem Glanz nicht fehlte, nach und nach ergeben.</p> + <p>Ein günstiger Umstand fügte es, daß mein alter Diener unerwartet + schnell die Waren sehr vorteilhaft eintauschte oder verkaufte, so daß ich schon + nach wenigen Tagen in früher Morgenstunde mit meiner Karawane Kosambi verlassen + konnte.</p> + <p>Als ich nun durch das westliche Stadttor hinausgekommen war, wandte ich mich um + und warf einen letzten Blick auf die Stadt, in deren Mauern ich so + Unvergeßliches an Freude und Leid erlebt hatte. Vor einigen Tagen, als ich + eingezogen, war ich dermaßen von ungeduldiger Erwartung erfaßt gewesen, + daß ich für nichts in der Nähe ein Auge gehabt hatte. So wurde ich + denn jetzt zum ersten Male gewahr, daß nicht nur die Zinnen des Tores, sondern + auch der Mauerrand zu beiden Seiten mit aufgespießten Menschenköpfen + schrecklich geschmückt war?</p> + <p>Kein Zweifel--es waren die Köpfe der hingerichteten Räuber aus der Bande + Angulimalas!</p> + <p>Zum ersten Male, seitdem ich Vasitthis Gesicht unter dem Baldachin gesehen, + erfüllte mich jetzt ein anderes Gefühl als das der Trauer, indem ich mit + unaussprechlichem Schauder diese Köpfe betrachtete, von denen die Geier + längst nur das Knochengerüst übrig gelassen hatten und höchstens + noch die Zöpfe oder hier und dort einen Bart, dessen Urwüchsigkeit sein + Gebiet geschützt hatte. So wären sie alle unerkennbar gewesen, wenn nicht + einer durch den wilden, roten Bart, ein anderer durch die nach der Art der + asketischen Flechtenträger am Scheitel aufgewundenen Zöpfe sich verraten + hätte. Diese beiden und zweifelsohne auch viele der anderen hatten mir oft in + der nächtlichen Runde kameradschaftlich zugenickt, und ich erinnerte mich mit + entsetzlicher Anschaulichkeit, wie dieser rote Bart, im Mondesstrahle sprühend, + bei jenem Vortrage über die Stupidität der Nachtwächter vor Lustigkeit + gewackelt hatte, ja fast vermeinte ich aus dem lippenlosen Munde noch das + dröhnende Gelächter zu hören.</p> + <p>Aber auf der mittleren Torzinne erglänzte, etwas über die anderen + erhoben, ein mächtiger Schädel im Strahle der aufgehenden Sonne und zog + gebieterisch meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Wie sollte ich diese Formen nicht + wiedererkennen? Der war's, der uns damals zum Lachen gebracht hatte, ohne selbst eine + Miene seines Brahmanengesichtes zu verziehen. Vajaçravas' Kopf dominierte + hier, während der Angulimalas zweifelsohne über dem östlichen Stadttor + aufgesteckt war. Und ein sonderbares Gefühl beschlich mich bei dem Gedanken, wie + gründlich er einst die verschiedenen Arten von Todesstrafen expliziert + hatte--das Vierteilen, das Zerreißen durch Hunde, die Pfählung, die + Enthauptung--und wie sorgfältig er dadurch begründen wollte, daß der + Räuber sich nicht fangen lassen dürfe; wenn er aber schon einmal gefangen + sei, versuchen müsse, durch alle Mittel zu entfliehen. Ach! Was hatte ihm seine + Wissenschaft geholfen? So wenig vermag der Mensch seinem Schicksal zu entgehen, das + ja nur die Frucht unserer Taten ist--sei es in diesem, sei es in einem vorhergehenden + Leben!</p> + <p>Und mir war es, als ob er durch seine leeren Augenhöhlen mich gar ernst + betrachtete und sein halb geöffneter Mund mir zuriefe: "... Kamanita, Kamanita! + betrachte mich genau, achte wohl auf diesen Anblick! Auch du, mein Sohn, bist unter + einem Räubergestirn geboren, auch du wirst die nächtigen Pfade Kalis + betreten, und ebenso wie ich hier, wirst auch du einmal irgendwo enden."</p> + <p>Aber seltsam genug: diese Phantasie, die so lebhaft wie eine sinnliche Wahrnehmung + war, erfüllte mich nicht mit Schrecken und Schaudern. Meine vermeintlich + vorgeschriebene Räuberlaufbahn, der ich noch nie einen ernsten Gedanken + geschenkt hatte, stand plötzlich nicht nur in ernstem, sondern sogar in + verlockendem Lichte vor mir.</p> + <p>Räuberhäuptling!--Was konnte mir Elenden erwünschter sein? Denn + daran zweifelte ich keinen Augenblick, daß ich mit meinen vielen + Fähigkeiten und Kenntnissen, und besonders mit denen, die ich dem Unterricht des + ehrwürdigen Vajaçravas verdankte, eine leitende Stellung einnehmen + würde. Und welche Stellung käme denn für mich der eines + Räuberhäuptlings gleich? War doch selbst die eines Königs dagegen + gering zu schätzen. Denn konnte die mir Rache an Satagira verschaffen? Konnte + die Vasitthi in meine Arme führen? Ich sah mich selbst mitten im Walde im Kampfe + mit Satagira, dem ich mit einem wuchtigen Schwerthieb den Schädel spaltete; und + wieder sah ich mich, wie ich die ohnmächtige Vasitthi in meinen Armen aus dem + brennenden, von Räuberstimmen widerhallenden Palast entführte.</p> + <p>Zum ersten Maie seit jenem jammervollen Anblick schlug mein Herz wieder mutig und + hoffnungsvoll einer Zukunft entgegen; zum ersten Male wünschte ich mir nicht den + Tod, sondern das Leben.</p> + <p>Von solchen Bildern erfüllt war ich kaum tausend Schritte weiter gezogen, als + ich vor mir auf dem Wege eine von der entgegengesetzten Seite kommende Karawane + halten sah, während der Führer an einem kleinen Hügel unmittelbar an + der Landstraße offenbar ein Opfer darbrachte.</p> + <p>Ich ging auf ihn zu, grüßte ihn höflich und fragte ihn, welche + Gottheit er hier verehrte.</p> + <p>"In diesem Grabe," antwortete er, "ruht der heilige Vajaçravas, dessen + Schutze ich es verdanke, daß ich, durch eine gefährliche Gegend ziehend, + heil und unversehrt an Leib und Gut nach Hause komme. Und ich rate dir sehr, es ja + nicht zu versäumen, hier ein passendes Opfer darzubringen. Denn wenn du auch + beim Einziehen in das waldige Gebiet hundert Waldhüter mietetest, so würden + die dir keine so gute Hilfe gegen Räuber sein, wie es der Schutz dieses Heiligen + ist."</p> + <p>"Mein lieber Mann!" entgegnete ich, "dieser Grabhügel scheint nur wenige + Monate alt zu sein, und wenn in ihm ein Vajaçravas begraben liegt, so wird das + gewiß kein Heiliger sein, sondern der Räuber dieses Namens."</p> + <p>Der Kaufmann aber nickte ruhig zustimmend.</p> + <p>"Der nämliche--gewiß.... Ich sah, wie er an dieser Stelle gepfählt + wurde. Und sein Kopf steckt noch über dem Tor. Nachdem er aber so die vom + Fürsten verhängte Strafe erlitten hat, ist er, dadurch von seinen + Sünden geläutert, fleckenlos in den Himmel eingegangen, und sein Geist + schützt jetzt den Reisenden gegen Räuber. Auch sagt man übrigens, + daß er schon während seines Räuberlebens ein gar gelehrter und fast + heiliger Mann gewesen sei; denn er wußte selbst geheime Teile des Veda + auswendig--wenigstens heißt es so."</p> + <p>"Das verhält sich wirklich so," versetzte ich, "denn ich habe ihn sehr gut + gekannt und darf mich sogar seinen Freund nennen."</p> + <p>Als der Kaufmann mich bei diesen Worten etwas erschrocken ansah, fuhr ich + fort:</p> + <p>"Du mußt nämlich wissen, daß ich einst bei dieser Bande in + Gefangenschaft geraten war, und daß Vajaçravas mir bei dieser + Gelegenheit zweimal das Leben gerettet hat."</p> + <p>Der Blick des Kaufmanns ging vom Schrecken zu bewunderndem Neid über:</p> + <p>"Nun, dann kannst du dich wahrlich glücklich preisen. Stünde ich so bei + ihm in Gunst, dann würde ich in wenigen Jahren der reichste Mann in Kosambi + sein. Und nun, eine glückliche Reise, Beneidenswerter!"</p> + <p>Damit ließ er seine Karawane sich wieder in Bewegung setzen.</p> + <p>Ich versäumte selbstverständlich nicht, am Grabe meines berühmten + und verehrten Freundes eine Totenspende niederzulegen, mein Gebet ging aber, allen + anderen hier abgehaltenen entgegen, darauf hinaus, daß er mich geradeswegs in + die Arme der nächsten Räuberbande leiten sollte, der ich mich dann mit + seiner Hilfe anschließen wollte und deren Führung, woran ich nicht + zweifelte, bald von selber in meine Hände übergehen würde.</p> + <p>Es sollte sich aber deutlich zeigen, daß mein gelehrter und nunmehr durch + Volksmund heilig gesprochener Freund sich geirrt hatte, als er annahm, eine + Räuberkonstellation habe über meiner Geburt geleuchtet. Denn auf dem ganzen + Weg nach Ujjeni trafen wir keine Spur von Räubern, und doch wurde, kaum eine + Woche nachdem wir einen großen Wald hart an der Grenze Avantis gekreuzt hatten, + eine Karawane, der wir begegnet waren, in eben diesem Walde von Räubern + überfallen.</p> + <p>Es ist mir eine Quelle sonderbarer Betrachtungen gewesen, daß es anscheinend + auf einem reinen Zufall beruhte, wenn ich im bürgerlichen Leben blieb, anstatt, + wie mein Herz brennend begehrte, in das Räuberleben einzutreten. Freilich mag + wohl von den nächtigen Pfaden Kalis auch einer auf den Weg der Pilgerschaft + ausmünden, wie ja auch von den vom Herzen ausgehenden, mit fünffarbigem + Safte erfüllten hundertundein Adern eine einzige nach dem Kopfe führt und + diejenige ist, durch welche beim Tode die Seele den Körper verläßt. + So könnte ich ja auch in dem Falle, daß ich Räuber geworden + wäre, noch immer jetzt ein Pilger sein und mich auf dem Wege nach dem Ziele der + Erlösung befinden. Wenn aber Einer die Erlösung erlangt, dann werden seine + Werke, böse wie gute, zu nichts, durch die Glut des Wissens gleichsam zur Asche + verbrannt.</p> + <p>Auch muß ich sagen, daß jene Zwischenzeit, im Räuberleben oder im + bürgerlichen verbracht, vielleicht hinsichtlich der moralischen Früchte + nicht so verschieden ausgefallen wäre, wie es dir, o Bruder, wohl scheinen mag. + Denn ich habe, während ich unter den Räubern lebte, wohl bemerkt, daß + es auch unter ihnen sehr verschiedenartige Leute gibt, und zwar einige mit sehr + vortrefflichen Eigenschaften, und daß, wenn man von gewissen + Äußerlichkeiten absieht, der Unterschied zwischen Räubern und + ehrlichen Leuten nicht ganz so ungeheuer ist, wie die letzteren es sich gern + vorstellen. Und andererseits habe ich in der reifen Periode meines Lebens, in die ich + nunmehr eintrat, nicht umhin können zu bemerken, daß die ehrlichen Leute + den Dieben und Räubern in das Handwerk pfuschen, einige gelegentlich und + gleichsam improvisierend, andere beständig und mit großer und für sie + sehr bekömmlicher Meisterschaft, so daß durch gegenseitige Annäherung + sogar nicht wenig Berührung zwischen beiden Gruppen stattfindet.</p> + <p>Weshalb ich denn auch nicht weiß, ob ich durch das günstige Schicksal, + das mich von den nächtigen Pfaden der schädelhalsbandschüttelnden + Tänzerin fernhielt, eigentlich so sehr viel gewonnen habe."--</p> + <p>Nach dieser tiefsinnigen Betrachtung schwieg der Pilger Kamanita und richtete in + Sinnen versunken seinen Blick nach dem Vollmond, der groß und glühend + draußen über dem fernen Wald--dem Aufenthalt der Räuber--aufstieg und + sein Licht gerade in die offene Halle des Hafners hereinströmen ließ, wo + es den gelben Mantel des Erhabenen in lauteres Gold zu verwandeln schien, wie die + Bekleidung eines Götterbildes.</p> + <p>Der Erhabene, auf den der Pilger, vom Glanze angezogen und dennoch ohne zu ahnen, + wen er sah, unwillkürlich seinen Blick richtete, gab durch ein langsames + Kopfnicken seine Teilnahme zu erkennen und sagte:</p> + <p>"Noch seh' ich dich, Pilger, vielmehr der Häuslichkeit als der Hauslosigkeit + zuschreiten, obwohl der Weg in die letztere sich dir wahrlich deutlich genug + eröffnet hatte."</p> + <p>"So ist es, Ehrwürdiger! Blöden Auges sah ich diesen Ausweg nicht, + sondern schritt eben, wie du sagtest, der Häuslichkeit zu."</p> + <p>Und nach einem tiefen Seufzer fuhr der Pilger mit frischer und heiterer Stimme in + dem Bericht seiner Erlebnisse fort.</p> + <h2><a id="chap_xiii" name="chap_xiii">XIII. DER LEBEMANN</a></h2> + <p><img src="images/xiii.png" width="93" height="93" align="left" alt="S" />o lebte + ich denn im Elternhause zu Ujjeni.--Diese meine Vaterstadt, o Fremder, ist ja aber + nicht weniger durch ihre Lustbarkeit und rauschende Lebensfreude als wegen ihrer + glänzenden Paläste, und prächtigen Tempel in ganz Indien berühmt. + Ihre breiten Straßen hallen bei Tage vom Wiehern der Pferde und Trompeten der + Elefanten wider, und bei Nacht vom Lautenspiele der Verliebten und von den Liedern + fröhlicher Zecher.</p> + <p>Besonders aber erfreuen sich die Hetären Ujjenis eines + außerordentlichen Rufes. Von den großen Kurtisanen, die in Palästen + wohnen, Tempel den Göttern und öffentliche Gärten dem Volke stiften + und in deren Empfangssälen man Dichter und Künstler, Schauspieler, vornehme + Fremde, ja manchmal sogar Prinzen trifft--bis zu den gewöhnlichen Dirnen herab + sind sie alle von schwellgliedriger Schönheit und unbeschreiblicher Anmut. Bei + den großen Festlichkeiten, bei Aufzügen und Schaustellungen bilden sie den + Hauptschmuck der blumenprangenden, wimpelumflatterten Straßen. In + cochenilleroten Kleidern, duftende Kränze in den Händen, von + Wohlgerüchen umwallt, von Diamanten funkelnd, siehst du sie dann, o Bruder, auf + ihren besonderen Prachttribünen sitzen oder die Straßen dahinziehen, mit + liebevollen Blicken, aufreizenden Gebärden und lachenden Scherzworten + allerwärts die Sinnenglut der Lustverlangenden zu hellen Flammen + schürend.</p> + <p>Vom König verehrt, vom Volke angebetet, von den Dichtern besungen, + heißen sie ja "die bunte Blumenkrone des felsenragenden Ujjeni" und ziehen uns + den Neid der weniger begünstigten Nachbarstädte zu. Öfters gastieren + auch dort die hervorragendsten unserer Schönheiten, ja es kommt sogar vor, + daß eine solche durch eine königliche Verordnung zurückgerufen werden + muß.</p> + <p>Mir, der ich nun meinen lebenverzehrenden Kummer ertränken wollte, wurde von + den Händen dieser fröhlichen Schwesterschaft der goldige Lustkelch des + berauschenden Vergessenheitstrankes willig und reichlich an die Lippen geführt. + Durch meine vielen Fähigkeiten und großen Kenntnisse der schönen + Künste aller Art und nicht weniger aller geselligen Spiele wurde ich ein gern + gesehener Gast der großen Kurtisanen, von denen eine sogar, deren Gunst mit + Geld kaum aufzuwiegen war, sich zuletzt so leidenschaftlich in mich verliebte, + daß sie sich meinetwegen mit einem Prinzen überwarf. Andererseits wurde + ich durch meine völlige Beherrschung der Gaunersprache leicht vertraut mit den + Dirnen der Gäßchen, deren Gesellschaft ich auf dem Wege derben + Lebensgenusses keineswegs verschmähte, und von denen mehrere mir von Herzen + ergeben waren.</p> + <p>So tauchte ich denn tief in den rauschenden Strudel der Vergnügungen meiner + Vaterstadt, und es wurde, o Fremder, eine sprichwörtliche Redensart in Ujjeni: + "Ein Lebemann wie der junge Kamanita."</p> + <p>Nun zeigte es sich aber, daß schlechte Gewohnheiten, ja selbst Laster + manchmal dem Menschen einen Glücksfall bringen, so daß der weltlich + Gesinnte nicht leicht entscheiden kann, ob er am meisten seinen guten oder seinen + schlechten Eigenschaften sein Gedeihen zu verdanken hat.</p> + <p>Jene Vertrautheit mit den niedrigeren Dirnen kam mir nämlich sehr zustatten. + Im Hause meines Vaters wurde ein Einbruch verübt, und Juwelen, die ihm zum + großen Teil zur Schätzung anvertraut waren, gestohlen, und zwar in einem + Betrage, der kaum mehr zu ersetzen war. Ich war außer mir, denn völliger + Ruin drohte uns. Vergebens bot ich alle die Kenntnisse auf, die ich im Walde mir + erworben hatte. Nach der Weise, wie der unterirdische Gang angelegt war, konnte ich + wohl sagen, was für einer Art von Dieben die Täterschaft zuzuschreiben sei. + Aber selbst dieser so nützliche Wink war zwecklos für die Polizei--die + allerdings in Ujjeni nicht auf ähnlicher Höhe steht wie die + Hetärenwirtschaft, was vielleicht nicht ganz ohne inneren Zusammenhang sein mag. + Habe ich doch in einem sehr gelehrten Vortrag über das Liebesleben der + verschiedenen Stände folgenden Satz gehört: "Die Liebesabenteuer des + Polizeimeisters haben während der nächtlichen Inspizierung stattzufinden + und zwar mit den Stadtdirnen;"--was in Verbindung mit jener Vorlesung + Vajaçravas' "Über die Nützlichkeit der Dirnen zum Hineinlegen der + Polizei" in jener Zeit des ängstlichen Wartens mir manches zu denken gab.</p> + <p>Nun scheint es ja aber in dieser unserer sonderbaren Welt so eingerichtet zu sein, + daß die linke Seite für das aufkommen muß, was die rechte + versäumt. Und so geschah es denn auch hier, daß jene üppige + Blüte Ujjenis mir die Frucht trug, welche der, vielleicht wegen dieser + Üppigkeit etwas kümmerlich geratene Dornenhag des Polizeiwesens zu zeitigen + nicht vermochte. Denn die guten Mädchen, als sie mich wegen der mir und den + Meinigen drohenden Not untröstlich sahen, ermittelten die Täter und zwangen + sie, durch Androhung völliger Entziehung ihrer Gunst, die Beute wieder + herauszugeben, so daß wir glimpflich davon kamen, mit Verlust des Wenigen, das + schon verpraßt gewesen, und mit einem Schrecken, der für mich nicht ohne + gute Wirkung blieb.</p> + <p>Durch ihn wurde ich nämlich aus meinem Zeit und Jugendkraft unnütz + vergeudenden Wüstlingsleben aufgerüttelt. Dieses war ohnehin zu einem Punkt + gelangt, wo es mich entweder unter dem Joch der Gewohnheit völlig knechten und + versumpfen lassen, oder aber mich anzuwidern anfangen mußte. Die letztere + Wirkung wurde nun eben durch jenes Erlebnis gefördert. Ich hatte die Armut mir + ins Gesicht starren sehen--die Armut, der mich jenes Leben wehrlos überliefert + hätte, um mich dann treulos mit allen seinen kostspieligen Freuden zu verlassen. + Nun besann ich mich auf jenes Wort des Kaufmannes am Grabe Vajaçravas: "Wenn + ich so hoch in Gunst bei Vajaçravas stände wie du, dann würde ich in + wenigen Jahren der reichste Mann in Kosambi sein." Und ich beschloß, der + reichste Mann in Ujjeni zu werden, und zu diesem Zwecke mich mit aller Kraft auf den + Karawanenhandel zu verlegen.</p> + <p>Ob nun mein im Jenseits weilender Freund und Meister, Vajaçravas, mir bei + meinen Unternehmungen in eigener Person beistand, wage ich nicht zu entscheiden, + wiewohl ich es manchmal glaubte; sicher aber ist, daß seine Worte es jetzt + nachträglich taten. Denn daß ich durch seine Belehrung mit allen + Gewohnheiten und Gebräuchen der verschiedenen Räuberarten vertraut, ja + selbst in ihre geheimen Regeln eingeweiht war, das setzte mich jetzt in den Stand, + ohne törichte Waghalsigkeit Unternehmungen durchzuführen, die ein anderer + nimmermehr hätte wagen dürfen. Gerade solche aber suchte ich mir jetzt aus + und gab mich mit gewöhnlichen Reisen gar nicht mehr ab.</p> + <p>Wenn ich nun eine große Karawane nach einer Stadt führte, zu der + monatelang keine andere hatte vordringen können, weil gerade zu der Zeit starke + Räuberbanden die Gegend gleichsam abgesperrt hatten, so fand ich die Einwohner + dermaßen auf meine Waren erpicht, daß ich diese manchmal mit dem + zehnfachen Gewinn absetzen konnte. Aber damit nicht genug: einen unschätzbaren + Vorteil zog ich aus jener Belehrung "über die Kennzeichen der für + Bestechung zugänglichen Beamten höheren und niederen Ranges nebst Anweisung + über die dabei in Frage kommenden Geldbeträge"; und was ich im Verlauf + weniger Jahre durch geschickte Benutzung dieser Winke gewonnen habe, kommt für + sich allein einem mäßigen Vermögen gleich.--</p> + <p>So vergingen denn einige Jahre in gesundem Wechsel zwischen allerlei + Lebensgenüssen meiner freudigen Vaterstadt und gefahrreichen + Geschäftsreisen, die übrigens bei allem Ernst auch nicht die Lust + ausschlossen; denn ich stieg in den fremden Städten immer bei einer Hetäre + ab, an die ich gewöhnlich von einer gemeinsamen Ujjenier Freundin empfohlen war, + und die meine Kaufmannsgeschäfte oft gar schlau für mich + einfädelte.</p> + <p>Eines Tages trat nun mein Vater vormittags in mein Zimmer, als ich gerade damit + beschäftigt war, auf meine Lippen Lackfarbe aufzutragen, während ich + gleichzeitig meinem Diener Anweisungen gab, der im Hofe vor meinem Fenster mein + Lieblingspferd sattelte. Das mußte diesmal mit besonderer Sorgfalt geschehen, + und es sollten durch eine eigenartige Vorrichtung Kissen angeschnallt werden, denn + ich mußte unterwegs eine Gazellenäugige vor mir im Sattel halten. Ich + hatte nämlich mit mehreren Freunden und Freundinnen einen Besuch in einem + öffentlichen Garten verabredet.</p> + <p>Ich wollte sofort meinem Vater Erfrischungen bringen lassen; er lehnte es aber ab, + und als ich ihm aus meiner goldenen Dose wohlriechende Mundkügelchen anbot, + schlug er auch diese aus und nahm nur etwas Betel. Ich schloß daraus sofort, + nicht ohne einige Beklemmung, daß er wohl etwas Ernstes vorhaben mochte.</p> + <p>"Ich sehe, daß du dich zu einem Vergnügungsausflug bereit machst, mein + Sohn," sagte er, nachdem er auf dem ihm von mir gebotenen Sitze Platz genommen hatte; + "auch kann ich dies keineswegs tadeln, da du erst kürzlich von einer + anstrengenden Geschäftsreise zurückgekehrt bist. Wo willst du heute hin, + mein Sohn?"</p> + <p>"Ich will, Vater, mit einigen Freunden und Freundinnen nach dem Garten der hundert + Lotusteiche reiten, wo wir uns mit Spielen belustigen wollen."</p> + <p>"Gut, sehr gut, mein Sohn! Reizend, entzückend ist ja der Aufenthalt im + Garten der hundert Lotusteiche--tiefer Schatten der Bäume und kühlender + Hauch des Wassers laden da zum Verweilen ein. Auch sind artige und sinnige Spiele zu + loben, denn sie beschäftigen Körper und Geist ohne sie anzustrengen. Ob + wohl jetzt noch dieselben Spiele gebräuchlich sind, die wir in meiner Jugend + spielten? Was meinst du, Kamanita, wird wohl heute dort gespielt werden?"</p> + <p>"Es kommt darauf an, Vater, wer von uns mit seinem Vorschlage durchdringt. Ich + weiß, daß Nimi das Wasserspritzspiel vorschlagen will."</p> + <p>"Das kenne ich nicht," sagte mein Vater.</p> + <p>"Nein, Nimi hat es im Süden gelernt, wo es sehr Mode ist. Man füllt + dabei Bambusrohre mit Wasser und bespritzt sich gegenseitig, und wer am nassesten + wird, hat verloren. Das ist sehr drollig.--Kolliya aber will den Kadambakampf in + Vorschlag bringen."</p> + <p>Mein Vater schüttelte den Kopf:</p> + <p>"Das kenn' ich auch nicht."</p> + <p>"O, das ist jetzt sehr beliebt. Die Spielenden teilen sich in zwei Parteien, die + einander bekämpfen, und dabei dienen eben die Zweige des Kadambastrauches mit + ihren großen, goldigen Blüten als gar prächtige Schlagwaffen. Durch + den Blütenstaub sind die Wunden kenntlich, so daß die Kampfrichter danach + entscheiden können, welche Partei gewonnen hat. Das Ganze ist recht spannend und + hat etwas Zierliches. Ich aber beabsichtige, das Hochzeitsspiel vorzuschlagen."</p> + <p>"Das ist ein gutes altes Spiel," sagte mein Vater mit einem auffallenden + Schmunzeln, "und es freut mich recht, daß du dafür eintreten willst, denn + das zeugt von deiner Gesinnung. Vom Spiel zum Ernst ist der Schritt nicht gar zu + groß."</p> + <p>Dabei schmunzelte er wieder selbstgefällig, und mir wurde recht gruselig + zumute.</p> + <p>"Ja, mein Sohn," fuhr er fort, "ich komme dabei gerade auf das, was mich heute zu + dir geführt hat. Du hast bei deinen vielen Kaufmannsreisen durch + Geschicklichkeit und Glück unser Vermögen vervielfacht, so daß das + Gedeihen unserer Geschäfte in Ujjeni sprichwörtlich geworden ist. + Andererseits hast du aber auch in vollen Zügen deine Jugendfreiheit genossen. + Aus dem ersteren folgt, daß du wohl imstande bist, deinen eigenen Haushalt zu + gründen. Aus dem zweiten, daß es jetzt auch für dich an der Zeit ist, + dies zu tun und daran zu denken, den Faden des Geschlechts weiterzuspinnen. Um dir, + meinem lieben Sohn, alles recht leicht zu machen, habe ich schon im Voraus eine Braut + für dich ausgesucht. Es ist die älteste Tochter unseres Nachbars Sanjaya, + des großen Kaufmannes, die erst kürzlich das heiratsfähige Alter + erreicht hat. Sie stammt also, wie du siehst, aus einer ebenbürtigen, achtbaren + und sehr begüterten Familie und hat großen Verwandtenanhang, sowohl von + väterlicher wie von mütterlicher Seite. Ihr Körper ist makellos; sie + hat Haare von der Schwärze der Biene, ein Gesicht wie der Mond, die Augen eines + Gazellenlammes, eine der Sesamblüte ähnelnde Nase, Zähne wie Perlen + und Bimbalippen, von denen eine Stimme so süß wie die der Kokila + ertönt. Ihr Schenkelpaar ist herzerfreuend wie ein Pisangstamm, und durch die + Fülle der Hüften beschwert, hat ihr Gang die lässige Majestät des + Ilfen. Du wirst also unmöglich etwas gegen sie einwenden können."</p> + <p>Ich hatte in der Tat nichts gegen sie einzuwenden, außer etwa, daß + ihre vielen mir so poetisch angepriesenen Reize mich völlig kalt ließen. + Und ich gestehe, daß von allen Hochzeitszeremonien mir diejenige der drei + Nächte der Enthaltsamkeit, in denen ich der Satzung gemäß mit meiner + jungen Gattin, nichts Scharfgewürztes essend, auf dem Boden schlafend und das + Hausfeuer unterhaltend, die Keuschheit zu bewahren hatte, die am wenigsten + lästige war.</p> + <p>Eine ungeliebte Frau, o Bruder, macht das Heim nicht lieb und das Haus nicht + fesselnd, und so begab ich mich von jetzt ab fast noch williger als zuvor auf Reisen + und kümmerte mich in der Zwischenzeit nur um meine Geschäfte. Und da + ich--um der Wahrheit die Ehre zu geben--bei diesen nicht gar zu skrupelhaft zu Werke + ging, sondern ohne viel Bedenken meinen Vorteil nahm, wo ich ihn sah, so wuchs mein + Reichtum dermaßen, daß ich mich nach wenigen Jahren dem Ziel meines + Ehrgeizes nahe fand und einer der reichsten Bürger meiner Vaterstadt war.</p> + <p>Nun wollte ich aber auch als Hausherr und Familienvater--denn meine Gattin hatte + mir zwei Töchter geboren--meines Reichtums recht genießen und besonders + auch vor meinen Mitbürgern damit prunken. Ich erwarb mir deshalb ein + großes Grundstück in der Vorstadt, wo ich einen gar prächtigen + Lustgarten anlegte und in seiner Mitte ein geräumiges, mit marmornen + Säulenhallen versehenes Haus errichten ließ. Dies Besitztum wurde zu den + Wundern Ujjenis gerechnet, und selbst der König kam, um es zu besichtigen.</p> + <p>Hier veranstaltete ich nun märchenhafte Gartenfeste und gab die + üppigsten Gastmähler. Denn ich hatte mich mehr und mehr auf die Freuden der + Tafel geworfen. Die leckersten Speisen, die zur betreffenden Jahreszeit + überhaupt für Geld zu haben waren, mußten auf meinem Tische sein, + selbst zu den täglichen Mahlzeiten. Damals war ich nicht, wie du mich jetzt + siehst, durch lange Wanderungen, durch Waldaufenthalt und Askese hager und abgezehrt, + sondern von blühender Körperfülle; ja ein Bäuchlein hatte schon + angefangen sich zu runden.</p> + <p>Und es wurde, o Fremder, eine sprichwörtliche Redensart in Ujjeni: "Man + ißt bei ihm, wie beim Kaufmann Kamanita."</p> + <h2><a id="chap_xiv" name="chap_xiv">XIV. DER EHEMANN</a></h2> + <p><img src="images/xiv.png" width="93" height="93" align="left" alt="E" />ines + Morgens ging ich in den Anlagen mit meinem Obergärtner, um zu erwägen + welche neue Verbesserungen anzubringen wären, als mein Vater auf seinem alten + Esel in den Hof ritt. Ich eilte hin, um ihm beim Absteigen behilflich zu sein, und + wollte ihn in den Garten führen, da ich glaubte, er käme, um dessen + Blumenpracht zu genießen. Er zog es aber vor, ins erste beste Zimmer zu treten, + und als ich dem Diener befahl, Erfrischungen zu bringen, schlug er auch diese aus--er + wolle ungestört mit mir sprechen.</p> + <p>Etwas unheimlich berührt, eine drohende Gefahr witternd, nahm ich neben ihm + auf einem niedrigen Sitze Platz.</p> + <p>"Mein Sohn," fing er nun sehr ernst an, "deine Frau hat dir nur zwei Töchter + geboren, und es ist keine Aussicht, daß sie dir einen Sohn schenken wird. Nun + heißt es ja aber sehr richtig, daß der Mann erbärmlich stirbt, + für den kein Sohn das Totenopfer vollziehen kann. Ich tadle dich nicht, mein + Sohn," fügte er hinzu, als er bemerken mochte, daß ich etwas unruhig + wurde; und obwohl ich nicht wußte, wodurch ich mir in diesem Handel hätte + Tadel verdienen können, dankte ich ihm mit geziemender Demut für seine + Milde und küßte seine Hand.</p> + <p>"Nein, ich muß mich selber tadeln, weil ich bei der Wahl deiner Frau mich + durch weltliche Rücksichten auf Familie und Güter zu sehr habe blenden + lassen und nicht genügend auf die Zeichen achtete. Das Mädchen, das ich + jetzt für dich im Auge habe, ist zwar aus einer wenig hervorragenden und + keineswegs begüterten Familie; auch kann man ihr das, was der + oberflächliche Betrachter 'Schönheit' nennt, nicht nachrühmen. + Dafür aber hat sie einen tief sitzenden und nach rechts gedrehten Nabel; sowohl + Hände wie Füße weisen Lotus-, Krug- und Radmal auf; ihr Haar ist ganz + glatt, nur im Nacken hat sie zwei nach rechts gewundene Locken. Von einem + Mädchen, das solche Zeichen besitzt, sagen ja die Weisen, daß es fünf + Heldensöhne gebären wird."</p> + <p>Ich erklärte mich mit dieser Aussicht vollkommen befriedigt, dankte meinem + Vater für die Güte, mit der er für mich sorgte, und sagte, ich sei + bereit, das Mädchen sofort heimzuführen. Denn ich dachte: wenn es doch sein + muß!...</p> + <p>"Sofort?" rief mein Vater erschrocken aus. "Aber, mein Sohn! Dämpfe dein + Ungestüm! Wir sind ja jetzt im südlichen Laufe der Sonne. Wenn diese + Gottheit in ihren nördlichen Lauf eintritt, und wir dann die Monatshälfte, + in welcher der Mond zunimmt, erreichen, dann wollen wir einen günstigen Tag zur + Handergreifung erwählen--aber eher nicht--eher nicht, mein Sohn! Was würden + uns sonst alle guten Eigenschaften der Braut nützen?"</p> + <p>Ich bat meinen Vater, unbesorgt zu sein. Ich würde mich so lange gedulden und + mich in allen Punkten von seiner Weisheit leiten lassen; worauf er meinen Gehorsam + lobte, mir seinen Segen erteilte und mir gestattete, daß ich Erfrischungen + kommen ließ.</p> + <p>Endlich nahte der von mir nicht sehr ersehnte Tag, auf den sich alle + glückverheißenden Zeichen vereinten. Die Zeremonien waren diesmal noch + viel umständlicher; ich hatte vorher volle vierzehn Tage gebraucht, um alle + notwendigen Sprüche genau einzustudieren. Welche Angst ich während der + Handergreifung im Hause meines Schwiegervaters ausgestanden habe, läßt + sich mit Worten kaum beschreiben, Ich zitterte fortwährend vor Furcht, daß + ich irgend einen Vers nicht ganz richtig oder genau bei der Bewegung, zu der er + gehörte, hersagen möchte; denn mein Vater hätte mir das ja nie + vergeben. Und darüber hätte ich beinahe die Hauptsache vergessen, denn + anstatt ihren Daumen zu ergreifen, faßte ich nach ihren vier Fingern, als ob + ich wünschte, daß sie mir Töchter gebären sollte--aber + glücklicherweise hatte die Braut Geistesgegenwart genug, um mir den Daumen in + die Hand zu schieben.</p> + <p>Ich war ganz in Schweiß gebadet, als ich endlich zur Abfahrt die Stiere + einspannen konnte, während meine Braut in die Kummetlöcher der Geschirre je + einen Zweig von einem fruchttragenden Baume steckte. Ich sprach aber den betreffenden + Halbvers mit dem Bewußtsein, daß jetzt das Schlimmste vorüber sei. + Die Gefahren waren jedoch keineswegs überstanden.</p> + <p>Zwar erreichten wir mein Haus, ohne daß irgend einer von den vielen kleinen + Unfällen, die bei einer solchen Gelegenheit wie auf der Lauer liegen, unterwegs + sich ereignet hätte. Vor der Tür angekommen, wurde die Braut von drei + Brahmanenfrauen unbescholtenen Wandels, die alle nur Knaben geboren hatten, und deren + Männer noch lebten, vom Wagen gehoben. So weit ging Alles gut. Nun aber kannst + du dir, Bruder, meinen Schrecken denken, als beim Eintreten ins Haus der Fuß + meiner Frau <i>beinahe</i> die Schwelle berührt hätte. Ich weiß noch + heute nicht, woher ich die Entschlossenheit nahm, sie in meinen Armen hoch empor zu + heben und dadurch zu verhüten, daß eine Berührung wirklich + stattfände. Immerhin war eine solche Unregelmäßigkeit beim + Hineingehen schlimm genug, und dazu kam, daß ich nun selber vergaß, mit + dem rechten Fuß zuerst einzutreten. Glücklicherweise waren Alle, und + besonders mein Vater, über die drohende Berührung der Schwelle + dermaßen entsetzt, daß mein Fehltritt fast gänzlich unbeachtet + blieb.</p> + <p>In der Mitte des Hauses nahm ich zur Linken meiner Frau auf einem roten Stierfell + Platz, das mit der Nackenseite nach Osten und mit der Haarseite nach oben lag. Nun + hatte mein Vater nach langem Suchen und mit unendlicher Mühe ein männliches + Wunderkind ausfindig gemacht, das selber nur Brüder und keine Schwester--auch + keine gestorbene--hatte und von einem Vater stammte, der sich in demselben Fall + befand, nur Brüder zu haben, was sogar auch noch von dessen Vater galt--alles + gerichtlich bescheinigt. Dies Knäblein sollte nun meiner Braut auf den + Schoß gesetzt werden. Schon stand an ihrer Seite die kupferne Schüssel + bereit mit den im Schlamme gewachsenen Lotusblumen, die sie dem Kinde in die + zusammengelegten Hände geben sollte;--da war das Unglücksmenschlein + nirgends zu finden. Erst nachher, als es schon zu spät war, entdeckte ein + Diener, daß der Kleine das Opferbett zwischen den Feuern gar zu verlockend + gefunden und sich in dem weichen Grase gewälzt hatte, bis er fast gänzlich + darin begraben war. Nun mußte natürlich das Opferbett neu geschichtet und + dazu frisches Kugagras geschnitten werden--was schon an sich verkehrt war, weil ja + das Gras bei Sonnenaufgang geschnitten sein muß.</p> + <p>Diese Krone des ganzen Werkes fahren lassend, mußten wir uns mit einem in + aller Hast herbeigeschafften Knäblein begnügen, dessen Mutter nur + Söhne geboren hatte. Mein Vater war aber über das Mißlingen dieser + Maßregel, auf die er so große Hoffnung gesetzt hatte, dermaßen + erregt, daß ich fürchtete, der Schlag könne plötzlich seinem + teuren Leben ein Ende machen. Freilich wäre er unter keinen Umständen jetzt + gestorben, um nur nicht dadurch den Zeremonien den allerverderblichsten Abbruch zu + tun. Diese tröstliche Betrachtung stellte ich aber damals nicht an. Während + ich von entsetzlicher Furcht gequält wurde, mußte ich die Wartezeit bis + zur Ankunft des Ersatzknaben damit ausfüllen, daß ich ununterbrochen + geeignete Sprüche hersagte, damit ja nicht eine leere Pause entstände.</p> + <p>In dieser Stunde aber gelobte ich mir fest, daß ich, was auch kommen + möchte, nie wieder heiraten würde.</p> + <p>Nachdem endlich Alles erledigt war, mußte ich mit meiner Gemahlin--die gar + nicht ein solcher Ausbund von Häßlichkeit war, wie ich nach der Empfehlung + meines Vaters erwartet hatte--zwölf Nächte in gänzlicher + Enthaltsamkeit und unter strengem Fasten, auf dem Fußboden schlafend, + zubringen. Diesmal waren es nämlich <i>zwölf</i> Nächte, weil mein + Vater meinte, wir müßten lieber zuviel, denn zuwenig des Guten tun. Dabei + empfand ich nun freilich recht schmerzlich, daß ich während der ganzen + Zeit alle meine gewürzten Lieblingsgerichte entbehren mußte.</p> + <p>Indessen auch diese Probe wurde überstanden, und das Leben ging in dem alten + Geleise weiter--jedoch mit einem sehr wesentlichen Unterschied. Es sollte sich mir + nämlich nun bald zeigen, wie berechtigt meine Scheu vor dem neuen + Heiratsvorschlag meines Vaters gewesen war. Wohl hatte ich mich sofort damit + getröstet, daß man, wenn man <i>eine</i> Frau hatte, auch zwei haben + konnte. Aber, ach! wie hatte ich mich darin getäuscht!</p> + <p>Meine erste Frau hatte immer einen sanftmütigen Charakter gezeigt, der eher + zum Stumpfsinn als zu auffahrender Heftigkeit neigte; und auch meiner zweiten Frau + rühmte man eine echt weibliche Milde nach. So sind ja auch, o Bruder, das Wasser + und das Hausfeuer alle beide gar wohltätige Dinge; wenn sie aber auf dem + Kochherd zusammentreffen, dann zischt's. Und so hat es denn von jenem + Unglückstage an in meinem Hause gezischt. Aber wie wurde es erst, als meine + zweite Frau mir nun wirklich den ersten jener fünf verheißenen + Heldensöhne gebar! Nun beschuldigte mich meine erste Frau, ich hätte mit + ihr keine Söhne haben wollen und nicht die rechten Opfer gebracht, um so einen + Vorwand zu haben, eine andere zu heiraten; während meine zweite Frau, wenn sie + von der ersten gereizt wurde, es an bitterem Hohn ihr gegenüber nicht fehlen + ließ. Auch herrschte ein fortwährender Rangstreit; meine erste Frau + forderte als solche den Vorrang, während meine zweite als Mutter meines Sohnes + dieselbe Forderung erhob.</p> + <p>Aber bald sollte es noch schlimmer kommen. Eines Tages stürzte meine zweite + Frau ganz zitternd vor Erregung zu mir herein und verlangte, ich sollte die erste + fortschicken, da diese meinen Sohn vergiften wolle--der Knabe hatte nämlich + Leibschneiden bekommen, weil er genascht hatte. Ich wies sie streng zurecht, kaum + aber war ich sie los geworden, als die erste hereinstürzte und rief, ihre beiden + Lämmchen wären ihres Lebens nicht mehr sicher, solange jenes + niederträchtige Weib im Hause bliebe--ihre Nebenbuhlerin wolle meine + Töchterchen aus dem Wege räumen, damit deren Mitgift nicht das Erbe ihres + Sohnes vermindern sollte.</p> + <p>So war denn unter meinem Dach kein Frieden mehr zu finden. Wenn du, o Bruder, + vorhin vielleicht am Gehöfte des reichen Brahmanen unweit von hier stehen + geblieben bist und gehört hast, wie drinnen die beiden Frauen des Brahmanen + keiften, mit lauten, schreienden Stimmen sich zankten und sich gegenseitig mit groben + Schimpfworten bewarfen--dann bist du sozusagen auch an meinem Hause + vorübergekommen.</p> + <p>Und es wurde nun leider auch eine sprichwörtliche Redensart in Ujjeni; "Die + beiden vertragen sich wie die Frauen Kamanitas."</p> + <h2><a id="chap_xv" name="chap_xv">XV. DER KAHLE PFAFF</a></h2> + <p><img src="images/xv.png" width="93" height="93" align="left" alt="S" />o waren die + Verhältnisse in meinem Hausstande, als ich mich eines Vormittags in dem + geräumigen, auf der Schattenseite gelegenen Zimmer befand, das ich zum Besorgen + aller geschäftlichen Angelegenheiten benutzte, und das deswegen dem Hofe + zugekehrt war; denn es war mir bequem, von dort aus die wirtschaftlichen + Vorgänge im Auge behalten zu können. Vor mir stand ein bewährter + Diener, der alle meine Fahrten während einer Reihe von Jahren mitgemacht hatte, + und ich gab ihm genaue Anweisungen über die Führung einer Karawane nach + einem ziemlich entfernten Orte, sowie über die Art und Weise, wie er dort am + besten die Waren würde absetzen können, welche Produkte er von dort aus + zurückbringen müsse, welche Geschäftsverbindungen er dort + anzuknüpfen habe und was dergleichen mehr war--denn ich wollte ihm die ganze + Sache anvertrauen.</p> + <p>Allerdings war meine Häuslichkeit weniger anheimelnd als je, und man + könnte glauben, daß ich mit Freuden jede Gelegenheit ergriffen hätte, + um in der Fremde umherzuschweifen. Aber ich fing jetzt an, etwas bequem und + verwöhnt zu werden und scheute eine längere Reise, nicht nur wegen der + Strapazen der Fahrt, sondern vor allem wegen der kargen Kost, mit der man, wenigstens + unterwegs, vorlieb nehmen mußte. Ja, wenn man auch an Ort und Stelle + angekommen, das Verlorene nachholen und sich recht gütlich tun wollte, so erlitt + man doch oft Enttäuschungen, und jedenfalls, so gut wie am eigenen Tische + aß ich dort nirgends.</p> + <p>So hatte ich denn angefangen, meine Karawanen unter zuverlässigen + Führern auszusenden, während ich selber zu Hause sitzen blieb.</p> + <p>Als ich nun mitten in meinen sehr umständlichen und gar wohlüberlegten + Anweisungen war, erschallten vom Hofe her die zänkischen Stimmen meiner beiden + Frauen, und zwar ungewöhnlich laut und mit einem Redefluß, der nicht + aufhören zu wollen schien. Ärgerlich über diese lästige + Störung sprang ich schließlich auf, und nachdem ich vergebens durchs + Fenster geblickt hatte, trat ich in den Hof hinaus.</p> + <p>Ich sah meine beiden Frauen am Eingangstor stehen. Aber weit davon entfernt, sie + in gegenseitigem Zank zu finden--wie ich es erwartet hatte--, traf ich sie zum ersten + Male einig, indem sie sich einen gemeinsamen Gegner ausgesucht hatten, über den + sich ihr vereinigter Zorn ergoß. Dieser Unglückliche war ein wandernder + Asket, der an den Torpfosten gelehnt dastand, und ruhig diesen Strom von + Beschimpfungen über sich ergehen ließ. Was der eigentliche Grund ihres + Angriffes war, habe ich nie erfahren, vermute aber, daß der bei beiden stark + entwickelte mütterliche Instinkt in diesem Entsager einen Verräter gegen + die heilige Sache der menschlichen Vermehrung und einen Feind ihres Geschlechts + gewittert hatte, und daß sie sich so unwillkürlich über ihn geworfen + hatten wie zwei Ichneumons über eine Cobra.</p> + <p>"Pfui über ihn, den kahlen Pfaffen, den schamlosen Bettler!--Sieh nur, wie er + dasteht, mit gebeugten Schultern und gesenktem Blick--Frömmigkeit, + Beschaulichkeit atmet er aus, der Heuchler, der Gleißner! Nach dem Kochtopf + späht er hin, schaut nach und schnüffelt und schnuppert--wie der Esel, vom + Karren losgeschnallt, im Hofe zum Kehrichthaufen geht und hinspäht, und + nachschaut, und schnüffelt und schnuppert.... Pfui über ihn, den faulen + Tagedieb, den schamlosen Bettler, den kahlen Pfaffen!"</p> + <p>Der Gegenstand dieser und ähnlicher Schmähreden, jener wandernde Asket, + ein Mann von auffallend hohem Wuchse, stand unterdessen immer noch an den + Türpfosten gelehnt, in gelassener Haltung da. Sein Mantel, von der gelben Farbe + der Kanikarablume und dem deinigen nicht unähnlich, fiel in malerischen Falten + über seine linke Schulter bis zu den Füßen hinab und ließ einen + kräftigen Körperbau erraten. Der schlaff herabhängende rechte Arm war + unbedeckt, und ich konnte nicht umhin, das gewaltige Geflecht der Muskeln zu + bewundern, das eher der wohlerworbene Besitz eines Kriegers als das müßige + Erbteil eines Asketen zu sein schien; auch die tönerne Almosenschale mutete mich + in seiner nervigen Hand ebenso sonderbar und unangemessen an, wie eine eiserne Keule + mir dort an rechter Stelle erschienen wäre. Sein Kopf war geneigt, der Blick zu + Boden gesenkt, keine Miene verzog sich um den Mundwinkel, und so stand er regungslos + da, als ob ein tüchtiger Künstler das Bild eines wandernden Asketen in + Stein gehauen und fein bemalt und bekleidet hätte, und ich nun dieses Bildwerk + an meinem Tor hätte aufstellen lassen--etwa als Wahrzeichen meiner + Freigebigkeit.</p> + <p>Diese seine Ungestörtheit, die ich für Sanftmut hielt, meine beiden + Frauen aber als Verachtung auffaßten, spornte natürlich diese zu immer + größeren Anstrengungen an, und so wäre es wohl schließlich zu + Tätlichkeiten gekommen, wenn ich nicht dazwischen getreten wäre, meinen + bösen Frauen ihr schändliches Betragen verwiesen und sie ins Haus gejagt + hätte.</p> + <p>Dann trat ich zum Asketen hin, verneigte mich ehrerbietig und sprach:</p> + <p>"Wolle, Ehrwürdigster, dir nicht zu Herzen nehmen, was diese Frauen, deren + Verstand ja kaum zwei Finger breit ist, an Ungebührlichem, Unziemlichem gesagt + haben mögen! Wolle, Ehrwürdigster, nicht deshalb mit deinem Asketenzorn + dies mein Haus vernichtend treffen! Ich will ja, Ehrwürdigster, selber deine + Almosenschale mit dem Besten füllen, was das Haus vermag--welch ein Glück, + daß sie noch leer ist! Ich will sie füllen, daß kein Bissen mehr + hineingeht, und kein Nachbar sich heute dadurch, daß er dich ernährt, + Verdienst erwerben kann. Du bist auch wahrlich nicht vor die unrechte Schmiede + gekommen, Ehrwürdigster, und ich denke, das Essen wird dir munden, denn es ist + sogar eine sprichwörtliche Redensart hier in Ujjeni: 'Man ißt bei ihm, wie + beim Kaufmann Kamanita'--und der bin ich. Wolle also, Ehrwürdiger, nicht + über das Vorgefallene zürnen und meinem Hause fluchen."</p> + <p>Der Asket aber antwortete darauf, mit nicht eben unfreundlicher Miene:</p> + <p>"Wie könnte ich wohl, o Hausvater, über solche Schimpfereien + zürnen, da es mir doch zusteht, wegen viel gröberer Behandlung sogar + dankbar zu sein. Denn einst, o Hausvater, begab ich mich, zeitig gerüstet, mit + Mantel und Schale versehen, in eine Stadt, um Almosenspeisen zu sammeln. In dieser + Stadt aber hatte Mara, der Teufel, gerade damals die Brahmanen und Hausväter + gegen den Orden der Heiligen aufgehetzt. 'Geht mir mit euren tugendhaften, + edelgearteten Asketen! Beschimpft sie, beleidigt sie, verjagt sie, verfolgt sie.' Und + so geschah es, Hausvater, als ich nun die Straßen daherging, daß bald ein + Stein mir an den Kopf flog, bald ein Scherben mich im Gesicht traf, bald ein Stock + meinen Arm halb zerquetschte. Als ich nun mit zerschnittenem, von Blut + überströmtem Kopfe, mit zerbrochener Schale und zerrissenem Mantel zum + Meister zurückkam, sagte dieser: 'Dulde nur, Asket, dulde nur! Um welcher Tat + Vergeltung du viele Jahre Höllenqual erlitten hättest, dieser Tat + Vergeltung findest du noch bei Lebzeiten.'</p> + <p>Bei den ersten Lauten seiner Stimme zuckte mir ein jäher Schreck durch den + Leib vom Scheitel bis zur Sohle, und mit jedem Wort durchdrang ein eisiges Erstarren + tiefer mein ganzes Wesen. Denn das war ja, o Bruder, die Stimme Angulimalas, des + Räubers--wie konnte ich daran zweifeln? Und als mein krampfhafter Blick sich an + sein Gesicht heftete, erkannte ich auch dieses wieder, obschon ihm früher der + Bart fast bis an die Augen gegangen und das Haar ihm tief in die Stirn gewachsen war, + während er jetzt kahl und rasiert vor mir stand. Nur zu gut erkannte ich die + Augen unter den buschigen, zusammengewachsenen Brauen wieder, obwohl sie mir nicht + wie damals Zornesblitze entgegensprühten, sondern mit tiefer Verstellungskunst + mich vielmehr freundlich anblickten; und die sehnigen Finger, die die Almosenschale + umspannten--gewiß waren es dieselben, die einst wie Teufelskrallen meine Kehle + umklammert hatten.</p> + <p>"Wie sollte ich wohl, o Hausvater"--fuhr mein unheimlicher Gast fort,--"wie sollte + ich wohl über Schimpfreden in Zorn geraten? Denn der Meister hat ja gesagt: + 'Wenn auch, ihr Jünger, Räuber und Mörder euch mit einer Baumsäge + Gelenke und Glieder abtrennten, so würde, wer da in Wut geriete, nicht meine + Weisung erfüllen.'"</p> + <p>Als ich aber, o Bruder, diese Worte mit ihrer so teuflisch versteckten und mir so + deutlichen Drohung vernahm, zitterten mir die Beine dermaßen, daß ich + mich an der Wand festhalten mußte, um nicht umzusinken. Nur mit Mühe + vermochte ich mich so weit zusammenzunehmen, daß ich, mehr noch durch + Gebärden als mit einigen hergestammelten Worten, dem als Asketen verkleideten + Räuber bedeuten konnte, er möchte sich gedulden, bis ich die Speisen + beschafft hätte.</p> + <p>Dann eilte ich, so schnell wie meine wackeligen Beine mich tragen wollten, quer + über den Hof in die große Küche, wo gerade das Mittagsmahl für + meine Familie und die ganze Haushaltung zubereitet wurde, und es in allen Pfannen und + Töpfen briet und brodelte. Hier wählte ich nun ebenso schnell wie + sorgfältig das Beste und Schmackhafteste aus. Mit einer goldenen Kelle bewaffnet + und von einer ganzen Schar schüsseltragender Diener gefolgt, stürzte ich + wieder in den Hof, um meinen furchtbaren Gast zu bedienen und womöglich zu + versöhnen.</p> + <p>Angulimala aber war verschwunden.</p> + <h2><a id="chap_xvi" name="chap_xvi">XVI. KAMPFBEREIT</a></h2> + <p><img src="images/xvi.png" width="93" height="93" align="left" alt="H" />alb + ohnmächtig sank ich auf eine Bank nieder. Doch fingen meine Gedanken sofort + wieder zu arbeiten an. Angulimala war dagewesen, dessen war kein Zweifel; und auch + der Grund seines Kommens war mir nur zu klar. Wie viele Geschichten hatte ich nicht + über seine Unversöhnlichkeit und Rachsucht gehört! Nun hatte ich ja + aber das Unglück gehabt, seinen besten Freund zu erschlagen, und von meinem + Aufenthalt unter den Räubern wußte ich wohl, daß die Freundschaft + bei ihnen nicht weniger gilt als bei einer ehrsamen Bürgerschaft, wenn nicht + sogar weit mehr. Als ich aber sein Gefangener war, konnte Angulimala mich nicht + töten, ohne sich gegen die Regeln der "Absender" zu versündigen; und + trotzdem hätte er es zweimal beinahe getan und damit einen unauslöschlichen + Fleck auf seine Räuberehre gesetzt. Nun aber hatte er endlich dieses, von dem + sonstigen Gebiete seiner Tätigkeit weit abseits gelegene Land aufsuchen + können und wollte jetzt das Versäumte nachholen. In der Verkleidung eines + Asketen hatte er die Örtlichkeiten bequem in Augenschein nehmen können und + ohne Zweifel wollte er noch in derselben Nacht handeln. Wenn er auch bemerkt haben + mochte, daß ich ihn wieder erkannte, durfte er doch nicht zögern, denn + diese Nacht war die letzte der dunklen Hälfte des Monats, und ein Unternehmen + wie dieses in der lichten Hälfte auszuführen, wäre ein Verstoß + gegen die heiligen Räubergesetze gewesen, der ihm den strafenden Zorn der + schrecklichen Göttin Kali hätte zuziehen müssen.</p> + <p>Sofort ließ ich mein bestes Pferd satteln und ritt in die Stadt nach dem + Palast des Königs. Leicht hätte ich bei ihm Zutritt erhalten, aber zu + meiner Enttäuschung erfuhr ich, daß er sich gerade in einem seiner fernen + Jagdschlösser aufhielt. Ich mußte mich also damit begnügen, den + Minister aufzusuchen. Dieser war gerade derselbe Mann, der einst jene Gesandtschaft + nach Kosambi geführt hatte und in dessen Obhut, wie du dich erinnern wirst, ich + wohl hin--aber nicht zurückgereist war. Seit jenem Tage nun, an dem ich mich + geweigert hatte, ihm zu folgen, war er mir nicht sehr gewogen, was ich bei + verschiedenen Begegnungen gespürt hatte, wie ich denn auch wußte, + daß er sich des öfteren über meinen Lebenswandel aufgehalten hatte. + Bei ihm meine Sache vorbringen zu müssen, war mir nicht gerade angenehm; + indessen ihre Berechtigung, ja sogar Verdienstlichkeit war so augenscheinlich, + daß hier, wie mir schien, für persönliche Ab- oder Zuneigung wenig + Spielraum war.</p> + <p>Ich erzählte ihm also so kurz und klar wie möglich, was sich in meinem + Hofe zugetragen hatte, und fügte die fast selbstverständliche Bitte hinzu, + eine Truppenabteilung möge für die Nacht in meinem Haus und Garten + aufgestellt werden, um mein Besitztum gegen den sicher zu erwartenden Angriff der + Räuber zu verteidigen und so viele wie möglich von diesen + gefangenzunehmen.</p> + <p>Der Minister hörte mich schweigend und mit einem unergründlichen + Lächeln an. Dann sagte er:</p> + <p>"Mein guter Kamanita! Ich weiß nicht, ob du heute schon einen recht + kräftigen Frühtrunk zu dir genommen hast, oder noch unter dem Einfluß + einer deiner in Ujjeni sprichwörtlich berühmten nächtlichen Gelage + stehst, oder ob du dir gar überhaupt durch deine ebenfalls sprichwörtlich + berühmten scharf gewürzten Leckereien dermaßen den Magen verdorben + hast, daß du nicht nur bei Nacht, sondern auch am hellen Tag böse + Träume hast. Denn nur als einen solchen kann ich diese hübsche Geschichte + betrachten, zumal wir wissen, daß Angulimala längst nicht mehr unter den + Lebenden weilt."</p> + <p>"Das war aber ein falsches Gerücht, wie wir jetzt sehen," rief ich + ungeduldig.</p> + <p>"<i>Ich</i> sehe das keineswegs," versetzte er in scharfem Ton. "Von falschem + Gerücht kann hier keine Rede sein, denn kurze Zeit nach der Begebenheit hat + Satagira selber mir in Kosambi erzählt, daß Angulimala in den + unterirdischen Gewölben des Ministerpalastes unter den Folterwerkzeugen + gestorben sei, und ich habe noch seinen Kopf über dem östlichen Stadttor + aufgespießt gesehen."</p> + <p>"Ich weiß nicht, wessen Kopf du dort gesehen hast," sagte ich--"das aber + weiß ich genau, daß ich noch vor einer Stunde den Kopf Angulimalas + wohlbehalten auf seinen Schultern gesehen habe, und daß ich so wenig deinen + Spott verdiene, daß du mir vielmehr danken solltest, weil du durch mich + Gelegenheit bekommst--</p> + <p>"Einen toten Mann totzuschlagen und aus mir selbst einen Narren zu machen," + unterbrach mich der Minister--"ich danke!"</p> + <p>"Dann bitte ich wenigstens zu bedenken, daß es sich hier nicht um den ersten + besten Besitz handelt, sondern um ein Haus und um Gartenanlagen, die zu den Wundern + Ujjenis gerechnet werden, und die unser gnädiger König selber mit + großer Bewunderung besichtigt hat. Er wird dir's nicht danken, wenn Angulimala + diese Herrlichkeiten seiner Hauptstadt einäschert."</p> + <p>"O, das kümmert mich wenig," antwortete dieser Unmensch lachend. "Folge + meinem Rat, gehe nach Hause, beruhige dich durch ein Schläfchen und laß + die Sache dich nicht weiter kümmern. Das Ganze kommt übrigens daher, + daß du dich damals in Kosambi in ein galantes Abenteuer gestürzt hast und + töricht genug warst, meine Worte in den Wind zu schlagen und nicht mit mir + abzureisen. Hättest du das getan, dann wärest du nie in Angulimalas + Hände gefallen und würdest jetzt nicht von einer grundlosen und leeren + Angst geplagt. Auch ist dein monatelanges Zusammenleben mit dem Räubergesindel + für deine Sitten nicht günstig gewesen, wie wir ja alle hier in Ujjeni + gesehen haben."</p> + <p>Er erging sich noch in einigen moralisierenden Gemeinplätzen und + entließ mich dann.</p> + <p>Schon unterwegs überlegte ich mir, was nun, da ich auf mich selber angewiesen + war, zu tun sei. In meinem Hause angekommen, ließ ich sofort alle beweglichen + Schätze, die sich da fanden, vornehmlich solche Dinge wie kostbare Teppiche, + eingelegte Tische und ähnliches in den Hof bringen und dort auf Karren verladen, + um diesen Teil meiner Güter in der inneren Stadt in Sicherheit zu bringen. + Gleichzeitig ließ ich an alle meine Leute Waffen verteilen--sowohl Karren wie + Waffen waren ja reichlich wegen der beabsichtigten Karawanenfahrt vorhanden. Aber + dabei ließ ich es nicht bewenden. Das Allererste, was ich zu tun hatte, war, + einige vertraute Diener in die Stadt zu schicken, um dort gegen Versprechen eines + ansehnlichen Lohnes mutige und waffentüchtige Kerle für die Nacht zu + werben. Für jeden anderen wäre dies nun freilich ein gar gefährliches + Wagestück gewesen; denn wie leicht konnten solche Leute im entscheidenden + Augenblick mit den Angreifern gemeinsame Sache machen! Ich vertraute aber gewissen + Freundinnen, die meinen Dienern nur zuverlässige Spitzbuben + empfahlen--nämlich solche, die zwar sonst zu Allem fähig sind, denen aber + doch ihr feierlich gegebenes Wort und das genommene Handgeld heilig sind. Da ich dies + Gesindel und seine sonderbaren Gewohnheiten kannte, wußte ich wohl, was ich + tat.</p> + <p>Während dieser Vorbereitungen schickte ich, da ich selber nicht Zeit hatte, + zu meinen Frauen zu gehen, einen Diener zu einer jeden von ihnen und ließ ihnen + sagen, sie müßten sich bereit halten--die erste mit ihren beiden + Töchterchen, die zweite mit ihrem Söhnlein--noch heute nach der Stadt ins + Vaterhaus zu ziehen. Daß es nur für die eine Nacht sein sollte, ließ + ich sie nicht wissen, weil ich wohlweislich bedacht hatte, wenn sie erst einmal dort + wären, könnten sie auch eine Woche oder länger dort bleiben, und ich + würde unterdessen zu Hause einen ungeahnten Frieden + genießen--vorausgesetzt natürlich, daß es mir gelänge, den + Angriff abzuschlagen. Ebensowenig ließ ich sie den Grund zu dieser + Maßregel erfahren, weil man ja überhaupt Weibern gegenüber sich nicht + auf Gründe berufen soll.</p> + <p>Ich war nun gerade im Begriff, meiner bewaffneten Dienerschaft eine anfeuernde + Rede zu halten, wie ich das bei gefahrdrohenden Gelegenheiten während einer + Karawanenreise immer und mit großem Erfolg getan hatte. Da stürzten + gleichzeitig, wie auf Verabredung, aus zwei verschiedenen Türen meine beiden + Frauen in den Hof, mit verstörten Mienen und lautem Schreien, so daß Alle + sich nach ihnen umsahen, und ich meine kaum angefangene Rede unterbrechen + mußte. Die erste schleppte die beiden Töchterlein, die zweite mein + Söhnchen mit sich.</p> + <p>Vor mir angelangt, zeigte die eine auf die andere und beide schrien:</p> + <p>"So ist es denn endlich diesem schlechten Weib gelungen, dein Herz gegen mich zu + wenden, daß du mich verstoßen willst, und mir, deiner getreuen Ehefrau, + die Schande antust, mich ins Vaterhaus zurückzuschicken mit deinen unschuldigen + Töchterlein--(mit deinem armen Söhnlein)--."</p> + <p>Die überschäumende Wut, unterstützt von ihrem angeborenen kurzen + Verstande, verursachte, daß keine von ihnen merkte, wie die andere <i>sie</i> + genau derselben Sache beschuldigte, die sie selbst dieser zur Last legte, und sich + genau über das gleiche Schicksal beklagte, das sie selbst als das ihrige + beweinte, und daß also jedenfalls ein Irrtum vorliegen mußte. Aber weit + entfernt davon, so etwas zu ahnen, schrien und heulten sie immer weiter, wobei sie + sich die Haare rauften und ihre Brüste mit den Fäusten schlugen, bis sie + dann, wie zur Erholung, sich gegen die vermeintliche siegreiche Gegnerin in + Schimpfreden ergingen, die an Grobheit Alles, was ich je in der Gesellschaft + übelberufener Weiber gehört hatte, weit übertrafen.</p> + <p>Endlich gelang es mir doch, zu Wort zu kommen und ihnen, wenn auch mit + großer Mühe, klar zu machen, daß sie meine Diener gänzlich + mißverstanden hätten, daß keine von ihnen zu ihren eigenen Eltern + zurückgeschickt werden sollte, sondern daß sie beide in das Haus meiner + Eltern gebracht würden, und zwar nicht zur Strafe oder als Zeichen meiner + Ungnade, sondern lediglich um ihrer und der Kinder Sicherheit willen. Als ich nun + aber sah, daß sie dies vollkommen begriffen hatten, ließ ich mich + hinreißen und rief:</p> + <p>"Das habt ihr von eurer Unart, nun lernet endlich euch anständig zu betragen! + Da habt ihr euren "kahlen Pfaffen"! Wer, glaubt ihr wohl, daß das war? + <i>Angulimala</i> war es, der Räuber, der Schreckliche, der die Menschen + tötet und sich ihre Daumen um den Hals hängt! <i>Den</i> habt ihr + beschimpft, <i>den</i> habt ihr gereizt! Ein Wunder, daß er euch nicht mit der + Almosenschale totgeschlagen hat. Wir anderen, wenn jemand von uns in seine Hände + fällt, wir werden es ausbaden müssen, und wer weiß, ob ihr noch im + Hause meines Vaters vor ihm sicher seid."</p> + <p>Als meinen Frauen der Sinn dieser Rede völlig aufging, fingen sie alsbald an + zu schreien, als ob sie schon die Messerschneide an der Kehle spürten, und + wollten mit den Kindern zum Tor hinausstürzen. Ich ließ sie jedoch + zurückhalten und setzte ihnen umständlich auseinander, daß + vorläufig noch gar keine Gefahr zu befürchten sei, da Angulimala, wie ich + wohl wußte, uns auf keinen Fall vor Mitternacht angreifen würde. Dann + hieß ich sie in die Wohnung zurückkehren und Alles zusammenpacken, was sie + und die Kinder während der Zeit, die sie, der Räubergefahr wegen, in der + Stadt bleiben mußten, nötig haben könnten. Das taten sie denn auch + sofort.</p> + <p>Dabei hatte ich nun allerdings die Wirkung nicht bedacht, die meine Worte auf + meine Leute haben könnten. Und diese erwies sich bald als wenig günstig. + Denn als sie erfuhren, daß es der schreckliche, für tot gehaltene + Angulimala war, der mein Haus ausgekundschaftet hatte und es sicher in der Nacht + angreifen wollte, schlich erst der eine und andere still davon, dann aber warfen sie + zu Dutzenden die Waffen von sich und erklärten, mit einem solchen Teufel nicht + anbinden zu wollen: das könne man keineswegs von ihnen verlangen. Auch die in + der Stadt Angeworbenen, von denen gerade jetzt die ersten ankamen und hörten, + wie die Dinge standen, meinten, so hätten sie nicht gewettet und zogen wieder + ab. Nur etwa zwanzig meiner eigenen Leute, an ihrer Spitze mein braver Hausmeier, + erklärten, sie wollten mich nicht verlassen, sondern bis zum letzten + Blutstropfen das Haus verteidigen, denn sie sahen wohl, daß ich entschlossen + war, diesen herrlichen Besitz, an dem mein Herz hing, nicht preiszugeben, sondern, + wenn es sein müßte, mit ihm unterzugehen.</p> + <p>Mehrere entschlossene Kerle aus der Stadt, die die Aussicht auf einen + tüchtigen Kampf fast noch mehr als das Geld lockte und die sich nicht einmal vor + dem Namen Angulimala fürchteten, ja sich wohl gar einredeten, daß sie, + nachdem sie sich brav geschlagen und gefangengenommen worden, der Bande einverleibt + werden würden--mehrere solche verzweifelte Gesellen schlossen sich an, und so + gebot ich doch zuletzt über gegen vierzig wohlbewaffnete und tapfere + Männer.</p> + <p>Unterdessen war es fast Abend geworden, und der Wagen für meine Frauen fuhr + vor. Diese kamen mit den Kindern einigermaßen beruhigt heraus; aber ein neues + Geheul erhob sich sofort, als sie merkten, daß ich nicht mitfahren wollte, ja + überhaupt nicht beabsichtigte, das Haus zu verlassen. Sie warfen sich auf die + Knie, ergriffen mein Gewand und beschworen mich unter strömenden Tränen, + mich mit ihnen zu retten: "Unser Gebieter, unser Beschützer, verlaß uns + nicht, stürze dich nicht in den Rachen des Todes!" Ich erklärte ihnen, + daß, wenn ich meinen Posten verließe, dies Haus sicher ein Raub der + Flammen und plündernder Hände werden, und mein Sohn den Hauptteil seines + Erbes verlieren würde, während es jetzt noch vielleicht durch tapferes + Ausharren zu retten sei, da man nicht wisse, ob Angulimala mit großer + Stärke angreifen würde.</p> + <p>"Ach, weh uns!" riefen sie, "unser Herr und Beschützer verläßt + uns! Und der schreckliche Angulimala wird ihn umbringen und seine Daumen an der + Halskette tragen! Zu Tode martern wird er unseren Gemahl in seinem furchtbaren Grimm, + und unsere Schuld wird es sein! Um unserer Schimpfreden willen muß unser Gatte + leiden, und uns wird es deshalb in der Hölle übel ergehen!"</p> + <p>Ich versuchte sie zu beruhigen so gut es ging, und als sie sahen, daß ich + unerschütterlich war, mußten sie sich dazu bequemen, den Wagen zu + besteigen. Kaum aber hatten sie ihre Plätze eingenommen, so fingen sie an sich + mit gegenseitigen Beschuldigungen anzufeinden.</p> + <p>"Du warst's, die anfing."--"Nein, du--du hast mich auf ihn aufmerksam gemacht, wie + er dort am Torpfosten stand. Jawohl--gerade dort, du zeigtest mit Fingern auf + ihn."</p> + <p>"Und du hast nach ihm ausgespuckt--roten Speichel--<i>ich</i> hatte noch keinen + Betel gekaut, das tu ich morgens nie."--"Aber du nanntest ihn einen Landstreicher, + einen faulen Bettler."--"Und du einen kahlen Pfaffen...."</p> + <p>Und so ging's weiter; aber das Knarren der Räder, als die Ochsen jetzt + anzogen, übertäubte ihre Stimmen,</p> + <h2><a id="chap_xvii" name="chap_xvii">XVII. IN DIE HEIMATLOSIGKEITi</a></h2> + <p><img src="images/xvii.png" width="93" height="93" align="left" alt="W" />elch + ungekannte Stille umfing mich jetzt, o Bruder, als ich, nachdem ich den Leuten ihre + Posten angewiesen hatte, wieder ins Haus trat! Daß ich die Stimmen meiner + Frauen nicht hörte--das war es nicht allein, sondern daß ich diese Stimmen + sich zum Torweg hinaus hatte entfernen hören, daß keine Möglichkeit + da war, aus irgend welchen Ecken plötzlich die keifenden Stimmen zu vernehmen, + bis sie, gegenseitig sich steigernd, sich schließlich zu einem + mißtönigen Zankduett vereinigten oder vielmehr entzweiten:--das war es, + was meinem Hause eine für mich fast unbegreifliche und unsagbar wohltuende Ruhe + verlieh.</p> + <p>So erschien mir nun mein von weiten Parkanlagen umfriedeter Palast herrlicher denn + je, und ich zitterte bei dem Gedanken, daß diese Herrlichkeit in wenigen + Stunden durch verruchte Räuberhände vernichtet werden sollte. Weit weniger + kümmerte mich die Angst um mein eigenes Leben, als die beständige, lebhafte + Vorstellung, wie diese wohlgepflegten Baumgänge verwüstet, diese + kunstfertig ausgehauenen Marmorsäulen gestürzt werden würden, und + daß all dies, dessen Herrichtung mir so viele Überlegung und so + langwierige Mühe gekostet, dessen Vollendung mir so große Freude gemacht + hatte, ein Trümmerhaufen sein würde, wenn die Sonne wieder aufging. Denn + nur zu gut kannte ich ja die Spuren Angulimalas.</p> + <p>Indessen war nun für mich nichts anderes mehr zu tun als zu warten; und bis + zur Mitternacht blieben noch mehrere Stunden.</p> + <p>Nun hatte ich aber stets in einer immerfort rollenden Kette von Vergnügungen + und Geschäften gelebt, so daß ich nie zur Besinnung kam; und wie ich hier, + ohne irgend etwas zu tun zu haben, allein in einem nach der Säulenhalle und dem + Garten sich öffnenden Zimmer, mitten im totenstillen Palast, dasaß, + erlebte ich gewissermaßen seit meiner frühesten Jugend die ersten Stunden, + die gänzlich mir selbst gehörten. Da fingen nun auch meine freigelassenen + Gedanken an, sich zum erstenmal auf mich selber zu richten; und mein ganzes Leben zog + an mir vorüber. Und indem ich es so gleichsam als ein Fremder betrachtete, + konnte ich keinerlei Gefallen daran finden.</p> + <p>Diese Betrachtungen unterbrach ich ein paarmal, um einen Gang durch Haus, Hof und + Garten zu machen und mich so zu vergewissern, daß die Leute wachten. Als ich + zum dritten- oder viertenmal zwischen die Säulen hinaustrat, bemerkte mein durch + so viele Karawanenfahrten geübtes Auge am Stande der Sternbilder, daß es + nur noch eine halbe Stunde bis Mitternacht war. Ich machte eilig die Runde und + ermahnte meine Leute zur äußersten Wachsamkeit. Ich selbst fühlte + mein Blut in allen Adern hämmern, und die Kehle wollte sich vor angstvoller + Spannung zusammenschnüren. Nach dem Zimmer zurückgekehrt, setzte ich mich + nieder wie zuvor. Aber kein Gedanke wollte sich regen; ich spürte einen starken + Druck vor der Brust, und bald war es mir, als ob ich ersticken müßte.</p> + <p>Ich sprang auf und trat, um Luft zu schöpfen, zwischen die Säulen + hinaus. Ein weichfächelnder Hauch strich mir plötzlich über die Wange + und gleich danach ertönte das Geschrei einer Eule; in demselben Augenblick wehte + mir von den Gartenteichen ein starker Duft von Nachtlotusblüten entgegen. Ich + hatte den Blick erhoben, um wiederum nach den Sternen die Zeit zu bemessen: da sah + ich quer über dem tiefblauen Ausschnitt des Himmels zwischen den schwarzen + Baumwipfeln den mild leuchtenden Streifen der Milchstraße.</p> + <p>"Die himmlische Ganga," murmelte ich unwillkürlich. Da war es auf einmal, als + ob jener Druck vor der Brust sich auflöste und in einer warmen Welle + emporstiege, um sich schließlich in einem heißen Tränenstrom durch + die Augen zu ergießen.</p> + <p>Wohl hatte ich vorher, als mein Leben an meinem inneren Blicke vorüberzog, + auch an Vasitthi und an die Zeit meiner Liebe gedacht--aber wie an etwas Fernes und + Fremdes, das mir fast wie ein törichter Traum erschien. Jetzt aber <i>dachte</i> + ich nicht mehr daran, sondern erlebte es wieder; ich war auf einmal ich selber von + damals und ich selber von jetzt, und mit wahrem Entsetzen wurde ich den ganzen + Unterschied inne. Damals besaß ich nichts außer mir selbst und meiner + Liebe; wie wären die zu trennen gewesen? <i>Jetzt</i>--o, was besaß ich + jetzt nicht alles! Frauen und Kinder, Elefanten, Rosse und Rinder, Zugochsen, Diener + und Sklaven, reich gefüllte Warenhäuser, Gold und Juwelen, einen Lustpark + und einen Palast, um die mich meine Mitbürger beneideten--wo aber war ich selber + geblieben? Wie in einer mißratenen Frucht war der Kern eingetrocknet, + verschwunden, und Alles war zur Schale geworden!...</p> + <p>Wie erwachend sah ich mich um.</p> + <p>Der weitgedehnte Park, der seine schwarzen Baumkronen gegen den + sternenbesäten, von der Milchstraße durchzogenen Nachthimmel erhob, und + die stolze Halle, wo alabasterne Lampen zwischen den Säulen leuchteten: sie + erschienen mir jetzt in einem ganz neuen Licht; feindselig und drohend umgaben sie + mich, wie prächtig schimmernde Vampyre, die schon fast mein ganzes Herzblut + ausgesogen hatten und begierig gähnten, um sich noch an den letzten Tropfen zu + laben und nur den dürren Leichnam eines verfehlten Menschenlebens übrig zu + lassen.</p> + <p>Ein ferner undeutlicher Lärm--Murmeln oder Tritte, wie mir schien--schreckte + mich auf. Das entblößte Schwert in der Hand, sprang ich ein paar Stufen + hinunter, und blieb dann stehen, um zu lauschen. Die Räuber!--Doch nein! Alles + war still, Alles blieb still; weit und breit rührte sich nichts. Es war nur + einer jener unergründlichen Laute der Nachtstille, die mich so oft am Wachtfeuer + der Karawane hatten aufspringen lassen.--Draußen war nichts! Aber was war das + in <i>mir</i>? Das war nicht mehr Angst, was mir jetzt das Blut in den Schläfen + pochen ließ; und auch der Mut der Verzweiflung war es nicht; nein, das war + frohlockender Jubel:</p> + <p>"Willkommen, ihr Räuber! Nur her, Angulimala! Verwüstet, äschert + ein! Das sind ja meine Todfeinde, die ihr vernichtet! Was mich erdrücken + würde, nehmt ihr von mir! Her zu mir! Die Schwerter in mein Blut getaucht! Das + ist ja mein ärgster Feind, den ihr durchbohrt, dieser Leib, der der Wollust + ergebene, der Völlerei verfallene! Das ist ja mein schlimmster Besitz, dies + Leben, das ihr mir nehmt.--Willkommen, Räuber, gute Freunde, alte + Kameraden!"</p> + <p>Es konnte ja nicht lange dauern; Mitternacht war vorüber. Und wie freute ich + mich jetzt auf den Kampf! Angulimala würde mich suchen: ich wollte doch sehen, + ob er mir auch diesmal das Schwert aus der Hand schlagen könnte! O, wie + süß würde das sein, zu sterben, nachdem ich ihn durchbohrt--ihn, der + allein die Schuld an meinem ganzen Unglück trug.</p> + <p>"Es kann nicht mehr lange dauern"--wie oft mag ich mir in jenen Nachtstunden + diesen Trost wiederholt haben!</p> + <p>Jetzt--endlich! Nein, es war ein Rauschen der Baumwipfel, das in der Ferne + dahinstarb, um sich wieder zu erheben. Es klang als ob ein großes zottiges Tier + sich schüttelte. Immer wieder geschah es, und einmal ertönte der kurze + Schrei irgend eines Vogels.</p> + <p>Waren das nicht Zeichen des herannahenden Tages?</p> + <p>Mir wurde kalt vor Schrecken. War es möglich, daß ich enttäuscht + werden sollte? Ja, ich zitterte jetzt bei dem Gedanken, daß die Räuber + schließlich <i>nicht</i> kämen. Wie greifbar nahe war mir das Ende + erschienen--ein kurzer, aufregender Kampf und dann der Tod, kaum gespürt. Nichts + schien mir nun so trostlos, als die gemeine Aussicht, am Morgen hier angetroffen zu + werden, in der alten Umgebung, selbst wieder der alte und dem alten Leben + verschrieben. Sollte das wirklich geschehen?--Kämen sie nicht, die Befreier! Es + mußte sicher die höchste Zeit sein--ich wagte nicht einmal nachzuforschen. + Aber wie war das möglich? War ich am Ende doch das Opfer einer + Sinnestäuschung geworden, als ich in jenem Asketen Angulimala erkannte? Wieder + und wieder warf ich diese Frage auf, jedoch ich konnte das nicht glauben. Dann aber + mußte er ja noch kommen--ohne Zweck hatte er sich doch gewiß nicht in + dieser sehr geschickten Verkleidung bei mir eingefunden, um sofort wieder zu + verschwinden, als ob ihn die Erde verschlungen hätte. Denn ich hatte + Nachforschungen angestellt und wußte, daß er nirgends sonst um + Almosenspeise vorgesprochen hatte.</p> + <p>Das schlaftrunkene Krähen eines jungen Hahnes im nahen Hofe weckte mich aus + meinem Grübeln. Das Sternbild, das ich suchte, konnte ich kaum mehr finden; + einige seiner Sterne waren schon hinter die Baumwipfel gesunken, und die Gestirne + hatten, mit Ausnahme der am höchsten stehenden, ihr klares Funkeln + eingebüßt. Es war kein Zweifel: das Tagesgrauen kündigte sich schon + an, und ein Angriff Angulimalas war völlig ausgeschlossen.</p> + <p>Von allem Wunderlichen, was ich in dieser Nacht erlebte, kam aber jetzt das + Wunderlichste.</p> + <p>Diese Erkenntnis war nämlich von keinem Gefühl der Enttäuschung + begleitet, noch weniger freilich von einer Erleichterung durch das Verschwinden aller + Gefahr. Sondern ein neuer Gedanke war da und erfüllte mich ganz:</p> + <p>"Was habe ich denn auch diese Räuber nötig?</p> + <p>Ihre Fackeln und Pechkränze wollte ich, um von der Last dieses + prächtigen Besitztums befreit zu werden. Aber es gibt ja Männer, die + freiwillig sich ihres Besitzes entäußern und als Pilger umherziehen. Wie + ein Vogel, wohin er auch fliegt, nur mit seinen Fittichen versehen fliegt, ebenso ist + auch der Pilger mit dem Gewande zufrieden, das seinen Leib deckt, mit der + Almosenspeise, die sein Leben fristet. Und ich habe sie ja preisend sagen hören: + 'Ein Gefängnis, ein Schmutzwinkel ist die Häuslichkeit, der freie + Himmelsraum ist die Pilgerschaft.'</p> + <p>Und die Schwerter der Räuber rief ich an, um diesen Leib zu töten. Wenn + aber dieser Leib zerfällt, bildet sich ja ein neuer, und aus diesem Leben geht + ein neues als seine Frucht hervor.--Was für eins würde wohl aber aus dem + meinigen hervorgehen? Freilich haben wir ja, Vasitthi und ich, uns bei jener + himmlischen Ganga, deren Silberwellen die Lotusteiche des westlichen Paradieses + speisen, feierlich zugeschworen, uns in jenen seligen Gefilden zu finden--und mit + jenem Schwur hat sich; wie sie sagte, dort im heiligen, kristallklaren See für + jeden von uns eine Lebensknospe gebildet; durch jeden reinen Gedanken, jede gute Tat + müsse sie wachsen, alles Böse und Nichtswürdige aber werde wie ein + Wurm an ihr nagen. Ach, längst muß ja die meinige zernagt sein! Ich habe + ja auf mein Leben zurück geblickt: nichtswürdig hat es sich gestaltet, + Nichtswürdiges würde aus ihm hervorgehen. Was hätte ich denn durch + einen solchen Tausch gewonnen?</p> + <p>Nun gibt es ja aber Männer, die schon in diesem Leben jede irdische + Wiedergeburt vernichten und die unerschütterliche Gewißheit ewiger + Seligkeit gewinnen. Und das sind eben dieselben Männer, die, Alles hinter sich + lassend, frei umherpilgern.</p> + <p>Was sollen mir also die Brandfackeln der Räuber, was ihre Schwerter?"</p> + <p>Und ich, der ich zuerst vor den Räubern angstvoll gezittert und nachher mich + ungeduldig nach ihnen gesehnt und meine Hoffnung auf sie gesetzt hatte--ich + fürchtete mich weder vor ihnen, noch erhoffte ich von ihnen irgend etwas; von + Furcht und Hoffnung frei, empfand ich eine große Ruhe. In dieser Ruhe kostete + ich aber einen Vorgeschmack der Wonne, die denjenigen zu eigen ist, die das Ziel der + Pilgerschaft erreicht haben; denn wie ich den Räubern gegenüberstand, so + mögen sie wohl allen Mächten der Welt gegenüberstehen: weder + fürchten sie solche, noch hoffen sie etwas von ihnen, sondern verharren in + Frieden.</p> + <p>Und ich, der ich noch vor vierundzwanzig Stunden mich scheute, eine kurze Reise + anzutreten wegen der Strapazen und der kargen Kost des Karawanenlebens, ich + beschloß jetzt, ohne Zagen und Wanken, bis an das Ende meiner Tage obdachlos zu + Fuß zu wandern, mein Leben fristend "so wie es eben kommt".</p> + <p>Ohne auch nur noch einmal in das Haus zurückzukehren, ging ich geradenwegs + nach einer zwischen Garten und Hof gelegenen Scheune, wo allerlei Geräte + aufbewahrt wurden. Dort nahm ich den Stock eines Ochsentreibers und schnitt die + Spitze ab, um ihn als Wanderstab zu benutzen, und eine Kürbisflasche, wie die + Gärtner und Feldarbeiter sie bei sich tragen, hängte ich um.</p> + <p>Am Brunnen im Hofe füllte ich die Flasche.</p> + <p>Da trat der Hausmeier an mich heran.</p> + <p>"Angulimala und seine Räuber kommen wohl jetzt nicht mehr, o Herr?"</p> + <p>"Nein, Kolita, sie kommen nicht mehr."</p> + <p>"Aber wie, o Herr? Gehst du schon aus?"</p> + <p>"So ist es, Kolita, ich gehe aus, und eben davon wollte ich mit dir sprechen. Denn + ich gehe jetzt den Weg, den sie den Weg der höchsten Zugvögel nennen. Von + diesem Weg, Kolita, gibt es aber für einen, der auf ihm ausharrt, keine + Rückkehr. Keine Rückkehr nach dem Tode in diese Welt, wieviel weniger + während des Lebens nach diesem Hause. Dies Haus aber gebe ich in deine Obhut, + denn du hast dich treu bewährt bis in den Tod. Verwalte Haus und Vermögen, + bis mein Sohn das Mannesalter erreicht. Grüße meinen Vater und meine + Frauen, und gehab dich wohl!"</p> + <p>Nachdem ich also gesprochen, und meine Hand, die der gute Kolita mit Küssen + und Tränen bedeckte, frei gemacht hatte, schritt ich dem Tore zu. Und beim + Anblick des Pfostens, an dem die Gestalt des Asketen gelehnt hatte, dachte ich: wenn + ihre Ähnlichkeit mit Angulimala nur eine Erscheinung war, so habe ich nun diese + Erscheinung richtig gedeutet.</p> + <p>Schnell, ohne mich umzusehen, durchschritt ich den Vorort mit seinen Gärten; + und vor mir erstreckte sich, wie in die Unendlichkeit fortlaufend, im ersten Schimmer + des Tagesgrauens, die öde Landstraße.</p> + <p>So bin ich, Ehrwürdiger, in die Heimatlosigkeit gegangen.</p> + <h2><a id="chap_xviii" name="chap_xviii">XVIII. IN DER HALLE DES HAFNERS</a></h2> + <p><img src="images/xviii.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />ls der + Pilger Kamanita mit diesen Worten seine Erzählung zu Ende geführt hatte, + schwieg er und sah sinnend in die Landschaft hinaus.</p> + <p>Und auch der Erhabene schwieg und sah sinnend in die Landschaft hinaus. + Große Bäume waren da sichtbar, nähere und fernere, einige sich in + schattige Massen sammelnd, andere sich duftig in wolkenartige Gebilde auflösend, + um nebelhaft in der Ferne zu zerfließen.</p> + <p>Der Mond stand jetzt über dem Dachvorsprung, und sein Licht drang in den + vorderen Teil der Halle, wo es wie drei auf die Bleiche gebreitete weiße + Tücher auf dem Boden lag, während die linken Seiten der Pfeiler + glänzten, als ob sie mit Silber beschlagen wären.</p> + <p>In der tiefen Stille der Nacht hörte man, wie eine Büffelkuh irgendwo in + der Nähe mit regelmäßigen kurzen Rucken das Gras abrupfte.</p> + <p>Und der Erhabene überlegte bei sich:</p> + <p>"Sollte ich wohl jetzt diesem Pilger sagen, was ich alles von Vasitthi weiß? + Wie treu sie ihm war, wie sie ohne eigene Schuld, durch schnöden Betrug, dahin + gebracht wurde, Satagira zu heiraten? Wie es <i>ihr</i> Werk war, daß + Angulimala in Ujjeni erschien, und daß dadurch auch er, Kamanita, selber sich + auf diesem Pilgerwege befindet, anstatt in schmutzigem Wohlleben zu verkümmern. + Sollte ich ihm offenbaren, auf welchem Wege sich jetzt Vasitthi befindet?"</p> + <p>Und er entschied sich dahin, daß die Zeit dafür noch nicht gekommen + sei, und daß ein solches Wissen dem Streben des Pilgers nicht förderlich + sein könne.</p> + <p>Da sprach der Erhabene:</p> + <p>"Von Liebem getrennt sein, ist Leiden, mit Unliebem vereint sein, ist Leiden. + Wurde dies gesagt, so wurde es darum gesagt."</p> + <p>"O wie wahr!" rief Kamanita mit bewegter Stimme--"wie überaus tief und wahr! + Wer hat denn, o Fremder, diesen trefflichen Ausspruch getan?"</p> + <p>"Laß es gut sein, Pilger. Gleichviel, wer ihn getan hat, wenn du nur seine + Wahrheit fühlst und erkennst."</p> + <p>"Wie sollte ich nicht! Enthält er doch in wenigen Worten den ganzen Jammer + meines Lebens. Hätte ich mir nicht schon einen Meister erwählt, ich + würde keinen anderen als den Trefflichen, von dem diese Worte stammen, + aufsuchen."</p> + <p>"So hast du also, o Pilger, einen Meister, zu dessen Lehre du dich bekennst, in + dessen Namen du ausgezogen bist?"</p> + <p>"Zwar bin ich nicht, Ehrwürdiger, in irgend jemandes Namen ausgezogen, + vielmehr dachte ich damals allein das Ziel zu erringen. Und wenn ich tagsüber in + der Nähe eines Dorfes, am Fuße eines Baumes oder im tiefen Walde rastete, + dann lag ich inbrünstig dem tiefsten Denken ob. Und ich hing, o + Ehrwürdiger, Gedanken wie den folgenden nach: 'Was ist die Seele? Was ist die + Welt? Ist die Welt ewig? Ist die Seele ewig? Ist die Welt zeitlich? Ist die Seele + zeitlich? Ist die Welt ewig und die Seele zeitlich? Ist die Seele ewig und die Welt + zeitlich?' Oder: 'Warum hat der höchste Brahma diese Welt aus sich hervorgehen + lassen? Und wenn der höchste Brahma vollkommen und reine Wonne ist, wie kommt es + dann, daß die von ihm erschaffene Welt unvollkommen und mit Leiden behaftet + ist?'</p> + <p>Und indem ich, Ehrwürdiger, solchen Gedanken nachhing, kam ich zu keiner + befriedigenden Lösung. Es erhoben sich vielmehr immer neue Zweifel, und dem + Ziel, um dessen willen edle Söhne für immer das Haus verlassen und in die + Heimatlosigkeit gehen, schien ich mich um keinen Schritt genähert zu haben."</p> + <p>"Ebenso, o Pilger, wie wenn Einer dem Horizonte nachliefe: 'O, daß ich doch + heute oder morgen den Horizont erreichen könnte!'--ebenso entflieht das Ziel + demjenigen, der solchen Fragen nachgeht"</p> + <p>Kamanita nickte nachdenklich und fuhr dann fort:</p> + <p>"Da geschah es eines Tages, als die Schatten der Bäume schon länger zu + werden begannen, daß ich in der Lichtung eines Waldes auf eine Klause + stieß. Und ich sah da junge, weiß gekleidete Männer, von denen + einige die Kühe molken, während andere Holz spalteten und wieder andere die + Eimer an der Quelle spülten. Auf einer Matte vor der Halle saß ein alter + Brahmane, bei dem diese jungen Leute offenbar die Lieder und Sprüche lernten. Er + begrüßte mich freundlich, und obwohl es, wie er sagte, nur eine knappe + Stunde bis zum nächsten Dorfe sei, bat er mich, ihr Mahl zu teilen und bei ihnen + zu übernachten. Das tat ich denn auch dankbar genug, und bevor ich mich zum + Schlafen hinlegte, hatte ich manche gute und beherzigenswerte Rede gehört. Als + ich nun am folgenden Tage weitergehen wollte, fragte mich der Brahmane: 'Wer ist dein + Meister, o Pilger, und in wessen Namen bist du ausgezogen?' Und ich antwortete, wie + ich dir geantwortet habe.</p> + <p>Da sagte denn der Brahmane: 'Wie wirst du, o Pilger, jenes hohe Ziel erreichen, + wenn du allein wanderst wie das Nashorn, anstatt wie der weise Elefant in einer + Herde, von einem erfahrenen Führer geleitet?'</p> + <p>Dabei blickte er beim Worte 'Herde' wohlwollend auf die umherstehenden jungen + Leute, beim Worte 'Führer' schien er selbstgefällig in sich + hineinzulächeln.</p> + <p><a id="p129" name="p129">'Denn,'</a> fuhr er dann fort, 'gar zu hoch ist ja dies + für eigenes, tiefes Denken, und ohne einen Lehrer gibt es hier gar keinen + Zugang. Andererseits aber sagt auch der Veda in der Belehrung Çvetaketus: + "Gleichwie, o Teurer, ein Mann, den sie aus dem Lande der Gandharer mit verbundenen + Augen hergeführt und dann in die Einöde losgelassen haben, nach Osten oder + nach Norden, oder nach Süden verschlagen wird, weil er mit verbundenen Augen + hergeführt und mit verbundenen Augen losgelassen worden war; aber nachdem ihm + jemand die Binde abgenommen und zu ihm gesprochen: 'Dort hinaus wohnen die Gandharer, + dort hinaus gehe,' von Dorf zu Dorf sich weiterfragend, belehrt und verständig + zu den Gandharern heimgelangt: also auch ist ein Mann, der hienieden einen Lehrer + gefunden hat, sich bewußt: diesem Welttreiben werde ich nur so lange + angehören, bis ich erlöst sein werde, und dann werde ich heimgehen.'"</p> + <p>Nun merkte ich wohl, daß dieser Brahmane darauf ausging, mich zum + Schüler zu gewinnen. Aber eben diese Begehrlichkeit erweckte bei mir kein + Zutrauen. Gar wohl aber gefiel mir jenes Vedawort, das ich im Weitergehen mir immer + wiederholte, um es zu behalten. Dabei fiel mir ein Spruch ein, den ich einmal + über einen Meister gehört hatte: 'Den Vollendeten verlangt es nicht nach + Jüngern, aber die Jünger verlangt es nach dem Vollendeten.' Wie muß + der, dachte ich mir, ein ganz anderer Mann sein als dieser Waldbrahmane! Und es + verlangte mich, Ehrwürdiger, nach jenem nicht verlangenden Meister."</p> + <p>"Wer war wohl aber der Meister, den du also hattest preisen hören, und wie + nennt er sich?"</p> + <p>"Es ist, o Bruder, der Asket Gautama, der Sakyersohn, der dem Erbe der Sakyer + entsagt hat. Diesen Meister Gautama aber begrüßt man allenthalben mit dem + frohen Ruhmesruf: 'Das ist der Erhabene, der Heilige, der Wissens- und + Wandelsbewährte, der Meister der Götter und Menschen, der vollkommen + Erwachte, der Buddha.' Um des Erhabenen willen pilgere ich nun; zu seiner Lehre will + ich mich bekennen."</p> + <p>"Wo aber, Pilger, weilt er jetzt, der Erhabene, vollkommen Erwachte?"</p> + <p>"Es liegt, o Bruder, oben im nördlichen Reiche Kosala, eine Stadt, die + Savatthi heißt. Und vor der Stadt ist der Waldpark Jetavana, mit + mächtigen, tiefen Schatten spendenden Bäumen, worunter Menschen + lärmentrückt sitzen und denken können, mit klaren, Kühlung + aushauchenden Teichen, mit smaragdenen Matten, mit zahllosen Blumen in mannigfaltigen + Farben. Diesen Hain aber hat der reiche Kaufmann Anathapindika schon vor Jahren vom + Prinzen Jeta um so viel Gold erstanden, daß damit der ganze Boden bedeckt + werden könnte, und hat ihn dann dem Buddha übergeben. Dort also in + Jetavana, dem lieblichen, Weisenscharen-durchwandelten, hat er, der Erhabene, der + vollkommen Erwachte, gegenwärtig seinen Aufenthalt. Und im Verlaufe von etwa + vier Wochen hoffe ich, wenn ich rüstig ausschreite, den Abstand von hier nach + Savatthi bewältigt zu haben und zu seinen, des Erhabenen, Füßen zu + sitzen."</p> + <p>"Hast du aber, Pilger, ihn, den Erhabenen, schon einmal gesehen, und würdest + du ihn, wenn du ihn sähest, erkennen?"</p> + <p>"Nein, Bruder, ich habe ihn, den Erhabenen, noch nicht gesehen, und sähe ich + ihn, so würde ich ihn nicht erkennen."</p> + <p>Da dachte denn der Erhabene bei sich: "Um meinetwillen pilgert dieser Pilger, zu + meinem Namen bekennt er sich; wie, wenn ich ihm nun die Lehre darlegte?" Und der + Erhabene wandte sich an Kamanita und sprach:</p> + <p>"Der Mond hat sich erst gerade über den Dachvorsprung erhoben, wir sind noch + nicht tief in der Nacht, und langer Schlaf ist dem Geiste nicht gut. Wohlan, wenn es + dir recht ist, will ich als Gegengeschenk für deine Erzählung dir die Lehre + des Buddha darlegen."</p> + <p>"Es ist mir recht, Bruder, und ich bitte dich, es zu tun."</p> + <p>"So höre, Pilger, und achte wohl auf meine Rede."</p> + <h2><a id="chap_xix" name="chap_xix">XIX. DER MEISTER</a></h2> + <p><img src="images/xix.png" width="93" height="93" align="left" alt="U" />nd der + Erhabene sprach: "Der Vollendete, Bruder, der vollkommen Erwachte hat zu Benares, am + Sehersteine im Gazellenhain, das Rad der Lehre ins Rollen gesetzt. Und dawiderstellen + kann sich kein Asket und kein Priester, kein Gott und kein Teufel, noch irgendwer in + der Welt. Sie ist die Enthüllung, die Offenbarung der vier heiligen Wahrheiten. + Welcher vier? Der heiligen Wahrheit vom Leiden, der heiligen Wahrheit von der + Leidensentstehung, der heiligen Wahrheit von der Leidensvernichtung, der heiligen + Wahrheit von dem zur Leidensvernichtung führenden Pfad.</p> + <p>Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit vom Leiden? Geburt ist Leiden, Alter + ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Sterben ist Leiden; Kummer, Jammer, Schmerz, Gram + und Verzweiflung sind Leiden; von Liebem getrennt sein, ist Leiden, mit Unliebem + vereint sein, ist Leiden; das, was man begehrt, nicht erlangen, ist Leiden; kurz, die + verschiedenen Formen des Anhangens sind Leiden. Das heißt man, Bruder, die + heilige Wahrheit vom Leiden.</p> + <p>Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit von der Leidensentstehung? Es ist + dieser Durst, der von Wiedergeburt zu Wiedergeburt führende, von Lust und + Leidenschaft begleitete, bald da, bald dort sich ergötzende, ist der + Lüstedurst, der Werdedurst, der Vergänglichkeitsdurst. Das nennt man, + Bruder, die heilige Wahrheit von der Leidensentstehung.</p> + <p>Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit von der Leidensvernichtung? Es ist eben + dieses Durstes vollkommene, restlose Vernichtung, das Verlassen, das Sichlosmachen, + die Befreiung, die Erlösung von ihm. Das nennt man, Bruder, die heilige Wahrheit + von der Leidensvernichtung.</p> + <p>Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit von dem zur Leidensvernichtung + führenden Wege? Dieser heilige, achtfältige Pfad ist es, der da besteht in + rechtem Erkennen, rechtem Entschließen, rechter Rede, rechtem Handeln, rechtem + Wandeln, rechtem Streben, rechtem Gedenken, rechtem Sichversenken. Das nennt man, + Bruder, die heilige Wahrheit von dem zur Leidensvernichtung führenden Wege."</p> + <p>Nachdem nun der Meister auf solche Weise die vier Ecksteine errichtet hatte, ging + er daran, das ganze Lehrgebäude aufzuführen, zu einem wohnlichen Heim + für die Gedanken und Gesinnungen seines Schülers; er erläuterte jeden + einzelnen Satz, wie man jeden einzelnen Stein behaut und glättet, und so wie man + Stein auf Stein legt, fügte er Satz zu Satz, überall sorgfältig + grundlegend und Alles genau aneinander passend. Der Säule des Leidensgedankens + zur Seite stellte er die Säule des Vergänglichkeitsgedankens; beide + verbindend und von beiden getragen, schloß sich aber als Gebälk der + schwerwiegende Gedanke von der Wesenlosigkeit aller Erscheinungen an. Durch solch + mächtiges Portal stieg er, seinen Schüler behutsam führend, Schritt + für Schritt die wohlgefügte Stufenleiter des Grundfolgegesetzes mehrmals + auf und ab, überall befestigend und vervollkommnend.</p> + <p>Und wie ein geschickter Baumeister beim Errichten eines Prachtgebäudes an + passenden Stellen Bildwerke einfügt, und zwar so, daß sie nicht nur als + Schmuck, sondern auch als tragende oder stützende Teile dienen, also brachte der + Erhabene auch manchmal ein gefälliges und sinniges Gleichnis an, da ja durch ein + Gleichnis oft der dunkle Sinn einer tiefgedachten Rede klar wird.</p> + <p>Schließlich aber faßte er das Ganze zusammen, indem er ihm gleichsam + die deckende, weithin leuchtende Kuppel aufsetzte, und sprach:</p> + <p>"Durch Haften, o Pilger, kommst du zum Entstehen; durch Nichthaften kommst du + nicht zum Entstehen.</p> + <p>Ein Mönch aber, der nirgend anhänglich haftet, dem geht in der + ungetrübten Heiterkeit seines Gleichmutes dieses Schauen auf: + Unerschütterlich ist meine Erlösung, dies ist die letzte Geburt, nicht gibt + es ferner ein neues Sein.</p> + <p>So ist nun ein dahin gelangter Mönch mit dieser höchsten Weisheit + belehnt. Das ist ja, Pilger, die höchste, heilige Weisheit: alles Leiden + versiegt zu wissen. Wer ihrer teilhaftig geworden, der hat eine Freiheit gefunden, + die wahrhaft, unantastbar besteht. Denn das, Pilger, ist ja falsch, was eitel und + vergänglich ist: und das ist wahr, was echt und unvergänglich' ist: die + Wahnerlöschung.</p> + <p>Und er, der von Hause aus der Geburt, dem Altern und dem Tode unterworfen war, er + hat nun, das Unheil dieses Naturgesetzes merkend, sich die geburtlose, alterslose, + todlose Sicherheit errungen; er, der der Krankheit, dem Schmutze, der Sünde + unterworfen war, hat die unvergängliche, reine, heilige Sicherheit erreicht:</p> + <p>Im Erlösten ist die Erlösung, versiegt ist das Leben, gewirkt das Werk, + nicht mehr ist für mich diese Welt da.</p> + <p>Ein solcher, o Pilger, wird 'Endiger' genannt, denn er hat dem Leiden ein Ende + gemacht.</p> + <p>Ein solcher, o Pilger, wird 'Auslöscher' genannt, denn den Wahn von 'Ich' und + 'Mein' hat er ausgelöscht.</p> + <p>Ein solcher, o Pilger, wird 'Ausroder' genannt, denn den Lebenstrieb hat er mit + der Wurzel ausgerodet, so daß kein Leben mehr keimen kann.</p> + <p>Ein solcher, solange er im Leibe ist, sehen ihn die Menschen und Götter; + nachdem aber sein Leib im Tode zerfallen ist, sehen ihn die Menschen und Götter + nicht mehr. Und auch die Natur, die Alles erspähende, sieht ihn nicht mehr: + geblendet hat er das Auge der Natur, entschwunden ist er der bösen.</p> + <p>Den Strom des Werdens durchkreuzend, hat er die Insel erreicht, die einzige, das + Jenseits von Alter und Tod--das Nirvana."</p> + <h2><a id="chap_xx" name="chap_xx">XX. DAS UNVERNÜNFTIGE KIND</a></h2> + <p><img src="images/xx.png" width="93" height="93" align="left" alt="N" />achdem der + Erhabene seine Belehrung also beschlossen hatte, blieb der Pilger Kamanita lange Zeit + stumm und regungslos sitzen, in widerstreitenden und zweifelnden Gedanken befangen. + Endlich sagte er: "Du hast mir da, Ehrwürdiger, gar vieles davon gesagt, wie der + Mönch dem Leiden schon bei Lebzeiten ein Ende macht, aber nichts davon, was aus + ihm wird, wenn dann sein Leib im Tode zerfällt und zu den Elementen + zurückkehrt, ausgenommen, daß von da ab weder Menschen noch Götter, + noch die Natur selber ihn sehen. Aber von einem ewigen Leben, von höchster Wonne + und himmlischer Seligkeit"-davon habe ich nichts vernommen. Hat denn der Erhabene + darüber nichts offenbart?</p> + <p>"So ist es, Bruder, so ist es. Der Erhabene hat darüber nichts + offenbart."</p> + <p>"Dann heißt das so viel, als daß der Erhabene von dieser wichtigsten + Frage nicht mehr weiß als ich selber," versetzte Kamanita unmutig.</p> + <p>"Meinst du? So höre denn, Pilger. In jenem Sinsapawalde bei Kosambi, wo du + und deine Vasitthi euch ewige Treue und Wiedersehen im Paradiese des Westens + zugeschworen habt, weilte auch zu einer Zeit der Erhabene. Und der Erhabene trat aus + dem Walde, ein Bündel Sinsapablätter in der Hand, und sprach zu den + Jüngern: 'Was meint ihr, ihr Jünger, ist mehr, diese Sinsapablätter, + die ich in die Hand genommen habe, oder die anderen Blätter droben im + Sinsapawalde?' Und ohne sich lange zu besinnen, antworteten sie: 'Die Blätter, + Herr, die der Erhabene in die Hand genommen hat, sind wenige, und viel mehr sind jene + Blätter droben im Sinsapawalde.' 'Ebenso auch, ihr Jünger,' sprach der + Erhabene, 'ist das viel mehr, was ich erkannt und euch nicht verkündet, als das, + was ich euch verkündet habe. Und warum, ihr Jünger, habe ich euch jenes + nicht verkündet? Weil es nicht heilsam, nicht urasketentümlich ist, nicht + zur Abkehr, nicht zur Wendung, nicht zur Auflösung, nicht zum Erwachen, nicht + zum Nirvana führt."</p> + <p>"Wenn der Erhabene im Sinsapawalde vor Kosambi also gesprochen hat," antwortete + Kamanita, "dann dürfte die Sache noch schlimmer stehen. Denn er hat dann + über diesen Punkt geschwiegen, um die Jünger nicht zu entmutigen, oder gar + abzuschrecken, indem er ihnen die letzte Wahrheit enthüllte: nämlich die + Vernichtung. Diese scheint mir denn auch als notwendige Folge aus dem hervorzugehen, + was du mir auseinandergesetzt hast. Denn nachdem alle Gegenstände der fünf + Sinne und des Denkens als vergänglich, wesenlos und leidvoll abgewiesen und + verneint sind, bleiben eben keine Bestimmungen übrig, mittelst welcher irgend + etwas zu fassen wäre. Und so verstehe ich denn, Ehrwürdiger, die mir von + dir dargelegte Lehre dahin, daß ein Mönch, der alle Unreinheit von sich + abgetan hat, wenn sein Leib zerbricht, der Vernichtung anheimfällt, daß er + vergeht, daß er nicht mehr ist jenseits des Todes."</p> + <p>"Sagtest du mir nicht, Pilger," fragte dann der Buddha, "daß du binnen eines + Monats zu Füßen des Erhabenen im Waldparke Jetavana bei Savatthi sitzen + würdest?"</p> + <p>"Das hoff ich sicher zu tun, Ehrwürdiger; warum fragst du mich?"</p> + <p>"Wenn du nun also zu Füßen des Erhabenen sitzest, was meinst du dann, + Freund--die Körperform, die du dann siehst, die du mit den Händen + berühren kannst--ist die der Vollendete, siehst du es also an?"</p> + <p>"Das tue ich nicht, Ehrwürdiger."</p> + <p>"Wenn nun aber der Erhabene mit dir spricht,--das Bewußtsein, das dann zum + Vorschein kommt, mit seinen Empfindungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen--ist denn + das der Vollendete? Siehst du es also an?"</p> + <p>"Das tue ich nicht, Ehrwürdiger." "So sind wohl, Freund, der Körper und + das Bewußtsein zusammengenommen der Vollendete?"</p> + <p>"Auch so sehe ich es nicht an, Ehrwürdiger."</p> + <p>"Ist denn der Vollendete geschieden von dem Körper? oder vom + Bewußtsein? oder von beiden? Siehst du es so an, Freund?"</p> + <p>"Er ist insofern von ihnen geschieden, als sein Wesen durch diese Bestimmungen + noch nicht erschöpft ist."</p> + <p>"Welche Bestimmungen hast du denn nun, Freund, außer denen der + Körperlichkeit mit allen ihren sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften und dem + Bewußtsein mit seinem ganzen Inhalt von Empfindungen, Wahrnehmungen und + Vorstellungen--welche Bestimmungen hast du noch außerdem, mittelst welcher du + das noch nicht Erschöpfte im Wesen des Vollendeten erschöpfen kannst?"</p> + <p>"Solcher anderer Bestimmungen, Ehrwürdiger, habe ich freilich keine."</p> + <p>"So ist also, Freund Kamanita, schon hier in der Sinnenwelt der Vollendete nicht + in Wahrheit und Wesenhaftigkeit für dich zu erfassen. Hast du da also ein Recht, + zu sagen, daß der Vollendete--oder der Mönch, der alle Unreinheit von sich + abgetan hat--wenn sein Leben zerbricht, der Vernichtung anheimfällt, daß + er nicht ist jenseits des Todes; lediglich, weil du kein Mittel besitzest, um ihn + dort in Wahrheit und Wesenhaftigkeit zu erfassen?"</p> + <p>Solchermaßen befragt, saß der Pilger Kamanita eine Weile, gebeugten + Rumpfes, gesenkten Kopfes, schweigend da.</p> + <p>"Wenn ich auch kein Recht habe, das zu behaupten," sagte er schließlich, "so + scheint es mir doch deutlich genug eben aus jenem Schweigen des Vollendeten + hervorzugehen. Denn gewiß hätte er nicht geschwiegen, wenn er etwas + Erfreuliches mitzuteilen gehabt hätte, was ja der Fall wäre, wenn er + wüßte, daß den Mönch, der dem Leiden ein Ende gemacht hat, nach + dem Tode keineswegs Vernichtung, sondern ewiges, seliges Leben erwartet. Denn eine + solche Mitteilung könnte ja die Jünger nur anspornen und ihnen in ihrem + rechten Streben förderlich sein."</p> + <p>"Wähnst du, Freund? Wie nun aber, wenn der Vollendete als letztes Ziel nicht + die Vernichtung des Leidens hingestellt hätte--ebenso wie er mit dem Leiden + selbst anfing--sondern noch darüber hinaus ein ewiges, seliges Leben jenseits + des Todes gepriesen hätte? Und gar viele von den Jüngern hätten an + dieser Vorstellung Gefallen gefunden, hingen ihr anhänglich an, ersehnten ihre + Erfüllung mit heißer Sucht, die alle Heiterkeit der Gedenkenruhe + trübte: hätten sie sich dann nicht wieder unversehens in das gewaltige + Fangnetz der Lebenslust verstrickt? Und indem sie sich an ein Jenseits hielten, + hierfür aber notwendigerweise alle Farben vom Diesseits nähmen, würden + sie da nicht, je mehr sie dem Jenseits nachjagten, eben am Diesseits festkleben? + Gleichwie etwa ein Kettenhund, der an einen festen Pfahl gebunden ist und loszukommen + versucht, sich um diesen Pfahl im Kreise dreht:--ebenso würden jene lieben + Jünger aus Abscheu vor dem diesseitigen Leben sich gerade um das diesseitige + Leben im Kreise drehen."</p> + <p><a id="p140" name="p140">"Wenn</a> ich auch diese Gefahr zugeben muß," gab + Kamanita zur Antwort, "so halte ich doch das andere Übel, die durch das + Schweigen hervorgerufene Unsicherheit, für viel gefährlicher, weil es von + vornherein den Eifer lähmt. Denn wie kann wohl der Jünger entschlossen und + mutig mit allen Kräften streben, dem Leiden ein Ende zu machen, wenn er nicht + weiß, was darauf folgt--ob ewige Seligkeit oder Nichtsein?"</p> + <p>"Was meinst du, Freund, wenn da ein Haus wäre, das vom Feuer ergriffen + würde, und der Diener liefe, den Herrn zu wecken: 'Steh auf, Herr! Flieh! Das + Haus brennt! Schon flammen die Balken, und das Dach will einstürzen'--würde + wohl dann der Herr erwidern: 'Geh, mein Lieber, und sieh nach, ob es draußen + regnet und stürmt, oder ob es eine liebliche Mondnacht ist; und ist letzteres + der Fall, dann wollen wir uns ins Freie begeben."'</p> + <p>"Wie könnte wohl, Ehrwürdiger, der Herr also antworten? Denn der Diener + hat ihm ja angstvoll zugerufen: 'Flieh, Herr! Das Haus brennt! Schon flammen die + Balken, und das Dach will einstürzen'."</p> + <p>"Freilich hat der Diener ihm das zugerufen. Wenn nun aber dennoch der Herr + antwortete: 'Geh, mein Lieber, und sieh nach, ob es draußen regnet und + stürmt, oder ob es eine liebliche Mondnacht ist; und ist letzteres der Fall, + dann wollen wir uns ins Freie begeben'--würdest du dann nicht daraus + schließen, daß der Herr gar nicht richtig gehört hat, was ihm der + getreue Diener zurief? daß es ihm keineswegs klar geworden ist, welche + tödliche Gefahr über seinem Kopfe schwebt?"</p> + <p><a id="p141" name="p141">"Freilich</a> müßte ich ja diese + Schlußfolgerung ziehen, Ehrwürdiger, da es anderenfalls undenkbar + wäre, daß der Mann eine solche törichte Antwort geben + könnte."</p> + <p>"Ebenso nun auch, Pilger--wandere, als ob dein Haupt von Flammen umgeben + wäre! denn das Haus brennt. Und welches Haus? Die Welt! Durch welches Feuer + entflammt? Durch der Begierde Feuer, durch des Hasses Feuer, durch der Verblendung + Feuer. Die ganze Welt wird von Flammen verzehrt, die ganze Welt ist von Rauch + umwölkt, die ganze Welt erbebt."</p> + <p>Solchermaßen angerufen, zitterte der Pilger Kamanita, wie ein junger + Büffel zittert, wenn er zum erstenmal aus dem Dickicht den Ruf des Löwen + vernimmt. Gebeugten Rumpfes, gesenkten Kopfes, das Gesicht von brennender Röte + übergossen, saß er eine Weile schweigend da. Dann sagte er mit + mürrischer, obwohl etwas bebender Stimme:</p> + <p>"Das will mir aber dennoch nicht gefallen, daß der Erhabene darüber + nichts offenbart hat, wenn er etwas Verheißungsvolles darüber hätte + mitteilen können. Und auch wenn er geschwiegen hat, weil das, was er + wußte, eben trostlos und abschreckend ist, oder weil er überhaupt nichts + wußte: so will mir das auch nicht gefallen. Denn des Menschen Sinnen und + Trachten geht auf Glückseligkeit und Wonne, was auch in der Natur begründet + ist und nicht anders sein kann. Und so habe ich ja auch die Brahmanischen Priester + verkünden hören:</p> + <p>'Gesetzt, es sei ein Jungling, ein wackerer Jüngling, ein lernbegieriger, der + schnellste, kräftigste, stärkste, und ihm gehörte die ganze Erde mit + all ihrem Reichtum: so ist das eine menschliche Wonne. Aber hundert menschliche + Wonnen sind <i>eine</i> Wonne der himmlischen Genien. Und hundert Wonnen der + himmlischen Genien sind <i>eine</i> Wonne der Götter. Und hundert Wonnen der + Götter sind <i>eine</i> Wonne des Indra. Und hundert Wonnen des Indra sind + <i>eine</i> Wonne des Prajapati, und hundert Wonnen des Prajapati sind <i>eine</i> + Wonne des Brahman. Dies ist die höchste Wonne, dies ist der Weg zur + höchsten Wonne!'"</p> + <p>"Gleichwie, o Pilger, wenn da ein unerfahrenes Kind wäre, der + vernünftigen Erwägung unfähig. Dieses Kind empfände in einem + Zahne brennenden, stechenden, bohrenden Schmerz; und es liefe zu einem kundigen, + bewährten Arzt und klagte ihm seine Not: 'Wolle, Ehrwürdigster, durch deine + Kunst schaffen, daß ich in diesem Zahn anstatt des Schmerzes ein wonniges + Hochgefühl empfinde.' Und der Arzt antwortete: 'Liebes Kind, meine Kunst + befaßt sich nur damit, den Schmerz zu beseitigen.'--Aber das unvernünftige + Kind finge an zu klagen: 'Habe ich doch, ach! in diesem Zahne nun so lange + brennenden, stechenden, bohrenden Schmerz empfunden; wie billig ist es da, daß + ich jetzt statt dessen ein wonniges Gefühl, süße Lust darin + genösse. Auch gibt es ja, habe ich gehört, kundige, bewährte + Ärzte, deren Kunst so weit reicht, und ich glaubte, daß du ein solcher + wärest!' Und dies unvernünftige Kind liefe nun zu einem Heilzauberer, einem + Wunderarzt aus dem Lande der Gandarer, einem Marktschreier, der durch einen + öffentlichen Ausrufer zum Schall von Trommeln und Muschelhörnern auf den + Straßen verkünden ließe: 'Gesundheit ist das höchste Gut, + Gesundheit ist des Menschen Ziel. Blühende, üppige Gesundheit, wohliges, + wonniges Hochgefühl in allen Gliedern, in allen Adern und Fasern des + Körpers, wie es die seligen Götter genießen, kann auch der + Kränkste um eine geringe Opfergabe durch meine Hilfe erlangen.' Zu diesem + Wunderarzt liefe das Kind und klagte ihm seine Not: 'Wolle, Ehrwürdigster, durch + deine Kunst schaffen, daß ich in diesem Zahn anstatt des Schmerzes ein + wohliges, wonniges Hochgefühl genieße.' Und der Zauberer antwortete: + 'Liebes Kind, gerade darin besteht meine Kunst.' Und nachdem er das ihm vom Kinde + dargereichte Geld eingestrichen, berührte er den Zahn mit seinem Finger und + brächte eine magische Wirkung hervor, wodurch ein wonniges Lustgefühl + sofort den Schmerz verdrängte. Und das unvernünftige Kind liefe erfreut und + hochbeglückt nach Hause.--Nach einer kurzen Weile aber ließe das + Lustgefühl nach, und der Schmerz stellte sich wieder ein. Und warum? <i>Weil ja + die Ursache des Übels nicht beseitigt war</i>.</p> + <p>Aber, o Pilger, ein verständiger Mann empfände in einem Zahn brennenden, + stechenden, bohrenden Schmerz. Und er ginge zu dem kundigen, bewährten Arzt und + klagte ihm seine Not: 'Wolle, Ehrwürdigster, durch deine Kunst mich von diesem + Schmerz befreien.' Und der Arzt antwortete: 'Wenn du, mein Lieber, nichts weiter von + mir verlangst, so viel vertraue ich meiner Kunst.' 'Was könnte ich wohl weiter + verlangen?' fragte der verständige Mann. Und der Arzt untersuchte den Zahn und + fände die Ursache des Schmerzes in einer Entzündung an der Zahnwurzel. 'Geh + nach Hause, mein Lieber, und lasse dir an dieser Stelle einen Blutegel setzen. Wenn + er sich vollgesogen hat und abfällt, dann lege diese Kräuter auf die Wunde. + Dann wird der Eiter und das ungesunde Blut entfernt sein, und der Schmerz wird + aufhören.' Und der verständige Mann ginge nach Hause und täte, wie der + Arzt ihm gesagt. Und der Schmerz verginge und kehrte nicht wieder. Und warum nicht? + <i>Weil ja die Ursache des Übels beseitigt war</i>."</p> + <p>Als nun der Erhabene nach Beendigung dieses Gleichnisses schwieg, saß der + Pilger Kamanita verstummt und verstört, gebeugten Rumpfes, gesenkten Hauptes, + das Antlitz von brennender Röte übergossen, wortlos da, und der + Angstschweiß tröpfelte ihm von der Stirn herab und rieselte ihm aus den + Achselhöhlen herunter. Fühlte er sich doch von diesem Ehrwürdigen mit + einem unvernünftigen Kinde verglichen und ihm gleichgestellt. Und da er trotz + aller Anstrengung keine Antwort zu finden vermochte, war er dem Weinen nahe.</p> + <p>Endlich, als er seine Stimme beherrschen konnte, fragte er kleinlaut:</p> + <p>"Hast du, Ehrwürdiger, dies alles aus dem Munde des Erhabenen, des + vollendeten Buddha selber?"</p> + <p>Selten geschieht es, daß Vollendete lächeln. Bei dieser Frage jedoch + umspielte ein Lächeln die Lippen des Erhabenen.</p> + <p>"Das freilich nicht, Bruder."</p> + <p>Als der Pilger Kamanita dies vernahm, richtete er freudig seinen Körper + empor, blickte leuchtenden Auges auf und sprach mit frisch belebter Stimme:</p> + <p>"Dachte ich's doch! O, ich wußte ja, daß dies nicht die ureigene Lehre + des Vollendeten sein könne, sondern nur deine eigene mißverständlich + ergrübelte Auslegung derselben. Heißt es ja doch, daß die Lehre des + Buddha im Anfange beseligend, in der Mitte beseligend und am Ende beseligend sei. Wie + aber könnte jemand das von einer Lehre sagen, die mir nicht ein ewiges, seliges + Leben in höchster Wonne verheißt? Nun, in wenigen Wochen werde ich ja zu + Füßen des Vollendeten sitzen und von seinen eigenen Lippen die Heilslehre + empfangen, wie ein Kind aus der Mutterbrust seine süße Nahrung saugt. Und + auch du wirst da sein und richtig belehrt von deiner irrigen, verderblichen + Auffassung zurückkommen. Aber sieh, jene Streifen des Mondlichtes haben sich + fast bis zur Schwelle der Halle zurückgezogen; wir müssen tief in der Nacht + sein. Wohlan, wir wollen uns jetzt schlafen legen."</p> + <p>"Wie es dir, Bruder, belieben mag," antwortete der Erhabene freundlich.</p> + <p>Und sich fester in seinen Mantel hüllend, legte der Erhabene sich auf der + Matte in der Stellung des Löwen hin, auf den rechten Arm gestützt, den + linken Fuß auf dem rechten ruhen lassend.</p> + <p>Und der Stunde des Erwachens gedenkend, schlief er sofort ein.</p> + <h2><a id="chap_xxi" name="chap_xxi">XXI. MITTEN IM LAUFE</a></h2> + <p><img src="images/xxi.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />ls der + Erhabene beim ersten Morgengrauen erwachte, sah er, wie der Pilger Kamanita emsig + seine Matte zusammenrollte, seine Kürbisflasche umhängte und sich nach dem + Stabe umsah, den er nicht gleich in der Ecke bemerkte, weil er umgefallen war. Dabei + hatte er in allen seinen Bewegungen das Gepräge eines Menschen, der es sehr + eilig hat.</p> + <p>Der Erhabene setzte sich auf und grüßte ihn freundlich.</p> + <p>"Willst du schon aufbrechen, Bruder?"</p> + <p>"Freilich, freilich," rief Kamanita erregt. "Denke dir, es ist wirklich kaum zu + glauben--rein zum Lachen, und doch so wunderbar--ein wahres Glück! Vor wenigen + Minuten erwachte ich und fühlte mich, nach dem vielen Reden von gestern, recht + trocken im Halse. Ich sprang sofort auf und lief zum Brunnen--unter den Tamarinden, + quer über den Weg. Dort stand schon ein Mädchen und schöpfte Wasser. + Und was meinst du wohl, was ich von ihr höre?--Der Vollendete ist gar nicht in + Savatthi! Und wo ist er denn, glaubst du? Gestern ist er, von dreihundert + Mönchen begleitet, hier in Rajagaha angekommen! Und er weilt jetzt in seinem + Mangohaine jenseits der Stadt. In einer Stunde, in weniger vielleicht, werde ich ihn + gesehen haben--ich, der ich glaubte, noch vier Wochen pilgern zu müssen! Was + sage ich--in einer Stunde?--Es ist nur eine gute halbe Stunde bis dahin, sagte das + Mädchen, wenn man nicht durch die Hauptstraßen geht, sondern durch die + Gäßchen und Höfe nach dem Westtor läuft...ich kann mir's kaum + denken! Mir brennt der Boden unter den Sohlen--leb' wohl, Bruder! Du hast es gut mit + mir gemeint, und ich werde nicht unterlassen, auch dich zum Erhabenen zu + führen--jetzt aber kann ich mich wahrlich keinen Augenblick mehr aufhalten."</p> + <p>Und der Pilger Kamanita stürzte aus der Halle hinaus und lief die + Straße dahin, so schnell ihn die Beine nur tragen wollten. Als er aber das + Stadttor Rajagahas erreichte, war es noch nicht geöffnet, und er mußte + eine kleine Weile warten, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam und seine Ungeduld aufs + höchste steigerte.</p> + <p>Indessen benutzte er die Zeit, um von einer alten Frau, die einen Korb voll + Gemüse nach der Stadt trug und, wie er selbst, dort warten mußte, genaue + Erkundigungen über den kürzesten Weg einzuziehen--wie er durch jene + Gäßchen, rechts an einem Tempelchen und links an einem Brunnen + vorübergehen müsse und dann einen Turm ja nicht aus den Augen verlieren + dürfe, so daß er die vor der Stadtmauer verlorene Zeit vielleicht + innerhalb derselben einholen könne.</p> + <p>Als nun das Tor sich geöffnet hatte, stürzte er unaufhaltsam in der ihm + bezeichneten Richtung fort. Manchmal rannte er ein paar Kinder über den Haufen, + rempelte eine Frau an, die am Rinnstein Geschirr spülte, so daß eine + Schüssel ihr klirrend davonrollte und zerbrach, oder er stieß mit einem + Wasserträger zusammen. Aber die Schimpfworte, die hinter ihm herflogen, + erreichten verschlossene Ohren, so ganz war er von dem einen Gedanken erfüllt, + daß er bald, ganz bald den Buddha sehen würde.</p> + <p>"Welches Glück!" sagte er zu sich selber. "Wie viele Geschlechter leben + dahin, ohne daß ein Buddha auf der Erde mit ihnen zusammen wandert; und von dem + Geschlecht, das einen Buddha zum Zeitgenossen hat--o wie so wenige sind es, die ihn + sehen! Mir aber ist jetzt dies Glück gewiß!--Immer habe ich ja + gefürchtet, daß auf dem weiten, gefahrvollen Wege wilde Tiere oder + Räuber mich um dies Glück bringen könnten, jetzt aber kann es mir + nicht mehr geraubt werden!"</p> + <p>Während er so dachte, war er in ein sehr enges Gäßchen eingebogen. + In seinem törichten Vorwärtsstürmen sah er nicht, daß vom + anderen Ende her eine Kuh, die aus irgend einem Grunde scheu geworden war, ihm + entgegenstürzte, bemerkte auch nicht, wie ein paar Leute vor ihm sich eiligst in + ein Haus flüchteten, und andere sich hinter einem vorspringenden Mauerstück + verbargen; er hörte nicht den Ruf, durch den eine auf einem Söller stehende + Frau ihn warnen wollte--er spähte nur hinauf nach den Turmzinnen, die ihn am + Verfehlen des Weges hindern sollten.</p> + <p>Erst als es zum Ausweichen zu spät war, sah er entsetzt, gerade vor sich, die + dampfenden Nüstern, die mit Blut unterlaufenen Augen und das blanke Horn, das + ihm unmittelbar danach tief in die Seite drang.</p> + <p>Mit einem lauten Schrei fiel er an der Mauer nieder. Die Kuh stürzte weiter + und verschwand in einer anderen Straße.</p> + <p>Sofort eilten nun Leute herbei, teils aus Neugier, teils um zu helfen. Das Weib, + das ihn gewarnt hatte, brachte Wasser, um die Wunde zu reinigen. Man zerriß + seinen Mantel, um ihm einen Verband anzulegen und womöglich das Blut zu stillen, + das wie ein Quell hervorbrach.</p> + <p>Kamanita hatte fast keinen Augenblick das Bewußtsein verloren. Es war ihm + sofort klar, daß dies seinen Tod bedeute. Aber weder diese Vorstellung, noch + die Schmerzen quälten ihn so sehr, wie die Angst, daß er den Buddha jetzt + nicht zu sehen bekäme. Mit bewegter Stimme flehte er die Umstehenden an, ihn + nach dem Mangohaine zum Buddha zu tragen:</p> + <p>"So weit bin ich gepilgert, ihr lieben Leute!--So nahe war ich schon am Ziel! O, + habt Erbarmen mit mir, zögert nicht, mich dahin zu tragen! Denkt nicht an die + Schmerzen, fürchtet nicht, daß ich ihnen unterliege--ich werde nicht + sterben, bevor ihr mich dem Vollendeten zu Füßen niedergelegt habt, und + dann werde ich selig sterben, selig auferstehen."</p> + <p>Einige liefen nun, Stangen und eine Matratze zu holen. Eine Frau brachte ein + stärkendes Getränk, von dem Kamanita ein paar Löffel voll nahm. Die + Männer waren uneinig, welcher Weg zur Versammlungshalle im Mangohaine der + kürzeste sei, da es wohl auf jeden Schritt ankommen konnte. Denn es war jedem + klar, daß es mit dem Pilger bald zu Ende ging.</p> + <p>"Da kommen Jünger des Vollendeten!" rief einer der Umstehenden, das + Gäßchen hinanzeigend, "die werden uns das am besten sagen + können."</p> + <p>Wirklich nahten sich einige Mönche aus dem Orden des Buddha, in gelbe + Mäntel gehüllt, die den rechten Ann frei ließen, und die + Almosenschale in der Hand. Die meisten waren jüngere Leute; aber zuvörderst + schritten zwei ehrwürdige Gestalten: ein Greis, dessen ernstes, etwas strenges + Gesicht mit dem durchdringenden Blick und dem kräftigen Kinn unwillkürlich + die Aufmerksamkeit auf sich lenkte, und ein Mann in mittleren Jahren, aus dessen + Zügen eine so herzgewinnende Milde leuchtete, daß er dadurch fast das + Aussehen eines Jünglings bekam. Auch konnte ein erfahrener Beobachter in seiner + Haltung und in den etwas lebhaften Bewegungen, wie auch im feurigen Blicke, die + unveräußerlichen Merkmale der Kriegerkaste entdecken, während die + bedächtige Ruhe des Älteren den geborenen Brahmanen verriet. An hohem Wuchs + und fürstlichem Anstand kamen aber beide einander gleich.</p> + <p>Als diese Mönche bei der Gruppe, die sich um den verwundeten Mann gebildet + hatte, Halt machten, erzählten ihnen viele redselige Zungen sofort, was + vorgefallen war, und daß man im Begriff sei, diesen verwundeten Pilger auf + einer Bahre--die gerade gebracht wurde--nach dem Mangohaine zum Buddha zu tragen, um + dadurch seinen sehnlichen Wunsch zu erfüllen;--ob nicht einer der jüngeren + Mönche mit zurückkehren wolle, um ihnen den kürzesten Weg nach der + Stelle zu weisen, wo der Erhabene sich augenblicklich aufhielt?</p> + <p>"Der Erhabene," antwortete der Greis mit dem strengen Gesicht, "ist nicht im + Mangohaine, und wir wissen selbst noch nicht, wo er sich aufhält."</p> + <p>Bei dieser Antwort entrang ein verzweifeltes Stöhnen sich der wunden Brust + Kamanitas.</p> + <p>"Aber freilich kann er nicht weit von hier sein," fügte der Jüngere + hinzu. "Der Erhabene hat gestern die Mönchsgemeinschaft vorausgeschickt und ist + allein weitergegangen. Er wird sich wohl verspätet haben und irgendwo, + vielleicht im Vororte, eingekehrt sein. Wir sind jetzt unterwegs, ihn zu suchen."</p> + <p>"O, suchet eifrig, findet ihn!" rief Kamanita.</p> + <p>"Wenn wir auch wüßten, wo der Erhabene ist, so ginge es doch nicht an, + diesen Verwundeten hinzutragen," meinte der strenge Mönch. "Denn die + Erschütterung auf der Bahre würde seinen Zustand schnell verschlimmern, und + wenn er es auch überstände, so würde er doch sterbend ankommen, und + sein Geist würde nicht fähig sein, die Worte des Erhabenen zu erfassen. + Wenn er sich aber jetzt schont, und von einem kundigen Wundarzt behandelt und + sorgfältig gepflegt wird, dann ist doch immer noch Hoffnung vorhanden, daß + er so weit zu Kräften kommen kann, um der Rede des Erhabenen zu lauschen.</p> + <p>Aber Kamanita zeigte ungeduldig auf die Bahre:</p> + <p>"Keine Zeit--sterben--mich mitnehmen--ihn sehen--berühren--selig + sterben--mitnehmen--eilet!"</p> + <p>Achselzuckend wandte sich der Mönch an die jüngeren Brüder:</p> + <p>"Dieser arme Mann hält den siegreich Vollendeten für ein + Götzenbild, bei dessen Berührung man entsühnt wird."</p> + <p>"Er hat Vertrauen zum Vollendeten gefaßt, Sariputta, wenn ihm auch das + tiefere Verständnis fehlt," sagte der andere und beugte sich über den + Verwundeten, um den Grad seiner Kräfte festzustellen; "vielleicht könnte + man es doch wagen. Der Arme dauert mich, und ich glaube, man kann ihm nichts Besseres + antun, als den Versuch zu machen."</p> + <p>Ein dankbarer Blick des Pilgers belohnte ihn für seine Fürsprache.</p> + <p>"Wie es dir beliebt, Ananda," antwortete Sariputta freundlich.</p> + <p>In diesem Augenblick kam von der Seite, von welcher auch Kamanita gekommen war, + ein Hafner gegangen, der auf dem Rücken einen Korb mit allerlei Töpferwaren + trug. Als er den Pilger Kamanita bemerkte, den man soeben mit großer Vorsicht, + aber nicht ohne ihm heftige Schmerzen zu verursachen, auf die Bahre gelegt hatte, + blieb er erschrocken stehen--und zwar so plötzlich, daß die + aufeinandergetürmten Schüsseln, die er auf dem Kopfe trug, zu Boden fielen + und zerbrachen.</p> + <p>"Ihr Götter! Was ist denn hier vorgefallen? Das ist ja der fromme Pilger, der + meiner Halle die Ehre angetan hat, dort zu übernachten. In der Gesellschaft + eines Mönches, der dasselbe Gewand trug, wie diese Ehrwürdigen, hat er in + meinem Hause die Nacht zugebracht."</p> + <p>"War jener Mönch ein alter Mann und von hoher Gestalt?" fragte Sariputta.</p> + <p>"Gewiß, Ehrwürdiger--und er schien mir dir selber nicht unähnlich + zu sein."</p> + <p>Da wußten nun die Mönche, daß sie nicht länger zu suchen + brauchten, und daß der Erhabene im Hause des Hafners war. Denn "der + Jünger, der dem Meister ähnelt"--also wurde ja Sariputta genannt.</p> + <p>"Ist es möglich?" sagte Ananda und blickte von dem Verwundeten auf, der durch + die Schmerzen, die ihm das Emporheben verursacht hatte, fast bewußtlos geworden + war und die Ankunft des Hafners gar nicht bemerkt hatte.--"Ist es möglich? + Dieser arme Mann hätte das Glück, nach dem er so sehnlich trachtet, die + ganze Nacht genossen, ohne es auch nur im geringsten zu ahnen?"</p> + <p>"Das ist die Art des Toren," sagte Sariputta. "Aber gehen wir; jetzt kann er ja + hingebracht werden."</p> + <p>"Einen Augenblick!" rief Ananda, "die Schmerzen haben ihn + überwältigt."</p> + <p>In der Tat zeigte der leere Blick Kamanitas, daß er kaum bemerkte, was um + ihn vorging. Es fing an, ihm schwarz vor den Augen zu werden. Aber der lange Streifen + des Morgenhimmels, der oben zwischen den hohen Mauern leuchtete, drang doch noch bis + zu seinem Bewußtsein durch und mochte ihm wohl als die den Nachthimmel + durchquerende Milchstraße erscheinen. Seine Lippen bewegten sich:</p> + <p>"Die Ganga--," murmelte er.</p> + <p>"Seine Sinne wandern," sagte Ananda.</p> + <p>Die Zunächststehenden, die das Wort vernommen hatten, faßten es anders + auf.</p> + <p>"Er wünscht jetzt an die Ganga gebracht zu werden, damit die heiligen Wogen + seine Sünden abspülen.--Aber Mutter Ganga ist ja weit von hier--wer + könnte ihn wohl dahin tragen?"</p> + <p>"Erst der Buddha, dann die Ganga!"--murmelte Sariputta mit dem halb + verächtlichen Mitleid des Weisen einem Toren gegenüber, der unrettbar von + einem Aberglauben in den anderen fällt.</p> + <p>Aber plötzlich belebten die Augen Kamanitas sich wunderbar. Ein seliges + Lächeln verklärte seine Züge. Sein Körper wollte sich aufrichten. + Ananda stützte ihn.</p> + <p>"Die himmlische Ganga," flüsterte er mit schwacher, aber freudiger Stimme, + und zeigte mit der rechten Hand nach dem Himmelsstreifen über seinem Haupte: + "Die himmlische Ganga!--wir schwuren--bei ihren Wellen--Vasitthi--"</p> + <p>Sein Körper zitterte, Blut quoll ihm aus dem Munde, und in den Armen Anandas + verschied er.--</p> + <p>Kaum eine halbe Stunde später traten Sariputta und Ananda, von den + Mönchen begleitet, in die Halle des Hafners ein, begrüßten den + Erhabenen ehrerbietig und setzten sich ihm zur Seite nieder.</p> + <p>"Nun, mein lieber Sariputta," fragte da der Erhabene, nachdem er ihnen + freundlichen Gruß entboten,--"hat die junge Mönchsgemeinde unter deiner + Führung die weite Wanderung gut und ohne Unfälle überstanden? Habt ihr + Mangel an Nahrung oder Arznei für die Kranken unterwegs gehabt? Ist die + Jüngerschaft fröhlich beflissen?"</p> + <p>"Glücklich bin ich, Ehrwürdigster, sagen zu können, daß es + uns an nichts gefehlt hat, und daß die jungen Mönche voll Eifer und + Zuversicht, sich nur danach sehnen, den Erhabenen von Angesicht zu Angesicht zu + sehen. Diese edlen Jünglinge, Kenner des Wortes, Nachfolger der Lehre, habe ich + mitgenommen, um sie schon jetzt dem Meister vorzustellen."</p> + <p>Bei diesen Worten erhoben sich drei junge Mönche und begrüßten den + Erhabenen mit zusammengelegten Händen:</p> + <p>"Heil dem Erhabenen, dem vollendeten Buddha--Heil!"</p> + <p>"Seid mir willkommen," sprach der Erhabene und lud sie mit einer Handbewegung + wieder zum Sitzen ein.</p> + <p>"Und ist auch der Erhabene," fragte Ananda, "nach der gestrigen Wanderung ohne + Übermüdung oder üble Folgen gut hier angekommen? Und hat der Erhabene + in dieser Halle die Nacht leidlich zugebracht?"</p> + <p>"So ist es, Brüder. Ich bin bei einbrechender Dunkelheit zwar recht + müde, doch ohne üble Folgen der Wanderung hier angekommen und habe in der + Gesellschaft eines fremden Pilgers die Nacht nicht eben schlecht zugebracht."</p> + <p>"Dieser Pilger," nahm Sariputta das Wort, "ist in den Straßen Rajagahas + durch eine Kuh des Lebens beraubt worden."</p> + <p>"Und nicht ahnend, mit wem er die Nacht hier zugebracht hatte," fügte Ananda + hinzu, "begehrte er sehnlich, zu Füßen des Erhabenen gebracht zu + werden."</p> + <p>"Bald danach freilich verlangte er, man möchte ihn nach der Ganga tragen," + bemerkte Sariputta.</p> + <p>"Nicht doch, Bruder Sariputta!"--berichtigte Ananda. "Denn er sprach von der + <i>himmlischen</i> Ganga. Leuchtenden Blickes gedachte er eines Schwures und nannte + dabei einen Frauennamen--Vasitthi, glaube ich--und so verschied er."</p> + <p>"Irgend einen Frauennamen auf den Lippen, ging er von dannen," sagte + Sariputta.--"Wo ist er wohl wieder ins Dasein getreten?"</p> + <p>"Töricht, ihr Jünger, war der Pilger Kamanita, einem unvernünftigen + Kinde vergleichbar. Diesem Pilger, ihr Jünger, der in meinem Namen umherzog und + sich zur Lehre des Erhabenen bekennen wollte, habe ich die Lehre ausführlich und + eingehend dargelegt. Und er hat an der Lehre Anstoß genommen. Auf Seligkeit und + Himmelswonnen war das Sehnen und Trachten seines Herzens gerichtet. Der Pilger + Kamanita, ihr Jünger, ist in Sukhavati, im Paradiese des Westens, wieder ins + Dasein getreten, tausend- und abertausendjährige Himmelswonnen zu + genießen."</p> + <h2><a id="chap_xxii" name="chap_xxii">XXII. IM PARADIESE DES WESTENS</a></h2> + <p><img src="images/xxii.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />ls der + Erhabene in der Halle des Hafners zu Rajagaha diese Worte sprach, erwachte der Pilger + Kamanita im Paradiese des Westens. In einen roten Mantel gehüllt, der zart und + glänzend wie ein Blumenblatt in reichem Faltenwurf um ihn herabfloß, fand + er sich mit untergeschlagenen Beinen, auf einer mächtigen, gleichfarbigen + Lotusrose sitzend, die mitten auf einem großen Teiche schwamm. Auf der weiten + Wasserfläche waren überall solche Lotusblumen zu sehen, rote, blaue und + weiße, einige noch als Knospen, andere, obwohl ziemlich entwickelt, doch immer + noch geschlossen, aber unzählige offen wie die seine; und fast auf einer jeden + thronte eine menschliche Gestalt, deren faltiges Gewand aus den Blumenblättern + emporzuwachsen schien.</p> + <p>Auf den schrägen Ufern des Teiches, im grünsten Gras, lachte ein + Blumenflor, als ob alle Edelsteine der Erde hier in Blumengestalt wiedergeboren + wären, ihren Glanz und ihr durchleuchtetes Farbenspiel beibehaltend, aber den + harten Panzer, den sie in ihrem Erdenleben getragen, gegen die Weiche, schmiegsame, + lebendige Pflanzenhülle eintauschend. So war auch der Duft, den sie aushauchten, + mächtiger als die herrlichste Essenz, die je in ein kristallenes Fläschchen + eingeschlossen wurde, und hatte doch die ganze herzhafte Frische des natürlichen + Blumenduftes.</p> + <p>Von diesem fesselnden Ufersaum schweifte nun der entzückte Blick weiter + zwischen hohen und breitwipfeligen, smaragdlaubigen und juwelenblühenden + Bäumen, die bald einzeln sich erhoben, bald in Gruppen zusammen standen, bald + tiefe Haine bildeten, hinüber nach den anmutigsten Felsenhügeln, die bald + nackt ihre kristallenen, marmornen und alabasternen Formen zeigten, bald sie mit + dichtem Gebüsch bedeckten oder mit duftigem Blütenflor verhüllten. An + einer Stelle aber wichen Haine und Felsen gänzlich zur Seite, um einem + schönen Fluß Raum zu geben, der sich still, wie ein Strom von + Sternenglanz, in den Teich ergoß.</p> + <p>Über die ganze Gegend wölbte sich ein Himmel, dessen Ultramarinblau nach + unten zu eher noch tiefer wurde, und unter dieser Kuppel schwebten weiße, + geballte Wölkchen, auf welchen liebliche Genien gelagert waren, deren + Instrumente den ganzen Raum mit den Zauberklängen wonniger Weisen + erfüllten.</p> + <p>Aber an diesem Himmel war keine Sonne zu sehen, noch bedurfte es einer solchen. + Denn von den Wölkchen und den Genien, von Felsen und Blumen, vom Wasser und von + den Lotusrosen, von den Gewändern der Seligen, noch mehr aber von ihren + Gesichtern strahlte ein wundersames Licht aus. Und wie dies Licht von strahlender + Helligkeit war, ohne doch im mindesten zu blenden, so wurde die weiche, + duftgesättigte Wärme durch den ständigen Hauch des Wassers erfrischt, + und schon diese Luft einzuatmen war eine Lust, der nichts auf Erden gleichkommt.</p> + <p>Als Kamanita den ersten Anblick dieser Herrlichkeiten so weit verwunden hatte, + daß sie ihn nicht mehr überwältigten, sondern anfingen, sich ihm als + seine natürliche Umgebung unterzuordnen, richtete er seine Aufmerksamkeit auf + jene anderen Wesen, die, wie er selber, ringsum auf den schwimmenden Lotusthronen + saßen. Er bemerkte bald, daß die rot gekleideten männlichen, die + weiß gekleideten weiblichen Geschlechts waren, während von den in blaue + Mäntel gehüllten Gestalten, wie ihm schien, einige diesem, einige jenem + Geschlechte angehörten. Alle miteinander aber standen sie in vollster + Jugendblüte, und alle schienen von freundlichster Gesinnung erfüllt zu + sein.</p> + <p>Ein Nachbar in blauem Mantel flößte ihm besonderes Vertrauen ein, und + die Lust, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, regte sich in ihm.</p> + <p>"Ob es wohl angeht, von selber und unaufgefordert diesen Ehrwürdigen zu + fragen?" dachte er. "Gar zu gern möchte ich doch wissen, wo ich bin."</p> + <p>Zu seiner größten Verwunderung erfolgte die Antwort sofort, lautlos und + ohne daß der Blaue die Lippen auch nur leise bewegt hätte:</p> + <p>"Du bist in Sukhavati, dem Orte der Seligkeit."</p> + <p>Unwillkürlich fragte Kamanita in Gedanken weiter:</p> + <p>"Du warst hier, Ehrwürdigster, als ich die Augen aufschlug, denn mein Blick + fiel sofort auf dich. Bist du vielleicht gleichzeitig mit mir erwacht, oder warst du + schon lange hier?"</p> + <p>"Seit undenklichen Zeiten bin ich hier," antwortete der Blaue, "und ich würde + glauben, daß ich von Ewigkeit her hier wäre, wenn ich nicht so oft gesehen + hätte, wie eine Lotusblume sich öffnete und ein neues Wesen zum Vorschein + kam--und wenn nicht der Duft des Korallenbaumes wäre."</p> + <p>"Was ist's denn mit diesem Duft?"</p> + <p>"Das wirst du selber bald entdecken. Der Korallenbaum ist das größte + Wunder dieses Paradieses."</p> + <p>Die Musik der himmlischen Genien, die wie von selber dieses lautlose Gespräch + zu begleiten schien, mit ihren Weisen und Klängen sich jedem Satz desselben + anschmiegend, gleichsam um seinen Sinn zu vertiefen und das klar zu machen, was die + Worte nicht fassen konnten, wob bei diesen Worten ein seltsam mystisches Tongebilde, + und es schien dem lauschenden Kamanita, als ob in seinem Geiste unendliche Tiefen + sich öffneten, in deren Schatten formlose Erinnerungen sich regten, ohne + erwachen zu können.</p> + <p>"Das größte Wunder!" sagte er nach einer Pause. "Ich meinte, von allem + Wunderbaren hier sei das Wunderbarste jener herrliche Strom, der sich in unsern Teich + ergießt."</p> + <p>"Die himmlische Ganga," nickte der Blaue.</p> + <p>"Die himmlische Ganga!"--wiederholte Kamanita träumerisch, und wiederum + überkam ihn, nur in verstärktem Maße, jenes Gefühl von etwas, + das er kennen müsse und doch nicht kennen konnte, während die + geheimnisvollen Töne in den tiefsten Abgründen seines eigenen Selbstes die + Quellen jenes Stromes zu suchen schienen.</p> + <h2><a id="chap_xxiii" name="chap_xxiii">XXIII. SELIGE REIGEN</a></h2> + <p><img src="images/xxiii.png" width="93" height="93" align="left" alt="M" />it + Verwunderung bemerkte Kamanita jetzt, wie eine nicht weit von ihm auf ihrer Lotusrose + thronende weiße Gestalt plötzlich in die Höhe wuchs. Die + aufgehäufte Masse der eckigen Mantelfalten wickelte sich auseinander, bis das + Gewand geradlinig von den Schultern bis zum goldigen Saume hinabfloß. Und + dieser berührte schon nicht mehr die Blumenblätter--die Gestalt schwebte + frei über den Teich hin, über das Ufer hinauf, und verschwand zwischen den + Bäumen und hinter dem Gebüsch.</p> + <p>"Wie herrlich muß das sein!"--dachte Kamanita. "Aber das ist wohl eine sehr + schwierige Kunst, obschon es aussieht, als ob es gar nichts wäre. Ob ich das + wohl jemals lernen kann?"</p> + <p>"Du kannst schon, wenn du nur willst," antwortete der Blaue, an den die letzte + Frage gerichtet war.</p> + <p>Sofort hatte Kamanita die Empfindung, als ob etwas seinen Körper in die + Höhe höbe. Er schwebte schon quer über den Teich nach dem Ufer zu, und + bald war er mitten im Grünen. Wohin er seinen Blick wünschend richtete, + dorthin ging sein Flug, schnell oder langsam, je nach Verlangen. Er sah nun andere + Lotusteiche, ebenso herrlich wie der, den er eben verlassen hatte, durchstreifte + liebliche Haine, wo bunte Vögel von Zweig zu Zweig hüpften und ihr + melodisches Zwitschern mit dem leisen Rauschen der Wipfel mischten, strich über + blumenreiche Auen hin, wo niedliche Antilopen ihr Spiel trieben, ohne sich im + geringsten vor ihm zu fürchten, und ließ sich endlich auf dem sanften + Abhang eines Hügels nieder. Zwischen Baumstämmen und blühendem + Gebüsch sah er die Ecke eines Teiches, wo das Wasser rings um die großen + Lotusblüten glitzerte, deren Blumenthrone hier und dort eine selige Gestalt + trugen, während mehrere selbst von den ganz entfalteten leer waren.</p> + <p>Es war nämlich offenbar gerade ein Augenblick des allgemeinen + Schwärmens. Wie an einem warmen Sommerabend die Leuchtkäfer unter den + Bäumen und um das Gebüsch hin und her kreisen, ein stilles, leuchtendes + Treiben, also schwebten hier die seligen Gestalten, einzeln und paarweise, in ganzen + Gruppen oder Reihen durch die Haine und um die Felsen. Dabei sah man es ihren Mienen + und Blicken an, daß sie sich lebhaft miteinander unterhielten und man ahnte die + unsichtbaren Fäden des Gespräches, die sich zwischen den lautlos + Dahinziehenden hinüber und herüber spannen.</p> + <p>In süßer, traumhafter Befangenheit genoß Kamanita dies reizende + Schauspiel. Nach und nach entstand in ihm ein Verlangen, sich mit diesen + Fröhlichen zu unterhalten.</p> + <p>Sofort war er von einer ganzen Gesellschaft umringt, die ihn freundlich + begrüßte als den Neuangekommenen, den soeben Erwachten.</p> + <p>Kamanita wunderte sich sehr und fragte, ob denn das Gerücht von seinem + Entstehen sich schon überall in Sukhavati verbreitet hätte.</p> + <p>"O, wenn ein Lotus sich öffnet, regen sich alle Lotusblumen in den + Paradiesteichen, und jedes Wesen fühlt, wenn hier irgendwo ein neues Wesen zur + Seligkeit erwacht."</p> + <p>"Aber wie könnt ihr wissen, daß gerade ich der Neue bin?"</p> + <p>Die ihn Umschwebenden lächelten lieblich.</p> + <p>"Du bist noch nicht so ganz erwacht."</p> + <p>"Du blickst uns an, als ob du Traumgestalten sähest und dich davor + fürchtetest, daß sie plötzlich verschwinden könnten und + daß eine rauhe Wirklichkeit dich wieder umgeben möchte."</p> + <p>Kamanita schüttelte den Kopf.</p> + <p>"Ich verstehe euch nicht so recht. Was sind Traumgestalten?"</p> + <p>"Ihr vergeßt," sagte eine Weißgekleidete, "daß er gewiß + noch nicht am Korallenbaume war."</p> + <p>"Nein, dort war ich noch nicht. Aber ich habe doch schon von ihm gehört. Mein + Nachbar im Teiche sprach mir davon; der Baum soll solch ein Wunder sein. Was ist's + denn mit ihm?"</p> + <p>Aber sie lächelten alle geheimnisvoll, sich gegenseitig anblickend und den + Kopf schüttelnd.</p> + <p>"Ich möchte gern sofort hin. Will mir niemand den Weg zeigen?"</p> + <p>"Den Weg findest du schon selber, wenn die Zeit gekommen ist."</p> + <p>Kamanita strich sich mit der Hand über die Stirn.</p> + <p>"Noch ein Wunderding war da, von dem er sprach....Ja! Die himmlische Ganga....Von + ihr wird unser Teich gespeist. Ist das mit dem eurigen auch so?"</p> + <p>Die Weißgekleidete zeigte nach dem klaren Flüßchen, das sich um + den Fuß des Hügels wand und in gemächlichen Krümmungen sich dem + Teiche zuschlängelte.</p> + <p>"Das ist unser Zufluß. Unzählige solcher Adern durchziehen diese + Gefilde, und auch das, was du gesehen hast, ist nur eine solche, wenn auch eine + größere. Aber die himmlische Ganga selber umschließt das ganze + Sukhavati."</p> + <p>"Hast du auch sie selber gesehen?"</p> + <p>Die Weiße schüttelte den Kopf.</p> + <p>"So kann man denn nicht dorthin kommen?"</p> + <p>"Man kann schon," antworteten sie alle. "Aber keiner von uns war dort. Warum + sollten wir auch? Nirgends kann es schöner sein als hier. Einige andere freilich + waren da--aber sie sind nie wieder hingeflogen."</p> + <p>"Warum denn nicht?"</p> + <p>Die Weiße zeigte nach dem Teiche:</p> + <p>"Siehst du den Roten dort, fast am anderen Ufer?--Er war dort, es ist lange, lange + her. Wollen wir ihn fragen, ob er später noch einmal nach dem Gestade der Ganga + geflogen ist?"</p> + <p>"Nimmermehr," klang sofort die Antwort des Roten.</p> + <p>"Und warum denn nicht?"</p> + <p>"Fliege selber hin und hole dir Antwort."</p> + <p>"Wollen wir? Mit dir zusammen darf ich schon."</p> + <p>"Ich möchte wohl hin--aber jetzt nicht."</p> + <p>Aus einem nahen Hain schwebte ein Zug seliger Gestalten hervor, schlang sich zu + einem Reigen um das Wiesengebüsch, und indem die Reihe sich ausdehnte, ergriff + die äußerste Gestalt--eine hellblaue--die Hand der Weißen. Diese + reichte einladend ihre andere Hand Kamanita hin.</p> + <p>Er dankte ihr lächelnd, schüttelte aber leise den Kopf:--</p> + <p>"Noch möchte ich lieber zusehen."</p> + <p>"Ja, ruhe nur, und erwache. Auf Wiedersehen!"</p> + <p>Und von der Hellblauen sanft fortgezogen, schwebte sie von dannen, im luftigen + Ringeltanz.</p> + <p>Und auch die anderen zogen mit freundlichem, aufmunterndem Gruß davon, um + ihm Ruhe zur Sammlung zu geben.</p> + <h2><a id="chap_xxiv" name="chap_xxiv">XIV. DER KORALLENBAUM</a></h2> + <p><img src="images/xxiv.png" width="93" height="93" align="left" alt="K" />amanita + folgte ihnen lange mit dem Blick und wunderte sich. Und dann wunderte er sich + über sein Wundern. "Wie kommt es denn, daß Alles mich hier so seltsam + anmutet? Wenn ich hierher gehöre, warum scheint mir dann nicht Alles + selbstverständlich?--Aber jede neue Erscheinung hier ist mir rätselhaft und + setzt mich in Erstaunen. Zum Beispiel dieser Duft, der jetzt plötzlich an mir + vorüberweht. Wie ist er doch so ganz verschieden von allem anderen Blumendufte + hier--viel voller und mächtiger, anziehend und beunruhigend zugleich. Wo mag er + wohl herkommen?</p> + <p>...Aber wo mag ich wohl selber herkommen? Es scheint, als ob ich vor kurzem noch + ein Nichts gewesen bin. Oder habe ich doch ein Dasein gehabt, nur nicht hier? Aber wo + dann? Und wie bin ich denn hierhergekommen?"</p> + <p>Während diese Fragen in ihm aufstiegen, hatte sich sein Körper, ohne + daß er es bemerkte, vom Rasen losgelöst, und er schwebte schon + weiter--aber in keiner von den Richtungen, denen die anderen gefolgt waren. Kamanita + stieg aufwärts, gegen eine Einsattelung im Gipfel des Hügels. Als er + über sie hinstrich, wurde er von einem noch stärkeren Hauch jenes neuen, + seltsamen Duftes empfangen.</p> + <p>Kamanita flog weiter.</p> + <p>Jenseits des Hügels verlor die Gegend etwas an Lieblichkeit. Der Blumenflor + war spärlicher, das Gebüsch dunkler, die Haine dichter, die Felsen + schroffer und höher. Herden von Gazellen weideten da, aber nur ganz vereinzelt + zeigte sich eine selige Gestalt.</p> + <p>Das Tal verengte sich und mündete in eine Kluft. Hier war jener Duft noch + stärker. Immer schneller wurde seine Flucht, immer nackter, steiler und + höher schlossen sich die Felsenwände zusammen, bis nirgends mehr ein + Ausgang zu sehen war.</p> + <p>Die Schlucht machte ein paar scharfe Wendungen und öffnete sich + plötzlich.</p> + <p>Um Kamanita breitete sich ein von himmelstrebenden Malachitfelsen eingeschlossener + Talkessel, und mitten in diesem stand der Wunderbaum.</p> + <p>Stamm und Äste waren von blanker, roter Koralle; ein wenig gelblicher war die + Röte des krausen Laubwerkes, aus dem die Blüten tief karmesinfarbig + hervorglühten.</p> + <p>Über Felsenzinnen und Baumwipfel spannte der Himmel sich dunkelblau, ohne + daß ein einziges Wölkchen zu sehen war. Auch drang die Musik der Genien + kaum hierher--was noch in der Luft zitterte, war wie eine Erinnerung an längst + gehörte Melodien.</p> + <p>Nur drei Farben waren da: das Ultramarinblau des Himmels, das Malachitgrün + der Felsen, das Korallenrot des Baumes. Und nur <i>ein</i> Duft--jener + geheimnisvolle, allen anderen unähnliche Duft der karmesinroten Blumen, der + Kamanita hierher geführt hatte.</p> + <p>Und alsbald zeigte sich nun auch die Wunderart dieses Duftes:</p> + <p>Als Kamanita ihn hier einsog, wo er verdichtet den ganzen Kessel füllte, + erweiterte sich plötzlich sein Bewußtsein und überschwemmte und + durchbrach die Schranke, die bis jetzt hinter seinem Erwachen im Teiche errichtet + gewesen war.</p> + <p>Sein vorheriges Leben lag offen vor ihm:</p> + <p>Er sah die Halle des Hafners, wo er mit jenem törichten Buddhamönch im + Gespräche saß; er sah das Gäßchen in Rajagaha, das er + durcheilte, und die ihm entgegenstürmende Kuh--dann die bestürzten + Gesichter ringsum und die gelbgekleideten Mönche....</p> + <p>Und er sah die Waldungen und Landstraßen seiner Pilgerschaft, seinen Palast + und seine beiden Frauen, die Hetären Ujjenis, die Räuber, den Krishnahain + und die Terrasse der Sorgenlosen mit Vasitthi, das Elternhaus und die + Kinderstube....</p> + <p>Und dahinter sah er ein anderes Leben und noch eins und noch eins--und immer noch + andere, wie man die Baumreihe einer Landstraße sieht, bis die Bäume zu + Punkten werden und die Punkte in einen einzigen Schattenstreifen + zusammenschmelzen.</p> + <p>Bei diesem Anblick schwindelte ihm. Und sofort befand er sich wieder in der Kluft, + wie ein Blatt, das vom Winde getrieben wird. Denn das erstemal hält niemand den + Duft des Korallenbaumes lange aus, und der Selbsterhaltungstrieb führt Jeden + beim ersten Schwindel von dannen.</p> + <p>Als er nun ruhiger durch das offene Tal schwebte, erwog Kamanita:</p> + <p>"Jetzt verstehe ich, warum die Weiße sagte, ich sei wohl noch nicht am + Korallenbaume gewesen. Denn freilich konnte ich damals nicht verstehen, was sie mit + 'Traumgestalten' meinten; jetzt aber weiß ich es, denn in jenem Leben habe ich + ja solche gesehen. Und jetzt begreife ich auch, warum ich hier bin. Ich wollte ja im + Mangohaine bei Rajagaha den Buddha aufsuchen. Freilich wurde das durch meinen + plötzlichen, gewaltsamen Tod vereitelt, aber mein guter Wille ist mir + angerechnet worden, und so bin ich an diesen Ort der Seligkeit gelangt, als ob ich zu + seinen Füßen gesessen und in seiner beseligenden Lehre gestorben + wäre. Also ist mein Pilgergang nicht vergebens gewesen."</p> + <p>Und Kamanita erreichte bald wieder den Teich und ließ sich auf seine rote + Lotusrose nieder, wie ein Vogel, der sein Nest aufsucht.</p> + <h2><a id="chap_xxv" name="chap_xxv">XXV. DIE KNOSPE ÖFFNET SICH</a></h2> + <p><img src="images/xxv.png" width="93" height="93" align="left" + alt="P" />lötzlich schien es Kamanita, als ob unten im Teiche sich etwas + Lebendiges bewege. In der kristallenen Tiefe wurde er undeutlich einen aufsteigenden + Schatten gewahr. Das Wasser brodelte und wallte, und eine große Lotusknospe mit + roter Spitze schoß wie ein Fisch aus der Flut empor, um dann schwimmend auf der + Wasserfläche sich zu wiegen, die erst in Kreisen wellte und dann noch lange + danach wie zersplittert zitterte und glitzerte, farbensprühend, als ob der Teich + mit fließenden Diamanten gefüllt wäre, während der Widerschein + der Wasserblinke wie kleine Flammen über die Lotusblätter, die + Gewänder und die Gesichter der seligen Gestalten emporflatterte.</p> + <p>Und auch das Gemüt Kamanitas erzitterte und strahlte in allen seinen + verborgenen Farben, auch über sein Herz schien ein Widerschein freudiger + Bewegung spielend hinzutanzen.</p> + <p>"Was war das wohl?" fragte sein Blick den blauen Nachbar.</p> + <p>"Tief unten, in weiten Weltfernen, auf der trüben Erde, hat in diesem + Augenblick eine menschliche Seele ihren Herzenswunsch darauf gerichtet, hier in + Sukhavati wieder ins Dasein zu treten. Nun wollen wir auch beobachten, ob die Knospe + sich schön entwickelt und zum Blühen gelangt. Denn gar manche Seele richtet + ihren Wunsch auf den reinen Ort der Seligkeit, vermag aber nicht, danach zu leben, + sondern verstrickt sich wieder in unheilige Leidenschaften, versinkt in die Lust des + Fleisches und bleibt an dem Erdenschmutze haften. Dann aber verkümmert die + Knospe und verschwindet zuletzt gänzlich. Diesmal ist es, wie du siehst, eine + männliche Seele. Eine solche kommt in dem bunten Welttreiben leichter vom + Paradieswege ab, weshalb du auch bemerken wirst, daß, wenn auch die roten und + die weißen sich an Zahl ziemlich gleichkommen, unter den blauen die helleren, + weiblichen, bei weitem die meisten sind."</p> + <p>Bei dieser Mitteilung erbebte das Herz Kamanitas gar sonderbar, als ob auf einmal + schmerzliche Freude und lustgebärendes Weh es in schwankende Bewegung setzten, + und sein Blick ruhte rätselratend auf einer geschlossenen Lotusrose, die, + weiß wie die Brust eines Schwans, dicht neben ihm sich in dem noch leise + bewegten Wasser anmutig wiegte.</p> + <p>"Kannst du dich auch darauf besinnen, daß du einmal gesehen hast, wie die + Knospe meines Lotus sich aus der Tiefe erhob?" fragte er den erfahrenen Nachbar.</p> + <p>"Gewiß, denn sie tauchte ja zusammen mit dieser weißen Blume auf, die + du jetzt gerade betrachtest. Und ich habe das Paar immer beobachtet, manchmal nicht + ohne Besorgnis. Denn ziemlich bald fing deine Knospe an, sichtlich + zusammenzuschrumpfen und sie war fast gänzlich unter die Wässerfläche + hinabgesunken, als sie sich plötzlich wieder erhob, voller und blanker wurde und + sich dann gar prächtig bis zum Entfalten entwickelte. Die weiße aber wuchs + langsam, allmählich und gleichmäßig ihrer Entfaltung entgegen--dann + aber wurde auch sie plötzlich wie von einer Krankheit befallen. Doch sie erholte + sich rasch wieder und wurde solch herrliche Blume, wie du sie jetzt vor dir + siehst."</p> + <p>Bei diesen Worten erhob sich in Kamanita eine so freudige Bewegung, daß es + ihn dünken wollte, als sei er bis jetzt nur ein trüber Gast an einem + trüben Ort gewesen,--dermaßen schien jetzt Alles um ihn herum zu leuchten, + zu duften und zu klingen.</p> + <p>Und als ob sein Blick, der unverwandt auf dem weißen Lotus ruhte, ein + Zauberstab wäre, um verborgene Schätze zu heben, regte sich die Spitze der + Blume, die Blätter bogen ihre Ränder nach vorne und neigten sich nach allen + Seiten; und sieh'--in ihrer Mitte saß Vasitthi mit weit geöffneten Augen, + deren süß lächelnder Bück dem seinigen begegnete.</p> + <p>Und Kamanita und Vasitthi streckten gleichzeitig die Arme nach einander aus, und, + ihre Hände ineinanderlegend, schwebten sie über den Teich dem Ufer zu.</p> + <p>Kamanita merkte wohl, daß Vasitthi ihn noch nicht wiedererkannte, sondern + sich ihm nur unwillkürlich zuwandte, wie die Sonnenblume der Sonne. Wie + hätte sie ihn auch erkennen sollen, da doch niemand sofort bei seinem Erwachen + sich seines vorausgegangenen Lebens erinnerte--wenn auch in den Tiefen ihres + Gemütes sich bei seinem Anblick dunkle Ahnungen regen mochten, wie einst bei + ihm, als sein Nachbar von der himmlischen Ganga sprach.</p> + <p>Er zeigte ihr den strahlenden Fluß, der sich still in den Teich + ergoß:</p> + <p>"So speisen die silbrigen Wellen der himmlischen Ganga alle Lotusteiche in den + Gefilden der Seligen."</p> + <p>"Die himmlische Ganga?" wiederholte sie fragend und strich sich mit der Hand + über die Stirn.</p> + <p>"Komm, wir wollen nach dem Korallenbaum."</p> + <p>"Dort aber ist der Hain und das Gebüsch so lieblich, und sie spielen dort + solch heitere Spiele," sagte Vasitthi, nach einer anderen Richtung zeigend.</p> + <p>"Nachher! Jetzt wollen wir zuerst nach dem Korallenbaum, um dich durch seinen + Wunderduft zu erquicken."</p> + <p>Wie ein Kind, das man durch Versprechen auf ein neues Spielzeug darüber + getröstet hat, daß es am fröhlichen Treiben der Kameraden nicht + teilnehmen darf, so folgte Vasitthi ihm willig. Als der Duft ihnen entgegenzuwehen + begann, belebten sich ihre Züge mehr und mehr.</p> + <p>"Wo führst du mich hin?" fragte sie, als sie in die enge Felsenschlucht + einlenkten. "Niemals bin ich noch so erwartungsvoll gewesen. Und es kommt mir vor, + als ob ich schon oft voll Erwartung war, obschon dein Lächeln mich daran + erinnert, daß ich ja eben erst zum Bewußtsein erwacht bin. Aber du hast + dich geirrt, hier kann man ja nicht weiter."</p> + <p>"O, man kann weiter, viel, <i>viel</i> weiter," lächelte Kamanita, "und + vielleicht wirst du jetzt gewahr, daß jenes Gefühl dich nicht + getäuscht hat, liebste Vasitthi!"</p> + <p>Und schon öffnete sich vor ihnen das Talbecken der Malachitfelsen mit dem + roten Korallenbaum und dem tiefblauen Himmel, und der Duft aller Düfte umfing + sie.</p> + <p>Vasitthi legte die Hände auf ihre Brust, wie um ihr gar zu tiefes Atmen zu + hemmen, und am schnellen Wechsel von Licht und Schatten in ihren Zügen erkannte + Kamanita, wie der Sturm der Lebenserinnerungen über sie dahinbrauste.</p> + <p>Plötzlich erhob sie ihre Arme und warf sich an seine Brust:</p> + <p>"Kamanita, mein Liebster!"</p> + <p>Und er trug sie von dannen, im Eilfluge durch die Schlucht + zurückstürmend.</p> + <p>Im offenen, noch etwas ernsten Tal, mit dunklem Gebüsch und dichten Hainen, + wo die Gazellen spielten, aber keine menschliche Gestalt die Einsamkeit störte, + ließ er sich mit ihr unter einem Baume nieder.</p> + <p>"O, du Ärmster!"--sprach Vasitthi, "was mußt du gelitten haben! Und was + mußt du von mir gedacht haben, als du erfuhrst, daß ich Satagira + geheiratet hatte!"</p> + <p>Aber Kamanita erzählte ihr, wie er das nicht durch eine Nachricht erfahren, + sondern selber in der Hauptstraße Kosambis den Hochzeitszug gesehen habe, und + wie der namenlose Jammer, der auf ihrem Gesichte geprägt stand, ihn unmittelbar + davon überzeugt habe, daß sie nur dem Zwang ihrer Eltern nachgegeben + hätte.</p> + <p>"Aber keine Macht der Erde hätte mich gezwungen, du einzig Geliebter, wenn + ich nicht hätte glauben müssen, den sicheren Beweis zu haben, daß du + nicht mehr am Leben seist."</p> + <p>Und Vasitthi hub an, ihre damaligen Erlebnisse zu berichten.</p> + <h2><a id="chap_xxvi" name="chap_xxvi">XXVI. DIE KETTE MIT DEM TIGERAUGE</a></h2> + <p><img src="images/xxvi.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />ls du, + mein Freund, Kosambi verlassen hattest, schleppte ich meine Tage und Nächte + elend dahin, wie es ein Mädchen tut, das vom schleichenden Fieber der Sehnsucht + verzehrt wird und dabei in tausend Ängsten um den Geliebten schwebt. Ich + wußte ja nicht einmal, ob du noch die Erdenluft mit mir atmetest. Denn ich + hatte gar oft von den Gefahren solcher Reisen gehört. Und nun mußte ich + mir auch noch die schrecklichsten Vorwürfe machen, weil ich ja selber durch den + törichten Eigensinn meiner Liebe die Schuld daran trug, daß du nicht unter + dem Schutze der Gesandtschaft die Rückreise in völliger Sicherheit gemacht + hattest. Und dennoch vermochte ich nicht, diese meine Unbesonnenheit zu bereuen, da + ich ihr doch alle jene schönen Erinnerungen verdankte, die mein ganzer Schatz + waren.</p> + <p>Selbst Medinis aufmunternde und tröstende Worte vermochten nur selten die + Wolke meiner Schwermut zeitweilig zu vertreiben. Mein bester und treuester Freund war + der schöne Asokabaum, unter dem wir in jener herrlichen Mondnacht standen, die + du, mein süßer Freund, gewiß nicht vergessen hast, und den ich + damals mit den Worten Damayantis anredete. Unzählige Male versuchte ich aus dem + Rauschen seiner Blätter eine Antwort auf meine besorgte Frage + herauszuhören, in dem Fallen einer Blume oder dem Spiele der Lichtflecken auf + dem Boden irgend eine Vorbedeutung zu sehen. War dann einmal ein solches + selbstgemachtes Orakelzeichen im günstigen Sinne ausgefallen, dann konnte ich + mich einen ganzen Tag oder noch länger fast glücklich fühlen und + hoffnungsvoll in die Zukunft schauen. Gerade dadurch wuchs dann aber die Sehnsucht, + und mit ihr kehrten dann die Befürchtungen zurück, wie böse + Träume der Fieberhitze entwachsen.</p> + <p>In diesem Zustand war es fast eine Wohltat, daß es bald nicht länger + meiner Liebe erlaubt wurde, in einsamer Tatenlosigkeit nur ihrem Leide zu leben, + sondern daß sie in eine Kampfstellung gedrängt wurde, in der sie alle ihre + Kräfte zusammennehmen mußte, wenn ich mich auch dadurch fast mit meinen + Nächsten völlig entzweit hätte.</p> + <p>Satagira, der Sohn des Ministers, verfolgte mich nämlich jetzt immer eifriger + mit den Zeichen seiner Liebe, und ich konnte mich nicht mehr in einem + öffentlichen Lustgarten mit meinen Gespielinnen zeigen, ohne daß er da war + und mich zum Gegenstand seiner aufdringlichen Aufmerksamkeit machte. Daß ich + diese nicht im geringsten erwiderte, ja ihm deutlicher, als es höflich war, + zeigte, wie sehr sie mir verhaßt war, hatte nicht die mindeste abkühlende + Wirkung. Bald fingen nun meine Eltern an, erst mit allerlei Andeutungen, dann immer + unverblümter, seine Sache zu befürworten, und als er schließlich mit + seinem Werben offert hervortrat, verlangten sie, daß ich ihm meine Hand geben + sollte. Ich versicherte Ihnen unter bitteren Tränen, niemals Satagira lieben zu + können; das machte jedoch nur wenig Eindruck auf sie. Aber ebensowenig wirkten + auf mich ihre Vorstellungen, ihr Bitten und Zürnen, das Flehen meiner Mutter, + die Drohungen meines Vaters.</p> + <p>In die Enge getrieben, erklärte ich ihnen zuletzt geradeaus, daß ich + mich <i>dir</i>--von dem sie schon durch Satagira gehört hatten--versprochen + hätte, und daß keine Macht der Welt mich zwingen könnte, dir das + heilige Wort zu brechen und einem Anderen anzugehören. Käme es aber zum + Äußersten, dann würde ich durch dauernde Verweigerung jedweder + Nahrung mir selber den Tod geben.</p> + <p>Als meine Eltern nun merkten, daß ich wohl imstande war, diese Drohung + auszuführen, gaben sie endlich, wenn auch sehr betrübt und erzürnt, + die Sache auf; und auch Satagira schien sich nun in sein Schicksal zu fügen und + darauf bedacht zu sein, sich über seine Niederlage in der Liebe durch + Siegestaten auf einem rauheren Schlachtfelde zu trösten.</p> + <p>In dieser Zeit meldete das Gerücht viel Schreckliches von dem Räuber + Angulimala, der mit seiner Bande ganze Gegenden verheerte, die Dörfer + einäscherte und die Wege so unsicher machte, daß zuletzt fast niemand mehr + wagte, nach Kosambi zu reisen. Ich geriet darob in große Angst, denn ich + fürchtete natürlich, daß du jetzt endlich kommen und unterwegs in + seine Hände fallen möchtest. Es verlautete nun plötzlich, Satagira + habe den Oberbefehl über eine große Truppenmacht erhalten, um die ganze + Gegend von Kosambi zu säubern und womöglich Angulimala selber und die + anderen Hauptführer der Bande gefangen zu nehmen. Er habe, hieß es, + geschworen, dies zu erreichen oder bei dem Versuche im Kampfe zu fallen.</p> + <p>So wenig ich auch sonst dem Sohne des Ministers hold war, so konnte ich doch nicht + umhin, ihm diesmal besten Erfolg zu gönnen, und als er auszog, folgten meine + segnenden Wünsche seinen Fahnen.</p> + <p>Etwa eine Woche später war ich mit Medini im Garten, als wir von der + Straße her lautes Geschrei vernahmen. Medini lief sofort hin, um zu erfahren, + was geschehen sei und meldete alsbald, Satagira kehre im Triumph nach der Stadt + zurück, nachdem er die Räuber niedergemetzelt oder gefangen genommen habe; + auch der schreckliche Angulimala sei lebendig in seine Hände gefallen. Sie + forderte mich auf, mit ihr und Somadatta auf die Straße zu gehen, um den Einzug + der Krieger und der gefangenen Räuber zu sehen, aber ich wollte nicht, weil ich + es Satagira nicht gönnte, mich unter den Zuschauern seines Triumphes zu sehen. + So blieb ich denn allein zurück, überglücklich bei dem Gedanken, + daß die Wege für meinen Geliebten jetzt wieder geöffnet seien. Denn + so wenig ahnen ja die Sterblichen den Gang des Schick-sals, daß sie manchmal, + wie ich es damals tat, als einen Glückstag den Tag begrüßen, an + welchem gerade ihr Leben eine Wendung zum Düsteren nimmt.</p> + <p>Am folgenden Morgen trat mein Vater in mein Zimmer. Er überreichte mir eine + kristallene Kette mit einem Tigeraugen-Amulett und fragte mich, ob ich sie wohl + erkenne.</p> + <p>Mir war, als ob ich umsinken müßte, aber ich nahm alle meine + Kräfte zusammen und antwortete, die Kette ähnele einer, die du immer um den + Hals getragen hättest.</p> + <p>"Sie ähnelt ihr nicht," sagte mein Vater mit grausamer Ruhe--"sie <i>ist</i> + es. Als Angulimala gefangen genommen wurde, trug er sie, und Satagira erkannte sie + sofort wieder. Denn, wie er mir erzählte, hat er einmal mit Kamanita im Parke um + deinen Ball gerungen. Dabei zerriß Kamanitas Kette, die er ergriffen hatte, um + seinen Widersacher daran zurückzuhalten, und blieb in seinen Händen, so + daß er sie genau betrachten konnte. Er war überzeugt, sich nicht zu + täuschen. Auch hat dann Angulimala, peinlich befragt, eingestanden, daß er + vor etwa zwei Jahren die Karawane Kamanitas auf ihrem Rückwege nach Ujjeni in + der Gegend von Vedisa angegriffen, die Leute niedergemetzelt und Kamanita mit einem + Diener gefangen genommen habe. Den Diener schickte er nach Ujjeni um Lösegeld. + Da dies aber aus irgend einem Grunde ausblieb, hat er nach dem Brauch der Räuber + Kamanita getötet."</p> + <p>Bei diesen schrecklichen Worten hätte mich wohl die Besinnung verlassen, wenn + sich nicht meinen verzweifelten Gedanken sofort eine Möglichkeit eröffnet + hätte, noch gegen die Hoffnung selbst zu hoffen:</p> + <p>"Satagira ist ein schlechter und verschlagener Mensch," antwortete ich mit + scheinbarer Ruhe, "der vor keinem Betrug zurückschreckt, und er hat sein Herz + oder vielmehr seinen Stolz darauf gesetzt, mich zur Frau zu gewinnen. Wenn er damals + die Kette so genau betrachtet hat, was sollte ihn dann hindern, eine ähnliche + anfertigen zu lassen? Ich glaube, als er von Angulimala hörte, ist er auf diesen + Gedanken verfallen. Hätte er auch nicht Angulimala selber gefangen, so + könnte er doch immer sagen, die Kette sei im Besitz der Räuber gefunden + worden und sie hätten eingestanden, Kamanita getötet zu haben."</p> + <p>"Das ist kaum möglich, meine Tochter," sagte mein Vater + kopfschüttelnd--"und zwar aus einem Grunde, den du freilich nicht sehen kannst, + den ich aber glücklicherweise als Goldschmied dir aufdecken kann. Wenn du die + kleinen Goldglieder betrachtest, die die Kristallstücke miteinander verbinden, + so wirst du bemerken, daß das Metall rötlicher ist als das der hiesigen + Schmucksachen, weil wir in unseren Legierungen mehr Silber als Kupfer verwenden. Auch + ist die Arbeit gerade von der etwas gröberen Art, wie man sie in den + Gebirgsländern ausführt."</p> + <p>Mir schwebte die Antwort auf der Zunge, er sei selber ein so geschickter + Goldschmied, daß sowohl die richtige Zusammensetzung als auch die + charakteristische Bearbeitung des Goldes ihm wohl gelingen dürfte; denn ich sah + Alles gegen unsere Liebe verschworen und traute selbst meinen Nächsten nicht. + Indessen begnügte ich mich damit, zu sagen, ich ließe mich keineswegs + durch diese Kette überzeugen, daß mein Kamanita nicht mehr am Leben + sei.</p> + <p>Mein Vater verließ mich nun in großem Zorn, und ich konnte mich in der + Einsamkeit ganz meiner Verzweiflung hingeben.</p> + <h2><a id="chap_xxvii" name="chap_xxvii">XXVII. DER WAHRHEITSAKT + (SACCAKIRIYA)</a></h2> + <p><img src="images/xxvii.png" width="93" height="93" align="left" alt="D" />ie + resten Stunden der Nacht verbrachte ich in dieser Zeit immer auf der Terrasse der + Sorgenlosen, entweder allein oder mit Medini zusammen. An diesem Abend war ich allein + da, was mir in meiner augenblicklichen Stimmung auch das liebste war. Der Vollmond + strahlte herab wie damals, und ich stand vor dem großen blütenreichen + Asoka, um mir von ihm, dem "Herzfrieden", eine tröstende Vorbedeutung für + mein friedloses Herz zu erbitten. Und ich sagte zu mir selber: "Wenn zwischen mir und + dem Stamm eine safrangelbe Blume niederfällt, bevor ich bis hundert gezählt + habe, dann ist mein geliebter Kamanita noch am Leben."</p> + <p>Als ich bis fünfzig gezählt hatte, fiel eine Blume nieder, aber eine + orangefarbige. Als ich die Zahl achtzig erreicht hatte, fing ich an, langsamer und + immer langsamer zu zählen. Da öffnete sich knarrend eine Tür in der + Ecke zwischen Terrasse und Hausmauer, wo eine Treppe in den Hof + hinunterführte--ein Zugang, der eigentlich nur für Arbeiter und + Gärtner bestimmt war.</p> + <p>Mein Vater trat hervor und hinter ihm Satagira. Ein paar bis an die Zähne + bewaffnete Reisige folgten, danach kam ein Mann, der die anderen um Haupteslänge + überragte, und zuletzt beschlossen noch andere Reisige diesen seltsamen, ja + unerklärlichen Aufzug. Zwei von den letzteren blieben als Wache an der Tür + zurück, alle übrigen kamen auf mich zu. Dabei fiel es mir auf, daß + der Riese in ihrer Mitte nur mit Mühe gehen konnte, und daß bei jedem + seiner Schritte ein unheimliches Klirren und Rasseln ertönte.</p> + <p>In diesem Augenblick schwebte eine safrangelbe Asokablume nieder und blieb gerade + vor meinen Füßen liegen. Aber ich hatte vor Verwunderung zu zählen + aufgehört und wußte daher nicht mehr festzustellen, ob sie vor oder nach + der Zahl Hundert gefallen war.</p> + <p>Als die Gruppe nun aus dem Mauerschatten in das volle Mondlicht heraustrat, sah + ich mit Entsetzen, daß jene Riesengestalt mit Eisenketten beladen war. Die + Hände waren ihm auf dem Rücken gefesselt; um die Fußknöchel + klirrten schwere, durch Kugelstangen verbundene eiserne Ringe, von denen doppelte + Eisenketten zum Halsringe hinaufführten, an welchen wiederum zwei andere Ketten + befestigt waren, die von zwei Reisigen gehalten wurden. Wie bei Einem, der zum + Richtplatz geführt wird, hing ihm ein Gewinde von roten Kanaverablüten um + den Nacken und die haarige Brust, und das rotgelbe Backsteinpulver, mit dem sein + Haupt bestreut war, ließ das wirr über die Stirn herabhängende Haar + und den fast bis an die Augen reichenden Bart noch wilder erscheinen. Aus dieser + Maske hervor blitzten die Augen mir entgegen--jedoch nur eben blitzartig schnell; + dann senkte sich der Blick und irrte scheu wie der eines bösen Tieres am Boden + umher.</p> + <p>Wen ich vor mir hatte, danach hätte ich auch <i>dann</i> nicht zu fragen + gebraucht, wenn die Kanaverablüten jenes Wahrzeichen seines furchtbaren Namens + verdeckt hätten: das Halsband von Menschendaumen.<a href="#fu9">[1]</a></p> + <p><a id="fu9" name="fu9"></a></p> + <blockquote> + [1] Angulimala = Fingerkranz. + </blockquote> + <br /> + <br /> + <p>"Nun, Angulimala," brach Satagira das Schweigen, "wiederhole vor dieser edlen + Jungfrau, was du auf der Folter von der Ermordung des jungen Kaufmanns Kamanita aus + Ujjeni gestanden hast."</p> + <p>"Kamanita wurde nicht ermordet," antwortete der Räuber mürrisch, + "sondern gefangen genommen und unseren Gebräuchen gemäß + umgebracht."</p> + <p>Und er erzählte mir nun in wenigen Worten, was mein Vater mir schon + darüber gesagt hatte.</p> + <p>Ich stand unterdessen mit dem Rücken an den Asokabaum gelehnt und hielt mich + mit beiden Händen an den Stamm gestützt, die Fingernägel krampfhaft in + die Rinde grabend, um nicht umzusinken. Als Angulimala zu Ende gesprochen hatte, + schien sich Alles um mich im Kreise zu drehen. Noch gab ich es aber nicht auf.</p> + <p>"Du bist ein ehrloser Räuber und Mörder," sagte ich, "was kann mir dein + Wort gelten? Warum solltest du nicht aussagen, was der dir befiehlt, in dessen Gewalt + dich deine Missetaten gebracht haben?"</p> + <p>Und wie auf eine plötzliche Eingebung, die mich selber überraschte und + mir fast einen Hoffnungsschimmer aufleuchten ließ, fügte ich hinzu:</p> + <p>"Du darfst mir ja nicht einmal in die Augen sehen--du, der Schrecken aller + Menschen--mir, einem schwachen Mädchen! Du darfst es nicht--weil du auf + Anstiftung dieses Mannes eine feige Lüge sagst."</p> + <p>Angulimala blickte nicht auf, aber er lachte grimmig und antwortete mit einer + Stimme, die wie das Brummen eines gefesselten Raubtieres klang:</p> + <p>"Wozu sollte das wohl gut sein, dir in die Augen zu sehen? Das überlasse ich + den jungen Fanten. Dem Blicke eines ehrlosen Räubers würdest du ja doch + ebensowenig glauben wie seinen Worten. Und von seinem Eide würdest du wohl auch + nicht mehr halten."</p> + <p>Er trat einen Schritt näher.</p> + <p>"Wohlan, Mädchen! So sei nun Zeugin meines 'Wahrheitsaktes'."</p> + <p>Noch einmal traf mich der Blitz seines Blickes, als dieser sich aufwärts nach + dem Monde richtete, so daß mitten im Gewirr seines mißfarbigen Haares und + Bartes nur die weißen Augäpfel zu sehen waren. Seine Brust arbeitete, + daß die roten Blumen sich tanzend bewegten, und mit einer Stimme, wie wenn der + Donner zwischen den Wolken rollt, rief er:</p> + <p>"Die du den Tiger zäumest, schlangengekrönte, nächtige Göttin! + Die du im Mondschein auf Bergeszinnen tanzest, mit dem Schädelhalsband rasselnd, + zähnefletschend, die Blutschale schwingend, Kali, Herrin der Räuber, die du + mich durch tausend Gefahren geführt hast, höre mich! So wahr ich nie mit + dem Opfer kargte, so wahr ich deine Gesetze immer treulich gehalten habe, so wahr ich + auch mit diesem Kamanita getreu verfuhr nach deiner Satzung, die uns 'Absendern' + gebietet, wenn das Lösegeld nicht zur festgesetzten Stunde eintrifft, den + Gefangenen mitten durchzusägen und die Körperteile auf die Landstraße + zu werfen:--so wahr wirst du mir jetzt in meiner höchsten Not beistehen, meine + Ketten zerreißen und mich aus den Händen meiner Feinde befreien!"</p> + <p>Indem er das sagte, machte er eine gewaltsame Bewegung--die Ketten klirrten--Anne + und Beine waren frei--die beiden Reisigen, die ihn hielten, lagen am Boden, einen + dritten schlug er mit dem Kettenstück, das an seinem Handgelenke hing, nieder, + und bevor jemand von uns recht begriff, was eigentlich geschehen war, hatte + Angulimala sich über die Brustwehr geschwungen. Mit einem wilden Schrei + stürmte Satagira ihm nach.--Das war das Letzte, was ich sah und hörte.</p> + <p>Nachher erfuhr ich, daß Angulimala gestürzt sei, sich einen Fuß + gebrochen habe und von der Wache festgenommen worden sei; später sei er dann im + Gefängnis auf der Folter gestorben, und sein Kopf über dem nördlichen + Stadttor aufgesteckt worden, woselbst Medini und Somadatta ihn gesehen haben.</p> + <p>Durch den Wahrheitsakt Angulimalas war der letzte Zweifel und die letzte Hoffnung + von mir gewichen. Denn ich wußte wohl, daß selbst jene teuflische + Göttin kein Wunder zu seiner Rettung hätte wirken können, wenn er + nicht die Macht der Wahrheit auf seiner Seite gehabt hätte.</p> + <p>Was nun aus mir wurde, darum kümmerte ich mich wenig, denn auf dieser Erde + war ja doch Alles für mich verloren. Nur im Paradiese des Westens konnten wir + uns wiedersehen: du warst vorausgegangen, und ich würde, so hoffte ich, bald + folgen. Dort blühte das Glück, alles andere war gleichgültig.</p> + <p>Da nun Satagira sein Werben fortsetzte und meine Mutter mir immer wieder jammernd + und weinend Vorstellungen machte, sie würde gebrochenen Herzens sterben, wenn + sie durch mich die Schmach erlitte, daß ich unverheiratet im Elternhause sitzen + bliebe--hätte sie dann doch ebensogut das häßlichste Mädchen von + Kosambi zur Welt bringen können!--da erlahmte endlich nach und nach mein + Widerstand.</p> + <p>Übrigens hatte ich auch jetzt nicht mehr so viel gegen Satagira einzuwenden + wie früher. Ich konnte nicht umhin, die Standhaftigkeit und Treue seiner Neigung + anzuerkennen, und ich fühlte auch, daß ich ihm Dankbarkeit schuldig war, + weil er den Tod meines Geliebten gerächt hatte.</p> + <p>So wurde ich denn--als wiederum fast ein Jahr verstrichen war--die Braut + Satagiras.</p> + <h2><a id="chap_xxviii" name="chap_xxviii">XXVIII. AM GESTADE DER HIMMLISCHEN + GANGA</a></h2> + <p><img src="images/xxviii.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />ls + Kamanita merkte, daß selbst hier, am Orte der Seligkeit, diese Erinnerungen die + noch zarte, neuerwachte Seele der Geliebten wie mit dunklen Fittichen + überschatteten, faßte er sie bei der Hand und führte sie weiter, + indem er ihren gemeinsamen Flug nach jenem lieblichen Hügel richtete, auf dessen + Abhang er kürzlich gelegen und dem Spiele der Schwebenden zugeschaut hatte.</p> + <p>Hier lagerten sie sich. Schon waren Haine und Gebüsche, Wiesen und + Hügelabhänge voll unzähliger schwebender Gestalten, roter, blauer und + weißer. Immer neue Gruppen umringten sie, um die Neuerwachte zu + begrüßen. Und die beiden mischten sich in die Reihen der Spielenden.</p> + <p>Schon lange waren sie hin und her durch die Haine, um die Felsen, über Wiesen + und Lotusteiche geschwebt, wohin der Reigen sie führte, als ihnen jene + Weiße begegnete, die damals Kamanita aufgefordert hatte, mit ihr die Fahrt nach + der Ganga zu wagen. Als sie sich im Tanze die Hände reichten, fragte sie mit + einem lieblichen Lächeln:</p> + <p>"Bist du nun auch am Gestade der Ganga gewesen? Jetzt hast du ja eine + Begleiterin."</p> + <p>"Noch nicht," antwortete Kamanita.</p> + <p>"Was ist das?" fragte Vasitthi.</p> + <p>Und Kamanita erzählte es ihr.</p> + <p>"Da wollen wir hin," sagte Vasitthi. "O, wie oft habe ich unten im trüben + Erdental hinaufgeblickt zu dem fernen Abglanz ihres Himmelstromes, und an die seligen + Gefilde gedacht, die von ihr umschlungen und bewässert werden, und gefragt, ob + wir wohl einst an diesem Ort der Wonne vereinigt sein würden. Unwiderstehlich + zieht es mich jetzt dahin, mit dir zusammen an ihrem Gestade zu weilen."</p> + <p>Sie lösten sich aus der Kette des Reigens und lenkten ihren Flug in einer + Richtung, die sie von ihrem eigenen Teiche weit wegführte. Nach einiger Zeit + sahen sie keine Weiher mehr, deren Lotusrosen selige Gestalten trugen, immer mehr + nahm die Blütenpracht ab, immer seltener begegneten sie schwebenden Gestalten; + Herden von Antilopen belebten die Ebene, auf den Seen segelten Schwäne, eine + Schleppe von blanken Wellen über das dunkle Wasser nach sich ziehend. Die + Hügel, die anfangs immer schroffer und felsiger geworden waren, verschwanden + gänzlich.</p> + <p>Sie schwebten über eine flache, wüstenartige Ebene, die mit Tigergras + und Dornengebüsch bestanden war. Vor ihnen spannte sich der unabsehbare Bogen + eines Palmenwaldes.</p> + <p>Sie erreichten den Wald. Immer tiefer umgab sie der Schatten. Die narbigen + Schäfte leuchteten wie Bronze. Hoch oben rauschten die Wipfel mit ehernem + Klange.</p> + <p>Vor ihnen fingen glitzernde Punkte und Streifen zu tanzen an. Und plötzlich + strömte ihnen ein solcher Lichtglanz entgegen, daß sie die Hände vor + die Augen halten mußten. Es war, als ob im Walde eine ungeheure Kolonnade von + blanken Silbersäulen stände, die das Licht der aufgehenden Sonne + zurückwarf.</p> + <p>Als sie sich getrauten, die Hände wieder von den Augen zu nehmen, schwebten + sie gerade zwischen den letzten Palmen des Waldes hinaus.</p> + <p>Vor ihnen lag die himmlische Ganga, bis zum Horizonte ihre silbrige Fläche + breitend, während zu ihren Füßen flache Wellenzungen, wie + flüssiges Sternenlicht, flammenartig den perlgrauen Sand des flachen Ufers + beleckten.</p> + <p>Wenn sonst der Himmel nach unten zu allmählich heller wird, so war es hier + umgekehrt: das Ultramarinblau ging in Indigo über, das schließlich mit + einem fast gänzlich schwarzen Rand sich auf die silberweiße Kimmung + stützte.</p> + <p>Vom Dufte der Paradiesblüten war nichts mehr zu spüren. Wie aber im + Malachittale um den Korallenbaum jener erinnerungsschwangere Duft aller Düfte + gesammelt stand, so wehte hier den Weltenstrom entlang ein kühler und herber + Hauch, dem das Fehlen aller Düfte, das vollkommen Reine als einziger Duft + eignete. Und Vasitthi schien ihn begierig wie einen erfrischenden Trank + einzuschlürfen, während er Kamanita den Atem raubte.</p> + <p>Auch von jener lieblichen Musik der Genien vernahm man hier nicht den leisesten + Ton. Aber aus dem Strome schienen mächtige, donnerartig dröhnende + Klänge emporzusteigen.</p> + <p>"Horch!"--flüsterte Vasitthi und erhob ihre Hand.</p> + <p>"Sonderbar!"--sagte Kamanita. "Einst war ich in eine Hütte eingekehrt, die an + dem Ausgange einer Bergschlucht lag und an der ein kleiner, lieblicher Bach + vorüberfloß, in dessen klarem Wasser ich nach meiner Wanderung meine + Füße wusch. Während der Nacht ging ein mächtiger Regen nieder, + und als ich in der Hütte wach lag, hörte ich, wie der Bach, der abends nur + leise gerauscht hatte, immer ungestümer brauste und tobte. Zugleich aber vernahm + ich einen polternden, donnernden Schall, den ich mir durchaus nicht zu erklären + wußte. Am nächsten Morgen sah ich nun, daß aus dem klaren Bach ein + reißender Gebirgsstrom mit grauen, schäumenden Fluten geworden war, in + welchem große Steine rollend und springend dahinstürzten. Und diese waren + es, die dies Getöse verursacht hatten. Wie mag es wohl kommen, daß nun + hier, beim Anhören jener Klänge, diese Erinnerung aus meiner Pilgerschaft + in mir emporsteigt?"</p> + <p>"Es kommt daher," antwortete Vasitthi, "weil in jenem Gebirgsbache Steine, in dem + Strome der himmlischen Ganga aber Welten gerollt und mitgetrieben werden, und die + sind es, von denen jene donnerartig dröhnenden Klänge herrühren."</p> + <p>"Welten!"--rief Kamanita entsetzt.</p> + <p>Vasitthi lächelte und schwebte dabei weiter; aber erschrocken hielt Kamanita + sie an ihrem Gewände zurück.</p> + <p>"Hüte dich, Vasitthi! Wer weiß, welche Mächte, welche furchtbaren + Kräfte draußen über diesem Weltenstrome schweben, Mächte, in + deren Gewalt du geraten könntest, wenn du dieses Ufer verließest. Ich + zittere schon bei dem Gedanken, dich plötzlich fortgerissen zu sehen."</p> + <p>"Dürftest du mir dann nicht folgen?"</p> + <p>"Gewiß würde ich dir folgen. Wer weiß aber, ob ich dich erreichen + könnte, ob man uns nicht voneinander reißen würde? Und wenn wir auch + zusammen blieben, welcher Jammer wäre es doch, in das Unbegrenzte getragen zu + werden, weit weg von diesem trauten Orte der Seligkeit."</p> + <p>"In das Unbegrenzte!" wiederholte Vasitthi sinnend, und ihr Blick schweifte + über die Fläche der himmlischen Ganga hinaus bis dorthin, wo die silberne + Flut den schwarzen Himmelsrand erreichte, und schien noch immer weiterdringen zu + wollen;--"und kann denn ewige Seligkeit bestehen, wo Begrenzung ist?" sprach sie + gleichsam in Gedanken verloren.</p> + <p>"Vasitthi!" rief Kamanita, ernstlich erschreckend--"ich wollte, ich hätte + dich nie hierher geführt! Komm, Geliebte, komm!"</p> + <p>Und noch ängstlicher als vom Korallenbaume zog er sie von dannen.</p> + <p>Nicht unwillig folgte sie ihm, wobei sie jedoch zwischen den äußersten + Palmen das Haupt wandte und einen letzten Blick auf den himmlischen Strom + warf....</p> + <center> + * *<br /> + * + </center> + <p>Und wiederum thronten sie auf ihren Lotussitzen im kristallklaren Teiche, wiederum + schwebten sie zwischen juwelenblühenden Bäumen und mischten sich unter die + Reihen der Seligen und genossen die himmlischen Wonnen, glücklich in ihrer + ungetrübten Liebe.</p> + <p>Aber als sie im Reigen einmal der Weißen begegneten, sagte diese:</p> + <p>"So seid ihr also wirklich am Gestade der Ganga gewesen?"</p> + <p>"Wie kannst du es wissen, daß wir dort gewesen sind?"</p> + <p>"Ich sehe es; denn Alle, die da waren, tragen gleichsam einen Schatten über + den Brauen. Deshalb will ich auch nicht dahin. Und ihr werdet auch nicht zum zweiten + Male hingehen, niemand tut das"</p> + <h2><a id="chap_xxix" name="chap_xxix">XXIX. IM DUFTE DER + KORALLENBLÜTEN</a></h2> + <p><img src="images/xxix.png" width="93" height="93" align="left" alt="S" />ie + besuchten in der Tat nicht wieder jenes ungastliche Gestade der himmlischen Ganga. + Oft aber lenkten sie ihren Flug nach dem Tale der Malachitfelsen. Unter der + mächtigen Krone des Korallenbaumes gelagert, atmeten sie jenen Duft aller + Düfte, der den karmesinroten Blüten entströmte, und in der Tiefe ihrer + Erinnerung öffnete sich dann die Aussicht auf ihre früheren Leben.</p> + <p>Bald in Palästen, bald in Hütten sahen sie sich nun wieder, aber ob in + Seide und Musselin gehüllt oder in die groben Erzeugnisse des Dorfwebstuhles + gekleidet: immer war die gegenseitige Liebe da. Bald wurde sie durch das Glück + der Vereinigung gekrönt, bald war die Trennung durch Lebensgeschicke oder durch + den Tod ihr jammervolles Los: aber glücklich oder unglücklich, die Liebe + blieb dieselbe.</p> + <p>Und sie sahen sich in anderen Zeiten, da die Menschen gewaltiger waren als jetzt, + in jenen ewig unvergessenen Heroentagen, als er sich aus ihren Armen riß und + seinen Kampfilfen bestieg, um nach der Ilfenstadt zu ziehen und seinen Freunden, den + Pandaverprinzen, im Kampfe gegen die Kuruinge beizustehen; wo er dann an der Seite + Arjunas und Krishnas kämpfend, am zehnten Tage der Riesenschlacht auf der Ebene + Kurukschetra seine Heldenseele aushauchte. Sie aber, als sie die Nachricht von seinem + Tode empfing, bestieg vor dem Palaste, von allen ihren Frauen gefolgt, den + Scheiterhaufen, den sie mit eigener Hand anzündete.</p> + <center> + * *<br /> + * + </center> + <p>Und wieder sahen sie sich in fremden Gegenden und in anderer Natur. Es war nicht + länger das Tal der Ganga und der Jamuna mit seinen prächtigen, + palastreichen Städten, wo waffenstrahlende Krieger, stolze Brahmanen, reiche + Bürger und fleißige Çudras die Straßen belebten; mit seinen + Reisfeldern und vielstämmigen Feigenbaumriesen, seinen Palmenhainen und seinen + Dschungeln, seinen Elefanten und Tigern und den weithinleuchtenden Schneezinnen des + Himavat. Dieser Schauplatz, der mit seiner mannigfachen tropischen Pracht so oft ihr + gemeinsames Leben umschlossen hatte, als ob es keine andere Welt gäbe, + verschwand nun gänzlich, um einem öderen und herberen Lande Platz zu + machen.</p> + <p>Hier brennt freilich die Sommersonne so heiß wie an der Ganga, trocknet die + Wasseradern aus und versengt das Gras. Aber im Winter beraubt der Frost die + Wälder ihres Laubes, und Reif bedeckt die Felder. Keine Städte erheben ihre + Türme, aber weitgedehnte Dörfer mit großen Hürden liegen mitten + in ihren weidereichen Triften, und die schützende Anhöhe daneben ist durch + Wälle und rohe Mauern in eine kleine Feste verwandelt. Ein kriegerisches + Hirtenvolk ist hier seßhaft. Die Wälder sind voll von Wölfen, und + meilenweit hört der zitternde Wanderer das Gebrüll des Löwen, "des + furchtbaren, schweifenden, in Bergen hausenden Wildes"--wie <i>er</i> ihn nennt; denn + er ist ein Sänger.</p> + <p>Nach langer Wanderung nähert er sich einem Dorfe, als unbekannter, aber + willkommener Gast; denn das ist er überall. Über seiner Schulter hängt + seine einzige sichtbare Habe, eine kleine Laute; aber im Kopfe trägt er das + ganze kostbare Erbe seiner Väter: alte, geheime Hymnen an Agni und Indra, an + Varuna und Mitra, ja sogar an unbekannte Götter; Kriegs- und Trinklieder + für die Männer; Liebeslieder für die Mädchen; segnende + Zaubersprüche für die Milchspendenden. Und er hat Kraft und Kenntnisse, um + diesen Vorrat aus eigenen Mitteln zu vermehren. Wo wäre wohl ein solcher Gast + nicht willkommen?</p> + <p>Es ist um die Zeit, da die Rinder nach Hause getrieben werden. An der Spitze einer + Herde schreitet mit der höchsten Anmut in allen Bewegungen des jugendlichen + Körpers ein hochgewachsenes Mädchen; ihr zur Seite geht ihre Lieblingskuh, + deren Glocke die anderen folgen, und leckt ab und zu ihre Hand. Er bietet ihr guten + Abend; sie erwidert freundlich den Gruß. Lächelnd sehen sie sich an--und + es ist derselbe Blick, der im Lustparke von Kosambi zwischen der Ballspielerin auf + der Bühne und dem fremden Zuschauer hin und her flog.</p> + <center> + * *<br /> + * + </center> + <p>Aber auch das Land der fünf Ströme, nachdem es sie mehrmals beherbergt + hat, verschwindet, wie zuvor das Gangatal--andere Gegenden tun sich auf, andere + Menschen und Sitten umgeben sie--Alles rauher, wilder und ärmlicher.</p> + <p>Die Steppe, über welche der Zug sich hinzieht--Reiter, Wagen und + Fußgänger in endloser Reihe--ist weiß von Schnee. Die Luft ist voll + von den wirbelnden Flocken. Schwarze Berge schauen schattenartig herein. Aus dem + Zeltdache eines schweren Ochsenwagens beugt sich ein Mädchen so lebhaft hervor, + daß der Schafpelz zur Seite gleitet, und die goldene Haarfülle ihr + über Wangen, Hals und Brust niederwallt. Angst leuchtet aus ihren Augen, als sie + hinausspäht, wohin alle Blicke sich wenden, alle Finger hinzeigen:--wie eine + dunkle, vom Winde aufgewirbelte Wolke braust eine Reiterhorde heran. Aber + vertrauensvoll lächelt sie, als ihr Blick dem des Jünglings begegnet, der + neben dem Wagen auf einem schwarzen Stiere reitet;--und es ist wieder derselbe Blick, + wenn auch aus blauen Augen. Dieser Blick entflammt das Herz des blonden + Jünglings, der seine Streitaxt schwingt und laut rufend mit den anderen Kriegern + dem Feind entgegenstürmt--entflammt es und wärmt es noch, als es vom kalten + Eisen eines Skythenpfeiles durchbohrt wird.</p> + <center> + * *<br /> + * + </center> + <p>Aber noch größere Veränderungen erlebten sie; noch weitere + Wanderungen unternahmen sie, vom Dufte des Korallenbaumes geleitet.</p> + <p>Sie fanden sich selbst als Hirsch und Hinde im ungeheuren Walde. Wortlos war jetzt + ihre Liebe, aber nicht blicklos. Und wiederum war es derselbe Blick:--tief im + innersten Dunkel ihrer großen, ahnungsvollen Augen leuchtete noch, wenn auch + wie durch trübe Nebelbläue hindurch, derselbe Funken, der so strahlend von + Menschenauge zu Menschenauge den Weg gefunden hatte.</p> + <p>Sie ästen zusammen, nebeneinander wateten sie im klaren, kühlen + Waldbach, Körper an Körper ruhten sie im hohen, weichen Grase. Gemeinsam + waren ihre Freuden, gemeinsam zitterten sie vor Angst, wenn plötzlich ein Ast + lebendig wurde und der Rachen des Pythons sich aufsperrte; oder wenn in der Stille + der Nacht eine fast unhörbare, schleichende Bewegung von ihren regen Ohren + aufgefangen wurde, während ihre geblähten Nüstern den scharfen Geruch + eines Raubtieres witterten, und sie dann in mächtigen Sätzen davonflohen, + gerade als es im Gebüsche knisterte und knackte und das Zorngebrüll des zu + kurz gekommenen Tigers durch den jetzt ringsum lebendig werdenden Wald rollte.</p> + <p>Viele Jahre schon hatten sie so gemeinsam alle Wonnen und Schrecken des Waldes + durchgekostet, als sie eines Tages an einem schattigen Orte die jungen saftigen + Schößlinge benagten. Da geschah es, daß die Hinde sich in die + Wildschlinge eines Jägers verstrickte. Vergebens arbeitete das Männchen mit + Zacken und Klauen, um die Bande, welche die Freundin fesselten, zu zersprengen, und + ließ nicht davon ab, bis der Jäger sich nahte. Dann stellte er sich diesem + mit gefälltem Geweih entgegen und bald machte der Jagdspieß beider Leben + ein Ende.</p> + <center> + * *<br /> + * + </center> + <p>Und als ein paar Goldadler horsteten sie hoch im wilden Felsengebirge, schwebten + über die bläulichen Abgründe des Himavat und umkreisten seine + schneeigen Zinnen.--</p> + <p>Als zwei Delphine aber befuhren sie die grenzenlose Salzflut des Ozeans.--</p> + <p>Ja, einmal erwuchsen sie als zwei Palmen auf einer Insel mitten im Weltmeere, + schlangen im kühlen Strandsande ihre Wurzeln ineinander und ließen + gemeinsam ihre Wipfel im Seewinde rauschen.</p> + <center> + * *<br /> + * + </center> + <p>Und wie ein Fürstenpaar sich zur Kurzweil und Belehrung vom Hoferzähler + mancherlei vortragen läßt--bald den Lebenslauf eines Königs, bald + eine einfache Dorfgeschichte, bald ein Heldenepos, bald eine Sage aus uralten Tagen, + bald irgend eine Tierfabel oder ein Märchen, und dabei weiß: wie oft es + uns auch gelüstet, zu lauschen, so ist doch nicht zu befürchten, daß + diesem trefflichen Erzähler jemals der Stoff ausgeht, da der Hort seiner + Sagenkenntnisse und die Fülle seines Erfindungsvermögens + unerschöpflich sind--ebenso wußten diese beiden:--wie oft und wie lange + wir auch hier weilen, und wäre es auch eine ganze Ewigkeit hindurch, so ist doch + keine Gefahr da, daß dieser Duft keine Erinnerungen mehr wecken könnte; + denn je weiter wir in die Zeit hinabsteigen, um so weiter schiebt sich die Vorzeit + zurück.</p> + <p>Und sie wunderten sich sehr.</p> + <p>"Wir sind so alt wie die Welt," sagte Vasitthi.</p> + <h2><a id="chap_xxx" name="chap_xxx">XXX. "ALLES ENTSTANDENE--"</a></h2> + <p><img src="images/xxx.png" width="93" height="93" align="left" alt="G" />ewiss sind + wir so alt wie die Welt," sagte Kamanita. "Aber bisher sind wir immer ruhelos + gewandert, und immer wieder hat uns der Tod in ein neues Leben gestürzt. Jetzt + aber haben wir endlich eine Stätte erreicht, wo es kein Vergehen mehr gibt, + sondern nur ewige Wonne unser Los ist."</p> + <p>Als er so sprach, kehrten sie gerade vom Korallenbaume zu ihrem Teiche + zurück. Er wollte sich soeben auf seine Lotusrose niedersenken, als er zu + bemerken glaubte, daß ihre rote Farbe an Frische und Glanz etwas + eingebüßt habe. Ja, als er nun über ihr in der Luft schwebend stehen + blieb und aufmerksam auf sie hinunterblickte, sah er mit Schrecken, daß die + Kronenblätter am Rande bräunlich und gleichsam verbrannt waren, und + daß ihre Spitzen sich erschlaffend krümmten.</p> + <p>Nicht anders sah Vasitthis weißer Lotus aus, über dem auch sie stehen + geblieben war, offenbar durch dieselbe Wahrnehmung gefesselt.</p> + <p>Er richtete seinen Blick nach seinem blauen Nachbar. <i>Sein</i> Lotus zeigte die + gleiche Wandlung und es fiel Kamanita auf, daß sein Gesicht nicht so freudig + strahlte wie damals, als er ihn zuerst begrüßt hatte; die Züge waren + nicht so belebt wie früher, seine Haltung war nicht so frei, ja in seinem Blick + las er dieselbe Befremdung, die ihn und Vasitthi ergriffen hatte.</p> + <p>Und so war es in der Tat überall, wo er hinsah. Mit Blumen und Gestalten war + eine Veränderung vor sich gegangen.</p> + <p>Wieder senkte er prüfend den Blick zu seinem eigenen Lotus nieder. Ein + Kronenblatt schien lebendig zu werden--langsam neigte es sich vornüber und fiel + losgelöst auf die Wasserfläche.</p> + <p>Gleichzeitig aber hatte sich von jeder Lotusblume ein Kronenblatt + abgelöst--die Wasserfläche glitzerte zitternd und schaukelte leise die + bunten Blätternachen. Durch die Haine am Ufer ging ein Frösteln, und ein + juwelenfunkelnder Blütenregen fiel zur Erde. Ein Seufzer entrang sich jeder + Brust, und eine leise, doch schneidende Disharmonie durchdrang die Musik der + himmlischen Genien.</p> + <p>"Vasitthi, Geliebte!" rief Kamanita, bestürzt ihre Hand ergreifend--"siehst + du? Hörst du?--Was ist denn dies? Was kann das bedeuten?"</p> + <p>Aber Vasitthi sah ihn ruhig lächelnd an:</p> + <p>"Daran hat er gedacht, als er sagte:</p> + <p>'Alles Entstandene auflösend weht dahin der Verwesung Hauch,<br /> + Wie ein irdischer Prachtgarten welken Paradiesblumen auch.'"</p> + <p>"Wer hat denn diesen schrecklichen, diesen hoffnungsvernichtenden Ausspruch + getan?"</p> + <p>"Wer denn sonst als er, der Erhabene, der Wandels-und Wissensbewährte, der + aus Mitleid mit den Menschen die Lehre darlegt, Allen zur Aufklärung, dem + Einzelnen zum Trost; der die Welt mit ihren edlen und unedlen Wesen, ihren Scharen + von Göttern, Menschen und Dämonen offenbart und erklärt, der + Wegweiser, der den Weg aus dieser Wandelwelt zeigt: der Erhabene, der Vollendete, der + Buddha."</p> + <p>"Der Buddha hätte das gesagt? O nein, Vasitthi, das glaub' ich nicht. + Vielfach werden ja die Worte solch großer Lehrer mißverstanden und + unrichtig wiedergegeben, wie ich selber am besten weiß. Denn einst, zu + Rajagaha, habe ich in der Vorhalle eines Hafners mit einem törichten Asketen + zusammen übernachtet, der mir durchaus die Lehre des Buddha darlegen wollte. Was + er vorbrachte, war aber trauriges Zeug, eine grüblerische, vernagelte Lehre, + wiewohl ich schon spüren konnte, daß echte Aussprüche des Erhabenen + ihr zugrunde lagen--jedoch verballhornt und von diesem Querkopfe umgedeutet. + Gewiß hat man auch dir dies Wort falsch berichtet."</p> + <p>"Nicht doch, mein Freund! Denn aus dem Munde des Erhabenen selber habe ich es + ja."</p> + <p>"Wie, Geliebte? So hast du denn selbst den Vollendeten von Angesicht zu Angesicht + gesehen?"</p> + <p>"Gewiß habe ich das. Zu seinen Füßen bin ich ja gesessen."</p> + <p>"Glücklich preise ich dich, Vassitthi! Glücklich--das sehe ich ja--bist + du jetzt in der Erinnerung. Ach, auch ich würde ja glücklich und + zuversichtlich sein wie du, wenn nicht im letzten Augenblick mein böses + Geschick--die eben reif gewordene Frucht von schlechten Taten der Vergangenheit--mich + des Glücks beraubt hätte, den erhabenen Buddha zu sehen. Denn ein + gewaltsamer Tod raffte mich dahin, als ich auf dem Wege zu ihm war, in demselben + Orte, in dem er weilte, eben gerade in Rajagaha, an dem Morgen nach meinem + Gespräch mit jenem törichten Asketen. Nur etwa noch eine Viertelstunde + entfernt von dem Mangohaine, in dem der Erhabene sich aufhielt, ereilte mich mein + Schicksal. Aber nun ist mir <i>dies</i> zum Tröste gegeben, daß meine + Vasitthi das erreichte, was mir versagt blieb. O, erzähle mir Alles davon, wie + du zu ihm, dem Erhabenen, kamst. Denn gewiß wird mich das aufrichten und + stärken, und jenes Wort, das mir so schrecklich, so hoffnungsvernichtend + erschien, wird mir dann verständlich werden und seinen Stachel verlieren, ja + vielleicht sogar irgend einen geheimen Trostgrund enthalten."</p> + <p>"Gern, mein Freund," antwortete Vasitthi.</p> + <p>Sie ließen sich auf ihre Lotusrosen nieder, und Vasitthi setzte den Bericht + ihrer Erlebnisse fort.</p> + <h2><a id="chap_xxxi" name="chap_xxxi">XXXI. DIE ERSCHEINUNG AUF DER + TERRASSE</a></h2> + <p><img src="images/xxxi.png" width="93" height="93" align="left" alt="A" />ls + Satagira sein Ziel, mich als Frau zu besitzen, erreicht hatte, erkaltete seine Liebe + schnell, um so mehr, als sie ja von meiner Seite keine Erwiderung fand. Ich hatte + versprochen, ihm eine treue Gattin zu sein, und er wußte wohl, daß ich + mein Versprechen halten würde. Mehr stand aber auch nicht in meiner Macht, + selbst wenn ich es gewollt hätte.</p> + <p>Da ich ihm nur eine Tochter gebar, die schon im zweiten Jahre starb, wunderte sich + niemand--und ich wahrlich am wenigsten--darüber, daß er sich eine zweite + Frau nahm. Diese gebar ihm den erwünschten Sohn. Dadurch bekam sie die erste + Stellung im Hause; auch verstand sie, seine Liebe, auf die ich so willig verzichtet + hatte, auf geschickte Weise zu fesseln. Außerdem nahmen die Geschäfte + meinen Gemahl immer mehr in Anspruch, denn er war nach dem Tode seines Vaters mit + dessen Stellung betraut worden.</p> + <p>So gingen mehrere Jahre ruhig dahin, und ich vereinsamte mehr und mehr, was mir + denn auch ganz recht war. Ich gab mich meiner Trauer hin, verkehrte mit meinen + Erinnerungen und lebte in der Hoffnung auf ein Wiedersehen hier oben, eine Hoffnung, + die mich ja auch nicht getäuscht hat.</p> + <p>Der Palast Satagiras lag an derselben Schlucht, aus der du so oft nach der + "Terrasse der Sorgenlosen" hinaufgestiegen bist, aber an einer viel steileren Stelle, + und hatte eine ganz ähnliche Terrasse wie mein Vaterhaus. Hier pflegte ich alle + schönen Abende zuzubringen, ja in der heißen Zeit blieb ich dort oft die + ganze Nacht, auf einem Ruhebett schlafend. Denn die Felswand der Schlucht, die noch + dazu von hohem Mauerwerk gekrönt wurde, war so steil und glatt, daß + gewiß kein Mensch an ihr hinaufklettern konnte.</p> + <p>Einmal in einer herrlichen, milden Mondnacht lag ich nun dort auf meinem Lager, + ohne zu schlafen. Ich dachte an dich, und zwar an jenen ersten Abend unseres + Zusammenseins; der Augenblick, wo ich mit Medini auf der marmornen Bank der Terrasse + saß und eure Ankunft erwartete, stand mir so lebhaft vor der Seele, und ich + dachte daran, wie sich dann plötzlich, noch bevor wir es hofften, deine Gestalt + über den Mauerrand erhob--denn du warst ja in deinem ungestümen Eifer + Somadatta zuvorgekommen.</p> + <p>In diese süßen Träume verloren, hatte ich unwillkürlich + meinen Blick auf der Brustwehr ruhen lassen, als plötzlich eine Gestalt sich + über dieselbe erhob.</p> + <p>Ich war so überzeugt, daß nie und nimmer ein Mensch diese Stelle + erklimmen könne, daß ich gar nicht daran zweifelte, dein Geist, von meiner + Sehnsucht heraufbeschworen, käme, um mich zu trösten und um mir Kunde zu + bringen von dem seligen Orte, wo du mich erwartetest.</p> + <p>Deshalb erschrak ich denn auch gar nicht, sondern stand auf und breitete die Arme + gegen den Kommenden aus.</p> + <p>Wie nun aber dieser auf der Terrasse stand und sich mit raschen Schritten + näherte, sah ich, daß seine Gestalt viel größer als die deine, + ja sogar riesenhaft war, und ich merkte, daß ich den Geist Angulimalas vor mir + hatte. Nun erschrak ich so heftig, daß ich mich am Kopfende der Ruhebank + festhalten mußte, um nicht umzusinken.</p> + <p>"Wen hast du erwartet?" fragte der Furchtbare, an mich herantretend.</p> + <p>"Einen Geist, aber nicht den deinen," antwortete ich.</p> + <p>"Kamanitas Geist?"</p> + <p>Ich nickte.</p> + <p>"Als du jene Bewegung des Bewillkommnens machtest," fuhr er fort,--"fürchtete + ich, daß du einen Liebhaber hättest, der dich des Nachts hier besuchte. + Denn in dem Falle würdest du mir nicht helfen. Und ich habe deine Hilfe so + nötig, wie du jetzt die meinige."</p> + <p>Bei diesen sonderbaren Worten wagte ich aufzublicken, und nun schien es mir, + daß ich keinen Geist, sondern ein Wesen aus Fleisch und Blut vor mir habe. Aber + der Mond stand hinter ihm, und geblendet von seinen Strahlen und vom Schrecken + verwirrt, konnte ich nur die mächtigen Umrisse einer Gestalt sehen, die wohl + auch einem Dämon angehören konnten.</p> + <p>"Ich bin nicht der Geist Angulimalas," sagte er, meinen Zweifel erratend, "ich bin + er selber, ein Mensch wie du."</p> + <p>Ich fing heftig zu zittern an, nicht vor Angst, sondern, weil ich dem Menschen + gegenüberstand, der meinen Geliebten grausam ermordet hatte.</p> + <p>"Fürchte dich nicht, edle Frau!" fuhr er fort--"du hast von mir nichts zu + befürchten; bist du doch der einzige Mensch, vor dem ich selber mich + gefürchtet habe, und dem ich, wie du so richtig sagtest, nicht in die Augen + sehen durfte, weil ich dich betrog."</p> + <p>"Du betrogst mich?" rief ich, und kaum weiß ich, ob in meiner Seele Freude + aufstieg, geweckt durch die Hoffnung, mein Geliebter sei noch am Leben, oder ob noch + größere Verzweiflung mich bei dem Gedanken ergriff, daß ich mich + hatte verleiten lassen, mich von dem Lebenden zu trennen.</p> + <p>"Ich tat es," antwortete er, "und deshalb sind wir aufeinander angewiesen. Denn + wir haben beide etwas zu rächen und an demselben Mann: an Satagira!"</p> + <p>Mit dem Anstand eines Fürsten machte dieser Räuber eine Handbewegung, + mit der er mich aufforderte, mich zu setzen, als ob er mir viel zu sagen hätte. + Ich, die ich mich nur noch mit Mühe aufrechthalten konnte, ließ mich + willenlos auf die Bank niedersinken, und staunte ihn an, atemlos begierig auf seine + nächsten Worte, die mich über das Schicksal des Geliebten aufklären + mußten.</p> + <p>"Kamanita mit seiner Karawane," fuhr er fort--"fiel mir in der Waldgegend Vedisas + in die Hände. Er verteidigte sich tapfer, wurde aber unverwundet gefangen + genommen, und als das Lösegeld zur rechten Zeit eintraf, unbehelligt nach Hause + geschickt. Wohlbehalten kam er in Ujjeni an."</p> + <p>Bei dieser Nachricht entrang sich ein tiefer Seufzer meiner Brust. Ich empfand in + diesem Augenblick nur Freude darüber, den Geliebten unter den Lebenden zu + wissen, so töricht dies Gefühl auch war. Denn durch das Leben war er mir + noch mehr als durch den Tod entfernt.</p> + <p>"Als ich in Satagiras Gewalt fiel," fuhr Angulimala fort, "erkannte dieser sofort + die kristallene Kette mit dem Tieraugen-Amulett an meinem Halse, als dieselbe, die + Kamanita angehört hatte. Am folgenden Abend kam er allein in mein Gefängnis + und versprach mir, zu meinem größten Erstaunen, mir die Freiheit zu + schenken, wenn ich vor einem Mädchen beschwören wollte, daß ich + Kamanita umgebracht habe. 'Dein Eid allein,' sagte er, 'würde sie freilich nicht + überzeugen, aber einem 'Wahrheitsakte' muß sie glauben.'--Er erklärte + mir jetzt, ich sollte in der ersten Stunde der Nacht auf eine Terrasse geführt + werden, wo das Mädchen sich aufhalten werde. Er wollte dafür sorgen, + daß die Fesseln durchfeilt wären, so daß ich sie unschwer sprengen + könne, worauf es dann ein leichtes für mich sei, mich über die + Brustwehr zu schwingen, in die Schlucht hinabzusteigen und derselben abwärts + folgend zu entfliehen, da sie schließlich in eine enge Rinne ausmünde, + durch die ein kleiner Bach unter der Stadtmauer sich in die Ganga ergösse. Mit + einem feierlichen Eide schwor er mir zu, mich an der Flucht aus Kosambi nicht hindern + zu wollen.</p> + <p>Zwar traute ich ihm nicht allzusehr, aber ich sah keinen anderen Ausweg. Einen + ganz falschen Wahrheitsakt zu begeben, dazu hätte mich allerdings nichts + verleiten können, denn ich hätte ja dadurch das furchtbarste Zorngericht + der beleidigten Göttin auf mich geladen. Aber ich erkannte sofort, wie ich + meinen Schwur so einrichten könnte, daß ich nicht mit klaren Worten eine + Unwahrheit sagte, während dennoch ein jeder heraushören würde, + daß ich Kamanita getötet habe: und ich vertraute darauf, daß Kali, + die an allen Schlauheiten Gefallen findet, mir wegen dieses Kraftstückes mit + aller Macht beistehen und mich heil durch die Gefahren führen würde, die + ein Verrat Satagiras mir bereiten möchte.</p> + <p>Alles ging nun in der Tat, wie es zwischen uns verabredet war, und du selber hast + gesehen, wie ich die eisernen Ketten sprengte. Noch heute weiß ich aber nicht, + ob Satagira Wort gehalten und die Ketten hat durchfeilen lassen, wie er es mir + versprochen hatte, oder ob mir Kali durch ein Wunder half. Doch glaube ich eher das + erstere. Denn kaum war ich einige Klafter in die Ganga hinausgeschwommen, so wurde + ich von einem Boote voll Bewaffneter überfallen. Auf diesen Hinterhalt hatte er + also vertraut. Hier aber zeigte es sich, was die Hilfe Kalis wert ist: denn obwohl + die an meinen Handgelenken hängenden Kettenstücke meine einzigen Waffen + waren, gelang es mir doch, alle Krieger totzuschlagen, und auf dem während des + Kampfes gekenterten Boote erreichte ich glücklich das sichere nördliche + Ufer; freilich nicht ohne so viele und tiefe Wunden davonzutragen, daß ein + ganzes Jahr verging, bevor ich mich davon erholt hatte. In dieser Zeit habe ich aber + oft genug geschworen, daß Satagira mir dies büßen solle. Und nun ist + die Zeit dazu gekommen."</p> + <p>In meiner Seele wütete ein Sturm von Entrüstung über diesen an mir + verübten, unerhörten Betrug. Ich konnte es dem Räuber nicht verdenken, + daß er durch dies Mittel sein Leben gerettet hatte, und da er seine Hände + nicht mit dem Blute meines Geliebten befleckt hatte, vergaß ich in diesem + Augenblick, wieviel anderes unschuldiges Blut aber an ihnen klebte, und empfand weder + Schreck noch Abscheu vor diesem Manne, der mir die Botschaft gebracht hatte, + daß mein Kamanita noch auf dieser Erde wanderte wie ich selber. Aber ein + bitterer Haß erhob sich in mir gegen ihn, der schuld daran war, daß wir + beide getrennt unsere Erdenwanderung zu Ende führen mußten, und die + Drohung Angulimalas gegen sein Leben vernahm ich mit einer unwillkürlichen + Freude, die wohl in meinem Oesichtsausdrucke zu lesen war.</p> + <p>Denn mit erregter, leidenschaftlicher Stimme fuhr Angulimala fort:</p> + <p>"Ich sehe, hohe Frau! daß deine edle Seele nach Rache dürstet, und die + soll dir auch bald werden. Deshalb bin ich ja hierher gekommen. Schon viele Wochen + habe ich hier vor Kosambi auf Satagira gelauert. Endlich habe ich jetzt aus sicherer + Quelle in Erfahrung gebracht, daß er in diesen Tagen die Stadt verlassen wird, + um sich nach den östlichen Gauen zu begeben, wo ein zwischen zwei Dörfern + schwebender Rechtsstreit zu schlichten ist. Ehe ich davon wußte, war mein + ursprünglicher Plan, ihn zu zwingen, einen Ausfall gegen mich zu machen, um mich + wieder gefangen zu nehmen; diese seine Reise macht es mir aber noch bequemer. + Freilich habe ich infolge meiner ersten Absicht kein Geheimnis aus meiner Anwesenheit + gemacht, sondern meine Taten für mich sprechen lassen, und das Gerücht von + meinem Wiedererscheinen ist längst verbreitet. Obwohl die meisten glauben, + daß irgend ein Betrüger erstanden ist und sich für Angulimala + ausgibt, so hat doch die Furcht schon so sehr um sich gegriffen, daß nur + größere und gut bewaffnete Züge sich in die bewaldete östliche + Gegend, wo ich hause, hinauswagen. Du scheinst freilich davon nichts gehört zu + haben, weil du eben als eine um ihr Lebensglück betrogene Frau allein mit deiner + Trauer verkehrst."</p> + <p>"Ich habe wohl von einer dreisten Räuberbande vernommen," sagte ich, "aber + deinen Namen noch nicht nennen gehört, weshalb ich auch glaubte, deinen Geist zu + sehen."</p> + <p>"Satagira aber hat mich nennen gehört," fuhr der Räuber fort, "verlasse + dich darauf, und da er guten Grund hat, zu glauben, daß es der richtige + Angulimala ist und noch besseren Grund, diesen zu fürchten, so ist anzunehmen, + daß er nicht nur unter starker Bedeckung reisen, sondern auch noch andere + Vorsichtsmaßregeln treffen und sich vieler auf Täuschung berechneter + Schliche bedienen wird. Indessen, obschon die Bande, über die ich gebiete, nicht + sehr groß ist, soll weder das eine noch das andere ihm helfen, wenn ich nur mit + Sicherheit weiß, zu welcher Stunde er auszieht und welchen Weg er + einschlägt. Und dies ist es, was ich durch dich zu erfahren hoffe."</p> + <p>Wenn ich auch bis jetzt stumm und gleichsam in einen Bann geschlagen seiner + Erklärung gelauscht hatte, ohne zu bedenken, wieviel ich mir schon dadurch + vergab, so stand ich doch bei dieser Zumutung entrüstet auf und fragte ihn, was + ihm wohl berechtige, zu glauben, daß ich tief genug gesunken wäre, um + einen Dieb und Räuber zum Bundesgenossen zu nehmen.</p> + <p>"Bei einem Bundesgenossen," erwiderte Angulimala ruhig, "ist die Hauptsache, + daß er zuverlässig ist, und du fühlst wohl, daß du dich in + dieser Sache ganz auf mich verlassen kannst. Auch brauche ich deine Hilfe, denn nur + durch sie kann ich das, was ich wünsche, mit Sicherheit erfahren. Wohl habe ich + eine sonst gute Quelle für Nachrichten, durch die ich eben auch von der + bevorstehenden Reise Satagiras weiß; aber wenn er vorsichtshalber ein falsches + Gerücht verbreitet, so kann auch sie getrübt werden. Du aber bedarfst + meiner, weil eine stolze und edle Seele in einem Fall wie dem deinigen nur durch den + Tod des Verräters Genugtuung findet. Wärest du ein Mann, dann würdest + du ihn selber töten; da du eine Frau bist, brauchst du dazu meines Armes."</p> + <p>Ich wollte ihn heftig abweisen, aber er gab mir mit einer so würdigen + Handbewegung zu verstehen, er habe noch nicht Alles gesagt, daß ich gegen + meinen Willen schwieg.</p> + <p>"Dies, edle Frau," fuhr er fort, "ist die Rache. Aber es gibt noch ein Anderes, + Wichtigeres. Für dich: das künftige Glück zu ergreifen; für mich: + Vergangenes zu sühnen. Mit Recht sagt man ja von mir, daß ich grausam sei, + ohne Mitleid gegen Mensch und Tier. Ja, ich habe tausend Taten vollbracht, für + deren jede man hundert oder tausend Jahre in einer Erzhölle büßen + muß, wie die Priester lehren. Zwar hatte ich einen gelehrten und weisen Freund, + Vajacravas, den das Volk jetzt sogar als einen Heiligen verehrt, und an dessen Grab + ich auch reichlich geopfert habe: der hat uns oft bewiesen, daß es solche + Höllenstrafen nicht gebe, und daß der Räuber im Gegenteil das + brahmandurchdrungenste Wesen und die Krone der Schöpfung sei. Doch hat er mich + nie so recht davon überzeugen können....</p> + <p>Sei dem nun, wie es wolle. Ob es Höllenstrafen gibt oder nicht:--gewiß + ist es, daß von allen meinen Taten nur eine mir schwer auf dem Herzen liegt, + und zwar die, daß ich mit meinem schlauen Wahrheitsakt dich betrogen habe. + Schon damals durfte ich dir nicht ins Gesicht sehen, und die Erinnerung an jene + Stunde sitzt mir noch immer wie ein Dorn im Fleische. Nun wohl, was ich damals gegen + dich verbrach, möchte ich jetzt wieder gut machen, soweit es noch möglich + ist; die bösen Folgen möchte ich vernichten. Du wurdest durch meine Schuld + von dem tot geglaubten Kamanita getrennt und an diesen falschen Satagira gebunden. + Diese Fessel will ich dir nun abnehmen, so daß du wieder frei bist, dich mit + dem Geliebten zu verbinden; und ich selber will nach Ujjeni gehen und ihn heil und + sicher herbringen. Nun tue du das deinige, ich werde das meinige tun. Für eine + schöne Frau ist es ja nicht schwer, dem Gemahl ein Geheimnis zu entlocken. + Morgen, sobald es dunkel ist, komme ich hierher, um mir den Bescheid von dir zu + holen."</p> + <p>Er verbeugte sich tief, und bevor es mir in meiner Verwirrung und Bestürzung + möglich war, ein Wort hervorzubringen, war er so plötzlich von der Terrasse + verschwunden, wie er erschienen war.</p> + <h2><a id="chap_xxxii" name="chap_xxxii">XXXII. SATAGIRA</a></h2> + <p><img src="images/xxxii.png" width="93" height="93" align="left" alt="D" />ie ganze + Nacht blieb ich auf der Terrasse, eine willenlose Beute der entfesselten, mir + unbekannten Leidenschaften, die mit meinem Herzen ihr Spiel trieben wie Wirbelwinde + mit einem Blatt.</p> + <p>Mein Kamanita war noch am Leben! Er hatte in seiner fernen Heimat von meiner + Heirat gehört--denn sonst wäre er ja längst gekommen. Wie + treulos--oder wie erbärmlich schwach mußte ich in seinen Augen sein! Und + an dieser meiner Erniedrigung war allein Satagira schuld. Mein Haß gegen ihn + wurde mit jeder Minute tödlicher, und tief fühlte ich die Wahrheit in + Angulimalas Worten, daß ich, wenn ich ein Mann gewesen wäre, sicherlich + Satagira getötet hätte.</p> + <p>Dann zeigte sich wieder jene Aussicht, die Angulimala mir so unerwartet + eröffnet hatte:--wenn ich frei war, konnte ich den Geliebten heiraten. Bei + diesem Gedanken geriet mein ganzes Wesen in einen so stürmischen Aufruhr, + daß ich glaubte, das Blut müßte mir Brust und Schläfen + sprengen. Außerstande, mich aufrechtzuhalten, vermochte ich nicht einmal, nach + der Bank zu wanken, sondern sank auf die marmornen Fliesen nieder, und die Sinne + vergingen mir.</p> + <p>Die Kühle des Morgentaues brachte mich zu meinem unseligen Dasein mit seinen + furchtbaren Fragen zurück.</p> + <p>War es denn Wahrheit, daß ich mich mit einem Räuber und tausendfachen + Mörder verbinden wollte, um den Mann aus dem Wege zu räumen, der mich einst + um das Hochzeitsfeuer geführt hatte?</p> + <p>Aber ich wußte ja noch gar nicht, wann mein Gemahl fortzöge! Und wie + sollte ich die Zeit seiner Abreise, wie auch den genauen Weg, den er zu nehmen + beabsichtigte, erfahren, wenn er ein Geheimnis daraus machte?</p> + <p>"Für eine schöne Frau ist es ja nicht schwierig, dem Gemahl ein + Geheimnis zu entlocken"--diese Worte des Räubers klangen mir noch im Ohre und + zeigten mir die ganze Niedrigkeit einer solchen Handlungsweise. Nie würde ich + mich dazu entschließen können, mich durch Zärtlichkeit in sein + Vertrauen einzuschleichen, um ihn dann seinem Todfeinde zu verraten. Aber gerade + dadurch, daß ich dies so deutlich fühlte, wurde es mir auch klar, + daß es eigentlich nur das verräterische und heuchlerische Erschleichen des + Geheimnisses war, das ich so von Grund aus verabscheute. Wäre ich aber schon im + Besitz des Geheimnisses gewesen--hätte ich gewußt, wo ich hingehen und + eine Tafel finden könnte, auf der Alles aufgeschrieben stand:--dann würde + ich sicher die tödliche Kunde Angulimala mitgeteilt haben.</p> + <p>Wie mir dies nun klar wurde, zitterte ich vor Entsetzen, als ob ich schon schuldig + an Satagiras Tod wäre. Ich dankte meinem Schicksal, daß keine + Möglichkeit für mich vorhanden war, diese Kunde zu erlangen; denn wenn ich + auch vielleicht hätte erfahren können, zu welcher Stunde sie aufbrechen + würden, so konnte doch nur Satagira selbst und höchstens noch ein + Vertrauter wissen, welche Wege und Stege man gewählt hatte.</p> + <p>Ich sah die aufgehende Sonne die Türme und Kuppeln Kosambis vergolden, so wie + ich dies hinreißende Schauspiel von der Terrasse der Sorgenlosen aus so + oft--aber ach! mit wie ganz anderen Gefühlen--betrachtet hatte, wenn ich selige + Nachtstunden dort mit dir verbrachte. Unglücklich wie noch nie zuvor, matt und + elend, als ob ich in dieser Nacht um Jahrzehnte gealtert wäre, begab ich mich in + den Palast zurück.</p> + <p>Um nach meinem Zimmer zu kommen, mußte ich durch eine lange Galerie gehen, + nach der einige Räume mit vergitterten Fenstern sich öffneten. Als ich an + einem derselben vorüberschritt, vernahm ich Stimmen. Die eine--die meines + Gemahls--hub gerade an:</p> + <p>"Gut, wir wollen also heute Nacht--eine Stunde nach Mitternacht--aufbrechen."</p> + <p>Ich war unwillkürlich stehen geblieben. Die Stunde wußte ich also! Aber + den Weg? Die Schamröte stieg mir ins Gesicht, weil ich den Lauscher an der + Tür spielte--"fliehe, fliehe!" rief es in mir--"noch ist es Zeit!" Aber ich + blieb wie angewurzelt stehen.</p> + <p>Satagira sprach indessen nicht weiter. Er mochte meine Schritte und ihr + Aufhören an der Tür bemerkt haben; denn diese wurde plötzlich + aufgerissen. Mein Gemahl stand vor mir.</p> + <p>"Ich hörte deine Stimme im Vorbeigehen," sagte ich mit raschem + Entschluß, "und dachte daran, anzufragen, ob ich dir einige Erfrischungen + bringen sollte, da du so früh den Geschäften obliegst. Dann + befürchtete ich wieder, dich zu stören und wollte weitergehen."</p> + <p>Satagira sah mich ohne Mißtrauen, ja sogar sehr freundlich an.</p> + <p>"Ich danke dir," sagte er, "ich bedarf keiner Erfrischungen, aber du störst + mich keineswegs. Im Gegenteil, ich wollte gerade nach dir schicken und fürchtete + nur, daß du noch nicht aufgestanden wärest. Du kannst mir gerade jetzt von + dem größten Nutzen sein."</p> + <p>Er lud mich ein, in das Zimmer zu treten, was ich mit der höchsten + Verwunderung tat, sehr darauf gespannt, Was für einen Dienst er wohl von mir + begehrte, gerade in diesem Augenblick, wo ein tödlicher Anschlag gegen ihn mein + Gemüt erfüllte.</p> + <p>Ein Mann, in dem ich einen Reiterführer und Vertrauten Satagiras erkannte, + saß auf einem niedrigen Sitz. Er erhob sich bei meinem Eintreten und verbeugte + sich tief. Satagira ließ mich neben sich Platz nehmen, winkte dem + Reiteranführer, sich wieder zu setzen, und wandte sich zu mir.</p> + <p>"Es handelt sich, meine liebe Vasitthi, um Folgendes: Ich muß möglichst + bald eine Reise antreten, um einen Dorfstreit in den östlichen Gauen zu + schlichten. Nun haben sich seit einigen Wochen in den Waldgegenden östlich von + Kosambi, und zwar recht nahe der Stadt, Räuber gezeigt. Es geht sogar das + törichte Gerücht, ihr Führer sei kein anderer als Angulimala, indem + man die unerhörte Frechheit hat, zu behaupten, Angulimala sei damals aus dem + Gefängnis entflohen, und ich hätte statt seines Kopfes einen anderen, dem + seinen ähnlichen, über dem Tor aufgesteckt. Über solche Märchen + können wir freilich lachen. Allerdings aber scheint dieser Räuber dem + berühmten Angulimala an Dreistigkeit nicht viel nachzugeben, und wenn er sich + wirklich für jenen ausgibt, um durch den glorreichen Namen großen Anhang + zu finden, so geht er gewiß darauf aus, irgend eine recht glänzende Tat zu + vollbringen. Deshalb ist immerhin eine gewisse Vorsicht geboten."</p> + <p>Auf einem kleinen, mit edlen Steinen ausgelegten Tische neben ihm lag ein seidenes + Tuch. Er nahm es und wischte sich damit die Stirn. Es sei doch heute, meinte er, + trotz der frühen Stunde recht heiß. Ich merkte wohl, daß es die + Angst vor Angulimala war, die ihm den Schweiß aus den Poren trieb. Aber anstatt + daß dadurch mein Mitleid geweckt worden wäre, fühlte ich bei diesem + Anblick vielmehr nur Verachtung für ihn. Ich sah, daß er kein Held war und + fragte mich verwundert, durch welchen Glücksfall er dazu gekommen wäre, + Angulimala gefangen zu nehmen, Angulimala, den Räuber, der mir vorkam wie der + furchtbare Bhima im Mahabharata, an dessen Seite du ja selber, mein lieber Kamanita, + auf der Ebene Kurukschetra gekämpft hast.</p> + <p>"Nun kann ich aber," fuhr indessen mein Gemahl fort, "nicht gut in jenen + Dörfern mit einem ganzen Heere ankommen, ja ich möchte sogar nicht gern + mehr als dreißig Reiter auf diese Reise mit mir nehmen. Um so mehr aber ist + Vorsicht und sogar täuschende List geboten. Ich habe dies gerade mit meinem + getreuen Panduka besprochen, und er hat mir einen guten Vorschlag gemacht, den ich + dir auch mitteile, damit du nicht während dieser Tage in allzu großer + Angst um mich bist."</p> + <p>Ich murmelte etwas, das einen Dank für diese Rücksichtnahme bedeuten + sollte.</p> + <p>"Panduka," fuhr er fort, "wird also recht augenfällig alle Vorbereitungen + treffen, als ob ich morgen früh mit einer ziemlich ansehnlichen Truppenmacht gen + Osten einen Zug machen wollte, um die Räuber zu fangen. Wenn diese also--was ich + nicht bezweifle--hier in der Stadt Helfershelfer haben, die sie auf dem Laufenden + halten, so werden sie dadurch hinters Licht geführt. Mittlerweile breche ich mit + meinen dreißig Reitern eine Stunde nach Mitternacht auf, und zwar durch das + südliche Tor, und ziehe durch das Hügelland in einem großen Bogen + ostwärts. Doch möchte ich auch hier gern die Hauptstraßen vermeiden, + bis ich einige Meilen von Kosambi entfernt bin. Nun liegt ja aber gerade in dieser + Gegend das Sommerhaus deines Vaters, und du kennst von Kind auf alle Wege und Stege + dort--kannst mir also, denke ich, hier mit deinem Rate viel nützen."</p> + <p>Ich war sofort dazu bereit, und während ich ihm Alles ausführlich + beschrieb, ließ ich mir eine Tafel geben und zeichnete darauf eine genaue Karte + von der Umgebung jenes Hauses, mit Kreuzzeichen an den Stellen, die er sich besonders + merken mußte. Vor allem aber empfahl ich ihm einen Pfad, der durch eine + Schlucht führte. Diese verengte sich allmählich so sehr, daß auf + einer kurzen Strecke nicht zwei Reiter nebeneinander reiten konnten, dafür war + aber dieser Weg so unbekannt, daß, selbst wenn die Räuber ahnen sollten, + daß er einen solchen Umweg machte, gewiß niemand ihn dort suchen + würde.</p> + <p>In dieser Schlucht aber hatte ich als ein unschuldiges Kind mit meinen + Brüdern und Medini und den Kindern unseres Pächters gespielt.</p> + <p>Satagira bemerkte, daß meine Hand, die auf die Tafel zeichnete, zitterte, + und fragte mich, ob ich Fieber hätte. Ich antwortete, daß es nur etwas + Müdigkeit nach einer schlaflosen Nacht sei. Er ergriff aber meine Hand und fand + besorgt, daß sie kalt und feucht sei, und als ich sie mit der Bemerkung, das + habe gar nichts zu sagen, zurückziehen wollte, behielt er sie in der seinen, + während er mich ermahnte, vorsichtig zu sein und mich zu schonen; und in seinem + Blick und seiner Stimme bemerkte ich mit unsagbarem Unwillen, ja mit Entsetzen etwas + von der bewundernden Zärtlichkeit aus jener Zeit, als er vergebens um mich warb. + Ich beeilte mich zu sagen, daß ich mich wirklich nicht ganz wohl fühlte + und mich gleich zur Ruhe begeben wollte.</p> + <p>Satagira folgte mir aber noch in die Galerie hinaus, und hier, wo wir allein + waren, fing er an, sich zu entschuldigen: er habe allerdings über die Mutter + seines Sohnes mich jetzt lange Zeit vernachlässigt; aber nach seiner + Rückkehr sollte das anders werden; ich würde nicht länger nötig + haben, die Nacht allein auf der Terrasse zuzubringen.</p> + <p>Wenn auch jene Zärtlichkeit, die dem Grabe einer verschollenen Jugendliebe + entstiegen schien, bei der ich anerkennen mußte, daß sie sogar mit einer + gewissen halsstarrigen Treue nur mir gegolten hatte, nicht umhin konnte, mein Herz + etwas zu seinen Gunsten zu stimmen, so daß ich einen Augenblick in meinem + Vorsatz wankte: so waren doch die letzten Worte, die mit einem süßlichen + Lächeln und einer ekelhaften Vertraulichkeit vorgebracht wurden, nur zu + geeignet, diese Wirkung wieder aufzuheben, indem sie mich an Rechte gemahnten, die er + sich mir gegenüber durch seinen feigen Verrat erschlichen hatte.</p> + <h2><a id="chap_xxxiii" name="chap_xxxiii">XXXIII. ANGULIMALA</a></h2> + <p><img src="images/xxxiii.png" width="93" height="93" align="left" alt="E" />ine + schreckliche Ruhe kam über mich, als ich jetzt in meine Zimmer + zurückkehrte. Es gab nichts mehr zu bedenken, kein Zweifel war zu + bekämpfen, keine Fragen wollten beantwortet sein. Alles war entschieden. Sein + Karma wollte es so. Offenbar war er durch seinen doppelten Verrat mir und Angulimala + verfallen.</p> + <p>So groß war diese Ruhe, daß ich einschlief, sobald ich mich auf das + Lager gestreckt hatte--als ob meine Natur ängstlich bemüht gewesen + wäre, über diese inhaltslosen Wartestunden hinwegzukommen.</p> + <p>Als es dunkel wurde, ging ich auf die Terrasse. Der Mond war noch nicht + aufgegangen. Ich brauchte nicht lange zu warten. Die mächtige Gestalt + Angulimalas schwang sich über die Brustwehr und kam auf die Bank zu, auf der + ich, halb abgewendet, saß.</p> + <p>Ich rührte mich nicht, und ohne den Blick von dem Muster der bunten + Marmorfliesen zu erheben, sprach ich:--</p> + <p>"Was du zu wissen wünschest, weiß ich. Alles: die Stunde, wann er + fortzieht, die Stärke seiner Begleitung, die Richtung, die er einschlägt, + und Wege und Pfade, denen er folgt. Von seinem bösen Karma getrieben, hat er + selber mir seine Vertraulichkeit aufgedrungen, sonst wüßte ich das alles + nicht, denn nie hätte ich es ihm durch heuchlerische Zärtlichkeit + entlockt."</p> + <p>Ich hatte mir diese Worte wohl überlegt; denn so töricht sind wir in + unserem Stolz, daß es selbst jetzt, da ich mich zum Handlanger eines + Verbrechers machte, für mich ein unerträglicher Gedanke war, in seinen + Augen niedriger zu erscheinen, als ich wirklich war.</p> + <p>Nicht weniger überlegt waren meine weiteren Worte.</p> + <p>"Von all dem wirst du aber keine Silbe erfahren, wofern du mir nicht zuerst + versprichst, daß du ihn <i>nur</i> töten, auf keine Weise aber quälen + wirst, und daß du nur <i>ihn</i>, jedoch keinen seiner Begleiter töten + wirst, wenn du es nicht zur Selbstverteidigung nötig hast. Ich werde dir aber + eine Stelle zeigen, wo du ihn ganz allein und ohne Handgemenge tödlich treffen + kannst. Dies also mußt du mir mit einem feierlichen Eide versprechen. Sonst + kannst du mich töten, wirst aber kein Wort mehr von mir vernehmen."</p> + <p>"So wahr ich bis heute ein treuer Diener Kalis war," erwiderte Angulimala, "so + gewiß will ich keinen von seinen Begleitern töten, und so gewiß soll + er auch keine Qual erleiden."</p> + <p>"Gut," sagte ich, "ich will dir trauen. So höre also nun und merke dir Alles + genau. Wenn du hier in der Stadt Hehler hast, so wirst du schon erfahren haben, + daß Vorbereitungen getroffen werden, um morgen gegen die Räuber + vorzugehen. Das ist aber alles leerer Schein, um dich zu täuschen. In + Wirklichkeit verläßt Satagira, von dreißig Reitern gefolgt, noch + heute, eine Stunde nach Mitternacht, die Stadt durch das südliche Tor, + läßt den Sinsapawald links liegen und biegt noch etwas südlicher aus, + um auf Nebenwegen durch das Hügelland ostwärts zu ziehen."</p> + <p>Und ich gab ihm nun eine ganz genaue Beschreibung der Gegend bis zu jener engen + Schlucht, durch die Satagira kommen mußte, und wo er ihn leicht und sicher + erschlagen konnte.</p> + <p>Meiner Rede folgte ein bedrückendes Schweigen, währenddessen ich nur + mein eigenes schweres Atemholen hörte. Ich fühlte, daß ich noch nicht + Kraft genug hatte, um mich zu erheben und wegzugehen, wie ich es mir vorgenommen + hatte.</p> + <p>Endlich sprach Angulimala, und schon der milde, ja traurige Klang seiner Stimme + überraschte mich derart, daß ich fast erschrak und unwillkürlich + zusammenfuhr.</p> + <p>"So wäre es denn also nun geschehen," sagte er, "und du, die zarte, milde + Frau, die du gewiß niemals mit Willen auch nur dem geringsten Geschöpfe + ein Leid zugefügt hast, du wärest nunmehr im Bunde mit dem schlechtesten + Menschen, dessen Hände von Blut triefen, ja der Mord deines Gatten lastete auf + deinem Gewissen und würde für dich seine schwarzen Karmafäden auf + abschüssiger Fährte bis in die höllische Welt weiter wirken--ja, so + wäre es in der Tat, wenn du jetzt zu dem Räuber Angulimala geredet + hättest."</p> + <p>Ich wußte nicht, ob ich meinen Ohren trauen sollte. Zu wem sonst hatte ich + denn geredet? War es doch die Stimme Angulimalas, wenn auch mit jener sonderbaren + Veränderung des Klanges; und als ich mich jetzt bestürzt umwandte und ihn + scharf ansah, war es außer allem Zweifel, daß der + Räuberhäuptling vor mir stand, wenn auch in seiner ganzen Haltung sich + gleichsam ein anderer Charakter ausdrückte als der, der mich Tags zuvor in + seinem furchtbaren Banne gehalten hatte.</p> + <p>"Aber sei unbesorgt, edle Frau"--fügte er hinzu--"dies Alles ist nicht + geschehen. Nichts ist geschehen, nicht mehr, als wenn du deine Rede an diesen Baum + gerichtet hättest."</p> + <p>Diese Worte waren mir so rätselhaft wie die vorhergehenden. So viel aber + verstand ich, daß er aus irgend einem Grunde seinen Racheplan gegen Satagira + aufgegeben hatte.</p> + <p>Nachdem ich mich durch furchtbare Seelenkämpfe zu dieser unnatürlichen + Höhe des Verbrechens emporgerungen hatte, war dies plötzliche + unbegreifliche Zerrinnen, diese spukhafte Verflüchtigung des Werkes eine + Enttäuschung, die ich nicht ertrug. Die krankhafte Spannung meines Gemütes + machte sich Luft in einem Strome von Schimpfworten, die ich Angulimala ins Gesicht + schleuderte. Ich nannte ihn einen ehrlosen Schuft, einen wortbrecherischen, leeren + Prahler, eine Memme und was weiß ich noch--das Schlimmste, was mir einfallen + wollte, denn ich hoffte, daß dieser wegen seines Jähzorns in ganz Indien + berüchtigte Mann, solchermaßen gereizt, mich mit einem Schlage seiner + eisernen Faust leblos zu Boden strecken würde.</p> + <p>Als ich aber schwieg, eher, weil mir der Atem als der Wortvorrat ausging, + antwortete mir Angulimala mit beschämender Ruhe:--</p> + <p>"Dies alles und noch Schimpflicheres habe ich ja von dir verdient, und nicht + einmal den alten Angulimala hättest du damit, glaube ich, so reizen können, + daß er dich getötet hätte--denn dies zu erreichen ist ja, wie ich + wohl erkenne, deine Absicht. Aber wenn auch jetzt ein anderer mir noch Schlimmeres + gesagt hätte, so würde ich das nicht nur ruhig ertragen haben, sondern ihm + sogar dankbar dafür sein, daß er mir Gelegenheit gab, eine heilsame + Prüfung zu bestehen. Hat doch der Meister selber mich gelehrt: 'Der Erde gleich, + Angulimala, sollst du Gleichmut üben. Gleichwie man da auf die Erde Reines + hinwirft und Unreines hinwirft, und die Erde sich weder darob entsetzt noch sich + sträubt--also sollst du, Angulimala, der Erde gleich Gleichmut üben.' Denn + du sprichst ja, Vasitthi, nicht mit dem Räuber, sondern mit dem Jünger + Angulimala."</p> + <p>"Was für ein Jünger? Welcher Meister?" fragte ich mit verächtlicher + Ungeduld, obwohl die seltsame Sprache dieses unbegreiflichen Mannes nicht verfehlte, + eine eigentümliche, fast bestrickende Wirkung auf mich auszuüben.</p> + <p>"Den sie den Vollendeten nennen, den Weltkenner, den vollkommen Erwachten, den + Buddha," antwortete er, "der ist der Meister. Du hast doch wohl auch schon von ihm + gehört?"</p> + <p>Ich schüttelte den Kopf.</p> + <p>"Glücklich preise ich mich," rief er, "daß ich es bin, durch dessen + Mund du zuerst den Namen des Gesegneten vernimmst. Hat Angulimala dir einst als der + Räuber viel Böses getan, so hat er dir jetzt als Jünger noch mehr + Gutes getan."</p> + <p>"Wer ist denn dieser Buddha?" fragte ich wieder in demselben Tone, ohne mir es + anmerken lassen zu wollen, wie sehr meine Teilnahme geweckt war.--"Was hat er mit + diesem deinem rätselhaften Betragen zu tun, und was könnte mir das für + Segen bringen, seinen Namen zu hören?"</p> + <p>"Auch nur den Namen dessen zu hören, den sie den Willkommenen nennen," sagte + Angulimala, "ist wie der erste Schimmer einer Leuchte für den, der im Dunkel + sitzt. Aber ich will dir jetzt Alles erzählen, wie er mir begegnet ist und mein + Leben gewendet hat; denn gewiß ist das nicht zum wenigsten deinetwegen gerade + heute geschehen."</p> + <p>Schon am ersten Abend hatte mich trotz der Wildheit, die seinem Wesen + entströmte, ein gewisser Anstand seines Betragens überrascht; noch + auffallender war aber die ungesuchte Würde, mit der er jetzt neben mir Platz + nahm, wie Einer, der sich bei seinesgleichen fühlt.</p> + <h2><a id="chap_xxxiv" name="chap_xxxiv">XXXIV. DIE SPEERHÖLLE</a></h2> + <p><img src="images/xxxiv.png" width="93" height="93" align="left" alt="I" />ch stand + heute--hub er an--ein paar Stunden nach Sonnenaufgang am Waldesrande und spähte + nach den Türmen Kosambis hinüber, meine Rache an Satagira im Sinne, und die + Frage erwägend, ob du mir wohl die erwünschten Aufklärungen bringen + würdest: als ich auf der Straße, die vom östlichen Stadttor zum Walde + führt, einen einsamen, in einen gelben Mantel gehüllten Wanderer gewahr + wurde, der rüstig einherschritt. Zu beiden Seiten des Weges aber waren Hirten + und Landleute mit ihren Arbeiten beschäftigt. Und ich sah nun, wie diejenigen, + die dem Wege am nächsten waren, jenem einsamen Wanderer etwas zuriefen, + während auch die weiter entfernten mit ihrer Arbeit innehielten, ihm nachsahen + und mit Fingern auf ihn zeigten. Und die Nächststehenden schienen ihn, je weiter + er vorwärts schritt, um so eifriger zu warnen, ja aufhalten zu wollen, indem + einige ihm nachliefen und seinen Mantel ergriffen, und dann mit eifrigen und + entsetzten Gebärden nach dem Walde zeigten. Fast glaubte ich hören zu + können, wie sie ihm zuriefen: "Nicht weiter! Gehe nicht in den Wald! Dort haust + ja der schreckliche Räuber Angulimala."</p> + <p>Aber jener Wanderer schritt unbekümmert weiter, dem Walde zu. Und jetzt sah + ich an seinem Mantel und an seinem kahlgeschorenen Kopfe, daß es ein Asket war, + einer von denen, die dem Orden des Sakyersohnes angehören, ein alter Mann von + stattlicher Gestalt.</p> + <p>Und ich gedachte bei mir: "Wunderbar, wahrlich, außerordentlich ist es! Auf + diesem Wege sind schon zehn Mann, ja dreißig und fünfzig Mann vereint und + bewaffnet ausgezogen und sind alle in meine Gewalt geraten: und dieser Asket da kommt + allein, wie ein Eroberer heran!"</p> + <p>Und es verdroß mich, daß er so offen meiner Macht Hohn sprach. So + entschloß ich mich denn, ihn zu töten, um so mehr, als ich mir dachte, + möglicherweise sei er als Späher von Satagira in den Wald geschickt. Denn + diese Asketen--so meinte ich--sind ja alle heuchlerisch und feil und lassen sich zu + Allem gebrauchen, indem sie auf die Sicherheit bauen, die sie durch den Aberglauben + des Volkes genießen--denn so hatte ich von meinem gelehrten Freunde + Vajaçravas gelernt, die Sache zu betrachten.</p> + <p>Schnell entschlossen ergriff ich meinen Speer, hängte Bogen und Köcher + um und ging dem Asketen, der jetzt in den Wald eingetreten war, Schritt für + Schritt nach.</p> + <p>Als ich aber eine günstige Stelle erreicht hatte, wo keine Bäume uns + trennten, blieb ich stehen, nahm den Bogen von der Schulter und schoß einen + Pfeil so ab, daß er dem Wanderer in die linke Seite des Rückens eindringen + und sein Herz durchbohren mußte; aber er flog über den Kopf des Asketen + dahin.</p> + <p>"Da muß sich unter meine Pfeile ein ganz schlechter verirrt haben," sagte + ich mir, nahm meinen Köcher zur Hand und wählte einen schön + gefiederten, tadellosen Pfeil, mit dem ich so zielte, daß er dem Asketen das + Genick durchbohren mußte. Der Pfeil schlug aber links von ihm in einen + Baumstamm ein. Der nächste flog rechts von ihm vorbei, und so ging es mit allen + Pfeilen, bis mein Köcher geleert war.</p> + <p>"Unbegreiflich, außerordentlich ist das!" dachte ich bei mir. "Habe ich mich + doch oft damit belustigt, einen Gefangenen mit dem Rücken an einen Zaun zu + stellen und die Pfeile so nach ihm zu schießen, daß, nachdem er zur Seite + getreten, der ganze Umriß seines Körpers durch die im Zaune steckenden + Pfeile abgezeichnet war--und das auf eine noch größere Entfernung. Bin ich + doch gewohnt, mit meinem Pfeil den Adler im vollen Flug aus der Luft zu holen. Was + fehlt denn heute meiner Hand?"</p> + <p>Unterdessen hatte jener Asket einen ziemlichen Vorsprung gewonnen, und ich begann + hinter ihm her zu laufen, um ihn mit dem Speere zu töten. Nachdem ich ihm aber + auf etwa fünfzig Schritte nahe gekommen war, gewann ich ihm keinen Schritt mehr + ab, obschon ich mit aller Macht rannte, jener Asket aber ganz gemach vorwärts zu + schreiten schien.</p> + <p>Da sagte ich zu mir selber: "Wahrlich, dies ist noch das Wunderbarste von Allem! + Habe ich doch sonst oft den scheuen Ilfen und den flüchtigen Hirsch eingeholt, + und diesen gemach dahinschreitenden Asketen kann ich jetzt, mit aller Macht laufend, + nicht einholen. Was fehlt denn heute meinen Füßen?"</p> + <p>Und ich blieb stehen und rief ihm zu:</p> + <p>"Stehe, Asket! Stehe!"</p> + <p>Er aber schritt ruhig weiter und rief zurück:</p> + <p>"Ich stehe, Angulimala! Stehe auch du!"</p> + <p>Da wunderte ich mich denn wieder gar sehr und dachte: "Offenbar hat dieser Asket + soeben durch irgend einen Wahrheitsakt mein Pfeilschießen vereitelt, durch + irgend einen Wahrheitsakt mein Laufen vereitelt. Wie kann er denn also jetzt eine + offenbare Unwahrheit sagen, indem er zu stehen behauptet, während er doch geht, + mich aber zum Stehenbleiben auffordert, obschon er sehr wohl sieht, daß ich + bereits so still stehe wie dieser Baum? So würde wohl die fliegende Gans zur + Eiche sagen: 'Ich stehe, Eiche! Stehe auch du!' Sicher muß also hier etwas + dahinter stecken. Wohl möchte es mehr wert sein, den geheimen Sinn dieser + Asketenworte zu verstehen als einen Asketen zu töten."</p> + <p>Und ich rief ihm zu:</p> + <p>"Wandelnd wähnst du dich stätig, Asket, und mich, der stätig, + wähnst du wandelnd. Erkläre mir das, Asket! Wie bist du stätig, wie + bin ich unstät?" Und er antwortete mir:</p> + <p>"Ich, der ich keinem Wesen Leides antue, bin beständig, wandle nicht mehr; du + aber, der du gegen die Wesen wütest, mußt ruhelos von Leidensort zu + Leidensort wandeln."</p> + <p>Ich antwortete wieder:</p> + <p>"Daß wir immer wandeln, habe ich wohl gehört. Das vom + Beständigsein, vom Nachtwandeln verstehe ich aber nicht. Wolle, + Ehrwürdiger, mir das kurz Gesagte ausführlich erläutern. Sieh, ich + habe meinen Speer von mir getan und feierlich schwöre ich dir: ich schenke dir + Frieden!"</p> + <p>"Zum zweiten Male, Angulimala," sagte er, "hast du falsch geschworen."</p> + <p>"Zum zweiten Male?"</p> + <p>"Das erste Mal geschah es bei jenem falschen Wahrheitsakt."</p> + <p>Das schien mir nun nicht der Wunder geringstes, daß er um jene geheime Sache + wußte; aber ohne mich dabei aufzuhalten, beeilte ich mich, meine schlaue + Handlung zu verteidigen.</p> + <p>"Meine Worte, Ehrwürdiger, waren da freilich gleichsam auf Schrauben + gestellt, aber mit den Worten beschwor ich nichts Falsches, nur der Sinn war + täusehend. Das aber, was ich dir schwöre, ist sowohl den Worten wie dem + Sinne nach wahr."</p> + <p>"Nicht doch," antwortete er, "denn du kannst mir keinen Frieden schenken. Wohl + dir, wenn du dir von mir den Frieden schenken ließest."</p> + <p>Dabei hatte er sich umgewandt und winkte mir freundlich, heranzutreten.</p> + <p>"Gern, Ehrwürdiger," sagte ich demütig.</p> + <p>"So höre denn und gib wohl acht!"</p> + <p>Er setzte sich im Schatten eines großen Baumes nieder und hieß mich zu + seinen Füßen Platz nehmen.</p> + <p>Und er fing an, mich über gute und böse Taten und über ihre Folgen + zu belehren, indem er mir Alles ausführlich auseinandersetzte, so wie man zu + einem Kinde spricht. Denn ich war ja ganz ungelehrt, während sonst + Asketenschüler meistens Brahmanenjünglinge sind, die sogar den Veda kennen. + Ich aber hatte so tiefgedachten Reden nie gelauscht, seitdem ich im nächtlichen + Walde zu den Füßen Vajaçravas' gesessen, von dem ich dir schon + erzählt habe, und den du wohl auch sonst hast nennen hören.</p> + <p>Als nun aber dieser Asket mir offenbarte, daß nicht eine willkürliche + Göttermacht, sondern unser eigenes Herz allein durch seine Gedanken und Taten + uns hier und dort geboren werden läßt, bald auf Erden, bald in einem + Himmel, bald wieder in einer Hölle--da mußte ich eben an jenen + Vajaçravas denken, wie er uns durch Vernunftgründe und mittelst der + Schrift bewies, daß es keine Höllenstrafen geben könne, und daß + alle darauf bezüglichen Stellen in der heiligen Schrift von den schwachen und + feigen Seelen in dieselbe hineingeschmuggelt seien, um die starken und mutigen durch + solche Drohungen einzuschüchtern und dadurch sich vor der Gewalttätigkeit + der letzteren zu schützen.--"Freund Vajaçravas," dachte ich, "hat mich + niemals so ganz überzeugen können. Ob wohl dieser Asket es vermag? Hier + steht eben Meinung gegen Meinung, Gelehrter gegen Gelehrten. Denn selbst, wenn auch + dieser Asket einer der großen Jünger des Sakyersohnes sein sollte, so + wurde ja auch Vajaçravas von seinen Anhängern hochgepriesen, und jetzt, + nach seinem Tode, wird er sogar vom gemeinen Volke als ein Heiliger verehrt. Wer will + also entscheiden, wer von diesen beiden recht hat?"</p> + <p>"Du bist nicht mehr ganz bei der Sache, Angulimala," sagte da der Asket: "du + denkst an jenen Vajaçravas und an seine Irrlehren."</p> + <p>Sehr verwundert gab ich das zu.</p> + <p>"So hat denn der Ehrwürdige auch meinen Freund Vajaçravas + gekannt?"</p> + <p>"Man hat mir sein Grab vor dem Tore gezeigt, und ich sah, wie dort törichte + Reisende ihr Gebet verrichteten in dem Wahne, er sei ein Heiliger"</p> + <p>"So ist er denn kein Heiliger?"</p> + <p>"Nun, wir wollen, wenn es dir so scheint, ihn aufsuchen und sehen, wie es ihm mit + seiner Heiligkeit nun geht."</p> + <p>Der Asket sagte dies, als ob es sich darum handele, von einem Hause ins andere zu + gehen. Ganz bestürzt starrte ich ihn an:</p> + <p>"Ihn aufsuchen? Vajaçravas? Wie wäre denn das möglich?"</p> + <p>"Gib mir deine Hand," sprach er. "Ich werde mich in jene Selbstvertiefung + versenken, durch die in einem standhaften Herzen der zu den Göttern und der zu + den Dämonen führende Weg sichtbar werden. Da wollen wir denn seiner + Fährte folgen, und was ich sehe, wirst auch du sehen."</p> + <p>Ich reichte ihm meine Hand. Eine Weile saß er schweigend da, die Augen + gesenkt, die Pupillen nach innen gerichtet, und ich spürte nichts. + Plötzlich aber war es mir, wie es wohl einem Schwimmer sein mag, wenn der + Dämon, der im Wasser haust, seinen Arm ergreift und ihn nach unten zieht, so + daß der blaue Himmel und die Bäume des Ufers verschwinden, indem die Welle + über seinem Kopfe zusammenschlägt, und immer tiefer werdendes Dunkel ihn + umgibt. Bisweilen aber loderte auch Flammenschein um mich, und mächtiges + Getöse dröhnte mir im Ohre.</p> + <p>Schließlich befand ich mich wie in einer ungeheuren Höhle, die ganz + dunkel war, jedoch durch unzählige kurz zuckende Blitze unruhig beleuchtet + wurde. Als ich mich etwas an die Dunkelheit gewöhnt hatte, entdeckte ich, + daß diese Blitze von dem Erglänzen eiserner Speerspitzen herrührten, + die hin und her fuhren, als ob Lanzen von unsichtbaren Armen geschwungen + würden--etwa in einer Geisterschlacht. Auch hörte ich Schreie, aber nicht + wilde und mutige wie von kampfestrunkenen Streitern, sondern Schmerzensschreie und + Stöhnen Verwundeter, die ich jedoch nicht sah. Denn diese Schreckenslaute kamen + aus dem Hintergrunde, wo das Zucken der Lanzenspitzen einen einzigen zitternden und + wirbelnden Nebel bildete. Der Vordergrund aber war leer.</p> + <p>Hier traten nun aber drei Gestalten herein, von einem rechts einmündenden, + schwarzen Höhlenschlund gleichsam ausgespieen. Der Mann in der Mitte war + Vajaçravas; sein nackter Körper zitterte vom Kopf bis zu den + Füßen, als ob er heftig fröre oder vom Fieber geschüttelt + würde. Seine Begleiter hatten beide einen menschlichen Rumpf, der aber von + Vogelbeinen mit starken Krallen getragen wurde, während er bei dem einen von + einem Fischkopfe, bei dem anderen von einem Hundekopfe gekrönt war. In den + Händen trug jeder einen langen Speer.</p> + <p>Der mit dem Fischkopf sprach zuerst:</p> + <p>"Dies, Ehrwürdiger, ist die Speerhölle, wo du nach dem Spruch des + Höllenrichters zehntausendjährige Strafe abzubüßen hast, indem + du von diesen zuckenden Speeren ununterbrochen durchbohrt wirst;--um dann je nach + deinen sonstigen Taten irgendwo wiedergeboren zu werden.</p> + <p>Dann sprach der mit dem Hundekopf:</p> + <p>"So oft sich, Ehrwürdiger, in deinem Herzen zwei Speere kreuzen, wisse, + daß dann tausend Jahre von deiner Höllenqual um sind."</p> + <p>Kaum hatte er dies gesagt, so schwangen beide Höllenwächter ihre Lanzen + und durchbohrten Vajaçravas. Wie auf ein gegebenes Zeichen zuckten jetzt alle + Speere ringsum auf ihn los und durchbohrten ihn mit ihren Spitzen von allen Seiten, + wie eine Schar von Raben sich über ein hingeworfenes Aas wirft und ihre + Schnäbel in das Fleisch hackt. Bei diesem schrecklichen Anblick und den + jammervollen Schreien, die Vajaçravas in seiner Qual ausstieß, vergingen + mir die Sinne.</p> + <p>Als ich wieder erwachte, lag ich im Walde, unter dem großen Baume, zu + Füßen des Erhabenen hingestreckt.</p> + <p>"Hast du gesehen, Angulimala?"</p> + <p>"Ich habe gesehen, o Herr."</p> + <p>Und ich wagte nicht einmal hinzuzufügen: "Errette mich!" Denn wie konnte + <i>ich</i> begehren, errettet zu werden?</p> + <p>"Wenn du nun nach der Auflösung deines Leibes infolge deiner Taten auf + abschüssige Fährte gelangst, in höllische Welt, und der Richtender + Schatten über dich denselben Spruch ergehen läßt, und die + Höllenwächter dich in die Speerhölle zu derselben Strafe führen: + geschieht dir dann zuviel, Angulimala?"</p> + <p>"Nein, Herr, es geschieht mir nicht zu viel."</p> + <p>"Ein Wandel aber, von dem du selber gestehst, daß er gerechterweise zu + solchen, unausdenkbaren Qualen führt, ist das wohl, Angulimala, ein Wandel, der + wert ist, fortgesetzt zu werden?"</p> + <p>"Nein, o Herr! Diesem Wandel will ich entsagen, abschwören will ich meine + teuflischen Gewohnheiten um ein Wort deiner Wahrheit."</p> + <p>"Vor Zeiten einmal, Angulimala, hat der Richter der Schatten innig erwogen: 'Wer + da wahrlich Übeltaten in der Welt verübt, wird mit solchen mannigfachen + Strafen gestraft. O, daß ich doch Menschentum erreichte, und daß ein + Vollendeter, ein vollkommen erwachter Buddha in der Welt erschiene, und ich um ihn, + den Erhabenen, sein könnte: und daß er, der Erhabene, mir die Satzung + darlegte, und daß ich sie verstände!'</p> + <p>Was nun jener Richter der Schatten sich so innig erwünschte, das ist dir, + Angulimala, geworden. Du hast das Menschentum erreicht. Gleichwie aber, Angulimala, + auf diesem indischen Festlande nur wenig freundliche Haine, herrliche Wälder, + schöne Hügel und liebliche Lotusteiche sich befinden, sondern im Vergleich + damit reißende Flüsse, Urwälder, öde Felsgebirge und dürre + Wüsten bei weitem zahlreicher sind:</p> + <p>ebenso auch werden nur wenig Wesen unter den Menschen geboren im Vergleich zu den + weit zahlreicheren Wesen, die in anderen Reichen als dem der Menschheit zum Dasein + gelangen;--</p> + <p>ebenso auch sind nur wenige Geschlechter gleichzeitig mit einem Buddha auf Erden, + im Vergleich zu den weit zahlreicheren, zu deren Zeit kein Buddha erstanden + ist;--</p> + <p>ebenso auch wird es von jenen wenigen Geschlechtern nur wenigen Wesen zuteil, den + Vollendeten zu sehen, im Vergleich zu jenen weit zahlreicheren, die ihn nicht + sehen.</p> + <p>Du aber, Angulimala, hast Menschentum erlangt; und zwar zu einer Zeit, wo ein + vollkommener Buddha in der Welt erschienen ist, und du hast ihn gesehen und du kannst + um ihn, den Erhabenen, sein."</p> + <p>Als ich diese Worte vernahm, faltete ich die Hände und rief:</p> + <p>"Heil dir, o Heiliger! So bist du denn selber der vollkommen erwachte Buddha! So + hat denn das edelste der Wesen sich des schlechtesten erbarmt! So willst denn du, + Erhabener, mir erlauben, um dich zu sein?"</p> + <p>"Ich will's," antwortete der Erhabene. "Und so vernimm nun auch dieses:</p> + <p>ebenso gibt es unter den wenigen, die den Erhabenen sehen, nur wenige, die seine + Satzung hören, und von diesen nur wenige, die sie verstehen. Du aber wirst die + Satzung hören und verstehen. Komm, Jünger!"</p> + <p>Und der Erhabene war in den Wald hineingeschritten gleichwie ein + Elefantenjäger, der auf seinem zahmen Ilfen reitet. Er verließ aber den + Wald wieder, gleichwie ein Elefantenjäger den Wald verläßt, von einem + wilden, durch seine Kunst bezähmten Ilfen gefolgt.</p> + <p>So bin ich denn nun zu dir gekommen, Vasitthi: nicht der Räuber Angulimala, + sondern der Jünger Angulimala. Sieh, ich habe Speer und Keule, Stock und + Geißel von mir geworfen, habe Töten und Quälen abgeschworen, und vor + mir haben alle Wesen Frieden.</p> + <h2><a id="chap_xxxv" name="chap_xxxv">XXXV. LAUTERE SPENDE</a></h2> + <p><img src="images/xxxv.png" width="93" height="93" align="left" alt="I" />ch weiss + nicht, wie lange es dauerte, ehe ich meine Lippen öffnete, aber eine recht lange + Zeit, glaube ich, saß ich stumm da und ließ Alles, was mir Angulimala + erzählt hatte, Punkt für Punkt vor mir auftauchen, und dachte darüber + nach und wunderte mich immer mehr. Denn obwohl ich viele Sagen aus alter Zeit von + göttlichen Wundern und besonders von den Wundertaten Krishnas, als er auf dieser + Erde wanderte, gehört hatte, so kamen sie mir doch alle miteinander + geringfügig vor, wenn ich sie mit dem verglich, was an diesem Tage Angulimala im + Walde widerfahren war.</p> + <p>Und ich fragte mich nun selber, ob jener große Mann, der in wenigen Stunden + aus dem schrecklichen Räuber diesen sanften Menschen, der soeben zu mir + gesprochen, gemacht hatte--jener "Vollendete", der das Wildeste, was es in der ganzen + Natur gab, so leicht und sicher gezähmt hatte: ob er nicht auch imstande sei, + mein friedloses, von Leidenschaften stürmisch bewegtes Herz zu beruhigen und + durch das Licht seiner Worte die nächtige Trauerwolke von ihm zu verscheuchen? + Oder war dies vielleicht noch schwieriger, ja wohl gar eine Aufgabe, deren + Lösung selbst die Kräfte des heiligsten Asketen überstieg?</p> + <p>Fast fürchtete ich, das letztere möchte der Fall sein, aber ich fragte + doch, wo wohl jener große Asket, den er seinen Meister nannte, sich aufhielte, + und ob auch ich ihn wohl aufsuchen könne.</p> + <p>"Recht so," antwortete Angulimala, "daß du sofort danach fragst--und wonach + solltest du auch sonst fragen? Deshalb bin ich ja zu dir gekommen. Die wir im + Bösen Verbündete sein wollten, wir werden es jetzt im Guten sein. Der + Erhabene weilt jetzt im Sinsapawalde, von dem du selber sprachst. Begib dich morgen + dorthin, aber erst gegen Abend. Denn dann haben die Mönche ihre Gedenkenruhe + beendigt und versammeln sich am alten Krishnatempel, und der Erhabene spricht da zu + ihnen und zu den sonst Anwesenden. Zu dieser Stunde gehen nämlich viele + Männer und Frauen von der Stadt dort hinaus, um den Gesegneten zu sehen und + seinen lichtspendenden Worten zu lauschen; und mit jedem Abend wird der Andrang + größer. Oft dauert ein solcher Vortrag bis in die späte Nacht hinein. + Von alledem war ich schon genau unterrichtet, weil ich in der Sündhaftigkeit + meines Herzens den scheußlichen Plan geschmiedet hatte, mit meinen Leuten + nächstens die Versammlung zu überfallen. Die Gaben an Lebensmitteln und + Stoffen, die viele der Besucher als Geschenke für den Orden mitbringen, bilden + schon eine--wenn auch nicht reiche--so doch keineswegs ganz zu verschmähende + Beute. Besonders aber gedachte ich einige vornehme Bürger aufzuheben und + schweres Lösegeld von ihnen zu erpressen, und verband damit die Hoffnung, durch + einen so dreisten Handstreich, gerade vor den Toren der Stadt, Satagira endlich aus + den Mauern herauszulocken. Denn als ich den Plan faßte, war mir seine + bevorstehende Reise noch unbekannt.--Versäume also nicht, edle Frau, morgen + gegen Abend nach dem alten Krishnatempel zu gehen, das wird dir lange zum Heil + gereichen. Mich verlangt es jetzt eiligst dahin zu kommen, ob ich wohl noch etwas + hören werde. Doch in solchen schönen Mondnächten bleiben die + Mönche lange beisammen, in religiöse Gespräche vertieft, und erlauben + Einem gern zuzuhören."</p> + <p>Er verbeugte sich tief vor mir und entfernte sich schnell.--</p> + <p>Am nächsten Vormittage schickte ich nach Medini, die nun ebenso bereit war, + mit ihrem Gatten Somadatta mir Gefolge nach dem Krishnahain zu leisten, wie damals, + als es sich darum handelte, die Begegnung zweier Liebenden zu vermitteln. In der Tat + hatte sie schon vorher einmal ihren Gatten gebeten, sie eines Abends dort hinaus zu + bringen, denn sie ließ sich nicht leicht etwas entgehen, wovon die Leute + sprachen. Somadatta aber hatte sich vor dem Hausbrahmanen gefürchtet, und so war + sie denn hocherfreut, durch die Aufforderung der Ministersgattin jenem Tyrannen + gegenüber gedeckt zu sein.</p> + <p>Wir fuhren sofort nach den Kaufhallen, wo Somadatta, der dort seine Geschäfte + besorgte, uns behilflich war, solche Stoffe auszusuchen, die für die Bekleidung + der Mönche und der Nonnen geeignet waren. Auch kaufte ich dort eine große + Menge Arzneien. Wieder nach Hause gekommen, plünderten wir die Vorratskammern: + Krüge mit dem feinsten öl, Kisten mit Honig, mit Butter und mit Zucker, + Schüsseln mit Eingemachtem aller Art wurden für unseren frommen Zweck zur + Seite gestellt. Meine eigenen Schränke mußten das Ausgesuchteste, was sie + an wohlriechendem Wasser, Sandelstaub und Kampfer bargen, hergeben, und dann ging es + in den Garten, dessen Blumenflor nicht geschont wurde.</p> + <p>Als die ersehnte Stunde kam, waren schon alle diese Sachen auf einen mit + Maultieren bespannten Wagen geladen. Wir selber nahmen unter dem Zelte eines anderen + Wagens Platz, und von den zwei silberweißen Vollblut-Sindhrossen gezogen, die + jeden Morgen dreijährigen Reis aus meiner Hand fraßen, fuhren wir zum + Stadttor hinaus.</p> + <p>Die Sonne näherte sich schon den Kuppeln und Türmen der Stadt hinter + uns, und ihre Strahlen vergoldeten den Staub, der den ganzen Weg entlang aufgewirbelt + wurde von den vielen, die wie wir--meistens jedoch zu Fuß--hinauspilgerten, um + den Buddha zu sehen und zu hören.</p> + <p>Bald erreichten wir den Eingang zum Walde. Hier ließen wir die Wagen halten + und begaben uns zu Fuß weiter, von Dienern gefolgt, welche die mitgebrachten + Weihgeschenke trugen.</p> + <p>Seit jener Nacht aber, als wir dort voneinander Abschied nahmen, war ich in diesem + Walde nicht wieder gewesen. Als ich nun--in derselben Begleitung--in seinen + kühlen Schatten eintrat, überwältigte mich ein solcher + Erinnerungsduft, der, gleichsam für mich hier aufgespeichert, im Verlaufe der + Jahre seine Süßigkeit bis zur Giftigkeit konzentriert hatte, daß ich + betäubt stehen blieb. Es war mir, als ob meine Liebe, in voller Stärke + erwacht, sich mir in den Weg stellte, mich der Fahnenflucht und des Verrates zeihend. + Denn ich kam ja nicht hierher, um ihr durch Einatmen des Erinnerungsduftes neue + Nahrung zu geben, sondern um für mein enttäuschtes und gequältes Herz + den Frieden zu suchen. Hieß das aber nicht vergessen, der Liebe entsagen + wollen? War das nicht Wortbruch und feiger Verrat?</p> + <p>In solchem bangen Zweifel stand ich da, unschlüssig, ob ich weitergehen oder + umkehren solle--zu großer Enttäuschung Medinis, die vor Ungeduld + trippelte, wenn Andere uns überholten.</p> + <p>Jedoch der Anblick dieses Waldinneren, von der späten Nachmittagssonne mild + und goldig durchstrahlt--das leise, gleichsam mahnende Rauschen und Lispeln der + Blätter--die Leute, die beim Eintreten sofort verstummten und sich + erwartungsvoll, fast scheu umsahen--hier und dort, in einiger Entfernung, am + Fuße eines mächtigen Baumstammes, ein in die Falten seines gelben Mantels + gehüllter Asket, mit untergeschlagenen Beinen und in Selbstvertiefung versunken, + aus der erwachend wohl dann auch dieser und jener sich erhob und, ohne sich + umzusehen, dieselbe Richtung einschlug, in der alle einem noch unsichtbaren Ziele + zustrebten:--alles dies trug einen so still erhabenen Charakter und schien davon zu + zeugen, daß hier Geschehnisse vorgingen so seltener, ja heiliger Art, daß + sich keine Macht in der Welt dagegen stellen dürfte, ja, daß selbst die + Liebe, wenn sie ihre Stimme dagegen erhöbe, ihres ganzen göttlichen Rechtes + verlustig gehen würde.</p> + <p>So schritt ich denn entschlossen weiter, und die an Angulimala gerichteten Worte + des Erhabenen von den vielen Menschengeschlechtern, die dahinleben, ohne daß + ein Buddha in der Welt wäre, und von den so äußerst wenigen selbst + unter den Zeitgenossen eines Buddha, denen es beschieden sei, ihn zu hören und + zu sehen--diese Worte hallten mir im Ohre, wie das Läuten einer Tempelglocke, + und ich fühlte mich wie eine Gebenedeite, die einem Erlebnisse entgegengeht, um + welches kommende Geschlechter sie beneiden.</p> + <p>Als wir die Lichtung erreichten, wo die Tempelruine stand, waren hier schon viele + Leute versammelt, sowohl Laien wie Mönche. Sie standen in Gruppen verteilt, die + meisten in der Nähe der Ruine, die sich uns gegenüber erhob. Nahe an der + Stelle, wo wir die Waldwiese betraten, bemerkte ich eine größere Gruppe + von Mönchen, unter welchen mir ein wahrer Riese auffallen mußte, denn er + überragte auch die höchsten neben ihm Stehenden um Haupteslänge.</p> + <p>Während wir uns nun umsahen, wohin wir wohl am besten unsere Schritte lenken + sollten, trat zwischen uns und jenen Mönchen ein alter Asket aus dem Walde + heraus. Seine hohe Gestalt hatte eine so königliche Haltung, und eine so heitere + Ruhe strahlte aus seinen edlen Zügen, daß mir sofort der Gedanke kam: ob + dieser Asket wohl der Sakyersohn sein sollte, den sie den Buddha nennen?</p> + <p>In seiner Hand trug er einige Sinsapablätter, und an jene Mönche sich + wendend, sprach er:</p> + <p>"Was meint ihr, ihr Jünger, was ist mehr, diese Sinsapablätter, die ich + in der Hand halte, oder die anderen Blätter droben im Sinsapawalde?"</p> + <p>Und die Mönche antworteten:</p> + <p>"Die Blätter, die der Erhabene in der Hand hält, sind wenige, und viel + mehr sind jene Blätter droben im Sinsapawalde."</p> + <p>"So auch," sagte er, der--wie ich jetzt wußte--der Buddha war--"so auch, ihr + Jünger, ist das viel mehr, was ich erkannt und euch nicht verkündet, als + das, was ich euch verkündet habe. Und warum, ihr Jünger, habe ich euch + jenes nicht verkündet? Weil es euch keinen Gewinn bringt, weil es nicht den + Wandel in Heiligkeit fördert, weil es nicht zur Abkehr vom Irdischen, zum + Untergang aller Lust, zum Aufhören des Vergänglichen, zum Frieden, zum + Nirvana führt."</p> + <p>'So hatte also jener törichte Greis doch darin recht!' rief Kamanita.</p> + <p>'Welcher Greis?' fragte Vasitthi.</p> + <p>'Jener Asket, mit dem ich--wie ich dir erzählte--im Vororte Rajagahas, in der + Halle eines Hafners, die Nacht zubrachte, die letzte meines Erdenlebens, Er wollte + mir durchaus die Lehre des Erhabenen darlegen, was ihm, wie ich wohl merkte, nicht + sonderlich gelang. Aber er brachte doch offenbar viele echte Aussprüche vor, und + unter diesen eben auch wortgetreu, was du mir jetzt berichtet hast--sogar den Ort gab + er richtig an und bewegte mich dadurch tief. Freilich, hätte ich geahnt, + daß du dabei anwesend warst, dann wäre ich noch tiefer ergriffen + worden.'</p> + <p>'Er mag wohl selber sich unter den Anwesenden befunden haben,' sagte Vasitthi, + jedenfalls hat er dir genau berichtet. Und der Erhabene fügte noch hinzu:</p> + <p>"Und was, ihr Jünger, habe ich euch verkündet? Was das Leiden ist, habe + ich euch verkündet. Was die Entstehung des Leidens ist, was die + Leidensvernichtung ist, was der zur Leidensvernichtung führende Weg ist--dies + alles habe ich euch verkündet. Darum, ihr Jünger, was ich offenbart habe, + das lasset offenbart sein, und was ich unoffenbart gelassen habe, das lasset + unoffenbart bleiben."</p> + <p>Indem er diese Worte sprach, öffnete er die Hand und ließ die + Blätter fallen. Als nun das eine wirbelnd in meine Nähe hinflatterte, nahm + ich mir ein Herz, trat eilig hervor und fing es auf, noch bevor es die Erde + berührt hatte, indem ich es somit gleichsam aus seiner Hand empfing--um dann + dies unschätzbare Erinnerungszeichen an meinem Busen zu verbergen, ein Symbol + des Wenigen, aber einzig Nötigen, das uns der Vollendete aus seinem + unermeßlichen Wissenshort mitteilte, das mich bis zu meinem Tode nicht mehr + verlassen sollte.</p> + <p>Diese meine Bewegung zog die Aufmerksamkeit des Erhabenen auf mich. Jener + riesenhafte Mönch verbeugte sich jetzt vor ihm und machte ihm flüsternd + eine Mitteilung, worauf der Meister mich noch einmal ansah und dann dem Mönche + einen Wink gab.</p> + <p>Dieser trat auf uns zu.</p> + <p>Wir verneigten uns alle tief, und ich sagte, daß ich, die Gemahlin des + Ministers Satagira, einige geringe Gaben für den Orden der Heiligen mitgebracht + hätte, um deren gütige Annahme ich bäte, und daß wir alle + gekommen wären, um die Worte der Wahrheit zu vernehmen.</p> + <p>"Tritt näher, edle Frau," sagte der Mönch--und sofort hörte ich, + daß es Angulimala war--"der Erhabene will selber deine Gaben in Empfang + nehmen."</p> + <p>Wir traten alle bis auf ein paar Schritte an den Erhabenen heran und verneigten + uns tief, ihn ehrfurchtsvoll mit den vor der Stirn gehaltenen, zusammengelegten + Händen begrüßend, ohne daß ich ein Wort hervorzubringen + vermochte.</p> + <p>"Reich sind deine Gaben, edle Frau," sagte der Erhabene, "und meine Jünger + haben wenige Bedürfnisse. Erben der Wahrheit sind sie, nicht Erben der Not. Aber + auch die Buddhas der Vorzeit haben es so gehalten und gern Spenden frommer + Anhänger entgegengenommen, damit diesen Gelegenheit werde, die Tugend des + Almosengebens zu üben. Denn wenn die Wesen die Frucht des Gebens kennten, wie + ich sie kenne, dann würden sie, wenn sie auch nur eine Handvoll Reis übrig + hätten, diese nicht verzehren, ohne einem noch Ärmeren davon zu geben, und + der Gedanke des Eigennutzes, der ihren Geist verdunkelt, würde aus ihm + entweichen. So sei denn deine Spende vom Orden des Buddha mit Dank angenommen--eine + lautere Spende. Denn das nenne ich eine lautere Spende, durch welche der Geber + geläutert wird und der Empfänger auch. Und wie geschieht das? Da ist, + Vasitthi, der Geber sittenrein, edel geartet, und die Empfänger sind sittenrein, + edel geartet; so wird bei einer Spende der Geber geläutert und der + Empfänger. Das ist, Vasitthi, höchste Lauterkeit der Spende--einer solchen, + die du dargebracht hast."</p> + <p>Darauf wandte der Erhabene sich an Angulimala:</p> + <p>"Geh, mein Lieber, und laß diese Geschenke zu den Vorräten bringen. + Zuerst aber weise unseren edlen Gästen Plätze an vor den Stufen des + Tempels, denn von dort aus werde ich den heute Anwesenden die Lehre darlegen."</p> + <p>Angulimala hieß die Diener warten und forderte uns auf, ihm zu folgen. + Zuerst aber ließen wir uns alles, was wir an Blumen mitgebracht hatten, und + auch einige schöne Teppiche herausgeben. Dann gingen wir, von unserm stattlichen + Begleiter geführt, durch die zusammenströmende Menge, die uns ehrerbietig + Platz machte, nach dem Tempel.</p> + <p>Hier breiteten wir die Teppiche über die Stufen und schlangen Blumengewinde + um die alten, verwitterten und zerbröckelten Säulen. Dann zerpflückten + Medini und ich einen ganzen Korb voll Rosen und streuten die Blütenblätter + über den Teppich auf der obersten Stufe, für den Erhabenen, darauf zu + stehen.</p> + <p>Unterdessen hatten die Versammelten sich in einem großen Halbkreise + geordnet, die Laien links, die Mönche und Nonnen rechts vom Tempel--die + vordersten Reihen im Grase sitzend. Und auch wir nahmen jetzt auf einer + umgestürzten Säule Platz, nur wenige Schritte von den Stufen entfernt.</p> + <p>Es mochten wohl etwa fünfhundert Menschen dort versammelt sein, aber eine + fast lautlose Stille herrschte in der Runde, und man vernahm nur das stoßweise + Rauschen und das leise Blätterlispeln des Waldes.</p> + <h2><a id="chap_xxxvi" name="chap_xxxvi">XXXVI. BUDDHA UND KRISHNA</a></h2> + <p><img src="images/xxxvi.png" width="93" height="93" align="left" alt="D" />ie + untergehende Sonne schoß ihre Strahlenbündel zwischen die Stämme + hindurch, die lautlos wartende Versammlung im Waldesgrunde gleichsam mit einem + göttlichen Segensgruß weihend, und rosige Abendwölkchen lugten immer + leuchtender durch die Baumwipfel, als ob draußen, aus der Bläue der Luft + hervorschwebend, eine zweite Versammlung himmlischer Scharen sich bildete.</p> + <p>Der Tempelbau vor mir trank mit seinen schwarzen, zerbröckelten Steinen diese + letzte Sonnenglut, wie ein hinfälliger Alter einen Verjüngungstrank + schlürft. Unter dem Zauber der rotgoldigen Lichter und der purpurnen Schatten + belebten seine Massen sich wunderbar. Die schartigen Ränder der + Säulenkannelüren glitzerten, die Ecken sprühten, die Schnecken + krümmten sich, das Wellenmuster schäumte Gold, das Blätterwerk wuchs. + Die stufenartigen Absätze des hohen Unterbaues entlang, um Plinthen und + Kapitäle, am Gebälk und auf den Terrassen des kuppelförmigen + Daches--überall regte es sich in wirrem Durcheinander seltsamer und mystischer + Formen. Götter traten im Glorienschein hervor, mehrköpfige und vielarmige + Gestalten mit üppig wuchernden, vielfach verstümmelten Gliedmaßen, + dieser vier kopflose Hälse streckend, jener acht Armstümpfe schwenkend. + Brüste und Hüften schwellgliedriger Göttinnen entschleierten sich und + wälzten sich heran, und ihre runden Gesichter neigten sich unter der Last + turmhoher diademgeschmückter Haaraufsätze, ein sonniges Lächeln um die + vollen, sinnigen Lippen. Die Schlangenleiber der Dämonen wanden sich, + Greifenflügel spannten sich, zähnefletschend grinsten grimme + Unholdsfratzen; Menschenkörper wimmelten, Elefantenrüssel, + Pferdeköpfe, Stierhörner, Hirschgeweihe, Krokodilkiefer, Affenmäuler + und Tigerrachen taumelten in wirrem Knäuel durcheinander.</p> + <p>Das war kein bildwerkgeschmückter Bau mehr: das waren lebendig gewordene + Bildwerke, die, den Bann des Bauwerkes brechend, sich von seiner Masse loslösten + und diese kaum noch als Stütze duldeten. Eine ganze Welt schien aus ihrem + steinernen Schlaf erwacht zu sein und mit ihren Tausenden von Gestalten sich + hervorzudrängen um zu lauschen--dem Manne zu lauschen, der dort von ihrem + Schwarm umschlossen und überschattet auf der obersten Stufe stand, golden + glänzend in den länglich herabfallenden Mantelfalten--er, der Lebendige, + der einzig Ruhige mitten im unruhigen Wahnleben des Leblosen.</p> + <p>Jetzt war es, als ob die Stille der Versammlung noch tiefer würde, ja, mir + schien es, daß auch die Bäume ihr Blätterlispeln einstellten.</p> + <p>Und der Erhabene hub an zu reden.</p> + <p>Er sprach von dem Tempel, auf dessen Stufen er stand, und wo unsere Vorfahren + jahrhundertelang Krishna angebetet hatten, um durch das Vorbild seines Heroenlebens + zu einem heldenhaften Wirken und Dulden hier auf Erden aufgemuntert und durch seine + Gnade gestärkt zu werden, und um dann nach dem Tode in sein Freudenparadies + einzugehen und dort himmlische Wonne zu genießen. Nun aber hätten wir, die + Nachkommen uns dort eingefunden, um aus dem Munde eines vollkommenen Buddha die Worte + der Wahrheit zu vernehmen, um zu lernen, einen lauteren, heiligen Wandel zu + führen, und schließlich, durch völlige Überwindung jedes + Verlangens nach dem Vergänglichen, das Ende des Leidens zu erreichen, das + Nirvana. So vollende er, der Buddha, der völlig Erwachte, das Werk des + träumenden Gottes, so vollendeten wir, die Erwachsenen, was unsere Vorfahren in + kindlich erhabenem Schwärmen begonnen hätten.</p> + <p>"Dort seht ihr," sagte er, "wie ein trefflicher Künstler längst + vergangener Tage den Elefantenkampf Krishnas in Stein gebildet hat"--und er zeigte + auf ein mächtiges Reliefstück, das fast vor meinen Füßen lag, + die eine Ecke in den Rasen bohrend, die andere auf ein halb begrabenes Kapital + gestützt. In der letzten Sonnenglut, die den bemoosten Stein streifte, erkannte + man noch deutlich eine Gruppe--einen Jüngling, der, den Fuß auf den Kopf + eines gefallenen Ilfen setzend, diesem einen Hauer ausbricht.</p> + <p>Und der Erhabene erzählte nun, wie der König von Mathura, der + schreckliche Tyrann Kamsa, nachdem er Krishna zu einem Wettkampf an seinem Hofe + eingeladen hatte, im geheimen seinem Elefantentreiber befahl, am Eingang des + Kampfplatzes den wildesten Kriegselefanten aus seinem Stalle auf den ahnungslosen + Jüngling zu hetzen. Wie aber dann dieser das Ungetüm tötete und, zum + Schrecken des Königs, blutbesprengt und den abgebrochenen Hauer in der Hand, die + Arena betrat.</p> + <p>"Aber auch auf den Erhabenen"--so führte er weiter aus--"hatten seine Feinde + einen wilden Elefanten gehetzt. Und beim Anblick des heranstürmenden + Ungetüms wurde der Erhabene von Mitleid ergriffen. Denn das Blut strömte + dem Tiere am Bug herunter aus den Wunden, die ihm die Lanzen der Hetzer beigebracht + hatten. Noch mehr aber erfaßte ihn Mitleid, weil er da ein armes, in + blindwütender Leidenschaft befangenes Wesen vor sich sah, von der Natur mit Mut + und ungeheurer Kraft begabt, aber mit wenig Verstand versehen, und um dies Wenige + durch die Grausamkeit schlechter Menschen gebracht, die es in einen Zustand von + Wahnsinn gesetzt hatten, in welchem es nun gar einen Buddha umbringen + mußte:--ein wildes, verblendetes Wesen, dem es nur schwer gelingen mochte, + durch unendlich lange Wanderungen günstiges Menschentum zu erlangen und den Weg + der Erlösung zu betreten. Solchermaßen von Mitleid ganz erfüllt, + konnte der Erhabene keine Furcht empfinden, und kein Gedanke an eigene Gefahr konnte + in ihm aufkommen. Denn er überlegte sich: wenn es mir gelänge, auch nur den + schwächsten Lichtstrahl in diese stürmische Finsternis zu werfen, so + würde ein solcher Lichtsamen nach und nach aufgehen, und wenn dann dies Wesen, + durch dessen Schein geleitet, Menschentum erreichte, dann würde es auf Erden + noch die Lehre des Erhabenen vorfinden, den es einst erschlug, und diese Lehre + würde ihm zur Erlösung verhelfen.</p> + <p>"Von diesem Gedanken erfüllt, blieb der Erhabene mitten auf der Straße + stehen, erhob besänftigend die Hand, blickte den Wüterich liebevoll an und + sprach milde Worte, deren Klang das Herz des Wilden erreichte. Der riesige Ilf + stockte in seinem Sturmlauf, wiegte unschlüssig seinen bergähnlichen Kopf + hin und her, indem er anstatt des Donnergebrülls, das er vorher hatte hören + lassen, einige fast ängstliche Trompetenrufe ausstieß. Dabei bewegte er + den Rüssel in der Luft suchend nach allen Richtungen hin und her--so wie es ein + angeschossener Elefant im Walde tut, wenn er die Fährte seines verborgenen + Feindes verloren hat und sie wieder aufzuwittern hofft--und in der Tat hatte dieser + sich ja in seinem Feinde geirrt. Endlich kam er langsam bis auf einige Schritte an + den Erhabenen heran und beugte die Kniee, wie er es vor seinem Herrn zu tun gewohnt + war, wenn dieser ihn besteigen wollte. Und von dem bezähmten Elefanten gefolgt, + trat der Erhabene zur Beschämung seiner Feinde in den Park hinein, nach welchem + er eben unterwegs war.</p> + <p>"Auf solche Weise"--so schloß der Buddha diesen Vergleich--"nimmt der + Erhabene den Elefantenkampf Krishhas auf, vergeistigt ihn, veredelt ihn, + vervollkommnet ihn!"</p> + <p>Während ich dieser Erzählung lauschte--wie konnte ich da anders als an + Angulimala denken, den Wildesten der Wilden, der noch gestern den Buddha hatte + umbringen wollen und durch die unwiderstehliche Macht seiner Persönlichkeit + bezähmt, ja bekehrt worden war, so daß ich ihn jetzt drüben in den + Reihen der Mönche andächtig sitzen sah--selbst im Äußeren ein + anderer geworden. Und so erschien es mir denn, daß die Worte des Erhabenen ganz + besonders an mich gerichtet waren, als an die einzige Person--wenigstens + außerhalb des Mönchskreises--die um diese Sache wußte und den + geheimen Sinn der Rede verstehen konnte.</p> + <p>Weiter sprach nun der Erhabene von Krishna als dem + "sechzehntausendeinhundertfachen Bräutigam", als welchen ihn unsere Vorfahren + hier geehrt hatten, und wieder hatte ich ein Gefühl, als ob dieses einen + geheimen Bezug auf mich hätte, denn ich erinnerte mich ja, wie in jener Nacht + unserer letzten Zusammenkunft die häßliche alte Hexe den göttlichen + Heros mit diesem Namen genannt hatte, den ich nicht ganz ohne Herzklopfen vernahm. + Mit einem leisen Anflug von Humor erzählte der Erhabene dann, wie Krishna von + allen den Schätzen Besitz nahm, die er aus der Burg des Dämonenkönigs + Naraka entführt hatte. 'Und an einem glücklichen Tage,' heißt es, + 'vermählte er sich mit all den Jungfrauen, zu gleicher Zeit, indem er jeder + einzelnen als ihr Gatte erschien. Sechzehntausendeinhundert aber war die Zahl seiner + Frauen, und in so vielen einzelnen Gestalten verkörperte sich der Gott, so + daß ein jedes Mädchen meinte: mich allein hat der Herr erwählt.'</p> + <p>"Wenn ich aber"--also fuhr der Erhabene fort--"die Lehre verkünde und vor mir + eine Versammlung von mehreren hundert Mönchen und Nonnen und Laienanhängern + beiderlei Geschlechtes lauschend sitzt, denkt ein jeder von allen diesen + Zuhörern: 'Nur für mich hat der Asket Gautama die Lehre verkündet.' + Denn auf das einzelne Gemüt eines jeden Friedensuchenden richte ich da die Kraft + meines Geistes, bringe es zur Ruhe, einige es, füge es zusammen.</p> + <p>"So halte ich es allezeit, und auf diese Weise nehme ich den + sechzehntausendeinhundertfachen Bräutigamsstand Krishnas auf, durchgeistige ihn, + veredle ihn, vollende ihn."</p> + <p>Da war es mir nun, als ob der Erhabene meine Gedanken mir abgelesen hätte und + mir einen geheimen Verweis gäbe, auf daß ich nicht durch den Wahn einer + bevorzugten Stellung eine verderbliche Eitelkeit in mir aufkommen ließe.</p> + <p>Und der Buddha sprach nun weiter davon, wie Krishna nach dem Glauben unserer + Vorfahren, obschon er an sich der höchste Gott war, der die ganze Welt + trägt und erhält, dennoch durch Mitleid mit den Wesen bewegt, mit einem + Teil seines Selbstes von seinem hohen Himmel herabstieg und sich als Mensch unter + Menschen gebären ließ. Ihn aber, den Erhabenen, als er nach heißem + Ringen die vollkommene Erleuchtung, die selige, unerschütterliche + Erlösungsgewißheit sich zu eigen gemacht hatte, kam das Verlangen an, im + Genuß dieser seligen Heiterkeit zu verharren und Anderen die Lehre nicht zu + verkünden. "Denn dies genußsüchtige Geschlecht--so dachte ich--wird + das Sichlosmachen von allen Gebilden, die Versiegung der Lebenslust, die + Wahnerlöschung kaum verstehen, und aus der Darlegung der Lehre wird mir nur + Mühe und Plage erwachsen. So neigte sich mein Gemüt zur Verschlossenheit, + nicht zur Darlegung der Lehre. Und ich blickte dann noch einmal mit dem erwachten + Auge in die Welt. Und wie man in einem Lotusweiher einige Lotusrosen sieht, die sich + im Wasser entwickeln und unter dem Wasserspiegel bleiben, andere, die bis zum + Wasserspiegel dringen und darauf schwimmen, und endlich einzelne, die über das + Wasser emporsteigen und unbenetzt vom Wasser dastehen: also sah ich in der Welt Wesen + gemeiner Art und Wesen edler Art und Wesen der edelsten Art. Und ich dachte: Ohne + Gehör der Lehre verlieren sie sich: diese werden die Lehre verstehen. Und aus + Mitleid mit den Wesen entschloß ich mich dazu, auf den ungetrübten Besitz + der seligen Nirvanaruhe zeitweilig zu verzichten und der Welt die Lehre zu + verkünden.</p> + <p>"So nimmt ein vollkommener Buddha Krishnas Herabsteigen vom Himmel und sein + Menschwerden auf, verinnigt es, verklärt es, vollendet es."</p> + <p>Da kam mir ein Gefühl unsagbarer Freude, denn ich wußte, daß der + Buddha mich zu den Lotusrosen zählte, die aus der Wassertiefe bis zur + Spiegelfläche gedrungen sind, und daß ich durch seine Hilfe einst mich + darüber emporheben und frei dastehen würde, unbenetzt von der Materie.</p> + <p>Und der Erhabene erzählte die Heroentaten Krishnas, durch welche er zum Heile + der Wesen die Welt von Unholden und bösen Herrschern befreite, indem er die + Schlange der Gewässer Koliya bezwang, den stiergestaltigen Dämon Aristha + erschlug, die verheerenden Unholde Dhenuka und Kishi und den Dämonenfürsten + Naraka vernichtete, die bösen Könige Kamsa und Paundraka und andere blutige + Tyrannen, den Schrecken hilfloser Menschen, besiegte und tötete und so auf + mannigfache Weise das leidige Los der Menschen linderte. Der Erhabene aber + bekämpfe nicht die Feinde, die von außen die Menschen bedrohen, sondern + die Unholde in seinem eigenen Herzen: Gier, Haß und Irrwahn, Eigenliebe, + Lustverlangen, Durst nach Vergänglichem; und er befreie nicht die Menschheit von + diesem und jenem Ungemach, sondern vom Leiden.</p> + <p>Vom Leiden sprach dann der Gesegnete, wie es überall und immer dem Leben als + sein Schatten folgt. Da war es mir, als ob eine milde Hand mein eigenes Liebesleiden + aufhöbe, von mir wegnähme, und es in die große Leidensmasse + hineinwürfe, wo es in dem allgemeinem Strudel meinem Blick entschwand. Innig + tief empfand ich, daß ich da kein Recht auf dauerndes Glück habe, wo Alle + leiden. Ich hatte mein Glück genossen: es war entstanden, hatte sich entfaltet + und war vergangen, wie uns der Buddha lehrte, daß Alles in dieser Welt durch + eine Ursache entsteht und nach Verlauf seiner Zeit--über kurz oder lang--wieder + vergehen muß; und daß eben diese Vergänglichkeit, in welcher die + Wesenlosigkeit eines jeden Dinges sich entschleiert, der letzte unaufhebbare Grund + des Leidens sei--unaufhebbar, solange die Daseinslust unausgerottet fortwuchert und + immer Neues entstehen läßt. Ja, wie ein jeder an diesem Weltleiden schon + durch sein Dasein mitschuldig ist, so müsse ich--kam es mir vor--wenn ich von + Schmerz verschont geblieben wäre, mich jetzt doppelt schuldig fühlen und + ein Verlangen empfinden, auch mein Teil zu tragen. So konnte ich denn nicht mehr mein + eigenes Los bejammern, vielmehr wurde bei seinen Worten der Gedanke in mir wach: "O, + daß doch alle Wesen nicht länger zu leiden hätten! daß doch + diesem Heiligen sein Erlösungswerk so gelänge, daß sie Alle, Alle + entsündigt und erleuchtet, das Ende alles Leidens erreichten!"</p> + <p>Und auch von diesem Ende des Leidens und der Welt, von der Überwindung jeder + Daseinsform, von der Erlösung in wunschloser Gleichmütigkeit, von der + Wahnerlöschung, von Nirvana sprach nun der Meister--seltsame, wunderbare Worte + von der einzigen Insel im wogenden Meere des Werdens, dessen Todesbrandung machtlos + an ihrem Felsenufer zerschäumte, und nach welcher die Lehre des Vollendeten wie + ein sicheres Fahrzeug hinüberführe. Und er sprach von dieser seligen + Stätte des Friedens, nicht wie Einer spricht, der uns erzählt, was er von + Anderen--von Priestern--gehört hat, und auch nicht wie ein Sänger, der + seine Einbildungskraft schweifen läßt, sondern wie Einer, der + Selbsterlebtes und Geschautes mitteilt.</p> + <p>Vieles freilich sagte er dabei, was ich, die ungelehrte Frau, nicht verstand, und + was wohl selbst dem Gelehrtesten nicht leicht verständlich gewesen wäre, + Manches vermochte ich nicht miteinander zu verknüpfen, denn hier war Sein und + Nichtsein zugleich, nicht Leben und doch noch weniger Leblosigkeit. Mir war aber zu + Mute, wie einem, der ein neues, allen anderen unähnliches Lied hört, von + dem er nur wenige Worte auffassen kann, während die Töne ihm Alles sagend + ins Herz dringen. Und welche Töne! Töne von solch kristallener Reinheit, + daß alle anderen dagegen gehalten, Einem wie leeres Geräusch vorkommen + mußten, Klänge, die von so fern her, von solch überweltlichen + Höhen herübergrüßten, daß eine neue, ungeahnte Sehnsucht + erweckt wurde, von der man fühlte, daß sie von nichts Irdischem oder + Erdenähnlichem jemals gestillt werden könnte, und daß sie ungestillt + nie mehr ganz schwinden würde.</p> + <p>Unterdessen war es völlig Nacht geworden. Das schwache Licht des Mondes, der + hinter dem Tempel aufging, warf dessen Schatten quer über die ganze Waldwiese. + Kaum sah man noch die Gestalt des Redners. Diese übermenschlichen Worte schienen + aus dem Heiligtum selber herauszutönen, das alle die tausende wilden und wirren, + lebentäuschenden Gestalten wieder in seine Schattenmasse verschlungen hatte und + in einfachen, wuchtigen Formen sich auftürmte--ein Grabmal alles irdischen und + himmlischen Lebens.</p> + <p>Die Hände um die Kniee gefaltet, saß ich lauschend da und blickte zum + Himmel empor, wo große Sterne über den dunkeln Baumwipfeln funkelten. + Leuchtend durchquerte ihn die himmlische Ganga. Da gedachte ich jener Stunde, als wir + beide hier an derselben Stelle feierlich die Hände zu ihr emporhoben und bei + ihren silbernen Fluten, die diese Lotusteiche speisen, uns zuschworen, hier, im + Paradiese des Westens, uns wiederzusehen--in einem Freudenhimmel, gleich demjenigen + Krishnas, von welchem jetzt auch der Erhabene sprach, als von dem Orte, dem die + Gläubigen zustrebten. Und als ich daran dachte, wurde mir wehmütig ums + Herz, aber ich konnte kein Verlangen in mir spüren nach einem solchen + Paradiesleben--denn ein Schimmer von etwas unendlich Höherem hatte mein Auge + erleuchtet.</p> + <p>Und ohne Enttäuschung, ohne schmerzliche Bewegung, wie etwa bei Einem, dem + die teuerste Hoffnung zerstört wird, vernahm ich die Worte des Erhabenen:</p> + <p>"Alles Entstandene auflösend weht dahin der Verwesung Hauch, Wie ein + irdischer Prachtgarten welken Paradiesblumen auch."</p> + <h2><a id="chap_xxxvii" name="chap_xxxvii">XXXVII. PARADIESWELKEN</a></h2> + <p><img src="images/xxxvii.png" width="93" height="93" align="left" alt="J" />a, mein + Freund," fügte Vasitthi hinzu, ohne Enttäuschung vernahm ich jene Worte, + die dir so hoffnungsvernichtend erschienen, wie ich jetzt ohne Schmerz, ja sogar mit + Freude sehe, wie hier ringsum die Wahrheit dieser Worte zur Wirklichkeit wird."</p> + <p>Während der Erzählung Vasitthis war in der Tat das Welken langsam, aber + unaufhaltsam fortgeschriten, und es konnte nunmehr nicht der leiseste Zweifel + bestehen, daß alle diese Wesen und ihre Umgebungen dem Untergang und der + völligen Auflösung entgegensiechten.</p> + <p>Die Lotusrosen hatten schon mehr als die Hälfte ihrer Kronenblätter + gefällt, und das Wasser glitzerte nur noch spärlich hervor zwischen diesen + bunten Schifflein, jeden Augenblick in Zittern versetzt durch das Fallen eines + Blattes. Auf ihren schmuckberaubten Blumenthronen saßen die Gestalten in mehr + oder weniger zusammengesunkenen Stellungen; diesem war der Kopf vornüber auf die + Brust, jenem seitlings auf die Schulter gesunken, und wie Fieberschauer durchzuckte + es sie jedesmal, wenn ein fröstelndes Schaudern die schon gelichteten Wipfel der + Haine durchlief, so daß Blüten und Blätter herniederregneten. Traurig + gedämpft, und immer häufiger von schmerzlichen Dissonanzen durchzogen, + klang die Musik der himmlischen Genien; tiefe Seufzer und angstvolles Stöhnen + mischten sich hinein. Alles, was geleuchtet hatte--Gesichter und Gewänder der + Seligen und der Genien, Wolken und Blumen--, sie alle verloren mehr und mehr ihren + Glanz, und ein bläulicher Dämmerungsnebel schien seine Fäden um die + Fernen zu spinnen. Aus dem frischen Blumenduft, der vorher so herzerquickend Alles + durchhaucht hatte, war aber jetzt allmählich ein atembeklemmender und + sinnenbetäubender, einschläfernder Geruch geworden.</p> + <p>Und Kamanita zeigte umher mit einer matten Handbewegung:</p> + <p>"Wie kann man denn, Vasitthi, an einem solchen Anblick Freude empfinden?"</p> + <p>"Deshalb, mein Freund, kann ich mich über diesen Anblick freuen, weil, wenn + dies Alles dauerhaft und unvergänglich wäre, es kein Höheres + gäbe. Nun aber gibt es ein Höheres, denn dies vergeht--und es gibt ein + Unvergängliches, Unentstandenes. Das eben nennt der Erhabene "Freude der + Vergänglichkeit", und deshalb sagt er: 'Wenn du den Untergang des Erschaffenen + erkannt hast, dann kennst du das Unerschaffene'."</p> + <p>Durch diese zuversichtlichen Worte belebten sich die Züge Kamanitas, wie eine + vor Trockenheit hinwelkende Blume sich unter dem Regen erholt.</p> + <p>"Gepriesen seist du, Vasitthi! zu meinem Heile bist du mir gegeben. Ja, ich + fühle es: darin nur haben wir gefehlt, daß unsere Sehnsucht nicht hoch + genug gezielt hat. Denn wir ersehnten uns ja dies Leben in einem Blumenparadiese. Und + Blumen müssen freilich, ihrer Natur nach, verwelken. Unvergänglich aber + sind die Sterne; nach ewigen Gesetzen wandeln sie ihre Bahnen. Und sieh dort, + Vasitthi, während alles andere die blassen Spuren des Verfalles zeigt, + gießt jenes Flüßchen--ein Zweig der himmlischen Ganga--sein Wasser + ebenso sternenklar und ebenso reichlich wie je in unseren Teich--weil es eben von der + Sternenwelt kommt. Wer das erreichen könnte, unter den Sternengöttern + wieder ins Dasein zu treten, der wäre über den Kreislauf des + Vergänglichen erhaben."</p> + <p>"Warum sollten wir das nicht erreichen können?" fragte Vasitthi. "Denn ich + habe ja von Mönchen gehört, die ihren Sinn und ihr Herz darauf richteten, + im Reiche des hunderttausendfachen Brahma wiederzukehren. Und auch jetzt kann es noch + nicht zu spät sein, wenn das alte Wort aus dem hohen Liede wahr ist:</p> + <p>'Das Sein, an welches denkend er aus diesem Leibe scheidet,<br /> + In dieses Sein wird jedesmal er drüben eingekleidet'."</p> + <p>"Vasitthi! du gibst mir jenen übermenschlichen Mut! Wohlan, wir wollen unser + ganzes Sinnen darauf richten, im Reiche des hunderttausendfachen Brahma wieder ins + Dasein zu treten."</p> + <p>Kaum hatten sie diesen Entschluß gefaßt, so brauste ein mächtiger + Sturmwind durch die Haine und über die Teiche. Blüten und Blätter + wirbelten haufenweise dahin, die Lotusthronenden duckten sich und zogen stöhnend + den Mantel dichter um die zitternden Glieder.</p> + <p>Wie aber Einer, der in der eingeschlossenen, düftegesättigten Luft eines + Zimmers am Ersticken ist, wenn der frische Meerwind, salzig von den Fluten des + Ozeans, durch das geöffnete Fenster hereinweht, diesen aus voller Brust atmet + und sich neu belebt fühlt: also wurde Kamanita und Vasitthi zu Mute, als ihnen + jener Duft des völlig Reinen entgegenströmte, den sie einst am Gestade der + himmlischen Ganga geatmet hatten.</p> + <p>"Merkst du's?" fragte Vasitthi.</p> + <p>"Ein Gruß von der Ganga. Und horch, sie ruft," sagte Kamanita.</p> + <p>Denn die klagende Sterbeweise der Genien wurde jetzt durch jene feierlichen, + donnerähnlichen Klänge übertäubt.</p> + <p>"Gut, daß wir schon den Weg kennen," jubelte Vasitthi. "Fürchtest du + dich noch, mein Freund?"</p> + <p>"Wie sollte ich mich fürchten? Komm!"</p> + <p>Und wie ein Vogelpaar sich aus dem Neste stürzt und dem Winde entgegenfliegt, + also flogen sie von dannen.</p> + <p>Alle starrten ihnen nach, verwundert, daß es hier noch Wesen gäbe, die + Kraft und Mut zu einem Fluge besäßen.</p> + <p>Als sie aber so dem Winde entgegenflogen, entstand ein Wirbelsturm, der hinter + ihnen Alles entblätterte und entseelte, dem hinsiechenden Leben Sukhavatis ein + Ende machend.</p> + <p>Bald war der Palmenwald erreicht, bald durchflogen. Vor ihnen breitete sich die + silbrige Fläche des Weltenstromes bis zum schwarzblauen Himmelsrande.</p> + <p>Sie schwebten über seine Fluten hinaus, und sofort wurden sie von der dort + herrschenden Luftströmung erfaßt und im Sturmesflug davongetragen. Durch + die Schnelligkeit der Fahrt und unter dem mächtigen Getöse wie von Donner + und Glockengeläute schwanden ihnen die Sinne.</p> + <h2><a id="chap_xxxviii" name="chap_xxxviii">XXXVIII. IM REICHE DES + HUNDERTTAUSENDFACHEN BRAHMA</a></h2> + <p><img src="images/xxxviii.png" width="93" height="93" align="left" alt="U" />nd + Kamanita und Vasitthi traten wieder ins Dasein, im Reiche des hunderttausendfachen + Brahma, als die Götter eines Doppelgestirns.</p> + <p>Der leuchtende Astralstoff, an den die geistige Wesenheit Kamanitas gebunden war, + umhüllte gleichmäßig den Himmelskörper, der von seiner Kraft + belebt, von seinem Willen gelenkt wurde. Durch diesen Willen wurde der Stern + zunächst um seine Achse gedreht, und diese Bewegung war sein Eigenleben, war + seine Selbstliebe.</p> + <p>Und er spiegelte sich im Glanze Vasitthis und spiegelte ihren Glanz wider. + Strahlenwechselnd umkreisten sie einen Mittelpunkt, wo sich ihre Strahlen sammelten. + Dieser Punkt war ihre Liebe, das Kreisen darum war ihr Liebesleben, und daß sie + sich dabei ineinander spiegelten--das war ihre Liebeswonne.</p> + <p>Allseitig Auge, schaute jeder von ihnen gleichzeitig nach allen Richtungen des + unendlichen Raumes. Und überall sahen sie zahllose Sternengötter, wie sie + selber, deren Strahlenblicke sie empfingen und erwiderten. Da war zunächst eine + Anzahl, die mit ihnen zusammen eine Gruppe für sich bildeten; daneben andere + Gruppen, die mit der ihrigen zusammen ein ganzes Weltsystem ausmachten; ferner andere + Systeme, die sich zu einer Kette von Systemen verbanden, und weiter noch mehrere + Ketten, und Ringe von Ketten, und Sphären von Kettenringen. Und Kamanita und + Vasitthi lenkten nun ihr Doppelgestirn in harmonischem Fluge unter den anderen + Sternen und Doppelgestirnen ihrer Gruppe, indem sie, wie in einem wohlgeordneten + Tanzreigen, ihren Nachbarn weder zu nahe kamen, noch sich zu weit von ihnen + entfernten, während alle gegenseitig, durch eine gewisse Sympathie, einander die + genaue Richtung und das rechte Maß der Bewegung mitteilten. Dabei bildete sich + aber auch gleichsam ein gemeinsamer Wille, der ihre ganze Gruppe in die Bewegung der + Gruppen ihres Systems einlenkte, welches dann wiederum auf dieselbe Weise unter + seinesgleichen sich weiterbewegte.</p> + <p>Und diese Teilnahme am ungeheuren, schwebenden Tanze der Weltkörper, diese + gemeinsame und endlos vielfältige Wechselbewegung--das war ihre + Weltangehörigkeit, ihr Außenleben, ihre Alles umfassende und + durchdringende Nächstenliebe.</p> + <p>Was aber hier Harmonie der Bewegung ist, das erscheint den unterhalb der + Sternengötter weilenden Luftgöttern als Harmonie der Klänge; durch + Teilnahme an ihrem Genüsse ahmen die himmlischen Genien in den Paradiesen diese + Harmonien in ihren wonnigen Weisen nach, und indem ein schwacher Abklang von diesen + bisweilen bis an die Erde dringt--so schwach, daß er nur von den geistigen + Ohren der Erwachten aufgefangen wird--reden die Seher rätselhaft von der + Harmonie der Sphären, und die großen Künstler der Musik schaffen + nach, was sie in ihrer Begeisterung sich erlauscht haben; und dies ist das + höchste Entzücken der Menschenkinder. Aber wie das Sein zu dem immer + trüber werdenden Schein sich verhält--also verhält sich zu diesem + Entzücken der Menschen über Klänge und Töne und Weisen die + Daseinswonne der Sternengötter.</p> + <p>Denn eben dies ist ihre Lebenslust, ihre Daseinswonne.</p> + <p>Aber alle diese Bewegungen, diese ungeheuren Reigen der Weltsysteme, umkreisten + ein einziges Wesen: den in der Mitte des Weltganzen thronenden hunderttausendfachen + Brahma, dessen unermeßlicher Glanz alle Sternengötter durchdrang, und dem + sie alle den Glanz wieder zurückstrahlten, wie so viele Spiegel seiner + Herrlichkeit; dessen unerschöpfliche Kraft, wie eine nie versiegende Quelle, + ihnen allen ihre Bewegung mitteilte, und in dem sich ihre Bewegungen alle + konzentrierten.</p> + <p>Und dies war ihr Brahmadurchdrungensein, ihre Gemeinschaft mit dem höchsten + Gott, ihr Gebenedeitsein, ihre Anbetung, ihre Seligkeit.</p> + <p>Wenn sie aber in Brahma den Alles sammelnden Mittelpunkt hatten, so war diese + Brahmawelt auch, obschon unendlich, dennoch gleichsam begrenzt. Wie das Auge des + Menschen schon in uralten Zeiten ahnend am Himmelsgewölbe einen "Tierkreis" + entdeckt hat, so sahen die Sternengötter hier unzählige Tierkreise in- und + umeinander beschrieben--eine ganze Sphärenfläche von Bildern webend, indem + die fernsten Sternengruppen zu leuchtenden Figuren zusammenschmolzen. + Ineinanderstrahlend, auseinanderleuchtend, erschienen da Gestalten, Astralformen + aller Wesen, die auf den Weltkörpern oder zwischen ihnen leben und weben, + bleibende Urbilder alles dessen, was, in die groben Elemente sich hüllend, + unaufhörlich entsteht und vergeht im wandelbaren Flusse des Werdens.</p> + <p>Und dies Schauen der Urbilder war ihr Weltwissen.</p> + <p>Dieweil sie aber alläugig, ohne von diesem fort auf jenes hinzusehen, ohne zu + blinzeln, mit einem Blicke die Einheit Gottes und die Vielheit der Weltwesen + erschauten: fiel für sie Gottesweisheit und Weltwissen in Eins zusammen. Wenn + nämlich ein Mensch auf die göttliche Einheit den Blick richtet, dann + entschwindet ihm die Gestaltenvielheit der Wandelwelt; und wiederum, wenn er diese + betrachtet, kann er die Einheit nicht mehr festhalten. Somit bleibt sein Wissen ein + zerstückeltes, immer schwankendes, ein von Zweifel fortwährend bedrohtes + Wissen. Sie aber sahen auf einmal Zentrum und Kreis, und deshalb war ihr Wissen ein + einheitliches, nimmer schwankendes, von keinem Zweifel bedrohtes Wissen.</p> + <p>Durch diese ganze leuchtende Brahmawelt floß nun die Zeit still und + unbemerkbar. Wie man einem ruhig und gerade dahinfließenden, völlig klaren + Strome, dessen Flut von keinem Widerstand irgendwie gehemmt oder gebrochen wird, die + Bewegung nicht ansieht: ebenso war die Flut der Zeit hier unmerkbar, weil sie von + keinen aufsteigenden und absteigenden Gedanken und Gefühlen Widerstand + erfuhr.</p> + <p>Diese Unmerkbarkeit des Zeitverlaufs war ihre Ewigkeit.</p> + <p>Und diese Ewigkeit war ein Wahn.</p> + <p>So war denn auch Alles, was sie in sich befaßte: ihr Wissen, ihre + Gottseligkeit, ihre Daseinswonne, ihr Weltleben, ihr Liebesleben und ihr Eigenleben + in Wahn getaucht, mit der Farbe des Wahns behaftet.</p> + <h2><a id="chap_xxxix" name="chap_xxxix">XXXIX. WELTENDÄMMERUNG</a></h2> + <p><img src="images/xxxix.png" width="93" height="93" align="left" alt="D" />enn es + geschah einmal, daß in Kamanita ein Gefühl von Unbehagen, von Mangel + aufstieg.</p> + <p>Da richtete er unwillkürlich seine Aufmerksamkeit auf den + hunderttausendfachen Brahma, als die Quelle aller Fülle. Aber jene Empfindung + wurde dadurch nicht verscheucht, sondern nahm von Jahrtausend-Dekade zu + Jahrtausend-Dekade fast bemerkbar zu.</p> + <p>Denn durch jenes aufsteigende Gefühl war der bisher unmerkbar stille Strom + der Zeit auf Widerstand gestoßen, wie durch eine auftauchende Insel, an deren + Felsenriff er jetzt schäumend vorüberflutete. Und es entstand sofort ein + "Vorher" und ein "Nachher"--wie in einem Flusse durch ein auftauchendes Riff ein + "vor" und "nach" der Stromschnelle entsteht.</p> + <p>Und es schien Kamanita, als ob der hunderttausendfache Brahma jetzt nicht ganz so + klar leuchte, wie vorher.</p> + <p>Nachdem er aber fünf Millionen Jahre den Brahma betrachtet hatte, kam es ihm + vor, als ob er ihn jetzt schon lange beobachtet habe, ohne Gewißheit zu + erlangen.</p> + <p>Und er richtete seine Aufmerksamkeit auf Vasitthi.</p> + <p>Da wurde er inne, daß auch sie aufmerksam den Brahma beobachtete.</p> + <p>Da geriet er in Bestürzung. Mit dieser Bestürzung kamen die + Gefühle. Mit den Gefühlen kamen die Gedanken, mit den Gedanken kam die + Gedankensprache.</p> + <p>Und er sprach:</p> + <p>"Vasitthi, siehst du es auch? Was ist es mit dem hunderttausendfachen Brahma?"</p> + <p>Nach hunderttausend Jahren antwortete Vasitthi:</p> + <p>"Das ist es mit dem hunderttausendfachen Brahma, daß sein Glanz + abnimmt."</p> + <p>"Mir will es auch so scheinen," sagte Kamanita nach Ablauf einer gleichen Zeit + "Freilich kann das ja nur eine vorübergehende Erscheinung sein. Aber schon das + kommt mir wunderlich vor, daß am hunderttausendfachen Brahma überhaupt + eine Veränderung stattfinden kann."</p> + <p>Nach geraumer Weile, nach einigen Millionen Jahren, sprach Kamanita weiter:</p> + <p>"Ich weiß nicht, ob ich vielleicht geblendet bin. Bemerkst du etwa, + Vasitthi, daß der Glanz des hunderttausendfachen Brahma wieder zunimmt?"</p> + <p>Nach fünfmal hunderttausend Jahren antwortete Vasitthi:</p> + <p>"Der Glanz des hunderttausendfachen Brahma nimmt nicht zu, sondern nimmt + stätig ab."</p> + <p>Wie ein Stück Eisen, das, weißglühend aus dem Schmiedeofen + genommen, bald danach rotglühend wird: also hatte der Glanz des + hunderttausendfachen Brahma jetzt einen rötlichen Schein bekommen.</p> + <p>"Mich wundert, was das wohl zu bedeuten hat," sagte Kamanita.</p> + <p>"Das hat es zu bedeuten, mein Freund, daß der Glanz des hunderttausendfachen + Brahma im Erlöschen begriffen ist."</p> + <p>"Unmöglich, Vasitthi, unmöglich! Was würde dann aus dem Glänze + und der Herrlichkeit dieser ganzen Brahmawelt werden?"</p> + <p>"Daran hat er gedacht, als er sagte:</p> + <p>'Bis in den höchsten Lichthimmel drängt das Leben sich--und + zerfällt.<br /> + Wisset, einmal erlischt gänzlich auch der Glanz einer Brahmawelt'"</p> + <p>Schon nach einigen tausend Jahren erfolgte die ängstlich + überstürzte Frage Kamanitas:</p> + <p>"Wer hat denn diesen schrecklichen, diesen weltzermalmenden Ausspruch getan?"</p> + <p>"Wer sonst, als er, der Erhabene, der Weltkenner, der Vollendete, der Buddha."</p> + <p>Da wurde Kamanita nachdenklich.</p> + <p>Eine geraume Zeit überlegte er sich diese Worte und erinnerte sich an + manches.</p> + <p>Da sprach er:</p> + <p>"Einst schon, o Vasitthi, in Sukhavati, im Paradiese des Westens, sagtest du einen + Spruch des Buddha her, der sich vor unseren Augen erfüllte. Und ich besinne + mich, wie du dort eine ganze Rede von ihm, dem Erhabenen, mir treu berichtetest, in + welcher jener Spruch vorkam. Dies weltzermalmende Wort aber war darin nicht + enthalten. So hast du denn, o Vasitthi, noch andere Reden vom Erhabenen + gehört?"</p> + <p>"Viele, mein Freund, denn mehr als ein halbes Jahr verbrachte ich täglich in + seiner Nähe. Ja, auch sogar die letzten von ihm geäußerten Worte habe + ich vernommen."</p> + <p>Kamanita sah sie mit Bewunderung und Ehrfurcht an. Dann sprach er:</p> + <p>"So bist du eben deshalb, wie ich meine, das weiseste Wesen in dieser ganzen + Brahmawelt. Denn alle diese Sternengötter ringsum sind in Bestürzung + geraten, leuchten unstät, flackern und blinken; und auch der hunderttausendfache + Brahma selber ist unruhig geworden, und aus seinem trüberen Glänze zucken + dann und wann gleichsam Zornesblitze hervor. Du aber leuchtest ruhig, wie eine Lampe + an windstillem Ort. Und auch das ist ein Zeichen der Störung, daß die + Bewegung dieser Himmelskörper jetzt hörbar wird--wie wir einst, fern von + hier, im Paradiese am Gestade der himmlischen Ganga stehend, donnerartige Klänge + und mächtige Töne wie von fernem Glockengeläute aus dieser Brahmawelt + vernahmen, so hören wir es jetzt von allen Seiten. Das deutet darauf, daß + die Harmonie der Bewegungen gestört ist, daß Entzweiung und + Auseinandertreten der Kräfte sich einstellt. Denn richtig heißt es ja: 'Wo + Mangel ist, wird Lärm erzeugt, die Fülle ist in sich gefaßt.' Und so + zweifle ich nicht daran, daß du recht hast. Wohlan, Vasitthi, während + ringsum uns nun diese Brahmawelt erlischt und der Vernichtung anheimfällt, teile + du mir deine Erinnerungen an den Vollendeten mit, damit ich ruhig werde wie du. Teile + mir Alles aus deinem Leben mit! denn wohl mag es sein, daß wir zum letzten Male + an einem Orte vereinigt sind, wo Geschehnisse von Geist zu Geist sich mitteilen + lassen, und noch bleibt es mir unerklärlich, wie Angulimala bei mir in Ujjeni + erschien, obwohl ich über sein Asketentum aufgeklärt wurde. Jene seine + Erscheinung aber gab den Anstoß zu meinem Pilgergang, war die Ursache, + daß ich nicht auf abschüssige Pfade kam, sondern im Paradiese des Westens + auferstand, um von dort aus, durch deine Hilfe, zu dieser höchsten Himmelswelt + emporzusteigen, wo wir unermeßliche Zeiträume hindurch göttliches + Leben genossen haben. Es ahnt mir aber, daß auch jener Anstoß zu meiner + Pilgerschaft von dir ausging. Dies nun, vor allem aber auch, wie es kam, daß du + zu meinem Heile im Paradiese erschienst und nicht an einem weit höheren Orte der + Seligkeit wieder ins Dasein tratest, möchte ich nun erfahren."</p> + <p>Und während von Jahrhunderttausend zu Jahrhunderttausend die zunehmende + Trübung des Brahmaglanzes immer bemerkbarer wurde und die Sternengötter + immer mehr erblaßten;</p> + <p>während diese immer unruhiger flackerten und sprühten, und aus dem + trüber werdenden Glutkreise des Brahma ungeheure Flammenstreifen hervorschossen + und durch den ganzen Raum hin und her fegten, als ob der Gott mit hundert Riesenarmen + nach dem unsichtbaren Feinde suchte, der ihn bedrängte;</p> + <p>während durch die gestörten Bewegungen der Himmelskörper sich + Wirbelströmungen erhoben, die ganze Sternensysteme aus dem Brahmareiche + hinausrissen, an deren Stelle dann die Finsterniswelle des leeren Raumes hereinbrach, + wie das Meerwasser da hereinstürzt, wo das Schiff einen Leck bekommen hat;</p> + <p>und während an anderen Stellen Systeme ineinander gerieten und ein Weltbrand + sich entzündete, dessen Explosionen Garben von Sternschnuppen bis in den + Glutschlund des Brahma schleuderten;</p> + <p>während die Donnerschläge der zusammenbrechenden und + ineinanderstürzenden Harmonien--das Todesröcheln der + Sphärenmusik--immer furchtbarer von Himmelsgegend zu Himmelsgegend rollten und + widerhallten:--</p> + <p>teilte Vasitthi unverstört, in gemessener Weise, Kamanita ihre letzten + irdischen Erlebnisse mit.</p> + <h2><a id="chap_xl" name="chap_xl">XL. IM KRISHNAHAIN</a></h2> + <p><img src="images/xl.png" width="93" height="93" align="left" alt="S" />eit jenem + ersten Abend versäumte ich keine Gelegenheit, um den Krishnahain zu besuchen und + durch die Worte des Erhabenen oder eines seiner großen Schüler tiefer in + die Lehre eingeführt zu werden.</p> + <p>Während mein Gemahl nun noch abwesend war, stieg die Furcht der Bürger + Kosambis vor dem Räuber Angulimala von Tag zu Tag. Gerade dadurch, daß von + neuen Taten nichts verlautete, wurde die Phantasie aufgeregt. Plötzlich + verbreitete sich das Gerücht, Angulimala wolle eines Abends den Krishnahain + überfallen und die dort zum Besuch versammelten Bürger, ja wohl gar den + Buddha selbst entführen. Dadurch steigerte sich die Erregung der Gemüter + fast bis zum Aufruhr. Man sagte sich, daß, wenn durch verruchte + Räuberhände dem Erhabenen vor Kosambi ein Leid geschähe, dann + würde der Zorn der Götter die ganze Stadt treffen.</p> + <p>Ungeheure Menschenmengen wogten durch die Straßen, und, vor dem + königlichen Palast sich sammelnd, verlangten sie drohend, daß König + Udana dies Unheil abwenden und Angulimala unschädlich machen solle.</p> + <p>Am folgenden Tage kehrte Satagira zurück.</p> + <p>Er überhäufte mich sofort mit Lob wegen meines guten Rats, dem er es + allein danken wollte, daß er heil nach Hause kam. Vajira, seine zweite Frau, + die mit ihrem Söhnlein auf dem Arm erschien, um ihn zu bewillkommnen, wurde kurz + abgefertigt: er habe mit mir noch Wichtiges zu besprechen.</p> + <p>Als wir nun wieder allein waren, fing er zu meinem unsagbaren Unbehagen sofort an, + von seiner Liebe zu reden, wie er mich unterwegs vermißt, wie sehr er sich auf + diese Stunde des Wiedersehens gefreut habe.</p> + <p>Schon wollte ich von den Unruhen in der Stadt erzählen, um ihn auf andere + Gedanken zu bringen, als der Kämmerer gemeldet wurde, der ihn zum König + rief.</p> + <p>Nach etwa einer Stunde kehrte er zurück--ein anderer Mensch. Blaß, mit + verstörten Zügen trat er bei mir ein, warf sich auf eine Bank und rief, er + sei der unglückseligste Mann im ganzen Reiche, eine gefallene Größe, + bald ein Bettler, wenn nicht gar Kerker oder Verbannung ihm drohe, und an seinem + ganzen Unglück sei seine grenzenlose Liebe zu mir schuld, die ich nicht einmal + erwidere. Auf meine wiederholte Aufforderung, mir doch zu sagen, was geschehen sei, + beruhigte er sich endlich so weit, daß er, unter vielen + Verzweiflungsausbrüchen und während er sich fortwährend die + Schweißtropfen von der Stirn trocknete, mir den ganzen Vorgang im Palaste + berichten konnte.</p> + <p>Der König hatte ihn sehr ungnädig empfangen und ohne etwas von dem + geschlichteten Dorfstreit hören zu wollen, ihm unter Drohungen geboten, die + volle Wahrheit über Angulimala einzugestehen, die Satagira jetzt auch mir + beichten mußte, ohne zu ahnen, wie gut ich schon davon unterrichtet war. + Übrigens sah er darin nur einen Beweis seiner "grenzenlosen Liebe" zu mir, und + erwähnte meine Liebe zu dir leichthin als eine törichte + Jugendschwärmerei, die ja jedenfalls zu nichts geführt hätte.</p> + <p>Die Sache war aber auf folgende Weise dem König zu Ohren gekommen.</p> + <p>Während der Abwesenheit Satagiras war es der Polizei gelungen, den + Helfershelfer Angulimalas aufzuspüren, und dieser hatte im peinlichen + Verhör bekräftigt, daß jener Räuber wirklich Angulimala selber + sei, der damals nicht, wie der Minister immer behauptet hatte, auf der Folter + gestorben, sondern entflohen wäre; auch jenen Anschlag Angulimalas auf den + Krishnahain hatte er bekannt. Der Fürst war natürlich aufs höchste + darüber erzürnt, daß Satagira seinerzeit den furchtbaren Räuber + hatte entschlüpfen lassen und dann ganz Kosambi und seinen König durch + einen aufgesteckten falschen Kopf betrogen hatte; er wollte auf keine Worte der + Verteidigung oder auch nur der Entschuldigung hören. Wenn Satagira nicht binnen + drei Tagen Angulimala unschädlich machte--wie es das Volk so stürmisch + verlangte--dann würden ihn alle Folgen der fürstlichen Ungnade aufs + empfindlichste treffen.</p> + <p>Nachdem Satagira dies erzählt hatte, warf er sich weinend auf die Bank, + raufte sich die Haare und gebärdete sich wie ein Wahnsinniger.</p> + <p>"Sei getrost, mein Gemahl," sagte, ich. "Folge meinem Rate, und nicht erst in drei + Tagen, sondern noch heute sollst du wieder im Besitz der fürstlichen Gunst sein, + ja nicht nur das, sondern diese wird noch strahlender über dich leuchten denn je + zuvor."</p> + <p>Satagira setzte sich auf und sah mich an, wie man wohl ein Naturwunder + anstaunt.</p> + <p>"Und wozu rätst du mir denn?"</p> + <p>"Du sollst zum König zurückkehren und ihn überreden, sich nach dem + Sinsapawalde vor der Stadt zu begeben, dort am alten Tempel den Buddha aufzusuchen + und ihn um Rat zu fragen. Der Rest wird dann von selber folgen."</p> + <p>"Du bist eine kluge Frau," sagte Satagira. "Jedenfalls ist dieser Rat sehr gut, + denn jener Buddha soll ja der weiseste aller Menschen sein. Wenn es auch schwerlich + so gute Folgen für mich haben kann, wie du dir denkst, so will ich doch den + Versuch machen."</p> + <p>"Daß die Folgen nicht ausbleiben werden," antwortete ich, "dafür stehe + ich mit meiner Ehre ein."</p> + <p>"Ich glaube dir, Vasitthi," rief er, indem er aufsprang und meine Hand ergriff. + "Wie wäre es möglich, dir nicht zu glauben. Beim Indra! Du bist eine + wunderbare Frau, und ich sehe jetzt, wie wenig ich mich irrte, als ich in meiner noch + unerfahrenen Jugend, wie einem Instinkte gehorchend, aus dem reichen Mädchenflor + Kosambis dich allein ausersah und mich auch durch deine Kälte von meiner Liebe + nicht abbringen ließ."</p> + <p>Die Feurigkeit, mit welcher er mich lobte, ließ mich fast bereuen, daß + ich ihm den hilfreichen Rat gegeben hatte, aber schon seine nächsten Worte + beruhigten mich, denn er sprach jetzt von seiner Dankbarkeit, die unerschöpflich + sein würde, auf welche Probe ich sie auch stellte.</p> + <p>"Nur eine einzige Bitte habe ich, durch deren Erfüllung du mir deine + Dankbarkeit hinreichend bezeugen kannst."</p> + <p>"Nenne sie mir sofort," rief er, "und wenn du auch verlangst, daß ich Vajira + mit ihrem Sohne zu ihren Eltern zurückschicke, so werde ich es unweigerlich + tun."</p> + <p>"Meine Bitte ist eine gerechte, keine ungerechte, aber ich werde sie erst + vorbringen, wenn mein Rat sich in vollstem Maße bewährt hat. Eile du aber + nun zum Palast und setze beim Fürsten diesen Besuch durch."</p> + <p>Ziemlich bald kehrte er zurück, glücklich, daß es ihm gelungen + war, den König zu diesem Ausflug zu bestimmen.</p> + <p>"Erst als Udena vernahm, daß der Rat von dir herrührte," sagte er, "und + daß du mit deiner Ehre dich für den guten Erfolg verbürgtest, gab er + nach, denn auch er hält große Stücke auf dich. O, wie stolz bin ich + auf eine solche Gemahlin!"</p> + <p>Diese und ähnliche Worte, an denen er es in seiner zuversichtlichen Stimmung + nicht fehlen ließ, waren mir peinlich genug und wären es noch mehr + gewesen, wenn ich nicht bei dieser ganzen Sache meine geheimen Gedanken gehabt + hätte.</p> + <p>Wir begaben uns nun sofort nach dem Palast, wo schon Vorbereitungen zur Fahrt + getroffen wurden.</p> + <p>Sobald die Strahlen der Sonne ihre Glut etwas milderten, bestieg König Udena + seinen Staatselefanten, die vielgerühmte Bhaddavatika, die, weil sie schon sehr + alt war, nur noch bei den feierlichsten Gelegenheiten benutzt wurde. Wir, der + Kämmerer, der Schatzmeister und andere hohe Würdenträger folgten in + Wagen nach, zweihundert Reiter eröffneten und ebensoviele beschlossen den + Zug.</p> + <p>Am Eingange des Waldes ließ der König Bhaddavatika niederknien und + stieg ab; wir anderen verließen die Wagen und begaben uns In seinem Gefolge zu + Fuß nach dem Krishnatempel, wo der Buddha, der vom fürstlichen Besuche + schon unterrichtet war, von seinen Jüngern umgeben, uns erwartete.</p> + <p>Der König bot dem Erhabenen ehrerbietigen Gruß dar und setzte sich zur + Seite nieder. Als nun auch wir andern Platz genommen hatten, fragte der + Vollendete:</p> + <p>"Was ist dir, edler König? Hat etwa der König von Benares oder irgend + ein anderer deiner fürstlichen Nachbarn dein Land mit Krieg bedroht?"</p> + <p>"Nicht hat, o Herr, der König von Benares, noch irgend einer meiner + fürstlichen Nachbarn mich bedroht: ein Räuber, o Herr, lebt in meinem + Lande, Angulimala genannt, grausam und blutgierig, an Mord und Totschlag + gewöhnt, ohne Mitleid gegen Mensch und Tier. Der macht die Dörfer + undörflich, die Städte unstädtlich, die Länder unländlich. + Er bringt die Leute um und hängt sich ihre Daumen um den Hals. Und in der + Bosheit seines Herzens hat er jetzt den Plan gefaßt, diesen heiligen Hain zu + überfallen und den Erhabenen und seine Anhänger zu entführen. Ob solch + großer Gefahr entsetzt, murrt mein Volk, drängt sich in großen + Scharen um meinen Palast und verlangt, daß ich diesen Angulimala + unschädlich mache. Das also liegt mir allein im Sinne."</p> + <p>"Wenn du aber, edler König, Angulimala sähest, mit geschorenem Haar und + Barte, mit fahlem Gewande bekleidet, dem Töten entfremdet, dem Stehlen + entwöhnt, zufrieden mit <i>einer</i> Mahlzeit, keusch wandelnd, tugendrein, edel + geartet: was würdest du dann mit ihm machen?"</p> + <p>"Wir würden ihn, o Herr, ehrerbietig begrüßen, uns vor ihm erheben + und ihn zu sitzen einladen, ihn bitten, Kleidung, Speise, Lager und Arznei für + den Fall einer Krankheit anzunehmen, würden ihm, wie sich's gebührt, Schutz + und Schirm und Obhut angedeihen lassen. Wie aber sollte, o Herr, ein so arger, + bösartiger Mensch eine solche Tugendläuterung erfahren?"</p> + <p>Nun saß aber der ehrwürdige Angulimala nicht fern vom Erhabenen. Und + der Erhabene wies mit dem rechten Arme hin und sprach also zu König Udena:</p> + <p>"Dieser, edler Fürst, ist Angulimala."</p> + <p>Da entfärbte sich das Gesicht des Königs vor Angst. Aber bei weitem + stärker war das Entsetzen Satagiras. Seine Augen schienen aus ihren Höhlen + springen zu wollen, seine Haare sträubten sich, kalter Schweiß tropfte von + seiner Stirn.</p> + <p>"Weh mir," rief er, "ja, jener ist gewißlich Angulimala, und ich Elender + habe meinen König verleitet, sich in seine Gewalt zu begeben."</p> + <p>Dabei sah ich's ihm nur zu deutlich an, daß er nur deshalb so vor Angst + bebte, weil er sich selbst in der Gewalt seines Todfeindes wähnte.</p> + <p>"Dieser Schreckliche," rief er weiter, "hat uns alle betrogen--hat den Erhabenen + selbst betrogen und auch meine leichtgläubige Gemahlin, die, wie alle Frauen, + viel auf Bekehrungsgeschichten gibt. So sind wir in diese Falle gegangen."</p> + <p>Und seine Blicke irrten umher, als ob er hinter jedem Baum ein halbes Dutzend + Räuber entdeckte. Mit stotternder Stimme und zitternder Hand beschwor er den + König, durch eilige Flucht seine teure Person in Sicherheit zu bringen.</p> + <p>Da trat ich denn vor und sprach:</p> + <p>"Sei ruhig, mein Gemahl! Ich bin imstande, sowohl dich wie meinen edlen + Fürsten zu überzeugen, daß hier keine Falle gelegt ist und daß + keine Gefahr droht."</p> + <p>Und ich erzählte jetzt, wie ich, von Angulimala überredet, mit ihm + zusammen einen Anschlag gegen das Leben meines Gemahls vorgehabt hätte, und wie + dieser Anschlag eben nur durch die Bekehrung meines Verbündeten vereitelt worden + sei.</p> + <p>Als Satagira hörte, wie nahe er dem Tode gewesen war, mußte er sich auf + den Arm des Kämmerers stützen, um nicht umzusinken.</p> + <p>Ich bat nun den König fußfällig, meinem Gemahl zu verzeihen, wie + ich ihm verziehen habe, da er durch Leidenschaft irregeführt gesündigt habe + und dabei wohl auch unbewußt einer höheren Führung gefolgt sei, die + vor unseren Augen das höchste Wunder wirken wollte: anstatt daß man einen + Räuber hingerichtet hätte, sei jetzt aus einem Räuber ein Heiliger + geworden.</p> + <p>Und als der Fürst mir gnädig zugesagt hatte, meinem Gemahl wieder seine + volle Gunst zuzuwenden, sprach ich zu Satagira:</p> + <p>"Mein Versprechen habe ich nun gehalten. So halte auch du das deine und + gewähre mir meine einzige Bitte. Diese aber geht dahin, du mögest mir + gestatten, in den heiligen Orden des Buddha einzutreten."</p> + <p>Mit einem stummen Kopfnicken gab Satagira seine Einwilligung, wie er denn auch + nicht anders konnte.</p> + <p>Der König aber, der nun ganz beruhigt war, trat an Angulimala heran, sprach + freundlich und ehrerbietig zu ihm und sicherte ihm seinen fürstlichen Schutz zu. + Darauf ging er wieder zum Buddha hin, verneigte sich tief und sprach:</p> + <p>"Wunderbar ist es in der Tat, o Herr, wie da der Erhabene Unbändige + bändigt. Denn diesen Angulimala, den wir weder mit Strafe noch Schwert bezwingen + konnten, den hat der Erhabene ohne Strafe und Schwert bezwungen. Dieser doppelt und + dreifach heilige Hain aber, wo uns ein solches Wunder kund ward, soll von heute ab + auf ewige Zeiten dem Orden der Heiligen gehören. Und der Erhabene möge mir + gestatten, darin einen Bau zur Unterkunft der Mönche und einen zweiten für + die Nonnen zu errichten."</p> + <p>Mit würdevoller Dankbezeugung nahm der Erhabene das fürstliche Geschenk + an. Darauf empfahl sich der König und entfernte sich mit seinem Gefolge. Ich + aber blieb zurück unter der Obhut der anwesenden Schwestern, um schon am + folgenden Tage das Gelübde abzulegen.</p> + <h2><a id="chap_xli" name="chap_xli">XLI. DER LEICHTE SPRUCH</a></h2> + <p><img src="images/xli.png" width="93" height="93" align="left" alt="I" />ch war nun + Ordensschwester geworden und begab mich jeden Tag früh morgens mit meiner + Almosenschale nach Kosambi, wo ich von Haus zu Haus ging, bis sie gefüllt + war--obwohl Satagira mir diesen Bettelgang nur zu gern erspart hätte.</p> + <p>Eines Tages stellte ich mich auch am Eingange seines Palastes hin, weil die + ältesten Nonnen mir geraten hatten, mich auch dieser Prüfung zu + unterziehen. Da trat Satagira gerade in den Torweg, wich mir aber scheu aus und + verhüllte traurig sein Antlitz. Gleich danach kam dann der Hausmeier und bat + mich weinend, doch ja zu gestatten, daß Alles, wofür ich Gebrauch habe, + mir täglich zugeschickt werde. Ich aber antwortete ihm, daß es mir + gezieme, der Ordensregel nachzukommen.</p> + <p>Wenn ich von diesem Gange zurückgekehrt war und das Gespendete verzehrt + hatte, womit dann für den ganzen Tag die elende Nahrungsfrage erledigt war, + wurde ich von einer der älteren Nonnen unterrichtet, und abends lauschte ich in + der Versammlung den Worten des Erhabenen oder auch denen eines großen + Jüngers, wie Sariputta oder Ananda. Nachher aber geschah es wohl, daß eine + Schwester die andere aufsuchte: "Entzückend, Schwester, ist der Sinsapawald, + herrlich die klare Mondnacht, die Bäume stehen in voller Blüte, himmlische + Düfte, meint man, wehen umher. Wohlan, laß uns Schwester Sumedha + aufsuchen. Sie ist eine Hüterin des Wortes, ein Hort der Lehre. Ihre Rede + dürfte wohl diesem Sinsapawalde doppelten Glanz verleihen." Und wir brachten + dann den größten Teil einer solchen Nacht mit sinnigen Gesprächen + zu.</p> + <p>Dies Leben in der freien Natur, diese fortwährende Geistestätigkeit und + der rege Gedankenaustausch, wodurch keine Zeit für trübes Hinbrüten + über eigenen Schmerz oder für müßige Träumereien übrig + blieb, endlich die Erhebung und Läuterung des Gemütes durch die Macht der + Wahrheit--all dies stärkte mir Körper und Geist wunderbar. Ein neues und + edleres Leben tat sich vor mir auf, und ich genoß ein ruhiges, heiteres + Glück, von dem ich mir wenige Wochen vorher nichts hätte träumen + lassen.</p> + <p>Als die Regenzeit kam, stand schon das Gebäude für die Schwestern + bereit, mit geräumiger Halle zum gemeinsamen Aufenthalte und mit Zellen für + jede einzelne. Mein Gemahl und einige andere reiche Bürger, die Verwandte unter + den Nonnen hatten, ließen es sich nicht nehmen, diese unsere Heimstätte + mit Matten und Teppichen, Stühlen und Ruhebetten auszustatten, so daß wir + reichlich mit Allem versehen waren, was zur vernünftigen Bequemlichkeit des + Lebens gehört, und seiner Üppigkeit um so lieber entrieten. So ging denn + auch diese Zeit der Eingeschlossenheit leidlich genug dahin, im + regelmäßigen Wechsel von gemeinsamen Unterhaltungen über + religiöse Fragen und von Selbstdenken und Vertiefung. Gegen Abend aber begaben + wir uns, wenn das Wetter es erlaubte, nach der großen Halle der Mönche, um + dem Meister zu lauschen, oder es kam auch der Erhabene oder einer der großen + Jünger zu uns herüber.</p> + <p>Als nun aber der Wald, den der Meister lobt, erfrischt und verjüngt, in + hundertfacher Blätterfülle und Blumenpracht uns wieder einlud, unter sein + freies Obdach unsere einsame Gedenkenruhe und unsere gemeinsamen Versammlungen zu + verlegen, da traf uns die betrübende Kunde, daß der Erhabene sich jetzt + bereit mache, seine Wanderung nach den östlichen Gegenden anzutreten. Aber + freilich hatten wir ja nicht hoffen dürfen, daß er immer in Kosambi + bleiben werde; auch wußten wir, wie töricht es ist, Ober etwas + Unvermeidliches zu klagen, und wie wenig wir uns des Meisters würdig zeigten, + wenn wir uns von Trauer überwältigen ließen.</p> + <p>So begaben wir uns denn in später Nachmittagsstunde gefaßt und ruhig + nach dem Krishnatempel, um zum letzten Male für lange Zeit den Worten des Buddha + zu lauschen und dann von ihm Abschied zu nehmen.</p> + <p>Auf den Stufen stehend, redete der Erhabene vom Vergehen alles Entstandenen, von + der Auflösung alles dessen, was sich zusammengesetzt hat, von der + Flüchtigkeit aller Erscheinungen, von der Wesenlosigkeit aller Gestaltungen. Und + nachdem er gezeigt hatte, wie nirgends in dieser oder in jener Welt, soweit die + Daseinslust keimt, nirgendwo in Raum und Zeit eine feste Stelle, ein bleibender + Zufluchtsort zu finden ist, sprach er jenes Wort, das du mit Recht "weltzermalmend" + nanntest, und das sich jetzt rings um uns verwirklicht:</p> + <p>"Bis in den höchsten Lichthimmel drängt das Leben sich und + zerfällt;--<br /> + Wisset, einmal erlischt gänzlich auch der Glanz einer Brahmawelt."</p> + <p>Es war uns Schwestern von einem der Jünger gesagt worden, daß wir nach + dem Vortrage eine nach der anderen zum Erhabenen gehen sollten, um von ihm Abschied + zu nehmen und einen Geleitspruch für unser weiteres Streben von ihm zu + empfangen. Da ich eine der jüngsten war und mich geflissentlich + zurückhielt, gelang es mir, die letzte zu werden. Denn ich gönnte es keiner + anderen, nach mir mit dem Erhabenen zu reden, und meinte auch, daß mir dadurch + eine ruhigere, längere Unterredung ermöglicht würde, als wenn andere + hinter mir warteten.</p> + <p>Nachdem ich mich nun ehrfurchtsvoll verneigt hatte, blickte mich der Erhabene an + mit einem Blicke, der mich bis ins Innerste durchleuchtete, und sprach:</p> + <p>"Und dir, Vasitthi, gebe ich an der Schwelle dieses zerfallenden Heiligtums des + sechzehntausendeinhundertfachen Bräutigams zum Meingedenken und zum Durchdenken + unter dem Laubdache dieses Sinsapawaldes, von dem du ein Blatt am Herzen und einen + Schatten im Herzen trägst--folgenden Spruch: '<i>Überall, wo Liebe + entsteht, entsteht auch Leid</i>.'"</p> + <p>"Ist das Alles?" fragte ich törichterweise.</p> + <p>"Alles und genug."</p> + <p>"Und ist es, o Herr, gestattet, wenn ich mit dem Spruche zu Ende bin, wenn ich mir + den Sinn völlig zu eigen gemacht habe, zum Erhabenen zu pilgern, um einen neuen + Spruch zu empfangen?"</p> + <p>"Es ist gestattet, wenn du noch das Bedürfnis hast, den Erhabenen zu + fragen."</p> + <p>"Wie sollte ich nicht das Bedürfnis haben? Du bist ja, o Herr, unsere + Zuflucht."</p> + <p>"Nimm deine Zuflucht zu dir selber, nimm deine Zuflucht zur Lehre!"</p> + <p>"Das will ich. Doch du, o Herr, bist ja das Selbst der Jünger, bist die + lebendige Lehre. Und du hast ja gesagt: es ist gestattet."</p> + <p>"Wenn dich der Weg nicht müht."</p> + <p>"Kein Weg kann mich mühen."</p> + <p>"Der Weg ist weit, Vasitthi! Weiter ist der Weg als du dir denkst, weiter, als + Menschengedanken es auszudenken vermögen."</p> + <p>"Und führte der Weg auch durch tausend Leben, über tausend Welten: kein + Weg wird mich mühen."</p> + <p>"Schon gut, Vasitthi! Gehab dich wohl, und gedenke deines Spruchs."</p> + <p>In diesem Augenblick nahte der König mit großem Gefolge, um vom + Erhabenen Abschied zu nehmen.</p> + <p>Ich zog mich in die hinterste Reihe zurück, von wo aus ich ein ziemlich + zerstreuter Zeuge der weiteren Vorgänge dieses letzten Abends war. Denn ich kann + nicht leugnen, daß ich mich durch den so sehr leichten Spruch, den mir der + Erhabene gegeben hatte, etwas enttäuscht fühlte. Hatten doch mehrere der + Schwestern ganz andere schwierige Sprüche zur geistigen Verarbeitung vom + Erhabenen zugeteilt bekommen: die eine den Spruch vom Entstehen aus Ursachen, die + andere den vom Nichtselbst, eine dritte den von der Vergänglichkeit der + Erscheinungen. So meinte ich denn, eine Zurücksetzung erfahren zu haben, was + mich sehr betrübte. Wie ich aber weiter darüber nachdachte, kam mir die + Vermutung, daß der Erhabene vielleicht bei mir etwas Selbstüberhebung + bemerkt habe und sie auf diese Weise dämpfen wolle. Und ich nahm mir vor, auf + der Hut zu sein, um nicht durch Eitelkeit und Selbstgefälligkeit in meinem + geistigen Wachstum gehindert zu werden. Bald würde ich mich ja rühmen + können, mit dem Spruche zu Ende zu sein, und durfte mir dann einen neuen von den + Lippen des Erhabenen selber holen.</p> + <p>In dieser Zuversicht sah ich früh am nächsten Morgen den Buddha mit + vielen Jüngern von dannen wandern--unter diesen selbstverständlich auch + Ananda, der ja des Meisters wartete und immer um ihn war, und der mir stets auf seine + milde Art so besonders wohlwollend begegnet war, daß ich fühlte, ich + würde auch ihn und seinen aufmunternden Blick sehr vermissen, noch mehr als den + weisen Sariputta, der durch seine scharf zergliedernden Auseinandersetzungen mir in + manchem schwierigen Punkt geholfen hatte. Nun war ich meinen eigenen Kräften + überlassen.</p> + <p>Sobald ich von meinem Almosengange zurückgekehrt war und mein Mahl verzehrt + hatte, suchte ich mir einen schönen Baum aus, der in der Mitte einer kleinen + Waldwiese stand--das wahre Urbild jener "mächtigen, lärmentrückten + Bäume", von denen es heißt, daß Menschen darunter sitzen und denken + können.</p> + <p>Das tat ich nun, indem ich meinen Spruch ernstlich vornahm. Als ich gegen Abend + nach der Versammlungshalle zurückkehrte, brachte ich, als Ausbeute meiner + Tagesarbeit, eine innere Unruhe mit mir und eine leise Ahnung, was für eine + Bewandtnis es mit diesem Spruche haben mochte. Als ich aber am folgenden Abend nach + beendigter Gedenkenruhe zurückkehrte, wußte ich schon genau, was der + Erhabene gemeint hatte, als er mir diesen Spruch gab.</p> + <p>Ich hatte ja geglaubt, auf dem graden Wege zum vollkommenen Frieden mich zu + befinden und meine Liebe mit ihren leidenschaftlichen Erregungen weit hinter mir zu + haben. Aber jener unvergleichliche Herzenskenner hatte gar wohl gesehen, daß + die Liebe keineswegs von mir überwunden war, sondern daß sie nur durch den + mächtigen Einfluß des neuen Lebens verscheucht, sich In einen Innersten + Winkel zurückgezogen hatte, um dort ihre Zeit zu erwarten. So wollte er denn, + daß ich dadurch, daß ich meine Aufmerksamkeit auf sie richtete, sie aus + diesem Schlupfloche hervorlocken solle, um sie dann zu überwinden.</p> + <p>Und freilich kam sie auch hervor, aber mit solcher Macht, daß ich mich + sofort mitten in schweren, ja zerrüttenden Seelenkämpfen befand und einsah, + daß mir kein leichter Sieg beschieden sei.</p> + <p>Die überraschende Kunde, daß mein Geliebter damals nicht getötet + worden war und aller Wahrscheinlichkeit nach noch mit mir diese Erdenluft atmete, war + jetzt freilich mehr als ein halbes Jahr alt. Als aber durch die Erscheinung auf der + Terrasse jenes Wissen so plötzlich in mir auftauchte, wurde es sofort wieder + durch die stürmischen Gemütswellen, die es selber aufregte, gleichsam + überschwemmt und tauchte fast wieder in ihren Strudel unter. + Haßgefühl, Rachegedanken, Brüten über Verbrecherpläne + wechselten in einem wahren Dämonenreigen--dann kam Angulimalas Bekehrung, der + überwältigende Eindruck des Buddha, das neue Leben, der Tagesanbruch einer + neuen, gänzlich ungeahnten Welt, deren Elemente in der Vernichtung aller + Elemente der alten bestanden. Nun aber war der erste Sturm des Neuen vorüber, + der große Meister dieses heiligen Zaubers war aus meinem Gesichtskreis + entschwunden, und ich saß einsam da, meinen Blick auf die Liebe--auf meine + Liebe gerichtet. Da tauchte jene Kunde nun wieder klar hervor und eine grenzenlose + Sehnsucht nach dem fernen, noch lebenden Geliebten erfaßte mich.</p> + <p>Aber lebte er denn auch noch?--Und liebte er mich denn noch?</p> + <p>Solche Fragen regten durch ihre bange Ungewißheit meine Sehnsucht nur noch + mehr auf, und mit der Überwindung meiner Liebe, mit der Aneignung des Spruches + wollte es nicht vorwärtsgehen. Immer dachte ich über die Liebe nach und kam + nicht zum Leid und zur Leidensentstehung.</p> + <p>Diese meine immer aussichtsloseren Seelenkämpfe blieben den anderen + Schwestern nicht verborgen. Ich hörte wohl, wie sie von mir sprachen:</p> + <p>"Vasitthi, die frühere Ministersgattin, die doch selbst der strenge Sariputta + wegen ihrer schnellen und sicheren Auffassung auch schwieriger Punkte der Lehre uns + des öfteren gepriesen hat, sie kann jetzt mit ihrem doch so leichten Spruch + nicht fertig werden."</p> + <p>Dadurch wurde ich noch mehr entmutigt. Scham und Verzweiflung bemächtigten + sich meiner und zuletzt glaubte ich, diesen Zustand nicht mehr ertragen zu + können.</p> + <h2><a id="chap_xlii" name="chap_xlii">XLII. DIE KRANKE NONNE</a></h2> + <p><img src="images/xlii.png" width="93" height="93" align="left" alt="U" />m diese + Zeit kam wöchentlich einmal einer der Brüder zu uns herüber und legte + uns die Lehre dar. Als nun Angulimala an der Reihe war, ging ich nicht in die + Versammlungshalle, sondern blieb in meiner Zelle auf der Ruhebank liegen und bat eine + Nachbarschwester, Angulimala zu sagen:</p> + <p>"Die Schwester Vasitthi, Ehrwürdiger, liegt in ihrer Zelle krank darnieder + und kann in der Versammlung nicht erscheinen. Wolle, Ehrwürdiger, nach dem + Vortrag dich nach der Zelle Schwester Vasitthis begeben, um auch ihr, der Kranken, + die Lehre darzulegen."</p> + <p>Und der ehrwürdige Angulimala kam nach dem Vortrag in meine Zelle, + grüßte mich ehrerbietig und setzte sich neben mein Lager.</p> + <p>"Du siehst hier, Bruder," sagte ich dann, "was niemand sehen sollte: eine + liebeskranke Nonne, und an dieser meiner Krankheit bist du selber schuld, denn du + hast mich des Gegenstandes meiner Liebe beraubt. Zwar hast du mich dann zu diesem + großen Arzte gebracht, der von der ganzen Lebenskrankheit heilt; aber seine + starke Heilkunst kann jetzt nicht weiter auf mich einwirken. In seiner großen + Weisheit hat er dies wohl erkannt und hat mir ein Mittel gegeben, um den + schleichenden Krankheitsstoff zur Ausscheidung durch eine Fieberkrisis zu bringen. So + siehst du denn nun das Sehnsuchtsfieber in mir wüten. Und nun will ich dich an + ein Versprechen mahnen, das du mir einst gegeben hast, in jener Nacht nämlich, + wo du mich zu dem Verbrechen verleiten wolltest, dessen Ausführung nur durch das + Dazwischentreten des Erhabenen vereitelt wurde. Damals sagtest du, du würdest + nach Ujjeni gehen und mir sichere Kunde von Kamanita bringen, ob er noch am Leben + sei, und wie es ihm ergehe. Was mir nun der Räuber einst versprach, das fordere + ich jetzt vom Mönche. Denn mein Verlangen zu wissen, ob Kamanita lebt und wie er + lebt, ist ein so gebieterisches, daß, bevor es nicht gestillt worden ist, + für keinen anderen Gedanken, für kein anderes Gefühl in meiner Seele + Raum ist, und es mir somit unmöglich ist, auch nur den kleinsten Schritt weiter + auf diesem unserem Heilswege zu tun. Deshalb mußt du dies für mich tun und + mein Gemüt durch irgend eine Gewißheit beruhigen."</p> + <p>Nachdem ich also gesprochen hatte, erhob sich Angulimala und sagte:</p> + <p>"Wie du es eben, Schwester Vasitthi, von mir verlangst," verbeugte sich tief und + schritt zur Tür hinaus.</p> + <p>Er ging aber geradeswegs nach seiner Zelle, um seine Almosenschale zu holen und + verließ noch in derselben Stunde den Sinsapawald. Man glaubte allgemein, er sei + dem Erhabenen nachgepilgert. Nur ich kannte das Ziel seiner Wanderung.</p> + <p>Nach diesem Schritt fühlte ich mich in der Tat etwas beruhigt, obwohl ich + bald zu zweifeln anfing, ob ich ihm nicht einen Gruß oder eine Botschaft an den + Geliebten hätte mitgeben sollen. Aber es kam mir unpassend und unheilig vor, + einen Mönch auf solche Weise als Liebesvermittler zu gebrauchen, während er + doch ganz gut nach einer entfernten Stadt gehen und berichten konnte, was er dort + gesehen. Auch würde es etwas ganz anderes sein--meinte ich mit geheimer + Hoffnung--wenn er, ohne einen Auftrag zu haben und nur seinem eigenen Urteil folgend, + sich entschließen sollte, mit dem Geliebten von mir zu sprechen.</p> + <p>"Ich selber werde nach Ujjeni gehen und ihn heil und sicher herbringen"--diese + Worte hallten immer in meinem Innersten wider. Würde der Mönch vielleicht + das Versprechen des Räubers einlösen? Warum denn nicht, wenn er selber + einsah, daß es für uns beide notwendig war, einander zu sehen und zu + sprechen?</p> + <p>Und damit kam ein neuer Gedanke, der, von einem, ungeahnten Hoffnungsschimmer + umstrahlt, mich zunächst blendete und verwirrte. Wenn mein Geliebter + zurückkäme--was hinderte mich dann, aus dem Orden auszutreten und seine + Frau zu werden?</p> + <p>Als diese Frage auftauchte, bedeckte eine brennende Röte mein Gesicht, das + ich unwillkürlich in meinen Händen verbarg aus Furcht, jemand könne + mich gerade beobachten. Welcher häßlichen Mißdeutung würde + nicht eine solche Handlung ausgesetzt sein! Sähe das nicht aus, als ob ich den + Orden des Buddha lediglich als eine Brücke betrachtet hätte, um aus einer + unlieben Heirat in eine liebe hinüberzuwandeln? Gewiß würde das von + Vielen so ausgelegt werden. Aber was könnte mir schließlich am Urteil + Anderer liegen? Und wieviel besser wäre es nicht, eine fromme Laienschwester zu + sein, die treu zum Orden hielt, als eine Ordensschwester, deren Herz außerhalb + des Ordens weilte.</p> + <p>Ja, wenn auch Angulimala mir nur die Mitteilung brächte, daß mein + Kamanita noch lebe, und ich der Schilderung ihrer Begegnung entnähme, daß + der Geliebte mir noch immer in treuer Sehnsucht ergeben sei: dann würde ich ja + auch selber nach Ujjeni pilgern können. Und ich malte mir aus, wie ich eines + Morgens als wandernde Asketin am Eingange deines Hauses stehen würde, wie du mir + dann eigenhändig die Almosenschale füllen und mich dabei erkennen + würdest--und dann die ganze unbeschreibliche Freude, uns wiedergefunden zu + haben.</p> + <p>Freilich war es eine weite Wanderung nach Ujjeni, und es geziemte einer Nonne + nicht, allein zu pilgern. Aber ich brauchte nicht lange nach einer Begleiterin zu + suchen. Gerade in dieser Zeit fand Somadatta ein trauriges Ende. Seine Leidenschaft + für die unseligen Würfel hatte immer mehr die Oberhand gewonnen, und + nachdem er seine ganze Habe verspielt hatte, ertränkte er sich in der Ganga. Die + tief erschütterte Medini trat nunmehr in den Orden ein. Es mochte wohl weniger + das religiöse Leben selbst in seiner herben Strenge und mit seinem hohen Ziele + sein, was sie unwiderstehlich in diesen heiligen Hain zog, als vielmehr das + Bedürfnis, immer in meiner Nähe zu weilen; denn ihr kindliches Herz hing + mit rührender Treue an mir. Und so zweifelte ich denn auch nicht daran, + daß sie, wenn ich ihr mein Vorhaben offenbarte, mit mir nach Ujjeni, ja, wenn + es sein sollte, bis an das Ende der Welt gehen würde. Auch jetzt schon gereichte + mir ihre Gesellschaft vielfach zur Aufmunterung, wie ich denn andererseits auch ihre + aufrichtige Trauer über den Verlust ihres Gemahls durch tröstende Worte + milderte.</p> + <p>Als nun die Zeit kam, wo Angulimalas Rückkehr zu erwarten war, ging ich + nachmittags immer nach dem südwestlichen Rande des Waldes und setzte mich unter + einen schönen Baum auf einer mäßigen Anhöhe, von welcher aus ich + dem Wege, den er kommen mußte, weit mit dem Blicke folgen konnte. Ich dachte + mir, er würde wohl gegen Abend sein Ziel erreichen.</p> + <p>Eine Woche hielt ich dort vergebens Wache, war aber auch darauf gefaßt, + einen ganzen Monat lang warten zu müssen. Am achten Tage aber, als die Sonne + schon so tief stand, daß ich mir mit der Hand die Augen beschatten mußte, + wurde ich in der Ferne eine Gestalt gewahr, die sich dem Walde näherte. Bald + erglänzte ihr gelber Mantel, und als sie an einem heimkehrenden Waldarbeiter + vorüberschritt, erkannte man, daß sie von ganz ungewöhnlich hohem + Wüchse war. Es war in der Tat Angulimala--allein. Meinen Kamanita hatte er nicht + "heil und sicher mitgebracht"--was tat's? Wenn er mir nur versichern konnte, + daß der Geliebte am Leben sei, dann würde ich ja selber den Weg zu ihm + finden.</p> + <p>Heftig pochte mein Herz, als Angulimala vor mir stand und mich mit höflichem + Anstand begrüßte.</p> + <p>"Kamanita lebt in seiner Vaterstadt in großem Wohlstand," sagte er, "ich + habe ihn selber gesehen und gesprochen."</p> + <p>Und er erzählte mir nun, wie er eines Morgens an dein palastähnliches + Haus gekommen sei, wie deine beiden Frauen ihn gröblich beschimpft hätten, + wie du dann selber hinzugetreten seiest, die bösen Frauen ins Haus gejagt und + ihn freundlich und entschuldigend angeredet hättest.</p> + <p>Als er nun Alles--so wie es dir ja bekannt ist--genau berichtet hatte, verbeugte + er sich vor mir, schlug den Mantel wieder um die Schulter und wandte sich um, als ob + er in derselben Richtung weiter wandern wollte, statt in den Wald hineinzugehen.</p> + <p>Verwundert fragte ich ihn, ob er nicht nach der Halle der Mönche gehe. "Ich + habe nun," antwortete er, "deinen Auftrag getreulich ausgerichtet, und nichts gibt es + jetzt mehr, was mich hindern könnte, meinen Weg ostwärts zu nehmen, in den + Spuren des Erhabenen, nach Benares und Rajagaha, wo ich ihn nun antreffen werde."</p> + <p>Also sprechend, ging dieser mächtige Mann mit weit ausholenden Schritten + fürbaß, den Waldrand entlang, ohne sich die geringste Rast zu + gönnen.</p> + <p>Ich starrte ihm lange nach und sah, wie die untergehende Sonne seinen Schatten + weit vor ihm bis zum Hügelrande am Horizonte, ja gleichsam noch darüber + hinaus streckte, als ob seine Sehnsucht ihm ungestüm vorauseile, während + ich wie eine Gelähmte zurückblieb ohne ein Sehnsuchtsziel für irgend + eine liebe Hoffnung.</p> + <p>Mein Herz war gestorben, mein Traum zerronnen. Das herbe Asketenwort: "ein + Schmutzwinkel ist die Häuslichkeit", hallte durch mein ödes Gemüt + wider. Auf jener herrlichen Terrasse der Sorgenlosen, unter freiem, sternenblinkendem + und monddurchstrahltem Himmel war ja meine Liebe daheim. Wie hätte ich + Törin je daran denken können, sie nach jener schmutzwinkligen + Häuslichkeit in Ujjeni betteln zu schicken, damit zankende Frauen sie mit + Schimpfreden begeiferten?</p> + <p>Mit Mühe schleppte ich mich nach meiner Zelle zurück, um mich auf das + Krankenlager zu strecken. Diese plötzliche Vernichtung meiner fieberhaft + erregten Hoffnungen war zuviel für meine schon durch monatelange + Seelenkämpfe erschütterte Widerstandskraft. Mit einer Selbstaufopferung + ohnegleichen pflegte Medini mich Tag und Nacht. Sobald aber, durch ihre Sorgfalt + gestützt, mein Geist sich über die Schmerzen und den Fieberbrand erheben + konnte, reifte mein Wanderplan in einer neuen Richtung aus. Nicht dorthin, wo ich + Angulimala hingeschickt hatte, sondern dorthin, wo er jetzt von selber hinwanderte, + wollte ich nun pilgern: den Spuren des Erhabenen wollte ich folgen, bis ich ihn + träfe. War ich denn nicht mit meinem Spruche zu Ende? Wie mit der Liebe Leid + entsteht, hatte ich ja im tiefsten Grunde erfahren. Und so durfte ich denn auch, + meinte ich, den Buddha aufsuchen und von der Kraft des Heiligen mich neu beleben + lassen, um nach dem höchsten Ziele weiter vorwärtsstreben zu + können.</p> + <p>Ich vertraute denn auch dies mein Vorhaben der guten Medini an, die sofort mit + wahrem Feuereifer den unerwarteten Gedanken aufnahm und sich in ihrem kindlichen + Gemüt ausmalte, wie herrlich es sein würde, mit mir zusammen durch + liebliche Gegenden zu streifen, frei wie die Vögel durch die Luft, wenn die + Wanderzeit sie nach fernen Himmelsstrichen ruft.</p> + <p>Freilich mußten wir erst geduldig warten, bis ich wieder hinlänglich zu + Kräften gekommen war. Und als dies einigermaßen der Fall war, legte uns + die schon eingetretene Regenzeit eine noch längere Geduldsprobe auf.</p> + <p>In seiner letzten Rede hatte der Erhabene uns zugerufen:</p> + <p>"Gleich wie etwa, wenn im letzten Monat der Regenzeit, im Herbste, nach + Zerstreuung und Vertreibung der wasserschwangeren Wolken, die Sonne am Himmel aufgeht + und alle Nebel der Lüfte strahlend verscheucht und flammt und leuchtet: ebenso + nun auch, ihr Jünger, erscheint da diese Lebensführung, die + gegenwärtiges Wohl sowie künftiges Wohl bringt, und verscheucht strahlend + die Redereien gewöhnlicher Büßer und Geistlicher und flammt und + leuchtet."</p> + <p>Als nun die Natur ringsum uns dies Bild verwirklichte, verließen wir den + Krishnahain vor Kosambi, und unsere Schritte ostwärts lenkend, eilten wir jener + Sonne einer heiligen Lebensführung entgegen.</p> + <h2><a id="chap_xliii" name="chap_xliii">XLIII. DAS NIRVANA DES VOLLENDETEN</a></h2> + <p><img src="images/xliii.png" width="93" height="93" align="left" alt="M" />eine + Entkräftung erlaubte es mir nicht, lange Tageswanderungen zu unternehmen und + nötigte uns bisweilen, uns einen Ruhetag zu gönnen, so daß wir erst + nach einer einmonatigen Pilgerfahrt in Vesali ankamen, wo, wie wir wußten, der + Erhabene sich längere Zeit aufgehalten hatte, von wo er aber vor etwa sechs + Wochen weiter gewandert war.</p> + <p>Kurz vorher hatten wir in einem Dorfe, wo Anhänger der Lehre wohnten, + gehört, daß Sariputta und Moggallana in das Nirvana eingegangen waren. Der + Gedanke, daß diese beiden großen Jünger, die Häuptlinge der + Lehre, wie wir sie nannten, nicht mehr auf Erden weilten, erschütterte mich + tief. Wohl wußten wir alle, daß auch diese Großen, ja der Buddha + selber, nur Menschen waren wie wir; aber die Vorstellung, daß sie uns verlassen + könnten, war nie in uns aufgetaucht. Sariputta, der mir so oft auf seine + bedächtige Weise schwierige Fragen der Lehre gelöst hatte, war + davongegangen. Er war der Jünger, der dem Meister ähnlich sah, und er stand + wie der Erhabene in seinem achtzigsten Lebensjahre; wäre es möglich, + daß auch der Buddha selber sich schon dem Ende seines Erdenlebens + näherte?</p> + <p>Vielleicht, daß die Unruhe, die durch diese Furcht entstand, einen + schleichenden Rest meines Fieberzustandes wieder anschürte: jedenfalls kam ich + erschöpft und krank in Vesali an. Hier lebte eine reiche Anhängerin des + Ordens, die es sich angelegen sein ließ, für die durchziehenden + Mönche und Nonnen auf jede Weise zu sorgen. Wie sie nun erfuhr, daß eine + kranke Nonne angekommen sei, suchte sie mich sofort auf, brachte Medini und mich nach + ihrem Hause und pflegte mich dort sorgsam.</p> + <p>Ihr gegenüber äußerte ich gar bald meine Furcht: ob es wohl + möglich sei, daß der Erhabene, der ebenso alt sei wie Sariputta, uns nun + auch bald verlassen würde?</p> + <p>Da brach die fromme Seele in einen Strom von Tränen aus und rief + schluchzend:</p> + <p>"Ach! So weißt du es denn noch nicht? Hier in Vesali--vor zwei Monaten + etwa--hat ja der Gesegnete vorausgesagt, daß nach drei Monaten sein Nirvana + stattfinden wird. Wir haben ihn alle hier zum letzten Male gesehen. Und man denke: + wenn nur Ananda Verstand genug besessen und zu rechter Zeit gesprochen hätte, + dann wäre das nimmer geschehen, und der Buddha hätte bis zum Ende dieser + Weltperiode fortgelebt!"</p> + <p>Ich fragte, was denn der gute Ananda damit zu tun habe, und auf welche Weise er + eine solche Rüge verdient habe.</p> + <p>"Auf folgende Weise," antwortete die Frau. "Eines Tages weilte der Erhabene mit + Ananda vor der Stadt bei dem Capala-Tempel. Da sagte nun der Gesegnete zu Ananda: wer + auch immer die geistigen Kräfte in sich vollkommen entwickelt habe, der + könne, wenn er wolle, durch eine ganze Weltperiode am Leben bleiben. O über + diesen einfältigen Ananda, daß er, trotz dieses deutlichen Winkes, nicht + sofort sprach: 'Möge doch der Erhabene eine Weltperiode hindurch zum Heile + Vieler am Leben bleiben!' Sicher war sein Geist von Mara, dem Bösen, besessen, + da er seine Bitte erst dann vorbrachte, als es zu spät war."</p> + <p>"Wie konnte es aber zu spät sein," fragte ich, "da ja der Erhabene noch + lebt?"</p> + <p>"Das war folgendermaßen. Du mußt nämlich wissen, vor fünfzig + Jahren, als der Erhabene in Uruvela sich das Buddhawissen errungen hatte, und nach + siebenjährigem Kampfe den Besitz heiliger Gemütsruhe genießend, unter + dem Nyagrodhabaume des Ziegenhirten weilte: da nahte sich ihm Mara, der Böse, + gar sehr besorgt wegen der Gefahr, die seinem Reiche durch den Buddha drohte; und in + der Hoffnung, die Verbreitung der Lehre zu verhindern, sprach er: 'Heil dir! Jetzt + ist es Zeit für den Erhabenen, in das Nirvana einzugehen!' Aber der Buddha + antwortete: 'Nicht eher werde ich, du Böser, in das Nirvana eingehen, als bis + ich der Menschheit die Lehre verkündet habe; nicht eher, als bis ich mir + Jünger geworben habe, die imstande sind, diese Lehre gegen Angriffe zu + verteidigen und sie weiter zu verkünden. Erst dann, Böser, werde ich in das + Nirvana eingehen, wenn das Reich der Wahrheit fest begründet ist.'</p> + <p>Nachdem nun aber der Erhabene hier am Çapalaheiligtum so, wie ich dir + sagte, zu Ananda gesprochen hatte und dieser, ohne den Wink zu verstehen, weggegangen + war, nahte sich Mara, der Böse, dem Erhabenen und sprach zu ihm: 'Heil dir! + Jetzt ist für den Erhabenen die Zeit gekommen, in das Nirvana einzugehen. Was + mir der Erhabene damals unter dem Nyagrodhabaume des Ziegenhirten zu Uruvela als + Bedingung für sein Nirvana angab, das ist ja jetzt erfüllt. Fest + gegründet ist das Reich der Wahrheit. Möge also der Erhabene jetzt in das + Nirvana eingehen!' Da sprach der Buddha zu Mara, dem Bösen, also: 'Sei du, o + Böser, ohne Sorge! Das Nirvana des Vollendeten wird bald stattfinden; nach + Verlauf von drei Monaten von jetzt ab wird der Vollendete in das Nirvana eingehen.' + Bei diesen Worten aber erzitterte die Erde, wie du es wohl auch selber bemerkt haben + wirst."</p> + <p>In der Tat hatten wir in Kosambi, etwa einen Monat bevor ich den heiligen Hain + verließ, ein leichtes Erdbeben gespürt, was ich ihr nun auch sagte.</p> + <p>"Siehst du!" rief die Frau erregt--"überall haben sie es gespürt. Die + ganze Erde bebte, und die Trommeln der Götter dröhnten, als der Vollendete + auf längere Lebensdauer verzichtete. Ach, daß doch der einfältige + Ananda zu rechter Zeit den ihm so deutlich gegebenen Wink verstanden hätte! Denn + als er nun, durch dies Erdbeben aus seiner Selbstvertiefung geweckt, zum Erhabenen + zurückkam und ihn bat, er möge doch noch den Rest dieser Weltperiode + hindurch am Leben bleiben:--da hatte ja der Vollendete schon Mara sein Wort gegeben + und auf längere Lebensdauer verzichtet."</p> + <p>Aus diesen Reden der frommen, aber etwas abergläubischen Frau entnahm ich, + daß der Erhabene während seines Aufenthaltes in Vesali Zeichen des + herannahenden Todes gespürt und wohl den Jüngern gesagt habe, daß er + bald sterben würde.</p> + <p>So litt es mich denn nicht länger unter dem gastlichen Dache. Ich mußte + den Buddha erreichen, bevor er uns verließ. Das war ja unser großer Trost + gewesen, daß wir uns immer an ihn, den unerschöpflichen Quell der + Wahrheit, wenden konnten. Nur von ihm konnten ja alle Zweifel meiner + geängstigten Seele gelöst werden; nur er in der ganzen Welt war ja + imstande, mir den Frieden wiederzugeben, den ich einst gekostet hatte, als ich am + alten Krishnatempel im Sinsapawalde bei Kosambi ihm zu Füßen + saß.</p> + <p>So brachen wir denn auf, als, nach Verlauf von zehn Tagen meine Kräfte mir + das Wandern einigermaßen erlaubten. Meine gute Wirtin, die sich ein Gewissen + daraus machte, mich in meinem geschwächten Zustande weitergehen zu lassen, + tröstete ich mit dem Versprechen, ihren Gruß dem Erhabenen zu + Füßen zu legen.</p> + <p>Wir gingen nun in nordwestlicher Richtung weiter in den Spuren des Erhabenen, die + wir immer frischer fanden, je weiter wir vordrangen, von Ort zu Ort uns erkundigend. + In Ambagama war er acht Tage vorher gewesen; den Salahain von Bhoganagara hatte er + drei Tage vor unserer Ankunft verlassen, um sich nach Pava zu begeben.</p> + <p>Sehr ermüdet trafen wir am frühen Nachmittage in diesem Orte ein.</p> + <p>Das erste Haus, das uns auffiel, gehörte einem Kupferschmied, wie an den + vielen Metallwaren zu erkennen war, die an der Mauer entlang standen. Aber kein + Hammerschlag ertönte; es schien ein Feiertag zu sein, und im Hofe wurden am + Brunnen von den Dienern Schüsseln und Platten abgespült, als ob dort eine + Hochzeit stattgefunden hätte.</p> + <p>Da trat ein kleiner, festlich gekleideter Mann auf uns zu und bat höflich, + unsere Almosenschalen füllen zu dürfen.</p> + <p>"Wäret ihr einige Stunden früher gekommen," fügte er hinzu, "dann + hätte ich bei meinem Feste noch zwei liebe und würdige Gäste gehabt, + denn euer Meister, der Erhabene, hat heute mit seinen Mönchen bei mir + gespeist."</p> + <p>"So ist denn der Erhabene noch hier in Pava?"</p> + <p>"Jetzt nicht mehr, Ehrwürdigste," antwortete der Kupferschmied. "Gleich nach + der Mahlzeit wurde der Erhabene von einer schweren Krankheit befallen, mit scharfen + Schmerzen, die ihn einer Ohnmacht nahe brachten, so daß wir alle sehr + erschraken. Aber der Erhabene überwand diesen Anfall und begab sich vor etwa + einer Stunde weiter nach Kusinara."</p> + <p>Am liebsten wäre ich sofort weiter gewandert, denn was der Schmied von diesem + Krankheitsanfall sagte, ließ mich das Schlimmste befürchten. Aber es war + eine gebieterische Notwendigkeit, den Körper nicht nur durch Speise, sondern + auch durch kurze Ruhe zu stärken.</p> + <p>Der Weg von Pava nach Kusinara war nicht zu verfehlen. Er führte bald von den + bebauten Feldern fort, durch Tigergras und Gestrüpp, immer tiefer in die + Dschungeln. Wir durchwateten einen kleinen Fluß und erfrischten uns ein wenig + durch Baden. Nach kurzer Ruhe brachen wir wieder auf. Es wollte Abend werden, und ich + konnte mich nur mit Mühe weiterschleppen.</p> + <p>Medini versuchte mich zu überreden, unter einem Baume auf einer kleinen + Anhöhe zu übernachten. Es habe keine so große Eile:</p> + <p>"Dies Kusinara ist wohl nicht viel mehr als ein Dorf und scheint ganz in den + Dschungeln begraben zu sein. Wie kannst du nur glauben, daß der Vollendete hier + sterben wird? Gewiß wird er einmal im Jetavanapark bei Savitti, oder in einem + seiner beiden Haine bei Rajagaha von dannen scheiden; aber der Erhabene wird doch + nicht in dieser Einöde erlöschen! Wer hat denn je von Kusinara + gehört?"</p> + <p>"Vielleicht wird man von jetzt ab von Kusinara hören," sagte ich und ging + weiter.</p> + <p>Meine Kräfte waren aber bald so erschöpft, daß ich mich + entschließen mußte, die nächste baumlose Anhöhe zu besteigen, + in der Hoffnung, von dort aus die Nähe Kusinaras erkennen zu können. Sonst + mußten wir die Nacht dort oben zubringen, wo wir dem Angriffe der Raubtiere und + Schlangen weniger ausgesetzt waren und auch den fiebererzeugenden Ausdünstungen + einigermaßen entrückt blieben.</p> + <p>Dort oben angelangt, spähten wir vergebens nach einem Anzeichen menschlicher + Wohnsitze aus. Scheinbar ununterbrochen stiegen die Dschungeln vor uns + allmählich aufwärts, wie ein Teppich, den man in die Höhe zieht. Bald + aber tauchten große Bäume aus dem niedrigen Gebüsch auf; die dichten + Laubmassen eines Hochwaldes wölbten ihre Kuppeln übereinander, und in einer + schwarzen Schlucht schäumte ein Wildbach, derselbe Strom, in dessen ruhig + fließendem Wasser wir kurz vorher gebadet hatten.</p> + <p>Den ganzen Tag über war es schwül und trübe gewesen. Hier wehte uns + nun ein frischer Hauch entgegen, und immer klarer wurde es vor unseren Augen, als ob + ein Schleier nach dem andern gelüftet würde.</p> + <p>Ungeheure Felsenmauern türmten sich über dem Walde empor, und als ihr + Dach bauten grüne Bergkuppen sich immer höher hinauf--bewaldete Berge + mußten es ja sein, obwohl sie wie Mooskissen aussahen--immer höher, bis + sie im Himmel selber zu verschwinden schienen.</p> + <p>Nur eine einzige langgestreckte, rötliche Wolke schwebte dort oben.</p> + <p>Während wir sie betrachteten, fing sie an gar seltsam zu glühen. + Gleichwie wenn mein Vater mit der Zange ein Stück geläuterten Goldes aus + dem Schmelzofen herausnahm und, nachdem es abgekühlt war, es auf eine lichtblaue + seidene Decke hinlegte: also erglänzte jetzt dies leuchtende Luftgebilde in + scharf begrenzten goldig-blanken Flächen; dazwischen aber dämmerten duftig + hellgrüne Streifen und zogen sich fächerförmig nach unten, indem sie + erblassend in die farblose Luftschicht untertauchten, als ob sie die grünen + Bergkuppen erreichen wollten. Immer rötlicher glühten die Flächen, + immer grüner wurden die Schatten.</p> + <p>Das war keine Wolke!</p> + <p>"Der Himavat!" flüsterte Medini, überwältigt und ergriffen meinen + Arm berührend.</p> + <p>Ja, da erhob er sich vor uns, der Berg der Berge, die Stätte des ewigen + Schnees, die Wohnung der Götter, der Aufenthalt der Heiligen! Der Himavat--schon + von Kindheit an hatte mich dieser Name mit tiefen Gefühlen von Scheu und + Ehrfurcht, mit heimlicher Ahnung des Erhabenen erfüllt! Wie oft hatte ich in + Sagen und Märchen den Satz gehört: "und er begab sich nach dem Himavat und + lebte dort ein Asketenleben"! Zu Tausenden und Abertausenden waren sie dort + hinaufgestiegen, die Erlösungsuchenden, um in der Bergeinsamkeit durch + Bußübungen sich das Heil zu erringen--jeder mit seinem Wahn: und nun nahte + er, der einzige Wahnlose, dessen Spuren wir folgten.</p> + <p>Während ich also dachte, erlosch das leuchtende Bild, als ob der Himmel es in + sich aufgesogen hätte.</p> + <p>Ich fühlte mich aber durch diesen Anblick so wunderbar belebt und + gestärkt, daß ich an keine Ruhe mehr dachte.</p> + <p>"Wenn auch der Erhabene," sagte ich zu Medini, "uns bis zu jenem Gipfel + voranschritt, um von solchem erhabenen Standorte aus in jenes höchste der + Gefilde einzugehen: so würde ich ihm doch folgen und ihn erreichen."</p> + <p>Und ich wanderte mutig weiter. Wir waren aber keine halbe Stunde gegangen, da + verschwand das Gestrüpp plötzlich, und bebautes Land lag vor uns. Es war + schon ganz dunkel, und der Vollmond ging groß und glühend über dem + uns gegenüberliegenden Walde auf, als wir endlich Kusinara erreichten.</p> + <p>Es war in der Tat nicht viel mehr als ein Dorf der Mallas, mit Mauern und + Häusern von gestampftem Lehm und Weidengeflecht. Mein erster Eindruck war, + daß eine verheerende Krankheit das Städtchen entvölkert haben + müsse. Vor den Haustüren saßen einige alte und kranke Leute und + jammerten laut.</p> + <p>Wir fragten sie, was denn geschehen sei.</p> + <p>"Ach," riefen sie händeringend: "Gar zu bald wird der Vollendete sterben. + Noch in dieser Stunde wird das Licht der Welt erlöschen. Die Mallas sind nach + dem Salahain gegangen, um den Heiligen zu sehen und zu verehren. Denn kurz vor + Sonnenuntergang kam Ananda in unsere Stadt und begab sich zur Markthalle, wo die + Mallas eine öffentliche Sache berieten, und sagte: 'Heute, noch vor Mitternacht, + o Mallas, wird das Nirvana des Vollendeten stattfinden. Sorget, daß ihr euch + nicht später einen Vorwurf machen müßt: in unserer Stadt ist der + Buddha gestorben, und wir benutzten nicht die Gelegenheit, um den Vollendeten in + seinen letzten Stunden zu besuchen.' So zogen denn die Mallas mit Weibern und + Kindern, klagend und jammernd, nach dem Salahain. Wir aber sind zu alt und schwach, + wir mußten hier zurückbleiben und können den Erhabenen nicht in + seinen letzten Stunden verehren."</p> + <p>Wir ließen uns nun den Weg von der Stadt nach jenem Salahaine zeigen. Dieser + Weg war aber, als wir ihn betraten, schon gänzlich angefüllt mit den + Scharen der zurückkehrenden Mallas. Wir eilten also lieber querfeldein, nach + einer Ecke des Wäldchens zu.</p> + <p>Hier stand, an einen Baumstamm gelehnt, ein Mönch und weinte. In dem + Augenblick, da ich ergriffen stehen blieb, erhob er sein Antlitz zum Himmel--das + volle Mondlicht fiel auf die schmerzdurchdrungenen Züge, und ich erkannte + Ananda.</p> + <p>"So bin ich doch zu spät gekommen," sagte ich mir, und ich fühlte, wie + meine Kräfte mich verließen.</p> + <p>Ich vernahm aber ein Rascheln im Gebüsch und sah einen riesengroßen + Mönch hervortreten und seine Hand auf Anandas Schulter legen:</p> + <p>"Bruder Ananda, der Meister ruft dich."</p> + <p>So sollte ich doch noch den Buddha in seinen letzten Augenblicken sehen! Sofort + kehrten meine Kräfte wieder und befähigten mich, den beiden zu folgen.</p> + <p>Jetzt bemerkte und erkannte Angulimala uns. Seinen besorgten Blick richtig + deutend, sagte ich:</p> + <p>"Fürchte nicht, Bruder, daß wir durch lautes Weinen und weibisches + Klagen die letzten Augenblicke des Vollendeten stören werden. Wir haben uns von + Vesali bis hierher keine Ruhe gegönnt, um den Erhabenen noch zu sehen. Verwehre + uns den Zutritt nicht, wir wollen stark sein."</p> + <p>Da winkte er uns, ihnen zu folgen.</p> + <p>Wir hatten nicht weit zu gehen.</p> + <p>Auf einer kleinen Waldwiese waren wohl an die zweihundert Brüder versammelt + und standen da in einem Halbkreise. In der Mitte erhoben sich zwei Salabäume, + die eine einzige Masse von weißen Blüten bildeten, und unter ihnen, auf + einem Lager von gelben Mänteln, die zwischen den beiden Stämmen + ausgebreitet waren, ruhte der Vollendete, den Kopf auf den rechten Arm gestützt. + Und die Blüten regneten leise über ihn herab.</p> + <p>Hinter ihm sah ich im Geiste die jetzt im Nachtdunkel verborgenen, in ewigen + Schnee gehüllten Zinnen des Himavat, von denen ich soeben einen flüchtigen, + traumhaften Anblick genossen hatte, dem ich es verdankte, daß ich jetzt hier + vor dem Vollendeten stand. Der überirdische Glanz aber, der von ihnen + herübergegrüßt hatte, strahlte mir jetzt in geistiger Verklärung + von seinem Gesichte wider. Auch er, der Erhabene, schien ja, ebenso wie jene + wolkenartig schwebenden Gipfel, der Erde gar nicht anzugehören, und doch war er + wie sie, von derselben Ebene aus, die uns alle trägt, bis zu jener + unermeßlichen Geisteshöhe emporgestiegen, von welcher aus er jetzt im + Begriff stand, dem Blick der Menschen und der Götter zu entschwinden.</p> + <p>Und er sprach zu dem vor ihm stehenden Ananda:</p> + <p>"Ich weiß wohl, Ananda, daß du einsam weintest in dem Gedanken: 'Ich + bin noch nicht frei von Sünden, ich habe noch nicht das Ziel erreicht, und mein + Meister wird jetzt in das Nirvana eingehen--er, der sich meiner erbarmte.' Aber nicht + also, Ananda--klage nicht, jammere nicht! Habe ich es dir nicht zuvor gesagt, + Ananda:--von Allem, was man lieb hat, muß man scheiden? Wie wäre es + möglich, Ananda, daß das, was entstanden ist, nicht verginge? Du aber, + Ananda, hast lange Zeit den Vollendeten geehrt, in Liebe und Güte, mit Freuden, + ohne Falsch. Du hast Gutes getan. Strebe ernstlich, und du wirst bald frei sein von + Sinnenbegier, von Ichsucht und von Irrwahn."</p> + <p>Wie um zu zeigen, daß er sich nicht mehr von Trauer überwältigen + ließe, fragte nun Ananda, indem er mit Gewalt seine Stimme beherrschte, was die + Jünger mit den sterblichen Resten des Vollendeten tun sollten.</p> + <p>"Laßt euch das nicht kümmern," antwortete der Buddha. "Es gibt weise + und fromme Anhänger unter den Adligen, unter den Brahmanen, unter den + bürgerlichen Hausvätern--sie werden den sterblichen Resten des Vollendeten + die letzte Ehre erweisen. Ihr aber habt Wichtigeres zu tun. Gedenket des Ewigen, + nicht des Sterblichen; eilet vorwärts, schauet nicht zurück."</p> + <p>Und indem er seinen Blick im Kreise herumgehen ließ und jeden einzelnen + ansah, sprach er weiter:</p> + <p>"Es möchte sein, ihr Jünger, daß ihr also denkt: 'das Wort hat + seinen Meister verloren, wir haben keinen Meister mehr.' Aber so müßt ihr + nicht meinen. Die Lehre, ihr Jünger, die ich euch gelehrt habe, die ist euer + Meister, wenn ich von dannen gegangen bin. Darum haltet euch an keiner + äußeren Stütze. Haltet fest an der Lehre, wie an einer Stütze! + Seid eure eigene Leuchte, eure eigene Stütze."</p> + <p>Auch mich bemerkte er dann--voll Mitleid ruhte der Blick des Allerbarmers auf mir, + und ich fühlte, daß mein Pilgergang nicht vergeblich gewesen war.</p> + <p>Nach einer kurzen Weile sprach er dann:</p> + <p>"Es möchte sein, ihr Jünger, daß in jemand von euch irgend ein + Zweifel aufstiege hinsichtlich des Meisters oder hinsichtlich der Lehre. Fragt frei, + ihr Jünger, auf daß ihr euch nicht später den Vorwurf zu machen habt: + 'der Meister war bei uns, von Angesicht zu Angesicht, und wir haben ihn nicht + gefragt.'"</p> + <p>Da er also gesprochen, also uns aufgefordert hatte, schwiegen Alle.</p> + <p>Wie hätte wohl auch da noch ein Zweifel bestehen können angesichts des + dahinscheidenden Meisters? Wie er dalag, von milden Mondstrahlen überflutet--als + ob himmlische Genien ihm das Sterbebad bereiteten; von den niederregnenden + Blüten bestreut--als ob die Erde ihren Verlust beweine; inmitten der tief + erschütterten Jüngerschar selber unerschüttert, ruhig, heiter: wer + fühlte da nicht, daß dieser vollkommen Heilige auf ewig alles + Unvollkommene abgetan, alle Übel überwunden hatte? Was sie da "das + sichtbare Nirvana" nennen, das sahen wir ja vor uns in den leuchtenden Zügen des + weltverlassenden Buddha.</p> + <p>Und Ananda faltete seine Hände und sagte, inniglich ergriffen:</p> + <p>"Wie wunderbar ist doch dies, o Herr! Wahrlich, ich glaube, in dieser ganzen + Versammlung ist auch nicht einer, in dem sich ein Zweifel regt."</p> + <p>Und der Erhabene antwortete ihm:</p> + <p>"Aus der Fülle deines Glaubens, Ananda, hast du gesprochen. Ich aber + weiß, daß in keinem sich ein Zweifel regt. Selbst wer am weitesten + zurück war, ist erleuchtet worden und wird schließlich das Ziel + erreichen."</p> + <p>Bei dieser Verheißung war es wohl jedem von uns, als ob eine starke Hand ihm + die Pforte der Ewigkeit auftue.</p> + <p>Noch einmal öffneten sich die Lippen, die der Welt die höchste und + letzte Wahrheit verkündet hatten:</p> + <p>"Wohlan, ihr Jünger, wahrlich, ich sage euch: vergänglich ist jegliche + Gestaltung. Ringet ohne Unterlaß!"</p> + <p>Das waren die letzten Worte des Erhabenen.</p> + <h2><a id="chap_xliv" name="chap_xliv">XLIV. VASITTHIS VERMÄCHTNIS</a></h2> + <p><img src="images/xliv.png" width="93" height="93" align="left" alt="U" />nd es + waren die letzten, die ich auf Erden vernahm.</p> + <p>Meine Lebenskraft war erschöpft, das Fieber umnebelte meine Sinne. Wie + flüchtige Traumbilder sah ich noch Gestalten um mich her--Medinis Gesicht war + oft dem meinigen nahe. Dann wurde Alles dunkel. Plötzlich aber war es mir, als + ob ein kühles Bad meinen Fieberbrand lösche. Nein, ich fühlte mich, + wie ein Wanderer, in der Sonnenglut an einem Teiche stehend, sich wohl vorstellen + mag, daß die Lotuspflanze sich fühlen muß, die, gänzlich in + quellenkühles Naß getaucht, ihre Labung mit allen Fasern einsaugt. + Gleichzeitig hellte es sich nach oben auf, und ich sah dort über mir eine + große schwimmende, rote Lotusrose; und über ihren Rand neigte sich dein + liebes Gesicht hervor. Da stieg ich von selber aufwärts und ich erwachte neben + dir, im Paradiese des Westens!"</p> + <p>"Und gepriesen seist du," sagte Kamanita, "daß du, von deiner Liebe gelenkt, + jenen Weg nahmst. Wo wäre ich wohl jetzt, wenn du dich mir dort nicht zugesellt + hättest? Zwar weiß ich nicht, wohin wir uns aus den Trümmern dieses + schrecklichen Weltunterganges retten können--doch du flößest mir + Zuversicht ein, denn du scheinst von diesen Schrecknissen so unerschüttert zu + sein, wie der Sonnenstrahl vom Sturm."</p> + <p>"Wer das Größte gesehen hat, mein Freund, den bewegt das Geringere + nicht. Geringfügig aber ist ja dies, daß Tausende und Abertausende von + Welten vergehen, im Vergleich damit, daß ein vollendeter Buddha in das Nirvana + eingeht. Denn alles dies, was wir rings um uns sehen, ist nur eine Veränderung, + und alle diese Wesen werden wieder ins Dasein treten. Jener hunderttausendfache + Brahma, der sich zornglühend gegen das Unabänderliche sträubt und wohl + gar <i>uns</i> neidisch ansieht, weil wir noch ruhig leuchten: der wird auf irgend + einer niedrigeren Stufe wieder erscheinen, während vielleicht ein hochstrebender + Menschengeist als der Brahma entsteht; jedes Wesen aber wird sich dort befinden, wo + sein innerster Herzenswille und seine Geisteskraft es hinführt. Im ganzen jedoch + wird Alles sein wie es war, weder besser noch schlimmer; weil es eben gleichsam aus + demselben Stoff gemacht ist. Deshalb nenne ich dies geringfügig. Und deshalb ist + es nicht nur keineswegs schrecklich, sondern sogar erfreulich, diesen Weltuntergang + zu erleben. Denn wäre diese Brahmawelt ewig, dann gäbe es ja nichts + Höheres."</p> + <p>"So weißt du denn ein Höheres als diese Brahmawelt?"</p> + <p>"Diese Brahmawelt ist, wie du siehst, vergänglich. Aber es gibt ein + Unvergängliches, ein Ungewordenes. 'Es gibt,' sagt der Herr, 'eine Stätte, + wo nicht Erde noch Wasser ist, nicht Licht noch Luft, weder Raumunendlichkeit noch + Bewußtseinsunendlichkeit, weder Vorstellung noch Nichtvorstellung. Das + heiße ich, ihr Jünger, weder Kommen noch Gehen, weder Sterben noch Geburt; + das ist des Leidens Ende, die Stätte der Ruhe, das Land des Friedens, das + unsichtbare Nirvana.'"</p> + <p>"Hilf mir, du Heilige, daß wir dort, im Lande des Friedens, + auferstehen!"</p> + <p>"'Auferstehen'--hat der Herr gesagt--"das trifft dort nicht zu; Nichtauferstehen, + das trifft dort nicht zu. Womit du bezeichnend irgend etwas greifbar machen und + erfassen kannst--das trifft dort nicht zu.'"</p> + <p>"Was soll mir aber das Ungreifbare?"</p> + <p>"Lieber frage: was greifbar ist, ist das noch wert, die Hand danach + auszustrecken?"</p> + <p>"Ach, Vasitthi, wahrlich, ich glaube, einst muß ich einen Brahmanenmord oder + ein ähnliches Verbrechen begangen haben, das mich mit seiner Vergeltung so + grausam in dem Gäßchen Rajagahas traf. Denn wäre ich dort nicht + jäh ums Leben gekommen, so hätte ich dem Erhabenen zu Füßen + gesessen, ja gewiß wäre ich auch wie du bei seinem Nirvana zugegen + gewesen. Und ich würde sein wie du bist.--Aber wohlan, Vasitthi--während + uns noch Gedanken und Vorstellungen gehören, tue mir dies zu Liebe. Beschreibe + mir den Vollendeten genau, auf daß ich ihn im Geiste sehe und somit das + erreiche, was mir auf Erden nicht vergönnt war: gewiß wird das mir den + Frieden geben."</p> + <p>"Gern, mein Freund," antwortete Vasitthi. Und sie schilderte ihm die Erscheinung + des Vollendeten, Zug um Zug, auch nicht das Geringste vergessend.</p> + <p>Aber mißmutig sagte Kamanita:</p> + <p>"Ach, was helfen Beschreibungen! Was du da sagst, das könnte alles ebensogut + auf jenen alten Asketen passen, von dem ich dir erzählt habe, daß ich mit + ihm zusammen zu Rajagaha in der Halle eines Hafners die Nacht zubrachte, und der wohl + nicht ganz so töricht war, wie ich geglaubt habe, denn er hat doch, wie ich + jetzt merke, manches Richtige gesagt. Wohlan, Vasitthi, sage mir nichts mehr, sondern + stelle dir im Geiste den Vollendeten vor, bis du ihn siehst, wie du ihn zuletzt von + Angesicht zu Angesicht gesehen hast; und infolge unserer geistigen Gemeinschaft werde + ich dann vielleicht an dieser Vision teilnehmen."</p> + <p>"Gern, mein Freund."</p> + <p>Und Vasitthi stellte sich den Vollendeten vor, wie er im Begriff war, in das + Nirvana einzugehen.</p> + <p>"Siehst du ihn, mein Lieber?"</p> + <p>"Noch nicht, Vasitthi."</p> + <p>"Ich muß dies Phantasiebild versinnlichen," dachte Vasitthi.</p> + <p>Und sie sah sich im unermeßlichen Raume um, wo die Brahmawelt im + Erlöschen begriffen war.</p> + <p>Gleichwie etwa ein großer Erzgießer, wenn er die Form eines herrlichen + Götterbildes fertiggestellt hat, und es ihm an Erz gebricht um diese Form zu + füllen, sich nun in seiner Werkstatt umsieht; und was da alles umhersteht an + kleinen Götterbildern, Figuren, Vasen und Gefäßen, sein ganzes + Eigentum, das Werk seines Lebens,--das wirft er alles gern und willig in den + Schmelzofen, um dies eine herrliche Götterbild vollkommen gießen zu + können:</p> + <p>also sah Vasitthi sich im unermeßlichen Räume um:</p> + <p>und was da alles noch von erblassendem Licht und zerfließenden Formen dieser + Brahmawelt übrig war, das zog sie durch ihre Geisteskraft an sich, den ganzen + Raum entvölkernd, und bannte diese ganze Masse von Astralstoff in die Formen + ihrer Phantasie und schuf so im Räume ein kolossales leuchtendes Bild des + Vollendeten, wie er im Begriff war, in das Nirvana einzugehen.</p> + <p>Und wie sie dies Bild sich gegenüber erblickte, erhob sich in ihr keine + Neigung, keine Wehmut.</p> + <p>Denn selbst der große Heilige Upagupta, als er durch die Zauberkunst Maras, + des Bösen, die Gestalt des längst gestorbenen Buddha zu sehen bekam, da + erhob sich in ihm Neigung, so daß er sich vor der Trugerscheinung anbetend + niederwarf und von Wehmut übermannt klagte: "Wehe über diese erbarmungslose + Unbeständigkeit, daß sie auch so herrliche Gestalten auflöst! Denn + der so herrliche Körper des großen Heiligen unterlag der + Vergänglichkeit und ist der Vernichtung anheimgefallen."</p> + <p>Nicht aber so Vasitthi.</p> + <p>Unbewegt, gesammelten Geistes betrachtete sie die Erscheinung, wie ein + Künstler sein Werk, nur darauf bedacht, dieselbe Kamanita mitzuteilen.</p> + <p>"Jetzt fange ich an, eine Gestalt zu sehen," sagte dieser. "O halte sie fest, + laß sie noch deutlicher aufleuchten!"</p> + <p>Da blickte Vasitthi sich wieder im Raume um.</p> + <p>In seiner Mitte war noch der rotglühende, zornesblitzende Glanz des + hunderttausendfachen Brahma geblieben.</p> + <p>Und Vasitthi riß durch ihre Geisteskraft diese höchste Gottheit aus + ihrer Stätte und bannte sie in die Form der Buddhaerscheinung hinein. Da + erleuchtete sich diese und belebte sich, wie Einer, der einen stärkenden Trank + genießt.</p> + <p>"Jetzt seh' ich sie schon deutlicher," sagte Kamanita.</p> + <p>Da schien es Vasitthi, als ob der Buddha zu ihr spräche:</p> + <p>"So bist du denn gekommen, meine Tochter. Bist du mit deinem Spruch zu Ende?"</p> + <p>Und wie man seinem Traumbilde antwortet, entgegnete Vasitthi:</p> + <p>"Ich bin damit zu Ende, Herr."</p> + <p>"Recht so, meine Tochter! Und der lange Weg hat dich nicht gemüht? Noch + bedarfst du der Hilfe des Vollendeten?"</p> + <p>"Nein, o Herr, ich bedarf nicht mehr der Hilfe des Vollendeten."</p> + <p>"Recht so, meine Tochter! Bei dir selber hast du Zuflucht genommen, in deinem + eigenen Selbst ruhest du, Vasitthi."</p> + <p>"Mein Selbst habe ich kennen gelernt, o Herr. Wie man die Blattscheiden eines + Pisangstammes aufrollt und findet darin kein Kernholz, aus dem eine feste Stütze + zu zimmern wäre; also habe ich da mein Selbst kennen gelernt: ein Haufen + wechselnder Gestaltungen, in denen nichts Ewiges ist, worin man ruhen könnte. + Und ich gebe dies mein Selbst auf: 'das bin ich nicht, das gehört mir + nicht'--also urteile ich darüber."</p> + <p>"Recht so, meine Tochter! Nur an der Lehre hältst du dich noch fest."</p> + <p>"Die Lehre, o Herr, hat mich zum Ziel gebracht. Wie einer, der mittelst eines + Flosses einen Strom durchquert hat, wenn er das jenseitige Ufer betritt, das + Floß nicht festhält, nicht mit sich schleppt: also halte ich mich nicht + mehr an der Lehre fest, lasse die Lehre fahren."</p> + <p>"Recht so, meine Tochter! Solcherweise nirgend anhänglich haftend, wirst du + bei mir am Orte des Friedens auferstehen."</p> + <p>"'Auferstehen,' hast du gesagt, o Herr, 'das trifft nicht zu. Nichtauferstehen, + das trifft nicht zu.' Und auch diese Lehre, daß weder Auferstehen noch + Nichtauferstehen zutrifft--auch die trifft nicht mehr zu. Nichts trifft mehr zu, + <i>und am wenigsten trifft das Nichts zu</i>. Also hab' ich es jetzt verstanden."</p> + <p>Da lächelte die Buddhaerscheinung ein leuchtendes Lächeln.</p> + <p>"Jetzt werde ich auch die Züge gewahr," sagte Kamanita. "Wie ein Spiegelbild + in fließendem Wasser erkenne ich sie undeutlich. O, halte sie fest, + stätige sie, Vasitthi!"</p> + <p>Vasitthi sah sich im Raume um.</p> + <p>Der Raum war leer.</p> + <p>Da warf Vasitthi ihre eigene Körperlichkeit in die Astralmasse der + Erscheinung hinein.</p> + <p>Kamanita merkte, wie Vasitthi entschwand. Wie aber ein Sterbender ein + Vermächtnis hinterläßt, so hatte Vasitthi ihm jetzt das Buddhabild + vermacht, das mit ihm allein im Räume zurückblieb, und das er jetzt + deutlich erkannte.</p> + <p>"Jener alte Asket, mit dem ich in Rajagaha übernachtete und den ich + töricht schalt, das war ja der Vollendete! O über mich Toren! Gab es je + einen größeren Toren als mich? Was ich als das höchste Heil, als die + Erlösung selber ersehnte, das hab' ich ja schon seit Milliarden von Jahren + besessen!"</p> + <p>Da näherte sich ihm die Erscheinung wie eine heranziehende Wolke und + hüllte ihn in einen glänzenden Nebel ein.</p> + <h2><a id="chap_xlv" name="chap_xlv">XLV. WELTENNACHT UND WELTENGRAUEN</a></h2> + <p><img src="images/xlv.png" width="93" height="93" align="left" alt="W" />ie in + einer Festhalle, wenn alle Fackeln und Lampen ausgelöscht sind, in einer Ecke + vor einem heiligen Bilde ein Lämpchen noch brennen bleibt: also blieb Kamanita + in der Weltennacht allein zurück.</p> + <p>Denn wie seine Leiblichkeit in den Astralstoff jener Buddhaerscheinung + gehüllt war, so war seine Seele ganz und gar vom Buddhagedanken umhüllt: + und das war das Öl, welches die Flamme dieses Lämpchens speiste.</p> + <p>Das ganze Gespräch, das er in der Vorhalle des Hafners zu Rajagaha mit dem + Erhabenen gehabt hatte, stieg Satz für Satz, Wort für Wort in seiner + Erinnerung auf. Nachdem er es aber ganz durchgegangen war, hub er wieder von vorne + an. Und jeder Satz war ihm da wie eine Pforte, von der aus sich neue Gedankenwege + eröffneten, die wiederum zu anderen führten. Und er wanderte sie alle, + bedächtigen Schrittes, und nichts war da, was ihm dunkel blieb.</p> + <p>Und während sein Geist da solchermaßen den Buddhagedanken in sich + hineinspann und verarbeitete, sog seine Körperlichkeit immer mehr von dem sie + umgebenden Astralnebel in sich, so daß dieser endlich durchsichtig wurde. Und + die Finsternis der Weltennacht fing an sich als ein zartes Blau zu zeigen, das immer + dunkler ward.</p> + <p>Da dachte Kamanita:</p> + <p>"Draußen herrscht nun die ungeheure Finsternis der Weltennacht. Einst aber + wird die Zeit kommen, da der Tag graut und eine neue Brahmawelt ins Dasein tritt. + Wenn mein Sinnen und Trachten nun darauf gerichtet wäre, der hunderttausendfache + Brahma zu sein, der diese Welt ins Leben rufen wird, so sehe ich nicht, wer mir da + den Rang ablaufen könnte. Denn während alle Wesen jener Brahmawelt in + Ohnmacht und Nichtsein versunken sind, bin ich hier wach und geistesmächtig zur + Stelle. Ja, ich könnte, wenn ich wollte, in diesem Augenblick jene Wesen alle + ins Dasein rufen, jedes an seine Stelle, und den neuen Weltentag beginnen. Eins aber + könnte ich nicht: Vasitthi könnte ich nimmer wieder ins Dasein rufen. + Vasitthi ist davongegangen in jenem Entschwinden, das keine Daseinskeime + zurückläßt; kein Gott und kein Brahma kann sie finden. Was aber soll + mir ein Leben ohne Vasitthi, die im Leben das Schönste und Beste war? Und was + soll mir ein Brahmasein, über welches man hinausgehen kann? Was soll mir die + Zeitlichkeit, wenn es eine Ewigkeit gibt?</p> + <p>"Es gibt eine Ewigkeit und einen Weg in die Ewigkeit. Einst hat mich ein alter + Waldbrahmane gelehrt, daß um das Herz hundert feine Adern gesponnen sind, durch + welche die Seele in dem ganzen Körper umherschweifen kann; eine einzige Ader + aber gäbe es, die zum Scheitel führe, und durch diese verlasse die Seele + den Körper. So gibt es auch hundert, ja tausend und hunderttausend Wege, die in + dieser Welt umherführen, durch mannigfache Leidensstätten, langwierige und + kurzwierige, schön ausgestattete und häßlich ausgestattete: Himmel + und Menschenwelt und Tierreiche und Höllen. Aber einen einzigen Weg gibt es, der + aus dieser Welt gänzlich hinausführt. Das ist der Weg in die Ewigkeit, der + Weg ins Unbetretene. Auf diesem Wege befinde ich mich jetzt. Wohlan, ich will ihn zu + Ende gehen."</p> + <p>Und er dachte den Buddhagedanken von dem zur Leidensvernichtung führenden + Wege immer weiter.</p> + <p>Und immer dunkler wurde das Blau der durchscheinenden Weltennacht.</p> + <p>Wie dasselbe aber anfing fast schwarz zu werden, leuchtete der neue Brahma auf, + ein hunderttausendfacher Brahma, der hunderttausend Welten erleuchtet und + erhält.</p> + <p>Und der Brahma ließ den frohen Weckruf ergehen:</p> + <p>"Wachet auf, ihr Wesen alle, die ihr diese ganze Weltennacht hindurch im + Schoße des Nichtseins ruhtet! Hierher, die neue Brahmawelt zu bilden, den neuen + Weltentag zu genießen, jeder an seiner Stätte, jeder nach seiner + Kraft!"</p> + <p>Und die Wesen und Welten tauchten aus dem Nichtsein der Finsternis hervor, Stern + an Stern, und wie Jauchzen von hunderttausend Stimmen und Schall von hunderttausend + Pauken und Muschelhörnern erklang es:</p> + <p>"Heil dem hunderttausendfachen Brahma, der uns zum neuen Weltentage ruft! Heil + uns, die wir berufen sind, den Weltentag mit ihm zu genießen, seinen + göttlichen Glanz selig widerzuspiegeln!"</p> + <p>Als Kamanita dies sah und vernahm, wurde er von tiefem Mitleid ergriffen.</p> + <p>"Diese Wesen und Welten, diese Sternengötter und der hunderttausendfache + Brahma selber jauchzen dem Weltentage entgegen, erfreuen sich des Lebens. Und warum? + Weil sie es nicht kennen."</p> + <p>Durch dies sein Mitleid mit der Welt, mit den Göttern und mit dem + höchsten Gott überwand Kamanita den letzten Rest von Eigenliebe.</p> + <p>Aber er erwog nun:</p> + <p>"Auch während dieses Weltentages werden ja vollendete Buddhas erscheinen, + welche die Wahrheit verkünden. Wenn nun diese Gottheiten die Heilswahrheit + vernehmen und sich erinnern, daß sie im ersten Grauen des Weltentages ein Wesen + gesehen haben, das aus der Welt hinausging, dann wird ihnen diese Erinnerung zum + Vorteil gedeihen. 'Schon einer aus unserer Mitte, gleichsam ein Teil von uns, ist auf + jenem Weg vorausgegangen,' werden sie sich sagen und das wird ihnen zum Heil + gereichen. Also helfe ich Allen, indem ich mir selber helfe. Denn niemand kann in + Wahrheit sich selber helfen, ohne Allen zu helfen."</p> + <p>Da bemerkten nun bald einige, dann immer mehrere der Sternengötter, daß + Einer da war, der nicht wie die anderen klarer und klarer leuchtete, sondern vielmehr + an Glanz abnahm.</p> + <p>Und sie riefen ihm zu:</p> + <p>"Heda, Bruder! Blicke doch auf den großen, den hunderttausendfachen Brahma, + auf daß dein Glanz sich erfrische, auf daß du aufleuchten mögest wie + wir! Auch du, Bruder, bist ja berufen, den Glanz des höchsten Gottes selig + widerzuspiegeln."</p> + <p>Als die Götter ihn so anriefen, blickte Kamanita weder hin, noch hörte + er hin.</p> + <p>Und die Götter, die ihn noch trüber werden sahen, wurden um ihn gar sehr + besorgt. Und sie wandten sich an Brahma:</p> + <p>"Großer Brahma! Erleuchter und Erhalter! O siehe doch dies arme Wesen, das + zu schwach ist, um mitzufolgen, dessen Glanz abnimmt, anstatt zuzunehmen! O, richte + doch deine Aufmerksamkeit auf ihn, erleuchte ihn, erfrische ihn! Auch ihn hast du ja + gerufen, damit er deinen göttlichen Glanz selig widerspiegele."</p> + <p>Und der große Brahma, voll Fürsorge für die Wesen, richtete seine + Aufmerksamkeit auf Kamanita, um ihn zu erfrischen und zu stärken.</p> + <p>Aber der Glanz Kamanitas nahm trotzdem zusehends ab.</p> + <p>Da verdroß es nun den großen Brahma mehr, daß dies eine Wesen + sich von ihm nicht erhellen ließ und seinen Glanz nicht widerspiegelte, als es + ihn erfreute, daß hunderttausend Welten sich in seinem Lichte sonnten und ihn + jauchzend priesen.</p> + <p>Und er zog einen großen Teil seiner göttlichen Leuchtkraft von den + Welten zurück--Leuchtkraft genug, um tausend Welten zu entzünden--und + richtete sie auf Kamanita.</p> + <p>Aber der Glanz Kamanitas nahm immer noch ab, als ob er dem völligen + Erlöschen entgegenginge.</p> + <p>Nun geriet Brahma in große Angst, in große Besorgnis:</p> + <p>"Dieser eine entzieht sich meiner Macht--so bin ich denn nicht allmächtig? + Nicht kenn' ich den Weg, den er geht--so bin ich denn nicht allwissend? Denn nicht + erlischt jener, wie die Wesen im Tode erlöschen, um je nach den Werken + wiedergeboren zu werden; nicht, wie die Welten in der Brahmanacht erlöschen, um + sich wieder zu entzünden. Welches Licht leuchtet denn ihm, daß er das + meine verschmäht? So gibt es also ein Licht, leuchtender als das meine? So gibt + es also einen Weg, dem meinen entgegengesetzt--einen Weg ins Unbetretene? Werde ich + wohl selber jemals diesen Weg einschlagen--den Weg ins Unbetretene?"</p> + <p>Und auch die Sternengötter alle gerieten in große Angst, in große + Besorgnis:</p> + <p>"Dieser eine entzieht sich der Macht des großen Brahma--so ist denn der + große Brahma nicht allmächtig? Welches Licht leuchtet wohl ihm, daß + er dasjenige des großen Brahma verschmäht? So gibt es denn ein Licht, + herrlicher als das göttliche, das wir selig widerspiegeln? So gibt es also einen + Weg, dem unseren entgegengesetzt--einen Weg ins Unbetretene? Werden wir wohl jemals + diesen Weg einschlagen--den Weg ins Unbetretene?"</p> + <p>Da erwog nun der hunderttausendfache Brahma:</p> + <p>"Wohlan, ich werde meine Leuchtkraft, die jetzt in dem Raume verbreitet ist, + wieder zurückziehen und werde alle diese Welten wiederum in das Dunkel der + Brahmanacht versenken. Und in einen einzigen Strahl gesammelt werde ich mein Licht + auf jenes Wesen richten, um es für diese meine Brahmawelt noch zu retten."</p> + <p>Und der hunderttausendfache Brahma zog nun seine in dem Raume verbreitete + Leuchtkraft an sich zurück, so daß alle die Welten wieder in das Dunkel + der Brahmanacht versanken. Und indem er sein Licht in einen einzigen Strahl sammelte, + richtete er diesen auf Kamanita.</p> + <p>"Nun muß an dieser Stelle der strahlendste Stern meiner ganzen Brahmawelt + leuchten!" dachte er.</p> + <p>Da zog der hunderttausendfache Brahma diesen einzigen Strahl, mit Leuchtkraft + genug um hunderttausend Welten zu entzünden, an sich zurück und verbreitete + dann wieder sein Licht durch den ganzen Raum.</p> + <p>An der Stelle aber, wo er hoffte, den strahlendsten Stern leuchten zu sehen, war + nur noch ein verglimmendes Fünkchen zu entdecken.</p> + <p>Und während im unermeßlichen Raume Welten an Welten aufleuchtend und + aufjauchzend zum neuen Brahmatage sich hervordrängten, erlosch der Pilger + Kamanita gänzlich, wie eine Lampe erlischt, wenn sie den letzten in ihren Docht + aufgesogenen Öltropfen verzehrt hat.</p> + Ende <br /> + <hr /> + <h2><a id="chap_note" name="chap_note">NOTE</a></h2> + <p>Mit Ausnahme der Begegnung des Buddha und des Pilgers in der Vorhalle des Hafners + (<i>Majjhimanikayo</i> Nr. 140, wo aber der Pilger den Buddha versteht und erkennt) + und der Bekehrung Angulimalas<a href="#fu10">[1]</a> sind die in diesem Buche + erzählten Begebenheiten von mir frei erfunden--was ich deshalb bemerke, weil + einige Leser des Manuskriptes glaubten, ich hätte irgend eine indische Sage + bearbeitet. Nur die Schilderung des Ballspieles habe ich aus <i>Dandins</i> + Novellenkranze <i>Daçakumaracaritam</i> genommen; auch in der glänzenden + Einleitung der deutschen Übersetzung dieses Werkes--von <i>J.J. Meyer</i>--fand + ich manchen guten Wink. Daß ich zum Ausmalen des Milieus kulturhistorische + Werke älteren und neueren Datums--vor allen die <i>Jatakas</i>--benutzt habe, + versteht sich wohl von selber; von modernen Werken sei hier <i>Richard Schmidts</i> + "<i>Beiträge zur indischen Erotik</i>" als ausgiebige Fundgrube erwähnt + (Lotus-Verlag, Leipzig 1902; in demselben Verlage ist Daçakumaracaritam + erschienen).</p> + <p><a id="fu10" name="fu10"></a></p> + <blockquote> + [1] <a href="#chap_xxxiv">XXXIV. Kap.</a> Die Einzelheiten der Legende nach Majjh. + No. 86. Doch ist das vereitelte Pfeilschießen von mir hinzugefügt. Das + Höllenbild findet sich auch nicht dort, sondern in No. 50; die daran sich + schließende Stelle vom Höllenrichter ist aus No. 130 genommen; die dann + folgende Skala von den Vielen und den Wenigen gehört einem andern Teile des + Kanons an (Anguttara-Nikayo--nach K.E. Neumanns "Buddhistischer Anthologie", p. 104 + ff.). + </blockquote> + <br /> + <br /> + <p>Die echten Buddhaworte sind durch ihren Stil leicht als solche zu + erkennen--wiewohl einige nachgemachte <a href="#p140">(p. 140 bis 144)</a> mit ihnen + verwechselt werden können. Sie sind meistens dem großartigen + Übersetzungswerke Dr. <i>Karl E. Neumanns</i> "<i>Die Reden Buddhos</i>" + (Majjhimanikayo) entnommen. Aber auch dem epochemachenden und noch immer + unübertroffenen Werke Prof. <i>Oldenbergs</i> ("Buddha") verdanke ich einige + wichtige Stellen.</p> + <p>Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß die wenigen Upanishadstellen (p. <a + href="#p36">36ff</a>., <a href="#p129">129</a>, <a href="#p141">141</a>) nach Prof. + <i>Deussens</i> "Sechzig Upanishads des Veda" zitiert sind. Dem zweiten großen + Übersetzungswerke dieses trefflichen und unermüdlichen Forschers "<i>Die + Sutras des Vedanta</i>" verdankt mein <i>zehntes Kapitel</i> seine Entstehung. Wenn + dies kuriose Stück inhaltlich eine Darstellung des Indischen + Übermenschentums ist--als des äußersten Gegensatzes zum + Buddhismus--so ist es in seiner Form eine peinlich genaue Nachbildung des + vedantischen Sutrastils, mit der änigmatischen Kürze des Textes, dessen + eigentliches Prinzip--wie Deussen richtig erkannt hat--darin besteht, nur Stichworte + für das Gedächtnis, keineswegs aber die für den Sinn wichtigen Worte + zu geben; so konnte man ohne Gefahr den Text schriftlich fixieren, da er doch von + keinem verstanden wurde, dem der Lehrer nicht auch mündlich den Kommentar + mitteilte, der dann gewöhnlich um so pedantisch umständlicher ausfiel. + Allerdings sind diese <i>Kali-Sutras</i>--wie der ganze Vajaçavas--eine + scherzhafte Fiktion von mir,--aber eine, glaube ich, von der jeder Kenner des alten + Indien zugeben wird, daß sie sich innerhalb der Grenzen des Möglichen--ja + sogar des Wahrscheinlichen--hält. Indien ist eben das Land, wo auch der + Räuber philosophieren muß und es gelegentlich bis zum "wunderlichen + Heiligen" treibt, und wo auch der Höllenwächter "höflich bis zur + letzten Galgensprosse" bleibt.</p> + <p>Sollte nun einen solchen Kenner die Lust anwandeln, mich wegen einiger + Ungenauigkeiten zu schulmeistern, so bitte ich ihn, zu bedenken, daß der, der + den "Pilger Kamanita" schrieb, wohl am besten weiß, welche Freiheiten er sich + genommen hat und warum. So hätte ich ja leicht anstatt des späteren + Sukhavati den Himmel der dreiunddreißig Götter nehmen können und + wäre dann korrekt geblieben. Aber was in aller Welt hätte ich mit + dreiunddreißig Göttern anstellen sollen, da ich nicht einmal in Sukhavati + für den einen Amithaba Verwendung hatte? So ließ mich denn auch als + Dichter die Frage recht kalt, ob das Mahabharatam schon zur Zeit des Buddha + existierte, und in welcher Form. Auch gestehe ich gern, daß ich gar nicht + weiß, ob man von Kusinara aus die Schneegipfel des Himalaya erblicken kann, ja + daß ich dies sogar sehr bezweifle; wiewohl nicht der Entfernung wegen, da + Schlagintweit aus noch größerer den Gaurisankar von der Ebene aus gesehen + hat. Dem sei nun wie es wolle: ich bin der Ansicht, daß die Forderungen der + Poesie denen der Geographie vorangehen.</p> + <p>Dagegen würde ich mir nie erlaubt haben, am ursprünglichen Buddhismus + "poetischer" Zwecke halber auch nur den geringsten Zug zu ändern; denn daß + ich, wie gesagt, die später so höchst populäre Vorstellung von + Sukhavati hineingezogen habe, wird man mir nicht als eine solche Entstellung + anrechnen können, da doch der Sache nach identische Vorstellungen im + ältesten Buddhismus lebendig sind. Vielmehr ist es mir ein Herzensbedürfnis + gewesen, ein echtes Bild buddhistischer Lebens- und Weltanschauung aufzurollen. Wenn + Dr. <i>K.E. Neumann</i>, ohne dessen Arbeiten diese Dichtung nicht hätte + entstehen können, in seinem Nachwort zum "Wahrheitspfad" vor dreizehn Jahren + schrieb: "Die letzten Jahrzehnte, die letzten Jahre haben uns erst Aufschluß + darüber gegeben, wer der Buddha war und was er gelehrt hat....Die Poesie des + Buddhismus, sein Innerstes, ist uns aber noch ein Buch mit fünf Siegeln. Eins + nach dem andern muß gelöst werden, wollen wir sein Herz verstehen + lernen....Nachdem die Gelehrten das Ihrige getan haben, komme nun der Dichter und tue + das Seinige: die Pali-Urkunden warten auf ihn. Dann erst wird die Buddhalehre auch + bei uns zum Leben erwachen, wird deutsch unter Deutschen blühn"--so hoffe ich, + daß mein gelehrter und verehrter Freund--und vielleicht mancher mit ihm--in + diesem Werk den Anfang der Erfüllung jenes Wunsches begrüßen + wird.</p> + <table border="0" width="100%" summary="Dresden, September 1906"> + <tr> + <td align="left">Dresden, September 1906</td> + <td align="right"><i>Karl Gjellerup</i></td> + </tr> + </table> + +<p> </p> +<hr /> +<p>***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER PILGER KAMANITA***</p> +<p>******* This file should be named 14962-h.txt or 14962-h.zip *******</p> +<p>This and all associated files of various formats will be found in:<br /> +<a href="https://www.gutenberg.org/dirs/1/4/9/6/14962">https://www.gutenberg.org/1/4/9/6/14962</a></p> +<p>Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed.</p> + +<p>Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. Special rules, +set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to +copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to +protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project +Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you +charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you +do not charge anything for copies of this eBook, complying with the +rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose +such as creation of derivative works, reports, performances and +research. They may be modified and printed and given away--you may do +practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is +subject to the trademark license, especially commercial +redistribution.</p> + + + +<pre> +*** START: FULL LICENSE *** + +THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE +PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK + +To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free +distribution of electronic works, by using or distributing this work +(or any other work associated in any way with the phrase "Project +Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project +Gutenberg-tm License (available with this file or online at +<a href="https://gutenberg.org/license">https://gutenberg.org/license)</a>. + + +Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm +electronic works + +1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm +electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to +and accept all the terms of this license and intellectual property +(trademark/copyright) agreement. 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It exists +because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from +people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. +To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation +and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 +and the Foundation web page at https://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf. + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent +permitted by U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. +Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered +throughout numerous locations. Its business office is located at +809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email +business@pglaf.org. 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For +example an eBook of filename 10234 would be found at: + +https://www.gutenberg.org/dirs/1/0/2/3/10234 + +or filename 24689 would be found at: +https://www.gutenberg.org/dirs/2/4/6/8/24689 + +An alternative method of locating eBooks: +<a href="https://www.gutenberg.org/dirs/GUTINDEX.ALL">https://www.gutenberg.org/dirs/GUTINDEX.ALL</a> + +*** END: FULL LICENSE *** +</pre> +</body> +</html> diff --git a/14962-h/images/i.png b/14962-h/images/i.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..a5b1d89 --- /dev/null +++ b/14962-h/images/i.png diff --git a/14962-h/images/ii.png b/14962-h/images/ii.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..4f43a28 --- /dev/null +++ b/14962-h/images/ii.png diff --git a/14962-h/images/iii.png b/14962-h/images/iii.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..8308d47 --- /dev/null +++ b/14962-h/images/iii.png diff --git a/14962-h/images/iv.png b/14962-h/images/iv.png Binary files differnew file mode 100644 index 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