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-rw-r--r--22123-h/22123-h.htm4581
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+ The Project Gutenberg eBook of Zum Wilden Mann, by Wilhelm Raabe
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+The Project Gutenberg EBook of Zum wilden Mann, by Wilhelm Raabe
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+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
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+Title: Zum wilden Mann
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+Author: Wilhelm Raabe
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+Release Date: July 23, 2007 [EBook #22123]
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+Language: German
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+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ZUM WILDEN MANN ***
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+Produced by Norbert H. Langkau, Jana Srna and the Online
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+<span class="caption">Wilhelm Raabe.</span>
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+
+<h1 style="margin-bottom: 60px;">Zum wilden Mann.</h1>
+
+<h3>Eine Erz&auml;hlung</h3>
+
+<p class="center">von</p>
+
+<h2 style="margin-bottom: 60px; margin-top: auto;">Wilhelm Raabe.</h2>
+
+
+<p class="center" style="margin-bottom: 60px;">Mit dem Bildnis des Verfassers.</p>
+
+
+<p class="center">Leipzig</p>
+
+<p class="center">Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.</p>
+
+
+
+<h2><a name="Erstes_Kapitel" id="Erstes_Kapitel"></a>Erstes Kapitel.</h2>
+
+
+<p>Sie machten weit und breit ihre Bemerkungen &uuml;ber
+das Wetter, und es war wirklich ein Wetter, &uuml;ber das jedermann
+seine Bemerkungen laut werden lassen durfte, ohne
+Schaden an seiner Reputation zu leiden. Es war ein dem
+Anscheine nach dem Menschen au&szlig;ergew&ouml;hnlich unfreundlicher
+Tag gegen das Ende des Oktober, der eben in den
+Abend oder vielmehr die Nacht &uuml;berging. Weiter hinauf
+im Gebirge war schon am Morgen ein gewaltiger Wolkenbruch
+niedergegangen, und die Vorberge hatten ebenfalls
+ihr Teil bekommen, wenn auch nicht ganz so arg als Volk,
+Vieh, Wald, Fels, Berg und Thal weiter oben. Sie waren
+unter den Vorbergen nordw&auml;rts vollkommen zufrieden
+mit dem, was sie erhalten hatten, und h&auml;tten gern auf
+alles weitere verzichtet, allein das Weitere und &Uuml;brige
+kam, und sie hatten es hinzunehmen, wie es kam. Ihre
+Anmerkungen durften sie freilich dar&uuml;ber machen; niemand
+hinderte sie.</p>
+
+<p>Es regnete sto&szlig;weise in die nahende Dunkelheit hinein,
+und sto&szlig;weise durchgellte ein scharfer, bei&szlig;ender Nordwind,
+ein geborener Isl&auml;nder oder gar Spitzbergener, aus der
+norddeutschen Tiefebene her die L&uuml;fte, die Schl&ouml;te und die
+Ohren und &auml;rgerte sich sehr an dem Gebirge, das er, wie
+es schien, ganz gegen seine Vermutung auf seinem Wege
+nach S&uuml;den gefunden hatte. Er war aber mit der Nase
+darauf gesto&szlig;en oder vielleicht auch darauf gesto&szlig;en worden
+und heulte gleich einem b&ouml;sen Buben, der gleichfalls mit
+dem erw&auml;hnten Glied auf irgend etwas aufmerksam gemacht
+<span class='pagenum'><a name="Page_6" id="Page_6">[6]</a></span>und hingewiesen wurde. Ohne alle Umschreibung:
+der Herbstabend kam fr&uuml;h, war dunkel und recht st&uuml;rmisch;
+&mdash; wer noch auf der Landstra&szlig;e oder auf den durchweichten
+Wegen zwischen den nassen Feldern sich befand,
+beeilte sich, das Wirtshaus oder das Haus zu erreichen;
+und wir, das hei&szlig;t der Erz&auml;hler und die Freunde, welche
+er aus dem deutschen Bund in den norddeutschen und aus
+diesem in das neue Reich mit sich hin&uuml;bergenommen hat,
+&mdash; wir beeilen uns ebenfalls, unter das sch&uuml;tzende Dach
+dieser neuen Geschichte zu gelangen.</p>
+
+<p>Der Abend wird gemeiniglich eher Nacht, als man f&uuml;r
+m&ouml;glich hielt; so auch diesmal.</p>
+
+<p>Es ist recht sehr Nacht geworden. Wieder und wieder
+fegt der Regen in Str&ouml;men von rechts nach links &uuml;ber
+die mit kahlen Obstb&auml;umen eingefa&szlig;te Stra&szlig;e. Wir halten,
+kurz atmend, die Hand &uuml;ber die Augen, uns nach einem
+Lichtschein in irgend einer Richtung vor uns umsehend.
+Es m&uuml;ssen da langgestreckte, in ihrer L&auml;nge kaum zu berechnende
+D&ouml;rfer vor uns, dem Gebirge zu, liegen, und
+der geringste Lampenschimmer s&uuml;dw&auml;rts w&uuml;rde uns die
+tr&ouml;stende Versicherung geben, da&szlig; wir uns einem dieser
+D&ouml;rfer n&auml;herten. Vergeblich!</p>
+
+<p>Pferdehufen, R&auml;dergeroll, Menschentritte hinter uns?
+Wer wei&szlig;?</p>
+
+<p>Wir eilen weiter, und pl&ouml;tzlich haben wir das, was
+wir so sehnlich herbeiw&uuml;nschen, zu unserer Linken dicht am
+Pfade. Da ist das Licht, welches durch eine Menschenhand
+angez&uuml;ndet wurde. Eine pl&ouml;tzliche Wendung des Weges
+um dunkles Geb&uuml;sch bringt es uns &uuml;berraschend schnell
+vor die Augen, und wir stehen vor der Apotheke &raquo;zum
+wilden Mann.&laquo;</p>
+
+<p>Ein zweist&ouml;ckiges, dem Anscheine nach recht solides Haus
+mit einer Vortreppe liegt zur Seite der Stra&szlig;e vor uns,
+ringsum rauschende, triefende B&auml;ume &mdash; gegen&uuml;ber zur
+Rechten der Stra&szlig;e ein anderes Haus &mdash; weiter hin, durch
+<span class='pagenum'><a name="Page_7" id="Page_7">[7]</a></span>schw&auml;cheren Lichterschein sich kennzeichnend, wieder andere
+Menschenwohnungen: der Anfang einer dreiviertel Stunde
+gegen die Berge sich hinziehenden Dorfgasse. Das Dorf
+besteht &uuml;brigens nur aus dieser einen Gasse; sie gen&uuml;gt
+aber dem, der sie zu durchwandern hat, vollkommen; und
+wer sie durchwanderte, steht gew&ouml;hnlich am Ausgange mehrere
+Augenblicke still, sieht sich um und vor allen Dingen
+zur&uuml;ck und &auml;u&szlig;ert seine Meinung in einer je nach dem
+Charakter, Alter und Geschlecht vermiedenen Weise. Da
+wir den Ausgang oder Eingang jedoch aber erst erreichen,
+sind wir noch nicht hierzu verpflichtet. Wir suchen einfach,
+wie gesagt, vorerst unter Dach zu kommen und eilen rasch
+die sechs Stufen der Vortreppe hinauf; der Erz&auml;hler mit
+aufgespanntem Schirm von links, der Leser, gleichfalls mit
+aufgespanntem Schirm, von rechts. Schon hat der Erz&auml;hler
+die Th&uuml;r hastig ge&ouml;ffnet und zieht sich den atemlosen
+Leser nach, und schon hat der Wind dem Erz&auml;hler
+den Th&uuml;rgriff wieder aus der Hand gerissen und hinter
+ihm und dem Leser die Th&uuml;r zugeschlagen, da&szlig; das ganze
+Haus widerhallt wir sind darin, in dem Hause sowohl,
+wie in der Geschichte vom <span class="gesperrt">wilden Mann!</span> &mdash; &mdash; Da&szlig;
+wir uns in einer Apotheke befinden, merken wir auf der
+Stelle auch am Geruche.</p>
+
+<p>Die erleuchteten zwei Fenster, welche wir von der durchweichten,
+regen- und sturmwindgeschlagenen Landstra&szlig;e aus
+erblickten, waren die der Offizin, und die Lampe an der
+Decke darin warf ihr Licht durch die breiten Schiebfenster
+auch auf die Hausflur. In der pharmaceutischen Werkst&auml;tte
+herrschte au&szlig;er dem bekannten Duft die gleichfalls
+wohlbekannte Ordnung und Reinlichkeit der deutschen Apotheken.
+Die wei&szlig;en, mit blauen Buchstaben und hin und
+wieder mit schwarzen Totenk&ouml;pfen und den beiden Armknochen
+bezeichneten B&uuml;chsen und Gl&auml;ser in den F&auml;chern
+an den W&auml;nden, die blanken M&ouml;rser und gr&uuml;nschwarzen
+Steinreibeschalen, die Wagschalen und alle &uuml;brigen Ger&auml;tschaften
+sahen ordentlich angenehm und anlockend aus.<span class='pagenum'><a name="Page_8" id="Page_8">[8]</a></span>
+W&auml;re die schreckliche Bank, auf welcher die Meisten von
+uns schon einmal in fiebernder Angst und Beklemmung
+sa&szlig;en und warteten, nicht gewesen, das Werkzeug und Ger&auml;te
+der hohen Kunst h&auml;tte jedermann das h&ouml;chste Vertrauen
+einfl&ouml;&szlig;en m&uuml;ssen.</p>
+
+<p>Aber die b&ouml;se Bank! Der abgeriebene schlimme Stuhl!
+&mdash; Wir sa&szlig;en eben schon darauf &mdash; vielleicht wohl am
+hellen, frostklaren Winternachmittag, oder noch viel schlimmer
+in der stillen, warmen, der entsetzlichen, wenngleich
+noch so sch&ouml;nen Sommernacht; wir trauen den B&uuml;chsen
+und Gl&auml;sern, den Flaschen, Wagschalen und Reibeschalen
+wenig, wir erinnern uns nur, wie wir damals dem ruhiggemessenen,
+geheimnisvollen Wirken des Mannes hinter
+dem Arbeitstische wild und dumm zusahen.</p>
+
+<p>In der Offizin befand sich augenblicklich niemand; aber
+es fiel noch ein Lichtschein aus einem ansto&szlig;enden Zimmerchen,
+dessen Th&uuml;r halb ge&ouml;ffnet stand. Und mit dem
+Scheine drang ein anderer Duft ein, der die apothekarische
+Atmosph&auml;re einer auff&auml;lligen Ver&auml;nderung und Entmischung
+unterwarf; <em>herba nicotiana</em> geh&ouml;rt freilich ebenfalls zu den
+offizinellen Gew&auml;chsen. Wir folgen <span class="gesperrt">diesem</span> Geruch und
+treten in das Nebengemach.</p>
+
+<p>Das Ding in dem engen Raume lie&szlig; sich ganz gem&uuml;tlich
+an. Aus der einen Ecke versendete ein eiserner
+Ofen eine behagliche W&auml;rme, in der anderen war gegen
+einen m&auml;chtigen gepolsterten Lehnstuhl, der leer stand und
+von dem sp&auml;ter noch die Rede sein wird, ein runder Tisch
+gezogen, an welchem auf gleichfalls gepolsterten, hochlehnigen
+St&uuml;hlen sich die jedesmaligen G&auml;ste, mit der Pfeife
+im Munde und ein offizinelles oder nicht offizinelles warmes
+oder kaltes Getr&auml;nk vor sich, den Aufenthalt sicherlich
+recht bequem und behaglich machen konnten. Gegenw&auml;rtig
+jedoch hatte nur der Herr des Hauses, der Besitzer der
+Apotheke &raquo;zum wilden Mann&laquo;, allein auf seinem Stuhle
+Posto gefa&szlig;t, und ob er an diesem st&uuml;rmischen Abend<span class='pagenum'><a name="Page_9" id="Page_9">[9]</a></span>
+wirklich noch jemand zum Besuch erwartete, und ob wirklich
+jemand der Erwartung entsprach, k&ouml;nnen wir augenblicklich
+noch nicht angeben. Wir sind mit der Schilderung
+unserer B&uuml;hne noch nicht zustande und fahren vorerst
+darin fort.</p>
+
+<p>Das Kabinettchen hinter der Offizin war mit einer
+gelblichgrauen, grauschwarz gebl&uuml;mten Tapete, soweit sich
+das &uuml;berblicken lie&szlig;, ausgeklebt. Auf der Fensterbank stand
+neben einigen Blument&ouml;pfen ein K&auml;fig mit einem schlafenden
+Zeisig, der jedesmal, wenn ein Baumzweig im Garten,
+vom Winde gepackt und geschleudert, sch&auml;rfer an der Glasscheibe
+herkratzte, oder wenn ein Regensto&szlig; heftiger an der
+Scheibe trommelte, fester und behaglicher im Gef&uuml;hle seiner
+Sicherheit sich in eine Federkugel zusammenzog.</p>
+
+<p>Eine Eckschenke mit allerlei Tassen, bunten T&ouml;pfen und
+Gl&auml;sern und auf ihr eine ausgestopfte Wildkatze in einem
+Glaskasten d&uuml;rften in der Inventaraufnahme nicht zu vergessen
+sein. Ein vordem recht blumiger, aber nunmehr
+l&auml;ngst verbla&szlig;ter und abgetretener Teppich bedeckte den
+Boden; von der Decke hing eine k&uuml;nstlich geflochtene Graskrone,
+ein Staub- und Fliegenf&auml;nger herab; und wenn wir
+nun noch den Bildern an den W&auml;nden einige Worte gewidmet
+haben werden, so hindert uns weiter nichts, f&uuml;rderzugehen
+und interessanter zu werden.</p>
+
+<p>Die Bilder an den W&auml;nden freilich waren schon an
+sich interessant. Ihre Anzahl allein mu&szlig;te jeden eintretenden
+Betrachter h&ouml;chlichst in Erstaunen setzen und f&uuml;r eine
+geraume Zeit in ein mundoffenes Umherstarren an allen
+vier W&auml;nden, nach allen vier Himmelsgegenden. Hatte er
+sich von seiner &Uuml;berraschung erholt, so konnte er anfangen
+zu z&auml;hlen oder die Zahl wenigstens ann&auml;hernd zu
+sch&auml;tzen. Beides aber war schwer, denn die Bilder und
+Bildchen unter Glas und Rahmen bedeckten in kaum zu
+berechnender Menge die W&auml;nde von oben bis unten, das
+hei&szlig;t so weit nach unten, als es nur irgend m&ouml;glich war.<span class='pagenum'><a name="Page_10" id="Page_10">[10]</a></span>
+Alle Arten und Formate in Kupferstich, Stahlstich, Lithographie
+und Holzschnitt, alle Gegenst&auml;nde und Situationen
+im Himmel und in der H&ouml;lle, auf Erden, im Wasser, im
+Feuer und in der Luft, schwarz oder koloriert.</p>
+
+<p>Viele Ramberg'sche und Chodowiecki'sche Kunstsch&ouml;pfungen,
+unz&auml;hlige Scenen aus dem Leben Friedrichs des Zweiten
+und Napoleons des Ersten, die drei alliirten Monarchen
+in drei verschiedenen Auffassungen auf dem Leipziger
+Schlachtfelde, die am Palmbaum h&auml;ngende Riesenschlange,
+an welcher der bekannte Neger hinaufklettert, um ihr die
+Haut abzuziehen, Scenen aus dem Corsar, &raquo;ein Gedicht
+von Lord Byron&laquo;, Modebilder, ein Portr&auml;t von Washington,
+ein Portr&auml;t der K&ouml;nigin Mathilde von D&auml;nemark
+und des Grafen Struensee und, verloren unter all der
+bunten, kuriosen Nichtsnutzigkeit, zwischen zwei Stra&szlig;enscenen
+aus dem Jahre 1848, ein echter alter D&uuml;rer'scher
+Kupferstich: <em>Melancholia</em>!</p>
+
+<p>Wir beendigen die Kalalogisierung. Drei&szlig;ig Jahre hatte
+der w&auml;hrend dieser drei&szlig;ig Jahre fest an seine Offizin gebundene
+Apotheker Philipp Kristeller gebraucht, um seine
+Bildergalerie zusammenzubringen; es war ihm also gar
+nicht zu verdenken, wenn er auf seine Galerie hielt, auf
+seine Kunstliebhaberei und seinen Geschmack sich etwas zu
+gute that. Sein Hinterst&uuml;bchen war wohl geziert, und er
+hatte au&szlig;erdem noch einiges andere, worauf er sich etwas
+zu gute thun durfte.</p>
+
+<p>Wenden wir jetzt unsere Aufmerksamkeit auf den Mann
+am Tische. Er mochte ein Alter zwischen den f&uuml;nfziger
+und sechziger Jahren erreicht haben, war von Leibesbeschaffenheit
+mehr hager als dick, von Farbe mehr gelb und
+grau als rot und braun und von Statur mittlerer Gr&ouml;&szlig;e.
+Er trug einen grauen Schlafrock, niedergetretene, dunkelrote
+Pantoffeln und auf dem silbergrauen, schlichten Haar
+eine dunkelgr&uuml;ne Hauskappe mit abgegriffener Goldstickerei,
+einen Kranz von Eicheln und Eichenbl&auml;ttern darstellend.<span class='pagenum'><a name="Page_11" id="Page_11">[11]</a></span>
+Er rauchte aus einer langen Pfeife, auf deren Kopf ein
+Maik&auml;fer gemalt war, und st&uuml;tzte nachdenklich die Stirn
+mit der Hand, den Blick auf den gro&szlig;en, leeren, bequemen
+Lehnstuhl ihm gegen&uuml;ber gerichtet.</p>
+
+<p>Zum ersten Male blickte er empor, als die Th&uuml;r, welche
+aus dem Hinterzimmer nicht in die Offizin, sondern auf
+die Hausflur f&uuml;hrte, leise ge&ouml;ffnet wurde, und ein alter
+Frauenzimmerkopf sich hineinschob:</p>
+
+<p>&raquo;Aber Bruder, welch ein Wetter!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Freilich ein bewegtes Wetter, liebe Schwester.&laquo;</p>
+
+<p>Ob die alte Dame die Antwort noch vernommen hatte,
+mu&szlig; zweifelhaft bleiben, denn sie hatte die Th&uuml;r eben so
+rasch und leise, wie sie dieselbe ge&ouml;ffnet hatte, wieder zugezogen.</p>
+
+<p>&raquo;Ein vernehmbar bewegtes Wetter, in der That,&laquo; murmelte
+der Apotheker &raquo;zum wilden Mann&laquo; l&auml;chelnd und
+nach dem best&uuml;rmten Fenster horchend. In demselben
+Moment klang die Glocke der Hausth&uuml;r, und es wurde an
+das Schiebfenster der Offizin gepocht. Herr Philipp Kristeller
+erhob sich, stellte die Pfeife an den Stuhl und ging
+geb&uuml;ckt in seine Werkstatt. Kopfsch&uuml;ttelnd kam er nach einer
+viertelst&uuml;ndigen Arbeit im Berufe zur&uuml;ck; die Hausth&uuml;rglocke
+erklang von neuem, und eiligen Laufes entfernte sich
+jemand, durch die Wasserlachen der Landstra&szlig;e dem Dorfe
+zuplatschend, ohne im geringsten auf seinen Weg Obacht
+zu haben.</p>
+
+<p>Kopfsch&uuml;ttelnd nahm der Alte seinen Sitz wieder ein,
+z&uuml;ndete seine Pfeife von neuem an und sagte:</p>
+
+<p>&raquo;Eine ungesunde Jahreszeit &mdash; ein Apothekerherbst. &mdash;
+Gute Kasse, aber doch ein schlechtes Gesch&auml;ft.&laquo;</p>
+
+<p>Er seufzte dabei, und das Wort wie der Seufzer zeugten
+unstreitig von einem guten Herzen.</p>
+
+<p>Nun sa&szlig; er wieder einige Minuten, bis er pl&ouml;tzlich zusammenschrak:</p>
+
+<p>&raquo;Mein Gott &mdash; ja aber &mdash; ist es denn so?!&laquo;</p>
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_12" id="Page_12">[12]</a></span>
+Er erhob sich von neuem hastig, schritt diesmal eilig
+in die Offizin, schlo&szlig; ein Stehpult am Fenster auf, nahm
+ein Buch hervor und bl&auml;tterte darin. Seine Finger zitterten,
+seine Lippen zuckten, er sah sich mehrere Male wie
+zweifelnd in dem aromatisch durchdufteten Raum um: es
+war kein Zweifel, jede B&uuml;chse und jedes Glasgef&auml;&szlig;, mit
+oder ohne Totenkopf, befand sich noch auf seinem Platze.
+Der Apotheker Kristeller schlo&szlig; das Buch, legte die Hand
+darauf und rief:</p>
+
+<p>&raquo;Es ist wahrhaftig so! Es ist richtig; heute ist der
+Tag oder vielmehr der Abend. Es sind drei&szlig;ig Jahre auf
+die Stunde &mdash; ein Jubil&auml;um &mdash; und ich hatte das vollst&auml;ndig,
+vollst&auml;ndig vergessen. Dorothea, Dorothea!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Lieber Bruder?&laquo; klang es drau&szlig;en schrill.</p>
+
+<p>Der Alte schritt in seiner Aufregung f&uuml;nf Minuten lang
+auf und ab; dann war seine Geduld zu Ende. Er &ouml;ffnete
+die Th&uuml;r:</p>
+
+<p>&raquo;Dorette, Dorette!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Was giebt es denn, Philipp?&laquo; ert&ouml;nte es aus der
+Ferne. &raquo;Ich h&ouml;re den Wind wohl; aber was kann man
+dagegen thun, &mdash; Th&uuml;r und Fenster sind verwahrt, und
+das &Uuml;brige steht in Gottes Hand.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Ei, ei,&laquo; murmelte Herr Philipp und rief dann: &raquo;Es
+handelt sich nicht um Wind und Wetter. Komm doch einmal
+einen Augenblick herein, Dorothea!&laquo;</p>
+
+<p>Es dauerte noch verschiedene Augenblicke, ehe das m&ouml;glich
+war; aber zuletzt geschah es doch. Da war das Altjungfergesicht
+wieder und jetzt die ganze &uuml;brige Figur und
+zwar mit einem &uuml;ber jeden h&ouml;flichen Zweifel erhabenen
+Buckel zwischen den Schultern.</p>
+
+<p>&raquo;Wir haben es augenblicklich ziemlich eilig in der K&uuml;che,
+lieber Philipp. W&uuml;nschest du etwas, bester Bruder?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Nein; aber heute vor drei&szlig;ig Jahren um diese Stunde
+verkaufte ich in diesem Hause f&uuml;r den ersten Groschen Wundspiritus.
+Den Altvater Zimmermann &mdash; Gott habe ihn<span class='pagenum'><a name="Page_13" id="Page_13">[13]</a></span>
+selig! &mdash; hatte der Gaul an die H&uuml;fte geschlagen. Ich
+habe es mir notirt vor drei&szlig;ig Jahren, und ich hatte es
+g&auml;nzlich vergessen &mdash; dem Lehnstuhle dort zum Trotz!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;O du meine G&uuml;te!&laquo; rief das alte Fr&auml;ulein und verschwand
+nach einigem, wie es schien, ratlosen Z&ouml;gern, schlug
+dann aber die Th&uuml;r um so heftiger hinter sich zu. Schon
+auf dem Hausflur wu&szlig;te Fr&auml;ulein Dorette Kristeller ganz
+genau, was sie zu thun habe, und man hatte f&uuml;r den ferneren
+Abend es noch um ein Bedeutendes eiliger in der
+K&uuml;che der Apotheke &raquo;zum wilden Mann&laquo;.</p>
+
+
+
+<h2><a name="Zweites_Kapitel" id="Zweites_Kapitel"></a>Zweites Kapitel.</h2>
+
+
+<p>Trotz aller geistigen Aufregung mu&szlig;te der Apotheker
+Philipp Kristeller einen erstaunten Blick f&uuml;r die Pforte,
+durch welche die Schwester so pl&ouml;tzlich wieder verschwunden
+war, &uuml;brig haben.</p>
+
+<p>&raquo;Herr Jesus!&laquo; sagte er; und dann versuchte er es von
+neuem, sich ruhig zu setzen, allein es wollte nicht angehen.
+Das bedeutungsvolle Datum brannte wie in feurigen
+Ziffern und Buchstaben vor seinen Augen, und so schob
+er denn den Stuhl unter den Tisch und schlurfte, immerfort
+den Kopf sch&uuml;ttelnd, in seiner Bildergalerie auf und
+ab; und immer klarer und deutlicher stieg die Welt, welche
+vor drei&szlig;ig Jahren, vor einem Menschenalter, war, in
+seiner Seele empor. Ja, von seiner fr&uuml;hesten Kindheit an
+lag mit einem Mal alles in den sch&auml;rfsten Umrissen vor
+ihm, und nur seine ihm allzu fr&uuml;h gestorbenen Eltern
+durchzogen schemenhaft die helle Landschaft. Dagegen stand
+der Vormund in derber, ungem&uuml;tlicher Deutlichkeit in dem
+Zauberlicht und in der Mitte der Scenerie jener kleinen
+Provinzialstadt jenseits des Gebirges, dem Th&uuml;ringerlande
+zu, mit dem Kyffh&auml;user in der N&auml;he und dem Kickelhahn
+in der blauen magischen Ferne.</p>
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_14" id="Page_14">[14]</a></span>
+&raquo;Der allergew&ouml;hnlichste Mensch hat doch immer etwas
+erlebt, wenn er so ein Menschenalter &uuml;ber ein Menschenalter
+hinaus zur&uuml;ckdenken kann,&laquo; murmele der Alte. &raquo;Wie
+lebendig das nun alles ist, was eben tot und vergessen in
+meiner Seele lag. Da ist ja der alte Biedermann, der
+Grauwacker, mein Lehrherr, mit seinem ganzen Haus und
+Hauswesen. Welch ein schnurriger, verbissener Patron er
+war; und dann die Patronin, ich meine die Frau Prinzipalin.
+Herrgott, wie sorgst du in deiner G&uuml;te und Weisheit
+daf&uuml;r, da&szlig; denen, welchen du einen kleinen L&ouml;ffel auf
+den Lebensweg mitgiebst, auch der Brei nach dem richtigen
+Ma&szlig;e zugemessen wird! Ist es mir doch, als versp&uuml;rte ich
+heute noch das Magenknurren aus jener guten, alten Zeit
+unter dem Zwerchfell. Und es war doch eine gl&uuml;ckliche,
+gesunde Zeit! Und gelernt hat man auch das Seinige
+bei dem alten Grauwacker; man mu&szlig; es ihm lassen, er
+verstand das Gesch&auml;ft, die Kunst, und er wu&szlig;te uns darin
+zurecht zu sch&uuml;tteln. Alles, was nachher kam &mdash;&laquo;</p>
+
+<p>Die Glocke der Offizin klingelte von neuem; abermals
+ging der Apotheker in seine Werkstatt zu seiner Arbeit, die
+diesmal etwas l&auml;nger als vorhin dauerte. W&auml;hrend er
+seinen Trank mischte und kochte, f&uuml;hrte er im landl&auml;ufigen
+Dialekt eine Unterhaltung, die wir dem Leser nicht vorenthalten
+wollen, die Mundart freilich abgerechnet.</p>
+
+<p>&raquo;Ihr habt euch bei einem schlimmen Wetter auf den
+Weg machen m&uuml;ssen, Gevatterin. Es steht wohl gar nicht
+gut zu Hause?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Wie mit dem Wetter drau&szlig;en,&laquo; sagte das frische, sehr
+gesunde Bauerweiblein verdrossen. &raquo;Man hat seine liebe
+Not, da&szlig; man sich dar&uuml;ber selber gern vom Tage thun
+m&ouml;chte. Er kann nicht leben und will nicht sterben; &mdash;
+ich glaube, er h&auml;lt sich eben durch das &Auml;rgernis, welches
+er uns macht; &mdash; recht machen kann man ihm gar nichts
+mehr, und von dem Verdru&szlig; lebt er so hin von einem
+Tage zum andern.&laquo;</p>
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_15" id="Page_15">[15]</a></span>
+&raquo;Hm, hm,&laquo; brummte Herr Philipp.</p>
+
+<p>&raquo;Ja, es ist doch so, und der Doktor zieht dann das
+Beste davon. Das Ding hat er gestern Abend verschrieben,
+und es ist uns sehr eilig gemacht; ich meine aber,
+Sie wissen es am besten, Herr Kristeller, da&szlig; kein Tag
+vergeht, an welchem Sie mich nicht auf dieser Bank sitzen
+sehen. So dachte ich denn, es hat wohl Zeit bis morgen,
+und weggeworfenes Geld ist es doch.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Hm, hm,&laquo; brummte Herr Philipp, f&uuml;gte aber diesmal
+hinzu: &raquo;Doktor- und Apothekerrechnungen zahlt wohl niemand
+gern; &mdash; aber wir machen es so billig als m&ouml;glich,
+Gevatterin.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Wie es sich schickt f&uuml;r eine arme, elende Witfrau,&laquo;
+schluchzte die muntere B&auml;uerin hinter ihren Sch&uuml;rzenzipfeln.</p>
+
+<p>&raquo;Na, na,&laquo; sagte der Apotheker, &raquo;zum Teufel, noch lebt
+er ja! Witfrau? junge Frau! ei freilich! &mdash; und meiner
+Meinung nach wird er es noch manches lange, gute Jahr
+durchmachen. Der Doktor und ich wollen schon das Unsrige
+thun.&laquo;</p>
+
+<p>Die untr&ouml;stliche Gattin auf der Bank stie&szlig; einen Ton
+hervor, der alles bedeuten konnte: Dankbarkeit, Hoffnung,
+Freude, Schreck, Mi&szlig;mut, &Auml;rger und Hohn. Der Apotheker
+hatte seine Mixtur fertig, reichte sie durch das Fenster,
+und die jammergeschlagene junge Witwe <em>in spe</em> ging
+ab und zwar zu seinem innigsten Gen&uuml;gen gerade in ein
+erh&ouml;htes Aufw&uuml;ten und Lostosen des Herbststurmes hinein.</p>
+
+<p>&raquo;Die Canaille!&laquo; brummte der Alte, als er in seine
+Bildergalerie zur&uuml;ckkam und sich unter dem Eindrucke der
+Unterhaltung wieder recht fest niederlie&szlig;, nachdem er mit
+merklicher Energie vorher frisches Holz in den Ofen geworfen
+hatte. &raquo;Dies Frauenzimmer h&auml;tte mir beinahe
+meine s&uuml;&szlig;esten Erinnerungen f&uuml;r jetzt zu nichte gemacht,&laquo;
+murmelte er. &raquo;Eben geriet ich in dieselben hinein, als
+das Weib die Glocke zog; aber das ist freilich immer mein
+Los in der Welt gewesen, und anderen wird es wohl nicht<span class='pagenum'><a name="Page_16" id="Page_16">[16]</a></span>
+besser gehen. Und dann ist ja doch auch nichts daraus
+geworden, Johanne! Zusammen sind wir nicht gekommen.
+Jeder hat seinen eigenen Weg gehen m&uuml;ssen; ich unter so
+sonderbaren Umst&auml;nden in diesen verlorenen Weltwinkel,
+du, mein armes Kind und Herz, in dein Grab. <em>Nunc
+cinis ante rosa</em>, einundzwanzig Jahre alt &mdash; ach, Johanne,
+liebe, liebe Johanne! &mdash; Ja, ja, es w&auml;re doch sch&ouml;n und
+gut gewesen, wenn wir zusammengekommen w&auml;ren und
+ich dich heute nach einem Menschenalter hier bei mir h&auml;tte
+als alte, gute, sch&ouml;ne Frau!&laquo;</p>
+
+<p>Es duldete den guten w&uuml;rdigen Herrn an diesem merkw&uuml;rdigen
+Abend nimmer lange auf seinem Sitze. Jetzt
+holte er ein Paket vergilbter Briefe aus dem oben erw&auml;hnten
+Pult und l&ouml;ste den Bindfaden davon ab.</p>
+
+<p>&raquo;Trockene Blumen und Bl&auml;tter,&laquo; seufzte er. &raquo;Alles,
+was ich da in meinen B&uuml;chsen und Schachteln habe, gr&uuml;nte
+und bl&uuml;hte auch einmal wie jedes Wort auf diesem Papier.
+Apothekerwaren? Droguerien? Nein, nein, nein! Jenes
+ist tot und bleibt so; aber dies hier ist noch lebendig und
+bl&uuml;ht fort und kennt keine Zeit und keinen Jahreswechsel.
+Es hat seine Wurzeln in meiner Seele geschlagen: wie
+k&ouml;nnte es da welken und zu nichte werden? In der Sonne,
+im fliegenden Wolkenschatten, im Mondschein, im Nebelziehen,
+im grauen Landregen, im lustigen Schneegest&ouml;ber
+liegt das Thal, liegen die Berge lebendig. Das ist die
+alte Stadt &mdash; ja, da ist sie, wie sie war, als wir jung
+waren; &mdash; jedes Haus ein guter Bekannter. Da ist das
+Eckfenster, an welchem ich stets vorbeigehe, wenn der Alte
+mich auf die Pflanzenjagd schickt. Da sitzt das gute Kind
+mit seinem N&auml;hzeug, und es w&auml;hrt lange, sehr lange, ehe
+sie mich bemerkt, und noch l&auml;nger, ehe ich an die Thatsache
+glaube, da&szlig; sie mir wirklich entgegenschaut und nachsieht.
+Es ist lange, lange eine Liebe ohne Worte, bis der Himmel
+ein Einsehen hat und ein Regenschauer zur richtigen
+Zeit auf einer Landpartie schickt, nachdem er mir vorher<span class='pagenum'><a name="Page_17" id="Page_17">[17]</a></span>
+die gl&uuml;ckselige, heilbringende Idee eingegeben hat, beim
+sch&ouml;nsten Sonnenschein und blauesten Himmel einen Schirm
+mitzunehmen. So lernten wir uns in der N&auml;he kennen
+&mdash; vom Herzen zum Herzen, von Seele zu Seele. Da ging
+das beste Erdenleben an. &mdash; Sie hatte wenig und ich gar
+nichts; aber der liebe Gott hatte ungez&auml;hlte Sch&auml;tze f&uuml;r
+uns und gab eine kurze, kurze Zeit alles mit vollen H&auml;nden.
+Erst im zweiten Sommer nach unserem geheimen
+Verl&ouml;bnis, nachdem wir ein volles Jahr durch in unserem
+Gl&uuml;ck und unserer Hoffnung Million&auml;re gewesen waren,
+fiel uns ein, dar&uuml;ber nachzudenken, was wohl weiter daraus
+werden m&ouml;ge und k&ouml;nne &mdash;&laquo;</p>
+
+<p>Abermals klang die Glocke und unterbrach den erinnerungsvollen
+Traum. Es waren aber diesmal keine Kunden,
+welche den Apotheker &raquo;zum wilden Mann&laquo; st&ouml;rten.
+Die stets recht deutliche Stimme der Schwester Dorette lie&szlig;
+sich drau&szlig;en vernehmen:</p>
+
+<p>&raquo;Da sind Sie, meine Herren! Gottlob, da&szlig; Sie gekommen
+sind. Das ist sch&ouml;n, das ist sehr freundlich von Ihnen.
+Ich wu&szlig;te es aber auch, da&szlig; ich Sie nicht vergeblich bitten
+w&uuml;rde. Dem Bruder ist die gro&szlig;e Merkw&uuml;rdigkeit eben erst
+eingefallen, und da hat es sich mir sogleich schwer auf das
+Herz gelegt, und ich habe dann den Fritz losgejagt. Ich
+kenne ihn ja nur zu gut, den Bruder; er w&uuml;rde sich ohne
+gute Gesellschaft eine traurige Nacht zurecht gemacht haben,
+seine melancholischen Einbildungen w&uuml;rden uns kl&auml;glich
+genug mitgespielt haben. Aber nun ist es gut, denn an
+diesem Abend geh&ouml;ren wir ja doch zusammen, und der
+Bruder wird sich nun recht sehr freuen, &mdash; sch&ouml;nsten guten
+Abend, meine Herren!&laquo;</p>
+
+
+
+<h2><a name="Drittes_Kapitel" id="Drittes_Kapitel"></a>Drittes Kapitel.</h2>
+
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_18" id="Page_18">[18]</a></span>
+Die beiden Herren, zu denen die Schwester Dorette der
+melancholischen Einbildungen ihres Bruders wegen sofort
+geschickt hatte, nachdem er ihr die Bedeutung des heutigen
+Abends zugerufen, waren der Pastor des Ortes, Herr
+Sch&ouml;nlank, und der F&ouml;rster Ulebeule. Ersterer kam, dicht
+in den Mantel gewickelt, mit seiner Laterne und seinem
+Regenschirm, letzterer, jeglicher Witterung Trotz bietend, in
+kurzer, gr&uuml;nkragiger Flausjacke, den derben, eisenbeschlagenen
+Hakenstock unterm Arme. Beide aber sch&uuml;ttelten sich
+vor allen Dingen t&uuml;chtig auf der Hausflur und sagten wie
+jedermann weit und breit:</p>
+
+<p>&raquo;Brr, welch' ein Wetter!&laquo;</p>
+
+<p>Und der F&ouml;rster f&uuml;gte noch hinzu:</p>
+
+<p>&raquo;Das nennt man freilich auch, unterm Wind sich anschleichen;
+aber ein Vergn&uuml;gen war es gerade nicht. Na,
+Pastore, hier haben wir &Uuml;berwind, und f&uuml;r das &Uuml;brige
+wird Fr&auml;ulein Dorette zu sorgen wissen.&laquo;</p>
+
+<p>Der Alte im Hinterst&uuml;bchen, welcher anfangs etwas betroffen
+gehorcht, hatte sich schnell in die Situation gefunden.
+Ein L&auml;cheln auf seinem gutm&uuml;tigen Gesichte wurde
+immer breiter und sonniger, und jetzt ri&szlig; er seinerseits die
+Th&uuml;r auf, welche aus seinem Schlupfwinkel auf die Hausflur
+f&uuml;hrte, und rief in heiterster Laune:</p>
+
+<p>&raquo;Herein, herein, und gelobt seien alle melancholischen
+Phantasien, wenn sie einem so erw&uuml;nschte Gesellschaft ins
+Haus f&uuml;hren. Das war ein Gedanke &mdash; das war eine
+That, Dorette! Herein, liebe Freunde, &mdash; das ist freilich
+ein Abend, um eine Nacht daraus zu machen, und letzteres
+wollen wir und zwar, wie es sich geh&ouml;rt! Herein,
+und jeder an seinen Platz, und ein Vivat f&uuml;r die alte
+Apotheke!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Davon nachher, wenn wir erst Chinesien auf dem<span class='pagenum'><a name="Page_19" id="Page_19">[19]</a></span>
+Tische haben werden,&laquo; sagte der F&ouml;rster, seinen Stock in
+den Winkel stellend. &raquo;F&uuml;rs erste, alter Bursch, ganz sedate
+unsere beste Gratulation zum glorw&uuml;rdigen Jubil&auml;um.
+Wenn der Pastor das noch einmal und mit Salbung vortr&auml;gt,
+so habe ich auch nichts dagegen; aber wenn wir den
+Hasenfu&szlig;, den Physikus hier h&auml;tten, so w&uuml;rde der uns allen
+den Rang ablaufen; ein hirschgerechterer J&auml;ger f&uuml;r einen
+Gl&uuml;ckwunsch und Trinkspruch soll noch gefunden werden;
+aber er ist &uuml;ber Land geholt.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Und wird zu Hause meine Benachrichtigung vorfinden,&laquo;
+sagte Fr&auml;ulein Dorette Kristeller.</p>
+
+<p>&raquo;Sch&ouml;n,&laquo; sprach der F&ouml;rster, &raquo;unter den Umst&auml;nden kriegen
+wir ihn sicherlich noch zu Gesicht. &Uuml;brigens w&uuml;rde er
+es schon ganz aus Naturanlage gewittert haben, da&szlig; wir
+uns hier rudelten. Bis Mitternacht bleiben wir ja doch
+wohl vergn&uuml;gt beisammen?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Nat&uuml;rlich! Hurra!&laquo; rief der Apotheker, und der Pastor
+brachte nun wirklich in Erwartung Chinesiens, das hei&szlig;t
+der Punschbowle, fein, zierlich und schicklich seine Gratulation
+gleichfalls an.</p>
+
+<p>Unterdessen hatte sich das ganze Haus mit eigent&uuml;mlichen,
+anmutigen D&uuml;ften, die den Apothekendunst ihrerseits
+sieghaft bek&auml;mpften, gef&uuml;llt. In des Hauses K&uuml;che hatte ein
+merkw&uuml;rdig lebendiges Treiben begonnen; allerlei Ger&auml;t
+rasselte und klirrte fr&ouml;hlich durcheinander. Punkt neun
+Uhr stand die erste dampfende Schale auf dem Tisch, und
+nicht sie allein, sondern, was dazu geh&ouml;rte, ebenfalls. F&uuml;r
+f&uuml;nf Minuten fand des Apothekers Schwester nun auch
+Mu&szlig;e, sich zu den M&auml;nnern zu setzen und die ersten Belobungen
+derselben in Empfang zu nehmen.</p>
+
+<p>Die Belobungen kamen zu rechter Zeit; aber dann trat
+f&uuml;r einige Augenblicke das Stillschweigen ein, welches immer
+entsteht, wenn ein des Nachdenkens w&uuml;rdiges Getr&auml;nk
+auf den Tisch gesetzt wird. Da&szlig; dieses Stillschweigen
+schnell &uuml;berwunden wird und ein jeder sich merkw&uuml;rdig rasch<span class='pagenum'><a name="Page_20" id="Page_20">[20]</a></span>
+mit der Feierlichkeit des Momentes abzufinden wei&szlig;, ist
+bekannt.</p>
+
+<p>&raquo;Also wirklich bereits ein volles Menschenalter!&laquo; rief
+der geistliche Herr. &raquo;Ich hielt es im Anfang fast f&uuml;r unm&ouml;glich;
+aber nun, da ich im Stillen nachgerechnet habe,
+finde ich und gebe zu, da&szlig; es sich in der That also verh&auml;lt.
+Ich hatte mich in jenem Jahre gerade mit meiner
+guten Friederike in den Stand der heiligen Ehe begeben,
+und mein &auml;ltester Sohn, der Inspektor, ist wahrlich seitdem
+bereits achtundzwanzig Jahre alt geworden.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Wahrhaftig, Pastore, und wenn ich daran denke, wie
+Ihr schlecht bei Leibe hier ankamt, und Euch ansehe, wie
+Ihr jetzo da sitzt, so brauche ich gar nicht an den Fingern
+abzuz&auml;hlen, um an die drei&szlig;ig Jahre zu glauben. &Uuml;brigens
+empfing ich euch alle hier und machte euch die Honneurs
+des Ortes. Zuerst r&uuml;cktet Ihr ein, Pastore, und heiratetet
+Eures Vorg&auml;ngers Tochter; und nachher kam der gleichfalls
+noch anwesende Jubilant, um die gesunde Gegend mit
+seinen Pillen und Mixturen noch gesunder zu machen.
+Den Doktor rechne ich gar nicht; denn ein Mensch, der erst
+ein Dutzend Jahre unter uns haust, ist eben gar nicht zu
+rechnen.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Der liebe Gott hat Euch wirklich in Eurem Einzuge
+gesegnet, lieber, alter Freund,&laquo; sagte der Pastor zum Hausherrn.
+&raquo;Eure zwei Vorg&auml;nger hatten mit gro&szlig;er Schnelligkeit
+in diesem Hause Bankerott gemacht; Ihr aber hattet
+Gl&uuml;ck &mdash;&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Und Verstand,&laquo; fiel der F&ouml;rster Ulebeule ein, &raquo;den
+richtigen Verstand von der Sache; denn in einer so gesunden
+Gegend, wie die hiesige zum Exempel, legt sich der
+richtige Apotheker eben auf etwas anderes, zum Beispiel
+auf einen neuen Magenbitter, wie der &rsaquo;Kristeller&lsaquo; einer ist,
+auf die Fruchts&auml;fte im Gro&szlig;en, auf den Weinhandel und,
+nicht zu vergessen, auf den Kr&auml;uterhandel durch ganz
+Deutschland ins Unerme&szlig;liche. Heute Abend ist denn im<span class='pagenum'><a name="Page_21" id="Page_21">[21]</a></span>
+nat&uuml;rlichen Verlaufe der Dinge der Alte da in seinem
+Schlafrocke der allereinzige von uns, welcher es zu etwas
+gebracht hat. Der Doktor wird es nie zu etwas bringen.&laquo;</p>
+
+<p>Der geistliche Herr seufzte; aber der Apotheker &raquo;zum
+wilden Mann&laquo;, Herr Philipp Kristeller, seufzte ebenfalls,
+und als gerade jetzt Wind und Sturm st&auml;rker und b&ouml;ser
+mit Regen und Schlo&szlig;en durchs Land fuhren, sah er wie
+erschreckt von dem behaglichen Tisch auf das gepeitschte,
+klirrende Fenster. Die alte, gute Schwester r&uuml;ckte dichter
+an ihn heran, indem sie fl&uuml;sterte:</p>
+
+<p>&raquo;Liebe Herren, man mu&szlig; niemandem sein Gl&uuml;ck vorr&uuml;cken,
+es n&uuml;tzt nichts und hat schon h&auml;ufig geschadet; das
+ist meine Meinung. Und ob meines Bruders Gl&uuml;ck gerade
+so gro&szlig; gewesen ist, das steht wirklich noch dahin. Wir
+haben unser Los und Leben genommen, wie es uns gegeben
+wurde, das ist aber auch alles. Auf das Jubil&auml;um
+aber trinke ich doch, und jetzt will ich den Spruch ausbringen
+und sagen: Es lebe die Apotheke &rsaquo;zum wilden
+Mann!&lsaquo;&laquo;</p>
+
+<p>Sie hatte, w&auml;hrend sie redete, die Gl&auml;ser im Kreise gef&uuml;llt,
+und alle stie&szlig;en an, doch mit Nachdenken und Ernst,
+wie es sich geh&ouml;rte. Herr Philipp aber, unruhig auf seinem
+Stuhle hin- und herr&uuml;ckend, sprach leise und mehr zu sich
+selber als zu den andern:</p>
+
+<p>&raquo;Es ist eine Nacht dazu &mdash; die rechte Nacht. Es ist
+mehr als ein Menschenalter hingegangen, seit das, was
+ich mein Hauptgl&uuml;ck nennen sollte, an mich kam. H&ouml;rt nur
+den Sturm da drau&szlig;en, wie er sich unb&auml;ndig hat, ihr
+solltet kaum glauben, da&szlig; sich morgen vielleicht kein L&uuml;ftchen
+regen wird, um das letzte Blatt vom Baume zu nehmen.
+Man sagt, es verj&auml;hre alles; aber es ist nicht wahr.
+Es kommt alles wieder an einen, der Sturmwind wie die
+alte Zeit. Ihr lieben Freunde, wollt ihr mich anh&ouml;ren,
+so will ich euch eine Geschichte erz&auml;hlen, eine kuriose, eine
+recht, recht kuriose Geschichte. Ich will euch erz&auml;hlen, wie<span class='pagenum'><a name="Page_22" id="Page_22">[22]</a></span>
+ich vor mehr als drei&szlig;ig Jahren der Besitzer der Apotheke
+&rsaquo;zum wilden Mann&lsaquo; wurde.&laquo;</p>
+
+<p>Der Pastor sagte gar nichts; aber auch er r&uuml;ckte n&auml;her
+an Herrn Philipp heran, ber&uuml;hrte ermunternd seinen Ellbogen
+und bot ihm zu noch gr&ouml;&szlig;erer Ermunterung die
+blank abgegriffene silberne Dose.</p>
+
+<p>&raquo;Geschichten h&ouml;re ich f&uuml;r mein Leben gern, selbst Jagdgeschichten
+im Notfall!&laquo; rief der F&ouml;rster eifrig. &raquo;Endlich
+ist das Wild los! hin nach der F&auml;hrt &mdash;&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Einen Augenblick!&laquo; bat Fr&auml;ulein Dorette, &raquo;jetzt mu&szlig;
+ich noch f&uuml;r eine Minute in die K&uuml;che, nachher bin ich
+wieder ganz und gar bei dir, Philipp. Die beiden Nachbarn
+entschuldigen wohl.&laquo;</p>
+
+<p>Sie entschuldigten gern und warteten und machten noch
+einige Bemerkungen &uuml;ber die Jahreszeit und die Witterung.
+Nachdem aber die Schwester zur&uuml;ckgekommen war, erz&auml;hlte
+der Bruder wirklich seine Geschichte &mdash; eine kuriose
+Geschichte!</p>
+
+
+
+<h2><a name="Viertes_Kapitel" id="Viertes_Kapitel"></a>Viertes Kapitel.</h2>
+
+
+<p>&raquo;Liebe, gute, treue Freunde und Nachbarn,&laquo; begann der
+Mann, der nach der Meinung des F&ouml;rsters Ulebeule es zu
+etwas im Leben gebracht, d.&nbsp;h. etwas vor sich gebracht
+hatte im Dorfe, &raquo;ich habe, ehe ihr kamet, von der alten
+Zeit verlockt, schon zweimal meinen Archivkasten da in der
+Offizin ge&ouml;ffnet und habe den Staub von der Vergangenheit
+geblasen; jetzt werde ich wohl noch ein Dokument
+daraus hervorholen m&uuml;ssen. Trotz aller wunderlichen Geheimnisse
+liegt mein Geschick vollst&auml;ndig klar auf dem Papiere
+da; nicht etwa da&szlig; ich ein Tagebuch oder dergleichen
+gef&uuml;hrt h&auml;tte, sondern in wirklichen authentischen Schriftst&uuml;cken,
+die ich euch dann auch nachher zu eigener Begutachtung
+in die H&auml;nde geben werde.</p>
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_23" id="Page_23">[23]</a></span>
+&raquo;Mein Vater hatte mir einige Tausend Thaler hinterlassen;
+aber mein Vormund, ein gutm&uuml;tiger, wohlmeinender,
+doch h&ouml;chst zerfahrener und leichtsinniger Mann, hatte
+wenig auf dieselben Achtung gegeben. Als ich das Geld
+gebrauchen konnte, war es bis auf ein Minimum verschwunden,
+und der Vormund legte mir schluchzend das
+Bekenntnis ab: er wisse am allerwenigsten, wo es geblieben
+sei. &Uuml;brigens f&uuml;gte er zu meinem Troste hinzu: mit
+seinem eigenen Verm&ouml;gen sei es ihm gerade so ergangen.
+Er war ein &auml;ltlicher Herr mit drei unverheirateten &auml;ltlichen
+T&ouml;chtern, und alle waren meine besten Freunde; &mdash; was
+blieb mir also &uuml;brig, als mit ihnen zu weinen und so auch
+meinerseits das trockene Faktum in gegenseitiger Liebe und
+Zuneigung feucht zu erhalten. Die drei guten M&auml;dchen
+sorgten f&uuml;r meine W&auml;sche und sonstige Ausstattung, packten
+mir meinen Koffer, und so zog ich nach abgethaner Lehrzeit
+als voraussichtlich ewiges Subjekt ins Laborantentum hinein
+und trieb mich f&uuml;nf oder sechs Jahre lang so umher
+durch S&uuml;&szlig; und Sauer, von einer Epidemie in die andere,
+von einem n&auml;chtlichen Aufgeklingeltwerden zum andern, von
+einer Doktorpfote zur andern, bis ich nach *&nbsp;*&nbsp;* kam, wo
+ich meine Johanne kennen lernte. Da, Freund Ulebeule,
+habe ich wirklich etwas vor mich gebracht, n&auml;mlich die einzigen
+guten, gl&uuml;cklichen Tage meines Lebens!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Gratuliere auch dazu,&laquo; brummte der F&ouml;rster.</p>
+
+<p>&raquo;Ja, in die gl&uuml;ckliche Zeit meines Daseins war ich
+hineingeraten, und es stimmte alles zusammen &mdash; ein ganzes
+Jahr lang!</p>
+
+<p>&raquo;Ich hatte es in jeder Beziehung gut. Mein damaliger
+Prinzipal war ein drolliger alter Kauz, &uuml;ber den ich etwas
+mehr sagen mu&szlig;; denn er verdient das, meinet- wie seinethalben
+in jeder Beziehung. Er war Apotheker mit Liebe;
+aber mit einem gewissen Wahnsinn ein Enthusiast f&uuml;r die
+hohe Wissenschaft Botanik, und er war in der That ein
+bedeutender Pflanzenkundiger. So lange es anging, hatte<span class='pagenum'><a name="Page_24" id="Page_24">[24]</a></span>
+er seine Provisoren und Gehilfen die Offizin versorgen
+lassen und war selber in Wald und Feld seinem Lieblingsstudium
+nachgegangen. Als ich aber in sein Haus eintrat,
+hatte sich das eben ge&auml;ndert. Er war &uuml;ber sechzig Jahre
+alt, seine Augen waren allm&auml;hlich schwach geworden, sein
+R&uuml;cken steif; und wenn er sich zwischen Berg und Thal
+nach einem Gew&auml;chs b&uuml;ckte, so kam er nur mit St&ouml;hnen
+und einem verdrie&szlig;lichen Griff nach dem Kreuz wieder in
+die H&ouml;he. Ich kam, und er stellte ein botanisches Examen
+mit mir an, das an Sch&auml;rfe nichts zu w&uuml;nschen &uuml;brig
+lie&szlig;, gottlob aber ziemlich gut ausfiel, und von dem
+all' mein sp&auml;teres Wohlsein in seinem Hause den Ausgang
+nahm. Nach dem Examen &uuml;berreichte er mir als
+Zeichen seiner Zufriedenheit ein Exemplar von St&ouml;ver's
+Leben des Ritters Karl von Linn&eacute; und hielt mir eine Rede
+&uuml;ber die M&auml;rtyrer unserer &rsaquo;G&ouml;ttin&lsaquo;, und empfahl mir vorz&uuml;glich
+zur Nachahmung das gr&ouml;&szlig;te botanische Genie des
+sechzehnten Jahrhunderts, den Meister Charles de l'Ecluse,
+&mdash; Carolus Clusius aus Arras in den Niederlanden, der
+im Dienste der Wissenschaft im vierundzwanzigsten Jahre
+die Wassersucht bekam, im neununddrei&szlig;igsten Jahre in
+Spanien mit dem Pferde st&uuml;rzte und den Arm brach und
+gleich nach der Heilung den rechten Schenkel; &mdash; der im
+f&uuml;nfundf&uuml;nfzigsten Jahre in Wien den linken Fu&szlig; brach
+und acht Jahre sp&auml;ter sich die rechte H&uuml;fte verrenkte, &mdash;
+der fortan an Kr&uuml;cken gehen mu&szlig;te, einen Bruch und
+Steinschmerzen bekam und doch das wundervolle Buch:
+<em>Variarum plantarum historia</em> schrieb und f&uuml;r alle kommende
+Zeiten wie ein glorreich helles Licht aus dem dunklen
+Jahrhundert, in welchem er lebte und wirkte, her&uuml;berleuchtete.
+Darauf schickte er mich in <em>re herbaria</em> auf die
+Jagd und blieb selber seufzend zu Hause, versorgte die
+Praxis und durchbl&auml;tterte seine Kr&auml;uterb&uuml;cher, die wirklich
+merkw&uuml;rdig in ihrer Art waren und nach seinem Tode
+sicherlich auf den Mist geworfen sind. Zu jeder Jahreszeit<span class='pagenum'><a name="Page_25" id="Page_25">[25]</a></span>
+fast hatte ich f&uuml;r ihn das Land abzulaufen, denn er war
+auch in der Kenntnis der Moose bedeutend, und in den
+Monaten, wo die &uuml;brige Flora in ihrer Pracht steht, ging
+ich fast t&auml;glich meilenweit ins Land oder in die Berge, um
+irgend eine einzige Pflanze zu suchen, auf deren Besitz und
+Studium er augenblicklich sein Herz gewendet hatte. &mdash;
+Das war eine sch&ouml;ne Zeit! das waren Tage, wie ich sie
+seit Jahren nicht in so ununterbrochen gl&uuml;cklicher Folge
+durchlebt hatte, und da ich, wie gesagt, auch bald den Namen
+und das Bild meiner Braut mit mir auf die H&ouml;hen
+und sonnigen Halden und in die schattigen Th&auml;ler nehmen
+konnte, so ist denn weiter nichts mit dem Scheine zu vergleichen,
+wie er mir damals &uuml;ber der Erde und in der
+Seele lag. Da&szlig; ich Rad durch den Sonnenglanz auf den
+Bergen geschlagen h&auml;tte, will ich aber nicht gesagt haben.
+Im Gegenteil! in die Lust am Leben machte sich immer
+ein b&auml;nglicher Zug. Kam ich aus meinen W&auml;ldern zur&uuml;ck
+in die kleine, winklige Stadt, wieder hinein in das
+Gewirr und z&auml;nkische Durcheinander selbst dieser wenigen
+Menschen, so wurde mir oft sogar sehr b&auml;nglich zu Mute.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Das geht allen Leuten so, die ihr Gesch&auml;ft viel im
+Freien aufh&auml;lt, mir auch!&laquo; sagte der F&ouml;rster Ulebeule.</p>
+
+<p>&raquo;Aber noch lange,&laquo; fuhr der Erz&auml;hler, ohne auf die
+Unterbrechung weiter zu achten, fort, &raquo;noch lange war und
+blieb im Freien alles f&uuml;r mich Gegenwart, und erst nach
+und nach wurde drinnen im St&auml;dtchen alles Zukunft, sorgenvolle,
+angstvolle, nebelige Zukunft:</p>
+
+<p>&raquo;Was soll denn eigentlich zuletzt aus dir und deinem
+M&auml;dchen werden?</p>
+
+<p>&raquo;Ich habe es schon gesagt, da&szlig; die richtige Schwerbl&uuml;tigkeit
+mich erst im zweiten Jahre meines dortigen Aufenthalts
+&uuml;bermannte. Im Anfange blieben die tr&uuml;ben
+sorglosen Gedanken bei jedem Ausmarsche innerhalb der
+alten Mauern der Stadt eingeschlossen zur&uuml;ck; erst nach
+und nach begleiteten sie mich &uuml;ber das Weichbild hinaus<span class='pagenum'><a name="Page_26" id="Page_26">[26]</a></span>
+und folgten mir weiter und weiter, bis im dritten Fr&uuml;hlinge
+der dunkle Finger mir &uuml;berall auf meinen Wegen
+drohte und der Prinzipal die Bemerkung machte, da&szlig; ich
+anfange, bedeutend abzumagern, und mich wohlmeinend
+und besorgt an verschiedene nerven- und magenst&auml;rkende
+Droguen unserer Materialkammer verwies.</p>
+
+<p>&raquo;Ach, kein Arzneistoff konnte mir wieder zu vollerer
+Leibesrundung verhelfen! Zwischen Hypochondrie und gutem
+Lebensmut hin- und hergeworfen, schweifte ich umher,
+bis ich den Mann fand, der mir half!</p>
+
+<p>&raquo;Meine Herren und lieben Freunde, in eben diesem
+Sommer machte ich eine Bekanntschaft, eine seltsame, geheimnisvolle
+und, wie Johanne sagte, eigentlich unheimliche
+Bekanntschaft. Ihr habe ich es zu danken, da&szlig; ich
+heute der Besitzer dieser Apotheke &rsaquo;zum wilden Mann&lsaquo; bin,
+und sie ist bis heute, &mdash; ja bis heute, und also l&auml;nger
+als drei&szlig;ig Jahre das ungel&ouml;ste R&auml;tsel, das Mysterium
+in meinem Leben geblieben &mdash;&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Erz&auml;hlen Sie, o erz&auml;hlen Sie!&laquo; rief der Pastor atemlos,
+den Erz&auml;hler in der besten raschesten Mitteilung seines
+Berichtes aus &uuml;bergro&szlig;er Spannung unterbrechend, und
+Herr Philipp Kristeller benutzte die Gelegenheit, um Atem
+zu sch&ouml;pfen, ehe er fortfuhr.</p>
+
+<p>Es schien ihm aber wirklich daran gelegen zu sein, das
+Geheimnis seines Lebens von der Seele los zu werden,
+und so fuhr er fort:</p>
+
+<p>&raquo;Ich fand einfach einen Weggenossen und so zu sagen
+Kollegen auf meinen G&auml;ngen, einen jungen wohlgekleideten
+Mann, der sich gleichfalls mit der Botanik besch&auml;ftigte, nur
+um ein Weniges j&uuml;nger als ich zu sein schien und sich als
+ein Naturfreund und Pflanzenkenner auswies, der selbst
+meinen Prinzipal im verst&auml;ndnisvollen Eindringen in unsere
+hinrei&szlig;ende Wissenschaft &uuml;bertraf. Aus der Gegend war
+er nicht, seinen Namen haben wir nie recht erfahren; wir<span class='pagenum'><a name="Page_27" id="Page_27">[27]</a></span>
+nannten ihn Herr August und sp&auml;ter auch einfach August.
+Sein Familienname war das aber jedenfalls nicht.</p>
+
+<p>&raquo;Der Zufall stie&szlig; uns an einem hei&szlig;en Julinachmittage
+auf einer abgeholzten, gl&uuml;henden Berglehne unter den
+manneshohen Fingerhutb&uuml;schen zwischen dem Gewirr der
+Granitbl&ouml;cke die K&ouml;pfe zusammen und lie&szlig; uns sofort
+h&ouml;flich das Handwerk gr&uuml;&szlig;en. Zuerst begr&uuml;&szlig;ten wir jedoch
+nat&uuml;rlich h&ouml;flich uns selber und betrachteten einander. Was
+der Fremde an mir sah, wei&szlig; ich nicht; mir steht er heute
+noch so klar und deutlich wie damals vor den Augen. Es
+war ein junger Mann, wie gesagt, ungef&auml;hr von meinem
+Alter, hochgewachsen, wohlgebaut, von schwarzem Haar und
+mit einem ernsthaften, energischen Gesicht von etwas gelbwei&szlig;er,
+jedoch keineswegs krankhafter Farbe. Den Kopf
+trug er ein wenig gesenkt, und seine Stimme war wohllautend,
+er gebrauchte sie aber nur zu selten. W&auml;hrend
+unseres ganzen Verkehrs &uuml;berlie&szlig; er es mir vollst&auml;ndig
+allein, die Unterhaltung zu f&uuml;hren; und wie ihr wi&szlig;t, liebe
+Nachbarn, bin ich stets f&uuml;r einen lebhaften m&uuml;ndlichen Verkehr
+gewesen &mdash; vielleicht oft nur zu sehr.&laquo;</p>
+
+<p>An dieser Stelle hatte die Schwester etwas zu sagen,
+und etwas unmutig rief sie:</p>
+
+<p>&raquo;Bester Bruder, sie reden im Dorfe doch schon dumm
+genug von dir!&laquo;</p>
+
+<p>Der geistliche Herr l&auml;chelte; aber der F&ouml;rster lachte laut
+und rief:</p>
+
+<p>&raquo;Ja, Fr&auml;ulein Dorette, f&uuml;r den Anstand ist seine Natur
+freilich nicht eingerichtet, das habe ich zweimal in Erfahrung
+gebracht und werde es mit meiner Einwilligung
+nicht zum drittenmal erleben. Das ist so! er h&auml;lt jedem
+Fuchs, der her&uuml;berwechselt, eine Standrede, ehe er losbrennt
+und vorbeipafft. Aber hingegen bei einem Treiben
+w&auml;re er wohl an Ort und Stelle, und eine Hasenklapper
+ist auch ein recht n&uuml;tzliches Ding.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Ich danke Ihnen f&uuml;r Ihre Bemerkung, Ulebeule!&laquo;<span class='pagenum'><a name="Page_28" id="Page_28">[28]</a></span>
+sprach das alte Fr&auml;ulein spitz und kurz, und jetzt l&auml;chelte
+Herr Philipp Kristeller und lie&szlig; sich nicht weiter auf seinem
+Wege aufhalten.</p>
+
+<p>&raquo;Ich gab also, wie es nicht anders sein konnte, meiner
+Natur nach. Ich erz&auml;hlte dem neuen Bekannten so nach
+und nach von allem, was mir an mir, meinem Leben und
+Zust&auml;nden wichtig d&uuml;nkte. Um alles, von meiner Geburt
+an, wu&szlig;te er bald Bescheid; was ich von ihm dagegen erfuhr,
+war so wenig als m&ouml;glich, das hei&szlig;t gar nichts! &mdash;
+Aber ein guter Gesellschafter war er doch, und wurde ein
+immer besserer, je h&auml;ufiger wir uns trafen. Wir fingen
+an, die Pl&auml;tze miteinander zu verabreden, an welchen wir
+uns finden wollten, und er, als der freiere Mann, war
+stets am Orte. Manchmal begleitete er mich bis an den
+H&uuml;gelhang, an welchem die Stadt liegt; allein so oft ich
+ihn auch einlud, nun auch mit mir in dieselbe hinunterzusteigen,
+so lehnte er das stets bestimmt ab, ohne einen
+Grund f&uuml;r die Weigerung anzugeben. Am Waldrande &uuml;ber
+dem Nordthore nahm er stets Abschied, dr&uuml;ckte mir die
+Hand und ging zur&uuml;ck. In der Stadt und Umgegend
+kannte ihn keiner, so oft und viel ich auch die Leute nach
+ihm ausfragte. Gesehen hatte ihn wohl mancher, und
+manchem war er auch in seinem Wesen und Treiben aufgefallen;
+doch n&auml;here Auskunft &uuml;ber ihn wu&szlig;te niemand zu
+geben. In einem Dorfe, mitten in den Bergen, hatte er
+f&uuml;r ein Pferd und einen leichten Wagen ein Standquartier,
+doch auch da nannte man ihn einfach nur Herr August und
+hielt ihn f&uuml;r einen Studiosen aus der Universit&auml;tsstadt in
+der Ebene, der, &rsaquo;wie schon viele&lsaquo;, von dort in die Berge
+komme, um &rsaquo;die Kr&auml;uter zu verstudieren&lsaquo;.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Scheint mir eine kalte F&auml;hrte gewesen zu sein,&laquo; meinte
+der F&ouml;rster, und der Pastor war derselben Meinung.</p>
+
+<p>&raquo;Ich gab auch nichts darauf,&laquo; erz&auml;hlte Herr Philipp
+weiter, &raquo;sondern setzte den Verkehr fort, wie er sich eben
+machte, und nachdem ich mit dem Herrn August ein halbdutzend<span class='pagenum'><a name="Page_29" id="Page_29">[29]</a></span>
+Male zusammengetroffen war, f&uuml;gte es der Zufall,
+da&szlig; er auch meine Braut kennen lernte. Die hatte mit
+ihren Verwandten und Bekannten an einem sch&ouml;nen Sonntage
+einen Ausflug in den Wald gemacht, und da trafen
+wir, &mdash; als Johanne und ich uns von der lustigen Gesellschaft
+abseits geschlagen hatten und allein f&uuml;r uns gingen,
+auf einem &uuml;berwachsenen Pfade auf meinen geheimnisvollen
+Freund. Wir gingen Arm in Arm, und er ging
+wieder einsam, und sein Gesicht war ernster und tr&uuml;ber
+denn je. Als er uns erblickte, erhellten sich seine Mienen
+zwar, aber nicht auf lange. Er wollte mit uns fr&ouml;hlich
+und heiter sein; aber es gelang ihm schlecht. Er sprach sehr
+gut und freundlich zu meinem Schatz; doch je l&auml;nger er
+mit uns ging und je munterer wir auf ihn einplauderten,
+desto stiller wurde er. Und als nun gar die &uuml;brige Gesellschaft
+singend, lachend und jubelnd zu uns stie&szlig;, da war
+er pl&ouml;tzlich wieder verschwunden, und wir sahen ihn an
+jenem fr&ouml;hlichen Tage nicht mehr. &rsaquo;Du, Philipp, der hat
+ein gro&szlig;es Ungl&uuml;ck erfahren oder windet sich noch durch
+ein solches&lsaquo;, sagte mir Johanne nachher; &rsaquo;Philipp, der
+Mensch thut mir unendlich leid; &mdash; ist es dir denn noch
+niemals bange und traurig in seiner N&auml;he zu Mute geworden?&lsaquo;</p>
+
+<p>&raquo;Die Weiber haben in der Hinsicht einen feinen Blick
+und Sinn, und sie verstehen es, uns Mannsvolk auf manches
+aufmerksam zu machen, was man gef&uuml;hlt hat, ohne
+da&szlig; es einem im Bewu&szlig;tsein klar geworden ist. Ich stutzte,
+und jetzt zuerst fiel es auch mir bei, da&szlig; mein schweigsamer
+Freund auch mir schon einige Male sehr leid gethan habe.
+B&auml;nglich war's mir freilich noch nicht in seiner Gesellschaft
+zu Mute gewesen; doch schon auf dem lustigen Heimwege
+nach der Stadt war es mir ganz klar, da&szlig; von nun an
+auch das Bangen mich zu Zeiten wohl &uuml;berkommen k&ouml;nne.
+Von jenem Tage an achtete ich sch&auml;rfer und sch&auml;rfer auf
+meinen Freund August, und dann einmal fragte ich ihn<span class='pagenum'><a name="Page_30" id="Page_30">[30]</a></span>
+mit aller Aufbietung meiner Beredsamkeit und &Uuml;berredungskraft,
+was ihm eigentlich fehle und ob es durchaus nicht
+m&ouml;glich sei, da&szlig; ich ihm helfe? Ich beschwor ihn inst&auml;ndigst,
+doch ein Herz zu fassen und alles, was ihn dr&uuml;cke,
+mir mitzuteilen. Ich sagte ihm, da&szlig; ich mein Blut und
+meine Seele dran geben w&uuml;rde, ihm zu helfen, und f&uuml;gte
+auch sonst noch bei, was man bei einer solchen zum Zittern
+aufgeregten Gelegenheit ernstlich und innig einem geliebten,
+gesch&auml;tzten und geachteten Menschen sagen kann. Nat&uuml;rlich
+versuchte er zu lachen und versicherte mich, er befinde sich
+k&ouml;rperlich wie geistig vollkommen wohl, sein Gewissen sei
+durchaus nicht durch irgend eine unaussprechliche Schandthat
+belastet; aber f&uuml;r sein Temperament k&ouml;nne er freilich
+nichts, und es sei in der That ein ziemlich unbehagliches
+zu nennen und schon Mehreren aufgefallen. Er sagte, er
+habe ein ungl&uuml;cklich Blut von seinen Vorfahren geerbt,
+und wahr sei, da&szlig; er es stets kr&auml;ftig und aufmerksam im
+Zaume halten m&uuml;sse, wenn nicht jeder Tag, den er lebe,
+zu einem j&auml;hzornigen b&ouml;sen Ende gelangen solle. Er dankte
+mir herzlich f&uuml;r meine G&uuml;te, wie er's nannte, und es war
+mir fast, als s&auml;he ich eine Thr&auml;ne in seinen Augen, allein
+das mochte doch wohl eine T&auml;uschung sein, denn ein solches
+r&ouml;misches M&uuml;nzengesicht, wie das seinige, war auf
+dergleichen Weichheiten hin nicht in die geh&ouml;rige Form
+gegossen.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Was f&uuml;r eine Art Visage hatte er, Kristeller?&laquo; fragte
+der F&ouml;rster Ulebeule.</p>
+
+<p>&raquo;Ein Gesicht wie die Kaiser Nero, Caracalla oder Caligula
+auf ihren Dukaten!&laquo; erl&auml;uterte der Pfarrherr, und
+der Apotheker &raquo;zum wilden Mann&laquo; sch&uuml;ttelte den Kopf,
+glaubte sich aber jeder anderen Antwort &uuml;berhoben und
+ging in seiner Erz&auml;hlung weiter:</p>
+
+<p>&raquo;Meine Braut hatte ihm sehr gefallen. Er lobte ihr
+&Auml;u&szlig;eres und alles, was sie w&auml;hrend des kurzen Zusammenseins
+gesprochen hatte, ausnehmend. Er nannte sie ein<span class='pagenum'><a name="Page_31" id="Page_31">[31]</a></span>
+liebes, braves M&auml;dchen &mdash; was sie wirklich auch war &mdash;
+und er sprach mit tiefen Seufzern den Wunsch aus, eine
+ihr gleichende Schwester zu haben. Da erkundigte ich mich
+denn selbstverst&auml;ndlich noch einmal nach seinen Familienverh&auml;ltnissen,
+er aber versicherte mich, da&szlig; er ganz allein
+in der Welt stehe, Vater und Mutter durch den Tod verloren
+und Geschwister nie gehabt habe; und wie um das
+Gespr&auml;ch schnell zu wenden, fragte er seinerseits, ob der
+Tag meiner Hochzeit bereits festgesetzt sei.</p>
+
+<p>&raquo;Als ich ihm nun gesagt hatte, wie es sich damit verhalte,
+seufzte er: &rsaquo;O, k&ouml;nnte ich Ihnen helfen, Philipp, so
+w&uuml;rde es heute noch geschehen!&lsaquo; &mdash; &mdash; Wie er mir half,
+und weshalb der Ehrensessel da seit drei&szlig;ig Jahren leer
+steht und auf ihn wartet, das will ich euch jetzt sagen.&laquo;</p>
+
+
+
+<h2><a name="Funftes_Kapitel" id="Funftes_Kapitel"></a>F&uuml;nftes Kapitel.</h2>
+
+
+<p>Die kleine Gesellschaft in dem bilderreichen Hinterst&uuml;bchen
+der Apotheke &raquo;zum wilden Mann&laquo; war dicht am
+Tische zusammenger&uuml;ckt. Sie wu&szlig;ten, da&szlig; der alte Freund
+nicht &uuml;bel zu erz&auml;hlen verstehe, doch so wie heute hatte er
+seine Gabe noch nicht gezeigt. Dem F&ouml;rster Ulebeule war
+die Pfeife ausgegangen, Schwester Dorette hielt die Hand
+des Bruders fest in der ihrigen und der Pastor <em>loci</em> klopfte
+leise mit der Dose auf dem Tische und sagte:</p>
+
+<p>&raquo;Also endlich! &mdash; Kein Mensch sollte es doch f&uuml;r m&ouml;glich
+halten, da&szlig; einen solch braves M&ouml;bel, wie ein weichgepolsterter
+Lehnstuhl, drei&szlig;ig Jahre lang auf die Folter
+spannen k&ouml;nne. Lieber Kristeller, dieser Sessel da hat mich
+in der That drei&szlig;ig Jahre lang auf die Folter gespannt!&laquo;</p>
+
+<p>Sie lachten doch trotz ihrer Erregung, und der Herr
+Philipp lachte mit und erz&auml;hlte dann weiter.</p>
+
+<p>&raquo;Der Sommer ging, der Herbst kam. Es wurde September
+und es wurde Oktober, und die Pracht und F&uuml;lle<span class='pagenum'><a name="Page_32" id="Page_32">[32]</a></span>
+der Natur ging f&uuml;r dieses Jahr auf die Neige. Mein
+Prinzipal, der zur Zeit der &Auml;quinoktialst&uuml;rme stets anfing,
+an Gesichtsschmerzen zu leiden, war gezwungen, mich nun
+fester an die Offizin zu binden. Es ging wohl ein Monat
+hin, ehe er mich wieder in die Weite schickte; &mdash; am 15. Oktober
+aber jagte er mich drei Meilen weit nach jener ber&uuml;hmten
+Felsgruppe, die ihr alle unter dem Namen der
+Blutstuhl kennt, einer Moosart wegen, die um diese Zeit
+dort bl&uuml;hte und zwar nur dort allein.</p>
+
+<p>&raquo;Ich war damals auf dem Blutstuhle, doch nachher
+nicht wieder. Ich habe eine Furcht vor dem wilden Orte
+behalten, trotzdem da&szlig; damals mir das gegeben wurde,
+welches dieses Haus in meinen Besitz brachte und mir das
+Leben, wie ich es gef&uuml;hrt habe, m&ouml;glich machte. Das
+R&auml;tsel liegt noch ungel&ouml;st da. Wenn ihr, meine Freunde,
+nachher euren Scharfsinn daran pr&uuml;fen wollt, so soll es
+mir lieb sein. Ich habe es aufgegeben, nachdem ich ein
+Menschenalter dar&uuml;ber habe nachgr&uuml;beln m&uuml;ssen, und jetzt
+wird es ja auch wohl gleichg&uuml;ltig sein, ob einer hier im
+Kreise noch zuletzt das rechte Wort findet. Jenen Tag
+aber, diesen mir bedeutungsvollen 15. Oktober, werde ich
+euch nun mit allen seinen Umst&auml;nden so genau als m&ouml;glich
+schildern, und ihr m&uuml;&szlig;t es euch schon gefallen lassen.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Kein Hase macht neugieriger seinen Kegel als ich!&laquo; rief
+der F&ouml;rster.</p>
+
+<p>&raquo;Lieber Gott, welch ein Abend!&laquo; sagte der geistliche
+Herr. &raquo;H&ouml;ren Sie nur diesen Sturm! O erz&auml;hlen &mdash;
+erz&auml;hlen Sie!&laquo;</p>
+
+<p>In der That ein st&uuml;rmischer Abend! Je weiter die
+Nacht vorschritt, desto wilder tobte es von Norden her
+gegen das Gebirge heran, und die Apotheke &raquo;zum wilden
+Mann&laquo; bekam ihr volles Teil.</p>
+
+<p>&raquo;Solch ein Wetter war es an jenem Tage nicht,&laquo; sagte
+Herr Philipp in seinem gewohnten Tone, ruhig und gelassen,
+wie jemand, der eben ein Menschenalter Zeit hatte,<span class='pagenum'><a name="Page_33" id="Page_33">[33]</a></span>
+ein Erlebnis zu &uuml;berdenken. Er wurde aber auch noch
+einmal unterbrochen, denn es kam ein Kunde und holte
+f&uuml;r einen Groschen Bittersalz und setzte eine Viertelstunde
+lang dem Verk&auml;ufer auseinander wozu; &mdash; was beides auch
+Zeit hatte bis morgen, wie Ulebeule m&uuml;rrisch bemerkte.
+Die Schwester jedoch benutzte die Pause, die chinesische
+Schale auf dem Tische von neuem zu f&uuml;llen, und endlich
+erfuhren die Freunde doch, was der Apotheker Kristeller an
+jenem 15. Oktober erlebte.</p>
+
+<p>&raquo;Um neun Uhr morgens zog ich mit meinem Auftrage,
+das Fr&uuml;hst&uuml;ck in der Tasche, die Botanisierb&uuml;chse auf dem
+R&uuml;cken, vom Hause, das beil&auml;ufig das Zeichen &rsaquo;Zum K&ouml;nig
+David&lsaquo; f&uuml;hrte, ab; bei stiller Luft und dichtem Nebel und
+diesmal im h&ouml;chsten Grade geknickt und gebrochen. Ich
+hatte Grund dazu, melancholisch auch in die sch&ouml;nste Witterung
+hineinzusehen! Am Abend vorher hatte Johanne's
+Onkel mich bitten lassen, ihn doch einmal auf ein Viertelst&uuml;ndchen
+zu besuchen, und ich hatte ihn besucht, und er
+hatte mich zwei Stunden lang unterhalten. Zwei Stunden
+lang hatte er mir eindringlich zugeredet, endlich doch
+ein Einsehen zu haben und mir meine Lebensaussichten einmal
+recht klar zu machen und seine Nichte &mdash; nicht ungl&uuml;cklich!
+Kurz gesagt, er hatte mich aufgefordert, meiner
+Braut ihr Wort zur&uuml;ckzugeben, und daf&uuml;r seiner &mdash; des
+Onkels &mdash; ewigen Freundschaft und Zuneigung gewi&szlig; zu
+werden. Und der Mann hatte in allem, was er sagte,
+Recht gehabt, und er hatte nicht nur verst&auml;ndig, sondern
+auch gutm&uuml;tig gesprochen. Ohne die geringste Leidenschaft
+und Zornm&uuml;tigkeit hatte er mir seine und der Welt Meinung
+vorgetragen: er hatte nichts gegen mich einzuwenden
+&mdash; ich war ihm sogar sehr lieb und wert, &mdash; und
+doch! Ich war eben nach Hause gegangen oder vielmehr
+getaumelt und hatte die Nacht &uuml;ber auf dem Stuhle vor
+meinem Bette gesessen und die Stirn mit beiden H&auml;nden
+gehalten &mdash; durch dieses verst&auml;ndige Zureden unf&auml;hig zu<span class='pagenum'><a name="Page_34" id="Page_34">[34]</a></span>
+allem und jedem &Uuml;berlegen und vern&uuml;nftigem &Uuml;berdenken:
+da&szlig; Johanne, meine arme, liebe Johanne, diese selbige
+Nacht durchweint habe, wu&szlig;te ich dazu. Bet&auml;ubt verstand
+ich den Prinzipal, der ebenfalls an Schlaflosigkeit litt, kaum,
+als er schon um f&uuml;nf Uhr mit dem Nachtlichte in der Hand
+an meine Th&uuml;r kam, um mir seinen neuen Herzenswunsch
+mitzuteilen und mir seinen Auftrag f&uuml;r den Tag zu geben.
+Verdrie&szlig;lich ging er, nachdem ich ihn endlich begriffen
+hatte, seinen verbundenen Kopf sch&uuml;ttelnd, und ich h&ouml;rte
+ihn noch auf der Schwelle deutlich genug murren:</p>
+
+<p>&raquo;&rsaquo;Auch der wird mir wieder mal unter den H&auml;nden
+zum Narren!&lsaquo;</p>
+
+<p>&raquo;&rsaquo;Schreiben Sie dem M&auml;dchen einen braven, ehrlichen,
+freundlichen Brief, in welchem Sie das N&ouml;tige mit etwas
+Poesie meinetwegen sagen. Ich will ihn abgeben und das
+Meinige, ohne Poesie nat&uuml;rlich, beimerken &mdash; und dann
+lassen Sie dem Jammer und meinetwegen auch sich selber
+in Ihrem Elend alle Zeit &mdash; es wird schon alles recht
+werden,&lsaquo; hatte mir der Onkel vorigen Abend zum Beschlusse
+seiner sch&ouml;nen Rede geraten, &mdash; und dabei sollte man denn
+nicht zum Narren werden!! &mdash; Das bl&uuml;hende Moos drei
+Meilen ab vom &rsaquo;K&ouml;nig David&lsaquo;, dem Hause des Herrn
+Onkels und meiner Braut, war unter diesen Umst&auml;nden
+in Wahrheit der einzige Trost, der mir in der Welt wuchs.
+Ein Tag wurde wenigstens durch den Weg und das Aufsuchen
+f&uuml;r mich und mein armes Kind gewonnen, und wie
+sich der Mensch in seinen N&ouml;ten an den <span class="gesperrt">einen</span> Tag, die
+<span class="gesperrt">eine</span> Stunde, die <span class="gesperrt">eine</span> Minute klammert, wer h&auml;tte das
+nicht schon in irgend einer Weise erfahren?</p>
+
+<p>&raquo;Ich schlich selbstverst&auml;ndlich unter Johanne's Fenster
+vorbei. Mein M&auml;dchen erblickte ich nicht; aber den Onkel
+sah ich. Er stand mit der Pfeife hinter den Scheiben und
+schien nach dem Thermometer zu sehen; seine eigene Temperatur
+hatte sich seit gestern Abend nicht ver&auml;ndert, denn
+er zog h&ouml;flichst die Nachtm&uuml;tze ab und erhob dabei den<span class='pagenum'><a name="Page_35" id="Page_35">[35]</a></span>
+Zeigefinger. Der Gestus konnte nichts anderes bedeuten
+als: Vergessen Sie nicht, mein Bester, was ich Ihnen gesagt
+habe; ich bestehe darauf und wei&szlig;, was uns allen gut
+ist; &mdash; ich bin ein alter erfahrener Kerl und kenne die
+Welt ein wenig genauer als ihr guten, jungen, leichtsinnigen,
+unerfahrenen Leute &mdash; Auch ich gr&uuml;&szlig;te so h&ouml;flich
+und submi&szlig;, wie ich noch nie einen Menschen gegr&uuml;&szlig;t hatte,
+und schleppte mich seufzend matt weiter durch den grauen
+Dunst des Herbstmorgens.</p>
+
+<p>&raquo;&rsaquo;O wie voll Dornen ist diese Werkeltagswelt&lsaquo;, l&auml;&szlig;t der
+englische Poet Shakespeare eine seiner erdichteten Personen
+in einem seiner St&uuml;cke sagen. Ich habe diesen Poeten immer
+gern gelesen und besitze eine &Uuml;bersetzung von ihm und
+habe mir vieles darin unterstrichen. Das Wort von den
+Dornen und der Alltagswelt fiel mir diesmal auf die
+Seele, und ich wiederholte es mir fort und fort bis auf
+die Berge hinauf. Freilich war mir jetzo die Welt nach
+allen vier Himmelsgegenden durch das dichteste Dornengestr&uuml;pp
+verwachsen, und da&szlig; es eine erb&auml;rmliche und in
+ihrer Gew&ouml;hnlichkeit thr&auml;nenreiche Werkeltagswelt war, das
+konnten mir der Boden unter den F&uuml;&szlig;en und das Luftgew&ouml;lbe
+&uuml;ber mir bezeugen.</p>
+
+<p>&raquo;Der Nebel blieb wohl hinter mir in den Th&auml;lern zur&uuml;ck;
+aber in meiner Brust nahm ich die Tr&uuml;be auf die
+sonnigsten Gipfel mit empor. Ich schritt rasch zu und
+tauchte mehrmals das Taschentuch in einen kalten Waldbach,
+um es mir dann auf die hei&szlig;e &uuml;bern&auml;chtige Stirn
+und die fiebernden Schl&auml;fen zu dr&uuml;cken. Um sah ich mich
+nicht, und es ist ein Irrtum oder gar eine L&uuml;ge, wenn
+man behaupten will, da&szlig; einem ungl&uuml;cklichen oder von
+Not und Sorge bedr&auml;ngten Menschen eine sch&ouml;ne Gegend
+und herrliche erhabene Aussicht zum Heil und zur Genesung
+gereiche. Es ist einfach nicht wahr!</p>
+
+<p>&raquo;Im Gegenteil, nichts ist schlimmer f&uuml;r einen Kummervollen,
+Schmerzbeladenen als eine weite sonnenklare,<span class='pagenum'><a name="Page_36" id="Page_36">[36]</a></span>
+in allen s&uuml;&szlig;en Farben der Erde leuchtende Fernsicht, hoch
+von einer Bergspitze aus. Es ist arg und eigentlich furchtbar,
+aber es ist so: den Sturm, den Regen l&auml;&szlig;t man sich
+in der b&ouml;sen Stimmung gefallen; aber die Sch&ouml;nheit der
+Natur nimmt man als einen Hohn, als eine Beleidigung
+und f&auml;ngt an, alle sieben Sch&ouml;pfungstage zu hassen.&laquo;</p>
+
+<p>Der Pastor sch&uuml;ttelte hier bedenklich den Kopf; Fr&auml;ulein
+Dorette Kristeller nickte zwar, aber sah doch auch ziemlich
+bedenklich und tr&uuml;be drein; der F&ouml;rster Ulebeule jedoch
+klopfte mit der Pfeife auf den Tisch und rief:</p>
+
+<p>&raquo;Wahrhaftig, es ist etwas dran! Es ist bei mehrerem
+Nachdenken sogar ziemlich viel dran. Jeder K&uuml;mmerer &mdash;
+will sagen jedes durch einen alten Schu&szlig; oder durch Krankheit
+sieche St&uuml;ck Hochwild will auch von der Pracht der
+Sch&ouml;pfung, an der es in gesunden Tagen sein Wohlsein
+und seine Freude hat, nichts mehr wissen. Und wer viel
+Umgang mit den Tieren gehabt hat, der wei&szlig;, wie wenig
+der Unterschied zwischen ihnen und dem Menschen zu bedeuten
+hat in allen Dingen, die mit Erde, Wasser, Licht
+und Luft zusammenh&auml;ngen. Ihr waret damals ein richtiger
+K&uuml;mmerer, Kristeller. Der Onkel hatte Euch nicht &uuml;bel
+angeschossen, und manch einen in Eurer Lage hat das
+Schicksal bald darauf als tot verbellt.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Nun lasset uns weiter h&ouml;ren!&laquo; rief der geistliche Herr,
+und sie h&ouml;rten weiter.</p>
+
+<p>&raquo;Was mir selten in der mir so bekannten Gegend
+passiert war, hatte ich heute zu erleben; ich verlor mehrmals
+meinen Weg und fand ihn stets nur mit M&uuml;he
+wieder. Die Lebensverwirrung und schlimme Ratlosigkeit
+war au&szlig;er mir wie in mir; aber mein Pfad ging doch
+immer aufw&auml;rts und einen Kompa&szlig; f&uuml;hrte ich am Uhrgeh&auml;use
+gl&uuml;cklicherweise auch mit mir. So wand ich mich
+durch den Buchenwald und dann hinein in die Tannenw&auml;lder,
+an steilen Lehnen, von denen die wunderlichen Granitbl&ouml;cke
+der Urzeit in wahrhaft gespenstischen Formationen<span class='pagenum'><a name="Page_37" id="Page_37">[37]</a></span>
+herabgerollt waren, schr&auml;g in die H&ouml;he. Dann ging es
+&uuml;ber kahle, gleichfalls mit wildem, phantastisch &uuml;bereinander
+gest&uuml;rztem Felsgetr&uuml;mmer bedeckte Hochebenen &mdash; aus dem
+Nebel in das Sonnenlicht. Die Sonne schien um Mittag
+herbsthell, und ich holte Atem, auf meinen Weg und die
+durchwanderten Th&auml;ler zur&uuml;ckblickend. In den Th&auml;lern
+hielt sich der Nebel den ganzen Tag &uuml;ber, und als ich
+nach einer Ruhestunde weiterging, schlich er mir leise wieder
+nach und holte mich am Nachmittag, als ich den ber&uuml;hmten
+Platz, zu dem mein Prinzipal mich diesmal hingesendet
+hatte, zu Gesichte bekam, richtig wieder ein; aber
+freilich nicht mehr als der dichte Qualm der Tiefe, sondern
+als ein leichter, alles in ein Zaubertuch einwickelnder Dunst.
+Bei einer Wendung des Weges lag die unbeschreiblich
+grotesk zerkl&uuml;ftete Steinmasse &mdash; der Blutstuhl, vor mir
+da. Aus dem Tannendickicht vortretend, erblickte ich seine
+h&ouml;chste Platte sechzig bis achtzig Fu&szlig; &uuml;ber mir; und langsam
+und erm&uuml;det stieg ich nun noch &uuml;ber den mit kurzem
+Gras bewachsenen Boden, um im Schutze der untersten
+Bl&ouml;cke Kr&auml;fte zu sammeln f&uuml;r das Suchen und Finden
+meiner seltenen Lichen-Art.</p>
+
+<p>&raquo;Ihr, Ulebeule, kennt den Blutstuhl. Es ist ein Labyrinth
+von Steinkl&ouml;tzen, das einen ziemlich bedeutenden Raum
+auf der Bergebene einnimmt. Viele der Gruppen f&uuml;hren
+wunderliche sagenhafte Namen, die h&ouml;chste ist auf ausgewaschenen
+Treppenstufen zu erklimmen, und von ihr hat
+das ganze Gebl&ouml;ck seinen Namen, und in &auml;ltester heidnischer
+Urzeit unseres Volkes hat es denselben als Opferstelle vielleicht
+mit vollem Recht gef&uuml;hrt.</p>
+
+<p>&raquo;Ich verzehrte vor allen Dingen trotz meiner tr&uuml;ben
+Seelenstimmung den mitgebrachten Proviant nicht ohne
+Appetit; dann begab ich mich an die L&ouml;sung meiner Aufgabe,
+die gar nicht so leicht war. Das winzige, kriechende
+Ding, das mein Alter in einem frischen Exemplare zu besitzen
+w&uuml;nschte, wuchs keineswegs in jeder Spalte des<span class='pagenum'><a name="Page_38" id="Page_38">[38]</a></span>
+Blutstuhles. Und mit den Erlebnissen des letzten Abends,
+den Bildern der schlaflosen Nacht und dem Onkel mit der
+Zipfelm&uuml;tze am Morgen vor den schwimmenden Augen lie&szlig;
+sich auch schlecht suchen.</p>
+
+<p>&raquo;So kroch und kletterte ich zwischen dem Gestein umher:
+eine Flechte fand ich nicht; aber ich fand etwas anderes,
+n&auml;mlich ein Verm&ouml;gen!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Ah!&laquo; sagte die Zuh&ouml;rerschaft in dem Hinterst&uuml;bchen
+der Apotheke &raquo;zum wilden Mann&laquo;.</p>
+
+<p>&raquo;M&uuml;hselig in meiner vergeblichen Bem&uuml;hung hatte ich
+mich so ziemlich bis an die Basis der oberw&auml;hnten abgeplatteten
+Gipfelfelsmasse, der eigentlichen Opferklippe, emporgearbeitet,
+als pl&ouml;tzlich ein Mensch, wie es schien im
+hastigen Aufklimmen von der entgegengesetzten Seite her
+auf der Platte erschien und einen Schrei ausstie&szlig;, der mich
+erschreckt zur&uuml;ckfahren lie&szlig;. Die Gestalt, vom Dunst wie
+alles umher leicht verschleiert, warf die Arme empor, griff
+mit beiden H&auml;nden in die Haare und fiel mit einem neuen
+Aufschrei erst in die Kniee und dann ganz zu Boden. Ich
+stand und hielt mich zitternd an dem n&auml;chsten Granitblocke,
+und es dauerte einige Zeit, ehe ich mich so weit gefa&szlig;t
+hatte, um mir die Frage vorzulegen: Was ist das?</p>
+
+<p>&raquo;Ja, was war das? was konnte das sein? Ein Betrunkener?
+Ein Wahnsinniger? Ein Epileptiker? Ein
+lebensm&uuml;der Ungl&uuml;cklicher, der sich diesen Ort ausgesucht
+hatte, um gerade jetzt daselbst zu Ende zu kommen mit
+sich? Alle diese Vorstellungen schossen mir nun blitzschnell
+nacheinander durchs Gehirn; aber von der H&ouml;he der Opferklippe
+kam keine Antwort auf meine Frage.</p>
+
+<p>&raquo;Und es ist deine Pflicht nachzusehen, was und wer
+es ist! rief es in mir. Mit zusammengekniffenen Lippen,
+fest aufeinander gesetzten Z&auml;hnen fa&szlig;te ich Mut, packte
+meinen Wanderstock fester, um im Notfall auch auf einen
+Angriff ger&uuml;stet zu sein, und stieg langsam und vorsichtig
+die Steinstufen hinauf, die auf die heilige Opferstelle unserer<span class='pagenum'><a name="Page_39" id="Page_39">[39]</a></span>
+Vorfahren f&uuml;hrten. Scheu und behutsam hob ich das Kinn
+auf die Platte; da lag er! &mdash; Langausgestreckt, bewegungslos,
+das Gesicht auf den Stein gedr&uuml;ckt, lag der Ungl&uuml;ckliche
+da, und rasch sprang ich meinerseits nun hinauf, trat
+zu ihm, fa&szlig;te ihn an der Schulter, sprach ihm zu, und
+nach einer Weile erhob er auch das Gesicht und stierte
+mich an.</p>
+
+<p>&raquo;Jetzt schrie ich fast, wie er vorher. Es war mein
+Kamerad, mein geheimnisvoller Freund, mein botanischer
+Wissenschaftsgenosse, und zwar mit Z&uuml;gen so verst&ouml;rt, so
+von Schmerz, Angst und Zorn verw&uuml;stet, da&szlig; ich es euch
+wahrlich nicht, wie es war, schildern kann.</p>
+
+<p>&raquo;Langsam, wirklich wie aus einem epileptischen Zustande
+sich erhebend, stand er auf, sah mich blind und meinungslos
+an, bis ihm nach und nach das Bewu&szlig;tsein von Ort,
+Zeit und Zustand zur&uuml;ckkam.</p>
+
+<p>&raquo;&rsaquo;Philipp&lsaquo;! sagte er tonlos.</p>
+
+<p>&raquo;&rsaquo;O August&lsaquo;! rief ich.</p>
+
+<p>&raquo;&rsaquo;Seid Ihr es, der mich hier gefunden hat?&lsaquo;</p>
+
+<p>&raquo;&rsaquo;O und Ihr &mdash; was habt Ihr? was ist Euch geschehen?
+Ich m&ouml;chte Euch so gern helfen.&lsaquo;</p>
+
+<p>&raquo;&rsaquo;Und k&ouml;nnt es ganz und gar nicht. Es w&auml;re besser,
+Ihr ginget und lie&szlig;et mich hier, wie Ihr mich fandet. Ich
+bin f&uuml;r keines Menschen Gesellschaft mehr tauglich.&lsaquo;</p>
+
+<p>&raquo;Er sprach dieses alles so vern&uuml;nftig, so gesetzt und
+ruhig, da&szlig; seine Verst&ouml;rung mir dadurch nur noch herzzerrei&szlig;ender
+in die Seele drang. Ich wollte seine Hand
+fassen, doch er zog sie schnell und wie ergrimmt zur&uuml;ck
+und schrie:</p>
+
+<p>&raquo;&rsaquo;Nein, nein! das ist zu Ende, Herr &mdash; Herr Kristeller.
+Ich habe heute mit dieser Hand mein Schicksal besiegelt
+und werde sie niemandem mehr als Zeichen der Freundschaft,
+der Zuneigung, der Liebe geben. Haltet mich nicht
+f&uuml;r einen Narren &mdash; o ich wollte, ich w&auml;re es; aber ich
+bin es nicht! Seit drei Tagen w&auml;re es mir eine Wohlthat,<span class='pagenum'><a name="Page_40" id="Page_40">[40]</a></span>
+wenn die letzte Faser, die den Geist noch an eure
+Welt &mdash; eure Alltagswelt bindet, abrisse, und wenn man
+mich f&auml;nde, wie man sonst wohl schon arme irre, verlorene
+Menschen in der Wildnis gefunden hat. Kein anderes
+Gesicht w&auml;re mir heute so lieb gewesen als das deinige,
+Philipp; aber meine Hand gebe ich dir doch nicht. Sieh
+da rund herum, sieh, wie die St&auml;dte und D&ouml;rfer ausgestreut
+sind; &mdash; sieh, alle diese hunderttausend Menschenwohnungen
+sind mir von jetzt an verschlossen: ich habe
+keinen Verkehr mit euch mehr, ich bin allein; es giebt keinen
+anderen Menschen mehr auf Erden, der so allein ist
+wie ich!&lsaquo;</p>
+
+<p>&raquo;&rsaquo;Aber ich bin da! mich hat das Schicksal gerade zu
+dieser Stunde zu dir gef&uuml;hrt, um bei dir zu bleiben!
+Meine Braut, mein M&auml;dchen habe ich verloren, oder sie
+soll mir doch genommen werden. Mir ja auch verschlie&szlig;t
+sich die Welt. La&szlig; uns einander zum Rat und Trost sein!&lsaquo;</p>
+
+<p>&raquo;Nun war es, als ringe er in der Tiefe seiner Seele
+mit einem gewaltig starken Gegner, und dann war es, als
+ob er dem Feinde obgesiegt habe, und dann war es, als
+stehe er triumphierend mit dem Fu&szlig;e auf der Brust des
+Niedergeworfenen. Er knirschte mit den Z&auml;hnen und rieb
+sich die rechte Hand, als sei sie feucht und er m&uuml;sse sie
+trocknen. Zuletzt sah er mich scharf und kalt an und
+sagte leise:</p>
+
+<p>&raquo;&rsaquo;Lieber Herr, Sie k&ouml;nnen mir doch von keinem Nutzen
+sein. Ich bitte Sie, sich keine M&uuml;he zu geben. Sehen
+Sie, Kristeller, ich habe nie in meinem Leben anders gesprochen,
+als meine Meinung war. Auch ist heute Methode
+in meinem Wahnsinn gewesen; ich habe mich nicht
+ohne eine gewisse Absichtlichkeit auf diesem kalten und harten
+Steine niedergeworfen. Mein Herzblut ist durch diese
+Rinne niedergelaufen, wie einst das Blut der fr&auml;nkischen
+Gefangenen aus dem Heerbann des Kaisers Karl durch
+dieselbe niederrieselte. &Uuml;brigens bin ich allein und will<span class='pagenum'><a name="Page_41" id="Page_41">[41]</a></span>
+allein sein. Gehen Sie, bester Herr, ich verstehe Ihre Gef&uuml;hle,
+Ihre gute Gesinnung gegen mich vollkommen, und
+wir wollen auch sicherlich einander treu im Ged&auml;chtnis behalten,
+&mdash; leben Sie wohl, Philipp Kristeller.&lsaquo;</p>
+
+<p>&raquo;Das war k&uuml;hl und absto&szlig;end genug, aber ich war auch
+Psycholog genug, um zu wissen, aus welchem ganz anders
+bewegten Grunde dieser Ton heraufquoll. Es ging nicht
+an, den Ungl&uuml;cklichen vor das Gericht der Eigenliebe zu
+ziehen und mit einem: So empfehle ich mich denn h&ouml;flichst
+&mdash; umzudrehen und ge&auml;rgert nach Hause zu laufen.</p>
+
+<p>&raquo;&rsaquo;Es ist ja m&ouml;glich, da&szlig; wir heute f&uuml;r immer Abschied
+voneinander nehmen m&uuml;ssen&lsaquo;, sagte ich; &rsaquo;aber weshalb
+sollen wir es denn in dieser Art thun?&lsaquo;&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Da brachen dem anderen die Thr&auml;nen aus den Augen.</p>
+
+<p>&raquo;&rsaquo;Nein, nein&lsaquo;, schluchzte er, &rsaquo;du hast Recht, es ist doch
+nicht die rechte Art!&lsaquo;</p>
+
+<p>&raquo;Er warf mir die Arme um den Hals und k&uuml;&szlig;te mich
+und schien mich nun nicht von sich lassen zu k&ouml;nnen.</p>
+
+<p>&raquo;&rsaquo;Lebe denn wohl, du Guter, &mdash; denke nur an mein
+Elend und nichts anderes an mir! Sieh mir nicht nach;
+du sollst noch einmal von mir h&ouml;ren, Philipp! Lebewohl,
+lebewohl!&lsaquo;</p>
+
+<p>&raquo;So hielten wir uns lange, und dann schieden wir in
+der That voneinander. Ich habe ihn nicht wiedergesehen;
+aber geh&ouml;rt habe ich freilich noch einmal von ihm; &mdash; er
+hat mir einen Brief geschrieben; und ich bin seit drei&szlig;ig
+Jahren der Besitzer der Apotheke &rsaquo;zum wilden Mann&lsaquo;!&laquo;</p>
+
+
+<h2><a name="Sechstes_Kapitel" id="Sechstes_Kapitel"></a>Sechstes Kapitel.</h2>
+
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_42" id="Page_42">[42]</a></span>
+Der Pastor und der F&ouml;rster hatten sich auf ihren St&uuml;hlen
+zur&uuml;ckgelehnt und blickten nach der Decke. Die Schwester
+hatte die H&auml;nde im Scho&szlig;e zusammengelegt und sah
+auf den Bruder; man h&ouml;rte den Sturmwind einmal wieder
+recht deutlich, und nachdem man lange genug geschwiegen
+hatte, sprach der F&ouml;rster, wie es schien, um etwas
+zu sagen:</p>
+
+<p>&raquo;Es wird jetzo auch um den Blutstuhl t&uuml;chtig pfeifen
+und sausen.&laquo; Sonderbarerweise f&uuml;gte er dann hinzu:</p>
+
+<p>&raquo;Einunddrei&szlig;ig Jahre sind eine lange Zeit!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Freilich!&laquo; sagte der geistliche Herr, wendete sich dann
+an den nachdenklichen Hausherrn und fragte:</p>
+
+<p>&raquo;Und Sie haben gar keine Ahnung, was er seines
+Zeichens war, und wie er eigentlich hie&szlig;?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Entschuldigen Sie, meine Herren,&laquo; erwiderte Herr
+Philipp Kristeller und ging zum letztenmal in dieser Nacht,
+um seinen Archivschrank in seiner Offizin zu &ouml;ffnen. Mit
+einem einzelnen Briefe in einer weiten, sonst leeren H&uuml;lle
+kam er zur&uuml;ck, reichte das mit mehreren Poststempeln und
+f&uuml;nf abgebr&ouml;ckelten Siegeln bedeckte Couvert dem F&ouml;rster
+Ulebeule und den Brief dem Pastor Sch&ouml;nlank, setzte sich
+langsam, legte die Hand &uuml;ber die Augen, brachte seine
+Pfeife von neuem in Brand und wartete ruhig die Wirkung
+der Papiere auf die Hausfreunde ab.</p>
+
+<p>&raquo;Inhalt &mdash; neuntausend &mdash; f&uuml;nfhundert Thaler in
+Staatspapieren!&laquo; murmelte der F&ouml;rster. &raquo;Frei! &mdash; Herrn
+Philipp Kristeller! &mdash;&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Sehr wunderbar!&laquo; rief der Pfarrer seinerseits, das
+Begleitschreiben &uuml;berfliegend. &raquo;In der That ein seltsamer
+Brief! Eine r&auml;tselhafte, mysteri&ouml;se Sendung!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Zum Henker, so lesen Sie doch laut!&laquo; rief der F&ouml;rster,
+und der Pastor las laut:</p>
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_43" id="Page_43">[43]</a></span>
+&raquo;Ein Mann, der den Willen hat, sein Leben von vorn
+anzufangen, entledigt sich hier seiner schwersten und verdrie&szlig;lichsten
+Last und schickt dem Freunde das einliegende
+Geld. Es verschwindet einer und hinterl&auml;&szlig;t keine Spur;
+es ist unn&ouml;tig und vergeblich, ihm nachzuforschen und nachzurufen.
+O Philipp und Johanne, nehmt, was ihn nur
+niederziehen w&uuml;rde in die Tiefe. Gr&uuml;ndet ein Haus, das
+feststeht und gl&uuml;ckliche, fr&ouml;hliche Kinder in seinen Mauern
+aufwachsen sieht. Lebt wohl, ihr guten Freunde &mdash; lebt
+wohl! &mdash; Philipp Kristeller, es gr&uuml;&szlig;t dich &mdash; auf dem
+Wege zur&uuml;ck zu den Menschen,
+Wege zur&uuml;ck zu den Menschen,</p>
+<p style="margin-left: 70%;">der Narr vom Blutstuhl.</p>
+<p style="margin-left: 2em;">Hamburg, am 30. Oktober 183&mdash;&laquo;</p>
+
+<p>Der Pastor legte den Brief stumm auf den Tisch, Ulebeule
+schlug auf den Tisch, da&szlig; s&auml;mtliches Ger&auml;t emporh&uuml;pfte
+und die Gl&auml;ser scharf und bedrohlich zusammenklirrten:</p>
+
+<p>&raquo;Donnerhallo! Na, das mu&szlig; ich sagen! na, da bitte
+ich zu gr&uuml;&szlig;en!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Und Ihr habt, selbst mit diesem Schreiben in der
+Hand, damals nicht gemeint, dieses alles zu tr&auml;umen,
+alter Freund?&laquo; fragte der Pastor.</p>
+
+<p>&raquo;Tagelang, wochenlang bin ich wie ein Tr&auml;umender
+umhergegangen, nicht nur mit dem Briefe, sondern auch
+mit dem Gelde in der Hand. Und es waren die n&uuml;chternsten
+Staatspapiere und Landesschuldverschreibungen von
+verschiedener Herren L&auml;ndern! Sie verwandelten sich nicht
+&uuml;ber Nacht in gelbe Klettenbl&auml;tter, &mdash; sie gingen mir nicht
+vor der Nase in gespenstischem Dampfe auf; &mdash; sie waren
+echt und hatten ihren Kurs, und die Banquiers waren
+gern erb&ouml;tig, mir sie umzutauschen oder umzuwechseln!
+Ich aber trug sie nebst dem Briefe zu meiner Braut und
+fragte die, wie ich mich gegen dieses alles zu verhalten
+habe &mdash; den guten Onkel ging ich f&uuml;rs erste noch nicht
+um seinen guten Rat an.</p>
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_44" id="Page_44">[44]</a></span>
+&raquo;Auch Johanne hatte nat&uuml;rlich zuerst eine Art von
+Schrecken zu &uuml;berwinden; <span class="gesperrt">dann</span> aber sagte sie mir verst&auml;ndig
+und ruhig ihre Meinung, und ich bin derselben
+gefolgt.</p>
+
+<p>&raquo;&rsaquo;Dein Freund hat mir leid gethan und ein Bangen
+erregt durch sein Wesen; aber nie ein Grauen, als ob er
+ein schlechter, ein b&ouml;ser Mensch sei. Ich habe ein gro&szlig;es
+Mitleiden mit ihm gehabt und h&auml;tte ihm gern helfen m&ouml;gen
+in seinem Ungl&uuml;ck. Aber sieh, Philipp, er hat mir
+auch immer den Eindruck gemacht, als ob er stets genau
+&uuml;berlege und wisse, was er sage und thue. Er hat in
+seiner Melancholie einen klugen klaren Kopf; und was
+uns jetzt so wunderlich scheint und aller Welt als eine
+Verr&uuml;cktheit vorkommen w&uuml;rde, das hat er auch bedacht
+und sich zurecht gelegt, und er wird sicher das Beste f&uuml;r
+sich gefunden haben. Ich glaube, du darfst das Geld nehmen
+und es versuchen, dein Gl&uuml;ck darauf zu bauen. Wir
+wollen es verwalten wie ein Darlehn, Philipp; wir wollen
+dem Geber t&auml;glich seinen Stuhl an unseren Tisch setzen,
+wir wollen stets den besten Platz f&uuml;r ihn frei halten; wir
+wollen ihn von einem Tage zum anderen erwarten, und
+&mdash; dem Onkel wollen wir von einer Erbschaft sprechen,
+und du kannst das nur gleich thun; ich nehme die Verantwortung
+f&uuml;r die kleine Notl&uuml;ge gern auf mein Gewissen.&lsaquo;</p>
+
+<p>&raquo;Seht, Nachbarn, das ist denn der Grund, weshalb
+der Sessel da stets leer steht, weshalb immer ein Platz an
+meinem Tische offen gehalten worden ist, diese ganzen
+letzten einunddrei&szlig;ig Jahre durch; der Freund ist aber bis
+heute nicht zur&uuml;ckgekehrt! Mein Leben von meiner Ankunft
+unter euch kennt ihr; &mdash; ihr wi&szlig;t, wie ich diese bereits
+zweimal in Gant geratene Offizin &uuml;bernahm, und wie es
+mir in schwerer Arbeit gl&uuml;ckte, den Platz zu behaupten,
+der meinen Vorg&auml;ngern so gef&auml;hrlich geworden war! Ihr
+wi&szlig;t aber auch &mdash;&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Welch einen gro&szlig;en Schmerz du zu erdulden hattest,<span class='pagenum'><a name="Page_45" id="Page_45">[45]</a></span>
+Bruder?&laquo; rief die alte Schwester leidenschaftlich erregt.
+&raquo;Nein, nein, sie haben wohl davon geh&ouml;rt; aber das rechte
+Wissen haben sie doch nicht davon.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Es war sehr traurig, Fr&auml;ulein Kristeller,&laquo; sprach der
+Pastor, und Ulebeule seufzte schwer und murmelte:</p>
+
+<p>&raquo;Ja, ja; aber Ihr seid nicht der Erste, Philipp, dem
+solcherart das Glas vor dem Munde weggeschlagen wird.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Das Haus stand; aber die Braut, die junge Frau
+sollte nicht einziehen. Sie starb an dem Tage, auf welchen
+die Hochzeit festgesetzt war, und an ihrer Stelle habe
+ich meinem armen Bruder seine Wirtschaft gef&uuml;hrt, diese
+drei&szlig;ig Jahre hindurch, dieses Menschenalter, von welchem
+an diesem st&uuml;rmischen Abend so viel die Rede gewesen ist.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Und wir haben unsere Tage in der Stille doch gut
+verlebt,&laquo; sagte der Apotheker &raquo;zum wilden Mann&laquo; wehm&uuml;tig
+l&auml;chelnd. &raquo;Wir sind in Frieden grau geworden,
+und der Sturm, der vor dem Fenster vorbeibraust, k&uuml;mmert
+uns wenig mehr. Der freie Stuhl ist leer geblieben,
+und der, f&uuml;r welchen der Sitz aufbewahrt wurde, hat seine
+Ruhe wohl auch gefunden, an einem anderen Orte weit
+in der Fremde; hoffentlich nachdem er sich, wie er in seinem
+wilden Briefe da sagt, zu den Menschen zur&uuml;ckgefunden
+hatte. Wir aber, die wir hier miteinander alt geworden
+sind, wir wollen in Treue und guter Gesinnung auch
+fernerhin bei einander bleiben und kein &Auml;rgernis an einander
+&uuml;ber die n&auml;chste Begegnung hinaus weiter tragen.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Das wollen wir!&laquo; sprachen beide M&auml;nner wie aus
+einem Munde.</p>
+
+<p>&raquo;Gewi&szlig;, gewi&szlig;,&laquo; sagte das Fr&auml;ulein.</p>
+
+
+
+<h2><a name="Siebentes_Kapitel" id="Siebentes_Kapitel"></a>Siebentes Kapitel.</h2>
+
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_46" id="Page_46">[46]</a></span>
+Der Regen hatte augenblicklich aufgeh&ouml;rt; aber der
+Wind war daf&uuml;r um ein ziemliches heftiger geworden. Nach
+dem, was da erz&auml;hlt worden war, lie&szlig; sich ein gleichg&uuml;ltiges
+Gespr&auml;ch nicht leicht ankn&uuml;pfen, und doch f&uuml;hlte jeder
+das Bed&uuml;rfnis dazu im hohen Grade.</p>
+
+<p>Als Ulebeule sich endlich zusammennahm und kl&auml;glich
+sagte:</p>
+
+<p>&raquo;Es ist doch ein t&uuml;chtiger Wind!&laquo; machte Fr&auml;ulein Kristeller
+freilich die dazu geh&ouml;rende Bemerkung:</p>
+
+<p>&raquo;Ach ja, und die armen Leute, die jetzt auf dem Wasser
+sind!&laquo; aber das Gespr&auml;ch war damit doch wieder zu Ende
+und fiel kl&auml;glich zu Boden. Herr Philipp hatte seinen
+schicksalvollen Brief wieder in das gelbgewordene Couvert
+geschoben und trat eben mit demselben in die Th&uuml;r seiner
+Offizin, als er stehen blieb und rief:</p>
+
+<p>&raquo;Da ist der Doktor!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Der Doktor!&laquo; riefen aufatmend und mit glatt auseinander
+sich legenden Mienen alle ihm nach. &raquo;Der Doktor!
+richtig, er wird es sein.&laquo;</p>
+
+<p>Er war es. Man vernahm drau&szlig;en vor den Fenstern
+der Offizin, nicht des Hinterst&uuml;bchens, R&auml;dergeknarr, das
+Stampfen eines Gaules, Peitschengeknall und dazwischen
+eine laute joviale Stimme:</p>
+
+<p>&raquo;Holla, heda! Giftbude! Lichter an die Fenster! Bist
+du da, Friedrich, so rei&szlig;' das Scheunenthor auf und leuchte,
+da&szlig; wir die Karete und uns aus der S&uuml;ndflut und dem
+sonstigen Orkane in Sicherung bringen!&laquo;</p>
+
+<p>Das alte Fr&auml;ulein lief schnell hinaus und dem gern
+gesehenen dritten Hausfreunde entgegen. Behaglicher lehnten
+sich der F&ouml;rster und der geistliche Herr auf ihren St&uuml;hlen
+zur&uuml;ck. Der Apotheker stand l&auml;chelnd mit seinem vergilbten
+Briefe in der Hand da und horchte mit den andern.<span class='pagenum'><a name="Page_47" id="Page_47">[47]</a></span>
+Schon h&ouml;rte man jetzo auf der Hausflur des Doktors
+lustige Stimme, dazwischen die Stimme Dorothea's, und
+dann sprach noch jemand darein, gleichfalls kr&auml;ftig-heiter.</p>
+
+<p>&raquo;Er kommt nicht allein. Er bringt uns einen Gast
+oder sich einen Patienten mit,&laquo; sprach der Apotheker &raquo;zum
+wilden Mann&laquo;, und sofort zeigte es sich, da&szlig; das erstere
+der Fall war. Weit flog die Th&uuml;r, die von der Hausflur
+in das bilderreiche Hinterst&uuml;bchen f&uuml;hrte, auf, und mit dem
+Landphysikus <em>Dr.</em> Eberhard Hanff trat der Gast ein, h&ouml;flich
+auf der Schwelle um den Vortritt sich mit Fr&auml;ulein Dorothea
+bekomplimentierend.</p>
+
+<p>&raquo;Keine Umst&auml;nde, Herr Oberst,&laquo; rief der Doktor, den
+&auml;ltlichen, breitschulterigen, stattlichen alten Herrn mit dem
+schneewei&szlig;en Haar, den schwarzen scharfen Augen im munteren
+tiefgebr&auml;unten Gesichte weiter vorschiebend. Und ohne
+alle weiteren Umst&auml;nde stellte er vor:</p>
+
+<p>&raquo;Colonel Dom Agostin Agonista &mdash; im Dienste Seiner
+Majest&auml;t des Kaisers von Brasilien, &mdash; von mir aufgegriffen
+auf dem Wege zum wilden &mdash; ach, Herrje, Punsch?!
+&mdash; o Oberst, habe ich es nicht gesagt? Fr&auml;ulein Dorette,
+Sie wissen meine Gef&uuml;hle und Gem&uuml;tsstimmungen doch
+immer auf drei Meilen Weges hinaus zu ahnen; &mdash;
+Punsch!! Die Herren werden sich dem Herrn Oberst am
+besten selber bekannt machen. Ach, Fr&auml;ulein Dorette, je
+b&ouml;sartiger die Witterung, desto inniger die Ahnung Ihrerseits;
+&mdash; erlauben Sie mir, da&szlig; ich Ihnen die Hand k&uuml;sse.</p>
+
+<p>&raquo;Lassen Sie das dumme Zeug nur und h&auml;ngen Sie
+lieber Ihren Mantel an den Haken,&laquo; sprach die Schwester
+des Apothekers, &raquo;der Herr Oberst ist uns sehr willkommen,
+und wir bitten h&ouml;flichst, Platz zu nehmen.&laquo;</p>
+
+<p>Der Landphysikus pflegte die Leute, die er dann und
+wann auf seinen Berufswegen &raquo;als G&auml;ste aufgriff&laquo; und in
+irgend ein beliebiges Haus mit sich nahm, stets in einer
+&auml;hnlichen Weise vorzustellen und sie dadurch gew&ouml;hnlich in
+nicht geringe Verlegenheit zu bringen. Der brasilianische<span class='pagenum'><a name="Page_48" id="Page_48">[48]</a></span>
+Oberst jedoch lie&szlig; sich nicht so leicht in Verlegenheit setzen.
+Er wendete sein munteres, vernarbtes altes Soldatengesicht
+heiter und hell im kleinen Kreise umher und sagte mit dem
+leisesten Anhauch eines fremdartigen Accentes:</p>
+
+<p>&raquo;Meinerseits nenne ich dieses einen raschen &Uuml;berfall,
+meine Dame und meine Herren, und bitte sehr um Entschuldigung
+wegen dieses n&auml;chtlichen Eindringens. Der Herr
+Doktor fand mich freilich in einer h&ouml;chst erb&auml;rmlichen
+Schenke am Wege durch den Sturm und die Nacht festgehalten
+hinter dem Tische und hat in der That in der
+freundlichsten Weise den barmherzigen Samariter gespielt.
+Er nahm mich in seinen Wagen auf und bot mir ein
+besseres Nachtquartier in dieser Ortschaft an. Ich folgte
+ihm gern, und dann hielt er vor diesem Hause an, &mdash; um
+einen &rsaquo;Kristeller&lsaquo; zu nehmen, wie er sagte, &mdash; auf einen
+Moment, wie er sagte, und ich kam mit ihm herein, um
+auch einen &rsaquo;Kristeller&lsaquo; zu mir zu nehmen, und mein Name
+ist wirklich Agonista, und ich bin Oberst in brasilianischen
+Diensten.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Mein Name ist Kristeller; aber der Doktor, mein lieber
+Freund, nennt einen Liqueur so, dessen Erfindung mir
+gelungen ist, Herr Oberst,&laquo; sagte der Apotheker. &raquo;&Uuml;brigens
+ist uns allen hier Ihr Eintritt in unseren kleinen Kreis
+eine Ehre und ein gro&szlig;es Vergn&uuml;gen.&laquo;</p>
+
+<p>Der Pastor und der F&ouml;rster sprachen nun gleichfalls
+ihre Befriedigung &uuml;ber die zeitgem&auml;&szlig;e Ankunft des interessanten
+Fremden aus. Man sch&uuml;ttelte sich die H&auml;nde und
+schob von neuem die St&uuml;hle an den Tisch.</p>
+
+<p>&raquo;O &mdash; Fr&auml;ulein Dorette, ich habe Ihnen wie gew&ouml;hnlich
+mein Kompliment zu machen!&laquo; rief der Landphysikus
+<em>Dr.</em> Eberhard Hanff, in Extase nach einem langen Zuge
+die Nase aus dem Dampfe des Getr&auml;nkes des Abends in
+die H&ouml;he hebend. &raquo;Finden Sie jetzt nicht auch, Colonel,
+da&szlig; wir hier besser aufgehoben sind als dort in der Kneipe
+&rsaquo;zum Krug ohne Deckel&lsaquo; oder wie die R&auml;uberh&ouml;hle sonst<span class='pagenum'><a name="Page_49" id="Page_49">[49]</a></span>
+hei&szlig;t? he, und wie wehrte und sperrte man sich gegen das
+bessere Verst&auml;ndnis eines landkundigen Mannes!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Es ist gewi&szlig; besser hier,&laquo; sagte der Soldat mit einer
+Verbeugung gegen die Schwester des Hausherrn. &raquo;Man
+wehrt sich oft gegen sein Gl&uuml;ck, Senhora &mdash; man sollte es
+nicht thun.&laquo;</p>
+
+<p>Die &Uuml;brigen gaben dem Oberst nat&uuml;rlich recht, und
+dann redete man ebenso selbstverst&auml;ndlich von neuem eine
+geraume Zeit &uuml;ber das Wetter; doch dann auch &uuml;ber die
+Wege, &uuml;ber die Wegschenke, in welcher der Doktor den Fremden
+gefunden hatte, &uuml;ber die Gegend im allgemeinen und
+besondern, &uuml;ber das fr&uuml;he Abziehen der Zugv&ouml;gel in diesem
+Jahre, &uuml;ber dieses und jenes: nur der Apotheker &raquo;zum
+wilden Mann&laquo; nahm an dieser Unterhaltung wenig Anteil.</p>
+
+<p>Er, Philipp Kristeller, sa&szlig; seinem brasilianischen Gaste
+gegen&uuml;ber. Den alten Brief hatte er nicht wieder in sein
+Pult verschlossen, sondern, durch die pl&ouml;tzliche Ankunft des
+Doktors und des Fremden daran gehindert, ihn wieder mit
+sich gebracht und auf dem Tische von neuem vor sich niedergelegt.
+Er st&uuml;tzte jetzt den Ellenbogen darauf und l&auml;chelte
+in das Gespr&auml;ch der &Uuml;brigen hinein, doch wie abwesend
+und den eigenen Gedankengespinnsten nachgehend.
+Da&szlig; der so pl&ouml;tzlich und unvermutet in seinem stillen Hauswesen
+erschienene ausl&auml;ndische Herr seine innere Erregung
+vermehrte, konnte man nicht sagen, doch richtete er, der
+Hausherr, dann und wann verstohlen forschend den Blick
+auf den Gast; und die Antworten, die er sodann auf an
+ihn gerichtete Fragen gab, waren noch um ein weniges
+zerstreuter.</p>
+
+<p>Der Arzt erkundigte sich zuerst scherzhaft nach dem
+Grunde, und Ulebeule antwortete f&uuml;r den Apotheker.</p>
+
+<p>&raquo;La&szlig;t ihn, Medicus, hat sich der B&auml;r erniedrigt, so
+wird er sich wohl bald um so mehr erheben; denn wozu
+hat er seine Hinterpranken sonsten? fragt man in Polackien.
+W&auml;ret ihr eine Viertelstunde fr&uuml;her gekommen, so h&auml;ttet<span class='pagenum'><a name="Page_50" id="Page_50">[50]</a></span>
+ihr uns <span class="gesperrt">alle</span> insgesamt in einer noch viel kurioseren
+Stimmung angetroffen. Wie die Hasen ihre Hexensteige
+durchs Korn, so haben wir uns an diesem Abend unsere
+Wege durch die angenehme Unterhaltung gebissen. O, wir
+haben seltsame Historien vernommen!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Ulebeule!&laquo; rief der Apotheker; doch der F&ouml;rster war
+in seinem Eifer nicht imstande, auf den Ruf zu h&ouml;ren.</p>
+
+<p>&raquo;Ich sage Ihnen, Doktor, es ist ein Jammer und
+Schade, da&szlig; Fr&auml;ulein Dorette's Punsch Sie und den Herrn
+Oberst nicht ein wenig fr&uuml;her angeludert hat. Wie Federwild
+sind die merkw&uuml;rdigsten Geschichten um uns her aufgestoben.
+Wir wissen jetzt, weshalb sich drei&szlig;ig Jahre lang
+keiner von uns in diesen Lehnstuhl da hat setzen d&uuml;rfen;
+&mdash; wir wissen, in welcher Weise unser Freund Philipp bei
+uns ankam, &mdash; wir haben viel geh&ouml;rt von Liebe und Tod,
+von wilden M&auml;nnern und alten Geldbriefen, wie nicht
+jedermann solche von der Post zugeschickt kriegt. Waren
+Sie jemals in Ihrem Leben auf dem Blutstuhle, Doktor?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Ulebeule?!&laquo; rief jetzt auch der geistliche Herr, und
+diesmal h&ouml;rte der F&ouml;rster.</p>
+
+<p>&raquo;Nun, nun, &mdash; ja, ja, Ihr habt recht!&laquo; brummte der
+redselige Waidmann kleinlaut. &raquo;Nehmt's nicht &uuml;bel, Kristeller,
+da Ihr selber so vertraulich waret &mdash;&laquo;</p>
+
+<p>Herr Philipp f&uuml;llte freundlich dem biederen Hausfreunde
+das Glas und reichte ihm die Hand; doch nun sagte der
+Doktor Hanff:</p>
+
+<p>&raquo;Zu den kuriosen Geschichten sind wir, die wir unsererseits
+dergleichen vielleicht auch dann und wann erlebten,
+diesmal zu sp&auml;t gekommen. Aber eine Frage erlaube ich
+mir doch: habt ihr diesen guten Trunk hier jener Historien
+wegen etwa zusammengebraut?&laquo;</p>
+
+<p>Der brasilianische Oberst Dom Agostin Agonista, der
+die ganze Zeit hindurch mit nachdenklichen Augen auf den
+leerstehenden Ehrensessel geschaut hatte, sah jetzt scharf auf
+und hell und heiter im Kreise umher, zuletzt am sch&auml;rfsten<span class='pagenum'><a name="Page_51" id="Page_51">[51]</a></span>
+auf den Herrn des Hauses. W&auml;hrenddessen antwortete der
+Pastor dem Physikus und den forschenden Blicken des Colonels
+zugleich mit:</p>
+
+<p>&raquo;Sie sind zu einem eben so freudigen wie ernsthaften
+Ged&auml;chtnisfeste gerade noch zur rechten Zeit gekommen,
+lieber Doktor. Unser Freund Kristeller sitzt heute gerade
+drei&szlig;ig Jahre hier in diesem Hause &rsaquo;zum wilden Mann&lsaquo;,
+Herr Oberst. Er ist uns und allen Bewohnern der Gegend
+weit und breit ein lieber, treuer Freund und Helfer ein
+ganzes Menschenalter durch gewesen; den Punsch hat uns
+Fr&auml;ulein Dorothea improvisiert, und Ihre Einladung w&uuml;rden
+Sie zu Hause vorgefunden haben, lieber Doktor.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Den Umweg habe ich mir demnach gespart,&laquo; lachte der
+Landphysikus. &raquo;Mein Herr Vater verwunderte sich gleich
+&uuml;ber meine verst&auml;ndige Nase, als die Wickelfrau mich ihm
+auf die Arme legte.&laquo;</p>
+
+<p>Noch eine Bemerkung &uuml;ber seinen Hausschl&uuml;ssel anf&uuml;gend,
+sah der Humorist des Ortes von einem zum anderen,
+aber man l&auml;chelte diesmal nur, man lachte nicht mit oder
+hielt sich gar vor Lachen am Tische. Am vergn&uuml;gtesten
+sah noch der Oberst aus, und dieser erhob nunmehr auch
+sein dampfendes Glas und sprach:</p>
+
+<p>&raquo;So erlaube ich mir denn, als ein wie vom Himmel
+in diese Behaglichkeit hineingefallener Fremdling gleichfalls
+auf diesen sch&ouml;nen und wichtigen Gedenktag und Abend zu
+trinken. Drei&szlig;ig Jahre sind eine lange Zeit; manches
+wird darin anders &mdash; Gesichter und Meinungen. Und
+meine gn&auml;dige Dame und meine guten Herren, auch ich
+kann heute ebenfalls ein mir sehr merkw&uuml;rdiges und folgenreiches
+Ged&auml;chtnisfest feiern; &mdash; auch mir sind heute
+gerade drei&szlig;ig Jahre vergangen, seit ich zum erstenmale
+im Feuer stand und zwar an Bord der chilenischen Fregatte
+&rsaquo;Juan Fernandez&lsaquo; gegen den &rsaquo;Diablo blanco&lsaquo;, den
+wei&szlig;en Teufel, ein Schiff der Republik Haity, um am
+folgenden Morgen mit einem Holzsplitter in der H&uuml;fte<span class='pagenum'><a name="Page_52" id="Page_52">[52]</a></span>
+und einem Beilhieb &uuml;ber der Schulter im Raum des Niggerpiraten
+aus der Bewu&szlig;tlosigkeit aufzuwachen!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Wozu man freilich heute noch gratulieren kann,&laquo;
+brummte der Doktor, w&auml;hrend die anderen auf andere
+Weise ihr Interesse und Mitgef&uuml;hl kundgaben.</p>
+
+<p>&raquo;Wozu ich mir ganz gewi&szlig; heute noch Gl&uuml;ck zu w&uuml;nschen
+habe,&laquo; sagte der tapfere alte Krieger, &raquo;denn in diesem
+gottverdammten Schiffsraume, dem schw&auml;rzesten, stinkendsten
+Loche, das je auf dem Wasser schwamm, lernte ich
+einen Arzt kennen, der eine Kur an mir verrichtete, wie sie
+keinem europ&auml;ischen Mediziner gelungen w&auml;re &mdash;&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Das w&auml;re der Teufel!&laquo; rief der europ&auml;ische Physikus.</p>
+
+<p>&raquo;Der war es so zu sagen auch,&laquo; sprach gelassen der
+brasilianische Oberst, &raquo;und er klopfte mich auf die Schulter
+und sagte: &rsaquo;Senhor, eine Zeit lang hat jedermann auf
+Erden das Recht, den Narren zu spielen, nur darf er das
+Spiel nicht &uuml;ber die geb&uuml;hrliche Zeit fortsetzen, er macht
+sich sonst l&auml;cherlich; Ihr gefallt mir, Senhor, und ich meine
+es gut mit Euch, &mdash; diesmal kommt Ihr noch mit dem
+Leben davon; erinnert Euch meiner und ruft mich, wenn
+Ihr mich braucht; ich stehe immer an Eurem linken Ellbogen.&lsaquo;
+&mdash; Meine Herrschaften, das Ding verhielt sich wirklich
+so, und ich habe den Schwarzen jedesmal, wenn ich
+ihn n&ouml;tig hatte, gerufen, und mich stets wohl dabei gefunden.
+Vorher war's mir herzlich schlecht in der Welt ergangen,
+und ich hatte mich recht &uuml;bel darin befunden.&laquo;</p>
+
+<p>Der geistliche Herr r&uuml;ckte ein wenig ab von dem sonderbaren
+Gaste, Fr&auml;ulein Dorothea Kristeller murmelte:</p>
+
+<p>&raquo;Ei, ei! hm, hm;&laquo; &mdash; der Apotheker sagte noch immer
+nichts; aber Ulebeule rief entz&uuml;ckt:</p>
+
+<p>&raquo;Das ist ja aber heute wie ein Abend aus dem Tausendundeinenachtbuche!
+Wir sind drin im Erz&auml;hlen, und
+wenn's nach mir geht, bleiben wir bis zum Morgen dabei.
+Lieber Herr Oberst, unser alter Philipp da hatte vom Anfange
+an auch nicht die Absicht, uns alles das, was er uns<span class='pagenum'><a name="Page_53" id="Page_53">[53]</a></span>
+berichtet hat, zu beichten; er geriet nur so ganz allgemach
+auf die F&auml;hrte, und wir haben ihn nur durch gute Ermunterung
+darauf gehalten. Herr Oberst, nehmen Sie sich
+g&uuml;tigst ein Exempel und erz&auml;hlen Sie weiter von den
+Mohren. Der Abend ist ganz darnach; &mdash; was meinen
+Sie, Pastore?&laquo;</p>
+
+<p>Der Pastor war wieder zuger&uuml;ckt und bot dem fremden
+Kriegsmann die Dose.</p>
+
+<p>Dom Agostin Agonista l&auml;chelte gutm&uuml;tig und sagte
+vergn&uuml;gt:</p>
+
+<p>&raquo;Ich wei&szlig; nicht, was f&uuml;r wilde Historien unser freundlicher
+Herr Hospes von sich erz&auml;hlt hat; mein Leben ist
+sicherlich ins Wilde geschossen und hat Fr&uuml;chte gebracht, die
+auf jedem Markte Verwunderung erregen m&uuml;ssen. Zuerst
+wucherte das Gew&auml;chs phantastisch ins Kraut, und mehr
+als ein Botanikus wartete mit Spannung auf die &uuml;berirdischen
+Bl&uuml;ten und Fr&uuml;chte. Jawohl! Der gro&szlig;e Hurrikane
+kam, der Wind und Sturm &uuml;ber Land und See, &mdash;
+die Bl&auml;tter wurden weggefegt, die Bl&uuml;ten, oder was so
+aussah, dito. Endlich fand sich so ungef&auml;hr drei bis vier
+Fu&szlig; unter der Erde etwas, was mit der Kartoffel einige
+&Auml;hnlichkeit hatte &mdash; allerlei Knollen durch Fasern aneinanderh&auml;ngend
+&mdash; ungenie&szlig;bar, z&auml;h, ein abgeschmacktes Produkt
+der alten Mutter Erde. Dazu hat man es denn gebracht,
+meine Herrschaften, und der einzige Trost ist nur,
+da&szlig; eben nicht ein jeder nach seiner Wahl ein Pomeranzen-
+oder Palmenbaum werden kann. Je fr&uuml;her aber der Mensch
+herausfindet, in welche Klasse er nach Linn&eacute; oder Buffon
+geh&ouml;rt, desto besser ist es f&uuml;r ihn und desto schneller kommt
+er zur Ruhe und zur Zufriedenheit mit seinen Zust&auml;nden.
+So lange er's noch nicht heraus hat, spuckt er Gift und
+Galle in den sch&ouml;nsten Sonnenschein hinein und macht
+Br&uuml;derschaft mit dem Schneegest&ouml;ber und Winterwinde.
+Ich halte das auch f&uuml;r eine Philosophie, Herr Kristeller.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Das ist es auch, Herr Oberst,&laquo; sagte Herr Philipp.<span class='pagenum'><a name="Page_54" id="Page_54">[54]</a></span>
+&raquo;So lange aber der Mensch jung ist, findet er die gro&szlig;e
+Wahrheit selten. Ja, Viele &mdash; die Meisten finden sie
+nie und glauben an ihre Palmbaumberechtigung bis zum
+Ende.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Und das ist ein Gl&uuml;ck,&laquo; rief der wetterfeste, philosophische
+Kriegsmann, &raquo;denn ohne diese gl&uuml;ckliche Illusion
+w&uuml;rde die ganze Menschheit doch nichts weiter sein als ein
+sich elend am Boden hinwindendes Geschling und Gestr&uuml;pp.
+&Uuml;brigens sind die Kartoffeln und die Tr&uuml;ffeln gar nicht
+zu verachten.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Aber mit dem Mohrenschiff und dem schwarzen Satan,
+der den verehrten Herrn Oberst so zutraulich auf die
+Schulter klopfte, hat dieses alles doch eigentlich nicht das
+Geringste zu schaffen &mdash; nicht wahr?&laquo; fragte Ulebeule.</p>
+
+<p>&raquo;Bravo, F&ouml;rster!&laquo; rief der Doktor. &raquo;Ihr seid und bleibt
+ein hirschgerechter Waidmann. Tago! Tago! Ihr la&szlig;t
+Euch wahrlich nicht von der F&auml;hrte abbringen. Geben Sie
+sich nur drein, Oberst, und erz&auml;hlen Sie uns von dem
+Mohrenschiffe und Ihren sonstigen spa&szlig;haften und ernsthaften
+Erlebnissen. Die Nacht ist schwarz genug dazu, und
+wir sind ganz Ohr.&laquo;</p>
+
+<p>Nun schien der richtige Ton f&uuml;r die folgende Unterhaltung
+gefunden zu sein; aber in demselben Moment jagte
+der Colonel Agonista alle, nur den Hausherrn nicht, in
+hellster &Uuml;berraschung, ja im j&auml;hen Schrecken von den St&uuml;hlen
+empor.</p>
+
+<p>Er hatte sein Glas erhoben und sagte jetzt langsam
+und ruhig:</p>
+
+<p>&raquo;Lassen Sie uns ansto&szlig;en auf das Wohl aller wetterfesten
+Herzen, gleichviel ob sie ihre Schlachten innerhalb
+ihrer vier W&auml;nde durchfechten oder durch Blut und Feuer
+&uuml;ber den halben Erdball herumgeworfen werden. Kennst
+du mich nicht mehr, Philipp? Kennst du mich wirklich
+nicht mehr, Philipp Kristeller?!&laquo;</p>
+
+<hr style='width: 45%;' />
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_55" id="Page_55">[55]</a></span>
+Der Apotheker &raquo;zum wilden Mann&laquo; hatte den Geldbrief,
+der bis jetzt unter seinem Ellenbogen gelegen hatte,
+gefa&szlig;t und in der zitternden Hand zusammengeknittert.
+Seit f&uuml;nf Minuten schon wu&szlig;te er, wer sein Gast war,
+und der Oberst Dom Agostin Agonista hatte das auch gewu&szlig;t.
+Nun aber griff die Schwester zu und st&uuml;tzte den
+Bruder; der Oberst fa&szlig;te ihn von der anderen Seite und
+so erhob er sich jetzo m&uuml;hsam wie die &Uuml;brigen, legte beide
+Arme dem Gaste um die Schultern, legte ihm das Gesicht
+an die Brust und st&ouml;hnte:</p>
+
+<p>&raquo;Nach einem Menschenalter also!&laquo;</p>
+
+<p>Der Doktor, der Pastor und der F&ouml;rster verwunderten
+sich, ein jeder auf seine Manier, und es w&auml;hrte eine ziemliche
+Weile, ehe jedermann wieder Platz genommen hatte.</p>
+
+<p>Endlich sa&szlig;en sie wieder; der Oberst aber nicht auf dem
+ihm so lange Zeit aufbewahrten weichen Ehrenplatz. Dom
+Agostin hatte, nachdem er die Ehre zuletzt fast grob zur&uuml;ckgewiesen
+hatte, mit zierlicher, dr&auml;ngender H&ouml;flichkeit Fr&auml;ulein
+Dorette Kristeller in den Lehnstuhl niedergesetzt, und
+diese behielt denn auch den Platz, nachdem sie ihren Protest
+eingelegt hatte.</p>
+
+<p>&raquo;Gegen die Gewalt kann ich nicht an, Herr Oberst, aber
+behaglich sitze ich hier wahrhaftig nicht, und in die Wirtschaft
+mu&szlig; ich auch jeden Augenblick hinaus.&laquo;</p>
+
+<p>Das war richtig. Die chinesische Bowle mu&szlig;te noch
+zweimal im Verlaufe der Nacht gef&uuml;llt und das Gastzimmer
+ebenfalls doch auch f&uuml;r den geheimnisvollen, abenteuerlichen
+Freund hergerichtet werden. Dazwischen erz&auml;hlte
+der alte Soldat, ohne sich im geringsten zu sperren, dem
+&raquo;Wilden Mann&laquo; seine Geschichte. Was darin zu Tage
+kam, h&auml;tte jeden Tisch voll Philister (unter anderen Umst&auml;nden)
+bewogen, erst von dem munteren Erz&auml;hler leise
+abzur&uuml;cken, dann nach und nach mit den Gl&auml;sern und
+Pfeifen sich nach einem anderen Platze umzusehen und dann
+&mdash; bis zum Nachhausegehen &mdash; von dem neuen Stuhl aus<span class='pagenum'><a name="Page_56" id="Page_56">[56]</a></span>
+verstohlen, furchtsam und verbl&uuml;fft &uuml;ber die Schultern nach
+dem unheimlichen fidelen alten s&uuml;damerikanischen Burschen
+hinzustieren.</p>
+
+
+
+<h2><a name="Achtes_Kapitel" id="Achtes_Kapitel"></a>Achtes Kapitel.</h2>
+
+
+<p>Das kahle Gezweig kratzte nicht mehr so &auml;rgerlich wie
+vorher an den Fensterscheiben des Hinterst&uuml;bchens in der
+Apotheke &raquo;zum wilden Mann&laquo;. Der F&ouml;rster Ulebeule
+hatte den Kopf in die Nacht hinausgesteckt, ihn zur&uuml;ckgezogen
+und den im Zimmer Anwesenden die tr&ouml;stliche Versicherung
+gegeben:</p>
+
+<p>&raquo;Es kl&auml;rt sich richtig auf. Man sieht die Sterne durchs
+Gew&ouml;lk. Der Wind hat ordentlich &uuml;ber unseren K&ouml;pfen
+und Schornsteinen aufger&auml;umt. Ich kenne das und wette,
+da&szlig; wir morgen einen ganz klaren Tag haben werden.&laquo;</p>
+
+<p>Dies fiel in die Pause nach dem wundervollen Ereignis
+und Wiederzusammenfinden in der Apotheke &raquo;zum wilden
+Mann&laquo;.</p>
+
+<p>Philipp Kristeller hatte bis jetzt die Hand seines Wohlth&auml;ters
+noch nicht losgelassen. Die beiden alten Freunde
+sa&szlig;en nebeneinander, und der Oberst hielt spielend in der
+Linken den Brief, den er vor einunddrei&szlig;ig Jahren in der
+Lebensverzweiflung geschrieben und mit 9500 Thalern in
+Staatspapieren f&uuml;r den botanischen Studiengenossen beschwert
+hatte. Jetzt zum erstenmal entzog er die rechte
+Hand dem Freunde vom Blutstuhle, warf das letzte Endchen
+seiner Cigarre hinter sich und zog eine kurze Pfeife
+heraus, die er aus einem sehr exotisch, sehr indianisch aussehenden
+Tabaksbeutel f&uuml;llte und pl&ouml;tzlich &mdash; ehe er durch
+einen hastigen Griff und Ruf des Apothekers daran gehindert
+wurde, in Brand setzte. Ehe er dran gehindert
+werden konnte, hatte Dom Agostin Agonista ein bedeutendes
+St&uuml;ck von seinem verj&auml;hrten, wild-phantastischen<span class='pagenum'><a name="Page_57" id="Page_57">[57]</a></span>
+Schreiben abgerissen, es regelrecht zu einem Fidibus zusammengedreht
+und denselben zu dem Zwecke verwendet,
+zu welchem man eben einen Fidibus gebraucht. In demselben
+Moment fing er gelassen und gem&uuml;tlich an, seine
+Geschichte zu erz&auml;hlen, und sie ging gut an, n&auml;mlich mit
+den Worten:</p>
+
+<p>&raquo;Nicht wahr, Doktor, wer noch keinen Menschen umgebracht
+hat, der wird sich nur schwer in die Gef&uuml;hle eines,
+der's bereits fertig brachte, hineinfinden. Erschrecken Sie
+nur nicht zu arg, meine Herrschaften; ich habe mich allm&auml;hlich
+hineingefunden; &mdash; es lernt sich alles in der Welt
+und wird zur Gewohnheit, das H&auml;ngen und Erschie&szlig;en wie
+&mdash; das K&ouml;pfen. Ich stamme aus einem der anr&uuml;chigsten
+Geschlechter Deutschlands und hatte drei Tage vor dem
+Zusammentreffen mit meinem Freund Philipp Kristeller
+auf dem Blutstuhle gethan, was ich mu&szlig;te. Um es kurz
+zu sagen, so hatte ich, unter Billigung und Beistand von
+Staat und Kirche, einem nichtsnutzigen Mitbruder im
+Wirrwarr dieser Welt auf offenem Felde und vor zehntausend
+Zuschauern den Kopf abgeschlagen. Erschrecken Sie
+nicht, bestes Fr&auml;ulein &mdash; auch das ist eine verj&auml;hrte Geschichte.&laquo;</p>
+
+<p>Ja, was half es zu sagen: Erschrecken Sie nicht! &mdash;?
+sie fuhren doch alle zusammen, selbst Herr Philipp Kristeller.</p>
+
+<p>&raquo;Das Amt, das meine Vorfahren seit mehr als zweihundert
+Jahren in ununterbrochener Geschlechtsfolge verwaltet
+hatten &mdash; r&uuml;hmlich verwaltet hatten, war eines
+Tages auf mich &uuml;bergegangen, und ich habe es ausge&uuml;bt
+&mdash; einmal! &mdash; wie gesagt, drei Tage vor jenem Anfall
+vom Veitstanz, in welchem der da mich auf dem Blutstuhl
+fand. Sieh, Philipp, <span class="gesperrt">das war es</span>! und deine Johanne
+hatte wohl Recht, wenn sie schon lange vor jenem
+letzten Zusammentreffen dich auf mancherlei an mir aufmerksam
+machte, was ihr nicht gefiel. Ach Gott, ich wollte,
+ich k&ouml;nnte es dem armen guten Kinde heute abend auch<span class='pagenum'><a name="Page_58" id="Page_58">[58]</a></span>
+sagen, wie gut sie mir stets gefiel. Sie ist also tot &mdash; ein
+Menschenalter tot? ach Philipp, Philipp, du hast es kaum
+wissen k&ouml;nnen, wie viel Sonnenschein von ihr ausging, wo
+sie ging und stand, und wie schwarz und scheu&szlig;lich mir die
+Welt in dem sch&ouml;nen Lichte vorkam. Auch verj&auml;hrt! da
+wir noch am Leben sind und es uns wohl geht, so wollen
+wir von uns reden. &mdash; Ich war wunderlich erzogen worden.
+Mein Gro&szlig;vater August Gottfried M&ouml;rdling hatte
+das schlimme Erbamt noch im reichlichen Ma&szlig;e und als
+finsterer Enthusiast bekleidet; mein Vater hatte dagegen
+das Gl&uuml;ck gehabt, da&szlig; in seine ganze, freilich nicht sehr
+lange Lebenszeit nicht ein einziges Mal die unangenehme
+Notwendigkeit fiel, die Kammer im Oberstock des Hauses
+aufzuschlie&szlig;en und mit dem Auge und dem Finger an der
+Sch&auml;rfe des breiten Schwertes mit der Jahreszahl 1650
+hinauf und hinunter zu fahren. Von meiner Mutter wei&szlig;
+ich wenig zu sagen. Sie war eine kr&auml;nkliche, verdrossene
+Frau, und ich habe nur eine Haupterinnerung von ihr,
+n&auml;mlich da&szlig; sie eine ausgebreitete Gefl&uuml;gelzucht trieb und
+das Schlachten der H&uuml;hner, Puter, Enten, Tauben und
+G&auml;nse stets selber besorgte und zwar mit gro&szlig;er Kunstfertigkeit
+und einer gewissen wilden Energie. Mein Vater,
+ein sanfter, gebildeter Mann, der Schiller verehrte, Goethe
+verstand, f&uuml;r Uhland schw&auml;rmte und mich erzog, ging bei
+solchen Exekutionen stets mit raschen Schritten vom Hofe
+oder aus der K&uuml;che weg, indem er murmelte: O du grundg&uuml;tiger
+Himmel! &mdash; Mein Vater, Alexander Franz M&ouml;rdling,
+war auch gereist, sowohl als Kunst- wie als Naturliebhaber,
+er war in Frankreich, England und Holland
+gewesen, sprach recht gut englisch und franz&ouml;sisch und erzog
+mich nur zu gut. Er machte auch mich zu einem gebildeten
+Menschen, der &uuml;ber Sonnen- und Mond- Auf- und
+Unterg&auml;nge zu reden wu&szlig;te, und vor allen Dingen ein
+Herbarium anzulegen verstand. Als die echten, richtigen
+Autodidakten machten wir uns beide unsere Welt zurecht,<span class='pagenum'><a name="Page_59" id="Page_59">[59]</a></span>
+&mdash; eine Welt, aus der keiner von uns beiden berufsm&auml;&szlig;ig
+herausgerufen werden durfte, ohne halb verr&uuml;ckt zu werden
+und ganz zu Grunde zu gehen. Unser Erbhof lag nat&uuml;rlich
+au&szlig;erhalb der Stadt, versteckt im Gr&uuml;n, von uralten
+Linden &uuml;berschattet, durch hohe Mauern und ein
+gewaltiges Thor gesch&uuml;tzt &mdash; ein Haus aus dem Ende
+des sechzehnten Jahrhunderts, warm im Winter, k&uuml;hl im
+Sommer &mdash; ein Generalsuperintendent h&auml;tte drin wohnen
+und seine Predigten abfassen k&ouml;nnen. Der Schall und
+Spektakel der Leute drau&szlig;en drang kaum zu uns; und
+wenn mein Papa mir unsere eigentlichen Zust&auml;nde keineswegs
+vorenthielt, so machte die Kenntnis davon durchaus
+keinen niederdr&uuml;ckenden Eindruck auf mich. Es lag f&uuml;r
+den Knaben sogar ein Reiz darin &mdash; man war allein, aber
+man war auch etwas, was die anderen nicht waren; &mdash;
+liebes Fr&auml;ulein, man sa&szlig; wie ein geheimnisvoller Affe auf
+der Mauer und grinste die Jungen dr&uuml;ben jenseits des
+Grabens, die nicht zu grinsen wagten, so zu sagen unheimlich-vornehm
+an. Sie glauben es mir nicht, Fr&auml;ulein
+Dorette, aber es verhielt sich doch so. Da mein Vater in
+seiner Abgeschiedenheit ertr&auml;glich behaglich und zufrieden
+seine Tage verbrachte, so hatte ich um so weniger Grund,
+mich &uuml;ber mein Schicksal zu beklagen. Wir hatten durch
+Sommer und Winter unsere kleinen Freuden, &mdash; und
+Matthias Claudius w&uuml;rde sich sicherlich wohl in unseren
+Besch&auml;ftigungen und tr&auml;umerischen Gr&uuml;beleien und Liebhabereien
+gef&uuml;hlt haben. Ja, es f&auml;llt mir erst jetzt bei:
+vom alten Wandsbecker Boten hatte mein Alter das Meiste
+in seiner Natur; &mdash; er konnte es sicherlich nicht ahnen,
+welch ein Meister Urian in seinem S&ouml;hnchen steckte. &mdash;
+Aber endlich kam ein Winter, in dem mein Vater bei
+hohem Schnee und hartgefrorenem Boden mit Tode abging;
+und ich ein m&uuml;ndiger, erwachsener Mensch, der allem,
+was au&szlig;erhalb unserer Hofmauer lag und vorging, g&auml;nzlich
+unm&uuml;ndig gegen&uuml;berstand, ihn sterben sah.&laquo;</p>
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_60" id="Page_60">[60]</a></span>
+An dieser Stelle stand der Erz&auml;hler, der Oberst Dom
+Agostin Agonista auf und ging zum Fenster, um nach dem
+Wetter zu sehen.</p>
+
+<p>&raquo;Es ist das einzige, was einem bei au&szlig;ergew&ouml;hnlich
+unruhigen Gem&uuml;tsbewegungen hilft,&laquo; sagte er zur&uuml;ckkommend
+und seinen Stuhl wieder einnehmend. &raquo;&Uuml;brigens
+hat der Herr F&ouml;rster recht; es wird klar, und wir werden
+morgen wohl einen sch&ouml;nen Tag haben. Wo war ich doch
+stehen geblieben? Ja so, beim Tode meines Vaters und
+dem, was damit zusammenhing. Ich mu&szlig; die Herren und
+das Fr&auml;ulein also noch eine Weile inkommodieren.&laquo;</p>
+
+<p>Sie hatten ihm alle, bis auf den Apotheker, starr und
+mit immer noch hoch emporgezogenen Augenbrauen auf den
+R&uuml;cken gesehen, den er ihnen zudrehte, als er aus dem
+Fenster guckte. Als er sich umwendete, wandte ein jeder,
+nur der Apotheker nicht, die Augen wo anders hin und
+that so unbefangen als m&ouml;glich.</p>
+
+<p>&raquo;Das nennst du uns inkommodieren, August?&laquo; fragte
+Philipp Kristeller vorwurfsvoll z&auml;rtlich.</p>
+
+<p>&raquo;Augustin &mdash; Agostin &mdash; Agostin Agonista, wenn es
+dir einerlei ist, alter Bursch,&laquo; lachte der brasilianische Oberst
+und &mdash; erz&auml;hlte weiter:</p>
+
+<p>&raquo;Wir waren allein im Hause, mein Vater, ich und eine
+alte Hexe von Magd, die uns Beide seit meiner Mutter
+Tode in der raffiniertesten Knechtschaft hielt. Mein Vater
+hatte schon l&auml;ngere Zeit gekr&auml;nkelt, sich selber bedoktert und
+war nun mit seiner Kunst zu Ende. Lieber Doktor, der
+st&auml;dtische Arzt, den wir zum Schlu&szlig; herbeiriefen, konnte
+auch weiter nichts thun, als die Achseln zucken, &mdash; und,
+Freund Philipp, in der Nacht vor seinem Abscheiden &uuml;berlieferte
+mein Vater mir die Schl&uuml;ssel zu dem Archive unseres
+Hauses! Drei Tage nach seinem Begr&auml;bnis &ouml;ffnete ich den
+schwarzen Eichenschrank, in welchem die seit fast zweihundert
+Jahren recht ordentlich gef&uuml;hrte Chronik unserer Familie
+aufbewahrt wurde, und trat damit in die Krisis ein, w&auml;hrend<span class='pagenum'><a name="Page_61" id="Page_61">[61]</a></span>
+welcher mein alter Philipp da und seine so junge und
+sch&ouml;ne Johanne meine Bekanntschaft machten und so viele
+Gr&uuml;nde hatten, sich &uuml;ber mich zu verwundern. Ich fand
+in dem Schranke ein von meinen Vorv&auml;tern zusammengeschriebenes
+dickleibiges Manuskript in schwarzem Lederband
+mit Messingecken und Haspen. Sie hatten regelrecht Buch
+gef&uuml;hrt, und es war ein recht nettes Hauptbuch draus geworden
+mit allen Zahlen und sonstigen Belegen! Und ich
+las und rechnete es nach bis auf meinen Herrn Gro&szlig;papa
+hinunter &mdash; ich las es vom Anfang bis zum Ende, Wort
+f&uuml;r Wort, Datum f&uuml;r Datum, Zahl f&uuml;r Zahl; und als
+ich in der dritten Nacht gegen zwei Uhr morgens von der
+gr&auml;ulichen Lekt&uuml;re aufstehen wollte, da konnte ich nicht.
+Ich sa&szlig; fest im Stuhl, ger&auml;dert von unten auf, und drau&szlig;en
+war es grimmig kalt &mdash; der Hofhund heulte und weinte
+vor Frost, und ich f&uuml;hlte den Frost gleichfalls bis in die
+Knochen, und dazu, halb wahnsinnig, mein Leben, F&uuml;hlen,
+Denken, Meinen abgebrochen, wie wenn ein Stock &uuml;bers
+Knie abgebrochen worden w&auml;re. Meine grimmige Hexe
+von Haush&auml;lterin hatte mich am Ofen aufzuthauen wie ein
+steifgefrorenes Handtuch, und es w&auml;hrte l&auml;nger als eine
+Woche, ehe sich die allernotwendigste animalische W&auml;rme
+wieder in mir bemerkbar machte. Ich lag l&auml;nger als eine
+Woche im Bett und klapperte geistig und k&ouml;rperlich mit den
+Z&auml;hnen; dann aber lief ich hinaus und lief mich warm
+durch das winterliche Land &mdash; blieb vierzehn Tage f&uuml;r diesmal
+vom Hause weg und suchte mir zu der W&auml;rme auch
+den Schlaf zu erlaufen, erlief mir jedoch nur die scheu&szlig;lichsten
+aller Tr&auml;ume. Es ist ein Wunder, da&szlig; keiner es
+mir heute ansieht, was f&uuml;r ein Narr ich damals war!
+Nach meiner R&uuml;ckkehr sa&szlig; ich bis zum Fr&uuml;hjahr als ein
+Idiot am Herde, und ohne den Fr&uuml;hling w&auml;re ich sicherlich
+als ein Idiot im Landesirrenhause elend und erb&auml;rmlich
+verkommen; und eigentlich, lieber Philipp, habe ich
+&uuml;ber jene Periode meines Daseins nichts mehr zu sagen.<span class='pagenum'><a name="Page_62" id="Page_62">[62]</a></span>
+Ich fuhr in meinem Einsp&auml;nner &uuml;ber die Grenze, mietete
+in einem Dorfe eurer Provinz ein Absteigequartier und
+ging dann in die Berge: &mdash; da trafen wir uns, und du
+hieltest mich f&uuml;r einen &uuml;bergeschnappten Privatgelehrten,
+dem seine Freunde seiner Gesundheit wegen geraten hatten,
+sich ein wenig auf die Botanik zu legen.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Ich habe meinen Freunden bereits vorhin mitgeteilt,
+mit welchem Respekt mich deine Wissenschaft erf&uuml;llte,&laquo; rief
+der Apotheker &raquo;zum wilden Mann&laquo;, und sie nickten rund
+um den Tisch und sprachen:</p>
+
+<p>&raquo;Ja, ja! o freilich!&laquo;</p>
+
+<p>Der Oberst Dom Agostin Agonista aber sah selbst in
+dieser Nacht zum erstenmale sehr ernst, ja fast b&ouml;se und
+finster drein und sagte:</p>
+
+<p>&raquo;Ich w&uuml;rde dir im Laufe der Zeit meine Umst&auml;nde
+wohl klarer erschlossen haben, Philipp, ich w&uuml;rde dir alles
+von mir und meinem Leben erz&auml;hlt haben; aber dein Liebeswesen
+hat mich dran gehindert und mir den Mund
+zugehalten. Lieber Junge, wenn mir etwas die Welt noch
+mehr verleidete, so war das deine Braut. Bei Gott, ich
+habe euch oft geha&szlig;t wegen eurer Seligkeit, &mdash; o Philipp
+Kristeller, in mehr als einer Stunde h&auml;tte ich euch mit
+Vergn&uuml;gen eine Fallgrube f&uuml;r eure Z&auml;rtlichkeit graben
+k&ouml;nnen. W&auml;re das Eifersucht gewesen, so w&auml;r's schlimm
+genug gewesen; aber es war noch schlimmer, es war Neid,
+der nichtsw&uuml;rdige z&auml;hnknirschende Neid. Ach, Freund,
+Freund, damals hatte ich wahrhaftig nicht die Absicht, dir
+im Leben auf die Beine und, so weit ich es konnte, zu einer
+Frau zu helfen! Mu&szlig;te da erst das &Auml;rgste kommen, um
+mir den Sinn vollst&auml;ndig zu wenden, und das &Auml;rgste kam;
+&mdash; gottlob, sage ich heute! &mdash; Von einer meiner vorgeblichen
+botanischen Rasereien ins Wilde zur&uuml;ckkehrend, fand
+ich einen Brief zu Hause, ein Schreiben mit dem Siegel
+der Oberstaatsanwaltschaft drauf. Ich wurde durch dieses
+Reskript umgehend nach der n&auml;chsten Kreisstadt beordert,<span class='pagenum'><a name="Page_63" id="Page_63">[63]</a></span>
+und was die hohe Beh&ouml;rde da von mir verlangte und zu
+verlangen berechtigt war, das k&ouml;nnen die Herren und die
+g&uuml;tige Senhora sich sicher selber vorstellen; ich habe gewi&szlig;
+nicht n&ouml;tig, mit dem Finger die Richtung anzudeuten.
+Man legte mir ein vom Landesherrn bereits unterzeichnetes
+Todesurteil vor, und ich hatte noch drei Wochen Zeit, mich
+und meinen Patienten auf die mir obliegende Operation
+vorzubereiten. W&auml;hrend dieser drei Wochen sahest du mich
+nicht, Philipp Kristeller; aber du fandest mich drei Tage
+nach vollbrachtem Amtsgesch&auml;ft auf der Opferklippe. Ja, ja,
+meine Herren, nach gethaner Arbeit ist gut ruhen, und
+auch das war ein Erholungsausflug! &mdash; Ich hatte meine
+Sache gut gemacht und war gelobt worden, von den Beh&ouml;rden,
+den Zeitungen und dem zuschauenden P&ouml;bel; aber
+ich trug schwer an der Ehre. Buchst&auml;blich, &mdash; ich trug
+meinen still und um einen Kopf k&uuml;rzer gemachten Patienten,
+minus diesen Kopf auf dem R&uuml;cken, und ich hatte ihn
+eben auf den Blutstuhl hinaufgeschleppt, als mein Freund
+Philipp die Klippe von der anderen Seite her erkletterte.
+Seht, es ist immer von den Gef&uuml;hlen des armen S&uuml;nders
+auf dem Hochgerichte die Rede; aber diesmal waren auch
+die des Scharfrichters bemerkenswerth; &mdash; reden wir nicht
+davon: ich trug, wie gesagt, den Rumpf des armen Teufels
+von dem Ger&uuml;ste hinunter; er hing mir auf dem R&uuml;cken,
+die H&auml;nde schleiften auf dem Boden nach, und ich hielt auf
+jeder Schulter einen Fu&szlig; im blauen wollenen Strumpfe
+gepackt! So hab' ich ihn auf den Blutstuhl hinaufgeschleift;
+und als du mich fandest, Philipp Kristeller, auf dem Felsen
+liegend, das Gesicht zu Boden gedr&uuml;ckt, da sa&szlig; der Halunke
+auf mir, kopflos &mdash; hatte mir eine Kralle in das Nackenhaar
+gew&uuml;hlt und sang sein diabolisches Triumphlied &uuml;ber
+mich &mdash; ein Bauchredner sondergleichen; aber h&ouml;chst widerlich,
+selbst heute abend noch, nach einunddrei&szlig;ig Jahren
+ruhigeren Nachdenkens und k&uuml;hlerer &Uuml;berlegung!&laquo;</p>
+
+
+
+<h2><a name="Neuntes_Kapitel" id="Neuntes_Kapitel"></a>Neuntes Kapitel.</h2>
+
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_64" id="Page_64">[64]</a></span>
+Der Oberst schwieg und fuhr sich mit dem Taschentuche
+&uuml;ber die Stirn. Man r&auml;usperte sich rund um den Tisch;
+der F&ouml;rster und der Pastor h&uuml;llten ihre Verlegenheit in
+die dichtesten Tabakswolken, der Landphysikus schien die
+seinige in sich ertr&auml;nken zu wollen, und alle drei &mdash; sonst
+gar nicht &uuml;bele Leute &mdash; sahen in diesem Momente merkw&uuml;rdig
+stupide aus. Fr&auml;ulein Dorette Kristeller im Ehrenstuhle
+hatte sich soweit als m&ouml;glich aus dem Lichtschein in
+die D&auml;mmerung zur&uuml;ckgezogen; man h&ouml;rte sie leise &auml;chzen
+und seufzen, ja es schien sogar, als ob sie sto&szlig;weise in ihr
+Taschentuch hineinschluchze. Eine solche Geschichte erz&auml;hlte
+man trotz allem nicht ungestraft, &mdash; selbst im Kreise seiner
+allerbesten Freunde nicht.</p>
+
+<p>Dem alten Soldaten entging der gemachte Eindruck
+keineswegs, aber nachdem er seinerseits die widerliche Erinnerung
+mit einer Hand- und Armbewegung so zu sagen
+vom Tische gewischt hatte, st&uuml;tzte er beide Ellenbogen auf
+die Platte und schaute munterer denn je um sich. Er
+hatte, wie sich gleich auswies, noch extraordin&auml;rere Dinge
+in seinem sp&auml;teren Leben durchgemacht, er hatte nicht wie
+die anderen still im Winkel gesessen, er hatte sich allerlei
+um die Nase wehen lassen, was die meisten Leute f&uuml;r
+Sturm genommen haben w&uuml;rden, er aber nur noch f&uuml;r
+Wind hielt. Er war nicht umsonst kaiserlich brasilianischer
+Gendarmerieoberst geworden.</p>
+
+<p>&raquo;Lieber, guter August &mdash; Augustin,&laquo; fl&uuml;sterte der Apotheker,
+&raquo;du bist als ein eigentumsloser Bettler in deiner
+Verwirrung in die Welt hinausgelaufen; &mdash; du hast mir
+das Erbe deiner V&auml;ter &uuml;berwiesen &mdash;&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;So ist es! Niemals hat ein Mensch mit gleich leerer
+Tasche dem alten Europa den R&uuml;cken gewendet!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;O meine Johanne &mdash; meine liebe, arme Johanne!&laquo;<span class='pagenum'><a name="Page_65" id="Page_65">[65]</a></span>
+seufzte der Apotheker leise; aber da that der Abenteurer
+und Soldat einen sehr feinf&uuml;hligen Griff in die Ideenfolge
+seines Jugendbekannten.</p>
+
+<p>&raquo;Nein, nein, Philipp, bei allen M&auml;chten, nein! es ist
+nicht so! Das ist nicht der Gesch&auml;ftsgang zwischen Himmel
+und Erde! Du w&uuml;rdest sie doch verloren haben &mdash; o,
+um meine Hinterlassenschaft hat sie dir das Schicksal nicht
+sterben lassen! Was hatte ihr Dasein und Geschick mit
+dem zu schaffen, was alles an den Thalern hing, die ich
+damals auf der Flucht von mir warf und dir an den Hals,
+weil du mir zuf&auml;llig zun&auml;chst standest. Das Kind ist nicht
+daran gestorben, Philipp! Ihr h&auml;ttet ein sch&ouml;nes Leben
+auf die Erbschaft meiner Vorv&auml;ter gebaut, wenn die
+Sch&ouml;ne, die Gute dir nicht doch h&auml;tte sterben m&uuml;ssen; und
+dann &mdash; &mdash; wer hier unter uns hat wohl ein besseres Los
+gezogen als sie?&laquo;</p>
+
+<p>Die Frage erforderte eine Antwort, und jeder gab sie
+auf seine Weise, doch laut bejahete oder verneinte niemand.
+Der Apotheker &raquo;zum wilden Mann&laquo; dr&uuml;ckte zum hundertstenmale
+dem Obersten Agonista die Hand, und dieser
+sch&uuml;ttelte sie ihm wiederum herzhaft und rief:</p>
+
+<p>&raquo;Was kann es alles helfen &mdash; jeder erlebt sein Leben,
+und wer noch mit dem n&ouml;tigen Humor davon zu erz&auml;hlen
+wei&szlig;, der ziert jegliche Tafelrunde, und selbst die Weisesten,
+Ehrw&uuml;rdigsten und Ehrbarsten k&ouml;nnen ihn ruhig ausreden
+lassen. Jetzo will ich einmal eine weise Bemerkung machen,
+n&auml;mlich da&szlig; der gr&ouml;&szlig;te Verdru&szlig; der Menschen im einzelnen
+daraus entspringt, weil sie die Welt im ganzen f&uuml;r zu still
+halten. Meine Herrschaften, die Welt ist nicht still, und
+man mu&szlig; den Wirrwarr nur recht kennen lernen, um das,
+was einem vom ersten Seufzer bis zum letzten passiert, nach
+dem richtigen Ma&szlig;e zu sch&auml;tzen. Hol der Teufel die Narren,
+denen ihre vier W&auml;nde auf den Kopf zu fallen scheinen:
+steigt aufs Dach jedesmal, wenn's euch zu angst wird und
+&uuml;berzeugt euch, da&szlig; das Firmament f&uuml;rs erste noch nicht<span class='pagenum'><a name="Page_66" id="Page_66">[66]</a></span>
+die Absicht hat, zusammenzubrechen. Also, ich stand ohne
+einen Heller in der Tasche auf dem Kai zu Neu-Orleans,
+so ungef&auml;hr in der Stimmung eines Menschen, der aus
+einem schweren Rausch erwacht, &uuml;bern&auml;chtig sich die Stirn
+reibt und doch den k&uuml;hlen Morgenwind mit Wohlbehagen
+auf seinen Schl&auml;fen f&uuml;hlt. Was aus mir werden mochte,
+war mir ganz gleichg&uuml;ltig. Ich war zu allem bereit, zum
+Leben wie zum Sterben, und verkaufte, da ich Hunger hatte,
+um wenigstens das allern&auml;chste Behagen noch einmal festzuhalten,
+mein Halstuch und mein Taschentuch an einen
+wandernden Tr&ouml;dler. Traktierte darauf meinen ersten guten
+Bekannten auf amerikanischem Boden, den einarmigen Mulatten
+Aaron Toothache, und zwar in einem Lokale, in dem
+Volk zusammensa&szlig;, von welchem man hier am Tische kaum
+einen Begriff haben kann. Hier lernte ich einen Haufen
+Gesindel von vorbenanntem Fregattschiff der Republik Chile,
+dem braven &rsaquo;Juan Fernandez&lsaquo;, kennen, und wir gefielen
+uns gegenseitig. Wie die Bekanntschaft endlich im Schiffsraume
+des &rsaquo;wei&szlig;en Satans&lsaquo; auslief, habe ich euch bereits
+mitgeteilt.&laquo;</p>
+
+<p>Sie waren ihm w&auml;hrend der letzten Minuten alle auf
+den Leib ger&uuml;ckt. Sie schienen nach seinen letzten &Auml;u&szlig;erungen
+ihre geheime Scheu und Abneigung gegen ihn g&auml;nzlich
+&uuml;berwunden zu haben! Sie waren ihm so dicht an die
+Ellenbogen ger&uuml;ckt, da&szlig; ihm die Luft auszugehen schien.
+Blasend machte er eine Armbewegung, um sie wieder ein
+wenig von sich zur&uuml;ckzudr&auml;ngen, und wir &mdash; wir machen
+es vollst&auml;ndig umgekehrt, als die aufs &Auml;u&szlig;erste gespannten
+Lauscher in der Hinterstube der Apotheke &raquo;zum wilden
+Mann&laquo;: wir r&uuml;cken ab vom Kaiserlich brasilianischen Gendarmerieoberst
+Dom Agostin Agonista.</p>
+
+<p>Was dieser wunderliche Erz&auml;hler jetzt zu erz&auml;hlen hatte,
+war freilich bunt genug und voll Feuerwerk und Geprassel
+zu Wasser und zu Lande; allein das alles war doch schon
+von anderen hunderttausendmal erlebt und m&uuml;ndlich oder<span class='pagenum'><a name="Page_67" id="Page_67">[67]</a></span>
+schriftlich, ja sogar dann und wann durch den Druck mitgeteilt
+worden. Wir lassen ihn, den Oberst Agonista so
+ungef&auml;hr um ein Uhr morgens noch einmal mit der flachen
+Hand &uuml;ber den Tisch streichen und seine jetzige Lebens- und
+Weltanschauungsweise in ein kurzes Wort zusammenfassen.</p>
+
+<p>&raquo;Also im zweiten Jahre meiner Abfahrt von Hamburg
+stand ich als Gefreiter in dem Peloton, das als Executionskommando
+in den Festungsgraben befehligt worden war.
+Der Lieutenant hob den Degen, und &mdash; wir gaben Feuer:
+ich ohne Umst&auml;nde wie die anderen. Von dem Augenblicke
+an war ich von meiner europ&auml;ischen Lebensb&uuml;rde vollst&auml;ndig
+frei. Ich machte mir aus dem Tage, der gestern war,
+und dem, der vielleicht morgen sein konnte, nicht das Geringste
+mehr; &mdash; juchhe, wie der Dichter stellte ich meine
+Sache auf nichts! So bin ich immer bei mir, und zwar
+bei mir allein gewesen: auf dem Marsche, wie in der
+Wachtstube, am Feuer in der Indianerh&uuml;tte wie in den
+Salons der Pr&auml;sidialst&auml;dte. Ja, meine Herrschaften, habe
+ich da dr&uuml;ben manchen Pr&auml;sidenten in mancher Republik
+kommen und gehen sehen, habe selber geholfen, den Excellenzen
+St&uuml;hle zuzur&uuml;cken oder sie ihnen unterm Sitze
+wegzuziehen, wie's sich gerade schickte. Venezuela machte
+mich zum Luogotenente, Paraguay zum Major; aber Seine
+Majest&auml;t Dom Pedro von Brasilien war am gn&auml;digsten
+gegen mich, und so fand ich denn auch am meisten Gefallen
+an ihm. Wir beide haben jetzt manch liebes Jahr
+das vielfarbige Gesindel in Rio Janeiro zur Ordnung
+und Tugend angehalten: er durch regelrecht richtige konstitutionelle
+G&uuml;te, ich durch flache S&auml;belhiebe und im Notfall
+durch einen kurzen Galopp, drei Schwadronen hinter
+einander, rund &uuml;ber das Pack weg. Meine Herren und
+Sie, liebes Fr&auml;ulein, Sie werden sicherlich noch einmal
+erschrecken und mich von der Seite ansehen; aber es ist
+nicht anders, und bei der Wahrheit soll der Mensch bleiben:<span class='pagenum'><a name="Page_68" id="Page_68">[68]</a></span>
+wenn ich das K&ouml;pfen aufgegeben habe, so habe ich mich
+desto energischer auf das H&auml;ngen gelegt und gefunden, da&szlig;
+es eine viel reinlichere Arbeit ist und seinen Zweck ebenso
+gut erf&uuml;llt. Was aber das Geh&auml;ngtwerden anbetrifft, so
+habe ich selber die Schlinge mehr als einmal um den Hals
+gef&uuml;hlt, gottlob ihn aber stets noch gl&uuml;cklich herausgezogen.
+Ei ja, ich komme jetzt ganz gut mit jedermann aus &mdash; bin
+hoff&auml;hig und reite bei feierlichen Aufz&uuml;gen am Kutschenschlage
+Ihrer kaiserlichen Majest&auml;ten. Komme ich nach
+Rio heim, so werde ich mich verheiraten; denn f&uuml;r ein
+ferneres junggesellenhaftes Umherschweifen wird's allm&auml;hlich
+ein wenig sp&auml;t. Doch davon morgen, und nun vor allen
+Dingen das letzte Glas von diesem h&ouml;chst vortrefflichen
+Getr&auml;nk und dazu ein Rat, Wunsch und Trinkspruch: Verehrte
+Freunde, da wir einmal da sind, so leben wir, wie
+es eben gehen will; und da das, was uns endlich aus dem
+Dasein hinausschiebt, immer am Werk ist, so schieben wir
+ohne Skrupel gleichfalls; &mdash; vor allen Dingen aber lebe
+<span class="gesperrt">er</span> hoch &mdash; mein Freund, mein lieber, alter, guter Freund
+Philipp Kristeller und mit ihm wachse, bl&uuml;he und gedeihe
+fort und fort seine Apotheke &rsaquo;zum wilden Mann!&lsaquo;&laquo;</p>
+
+<p>Das riefen sie alle nach und klangen die Gl&auml;ser an
+einander, und dabei erhoben sie sich und standen verwirrt,
+schwankend ob all des Abenteuerlichen, das der Abend enth&uuml;llt
+und gebracht hatte. Wie die G&auml;ste Abschied von
+dem Hausherrn, seiner Schwester und dem Oberst Agostin
+Agonista nahmen, wu&szlig;ten sie selbst nachher kaum anzugeben.</p>
+
+<p>Der Oberst aber sagte:</p>
+
+<p>&raquo;Philipp, einen Schlafrock und ein Paar Pantoffeln
+bitte ich mir aus. Ich will es doch wenigstens einmal
+noch behaglich im deutschen Vaterlande haben.&laquo;</p>
+
+<p>Die beiden Freunde vom Blutstuhl umarmten sich noch
+einmal; wir aber begleiten den F&ouml;rster Ulebeule und den
+Pastor ein Endchen auf ihrem Wege nach ihren Wohnungen.</p>
+
+
+
+<h2><a name="Zehntes_Kapitel" id="Zehntes_Kapitel"></a>Zehntes Kapitel.</h2>
+
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_69" id="Page_69">[69]</a></span>
+Da&szlig; sie, der F&ouml;rster, der Pastor und der Landphysikus
+<em>Dr.</em> Hanff, ihren freundlichen Wirten gute Nacht oder vielmehr
+guten Morgen gesagt hatten, stand fest.</p>
+
+<p>Der Apotheker hatte sie mit dem Lichte an die Th&uuml;r
+begleitet, und sie standen auf der Landstra&szlig;e, wo der Doktor
+seinen Einsp&auml;nner bereits wartend fand. Sie vernahmen
+noch, wie der Hausherr drinnen den Schl&uuml;ssel im
+Schlo&szlig; umdrehte, und niemand hinderte sie jetzt mehr,
+ihren Stimmungen, Gef&uuml;hlen und Ansichten die Th&uuml;ren
+weit aufzuwerfen.</p>
+
+<p>Der Erste, der das Wort ergriff, war nat&uuml;rlich der
+Doktor, und er rief von seinem Wagentritt aus:</p>
+
+<p>&raquo;Nicht wahr, da hab' ich euch wieder mal einen tollen
+Gesellen ins Dorf geschleift? He, ihr hattet wohl kaum
+eine Ahnung davon, da&szlig; es dergleichen auf Erden geben
+k&ouml;nne, &mdash; was? Mir gef&auml;llt der Kerl ausnehmend wohl,
+und ich freue mich unb&auml;ndig auf eine fernere und genauere
+Bekanntschaft, &mdash; zu Worte wird er einen im Laufe der
+Zeit ja auch wohl einmal kommen lassen. Wir laden ihn
+nat&uuml;rlich rund herum der Reihe nach zum Essen ein.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Nat&uuml;rlich, und er soll sich dann auch &uuml;ber uns wundern,&laquo;
+rief Ulebeule, und der Doktor fuhr ab auf der Landstra&szlig;e
+zur Rechten; er hatte ein gut St&uuml;ck Weges zu fahren,
+ehe er seine Behausung erreichte.</p>
+
+<p>Die beiden anderen wendeten sich links, und der geistliche
+Herr trug vorsichtig seine Taschenlaterne voran. Wo
+ihre Wege aber schieden, standen sie noch einmal still und
+sahen nach der Apotheke &raquo;zum wilden Mann&laquo; zur&uuml;ck. Das
+Haus lag dunkel da unter dem wieder dunkel und schnell
+ziehenden Gew&ouml;lk. Obgleich der Wind sich ein wenig gelegt
+hatte und die Sterne sichtbar waren, trieb sich noch
+genug bedrohliches Ged&uuml;nst am Himmelsgew&ouml;lbe um, und<span class='pagenum'><a name="Page_70" id="Page_70">[70]</a></span>
+die Pappeln in der N&auml;he der Apotheke schwankten wie betrunkene
+Gespenster.</p>
+
+<p>&raquo;Mir wird jenes Haus dort nie wieder so aussehen,
+wie ich es bis zum heutigen Abend gekannt habe,&laquo; sagte
+der Pastor. &raquo;Was sagen Sie, lieber Freund?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Das wei&szlig; der Teufel!&laquo;</p>
+
+<p>Der geistliche Herr zog ein wenig die Achseln zusammen.</p>
+
+<p>&raquo;Sie sollten dieses b&ouml;se Wort vorsichtiger gebrauchen,
+Bester,&laquo; meinte er. &raquo;Freilich, freilich, nach dem, was wir
+eben vernommen haben &mdash; wer kann da sagen &mdash; wer
+da seine Hand im Spiele gehabt hat? Ich lobe mir Zust&auml;nde,
+die auf besseren Grund und Boden gebaut sind als
+&mdash; &mdash; kurz, was halten Sie vom heutigen Abend an von
+den Umst&auml;nden unseres Freundes Kristeller?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Der Alte ist mir lieber denn je geworden!&laquo; rief der
+F&ouml;rster voll Enthusiasmus. &raquo;Das nenn' ich einen braven
+Mann und einen guten Menschen! Wenn einer es verdiente,
+diesem famosen Scharfrichter und brasilianischen
+Generalfeldmarschall zur richtigen Stunde auf seinem Wege
+zu begegnen, so war's unser Philipp. Die Welt oder nur
+ein St&uuml;ck davon w&uuml;rde er freilich nicht erobert haben, aber
+was man ihm giebt, das nimmt er mit Bescheidenheit und
+Dankbarkeit, und f&uuml;r unsere Gegend ist er doch wirklich
+diese drei&szlig;ig Jahre durch ein Segen gewesen.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Und der andere &mdash; dieser andere &mdash; dieser Dom &mdash;
+Dom &mdash; Agonista?!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;H&ouml;ren Sie, Pastore, den mu&szlig; man sich erst bei Tage
+besehen, ehe man ein Urteil &uuml;ber ihn abgeben kann; bei
+Lampenlicht geht nichts in der ganzen weiten Welt &uuml;ber
+ihn! das ist ein Prachtkerl; &mdash; wahrhaftig, solch ein Gesell
+aus Schmiedeeisen und Eichenholz r&uuml;ckt einem nicht alle
+Tage an den Ellenbogen. Was wollen Sie &mdash; ich glaube,
+ich glaube, mich hat lange nichts so sehr ge&auml;rgert, als da&szlig;
+er mir nicht auf der Stelle angetragen hat, Br&uuml;derschaft
+mit ihm zu machen.&laquo;</p>
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_71" id="Page_71">[71]</a></span>
+&raquo;Da bin ich denn doch in der That ein wenig weichlicher
+als Sie, lieber Ulebeule,&laquo; sagte der Pastor mit einem
+leisen Schauder. &raquo;Mir ist dieser pl&ouml;tzlich wie aus dem
+Boden aufgestiegene Mensch entsetzlich! Die Kaltbl&uuml;tigkeit,
+mit welcher er aus nichts in seinem Leben ein Hehl machte,
+griff mir in alle Nerven. Wenn ich zu viel Punsch getrunken
+haben sollte, so bin ich nicht schuld daran, sondern
+dieser &mdash; dieser &mdash; dieser ungew&ouml;hnliche Erz&auml;hler. Wehren
+Sie sich einmal gegen ein fortw&auml;hrend Einsch&auml;nken, wenn
+es Sie fortw&auml;hrend hei&szlig; und kalt &uuml;berl&auml;uft! Hatten Sie
+wirklich vorher eine Ahnung davon, da&szlig; es solche Lebenswege
+und Fata in unseres Herrgotts Welt geben k&ouml;nne?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;In B&uuml;chern habe ich Schnurrioseres gelesen; aber hier
+hatten wir freilich einmal das Wirkliche und Wahrhaftige
+<em>in natura</em>. Hei&szlig; und kalt hat mich seine Historie nicht
+gemacht, aber die Pfeife ist mir ziemlich oft dar&uuml;ber ausgegangen.
+K&auml;me einem jeden Abend ein solcher Kerl &uuml;ber
+den Hals, so w&uuml;rde einem das Schmauchen auf die allernat&uuml;rlichste
+Art abgew&ouml;hnt. Au&szlig;erdem da&szlig; ich einen brasilianischen
+Obersten noch niemals mit eigenen Augen gesehen
+hatte, erz&auml;hlte dieser Oberst mehr als brasilianisch
+gut, und noch dazu ganz und gar nicht aus dem J&auml;ger-Lateinischen.
+Das mu&szlig; ich kennen und h&auml;tte es ihm beim
+ersten Flunkerwort abgesp&uuml;rt und es ihm merken lassen,
+n&auml;mlich moralisch mit dem Hirschf&auml;nger &uuml;bers Ges&auml;&szlig;:
+Hoho, das ist f&uuml;r den gn&auml;digsten F&uuml;rsten und Herrn! Hoho,
+das ist f&uuml;r die Ritter und Knecht'! Dies ist das edle
+J&auml;gerrecht!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Ulebeule?!&laquo; rief der Pastor klagend-vorwurfsvoll.</p>
+
+<p>&raquo;Ja, ja, es ist wahr, 's ist sp&auml;t und es zieht hier arg,&laquo;
+rief der F&ouml;rster, &raquo;aber die Mohrenschiffgeschichte allein h&auml;tte
+doch auf jedem Orgelbilde abgemalt werden k&ouml;nnen; &mdash; bei
+allem in Gr&uuml;n, man kommt sich ganz abgeschmackt und
+verrucht verledert und in seinem Loche versumpft vor, wenn
+man es sich &uuml;berlegt, was man seinerseits hier am Orte<span class='pagenum'><a name="Page_72" id="Page_72">[72]</a></span>
+vor sich brachte an Erfahrung, w&auml;hrend der sein Gew&ouml;lle
+um so viele Nester herum ablegte.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Ich danke dem Himmel daf&uuml;r, da&szlig; er mich hier im
+Frieden grau werden lie&szlig;. Meine Natur h&auml;tte nicht f&uuml;r
+ein solches Dasein gepa&szlig;t.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Das brauchen Sie mir nicht schriftlich zu geben,&laquo; lachte
+der F&ouml;rster; &raquo;aber hat uns nicht gerade dieses kuriose, ins
+Kraut geschossene Menschenkind bewiesen, da&szlig; niemand wei&szlig;,
+was in ihm steckt und was er unter Umst&auml;nden aus sich
+herausziehen kann? O je, wie oft hab' ich in meinen
+jungen Jahren aus Angst oder Verdru&szlig; in die weite Welt
+hinauslaufen wollen! Nach einem solchen Erz&auml;hlungsabend
+begreift man weniger als je, weshalb man es damals
+nicht ausf&uuml;hrte und seinen Schulmeistern, Eltern und
+sonstigen Vorgesetzten durch die Lappen ging.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Wir werden alle unsere Wege richtig gef&uuml;hrt und sind
+in guten H&auml;nden,&laquo; sprach der geistliche Hirte und trat leider
+gerade in diesem ganz unpassenden Moment in eine etwas
+tiefere Pf&uuml;tze, in der er ohne Gnade h&auml;tte umkommen
+m&uuml;ssen, wenn sein handfester Begleiter nicht noch gerade zu
+rechter Zeit zugegriffen h&auml;tte.</p>
+
+<p>&raquo;Bitte ein andermal um denselben Dienst,&laquo; sprach Ulebeule
+gravit&auml;tisch; sonst aber brachte dieser Zufall ihr jetziges
+Gespr&auml;ch &uuml;ber das Haus Kristeller und den Kaiserlich brasilianischen
+Gendarmerieobersten Dom Agostin Agonista zu
+einem Abschlu&szlig;.</p>
+
+<p>Einiges wurde jedoch noch gesprochen, ehe der Pastor
+geradeaus seiner Pfarre zuwanderte und der F&ouml;rster sich
+links in den dunkeln Hohlweg schlug, der zu seiner F&ouml;rsterei
+f&uuml;hrte.</p>
+
+<p>&raquo;Wir sehen uns doch morgen? Dieses alles kann doch
+gewi&szlig; nicht passiert sein, ohne da&szlig; man ein weniges mehr
+davon sieht und h&ouml;rt und sich dar&uuml;ber ausspricht!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Man f&uuml;hlt freilich das Bed&uuml;rfnis,&laquo; meinte der Pastor,
+&raquo;und ich meine, wir treffen wohl irgendwo zusammen.<span class='pagenum'><a name="Page_73" id="Page_73">[73]</a></span>
+Man ist es auch unserm guten Apotheker schuldig, da&szlig; man
+sich nach seinem Befinden erkundige.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Und dem Oberst nicht weniger.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Gewi&szlig;, gewi&szlig;. Nun, wir werden ja sehen. Und nun
+gute Nacht, oder vielmehr guten Morgen, mein teurer
+Freund. Wir sind selten so lange bei einander geblieben
+als am heutigen Abend.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Und immer war's noch zu fr&uuml;h zum Aufbruch, und
+ich w&auml;re sofort bereit, diesen wilden Indianer mit der ersten
+D&auml;mmerung thauschl&auml;gig zu sp&uuml;ren. Aber der Kerl schnarcht
+&mdash; ich bin fest &uuml;berzeugt, er liegt im Bau und schnarcht
+wie kein zweiter Mensch mit gutem Gewissen auf zwanzig
+Meilen in die Runde. Sapperlot, so wie ich mich aufs
+Ohr gelegt habe, fange ich an, vom Blutstuhl und diesem
+brasilianischen Landdragoner-General zu tr&auml;umen, und &mdash;
+morgen &mdash; morgen &mdash; mache ich &mdash; doch Br&uuml;derschaft
+mit ihm!&laquo;</p>
+
+<hr style='width: 45%;' />
+
+<p>So sprach also die Welt! &mdash; Wenn eine Million Zuh&ouml;rer
+in dem bildervollen Hinterst&uuml;bchen der Apotheke &raquo;zum
+wilden Mann&laquo; dem alten Philipp Kristeller und dem Obersten
+Agostin Agonista zugeh&ouml;rt haben w&uuml;rde, so w&uuml;rde diese
+Million denkender und redender Wesen kaum ein mehreres
+und anderes als der Pastor Sch&ouml;nlank und der F&ouml;rster
+Ulebeule bemerkt haben. Der Seelenaustausch in diesen
+Wendungen gen&uuml;gte &uuml;brigens auch vollkommen: wenden
+wir uns zu dem greisen Geschwisterpaar in der Apotheke
+&raquo;zum wilden Mann&laquo; und zu seinem eigent&uuml;mlichen Gaste
+zur&uuml;ck.</p>
+
+
+
+<h2><a name="Elftes_Kapitel" id="Elftes_Kapitel"></a>Elftes Kapitel.</h2>
+
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_74" id="Page_74">[74]</a></span>
+Bruder und Schwester sa&szlig;en allein im jetzt recht frostig
+werdenden Hinterst&uuml;bchen, im erkaltenden Qualm von spiritu&ouml;sem
+Getr&auml;nk und Tabaksdampf. Der Gast war zu
+Bett gegangen.</p>
+
+<p>Der Hausherr hatte den Freund mit dem Lichte in das
+behagliche Gemach die Treppe hinaufbegleitet und noch einmal
+all sein &uuml;berquellendes Gef&uuml;hl in Wort und Empfindungslaut
+zusammenzufassen gesucht. Der Oberst hatte ihn
+freundlich zu beruhigen bestrebt und dann, noch in Gegenwart
+seines guten Philipp's, sehr geg&auml;hnt und den Rock
+ausgezogen. Liebevoll aber hatte er ihn doch noch einmal
+von dem ersten Treppenabsatz zur&uuml;ckgerufen und, ihm die
+Hand auf die Schulter legend, gesagt:</p>
+
+<p>&raquo;Philipp, alter Kerl, lieber Junge, es ist mir in der
+That ein herzliches Gen&uuml;gen, unter deinem Dache zu ruhen.
+Wahrhaftig, in mancher unbehaglichen, unbequemen Stunde
+zu Lande und zu Wasser habe ich mir da, d.&nbsp;h. unter
+diesem Dache, oft das vorz&uuml;glichste Quartier zurecht gemacht,
+und jetzt hab' ich die Wirklichkeit, und sie ist wunderbar
+wohlthuend!&laquo;</p>
+
+<p>An diesen erfreulichen Ausbruch seiner Gef&uuml;hle hatte er
+denn freilich recht praktisch die Frage nach dem Stiefelknecht
+gekn&uuml;pft.</p>
+
+<p>W&auml;hrend der Bruder dem Gaste zu seinem Schlafzimmer
+leuchtete, war Fr&auml;ulein Dorette in der Bildergalerie
+sitzen geblieben, doch hatte sie den Ehrensessel aufgegeben
+und sich auf ihrem gewohnten Stuhle niedergesetzt. Da
+sa&szlig; sie, beide Ellenbogen auf den Tisch st&uuml;tzend und starr
+durch den Qualm, den die Herren hinterlassen hatten, und
+&uuml;ber die leere Punschschale und die gleichfalls leeren Gl&auml;ser
+weg auf die buntbeh&auml;ngte Wand gegen&uuml;ber sehend. Da
+sa&szlig; sie und horchte auf die Schritte &uuml;ber ihrem Kopfe und<span class='pagenum'><a name="Page_75" id="Page_75">[75]</a></span>
+dann auf die Schritte des zur&uuml;ckkehrenden Bruders auf der
+Treppe.</p>
+
+<p>&raquo;Welch ein Erlebnis!&laquo; murmelte sie. &raquo;Wie f&auml;llt das
+jetzt in unsere Tage? &mdash; So sp&auml;t im Leben! &mdash; Und was
+werden die Folgen sein? &mdash; o, o, o!&laquo;</p>
+
+<p>Nun aber trat der Bruder wieder ein und zur Schwester
+heran. Nun legte er seinerseits ihr die Hand auf die
+Schulter:</p>
+
+<p>&raquo;Wei&szlig;t du dich auch noch nicht in dem Gl&uuml;ck, das uns
+dieser Abend gebracht hat, zurecht zu finden? O Dorette,
+liebe Dorette, wie sch&ouml;n hat sich nun alles ineinander gefunden
+und geschlossen, &mdash; und gerade an diesem Tage, an
+diesem Abend. Wer glaubt da an Zufall? Wer hat jemals
+deutlicher als wir die Hand der Vorsehung, die alles
+gut macht, in seinem Lebenslose erblickt?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;O!&laquo; st&ouml;hnte die Schwester. &raquo;Ach, Bruder, Bruder,
+was wird nun aus unserm Leben werden? &mdash; O, wenn
+er doch nur fr&uuml;her gekommen w&auml;re! Aber so sp&auml;t am
+Abend &mdash; so sp&auml;t am Abend &mdash; was sollen wir anfangen?&laquo;</p>
+
+<p>Herr Philipp Kristeller hatte sich auf seinem Stuhl
+niedergelassen und blickte die Schwester gro&szlig; und verwundert
+an.</p>
+
+<p>&raquo;Was &mdash; wie meinst du das, Dorothea?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Jetzt frage mich nur nicht weiter,&laquo; sagte das alte
+Fr&auml;ulein scharf. &raquo;Es wird sich ja alles finden &mdash; morgen,
+&uuml;bermorgen! Ja morgen ist ja auch ein Tag! &mdash; Aber
+man kann es ja nicht lassen. &mdash; Bester Bruder, wenn er
+nun bliebe? wenn er sich bei uns niederlassen wollte? Man
+mu&szlig; sich ja da alle m&ouml;glichen Fragen stellen.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Wenn er bliebe? wenn er sich bei uns niederlassen
+wollte? Aber das w&auml;re ja herrlich!&laquo; rief der Apotheker,
+entz&uuml;ckt sich die H&auml;nde reibend. &raquo;Wie weich und angenehm
+wollten wir ihm sein Leben machen!&laquo;</p>
+
+<p>Verwundert sah er hin, als das Fr&auml;ulein zweifelnd
+und melancholisch den Kopf sch&uuml;ttelte.</p>
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_76" id="Page_76">[76]</a></span>
+&raquo;Du glaubst nicht, da&szlig; wir das verm&ouml;chten, Dorothea?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Nein,&laquo; erwiderte das Fr&auml;ulein kurz und sprach unter
+einem schweren Seufzer mehr zu sich als dem Bruder:</p>
+
+<p>&raquo;Und dann der andere Fall, &mdash; wenn er morgen wieder
+abreisen will, und dazu &mdash;&laquo;</p>
+
+<p>Sie brach ab und vollendete den Satz auch nicht, als
+der Bruder gespannt eifrig fragte:</p>
+
+<p>&raquo;Und dazu? &mdash; was meinst du? was willst du sagen?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Wir m&uuml;ssen es eben abwarten,&laquo; sprach Fr&auml;ulein Dorothea
+Kristeller aufstehend. &raquo;Etwas anderes l&auml;&szlig;t sich in
+dieser Nacht doch nicht bereden; und jetzt wollen auch wir
+zu Bett gehen und versuchen zu schlafen.&laquo;</p>
+
+<p>Nach diesem sa&szlig;en sie doch noch, aber stumm, eine gute
+halbe Stunde beieinander. Als sie zu Bette gegangen
+waren, schlief weder Bruder noch Schwester einen ruhigen
+Schlaf.</p>
+
+<p>Den ruhigsten Schlaf von allen, deren Bekanntschaft
+wir diesmal machten, schlief der brasilianische Oberst Dom
+Agostin Agonista.</p>
+
+<p>Der lag friedlich auf dem R&uuml;cken und l&auml;chelte im Schlummer
+und sogar beim Schnarchen. Man vernahm ihn so
+ziemlich durch das ganze Haus, und wenn er tr&auml;umte, so
+tr&auml;umte er, ganz gegen alle soldatische Sitte und Gewohnheit,
+weit in den jungen Tag hinein.</p>
+
+<p>Dieser junge Tag kam frisch, reingewaschen, gl&auml;nzend
+und sonnig &mdash; ein klarster, kalter Oktobertag. Die Berge
+in ihrem braunen Herbstgewande hoben sich scharf von dem
+hellblauen Himmelsgew&ouml;lbe ab; die leeren Felder der Ebene
+lagen bis in die weiteste Ferne klar da; und die D&ouml;rfer,
+die einzelnen Geh&ouml;fte, Anbauerh&auml;user und H&uuml;tten erschienen
+dem Auge scharf umzogen, als ob sie dem Spiegel einer
+<em>Camera obscura</em> entnommen worden und in die Morgenlandschaft
+hinein aufgestellt seien.</p>
+
+<p>In dieser sonnigklaren Herbstmorgenlandschaft erschien
+aber die Apotheke &raquo;zum wilden Mann&laquo; vor allem &Uuml;brigen<span class='pagenum'><a name="Page_77" id="Page_77">[77]</a></span>
+wie h&uuml;bsch auf- und abgeputzt. Die Firma &uuml;ber der Th&uuml;r
+gl&auml;nzte in ihrer Goldschrift weit hin, die Landstra&szlig;e nach
+rechts und links entlang. Und alles, was sonst zu dem
+Hause geh&ouml;rte: Gartengegitter, Stallungen und Mauern,
+befand sich im ordentlichsten Zustande. Man sah, da&szlig; um
+jegliches Zubeh&ouml;r dieses Heimwesens ein sorglicher Geist
+walte, der seine Freude und sein Gen&uuml;gen dran habe und
+sein M&ouml;glichstes von Tag zu Tage thue, alles im Hof,
+Haus und Garten im guten Stande zu erhalten. Bis auf
+die vom Sturme der Nacht zerzausten Sonnenblumen, die
+noch in ihren welken Resten &uuml;ber den Gartenzaun hingen,
+war alles rings um die Apotheke &raquo;zum wilden Mann&laquo;
+im vollsten Sinne des sch&ouml;nen Wortes &mdash; pr&auml;sentabel.</p>
+
+<p>Und Bruder und Schwester warteten mit dem Kaffee
+auf den Gast. Eben hatte er herunter sagen lassen: augenblicklich
+rasiere er sich und werde in zehn Minuten erscheinen.</p>
+
+<p>Die D&uuml;nste der Nacht waren verscheucht, das Hinterst&uuml;bchen
+gekehrt und mit wei&szlig;em Sande bestreut. Die
+Hauskatze putzte sich unter dem Tische, und der Zeisig zwitscherte
+lebendig in seinem Bauer; &mdash; es war ein Vergn&uuml;gen,
+Herrn und Fr&auml;ulein Kristeller an ihrem Kaffeetische
+sitzen zu sehen, und &mdash; eingeladen zu werden, gleichfalls
+daran Platz zu nehmen.</p>
+
+<p>Der Oberst lie&szlig; nur wenig &uuml;ber die angegebenen zehn
+Minuten auf sich warten. Schon vernahm man seinen
+martialisch schweren Schritt auf der Treppe; &mdash; der Apotheker
+Philipp Kristeller ri&szlig; die Th&uuml;r seines Lieblingsgemaches
+auf.</p>
+
+<p>&raquo;Sch&ouml;nen guten Morgen!&laquo; rief der Oberst Dom Agostin
+Agonista auf der Schwelle, und Wirte und Gast fa&szlig;ten
+sich rasch zum erstenmal bei hellem Tageslicht ins Auge:
+am sch&auml;rfsten sah das Fr&auml;ulein zu; etwas weniger scharf
+sah sich der brasilianische Kriegsmann seine Leute an; &mdash;
+der Apotheker &raquo;zum wilden Mann&laquo; sah gar nichts, sein<span class='pagenum'><a name="Page_78" id="Page_78">[78]</a></span>
+Gast und Freund schwamm ihm vor den Augen &mdash; wenigstens
+die ersten Minuten durch.</p>
+
+<p>&raquo;Recht alt geworden,&laquo; meinte der Oberst bei sich, und
+er hatte recht.</p>
+
+<p>&raquo;Unter anderen Verh&auml;ltnissen w&uuml;rde ich gar nichts
+gegen ihn haben,&laquo; sagte das Fr&auml;ulein in der Tiefe der
+Seele, &raquo;ein anst&auml;ndiger, beh&auml;biger Herr!&laquo;</p>
+
+<p>Der Apotheker Philipp Kristeller sagte gar nichts; er
+sch&uuml;ttelte von neuem dem alten wiedergefundenen Freunde
+&mdash; dem Wohlth&auml;ter und Gaste die Hand und dr&uuml;ckte ihn
+diesmal trotz alles Widerstrebens auf den Ehrenplatz nieder.
+Erst als der Oberst sa&szlig;, sagte Herr Philipp etwas,
+und zwar nicht bei sich und in der Tiefe seiner Seele, sondern
+er rief es fr&ouml;hlich und laut:</p>
+
+<p>&raquo;August, ich freue mich unendlich, &mdash; du bist merkw&uuml;rdig
+jung geblieben!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Bei allen G&ouml;ttern zu Wasser und zu Lande, ich hoffe
+das,&laquo; lachte der Oberst Dom Agostin, und es war eine
+Wahrheit: trotz seiner schneewei&szlig;en Haare und seiner wohlgez&auml;hlten
+Jahre war er sehr jung geblieben; aber das
+j&uuml;ngste an ihm war doch seine Stimme.</p>
+
+<p>Diese allein schon konnte als eine Merkw&uuml;rdigkeit gelten.
+Mit einem behaglichen Widerhall erf&uuml;llte sie das Haus,
+ging einem voll und rund durch die Ohren ins Herz und
+pa&szlig;te sich gem&uuml;tlich, ja sozusagen, tr&ouml;stlich-fr&ouml;hlich allem und
+jeglichem an, was die Stunde im Guten und im B&ouml;sen
+bringen mochte. Wer sie von fern vernahm und vorz&uuml;glich
+in Verbindung mit dem herzlichen Lachen ihres Besitzers,
+der sagte sich unbedingt:</p>
+
+<p>&raquo;Da freut sich ein braver Gesell seines Daseins.&laquo;</p>
+
+<p>Der Oberst sch&uuml;ttelte nun noch einmal dem Fr&auml;ulein
+die Hand und sprach zum Apotheker:</p>
+
+<p>&raquo;Ich habe euch heute morgen das Recht gegeben, mich
+f&uuml;r einen Langschl&auml;fer zu halten, aber ihr werdet wahrscheinlich
+morgen fr&uuml;h schon eines Besseren belehrt werden. Gew&ouml;hnlich<span class='pagenum'><a name="Page_79" id="Page_79">[79]</a></span>
+pflege ich drei Stunden vor Sonnenaufgang auf
+dem Marsche zu sein. Man lernt das, auch ohne Anlagen
+dazu zu haben, unterm &Auml;quator; und wenn ihr eines morgens
+das Nest ganz leer finden solltet, so braucht ihr euch
+auch nicht allzu sehr zu wundern.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;O, Freund,&laquo; rief der Apotheker, &raquo;wir werden dich zu
+halten wissen! wir werden dich sicherlich f&uuml;rs erste nicht
+loslassen! Du bist unser! Du darfst nicht gehen, wie du
+gekommen bist &mdash; du w&uuml;rdest f&uuml;r lange Zeit alle unsere
+Freude, unser Behagen mit dir wegf&uuml;hren!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Hm,&laquo; sagte der Oberst, und dann fr&uuml;hst&uuml;ckten sie gem&auml;chlich
+und der alte Soldat mit besonders ausgezeichnetem
+Appetit. Er zeigte auch beneidenswert wohl konservierte
+Z&auml;hne und wu&szlig;te sie trefflich zu gebrauchen.</p>
+
+<p>Nach vollendetem Fr&uuml;hst&uuml;ck lehnte er sich behaglich seufzend
+zur&uuml;ck und setzte seine Pfeife in Brand. Dorette ging
+ihren Hausgesch&auml;ften nach, und die beiden Herren waren
+allein. Sie plauderten jetzt &mdash; sie konnten jetzt plaudern
+&mdash; der Ernst in ihren gegenseitigen Verkn&uuml;pfungen war
+wenigstens f&uuml;r den Moment &uuml;berwunden; sie hatten die
+n&ouml;tige Ruhe zum harmlosen Schwatzen gefunden, und sie
+schwatzten miteinander &mdash; zwei gem&uuml;tliche &auml;ltliche Herren,
+deren einer etwas mehr von der Welt gesehen und sich bedeutend
+besser erhalten hatte, als es dem anderen verg&ouml;nnt
+gewesen war.</p>
+
+<p>Der Brasilianer freute sich &uuml;ber die deutschen Stubenfliegen,
+welche ihm um die Nase summten; es war ihm
+auch durchaus nicht zu verdenken; aber die Thatsache verdient,
+in einem eigenen Kapitel behandelt zu werden.</p>
+
+
+
+<h2><a name="Zwolftes_Kapitel" id="Zwolftes_Kapitel"></a>Zw&ouml;lftes Kapitel.</h2>
+
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_80" id="Page_80">[80]</a></span>
+&raquo;Ihr gl&uuml;cklichen Leute wi&szlig;t es gar nicht, um wie vieles
+unsereiner euch zu beneiden hat,&laquo; sprach der Oberst. &raquo;Da
+sitzt ihr in eurer t&auml;glichen Behaglichkeit, und wenn ihr euch
+nicht dann und wann wirklich &uuml;ber die Fliege an der Wand
+zu &auml;rgern h&auml;ttet, so ginge es euch eigentlich zu gut. Nun
+guck einer, wie niedlich sich das Ding da auf der Zuckerdose
+die Nase wischt und die Fl&uuml;gel putzt! Sollte man
+es nun f&uuml;r m&ouml;glich halten, da&szlig; der Gutm&uuml;tigste von euch
+hier zu Lande vor Wut au&szlig;er sich ger&auml;t, wenn das ihm
+w&auml;hrend des Mittagsschlafes &uuml;ber die Stirn spaziert? So
+ein Bivouac am Rio Grande ohne Moskitonetz, das w&uuml;rde
+etwas f&uuml;r euch sein, um euch Geduld in Anfechtungen zu
+lehren.&laquo;</p>
+
+<p>Der Apotheker l&auml;chelte und sagte:</p>
+
+<p>&raquo;Unsere Anfechtungen haben wir auch wohl ohne das,
+lieber August.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Lieber Agostin! wenn ich dich bitten darf,&laquo; rief der
+Gast. &raquo;Du hast keine Ahnung davon, wie verha&szlig;t mir
+dieser fr&uuml;here August ist. Wenn jemand seinen alten Adam
+so vollst&auml;ndig wie ich im Graben ablegt, dann h&auml;lt er auch
+etwas auf seinen neuen Rock. Mein jetziger pa&szlig;t mir wie
+angegossen, bemerke ich dir abermals; &mdash; Dom Agostin
+Agonista, Gendarmerie-Oberst in kaiserlich brasilianischen
+Diensten &mdash; alles in Ordnung, Patent wie Pa&szlig; &mdash;&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Ereifere dich doch nicht, Lieber,&laquo; sagte der alte Philipp
+beg&uuml;tigend.</p>
+
+<p>&raquo;Ich ereifere mich nicht, ich &auml;rgere mich nur!&laquo; rief der
+Oberst.</p>
+
+<p>&raquo;Und zwar wie ein echter Deutscher &uuml;ber die Fliege an
+der Wand, bester Augustin,&laquo; meinte der Apotheker &raquo;zum
+wilden Mann&laquo;; und dann gingen sie zu etwas anderem
+&uuml;ber, das hei&szlig;t, der Oberst fing an, sich sehr genau nach<span class='pagenum'><a name="Page_81" id="Page_81">[81]</a></span>
+den Umst&auml;nden und Lebensl&auml;ufen der Herren, deren Bekanntschaft
+er am gestrigen Abend gemacht hatte, zu erkundigen.
+Dann erz&auml;hlte er seinerseits genauer, auf welche
+Weise er mit dem Doktor Hanff auf dem Wege zusammengeraten
+sei, und dadurch kam er darauf, wie ihn doch nicht
+allein der Zufall in diese Gegend gef&uuml;hrt habe, sondern
+wie er in der That mit der Absicht gekommen sei, sich nach
+dem alten botanischen Wald- und Jugendgenossen, nach dem
+treuen Freunde vom Blutstuhl umzuschauen.</p>
+
+<p>&raquo;Ich hatte keine Ahnung, wo du geblieben warst, und
+ob du &uuml;berhaupt noch am Leben seist, Filippo!&laquo; rief der
+Brasilianer. &raquo;Aber ich hatte mir vorgenommen, dich tot
+oder lebendig zu finden, und es ist mir gelungen. Eine
+Maronjagd war es durchaus nicht, Alter. Ich habe es
+wohl gelernt, Spuren von Wild und Mensch im Urwalde,
+wie zwischen den Ackerfeldern und in dem verworrensten
+Stra&szlig;ennetz &uuml;ber und unter der Erde zum Zwecke zu verfolgen.
+Dich, oder deinen Namen, oder vielmehr einen
+Schnaps oder Liqueur deines Namens sp&uuml;rte ich in den
+Zeitungen aus; &mdash; dem &rsaquo;Kristeller&lsaquo; ging ich nach, und da
+bin ich denn, und du wirst es mir gewi&szlig; nicht verdenken,
+wenn ich im Laufe des Morgens das Getr&auml;nk an der Quelle
+zu erproben w&uuml;nsche. Es war keineswegs notwendig, da&szlig;
+euer Doktor mich auf den &rsaquo;Kristeller&lsaquo; aufmerksam machte.&laquo;</p>
+
+<p>Der alte Philipp hatte sich w&auml;hrend dieser Auseinandersetzung
+fortw&auml;hrend vergn&uuml;glichst die H&auml;nde gerieben, jetzt
+sprang er auf, klopfte den Freund auf die Schulter und rief:</p>
+
+<p>&raquo;Also mein &rsaquo;Kristeller&lsaquo; hat dich auf meine Spur gebracht!
+O, lieber August&mdash;in, ich glaube da wirklich eine
+wohlth&auml;tige Erfindung gemacht zu haben; ich werde sogleich &mdash;&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Nachher,&laquo; sprach der Oberst Agonista. &raquo;Sieh, wie
+herrlich die Sonne scheint, wie blau der Himmel ist! Philipp,
+jetzt zeigst du mir vor allen Dingen dein Heimwesen
+im einzelnen: Herd und Hof &mdash; ach, wie schade, da&szlig; du<span class='pagenum'><a name="Page_82" id="Page_82">[82]</a></span>
+mir nicht auch Weib und Kinder und Enkel zeigen kannst!
+&mdash; und Garten, die Offizin, das Laboratorium, die Materialkammer,
+K&uuml;che und Keller, Stall und Viehstand &mdash;
+alles interessiert mich!&laquo;</p>
+
+<p>Da der Hausherr jetzt wieder neben seinem Gaste sa&szlig;,
+so klopfte er ihn nun auf das Knie:</p>
+
+<p>&raquo;O Augustin, wie freundlich ist das von dir! Welch'
+eine Freude machst du mir da. Sollen wir gleich gehen?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Gewi&szlig;,&laquo; sprach der Oberst Dom Agostin Agonista,
+sprang auf, dr&uuml;ckte den Tabak in der Pfeife fest und nahm
+den Arm des Freundes.</p>
+
+<p>Beide Herren traten ihre G&auml;nge an, durch Haus und
+Hof, durch Garten und St&auml;lle, und es war zugleich eine
+Merkw&uuml;rdigkeit und ein Vergn&uuml;gen, wie verst&auml;ndig und
+sachkundig der Kriegsmann &uuml;ber alles zu reden wu&szlig;te, und
+&mdash; wie genau er sich jegliches Ding ansah.</p>
+
+<p>Der entz&uuml;ckte Hausherr sprach ihm mehrfach seine Verwunderung
+darob aus; aber Dom Agostin lachte und
+meinte:</p>
+
+<p>&raquo;Treibe du dich einmal wie ich ein Menschenalter da
+dr&uuml;ben um unter dem Volk und den V&ouml;lkerschaften, die
+Affen und sonstigen Bestien eingeschlossen. Das hei&szlig;t nat&uuml;rlich
+als ein von Haus und Anlage aus &uuml;berlegender
+und praktischer Mann, und dann sieh zu, ob du nicht
+gleichfalls die Ordnungen der alten Heimat dir im Ged&auml;chtnis
+wachrufen und t&auml;glich gern mit neuen Erfahrungen
+vermehren wirst. Wenn mich mein Schicksal zu einem
+Abenteurer gemacht hat, Philipp, so bin ich doch ein ganz
+solider geworden. Da&szlig; ich mich demn&auml;chst verheiraten werde,
+glaube ich euch bereits gestern abend mitgeteilt zu haben.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Wenn es wirklich dein Ernst war, Augustin &mdash;&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Mein bitterer Ernst. Ihr schient es alle f&uuml;r einen
+Scherz zu nehmen; ich habe das wohl gemerkt. Eigentlich
+h&auml;tte ich das &uuml;bel aufnehmen sollen und begreife jetzt
+auch nicht, weshalb ich nicht sofort um weitere Aufkl&auml;rung<span class='pagenum'><a name="Page_83" id="Page_83">[83]</a></span>
+&uuml;ber euer L&auml;cheln hat; &mdash; dieser Doktor &mdash; Doktor Hanff
+schien mir sogar die Schultern in die H&ouml;he zu ziehen.
+Nun, schieben wir das alles auf den trefflichen Punsch deiner
+Schwester; &mdash; ich aber wiederhole es dir, ich bin bis &uuml;ber
+die Ohren verliebt und trage das Bild meiner Geliebten
+in einem Medaillon unter der Weste auf dem Busen. Du
+sollst das Portr&auml;t sehen, und deine Schwester soll's nachher
+auch sehen, und dann will ich eure Meinung ruhig anh&ouml;ren.
+Es ist ein Prachtweib und nicht ohne Verm&ouml;gen;
+Senhora Julia Fuentalacunas, &mdash; nicht wahr, ein recht
+wohlklingender Name? Sie kam jung als Julchen Brandes
+von Stettin nach Rio und heiratete den Senhor Fuentalacunas
+vom Zollamte. Wei&szlig;t du, lieber Freund,
+der Rock des Kaisers ist zwar eine recht kleidsame und
+honorable Tracht; aber wenn man so die erste Jugend
+hinter sich hat, f&auml;ngt man an, auf die Ehre zu pfeifen
+und das Behagen dem Herrendienste vorzuziehen. Ich werde
+eine Hacienda kaufen und hoffe als ein beg&uuml;terter Familienvater
+meine Tage in Ruhe im Kreise der Meinigen zu
+beschlie&szlig;en. Ihr &mdash; du und Fr&auml;ulein Dorette &mdash; geh&ouml;rt
+nat&uuml;rlich zu der Familie, und wir werden ein vortreffliches
+Leben miteinander f&uuml;hren.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Wie?&laquo; &mdash; &mdash; fragte der Apotheker &raquo;zum wilden Mann&laquo;,
+Herr Philipp Kristeller, und sah seinen Gast mit den gr&ouml;&szlig;esten
+Augen an.</p>
+
+<p>&raquo;Wie ich es sage,&laquo; sprach der kaiserlich brasilianische
+Gendarmerie-Oberst, den erstaunten Blick seines alten
+Freundes nicht im mindesten beachtend, sondern, mitten im
+Hofraume stehend, rings umher an den umgebenden Geb&auml;uden
+emporschauend. Es schien ihm wiederum in der
+That bitterer Ernst um das zu sein, was er sagte.</p>
+
+<p>&raquo;Ich hoffe, deine Schwester ohne M&uuml;he zu &uuml;berreden,&laquo;
+f&uuml;gte er wie beil&auml;ufig an.</p>
+
+<p>Der Apotheker lachte, der Oberst aber lachte ganz und
+gar nicht mit, sondern umging die zwei Milchk&uuml;he im<span class='pagenum'><a name="Page_84" id="Page_84">[84]</a></span>
+Stalle mit kritischem Blicke, klopfte sie auf die Weichen
+und bemerkte:</p>
+
+<p>&raquo;Vor einigen Jahren war ich in Fray Bentos und sah
+mir das dortige Fleischextrakt-Institut an. Gro&szlig;artig! &mdash;
+Sie treiben euch vor den Augen einen Ochsen in die Retorte
+und liefern ihn euch nach zehn Minuten in eine B&uuml;chse
+konzentriert, die ihr in die Hosentasche steckt &mdash; w&auml;re das
+Weltmeer nicht da, dem ihr euer Erstaunen zurufen k&ouml;nnt,
+ihr w&uuml;&szlig;tet nirgends damit hin, Philipp. Und vor vierzehn
+Tagen war ich bei Liebig in M&uuml;nchen &mdash; ann&auml;hernd
+derselbe Geruch und Duft wie bei dir, nur noch ein bi&szlig;chen
+metallischer; &mdash; Kristeller, da k&ouml;nnen wir einander
+gleichfalls gebrauchen &mdash; ich liefere dir das Vieh, und du
+lieferst mir den Extrakt; &mdash; Philipp, ich gebe dir mein
+Ehrenwort darauf, in drei Jahren machen wir den Herren
+zu Fray Bentos eine Konkurrenz, die sie zu Thr&auml;nen r&uuml;hren
+soll.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;O Augustin, welch einen pr&auml;chtigen Humor hast du
+aus deinem neuen Vaterlande mit her&uuml;bergebracht!&laquo; rief
+der Apotheker; &raquo;aber &mdash;&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Humor?&laquo; fragte der Oberst sehr ernsthaft und setzte
+fast schreiend hinzu: &raquo;Zahlen! Zahlen! Die eingehendsten,
+unumst&ouml;&szlig;lichsten Berechnungen: Hier! &mdash; da!&laquo;</p>
+
+<p>Er hatte bereits seine Brieftasche hervorgezogen und
+las im Fluge dem Freunde einige in der That sehr eingehend
+auf die Fleischextrakt-Fabrikation Bezug habende
+Zahlenreihen her. Herr Philipp Kristeller rieb sich in immer
+gr&ouml;&szlig;erer Erstarrung die Stirn:</p>
+
+<p>&raquo;Die Schwester &mdash; die Schwester sollte das h&ouml;ren,&laquo;
+murmelte er, und jetzt l&auml;chelte auch der Gendarmerie-Oberst
+endlich wieder einmal und meinte:</p>
+
+<p>&raquo;Ich werde nat&uuml;rlich schon beim Mittagsessen deine gute
+Schwester mit unseren Pl&auml;nen bekannt machen und sie f&uuml;r
+dieselben zu gewinnen suchen. Ich bin &uuml;berzeugt, sie wird<span class='pagenum'><a name="Page_85" id="Page_85">[85]</a></span>
+sich nicht so steif-verwundert wie du hinstellen und nur
+meinen Humor loben.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;O du gro&szlig;er Gott!&laquo; seufzte Herr Philipp.</p>
+
+<p>Die Ziege, welche neben den zwei K&uuml;hen im Stall
+unter der besonderen Obhut Fr&auml;ulein Dorette Kristellers
+ein wohlbehagliches Dasein lebte, &uuml;berging der Oberst ohne
+weitere Bemerkung; dagegen sprach er im H&uuml;hnerhofe kopfsch&uuml;ttelnd:</p>
+
+<p>&raquo;Dieses Vieh hier erinnert mich stets merkw&uuml;rdig lebhaft
+an meine selige Mutter.&laquo;</p>
+
+<p>Er hatte die Brieftafel in der Hand behalten und machte
+von Zeit zu Zeit einige Notizen. Fast zwei Stunden brachten
+die beiden Herren auf ihrer Inspektionsreise zu, und
+als sie ins Haus zur&uuml;ckkehrten, fanden sie den Landphysikus
+in der Offizin auf sie wartend und ein Gl&auml;schen vom ber&uuml;hmten
+Kristeller'schen Magenliqueur vor ihm auf dem Tische.</p>
+
+<p>Mit gewohnter Jovialit&auml;t begr&uuml;&szlig;te der Doktor die eintretenden
+beiden Herren. Man sch&uuml;ttelte sich bieder die
+H&auml;nde im Kreise und erkundigte sich gegenseitig auf das
+Herzlichste nach der Nachtruhe und dem sonstigen Befinden.</p>
+
+<p>&raquo;Was f&uuml;r einen Wochentag schreiben wir denn heute
+eigentlich?&laquo; fragte der Oberst, seine Brieftasche immer noch
+in der Hand tragend.</p>
+
+<p>&raquo;Das wird Ihnen der Barbier, welcher da eben hinrennt,
+am besten sagen k&ouml;nnen,&laquo; lachte der Doktor Hanff,
+&raquo;der Pflug geht den Bauern &uuml;ber die Wochenstoppeln; es
+ist Sonnabend &mdash;&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Und morgen besuche ich zum erstenmale seit einem
+Menschenalter den deutschen Gottesdienst wieder!&laquo; rief der
+Oberst Dom Agostin Agonista entz&uuml;ckt. &raquo;&Uuml;bermorgen reise
+ich ab.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;August? &mdash; Augustin?&laquo; rief erschrocken Herr Philipp
+Kristeller.</p>
+
+<p>&raquo;Herr Oberst?&laquo; sprach erstaunt Fr&auml;ulein Dorette Kristeller.</p>
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_86" id="Page_86">[86]</a></span>
+Aber der Landphysikus, sein Glas energisch zur&uuml;ckschiebend,
+rief:</p>
+
+<p>&raquo;Unter allen Umst&auml;nden unm&ouml;glich, Colonel; der F&ouml;rster
+Ulebeule begegnete mir, er ist mit einer Einladung
+zum Mittagsessen auf den Montag unterwegs; f&uuml;r den
+Dienstag erbitte ich mir die Ehre; am Mittwoch kommt
+die Reihe an den Pastor; am Donnerstag &mdash; doch da
+wollen wir den &uuml;brigen Herren nicht vorgreifen; jedenfalls
+lassen wir Sie unter keinen Umst&auml;nden so rasch fort, Oberst.
+Wer einen seltenen Vogel wie Sie in den H&auml;nden hat,
+der h&auml;lt ihn, so lange es m&ouml;glich, fest. Geben Sie mir
+noch einen &rsaquo;Kristeller&lsaquo;, lieber Kristeller, und nehmen Sie
+auch einen, liebster Oberst; Sie scheinen noch gar keine
+rechte Ahnung davon zu haben, welche guten und angenehmen
+Dinge die hiesige Planetenstelle produziert.&laquo;</p>
+
+
+
+<h2><a name="Dreizehntes_Kapitel" id="Dreizehntes_Kapitel"></a>Dreizehntes Kapitel.</h2>
+
+
+<p>Der F&ouml;rster, welcher in diesem Augenblick in die Th&uuml;r
+trat, vernahm, was besprochen wurde, und redete sofort
+mit den &Uuml;brigen heftig und dringend auf den alten,
+tapferen, s&uuml;damerikanischen Krieger ein. Dieser aber wehrte
+sich stumm nur durch Gesten, zu gleicher Zeit das ihm
+kredenzte Spitzglas mit dem Kristeller'schen Magenbitter
+gegen das Licht haltend und durch&auml;ugelnd.</p>
+
+<p>Jetzt setzte er den Becher an die Lippen &mdash; schl&uuml;rfte &mdash; hielt
+ein &mdash; probierte noch einmal mit tieferer Andacht &mdash; go&szlig;
+den Rest mit einer gewissen wilden Inbrunst die
+Kehle hinunter &mdash; reichte sofort das Glas zu neuer F&uuml;llung
+aus der dickb&auml;uchigen gr&uuml;nen Flasche hin und rief:</p>
+
+<p>&raquo;Bei meiner Seele, das ist ja wirklich endlich &mdash; endlich
+einmal ein <span class="gesperrt">Getr&auml;nk</span>!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Nicht wahr?&laquo; fragten der F&ouml;rster und der Doktor<span class='pagenum'><a name="Page_87" id="Page_87">[87]</a></span>
+ernsthaft, w&auml;hrend der Apotheker &raquo;zum wilden Mann&laquo; versch&auml;mt-gl&uuml;cklich
+der Schwester &uuml;ber die Schulter l&auml;chelte.</p>
+
+<p>&raquo;Bei den G&ouml;ttern, das ist ein Getr&auml;nk, Philipp! Und
+du bist wahrhaftig davon der Erfinder? Und du hast das
+Rezept dazu unter Schlo&szlig; und Riegel? &mdash; Und du sitzest
+hier noch immer in diesem verlorenen Winkel und drehst
+dem Doktor da seine Pillen und r&uuml;hrst ihm seine Mixturen
+zusammen? &mdash; Fr&auml;ulein Kristeller, ich erbitte mir sogleich
+nach Tisch ein Privatgespr&auml;ch! Meine Herren, dies &auml;ndert
+die Sachlage vielleicht; lieber Forstmeister, im Laufe des
+Nachmittags werde ich mir erlauben, Ihnen Nachricht zu
+geben, ob ich Ihre Einladung annehmen kann oder nicht.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Bravo!&laquo; riefen der Landphysikus und der F&ouml;rster; der
+Apotheker sagte:</p>
+
+<p>&raquo;Du bleibst also ohne Bedingung, Lieber; und es war
+auch durchaus nicht nothwendig, uns einen solchen Schrecken
+in die Glieder zu jagen. Es war nicht freundschaftlich und
+br&uuml;derlich, Augustin.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Ich bitte noch um einen &rsaquo;Kristeller&lsaquo;,&laquo; erwiderte der
+Oberst. &raquo;Philipp, auf dein Wohl! Ich versichere dich,
+ich habe dich lieb gehabt; aber jetzt tritt der Respekt zur
+Liebe; &mdash; meine Herren, Sie haben diese drei&szlig;ig Jahre
+durch einen gro&szlig;en Mann in Ihrer Mitte gehabt, ohne es
+zu wissen. Philipp, dein Schnaps ist wunderbar, was aber
+meine Abreise betrifft, so ist Unsereiner stets mit Gewehr
+&uuml;ber auf dem Marsche, und man mu&szlig; eben ein Weib
+nehmen und ein b&uuml;rgerlich Gesch&auml;ft treiben, um das Stillsitzen
+zu erlernen. Bei den hohen G&ouml;ttern, dieses hier ist
+vielleicht noch rentabler als Fray Bentos! Kristeller, wir
+werden dr&uuml;ben den feurigen siebenten Himmel durch einen
+Destillierkolben auf die Erde herunterholen. Fr&auml;ulein
+Dorette, wir werden die Sonne und den Blitz auf Flaschen
+ziehen und unsere Preise darnach stellen. Kristeller und
+Agonista &mdash; Sao Paradiso, &mdash; Provinz Minas Geraes,
+Kaiserreich Brasilien! Mit diesem Getr&auml;nk unter dem Arm<span class='pagenum'><a name="Page_88" id="Page_88">[88]</a></span>
+kommen wir durch bei allen Nationen rund um den Erdball.
+Wir kommen durch, Senhora, und wie gesagt, nach
+Tisch erbitte ich mir ein behagliches Plauderviertelst&uuml;ndchen
+im Hinterst&uuml;bchen, Senhora Dorothea.&laquo;</p>
+
+<p>Sie lachten alle, nur das Fr&auml;ulein nicht. Was das
+Lachen des erfindungsreichen Hausherrn anbetraf, so machte
+das einen unbedingt ratlosen und hilflosen Eindruck. Ein
+Mensch aber, der ein Leben hinter sich hatte, wie der Oberst
+Agonista, durfte in der That die Erde mit anderen Augen
+sehen und mit anderen H&auml;nden greifen als die Hausgenossenschaft
+und die Hausfreunde der Apotheke &raquo;zum wilden
+Mann&laquo;, und konnte auch, ohne daf&uuml;r zur Rechenschaft
+gezogen zu werden, von den anderen ganz naiv verlangen,
+da&szlig; man sich auf seinen Standpunkt stelle. Der Oberst
+Dom Agostin Agonista konnte wirklich seinen festen unersch&uuml;tterlichen
+Entschlu&szlig; darlegen, noch einmal, und zwar
+nach einem Menschenalter, das Gl&uuml;ck und Schicksal seines
+Freundes Philipp Kristeller auf die andere Seite zu drehen,
+und zwar ohne auf irgend welche Einw&uuml;rfe und Gegenvorstellungen
+zu h&ouml;ren.</p>
+
+<p>Da sich jetzt die Hausflur mit allerlei Kunden f&uuml;llte,
+so begleitete der tapfere alte Soldat allein den F&ouml;rster und
+den Doktor auf ihrem Wege ins Dorf zur&uuml;ck. Er ging
+zwischen ihnen, jeden unterm Arme haltend, und wer den
+Dreien begegnete, stehen blieb und ihnen nachsah, der
+mu&szlig;te es zugeben, da&szlig; jeder von den Dreien in seiner
+Art &raquo;gut&laquo; war. Dazu aber hielt sich das Gespr&auml;ch der
+Herren am alten Philipp und seinem &raquo;Kristeller&laquo;; und
+selbst auf diesem kurzen Wege erhielt der brasilianische
+Gendarmen-Oberst noch einige recht n&uuml;tzliche Notizen &uuml;ber
+die Apotheke &raquo;zum wilden Mann&laquo; und kam, heiter pfeifend
+und die reine, frische Herbstluft wohlig einschl&uuml;rfend zur&uuml;ck
+&mdash; gerade recht zum Mittagsessen.</p>
+
+<p>Man speiste; man hielt Siesta, &mdash; der Oberst die seinige
+diesmal in seinem Ehrensessel im bilderbunten Hinterst&uuml;bchen.</p>
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_89" id="Page_89">[89]</a></span>
+Punkt drei Uhr trat er erfrischt wiederum in die Offizin,
+um noch einen &raquo;Kristeller&laquo; zu nehmen. Dann wu&szlig;te er
+den Weg in die K&uuml;che schon ganz genau und brauchte
+keinen F&uuml;hrer auf demselben.</p>
+
+<p>&raquo;Fr&auml;ulein Dorette,&laquo; sagte er, &raquo;jetzt w&auml;re der g&uuml;nstige
+Augenblick vorhanden. Soeben habe ich den guten Philipp
+auf seine Materialkammer geleitet, und wir beide, liebes
+Fr&auml;ulein, haben hier unten das Reich allein. Kinder, Kinder,
+ich freue mich kindlich, so familienfreundlich mit euch
+zusammen zu sein! Und wir bleiben eine Familie &mdash; nicht
+wahr, wir bleiben <span class="gesperrt">eine</span> Familie? &mdash; Es ist zu pr&auml;chtig!
+Da drau&szlig;en der deutsche Herbsthimmel, hier innen die
+deutsche Ofenw&auml;rme und &mdash; das liebe Brasilien wie das
+Land der Verhei&szlig;ung in der Ferne! Senhora, ich erlaube
+mir, Ihnen meinen Arm anzubieten.&laquo;</p>
+
+<p>Er f&uuml;hrte richtig die alte, &auml;ngstlich &uuml;ber die Schulter
+zur&uuml;ckblickende Dame in ihre eigene Stube, des Hauses
+Ehrengemach, und verblieb mit ihr eine gute halbe Stunde
+drinnen und zwar in dringlichsten Verhandlungen; w&auml;hrend
+der Bruder, um seiner Erregungen wenigstens etwas Meister
+zu bleiben, in seiner Materialkammer s&auml;mtliche Kr&auml;uters&auml;cke
+auf- und abt&uuml;rmte und s&auml;mtliche Schubladen aufzog
+und zuschob.</p>
+
+<p>Eine halbe Stunde kann selbst dem phlegmatischsten
+Menschen unter Umst&auml;nden sehr lang erscheinen; das ist
+eine bekannte Wahrheit, mu&szlig; hier jedoch dessenungeachtet
+wiederholt werden. Dem Apotheker &raquo;zum wilden Mann&laquo;
+erschien der kurze Zeitraum <span class="gesperrt">sehr</span> lang, Fr&auml;ulein Dorette
+hingegen ging er ungemein rasch vor&uuml;ber.</p>
+
+<p>Schon &ouml;ffnete der Oberst ihr h&ouml;flichst die Th&uuml;r ihrer
+Putzstube und &mdash; lie&szlig; sie heraus. Er blieb drin! &mdash; Sie
+hielt sich am Th&uuml;rpfosten wie von einem Schwindel befallen; &mdash; sie
+hatte dem braven Kriegsmann einen Knix
+machen wollen, allein es war ihr nicht m&ouml;glich gewesen.
+W&auml;hrend sie aber drau&szlig;en an der Wand lehnte und wie<span class='pagenum'><a name="Page_90" id="Page_90">[90]</a></span>
+aus pl&ouml;tzlich erblindeten Augen um sich zu sehen strebte,
+war der Oberst drinnen leise pfeifend zum Fenster gegangen
+und hatte es ge&ouml;ffnet und sich drein gelegt.</p>
+
+<p>Da lag er, schwer auf den Ellenbogen, stie&szlig; einen
+schweren Seufzer aus und blickte die Landstra&szlig;e entlang,
+zur Rechten und zur Linken hin.</p>
+
+<p>Das Fr&auml;ulein drau&szlig;en legte jetzt beide H&auml;nde an die
+Schl&auml;fen und stie&szlig; gleichfalls einen Seufzer aus und
+st&ouml;hnte dazu:</p>
+
+<p>&raquo;Gro&szlig;er Gott, ganz wie ich es mir gedacht hatte! o
+du lieber Gott, mein armer, armer Bruder!&laquo;</p>
+
+<p>Von seinem Fenster aus rief der Oberst einen vorbeilaufenden
+Dorfknaben an:</p>
+
+<p>&raquo;Heda, miin Jung', kennst du den Herrn F&ouml;rster Ulebeule
+und wei&szlig;t du, wo er wohnt?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Na?!&laquo; fragte der Bengel an der Hauswand empor,
+entr&uuml;stet ob der Naivet&auml;t der Frage.</p>
+
+<p>&raquo;Gut, mein Sohn. Ich warte hier mit f&uuml;nf Groschen
+in der Hand auf dich. Lauf' einmal zum Herrn F&ouml;rster
+und bestell' einen sch&ouml;nen Gru&szlig; von dem fremden Herrn
+in der Apotheke, und es w&uuml;rde dem Herrn Apotheker und
+dem fremden Herrn ein Vergn&uuml;gen sein, am Montag bei
+dem Herrn F&ouml;rster zu essen.&laquo;</p>
+
+<p>Der Knabe vom Gebirge rannte und sah im Rennen
+verschiedene Male zur&uuml;ck, ob der wei&szlig;k&ouml;pfige Herr mit dem
+braunen Gesichte im Fenster auch wirklich Wort halte und
+mit dem gebotenen Honorar pr&auml;sent bleibe. Drunten im
+Hinterst&uuml;bchen, im Ehrensessel des brasilianischen Obersten,
+sa&szlig; Fr&auml;ulein Dorette Kristeller, st&uuml;tzte die Ellenbogen auf
+den Tisch und das Gesicht auf die H&auml;nde und &auml;chzte leise:</p>
+
+<p>&raquo;Mein Bruder, mein armer Bruder!&laquo;</p>
+
+
+
+<h2><a name="Vierzehntes_Kapitel" id="Vierzehntes_Kapitel"></a>Vierzehntes Kapitel.</h2>
+
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_91" id="Page_91">[91]</a></span>
+Am anderen Tage war Sonntag, ein deutscher Dorf-Sonntag.
+Die Glocke l&auml;utete zur Kirche, und der Pastor
+Sch&ouml;nlank hatte seine Predigt fertig und bereit. Mit dem
+Gesangbuch seines Freundes Philipp unter dem Arme und
+w&uuml;rdig die Schwester des Freundes f&uuml;hrend ging auch der
+brasilianische Oberst Dom Agostin Agostina in die Kirche
+und zwar in Uniform. Er hatte seinen Mantelsack und
+kleinen Reisekoffer vollst&auml;ndig ausgepackt und sein &Auml;u&szlig;eres
+festt&auml;glich geschm&uuml;ckt. Er trug seine s&auml;mtlichen Orden und
+sah nicht nur martialisch, sondern wirklich pr&auml;chtig und
+vornehm aus und st&ouml;rte die Andacht des Dorfes durch seine
+Erscheinung vollst&auml;ndig. Er sang auch mit. Der Pastor
+in der Sakristei vernahm ihn &uuml;ber die Orgel, den Kantor
+und die Gemeinde weg; &mdash; ein so sonorer Ba&szlig; hatte lange
+nicht die W&ouml;lbung des kleinen Gotteshauses ersch&uuml;ttert.
+Nach der Kirche hatte der fremdl&auml;ndische Krieger, wiederum
+Fr&auml;ulein Dorette Kristeller am Arme f&uuml;hrend, so zu sagen
+die Parade der ganzen Gemeinde abzunehmen. Sie bildete
+Spalier auf seinem Wege, und gutm&uuml;tig l&auml;chelnd und fort
+und fort an die M&uuml;tze fassend, schritt der Oberst zwischen
+der Hecke anstaunender Bauerngesichter durch.</p>
+
+<p>Das Dorf sprach heute nur von ihm; Fr&auml;ulein Dorothea
+kam aber sehr unwohl aus der Kirche nach Hause
+und f&uuml;hlte sich gezwungen, sich zu Bette zu legen und den
+Rest des Tages darin zu bleiben.</p>
+
+<p>Am folgenden Tage ging der Oberst mit seinem Freunde
+Philipp zum F&ouml;rster Ulebeule auf einen Wildschweinkopf.
+Fr&auml;ulein Dorette setzte sich vor die Rechenb&uuml;cher des Hauses.
+Die Herren in der F&ouml;rsterei waren sehr heiter bei
+Tische; der Oberst erz&auml;hlte wieder von der Herrlichkeit seiner
+neuen Heimat und brachte die Leute aus dem stillen Erdenwinkel
+fast au&szlig;er sich durch seine Beredsamkeit und die<span class='pagenum'><a name="Page_92" id="Page_92">[92]</a></span>
+Farbenpracht seiner Schilderungen. Diesmal forderte er
+den Doktor auf, mit hin&uuml;berzugehen und ein Million&auml;r
+und kaiserlicher geheimer Hofmedicus zu werden, und schon
+bei der vierten Flasche hatte der Landphysikus es dem
+Oberst fest versprochen und durch Handschlag sein Wort
+besiegelt.</p>
+
+<p>&raquo;Mit Ihnen, lieber Pastor, wissen wir weniger da
+dr&uuml;ben anzufangen,&laquo; rief Dom Agostin, &raquo;aber wir holen
+Sie vielleicht doch noch nach, wenn wir uns unsere eigenen
+Hauskapellen errichtet haben.&laquo;</p>
+
+<p>Da hatte der geistliche Herr gel&auml;chelt, aber etwas kl&auml;glich
+gesagt:</p>
+
+<p>&raquo;Wir sind doch wohl zu einer solchen Emigration ein
+wenig zu alt, Herr Oberst. Auch w&uuml;rden Sie vorher vor
+allen Dingen mit meiner guten Frau reden m&uuml;ssen, theurer
+Herr.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Weshalb sollte ich das nicht, wenn sonst die Bedingungen
+vorhanden sind?&laquo; fragte der Brasilianer.</p>
+
+<p>Sie waren ungemein vergn&uuml;gt bei dem F&ouml;rster Ulebeule,
+und erst bei weit vorgeschrittener D&auml;mmerung kamen
+Philipp und August Arm in Arm und Schulter an Schulter,
+angeregt und h&ouml;chst lebhaft heim zur Apotheke.</p>
+
+<p>&raquo;Von dem &rsaquo;Kristeller&lsaquo; erbitte ich mir ein Flacon auf
+den Nachttisch, lieber alter Junge,&laquo; sprach der Oberst. &raquo;Er
+entz&uuml;ckt mich immer von neuem, auch nach dem Diner.
+Pereat Fray Bentos, &mdash; dies hier nenne ich in Wahrheit
+eine konzentrierte Bouillon! Der Teufel hole alles Rindvieh
+in den Pampas; &mdash; da wir diesen Feuertrank hier
+am Orte schon so kochen, wie wird er erst da dr&uuml;ben im
+Feuerlande ausfallen, Fi&mdash;lip&mdash;po!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;De&mdash;li&mdash;kat!&laquo; erwiderte Herr Philipp Kristeller, worauf
+die beiden Freunde einander dreimal recht herzhaft abk&uuml;&szlig;ten.</p>
+
+<p>Sie sa&szlig;en &uuml;brigens an diesem Abend allein im Hinterst&uuml;bchen,
+der Oberst und der Apotheker &raquo;zum wilden Mann&laquo;.<span class='pagenum'><a name="Page_93" id="Page_93">[93]</a></span>
+Fr&auml;ulein Dorette lie&szlig; sich durch das Hausm&auml;dchen entschuldigen
+und heruntersagen: sie habe arges Kopfweh.</p>
+
+<p>Die beiden Herren lie&szlig;en sofort hinaufsagen: das thue
+ihnen sehr leid und sie w&uuml;nschten von Herzen eine baldige
+Besserung; &mdash; nachher sa&szlig;en sie noch bis gegen Mitternacht
+in der Bildergalerie zusammen und redeten, eingeh&uuml;llt in
+Tabaksdampf, von ihrer Jugendzeit.</p>
+
+<p>Als die Uhr Zw&ouml;lf schlug, stand der Oberst auf und
+sagte herzlich:</p>
+
+<p>&raquo;Du wei&szlig;t doch nicht ganz, wie gut es mir hier zu
+Mute ist, Philipp. Wir wollen uns aber auch von nun
+an nicht wieder von einander trennen, Alter! Wir wollen
+von jetzt an <span class="gesperrt">ein</span> Schicksal und <span class="gesperrt">ein</span> Gl&uuml;ck haben, nicht
+wahr? Nicht wahr, nicht wahr, es bleibt dabei, Philipp?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Es bleibt dabei,&laquo; stammelte Herr Philipp Kristeller,
+und dann ging der Oberst zu Bett. Er kannte jetzt den
+Weg zu seinem Schlafgemache bereits und brauchte kein
+Geleit mehr. Das &raquo;Flacon&laquo; mit dem &raquo;Kristeller&laquo; nahm
+er unter dem Arme mit wie am Sonntag das Gesangbuch
+seines Freundes. Aber vorher hatte er noch den Freund
+in den Ehrensessel niedergedr&uuml;ckt; und in dem Ehrensessel
+sa&szlig; Herr Philipp noch eine Weile in der stillen Nacht und
+suchte zu &uuml;berlegen, ehe auch er zur Ruhe ging.</p>
+
+<p>Die Nacht war still, das Haus war still. Eben schlug
+es ein Uhr, als oben eine Th&uuml;r knarrte und ein langsamer
+leiser Schritt die Treppe herabkam. Aus dem &Uuml;berlegenwollen
+des Hausherrn im Ehrenstuhl des Obersten
+war ein ziemlich fester Schlummer geworden. Aus diesem
+Schlummer wiederum auffahrend, horchte Herr Philipp:
+da war der gespenstische Schritt an der Pforte des Hinterst&uuml;bchens:</p>
+
+<p>&raquo;Wer ist da?&laquo; rief der Apotheker auftaumelnd und mit
+beiden H&auml;nden schwerf&auml;llig sich auf die Lehnen des Armsessels
+st&uuml;tzend.</p>
+
+<p>&raquo;Ich bin es, Bruder,&laquo; sagte Fr&auml;ulein Dorette Kristeller,<span class='pagenum'><a name="Page_94" id="Page_94">[94]</a></span>
+im langen wei&szlig;en Nachtrock wie eine moralische Lady Macbeth
+hereinschwankend. &raquo;Ich bin es, Philipp; ich habe keine
+Ruhe mehr im Bette, keine Ruhe im ganzen Hause. Ich
+glaubte, hier noch einen warmen Ofen zu finden; aber nun
+ist es mir lieb, da&szlig; auch du noch wach bist, lieber Bruder;
+&mdash; o Bruder, Bruder Philipp, es ist wirklich und
+wahrhaftig sein Ernst!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Sein Ernst? Wessen Ernst?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Sein bitterer Ernst! O, ich habe es mir gleich so
+gedacht, als er dich zuerst so gem&uuml;tlich auf die Schulter
+klopfte und ihr alle &uuml;ber seine wilden Pl&auml;ne lachtet. Er
+meint es ja vielleicht auch gut mit uns; aber elend macht
+er uns doch. Philipp, er braucht Geld! er braucht sein
+Geld, und er ist gekommen, es zu holen!&laquo;</p>
+
+<p>Der Apotheker &raquo;zum wilden Mann&laquo; sah das trostlose
+alte J&uuml;ngferchen pl&ouml;tzlich mit den gl&auml;nzendsten, verst&auml;ndnisinnigsten
+Augen an.</p>
+
+<p>&raquo;Er braucht sein Geld, und er ist gekommen, es zu
+holen? Aber Dorette, das w&auml;re ja wundervoll!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Wundervoll?! &mdash;&laquo;</p>
+
+<p>Herr Philipp Kristeller kn&ouml;pfte mit zitternder Hand, der
+k&uuml;hlen Nacht zum Trotze, vor innerster Aufregung die
+Weste auf:</p>
+
+<p>&raquo;Dorette, wenn du Recht h&auml;ttest! &mdash; herrlich, herrlich
+w&auml;re es! Aber &mdash; wenn das so w&auml;re, so w&uuml;rde er es
+mir doch wohl zuerst gesagt haben?!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Hat er das denn nicht? und zwar auf jede nur m&ouml;gliche
+Weise &mdash; fein und grob!&laquo;</p>
+
+<p>Der Apotheker antwortete nichts hierauf. Er ging rasch
+in dem engen Raume seiner Bildergalerie auf und ab und
+rieb sich nach seiner Art die H&auml;nde und murmelte vor sich hin:</p>
+
+<p>&raquo;Der Gute &mdash; der Wackere &mdash; mein Gott, welch eine
+gl&uuml;ckselige Nacht! &mdash; Und ich habe ihn ganz und gar nicht
+verstanden! O diese Weiber, diese klugen Weiber! Dorette,
+wenn du recht h&auml;ttest!&laquo;</p>
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_95" id="Page_95">[95]</a></span>
+&raquo;Ich habe Recht!&laquo; &auml;chzte jetzt das alte Fr&auml;ulein fast
+b&ouml;se. &raquo;So setze dich doch und nimm Vernunft an. Was
+soll denn aus uns werden, Bruder? Du bist diese drei&szlig;ig
+Jahre lang deinen Liebhabereien und dem Gesch&auml;fte nachgegangen;
+aber ich habe die B&uuml;cher gef&uuml;hrt und wei&szlig;, wie
+wir stehen. O, es reicht noch; aber es reicht auch nur
+gerade hin, &mdash; und, Philipp, ich bin fest &uuml;berzeugt, er holt
+nicht nur das Kapital, sondern er kann auch die Zinsen
+gebrauchen, die Zinsen seit drei&szlig;ig Jahren!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Das vergebe ich ihm so leicht nicht, da&szlig; er nicht sofort
+seinen Wunsch mir klar und deutlich ausgesprochen
+hat,&laquo; murmelte Herr Philipp, der durchaus nicht imstande
+war, sich zu setzen, sondern der fort und fort auf und ab
+lief und das Wort der Schwester ganz und gar &uuml;berh&ouml;rte.
+&raquo;O August, August, also endlich ist auch f&uuml;r mich die Stunde
+da, dir auf deinem Wege zum Gl&uuml;cke behilflich sein zu
+k&ouml;nnen!&laquo;</p>
+
+<p>Von der ganzen F&uuml;lle dieser Vorstellung &uuml;berw&auml;ltigt,
+stand er jetzt still, und was er seit nicht zu berechnender
+Zeit nicht gethan hatte, das that er jetzt: er gab der
+Schwester einen Ku&szlig; &mdash; einen langen, herzlichen Ku&szlig;, und
+dann &mdash; nahm er sein Licht und ging seinerseits in seine
+Kammer. Er hatte das Bed&uuml;rfnis, allein zu sein und sich
+in der Stille und Dunkelheit der Nacht den frohen nahen
+Morgen und seine erste Begr&uuml;&szlig;ung mit dem Freunde, dem
+Obersten Dom Agostin Agonista, auszumalen.</p>
+
+<p>Fr&auml;ulein Dorette stand im Scheine ihres Nachtlichtes
+mit schlaff niederh&auml;ngenden Armen und vor dem Leibe gefalteten
+H&auml;nden, blickte hinter ihm her und st&ouml;hnte:</p>
+
+<p>&raquo;Also da sind wir denn! &mdash; o diese Mannsleute! Was
+soll aus uns werden? lieber Herrgott, was soll aus uns
+werden? &mdash; Zu den Pottekudern, seinen neuen Landsleuten,
+gehe ich f&uuml;r mein Teil nicht mit! Er w&auml;re freilich imstande,
+uns in aller G&uuml;te und Zureden mit Haus und Hof mit
+sich zu schleppen und uns mitten in der Urwildnis hinzusetzen<span class='pagenum'><a name="Page_96" id="Page_96">[96]</a></span>
+und eine Schnapsfabrik auf meines armen Bruders
+Namen und Liqueur zu gr&uuml;nden. Aber er soll mir kommen,
+der Kehlabschneider, der Scharfrichter, der Menschenschinder,
+der Henkersknecht. F&uuml;r alle Freibillets in der
+Welt geh' ich mit ihm nicht nach seinem Amerika; am
+Spie&szlig;e br&auml;t er uns doch, wenn er uns dr&uuml;ben hat, und
+wenn er auch noch so schlau hier am Orte den Gem&uuml;tlichen,
+den Vergn&uuml;gten und den biederen treuherzigen Krieger
+spielt.&laquo;</p>
+
+<p>Der Oberst Dom Agostin Agonista wurde durch das,
+was im unteren Teile des Hauses &raquo;zum wilden Manne&laquo;
+vorging, nicht in seinem Schlummer gest&ouml;rt. Er schlief
+abermals weit in den hellen Sonnenschein des Dienstags
+hinein, und die Flasche mit dem &raquo;Kristeller&laquo; stand auf
+seinem Nachttische, und auch das Spitzglas, das dazu geh&ouml;rte,
+hatte der alte Soldat handgerecht zuger&uuml;ckt. Aber
+auf dem Stuhle am Bette sa&szlig; um halb neun Uhr, seit
+einer Viertelstunde z&auml;rtlich lauschend, Herr Philipp Kristeller,
+das Erwachen des Gastes, Freundes und Wohlth&auml;ters
+erwartend.</p>
+
+<p>&raquo;Sobald der Gute erwacht, wollen wir &uuml;berlegen, in
+welcher Weise es am angenehmsten und vorteilhaftesten f&uuml;r
+ihn einzurichten ist,&laquo; hatte der Apotheker, auf den Zehen
+in die Kammer schleichend, gefl&uuml;stert; und er hatte eine
+gute Stunde zu warten, ehe der Brasilier die Augen &ouml;ffnete,
+sich entsetzlich reckte, gewaltig g&auml;hnte und dann, sich &uuml;berrascht
+aufrichtend, rief:</p>
+
+<p>&raquo;Diablo! bist du denn das, Filippo? Ei, sch&ouml;nsten guten
+Morgen! aber dieses ist einmal freundlich von dir!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Guten Morgen, August. Du erlaubst mir wohl, da&szlig;
+ich dich diesmal wieder August nennen darf; denn ich sitze
+hier und warte auf dein Erwachen, um dich recht t&uuml;chtig
+abzukanzeln.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Abzukanzeln? weshalb? wieso? warum? wof&uuml;r?&laquo;</p>
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_97" id="Page_97">[97]</a></span>
+&raquo;Weil du meiner guten Schwester mehr Zutrauen bewiesen
+hast als mir, August.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Ah &mdash; &mdash; &mdash; so!&laquo; sprach der brasilianische Gendarmerie-Oberst
+ungemein gedehnt und legte sich wieder hin &mdash; n&auml;mlich
+mit dem Hinterkopfe in seine Kopfkissen. Nach
+einer Pause erst f&uuml;gte er etwas gedr&uuml;ckt hinzu:</p>
+
+<p>&raquo;Und nicht wahr, du giebst mir recht? Dein Entschlu&szlig;
+ist gefa&szlig;t; &mdash; wir gehen zusammen &uuml;ber das Weltmeer,
+um goldene Berge f&uuml;r uns und unsere Nachkommen aufzusch&uuml;tten?!&laquo;</p>
+
+<p>Herr Philipp sch&uuml;ttelte melancholisch den Kopf.</p>
+
+<p>&raquo;Meine Schwester Dorothea und ich doch wohl nicht,
+aber &mdash; mit dir ist es freilich etwas anderes. Nein, mein
+teurer August, du wirst wieder allein gehen m&uuml;ssen.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Aber das macht mir wirklich einen Strich durch alle
+meine Berechnungen,&laquo; brummte der Kriegsmann verdrie&szlig;lich.</p>
+
+<p>&raquo;Du nimmst unsere besten W&uuml;nsche mit hin&uuml;ber; wir
+werden in Gedanken stets bei dir sein.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Danke!&laquo; sagte der Oberst wom&ouml;glich noch verstimmter.</p>
+
+<p>&raquo;Ich habe den Tisch vor deinem Stuhle bereits zurecht
+ger&uuml;ckt, mein guter August. Meine Hausb&uuml;cher liegen zu
+deiner Einsicht bereit; du wirst mit meiner Schwester zufrieden
+sein, denn sie hat die Bilanz gezogen. Ich hoffe,
+du wirst finden, da&szlig; wir &mdash; meine Schwester und ich &mdash; unser &mdash; mein &mdash; dein
+Verm&ouml;gen nach bestem Wissen verwaltet
+haben.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Ich komme im Augenblick hinunter, lieber Alter!&laquo;
+rief der Oberst, allen Mi&szlig;mut sofort absch&uuml;ttelnd und mit
+hellem L&auml;cheln das rechte Bein blitzartig unter dem Deckbette
+vorschnellend und mit dem Fu&szlig;e nach des Apothekers
+Reserve-Ehren-Pantoffeln auf dem Boden angelnd. &raquo;Im
+Moment &mdash; in zehn Minuten bin ich drunten bei dir.
+Philipp, du bist ein Prachtmensch! und du wirst sehen, da&szlig;
+ich die Welt kenne und auch f&uuml;r dich das Nutzbringendste
+zu ergreifen verstehe.&laquo;</p>
+
+<p><span class='pagenum'><a name="Page_98" id="Page_98">[98]</a></span>
+&raquo;Wir warten mit dem Kaffee auf dich, lieber August!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Mein sch&ouml;nstes Kompliment im voraus an deine
+Schwester! Im Augenblick bin ich bei euch. Nicht wahr,
+Philipp, dein Rezept f&uuml;r den &rsaquo;Kristeller&lsaquo; giebst du mir mit
+hin&uuml;ber, &mdash; nicht wahr, Alter?&laquo;</p>
+
+<p>Der Erfinder des &raquo;Kristeller&laquo; versprach's, und nach einer
+Viertelstunde sa&szlig; der Oberst Dom Agostin Agonista richtig
+bei dem Geschwisterpaar im Hinterst&uuml;bchen und zwar, ohne
+alles vorherige Str&auml;uben, im Ehrensessel und vor den
+Haus- und Rechnungsb&uuml;chern der Apotheke &raquo;zum wilden
+Mann&laquo;; &mdash; Fr&auml;ulein Dorette Kristeller hatte ihn dazu von
+Zeit zu Zeit zu fragen, ob ihm noch eine Tasse Kaffee gef&auml;llig
+sei.</p>
+
+
+
+<h2><a name="Funfzehntes_Kapitel" id="Funfzehntes_Kapitel"></a>F&uuml;nfzehntes Kapitel.</h2>
+
+
+<p>Einen Mann wie den Oberst stelle man einmal unter
+den Scheffel, wenn er in einer Gegend gleich der von uns
+geschilderten ankommt, d.&nbsp;h. aus den Wolken f&auml;llt. Auf
+Meilen in der Runde gingen bald die fabelhaftesten Ger&uuml;chte
+&uuml;ber ihn um. Ein wieder wie vor drei&szlig;ig Jahren
+mit ein wenig Bangen gemischter Respekt begleitete ihn in
+jeglichem Blicke, der ihm nachgesendet wurde, klang in jedem
+h&ouml;flichen Wort, das man an ihn richtete; nur that er niemanden
+mehr leid dazu. Der bald so bekannte Fremdling
+entsprach in jeder Beziehung den Vorstellungen, die
+sich die Landschaft von einem &raquo;Wundertier&laquo; machte, und
+die Jovialit&auml;t in seinem Wesen und Auftreten nahm der
+vertraulichen Scheu, die er den Leuten einfl&ouml;&szlig;te, nichts
+von ihrer Wirksamkeit. Er aber f&uuml;hlte sich wohl unter dem
+Volke der Gegend, geno&szlig; die Gem&uuml;tsbewegungen, die er
+unter ihm hervorbrachte und &mdash; a&szlig; sich harmlos herum.</p>
+
+<p>N&auml;mlich es hatte sich herausgestellt, da&szlig; f&uuml;r die ersten
+Wochen an ein Verlassen der Gegend, an eine Abreise<span class='pagenum'><a name="Page_99" id="Page_99">[99]</a></span>
+aus der Apotheke &raquo;zum wilden Mann&laquo; noch nicht zu denken
+sei.</p>
+
+<p>Der Oberst blieb, und sie luden ihn alle zu Tisch.
+Nach den Honoratioren des Dorfes kamen die Gutsbesitzer
+und reichen Dom&auml;nenp&auml;chter der Umgegend an
+die Reihe: der Oberst Dom Agostin Agonista f&uuml;hlte sich
+immer behaglicher in seinem behaglichen Quartier in der
+Apotheke &raquo;zum wilden Mann&laquo;.</p>
+
+<p>Wenn er aber viel abwesend von der Apotheke war,
+so blieb der alte Philipp Kristeller desto sedater in seinen
+vier Pf&auml;hlen, schrieb viel, bekam viele Briefe von Banquiers
+und sonstigen Handelsleuten und trieb selber allerlei Handel.
+Er fing an, in L&auml;ndereien zu spekulieren und zwar
+in seinen eigenen.</p>
+
+<p>Und w&auml;hrend der Oberst nicht das Geringste von seiner
+stattlichen Rundung einb&uuml;&szlig;te, wurde Fr&auml;ulein Dorette Kristeller,
+die doch wenig einzub&uuml;&szlig;en hatte, von Tag zu Tage
+magerer, und auch der Apotheker fiel ab, soviel das noch
+m&ouml;glich war. Das Geschwisterpaar wurde immer gelber
+und gelber; was den Dom Agostin anbetraf, so fingen die
+Leute an, ihm zu sagen:</p>
+
+<p>&raquo;Herr Oberst, die Luft hier scheint Ihnen gottlob recht
+gut zu bekommen.&laquo;</p>
+
+<p>Sie bekam ihm wirklich, die Luft der Gegend, und das
+Ger&uuml;cht von dem, was er vor einunddrei&szlig;ig Jahren an
+dem Besitzer der Apotheke &raquo;zum wilden Mann&laquo; gethan
+hatte, schwebte auch in der Luft &uuml;ber ihm und um sein
+wei&szlig;es, munteres Haupt und verkl&auml;rte ihn rosig. Die
+Frauen nannten ihn einen pr&auml;chtigen alten Herrn, und die
+M&auml;nner nannten ihn einen Prachtkerl und f&uuml;gten hinzu:
+&raquo;Unter Umst&auml;nden f&auml;nden wir auch mit Vergn&uuml;gen einen
+&auml;hnlichen Burschen im Busch und Walde und suchten seine
+intimste Bekanntschaft zu machen. Selbst auf die Botanik
+k&ouml;nnte man in einem solchen Falle sich mit Pl&auml;sier legen.&laquo;</p>
+
+<p>Auch der Oberst bekam im Verlaufe der n&auml;chsten Woche<span class='pagenum'><a name="Page_100" id="Page_100">[100]</a></span>
+Briefe. Es langte ein Packet von Rio Janeiro an, eine
+Menge Dokumente enthaltend. Dieses Packet sendete Senhor
+Joaquimo Pamparente, sein Rechtsbeistand, und Dom Agonista
+fand sich bewogen, den Inhalt eingehend mit seinem
+Freunde Philipp Kristeller zu besprechen. Er, der Oberst,
+schrieb an Senhora Julia Fuentalacunas einen z&auml;rtlichen
+Brief, der aber doch zugleich auch ein Gesch&auml;ftsbrief war;
+&mdash; leider reichte die Zeit zu einer Antwort der Dame nun
+nicht mehr.</p>
+
+<p>&raquo;Thut nichts,&laquo; sprach der z&auml;rtliche Krieger, &raquo;es wird sich
+jetzt alles aufs Beste und Angenehmste arrangieren, wenn
+ich erst selbst wieder dr&uuml;ben bin.&laquo;</p>
+
+<p>Am meisten verkehrte Dom Agostin in diesen ernsten
+Gesch&auml;ftstagen mit dem heitern Doktor und Landphysikus
+Hanff. Beide vergn&uuml;gte Gesellen hatten Br&uuml;derschaft miteinander
+getrunken, und der Oberst Agonista fuhr dann
+und wann des Spa&szlig;es wegen mit auf die Landpraxis.
+Jegliches Wetter war dabei dem tapferen alten Soldaten
+recht, und der Doktor, der doch auch das Seinige vertragen
+konnte, hatte auch hier seinen Begleiter als ein Mirakel
+zu bestaunen.</p>
+
+<p>&raquo;Bei den G&ouml;ttern beider Halbkugeln, du wenigstens
+gehst mit mir hin&uuml;ber,&laquo; rief der Oberst, gegen Ende Novembers
+auf einer dieser Fahrten den ersten Schnee des
+Jahres vom Fenster eines Dorfwirtshauses weit im offenen
+Lande beobachtend. &raquo;Ich habe dir bereits hundertmal das
+brillanteste Lebensgl&uuml;ck garantiert und ich verb&uuml;rge mich auch
+jetzt wieder daf&uuml;r. Sieh dir dieses Wetter an; &mdash; ist das
+ein Klima f&uuml;r verst&auml;ndige anst&auml;ndige und zu allem &Uuml;brigen
+mit Vernunft und Weib und Kind begabte Menschen?
+Ist das eine Gegend, um siebzig Jahre drin alt zu werden?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Meine Frau &mdash; meine Jungen,&laquo; murmelte der Doktor.</p>
+
+<p>&raquo;Werden sich sehr wohl dort acclimatisieren; ich rede
+dir ja eben gerade vom Klima! Ein Jahr l&auml;&szlig;t du sie hier
+zur&uuml;ck, um dich dr&uuml;ben behaglich einzurichten. Im n&auml;chsten<span class='pagenum'><a name="Page_101" id="Page_101">[101]</a></span>
+Herbst f&uuml;hre ich meine Frau nach Paris in die Honigwochen,
+und du begleitest mich, d.&nbsp;h. du schl&auml;gst deinen
+Winkel hierher und holst dein Hauswesen nach. He &mdash;
+was sagst du? Zum Teufel, sieh auf den Kirchhof dort
+im Regen und Schneegest&ouml;ber und sage mir, ob es ein
+Vergn&uuml;gen und eine Ehre sein wird, dort einst eine Sandsteinplatte
+zu haben mit der Inschrift: &rsaquo;Hier liegt der
+Doktor Eisenbart?!&lsaquo;&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Zum Henker, Bruder,&laquo; &auml;chzte der Landphysikus, &raquo;wei&szlig;t
+du, was ich wollte?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Nun?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Ich wollte, du w&auml;rest geblieben, wo du dich so wohl
+f&uuml;hltest. Mein gesunder n&auml;chtlicher Schlaf ist hin, seit du
+im Lande bist, und wie mir, so geht es der Mehrzahl meiner
+Bekannten. Du hast, sozusagen, der ganzen Gegend
+die Phantasie verdorben. Ich kenne auf drei Meilen in
+der Runde niemanden, der noch ruhig auf seinem Stuhle
+sitzen kann. Da ist nicht einer, der nicht hin und her r&uuml;ckt
+und &uuml;berlegt und berechnet, was alles er bis Dato im
+Leben vers&auml;umt habe.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Das mag f&uuml;r die &Uuml;brigen gelten, aber in deinem
+Alter hat man noch nicht das Geringste vers&auml;umt, &mdash; da
+brauchst du nur mich anzusehen. &Uuml;brigens erlaube mir
+doch ein Wort: ich &uuml;berrede niemanden! Diablo, wie k&auml;me
+ich dazu, mit diesem meinem wei&szlig;en Haar noch einmal
+von neuem anzufangen, die Dummheiten meiner Jugend
+zu wiederholen, um mir eine frische Last Gewissensbisse aufzuladen?
+In drei Wochen reise ich jetzt bestimmt; &mdash; bestimmt,
+das sage ich dir! Bis dahin hab' ich mein altes
+Vaterland und sein Verh&auml;ltnis zu mir wieder in Ordnung
+gebracht und mache mich auf den Weg und aufs gro&szlig;e
+Wasser, auch f&uuml;r die alten Freunde in der Apotheke die
+Fortuna, die spanische Silberflotte mit zu entern. O, die
+sollen bequem hier sitzen bleiben unter ihrem Zeichen &rsaquo;zum
+wilden Mann&lsaquo;, &mdash; ich werde f&uuml;r sie handeln, und die<span class='pagenum'><a name="Page_102" id="Page_102">[102]</a></span>
+n&auml;chste Post, die ihr von mir erhalten werdet, wird das
+Weitere melden.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Er reist in drei Wochen!&laquo; seufzte der Doktor, hastig
+sein Glas hinuntergie&szlig;end.</p>
+
+
+
+<h2><a name="Sechzehntes_Kapitel" id="Sechzehntes_Kapitel"></a>Sechzehntes Kapitel.</h2>
+
+
+<p>Er hatte, wie man zu sagen pflegt, immer auf dem
+Sprunge gestanden, der kaiserlich brasilianische Oberst Dom
+Agostin Agonista, aber diesmal reiste er wirklich, und zwar
+auf die Stunde zum angegebenen Zeitpunkt, n&auml;mlich am
+Mittage des 23. Dezembers. Man hatte ihn nat&uuml;rlich
+dringend von allen Seiten aufgefordert, wenigstens das
+Weihnachtsfest &uuml;ber noch zu bleiben, doch alles Bitten und
+Zureden war vergeblich geblieben.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Qu&auml;lt mich nicht l&auml;nger,&laquo; hatte er gesagt, &raquo;ich kenne
+meine Natur und wei&szlig;, was ihr gut ist. Diese liebe Feier
+im gem&uuml;tvollen Vaterlande, dieses holde Fest im sinnigen,
+gef&uuml;hlvollen Deutschland w&uuml;rde mich zu weich stimmen,
+und es ist unbedingt notwendig, da&szlig; ich mich, einige Zeit
+noch, ein wenig h&auml;rtlich halte. Ich bin das nicht nur mir,
+sondern auch meinen guten braven Freunden in der Apotheke
+schuldig. Meine Verpflichtungen erfordern es, was
+mein Herz auch dagegen zu sagen haben mag.&laquo;</p>
+
+<p>Damit verschwand er, verschwand spurlos, als jedermann
+bereit stand, ihm noch einmal die Hand zu dr&uuml;cken
+und sich ihm zu empfehlen. Der Abschied war so eigent&uuml;mlich
+wie alles andere, was die Ankunft und den Aufenthalt
+des Mannes am Orte begleitet hatte. Sie kamen
+alle zu sp&auml;t dazu: Herr Philipp aus seinem Laboratorium,
+Fr&auml;ulein Dorette aus der K&uuml;che, der Doktor Hanff von
+seinem n&auml;chstliegenden Patienten.</p>
+
+<p>Der Oberst hatte den Wagen an die Hinterth&uuml;r bestellt,<span class='pagenum'><a name="Page_103" id="Page_103">[103]</a></span>
+war einfach eingestiegen und abgefahren; sein Gep&auml;ck hatte
+er vorausgeschickt, und die Gegend &mdash; sah ihm nach.</p>
+
+<p>Die aus der Apotheke sagten nichts, sondern seufzten,
+der Doktor schlug sich vor die Stirn und rief ein wenig
+&auml;rgerlich und entt&auml;uscht:</p>
+
+<p>&raquo;Ich h&auml;tte ihm doch gern noch ein Wort &uuml;ber meine
+Projekte gesagt! Man bringt einem doch nicht so um nichts
+und gar nichts die Gedanken in Unordnung und das Blut
+in Wallung; &mdash; Donnerwetter, dieses Brasilien!&laquo;</p>
+
+<p>Die &uuml;brigen Freunde und Bekannten kamen nach und
+nach verwundert und erstaunt an das Fenster der Offizin.</p>
+
+<p>&raquo;Er wollte vielleicht alles unn&ouml;tige Aufsehen vermeiden,&laquo;
+sagte Fr&auml;ulein Dorette Kristeller kurz und tonlos.
+Ihr Bruder war selbst f&uuml;r den Pastor und f&uuml;r den F&ouml;rster
+nicht zu sprechen. Der Apotheker &raquo;zum wilden Mann&laquo;
+f&uuml;hlte sich durch die Trennung von seinem Jugendfreunde
+sehr angegriffen und w&uuml;nschte einige Tage ganz sich selber
+&uuml;berlassen zu bleiben. Die guten Bekannten begriffen das
+wohl und lie&szlig;en das Geschwisterpaar in der That &uuml;ber das
+Fest allein.</p>
+
+<p>&Uuml;ber das Fest allein!</p>
+
+<hr style='width: 45%;' />
+
+<p>Da sitzen wir wieder unter den Bildern des Hinterst&uuml;bchens
+der Apotheke &raquo;zum wilden Mann&laquo;, und es ist
+der Abend des vierundzwanzigsten Dezembers. Ein tr&uuml;bes
+Talglicht in einem schlechten Messingleuchter, den Fr&auml;ulein
+Dorette mit sich ins Zimmer brachte, brennt auf dem Tische.
+Der alte Herr sa&szlig; im Dunkel, bis die alte Schwester dieses
+Licht brachte; &mdash; im tr&uuml;ben Scheine desselben sitzt er in dem
+Ehrensessel, und die alte Schwester hat sich ihm gegen&uuml;ber
+niedergelassen. Sie sehen beide abgemattet-sorgenvoll aus;
+sie feiern beide eine betr&uuml;bte Weihnacht.</p>
+
+<p>Nach einem langen Schweigen sagte Fr&auml;ulein Dorette:</p>
+
+<p>&raquo;Plagmann aus Borgfelde will die K&uuml;he gleich nach
+dem Feste abholen.&laquo;</p>
+
+<p>Sie sagte das mit einem tiefen Seufzer; denn Ble&szlig;<span class='pagenum'><a name="Page_104" id="Page_104">[104]</a></span>
+und Muhtz waren ihre Herzensfreude und ihr Stolz, und
+sie mu&szlig;te sich von beiden trennen.</p>
+
+<p>Ihr Bruder nickte blo&szlig; und sprach nach einer Pause
+seinerseits:</p>
+
+<p>&raquo;Ich meine, so ungef&auml;hr am f&uuml;nfzehnten Januar w&uuml;rde
+die beste Zeit f&uuml;r die Auktion sein.&laquo;</p>
+
+<p>Und die Schwester nickte auch und st&ouml;hnte:</p>
+
+<p>&raquo;Ja, ja, mir ist's recht! mir ist alles recht! o Gott!&laquo;</p>
+
+<p>Nun versuchte der alte Herr, um doch etwas f&uuml;r das
+Fest zu thun, wieder einmal heiter und ruhig auszusehen
+und rief:</p>
+
+<p>&raquo;Courage, Alte! Wer wird so den Kopf h&auml;ngen lassen?
+Du sollst jetzt einmal zu deinem Erstaunen gewahr werden,
+mit wievielerlei unn&uuml;tzem Ger&uuml;mpel wir uns allgemach
+auf unserm Lebenswege bepackeselt hatten. Da&szlig; wir
+die Landwirtschaft &mdash; die Sorge und den Verdru&szlig; um
+Wiese und Feld los werden, ist im Grunde auch nicht so
+&uuml;bel und jedenfalls nicht das Schlimmste. Offen gestanden,
+meine Knochen leisteten zuletzt doch nicht mehr das, was
+sie fr&uuml;her mit Lust thaten.&laquo;</p>
+
+<p>Der Trost war wohl gemeint, aber er half wenig.
+Pl&ouml;tzlich brach die Schwester in ein helles, krampfhaftes
+Schluchzen aus:</p>
+
+<p>&raquo;O grundg&uuml;tiger Heiland, es w&auml;re mir ja alles, alles
+recht, es kommt nur so sehr sp&auml;t! Bruder, es kommt zu
+sp&auml;t, dieses Elend! &mdash; W&auml;re dieser &mdash; Mann um zwanzig
+Jahre fr&uuml;her gekommen, so w&uuml;rde ich ja mit Freuden mit
+deinem Kopfkissen meine Bettdecke hingegeben haben; aber
+wahrhaftig, jetzt ist es f&uuml;r uns zu sp&auml;t im Leben geworden!
+Die Hypothek, die auf dem Hause liegt, liegt auch
+auf mir wie ein Berg! Und dazu keinen &mdash; keinen Menschen,
+dem man seinen Kummer klagen kann, klagen darf &mdash; ja
+klagen darf!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Nein,&laquo; rief Herr Philipp Kristeller, allen Nachdruck
+seiner Seele in das Wort werfend, &raquo;nein, was wir hier<span class='pagenum'><a name="Page_105" id="Page_105">[105]</a></span>
+tragen, das tragen wir f&uuml;r uns allein! Fremde Nasen
+d&uuml;rfen wir gewi&szlig; nicht in unser jetziges Dasein hineinriechen
+lassen, Dorothea! Es w&auml;re nicht zu rechtfertigen gegen
+den Freund &mdash; meinen Freund &mdash; meinen Freund vom
+Blutstuhle! Ach, fasse nur Mut, liebe Dorette, und mache
+mir vor allen Dingen keine solche verzweiflungsvollen Mienen,
+du sollst sehen, wir behalten den Kopf doch noch oben
+und f&uuml;hren auch unter den jetzigen Verh&auml;ltnissen ein gutes
+und stilles Leben weiter. Was w&uuml;rde meine Johanne sagen,
+wenn sie bis heute mein Los mit mir geteilt h&auml;tte? Sieh,
+die Leute k&ouml;nnen wir denken und reden lassen, was sie wollen.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Und ich sehe sie schon vor mir, wie sie die K&ouml;pfe zusammenstecken;
+der Pastor und der Ulebeule, die Herren
+vom Gest&uuml;t, der Amtsrichter und der Doktor. Sie werden
+sich sch&ouml;ne Historien zusammenphantasieren und uns
+in einem bunten Lichte an die Wand hinmalen!&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;La&szlig; sie! m&ouml;ge es nur dem alten tollen Freunde mit
+seinem jungen Gl&uuml;ck gut gehen! Ich sage dir, liebe Schwester,
+schon die Gewi&szlig;heit, da&szlig; niemand es so herzlich mit
+uns meint als er, w&auml;re mir ein Trost, wenn es mir vielleicht
+auch noch so kl&auml;glich zu Mute w&auml;re. Jetzt glaubt er,
+mit vollen Segeln seinem und unserem Gl&uuml;cke entgegenzuschwimmen;
+sieh, Alte, und sein Geld hat doch wenigstens
+zum zweitenmal einem Menschen f&uuml;r eine Stunde Behagen
+gegeben, was man wahrhaftig nicht von jedem Gelde sagen
+kann, und wenn es auch wie hier zw&ouml;lftausend Thaler
+w&auml;ren.&laquo;</p>
+
+<p>Die Schwester erwiderte nichts hierauf, sondern zuckte
+nur die Achseln, welches ihr dann wieder Gewissensbisse
+machte. Sie stand auf, ging zum Fenster und sah in den
+n&auml;chtlich winterlichen, gleichfalls schwer mit Hypotheken belasteten
+Garten hinaus und wendete sich nach drei Minuten
+erst ins Zimmer zur&uuml;ck:</p>
+
+<p>&raquo;Es schneit t&uuml;chtig, Bruder. Wei&szlig;t du wohl noch,
+Philipp, welch ein Vergn&uuml;gen und welche geheime Behaglichkeit<span class='pagenum'><a name="Page_106" id="Page_106">[106]</a></span>
+wir gerade an diesem Tage am Schnee
+hatten?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Ei gewi&szlig;,&laquo; rief der Bruder, &raquo;wie w&auml;ren wir sonst
+wohl dies Menschenalter durch so gut miteinander ausgekommen?
+Dorette, heute sind wir doch die richtigen Narren
+gewesen, da&szlig; wir uns zum erstenmal nicht einen Tannenbaum
+mit Lichtern besteckt haben. Allem zum Trotz h&auml;tten
+wir das thun sollen! Nun das n&auml;chste Mal! &mdash; im n&auml;chsten
+Jahre &mdash;&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Wenn dein Freund vom Blutstuhle das Schiff mit
+den F&auml;ssern voll Gold und Edelsteinen geschickt hat, als
+Abzahlung &mdash; wenigstens f&uuml;r das Rezept zum Kristeller!
+O, und daf&uuml;r drei&szlig;ig Jahre lang da seinen Lehnstuhl frei
+gehalten zu haben!&laquo;</p>
+
+<p>Das war echt weiblich und also nichts dagegen zu machen:
+der alte Herr Philipp hielt sich an sein eigen m&auml;nnlich
+und treu Gem&uuml;t, lie&szlig; sich das Wort nicht vor dem
+Munde abschneiden, sondern schlo&szlig; seinen Satz:</p>
+
+<p>&raquo;Wollen wir das diesmal Vers&auml;umte desto herzlicher
+und herzhafter nachholen.&laquo; Der weiblichen Einschaltung
+wegen f&uuml;gte er jedoch im Stillen noch hinzu: &raquo;Wie es auch
+kommen mag.&laquo;</p>
+
+<p>Was die Freunde der Umgegend anbetraf, so verwunderten
+sie sich in der That sehr, als im Laufe des Winters
+und Fr&uuml;hjahrs in der Apotheke &raquo;zum wilden Mann&laquo; sich
+vieles sehr ver&auml;nderte; &mdash; als die M&ouml;beln aus den Gem&auml;chern
+abhanden kamen, das Vieh aus den St&auml;llen verschwand,
+als der Blumengarten sich in einen Gem&uuml;seplatz
+verwandelte, das zierliche Dienstm&auml;dchen eine andere gute
+Herrschaft suchte, dem Knechte gek&uuml;ndigt wurde und es im
+Kreisblatte zu lesen stand, da&szlig; der Apotheker Herr Philipp
+Kristeller so und so viel Morgen Wiesen und Ackerfeld an
+die und die Bauern der Gemeinde und Feldmark verkauft
+habe. Als aber die Auktion in der Apotheke selbst wirklich
+abgehalten wurde, boten sie kopfsch&uuml;ttelnd mit; und<span class='pagenum'><a name="Page_107" id="Page_107">[107]</a></span>
+auf dieser Auktion erstand der F&ouml;rster des Apothekers Bildergalerie,
+der Doktor die chinesische Punschschale und der
+Pastor den Ehrensessel des Obersten in brasilianischen Diensten
+Dom Agostin Agonista.</p>
+
+<p>Ein kahleres Haus gab es nachher nicht im Orte. Nur
+der Inhalt der B&uuml;chsen und Gl&auml;ser in der Offizin blieb
+verschont; die Freunde und Bekannten aber &uuml;berlegten und
+mutma&szlig;ten nach allen Richtungen hin und kamen zuletzt
+s&auml;mtlich auf die nicht ganz unwahrscheinliche Vermutung,
+da&szlig; ihr Freund, Herr Philipp Kristeller, in schlechten Papieren
+ganz heimlich spekuliert und sich verspekuliert habe.</p>
+
+<p>Nat&uuml;rlich rieten sie ihm dringend, sich doch umgehend
+an seinen Freund, den brasilianischen Obersten, zu wenden,
+und begriffen nicht, aus welchem Grunde er das so sehr
+hartn&auml;ckig ablehnte.</p>
+
+
+<p class="center" style="font-size: larger; margin-top: 40px; margin-bottom: 40px;">Ende.
+</p>
+
+
+
+
+
+
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Zum wilden Mann, by Wilhelm Raabe
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ZUM WILDEN MANN ***
+
+***** This file should be named 22123-h.htm or 22123-h.zip *****
+This and all associated files of various formats will be found in:
+ http://www.gutenberg.org/2/2/1/2/22123/
+
+Produced by Norbert H. Langkau, Jana Srna and the Online
+Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
+
+
+Updated editions will replace the previous one--the old editions
+will be renamed.
+
+Creating the works from public domain print editions means that no
+one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
+(and you!) can copy and distribute it in the United States without
+permission and without paying copyright royalties. Special rules,
+set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
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+Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
+charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you
+do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
+rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose
+such as creation of derivative works, reports, performances and
+research. They may be modified and printed and given away--you may do
+practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is
+subject to the trademark license, especially commercial
+redistribution.
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+*** START: FULL LICENSE ***
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+If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
+Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
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+entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.
+
+1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
+used on or associated in any way with an electronic work by people who
+agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
+individual work is in the public domain in the United States and you are
+located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
+copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
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+are removed. Of course, we hope that you will support the Project
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+ Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments
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+ returns. Royalty payments should be clearly marked as such and
+ sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
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+ License. You must require such a user to return or
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+ money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
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+
+- You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg-tm works.
+
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+Foundation as set forth in Section 3 below.
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+INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
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+your written explanation. The person or entity that provided you with
+the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
+refund. If you received the work electronically, the person or entity
+providing it to you may choose to give you a second opportunity to
+receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy
+is also defective, you may demand a refund in writing without further
+opportunities to fix the problem.
+
+1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
+WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
+warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
+If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
+law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
+interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
+the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any
+provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
+
+1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
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+harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
+that arise directly or indirectly from any of the following which you do
+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at http://pglaf.org
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit http://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations.
+To donate, please visit: http://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+ http://www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
+
+
+</pre>
+
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