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diff --git a/21115-h/21115-h.htm b/21115-h/21115-h.htm new file mode 100644 index 0000000..344da0c --- /dev/null +++ b/21115-h/21115-h.htm @@ -0,0 +1,2874 @@ + +<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 4.01 Transitional//EN"> +<html> +<head> +<title>Die Stufe</title> +<meta http-equiv = "Content-Type" content = "text/html; charset=UTF-8"> + + +<style type = "text/css"> + +body {margin-left: 10%; margin-right: 10%;} + +em {font-style: normal; letter-spacing: .2em;} + +hr {width: 80%; margin-top: 1em; margin-bottom: 1em;} + +h1, h2, h3, h4, h5, h6 {text-align: center; font-style: normal; +font-weight: normal; line-height: 1.5; margin-top: .5em; +margin-bottom: .5em;} + +h1 {font-size: 250%; letter-spacing: .25em;} +h2 {font-size: 200%; letter-spacing: .25em;} +h3 {font-size: 150%; letter-spacing: .25em;} +h4 {font-size: 120%;} +h5 {font-size: 100%;} +h5.extended {letter-spacing: .25em;} +h5.spaced {letter-spacing: 2em;} +h6 {font-size: 85%;} + +div.poem {margin-left: 4em; margin-top: .5em;} + +p {margin-top: .5em; margin-bottom: 0em; line-height: 1.2;} +p.illustration {text-align: center; margin: 1em;} +p.intro {margin: 4em;} +p.letterhead {margin-top: 3em; margin-bottom: 1em;} +p.subhead {margin-top: 2em; margin-bottom: 1em;} +p.signature {text-align: right; padding-right: 2em;} + +div.poem p {margin-left: 2em; text-indent: -2em; font-size: 92%; +margin-top: 0em;} + +/* tables */ + +table {margin-left: auto; margin-right: auto; margin-top: 1em; +margin-bottom: 1em;} +table.signature {margin-right: 0em; margin-top: 0em; margin-bottom: 0em;} + +td {vertical-align: top; text-align: left; padding: .1em 1em .1em 0em;} +table.signature p {text-align: center;} + + +/* my additions */ + +/* correction popup */ + +ins.correction {text-decoration: none; border-bottom: thin dotted red;} + +.pagenum {position: absolute; right: 2%; font-size: 90%; +font-weight: normal; font-style: normal; text-align: right; +text-indent: 0em;} + +p.mynote {background-color: #DDE; color: #000; padding: 1em; +margin: 1em 5%; font-family: sans-serif; font-size: 90%;} + +</style> +</head> + +<body> + + +<pre> + +The Project Gutenberg EBook of Die Stufe, by Franziska Mann + +This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with +almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Die Stufe + Fragment einer Liebe + +Author: Franziska Mann + +Release Date: April 17, 2007 [EBook #21115] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE STUFE *** + + + + +Produced by Louise Hope, Norbert H. Langkau and the Online +Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net + + + + + + +</pre> + + +<p class = "mynote"> +Einige Druckfehler sind korrigiert und mit <ins class = "correction" +title = "wie so">popups</ins> notiert.</p> + +<p> <br> </p> + +<h3>Franziska Mann</h3> + +<h2>Die Stufe</h2> + +<h5>Fragment einer Liebe</h5> + +<p> <br> </p> + +<p class = "illustration"> +<img src = "images/publogo.gif" width = "91" height = "103" +alt = "Verlagssymbol"> +</p> + +<hr> + +<h5 class = "extended">Im Mosaik Verlag zu Berlin</h5> + +<h5 class = "spaced"> 1922</h5> + +<p> <br> </p> + +<h5 class = "extended">Mosaik-Bücher * Band 3</h5> + +<p> <br> </p> + +<p class = "intro"> +Dieses Buch wurde für die<em> Mosaik Verlag</em> G.m.b.H. bei Gebrüder +Rennert in Berlin gedruckt. Einband und Druckanordnung von Erich +Büttner. Die Verse im Text sind von L. Avellis. Alle Rechte, +insbesondere das der Uebersetzung und Verfilmung vorbehalten. Copyright +by Mosaik Verlag G.m.b.H., Berlin W. 50. 1922.</p> + + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">3</span> +<a name = "brief1" id = "brief1"> +<em>Maria an Roland.</em></a></p> + + +<p>Roland, sind Sie leichtsinnig! Laufen Sie lieber vor mir davon. Oder +ist Leichtsinn immer eine Krankheit — chronisch bei den einen, +akuter Natur bei den anderen? Nicht nur einfach abzuschütteln —, +Heilbarkeit unsicher? Noch ist es Zeit! Ich warne Sie! Verpassen Sie +nicht den rechten Augenblick zur Flucht. Sie sind fünfundzwanzig Mal im +Laufe der Jahre am zehnten Mai vorübergeschritten, ich an diesem +Frühlingstage, der auch mich die Reise ins Leben beginnen ließ, +zweiundvierzig Mal. Es bleibt eine gewagte Angelegenheit, schön und +gefährlich, dieses „die Seelen sind von keinem Alter.“ Sehen Sie sich +lieber die blonden und die braunen Mädel an, deren gibt es so viele.</p> + +<p>Und doch möchte ich Ihnen helfen. Sie brauchen einen<em> +Menschen</em>. Ich könnte der rechte Mensch für Sie sein. Nur dürfen Sie +nicht an Liebe denken; sie verwirrt immer, sie würde alles +verderben. —</p> + +<span class = "pagenum">4</span> +<p>Nach allgemeinen Begriffen weiß ich wenig von Ihnen. Aber nie war ich +begierig, Menschen, an die mich ein seelisches Fluidum zu binden begann, +in hergebrachter Form<em> kennen</em> zu lernen. Genießen wollte ich +einen Blick, eine Stimme, den leisen Druck einer Hand. Ganz nur +Gegenwart sollte mich umfangen, beleben, vielleicht auch berauschen, +aber kennen? Nein, kennen ist drohender Alltag. Ich will meine +Viertelstunde, unbekümmert um alles Gewesene. (Solch eine Viertelstunde +kann lange währen, sie wird nach besonderem Maß gemessen.) Die nach mir +kommen, mögen die ihre haben. Verstehen Sie das? Treu bin ich nicht, +habe nie treu in hergebrachter Vorstellung sein wollen. Freunde, welche +unbewegliches Festhalten brauchen, sind neben mir zu beklagen. Für mein +Empfinden gibt es Wertvolleres als starres Beharren. Glauben Sie, +Roland: Alles hat seine Zeit. —</p> + +<p>Allmählich bin ich so etwas wie eine Seelensucherin geworden. Weiß +selbst nicht, wie es gekommen ist. Nie habe ich diese Eigenart — +oder darf ich sagen dieses Talent? — absichtlich in mir +gesteigert, habe nie aufgehört, sie als Begnadung zu empfinden. Manchem +wurde ich zur Lebenswende, zur Stufe in freiere, befreite Welten. Für +das Glück der Vielen war ich nie geschaffen. Vielleicht vermochte ich +Einigen die Kraft zur Einsamkeit zu stärken; vielleicht lehrte ich +Einige sich selbst kennen zu lernen, half ihnen, eine andere +Lebensresonanz zu erlauschen. Ich vergaß nie, daß ich nicht mehr werden +konnte als ein Mörtelträger: sein Schloß kann sich jeder nur allein +errichten, seinen Tempel oder sein Alltagshaus. —</p> + +<p>Immer bin ich mir klar gewesen, nicht auf das +Beieinander<em>bleiben</em> +<span class = "pagenum">5</span> +kommt es an, sondern auf die Spuren, die wir in fremder Seele +zurückzulassen vermögen. Das nenne ich Treue, ist<em> mir</em> Treue. +Und doch habe ich manchem etwas fürs Leben zu geben gehabt. Ich weiß, +daß das einzig Sichere der Wandel ist; nie habe ich jemanden halten +wollen; meist war ich es wohl, die fort war, innerlich schon ein wenig +entfernt, bevor der andere es entdeckte. Doch nicht stets schritt ich +nur aus Menschenliebe weiter, so selbstlos war ich nicht; oft lockte +mich schon leise, ganz leise, eine fremde Seele. Mit ihr mich zu +vereinen, trieb es mein Herz; denn immer hat auch mein Herz seinen +Anteil haben wollen. Durch wunderbare Gefilde bin ich geschritten, +— frei und doch gefesselt. Nein, ich hätte nicht immer nur +denselben Garten durchwandeln können. Ich liebte es, Neuland zu +entdecken. Dort, wo viele nur kahles Feld sahen, ahnte ich bereits +wogendes Blühen. Ohne Mühe neigten sich mir tausend — den Vielen +nicht sichtbare — Herrlichkeiten entgegen. —</p> + +<p>So einfach, Roland, dürfen Sie sich nun aber nicht das Wiederlösen +vorstellen. Man muß Schmerzen lautlos zu tragen vermögen, muß sinnend +nachschauen können, muß die zuckenden Lippen fest aufeinander zu pressen +lernen; man muß zuletzt<em> ertragen</em> können, wozu anfangs durchaus +keine Tragfähigkeit notwendig dünkte. Gerade Ihnen möchte ich meine +Vereinigung mit den Vielen — jenen seltsamen Zwang, der mir Fremde +leicht in die Nächsten wandelt — ohne Gefallsucht deuten, jene +Augenblicke, in denen ich glaube, nicht mehr zurückweichen zu können, +obgleich nichts Sichtbares, nicht das geringste äußerlich Bindende mich +hält. Und doch habe ich mich oft, (oder soll ich sagen<em> zu</em> oft?) +gerade in dieser Form fesseln +<span class = "pagenum">6</span> +lassen; denn ein Gefesseltsein gehört zu jener Hingabe, die auch von +Glut durchpulst sein muß, wenn sie vollkommen schön sein soll. Aber ich +zergliedere nicht, sobald meine Seele sich an eine fremde Seele schmiegt +— das schlösse von Beginn an jede Unbefangenheit aus. Ich möchte +von einem unstillbaren Hang zur Verschwendung sprechen, unheilbar und +unhemmbar. Mir geht es wie dem Künstler, der sich in immer neue Gebilde +verliert, die seine schaffenstrunkene Phantasie formt. Kommt doch auch +für ihn so überraschend schnell eine Zeit, in der er ohne Extase vor +einer Schöpfung steht, die einmal Inhalt all seines Denkens und Fühlens +<ins class = "correction" title = "Original hat »gewsen«">gewesen</ins> +ist. Ihm selbst unergründliche Gewalten reißen ihn zu neuen Schöpfungen, +in deren Bann er sich wehrlos verlieren muß. —</p> + +<p>Dies alles aber berührt nicht das Bestehen von Vereinigungen festen +und dauernden Gepräges. In diesen Freundschaften nimmt man sich hin, wie +man ist, geheimnist nichts ineinander hinein, vergleicht nicht mit +erträumter Vollkommenheit, ruht aus in mitfühlender Innigkeit, erwartet +nicht letztes Verstehen und genießt doch ein schönes Beglücktsein in +dieser Freunde Nähe. Im geheimen aber schämen wir uns vor ihnen der +Hoffnungen, die nie sterben wollen, des Durstes nach dem Unbekannten, +des immer Bereitbleibens, weiter in nebelverhangene Lande zu wandern. +Erst der Tod kann uns von diesen Freunden trennen, nie das Leben. Nur +den Wunsch nach Hingerissenheit können sie uns in dem gleichförmigen, +wenn auch gesünderem Tale, in dem sie leben, nicht erfüllen.<em> +Sie</em> belächeln unsere Himmelsträume, soweit sie sie zu ahnen +vermögen. Stürme, die kräftiges, neues Werden künden, kennen<em> +sie</em> nicht.</p> + +<span class = "pagenum">7</span> +<p>Gelänge es mir doch, Ihnen diese scheinbare Erkaltung, von der ich +vorher schrieb, diese Zwiespältigkeit meines Fühlens, dieses gefaßt dem +Wandel Entgegengehen verständlich zu machen. Mich dünkt, als wollte +selbst die weite Natur nicht unveränderliches Beharren. Sie bereichert, +auch wenn sie scheinbar verarmt; ihre Gesetzmäßigkeit ist’s ja auch, die +uns zuweilen wie Grausamkeit erscheinen kann; denn Wachstum wehrt sich +gegen kraftlos Gewordenes; es stößt Welkendes ab, mögen wir es auch in +leiser Wehmut fallen sehen. Nur die Gewißheit ersiegen wir uns +schließlich doch: nichts von allem früheren, das uns einst kostbar +dünkte, kann jemals wieder ganz verloren gehen. Ein Schimmer bleibt und +beglückt und kann aufleuchten wie in den Augenblicken, da wir die lange +schon Entfernten, die Weitergewanderten, die von uns Zurückgelassenen +oder die über uns Hinfortgestiegenen am stärksten zu lieben +glaubten. —</p> + +<p>Roland, haben Sie immer noch Mut zu mir? Wären Sie doch ein +weibliches Wesen, dann beunruhigte mich nicht der Gedanke, Sie könnten +sich tief in mich versenken. Gestern irrte sekundenlang ein Fremdes +durch Ihren Blick; dieses Fremden halber erhalten Sie heute statt der +gewohnten Zettel einen so langen Brief, lieber großer Junge, von</p> + +<p class = "signature"> +Ihrer Mutter.</p> + + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">8</span> +<a name = "brief2" id = "brief2"> +<em>Roland an Maria.</em></a></p> + + +<p>Liebe Frau Maria, doch, ich habe Mut. Wie immer es auch kommen mag! +Sie lächeln: „Kommen mag?“ Was sollte zwischen Ihnen und mir, der immer +nur Einer zwischen Vielen war, kommen? Nichts an mir berechtigte je zu +besonderen Hoffnungen, eher wohl zu besonderen Sorgen. Da waren meine +fünf Brüder ganz andere Kerle, begabt und draufgängerisch. Die erste Tat +in meinem ganzen Leben ist der Besuch bei Ihnen gewesen; ja,<em> +Tat</em> muß ich es nennen. Unbeirrbar, ohne Zögern nahm ich den Weg, +der an Ihre Schwelle führte. Jeden Tag bin ich wiedergekommen, bewußt +wiedergekommen, weil ich entschlossen bin, meine Seligkeit festzuhalten; +Seligkeit, auch wenn sie mich vernichtet.</p> + +<p>Immer kann ich noch bis drei Uhr der schweigsame Bankbuchhalter sein, +genau bis drei Uhr. Aber dann? Sagen Sie, was bin ich dann?</p> + +<p>Oberflächlich, nur ganz oberflächlich, möchte ich Ihnen doch endlich +schnell etwas von meinem Werdegang, der nie ein richtiger Werdegang +wurde, sagen. Die Stunde neben Ihnen ist zu schade, Sie von der einzigen +Kunst zu unterrichten, die ich bisher verstand, von der: klein zu +bleiben. —</p> + +<p>Meine Eltern sind froh gewesen, als ich mit dem Reifezeugnis nach +Hause kam. Ohne dieses Zeugnis hätte mein Vater mir unter keiner +Bedingung irgend welche Lebenstüchtigkeit zugetraut. Alles, was nicht +zu<em> der</em> Reife gehörte, machte einen Jungen in unserer kleinen +Stadt lächerlich und mußte im Geheimen betrieben werden. So wurde jeder +Gedanke in +<span class = "pagenum">9</span> +glatte Alltagsbahnen gepreßt. Niemand um mich sprach Silben, die nicht +deutlich, fest und bestimmt ausdrückten, was sie ausdrücken sollten. +Kein Wort hörte ich, das zu den Sternen wollte. Ich wurde nicht bleich, +nicht schwermütig, — nur alltäglich.</p> + +<p>Das Gefürchtetste bei uns bestand darin, sich irgendwie hervorzutun. +Dazu genügte schon ein Hut, welcher anders war, als die Hüte der +Mehrzahl; überhaupt hatten wir immer nur wie die Mehrzahl zu sein. +Ausnahmegesetze erkannte mein Vater nicht an. Nie hat, so sehe ich es +jetzt, ein frischer Wind durch unsere kleine Stadt geweht, der ihre +heilige Ordnung hätte bedrohen können. Unantastbar blieb der Glaube an +die Autorität, besonders an die Autorität der Gesellschaft. Mir fehlte, +— Bismarck rügte es treffend an fast all seinen Zeitgenossen: +Zivilcourage. In den wenigen Monaten hier habe ich endlich erkannt, daß +in der Wissenschaft, in der Kunst<em> der</em> sehr viel weniger gilt, +der Besonderes zuerst sagte, als<em> der</em>, welcher sich als Erster +mutig Gehör zu schaffen verstand, und so weiß ich nicht mehr mit +Bestimmtheit, ob sich unter meiner Gebundenheit nicht doch etwas regen +könnte, das mich wenigstens, — verstehen Sie dieses „wenigstens“ +nicht falsch — Ihnen näher bringen könnte. —</p> + +<p>„Zivilcourage“ rufe ich mir also zu und berichte weiter: Verse, die +ich heimlich, als ich noch zur Schule ging, mit Leidenschaft +niederschrieb, hatten meinen Ruf nicht einwandfrei gemacht. Ich sollte +ein Schwärmer sein, ein Träumer, war vielleicht schon auf denselben +Abwegen wie mein Großvater, der — Mutter vertraute es mir +feierlich und warnend und weinend +<span class = "pagenum">10</span> +an — hinterm Zaum auf der Landstraße zugrunde gegangen ist. Immer +wurde mir der Großvater als warnendes Beispiel vorgeführt, nie aber +erfuhr ich deutlich, worin seine Laster eigentlich bestanden haben. +— Zwei Tage hindurch wagte ich einmal einen geschlungenen +Künstlerschlips zu tragen. Das Halloh, mit dem mich Groß und Klein +anbrüllte, ließ mehr als nur den Schlips verschwinden; es duckte mich +klaftertief. — Bis zum Tode meines Vaters blieb ich in unserer +Kleinstadt, in der Mühle, die langsam das zerrieb, aus dem ich, wäre man +barmherziger damit verfahren, vielleicht ein wirkliches Leben hätte +formen können. — Hier die wenigen Monate duldeten bisher kein +Umschauen. Ich habe mich zu ernähren, habe mich Aufgaben zu widmen, die, +weiß der Himmel, nicht großartige sind. —</p> + +<p>Vielleicht sahen Sie, als Sie mich vor zwei Wochen Ihrer Beachtung +würdigten, den Früheren in mir, den Anderen, nicht<em> nur</em> den +simplen Bankbuchhalter. —</p> + +<p>Ich soll jung sein, meinen die Leute; auch Sie sagten es, Frau Maria; +also müßte es wahr sein. Aber sind<em> Sie</em> nicht viel jünger? Sie +haben sich Ihren Glauben an alles Hohe, Ihre Begeisterung für alles +Schöne durch ein gewiß nicht leichtes Leben bewahrt. Wie konnten Sie +das? Ich dagegen? Vielleicht bin ich nie jung gewesen, nie so jung, wie +Sie heute, wenngleich es mir jetzt so leicht erscheint, mit Ihnen die +Fahrt ins Jugendland zu beginnen. Nein, ich<em> begann</em> diese Fahrt +nie; gleich die erste Stunde allein neben Ihnen, Frau Maria, in Ihrem +Heim, erweckte in mir den Wahn, Kühnheit habe von jeher auch mich +ausgezeichnet. So selbstverständlich wird durch Ihre Nähe alles +gesteigert.</p> + +<span class = "pagenum">11</span> +<p>Sie werden zu verstehen versuchen, wie es gekommen ist, daß ich mich +so früh mit einem ungelebten Leben abfand. Vererbung, Erziehung, +Lebensumstände mögen die Sklavenhalter gewesen sein, die gelassen zu +Tode peitschen wollten, was nicht stark genug in mir war, sich jubelnd +aus der kläglichen Gebundenheit zu befreien. Noch kann ich nicht +erkennen, wohin mich die Befreiung führen soll, ob sie erheben oder +vernichten will; jetzt aber, in diesen leuchtenden Tagen, erfüllt sie +mich mit nie gekannter Freude.</p> + +<p>Sie wünschen keine Liebe, Frau Maria; die meine ist bereits zu groß, +um sie Ihnen verheimlichen zu können.<em> Sie</em> sind so oft in Ihrem +Leben geliebt worden, Sie haben so oft selbst geliebt, daß Sie ein +Gefühl nicht erschrecken wird, von dessen Sterblichkeit Sie, wie Sie mir +versicherten, überzeugt sind. Ich muß Ihnen glauben; denn ich kannte +Liebe nicht. Mir aber bleibt dieses Gefühl für Sie das Wunder, von dem +ich weiß, daß es mich zu großen Taten befähigen<em> muß</em>. Welcher +Art diese Taten sein können, — in wie hohem Grade überflüssig für +die Welt, und wie zwingend ihre Ausübung für mich, — wir wollen es +nicht zu ergrübeln versuchen. Lassen Sie dieses „wir“ gelten; denn, Frau +Maria, mögen Sie auch getreu Ihrer Auffassung von Liebe und Freundschaft +und Neubelebung nicht gerade neben mir zu ungewohnt langem Harren +gezwungen werden: zu früh dürfen Sie Ihren Jünger nicht zum +Alleinweiterwandern verurteilen. Nein, das können Sie nicht, auch wenn +Sie es wollten.</p> + +<p>Viele Briefe werde ich Ihnen noch schreiben dürfen, viele noch von +Ihnen empfangen, und die Tür zu Ihrem Zimmer wird sich mir lange noch +täglich für eine Abendstunde öffnen. —</p> + +<span class = "pagenum">12</span> +<p>Entdeckte ich doch eine schönere Ausdrucksform für das zitternde +Empfinden, das mich, seitdem ich nur an Sie zu denken vermag, +durchströmt! Diese eckigen, armseligen Worte mißfallen mir +gründlich.</p> + +<p>Viel tausend Grüße sendet Ihnen</p> + +<table class = "signature"> +<tr> +<td> +<p>Ihr törichter Junge</p> +<p>Roland.</p> +</td> +</tr> +</table> + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">13</span> +<a name = "brief3" id = "brief3"> +<em>Maria an Roland.</em></a></p> + + +<p>Roland, langsam, wie werdender Frühling, vollzieht sich oft die +Vereinigung von Seelen, aber das Schicksal jagt auch Menschen so rasch +zueinander, wie zwei Blätter, die der Sturm von entfernten Bäumen riß, +um sie dann in dieselbe winzige Erdfurche zu wehen, auf ein so kleines +Fleckchen Erde, als sei nirgends sonst Raum gerade für diese beiden.<em> +Wir</em> sind wohl dem letzten Tempo untertan. Wir! Verstehen Sie nur +dieses „wir“ nicht falsch. Sehen Sie es nicht als ewig Bindendes an; +immer wieder möchte ich es Ihnen wiederholen. Zwar sagten Sie mir: „Auch +die Schmerzen, die mir durch Sie kommen, will ich segnen.“ Aber, großes +Kind, Schmerzen sind schwer, ach, sehr schwer zu segnen. Deshalb +erinnere ich wieder und wieder an mein erstes Warnen und an — +meine Jahre. Trotzdem kann ich nicht das „wir“ streichen, gehören ja +auch Sie zu jener kleinen Schar, für die das Dasein anders gefärbt ist, +wie für jene, die in die Welt passen, wie für die Urgesunden, die +unserem feinsten Fühlen fremd und überlegen lächelnd gegenüberstehen. +Aus der Vereinzelung will ich Sie erlösen, die Einsamkeit für Sie +fruchtbar machen.<em> Mehr</em> will ich nicht. Glauben Sie mir, immer +wird es Menschen geben, die sich wie durch graue Fluten bewegen. Musik +erfüllt sie, doch sie empfinden sie wie Dissonanzen. Harmonien erklingen +ihnen kaum, weil sie tastend vor allem zurückweichen, was so anders, so +ganz anders in ihnen schluchzt und klagt und frohlockt, als das Glück +der Vielen. Und aus der Entsagung, die sich langsam in sie schleicht, +wird Erstarrung oder Verbitterung. +<span class = "pagenum">14</span> +Sie wissen nichts von Leidensgenossen; sie kennen<em> nicht</em> sich +selbst oder<em> nur</em> sich selbst. All ihr schmerzliches Fragen +verhallt ins Leere, bis ein Wunder geschieht: Eine Seele erschließt sich +der ihren. Dann aber werden aus allen verirrten Klängen köstliche +Melodien. Die grauen Flächen um sie verwandeln sich in schimmernde +Fluten. Brennende Blutwellen steigen in ihnen empor, röten ihre Wangen, +stiller Jubel umfängt sie, ein Fremdes durchdringt sie, von dem sie +nicht wissen, ist es Schmerz oder Wonne. In Dämmerferne tauchen für sie +lichte Türme empor. —</p> + +<p>Lieber Junge, ähnlich einem Windhauch, der über stilles Wasser +streicht, so möchte ich zu Ihnen gekommen sein, oder wie ein +Silberschein, der über dunklem Gebirge schimmert. Schließen Sie die +Augen, und erkennen Sie,<em> wovon</em> wir leben in all dem Geräusch +von Komödien jeglicher Art.</p> + +<p class = "signature"> +Maria.</p> + + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">15</span> +<a name = "brief4" id = "brief4"> +<em><ins class = "correction" title = +"Original hat »Maria an Roland«">Roland an Maria.</ins></em></a></p> + + +<p>Teure Frau Maria, ich kann es nicht mehr ändern, daß mein ganzes Sein +Ihnen gehört, in jeder Minute, in jeder Regung, in jedem Empfinden. Nur +das schwingt in mir weiter, was mit Ihnen im Zusammenhang steht;<em> +Sie</em> nur kann ich fühlen, nur die Wärme, die Ihre Seele ausströmt +und entfacht.</p> + +<p>Sie sind, während ich fern von Ihnen bin, mit so vielen Menschen +zusammen, und mit allen sind Sie gütig, und Ihre Stimme klingt mit jenen +kaum anders als mit mir. Ich aber habe nur Sie, Maria. Sie wissen ja +nicht, was es in sich schließt, dieses: „nur Sie“, was es bedeutet, nur +einen einzigen Menschen zu haben. Ihre Stimme ist die erste<em> +menschliche</em> Stimme gewesen, die ich in meinem Alleinsein je +vernommen habe: Verschollene Möglichkeiten aus den Tagen meiner Kindheit +richten sich auf, Möglichkeiten, die meinem Gedächtnis vollständig +entschwunden waren. Wollte auch ich einst großen Zielen zuwandern, und +konnte doch so rasch am Wege zusammenbrechen? Heute ist mir jeder Nerv +kraftgestählt.<em> Sie</em> haben diese Kraft geweckt, also sind<em> +Sie</em> es, die mich geschaffen hat. Ist es nicht natürlich, daß am +Anfang das Geschöpf nur von seinem Schöpfer weiß?</p> + +<p>Frau Maria, erkennen Sie in mir Ihren Schüler; denn wie käme<em> +mir</em> sonst dieses „am Anfang“ in den Sinn, mir, dem allein die +Vorstellung an einen Wandel Lästerung dünken müßte? Der erste Beweis +meines Werdens kann nichts als — Auflehnung sein. Genügt Ihnen die +Probe? Mögen Sie es hundertmal verneinen: es<em> muß</em> eine Liebe +geben, für die es kein +<span class = "pagenum">16</span> +„am Anfang“ gibt und kein „am Ende.“ Auf<em> den</em> Jugendglauben +mache ich Anspruch. Ja, ich behaupte: All Ihr Liebesfühlen entbehrte +unantastbarer Echtheit; denn nur, wenn Menschen alles vergessen müssen, +was die Ewigkeit ihrer Liebe bedroht, ist ihre Liebe echt, ich meine, +unveränderlich wie ein echter Edelstein.<em> Sie</em> haben nie alles +vergessen wollen oder vergessen können, das hat Ihr Lieben beraubt. Sind +Sie denn nie von der Leidenschaft zu einem Menschen besessen worden wie +der Märtyrer von seiner Idee, auch wenn deren Verwirklichung ihn mit +Sicherheit aufs Schaffot führen mußte, sicher und gewiß auf den +Scheiterhaufen?</p> + +<p>Ich bettle nicht. Meine Seele ist still, weil es keine Grenzen für +die Stärke ihrer Liebe gibt. Ich werde Sie gewinnen, ganz mir gewinnen, +Maria, liebste aller Frauen.</p> + + +<p class = "signature"> +Ihr, Ihr Roland.</p> + + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">17</span> +<a name = "brief5" id = "brief5"> +<em>Maria an Roland.</em></a></p> + + +<p>Unverbesserlicher, was wollen Sie mit mir „für Zeit und Ewigkeit“ +anfangen? Erinnern Sie sich an das Entsetzen Ihrer früheren Mitbürger +über Ihre „Abwege“. Und auch andere werden Sie nicht verstehen. +Vielleicht werden Sie selbst sich in zehn Jahren unbegreiflich geworden +sein. Nein! Sie und ich! Die Natur kann Ihr Herz für mich nicht +gebieterisch dauernd entflammen. Aber — hören Sie mein Bekenntnis: +Ich muß auf der Hut sein, mich von<em> Ihren</em> Irrungen nicht locken +zu lassen, obwohl ich zu ahnen beginne, daß die herrschende Sitte +verantwortlicher für unsere Unvereinbarkeit zu machen sein könnte als +die Natur, deren Walten wohl auch zwischen uns „von Gottes Gnaden“ +ist.</p> + +<p>Wenn Liebe die größte Steigerung der in uns ruhenden Kräfte und +Möglichkeiten schafft, dann — erwidere ich Ihre Liebe. Ich sage +Ihnen dies ganz ruhig, nur wie die Feststellung einer Tatsache. Hoffen +Sie nicht, daß ich mich Ihnen wie eine Lebensanfängerin in die Arme +stürzen werde. Nein, an Ihnen vorbei will ich mich<em> noch</em> +tiefer,<em> noch</em> restloser meiner Kunst hingeben. —</p> + +<p>Aber sprechen wir von etwas anderem, sprechen wir von Ihrer „Rüge“. +Ja, im Fache: „briefliche Fragen beantworten“ hat meine Zensur immer +„mangelhaft“ lauten müssen. Ich weiß es. Zwischen uns dürfte wohl das +tägliche Sehen als Milderungsgrund mit in Betracht zu ziehen sein. Eine +Stunde täglich! Ist das nicht unerlaubter Reichtum? In mir wird die +Neigung, mich in Briefen zu erschließen, besonders durch den noch +<span class = "pagenum">18</span> +nicht verflogenen Hauch der persönlichen Nähe des mir teuren Menschen +gesteigert. Nun sind Sie also dieser „Teure“ für unbestimmte Zeit. +Genügt Ihnen das? Sie Unerfahrener wissen eben nicht, wie rasch ein +neues Erlebnis Sie von mir wegtreiben könnte. Ihrer ungelebten +Vergangenheit traue ich nicht. Sie müssen nun doch erkannt haben: das +Leben ist voller Verborgenheiten.<em> Ich</em> wäre ohne diese +Verborgenheiten verschmachtet. Auch Sie werden zu lauschen beginnen, +ohne zu wissen, worauf Sie lauschen. Der Strom, in den unser Fühlen und +Denken gleiten kann, liegt vor uns selbst in Dunkelheit. Mit dieser +schönen Unsicherheit — oder ist sie doch vielleicht nicht schön? +— sollte jeder Mensch rechnen, der das beseelte Leben liebt, nicht +nur der Künstler, dem jede Stunde neue Empfängnis aus unerforschten <ins +class = "correction" title = "Original hat »Gründe«">Gründen</ins> +zufluten lassen kann.</p> + +<p>Schon oft habe ich Sie bedauert, daß Ihre erste Liebe gerade mir +gilt; denn unerbittlich muß ich zu Zeiten meiner künstlerischen +Bestimmung gehorchen. (Sie ist nur<em> einer</em> der vielen Gründe, die +Ihre Liebe zu einer unglücklichen machen muß.) Ich<em> kann</em> dann +nicht fragen, tue ich Ihnen oder anderen Menschen, die zu mir gehören, +wehe. Alles sonst Wesentliche scheint ausgelöscht, wenn auch ein helles +Erinnern unbewußt durch mein Werk fließen kann. Kann! — hören Sie? +— kann, nicht muß. Des Künstlers Reich ist wahrlich nicht von +dieser Welt. Einer unnennbaren Gewalt hat er sich zu beugen, den +Ueberraschungen einer elementaren Kraft sich hinzugeben, von der er +nicht weiß, wohin sie ihn zwingen kann. Im Schaffensdrang betrügt er +seine Nächsten. Nein, er betrügt sie nicht; denn er weiß nichts mehr von +ihnen, sobald er sich ganz in seine Kunst verliert, sobald er sich von +ihr willig +<span class = "pagenum">19</span> +und freudig umschlingen läßt. Nur während der Pausen, in denen er diesen +Schaffensrausch für erstorben und erstickt hält, vermag er mit den +anderen Schritt zu halten, die besser, viel besser sein können als er, +die er lieben und bewundern mag, und von denen ihn doch sein Anderssein +trennt, vor denen er oft geradezu auf der Flucht sein muß, wenn er<em> +sich</em> bewahren will. Was bedeutet dagegen körperliche Hingabe? Sie +kann die Verirrung einer Stunde sein. Wir Künstler, wir, die wir +eigentlich nur leben, solange wir maßlos in unserem Empfinden schwelgen, +sind die gefährlichsten Täuscher. In jedem Dunkel können für<em> +uns</em> Funken flammen, die uns zu Lichtstegen gen Himmel werden. Daß +diese Lichtbahnen immer wieder zu Boden sinken müssen, verringert ihre +Schönheit nicht. — Könnten doch auch Sie, Roland, diese Lichtstege +gewahren!</p> + +<p>Seit gestern nenne ich Sie im stillen nur noch: Meine Ueberraschung! +Leicht zu deuten, nicht wahr? In jedem Ihrer letzten Briefe, in jeder +unserer Stunden lösen Sie mit überraschender Natürlichkeit, mit +sprunghafter Schnelle das, was Sie neulich Ihre „Gebundenheit“ nannten. +Frei von gewollter Anempfindung wird Ihre Ausdrucksform der meinen +seltsam ähnlich, und doch gleiten Sie überraschend leicht und mühelos in +geistige Selbständigkeit hinein. Ohne heroisches Kämpfen stehen Sie +plötzlich am anderen Ufer. Ich muß also anfangen, bei Ihnen schon jetzt +mit unvorherzusehender Unerschrockenheit zu rechnen. „Meine +Ueberraschung“ nenne ich Sie aber auch deshalb, vielleicht mit noch viel +größerer Berechtigung, seitdem ich fühle, daß eine höchst +unwahrscheinliche Veränderung in raschestem Tempo auch — mich +bedroht.</p> + +<p class = "signature"> +Maria.</p> + + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">20</span> +<a name = "brief6" id = "brief6"> +<em>Roland an Maria.</em></a></p> + + +<p>Maria, aller Frauen liebste, ich verstehe, was Sie mir zu erklären +versuchten, verstehe es, wie wenn ich zu denen gehörte, die den Menschen +etwas zu geben haben. Hat die Schwungkraft, mit der Sie mich behexten, +vielleicht meinen Kopf verwirrt? Ich begriffe es, wenn diese +unerwarteten Merkwürdigkeiten dem Bankbuchhalter Roland total die +Besinnung raubten. Nie wieder wird er so ruhige Tage durchdämmern wie +einst.</p> + +<p>Maria, welch ein Glück ist meine — Verirrung.</p> + +<p>Rasch muß ich Ihnen aber von einem unerklärlichen Traumspiel — +oder Trancezustand? — berichten, den ich erlebte, nicht etwa +erfand: In dieser letzten meiner jetzt fast stets schlaflosen Nächte +vernahm ich plötzlich deutlich eine Stimme, die mir Worte, viele Worte +zuraunte. Nur wie ein Raunen wars, vielleicht kam es garnicht aus +fremder Seele — vielleicht aus der meinen. Ich schrieb unter einem +seltsam unerklärlichen Zwange Worte nieder, in denen sich heute in +hellem Tageslicht der Widerhall meines eigenen Gefühls offenbart.</p> + +<p>Erinnern Sie sich, daß ich jüngst von den eckigen Worten sprach, von +der unvollkommenen Form für ein so gewaltiges Empfinden, wie das meinige +für Sie? Wäre es möglich, daß ich, ohne es zu wissen, im Besitz jener +Form gewesen bin? Ich vermag dieses Glück nicht durchzudenken; ich darf +diese Vorstellung nicht nähren, sie wäre +Wahnsinn — —</p> + +<p>In Ihrem Zimmer, neben Ihnen, möchte ich Ihnen das kleine Lied +vorlesen, von dem ich nicht weiß, ob es „etwas“ sein könnte, von dem nur +eines gewiß ist: es entströmte der Wonne meines überseligen Herzens.</p> + +<p class = "signature"> +Ihr Roland.</p> + + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">21</span> +<a name = "brief7" id = "brief7"> +<em>Maria an Roland.</em></a></p> + + +<p>Mein Junge, während mein Blick wieder und wieder auf das Blatt mit +Deinen großen, steilen Buchstaben fällt, vernehme ich den Ton Deiner +Stimme, die bebend und doch schicksalsergeben hier in meinem Zimmer noch +jetzt zu verkünden scheint:</p> + +<div class = "poem"> +<p>„Wie heißer Kuß ist oft das erste Du —</p> +<p>Zwei glühende, von Sehnsucht schwere Herzen,</p> +<p>Die zitternd brennen wie geweihte Kerzen,</p> +<p>Sie sinken taumelnd sich einander zu.</p> +</div> + +<div class = "poem"> +<p>Und war doch nur ein altgewohntes Wort,</p> +<p>Das oftmals achtlos floß von ihren Lippen,</p> +<p>Und reißt sie nun — hin über Fels und Klippen —</p> +<p>Ins unermessne Meer der Liebe fort — —“</p> +</div> + +<p>Mit einem so gewaltigen Uebermaß von Glück überströmten mich Deine +Verse, daß ich garnicht zu mir selbst zurückfinden möchte — nicht +so rasch zurückfinden; denn, zurück muß ich ja doch, zurück.</p> + +<p>Dein Lied, das mich erschreckt und erschüttert hat und aufgewühlt bis +ins tiefste Innere, täuscht noch immer den Atem Deiner Nähe vor — +obwohl Du mich vor einer Stunde verlassen hast. — Aber sagen? Was +könnte ich Dir über die Wirkung (welch eine lächerliche Bezeichnung) +dieser zwei heißen Verse<em> sagen</em>?</p> + +<p>Roland, ich, die ich bisher stets im Fluge mein Wollen und Wünschen, +mein Empfinden auszudrücken vermochte, habe eine Weile auf das leere +Blatt gestarrt und nicht gewußt, was +<span class = "pagenum">22</span> +ich Dir schreiben könnte. Auch mich bedrückt die Armseligkeit meiner +Worte, genau wie Dich die Deine. —</p> + +<p>Nicht nur Deine Verse erweckten in mir den Wahn, ich hätte noch nie +einen Frühling erlebt wie diesen. Dein Glaube an mich stimmt mich jetzt +immer feiertäglich. Du hast — verzeihe den etwas pathetischen +Ausdruck — mein Weltbild ganz verändert.</p> + +<p>Offenheit ist mir zwischen Menschen, die ich<em> mein</em> nenne, +stets so natürlich, so naturgewollt erschienen wie das Erblühen einer +Knospe. Ich denke aber nicht an das vergröbernde „sich alles sagen“; +nein, der Wesenszug, den ich meine, ist zarteren Ursprungs. Das von dem +veränderten Weltbilde mußte ich Dir also berichten. Dagegen halte ich es +für gefährlich (ich meine niederziehend) über jeden alltäglichen +Kleinkram und Kleinkrieg miteinander zu sprechen. Dergleichen schweigt +man tot, redet es nicht „lebendig.“</p> + +<p>Oft ist unser Gespräch tief in die Tage Deiner frühen Jugend +geglitten. Deine Kindheit, die von Verkennung und seelischer +Erniedrigung ganz erfüllt war, mußte in Deine Brust Aengste und +Entsetzen schleudern, deren Spuren unverlöschbar sind. Meine Kindheit +glich einer langsam aufsteigenden Morgenröte. Wieviel ich dieser Sonne +schulde, weiß ich erst, seitdem mir so viele, ganz verschieden geartete +Menschen von Fangarmen sprachen, die sich ihr ganzes Leben hindurch nach +ihnen ausstreckten, oder die sich an sie krallten, und die doch nichts +anderes waren als Hemmungen und Verängstigungen aus den Tagen ihrer +frühen Jugend. Die schlimmsten Morde sind unsichtbar und bleiben +straffrei. — —</p> + +<span class = "pagenum">23</span> +<p>Mein lieber Junge, schon oft erfuhr ich es an mir: jedes tiefe Lieben +verstärkt unsere Eigenliebe. Oder weißt Du einen besseren Ausdruck für +diese Ichsucht? Vertausendfacht ist die Bedeutung der eigenen +Persönlichkeit vor uns selber. Was sind wir? Sind wir liebenswert? +Anscheinend längst verlassene Kalvarienwege liegen plötzlich wieder +grell beleuchtet neben uns, Stationen, die wir für alle Zeit verlassen +zu haben wähnten, tauchen auf und fordern gebieterisch erneutes +Erinnern.</p> + +<p>Nie bin ich mir so fremd gewesen wie in den letzten Tagen. Wohin +entschwand das Erschrecken über ein Gefühl, das so vieles fortschwemmen +konnte von dem, was ich bisher kühn „meine Ueberzeugung“ nannte?</p> + +<p>Bist Du je auf taufrischem Waldpfad dahingewandert, ganz hingenommen +von morgendlicher Stille — und dann plötzlich kam eine schroffe +Wegbiegung, tosender Sturm brach an und schleuderte Dir Hagelschlossen +in die Augen? Wir wissen oft nicht, welches Schauspiel plötzlich eine +unbekannte Gegend vor uns aufrollen könnte. Wie sollten wir auch auf der +weiten Erde so genau Bescheid wissen? Und dennoch mögen wir in ihr +besser auf Naturerscheinungen vorbereitet sein, als in der engbegrenzten +Welt unseres eigenen Herzens. Wir wissen nicht, welche Summe an vorher +ungeahntem Empfinden noch in uns schlummert, welcher Steigerung unsere +Seele fähig ist, welchem Brausen unser Blut unterworfen sein könnte, +wieviel unerlöste Seligkeiten unsere Brust birgt. Roland, wie +selbstherrlich bin ich doch gewesen! Ich lächle über +mich — —</p> + +<p>So oft ich Deinen täglichen Brief nun in Händen halte, verflüchtigt +sich alles irdisch Lastende. Für Augenblicke ist mein +<span class = "pagenum">24</span> +Zimmer in rosiges Licht getaucht, oft nur sekundenlang. Und doch +verdanke ich diesen paar rascheren Herzensstößen eine nicht zu +erschütternde Siegesstimmung für beschattete spätere Tagesstunden. +Konnte ich Dir trotzdem gestern erklären, daß dieses<em> häufige</em> +Schreiben „nicht nötig“ sei? Ich widerrufe, — ach, wie viel von +meiner trügerischen „Abgeklärtheit“ habe ich zu widerrufen! Hoffentlich +überzeugte ich Dich nicht gestern. Das wäre traurig. — In der +singenden Stunde dieses Abends, im Lindenduft, der durch die +weitgeöffneten Fenster flutet, im Weiterbeben Deines Liedes in mir, +empfinde ich die Möglichkeit Deines Schweigens wie ein Unglück. Drei +Tage keinen Brief von Dir zu wollen, hieße dreimal ein beseligendes +Heute selbst ermorden. Wie konnte ich glauben, ich bedürfe nicht täglich +von neuem der Versicherung, daß ich Dir herrliche Welten geschaffen +habe, daß es nicht mehr derselbe Himmelsraum ist, der über Dir glänzt, +nicht mehr dieselbe Nacht, die Dich in ihre Finsternis hüllt? Als ob man +Liebe überhaupt begriffe! Schreiben wir uns denn, weil wir uns +schreiben<em> wollen</em>? Schrieben wir uns denn bisher nicht, weil wir +einander schreiben<em> mußten</em>? Sind diese Bangnisse und Erhebungen +— Briefe? Glauben wir doch uns dieses Ueberflüssige gerade dann +offenbaren zu müssen, nachdem wir eben einander ins Auge geschaut; und +dünkte uns dieser Nachhall nicht gerade dann notwendig?<em> Der</em> +Tag, an dem ich aufgehört haben werde, auf Deinen Brief zu<em> +warten</em>, erscheint mir heute tödlich. Wäre ich in Deinem Alter, so +glaubte ich, daß dieser Tag<em> nie</em> kommen kann. Aber, Roland, +lieber Junge, ich bin<em> so</em> weit entfernt von Deinem Alter.<em> +Ich</em> weiß um die raschen Todesfahrten der Liebe, weiß, daß sie +königlich +<span class = "pagenum">25</span> +aufbaut und kalt niederzureißen vermag, daß sie Helden und Märtyrer +schafft, daß sie durch Palmenhaine geleitet und in Eisesgrüfte stößt, +weiß, daß Liebe eigentlich stets in Lebensgefahr ist. Ja, all dieses +weiß ich und kann doch der Versuchung nicht widerstehen, die kaum +vernehmbar mir unermüdlich in den letzten Tagen zuhaucht, daß sie wieder +ein Recht habe, sich geltend zu machen, dasselbe Recht mich zu +überglühen wie die Sonne. Oder sollten konventionelle Bedenken die Sonne +verdunkeln können? Ich habe kein Talent zur Zaghaftigkeit, gar kein +Talent zum Verarmen. Vielleicht stellte mich eine weise Fügung wieder +einmal in einen Lebens-Brennpunkt. Man muß sich ja nicht über jede kurze +Wonne „im klaren“ sein. Ich bange nicht mehr! Mir ist dieses +ahnungsschwere Zittern Wirklichkeit genug; nach keiner anderen +Wirklichkeit wird meine Liebe zu Dir je verlangen.</p> + +<p class = "signature"> +Maria, vielleicht doch<em> Deine</em> Maria?</p> + + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">26</span> +<a name = "brief8" id = "brief8"> +<em>Roland an Maria.</em></a></p> + + +<p>Maria, wie hat Dein Brief mich beseelt. Ich lebe nur ganz in der +Gegenwart; in dieser Fähigkeit entdeckte ich das Geheimnis der +Lebenskunst. Ich glaube, Cromwell war’s, welcher ausrief: „Der kommt am +weitesten, der nicht weiß, wohin er geht.“ Die Vergangenheit ist in mir +untergegangen, mein einstiges einförmiges Leben scheine ich nie gelebt +zu haben. Was kümmert es mich, wohin eine Welle mich schleudern will? +Ich weiß nur von dem einen, Dich täglich sehen, Deine Stimme täglich +vernehmen zu müssen, ein wenig Deine Hand täglich streicheln zu dürfen. +Frei und sicher bewege ich mich, wie nie vordem. Tiefe Hingabe an ein +neues Lebensgefühl wandelt mir alles zu Ueberraschungen, deren +wundersamste die ist, selbstschöpferisch die Welt zu empfinden. Auch +dieses: „selbstschöpferisch“ ist eine Huldigung für Dich, Maria; +vielleicht, Deiner Auffassung entsprechend, die wertvollste.<em> +Deine</em> Lebenskraft konnte übertragbar sein wie Fieber, das Funken +und Flammen sehen läßt, auch dort, wo nüchternere Menschen nur graue +Asche gewahren. Solltest Du dennoch Recht haben, daß dieses Fieber +vergehen könnte, ohne daß der Wille Gewalt darüber hat? Glaube, mein +Wille hätte über eines mit Gewißheit Gewalt: Ueber den Tod. Ich ließe +mir nicht die Welt entheiligen. —</p> + +<p>Willst Du anderes hören, denn nur von meinem Empfinden für Dich? +Könntest Du dieses Gesprächs je müde werden? Maria, laß<em> das</em> +Meer brausen, aufschäumen, toben, von dem<em> Du</em> erfahren zu haben +glaubst, auch seine höchsten Wellen konnten +<span class = "pagenum">27</span> +verebben. Wie vertrugst Du in ständiger Wiederkehr solch Verarmen?<em> +Muß</em> man denn nicht daran zu Grunde gehen?</p> + +<p>Du bemühtest Dich gestern, mir wieder klar zu machen, daß Du mich +trotz allem nicht an Dich zu fesseln wünschst. Dieses Gefesseltsein ist +nicht mehr in Deine Macht gegeben. Ob Du es willst oder nicht: ich bin +bei Dir. —</p> + +<p>Zum Lied wird der Strom, der von Dir zu mir dringt. Verse tönten auch +heute Nacht in mir, aber ich weiß nicht, ob es der Mühe lohnt, sie Dir +zu senden.</p> + +<p class = "signature"> +Roland — nur noch<em> Dein</em> Roland.</p> + + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">28</span> +<a name = "brief9" id = "brief9"> +<em>Maria an Roland.</em></a></p> + + +<p>Mein Junge, hatte ich nicht doch einen vorahnenden Geist, der mich +fühlen ließ, Du würdest — allmählich, plötzlich, gleichgiltig wann +und wodurch — die Welt mit den Augen des Schaffenden betrachten? +Ich dachte damals nur an die Kraft<em> des</em> Dichtens, die sich darin +äußert, sich die Welt nicht verstümmeln, vergällen, verbittern zu +lassen. Ich dachte an innere Unverletzbarkeit, an Sonnenblicke, die nie +erlöschen können. Du schliefst, bist erwacht, bist entfesselt; Dein +Leben beginnt. Was konntest<em> Du</em> von der<em> Welt</em> verlangen, +solange Du selbst nicht bereit warst,<em> Dich</em> ihr zu geben? Nun +bist Du bereit, das verändert alles. Aber, daß Deine dichtende Seele +sich immer wieder nur mir zuwendet, ist eine Gefahr für uns beide, und +doch ist meine Kraft nicht mehr so stark, wie am Beginn, um Dich dieser +Gefahr entreißen zu können. An Unwandelbares dachte ich ja niemals, Du +weißt es; vielleicht aber begeht Kälte größere Sünden als Leidenschaft. +Ich fange an, die Hoffnung aufzugeben, wir Menschen könnten dieses +unübersehbar tiefe Gefühlsfeld je auch nur annähernd richtig +ergründen. —</p> + +<p>Gestern sollte ich Dir erklären, wie es möglich gewesen, daß keine +Lebensverwundung mir mein Lächeln nehmen konnte. Natur — die +eigene — und Geschick waren meine Helfer. Mir ging es genau wie +jener Greisin, von der ich Dir jetzt erzählen will. Sie saß träumend auf +einem Stein an blühendem Feldwege, als ein Sonnenstrahl sie fragte:</p> + +<p>„Wann habe ich Dich doch zum ersten Male beobachtet? Ja, ja, ich +erinnere mich, damals, als Dir kein Baum zu hoch +<span class = "pagenum">29</span> +war, hinaufzuklettern; Du warst eben in die Schule geschickt und +konntest das Stillsitzen nicht leicht lernen.“ —</p> + +<p>„Ja, damals,“ lächelte die Alte —</p> + +<p>„Und weißt Du, wann ich Dich wiedergesehen habe? Dir flogen lange +Locken um den Nacken und Arm in Arm wandeltest Du mit „ihm“ durch +blumige Wiesen“ —</p> + +<p>„Ja, damals,“ wiederholte die Alte —</p> + +<p>„Und später sah ich Dich, als Du beseligt ein Kindchen durch Deinen +Garten trugst — als Du wähntest, Mutterglück mache +unverwundbar“ —</p> + +<p>„Ja, damals.“</p> + +<p>„Und wieder strahlte ich Dich an, als Du Dich um eine Schar armer, +verwahrloster Menschen bemühtest“ —</p> + +<p>„Ja, damals,“ lächelte gütig die Greisin —</p> + +<p>„Und einige Jahre später sah ich Dich, da gingst Du schon nicht mehr +ganz so aufrecht, und deutlich zeigten sich graue +Haare“ —</p> + +<p>„Ja, damals,“ lächelte die Alte —</p> + +<p>„Und dann begegnete ich Dir mehrmals auf Friedhöfen“ —</p> + +<p>„Ja, damals,“ wiederholte versonnen die Alte —</p> + +<p>„Und nun scheine ich schon lange über Deinen schneeigen Scheitel, und +längst hast Du das Tanzen verlernt, und viel hast Du zurückgeben müssen +von dem, was Dein war an Glauben und Glück, und fast immer finde ich +Dich allein, aber noch hast Du Licht in den Augen. Sage mir, Alte, +worüber kannst<em> Du</em> noch lächeln? Andere, wenn sie in Deine Jahre +gekommen sind, klagen und seufzen. Du jedoch, deren Antwort immer nur +ein „damals, ja damals“ war, Du<em> lächelst</em> —?“</p> + +<p><span class = "pagenum">30</span> +„Das wundert Dich, Strahl, der Du das Licht zu sein glaubst? Fühlst Du +denn nicht, daß jedes „damals“ von einem Besitz — einer Wonne +— einer Seligkeit — einem Vertrauen — einem Glauben +— einer Stärke zeugt? Und ich sollte nicht lächeln, so oft ich +mich sinnend wieder in all diesen Reichtum verliere? Aber nicht nur +Erinnerung ist’s, aus der mein Lächeln geboren wird: Solange auch +nur<em> ein</em> Wesen zu mir gehört, um das ich mich sorgen<em> +darf</em>, solange ich zu erkennen vermag, daß Kämpfer leben, die sich +bemühen, die Welt gesünder und die Menschen größer zu machen, solange +kann<em> mein</em> Lächeln nicht sterben — — +— “</p> + +<p>Roland, lieber Junge, ist diese Alte nicht meine Blutsverwandte? +Kämpfe auch Du mit all Deines Herzens Glut und Kraft immer von neuem für +die Menschheit, ganz besonders dann, wenn Du Dich von eigener +Mühseligkeit und Belastung befreien willst. Die Verteilung der Güter ist +gar nicht so ungerecht, als sie vielen bei nur oberflächlicher +Betrachtung erscheint; denn — nur ein Beispiel: Wessen wäre die +Schuld gewesen, — oder wie immer ich die Unterlassung nennen +sollte — wenn Du Dich weiter mit schwacher, wesenloser Sehnsucht +beschieden hättest? —</p> + +<p>Komm so früh Du kannst; ich warte.</p> + +<p class = "signature"> +Maria.</p> + + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">31</span> +<a name = "brief10" id = "brief10"> +<em>Roland an Maria.</em></a></p> + + +<p>Einzige, ich weiß nicht, ob Du auch das verstehen wirst: Mit der +Leidenschaft für Dich ist der Glaube zusammengeschmiedet, irgend etwas +vollbringen zu müssen. Stelle ich mir vor, wieviel Jahre ich ohne Dich +sein konnte — ich sage nicht<em> leben</em> konnte — so +fasse ich es allenfalls. Man kann ja auch in der Dürre ein Dasein +fristen; toben aber möchte ich darüber, daß es mir an Denkmut gebrach, +mir ein einziges Tor aufzustoßen. Für<em> jeden</em> ist doch<em> +sein</em> Tor da,<em> nur</em> aufzureißen muß er es verstehen. Dieser +Lahmheit schäme ich mich vor mir selbst am meisten. Welch ein +Schwächling war ich! Kaum etwas wie Träume hatte ich noch zu begraben! +Hin und wieder, ganz selten, während ich mechanisch einige Augenblicke +auf die vielen Zahlenreihen vor mir starrte, streifte mich flüchtig die +Vorstellung: gleichgiltig — gleichgiltig — einmal wird es +kommen. Aber nichts tat ich, dieses „einmal“ in meinem Bewußtsein +wenigstens zu klären. —</p> + +<p>Vergiß nicht, Maria, auch wenn ich von mir spreche, spreche ich +eigentlich von Dir. In meiner Brust muß „es“ doch gewesen sein, weshalb +konnte ich es nicht allein aus den Schalen schlagen, in die es sich +verkapselt hatte? Wie konnte ich mich so gelassen in die trostlosen +Willkürlichkeiten des Alltags finden?</p> + +<p>Kunst! Kunst! Mit welchem Recht weise ich die Vorstellung nicht mehr +wie Einfältigkeit oder Wahnsinn von mir, daß sie mich an sich bannen +will, daß ich auf meine Weise eine Sekunde lang<em> in die Zeit</em> +einzugreifen habe? Fragen, nichts als +<span class = "pagenum">32</span> +Fragen, als überflüssige Fragen, deren Qualen von Seligkeiten doch nicht +zu unterscheiden sind. —</p> + +<p>Dies alles schreibe ich Dir in seelischer Scham. Mit dem gleichen, +nein, hundertfach verstärkten Empfinden bitte ich Dich, beigefügtes +Gedicht als Dein Eigentum zu betrachten. Es ist wieder ganz im Gefühl +des Triebhaften entstanden; ich selbst kann nicht beurteilen, ob es mir +gelang, die Macht und die Echtheit der Empfindungen, aus denen es +geboren, so zum Ausdruck zu bringen, daß es zitternd in Dir +nachklingt.<em> Keinen anderen Ruhm könnte ich je erstreben als den, +einen Widerschein in Deinen Blicken aufleuchten zu sehen — keinen +sonst</em> — —</p> + +<p>Gestern, nachdem ich Dich verlassen, las ich wieder einmal Deine +Briefe, um den Strom von Güte, menschlichem Verstehen, Reinheit und +— tiefster Zärtlichkeit zu fühlen, der von Dir ausgeht. Von der +Macht dieser Zärtlichkeit scheinst Du selbst nichts zu wissen, von +dieser stillen Innigkeit, die soviel bindender ist als Du es weißt und +— als es Dir erwünscht ist.</p> + +<p>Geliebteste, Du bist krank, nur wenig krank, aber ich darf Dich nicht +sehen. Schreiben konntest Du heute auch nicht. Meines täglichen Brotes +bin ich beraubt. Nur solange meine bisher ungesungenen Lieder sich wie +frohe Sieger ins Leben drängen, ertrage ich die Oede der Tage. Mit dem, +was in meinen besten Augenblicken sich in mir erhebt, kann ich nicht zu +Dir stürmen. Aber immer sehe ich Dich dennoch, ich suche Deine Hand, +meine Lippen neigen sich auf Deine schlanken Finger. Glaube mir, Maria, +nie ist eine Frau schwärmerischer und doch auch mit tieferer Ehrfurcht +geliebt worden als Du. Vergiß nun endlich, +<span class = "pagenum">33</span> +daß wir mit der herrschenden Gesellschaftsordnung in Konflikt geraten +sind. Was liegt daran? Fürchtest Du plötzlich Dein Sondergepräge? +Unmöglich: eine Natur wie Du, muß, solange sie lebt, in gewissem Grade +unabgeschlossen bleiben. Dein Erschrecken paßt nicht zu Dir. Lasse Dich +überzeugen. Noch in zehn Jahren, nein, in zwanzig Jahren wirst Du nicht +vor Umwälzungen in Deinem Innern sicher sein. Was wußtest Du denn mit +Bestimmtheit? Etwa, daß<em> ich</em> Dir eine neue Brücke für die +Zukunft werden könnte, ich, der Unbelebtesten einer? Du süße Warnerin +wußtest ja auch nicht aus eigener Erfahrung, daß Liebe das Rätselvollste +ist und mit der Bedeutung oder dem Wert dessen, was der andere ist, +nicht im Zusammenhange stehen muß. —</p> + +<p>Die beiden Tage ohne Dich haben mich zum Grübler gemacht. Solange ich +denken kann, hat niemand dem, was ich fühlte, edle Teilnahme zugewandt; +— vielleicht Alltags-Teilnahme, aber was bedeutet sie? Oft mehr +Hemmung als Befruchtung. Tausendmal werde ich es Dir wiederholen müssen: +„Da fing mein Leben an, als ich Dich liebte.“ Du allein, nur Du, Maria, +konntest mich aus der Zufallsgemeinschaft mit den Vielen erlösen. +Anfangs war es nur Deine mütterliche Heiligkeit, die mich zu Dir trieb. +Noch kann ich Dir die Sekunde genau bestimmen, welche die erste leise +Verschiebung hervorgerufen hat. Ich stand vor Dir, wie so oft bereits; +Du sprachst anspornend, anfeuernd mit mir. Nichts hatte sich verändert. +Da — plötzlich war’s, als sähe ich überall, wohin ich blickte, +blühende, glühende Rosen. Eine seltsam verwirrende Beklemmung zitterte +minutenlang in meiner Seele. An diesem Tage kam ich +<span class = "pagenum">34</span> +zum ersten Male nicht mehr von meiner Mutter — nicht mehr<em> +nur</em> von meiner Mutter. Stundenlang wanderte ich nachher am Kanal +entlang. So schön, nein, so schön war die Erde nie: alle Leute schienen +Menschen geworden, die ihre störenden Eigenschaften abgelegt hatten. Für +immer glaubte ich von allem Gewohnten und Gewöhnlichen befreit zu sein. +— Ich konnte mich nicht entschließen, das hohe Mietshaus zu +betreten, in dem ich wohne; zu weit bin ich allem entrückt gewesen, was +zwischen Mauern sein Dasein fristen kann; ringsumher in der Luft +schimmerte ein Schein, der den Tag kündete, obwohl ich wußte, daß noch +viele Stunden bis zum Sonnenaufgang verrinnen mußten. —</p> + +<p>Werde ich morgen, endlich, endlich wieder das Rauschen Deines +Gewandes vernehmen? Werde ich Deinen Blick fühlen, der tief und zärtlich +in den meinen sinkt? Werde ich, ehe ich noch bei Dir sein darf, meine +Lippen auf die Blätter eines Briefes pressen können?</p> + +<p>Maria, Sancta Maria, ich liebe Dich grenzenlos.</p> + +<p align = "center"> +Dein, immer, immer</p> + +<p class = "signature"> +Dein Roland.</p> + + +<p class = "subhead"> +<a name = "brief10a" id = "brief10a"> +<em>Nachschrift:</em></a></p> + +<p>Das Gedicht, welches ich mit ins Kuvert lege, bewerte nicht kritisch, +nur Dein Herz soll von seiner Echtheit ergriffen werden.</p> + +<div class = "poem"> +<span class = "pagenum">35</span> +<p>Mein Weg zu Dir — wie den ich deuten soll?</p> +<p>Von bunten Blüten ist er übervoll,</p> +<p>Die leuchten, wo mein Fuß auch immer schreitet,</p> +<p>Und goldner Glanz ist über sie gebreitet.</p> +<p>Kein nüchternes und graues Häusermeer</p> +<p>Seh ich auf meinem Wege um mich her:</p> +<p>Umspielt ist alles rings von lichtem Schimmer —</p> +<p>Die Menschen, die ich treffe, lächeln immer —</p> +<p>Und lächelnd schau ich ihnen ins Gesicht:</p> +<p>So scheinen sie verklärt vom gleichen Licht,</p> +<p>Das wohl aus meiner trunknen Seele strahlt</p> +<p>Und alles, alles glühend übermalt.</p> +<p>Die letzte Straße ist von Deinem Bild</p> +<p>So ganz durchleuchtet und so ganz erfüllt,</p> +<p>Daß Traum und Wirklichkeit sich in mir eint:</p> +<p>Ist es denn Wahrheit, was wie Traum mir scheint?</p> +<p>Daß Deine Sehnsucht mir entgegenbebt,</p> +<p>Daß Deine Seele für die meine lebt,</p> +<p>Verschwenderisch von ihrem Reichtum schenkt,</p> +<p>Und — ganz von Zärtlichkeit für mich +durchtränkt —</p> +<p>Mit ihrer sanften Güte mich umhaucht?</p> +<p>Mein Weg zu Dir ist ganz in Licht getaucht.</p> +</div> + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">36</span> +<a name = "brief11" id = "brief11"> +<em>Maria an Roland.</em></a></p> + + +<p>Geliebter, ich liebe Deine Verse, liebe Deine zarte Zärtlichkeit, +liebe Dich, Dich, heute<em> nur</em> Dich.</p> + +<p><em>Ich</em> kann Dir die Stunde nicht nennen, in der ich aufhörte, +Dir nichts sein zu wollen als eine mütterliche Freundin. War es +vielleicht in jener Dämmerstunde, in der wir durch die blühende +Einsamkeit meiner Wiesen gingen — die Sonne wollte gerade +untergehen — wir hatten zu sprechen aufgehört — mein Herz +fühlte sich unruhig — bewegt — hungrig? Oder waren es Deine +Gedichte, bei deren Anhören es mir schien, als wehten blühende Bäume mir +zu Häupten, deren stillgewordene Kronen sich leise im Winde von neuem zu +regen begannen?</p> + +<p>Doch von Deinen Versen will ich Dir schreiben. Schon jetzt beginnen +sie, Dir alles zu verwandeln; Hingerissenheit konnte Dich überfluten, +der Du nicht zu wehren vermochtest. Aber das sollst Du ja auch garnicht. +Indem Du den Gott in Dich einströmen läßt, bist Du ein Künstler; ein +schlechter vielleicht für die Welt, für Dich selbst ein begnadeter.<em> +Ich</em> kann nicht wissen, ob ein herrisch forderndes Talent sich +plötzlich in Dir erhob, kann nicht wissen, wie hoch und wie weit es Dich +tragen wird, nur<em> das</em> weiß ich: Der Kampf beginnt, dieser Kampf, +den ich selbst in so vielen Phasen kenne: Aus glühendem Schaffensrausch, +aus Siegesfreude wirst Du in marternde Bangnis sinken. Entsetzen vor +eigener künstlerischer Unfähigkeit wird Dich foltern. Neues Hoffen wird +Dich emporreißen. Traue der Helle in Dir mehr als allen inneren +Umdüsterungen. Und wolle, wenn es Dein Los sein soll, unterzugehen, +— tausendmal +<span class = "pagenum">37</span> +lieber im Kampfe um die Kunst fallen, denn im Kampfe mit dem dürren +Leben.</p> + +<p>Den immer Korrekten, immer Nüchternen sind<em> wir</em> nur seltsam +— uns erscheinen<em> sie</em> armselig;<em> wir</em> schauen +Verborgenes, von dem<em> sie</em> nichts sehen oder nichts sehen +wollen.<em> Wir</em> stürzen uns freiwillig in Gefahren —<em> +sie</em> sind bedacht, sich allem ihre Ruhe Gefährdendem fern zu +halten. — —</p> + +<p>Eine seltsame Beklemmung will mich in dieser Stunde nicht verlassen. +Eisern muß der eigene Glaube an das Können sein, damit wir nicht vor der +Zeit stürzen. Und Du sollst nicht stürzen, hoch hinauf sollst Du +steigen. Bald — wir können die Spanne Zeit nicht abschätzen +— werde<em> ich</em> Dir nur ein lichter Schattenriß sein, der +sich vom anders getönten Firmament abhebt. Heute noch glaubst Du, ein +Aufleuchten in meinen Augen, ein bebendes Mitdichten allein nur<em> +meines</em> Herzens genüge Dir. Wohl könnte das einer Liebe höchste +Staffel sein, — doch wiege Dich nicht in diesen Wahn ein. Nur zu +bald wirst Du den grausamen Mut haben, mir zu erklären, daß Du weiter +müssest, — — bevor Du es ahnst, werde ich Dich verloren +haben.</p> + +<p>Verloren? Verzeihe das Wort. Dachte ich nicht noch vor kurzem anders +über ein solches Weiterklimmen? War es nicht immer die stille +Voraussetzung, mit der ich Menschen an mich zog? War das: „Weiter“ +— war der Wandel nicht der Reiz für mich in jeder Vereinigung, war +er nicht ihr Ziel? Oder könnte es doch wahr gewesen sein, daß ich selbst +manch eine Blüte zerriß, die ich liebevoll ins Leben gepflegt hatte? +Bleiben oder Gehen? Welches mag über das verhältnismäßig glücklichere +Los +<span class = "pagenum">38</span> +entscheiden? Wie immer, all meine „geistigen Errungenschaften“ +entgleiten mir einem Gewande ähnlich, das nur leicht auf meinen +Schultern ruhte.</p> + +<p>„Momentane Wahrheiten!“ Welch eine richtige, aber — gefährliche +Auffassung.</p> + +<p>Es ist wohl auch körperliche Schwäche heute, die mich Trauer +vorausfühlen läßt, feige Trauer; denn nie war ich von dem Naturgesetz +überzeugter als jetzt, das den Künstler der Oeffentlichkeit zutreibt wie +die Welle dem Strande.</p> + +<p>Noch aber bist Du mein.<em> Mein</em> allein! Wie konnte ich das Wort +unzählige Male aussprechen, unzählige Male schreiben, ohne seine Fülle, +seine Gewalt, seine Schönheit tief in mich eingesogen zu haben! Mein, +mein, heute mein, trotz alles Vergänglichen in uns und um +uns. —</p> + +<p>In den Tagen, die mich Dir fernhielten, waren meine Gedanken +fessellos wie schwebende Adler, meine Empfindungen berauscht, als +schritte ich auf blühenden Hyazinthenfeldern dahin. „Dank Dir, mein +Gott, der Du Wunder tust,“ tönte es in mir. „Wochen, Monde, Jahre war +ich unjung in meiner vermeintlichen Gefestigtheit. Kommt: Poesie, Natur, +Jugend, Liebe, macht mein Leben wieder heil mit euren Zauberhänden, +tanzt euren unsterblichen Reigen in mir, führt mich wieder ein in den +Olymp. Du Gott der Freude und der Schmerzen, mache mit mir, was Du +willst. Die Trauer ist gut, und der Jubel ist auch gut! Du läßt mich +durch den Jubel gehen. Ich empfange ihn von Dir mit dankbar demütigem +Herzen.“ —</p> + +<p>Einmal, irgendwo las ich diesen Hymnus, jetzt entsteigt er neu, wie +aus mir geboren, in jeder Minute meinem Herzen.</p> + +<p>Ich erwarte Dich! Maria.</p> + + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">39</span> +<a name = "brief12" id = "brief12"> +<em>Roland an Maria.</em></a></p> + + +<p>Maria, Maria, endlich kam unsere Stunde, endlich konnte ich zu Dir +eilen, durfte Dich umfangen, durfte Deinen zitternden Kuß fühlen.</p> + +<p>Immer wieder zweifle ich an der Wahrheit aller Seligkeit, die ich +erlebe. Und immer wieder verwandeln sich Glühen und Sehnen zu neuen +Gebilden, die, herausgerissen aus meiner Brust, oder aus meinem Gehirn +sich formen. Und immer wieder bist Du es, die mich entflammt, Du, +nur Du.</p> + +<p>Allmählich erkenne ich die Weisheit des Schicksals, das mir lange +vieles von dem versagte, dessen ich bedurfte. Meine geschonte, seit +Jahren kaum angetastete Empfindungsfähigkeit schreit nun jubelnd nach +ihrem Recht. Du hast mich in den Festsaal des Lebens geleitet. Mit +lachenden Augen will ich Dir Liebeslieder zujauchzen; jedes Lied scheint +mir das erste Liebeslied, das je erklang, und ist doch alt wie die +Menschheit.</p> + +<p>Sollte ich mich meiner einstigen Fügsamkeit halber jetzt verachten, +mich bemitleiden? Für beide Gefühle mangelt es mir an Zeit, denn ich<em> +muß</em> weiter. Muß, muß, weil ich ohne die Glut meines heißen Herzens +verstummen könnte. Sie allein läßt mich keinen Schlaf in all den langen +Nächten finden, die mich von Dir trennen. In der heutigen blieb ich auf; +ich schrieb Stunde für Stunde an — einem Stück. Lache nicht, Du, +die Du mich auf einen anderen Planeten verschlagen; geliebte Heilige, +lache nicht. Stille umfing mich, indes ein Plan sich in mir entfaltete. +An technische Schwierigkeit dachte ich so wenig wie ein Nichtschwimmer, +der dennoch ruhig ins Meer hineinschreitet. +<span class = "pagenum">40</span> +Wirst Du, aller Frauen geliebteste, einen verhöhnten Freund nicht +verlassen?</p> + +<p>Hättest Du vorher gewußt, welche Geister Du in dem schweigsamen +Menschen wachzurufen vermochtest, der fremd und hilflos wie ein Kind auf +jenem Feste einige Minuten zufällig an Deine Seite geschoben wurde, +hättest Du auch dann, weil Du ihn<em> fördern</em> zu müssen glaubtest, +vor ihm Halt gemacht? Schweige, Geliebte, schweige; die vibrierende +Glückseligkeit Deines Herzens ist Antwort genug. Gib alle<em> +Rechtfertigung</em> auf. Komm. Steige hinan bis auf<em> die</em> Stufe, +auf der es weder Schmerz noch Sünde gibt. Nur die Stufe hat für uns noch +Bedeutung. Alt, zu alt,<em> Du</em> zu alt? Denkst Du dabei an die +Vorstellungen der<em> Masse</em>, an ihre hohle Wesenheit, die sich aus +Gedankenarmut und versteiften Vorurteilen zusammensetzt? Alle Wunder der +Welt haben sich uns erschlossen, Maria, Du selbst der Wunder +schönstes.</p> + +<p class = "signature"> +Dein Roland.</p> + + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">41</span> +<a name = "brief13" id = "brief13"> +<em>Maria an Roland.</em></a></p> + + +<p>Roland, Du — Du (ich glaube, es gibt keinen innigeren Ruf für +uns) — „und war doch nur ein altgewohntes Wort, das oftmals +achtlos floß von ihren Lippen“ —</p> + +<p>Lange habe ich nicht mehr geträumt, heute aber sah mein Auge nach den +Wolken; ich sah, wie die hellen Schichten ineinanderflossen, sich +verschoben, wie sie sich in die dunklen verloren, wie sie sich wieder +von ihnen lösten. Aber nichts mehr von „lösen“ heute, wir haben unsere +Stunde heute schon zu viel beschattet. Nur dieses noch: Du denkst doch +nicht etwa, ich trüge die Vorstellung von Entsagung in mir? Das wäre ein +völliges Verkennen. Meine Handlungen werden letzten Endes von den +Forderungen bestimmt, die in meiner<em> Natur</em> liegen. Also, sie +sind eher das Gegenteil von Entsagung. Im Augenblick sind diese +Forderungen vielleicht so verborgen, wie die Wurzeln eines +Rosenbusches.</p> + +<p>Ich mute Dir, geliebter Junge, wohl oft schwierige Gedankensprünge +zu? Es ist aber so herrlich, zu wissen: da lebt ein Mensch, der kann +niemals denken: „komisch — seltsam — närrisch“ — ein +Mensch, der Andacht auch vor deinen Unbegreiflichkeiten hat. Wir armen +Künstler sind ja eigentlich stets gezwungen, unsere teuersten +Besitztümer zu verleugnen. Wir sollen bequem im Umgange sein, wie andere +„vernünftige“ Leute. Kunst aber quillt aus Unvernunft, nicht aus +Vernunft. Ein bedeutender Künstler darf aus Rücksicht für seine Kunst +— ich denke an ihre Vervollkommung, an ihre größtmögliche +Steigerung — Gesetze nicht nur übertreten, er kann sogar dazu +verpflichtet +<span class = "pagenum">42</span> +sein. Ueber die Berechtigung seines Handelns entscheiden dann viel +später seine der Welt geoffenbarten Schöpfungen. Ich erwähne dies nicht +etwa als eine mir von<em> eigenen</em> Gnaden zugebilligte höhere +Moral. —</p> + +<p>Gestern starb in meinem Hause ein alter Mann nach langem, viel, viel +zu langem Siechtum. „Der Tod hat mich vergessen“, seufzte er, als ich +ihn zum letzten Male besuchte. Ich lege Dir einige Blätter ein; lies, +welche Gedanken sein Sterben in mir erweckte.</p> + + +<h5><a name = "brief13a" id = "brief13a"> +<em>Vom verkannten Tode.</em></a></h5> + +<p>Der Tod beschloß, sich von der Welt zu entfernen. Wenn er +zurückschaute, so entsetzte er sich vor der Gedankenlosigkeit der +Menschen. Ihr ewiges Schluchzen ertrug er nicht mehr, besonders seitdem +er wußte, wie rasch das Leben Tränen trocknete. Ihre oft sinnlosen +Wehrufe mußten seine Liebe ersticken. Nur Ungerechtigkeit hatten sie ihm +gezeigt. Unfaßlich war ihr Undank.<em> Sie verdienten gar nicht, sterben +zu dürfen.</em></p> + +<p>Schrie hin und wieder einer nach dem Tode, und er kam dann wirklich, +änderte der Tod eines Flehenden halber seinen Weg, was geschah? +Zähneklappernd versuchte der scheinbar Lebensmüde sich vor ihm zu +retten. Er hatte plötzlich für die Mißhandlungen des Lebens gar kein +Gedächtnis mehr. Gleich wieder war’s, als sei nur der<em> Tod</em> der +Böse, der Unbarmherzige, der Lieblose, der feindlich Gesinnte.</p> + +<p>Nein, lange genug hatte der Tod das Verkanntsein ertragen. Niemand +konnte<em> so</em> mißverstanden werden wie er. +<span class = "pagenum">43</span> +Wohlan! Mochten sie versuchen, ohne ihn fertig zu werden, mochten sie +sich endlos am Leben quälen, diese alle, denen seine schwarzen Schleier +immer nur Entsetzen bargen.</p> + +<p>„Ich wandere aus,“ entschied der Mißhandelte, hüllte sich fest in +dunkle Nebel und — entschwand.</p> + +<p>Anfangs merkten die Menschen gar nicht, wie arm sie geworden waren. +Die Alten, die geduldig — weil sie sich dem Sterben nahe wähnten +— Krankheit und Ueberflüssigkeit ertrugen, sahen noch jedem Morgen +erwartungsvoll entgegen. Ihre Hoffnung werde sich ja erfüllen — +noch hatten sie Zeit. Sie wußten: Der Tod würde sie zur rechten Stunde +holen. Aber sie erfüllte sich nicht; sie wurden achtzig, sie wurden +neunzig, sie wurden hundert Jahre. Sie wurden ganz taub, ganz blind, +ganz stumpf, ganz mürbe, sie wurden ganz überflüssig, sie nahmen nur +noch Platz fort. Mit den Neuen verstanden sie sich nicht.<em> Man ertrug +sie nur noch.</em> Man sah nach ihnen, weil sie eben doch<em> da</em> +waren. Niemand brauchte sie. Die Zeit war lange schon über sie +fortgerauscht. Sie hatten sich selbst überlebt. Fröstelnd rangen sie +ihre dünnen, knochigen Finger. Tag und Nacht murmelten ihre schmalen +Lippen: „Vergessen vom Tode — vergessen vom Tode!“</p> + +<p>Gleichgültig kamen die Jahre; gleichgültig gingen die Winter an den +Alten vorüber. Kein Lenz ließ ihnen etwas erblühen; kein Sommer lachte +ihnen. Herbst kam und Herbst ging; die Greise blieben.</p> + +<p>Einstmals konnten Menschen, deren Liebe zueinander gewaltig war, +vereint auf dem Gipfel der Glückseligkeit sterben; damals, als der Tod +noch im Lande war. Sie wurden +<span class = "pagenum">44</span> +nicht gezwungen, sich vom Leben plündern zu lassen. Lächelnd konnten sie +sich, Brust an Brust geschmiegt, vor dem Weniger retten. Auch das hörte +auf. Keiner mehr hatte Leben oder Sterben in seiner Hand. Das aber ist +das Grauenvollste: Leben zu<em> müssen</em>.</p> + +<p>Menschen, die schlecht geworden, Bettler, die an ihrer Gesunkenheit +litten, Unglückliche, die zu Verbrechern geworden, konnten sich nicht +mehr freiwillig vom Leben lösen. Flucht aus Schande, Flucht aus +unheilbaren Leiden, Flucht aus den Schmerzen unglücklicher Liebe, Flucht +aus Entsetzen an mißratenen Kindern, Flucht vor Umnachtung der Gedanken +gab es nicht mehr. Die Scharfrichter wurden ihres Amtes entsetzt; neue +Strafen mußte der Gerichtshof ergrübeln.</p> + +<p>Allmählich war das Wort von der<em> Hartherzigkeit</em> des Todes +erloschen; aber plötzlich entstand für ihn die Bezeichnung: Todesengel +— Engel des Todes. —</p> + +<p>Ein anderes Schluchzen drang in die Welt und ein anderes Sehnen. +Nicht der Sonne streckten sich Arme inbrünstig entgegen, sondern suchend +dem entschwundenen Tode. Wehklagend irrten Menschen von Scholle zu +Scholle. Inbrünstig betete man, daß er wiederkehre, der qualvoll +Entbehrte. Allen Menschen schien es, sie hätten ihren Erlöser verloren, +seitdem der Tod ihnen unerreichbar blieb. Sie schämten sich jener +Geschlechter, von denen die Sage berichtete, daß sie dem Tode +händeringend entgegengestarrt haben sollten, daß sie ihm geflucht +hatten.</p> + +<p>Haß und Bitterkeit, Ueberdruß und Kälte trieben die Menschen +auseinander.</p> + +<span class = "pagenum">45</span> +<p>Eltern beklagten ihre lächelnden Kinder, denen später auch die Bürde +eines endlosen Lebens zu tragen bestimmt war. Denn nicht in Jugendkraft +und Fülle wurde ja den Erdbewohnern zu bleiben gewährt; nein, genau wie +ehedem, mußten sie alles zurückgeben: Gesundheit, Hoffnung, Glauben, um +zuletzt — körperlich und geistig vernichtet — sonnenlos in +Nacht und Finsternis dahinzuvegetieren.</p> + +<p>Es konnte nur eine Fabel sein, daß einst vom<em> hartherzigen</em> +Tode gesprochen wurde. Längst wußte man,<em> wer</em> der Gütigste, der +Erbarmer gewesen. Hatte man früher gefordert, daß er aus Mitleid +entweiche, jetzt forderte man, daß er aus Mitleid zurückkehre. Doch +nein, man forderte nicht, man flehte, man bat, man opferte.</p> + +<p>Grauen vor dem Frühling erfüllte die Menschen, dessen Süße Leben +spendet, dessen Atem befruchtet.</p> + +<p>Immer freudearmer wurde die Erde; nur Kinder lächelten. Die Gedanken +aller Erfahrenen schienen einem einzigen Ziele zugewandt: Dem +Wiedererscheinen, der Rückkehr des Todes. Was bedeuteten die Tränen +jener Zeiten, da man ihn besaß, gegen die Trauer, nun man ihn verloren +hatte? Man begriff erst, was<em> Vernichtung</em> sei, nachdem das +Sterben aufgehört hatte. —</p> + +<p>Unauffindbar, unerreichbar blieb der Tod. Vögel flogen hin und her, +flogen in die Weite, weil sie hofften, ihn mit ihren wundersamsten +Weisen zu rühren.</p> + +<p>Dann aber vollbrachte ein Kind das Wunder.</p> + +<p>Obwohl die Menschen den Tod nicht sehen konnten, so hatte<em> er</em> +sie doch keine Minute aus den Augen verloren; sie +<span class = "pagenum">46</span> +blieben seine schmerzliche Liebe. Und ist es nicht von jeher das +Schicksal der Liebe gewesen, verkannt zu werden? Darf Liebe danach +fragen? Ach, auch der Tod sehnte sich zurück nach den Menschen. Er +konnte die Süße der Küsse, die ihn mit den vom Leben Befreiten vereinte, +nicht vergessen, jene Küsse, von denen ja kein Lebender singen und sagen +kann.</p> + +<p>Nicht den Greisen zuliebe kehrte der Tod zurück, nicht der Kranken +halber, — der Unschuldigen wegen. Ihnen vermochte er nicht zu +widerstehen.</p> + +<p>Ein armes Mädchen hatte in Schande und Verlassenheit ein Kind +geboren. Große strahlende Augen richtete das Neugeborene erwartungsvoll +in die Welt. Diese leuchtenden Sterne verdunkelte der Tod. Schmerzlos +glitt das schuldlos Verurteilte in des Todes Arme. In dem Augenblick +erhob sich ein Hymnus ohne gleichen auf der Erde: einmal noch atmeten +Müde tief und befreit auf, dann endlich schlossen sie die glanzlosen +Augen für immer. Liebende umschlangen sich in heißer Seligkeit. +Kämpfende, Irrende, Kranke knieten von dem Bewußtsein überwältigt +nieder, nicht unrettbar an das Leben geknebelt zu sein. Licht +überleuchtete an diesem Tage die ganze Welt. Auf dem Sonnenball stand +hochaufgerichtet eine <ins class = "correction" +title = "Original hat »feingliedrge«">feingliedrige</ins> Gestalt. Nicht +mehr wie einst umhüllten schwarze Schleier ihre Glieder. Umstrahlt von +weißem Schimmer sank der Tod mitleidig wieder hernieder auf die +Menschheit ...</p> + +<p class = "signature"> +<ins class = "correction" title = "Text ungeändert">Marie</ins>,<em> +Deine</em> Maria.</p> + + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">47</span> +<a name = "brief14" id = "brief14"> +<em>Roland an Maria.</em></a></p> + + +<p>Geliebte Frau, zügele Deinen Heißsporn. (Mit wieviel Namen wirst Du +ihn noch nennen können, wenn er sich so „weiter entwickelt?!“) Zügele +ihn, weil er sich plötzlich für einen Beherrscher des Lebens hält, der +gar nichts mehr von seiner einstigen Sklaverei weiß. Nein, zügele mich +nicht. Nur, wer sich für einen Eroberer hält, kann einer werden, und ich +habe ja noch so viel zu erobern: Dich, hundertmal zuerst Dich, meine +Gefährtin, Du meiner Seele Köstlichstes und — auch mich; denn das +Land meiner vielleicht unsterblichen Freuden in der Kunst (für mich +allein unsterblichen) werde ich mir ja in unermüdlichem Werben bis zum +letzten Atemzuge neu erobern müssen. Die Gewißheit, daß sie mir +„anderswoher“ zuströmen könnten, suchst Du mir beharrlich zu +erschüttern! Ja, ja, ich weiß, viele Stunden Deines Lebens waren reich, +waren lebendig ohne mich. Aber hat Dich je so flehend, so über Worte +hinaus der Hauch erschüttert, der über dem Begriff ruht: +„<em>unendliche</em>“ Liebe — hörst Du,<em> unendliche</em>? Ist +das nicht der Liebe beseligendstes Beiwort?<em> Ich</em> würde mich +freiwillig aus der Reihe der Lebenden lösen, sobald auch ich zu einer +„vorübergehenden Erscheinung“ in Deinem Leben geworden +wäre. —</p> + +<p>Während ich eben wieder einmal Deinen ersten „warnenden!“ Brief las, +schien die Vorstellung einer Trennung mich eine Sekunde hindurch +zerreißen zu wollen, dann, (verzeih’) ja, dann habe ich gelächelt. +Sollte Größenwahn mir drohen, seitdem ich glaube: Liebe muß immer +Erlösung für<em> beide</em> +<span class = "pagenum">48</span> +der Liebenden sein, — Erlösung vom Tode irgend einer Art? Es gibt +ja so viele Tode, an denen Menschen sterben können. —</p> + +<p>Lächelnd nennst Du mich Deine „letzte Versuchung“! Maria, Maria! +Wiese ich Dir doch auch den Weg zu Deiner letzten Erfüllung. Hättest Du +sie bereits erreicht, so konnte bei unserer ersten Begegnung Dein Blick +mich nicht halten. Vielleicht lauschtest Du völlig unbewußt in die Ferne +auf ein Lied, das auch Du vorher nie vernommen. Laß einmal das Schicksal +gewähren, wolle es nicht immer meistern. Mache Deinen dummen Streich, +vielleicht ist er ein glückbringender,<em> dann</em> erst kannst Du +erfahren, was in dem Menschen Maria steckt.</p> + +<p><em>Unsere</em> Stunde gestern war beendet, grad’ als sie zu beginnen +schien. Wann wirst Du mir einen Tag bescheren, einen vollen, ganzen Tag? +Ich mag nicht immer „vornehm geartet“ sein.</p> + +<p class = "signature"> +Roland, nur Dein Roland.</p> + + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">49</span> +<a name = "brief15" id = "brief15"> +<em>Maria an Roland.</em></a></p> + + +<p>Liebster, tagelang vergaß ich, mich zu fragen, ob die unsichtbare +Verkettung, die uns bindet, berechtigt oder unberechtigt sei. Liegt aber +nicht schon in dem Ausdruck „Verkettung“ ein Etwas, das über alles +Abwägen hinausführt? Nein, ich<em> kann</em> nicht mehr an das +Verrinnen, Verflattern von Gefühlen denken, deren Sterblichkeit +grauenvoll wäre, auch wenn sie dem lichtesten Tode verfielen.</p> + +<p>Oft möchte auch ich mit Dir, Roland, in einer Sprache sprechen, wie +sie noch nie gesprochen wurde. Dann verzweifle ich förmlich an meinem +eigenen Unvermögen.</p> + +<p>Wir hätten uns gestern viel intensiver mit Deinem Stück beschäftigen +sollen. Welch ein Glück, Dich bisher nicht von der Vorstellung gehemmt +zu wissen, daß es schwerlich dem Schicksal der meisten Bühnenwerke +entgehen wird, unaufgeführt zu bleiben. Ganz gewiß existiert auf Erden +viel Schönheit, — ich denke natürlich nicht nur an Kunst — +die nie aus ihrer Verborgenheit hinausgehoben wird, die nie ihre +Bestimmung erfüllt, zu bereichern und zu erhöhen. Ueber wie viele +wundersame Landschaften mag nie eines Menschen Auge gleiten! In diesem +Augenblicke brauche ich mir nur Spitzbergen vorzustellen, wie es +unbewohnt und also auch unbeschritten in glitzerndem Eisesfunkeln mit +seinen unabsehbaren Flächen und Bergen in fast märchenhafter Schönheit +vor mir lag. Uns kleine Menschen lähmt aber die Möglichkeit, unsere +winzigen Gebilde könnten nur dazu bestimmt sein, uns selbst die Wonnen +eines Schöpferrausches zu gewähren. Wird ein +<span class = "pagenum">50</span> +Baum im Urwalde nicht grünen und blühen<em> müssen</em>, schreitet auch +nie ein Mensch an ihm vorüber? Wir Künstler dagegen sind enge, eitle +Geschöpfe, die immer gleich an Ruhm denken<ins class = "correction" +title = "Spatium fehlt im Original"> —</ins> an Dich, Ruhm, Du +aller Eitelkeiten eitelste, gefährlichste. —</p> + +<p>Also Dein Stück! Ja, haben wir die Rollen getauscht, die +Auffassungen? Ist’s nicht, als hätte<em> ich</em> den Konflikt ersonnen, +der eine Frau, anscheinend in ruhiger Besonnenheit, auf der Höhe aller +Seligkeit in den Tod treibt, lediglich aus Angst vor der Gewißheit eines +allmählichen Schwindens der großen Leidenschaft zwischen sich und ihrem +Geliebten?</p> + +<p>Ein Anderer bist Du geworden — ja, ein Anderer. Wie tief ein +Anderer, wer von uns wollte es entscheiden? Du hast mein Leben in +Verwirrung gebracht und ich das Deine. Was wird übrig bleiben oder +entstanden sein, was geboren oder getötet, was wird sich aus dieser +beglückenden Verwirrtheit herauskristallisieren? Nie mehr kann ich in +die Welt zurückfinden, die ich verließ, oder aus der mich eine fremde +Macht stieß. Ja, Du ein Anderer — ich eine Andere, die vollgesogen +ist von vielleicht kindertörichten Vorstellungen. Ach, Du, immer leben +wir in Vorstellungen und Vorurteilen und nennen sie unsere +Ueberzeugungen. Die Entdeckerfreude an Menschen war sicher auch ein +Beglückendes, aber ich hatte zu wenig von jenem Göttlichen in mir, das +ganz im Geheimen erst die Heiligkeit der irdischen Weihen verleiht. Ich +meine jene Weihen, ohne die man wohl auch gut und glücklich leben und +anderer Leben steigern helfen kann, ohne die man aber nie ein Genie in +der Lebens-Dichtkunst wird. Nur die mit der unzerstörbaren +<span class = "pagenum">51</span> +Kraft des Ideals „Behafteten“ haben kein Absterben vor dem Tode zu +fürchten. Und nicht nur in der Elendswelt von Gorkis „Nachtasyl“ und +nicht nur in Bezug auf den Glauben gilt des Wanderers Luka Antwort auf +die Frage: „Gibt’s einen Gott?“ „Wenn Du an ihn glaubst, gibt’s einen, +— glaubst Du nicht, dann gibt’s keinen.<em> Woran Du glaubst, das +gibt’s eben.</em>“</p> + +<p>Mir scheint, ich bin ein Genie im Glauben an das Schöne in der Welt. +Aus längst vergangenen Jahren fällt mir zufällig ein Erlebnis ein, an +das mich der Duft Deiner beiden roten Rosen, die vor mir auf dem +Schreibtisch stehen, erinnert. Ich lebte damals bereits in der +Großstadt. Im Hochsommer hätte ich mein ganzes Vermögen am liebsten den +wenig verführerischen Gestalten gegeben, deren Rufe: „Rosen! Rosen, +sechs für zehn Pfennige!“ durch die Straßen schrillten, während sie +neben kleinen, mit wundervollen Blüten hochbeladenen Wagen dahingingen. +Noch in diesem Augenblick bilde ich mir ein, die einförmigen, +gleichgiltigen Anpreisungen zu vernehmen. Immer empfand ich leises Weh, +wenn ich sah, wie die herrlichen Blumen so empfindungslos +zusammengerafft wurden. Leicht erfuhr ich, wo diese Rosenmassen wuchsen. +Ich freute mich schon den ganzen Winter hindurch auf einen Ausflug in +die nahen Rosenfelder. In allen Farben sah ich sie im Geiste wogen und +blühen. Erwartungsvoll bin ich hinausgefahren. Schmutzige, kleine +Banditen wiesen mir das letzte Stück des Weges. Nicht eilig genug liefen +sie mir voraus. Bald las ich auf plump gepinselten Schildern: „Zu den +Rosenfeldern“. Ja, Roland, da stand ich denn erschreckt vor dem +Stückchen Erde, nach dem ich mich so +<span class = "pagenum">52</span> +lange gesehnt hatte. Mochte ich auch suchend Umschau halten, daran war +nichts zu ändern, daß diese flachen, noch in ziemlicher Nähe einem +Kartoffelfeld gleichenden Felder meiner Rosen Heimatboden waren. Gewiß, +ich hatte einen besonders ungeeigneten Tag getroffen; der zu heftige +Regen der vorherigen Tage mochte wohl der Felder Aussehen geschädigt +haben. Nichts wallte und wogte. Alles war ganz niedrig gewachsen, so +ganz anders, als ich es erwartete. Vielleicht wurde zu rasch und zu +erbarmungslos geschnitten; sogar aller Duft war in den Augenblicken, +welche ich inmitten der Felder verbrachte, wie fortgetrieben.</p> + +<p>Anderen Tags begannen sich dann die von mir mitgebrachten Knospen +langsam zu erschließen. Zarter Duft erfüllte mein Zimmer. Ich genoß ihn +fast wehmütig, ohne mir darüber klar zu werden, weshalb er mich so +seltsam berührte. Und ebenso weiß ich nicht, wie es geschehen konnte, +daß<em> die</em> Rosenfelder, die ich nur im Geiste gesehen, +unzerstörbar geblieben sind. Ihr Bild und ihren Zauber konnte die +wirkliche Dürftigkeit nicht verlöschen. Wie oft wird es mir im Leben +später ähnlich ergangen sein? Allmählich habe ich wohl zu ahnen +begonnen, daß nur denen, deren Rosenfelder nie ganz vernichtet +werden<em> können</em>, Rosen blühen, und daß jede Liebe und jedes +Lebens Schönheit ebenso gefährdet ist, wie einst die meiner +Rosenfelder. —</p> + +<p>Wozu eigentlich dieser endlos lange Erguß?<em> Eine</em> glücklich +verlebte lebendige Stunde gibt mehr als ein meisterhaft stilisierter +„Kommentar“ zu<em> unserem</em> Denken und Fühlen.</p> + +<p class = "signature"> +Maria.</p> + + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">53</span> +<a name = "brief16" id = "brief16"> +<em>Roland an Maria.</em></a></p> + + +<p>Einzige, ja, warum schreiben wir uns? Auch ich frage es mich, aber +ich antworte mir sehr einfach: ich weiß es nicht. Ja, was weiß ich denn? +Weiß ich, warum ich geboren wurde, wann ich sterben werde? Weiß ich, +warum ich — ohne bestimmten Grund — heute glücklich bin, +morgen aber aus unbekannter Ursache unglücklich und ganz herabgestimmt +sein kann? Weiß ich, warum ich heute strahlenden Auges einen großen +Dichter zu genießen vermag, und warum ich mich morgen im Tumult +nichtssagender Alltäglichkeiten herumschlage? Weiß ich, warum ich heute +kühn bin wie ein Held und morgen verzagt wie ein Schwächling? Weiß ich, +warum ich heute alles einzusehen scheine und morgen gar nichts? Weswegen +ist es nun für mich gerade nötig zu wissen, warum ein Gott uns zwingt, +einander zu schreiben? Vielleicht lockt nur der weiße Bogen, ihn zum +Boten für schnell schwindende Stimmungen zu nehmen, für Stimmungen, die +in jeder Färbung fruchtbarer Boden unseres Denkens und Dichtens werden +können. Nur ein Hauch dringt ja bis zum Anderen, denn — <ins class += "correction" title = "Original hat »ob-/mündlich« am Linienende">ob +mündlich</ins> oder schriftlich — es gelingt doch nie, sich ganz +mitzuteilen. Weder in Briefen, noch in Werken sind wir wirklich restlos +die, die wir für den anderen sein möchten.</p> + +<p>Ich muß jetzt auf der Hut vor mir selber sein, weil ich merke, daß +sich etwas wie Hang zum Spott in mir entwickelt, der mir zwar leicht +billigen Erfolg einbringen könnte, aber nichts sonst. Nutzlos im +höchsten Grade bleibt ja alles bloße Verneinen. Spötter finden wohl eine +Zeitlang ihr Echo, +<span class = "pagenum">54</span> +da der Mensch es aus Langeweile nicht ungern hört, wie alles, selbst das +Heiligste, verspottet werden kann. Wer selbst andachtslos ist, glaubt im +Rechte zu sein und zu gewinnen, wenn er Erhabenes herabzieht. Aber nie +wird der Spötter Liebe oder Verehrung finden. Selbst nicht bei denen, +welche er unterhalten und zum Lachen gereizt hat. Die Menschheit liebt +und achtet instinktiv meist doch nur die, welche die Menschheit geliebt +und geachtet haben. Die besten Menschen waren immer anerkennend und +bereit zu verehren, wenn auch nicht im Sinne von „jedermann“.</p> + +<p>Auf Deinen Wunsch, Maria, habe ich gestern also wieder gebummelt. Das +Resultat: Wie trostlos langweilig wäre es, wenn man sich immer amüsieren +müßte. Glaube mir, Du und die Arbeit, Ihr seid meine Welt. Ich sehne +mich nach keiner „Schule der Erfahrung“, in die ich hier leicht ohne +Voranmeldung aufgenommen werden könnte; ich brauche sie nicht. Sie kann +mich nur stören und verwirren. Was kümmern mich andere Frauen? Du bist +mir<em> die</em> Frau. Andere mögen jünger sein, schöner, reizvoller; +meine glückliche Selbstversunkenheit schließt anderes Begehren aus. Jede +Liebe trägt wohl ihr Tempo in sich; Du bist mir das Fortreißende. Du, +die durch soviel oder so viele Leben geschritten bist, Du ermissest +vielleicht nicht, daß gerade das Fernsein von allen brausenden und +berauschenden Vorgängen mir Segen gebracht haben +könnte. —</p> + +<p>Ich bemühe mich nun weiter, Menschen auf die Bühne zu stellen, die +leben; keine Phantasiegeschöpfe. Wird meine Kraft ausreichen, mehr als +blasse Gestalten zu schaffen? Die +<span class = "pagenum">55</span> +Forderung, echte Menschen zu formen, will ich mir immer als erstes +Gesetz ins Gedächtnis rufen. Sollte ich jemals „Einer“ werden, so kann +mein Gebiet nur das Leben der Ueberflüssigen, der Verlassenen, der +Schwachen werden. Laß Dich nicht durch meinen Mangel an praktischer +Erfahrung verwirren. Immer mehr treibt es mich zu denen, deren Leid sich +den Augen entzieht, und das doch oft soviel nachhaltiger blutet als +sichtbares Elend. Du mußt nicht immer an die Zahl meiner Jahre denken, +nicht glauben, daß tiefstes Einfühlen in die Seelen der Enterbten, +Gesunkenen nur der Frau eigen sei. Ueberhaupt werden männliche und +weibliche Eigenschaften viel zu kraß getrennt. Eine Frau mit sogenannten +nur weiblichen Tugenden, ein Mann mit Eigenschaften, die wir lediglich +als männliche zu rühmen geneigt sind, können keinesfalls als ideale, +vorbildliche Menschen gelten. Wenn Dir, Maria, die ganze Welt oft nichts +anders als ein Garten Eden dünkt, so wirkst Du in dieser Unschuld +beschämend wie ein Kind; wenn Dir die Hartherzigkeit der Gesellschaft +die Augen feuchtet und sanfte Wehmut Dich verklärt, so bist Du ganz +Frau, und doch, wieviele Schattierungen birgt gerade Dein +Empfindungsvermögen, die von Männern mit Beschlag belegt worden +sind.</p> + +<p>Siehst Du, so wagt Dein „Anderer“ Dich zu sezieren, so rasch ließ er +seinen Charakter verderben. Du mußt ihn unbedingt Deine Ueberlegenheit +fühlen lassen, damit Fülle und Ueberfluß, wie nur Du sie über ihn +ergießest, ihn erinnern, wer<em> Du</em> bist und — +wer er.</p> + +<p>Oft wundere ich mich, Maria, Liebste, daß man, wenn man in einem +verzauberten Schlosse weilt, — und Du bist +<span class = "pagenum">56</span> +doch mein verzaubertes Schloß — noch irgend einen Gedanken neben +der Liebe haben kann. Unzählige Male möchte ich es Dir wiederholen: Ich +lebe nur in Dir, und eben deshalb gleichst Du dem Samenkorn, das in +tausendfachen Farben Ungeahntes zu Blüte und Frucht in mir zu treiben +beginnt. Ueber die allerersten Anfänge bin ich wohl schon ein wenig +hinaus. Immer mehr packt es mich, dieses Ungeahnte, das sich beim ersten +tiefen Blick von Dir scheu zu regen begann.</p> + +<p>Darf man sich im Rausch einer heiteren Zuversicht hingeben, und darf +man dieser heiteren Zuversicht vertrauen? Plötzlich halte ich mich für +ein Glückskind. Jedesmal, wenn ich zu Dir gehe, scheint mir die Welt +ringsum heller und meine Liebe gewachsen.</p> + +<p>Ich<em> kann</em> mich nicht mehr erinnern, durch wieviele düstere +Straßen jeder Erdgeborene zu schleichen hat, weiß nicht mehr, wie klein +Menschenkräfte im Grunde bleiben, weiß nur von Glanz und Lebendigsein. +Mag dies Fühlen auch nur schöne Täuschung sein, eine wachsende Seele +braucht solchen Betrug. Nur Dich liebt</p> + +<p class = "signature"> +Dein Roland.</p> + + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">57</span> +<a name = "brief17" id = "brief17"> +<em>Maria an Roland.</em></a></p> + + +<p>Geliebter, gestern schriebst Du von meiner Ueberlegenheit. Unsinn! +Nenne es ruhig: „echt weiblich,“ aber — ich mag nicht überlegen +sein. Ueberlegenheit, wie Du sie mir andichtest, scheint Wandlung +— geistige und seelische — auszuschließen; Du aber mußt doch +wissen, daß ich gerade in den letzten Wochen dahin gekommen bin, mich +freudig auch Irrtümern zu unterwerfen. Daß jeder Tag bereit sein könnte, +den vorherigen zu verneinen, übersieht unsere seltsame Kurzsichtigkeit. +Fest liegen die Wurzeln, aber die Brandungen des Lebens bewegen +unausgesetzt die Kronen. Aus Widersprüchen und Spannung geht Entwicklung +hervor. Es ist schade, daß die meisten zu rasch, viel zu rasch aufhören +nach unbegrenzten, unbestimmten, nach schimmernden Horizonten +auszuschauen, gleichsam als wäre ihr Dasein verriegelt. Sie begnügen +sich zu früh mit Wiederholungen, verlangen nichts als einen sicheren, +festen Umriß ihres Lebens.</p> + +<p>Roland, das alles hört sich schlimmer, umstürzlerischer an, als es im +Grunde ist. Allerdings, Menschen, die schon bei lebendigem Leibe +„Entseelte“ sind, mögen sich entsetzen, und vom Tempo der Masse entfernt +es. Ich halte nicht viel von allgemein gültiger Gesetzlichkeit, kaum +wenn sie Dieben und Mördern gilt. Und ich bin froh über jeden, der den +allgemeinen Gesetzen mißtraut; es gibt doch in uns ein Etwas, das wir +„Ritterlichkeit des Herzens“ nennen könnten. In diese Ritterlichkeit +sind alle ungeschriebenen Forderungen hineingeschmiedet, die ein +Untergehen im Gemeinen und Häßlichen +<span class = "pagenum">58</span> +unmöglich machen. Das Schönste bleibt ja doch, daß ein Mensch<em> +dem</em> möglichst nahekomme,<em> was er werden könnte</em> im Sinne +einer Höherentwickelung. Um die aber zu erreichen, darf er Umwege, und +seien sie auch Irrwege, nicht ängstlich scheuen. Ja, er hat nicht nur +das Recht, er hat sogar die Pflicht, alles zu wagen, um zu sich selbst +hinauf zu wachsen. Wohl legt solch Ringen Lebens- und Todesangst auf; +denn wie großartig sich ein Mensch auch nach außen gebärde, seines +winzigen Ichs quälende Nöte kann er vor sich selbst doch nicht +verleugnen.</p> + +<p>Einst, es ist noch gar nicht lange her, nannte ein Freund mein Herz +„weise“. Ich glaube, damals gab es ein paar Minuten, in denen ich mich +über diesen Wahn freute. Weit, weit fort hast Du, Geliebter, diese +meines Herzens vermeintliche Weisheit getragen; federleicht muß sie +gewesen sein.</p> + +<p>Ob wohl viele Menschen so lächelnd ihrer Welt Untergang erleben, ihn +so heiter wie ich überleben? Oder ist auch dieser Untergang nur Schein? +Könnte auch<em> er</em> nur Station sein? Zu oft noch falle ich in den +Kreis jener Vorstellungen zurück, von denen ich mich, seitdem ich Dich +liebe, schon hundertmal für immer entfernt zu haben wähnte.</p> + +<p>Jetzt erfüllt mich oft nichts als das Verlangen, mich wie ein Kind +schluchzend über den Schoß einer Mutter beugen zu dürfen.</p> + +<p>Da siehst Du, Geliebter, wie es um meine Abgeklärtheit bestellt ist. +Wie wenig bin ich. Oder wuchs ich dennoch vielleicht durch das große +Gefühl für Dich?</p> + +<p class = "signature"> +Deine Maria.</p> + + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">59</span> +<a name = "brief18" id = "brief18"> +<em>Roland an Maria.</em></a></p> + + +<p>Maria, immer bin ich jetzt in einem leichten Taumel; oft, vielleicht +zu oft von diesem Feuerlicht geblendet, das zwischen Dir und meiner +Schaffenstrunkenheit hin und her zu flammen scheint. Immer ringe ich mit +„Ereignissen der Seele“, die ich niemandem schildern könnte, — +auch nicht einer Maria. Ich komme mir wie das Werkzeug vor, das +gestalten muß, was der „unbekannte Gott“ in ihm entfachte. Und doch muß +ich „mich selber erst los werden“, muß jene Ereignisse aus mir heraus +geschleudert haben, um mich von all der seligen Unwirklichkeit lösen zu +können. Aber nein, nein, verzeihe, geliebte Frau, die einzige selige +Unwirklichkeit erlebte ich durch Dich, danke ich Dir, Du mein holdes +Verhängnis.</p> + +<p>In den letzten Tagen überfiel mich sekundenlang die Vorstellung, ein +Wirbelwind könne mich Dir, in eine andere Wirklichkeit hinein, +entreißen. Aber — nicht wahr — ein so elementarer Orkan wäre +auf<em> dieser</em> Erde unmöglich? Wie kann ich Dir nur solche Torheit +beichten? Erinnere Dich, was ich war, als Du mich das erste Mal sahst! +Schmerz und Erregung und unbestimmte, glückverheißende Erwartung trieben +mich Dir zu, und jedesmal fliege ich mit den gleichen Empfindungen Dir +entgegen. Du siehst, es war nicht nur „momentane Begeisterung“, deren Du +mich anfangs beschuldigtest. Ich will Dir nie entkommen, nie. Und doch +konnte diese zweite unvermutete Wonne sich über mich ergießen, die +mir<em> auch</em> eine unermeßliche Fülle von Glück geschenkt hat. +Begeisterung muß lange schon +<span class = "pagenum">60</span> +in mir „aufgestapelt“ gewesen sein, bevor Du kamst und mit Dir das<em> +fröhliche</em> Sehnen.</p> + +<p>Nichts soll nun in meinem Leben dahinwelken, ohne Frucht getragen zu +haben, deß sei gewiß! Ob ich je etwas tun könnte, etwas denken, was Du +— ganz einfach sei es gesagt — nicht von mir geglaubt +hättest?</p> + +<p>Verjage den einsamen Hochmut, der jetzt zuweilen wie Unkraut jäh in +mir aufsprießt. Oder sollte auch er eine Bedeutung haben, die ich jetzt +noch nicht ermesse?</p> + +<p>Meine heutige Sprunghaftigkeit bedarf der Erklärung. Ich hätte in +meiner Arbeit fortfahren sollen, weil ich ganz in sie versunken schien; +und doch fühlte ich mich nicht minder stark zu Dir gezwungen. Du siehst +in meinen Versen heute das unzulängliche Ergebnis dieses Zwiespalts.</p> + +<p>Nie möchte ich in alltäglichem Sinne mit Dir verbunden sein; nur das +Vollkommenste meines Wesens darf Dich berühren, immer sollst Du mir +heilig bleiben.</p> + +<p>Maria, Maria, fängt das Leben schon an, mich in ein Chaos zu stürzen, +in dem es von ewigen Widersprüchen gärt?</p> + +<p class = "signature"> +Roland.</p> + + + + +<p class = "letterhead"> +<span class = "pagenum">61</span> +<a name = "brief19" id = "brief19"> +<em>Maria an Roland.</em></a></p> + + +<p>Roland, mein Junge, noch weiß ich nicht, wann ich die Briefe, die +ich<em> nun</em> schreibe, an Dich abschicke, weiß nicht, ob diese +Gedanken, die immer ein sinnendes Sprechen mit Dir sind, überhaupt +Briefe zu nennen sein werden. Aber jetzt, nachdem das tägliche Schreiben +an Dich aufhören mußte, weil mein Brief nicht mehr<em> die</em> Post für +Dich sein kann, zwingt mich dennoch ein Etwas, Dir — fast möchte +ich sagen „Rechenschaft“ abzulegen von all dem wundersamen +Durcheinanderwogen der Welt in mir.</p> + +<p>Briefe, wie wir sie einander schrieben, verlieren in<em> dem</em> +Augenblick ihre Daseinsberechtigung, in welchem sie nicht mehr +klopfenden Herzens erwartet werden. In Dein Leben trat unerwartet rasch +so viel Zeit und Sammlung heischende Wirklichkeit, — wir nennen +das alles nun ja Dein Glück —, daß ich kaum die Empfindung bannen +kann: „Sollte es für<em> mich</em> nicht doch schwer sein<em> +dürfen</em>, für dieses Glück Opfer zu bringen?“.</p> + +<p>Während ich jetzt schreibe, lebe ich all unsere aufregenden +Augenblicke noch einmal durch.</p> + +<span class = "pagenum">62</span> +<p>Also: Hundertmal hatte man es sich wiederholt: „es ist ja ganz egal, +ob es aufgeführt wird“, und dann — freute man sich trotz dieser +Versicherung so unverhältnismäßig, dann benahm man sich wie ein ganz +gewöhnlicher Mitbürger, der in der Lotterie gewann. So toll hat kaum je +einer an meiner Klingel gerissen wie Du, so jubelnd mich nie jemand an +sich gezogen. Wort für Wort habe ich es dann vernommen: „Haben Sie +tatsächlich früher nie ein Stück geschrieben?“ „Sie müssen sich aber +verpflichten, all Ihre weiteren Werke zuerst unserer Bühne +einzureichen.“ In buntem Durcheinander hast Du berichtet und dabei meine +Hände gestreichelt.</p> + +<p>War das unser schönster Abend, Roland? Nein, viele Stunden vor diesem +waren erfüllt von Klang und Reichtum, aber jener Abend hatte einen +besonderen Glanz. Ich dünkte mich wie eine Göttin, (gewiß ein törichter, +ein alltäglicher Vergleich), deren Seele vor Monaten leuchtende Strahlen +in Dich flutete, Strahlen, die nicht, wie es das Schicksal fast alles +Strahlenden ist, erlöschen konnten, sondern aus denen Dein Schaffen +geboren wurde.</p> + +<p>Auch ohne Sekt wären wir berauscht gewesen, aber wir hatten beide die +kindliche Vorstellung, irgend etwas müsse äußerlich zur Feier mitdienen. +Von keinen Schwierigkeiten haben wir mehr gewußt; wir gaben uns ganz +einem Zauber hin, dem wir uns nicht zu entreißen vermochten. Auch mein +Blut begann zu singen. In Deinen Augen brannte Liebe, nur Liebe. Wir +wußten von keinem Theater mehr. Du erzähltest mir eine Geschichte, die +ich kannte, und die zu hören ich nie müde wurde: die Geschichte vom +Beginn unserer Liebe. Jeden Datums entsannst +<span class = "pagenum">63</span> +Du Dich, jedes erhöhenden Augenblicks. Erwartungsvoll fragte ich wie ein +lauschendes Kind in jeder Pause: „Und +weiter?“ — —</p> + +<p>Wohin war alle Erdenschwere entflohen? Bin ich je sturmdurchwühlt +gewesen, von Unruhe zerquält, von Zweifeln gemartert? „Da fing mein +Leben an, als ich Dich liebte.“</p> + +<p>Ja, ja, so muß man das Leben behandeln: es belächeln, stolz und +königlich ihm begegnen — sich nicht sklavisch vor ihm winden +— nicht in törichtem Grübeln Kräfte vergeuden.</p> + +<p>Eine stille Mondnacht floß durch die weiten Fenster zu uns herein, +aber wir brauchten mehr Luft. „Komm,“ sagtest Du, sonst nichts. Wir +stiegen die Treppen hinab und wanderten auf dem silbernen Mondstreifen +dahin, der wie ein schmaler Teppich vor unseren Füßen flimmerte.</p> + +<p>Konnte der Traum von dem, was das Leben nie zu gewähren scheint, +dennoch Erfüllung geworden sein? Lautlos umfing uns der Wald. Wir hatten +zu sprechen aufgehört. Ich vernahm nichts als den Gesang meines Herzens. +Erst Deine Worte unterbrachen die Stille: Am folgenden Nachmittage +würden wir uns zum ersten Male nicht sehen können. Die wenigen Stunden +nach Schluß Deiner Bureauarbeit mußten für wichtige Besprechungen, für +entscheidende kleine Aenderungen an Deinem Stück genützt werden; all das +war selbstverständlich, aber etwas kann zwar selbstverständlich +erscheinen, und doch — wehe tun. „Es ist Zeit heimzugehen,“ sagte +ich. Meine Stimme kam mir in diesem Augenblick verändert vor. Ich +fröstelte. Ein Landmann, der zur nahen Stadt mußte, trug seine Laterne +in der Hand; ihr winziges Flämmchen +<span class = "pagenum">64</span> +schwebte uns entgegen. Sicher wollte er zum frühen Markt. Da erinnerte +ich mich, daß das Leben weiterging. Wir sprachen wieder mit Erregtheit +von Deinem Stück, von all den neuen Aussichten, die seine Annahme +eröffnete.</p> + + +<p class = "subhead"> +<a name = "brief19a" id = "brief19a"> +<em>Später.</em></a></p> + +<p>Roland, Roland! Am nächsten Sonnabend findet also schon die +Aufführung statt! Seit Wochen gelten all unsere Gespräche diesem +Ereignis. Wir können an nichts denken außer an Schauspieler, Proben, +Kritik, Regie, Wirkung auf ein Publikum oder an ähnliches. Du hältst +Dich für alle Fälle gewappnet. Mir scheint, für Niederlagen ist man nie +genügend oder richtig gewappnet, aber trotzdem — so oft Du jetzt +von „verblödetem Publikum“, von „nichtssagender Presse“ sprichst, steht +Dir auch das. Oft sehe ich Dich, Du weißt es ja, nur stumm +staunend an.</p> + +<p>In den Tiefen Deiner Seele, in Deinem großen Gefühl für mich kann +sich nichts verändert haben, nur die stillen Pfade, auf denen wir dahin +wandelten, sind bevölkert.</p> + +<p>Der Zufall oder das Glück haben Dich aber auch fast beängstigend +rasch in die Höhe geschnellt. Zwar ist noch nichts entschieden, jedoch +allein die Möglichkeit, einem Publikum Dein Können vorzuführen, bedeutet +ja schon unabwägbar viel. Ein so unwahrscheinliches Zusammentreffen, wie +Du es erlebtest, würde sicher in einem Roman belächelt werden, während +doch die Wirklichkeit oft genug die tollsten Sprünge vollführt: ein +bescheidener Bankbeamter, der nur Interesse an seinen Büchern zu haben +scheint, arbeitet neben einem jungen Menschen, dessen +<span class = "pagenum">65</span> +Onkel Dramaturg an einem ersten Theater ist. Wie haben wir gelacht, als +Du des Kollegen „Aufschneiderei“ erwähntest. Aber man konnte ihm ja +„unser“ Stück anvertrauen. Wir sind gar nicht erwartungsvoll gewesen. +Unsere fieberhafte Unruhe entsprang anderen Gründen, ganz anderen; sie +lagen weit ab vom Theater.</p> + +<p>Schon nach acht Tagen kam die Einladung ins Büro der Direktion.</p> + + +<p class = "subhead"> +<a name = "brief19b" id = "brief19b"> +<em>Später.</em></a></p> + +<p>Freitag. Noch vierundzwanzig Stunden! Roland, ich habe richtige +Examensangst; Herzklopfen wie ein Schulmädchen. Und weshalb? Nur weil +sich morgen der Vorhang vor Deinem Stück heben wird. Dabei wiederhole +ich mir immer wieder: Was bedeutete es, wenn es durchfiele? Deshalb bist +Du doch „etwas“; deshalb berechtigt Dein Talent doch zu besonderen +Erwartungen. Du wirst nicht leicht zu entmutigen sein, auch wenn die +Presse Dich dies erste Mal ablehnt. Wie immer die Würfel fallen,<em> +meinen</em> Glauben hast Du nötig; denn auf wechselnde Stationen mußt Du +Dich nun gefaßt machen: vor den ersten toten Zeiten in Deinem +künstlerischen Schaffen wirst Du Dich entsetzen, vor gänzlichem +Versanden zittern; Du wirst dann nicht hoffen, daß sich je wieder in Dir +etwas regen könne. Mehr als je wirst Du mich brauchen, meine Erfahrung, +meinen nie zu erschütternden Glauben. Das ist ja noch kein Glaube, der +nicht<em> immer</em> über einem Schaffenden schimmert, wie ein ewiges +Licht, welches nie verlöschen darf. —</p> + +<span class = "pagenum">66</span> +<p>In diesem plötzlichen Aufstieg liegen sicher Gefahren, wenn auch ganz +andere wie in stets vergeblichen Versuchen. Nennen sie Dich nach der +ersten Aufführung „eine Hoffnung“, so wirst Du beim zweiten Stück diese +Hoffnung „nicht erfüllt“ haben. Hob Dich Dein erster Schritt in die +Oeffentlichkeit gleich auf eine ansehnliche Höhe, so verzeichnet man +beim folgenden sicher „keinen Fortschritt“. —</p> + +<p>Auch heute können wir uns nicht sehen; morgen nur in der Unruhe vor +der Aufführung. Eigentlich bist Du, mein Junge, mir halb verloren; der, +welcher mich nun liebt, ist zwar<em> jener</em> Roland, den ich ahnte, +aber ich bin nicht mehr<em> allein</em> für ihn die Welt, in der er +lebt.</p> + +<p>Um die Stunden bis zum morgigen Abend schneller hinzubringen — +ich selbst bin nicht imstande, ruhig zu arbeiten — habe ich +gestern einen alten Freund zu mir gebeten, von dem mich die Erlebnisse +der letzten Monate entfernten, ohne uns trennen zu können. Daß ich Dich, +Geliebter, allen bisher „unterschlagen“ habe, gewährt mir nun ein +besonders fröhliches Empfinden. Ich fürchtete sicher keine Gefahr Deiner +Gefühle für mich. Nur allein die Vorstellung, jemanden, der in mein +Leben einzugreifen beginnt, von kritischen Blicken gemessen zu wissen, +erscheint mir immer — so überspannt es auch klingen mag — +wie Lästerung. Ich mag meine Freunde nicht „zur Diskussion gestellt“ +wissen. Immer<em> wundern</em> sich ja doch die Anderen; für die meisten +ist das Unsichtbare, das Menschen zusammentreiben kann, nicht vorhanden; +in unwägbare Werte versenken sie sich nicht. Und nun gar in einem so +schwierigen Fall, wie dem zwischen einer älteren Frau und +<span class = "pagenum">67</span> +einem jungen, viel zu jungen Menschen. Kopfschüttelnd würde „man“ +festgestellt haben: „Unbegreiflich! Wer hätte das erwartet? +Ueberraschendes konnte man ihr wohl zutrauen, aber daß sie so +kurzsichtig sein könne, so befangen, so blind? Was ist denn der Mensch? +Was kann er? Wie alt schätzen Sie ihn? Liebe muß da doch völlig +ausgeschlossen sein.“</p> + +<p>Ja, ausgeschlossen, Roland! Habe ich selbst das nicht gemeint; war +ich nicht auch dessen sicher?</p> + + +<p class = "subhead"> +<a name = "brief19c" id = "brief19c"> +<em>Am Sonnabend Nachmittag.</em></a></p> + +<p>Wir sind zusammen auf der Generalprobe gewesen. Ein Schauspieler +hielt mich für Deine Mutter. Ich erschrak; an<em> die</em> Möglichkeit +habe ich nie gedacht. Aber niemals werde ich eine andere Jugend +festhalten wollen, als die des Geistes — die soll ewig währen. Mit +Farbe und Schminktopf erreicht eine Frau selten mehr als<em> sich +selbst</em> möglichst lange äußere Jugendlichkeit vorzutäuschen, es sei +denn, sie habe sich durch fast ausschließliche Vertiefung in<em> +dieser</em> Art der Malerei Meisterschaft erworben. Jene Anrede wirkte +im Augenblick, besonders durch Deine Gegenwart, sehr quälend. Wäre nur +Eitelkeit die Ursache des Peinigenden, so hielte ich mich für ein +Gänschen in landläufigem Sinne, und ich selbst wüßte jenes reißende +Wehgefühl nicht in Einklang mit dem Grundton meines Wesens zu bringen. +Doch die Minute, in der das: „ich freue mich, — Ihre Frau Mutter“ +— vernehmbar war, genügte, um die Frage in mir wieder +aufzuschrecken, ob ich<em> mehr</em> als ein +<span class = "pagenum">68</span> +kurzes, starkes Erlebnis in Deinem Leben sein darf? Monatelang hat diese +Frage fast geschlafen. Ich wähnte uns über trennende Sitten, über +Einflußmöglichkeiten, deren Wirkungen auch die tiefste Liebe nicht aus +der Welt bannt, erhaben.</p> + +<p>Heute zeigte mir die Wirklichkeit kraß ihr Angesicht. Seltsam, daß +wir uns solange einbilden, nichts nach dem Urteil der Welt zu fragen, +bis irgend ein Ungefähr uns jäh das Gegenteil beweist. Ein Unterschied +bleibt zwar: Ich brauche Minuten, mich wieder zurecht zu finden, während +viele sich Wochen oder Monate von einem Angriff oder Ueberfall vergällen +lassen.</p> + +<p>Wie konnte ich nur vollständig vergessen, daß die still wandelnde +Zeit sich immer — ich denke im Augenblick nur an äußerliche +Veränderungen — gebieterisch geltend machen<em> muß</em>. An +andere Gefährdungen will ich jetzt nicht denken. Die beseligende +Uebereinstimmung in uns kann nicht erschüttert werden. Und heute dulde +ich in mir am wenigsten trübe Gedanken.</p> + +<p>Wie lange ist es denn her, daß ich Dich fand; ich meine, daß ich Dich +zwischen den Vielen schweigend und ungelenk stehen sah? Damals bildete +ich mir ein, in Deinen Augen etwas zu entdecken, das mehr verriet, als +Deine scheue Haltung vermuten ließ. Traurigkeit beschattete Dich, die +gar nicht in Einklang mit Deiner blühenden Jugend zu bringen war. Deine +schlanke, nervige Gestalt überragte die Meisten, und doch erschienst Du +keinem beachtenswert; nur mir strömte ein schwaches Fluidum entgegen, +schwach und doch stark genug, mich zu Dir zu ziehen. Plötzlich stand ich +neben Dir, sprach einige gleichgültige Worte und freute mich, daß nichts +in Deiner Stimme +<span class = "pagenum">69</span> +war, was mich störte. Sogleich empfand ich, Du hattest Dich nicht in +meine Nähe gewagt, und es wäre mir doch viel sympathischer gewesen, von +Dir weniger „hochgestellt“ zu werden.</p> + +<p>Noch war der Druck besonders schwerer Stunden, die ich gerade +durchkämpft hatte, nicht von mir gewichen, und doch konnte mich schon +seltsam freudig der Wunsch ergreifen, mit Dir, dem Fremden, allein unter +einer Kirchenwölbung zu stehen oder in Waldeseinsamkeit auf kühlen, +blütenreichen Wegen dahinzuschreiten. Seit Jahren kaum noch empfundene +Verlegenheit ergriff mich. Ich belächelte mich, aber — ich ging +nicht weiter zu anderen Freunden. „Besuchen Sie mich,“ sagte ich +gelassen und sorglos.</p> + +<p>In der Sekunde warst Du, Roland, mir ein Ziel geworden, — +wieder einmal zwang es mich, Menschenbildner werden zu wollen. Mit +welchem Ergebnis?</p> + +<p>Nimmer konnte ich diese seelischen Wandlungen, diese Beschleunigung +unserer Pulse, all diese göttliche Schönheit +voraussehen. —</p> + +<p>— Ich werde nun doch heute „unser“ Kleid anlegen, in dessen +schimmerndem Samt ich Dir an jenem ersten Abend begegnet bin. Deine zwei +Nelken durchhauchen mein Zimmer. Du hast wie ein erfahrener Ritter +gewählt; ihre rosig überhauchte Blässe eint sich herrlich der +Fliederfarbe meines Gewandes. Deine Verse aber, die eben mit den Blumen +abgegeben wurden, werde ich in dieser zerfahrenen Erregtheit nicht +lesen; sie sollen mich heute Nacht empfangen.</p> + + +<span class = "pagenum">70</span> + +<p class = "subhead"> +<a name = "brief19d" id = "brief19d"> +<em>Nachts.</em></a></p> + +<p>Der Morgen steigt herauf, aber ich <ins class = "correction" title = +"Text ungeändert: Fehler für »versuche«?">versuchte</ins> nicht mehr, +mich niederzulegen. Wieder und wieder schaue ich auf Deine Verse; wieder +und wieder beglückt — erschüttert — beunruhigt mich Dein +Lied. Lausche in Dich hinein, Roland. Ist es nicht vielleicht schon aus +dem Glück einer<em> neuen</em> Erwartung geboren?</p> + +<p>Vor einer Stunde begleitetest Du mich nach Hause; im Kreise Deiner +Mitarbeiter haben wir das Ereignis mitfeiern müssen. Wird die Presse uns +auch erst morgen sagen, worin der Autor sich vergriffen hat, was von ihm +in Zukunft zu erwarten, in welcher Rubrik er zu bringen ist, selbst die +ungünstigste Besprechung kann nicht die Tatsache einer starken Teilnahme +der Hörer aus der Welt schaffen.</p> + +<p>Auf ein so atemloses Mitempfinden des Publikums habe ich nicht +gerechnet. Ist ja immer noch die Loslösung einer Frau von sittlich +„feststehenden“ Grundsätzen nicht gerade ein anziehendes Thema. Hätte +ich auch nichts auf Dich übertragen als den Mut, Dich von all jenem +Ballast zu befreien, der am schwersten auf werdenden Menschen lastet, so +bliebest Du<em> doch</em> mein Erbe. Ich habe sicher nur den Zündstoff +zwischen gegebenen Zuständen und notwendigem Revoltieren gelegt. Du +warst eben viel reicher als Du ahntest. Dir, wie so vielen, drohte ein +Steckenbleiben, fern Deiner vorbestimmten Entwicklungsbahn. Menschen, +die sich der Berechtigung ihrer angeborenen Eigenart früh bewußt werden, +sind ja so selten. Nie habe<em> ich</em> mich planvoll durch Hindernisse +winden müssen; nicht etwa, weil keine Hindernisse vor meinen Füßen +lagen, +<span class = "pagenum">71</span> +sondern nur weil mein Blick ausreichte, das Wesentliche meines Ichs zu +erkennen, und in mir Kraft genug war, dieses Wesentliche zu entwickeln, +ohne in egoistische Kälte hineinzugleiten. Der Meisten tastendes Suchen +beirrt immer wieder geheime Verzweiflung. Sie wollen vorher mit +zuverlässiger Sicherheit wissen, wann sie fehl gehen könnten, und wann +es ihr gutes Recht ist, auf eigne Art „Mensch“ zu werden. Ohne +Verletzungen möchten sie hinaus und hinauf. Krisen erschrecken sie.</p> + +<p>Für alle Zeit trägst Du nun ein starkes Lebensempfinden in Dir, und +wie immer Deine äußere Bahn sich gestalte, nie wirst Du in Deinem Werke +und in Deinem Wesen die Schönheit des großen Fühlens verleugnen.</p> + +<p>Ich muß mich nun doch endlich niederlegen und zu schlafen versuchen, +die Nerven könnten rebellieren.</p> + + +<p class = "subhead"> +<a name = "brief19e" id = "brief19e"> +<em>Vier Wochen später.</em></a></p> + +<p>Meine Gedanken beginnen ins Leben zurück zu wandern +— — —</p> + +<p>Wohl weiß ich: Zur Erkenntnis gehört ein bestimmter Abstand. Ist man +seinen Erlebnissen noch zu nahe, so überwiegt das Einzelne so sehr, daß +das Ganze nicht zu überschauen ist. Die Tragweite und der wahre Gehalt +eigener Freude und eigener Leiden sind — besonders in +unmittelbarer Nähe — nicht richtig einzuschätzen. Gewiß, gewiß, +nie sind wir dem Irrtum mehr ausgesetzt, als in Augenblicken, in denen +wir eine neue Erfahrung erleben. Habe ich denn aber in den +<span class = "pagenum">72</span> +letzten Wochen eine neue Erfahrung erlebt? Wohl kaum. Doch wie immer es +sei, Roland, es gibt Entschlüsse, die im Zustande der Exstase gefaßt +werden müssen, sonst faßt man sie nie. —</p> + +<p>Seit acht Tagen bist Du wichtiger Besprechungen halber abwesend; ich +habe Ruhe gehabt, unbeirrt von Deinem Blick, von Deiner Nähe über die +reiche Festzeit nachzudenken, die wir miteinander Monate hindurch +erleben durften.</p> + +<p>Jeden unserer Briefe las ich gestern nochmals durch; Dein +Schreibtisch ist ja längst für mich geöffnet. Scheu berührte ich jedes +Blatt. Während dann meine Blicke über die Seiten dahinglitten — +hier auf dem Platze, auf dem Du so oft meine Hand streicheltest — +in diesem Zimmer, das Du infolge der für Dich nun umgewandelten Welt +seltener und oft nur flüchtig während der letzten Zeit betratest, +erstarkte in mir die Vorstellung (könnte ich vielleicht auch sagen +— der Wahn?) uns vor der Tragödie der Entzauberung retten zu +müssen.</p> + +<p>Ich weiß nicht, wann dieser Gedanke zuerst Besitz von mir zu +ergreifen versuchte. Vielleicht bildete ich mir nur ein, Deine große +Liebe habe all meine einstigen Theorien gänzlich umzuwerfen vermocht, +vielleicht sind sie nie aus meinem Unterbewußtsein gewichen, vielleicht +überbrauste sie nur der sich steigernde Glaube an die Möglichkeit eines +Besitzes, welcher ein Leben<em> ganz</em> auszufüllen vermag. Ich +vergaß, daß es keinen Besitz gibt, dessen wir<em> mächtig</em> sind. Nun +ist’s mir wieder eingefallen, ohne Bitterkeit, ohne Erschrecken, ohne +die Absicht, irgend jemanden zur Rechenschaft dafür ziehen zu wollen. Am +wenigsten Dich, geliebter Junge.</p> + +<span class = "pagenum">73</span> +<p>Nichts ist jetzt notwendig als ein festes Herz. Seltsam, welche Fülle +von Forderungen wir gerade an diesen kleinen Muskel stellen, den wir +unser Herz nennen. Größe soll ihm eigen sein, Treue, Weisheit, Stärke, +Heiterkeit, Güte, Sanftmut; alles — je nach Bedarf.</p> + +<p>An mir ist es, unser großes Gefühl vor dem Prozeß des Alterns zu +retten. Solche Rettung kann nicht teuer genug bezahlt werden.</p> + +<p>Noch umflutet uns ein Meer von Liebe, dessen Verfließen Dir unmöglich +dünkt, aber Verhältnisse können nicht ausbleiben, die uns quälen<em> +müssen</em>. Ich will Dich nie in Konflikte treiben. Heute noch bist Du +fest davon überzeugt, daß Du nur<em> einmal so lieben</em> kannst, wie +Du mich liebst; aber<em> anders wirst Du lieben können, anders</em>. +Deine Kunst wird dazu beitragen, daß Dich dieses „<em>anders</em>“ +rascher überfällt, als Du es für möglich hältst.</p> + +<p>Sollte<em> ich</em> Dich nun für ewig beanspruchen, Dir immer fest +zur Seite bleiben wollen, weil ich die erste Frau bin, die in Dein Leben +eingriff, weil Dein Talent der Liebe zu mir entstieg?</p> + +<p>Glaube nicht, Roland, ich gehe, weil ich Dir entsagen will. Nein, ich +gehe, ehe die gesteigerte Seelenatmosphäre, die ein wundersames Gefühl +uns bescherte, und die jedes Denken an einander in jauchzendes Singen +wandelte, von Mißklängen zerrissen sein könnte. Ich gehe, weil es<em> +der</em> Aufstieg ist, der uns für immer einen kann.</p> + +<p>Kein Schatten soll je das helle Licht zwischen uns trüben, nie soll +des Werktags Gewalt unser Gefühl für einander gefährden; +<span class = "pagenum">74</span> +nie sollen der Gewohnheit graue Schleier zwischen uns wehen.</p> + +<p>„Wen die Götter lieben, den lassen sie jung sterben.“ Ist es nicht +das Gleiche, wenn Liebe nicht erst der Gewalttätigkeit und der Not des +Alterns ausgesetzt wird? Denn auch Liebe altert und ist meist derselben +Verarmung untertan, wie körperliches Verblühen; nur Auserwählten, +Seltenen mag ein anderes Schicksal bestimmt sein. Ich fürchte das +Erwachen aus dem Zustande des Verzaubertseins.</p> + + +<p class = "subhead"> +<a name = "brief19f" id = "brief19f"> +<em>Später.</em></a></p> + +<p><em>Heute</em> sehe ich in meinem Verschwinden eine zwingende +Notwendigkeit, aber nicht immer werde ich fähig sein, mir diesen +Schwerthieb zu deuten.<em> Heute</em> fühle ich trotz Qual und +Entsetzen, daß er nur<em> das</em> durchschneidet, was sterblich +zwischen uns ist, daß er die unzerreißbaren Zusammenhänge nicht treffen +kann.<em> Heute</em> glaube ich hellsehend zu sein; schon in einer Woche +könnte ich mich betrügen und all dieses für einen Anfall von Schwermut +halten, der<em> glücklich</em> überwunden ist. Nein, schnell muß ich +handeln, auch wenn ich inmitten meiner raschen Reisevorbereitungen +wieder und wieder plötzlich nur an „zerstörende Sinnlosigkeit“ +denke.</p> + +<p>Roland, Geliebter, nie sollst Du genötigt werden, vor mir eine Maske +anzulegen.</p> + +<p>Noch kannst Du nicht wissen, ob nicht auch Du zu den<em> ewig +Wandernden</em> gehörst. Die Schwelle in das Land, das besonders reich +an romantischen Täuschungen ist, überschrittest +<span class = "pagenum">75</span> +Du ja erst jetzt. Sonnigen Träumern gewährt es am liebsten Obdach. Und +freien.</p> + +<p>Wir werden beide auf bewegten Meeren bleiben, aber wir werden +erstarken, wenn unser Fühlen, unser Geist nicht mehr wie überfeine +Instrumente durch den leisesten Seelenhauch des Geliebten in Schwingung +geraten. Suche Dir allein jetzt ein Königtum, das von ewiger Dauer ist. +Kein rasches Entblättern bedrohe die Blumen, die in ihm erblühen. Es +muß<em> erfüllt</em> sein von einer Qual, einer Liebe, einer Sehnsucht, +die<em> mehr</em> verlangen als einen Menschen. In<em> diese</em> +Qual,<em> diese</em> Liebe,<em> diese</em> Sehnsucht werde<em> ich</em> +heimkehren.</p> + +<p>Ich kann mein Ich nicht ersticken lassen, muß ursprünglich und +aufrichtig bleiben, muß auf<em> meine</em> Weise an unserer Vollendung +— die ja doch nur Stückwerk bleibt — arbeiten, muß uns vor +Anklagen und Beschuldigungen bewahren.</p> + +<p>Aber all diese flüchtig und in wirrem Durcheinander +niedergeschriebenen Worte werden Dich nicht überzeugen. Doch das gehörte +ja zu dem Schönsten zwischen uns, daß Du meine Beweggründe stets +achtetest, auch wenn sie nicht im Einklang mit Deinem Empfinden standen. +Vor Dir habe ich nie nötig, mich zu<em> verteidigen</em>; welch eine +herrliche Gewißheit! Anfangs wirst Du zu verzweifeln glauben, wirst +grausam leiden, aber Du wirst nicht zu ermitteln versuchen, ob Du mich +in Christiania oder in Athen finden könntest. Ach, daß man sich im Leben +immer, wenn auch in friedlicher Form, zu<em> verteidigen</em> hat! +Unsere Ideale — gleichgültig, ob wir uns öffentlich zu ihnen +bekennen oder nicht — bilden genau einen Teil unseres Selbst, wie +äußerliche Vorzüge oder Fehler. Sie ewig zu entschuldigen, +<span class = "pagenum">76</span> +ist das Gleiche, als wolle man sich wegen der Farbe seiner Haare, oder +wegen der Kleinheit oder Länge seiner Gestalt verteidigen.</p> + +<p>Gebe ich Dich jetzt<em> freiwillig</em> her, so kannst Du mir nie +genommen werden. Laß Dich nicht von täuschenden Ueberlieferungen +beirren; klammere Dich nicht an Ausnahmen, an Beziehungen, die nie +verstümmelt wurden. Wir haben unser „glückliches Jahr“ gelebt. Laß uns +unsere Liebe unverwundbar gestalten, laß uns zum<em> höheren</em> Glück +emporklimmen. Am Firmament bleiben Dir strahlende Lichtfunken. Sehnsucht +ist Glanz auch in sternenlosen Nächten.</p> + +<p>Oder sollte all dies dennoch Phantasterei sein? Selbstmord? +Uebertreibe ich? Irre ich in der Voraussetzung, daß durch meine +Selbstbesinnung Sterbliches in Unsterbliches gewandelt wird? Kann diese +Flucht, an der wir beide jetzt gleich schwer zu tragen haben, nicht +allmählich zum Quell werden, dem die großen Dichter entsteigen? Ich +träume Dich groß; mein<em> Gehen</em> wird diesen Traum leichter der +Wirklichkeit nahe bringen, als mein<em> Bleiben</em>. Ich aber habe mich +zu mir selbst zurückzuwenden.</p> + +<p>Vielleicht denke ich dennoch zu wenig an Dein Entsetzen, an Dein +Erschrecken. Junge, liebster Junge, begreife doch, daß es schöner ist, +an unserem Sehnen zu leiden, als den Tag abzuwarten, an dem das Dunkel +durch enge Fenster zu uns hereinfallen will.</p> + +<p>Heute noch flutet Licht durch weite Portale an uns heran. Ich kann, +ich kann Dich nicht durch das <ins class = "correction" title = +"Original hat »Vrlangen«">Verlangen</ins> beschweren, unseren +leuchtenden Stunden eine Alltagsfortsetzung geben zu +<span class = "pagenum">77</span> +sollen. Wohl kenne ich genau die Antworten, die ich erhielte, erbäte ich +jemandes Rat: Von Ueberspanntheit wäre die Rede, — vom einzigen +Glück im festen Besitz — vom Prüfstein eines starken Gefühls +— von nicht minder schönen, wenn auch gewandelten Gefühlen — +von Bündnissen, die die Zeit nur noch unlöslicher schmiedete. Aber +Roland, wie alt bist Du? Wie alt ich? Weshalb denn mehr? Mehr würde zum +Weniger. Zu oft sah ich Menschen, die sich hemmend aneinander fürs Leben +gekettet hatten. Vielleicht ist dennoch meines Handelns Ursprung tief +verwurzelt mit meinem Künstlertum. Verzweiflung und Verheißung scheinen +mir zusammengeschweißt.</p> + + +<p class = "subhead"> +<a name = "brief19g" id = "brief19g"> +<em>Später.</em></a></p> + +<p>Selbst in diesen Tagen gibt es Augenblicke, in denen ich gar kein Weh +in mir fühle. Und doch, während mir heute der Diener verschiedene +Fahrpläne zur Durchsicht reichte, schreckte ich zusammen, als setzte der +Schlag meines Herzens aus; mir wurde schwindlig, ich konnte nur stehen +bleiben, solange ich mich an irgend einem Gegenstande im Zimmer +festhielt.</p> + +<p>Merkwürdig, wie entgegengesetzte Vorstellungen zur selben Minute an +mir reißen, während ich mich doch am beharrlichsten des letzten +Zusammenseins mit Dir erinnere, Deiner<em> flüchtigen</em> Innigkeit, +als Du zur Bahn stürmtest. Könnte dieses Fortstürmen nicht symbolisch +für Deine nächste Zukunft gewesen sein?</p> + +<p>Soeben Dein Telegramm, das mir die dortigen Erlebnisse meldet und die +Verzögerung Deiner Rückkehr.</p> + + +<span class = "pagenum">78</span> +<p class = "subhead"> +<a name = "brief19h" id = "brief19h"> +<em>Später.</em></a></p> + +<p>Oft hört man, daß Menschen, die beabsichtigen, sich das Leben zu +nehmen, in unerklärlicher Ruhe und Besonnenheit alles für die Tat +vorbereiten. Jetzt begreife ich auch sie. Nachdem mein Entschluß gefaßt +war, konnte ich in seltsamer Ueberlegung ordnen, was geordnet sein +mußte.</p> + +<p>Ich handle aus Naturnotwendigkeit, aus dem, was meiner Natur +notwendig erscheint. Ob falsch, ob richtig, kann nicht mehr das +Entscheidende sein; nicht ob ich göttlichen oder menschlichen Gesetzen +in mir folge. Ich habe aufgehört, das enträtseln zu wollen.</p> + +<p>Während ich dies Letzte schreibe, bin ich schon weit fort; ich +kritzle im Zuge, der mich eilend und rollend immer mehr von Dir +entfernt.</p> + +<p>Liebe, Begeisterung und Leidenschaft für Vieles, was der nur „gesunde +Verstand“ verspottet, werden mein Leben immer zu einem reichen machen. +Freudigkeit und Festigkeit können mich nie für immer verlassen. So nehme +ich, trotz allem, fast heiter dieses — soll ich es Martyrium +nennen? — auf mich. Ich kann auch nicht sagen: Verzeihe. Etwas +eigentümlich Doppeltes ist in jedem Leben, in dem des Künstlers in +verstärktem Grade. Tausend melodische Ueberraschungen werden Deinem +Schmerz entsteigen. Gib Dich ganz jenen berauschenden +Schöpferaugenblicken hin, deren Seligkeiten Du ja bereits erfahren; aus +diesem Eden kannst<em> Du</em> nie vertrieben werden.</p> + +<p>Bedenke ich, wie das alles anfing, wie alles zusammen- und +auseinandertrieb, die Wandlungen und Handlungen, die in +<span class = "pagenum">79</span> +den wenigen Monaten liegen, so ergreift mich etwas wie Andacht vor den +im Dunkel verborgenen Wurzeln des Lebens. Vermissen, Verlangen, welche +Früchte mögen sie Dir tragen?</p> + +<p>Ich brachte alles über Dich in Fülle, auch jetzt das Harte, aber nun +nennt Dich die Welt — einen Dichter.</p> + +<p>Es schmerzt Dich vielleicht, und Du begreifst es kaum, Geliebter, daß +ich in diesen Augenblicken fähig bin, überhaupt zu schreiben. Doch sieh, +immer erscheint mir eine Eisenbahnfahrt wie ein Zwischenspiel, wie ein +Akt, der trotz seiner Tatsächlichkeit eigentlich nicht mitrechnet in der +Schale, auf die all unser Erleben niederfällt. Die Geräusche des +fordernden Tages draußen können die Ansprüche meiner Seele beirren; die +Geräusche einer Fahrt sind schwach, mir kaum vernehmbar; sie werden +übertönt von feierlich schwebenden Gedanken, die zu mir zu Gast +kommen.</p> + +<p>Erst wenn ich diesen Zug verlassen, wenn ich das Ziel meiner Fahrt +erreicht habe — schon Tage vorher werde ich diesen langen letzten +Brief von einer Nebenstation aus an Dich schicken — kann ich zu +ermessen beginnen, was es tatsächlich bedeutet, nie mehr in heißer +Sehnsucht auf Dich warten zu können. Und wie jetzt draußen wechselnde +Bilder an mir vorüberziehen, so werden Stunden wechselnden Fühlens mich +umfangen. — Unser Leidensweg führt durch die Seele, aber der +unserer tiefsten Erkenntnisse, die aufwärts tragen wollen, auch.</p> + +<p><em>Ich hatte Angst vor dem kleinen Glück</em>, aber Menschen, in +denen diese Angst nicht zu überwinden ist, müssen hart sein können +— hart gegen sich und hart gegen die, welche sie am meisten zu +lieben glauben.</p> + +<span class = "pagenum">80</span> +<p>Roland, Du Einziger, in dieser Stunde erlausche ich vieles, was wir +selten in uns vernehmen. „<em>Ich fürchte mich nur, meiner Qual nicht +würdig zu sein.</em>“ Du erinnerst Dich dieses Dostojewski-Wortes, +dessen Inhalt zuerst befremdend erscheint, und das doch imstande ist, +soviel Adliges in uns zu wecken.</p> + +<p>An Bäumen mit weißen Stämmen und hängenden Kronen jagt der Zug +vorüber. Zahllose Bilder wirft die Natur in die dahinfliegenden Fenster: +Gelbwogende Kornmeere, buntblühende Wiesen, rotknospende Büsche, leise +sich wiegende Gräser; sie alle beredte Verkünder des ewig +verschwendenden Nährbodens, der uns trägt. In einen seltsamen +Traumzustand gleite ich hinein — — —</p> + +<p>Draußen ist Erntezeit. Und in uns? Welchen Namen werden wir einst +dieser Zeit geben?</p> + +<p class = "signature"> +Maria.</p> + + + + + + + + +<pre> + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Die Stufe, by Franziska Mann + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE STUFE *** + +***** This file should be named 21115-h.htm or 21115-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/2/1/1/1/21115/ + +Produced by Louise Hope, Norbert H. Langkau and the Online +Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. Special rules, +set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to +copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to +protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project +Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you +charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you +do not charge anything for copies of this eBook, complying with the +rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose +such as creation of derivative works, reports, performances and +research. 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