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authorRoger Frank <rfrank@pglaf.org>2025-10-15 04:48:31 -0700
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+The Project Gutenberg EBook of Beiträge zur Entdeckung und Erforschung
+Africa's., by Gerhard Rohlfs
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Beiträge zur Entdeckung und Erforschung Africa's.
+ Berichte aus den Jahren 1870-1875
+
+Author: Gerhard Rohlfs
+
+Release Date: July 13, 2005 [EBook #16280]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BEITR„GE ZUR ENTDECKUNG ***
+
+
+
+
+Produced by Magnus Pfeffer, Ralph Janke and the Online
+Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This
+file was produced from images generously made available
+by the Bibliotheque nationale de France (BnF/Gallica) at
+http://gallica.bnf.fr.
+
+
+
+
+
+
+Beiträge
+
+zur Entdeckung und Erforschung
+
+Africa's.
+
+Berichte aus den Jahren 1870-1875
+
+von
+
+Gerhard Rohlfs.
+
+ * * * * *
+
+Leipzig,
+
+Verlag der Dürr'schen Buchhandlung
+
+1876
+
+Mit dem Stahlstich-Portrait des Verfassers
+
+
+Beiträge
+
+zur
+
+Entdeckung und Erforschung Afrika's.
+
+[Illustration: Nach einer Photographie Gerhard Rohlfs]
+
+[Illustration: Handwriting]
+
+Contributions
+
+à la découverte cf á l'exploration
+
+de l'Afrique
+
+Récite des anneés 1870-1875
+
+Herr Gerhard Rohlfs
+
+Leipzig
+
+Dürr
+
+1876
+
+
+Beiträge
+
+zur Entdeckung und Erforschung
+
+Afrika's.
+
+Berichte aus den Jahren 1870-1875
+
+von
+
+Gerhard Rohlfs.
+
+ * * * * *
+
+Leipzig,
+
+Verlag der Dürr'schen Buchhandlung
+
+1876
+
+
+
+
+
+
+
+INHALT
+
+
+1. Der Kanal von Suez
+2. Bauten in Afrika
+3. Lagos an der Westküste von Afrika
+4. Das Gora-Gebirge in Central-Afrika
+5. Höflichkeitsformen und Umgangsgebräuche bei den Marokkanern
+6. Beitrag zur Kenntnis der Sitten der Berber in Marokko
+7. Ueber Reiz- und Nahrungsmittel afrikanischer Völker
+8. Aufbruch zur Libyschen Wüste
+9. Das jetzige Alexandrien
+10. Kairo, Hauptstadt von Aegypten
+11. Meine Heimkehr aus der Libyschen Wüste
+12. Bei den Zeltbewohnern in Marokko, eine ethnografische Schilderung
+
+
+
+
+
+
+1. Der Kanal von Suez.
+
+
+Es hat kaum ein großartigeres Unternehmen mehr das Interesse der
+gebildeten Welt in Anspruch genommen, als der Durchstich des Isthmus von
+Suez, eine Unternehmung, wie sie eben nur der vor nichts
+zurückschreckende Geist des 19. Jahrhunderts erdenken konnte. Und keine
+Arbeit ist mehr besprochen und beschrieben worden, als gerade dieser
+Kanal, Stimmen haben sich dafür und dagegen erhoben; Enthusiasten
+wollten den Kanal in ein paar Jahren vollenden, unterschätzten die
+Schwierigkeiten, setzten die Kosten zu gering an; ihre Gegner sprachen
+von unüberwindlichen Hindernissen, vom Niveauunterschiede der beiden zu
+verbindenden Meere, von nicht zu besiegenden Sandstürmen der Wüste, vom
+Mangel an Geld und endlich, falls der Kanal zu Stande käme, von den zu
+großen Kosten, welche die Rheder für ihre durchgehenden Fahrzeuge zu
+entrichten haben würden.
+
+Im Jahre 1854, als Hr. von Lesseps vom Vicekönig die Autorisation bekam
+zur Anlegung eines maritimen Kanals durch die Landenge, constituirte
+sich infolge dessen eine internationale Commission, bestehend aus
+Ingenieuren von England, Oesterreich, Spanien, Frankreich, den
+Niederlanden und Preußen, um einen Plan auszuarbeiten, und nachdem diese
+Commission festgestellt hatte, daß kein Niveauunterschied zwischen den
+beiden getrennten Meeren vorhanden sei, hatte sie die Bildung des Kanals
+von Suez und eine Subscription zur Folge. Die auszuführenden Arbeiten
+waren auf 200 Mill. Frs. veranschlagt worden, welche Summe aufgebracht
+wurde. Im Jahre 1859 begannen die ersten Arbeiten unter der
+unmittelbaren Direction der Compagnie selbst.
+
+Diese bestanden hauptsächlich in Menschenwerk; das ägyptische
+Gouvernement hatte contractlich 20,000 Fellahin oder Leibeigene zu
+liefern, welche eine monatliche Dienstzeit hatten, wobei sie auf Kosten
+der Compagnie ernährt und abgelohnt wurden. Jeden Monat löste ein Haufen
+anderer Zwangsarbeiter den alten ab.
+
+Als nun Ende 1865 die Unzulänglichkeit dieser Arbeiten sich
+herausstellte, schloß die Compagnie mit dem Hause Borrel und Lavaley
+einen Contract, demzufolge das genannte Haus es übernahm, sämmtliche
+Erdarbeiten, die Ausgrabung und Ausbaggerung des Kanals durch Maschinen
+bewerkstelligen zu wollen. Zugleich wurde der Firma Dussaud Frères die
+Vollendung der großen Molen von Port-Said überwiesen und die Arbeiten,
+welche dieses Haus durch seine colossalen künstlichen Steinblockbauten
+in Algier, Cherbourg u.s.w. ausgeführt und dem man neuerdings noch die
+Construction des Hafens von Smyrna übergeben hatte, waren hinlänglich
+Bürge, daß ihnen die Molen von Port-Said würden ebenbürtig zur Seite
+gestellt werden können.
+
+Es handelte sich nun aber darum, das ägyptische Gouvernement, welches
+sich verpflichtet hatte, während des Kanalbaues so und so viele Arbeiter
+zu liefern, dahin zu bringen, daß es für die jetzt unnöthig gewordenen
+Menschenkräfte einen äquivalenten Theil an Geld gewährte und die
+ägyptische Regierung, immer bei der Hand, das Unternehmen auf's
+Großmütigste zu fördern, ging auf's Bereitwilligste daraus ein. Indeß
+stellte es sich heraus, daß die Ablösungssumme, welche die Compagnie
+verlangte, 54 Mill. Frs. dem Vicekönig zu hoch gegriffen schien und man
+kam nun überein, sich einem Schiedsrichter zu unterwerfen, wozu beide
+Parteien den Kaiser Napoleon wählten. Aber nicht für 54 Millionen
+entschied sich der Kaiser der Franzosen, sondern für 84 Millionen,
+welche die ägyptische Regierung der Compagnie zu zahlen habe. Die
+anfängliche Schätzung der Compagnie war also bedeutend durch den
+Ausspruch des Kaisers Napoleon überboten worden. Man hat behaupten
+wollen, der Umstand, daß Herr von Lesseps ein Verwandter der Kaiserin
+Eugenie ist, habe nicht wenig dazu beigetragen, eine für die Compagnie
+so außerordentlich günstige Entscheidung herbeizuführen. Außerdem hatte
+die Compagnie einen neuen Geldzuschuß von 10 Mill. Frs. als
+Entschädigung für die Domäne Tel-el-kebir vom Vicekönig erhalten.
+Trotzdem daß nun die ursprünglich veranschlagte Summe von 200 Mill. Frs.
+sich so um fast 100 Millionen erhöht fand, stellte es sich schon im
+kommenden Jahre heraus, daß zur Beendigung des Kanals noch wenigstens
+100 Millionen erforderlich seien. Deshalb ging Anfang 1868 Herr Lesseps
+nach Paris, um eine neue Anleihe zu negociiren. Eine Anleihe als solche
+scheiterte indeß, es gelang aber Herrn Lesseps eine Lotterie mit
+Bewilligung der französischen Kammer zu Stande zu bringen, welche bis
+Anfang Juni 1868 40-45 Millionen ergab und endlich wurden durch
+verschiedene Operationen die finanziellen Schwierigkeiten des Kanalbaues
+überwunden.
+
+Nach der damaligen Abmachung sollten die Arbeiten bis zum 1. October
+1869 fertig sein und nach den Arbeiten des Hauses Borrel und Lavaley zu
+schließen, konnte dies auch geschehen. Denn um von dem Augenblicke an
+den Kanal so herzustellen, daß er überall an der Wasserlinie eine Breite
+von 100 Meter, an der Basis 22 Meter (an einigen Stellen indeß oben 75
+Meter und unten blos 12 Meter) mit einer Tiefe von überall 8 Metern
+habe, blieben vom Juni 1868 an noch 34 Millionen Kubikmeter Terrain
+wegzuräumen übrig. Mit der Arbeitsfähigkeit, welche Borrel und Lavaley
+zu ihrer Disposition hatten und wodurch bis Mai 1868 circa 18 Millionen
+Kubikmeter Erdreich weggeschafft wurde und welche im Juli 1868 bis auf
+20 Millionen Kubikmeter gesteigert werden konnte, stellte es sich
+heraus, daß in der That bis Ende des Jahres 1869 der Kanal fertig sein
+würde. Ob aber derselbe dann schon für die größten Fahrzeuge passirbar
+sein würde, war eine andere Frage; jedenfalls aber konnten Borrel und
+Lavaley, die mit der Compagnie übereingekommen waren, eine so und so
+große Menge von Erdreich aus der vorgeschriebenen Linie des Kanals
+hinwegzuräumen, ihren Verpflichtungen nachkommen. Zur Ausführung dieser
+großartigen Arbeit hatten Borrel und Lavaley folgende Maschinen, welche
+sämmtlich entweder in England oder Frankreich und Belgien angefertigt
+sind, zur Disposition: a) 10 mechanische Zermalmer; b) 4
+Handbaggermaschinen; c) 19 kleine Baggermaschinen; d) 58 große
+Baggermaschinen, von denen 20 mit langen Abgüssen; e) 30 Dampfschiffe,
+um Schutt wegzufahren, mit Seitenklappen; f) 79 Schuttdampfschiffe mit
+Grundklappen, 37 von diesen hielten das Meer; g) 18 Elevateurs; h) 90
+schwimmende Chalands mit Schuttkisten; i) 30 Dampfwidder; k) 15
+Dampfchalands; l) 60 Locomobilen; m) 15 Locomotiven; n) 20
+Dampferdhöhler theils für trockenen, theils nassen Boden; o) 1800
+Erdwagen; p) 25 Dampfcanots oder Remorqueurs; q) 200 eiserne Chalands.
+
+Wir brauchen nicht zu erwähnen, daß auch noch ein genügendes und
+massenhaftes Material von kleinen Geräthen, als Schaufeln, Hacken,
+Schiebkarren u.s.w. vorhanden war. Borrel und Lavaley hatten außerdem
+eine Arbeitskraft von circa 12,000 Menschen auf dem Platze, welche
+theils aus Eingeborenen, die sich freiwillig zum Arbeiten gemeldet
+hatten, theils aus Europäern bestand. Alle Arbeiten waren contractlich;
+erstere bekamen für 1 Meter Kubikfuß 1 Fr. 95 Cent., wo das Terrain
+leicht zu bearbeiten war; wo es hingegen, wie in Chalouf, schwierig war,
+bis 2 Frs. 45 Cent., die Handwerker und Europäer hatten nicht unter 5
+Frs. per Tag.
+
+Bald darauf wurden aber wieder viele Stimmen laut, daß nach vollendetem
+Kanalbaue zwei große Schiffe neben einander nicht würden passiren
+können; indeß bei den geringsten Dimensionen von 75 Meter an der
+Wasserlinie und 12 Meter an der Basis waren wir berechtigt, anzunehmen,
+daß dies der Fall sein würde oder daß man dem würde abhelfen können.
+Man wollte ferner behaupten, daß die Ausfüllung der Bitterseen vom
+Mittelmeere aus zu rasch vor sich gehen würde und so durch den
+hereinbrechenden Strom der Kanalbau beschädigt, wenn nicht ganz zerstört
+werden könnte. Die Anfüllung des Timsahsees im Jahre 1861, wozu nicht
+weniger als circa 100 Mill. Kubikmeter Wasser erforderlich waren, welche
+dem mittelländischen Meere entzogen wurden, hatte jedoch gezeigt, daß
+bei so großen Quantitäten mit verhältnißmäßig so geringem Falle die
+Strömung mit großer Langsamkeit vor sich geht; und so konnte man genau
+berechnen, daß zur Ausfüllung des großen und kleinen Beckens des
+Bittersees, welcher wenigstens 20 Mal so viel Volumen Wasser
+verschlingen würde, als der Timsahsee, fast zwei Monate erforderlich
+sein müßten.
+
+So war, als wir Mitte Juni 1868 den Kanal besuchten, die Sachlage; und
+wenn wir auch nicht der Meinung der Pessimisten waren, welche
+behaupteten, der Kanal würde nie fertig, würde stets wieder versanden
+oder auch diese Compagnie würde nicht die erforderlichen Mittel
+aufbringen können, um die Bauten zu Ende zu führen, und es würde so
+selbstverständlich der Kanal in die Hände der Engländer übergehen
+(beiläufig gesagt wäre dies gar kein Schaden für die kommerzielle Welt),
+so waren uns doch auch andererseits starke Zweifel aufgestoßen, ob der
+Kanal schon Ende 1869 der allgemeinen Benutzung würde übergeben werden
+können. Denn wenn auch die Firma Borrel und Lavaley die vorgeschriebenen
+34 Mill. Kubikmeter Terrain bis Ende 1869 herausgeschafft haben konnte,
+so war damit lange noch nicht der Kanal fertig. Vor Allem wäre überdies
+der Compagnie eine weise Sparsamkeit anzuempfehlen gewesen. Wozu nützte
+es damals, nachdem sie alle Privatarbeiten abgegeben hatte an
+Privatunternehmer (Borrel und Lavaley, Dussaud Frères, Couvreur in El
+Guisr u.a.m.), einen so großen Stab zu unterhalten? Seitdem die
+Compagnie sich nicht mehr direct bei den Arbeiten betheiligte, wie im
+Anfange, war es da nicht eine eitle Geldverschleuderung, noch immer
+denselben Personalbestand zu haben, welcher unter den hochtönenden Namen
+Agence supérieure und Direction générale des travaux ein Personal von
+über 200 Leuten (officiell) aufwies, von denen der geringste Beamte
+sicher nicht unter 5000 Frs., der Director Herr Voisin 50,000 Frs.
+Gehalt bezog?
+
+Man kann von drei Seiten hinkommen, um den Kanal zu besuchen: von
+Port-Said, von Ismaïlia und Suez. Wir gingen im Jahre 1868 von letzterem
+Platze aus, uns auf dem Süßwasserkanal einschiffend, welcher von
+Ismaïlia kommt und in Suez sein Ende hat. Von diesem Orte an bis nach
+Ismaïlia hatte der Kanal eine Länge von 90 Kilometern, war an der
+Wasserlinie überall 14 Meter breit und hatte eine durchschnittliche
+Tiefe von 1,20 Meter. Es bestand eine regelmäßige Post, jedoch konnte
+man auch Extradahabien haben, welche von Maulthieren, die immer im
+schnellen Trabe oder Galop gehen, gezogen wurden. Der Verkehr war schon
+sehr belebt durch kleine Privatschiffe; so bezogen schon damals die
+indischen Schiffe und ganz Suez alle Kohlen mittelst des Kanals. Um die
+Fähigkeit zu haben, überall halten und aussteigen zu können, zogen wir
+eine Extradahabie vor, zumal die Posten sehr schmutzig und voller
+Ungeziefer waren. Jede Dahabie hat einen Vorraum und einen kleinen
+Salon, der für vier Personen geräumig ist, sogar ein kleines
+Ankleidezimmer und Accessoir fehlen nicht. Die unvermeidlichen
+Hausthiere mohamedanischer Länder, lästige kleine Insecten, fehlen aber
+auch in den Extradahabien nicht, was auch ganz natürlich ist, da der
+Reïs oder Capitain in Abwesenheit von Passagieren sich sicher nicht zum
+Schlafen auf das Dach der Dahabie, sondern aus die Sophas in derselben
+legt und seine beiden Leute sicher seinem Beispiel folgen. Man kann,
+falls man sich gar nicht aufhält, die Fahrt von Suez nach Ismaïlia in
+10-12 Stunden machen, indeß war es sehr gerathen, einige Stunden in
+Chalouf zu bleiben, um die dortigen Arbeiten zu besichtigen. Hier ist
+der einzige Ort, wo man auf felsiges Terrain, jedoch von lockerer
+Beschaffenheit, stieß. Tagtäglich fand man hier die schönsten
+Versteinerungen, Fische, Säugethiere und Pflanzen. Als wir den tiefen
+Graben besuchten, wurde gerade ein ausgezeichnet schöner Rückenwirbel
+eines Elephanten ausgegraben. Es herrschte in Chalouf ein reges Lebens,
+große Dampfpumpen waren fortwährend in Thätigkeit, um das eindringende
+Wasser, welches der nahe Süßwasserkanal durchsickern ließ,
+herauszuschaffen, während andere mächtige Maschinen die Erde selbst
+angriffen. Nur in Chalouf hatte man jetzt noch das Bild und Profil des
+Kanals, da die anderen Strecken zwischen Port-Said und Ismaïlia alle
+angefüllt waren. Aber gerade vor Thoresschluß den Kanal entstehen sehen
+die riesigen Arbeiten bewundern zu können, gerade das hatte einen
+besonderen Reiz. Wenn man jetzt nach Vollendung des Durchstiches über
+den Kanal dahinfährt, kann man sich kaum eine richtige Idee machen von
+den Schwierigkeiten, welche besiegt werden mußten.
+
+Nebenbei war hier eine ganze Stadt entstanden; es gab Kirchen, Moscheen,
+Wirtshäuser, Spitäler, Cafés u.s.w. Von hier nun wendet sich der
+Süßwasserkanal ab, um die Bitterseen, deren Bassin tiefer ist, als die
+Basis des Süßwasserkanals, zu vermeiden, und bei der großen Hitze, die
+im Sommer hier herrscht, zogen wir es vor, diesen Theil des Weges Nachts
+zu machen, wo wir dann am anderen Morgen früh in Serapeum eintrafen;
+dies liegt am Nordrande der Bitterseen. Vom Süßwassercanal führt eine
+Zweigbahn nach Serapeum. Auch hier konnte man die Arbeiten in ihrer
+ganzen Großartigkeit bewundern und auch hier hatte sich rasch ein Ort
+entwickelt, wie es übrigens das Zusammensein so großer Arbeitermassen
+von selbst mit sich bringt.
+
+Von Serapeum bis Ismaïlia sind nur noch 20 Kilometer und bald landete
+die Dahabie an dem schönen steinernen Kai; vorbeifahrende Wagen, die
+Menge der Schiffe (unter denen manche Dreimaster und stattliche
+Mittelmeerdampfer), Kirchthürme, Häuser und Hotels, wie man sie nur in
+den großen Seestädten findet, überraschen den Reisenden, so daß er
+glaubt in Europa zu sein.
+
+Ismaïlia ist eine Stadt von circa 8000 Einwohnern. Nach einem vollkommen
+regelmäßigen Plane gebaut, ist es weit hinaus im Halbkreise von einem
+Süßwasserkanale umgeben, welcher von üppigen Weiden bordirt ist. Man hat
+eine katholische und zwei griechische Kirchen, eine Moschee, zwei
+Hospitäler, von denen eins für die arabische Bevölkerung bestimmt ist.
+Es befinden sich hier die Gebäude der Directoren, welche an Pracht und
+Bequemlichkeit in nichts den Sommerwohnungen der Fürsten nachstehen.
+Die Straßen sind breit und vor allen Privathäusern breite Blumenbeete
+und Baumanlagen, was einen reizenden Anblick gewährt. Namentlich der
+Hauptcentralplatz ist eine allerliebste Anlage und obgleich erst seit
+zwei Jahren geschaffen, so üppig, als ob sie seit zehn Jahren bestände.
+In Ismaïlia ist das beste Hôtel das Hôtel des voyageurs; es giebt aber
+noch fünf oder sechs andere. Natürlich wo Franzosen sind, fehlen nicht
+die Cafés chantants und die Roulette; diese ist jetzt in Aegypten so
+verbreitet, wie in Californien und namentlich zur Zeit der
+Baumwollenperiode wurden oft in den schmutzigsten Winkelbuden Summen
+umgesetzt, um die sie die Banken von Homburg, Wiesbaden und Ems hätten
+beneiden können. Aber auch das deutsche Bier hat seinen Weg zum Kanal
+gefunden und in Ismaïlia wie in allen anderen Städten Aegyptens giebt es
+deutsche Bierbrauer, welche ihr Bier von Wien beziehen. Es hatte den
+Anschein, als ob Ismaïlia nach Vollendung des Kanals sein Aufblühen,
+welches es den Arbeiten hauptsächlich verdankt hatte, einbüßen würde,
+aber jetzt im Bereiche des Eisenbahnnetzes, wird die Stadt doch immer
+eine gewisse Wichtigkeit behalten, wenngleich es sich wohl nie zu einer
+bedeutenden Stadt hinaufschwingen wird.
+
+Der Timsahsee war jetzt vollkommen angefüllt, er ist südlich von der
+Stadt und circa einen halben Kilometer entfernt und hat eine Oberfläche
+von 60 Hectaren. Der Canal maritime geht an der östlichen Seite
+hindurch. Obgleich das auf dem Boden stark aufgehäufte Salz, welches
+sich beim Hereinlassen des Mittelmeerwassers natürlich auflöste,
+anfänglich keine Fische leben ließ, so ist doch durch die constante
+Erneuerung des Wassers, durch den Abfluß vom Süßwasserkanal her, der
+Salzgehalt so vermindert, daß eine Menge Fische jetzt darin leben,
+obgleich der Salzgehalt des Wassers noch bedeutend größer ist, als der
+des mittelländischen Meeres. Das Wasser ist übrigens hell, wie Krystall,
+und ladet Jeden zum Baden ein. Krocodile sind heute nicht mehr zu
+fürchten (behar el timssah heißt Krocodilsee) und eine gute Badeanstalt
+am Ufer des Sees sorgt für alle Bedürfnisse ihrer Clienten.
+
+Von Ismaïlia bis Port-Said benutzte man damals schon den Canal maritime
+der von Port-Said an gerechnet 75 Kilometer lang ist (die Länge des
+ganzen Kanals beträgt bis Suez 160 Kilometer). Es war hier schon
+tägliche Dampfverbindung und man legte die Fahrt gewöhnlich in acht
+Stunden zurück. Die Dampfer, kleine Boote, waren übrigens zweckmäßig
+eingerichtet und hatten eine erste und zweite Classe. Der Kanal hatte
+hier überall die planmäßige Breite, aber noch nicht die gehörige Tiefe
+zwischen diesen beiden Plätzen. Durch den Balahsee kam man zuerst nach
+El Guisr, einem Punkte, der Interesse erregte durch die Ausstellung der
+Maschinen des Herrn Couvreux. Diese Maschinen, Excavateurs genannt,
+griffen mittelst Dampf das trockene Erdreich an, sind also
+Trockenbaggerer; das Süßwasser wurde nach diesem Orte durch
+Dampfdruckmaschinen befördert. Nichts war eigenthümlicher als der
+Anblick der colossalen Dampfbaggerer und der Elevateurs, die man nun von
+hier an auf Schritt und Tritt bis Port-Said fand. Es gab Baggerer, die
+in _einem_ Tage bis 2000 Kubikmeter heraufholen konnten.
+
+Man passirt dann noch den Ort El Kántara (die Brücke) von circa 2000
+Einwohnern, schon früher wichtig als ein Halteplatz von Karavanen, die
+nach und von Syrien ziehen. In El Kántara ist eine Kirche, ein Spital
+und eine Moschee, dann die sehr sehenswerten Etablissements von Borrel
+und Lavaley, welche denen dieser Herren in Chalouf um nichts nachstehen;
+natürlich sind diese Werkstätten seitdem geschlossen worden.
+
+Der einzige Ort von Wichtigkeit ist nun nur noch El Aech (sprich Aisch),
+ein kleines Etablissement circa 15 Kilometer von Port-Said entfernt.
+Bald sah man nun schon die hohen Masten der Seefahrer und nach einer
+Weile fuhr unser kleiner Dampfer hindurch zwischen seinen großen
+Seebrüdern aus der Familie der Lloyd, der Messagerie impériale und
+anderer Gesellschaften, die wie Riesen auf einen Zwerg, so auch auf
+unsere kleine Dampfnußschale herabschauten.
+
+Port-Said ist eine vollkommen europäische Stadt und hat jetzt circa
+12,000 Einwohner, welche Bevölkerung außer aus Aegyptern hauptsächlich
+aus Oesterreichern (Dalmatinern), Franzosen, Italienern und Griechen
+besteht. Letztere, der Auswurf ihres Landes, machen indeß das Leben in
+Port-Said ebenso unsicher, wie in Suez und Alexandria. In allen diesen
+Städten konnte man zur Zeit des Kanalbaues täglich einen Mord rechnen;
+zum Glück für die übrigen Europäer, von denen sie wie die Pest gemieden
+werden, schlachteten sie sich meist unter einander selbst ab. Die Stadt
+hat einen ägyptischen Gouverneur und einen von der Regierung gepflegten
+Gesundheitsdienst, fast alle maritimen Staaten sind durch Consuln
+vertreten, Deutschland durch Herrn Bronn, welcher früher ebendaselbst
+schon Consul von Preußen war. Es giebt Kirchen für den katholischen und
+griechischen Cultus, eine Moschee für die Mohamedaner, Hospitäler und
+Klöster, in denen nichtsthuende griechische oder katholische Mönche auf
+Kosten der Bewohner Port-Saids ihre Bäuche mästen, eine Menge Hotels
+(von denen das Hôtel Pagnon das beste sein soll; wir selbst hatten
+unsere Wohnung auf Sr. Majestät Consulat). Cafés mit und ohne Musik,
+öffentliche Bäder, Clubs, kurz nichts fehlte, um Port-Said als eine
+kleine Großstadt bezeichnen zu können. Aber auch die Voraussicht, daß
+Port-Said eine bedeutende Concurrenz Alexandrien machen würde, hat sich
+nicht bewahrheitet. Jetzt nach einem Bestande des Canals von 5 Jahren
+können wir nur constatiren, daß dieser Hafen nicht die Entwicklung
+genommen hat, welche man seiner Lage zu Folge berechtigt zu sein
+glaubte, voraussetzen zu dürfen.
+
+Zum Theil ist der Hafen nicht sicher, trotz der enormen Molen, welche
+man construirt hat, zum Theil passiren die Schiffe, welche nach Indien
+gehen, rasch ohne sich hier aufzuhalten. Der eigentliche Hafen für
+Aegypten ist eben Alexandria geblieben. Wenn der jetzige Chedive, der ja
+so große Dinge schon geschaffen hat, eines Tages dazu schreiten würde,
+den in unmittelbarer Nähe gelegenen Mensaleh-See auszutrocknen, dann
+würde sich allerdings in der Entwicklung Port-Saids eine wesentliche
+Aenderung zu Gunsten der Stadt ergeben.
+
+Sehr sehenswerth war die Fabrikation der großen Steinblöcke zur
+Construction der beiden Hafenmolen. Wie schon erwähnt, waren es die
+Herren Dussaud Frères, welche diese Arbeit übernommen hatten. Jeder
+Block hat 10 Kubikmeter Gehalt und wiegt 40,000 Pfund. Das Verfahren,
+sie herzustellen, war so einfach wie möglich: Mittelst Sand, welcher aus
+dem Hafen gebaggert und mit der vorgeschriebenen Partie Süßwasser
+gemischt wurde, brachte man dieses Gemenge unter eine Zerreibemühle und
+that es dann mit Kalk und Cement in gewollter Menge zusammen. Wenn alles
+ordentlich durcheinander gemischt war, kam diese Masse in hölzerne
+Formen und mußte dann zwei Monate trocknen, nach welcher Zeit eine
+felsenartige Härte eintrat.
+
+Seitdem ist in der That der Kanal von Suez am 16. November 1869 eröffnet
+worden und alle die bösen Conjuncturen, welche man an die
+Lebensfähigkeit dieses gigantischen Unternehmens geknüpft hatte, haben
+sich als eitel Dunst erwiesen.
+
+Ein riesiges Unternehmen, wozu man fünf Jahre Studien, wie Stephan sagt,
+und elf Jahre Ausführung gebraucht hatte.
+
+Alle seefahrenden Nationen hatten sich bei dieser großartigen Feier
+durch ihre Flotten vertreten lassen und von Fürstlichkeiten waren der
+Kaiser von Oesterreich, der deutsche Kronprinz (damals noch Kronprinz
+von Preußen), die Kaiserin Eugenie und Prinz Heinrich der Niederlande
+erschienen. Alle waren Gäste des Chedive, aber nicht sie allein, sondern
+Tausend andere. Ja der Schreiber dieser Zeilen, welcher ebenfalls eine
+Einladung erhalten hatte, der er leider eingetretener Umstände halber
+nicht Folge geben konnte, weiß aus späterem Besuche in Aegypten, daß
+eine Menge _ungeladener_ Gäste flott sich unter die Geladenen drängte
+und auf Kosten des Chedive den Festlichkeiten anwohnte. Man berechnet
+die Zahl der damals anwesenden Fremden auf 30,000 Personen.
+
+Der dabei entwickelte Pomp, die Verschwendung, welche ostensibel zur
+Schau getragen wurde, sind unbeschreiblich; aber für den Orient, wo
+Alles auf Aeußerlichkeit berechnet ist, kann man sie kaum übertrieben
+nennen.
+
+Wenn nun auch der Kanal bei der Eröffnung vollständig planmäßig
+hergestellt war, so war doch im Mai 1871 erst die Ausbaggerung des
+Kanals soweit vollendet, daß er in seiner ganzen Länge eine mittlere
+Tiefe von 8,50 Meter hatte, so daß Schiffe mit 7 Meter Tiefgang
+ungehindert den Kanal passiren konnten.
+
+Im ersten Jahre hat man noch, eingeschlossen die Ausbaggerung des
+Außenhafens bei Port-Said, 563,060 Kubikmeter ausgeräumt, aber eine im
+December 1871 vorgenommene Sondirung in einer Entfernung von je 18,50
+Meter vorgenommen ergab überall die Tiefe als normal. Es bestätigte sich
+denn auch, daß der Kanal keineswegs so viel zu leiden hatte von den
+Sandwehen der Dünen oder vom Abschwemmen der Ufer durch den Wellenschlag
+vorbeifahrender Dampfer. Ebenso haben die in Port-Said errichteten Molen
+vollkommen gut dem schlechtesten Wetter getrotzt, denn einige Senkungen,
+welche man übrigens vorausgesehen hatte, haben auf die allgemeine
+Sicherheit keinen Einfluß gehabt.
+
+Die Leichtigkeit, mit welcher der Verkehr vor sich geht, hat überhaupt
+alle die bösartigen Voraussetzungen und Meinungen, die man anfangs mit
+der Lebensfähigkeit des Kanals in Verbindung brachte, zu nichte gemacht.
+
+
+
+Im Jahre 1870 passirten 486 Schiffe.
+ " " 1871 " 765 "
+ " " 1872 " 1082 "
+ " " 1873 " 1173 "
+ " " 1874 " 1264 "
+
+Seit der Einweihung haben bis Ende 1874 4770 Schiffe den Kanal passirt
+mit einem Gesammttonnengehalt von 8,050,338; davon waren circa vier
+Fünftel Dampfer und nur ein Fünftel Segler. Die Einnahmen betrugen vom
+Beginn der Eröffnung bis Ende 1874 78,317,352 Frs. Am besten wird das
+stete Wachsen der Einnahme veranschaulicht, wenn wir die des ersten
+Jahres mit 5,159,327 Frs. gegen die des Jahres 1874 mit 24,859,383 Frs.
+halten.
+
+Wir sehen aber, daß bei Weitem der größte Theil der Schiffe den
+Engländern gehört, ihr Land also in Wirklichkeit den größten Nutzen vom
+Durchstich der Landenge von Suez gehabt hat. Was würde Lord Palmerston,
+dieser eifrigste Gegner des Suezkanales, gesagt haben, hätte er ein
+solches Resultat noch erleben können.
+
+Die jährlichen Ausgaben des Kanals waren auf circa 5,000,000 Frs.
+veranschlagt, da aber im ersten Semester 1872 die Einnahmen sich schon
+auf mehr als eine gleiche Summe bezifferte und da der Transit
+fortwährend im Steigen begriffen ist, so kann man mit Zuversicht der
+Zukunft entgegensehen.
+
+Seit dem Juli 1872 hat die Umwandlung des officiellen Tonnengehaltes in
+die des sogenannten "gross tonnage" die Einnahmen um 40 bis 50%
+gesteigert.
+
+Längs des ganzen Kanals hatte man von Mitte 1871 Fluthmesser angebracht
+auf sechszehn verschiedenen Stationen. Von sechs Uhr Morgens bis sechs
+Uhr Abends wird viertelstündlich die Höhe des Wassers, die Schnelligkeit
+der Strömung des Wassers und die Windrichtung gemessen, so daß man jeden
+Augenblick am Tage die Fluthwelle von Port-Said bis Suez in Erfahrung
+bringen kann. Das aus dem rothen Meere kommende Wasser fließt gegen das
+Mittelmeer mit einer intermittirenden Geschwindigkeit, welches von der
+ungleichen Gezeitung beider Meere verursacht wird.
+
+Zu erwähnen ist noch, daß die Leuchtthürme von Port-Said und Suez ebenso
+wie die, welche längs des Kanals aufgestellt sind, von electrischem
+Lichte erleuchtet werden, der von Port-Said durch magneto-electrische
+Maschinen, welche durch Dampf in Thätigkeit gesetzt werden.
+
+Trotz des großen Aufschwungs, den der Kanal genommen hat, knüpfen sich
+an seine Existenz nicht unwichtige Fragen, welche bei einer eventuellen
+Unabhängigkeitserklärung Aegyptens zum Austrag kommen dürften.
+Jedenfalls besitzen wir aber dermalen in der Verbindung der beiden Meere
+ein Werk so großartig, daß es bis jetzt durch kein anderes Unternehmen
+ähnlicher Art übertroffen worden ist.
+
+
+
+
+2. Bauten in Afrika.
+
+
+Wenn wir hier die Bauweise der in Afrika befindlichen Völker, soweit es
+dessen Norden und Centrum angeht, beschreiben wollen, so sehen wir
+selbstverständlich von den _antiken_ Baudenkmälern ab. Allein die
+Schilderung der Bauten, welche wir in Aegypten namhaft machen könnten,
+würde Bände, oder der, welche wir in den sogenannten Berberstaaten
+antreffen, seien es nun Reste der Libyer, Phönicier, Griechen, Römer und
+Christen der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung, würde Folianten
+füllen, wenn Jemand sich der Mühe unterziehen wollte, ausschließlich
+diesen Gegenstand zu behandeln.
+
+Indem wir aber wiederum Aegypten außer unserem Bereiche lassen, so weit
+es die _neuen_ Bauten jetzt lebender Generationen anbetrifft, so glauben
+wir damit vollkommen im Rechte zu sein; denn die Paläste, die Moscheen,
+welche von den jetzigen Herrschern des Landes der Pharaonen errichtet
+worden sind, wurden nicht von den Aegyptern selbst erbaut. Ausländische
+Architekten leiteten die Construction, und nur die roheste Arbeit wurde
+von den Eingeborenen selbst verrichtet.
+
+Anders ist es in den Berberstaaten. Obschon auch hier der
+christlich-europäische Einfluß sich nicht leugnen läßt, namentlich bei
+den Baulichkeiten von Tripolitanien, Tunesien und Algerien, so finden
+wir hier doch noch mehr einheimisches Wesen und Form. Fast ganz rein von
+europäischen Einflüssen hat sich die Bauweise in Marokko gestaltet,
+obschon die monumentalen Gebäude fast alle aus der Periode her datiren,
+wo dieses Reich mit Spanien eng verknüpft war.
+
+Die colossalen Bauten von Fes, die Djemma-el-Karuin, die
+Djemma-Mulei-Dris, die Paläste des Kaisers, drei an der Zahl, das
+umfangreiche Schloß des Sultans in Mikenes, die Djemma-el-Fanal in
+Marokko selbst, das Lustschloß des Kaisers ebendaselbst, stammen alle
+aus der Periode des westlichen Khalifats.
+
+Im heutigen Nordafrika können wir die Bauten der Bewohner der Städte,
+die Dörfer des sogenannten Tel- oder Atlasgebietes, die Burgen der
+Bewohner am Südwestabhange des Atlas und die Bauten der Oasenbewohner
+unterscheiden. Ferner haben wir Zelte, Hütten und Höhlen der Bewohner
+Nordafrika's in Betracht zu ziehen.
+
+Was nun bei den Häusern der Städte (ich nehme hier Fes, die Hauptstadt
+des Kaiserreichs Marokko, als Vorbild) am meisten auffällt, ist, daß das
+Aeußere vollkommen schmucklos ist, und daß mit Ausnahme einer niedrigen
+Thür nirgends die Einförmigkeit einer weiß überkalkten Mauer durch
+Fenster oder sonstige Oeffnungen unterbrochen wird. Wie bei den alten
+römischen Wohnhäusern gruppirt sich Alles um einen Hof, der meistens
+rechtwinklig und viereckig ist. Im Hofe selbst befindet sich fast immer
+eine Cisterne, die das Regenwasser des ganzen Jahres ansammelt, und da,
+wo es möglich ist, in Fes z.B., eine Fontaine mit sprudelndem oder immer
+fließendem Wasser. Der Hof selbst ist bei den Vornehmen mit
+Marmorplatten oder mit Kieselchen mosaikartig belegt. Aus diesen nun, zu
+dem man von der Straße stets durch einen gewundenen Eingang hineinkommt
+(damit man nicht von derselben aus direct in's Innere des Hauses sehen
+kann), öffnen sich die Zimmer. Dieselben sind äußerst lang, und nur
+ausnahmsweise haben sie eine Breite von mehr als zwölf Fuß. Meist sind
+die Zimmer sehr hoch, mindestens immer zwanzig Fuß. Wenn ein Wohnzimmer
+z.B. vierzig Fuß lang wäre und fünfundzwanzig Fuß Höhe hätte, so würden
+marokkanische Architekten diesem Zimmer höchstens acht Fuß Breite geben.
+Eine große gewölbte Thür, meist in der Mitte angebracht, führt hinein;
+dicht neben der Thür, rechts und links, befinden sich zwei kleine
+Fenster mit eisernen Gittern, ohne Glas.
+
+Meist sind parterre mehrere solcher Zimmer um den Hof herum, und findet
+sich ein zweiter Stock, so ist die obere Anordnung eine ähnliche. Es
+läuft sodann um den Hof eine Säulenhalle herum, zu welcher man oft
+mittelst einer im Bau befindlichen steinernen, oft mittelst einer
+hölzernen Treppe hinaufkommt. Man liebt es, im Innern der Zimmer in die
+Wände nischenartige Vertiefungen zu machen, welche oft, mit hölzernen
+Thüren versehen, als kleine Schränke dienen. Der Fußboden ist meist mit
+Fliesen ausgelegt, welche in Fes gearbeitet werden, oft auch mit kleinen
+Fliesstückchen, viereckig, dreieckig, sternartig von Form, und von den
+verschiedensten Farben. Mit diesen legt man dann die buntesten Muster
+zusammen große Sterne in der Mitte oder der sogenannte Ring des Salomon
+bilden immer Hauptfiguren. Diese kleinen Flieschen, von denen ein
+einzelnes nicht größer als 1--1-1/2 Zoll ist, sind glänzend glasirt,
+heißen "Slädj" und werden ebenfalls in Fes fabricirt. Der Gesammtanblick
+einer solchen Art ausgelegten Fußbodens ist reizend.
+
+Die Wände im Zimmer sind vollkommen weiß, manchmal jedoch mittelst Gyps
+in quadratische Felder abgeheilt. Bei den Reichen läuft oben,
+anscheinend um das Gebälk zu unterstützen, ein Kranzgesimse herum, oft
+auch eine breite Borte, welche Koransprüche enthält. Da in Marokko,
+ausgenommen bei jenen kleinen "Kubbas", welche als Grabstätten für
+Heilige oder Fürsten dienen, nirgends das _Gewölbe_ angewendet wird, so
+sehen wir die Decke der Paläste und Wohnungen _nur_ aus Holz gearbeitet.
+Oft wird, um eine solche Decke auszuschmücken, die größte Sorgfalt
+entwickelt, nicht nur in Holzschnitzerei, sondern auch in der Auslegung
+von Holz, man macht also eine Art "Parquetirung". Dünne, aber äußerst
+dicht neben einander liegende Balken bilden das Gerippe, darüber liegen
+Bretter, das Ganze wird dann inwendig teppichartig ausgeschnitzt und oft
+mit farbigen Holzstückchen ausgelegt; manchmal enthalten auch die Decken
+zwischen ihrem Teppichmuster großbuchstabige Sprüche. Diese Art, auf
+eine bunte und gefällige Weise die Plafonds zu schmücken, hat sich
+vollkommen gut in Marokko erhalten. Statt die vielen Balken, welche den
+Plafond stützen, offen zu zeigen, sind diese auch wohl mit Brettern
+beschlagen, welche dann ähnlich geschmückt werden.
+
+Thüren, Fenster und Nischen zeigen alle jenen bekannten Hufeisenbogen,
+den die Araber erfunden haben sollen. Sehr oft sind die Bogen selbst auf
+die phantastischste Art wieder ausgewölbt und ausgezackt, so daß in
+einer Bogenhälfte manchmal bis zehn kleinere Bogen vorkommen. Auch die
+Aufstellung von zwei, drei und vier Säulen, dicht bei einander, findet
+man heute in Marokko noch in Anwendung. Als ich einen längeren
+Aufenthalt in Uesan beim Hadj Abd-es-Salam, dem Großscherif, hatte,
+zeigte ich ihm eines Tages eine Abbildung des Löwenhofes der Alhambra
+aus Sedillot's Historie des Arabes. Hadj Abd-es-Salam annectirte das
+Buch der Abbildungen wegen (und es ist heute noch in seinem Besitze) und
+verreiste dann auf längere Zeit. Als ich zurückkam, hatte er allerdings
+nicht einen Löwenhof, aber in seinem Garten eine reizende Veranda
+errichten lassen: ein längliches Viereck mit nach vorn geöffneter Seite.
+Die "kannelirten Bogen" wurden von Doppelsäulen getragen, der Fußboden
+war aus buntem "Slädj" zusammengesetzt zu einem allerliebsten Muster,
+und der Plafond von Holz schillerte von blauen und goldenen Feldern.
+
+Die Paläste des Sultans, der Großen und Reichen haben ganz ähnliche
+Anordnung, nur daß ihre Wohnungen statt eines Hofes oft drei, vier oder
+mehrere Höfe haben und alle Räumlichkeiten bedeutend größer sind.
+
+Was die Moscheen anbetrifft, so finden sich im ganzen westlichen Afrika
+(nicht blos in Marokko, welches als eigentliches Westland bei den
+Marokkanern den Namen "Rharb-djoani" hat) gar keine, die irgendwie
+christliche Reminiscenzen aufkommen ließen. Denn die in Algier
+befindliche Moschee, die später als christliche Kathedrale eingerichtet
+wurde, und welche vom letzten Dei kurz vor der Eroberung Algeriens
+erbaut worden war, zeigt in ihrer ganzen Anlage allerdings den Styl
+einer christlichen Kirche, ist aber auch von christlichen Sclaven und
+Renegaten erbaut worden. Fast durchweg zeigen die marokkonischen
+Moscheen, sowie die der übrigen Berberstaaten einen großen Hof, der
+manchmal von einer Säulenhalle umgeben ist. Nach Osten zu vermehren sich
+die Säulenhallen zu verschiedenen Schiffen. So zeigt die Karuin in Fes
+so viele Säulen, daß die ganze Moschee 360 haben soll. Die Säulen
+selbst, die auf einer einfachen Basis ruhen, sind ohne Schmuck, und auch
+das Capital zeigt große Einfachheit. Die hufeisenförmigen Bogen gehen
+von Säule zu Säule, so daß, wo mehrere Schiffe sind, immer vier Bogen an
+einer Säule entspringen. Fast in allen Moscheen kann man, wie überall
+bei arabischen Bauten, die größten Unregelmäßigkeiten beobachten, und
+die Abwesenheit von Harmonie und Verhältnis tritt überall zu Tage. Es
+ist als ob z.B. die Höhe der Säulen eine überaus gleiche sein müßte, so
+daß man die Säulen für eine Veranda von zwanzig Fuß Breite eben so hoch
+macht wie die, welche das Dach einer Moschee stützen, welche vielleicht
+einen Flächenraum von zweihundert Fuß Geviert hat.
+
+Die Wände in den Moscheen, welche letztere im Rharb "Djemma" genannt
+werden, sind von außen in der Regel ohne Schmuck, einförmig und
+fensterlos wie die übrigen Bauten. Im Innern ist dieselbe Anordnung zu
+bemerken wie in den Wohnungen. Die Gebetsnische, "Kybla" genannt, wird
+auch heute oft noch durch ein prächtiges Stalactit-Gewölbe überdeckt;
+auch diese Kunst hat sich in Marokko erhalten. Diese Stalactit-Gewölbe,
+wie man sie genannt hat, sind indeß weiter nichts wie einfache
+Auswölbungen; der Stalactitenschmuck ist von Gyps. In der eigentlichen
+Sculptur haben die Araber überhaupt nie etwas geleistet, da ihnen Bilder
+aus Stein zu meißeln verboten ist. Ihre ganze Kunstfertigkeit beschränkt
+sich daher auf Stuccoarbeit, und hier ließen sie ihren mathematischen
+Formen die Zügel schießen. So findet man denn in Gyps gearbeitet die
+wunderbarste Art sich kreuzender Linien.
+
+Wenn der Reisende im Hofe der großen Djemma el Karuin zwei prachtvolle
+Marmorfontainen bewundert und dann vielleicht sich selber sagen möchte,
+hier haben doch die Araber in Steinarbeit etwas geleistet; so wird seine
+Meinung von den Eingeborenen in Fes selbst gleich corrigirt werden:
+"Diese Fontainen sind von 'Oeludj', d.h. christlichen Sclaven,
+gearbeitet."
+
+Der "Mimber" oder die Treppe, welche in keiner Moschee fehlt, von der
+das "Kotba", d.h. das Freitagsgebet, gelesen wird, ist fast immer aus
+Holz. Hier bemerken wir ebendasselbe, was wir schon bei den
+Mauerarbeiten zu beobachten Gelegenheit hatten. Ebenso wenig, wie die
+Araber gelernt haben, aus Stein heraus zu arbeiten, ebenso wenig treffen
+wir bei ihnen jene kunstvollen Holzschnitzereien, welche _Körper_ haben.
+Die Gebetstreppen sind daher, was die Form anbetrifft, alle roh und
+primitiv; aber manchmal ist die Oberfläche des Holzes ausgravirt, und
+wir finden dann dieselben oder ähnliche Linienbilder, welche, wenn sie
+mit _krummen_ Linien Bezeichnet sind, "Arabesken" genannt werden, wie
+wir dieselben an den Wänden der Mauern in Stucco kennen gelernt haben.
+
+Man kann also keineswegs sagen, daß die Araber Afrika's zurückgegangen
+sind. Aber so wie man in Sevilla und Granada zur Zeit der Almoraviden
+und Almohaden, zur Zeit der größten Glanzperiode der sogenannten
+"maurischen Architektur", baute, so baut man noch heute. Man hat
+keineswegs verlernt, _ebenso_ zu bauen, aber _Fortschritt_ in der
+Architektur ist nirgends zu finden. Man versteht es vollkommen, jene
+ogivischen Bogen, jene Porzellanmosaiken, jene Stickereien auf Gyps und
+Holz darzustellen, wie zur Zeit der "Abd-er-Rhaman"; wenn man aber
+Stillstand in Kunst und Wissenschaft als _Rückschritt_ bezeichnen kann,
+dann haben die Araber entschieden Rückschritte gemacht. So haben sie
+denn auch keineswegs gelernt, ihren Bauten irgendwie Solidität zu geben.
+Was _heute_ gebaut ist, verfällt _morgen_. Wären die Alhambra und die
+Giralda nicht in Spanien, wären sie der Sorglosigkeit einer
+mohammedanischen Zeit ausgesetzt, was würde von diesen Monumenten
+arabischer Architektur heute noch erhalten sein? Und wie lange stehen
+diese Bauten? Wie lange stehen sie im Verhältniß zu den Bauüberresten,
+die uns Aegypten, Griechenland und Rom überlassen haben, und die,
+trotzdem Jahrtausende verstrichen und Zeit und Menschen das Ihrige
+thaten, Alles zu vernichten, manchmal in ihren _einzelnen_ Theilen sich
+so erhalten haben, als ob sie von gestern wären.
+
+Die Unsolidität der arabischen Bauten kennzeichnet sich denn nicht nur
+in der äußeren Architektur, sondern auch in der Benutzung des Materials
+bei den Hauptmauern und Pfeilern. In keinem einzigen Gebäude der
+Berberstaaten finden wir behauene Steine aus Sandstein oder Marmor,
+sondern immer nur gebrannte Thonsteine angewandt. Meist aber sind die
+großen Mauern, namentlich die von monumentalen Bauten, aus zwischen
+Planken schichtweise gepreßten Steinen, Cement und Kalk errichtet. Diese
+Mauern halten sich aber nur dann einigermaßen gegen den Zahn der Zeit,
+wenn die äußere Bekleidung vollkommen gut und immer wie neu unterhalten
+wird; sonst ist binnen Kurzem die Baute dem Ruin ausgesetzt.
+
+Daher liegen denn auch die Bauten, welche von Yussuf ben Taschfin und
+Mohammed ben Abd-Allah herrühren, heut in Trümmern, und selbst die,
+welche vom letzten oder vorletzten Kaiser errichtet sind, von Mulei
+Abd-er-Rhaman-ben-Hischam und Mulei Sliman sind halbe Ruinen. Und ist es
+selbst in Aegypten anders, wo doch der europäische Geist heute Alles
+durchdringen soll? Hörte man nicht oft genug den verstorbenen
+_Diebitsch_ klagen, daß wenn das letzte Ende an einem Palaste fertig
+sei, der Anfang desselben zu verfallen beginne?!
+
+Von den städtischen Bauten bleiben uns nur noch die Befestigungsmauern
+derselben und die kleinen Dome zu erwähnen. Erstere sind durchweg aus
+gepreßten Mauern errichtet und hinlänglich stark, um alter Artillerie
+einige Stunden Widerstand leisten zu können. Auf denselben führt ein Weg
+herum, der nach Außen durch eine mannshohe krenelirte Mauer aus
+Backstein geschützt ist. Man bemerkt nirgends irgend einen Plan,
+nirgends fortifikatorischen Sinn, um die Befestigungen irgendwie dem
+Terrain anzupassen; nur die Ausdehnung der Stadt selbst giebt das Maß
+der äußeren Schutzmauer ab. Unterbrochen und flankirt werden diese
+Umfestigungsmauern durch viereckige oder runde Thürme, deren Hälfte
+außerhalb der Mauern hervorspringt; sie sind in der Regel halb mal höher
+und dienen hauptsächlich dazu, die Kanonen aufzunehmen. Oft noch durch
+Gräben beschützt, bieten auch diese kein ernstliches Hinderniß.
+Bastionirte Mauern, Außenwerke, mögen es nun Fleschen, Lünetten oder
+gekrönte Bastionen sein, kennt man in den Berberstaaten nicht, und wenn
+auch die Hauptstadt Fes zwei bedeutende Außenwerke besitzt, so sind
+diese nicht von den Arabern errichtet, sondern von Renegaten (Oeludj)
+unter der Regierung des Sultan Sliman, Großvaters des jetzt regierenden.
+Was die erwähnten kleinen Dome anbetrifft, so dienen sie, wie schon
+angeführt, zu Grabstätten und sind die einzigen Gebäude[1], bei denen
+der Araber sich in Gewölben versucht hat. Meist ist die Grundform
+viereckig, aber _nie rund_. Die Kuppel hingegen oder das Dach ist fast
+immer _rund_, häufig achteckig. Bei der Ausschmückung der Wände und des
+Fußbodens wird derselbe Plan innegehalten wie oben bei den übrigen
+Baulichkeiten auseinandergesetzt wurde. Die Wölbung ist meist durch
+eingeschobene Holzquerbalken unterstützt. Das Material besteht entweder
+aus gebrannten Ziegeln oder unbehauenen Feldsteinen. Man findet diese
+Kubba in den Städten und überall auf dem Lande zerstreut; in den Städten
+bilden sie häufig gleichsam eine Art von Nebenkapelle, die an eine große
+Moschee angebaut ist.
+
+Von den Wohnungen der Landleute nördlich vom Atlas läßt sich nur wenig
+sagen. Dieselben bestehen, ob sie nun von Berbern oder Arabern (und es
+giebt in den Berberstaaten mehr seßhafte Araber, als gewöhnlich
+angenommen wird) herrühren, immer nur aus einem Zimmer, das hausartig
+gebaut ist; oft sind sie aus gestampften Massen, oft auch aus
+Feldsteinen aufgebaut. Auf 20 Fuß Länge sind sie circa 8 Fuß breit und 8
+Fuß hoch und von einem circa 6 Fuß hohen Strohdache bedeckt. Im Innern
+ist der Fußboden gestampfter Lehm; der Plafond besteht aus Rohr, welches
+manchmal auf Aloë-Balken, manchmal auf anderen Holzästen, die einen
+weniger geraden Wuchs haben, ruht.
+
+Sehr häufig sind die Wände der Mauern auswendig und inwendig gekalkt,
+sonst aber ganz ohne Schmuck, mit einer niedrigen, circa 4 Fuß hohen
+Thür, manchmal mit ogivischem Bogen, manchmal viereckig. Fenster und
+Rauchfänge sind nicht vorhanden. Eine Familie hat in der Regel zwei oder
+drei solcher Häuser, die, durch Mauern verbunden, einen viereckigen Hof
+einschließen, der zugleich Nachts für das Vieh dient.
+
+Ganz anderer Art sind die Wohnungen der Bewohner südlich vom großen
+Atlas, der Bewohner des Sus- und Nun-Districts. Der fortwährend
+unsichere Zustand jener Gegend hat es nothwendig gemacht, daß dort
+Jedermann darauf bedacht sein mußte, sich Schutz gegen seinen Nachbar zu
+suchen. So findet man hier denn auch keineswegs kleine oder große
+Dörfer, sondern Burgen. Ein solches Schloß--man kann sie wegen ihres
+stattlichen Aussehens in der That so nennen--ist oft so groß, daß es
+mehrere Familien beherbergt; es giebt feste Burgen, die einen
+Quadratraum von 500 Fuß einnehmen. Diese Bauten sind circa 50 Fuß hoch,
+von außen von starken, oft 5 bis 6 Fuß breiten Steinmauern (die Steine
+sind entweder unregelmäßig gebrochene oder wie man sie gerade gefunden
+hat) aufgeführt und oben krenelirt. Ein Thor, zuweilen mit einer
+Fallthür versehen, und immer so eingerichtet, daß aus zwei Seitenzimmern
+der Eingang durch Scharten beschossen werden kann, führt in einen großen
+geräumigen Hof. Dieser, sowie die unteren Gemächer, dienen für's Vieh.
+In den oberen Räumen hält sich die Bewohnerschaft auf. Zu diesem
+Stockwerk führt eine aufziehbare Leiter, und das flache Dach, mit
+gestampfter, auf Balken ruhender Erde gedeckt, dient zu gleicher Zeit
+zur äußeren Verteidigung. Eine Cisterne im Innern vervollständigt das
+Ganze. Kellerräume sind aber ebensowenig bekannt wie nördlich vom Atlas.
+
+Als eigenthümlich der Gebirgslandschaft nördlich vom Sus erwähne ich
+noch die vielen öffentlichen Cisternen modernen Ursprungs. Man findet
+sie überall und namentlich längs der Wege. Sie sind ähnlicher Art wie
+die römischen, was die Form anbetrifft, aber weniger solid und weniger
+_großartig_ gebaut. In der Regel 20 bis 25 Fuß lang auf 8 bis 10 Fuß
+Breite, sind sie 10 bis 12 Fuß tief und erheben sich blos mit dem
+_gewölbten_ Dache aus dem Erdboden heraus. Aus ungehauenen Steinen
+errichtet, ist das Innere cementirt, und durch ein Loch des Gewölbes
+wird das Wasser herausgeschöpft; gespeist werden die Cisternen durch
+Rinnsale.
+
+Es ist hier nicht der Ort, die Wohnungen der nomadisirenden Völker
+Nordafrika's zu beschreiben; aber auch diese haben mannigfache Formen
+und Verschiedenheiten. Das aristokratische Zelt der Uled Sidi Schich,
+immer auf der Spitze mit drei Bündeln Straußfedern geschmückt,
+unterscheidet sich von dem ärmlichen Zelte der meisten östlichen Triben,
+wie das große Haus mit mehreren Höfen der Hauptstadt sich von der
+einfachen Wohnung des Djerdjuragebirges unterscheidet. Aber nicht
+unerwähnt können wir die Höhlenwohnungen der Bewohner des
+Ghoriangebirges lassen. Meist sind diese Höhlen in Lehmboden
+hineingearbeitet, und sind einfache Aushöhlungen, in der Regel von
+kreisrunder Form. Man bemerkt gewöhnlich eine Vorkammer und ein
+hinteres, größeres Gemach; der Plafond ist wie gewölbt. Oben hinaus
+befindet sich meist eine Oeffnung zum Abzuge des Rauches. _Richardson_
+will im Ghoriangebirge auch Wohnungen in Felshöhlen gesehen haben; es
+ist übrigens fraglich, ob diese modernen Ursprungs sind. Es ist
+wahrscheinlich, daß dies antike libysche Höhlen sind, wie man deren
+namentlich in Cyrenaica noch viele antrifft.
+
+Betrachten wir nun, nachdem wir einen Ueberblick der Bauten des
+nördlichen Afrika's gewonnen haben, die Wohnungen der Völkerschaften der
+Sahara.
+
+Mit Ausnahme der zum Theil nomadisirenden Tuareg sind alle Bewohner der
+Sahara seßhaft; denn die Araber, welche in die große Wüste
+hineingegangen sind, haben alsbald das Zelt gegen das Haus vertauscht.
+
+Im Grunde kommen bei den Bauten der Oasenbewohner denn auch dieselben
+Bauregeln und Pläne beim Einrichten ihrer Moscheen und Wohnungen in
+Anwendung, wie bei ihren nördlichen Brüdern. Bei der wohlhabenden Classe
+befindet sich in ihrer Wohnung meist ein Aufzimmer, d.h. ein
+Fremdenzimmer, auf das platte Dach des Hauptgebäudes hin errichtet. Wie
+immer hat dieses einen Hof, bei den Reichen auch mehrere, und auf den
+Hof öffnen sich die langen und schmalen Zimmer. In manchen Oasen sind
+die Gebäude krenelirt, aber mehr zum Schmucke als zur Vertheidigung.
+
+Wenn aber schon bei den Arabern im Norden auf dem Tel wenig behauene
+Steine in Anwendung kommen, so finden wir in der Wüste als Material nur
+gestampfte Erdmasse oder an der Sonne getrocknete Thonziegel. Alles
+Gebälk und Holzwerk besteht aus dem Holze der Dattelpalme. Man wird
+leicht einsehen, daß mit so geringem Material nichts Besonderes in der
+Architektur geleistet werden kann.
+
+Dennoch finden wir in den westlichen Oasen der Sahara Manches, was auf
+innigen Contact mit Marokko hinweist. Es sind die Grabdenkmale von
+Sidi-Hammed-ben Nasser in Tamagrut, Hauptstadt der Oase Draa, dann das
+prächtige Grabmal Mulei-Ali-Scherif's bei Abuam, Hauptstadt von Tafilet,
+inwendig auf's Reichste mit "Slädj" ausgeschmückt. Ja, man hat sich
+sogar nicht gescheut, für das Dachwerk (die Grabmäler sind nicht
+gewölbt) Holz vom Atlas kommen zu lassen, und die das spitze Dach
+bildenden Balken und Bretter sind hübsch mit arabeskenartigem
+Schnitzwerk und Malerei versehen.
+
+Im Uebrigen sind die Moscheen oder Djemmen in den Oasen nach denselben
+Grundsätzen gebaut; bei den meisten fehlt jedoch ein eigentlicher Thurm
+oder Minaret. Ersetzt werden die Minarets durch thurmähnliche, zwei
+Stockwerke hohe Anbauten, welche nach oben an Umfang abnehmen. Bei sehr
+vielen Gebäuden der Vornehmen in den Ortschaften der Oasen finden wir
+ebenfalls jene thurmartigen Anbauten, die zuweilen auch als Wartthürme
+dienen.
+
+Besonders zu erwähnen sind in der Sahara an den großen Straßen noch die
+einfachen Bezeichnungen einer Moschee durch Steine. Man deutet
+gewissermaßen nur den Grundriß einer Djemma durch Steine an. Sie werden
+jedoch von jeder vorübergehenden Karawane zum Gebet benutzt, und auch
+hier zeigt die Ausbuchtung oder Kibla die Gebetsrichtung an.
+
+Die Wohnung der Großen und um so mehr die der ärmeren Bevölkerung der
+westlichen Oasen sind alle einstöckig. Die der ersteren sind oft
+kastellartig gebaut und befinden sich dann außerhalb der Ortschaften, so
+die Wohnungen der marokkanischen Prinzen in Tafilet, der Schechs in
+Tuat, der Häuptlinge der Tuareg in Rhat und Air. Architektonische
+Verzierungen sind hier fast gar nicht mehr zu finden, nur findet man die
+ogivische Thür noch überall vorherrschend. Besonders um sich gegen die
+Hitze zu sichern, findet man die Erdwände der Häuser sehr dick und das
+Palmbalkendach durch eine enorm hohe Erdschicht überdeckt. Die Thüren
+sind überall so niedrig, daß man nur tief gebückt hineintreten kann.
+Aber so vergänglich sind diese Bauten, daß ein ausnahmsweise
+eintretender Regen oft ganze Ortschaften im wahren Sinne des Worten
+hinwegschmilzt.
+
+In den meisten Oasen sind die Städte und Dörfer befestigt; einige
+größere haben sogar Thürme an die meist 20 Fuß hohe Mauer angebracht.
+Die Mauern, oft aus gestampftem Erdboden, oft aus Feldstein, durch Thon
+zusammengehalten, erbaut, sind meist krenelirt. Die Thore, welche
+hindurchführen, sind nie gewölbt, meist einthürig und nur so breit, daß
+ein beladenes Kameel hindurch gehen kann.
+
+Ist der ganze Tel wie übersäet mit jenen kleinen Domgrabmälern, so
+lassen sich die der großen Sahara, welche an Ausdehnung so groß wie
+Australien ist, zählen. Die Grabmonumente sind der einfachsten Art; ein
+Haufen Steine, manchmal am Kopfende durch einen besonders großen
+angezeichnet, das ist die letzte Grabstätte der Wüstenbewohner.
+
+Vor allen anderen Oasen zeichnen sich jedoch in der Bauweise zwei aus,
+die Oasen von Siuah und Rhadames, und wenn nicht schon die
+übereinstimmende Aussage der Bewohner dieser Ortschaften ihren
+verwandtschaftlichen Ursprung bezeugte, wenn nicht dies schon bewiesen
+wäre durch ihre selbe Sprache, welche, obschon beide Oerter durch einen
+Raum getrennt sind, der durchaus Wüste ist und in gerader Linie
+wenigstens so viel beträgt, wie von Paris bis Königsberg, so würde die
+innige Verwandtschaft, welche sich in der Bauweise beider Oerter
+kundgiebt, gleich auf gemeinsamen Ursprung hinweisen.
+
+Was besonders die Bauart beider Oerter auszeichnet, sind die Höhe der
+Wohnungen und die bedeckten Straßen, welche mehr unterirdischen Gängen
+gleichen, als offenen Wegen. In Rhadames sowohl wie in der heutigen
+Hauptstadt des alten Ammonium, in Siuah, sind die meisten Häuser drei
+Stock, ja in Siuah viele fünf Stockwerke hoch. Während aber im reichen
+Rhadames sowohl im Innern der Häuser als im Aeußern sich ein gewisser
+Luxus kund giebt, alle geweißt ist, und die Mauern meist aus, wenn auch
+unbehauenen, Steinen gebaut sind, so macht man in Siuah die Wohnungen
+nur aus Lehm, und trotzdem die architektonischen Vorbilder der Aegypter
+und Griechen noch heute vor Augen stehen, sind sie höchst mangelhaft
+gebaut. Die Wohnungen der Rhadamser und Siuahner unterscheiden sich auch
+noch dadurch von den übrigen Wohnhäusern in der Sahara, daß sie keinen,
+oder selten doch nur einen sehr kleinen Hof im Innern haben: Alles ist
+in Zimmer und kleine Gemächer getheilt. Oben mit platten Dächern
+versehen, bilden diese Dächer in Rhadamas zugleich die _Straßen_ für die
+Frauen. Obschon durch Brustwehr von einander getrennt, werden diese von
+den Frauen überklettert, und ihr _Verkehr_ findet nur über den Köpfen
+der Männer statt. In Rhadames herrscht Hufeisenform bei der Thürbildung,
+in Siuah eine viereckige Form vor.
+
+Natürlich nicht zum Nomadisiren eingerichtet, verdienen die Palmenhütten
+der Beni Mohammed in Draa und Tafilet und einzelner Familien in Audjila
+und Fesan noch Erwähnung; sie sind vollkommen kunstlos aus Palmenzweigen
+errichtet, bald mit plattem, bald mit spitz zulaufendem Dache versehen,
+und auch dieses Dach ist aus Palmenzweigen gefertigt. In Fesan und
+Audjila sind die Seitenmauern dieser Hütten, welche manchmal viereckig,
+manchmal rund sind, zuweilen aus Stein oder Thon, und die Thüren immer
+so niedrig, das man hindurch _kriechen_ muß.
+
+Vortheilhaft, was Reinlichkeit und symmetrische Anordnung betrifft,
+zeichnen sich die Wohnungen der Tebu aus. In Kauar sind sie kreisrund;
+die Seitenwände sind aus Stein brusthoch ausgeführt und dann überdeckt
+mit Palmenreisern, Stroh und Matten. Dr. _Nachtigal_ sagt von den
+Bewohnern Tibesti's: "Alle ihre Wohnungen so kunstlos, und einfach sie
+sind, zeichnen sich durch die größte Nettigkeit und Sauberkeit vor denen
+ihrer arabischen und fesanischen Nachbarn vortheilhaft aus. Vor der
+Hütte haben sie nicht selten einen gehärteten Erd- oder Lehmplatz, der
+frisch mit Sand bestreut wird, und die hervorragenden Männer eine Art
+offener Halle, ebenfalls aus Palmenzweigen geflochten, vor ihrer
+Wohnung, in der sie Besuche empfangen."
+
+Es bleibt uns nur noch übrig, die bewegliche Wohnung der nomadisirenden
+Bevölkerung der Sahara zu beschreiben, das Zelt der Tuareg. Der Araber
+ist eigenthümlicher Weise in der großen Sahara nie heimisch geworden.
+Ist er ja dahin gedrungen, so hat er sich seßhaft gemacht. So haben die
+Mehammedin in Draa und Tafilet das Zelt gegen die Palmenhütten
+vertauscht. Die einzelnen Familien aber, die wir in Fesan, Rhat und
+anderen südlichen Oasen finden, haben Häuser. Nur die nach Kanem
+vertriebenen Uled Sliman haben bis jetzt das Zelt bewahrt, aber es ist
+kaum zu bezweifeln, daß auch sie über kurz oder lang das bewegliche Haus
+mit dem festen vertauschen werden, wie die Schoa und
+Uled-Raschid-Araber, die noch weiter im Innern Afrika's sich eine neue
+Heimat mitten zwischen den Negern gründeten.
+
+Das Zelt der Tuareg ist sehr einfacher Art. Im Allgemeinen der
+länglichen Form der Araberzelte entsprechend, sind die Tuaregzelte
+bedeutend kleiner und niedriger. Kaum sechs Personen haben in ihrem
+Tuaregzelte Platz. In einem Araberzelte wird das Dach immer durch zwei,
+im Tuaregzelte durch eine Zeltstange unterstützt. Der Stoff besteht bei
+jenen aus grobem Haar und wollenen Zeugen, bei diesen aus gegerbtem
+Leder. Nach Duveyrier sind die Lederzelte oft roth gefärbt und gut
+genäht.
+
+In Centralafrika angekommen, bemerken wir vorweg, daß wir _nirgends_
+Wohnungen nicht seßhafter Völker haben; denn die früher nomadisirenden
+Pullo haben mit der Erreichung ihrer größten Ausdehnbarkeit sich jetzt
+überall dauernde Wohnungen gebaut. Die Stämme aber, die vom Nomadenvolke
+par exellence, dem arabischen, abstammen und bis nach Centralafrika
+vorgedrungen sind--ich nenne davon nur die Schua-Araber westlich und
+südwestlich vom Tschad--selbst diese haben längst ihr Zelt, diese
+luftige Behausung der Jäger- und Hirten-Völker, aufgegeben und sich nach
+Art der Neger in soliden Bauten seßhaft gemacht.
+
+Man kann bei den Negern Centralafrika's hauptsächlich drei Arten von
+Wohnungen unterscheiden: große aus Thon oder Luftziegeln erbaute Häuser,
+welche offenbar unter arabisch-berberischem Einfluß entstanden sind,
+verschiedene Hüttenwohnungen runder Form, entweder aus Strohmatten oder
+aus Thon oder Luftziegeln errichtet, und endlich große Häuser mit
+Giebeldächern, vielleicht durch europäischen Einfluß von der Küste aus
+nach Afrika verpflanzt.
+
+In allen uns bekannten Ländern Centralafrika's, Bornu, Bagermi, Socoto,
+Gando, Uadai, Adamaua, Bautschi und anderen, sind die Wohnungen der
+Fürsten, der Großen des Reichs, der vornehmen Kaufleute, die Moscheen
+und Bethäuser aus soliden Mauern mit flachen Dächern errichtet. Es
+scheint sogar, daß man einzeln, obschon nie mit behauenen Steinen, so
+doch an manchen Orten mit _gebrannten_ Ziegeln gebaut habe. So will
+_Barth_ in Massenña (III. S. 346) Gebäude aus _wirklich gebrannten_
+Backsteinen beobachtet haben und er erwähnt bei der Gelegenheit: "auch
+die alte Birni (Hauptstadt) von Bornu soll aus Backsteinen gebaut
+gewesen sein."
+
+Was uns anbetrifft, so haben wir jedoch _nirgends_ im "schwarzen Afrika"
+gebrannte Steine in Anwendung gesehen, nur Luftziegel und aus
+Thonziegeln und aus Thon aufgelegte oder gepreßte Mauern. Zu den großen
+Gebäuden der Fürsten, fast ohne Ausnahme ein Stock hoch, sind trotzdem
+verhältnißmäßig dicke Mauern genommen, um das starke, mit Thon überlegte
+Dachgebälk tragen zu können. Von außen sieht eine solche Burg meist
+einförmig aus, da oft nur Eine Thür Unterbrechung in die schlichte Wand
+bringt. Sehr oft ist übrigens die Brüstung des flachen Daches auf
+phantastische Art geziert. Das Innere einer solchen Fürstenwohnung
+enthält große Zimmer und Hofräume.
+
+Erstere erhalten Licht durch die Thüren und manchmal durch große
+viereckige Oeffnungen, die sich in den Wänden befinden, welche nach den
+Höfen zu gerichtet sind; oft sind die Gemächer vollkommen dunkel. Wenn
+die Räume sehr groß sind, so wird die Spannung der Deckbalken durch
+kolossale Thonpfeiler gestützt. In einigen Hauptstädten sehen wir sogar
+Bogen, hufeisenförmig gewölbt, die Decke unterstützen; wie die Pfeiler
+sind dieselben aus gehärtetem Thon. So finden wir bei _Barth's_ (II.
+124) Beschreibung des Palastes von _Kano_: "Die Gemächer sind nicht sehr
+dunkel, das Hauptgemach ist aber sehr schön, ja großartig zu nennen. Der
+ganze Charakter desselben machte um so mehr Eindruck, da die Tragbalken
+nicht zu sehen waren, während zwei große Kreuzbogen, aus demselben
+Material wie die Wände, überaus sauber geglättet und reich verziert, das
+Ganze zu tragen schienen. In der hinteren Wand waren zwei geräumige
+Nischen, in deren einer der Fürst Platz zu nehmen pflegt."
+
+In derselben großartigen Weise sind in centralafrikanischen Ländern die
+Wohnungen der Fürsten eingerichtet, die sich dem Islam in die Arme
+geworfen haben; der Einfluß der Träger der Religion ist unverkennbar.
+
+In diesen dem Islam zum Theil huldigenden Staaten sind die Moscheen
+ähnlich wie die in den nordafrikanischen Staaten erbaut, nur noch aus
+bedeutend schlechterem Material; denn wenn gebrannte Steine in Bornu,
+Bagermi, Uadai, Adamaua, Kano, Gando und noch anderen Negerkönigreichen
+nicht im Gebrauche sind, so hat man auch keinen Kalk, oder wenigstens
+versteht man ihn nicht zu brennen und zu bereiten, das heißt zu löschen.
+Im großen Königreich Bornu kommen Kalkgesteine überdies nicht vor oder
+wären nur von den angrenzenden Ländern unter den größten Mühseligkeiten
+zu beziehen. Aus den zahlreichen Conchylien des Tschad-See's und der
+Flüsse aber verstehen die Neger keinen Kalk zu brennen. So bleibt ihnen
+denn weiter nichts Anderes übrig, als die Luftziegel durch Thon zu
+verbinden oder aus Thon und Sand zusammengepreßt die Hauswände zu
+bilden.
+
+Man findet häufig die Wände der Moscheen und die Wohnungen der Großen
+wie geweißt; es rührt dies nicht von einer Verkalkung oder Vergypsung
+her, sondern ist einfach ein Ueberstrich von einem sehr weißen und
+feinen Thon. Dieser ist so fett und fein, daß er gar keine
+Sandpartikelchen enthält; ganz in der Nähe von Kuka findet man im
+Nordwesten der Stadt mächtige Lager davon einige Fuß tief unter dem
+schwarzen Humus.
+
+Architektonisch zeichnen sich die Moscheen keineswegs aus. Etwa 20 Fuß
+hohe, aus Thon aufgeführte Mauern umgeben einen offenen Hofraum; nach
+der nach Mekka gerichteten Seite sind durch plumpe, vier- oder
+achteckige Erdpfeiler gebildete Bogengänge, meist in zwei oder drei
+Reihen, vorhanden, die dann ein oder zwei Schiffe, wenn man diese so
+nennen will, bilden. Nach dieser Seite zu befinden sich auch die Kibla
+und das Mimber. Irgend eine Ecke einer solchen Moschee bildet eine
+thurmartige Erhöhung, und dient als Minaret oder Sma.
+
+Hier wollen wir denn auch der Befestigungen erwähnen, wie sie in den
+meisten centralafrikanischen Städten üblich sind.
+
+Im Vergleich zu dem schlechten Mauerwerk der heutigen Araber- und
+Berberstädte in Nordafrika und in Anbetracht, daß in Centralafrika
+nirgends beim Kriegführen Feuerwaffen großen Kalibers gebraucht werden,
+sind dieselben sehr gut zu nennen. Die Befestigungen der
+Negerortschaften sind derart angelegt, daß man sieht, dieselben sind
+ganz ihren Verhältnissen und ihren Umständen angemessen, für dortige
+eventuell sich ereignende Fälle geschaffen.
+
+Meist sind die Lehm- oder Thonmauern nach außen zu fast steil oder doch
+nur sehr wenig geböscht abfallend, circa 20 bis 30 Fuß hoch und fast
+immer mit einem tiefen, jedoch nicht sehr breiten Graben nach außen
+umgeben. Kuka z.B. hat eine Mauer aus hartem Thon, die circa 25 Fuß hoch
+ist und nach außen zu fast senkrecht in einen 12 Fuß tiefen Graben
+abfällt. Nach innen jedoch verbreitert sie sich dachartig durch Stufen
+nach unten, derart, daß oben die äußerste Kante, welche zugleich als
+Brustwehr dient, circa 4 Fuß hoch und nur circa 2 Fuß breit ist, während
+die Basis der ganzen Umfassungsmauer ebenso breit wie hoch ist. Die
+Thore durch solche Erdmauern oder Erdwälle sind manchmal überdacht,
+manchmal offen; immer aber ist unten die Thür enger als oben und vor
+Erdnachsturz durch Gebälkauskleidung geschützt. In den Städten großer
+Reiche sind die Gräben ordentlich überbrückt mittelst soliden
+Balkenwerks, so daß die schwersten Lastthiere hinüber passiren können.
+Nicht so ist es bei den kleineren Städten auf der Grenze des Islam und
+des Heidenthums.
+
+Südlich von Keffi-abd-es-Senga begegnete es mir mehrere Male, daß ich
+vom Besuche einer solchen schwer zugänglichen Stadt abstehen mußte.
+Ueber den allerdings nicht sehr breiten, aber tiefen Graben führte zum
+Thore der Stadt nur _Ein einziger schwankender Palmstamm_. Meine noch
+dazu mit großen Elfenbeinzähnen beladenen Begleiter gingen sicher und
+festen Schrittes hinüber; vom Schwindel ergriffen, wollte ich indeß
+solch ein Seiltänzerkunststück nicht wagen und blieb zurück. Ja, selbst
+als eines Tages schon alle Diener hinüber waren, und nach einem
+anstrengenden Marsch ein lukullisches Negermahl winkte, konnte ich es
+doch nicht über mich bringen, über einen so schwankenden Stamm dahin zu
+schreiten. Ich versuchte hinüber zu klettern, fand aber bald, daß die
+Neger mich auslachten, und ich verzichtete auf diese Art, ihre Stadt zu
+besuchen, da ich zu sehr in ihrer Achtung sinken würde. Auch widerstand
+ich dem Anerbieten, die Schultern eines der Neger zu besteigen; es blieb
+nichts Anderes übrig, als auf den Besuch der Stadt zu verzichten.
+
+Einzelne Städte haben außer dem Walle und dem äußeren Graben noch einen
+inneren und fügen Verhaue und Dornhecken hinzu, um dem Feinde das
+Annähern zu erschweren. So berichtet _Barth_ II. S. 211 von den Manga,
+daß sie außer der Erdmauer und dem Graben noch ein Dornverhack hatten,
+das sich 10 Fuß dick außerhalb herumzog; in Band II. S. 184 von
+Birmenaua, daß dies ein kleiner, aber stark befestigter Ort sei mit zwei
+Gräben, einem innerhalb, einem außerhalb der Mauer.
+
+Am unvollkommensten finden wir die Hütten da, wo der mohammedanische
+Glaube Eingang gefunden hat. So im ganzen Norden von Centralafrika. Eine
+Hütte in Kuka von runder, nach oben spitz zulaufender Form hat circa 12
+bis 15 Fuß an der Basis im Durchmesser. Das aus Holz oder Rohr
+ausgeführte Gerüst ist mit Stroh überdeckt; eine Thür, oft gewölbt, oft
+eckig, bildet den Eingang. Aber selbst hier, wo in der Stadt der Fürst
+und alle Großen, wie die reichen Kaufleute Thonwohnungen haben, bildet
+die Hütte die Nationalbehausung. Das Innere ist äußerst reinlich
+gehalten und enthält manchmal eine mannshohe Scheidewand aus Matten, um
+verschiedene Familienglieder von andern abzusondern. Wenigstens zwei,
+oft drei bis vier solcher Hütten bilden ein Haus, ein Gehöft.
+Umschlossen sind sie von einer thönernen Mauer, oderauch von
+übermannshohen Matten, welche durch in die Erde gerammte Stämme aufrecht
+gehalten werden.
+
+Am schönsten finden wir die Hütten da, wo sie vollkommen aus _eigenem_
+Bautriebe der Neger hervorgegangen sind, bei den Negern, die noch dem
+Heidenthum anhangen.
+
+So berichtet _Barth_ von den Marghi-Hütten (II. S. 463): "Die Hütten
+haben vor ihrer Thür Rohrschwellen, die manchmal umklappbar sind, und
+inwendig sind die Fußböden schon gepflastert;" oder II. S. 525 von
+Adamaua: "In Ssarau besteht eine Wohnung aus mehreren Hütten mit
+Lehmwänden und vortrefflich geflochtenem Rohrdach; diese Hütten sind
+durch Lehmwände mit einander verbunden, so daß das Ganze ein
+abgerundetes Dreieck bildet. Die eine Hütte bildet den Eingang, die
+anderen beiden sind für die Frauen. Die Eingangshütte hat eine 3-1/2 Fuß
+hohe und 16 Zoll breite _eiförmige_ Thür; es befindet sich hier ein
+Ruhebett, 7 Fuß lang und 5 Fuß breit und 3 Fuß über der Flur, außerdem
+eine Feuerstelle. Die hellbraunen Wände der Hütte sind mit allerdings
+nicht kunstvollen Gegenständen von weißer Farbe bemalt. Die beiden
+andere Hütten sind ähnlich, enthalten zwei Rohrbetten, wovon eins für
+die Frau durch eine Scheidewand von dem übrigen Raume der Hütte getrennt
+ist. Diese 5 Fuß hohe und 4 Zoll dicke Scheidewand ist ebenfalls braun
+und mit weißen Streifen geziert; oben ist sie durch abwechselnd
+schalenartige und pyramidale Aufsätze gekrönt, welche ebenfalls
+verschiedene Farbe haben. Die Thüren sind auch hier _eiförmig_ und noch
+kleiner, nur 2 Fuß hoch und 10 Zoll breit. Diese heimlichen Wohnungen
+übertreffen durch Harmonie der Farbentöne ihre Schwestern" u.s.w.
+
+Am vollkommsten fand _Barth_ den Hüttenbau wohl im Lande der Musgu. So
+berichtet er II. S. 158: "Jeder Hof hat drei bis sechs Hütten, sie sind
+aus Thon, und die Umschließungsmauer bei den Wohlhabenden aus demselben
+Material die der Aermeren aus Rohr und Holz. Die Dächer sind mit
+Sorgfalt gedeckt und weit besser als Strohdächer. _Die Musguhütten
+zeigen in der Form ihrer Giebelung selbst Spuren verschiedener Style,
+die vielleicht auf eine gewisse Stufenfolge im Leben zurückzuführen
+sind_."
+
+Ueberall findet man in diesen Gehöften, die nicht nur die Städte und
+Dörfer zusammensetzen, sondern da, wo die Sicherheit der Gegend es
+zuläßt, auch über die Landschaften vereinzelt anzutreffen sind, die dem
+Neger so unentbehrlichen Nebenbaulichkeiten. Wir erwähnen hier zuerst
+des Schattendaches, welches man in jeder Wohnung antrifft.
+
+Diese Schattendächer ruhen auf 4 oder 6 Pfählen, welche nur oben mit
+einem dicken Strohdache oder Mattenwerk bedeckt sind. Unter ihnen ist
+gewöhnlich ein Rohrbett und Platz genug, daß auch die Hausfrau ihre
+Arbeiten im Schatten verrichten kann. Dann findet man in jedem Hofraum
+große Thonbehälter, oft auf Steinen ruhend, zum Aufbewahren von Korn;
+manchmal sind sie sehr künstlich eingerichtet. _Barth_ sagt III. S. 158
+bei der Beschreibung eines Musgu-Hofes: "Jeder Hofraum hat einen 12 bis
+15 Fuß hohen Kornbehälter aus Thon und ein Schattendach. Die
+Kornbehälter haben ein gewölbtes, ebenfalls aus Thon bestehendes Dach
+mit einer aufspringenden Mündung, welche wieder von einem kleinen
+Strohdache geschützt wird." An einer andern Stelle sagt _Barth_: "Die
+Kornbehälter auf 2 Fuß Unterlagen haben eine Höhe von 15 Fuß und
+verjüngen sich nach oben. Sie haben nur eine Oeffnung am oberen Theile
+und sind ähnlich den ägyptischen Taubenhäusern." Außerdem findet man
+häufig Veranden vor den Hütten und überdachte Kochstellen.
+
+Die vollendetsten Hütten trifft man, wie schon gesagt, da, wo das
+Heidenthum herrscht. Eine Hütte hat in der Regel 15 Fuß Durchmesser, und
+die Thonwände, oft dick, oft nur 1/2 Fuß dünn, sind in der Regel 4 bis 5
+Fuß über der Erde. Das Dach ruht ganz frei auf dem runden Thonbau; in
+den meisten Gegenden wird es zu ebener Erde fertig gebaut und vollendet
+erst auf die Thonmauer gleichsam wie ein Deckel gelegt. Der Boden ist
+überall festgestampft und bildet manchmal einen aus kleinen Steinchen
+zusammengegossenen Mosaik.
+
+Im Innern der Hütte sind verschiedene Scheidewände und außer dem
+beweglichen Rohrbette befindet sich wenigstens ein festes Thonbett
+darin. In kalten Gegenden, z.B. auf dem Gora-Gebirge, beobachtete ich,
+daß die Thonbetten hohl und von _inwendig zu heizen_ waren. Die größte
+Sorgfalt wird immer auf die Eingangshütten verwendet; diese haben
+natürlich immer zwei Thüren. Eine Hütte des Sultans von Akun, den ich
+besuchte, zeigte sogar zwei Dächer, wovon das obere offenbar nur zum
+Schmuck angebracht ist. Manche Eingangshütten sind colossal groß, sowie
+die des Sultans von Keffi-abd-es-Senga; diese diente zugleich als
+Versammlungort seiner Gäste, war viereckig und hatte mit einem
+außerordentlich hohen Dache eine Veranda verbunden.
+
+Eine ähnlich große Empfangshalle traf Schweinfurth auf seiner Reise im
+östlichen Centralafrika. Die L.I. Zeitung Nr. 1542 vom Jahre 1873 giebt
+ein anschauliches Bild davon. Die große Festhalle, in der Schweinfurth
+empfangen wurde, war von vielen Hundert Menschen gefüllt. Es waren die
+achtzig Lieblingsweiber des Königs Munsa anwesend, eine Musikbande und
+alle seine Trabanten. Die Empfangshalle selbst hatte die Form unserer
+modernen großen Eisenbahnhallen.
+
+Die kunstlosen Hütten der Bassa-Neger auf den Inseln des Bénue verdienen
+hier insofern nur einer Erwähnung, als wir hier inmitten Afrika's auch
+auf "Pfahlbauten" stoßen.
+
+Einen Uebergang zu den, wie es scheint, von den Europäern von der Küste
+her eingeführten großen Giebelhäusern und den Hütten der Neger bilden
+die seltsamen Wohnungen der Kado-Neger in Segseg, die gewissermaßen aus
+Haus und Hütte zusammengesetzt sind. Zwei circa 25 Fuß von einander
+entfernte Hütten sind durch ein Haus oder einen Gang verbunden, und das
+Dach bildet mit den beiden Dächern der Hütte ein Ganzes. Nur die eine
+Hütte hat eine Thür, der Gang und die zweite Hütte haben nur runde
+Löcher, um dem Lichte Eingang zu verschaffen.
+
+Hier zu erwähnen sind auch noch jene kleinen Hütten für die Fetische.
+Manchmal sind dies nur auf Pfählen ruhende Strohdächer, unter welchen
+die Götter Schutz gegen die Sonne und den Regen finden, manchmal aber
+auch ordentlich eingerichtete Hütten. Aber jedesmal findet man sie in
+bedeutend verkleinertem Maßstabe. Eine Fetischhütte ist nie höher als 4
+bis 5 Fuß und hat an der Basis gewöhnlich 3 bis 4 Fuß Durchmesser. Oft
+steht ein Fetisch oder eine ganze Fetischfamilie nur auf einem
+Thonteller, der circa 1 Fuß hoch, nach oben sich verjüngt und circa 3
+bis 4 Fuß im Durchmesser hat. Außerdem hat jede Hütte in den Gegenden,
+wo Fetischismus betrieben wird, einen Fetisch in seiner Hütte, der oft
+aus Thon oder Holz geformt, oft aber nur ein Bild oder Relief an der
+Hüttenwand ist.
+
+Je mehr man sich dem Niger nähert, desto andere Bauformen finden wir
+gäng und gäbe. Freilich bleibt auch hier die runde Hütte noch immer die
+eigentliche Nationalbehausung der Neger; aber wir finden nun bei den
+Wohnungen der Fürsten, der Großen und Reichen keineswegs mehr große,
+nach arabischer Art mit plattem Dache versehene Häuser, sondern Gebäude,
+die nach Art der europäischen ein Giebeldach haben. In Imaha, in
+Ogbomoscho und Ibadan haben die Fürsten die großartigsten Giebelbauten,
+bei denen europäischer Einfluß wohl kaum zu leugnen ist.
+
+Die Fürstenwohnung in Illori ist der Art, daß sie ein längliches Viereck
+von 150 Fuß Länge auf 30 Fuß Breite bildet. Die Seitenmauern, circa 6
+Fuß hoch und 2 Zoll dick, aus gestampftem Thon errichtet, tragen ein
+unverhältnißmäßiges hohes Strohdach à cheval, dessen überstehende
+Seitenwände über die Mauern hinausreichen, so daß sie fast den Erdboden
+berühren. Der Raum, der hierdurch entsteht, giebt einen schattigen
+Ruheplatz für die zahlreichen Sclaven ab. Im Innern läuft längs der
+einen Wand ein Corridor, und von diesem aus kommt man mittelst niedriger
+Thüren in die verschiedenen Zimmer, von denen einige einen aparten
+Bodenabschluß haben, andere aber frei bis unter das Dach hinaufreichen.
+
+Höchst eigenthümlich fand Dr. Nachtigal die heidnischen Bewohner im
+südlichen Bagermi wohnen. Fortwährend den Ueberfällen der
+mohammedanischen Bevölkerung ausgesetzt, haben sie ihre Wohnungen gleich
+den Vögeln auf den Bäumen errichtet, und der gewaltige Baumwollenbaum
+(Bembax. cottontree) eignet sich vortrefflich dazu, derartige
+Behausungen zu empfangen: Der Baumwollenbaum gehört zu den Riesen der
+centralafrikanischen Vegetation. Ungefähr 50 Fuß hoch vom Boden, gehen
+von seinem colossalen Stamme starke horizontal verlaufende Aeste ab. Auf
+diese legen die Bagermi-Bewohner Balken und errichten darauf ihre
+Hütten; selbst der Viehstand wird in Zeiten der Gefahr mit nach oben
+gezogen. Mittelst einer aufziehbaren Strickleiter gelangen die
+Eigentümer hinauf. In der Nacht werden nach Nachtigal nie
+Feindseligkeiten unternommen, so daß während dieser Zeit die Inwohner
+eines solchen Baumdorfes ihre Vorräthe an Wasser und Lebensmitteln
+machen können. Und da in Bagermi der Gebrauch der Schießwaffe noch nicht
+eingeführt ist, so gewinnen die Besitzer in ihren hohen, luftigen Bauten
+eine ziemliche Sicherheit.
+
+Je mehr man sich der Küste nähert, desto mehr schwindet die Hütte, und
+wenn in den Ortschaften des Konggebirges oder an den Abhängen desselben
+auch die Häuser der privaten nicht alle jene großen kasernenartigen
+Dimensionen haben, so läßt sich doch in der Anlage der europäische
+Einfluß auf den ersten Blick heraussehen. Gebrannte und behauene Steine
+findet man erst, wenn man die Küstenstädte Afrika's selbst, mithin das
+europäische Element erreicht hat.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 1: Allerdings sind in Marokko in den sogenannten "maurischen
+Bädern" auch gewölbte Kuppeln, aber diese Gewölbe sind entweder durch
+horizontal eingeschobene Balken gebildet und getragen, oder durch
+Uebertragung horizontal gelegter Steine gebildet, ähnlich wie man es in
+den gewölbten Kammern der griechischen Thesauren beobachtet.]
+
+
+
+
+3. Lagos an der Westküste von Afrika.
+
+
+Keine Stadt an der Westküste von Afrika, vom Cap Spartel an gerechnet,
+bis zum Cap der guten Hoffnung, hat in den letzten Jahren einen so
+raschen Aufschwung genommen wie Lagos. Unter dem 6° 26' nördlicher
+Breite und dem 3° 22' östlicher L. v. Gr. gelegen (nach anderen 6° 28'
+n. Br. und 3° 26' östl. L. v. Gr.), war Lagos bis zum Jahre 1851
+portugiesische Schutzstadt und Hauptexportstadt für den Sclavenhandel.
+In diesem Jahre vertrieb ein eingeborener Fürst, Namens Kosoko, den
+rechtmäßigen König Akitoye, weil dieser auf Betrieb Englands den
+Sclavenhandel unterdrückt hatte. Kosoko wurde von den Engländern wieder
+verjagt und der rechtmäßige König wieder eingesetzt. Aber trotzdem
+florirte die Negerausfuhr fort, die um so schwieriger hier zu überwachen
+und zu verhindern war, als der Küstenstrich wegen Lagunenbildung
+zahlreiche Verstecke und Schlupfwinkel bietet, wohin sich die
+Sclavenhändler bei drohender Gefahr zurückziehen konnten.
+
+Am 6. August 1861 erschien deshalb das englische Kriegsschiff
+Prometheus, Com. Bedingfeld; Lagos wurde genommen und zur englischen
+Colonie erklärt. Zum Scheine ließ man jedoch den Sohn Akitoye's, Docemo,
+als König bestehen, er behielt jedoch nur den Titel.
+
+Von den Eingeborenen Eko, auch Oni genannt, erhielt Lagos seinen Namen
+von den Portugiesen. Es liegt auf einer halbmondförmigen Insel, hat im
+Süden das Meer, im Norden die die Insel vom Festland trennende Lagune,
+und ist von den übrigen schmalen Küstenstrichen oder Inseln, welche im
+Osten und Westen sich fortziehen, durch enge Meeresarme getrennt. Das
+Festland ist circa 15 engl. Meilen entfernt. Von den schmalen
+Landstreifen, welche ursprünglich Festland gewesen sind, und die
+manchmal 3, manchmal bis 10 englische Meilen breit sind, gehört ein
+60-70 englische Meilen langes Stück jetzt den Engländern. Alle diese
+Streifen sind mit dichtester Vegetation bedeckt, meistens mit
+Mangroven-Buschwerk bestanden, das von schlanken Cocosnußpalmen überragt
+wird, während gleich am Festlande jene undurchdringlichen Urwälder
+beginnen, in denen die Oelpalme und der Baumwollenbaum die
+hervorragendste Rolle spielen.
+
+Hält man sich für kurze Zeit in diesem von der Natur so verschwenderisch
+ausgestatteten Lande auf, so sollte man glauben, es sei hier ein ewiges
+Paradies was das Klima anbetrifft: man glaubt in einer ewig
+frühlingsmäßigen Natur zu leben. Balsamische Düfte durchziehen die Luft,
+der tiefblaue Himmel, das saftige Grün der üppigen Pflanzenwelt, in der
+Ferne das tiefblaue wogende Meer, lassen den Gedanken nicht aufkommen,
+daß jeder Athemzug dem Körper giftige Substanzen zuführt; und doch ist
+dem so, wie die große Sterblichkeit der Eingeborenen sowohl wie die der
+Europäer ergiebt. Eben die lagunenartige Gegend, die Ausdünstungen der
+See, die vermodernden Pflanzentheile der nahen Sümpfe, die Vermischung
+von Salz- und Süßwasser nehmen alle Theil an jenen Krankheiten, die den
+Menschen so gefährlich sind, und meist rasch und tödtlich verlaufen.
+
+Die mittlere Temperatur von Lagos ist unbekannt, dürfte aber zwischen
+20° und 22°[2] sein. Der niedrigste beobachtete Thermometerstand war 15°
+C., der höchste 35°. Barometrische Aufzeichnungen von Lagos liegen gar
+nicht vor. Als hygrometrische Beobachtungen wurden mir 0,2 und 25°
+genannt, indeß nicht dabei gesagt, mit welchem Instrument und nach
+welchem Systeme dieselben gefunden worden sind. Die fallende Wassermenge
+wird wohl der von Gabun gleichkommen, wo man in einem Jahr 250" Regen
+beobachtet hat. Die nasse Jahreszeit währt von April und Mai bis August
+und September und in dieser Zeit sind fast täglich die heftigsten
+Tornados (Gewitterregen) bei herrschendem Ostwinde. Im November,
+December, Januar und Februar ist fast nie Regen beobachtet worden. Der
+herrschende Wind der trockenen Jahreszeit ist West und Nordwest. In
+dieser Periode herrscht Nachts vollkommene Windstille; erst gegen 9 Uhr
+Morgens springt der Wind auf, um bis nach Sonnenuntergang als starke
+Brise zu blasen. Im Januar wird hauptsächlich der Harmattan beobachtet,
+vom Innern her wehend, und von welchem die dort lebenden Europäer noch
+immer glauben, daß es Nebel sei, während es nichts Anderes ist, als ein
+zerflossener Rauch jener großen innerafrikanischen Wald- und Grasbrände,
+die sich manchmal über Strecken verbreiten, die Tausende von
+Quadratmeilen einnehmen. Zu dieser Zeit ist der Gesundheitszustand am
+besten, namentlich auf äußere Hautkrankheiten übt der Harmattan einen
+überaus wohlthätigen Einfluß aus.
+
+Hauptsächlich dort beobachtete Krankheiten sind, was auf die Europäer
+sich bezieht, Malaria und bösartige Wechselfieber, Dyssenterien und
+Leberkrankheiten. Cholera und gelbes Fieber sind in Lagos nie
+aufgetreten. Es ist übrigens wohl in Betracht zu ziehen, daß die meisten
+Europäer durch ihr eignes unmäßiges Leben sich derartige Krankheiten
+zuziehen. Während das weiche, erschlaffende Leben eine mäßige
+Lebensweise, namentlich Enthaltsamkeit von trockenen Weinen und
+Liqueuren, empfiehlt, findet man hier, wie fast überall in den Colonien,
+vorzugsweise spanische Weine, Sparkling Hock[3] und Brandy im Gebrauch,
+und die schwelgerischen Tafeln, die dort stets dem Magen vorgestellt
+werden, rufen denn nur zu rasch jene Krankeiten hervor, denen die
+Europäer zum Opfer fallen, auf dem Sterbebette noch das mörderische
+Klima verfluchend. Bei den Negern beobachtet man außerdem noch den
+Guineawurm, Elephantiasis, Pocken, Lepra, Krakra (eine widerliche
+Krankheit) und Yaws, eine Art von böser Frambösie.
+
+Die Bevölkerung der Schwarzen besteht aus Eingeborenen und dorthin
+eingewanderten und transportirten Negern. Erstere gehören alle zu den
+Stämmen der großen Yoruba-Familie. Ohne so schön und hell zu sein wie
+die Pullo, sind die Yoruba keineswegs vollkommen schwarz, sondern haben
+mehr bräunliche Hautfarbe. Sie haben sanfte, nicht stark prononcirte
+Gesichtszüge, und werden von den dortigen Europäern für die besten und
+gutmütigsten aller Neger gehalten. Als die Portugiesen zuerst nach Lagos
+kamen, fanden sie die Eingeborenen sehr geschickt in Verfertigung von
+Matten und Strohflechtereien, die sie auch noch so zart und fein zu
+flechten wissen, daß man daraus Kleidungsstücke machen könnte, und die
+zum Theil auch von den Eingeborenen in früheren Zeiten als solche
+benutzt wurden. Baumwollenweberei, Färberei, Ledergerberei, vorzügliche
+Holzschnitzerei, Töpferkunst und die Verarbeitung edler und unedler
+Metalle waren den Eingeborenen von Lagos bekannt, als die Europäer
+dorthin kamen. Man kann ihre Zahl auf 35-40,000 schätzen. Haussa-Neger
+bilden das zweite Element, sie sind durch etwa 1000 Individuen
+vertreten. Die übrigen endlich sind Acra-, Fanti- und Kru-Neger, etwa
+2000 Seelen stark, und einzelne von verschiedenen anderen Horden. Alle
+diese sind ursprünglich freie, in Lagos von jeher seßhafte Neger, dann
+aus dem Innern und von der Küste als Freie Eingewanderte, oder aber
+ursprünglich gewesene Sclaven und deren Nachkommen und zum Theil aus dem
+britischen Westindien, von Sierra Leone, Gambien, Liberien, Brasilien
+oder Cuba zurücktransportirte, gekaperte ehemalige Sclaven. Allein die
+von Sierra Leone gekommenen Neger schätzt man auf 4000 Seelen.
+
+Was die Europäer anbetrifft, so ist deren Zahl durchschnittlich gegen
+100, von denen etwa 60 Engländer, 20 Deutsche und Franzosen sind, und
+die übrigen aus Spaniern, Portugiesen und Italienern bestehen.
+
+Der Cultus der Eingeborenen, die noch nicht zum Christenthume
+übergetreten sind, ist Fetischdienst. Vornehmlich werden Bäume
+fetischirt, aber auch Thiere, z.B. Hunde, stehen in Verehrung. Die
+Anbetung von kleinen, aus Holz und Thon gearbeiteten Götzenbildern ist
+sehr allgemein; Herr Philippi aus Potsdam, der sich 13 Jahre in Lagos
+aufhielt, besitzt eine ganze Sammlung jener kleinen interessanten
+Gottheiten. Außer den allgemein heilig gehaltenen Thieren hat dann noch
+jeder Neger sein Privatheiligthier, von dem er dann natürlich auch nicht
+essen darf, während die Uebrigen, wenn diese Thiere zu den genießbaren
+zählen, davon essen. So durfte der Häuptling Tappa, eine persönliche
+Bekanntschaft von mir, keine Hühner essen, Docemo, der König, keine
+weißen Tauben. Jeder hat so seine speciellen Göttchen, die gewissermaßen
+als Heiligen den betreffenden Individuen dienen und in den Wohnungen den
+Ehrenplatz einnehmen. Im Ganzen mögen gegen 25000 Heiden in Lagos sein.
+Für die Umwandlung in Christen thut die englische Regierung officiell
+seit einigen Jahren nichts mehr, legt aber auch den Missionären,
+einerlei, von welcher Kirche sie abgeschickt worden sind, keine
+Hindernisse in den Weg.
+
+Als Nichtchristen zählen zunächst die Mohammedaner; ihnen gehören
+besonders alle Haussa-Neger an, aber auch viele Yoruba. Der Islam hat
+sich quer durch Afrika seinen Weg gebahnt, er wird um so mehr von den
+Negern angenommen, als die moralischen Vorschriften besser mit den
+alten hergebrachten Leben harmoniren, überdies die den Mohammedanismus
+predigenden Lehrer gleich Sitten und Gebräuche der Schwarzen selbst
+annehmen, und nur die Formen und äußeren Gebräuche ihres Glaubens
+verlangen. Außerdem predigt der Islam Hochmuth. "Sobald ihr Gläubige
+seid, steht ihr über Christen und Juden, ihr gehört dann zum
+ausgewählten Volke, ihr seid dann gut =par exellence=." Eine solche
+Lehre gefällt den unmündigen Negern. Es gefällt ihnen das weit besser,
+als: "Ihr könnt das Himmelreich nur durch Buße und Glauben gewinnen,
+Sünder bleibt ihr aber immer; seid demüthig, verachtet den Reichtum &c."
+Zudem ist der christliche Missionär in unseren Tagen nicht im Stande,
+auf das Niveau der Eingeborenen hinabzusteigen, während er ebenso wenig
+vermag, diesen zu sich heraufzuziehen, das heißt ihm die äußeren
+Annehmlichkeiten des Lebens zu bieten, unter denen er selbst seine
+Existenz hat. Wie kann ein armer Neger sich denken, daß die Lehre
+richtig sei, wo man ihm Verachtung des Reichthums, Mäßigung, Demuth und
+Buße predigt, und er dies von solchen Männern hört, die gut bekleidet
+sind, die schöne Häuser haben, Möbel besitzen, wie er sich sie nie
+anschaffen kann, und über Geld in Hülle und Fülle (nach den Anschauungen
+der Neger) gebieten? Denn wenn auch nach europäischen Begriffen die
+Missionäre nicht allzuglänzend und reich ausgestattet sind, so sind sie
+es doch den Eingeborenen gegenüber. Ganz anders tritt der Mohammedaner
+auf: er hat nicht mehr als der Neger, er verdient seinen Lebensunterhalt
+durch seine Arbeit, durch Handel; der Eingeborene sieht, wenn der
+mohammedanische Lehrer zu Wohlstand kommt, woher und wie derselbe
+gewonnen ist. Kein mohammedanischer Apostel hat irgendwie Gehalt, er
+bekehrt, um einen neuen Gläubigen zu gewinnen, ganz aus eigenem
+Antriebe, ohne von einer Gesellschaft ermächtigt zu sein. Er glaubt auch
+nicht einmal, daß dies für ihn selbst ein großes Werk sei, er meint
+dadurch nur die Seele des Bekehrten gerettet zu haben, welche nun würdig
+ist, mit ihm nach dem irdischen Tode die verheißenen Freuden des
+Paradieses zu theilen.
+
+Die Zahl der Mohammedaner wird auf 4000 geschätzt, und scheint dieselbe
+noch fortwährend zuzunehmen.
+
+Was die Christen anbetrifft, so haben wir verschiedene
+Glaubensrichtungen in Lagos vertreten, und dies Nichteinheitliche der
+Lehre Jesu trägt gewiß dazu bei, bei Ausbreitung des Glaubens die
+Eingeborenen stutzig zu machen.
+
+Von den Protestanten finden wir die englische _high church_ durch die
+_church missionary society_ vertreten, etwa 1000 Seelen; die Wesleyaner
+etwa 700 Seelen, und amerikanische Baptisten etwa 30 Seelen. Die
+römisch-katholische Kirche ist hauptsächlich durch 3-400 sogenannte
+_emancipados_ (ehemalige Sclaven) aus Brasilien und Cuba repräsentirt.
+Die deutschen Protestanten halten sich zur Hochkirche. Im ganzen beläuft
+sich die Zahl der Christen in Lagos auf 3500. Für die Protestanten
+besteht ein Seminar mit einem weißen und einem schwarzen Lehrer und etwa
+20 Zöglingen; ein Mädcheninstitut unter einem weißen Lehrer und einer
+weißen und einer schwarzen Lehrerin mit etwa 20 Schülerinnen; vier
+gemischte Volksschulen mit 8 Lehrern und 430 Schülern; drei kleine
+Kinderschulen mit 5 Lehrerinnen und 320 Schülern. Die Wesleyaner haben
+außerdem eine Schule mit 3 Lehrern und 170 Schülern. Ueber die Schulen
+der römisch-katholischen Mission liegen keine numerischen Nachrichten
+vor.
+
+Die Mohammedaner sorgen für die Bildung ihrer Gläubigen durch Gebete in
+der Hauptmoschee, sie haben 12 bis 16 kleinere Betplätze, die zum Theil
+Medressen (Schulen) sind, in denen jedoch weiter nichts gelehrt wird,
+als mechanisch Koransprüche herzusagen. Fast mit Sicherheit kann man
+behaupten, daß die Lehrer selbst den Sinn der Sprüche und Gebete nicht
+verstehen. Nach den Begriffen der modernen Apostel des Islam ist das
+auch nicht nöthig, da Gott selbst Arabisch versteht, also wohl weiß, was
+die Gläubigen beten.
+
+Die Regierung besteht derzeit aus einem Gouverneur (von der
+Kriegsflotte), einem Colonialsecretär, einem Oberrichter (_high
+justice_), einem Ingenieur, einem Colonialarzt, einem Schatzmeister und
+zwei Polizei-Inspectoren mit 45 Constablern. Das Geschwornengericht ist
+aus Weißen und Schwarzen zusammengesetzt. Als Garnison steht in Lagos
+eine Compagnie westindischer schwarzer Soldaten, und in letzterer Zeit
+sind darunter als Ergänzung vorzugsweise Haussa-Leute aufgenommen
+worden. Außerdem steht der Regierung ein Kanonenboot I.M. der Königin zu
+Gebote. In Lagos residiren ein norddeutsches, ein französisches und ein
+italienisches Consulat.
+
+Während Lagos früher krumme, winkelige Straßen hatte, an beiden Seiten
+von Negerhütten besäumt, wird jetzt der Ort durch sehr breite, gerade
+Straßen durchzogen, die Nachts beleuchtet sind. Man unterscheidet vier
+Hauptstadttheile, Okofagi, Ologbowa, Offi und Egga. In letzterem
+befindet sich der Palast von König Docemo, der aussieht wie eine große
+Bude. Das Haus, welches der Gouverneur bewohnt, ganz aus Eisen errichtet
+und fertig von England gebracht, befindet sich, wie die meisten
+Wohnungen der Europäer, auf der der See zugekehrten Seite der Insel.
+Gleich daneben liegt die prachtvolle ehemalige O'Swaldische Factorei,
+die seit einigen Jahren in die Hände eines anderen Hamburger Hauses
+übergegangen ist.
+
+An öffentlichen Gebäuden erwähnen wir noch das Colonial-Secretariat, das
+neue, aus Backstein errichtete Rathhaus, in dem zugleich der Gerichtshof
+ist, eine Caserne mit Spitaleinrichtung, ein Colonial-Hospital mit 20
+Betten, das jedoch viel zu wünschen übrig läßt, ein Zollhaus mit Krahn,
+endlich 10 Kirchen für Protestanten und eine im Bau begriffene für
+Katholiken.
+
+Die Häuser der Europäer sind zweckmäßig und meist aus gebrannten Ziegeln
+aufgeführt und fast alle von kleinen Gärten umgeben. Cocospalmen,
+Brodfruchtbäume und Mangos gewähren Schatten; an wohlschmeckenden
+Früchten sind die Ananas von Lagos als ganz vorzüglich
+hervorzuheben.--Die Stadt hat außerdem mehrere kleine Dampfer, welche
+die großen Dampfschiffe und Segler, welche die Barre nicht passiren
+können, befrachten und ausladen, Hunderte von kleinen Schiffen, alle
+numerirt und den Eingeborenen gehörend, unterhalten den Verkehr mit dem
+Festlande, hauptsächlich mit der Stadt Ikorodu. Sehr angenehm für die
+Bewohner von Lagos ist, daß die Lagunen nicht nur äußerst fischreich
+sind, sondern jahraus, jahrein täglich so viel Austern und Granaten
+(_Crangon vulgaris_) gefangen werden, wie es die Bedürfnisse erheischen.
+Deshalb ist denn auch die Fischerei eine der Hauptbeschäftigungen des
+Volkes; aber außerdem finden wir alle Handwerker vertreten, als
+Schreiner, Maurer, Zimmerleute, Schneider, Schuster, Schmiede, Schlosser
+&c.
+
+Die Europäer sind fast durchaus Handelsleute; es giebt Engros-Häuser,
+sogenannte Factoreien, und Detailisten. Große Factoreien giebt es circa
+20, von denen die Hamburgische von O'Swald die bedeutendste war, die
+sogar der Factorei der West-African-Company den Rang abgelaufen hatte.
+
+Export und Import haben unter der englischen Regierung einen bedeutenden
+Aufschwung genommen, was natürlich auf die Einkünfte der Colonie
+bedeutend nachgewirkt hat. 1862 betrug die Einnahme 5000 Pfd. St., im
+Jahre 1867 schon 30,000 Pfd. St. Nach dem Blaubuche betrug 1867 der
+Werth der exportirten Waaren 51,313 Pfd. St., der Werth der importirten
+Gegenstände ist nicht angegeben, Lagos hatte aber 1868 an Zollgebühren
+(vom Export wird nicht gezollt) eine Einnahme von 35,000 Pfd. St.[4],
+aus anderen Quellen noch 4000 Pfd. St., also im Ganzen fast 40,000 Pfd.
+St.
+
+Exportirt wird hauptsächlich Indigo, Grundnüsse (=Arachis=),
+Elfenbein, Mais, Baumwolle (1867 für 7112 Tons, die Tonne zu 2000
+Pfund), Goro- oder Kolanüsse[5], welche nach Brasilien und Sierra Leone
+verschickt werden, endlich Oel- und Palmnüsse. Oel wurde 1867 im Gewicht
+von 12,414 Tonnen, Nüsse 9600 Tonnen exportirt. Die Nüsse wurden im
+Anfang gar nicht benutzt, es ist das Verdienst der O'Swald'schen
+Factorei, dieses Product der _Elaeis guineensis_ zuerst ausgenützt zu
+haben. Die Nuß enthält nämlich bedeutende Mengen von Stearin, das Oel
+wird zum Schmieren und zur Seifefabrikation benutzt.
+
+Man führt ein: Cawries (=kauri, kungena, kerdi, eloda-Cypraea moneta
+L.=), jene kleinen Muscheln aus den ostindischen Gewässern, die als
+Scheidemünze dienen im größten Theil von Centralafrika, Rollen- und
+Blättertabak von Brasilien, Waffen, Pulver, Stabeisen, Messingdraht,
+Perlen, Spiegel, Messer, Manufacturen, Salz, Spirituosen. Von
+Spirituosen, Cawries und Tabak wird 6 Proc. Eingangszoll erhoben.
+
+Im Jahre 1873 arbeitete der Bürgermeister von Lagos, Mr. Goldsworthy,
+zusammen mit dem Gouverneur Herrn Glover, um neue Handelsstraßen nach
+dem Innern zu eröffnen. Im vergangenen Jahre machte Goldsworthy eine
+Reise von 200 englischen Meilen in nordöstlicher Richtung und berührte
+dabei die Gebiete von Ikale, eine wald- und sumpfreiche Gegend mit
+einzelnen angebauten Strichen, und von Onodo, einer Hügelkette längs
+der Küste und von Ife berührt. Es gelang ihm, die Kämpfe zwischen
+einzelnen Stämmen zu beendigen und wahrscheinlich auch das Efou-Gebiet
+durch eine neue Handelsstraße zu eröffnen.
+
+Werfen wir schließlich einen Rückblick auf Lagos, heute die volkreichste
+Stadt an der ganzen Westküste von Afrika, so bemerken wir, daß der Ort
+hauptsächlich unter der freisinnigen englischen Administration rascheren
+Aufschwung genommen hat wie andere Punkte in Afrika. Selbst das Klima
+scheint sich durch gute sanitätspolizeiliche Maßregeln, als Erweiterung
+der Straßen, Pflasterung der Wege, Ausrottung der nächsten Dschengel-und
+Mangroven-Büsche verbessert zu haben; in früheren Jahren trafen auf die
+weiße Bevölkerung wenigstens 20 Todesfälle, in den letzten Jahren ist
+das Verhältniß jedes Jahr günstiger geworden. 1869 ist, freilich wohl
+ausnahmsweise, nur Einer von der circa 100 Köpfe starken weißen
+Bevölkerung gestorben.
+
+Auch die Gesittung und Civilisation nimmt unter den Eingeborenen
+erfreulich zu. Wenn Europäer, und besonders die Missionäre, beherzigen
+wollten, daß ein Volk, welches seither fortwährend von der Cultur der
+civilisirten Völker abgeschlossen gewesen, von einem primitiven
+Standpunkte sehr schwer innerhalb einiger Jahre auf eine solche
+Culturstufe gebracht werden kann, wozu wir selbst fast 2000 Jahre
+gebraucht haben, so würden sie langsamer vorgehen und mehr Geduld haben
+mit ihren Civilisationsbemühungen. Wenn man die heutigen Neger
+betrachtet, namentlich die Bewohner jener großen Reiche Centralafrika's,
+und vergleicht den Zustand dieser Völker und Länder mit jenen von
+Europa vor circa 2000 Jahren (natürlich Griechen und Römer ausgenommen),
+so wird jeder Mensch, der unbefangen urtheilt, sagen: der Vortheil ist
+hier auf Seiten der Schwarzen. Die großen Staaten Bornu, Sokoto und
+Gando &c. legen glänzendes Zeugniß ab, wie weit ohne europäische
+Einflüsse die Neger fähig sind, sich zu civilisiren, und General
+Faidherbe hat gewiß nicht Unrecht, wenn er die Schwarzen als für
+Civilisation empfänglicher hält, als Berber und Araber.
+
+Aber trotzdem und trotz vieler glänzenden Beispiele, die eben beweisen,
+daß selbst in kürzester Zeit der Neger bei sorgfältiger Erziehung sich
+vollkommen mit dem Weißen gleichzustellen weiß (ich erinnere nur an
+Bischof Crowther, an Senator Revels, welcher Letztere jüngst im Senate
+der Vereinigten Staaten seine erste Rede, die als oratorisches
+Meisterwerk dasteht, gehalten hat), wage ich nicht zu behaupten, daß die
+Neger eine Zukunft vor sich haben; sie werden am Ende von den Weißen
+absorbirt werden.
+
+Wir sehen in Centralafrika, daß die Pullo, welche sich als herrschendes
+Volk große Negerreiche unterworfen haben, heute, nach noch nicht 100
+Jahren, vollkommen von den Negern assimilirt worden sind. Obschon die
+Pullo noch die herrschenden sind, auch ihre Pullo-Sprache noch reden,
+sind sie fast ganz schwarz geworden und alle reden heute neben ihrem
+Pullo die Sprache der Stämme, über welche sie herrschen. Ebenso haben
+die Araber in Centralafrika, z.B. die Schoa, fast nur noch ihre Sprache
+erhalten. Und so wird es den Negern ergehen den Weißen gegenüber, wenn
+sie nicht durch eine zu rasch mit ihnen vorgenommene
+Civilisationsmethode (namentlich durch unpassende Bekehrungsversuche)
+vorher ausgerottet werden. Ist dies nicht der Fall, so werden sie
+langsam verdrängt werden von den Weißen, wenn sich einmal für diese das
+Bedürfniß herausstellen sollte, Afrika so ernstlich in Angriff zu
+nehmen, wie man es mit Amerika und jüngst mit Australien gethan hat.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 2: Hunderttheilig.]
+
+[Footnote 3: Rheinwein wird von den Engländern meist als Schaumwein
+getrunken.]
+
+[Footnote 4: Fast Alles zahlt 4 Proc. nur einige Artikel 6 Proc.]
+
+[Footnote 5: Als ich 1867 von Lagos nach Europa zurückkehrte, gelang es
+mir, Goro-Nüsse ganz frisch heimzubringen. Unser nun verewigter Liebig,
+dem ich dieselben zur Untersuchung einschickte, fand die Nüsse sehr
+reichhaltig an Coffein; außerdem gelang es ihm, im botanischen Garten zu
+München aus einer der Nüsse einen Baum heranzuziehen, der im vorigen
+Sommer schon eine Höhe von 5 Fuß erreicht hatte und laut eines Briefes
+vom 9.d.M. von Liebig fortfährt, sehr gut zu gedeihen.]
+
+
+
+
+4. Das Gora-Gebirge in Central-Afrika.
+
+
+Einer der wichtigsten Gebirgsstöcke im bekannten Centralafrika ist das
+Gora-Gebirge, denn hier ist die Wasserscheide zwischen dem Tschad-See
+einerseits und dem mächtigen Niger andererseits. Zudem entspringt hier
+der Gongolafluß, einer der bedeutendsten Nebenflüsse des Bénue, sowie
+eine Menge kleinere Flüsse, die direct in den Bénue (dieser ist der
+bedeutendste Nebenfluß des Niger, und vielleicht ebenso bedeutend als
+dieser) sich werfen.
+
+Das Gora-Gebirge erreicht eine absolute Höhe von mehr als 7000 Fuß und
+besteht seiner Hauptmasse nach aus Granit, doch sind an den unteren
+Abhängen auch alle anderen Gesteinsarten vertreten. Das Gebirge scheint
+sehr mineralisch zu sein, die Bewohner haben Antimon-, Zinn- und
+Eisenminen; über das Vorkommen von Gold ist den Eingebornen indeß nichts
+bekannt, noch weniger läßt sich sagen, ob Silber vorhanden sei, welches
+überhaupt in Centralafrika noch nicht gefunden worden ist. Der Boden
+besteht fast durchweg aus einem festen röthlichen Lehm und Thon, doch
+sieht man mitunter auch ausgedehnte Strecken mit schwarzem Humus
+bedeckt. Die hervorragendsten Berggipfel sind der Saranda, westlich von
+Bautschi (Jacoba) gelegen, der Goa- und der Gora-Knotenpunkt, von dem
+das ganze ausgedehnte Gebirge seinen Namen hat, und von dem die Wasser
+hauptsächlich entspringen, welche dem Niger, Bénue und dem Tschad
+zueilen.
+
+Was Naturschönheiten anbelangt, so wird es kaum ein Gebirge geben,
+welches hierin die Goraberge übertrifft. Ueberall bewaldete Höhen, oft
+steil emporragende Felsen, rieselnde Bäche, spritzende Wasserfälle,
+herrliche Steilschluchten. Hie und da wieder ein Stück Ackerland um
+kleine Ortschaften herumliegend, üppige Gärten mit Bananen, Gundabäumen,
+Erdnüssen und einigen Gemüsen--dies das Gesammtbild, wie sich das
+Gora-Gebirge dem Wanderer zeigt. Ja, wenn nicht die eigenthümlichen
+konischen Dächer der Hütten, welche jene Negerdörfer zusammensetzen,
+wenn nicht bei näherer Betrachtung die einzelnen Bäume der dichten
+Wälder, wenn nicht hie und da die schwarze Gestalt eines mit Bogen und
+Pfeil bewaffneten Eingeborenen einen daran erinnerten, daß man sich
+zwischen dem 9. und 11. Grade N. Br. befände, so würde man eher glauben,
+in einer üppigen europäischen Gebirgslandschaft zu sein, als in einer
+afrikanischen Tropengegend.
+
+Bis auf den Kamm des Gebirges hat man es meist mit denselben Bäumen zu
+thun, wie sie in Bornu vorkommen, aber darunter befinden sich manche
+fruchttragende, die in den Tschadebenen nicht vorkommen. Auf der
+westlichen Seite treten hingegen die Baumarten in den Vordergrund, wie
+sie das Nilthal vorzugsweise aufweist, und namentlich sind es
+ausgedehnte Wälder des Butterbaumes, _Bassia Parki_, die nun
+vorherrschen. In den niederen Theilen zeigen sich Bananen und der
+herrliche Gunda-Baum überall wild. Indigo, zum Theil wild, Baumwolle und
+Tabak gezüchtet, kommen allerwärts vor. Der Wald liefert die
+Yams-Wurzeln, die auch gebaut werden, ebenso pflanzen die Eingeborenen
+in ihrem Garten Ingwer, verschiedene Zwiebeln, Erdnüsse und Kohlsorten.
+
+In einer so üppigen Gegend ist natürlich die Thierwelt sehr reich
+vertreten: die niedere sowohl wie die geflügelte zeigt dem Europäer auf
+Schritt und Tritt Neues. Reißende Thiere, namentlich Panther und
+Leoparden, sind in den Schluchten der Berge nichts Seltenes, doch sind
+sie keineswegs so häufig, daß dadurch irgendwie die Sicherheit der
+Reisenden gefährdet würde.
+
+Sehr zahlreich sind allerdings die Hyänen und Büffel vertreten; Giraffen
+kommen hier im Gebirge nirgends vor; Elephanten, Nashörner und
+Flußpferde treten erst am Bénue und Niger auf; ebenso fehlt hier der
+Gorilla-Affe, nur Paviane und Hundsaffen sind in erstaunlicher Menge
+vertreten. Wie überall, wo das Land von Ameisen beherrscht wird, ist
+auch der Ameisenbär anzutreffen, und jene ungeheueren Thonpyramiden,
+welche man über das ganze Land zerstreut sieht, sind oft von der Kralle
+des Ameisenbärs angebohrt. Diese Pyramiden, von denen auch schon durch
+Photographie fixirte Ansichten existiren, verleihen der Landschaft einen
+eigenthümlichen Reiz. Man beobachtet welche von einer Höhe von über 20
+Fuß.
+
+Die Bewohner des Gora-Gebirges sind echte Neger und gehörten ehedem zum
+großen Reiche der Haussa-Neger. Bei der Invasion der Pullo wurden sie
+unterjocht, und jetzt bildet das Gora-Gebirge einen Theil des
+Kaiserreichs Sokoto. Zum Theil gehört es zu den Königreichen Bautschi
+und Kano, zum Theil zu denen von Saria und Keffi-abd-es-Senga, welche
+alle dem Kaiser von Sokoto unterthan sind.
+
+Mit Ausnahme der Städtebewohner gehen alle Eingeborenen vollkommen nackt
+und sind Heiden. Die Frauen tragen Ringe und Spangen um Arme und
+Fußknöchel, jedoch durchbohren sie die Ohrlappen nicht wie die
+europäischen Frauen, ihr Haar tragen sie ohne Schmuck und kurz
+abgeschnitten, während die Männer es nach Art der Bornu-Frauen helmartig
+zu einem Wulst zusammenwachsen lassen. Um den Leib tragen die Frauen
+einen Ledergurt der vorn und hinten mit Blättern behangen wird, um damit
+die Blößen zu bedecken; die Männer tragen ein Schurzfell, oft kunstvoll
+gestickt und mit vielen kleinen Muscheln geschmückt. Die Männer sind
+immer bewaffnet: ein Bogen, ein Köcher mit vergifteten Pfeilen und oft
+ein gerades, in Hagen oder Solingen verfertigtes Schwert macht ihre
+Rüstung aus.
+
+Ihre Religion ist Fetischdienst, obschon die über sie herrschenden Pullo
+den Islam angenommen haben. Aber obgleich sie Heiden sind, stehen sie
+keineswegs auf einer ganz niederen Stufe der Cultur; ihre Hütten sind so
+regelmäßig und gut angelegt, daß man ihnen gewissermaßen Sinn für
+Architektur und Geschmack nachsagen muß; der Boden ist eine Art Mosaik,
+welcher von den Frauen eingegossen und festgeklopft wird. Ihre
+Hauseinrichtungen, was Töpfe, Holzschnitzereien und andere Gegenstände
+anbetrifft, sind kunstvoll und mit Eleganz gearbeitet, ihre Werkzeuge
+verfertigen sie selbst aus Eisen. Um im Winter auf den höher gelegenen
+Bergtheilen sich besser gegen die Kälte schützen zu können, haben sie
+in ihren Hütten eigene thönerne Feuerbetten angebracht. Dieselben
+bestehen aus thönernen Bänken, die inwendig hohl sind; hierin wird Feuer
+gemacht und so gewähren sie dem darauf liegenden, der die schroffe Hitze
+durch Felle und Matten dämpft, eine angenehme Wärme.
+
+Einer der Hauptstämme ist der der Bolo-Neger, aber je mehr man nach dem
+Süden kommt, desto verschiedener werden die Bewohner, was Sprache
+anbetrifft, und fast täglich hat man einen anderen Stamm vor sich. Schon
+der Umstand, daß sie mich als ersten Weißen unbehelligt ihr Gebirge
+durchziehen ließen, spricht zu ihren Gunsten. Allerdings machte auf sie
+das Erscheinen eines Weißen den größten Eindruck, und sie bekundeten das
+dadurch, daß häufig Männer und Frauen herbeikamen, um mich zu befühlen,
+ob ich auch wirklich aus Fleisch und Blut sei, oder daß die ganze Jugend
+eines Ortes hinter uns drein zog und "=Thoraua, Thoraua=" (Weißer,
+Weißer) rief; aber nirgends war irgend von einem feindseligen Worte,
+geschweige einer beleidigenden Handlung gegen mich die Rede. Im
+Gegentheil, oft gab man mir zu verstehen, ich möchte doch bald nach
+ihren Gegenden zurückkommen.
+
+
+
+
+5. Höflichkeitsformen und Umgangsgebräuche bei den Marokkanern.
+
+
+"Es ssalamu alikum" ist die allgemeine Begrüßung der Gläubigen, der
+Araber, und folglich aller Marokkaner, die der allein seligmachenden
+Kirche Mohammeds anhängen. "Alikum ssalam" ist die Antwort. Beiderseits
+muß der Gruß immer mit sichtbarem Ernste, mit einer gewissen
+Feierlichkeit ausgesprochen werden; ein freundlich lächelndes Gesicht
+würde man für ganz unpassend halten.
+
+Wie die mohammedanische Religion am Ende weiter nichts will, als die
+ganze Menschheit unter _einen_ religiösen Hut bringen, und dies dadurch
+zu erreichen hofft, daß sie jeden anderen glauben als absolut falsch
+verwirft, so hat dieselbe auf alle Völker, die den Islam bekennen, einen
+merkwürdig nivellirenden Einfluß ausgeübt. Und wie hauptsächlich Gewicht
+auf das _wörtliche Glaubensbekenntniß_ gelegt wird und eine
+fortschreitende _Entwickelung_ in der Religion auf's Strengste verpönt
+ist, so sehen wir, daß alle den Islam bekennenden Völker dahin gekommen
+sind, wohin der Buchstabenglaube führt: zur offenen Heuchelei,
+Scheinheiligkeit und zu einer entsetzlichen Verdummung und Verthierung
+des Volkes.
+
+Durch Alles, was die mohammedanischen Völker thun und reden, zieht sich
+immer ein heuchlerischer, muckerhafter und pharisäischer Hauch, auch in
+Höflichkeiten. Der durch den Gebrauch Mohammed's geheiligte Gruß: "Der
+Gruß (Gottes) sei mit Euch" wird daher auch nie an Ungläubige
+verschwendet. Ein ächter Mohammedaner würde glauben, ewig verdammt zu
+werden, wenn er hierin nicht einen strengen Unterschied machte. Tritt er
+in eine Versammlung, wo Juden und Christen zugegen sind, so unterläßt er
+nie zu sagen: "=Ssalam-ala-hali=," Gruß meinen Leuten, oder will er
+den Unterschied noch mehr hervortreten lassen, so sagt er:
+"=Ssalam-ala-hal-es-ssalam=," Gruß den Leuten des Grußes, d.h. den
+Mohammedanern, da selbstverständlich den ungläubigen Hunden kein Gruß
+zukommt. Oder auch man sagt. "Gruß Denen, welche die Religion befolgen,"
+womit selbstverständlich die allein seligmachende Religion des Islam
+gemeint ist, alle anderen Religionen, die christliche, die jüdische &c.,
+führen den Menschen direct vom Diesseits in die Hölle.
+
+Will ein Marokkaner recht höflich gegen einen Christen oder Juden sein,
+d.h. ihn beim Begegnen zuerst anreden, so sagt er wohl:
+"=Allah-iaunek=," Gott helfe dir, oder auch: Gott gebe dir zu
+essen. Nie aber würde er einen Glaubensgenossen so anreden, denn Alles,
+auch die Höflichkeitsbezeigungen, sind streng vorgeschriebene
+Redensarten und Handlungen.
+
+Und es ist eigenthümlich: während äußerlich eine gewisse Gleichheit der
+Menschen zu existiren scheint,--denn der ärmste Mann im Lande ist nicht
+sicher, eines Tages zum ersten Minister oder gar zum Sultan, zum Chalif
+(des gnädigen Herrn Mohammed) gemacht zu werden,--herrscht dennoch ein
+strenger Unterschied in den Förmlichkeiten und Gebräuchen des Umgangs
+zwischen Hohen und Niedern, zwischen Armen und Reichen, zwischen
+Schriftgelehrten und Laien, zwischen Schürfa[6] und anderen gewöhnlichen
+Sterblichen. Ist es nicht ähnlich so in der päpstlichen Kirche? Der
+Sultan von Marokko betrachtet sich als den rechtmäßigen Nachfolger
+Mohammeds, als seinen Verweser auf Erden. Seiner Idee nach gehört von
+Rechtswegen die ganze Erde ihm: "Jeder kann Sultan oder Beherrscher der
+Gläubigen werden, vornehmlich aber die vom Blute Mohammeds"[7]. Der
+Papst andererseits betrachtet sich als rechtmäßigen Nachfolger Petri
+(oder als Stellvertreter Jesu Christi, d.h. eigentlich Gottes), seiner
+Meinung nach gehört von Rechtswegen die Herrschaft über die ganze Erde
+ihm, jeder kann Papst werden, der den Laienstand mit dem schwarzen
+Gewande vertauscht; wie der Sultan von Marokko, behauptet er, nicht
+fehlen zu können. Wo ist da der Unterschied vor dem _unparteiischen_
+Menschen? Aber eben so groß, wie er in der päpstlichen Kirche zwischen
+dem mit dreifach goldener Krone bedeckten Papste und dem einfachsten
+Priester der Kirche oder gar dem Bettler ist, so groß ist auch der
+Abstand zwischen dem von seinen tausend Weibern umgebenen Sultan und dem
+ärmsten Faki des mohammedanischen Reiches.
+
+Wie es bei uns verschiedene Anreden giebt, so auch bei den Marokkanern.
+Der Sultan hat den Titel _Sidina_, unser "gnädiger Herr"; der Scherif,
+d.h. ein Nachkomme Mohammeds, den Titel _Sidi_ oder _Mulei_, d.h. mein
+Herr; eine Scheriffrau den Titel _Lella_; einen andern Menschen redet
+man mit _Si_, _Herr_, an, welches Si dem Namen vorgesetzt wird, _aber
+nur, wenn er lesen und schreiben kann_. Andere ganz gewöhnliche Menschen
+nennt man einfach bei Namen, sowohl Männer und Frauen, wie Kinder. Will
+man solche rufen, so kann man ohne zu verstoßen, falls der Mann
+unbekannt ist, sagen: =ia radjel=, o Mann; =ia marra=, o Frau;
+=ia uld=, o Sohn; =ia bent= oder =ia bekra=, o Tochter, o
+Jungfrau.
+
+Man muß sich wohl hüten, in Marokko den Titel _Sidi_, mein Herr,
+gewöhnlichen Menschen zu geben, nur die Juden müssen alle Gläubigen so
+anreden. Auch die Minister, Agha, Kaid, Mufti, Kadi, Imam u.s.w. haben,
+falls sie nicht Schürfa sind, kein Recht auf den Titel Sidi.
+
+Beim _Begrüßen_ sagt man bis Mittag: Dein Tag sei gut; von Mittag bis
+Abend: Dein Abend sei gut. Zu jeder Stunde kann man sagen: Sei
+willkommen.
+
+Wenn auch vollkommen Unbekannte beim ersten Anreden sich duzen, so ist
+das Duzen doch nicht ausschließlich im Gebrauch. Es würde unschicklich
+sein, den Sultan anders anzureden, als in der zweiten Person Pluralis,
+ebenso lieben es auch vornehme Personen, namentlich Religionsmänner,
+sich in der zweiten Person Pluralis anreden zu lassen. Auch Kinder
+pflegen ihre Eltern mit "Ihr" anzureden. Der gebräuchlichste Gruß,
+=es ssalamu alikum=, ist ebenfalls in der zweiten Person Pluralis.
+
+Da eine Begrüßung zwischen Leuten, die sich seit Langem nicht gesehen,
+immer unendlich lange dauert, manchmal eine halbe Stunde, so hat man die
+verschiedensten Redensarten, um sich nach dem wechselseitigen Befinden
+zu erkundigen., "Wie ist dein Zustand?" "Wie ist deine Zeit?" "Wie bist
+du?" "Wie ist dein Wie?" "Wie bist du gemacht?" u.s.w. Alle diese
+Redensarten werden mit monotoner Stimme wiederholt und man hat wohl
+Acht, dieselben mit häufigen "Gott sei gelobt", "o gnädiger Herr
+Mohammed" zu untermischen. Je öfterer man Letzteres thut, desto besser
+und frommer glaubt man zu sein und für desto heiliger wird man gehalten.
+
+Es würde ein großes Verbrechen sein, bei den Leuten arabischen Blutes
+sich nach dem Befinden der Frau des Anderen zu erkundigen. Und wenn sie
+am Rande des Grabes stände, dürfte man das nicht direct thun. Selbst der
+Vater, der Bruder würde es nicht für decent halten, seinen
+Schwiegersohn, seinen Schwager ohne Umschweife nach der Gesundheit
+seiner Tochter, seiner Schwester zu fragen.
+
+Da aber der Marokkaner ebenso gut den Trieb der Neugier besitzt, wie
+wir, so braucht er dann allerlei Umwege, um sich nach dem Befinden einer
+Frau zu erkundigen: "Wie befinden sich Adams Kinder?" d.h. alle
+Menschen, die Frauen also auch; oder: "Wie geht es dem Zelte?" d.h. mit
+Allem was darin ist; oder: "Wie geht es der Familie?"--"Wie befinden
+sich deine Leute?" u.s.w.
+
+Der _Kuß_ ist allgemein verbreitet. Dennoch kennt man nicht den Kuß der
+Liebe: den auf den Mund. Man begegnet einander, ergreift die Rechte,
+ohne sie zu drücken, und küßt sodann seinen _eigenen_ Zeigefinger. Will
+man über die Begegnung recht seine Freude ausdrücken, so wird diese
+Procedur sechs- bis achtmal wiederholt. Ein Untergebener küßt einem
+Vornehmen den Saum seines Kleides oder ist dieser zu Pferde, das Knie,
+die Füße; ist der zu Begrüßende ein großer Heiliger, so kann man auch
+dessen Pferd oder irgend einen beliebigen ihm gehörigen Gegenstand
+küssen.
+
+Weiß der Vornehme oder der Heilige, daß der Begrüßer Geld hat oder Geld
+schenken will, so giebt er wohl seine Hand zum Küssen, legt dieselbe
+segnend auf den Kopf oder wehrt die demüthige Geberde des Begrüßers mit
+Worten ab. Ist ein Untergebener zu Pferde, so steigt er schon von Weitem
+ab, um einen höher Stehenden zu begrüßen. Zwei Gleiche küssen sich wohl
+die Wangen, und will ein Vornehmer oder ein Heiliger Jemand besonders
+auszeichnen, so küßt er diesem die Stirn. Kommt ein Vornehmer, so
+erheben sich alle Anwesenden und verbeugen sich mit vor der Brust
+gekreuzten Armen. Vor dem Sultan, vor dem Großscherif kann man sich auch
+auf die Erde werfen, wie beim Gebet, und die Stirn auf den Boden
+drücken: "=Allah-itohl-amreck=!" Gott verlängere die Existenz
+deiner Seele, ruft man.
+
+Der Marokkaner verläßt eine Versammlung ohne Gruß; nur wenn er auf
+längere Zeit verreisen wollte, würde er es für nöthig halten, sich
+förmlich und durch Worte zu verabschieden. Ist aber ein sehr vornehmer
+Mann, ein Heiliger in der Versammlung, so geht man zu ihm, küßt seine
+Knie, seine Hand oder den Saum seines Kleides und verabschiedet sich
+dann, ohne ein Wort zu sagen.
+
+Schon an anderen Orten ist darauf hingewiesen worden, wie die
+marokkanische Geistlichkeit, wenn von einer solchen die Rede sein kann,
+ebensoviel auf äußere Ehrenbezeigungen hält, wie die der europäischen
+Christenheit. Wenn es auch dort nicht Sitte ist, daß sie sich kenntlich
+macht von den Laien durch besondere Tracht (schwarzer Anzug, weiße
+Cravate), so liebt es doch Jeder, der sich vorzugsweise dem Studium der
+Religion hingiebt, daß man ihn zuerst grüßt, daß er den Ehrenplatz
+erhält und daß man auf ihn die meiste Rücksicht nehme. In einem so durch
+die Religion fanatisirten Lande ist es daher jedem Reisenden dringend
+anzurathen, sich mit dieser Klasse von Menschen gut zu stellen, und da
+die mohammedanische Geistlichkeit ebenso wie die christliche besondere
+Vorliebe für Geld hat, weil dieses als die erste Bedingung zur
+Herrschaft erscheint, so ist es wohl gerathen, den frommen Leuten davon
+soviel wie möglich zukommen zu lassen. Wie richtig handelte z.B. Ali Bey
+in dieser Beziehung bei seinen Reisen durch Marokko.
+
+Alle Höflichkeitsbezeigungen in Marokko müssen in fromme Redensarten
+gekleidet sein. =Allah-iatik-ssaha, Allah-iaunik=, Gott gebe dir
+Kraft, Gott helfe dir, ruft man einem Arbeitenden zu, und wenn einer
+niest, so rufe ihm ein =Nedjak-Allah=, Gott rette dich, zu; der
+Niesende dankt mit "=R'hamek-Allah=", Gott sei dir gnädig.
+
+Eine Sitte oder vielmehr Unsitte existirt, die man in Europa auf's
+Höchste anstößig finden würde: das laute Aufstoßen während des Essens
+und gleich hernach. Der Aufstoßende ruft dann selbstgefällig
+"=Stafhr-Allah=", Gott verzeih' es, oder "=Hamd-Allah=". Gott
+sei gelobt. Er betrachtet das als Zeichen, daß der Appetit jetzt
+gestillt sei, und ebenso fassen die Mitessenden es auf, die ihn
+vielleicht heimlicherweise um dies seh- und hörbare Zeichen seines
+gesunden Magens beneiden. Jedes Essen, jeder Trunk wird begonnen, wie
+überhaupt Alles was man unternimmt, mit =Bsm-Allah=, im Namen
+Gottes. Und es würde vollkommen gegen alle Sitte sein, _aufrecht
+stehend_ zu essen oder zu trinken. Dem Trinkenden wird ein:
+"=Ssaha=", Gesundheit, zugerufen.
+
+Es würde nicht nur ein Verstoß gegen den guten Anstand sein, wollte man
+mit der linken Hand essen, sondern auch den Religionsvorschriften
+entgegen sein. Die linke Hand, welche zu gewissen Ablutionen benutzt
+wird, gilt für unrein, nur der _Teufel_, der sich aus religiösen
+Vorschriften nichts macht, bedient sich seiner Linken. Man darf sich bei
+dem _Essen_ nie des _Messers_ bedienen, namentlich das Brod darf _nicht
+geschnitten_, sondern muß _gebrochen_ werden. Vor und nach dem Essen muß
+man sich die Hände und nach dem Essen die Hände und den Mund ausspülen,
+aber sorgfältig darauf achten, daß das zum Mundausspülen benutzte
+_Wasser nur aus der hohlen Hand_, nicht aus einem Gefäße genommen wird.
+Zum Reinigen des Mundes bedient der wohlerzogene Mann sich nur des
+Daumens und Zeigefingers seiner Rechten. Man soll nicht zu schnell
+essen, und Derjenige, der einen Vornehmen oder höher im Range Stehenden
+bei sich empfängt, darf sich nicht mit an die Schüssel setzen, sondern
+muß durch Aufwarten seine Sorgfalt für den Besuch bekunden. Der
+Besuchende selbst würde sehr gegen die Lebensart verstoßen, wollte er
+sich um seine Bagage oder um seine Diener bekümmern. Daß diese in Obhut
+genommen, daß die Dienerschaft mit Speise und Trank versehen, daß die
+Thiere abgefüttert werden, darf ihn nicht kümmern, es ist das Sache des
+Wirthes. Präsentirt man dir eine Tasse Thee oder Kaffee, so trinke sie
+nicht rasch aus, sondern nimm das Getränk _schlürfend_ zu dir; wenn du
+beim Speisen bist, so unterlasse es nie, die Hinzukommenden zum Mitessen
+einzuladen, und diese, falls sie gleiches Ranges sind, erzeigen sich als
+wohlerzogene Leute, wenn sie wenigstens einen _Bissen_ mitessen, selbst
+wenn sie satt sind. Sind sie aber niederer Herkunft, so dürfen sie das
+Anerbieten nicht annehmen; sind sie hungrig, so erfordert es der
+Anstand, sich zu setzen und zu _warten_, bis man ihnen die Ueberreste
+reicht.
+
+Gewisse Gebräuche, als von den unseren abweichend, sind noch besonders
+hervorzuheben:
+
+Man darf keinen brennenden Spahn mit dem Hauche auslöschen, sondern nur
+durch Hin- und Herfahren durch die Luft. Wenn man Feuer verlangt zu
+einer Pfeife oder um Etwas anzuzünden, so sage man nicht: "gieb mir
+Feuer," "=attininar=", denn "=nar=" bedeutet auch das
+höllische Feuer, sondern man sagt: "=attini-l'afiah=". Das Wort
+"=l'afia=" bedeutet Leben, Gesundheit und Feuer, oder
+"=attini-djemra=", gieb mir eine Kohle.
+
+Höchst unanständig würde es sein, _aufrechtstehend_ ein Bedürfniß zu
+verrichten, man muß das in hockender Stellung thun und hernach die
+Ablution nicht verabsäumen, oder wo Wasser fehlt, die Ablution durch
+Sand vollziehen.
+
+Man vermeide, mit Schuhen ein Zimmer oder gar eine Moschee zu betreten;
+an der Schwelle der Thür müssen sie zurückgelassen werden. Sobald man
+Jemand auf der Straße anreden will und hat ihm etwas Ausführliches zu
+sagen, dann bleibe man nicht stehen, sondern hocke nieder, _denn im
+Stehen lange zu sprechen ist unanständig_.
+
+Einen Bittenden muß man nie durch eine _abschlägige_ Antwort beleidigen;
+"=in-schah-Allah=," so Gott will, sagt man, oder ist der Bittende
+zudringlich: "=Rbi-atik=", Gott wird _dir_ geben; ein guter
+Mohammedaner darf keinen Zweifel an der Großmuth Gottes hegen.
+
+Begeht man eine Ungeschicklichkeit, zerbricht oder wirft man aus
+Versehen Etwas um, _so verflucht man zuerst den Teufel_, denn der ist
+die Ursache alles Uebels; erst dann sagt man: "=smah-li=", verzeih
+mir, "=ma-fi-schi-bass=", ist kein Uebel dabei, erwiedert der
+Besitzer _laut, innerlich_ aber den Urheber und Teufel zum Teufel
+wünschend. Sehr bequem für alle Unfälle sind auch die Redensarten:
+"=Mektub-Allah=," es war bei Gott geschrieben, oder
+"=Hakum-Allah=," es war von Gott befohlen, oder wenn man einen
+lästigen Frager durch eine gerade Antwort nicht befriedigen will:
+"=Baid-alia, cha-bar-and-Allah=", das ist weit von mir, Gott weiß
+es, oder "=Arbi-iarf=," Gott weiß es.
+
+Hat man sonst nichts zu thun, stockt eine Unterhaltung, so ruft man
+einfach: =Allah= oder =Rbi=, d.h. Gott, _Meister_, oder
+=Allah-akbar=, Gott ist der Größte, oder man bezeugt, daß Gott ein
+einiger und Mohammed sein Gesandter ist, oder endlich, _man verflucht
+die Christen_. Grund und Anlaß zu diesen Reden brauchen nicht vorhanden
+zu sein, es gehört aber zum _guten Ton_, sie so oft wie möglich
+auszustoßen.
+
+Für eine empfangene Wohlthat muß immer gedankt werden, wäre sie auch
+noch so gering: =Allah-ikter-cheirek=, Gott vermehre dein Gut, oder
+=Allah-iberk-fik=, Gott segne dich.
+
+Auf das Versprechen eines Marokkaners ist nichts zu geben, wenn er auch
+von Höflichkeit überfließen würde und die heiligsten Eide, wie "beim
+Haupte des Propheten, bei Gott dem Allmächtigen" &c. geschworen hatte.
+Es erheischt dann aber auch die gute Sitte, daß man dergleichen Schwüre
+nicht genau nimmt, nicht daran erinnert.
+
+Ist man zum Besuche, so muß man sich ja hüten, die Gegenstände oder den
+Besitz des Wirthes zu loben, es könnte das den Verdacht erwecken, als
+wolle man Etwas geschenkt haben. Thut man es ja, so füge man immer
+hinzu: =Mabruk=. Lobt man z.B. ein Pferd: =mabruk el aud=, das
+Pferd möge dir glücklich sein, oder lobt man ein Kind: =Allah itohl
+amru=, Gott verlängere seine Existenz. Lobt man einen Abwesenden, so
+ist es höflich, wenn man seine Eigenschaften vergleicht mit denen
+Desjenigen, zu dem man spricht: "ich traf letzthin mit Mohammed Ben Omar
+zusammen, der ebenso viel Geist, ebensoviel Ueberlegung besitzt, _wie du
+selbst_." Ueberhaupt ist es Norm, Jedem die größten Schmeicheleien
+geradezu ins Gesicht zu sagen: "Bei Gott, wie geistreich du bist,
+Niemand ist, wenn es Gott gefällt, so großmüthig, wie du; ich habe, Gott
+stehe mir bei, noch keinen so guten Reiter gesehen, wie du einer bist"
+u.s.w. Der Geschmeichelte antwortet mit "=Kulschi-and-Allah=",
+Alles steht bei Gott, oder mit sonst einer frommen Redensart.
+
+Bei gewissen Ereignissen im menschlichen Leben haben die Marokkaner ihre
+unveränderlichen Höflichkeitsphrasen. Bei einer Verheirathung: "Gebe
+Gott, daß sie dein Zelt fülle" (mit Kindern). Wenn ein männlicher
+Sprößling geboren wird: "Das Kind möge dir Glück bringen." Zu einem
+Erkrankten: "Sorge nicht, Gott hat die Zahl deiner Krankheitstage
+gezählt;" zu Einem, der im Gefecht verwundet wurde: "Du bist glücklich,
+Gott hat dich gezeichnet, um dich nicht (beim jüngsten Gericht oder beim
+Eintritt ins Paradies) zu vergessen." Will man Jemand über den Verlust
+eines Angehörigen trösten: "Seit dem Tage, wo er empfangen wurde, stand
+sein Tod im Buche Gottes", oder: "es war bei Gott geschrieben."
+
+Ueber den Verlust der Frau tröstet man noch besonders mit: "Halt deinen
+Schmerz an, Gott wird diesen Verlust ersetzen."
+
+Alle diese Redensarten sind _unveränderlich_, wie bei uns "guten Tag",
+"wie gehts" &c. Die Marokkaner haben aber auch noch andere Mittel, um
+sich unbemerkt oder durch Zeichensprache ihre Gedanken mitzutheilen. Zum
+Beispiel in einer Versammlung wäre es vielleicht wünschenswerth, irgend
+Jemand über die Gesinnung oder Absicht dieses oder jenes aufzuklären. Er
+blinzelt ihm mit dem Auge zu, reibt die beiden Zeigefinger an einander,
+d.h. wir sind oder ihr seid Freunde und verstehen uns oder ihr seid
+Gesinnungsgenossen. Ein _kreuzweises Sägen der beiden Zeigefinger_
+würde Feindschaft andeuten. Dergleichen conventionelle Zeichen haben die
+Marokkaner sehr viele, wodurch sie reden können, ohne damit in eine
+allgemeine Unterhaltung eingreifen zu müssen. Und es wird keineswegs als
+ein Act der Unhöflichkeit betrachtet, sich solcher Zeichen zu bedienen.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 6: Nachkommen des Mohammed.]
+
+[Footnote 7: Sollte ja Einer auf den Thron kommen, der nicht Scherif
+wäre, so würde er kraft der Infallibilität, die jeder Sultan der
+Gläubigen besitzt, schon Papiere beibringen, um zu beweisen, daß er doch
+Mohammeds Blut in seinen Adern habe.]
+
+
+
+
+6. Beitrag zur Kenntniß der Sitten der Berber in Marokko.
+
+
+Die Berber, welche Nordafrika und besonders den nordwestlichen Theil des
+Atlas von Marokko bewohnen, haben mehr als andere dem Islam huldigende
+Völker ihre eigenen Sitten und Gebräuche beibehalten. Zum großen Theile
+ist die Gemeinsamkeit der Sprache Ursache dieser Eigenthümlichkeit; denn
+wie groß auch der Raum ist, den die Berbersprache einnimmt, vom
+atlantischen Ocean bis zum rothen Meere, so sind die Dialekte derselben
+keineswegs der Art, daß nicht eine Verständigung zwischen den
+verschiedenen Stämmen möglich wäre.
+
+Vorzugsweise finden wir aber Berber in Marokko, denn es dürften von der
+Gesammtbevölkerung des Landes zwei Drittel berberischen und nur ein
+Drittel arabischen Blutes sein: schlank von Wuchs, weiß von Hautfarbe,
+zeigen die Berber überhaupt alle die Merkmale, die wir gewohnt sind, der
+kaukasischen Race beizulegen; daß sie die Abkömmlinge der alten Mauren
+oder Numider sind, welche unter verschiedenen Namen, als Gätuler,
+Autolaler &c., fast dieselben Gegenden inne hatten, die wir heute von
+den Berberstämmen bewohnt sehen,--daran zweifelt Niemand.
+
+So finden wir denn auch heute die Berber so leben, wie sie es vor
+tausend Jahren gewohnt waren, d.h. ein Theil von ihnen wohnt in Städten,
+wenn man größere befestigte Ortschaften so nennen will, ein anderer
+Theil aber wohnt nomadisirend, wie das Mela am Schlusse seines dritten
+Buches schon hervorhebt: =hominum pars silvas frequentant et--pars in
+ubibus agunt=, und daß heute noch dieselben Verhältnisse in Bezug auf
+dies Land und diese Völker gang und gebe sind, daß wir auch heute kaum
+mehr vom Inneren Marokkos wissen, als unsere geistigen Vorfahren, die
+Griechen und Römer, das wird dann klar, wenn wir die Worte des Plinius
+unterschreiben: "ich wundere mich aber nicht sehr, daß Rittern und
+Denen, welche aus diesem Orden in den Senat traten, Manches unbekannt
+geblieben war; aber darüber wundere ich mich, daß es auch der Luxus
+nicht erforscht hat. Die Macht desselben ist die wirksamste und größte.
+Denn man durchsucht ja die Wälder um Elfenbein, und alle gätulischen
+Klippen um Stachel- und Purpurschnecken[8]."
+
+Ist es nicht, als ob dieser Passus heute geschrieben sei? Auch heute, wo
+der Luxus noch die größte Macht ist, ist es demselben nicht gelungen,
+Marokko der Civilisation zu öffnen, vielleicht aber auch, weil eben der
+rechte Luxusartikel, der gerade den Bewohnern genehm wäre, noch nicht
+gefunden worden ist.
+
+Der vor ohngefähr tausend Jahren den Berbern aufgedrungene Islam hat
+wenig, oder fast kann man sagen, gar keine Veränderungen in den
+Anschauungen und in der Lebensweise der Berber hervorgebracht. Die Lehre
+Mohammeds, _nur_ in der arabischen Sprache gelehrt, ist für diese
+Völker, von denen nur ausnahmsweise ein Individuum der Koransprache
+mächtig ist, ein todter Buchstabe geblieben; sogar die äußeren
+Vorschriften und Gebräuche, die der Prophet seinen Anhängern
+vorgeschrieben hat, sind für Berber nicht vorhanden.
+
+Nur Eins hat der Islam auch zur Folge gehabt, was ja überhaupt allen
+hierarchischen Religionen nur eigen ist und ohne das sie nicht würden
+existiren können: das Verdammen einer jeden anderen Religion und Haß und
+Verachtung gegen alle Die, welche nicht das glauben, was man selbst
+glaubt. Natürlich schließt das ein, daß man die eigne Lehre, den eignen
+Glauben für den allein richtigen und allein seligmachenden hält.
+
+Deshalb ist denn auch die Feindschaft, welche Berber gegen andere Völker
+hegen, fast nur eine aus der Religion entspringende; obschon sie nichts
+vom eigentlichen Islam verstehen, hassen und befeinden sie alle die
+Völker, die eine andere Religion haben.
+
+Es ist daher falsch, wenn Richardson und andere Reisende behauptet
+haben, daß die in Marokko unter den Berbern ansässigen Juden besser
+gehalten seien, als die unter den Arabern wohnenden. Die Unterdrückung
+derselben, ihre schimpfliche Stellung ist unter den Berbern ebenso groß
+und in die Augen springend, wie unter den Arabern.
+
+Was das häusliche Leben anbetrifft, so liegt zwischen Berbern und den
+übrigen Mohammedanern der wesentlichste Unterschied in der Stellung der
+Frau; aber auch in allen übrigen, die Sitten und Gebräuche betreffenden
+Dingen lassen die Berber bis zum heutigen Tage sich vielmehr vom
+_Herkommen_ leiten, als von den Gesetzen des Koran. Aus diesem haben sie
+eben nur _das_ angenommen, was ihrer Eitelkeit und Einbildungskraft
+schmeichelte. So pflegt denn auch die Heirath vollkommen nach dem
+Herkommen, el Ada genannt, stattzufinden. Indeß hat die Frau dennoch
+nicht die gleichberechtigte Stellung, wie sie die Frau heute bei _uns_
+einnimmt, sondern wird mehr als Eigenthum des Mannes, als etwas zum
+übrigen Vermögen Gehörendes betrachtet.
+
+In der Heirath _nach uraltem Brauche_, =Suadj el Djidi= oder
+Gaislein-Heirath, so genannt, weil das Schlachten eines jungen Zickleins
+die eheliche Verbindung besiegelt, verpflichtet sich der Gatte, dem
+Vater seiner Zukünftigen 60 Metkal zu zahlen. Hat er das Geld nicht
+disponibel, so zählt er auf seine Freunde, und am Schlachttage verfehlen
+diese auch nicht, sich einzustellen und Jeder legt dem Freier ein
+kleines Geschenk zu Füßen. Im Fall der Freier gar keinen Wohnsitz hat,
+beeilen sie sich, Steine herbeizubringen; ein Haus, wir würden sagen ein
+Stall, wächst schnell aus der Erde, schlanke Aloë-Stämme giebt es genug
+als Gebälk und die großen und langen Rindenstücke der Korkeiche bedecken
+die Wohnung. Wenn aber die zur Ehe Verlangte von den Angehörigen dem
+Freier aus irgend einem Grunde verweigert wird[9], dann müssen sie,
+falls der Liebende auf seinem Heirathsprojecte besteht, wohl aufpassen,
+daß sie ihm keine Gelegenheit geben, sich der Wohnung der Geliebten zu
+nähern. Thut und kann er das, gelingt es ihm, unvermerkt auf der
+Schwelle seiner Ersehnten ein Gaislein zu opfern, dann ist sie ohne
+Widerruf mit ihm verlobt und ihre Anverwandten würden sich der
+Mißbilligung, ja der Feindschaft Aller aussetzen, wollten sie jetzt noch
+der Heirath hemmend in den Weg treten.
+
+In einigen Triben ist es Sitte, daß die sich Vermählende vor der
+Hochzeit von ihren Verwandten auf einem Maulthiere durch das Dorf oder
+durch den Duar (Zeltdorf) geführt wird. Ueberall ertönt das gellende
+Geschrei und Gejauchze der Frauen, die jungen Leute lassen fleißig das
+Pulver sprechen. Vor jedem Hause, vor jedem Zelte, vor welchem sie
+vorbei kommt, beeilt man sich, eine kleine Gabe herauszutragen: hier
+sind in einem Strohteller große Bohnen, dort wird Gerste, hier werden
+trockene Feigen, dort Rosinen präsentirt. Die junge Dame nimmt von allen
+Sachen eine Hand voll, küßt sie und wirft dann das Ergriffene auf den
+Teller zurück. Aber hinterher schreitet irgend eine ihrer älteren
+Verwandten, die nun Alles in einen großen Sack einheimst: zur Aussteuer
+für die Neuvermählten.
+
+Sobald man sich der Wohnung oder dem Zelte des Gatten nähert, wird die
+Braut von anderen Frauen umringt, sie geben ihr einen Topf mit flüssiger
+Butter, in die sie die Hände tauchen muß als Zeichen des steten
+Ueberflusses im Haushalte, und sodann ein Ei, welches sie zwischen den
+Ohren des Maulthieres zerschlagen muß, um dadurch böse Zaubereien
+unschädlich zu machen. An der Schwelle der Wohnung präsentirt man der
+Frau einen Trunk Buttermilch und sie selbst ergreift eine Hand voll Korn
+und Salz um dasselbe ebenfalls als Zeichen des Reichthums und Segens
+rechts und links auszustreuen.
+
+Jetzt ergreift der Mann Besitz von seiner Braut und zum Zeichen schießt
+er in unmittelbarer Nähe vor ihren Füßen eine Flinte ab, er ergreift das
+junge Mädchen und zieht sie ins Innere der Wohnung, während die
+Verwandten sich zur allgemeinen Belustigung zurückziehen. Ein zweiter
+Schuß im Innern der Behausung ertönt, Zeichen, daß die Heirath vollzogen
+ist; die junge Frau erscheint bald darauf an der Hand ihres Gatten, Tanz
+und Schmausereien, woran das junge Paar Theil nimmt, beschließen die
+Festlichkeit.
+
+Die Frau ist, wie gesagt, ein Besitz, wie jedes andere Eigenthum des
+Mannes, wenigstens bei gewissen Stämmen des Atlas. Stirbt ihr Mann, so
+wird der männliche Anverwandte, der der Wittwe zuerst seinen Haïk
+(großes wollenes Umschlagtuch)[10] überwirft, ihr rechtmäßiger Gemahl.
+Zugleich ist er aber auch verpflichtet, für die etwaigen Kinder zu
+sorgen und deren Vermögen zu verwalten.
+
+Scheidungen finden bei den Berbern statt, aber nie auf so leichte und
+grundlose Weise, wie bei den Arabern oder sonstigen Mohammedanern, wie
+denn überhaupt alle Berber, mögen sie nun unter dem Namen Tuareg bei
+Timbuktu wohnen oder als Kabylen im Djurdjura hausen, entschiedene
+Feinde der Polygamie sind. Grund zur Scheidung ist Kinderlosigkeit
+(Berber wie Araber halten Kinderlosigkeit immer für Sterilität der
+Frauen); der Vater der zurückgeschickten Frau muß das Morgengeld wieder
+herausgeben. Ebenso, falls die Frau Infirmitäten bei der Verheirathung
+zeigte oder gar schon ihre Virginitas verloren hat, kann sie darauf
+rechnen, auf der Stelle zurückgeschickt zu werden.
+
+Die Tochter ist manchmal dazu bestimmt, das Leben ihres Vaters oder
+Bruders mittelst ihrer Sclaverei zu erkaufen, aber nie würde sie für
+einen Oheim, Großvater, Vetter oder sonstigen noch entfernteren
+Verwandten mit ihrer Person eintreten können; auch herrscht diese Sitte
+nur bei einigen Berberstämmen. Jemand begeht z.B. einen Mord oder
+Todtschlag in einer anderen Familie, hat aber nicht die Mittel, um die
+Diya, d.h. das Blutgeld, bezahlen zu können; will er nun nicht selbst
+das Leben opfern, so kann er dem anderen Stamme seine Tochter oder
+Schwester als Sclavin überlassen. Diese verliert dadurch völlig die
+Rechte einer Freien, wird ebenso angesehen, wie eine Chadem (schwarze
+Sclavin) und ist nun vollkommen Eigenthum der anderen Familie geworden.
+Aber oft genug kommt es vor, daß die Sclavin, wenn sie jung und hübsch
+ist, das Herz eines Jünglings ihrer neuen Herrschaft erobert, ihn
+heirathet, dadurch frei und dann zugleich das Freundschaftsband zwischen
+zwei ehemals feindlichen Stämmen wird.
+
+Es kommt häufig vor, daß zwei Männer einen Tausch mit ihren Frauen auf
+ganz friedliche Weise zu Wege bringen; derjenige, der das in Beider
+Augen häßlichere und weniger werthvolle Weib besitzt, d.h. ein solches,
+welches weniger jung und fett als das des Anderen ist, muß einiges Gold
+darauf zahlen. Hat aber Jemand seine Tochter einem jungen Manne
+versprochen und läßt sich nachher durch Habgier bewegen, sein Wort nicht
+zu halten, so entsteht Krieg. Die ganze Familie, die ganze Tribe nimmt
+sich sodann des Bräutigams an und sucht mit Gewalt dessen Ansprüche
+geltend zu machen. Ehebruch und Verführungen sind äußerst selten, und
+obschon in rohen Formen, halten die Berber große Stücke auf
+Familienleben. Aus einer im October 1858 veröffentlichten Gesetzgebung
+der Kabylen vom Orte Thaslent ersehen wir auch, daß es den Männern
+besagter Ortschaft verboten war, mit den Frauen zu disputiren, einerlei,
+ob die Frau angreifender Theil war oder nicht. Hatte indeß die Frau
+erwiesenermaßen zuerst angefangen, so mußte ihr Mann Strafe zahlen,
+sonst aber der, welcher mit ihr Streit gesucht hatte. Die größten und
+heiligsten Pflichten glaubt aber der Berber für sein Gemeinwesen, für
+seinen Stamm zu haben. Ist dem Araber zuerst die Religion die
+Hauptsache, wie denn Mohammed überhaupt, gerade wie es in der römischen
+Kirche gelehrt wird, die Nationalität auslöschen will, um an deren
+Stelle einen Religionsstaat zu setzen, so hat der Berber, trotzdem auch
+er den Islam angenommen hat, dies nie begreifen können. Wenn der Berber
+sich auch vorzugsweise gern mit seinem Schwerte gegen die Christen
+wendet, so ist's ihm im nächsten Augenblicke aber auch ganz gleich,
+dasselbe gegen jedweden Mohammedaner zu ziehen, sobald sich dieser gegen
+ihn oder gar gegen seinen Stamm vergangen hat. Der Araber führt auch
+Krieg gegen Mohammedaner; die wüthendsten Kämpfe sind ja zwischen
+Stämmen arabischen Blutes oder zwischen Arabern und Türken gefochten
+worden und entbrennen auch jetzt noch immer wieder. Aber heuchlerischer
+Weise gestehen sie das nicht zu, sie behaupten nur gegen die Ungläubigen
+zu kämpfen, und die Araber Algeriens z.B., die einst fortwährend mit
+ihrer türkisch-mohammedanischen Regierung in Fehde lagen und die so
+erbittert gegenseitig auf einander waren, daß sie nicht wußten, auf
+welch grausamste Weise sie einander tödten sollten--diese selben Araber
+haben jetzt ganz und gar ihre grausame türkische Herrschaft vergessen.
+Hört man sie sprechen, so waren die Türken die mildesten, gerechtesten,
+gottesfürchtigsten Herrscher, sie waren ja vor allen Dingen "Gläubige",
+die Franzosen aber sind Ungläubige, mögen sie noch so gut regieren, sie
+bleiben aus religiösem Hasse immer für die Araber die "christlichen
+Hunde". Fragt man einen Araber: würdest du gegen die "Gläubigen"
+kämpfen? so wird er sicher antworten: "Beim Haupte Mohammeds, Gott hat
+es verboten, Gottes Name sei gelobt."
+
+Der Berber kennt von solchen Heucheleien nichts, und durch manche Stämme
+bin ich gekommen, die so wenig auf ihren Islam geben, daß man von ihnen
+sagte, sie sind so räuberisch und diebisch, daß, wenn Mohammed in eigner
+Person käme und habe ein anständiges Kleid an, sie (die Berber) nicht
+anstehen würden, den Propheten auszuplündern.
+
+Wenn ich vorhin anführte, daß die Ehre der Familie und des eignen
+Stammes den Berbern als das Höchste gilt, so ist dies so zu verstehen,
+daß sie z.B. denjenigen ihrer Leute keineswegs für ehrlos halten, der
+einen Fremden bestiehlt; aber ehrlos würde es sei, wollte Jemand einen
+von einem anderen Stamme, der einmal Zutritt erhalten hat oder der gar
+die Anaya[11] des Stammes besitzt, bestehlen oder gar ermorden. Daß aber
+doch solche Fälle vorkommen, ersieht man daraus, daß die Berber hierüber
+und hiergegen ihre eigenen (arabisch) geschriebenen Gesetze haben, die
+nicht wie die meisten Gesetze der übrigen Mohammedaner auf den Koran
+fußen, sondern aus uralten Ueberlieferungen bestehen und wohl erst im
+Laufe der Jahrhunderte von der Tholba zu Papier gebracht wurden. Wie
+stark ist z.B. der Gemeinsinn ausgeprägt, wenn es in einem alten
+Kabylengesetze heißt: "Der, dem eine Kuh, ein Ochse oder ein Schaf
+stirbt, hat das Recht, die Gemeinde zu zwingen, das Fleisch des Thieres
+zu kaufen als eine Hülfeleistung.--So will es der Gebrauch." Dies Gesetz
+ist in mehr als einer Hinsicht interessant. Der Verlust des Viehes wird
+dem Eigentümer dadurch einigermaßen versüßt, weil er das Fleisch doch
+wenigstens verwerthen kann; der Gebrauch will, daß die Quantität, die
+Jeder nehmen muß, vom Chef des Ortes bestimmt wird. Sodann ist aber
+dieses Gesetz zugleich ein Schlag dem Koran ins Gesicht, denn Mohammed
+sagt ausdrücklich, daß Fleisch von gestorbenen oder gefallenen Thieren
+als unrein für jeden Mohammedaner "=harem=" d.h. verboten ist. Aber
+was ist dem Berber der Koran, wenn es gilt: Einer für Alle, Alle für
+Einen!
+
+Wie stark im Sinne der Gemeinde-Interessen ist nicht auch folgendes
+Gesetz: "Der, welcher ein Haus, einen Obstgarten, ein Feld oder einen
+Gemüsegarten an Individuen eines anderen Dorfes verkauft, muß davon
+seine Brüder, Verwandte, Geschäftsfreunde und die Leute seines Dorfes
+überhaupt benachrichtigen, und wenn diese den Kauf rückgängig machen und
+sich den Käufer substituiren wollen, so haben sie demselben innerhalb
+dreier Tage den Kaufschilling zurückzuerstatten[12]." Durch dieses
+Gesetz konnte die Gemeinde verhüten, daß irgend ein ihr mißliebiges
+fremdes Individuum bei ihr Zutritt bekam. Es ist wahr, die Gesetze
+wechseln bei jeder Tribe, von Dorf zu Dorf, und es ist das ein sicheres
+Zeichen, daß seit langer Zeit den Berbern die einheitliche Leitung
+fehlt; aber im Ganzen beruhen sie doch auf denselben Grundsätzen. Es ist
+eigenthümlich und auch das bekundet das hohe Alter solcher
+Gesetzsammlungen, daß die Berber dafür den Ausdruck "=kanon=", ein
+Wort, das offenbar griechischen Ursprungs ist, haben und welches, wie
+General Daumas meint, eine christliche Reminiscenz in sich schließt.
+
+In der Gesetzsammlung der Ortschaften, Thaurirt und Amokrom, der großen
+Kabylie, vom Herrn Aucapitaine herausgegeben, finden wir ebenfalls die
+weltlichen und Gemeinde-Angelegenheiten den kirchlichen übergeordnet und
+ausdrücklich hervorgehoben: "Wer sich ins Einvernehmen mit Schürfa, als
+da sind vom Stamme der Uled-Ali, Icheliden oder anderen Marabutin setzt,
+zahlt 50 Realen Strafe." Wenn man nun weiß, daß die Schürfa, d.h. die
+Nachkommen Mohammeds, unter den Mohammedanern ohngefähr dieselbe Rolle
+spielen, wie bei uns die Jesuiten, die sich für die besten Nachfolger
+Jesu halten, so wird man nicht umhin können, den weisen Sinn und den
+gesunden Verstand der Berber zu bewundern.
+
+Die von den Alten schon erwähnte Vorliebe der Berber für Schmucksachen
+und schöne Kleidung[13] besteht auch heute noch. Der größte Ehrgeiz der
+Berber besteht darin, in den Besitz eines Tuch-Burnus von schreiendsten
+Farben zu kommen, hochroth und gelb sind als Farben besonders beliebt;
+kann er es ermöglichen, einen solchen mit Goldstickerei zu kaufen, so
+dünkt er sich ein König zu sein. Das Haar tragen die Berber heute nicht
+mehr nach einer bestimmten Vorschrift, wie es ehedem vielleicht Sitte
+gewesen ist, meist wird der Kopf sogar ganz kahl rasirt, aber alle
+halten darauf, einen Zopf stehen zu lassen, meist vom Hinterhaupte
+ausgehend. Das Haar der Berber ist durchweg schwarz; die einzelnen
+blonden Individuen, die man vorzugsweise im Djurdjura-Gebirge in
+Riffpartien und überhaupt längs des Mittelmeeres findet, sind allerdings
+manchmal durch einzelne Familien hindurchgehend, aber doch nur
+vereinzelt. Ob diese Blonden von gothischer Abkunft, ob sie vandalischen
+Ursprungs sind, das wird schwerlich je festgestellt werden; es ist das
+auch für das Berbervolk in seiner Gesammtheit höchst gleichgültig, da
+der Berber im Ganzen schwarzhaarig ist.
+
+Es giebt wohl wenig Berberstämme, die nicht Ringe als Schmuck in
+Gebrauch haben; hier sind es große Ohrringe, manchmal 2-3 Zoll groß und
+aus Silber bestehend, dort kleinere; hier haben ganze Stämme die
+Gewohnheit, Oberarm-Ringe zu tragen aus Serpentinstein[14] oder Metall,
+dort werden die verschiedenen Finger mit Ringen überladen. Und fast
+scheint es, als ob die Männer bei den Berbern der eitlere Theil wären.
+Allerdings tragen die Frauen die üblichen Fußringe, manchmal werden
+mehrere über einen Knöchel gezwängt; allerdings haben sie ihre Agraffen,
+Fingerringe und Haargeschmeide, aber schon das fast durchweg dunkle
+Costüm der Frauen aus dunkelblauem Kattun (was in der That bei den
+meisten Berberfrauen üblich ist) zeigt, daß die Frauen weniger auf
+hervortretende Toiletten geben.
+
+Was die Waffen der Berber anbetrifft, so sind Bogen und Pfeile längst
+durch Schießwaffen verdrängt, nur einige Stämme im großen Atlas, sowie
+die Tuareg machen Gebrauch von der Lanze. Alle Berber haben kurze breite
+Dolche, viele tragen sie befestigt am Arme, so die Tuareg und die Berber
+südlich vom Atlas, andere haben sie im Leibgürtel stecken oder an einer
+Schnur hängen. Ihr Schwert ist südlich vom Atlas mehr von gerader Form,
+nördlich vom Gebirge ist es das schwach gekrümmte marokkanische; die
+Schußwaffen bestehen aus Lunten- und Steinschloßflinten.
+
+Weil der Islam, der wie andere monotheistische Religionen leicht zu
+einer unumschränkten Priesterherrschaft führt, bei den Berbern nicht den
+Eingang gefunden hat, wie bei den Arabern, so haben jene sich einen weit
+größeren Grad von Freiheit und Freiheitsliebe bewahrt, und weil sie mehr
+Sinn für Freiheit haben, deshalb sind sie, man kann es wohl behaupten,
+besser als die Araber. Die geknechteten Menschen, einerlei, ob sie von
+einer fremden Gewalt oder von einer fremden Nation bedrückt oder von
+einer einheimischen, z.B. ihrer eignen Regierung oder ihrer
+Geistlichkeit, als Sclaven gebraucht werden, haben sich stets als die
+schlechtesten und sittlich am niedrigsten stehenden erwiesen. Deshalb
+sind die Araber so heruntergekommen, weil sie alle ihre Tholba für
+unfehlbar hielten und Alles glaubten, was im Koran stand. Deshalb stehen
+die Griechen auf so niedriger Stufe geistiger Entwicklung, weil sie von
+den Türken als Sclaven behandelt wurden; deshalb sind Franzosen, Spanier
+und andere romanische Völker weit in sittlicher Beziehung hinter den
+freidenkenden protestantischen Germanen zurück. Wir sehen also deutlich,
+daß ein Volk, je mehr es auf seine Religionsübungen verwendet, sittlich
+um so mehr verkommen ist; denn ohne ungerecht zu sein, können wir sagen,
+daß durchschnittlich mehr Sittlichkeit und mehr Bildung in den
+protestantischen Ländern herrscht. Die statistischen Zahlen nennen den
+Unterschied Derer, die lesen und schreiben können, und geben Aufschluß
+darüber, wo größere Achtung vor dem Gesetz und dem öffentlichen
+Eigenthum besteht und weniger Verbrechen begangen werden, ob in den
+protestantischen, ob in den katholischen Ländern. Aber Niemand wird wohl
+behaupten, die Protestanten seien religiöser (freilich sagen unsere
+Religionslehrer, die wahre Religion sei nicht bei den Katholiken) als
+die Katholiken. Im Gegentheil; die Katholiken gehen fleißiger zur
+Kirche, ihr Glaube ist viel inniger und fester, ihre frommen Stiftungen
+zahlreicher, ihr ganzes kirchliches Leben ausgedehnter. Aber was ihnen
+fehlt, ist die Freiheit des Denkens und die Schulbildung, welche, um den
+Menschen sittlich zu machen, nothwendig ist. Ganz ebenso ist es mit den
+Mohammedanern; gewöhnt, nur das zu glauben, was ihnen ihr "_Buch_" sagt,
+weil dabei eine gewisse Classe von Menschen am besten wegkommt, haben
+sie sich zu Sclaven dieses "Buches" und dieser Classe von Menschen
+gemacht. Sie haben längst aufgehört, darüber nachzudenken, oder haben
+sich eigentlich nie zu dem Gedanken emporschwingen können, ihr "Buch"
+einer Kritik zu unterwerfen--der blinde Glaube hat sie dahin gebracht,
+wohin sie gekommen sind, und andere Völker, die im blinden Glauben dahin
+leben, werden ihnen folgen.
+
+Der Berber ist davor bewahrt worden: ohne gerade Kritik an den Islam zu
+legen, ist er indifferent geblieben. Ohne Contact mit anderen Völkern
+hat er allerdings in Bildung und Gesittung keinen höheren Standpunkt
+eingenommen, aber er ist frei geblieben und, wie gesagt, die Freiheit
+hat ihn geadelt.
+
+Offenbar würde der Berber deshalb auch eine Zukunft haben, käme er mit
+gesitteten Nationen in Berührung, die frei in Beziehung auf Religion
+denken. Die Franzosen constatiren mit Genugthuung, daß mit den Berbern
+Algeriens leichter umzugehen sei, daß sie sich eher der Civilisation
+geneigt zeigen, als die Araber. General Faidherbe, einer der besten
+Kenner der Völker Nordafrika's hat dies wiederholt ausgesprochen.
+
+Was die jetzige Lebensweise der Berber anbetrifft, so ist, wie schon
+erwähnt, ein Theil in festen Ortschaften, ein Theil in Zelten wohnhaft,
+aber mit Ausnahme der Tuareg treiben sie alle Ackerbau. Auch die in
+Zelten auf den Abhängen des großen Atlas lebenden Berber haben ihre
+Aecker. Ebenso treiben alle Berber Viehzucht, vorzugsweise die
+Zeltbewohner. Auf dem Tell, d.h. dem fruchtreichen Erdboden, halten sie
+Rinder-, Schaf- und Ziegenheerden; in der Sahara legen sie sich auf
+Kamelzucht. Eigen ist allen die Vorliebe für das Pferd. Mit Recht wird
+das Berberpferd ebenso hoch geschätzt, wie das arabische.
+
+Die Nahrung der Berber ist einfach und fast nur vegetabilisch. Der
+höchste Genuß ist ihnen eine Schüssel Kuskussu, eine Mehlspeise, die aus
+Gerste oder Weizen bereitet wird und die auch von den Tuareg als das
+=Non plus ultra= aller Gerichte geschätzt wird. Eigentliches Brod
+in unserem Sinne ist den Berbern nicht bekannt, wohl aber machen sie
+Mehlfladen auf einer Stein- oder Eisenplatte. Oder auch Mehl wird
+geknetet, mit Speck und Datteln durchsetzt und auf heißem Sande gar
+gebacken. Bei allen Berbern werden nur zwei Hauptmahlzeiten, die Morgens
+und Abends stattfinden, genossen; letztere ist die reichlichere. Man ißt
+allgemein mit der Hand und aus _einer_ Schüssel, die Frauen und Kinder
+getrennt von den erwachsenen Männern; für Suppen und flüssige Speisen
+hat man hölzerne Löffel. Wenn aber z.B. fünf oder sieben Personen aus
+einer Schüssel Suppe essen, so hat man in der Regel nicht mehr als
+zwei, höchstens drei Löffel, welche im Kreise herumgehen. Natürlich
+wird, da den Berbern alle Möbel, wie Stühle, Bänke und Tische, abgeben,
+auf der Erde hockend gesessen, die Schüssel selbst, am Boden stehend,
+bleibt in der Mitte. Wird ein Getränk, sei es nun saure Milch oder
+Wasser, herumgereicht, so kreist die Schüssel ebenfalls, und wie bei
+Arabern, ist es vergönnt, _stehend_ zu essen oder zu trinken.
+
+Was die geistigen Fähigkeiten der Berber betrifft, so stehen sie
+mindestens aus derselben Stufe, wie die Araber, wenn nicht _jetzt_
+höher. Daß sie bedeutend empfänglicher für Civilisation sind, als die
+Araber Nordafrika's, habe ich schon hervorgehoben; der freiwillige
+Besuch, den Tuareg-Häuptlinge vor einigen Jahren in Paris machten, ist
+ein glänzendes Zeugniß davon. In Algerien arbeiten Berber des
+Djurdjura-Gebirges oder aus dem marokkanischen großen Atlas gern bei
+Christen; der durch die Religion fanatistrte Araber faullenzt und
+hungert lieber, als daß er sich herabließe, bei den Christen zu
+arbeiten. Aber zu einer guten Entwicklung des Berbervolkes wäre
+allerdings der Contact mit religiös vorurtheilsfreien Nationen,
+namentlich protestantischen, nothwendig.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 8: Plinius, Naturgeschichte Bd. 5.]
+
+[Footnote 9: =v. Feraud, reveue africaine 1862=.]
+
+[Footnote 10: =v. Feraud, revue africaine 1862=.]
+
+[Footnote 11: Anaya ist das, was die Araber Aman, d.h. Sicherheitsbrief,
+=sauf conduit= nennen.]
+
+[Footnote 12: =Journal Akhbar, Algèr 1858=.]
+
+[Footnote 13: _Strabo_ im XVII. Buche, übersetzt v. _Venzel_: "Sie
+träufeln sich sorgfältig ihr Haupthaar und ihren Bart, tragen zur Zierde
+Gold auf den Kleidern, reinigen sich die Zähne, beschneiden die Nägel
+und selten wird man, wenn sie miteinander spazieren gehen, sehen, dass
+Einer dem anderen gar zu nahe kommt, aus Furcht die Frisur desselben zu
+verderben."]
+
+[Footnote 14: Werden in Europa zu diesem Gebrauche verfertigt und von
+Mogador und anderen Hafenstädten aus importiert.]
+
+
+
+
+7. Ueber Reiz- und Nahrungsmittel afrikanischer Völker.
+
+
+1. _Goro- oder Kola-Nuß_.
+
+Die Goro- oder Kola-Nuß, =cola acuminata R. Br.= oder =sterculia
+acuminata Pal.=, ist eines der verbreitetsten Reizmittel bei den
+centralafrikanischen Völkern. Diese Nuß, von der Größe einer dicken
+Kastanie, wächst auf einem staudenartigen Baume, welcher ähnlich dem
+Kaffeebaume ist. Die Blätter desselben sind gummibaumartig. Man findet
+diesen Baum oder diese Staude an der ganzen Westküste von Afrika,
+hauptsächlich auf dem sogenannten Kong-Gebirge, aber nach dem Innern zu
+scheint dieselbe nicht weit vorgedrungen zu sein; auf dem Gora-Gebirge
+z.B., einem Gebirgsstock, zwischen Tschad-See, Bénue und Niger gelegen,
+fehlt die Goro-Staude. Wild wächst sie in einer Oertlichkeit, Namens
+Gondja. Oestlich von Sierra Leone scheint aber die Goro-Staude auch
+durch die Neger angebaut zu werden.
+
+Heinrich Barth sagt, daß die in Timbuktu vorkommende Goro- oder, wie er
+schreibt, Guro-Nuß aus den Provinzen von Tamgrera, von Tente und Koni
+komme, daß die auf dem Markte von Kano vorkommende hingegen aus der
+nördlichen Provinz Assanti's komme, von einer Stadt, Namens Sselga.
+
+Man unterscheidet die echte Goro-Nuß, deren Inneres dunkelrosenfarbig,
+von angenehmem bitteren Geschmacke und nicht schleimartig ist, mit einer
+Abart derselben, ebenfalls inwendig roth, aber weniger bitter und einen
+gummiartigen Schleim beim Zerkauen abgebend. Diese beiden sind bekannt
+unter dem Namen =sterculia acuminata=. Sodann die weiße oder
+unechte Goro-Nuß, die nur an der Küste vorkommt und am wenigsten bitter
+ist. Es ist dies die =sterculia macrocarpa=.
+
+Nach Barth unterscheidet man sodann in Kano je nach der Größe der Frucht
+vier besondere Arten: =guria=, die größte, oft 1-1/2 bis zwei Zoll
+im Durchmesser haltend, die =marssakatu=, die =soara-n-naga=
+und die =mena=. Nach ihm (Band V. S. 28) unterscheidet man in Kano
+dann die je nach der Jahreszeit geernteten: die =dja-n-karagu=, die
+erste, welche Ende Februar, die =gummaguri=, die später und die
+=nata=, welche zuletzt gesammelt wird und die sich am längsten
+halten soll. In Timbuktu fand Barth drei verschiedene Arten. Aber alle
+diese Unterschiede sind nicht durch wesentliche Verschiedenheiten der
+Nuß selbst bedingt, sondern bestehen nur in willkürlich oder durch
+Gewohnheit angenommenen Merkmalen der Neger.
+
+Wird die Goro-Nuß alt und trocken, so wird die Oberfläche mehr runzlig
+und das Fleisch erhärtet fast wie Holz und nimmt eine braunrothe Färbung
+an. In diesem Zustande wird sie Kola-Nuß genannt, denn nur frische Nüsse
+heißen Goro. Der Geschmack der Nuß ist aromatisch bitter, etwas
+adstringirend und zerkaut färbt sie den Speichel gelb-röthlich. Sie
+hinterläßt einen süßlichen, süßholzartigen Nachgeschmack. Es unterliegt
+keinem Zweifel, daß die Goro-Nuß auch tonisch wirkt. Dieser angenehme,
+bitter-süße Geschmack ist aber nur bei frischen Nüssen zu bemerken,
+getrocknet verlieren die Kola-Nüsse fast jeden Geschmack, es ist dann
+fast, kaut man sie, als ob man ungebrannte Kaffeebohnen kaute. Aber auch
+in diesem Zustande müssen sie noch wirksame Bestandtheile besitzen, denn
+nur so kann man es sich erklären, daß die Kola-Nüsse noch eine so große
+Verbreitung und Anwendung haben.
+
+Die Araber, welche mit den Sudanländern Verbindung haben, schreiben der
+Goro-Nuß aber auch eine starke erotische Kraft zu und gerade dieser
+Eigenschaften wegen kauen sie dieselbe; außerdem behaupten sie, und dies
+gewiß mit Recht, daß die Nuß Appetit erregend sei und namentlich der
+Tabak besonders gut darauf schmecke.
+
+Natürlich kann sich, was räumliche Verbreitung anbetrifft, die Goro-Nuß
+keineswegs mit Thee, Kaffee, Tabak, Opium oder gar alkoholartigen
+Getränken messen; wenn wir aber bedenken, daß mehr oder weniger alle
+Bewohner des nördlichen und nordcentralafrikanischen Continents von
+diesem Stimulans Gebrauch machen, so liegt doch wohl die Frage nahe,
+_weshalb_ ist die Goro-Nuß so allgemein in Aufnahme gekommen, _warum_
+ist dieselbe heute gewissen Stämmen centralafrikanischer Völker ebenso
+unentbehrlich geworden, wie den meisten civilisirten Völkern der Thee
+oder Kaffee?
+
+Die meisten Individuen, die Gebrauch von Thee oder Kaffee machen,
+wissen nichts von den eigentlichen chemischen Eigenschaften dieser
+Vegetabilien. Sie haben wohl nie von Koffein gehört; sie würden gar
+nicht verstehen, wollte man ihnen sagen, daß unsere Physiologen und
+Chemiker dem Thee und Kaffee directe Wirkungen auf das Gehirn
+zuschreiben, und dennoch genießen sie unablässig entweder das eine oder
+das andere Getränk oder auch beide; sie würden sich vollkommen
+unglücklich fühlen, wollte man sie dieser Genüsse berauben. Die schon
+mehr Verständigen versuchen wohl die Ausrede, der Kaffee wirke tonisch,
+der Thee adstringirend, aber der große Haufe nimmt Kaffee und Thee zu
+sich, weil beide Getränke ihm _unbewußt_ ein _undefinirbares_ Vergnügen
+und Wohlbehagen verschaffen.
+
+Als ich von meiner Reise nach Centralafrika auf dem Rückwege Sierra
+Leone berührte, fand ich in der Hauptstadt dieser Halbinsel, in
+Freetown, auf dem dortigen Markte einen großen Vorrath Goro-Nüsse beider
+Arten. Ganz auf dieselbe Art verpackt, wie die Neger sie von den
+Küstenländern in das Innere von Afrika forttransportiren, d.h. zwischen
+feuchtem Moose gelagert und das Ganze in einem Bastkorbe verpackt, nahm
+ich einen solchen Korb voll mit nach Europa; die Nüsse hielten sich
+vortrefflich frisch. In Deutschland angekommen, schickte ich denn auch
+sogleich an meinen Gönner und Freund, unseren berühmten Chemiker, Baron
+Liebig, eine Partie Nüsse. Eine davon, welche gepflanzt wurde (im
+botanischen Garten der Universität), gedieh bis zum Jahre 1869 zu einer
+kräftigen Staude mit prächtigen, saftgrünen Blättern. Aber am
+interessantesten war für mich, daß v. Liebig mir mittheilte, daß er in
+den Goro-Nüssen mehr Koffeïn gefunden habe, als verhältnismäßig in den
+Kaffeebohnen selbst vorkomme. Man kann also dreist sagen, daß auch bei
+der Goro-Nuß, wie beim Kaffee oder Thee, das unbewußt Anziehende der
+Koffeïnstoff ist.
+
+Der Preis der Goro-Nuß ist sehr verschieden, je nach der Oertlichkeit
+und je nach der Größe und Art der Frucht. Weiße Nüsse gelten an der
+Küste Westafrika's 3000 Stück einen M.-Th.-Thaler, also das Stück eine
+Muschel. Rothe, namentlich wenn sie groß sind, gelten aber auch hier
+oder in der eigentlichen Heimath das Stück fünf Muscheln. Nach Barth
+schwankt je nach der Jahreszeit, nach ihrer Größe und Güte der Preis
+einer Nuß in Timbuktu zwischen 10 und 1000 Muscheln. In Kuka steigt der
+Preis bei schlechten Ernten, bei mangelhaftem Transport (ein Esel kann
+circa 6000 Nüsse transportiren), oder bei gehemmtem Karawanenverkehr,
+manchmal auf 500, ja auf 1000 Muscheln für eine einzelne Nuß. Aber so
+groß ist die Begierde der Neger nach diesem Artikel, daß auch dann sich
+noch Käufer finden. Unter solchen Umständen theilt man sich gegenseitig
+die kleinsten Stücke mit, ja unter den gewöhnlichen Leuten ist so wenig
+Ekel, daß sie keineswegs Anstoß daran nehmen, von einem besser Situirten
+ein schon halb ausgesogenes und abgekautes Stückchen Nuß zu empfangen,
+es in den Mund zu nehmen, um es vollends seiner bittern und aromatischen
+Substanz zu berauben.
+
+In allen Ländern Bornu's, Socoto's, Gando's, Yoruba's &c. ist die
+Uebersendung eines mit Goro-Nüssen gefüllten Korbes Seitens des Sultans
+oder Fürsten an den Fremden das Zeichen der Freundschaft und des
+Willkommens. Je größer die Nüsse, je gefüllter der Korb ist, eines um
+so besseren Empfanges kann man versichert sein. Und wie der Türke jeden
+Besucher mit einer Pfeife und einer Tasse Kaffee ehrt, so gehört es mit
+zum guten Ton in den civilisirten Negerländern, dem Fremden mit einer
+Goro-Nuß aufzuwarten. Sind die Nüsse selten oder wegen der Jahreszeit
+oder des Transportes theuer, so theilt man sie mit seinem Gefährten.
+
+
+2. _Tabak_.
+
+Von allen betäubenden Mitteln, die zugleich aufregend wirken, ist wohl
+keines verbreiteter als Tabak, und wenn man zu der Annahme berechtigt
+ist, daß die Tabakpflanze sich _nur_ von Amerika aus verbreitet hat,
+Amerika aber erst seit einigen Jahrhunderten für die übrige Welt
+erschlossen wurde, so muß man noch mehr staunen. Afrika, dieser compacte
+Erdtheil, der sich allen Culturbestrebungen bis jetzt verschlossen
+gezeigt hat, hat die Tabakspflanze bis zu seinem innersten Centrum
+dringen lassen. Nicht etwa, daß der Tabak, einmal eingeführt, sich
+selbst den Weg gebahnt hätte, wie gewisse Culturpflanzen und auch
+Unkraute es thun, indem sie mit unwiderstehlicher Macht _von selbst_
+vorwärts dringen, es sind die Menschen, die Eingeborenen dieses
+Erdtheiles selbst die Träger und Verbreiter dieser Pflanze gewesen. Und
+es giebt wohl keine Art und Weise, den Tabak zu nehmen, die nicht in
+Afrika Anwendung fände; hier raucht man, dort wird geschnupft, hier kaut
+man, dort wird Tabak als medizinisches Heilmittel gebraucht. Ja,
+Duveyrier[15] behauptet sogar, "daß arabische Frauen, mit elf Jahren
+verheirathet, Mütter mit zwölf Jahren, mit zwanzig Jahren schon
+Greisinnen, den Tabak als ein Aphrodisiacum gebrauchen, indem sie sich
+gewisse Körpertheile mit pulverisirtem Tabak bestreuen".
+
+Von verschiedenen Forschern ist die Frage ausgeworfen worden, ob bei der
+in Afrika durchgängigen Verbreitung des Tabaks die Pflanze nicht dort,
+wie in Amerika, _ureinheimisch_ gewesen sein könne. Ich wage hierüber
+kaum eine Meinung, vielweniger noch eine Entscheidung abzugeben. Am
+verbreitetsten in Afrika ist jedenfalls der Bauerntabak, =Nicotiana
+rustica=; aber auch der virginische Tabak, =N. tabacum L.=,
+findet sich in Afrika. Schweinfurth fand ihn bei den Monbuttos und im
+Tell von Algerien wird er durchweg gebaut. Indeß ist es, meine ich, kaum
+ein Grund, zu glauben, Nicotiana rustica dürfe darum ureinheimisch in
+Afrika sein, weil einige Völker ein eignes Wort dafür in ihrer Sprache
+besitzen und nicht eins, welches von "Tabak" abgeleitet sei oder damit
+in Verbindung stehe; auch für andere Gegenstände, von denen wir bestimmt
+wissen, daß sie ihnen von Außen zugebracht sind, haben sie oft genug das
+Originalwort verworfen und dafür ein neues, von ihnen erfundenes oder
+aus ihrer Sprache entlehntes an die Stelle gesetzt. Sodann kommt noch in
+Betracht: kann die =Nicotiana rustica= auf anderem Boden und unter
+anderen klimatischen Verhältnissen sich in tabacum veredeln oder ist
+eine Rückbildung von einer zur anderen Seite unmöglich? Verschiedene
+Tabakbauern haben mir gesagt, daß derartige Beobachtungen gemacht wären.
+
+Am allgemeinsten ist unter den verschiedenen Weisen den Tabak zu
+nehmen, das Rauchen verbreitet, und wenn es auch Stämme und Völker
+giebt, die blos schnupfen oder kauen, so giebt es andererseits auch
+Völker in Afrika, bei denen Männer und Frauen, ohne Ausnahme, der
+Gewohnheit des Rauchens huldigen. So z.B. die Kadje- und Bussa-Neger,
+die Tuareg. "=Chez les Touareg=," sagt Henry Duoeyrier S. 184,
+"=hommes et femmes fument et quoique la fumée du tabac rustique soit
+très acre, hommes et femmes la rendent par le nez=."
+
+Unsere Damen in Europa könnten also an den afrikanischen in dieser
+Beziehung lernen, denn mit Ausnahme der polnischen Aristokratie rauchen
+bei den _übrigen_ europäischen Völkern nur die Damen des =demi
+monde=.
+
+Während aber wir Europäer zum größten Theile den Tabaksrauch nur in die
+Mundhöhle einziehen, saugen die afrikanischen Völker den Rauch derart
+ein, daß die _ganze Lunge_ davon erfüllt wird: der immer mehr oder
+weniger mit Nicotin geschwängerte Tabak tritt also bei ihnen vermittelst
+der Lungenbläschen und der Capillarblutgefäße direct ins Blut über.
+Natürlich folgt daraus, daß bei diesen Leuten ein schneller Rausch
+eintritt. Dieser Tabaksrausch scheint aber aller angenehmen
+Eigenschaften zu entbehren, vielmehr nur in einer Art von
+Bewußtlosigkeit zu bestehen.
+
+Für die allgemeine Verbreitung des Tabaks spricht auch noch der Umstand,
+daß man in Afrika die einfachsten Gefäße, um den Tabak "rauchen" zu
+machen, nebst dem raffinirtesten, der Narghile, im Gebrauch hat. Ed.
+Mohr sagt aus, daß die Matchele-Neger einen Kegel aus Thonerde auf dem
+Boden formen, oben eine topfartige Höhlung hineindrücken, diese mit
+Kohlen etwas trocken brennen und siehe da, der Pfeifenkopf ist fertig.
+Sie füllen Tabakblätter hinein, bohren seitwärts ein Rohr ein, und
+nachdem nun das Kraut entzündet, kann das Rauchen beginnen. Weit
+complicirter ist das von Fritsch u.A. beobachtete Rauchen aus
+Antilopenhörnern, die schon eine rohe und primitive Narghile-Flaschen
+andeuten. Ganz auf ähnliche Art rauchen Abessinier und Galastämme aus
+Thonkrügen oder Flaschenkürbissen. Von den Monbutto sagt Dr.
+Schweinfurth[16]: "Sie rauchen aus einer Pfeife primitivster, aber
+durchaus praktischer Art, indem sie als Rohr die Mittelrippe eines
+Bananenblattes verwenden. Die vornehmsten unter ihnen lassen sich indeß
+von ihren Schmieden ein eisernes Rohr, gleichfalls von den Dimensionen
+des aus Bananenlaub geschnittenen (etwa fünf Fuß lang), herstellen. Das
+untere Ende dieses Rohrs ist geschlossen und statt dessen seitlich, kurz
+vor dem Ende, ein Einschnitt gemacht, in welchen eine mit Tabak gefüllte
+_Düte von Bananenlaub_ gesteckt wird, die als Pfeifenkopf dient."
+
+Aber wer wollte alle die Arten und Weisen aufzählen, auf welche
+afrikanische Völker Tabak rauchen. Ich führe nur noch an, daß die an den
+Ufern des Bénue lebenden Stämme den Tabak aus Thonköpfen rauchen,
+ähnlich den unsern, und daran haben sie so lange Rohre, daß die Pfeife
+im Stehen geraucht werden kann. Diese Stämme, namentlich die
+Bassa-Neger, sind so verpicht auf's Rauchen, daß sie z.B., gehen sie zu
+Boot, eigens im Schiffe ein Feuer unterhalten, um jederzeit ihre Pfeife
+wieder anzünden zu können. Die in den Berberstaaten nomadisirenden oder
+seßhaften Berber und Araber bedienen sich ohne Ausnahme eines
+_Röhrenknochens_ vom Schafe oder von einer Ziege. In das eine Ende der
+Knochenröhre wird der Tabak eingestopft und dann direct durchs andere
+Ende der Dampf eingesogen. Die Städtebewohner Nordafrika's huldigen der
+Narghile oder den Papiercigaretten. Die eigentliche Cigarre, also das
+Tabakrauchen unmittelbar, hat bei den Eingeborenen Afrika's bis jetzt
+wenig Anklang gefunden.
+
+Weniger gebräuchlich ist in Afrika die Sitte des Tabakkauens. Ich selbst
+beobachtete das Tabakkauen nur bei Tebu und einigen Negerstämmen am
+Tschad-See. Man nimmt dazu keinen besonders präparirten Tabak, sondern
+dieselben Blätter, welche Andere auch geraucht haben würden. Aber
+allgemein ist Brauch, den Saft des zerkauten Tabaks noch dadurch zu
+verschärfen, daß man Trona (kohlensaures Natron), welches in vielen
+Theilen Afrika's gefunden wird, hinzusetzt. Besondere Behälter, des
+Beschreibens werth, um Tabak und Trona aufzubewahren, haben die
+Eingeborenen nicht; irgend ein alter Lappen oder der Zipfel eines
+Kleides dient dazu.
+
+Noch weniger gebräuchlich ist das Prisen, es ist gewissermaßen
+Privilegium vornehmer Eingeborener. Der zu schnupfende Tabak wird
+äußerst fein gestoßen und sodann mischen die meisten dazu noch ein
+Achtel kohlensaures Natron. Reiche und angesehene Leute in Marokko
+erlauben sich heute auch den Gebrauch einer europäischen
+Schnupftabaks-Dose oder sie haben eine aus Ebenholz gefertigte große
+Birne, welche den Schnupftabak birgt. Aber in letzterer ist immer nur
+ein kleines Loch, verschlossen durch einen hölzernen Stöpsel. Und
+hierbei bemerke ich, daß die frommen mohammedanischen Leute wie bei
+uns[17] das Rauchen für sündhafter halten, als das Schnupfen. In Marokko
+rauchen selten die Schriftgelehrten, aber alle schnupfen. Zum
+Aufbewahren des Schnupftabaks haben die Völker von Mandara eine
+ausgehöhlte Bohne, Schotensame eines Baumes. Diese Bohnen haben
+anderthalb bis zwei Zoll Durchmesser, sind aber ganz glatt; durch eine
+kleine Oeffnung bringt man den Tabak hinein und heraus. Eine sehr
+beliebte Methode, den Schnupftabak aufzubewahren, ist, ihn in ein Stück
+Zuckerrohr zu schütten, dessen eines Ende mit einem alten Lappen
+verschlossen wird.--Afrika hat jedenfalls eine bedeutende Zukunft für
+den Anbau des Tabaks. Die in Algerien gezogenen Tabakssorten sind
+vortrefflich, aus Centralafrika von mir mitgebrachte Sorten (auf dem
+Markte von Kuka gekauft) wurden in Bremen für ausgezeichnet erklärt. Und
+der Tabak scheint in Afrika überall zu gedeihen, denn selbst in den
+heißesten Oasen der Sahara findet man Tabaksfelder und jeder Neger zieht
+in der Regel seinen Tabaksbedarf in seinem eigenen Garten.
+
+
+3. _Kaffee und Thee, Lakbi, Tetsch und andere alcoholartige Getränke_.
+
+Man kann keineswegs behaupten, daß Kaffee irgendwo in Afrika ein so
+nationales Getränk geworden ist, wie bei verschiedenen Völkern in
+Europa. Und gerade da, wo er am billigsten für das Volk herzustellen
+wäre, scheint er am wenigsten im Gebrauch zu sein, nämlich in den
+südabessinischen Provinzen. Dort, wo die Staude oder der Kaffeebaum
+überall wild wachsen und von wo sie erst im Anfange des 15. Jahrhunderts
+nach Arabien importirt wurden, scheinen die umwohnenden Völker kaum die
+Anwendung der Bohne zu kennen; die Abessinier aber trinken keinen
+Kaffee, weil sie dadurch zu sündigen glauben, sie meinen nämlich,
+Kaffeetrinken sei nur den Mohammedanern eigen.
+
+Der Kaffee wird in Afrika überall ohne Milch genommen, und die Art ihn
+durchzuseihen, ihn zu filtriren oder blos durch einen Aufguß heißen
+Wassers herzustellen, ist ungebräuchlich. "Kaffee machen" ist bei allen
+afrikanischen Völkern nur eine "=decoctio="[18]. Und zwar wird nur
+nach augenblicklichem Bedarfe Kaffee für eine Person, höchstens für drei
+bis vier Personen, in kleinen Gefäßen gekocht. Der auf's Feinste zu Mehl
+gestoßene Kaffee wird in ein kleines eisernes, mit kochend heißem Wasser
+gefülltes Gefäß gethan, dann läßt man diese Mischung einige Male über
+Kohlen aufkochen und das Getränk ist fertig. Diese Kochgefäße sind so
+klein, daß wenn z.B. für eine Person Kaffee bereitet wird, dasselbe
+auch kein größeres Quantum Wasser aufnehmen kann, als jene bekannten
+sogenannten türkischen Tassen fassen.
+
+In ganz Afrika, von Aegypten bis Marokko, von Tripolis bis nach Kuka,
+wird auf _diese_ Art der Kaffee bereitet. Aber wie Kaffee in allen
+diesen Ländern nur als eine Leckerei betrachtet wird, so findet man
+Kaffeehäuser nur in größeren Orten; bei nomadisirenden Stämmen erlaubt
+sich höchstens noch der Schech oder Kaid einer Tribe den Luxus einer
+täglichen Tasse Kaffee; überhaupt kann man sagen, ist Kaffeeverbreitung
+nur nördlich vom Atlas. In den Oasen Tafilet, Draa und Tuat sind die
+wenigen Kaffeehäuser zu zählen und die Besitzer müssen meistenteils noch
+irgend einen anderen Erwerbszweig nebenbei betreiben, um leben zu
+können. In Fesan besteht nur Ein Kaffeehaus in der Hauptstadt Mursuck,
+und der Eigentümer ist ein nach diesem Orte verbannter Türke, sonst
+würde vielleicht gar keins vorhanden sein. In Kuka, in Bautschi, in
+Kano, in Timbuktu sind Kaffeehäuser unbekannt. Man kann also im
+Allgemeinen sagen, südlich vom 30° nördlicher Breite hört in Afrika der
+Gebrauch des Kaffee's auf; denn wenn auch behauptet wird[19]: "der Sohn
+der Wüste trinkt seinen Kaffee ungemischt und den schwarzen, aber
+wahrhaften Satz sammt dem Aufguß; zuweilen bringt er es auf 80 Schälchen
+am Tage," so ist Ersteres richtig, alle Mohammedaner trinken den Kaffee
+mit dem Satze; aber wo wäre der Beduine, und wäre er selbst Chef einer
+Tribe, der die Mittel hätte, 80 Tassen Kaffee zu bezahlen? Kaffee ist
+nur Luxusgetränk in ganz Afrika, d.h. in dem Sinne, als Kaffee im
+Allgemeinen zu theuer ist, um als Volksnahrungs- oder Reizmittel gelten
+zu können. Schon der erste Anlaß, wie der Kaffee unter den Arabern in
+Yemen Aufnahme gefunden, spricht dafür, wenn auch das Ganze eine Fabel
+ist, daß in demselben Etwas enthalten sein muß, was eine
+unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt. Man erzählt nämlich, ein armer
+Derwisch habe bemerkt, daß seine Schafe und Ziegen jedesmal nach dem
+Abweiden einer gewissen Staude äußerst heiter und lustig gewesen seien,
+und als er sodann selbst von dieser Staude Blätter genossen, habe er
+dieselbe Wirkung verspürt.
+
+Die Sitte, Gischr, d.h. einen Absud von Kaffeehülsen zu trinken, wie Hr.
+v. Maltzan dies in Südarabien beobachtete, kennt man in Afrika nicht. Es
+hat dies übrigens gar nichts zu Verwunderndes. Denn nach Untersuchungen
+von Stenhouse enthalten die Blätter des Kaffeebaumes mehr Koffein als
+die Bohnen[20], also werden die Hülsen der Bohnen auch wohl das
+belebende Princip enthalten. Ebenso fand ich nicht den Gebrauch des
+Milchzugießens, den Maltzan auch an einigen Orten Südarabiens
+beobachtete. Abeken auf seiner Reise nach Oberägypten und Nubien fand
+dort Leute, die eine Abkochung aus rohen, ungebrannten Bohnen
+bereiteten. Abeken fand diese Kaffeebereitung so angenehm und
+schmackhaft, daß er in seinen letzten Lebensjahren immer nur eine
+Decoction aus ungebrannten Bohnen trank. Mir ist dieser Gebrauch
+nirgends vorgekommen.
+
+Noch weniger hat sich der Thee einbürgern können; aber während der
+Kaffeegebrauch im Osten von Nordafrika vorwiegend ist--denn Aegypten
+allein consumirt mehr Kaffee, als Tripolitanien, Tunesien, Algerien,
+Marokko und die Sudanländer zusammen--ist hingegen der Verbrauch von
+Thee im Westen von Nordafrika größer. Marokko bezieht mehr Thee als alle
+übrigen Länder Nordafrikas zusammen. Während nach Marokko jährlich
+wenigstens 5000 Kisten Thee importirt werden, bedarf Aegypten, welches
+doch eine ungefähr gleiche Bevölkerung hat, so wenig, daß unter den
+amtlich genannten Einfuhrartikeln vom Jahre 1868 Thee nicht genannt
+wird. Bibra[21] in seinem unten citirten Werke hat also vollkommen
+Recht, wenn er S. 66 sagt: "Von zweien solcher Aufgußgetränke mit allen
+ihren physiologischen Wirkungen auf den Organismus ist eins aber sicher
+überflüssig," und hier hat der Instinct der Menge entschieden. Beide
+herrschen nirgends neben einander, sondern eines derselben wird stets
+als Luxusgetränk consumirt und erscheint nur ausnahmsweise irgend einem
+einzelnen Individuum angemessener, als das allgemein eingeführte. Im
+Süden findet man auf allen großen Märkten, so in Kuka, wie in Kano,
+Saria und Timbuktu, Thee zu kaufen.
+
+Thee wird in Afrika nie allein bereitet; der Eingeborene von Aegypten
+schüttet ebenso gut wie der Tunesier und Marokkaner zu den Theeblättern
+einige Münzblätter oder auch Absynth, Luisa und andere aromatische
+Kräuter. Denn so wie man in Marokko den Thee braut, so wird er in ganz
+Afrika bereitet. Marokko ist ja der Religionsstaat schlechtweg, und wie
+alle mohammedanischen Afrikaner Malekiten sind wie die Maghrebiner, so
+bekommen sie auch vorzugsweise von Marokko in allen Gebräuchen,
+namentlich wenn diese irgendwie mit der Religion in Verbindung stehen,
+ihre Parole. Thee ist aber ein religiöses Getränk. Es _giebt_ fromme
+Schriftgelehrte, die Kaffee nicht trinken, weil Kaffee _gebrannt_ werden
+muß, Mohammed aber an irgend einer Stelle im Koran sagt: "Alles, was
+verbrannt ist, ist verboten."
+
+Die Afrikaner trinken nur grünen Thee, eine ziemlich geringe Sorte, der
+ihnen fast ausschließlich von den Engländern zugeführt wird. Die
+eigenthümliche Sitte, die Barth in Timbuktu beobachtete, daß man Thee
+und Zucker zusammen verkauft, als ob beide Waaren unzertrennlich wären,
+beobachtete ich auch an verschiedenen Orten. Denn wenn man in Afrika bei
+den Meisten bemerkt, daß sie den Kaffee bitter trinken, pflegen sie den
+Thee jedoch so stark zu süßen, daß an vielen Orten Thee ohne Zucker und
+Zucker ohne Thee nicht gedacht oder verkauft werden kann. Man kennt
+nirgends die Sitte, Thee und Milch zusammen zu mischen. In vielen
+Städten Nordafrika's genießen statt des Thee's verschiedene Leute einen
+Aufguß von Gewürzen. Ingwer, Nelken, Muscatblüthen werden mit heißem
+Wasser übergossen und zu dieser Infusion etwas Zucker gesetzt.
+
+Bedeutend volkstümlicher ist Lakbi, ein aus dem Safte der Dattelpalme
+gewonnenes Getränk. Man findet Lakbi in ganz Nordafrika im Gebrauch vom
+c.25° ö.L.v.F. an, dann im Westen von Nun, im Draathal, in Tafilet und
+Tuat wird nirgends Lakbi getrunken. Aber in Djerid, in den Oasen
+südlich von Konstantine, in ganz Tripolitanien, einschließlich der
+großen Oase Fesan bis nach Aegypten hin, findet man in allen Palmhainen
+immer Bäume, die angezapft sind. Man zieht die männliche Palme zum
+Anzapfen vor, einmal weil dieser Baum weniger Werth hat, dann auch, weil
+der Saft der männlichen Palme kräftiger sein soll. Das Anzapfen wird
+derart gemacht, daß oben der jüngste Sproß ausgehoben wird; dann wird
+eine Rinne nach dem äußeren Umfange gearbeitet und darunter ein Krug
+oder Topf befestigt. Im Frühjahr kann man in den ersten Tagen des
+Anzapfens bis zu 5 Liter erhalten. Die anfangs etwas milchige, fast
+widerlich süß schmeckende Flüssigkeit wird nach Verlauf von 24-36
+Stunden säuerlich, fängt an zu gähren und entwickelt nun Alcohol. In
+diesem Zustande ist Lakbi berauschender als Bier, aber schon nach
+abermals 24 Stunden bildet dies Spiritus haltende Getränk sich in Essig
+um. Den von Rüppel erwähnten _Dattelwein_, "ein widerlich süßes Getränk,
+aus halbgegohrenem Datteldecoct bereitet", habe ich nirgends
+angetroffen.
+
+Bedeutend beschränkter ist Meth, Tetsch oder Honigwein. Man kann sagen,
+daß dies Getränk eigentlich nur in Abessinien und den nächst
+angrenzenden Ländern getrunken wird. Die Bereitung des Tetsch geschieht
+in Abessinien ähnlich wie in England und bei uns, nur daß statt Hefen
+und Hopfen eine andere bittere Pflanze, Amdat genannt, hinzu gethan
+wird. Das Getränk wird in Abessinien gewöhnlich in großen Rindshörnern
+aufbewahrt, auch die Becher zum Trinken bestehen aus Horn. Tetsch ist
+sehr berauschend. Ausnahmsweise bereiten auch centralafrikanische Völker
+Honigwein, aber meistens stellen diese ihr bei uns Europäern unter dem
+Namen Busa oder auch Merissa bekanntes, berauschendes Getränk aus
+Getreide her. Es gehört schon ein guter Magen und ein wenig wählerischer
+Geschmack dazu, um das abscheuliche Getränk genießen zu können. Und da
+Busa und Merissa wenig alkoholartig sind, so gehören schon ungeheure
+Quantitäten dazu, wie sie eben nur ein Negermagen zu bergen vermag, um
+nur einigermaßen Wirkung zu spüren. Dennoch haben verschiedene
+Reisende[22] sich an dies schon äußerlich so widerlich
+(chocoladenfarbig) aussehende Getränk gewöhnen können. Die Maba in Wadai
+vertilgen ungeheure Quantitäten von Merissa, ebenso wird in Bagermi, in
+Mandala stark Busa getrunken; in Bornu, namentlich in der Hauptstadt
+Kuka, weniger.
+
+Von den Eingeborenen Afrika's wird Wein nur in Marokko und Tunis
+bereitet. Die Weinrebe kommt allerdings wohl in Abessinien vor, aber nur
+in einzelnen Stauden. Ebenso findet man in Unterägypten Weinreben, auch
+im Norden von Tripolitanien, aber nur Europäer bereiten etwas Wein
+davon. Es liegt das eben in den Verhältnissen Nordafrika's, das jetzt
+ganz in den Händen der Mohammedaner sich befindet, denen Wein
+bekanntlich verboten ist. Aber wie trefflich der Wein in Nordafrika
+wird, sieht man aus den Sorten, die jetzt von Algerien aus auf den Markt
+kommen; sie stehen an Güte den spanischen nicht nach. Im Weinlande
+Marokko aber verlegen sich trotz des Verbotes ihres Propheten genug
+Leute auf Weinbereitung und Weintrinken. Aber der Wein, den die
+Marokkaner durch Kochen herstellen, ist, obwohl sehr stark von
+Geschmack, herzlich schlecht und von Farbe ebenso abstoßend. Blume ist
+gar nicht vorhanden. Der Gebrauch des Weines in Marokko ist mehr auf dem
+Lande als in der Stadt zu Hause. Man nennt den Wein =Ssammed=,
+=Hammed= oder =Schrab=.
+
+Die in Nordafrika seßhaften Juden bereiten auch Schnaps aus Feigen,
+Rosinen und Datteln. Jeder Jude fast hat seinen eignen kleinen
+Destillationsapparat im Hause und macht sich nach seinen Bedürfnissen
+seinen Schnaps selbst. Der Schnaps der Juden ist gut, auch nicht zu
+stark, besonders rein im Geschmack. Man würde Unrecht thun, wollte man
+sagen, die einzelnen Juden seien Säufer; obschon sie alle Schnaps
+trinken, sind sie im Ganzen sehr mäßig darin. Desto mehr haben sie von
+der mohammedanischen Geistlichkeit zu leiden; oft dringt ein Thaleb oder
+auch ein Scherif in ein jüdisches Haus, bemächtigt sich des ganzen
+Schnapsvorrathes, um sich wie eine Bestie damit vollzusaufen; der arme
+Jude kann in dem Falle noch froh sein, wenn er ohne Prügel dabei
+wegkommt.
+
+Sonst ist beim eigentlichen Volke in Nordafrika das Schnapstrinken nicht
+gebräuchlich, erst wenn man den Niger erreicht hat, in den
+Yorubaländern, also der Küste zu, stößt man auf ganze Karawanen mit
+Kisten, welche Schnapsflaschen enthalten. Hier an der ganzen Westküste
+von Afrika huldigen die Schwarzen dem Gotte "Schnaps". Und welch'
+entsetzliches Getränk, das vorzugsweise in Frankreich und Deutschland
+fabricirt wird, wird ihnen zugeführt. Es unterliegt denn auch wohl
+keinem Zweifel daß nicht Kriege, wohl aber dieses entsetzliche Gift jene
+Völker in kürzester Zeit ausrotten und vertilgen werden. Denn diese
+Völker trinken nicht, sondern saufen, wenn sie Schnaps besitzen, so
+lange, bis sie wie todt auf dem Platze liegen bleiben. Und Schnaps
+können sie ohne Mühe und ohne große Arbeit haben. Wenn auch der
+Sclavenhandel früher die Mittel zum Schnaps für die Großen jener Länder
+geben mußte, oder die Könige auch direct ihre Unterthanen gegen Fässer
+Schnaps weggaben, so geht dies allerdings jetzt nicht mehr, denn an der
+Westküste von Afrika ist dem Sclavenhandel wohl ein Ende gemacht. Aber
+dafür tauscht sich gegen Palmöl, gegen Palmnüsse jetzt Jeder seinen
+Schnapsbedarf ein und die Wälder sind ja vorläufig an Oelpalmen so
+reich, daß an Mangel nicht zu denken ist. Während also früher nur die
+Könige und Vornehmen der Schwarzen Schnaps trinken konnten, kann jetzt
+Jeder diesen Artikel bekommen, der das Glück hat, den Europäern Nüsse
+oder Oel zu bringen. Der Schnaps wird eher mit den Schwarzen fertig
+werden, als es das Schwert oder die Flinte des Europäers vermöchte.
+
+
+4. _Opium und Haschisch_.
+
+In Afrika hat Opium nur geringen Anhang gefunden und wahrscheinlich ist
+dies Betäubungsmittel erst durch die Türken den Eingeborenen dieses
+Continents mitgetheilt worden. Die Mohnpflanze, dieselbe, wie die bei
+uns in Europa gezogene, entwickelt bei anderen klimatischen
+Verhältnissen in Afrika und Asien jene Eigenschaften, gute und böse, die
+in der Heilkunde so segensreich wirken, aber bei unnützem und
+übermäßigem Gebrauche sich als eines der bewährtesten Mittel erweisen,
+ganze Völker der Erde ohne Pulver und Blei von derselben verschwinden
+zu machen.
+
+Um Opium zu erzielen, bauen die Eingeborenen Afrika's die Mohnpflanze
+nur in Aegypten und zwar heute, nach Schweinfurth, _nur_ in Oberägypten.
+Und dem Anbaue des Zuckerrohrs und der Baumwolle wird der Mohn in
+Aegypten wohl bald ganz weichen müssen. Sodann wird aber auch in
+Marokko, namentlich in der Oase Tuat dieses Landes, Mohn des Opiums
+wegen angebaut, aber immer nur der Art, daß der Gewinn des Mohnsamens
+behufs Oelbereitung die Hauptsache bleibt, indem die Köpfe nur
+oberflächlich geritzt werden, damit der Samen seiner Hülsung unberaubt
+zur Reife kommen kann. Man kann deshalb auch sagen, daß der Gebrauch des
+Opiums sich nur auf die Städtebewohner beschränkt und zwar nur in
+Nordafrika.
+
+Man raucht den Opium oder man nimmt das Extract in Form von kleinen
+Stückchen oder Pillen. Aber nicht wie im Orient raucht man Opium allein,
+indem man ein Stückchen in eine kleine Pfeife bringt, eine Flamme
+darüber streichen läßt und den heißen Opiumrauch einathmet, sondern man
+legt das Extract aus eine Narghile und so vermischt man Tabak-und
+Opium-Narcose. In Aegypten, namentlich in Damiette, sah ich indeß auch
+Opium allein und direct rauchen.
+
+Das in Marokko verbrauchte Opium darf in den großen Städten nur durch
+von der Regierung bestellte Leute, die meistens auch den Tabakverkauf
+haben, verkauft werden. Früher wurde nur ägyptisches Opium verkauft,
+welches Pilger von ihrer Reise in kleinen, 2-3 Zoll großen Kuchen, die
+einen Zoll dick waren, mitbrachten. Jetzt wird in Marokko meistens aus
+Frankreich importirtes Opium, =opium crú=. d.h. wässeriges
+Opiumextract, gebraucht, nur in einzelnen Gegenden stellt man selbst
+Opium her. In Tuat, der großen südlich vom Atlas gelegenen Oase, fand
+ich die meisten Opiumesser und zwar Leute, die es so weit gebracht
+hatten, daß sie ohne Opium nicht mehr existiren konnten; in dieser Oase
+waren auch alle anderen Berauschungsmittel unbekannt. Leider giebt es
+aber auch in Afrika Europäer genug, die sich dem Opiumgenusse hingeben.
+Einer der gelehrtesten Männer in Keilschriften war derart dem Opium
+zugethan, daß er ohne dasselbe zu leben vollkommen unfähig war, er nahm
+Opium in roher Form und rauchte Tabak, den er in Opiumtinctur gelegt und
+macerirt hatte. Schon seit Jahren ist er dem Gifte erlegen. Ich selbst
+hatte unter Opiumgenuß monatelang zu leiden.
+
+Erkrankt in Rhadames an einer blutigen Dyssenterie, hatte ich große
+Gaben von Opium genommen und konnte ich mich des Gebrauchs nicht
+entschlagen, da ein Aufhören im Opiumessen oder auch nur ein Vermindern
+der Gaben gleich wieder heftige Diarrhöen zur Folge hatte, bis plötzlich
+der Genuß frischer Datteln (die sonst in der Regel gegenteilig wirken)
+Besserung erzielte.
+
+Keineswegs befand ich mich dabei in einem angenehmen Zustande;
+allerdings ist das "Bessersein", das Befreitsein von einer lästigen
+Krankheit schon Etwas, allerdings verspürt man eine Erleichterung, eine
+Behendigkeit in allen Gliedern, aber angenehme Empfindungen, sensuelle
+Erregungen traten nie bei mir ein. Es ist ja auch vollkommen constatirt,
+daß beständiger Opiumgenuß erotisch dämpfend ist. Das Haschen, das
+Jagen nach Opium hat wohl nur seinen Grund darin, daß es ein gewisses
+Wohlbehagen, eine _körperliche_ und in Folge davon auch eine geistige
+Gleichgültigkeit gegen Alles, was Einen umgiebt, mit sich im Gefolge
+hat.
+
+Viel verbreiteter als Opium ist Haschisch in Afrika. Aber die Angabe v.
+Bibra's, daß es 300 Millionen Haschischesser auf der Erde überhaupt
+gebe, möchte ich doch nicht unterschreiben. In Afrika z.B., wo von
+Marokko jedenfalls das größte Contingent gestellt wird, würde man
+höchstens sagen können, daß von der ungefähren Bevölkerung dieses
+Landes, die man auf circa 6,500,000 Seelen rechnen kann, höchstens die
+Hälfte Haschisch nimmt. Von Westen nach dem Osten nimmt in Afrika der
+Hanfgenuß ab, ebenso von Norden nach Süden. In Tunis, in Algerien giebt
+es noch viele Haschischkneipen, weniger schon in Tripolitanien und
+Aegypten. Schweinfurth fand Hanfesser nur im Delta, doch kommen sie
+sporadisch auch wohl noch weiter nach dem Süden zu vor. In Fesan baut
+man Hanf nur an einzelnen Orten, nach Duveyrier besonders in Tragen.
+Frauen huldigen sehr selten in Afrika dem Hanfe. Im Süden wird nur
+vereinzelt =cannabis indica= genommen und ist dort wohl von den
+Arabern importirt worden, entgegengesetzt der Ansicht von Escayrac de
+Lauture, der die cannabis indica aus dem Süden stammen lassen will.
+Hervorgerufen war wohl diese Ansicht dadurch, daß man früher glaubte,
+die cannabis indica sei unterschieden von der =cannabis sativa=.
+Das ist nicht der Fall. Auch hier bringen die topographischen und
+klimatischen Einflüsse bei _derselben_ Pflanze nur andere und zwar im
+Süden kräftigere Eigenschaften hervor.
+
+Aber wie die Eigenschaften des Hanfes je mehr und mehr nach Norden an
+Wirksamkeit zu verlieren scheinen, so scheint auch die Empfänglichkeit
+für dies Narcoticum im Norden schwieriger vor sich zu gehen, als in
+einem südlichen Klima[23]. Professor Preyer in Jena konnte mit guten
+Haschischblättern, die ich frisch und direct von Tripolis hatte kommen
+lassen, keine besonderen Rauschresultate erzielen; v. Liebig fand in
+Blättern derselben Sendung keine anderen wirksamen Bestandtheile, als in
+der =cannabis sativa=.
+
+Man könnte also fast sagen, um eines vollkommenen Rausches theilhaftig
+zu werden, muß man in südlichen Ländern gezogenen Hanf in südlichen
+Ländern nehmen.
+
+Ich habe an anderen Orten meine an mir selbst angestellten Beobachtungen
+niedergelegt. Und wenn ich diesen im Jahre 1866 angestellten Versuch mit
+denen vergleiche, die Dr. Lay, Dr. Moreau, v. Bibra, Dr. Baierlacher u.
+A. vorgenommen, so kann ich nur bestätigen, daß in der Hauptsache meine
+Empfindungen mit denen der genannten Beobachter übereinstimmen.
+
+Der wirksame Stoff in der cannabis indica ist ein von Gastinel
+hergestelltes und von ihm Haschischin genanntes Alcaloid von schöner
+grüner, jedoch nicht von Chlorophyll herrührender Farbe. Genommen wird
+Hanf in Theeform oder man pulverisirt die getrockneten Blätter und
+schluckt sie mit Wasser hinab, oder man raucht dieselben, oder sie
+werden zu einer mit Zucker und Gewürzen verarbeiteten Pastete, "Madjun"
+genannt, gegessen[24]. Letztere Form findet man nur in den Städten.
+
+Fast in ganz Afrika wird vorzugsweise Hanf _geraucht_, wenigstens fängt
+man hiermit an; erst im zweiten Stadium wird Haschisch gegessen. Das
+Rauchen hat einfach deshalb nicht so großen Erfolg, weil selbst geübte
+Veteranen im Narghilerauchen es schwer vertragen, den beißenden und
+ätzenden Dampf durch die Lunge direct mit dem Blute in Berührung zu
+bringen. Es ist deshalb auch übertrieben, wenn einzelne Reisende
+berichten, es gebe Hanfraucher, die es bis auf 30 Pfeifen und mehr
+täglich bringen könnten. Abgesehen davon, daß die Haschischpfeifenköpfe
+nicht größer sind, als das Viertel eines Fingerhutes einer Dame, so
+ziehen die auf Hanf erpichtesten Raucher selten mehr als zwei bis drei
+Züge aus dem Pfeifchen, pausiren sodann lange Zeit oder lassen die
+Pfeife ausgehen, oder aber, wenn sie reich und großmüthig sind, reichen
+sie die Pfeife zum Mitrauchen einem Nebensitzenden.
+
+Das wirksame Princip des Hanfes sitzt besonders in den Blättern und den
+feinsten Stengeln und zwar zu der Zeit, wenn der Same eben reif geworden
+ist. Im Samen selbst, der stark ölartig ist, scheint Haschischin wenig
+oder gar nicht enthalten zu sein; die Haschischesser werfen denn auch
+den Samen fort, wenn sie die Blätter bereiten. In den Ländern Afrika's,
+die ich durchreist habe, habe ich nie von einem Harz, "Churrus"
+genannt[25], welches aus den Blättern schwitzt, reden hören, noch habe
+ich es selbst zu sehen bekommen.
+
+Die Wirkungen des Haschisch lassen sich dahin zusammenfassen, daß im
+Anfange bei kleinen Dosen die Eßlust stark angeregt wird, während
+fortgesetzter Gebrauch und große Dosen eine Störung aller Lebensprozesse
+im Körper bewirken. Wem cannabis indica zur Gewohnheit geworden ist,
+kann sich davon schwerer entwöhnen, als der Trunkenbold von
+alkoholartigen Getränken, der Opiophage vom Opium. Auf das Nervensystem
+wirkt nach den Resultaten der Versuche, die als glaubwürdig vorliegen,
+das Haschisch so, daß mit einer Erleichterung im "Fühlen alles
+Körperlichen" (man glaubt zu schweben) eine große momentane
+_Gedächtnißstärke_ verbunden ist, man erinnert sich an Ereignisse,
+welche einem seit Jahren nicht mehr ins Gedächtniß gekommen sind. Und
+auch körperlich scheinen die Gegenstände sich zu _vergrößern_ und zu
+_verlängern_: Straßen werden endlos, Häuser scheinen in den Himmel
+hineinzuragen. Dr. Mornau sagt treffend[26]: "Die Grenzen der
+Möglichkeit, das Maß des Raumes in der Zeit hören auf, die Secunde ist
+ein Jahrhundert und mit einem Schritte überschreitet man die Welt;" und
+weiter sagt derselbe Beobachter: "im Gehen sei ihm eine Straße unendlich
+verlängert vorgekommen." Ganz dieselben Beobachtungen habe ich auch
+gemacht.
+
+Es kommen sodann schließlich bei geringstem Anlasse Sinnestäuschungen
+vor, eine unbemalte Wand erscheint in den schönsten Farben, das Gquieke
+einer Thür ertönt wie symphonische Concerte und wenn einerseits das
+Gedächtniß neu belebt erscheint, vergißt man oft bei einem ganz kurzen
+Redesatze den Anfang desselben, als ob man seit Stunden geredet hätte.
+
+So achtungswerth aber auch die Namen gewisser Reisenden sind, so möchte
+ich nicht die Ansicht mit vertreten, daß Haschisch eine Wirkung
+hervorrufen könnte, einen Menschen, wie Treevelgar erzählt, in
+zehntägige Katalepsie zu versetzen. Dagegen finde ich den von
+O'Shangnessy[27] mitgetheilen Fall von einer durch Haschisch bewirkten
+_vorübergehenden_ Katalepsie vollkommen glaubwürdig. Fallen doch fast
+alle veralteten Hanfesser in eine mehr oder weniger lange anhaltende
+Starrsucht.
+
+Jedenfalls wird man nicht zu viel sagen, wenn man behauptet, daß die
+cannabis indica, eines der heftigsten Reizmittel, im Stande ist, nicht
+nur die herrlichsten Empfindungen, die bezauberndsten Bilder zu
+schaffen, sondern auch den Menschen gewissermaßen momentan der Erde zu
+entrücken, aber auch andererseits wegen des Giftes, das darin liegt,
+eines der gefährlichsten Präparate, das mit unwiderstehlicher Gewalt den
+Menschen, der sich ihm hingegeben, festhält und nach Kurzem tödtet.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 15:= Les Touareg du Nord, p. 185=.]
+
+[Footnote 16: Zeitschr. der Gesellsch. für Erdk. VII. Bd. V. Heft.]
+
+[Footnote 17: Papst Urban VIII. erließ 1624 eine Bulle gegen das
+Tabakschnupfen in den Kirchen, aber trotz dieses unfehlbaren Edicts
+schnupfen heute fast alle Priester in den Kirchen wie _außerhalb_.]
+
+[Footnote 18: Europäische Aerzte verordnen übrigens auch nur eine
+=decoctio=, keine =infusio= des Kaffee's]
+
+[Footnote 19: Ausland 1872. S. 948.]
+
+[Footnote 20: Dr. v. Bibra, Narcotische Genußmittel. Nürnberg 1855.]
+
+[Footnote 21: Dr. v. Bibra, Narcotische Genußmittel.]
+
+[Footnote 22: Auch Schweinfurth sagt, er habe auf seiner letzten Reise
+ein gutes, dem deutschen Biere ähnliches Getränk gefunden.]
+
+[Footnote 23: Globus 1866 und Land und Leute in Afrika, Rüthmann, Bremen
+1870]
+
+[Footnote 24: Ich führe hier an, daß wenn Europäer mit Hanf Versuche
+anstellen wollen, sie sich mit größter Vorsicht dabei des Madjun
+bedienen mögen, da in der Regel auch Cantharibenpulver dazwischen
+gemischt ist.]
+
+[Footnote 25: v. Bibra, S. 266.]
+
+[Footnote 26: v. Bibra, S. 272.]
+
+[Footnote 27: v. Bibra, S. 284.]
+
+
+
+
+8. Aufbruch zur Libyschen Wüste.
+
+
+"Wie ein Afrikareisender mit einer Schlittenpartie seine Reise in die
+Libysche Wüste antritt", hätte ich dieses Mal mein Tagebuch
+überschreiben können. Das ist auch wohl noch nicht dagewesen, und
+doch,--denn als ich meine zweite Reise antrat, mußte ich ja auch nach
+einigen Tagemärschen, wenn auch nicht durch oder über Schnee, so doch
+daran vorbei und noch dazu in Afrika selbst, auf dem großen Atlas.
+
+Diesmal galt es nun zwar nicht, den mit Schnee bedeckten Atlas zu
+übersteigen, sondern auf angenehmste Weise über den herrlichsten aller
+Alpenpässe zu kutschiren, über den Splügen. Am Morgen in der Frühe
+sollte es weiter gehen, und so geschah es auch. Eine ziemlich zahlreiche
+Reisegesellschaft, drei große Postwagen voll Menschen beiderlei
+Geschlechts, von jeglichem Alter, von jedem Stande. Ich hatte für mich
+einen Coupéplatz bekommen und Noël[28] im selben Wagen einen
+Interieurplatz. Neben mir (die Coupés haben nur zwei Plätze) saß noch
+eine junge Dame, ein Mädchen, ein Backfisch, ein Kind--eine jede dieser
+Bezeichnungen würde auf sie gepaßt haben--nicht hübsch, nicht häßlich,
+Schweizern, mit einer entsetzlichen Aussprache des Deutschen und
+ungemein schüchtern, verlegen und blöde. Der Backfisch, nennen wir sie
+so, war in Belfort in Pension gewesen, um Französisch zu lernen; unter
+der Zeit waren seine Eltern von der Schweiz, wo sie ansässig gewesen
+waren, nach Bergamo gezogen und jetzt, nach beendigtem Cursus, sollte
+der Backfisch wieder heim zu den Eltern. Und das ging ganz gut, wie ein
+Packet wurde er befördert. In Chur logirten wir z.B. im "Luckmanier"
+zusammen, der Backfisch wurde von der Wirthin empfangen u. Abends, als
+der Wirth gehört hatte, ich reise nach Italien, kam er zu mir, ob ich
+nicht den Backfisch unter meine Obhut bis Como oder Lecco nehmen wolle,
+dort würde er von verwandten Fischern in Empfang genommen werden.
+Natürlich sagte ich nicht "nein" und merkwürdig genug traf es sich, daß
+im Interieur eine nach--der Türkei, nach Trapezunt reisende Dame sich
+unter Noël's Schutz begab.
+
+Ich unterlasse es, von den Schönheiten der =Via mala= zu sprechen,
+offenbar der schönste und großartigste Paß, der über die Alpen führt und
+welcher, da der Baumbestand aus Nadelhölzern besteht, zu jeder Zeit grün
+ist. Ja, ich möchte sagen, der naturschönheitliche Reiz wird im Winter
+eher erhöht, als vermindert durch die starken Contraste des
+blendendweißen Schnees und des tiefen, fast schwarzen Grüns der Fichten
+und Kiefern. Als sämmtliche Passagiere obligaterweise an der Stelle
+ausgestiegen waren, wo die =Via mala= am engsten ist und wo eine
+Brücke über den Schlund führt, die man auch Teufelsbrücke hätte nennen
+können, ging es weiter und Mittags erreichten wir Splügen.
+
+Eine gemeinschaftliche =Table d'hôte= brachte alle Reisenden
+zusammen und der gute Veltliner Wein, wie das warme Zimmer führten eine
+recht animirte Unterhaltung herbei, denn zur Hälfte waren die Reisenden
+Italiener, welche, froh, bald die Grenze ihrer =cara Italia=
+erreicht zu haben, nicht verfehlten, ein Glas mehr, als gewöhnlich, zu
+trinken. Mit dem Orte Splügen hat man aber keineswegs die Paßhöhe
+erreicht. Im Gegentheil, jetzt beginnt erst das _steile_ Steigen und
+eine Viertelstunde oberhalb des Dorfes fanden wir ein ganzes
+Schlittendepôt. Die Postkutschen wurden verlassen und je Zwei wurden in
+einen eleganten Schlitten gepackt; wir hatten die Schneegrenze erreicht.
+Natürlich geht dieselbe im December noch tiefer, bis Chur selbst,
+hinunter und fängt im Januar und Februar gar unterhalb Chur an, aber im
+November und October fällt Schnee nur bis Splügen und etwas oberhalb.
+
+Hatten wir am Tage vorher abscheulich nebliges Wetter gehabt, so war
+unsere =Via-mala=-Tour, unsere Schlittenpartie über den Splügen,
+durch den sonnigsten, italienischen Himmel verherrlicht. Aber kalt war
+es. Trotz des Südwindes, der allerdings stundenlang über Gletscher und
+Schneefelder fegte, fror man bis auf's Innerste. Wie froh war ich, daß
+ich meinen grauen Mantel und die Pelzdecke mitgenommen hatte. Drei
+Stunden brauchten wir zu dieser Schlittenfahrt und man kann sich einen
+Begriff machen, welche Schneemassen im Laufe des Winters auf den Alpen
+angehäuft werden, wenn ich sage, daß wir manchmal Stellen passirten, wo
+der Schnee schon (durch Anwehen) 10-12' hoch lag. Auf der Südseite, noch
+mitten im Schnee, liegt die italienische Douane, während man die Grenze
+schon früher auf der Kante des Passes selbst passirt hat.
+
+Die Zollbeamten waren diesmal äußerst milde; hielten sie mich für irgend
+eine besondere Persönlichkeit (denn in den Augen aller dieser Leute
+passirte Noël immer als mein Diener), oder ist die Praxis überhaupt
+milder geworden, genug, es wurde nur ein Koffer pro forma geöffnet und
+damit war Alles fertig. Ich war namentlich froh wegen meiner Patronen,
+die ich ja gern versteuert hätte, von denen ich aber fürchten mußte, sie
+würden confiscirt werden.
+
+Bald darauf erreichten wir die südliche Schneegrenze und in ebenso guten
+Postkutschen ging es weiter. Den herrlichen Punkt, wo ein Gießbach ins
+Thal hinab braust und wo man der Fernsicht halber eigens eine Kanzel
+erbaut hat, von der man die schönste Aussicht genießen kann, passirten
+wir noch eben bei Licht, dann noch eine halbe Stunde das schönste
+Alpenglühen, wie ich es nie leuchtender und intensiver gesehen habe, und
+tiefe Nacht senkte sich rasch auf uns herab. Nach zwei Stunden, d.h. um
+6-1/2 Uhr Abends, waren wir in Chiavenna.
+
+Das Hotel zur Post, von dem Herrn Schreiber gehalten, ist berühmt in
+ganz Italien und auch wir konnten mit dem Nachtmahl, welches uns
+aufgetischt wurde, nur zufrieden sein; ja, das Lob seines Valtelliner
+machte, daß er uns noch eine Flasche, natürlich für unser Geld,
+heraufholte. Wir schieden um 10 Uhr als gute Freunde (im ganzen Hôtel
+ist nur deutsche Bedienung) und weiter ging's bis Colico, welchen Ort
+wir um 1 Uhr Nachts erreichten. In Colico selbst wurde nur umgeladen in
+einen anderen Wagen, der nach Lecco bestimmt war.
+
+Aus dieser schönen Tour längs des Lago di Como, die ich übrigens zu
+Lande schon einmal, zur See schon mehreremal gemacht habe, merkten wir
+nun zwar nichts von den Reizen der Natur, aber die milderen Lüfte und
+zur Seite des Wagens die belaubten Olivenbäume bekundeten auch so genug,
+daß wir uns auf der anderen Seite der Alpen befänden.
+
+In Lecco angekommen, wurde ich des kleinen Backfisches ledig. Als wir
+uns aus dem Omnibus Einer nach dem Anderen entwickelten, stand ein Herr
+bereit: "Sind Sie Fräulein Müller?" (Meier, Schulze oder Schmidt, so
+ungefähr klingt der Name). "Ja, ich bin es." Und damit fiel die junge
+Dame in verwandtschaftliche Arme.
+
+Wir Anderen fuhren von Lecco gleich mit der Bahn bis Mailand weiter und
+direct ins Hôtel Reichmann, nächtigten daselbst und fuhren ohne
+Unterbrechung nach Brindisi, wo wir Abends um 10 Uhr anlangten. Von den
+anderen Herren war noch Niemand hier, ich vermuthete, Alle seien wegen
+des Choleragerüchtes über Triest gegangen. Zu meiner Freude hörte ich
+aber bald darauf, daß die Cholera erloschen sei.
+
+In Brindisi ist ein vorzügliches Hôtel, das des =Indes orientales=.
+Die Absicht, in eine Locomda zu gehen, gab ich auf, da ein
+italienischer Reisegefährte mir unterwegs sagte, man bekäme dort
+unfehlbar =pedocchi= d.h. die Thierchen, welche die Franzosen im
+Gegensatze zu den Flöhen, der leichten Cavallerie, die schwere nennen.
+Näher brauche ich diese menschenfreundlichen Thierchen wohl nicht zu
+bezeichnen. Ich dachte aber, es ist noch früh genug; wenn man sich ihrer
+in Afrika nicht wird erwehren _können_, dann muß man mit ihnen
+haushalten.
+
+Komisch erschien mir die Extravaganz der italienischen Damen in den
+neuesten Moden: fußhohe Chignons aller möglichen Formen, selbst die
+Hörner der Pullo-Frauen[29], die Wulste der Mandara-Damen[30] sind nicht
+ausgeschlossen; ich glaube, keine Damen der Welt entwickeln so viel
+Phantasie in der Herstellung aller nur möglichen Haartouren, als die
+schönen Milaneserinnen. Sehr häufig sieht man vorn auf der Stirn kleine
+Löckchen glatt angeklebt mit Pomade, ein entsetzlich schlechter
+Geschmack. Alles dies gilt nur von der vornehmen Welt, das Volk ist in
+dieser Beziehung vernünftiger.
+
+Mein Zimmer in der Bel-Etage des Hôtels von Brindisi ging auf den Hafen,
+und wenn auch keine großartige Aussicht geboten ist, so hat man doch
+immer ein belebtes Bild.
+
+Ich verbrachte meine Zeit damit, daß ich dem englischen Consul einen
+Besuch machte, um seine herrliche Sammlung von Antiken u.s.w. zu
+besehen. Er empfing mich sehr freundlich und hatte, wie er sagte, aus
+der "Times" schon mein Kommen über Brindisi erfahren. Sodann suchte ich
+den Archidiakon Farentini auf, der die Bibliothek unter sich hat, in der
+sich nebenbei ebenfalls ein kleines archäologisches Museum befindet,
+welches einzelne hübsche Sachen, z.B. ein prachtvolles Lacrimale[31] und
+interessante Broncestatuetten enthält. Bei der Gelegenheit zeigte er mir
+auch eine höchst merkwürdige Vase, welche sich im Reliquien-Schreine des
+Doms befindet, von so feinkörnigem Granit, wie ich ihn nie gesehen. Sie
+soll durch Kreuzfahrer aus Palästina gekommen sein, so sagen die
+ältesten Chroniken. Ob sie, wie Pater Farentini behauptet, phönicischen
+Ursprunges ist, wage ich nicht zu bestätigen. Nach dem Volksglauben
+ältester Zeit soll dies dieselbe Vase sein, in der Jesus Wasser in Wein
+verwandelt hat. Pater Giov. Farentini fügte aber hinzu: "Ich für meinen
+Theil halte sie nur werth als ein höchst interessantes Kunstwerk, die
+damit verknüpfte heilige Legende überlassen wir dem Volke." Ein
+liebenswürdiger alter Mann, dieser Domherr, der sich ein über das andere
+Mal selbst besegnete (=benedetto io=), daß er meine Bekanntschaft
+gemacht habe. Am nächsten Tage wollte er mir noch einige
+Merkwürdigkeiten in der Stadt und Umgegend zeigen, obschon Brindisi in
+dieser Beziehung sehr arm ist.
+
+Nur langsam erholt sich diese einst so wichtige Stadt, welche im
+Alterthum über 100,000 Einwohner, jetzt kaum 10,000 Seelen hat.
+
+Strabo, welcher ausführlich von dieser alten Stadt handelt, sagt[32].
+Brundusium soll, wie gesagt wird, eine Colonie der Kreter sein, die mit
+dem Theseus aus Knossus dahin kamen. Sodann lobt Strabo den Hafen der
+Stadt, nach ihm ungleich besser als der Tarents, und fügt hinzu, dieser,
+wie es dem Anscheine nach aussieht, einzige Hafen theilt sich inwendig
+in eine Menge kleinerer Busen, so daß der gesammte Hafen die Gestalt
+eines Hirschkopfes bekommt, daher die Stadt auch ihren Namen erhalten
+haben soll, denn in der Sprache der Messapier heißt ein Hirschkopf
+Brundusium.
+
+Brundusium ist auch nach Strabo der gewöhnliche Hafen, aus dem man
+ausfährt, wenn man nach Griechenland oder Asien übersetzen will, und
+alle Griechen und Asiaten landen auch hier, wenn sie Rom sehen wollen.
+Brundusium gilt als Geburtsstätte des Tragödiendichters Pacuvius, und
+Virgil ist hier gestorben.
+
+Mit dem Zusammensinken des römischen Reiches hörte die Blüthe der Stadt
+aus, natürlich weil der Verkehr zwischen Morgenland und Abendland
+stockte. Und als dann zur Zeit der Kreuzzüge auf einmal wieder ein
+lebhafter, wenn auch feindlicher Zusammenstoß zwischen Occident und
+Orient stattfand, hob sich Brundusium rasch wieder und erlangte eine
+Einwohnerzahl, die auf 60,000 Seelen veranschlagt wird. Kaiser
+Barbarossa bevorzugte namentlich den Hafen und er ist auch der Erbauer
+des Castells. Mit dem Falle Jerusalems, mit der Beendigung der
+Kreuzzüge hing auch der Verfall Brundusiums zusammen.
+
+Erst jetzt, wo Brindisi wieder Hauptausgangspunkt und Ankunftsort für
+Abendland und Morgenland geworden ist, hebt sich die Stadt wieder. Da
+aber jetzt die diese Straße Ziehenden bei Weitem nicht so lange im Hafen
+weilen wie im Alterthum, so ist der Aufschwung der Stadt ein viel
+langsamerer. Aber Brindisi wird jedenfalls, wird diese Linie
+beibehalten, immer eine gewisse Wichtigkeit bewahren.
+
+Die Stadt selbst macht auch nur einen sehr dürftigen Eindruck; zwar sind
+die Straßen mit herrlichen Quadern gepflastert, aber meist sehr schmal,
+die Häuser zum größten Theile einstöckig, und dann macht es einen höchst
+traurigen Eindruck, daß so viele Bauten unvollendet gelassen, zum Theil
+schon wieder Ruine geworden sind. Was war die Ursache davon? Hatte man
+kein Geld, keine Lust zum Weiterbauen? Aber wie erquickt Einen das
+herrliche Grün, wie lächeln Einem die allbekannten Opuntien und
+langblätterigen Aloës zu, wie bekannt und heimisch winkt der hohe
+Palmbaum! Dazu das lebendige Treiben auf der Straße. Die wirklich
+madonnenhaften Antlitze der jungen Mädchen, denn eine durchweg schöne
+Bevölkerung ist in Apulien und namentlich der weibliche Theil, ist fast
+durchaus schön zu nennen.
+
+Und so wie es ist muß es auch sein; ich möchte nichts von dem wissen,
+wie wir uns Italien seit jeher vorgestellt haben und wie es in der That
+ist. Da scandalirt man über den Schmutz[33] der neapolitanischen
+Bevölkerung, über die =shocking= Nacktheit der dort
+herumlaufenden, herumkriechenden Kinder, aber man mache einmal aus
+Neapel eine nach holländischer Art abgewaschene Stadt--und Neapel ist
+nicht mehr Neapel.
+
+Ein ununterbrochener Regen goß herab, auf der Post fand ich einen Brief
+von Ernst[34], dem an der Grenze die Patronen confiscirt waren, der
+sonst aber wohlbehalten mit Taubert[35] in Triest angekommen war. Auch
+Jordan[36] schrieb von dort vom 20.: er sei mit Remelé[37] und drei
+Dienern in Triest angekommen, habe meine beiden Diener gefunden und
+Freitag Nachts hätten sie sich an Bord begeben. Zittel[38] und
+Schweinfurth[39] könnten nun möglicherweise am selben Abend noch hierher
+kommen, wenn sie nicht auch die Route Triest genommen hätten; am Abend
+vorher hatte ich sie vergebens erwartet.
+
+Als ich meine Briefe postirt hatte, legte sich der Platzregen, welcher
+den ganzen Morgen mit ununterbrochener Wuth herabgeströmt war, und bald
+darauf erschien der Archidiakon Farentini, um mich abzuholen. Er zeigte
+mir zuerst eine höchst merkwürdige Kirche, eine sehr alte Baute, die
+ursprünglich frei angelegt, später durch den Ueberbau einer anderen
+Kirche zu einer Krypta gemacht und jetzt wieder durch Hinwegräumung des
+umgebenden Terrains eine überirdische Kirche geworden ist. Sie rührt aus
+dem 5. oder 6. Jahrhundert her. Sodann gingen wir nach einer Rotunde,
+einer Ruine, von der die Reisebücher behaupten, sie sei als christliche
+Kirche gebaut, was indeß keineswegs erwiesen ist. Jedenfalls rühren die
+Säulen, die Capitäler von verschiedener Ordnung von alten römischen oder
+griechischen Tempeln her. Es war mittlerweile dunkel geworden und wir
+verabschiedeten uns von einander.
+
+Bei meiner Nachhausekunft fand ich Zittel und Ascherson vor. Sie waren
+beide über Rom und Neapel Nachmittags in Brindisi eingetroffen und
+Ascherson hatte den kurzen Aufenthalt schon benutzt, um zu botanisiren;
+ganz mit Pflanzen beladen kam er nach Hause. Wir dinirten noch
+gemeinschaftlich und gingen dann um 7 Uhr an Bord. Zuerst hatten Noël
+und ich, Ascherson und Zittel je eine Cajüte für uns, als aber dann in
+unsere Cabinen noch fremde Leute hineingesteckt wurden, tauschten wir
+derart, daß wir Vier zusammenkamen. Ich konnte die Nacht gar nicht
+schlafen, die Betten waren sehr hart und schmal und gegen Morgen
+entstand ein Höllenlärm, denn um 3 Uhr kam ein Londoner Expreßtrain, den
+auch Schweinfurth benutzt hatte, von Bologna und um 8 Uhr Morgens kurz
+vor Frühstückszeit, als wir auf dem Deck erschienen, waren wir schon
+=en route=; es war köstliches Wetter, das Meer leicht gewellt, was
+aber dem sehr großen Dampfer keine Bewegung verursachte.
+
+Um 10 Uhr Morgens fuhren wir bei der griechischen Stadt Navarin vorbei;
+auch an dem Tage herrliches Wetter, wenn auch etwas trüber. Je mehr wir
+nach dem Süden kamen, desto milder wurde die Lufttemperatur und Abends
+hatten wir immer das schönste Meerleuchten, und die Zeit wäre gewiß so
+angenehm wie möglich vergangen, wenn nicht Regenwetter eingetreten wäre,
+welches uns nöthigte unter Deck zu bleiben. Die letzten beiden Tage
+hatten wir sogar Sturm; Zittel und Ascherson waren seekrank,
+Schweinfurth, Noël und ich hielten uns vortrefflich; aber Zittel mußte
+einen ganzen Tag im Bette liegen, da er sich stark erkältet hatte und
+heftige Halsschmerzen bekam. Und doch war es so warm. 20 Grad im
+Schatten.
+
+Um 12 Uhr Mittags kamen wir in den Hafen von Alexandrien; wir mußten die
+Quarantäne am Bord des Schiffes bis übermorgen Mittag halten. Alle
+Sachen waren angekommen und alles Andere war von Menshausen, einem
+deutschen Kaufmanne, besorgt. Der Vicekönig war in Kairo und v. Jasmund
+auch, der dort sich augenblicklich mit dem Prinzen von Hohenzollern
+aufhielt. In Alexandria war projectirt, nur einen Tag zu bleiben, in
+Kairo drei bis vier, um dann gleich bis Minieh oder Siut (Hauptstadt von
+Oberägypten am Nil) vorwärts zu gehen.
+
+Welch' bewegtes Leben hier in Skendria oder Alexandria! Wir lagen am
+Eingange des Hafens auf der Rhede. Rechts der schöne Mex-Palast von Said
+Pascha, links der Leuchtthurm und der schneeweiße Palast von Mehemed
+Ali, der Mastenwald, mit der Stadt im Hintergrunde vor uns. In der Ferne
+ein üppiger Palmenwald: dies das Panorama von unserem Schiffe. Auf dem
+Schiffe selbst zerlumpte Soldaten mit gelber Schärpe, Abzeichen der
+Quarantäne. Dafür, daß ich mit Menshausen sprach, kam der wie ein
+Bänkelsänger aussehende Soldat gleich mit offener Hand auf mich los:
+"=nrid backschisch=", "ich möchte Trinkgeld." Er war sehr
+bedonnert, als ich ihn in arabischer Sprache fragte, wie er dazu käme
+und mit welchem Rechte er bettele. Natürlich gab ich ihm trotzdem sein
+Backschisch.
+
+Schweinfurth war wieder hergestellt und Zittel und Ascherson natürlich
+wie durch Zauber ihrer Krankheit hier im sicheren Hafen überhoben. Mit
+den übrigen Herren auf dem Lloydschiffe, welches auch gekommen war und
+einen Flintenschuß weit von uns lag, tauschten wir, sobald wir uns
+durchs Fernrohr erkannten, laute Hurrahrufe aus und später kamen Jordan
+und Remelé herüber, um uns (natürlich immer in respectvoller Distance,
+da sie fünf, wir aber nur zwei Tage Quarantäne halten sollten) zu
+begrüßen. Die Armen mußten darauf aber das Schiff verlassen, um am Lande
+die Quarantäne abzuhalten. Das ist langweilig und kostspielig für sie;
+aber amüsant mußte es ihnen sein, die zahlreichen Pilger zu beobachten,
+welche, an dem Tage von Marokko kommend, ein englischer Dampfer gebracht
+hatte, etwa 1000 an der Zahl. Das war ein sonderbarer Anblick; ein
+bunteres Bild konnte man kaum sehen, als sie in kleinen Barken zu 8-10
+Mann nach dem Quarantäne-Gebäude geschafft wurden. Aber bunt kann man
+eigentlich nicht sagen, weil alle entweder in einem schmutziggrauen,
+schmutzigbraunen oder schwarzen Burnus eingewickelt waren und offenbar
+die schlechtesten Gewänder trugen, die sie überhaupt in ihrer Heimath
+von ihren Angehörigen hatten auftreiben können. Wie merkwürdig, daß sich
+dieser Pilgerzug mitten durch die civilisirtesten Länder und Völker
+hindurch immer noch erhält, denn eine Abnahme des Pilgerns ist wohl kaum
+zu spüren. Und wie merkwürdig, daß die christlichen Engländer es heute
+unternehmen, die fanatischen Gläubigen zu ihrer heiligen Stätte zu
+führen. Auf der einen Seite geben sie jährlich Hunderttausende von Pfund
+Sterling aus, um dem Umsichgreifen des Islam durch christliche Missionen
+ein Ziel zu setzen, auf der anderen Seite leisten sie demselben Vorschub
+dadurch, daß sie das Pilgern erleichtern, denn es kann nicht geläugnet
+werden, daß die jährlichen Zusammenkünfte am Berge Ararat und beim
+schwarzen Steine in Mekka die Mohammedaner zu immer neuem Fanatismus
+anfachen. Das ist bei den mohammedanischen Pilgerfahrten so gut der
+Fall, wie bei den katholischen. Uebrigens Angesichts unserer eigenen
+Pilgerreisen inmitten des civilisirten Europa ist es kaum erlaubt,
+darüber zu staunen; denn dem Unparteiischen muß es schließlich einerlei
+sein, ob er in Nordafrika dumme Schafheerden nach Mekka strömen sieht,
+oder solche von Frankreich, von Belgien, vom Rhein aus auf dem Wege nach
+Rom erblickt. Hier sowohl wie dort wird Dasselbe erstrebt: In Mekka wie
+in Rom ist für den Hohenpriester die Hauptsache, Geld zu bekommen, für
+die Pilger, sich Verdienste und Vergebung der Sünden zu erwerben. Einen
+Unterschied vermögen wir absolut nicht zu finden. Dummheit und
+Aberglaube sind bei den Mohammedanern wie Christen die Triebfedern.
+
+Langeweile hatten wir an Bord nicht; die Passagiere waren noch fast alle
+geblieben, nur die India-Reisenden gingen am selben Tage mit einem
+direct nach Suez gehenden Zuge ab. Ein solcher Quarantäne-Zug wird
+verschlossen, darf nirgends halten und ohne Aufenthalt geht es in Suez
+wieder an Bord. Der Hafen ist ungemein belebt; Dampfer kommen und gehen;
+einige, die von inficirten Häfen kommen, werden mit der gelben Flagge,
+dem Abzeichen, daß sie in Quarantäne sind, geschmückt; andere, die aus
+gesunden Häfen ausgelaufen sind, bleiben ohne gelbes Abzeichen und
+dürfen gleich mit der Stadt communiciren.
+
+Endlich schlug die ersehnte Stunde: zwei Cavassen vom Generalconsulat
+kamen an Bord, und uns und unsere Sachen einladend ging es fort und bald
+darauf hielten wir vor Abbat's Hôtel, an einem der schönsten Plätze
+Alexandriens gelegen. Ich ging zuerst zu Menshausen und dann auf's
+Consulat. Herr v. Jasmund empfing mich sehr freundlich. Für den Abend
+war ich mit allen meinen Begleitern zum Essen auf's Consulat geladen.
+
+Jordan und Remelé waren gestern Abend auch noch aus der Quarantäne
+befreit werden, welche also keineswegs so streng beobachtet und gehalten
+wurde, wie ursprünglich war angeordnet worden, und so waren wir denn
+Alle vereint im Hôtel Abbat, wo wir zum ersten Male erfahren sollten,
+mit ägyptischen Preisen zu rechnen. Allein für die Diener mußte ich
+täglich 40 Frcs. ausgeben. Im Uebrigen konnte man mit den Zimmern, dem
+Essen und der Bedienung zufrieden sein, obschon die Hôtels in
+Alexandrien nicht so gut sind, wie die in Kairo, da in der Hafenstadt
+die Passagiere nur ein bis zwei Tage zu bleiben pflegen, wogegen sie in
+Kairo manchmal Monate lang weilen.
+
+In Alexandria wurde meine ganze Zeit durch geschäftliche Angelegenheiten
+in Anspruch genommen. Nur Abends hatten wir Ruhe, uns an einem Glase
+Bier zu erlaben.
+
+Bei unserer demnächstigen Abreise von Alexandrien war am Schalter wieder
+eine entsetzliche Wirthschaft: Es ist unglaublich, mit welcher
+Gemüthsruhe der Billeteur die sich drängenden und ungeduldigen Reisenden
+am Schalter abfertigt. Werden sie gar zu lästig, hört er einige
+"=goddam=" oder "=au sacre nom de Dieu=" oder
+Kreuz-Millionen-Donnerwetter, dann entfernt er sich für fünf Minuten,
+nimmt eine Tasse Kaffee, um mit neuen Kräften dem Publicum
+entgegentreten zu können. Endlich war an mich die Reihe gekommen, ich
+hatte meine Billets, die Bagage wurde eingeschrieben und bald darauf
+ging's fort. Da Ascherson, Jordan und Remelé noch zurückblieben, um mit
+einem anderen Zuge nachzufahren, so lud Herr v. Jasmund uns ein, in sein
+Coupé zu steigen. Die Generalkonsuln in Alexandrien bekommen jedesmal
+ein eigenes Coupé, wenn sie reisen.
+
+Ich unterlasse es, über die Fahrt auch nur ein Wort zu sagen, doch muß
+ich erwähnen, daß wir in Kassar Sayet, beim Uebergange des linken
+Nilarmes, mit Nubar Pascha, der von Kairo nach Alexandria fuhr,
+zusammenkamen und demselben vorgestellt wurden. Eigenthümlich, ich hatte
+mir den Mann ganz anders gedacht, mehr diplomatenmäßig, d.h. wie bei uns
+die Staatsmänner auszusehen pflegen. Damit will ich aber keineswegs
+sagen, daß Nubar eine gewöhnliche Physiognomie habe, im Gegentheil,
+namentlich sein Auge ist wunderschön. Im Französischen drückt er sich
+gewandt aus. Er theilte uns mit, der Vicekönig wünsche der Expedition
+einen so wenig officiellen Anstrich wie möglich zu geben und deshalb
+müßten wir von einer militärischen Escorte abstehen. Dahingegen
+garantire er absolute Sicherheit der Gegend zwischen dem Nil und den
+Uah-Oasen. Die Unterredung dauerte nur kurze Zeit, da die Züge bald
+darauf wieder abfuhren. Mir war nichts angenehmer, aus der lästigen
+Escorte ledig zu sein. Wie ich denn überhaupt bemerken muß, daß der
+Gedanke einer militärischen Begleitung keineswegs von mir, sondern
+ursprünglich vom Chedive selbst ausging und zwar so gestellt wurde, daß
+ich glauben mußte, dem Chedive sei daran gelegen, eine militärische
+Bedeckung mitzugeben.
+
+Mit dem Zuge, den wir benutzten, erreicht man Kairo in fünftehalb
+Stunden. Um 1 Uhr waren wir denn auch angelangt, nachdem schon längere
+Zeit vorher die Pyramiden, die Gräber der Chalifen, die schlanken
+Minarets der Mohammed-Ali-Moschee ihren Willkommengruß uns entgegen
+gesandt hatten.
+
+Angekommen, begaben wir uns sogleich ins Nil-Hôtel, nachdem ich vorher
+vergeblich versucht hatte, die Diener in einem billigeren Hôtel
+unterzubringen. Nachmittags besuchten wir das Consulat, fanden aber, daß
+unser deutscher Viceconsul Travers auf einer Tour nach Minieh war, um
+den Prinzen von Hohenzollern dorthin zu begleiten. Abends waren wir im
+Theater und hörten die "Aida" von Verdi, welche in dieser Saison zum
+ersten Male aufgeführt wurde. Wer hätte nicht von den Wundern gehört,
+welche der Chedive durch Zaubergewalt in seiner Hauptstadt seit Jahren
+entstehen läßt? Wenn auch nicht alle gleich an Pracht, wie solche bei
+Eröffnung des Suez-Kanals dem Auge sich darbot, zeigen doch die Werke,
+welche der Vicekönig seitdem nach und nach ins Leben rief, um die
+Freuden des Lebens durch Kunstgenüsse zu erhöhen, einen derartig großen
+Anstrich, daß es sich wohl verlohnt, dabei zu verweilen.
+
+Einen Lieblingsgedanken, eine Oper zu besitzen, verwirklichte Ismael
+Pascha bald, nachdem die Feierlichkeiten der Kanaleröffnung vorüber
+waren, indem er auf dem prächtigen Esbekieh-Platze ein Gebäude mit
+Allem, was dazu gehört, für eine italienische Oper herrichten ließ. Um
+dasselbe würdig einzuweihen, veranlaßte er den Maëstro Verdi, eigens
+eine Oper dafür zu componiren. Den geschichtlichen Stoff lieferte
+Mariette, die literarische Redaction besorgte Ghislanzoni.
+
+Präcis 8 Uhr begann man mit der Ouverture, welche von einem vollkommen
+eingeübten Orchester meisterhaft vorgetragen wurde. Ebenso tadellos war
+die ganze Aufführung. Sänger und Sängerinnen sind durchweg ersten
+Ranges, namentlich der Tenor (Radames) Sigr. Fancelli, von einer Stärke
+und Höhe der Stimme, wie man ihn gewiß selten an einer der größten
+Bühnen Deutschlands findet. Was die Sängerinnen anbetrifft, so waren
+dieselben in der Saison nur aus Deutschland recrutirt, die Aida wurde
+von Fräulein Stolz, Amneris von Fräulein Waldmann repräsentirt. Beide
+waren in ihrer Art vorzüglich.
+
+Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß man bei der Costümirung auf
+größte Genauigkeit gesehen hat, um Kleidung und alte Gegenstände so
+herzustellen, wie sie durch die Aegyptologen uns bekannt und wie sie
+uns in den Museen aufbewahrt sind. Dazu ist Alles mit einer Pracht
+hergerichtet, wie es eben nur ein Fürst zu leisten vermag, dessen Mittel
+fast unbeschränkt sind.
+
+Was das Sujet anbetrifft, so ist es der ägyptischen Geschichte
+entnommen. Aegypten und Abessinien liegen seit Jahren in Krieg
+miteinander. Der Feldherr des Königs von Aegypten, Namens Radames hat
+die Tochter des äthiopischen Königs Amonasro, Namens Aida, gefangen
+genommen, er giebt sie der Tochter seines ägyptischen Königs, Namens
+Amneris, zur Sclavin. Radames verliebt sich aber in Aida und wird von
+Aida wieder geliebt. Später wird der äthiopische König Amonasro auch
+noch gefangen genommen. Amonasro und Aida finden sich wieder, Beide,
+Vater und Tochter, Gefangene am ägyptischen Hofe. Man begnadigt Beide
+und will sie ziehen lassen. Amonasro aber überredet seine Tochter, die
+Liebe Radames' zubenutzen, um ihn über einen Kriegsplan auszuforschen;
+sie weicht endlich den Bitten des Vaters und Radames widersteht nicht
+dem Flehen der Aida. Er fängt an, den Plan zu verrathen, aber gerade in
+dem Momente kommt Amneris hinzu. Radames flieht nicht, er klagt sich
+selbst an, die Königstochter überliefert ihn aus Eifersucht den
+Priestern, er wird zum Tode verurtheilt und kann dann trotz der bitteren
+Reue der Amneris nicht gerettet werden. Lebendig in einem Grabe
+eingemauert, theilt Aida freiwillig sein Loos.
+
+Eine solche Aufführung, wie sie in Kairo Statt hatte, muß selbst den
+verwöhntesten Geschmack befriedigen. Die Musik freilich wird wohl nicht
+überall Beifall finden. Die Freunde der Harmonie werden sagen, es sind
+zu viel Wagner'sche Anklänge vorhanden, die Wagnerianer werden die Musik
+zu dünn und zu wenig überwältigend finden. In der That ist Verdi bei
+dieser Composition ganz aus seiner Rolle gefallen. Der Componist des
+"Ernani", des "Trovatore" hat sich im Wagnerianismus versuchen wollen,
+aber nichts als zwangvolle Sätze sind entstanden, welche das Publicum
+kalt lassen.
+
+Die innere Einrichtung des Opernhauses ist reizend. Die Bühne ist
+verhältnißmäßig groß, ebenso der Orchesterraum. Links hat der Chedive
+eine Prosceniumsloge, die gleich hoch _allen_ Logenreihen ist, darunter
+eine kleine dicht am Orchester. Rechts ist die chedivische Haremsloge,
+durch ein so feines Eisengitter verschleiert, daß die Meisten glauben,
+dies weiße Gewebe seien Tüllgardinen, aber in der That besteht es aus
+dem feinsten Eisendraht. Daran schließen sich vier andere, ähnlich
+verschleierte Logen, für andere Haremsdamen hoher Würdenträger.
+
+Das Opernhaus hat vier Logenreihen übereinander. Im ersten Stock, also
+parallel mit den Logen ersten Ranges, befindet sich ein großes und
+fürstlich eingerichtetes Foyer, zugänglich für Jedermann. Daneben sind
+Restaurationslocale, die man übrigens auch unten findet.
+
+Zu der Zeit wurde das Opernhaus erheblich vergrößert, weil die damaligen
+Räume zur Aufbewahrung der Decorationen keineswegs genügten.
+
+Am folgenden Tage wurden wir um 10-1/2 Uhr zum Vicekönige befohlen; wir
+holten Herrn v. Jasmund ab. Der Vicekönig residirt in einem neuen Palais
+im neuen Stadttheile Ismaelia. Nach wenigen Vorstellungen, die zwischen
+Ali Pascha, dem Ceremonienmeister und dann einem Anderen, der der
+Großsiegelbewahrer ist, stattfanden, führte man uns die Treppe hinauf,
+wo wir oben vom Vicekönige empfangen wurden. Aus dem großen Saale führte
+er uns in ein kleines Zimmer. Die Unterhaltnng drehte sich natürlich nur
+um die Expedition. Zuerst aber, nachdem wir vorgestellt waren, hielt
+Herr v. Jasmund einen kleinen =speech=, worin er dem Vicekönige
+dankte für das, was er für die wissenschaftliche Expedition gethan. Dann
+erwiderte der Vicekönig, wie glücklich er sich schätze, mit solchen
+Leuten eine solche Expedition organisiren zu können, und dann stattete
+ich meine Grüße ab und dankte im Namen des Kaisers und Königs. Als ich
+dies sagte, erhob sich der Chedive von seinem Platze, aus Ehrfurcht vor
+dem Namen Sr. Majestät und Sr. Kaiserlichen Hoheit des Kronprinzen.
+
+Hierauf war lange Unterhaltung (die Audienz dauerte 3/4 Stunden) über
+die Expedition und hierbei beklagte sich der Vicekönig bitter über
+Bakers Expedition, der unnütz Menschenblut vergossen und für Abschaffung
+des Sclavenhandels nichts gethan habe. Diese vom Vicekönige gesprochenen
+Worte bekräftigten also in der That, daß Sir Samuel gar nichts erreicht
+hat, daß seine Expedition vielmehr nach der Aussage des Chedive nur
+unheilvoll wirkte. Ich begriff nun auch, warum die ägyptische Regierung
+meiner Expedition so wenig officiellen Charakter, wie möglich, geben
+wollte. Gegen Samuel Baker scheint der Chedive jedoch sich ganz anders
+geäußert zu haben; wenigstens lesen wir in Bakers "Ismailia", daß der
+Chedive seine Dienste durch die Verleihung des Osmanieh-Orden belohnte,
+und daß Baker selbst meint, sein fester Glaube auf die Unterstützung der
+Vorsehung sei nicht unbelohnt geblieben, also seine Aufgaben für gelöst
+hielt. Das kann ich bestätigen, daß der Chedive keineswegs gesonnen
+schien, die Baker'sche Expedition aufzugeben, sondern in Colonel Gordon
+einen würdigen Mann fand, der da wieder anknüpfte, wo Baker sein
+Unternehmen abgebrochen hatte.
+
+Der Vicekönig, 1830 geboren, also jetzt 45 Jahre alt, hat eine
+gedrungene Gestalt, ein sympathisches Gesicht, freundliche Augen, im
+Ganzen ein sehr intelligentes Aeußere. Jedenfalls, nach seiner
+Physiognomie zu schließen, ein Mann, der mehr liebt, das Gute zu thun,
+als das Böse.
+
+Als wir uns verabschiedet hatten, begab ich mich mit v. Jasmund nach
+seinem Hôtel, um noch einige Punkte wegen des Dampfers, der Kamele &c.
+zu präcisiren und zu Papier zu bringen.
+
+Darüber war es Mittag geworden. Nach Tische kam Jasmund, mich abzuholen
+zu einem Besuche bei Hussein Pascha, dem zweiten Sohne des Vicekönigs,
+der den öffentlichen Arbeiten vorsteht. Es handelte sich nämlich darum,
+die Papiere bezüglich des Nivellements der Eisenbahnstrecke von Siut zu
+bekommen, damit wir bei unserem Vorgehen von diesem Punkte eine
+bestimmte Basis hätten. Hussein wohnt auf der Kasbah und im selben
+Palais oder Harem, in welchem der große Mohammed Ali sein Leben
+ausgehaucht hat. Ein großartiges Gebäude von colossalen Dimensionen,
+dessen Bel-Etage ein immenses Kreuz bildet, derart, daß 1 das
+Audienzzimmer, 2 den Saal und 3, 3, 3 noch andere Zimmer umfassen. Wie
+im chedivischen Palaste, war auch hier Alles auf's Geschmachvollste,
+auf's Reichste und ohne Ueberladung decorirt. Aber die Kasbah hat nicht
+nur diesen einen Palast, sondern es ist dies ein Complex von Forts,
+Schlössern und Moscheen. Da ist z.B. das Palais, in dem der Vicekönig
+die Beiramsfestlichkeiten abhält, da ist vor Allem die ganz aus
+Alabaster, oder besser gesagt, aus ägyptischem Marmor erbaute Moschee
+Mehemed Ali's.
+
++---+---+---+
+| 1 | | 3 |
++---+ +---+
+| 2 |
++---+ +---+
+| 3 | | 3 |
++---+---+---+
+
+Mögen nun auch die Architekten sagen, was sie wollen, mögen sie
+behaupten, diese Bauten zeigen keinen bestimmten Stil, mögen sie
+glauben, die Minarets seien im Verhältnis zu ihrer bedeutenden Höhe zu
+dünn oder zu wenig umfangreich, es steht fest, daß gerade diese Moschee
+eine der Hauptzierden Kairos ist, daß man ohne sie sich Kairo nicht mehr
+vorstellen könnte. Und in ihren einzelnen Theilen wie im Ganzen kann man
+sie nur schön nennen, im Innern, wie im Aeußern. Nur der häßliche
+Uhrthurm auf der Westfaçade des Hofes, aus Holz erbaut, paßt nicht zum
+Ensemble. Wir besuchten natürlich auch das Innere, es wurden uns die
+obligaten Schuhe übergezogen, aber ich merkte einen Fortschritt, sie
+waren nicht wie früher aus Stroh, sondern aus Tuch und wurden
+festgebunden durch Bänder.
+
+Eine stark vergitterte Abtheilung wurde mir gezeigt und gesagt, es sei
+das der Ort, wo eventuell der türkische Sultan seinen Sitz nähme; dies
+scheint mir problematisch, ich glaube vielmehr, es ist eine Einrichtung
+für den Harem.
+
+Nachdem wir dann die unvergleichlich schöne Aussicht von dem Punkte aus
+genossen hatten, wo beim Massacre der Mameluken einer derselben sich
+durch einen kühnen Sprung in die Tiefe gerettet haben soll, ein Punkt,
+von welchem aus man die Stadt, die Gräber der Chalifen, das rothe
+Gebirge (=Gebel ahmer=), das Mokhatan-Gebirge, die Pyramiden, den
+Nil, ein großes Stück des üppigen Nil-Delta und die unendliche Sahara
+überblickt, ein Punkt, von dem aus man das vollkommenste Bild über
+Aegypten gewinnt, wo man den Charakter dieses Landes mit einem Blick
+überschauen kann--nachdem wir dies in uns aufgenommen, stiegen wir zur
+Hassan-Moschee, am Fuße der Kasbah gelegen, hinab.
+
+Die Hassan- Moschee gilt überall als die schönste Moschee von Kairo und
+doch keineswegs mit Recht. Die Großartigkeit der Steinmauern bestreite
+ich nicht, aber die schon zugeschnittenen Quadern wurden von den
+Pyramiden entnommen. Die Zartheit, das Kühne des Tropfsteingewölbes, das
+Unglaubliche der Stalaktiten-Kuppeln gebe ich gern zu, aber das Material
+dazu ist von Holz, und mit Widerwillen fast wird man hier an das
+Vergängliche, an das Unsolide aller maurischen Bauten erinnert. Dazu
+kommt, daß diese Holz-Stalaktiten-Bauten derart vernachlässigt und
+zerfallen sind, daß alle Schönheit schon zu Grunde gegangen ist.
+
+Was aber für den mit der religiösen Geschichte der Mohammedaner
+Vertrauten ungleich mehr auffällt, ist der Grundriß der Moschee. Bis
+jetzt hat noch kein Architekt darauf aufmerksam gemacht. Im
+gewöhnlichen Stil besteht nämlich jede Moschee aus zwei Körpern: dem
+bedeckten, nach Osten gerichteten Theile, aus manchmal vielen
+Säulenhallen bestehend, und dem unbedeckten Hofe im Westen, beide in der
+Regel viereckig. Die Hassan-Moschee aber hat im Hofe als Grundriß ein
+vollkommenes _Kreuz_. Wenn man weiß, wie furchtbar der Moslim Alles
+haßt, was nur irgendwie an die Form des Kreuzes erinnert, so muß man
+sich wundern, daß dies hier so prägnant zum Ausdruck gekommen ist.
+Jedenfalls ist es unbewußt geschehen, denn der uns begleitende Priester
+gab mir den Schlüssel dazu folgendermaßen: Jeder der Kreuzflügel,
+welche, beiläufig gesagt, überwölbt sind, dient zur Aufnahme der
+Anhänger der vier rechtgläubigen Bekenner, so daß in dem einen die
+Malekiten, im anderen die Schaffeïten, im dritten die Hambaliten, im
+vierten die Hanesiten Platz finden. Sultan Hassan liegt in der Moschee
+begraben und rund um sein Grab sieht man die unvertilgbaren Spuren von
+Blutlachen, Zeugen der Ermordung von Mameluken, welche sich beim
+Massacre in die Moschee geflüchtet hatten.
+
+Hiernach begleiteten wir v. Jasmund nach Hause und fuhren, Zittel und
+ich, sodann zu Mariette Bei, dem Director des Bulac-Museums, fanden ihn
+aber nicht zu Hause. Das Museum konnten wir auch nur sehr flüchtig
+besehen, da es dunkel wurde.
+
+Nach dem Essen gingen die Anderen noch etwas spazieren, ich schrieb,
+machte auch einen Gang auf die Esbekieh und hiernach trafen Zittel und
+ich uns wieder im Nil-Hôtel. Wir saßen Abends noch lange im Mondschein,
+der Mond stand hoch, fast im Zenith über uns. Die blühenden, wie
+Heliotrop duftenden Akazien, die milden Lüfte, Alles war zauberisch
+schön. Solche duftende ruhige Nächte giebt es nur in Nordafrika, wo die
+Nächte Winters und Sommers sich fast stets durch absolute Windlosigkeit
+der Atmosphäre auszeichnen.
+
+Ein wichtiges Geschäft war dann noch abzuwickeln, nämlich gute Diener zu
+engagiren. Eine gewisse Erleichterung gewährte Kairo in sofern, als alle
+unbeschäftigten fremden Leute, alte und junge, in der Stadt einem Schich
+unterstehen, der, so lange sie in Kairo sind, für ihr Betragen der
+Polizei haftbar ist. Dieser Schich besorgte mir sodann Leute, so viel
+ich brauchte, und da außerdem die Polizei sich noch drein mischte,
+konnte ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, gute und brave Leute
+engagirt zu haben. Gleich von vornherein kann ich dies auch hier
+bestätigen, denn im Ganzen hatten wir recht treue Diener; und wenn
+selbst der fromme Doctor der Theologie, welcher Prof. Ascherson's Diener
+war, diesen so unverschämt betrog, so folgte er wohl nur religiösen
+Motiven oder glaubte vielmehr seine Betrügereien durch den Mantel der
+Religion bedecken zu können. Ein alter Diener, den ich in Tripolis aus
+der Sclaverei befreit und über Cyrenaica und Siuah hierher gebracht
+hatte, fand mich hier wieder. Es war rührend, als er kam, mir die Hand
+küßte, weinte und mir das Certificat zurückstellte mit den Worten:
+"Jetzt brauche ich es nicht mehr, jetzt habe ich Dich wiedergefunden."
+
+Nachdem viele Einkäufe besorgt waren, gingen wir sodann zur Sitzung des
+=Institut d'Égypte=, wo man uns zu Ehren eine Versammlung anberaumt
+hatte. Da waren alle Notabilitäten der Wissenschaft Aegyptens
+vertreten. Mariette Bei, der berühmte Aegyptolog, präsidirte. Die
+Sitzung war in einem Saale des Ministeriums des Innern. Nach einer
+einleitenden Rede und nach Verlesung des =procès verbal= der
+letzten Verhandlung verlas ich eine Rede in französischer Sprache. Es
+war recht feierlich, v. Jasmund war auch da und Schweinfurth von
+Alexandrien herüber gekommen.
+
+Nach diesem kurzen Aufenthalte in Alexandrien und Kairo wurde Siut
+erreicht, von wo die eigentliche Expedition beginnen sollte. Aber gleich
+beim Beginne stellten sich die Schwierigkeiten bedeutend größer heraus,
+als man vermuthet hatte, denn es galt, die Kamele mit Futter zu beladen,
+da man sich Angesichts einer absolut vegetationslosen Wüste befand.
+Nachdem die Bohnen, welche zu einer Reise von zwanzig Tagen nothwendig
+wurden, an Ort und Stelle waren, traten wir am 18. December den Marsch
+in die Wüste an. Dieselbe offenbarte denn auch gleich an den ersten
+Tagen ihre ganzen Schrecken und Gefahren, denn man befand sich in der
+trostlosesten Einöde. Allerdings nicht so vegetationslos, daß nicht hier
+und da noch einige Kräuter gesproßt hätten, aber keineswegs so
+krautreich, daß man darin hätte Kamele weiden können.
+
+Nur dieser Theil der Sahara, die sogenannte Libysche Wüste, kennzeichnet
+sich durch eine so außerordentliche Armuth an Pflanzen, denn in der
+ganzen übrigen Sahara nehmen Karawanen nie Futter für die Kamele mit,
+sondern die Thiere begnügen sich mit dem, was sie unterwegs finden. Nur
+südlich von Tedjerri in Fessan hat man auch ein Terrain zu durchziehen,
+wo man für einige Tage Datteln als Kamelfutter mitzunehmen pflegt.
+
+Wir erreichten dann zunächst die kleine Oase Farafrah, keineswegs dem
+Nil zunächst gelegen, im Gegentheil, sie ist von Sinah am Nil die
+entfernteste. Aber ich hatte diesen Weg vorgezogen, weil er ein
+vollkommen neuer, _noch nie von Europäern begangener_ war. Das
+Erscheinen einer so großen Karavane, 100 Kamele und circa 80 Mann, rief
+natürlich die größte Angst, der alsbald das Staunen folgte, bei den
+Eingeborenen hervor, aber als sie schnell gewahr wurden, daß wir in
+friedlicher Absicht gekommen waren, etablirte sich ein leidliches
+Verhältniß zwischen uns, soweit der Fanatismus der Bewohner es
+gestattete.
+
+Sodann mußten wir nach einigen Tagen uns nach Dachel wenden, da wir in
+Farafrah weder für uns noch für unsere Kamele Vorräthe auftreiben
+konnten. Wir folgten derselben Route, welche vor uns Cailliaud gezogen
+war, und erreichten nach einer Woche diese freundlichste aller
+Uah-Oasen. Und so freundlich uns die Landschaft und der Hauptort Gasr
+entgegenlachten, so zuvorkommend wurden wir hier auch empfangen von der
+Behörde und der ganzen Bevölkerung. Erwähnen muß ich allerdings, daß die
+Farafrenser über unsere Ankunft noch nicht unterrichtet waren, als wir
+dort eintrafen, in Dachel hingegen die Behörde von Siut aus schon
+instruirt war, uns freundlich aufzunehmen.
+
+Aber auch hier in Dachel waren die Vorräthe nicht so reichlich, wie man
+uns es vorgespiegelt hatte, und ich war gezwungen, nach Siut
+zurückzusenden, um sechzig neue Kamelladungen Bohnen kommen zu lassen.
+Aber ehe dieselben eintrafen, vermochte ich Prof. Jordan, vorauszugehen.
+Freilich hatte er mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, aber als dann
+Zittel auch bald nachrücken konnte, wurde abermals weiter vorgegangen
+und die Expedition erreichte fast den 27° O.L. v. Gr. und blieb vor
+einer mächtigen, von Norden nach Süden streichenden Düne liegen. Hier
+fand ich dieselbe lagern, als ich selbst nach einiger Zeit dort eintraf.
+
+Eine Recognoscirung, die Zittel zu Fuße schon vorher gemacht hatte, eine
+andere, die ich selbst mit Prof. Jordan unternahm, stellte nun zur
+Evidenz heraus, daß an ein weiteres Vorgehen nach Westen nicht zu denken
+sei. Wir befanden uns Angesichts eines Sandmeeres, welches aus 100-150
+Meter hohen Sandketten mit steilen Böschungen bestand. Die Zwischenräume
+zwischen diesen Sandketten waren ebenfalls mit Sand bedeckt, zeigten
+_kein nacktes Gestein_. Es traten nun zwei entscheidende Gründe ein, die
+uns zwangen, von weiterem Vorgehen nach Westen abzustehen. Erstens waren
+es die hohen, von _Norden nach Süden_ ziehenden Dünen, welche zu _jeder
+Uebersteigung_ mehrere Stunden nöthig machten und wodurch wir sodann
+höchstens per Tag 20 Kilometer hätten vordringen können mit der
+_gewissen_ Aussicht, nach acht Tagen sämmtliche Kamele todt oder
+"=batal="[40] gehabt zu haben. Zweitens war es unmöglich, im
+Sandmeer Wegzeichen zu errichten; der geringste Samum würde sie umgeweht
+haben; mithin war eine weitere Depôtbildung, die unumgänglich
+nothwendig war, sowie eine constante Verbindung mit dem Hauptdepôt
+Dachel nicht zu ermöglichen.
+
+Sobald daher das Unausführbare, Kufra von Westen aus mit den uns zu
+Gebote stehenden Locomobilen zu erreichen, constatirt war, beschlossen
+wir, mit den Dünen nach Norden zu gehen, um womöglich einen Durchgang,
+ein Aufhören der Dünen zu finden oder Siuah zu erreichen. Die Dünen
+hörten nicht auf, wir waren während 14 Tagen stets zwischen hohen Ketten
+von Sandbergen und legten einen der sonderbarsten Märsche zurück, welche
+je in Afrika gemacht worden sind. _Ohne Führer_ waren wir, wie das
+Schiff auf dem Meere, nur dem Compaß vertrauend, angewiesen, der einmal
+angenommenen Richtung zu folgen. War diese falsch oder wären wir durch
+die öftere nothwendig werdende Uebersteigung der Dünen zu weit
+abgekommen, so mußte voraussichtlich Siuah verfehlt werden[41]. Oder
+wären wir von einem _mehrtägigen_ Samum überrascht worden, so wäre
+voraussichtlich unser Loos ein noch schlimmeres gewesen, indem wir nur
+für eine bestimmte Zahl von Tagen Wasser hatten. Ich konnte es überhaupt
+nur übernehmen, die Karavane nach Siuah zu führen, weil ich dort bekannt
+war und die Formation der Ufer und die Lage der Seen östlich und
+westlich von Siuah mir noch vor Augen stand. Ich brauchte deshalb nicht
+zu fürchten, falls ich zu weit westlich oder östlich herauskäme,
+unorientirt zu bleiben.
+
+Und glücklich erreichten wir denn auch die Oase des Jupiter Ammon, wo
+wir bei der Behörde den freundlichsten Empfang fanden. Schon nach
+wenigen Tagen brachen wir wieder auf, gingen bis Setra zusammen in
+östlicher Richtung und sodann trennten Zittel und ich uns von Jordan, um
+wiederum _ohne Führer und auf nie begangenem_ Wege direct nach Farafrah
+zu gehen, während Jordan mit einem in Siuah gemietheten Führer nach
+Uah-el-behari ging, um die auf den Karten verzeichneten Behar-bela-ma zu
+untersuchen.
+
+Farafrah wurde glücklich von uns erreicht, vonwo Zittel sogleich nach
+Dachel weiter ging, um unseren dortigen um uns in Sorge lebenden
+Gefährten die Nachricht unserer glücklichen Rückkehr zu übermitteln. Ich
+selbst blieb noch einen Tag länger in Farafrah und ging dann auf
+_neuem_, noch nie begangenem Wege nach Dachel, hauptsächlich um die
+Gebirgszüge zu durchschneiden, welche wir früher im Westen von unserem
+ersten Marsche von Farafrah nach Dachel erblickt hatten. In Dachel
+vereinten wir uns dann nach einigen Tagen zu gemeinsamem Vorgehen über
+Chargeh nach Esneh, welches wir am 1. April ohne Unfall erreichten.
+
+Ich komme nun auf die Resultate zu sprechen und hebe hervor, daß uns
+außer der allgemeinen Erforschung der Libyschen Wüste hauptsächlich zwei
+Punkte als beachtenswerth waren bezeichnet worden: die Untersuchung der
+verschiedenen Behar-bela-ma und die Depression der Libyschen Wüste.
+
+Ein Bahr-bela-ma von Dachel ausgehend und nordöstlich von Beharieh in
+das von Ost nach West gerichtete Bahr-bela-ma von Pacho und Belzoni
+mündend existirt nicht. Es breitet sich zwischen ihnen ein einzig
+Kalksteinplateau über 300 Meter hoch aus. In der Sitzung des =Institut
+Égyptien= hatte ich schon darauf aufmerksam gemacht, daß Bahr-bela-ma
+in der Sahara nichts ist, als das gleichbedeutende Wort Wadi, das
+hundertmal vorkommt. Wenn es sich aber durch die geographischen
+Verhältnisse bestimmt erweisen läßt, daß ein Bahr-bela-ma als eine
+Längseinsenkung nicht existirt, so ist andererseits durch die
+geologische Untersuchung des Bodens auf das Schlagendste nachgewiesen,
+daß der Nil nie in dieser Richtung hat fließen können. Nirgends wurden
+von unserer Expedition fluviatile Niederschläge, sondern überall nur
+maritime Bildungen constatirt. Das Bahr-bela-ma als ein continuirliches
+Thal, oder gar als ein westliches Flußbett des Nil muß daher definitiv
+aus der Welt geschafft und von den Karten gestrichen werden.
+
+Die zweite zu lösende Aufgabe betraf die Depressionsfrage, ob nämlich
+die von mir 1869 entdeckte Depression sich über die ganze Libysche Wüste
+erstreckt, oder vielmehr von dem Libyschen Küstenplateau (diesen
+Ausdruck möchte ich vorschlagen für den jetzt gebräuchlichen "Libysches
+Wüstenplateau") sich bedeutend nach Süden zu ausdehnt. Hierin lag
+zugleich die Aufgabe einer Erforschung der ganzen Libyschen Wüste; denn
+als Endziel war die Erreichung der Oase Kufra in Aussicht genommen.
+
+Gleich beim Verlassen der Oase Dachel konnten wir eine merkliche
+Steigerung beobachten, wie ja überhaupt, mit Ausnahme von Siuah, alle
+Uah-Oasen höher als der Ocean gelegen sind und nur relativ Depressionen
+bilden. In Regenfeld waren wir schon über 300 M. gestiegen, und als wir
+dann nach Nord einige Grade zu West den Weg fortsetzten, fanden wir zwar
+eine allmälige Absenkung aber erst in Siuah konnten wir eine eigentliche
+absolute Depression constatiren. Die Producte des Meeres, die hier
+gefunden wurden, die Abwesenheit von Süßwasserbildungen oder gar von
+Nilschlamm schließen aber auch hier jeden Gedanken aus, daß der Nil sich
+durch diese Depression in die Syrte ergossen habe.
+
+Unser Vormarsch in Regenfeld war verhindert worden durch hohe Sanddünen,
+welche von NNW. zu SSO. Richtung hatten und 100-150 M. hoch waren. Ein
+Vormarsch in westlicher Richtung war somit unmöglich geworden, theils
+wegen der Kamele und theils weil aus Mangel an Wegweisern keine
+Depositorien mehr angelegt werden konnten. Denn zwischen den Dünen war
+nicht etwa bloses Gestein, sondern tiefer Sand, welcher das Errichten
+von Wegzeichen unmöglich machte. Wir hatten also Ein einziges Sandmeer
+vor uns, nur unterbrochen durch 1--1-1/2 Kilometer auseinanderstehende
+Sandketten.
+
+Die Sanddünen sind Meeresprodukt; ihre Formenveränderungen sind im
+Allgemeinen constant. Daß die Winde, die hier meist von NNW. nach SSO.
+wehen, während der Chamsin gleiche Richtung, aber aus entgegengesetztem
+Pole hat, sie verursachen, glaube ich nicht; denn dann müßten sie in der
+Grundform in der dem Winde entgegengesetzten Richtung laufen, sie
+verlaufen aber mit dem Winde.
+
+Was die Wärmeverhältnisse anbetrifft, so hatten wir diesmal sehr geringe
+Schwankungen. Während auf früheren Reisen in der Wüste im Winter eine
+Differenz von 30º beobachtet wurde, hatten wir diesmal im Februar,
+welcher sich als der kälteste Monat herausstellte, einen Unterschied,
+der bedeutend geringer war, wenig mehr als die Hälfte. Eine mittlere
+Zahl kann ich noch nicht aus meinen viermal täglich angestellten
+Beobachtungen geben. Aber im Februar hatten wir sieben Tage, wo das
+Thermometer unter Null war, und am 16. zeigte das Thermometer sogar -5°.
+Die größte Wärme, welche im Februar beobachtet wurde, betrug nicht mehr
+als 24° und dies nur an zwei Tagen. Auffallend war die Erscheinung eines
+dreitägigen Regens in der Libyschen Wüste, und zwar erstreckte sich
+dieser Regenfall über ein ziemlich großes Terrain: denn in Dachel und
+Farafrah hatte es an denselben Tagen auch geregnet, während man aber in
+dem dem Mittelmeere näher gelegenen Siuah keinen feuchten Niederschlag
+gehabt hatte. So war denn auch der Feuchtigkeitsgehalt der Wüste ein
+ungemein bedeutender und nur, wenn Südwind eintrat, zeigte sich
+plötzlich eine auffallende Trockenheit in der Atmosphäre. Leider mußten
+Untersuchungen über den Electricitätgehalt der Luft ausgesetzt werden,
+weil die magnetische Nadel des mitgenommenen Electrometers sich als zu
+schwach erwies; sie reagirte gar nicht. Aeußerst interessant waren die
+Untersuchungen über Ozongehalt, wie man sich aus den demnächst zur
+Veröffentlichung kommenden Beobachtungen Zittels wird überzeugen können.
+Je offener der Himmel war, und je entfernter wir von bewohnten Plätzen
+waren, desto mehr Ozon wurde bemerkt. Bei herrschendem Samum war äußerst
+wenig Ozon vorhanden.
+
+Ich unterlasse es hier, ausführlich über die von uns angetroffenen
+Völker in den Oasen zu reden. Bekannt ist, daß die Bevölkerung von Siuah
+berberischer Herkunft ist. In Uah-el-Beharieh, Farafrah und Dachel ist
+zweifelsohne die Abstammung der Bewohner dieselbe, wie die der Fellahin
+im Nilthale; doch haben sich in Uah-el-Beharieh und Dachel einzelne
+Araber früher seßhaft gemacht. Hervorheben müßte ich noch, daß es Prof.
+Ascherson gelungen ist, nachzuweisen, daß nicht Farafrah die Oase
+Trinythis der Alten ist, sondern daß dieser Name mit der =Oasis
+magna= in Verbindung gebracht werden muß.
+
+Was die archäologischen Ergebnisse anbetrifft, so beruhen dieselben auf
+genauen photographischen Bildern, welche die Expedition von den Tempeln
+in Chargeh und Dachel gemacht hat. Zu diesem Behufe mußte der Tempel in
+Dachel erst ganz vom Schutte und Sand ausgeräumt und zum Theil 50
+Centner schwere Blöcke entfernt werden. Prof. Ebers in Leipzig, der die
+Güte hatte, die Bilder durchzusehen, hat auf den Tempelwänden von Dachel
+den Namen des Kaisers Vespasian gelesen und der berühmte Aegyptologe ist
+der Ansicht, daß die feineren Skulpturen von allgemeinen Künstlern
+hergestellt seien, während die gröberen von Dachelaner Steinhauern
+selbst ausgeführt worden wären. Viel ergiebiger und interessanter
+zeigten sich die Inschriften des Tempels von Chargeh. Wir sehen dort den
+opfernden König Darius, dem Ammon Libationen und Rauchopfer anbietend.
+Darius wird als Liebling des Ammon von "Heb" (dies der alte Name für
+Chargeh) bezeichnet, auch ein bisher Ebers unbekannter Vorname des
+Darius, "Basetut", ist angeführt. Nach Ebers wurde der Tempel von
+Chargeh erst nach dem Tode Darius vollendet; daher die vielen leeren
+Königsschilder, welche ursprünglich für den Namen des Darius bestimmt
+waren. Die sehr interessanten Inschriften, schrieb mir Ebers, beweisen,
+daß das ganze ägyptische Pantheon, Ammon an der Spitze, in der Oase
+verehrt wurde, daß dort eine ägyptische Priesterschaft mit reichlicher
+Versorgung dem Cultus vorstand, daß Chargeh Heb hieß, daß Darius als
+König Aegypten und wahrscheinlich auch die Oasen besucht hat. Daß auf
+einer der Platten, welche in Kairo Brugsch vorgelegt wurde, dieser
+Gelehrte den alten Namen der Hauptstadt der Oase Dachel als "Mondstadt"
+bezeichnet fand, glaube ich schon mitgetheilt zu haben.
+
+In Betreff der Ausbeute der mich begleitenden Fachgelehrten kann ich
+noch nichts Detaillirtes mittheilen. Indeß gereicht es mir zur Freude,
+sagen zu können, daß die botanischen Ergebnisse des Prof. Ascherson
+keineswegs so gering gewesen ist, wie wir fürchteten. Gab es auch
+manchmal ganz vegetationslose Strecken, so boten aber gerade die Oasen
+in der Zeit, als wir dort waren, ein um so reicheres Pflanzenleben.
+Prof. Jordan hat alle wichtigen Punkte astronomisch bestimmt. Täglich
+wurden Breitenbestimmungen gemacht und die Declination der Magnetnadel
+notirt. Und was Zittel anbetrifft, so sind dessen Funde in
+paläontologischer Beziehung wahrhaft überraschend gewesen. Der Wahn der
+einförmigen Numinulitenformation, welche man früher für die ganze
+Libysche Wüste annahm, ist somit gründlich zerstört.
+
+Dies die wissenschaftlichen Resultate der Expedition. Praktische hat
+dieselbe keine aufzuweisen, wenn nicht das bewiesen wäre, daß der
+Europäer in Afrika auch ohne Führer reisen kann, daß durch Mitnahme von
+eisernen Wasserbehältern man in der Wüste nicht blos Wege, wo Brunnen
+oder Wasserlöcher sind, zu nehmen braucht, sondern monatelang ohne
+solche existieren kann. Selbst die ausgedehnten Eisensrunde werden nie
+zu verwerthen sein, weil es in der Libyschen Wüste an zwei Bedingungen,
+sie zu verarbeiten, fehlt: Kohlen und Wasser. Aber praktische Resultate
+hat die Expedition auch nie erzielen wollen, und obschon dieselbe Kufra
+aus unüberwindlichen Hindernissen nicht erreichen konnte, wird nicht
+bestritten werden können, daß sie der Hauptsache nach ihre Aufgaben
+gelöst und auf alle Fälle in Anstrebung des vorgesteckten Zieles ihre
+Pflicht gethan hat.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 28: Noël ist der junge stattliche Afrikaner, welcher in Folge
+der Bestimmung Sr. Maj. des Kaisers von Deutschland in Lichtenfelde bei
+Berlin eine deutschen Begriffen entsprechende Bildung genoß, nun aber,
+da ihm das nördliche Klima nicht bekam, auf Befehl des Kaisers mit nach
+Aegypten ging, um dort noch eine weitere Ausbildung zu erhalten.]
+
+[Footnote 29: Centralafrikanischer Volksstamm.]
+
+[Footnote 30: Mandara ist eine Landschaft in Nordafrika, welche von
+einem eigenthümlichen Negervolke von übrigens ausgezeichneter
+Körperbildung bewohnt wird.]
+
+[Footnote 31: Das ist eines jener Thränengläser, die sich oft in Gräbern
+der Alten bei Todtenurnen finden und worin angeblich die Hinterbliebenen
+den Verstorbenen ihre Thränen mitgaben.]
+
+[Footnote 32: Buch VI, S.10, deutsche Uebersetzung von Penzel.]
+
+[Footnote 33: Den Schmutz der internationalen Waggons verdamme ich
+trotzdem.]
+
+[Footnote 34: Mein deutscher Diener.]
+
+[Footnote 35: Herrn Remelé's Diener.]
+
+[Footnote 36: Der Astronom der Expedition.]
+
+[Footnote 37: Photograph.]
+
+[Footnote 38: Archäeolog und Geodät.]
+
+[Footnote 39: Schweinfurth reiste im selben Winter nach Chargeh, aber
+unabhaengig von der Expedition.]
+
+[Footnote 40: =Batal= = tragunfähig.]
+
+[Footnote 41: Eine Breitenbeobachtung konnte Jordan freilich Abends
+machen, aber zu einer Längen-Nahme fehlte die Zeit.]
+
+
+
+
+9. Das jetzige Alexandrien.
+
+
+Mehr als zweiundzwanzig Hundert Jahre steht die Stadt, welche den Namen
+des großen Mannes trägt, der nach Aegypten gekommen war, um im
+weltberühmten Orakelheiligthum des Ammonium die Frage zu stellen, ob er
+wirklich ein Sohn des Zeus sei. Gewaltig sind die Stürme der
+menschlichen Geschichte über die Stadt dahingebraust, welche einst der
+Glanzpunkt der Welt in wissenschaftlicher und commerzieller Beziehung
+war. Alexandrien, die Stadt des Museum und Serapeum, war aber trotz
+seiner Weltlage im Jahre 1790 so herabgekommen, daß, als die Franzosen
+unter Bonaparte landeten, es nur mehr circa 6000 Einwohner hatte. Es
+gehörte aber auch die ganze Wirtschaft knechtischer Beys dazu, um ein
+Land und die Städte so ruiniren zu können, wie wir Aegypten und seine
+Oerter am Anfang dieses Jahrhunderts sehen. Verwundert fragt man sich:
+wie war es möglich, daß eine Stadt, so ungemein günstig gelegen, so tief
+hatte sinken können?
+
+In der That hat Alexandrien, wie keine andere Stadt am Mittelmeere, eine
+vorteilhafte Lage. Wegen des ausgezeichneten Hafens braucht es nicht zu
+befürchten, von Port Said, das allerdings an der Mündung des Kanals von
+Suez liegt, überflügelt zu werden, und mittelst der Eisenbahnen und
+Dampfschiffe auf den Kanälen ist es ohnedieß mit dem großen Kanal in
+intimster Beziehung. Alexandrien liegt an einer der größten
+Verkehrsadern unserer Zeit, einer Verkehrsstraße, welche voraussichtlich
+immer als eine der am lebhaftesten pulsirenden Handelswege fortbestehen
+wird. Aber nicht allein das ist es, gleichsam als Etape zwischen
+Ostindien und Oceanien einerseits und Europa andererseits zu dienen; die
+Stadt Alexander des Großen liegt an der Mündung des einzigen schiffbaren
+Flusses von Nordafrika, welcher mit seiner mächtigen Verästelung ein
+ungeheures Gebiet beherrscht. Welche Zukunft erschließt sich der Stadt,
+wenn die Producte aus Centralafrika nilabwärts ihr zugeführt werden.
+Denn jetzt vermittelt der Nil blos Das, was an Erzeugnissen längs seines
+300 Meilen langen Stammes producirt wird. Welche Zukunft wird aber
+Alexandrien haben, wenn die Felsen der Katarakte gesprengt und man mit
+Dampfschiffen direct vom Mittelmeere bis zu den See'n Innerafrikas, den
+großen Wasserreservoirs des Nils, wird fahren können!
+
+Aber wenn man auch Alexandrien ein immer mehr günstig sich gestaltendes
+Prognostikon stellen kann, so hat die Stadt keineswegs Ursache, mit
+ihrer heutigen Entwickelung unzufrieden zu sein. Es ist der Großvater
+des jetzigen Chedive, Mohammed Ali, dem die Stadt ihren jetzigen
+Aufschwung verdankt. Dadurch, daß er der Stadt den Kanal herstellte,
+wurde ihr nicht nur gutes Trinkwasser, sondern auch ein leichter
+Verkehrsweg mit dem Innern geschaffen. Mohammed Ali war auch der Erste,
+welcher den Schiffen der christlichen Nationen den Eingang in den alten
+Hafen eröffnete; bis vor seiner Regierung mußten sie den neuen, wenig
+sicheren Hafen benutzen.
+
+Alexandrien mit etwa 200,000 Einwohnern zerfällt in zwei Stadttheile,
+von denen der eine von der europäischen Bevölkerung der andere von den
+Eingeborenen bewohnt wird. Der arabische[42] Stadttheil ist im
+Nordwesten und Westen gelegen; die Straßen sind eng, unregelmäßig, im
+Sommer staubig, im Winter mit undurchdringlichem Schmutz erfüllt; die
+Häuser sind meist einstöckig und höchst launenhaft gebaut. Hier steht
+eins mit halber Front, diagonalartig zur Straße, dort hängt eins mit dem
+oberen Stockwerk über; hier ist eins in die Straße selbst hineingebaut,
+dort ist eins, welches einen weiten Hof vor sich hat. Fenster sind
+spärlich vorhanden, namentlich im Erdgeschosse; ist eine Bel-Etage
+vorhanden, so findet man häufig sehr viele, mit feinem Holzgitter
+verschlossene Fenster. Sehr praktisch ist der zickzackartige Bau des
+oberen Geschosses, der Art, daß regelmäßig vorspringende Winkel, mit
+Fenstern versehen, angelegt sind. Alte Gebäude findet man in der
+Alexandrinischen Araberstadt fast gar nicht, so daß sie keineswegs ein
+interessantes Aussehen hat, sich höchstens gut bei Mondscheinbeleuchtung
+ausnimmt. So durchzogen wir sie denn auch eines Abends, ehe wir die
+libysche Expedition antraten, und besuchten sodann ein Kaffeehaus der
+Eingeborenen, um eine Mokka zu schlürfen und einen Tschibuk zu saugen.
+Aber auch hier fängt die Civilisation an, mit mächtiger Gewalt
+einzudringen. Im ganzen arabischen Viertel ist jetzt Gasbeleuchtung. Wie
+lange wird es dauern und die Straßen werden gepflastert, sie werden
+gerade gemacht, besprengt, mit schattigen Bäumen bepflanzt und statt der
+kleinen Gewölbe und Boutiken mit prächtigen Verkaufsläden geschmückt
+werden. Das Letztere wäre namentlich wünschenswert; denn gezwungen durch
+die Kleinheit ihrer Verkaufsbuden, rücken die Kaufleute ihre Waaren weit
+in die Straßen hinein, verengern so die Passage und füllen die Luft mit
+den sich mischenden Gerüchen gekochter Speisen, frischen Gemüsen, rohen
+Fleisches, kurz aller Gegenstände, die sie feil haben.
+
+Das muselmännische Alexandrien hat hundert Moscheen, von denen jedoch
+keine einzige ausgezeichnet und berühmt ist, verschiedene Sauya[43] und
+Medressen[44] und eine Menge Funduks und Karawanseraien, um Menschen und
+Thiere zu beherbergen. Es versteht sich von selbst, daß in diesen
+Funduks nur die Eingeborenen logiren. Die Bevölkerung des arabischen
+Theiles von Alexandrien beträgt etwa 100,000 Einwohner, also die Hälfte
+der Gesammtbevölkerung.
+
+Ganz anders erscheint das europäische Quartier, welches, wie aus dem
+früher Gesagten hervorgeht, eine eigentliche Schöpfung der Neuzeit ist.
+Breite und gerade Straßen, zum Theil mit schönen Baumreihen bestanden,
+hier und da ein reizender Platz mit immergrünen Pflanzen und duftigen
+Blumen, an den Seiten prächtige, mehrstöckige Häuser, massive Bauten
+mit den elegantesten Läden, herrliches Pflaster (die Steine dazu hat
+man von Triest kommen lassen, _jedes Stück_ hat circa 5 Francs gekostet
+bei einer Größe von 15 Zentimeter quadratischer Oberfläche auf 20
+Centimeter Tiefe), mit schönem Trottoir für Fußgänger, machen das
+europäische Alexandrien zu einer der schönsten Städte am Mittelmeere.
+Dazu kommt eine ausreichende Gasbeleuchtung und eine künstliche
+Wasseranstalt (auch die arabische Stadt wird mit Wasser aus derselben
+versorgt), welche bei Moharrem-Bai Nilwasser in ein Reservoir pumpt, aus
+der die ganze Stadt mit dem besten Trinkwasser der Welt versorgt
+wird[45]. Der mittlere Verbrauch von Wasser beläuft sich auf 8000
+kubische Meter täglich.
+
+Auf dem Platze Mohammed Ali's, auch =Place des consuls= genannt,
+concentrirt sich am meisten das europäische Leben; hier sieht man die
+glänzendsten Läden, hier ist das französische Generalconsulat, das
+Stadthaus, mehrere große Hotels und seit zwei Jahren--Allah und Mohammed
+verzeihe dem Chedive und seinen Räthen diese christliche oder vielmehr
+heidnische Ketzerei--erhebt sich inmitten der breiten Allee die über
+lebensgroße Statue des Begründers der jetzigen Dynastie. Die Statue
+Mohammed Alis ist aus Bronce und im Ganzen 11,50 Meter hoch, wovon 6,50
+Meter auf das aus toscanischem Marmor gemeißelte Piedestal kommen,
+während die Reiterstatue selbst 5 Meter hoch ist. Die Statue ist von
+prachtvoller Wirkung. Mohammed Ali in orientalischer Tracht, den Kopf
+beturbant, sitzt in gebietender Stellung zu Roß, seinem energischen
+Gesichtsausdruck sieht man es an, daß er der Mann ist, welcher das
+türkische Joch abschüttelte, der, hätten nicht die Großmächte ihr Veto
+dazwischen gerufen, sein Schwert bis nach Stambul selbst hineingetragen
+haben würde. Furchtsam umstehen die Fellahin das Denkmal, fromme Flüche
+und Verwünschungen murmelt der scheinheilige Taleb oder Faki beim
+Anblick dieses gewaltigen Mannes; am liebsten würde er gleich das "Bild"
+vernichten. Aber der Preis und die Belohnung, welche er sich dafür im
+Paradies unfehlbar erwerben würde, scheint doch nicht so sicher zu sein,
+als die irdische Strafe, welche einem solchen Versuche auf der Stelle
+folgen würde. Ismael, der jetzige Regent von Aegypten, kennt seine
+Leute, er weiß, was er ihnen bieten kann und er weiß, daß der
+einigermaßen denkende Mohammedaner heute der irdischen Belohnung und der
+irdischen Strafe vor den unsicheren zukünftigen Versprechungen oder den
+jenseitigen Qualen den Vorzug giebt. =Tout comme chez nous=. Wer
+fürchtet sich heute bei uns vor den Flammen der Hölle und vor der
+Aussicht, Milliarden von Jahren dem Allerhöchsten ein Hallelujah zu
+singen!--Aber das irdische Gesetz und das eigne Pflichtgefühl, die Liebe
+zum Guten und Schönen, der Haß des Bösen und Häßlichen, welche uns
+_jetzt_ schon erblich, möchte ich sagen, überliefert werden, das sind
+heute die großen Triebfedern, welche die menschliche Ordnung und
+Gesellschaft zusammenhalten müssen.
+
+Daß für die religiösen Bedürfnisse der Europäer reichlich gesorgt ist,
+versteht sich von selbst in einer orientalischen Stadt, wo die meisten
+Europäer Katholiken sind oder der griechischen Kirche angehören. Es
+giebt 3 katholische Kirchen, 4 für den griechischen Ritus, 3
+protestantische, 1 koptische und 1 maronitische Kirche. Die Juden haben
+3 Synagogen. Daß Mönche und Klöster nicht fehlen in einer so großen
+Stadt am Mittelmeere, der Geburtsstätte so vieler Religionen, braucht
+wohl kaum gesagt zu werden. Der koptische Patriarch residirt auch in der
+Regel in Alexandrien.--An Wohlthätigkeitsanstalten besitzt die Stadt 4
+Hospitäler, das für Militär und Civilpersonen eingerichtete
+Gouvernementshospital, das allgemeine europäische Hospital, das
+Diaconissenhospital und ein griechisches. Von den barmherzigen
+Schwestern wird auch ein Findlinghaus geleitet.--Die Schulen sind alle
+in den Händen der Geistlichkeit, aber es dürfte, seit Herr Dor, ein
+Schweizer, die Leitung des Unterrichts in Aegypten übernommen hat, bald
+eine günstige Veränderung eintreten; auch eine deutsche Schule ist unter
+den Auspicien des deutschen Generalconsulats gegründet worden. Von den
+übrigen europäischen Schulen nenne ich das Institut der Lazaristen
+(=collège des Lazaristes=), ähnlich eingerichtet, wie ein
+französisches Lyceum: man unterrichtet in französischer Sprache
+Lateinisch und Griechisch. Das Arabische, Neugriechische, Italienische
+ist facultativ. Englisch und Zeichnen und Musikunterricht werden
+besonders bezahlt, der Pensionpreis beträgt 1000 Francs jährlich. Die 12
+Lehrer sind sämmtlich Geistliche. Die Schule wurde 1873 von 60 Schülern
+besucht. Das italienische Lyceum steht unter italienischer
+Regierungscontrole; die Zahl der Schüler betrug 255 im selben Jahre. Die
+Schule der schottischen Kirche, die der apostolischen Amerikaner, die
+der Griechen, die allgemeine, unter dem Protectorat des ägyptischen
+Erbprinzen stehende Schule mit unentgeltlichem Unterricht sind alle mehr
+oder weniger stark frequentirt. Auch die Juden haben eine von etwa 120
+Schülern besuchte Anstalt. Außerdem giebt es 6 Mädchenschulen. Sowohl
+von den Kirchen, wie auch von den Schulen haben mehrere ein monumentales
+Aeußere.
+
+Die Vereinigung der ersten Gelehrten, welche jedoch kein eignes Gebäude
+besitzen, ich meine =l'Institut Égyptien= ist seit Anfang dieses
+Jahres nach Kairo verlegt worden. Es giebt sodann viele
+Wohlthätigkeitsvereine und auch gesellige; von den letzteren sind die
+bedeutendsten der Börsencirkel, der philharmonische Gesellschaftskreis,
+vorwiegend aus Franzosen bestehend, und der Club der Deutschen. Für das
+geistige Leben ist durch eine öffentliche Bibliothek und durch das
+Erscheinen von 9 Zeitungen gesorgt, von denen 3 in italienischer, 1 in
+englischer, 2 in griechischer und die übrigen in französischer Sprache
+erscheinen.
+
+Im hübsch gelegenen und elegant erbauten Siziniatheater werden
+italienische Opern aufgeführt, außerdem giebt es noch ein kleines
+Theater, Namens Alsieri. Erwähnen wir schließlich noch, daß
+französische, englische, italienische und griechische Freimaurerlogen in
+Alexandrien sind, im Ganzen 8, an der Zahl, so glauben wir aller
+Anstalten Erwähnung gethan zu haben. Nur möchte ich für etwaige nach
+Aegypten Reisende hervorheben, daß es dort eine Reihe guter Hôtels
+giebt, von denen 2 ersten Ranges, daß Kaffeehäuser und Restaurationen in
+großer Anzahl vorhanden sind, ja daß es sogar viele deutsche Bierstuben
+giebt, wo Wiener Bier verzapft wird. In der Stadt Alexander des Großen,
+des Ptolemäus Philadelphus, deutsches Bier von deutschen Jungfrauen
+geschenkt! In der Stadt des Pompejus, der Cleopatra Gas- und
+Dampffabriken! Welche Gegensätze und doch so groß nicht, wie man denkt!
+Denn in der Stadt, wo das weltberühmte Museum mit 700,000 Büchern oder
+vielmehr Schriftrollen war und die im Serapeum eine zweite Bibliothek
+mit 200,000 Bänden besaß und deren Straßen eben so wohl und gerade
+angelegt waren, wie jetzt die des europäischen Viertels[46], in der zur
+Zeit, als die Römer die Herrschaft antraten, nach Diodorus Siculus fast
+eine Million Einwohner sich befanden, soll die Zukunft erst wieder eine
+gleiche Blüthe und Bevölkerung hervorbringen, wie wir solche zu Zeiten
+der Ptolemäer dort vorfanden.
+
+Von den 200,000 Einwohnern kommen auf die europäische Bevölkerung von
+Alexandrien circa 100,000 Seelen[47] und sind dahin auch die Türken und
+ihre Descendenz zu rechnen, mit einem ziemlich zahlreichen Contingent.
+Sie bewohnen die Halbinsel, welche, ehedem als selbe nur durch einen
+steinernen Damm mit dem Festlande verbunden war, Insel Pharos hieß. Die
+Straßen dieses Viertels sind auch ziemlich breit und gerade, und besser
+im Stande gehalten als im arabischen Viertel. Hier wohnen die Paschas,
+Beys, Effendis und hohen Würdenträger des Königreichs. An der
+westlichen, äußersten Spitze des Vorgebirges =Ras es Tin= oder
+Feigenvorgebirge genannt, ließ Mohammed Ali ein nach dem Plane des
+Serail in Konstantinopel erbautes Schloß errichten. Dasselbe wird noch
+von dem Vicekönig benutzt; auch Harem und Dienstzimmer für die Minister
+befinden sich in demselben. Das Harem steht ganz isolirt inmitten des
+schönen Gartens. Dicht daneben ist auch das Arsenal.
+
+Der alte Hafen von Alexandrien hat seit 1870 eine vollkommene Umwandlung
+erlitten, indem die großartigsten Molenbauten[48] ganz neue Bassins
+schufen. Im Jahre 1876 wird Alexandrien ein äußeres Hafenbecken besitzen
+mit einer Oberfläche von 350 Hektaren und einer Tiefe von wenigstens 10
+Meter. Dieser Vorhafen wird nach der offenen Seite durch einen
+Wellenbrecher geschützt sein, welcher 2340 Meter lang und 8 Meter hoch
+sein soll. Die Blöcke dazu werden zum Theil künstlich hergestellt und
+werden 20,000 benöthigt, jeder 10 Kubikmeter groß und 20 Tonnen[49]
+wiegend. Dieser Wogenbrecher hat zwei Eingänge, einer zwischen dem
+Nordende und =Ras el Tin=, 600 Meter breit, für kleinere Schiffe,
+ein anderer am südlichen Ende, 800 Meter breit, für große Fahrzeuge.
+
+Das innere Hafenbecken wird 72 Hektaren Oberfläche haben und wenigstens
+8,50 Meter tief sein. Auch dieser Hafen wird durch besondere Molen
+geschützt sein und hydraulische Kräne zur Leichterung der Schiffe
+erhalten. Die jährliche Schiffsbewegung beläuft sich jetzt auf circa
+3000 einkommende und ebenso viel ausfahrende Schiffe mit einem Gehalt
+von circa 1,500,000 Tonnen.
+
+Der "Guide" von François Levernay, dem wir die Zahlen für diesen Aufsatz
+entnommen, giebt die mittlere Jahrestemperatur von Alexandrien zu +20º
+C. an, mit einem Maximum von 27º und einem Minimum von 7º. Ich glaube,
+sorgfältiger angestellte Beobachtungen würden eine um einige Grad
+wärmere Temperatur ergeben. In Alexandrien ist noch nie Frost beobachtet
+worden; in der Libyschen Wüste, obschon sich dieselbe bedeutend weiter
+nach Süden erstreckt, fällt das Thermometer jeden Winter unter Null. Der
+kälteste Monat in Alexandrien ist der Januar, Juli und August sind die
+heißeste Zeit. Der Nord und Nord-Nord-West-Wind sind, wie in ganz
+Unterägypten, die vorherrschenden, erst Ende April und im Mai weht der
+Chamsin (d.h. der während 50 Tagen wehende Süd-Süd-Ost-Wind) und bringt
+oft eine unerträgliche Hitze, die jedoch nur während des Windes selbst
+anhält. Während des Chamsin ist selbst am Meeresstrande die Luft kaum
+mit Feuchtigkeit geschwängert, während der übrigen Monate ist aber
+gerade in Alexandrien ein ungemein hoher Feuchtigkeitsgehalt, was den
+Aufenthalt in den Spätsommerwochen so unangenehm macht. Die Quantität
+des Regenfalls variirt zwischen 100 und 335 Mm. jährlich; doch macht man
+auch hier die Wahrnehmung, daß mit der steigenden Baumcultur auch die
+Menge des Regenfalles sich jährlich in Alexandrien vermehrt. Stürme sind
+in Alexandrien selten, Hagel fällt durchschnittlich ein- oder zweimal
+des Jahres, im März oder April; Nebel, aber von kurzer Dauer, treten im
+März, November und December auf.
+
+Wie der Chedive, der Hof und die ganze Regierung im Sommer von Kairo
+nach Alexandrien übersiedeln, der frischen Meeresbrisen wegen, so
+folgen auch die meisten Europäer diesem Beispiel. Aber sie wohnen dann
+weniger in Alexandrien selbst, als im nahe gelegenen Ramleh, einem Orte,
+welcher vor wenigen Jahren seinen Namen (Sand) noch verdiente, jetzt
+aber ein reizender Villencomplex geworden ist. Ramleh hat im Sommer
+6500, im Winter 3200 Einwohner und man findet dort alle Annehmlichkeiten
+einer Villegiatur. Griechische, französische und italienische Schulen,
+Schauspiele, Restaurants und ein Hôtel deutet darauf hin, daß Ramleh
+binnen Kurzem das Scheveningen Alexandriens sein wird.
+
+Aber auch an reizenden Spaziergängen fehlt es den Alexandrinern nicht.
+Längs des Mahmudie-Kanals findet man an den Seiten schattiger Alleen die
+herrlichsten Gärten und darin versteckt die geschmackvollsten Villen.
+Keine herrlichere Spazierfahrt kann man sich denken, als längs dieses
+von Hunderten von größeren und kleineren Schiffen, sowie von eleganten
+Dahabien belebten Kanals. Auch der öffentliche Garten ist hier gelegen,
+wo tägliche Militärmusik die elegante Welt anzieht. Wenn man Abends die
+Hunderte von feinen Landauern mit den schönen griechischen Damen in
+elegantester Toilette daherfahren sieht, dann glaubt man nicht in Afrika
+zu sein, sondern man denkt unwillkürlich an die wagenbelebte Chiaja in
+Neapel. Aber es ist Alles erst im Werden, denn mit Sicherheit fast läßt
+sich voraussagen, daß Alexandrien wieder werden wird, was es war, ein
+Emporium für den Welthandel, die bedeutendste Handelsstadt des
+Mittelmeeres.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 42: Wenn ich "arabisch" sage, so ist damit die eingeborne
+Bevölkerung von Aegypten gemeint, welche aber keineswegs arabisch ist.
+Ich folge in dieser Bezeichnung nur einen angenommenen Gebrauche.]
+
+[Footnote 43: Sauha ist Kloster, Hochschule und Asyl; letzteres hat aber
+in Aegypten heute keine Bedeutung mehr.]
+
+[Footnote 44: Medressa ist Schule.]
+
+[Footnote 45: Die Eingeborenen und auch fremde Araber und Berber
+behaupten, daß das Nilwasser das süßeste und beste Wasser der Welt sei
+und sagen wie die Römer von ihrer Fontana Trevi, wer einmal aus dem Nil
+getrunken habe, den zöge es immer wieder nach Aegypten hin.]
+
+[Footnote 46: Siehe Tafel 5, Zeitschrift für Erdkunde 1872. Kiepert, Zur
+Topographie des alten Alexandrien.]
+
+[Footnote 47: Der Zahl nach kommen zuerst Griechen, dann Italiener, dann
+Engländer (Maltheser), dann Franzosen, endlich Deutsche; die übrigen
+Nationen sind in geringer Zahl vorhanden.]
+
+[Footnote 48: Die Kosten dieser Bauten, mit deren Ausführung das Haus
+Greenfield u. Comp. betraut ist, sind auf 50,000,000 Francs
+veranschlagt. (=Guide annuaire d'Égypte 1873=.)]
+
+[Footnote 49: Eine Tonne gleich 2240 Pfund.]
+
+
+
+
+10. Kairo, Hauptstadt von Aegypten.
+
+
+Ehe wir die Beschreibung von Aegyptens Hauptstadt unternehmen, kehren
+wir zur Vergangenheit zurück und besonders auch kümmern wir uns um die
+Etymologie des Namens der Stadt selbst. Die modernen Völker haben alle
+mehr oder weniger eine gleiche Benennung. Wir Deutsche schreiben Cairo
+und Kairo und sprechen Kairo oder Kaïro; die Franzosen sagen und
+schreiben. =Caire= oder =le grand Caire=; die Engländer
+schreiben Cairo, ebenso die Italiener, welche aber Kaïro sprechen. Der
+gemeine Mann Aegyptens weiß aber von "Kairo" nichts, denn selbst das
+Wort "=el Kâhira=", die Unterjocherin[50], welche Veranlassung zur
+Bildung des Wortes Kaïro gewesen, ist nur den Gebildeten bekannt. Das
+Volk der Hauptstadt, sowie die Eingeborenen des Landes nennen die Stadt
+Masr. Auch dieses Wort finden wir von den Europäern auf die
+verschiedenste Art geschrieben: Masr, Misr, Messr, Masser, Messer und
+noch einige andere Schreibarten.
+
+In der nachfolgenden Erklärung dieses Namens folge ich durchaus der
+Auseinandersetzung des gelehrten Orientalisten Wetzstein in Berlin, der
+die Güte hatte, mir seine bezüglichen Forschungen hierüber mitzutheilen,
+die um so werthvoller sind, weil sie zum Theil neue Gesichtspunkte
+eröffnen und vollkommen originell sind.
+
+Wetzstein sagt: Die Hauptstadt Aegyptens heißt bekanntlich im Lande
+selbst Misr[51]. Da nun dieser Name ursprünglich der Name des ganzen
+Landes ist, denn schon im alten Testamente hieß Aegypten Misraim, so hat
+man hier eine Uebertragung des Landnamens auf die Landeshauptstadt zu
+constatiren; =medinat Misr=, die Hauptstadt Aegyptens, ist also zur
+Stadt Misr geworden. Für eine solche Uebertragung bietet die
+geographische Nomenclatur der Araber viele Beispiele. Hier nur einige:
+Syrien hieß bei den Arabern der Halbinsel schon in den ältesten Zeiten
+Schâm, d.h. das Nordland, und sein Hauptmarkt, bis wohin die arabischen
+Karavanen gingen, war in vormohammedanischer Zeit Bosrâ, die Hauptstadt
+Haurân's; eine Reise nach Syrien war also in der Regel für die Araber
+gleichbedeutend mit der Reise nach Bosrâ. Daher heißt bei ihnen in jener
+Zeit Bosrâ immer Schâm im Sinne von "Markt" von Schâm (Syrien). Als nun
+in den ersten Jahrhunderten des Islam Bosrâ verödete und die Karavanen
+bis Damask gehen mußten, ging die Benennung Schâm naturgemäß auf die
+Stadt über, so daß der Name Damaskus vollständig unterging[52] und
+Schâm seitdem zugleich Syrien und Damask bedeutet. Nur blieb an den
+Ruinen von Bosrâ noch der Name Alt-Schâm (türkisch: Eski-Schâm) haften.
+
+Ein anderes Beispiel: Die Hauptstadt von Bahrein, d.h. von dem
+nordöstlichen Küstenstriche der arabischen Halbinsel, war im Alterthum
+der berühmte Handelsplatz Gerrha (arabisch H'gér), der Ausgangs- und
+Zielpunkt der aus und nach Bahrein expedirten Karawanen. Auch dieses
+Emporium verlor unter den Arabern seinen Eigennamen und nahm den des
+Landes Bahrein an.
+
+Dasselbe geschah mit der alten Hauptstadt Jemâma, dem heutigen
+Wahabiten-Reiche, westlich von Bahrein. Sie hieß Hagr; aber die
+arabischen Geographen erwähnen selten diesen Namen. Meistens nennen sie
+die Stadt entweder Medinat-el-Jemâma oder geradezu Jemâma, wie das Land
+selbst. Diesen Beispielen fügen wir noch die Stadt Ramla (bei Lydda)
+bei, welche bis zum Beginn der Kreuzzüge von großem Umfange und
+Hauptstadt der Provinz Felistin (damals Westpalästina) war; sie wird in
+den arabischen Schriften jener Zeit geradezu Felistin im Sinne von
+"Hauptstadt Palästina's" genannt. Liest man, Jemand habe in Felistin
+übernachtet, oder von Felistin nach Jâhâ oder Jerusalem sei eine
+Tagereise, so ist immer Ramla gemeint.
+
+Diese Bezeichnungsweise ist oft verwirrend und kann das Verständniß
+einer geographischen oder historischen Angabe erschweren. Entstanden
+wird sie sein durch die Redeweise der Karawanen, insofern z.B. die aus
+Arabien abgehende Kâfilat-Misr, Karawane von Misr, immer zugleich die
+nach dessen Hauptstadt dirigirte war, und man darf annehmen, daß Misr
+schon Jahrhunderte lang _vor dem Islam_ bei den Arabern jene doppelte
+Bedeutung hatte.
+
+Uebrigens wäre auch folgende Erklärung denkbar: Unter den Ptolemäern
+entstand zwischen Heliopolis und Memphis ein Waffenplatz, der
+wahrscheinlich das volkreiche Memphis im Zaume halten sollte und zur
+Erinnerung an Alexander's Feldzug in Asien Babylon genannt wurde. Nach
+und nach verödete Memphis, indem es einen kleinen Theil seiner
+Bevölkerung und seines Baumaterials an dieses Babylon abgab, welches in
+den ersten Jahrhunderten der christlichen Aera (abgesehen von
+Alexandrien) der Hauptort Aegyptens geworden zu sein scheint. Denn als
+des Chalifen Omar's Feldherr ='Amr-ibn-el-'À[s,]î= im Jahre 19 der
+Higra Babylon erobert hatte, befand er sich thatsächlich im Besitze des
+ganzen Landes und brauchte nur noch Alexandrien zu erobern. Dieses
+Babylon hieß nun zum Unterschiede von der berühmten gleichnamigen Stadt
+am Euphrat "das ägyptische Babylon", Bâbeliûn Misr, welche Bezeichnung
+sich, da die Araber lange Ortsnamen hassen, in Misr verkürzte, so daß
+Land und Landeshauptstadt gleichnamig wurden. Doch ist die =primo
+loco= gegebene Erklärung dieser unbedingt vorzuziehen.
+
+Die übrigen Namen der Hauptstadt Aegyptens anlangend, so hieß dieselbe
+in den ersten Jahrhunderten des Islam el Fostât aus folgender
+Veranlassung. Als der vorerwähnte ='Amr-ibn-el-'À[s,]î= Babylon
+belagerte, stand sein Lager an der Nordseite der Stadt, und um sein
+Zelt, welches el Fostât hieß, bildete sich nach und nach eine
+Baracken-und Hüttenstadt, die sich erhielt und vergrößerte, da ein Theil
+des Lagers auch nach Eroberung der Stadt stehen blieb. Diese nomadische
+Niederlassung verwandelte sich nach und nach in eine Vorstadt Babylons,
+die nach ihrem Mittelpunkte dem ehemaligen Feldherrn-Zelte, el Fostât
+genannt und deren Name allmälig auf die ganze Stadt angewendet wurde, so
+daß die alte Benennung Babylon außer Brauch kam. Doch findet man sie
+noch bei den Geographen, welche sie bald Babeljûn, bald Hisn-el-Iûn
+(Festung des Iûn) schreiben, indem die erste Silbe, welche man für das
+arabische =Bab= Thor hielt, wegfiel.
+
+Der Name el Fostât wurde seit der Occupation Aegyptens durch den
+Fatimiten =el Moizz li-din-Allah= (369 d.H.) verdrängt. Als Ganhal,
+sein Feldherr, mit dem westafrikanischen Heere vor die Hauptstadt
+rückte, ging er mit der Bevölkerung den Vertrag ein, daß seine Soldaten
+die Stadt selbst nicht betreten, sondern außerhalb derselben in Baracken
+und Zelten untergebracht werden sollten. Dieses Lager, welches sich wie
+350 Jahre früher dasjenige des ='Amr-ibn-el-'À[s,]î= allmälig in
+eine militärische Colonie verwandelte und zugleich die Unterwürfigkeit
+der Stadt gewährleistete, erhielt den Namen el Kâhira "die
+Unterjocherin", der sich gerade wie früher el Fostât der ganzen Stadt
+mittheilte.
+
+Man unterscheidet bis auf den heutigen Tag die Stadttheile el Kâhira, el
+Fostât und das ursprüngliche Misr. In amtlichen Acten, bei denen es auf
+Genauigkeit der Ortsangaben ankommt, heißt die Stadt Kâhirat Misr "Kairo
+in Aegypten", oder auch Misr el Kâhira, was der gewöhnliche Mann als die
+"siegreiche Stadt Misr" deutet.
+
+Indem wir so der Auseinandersetzung des gelehrten Orientalen folgten,
+fügen wir noch hinzu, daß Wetzstein etymologisch das Wort Misr
+simitischen Ursprungs erklärt und sich der Ansicht zuneigt, es bedeute
+"die beiden eingeschlossenen Länder", nämlich Ober- und Unter-Aegypten.
+Wetzstein meint nämlich: "gehöre diese Benennung ursprünglich einer
+altägyptischen, d.h. einer Ruschitischen Sprache an, so ließe sich
+nichts über ihre Bedeutung sagen, denn das Koptische sei ein zu
+verkommenes Idiom und das Hieroglyphische mit seinen Schwestern eine zu
+unbekannte Sprachform, als daß sie Aufschlüsse geben könnten."
+
+Genug! Wenn auch nicht an derselben Stelle gelegen, wissen wir und
+müssen das festhalten, daß die heutige Hauptstadt der Aegypter bei den
+Alten Babylon (bei den lateinischen Schriftstellern Babylonia), bei den
+ersten Arabern Fostât hieß und daß sie heute bei den Europäern mit den
+verschiedenen Variationen Kairo, bei den Aegyptern selbst Masr genannt
+wird. Die Namen Masr el-kahirah als Neustadt oder Masr el-attica als
+Altstadt haben nur officiellen Sprachgebrauch erlangt.
+
+Man hat behaupten wollen, die Vorgängerin Kairo's, die Stadt Memphis,
+sei günstiger gelegen gewesen, als die jetzige Hauptstadt Aegyptens. Ich
+wüßte nicht, worauf man dieses Urtheil stützen wollte. Der natürlich
+vortheilhafteste Platz wäre wohl an der Spitze des Delta's selbst
+gewesen, aber die Entwicklung der Stadt selbst zeugt, daß man keineswegs
+eine ungünstige Position zur Anlage einer Stadt gewählt habe. Es ist
+heute freilich leicht zu sagen, die und die Stadt hat eine äußerst
+günstige geographische Lage. In unserer Zeit der Eisenbahnen, der
+Kunststraßen, der Kanäle &c. überläßt man sich gar zu leicht der
+Ansicht, die natürliche Lage der Stadt habe das Blühen und Gedeihen
+derselben verursacht, wenn es doch nichts Anderes war als eben jene
+modernen Kunstmittel.
+
+Kairo liegt auf dem 30º 2' 4'' N.B. und auf dem 28º 58' 30'' O.L. von
+Paris. Die Erhebung der Stadt über dem Meere beträgt durchschnittlich 13
+Meter; obschon einzelne Stadtteile höher sind, so liegt die
+Hassan-Moschee 30 Meter höher, als der Spiegel des Mittelmeeres.
+
+Die mittlere Jahrestemperatur ist 23º C. Selten fällt im Winter der
+Thermometer unter 10º und steigt nur während der Zeit der Chamsinwinde
+auf über 40º. Während früher feuchter Niederschlag zu den Seltenheiten
+gehörte, hat man die Beobachtung gemacht, daß jetzt mit jedem Jahre die
+Regenfälle im Zunehmen begriffen sind; offenbar Folge der so sehr
+vermehrten Baumpflanzungen in der Stadt selbst und in der nächsten
+Umgebung derselben. Aber es liegen noch keine bestimmten Daten hierüber
+vor und so heben wir eben nur die allgemeine Thatsache hervor.
+
+Obschon man wegen der immerhin bedeutenden Hitze nicht sagen kann, daß
+Kairo ein angenehmes Klima habe, so kann man doch auch keineswegs
+behaupten, es sei eine ungesunde Stadt. Im Sommer pflegen wegen der
+unerträglichen Hitze die dort wohnenden Europäer, auch der Hof, die
+ersten Würdenträger und reiche Eingeborene die Stadt zu meiden. Im
+Winter hingegen ist sie Aufenthaltsort zahlreicher Reisender und noch
+zahlreicherer Kranker, welche dort Herstellung ihrer Gesundheit zu
+finden hoffen. Namentlich für Schwindsüchtige wird die Luft Kairo's und,
+wie es scheint, mit Recht, empfohlen. Die sogenannte ägyptische
+Augenkrankheit eine Entzündung der Schleimhaut, der Conjunctiva des
+Auges, sowohl des Augapfels, als auch der Augenlider, welche ansteckend
+und in Aegypten endemisch ist, eine seit Hippokrates Zeit bekannte
+Krankheit, wurde durch die französische Invasion unter Napoleon I. und
+durch die Engländer nach Europa gebracht; indeß befällt sie
+erwiesenermaßen Europäer weniger, als die Eingeborenen und Letztere
+werden besonders davon afficirt, weil sie nicht durch größte
+Reinlichkeit die fortwährenden schädlichen Einwirkungen des Staubes, von
+dem die Luft stets geschwängert ist, unwirksam machen. Und zwar wirkt
+der Staub, der unmittelbar in den Straßen aufgewirbelt wird und aus den
+kleinsten Partikeln zersetzter organischer Stoffe besteht, ebenso
+schädlich, als der kaum sichtbare Staub der Samum-Winde. Woran die
+Europäer am meisten leiden, das sind Krankheiten der Leber und der Milz,
+letztere zum Theil hervorgerufen durch tertiäre Wechselfieber, und sind
+erstere radical nur zu heilen durch Ortsveränderung, durch Rückkehr nach
+Europa. Die Pest kommt seit Jahren nicht mehr in Kairo vor und die
+Cholera eben auch nicht häufiger, als in Europa.
+
+Kairo ist eine unbefestigte Stadt, denn was die Kâsbah betrifft, welche
+ursprünglich zur Verteidigung der Chalifenstadt diente, nebst hohen
+Mauern, welche im Mittelalter die Stadt umfriedigten, so ist erstere
+längst ihres Festungscharakters beraubt, letztere aber sind geschleift
+und abgetragen worden, oder in Ruinen zerfallen. Jedoch zahlreiche
+Mauern im Innern der Stadt, ehemals äußere Stadtmauern, zeugen von der
+beständigen Umwandlung und Vergrößerung der Stadt, sowie die jetzige
+äußere Mauer ebenfalls schon inmitten der Hauptstadt sich befindet.
+Heute ist es kaum noch gestattet, von Masr el Kâhirah, von Masr el
+Attika, von Bulak u.s.w. als unterschiedlichen Städten zu reden,
+namentlich wird es ebenso falsch sein, zu sagen, Bulak sei als _Hafen_
+Kairo's von dieser _Stadt_ zu unterscheiden, sowie man Unrecht hätte,
+Moabit nicht zu Berlin zu rechnen. Heute liegt in der That Kairo am Nil:
+Bulak ist ein Stadttheil der Hauptstadt geworden. Höchstens darf man
+jetzt noch den Unterschied zwischen _dem_ Stadttheile machen, der seinen
+_morgenländischen_ Charakter bewahrt hat und dem, der ganz _europäisch_
+ist.
+
+Der erste Stadttheil, der sich an die Citadelle lehnt, welche selbst auf
+einem der äußersten Ausläufer des Mokattam-Gebirges gelegen ist, den man
+unter dem Namen Chalifenstadt begreifen kann, ist ein großes Labyrinth
+krummer und enger Straßen, oft durch Ueberbauten dunkel und so
+unscheinbar, daß man meinen sollte, man befände sich in einer Gasse des
+Hauptortes der Oase des Jupiter Ammon. Hier kennt man kein Pflaster,
+hier giebt es Abends keine Beleuchtung, geschweige denn von Gas zu
+reden; zahlreiche Sackgassen nötigen den nicht Eingeweihten, stets auf
+seine Schritte zurückzukommen, vom Eintritt eines bestimmten Platzes an
+bis zu einer bestimmten Grenze wird der Fremde, passirt er Nachts diesen
+Stadttheil, von einer klaffenden Meute hungriger Hunde verfolgt, welche
+wild und herrenlos, wie sie sind, doch unter sich eine genaue
+Besitzeintheilung hergestellt haben der Art, daß immer ein Theil eines
+Quartiers oder einer Straße von einer Meute besetzt gehalten wird, die
+auf's Eifrigste über die Unverletzlichkeit ihres Territoriums wacht.
+Wehe dem Fremden, der Nachts ohne Stock durch eine von diesen wilden
+Bestien bewachte Straße geht, namentlich wenn er ein Ungläubiger und in
+europäischer Tracht ist; aber noch mehr wehe, wenn einer ihres Gleichen,
+ein fremder Hund, sich unter sie verirren sollte, er ist unrettbar
+verloren, gelingt es ihm nicht, auf sein eignes Gebiet zurückzuflüchten.
+
+Aber nicht immer haben wir enge und unscheinbare Gassen, in diesem
+Ur-Kairo ist Alles Ueberraschung. Hier giebt es auch Moscheen von allen
+Formen und allen Farben, einfache und prachtvolle, reich mit Arabesken
+und Sculpturen geschmückte und solche, welche äußerlich nur eine nackte
+Wand zeigen. Hier bemerkt man auch jene reich sculptirten Brunnen,
+meistens fromme Stiftungen, welche bis vor Kurzem, wo das Trinkwasser in
+Kairo so spärlich war, zu den größten Wohlthaten zählten, die ein
+frommer Moslim seiner Vaterstadt vermachen konnte. Hier findet man auch
+jene reizenden Muscharabiehen aus Holz geschnitzt, welche die Eifersucht
+des gestrengen Haremgebieters erfand. Muscharabiehen sind Jalousien,
+welche sich stark ausgebuchtet vor den Fenstern befinden. Sie sind auf's
+Kunstvollste aus Holz geschnitzt, oft so fein und zierlich, daß es sich
+von Weitem wie Filigran-Arbeit ausnimmt. Geheimnisvoll ragen sie im
+Halbdunkel der Straßen aus den Häusern hervor; manchmal scheinen sie
+sich bei den überhängenden Etagen der Häuser zu berühren. Dahinter
+lauert die junge Frau des Hausherrn, verlangende Blicke wirft sie auf
+das Leben zu ihren Füßen, sie hört es, sie sieht auch Alles, ohne selbst
+bemerkt zu werden; glühend erröthet sie, wenn ein jugendlicher Frangi
+vorübergeht, der ihr viel vorteilhafter dünkt, als jener alte,
+weißbärtige Mann, dem sie gezwungen war, ihr Leben zu opfern. Da
+erblickt sie gar in einer Carrosse dahersausend zwei hübsche
+Christendamen, sie sind unverschleiert. Sie lächeln, sie freuen sich des
+Lebens, während sie selbst, die Aermste, hinter ihrer Muscharabieh eine
+Thräne im Auge zerdrückt und ihr freudenloses Leben beklagt! Aber was
+ist das? Da biegt um die Ecke ein eleganter Phaëton, laut schreiend vor
+ihm rufen die Läufer ihr ewiges "=Guarda, Guarda=" oder
+=schemalak ia chodja, l'iminak=[53]. Darin sitzen im Wagen zwei
+reizende Moslemata[54], kaum verschleiert die dünne Tüllspitze ihr
+fröhlich lächelndes Gesicht; sie scheinen aber auch gar keine Lust zu
+haben, ihr Antlitz verbergen zu wollen, im Gegentheil, man sieht, daß
+sie nur scheinbar diesen Zwang mitmachen. Es sind Prinzessinnen, Töchter
+oder Nichten des Chedive; ahnungsvoll zieht sich unsere Schöne aus
+ihrer Muscharabieh zurück; ein dunkles Gefühl sagt ihr, daß auch für
+ihres Gleichen bald die Stunde der Befreiung schlagen wird.
+
+Hier finden wir auch jene großen Bazarstraßen, wo die Produkte der drei
+Erdtheile sich einander begegnen und wo in immer geschäftiger Weise
+während des ganzen Tages das regste Leben und Treiben herrscht und
+Groß-und Kleinhandel getrieben wird. Von einigen dieser Bazars soll
+später noch die Rede sein.
+
+Der andere Stadttheil, ganz neu und vorzugsweise eine Schöpfung des
+jetzigen Chedive, daher auch Ismaelia genannt, mit seinen seenartigen
+Gärten, seinen breiten wohlgepflasterten und täglich besprengten
+Straßen, seinen Palästen und Theatern, seinen Gascandelabern und
+prachtvollen Läden ist vollkommen europäisch. Dies moderne Kairo,
+welches heute schon von den Fluthen des Nils berührt wird, steht in
+Nichts den schönsten Städten Europas nach. Was luxuriöse Ausstattung der
+Gebäude und ihrer Fanden anbetrifft, so können sich die der ägyptischen
+Hauptstadt ganz messen mit denen am Ring in Wien oder denen der
+Boulevards von Paris.
+
+Mit Recht sagt Levernay (=guide annuaire d'Égypte 1873 p. 254=):
+Hier ist die Vereinigung des Orients mit dem Occident, hier ist das
+Symbol der religiösen Freiheit; hier ist das Bündniß der Handelsfreiheit
+(?)[55] und der Völkergemeinschaft; findet man nicht in dieser Stadt
+zusammenlebend den flachshaarigen Scandinavier an der Seite des
+wollhaarigen Furer, den fanatischen Magrebiner von der Küste des
+atlantischen Oceans an der Seite des gelbhäutigen Indiers oder den
+südlichen Araber mit kaffeebrauner Haut an der Seite des
+halbeuropäischen Türken? Und dazwischen Tartaren, Perser, Turkomannen,
+Kurden und Chinesen. Ja, hier sieht man Hand in Hand gehend den
+gelehrtesten Professor aus der Hauptstadt der Denker mit dem von Steppe
+zu Steppe vagabondirenden Nomaden, welcher, ohne Gesetze lebend, nur
+seinem eigenen Willen folgt. Ja, es ist ein eigenthümliches Leben in
+Kairo und glücklich Der, welcher Empfängnis hat für die Sitten fremder
+Völker oder der gar die Gabe besitzt, dem Gedankengange der Eingeborenen
+momentan folgen zu können. Hier an der ältesten Wiege menschlicher
+Cultur reichen sich Tag für Tag Asiaten, Europäer und Afrikaner die
+Hand, und wie schon zu verschiedenen Malen von hier aus die menschliche
+Entwickelung zu ihren jeweiligen höchstem Triumphen gelangte, so scheint
+auch jetzt ein neues Leben, ein neues gewaltiges Ringen zum
+Vorwärtskommen erwacht zu sein.
+
+Die Zahl der Bevölkerung von Kairo dürfte man auf circa 400,000 Seelen
+für das Jahr 1875 beziffern. Genaue statistische Erhebungen sind in
+mohammedanischen Städten zur Zeit noch nicht auszuführen. Denn selbst
+wenn eine amtliche Zählung vorgenommen wird, so stößt diese immer auf
+unüberwindliche Hindernisse wegen der Haremverhältnisse und der
+weiblichen Sclaven.
+
+Von diesen 400,000 Einwohnern dürften incl. 800 Perser etwa 20,000
+Europäer sein. Aber man denke nicht, daß etwa die 380,000 verbleibenden
+Menschen alle einer Nationalität angehören. Da sind die verschiedensten
+schwarzen Stämme, da sind Syrier, ächte Araber, seit Jahrhunderten in
+Aegypten lebende Araber, Inder, Chinesen, endlich Fellahin und Kopten
+und eine große Anzahl von Türken. Alle diese stellt man, obschon sie es
+keineswegs sind, als "Eingeborene" oder "Rechtgläubige" den fremden
+Europäern gegenüber. Daß man die Perser ebenfalls als besondere
+Nationalität trennt, verdanken sie dem Umstande, weil sie in Aegypten
+besondere Consuln haben.
+
+Man zählte im Jahre 1873 in Kairo 4200 Griechen, 7000 Italiener, 4000
+Franzosen, 1600 Engländer, 1200 Oestreicher und Ungarn, 800 Deutsche,
+500 Perser, 120 Spanier, 50 Russen, 25 Belgier, 9 Brasilianer, 5
+Portugiesen, 2 Schweden und 1 Nordamerikaner. Was die letzte Zahl
+anbetrifft, so scheint sie uns nicht richtig zu sein, da allein in der
+chedivischen Armee an hundert nordamerikanische Officiere dienen, von
+denen wir bei den eigenen Verhältnissen in Aegypten kaum glauben können,
+daß sie ihre Nationalität aufgegeben haben. Wenn wir überhaupt zu diesen
+Zahlen größere Zuversicht haben dürfen, weil sie eben auf amtliche
+Ermittelung der bezüglichen Consulate fußen, so sind sie doch auch noch
+fern davon, eine so absolute Sicherheit zu gewähren, wie wir gewohnt
+sind, von unseren amtlichen, statistischen Erhebungen zu erwarten.
+
+Kairo hat wenigstens 300 Moscheen, wenn man alle kleinen Kapellen und
+Bethäuser mitrechnet, also ein Gotteshaus auf circa 1200 Individuen;
+denn von den 400,000 Einwohnern sind, wenn wir die Kopten mitrechnen,
+wenigstens 50,000 Christen. Diese letzteren haben 44 Kirchen, was
+ohngefähr dasselbe Verhältniß ergiebt, und rechnet man in Kairo 7000
+Juden und für dieselben 13 Synagogen, so erhält man das Resultat, daß
+diese am günstigsten daran sind, denn es beziffert sich für sie die Zahl
+der zu einem Tempel Gehörigen auf einige mehr als 500.
+
+In der Hauptstadt des Chedive herrscht natürlich die vollste religiöse
+Freiheit, aber erst seit einigen Jahren. Wie aber Alles, was maßlos ist,
+zu Unzuträglichkeiten führt, so auch diese vollkommene religiöse
+Freiheit. Es offenbart sich dies am meisten bei jenen großen
+mohammedanischen Prozessionen, welche oft stundenlang den Verkehr auf
+den Straßen hemmen. Die Zeiten sind allerdings längst vorüber, wo ein
+Andersdenkender beim Zuschauen einer solchen mohammedanischen Prozession
+sein Leben gefährdet sah, und da die Muselmanen ja überhaupt nicht die
+Sitte des Hutabnehmens haben, so ist vom "Huteintreiben" oder
+"Hutabschlagen", wie das in unseren toleranten und civilisirten Ländern
+vorkommt, nie die Rede.
+
+Unerwähnt darf man auch nicht lassen, daß dies die einzigen
+Ausschreitungen sind, welche sich der Cult dem staatlichen Gemeinwesen
+gegenüber erlaubt, denn nicht würde der unbestraft bleiben, wäre er ein
+auch noch so hoher Geistlicher, der sich dem Staats-Gesetze widersetzen
+wollte.
+
+Ueberhaupt lebt man in keinem Lande der Welt so sicher als in Aegypten
+und speciell in Kairo. Es ist wahr, daß auch hier manchmal große
+Diebstähle verübt werden, und ich erinnere nur an den berühmten
+Diamantendiebstahl Ende des Jahres 1874; aber er wurde in dem
+europäischen Viertel und von Europäern vollzogen. Von Mordtaten,
+Raubanfällen und größeren Verbrechen hört man fast nie.
+
+Wenden wir uns zu einzelnen großen Bauten und Anlagen, so zieht vor
+allen im alten Stadttheile die Citadelle unsere Aufmerksamkeit auf sich.
+Schon von Weitem, wenn man mit der Bahn sich nähert, sieht man die hohe
+Kuppel und die eleganten schlanken Minarets der Moschee des Mohammed
+Ali, welche die Citadelle als krönendes Werk überragt. Denn die
+Citadelle ist keineswegs _eine_ Baute, sondern besteht aus verschiedenen
+fortifikatorischen Gebäuden, aus Palästen, Kasernen und kleineren
+Gebäuden. Aber der aus Alabaster errichtete Dom, unter dem die Gebeine
+des großen Begründers der beutigen Dynastie ruhen, mit seinen imposanten
+Formen, in seiner dominirenden Lage, ist doch das Gebäude, welches den
+Fremden am meisten fesselt.
+
+Hier auf der Citadelle ist auch der berühmte Brunnen in den Fels
+hinabgehauen; er ist fast 100 Meter tief und so breit, daß man bis zur
+Quelle mittelst Stufen hinabsteigen kann. Er heißt Josephs-Brunnen, hat
+aber nichts mit dem biblischen Joseph gemein, sondern wurde von Joseph
+ben Agub oder Saladin, dem ersten aglubitischen Sultan, erbaut, damit im
+Falle einer Belagerung die Citadelle nicht des Wassers ermangele.
+Mittelst zweier Schöpfräder (=Norias oder Sakias=) wird das Wasser
+an die Oberfläche gehoben. Der Anblick von der Plattform der Citadelle
+auf die große Stadt zu ihren Füßen, auf Bulak, Rodha und den gewaltigen
+Nil, auf die Pyramiden und im Hintergrunde die mit dem Himmel
+verschwimmende Sahara gehört zu dem Großartigsten, was man sich denken
+kann; die kühnste Phantasie findet hier ihre Befriedigung. Und wenn man
+das Glück hat, bei der Betrachtung dieses Bildes die über dem
+Mokattam-Gebirge heraufsteigende Sonne als Frühbeleuchtung zu haben, so
+spottet das Ganze jeder Beschreibung, und selbst der eingebildetste
+Pedant, der nörgelndste Philister wird von der Großartigkeit dieses
+Panoramas überwältigt werden.
+
+Von den übrigen Moscheen nennen wir zuerst die des Amru, die älteste,
+ungefähr um 640 errichtete, aber von ihrer ehemaligen Pracht ist wenig
+mehr übrig. Bei allen mohammedanischen Gotteshäusern, wie auch bei ihren
+Profanbauten kann man die Bemerkung machen, daß die Mohammedaner mit
+großer Vorliebe Bauten unternehmen, aber nie daran denken, ihre Bauten
+zu _erhalten_. Die Amru-Moschee ist ein Rechteck von 120 Meter zu 75
+Meter. Der Säulenwald an der Ostseite des Hofes aus 21 Säulenreihen, in
+jeder Reihe 6 Säulen, ist imposant.
+
+Interessant für die Geschichte der Architektur ist die im Jahre 877 von
+Ahmed ebn Tulun erbaute Moschee, 80 M. lang aus 76 M. Breite. Man findet
+schon ogivische Bogen in Anwendung und außerdem die Wände mit Kusischen
+Legenden geschmückt. Nach arabischen Inschriften soll der das Gebäude
+umgebende Karnies aus zusammengestampftem Amber gemacht gewesen sein, um
+den Eintretenden Wohlgerüche zuzuführen. Jetzt ist nichts mehr davon zu
+bemerken und auch diese Moschee zeigt Verfall.
+
+Die große und glänzende el Asar-Moschee ist insofern von Wichtigkeit,
+als mit ihr die Hochschule verknüpft ist, die bedeutendste der ganzen
+mohammedanischen Welt. Fast 10,000 Studenten folgen hier dem Unterrichte
+von über 300 Professoren. Es wird aber fast nichts, als Religion gelehrt
+und besonders sind es die vier rechtgläubigen Riten, die Hambaliten,
+Schaffeïten, Hanesiten und Malekiten, welche hier ihre Vorlesungen
+halten. Schaffeïten und Malekiten haben die meisten Zuhörer: erstere
+über 4500, letztere 3700. Die Hanesiten, wozu sich alle Türken rechnen,
+haben ca. 1000, die Hambaliten nur ca. 50 Studenten. Alle diese Schüler
+haben freien Unterricht und freie Kost nebst Bekleidung, ebenso sind
+auch die Professoren vom Staate besoldet. Außer Religion wird etwas
+Poesie, Grammatik und Gesetzgebung, letztere natürlich auf Koran und
+Sunnah basirt, getrieben. Mit dieser Moschee ist verbunden ein großes
+Blinden-Hospital, eine Sauya für Pilger, deren Asylrecht heute aber im
+Strome der Civilisation untergegangen ist.
+
+Eine merkwürdige Universität, wo man weiter nichts treibt, als religiöse
+Forschungen, über nichts Anderes nachdenkt, als über Dinge, die
+außerhalb dem Bereiche des Wirklichen liegen und deren Resultate deshalb
+für das Land, für die Menschheit von gar keinem Nutzen sind.
+
+Die Moschee, welche am meisten die Bewunderung der Europäer auf sich
+zieht, die Hassan-Moschee, hat mich immer ziemlich kalt gelassen. Zum
+Theil kommt das wohl daher, daß ich nie Vorliebe für jenen _unmöglichen_
+Stalactitenbau habe gewinnen können, zum Theil, daß einen die Quadern zu
+sehr an die Bauten der alten Aegypter erinnern. Solche Vandalen, die
+nicht die Energie besitzen, zu einem so großartigen Gebäude eigenes
+Material zu nehmen, sondern andere Bauten _zerstören_, um sie zu den
+ihrigen zu benutzen, soll man die wohl achten? Und sieht man nun gar,
+wie die famosen Stalactiten-Nischen in der Hassan-Moschee nicht aus
+Stucco oder Stein bestehen, sondern elende Holznachbildung sind, so
+schwindet vollends alle Sympathie. Die Moschee wurde 1356 vom Sultan
+Hassan erbaut. Das danebenstehende Minaret hat 80 Meter Höhe; fügt man
+die Höhe des Bodens, auf dem die Moschee erbaut ist--30 Meter--hinzu, so
+hat man die Höhe von Assuan.
+
+Ich übergehe die übrigen Moscheen, welche alle, wie z.B. die von Kalaum
+auch el Barkuk genannt, oder die von Sitti Seinab oder die der Hassanein
+oder die von el Moged für diejenigen, welche sich für
+ägyptisch-mohammedanische Architektur interessieren, sehenswerth sind,
+deren Besuch man sich aber sonst ersparen kann.
+
+In der Stadt selbst hat der Chedive merkwürdiger Weise keinen einzigen
+Palast, der von Außen irgendwie Anspruch auf architektonische Schönheit
+machen könnte.
+
+Wie alle gouvernementalen Gebäude ist seine dermalige Wohnung ein
+äußerst fensterreiches Gebäude, _ganz ohne Styl_. Inwendig lassen diese
+chedivischen Paläste allerdings nichts zu wünschen übrig, weder an
+Eleganz noch an Pracht, noch auch an Geschmack der Decoration oder an
+zweckmäßiger Raumvertheilung.
+
+Die neue Börse, die Bibliothek, die Wohnungen der ersten Beamten
+zeichnen sich durch nichts Besonderes aus. Was die Bibliothek
+anbetrifft, so besitzt dieselbe ca. 30,000 arabische Bände, fast nur
+Handschriften, darunter viele äußerst kostbare. Da sieht man vor allen
+anderen jene Bücher von außerordentlicher Größe, deren Buchstaben von
+Gold mit so großer Regelmäßigkeit gemalt erscheinen, daß man meinen
+sollte, sie seien gedruckt. Natürlich ist der Inhalt weiter nichts als
+der Text des Koran.
+
+Will man schöne Gebäude modernsten Styls, villenartig gebaut, von
+reizenden Gärten umgeben sehen, so wandere man durch den neuen
+Stadttheil. Hier liegt auch die schmucke deutsche protestantische
+Kirche, hier hat der Minister der Justiz, jetzt Scherif Pascha, sein von
+feenhaften Gärten umgebenes Palais.
+
+Was die Theatergebäude betrifft, so läßt sich bezüglich der Bauten
+selbst nichts sagen, als daß es provisorische Gebäude sind, bestimmt,
+mit der Zeit anderen monumentalen Platz zu machen. Was aber innere
+Ausstattung, Inscenirung, Personal und Leitung betrifft, so stehen
+sowohl die chedivische italienische Oper, als auch das französische
+Schauspiel unseren ersten und besten Bühnen würdig zur Seite. Hierüber
+herrscht nur eine Stimme.
+
+Den größten Zauber und Reiz besitzt Neu-Kairo heute in jenem
+Esbekieh-Garten, mitten in der Stadt gelegen, den ich selbst noch bis
+zum Jahre 1868 als einen großen pfützenreichen Platz von hohen Sykomoren
+beschattet gekannt habe. Umfriedigt von Prachtbauten, ähnlich wie die
+der Rue Rivoli zu Paris, ist der harten von einem hohen eisernen Gitter
+umgeben. Zahlreiche Thore, deren Eingänge mit Selbstzählern versehen
+sind, geben Einlaß. Bei dem sonderbaren Hange der Orientalen, stunden-,
+ja tagelang faulenzend auf irgend einem einladenden Platze sich dem
+=Dolce far niente= hinzugeben, war die Vorschrift, ein
+unbedeutendes Entrée zu erheben, unerläßlich, denn nur durch eine solche
+Maßregel konnte der prächtige Park rein gehalten werden von jenem
+ungemein stark in Kairo vertretenen Contingent, das seine Sache auf
+nichts gestellt hat und höchstens vom bequemsten Betteln lebt und
+sicherlich mit angeborener Frechheit die schönsten und anziehendsten
+Punkte des großen Gartens in Besitz genommen haben würde.
+
+Es ist wunderbar, wenn man die Beschreibungen früherer Reisender
+durchgeht und liest, was die Esbekieh _war_ und nun staunt, was sie
+jetzt ist.
+
+Die ganze Esbekieh-Anlage von achteckiger Form mit einem Umfange von 940
+Meter nimmt ein Areal von ca. 82,500 Quadratmetern ein. Die Länge der
+Wege beträgt 2 Kilometer 300 Meter. Das Flüßchen und die von ihm
+gebildeten Teiche, Alles durch Kunst geschaffen, bedecken eine
+Oberfläche von fast 5000 Quadratmeter. Die Teiche sind 2 Meter tief.
+
+Außer den kostbarsten Gewächsen aller Länder und Zonen, welche trotz des
+kurzen Zeitraumes ihres jetzigen Bestandes dort seit 20 Jahren gegrünt
+zu haben scheinen, findet der Spaziergänger in diesem Garten Alles
+vereint, was nur das Leben angenehm macht. Da sind reizende Buden, wo
+Liqueure, Eis und Scherbets verkauft werden. Hier ist eine Bierhalle, wo
+das beste Drehersche oder Münchener Bier in Eis dem durstigen
+Nordländer Labung bietet, Kaffeehäuser mit reizenden Kiosken gut
+eingerichtete Restaurationen, ein kleines Theater-Concert, ein
+arabisches Kaffeehaus, Schaukeln, Carroussels, verschiedene andere
+Kioske und Sammelplätze, endlich =last not least= eine Grotte[56]
+aus Tuffsteinen, die ganz und gar auf's Treueste die Natur nachahmt und
+aus der das Wasser in Cascaden hervorsprudelt, welches die See'n und den
+Bach speist.
+
+Diese Grotte ist von einem künstlich aufgebauten Pic überragt, aus
+großen Tropfsteinblöcken und Steinen errichtet. Man gelangt hinauf
+mittelst eines schattigen Weges oder auch auf äußeren und inneren
+Pfaden, die man durch den künstlich geschaffenen Fels gearbeitet hat.
+Ans der obersten Spitze hat man ein Belvedere angebracht, von wo aus man
+nicht nur den ganzen Garten übersehen kann, sondern von dem aus auch das
+ganze Panorama von Kairo zu den Füßen des entzückten Beschauers
+liegt.--Die Eisenarbeiten sind alle in Paris gefertigt.
+
+Der Esbekieh-Garten bedarf zur Speisung seiner Springbrunnen, zum
+Besprengen der Wege, zum Unterhalten der Teiche eines täglichen
+Wasserquantums von 800 Kubikmeter; die Erleuchtung bei Abend, welche
+feenhaft ist, wird durch 106 Candelaber bewerkstelligt; alle diese
+Candelaber haben Blumenform, 5 Zweige mit je 5 Tulpen, so daß im Ganzen
+allabendlich 2500 Flammen brennen. Dazu spielt jeden Tag, sobald die
+Sonne sich unter den Horizont senkt, ein ausgezeichnetes
+Militärorchester europäische Symphonien und Stücke, auch wohl arabische
+Weisen, welch' letztere ungemein an Wagner'sche Compositionen erinnern.
+
+Leider ist der Esbekieh-Garten lange nicht so besucht, wie er es
+verdiente, es ist eine für Kairo zu vornehme Anstalt; nicht etwa, weil
+das niedrige Entrée von den Besuchern als unerschwinglich bezeichnet
+würde; es sind auch die Genüsse innerhalb desselben dem Publicum zu
+theuer. Dazu kommt, daß das vornehme europäische Publicum, an der Spitze
+die Vertreter der europäischen Länder, blasirt, das vornehme
+mohammedanische apathisch und unempfänglich für solche Genüsse sich
+verhält, der gewöhnliche Mittelstand der Eingeborenen aber in diesem
+Entrée gleich eine Steuer des Chedive wittert und der gemeine
+europäische Mann lieber in den übrigen Vergnügungslocalen Kairo's seine
+Unterhaltung sucht.
+
+Diese sind keineswegs in geringer Anzahl vorhanden. Der Deutsche findet
+in zahllosen Bierhäusern längs der Esbekieh nicht nur Drehersches,
+sondern auch bairisches Bier und zwar wohlgekühlt in Eis; der Franzose
+findet überall seine Café's; der Italiener findet in den Conditoreien
+und auf der Straße seine Sorbetti und in zahlreichen Restaurants kann
+der Engländer, von Engländern bedient, sein Beefsteak und sein Glas
+"=half and half=" trinken. Nur der russische Traktir fehlt noch,
+aber wie lange wird es dauern und irgend ein speculativer Kopf erbaut
+ein solches mit einer mächtigen Orgel versehen an der Seite einer Fonda,
+wo man =Polenta= und =Olla potrida= verkauft.
+
+Denn wenn man Abends durch die auf's Glänzendste von Gas beleuchteten
+Straßen geht und hört, wie einem allerorts Musik entgegenschallt, hier
+des Italieners "=o che la morte honora=" oder "=madre in felice
+corro a salvarti=" dort des Deutschen "Wacht am Rhein"; hier des
+Franzosen "=partant pour la Syrie=" dort des Engländers "=god
+save the queen=", wenn man sieht, daß alle diese Musikbanden aus
+nationalen Kräften bestehen (Kaffee- und Weinhäuser mit deutschen und
+deutsch-böhmischen Musikbanden, Sängern und Sängerinnen giebt es ein
+Dutzend in Kairo), so sollte man nicht glauben, in der Stadt zu sein,
+welche noch bis vor wenigen Jahren als das ächteste Bild einer
+orientalischen Stadt hingestellt wurde.
+
+Und geht man gar in die elegant eingerichteten Spielsalons, wo hier eine
+Roulette, dort König Pharao den Gästen das Geld aus der Tasche lockt und
+die meistens als Aushängeschild die elegantesten =Cafés chantants=
+oder auch kleine Theater mit Ballerinen zeigen, so sollte man nicht
+meinen, daß man nur einige Stunden weit von den Pyramiden des Cheops und
+des Cephren sich befände.
+
+Aber trotz dieses modernen Kairo ist noch ein gut Stück Alt-Kairo, d.h.
+orientalischer Stadt übrig. Jedoch verschwindet es allmälig schneller
+und schneller, und vielleicht schon nach einem Menschenalter wird jene
+alte orientalische Stadt, jene Stadt mit den maurischen Hufeisenbauten,
+mit den schlanken Minarets, mit den engen überdachten Gassen und ihren
+noch engeren Kaufläden--sie wird verschwunden sein, und finden können
+wir sie dann nur noch in den Büchern und Reiseberichten Derer, welche
+sie zu der Zeit besuchten. Und um so spurloser wird das alte Kairo vom
+Erdboden verschwinden, als die Wohnungen der Eingeborenen aus losem,
+schlechtem Material errichtet und selbst die Moscheen und Paläste aus
+Quadern erbaut sind, welche man von alten Monumentalbauten
+zusammengeschleppt hat; sind doch jetzt schon _alle_ Moscheen und die
+Mehrzahl der Paläste früherer Vicekönige halbe Ruinen.
+
+Wenn man aber sieht, mit welcher Rücksichtslosigkeit mitten durch die
+Quartiere der Eingeborenen eine gerade breite Straße gezogen wird, wie
+man weder die Medressen (Schulen) noch die Moscheen schont, wie man
+Untiefen auffüllt, Hügel abträgt, dann muß man staunen ob der Energie
+des Chedive. Aber "Gott soll ihn ewig mit den ungläubigen Christenhunden
+brennen lassen!" murmelt der fromme Mohammedaner, der aus seinem Heim
+vertrieben wird, welches seine Vorfahren inne gehabt hatten und wo er
+selbst schon seit Jahren wohnte. Aber er "murmelt" es nur, offen es
+auszusprechen, wagt er nicht. Ja er preist sich glücklich, wenn die
+chedivische Regierung ihm _umsonst_ ein Stück Land anweist in einem ganz
+anderen Viertel der Stadt, mit der Erlaubnis, ein Haus zu bauen nach
+europäischem Style.
+
+So vollziehen sich die Expropriationen in Aegypten und speciell in
+Kairo. Von Entschädigungen ist nirgends eine Rede. Sobald der Chedive
+beschlossen hat, eine Straße durch den orientalischen Stadttheil zu
+legen, wie er sich solche auf dem Plane der Stadt vorzeichnet, erhalten
+die betreffenden Anwohner des Viertels Befehl, innerhalb einiger Tage
+ihre Immobilien zu räumen. Von Entschädigung wird nicht gesprochen; nur
+wenn europäische Unterthanen von einer solchen Maßregel betroffen
+werden, dann bekommen sie vollen Ersatz für ihr genommenes
+Grundeigentum.
+
+Die Straße, welche früher als Glanzpunkt des europäischen Lebens galt,
+die Muski, ist heute entthront; zwar findet man immer noch elegante
+Läden, aber elegantere giebt es in der Ismaelia (der neue Stadttheil von
+Kairo) und die Straße ist viel zu eng, als daß sie jemals ihren Rang
+wieder einnehmen könnte, nämlich die "Unter den Linden" Kairo's zu sein.
+Dazu kommt noch, daß man aus Utilitätsrücksichten geglaubt hat, davon
+abstehen zu müssen, sie mit Pflasterung zu versehen. Aber die Muski ist
+noch immer das Herz von Kairo, hier pulsirt das größte Leben, welches in
+seinem Dahinfluthen Aehnliches zeigt mit den Wogen des Strand von
+London. Hier ist auch die Vermittelungsstraße vom modernen europäischen
+zum alten orientalischen Kairo.
+
+Wandern wir rasch durch die verschiedenen orientalischen Quartiere,
+durch die Bazars, ehe sie für immer verschwinden, um einer modernen
+"=Avenue=" oder einem "=Boulevard=" Platz zu machen.
+
+Da ist der Khan el Khalil im Gammeliah-Quartier; der Name rührt daher,
+weil hier die Kamele (Gammel, Gemmel oder Djemel) ihre Waaren aufnehmen
+und abladen. Hier sind alle orientalischen Artikel zu haben. An
+endlosen, nicht sehr breiten überdachten Straßen hocken in engen
+Verkaufsläden die Eigentümer. Die Läden sind meistens so eng, daß Alles
+und Jedes im Bereiche des Hockenden ist. Hier finden wir alle Requisiten
+des orientalischen Rauchers. Hier sieht man jene reichen Teppiche aus
+Persien oder Damask, elegante orientalische Stoffe, Elfenbein und
+Straußenfedern und im Allgemeinen alle Artikel aus dem Sudan und Asien;
+reich eingelegte Waffen, Schmucksachen, unverarbeitete Edelsteine, Vasen
+etc. Die Hauptmarkttage von Khan el Khalil sind Montags und Donnerstags.
+
+Diese große Markthalle, wo fast ausschließlich eingeborene Kaufleute
+ihre Buden haben, wo aber manches europäische Haus mit großen Summen
+betheiligt ist, hat natürlich an allen Ecken und Enden feste und
+"fliegende" Café's. Erstere sind solche, wo der Kauadji eine größere
+oder kleinere Räumlichkeit besitzt, welche von seinen Gästen besucht
+wird, in denen man mitunter auch Musik findet. Letztere bestehen auf der
+Straße selbst einfach aus einem kleinen Kochapparat, wo Kaffee bereitet
+wird, den der Cafétier seinen bestimmten Kunden zuträgt. Jeder
+Budenbesitzer schlürft mehrere Male des Tages seinen Mokka, und da
+größere Käufe, welche natürlich längere Zeit in Anspruch nehmen, nur mit
+einer Tasse Kaffee in der Hand abgemacht werden, so haben solche
+fliegende Cafetiers auch eine ganz gute Kundschaft.
+
+Hier findet man vereinzelt auch jene Haschisch-Buden, d.h. Kaffeehäuser,
+wo neben dem Tabaksrauchapparat, der in Narghileh, Tschibuck und
+Cigaretten besteht, vorzugsweise Haschisch geraucht und gegessen wird.
+
+Gehen wir weiter, so kommen wir zum Hamsani-Bazar, wo man hauptsächlich
+Parfümerien, Papier, Porzellan, Krystallsachen, Kattunstoffe, Kramwaaren
+und Arzneien kaufen kann. Erstere, die Parfümerien, sind bei den
+Orientalen ein stark begehrter Gegenstand. Im Allgemeinen haben sie auch
+Vorliebe für dieselben Wohlgerüche, wie wir Europäer, aber bei
+einzelnen, welche bei uns die seine Gesellschaft schon zu "=mauvais
+odeur=" rechnet und welcher sich bei uns nur der =demi monde=
+bedient, nämlich Moschus und Patschuli--diese erklärt der Orientale als
+den Inbegrif des Vollkommensten, was man dem Geruchsorgan bieten könne.
+
+Auch in vergangenen Jahrhunderten war dies so, die Liebhaberei für
+derartige Düfte ist nicht neu. Als Beweis führe ich Leo[57] an, der in
+seiner Beschreibung "von der sehr großen und bewunderungswürdigen Stadt
+Kairo" sagt: "Auf einer anderen Seite (er hatte soeben das auch zu
+seiner Zeit so heißende Can el Halili beschrieben) der erwähnten Straße
+ist eine Gegend für Diejenigen, die mit Räucherwerken, z.B. Zibeth,
+Moschus, Ambra und Benzoin handeln; diese Wohlgerüche sind in solcher
+Menge vorhanden, daß wenn Jemand 25 Pfund verlangt, man ihm wohl 100
+Pfund zeigen kann."
+
+Hieran reihen sich noch andere Bazars, der von Gurich, wo hauptsächlich
+Seidenstoffe, Wollfabrikate und Tuche verkauft werden; ein eigener
+Zuckerbazar fehlt auch nicht und auch ein Waffenbazar dicht bei der
+berühmten Hassan-Moschee existirt noch immer. Man findet hier
+europäische und ägyptische Waffen, das Material indeß, die Klingen,
+Läufe und Schlösser kommen vom Abendlande, nur die Zusammensetzung und
+die Ausbesserungen werden hier vorgenommen.
+
+Der Waffenmarkt hat übrigens bedeutend abgenommen, seitdem das
+Faustrecht in Aegypten aufgehört hat, an der Tagesordnung zu sein.
+Jeder Eingeborene sucht allerdings auch heute noch seinen Stolz darin,
+dermaleinst eine Flinte zu besitzen, um der Jagd, die ja in Aegypten
+frei ist, fröhnen zu können; aber eine _Notwendigkeit_, eine Waffe zu
+haben und zu tragen, wie das früher der Fall war, namentlich vor
+Mohammed-Alis Zeiten, die liegt heute nicht mehr vor.
+
+Wenn nun auch Kairo nicht die erste Handelsstadt des Pharaonenreiches
+ist, das ist heute Alexandrien, so ist der Warenumsatz und geschäftliche
+Verkehr doch immerhin ein bedeutender und durchaus der Einwohnerzahl
+Kairos gemäß.
+
+Der Haupthandel, namentlich der Engros-Handel, befindet sich in den
+Händen der Griechen, nach ihnen kommen die Engländer, Italiener,
+Franzosen und Deutschen; aber der größte Kaufmann, der, welcher allein
+mehr Geschäfte macht, als alle Eingeborenen und Ausländer
+zusammengenommen, das ist der Chedive. Noch größer, denn als Regent,
+zeigt sich Ismael als Geschäftsmann.
+
+Die kaufmännischen Geschäfte werden zwischen den Eingeborenen und
+europäischen Handelsleuten mittelst Makler (arab. =samsar=,
+italienisch =sensale=) abgemacht. Meist wird der Verkauf mittelst
+Credit abgeschlossen, selten gleich baare Zahlung geleistet. Gewöhnlich
+sind die Eingeborenen die pünktlichsten Zahler, obschon sie es auch an
+der knauserigsten Feilscherei nicht fehlen lassen und um einen Para mehr
+oder weniger Himmel und Hölle in Bewegung setzen möchten.
+
+Unter den Ausfuhrartikeln, welche stets in Kairo lagern, nennen wir als
+wichtig: Gummi, Elfenbein, Sennesblätter, Datteln, Weihrauch,
+Perlmutter, sogenannter Mokkakaffee, der aber zum größten Theil aus den
+Landstrichen südlich von Abessynien kommt, Straußenfedern, Felle, Opium,
+Schildpatt, Tamarinden, Wachs, Knochen, Hörner, Lumpen.
+
+In industrieller Beziehung steht die Fabrikation von halbseidenen
+Stoffen oben an. Es giebt in Kairo augenblicklich 500 Webestühle, welche
+jenen unter dem Namen Kutnieh oder Alagieh bekannten halbseidenen Stoff
+fabriciren. Ferner ist die Zahl der Indigofärbereien nicht unbedeutend;
+fast alle Kattunstoffe werden ungefärbt importirt, aber die Eingeborenen
+tragen sie nur indigogefärbt.
+
+Auch die Gerbereien werden =en gros= betrieben. Die Bewohner von
+Kairo verstehen ebenso gut das Leder zu gerben und zuzubereiten, wie die
+von Cordova, von Marokko oder Saffi, von welchen Städten die feinen
+Leder ihre speciellen Namen als Corduan, Maroccain oder Saffian erhalten
+haben. Auch Posamentirarbeiten, Mattenflechterei und Korbmacherei
+erfreut sich in der Hauptstadt eines großen Aufschwunges.
+
+Wollstoffe, grobe Leinwand, welche vorzüglich in Fayum gewebt wird,
+haben in Kairo ihren hauptsächlichsten Umsatz für das ganze Land. In
+Bulak giebt es eine Papierfabrik, eine Kanonengießerei und eine
+bedeutende Schiffswerft. Bulak muß jetzt überhaupt schon als ein
+integrirender Stadttheil Kairo's betrachtet werden, und da wollen wir
+nicht unerwähnt lassen, daß das Sehenswertheste in diesem Stadttheile
+das von Herrn _Mariette_ gegründete ägyptologische Museum ist.
+
+Auch ein Irrenhaus, ein Bagno für weibliche Verbrecher, eine Kunst- und
+Gewerbeschule, das Arsenal, eine arabische und persische Druckerei
+befinden sich in Bulak.
+
+Und =vis-à-vis= von Bulak ist die Perle des Nils, der Palast und
+Garten von Gesirah. Wer je einmal die Wundermärchen von "Tausend und
+Eine Nacht" gelesen hat, der glaubt, daß hier diese Zaubereien
+Wirklichkeit geworden sind. Der Palast selbst erinnert an das
+Meisterstück der Alhambra, den Löwenhof. Der Garten aber übertrifft an
+Ueppigkeit der Pflanzen, an prachtvollen Anlagen, an seltenen exotischen
+Gewächsen selbst noch den der Esbekieh inmitten der Hauptstadt.
+
+Die Grasplätze, Stauden und Blumen, die Statuetten, Grotten,
+Felspartien, Bäche, Brücken, Candelaber, Springbrunnen &c., alles dies
+belebt von Thieren aller Art und Größe, machen diesen Garten zu einer
+Zauberei eigner Art. Namentlich Abends und Nachts, wenn einer jener
+officiellen chedivischen Bälle abgehalten wird, glaubt man beim Lichte
+jener 1000 Gasflammen der Wirklichkeit entrückt zu sein.
+
+In der Mitte des Gartens ist jener herrliche Salamlik, ein Sommerpalast
+des Chedive, von einem Walde von Säulen getragen.
+
+Eine Zierde dieses Wundergartens wird das Aquarium sein, welches von
+eben jenem fähigen Baumeister errichtet wird, Herrn _Combay_, welcher
+die prachtvolle Grotte im Esbekieh-Garten erbaut hat. Dasselbe erhält
+eine Grundfläche von 4800 Quadratmetern und besteht aus zwei Etagen. Die
+Idee ist ebenso großartig, wie kühn. Die prächtig nachgebildeten
+Stalaktiten, welche vom Gewölbe herab sich in die Grotten senken, die
+Korallen und Seegewächse, welche vom Boden aufsteigen, wirken wunderbar,
+und hier auf der Grenze zweier Meere, des rothen und des
+mittelländischen, inmitten eines der mächtigsten Ströme der Erde werden
+wir bald ein Aquarium besitzen, wie kein zweites auf der Welt, welches
+jedenfalls an Reichhaltigkeit lebender Bewohner von Salz- und Süßwasser
+selbst die Aquarien von Brighton und Neapel aus dem Felde schlagen wird.
+
+Wie Bulak heute nur ein Theil Kairo's ist, so ist Masr el Attikah
+(Alt-Kairo, früher officiell so unterschieden als abgetrennte Stadt vom
+eigentlichen Masr, während wir im Verlaufe dieser Abhandlung mit
+Alt-Kairo das bezeichnen, was orientalisch ist, und Neu-Kairo das
+nennen, was neu ist, also vorzüglich den Stadttheil Ismaelia) es
+ebenfalls.
+
+Geht man von der Esbekieh aus über den Abdin-Platz bei der Sitti Seinab
+vorbei, so befindet man sich angesichts des protestantischen und
+katholischen Kirchhofs und angesichts jenes Riesen-Aquaducts, den
+Saladin herstellen ließ, um dadurch die Befestigungen der Citadelle zu
+vervollständigen. Diese Wasserleitung ruht auf 289 Bogen und hat eine
+Länge von etwas über 2 Quadrat-Meilen. Eine schattige Alle führt, sobald
+man unter der Wasserleitung durch ist, nach Masr el Attikah.
+
+Von den 8 christlichen Kirchen, welche hier sind, ist für den Fremden
+die am interessantesten, in welcher das Häuschen sich befindet, worin
+nach der Legende die heilige Familie geweilt haben soll; sie gehört den
+nichtunirten Griechen.
+
+Gegenüber liegt die Insel Rhoda, welche zwar nicht zur Stadt Kairo
+gehört, aber wegen des hier befindlichen Nilmessers, Mekias von den
+Eingeborenen[58] genannt, welcher sich ursprünglich in Memphis befand,
+wird gewiß jeder Europäer, der als Reisender nach Aegypten kommt, zur
+Insel hinüberfahren.
+
+Aber auch auf dieser Insel giebt es prächtige Paläste und Gärten,
+namentlich der Palast von Ibrahim Pascha ist eines Besuches werth. Auf
+dem südlichsten Ende der Insel befindet sich eine Pulvermühle.
+
+Masr el Attikah ist mit Bulak durch eine Reihe schöner Paläste, Villen
+und Gärten verbunden. Das Palais von Soliman Pascha, unmittelbar am Nil
+gelegen, der Khalig-Kanal, bei dem alljährlich die Festlichkeiten
+stattfinden, welche bei der Nilüberschwemmung seit Tausenden von Jahren
+gefeiert werden, eine große Salpeterfabrik, das große Hospital Gasr el
+Ain, welches sowohl für Militär- als Civilpersonen eingerichtet ist,
+endlich das große Schloß Gasr el Nil, ein Hospital und eine ungeheure
+Kaserne, alle diese Bauten bereiten den Wanderer gewissermaßen auf eine
+der kolossalsten Thaten des Chedive vor, welche derselbe im Verlaufe
+seiner so wirksamen und ruhmgekrönten Regierung hat ausführen lassen.
+Wir meinen die feste Nilbrücke, im Februar 1872 eingeweiht; sie hat eine
+Länge von 406 Meter, hat auf dem rechten Nilufer eine Drehscheibe von 30
+Meter Durchschnitt auf einem Thurme ruhend, der 50 Fuß tief in das
+Nilbett eingesenkt ist. Die Brücke hat 2,300,000 Frcs. gekostet.
+Ebenbürtig stellt sie sich den besten Brückenbauten der civilisirten
+Staaten an die Seite.
+
+Aber wir halten, am anderen Ufer des Nils angekommen, an, denn die
+Beschreibung von Giseh, welches jetzt die Abfahrtsstation für
+Ober-Aegypten mit der Bahn geworden ist, die Pyramiden, auf der anderen
+Seite der versteinerten Welt Matarieh und Heliopolis, die Abassieh und
+die heißen Bäder von Hamman Heluan gehören nicht in den Rahmen dieses
+Bildes, der ja nur eine Uebersicht von Kairo, wie es jetzt ist,
+entwerfen sollte.
+
+Eigenthümlich genug, daß die Generalconsulate und politischen Agenturen
+nicht in der Hauptstadt Aegyptens, sondern in Alexandrien sind. Dasselbe
+sehen wir sich wiederholen am westlichsten Punkte von Afrika, in
+Marokko, mit dem Unterschiede, daß im Innern von Marokko überhaupt noch
+keine Vertreter christlicher Mächte zu finden sind, während Tanger von
+den Staaten, die sich am meisten für das Land interessiren.
+Generalconsulate und Viceconsulate, beide von _einer_ Macht, beherbergt.
+Kairo hat blos Consulate.
+
+Der Grund dieser Abnormität, dieser stiefmütterlichen Behandlung der
+Hauptstadt schreibt sich aus den alten Zeiten her, wo der Christ sich
+jede Art roher Behandlung gefallen lassen mußte. Wurde nun einmal ein
+einfacher Consul geohrfeigt von einem Mameluk oder ägyptischen Pascha,
+so konnte das eher verschmerzt werden; wurde aber ein Generalconsul mit
+Füßen getreten, so mußte man schon Notiz davon nehmen[59]. Zudem konnte
+ein Generalconsul eher in einer Hafenstadt geschützt werden, als im
+Innern des Landes.
+
+Da aber alle diese Ursachen längst aufgehört haben, so sollte auch jener
+abnorme Zustand aufhören. Oder denkt man vielleicht, mit der
+Souveränität von Aegypten müßten ohnedies neue diplomatische
+Verbindungen eintreten und die Unabhängigkeit des Landes werde wohl
+nicht lange mehr auf sich warten lassen? Das einzige Land Persien hat
+sein Viceconsulat in Alexandrien, sein Generalconsulat aber in Kairo,
+und auch dies bestätigt meine vorhin ausgesprochene Ursache.
+
+Die verschiedenen christlichen Gemeinschaften in Kairo haben fast alle
+ihre eigenen Kirchen, so die katholische der Väter des heiligen Grabes,
+die unirten Griechen, die orthodoxen Griechen, die katholischen
+Armenier, die nichtkatholischen Armenier, die unirten Syrier, die
+katholischen Maroniten, die reformirten deutsch-französischen Christen,
+die amerikanischen Protestanten, die katholischen Kopten und die
+Jesuiten.
+
+Auch die Juden theilen sich in Talmudisten und Thoraimisten, d.h.
+solche, welche nur das Gesetz Moses anerkennen.
+
+Das Schulwesen in Kairo hat einen ganz neuen Aufschwung genommen unter
+der umsichtigen Leitung des Schweizers, Herrn Dohr. Sein Hauptstreben
+ist dahin gerichtet, die weibliche mohammedanische Jugend der Bildung
+theilhaftig werden zu lassen, derer sie bedarf, und wenn dies gelingt,
+so ist damit ein Hauptfactor zur wirklichen Civilisation des ganzen
+Volkes gegeben.
+
+Hospitäler giebt es zwei, das schon genannte in Gasr el Nil, welches
+jährlich an 5000 Kranke aufnimmt, und das europäische, dessen Kranke in
+den Flügeln des großen Gasr el Ain untergebracht werden. Die Aufnahme
+der Kranken ist hier nicht gratis, sondern der Patient zahlt je 12, 6
+und 3 Frcs. für den Tag. Dies Hospital steht unter Aufsicht eines der
+Consuln, welche zu diesem Zwecke einen der Ihrigen alljährlich hierzu
+auserwählen.
+
+Sollen wir schließlich noch ein Wort über die Absteigequartiere der
+Europäer sagen, so beginnen wir mit dem sowohl äußerlich, wie innerlich
+gleich großartig ausgestatteten New-Hôtel, an der Esbekieh gelegen; es
+ist Eigenthum des Chedive und wird besonders von nach Indien reisenden
+Engländern besucht.
+
+Schaper's Hôtel, jetzt Herrn Zech, einem Schwaben, gehörig, ebenfalls am
+Esbekieh-Platz gelegen, besonders von vornehmen Reisenden frequentirt;
+Art und Weise durchaus englisch.
+
+Nil-Hôtel am Ende einer von der Muskistraße ausgehenden Sackgasse,
+besonders von Deutschen und Nordamerikanern besucht, mit reizendem
+Garten und trefflicher deutscher Bedienung bei vorzüglicher
+französischer Küche.
+
+Andere Hôtels ersten Ranges, wie =Hôtel d'Orient=, =Hôtel des
+Ambassadeurs=, =Hôtel Royal= sind gleichfalls zu empfehlen. Auch
+gute Hôtels zweiten Ranges fehlen nicht, z.B. =Hôtel des Colonies, de
+France, des Princes, du Commerce= u.a.
+
+Mit allen Hotels sind europäische Bäder verknüpft; von den zahlreichen
+maurischen Bädern ist das den Europäern am meisten zu empfehlende das
+Bad Tombaly nahe dem Scharieh-Thore.
+
+Das ist das Kairo im Jahre 1875; heute schon halb eine europäische
+Stadt, wird diese Stätte uralter ägyptischer Cultur--denn Kairo ist doch
+eigentlich weiter nichts, als ein verjüngtes Memphis--bald wieder ein
+neues, ganz der neuesten Civilisation und Cultur sich anpassendes Kleid
+angelegt haben und nach Abschüttelung des Staubes und der Asche wie ein
+Phönix aus derselben emporsteigen.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 50: Uebersetzung nach Wetzstein; andere übersetzen auch "die
+Siegerin".]
+
+[Footnote 51: Ich folge _hier_ der Schreibweise Wetzsteins.]
+
+[Footnote 52: Es ist dies in sofern interessant, als das Umgekehrte
+Regel ist, wenigstens in der Neuzeit. Von verschiedenen Völkern wird das
+türkische Reich nach seiner Hauptstadt Stambul genannt, also das Land
+nach der Hauptstadt. Im ganzen Orient benennt man das Kaiserreich der
+Preußen nach seiner alten Hauptstadt Muscu. Wir selbst nennen die
+Berberstaaten Tripolis, Tunis, Algier nach ihren Hauptstädten. In
+Deutschland haben die kleinen Länder fast alle ihre Benennung nach den
+Hauptstädten.]
+
+[Footnote 53: Aufgepaßt, aufgepaßt, rechts Herr, links!]
+
+[Footnote 54: Weiblicher Plural von Moslim.]
+
+[Footnote 55: Was das anbetrifft, so müssen wir doch anderer Meinung
+sein. In einem Lande, wo eigentlich nur _ein_ Kaufmann ist, nämlich der
+Chedive, kann von Handelsfreiheit nicht wohl die Rede sein.]
+
+[Footnote 56: Siehe p. 275: =guide annuaire par Fr. Levernay=.]
+
+[Footnote 57: Uebersetzung von Lorsbach p. 519.]
+
+[Footnote 58: [Greek: neiloschopion] der Griechen.]
+
+[Footnote 59: Der Schlag mit dem Fliegenwedel ins Gesicht des
+französischen Consuls in Algier führte zur Unterwerfung der
+Regentschaft; leider wurden ähnliche Insulten von anderen Mächten nicht
+so energisch geahndet, sonst hätte das Piratenwesen etc. nicht
+aufkommen, wenigstens nie eine solche Macht werden können und die
+schändliche Menschenräuberei, welche bis 1830 trotz der europäischen
+Mächte von den muselmanischen Beys und Deys betrieben wurde, wäre viel
+eher unterdrückt und ausgerottet worden.]
+
+
+
+
+11. Meine Heimkehr aus der Libyschen Wüste.
+
+
+Schon einen halben Tag vorher, als wir noch inmitten der ödesten
+Steinwüste waren, bemerkten wir die Nähe des lebenspendenden Nilthales.
+Es war gegen 2 Uhr Nachmittags, und in verschiedenen Gruppen zu Fuß
+gehend waren wir den langsamen Kamelen vorausgeeilt; wir unterhielten
+uns gerade über die Möglichkeit, noch am selben Abende oder früh am
+Morgen an's Nilthal zu kommen, als lautes Gejodel hinter uns ausbrach.
+Es waren unsere Diener, die nun heranstürmten und uns auf eine hohe
+Dampfsäule aufmerksam machten, die gerade vor uns im Osten majestätisch
+gen Himmel aufwirbelte. Sie konnte nur aus einem jener
+Fabrikschornsteine herrühren, welche man jetzt in Aegypten, vom Delta an
+bis nach Assuom hinauf, als Zeugen einer höheren Kultur antrifft.
+
+Mit erneuertem Eifer eilten wir voran und eine Stunde vor
+Sonnenuntergang hatten wir den Rand der Sahara, das felsige Steil-Ufer
+des Nil, erreicht. Ja, auf einem erhöhten Vorsprunge konnten wir, in
+weiter Entfernung allerdings, den Nil selbst und seinen grünen Rahmen,
+die schlanken Palmen, erkennen. Sobald die Kamele herangekommen waren,
+wurde dann noch mit Vorsicht der Abstieg ausgeführt, wollten wir doch
+vor allen Dingen noch am selben Abende der traurigen Hammada (steinigen
+Hochebene) entfliehen und der Wüste für immer Lebewohl sagen.
+
+Aber wenn wir auch die Genugthuung hatten, am Fuße des felsigen Ufers
+unsere Zelte aufschlagen zu können, so war es doch zu spät geworden, um
+das eigentliche Nilthal, das, welches unter der unmittelbaren Einwirkung
+des belebenden Wassers steht, erreichen zu können. Die Schwierigkeiten,
+die beladenen Kamele durch die enge, abschüssige Felsspalte
+hinabzutreiben, waren so groß, daß es schon dunkelte, als wir unten am
+Ausgange der majestätischen Schlucht ankamen. Aber ein prachtvoller
+Lagerplatz war es. Da standen unsere Zelte am Fuße der jäh abfallenden
+Kalkwände, vor uns öffneten sie sich, der Ausgang winkte uns Leben
+entgegen, hinter uns thürmten sie sich himmelhoch auf, eine riesige
+Mauer als Scheidewand der ewig todten Sahara vom fruchtbarsten Thale der
+Welt. Und nun ging der Mond auf und ergoß sein Licht über unser
+malerisches Lager; die Feuer prasselten, behaglich hatten sich die müden
+Kamele in den weichen Sand gestreckt und zermalmten langsam ihr
+wohlverdientes Futter; die deutschen Diener provocirten jubelnd durch
+Revolver und Gewehrschüsse das vielfache Echo, während wir Anderen uns
+vor unsere Zelte gesetzt hatten und die Freuden der Nilreise erwogen,
+welche wir sicher schon am andern Tage antreten zu können hofften.
+
+Das war unser letztes Lager, unsere letzte Wüstennacht, die gewiß Jedem
+von uns unvergeßlich sein wird.
+
+Früher als sonst waren wir am anderen Morgen bereit. Schnell wurden die
+Zelte gerollt, die Kamele beladen und vorwärts ging es. Aber so schnell
+war dennoch Esneh, wo wir uns einzuschiffen hoffen konnten, nicht
+erreicht. Wir waren allerdings im Nilthale, aber noch weit von Esneh,
+dessen Palmen noch nicht einmal zu sehen waren. Ein regelrechter
+Tagemarsch mußte noch zurückgelegt werden und zwar kein angenehmer, denn
+das Thermometer zeigte im Schatten über 30 Grad. Indeß zogen wir immer
+längs der fruchtbaren Nilfelder nach Süden und rechts das hohe Ufer bot
+in seiner wechselvollen Form Unterhaltung genug, um die Zeit rasch
+schwinden zu machen.
+
+Nachmittags erreichten wir denn auch die ersten menschlichen Bauten,
+zwar nur Ruinen, aber interessanter Art. Es waren die Reste eines
+ehemaligen bedeutenden koptischen Klosters, welches auch heute noch für
+die ägyptischen Christen ein berühmter Wallfahrtsort ist. Hierher kam in
+der Mitte des vierten Jahrhunderts der Pater Pachomius, ein Held der
+koptischen Kirche. Die Kirche des Klosters, eine Rotunde, ist noch gut
+erhalten, ja einige Zellen, mit Matten belegt, geben Zeugniß, daß
+manchmal Tage lang noch Gottesdienst hier verrichtet wird. Einige in
+Stein gehauene griechische Inschriften deuten auf das hohe Alter des
+merkwürdigen Klosters hin. Am interessantesten sind aber die hübschen
+Mausoleen in der Nähe des Klosters; hier ruhen die Gebeine der
+christlichen Märtyrer, welche im Jahre 303 n. Chr. auf Befehl vom Kaiser
+Diocletian hingerichtet wurden. Reizende Grabkapellen, deren hübsche
+architektonische Formen sich nur vergleichen lassen mit der berühmten
+Nekropolis in Chargeh und die um so bemerkenswerter sind, weil sie zu
+den wenigen Bauüberresten gehören, welche aus _ungebrannten_ Thonziegeln
+errichtet sind.
+
+Jetzt tauchten auch die Gärten von Esneh auf und bald darauf erblickte
+man die größeren Gebäude und die schlanken Minarets der Moscheen. Unser
+Factotum, Mohammed Daud, hatte ich vorausgeschickt, um uns beim Mudir
+anzumelden, und eine halbe Stunde vor der Stadt kam uns auf einem
+prächtigen weißen Berberhengste der Unter-Mudir entgegen, um uns
+willkommen zu heißen. Zittel und ich waren vorausgegangen und betraten
+bald darauf das hübsche Lustschloß des Chedive, unmittelbar am Nil
+gelegen.
+
+Sobald wir im Schlosse, welches der Chedive ganz zu unserer Verfügung
+gestellt hatte, eingerichtet waren, namentlich Jeder von uns sein Zimmer
+in Besitz genommen hatte, stellten sich die Honoratioren der Stadt ein
+und im großen Saale wurde Empfang gehalten. Wir aber forschten vor
+Allem, ob in Esneh ein Trunk Bier zu haben sei, und siehe da, die Stadt
+erwies sich in dieser Beziehung sehr civilisirt, denn bald darauf
+standen vermiedene Flaschen Ale auf dem Tische. Seltsames Verlangen,
+welches wohl nur der Deutsche, vielleicht auch der Engländer
+besitzt--ich glaube, in Esneh ist während der kurzen Zeit unseres
+Aufenthalts so viel Bier wie nie vorher verkauft worden.
+
+Das Schloß des Vicekönigs war reizend gelegen, obschon es sich sonst
+keineswegs durch architektonische Schönheit auszeichnete. Von Mohammed
+Ali erbaut, der fast jeden Winter einige Monate in Esneh zuzubringen
+pflegte, zeigt es im Allgemeinen dieselbe Anordnung der viceköniglichen
+Palais aus jener Periode, d.h. länglich viereckig ist das innere
+Parterre durch ein großes Kreuz getheilt. Sonderbare Vorliebe, welche
+die Aegypter für's Kreuz besitzen, denn sogar die berühmte
+Mulei-Hassan-Moschee in Kairo zeigt ja, wie ich früher schon erwähnte,
+in der Grundform ein Kreuz. In der Bel-Etage war ein großer Saal mit
+verschiedenen Zimmern daneben; letztere hatten wir unter uns vertheilt;
+der Salon, nach türkischer Sitte nur mit einem Divan, der sich rund um
+die Wände zog, möblirt, diente als gemeinsames Speisezimmer und als
+Empfangszimmer. Die Teppiche waren überaus schön und auch die
+Möbelstoffe, Gardinen etc. waren einst schön gewesen, aber vom Zahne der
+Zeit etwas angegriffen.
+
+Ich schlief in der ersten Nacht im Bette Mohammed Ali's, aber in den
+folgenden Nächten zog ich mein Feldbett doch vor. In den Wandschränken
+der Zimmer fand sich überdies der reichste Vorrath von Leinenzeug,
+seidenen und wollenen Decken, Kissen etc., vielleicht seit zwanzig
+Jahren unberührt liegend, denn der jetzige Chedive und seine beiden
+Vorgänger haben nie in diesem Palaste genächtigt.
+
+Ringsum ist ein reizender Garten, da wetteifern Palmen mit Oliven,
+Feigen mit Agaven, Granaten mit Orangen in ewig grüner Pracht, wer am
+ersten seine duftenden Blüthen offenbaren soll. Und vor dem Palais
+selbst ist, ehe man zu den Fluthen des Nils kommt, ein zweiter schöner
+Platz, stets schattig, denn herrliche Lebek-Akazien überwölben ihn.
+
+Unsere Freude, den Nil erreicht zu haben, wieder in civilisirter
+Umgebung sein zu können, wurde aber etwas getrübt, weil kein Dampfer, um
+uns zu holen, gekommen war. Leider war der Brief, den ich von der
+Jupiter-Ammons-Oase aus an unseren Generalconsul in Alexandrien
+geschickt hatte, acht Tage später angekommen, durch die unverzeihliche
+Nachlässigkeit des arabischen Boten, welcher geglaubt hatte. "Acht Tage
+früher oder acht Tage später, was macht das aus?" So fanden wir nur ein
+Telegramm vor, welches besagte, es sei Befehl gegeben, uns von Assuan
+her eine Dahabieh zu besorgen, da Dampfer des niedrigen Wasserstandes
+wegen nicht mehr fahren könnten. Letzteres war nun allerdings eine
+Unwahrheit, aber jedenfalls war die Zeit zu kurz geworden, um jetzt noch
+einen Dampfer von Kairo zu erwarten.
+
+Wir mußten uns also mit Geduld in unser Schicksal ergeben und Jeder
+nutzte die Zeit aus, so gut es ging. Zittel durchforschte noch einmal
+die interessanten Schichten des Nilufers, Jordan operirte mit dem
+Theodolit, Ascherson suchte mit seinem Diener Korb Pflanzen und Herr
+Remelé photographirte im Tempel; nur ich selbst hatte meine Thätigkeit
+geschlossen, denn mit der Erreichung des Nils hatte die Reise ihr Ende
+erreicht. Aber ganz unthätig war ich auch nicht, lag mir doch ob, unsere
+ganze Expedition noch stromabwärts bis zum Mittelmeere zu führen, und da
+gab es noch Mancherlei zu besorgen und anzuordnen.
+
+Esneh mit circa 7000 Einwohnern ist günstiger gelegen, als Siut,
+insofern als es unmittelbar am Nil liegt, aber dennoch ist letztere
+Stadt bedeutend wichtiger für Handel und Wandel. Der jetzige Name Esneh
+ist der alte, ursprünglich ägyptische, wie Quatremère und Champollion
+aus koptischen Urkunden nachgewiesen haben. Letzterer bringt das Wort
+mit =Sna= was auf koptisch Garten bedeutet, in Verbindung. Der
+griechische Name Latopolis kommt, wie Strabo (Bd. XVII, S. 817) sagt,
+von der Verehrung des Fisches Latos her, dem hier mit Minerva göttliche
+Ehre erwiesen wurde. Dies bezeugt der prächtige Tempel, dessen Vorhalle,
+unter Mohammed Ali's Regierung bloßgelegt, zu den wohlerhaltensten
+Denkmälern gehört, welche Aegypten besitzt.
+
+Im Ganzen genommen liegt Esneh äußerst malerisch auf circa 25-30 Fuß
+hohem Nilufer. Der Palast des Chedive, die große Cavallerie-Caserne,
+welche jetzt allerdings leer steht und welcher der Verfall droht, das
+Mudirats-Gebäude, die Wohnung des Schich el Bled, alle am Nil gelegen,
+dann die große Zahl der imposanten und bunt bekalkten Taubenschläge
+verleihen der Stadt ein größeres Aussehen, als sie in Wirklichkeit hat.
+Ich habe früher schon dieser colossalen Taubenschläge erwähnt; ein
+einziger solcher Thurm, viel luxuriöser gebaut, als die danebenstehende
+menschliche Wohnung, beherbergt oft 500 und mehr Tauben. Hauptzweck der
+Taubenzucht ist die Erzielung von Guano, und Leute in Esneh gaben mir
+die Versicherung, daß der Jahresbetrag eines großen Taubenschlags oft
+für 40 bis 50 Ducaten Guano betrage. Man sieht also, daß nicht allein
+die Gewässer des Nils es sind, welche die fruchtbaren Fluren erzeugen,
+sondern daß auch noch durch Dünger nachgeholfen werden muß.
+
+Und da ich doch einmal bei den Tauben verweile, möchte ich hier die
+interessante, schon von Darwin mitgeteilte Thatsache hervorheben, daß
+die Tauben, um zu trinken, direct in den Nil fliegen; natürlich gehen
+sie in so seichtes Wasser, daß sie Grund finden. Aber wie lange wird es
+dauern und Gewohnheit, Notwendigkeit und Zuchtwahl werden
+zusammenwirken, es werden sich Schwimmhäutchen an den Füßen bilden und
+nach 10,000 Jahren oder mehr hat Aegypten vielleicht schwimmende Tauben.
+
+Eine Eigenthümlichkeit hat Esneh noch, welche sich vielleicht in den
+anderen ägyptischen Städten auch findet, aber nicht so hervortritt,
+nämlich ein ganzes Viertel, wo nur Hetären wohnen. In der Nähe sind
+türkische Kaffeehäuser und von da konnten wir die interessantesten
+Beobachtungen anstellen. Da sah man eine ganze ethnographische
+Musterkarte weiblicher Geschöpfe: hier eine blendend weiße
+Deltabewohnerin, vielleicht mit tscherkessischem Blute in ihren Adern,
+dort eine pechschwarze Dame aus Fur, hier eine rothe Dongolanerin, dort
+eine Fellahin aus dem Nilthal mit goldgelber Haut und großen schwarzen
+Augen, hier eine Jüdin, dort eine Christin, hier eine Mohammedanerin,
+dort eine Schwarze, welche vielleicht noch Heidin war, kurz, fast alle
+Racen, jedes Alter und jede Religion war vertreten.
+
+Wir luden diese zuvorkommenden Wesen ein, uns im Palais einen Besuch zu
+machen, aber da erfuhren wir, daß sie aus der Grenze ihres Stadtviertels
+ohne besondere Erlaubniß des Gouverneurs nicht herausgehen durften.
+Unser Photograph, Herr Remelé, wollte nämlich ein Gesammtbild dieser
+ethnographisch interessanten Frauen herstellen. Die Erlaubniß war indeß
+schnell erwirkt. Unter Führung des Unter-Mudir und verschiedener
+Polizisten erschienen sie Nachmittags, gewiß 30 an der Zahl, im Garten
+des chedivischen Palais. Alle waren im höchsten Putze und die Aermste
+hatte mindestens 40-50 Goldstücke zu einer Kette vereint um den Hals.
+Große goldene und silberne Armbänder, Fußspangen, bunte Kleider,
+goldgestickte Schuhe, Alles hatten sie angethan, um möglichst
+vorteilhaft zu erscheinen. Natürlich mußte die Sitzung bezahlt werden,
+aber es gelang Herrn Remelé doch, zwei höchst gelungene Aufnahmen zu
+machen.
+
+Sonst hat die Stadt nichts von Interesse; der Marktplatz, die Buden, die
+Straßen sind eng und klein, aber es ist Alles zu haben. Mehrere von
+Griechen gehaltene Schenken sind mit leiblichen Bedürfnissen aller Art
+wohl versehen.
+
+Doch noch einmal kehren wir zurück zu dem Tempel, der gleich hinter dem
+Marktplatze gelegen ist und sicher zu den staunenswertesten Denkmälern
+Aegyptens gehört. Dabei kam mir der Gedanke, wie angenehm es für uns
+gewesen war, diese alten ägyptischen Bauten immer in aufsteigender Weise
+kennen gelernt zu haben. Nachdem wir zuerst auf unserer Hinreise die
+ziemlich kunstlos gearbeiteten Hypogeen (Katakomben) von Beni Hassan,
+die Grüfte von Siut, gesehen, waren wir zum kleinen Tempel in Dachel,
+dann aber zum viel prächtigeren großen von Chargeh gekommen und nun
+hatten wir hier ein Werk vor uns, das uns die Pracht und die
+Herrlichkeit der ägyptischen Baukunst auf's Vollkommenste
+vergegenwärtigte. Leider ist der größte Theil des Tempels noch unter
+Schutt, nur der Porticus ist zugänglich. Aber seine gewaltigen
+Dimensionen deuten genugsam auf die bedeutenden Bauten hin, welche uns
+augenblicklich der neidische Boden zusammengefallener Hütten und Häuser
+verbirgt.
+
+24 Säulen, über 33 Fuß hoch, in vier Reihen stehend, mit einer
+Peripherie von 16 Fuß jede Säule, lassen in diesem Vortempel nur ahnen,
+welche großartige Verhältnisse dahinter liegen. Die französische
+Expedition schätzt die Grundfläche des ganzen Tempels auf 5000
+Quadratmeter, und Alles ist mit Hieroglyphen und bildlichen
+Darstellungen bedeckt. "Könnte ein Steinmetz auch ein Zehntel
+Quadratmeter in _einem_ Tage mit solchen Hieroglyphen bedecken, so wären
+doch 50,000 Tage zur Beendigung der ganzen Decoration nöthig[60]."
+
+Man sieht überall den Widderkopf des Jupiter Ammon; auch über der Thür,
+welche ins Innere des Tempels führt und die vermauert ist, sieht man ein
+widderköpfiges Bild. Die Säulen, deren Architrav, die Decke des Tempels
+sind alle wohl erhalten und die _erhaben_ gearbeiteten Hieroglyphen im
+Innern des Porticus sind von einer Genauigkeit der Arbeit, als ob sie
+erst gestern aus der Hand des Künstlers hervorgegangen wären. Warum sind
+in dem Innern der Tempel die Hieroglyphen erhaben, an der äußeren Seite
+aber meist vertieft gearbeitet? Das sind Fragen, die Einem einfallen;
+vielleicht hat ein Brugsch oder Lepsius, oder gar schon Champollion
+darauf geantwortet. Ich weiß es nicht, ich verweise daher den, der sich
+mit diesen Gegenständen eingehend beschäftigen will, auf die dahin
+einschlägige Literatur. Interesse hat eine solche Baute gewiß für
+Jedermann; auch der Gleichgültigste muß bewundern und selbst der
+blasirteste Mensch muß verstummen unter dem mächtigen Eindrucke dieses
+Menschenwerks. Schade, daß die Dunkelheit nicht erlaubt, die
+Deckengemälde genauer zu betrachten, wo namentlich ein Thierkreis, durch
+die Sauberkeit seiner Arbeit ausgezeichnet, von großem Interesse sein
+soll. Ich habe ihn nicht gesehen; die Dunkelheit wird hervorgebracht
+durch Schutt, der, fast so hoch wie der Tempel selbst, davor liegt; man
+muß mittelst einer Treppe hinabsteigen.
+
+Fünf Tage waren wir in Esneh, von Assuan kam immer noch kein Schiff. Am
+vierten Tage aber hatten wir schon einen Entschluß gefaßt. Vertraut mit
+den Versprechungen, welche ägyptische Beamte zu machen, aber nicht zu
+halten pflegen, hatten wir eingesehen, daß auf eine Dahabieh nicht zu
+rechnen sei. "Kairo ist weit und der Chedive thront hoch", denken auch
+die ägyptischen Mudire in Oberägypten. Möglich, daß keine Dahabieh in
+Assuan zu haben war, möglich, daß man dahin noch gar nicht um eine
+solche telegraphirt hatte; genug, es kam keine.
+
+Aber in Esneh selbst fanden sich zwei allerdings kleine, aber doch
+taugliche Schiffe, und mit Hülfe des Mudir wurden sie gemiethet. Der
+Mudir verstand etwas Englisch und war einer der besten ägyptischen
+Provinzialbeamten, den ich noch gesehen hatte: Wie fein und
+"=gentlemanlike=" war sein Benehmen gegen das des Siuter Mudir, der
+ein ehemaliger Sclave von Abbas Pascha war! Der Mudir von Esneh hatte
+aber auch früher an der Spitze der Asisieh-Dampfer-Compagnie gestanden,
+er war noch früher See-Capitain gewesen und hatte als solcher die Welt
+kennen gelernt.
+
+Auch die anderen Honoratioren der Stadt waren ordentliche Leute. Da war
+der Unter-Mudir, ein sehr gefälliger Mann; da war der Medicinalrath, der
+etwas Französisch redete, sich auch eine ägyptische Zeitung, die in
+französischer Sprache erschien, hielt, sie nur nie las. Er war so
+liebenswürdig, sie mir täglich zu schicken, aber ich gestehe, nachdem
+ich einige Mal dies Blatt, "=l'Egypte=" genannt, durchgesehen
+hatte, stand ich ebenfalls davon ab, es zu lesen. Kann man sich einen
+langweiligeren Inhalt denken: einige amtliche Bekanntmachungen, Auszüge
+aus den Verhandlungen irgend welcher obscurer französischer
+Gesellschaften, irgend ein französischer Sensationsroman und einige
+Annoncen. Selbst telegraphische Berichte waren nicht einmal vorhanden
+und politische Nachrichten, Leitartikel oder sonstige Raisonnements
+fehlten gänzlich. Glückliche ägyptische Beamte, die mit einem solchen
+officiellen Blatte abgespeist werden, "=l'Egypte=" ist das Organ
+der Regierung.
+
+Da war dann noch der Mufti, der Kadhi, der Schich el Midjelis[61], der
+Ukil[62] des Palais des Vicekönigs und einige andere Notablen, die uns
+alle Abende einen Besuch machten; aber einen kurzen, das muß ich zu
+ihrer Ehre nachrühmen; die langen Sitzungen, wie sie uns von der Behörde
+in Dachel täglich aufoctroyirt wurden, hatten wir hier nicht mehr zu
+erdulden.
+
+Bezaubernd in gewisser Weise waren auch die Tage in Esneh, so recht
+für's =Dolce far niente= angethan. Wenn des Morgens in die offenen
+Fenster hinein die sich mischenden Düfte des Jasmin und Orangenbaumes
+zogen, wenn die Schwalben ihr jubelndes Zwitschern erschallen ließen und
+wir selbst, Zittel und ich, uns auf die Terrasse begaben, um in aller
+Ruhe Kaffee zu schlürfen, zu schreiben oder zu lesen,--oder aber, wenn
+Abends die Sonne sich hinter die Nilufer gesenkt hatte und nun die
+gegenüberliegenden weißlichen Kalkberge in den herrlichsten Farben
+geschmückt prangten, der Himmel und der Nil selbst von ganz anderen
+Tinten übergossen erschien, als man es je anderswo schauen mag--so
+ließen alle diese Bilder Eindrücke zurück, welche nur Der zu würdigen
+weiß, der selbst Aehnliches erlebt und gesehen hat.
+
+Mittags hatten wir die Dahabiehen gemiethet, Nachmittags um 5 Uhr
+konnten wir schon abfahren. Aber die Dahabiehen sind keineswegs alle von
+gleicher Beschaffenheit. Man hat sehr große und schöne, so wie die
+europäischen Nilreisenden sich dieselben in Kairo zu einer Reise auf dem
+Nil miethen; man hat kleinere für eingeborene Reisende und solche, die
+gleichsam für den Waarentransport eingerichtet sind.
+
+Uns standen zwei kleinere zu Gebote, die mit vielen Nachtheilen den
+Vortheil verbanden, daß sie schneller fortzubewegen und besonders, daß
+sie bedeutend billiger waren, als die großen Dahabiehen. Wir verteilten
+uns also in die zwei Schiffchen und zwar so, daß Zittel, Ascherson und
+ich mit zwei europäischen Dienern das eine, Herr Remelé und Jordan mit
+drei ebenfalls europäischen Dienern das andere Schiff einnahmen.
+Räumlich waren letztere besser daran, als wir, denn bei gleich großen
+Cajüten waren sie zu Zweien, wir aber zu Dreien. Jedes Schiff hatte
+nämlich an seinem hinteren Theile zwei kleine Cabinen; in unserem
+bezogen Zittel und ich die eine, Ascherson die andere; letztere diente
+zugleich als Speisesaal und als Ort, wo unsere Kisten standen; beide
+Cajüten waren durch einen nicht näher zu bezeichnenden Ort getrennt,
+dessen unangenehme Einschaltung wir aber dadurch unschädlich machten,
+daß wir uns Allen den Zutritt verboten.
+
+Oben auf den beiden Cajüten wurde gesteuert, dort schliefen der Rais,
+unsere beiden europäischen Diener und der Schich unserer eingeborenen
+Leute. Die Mitte des Schiffes hatte Raum für den Mastbaum, für drei
+improvisirte Bänke, welche die sechs Ruderer inne hatten, und unter Deck
+war unsere Bagage; ganz am Vordertheile des Schiffes befand sich eine
+Art von Küche. Das war die Einrichtung des Schiffes. An Möbeln hatten
+wir Feldtische und Stühle von einem Dampfschiffe des Chedive, welches
+vor Kurzem bei den Ssilsilla-Bergen oberhalb Esneh gescheitert war.
+Unsere eignen Feldstühle waren durch die Reise ganz unbrauchbar
+geworden.
+
+An Proviant hatten wir drei Schafe, mehrere Puter, Eier, Mehl, Butter,
+Reis, Linsen, Brod, Kaffee, Wein und Bier; in dieser Beziehung waren wir
+also wohl versorgt, und um ja zu vermeiden, daß an Bord des anderen
+Schiffes nicht Unzufriedenheit ausbräche, theilte ich die Lebensmittel
+und Getränke stets so, daß jedes Schiff die Hälfte bekam, trotzdem wir
+zu drei Herren, das andere Fahrzeug aber nur mit zweien besetzt war.
+
+Langsam entschwand Esneh unseren Blicken. Es war der erste Abend, den
+wir wieder auf dem Nil verlebten, ein herrlicher in jeder Art, und nun
+konnten wir auch schon mit ziemlicher Gewißheit vorher berechnen, wann
+wir in Kairo, wann wir in Alexandria und wann wir in Neapel sein würden,
+besonders Zittel und ich, die wir gemeinsam zurückreisen wollten, wir
+gaben uns oft diesem frohen Gedanken hin. Da saßen wir nun oben auf der
+Cabine, ein Glas Bier vor uns, schauten auf die in prächtigen Farben
+schimmernden Berge, auf die ruhigen Fluthen des Nil, auf die Barken, die
+leise darüber hinglitten, auf die friedlichen Ufer, wo hier ein Schäfer
+seine Heerde heimtrieb, dort Büffel, die das steile Gehänge
+hinanklommen, hier Männer mit Sicheln bewaffnet, Heubündel einheimsend,
+hier die jungen Fellahmädchen, die Kühe zum Melken herantreibend,--ein
+Bild der Ruhe und des Friedens. Und diese Leute sollen so bedrückt sein,
+daß sie kaum mehr das Geld erschwingen können? So fragte ich mich beim
+Anblick dieses Bildes. Es leuchtete doch nur Zufriedenheit und Frohsinn
+aus aller Leute Gesicht. Hier wurde laut gelacht, dort wurde gesungen.
+Wie stimmt das mit den Klagen über unerschwingliche Steuern?
+
+Ach, es ist leider nur zu wahr, in Aegypten giebt es wohl gar keine
+Gegenstände mehr, die unbesteuert sind und die Steuern sind wirklich für
+das Volk fast unerschwinglich. Die Zufriedenheit und der frohe Sinn, die
+ewige Heiterkeit der armen Fellahin erklärt sich nur daraus, daß sie es
+nie besser gewohnt waren. Seit mehr als 4000 Jahren immer im
+Sclavenjoch, ist es einer Generation am Ende einerlei, ob sie mehr
+bezahlen muß, als die andern früher bezahlten. Auch die Väter haben
+keine Reichthümer gesammelt und haben, trotzdem sie vielleicht weniger
+steuerten, auch nichts hinterlassen.
+
+Was war das? Da tönte von der anderen Barke mit einem Male "Ein lustiger
+Musikante marschirte einst am Nil" &c. herüber und hernach noch andere
+Lieder. Das Singen ist ansteckend; wir antworteten und so etablirten
+sich Wechselgesänge oder auch, wenn die beiden Barken ganz nahe waren,
+sangen wir zusammen. Zittel mit seiner wirklich schönen Stimme mußte die
+Palme zuerkannt werden,--doch nein, ich übertraf ihn. Denn wenn ich mit
+der Kraft meines ganzen Körpers und mit unbeschreiblichem Ausdruck mein
+Schnadahüpfln sang, dann folgte immer ein allgemeines "bis, bis, noch
+ein Mal!" Ja, wie von einem Niemann oder Betz, wie von einer Lucca oder
+Patti (ich vereinige den Zauber und den Schmelz der verschiedensten
+Stimmen, einerlei, ob aus männlichen oder weiblichen Kehlen) wurde stets
+mein Lied drei oder vier Mal zu hören verlangt.
+
+Die Nächte auf dem Schiffe waren nicht allzu angenehm. Daß Ungeziefer
+der verschiedensten Art einheimisch war, sollten wir bald genug
+erfahren, aber in unserem Fahrzeuge waren außerdem noch Wasserratten,
+die auf lästige Art oft unseren ohnedies nicht festen Schlaf störten.
+Ja, eines Nachts sprang eine freche Ratte durch das kleine Fenster
+gerade auf mein Gesicht und als ich erschreckt in die Höhe fuhr, mit
+einem Satze auf Zittels Kopf, der dicht an meiner Seite schlief. Als sie
+auch hier keinen angenehmen Empfang fand, verschwand sie in unserem
+Brodkorbe, den sie sich als Lieblingsaufenthalt ausersehen hatte.
+
+Das war die erste Nacht, aber man gewöhnte sich an derartige
+Unannehmlichkeiten, und die mächtig wirkende Sonnengluth bei Tage suchte
+man durch leichtere Kleidung zu dämpfen, oder es wurde an seichten
+Stellen ein Bad genommen, das freilich nur eine momentane Abkühlung
+bewirkte.
+
+Wir näherten uns Theben, wo reich die Wohnungen sind an Besitzthum:
+
+ "Hundert hat sie der Thor', und es ziehen zweihundert aus jedem,
+ Rüstige Männer zum Streit mit Rossen daher und Geschirren."
+
+So singt Homer, aber ach!--nur Ruinen deuten heute noch auf die einstige
+Größe der Stadt, nach der im grauesten Alterthume, wie Herodot uns sagt,
+ganz Aegypten genannt wurde.
+
+Pocht nur, ihr modernen Städte und Staaten, auf eure Unvergänglichkeit,
+du prahlerisches Rom mit deinen paar Tausend Jahren nennst dich die
+"ewige Stadt". Blicke auf Theben zurück, dem nicht einmal der Name
+geblieben ist. Ja, es ist traurig, die heutigen Bewohner des Ortes
+kennen den Namen Theben nicht. Angesichts der colossalen Ruinen,
+Angesichts eines Tempels, in welchem der Dom von St. Peter fünfmal
+stehen kann, ahnen sie nicht einmal die Bedeutung und die Macht, die
+früher diese Stätte hatte.
+
+Man hätte es sich selbst nie verzeihen können, bei Theben
+vorbeizufahren, ohne wenigstens die hauptsächlichsten Denkmäler gesehen
+zu haben. "Auf Luxor zu halten!" riefen wir, und siehe da: auf einem
+stattlichen Hause unmittelbar am Nil flatterte eine große deutsche Fahne
+empor. Auf dem deutschen Consulate hatte man zwei mit deutschen Flaggen
+versehene Dahabiehen bemerkt, und da man ohnedies von unserer Ankunft
+unterrichtet war, wollte uns der Consul dadurch eine Aufmerksamkeit
+beweisen. Des Consuls Salutschüsse wurden von unseren Schiffen sogleich
+erwidert und bald darauf legten wir dicht bei seinem Hause vor Anker und
+begaben uns hinauf. Ein liebenswürdiger Mann, dieser Vertreter
+Deutschlands, dem nur Eins fehlt, nämlich Gehalt, was doch immerhin
+nothwendig wäre bei der öfteren Repräsentation und der Gastfreundschaft,
+welche dieser freundliche Kopte allen Deutschen erweist. Es wäre dies um
+so wünschenswerther, als die Vertreter der übrigen Mächte in Theben,
+z.B. die von England, Frankreich und Oesterreich, auch Gehalt beziehen.
+Allerdings sind dort keine Deutschen zu beschützen oder sonst irgendwie
+deutsche Interessen wahrzunehmen, aber wenn man schon einmal die
+Nothwendigkeit eines deutschen Consuls für einen Ort anerkannt hat, dann
+soll man ihn auch honoriren.
+
+Es macht einen angenehmen Eindruck, im Hause des Consuls einen
+europäisch eingerichteten Salon zu finden, an den Wänden: unseren
+Kaiser, den Kronprinzen, die Schlachten mit den Franzosen und
+verschiedene Photographien von Deutschen, die Luxor, so heißt dieser
+Theil von Theben, wo die Consulate sich befinden, besucht haben.
+
+Hier befindet sich auch das berühmte Fremdenbuch, worin Engländer und
+Franzosen unsern Lepsius so begeiferten, indem sie unkluger Weise ihm
+die Zerstörung der Ruinen schuld gaben. Kindischere Bemerkungen über die
+Trümmerfelder von Theben sind wohl nie geschrieben worden. Sie bedachten
+wohl nicht, daß Theben schon zur Zeit Strabo's zerstört war. Strabo
+(Bd. XVII, S. 816) sagt ausdrücklich: "Es ist mit Tempeln, die
+größtenteils von Chambyses zerstört worden sind, erfüllet und wird
+gegenwärtig als kleiner Flecken bewohnt &c." Also schon vor ca. 1900
+Jahren war Theben, so wie es heute ist, aber vor ca. 3500 Jahren war es
+in seiner Glanzperiode, an Rom dachte man damals noch nicht. Dies
+Fremdenbuch wurde von Dümichen, als er unseren Kronprinzen auf seiner
+ägyptischen Reise begleitete, an Lepsius geschickt, der es zurücksandte
+mit der einfachen Bemerkung, er habe Kenntniß davon genommen. Auf dem
+Consulate sind übrigens zwei Fremdenbücher, ein allgemeines und ein nur
+für Deutsche bestimmtes. Das allgemeine Album rührt noch aus der Zeit
+her, wo der Consul verschiedene andere Nationen gleichzeitig mit
+vertrat.
+
+Das Verbrechen von Lepsius bestand in Wirklichkeit darin, daß er viele
+der Tempel von Schutt reinigen ließ und zu der Zeit die Erlaubniß
+erhielt, gefundene Kunstgegenstände nach Berlin bringen zu dürfen; aber
+zerbrochen hat Lepsius nichts. Eine solche Barbarei z.B., wie das
+Ausbrechen des Thierkreises aus dem Tempel zu Dendera ist, ist nie von
+Deutschen begangen worden. Derselbe ist jetzt im Louvre.
+
+Nach einem kurzen Besuche auf dem Consulate, wo der übliche Kaffee,
+Scherbet und Araki geschlürft und ein Tschibuk geraucht wurde, gingen
+wir sodann, den Tempel von Luxor zu sehen und ritten darauf nach dem
+Heiligthum von Karnak, dem größten Gebäude der Erde, welches jemals
+einer Gottheit geweiht war. Da eine Beschreibung dieser Bauten mit ihren
+Obelisken, Pylonen und Sphinxen nicht in meiner Absicht liegt, so fahre
+ich gleich fort im Berichten unserer Erlebnisse.
+
+Wir waren Abends am Bord unseres Schiffes, schwelgend in der Erinnerung
+an jene staunenswerten Kunstwerke längst vergangener Generationen, nicht
+vergangener Völker, denn die heutigen Nilthalbewohner sind doch am Ende
+nur die Abkömmlinge jener Titanen, welche diese Riesenwerke aufbauten,
+deren Kraft und Schönheit wir jetzt täglich zu bewundern Gelegenheit
+hatten.
+
+Und der folgende Tag sollte fast einen noch größeren Genuß gewähren: wir
+setzten hinüber auf die andere Seite des Nils, auf die linke, um die
+Königsgräber, die Memnon-Colosse, das Rameseum mit seinen herrlichen
+Bildwerken &c. in Augenschein zu nehmen. Ein ganzer Tag ging damit hin
+und dennoch sahen wir keineswegs alle Denkmäler, sondern nur die
+bemerkenswerthesten. Dankend muß ich erwähnen, daß uns vom Consulate ein
+sehr intelligenter Führer mitgegeben war, ein geborener Schlauberger,
+der dadurch die Backschische der Deutschen reichlicher zu fließen machen
+hoffte, daß er bei jeder Gelegenheit, und wenn diese auch von einem
+Steingemäuer (in Ermangelung eines Zaunes) gebrochen werden mußte, auf
+die Franzosen schimpfte, wie er andererseits muthmaßlich nicht
+verfehlte, auf die Deutschen zu schimpfen, wenn er Franzosen zu führen
+hatte.
+
+Abends vereinigte uns ein solennes Souper auf dem Consulate. Man muß
+aber ein solches Essen mitgemacht haben, um über die Zahl der Gänge und
+Gerichte einen Begriff zu erhalten. Einigermaßen wird man sich eine Idee
+machen können, wenn ich sage, daß drei unserer complicirtesten Diners
+zusammengesetzt etwa ein koptisches bilden würden. Um uns besonders zu
+ehren und uns ganz in die koptische Sitte einzuführen, hatte der Consul
+es auf einer messingenen Riesenschüssel auftragen lassen, und während er
+selbst die Honneurs machte, ohne am Essen Theil zu nehmen, bat er uns,
+mit den Fingern zuzugreifen. Sein Sohn aber, ein liebenswürdiger junger
+Mann, der gut Englisch und etwas Deutsch sprach, nahm Theil an unserem
+Mahle. Als ich aber sah, daß einige von unserer Gesellschaft über das
+adamitische Essen ungeduldig zu werden anfingen (der Gang nach den
+Königsgrüften war ganz danach gewesen, den Appetit mehr als gewöhnlich
+zu reizen), bat ich den Consul, Messer und Gabeln bringen zu lassen, und
+nun ging es rascher von Statten. Aber fast hätte man sich diese wieder
+weggewünscht, denn es folgten so viele Gerichte, so viele Speisen, daß
+es kaum möglich war, von allen auch nur zu kosten. Rothwein, Champagner,
+dann und wann ein Gläschen Araki, um den Magen zu schnellerer
+Bewältigung der Speisen zu reizen, bildeten das Getränk und am Schlusse
+selbstverständlich eine Tasse Mokka mit dem Tschibuk.
+
+Es war schon dunkel, als wir dankend vom Consul Abschied nahmen, uns an
+Bord begaben und noch am selbigen Abend abfuhren. Da erleuchteten, als
+wir dem Consulate gegenüber waren, bengalische Flammen sein Haus und
+gluthübergossen zeigte sich daneben der Tempel von Luxor mit seinem
+hohen Obelisk, dessen Bruder jetzt auf dem Concordienplatze in Paris
+steht. Flinten- und Revolverschüsse tönten dazwischen als Gruß für uns
+in die Heimath. Aber diesmal konnten wir den liebenswürdigen Consul
+überbieten, denn wir hatten noch viel Magnesiumdraht übrig behalten: wie
+durch Zauber erhellten wir die ganze Gegend mit sonnengleichem Lichte,
+noch einmal sahen wir den Karnaktempel, Medinet Abu, die Memnonssäulen,
+das Rameseum und alle die Herrlichkeiten der alten hundertthorigen Stadt
+und dann war lautlose Stille und tiefschwarze Nacht hüllte uns ein,
+selbst die Ruderer sangen nicht, sondern trieben durch leise
+Ruderschläge die Schiffe gen Norden.
+
+Nachts kamen die Schiffe meistens auseinander; das, worauf Jordan war,
+hatte, weil es kleiner war, zwei Ruderer weniger; der Rais (Capitain)
+schlief gern, das Fahrwasser schien er nicht zu kennen, so daß es häufig
+aufrannte, aber des Morgens kamen wir doch immer wieder zusammen.
+
+Unser Botaniker Abu Haschisch erwarb sich, wie überall in den Oasen, so
+auch bei unseren Matrosen, schnell die Sympathie derselben; sie hatten
+ein Gedicht auf ihn gemacht und unterließen nicht, ihn mehrere Male
+täglich zu besingen. Da war in ihrer Poesie von einem Garten, von
+Granatblüthen, von Pflanzen, von einem Quell die Rede, und namentlich
+wurde in gebundenen Worten sein Hemd besungen, welches diese Ehre durch
+einen ungeheuren Tintenklecks erworben hatte. Am Tage war nämlich die
+Hitze so groß, daß wir Alle, wie schon erwähnt, in einem möglichst
+leichten Costüm auftraten.
+
+Hatten wir in Theben das großartigste der ägyptischen Baukunst
+betrachten können, so bot uns Dendera Gelegenheit, den Triumph der
+griechischen und ägyptischen Architektur zu bewundern; denn der
+Denderatempel, vollkommen von Schutt befreit und in allen Theilen
+erhalten, ist das Vollendetste, was von den neueren ägyptischen
+Bauwerken noch erhalten ist.
+
+Sodann fuhren wir ohne weiteren Aufenthalt (nur in Girgeh wurde eine
+Stunde angehalten, um Proviant einzunehmen) nach Siut, von wo aus unsere
+Expedition abgegangen war. Obgleich wir in früher Morgenstunde, um 6
+Uhr, landeten, war Herr Khaiat, des deutschen Consuls Sohn, schon in
+Homra, dem Hasenplatze von Sint. In der Erwartung, daß wir kommen
+würden, hatte er die ganze Nacht dort zugebracht. Hier hatten wir einen
+längeren Anfenthalt, Jordan hatte noch eine astronomische Messung zu
+machen, sodann waren noch sämmtliche Kisten, unsere Sammlungen
+enthaltend, an Bord zu nehmen. Während der Zeit ließ es sich das
+Consulat nicht nehmen, ein Frühstück zu arrangiren. Dem Consul und
+seinem Sohne, welche von der koptischen zur reformirt-koptischen Kirche
+übergetreten sind, pflichten wir den größten Dank. Während der ganzen
+Expedition haben Beide mit unermüdlicher Sorgfalt mit uns Verbindung
+gehalten, unsere Post besorgt, uns Lebensmittel und Alles, was sonst
+nöthig war, nachgeschickt. Ohne sie wäre der Verlauf der ganzen
+Expedition keineswegs so zusammenhängend und ohne Störung von Statten
+gegangen.
+
+Durch ihre Vermittlung gelang es uns auch, die Erlaubniß zu bekommen,
+uns einem Dampfer eines Pascha's anhängen zu dürfen, zwar nur bis
+Monfalut, aber wir gewannen dadurch doch bedeutend an Zeit. Und dann
+erreichten wir bald mit günstigem Chamsin-Winde[63] Rhoda, die
+südlichste Eisenbahnstation. Abends dort angekommen, gelang es uns noch
+am selben Tage, alle unsere Bagage auszuladen und in einem Gepäckwagen
+der Eisenbahn zu verpacken. Der Chedive hatte uns bereitwilligst freie
+Fahrt bis Kairo bewilligt. Die Nacht, welche wir in zwei Zimmern des
+Stationsgebäudes zubrachten, gehörte allerdings nicht zu den
+angenehmsten: Schnaken und tausend Insecten plagten uns derart, daß an
+Schlaf nicht zu denken war.
+
+Anderen Tages fühlte man sich fast wie in Europa; die Eisenbahn hat
+etwas eigenthümlich Heimisches; da, wo das Dampfroß schnaubt, glaubt man
+schon mit einem Fuße wieder in der Heimath zu sein, und in der That, von
+Rhoda aus steht man ja mit jedem größeren Orte Europas, ja der ganzen
+Welt in ununterbrochener Dampffahrt-Verbindung. Vorsorglich hatte ich
+Herrn Friedmann, dem Besitzer des Nil-Hôtel, telegraphirt, uns Wagen an
+der Station Giseh bei Kairo bereit zu halten; wir fanden solche auch und
+im Trapp ging's dann nach der Chalifenstadt hinein, durch die schöne
+neue Allee von Lebeckbäumen, die, wie durch Zauber entstanden, von Kairo
+bis zu den Pyramiden führt, über die neue Brücke und dann direct ins
+Nilhôtel, den sichersten Hafen für Reisende, welche, wie wir, so lange
+den civilisirten Genüssen fern gestanden hatten.
+
+Und wie sahen wir aus! Als wir das Hôtel betraten, riefen mir zwei
+Amerikanerinnen "=shocking, shocking=" entgegen und flohen in den
+Gartenpavillon. Vor einem Spiegel sah ich denn auch, daß ich keineswegs
+ein gesellschaftsmäßiges Aussehen hatte; Schweiß, Staub und Hitze von
+der Eisenbahnfahrt hatten mein Gesicht, das ohnehin verbrannt war, zu
+einem Mohrenantlitz gestempelt, in allen möglichen dunkeln Farben
+schillernd. Ein Bad brachte jedoch Alles in Ordnung und Abends bei der
+=Table d'hôte= fand unsere ganze Reisegesellschaft einen
+freundlichen Empfang.
+
+Ueber meinen Aufenthalt in Kairo habe ich diesmal nicht viel zu sagen.
+Natürlich wurden wir vom Chedive wieder in Audienz empfangen, auch war
+abermals eine Sitzung des Institut =Égyptien= und Gesellschaften
+bei unseren Freunden--uns aber zog es, je näher wir Europa kamen, desto
+mächtiger der Heimath entgegen.
+
+Zittel's und mein ursprünglicher Plan, unsere resp. Frauen nach Cairo
+kommen zu lassen, mußte aufgegeben werden. Die Hitze und der Staub waren
+nun schon so unerträglich, daß die Damen von einer solchen Reise keine
+Annehmlichkeit und keinen Genuß gehabt hätten, aber dafür gaben wir uns
+in Neapel Rendezvous. Und nachdem alles Geschäftliche abgewickelt war,
+ging es in Alexandria an Bord. Zittel und ich hatten uns für das
+französische Boot entschieden, aber es war so übervoll, daß wir keine
+Cabine bekommen konnten, sondern uns blos mit einem Platze erster Classe
+ohne Bett begnügen mußten. Das war freilich schlimm, denn es standen uns
+noch immerhin vier Nächte bevor. Zittel eroberte sich indeß eines der
+zwei Sophas und ich begnügte mich mit einem Seitentische oberhalb seines
+Lagers. Eine eigenthümliche Gesellschaft war am Bord dieses Dampfers,
+ein Abbild des heutigen Franzosenthums. Mit Ausnahme von einigen
+Amerikanern und uns bestand die ganze Passagiergesellschaft aus
+Schauspielern, Pfaffen und Pfäffinnen--Kirche und Theater.
+
+Da war ein Kapuzinermönch, da waren Augustiner, Dominikaner und einige
+Weltgeistliche, im Ganzen, mit einem protestantischen Reverend, vierzehn
+heilige Leute; da waren Schwestern vom heiligen Herzen Jesu und andere
+auffallend gekleidete Nonnen; den ganzen Tag hatten sie ein kleines
+Brevier in der Hand und den unvermeidlichen Rosenkranz, welchen
+Buddhisten, Mohammedaner und Katholiken in brüderlicher Liebe
+gleichmäßig als Gebetzähler adoptirt haben.
+
+Nicht so langweilig wie diese augenverdrehende Gesellschaft war das
+lustige Theatervölkchen, ja eines Abends hatten wir sogar den Genuß, von
+einer der Damen, mit Begleitung des am Bord befindlichen Pianos, hübsche
+Lieder vorgetragen zu hören. Nirgends ist man auf dem Mittelmeere besser
+aufgehoben, als an Bord der französischen Messagerie nationale[64]. Die
+Officiere wie der Capitain sind meist gebildete, liebenswürdige Leute
+und, bei der weltverbreiteten Bedeutung dieser französischen Dampfer,
+sind sie frei von jener krankhaften Neigung, in jedem Deutschen einen
+Feind zu sehen. Die Cabinen sind vortrefflich und jede nur zu zwei
+Betten eingerichtet. Die Küche vorzüglich, ebenso die Getränke.
+
+Wir hatten die Annehmlichkeit, an einem kleinen Tische allein zu
+speisen, nur zwei Yankees, die Erbauer der Pacific-Bahn, ein
+ägyptisch-arabischer Kaufmann, ein Jude und der katholische Patriarch
+von Jerusalem waren unsere Genossen. Man kann sich denken, daß da die
+Unterhaltung eine äußerst mannigfaltige war, wenngleich die
+Verschiedenartigkeit der Sprachen bisweilen wohl etwas hindernd
+erschien.
+
+Die Fahrt durch die unvergleichlich schöne Meerenge von Messina, die
+Einfahrt in den Busen von Neapel werden für Jeden von uns gewiß
+unvergeßlich sei. Da ankerten wir nun im Angesichte der stolzen Königin
+des Mittelmeeres, ungeduldig des Zeichens gewärtig, das Schiff verlassen
+zu dürfen. Eifrig suchten wir unter den hundert kleinen Booten, die den
+Dampfer umkreisten, ob nicht in einem unsere Frauen sein könnten. Aber
+vergebens, keine blonde Dame war unter ihnen. Hier war ein Boot mit
+hübschen schwarzen Damen, auf Verwandte wartend, dort waren Hôteldiener,
+um Fremde zu angeln; hier hatte ein Policinello in schaukelnder Jolle
+sein Theater aufgestellt, hier trillerte ein Leierkasten, dort kam ein
+Schiff mit Mönchen, ja es drängte sich sogar eine ganze Musikbande
+heran; aber so sehr wir auch suchten, unsere Frauen waren nicht
+erschienen.
+
+Endlich erlaubte man uns, an's Land zu gehen. Die italienische Douane
+war höflich und nachsichtig, und in schneller Fahrt eilten wir zum
+=Hôtel de Russie=, =vis-à-vis= von St. Lucia unmittelbar am
+Golf gelegen. Aber eine neue Enttäuschung erwartete uns: "Zwei Damen
+logiren hier nicht," sagte uns der Portier.--Aber eine genauere
+Nachforschung Zittel's brachte uns die Gewißheit, daß am Abend vorher
+unsere Frauen angekommen, doch momentan spazieren gefahren seien. Man
+kann sich unsere Ungeduld denken, die indeß eine nicht zu lange Probe
+zu bestehen hatte; denn kaum hatten wir Jeder unser Zimmer bezogen, als
+mächtig große Camelien-Bouquets hineingeworfen wurden und gleich mit
+ihnen die Frauen hereinstürmten. Ein Wiedersehen nach fünfmonatlicher
+Trennung kann Jeder, der verheirathet ist, sich ausmalen, zumal wenn so
+weite Räume, so beschwerlich zu durchziehende Gegenden von der Heimath
+einen entfernten.
+
+Ich verweile nicht bei Neapel, wo an einigen angenehm verlebten Tagen
+die Reize dieser bevorzugten Stadt uns den freundlichsten Empfang auf
+europäischem Boden bereiteten. Die Chiaja, das neue zoologische Institut
+unter der Direction des Deutschen Dorn[65], eines hervorragenden
+Gelehrten, Sorrent, Capri und Abends unter den Fischerhallen von St.
+Lucia bilden unverwischliche Glanzpunkte Neapels. In Pompeji war ich mit
+Baron v. Keudell, einer alten Bekanntschaft von mir, zusammengetroffen;
+Se. Excellenz lud mich freundlich ein, ihn in Rom zu besuchen. Der
+Einladung folgend, traf es sich aber so unglücklich, daß wir an dem
+Abende, wo meine Frau und ich den Vorzug haben sollten, bei ihm
+zuzubringen, nicht zu Hause waren, da wir die Einladung zu spät erhalten
+hatten; am anderen Morgen vor der Abreise hatte ich indeß Gelegenheit,
+die prachtvolle Wohnung der deutschen Gesandtschaft auf dem Capitol zu
+bewundern. Herr v. Keudell zeigte mir selbst die Räumlichkeiten, den
+Garten und die köstliche Aussicht.
+
+"_Nach Deutschland_" drängte es immer lebhafter in mir, und nur in
+Mailand, der Stadt des Marmor-Doms, hatten wir dann noch einen
+eintägigen Aufenthalt. Im Hôtel Reichmann fanden wir eine ganz
+freundliche Aufnahme, und wenn dies Hotel eine kleine Weile seinen
+Nimbus einbüßen konnte, so ist derselbe seit Kurzem wieder hergestellt.
+Herr Reichmann =jun.= verwaltet jetzt auf's Ausgezeichnetste dies
+von den Deutschen am liebsten besuchte Hôtel.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 60: =Jollois description p. 14=.]
+
+[Footnote 61: Präsident des Gemeinderathes.]
+
+[Footnote 62: Verwalter.]
+
+[Footnote 63: Chamsin heißt fünfzig, die Eingeborenen nennen diesen Wind
+so, weil er 50 Tage lang wehen soll aus SSO.]
+
+[Footnote 64: =Messagerie nationale= hat, wenn Frankreich
+Kaiserreich oder Königreich ist, den Titel =m. impériale= oder
+=m. royale=.]
+
+[Footnote 65: Kein Deutscher, der Neapel besucht, sollte versäumen, das
+Gebäude des zoologischen Instituts, an der Chiaja gelegen, zu besuchen.
+Dort bekommt man den besten Begriff eines reichen Aquariums, wie ein
+solches weder in Brighton, noch Hamburg oder Berlin vorhanden ist.]
+
+
+
+
+12. Bei den Zeltbewohnern in Marokko, eine ethnographische Schilderung.
+
+
+_Geburt, Beschneidung, Hochzeit und Begräbniß._
+
+Wie geschäftig die Frauen seit dem Morgen schon die Esel
+zusammentreiben! Unter Lachen und Schreien haben die Knaben und
+Jünglinge dabei geholfen, die Langohren vor einem großen Zelte (es
+gehört dem Kaid Abu Ssalam) zusammenzuhalten.
+
+Heute wird eine große Festlichkeit vor sich gehen; man erwartet
+stündlich die Entbindung der zweiten Frau des Kaids, der Lella Mariam,
+einer jungen, reizenden Frau von vornehmstem Zelte. Kaid Abu Ssalam, der
+selbst nicht aus dem Geschlechte Mohammed's ist, sonst aber auch aus
+einem großen Zelte[66] stammt, hat durch seinen Reichthum es möglich
+gemacht, eine Scherifa zur Frau zu bekommen, d.h. eine Dame vom Stamme
+des Propheten. Um so mehr ist das zu bewundern, als Abu Ssalam schon
+eine Frau besitzt und Lella Mariam nicht nur jung und schön, ihr Alter
+betrug 15 Jahre, sondern auch reich ist. Aber welch' stattlicher Mann
+ist auch Kaid Abu Ssalam und wie geachtet und unabhängig im ganzen
+Lande! Selbst der Sultan liebt ihn.
+
+Vom Stamme der Beni-Amer hatte er vor etwa 30 Jahren, als die
+Ungläubigen das Gebiet von Tlemßen besetzten, die dortige Gegend
+verlassen und nach einer dreijährigen Wanderung, immer nach Westen
+ziehend und oft genug mit der langen Flinte sich einen Weg bahnend, hat
+er den eigentlichen Westen erreicht, den Rharb el djoani, das gelobte
+Land der Gläubigen. Der Sultan ertheilte gern die Erlaubnis zum Bleiben,
+und nachdem die üblichen Abgaben geregelt waren, erhielt Abu Ssalam, es
+war das schon zu Lebzeiten des Sultans Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Hischam,
+die Erlaubniß, seinen Stamm an die Ufer des Ued Ssebu zu führen.
+
+Abu Ssalam herrschte über drei Duar (Zeltdörfer), von denen das größere
+sich aus circa 30 Zelten zusammensetzte und dem er selbst vorstand; die
+beiden kleineren, aus je 20 und 24 Zelten aufgeschlagen, waren von
+seinen jüngeren Brüdern beherrscht. Bei dem Jüngsten lebte außerdem noch
+ihr gemeinschaftlicher Vater, der Hadj Omar-ben-Edris, der aber schon
+lange die Kaidschaft an seinen ältesten Sohn abgetreten hatte.
+
+Die drei Duar, so ziemlich in einer Linie gelegen, machten Front nach
+Westen und lehnten sich an einen Bergrücken; hier bestand derselbe aus
+herrlichen Wiesen, während nach dem Gipfel zu immergrüne Bäume, aus
+Korkeichen, Lentisken und Juniperen bestehend, den Berg bedeckten. Etwa
+eine Viertelstunde unterhalb der drei Zeltdörfer schlängelte sich der
+Ued Ssebu vorbei und ganz in der Ferne erglänzte der blaue Ocean. Der
+Raum zwischen den Dörfern und dem Flusse war durchweg beackert, aber
+unmittelbar neben den Zeltdörfern befanden sich auch kleine
+Gemüsegärtchen, eingezäunt von großen Dorngebüschen des stacheligen
+Lotusstrauches, das, obschon todt, dennoch hinlänglichen Schutz gewährte
+gegen weidende Thiere.
+
+Von dem großen Zelte Abu Ssalam's also zogen sie ab, eine ganze Karawane
+lachender Frauen und Mädchen, einige zwanzig Esel mit leeren ledernen
+Schläuchen beladen vor sich hertreibend. Wohl manche mochte hoffen,
+heute bei der Festlichkeit das Herz eines Jünglings zu fesseln; die
+jungen Mädchen erzählten sich, wie viele Armbänder sie anlegen würden.
+Da sagte eine Andere, sie würde ihr Haar frisch machen lassen[67], und
+unter Jubeln und Lachen war der Ssebu erreicht.
+
+Das Füllen der Schläuche aus einem mächtigen Strome ist leichte Arbeit.
+Die jungen Mädchen gingen bis an die Knie in den Strom, ließen das
+Wasser hineinlaufen und nachdem sodann noch Einige die Zeit benutzten,
+ein Bad zu nehmen, wurden die Schläuche, je zwei, einem Esel aufgeladen
+und zurück ging es zum Duar.
+
+Unter der Zeit war die Geburt vor sich gegangen und Abu Ssalam's größter
+Wunsch war erfüllt, seine junge Frau hatte ihm einen kräftigen Knaben
+geschenkt. Zu Ehren seines Vaters erhielt derselbe noch _am selben Tage_
+den Namen Omar. Es ist Sitte, daß das Namengeben noch am Tage der Geburt
+geschieht. Wie war nun die Geburt vor sich gegangen? Wir können nur nach
+Hörensagen berichten, denn nie, und wenn auch die Frau dadurch vom Tode
+hätte gerettet werden können, darf ein Mann, ein Arzt oder Geburtshelfer
+bei einem solchen Acte zugegen sein.
+
+Es scheint, daß bei Lella Mariam die Geburt leicht von Statten ging;
+Abends vorher waren Hülfsweiber gekommen, und als am anderen Morgen die
+Frauen vom Wasserholen zurückkamen, ertönte durch die Duar der Ruf:
+"=El Hamd ul Lahi mabruck uldo=", "Gott sei gelobt, der Sohn sei
+ihm zum Segen". Und vor dem Zelte, aus einem Arbater Teppiche, saß Abu
+Ssalam und empfing die Glückwünsche der männlichen Bevölkerung der drei
+Zeltdörfer. Auch manche alte Frau, ja manches junge Mädchen kam herbei,
+beugte rasch ein Knie und küßte Abu Ssalam's Hand den Gruß flüsternd:
+"=Rbi ithol amru=", Gott verlängere seine Existenz. Und er konnte
+recht stolz sein, unser Abu Ssalam; sein heißer Wunsch, einen
+Nachfolger, einen Sohn zu haben, war erfüllt. Zwar sein Stamm konnte so
+leicht nicht aussterben; den Stammbaum direct bis zum Chalifen Omar
+zurückführend, waren die Beni-Amer jetzt einer der mächtigsten Stämme
+unter den Arabern, ihre Duar zogen sich durch ganz Nordafrika. Seine
+eignen Leute näherer Verwandtschaft, die er nach dem Rharb (Marokko)
+geführt hatte, zählten über 100 Leute männlichen Geschlechts. Genau
+hatte Abu Ssalam sie nie gezählt, denn ein rechter Gläubiger zählt die
+Seinigen nicht. Aber er selbst hatte von seiner zuerst angeheirateten
+Frau Minana nur zwei Töchter, und Minana mit ihren 21 Jahren schien ihm
+wenig Hoffnung zu machen, ihm noch einen Sohn zu geben. Daher hatte er
+denn auch vor etwa neun Monaten die liebliche Lella Mariam geheirathet.
+
+Jede Vorkehrung war aber auch diesmal getroffen worden, damit Abu Ssalam
+einen Sohn bekäme. Er selbst war nicht nur vor mehreren Monaten nach
+Uesan gepilgert, um die Intervention Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam's
+anzurufen, er hatte sogar das feste Versprechen Sidi's[68] erlangt, daß
+der Allerhöchste ihm einen Sohn schenken würde, und der Großscherif
+hatte freundlich dafür ein Pferd als Geschenk anzunehmen geruht; ja, um
+ganz sicher zu gehen, war er nach Fes zum Grabmal Mulei Edris gepilgert
+und hatte den Tholba (Schriftgelehrten) der Djemma (Gotteshaus) des
+Mulei Edris fünfzig Duros geopfert; mußte da Allah ihm nicht einen Sohn
+schenken?
+
+"Gott segne den Großscherif!" rief Abu Ssalam, "Gott gewähre Mulei Edris
+alle Freuden des Paradieses," fügte er hinzu, "denn sie waren es, die
+mir den Knaben schenkten." Und da kam auch schon Lella Mariam aus dem
+kleinen Zelte, welches neben dem Zelte ihres Mannes war, nicht in
+Festgewändern, aber doch in einen neuen Haik gehüllt. Sie hatte vor sich
+das Knäblein und niederknieend legte sie den neuen Familienstammhalter
+vor ihren Gatten hin. Sie selbst in aufgelöstem Haare[69], da sie genau
+nach den Vorschriften des Gesandten Gottes lebte, hielt sich knieend
+abseits, da ihr Mann sie doch nicht, weil sie unrein war, berühren
+durfte. Nachdem die junge Mutter und das Knäblein den Segen vom Manne
+und Vater erhalten und der daneben sitzende Fakih (Doctor der Theologie)
+der Zeltdörfer das Fötah (erstes Capitel des Koran) gebetet hatte, ging
+sie ins Zelt zurück; schon am anderen Morgen machte sich die junge Frau
+an ihre gewöhnlichen Beschäftigungen, denn ein Wochenbett abhalten, wie
+bei uns die Frauen in Europa es zu thun gewohnt sind, kennt man in
+Marokko nicht.
+
+Am selben Abend aber war großes Festessen vor dem Zelte Abu Ssalam's. Er
+hatte viele Hammel und Ziegen schlachten lassen zu Ehren des Tages und
+die Frauen des Duars hatten den ganzen Tag Kuskussu bereiten müssen, der
+in größeren hölzernen Schüsseln für die Gäste hingesetzt wurde.
+
+Was mich anbetrifft, so wollte ich gern Näheres über den Geburtsact
+erfahren. Auf mein Befragen erzählte man mir, es sei Sitte, wenn eine
+Frau in Nöthen sei, so lasse man zuerst einen Fakih kommen, der durch
+Weihrauch und fromme Sprüche den Teufel zu bannen versuche, denn der
+Teufel ist auch in Marokko die Ursache allen Uebels. Hilft das nicht, so
+bekommt die Frau Koransprüche, die auf eine hölzerne Tafel geschrieben
+werden, zu trinken, indem die Sprüche von der Tafel abgewaschen werden;
+hilft auch das Verfahren noch nicht, so werden Koransprüche auf Papier
+geschrieben, zerstampft und mit Wasser gemischt der Leidenden
+eingegeben. Aber manchmal hat der Satan das Weib derart in Besitz
+genommen, daß er selbst durch das heilige Buch nicht ausgetrieben wird.
+Dann werden allerlei Amulete angewandt, z.B. die in ein Ledersäckchen
+eingenähten Haare eines großen Heiligen, die man der Kreißenden auf die
+Brust legt, oder Wasser vom Brunnen Semsem, welches man ihr zu trinken
+giebt, oder Staub aus dem Tempel von Mekka[70], welchen man auf ihr
+Ruhebett legt. In einigen Fällen läßt sodann der Teufel seine Beute los
+und der Vorgang erfolgt für die Mutter auf glückliche Weise. Es kommen
+jedoch genug Fälle vor, wo der Iblis (Teufel) derart sich des Weibes
+bemächtigt, daß er keinem Mittel weichen will; die Hülfsweiber nehmen
+dann selbst den Kampf mit ihm auf. Unter Beschwörungen und fortwährend
+rufend: =Rham-ek-Lab=! (Gott erbarme sich Deiner!) wird die Frau
+ergriffen, ein starkes Band um den Rücken und unter die Achsel
+durchgeschlungen und so in die Luft gezogen. Dadurch wollen sie die
+Wehen beschleunigen, und zeigt sich möglicherweise ein Theil des Kindes,
+entweder der Kopf oder die Füße, so versuchen sie, diese Theile zu
+ergreifen und durch starkes Reißen und Ziehen das Kind zu Tage zu
+befördern. Nur selten gelingt das, meist wird das Kind zerrissen und
+fast immer ist der Tod der Mutter Folge dieses barbarischen Verfahrens:
+Gott verfluche den Teufel!
+
+Der kleine Omar wuchs kräftig heran; wie sollte er auch nicht! Zwei
+Jahre hatte ihn seine Mutter Lella Mariam selbst gesäugt und nur wenig
+war er während dieser Zeit Tags vom Rücken seiner Mutter gekommen und
+Nachts aus dem Schooße derselben. Denn die Frauen pflegen ihre Kinder so
+aufzuziehen, daß sie mit Ausnahme der Augenblicke, wo dem Kleinen die
+Brust gereicht wird, Tags über in einer Falte des Haiks (großes
+Umschlagetuch) auf dem Rücken der Mutter in _reitender_ Stellung sich
+befinden. Es hat das zur Folge, daß die meisten Marokkaner sowohl
+männlichen wie weiblichen Geschlechtes Säbelbeine haben. Nachts aber
+ruht das Kindchen vor seiner Mutter, die während der zwei Jahre
+beständig allein lebt, obschon es ihrem Manne nach Ablauf von drei
+Perioden gestattet ist, sie wieder zu besuchen und mit ihr Umgang zu
+pflegen. Nachdem die zwei Jahre vorbei waren und Omar statt der süßen
+Muttermilch jetzt saure Buttermilch und Abends Kuskussu zu essen bekam,
+wurde ihm auch zum ersten Male das Kopfhaar geschoren; aber sein Vater
+Abu Ssalam gab wohl Acht, daß am Scheitel des Kopfes eine Locke, Gotaya,
+sowie an der rechten Seite des Kopfes außerdem ein Streifen von Haaren
+in der Form eines Halbmondes stehen blieb, denn die Kinder der Beni-Amer
+hatten seit undenklichen Zeiten einen solchen Schmuck getragen. Am
+selben Tage gab er seinem Zelte[71] einen Hammel zum Besten, sonstige
+Festlichkeiten fanden nicht statt.
+
+Dafür wurde aber die Beschneidung Omar's in seinem achten Jahre desto
+festlicher begangen. Omar war jetzt ein kräftiger Bursche geworden;
+fortwährend in der freien Natur hatte er tagelang die Schafe und Ziegen
+seines Vaters mit hüten helfen und gewöhnlich auch das Pferd mit zur
+Schwemme reiten müssen; er verstand es schon, die eignen Kamele oder die
+der etwa ankommenden Fremden mit niederknien zu machen und der
+Thaleb[72] der Zeltdörfer hatte ihn das erste Capitel des Koran gelehrt.
+
+Der feierliche Augenblick war gekommen, wodurch der kleine Omar jetzt in
+die Gemeinschaft der Muselmanen aufgenommen werden sollte. Um den Glanz
+des Festes noch mehr zu erhöhen, hatte Abu Ssalam es übernommen,
+sämmtliche gleichalterige Knaben der drei Zeltdörfer der Beni-Amer, und
+es waren deren noch sieben, auf seine Kosten beschneiden zu lassen. Ja,
+ohne den Neid und die Mißgunst seines eignen Fakih's (Doctor der
+Theologie) und der Tholba[73] der Duars zu erregen, weil sie auch ihre
+Gebühren bekamen, hatte er einen in hohem Ansehen stehenden
+Schriftgelehrten aus Fes kommen lassen. Die Gebühr für die Beschneidung,
+3 Metkal, erlegte er im Voraus. Wie reich aber mußte Abu Ssalam sein,
+daß er so große Summen zahlen konnte, denn zahlte er doch, wie schon
+gesagt, seinen eignen Schriftgelehrten die nämliche Summe. Und wenn man
+bedenkt, daß man in Marokko für die Beschneidung sonst nichts zu
+bezahlen braucht, der bemittelte Mann höchstens eine Maß Korn oder ein
+Huhn oder einige Eier dem Schriftgelehrten für seine Bemühung giebt, so
+kann man ermessen, wie freudig die Eltern ihre Söhne herbeibrachten. Das
+Glück, vom heiligen Sidi Mussa aus Fes beschnitten zu werden, war zu
+groß. Abu Ssalam aber hatte es von jeher als eine Regel der Klugheit
+betrachtet, mit den heiligen Leuten, mit der Geistlichkeit, auf gutem
+Fuße zu leben und er hatte längst eingesehen, daß man mit der
+Geistlichkeit nur dann auf gutem Fuße lebt, _wenn man sie tüchtig
+zahlt_. Aber dafür war er auch des Paradieses sicher; der Segen, den sie
+ihm ertheilten, war _länger_ als der für die übrigen Gläubigen, und
+durch die vielen Wohlthaten, die er den Fakih's und Tholba erwiesen
+hatte und noch immer erwies, war Abu Ssalam selbst in den Ruf großer
+Frömmigkeit gekommen.
+
+Die acht Knaben wurden vor das Djemmazelt[74] in einer Reihe
+aufgestellt, und nachdem vom Fakih Sidi Mussa ein langes Gebet war
+gesprochen worden, ging er auf Omar zu, der von seinem Vater gehalten
+und ermahnt wurde, standhaft zu sein, ergriff sodann das Präputium und
+trennte es mit einem raschen Schnitte von der übrigen Haut; das noch
+übrig gebliebene Frenulum wurde mit einem zweiten Schnitte getrennt und
+sodann kam ein anderer Thaleb und streuete pulverisirten Schöb (Alaun)
+auf die blutenden Ränder. Standhaft hatte der Knabe Omar ausgehalten,
+seine Zähne zusammenbeißend murmelte er fortwährend: "Gott ist der
+größte, es giebt nur einen Gott." Sein Vater trug ihn, Omar war fast
+ohnmächtig geworden, nun gleich ins väterliche Haus zurück, während ein
+Sclave ein ganz neues Hemd und eine neue weißwollene Djilaba[75] vor ihm
+hertrug, Festgeschenke seines Vaters, welche aber erst angelegt werden
+durften, wenn der Kranke vollkommen genesen war. Die Beschneidung der
+übrigen Knaben erfolgte auf dieselbe Weise, nur daß einige von ihnen ein
+entsetzliches Geschrei ausstießen, und merkwürdiger Weise war einer
+unter ihnen ohne Präputium, oder doch nur mit einer Andeutung davon.
+Natürlich wurde er gleich für heilig erklärt, denn wie selten trifft es
+sich, daß ein Mensch beschnitten zur Welt kommt. Die Geschichte (d.h.
+nach der Auffassung der Marokkaner) nennt nur Mulei Edris, Sidna
+Mohammed, Sidna Brahim, Sidna Daud und Sidna Mussa als von Gott
+beschnittene Leute, d.h. ohne Präputium zur Welt gekommen. Der so
+ausgezeichnete Knabe, Namens Hamd-Allahi, hat denn auch später eine
+wichtige Rolle gespielt; er war von Gott beschnitten, er war ein
+Heiliger vor Gott und wer weiß, ob er nicht einst berufen ist, alle
+Menschen zum Islam zurückzuführen, damit alle Menschen des Paradieses
+teilhaftig werden, das Gott ihnen durch seinen Liebling Mohammed
+verheißen hat.
+
+Aber wie segensreich sollte überhaupt diese Beschneidung für die acht
+Knaben werden, wie überhaupt für den ganzen Stamm der Beni-Amer! Die
+Beschneidung nämlich war vollzogen worden mit einem Mus min Hedjr[76]
+(Steinmesser). Seit undenklichen Zeiten vererbte sich ein Steinmesser
+vom Vater auf den Sohn in diesem Stamme der Beni-Amer, und einer
+schriftlichen Tradition zu Folge soll die Beschneiduug Sidni Omar's, des
+Stammvaters der Beni-Amer und zweiten Chalifen, mit diesem selben Messer
+vorgenommen worden sein. Wie ein Heiligthum wurde dasselbe in der
+Familie bewahrt, und selbst als es bei der Eroberung der Provinz Tlemsen
+durch die Ungläubigen, bei der Plünderung des Duars durch die
+Christenhunde, verloren gegangen war, kam es durch ein Wunder wieder in
+den Besitz des Kaids Abu Ssalam. Der Chalif Sidni Omar hatte es ihm
+selbst eines Nachts zurückgebracht, er fand es unter seinem Kopfkissen.
+Alle umliegenden Stämme beneideten die Beni-Amer um einen so köstlichen
+Schatz. Die meisten Marokkaner lassen sich mit gewöhnlichen Rasirmessern
+beschneiden, d.h. diese haben den Namen Rasirmesser, sind aber weiter
+nichts, als die elendesten Klingen dieser Art.
+
+Omar verbrachte nun die nächsten Jahre damit, den Koran zu lernen, d.h.
+schriftlich und auswendig; denn heute gilt es in Marokko für einen Mann,
+der einst Kaid seines Stammes sein will, für unerläßlich, _selbst_ lesen
+und schreiben zu können. Nicht, als ob er jemals diese Wissenschaften
+praktisch verwerthen würde, aber es gehört zum guten Ton, und wie auch
+in Marokko in dieser Beziehung die Mode anfängt, unerbittlich zu sein,
+so mußte sich Omar den langweiligen Unterrichtsstunden im Koranlesen und
+Buchstabenmalen unterwerfen. Sein Vater war glücklicher gewesen; zu
+seiner Zeit erheischte man noch nicht von den jungen Leuten, Lesen und
+Schreiben zu lernen. Omar machte dann in Gemeinsamkeit mit seinem Vater
+mehrere Reisen in Marokko, denn Kaid Abu Ssalam hatte den Entschluß
+gefaßt, die Pilgerfahrt nach Mekka erst dann zu machen, wenn sein Sohn
+eine Frau habe: dann solle die ganze Familie das Haus Gottes besuchen.
+Aber er lernte doch Fes kennen, er sah in Mikenes den Sultan, er
+unternahm eine Siara (Pilgerreise) nach der heiligen Stadt Uesan, er kam
+nach Tanger, um dort die Feuerschiffe der ungläubigen Hunde zu
+bewundern, und hatte das achtzehnte Jahr erreicht, um daran denken zu
+können, eine Frau zu nehmen.
+
+Bei den freien Zeltbewohnern Marokko's ist es keineswegs Sitte, daß die
+Frauen sich verschleiern, wie in den Städten; Jünglinge und Jungfrauen
+haben daher auch Gelegenheit, sich zu sehen, kennen zu lernen und zu
+lieben. Auf dem Lande werden daher auch häufig genug Heirathen aus
+wahrer Neigung geschlossen. Omar hatte seit längerer Zeit Gelegenheit
+gehabt, die Reize und Vorzüge eines jungen Mädchens kennen zu lernen,
+welches nur einige Stunden von seinem Duar entfernt lebte. Es war das
+Aischa bent Abu Thaleb vom Stamme der Uled Hassan. Die beiden Väter
+waren seit Langem durch Freundschaft verbunden; der Duar der Uled Hassan
+lag auf dem Wege vom Ssebu nach Fes. Wenn nun Abu Ssalam nach der
+Hauptstadt reiste, was häufig genug vorkam, so nächtigte er nicht im
+allgemeinen Dar diaf (Fremdenzelt) der Uled Hassan, sondern ging zum
+Zeltendes Abu Thaleb selbst, und umgekehrt machte es dieser so, wenn
+sein Weg ihn in die Nähe des Ued Ssebu führte.
+
+Omar war dann mehrere Male in Begleitung seines Vaters gewesen und seit
+vier Jahren war ihm die wunderbare Schönheit Aischa's aufgefallen;
+Aischa selbst mochte, als er sie zum ersten Male sah, 10 Jahre alt sein,
+jetzt hatte sie 14. Kein Mädchen hatte seiner Meinung nach so feurige
+Gazellenaugen, keine hatte einen kleineren Granatmund und längeres
+schwarzes Haar, keine hatte so volle Formen und kleinere Hände und Füße.
+
+In seinen Augen verstand kein anderes Mädchen so gut die Ziegen zu
+melken wie Aischa, oder mit gleich lieblicher Anmuth einen Teller Brod
+anzubieten oder eine Schale mit Milch zu credenzen. Aber was war Alles
+dies gegen den Zauber ihrer Stimme? Zwar hatte Omar selbst nur einmal
+mit ihr gesprochen, als er ermüdet das Zelt ihres Vaters erreichte und
+um einen Trunk Wasser bat. Da schoß Aischa wie ein Reh davon, und aus
+dem Schlauche eine Tasse füllend, überreichte sie dieselbe mit den
+Worten: "=Bism Allah=!" (im Namen Gottes). Das war Alles, was
+Aischa direct zu ihm gesprochen hatte. Aber von dem Augenblicke sagte
+Omar zu sich: "Du kannst nur Aischa zum Weibe nehmen und keine andere."
+Er glaubte nun auch zu wissen, daß Aischa gern seine Frau werden würde,
+er schien bei ihr eine gewisse Sympathie für sich bemerkt zu haben, und
+ohne daß man mit Worten seine Gedanken auszutauschen braucht, merken
+die jungen Leute in Marokko ebenso leicht wie bei uns, was Liebe ist.
+
+Omar war im Frühling, nur von Gefährten und Sclaven begleitet, von Fes
+zurückgekommen, er hatte wieder bei Abu Thaleb die Nacht zugebracht, er
+hatte die großen Augen Aischa's wiedergesehen, er hatte sie plaudern
+hören mit ihren Gespielinnen und von dem Augenblicke war sein Entschluß
+gefaßt. Als er am anderen Abend den eignen elterlichen Duar erreichte,
+rief er seine Mutter bei Seite; er gestand ihr seine Liebe zu Aischa und
+bat sie, mit dem Vater deshalb zu sprechen.
+
+Obschon seine Mutter, Lella Mariam, eigentlich ein anderes junges
+Mädchen für ihren Sohn im Auge hatte, er sollte eine weitläufige
+Verwandte, die ebenfalls Scherifa (aus dem Stamme des Propheten) war,
+heirathen, so lag ihr das Glück ihres einzigen Sohnes doch viel zu sehr
+am Herzen, als daß sie hätte Schwierigkeiten erheben wollen. Zudem wußte
+sie wohl, daß, obwohl sie großen Einfluß auf ihren Mann hatte, die
+Entscheidung einer so wichtigen Angelegenheit von ihm abhing. Sie
+beeilte sich daher, ihrem Manne Mittheilung davon zu machen, und
+wunderte sich, daß derselbe ihres Sohnes Liebe ziemlich gleichgültig,
+fast kalt aufnahm.
+
+Kaid Abu Ssalam war ein praktischer Mann, auch er hatte längst eine
+Schwiegertochter im Auge; das war aber keineswegs Aischa, die Tochter
+seines armen Freundes, sondern Sasia, die Tochter eines reichen Kaids
+der Uled Sidi Schich, deren Zelte in der Nähe von Udjda standen. Seit
+Jahren hatten die Väter dieses Project genährt. Die Uled Sidi Schich
+waren ebenfalls aus der Provinz Tlemsen vertrieben, aber sie waren nur
+über die Grenze gegangen. Safia mußte um diese Zeit etwa 13 Jahre alt
+sein und noch vor Kurzem hatte ihr Vater an Abu Ssalam geschrieben, nach
+Udjda zu kommen und seinen Sohn mitzubringen und dieser hatte es
+versprochen.--Jetzt sollte aus dieser Heirath, die Abu Ssalam fast schon
+als abgemacht fand, nichts werden, er sollte sein Wort brechen.--Aber
+Omar, der einzige Sohn, kam selbst, er beschwor den Vater, ihm Aischa zu
+verschaffen, er würde sterben, wenn Aischa nicht sein Weib würde, und
+dann flehte die Mutter, Lella Mariam, zu Gunsten des Sohnes; wie konnte
+da der Vater, der Gatte widerstehen?
+
+Vor allen Dingen schickte er daher Leute ab an den Kaid der Uled Sidi
+Schichs, um ihm anzuzeigen, er könne und wolle sein Versprechen nicht
+halten, sein Sohn Omar habe sich eine andere Frau genommen. Sodann ging
+man gleich an die Brautwerbung, um jetzt die Hochzeit so rasch wie
+möglich zum Abschluß zu bringen.
+
+Unter dem Vorwande, nach Fes reisen zu wollen, brach Abu Ssalam, von
+seiner Frau Mariam begleitet, auf und erreichte Nachmittags den Duar der
+Uled Hassen, um bei seinem Freunde Abu Thaleb abzusteigen. Die
+Begleitung der Lella Mariam erregte natürlich das größte Aufsehen und im
+ganzen Zeltdorfe flüsterten die Frauen und jungen Mädchen über dieses
+Ereigniß und prophezeiheten eine baldige Hochzeit. Abu Thaleb, der, wie
+schon gesagt, nicht begütert war, besaß nur ein Zelt, aber durch eine
+Scheidewand von wollenen Stoffen war eine Abtheilung für seine Frau
+hergestellt und in diese begab sich sogleich Lella Mariam zur Mutter
+Aischa's.
+
+Sie fing damit an, von gleichgültigen Sachen zu sprechen und kam dann
+allmälig auf die Vorzüge ihres Sohnes; sie pries dessen Kraft und
+Schönheit, sie deutete an, daß er dereinst Kaid seiner Stämme werden
+würde, sie betonte, daß er von väterlicher Seite das Blut des Chalifen
+Omar, von mütterlicher das des Propheten habe und meinte schließlich,
+daß jedes Mädchen glücklich sein müsse, das er sich als Frau auserwählen
+würde. Sodann fügte sie noch hinzu, daß Aischa ein hübsches und
+tugendhaftes Mädchen sei, die wohl für Omar passen möchte. Aischa, wohl
+ahnend was kommen würde, war gleich im Anfange dem Zelte entschlüpft und
+hatte sich draußen etwas zu thun gemacht. Die Mutter Aischa's hingegen
+hatte nicht genug Lob für ihre Tochter, keine sei so schlau wie sie,
+keine verstehe so dauerhafte Haiks (Umschlagetücher) zu weben wie sie,
+keine verstehe die Kügelchen zum Kuskussu so fein zu reiben wie sie und
+ihre Keuschheit und Sittsamkeit sei über alles Lob erhaben; aber
+schließlich meinte auch sie, daß Aischa wohl für Omar passen würde.
+
+Als nach dem Abendessen, welches die beiden Männer gemeinsam eingenommen
+hatten, ein jeder sich mit seiner Frau allein befand,--Aischa selbst war
+für die Nacht zu einer Freundin gegangen,--erfuhren sie von ihren Frauen
+den Gedankenaustausch und Abu Ssalam beschloß nun, am anderen Morgen von
+Aischa's Vater ihre Hand für seinen Sohn zu verlangen. Ob Aischa
+einwilligen würde, daran dachte er wenig, zumal er nach seines Sohnes
+Worten vermuthen durfte, daß eine gegenseitige Neigung vorhanden sei.
+
+Da Kaid Abu Ssalam entschlossen, seinem Sohne (er hatte ja nur den
+einzigen) schon bei Lebzeiten einen Theil seiner Heerden abzutreten, so
+war er bald mit Aischa's Vater, dem Abu Thaleb, einig, er bezahlte ihm
+200 Duoros, also einen bedeutend höheren Preis[77], als sonst üblich
+ist. Es wurde außerdem festgesetzt, daß Aischa drei neue silberne
+Spangen (um das Gewand festzustecken), zwei silberne Armbänder, zwei
+silberne Fußringe, im Ganzen im Gewichte von fünf Pfund Silber, bekäme,
+daß sie zwei Sack Korn, eine neue große kupferne Gidra[78], einen
+Teppich von Arbat, im Werthe von 20 Duoros, ein neues Hemd, einen neuen
+Haik, ein neues seidenes Kopftuch und eine neue seidene Schürze als
+Aussteuer bekäme, daß endlich das Maulthier, auf dem sie hergeleitet
+würde, Eigenthum ihres Mannes bliebe. Es war also genau so viel der
+Braut an Gegenständen mitzugeben, als der Schwiegervater dem Abu Thaleb
+an Geld gezahlt hatte; einer alten Sitte gemäß hatte überdies Aischa
+noch für ihren Zukünftigen das Hemd selbst zu nähen, welches er am
+Hochzeitstage zu tragen hatte, auch eine rothe Mütze mußte sie ihm
+mitbringen, wofür der Bräutigam am Festtage der Braut einen silbernen
+Ring und eine Halsschnur von Bernstein überreichte.
+
+Nachdem die beiden Väter dieses unter sich abgemacht hatten, begaben
+sie sich zum Kadhi der Uled Hassan, wo alle diese Bestimmungen zu Papier
+gebracht und von Beiden unterzeichnet wurden; auch wurde der Tag der
+Heimführung der Braut, der Hochzeitstag, bestimmt und Alles dies durch
+ein gemeinsames Fötah (Segen, d.h. das erste Capitel des Koran wird
+gesprochen) besiegelt.
+
+Abu Ssalam mit seiner Ehehälfte zog sodann eiligst nach Hause, denn da
+die Hochzeit schon nach acht Tagen stattfinden sollte, mußten jetzt
+rasch die Vorbereitungen zur Festlichkeit gemacht werden. Es mußten die
+Einladungen ergehen an nahe wohnende Freunde, Geschenke für die
+Geistlichkeit mußten gemacht werden, damit diese den Segen Gottes auf
+das neue Ehepaar herabflehe, Lämmer und Ziegen mußten ausgesucht werden
+zum Schlachten, und Tag für Tag waren die Frauen der drei Duar
+beschäftigt, Kuskussukügelchen[79] zu rollen, denn Hunderte von Personen
+waren am Hochzeitstage zu bewirthen.
+
+So nahete der Tag. Einige Tage vorher saß Aischa schon mit umwickelten
+Händen und Füßen; denn während sonst die+ Frauen es für genügend halten,
+während einer Nacht, um eine rothe Färbung hervorzubringen, ihre
+Gliedmaßen in zerstampftes Hennahkraut einzuwickeln, hatte Aischa's
+Mutter, um eine recht rothe Farbe hervorzurufen, es für nothwendig
+gehalten, dies während mehrerer Tage hindurch zu thun. Ihre Augenlider
+wurden mit Kohöl geschwärzt, ebenso die Brauen, und auf ihre Stirn
+hatte ihre Mutter ihr ein reizendes Blümchen gezeichnet, während auf die
+Außenfläche der rothen Hand verschiedene schwarze Zickzacklinien gemalt
+wurden. Ihre Freundinnen und Gespielinnen waren alsdann behülflich, sie
+anzukleiden, nachdem Aischa im nahen Flusse ein Bad mit ihnen genommen
+hatte. Aber weniger prunkvoll, wie dies die Städterinnen zu thun
+pflegen, war das bald geschehen: ein seidenes Tuch um den Kopf
+geschlungen, nur mit Mühe das lange hervorquellende Haar zurückhaltend,
+welches sorgfältig gekämmt, geölt und geflochten war, ein neues Hemd,
+ein neuer weißer Haik, der über den Kopf und um den ganzen Leib
+geschlungen wurde, eine seidene Schürze von Fes, das war nebst rothen
+Pantöffelchen an den Füßen der ganze Anzug; denn Hosen, Westen, Kaftane
+und dergleichen Kleider, wie sie die Städterinnen in Fes, Mikenes oder
+einer anderen Stadt tragen, kennen die Töchter eines Zeltes nicht.
+Sodann wurde Aischa mit Rosenwasser übersprengt, mit Bochor und Djaui
+(Sandelholz und Weihrauch) durchräuchert und in die Kubba auf's
+Maulthier gesetzt.
+
+Unter Thränen hatte sie Abschied von ihrer Mutter und von ihren
+Freundinnen genommen, denn die Sitte erheischte, daß diese daheim
+blieben; nur die männliche Bevölkerung der Uled Hassan und zu beiden
+Seiten des Maulthieres zwei ehrwürdige Greise, ihr Vater und ihr Oheim
+väterlicher Seits, begleiteten sie. Früh aufgebrochen, waren sie schon
+Mittags Angesichts der drei Duar der Beni-Amer, und sobald der Zug
+sichtbar war, kamen sämmtliche Leute der Beni-Amer und viele Fremde der
+Umgegend, die Pferde hatten, auf sie losgesprengt und bewillkommneten
+die Braut durch Flintenschüsse. Der Bräutigam war aber nicht dabei.
+
+Im Duar des Bräutigams selbst angekommen, wurde sie sogleich nach dem
+Zelte ihrer Schwiegermutter geführt, und jetzt, unter lauter ihr fremden
+Frauen, zeigte sie sich zum ersten Male ihren neuen weiblichen
+Verwandten; denn wenn die Frauen des Zeltes auch nicht verschleiert
+sind, so war Aischa doch in der Kubba, d.h. in einer Art Käfig, der auf
+dem Maulthiere ruhte, hergekommen und war somit allen Blicken entzogen.
+Die Frauen verbringen jetzt die Zeit mit Essen und Trinken. Unterdeß
+haben sich aber auch die Männer versammelt, sie ziehen vor das Zelt des
+Bräutigams, der, in neue Gewänder gehüllt, heraustritt. Sein Kopf ist
+vollkommen mit einem Turban umwickelt, nur ein schmaler Spalt für die
+Augen ist gelassen. Man heißt ihn ein Pferd besteigen und sodann reiten
+Alle aus dem Duar heraus, um ein Lab, d.h. ein Wettrennen mit Schießen,
+abzuhalten. Der Bräutigam allein nimmt nicht Theil. Er hält gegenüber
+dem Zelte, wo man weiß, daß die Braut mit den übrigen alten und jungen
+Frauen sich aufhält, und nimmt so gewissermaßen Angesichts seiner Braut
+eine Parade ab. Weder kann er sie sehen, noch sie ihn, denn das Zelt ist
+bis auf einige Schlitze dicht zusammengezogen und sein Kopf ist
+verhüllt. Endlich ergreift, nachdem Alle schon mehrere Male das Pulver
+haben sprechen lassen, Omar ebenfalls eine Flinte, er schwingt sie um
+seinen Kopf, er saust davon, macht Kehrt, um im rasendsten Ritte auf's
+Zelt seiner Braut loszugehen, und angekommen, drückt er seine Flinte ab,
+schwenkt seitwärts, nachdem er noch die Flinte hoch in die Luft
+geschleudert und geschickt wieder aufgefangen hat.
+
+Es wird Abend und der Bräutigam wird nach seinem Zelte zurückgeführt.
+Nun beginnen allgemeine Schmausereien; aber die Frauen, immer in ihrer
+Mitte noch die Braut Aischa behaltend, setzen den Kampf gegen die
+Kuskussuschüsseln allein fort, frischen Muth dazu dann und wann durch
+eine Tasse stark mit Münze aromatisirten Thee's schlürfend. Die meisten
+Männer und Jünglinge essen im Freien, denn die Zelte bieten weder Raum
+noch Helligkeit, nur der Bräutigam bleibt allein. Es scheint sich ein
+wahrer Wettstreit unter den Gästen im Essen zu entwickeln; aber wenn man
+weiß, wie ausnahmsweise und selten in Marokko den Leuten die Gelegenheit
+geboten wird, Fleisch zu essen, so kann man sich vorstellen, wie es dann
+bei einem Mahle hergeht, wo Fleisch in Hülle und Fülle vorhanden ist und
+man seine Höflichkeit und Freude am besten dadurch kund zu geben meint,
+wenn man so viel ißt, als man überhaupt nur essen kann.
+
+Die Dunkelheit ist nun völlig hereingebrochen. Da sieht man plötzlich
+aus dem Zelte der Frauen einen Zug herauskommen, voran die Braut, sie
+allein verschleiert; ihr zur Seite gehen andere junge Mädchen, in der
+einen Hand eine Papierlaterne tragend, in der anderen ein mit
+Rosenwasser geschwängertes Tuch, womit sie der Braut wohlriechende Luft
+zuwehen; andere Frauen, und zwar zunächst die Schwiegermutter Lella
+Mariam, folgen, alle haben Laternen. Sie gehen auf das Zelt Omars zu,
+der fortwährend allein geblieben war, und da von der anderen Seite auch
+die Männer herbeigekommen waren, so ruft Abu Thaleb: "Omar ben Abu
+Ssalam, bist Du im Zelte, so erscheine und bezeuge im Namen des einigen
+Gottes, daß Du meine Tochter Aischa als Deine Frau aufnehmen und
+ernähren willst." Omar erschien und bezeugte es im Namen Gottes. Sodann
+ruft sein Vater: "Ich bezeuge im Namen des Höchsten, daß ich an Abu
+Thaleb 200 Duro gezahlt habe; hast Du sie bekommen, o Freund?"--"Mit
+Hülfe Gottes habe ich das Geld empfangen und laß Deinen Sohn morgen
+zeugen, ob die Morgengabe Aischa's richtig ist."--Darauf wurde das Fötah
+gebetet und die Mutter Omars, die Braut ihm zuschiebend, schlug das Zelt
+über Beide herab, und Omar und Aischa lagen einander in den Armen.
+
+Draußen wurden aber die Schwelgereien im Essen fortgesetzt. Kaid Abu
+Ssalam hatte Sänger und Lautenspieler kommen lassen, Tänzerinnen hatten
+sich eingestellt, kurz, es fehlte nichts einer, einem so reichen und
+mächtigen Kaid würdigen Hochzeitsfeier. Aber stürmischer Jubel brach
+los, als einige Zeit nachher Lella Mariam, die Mutter Omar's, die vor
+dem Zelte Platz genommen hatte, aufstand und ein Hemd, das der gewesenen
+Braut Aischa, durch die Luft schwenkte. Das Hemd enthielt Blutstropfen,
+Omar konnte also den sichtbaren Beweis der Jungfräulichkeit seiner Braut
+liefern und dieser mußte Allen, die an der Hochzeitsfeier Theil nahmen,
+gezeigt werden. Kann dieser nicht beigebracht werden, so ist überhaupt
+die Heirath, _wenn der Gatte will_, als nicht geschehen zu betrachten.
+
+Drei Tage dauerten diese Schmausereien, während welcher Zeit aber das
+junge Paar meistens allein blieb, um ganz das Glück der ersten Liebe zu
+genießen; vielleicht hätte auch Kaid Abu Ssalam die Festlichkeit noch
+länger ausgedehnt, da bei sehr reichen Familien acht Tage lang festirt
+wird, wenn nicht ein Ereigniß eingetreten wäre, das den Lustbarkeiten
+ein jähes Ende setzte.
+
+Wohl durch zu viele Arbeit, die der alte Omar, Vater Abu Thalebs, seinem
+Magen aufgebürdet hatte, vielleicht auch durch Uebermaß des sonst
+ungewohnten Fleischgenusses, erkrankte er und schon nach einigen Stunden
+hatte er aufgehört zu leben.
+
+Sobald man den Tod des alten Omar als sicher constatirt hatte, wurden
+alle alten Weiber vor sein Zelt beordert, um das Klagen und Weinen zu
+besorgen, während die Männer den noch warmen Leichnam wuschen,
+räucherten und in ein neues Stück Kattun einwickelten. Dies dauerte
+einige Stunden, sodann wurde eine Tragbahre geholt und der Verstorbene
+hinaufgelegt, denn bei den Zeltbewohnern herrscht die Sitte, den Todten
+in einen Sarg oder eine Truhe zu legen, nicht. Vier Männer bemächtigten
+sich der Bahre und sodann ging es fort in so schnellem Schritte, als
+man, ohne zu laufen, nur gehen konnte. Beständig wurde nach einförmiger
+Melodie gesungen: =Lah illaha Il Allaha=, und wenn dies etwa
+hundert Mal wiederholt worden war, bildete der Satz: =Mohammed ressul
+ul Lah= den Schluß, um aber gleich wieder von vorn anzufangen. Alle
+zwanzig Schritte lösten sich die Leute im Tragen ab, damit Jeder der
+Ehre, den Todten zur letzten Stätte zu tragen, theilhaftig werden könne.
+Nach dem Gottesacker der Beni-Amer, der ziemlich entfernt vom Duar
+gelegen war, waren aber schon vorher einige Leute geschickt worden, um
+die Gruft zu bereiten, und als der Trauerzug ankam, war Alles in
+Ordnung.
+
+Ein letztes Fötah wurde gebetet und die Sure: "Sag', Gott ist der
+Einzige und Ewige. Gott zeugt nicht und ist nicht gezeugt und kein
+Geschöpf gleicht ihm," wurde von allen Anwesenden gelesen[80] und darauf
+unter dem Ausrufe: "=Bism Allah=!" (im Namen Gottes) der Leichnam
+in die Gruft gelegt. Ein Jeder der Anwesenden warf eine Hand voll Sand
+auf den Körper und hierauf wurde durch Hacken die Grube schnell mit Erde
+gefüllt. Damit nicht etwa Hyänen das Grab eröffnen könnten, wurden
+sodann zum Schlusse schwere Steine über das Ganze gelegt. Zurück wurde
+der Weg eben so rasch und ebenfalls unter dem Gesange: "=Lah illaha Il
+Allaha=" gemacht. Acht Tage lang mußten außerdem Trauerweiber, die
+zum Theil bezahlt waren, klagen und weinen, die Männer aber gingen ihren
+gewöhnlichen Beschäftigungen nach, pflegten sich aber auch Abends beim
+Trauerzelte einzufinden, weniger um der Vorzüge und Tugenden zu
+gedenken, die der verstorbene Omar ben Edris gehabt haben sollte, als um
+an der Mahlzeit Theil zu nehmen, die sein Sohn während der achttägigen
+Klagezeit allen Mittrauernden spenden mußte. Die Trauer durch besondere
+Kleider, z.B. schwarze Gewänder, auszudrücken, ist aber bei den
+Zeltbewohnern so wenig Sitte, wie bei den mohammedanischen Städtern.
+
+Daß der Kaid der Uled Sidi Schich die Kränkung nicht ruhig hinnahm, weil
+man seine Tochter verschmäht hatte, versteht sich von selbst. Und so
+erschien er denn eines Tages mit zwanzig Reitern nach gefahrvollen
+Märschen; es gelang ihm auch, eine Nachts außengebliebene Heerde
+fortzutreiben. Doch die schnell aufgebotenen Beni-Amer, im Verein mit
+einigen Uled Hassan, ereilten die Räuber, ein kurzes Gefecht entspann
+sich, einige Kugeln wurden gewechselt. Die Uled Sidi Schich zogen
+natürlich den Kürzeren, im Triumphe wurde die geraubte Heerde
+zurückgebracht und seit der Zeit lebt Omar zufrieden und ruhig am Ued
+Ssebu, lebt wie sein Vater und seine Vorfahren gelebt hatten und wie
+seine Söhne und Nachkommen unwandelbar nach denselben Sitten und
+Gebräuchen weiter leben werden.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 66: Wie man bei uns sagt, er stammt aus einem großen Hause, so
+sagt man in Marokko min cheima kebira ("von einem großen Zelte").]
+
+[Footnote 67: In Marokko flechten und kämmen die Frauen und Mädchen ihr
+Haar keineswegs alle Tage, sondern nur bei festlichen Gelegenheiten.]
+
+[Footnote 68: Sidi ist der Titel des Großscherifs der heiligen Stadt
+Uesan.]
+
+[Footnote 69: Mohammed sagt im Koran: "Niemand trage seine Haare in
+Flechten bis zu den Schultern herab." Weil, S. 251.]
+
+[Footnote 70: Obschon es Mohammed ausdrücklich verboten ist, Staub aus
+dem Tempel von Mekka als Reliquie mitzunehmen, thun es die meisten
+marokkanischen Pilger doch.]
+
+[Footnote 71: Man sagt so, natürlich sind die Insassen des Zeltes
+gemeint.]
+
+[Footnote 72: Schreiber.]
+
+[Footnote 73: Plural von Thaleb.]
+
+[Footnote 74: In jedem marokkanischen Duar befindet sich ein Zelt, das
+zum Abhalten des freitäglichen Chothagebetes bestimmt ist und Situn el
+Djemma heißt; in der Regel dient es auch als Herberge für Fremde und
+heißt dann Situn el Diaf.]
+
+[Footnote 75: Wollenes Uebergewand.]
+
+[Footnote 76: In einzelnen Familien haben sich behufs der Beschneidung
+Steinmesser oder vielmehr scharfe Steinscherben vom Vater auf den Sohn
+vererbt und wahrscheinlich sind sie aus Arabien mit herübergebracht
+worden.]
+
+[Footnote 77: Der gewöhnliche Preis ist auf 60 französische Thaler, in
+Marokko Doro oder Duoro genannt, fixiert.]
+
+[Footnote 78: Kupferner Kessel.]
+
+[Footnote 79: Die Kuskussukügelchen aus Weizen- oder Gerstenmehl, auf
+einem Palm- oder Strohteller gerieben, sind von der Größe unserer
+Perlgrütze. Getrocknet halten sie sich monatelang, ja über ein Jahr. Man
+nimmt sie auch als Provision auf Reisen mit.]
+
+[Footnote 80: Der Araber braucht das Wort "ikra" er liest, nicht blos
+von der Handlung in unserem Sinne, d.h. wenn man aus einem Buche etwas
+abliest, sondern auch, wenn Jemand aus dem Koran oder sonst einem Buche
+ein Capitel hersagt.]
+
+
+Leipzig,
+
+Druck von Alexander Edelmann.
+
+
+
+
+
+
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+Erforschung Africa's., by Gerhard Rohlfs
+
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+works. See paragraph 1.E below.
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+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
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+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at https://pglaf.org
+
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+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit https://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including including checks, online payments and credit card
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+
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+works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
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+
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