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| author | Roger Frank <rfrank@pglaf.org> | 2025-10-15 02:47:24 -0700 |
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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Bahnwärter Thiel + +Author: Gerhart Hauptmann + +Release Date: July 11, 2009 [EBook #29376] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BAHNWÄRTER THIEL *** + + + + +Produced by Jana Srna, Norbert H. Langkau and the Online +Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net + + + + + + +</pre> + + + +<div id="tnote"> +<p class="center"><b>Anmerkungen zur Transkription:</b></p> +<p>Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden +übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler wurden +korrigiert. Änderungen sind im Text <ins title="so wie hier">gekennzeichnet</ins>, +der Originaltext erscheint beim Überfahren mit der Maus.</p> +</div> + + +<p class="center" style="font-size: large;">Fischers Bibliothek +zeitgenössischer Romane</p> + + + +<div id="title-page"> +<h1 style="padding-top: 0.5em;">Bahnwärter Thiel</h1> + +<p class="center" style="font-size: large; line-height: 2em; margin-top: -0.5em;">von<br/> +<big>Gerhart Hauptmann</big></p> + +<hr/> + +<div class="figcenter" style="width: 120px; margin: 5em auto;"> +<img src="images/f0002-image.png" width="120" height="116" alt="" title="" /> +</div> + +<hr/> + +<p class="center" style="padding: 0.75em;">S. Fischer, Verlag, Berlin</p> +</div> + + + + +<p class="center">Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung, vorbehalten</p> + + + +<h2 class="new-h2">Inhalt</h2> + + +<table id="toc" summary="Inhalt"> +<tr> + <td>Bahnwärter Thiel</td> + <td class="page"><a href="#Page_7">7</a></td> +</tr> +<tr> + <td>Der Apostel</td> + <td class="page"><a href="#Page_71">71</a></td> +</tr> +</table> + + +<div class="new-h2"> </div> +<div><span class="pagenum"><a name="Page_7">7–8</a></span></div> +<h2>Bahnwärter Thiel</h2> + + +<div class="new-h3"> </div> +<div><span class="pagenum"><a name="Page_9">9</a></span></div> +<h3>1</h3> + +<p class="dropcap">Allsonntäglich saß der Bahnwärter Thiel in der +Kirche zu Neu-Zittau, ausgenommen die Tage, an +denen er Dienst hatte oder krank war und zu Bette +lag. Im Verlaufe von zehn Jahren war er zweimal +krank gewesen; das eine Mal infolge eines vom Tender +einer Maschine während des Vorbeifahrens herabgefallenen +Stückes Kohle, welches ihn getroffen und +mit zerschmettertem Bein in den Bahngraben geschleudert +hatte; das andere Mal einer Weinflasche +wegen, die aus dem vorüberrasenden Schnellzuge +mitten auf seine Brust geflogen war. Außer diesen +beiden Unglücksfällen hatte nichts vermocht, ihn, sobald +er frei war, von der Kirche fernzuhalten.</p> + +<p>Die ersten fünf Jahre hatte er den Weg von Schön-Schornstein, +einer Kolonie an der Spree, herüber +nach Neu-Zittau allein machen müssen. Eines schönen +Tages war er dann in Begleitung eines schmächtigen +<span class="pagenum"><a name="Page_10">10</a></span>und kränklich aussehenden Frauenzimmers erschienen, +die, wie die Leute meinten, zu seiner herkulischen +Gestalt wenig gepaßt hatte. Und wiederum eines +schönen Sonntag Nachmittags reichte er dieser selben +Person am Altare der Kirche feierlich die Hand zum +Bunde fürs Leben. Zwei Jahre nun saß das junge, +zarte Weib ihm zur Seite in der Kirchenbank; zwei +Jahre blickte ihr hohlwangiges, feines Gesicht neben +seinem vom Wetter gebräunten in das uralte Gesangbuch +–; und plötzlich saß der Bahnwärter wieder +allein wie zuvor.</p> + +<p>An einem der vorangegangenen Wochentage hatte +die Sterbeglocke geläutet: das war das Ganze.</p> + +<p>An dem Wärter hatte man, wie die Leute versicherten, +kaum eine Veränderung wahrgenommen. +Die Knöpfe seiner sauberen Sonntagsuniform waren +so blank geputzt als je zuvor, seine roten Haare so +wohl geölt und militärisch gescheitelt wie immer, +nur daß er den breiten, behaarten Nacken ein wenig +gesenkt trug und noch eifriger der Predigt lauschte +oder sang, als er es früher getan hatte. Es war die +allgemeine Ansicht, daß ihm der Tod seiner Frau nicht +sehr nahe gegangen sei; und diese Ansicht erhielt eine +Bekräftigung, als sich Thiel nach Verlauf eines Jahres +<span class="pagenum"><a name="Page_11">11</a></span>zum zweiten Male, und zwar mit einem dicken und +starken Frauenzimmer, einer Kuhmagd aus Alte-Grund, +verheiratete.</p> + +<p>Auch der Pastor gestattete sich, als Thiel die Trauung +anmelden kam, einige Bedenken zu äußern:</p> + +<p>»Ihr wollt also schon wieder heiraten?«</p> + +<p>»Mit der Toten kann ich nicht wirtschaften, Herr +Prediger!«</p> + +<p>»Nun ja wohl – aber ich meine – Ihr eilt ein +wenig.«</p> + +<p>»Der Junge geht mir drauf, Herr Prediger.«</p> + +<p>Thiels Frau war im Wochenbett gestorben, und +der Junge, welchen sie zur Welt gebracht, lebte und +hatte den Namen Tobias erhalten.</p> + +<p>»Ach so, der Junge,« sagte der Geistliche und machte +eine Bewegung, die deutlich zeigte, daß er sich des +Kleinen erst jetzt erinnere. »Das ist etwas andres +– wo habt Ihr ihn denn untergebracht, während +Ihr im Dienst seid?«</p> + +<p>Thiel erzählte nun, wie er Tobias einer alten +Frau übergeben, die ihn einmal beinahe habe verbrennen +lassen, während er ein anderes Mal von +ihrem Schoß auf die Erde gekugelt sei, ohne glücklicherweise +mehr als eine große Beule davonzutragen. +<span class="pagenum"><a name="Page_12">12</a></span>Das könne nicht so weiter gehen, meinte er, +zudem da der Junge, schwächlich wie er sei, eine +ganz besondere Pflege benötige. Deswegen und +ferner weil er der Verstorbenen in die Hand gelobt, +für die Wohlfahrt des Jungen zu jeder Zeit ausgiebig +Sorge zu tragen, habe er sich zu dem Schritte entschlossen. –</p> + +<p>Gegen das neue Paar, welches nun allsonntäglich +zur Kirche kam, hatten die Leute äußerlich durchaus +nichts einzuwenden. Die frühere Kuhmagd schien +für den Wärter wie geschaffen. Sie war kaum einen +halben Kopf kleiner wie er und übertraf ihn an +Gliederfülle. Auch war ihr Gesicht ganz so grob +geschnitten wie das seine, nur daß ihm im Gegensatz +zu dem des Wärters die Seele abging.</p> + +<p>Wenn Thiel den Wunsch gehegt hatte, in seiner +zweiten Frau eine unverwüstliche Arbeiterin, eine +musterhafte Wirtschafterin zu haben, so war dieser +Wunsch in überraschender Weise in Erfüllung gegangen. +Drei Dinge jedoch hatte er, ohne es zu +wissen, mit seiner Frau in Kauf genommen: eine +harte, herrschsüchtige Gemütsart, Zanksucht und brutale +Leidenschaftlichkeit. Nach Verlauf eines halben +Jahres war es ortsbekannt, wer in dem Häuschen des +<span class="pagenum"><a name="Page_13">13</a></span>Wärters das Regiment führte. Man bedauerte den +Wärter.</p> + +<p>Es sei ein Glück für »das Mensch«, daß sie ein so +gutes Schaf wie den Thiel zum Manne bekommen +habe, äußerten die aufgebrachten Ehemänner; es +gäbe welche, bei denen sie greulich anlaufen würde. +So ein »Tier« müsse doch kirre zu machen sein, +meinten sie, und wenn es nicht anders ginge, denn mit +Schlägen. Durchgewalkt müsse sie werden, aber dann +gleich so, daß es zöge.</p> + +<p>Sie durchzuwalken aber war Thiel trotz seiner +sehnigen Arme nicht der Mann. Das, worüber sich +die Leute ereiferten, schien ihm wenig Kopfzerbrechen +zu machen. Die endlosen Predigten seiner Frau ließ +er gewöhnlich wortlos über sich ergehen, und wenn +er einmal antwortete, so stand das schleppende Zeitmaß, +sowie der leise, kühle Ton seiner Rede in seltsamstem +Gegensatz zu dem kreischenden Gekeif seiner +Frau. Die Außenwelt schien ihm wenig anhaben +zu können: es war, als trüge er etwas in sich, wodurch +er alles Böse, was sie ihm antat, reichlich mit Gutem +aufgewogen erhielt.</p> + +<p>Trotz seines unverwüstlichen Phlegmas hatte er +doch Augenblicke, in denen er nicht mit sich spaßen +<span class="pagenum"><a name="Page_14">14</a></span>ließ. Es war dies immer anläßlich solcher Dinge, +die Tobiäschen betrafen. Sein kindgutes, nachgiebiges +Wesen gewann dann einen Anstrich von Festigkeit, +dem selbst ein so unzähmbares Gemüt wie das Lenes +nicht entgegenzutreten wagte.</p> + +<p>Die Augenblicke indes, darin er diese Seite seines +Wesens herauskehrte, wurden mit der Zeit immer +seltener und verloren sich zuletzt ganz. Ein gewisser +leidender Widerstand, den er der Herrschsucht Lenens +während des ersten Jahres entgegengesetzt, verlor sich +ebenfalls im zweiten. Er ging nicht mehr mit der +früheren Gleichgültigkeit zum Dienst, nachdem er +einen Auftritt mit ihr gehabt, wenn er sie nicht vorher +besänftigt hatte. Er ließ sich am Ende nicht selten +herab, sie zu bitten, doch wieder gut zu sein. – Nicht +wie sonst mehr war ihm sein einsamer Posten inmitten +des märkischen Kiefernforstes sein liebster Aufenthalt. +Die stillen, hingebenden Gedanken an sein verstorbenes +Weib wurden von denen an die Lebende durchkreuzt. +Nicht widerwillig, wie die erste Zeit, trat er +den Heimweg an, sondern mit leidenschaftlicher Hast, +nachdem er vorher oft Stunden und Minuten bis zur +Zeit der Ablösung gezählt hatte.</p> + +<p>Er, der mit seinem ersten Weibe durch eine mehr +<span class="pagenum"><a name="Page_15">15</a></span>vergeistigte Liebe verbunden gewesen war, geriet +durch die Macht roher Triebe in die Gewalt seiner +zweiten Frau und wurde zuletzt in allem fast unbedingt +von ihr abhängig. – Zuzeiten empfand er +Gewissensbisse über diesen Umschwung der Dinge +und er bedurfte einer Anzahl außergewöhnlicher +Hilfsmittel, um sich darüber hinweg zu helfen. So +erklärte er sein Wärterhäuschen und die Bahnstrecke, +die er zu besorgen hatte, insgeheim gleichsam für geheiligtes +Land, welches ausschließlich den Manen der +Toten gewidmet sein sollte. Mit Hilfe von allerhand +Vorwänden war es ihm in der Tat bisher gelungen, +seine Frau davon abzuhalten, ihn dahin zu begleiten.</p> + +<p>Er hoffte es auch fernerhin tun zu können. Sie +hätte nicht gewußt, welche Richtung sie einschlagen +sollte, um seine »Bude«, deren Nummer sie nicht +einmal kannte, aufzufinden.</p> + +<p>Dadurch, daß er die ihm zu Gebote stehende Zeit +somit gewissenhaft zwischen die Lebende und Tote +zu teilen vermochte, beruhigte Thiel sein Gewissen +in der Tat.</p> + +<p>Oft freilich und besonders in Augenblicken einsamer +Andacht, wenn er recht innig mit der Verstorbenen +<span class="pagenum"><a name="Page_16">16</a></span>verbunden gewesen war, sah er seinen jetzigen Zustand +im Lichte der Wahrheit und empfand davor +Ekel.</p> + +<p>Hatte er Tagdienst, so beschränkte sich sein geistiger +Verkehr mit der Verstorbenen auf eine Menge lieber +Erinnerungen aus der Zeit seines Zusammenlebens +mit ihr. Im Dunkel jedoch, wenn der Schneesturm +durch die Kiefern und über die Strecke raste, in tiefer +Mitternacht beim Scheine seiner Laterne, da wurde +das Wärterhäuschen zur Kapelle.</p> + +<p>Eine verblichene Photographie der Verstorbenen +vor sich auf dem Tisch, Gesangbuch und Bibel aufgeschlagen, +las und sang er abwechselnd die lange +Nacht hindurch, nur von den in Zwischenräumen +vorbeitobenden Bahnzügen unterbrochen, und geriet +hierbei in eine Ekstase, die sich zu Gesichten steigerte, +in denen er die Tote leibhaftig vor sich sah.</p> + +<p>Der Posten, den der Wärter nun schon zehn volle +Jahre ununterbrochen innehatte, war aber in seiner +Abgelegenheit dazu angetan, seine mystischen Neigungen +zu fördern.</p> + +<p>Nach allen vier Windrichtungen mindestens durch +einen dreiviertelstündigen Weg von jeder menschlichen +Wohnung entfernt, lag die Bude inmitten +<span class="pagenum"><a name="Page_17">17</a></span>des Forstes dicht neben einem Bahnübergang, dessen +Barrieren der Wärter zu bedienen hatte.</p> + +<p>Im Sommer vergingen Tage, im Winter Wochen, +ohne daß ein menschlicher Fuß, außer denen des +Wärters und seines Kollegen, die Strecke passierte. +Das Wetter und der Wechsel der Jahreszeiten brachten +in ihrer periodischen Wiederkehr fast die einzige Abwechslung +in diese Einöde. Die Ereignisse, welche im +übrigen den regelmäßigen Ablauf der Dienstzeit +Thiels außer den beiden Unglücksfällen unterbrochen +hatten, waren unschwer zu überblicken. Vor vier +Jahren war der kaiserliche Extrazug, der den Kaiser +nach Breslau gebracht hatte, vorübergejagt. In einer +Winternacht hatte der Schnellzug einen Rehbock +überfahren. An einem heißen Sommertage hatte +Thiel bei seiner Streckenrevision eine verkorkte Weinflasche +gefunden, die sich glühend heiß anfaßte und +deren Inhalt deshalb von ihm für sehr gut gehalten +wurde, weil er nach Entfernung des Korkes einer +Fontäne gleich herausquoll, also augenscheinlich gegoren +war. Diese Flasche, von Thiel in den seichten +Rand eines Waldsees gelegt, um abzukühlen, war von +dort auf irgend welche Weise abhanden gekommen, so +daß er noch nach Jahren ihren Verlust bedauern mußte.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_18">18</a></span> +Einige Zerstreuung vermittelte dem Wärter ein +Brunnen dicht hinter seinem Häuschen. Von Zeit +zu Zeit nahmen in der Nähe beschäftigte Bahn- oder +Telegraphenarbeiter einen Trunk daraus, wobei +natürlich ein kurzes Gespräch mit unterlief. Auch der +Förster kam zuweilen, um seinen Durst zu löschen.</p> + +<p>Tobias entwickelte sich nur langsam: erst gegen +Ablauf seines zweiten Lebensjahres lernte er notdürftig +sprechen und gehen. Dem Vater bewies er +eine ganz besondere Zuneigung. Wie er verständiger +wurde, erwachte auch die alte Liebe des Vaters +wieder. In dem Maße, wie diese zunahm, verringerte +sich die Liebe der Stiefmutter zu Tobias und schlug +sogar in unverkennbare Abneigung um, als Lene +nach Verlauf eines neuen Jahres ebenfalls einen +Jungen gebar.</p> + +<p>Von da ab begann für Tobias eine schlimme Zeit. +Er wurde besonders in Abwesenheit des Vaters unaufhörlich +geplagt und mußte ohne die geringste Belohnung +dafür seine schwachen Kräfte im Dienste des +kleinen Schreihalses einsetzen, wobei er sich mehr +und mehr aufrieb. Sein Kopf bekam einen ungewöhnlichen +Umfang; die brandroten Haare und das +kreidige Gesicht darunter machten einen unschönen +<span class="pagenum"><a name="Page_19">19</a></span>und im Verein mit der übrigen kläglichen Gestalt +erbarmungswürdigen Eindruck. Wenn sich der zurückgebliebene +Tobias solchergestalt, das kleine, von Gesundheit +strotzende Brüderchen auf dem Arme, +hinunter zur Spree schleppte, so wurden hinter den +Fenstern der Hütten Verwünschungen laut, die sich +jedoch niemals hervorwagten. Thiel aber, welchen +die Sache doch vor allem anging, schien keine Augen +für sie zu haben und wollte auch die Winke nicht verstehen, +welche ihm von wohlmeinenden Nachbarsleuten +gegeben wurden.</p> + + +<div class="new-h3"> </div> +<div><span class="pagenum"><a name="Page_20">20</a></span></div> +<h3>2</h3> + +<p class="dropcap">An einem Junimorgen gegen sieben Uhr kam +Thiel aus dem Dienst. Seine Frau hatte nicht so +bald ihre Begrüßung beendet, als sie schon in gewohnter +Weise zu lamentieren begann. Der Pachtacker, +welcher bisher den Kartoffelbedarf der Familie +gedeckt hatte, war vor Wochen gekündigt worden, +ohne daß es Lenen bisher gelungen war, einen Ersatz +dafür ausfindig zu machen. Wenngleich nun die +Sorge um den Acker zu ihren Obliegenheiten gehörte, +so mußte doch Thiel einmal übers andre hören, daß +niemand als er daran schuld sei, wenn man in diesem +Jahre zehn Sack Kartoffeln für schweres Geld kaufen +müsse. Thiel brummte nur und begab sich, Lenens +Reden wenig Beachtung schenkend, sogleich an das +Bett seines Ältesten, welches er in den Nächten, +wo er nicht im Dienst war, mit ihm teilte. Hier ließ +er sich nieder und beobachtete mit einem sorglichen +Ausdruck seines guten Gesichts das schlafende Kind, +welches er, nachdem er die zudringlichen Fliegen eine +Weile von ihm abgehalten, schließlich weckte. In den +<span class="pagenum"><a name="Page_21">21</a></span>blauen, tiefliegenden Augen des Erwachenden malte +sich eine rührende Freude. Er griff hastig nach der +Hand des Vaters, indes sich seine Mundwinkel zu +einem kläglichen Lächeln verzogen. Der Wärter half +ihm sogleich beim Anziehen der wenigen Kleidungsstücke, +wobei plötzlich etwas wie ein Schatten durch +seine Mienen lief, als er bemerkte, daß sich auf der +rechten, ein wenig angeschwollenen Backe einige +Fingerspuren weiß in rot abzeichneten.</p> + +<p>Als Lene beim Frühstück mit vergrößertem Eifer +auf vorberegte Wirtschaftsangelegenheit zurückkam, +schnitt er ihr das Wort ab mit der Nachricht, daß ihm +der Bahnmeister ein Stück Land längs des Bahndammes +in unmittelbarer Nähe des Wärterhauses +umsonst überlassen habe, angeblich weil es ihm, dem +Bahnmeister, zu abgelegen sei.</p> + +<p>Lene wollte das anfänglich nicht glauben. Nach +und nach wichen jedoch ihre Zweifel, und nun geriet +sie in merklich gute Laune. Ihre Fragen nach Größe +und Güte des Ackers sowie andre mehr verschlangen +sich förmlich, und als sie erfuhr, daß bei alledem noch +zwei Zwergobstbäume darauf stünden, wurde sie rein +närrisch. Als nichts mehr zu erfragen übrigblieb, +zudem die Türglocke des Krämers, die man, beiläufig +<span class="pagenum"><a name="Page_22">22</a></span>gesagt, in jedem einzelnen Hause des Ortes vernehmen +konnte, unaufhörlich anschlug, schoß sie davon, +um die Neuigkeit im Örtchen auszusprengen.</p> + +<p>Während Lene in die dunkle, mit Waren überfüllte +Kammer des Krämers kam, beschäftigte sich der Wärter +daheim ausschließlich mit Tobias. Der Junge saß +auf seinen Knien und spielte mit einigen Kieferzapfen, +die Thiel mit aus dem Walde gebracht hatte.</p> + +<p>»Was willst du werden?« fragte ihn der Vater, +und diese Frage war stereotyp wie die Antwort des +Jungen: »ein Bahnmeister.« Es war keine Scherzfrage, +denn die Träume des Wärters verstiegen sich +in der Tat in solche Höhen, und er hegte allen Ernstes +den Wunsch und die Hoffnung, daß aus Tobias mit +Gottes Hilfe etwas Außergewöhnliches werden sollte. +Sobald die Antwort »ein Bahnmeister« von den +blutlosen Lippen des Kleinen kam, der natürlich nicht +wußte, was sie bedeuten sollte, begann Thiels Gesicht +sich aufzuhellen, bis es förmlich strahlte von +innerer Glückseligkeit.</p> + +<p>»Geh, Tobias, geh spielen!« sagte er kurz darauf, +indem er eine Pfeife Tabak mit einem im Herdfeuer +entzündeten Span in Brand steckte, und der Kleine +drückte sich alsbald in scheuer Freude zur Türe hinaus. +<span class="pagenum"><a name="Page_23">23</a></span>Thiel entkleidete sich, ging zu Bett und entschlief, +nachdem er geraume Zeit gedankenvoll die niedrige +und rissige Stubendecke angestarrt hatte. Gegen +zwölf Uhr mittags erwachte er, kleidete sich an und ging, +während seine Frau in ihrer lärmenden Weise das +Mittagbrot bereitete, hinaus auf die Straße, wo er +<ins title="Tobiaschen">Tobiäschen</ins> sogleich aufgriff, der mit den Fingern +Kalk aus einem Loche in der Wand kratzte und in +den Mund steckte. Der Wärter nahm ihn bei der Hand +und ging mit ihm an den etwa acht Häuschen des +Ortes vorüber bis hinunter zur Spree, die schwarz +und glasig zwischen schwach belaubten Pappeln lag. +Dicht am Rande des Wassers befand sich ein Granitblock, +auf welchen Thiel sich niederließ.</p> + +<p>Der ganze Ort hatte sich gewöhnt, ihn bei nur +irgend erträglichem Wetter an dieser Stelle zu erblicken. +Die Kinder besonders hingen an ihm, nannten +ihn »Vater Thiel« und wurden von ihm besonders +in mancherlei Spielen unterrichtet, deren er sich aus +seiner Jugendzeit erinnerte. Das Beste jedoch von +dem Inhalt seiner Erinnerungen war für Tobias. +Er schnitzelte ihm Fitschepfeile, die höher flogen wie +die aller anderen Jungen. Er schnitt ihm Weidenpfeifchen +und ließ sich sogar herbei, mit seinem verrosteten +<span class="pagenum"><a name="Page_24">24</a></span>Baß das Beschwörungslied zu singen, während +er mit dem Horngriff seines Taschenmessers die Rinde +leise klopfte.</p> + +<p>Die Leute verübelten ihm seine Läppschereien; +es war ihnen unerfindlich, wie er sich mit den Rotznasen +so viel abgeben konnte. Im Grunde durften +sie jedoch damit zufrieden sein, denn die Kinder waren +unter seiner Obhut gut aufgehoben. Überdies nahm +Thiel auch ernste Dinge mit ihnen vor, hörte den +Großen ihre Schulaufgaben ab, half ihnen beim Lernen +der Bibel- und Gesangbuchverse und buchstabierte +mit den Kleinen »a« – »b« – »ab«, »d« +– »u« – »du« und so fort.</p> + +<p>Nach dem Mittagessen legte sich der Wärter abermals +zu kurzer Ruhe nieder. Nachdem sie beendigt +war, trank er den Nachmittagskaffee und begann +gleich darauf sich für den Gang in den Dienst vorzubereiten. +Er brauchte dazu, wie zu allen seinen +Verrichtungen, viel Zeit; jeder Handgriff war seit +Jahren geregelt; in stets gleicher Reihenfolge wanderten +die sorgsam auf der kleinen Nußbaumkommode +ausgebreiteten Gegenstände: Messer, Notizbuch, Kamm, +ein Pferdezahn, die alte eingekapselte Uhr in die +Taschen seiner Kleider. Ein kleines, in rotes Papier +<span class="pagenum"><a name="Page_25">25</a></span>eingeschlagenes Büchelchen wurde mit besonderer +Sorgfalt behandelt. Es lag während der Nacht unter +dem Kopfkissen des Wärters und wurde am Tage +von ihm stets in der Brusttasche des Dienstrockes +herumgetragen. Auf der Etikette unter dem Umschlag +stand in unbeholfenen, aber verschnörkelten Schriftzügen, +von Thiels Hand geschrieben: Sparkassenbuch +des Tobias Thiel.</p> + +<p>Die Wanduhr mit dem langen Pendel und dem +gelbsüchtigen Zifferblatt zeigte dreiviertel fünf, als +Thiel fortging. Ein kleiner Kahn, sein Eigentum, +brachte ihn über den Fluß. Am jenseitigen Spreeufer +blieb er einige Male stehen und lauschte nach dem +Ort zurück. Endlich bog er in einen breiten Waldweg +und befand sich nach wenigen Minuten inmitten des +tiefaufrauschenden Kiefernforstes, dessen Nadelmassen +einem schwarzgrünen, wellenwerfenden Meere glichen. +Unhörbar wie auf Filz schritt er über die feuchte Moos- +und Nadelschicht des Waldbodens. Er fand seinen +Weg ohne aufzublicken, hier durch die rostbraunen +Säulen des Hochwaldes, dort weiterhin durch dicht +verschlungenes Jungholz, noch weiter über ausgedehnte +Schonungen, die von einzelnen hohen und +schlanken Kiefern überschattet wurden, welche man +<span class="pagenum"><a name="Page_26">26</a></span>zum Schutze für den Nachwuchs aufbehalten hatte. +Ein bläulicher, durchsichtiger, mit allerhand Düften +geschwängerter Dunst stieg aus der Erde auf und ließ +die Formen der Bäume verwaschen erscheinen. Ein +schwerer, milchiger Himmel hing tief herab über die +Baumwipfel. Krähenschwärme badeten gleichsam +im Grau der Luft, unaufhörlich ihre knarrenden Rufe +ausstoßend. Schwarze Wasserlachen füllten die Vertiefungen +des Weges und spiegelten die trübe Natur +noch trüber <ins title="wieder">wider</ins>.</p> + +<p>»Ein <ins title="fruchtbares">furchtbares</ins> Wetter,« dachte Thiel, als er aus +tiefem Nachdenken erwachte und aufschaute.</p> + +<p>Plötzlich jedoch bekamen seine Gedanken eine andere +Richtung. Er fühlte dunkel, daß er etwas daheim +vergessen haben müsse, und wirklich vermißte er beim +Durchsuchen seiner Taschen das Butterbrot, welches +er der langen Dienstzeit halber stets mitzunehmen +genötigt war. Unschlüssig blieb er eine Weile stehen, +wandte sich dann aber plötzlich und eilte in der Richtung +des Dorfes zurück.</p> + +<p>In kurzer Zeit hatte er die Spree erreicht, setzte mit +wenigen kräftigen Ruderschlägen über und stieg gleich +darauf, am ganzen Körper schwitzend, die sanft ansteigende +Dorfstraße hinauf. Der alte, schäbige Pudel +<span class="pagenum"><a name="Page_27">27</a></span>des Krämers lag mitten auf der Straße. Auf dem +geteerten Plankenzaune eines Kossätenhofes saß eine +Nebelkrähe. Sie spreizte die Federn, schüttelte sich, +nickte, stieß ein ohrenzerreißendes »krä«, »krä« aus +und erhob sich mit pfeifendem Flügelschlag, um sich +vom Winde in der Richtung des Forstes davontreiben +zu lassen.</p> + +<p>Von den Bewohnern der kleinen Kolonie, etwa +zwanzig Fischern und Waldarbeitern mit ihren Familien, +war nichts zu sehen.</p> + +<p>Der Ton einer kreischenden Stimme unterbrach +die Stille so laut und schrill, daß der Wärter unwillkürlich +mit Laufen innehielt. Ein Schwall heftig +herausgestoßener, mißtönender Laute schlug an sein +Ohr, die aus dem offenen Giebelfenster eines niedrigen +Häuschens zu kommen schienen, welches er +nur zu wohl kannte.</p> + +<p>Das Geräusch seiner Schritte nach Möglichkeit +dämpfend, schlich er sich näher und unterschied nun +ganz deutlich die Stimme seiner Frau. Nur noch +wenige Bewegungen, und die meisten ihrer Worte +wurden ihm verständlich.</p> + +<p>»Was, du unbarmherziger, herzloser Schuft! Soll +sich das elende Wurm die Plautze ausschreien vor +<span class="pagenum"><a name="Page_28">28</a></span>Hunger? – wie? Na wart nur, wart, ich will dich +lehren aufpassen! – Du sollst dran denken.« Einige +Augenblicke blieb es still; dann hörte man ein Geräusch, +wie wenn Kleidungsstücke ausgeklopft würden; unmittelbar +darauf entlud sich ein neues Hagelwetter +von Schimpfworten.</p> + +<p>»Du erbärmlicher Grünschnabel,« scholl es im +schnellsten Tempo herunter, »meinst du, ich sollte mein +leibliches Kind wegen solch einem Jammerlappen, +wie du bist, verhungern lassen?« »Halts Maul!« schrie +es, als ein leises Wimmern hörbar wurde, »oder du +sollst eine Portion kriegen, an der du acht Tage zu +fressen hast.«</p> + +<p>Das Wimmern verstummte nicht.</p> + +<p>Der Wärter fühlte, wie sein Herz in schweren, +unregelmäßigen Schlägen ging. Er begann leise zu +zittern. Seine Blicke hingen wie abwesend am Boden +fest, und die plumpe und harte Hand strich mehrmals +ein Büschel nasser Haare zur Seite, das immer von +neuem in die sommersprossige Stirne hinein fiel.</p> + +<p>Einen Augenblick drohte es ihn zu überwältigen. +Es war ein Krampf, der die Muskeln schwellen machte +und die Finger der Hand zur Faust zusammenzog. +Es ließ nach, und dumpfe Mattigkeit blieb zurück.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_29">29</a></span> +Unsicheren Schrittes trat der Wärter in den engen, +ziegelgepflasterten Hausflur. Müde und langsam +erklomm er die knarrende Holzstiege.</p> + +<p>»Pfui, pfui, pfui!« hob es wieder an; dabei hörte +man, wie jemand dreimal hintereinander mit allen +Zeichen der Wut und Verachtung ausspie. »Du erbärmlicher, +niederträchtiger, hinterlistiger, hämischer, +feiger, gemeiner Lümmel.« Die Worte folgten einander +in steigender Betonung, und die Stimme, +welche sie herausstieß, schnappte zuweilen über vor +Anstrengung. »Meinen Buben willst du schlagen, +was? Du elende Göre unterstehst dich, das arme, +hilflose Kind aufs Maul zu schlagen? – wie? – he, +wie? – Ich will mich nur nicht dreckig machen an dir, +sonst …«</p> + +<p>In diesem Augenblick öffnete Thiel die Tür des +Wohnzimmers, weshalb der erschrockenen Frau das +Ende des begonnenen Satzes in der Kehle stecken +blieb. Sie war kreidebleich vor Zorn; ihre Lippen +zuckten bösartig; sie hatte die Rechte erhoben, senkte +sie und griff nach dem Milchtopf, aus dem sie ein +Kinderfläschchen voll zu füllen versuchte. Sie ließ +jedoch diese Arbeit, da der größte Teil der Milch über +den Flaschenhals auf den Tisch rann, halb verrichtet, +<span class="pagenum"><a name="Page_30">30</a></span>griff vollkommen fassungslos vor Erregung bald nach +diesem, bald nach jenem Gegenstand, ohne ihn länger +als einige Augenblicke festhalten zu können und ermannte +sich endlich soweit, ihren Mann heftig anzulassen: +was es denn heißen solle, daß er um diese ungewöhnliche +Zeit nach Hause käme, er würde sie doch +nicht etwa gar belauschen wollen; »das wäre noch das +Letzte,« meinte sie, und gleich darauf: sie habe ein +reines Gewissen und brauche vor niemand die Augen +niederzuschlagen.</p> + +<p>Thiel hörte kaum, was sie sagte. Seine Blicke +streiften flüchtig das heulende Tobiäschen. Einen +Augenblick schien es, als müsse er gewaltsam etwas +Furchtbares zurückhalten, was in ihm aufstieg; dann +legte sich über die gespannten Mienen plötzlich das +alte Phlegma, von einem verstohlnen begehrlichen Aufblitzen +der Augen seltsam belebt. Sekundenlang spielte +sein Blick über den starken Gliedmaßen seines Weibes, +das, mit abgewandtem Gesicht herumhantierend, noch +immer nach Fassung suchte. Ihre vollen, halbnackten +Brüste blähten sich vor Erregung und drohten das +Mieder zu sprengen, und ihre aufgerafften Röcke +ließen die breiten Hüften noch breiter erscheinen. +Eine Kraft schien von dem Weibe auszugehen, unbezwingbar, +<span class="pagenum"><a name="Page_31">31</a></span>unentrinnbar, der Thiel sich nicht gewachsen +fühlte.</p> + +<p>Leicht gleich einem feinen Spinngewebe und doch +fest wie ein Netz von Eisen legte es sich um ihn, fesselnd, +überwindend, erschlaffend. Er hätte in diesem Zustand +überhaupt kein Wort an sie zu richten vermocht, +am allerwenigsten ein hartes, und so mußte Tobias, +der in Tränen gebadet und verängstet in einer Ecke +hockte, sehen, wie der Vater, ohne sich auch nur weiter +nach ihm umzuschauen, das vergessene Brot von der +Ofenbank nahm, es der Mutter als einzige Erklärung +hinhielt und mit einem kurzen, zerstreuten Kopfnicken +sogleich wieder verschwand.</p> + + +<div class="new-h3"> </div> +<div><span class="pagenum"><a name="Page_32">32</a></span></div> +<h3>3</h3> + +<p class="dropcap">Obgleich Thiel den Weg in seine Waldeinsamkeit +mit möglichster Eile zurücklegte, kam er doch erst +fünfzehn Minuten nach der ordnungsmäßigen Zeit +an den Ort seiner Bestimmung.</p> + +<p>Der Hilfswärter, ein infolge des bei seinem Dienst unumgänglichen, +schnellen Temperaturwechsels schwindsüchtig +gewordener Mensch, der mit ihm im Dienst +abwechselte, stand schon fertig zum Aufbruch auf der +kleinen, sandigen Plattform des Häuschens, dessen +große Nummer schwarz auf weiß weithin durch die +Stämme leuchtete.</p> + +<p>Die beiden Männer reichten sich die Hände, machten +sich einige kurze Mitteilungen und trennten sich. Der +eine verschwand im Innern der Bude, der andere +ging quer über die Strecke, die Fortsetzung jener +Straße benutzend, welche Thiel gekommen war. Man +hörte sein krampfhaftes Husten erst näher, dann ferner +durch die Stämme, und mit ihm verstummte der +einzige menschliche Laut in dieser Einöde. Thiel +begann wie immer so auch heute damit, das enge, +<span class="pagenum"><a name="Page_33">33</a></span>viereckige Steingebauer der Wärterbude auf seine +Art für die Nacht herzurichten. Er tat es mechanisch, +während sein Geist mit dem Eindruck der letzten +Stunden beschäftigt war. Er legte sein Abendbrot +auf den schmalen, braungestrichenen Tisch an einem +der beiden schlitzartigen Seitenfenster, von denen aus +man die Strecke bequem übersehen konnte. Hierauf +entzündete er in dem kleinen, rostigen Öfchen ein +Feuer und stellte einen Topf kalten Wassers darauf. +Nachdem er schließlich noch in die Gerätschaften +Schaufel, Spaten, Schraubstock usw. einige Ordnung +gebracht hatte, begab er sich ans Putzen seiner Laterne, +die er zugleich mit frischem Petroleum versorgte.</p> + +<p>Als dies geschehen war, meldete die Glocke mit drei +schrillen Schlägen, die sich wiederholten, daß ein Zug +in der Richtung von Breslau her aus der nächstliegenden +Station abgelassen sei. Ohne die mindeste Hast +zu zeigen, blieb Thiel noch eine gute Weile im Innern +der Bude, trat endlich, Fahne und Patronentasche in +der Hand, langsam ins Freie und bewegte sich trägen +und schlürfenden Ganges über den schmalen Sandpfad, +dem etwa zwanzig Schritt entfernten Bahnübergang +zu. Seine Barrieren schloß und öffnete +<span class="pagenum"><a name="Page_34">34</a></span>Thiel vor und nach jedem Zuge gewissenhaft, obgleich +der Weg nur selten von jemand passiert wurde.</p> + +<p>Er hatte seine Arbeit beendet und lehnte jetzt +wartend an der schwarzweißen Sperrstange.</p> + +<p>Die Strecke schnitt rechts und links gradlinig in +den unabsehbaren, grünen Forst hinein; zu ihren +beiden Seiten stauten die Nadelmassen gleichsam +zurück, zwischen sich eine Gasse freilassend, die der +rötlichbraune, kiesbestreute Bahndamm ausfüllte. +Die schwarzen parallellaufenden Geleise darauf +glichen in ihrer Gesamtheit einer ungeheuren, eisernen +Netzmasche, deren schmale Strähne sich im äußersten +Süden und Norden in einem Punkte des Horizontes +zusammenzogen.</p> + +<p>Der Wind hatte sich erhoben und trieb leise Wellen +den Waldrand hinunter und in die Ferne hinein. +Aus den Telegraphenstangen, die die Strecke begleiteten, +tönten summende Akkorde. Auf den Drähten, +die sich wie das Gewebe einer Riesenspinne von +Stange zu Stange fortrankten, klebten in dichten +Reihen Scharen zwitschernder Vögel. Ein Specht +flog lachend über Thiels Kopf weg, ohne daß er eines +Blickes gewürdigt wurde.</p> + +<p>Die Sonne, welche soeben unter dem Rande +<span class="pagenum"><a name="Page_35">35</a></span>mächtiger Wolken herabhing, um in das schwarzgrüne +Wipfelmeer zu versinken, goß Ströme von Purpur +über den Forst. Die Säulenarkaden der Kiefernstämme +jenseit des Dammes entzündeten sich gleichsam +von innen heraus und glühten wie Eisen.</p> + +<p>Auch die Geleise begannen zu glühen, feurigen +Schlangen gleich, aber sie erloschen zuerst. Und nun +stieg die Glut langsam vom Erdboden in die Höhe, +erst die Schäfte der Kiefern, weiter den größten Teil +ihrer Kronen in kaltem Verwesungslichte zurücklassend, +zuletzt nur noch den äußersten Rand der Wipfel +mit einem rötlichen Schimmer streifend. Lautlos +und feierlich vollzog sich das erhabene Schauspiel. +Der Wärter stand noch immer regungslos an der +Barriere. Endlich trat er einen Schritt vor. Ein +dunkler Punkt am Horizonte, da wo die Geleise sich +trafen, vergrößerte sich. Von Sekunde zu Sekunde +wachsend, schien er doch auf einer Stelle zu stehen. +Plötzlich bekam er Bewegung und näherte sich. Durch +die Geleise ging ein Vibrieren und Summen, ein +rhythmisches Geklirr, ein dumpfes Getöse, das, lauter +und lauter werdend, zuletzt den Hufschlägen eines +heranbrausenden Reitergeschwaders nicht unähnlich +war.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_36">36</a></span> +Ein Keuchen und Brausen schwoll stoßweise fernher +durch die Luft. Dann plötzlich zerriß die Stille. Ein +rasendes Tosen und Toben erfüllte den Raum, die +Geleise bogen sich, die Erde zitterte – ein starker Luftdruck +– eine Wolke von Staub, Dampf und Qualm, +und das schwarze, schnaubende Ungetüm war vorüber. +So wie sie anwuchsen, starben nach und nach +die Geräusche. Der Dunst verzog sich. Zum Punkte +eingeschrumpft, schwand der Zug in der Ferne, und +das alte heilge Schweigen schlug über dem Waldwinkel +zusammen.</p> + +<hr class="thought-break"/> + +<p class="dropcap">»Minna,« flüsterte der Wärter wie aus einem +Traum erwacht und ging nach seiner Bude zurück. +Nachdem er sich einen dünnen Kaffee aufgebrüht, +ließ er sich nieder und starrte, von Zeit zu Zeit einen +Schluck zu sich nehmend, auf ein schmutziges Stück +Zeitungspapier, das er irgendwo an der Strecke aufgelesen.</p> + +<p>Nach und nach überkam ihn eine seltsame Unruhe. +Er schob es auf die Backofenglut, welche das Stübchen +erfüllte, und riß Rock und Weste auf, um sich zu erleichtern. +Wie das nichts half, erhob er sich, nahm einen +<span class="pagenum"><a name="Page_37">37</a></span>Spaten aus der Ecke und begab sich auf das geschenkte +Äckerchen.</p> + +<p>Es war ein schmaler Streifen Sandes, von Unkraut +dicht überwuchert. Wie schneeweißer Schaum lag +die junge Blütenpracht auf den Zweigen der beiden +Zwergobstbäumchen, welche darauf standen.</p> + +<p>Thiel wurde ruhig und ein stilles Wohlgefallen +beschlich ihn.</p> + +<p>Nun also an die Arbeit.</p> + +<p>Der Spaten schnitt knirschend in das Erdreich; +die nassen Schollen fielen dumpf zurück und bröckelten +auseinander.</p> + +<p>Eine Zeitlang grub er ohne Unterbrechung. Dann +hielt er plötzlich inne und sagte laut und vernehmlich +vor sich hin, indem er dazu bedenklich den Kopf hin +und her wiegte: »Nein, nein, das geht ja nicht,« und +wieder: »nein, nein, das geht ja gar nicht.«</p> + +<p>Es war ihm plötzlich eingefallen, daß ja nun Lene +des öftern herauskommen würde, um den Acker zu +bestellen, wodurch dann die hergebrachte Lebensweise +in bedenkliche Schwankungen geraten mußte. Und +jäh verwandelte sich seine Freude über den Besitz +des Ackers in Widerwillen. Hastig, wie wenn er etwas +Unrechtes zu tun im Begriff gestanden hätte, riß er +<span class="pagenum"><a name="Page_38">38</a></span>den Spaten aus der Erde und trug ihn nach der Bude +zurück. Hier versank er abermals in dumpfe Grübelei. +Er wußte kaum warum, aber die Aussicht, Lene ganze +Tage lang bei sich im Dienst zu haben, wurde ihm, +so sehr er auch versuchte, sich damit zu versöhnen, +immer unerträglicher. Es kam ihm vor, als habe er +etwas ihm Wertes zu verteidigen, als versuchte jemand +sein Heiligstes anzutasten, und unwillkürlich +spannten sich seine Muskeln in gelindem Krampfe, +während ein kurzes herausforderndes Lachen seinen +Lippen entfuhr. Vom Widerhall dieses Lachens +erschreckt, blickte er auf und verlor dabei den Faden +seiner Betrachtungen. Als er ihn wiedergefunden, +wühlte er sich gleichsam in den alten Gegenstand.</p> + +<p>Und plötzlich zerriß etwas wie ein dichter, schwarzer +Vorhang in zwei Stücke, und seine umnebelten Augen +gewannen einen klaren Ausblick. Es war ihm auf +einmal zumute, als erwache er aus einem zweijährigen +totenähnlichen Schlaf und betrachte nun mit +ungläubigem Kopfschütteln all das Haarsträubende, +welches er in diesem Zustand begangen haben sollte. +Die Leidensgeschichte seines Ältesten, welche die Eindrücke +der letzten Stunden nur noch hatten besiegeln +können, trat deutlich vor seine Seele. Mitleid und +<span class="pagenum"><a name="Page_39">39</a></span>Reue ergriff ihn, sowie auch eine tiefe Scham darüber, +daß er diese ganze Zeit in schmachvoller Duldung +hingelebt hatte, ohne sich des lieben, hilflosen Geschöpfes +anzunehmen, ja, ohne nur die Kraft zu finden, +sich einzugestehen, wie sehr dieses litt.</p> + +<p>Über den selbstquälerischen Vorstellungen all seiner +Unterlassungssünden überkam ihn eine schwere Müdigkeit, +und so entschlief er mit gekrümmtem Rücken, +die Stirn auf die Hand, diese auf den Tisch gelegt.</p> + +<p>Eine Zeitlang hatte er so gelegen, als er mit erstickter +Stimme mehrmals den Namen »Minna« rief.</p> + +<p>Ein Brausen und Sausen füllte sein Ohr, wie von +unermeßlichen Wassermassen; es wurde dunkel um +ihn, er riß die Augen auf und erwachte. Seine Glieder +flogen, der Angstschweiß drang ihm aus allen Poren, +sein Puls ging unregelmäßig, sein Gesicht war naß +von Tränen.</p> + +<p>Es war stockdunkel. Er wollte einen Blick nach der +Tür werfen, ohne zu wissen, wohin er sich wenden +sollte. Taumelnd erhob er sich, noch immer währte +seine Herzensangst. Der Wald draußen rauschte wie +Meeresbrandung, der Wind warf Hagel und Regen +gegen die Fenster des Häuschens. Thiel tastete ratlos +mit den Händen umher. Einen Augenblick kam er sich +<span class="pagenum"><a name="Page_40">40</a></span>vor wie ein Ertrinkender – da plötzlich flammte es +bläulich blendend auf, wie wenn Tropfen überirdischen +Lichtes in die dunkle Erdatmosphäre herabsänken, +um sogleich von ihr erstickt zu werden.</p> + +<p>Der Augenblick genügte, um den Wärter zu sich +selbst zu bringen. Er griff nach seiner Laterne, die er +auch glücklich zu fassen bekam, und in diesem Augenblick +erwachte der Donner am fernsten Saume des +märkischen Nachthimmels. Erst dumpf und verhalten +grollend, wälzte er sich näher in kurzen, brandenden +Erzwellen, bis er, zu Riesenstößen anwachsend, sich +endlich, die ganze Atmosphäre überflutend, dröhnend, +schütternd und brausend entlud.</p> + +<p>Die Scheiben klirrten, die Erde erbebte.</p> + +<p>Thiel hatte Licht gemacht. Sein erster Blick, nachdem +er die Fassung wieder gewonnen, galt der Uhr. +Es lagen kaum fünf Minuten zwischen jetzt und der +Ankunft des Schnellzuges. Da er glaubte, das Signal +überhört zu haben, begab er sich, so schnell als Sturm +und Dunkelheit erlaubten, nach der Barriere. Als er +noch damit beschäftigt war, diese zu schließen, erklang +die Signalglocke. Der Wind zerriß ihre Töne und warf +sie nach allen Richtungen auseinander. Die Kiefern +bogen sich und rieben unheimlich knarrend und +<span class="pagenum"><a name="Page_41">41</a></span>quietschend ihre Zweige aneinander. Einen Augenblick +wurde der Mond sichtbar, wie er gleich einer +blaßgoldenen Schale zwischen den Wolken lag. In +seinem Lichte sah man das Wühlen des Windes in +den schwarzen Kronen der Kiefern. Die Blattgehänge +der Birken am Bahndamm wehten und flatterten +wie gespenstige Roßschweife. Darunter lagen die +Linien der Geleise, welche, vor Nässe glänzend, das +blasse Mondlicht in einzelnen Flecken aufsogen.</p> + +<p>Thiel riß die Mütze vom Kopfe. Der Regen tat +ihm wohl und lief vermischt mit Tränen über sein Gesicht. +Es gärte in seinem Hirn; unklare Erinnerungen +an das, was er im Traum gesehen, verjagten einander. +Es war ihm gewesen, als würde Tobias von jemand +mißhandelt und zwar auf eine so entsetzliche Weise, +daß ihm noch jetzt bei dem Gedanken daran das Herz +stille stand. Einer anderen Erscheinung erinnerte er +sich deutlicher. Er hatte seine verstorbene Frau gesehen. +Sie war irgendwoher aus der Ferne gekommen, +auf einem der Bahngeleise. Sie hatte recht kränklich +ausgesehen und statt der Kleider hatte sie Lumpen getragen. +Sie war an Thiels Häuschen vorübergekommen, +ohne sich danach umzuschauen und schließlich – hier +wurde die Erinnerung undeutlich – war sie aus +<span class="pagenum"><a name="Page_42">42</a></span>irgend welchem Grunde nur mit großer Mühe vorwärts +gekommen und sogar mehrmals zusammengebrochen.</p> + +<p>Thiel dachte weiter nach, und nun wußte er, daß +sie sich auf der Flucht befunden hatte. Es lag außer +allem Zweifel, denn weshalb hätte sie sonst diese +Blicke voll Herzensangst nach rückwärts gesandt und +sich weiter geschleppt, obgleich ihr die Füße den Dienst +versagten. O diese entsetzlichen Blicke!</p> + +<p>Aber es war etwas, das sie mit sich trug, in Tücher +gewickelt, etwas Schlaffes, Blutiges, Bleiches, und die +Art, mit der sie darauf niederblickte, erinnerte ihn an +Szenen der Vergangenheit.</p> + +<p>Er dachte an eine sterbende Frau, die ihr kaum geborenes +Kind, das sie zurücklassen mußte, unverwandt +anblickte, mit einem Ausdruck tiefsten Schmerzes, +unfaßbarer Qual, jenem Ausdruck, den Thiel ebensowenig +vergessen konnte, als daß er einen Vater und +eine Mutter habe.</p> + +<p>Wo war sie hingekommen? Er wußte es nicht. Das +aber trat ihm klar vor die Seele: sie hatte sich von +ihm losgesagt, ihn nicht beachtet, sie hatte sich fortgeschleppt +immer weiter und weiter durch die stürmische, +dunkle Nacht. Er hatte sie gerufen: »Minna, +Minna,« und davon war er erwacht.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_43">43</a></span> +Zwei rote, runde Lichter durchdrangen wie die +Glotzaugen eines riesigen Ungetüms die Dunkelheit. +Ein blutiger Schein ging vor ihnen her, der die Regentropfen +in seinem Bereich in Blutstropfen verwandelte. +Es war, als fiele ein Blutregen vom Himmel.</p> + +<p>Thiel fühlte ein Grauen, und je näher der Zug +kam, eine um so größere Angst; Traum und Wirklichkeit +verschmolzen ihm in eins. Noch immer sah +er das wandernde Weib auf den Schienen, und seine +Hand irrte nach der Patronentasche, als habe er die +Absicht, den rasenden Zug zum Stehen zu bringen. +Zum Glück war es zu spät, denn schon flirrte es vor +Thiels Augen von Lichtern, und der Zug raste vorüber.</p> + +<p>Den übrigen Teil der Nacht fand Thiel wenig +Ruhe mehr in seinem Dienst. Es drängte ihn daheim +zu sein. Er sehnte sich, Tobiäschen wiederzusehen. +Es war ihm zumute, als sei er durch Jahre von ihm +getrennt gewesen. Zuletzt war er in steigender Bekümmernis +um das Befinden des Jungen mehrmals +versucht, den Dienst zu verlassen.</p> + +<p>Um die Zeit hinzubringen beschloß Thiel, sobald +es dämmerte, seine Strecke zu revidieren. In der +Linken einen Stock, in der Rechten einen langen, +eisernen Schraubschlüssel schritt er denn auch alsbald +<span class="pagenum"><a name="Page_44">44</a></span>auf dem Rücken einer Bahnschiene in das schmutzig +graue Zwielicht hinein.</p> + +<p>Hin und wieder zog er mit dem Schraubschlüssel +einen Bolzen fest oder schlug an eine der runden Eisenstangen, +welche die Geleise untereinander verbanden.</p> + +<p>Regen und Wind hatten nachgelassen, und zwischen +zerschlissenen Wolkenschichten wurden hie und da +Stücke eines blaßblauen Himmels sichtbar.</p> + +<p>Das eintönige Klappen der Sohlen auf dem harten +Metall, verbunden mit dem schläfrigen Geräusch der +tropfenschüttelnden Bäume beruhigte Thiel nach und +nach.</p> + +<p>Um sechs Uhr früh wurde er abgelöst und trat ohne +Verzug den Heimweg an.</p> + +<p>Es war ein herrlicher Sonntagmorgen.</p> + +<p>Die Wolken hatten sich zerteilt und waren mittlerweile +hinter den Umkreis des Horizontes hinabgesunken. +Die Sonne goß, im Aufgehen gleich einem +ungeheuren blutroten Edelstein funkelnd, wahre Lichtmassen +über den Forst.</p> + +<p>In scharfen Linien schossen die Strahlenbündel +durch das Gewirr der Stämme, hier eine Insel zarter +Farnkräuter, deren Wedel feingeklöppelten Spitzen +glichen, mit Glut behauchend, dort die silbergrauen +<span class="pagenum"><a name="Page_45">45</a></span>Flechten des Waldgrundes zu roten Korallen umwandelnd.</p> + +<p>Von Wipfeln, Stämmen und Gräsern floß der +Feuertau. Eine Sintflut von Licht schien über die +Erde ausgegossen. Es lag eine Frische in der Luft, +die bis ins Herz drang, und auch hinter Thiels Stirn +mußten die Bilder der Nacht allmählich verblassen.</p> + +<p>Mit dem Augenblick jedoch, wo er in die Stube +trat und Tobiäschen rotwangiger als je im sonnenbeschienenen +Bette liegen sah, waren sie ganz verschwunden.</p> + +<p>Wohl wahr! Im Verlauf des Tages glaubte Lene +mehrmals etwas Befremdliches an ihm wahrzunehmen; +so im Kirchstuhl, als er, statt ins Buch zu schauen, sie +selbst von der Seite betrachtete, und dann auch um die +Mittagszeit, als er, ohne ein Wort zu sagen, das Kleine, +welches Tobias wie gewöhnlich auf die Straße tragen +sollte, aus dessen Arm nahm und ihr auf den Schoß +setzte. Sonst aber hatte er nicht das geringste Auffällige +an sich.</p> + +<p>Thiel, der den Tag über nicht dazu gekommen war, +sich niederzulegen, kroch, da er die folgende Woche +Tagdienst hatte, bereits gegen neun Uhr abends ins +Bett. Gerade als er im Begriff war einzuschlafen, +<span class="pagenum"><a name="Page_46">46</a></span>eröffnete ihm die Frau, daß sie am folgenden Morgen +mit nach dem Walde gehen werde, um das Land umzugraben +und Kartoffeln zu stecken.</p> + +<p>Thiel zuckte zusammen; er war ganz wach geworden, +hielt jedoch die Augen fest geschlossen.</p> + +<p>Es sei die höchste Zeit, meinte Lene, wenn aus den +Kartoffeln noch etwas werden sollte, und fügte bei, +daß sie die Kinder werde mitnehmen müssen, da vermutlich +der ganze Tag draufgehen würde. Der Wärter +brummte einige unverständliche Worte, die Lene +weiter nicht beachtete. Sie hatte ihm den Rücken +gewandt und war beim Scheine eines Talglichtes +damit beschäftigt, das Mieder aufzunesteln und die +Röcke herabzulassen.</p> + +<p>Plötzlich fuhr sie herum, ohne selbst zu wissen aus +welchem Grunde, und blickte in das von Leidenschaften +verzerrte, erdfarbene Gesicht ihres Mannes, der sie, +halb aufgerichtet, die Hände auf der Bettkante, mit +brennenden Augen anstarrte.</p> + +<p>»Thiel!« – schrie die Frau halb zornig, halb erschreckt, +und wie ein Nachtwandler, den man bei +Namen ruft, erwachte er aus seiner Betäubung, +stotterte einige verwirrte Worte, warf sich in die Kissen +zurück und zog das Deckbett über die Ohren.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_47">47</a></span> +Lene war die erste, welche sich am folgenden Morgen +vom Bett erhob. Ohne dabei Lärm zu machen, bereitete +sie alles Nötige für den Ausflug vor. Der +Kleinste wurde in den Kinderwagen gelegt, darauf +Tobias geweckt und angezogen. Als er erfuhr, wohin +es gehen sollte, mußte er lächeln. Nachdem alles +bereit war und auch der Kaffee fertig auf dem Tisch +stand, erwachte Thiel. Mißbehagen war sein erstes +Gefühl beim Anblick all der getroffenen Vorbereitungen. +Er hätte wohl gern ein Wort dagegen gesagt, +aber er wußte nicht, womit beginnen. Und welche für +Lene stichhaltigen Gründe hätte er auch angeben +sollen?</p> + +<p>Allmählich begann dann das mehr und mehr +strahlende Gesichtchen seinen Einfluß auf Thiel zu +üben, so daß er schließlich schon um der Freude willen, +welche dem Jungen der Ausflug bereitete, nicht +daran denken konnte, Widerspruch zu erheben. Nichtsdestoweniger +blieb Thiel während der Wanderung +durch den Wald nicht frei von Unruhe. Er stieß das +Kinderwägelchen mühsam durch den tiefen Sand +und hatte allerhand Blumen darauf liegen, die Tobias +gesammelt hatte.</p> + +<p>Der Junge war ausnehmend lustig. Er hüpfte in +<span class="pagenum"><a name="Page_48">48</a></span>seinem braunen Plüschmützchen zwischen den Farnkräutern +umher und suchte auf eine freilich etwas +unbeholfene Art die glasflügligen Libellen zu fangen, +die darüber hingaukelten. Sobald man angelangt +war, nahm Lene den Acker in Augenschein. Sie warf +das Säckchen mit Kartoffelstücken, welches sie zur +Saat mitgebracht hatte, auf den Grasrand eines +kleinen Birkengehölzes, kniete nieder und ließ den +etwas dunkel gefärbten Sand durch ihre harten Finger +laufen.</p> + +<p>Thiel beobachtete sie gespannt: »Nun, wie ist er?«</p> + +<p>»Reichlich so gut wie die Spree-Ecke!« Dem Wärter +fiel eine Last von der Seele. Er hatte gefürchtet, sie +würde unzufrieden sein, und kratzte beruhigt seine +Bartstoppeln.</p> + +<p>Nachdem die Frau hastig eine dicke Brotkante verzehrt +hatte, warf sie Tuch und Jacke fort und begann +zu graben, mit der Geschwindigkeit und Ausdauer +einer Maschine. In bestimmten Zwischenräumen +richtete sie sich auf und holte in tiefen Zügen Luft, +aber es war jeweilig nur ein Augenblick, wenn nicht +etwa das Kleine gestillt werden mußte, was mit +keuchender, schweißtropfender Brust hastig geschah.</p> + +<p>»Ich muß die Strecke belaufen, ich werde Tobias +<span class="pagenum"><a name="Page_49">49</a></span>mitnehmen,« rief der Wärter nach einer Weile von +der Plattform vor der Bude aus zu ihr herüber.</p> + +<p>»Ach was – Unsinn!« schrie sie zurück, »wer soll +bei dem Kleinen bleiben?« – »Hierher kommst du!« +setzte sie noch lauter hinzu, während der Wärter, als +ob er sie nicht hören könne, mit Tobiäschen davonging.</p> + +<p>Im ersten Augenblick erwog sie, ob sie nicht nachlaufen +solle, und nur der Zeitverlust bestimmte sie, +davon abzustehen. Thiel ging mit Tobias die Strecke +entlang. Der Kleine war nicht wenig erregt; alles +war ihm neu, fremd. Er begriff nicht, was die schmalen, +schwarzen, vom Sonnenlicht erwärmten Schienen +zu bedeuten hatten. Unaufhörlich tat er allerhand +sonderbare Fragen. Vor allem verwunderlich war +ihm das Klingen der Telegraphenstangen. Thiel +kannte den Ton jeder einzelnen seines Reviers, so +daß er mit geschlossenen Augen stets gewußt haben +würde, in welchem Teil der Strecke er sich gerade +befand.</p> + +<p>Oft blieb er, Tobiäschen an der Hand, stehen, um +den wunderbaren Lauten zu lauschen, die aus dem +Holze wie sonore Choräle aus dem Innern einer +Kirche hervorströmten. Die Stange am Südende des +Reviers hatte einen besonders vollen und schönen +<span class="pagenum"><a name="Page_50">50</a></span>Akkord. Es war ein Gewühl von Tönen in ihrem +Innern, die ohne Unterbrechung gleichsam in einem +Atem fortklangen, und Tobias lief rings um das verwitterte +Holz, um, wie er glaubte, durch eine Öffnung +die Urheber des lieblichen Getöns zu entdecken. Der +Wärter wurde weihevoll gestimmt, ähnlich wie in der +Kirche. Zudem unterschied er mit der Zeit eine +Stimme, die ihn an seine verstorbene Frau erinnerte. +Er stellte sich vor, es sei ein Chor seliger Geister, in den +sie ja auch ihre Stimme mische, und diese Vorstellung +erweckte in ihm eine Sehnsucht, eine Rührung bis +zu Tränen.</p> + +<p>Tobias verlangte nach den Blumen, die seitab +standen, und Thiel wie immer gab ihm nach.</p> + +<p>Stücke blauen Himmels schienen auf den Boden +des Haines herabgesunken, so wunderbar dicht standen +kleine, blaue Blüten darauf. Farbigen Wimpeln +gleich flatterten und gaukelten die Schmetterlinge +lautlos zwischen dem leuchtenden Weiß der Stämme, +indes durch die zartgrünen Blätterwolken der Birkenkronen +ein sanftes Rieseln ging.</p> + +<p>Tobias rupfte Blumen und der Vater schaute ihm +sinnend zu. Zuweilen auch erhob sich der Blick des +letzteren und suchte durch die Lücken der Blätter den +<span class="pagenum"><a name="Page_51">51</a></span>Himmel, der wie eine riesige, makellos blaue Kristallschale +das Goldlicht der Sonne auffing.</p> + +<p>»Vater, ist das der liebe Gott?« fragte der Kleine +plötzlich, auf ein braunes Eichhörnchen deutend, das +unter kratzenden Geräuschen am Stamme einer alleinstehenden +Kiefer hinanhuschte.</p> + +<p>»Närrischer Kerl,« war alles, was Thiel erwidern +konnte, während losgerissene Borkenstückchen den +Stamm herunter vor seine Füße fielen.</p> + +<p>Die Mutter grub noch immer, als Thiel und Tobias +zurückkamen. Die Hälfte des Ackers war bereits +umgeworfen.</p> + +<p>Die Bahnzüge folgten einander in kurzen Zwischenräumen, +und Tobias sah sie jedesmal mit offenem +Munde vorübertoben.</p> + +<p>Die Mutter selbst hatte ihren Spaß an seinen +drolligen Grimassen.</p> + +<p>Das Mittagessen, bestehend aus Kartoffeln und einem +Restchen kalten Schweinebraten, verzehrte man in +der Bude. Lene war aufgeräumt, und auch Thiel +schien sich in das Unvermeidliche mit gutem Anstand +fügen zu wollen. Er unterhielt seine Frau während +des Essens mit allerlei Dingen, die in seinen Beruf +schlugen. So fragte er sie, ob sie sich denken könne, +<span class="pagenum"><a name="Page_52">52</a></span>daß in einer einzigen Bahnschiene sechsundvierzig +Schrauben säßen und anderes mehr.</p> + +<p>Am Vormittage war Lene mit Umgraben fertig +geworden; am Nachmittag sollten die Kartoffeln gesteckt +werden. Sie bestand darauf, daß Tobias jetzt +das Kleine warte und nahm ihn mit sich.</p> + +<p>»Paß auf …« rief Thiel ihr nach, von plötzlicher +Besorgnis ergriffen, »paß auf, daß er den Geleisen +nicht zu nahe kommt.«</p> + +<p>Ein Achselzucken Lenes war die Antwort.</p> + +<hr class="thought-break"/> + +<p class="dropcap">Der schlesische Schnellzug war gemeldet und Thiel +mußte auf seinen Posten. Kaum stand er dienstfertig +an der Barriere, so hörte er ihn auch schon heranbrausen.</p> + +<p>Der Zug wurde sichtbar – er kam näher – in +unzählbaren, sich überhastenden Stößen fauchte der +Dampf aus dem schwarzen Maschinenschlote. Da: +ein – zwei – drei milchweiße Dampfstrahlen quollen +kerzengrade empor, und gleich darauf brachte die Luft +den Pfiff der Maschine getragen. Dreimal hintereinander, +kurz, grell, beängstigend. Sie bremsen, +dachte Thiel, warum nur? Und wieder gellten die +<span class="pagenum"><a name="Page_53">53</a></span>Notpfiffe schreiend, den Widerhall weckend, diesmal +in langer, ununterbrochener Reihe.</p> + +<p>Thiel trat vor, um die Strecke überschauen zu können. +Mechanisch zog er die rote Fahne aus dem +Futteral und hielt sie gerade vor sich hin über die Geleise. +– Jesus Christus! war er blind gewesen? »Jesus +Christus – o Jesus, Jesus, Jesus Christus! was war +das? Dort! – dort zwischen den Schienen … +Ha–alt!« schrie der Wärter aus Leibeskräften. Zu +spät. Eine dunkle Masse war unter den Zug geraten +und wurde zwischen den Rädern wie ein Gummiball +hin und her geworfen. Noch einige Augenblicke, und +man hörte das Knarren und Quietschen der Bremsen. +Der Zug stand.</p> + +<p>Die einsame Strecke belebte sich. Zugführer und +Schaffner rannten über den Kies nach dem Ende des +Zuges. Aus jedem Fenster blickten neugierige Gesichter +und jetzt – die Menge knäulte sich und kam +nach vorn.</p> + +<p>Thiel keuchte; er mußte sich festhalten, um nicht +umzusinken wie ein gefällter Stier. Wahrhaftig, +man winkt ihm – »nein!«</p> + +<p>Ein Aufschrei zerreißt die Luft von der Unglücksstelle +her, ein Geheul folgt, wie aus der Kehle eines +<span class="pagenum"><a name="Page_54">54</a></span>Tieres kommend. Wer war das?! Lene?! Es war +nicht ihre Stimme und doch …</p> + +<p>Ein Mann kommt in Eile die Strecke herauf.</p> + +<p>»Wärter!!«</p> + +<p>»Was gibt's?«</p> + +<p>»Ein Unglück!« … Der Bote schrickt zurück, denn +des Wärters Augen spielen seltsam. Die Mütze sitzt +schief, die roten Haare scheinen sich aufzubäumen.</p> + +<p>»Er lebt noch, vielleicht ist noch Hilfe.«</p> + +<p>Ein Röcheln ist die einzige Antwort.</p> + +<p>»Kommen Sie schnell, schnell!«</p> + +<p>Thiel reißt sich auf mit gewaltiger Anstrengung. +Seine schlaffen Muskeln spannen sich; er richtet sich +hoch auf, sein Gesicht ist blöd und tot.</p> + +<p>Er rennt mit dem Boten, er sieht nicht die todbleichen, +erschreckten Gesichter der Reisenden in den +Zugfenstern. Eine junge Frau schaut heraus, ein +Handlungsreisender im Fes, ein junges Paar, anscheinend +auf der Hochzeitsreise. Was geht's ihn an? +Er hat sich nie um den Inhalt dieser Polterkasten gekümmert; +– sein Ohr füllt das Geheul Lenens. Vor +seinen Augen schwimmt es durcheinander, gelbe +Punkte, Glühwürmchen gleich, unzählig. Er schrickt +zurück – er steht. Aus dem Tanze der Glühwürmchen +<span class="pagenum"><a name="Page_55">55</a></span>tritt es hervor, blaß, schlaff, blutrünstig. Eine Stirn, +braun und blau geschlagen, blaue Lippen, über die +schwarzes Blut tröpfelt. Er ist es.</p> + +<p>Thiel spricht nicht. Sein Gesicht nimmt eine +schmutzige Blässe an. Er lächelt wie abwesend; endlich +beugt er sich; er fühlt die schlaffen, toten Gliedmaßen +schwer in seinen Armen; die rote Fahne wickelt +sich darum.</p> + +<p>Er geht.</p> + +<p>Wohin?</p> + +<p>»Zum Bahnarzt, zum Bahnarzt,« tönt es durcheinander.</p> + +<p>»Wir nehmen ihn gleich mit,« ruft der Packmeister +und macht in seinem Wagen aus Dienströcken und +Büchern ein Lager zurecht. »Nun also?«</p> + +<p>Thiel macht keine Anstalten, den Verunglückten loszulassen. +Man drängt in ihn. Vergebens. Der Packmeister +läßt eine Bahre aus dem Packwagen reichen +und beordert einen Mann, dem Vater beizustehen.</p> + +<p>Die Zeit ist kostbar. Die Pfeife des Zugführers +trillert. Münzen regnen aus den Fenstern.</p> + +<p>Lene gebärdet sich wie wahnsinnig. »Das arme, +arme Weib,« heißt es in den Kupees, »die arme, +arme Mutter.«</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_56">56</a></span> +Der Zugführer trillert abermals – ein Pfiff – +die Maschine stößt weiße, zischende Dämpfe aus ihren +Zylindern und streckt ihre eisernen Sehnen; einige +Sekunden und der Kurierzug braust mit wehender +Rauchfahne in doppelter Geschwindigkeit durch den +Forst.</p> + +<p>Der Wärter, anderen Sinnes geworden, legt den +halbtoten Jungen auf die Bahre. Da liegt er da in +seiner verkommenen Körpergestalt, und hin und wieder +hebt ein langer, rasselnder Atemzug die knöcherne +Brust, welche unter dem zerfetzten Hemd sichtbar wird. +Die Ärmchen und Beinchen, nicht nur in den Gelenken +gebrochen, nehmen die unnatürlichsten Stellungen +ein. Die Ferse des kleinen Fußes ist nach +vorn gedreht. Die Arme schlottern über den Rand +der Bahre.</p> + +<p>Lene wimmert in einem fort; jede Spur ihres +einstigen Trotzes ist aus ihrem Wesen gewichen. +Sie wiederholt fortwährend eine Geschichte, die sie +von jeder Schuld an dem Vorfall reinwaschen soll.</p> + +<p>Thiel scheint sie nicht zu beachten; mit entsetzlich +bangem Ausdruck haften seine Augen an dem Kinde.</p> + +<p>Es ist still ringsum geworden, totenstill; schwarz +und heiß ruhen die Geleise auf dem blendenden Kies. +<span class="pagenum"><a name="Page_57">57</a></span>Der Mittag hat die Winde erstickt, und regungslos +wie aus Stein steht der Forst.</p> + +<p>Die Männer beraten sich leise. Man muß, um auf +dem schnellsten Wege nach Friedrichshagen zu kommen, +nach der Station zurück, die nach der Richtung +Breslau liegt, da der nächste Zug, ein beschleunigter +Personenzug, auf der Friedrichshagen nähergelegenen +nicht anhält.</p> + +<p>Thiel scheint zu überlegen, ob er mitgehen solle. +Augenblicklich ist niemand da, der den Dienst versteht. +Eine stumme Handbewegung bedeutet seiner Frau, +die Bahre aufzunehmen; sie wagt nicht, sich zu widersetzen, +obgleich sie um den zurückbleibenden Säugling +besorgt ist. Sie und der fremde Mann tragen die +Bahre. Thiel begleitet den Zug bis an die Grenze +seines Reviers, dann bleibt er stehen und schaut ihm +lange nach. Plötzlich schlägt er sich mit der flachen +Hand vor die Stirn, daß es weithin schallt.</p> + +<p>Er meint sich zu erwecken, »denn es wird ein Traum +sein, wie der gestern,« sagt er sich. – Vergebens. – +Mehr taumelnd als laufend erreichte er sein Häuschen. +Drinnen fiel er auf die Erde, das Gesicht voran. Seine +Mütze rollte in die Ecke, seine peinlich gepflegte Uhr +fiel aus der Tasche, die Kapsel sprang, das Glas zerbrach. +<span class="pagenum"><a name="Page_58">58</a></span>Es war, als hielt ihn eine eiserne Faust im +Nacken gepackt, so fest, daß er sich nicht bewegen +konnte, so sehr er auch unter Ächzen und Stöhnen sich +frei zu machen suchte. Seine Stirn war kalt, seine +Augen trocken, sein Schlund brannte.</p> + +<p>Die Signalglocke weckte ihn. Unter dem Eindruck +jener sich wiederholenden drei Glockenschläge ließ der +Anfall nach. Thiel konnte sich erheben und seinen +Dienst tun. Zwar waren seine Füße bleischwer, zwar +kreiste um ihn die Strecke wie die Speiche eines ungeheuren +Rades, dessen Achse sein Kopf war; aber er +gewann doch wenigstens so viel Kraft, sich für einige +Zeit aufrechtzuerhalten.</p> + +<p>Der Personenzug kam heran. Tobias mußte darin +sein. Je näher er rückte, um so mehr verschwammen +die Bilder vor Thiels Augen. Am Ende sah er nur +noch den zerschlagenen Jungen mit dem blutigen +Munde. Dann wurde es Nacht.</p> + +<p>Nach einer Weile erwachte er aus einer Ohnmacht. +Er fand sich dicht an der Barriere im heißen Sande +liegen. Er stand auf, schüttelte die Sandkörner aus +seinen Kleidern und spie sie aus seinem Munde. Sein +Kopf wurde ein wenig freier, er vermochte ruhiger +zu denken.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_59">59</a></span> +In der Bude nahm er sogleich seine Uhr vom +Boden auf und legte sie auf den Tisch. Sie war +trotz des Falles nicht stehengeblieben. Er zählte +während zweier Stunden die Sekunden und Minuten, +indem er sich vorstellte, was indes mit Tobias geschehen +mochte: Jetzt kam Lene mit ihm an; jetzt +stand sie vor dem Arzte. Dieser betrachtete und betastete +den Jungen und schüttelte den Kopf.</p> + +<p>»Schlimm, sehr schlimm – aber vielleicht … wer +weiß?« Er untersuchte genauer. »Nein,« sagte er +dann, »nein, es ist vorbei.«</p> + +<p>»Vorbei, vorbei,« stöhnte der Wärter. Dann aber +richtete er sich hoch auf und schrie, die rollenden Augen +an die Decke geheftet, die erhobenen Hände unbewußt +zur Faust ballend und mit einer Stimme, als +müsse der enge Raum davon zerbersten: »Er muß, +muß leben, ich sage dir, er muß, muß leben.« Und +schon stieß er die Tür des Häuschens von neuem auf, +durch die das rote Feuer des Abends hereinbrach, und +rannte mehr als er ging nach der Barriere zurück. +Hier blieb er eine Weile wie betroffen stehen und +schritt dann plötzlich, beide Arme ausbreitend, bis +in die Mitte des Dammes, als wenn er etwas aufhalten +wollte, das aus der Richtung des Personenzuges +<span class="pagenum"><a name="Page_60">60</a></span>kam. Dabei machten seine weit offenen Augen +den Eindruck der Blindheit.</p> + +<p>Während er, rückwärts schreitend, vor etwas zu +weichen schien, stieß er in einem fort halbverständliche +Worte zwischen den Zähnen hervor: »Du – hörst du +– bleib doch – du – hör doch – bleib – gib ihn +wieder – er ist braun und blau geschlagen – ja ja – +gut – ich will sie wieder braun und blau schlagen – +hörst du? bleib doch – gib ihn mir wieder.«</p> + +<p>Es schien, als ob etwas an ihm vorüberwandle, +denn er wandte sich und bewegte sich, wie um es zu +verfolgen, nach der anderen Richtung.</p> + +<p>»Du, Minna« – seine Stimme wurde weinerlich, +wie die eines kleinen Kindes. »Du, Minna, hörst +du? – gib ihn wieder – ich will …« Er tastete in +die Luft, wie um jemand festzuhalten. »Weibchen – +ja – und da will ich sie … und da will ich sie auch +schlagen – braun und blau – auch schlagen – und +da will ich mit dem Beil – siehst du? – Küchenbeil +– mit dem Küchenbeil will ich sie schlagen, und da +wird sie verrecken.«</p> + +<p>»Und da … ja mit dem Beil – Küchenbeil ja – +schwarzes Blut!« Schaum stand vor seinem Munde, +seine gläsernen Pupillen bewegten sich unaufhörlich.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_61">61</a></span> +Ein sanfter Abendhauch strich leis und nachhaltig +über den Forst, und rosaflammiges Wolkengelock hing +über dem westlichen Himmel.</p> + +<p>Etwa hundert Schritt hatte er so das unsichtbare +Etwas verfolgt, als er anscheinend mutlos stehenblieb, +und mit entsetzlicher Angst in den Mienen streckte der +Mann seine Arme aus, flehend, beschwörend. Er +strengte seine Augen an und beschattete sie mit der +Hand, wie um noch einmal in weiter Ferne das +Wesenlose zu entdecken. Schließlich sank die Hand, +und der gespannte Ausdruck seines Gesichts verkehrte +sich in stumpfe Ausdruckslosigkeit; er wandte sich und +schleppte sich den Weg zurück, den er gekommen.</p> + +<p>Die Sonne goß ihre letzte Glut über den Forst, +dann erlosch sie. Die Stämme der Kiefern streckten +sich wie bleiches, verwestes Gebein zwischen die Wipfel +hinein, die wie grauschwarze Moderschichten auf ihnen +lasteten. Das Hämmern eines Spechtes durchdrang +die Stille. Durch den kalten, stahlblauen Himmelsraum +ging ein einziges verspätetes Rosengewölk. Der +Windhauch wurde kellerkalt, so daß es den Wärter +fröstelte. Alles war ihm neu, alles fremd. Er wußte +nicht, was das war, worauf er ging, oder das, was ihn +umgab. Da huschte ein Eichhorn über die Strecke, +<span class="pagenum"><a name="Page_62">62</a></span>und Thiel besann sich. Er mußte an den lieben Gott +denken, ohne zu wissen warum. »Der liebe Gott +springt über den Weg, der liebe Gott springt über den +Weg.« Er wiederholte diesen Satz mehrmals, gleichsam +um auf etwas zu kommen, das damit zusammenhing. +Er unterbrach sich, ein Lichtschein fiel in sein +Hirn, »aber mein Gott, das ist ja Wahnsinn.« Er +vergaß alles und wandte sich gegen diesen neuen +Feind. Er suchte Ordnung in seine Gedanken zu +bringen, vergebens! Es war ein haltloses Streifen +und Schweifen. Er ertappte sich auf den unsinnigsten +Vorstellungen und schauderte zusammen im Bewußtsein +seiner Machtlosigkeit.</p> + +<p>Aus dem nahen Birkenwäldchen kam Kindergeschrei. +Es war das Signal zur Raserei. Fast gegen +seinen Willen mußte er darauf zueilen und fand das +Kleine, um welches sich niemand mehr gekümmert +hatte, weinend und strampelnd ohne Bettchen im +Wagen liegen. Was wollte er tun? Was trieb ihn +hierher? Ein wirbelnder Strom von Gefühlen und +Gedanken verschlang diese Fragen.</p> + +<p>»Der liebe Gott springt über den Weg,« jetzt wußte +er, was das bedeuten wollte. »Tobias« – sie hatte +ihn gemordet – Lene – ihr war er anvertraut – +<span class="pagenum"><a name="Page_63">63</a></span>»Stiefmutter, Rabenmutter,« knirschte er, »und ihr +Balg lebt.« Ein roter Nebel umwölkte seine Sinne, +zwei Kinderaugen durchdrangen ihn; er fühlte etwas +Weiches, Fleischiges zwischen seinen Fingern. Gurgelnde +und pfeifende Laute, untermischt mit heiseren +Ausrufen, von denen er nicht wußte, wer sie ausstieß, +trafen sein Ohr.</p> + +<p>Da fiel etwas in sein Hirn wie Tropfen heißen +Siegellacks, und es hob sich wie eine Starre von seinem +Geist. Zum Bewußtsein kommend, hörte er den +Nachhall der Meldeglocke durch die Luft zittern.</p> + +<p>Mit eins begriff er, was er hatte tun wollen: seine +Hand löste sich von der Kehle des Kindes, welches +sich unter seinem Griffe wand. – Es rang nach Luft, +dann begann es zu husten und zu schreien.</p> + +<p>»Es lebt! Gott sei Dank, es lebt!« Er ließ es liegen +und eilte nach dem Übergange. Dunkler Qualm +wälzte sich fernher über die Strecke, und der Wind +drückte ihn zu Boden. Hinter sich vernahm er das +Keuchen einer Maschine, welches wie das stoßweise +gequälte Atmen eines kranken Riesen klang.</p> + +<p>Ein kaltes Zwielicht lag über der Gegend.</p> + +<p>Nach einer Weile, als die Rauchwolken auseinandergingen, +erkannte Thiel den Kieszug, der mit geleerten +<span class="pagenum"><a name="Page_64">64</a></span>Loren zurückging und die Arbeiter mit sich führte, +welche tagsüber auf der Strecke gearbeitet hatten.</p> + +<p>Der Zug hatte eine reichbemessene Fahrzeit und +durfte überall anhalten, um die hie und da noch beschäftigten +Arbeiter aufzunehmen, andere hingegen +abzusetzen. Ein gutes Stück vor Thiels Bude begann +man zu bremsen. Ein lautes Quietschen, Schnarren, +Rasseln und Klirren durchdrang weithin die Abendstille, +bis der Zug unter einem einzigen schrillen, +langgedehnten Ton stillstand.</p> + +<p>Etwa fünfzig Arbeiter und Arbeiterinnen waren +in den Loren verteilt. Fast alle standen aufrecht, +einige unter den Männern mit entblößtem Kopfe. +In ihrer aller Wesen lag eine rätselhafte Feierlichkeit. +Als sie des Wärters ansichtig wurden, erhob sich ein +Flüstern unter ihnen. Die Alten zogen die Tabakspfeifen +zwischen den gelben Zähnen hervor und hielten +sie respektvoll in den Händen. Hie und da wandte sich +ein Frauenzimmer, um sich zu schneuzen. Der Zugführer +stieg auf die Strecke herunter und trat auf +Thiel zu. Die Arbeiter sahen, wie er ihm feierlich die +Hand schüttelte, worauf Thiel mit langsamem, fast +militärisch-steifem Schritt auf den letzten Wagen +zuschritt.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_65">65</a></span> +Keiner der Arbeiter wagte ihn anzureden, obgleich +sie ihn alle kannten.</p> + +<p>Aus dem letzten Wagen hob man soeben das kleine +Tobiäschen.</p> + +<p>Es war tot.</p> + +<p>Lene folgte ihm; ihr Gesicht war bläulich-weiß, +braune Kreise lagen um ihre Augen.</p> + +<p>Thiel würdigte sie keines Blickes; sie aber erschrak +beim Anblick ihres Mannes. Seine Wangen waren hohl, +Wimpern und Barthaare verklebt, der Scheitel, so schien +es ihr, ergrauter als bisher. Die Spuren vertrockneter +Tränen überall auf dem Gesicht; dazu ein unstetes +Licht in seinen Augen, davor sie ein Grauen ankam.</p> + +<p>Auch die Tragbahre hatte man wieder mitgebracht, +um die Leiche transportieren zu können.</p> + +<p>Eine Weile herrschte unheimliche Stille. Eine tiefe, +entsetzliche Versonnenheit hatte sich Thiels bemächtigt. +Es wurde dunkler. Ein Rudel Rehe setzte seitab auf +den Bahndamm. Der Bock blieb stehen mitten +zwischen den Geleisen. Er wandte seinen gelenken +Hals neugierig herum, da pfiff die Maschine, und +blitzartig verschwand er samt seiner Herde.</p> + +<p>In dem Augenblick, als der Zug sich in Bewegung +setzen wollte, brach Thiel zusammen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_66">66</a></span> +Der Zug hielt abermals, und es entspann sich eine +Beratung über das, was nun zu tun sei. Man entschied +sich dafür, die Leiche des Kindes einstweilen +im Wärterhaus unterzubringen und statt ihrer den +durch kein Mittel wieder ins Bewußtsein zu rufenden +Wärter mittelst der Bahre nach Hause zu bringen.</p> + +<p>Und so geschah es. Zwei Männer trugen die Bahre +mit dem Bewußtlosen, gefolgt von Lene, die, fortwährend +schluchzend, mit tränenüberströmtem Gesicht +den Kinderwagen mit dem Kleinsten durch den +Sand stieß.</p> + +<p>Wie eine riesige purpurglühende Kugel lag der +Mond zwischen den Kieferschäften am Waldesgrund. +Je höher er rückte um so kleiner schien er zu werden, +um so mehr verblaßte er. Endlich hing er, einer +Ampel vergleichbar, über dem Forst, durch alle +Spalten und Lücken der Kronen einen matten Lichtdunst +drängend, welcher die Gesichter der Dahinschreitenden +leichenhaft anmalte.</p> + +<p>Rüstig, aber vorsichtig schritt man vorwärts, jetzt +durch enggedrängtes Jungholz, dann wieder an weiten +hochwaldumstandenen Schonungen entlang, darin +sich das bleiche Licht wie in großen, dunklen Becken +angesammelt hatte.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_67">67</a></span> +Der Bewußtlose röchelte von Zeit zu Zeit oder +begann zu phantasieren. Mehrmals ballte er die Fäuste +und versuchte mit geschlossenen Augen sich emporzurichten.</p> + +<p>Es kostete Mühe, ihn über die Spree zu bringen; +man mußte ein zweites Mal übersetzen, um die Frau +und das Kind nachzuholen.</p> + +<p>Als man die kleine Anhöhe des Ortes emporstieg, +begegnete man einigen Einwohnern, welche die Botschaft +des geschehenen Unglücks sofort verbreiteten.</p> + +<p>Die ganze Kolonie kam auf die Beine.</p> + +<p>Angesichts ihrer Bekannten brach Lene in erneutes +Klagen aus.</p> + +<p>Man beförderte den Kranken mühsam die schmale +Stiege hinauf in seine Wohnung und brachte ihn +sogleich zu Bett. Die Arbeiter kehrten sogleich um, +um Tobiäschens Leiche nachzuholen.</p> + +<p>Alte erfahrene Leute hatten kalte Umschläge angeraten, +und Lene befolgte ihre Weisung mit Eifer +und Umsicht. Sie legte Handtücher in eiskaltes Brunnenwasser +und erneuerte sie, sobald die brennende +Stirn des Bewußtlosen sie durchhitzt hatte. Ängstlich +beobachtete sie die Atemzüge des Kranken, welche ihr +mit jeder Minute regelmäßiger zu werden schienen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_68">68</a></span> +Die Aufregungen des Tages hatten sie doch stark +mitgenommen und sie beschloß, ein wenig zu schlafen, +fand jedoch keine Ruhe. Gleichviel ob sie die Augen +öffnete oder schloß, unaufhörlich zogen die Ereignisse +der Vergangenheit daran vorüber. Das Kleine schlief. +Sie hatte sich entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit +wenig darum bekümmert. Sie war überhaupt eine +andere geworden. Nirgend eine Spur des früheren +Trotzes. Ja, dieser kranke Mann mit dem farblosen, +schweißglänzenden Gesicht regierte sie im Schlaf.</p> + +<p>Eine Wolke verdeckte die Mondkugel, es wurde +finster im Zimmer, und Lene hörte nur noch das +schwere, aber gleichmäßige Atemholen ihres Mannes. +Sie überlegte, ob sie Licht machen sollte. Es wurde +ihr unheimlich im Dunkeln. Als sie aufstehen wollte, +lag es ihr bleiern in allen Gliedern, die Lider fielen +ihr zu, sie entschlief.</p> + +<p>Nach Verlauf von einigen Stunden, als die Männer +mit der Kindesleiche zurückkehrten, fanden sie die +Haustüre weit offen. Verwundert über diesen Umstand +stiegen sie die Treppe hinauf, in die obere +Wohnung, deren Tür ebenfalls weit geöffnet war.</p> + +<p>Man rief mehrmals den Namen der Frau, ohne +eine Antwort zu erhalten. Endlich strich man ein +<span class="pagenum"><a name="Page_69">69</a></span>Schwefelholz an der Wand, und der aufzuckende +Lichtschein enthüllte eine grauenvolle Verwüstung.</p> + +<p>»Mord, Mord!«</p> + +<p>Lene lag in ihrem Blut, das Gesicht unkenntlich, +mit zerschlagener Hirnschale.</p> + +<p>»Er hat seine Frau ermordet, er hat seine Frau +ermordet!«</p> + +<p>Kopflos lief man umher. Die Nachbarn kamen, +einer stieß an die Wiege. »Heiliger Himmel« und er +fuhr zurück, bleich, mit entsetzensstarrem Blick. Da lag +das Kind mit durchschnittenem Halse.</p> + +<p>Der Wärter war verschwunden; die Nachforschungen, +welche man noch in derselben Nacht anstellte, blieben +erfolglos. Den Morgen darauf fand ihn der diensttuende +Wärter zwischen den Bahngeleisen und an der +Stelle sitzend, wo Tobiäschen überfahren worden +war.</p> + +<p>Er hielt das braune Pudelmützchen im Arm und +liebkoste es ununterbrochen wie etwas, das Leben hat.</p> + +<p>Der Wärter richtete einige Fragen an ihn, bekam +jedoch keine Antwort und bemerkte bald, daß er es +mit einem Irrsinnigen zu tun habe.</p> + +<p>Der Wärter am Block, davon in Kenntnis gesetzt, +erbat telegraphische Hilfe.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_70">70</a></span> +Nun versuchten mehrere Männer ihn durch gutes +Zureden von den Geleisen fortzulocken; jedoch vergebens.</p> + +<p>Der Schnellzug, der um diese Zeit passierte, mußte +anhalten, und erst der Übermacht seines Personales +gelang es, den Kranken, der alsbald furchtbar zu +toben begann, mit Gewalt von der Strecke zu entfernen.</p> + +<p>Man mußte ihm Hände und Füße binden, und der +inzwischen requirierte Gendarm überwachte seinen +Transport nach dem Berliner Untersuchungsgefängnisse, +von wo aus er jedoch schon am ersten Tage nach +der Irrenabteilung der <ins title="Charite">Charité</ins> überführt wurde. +Noch bei der Einlieferung hielt er das braune Mützchen +in Händen und bewachte es mit eifersüchtiger Sorgfalt +und Zärtlichkeit.</p> + + + +<div class="new-h2"> </div> +<div><span class="pagenum"><a name="Page_71">71–72</a></span></div> +<h2>Der Apostel</h2> + + +<p class="dropcap">Spät<span class="pagenum"><a name="Page_73">73</a></span> +am Abend war er in Zürich angelangt. Eine +Dachkammer in der »Taube«, ein wenig Brot und +klares Wasser, bevor er sich niederlegte: das genügte +ihm.</p> + +<p>Er schlief unruhig wenige Stunden. Schon kurz +nach vier erhob er sich. Der Kopf schmerzte ihn. Er +schob es auf die lange Eisenbahnfahrt vom gestrigen +Tage. Um so etwas auszuhalten mußte man Nerven +wie Seile haben. Er haßte diese Bahnen mit ihrem +ewigen Gerüttel, Gestampf und Gepolter, mit ihren +jagenden Bildern; – er haßte sie und mit ihnen die +meisten anderen der sogenannten Errungenschaften +dieser sogenannten Kultur.</p> + +<p>Durch den Gotthard allein … es war wirklich +eine Tortur, durch den Gotthard zu fahren: dazusitzen, +beim Scheine eines zuckenden Lämpchens, mit +dem Bewußtsein, diese ungeheure Steinmasse über +<span class="pagenum"><a name="Page_74">74</a></span>sich zu haben. Dazu dieses markerschütternde Konzert +von Geräuschen im Ohr. Es war eine Tortur, es war +zum Verrücktwerden! In einen Zustand war er +hineingeraten, in eine Angst, kaum zu glauben. Wenn +das nahe Rauschen so zurücksank und dann wieder +daherkam, daherfuhr wie die ganze Hölle und so +tosend wurde, daß es alles in einem förmlich zerschlug +… nie und nimmer würde er nochmals durch +den Gotthard fahren!</p> + +<p>Man hatte nur einen Kopf. Wenn der einmal aufgestört +war – der Bienenschwarm da drinnen – +da mochte der Teufel wieder Ruhe schaffen: alles +brach durch seine Grenzen, verlor die natürlichen +Dimensionen, dehnte sich hoch auf und hatte einen +eigenen Willen.</p> + +<p>Die Nacht hatte es ihn noch geplagt, nun sollte es +damit ein Ende haben. Der kalte, klare Morgen +mußte das seinige tun. Übrigens würde er von +hier ab nach Deutschland hinein zu Fuße reisen.</p> + +<p>Er wusch sich und zog die Kleider über. Als er die +Sandalen unterband, tauchte ihm flüchtig auf, wie +er zu dem Kostüm, das er trug und das ihn von allen +übrigen Menschen unterschied, gekommen war: die +Gestalt Meister Diefenbachs ging vorüber. – Dann +<span class="pagenum"><a name="Page_75">75</a></span>war es ein Sprung in frühe Jahre: er sah sich selbst +in der sogenannten Normaltracht zur Schule gehen +– der Glatzkopf des Vaters blickte hinter dem Ladentische +der Apotheke hervor, die Tracht des Sohnes +milde bespöttelnd. Die Mutter hatte doch immer gesagt, +er sei kein Hypochonder. Der Glatzkopf und das +junge Frauengesicht schoben sich nebeneinander. +Welch ein ungeheurer Unterschied! Daß er das früher +nie bemerkt hatte.</p> + +<p>Die Sandalen saßen fest. Er legte den Strick, der +die weiße Frieskutte zusammenhielt, um die Hüften +und eine Schnur rund um den Kopf.</p> + +<p>Auf dem Hausflur der Herberge war ein alter +Spiegel angebracht. Einen Augenblick im Vorübergehen +hielt er inne, um sich zu mustern. Wirklich! +– er sah aus wie ein Apostel. Das heilige Blond der +langen Haare, der starke, rote, keilförmige Bart, das +kühne, feste und doch so unendlich milde Gesicht, die +weiße Mönchskutte, die seine schöne, straffe Gestalt, +seinen elastischen, soldatisch geschulten Körper zu +voller Geltung brachte.</p> + +<p>Mit Wohlgefallen spiegelte er sich. Warum sollte +er es auch nicht? Warum sollte er sich selbst nicht bewundern, +da er doch nicht aufhörte, die Natur zu bestaunen +<span class="pagenum"><a name="Page_76">76</a></span>in allem, was sie hervorbrachte? Er lief ja +durch die Welt von Wunder zu Wunder, und Dinge, +von anderen nicht beachtet, erzeugten in ihm religiöse +Schauer. Übrigens nahm sie sich gut aus – die +Neuerung dieses Morgens: man konnte ja denken, +diese Schnur um den Kopf habe den Zweck, das Haar +zusammenzuhalten. Daß sie einem Heiligenscheine +ähnelte, hatte nichts auf sich. Heilige gab es nicht mehr, +oder besser: der Heiligenschein kam jedem Naturerzeugnis, +auch dem kleinsten Blümchen oder Käferchen +zu, und dessen Auge war ein profanes Auge, der nicht +über allem solche Heiligenscheine schweben sah. – –</p> + +<p>Auf der Straße war noch niemand: einsamer Sonnenschein +lag darauf; hie und da der lange, ein wenig +schräge Schatten eines Hauses. Er bog in ein Seitengäßchen, +das bergan stieg, und klomm bald zwischen +Wiesen und Obstgärten hin aufwärts.</p> + +<p>Bisweilen ein hochgiebliges, altväterisches Häuschen, +ein enges, mit Blumen vollgepfropftes Hausgärtchen, +dann wieder eine Wiese oder ein Weinberg. Der +Ruch des weißen Jasmins, des blauen Flieders und +des dunkelbrennenden Goldlacks erfüllte stellenweise +die reine und starke Luft, daß er sie wohlig in +sich sog wie einen gewürzten Wein.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_77">77</a></span> +Er fühlte sich freier nach jedem Schritt.</p> + +<p>Wie wenn ein Dorn aus seinem Herzen sich löste, +war ihm zu Sinn, als es ihm das Auge so still und +unwiderstehlich nach außen zog. Das Dunkel in ihm +ward aufgesogen von all dem Licht. Die Köpfchen +des gelben Löwenzahns, gleich unzähligen, kleinen +Sonnen in das sprießende Grün des Wegrandes gelegt, +blendeten ihn fast. Durch den schweren Blütenregen +der Obstbäume schossen die Sonnenstrahlen +schräg in den wiesigen Grund, ihn mit goldigen Tupfen +überdeckend. So honigsüß dufteten die Birken. Und +so viel Leben, Behaglichkeit und Fleiß sprach aus dem +verlorenen Sumsen früher Bienen.</p> + +<p>Sorgfältig vermied er im Aufsteigen irgend etwas +zu beschädigen oder gar zu vernichten, was Leben +hatte. Das kleinste Käferchen wurde umgangen, +die zudringliche Wespe vorsichtig verscheucht. Er +liebte die Mücken und Fliegen brüderlich, und zu +töten, – auch nur den allergewöhnlichsten Kohlweißling +– schien ihm das schwerste aller Verbrechen.</p> + +<p>Blumen, halbwelk, von Kinderhänden ausgerauft, +hob er vom Wege auf, um sie irgendwo ins Wasser +zu werfen. Er selbst pflückte niemals Veilchen oder +<span class="pagenum"><a name="Page_78">78</a></span>Rosen, um sich damit zu schmücken. Er verabscheute +Sträuße und Kränze; er wollte alles an seinem Ort.</p> + +<p>Ihm war wohl und zufrieden. Nur, daß er sich +selbst nicht sehen konnte, bedauerte er. Er selbst mit +seinem edlen Gange, einsam in der Frühe auf die +Berge steigend: das hätte ein Motiv abgegeben für +einen großen Maler –: und das Bild stand vor seiner +Phantasie.</p> + +<p>Dann sah er sich um, ob nicht doch vielleicht irgendeine +menschliche Seele bereits wach sei und ihn sehen +könne. Niemand war zu erblicken.</p> + +<p>Übrigens fing das merkwürdige Schwatzen – im +Ohr oder gar im Kopf drinnen, er wußte nicht wo – +wieder an. Seit einigen Wochen plagte es ihn. +Sicherlich waren es Blutstockungen. Man mußte +laufen, sich anstrengen, das Blut in schnelleren Umlauf +versetzen –</p> + +<p>Und er beschleunigte seine Schritte.</p> + +<p>Allmählich war er so über die Dächer der Häuser +hinausgekommen. Er stand ruhend still und hatte +alle Pracht unter sich. Eine Erschütterung überkam +ihn. Ein Gefühl tiefer Zerknirschung brannte in ihm +angesichts dieser wundervollen Tiefe. – Lange ließ +er das verzückte Auge umherschwelgen: – über alles +<span class="pagenum"><a name="Page_79">79</a></span>hin, zu der Spitze des jenseitigen Berges, dessen +schründige Hänge zartes, wolliges Grün umzog. – +Hinunter, wo die veilchenfarbne Fläche des Sees +den Talgrund ausfüllte, wo die weichen, grasigen +Uferhügel daraus hervorstiegen, grüne Polster, überschüttet, +soweit die Sehkraft reichte, mit Blüten und +wieder Blüten. Dazwischen Häuschen, Villen und +Dörfer, deren Fenster elektrisch aufblitzten, deren rote +Dächer und Türme leuchteten.</p> + +<p>Nur im Süden, fern, verband ein grauer, silberiger +Duft See und Himmel und verdeckte die Landschaft; +aber über ihm, fein und weiß leuchtend, auf das blasse +Blau der Luft gelegt, schemenhaft tauchten sie auf – +einem ungeheuren Silberschatz vergleichbar – in langer +sich verlierender Reihe: die Spitzen der Schneeberge.</p> + +<p>Dort haftete sein Blick – starr – lange. Als es +ihn los ließ, blieb nichts Festes mehr in ihm. Alles +weich, aufgelöst. Tränen und Schluchzen.</p> + +<p>Er ging weiter.</p> + +<p>Von oben her, wo die Buchen anfingen, traf das +Geschrei des Kuckucks sein Ohr: jene zwei Noten, die +sich wiederholen, aussetzen, um dann wieder und +wieder zu beginnen. Er ging weiter, nunmehr für +sich und grüblerisch.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_80">80</a></span> +Mysteriöse Rührungen waren ihm angesichts der +Natur nichts Ungewöhnliches, so stark und jäh wie diesmal +indes hatten sie ihn noch niemals befallen. – +Es war eben sein Naturgefühl, das stärker und tiefer +wurde. Nichts war begreiflicher, und es tat nicht +not, sich darüber hypochondrische Gedanken zu +machen. Übrigens fing es an, sich in ihm zu verdichten, +zu gestalten, zu erbauen. Kaum daß Minuten vergingen, +und alles in ihm war gebunden und fest.</p> + +<p>Er stand still, wieder schauend. Nun war es die +Stadt unten, die ihn anzog und abstieß. Wie ein +grauer, widerlicher Schorf erschien sie ihm, wie ein +Grind, der weiter fressen würde, in dies Paradies +hineingeimpft: Steinhaufen an Steinhaufen, spärliches +Grün dazwischen. Er begriff, daß der Mensch +das allergefährlichste Ungeziefer sei. Jawohl, das +stand außer Zweifel: Städte waren nicht besser als +Beulen, Auswüchse der Kultur. Ihr Anblick verursachte +ihm Ekel und Weh.</p> + +<p>Zwischen den Buchen angelangt, ließ er sich nieder. +Lang ausgestreckt, den Kopf dicht an der Erde, Humus- +und Grasgeruch einziehend, die transparenten, grünen +Halme dicht vor den Augen, lag er da. Ein Behagen +erfüllte ihn so, eine schwellende Liebe, eine taumelnde +<span class="pagenum"><a name="Page_81">81</a></span>Glückseligkeit. Wie Silbersäulen die Buchenstämme. +Der wogende und rauschende, sonnengolddurchschlagene, +grüne Baldachin darüber, der Gesang, die +Freude, der eifrige und lachende Jubel der Vögel. +Er schloß die Augen, er gab sich ganz hin. – –</p> + +<p>Dabei stieg ihm der Traum der Nacht auf: eine +fremde Stimmung zuerst, ein Herzklopfen, eine +Gehobenheit, die eine Vorstellung mitbrachte, über +deren Ursprung er grübeln mußte. Endlich kam die +Erinnerung –: zwischen Tag und Abend. Eine +endlose, staubige, italienische Landstraße, noch erhitzt, +flimmernde Wärme ausströmend. Landleute kommen +vom Felde, braun, bunt, zerlumpt. Männer, Weiber +und Kinder mit schwarzen, stechenden und glaubenskranken +Augen. Ärmliche Hütten schräg drüben. +Über sie her einfältiges, katholisches Aveglockengebimmel. +Er selbst bestaubt, müde, hungernd, +dürstend. Er schreitet langsam, die Leute knien am +Wegrand, sie falten die Hände, sie beten ihn an. Ihm +ist weich, ihm ist groß.</p> + +<p>Er lag und hing an dem Bilde. Fieber, Wollust, +göttliche Hoheitsschauer wühlten in ihm. Er erhob +sich Gott gleich.</p> + +<p>Nun war er bestürzt, als er die Augen auftat. Wie +<span class="pagenum"><a name="Page_82">82</a></span>eine Säule aus Wasser brach es zusammen und verrann.</p> + +<p>Sich selbst fragend und zur Rede stellend, drang er +ins Waldinnere. Er machte sich Vorwürfe über sein +verzücktes Träumen; es kam wider seinen Willen +und Entschluß. Die Wucht seiner Gefühle machte +ihm bange, dennoch aber: es konnte sein, daß seine +nagende Angst ohne Grund war.</p> + +<p>Übrigens wuchs die Angst, obgleich es ihm jetzt +gerade ganz klar wurde, daß sie grundlos war.</p> + +<p>Sie hatten ihn wirklich verehrt, die Italiener, deren +Dörfer er zu Fuß durchzogen hatte. Sie waren gekommen, +um ihre Kinder von ihm segnen zu lassen. +Warum sollte er nicht segnen, wenn andere Priester +segnen durften? Er hatte etwas – er hatte mehr +mitzuteilen als sie. Es gab ein Wort, ein einziges +wundervolles Wortjuwel: Friede! Darin lag es, was +er brachte, darin lag alles verschlossen – alles – +alles.</p> + +<p>Blutgeruch lag über der Welt. Das fließende Blut +war das Zeichen des Kampfes. Diesen Kampf hörte +er toben, unaufhörlich, im Wachen und Schlafen. Es +waren Brüder und Brüder, Schwestern und Schwestern, +die sich erschlugen. Er liebte sie alle, er sah ihr +<span class="pagenum"><a name="Page_83">83</a></span>Wüten und rang die Hände in Schmerz und Verzweiflung.</p> + +<p>Mit der Stimme des Donners reden zu können +wünschte er glühend. Angesichts der tosenden Schlacht, +auf einem Felsblock, allen sichtbar, stehend, mußte +man rufen und winken. Zu warnen vor dem Bruder- +und Schwestermord, hinzuweisen auf den Weg zum +Frieden war eine Forderung des Gewissens.</p> + +<p>Er kannte diesen Weg. Man betrat ihn durch ein +Tor mit der Aufschrift: Natur.</p> + +<p>Mut und Eifer hatte die Angst seiner Seele allmählich +wieder verdrängt. Er ging, nicht wissend +wohin, predigend im Geiste und bei sich selbst zu allem +Volke redend: ihr seid Fresser und Weinsäufer. Auf +euren Tafeln prangen kannibalisch Tierkadaver. Laßt +ab vom Schlemmen! Laßt ab vom ruchlosen Morde +der Kreaturen! Früchte des Feldes seien eure Nahrung! +Eure seidnen Betten, eure Polster, eure +kostbaren Möbel und Kleider, tragt alles zusammen, +werft die Fackeln hinein, daß die Flamme himmelan +schlage und es verzehre! Habt ihr das getan, dann +kommt – kommt alle, die ihr mühselig und beladen +seid und folgt mir nach! In ein Land will ich euch +führen, wo Tiger und Büffel nebeneinander weiden, +<span class="pagenum"><a name="Page_84">84</a></span>wo die Schlangen ohne Gift und die Bienen ohne +Stachel sind. Dort wird der Haß in euch sterben und +die ewige Liebe lebendig werden.</p> + +<p>Ihm schwoll das Herz. Wie ein reißender Strom +stürzte der Schwall strafender, tröstender und ermahnender +Worte. Sein ganzer Körper bebte in +Leidenschaft. Mit hinreißender Stärke überkam ihn +der Drang, seine ganze Liebe und Sehnsucht auszuströmen. +Als müsse er den Bäumen und Vögeln +predigen, war ihm zumut. Die Kraft seiner Rede +mußte unwiderstehlich sein. Er hätte das Eichhorn, +welches in Bogensprüngen zwischen den Stämmen +hinhuschte, mit einem einzigen Worte bannen und zu +sich rufen können. Er wußte es, wußte es sicher, wie +man weiß, daß der Stein fällt. Eine Allmacht war +in ihm: die Allmacht der Wahrheit.</p> + +<p>Plötzlich hörte der Wald auf. Fast erschreckt, geblendet, +wie jemand, der aus einem tiefen Schacht +aufsteigt, sah er die Welt. Aber es hörte nicht auf in +ihm zu wirken. Mit eins kam Richtung in seine +Schritte. Er stieg niederwärts, den abschüssigen Weg +laufend und springend.</p> + +<p>Wie ein Soldat, der stürmt, das Ziel im Auge, +kam er sich nun vor. Einmal im Laufen, war es schwer +<span class="pagenum"><a name="Page_85">85</a></span>sich aufzuhalten. Die schnelle, heftige Bewegung +aber weckte etwas: eine Lust, eine Art Begeisterung, +eine Tollheit.</p> + +<p>Das Bewußtsein kam, und mit Grausen sah er +sich selbst in großen Sätzen bergab eilen. Etwas in +ihm wollte hastig hemmen, Einhalt tun, aber schon +war es ein Meer, das die Dämme durchbrochen hatte. +Ein lähmender Schreck blieb geduckt im Grunde +seiner Seele und ein entsetztes, namenloses Staunen +dazu.</p> + +<p>Sein Körper indes, wie etwas Fremdes, tobte entfesselt. +Er schlug mit den Händen, knirschte mit den +Zähnen und stampfte den Boden. Er lachte – lachte +lauter und lauter, ohne daß es abriß.</p> + +<p>Als er zu sich kam, zitterte er. Fast gelähmt vor +Entsetzen, hielt er den Stamm einer jungen Linde +umklammert. Nur mit Vorsicht und stets in Angst +vor der Wiederkehr des Unbekannten, Fürchterlichen +ging er dann weiter. Aber er wurde doch wieder +frei und sicher, so daß er am Ende über seine Angst +lächeln konnte.</p> + +<p>Nun, unter dem festen Gleichmaß seiner Schritte, +angesichts der ersten Häuser, kam die Erinnerung +seiner Soldatenzeit. Wie oft, das Herz mit dem tauben +<span class="pagenum"><a name="Page_86">86</a></span>Hochgefühl befriedigter Eitelkeit zum Bersten gefüllt, +hatte er als Leutnant, an der Seite der Truppe, +unter klingendem Spiele Einzug gehalten. Er dachte +es kaum, und schon hatte in seinem Kopfe die markige, +feurige Marschmusik eingesetzt, durch die er so oft +fanatisiert worden war. Sie klang in seinem Ohr +und bewirkte, daß er die Füße in Takt setzte und Kopf +und Brust ungewöhnlich stolz trug. Sie legte das +sieghafte Lächeln um seine Lippen und den lebendigen +Glanz in seine Augen. So marschierend lauschte er +zugleich in sich hinein, verwundert, daß er so jeden +Ton, jeden Akkord, jedes Instrument scharf unterschied, +bis auf das Nachschüttern des Zusammenschlags +von Pauke und Becken. Er wußte nicht, sollte +ihn die Stärke seiner Vorstellungskraft beunruhigen +oder erfreuen. Ohne Zweifel war es eine Fähigkeit. +Er hatte die Fähigkeit zur Musik. Er würde sicher +große Kompositionen geschaffen haben. Wie viele +Fähigkeiten mochten überhaupt in ihm erstickt worden +sein! Übrigens war das gleichgültig. Alle Kunst +war Unsinn, Gift. Es gab andere, wichtigere Dinge +für ihn zu tun.</p> + +<p>Ein Mädchen in blauem Kattun, mit einem rosa +Brusttuch, eine Kanne aus Blech in der Hand, welches +<span class="pagenum"><a name="Page_87">87</a></span>augenscheinlich Milch austrug, kam ihm entgegen. +Er hatte sie mit dem Blick gestreift und bemerkt, wie +sie erstaunt über seinen Anblick still stand und groß +auf ihn blickte. Sie grüßte dann kleinlaut mit ehrfürchtiger +Betonung, und er ging gemessen und ernst +dankend an ihr vorüber.</p> + +<p>Sofort war alles in ihm verstummt. Weit hinaus +wuchs er im Augenblick über seine bisherigen kleinen +Vorstellungen. Wenn er noch etwas wie Musik in +seinem Ohre trug, so war es jedenfalls keine irdische +Melodie. Mit einer Empfindung schritt er, wie wenn +er trockenen Fußes über Wasser ginge. So hehr und +groß kam er sich vor, daß er sich selbst zur Demut +ermahnte. Und wie er das tat, mußte er sich an Christi +Einzug in Jerusalem erinnern und schließlich der Worte: +Siehe, dein König kommt zu dir, sanftmütig.</p> + +<p>Noch eine Zeitlang fühlte er den Blick des Mädchens +sich nachfolgen. Aus irgendwelchem Grunde hielt er +im Gehen möglichst genau die Mitte des Fahrdamms +inne, auch als er eine Biegung machte in +eine breite, weiße, sich abwärts senkende Straße +hinein. Dabei wie unter einem Zwange stehend, +mußte er immer und immer wiederholen: Dein König +kommt zu dir.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_88">88</a></span> +Kinderstimmen sangen diese Worte. Sie lagen ihm +noch ungeformt zwischen Gaumen und Zunge. Aus +dem unartikulierten Geräusch seines Atems konnte +er sie heraushören. Dazwischen Hosianna, rauschende +Palmenwedel, Jauchzen, bleiche, verzückte Gesichter. +Dann wieder jähe Stille – Einsamkeit.</p> + +<p>Er sah auf, voll Verwunderung. Wie leere Kulissen +alles. Häuser aus Stein rechts und links, +stumm, nüchtern, schläfrig. Nachdenklich prüfte er. +Allmählich, da es feststand, begann sein Inneres +sich daran zu ordnen. So wurde er klein, einfach, und +fing an nüchtern zu schauen.</p> + +<p>Hier und da war ein Fenster geöffnet. Der Kopf +eines Hausmädchens wurde sichtbar, man klopfte einen +Betteppich aus. Ein Student, schwarzhaarig, mit +wulstigen Lippen, augenscheinlich ein Russe, drehte +auf dem Fensterbrett seine Frühstückszigarette. Und +schon wurde es lebendiger auf der Straße. Die Augen +auf den Boden geheftet, unterließ er es doch nicht, +verstohlen zu beobachten. Oft sah er mitten hinein +in ein breites, freches Lachen. Oft bemerkte er, wie +Staunen den Spott bannte. Aber hinter seinem Rücken +befreite sich dann der Spott, und dreiste Reden, spitz +und beißend, flogen ihm nach.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_89">89</a></span> +Mit jedem Schritt unter so viel Stichen und Schlägen +wurde ihm alltäglicher zu Sinn. Ein Krampf +saß ihm in der Kehle. Der alte bittere, hoffnungslose +Gram trat hervor. Wie eine Mauer, dick, unübersteiglich, +richtete sie sich auf vor ihm, die grausame +Blindheit der Menschen.</p> + +<p>Nun schien es ihm auf einmal, als ob alles Leugnen +unnütz sei. Er war doch wohl nur eine eitle, kleine, +flache Natur. Ihm geschah doch wohl recht, wenn +man ihn verhöhnte und verspottete. So empfand +er minutenlang die Pein und Scham eines entlarvten +Hochstaplers und den Wunsch, von aller Welt fortzulaufen, +sich zu verkriechen, zu verstecken, oder auf +irgendeine Weise seinem Leben überhaupt ein Ende +zu machen.</p> + +<p>Wäre er jetzt allein gewesen, würde er den Strick +um seinen Kopf, der wie ein Heiligenschein aussah, +heruntergerissen und verbrannt haben. Wie unter +einer Narrenkrone aus Papier, halb vernichtet vor +Scham, ging er darunter.</p> + +<p>In enge, labyrinthische Gäßchen ohne Sonne hatte +er eingelenkt. Ein kleines Fensterchen voller Backware +zog ihn an. Er öffnete die Glastür und trat in +den Laden. Der Bäcker sah ihn an – die Bäckersfrau +<span class="pagenum"><a name="Page_90">90</a></span>– er wählte ein kleines Brot, sagte nichts +und ging.</p> + +<p>Vor der Tür hatte sich eine Schar Neugieriger angesammelt: +eine alte Frau, Kinder, ein Schlächtergesell, +die Mulde mit roten Fleischstücken auf der +Schulter. Er überflog ihre Gesichter, es war nichts +Freches darin, und ging mitten durch sie hin seines +Weges.</p> + +<p>Mit welchem Ausdruck sie ihn alle angeblickt hatten! +Erst die Bäckersleute. Als ob er des kleinen Brotes +nicht zum Essen bedürfe, sondern vielmehr, um damit +ein Wunder zu tun. Und weshalb warteten die +Leute auf ihn vor den Türen? Es mußte doch einen +Grund haben. Und nun gar das Getrappel und Geflüster +hinter ihm drein. Weshalb lief man ihm nach? +Weshalb verfolgte man ihn?</p> + +<p>Er horchte gespannt und wurde bald inne, daß er +ein Gefolge von Kindern hinter sich hatte. Durch +Kreuz- und Quergehen über kleine Plätze mit alten +Brunnen darauf, absichtlich umkehrend und die Richtung +wechselnd, vergewisserte er sich, daß der kleine +Trupp nicht von ihm abließ.</p> + +<p>Warum verfolgten sie ihn und ließen sich nicht genügen +an seinem Anblick? Erwarteten sie mehr von +<span class="pagenum"><a name="Page_91">91</a></span>ihm? Hofften sie in der Tat von ihm etwas Neues, +Außergewöhnliches, Wundervolles zu sehen? Es kam +ihm vor, als spräche aus der eintönigen Hast der Geräusche +ihrer Füße ein starker Glaube, ja mehr als +dies: eine Gewißheit. Und plötzlich ging es ihm hell +auf, weshalb Propheten, wahrhaftige Menschen voll +Größe und Reinheit, so oft am Schluß zu gemeinen +Betrügern werden. Er empfand auf einmal eine +brennende Sucht, einen unwiderstehlichen Trieb, +etwas Wundervolles zu verrichten, und die größte +Schmach würde ihm klein erschienen sein im Vergleiche +zu dem Eingeständnis seiner Unkraft.</p> + +<p>Bis an den Limmatquai war er inzwischen gelangt, +und noch immer folgten ihm die Kleinen. Einige +trabten, die größeren machten unmäßig lange Schritte, +um ihm nachzukommen. In abgebrochenen Worten, +mit dem feierlichen Flüsterton der Kirche vorgebracht, +bestand ihre Unterhaltung. Es war ihm bisher nicht +gelungen, etwas von dem, was sie sprachen, zu verstehen. +Plötzlich aber – er hatte es ganz deutlich gehört +– wurden die Worte »Herr Jesus« ausgesprochen.</p> + +<p>Die Wirkung eines Zaubers lag in diesen Worten. +Er fühlte sich aufgehoben durch sie, gestärkt, wiederhergestellt.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_92">92</a></span> +Jesus war verhöhnt worden: man hatte ihn geschlagen, +angespien und ans Kreuz genagelt. In Verachtung +und Spott bestand der Lohn aller Propheten. +Sein eigenes bißchen Leiden kam nicht in Betracht. +Kleine, feige Nadelstiche hatte man ihm versetzt. Ein +Zärtling, der daran zugrunde ging!</p> + +<p>Zum Kampf war man da. Wunden bewiesen +den Krieger. Spott und Hohn der Menge … wo +gab es höhere Ehrenzeichen?! Die Brust damit geschmückt, +durfte man stolz und frei blicken. Und überdies: +aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge +hast du dir dein Lob zugerichtet.</p> + +<p>Vor einer Frau, die Orangen feilbot, blieb er +stehen. Sogleich hielten auch die Kleinen im Laufen +inne, und ein Haufe Neugieriger staute sich auf dem +Bürgersteig. Er hätte seine Früchte gern ohne alles +Reden gekauft. Mit einer Spannung warteten die +Leute auf sein erstes Wort, die ihn befangen und +scheu machte. Ein sicheres Gefühl sagte ihm, daß +er eine Illusion zu schonen hatte, daß es von der Art, +wie er sprach, abhing, ob seine Hörer ihm weiter +folgten oder enttäuscht davonschlichen. Aber es war +nicht zu vermeiden, die Hökerfrau fragte und schwatzte +zu viel, und so mußte er endlich reden.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_93">93</a></span> +Er war beruhigt und zufrieden, sobald er seine +eigene Stimme vernahm; etwas Singendes und Getragenes +lag darin, eine feierliche und gleichsam +melancholische Würde, die, wie er überzeugt war, +Eindruck machen mußte. Er hatte sich kaum je so +reden hören, und indem er sprach, wurde ihm das +Reden selbst zum Genuß, wie dem Sänger der Gesang. +Auf der Brücke, unter die hinein der blaugrüne +See seine Wellen schlug, hielt er abermals an. +Über das Geländer gebeugt, nahm er aufs neue Licht, +Farbe und Frische des Morgens in sich auf. Der +ungestüme, stärkende Wind, der den See herauffuhr, +wehte ihm den Bart über die Schulter und +umspülte ihm Stirn und Brust wie ein kaltes Bad.</p> + +<p>Und nun aus der mutigen Aufwallung seines Innern +stieg es auf als ein fester Entschluß. Die Zeit +war gekommen. Etwas mußte geschehen. In ihm +war eine Kraft, die Menschheit aufzurütteln. Jawohl! +und sie mochten lachen, spotten und ihn verhöhnen, +er würde sie dennoch erlösen, alle, alle!</p> + +<p>Nun fing er an, tief und verschlossen zu grübeln. +<em class="gesperrt">Daß</em> es geschehen würde, stand nun fest; <em class="gesperrt">wie</em> es geschehen +würde, mußte erwogen werden. Man feierte +heute Pfingsten, und das war gut. Um Pfingsten +<span class="pagenum"><a name="Page_94">94</a></span>hatten die Jünger Jesu mit feurigen Zungen geredet. +Die Feierstimmung bedeutete Empfänglichkeit. Einem +erschlossenen Acker gleichen die Seelen der Menschen +an Feiertagen.</p> + +<p>Tiefer und tiefer ging er in sich hinein, bis er in +Räume eindrang, weit, hoch, unendlich. Und so ganz +versunken war er mit allen Sinnen in diese zweite +Welt, daß er wie ein Schlafender nur willenlos sich +fortbewegte. Von allem, was ihn umgab, drang +nichts mehr in sein Bewußtsein außer dem Getrappel +der Kinderfüßchen hinter ihm.</p> + +<p>Gleichmäßig eine Zeitlang, schwoll es allmählich +an, wie wenn den Wenigen, die ihm folgten, andere +sich angeschlossen hätten. Und stärker und stärker +immer, als ob aus Einzelnen Hunderte, aus Hunderten +Tausende geworden wären.</p> + +<p>Ganz plötzlich wurde er aufmerksam, und nun war +es, als ob hinter ihm drein Heeresmassen sich wälzten.</p> + +<p>In seinen Füßen bis in die Knöchel hinauf spürte +er ein Erzittern des Erdreiches. Er vernahm hinter +sich starkes Atmen, heißes, hastiges Geflüster. Er +vernahm Frohlocken, kurz abgerissen, halb unterdrückt, +das sich weit zurück fortpflanzte und erst in tiefen +Fernen echohaft erstarb.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_95">95</a></span> +Was das bedeutete, wußte er wohl. Daß es so +überraschend schnell kam, hatte er nicht erwartet. +Durch seine Glieder brannte der Stolz eines Feldherrn, +und das Bewußtsein einer unerhörten Verantwortung +lastete nicht schwerer auf ihm wie der Strick +auf seinem Kopfe. Er war ja der, der er war. Er +wußte ja den Weg, den er sie führen mußte. Er +spürte ja aus dem Lachen und Drängen seiner Seele, +daß es ihm nahe war, jenes Endglück der Welt, +wonach die blinden Menschen mit blutenden Augen +und Händen so viele Jahrtausende vergebens gesucht +hatten.</p> + +<p>So schritt er voran – er – er – also doch er! +und in die Stapfen seiner Füße stürzten die Völker +wie Meereswogen. Zu ihm blickten sie auf, die Milliarden. +Der letzte Spötter war längst verstummt. Der +letzte Verächter war eine Mythe geworden.</p> + +<p>So schritt er voran, dem Gebirge entgegen. Dort +oben war die Grenze, dahinter lag das Land, wo das +Glück im Arme des Friedens ewig ruhte. Und schon +jetzt durchdrang ihn das Glück mit einer Wucht und +Gewalt, die ihm bewies, daß man athletische Muskeln +nötig hatte, um es zu ertragen.</p> + +<p>Er hatte sie, er hatte athletische Muskeln. Sein +<span class="pagenum"><a name="Page_96">96</a></span>Leben, sein Dasein war jetzt nur ein wollüstiges, +spielendes Kraftentfalten.</p> + +<p>Eine Lust kam ihn an, mit Felsen und Bäumen +Fangball zu spielen. Aber hinter ihm rauschten die +seidenen Banner, drängte und dröhnte unaufhaltsam +die ungeheure Wallfahrt der Menschen.</p> + +<p>Man rief, man lockte, man winkte; schwarze, blaue, +rote Schleier flatterten; blonde offene Frauenhaare; +graue und weiße Köpfe nickten; Fleisch bloßer, nerviger +Arme leuchtete auf; begeisterte Augen, zum +Himmel blickend, oder flammend auf ihn gerichtet, +voll reinen Glaubens: auf ihn, der voranschritt.</p> + +<p>Und nun sprach er es aus, ganz leise, kaum hörbar, +das heilige Kleinodwort: – Weltfriede! Aber es +lebte und flog zurück von einem zum andern. Es war +ein Gemurmel der Ergriffenheit und Feierlichkeit. +Von ferne her kam der Wind und brachte weiche +Akkorde beginnender Choräle. Gedämpfte Posaunenklänge, +Menschenstimmen, welche zaghaft und rein +sangen; bis etwas brach, wie das Eis eines Stromes, +und ein Gesang emporschwoll wie von tausend +brausenden Orgeln. Ein Gesang, der ganz Seele und +Sturm war und eine alte Melodie hatte, die er kannte: +»Nun danket alle Gott.«</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Page_97">97</a></span> +Er kam zu sich. Sein Herz hämmerte. Er war +nahe am Weinen. Vor seinen Augen schwammen +weiße Punkte durcheinander. Seine Glieder waren +wie zerschlagen.</p> + +<p>Er setzte sich auf eine Bank nieder, die am See +stand, und fing an, das Brot zu essen, das er sich gekauft +hatte. Dann schälte er die Orange und drückt +die kalte Schale an seine Stirn. Mit Andacht, wie der +Christ die Hostie, genoß er die Frucht. Noch war er +damit nicht zu Ende, als er müde zurücksank. Ein wenig +Schlaf würde ihm willkommen gewesen sein. Ja, +wenn das so leicht wäre: ausruhen. Wie soll man +ruhen, wenn es im Kopfe drinnen endlos wühlt und +gärt? Wenn das Herz heraus will, wenn es einen +zieht ins Unbestimmte, – wenn man eine Mission +hat, die verlangt, daß man sich ihr unterziehe – wenn +die Menschen draußen warten und sich die Köpfe +zerbrechen? Wie soll man ruhen und schlafen, wo es +not tut zu handeln?</p> + +<p>Es war ein peinigender Zustand, wie er so dalag. +Fragen und Fragen und nie eine Antwort. Graue, +quälende Leere, mitunter schmerzende Stockungen. +An einen Ziehbrunnen mußte er denken. Man steht, +zieht mit aller Kraft am Seil, aber das Rad, worüber +<span class="pagenum"><a name="Page_98">98</a></span>es geht, dreht sich nicht mehr. Man läßt nicht nach +mit Zerren und Stemmen. Der Eimer soll herauf. +Man dürstet zum Verschmachten. Das Rad gibt nicht +nach. Weder vor- noch rückwärts schiebt sich das Seil. +– Eine Plage war das, eine Qual – beinahe ein +physisches Leiden. Als er Schritte vernahm, freute +er sich der Ablenkung. Ja, du lieber Gott! Was war +das überhaupt für ein Gedanke gewesen, jetzt schlafen +zu wollen! Er stand auf, verwundert, daß er sich in +seiner Kammer befand, und öffnete die Tür nach dem +Flur. Seine Mutter, wie er wußte, stand auf dem +Gange, und er mußte sie hereinlassen. Sie kam, sah +ihn an mit strahlender Bewunderung, ihre Lippen +zitterten, und sie faltete in Ehrfurcht ihre Hände. Er +legte ihr die Hände aufs Haupt und sprach: stehe auf! +– und – die Kranke erhob sich und konnte gehen. +Und wie sie sich aufrichtete, erkannte er, daß es nicht +seine Mutter war, sondern er, der Dulder von Nazareth. +Nicht nur geheilt hatte er ihn; er hatte ihn +lebendig gemacht. Noch wehten die Grabtücher um +Jesu Leib. Er kam auf ihn zu und schritt in ihn hinein. +Und eine unbeschreibliche Musik tönte, als er so in ihn +hineinging. Den ganzen geheimnisvollen Vorgang +als die Gewalt Jesu in der seinigen sich auflöste, +<span class="pagenum"><a name="Page_99">99</a></span>empfand er genau. Er sah nun die Jünger, die den +Meister suchten. Aus ihnen trat Petrus auf ihn zu +und sagte: Rabbi! – »Ich bin es,« gab er zur Antwort. +Und Petrus kam näher, ganz nahe, berührte +seinen Augapfel und begann ihn zu drehen: der Jünger +drehte den Erdball. Die Stunde war da, sich dem Volke +zu zeigen. Auf den Balkon des Saales, den er bewohnte, +trat er hinaus. Unten wogte die Menge, und +in das Brausen und Wogen sang eine einzige dünne +Kinderstimme: »Christ ist erstanden.«</p> + +<p>Sie hatte kaum begonnen, als das Eisen des +Balkons nachgab. Er erschrak heftig, wachte auf, +rieb sich die Augen und wurde inne, daß er auf der +Bank eingeschlafen war. –</p> + +<p>Gegen Mittag mochte es sein. Er wollte wieder +hinauf in den Buchenwald, um seine Zeit abzuwarten +Die Sonne sollte ihn weihen, dort oben.</p> + +<p>Noch immer kühle und reine Luft, wie er den Berg +hinanstieg. Hymnen der Vögel. Der Himmel wie +eine blaßblaue, leere Kristallschale. Alles so makellos. +Alles so neu.</p> + +<p>Auch er selbst war neu. Er betrachtete seine Hand, +es war die Hand eines Gottes; und wie frei und rein +war sein Geist! Und diese Ungebundenheit der Glieder, +<span class="pagenum"><a name="Page_100">100</a></span>diese völlige innere Sicherheit und Skrupellosigkeit. +Grübeln und Denken lag ihm nun weltfern. Er +lächelte voll Mitleid, wenn er an die Philosophen dieser +Welt zurückdachte. Daß sie mit ihrem Grübeln etwas +ergründen wollten, war so rührend, wie wenn etwa +ein Kind sich abmüht, mit seinen zwei bloßen Ärmchen +in die Luft zu fliegen.</p> + +<p>Nein, nein – dazu gehören Flügel, breite Riesenschwingen +eines Adlers – Kraft eines Gottes!</p> + +<p>Er trug etwas wie einen ungeheuren Diamanten +in seinem Kopfe, dessen Licht alle schwarzen Tiefen +und Abgründe hell machte: da war kein Dunkel +mehr in seinem Bereich … Das große Wissen war +angebrochen. –</p> + +<p>Die Glocken der Kirchen begannen zu läuten. Ein +Gewühl und Gebrause von Tönen erfüllte das Tal. +Mit einer erznen Zunge schien die Luft zu sprechen.</p> + +<p>Er beugte sich vor und lauschte, als es zu ihm +heraufkam. Er senkte das Haupt nicht, er kniete +nicht nieder. Er horchte lächelnd wie auf eines alten +Freundes Stimme, und doch war es Gottvater, der +mit seinem Sohne redete.</p> + +<p class="center gesperrt" style="margin: 2em auto;">Ende</p> + + + +<h1 class="gesperrt" style="font-size: x-large; margin: 6em auto 2em auto;">Werke von Gerhart Hauptmann:</h1> + + +<table summary="Werke von Gerhart Hauptmann" style="margin: auto;"> +<tr> + <td>Vor Sonnenaufgang. Bühnendichtung.</td> + <td class="right">13. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Das Friedensfest. Soziales Drama.</td> + <td class="right">8. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Einsame Menschen. Drama.</td> + <td class="right">30. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Die Weber. Schauspiel.</td> + <td class="right">46. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Kollege Crampton. Komödie.</td> + <td class="right">9. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Der Biberpelz. Eine Diebskomödie.</td> + <td class="right">16. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Hanneles Himmelfahrt. Eine Traumdichtung.</td> + <td class="right">26. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Florian Geyer.</td> + <td class="right">10. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Die versunkene Glocke. Ein deutsches Märchendrama.</td> + <td class="right" style="padding-left: 1em;">85. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Fuhrmann Henschel. Schauspiel. (Originalausg.)</td> + <td class="right">16. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Fuhrmann Henschel. Schauspiel. (Übertragung.)</td> + <td class="right">18. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Schluck und Jau. Spiel zu Scherz und Schimpf.</td> + <td class="right">10. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Michael Kramer. Drama.</td> + <td class="right">11. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Der rote Hahn. Tragikomödie.</td> + <td class="right">8. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Der arme Heinrich. Dramatische Dichtung.</td> + <td class="right">23. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Rose Bernd. Schauspiel.</td> + <td class="right">18. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Elga.</td> + <td class="right">8. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Und Pippa tanzt! Ein Glashüttenmärchen.</td> + <td class="right">10. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Die Jungfern vom Bischofsberg. Lustspiel.</td> + <td class="right">4. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Kaiser Karls Geisel. Drama.</td> + <td class="right">6. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Griechischer Frühling.</td> + <td class="right">7. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Griselda.</td> + <td class="right">6. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Der Narr in Christo Emanuel Quint. Roman.</td> + <td class="right">18. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Die Ratten. Berliner Tragikomödie.</td> + <td class="right">7. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Gabriel Schillings Flucht. Drama.</td> + <td class="right">10. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Atlantis. Roman.</td> + <td class="right">27. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Festspiel.</td> + <td class="right">32. Auflage.</td> +</tr> +<tr> + <td>Der Bogen des Odysseus.</td> + <td class="right">7. Auflage.</td> +</tr> +</table> + + + +<h1 class="gesperrt" style="font-size: x-large; margin: 6em auto 2em auto;">Gesamtausgaben moderner Dichter</h1> + + +<div id="gesamtausgaben"> +<h2>Björnstjerne Björnson</h2> + +<p>Gesammelte Werke. Volksausgabe in fünf Bänden. +In Leinen 15 Mark.</p> + + +<h2>Richard Dehmel</h2> + +<p>Gesammelte Werke in zehn Bänden. Geheftet 30 Mark, +in Halbpergament 40 Mark, in Ganzpergament 50 Mark.</p> + +<p>Gesammelte Werke in drei Bänden. In Leinen +12 Mark 50 Pfennig, in Halbleder 16 Mark.</p> + + +<h2>Theodor Fontane</h2> + +<p>Gesammelte Werke. Auswahl in fünf Bänden. In +Leinen 20 Mark.</p> + + +<h2>Gustaf af Geijerstam</h2> + +<p>Gesammelte Romane in fünf Bänden. Geheftet +12 Mark, in Leinen 15 Mark.</p> + + +<h2>Otto Erich Hartleben</h2> + +<p>Ausgewählte Werke in drei Bänden. Geheftet 8 Mark, +in Pappbänden 10 Mark, in Ganzpergament 15 Mark.</p> + + +<h2>Gerhart Hauptmann</h2> + +<p>Gesammelte Werke. Gesamtausgabe in sechs Bänden. +In Leinen 24 Mark, in Halbleder 30 Mark.</p> + + +<h2>Henrik Ibsen</h2> + +<p>Sämtliche Werke in deutscher Sprache. Zehn Bände. +Geheftet 35 Mark, in Leinen 45 Mark.</p> + + +<h2>Henrik Ibsen</h2> + +<p>Sämtliche Werke. Volksausgabe in fünf Bänden. +In Leinen gebunden 15 Mark.</p> + + +<h2>Peter Nansen</h2> + +<p>Ausgewählte Werke in drei Bänden. In Leinen +gebunden 12 Mark.</p> + + +<h2>Arthur Schnitzler</h2> + +<p>Gesammelte Werke. I. Die erzählenden Schriften in +drei Bänden. In Leinen 10 Mark, in Halbleder +13 Mark, in Ganzleder 17 Mark.</p> + +<p>II. Die Theaterstücke in vier Bänden. In Leinen +12 Mark, in Halbleder 16 Mark, in Ganzleder +21 Mark.</p> + + +<h2>Bernard Shaw</h2> + +<p>Dramatische Werke. Auswahl in drei Bänden. In +Leinen 12 Mark.</p> +</div> + + +<h1 class="gesperrt" style="font-size: x-large; margin: 6em auto 1em auto;">Sammlung von Schriften +zur Zeitgeschichte</h1> + +<p class="center gesperrt" style="margin-bottom: 2em;">Jeder Band gebunden 1 Mark</p> + + +<div id="zeitgeschichte"> +<p>1. <span class="gesperrt">Band</span>: Aus den Kämpfen um Lüttich. <small>Von einem +Sanitätssoldaten.</small></p> + +<p>2. <span class="gesperrt">Band</span>: Weltwirtschaft und Nationalwirtschaft. +<small>Von Franz Oppenheimer.</small></p> + +<p>3. <span class="gesperrt">Band</span>: Der englische Charakter, heute wie gestern. +<small>Von Theodor Fontane.</small></p> + +<p>4. <span class="gesperrt">Band</span>: Preußische Prägung. <small>Von Lucia Dora Frost.</small></p> + +<p>5. <span class="gesperrt">Band</span>: Friedrich und die große Koalition. +<small>Von Thomas Mann.</small></p> + +<p>6. <span class="gesperrt">Band</span>: Die Fahrten der Emden und der Ayesha. +<small>Mit 20 Abbildungen. Von Emil Ludwig.</small></p> + +<p>7. <span class="gesperrt">Band</span>: In England – Ostpreußen – Südösterreich. +<small>Von Arthur Holitscher.</small></p> + +<p>8. <span class="gesperrt">Band</span>: Der deutsche Mensch. <small>Von Leopold Ziegler.</small></p> + +<p>9. <span class="gesperrt">Band</span>: Russischer Volksimperialismus. <small>Von Karl +Leuthner.</small></p> + +<p>10. <span class="gesperrt">Band</span>: Die Flüchtlinge. <small>Von einer Reise durch Holland +hinter die belgische Front. Von Norbert Jacques.</small></p> + +<p>11. <span class="gesperrt">Band</span>: Zwischen Lindau und Memel während des +Krieges. <small>Von Paul Schlenther.</small></p> + +<p>12. <span class="gesperrt">Band</span>: Deutsche Kunst. <small>Von Karl Scheffler.</small></p> + +<p>13. <span class="gesperrt">Band</span>: Gedanken zur deutschen Sendung. <small>Von +Alfred Weber.</small></p> +</div> + + +<p class="center gesperrt" style="margin: 6em auto 120px auto;">S. Fischer · Verlag · Berlin</p> + + + + + + + +<pre> + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Bahnwärter Thiel, by Gerhart Hauptmann + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BAHNWÄRTER THIEL *** + +***** This file should be named 29376-h.htm or 29376-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/2/9/3/7/29376/ + +Produced by Jana Srna, Norbert H. Langkau and the Online +Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. 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Redistribution is +subject to the trademark license, especially commercial +redistribution. + + + +*** START: FULL LICENSE *** + +THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE +PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK + +To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free +distribution of electronic works, by using or distributing this work +(or any other work associated in any way with the phrase "Project +Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project +Gutenberg-tm License (available with this file or online at +http://gutenberg.org/license). + + +Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm +electronic works + +1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm +electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to +and accept all the terms of this license and intellectual property +(trademark/copyright) agreement. 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It exists +because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from +people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. +To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation +and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 +and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at +http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent +permitted by U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. +Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered +throughout numerous locations. Its business office is located at +809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email +business@pglaf.org. 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