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authorRoger Frank <rfrank@pglaf.org>2025-10-15 02:47:24 -0700
committerRoger Frank <rfrank@pglaf.org>2025-10-15 02:47:24 -0700
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+ <title>The Project Gutenberg eBook of Bahnwärter Thiel, by Gerhart Hauptmann</title>
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+<!--
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+<pre>
+
+The Project Gutenberg EBook of Bahnwärter Thiel, by Gerhart Hauptmann
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
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+Title: Bahnwärter Thiel
+
+Author: Gerhart Hauptmann
+
+Release Date: July 11, 2009 [EBook #29376]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BAHNWÄRTER THIEL ***
+
+
+
+
+Produced by Jana Srna, Norbert H. Langkau and the Online
+Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
+
+
+
+
+
+
+</pre>
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+
+
+<div id="tnote">
+<p class="center"><b>Anmerkungen zur Transkription:</b></p>
+<p>Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden
+übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler wurden
+korrigiert. Änderungen sind im Text <ins title="so wie hier">gekennzeichnet</ins>,
+der Originaltext erscheint beim Überfahren mit der Maus.</p>
+</div>
+
+
+<p class="center" style="font-size: large;">Fischers Bibliothek
+zeitgenössischer Romane</p>
+
+
+
+<div id="title-page">
+<h1 style="padding-top: 0.5em;">Bahnwärter Thiel</h1>
+
+<p class="center" style="font-size: large; line-height: 2em; margin-top: -0.5em;">von<br/>
+<big>Gerhart Hauptmann</big></p>
+
+<hr/>
+
+<div class="figcenter" style="width: 120px; margin: 5em auto;">
+<img src="images/f0002-image.png" width="120" height="116" alt="" title="" />
+</div>
+
+<hr/>
+
+<p class="center" style="padding: 0.75em;">S. Fischer, Verlag, Berlin</p>
+</div>
+
+
+
+
+<p class="center">Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung, vorbehalten</p>
+
+
+
+<h2 class="new-h2">Inhalt</h2>
+
+
+<table id="toc" summary="Inhalt">
+<tr>
+ <td>Bahnwärter Thiel</td>
+ <td class="page"><a href="#Page_7">7</a></td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Der Apostel</td>
+ <td class="page"><a href="#Page_71">71</a></td>
+</tr>
+</table>
+
+
+<div class="new-h2">&nbsp;</div>
+<div><span class="pagenum"><a name="Page_7">7&ndash;8</a></span></div>
+<h2>Bahnwärter Thiel</h2>
+
+
+<div class="new-h3">&nbsp;</div>
+<div><span class="pagenum"><a name="Page_9">9</a></span></div>
+<h3>1</h3>
+
+<p class="dropcap">Allsonntäglich saß der Bahnwärter Thiel in der
+Kirche zu Neu-Zittau, ausgenommen die Tage, an
+denen er Dienst hatte oder krank war und zu Bette
+lag. Im Verlaufe von zehn Jahren war er zweimal
+krank gewesen; das eine Mal infolge eines vom Tender
+einer Maschine während des Vorbeifahrens herabgefallenen
+Stückes Kohle, welches ihn getroffen und
+mit zerschmettertem Bein in den Bahngraben geschleudert
+hatte; das andere Mal einer Weinflasche
+wegen, die aus dem vorüberrasenden Schnellzuge
+mitten auf seine Brust geflogen war. Außer diesen
+beiden Unglücksfällen hatte nichts vermocht, ihn, sobald
+er frei war, von der Kirche fernzuhalten.</p>
+
+<p>Die ersten fünf Jahre hatte er den Weg von Schön-Schornstein,
+einer Kolonie an der Spree, herüber
+nach Neu-Zittau allein machen müssen. Eines schönen
+Tages war er dann in Begleitung eines schmächtigen
+<span class="pagenum"><a name="Page_10">10</a></span>und kränklich aussehenden Frauenzimmers erschienen,
+die, wie die Leute meinten, zu seiner herkulischen
+Gestalt wenig gepaßt hatte. Und wiederum eines
+schönen Sonntag Nachmittags reichte er dieser selben
+Person am Altare der Kirche feierlich die Hand zum
+Bunde fürs Leben. Zwei Jahre nun saß das junge,
+zarte Weib ihm zur Seite in der Kirchenbank; zwei
+Jahre blickte ihr hohlwangiges, feines Gesicht neben
+seinem vom Wetter gebräunten in das uralte Gesangbuch
+&ndash;; und plötzlich saß der Bahnwärter wieder
+allein wie zuvor.</p>
+
+<p>An einem der vorangegangenen Wochentage hatte
+die Sterbeglocke geläutet: das war das Ganze.</p>
+
+<p>An dem Wärter hatte man, wie die Leute versicherten,
+kaum eine Veränderung wahrgenommen.
+Die Knöpfe seiner sauberen Sonntagsuniform waren
+so blank geputzt als je zuvor, seine roten Haare so
+wohl geölt und militärisch gescheitelt wie immer,
+nur daß er den breiten, behaarten Nacken ein wenig
+gesenkt trug und noch eifriger der Predigt lauschte
+oder sang, als er es früher getan hatte. Es war die
+allgemeine Ansicht, daß ihm der Tod seiner Frau nicht
+sehr nahe gegangen sei; und diese Ansicht erhielt eine
+Bekräftigung, als sich Thiel nach Verlauf eines Jahres
+<span class="pagenum"><a name="Page_11">11</a></span>zum zweiten Male, und zwar mit einem dicken und
+starken Frauenzimmer, einer Kuhmagd aus Alte-Grund,
+verheiratete.</p>
+
+<p>Auch der Pastor gestattete sich, als Thiel die Trauung
+anmelden kam, einige Bedenken zu äußern:</p>
+
+<p>»Ihr wollt also schon wieder heiraten?«</p>
+
+<p>»Mit der Toten kann ich nicht wirtschaften, Herr
+Prediger!«</p>
+
+<p>»Nun ja wohl &ndash; aber ich meine &ndash; Ihr eilt ein
+wenig.«</p>
+
+<p>»Der Junge geht mir drauf, Herr Prediger.«</p>
+
+<p>Thiels Frau war im Wochenbett gestorben, und
+der Junge, welchen sie zur Welt gebracht, lebte und
+hatte den Namen Tobias erhalten.</p>
+
+<p>»Ach so, der Junge,« sagte der Geistliche und machte
+eine Bewegung, die deutlich zeigte, daß er sich des
+Kleinen erst jetzt erinnere. »Das ist etwas andres
+&ndash; wo habt Ihr ihn denn untergebracht, während
+Ihr im Dienst seid?«</p>
+
+<p>Thiel erzählte nun, wie er Tobias einer alten
+Frau übergeben, die ihn einmal beinahe habe verbrennen
+lassen, während er ein anderes Mal von
+ihrem Schoß auf die Erde gekugelt sei, ohne glücklicherweise
+mehr als eine große Beule davonzutragen.
+<span class="pagenum"><a name="Page_12">12</a></span>Das könne nicht so weiter gehen, meinte er,
+zudem da der Junge, schwächlich wie er sei, eine
+ganz besondere Pflege benötige. Deswegen und
+ferner weil er der Verstorbenen in die Hand gelobt,
+für die Wohlfahrt des Jungen zu jeder Zeit ausgiebig
+Sorge zu tragen, habe er sich zu dem Schritte entschlossen.&nbsp;&ndash;</p>
+
+<p>Gegen das neue Paar, welches nun allsonntäglich
+zur Kirche kam, hatten die Leute äußerlich durchaus
+nichts einzuwenden. Die frühere Kuhmagd schien
+für den Wärter wie geschaffen. Sie war kaum einen
+halben Kopf kleiner wie er und übertraf ihn an
+Gliederfülle. Auch war ihr Gesicht ganz so grob
+geschnitten wie das seine, nur daß ihm im Gegensatz
+zu dem des Wärters die Seele abging.</p>
+
+<p>Wenn Thiel den Wunsch gehegt hatte, in seiner
+zweiten Frau eine unverwüstliche Arbeiterin, eine
+musterhafte Wirtschafterin zu haben, so war dieser
+Wunsch in überraschender Weise in Erfüllung gegangen.
+Drei Dinge jedoch hatte er, ohne es zu
+wissen, mit seiner Frau in Kauf genommen: eine
+harte, herrschsüchtige Gemütsart, Zanksucht und brutale
+Leidenschaftlichkeit. Nach Verlauf eines halben
+Jahres war es ortsbekannt, wer in dem Häuschen des
+<span class="pagenum"><a name="Page_13">13</a></span>Wärters das Regiment führte. Man bedauerte den
+Wärter.</p>
+
+<p>Es sei ein Glück für »das Mensch«, daß sie ein so
+gutes Schaf wie den Thiel zum Manne bekommen
+habe, äußerten die aufgebrachten Ehemänner; es
+gäbe welche, bei denen sie greulich anlaufen würde.
+So ein »Tier« müsse doch kirre zu machen sein,
+meinten sie, und wenn es nicht anders ginge, denn mit
+Schlägen. Durchgewalkt müsse sie werden, aber dann
+gleich so, daß es zöge.</p>
+
+<p>Sie durchzuwalken aber war Thiel trotz seiner
+sehnigen Arme nicht der Mann. Das, worüber sich
+die Leute ereiferten, schien ihm wenig Kopfzerbrechen
+zu machen. Die endlosen Predigten seiner Frau ließ
+er gewöhnlich wortlos über sich ergehen, und wenn
+er einmal antwortete, so stand das schleppende Zeitmaß,
+sowie der leise, kühle Ton seiner Rede in seltsamstem
+Gegensatz zu dem kreischenden Gekeif seiner
+Frau. Die Außenwelt schien ihm wenig anhaben
+zu können: es war, als trüge er etwas in sich, wodurch
+er alles Böse, was sie ihm antat, reichlich mit Gutem
+aufgewogen erhielt.</p>
+
+<p>Trotz seines unverwüstlichen Phlegmas hatte er
+doch Augenblicke, in denen er nicht mit sich spaßen
+<span class="pagenum"><a name="Page_14">14</a></span>ließ. Es war dies immer anläßlich solcher Dinge,
+die Tobiäschen betrafen. Sein kindgutes, nachgiebiges
+Wesen gewann dann einen Anstrich von Festigkeit,
+dem selbst ein so unzähmbares Gemüt wie das Lenes
+nicht entgegenzutreten wagte.</p>
+
+<p>Die Augenblicke indes, darin er diese Seite seines
+Wesens herauskehrte, wurden mit der Zeit immer
+seltener und verloren sich zuletzt ganz. Ein gewisser
+leidender Widerstand, den er der Herrschsucht Lenens
+während des ersten Jahres entgegengesetzt, verlor sich
+ebenfalls im zweiten. Er ging nicht mehr mit der
+früheren Gleichgültigkeit zum Dienst, nachdem er
+einen Auftritt mit ihr gehabt, wenn er sie nicht vorher
+besänftigt hatte. Er ließ sich am Ende nicht selten
+herab, sie zu bitten, doch wieder gut zu sein. &ndash; Nicht
+wie sonst mehr war ihm sein einsamer Posten inmitten
+des märkischen Kiefernforstes sein liebster Aufenthalt.
+Die stillen, hingebenden Gedanken an sein verstorbenes
+Weib wurden von denen an die Lebende durchkreuzt.
+Nicht widerwillig, wie die erste Zeit, trat er
+den Heimweg an, sondern mit leidenschaftlicher Hast,
+nachdem er vorher oft Stunden und Minuten bis zur
+Zeit der Ablösung gezählt hatte.</p>
+
+<p>Er, der mit seinem ersten Weibe durch eine mehr
+<span class="pagenum"><a name="Page_15">15</a></span>vergeistigte Liebe verbunden gewesen war, geriet
+durch die Macht roher Triebe in die Gewalt seiner
+zweiten Frau und wurde zuletzt in allem fast unbedingt
+von ihr abhängig. &ndash; Zuzeiten empfand er
+Gewissensbisse über diesen Umschwung der Dinge
+und er bedurfte einer Anzahl außergewöhnlicher
+Hilfsmittel, um sich darüber hinweg zu helfen. So
+erklärte er sein Wärterhäuschen und die Bahnstrecke,
+die er zu besorgen hatte, insgeheim gleichsam für geheiligtes
+Land, welches ausschließlich den Manen der
+Toten gewidmet sein sollte. Mit Hilfe von allerhand
+Vorwänden war es ihm in der Tat bisher gelungen,
+seine Frau davon abzuhalten, ihn dahin zu begleiten.</p>
+
+<p>Er hoffte es auch fernerhin tun zu können. Sie
+hätte nicht gewußt, welche Richtung sie einschlagen
+sollte, um seine »Bude«, deren Nummer sie nicht
+einmal kannte, aufzufinden.</p>
+
+<p>Dadurch, daß er die ihm zu Gebote stehende Zeit
+somit gewissenhaft zwischen die Lebende und Tote
+zu teilen vermochte, beruhigte Thiel sein Gewissen
+in der Tat.</p>
+
+<p>Oft freilich und besonders in Augenblicken einsamer
+Andacht, wenn er recht innig mit der Verstorbenen
+<span class="pagenum"><a name="Page_16">16</a></span>verbunden gewesen war, sah er seinen jetzigen Zustand
+im Lichte der Wahrheit und empfand davor
+Ekel.</p>
+
+<p>Hatte er Tagdienst, so beschränkte sich sein geistiger
+Verkehr mit der Verstorbenen auf eine Menge lieber
+Erinnerungen aus der Zeit seines Zusammenlebens
+mit ihr. Im Dunkel jedoch, wenn der Schneesturm
+durch die Kiefern und über die Strecke raste, in tiefer
+Mitternacht beim Scheine seiner Laterne, da wurde
+das Wärterhäuschen zur Kapelle.</p>
+
+<p>Eine verblichene Photographie der Verstorbenen
+vor sich auf dem Tisch, Gesangbuch und Bibel aufgeschlagen,
+las und sang er abwechselnd die lange
+Nacht hindurch, nur von den in Zwischenräumen
+vorbeitobenden Bahnzügen unterbrochen, und geriet
+hierbei in eine Ekstase, die sich zu Gesichten steigerte,
+in denen er die Tote leibhaftig vor sich sah.</p>
+
+<p>Der Posten, den der Wärter nun schon zehn volle
+Jahre ununterbrochen innehatte, war aber in seiner
+Abgelegenheit dazu angetan, seine mystischen Neigungen
+zu fördern.</p>
+
+<p>Nach allen vier Windrichtungen mindestens durch
+einen dreiviertelstündigen Weg von jeder menschlichen
+Wohnung entfernt, lag die Bude inmitten
+<span class="pagenum"><a name="Page_17">17</a></span>des Forstes dicht neben einem Bahnübergang, dessen
+Barrieren der Wärter zu bedienen hatte.</p>
+
+<p>Im Sommer vergingen Tage, im Winter Wochen,
+ohne daß ein menschlicher Fuß, außer denen des
+Wärters und seines Kollegen, die Strecke passierte.
+Das Wetter und der Wechsel der Jahreszeiten brachten
+in ihrer periodischen Wiederkehr fast die einzige Abwechslung
+in diese Einöde. Die Ereignisse, welche im
+übrigen den regelmäßigen Ablauf der Dienstzeit
+Thiels außer den beiden Unglücksfällen unterbrochen
+hatten, waren unschwer zu überblicken. Vor vier
+Jahren war der kaiserliche Extrazug, der den Kaiser
+nach Breslau gebracht hatte, vorübergejagt. In einer
+Winternacht hatte der Schnellzug einen Rehbock
+überfahren. An einem heißen Sommertage hatte
+Thiel bei seiner Streckenrevision eine verkorkte Weinflasche
+gefunden, die sich glühend heiß anfaßte und
+deren Inhalt deshalb von ihm für sehr gut gehalten
+wurde, weil er nach Entfernung des Korkes einer
+Fontäne gleich herausquoll, also augenscheinlich gegoren
+war. Diese Flasche, von Thiel in den seichten
+Rand eines Waldsees gelegt, um abzukühlen, war von
+dort auf irgend welche Weise abhanden gekommen, so
+daß er noch nach Jahren ihren Verlust bedauern mußte.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_18">18</a></span>
+Einige Zerstreuung vermittelte dem Wärter ein
+Brunnen dicht hinter seinem Häuschen. Von Zeit
+zu Zeit nahmen in der Nähe beschäftigte Bahn- oder
+Telegraphenarbeiter einen Trunk daraus, wobei
+natürlich ein kurzes Gespräch mit unterlief. Auch der
+Förster kam zuweilen, um seinen Durst zu löschen.</p>
+
+<p>Tobias entwickelte sich nur langsam: erst gegen
+Ablauf seines zweiten Lebensjahres lernte er notdürftig
+sprechen und gehen. Dem Vater bewies er
+eine ganz besondere Zuneigung. Wie er verständiger
+wurde, erwachte auch die alte Liebe des Vaters
+wieder. In dem Maße, wie diese zunahm, verringerte
+sich die Liebe der Stiefmutter zu Tobias und schlug
+sogar in unverkennbare Abneigung um, als Lene
+nach Verlauf eines neuen Jahres ebenfalls einen
+Jungen gebar.</p>
+
+<p>Von da ab begann für Tobias eine schlimme Zeit.
+Er wurde besonders in Abwesenheit des Vaters unaufhörlich
+geplagt und mußte ohne die geringste Belohnung
+dafür seine schwachen Kräfte im Dienste des
+kleinen Schreihalses einsetzen, wobei er sich mehr
+und mehr aufrieb. Sein Kopf bekam einen ungewöhnlichen
+Umfang; die brandroten Haare und das
+kreidige Gesicht darunter machten einen unschönen
+<span class="pagenum"><a name="Page_19">19</a></span>und im Verein mit der übrigen kläglichen Gestalt
+erbarmungswürdigen Eindruck. Wenn sich der zurückgebliebene
+Tobias solchergestalt, das kleine, von Gesundheit
+strotzende Brüderchen auf dem Arme,
+hinunter zur Spree schleppte, so wurden hinter den
+Fenstern der Hütten Verwünschungen laut, die sich
+jedoch niemals hervorwagten. Thiel aber, welchen
+die Sache doch vor allem anging, schien keine Augen
+für sie zu haben und wollte auch die Winke nicht verstehen,
+welche ihm von wohlmeinenden Nachbarsleuten
+gegeben wurden.</p>
+
+
+<div class="new-h3">&nbsp;</div>
+<div><span class="pagenum"><a name="Page_20">20</a></span></div>
+<h3>2</h3>
+
+<p class="dropcap">An einem Junimorgen gegen sieben Uhr kam
+Thiel aus dem Dienst. Seine Frau hatte nicht so
+bald ihre Begrüßung beendet, als sie schon in gewohnter
+Weise zu lamentieren begann. Der Pachtacker,
+welcher bisher den Kartoffelbedarf der Familie
+gedeckt hatte, war vor Wochen gekündigt worden,
+ohne daß es Lenen bisher gelungen war, einen Ersatz
+dafür ausfindig zu machen. Wenngleich nun die
+Sorge um den Acker zu ihren Obliegenheiten gehörte,
+so mußte doch Thiel einmal übers andre hören, daß
+niemand als er daran schuld sei, wenn man in diesem
+Jahre zehn Sack Kartoffeln für schweres Geld kaufen
+müsse. Thiel brummte nur und begab sich, Lenens
+Reden wenig Beachtung schenkend, sogleich an das
+Bett seines Ältesten, welches er in den Nächten,
+wo er nicht im Dienst war, mit ihm teilte. Hier ließ
+er sich nieder und beobachtete mit einem sorglichen
+Ausdruck seines guten Gesichts das schlafende Kind,
+welches er, nachdem er die zudringlichen Fliegen eine
+Weile von ihm abgehalten, schließlich weckte. In den
+<span class="pagenum"><a name="Page_21">21</a></span>blauen, tiefliegenden Augen des Erwachenden malte
+sich eine rührende Freude. Er griff hastig nach der
+Hand des Vaters, indes sich seine Mundwinkel zu
+einem kläglichen Lächeln verzogen. Der Wärter half
+ihm sogleich beim Anziehen der wenigen Kleidungsstücke,
+wobei plötzlich etwas wie ein Schatten durch
+seine Mienen lief, als er bemerkte, daß sich auf der
+rechten, ein wenig angeschwollenen Backe einige
+Fingerspuren weiß in rot abzeichneten.</p>
+
+<p>Als Lene beim Frühstück mit vergrößertem Eifer
+auf vorberegte Wirtschaftsangelegenheit zurückkam,
+schnitt er ihr das Wort ab mit der Nachricht, daß ihm
+der Bahnmeister ein Stück Land längs des Bahndammes
+in unmittelbarer Nähe des Wärterhauses
+umsonst überlassen habe, angeblich weil es ihm, dem
+Bahnmeister, zu abgelegen sei.</p>
+
+<p>Lene wollte das anfänglich nicht glauben. Nach
+und nach wichen jedoch ihre Zweifel, und nun geriet
+sie in merklich gute Laune. Ihre Fragen nach Größe
+und Güte des Ackers sowie andre mehr verschlangen
+sich förmlich, und als sie erfuhr, daß bei alledem noch
+zwei Zwergobstbäume darauf stünden, wurde sie rein
+närrisch. Als nichts mehr zu erfragen übrigblieb,
+zudem die Türglocke des Krämers, die man, beiläufig
+<span class="pagenum"><a name="Page_22">22</a></span>gesagt, in jedem einzelnen Hause des Ortes vernehmen
+konnte, unaufhörlich anschlug, schoß sie davon,
+um die Neuigkeit im Örtchen auszusprengen.</p>
+
+<p>Während Lene in die dunkle, mit Waren überfüllte
+Kammer des Krämers kam, beschäftigte sich der Wärter
+daheim ausschließlich mit Tobias. Der Junge saß
+auf seinen Knien und spielte mit einigen Kieferzapfen,
+die Thiel mit aus dem Walde gebracht hatte.</p>
+
+<p>»Was willst du werden?« fragte ihn der Vater,
+und diese Frage war stereotyp wie die Antwort des
+Jungen: »ein Bahnmeister.« Es war keine Scherzfrage,
+denn die Träume des Wärters verstiegen sich
+in der Tat in solche Höhen, und er hegte allen Ernstes
+den Wunsch und die Hoffnung, daß aus Tobias mit
+Gottes Hilfe etwas Außergewöhnliches werden sollte.
+Sobald die Antwort »ein Bahnmeister« von den
+blutlosen Lippen des Kleinen kam, der natürlich nicht
+wußte, was sie bedeuten sollte, begann Thiels Gesicht
+sich aufzuhellen, bis es förmlich strahlte von
+innerer Glückseligkeit.</p>
+
+<p>»Geh, Tobias, geh spielen!« sagte er kurz darauf,
+indem er eine Pfeife Tabak mit einem im Herdfeuer
+entzündeten Span in Brand steckte, und der Kleine
+drückte sich alsbald in scheuer Freude zur Türe hinaus.
+<span class="pagenum"><a name="Page_23">23</a></span>Thiel entkleidete sich, ging zu Bett und entschlief,
+nachdem er geraume Zeit gedankenvoll die niedrige
+und rissige Stubendecke angestarrt hatte. Gegen
+zwölf Uhr mittags erwachte er, kleidete sich an und ging,
+während seine Frau in ihrer lärmenden Weise das
+Mittagbrot bereitete, hinaus auf die Straße, wo er
+<ins title="Tobiaschen">Tobiäschen</ins> sogleich aufgriff, der mit den Fingern
+Kalk aus einem Loche in der Wand kratzte und in
+den Mund steckte. Der Wärter nahm ihn bei der Hand
+und ging mit ihm an den etwa acht Häuschen des
+Ortes vorüber bis hinunter zur Spree, die schwarz
+und glasig zwischen schwach belaubten Pappeln lag.
+Dicht am Rande des Wassers befand sich ein Granitblock,
+auf welchen Thiel sich niederließ.</p>
+
+<p>Der ganze Ort hatte sich gewöhnt, ihn bei nur
+irgend erträglichem Wetter an dieser Stelle zu erblicken.
+Die Kinder besonders hingen an ihm, nannten
+ihn »Vater Thiel« und wurden von ihm besonders
+in mancherlei Spielen unterrichtet, deren er sich aus
+seiner Jugendzeit erinnerte. Das Beste jedoch von
+dem Inhalt seiner Erinnerungen war für Tobias.
+Er schnitzelte ihm Fitschepfeile, die höher flogen wie
+die aller anderen Jungen. Er schnitt ihm Weidenpfeifchen
+und ließ sich sogar herbei, mit seinem verrosteten
+<span class="pagenum"><a name="Page_24">24</a></span>Baß das Beschwörungslied zu singen, während
+er mit dem Horngriff seines Taschenmessers die Rinde
+leise klopfte.</p>
+
+<p>Die Leute verübelten ihm seine Läppschereien;
+es war ihnen unerfindlich, wie er sich mit den Rotznasen
+so viel abgeben konnte. Im Grunde durften
+sie jedoch damit zufrieden sein, denn die Kinder waren
+unter seiner Obhut gut aufgehoben. Überdies nahm
+Thiel auch ernste Dinge mit ihnen vor, hörte den
+Großen ihre Schulaufgaben ab, half ihnen beim Lernen
+der Bibel- und Gesangbuchverse und buchstabierte
+mit den Kleinen »a« &ndash; »b« &ndash; »ab«, »d«
+&ndash; »u« &ndash; »du« und so fort.</p>
+
+<p>Nach dem Mittagessen legte sich der Wärter abermals
+zu kurzer Ruhe nieder. Nachdem sie beendigt
+war, trank er den Nachmittagskaffee und begann
+gleich darauf sich für den Gang in den Dienst vorzubereiten.
+Er brauchte dazu, wie zu allen seinen
+Verrichtungen, viel Zeit; jeder Handgriff war seit
+Jahren geregelt; in stets gleicher Reihenfolge wanderten
+die sorgsam auf der kleinen Nußbaumkommode
+ausgebreiteten Gegenstände: Messer, Notizbuch, Kamm,
+ein Pferdezahn, die alte eingekapselte Uhr in die
+Taschen seiner Kleider. Ein kleines, in rotes Papier
+<span class="pagenum"><a name="Page_25">25</a></span>eingeschlagenes Büchelchen wurde mit besonderer
+Sorgfalt behandelt. Es lag während der Nacht unter
+dem Kopfkissen des Wärters und wurde am Tage
+von ihm stets in der Brusttasche des Dienstrockes
+herumgetragen. Auf der Etikette unter dem Umschlag
+stand in unbeholfenen, aber verschnörkelten Schriftzügen,
+von Thiels Hand geschrieben: Sparkassenbuch
+des Tobias Thiel.</p>
+
+<p>Die Wanduhr mit dem langen Pendel und dem
+gelbsüchtigen Zifferblatt zeigte dreiviertel fünf, als
+Thiel fortging. Ein kleiner Kahn, sein Eigentum,
+brachte ihn über den Fluß. Am jenseitigen Spreeufer
+blieb er einige Male stehen und lauschte nach dem
+Ort zurück. Endlich bog er in einen breiten Waldweg
+und befand sich nach wenigen Minuten inmitten des
+tiefaufrauschenden Kiefernforstes, dessen Nadelmassen
+einem schwarzgrünen, wellenwerfenden Meere glichen.
+Unhörbar wie auf Filz schritt er über die feuchte Moos-
+und Nadelschicht des Waldbodens. Er fand seinen
+Weg ohne aufzublicken, hier durch die rostbraunen
+Säulen des Hochwaldes, dort weiterhin durch dicht
+verschlungenes Jungholz, noch weiter über ausgedehnte
+Schonungen, die von einzelnen hohen und
+schlanken Kiefern überschattet wurden, welche man
+<span class="pagenum"><a name="Page_26">26</a></span>zum Schutze für den Nachwuchs aufbehalten hatte.
+Ein bläulicher, durchsichtiger, mit allerhand Düften
+geschwängerter Dunst stieg aus der Erde auf und ließ
+die Formen der Bäume verwaschen erscheinen. Ein
+schwerer, milchiger Himmel hing tief herab über die
+Baumwipfel. Krähenschwärme badeten gleichsam
+im Grau der Luft, unaufhörlich ihre knarrenden Rufe
+ausstoßend. Schwarze Wasserlachen füllten die Vertiefungen
+des Weges und spiegelten die trübe Natur
+noch trüber <ins title="wieder">wider</ins>.</p>
+
+<p>»Ein <ins title="fruchtbares">furchtbares</ins> Wetter,« dachte Thiel, als er aus
+tiefem Nachdenken erwachte und aufschaute.</p>
+
+<p>Plötzlich jedoch bekamen seine Gedanken eine andere
+Richtung. Er fühlte dunkel, daß er etwas daheim
+vergessen haben müsse, und wirklich vermißte er beim
+Durchsuchen seiner Taschen das Butterbrot, welches
+er der langen Dienstzeit halber stets mitzunehmen
+genötigt war. Unschlüssig blieb er eine Weile stehen,
+wandte sich dann aber plötzlich und eilte in der Richtung
+des Dorfes zurück.</p>
+
+<p>In kurzer Zeit hatte er die Spree erreicht, setzte mit
+wenigen kräftigen Ruderschlägen über und stieg gleich
+darauf, am ganzen Körper schwitzend, die sanft ansteigende
+Dorfstraße hinauf. Der alte, schäbige Pudel
+<span class="pagenum"><a name="Page_27">27</a></span>des Krämers lag mitten auf der Straße. Auf dem
+geteerten Plankenzaune eines Kossätenhofes saß eine
+Nebelkrähe. Sie spreizte die Federn, schüttelte sich,
+nickte, stieß ein ohrenzerreißendes »krä«, »krä« aus
+und erhob sich mit pfeifendem Flügelschlag, um sich
+vom Winde in der Richtung des Forstes davontreiben
+zu lassen.</p>
+
+<p>Von den Bewohnern der kleinen Kolonie, etwa
+zwanzig Fischern und Waldarbeitern mit ihren Familien,
+war nichts zu sehen.</p>
+
+<p>Der Ton einer kreischenden Stimme unterbrach
+die Stille so laut und schrill, daß der Wärter unwillkürlich
+mit Laufen innehielt. Ein Schwall heftig
+herausgestoßener, mißtönender Laute schlug an sein
+Ohr, die aus dem offenen Giebelfenster eines niedrigen
+Häuschens zu kommen schienen, welches er
+nur zu wohl kannte.</p>
+
+<p>Das Geräusch seiner Schritte nach Möglichkeit
+dämpfend, schlich er sich näher und unterschied nun
+ganz deutlich die Stimme seiner Frau. Nur noch
+wenige Bewegungen, und die meisten ihrer Worte
+wurden ihm verständlich.</p>
+
+<p>»Was, du unbarmherziger, herzloser Schuft! Soll
+sich das elende Wurm die Plautze ausschreien vor
+<span class="pagenum"><a name="Page_28">28</a></span>Hunger? &ndash; wie? Na wart nur, wart, ich will dich
+lehren aufpassen! &ndash; Du sollst dran denken.« Einige
+Augenblicke blieb es still; dann hörte man ein Geräusch,
+wie wenn Kleidungsstücke ausgeklopft würden; unmittelbar
+darauf entlud sich ein neues Hagelwetter
+von Schimpfworten.</p>
+
+<p>»Du erbärmlicher Grünschnabel,« scholl es im
+schnellsten Tempo herunter, »meinst du, ich sollte mein
+leibliches Kind wegen solch einem Jammerlappen,
+wie du bist, verhungern lassen?« »Halts Maul!« schrie
+es, als ein leises Wimmern hörbar wurde, »oder du
+sollst eine Portion kriegen, an der du acht Tage zu
+fressen hast.«</p>
+
+<p>Das Wimmern verstummte nicht.</p>
+
+<p>Der Wärter fühlte, wie sein Herz in schweren,
+unregelmäßigen Schlägen ging. Er begann leise zu
+zittern. Seine Blicke hingen wie abwesend am Boden
+fest, und die plumpe und harte Hand strich mehrmals
+ein Büschel nasser Haare zur Seite, das immer von
+neuem in die sommersprossige Stirne hinein fiel.</p>
+
+<p>Einen Augenblick drohte es ihn zu überwältigen.
+Es war ein Krampf, der die Muskeln schwellen machte
+und die Finger der Hand zur Faust zusammenzog.
+Es ließ nach, und dumpfe Mattigkeit blieb zurück.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_29">29</a></span>
+Unsicheren Schrittes trat der Wärter in den engen,
+ziegelgepflasterten Hausflur. Müde und langsam
+erklomm er die knarrende Holzstiege.</p>
+
+<p>»Pfui, pfui, pfui!« hob es wieder an; dabei hörte
+man, wie jemand dreimal hintereinander mit allen
+Zeichen der Wut und Verachtung ausspie. »Du erbärmlicher,
+niederträchtiger, hinterlistiger, hämischer,
+feiger, gemeiner Lümmel.« Die Worte folgten einander
+in steigender Betonung, und die Stimme,
+welche sie herausstieß, schnappte zuweilen über vor
+Anstrengung. »Meinen Buben willst du schlagen,
+was? Du elende Göre unterstehst dich, das arme,
+hilflose Kind aufs Maul zu schlagen? &ndash; wie? &ndash; he,
+wie? &ndash; Ich will mich nur nicht dreckig machen an dir,
+sonst &hellip;«</p>
+
+<p>In diesem Augenblick öffnete Thiel die Tür des
+Wohnzimmers, weshalb der erschrockenen Frau das
+Ende des begonnenen Satzes in der Kehle stecken
+blieb. Sie war kreidebleich vor Zorn; ihre Lippen
+zuckten bösartig; sie hatte die Rechte erhoben, senkte
+sie und griff nach dem Milchtopf, aus dem sie ein
+Kinderfläschchen voll zu füllen versuchte. Sie ließ
+jedoch diese Arbeit, da der größte Teil der Milch über
+den Flaschenhals auf den Tisch rann, halb verrichtet,
+<span class="pagenum"><a name="Page_30">30</a></span>griff vollkommen fassungslos vor Erregung bald nach
+diesem, bald nach jenem Gegenstand, ohne ihn länger
+als einige Augenblicke festhalten zu können und ermannte
+sich endlich soweit, ihren Mann heftig anzulassen:
+was es denn heißen solle, daß er um diese ungewöhnliche
+Zeit nach Hause käme, er würde sie doch
+nicht etwa gar belauschen wollen; »das wäre noch das
+Letzte,« meinte sie, und gleich darauf: sie habe ein
+reines Gewissen und brauche vor niemand die Augen
+niederzuschlagen.</p>
+
+<p>Thiel hörte kaum, was sie sagte. Seine Blicke
+streiften flüchtig das heulende Tobiäschen. Einen
+Augenblick schien es, als müsse er gewaltsam etwas
+Furchtbares zurückhalten, was in ihm aufstieg; dann
+legte sich über die gespannten Mienen plötzlich das
+alte Phlegma, von einem verstohlnen begehrlichen Aufblitzen
+der Augen seltsam belebt. Sekundenlang spielte
+sein Blick über den starken Gliedmaßen seines Weibes,
+das, mit abgewandtem Gesicht herumhantierend, noch
+immer nach Fassung suchte. Ihre vollen, halbnackten
+Brüste blähten sich vor Erregung und drohten das
+Mieder zu sprengen, und ihre aufgerafften Röcke
+ließen die breiten Hüften noch breiter erscheinen.
+Eine Kraft schien von dem Weibe auszugehen, unbezwingbar,
+<span class="pagenum"><a name="Page_31">31</a></span>unentrinnbar, der Thiel sich nicht gewachsen
+fühlte.</p>
+
+<p>Leicht gleich einem feinen Spinngewebe und doch
+fest wie ein Netz von Eisen legte es sich um ihn, fesselnd,
+überwindend, erschlaffend. Er hätte in diesem Zustand
+überhaupt kein Wort an sie zu richten vermocht,
+am allerwenigsten ein hartes, und so mußte Tobias,
+der in Tränen gebadet und verängstet in einer Ecke
+hockte, sehen, wie der Vater, ohne sich auch nur weiter
+nach ihm umzuschauen, das vergessene Brot von der
+Ofenbank nahm, es der Mutter als einzige Erklärung
+hinhielt und mit einem kurzen, zerstreuten Kopfnicken
+sogleich wieder verschwand.</p>
+
+
+<div class="new-h3">&nbsp;</div>
+<div><span class="pagenum"><a name="Page_32">32</a></span></div>
+<h3>3</h3>
+
+<p class="dropcap">Obgleich Thiel den Weg in seine Waldeinsamkeit
+mit möglichster Eile zurücklegte, kam er doch erst
+fünfzehn Minuten nach der ordnungsmäßigen Zeit
+an den Ort seiner Bestimmung.</p>
+
+<p>Der Hilfswärter, ein infolge des bei seinem Dienst unumgänglichen,
+schnellen Temperaturwechsels schwindsüchtig
+gewordener Mensch, der mit ihm im Dienst
+abwechselte, stand schon fertig zum Aufbruch auf der
+kleinen, sandigen Plattform des Häuschens, dessen
+große Nummer schwarz auf weiß weithin durch die
+Stämme leuchtete.</p>
+
+<p>Die beiden Männer reichten sich die Hände, machten
+sich einige kurze Mitteilungen und trennten sich. Der
+eine verschwand im Innern der Bude, der andere
+ging quer über die Strecke, die Fortsetzung jener
+Straße benutzend, welche Thiel gekommen war. Man
+hörte sein krampfhaftes Husten erst näher, dann ferner
+durch die Stämme, und mit ihm verstummte der
+einzige menschliche Laut in dieser Einöde. Thiel
+begann wie immer so auch heute damit, das enge,
+<span class="pagenum"><a name="Page_33">33</a></span>viereckige Steingebauer der Wärterbude auf seine
+Art für die Nacht herzurichten. Er tat es mechanisch,
+während sein Geist mit dem Eindruck der letzten
+Stunden beschäftigt war. Er legte sein Abendbrot
+auf den schmalen, braungestrichenen Tisch an einem
+der beiden schlitzartigen Seitenfenster, von denen aus
+man die Strecke bequem übersehen konnte. Hierauf
+entzündete er in dem kleinen, rostigen Öfchen ein
+Feuer und stellte einen Topf kalten Wassers darauf.
+Nachdem er schließlich noch in die Gerätschaften
+Schaufel, Spaten, Schraubstock usw. einige Ordnung
+gebracht hatte, begab er sich ans Putzen seiner Laterne,
+die er zugleich mit frischem Petroleum versorgte.</p>
+
+<p>Als dies geschehen war, meldete die Glocke mit drei
+schrillen Schlägen, die sich wiederholten, daß ein Zug
+in der Richtung von Breslau her aus der nächstliegenden
+Station abgelassen sei. Ohne die mindeste Hast
+zu zeigen, blieb Thiel noch eine gute Weile im Innern
+der Bude, trat endlich, Fahne und Patronentasche in
+der Hand, langsam ins Freie und bewegte sich trägen
+und schlürfenden Ganges über den schmalen Sandpfad,
+dem etwa zwanzig Schritt entfernten Bahnübergang
+zu. Seine Barrieren schloß und öffnete
+<span class="pagenum"><a name="Page_34">34</a></span>Thiel vor und nach jedem Zuge gewissenhaft, obgleich
+der Weg nur selten von jemand passiert wurde.</p>
+
+<p>Er hatte seine Arbeit beendet und lehnte jetzt
+wartend an der schwarzweißen Sperrstange.</p>
+
+<p>Die Strecke schnitt rechts und links gradlinig in
+den unabsehbaren, grünen Forst hinein; zu ihren
+beiden Seiten stauten die Nadelmassen gleichsam
+zurück, zwischen sich eine Gasse freilassend, die der
+rötlichbraune, kiesbestreute Bahndamm ausfüllte.
+Die schwarzen parallellaufenden Geleise darauf
+glichen in ihrer Gesamtheit einer ungeheuren, eisernen
+Netzmasche, deren schmale Strähne sich im äußersten
+Süden und Norden in einem Punkte des Horizontes
+zusammenzogen.</p>
+
+<p>Der Wind hatte sich erhoben und trieb leise Wellen
+den Waldrand hinunter und in die Ferne hinein.
+Aus den Telegraphenstangen, die die Strecke begleiteten,
+tönten summende Akkorde. Auf den Drähten,
+die sich wie das Gewebe einer Riesenspinne von
+Stange zu Stange fortrankten, klebten in dichten
+Reihen Scharen zwitschernder Vögel. Ein Specht
+flog lachend über Thiels Kopf weg, ohne daß er eines
+Blickes gewürdigt wurde.</p>
+
+<p>Die Sonne, welche soeben unter dem Rande
+<span class="pagenum"><a name="Page_35">35</a></span>mächtiger Wolken herabhing, um in das schwarzgrüne
+Wipfelmeer zu versinken, goß Ströme von Purpur
+über den Forst. Die Säulenarkaden der Kiefernstämme
+jenseit des Dammes entzündeten sich gleichsam
+von innen heraus und glühten wie Eisen.</p>
+
+<p>Auch die Geleise begannen zu glühen, feurigen
+Schlangen gleich, aber sie erloschen zuerst. Und nun
+stieg die Glut langsam vom Erdboden in die Höhe,
+erst die Schäfte der Kiefern, weiter den größten Teil
+ihrer Kronen in kaltem Verwesungslichte zurücklassend,
+zuletzt nur noch den äußersten Rand der Wipfel
+mit einem rötlichen Schimmer streifend. Lautlos
+und feierlich vollzog sich das erhabene Schauspiel.
+Der Wärter stand noch immer regungslos an der
+Barriere. Endlich trat er einen Schritt vor. Ein
+dunkler Punkt am Horizonte, da wo die Geleise sich
+trafen, vergrößerte sich. Von Sekunde zu Sekunde
+wachsend, schien er doch auf einer Stelle zu stehen.
+Plötzlich bekam er Bewegung und näherte sich. Durch
+die Geleise ging ein Vibrieren und Summen, ein
+rhythmisches Geklirr, ein dumpfes Getöse, das, lauter
+und lauter werdend, zuletzt den Hufschlägen eines
+heranbrausenden Reitergeschwaders nicht unähnlich
+war.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_36">36</a></span>
+Ein Keuchen und Brausen schwoll stoßweise fernher
+durch die Luft. Dann plötzlich zerriß die Stille. Ein
+rasendes Tosen und Toben erfüllte den Raum, die
+Geleise bogen sich, die Erde zitterte &ndash; ein starker Luftdruck
+&ndash; eine Wolke von Staub, Dampf und Qualm,
+und das schwarze, schnaubende Ungetüm war vorüber.
+So wie sie anwuchsen, starben nach und nach
+die Geräusche. Der Dunst verzog sich. Zum Punkte
+eingeschrumpft, schwand der Zug in der Ferne, und
+das alte heilge Schweigen schlug über dem Waldwinkel
+zusammen.</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p class="dropcap">»Minna,« flüsterte der Wärter wie aus einem
+Traum erwacht und ging nach seiner Bude zurück.
+Nachdem er sich einen dünnen Kaffee aufgebrüht,
+ließ er sich nieder und starrte, von Zeit zu Zeit einen
+Schluck zu sich nehmend, auf ein schmutziges Stück
+Zeitungspapier, das er irgendwo an der Strecke aufgelesen.</p>
+
+<p>Nach und nach überkam ihn eine seltsame Unruhe.
+Er schob es auf die Backofenglut, welche das Stübchen
+erfüllte, und riß Rock und Weste auf, um sich zu erleichtern.
+Wie das nichts half, erhob er sich, nahm einen
+<span class="pagenum"><a name="Page_37">37</a></span>Spaten aus der Ecke und begab sich auf das geschenkte
+Äckerchen.</p>
+
+<p>Es war ein schmaler Streifen Sandes, von Unkraut
+dicht überwuchert. Wie schneeweißer Schaum lag
+die junge Blütenpracht auf den Zweigen der beiden
+Zwergobstbäumchen, welche darauf standen.</p>
+
+<p>Thiel wurde ruhig und ein stilles Wohlgefallen
+beschlich ihn.</p>
+
+<p>Nun also an die Arbeit.</p>
+
+<p>Der Spaten schnitt knirschend in das Erdreich;
+die nassen Schollen fielen dumpf zurück und bröckelten
+auseinander.</p>
+
+<p>Eine Zeitlang grub er ohne Unterbrechung. Dann
+hielt er plötzlich inne und sagte laut und vernehmlich
+vor sich hin, indem er dazu bedenklich den Kopf hin
+und her wiegte: »Nein, nein, das geht ja nicht,« und
+wieder: »nein, nein, das geht ja gar nicht.«</p>
+
+<p>Es war ihm plötzlich eingefallen, daß ja nun Lene
+des öftern herauskommen würde, um den Acker zu
+bestellen, wodurch dann die hergebrachte Lebensweise
+in bedenkliche Schwankungen geraten mußte. Und
+jäh verwandelte sich seine Freude über den Besitz
+des Ackers in Widerwillen. Hastig, wie wenn er etwas
+Unrechtes zu tun im Begriff gestanden hätte, riß er
+<span class="pagenum"><a name="Page_38">38</a></span>den Spaten aus der Erde und trug ihn nach der Bude
+zurück. Hier versank er abermals in dumpfe Grübelei.
+Er wußte kaum warum, aber die Aussicht, Lene ganze
+Tage lang bei sich im Dienst zu haben, wurde ihm,
+so sehr er auch versuchte, sich damit zu versöhnen,
+immer unerträglicher. Es kam ihm vor, als habe er
+etwas ihm Wertes zu verteidigen, als versuchte jemand
+sein Heiligstes anzutasten, und unwillkürlich
+spannten sich seine Muskeln in gelindem Krampfe,
+während ein kurzes herausforderndes Lachen seinen
+Lippen entfuhr. Vom Widerhall dieses Lachens
+erschreckt, blickte er auf und verlor dabei den Faden
+seiner Betrachtungen. Als er ihn wiedergefunden,
+wühlte er sich gleichsam in den alten Gegenstand.</p>
+
+<p>Und plötzlich zerriß etwas wie ein dichter, schwarzer
+Vorhang in zwei Stücke, und seine umnebelten Augen
+gewannen einen klaren Ausblick. Es war ihm auf
+einmal zumute, als erwache er aus einem zweijährigen
+totenähnlichen Schlaf und betrachte nun mit
+ungläubigem Kopfschütteln all das Haarsträubende,
+welches er in diesem Zustand begangen haben sollte.
+Die Leidensgeschichte seines Ältesten, welche die Eindrücke
+der letzten Stunden nur noch hatten besiegeln
+können, trat deutlich vor seine Seele. Mitleid und
+<span class="pagenum"><a name="Page_39">39</a></span>Reue ergriff ihn, sowie auch eine tiefe Scham darüber,
+daß er diese ganze Zeit in schmachvoller Duldung
+hingelebt hatte, ohne sich des lieben, hilflosen Geschöpfes
+anzunehmen, ja, ohne nur die Kraft zu finden,
+sich einzugestehen, wie sehr dieses litt.</p>
+
+<p>Über den selbstquälerischen Vorstellungen all seiner
+Unterlassungssünden überkam ihn eine schwere Müdigkeit,
+und so entschlief er mit gekrümmtem Rücken,
+die Stirn auf die Hand, diese auf den Tisch gelegt.</p>
+
+<p>Eine Zeitlang hatte er so gelegen, als er mit erstickter
+Stimme mehrmals den Namen »Minna« rief.</p>
+
+<p>Ein Brausen und Sausen füllte sein Ohr, wie von
+unermeßlichen Wassermassen; es wurde dunkel um
+ihn, er riß die Augen auf und erwachte. Seine Glieder
+flogen, der Angstschweiß drang ihm aus allen Poren,
+sein Puls ging unregelmäßig, sein Gesicht war naß
+von Tränen.</p>
+
+<p>Es war stockdunkel. Er wollte einen Blick nach der
+Tür werfen, ohne zu wissen, wohin er sich wenden
+sollte. Taumelnd erhob er sich, noch immer währte
+seine Herzensangst. Der Wald draußen rauschte wie
+Meeresbrandung, der Wind warf Hagel und Regen
+gegen die Fenster des Häuschens. Thiel tastete ratlos
+mit den Händen umher. Einen Augenblick kam er sich
+<span class="pagenum"><a name="Page_40">40</a></span>vor wie ein Ertrinkender &ndash; da plötzlich flammte es
+bläulich blendend auf, wie wenn Tropfen überirdischen
+Lichtes in die dunkle Erdatmosphäre herabsänken,
+um sogleich von ihr erstickt zu werden.</p>
+
+<p>Der Augenblick genügte, um den Wärter zu sich
+selbst zu bringen. Er griff nach seiner Laterne, die er
+auch glücklich zu fassen bekam, und in diesem Augenblick
+erwachte der Donner am fernsten Saume des
+märkischen Nachthimmels. Erst dumpf und verhalten
+grollend, wälzte er sich näher in kurzen, brandenden
+Erzwellen, bis er, zu Riesenstößen anwachsend, sich
+endlich, die ganze Atmosphäre überflutend, dröhnend,
+schütternd und brausend entlud.</p>
+
+<p>Die Scheiben klirrten, die Erde erbebte.</p>
+
+<p>Thiel hatte Licht gemacht. Sein erster Blick, nachdem
+er die Fassung wieder gewonnen, galt der Uhr.
+Es lagen kaum fünf Minuten zwischen jetzt und der
+Ankunft des Schnellzuges. Da er glaubte, das Signal
+überhört zu haben, begab er sich, so schnell als Sturm
+und Dunkelheit erlaubten, nach der Barriere. Als er
+noch damit beschäftigt war, diese zu schließen, erklang
+die Signalglocke. Der Wind zerriß ihre Töne und warf
+sie nach allen Richtungen auseinander. Die Kiefern
+bogen sich und rieben unheimlich knarrend und
+<span class="pagenum"><a name="Page_41">41</a></span>quietschend ihre Zweige aneinander. Einen Augenblick
+wurde der Mond sichtbar, wie er gleich einer
+blaßgoldenen Schale zwischen den Wolken lag. In
+seinem Lichte sah man das Wühlen des Windes in
+den schwarzen Kronen der Kiefern. Die Blattgehänge
+der Birken am Bahndamm wehten und flatterten
+wie gespenstige Roßschweife. Darunter lagen die
+Linien der Geleise, welche, vor Nässe glänzend, das
+blasse Mondlicht in einzelnen Flecken aufsogen.</p>
+
+<p>Thiel riß die Mütze vom Kopfe. Der Regen tat
+ihm wohl und lief vermischt mit Tränen über sein Gesicht.
+Es gärte in seinem Hirn; unklare Erinnerungen
+an das, was er im Traum gesehen, verjagten einander.
+Es war ihm gewesen, als würde Tobias von jemand
+mißhandelt und zwar auf eine so entsetzliche Weise,
+daß ihm noch jetzt bei dem Gedanken daran das Herz
+stille stand. Einer anderen Erscheinung erinnerte er
+sich deutlicher. Er hatte seine verstorbene Frau gesehen.
+Sie war irgendwoher aus der Ferne gekommen,
+auf einem der Bahngeleise. Sie hatte recht kränklich
+ausgesehen und statt der Kleider hatte sie Lumpen getragen.
+Sie war an Thiels Häuschen vorübergekommen,
+ohne sich danach umzuschauen und schließlich &ndash; hier
+wurde die Erinnerung undeutlich &ndash; war sie aus
+<span class="pagenum"><a name="Page_42">42</a></span>irgend welchem Grunde nur mit großer Mühe vorwärts
+gekommen und sogar mehrmals zusammengebrochen.</p>
+
+<p>Thiel dachte weiter nach, und nun wußte er, daß
+sie sich auf der Flucht befunden hatte. Es lag außer
+allem Zweifel, denn weshalb hätte sie sonst diese
+Blicke voll Herzensangst nach rückwärts gesandt und
+sich weiter geschleppt, obgleich ihr die Füße den Dienst
+versagten. O diese entsetzlichen Blicke!</p>
+
+<p>Aber es war etwas, das sie mit sich trug, in Tücher
+gewickelt, etwas Schlaffes, Blutiges, Bleiches, und die
+Art, mit der sie darauf niederblickte, erinnerte ihn an
+Szenen der Vergangenheit.</p>
+
+<p>Er dachte an eine sterbende Frau, die ihr kaum geborenes
+Kind, das sie zurücklassen mußte, unverwandt
+anblickte, mit einem Ausdruck tiefsten Schmerzes,
+unfaßbarer Qual, jenem Ausdruck, den Thiel ebensowenig
+vergessen konnte, als daß er einen Vater und
+eine Mutter habe.</p>
+
+<p>Wo war sie hingekommen? Er wußte es nicht. Das
+aber trat ihm klar vor die Seele: sie hatte sich von
+ihm losgesagt, ihn nicht beachtet, sie hatte sich fortgeschleppt
+immer weiter und weiter durch die stürmische,
+dunkle Nacht. Er hatte sie gerufen: »Minna,
+Minna,« und davon war er erwacht.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_43">43</a></span>
+Zwei rote, runde Lichter durchdrangen wie die
+Glotzaugen eines riesigen Ungetüms die Dunkelheit.
+Ein blutiger Schein ging vor ihnen her, der die Regentropfen
+in seinem Bereich in Blutstropfen verwandelte.
+Es war, als fiele ein Blutregen vom Himmel.</p>
+
+<p>Thiel fühlte ein Grauen, und je näher der Zug
+kam, eine um so größere Angst; Traum und Wirklichkeit
+verschmolzen ihm in eins. Noch immer sah
+er das wandernde Weib auf den Schienen, und seine
+Hand irrte nach der Patronentasche, als habe er die
+Absicht, den rasenden Zug zum Stehen zu bringen.
+Zum Glück war es zu spät, denn schon flirrte es vor
+Thiels Augen von Lichtern, und der Zug raste vorüber.</p>
+
+<p>Den übrigen Teil der Nacht fand Thiel wenig
+Ruhe mehr in seinem Dienst. Es drängte ihn daheim
+zu sein. Er sehnte sich, Tobiäschen wiederzusehen.
+Es war ihm zumute, als sei er durch Jahre von ihm
+getrennt gewesen. Zuletzt war er in steigender Bekümmernis
+um das Befinden des Jungen mehrmals
+versucht, den Dienst zu verlassen.</p>
+
+<p>Um die Zeit hinzubringen beschloß Thiel, sobald
+es dämmerte, seine Strecke zu revidieren. In der
+Linken einen Stock, in der Rechten einen langen,
+eisernen Schraubschlüssel schritt er denn auch alsbald
+<span class="pagenum"><a name="Page_44">44</a></span>auf dem Rücken einer Bahnschiene in das schmutzig
+graue Zwielicht hinein.</p>
+
+<p>Hin und wieder zog er mit dem Schraubschlüssel
+einen Bolzen fest oder schlug an eine der runden Eisenstangen,
+welche die Geleise untereinander verbanden.</p>
+
+<p>Regen und Wind hatten nachgelassen, und zwischen
+zerschlissenen Wolkenschichten wurden hie und da
+Stücke eines blaßblauen Himmels sichtbar.</p>
+
+<p>Das eintönige Klappen der Sohlen auf dem harten
+Metall, verbunden mit dem schläfrigen Geräusch der
+tropfenschüttelnden Bäume beruhigte Thiel nach und
+nach.</p>
+
+<p>Um sechs Uhr früh wurde er abgelöst und trat ohne
+Verzug den Heimweg an.</p>
+
+<p>Es war ein herrlicher Sonntagmorgen.</p>
+
+<p>Die Wolken hatten sich zerteilt und waren mittlerweile
+hinter den Umkreis des Horizontes hinabgesunken.
+Die Sonne goß, im Aufgehen gleich einem
+ungeheuren blutroten Edelstein funkelnd, wahre Lichtmassen
+über den Forst.</p>
+
+<p>In scharfen Linien schossen die Strahlenbündel
+durch das Gewirr der Stämme, hier eine Insel zarter
+Farnkräuter, deren Wedel feingeklöppelten Spitzen
+glichen, mit Glut behauchend, dort die silbergrauen
+<span class="pagenum"><a name="Page_45">45</a></span>Flechten des Waldgrundes zu roten Korallen umwandelnd.</p>
+
+<p>Von Wipfeln, Stämmen und Gräsern floß der
+Feuertau. Eine Sintflut von Licht schien über die
+Erde ausgegossen. Es lag eine Frische in der Luft,
+die bis ins Herz drang, und auch hinter Thiels Stirn
+mußten die Bilder der Nacht allmählich verblassen.</p>
+
+<p>Mit dem Augenblick jedoch, wo er in die Stube
+trat und Tobiäschen rotwangiger als je im sonnenbeschienenen
+Bette liegen sah, waren sie ganz verschwunden.</p>
+
+<p>Wohl wahr! Im Verlauf des Tages glaubte Lene
+mehrmals etwas Befremdliches an ihm wahrzunehmen;
+so im Kirchstuhl, als er, statt ins Buch zu schauen, sie
+selbst von der Seite betrachtete, und dann auch um die
+Mittagszeit, als er, ohne ein Wort zu sagen, das Kleine,
+welches Tobias wie gewöhnlich auf die Straße tragen
+sollte, aus dessen Arm nahm und ihr auf den Schoß
+setzte. Sonst aber hatte er nicht das geringste Auffällige
+an sich.</p>
+
+<p>Thiel, der den Tag über nicht dazu gekommen war,
+sich niederzulegen, kroch, da er die folgende Woche
+Tagdienst hatte, bereits gegen neun Uhr abends ins
+Bett. Gerade als er im Begriff war einzuschlafen,
+<span class="pagenum"><a name="Page_46">46</a></span>eröffnete ihm die Frau, daß sie am folgenden Morgen
+mit nach dem Walde gehen werde, um das Land umzugraben
+und Kartoffeln zu stecken.</p>
+
+<p>Thiel zuckte zusammen; er war ganz wach geworden,
+hielt jedoch die Augen fest geschlossen.</p>
+
+<p>Es sei die höchste Zeit, meinte Lene, wenn aus den
+Kartoffeln noch etwas werden sollte, und fügte bei,
+daß sie die Kinder werde mitnehmen müssen, da vermutlich
+der ganze Tag draufgehen würde. Der Wärter
+brummte einige unverständliche Worte, die Lene
+weiter nicht beachtete. Sie hatte ihm den Rücken
+gewandt und war beim Scheine eines Talglichtes
+damit beschäftigt, das Mieder aufzunesteln und die
+Röcke herabzulassen.</p>
+
+<p>Plötzlich fuhr sie herum, ohne selbst zu wissen aus
+welchem Grunde, und blickte in das von Leidenschaften
+verzerrte, erdfarbene Gesicht ihres Mannes, der sie,
+halb aufgerichtet, die Hände auf der Bettkante, mit
+brennenden Augen anstarrte.</p>
+
+<p>»Thiel!« &ndash; schrie die Frau halb zornig, halb erschreckt,
+und wie ein Nachtwandler, den man bei
+Namen ruft, erwachte er aus seiner Betäubung,
+stotterte einige verwirrte Worte, warf sich in die Kissen
+zurück und zog das Deckbett über die Ohren.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_47">47</a></span>
+Lene war die erste, welche sich am folgenden Morgen
+vom Bett erhob. Ohne dabei Lärm zu machen, bereitete
+sie alles Nötige für den Ausflug vor. Der
+Kleinste wurde in den Kinderwagen gelegt, darauf
+Tobias geweckt und angezogen. Als er erfuhr, wohin
+es gehen sollte, mußte er lächeln. Nachdem alles
+bereit war und auch der Kaffee fertig auf dem Tisch
+stand, erwachte Thiel. Mißbehagen war sein erstes
+Gefühl beim Anblick all der getroffenen Vorbereitungen.
+Er hätte wohl gern ein Wort dagegen gesagt,
+aber er wußte nicht, womit beginnen. Und welche für
+Lene stichhaltigen Gründe hätte er auch angeben
+sollen?</p>
+
+<p>Allmählich begann dann das mehr und mehr
+strahlende Gesichtchen seinen Einfluß auf Thiel zu
+üben, so daß er schließlich schon um der Freude willen,
+welche dem Jungen der Ausflug bereitete, nicht
+daran denken konnte, Widerspruch zu erheben. Nichtsdestoweniger
+blieb Thiel während der Wanderung
+durch den Wald nicht frei von Unruhe. Er stieß das
+Kinderwägelchen mühsam durch den tiefen Sand
+und hatte allerhand Blumen darauf liegen, die Tobias
+gesammelt hatte.</p>
+
+<p>Der Junge war ausnehmend lustig. Er hüpfte in
+<span class="pagenum"><a name="Page_48">48</a></span>seinem braunen Plüschmützchen zwischen den Farnkräutern
+umher und suchte auf eine freilich etwas
+unbeholfene Art die glasflügligen Libellen zu fangen,
+die darüber hingaukelten. Sobald man angelangt
+war, nahm Lene den Acker in Augenschein. Sie warf
+das Säckchen mit Kartoffelstücken, welches sie zur
+Saat mitgebracht hatte, auf den Grasrand eines
+kleinen Birkengehölzes, kniete nieder und ließ den
+etwas dunkel gefärbten Sand durch ihre harten Finger
+laufen.</p>
+
+<p>Thiel beobachtete sie gespannt: »Nun, wie ist er?«</p>
+
+<p>»Reichlich so gut wie die Spree-Ecke!« Dem Wärter
+fiel eine Last von der Seele. Er hatte gefürchtet, sie
+würde unzufrieden sein, und kratzte beruhigt seine
+Bartstoppeln.</p>
+
+<p>Nachdem die Frau hastig eine dicke Brotkante verzehrt
+hatte, warf sie Tuch und Jacke fort und begann
+zu graben, mit der Geschwindigkeit und Ausdauer
+einer Maschine. In bestimmten Zwischenräumen
+richtete sie sich auf und holte in tiefen Zügen Luft,
+aber es war jeweilig nur ein Augenblick, wenn nicht
+etwa das Kleine gestillt werden mußte, was mit
+keuchender, schweißtropfender Brust hastig geschah.</p>
+
+<p>»Ich muß die Strecke belaufen, ich werde Tobias
+<span class="pagenum"><a name="Page_49">49</a></span>mitnehmen,« rief der Wärter nach einer Weile von
+der Plattform vor der Bude aus zu ihr herüber.</p>
+
+<p>»Ach was &ndash; Unsinn!« schrie sie zurück, »wer soll
+bei dem Kleinen bleiben?« &ndash; »Hierher kommst du!«
+setzte sie noch lauter hinzu, während der Wärter, als
+ob er sie nicht hören könne, mit Tobiäschen davonging.</p>
+
+<p>Im ersten Augenblick erwog sie, ob sie nicht nachlaufen
+solle, und nur der Zeitverlust bestimmte sie,
+davon abzustehen. Thiel ging mit Tobias die Strecke
+entlang. Der Kleine war nicht wenig erregt; alles
+war ihm neu, fremd. Er begriff nicht, was die schmalen,
+schwarzen, vom Sonnenlicht erwärmten Schienen
+zu bedeuten hatten. Unaufhörlich tat er allerhand
+sonderbare Fragen. Vor allem verwunderlich war
+ihm das Klingen der Telegraphenstangen. Thiel
+kannte den Ton jeder einzelnen seines Reviers, so
+daß er mit geschlossenen Augen stets gewußt haben
+würde, in welchem Teil der Strecke er sich gerade
+befand.</p>
+
+<p>Oft blieb er, Tobiäschen an der Hand, stehen, um
+den wunderbaren Lauten zu lauschen, die aus dem
+Holze wie sonore Choräle aus dem Innern einer
+Kirche hervorströmten. Die Stange am Südende des
+Reviers hatte einen besonders vollen und schönen
+<span class="pagenum"><a name="Page_50">50</a></span>Akkord. Es war ein Gewühl von Tönen in ihrem
+Innern, die ohne Unterbrechung gleichsam in einem
+Atem fortklangen, und Tobias lief rings um das verwitterte
+Holz, um, wie er glaubte, durch eine Öffnung
+die Urheber des lieblichen Getöns zu entdecken. Der
+Wärter wurde weihevoll gestimmt, ähnlich wie in der
+Kirche. Zudem unterschied er mit der Zeit eine
+Stimme, die ihn an seine verstorbene Frau erinnerte.
+Er stellte sich vor, es sei ein Chor seliger Geister, in den
+sie ja auch ihre Stimme mische, und diese Vorstellung
+erweckte in ihm eine Sehnsucht, eine Rührung bis
+zu Tränen.</p>
+
+<p>Tobias verlangte nach den Blumen, die seitab
+standen, und Thiel wie immer gab ihm nach.</p>
+
+<p>Stücke blauen Himmels schienen auf den Boden
+des Haines herabgesunken, so wunderbar dicht standen
+kleine, blaue Blüten darauf. Farbigen Wimpeln
+gleich flatterten und gaukelten die Schmetterlinge
+lautlos zwischen dem leuchtenden Weiß der Stämme,
+indes durch die zartgrünen Blätterwolken der Birkenkronen
+ein sanftes Rieseln ging.</p>
+
+<p>Tobias rupfte Blumen und der Vater schaute ihm
+sinnend zu. Zuweilen auch erhob sich der Blick des
+letzteren und suchte durch die Lücken der Blätter den
+<span class="pagenum"><a name="Page_51">51</a></span>Himmel, der wie eine riesige, makellos blaue Kristallschale
+das Goldlicht der Sonne auffing.</p>
+
+<p>»Vater, ist das der liebe Gott?« fragte der Kleine
+plötzlich, auf ein braunes Eichhörnchen deutend, das
+unter kratzenden Geräuschen am Stamme einer alleinstehenden
+Kiefer hinanhuschte.</p>
+
+<p>»Närrischer Kerl,« war alles, was Thiel erwidern
+konnte, während losgerissene Borkenstückchen den
+Stamm herunter vor seine Füße fielen.</p>
+
+<p>Die Mutter grub noch immer, als Thiel und Tobias
+zurückkamen. Die Hälfte des Ackers war bereits
+umgeworfen.</p>
+
+<p>Die Bahnzüge folgten einander in kurzen Zwischenräumen,
+und Tobias sah sie jedesmal mit offenem
+Munde vorübertoben.</p>
+
+<p>Die Mutter selbst hatte ihren Spaß an seinen
+drolligen Grimassen.</p>
+
+<p>Das Mittagessen, bestehend aus Kartoffeln und einem
+Restchen kalten Schweinebraten, verzehrte man in
+der Bude. Lene war aufgeräumt, und auch Thiel
+schien sich in das Unvermeidliche mit gutem Anstand
+fügen zu wollen. Er unterhielt seine Frau während
+des Essens mit allerlei Dingen, die in seinen Beruf
+schlugen. So fragte er sie, ob sie sich denken könne,
+<span class="pagenum"><a name="Page_52">52</a></span>daß in einer einzigen Bahnschiene sechsundvierzig
+Schrauben säßen und anderes mehr.</p>
+
+<p>Am Vormittage war Lene mit Umgraben fertig
+geworden; am Nachmittag sollten die Kartoffeln gesteckt
+werden. Sie bestand darauf, daß Tobias jetzt
+das Kleine warte und nahm ihn mit sich.</p>
+
+<p>»Paß auf &hellip;« rief Thiel ihr nach, von plötzlicher
+Besorgnis ergriffen, »paß auf, daß er den Geleisen
+nicht zu nahe kommt.«</p>
+
+<p>Ein Achselzucken Lenes war die Antwort.</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p class="dropcap">Der schlesische Schnellzug war gemeldet und Thiel
+mußte auf seinen Posten. Kaum stand er dienstfertig
+an der Barriere, so hörte er ihn auch schon heranbrausen.</p>
+
+<p>Der Zug wurde sichtbar &ndash; er kam näher &ndash; in
+unzählbaren, sich überhastenden Stößen fauchte der
+Dampf aus dem schwarzen Maschinenschlote. Da:
+ein &ndash; zwei &ndash; drei milchweiße Dampfstrahlen quollen
+kerzengrade empor, und gleich darauf brachte die Luft
+den Pfiff der Maschine getragen. Dreimal hintereinander,
+kurz, grell, beängstigend. Sie bremsen,
+dachte Thiel, warum nur? Und wieder gellten die
+<span class="pagenum"><a name="Page_53">53</a></span>Notpfiffe schreiend, den Widerhall weckend, diesmal
+in langer, ununterbrochener Reihe.</p>
+
+<p>Thiel trat vor, um die Strecke überschauen zu können.
+Mechanisch zog er die rote Fahne aus dem
+Futteral und hielt sie gerade vor sich hin über die Geleise.
+&ndash; Jesus Christus! war er blind gewesen? »Jesus
+Christus &ndash; o Jesus, Jesus, Jesus Christus! was war
+das? Dort! &ndash; dort zwischen den Schienen &hellip;
+Ha&ndash;alt!« schrie der Wärter aus Leibeskräften. Zu
+spät. Eine dunkle Masse war unter den Zug geraten
+und wurde zwischen den Rädern wie ein Gummiball
+hin und her geworfen. Noch einige Augenblicke, und
+man hörte das Knarren und Quietschen der Bremsen.
+Der Zug stand.</p>
+
+<p>Die einsame Strecke belebte sich. Zugführer und
+Schaffner rannten über den Kies nach dem Ende des
+Zuges. Aus jedem Fenster blickten neugierige Gesichter
+und jetzt &ndash; die Menge knäulte sich und kam
+nach vorn.</p>
+
+<p>Thiel keuchte; er mußte sich festhalten, um nicht
+umzusinken wie ein gefällter Stier. Wahrhaftig,
+man winkt ihm &ndash; »nein!«</p>
+
+<p>Ein Aufschrei zerreißt die Luft von der Unglücksstelle
+her, ein Geheul folgt, wie aus der Kehle eines
+<span class="pagenum"><a name="Page_54">54</a></span>Tieres kommend. Wer war das?! Lene?! Es war
+nicht ihre Stimme und doch &hellip;</p>
+
+<p>Ein Mann kommt in Eile die Strecke herauf.</p>
+
+<p>»Wärter!!«</p>
+
+<p>»Was gibt's?«</p>
+
+<p>»Ein Unglück!« &hellip; Der Bote schrickt zurück, denn
+des Wärters Augen spielen seltsam. Die Mütze sitzt
+schief, die roten Haare scheinen sich aufzubäumen.</p>
+
+<p>»Er lebt noch, vielleicht ist noch Hilfe.«</p>
+
+<p>Ein Röcheln ist die einzige Antwort.</p>
+
+<p>»Kommen Sie schnell, schnell!«</p>
+
+<p>Thiel reißt sich auf mit gewaltiger Anstrengung.
+Seine schlaffen Muskeln spannen sich; er richtet sich
+hoch auf, sein Gesicht ist blöd und tot.</p>
+
+<p>Er rennt mit dem Boten, er sieht nicht die todbleichen,
+erschreckten Gesichter der Reisenden in den
+Zugfenstern. Eine junge Frau schaut heraus, ein
+Handlungsreisender im Fes, ein junges Paar, anscheinend
+auf der Hochzeitsreise. Was geht's ihn an?
+Er hat sich nie um den Inhalt dieser Polterkasten gekümmert;
+&ndash; sein Ohr füllt das Geheul Lenens. Vor
+seinen Augen schwimmt es durcheinander, gelbe
+Punkte, Glühwürmchen gleich, unzählig. Er schrickt
+zurück &ndash; er steht. Aus dem Tanze der Glühwürmchen
+<span class="pagenum"><a name="Page_55">55</a></span>tritt es hervor, blaß, schlaff, blutrünstig. Eine Stirn,
+braun und blau geschlagen, blaue Lippen, über die
+schwarzes Blut tröpfelt. Er ist es.</p>
+
+<p>Thiel spricht nicht. Sein Gesicht nimmt eine
+schmutzige Blässe an. Er lächelt wie abwesend; endlich
+beugt er sich; er fühlt die schlaffen, toten Gliedmaßen
+schwer in seinen Armen; die rote Fahne wickelt
+sich darum.</p>
+
+<p>Er geht.</p>
+
+<p>Wohin?</p>
+
+<p>»Zum Bahnarzt, zum Bahnarzt,« tönt es durcheinander.</p>
+
+<p>»Wir nehmen ihn gleich mit,« ruft der Packmeister
+und macht in seinem Wagen aus Dienströcken und
+Büchern ein Lager zurecht. »Nun also?«</p>
+
+<p>Thiel macht keine Anstalten, den Verunglückten loszulassen.
+Man drängt in ihn. Vergebens. Der Packmeister
+läßt eine Bahre aus dem Packwagen reichen
+und beordert einen Mann, dem Vater beizustehen.</p>
+
+<p>Die Zeit ist kostbar. Die Pfeife des Zugführers
+trillert. Münzen regnen aus den Fenstern.</p>
+
+<p>Lene gebärdet sich wie wahnsinnig. »Das arme,
+arme Weib,« heißt es in den Kupees, »die arme,
+arme Mutter.«</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_56">56</a></span>
+Der Zugführer trillert abermals &ndash; ein Pfiff &ndash;
+die Maschine stößt weiße, zischende Dämpfe aus ihren
+Zylindern und streckt ihre eisernen Sehnen; einige
+Sekunden und der Kurierzug braust mit wehender
+Rauchfahne in doppelter Geschwindigkeit durch den
+Forst.</p>
+
+<p>Der Wärter, anderen Sinnes geworden, legt den
+halbtoten Jungen auf die Bahre. Da liegt er da in
+seiner verkommenen Körpergestalt, und hin und wieder
+hebt ein langer, rasselnder Atemzug die knöcherne
+Brust, welche unter dem zerfetzten Hemd sichtbar wird.
+Die Ärmchen und Beinchen, nicht nur in den Gelenken
+gebrochen, nehmen die unnatürlichsten Stellungen
+ein. Die Ferse des kleinen Fußes ist nach
+vorn gedreht. Die Arme schlottern über den Rand
+der Bahre.</p>
+
+<p>Lene wimmert in einem fort; jede Spur ihres
+einstigen Trotzes ist aus ihrem Wesen gewichen.
+Sie wiederholt fortwährend eine Geschichte, die sie
+von jeder Schuld an dem Vorfall reinwaschen soll.</p>
+
+<p>Thiel scheint sie nicht zu beachten; mit entsetzlich
+bangem Ausdruck haften seine Augen an dem Kinde.</p>
+
+<p>Es ist still ringsum geworden, totenstill; schwarz
+und heiß ruhen die Geleise auf dem blendenden Kies.
+<span class="pagenum"><a name="Page_57">57</a></span>Der Mittag hat die Winde erstickt, und regungslos
+wie aus Stein steht der Forst.</p>
+
+<p>Die Männer beraten sich leise. Man muß, um auf
+dem schnellsten Wege nach Friedrichshagen zu kommen,
+nach der Station zurück, die nach der Richtung
+Breslau liegt, da der nächste Zug, ein beschleunigter
+Personenzug, auf der Friedrichshagen nähergelegenen
+nicht anhält.</p>
+
+<p>Thiel scheint zu überlegen, ob er mitgehen solle.
+Augenblicklich ist niemand da, der den Dienst versteht.
+Eine stumme Handbewegung bedeutet seiner Frau,
+die Bahre aufzunehmen; sie wagt nicht, sich zu widersetzen,
+obgleich sie um den zurückbleibenden Säugling
+besorgt ist. Sie und der fremde Mann tragen die
+Bahre. Thiel begleitet den Zug bis an die Grenze
+seines Reviers, dann bleibt er stehen und schaut ihm
+lange nach. Plötzlich schlägt er sich mit der flachen
+Hand vor die Stirn, daß es weithin schallt.</p>
+
+<p>Er meint sich zu erwecken, »denn es wird ein Traum
+sein, wie der gestern,« sagt er sich. &ndash; Vergebens. &ndash;
+Mehr taumelnd als laufend erreichte er sein Häuschen.
+Drinnen fiel er auf die Erde, das Gesicht voran. Seine
+Mütze rollte in die Ecke, seine peinlich gepflegte Uhr
+fiel aus der Tasche, die Kapsel sprang, das Glas zerbrach.
+<span class="pagenum"><a name="Page_58">58</a></span>Es war, als hielt ihn eine eiserne Faust im
+Nacken gepackt, so fest, daß er sich nicht bewegen
+konnte, so sehr er auch unter Ächzen und Stöhnen sich
+frei zu machen suchte. Seine Stirn war kalt, seine
+Augen trocken, sein Schlund brannte.</p>
+
+<p>Die Signalglocke weckte ihn. Unter dem Eindruck
+jener sich wiederholenden drei Glockenschläge ließ der
+Anfall nach. Thiel konnte sich erheben und seinen
+Dienst tun. Zwar waren seine Füße bleischwer, zwar
+kreiste um ihn die Strecke wie die Speiche eines ungeheuren
+Rades, dessen Achse sein Kopf war; aber er
+gewann doch wenigstens so viel Kraft, sich für einige
+Zeit aufrechtzuerhalten.</p>
+
+<p>Der Personenzug kam heran. Tobias mußte darin
+sein. Je näher er rückte, um so mehr verschwammen
+die Bilder vor Thiels Augen. Am Ende sah er nur
+noch den zerschlagenen Jungen mit dem blutigen
+Munde. Dann wurde es Nacht.</p>
+
+<p>Nach einer Weile erwachte er aus einer Ohnmacht.
+Er fand sich dicht an der Barriere im heißen Sande
+liegen. Er stand auf, schüttelte die Sandkörner aus
+seinen Kleidern und spie sie aus seinem Munde. Sein
+Kopf wurde ein wenig freier, er vermochte ruhiger
+zu denken.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_59">59</a></span>
+In der Bude nahm er sogleich seine Uhr vom
+Boden auf und legte sie auf den Tisch. Sie war
+trotz des Falles nicht stehengeblieben. Er zählte
+während zweier Stunden die Sekunden und Minuten,
+indem er sich vorstellte, was indes mit Tobias geschehen
+mochte: Jetzt kam Lene mit ihm an; jetzt
+stand sie vor dem Arzte. Dieser betrachtete und betastete
+den Jungen und schüttelte den Kopf.</p>
+
+<p>»Schlimm, sehr schlimm &ndash; aber vielleicht &hellip; wer
+weiß?« Er untersuchte genauer. »Nein,« sagte er
+dann, »nein, es ist vorbei.«</p>
+
+<p>»Vorbei, vorbei,« stöhnte der Wärter. Dann aber
+richtete er sich hoch auf und schrie, die rollenden Augen
+an die Decke geheftet, die erhobenen Hände unbewußt
+zur Faust ballend und mit einer Stimme, als
+müsse der enge Raum davon zerbersten: »Er muß,
+muß leben, ich sage dir, er muß, muß leben.« Und
+schon stieß er die Tür des Häuschens von neuem auf,
+durch die das rote Feuer des Abends hereinbrach, und
+rannte mehr als er ging nach der Barriere zurück.
+Hier blieb er eine Weile wie betroffen stehen und
+schritt dann plötzlich, beide Arme ausbreitend, bis
+in die Mitte des Dammes, als wenn er etwas aufhalten
+wollte, das aus der Richtung des Personenzuges
+<span class="pagenum"><a name="Page_60">60</a></span>kam. Dabei machten seine weit offenen Augen
+den Eindruck der Blindheit.</p>
+
+<p>Während er, rückwärts schreitend, vor etwas zu
+weichen schien, stieß er in einem fort halbverständliche
+Worte zwischen den Zähnen hervor: »Du &ndash; hörst du
+&ndash; bleib doch &ndash; du &ndash; hör doch &ndash; bleib &ndash; gib ihn
+wieder &ndash; er ist braun und blau geschlagen &ndash; ja ja &ndash;
+gut &ndash; ich will sie wieder braun und blau schlagen &ndash;
+hörst du? bleib doch &ndash; gib ihn mir wieder.«</p>
+
+<p>Es schien, als ob etwas an ihm vorüberwandle,
+denn er wandte sich und bewegte sich, wie um es zu
+verfolgen, nach der anderen Richtung.</p>
+
+<p>»Du, Minna« &ndash; seine Stimme wurde weinerlich,
+wie die eines kleinen Kindes. »Du, Minna, hörst
+du? &ndash; gib ihn wieder &ndash; ich will &hellip;« Er tastete in
+die Luft, wie um jemand festzuhalten. »Weibchen &ndash;
+ja &ndash; und da will ich sie &hellip; und da will ich sie auch
+schlagen &ndash; braun und blau &ndash; auch schlagen &ndash; und
+da will ich mit dem Beil &ndash; siehst du? &ndash; Küchenbeil
+&ndash; mit dem Küchenbeil will ich sie schlagen, und da
+wird sie verrecken.«</p>
+
+<p>»Und da &hellip; ja mit dem Beil &ndash; Küchenbeil ja &ndash;
+schwarzes Blut!« Schaum stand vor seinem Munde,
+seine gläsernen Pupillen bewegten sich unaufhörlich.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_61">61</a></span>
+Ein sanfter Abendhauch strich leis und nachhaltig
+über den Forst, und rosaflammiges Wolkengelock hing
+über dem westlichen Himmel.</p>
+
+<p>Etwa hundert Schritt hatte er so das unsichtbare
+Etwas verfolgt, als er anscheinend mutlos stehenblieb,
+und mit entsetzlicher Angst in den Mienen streckte der
+Mann seine Arme aus, flehend, beschwörend. Er
+strengte seine Augen an und beschattete sie mit der
+Hand, wie um noch einmal in weiter Ferne das
+Wesenlose zu entdecken. Schließlich sank die Hand,
+und der gespannte Ausdruck seines Gesichts verkehrte
+sich in stumpfe Ausdruckslosigkeit; er wandte sich und
+schleppte sich den Weg zurück, den er gekommen.</p>
+
+<p>Die Sonne goß ihre letzte Glut über den Forst,
+dann erlosch sie. Die Stämme der Kiefern streckten
+sich wie bleiches, verwestes Gebein zwischen die Wipfel
+hinein, die wie grauschwarze Moderschichten auf ihnen
+lasteten. Das Hämmern eines Spechtes durchdrang
+die Stille. Durch den kalten, stahlblauen Himmelsraum
+ging ein einziges verspätetes Rosengewölk. Der
+Windhauch wurde kellerkalt, so daß es den Wärter
+fröstelte. Alles war ihm neu, alles fremd. Er wußte
+nicht, was das war, worauf er ging, oder das, was ihn
+umgab. Da huschte ein Eichhorn über die Strecke,
+<span class="pagenum"><a name="Page_62">62</a></span>und Thiel besann sich. Er mußte an den lieben Gott
+denken, ohne zu wissen warum. »Der liebe Gott
+springt über den Weg, der liebe Gott springt über den
+Weg.« Er wiederholte diesen Satz mehrmals, gleichsam
+um auf etwas zu kommen, das damit zusammenhing.
+Er unterbrach sich, ein Lichtschein fiel in sein
+Hirn, »aber mein Gott, das ist ja Wahnsinn.« Er
+vergaß alles und wandte sich gegen diesen neuen
+Feind. Er suchte Ordnung in seine Gedanken zu
+bringen, vergebens! Es war ein haltloses Streifen
+und Schweifen. Er ertappte sich auf den unsinnigsten
+Vorstellungen und schauderte zusammen im Bewußtsein
+seiner Machtlosigkeit.</p>
+
+<p>Aus dem nahen Birkenwäldchen kam Kindergeschrei.
+Es war das Signal zur Raserei. Fast gegen
+seinen Willen mußte er darauf zueilen und fand das
+Kleine, um welches sich niemand mehr gekümmert
+hatte, weinend und strampelnd ohne Bettchen im
+Wagen liegen. Was wollte er tun? Was trieb ihn
+hierher? Ein wirbelnder Strom von Gefühlen und
+Gedanken verschlang diese Fragen.</p>
+
+<p>»Der liebe Gott springt über den Weg,« jetzt wußte
+er, was das bedeuten wollte. »Tobias« &ndash; sie hatte
+ihn gemordet &ndash; Lene &ndash; ihr war er anvertraut &ndash;
+<span class="pagenum"><a name="Page_63">63</a></span>»Stiefmutter, Rabenmutter,« knirschte er, »und ihr
+Balg lebt.« Ein roter Nebel umwölkte seine Sinne,
+zwei Kinderaugen durchdrangen ihn; er fühlte etwas
+Weiches, Fleischiges zwischen seinen Fingern. Gurgelnde
+und pfeifende Laute, untermischt mit heiseren
+Ausrufen, von denen er nicht wußte, wer sie ausstieß,
+trafen sein Ohr.</p>
+
+<p>Da fiel etwas in sein Hirn wie Tropfen heißen
+Siegellacks, und es hob sich wie eine Starre von seinem
+Geist. Zum Bewußtsein kommend, hörte er den
+Nachhall der Meldeglocke durch die Luft zittern.</p>
+
+<p>Mit eins begriff er, was er hatte tun wollen: seine
+Hand löste sich von der Kehle des Kindes, welches
+sich unter seinem Griffe wand. &ndash; Es rang nach Luft,
+dann begann es zu husten und zu schreien.</p>
+
+<p>»Es lebt! Gott sei Dank, es lebt!« Er ließ es liegen
+und eilte nach dem Übergange. Dunkler Qualm
+wälzte sich fernher über die Strecke, und der Wind
+drückte ihn zu Boden. Hinter sich vernahm er das
+Keuchen einer Maschine, welches wie das stoßweise
+gequälte Atmen eines kranken Riesen klang.</p>
+
+<p>Ein kaltes Zwielicht lag über der Gegend.</p>
+
+<p>Nach einer Weile, als die Rauchwolken auseinandergingen,
+erkannte Thiel den Kieszug, der mit geleerten
+<span class="pagenum"><a name="Page_64">64</a></span>Loren zurückging und die Arbeiter mit sich führte,
+welche tagsüber auf der Strecke gearbeitet hatten.</p>
+
+<p>Der Zug hatte eine reichbemessene Fahrzeit und
+durfte überall anhalten, um die hie und da noch beschäftigten
+Arbeiter aufzunehmen, andere hingegen
+abzusetzen. Ein gutes Stück vor Thiels Bude begann
+man zu bremsen. Ein lautes Quietschen, Schnarren,
+Rasseln und Klirren durchdrang weithin die Abendstille,
+bis der Zug unter einem einzigen schrillen,
+langgedehnten Ton stillstand.</p>
+
+<p>Etwa fünfzig Arbeiter und Arbeiterinnen waren
+in den Loren verteilt. Fast alle standen aufrecht,
+einige unter den Männern mit entblößtem Kopfe.
+In ihrer aller Wesen lag eine rätselhafte Feierlichkeit.
+Als sie des Wärters ansichtig wurden, erhob sich ein
+Flüstern unter ihnen. Die Alten zogen die Tabakspfeifen
+zwischen den gelben Zähnen hervor und hielten
+sie respektvoll in den Händen. Hie und da wandte sich
+ein Frauenzimmer, um sich zu schneuzen. Der Zugführer
+stieg auf die Strecke herunter und trat auf
+Thiel zu. Die Arbeiter sahen, wie er ihm feierlich die
+Hand schüttelte, worauf Thiel mit langsamem, fast
+militärisch-steifem Schritt auf den letzten Wagen
+zuschritt.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_65">65</a></span>
+Keiner der Arbeiter wagte ihn anzureden, obgleich
+sie ihn alle kannten.</p>
+
+<p>Aus dem letzten Wagen hob man soeben das kleine
+Tobiäschen.</p>
+
+<p>Es war tot.</p>
+
+<p>Lene folgte ihm; ihr Gesicht war bläulich-weiß,
+braune Kreise lagen um ihre Augen.</p>
+
+<p>Thiel würdigte sie keines Blickes; sie aber erschrak
+beim Anblick ihres Mannes. Seine Wangen waren hohl,
+Wimpern und Barthaare verklebt, der Scheitel, so schien
+es ihr, ergrauter als bisher. Die Spuren vertrockneter
+Tränen überall auf dem Gesicht; dazu ein unstetes
+Licht in seinen Augen, davor sie ein Grauen ankam.</p>
+
+<p>Auch die Tragbahre hatte man wieder mitgebracht,
+um die Leiche transportieren zu können.</p>
+
+<p>Eine Weile herrschte unheimliche Stille. Eine tiefe,
+entsetzliche Versonnenheit hatte sich Thiels bemächtigt.
+Es wurde dunkler. Ein Rudel Rehe setzte seitab auf
+den Bahndamm. Der Bock blieb stehen mitten
+zwischen den Geleisen. Er wandte seinen gelenken
+Hals neugierig herum, da pfiff die Maschine, und
+blitzartig verschwand er samt seiner Herde.</p>
+
+<p>In dem Augenblick, als der Zug sich in Bewegung
+setzen wollte, brach Thiel zusammen.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_66">66</a></span>
+Der Zug hielt abermals, und es entspann sich eine
+Beratung über das, was nun zu tun sei. Man entschied
+sich dafür, die Leiche des Kindes einstweilen
+im Wärterhaus unterzubringen und statt ihrer den
+durch kein Mittel wieder ins Bewußtsein zu rufenden
+Wärter mittelst der Bahre nach Hause zu bringen.</p>
+
+<p>Und so geschah es. Zwei Männer trugen die Bahre
+mit dem Bewußtlosen, gefolgt von Lene, die, fortwährend
+schluchzend, mit tränenüberströmtem Gesicht
+den Kinderwagen mit dem Kleinsten durch den
+Sand stieß.</p>
+
+<p>Wie eine riesige purpurglühende Kugel lag der
+Mond zwischen den Kieferschäften am Waldesgrund.
+Je höher er rückte um so kleiner schien er zu werden,
+um so mehr verblaßte er. Endlich hing er, einer
+Ampel vergleichbar, über dem Forst, durch alle
+Spalten und Lücken der Kronen einen matten Lichtdunst
+drängend, welcher die Gesichter der Dahinschreitenden
+leichenhaft anmalte.</p>
+
+<p>Rüstig, aber vorsichtig schritt man vorwärts, jetzt
+durch enggedrängtes Jungholz, dann wieder an weiten
+hochwaldumstandenen Schonungen entlang, darin
+sich das bleiche Licht wie in großen, dunklen Becken
+angesammelt hatte.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_67">67</a></span>
+Der Bewußtlose röchelte von Zeit zu Zeit oder
+begann zu phantasieren. Mehrmals ballte er die Fäuste
+und versuchte mit geschlossenen Augen sich emporzurichten.</p>
+
+<p>Es kostete Mühe, ihn über die Spree zu bringen;
+man mußte ein zweites Mal übersetzen, um die Frau
+und das Kind nachzuholen.</p>
+
+<p>Als man die kleine Anhöhe des Ortes emporstieg,
+begegnete man einigen Einwohnern, welche die Botschaft
+des geschehenen Unglücks sofort verbreiteten.</p>
+
+<p>Die ganze Kolonie kam auf die Beine.</p>
+
+<p>Angesichts ihrer Bekannten brach Lene in erneutes
+Klagen aus.</p>
+
+<p>Man beförderte den Kranken mühsam die schmale
+Stiege hinauf in seine Wohnung und brachte ihn
+sogleich zu Bett. Die Arbeiter kehrten sogleich um,
+um Tobiäschens Leiche nachzuholen.</p>
+
+<p>Alte erfahrene Leute hatten kalte Umschläge angeraten,
+und Lene befolgte ihre Weisung mit Eifer
+und Umsicht. Sie legte Handtücher in eiskaltes Brunnenwasser
+und erneuerte sie, sobald die brennende
+Stirn des Bewußtlosen sie durchhitzt hatte. Ängstlich
+beobachtete sie die Atemzüge des Kranken, welche ihr
+mit jeder Minute regelmäßiger zu werden schienen.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_68">68</a></span>
+Die Aufregungen des Tages hatten sie doch stark
+mitgenommen und sie beschloß, ein wenig zu schlafen,
+fand jedoch keine Ruhe. Gleichviel ob sie die Augen
+öffnete oder schloß, unaufhörlich zogen die Ereignisse
+der Vergangenheit daran vorüber. Das Kleine schlief.
+Sie hatte sich entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit
+wenig darum bekümmert. Sie war überhaupt eine
+andere geworden. Nirgend eine Spur des früheren
+Trotzes. Ja, dieser kranke Mann mit dem farblosen,
+schweißglänzenden Gesicht regierte sie im Schlaf.</p>
+
+<p>Eine Wolke verdeckte die Mondkugel, es wurde
+finster im Zimmer, und Lene hörte nur noch das
+schwere, aber gleichmäßige Atemholen ihres Mannes.
+Sie überlegte, ob sie Licht machen sollte. Es wurde
+ihr unheimlich im Dunkeln. Als sie aufstehen wollte,
+lag es ihr bleiern in allen Gliedern, die Lider fielen
+ihr zu, sie entschlief.</p>
+
+<p>Nach Verlauf von einigen Stunden, als die Männer
+mit der Kindesleiche zurückkehrten, fanden sie die
+Haustüre weit offen. Verwundert über diesen Umstand
+stiegen sie die Treppe hinauf, in die obere
+Wohnung, deren Tür ebenfalls weit geöffnet war.</p>
+
+<p>Man rief mehrmals den Namen der Frau, ohne
+eine Antwort zu erhalten. Endlich strich man ein
+<span class="pagenum"><a name="Page_69">69</a></span>Schwefelholz an der Wand, und der aufzuckende
+Lichtschein enthüllte eine grauenvolle Verwüstung.</p>
+
+<p>»Mord, Mord!«</p>
+
+<p>Lene lag in ihrem Blut, das Gesicht unkenntlich,
+mit zerschlagener Hirnschale.</p>
+
+<p>»Er hat seine Frau ermordet, er hat seine Frau
+ermordet!«</p>
+
+<p>Kopflos lief man umher. Die Nachbarn kamen,
+einer stieß an die Wiege. »Heiliger Himmel« und er
+fuhr zurück, bleich, mit entsetzensstarrem Blick. Da lag
+das Kind mit durchschnittenem Halse.</p>
+
+<p>Der Wärter war verschwunden; die Nachforschungen,
+welche man noch in derselben Nacht anstellte, blieben
+erfolglos. Den Morgen darauf fand ihn der diensttuende
+Wärter zwischen den Bahngeleisen und an der
+Stelle sitzend, wo Tobiäschen überfahren worden
+war.</p>
+
+<p>Er hielt das braune Pudelmützchen im Arm und
+liebkoste es ununterbrochen wie etwas, das Leben hat.</p>
+
+<p>Der Wärter richtete einige Fragen an ihn, bekam
+jedoch keine Antwort und bemerkte bald, daß er es
+mit einem Irrsinnigen zu tun habe.</p>
+
+<p>Der Wärter am Block, davon in Kenntnis gesetzt,
+erbat telegraphische Hilfe.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_70">70</a></span>
+Nun versuchten mehrere Männer ihn durch gutes
+Zureden von den Geleisen fortzulocken; jedoch vergebens.</p>
+
+<p>Der Schnellzug, der um diese Zeit passierte, mußte
+anhalten, und erst der Übermacht seines Personales
+gelang es, den Kranken, der alsbald furchtbar zu
+toben begann, mit Gewalt von der Strecke zu entfernen.</p>
+
+<p>Man mußte ihm Hände und Füße binden, und der
+inzwischen requirierte Gendarm überwachte seinen
+Transport nach dem Berliner Untersuchungsgefängnisse,
+von wo aus er jedoch schon am ersten Tage nach
+der Irrenabteilung der <ins title="Charite">Charité</ins> überführt wurde.
+Noch bei der Einlieferung hielt er das braune Mützchen
+in Händen und bewachte es mit eifersüchtiger Sorgfalt
+und Zärtlichkeit.</p>
+
+
+
+<div class="new-h2">&nbsp;</div>
+<div><span class="pagenum"><a name="Page_71">71&ndash;72</a></span></div>
+<h2>Der Apostel</h2>
+
+
+<p class="dropcap">Spät<span class="pagenum"><a name="Page_73">73</a></span>
+am Abend war er in Zürich angelangt. Eine
+Dachkammer in der »Taube«, ein wenig Brot und
+klares Wasser, bevor er sich niederlegte: das genügte
+ihm.</p>
+
+<p>Er schlief unruhig wenige Stunden. Schon kurz
+nach vier erhob er sich. Der Kopf schmerzte ihn. Er
+schob es auf die lange Eisenbahnfahrt vom gestrigen
+Tage. Um so etwas auszuhalten mußte man Nerven
+wie Seile haben. Er haßte diese Bahnen mit ihrem
+ewigen Gerüttel, Gestampf und Gepolter, mit ihren
+jagenden Bildern; &ndash; er haßte sie und mit ihnen die
+meisten anderen der sogenannten Errungenschaften
+dieser sogenannten Kultur.</p>
+
+<p>Durch den Gotthard allein &hellip; es war wirklich
+eine Tortur, durch den Gotthard zu fahren: dazusitzen,
+beim Scheine eines zuckenden Lämpchens, mit
+dem Bewußtsein, diese ungeheure Steinmasse über
+<span class="pagenum"><a name="Page_74">74</a></span>sich zu haben. Dazu dieses markerschütternde Konzert
+von Geräuschen im Ohr. Es war eine Tortur, es war
+zum Verrücktwerden! In einen Zustand war er
+hineingeraten, in eine Angst, kaum zu glauben. Wenn
+das nahe Rauschen so zurücksank und dann wieder
+daherkam, daherfuhr wie die ganze Hölle und so
+tosend wurde, daß es alles in einem förmlich zerschlug
+&hellip; nie und nimmer würde er nochmals durch
+den Gotthard fahren!</p>
+
+<p>Man hatte nur einen Kopf. Wenn der einmal aufgestört
+war &ndash; der Bienenschwarm da drinnen &ndash;
+da mochte der Teufel wieder Ruhe schaffen: alles
+brach durch seine Grenzen, verlor die natürlichen
+Dimensionen, dehnte sich hoch auf und hatte einen
+eigenen Willen.</p>
+
+<p>Die Nacht hatte es ihn noch geplagt, nun sollte es
+damit ein Ende haben. Der kalte, klare Morgen
+mußte das seinige tun. Übrigens würde er von
+hier ab nach Deutschland hinein zu Fuße reisen.</p>
+
+<p>Er wusch sich und zog die Kleider über. Als er die
+Sandalen unterband, tauchte ihm flüchtig auf, wie
+er zu dem Kostüm, das er trug und das ihn von allen
+übrigen Menschen unterschied, gekommen war: die
+Gestalt Meister Diefenbachs ging vorüber. &ndash; Dann
+<span class="pagenum"><a name="Page_75">75</a></span>war es ein Sprung in frühe Jahre: er sah sich selbst
+in der sogenannten Normaltracht zur Schule gehen
+&ndash; der Glatzkopf des Vaters blickte hinter dem Ladentische
+der Apotheke hervor, die Tracht des Sohnes
+milde bespöttelnd. Die Mutter hatte doch immer gesagt,
+er sei kein Hypochonder. Der Glatzkopf und das
+junge Frauengesicht schoben sich nebeneinander.
+Welch ein ungeheurer Unterschied! Daß er das früher
+nie bemerkt hatte.</p>
+
+<p>Die Sandalen saßen fest. Er legte den Strick, der
+die weiße Frieskutte zusammenhielt, um die Hüften
+und eine Schnur rund um den Kopf.</p>
+
+<p>Auf dem Hausflur der Herberge war ein alter
+Spiegel angebracht. Einen Augenblick im Vorübergehen
+hielt er inne, um sich zu mustern. Wirklich!
+&ndash; er sah aus wie ein Apostel. Das heilige Blond der
+langen Haare, der starke, rote, keilförmige Bart, das
+kühne, feste und doch so unendlich milde Gesicht, die
+weiße Mönchskutte, die seine schöne, straffe Gestalt,
+seinen elastischen, soldatisch geschulten Körper zu
+voller Geltung brachte.</p>
+
+<p>Mit Wohlgefallen spiegelte er sich. Warum sollte
+er es auch nicht? Warum sollte er sich selbst nicht bewundern,
+da er doch nicht aufhörte, die Natur zu bestaunen
+<span class="pagenum"><a name="Page_76">76</a></span>in allem, was sie hervorbrachte? Er lief ja
+durch die Welt von Wunder zu Wunder, und Dinge,
+von anderen nicht beachtet, erzeugten in ihm religiöse
+Schauer. Übrigens nahm sie sich gut aus &ndash; die
+Neuerung dieses Morgens: man konnte ja denken,
+diese Schnur um den Kopf habe den Zweck, das Haar
+zusammenzuhalten. Daß sie einem Heiligenscheine
+ähnelte, hatte nichts auf sich. Heilige gab es nicht mehr,
+oder besser: der Heiligenschein kam jedem Naturerzeugnis,
+auch dem kleinsten Blümchen oder Käferchen
+zu, und dessen Auge war ein profanes Auge, der nicht
+über allem solche Heiligenscheine schweben sah.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
+
+<p>Auf der Straße war noch niemand: einsamer Sonnenschein
+lag darauf; hie und da der lange, ein wenig
+schräge Schatten eines Hauses. Er bog in ein Seitengäßchen,
+das bergan stieg, und klomm bald zwischen
+Wiesen und Obstgärten hin aufwärts.</p>
+
+<p>Bisweilen ein hochgiebliges, altväterisches Häuschen,
+ein enges, mit Blumen vollgepfropftes Hausgärtchen,
+dann wieder eine Wiese oder ein Weinberg. Der
+Ruch des weißen Jasmins, des blauen Flieders und
+des dunkelbrennenden Goldlacks erfüllte stellenweise
+die reine und starke Luft, daß er sie wohlig in
+sich sog wie einen gewürzten Wein.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_77">77</a></span>
+Er fühlte sich freier nach jedem Schritt.</p>
+
+<p>Wie wenn ein Dorn aus seinem Herzen sich löste,
+war ihm zu Sinn, als es ihm das Auge so still und
+unwiderstehlich nach außen zog. Das Dunkel in ihm
+ward aufgesogen von all dem Licht. Die Köpfchen
+des gelben Löwenzahns, gleich unzähligen, kleinen
+Sonnen in das sprießende Grün des Wegrandes gelegt,
+blendeten ihn fast. Durch den schweren Blütenregen
+der Obstbäume schossen die Sonnenstrahlen
+schräg in den wiesigen Grund, ihn mit goldigen Tupfen
+überdeckend. So honigsüß dufteten die Birken. Und
+so viel Leben, Behaglichkeit und Fleiß sprach aus dem
+verlorenen Sumsen früher Bienen.</p>
+
+<p>Sorgfältig vermied er im Aufsteigen irgend etwas
+zu beschädigen oder gar zu vernichten, was Leben
+hatte. Das kleinste Käferchen wurde umgangen,
+die zudringliche Wespe vorsichtig verscheucht. Er
+liebte die Mücken und Fliegen brüderlich, und zu
+töten, &ndash; auch nur den allergewöhnlichsten Kohlweißling
+&ndash; schien ihm das schwerste aller Verbrechen.</p>
+
+<p>Blumen, halbwelk, von Kinderhänden ausgerauft,
+hob er vom Wege auf, um sie irgendwo ins Wasser
+zu werfen. Er selbst pflückte niemals Veilchen oder
+<span class="pagenum"><a name="Page_78">78</a></span>Rosen, um sich damit zu schmücken. Er verabscheute
+Sträuße und Kränze; er wollte alles an seinem Ort.</p>
+
+<p>Ihm war wohl und zufrieden. Nur, daß er sich
+selbst nicht sehen konnte, bedauerte er. Er selbst mit
+seinem edlen Gange, einsam in der Frühe auf die
+Berge steigend: das hätte ein Motiv abgegeben für
+einen großen Maler&nbsp;&ndash;: und das Bild stand vor seiner
+Phantasie.</p>
+
+<p>Dann sah er sich um, ob nicht doch vielleicht irgendeine
+menschliche Seele bereits wach sei und ihn sehen
+könne. Niemand war zu erblicken.</p>
+
+<p>Übrigens fing das merkwürdige Schwatzen &ndash; im
+Ohr oder gar im Kopf drinnen, er wußte nicht wo &ndash;
+wieder an. Seit einigen Wochen plagte es ihn.
+Sicherlich waren es Blutstockungen. Man mußte
+laufen, sich anstrengen, das Blut in schnelleren Umlauf
+versetzen&nbsp;&ndash;</p>
+
+<p>Und er beschleunigte seine Schritte.</p>
+
+<p>Allmählich war er so über die Dächer der Häuser
+hinausgekommen. Er stand ruhend still und hatte
+alle Pracht unter sich. Eine Erschütterung überkam
+ihn. Ein Gefühl tiefer Zerknirschung brannte in ihm
+angesichts dieser wundervollen Tiefe. &ndash; Lange ließ
+er das verzückte Auge umherschwelgen: &ndash; über alles
+<span class="pagenum"><a name="Page_79">79</a></span>hin, zu der Spitze des jenseitigen Berges, dessen
+schründige Hänge zartes, wolliges Grün umzog. &ndash;
+Hinunter, wo die veilchenfarbne Fläche des Sees
+den Talgrund ausfüllte, wo die weichen, grasigen
+Uferhügel daraus hervorstiegen, grüne Polster, überschüttet,
+soweit die Sehkraft reichte, mit Blüten und
+wieder Blüten. Dazwischen Häuschen, Villen und
+Dörfer, deren Fenster elektrisch aufblitzten, deren rote
+Dächer und Türme leuchteten.</p>
+
+<p>Nur im Süden, fern, verband ein grauer, silberiger
+Duft See und Himmel und verdeckte die Landschaft;
+aber über ihm, fein und weiß leuchtend, auf das blasse
+Blau der Luft gelegt, schemenhaft tauchten sie auf &ndash;
+einem ungeheuren Silberschatz vergleichbar &ndash; in langer
+sich verlierender Reihe: die Spitzen der Schneeberge.</p>
+
+<p>Dort haftete sein Blick &ndash; starr &ndash; lange. Als es
+ihn los ließ, blieb nichts Festes mehr in ihm. Alles
+weich, aufgelöst. Tränen und Schluchzen.</p>
+
+<p>Er ging weiter.</p>
+
+<p>Von oben her, wo die Buchen anfingen, traf das
+Geschrei des Kuckucks sein Ohr: jene zwei Noten, die
+sich wiederholen, aussetzen, um dann wieder und
+wieder zu beginnen. Er ging weiter, nunmehr für
+sich und grüblerisch.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_80">80</a></span>
+Mysteriöse Rührungen waren ihm angesichts der
+Natur nichts Ungewöhnliches, so stark und jäh wie diesmal
+indes hatten sie ihn noch niemals befallen. &ndash;
+Es war eben sein Naturgefühl, das stärker und tiefer
+wurde. Nichts war begreiflicher, und es tat nicht
+not, sich darüber hypochondrische Gedanken zu
+machen. Übrigens fing es an, sich in ihm zu verdichten,
+zu gestalten, zu erbauen. Kaum daß Minuten vergingen,
+und alles in ihm war gebunden und fest.</p>
+
+<p>Er stand still, wieder schauend. Nun war es die
+Stadt unten, die ihn anzog und abstieß. Wie ein
+grauer, widerlicher Schorf erschien sie ihm, wie ein
+Grind, der weiter fressen würde, in dies Paradies
+hineingeimpft: Steinhaufen an Steinhaufen, spärliches
+Grün dazwischen. Er begriff, daß der Mensch
+das allergefährlichste Ungeziefer sei. Jawohl, das
+stand außer Zweifel: Städte waren nicht besser als
+Beulen, Auswüchse der Kultur. Ihr Anblick verursachte
+ihm Ekel und Weh.</p>
+
+<p>Zwischen den Buchen angelangt, ließ er sich nieder.
+Lang ausgestreckt, den Kopf dicht an der Erde, Humus-
+und Grasgeruch einziehend, die transparenten, grünen
+Halme dicht vor den Augen, lag er da. Ein Behagen
+erfüllte ihn so, eine schwellende Liebe, eine taumelnde
+<span class="pagenum"><a name="Page_81">81</a></span>Glückseligkeit. Wie Silbersäulen die Buchenstämme.
+Der wogende und rauschende, sonnengolddurchschlagene,
+grüne Baldachin darüber, der Gesang, die
+Freude, der eifrige und lachende Jubel der Vögel.
+Er schloß die Augen, er gab sich ganz hin.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
+
+<p>Dabei stieg ihm der Traum der Nacht auf: eine
+fremde Stimmung zuerst, ein Herzklopfen, eine
+Gehobenheit, die eine Vorstellung mitbrachte, über
+deren Ursprung er grübeln mußte. Endlich kam die
+Erinnerung&nbsp;&ndash;: zwischen Tag und Abend. Eine
+endlose, staubige, italienische Landstraße, noch erhitzt,
+flimmernde Wärme ausströmend. Landleute kommen
+vom Felde, braun, bunt, zerlumpt. Männer, Weiber
+und Kinder mit schwarzen, stechenden und glaubenskranken
+Augen. Ärmliche Hütten schräg drüben.
+Über sie her einfältiges, katholisches Aveglockengebimmel.
+Er selbst bestaubt, müde, hungernd,
+dürstend. Er schreitet langsam, die Leute knien am
+Wegrand, sie falten die Hände, sie beten ihn an. Ihm
+ist weich, ihm ist groß.</p>
+
+<p>Er lag und hing an dem Bilde. Fieber, Wollust,
+göttliche Hoheitsschauer wühlten in ihm. Er erhob
+sich Gott gleich.</p>
+
+<p>Nun war er bestürzt, als er die Augen auftat. Wie
+<span class="pagenum"><a name="Page_82">82</a></span>eine Säule aus Wasser brach es zusammen und verrann.</p>
+
+<p>Sich selbst fragend und zur Rede stellend, drang er
+ins Waldinnere. Er machte sich Vorwürfe über sein
+verzücktes Träumen; es kam wider seinen Willen
+und Entschluß. Die Wucht seiner Gefühle machte
+ihm bange, dennoch aber: es konnte sein, daß seine
+nagende Angst ohne Grund war.</p>
+
+<p>Übrigens wuchs die Angst, obgleich es ihm jetzt
+gerade ganz klar wurde, daß sie grundlos war.</p>
+
+<p>Sie hatten ihn wirklich verehrt, die Italiener, deren
+Dörfer er zu Fuß durchzogen hatte. Sie waren gekommen,
+um ihre Kinder von ihm segnen zu lassen.
+Warum sollte er nicht segnen, wenn andere Priester
+segnen durften? Er hatte etwas &ndash; er hatte mehr
+mitzuteilen als sie. Es gab ein Wort, ein einziges
+wundervolles Wortjuwel: Friede! Darin lag es, was
+er brachte, darin lag alles verschlossen &ndash; alles &ndash;
+alles.</p>
+
+<p>Blutgeruch lag über der Welt. Das fließende Blut
+war das Zeichen des Kampfes. Diesen Kampf hörte
+er toben, unaufhörlich, im Wachen und Schlafen. Es
+waren Brüder und Brüder, Schwestern und Schwestern,
+die sich erschlugen. Er liebte sie alle, er sah ihr
+<span class="pagenum"><a name="Page_83">83</a></span>Wüten und rang die Hände in Schmerz und Verzweiflung.</p>
+
+<p>Mit der Stimme des Donners reden zu können
+wünschte er glühend. Angesichts der tosenden Schlacht,
+auf einem Felsblock, allen sichtbar, stehend, mußte
+man rufen und winken. Zu warnen vor dem Bruder-
+und Schwestermord, hinzuweisen auf den Weg zum
+Frieden war eine Forderung des Gewissens.</p>
+
+<p>Er kannte diesen Weg. Man betrat ihn durch ein
+Tor mit der Aufschrift: Natur.</p>
+
+<p>Mut und Eifer hatte die Angst seiner Seele allmählich
+wieder verdrängt. Er ging, nicht wissend
+wohin, predigend im Geiste und bei sich selbst zu allem
+Volke redend: ihr seid Fresser und Weinsäufer. Auf
+euren Tafeln prangen kannibalisch Tierkadaver. Laßt
+ab vom Schlemmen! Laßt ab vom ruchlosen Morde
+der Kreaturen! Früchte des Feldes seien eure Nahrung!
+Eure seidnen Betten, eure Polster, eure
+kostbaren Möbel und Kleider, tragt alles zusammen,
+werft die Fackeln hinein, daß die Flamme himmelan
+schlage und es verzehre! Habt ihr das getan, dann
+kommt &ndash; kommt alle, die ihr mühselig und beladen
+seid und folgt mir nach! In ein Land will ich euch
+führen, wo Tiger und Büffel nebeneinander weiden,
+<span class="pagenum"><a name="Page_84">84</a></span>wo die Schlangen ohne Gift und die Bienen ohne
+Stachel sind. Dort wird der Haß in euch sterben und
+die ewige Liebe lebendig werden.</p>
+
+<p>Ihm schwoll das Herz. Wie ein reißender Strom
+stürzte der Schwall strafender, tröstender und ermahnender
+Worte. Sein ganzer Körper bebte in
+Leidenschaft. Mit hinreißender Stärke überkam ihn
+der Drang, seine ganze Liebe und Sehnsucht auszuströmen.
+Als müsse er den Bäumen und Vögeln
+predigen, war ihm zumut. Die Kraft seiner Rede
+mußte unwiderstehlich sein. Er hätte das Eichhorn,
+welches in Bogensprüngen zwischen den Stämmen
+hinhuschte, mit einem einzigen Worte bannen und zu
+sich rufen können. Er wußte es, wußte es sicher, wie
+man weiß, daß der Stein fällt. Eine Allmacht war
+in ihm: die Allmacht der Wahrheit.</p>
+
+<p>Plötzlich hörte der Wald auf. Fast erschreckt, geblendet,
+wie jemand, der aus einem tiefen Schacht
+aufsteigt, sah er die Welt. Aber es hörte nicht auf in
+ihm zu wirken. Mit eins kam Richtung in seine
+Schritte. Er stieg niederwärts, den abschüssigen Weg
+laufend und springend.</p>
+
+<p>Wie ein Soldat, der stürmt, das Ziel im Auge,
+kam er sich nun vor. Einmal im Laufen, war es schwer
+<span class="pagenum"><a name="Page_85">85</a></span>sich aufzuhalten. Die schnelle, heftige Bewegung
+aber weckte etwas: eine Lust, eine Art Begeisterung,
+eine Tollheit.</p>
+
+<p>Das Bewußtsein kam, und mit Grausen sah er
+sich selbst in großen Sätzen bergab eilen. Etwas in
+ihm wollte hastig hemmen, Einhalt tun, aber schon
+war es ein Meer, das die Dämme durchbrochen hatte.
+Ein lähmender Schreck blieb geduckt im Grunde
+seiner Seele und ein entsetztes, namenloses Staunen
+dazu.</p>
+
+<p>Sein Körper indes, wie etwas Fremdes, tobte entfesselt.
+Er schlug mit den Händen, knirschte mit den
+Zähnen und stampfte den Boden. Er lachte &ndash; lachte
+lauter und lauter, ohne daß es abriß.</p>
+
+<p>Als er zu sich kam, zitterte er. Fast gelähmt vor
+Entsetzen, hielt er den Stamm einer jungen Linde
+umklammert. Nur mit Vorsicht und stets in Angst
+vor der Wiederkehr des Unbekannten, Fürchterlichen
+ging er dann weiter. Aber er wurde doch wieder
+frei und sicher, so daß er am Ende über seine Angst
+lächeln konnte.</p>
+
+<p>Nun, unter dem festen Gleichmaß seiner Schritte,
+angesichts der ersten Häuser, kam die Erinnerung
+seiner Soldatenzeit. Wie oft, das Herz mit dem tauben
+<span class="pagenum"><a name="Page_86">86</a></span>Hochgefühl befriedigter Eitelkeit zum Bersten gefüllt,
+hatte er als Leutnant, an der Seite der Truppe,
+unter klingendem Spiele Einzug gehalten. Er dachte
+es kaum, und schon hatte in seinem Kopfe die markige,
+feurige Marschmusik eingesetzt, durch die er so oft
+fanatisiert worden war. Sie klang in seinem Ohr
+und bewirkte, daß er die Füße in Takt setzte und Kopf
+und Brust ungewöhnlich stolz trug. Sie legte das
+sieghafte Lächeln um seine Lippen und den lebendigen
+Glanz in seine Augen. So marschierend lauschte er
+zugleich in sich hinein, verwundert, daß er so jeden
+Ton, jeden Akkord, jedes Instrument scharf unterschied,
+bis auf das Nachschüttern des Zusammenschlags
+von Pauke und Becken. Er wußte nicht, sollte
+ihn die Stärke seiner Vorstellungskraft beunruhigen
+oder erfreuen. Ohne Zweifel war es eine Fähigkeit.
+Er hatte die Fähigkeit zur Musik. Er würde sicher
+große Kompositionen geschaffen haben. Wie viele
+Fähigkeiten mochten überhaupt in ihm erstickt worden
+sein! Übrigens war das gleichgültig. Alle Kunst
+war Unsinn, Gift. Es gab andere, wichtigere Dinge
+für ihn zu tun.</p>
+
+<p>Ein Mädchen in blauem Kattun, mit einem rosa
+Brusttuch, eine Kanne aus Blech in der Hand, welches
+<span class="pagenum"><a name="Page_87">87</a></span>augenscheinlich Milch austrug, kam ihm entgegen.
+Er hatte sie mit dem Blick gestreift und bemerkt, wie
+sie erstaunt über seinen Anblick still stand und groß
+auf ihn blickte. Sie grüßte dann kleinlaut mit ehrfürchtiger
+Betonung, und er ging gemessen und ernst
+dankend an ihr vorüber.</p>
+
+<p>Sofort war alles in ihm verstummt. Weit hinaus
+wuchs er im Augenblick über seine bisherigen kleinen
+Vorstellungen. Wenn er noch etwas wie Musik in
+seinem Ohre trug, so war es jedenfalls keine irdische
+Melodie. Mit einer Empfindung schritt er, wie wenn
+er trockenen Fußes über Wasser ginge. So hehr und
+groß kam er sich vor, daß er sich selbst zur Demut
+ermahnte. Und wie er das tat, mußte er sich an Christi
+Einzug in Jerusalem erinnern und schließlich der Worte:
+Siehe, dein König kommt zu dir, sanftmütig.</p>
+
+<p>Noch eine Zeitlang fühlte er den Blick des Mädchens
+sich nachfolgen. Aus irgendwelchem Grunde hielt er
+im Gehen möglichst genau die Mitte des Fahrdamms
+inne, auch als er eine Biegung machte in
+eine breite, weiße, sich abwärts senkende Straße
+hinein. Dabei wie unter einem Zwange stehend,
+mußte er immer und immer wiederholen: Dein König
+kommt zu dir.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_88">88</a></span>
+Kinderstimmen sangen diese Worte. Sie lagen ihm
+noch ungeformt zwischen Gaumen und Zunge. Aus
+dem unartikulierten Geräusch seines Atems konnte
+er sie heraushören. Dazwischen Hosianna, rauschende
+Palmenwedel, Jauchzen, bleiche, verzückte Gesichter.
+Dann wieder jähe Stille &ndash; Einsamkeit.</p>
+
+<p>Er sah auf, voll Verwunderung. Wie leere Kulissen
+alles. Häuser aus Stein rechts und links,
+stumm, nüchtern, schläfrig. Nachdenklich prüfte er.
+Allmählich, da es feststand, begann sein Inneres
+sich daran zu ordnen. So wurde er klein, einfach, und
+fing an nüchtern zu schauen.</p>
+
+<p>Hier und da war ein Fenster geöffnet. Der Kopf
+eines Hausmädchens wurde sichtbar, man klopfte einen
+Betteppich aus. Ein Student, schwarzhaarig, mit
+wulstigen Lippen, augenscheinlich ein Russe, drehte
+auf dem Fensterbrett seine Frühstückszigarette. Und
+schon wurde es lebendiger auf der Straße. Die Augen
+auf den Boden geheftet, unterließ er es doch nicht,
+verstohlen zu beobachten. Oft sah er mitten hinein
+in ein breites, freches Lachen. Oft bemerkte er, wie
+Staunen den Spott bannte. Aber hinter seinem Rücken
+befreite sich dann der Spott, und dreiste Reden, spitz
+und beißend, flogen ihm nach.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_89">89</a></span>
+Mit jedem Schritt unter so viel Stichen und Schlägen
+wurde ihm alltäglicher zu Sinn. Ein Krampf
+saß ihm in der Kehle. Der alte bittere, hoffnungslose
+Gram trat hervor. Wie eine Mauer, dick, unübersteiglich,
+richtete sie sich auf vor ihm, die grausame
+Blindheit der Menschen.</p>
+
+<p>Nun schien es ihm auf einmal, als ob alles Leugnen
+unnütz sei. Er war doch wohl nur eine eitle, kleine,
+flache Natur. Ihm geschah doch wohl recht, wenn
+man ihn verhöhnte und verspottete. So empfand
+er minutenlang die Pein und Scham eines entlarvten
+Hochstaplers und den Wunsch, von aller Welt fortzulaufen,
+sich zu verkriechen, zu verstecken, oder auf
+irgendeine Weise seinem Leben überhaupt ein Ende
+zu machen.</p>
+
+<p>Wäre er jetzt allein gewesen, würde er den Strick
+um seinen Kopf, der wie ein Heiligenschein aussah,
+heruntergerissen und verbrannt haben. Wie unter
+einer Narrenkrone aus Papier, halb vernichtet vor
+Scham, ging er darunter.</p>
+
+<p>In enge, labyrinthische Gäßchen ohne Sonne hatte
+er eingelenkt. Ein kleines Fensterchen voller Backware
+zog ihn an. Er öffnete die Glastür und trat in
+den Laden. Der Bäcker sah ihn an &ndash; die Bäckersfrau
+<span class="pagenum"><a name="Page_90">90</a></span>&ndash; er wählte ein kleines Brot, sagte nichts
+und ging.</p>
+
+<p>Vor der Tür hatte sich eine Schar Neugieriger angesammelt:
+eine alte Frau, Kinder, ein Schlächtergesell,
+die Mulde mit roten Fleischstücken auf der
+Schulter. Er überflog ihre Gesichter, es war nichts
+Freches darin, und ging mitten durch sie hin seines
+Weges.</p>
+
+<p>Mit welchem Ausdruck sie ihn alle angeblickt hatten!
+Erst die Bäckersleute. Als ob er des kleinen Brotes
+nicht zum Essen bedürfe, sondern vielmehr, um damit
+ein Wunder zu tun. Und weshalb warteten die
+Leute auf ihn vor den Türen? Es mußte doch einen
+Grund haben. Und nun gar das Getrappel und Geflüster
+hinter ihm drein. Weshalb lief man ihm nach?
+Weshalb verfolgte man ihn?</p>
+
+<p>Er horchte gespannt und wurde bald inne, daß er
+ein Gefolge von Kindern hinter sich hatte. Durch
+Kreuz- und Quergehen über kleine Plätze mit alten
+Brunnen darauf, absichtlich umkehrend und die Richtung
+wechselnd, vergewisserte er sich, daß der kleine
+Trupp nicht von ihm abließ.</p>
+
+<p>Warum verfolgten sie ihn und ließen sich nicht genügen
+an seinem Anblick? Erwarteten sie mehr von
+<span class="pagenum"><a name="Page_91">91</a></span>ihm? Hofften sie in der Tat von ihm etwas Neues,
+Außergewöhnliches, Wundervolles zu sehen? Es kam
+ihm vor, als spräche aus der eintönigen Hast der Geräusche
+ihrer Füße ein starker Glaube, ja mehr als
+dies: eine Gewißheit. Und plötzlich ging es ihm hell
+auf, weshalb Propheten, wahrhaftige Menschen voll
+Größe und Reinheit, so oft am Schluß zu gemeinen
+Betrügern werden. Er empfand auf einmal eine
+brennende Sucht, einen unwiderstehlichen Trieb,
+etwas Wundervolles zu verrichten, und die größte
+Schmach würde ihm klein erschienen sein im Vergleiche
+zu dem Eingeständnis seiner Unkraft.</p>
+
+<p>Bis an den Limmatquai war er inzwischen gelangt,
+und noch immer folgten ihm die Kleinen. Einige
+trabten, die größeren machten unmäßig lange Schritte,
+um ihm nachzukommen. In abgebrochenen Worten,
+mit dem feierlichen Flüsterton der Kirche vorgebracht,
+bestand ihre Unterhaltung. Es war ihm bisher nicht
+gelungen, etwas von dem, was sie sprachen, zu verstehen.
+Plötzlich aber &ndash; er hatte es ganz deutlich gehört
+&ndash; wurden die Worte »Herr Jesus« ausgesprochen.</p>
+
+<p>Die Wirkung eines Zaubers lag in diesen Worten.
+Er fühlte sich aufgehoben durch sie, gestärkt, wiederhergestellt.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_92">92</a></span>
+Jesus war verhöhnt worden: man hatte ihn geschlagen,
+angespien und ans Kreuz genagelt. In Verachtung
+und Spott bestand der Lohn aller Propheten.
+Sein eigenes bißchen Leiden kam nicht in Betracht.
+Kleine, feige Nadelstiche hatte man ihm versetzt. Ein
+Zärtling, der daran zugrunde ging!</p>
+
+<p>Zum Kampf war man da. Wunden bewiesen
+den Krieger. Spott und Hohn der Menge &hellip; wo
+gab es höhere Ehrenzeichen?! Die Brust damit geschmückt,
+durfte man stolz und frei blicken. Und überdies:
+aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge
+hast du dir dein Lob zugerichtet.</p>
+
+<p>Vor einer Frau, die Orangen feilbot, blieb er
+stehen. Sogleich hielten auch die Kleinen im Laufen
+inne, und ein Haufe Neugieriger staute sich auf dem
+Bürgersteig. Er hätte seine Früchte gern ohne alles
+Reden gekauft. Mit einer Spannung warteten die
+Leute auf sein erstes Wort, die ihn befangen und
+scheu machte. Ein sicheres Gefühl sagte ihm, daß
+er eine Illusion zu schonen hatte, daß es von der Art,
+wie er sprach, abhing, ob seine Hörer ihm weiter
+folgten oder enttäuscht davonschlichen. Aber es war
+nicht zu vermeiden, die Hökerfrau fragte und schwatzte
+zu viel, und so mußte er endlich reden.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_93">93</a></span>
+Er war beruhigt und zufrieden, sobald er seine
+eigene Stimme vernahm; etwas Singendes und Getragenes
+lag darin, eine feierliche und gleichsam
+melancholische Würde, die, wie er überzeugt war,
+Eindruck machen mußte. Er hatte sich kaum je so
+reden hören, und indem er sprach, wurde ihm das
+Reden selbst zum Genuß, wie dem Sänger der Gesang.
+Auf der Brücke, unter die hinein der blaugrüne
+See seine Wellen schlug, hielt er abermals an.
+Über das Geländer gebeugt, nahm er aufs neue Licht,
+Farbe und Frische des Morgens in sich auf. Der
+ungestüme, stärkende Wind, der den See herauffuhr,
+wehte ihm den Bart über die Schulter und
+umspülte ihm Stirn und Brust wie ein kaltes Bad.</p>
+
+<p>Und nun aus der mutigen Aufwallung seines Innern
+stieg es auf als ein fester Entschluß. Die Zeit
+war gekommen. Etwas mußte geschehen. In ihm
+war eine Kraft, die Menschheit aufzurütteln. Jawohl!
+und sie mochten lachen, spotten und ihn verhöhnen,
+er würde sie dennoch erlösen, alle, alle!</p>
+
+<p>Nun fing er an, tief und verschlossen zu grübeln.
+<em class="gesperrt">Daß</em> es geschehen würde, stand nun fest; <em class="gesperrt">wie</em> es geschehen
+würde, mußte erwogen werden. Man feierte
+heute Pfingsten, und das war gut. Um Pfingsten
+<span class="pagenum"><a name="Page_94">94</a></span>hatten die Jünger Jesu mit feurigen Zungen geredet.
+Die Feierstimmung bedeutete Empfänglichkeit. Einem
+erschlossenen Acker gleichen die Seelen der Menschen
+an Feiertagen.</p>
+
+<p>Tiefer und tiefer ging er in sich hinein, bis er in
+Räume eindrang, weit, hoch, unendlich. Und so ganz
+versunken war er mit allen Sinnen in diese zweite
+Welt, daß er wie ein Schlafender nur willenlos sich
+fortbewegte. Von allem, was ihn umgab, drang
+nichts mehr in sein Bewußtsein außer dem Getrappel
+der Kinderfüßchen hinter ihm.</p>
+
+<p>Gleichmäßig eine Zeitlang, schwoll es allmählich
+an, wie wenn den Wenigen, die ihm folgten, andere
+sich angeschlossen hätten. Und stärker und stärker
+immer, als ob aus Einzelnen Hunderte, aus Hunderten
+Tausende geworden wären.</p>
+
+<p>Ganz plötzlich wurde er aufmerksam, und nun war
+es, als ob hinter ihm drein Heeresmassen sich wälzten.</p>
+
+<p>In seinen Füßen bis in die Knöchel hinauf spürte
+er ein Erzittern des Erdreiches. Er vernahm hinter
+sich starkes Atmen, heißes, hastiges Geflüster. Er
+vernahm Frohlocken, kurz abgerissen, halb unterdrückt,
+das sich weit zurück fortpflanzte und erst in tiefen
+Fernen echohaft erstarb.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_95">95</a></span>
+Was das bedeutete, wußte er wohl. Daß es so
+überraschend schnell kam, hatte er nicht erwartet.
+Durch seine Glieder brannte der Stolz eines Feldherrn,
+und das Bewußtsein einer unerhörten Verantwortung
+lastete nicht schwerer auf ihm wie der Strick
+auf seinem Kopfe. Er war ja der, der er war. Er
+wußte ja den Weg, den er sie führen mußte. Er
+spürte ja aus dem Lachen und Drängen seiner Seele,
+daß es ihm nahe war, jenes Endglück der Welt,
+wonach die blinden Menschen mit blutenden Augen
+und Händen so viele Jahrtausende vergebens gesucht
+hatten.</p>
+
+<p>So schritt er voran &ndash; er &ndash; er &ndash; also doch er!
+und in die Stapfen seiner Füße stürzten die Völker
+wie Meereswogen. Zu ihm blickten sie auf, die Milliarden.
+Der letzte Spötter war längst verstummt. Der
+letzte Verächter war eine Mythe geworden.</p>
+
+<p>So schritt er voran, dem Gebirge entgegen. Dort
+oben war die Grenze, dahinter lag das Land, wo das
+Glück im Arme des Friedens ewig ruhte. Und schon
+jetzt durchdrang ihn das Glück mit einer Wucht und
+Gewalt, die ihm bewies, daß man athletische Muskeln
+nötig hatte, um es zu ertragen.</p>
+
+<p>Er hatte sie, er hatte athletische Muskeln. Sein
+<span class="pagenum"><a name="Page_96">96</a></span>Leben, sein Dasein war jetzt nur ein wollüstiges,
+spielendes Kraftentfalten.</p>
+
+<p>Eine Lust kam ihn an, mit Felsen und Bäumen
+Fangball zu spielen. Aber hinter ihm rauschten die
+seidenen Banner, drängte und dröhnte unaufhaltsam
+die ungeheure Wallfahrt der Menschen.</p>
+
+<p>Man rief, man lockte, man winkte; schwarze, blaue,
+rote Schleier flatterten; blonde offene Frauenhaare;
+graue und weiße Köpfe nickten; Fleisch bloßer, nerviger
+Arme leuchtete auf; begeisterte Augen, zum
+Himmel blickend, oder flammend auf ihn gerichtet,
+voll reinen Glaubens: auf ihn, der voranschritt.</p>
+
+<p>Und nun sprach er es aus, ganz leise, kaum hörbar,
+das heilige Kleinodwort: &ndash; Weltfriede! Aber es
+lebte und flog zurück von einem zum andern. Es war
+ein Gemurmel der Ergriffenheit und Feierlichkeit.
+Von ferne her kam der Wind und brachte weiche
+Akkorde beginnender Choräle. Gedämpfte Posaunenklänge,
+Menschenstimmen, welche zaghaft und rein
+sangen; bis etwas brach, wie das Eis eines Stromes,
+und ein Gesang emporschwoll wie von tausend
+brausenden Orgeln. Ein Gesang, der ganz Seele und
+Sturm war und eine alte Melodie hatte, die er kannte:
+»Nun danket alle Gott.«</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_97">97</a></span>
+Er kam zu sich. Sein Herz hämmerte. Er war
+nahe am Weinen. Vor seinen Augen schwammen
+weiße Punkte durcheinander. Seine Glieder waren
+wie zerschlagen.</p>
+
+<p>Er setzte sich auf eine Bank nieder, die am See
+stand, und fing an, das Brot zu essen, das er sich gekauft
+hatte. Dann schälte er die Orange und drückt
+die kalte Schale an seine Stirn. Mit Andacht, wie der
+Christ die Hostie, genoß er die Frucht. Noch war er
+damit nicht zu Ende, als er müde zurücksank. Ein wenig
+Schlaf würde ihm willkommen gewesen sein. Ja,
+wenn das so leicht wäre: ausruhen. Wie soll man
+ruhen, wenn es im Kopfe drinnen endlos wühlt und
+gärt? Wenn das Herz heraus will, wenn es einen
+zieht ins Unbestimmte, &ndash; wenn man eine Mission
+hat, die verlangt, daß man sich ihr unterziehe &ndash; wenn
+die Menschen draußen warten und sich die Köpfe
+zerbrechen? Wie soll man ruhen und schlafen, wo es
+not tut zu handeln?</p>
+
+<p>Es war ein peinigender Zustand, wie er so dalag.
+Fragen und Fragen und nie eine Antwort. Graue,
+quälende Leere, mitunter schmerzende Stockungen.
+An einen Ziehbrunnen mußte er denken. Man steht,
+zieht mit aller Kraft am Seil, aber das Rad, worüber
+<span class="pagenum"><a name="Page_98">98</a></span>es geht, dreht sich nicht mehr. Man läßt nicht nach
+mit Zerren und Stemmen. Der Eimer soll herauf.
+Man dürstet zum Verschmachten. Das Rad gibt nicht
+nach. Weder vor- noch rückwärts schiebt sich das Seil.
+&ndash; Eine Plage war das, eine Qual &ndash; beinahe ein
+physisches Leiden. Als er Schritte vernahm, freute
+er sich der Ablenkung. Ja, du lieber Gott! Was war
+das überhaupt für ein Gedanke gewesen, jetzt schlafen
+zu wollen! Er stand auf, verwundert, daß er sich in
+seiner Kammer befand, und öffnete die Tür nach dem
+Flur. Seine Mutter, wie er wußte, stand auf dem
+Gange, und er mußte sie hereinlassen. Sie kam, sah
+ihn an mit strahlender Bewunderung, ihre Lippen
+zitterten, und sie faltete in Ehrfurcht ihre Hände. Er
+legte ihr die Hände aufs Haupt und sprach: stehe auf!
+&ndash; und &ndash; die Kranke erhob sich und konnte gehen.
+Und wie sie sich aufrichtete, erkannte er, daß es nicht
+seine Mutter war, sondern er, der Dulder von Nazareth.
+Nicht nur geheilt hatte er ihn; er hatte ihn
+lebendig gemacht. Noch wehten die Grabtücher um
+Jesu Leib. Er kam auf ihn zu und schritt in ihn hinein.
+Und eine unbeschreibliche Musik tönte, als er so in ihn
+hineinging. Den ganzen geheimnisvollen Vorgang
+als die Gewalt Jesu in der seinigen sich auflöste,
+<span class="pagenum"><a name="Page_99">99</a></span>empfand er genau. Er sah nun die Jünger, die den
+Meister suchten. Aus ihnen trat Petrus auf ihn zu
+und sagte: Rabbi! &ndash; »Ich bin es,« gab er zur Antwort.
+Und Petrus kam näher, ganz nahe, berührte
+seinen Augapfel und begann ihn zu drehen: der Jünger
+drehte den Erdball. Die Stunde war da, sich dem Volke
+zu zeigen. Auf den Balkon des Saales, den er bewohnte,
+trat er hinaus. Unten wogte die Menge, und
+in das Brausen und Wogen sang eine einzige dünne
+Kinderstimme: »Christ ist erstanden.«</p>
+
+<p>Sie hatte kaum begonnen, als das Eisen des
+Balkons nachgab. Er erschrak heftig, wachte auf,
+rieb sich die Augen und wurde inne, daß er auf der
+Bank eingeschlafen war.&nbsp;&ndash;</p>
+
+<p>Gegen Mittag mochte es sein. Er wollte wieder
+hinauf in den Buchenwald, um seine Zeit abzuwarten
+Die Sonne sollte ihn weihen, dort oben.</p>
+
+<p>Noch immer kühle und reine Luft, wie er den Berg
+hinanstieg. Hymnen der Vögel. Der Himmel wie
+eine blaßblaue, leere Kristallschale. Alles so makellos.
+Alles so neu.</p>
+
+<p>Auch er selbst war neu. Er betrachtete seine Hand,
+es war die Hand eines Gottes; und wie frei und rein
+war sein Geist! Und diese Ungebundenheit der Glieder,
+<span class="pagenum"><a name="Page_100">100</a></span>diese völlige innere Sicherheit und Skrupellosigkeit.
+Grübeln und Denken lag ihm nun weltfern. Er
+lächelte voll Mitleid, wenn er an die Philosophen dieser
+Welt zurückdachte. Daß sie mit ihrem Grübeln etwas
+ergründen wollten, war so rührend, wie wenn etwa
+ein Kind sich abmüht, mit seinen zwei bloßen Ärmchen
+in die Luft zu fliegen.</p>
+
+<p>Nein, nein &ndash; dazu gehören Flügel, breite Riesenschwingen
+eines Adlers &ndash; Kraft eines Gottes!</p>
+
+<p>Er trug etwas wie einen ungeheuren Diamanten
+in seinem Kopfe, dessen Licht alle schwarzen Tiefen
+und Abgründe hell machte: da war kein Dunkel
+mehr in seinem Bereich &hellip; Das große Wissen war
+angebrochen.&nbsp;&ndash;</p>
+
+<p>Die Glocken der Kirchen begannen zu läuten. Ein
+Gewühl und Gebrause von Tönen erfüllte das Tal.
+Mit einer erznen Zunge schien die Luft zu sprechen.</p>
+
+<p>Er beugte sich vor und lauschte, als es zu ihm
+heraufkam. Er senkte das Haupt nicht, er kniete
+nicht nieder. Er horchte lächelnd wie auf eines alten
+Freundes Stimme, und doch war es Gottvater, der
+mit seinem Sohne redete.</p>
+
+<p class="center gesperrt" style="margin: 2em auto;">Ende</p>
+
+
+
+<h1 class="gesperrt" style="font-size: x-large; margin: 6em auto 2em auto;">Werke von Gerhart Hauptmann:</h1>
+
+
+<table summary="Werke von Gerhart Hauptmann" style="margin: auto;">
+<tr>
+ <td>Vor Sonnenaufgang. Bühnendichtung.</td>
+ <td class="right">13. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Das Friedensfest. Soziales Drama.</td>
+ <td class="right">8. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Einsame Menschen. Drama.</td>
+ <td class="right">30. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Die Weber. Schauspiel.</td>
+ <td class="right">46. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Kollege Crampton. Komödie.</td>
+ <td class="right">9. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Der Biberpelz. Eine Diebskomödie.</td>
+ <td class="right">16. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Hanneles Himmelfahrt. Eine Traumdichtung.</td>
+ <td class="right">26. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Florian Geyer.</td>
+ <td class="right">10. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Die versunkene Glocke. Ein deutsches Märchendrama.</td>
+ <td class="right" style="padding-left: 1em;">85. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Fuhrmann Henschel. Schauspiel. (Originalausg.)</td>
+ <td class="right">16. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Fuhrmann Henschel. Schauspiel. (Übertragung.)</td>
+ <td class="right">18. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Schluck und Jau. Spiel zu Scherz und Schimpf.</td>
+ <td class="right">10. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Michael Kramer. Drama.</td>
+ <td class="right">11. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Der rote Hahn. Tragikomödie.</td>
+ <td class="right">8. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Der arme Heinrich. Dramatische Dichtung.</td>
+ <td class="right">23. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Rose Bernd. Schauspiel.</td>
+ <td class="right">18. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Elga.</td>
+ <td class="right">8. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Und Pippa tanzt! Ein Glashüttenmärchen.</td>
+ <td class="right">10. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Die Jungfern vom Bischofsberg. Lustspiel.</td>
+ <td class="right">4. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Kaiser Karls Geisel. Drama.</td>
+ <td class="right">6. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Griechischer Frühling.</td>
+ <td class="right">7. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Griselda.</td>
+ <td class="right">6. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Der Narr in Christo Emanuel Quint. Roman.</td>
+ <td class="right">18. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Die Ratten. Berliner Tragikomödie.</td>
+ <td class="right">7. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Gabriel Schillings Flucht. Drama.</td>
+ <td class="right">10. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Atlantis. Roman.</td>
+ <td class="right">27. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Festspiel.</td>
+ <td class="right">32. Auflage.</td>
+</tr>
+<tr>
+ <td>Der Bogen des Odysseus.</td>
+ <td class="right">7. Auflage.</td>
+</tr>
+</table>
+
+
+
+<h1 class="gesperrt" style="font-size: x-large; margin: 6em auto 2em auto;">Gesamtausgaben moderner Dichter</h1>
+
+
+<div id="gesamtausgaben">
+<h2>Björnstjerne Björnson</h2>
+
+<p>Gesammelte Werke. Volksausgabe in fünf Bänden.
+In Leinen 15&nbsp;Mark.</p>
+
+
+<h2>Richard Dehmel</h2>
+
+<p>Gesammelte Werke in zehn Bänden. Geheftet 30&nbsp;Mark,
+in Halbpergament 40&nbsp;Mark, in Ganzpergament 50&nbsp;Mark.</p>
+
+<p>Gesammelte Werke in drei Bänden. In Leinen
+12&nbsp;Mark 50&nbsp;Pfennig, in Halbleder 16&nbsp;Mark.</p>
+
+
+<h2>Theodor Fontane</h2>
+
+<p>Gesammelte Werke. Auswahl in fünf Bänden. In
+Leinen 20&nbsp;Mark.</p>
+
+
+<h2>Gustaf af Geijerstam</h2>
+
+<p>Gesammelte Romane in fünf Bänden. Geheftet
+12&nbsp;Mark, in Leinen 15&nbsp;Mark.</p>
+
+
+<h2>Otto Erich Hartleben</h2>
+
+<p>Ausgewählte Werke in drei Bänden. Geheftet 8&nbsp;Mark,
+in Pappbänden 10&nbsp;Mark, in Ganzpergament 15&nbsp;Mark.</p>
+
+
+<h2>Gerhart Hauptmann</h2>
+
+<p>Gesammelte Werke. Gesamtausgabe in sechs Bänden.
+In Leinen 24&nbsp;Mark, in Halbleder 30&nbsp;Mark.</p>
+
+
+<h2>Henrik Ibsen</h2>
+
+<p>Sämtliche Werke in deutscher Sprache. Zehn Bände.
+Geheftet 35&nbsp;Mark, in Leinen 45&nbsp;Mark.</p>
+
+
+<h2>Henrik Ibsen</h2>
+
+<p>Sämtliche Werke. Volksausgabe in fünf Bänden.
+In Leinen gebunden 15&nbsp;Mark.</p>
+
+
+<h2>Peter Nansen</h2>
+
+<p>Ausgewählte Werke in drei Bänden. In Leinen
+gebunden 12&nbsp;Mark.</p>
+
+
+<h2>Arthur Schnitzler</h2>
+
+<p>Gesammelte Werke. I. Die erzählenden Schriften in
+drei Bänden. In Leinen 10&nbsp;Mark, in Halbleder
+13&nbsp;Mark, in Ganzleder 17&nbsp;Mark.</p>
+
+<p>II. Die Theaterstücke in vier Bänden. In Leinen
+12&nbsp;Mark, in Halbleder 16&nbsp;Mark, in Ganzleder
+21&nbsp;Mark.</p>
+
+
+<h2>Bernard Shaw</h2>
+
+<p>Dramatische Werke. Auswahl in drei Bänden. In
+Leinen 12&nbsp;Mark.</p>
+</div>
+
+
+<h1 class="gesperrt" style="font-size: x-large; margin: 6em auto 1em auto;">Sammlung von Schriften
+zur Zeitgeschichte</h1>
+
+<p class="center gesperrt" style="margin-bottom: 2em;">Jeder Band gebunden 1&nbsp;Mark</p>
+
+
+<div id="zeitgeschichte">
+<p>1. <span class="gesperrt">Band</span>: Aus den Kämpfen um Lüttich. <small>Von einem
+Sanitätssoldaten.</small></p>
+
+<p>2. <span class="gesperrt">Band</span>: Weltwirtschaft und Nationalwirtschaft.
+<small>Von Franz Oppenheimer.</small></p>
+
+<p>3. <span class="gesperrt">Band</span>: Der englische Charakter, heute wie gestern.
+<small>Von Theodor Fontane.</small></p>
+
+<p>4. <span class="gesperrt">Band</span>: Preußische Prägung. <small>Von Lucia Dora Frost.</small></p>
+
+<p>5. <span class="gesperrt">Band</span>: Friedrich und die große Koalition.
+<small>Von Thomas Mann.</small></p>
+
+<p>6. <span class="gesperrt">Band</span>: Die Fahrten der Emden und der Ayesha.
+<small>Mit 20&nbsp;Abbildungen. Von Emil Ludwig.</small></p>
+
+<p>7. <span class="gesperrt">Band</span>: In England &ndash; Ostpreußen &ndash; Südösterreich.
+<small>Von Arthur Holitscher.</small></p>
+
+<p>8. <span class="gesperrt">Band</span>: Der deutsche Mensch. <small>Von Leopold Ziegler.</small></p>
+
+<p>9. <span class="gesperrt">Band</span>: Russischer Volksimperialismus. <small>Von Karl
+Leuthner.</small></p>
+
+<p>10. <span class="gesperrt">Band</span>: Die Flüchtlinge. <small>Von einer Reise durch Holland
+hinter die belgische Front. Von Norbert Jacques.</small></p>
+
+<p>11. <span class="gesperrt">Band</span>: Zwischen Lindau und Memel während des
+Krieges. <small>Von Paul Schlenther.</small></p>
+
+<p>12. <span class="gesperrt">Band</span>: Deutsche Kunst. <small>Von Karl Scheffler.</small></p>
+
+<p>13. <span class="gesperrt">Band</span>: Gedanken zur deutschen Sendung. <small>Von
+Alfred Weber.</small></p>
+</div>
+
+
+<p class="center gesperrt" style="margin: 6em auto 120px auto;">S. Fischer · Verlag · Berlin</p>
+
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+
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+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Bahnwärter Thiel, by Gerhart Hauptmann
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BAHNWÄRTER THIEL ***
+
+***** This file should be named 29376-h.htm or 29376-h.zip *****
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+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
+
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+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
+individual work is in the public domain in the United States and you are
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+opportunities to fix the problem.
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+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
+WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
+warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
+If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
+law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
+interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
+the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any
+provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
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+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
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+with this agreement, and any volunteers associated with the production,
+promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
+harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
+that arise directly or indirectly from any of the following which you do
+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at http://pglaf.org
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit http://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations.
+To donate, please visit: http://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+ http://www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
+
+
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