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| author | Roger Frank <rfrank@pglaf.org> | 2025-10-15 02:47:36 -0700 |
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ZWEITER BAND. *** + + + + +Produced by richyfourtytwo, Bernd Meyer and the Online +Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net + + + + + + + + + + TAHITI. + + + _Roman aus der Südsee_ + + von + + #Friedrich Gerstäcker.# + + + Zweite unveränderte Auflage. + + Zweiter Band. + + + Der Verfasser behält sich die Uebersetzung dieses Werkes vor. + + + #Leipzig,# + + _Hermann Costenoble._ + + 1857. + + + + + + +#Inhalt des zweiten Bandes.# + + Seite + Cap. 1. Die Mädchen von Tahiti und die alten Bekannten 1 + " 2. Sadie und René 31 + " 3. Der Besuch -- Aumama 67 + " 4. Die Missionaire 90 + " 5. Die Königin Pomare 121 + " 6. Ein Ball in Papetee 167 + " 7. Unterwegs 235 + " 8. Mütterchen Tot's Hotel 254 + + + + +Capitel 1. + +#Die Mädchen von Tahiti und die alten Bekannten.# + + +Das Gebet war aus, das laute feierliche Amen schwoll durch die Wipfel +der Palmen nach See zu, sich draußen mit der Brandung Rollen zu +mischen. Mit dem Amen aber schien es auch, als ob der Zauber gebrochen +wäre, der den leichten fröhlichen Sinn der Insulaner bis dahin so +merkwürdig und außergewöhnlich fest im Zaum gehalten, und wie denn +auch der Eingeborne nie so recht tief den Ernst einer feierlichen +Stunde fühlt, sprang er im Nu zurück in sein alltäglich Leben. + +»Hierher Maïre, hierher und fort mit uns« klang der fröhliche Laut -- +»komm hinunter zum Guiavenbach; tief versteckt da in Busch und Laub +tanzen wir. Heute sehens die Mitonares nicht, denn großes Essen ist +immer wenn sie eine Zeitlang gebetet.« + +»Aber die anderen schwatzen« sagte Maïre unschlüssig zur Schwester +aufsehend, »und nachher arme Maïre; Vater Au-e hat mir so schon die +Hölle versprochen, und er schickte mich g'rad hinein, fänd er mich.« + +»Bah -- bah -- bah« lachte die Andere und schüttelte mit dem Kopf -- +»da, hier und hier« -- auf Mund und Herz zeigend -- »das ist fromm, das +hat Religion und das ist genug -- _Alles_ andere aber ist frei, Maïre; +und rasch nun Mädchen, denn wir versäumen den Spaß.« -- Und wie ein +paar aufgescheuchte Rehe flohen die beiden, von vielen Anderen jetzt +gefolgt, erst seitwärts in den Orangenhain, um dann hinter den Gärten +weg nicht dem Blick mancher »Kirchgänger« ausgesetzt zu sein, die +Aergerniß nehmen und die Fröhlichen verrathen könnten. -- Und wie das +klang und sang und summte und schwirrte unter den Bäumen und Palmen -- +fröhliches Leben herrschte in den duftenden Schatten von Orange und +Guiava und der Klang der Flöte mischte sich in lachende +Mädchenstimmen, die sich neckten und jagten auf dem Plan, die Predigt +nachäfften und die Reden des heutigen Tages und dann wieder plötzlich +einfielen in die oft sehr graziösen aber noch öfter fast +unanständiger Stellungen ihrer Tänze ~Upepehe~, ~oris~ und ~mamua~. + +Dort drüben der breite, halboffene Platz vor dem lang-ovalen +Vogelkäfig ähnlichen Bambusgebäude scheint der Mittelpunkt zu sein des +ganzen Viertels; hier wenigstens herrscht das regste ungebundenste +Leben, und die dunklen blumendurchflochtenen Locken, ja oft die glatt +geschorenen, aber mit bunten Kränzen fast bedeckten Köpfe der +eingebornen Mädchen mischen sich bunt und geschäftig durch die +bänderflatternden Strohhüte der Seeleute, an deren meisten die breite +schwarze Seide mit goldenen Buchstaben den Namen ihres Schiffes trug, +und sie als Leute von einem Kriegsschiff bekundete, hätte das nicht +schon außerdem der breite weiße Hemdkragen mit dem schmalen blauen +Streifen darum gethan. + +»Hallo Georg, das ist ein Hauptplatz hier für einen »Geh zu Ufer Tag,« +rief da ein alter, wettergebräunter Seemann einem jungen Burschen zu, +der Eines der Mädchen mit seinem linken Arm umschlungen und eine +halbgeleerte Flasche in der rechten Hand hielt, und das Mädchen +lachend zwingen wollte zu trinken -- »nütz deine Zeit mein Junge, wer +weiß wie bald uns wieder so wohl wird.« + +»Wettermädchen das!« rief aber der junge Bursch, »sie ist wie +Quecksilber unter den Händen, man kann sie nicht festhalten -- wirst +Du trinken?« + +»~Aita, aita~!« schrie aber die trotzige Schöne, und wehrte ihn +entschlossen ab; »pfui über das Gift, das Ihr in Euch hinein schüttet, +bis Ihr wie das Vieh daliegt und die stieren Augen nicht mehr +schließen könnt -- fort mit dem Zeug!« und ihm die Flasche aus der +Hand reißend, schleuderte sie dieselbe, ehe er's hindern konnte, mit +keckem Wurf weit ab von sich in ein Dickicht von jungen +Brodfruchtbäumen und Bananen. + +»Den Teufel, Mädchen!« schrie der Matrose, der von den letzten Worten +des braunen Kindes keine Sylbe verstanden hatte und jetzt überrascht +seiner Flasche nachwollte, »der Stoff ist theuer hier in Papetee und +nicht einmal so leicht zu bekommen.« + +»Hahahaha« lachte aber die Dirne und hielt ihn fest -- »hol sie wenn +Du kannst, hol sie.« + +»Halt ihn, halt ihn,« lachten Andere und sprangen hinzu, sich der +Beute zu bemächtigen und den auslaufenden Brandy zu retten, aber zu +spät, und fluchend hoben sie die leere Flasche gegen das Licht. + +»~Damn it~!« schrie der Eine, der sie erbeutet hatte, und der zuerst +die traurige Entdeckung machte -- »auch nicht ein Tropfen übrig +geblieben!« und als ob er nicht einmal seinen eigenen Augen bei einer +so wichtigen Sache traue, hob er die leere Flasche dennoch an die +Lippen, den Zug zu prüfen, schleuderte sie dann aber mit einem +richtigen Kernfluch so hart er konnte gegen den nächsten +Brodfruchtbaum, daß sie in Scherben schmetternd umherspritzte. Das +aber sollte ihm übel bekommen. + +»~Tam you~,« schrie da eine alte, wohlbeleibte Insulanerin, die ein +brennend rothes Stück Kattun um die Hüften und ein anderes um die +Schultern trug und schon lange genug mit Matrosen verkehrt haben +mochte, ihren Lieblingsausruf oder Fluch zu verstehen -- »~tam you~, +Ihr schmutzigen Weißen -- weil _Ihr_ zehnfache Haut unter den Füßen +tragt, werft Ihr das Glas umher, daß es wie Dorn und Muschelbruch in +unsere Sohlen schneidet -- ~tam you~, sag' ich noch einmal, und der +Tag sei verflucht, der Euch zuerst an diese Küste brachte!« + +Die Alte blieb aber hierbei nicht ununterstützt, denn von allen Seiten +kamen die Mädchen herbei, schimpften und schmähten in ihrer Sprache +und begannen dabei die gefährlichen Glasscherben, die ihnen schon +manche böse Wunde geschnitten, vom Boden aufzusuchen. Vergebens riefen +sie die Matrosen zurück und fügten sich endlich, da Bitten wie +Drohungen nutzlos blieben, lachend dem Unvermeidlichen, selber der +muntern, lebendigen Schaar zu helfen und beizustehn und das Uebel so +viel wie möglich zu heben -- all die drohenden Spitzen nämlich +aufzusuchen oder zu entfernen, und kein Blatt blieb dabei ungewandt, +unter dem sich noch hätte die tückische Spitze bergen können. + +»Hurrah, meine Jungen! wer von Euch hat sein Prisengeld da im Laub +verloren? -- halbpart wenn ich's finde,« schrie in diesem Augenblick +eine rauhe Stimme zwischen das Lachen und Toben der munteren Schaar +hinein, und Einer der Seeleute richtete sich rasch empor, zu sehen wer +der Neuangekommene sei, und ob nicht vielleicht ein alter Bekannter +und Schiffskamerad hier zwischen ihnen auftauche. + +»Hallo Kamerad,« brummte aber der, als er ein völlig fremdes Gesicht +vor sich sah, das ihm jedoch trotzdem ganz freundlich entgegennickte, +und dessen Eigenthümer sich so bequem und ohne weitere Einladung zu +ihnen in's Gras warf, als ob er zu ihrem »Volke« gehörte -- »~where do +you hail from~?«[A] + +Der Sprecher war der Bootsmann der »~Jeanne d'Arc~,« der draußen in +der Bai vor ihrem Anker ritt und dessen Mannschaft heute Feiertag +bekommen hatte, der großen Volksversammlung wegen. Er schien sich auch +hier gewissermaßen als eine Art Obrigkeit zu betrachten zwischen den +übrigen Matrosen, und überdieß rechtfertigte das ganze Aeußere des +Neuangekommenen, unseres alten Bekannten Jim des Iren, allerdings eine +solche Frage, denn dem alten Matrosen überkam es, ihm gegenüber, fast +unwillkürlich, als ob er es mit keinem rechten Seemann zu thun habe, +und gleichwohl ließ doch auch wieder das Einzelne seines Anzugs nichts +erkennen, was einen solchen Verdacht rechtfertigen mochte. Die blaue +Jacke wie die weißleinene Hose hatte den richtigen Schnitt, der mit +Wachsleinwand überzogene Strohhut saß ihm hinten auf dem krausen Haar +und ein paar breite Streifen schwarzseiden Band fielen ihm nach +richtiger Art vorn über das linke Auge nieder und doch lag ein gewisses +Etwas in dem ganzen Betragen des Fremden, das den alten Burschen, der +sich manch langes, langes Jahr auf der See und aller Länder Schiffe +herumgeschlagen, wie eine Art Instinkt überkam, er hätte hier keinen +geborenen Seemann vor sich, und der Bursche segele am Ende gar unter +falscher Flagge. + +Der wirkliche Matrose -- nicht der, der die See einmal zeitweilig zu +seinem Beruf wählt, ein paar Reisen macht vielleicht, und dann wieder +Jahre lang am festen Lande bleibt -- hat auch etwas in seinem ganzen +Wesen, das unmöglich ist sich anzueignen, wenn es eben nicht natürlich +aus dem ganzen System unsers Körpers herauskommt und mit ihm eins +bildet. Die Hauptsache hierbei ist der fast schlenkernde und doch auch +wieder feste und elastische Gang von der steten Bewegung des Schiffes +her, der er natürlich fortwährend begegnen muß, und die ihn dann auch +zwingt, die Beine etwas weiter, wenn auch fast unmerklich, aus +einander zu setzen, als das auf dem festen Lande nöthig wäre; die Arme +hängen dabei, wie durch ihr eigenes Gewicht gezogen, grad am Körper +nieder, ohne ihn aber, weder rechts noch links in drei Zoll zu +berühren, und die halboffene harte Hand sieht gerade so aus, als ob +sie jeden Augenblick an Segel oder Tau zufassen wolle. Der Landmann +kann alles Andere nachahmen, dieses Tragen des Körpers wird ihm nie +gelingen, und nur eine jahrelange Uebung ist im Stande, ihn +zuzurichten, oder, wie die Matrosen sagen, ihn »~ship shape~« zu +machen. + +»Nun Sirrah!« rief der Irländer endlich lachend, nachdem er den +forschenden Blick des Bootsmanns, wenn auch nicht ohne ein leichtes +kaum erkennbares Erröthen, eine ganze Weile ertragen hatte, -- »Ihr +werdet mich nun wohl kennen wenn Ihr mich wiederseht; -- wie gefall +ich Euch?« + +»Ganz und gar nicht, Kamerad,« sagte der aber trocken, und während er +sein Primchen Kautabak im Munde aus einer Backe in die andere +wechselte, »ganz und gar nicht, wenn Du die Wahrheit hören willst.« + +»Hahaha,« lachte aber der Ire, ohne sich im mindesten darüber +beleidigt zu fühlen, »verdamme mich wenn das nicht ehrlich von der +Leber weggesprochen ist; leid thut mir's nur bei der Sache, daß ich +das nämliche -- nicht von Euch auch sagen kann.« + +»Dann werd' ich mein Möglichstes thun, das für mich so unglückliche +Vorurtheil bei Euch zu zerstören,« antwortete der Seemann ruhig. + +»Donnerwetter Ihr seid grob!« rief aber der Ire, der nun einmal +entschlossen schien jetzt Nichts übel zu nehmen, obgleich der ganze +kräftige Bau seines Körpers wie ein ziemlich entschlossener Zug um den +Mund, wohl glauben ließ daß er sonst eben eine wirkliche Beleidigung +nicht so leicht einstecken würde, »aber das schadet Nichts, Kamerad, +wir werden schon noch näher mit einander bekannt werden und ich bin +wie der Wein -- ich gewinne durchs Liegen. Und nun Ihr da, Ihr +Mädchen,« wandte er sich zu diesen in ihrer eigenen Sprache, »laßt das +verdammte Suchen sein und kommt her -- morgen wird sichs schon finden +was ihr verloren habt -- beim Auskehren vielleicht -- und wo ist +Amiomio heute? hol der Henker die kleine Wetterhexe, sie geht immer +fort und kommt niemals wieder.« + +»~Naha-hio~!« riefen da einige der Mädchen, die sich auf den Anruf +umgedreht, erstaunt und untereinander aus -- »~O-fa-na-ga~ wieder +hier? -- und wo hat Dich Oro's Zorn so lange umhergetrieben?« + +»~O-fa-na-ga~« spottete ihnen aber der Ire nach, »bei Jäsus, meine +Herzchen, Ihr habt den Namen noch immer nicht aussprechen lernen und +übersetzt meiner Mutter Sohn auf eine merkwürdige Weise ins +Tahitische. Was würde ~ould father O'Flannagan~ sagen, wenn sie ihn so +zu Tische gerufen hätten -- ha, meine ~namataruas~, Ihr beiden +unzertrennlichen Sterne, seid Ihr auch hier? und wo ist ~ipo Anoënoë~, +mein schlankes Mädchen von Bola-Bola, die tollste in Eurer tollen +Schaar?« + +»~Anoënoë~ ist fromm geworden« lachte eines der Mädchen, die er +~namataruas~ nach einem Zwillingsgestirn jener Zone genannt -- »sie +lacht nicht mehr und trägt keine Blumen mehr im Haar und hinter den +Ohren.« + +»Hahahaha« lachte der Ire, »~Anoënoë~ fromm geworden das ist gut, das +ist vortrefflich, das ist -- hahahaha -- das ist beim Teufel zum +Todtschießen komisch!« + +Der Bootsmann -- eine schlanke, kräftige, ja selbst edle Gestalt, mit +ächt französischen Zügen, krausem dunkelen Barte und dunkelen Augen, +jeder Zoll ein Seemann, der englischen Sprache übrigens vollkommen +mächtig, hatte den Begrüßungen des Fremden mit den Mädchen und Frauen +des Platzes, die er alle kannte und bei Namen nannte, schweigend und +etwas erstaunt mit zugesehen, aber weiter kein Wort hineingeredet und +schien nur etwas ungeduldig und mit untergeschlagenen Armen das Ende +dieser Erkennungsscene zu erwarten. Er trug, trotz dem warmen Wetter, +seine blautuchene dicht mit kleinen blanken Knöpfen besetzte Jacke, +mit weißen Strümpfen und sauber gewichsten Schuhen und schneereinen +segeltuchenen selbstgemachten weiten Hosen, die nur dicht über den +Hüften fest anschlossen und auflagen; das weiße Hemd hielt ein +schwarzseidenes Halstuch mit einem Seemannsknoten locker zusammen, und +der leichte feine Panama Strohhut saß ihm fest und trotzig mehr nach +vorn in der Stirn, als ihn sonst Matrosen gewöhnlich zu tragen +pflegen. + +Endlich mochte ihm aber die Zeit doch zu lang währen und er unterbrach +die weiteren freundschaftlichen Erkundigungen des Fremden mit einem +nicht eben da einstimmenden: + +»~I say stranger~! -- Ihr scheint früher schon einmal auf +Korallenboden geankert zu haben -- Euerer Physionomie verdankt Ihr die +Vertraulichkeit doch nicht.« + +»Der Geschmack ist verschieden, Kamerad!« lachte der Ire dagegen, »und +Einer liebt Bier, der Andere Milchsuppe; aber Ihr habt Recht, ich bin +hier zu Hause, und wenn ich auch nicht gerade hier wohne, führt mich +meine Straße oft genug vorbei -- was Wunder da, daß ich Nachbars +Töchter kenne.« + +»Ei so laßt Euer In-ge-le-se-Schwatzen doch nun endlich einmal!« rief +da eines der Mädchen, zwischen die beiden Männer springend und des +Iren Arm ergreifend -- »Her zu mir ~O-fa-na-ga~ -- und dreh deine +Taschen um, denn Du hast doch den Boden hier nicht wieder betreten, +ohne deiner Maïre Schmuck und Ringe mitgebracht zu haben; wo ist der +Ring von ~perú~, den Du mir so lange versprochen?« + +»Maïre!« rief der Ire erstaunt sie betrachtend -- »_das_ ist Maïre? was +zum Wetter ist denn mit Dir vorgegangen Mädchen, ich kenne Dich ja gar +nicht mehr, wo sind deine Locken?« + +»Die hat der Mitonare abgeschnitten,« sagte die Schöne, halb beschämt, +halb unzufrieden. + +»Der Mitonare -- und was zum Henker hat der Mitonare in deinen Haaren +zu suchen, Sirrah?« + +»Sie sollte fromm werden und keine tollen Streiche mehr treiben,« +lachte Ate-Ate, ihr das Kinn emporhebend und zum Lichte drehend. + +»Unsinn!« rief aber das Mädchen, -- »das ist blos oben, ~O-fa-na-ga~ +-- kehr Dich nicht daran -- wo ist der Ring? her damit!« + +»Und mir auch -- mir auch!« riefen Andere, auf ihn eindrängend, »mir +hat er Ohrgehänge versprochen -- und mir bunte Federn aus dem Osten -- +und mir Kattun zu einem neuen Kleid!« + +»Zurück Mädchen, zurück!« rief aber der Ire lachend, der sich nur mit +Mühe der auf ihn Einstürmenden erwehren konnte -- »Ihr hattet recht, +Kamerad, die Physionomie thuts bei den Dirnen hier allerdings nicht +allein, und sie reißen Einem -- Wettermädchen Ihr, wollt Ihr Ruhe +geben -- die Lumpen vom Leibe; würden sich auch verdammt wenig +Gewissen daraus machen, einen armen Teufel von Matrosen gleich bei +seinem ersten Ansprung an Land rein auszuplündern und nachher allein +sitzen zu lassen und auszulachen. Die braune Haut versteht sich so gut +darauf wie die weiße.« + +»Von welchem Schiff seid Ihr, Kamerad?« frug jetzt der Bootsmann, »Ihr +segelt wohl unter eigener Flagge?« + +Der Ire lächelte leise vor sich hin, schüttelte aber mit dem Kopf und +erwiederte schmunzelnd: + +»Dießmal habt Ihr vorbeigeschossen, so schmeichelhaft die Anspielung +auch sein mochte; alt England für immer, ich möchte keine anderen +Farben an meiner Gaffel wehen haben, -- selbst nicht die rothe;« +setzte er mit einem halb spöttischen, halb verschmitzten Seitenblick +auf den Bootsmann hinzu -- »Um Euch übrigens zu beruhigen kann ich Euch +sagen daß ich Harpunier an Bord des Englischen Wallfischfängers, der +~Kitty Clover~ bin, die hier zu ihrer Erholung in Papetee liegt, und +auch da wohl noch eine Weile zu ihrer Erholung liegen bleiben wird, +wenn ihr die sehr verehrte Französische Regierung nichts in den Weg zu +legen für nöthig findet und den Aufenthalt noch länger gestattet.« + +Der Bootsmann unterdrückte nur mit Mühe einen Fluch auf die ironische +Anspielung daß seine Corvette, die früher den Insulanern imponirt, +gegenwärtig, durch die ihr überlegenen Engländer im Schach gehalten, +Nichts mehr zu sagen und zu befehlen hatte, aber er besann sich eines +Besseren und die Lippen nur zusammenpressend sagte er finster: + +»Ihr thätet wohl Euch mit der Französischen Regierung auf gutem Fuß zu +halten -- die guten Leute in Papetee wissen heute noch gar nicht was +für Farben _morgen_ Mode sein könnten.« + +»Jedenfalls die schwarze,« schmunzelte der Ire, sich die Hände +reibend -- »jedenfalls die schwarze. Jetzt bestimmen die Missionaire +die Moden und das sind liebe, liebe Menschen; haben uns Matrosen auch +so gern, als ob wir ihre Brüder wären -- was wir ja doch auch +eigentlich sind. Es klingt ordentlich erbaulich »Bruder Jim oder +Bruder O'Flannagan.« + +»Daß sie uns nicht grün sind kann ich ihnen nicht verdenken,« brummte +der Bootsmann, »sie haben alle Ursache dazu, denn unsere beiden +Interessen laufen einander gerade schnurstracks entgegen. Also Ihr +gehört zu dem schmutzigen Wallfischfänger da draußen -- habt Ihr +Fische bekommen?« + +»Ja Mister.« + +»Und welchen Port seid Ihr zuletzt angelaufen?« + +»Genirt's Euch, wenn Ihr's _nicht_ wißt?« frug der Ire spöttisch. + +»Geht zum Teufel!« brummte der Franzose zwischen den Zähnen durch -- +ärgerlich sich mit dem Burschen so weit eingelassen zu haben und +wandte ihm den Rücken. + +»Rrrrrrrrrr!« dröhnte in diesem Augenblick ein rascher Wirbel so dicht +vor ihren Ohren, daß sich der Bootsmann überrascht danach umsah; +lachende Mädchengesichter schauten ihm aber entgegen, wohin er +blickte, und Eine von diesen hatte eine richtige französische Trommel +umgehängt, und schlug darauf jetzt mit fertiger Hand den Takt ihres +Inseltanzes. + +»Alle Wetter, Ate-Ate!« rief der vorgebliche Harpunier des ~Kitty +Clover~, und suchte das Mädchen zu fassen, das aber rasch zur Seite +sprang und ihn mit den Trommelschlägeln abwehrte -- »Du bist ja wohl +gar gut französisch geworden, Mädchen, und dienst gegen deine früheren +Geliebten -- ein eigenthümliches Mittel sich an den Treulosen zu +rächen!« + +»Zurück ~O-fa-na-ga~, zurück!« rief aber diese -- »ich will die Zahl +der Falschen nicht vermehren, und es wäre schon jetzt Wahnsinn gegen +sie in den Kampf zu ziehen -- sie sind wie die Guiaven im Wald, und +drücken alles Andere zu Boden -- zurück weißer Mann! -- Aber lasse das +Schwatzen hier, wir wollen tanzen, und Ihr stört uns nur mit Euerem +Zungen klappernden Volk. Da ~A-da~!« wie sie den Bootsmann der ~Jeanne +d'Arc~ nach seinem nicht auszusprechenden Schiffe nannte -- »da stell +Dich her, und nun paß auf, wir wollen den Tanz versuchen den Du uns +gelehrt und sieh ob wir's können.« Und zurückspringend begann sie mit +ziemlicher Genauigkeit ~Lord Howe's hornpipe~, den allbekannten +Matrosentanz auf der Trommel zu schlagen, indeß sie die Melodie dazu +mit klarer, ja glockenreiner Stimme sang, und die Mädchen flogen +herbei zum Tanz. _Den_ Klängen konnten aber auch die Matrosen nicht +widerstehen, und gegen sie antanzend stampften sie nach den raschen +Takten den Rasen und schwenkten und warfen die Hüte in jubelnder Lust. + +Aber die Europäer ermüden bald; so schattig der Brodfruchtbaum auch +seine breitfingerigen Blätter und über ihm die Palme ihre Krone +streckt -- die Luft ist zu heiß für solche Lust, und keuchend warfen +sie sich auf den Boden nieder, indeß sie die eingeborenen Mädchen +lachend umsprangen und mit Blumen und Bananenschaalen warfen. + +Aber lauter und wilder tönt die Trommel, in deren Schlagen Ate-Ate +Eine der Eingeborenen abgelößt und zu der sich noch eine zweite +gefunden hat; der Takt wechselt, lachende Männer und Mädchenstimmen +fallen ein in jubelndem Chor, und die erhitzten Tänzerinnen haben +schon Hut und Schultertuch abgestreift der wogenden Brust und +brennenden Stirn Luft und Kühlung zu geben. Dicht geschaart drängen +die Zuschauer herbei aus der Nachbarschaft, und hochgeschürzte +halbnackte Mädchen werfen sich immer aufs Neue hinein in den wilden +Reigen. Hei wie sie fliegen herüber und hinüber in toller Lust, mit +Armen und Knieen einfallend in den wüthenden Takt, schneller und +schneller, mit funkelnden Augen und wogender Brust, wieder und wieder, +auf und ab vor der Trommel und dem Jauchzen der bewundernden Schaar, +bis sie erschöpft zusammenbrechen, und andere -- wildere ihren Platz +ausfüllen auf dem zerstampften mißhandelten Rasen. + +Bunt sind die Tänzer, bunter aber fast die Zuschauer die sie jetzt +umstehn, und die sich, durch den Ton des Instruments gelockt, +eingefunden haben. Neben dem noch bis an die Zähne tättowirten alten +Indianer, der mit grimmer Lust und leuchtenden Augen schon in seinem +Geist die alte Zeit wieder aufleben sieht mit ihren Festen und Tänzen +-- die schöne fröhliche Zeit, ehe die schwarzgekleideten Männer mit +den finstern Gesichtern kamen und ihren sonnigen Boden betraten, steht +die würdige Matrone, der jetzt Blume und Blüthe im Haar schon ein +Gräuel und dem Herrn mißfällig dünkt, und sieht mit Seufzen und oft +und oft zum Himmel geschlagenen Blick, das Entsetzliche wieder vor +ihren Augen geschehen, dem folgend ihre Priester Pestilenz und Krieg +und die Racheblitze ihres Gottes prophezeiht. Aber sie _sieht_ doch +den Tanz, sie steht und zögert, und während sie seufzt und stöhnt, +taucht die Erinnerung in ihr auf, an frühere Zeit, wo sie selber im +wilden Sprung die Reihen der Mädchen geführt, die Fröhlichste unter +den Fröhlichen, bei denselben entsetzlichen Klängen, -- wo sie mit +fliegender Brust und funkelndem Auge die Tapa von Schultern und +Hüfte, die Blumen aus den flatternden Locken riß, den Tänzer damit zu +werfen und -- Jehovah stehe ihr bei, sie faltet erschrocken die Hände +und flieht den Platz, denn unter dem bunten wehenden Kattun zuckt' es +und zittert' es ihr in den Knieen und Füßen, und der Teufel war stark, +und lockte sie zu dem Entsetzlichen. + +Mitten hinein aber zwischen die Reihen und Gruppen der außen Stehenden +drängen jetzt wieder lachend und schwatzend und mit den Tänzerinnen +scherzend Französische Seeleute und Marinesoldaten, ihren Arm um die +nächste geschlungen, und den Takt des Tanzes mit Gesang oder +stampfendem Fuß unterstützend, und im Taumel von Lust und Freude +treibt sich die sorglose Schaar hier mitten zwischen dem Volk umher, +indeß die Mündungen seiner Kanonen schon auf die armen Bambushütten +gerichtet liegen und ein Zufall den blutigen Kampf entzünden kann. + +Aber was kümmerts die jungen Burschen; _der_ Tag ist noch der ihre, im +duftenden Wald, die wilde reizende Mädchenschaar an ihrer Seite, was +sorgen sie da um den nächsten. -- Und wenn _jetzt_, in diesem +Augenblick die Alarmtrommel tönte? -- So unmöglich ist das nicht, denn +der Bootsmann horchte einmal schon rasch und erschrocken auf -- aber +bah, es ist die neue Aufforderung zum Wiederbeginnen der Lust, und +toller und rasender als je werfen sich die Unermüdlichen hinein in den +Tanz. + +Der Bootsmann oder ~contremaître~ der ~Jeanne d'Arc~ und Jim der Ire +hatten sich zurückgezogen vom Tanz und der Franzose stand allein, an +den Stamm eines Brodfruchtbaums gelehnt und schaute mit verschränkten +Armen dem wilden Spiele zu. + +Jim war in seiner Nähe und eben im Begriff auf ihn zuzugehen, aufs +Neue ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, als er sich am Arme gezupft +fühlte und rasch umschauend einen fremden Matrosen bemerkte, der ihm +vorsichtig winkte ihm zu folgen, und dann langsam, und scheinbar +absichtslos einem kleinen Guiavendickicht zuschlenderte, das hier den +nicht weit von da vorbeiströmenden Bach begrenzte. Jim schaute sich +vorsichtig um, ob er von keiner Seite beobachtet würde, blieb wohl +noch eine Viertelstunde ruhig und regungslos in seiner Stellung, dem +Tanze zuschauend, und folgte dann, die Hände in den Taschen und mit +den ihm nächsten Mädchen lachend und scherzend, dem Vorangegangenen. +Etwa zwanzig Schritt im Dickicht hörte er einen leisen Pfiff, +antwortete ebenso vorsichtig und befand sich wenige Minuten später dem +fremden Seemann gegenüber, der ihn ohne weiteres am Arm nahm und noch +tiefer in den Wald von Mape und Lichtnußbäumen und Guiaven +hineinführte. + +»Alle Wetter Kamerad,« sagte endlich Jim stehen bleibend und seinen +schweigsamen Führer betrachtend, »was zum Henker schleppt Ihr mich +denn hier in den dicksten Busch, wo man sich die Augen in den Zacken +ausrennen kann. Was wollt Ihr von mir und wer seid Ihr selber?« + +»Wer ich bin, Dick Mulligan« sagte aber der Andere, »kann Dir ziemlich +egal sein, wenn nur -- « + +»Dick Mulligan« wiederholte Jim und so sehr er sich auch Mühe gab +seine Bewegung zu verbergen, war es doch leicht zu sehn, wie er über +den Namen erschrak, »wen zum Teufel nennt Ihr Dick Mulligan?« + +»Pst Dick, nicht so laut,« sagte aber der Andere vorsichtig, »Du +brauchst Dich nicht zu geniren, wir Beide kennen einander, denn so +hab' ich mich doch Gott straf mich nicht verändert, daß Du nicht unter +der, vielleicht ein Bischen braun gewordenen Haut deinen alten +Gefährten Jack herausfinden solltest.« + +»Jack, bei Allem was da schwimmt!« rief Jim, »aber Mensch wo kommst Du +her, und in _die_ Jacke; Matrose an Bord eines _französischen_ +Kriegsschiffs« -- + +»Das wäre eine langweilige Geschichte, Dir das Alles +auseinanderzusetzen, genug daß ich da bin und vielleicht Dir zum +Glück,« entgegnete aber der Andere -- »Mensch Du hast Dich nicht im +Geringsten verändert, siehst noch aus wie vor fünf Jahren und läufst +hier so unbekümmert und gottvergnügt mit dem Bart und den Haaren in +der Welt herum, als ob Du nicht den Strick um den Hals trügst, und +jeden Augenblick gefaßt und vor Gericht geschleppt werden könntest -- +und wer Dich einmal gesehen, vergißt Dich im ganzen Leben nicht +wieder.« + +»Laß die alte Geschichte,« knurrte aber der Ire -- »kein Mensch hier +hat eine Ahnung davon als wir Beide -- weshalb das Aufheben!« + +»Kein Mensch, so?« -- sagte Jack, »und weißt Du, wer auf der ~Jeanne +d'Arc~ drüben zweiter Lieutenant ist?« + +»Wie soll ich's wissen,« erwiederte Jim unruhig, »Du kannst Dir denken +daß ich mit den Offizieren irgend einer Majestät so wenig wie möglich +in Berührung komme -- wer wird's sein?« + +»Niemand Anderes als derselbe junge Bursch, der uns damals, in der +Pomatu Gruppe unsern schon sicher geglaubten Fang, den kleinen +Perlencutter abjagte und Dich dabei erwischte. Du entkamst ihm nachher +noch, aber er hat Dich doch beinah acht Tage festgehabt und kennt Dich +genau, ich habe ihn wenigstens die Geschichte selber zweimal an Bord +erzählen hören und er schwört darauf daß er Dich hängen sehn will, +wenn er Dir jemals im Leben wieder begegnet.« + +»Unsinn, was kann er mir thun,« brummte aber Jim (denn wir wollen den +Namen beibehalten), »wir wurden eben von unserer Beute vertrieben, +aber das war doch auch weiter kein Beweis gegen mich.« + +»Sie haben die beiden Leichen in dem Pandanusdickicht gefunden,« sagte +Jack leise. + +»Den Teufel,« knirschte Jim zwischen den Zähnen durch -- »das wäre +allerdings fatal -- aber er hat keine Zeugen.« + +»Mehr wie er braucht,« entgegnete Jack -- »drei von den Jungen die uns +damals den Spaß verdarben, sind auf der ~Jeanne d'Arc~ -- und Du +kannst Dir denken wie mir zwischen dem Gesindel zu Muthe sein muß -- +ein Glück daß sie keine Ahnung haben wie nahe wir schon einmal mit +einander in Geschäftsverbindung gestanden haben.« + +»Aber wie zum Henker bist Du auf das Französische Kriegsschiff +gekommen?« frug Jim nochmals erstaunt und vielleicht selbst +mißtrauisch. + +»Lieber Gott,« lachte Jack achselzuckend, »wie man bald das bald das +einmal in der Welt versucht, ehrlich durchzukommen. -- Ich machte in +Marseille, an Bord eines Dampfers eine Speculation in silbernen +Löffeln -- « + +»Pfui!« sagte Jim. + +»Pfui?« wiederholte Jack beleidigt -- »das ist mir nun einmal +angeboren, daß ich nicht müßig gehen kann; doch um kurz zu sein +entstand da ein Mißverständniß dem ich, als der Schwächere zum Opfer +fiel. Sie steckten mich erst ein und schickten mich dann, zu meiner +weiteren Ausbildung auf ein Kriegsschiff.« + +»Und jetzt?« + +»Und jetzt? -- bin ich an Bord und sehe mich nach einer passenden +Gelegenheit um meine Situation zu verbessern.« + +»Warum desertirst Du nicht?« frug ihn Jim. + +»Das ist eine böse Sache,« sagte Jack kopfschüttelnd, »das kann gut, +aber auch schlecht gehen -- ja wenns hier einmal zum Ausbruch käme, +ließ ich mir's gefallen; jetzt wird aber Alles ausgeliefert was sich +fremd am Ufer blicken läßt. Du aber kannst mir am Ende dazu helfen.« + +»_Ich_ Dir? -- wie mir's jetzt scheint habe ich alle Hände voll zu +thun meine eigene Haut in Sicherheit zu bringen -- ist unser alter +Bekannter an Land?« + +»Gewiß, und stöbert hier gerade in der Nachbarschaft herum, ich habe +Dich deshalb abgerufen daß Du ihm nicht etwa in die Hände läufst -- « + +»Nur meinethalben?« frug Jim den Gefährten mit einem etwas +zweifelhaften Blick. + +»_Nur_ deinethalben? -- nein« sagte der aufrichtige Jack -- »ich sehe +nicht ein warum ich das Kind nicht beim rechten Namen nennen soll; mir +war es selber nicht ganz einerlei, die alte Geschichte wieder +aufgewärmt zu sehn, noch dazu da ich ein unfreiwilliger Zeuge des +Ganzen hätte sein müssen. Aber wirklich Jim, wie ich da erst von +unserem Bootsmann gehört habe, der sich gerade nicht in Dich scheint +verliebt zu haben, gehörst Du zu dem Wallfischfänger, der unten in der +Bai liegt -- sind die Leute an Bord gut?« + +Jim zögerte einen Augenblick mit der Antwort und schielte seitwärts +nach seinem frühern Kameraden hinüber. + +»Du überlegst ob ich Dir da nicht etwa im Wege wäre?« sagte dieser +lachend. + +»Nein, nein,« erwiederte der Ire rasch und vielleicht etwas beschämt +seine Gedanken so schnell errathen und ausgesprochen zu sehn -- »ich +wußte nur nicht gleich was Du damit meintest -- ja, der Capitain ist +gut genug -- Mac Rally, Du mußt ihn ja noch von früher her kennen.« + +»Mac Rally, Mac Rally? -- nein, unter dem Namen nicht; wie hieß er +sonst -- Du kannst mir trauen alter Junge,« setzte er lachend hinzu, +als er sah das Jim mit der Antwort zögerte -- »mir liegt _Alles_ +daran sicher vom Bord der Franzosen zu kommen und wenn ich selbst -- « + +»Aber warum schwimmst Du nicht zu dem Engländer hinüber, der nähme +Dich mit Vergnügen auf,« sagte Jim. + +»Weil ich dafür meine _sehr_ guten Gründe habe,« brummte Jack +verdrießlich; »ich fühle eine gerade so große Abneigung gegen +englische Offiziere wie Du, und -- habe vielleicht eben so viel +Ursache -- also Mac Rally -- « + +»Erinnerst Du Dich noch auf Bill Kooney?« frug Jim. + +Jack pfiff leise vor sich hin und lachte verschmitzt. + +»Bill Kooney,« sagte er dann nach einer kurzen Pause -- »Bill Kooney +-- aber wie zum Teufel ist der zu dem Wallfischfänger gekommen?« + +»Das ist eine naive Frage,« sagte Jim, »aber mein Junge, wenn dem so +ist daß der Gesell -- wie heißt er doch gleich dein Lieutenant?« + +»Bertrand.« + +»Daß also der ~Monsieur~ hier herumschwimmt, da ist's für mich Zeit +aus dem Cours zu gehn -- bis ich ihm vielleicht einmal richtig hinein +kommen kann; ich muß so an Bord.« + +»Aber wo treffen wir uns wieder? ich möchte vorher genau wissen wann +Ihr segelt und Bill Kooney doch auch gern einmal sehn, mit ihm meinen +Plan zu bereden.« + +»Ich gehöre gar nicht mehr an Bord,« sagte Jim -- »daß ich Harpunier +wäre hab' ich deinem neugierigen Bootsmann nur aufgebunden.« + +»Du gehörst nicht mehr an Bord?« frug Jack erstaunt -- »den Teufel +auch, da hast Du wohl dein »Geschäftsbüreau« jetzt an Land?« + +»Zu Zeiten,« sagte Jim ausweichend. + +»Und gehn die Geschäfte gut? -- na hab' keine Angst,« setzte er aber +rasch hinzu, als er sah daß den neugefundenen Kameraden die Frage +etwas in Verlegenheit zu setzen schien, wenigstens nicht gleich und +unbedingt von ihm beantwortet wurde -- »ich komme Dir dabei nicht in's +Gehege, bleibe aber, aufrichtig gesagt auch lieber einmal eine +Zeitlang auf festem Grund und Boden und in der angenehmen Gesellschaft +hier, mich von den überstandenen Strapatzen erst ein wenig auszuruhn. +Donnerwetter, man lebt doch nur einmal auf der Welt, und wozu sich in +einem fort schinden und placken, wie ein Hund!« + +»Ich weiß gerade nicht ob es Dir hier gefallen würde,« sagte Jim. + +»Daß laß meine Sorge sein,« lachte der Matrose, »wenn ich nur erst +glücklich aufgehoben wäre, eine Desertion in meinen Verhältnissen ist +nur zu verdammt gefährlich, denn _kriegten_ sie mich wieder, möcht' +ich in jeder anderen, nur nicht in meiner eigenen Haut stecken. Ich +könnte Dir vielleicht hier auch in Manchem von Nutzen sein.« + +»Das bezweifle ich nicht im Mindesten,« entgegnete Jim ruhig, »aber +überleg's Dir wohl; wird eine große Belohnung auf den Einfang gesetzt, +so ist keinem von den Indianischen Schuften zu trauen. Am besten wär's +doch wohl Du sprächst einmal mit Mac Rally.« + +»Hm -- ja -- vielleicht -- nun ich werde ja sehen,« sagte Jack wie +überlegend sich das Kinn streichend und dabei verstohlen auf Jim +hinüber schauend. -- »Und wenn man Dich einmal hier am Ufer finden +wollte, wo bist Du da am besten zu erfragen?« + +»Kennst Du einen Platz hier auf der Insel, den sie »Mütterchen Tot's +Hotel« nennen?« + +»Nein -- ich bin noch nie funfzig Schritt vom Strand fortgewesen.« + +»Du wirst ihn erfragen können -- jeder Matrose kennt ihn.« + +»Wohnst Du dort?« + +»Nein, aber es ist der einzige Platz, den ich regelmäßig besuche.« + +»Gut, werd' ihn mir merken, und nun ~good bye~, Dick, unser Bootsmann +könnte mich sonst vermissen.« + +»Nenne mich nur nicht _Dick_,« warf der Ire ein, »der Name war mir +unbehaglich, und ich möchte nicht gern immer wieder an jene +unglückselige Zeit erinnert werden.« + +»Hast Du Gewissensbisse?« lachte Jack. + +»Bah Gewissensbisse -- Unsinn -- aber keine Lust eine Raanocke zu +zieren, alter vergessener Geschichten wegen.« + +»Gut, gut; also Du, Jim, wenn Dir das sicherer klingt, könntest Dich +unter der Zeit doch immer einmal nach einem Quartier oder +Schlupfwinkel für mich umsehen -- wenn's auch nur für den Nothfall +wäre; je weiter im Inneren, desto lieber ist mir's. So gute Nacht und +-- hab gut Acht auf deinen Hals!« -- Und leise vor sich hinlachend +verließ er den Freund und ging zurück, wo er die Trommeln der +Insulaner noch hören konnte, die unermüdlich neue und frische Tänzer +herbeilockte. + +»Hm,« sagte Jim leise und nachdenkend vor sich hin, als der alte +Kamerad aus früheren Tagen in den Büschen verschwunden war, und seine +Schritte weiter und weiter im dürren Laub verklangen -- »schön Dank für +die Warnung; ich weiß aber eben noch nicht, ob mir mein Hals in +_Deiner_ Gesellschaft sicher oder unsicher ist, mein alter Bursche, +und fataler Weise ist der Versuch gerade so gefährlich. Nun, +jedenfalls bin ich auf meiner Huth und vor Dir ziemlich sicher daß Du +nicht selber aus der Schule schwatzest; Vielleicht kommt mir aber der +französische Grünschnabel einmal gelegentlich unter die Finger und +dann können wir ja unsere Rechnungen mitsammen ausgleichen. Jetzt +übrigens, so lange es noch Tag ist, werde ich _nicht_ an Bord +zurückgehn, sondern meine Geschäfte hier am Land besorgen; ich traue +den Insulanern nur nicht viel zu; sie sind zu gleichgültig bei Allem +was sie nicht unmittelbar in die Höhe schüttelt, und müßten sich sehr +geändert haben, wenn sie überhaupt noch einmal zu einem entscheidenden +Schlag zu bringen wären -- sei der nun hingerichtet, wohin er wolle. +-- Hm -- ist mir aber auch wieder ungemein lieb erfahren zu haben daß +der Gesell in einer französischen Uniform steckt und hier herumläuft +-- werde doch zusehn daß _er mir_ zuerst vorgestellt wird, und nicht +ich _ihm_.« -- Und mit einem vorsichtigen Blick umher, denn Jack's +Warnung hatte seine Wirkung keineswegs verfehlt, schlug er sich, mit +der Gegend in der er sich hier befand vollkommen gut bekannt, +seitwärts in das Dickicht, die Stadt auf einem anderen Pfade zu +erreichen und verschwand bald darauf in den dichten, hinter ihm sich +wieder schließenden Guiavenbüschen. + +Fußnoten: + +[A] Ein Schiffsausdruck »wo kommt Ihr her -- von woher seid Ihr +gesegelt?« + + + + +Capitel 2. + +#Sadie und René.# + + +Ah -- die Brust hebt sich ordentlich frei, wie wir dem wilden wüsten +Treiben von Haß und Sünde, Leichtsinn und roher Sinnlichkeit den +Rücken kehren, dem Wald, dem unentweihten Walde zuzustreben. Noch +haben wir aber nicht all die bunten wilden Gruppen hinter uns, die +zerstreut bei all den verschiedenen Hütten, in all den kleinen Hainen +ihre Orgien feiern. Horch, von da drüben herüber lauter und munterer +Trommelschlag unter den Palmen vor -- lachende Männer und +Mädchenstimmen und jubelnder Chor; und von _dort_? tönt der scharfe +Klang einer kleinen, in den Zweigen eines Orangenbaumes aufgehangenen +Glocke, und der monotone Sang frommer Hymnen in Tahitischer Sprache, +von den Ehrwürdigen Männern selbst an einem Wochentag gesungen, weil +heute die Inseln ja dem rechten, dem »allein selig machenden +Protestantischen Glauben« gerettet wurden. + +Dahinein aber kreischt der laute fröhliche Sang halbtrunkener +Matrosen, die am Strand nieder neuen Vergnügungen zuziehen. Hier eine +Frauengestalt in wehdurchschauerter Angst niedergeworfen vor dem +zürnenden Gott, den Blick angstvoll nach oben gerichtet, als ob sie +fürchte daß der rächende Strahl den Zornesworten folgen müsse, die der +weiße fromme Mann eben niedergedonnert hatte von dem einfach hölzernen +Kanzelstand, auf die Häupter der kleinen »auserwählten Schaar« -- dort +ein wildes braunes halbnacktes Mädchen, den Arm leichtfertig um die +Schulter eines französischen Soldaten gelegt, der mit ihr plaudert und +koßt, während sie den lachenden Blick frei und ruhig zu dem blauen +freundlichen Himmel emporhebt, und dabei mit halbem Ohr vielleicht den +fernen wohlbekannten Glockentönen lauscht. + +Widersprüche wohin das Auge fällt, und nur die Natur selber ist sich +treu geblieben in dem tollen wilden Gewirr -- nur die Natur allein, +die Gottes Größe und Güte predigt in jeder Zeit, und ihre Gaben +liebend ausstreut über die Kinder des Allmächtigen, gleichviel +welcher _Sekte_ sie angehören, welchen Namen die Lippe flüstert, wenn +das Herz, in stiller Anbetung versunken, emporstaunt zu seinen +Wundern, und gleichgültig dabei, ob sie ihre Stirnen nach Westen oder +Osten zum Gebet neigen -- beten sie doch _Alle_ zu _Ihm_. + +So, je weiter wir das wirre tolle Treiben Papetee's hinter uns lassen, +verschwimmen die Dissonnancen von Hymne und Trommel in dem gewaltigen +Donner der ewigen Brandung, und dem leisen flüsternden Rauschen der +Blätter und Palmenkronen, und dort draußen, weit draußen am +wunderschönen Strand, wohinaus kaum der donnernde Schall des +Geschützes drang, das den Aufgang und Niedergang der Sonne kündete, +hatte René seine Hütte gebaut. Ein wohl nicht großes aber doch +geräumiges Haus, dicht in den Schatten von Frucht- und Blüthenbäumen +hineingeschmiegt, diente ihm mit seiner kleinen Familie, wie dem alten +ehrwürdigen Mr. Osborne, von dem sie sich nicht hätten trennen mögen, +zum Aufenthalt; ja wurde ihm zur Heimath, und selbst Sadie fühlte sich +hier wieder wohl und glücklich, so heimisch so freundlich war der +kleine liebe Platz -- so lieb fast wie Atiu -- nur daß ihm die +Erinnerungen fehlten. + +-- _Nur daß ihm die Erinnerungen fehlten_ -- es ist ein kleines, +unbedeutendes Wort; die Erinnerung, und sie umfaßt doch, wenn wir +erst einmal wirklich ins Leben traten, Alles fast, was das Herz je +theuer gehalten und lieb, und dessen Klängen es mit freudigem Klopfen, +o wie gern doch, lauscht. Was anderes giebt unserer Heimath jenen +unendlichen Reiz, der uns nicht weilen läßt im fremden Land und uns +zurückzieht mit festen, kaum zerreißbaren Banden? -- was anderes +zaubert uns mit einem Schlag alle die lieben, nie vergessenen, aber +wohl so oft und heiß ersehnten Bilder wieder herauf, die unserem Leben +damals Licht und Farbe, unserem Blut die Wärme, unserer Brust die +heitere Ruhe gaben? Verleih einem Platz diese Erinnerungen, und laß es +dann die ärmlichste dürftigste Hütte in einer Wildniß sein, und jede +Stütze ist uns theuer die noch den morschen Bau zusammenhält. Wir +kennen da jeden Baum, jeden Stein und an jedes, das noch so +unbedeutendste, an den schmalen Pfad der hinausführt zu dem stillen, +Linden umlaubten Friedhof, an das Gartenpförtchen, an den Apfelbaum +neben der Thür, an die Steinbank oder den murmelnden Bach, oder den +moosbewachsenen Eimer des Brunnens, selbst an die lieben Sterne die +nur _so_, wie alte liebe Bekannte über _der_ Hütte standen, knüpft +sich eine Liebe, eine selige Erinnerung, und je älter wir dabei +werden, je weiter uns das Schicksal und je länger es uns +fortgetrieben aus dem Heiligthum, desto theurern Platz wahrt es sich +in unserm Herzen. + +Und _ohne_ diese Erinnerungen? ja die Welt ist schön, und überall +gründet der unstete Mensch seinen Heerd, überall deckt Gottes +unendliche Güte den Boden für ihn mit Speise und Trank, und das +Geschlecht treibt und gedeiht -- aber es treibt und gedeiht auch nur +eben, und wie in der Fremde beginnt es seine Hütte zu bauen, wie in +der Fremde siedelt es sich an und -- denkt zurück an frühere +glücklichere Zeiten, liebere Plätze -- an die Stelle wo seine Wiege +gestanden. + +Aber Sadie und René _waren_ glücklich -- über ihnen wölbten, wie auf +Atiu wehende Cocospalmen ihre Häupter und schüttelten den Thau nieder +auf die duftenden Blüthen der Orangen, die ihren Fuß umwuchsen; vor +ihnen aus breiteten sich die Corallendurchzogenen Binnenwasser der +Riffe, klar und silberrein wie an der Schwesterinsel, und Abends +ruderte der junge Mann das Canoe hinaus, und vor ihm saß dann die +glückliche Mutter mit dem Kind am Herzen, dem Liebesblick seines Auges +in unendlicher Seligkeit begegnend; -- es waren das so frohe, so +glückliche Stunden. + +Oh daß sie schwinden müssen, daß Alles nur auf Erden eine Spanne Zeit +umfaßt, und während uns die Sonne fröhlich scheint, daß da schon +düstre Wolkenschleier unterm Horizonte lagern müssen, die langsam aber +sicher höher steigen. Es giebt kein ungetrübtes Glück auf dieser Welt, +es kann's nicht geben, denn das Bewußtsein schon, wie nah der Wechsel +unserm Leben liegt, wie oft an einer Faser nur das Alles hängt, was +uns in diesem Augenblick entzückt, wirft einen trüben Schein selbst +auf die frohste Stunde, und das, was uns gerade im Unglück stärkt, was +den Blick vertrauend, hoffend dem Lichte zukehrt, wie trüb und traurig +uns auch im Herzen sei, und wie die Verzweiflung an ihm nagt und +zehrt, die Gewißheit irgend des einstigen Wechsels solcher +Leidenszeit, die klopft dann ebenfalls als Mahner an des Glückes Thor, +mit leisem Finger, aber still und unverdrossen fort. + +Nicht bei René; er war ein Kind im Glück und nahm das Alles mit so +frohem leichten Herzen an, wie Kinder Spielzeug nehmen, lachen und +springen damit und nicht d'ran denken daß es zerbrechen kann, sich +nicht d'rum kümmern. Nach langer schwerer Zeit, wo er viel dulden +mußte und ertragen, erschien das Alles hier ihm wie gehörig, wie +gerechter Lohn nur für Bestandenes; Sorge hatte er nie gekannt, der +Augenblick war ihm des Lebens Trieb gewesen, dem er folgte, dem +Augenblick gehörte er auch an, und wie er ebenso im Unglück wenig nur +gehofft, sich stets vom Schicksal ausersehn gedacht und kecken +trotzigen Muthes darin gerade Freude fand ihm zu begegnen, es zu +überwinden, so dachte er auch im Glück nicht oft hinaus wie's einst +wohl werden solle, wenn der Tod vielleicht hier oder da die Stützen +wegriß, oder and'res Leid mit kalter starrer Hand eingreifen könne in +sein junges Glück. Er lebte, liebte, das war ihm genug. + +Nicht so Sadie; auf jener stillen Insel still herangewachsen, hatte +sie kaum von einem höheren Lebensziel gewußt; der Schwestern sorglose +Freuden sorglos theilend, war ihr auch nie ein anderer Gedanke +gekommen, hatte sie nie einen andern Fall für möglich gehalten, als +mit der Palme am Strand zu blühen, zu gedeihen und unter ihrem +Schatten einst in leichter Erde, leicht und hoffend einem neuen, +besseren Leben entgegen zu träumen. Da kam René -- mit ihm erschloß +sich eine neue Welt für sie, mit ihm gewann sie etwas was sie nie +geahnt -- ein _geistiges_ Leben, neben ihrer Palmenwelt, und Alles das +was ihr die Brust von da mit solcher Seligkeit erfüllte, fand in dem +einem Herzen nur Ursprung und Ziel -- und wenn das eine Herz ihr +wieder schwand dann -- nein, sie dachte den Gedanken nie aus, und wenn +er aufsteigen wollte in ihr, floh sie vor sich selbst, und das Gefühl +gewann erst wirklich festen Grund in ihr, bekam erst Farbe und +Gestalt, als ihr ein anderer Schmerz durchs Leben zog -- das erste +schwere herbe Leid der jungen Brust. + +Der alte ehrwürdige Mr. Osborne, ein Missionair im wahren Sinn des +Worts, der Gottes Liebe voll und wahr im Herzen trug, und Tausenden +schon damit Trost gebracht, fand gerade da, wo er Achtung und +Anerkennung hätte fordern dürfen, mit seinem treuen ehrlichen Herzen, +kalten dürren Grund, und wenn nicht offenen Kampf, weit Schlimmeres -- +heimlicher Bosheit Pfeil, der oft weit tödtlicher trifft als Blei und +Stahl. Herüber und hinüber geschickt auf der Insel, wo er kaum des +einen Stammes Herzen sich gewonnen, und wohlthätigen Einfluß auf sie +auszuüben begann, gekränkt und angefeindet, geärgert und betrübt, +erkrankte er endlich, und ehe René sowohl wie Sadie sich auf den +schmerzlichen Verlust der ihnen drohte, vorbereiten konnten, ja ehe +selbst nur die Befürchtung solcher Gefahr in ihnen aufgestiegen war, +machte ein Nervenschlag seinem Leben ein sanftes und nur zu rasches +Ende. + +Der Schmerz traf tief in ihr junges, bis dahin ungetrübtes Glück, und +Sadie besonders hatte viel, unendlich viel durch ihn verloren. Auch +René schmerzte der Verlust des alten wackern Mannes, der ihm ein +zweiter Vater geworden, und ja auch eigentlich viel mit seinetwegen +ertragen und geduldet. + +Viele Monate vergingen denn auch, ehe sich Beide von dem Verlust +erholen, an die Trennung von ihm gewöhnen konnten, und selbst dann +noch wollte das Gefühl der Leere nicht ganz weichen -- es fehlte ihnen +ein Theil ihrer selbst, und der Alles lindernden Zeit mußte es +vorbehalten bleiben sie vollständig dafür zu trösten. + +Dieser Todesfall war aber auch für René zum Trieb geworden, sich +irgend nach einer Thätigkeit umzuschauen, nach der auch, besonders +jetzt allein auf sich selbst angewiesen und in der lebendigeren +Ansiedlung mit neuen Bedürfnissen erwachsend, sein lebenskräftiger +Geist sich sehnte und drängte. Eine solche Beschäftigung wurde ihm +aber auch zuletzt zur Nothwendigkeit, wenn er nicht untergehen sollte +in dem müßigen, dem Insulaner wohl zusagenden, dem gebildeten Europäer +aber auf die Länge der Zeit nicht genügenden Leben. + +Kurz vor Mr. Osbornes Tode war ein Theil des Capitals, das René in +Frankreich stehen hatte, für ihn auf Tahiti eingetroffen, und er +beschloß jetzt dasselbe in kaufmännischen Speculationen anzulegen, und +sich außerdem mit dem Handel und Betrieb dieser Inseln bekannt zu +machen. Er bedurfte dessen allerdings nicht seine Lage zu verbessern +oder seine Existenz zu sichern, denn wenig genügte hier seinem +einfachen Leben, aber er wollte einen Antrieb haben, der ihn irgend +einem gestellten Ziel entgegen führte, und das zog ihn dann nicht +allein nicht von seinem häuslichen Leben ab, sondern mußte diesem +sogar einen noch höheren Reiz verleihen. + +Seine kleine freundliche Wohnung lag vielleicht eine halbe Meile +unterhalb Papetee, dicht am Meeresstrand, von hohen Wi- und Mapebäumen +umgeben, und die freie Aussicht nach dem reizenden Imeo hinüber +gewährend. Dort, schon mit mancher Europäischen Bequemlichkeit +ausgestattet, hatte er sich sein Nest gebaut, und zog ihn auch über +Tag dann und wann theils die Anknüpfung seiner Geschäfte, theils das +rege politische Treiben dieser lebendigen Zeit für Tahiti, nach der +Stadt, so fand ihn der Abend doch stets mit raschen Schritten +heimwärts, in die Arme seines trauten Weibes eilend, und schmiegte +sich dann das liebe holde Kind, dem die Mutterwürde einen fast noch +höheren Reiz verliehen, kosend an seine Seite, dann segnete er wohl +oft, in der Fülle seines Glücks, das Schiff, das ihn an diese +gastliche Küste geführt, und mehr noch den Entschluß Freiheit und +Leben daran gesetzt zu haben den Boden zu betreten, zu dem es ihn, +wie mit einer höheren inneren Stimme unaufhaltsam getrieben. + +Wie es dabei oft jungen Leuten geht, denen das Schicksal, und wie +häufig ihnen zum Heil, in ihrer ersten Liebe, bei ihren ersten +ehrgeizigen Plänen, den schon zum Genuß gehobenen Becher von den +Lippen reißt, und die dann plötzlich ihre Rechnung mit der Welt +abgeschlossen, ihre Ansprüche an das Leben und sein Glück vernichtet +glauben und gar nicht einsehen wollen, daß ihnen die Welt erst jetzt +so voll und weit die Arme öffnet, fand er Alles, Alles gerade in dem +Augenblick erfüllt, wo er sich schon an Abgrunds Rande wähnte, und den +Schritt für unvermeidlich, für unabwendbar hielt, der ihn +zerschmettert in die Tiefe senden mußte. + +Und wenn er dann wieder im Anfang, von einem Extrem zum andern +überspringend, jeder Gefahr entrissen, mit jedem Wunsch erfüllt, in +einem förmlichen Taumel von Wonne und Seligkeit der neu gefundenen +Rettungsbahn, die ihn nun durch blumige Auen führte, wie im Traume +folgte, verlor sich doch endlich dieses Gefühl, das ihn auch wirklich +sein Glück nur halb empfinden ließ, und mit dem vollen Bewußtsein +dessen was er sich hier, in dieser wunderherrlichen Welt gewonnen, +kehrte auch unendliche Ruhe und Seligkeit ein in sein Herz -- eine +Ruhe die sein Weib unsagbar glücklich machte und ihrer Brust letzte, +durch die anderen Protestantischen Geistlichen wachgerufenen Zweifel +und Befürchtungen beschwichtigte und widerlegte, daß sich der unstete +Geist des jungen Mannes so leicht und vollständig dem doch ganz neuen +ungewohnten, und gewissermaßen abgeschlossenen Leben dieser Inseln +fügen werde. + +Wie aber der Wirkungskreis ein weiterer war, den er hier fand, so +zeigte sich auch bald das Leben ein ganz anderes, als in dem stillen, +abgeschlossenen Atiu. Tahiti, und auf ihm Papetee schien der +Mittelpunkt des Handels und Verkehrs für die südlich vom Aequator +gelegenen Inselgruppen werden zu wollen, und gerade in letzter Zeit +hatten sich mehre Amerikanische wie Französische Familien hier +niedergelassen, die den gesellschaftlichen Verhältnissen dieses +kleinen Inselstaates einen neuen, bis dahin noch nicht gekannten +Aufschwung zu geben versprachen. René dessen liebenswürdiges Benehmen +ihm leicht die Herzen derer gewann, mit denen er in Berührung kam, +trat bald darauf mit einem der Amerikaner sowohl wie den Franzosen in +Geschäftsverbindung, und fand sich auf das Herzlichste bei ihnen +eingeführt. Den Frauen besonders lag daran einen geselligen Verkehr +auf diesem abgelegenen Punkt zu eröffnen und zu erhalten, und sie +hörten kaum daß René verheirathet sei, als sie auch fest entschlossen +waren ihn aufzusuchen und mehr an sich und ihr Haus zu fesseln. + +René, der recht wohl fühlte daß er sich mit der stärkeren Bevölkerung +der Insel, wenn sich besonders noch mehr Europäer herüber zogen, einem +mehr geselligen Leben nicht ganz würde verschließen können, ja +verschließen mochte, hatte schon seit einiger Zeit angefangen Sadie +darauf vorzubereiten, und zum ersten Mal störte ihn hierin ihre +ungezwungene Tracht, die dem Klima wie der freien Bewegung des Körpers +doch so angemessen war. In den Kreisen in denen er sich aber in einem +mehr geselligen Leben bewegen mußte, wäre dieselbe jedenfalls, wenn +nicht geradezu ein Hinderniß, doch oft ein Stein des Anstoßes +geworden. Allerdings fürchtete er im Anfang diesen Punkt bei Sadie zu +berühren -- es konnte sie kränken wenn sie glauben möchte sie gefiele +ihm weniger jetzt in dem bunten flatternden Tuch, als früher in der +ersten Liebe Zeit; aber Sadie war viel zu vernünftig nicht einzusehen, +wie sie mit dem Gatten in einen anderen Wirkungskreis getreten wäre +und sich dem anzuschmiegen hätte. Die liebe kleine Frau schüttelte +wohl anfangs darüber lächelnd den Kopf, aber die neuen Kleider standen +ihr vortrefflich, und mit dem, ihren Landsleuten eigenen Scharfblick +fügte sie sich so leicht nicht allein in die Tracht, sondern auch in +das ganze Neue und Fremde, das dieselbe mit sich brachte, als ob sie +von Kindheit an darin aufgezogen gewesen wäre, und nicht erst hätte +Alles abwerfen müssen was uns durch Gewohnheit und Sitte aus unserer +Jugend noch fast zur andern Natur geworden, und mit unserm inneren +Selbst verwachsen ist. + +Störend allein griffen manchmal, wenn auch selten, die kirchlichen und +dadurch wieder politischen Verhältnisse der Inseln in das Leben der +Glücklichen ein, denen sich René selber am liebsten ganz entzogen +hätte, wenn ihn eben die Geistlichen in Frieden gelassen. Die +Protestantischen Missionaire _hielten es aber für ihre Pflicht_ (ein +entsetzliches Wort solcher Herren) die junge, im rechten Glauben +erzogene und unglücklicherweise in die Hände eines Ungläubigen +gerathene junge Frau, unaufhörlich vor dem Abgrund zu warnen an dem +sie stehe, und ihr alle die Schrecknisse vor zu halten die sie +erwarteten, wenn sie dem von ihrem Gatten betretenen Pfade folge. Auch +das Kind mußte ja dem rechten Glauben erhalten werden, und so +bereitwillig sich René, um nur Ruhe von Außen und Frieden im Hause zu +haben, allen verlangten Ceremonien fügte, die für unumgänglich nöthig +gehalten wurden dem kleinen unschuldigen Erdenbürger eine einstige +Seligkeit zu sichern, so mußte er doch zuletzt entschieden gegen +einen Theil dieser Menschen auftreten, die in seinem Haus anfingen wie +in einem Taubenschlag aus und ein zu fliegen, und auf dem besten Weg +waren der armen Frau den Kopf zu verdrehen, und sie melancholisch und +unglücklich zu machen. + +Von den Geistlichen war nur Einer, mit dem er sich gewissermaßen +befreundete, und zwar eigenthümlicher Weise gerade Einer der +eifrigsten und entschiedensten der ganzen Gesellschaft. Bruder Nelson +lebte und webte nur in seiner Mission und behandelte seinen Beruf mit +einer Aufopferung, die ihn stets zuletzt an sich denken ließ, und +Belohnung nur wieder allein in dem Erfolg suchte und fand, den er dem +alleinigen Gott, seiner Meinung und Ueberzeugung nach, errang. Ruhig +und fest arbeitete er aber auch ohne Uebertreibung, ohne jenen +_blinden_ Eifer an der Besserung und Bekehrung seiner Mitmenschen, und +gehörte vor allen Dingen nicht zu jener tollen Schaar die mit dem +Wahlspruch »ein Tröpfchen _Glaube_ sei besser wie ein ganzes Meer voll +_Wissen_« das Volk nur für ihre Worte und Formeln fanatisiren wollen, +und Sinn und Verstand dabei, mit einem verklärten Blick nach oben, +unter die Füße treten. + +René unterhielt sich gern und oft mit ihm, selbst über religiöse +Punkte und noch mehr und gewaltigern Stoff zur Unterhaltung, aber +auch zugleich dabei zu einer neuen Besorgniß, die seinen Eifer ihr zu +begegnen nur noch mehr anstachelte, erhielt der ehrwürdige Mr. Nelson +in einem neuen Gast des Hauses, der anfangs nur selten kam, sich aber +bald dort wohler fühlte und häufiger da gesehen wurde als den übrigen +Missionairen, die schon das Schlimmste fürchteten, lieb sein mochte. + +Es war dies Einer der Katholischen Priester, denen natürlich daran +gelegen sein mußte vor allen Dingen unter ihren Landsleuten festen Fuß +zu fassen, von denen aus sie ihre Lehre verbreiten und den Ketzern den +schon fast sicher geglaubten Sieg entreißen konnten. Vater Conet hatte +den jungen Franzosen und Landsmann aufgesucht, und trotzdem daß er von +diesem, der nicht mit Unrecht dadurch den religiösen Kampf über seine +eigene Schwelle zu ziehen fürchtete, im Anfang etwas kalt empfangen +und aufgenommen wurde, sich so liebenswürdig betragen, und sich so +fern auch selbst von jedem Schein eines Bekehrungsversuches gehalten, +daß René bald in ihm nur den lieben, ihm herzlich willkommenen +Landsmann sah. Selbst Bruder Nelson, der mit ihm einige Male da +zusammentraf und es zuletzt unmöglich fand im Gespräch das was ihnen +beiden so nahe lag, die Religion ganz zu vermeiden, lernte ihn mit +jedem Tage mehr als einen durchaus gebildeten, anständigen Mann +kennen, daß er nicht allein Nichts mehr gegen seine Besuche des Hauses +einzuwenden hatte, sondern sie im Gegentheil anfing gern zu sehn und +absichtlich ein und dieselbe Stunde mit dem katholischen Priester +wählte, ihn dort zu treffen. + +Unter den übrigen Geistlichen hatte aber, nichtsdestoweniger daß +Bruder Nelson das Haus besuchte, der überhaupt lange nicht als +entschieden und orthodox genug unter ihnen galt, mehr und mehr der +Verdacht Wurzel geschlagen, daß der katholische Priester wirklich die +heimliche Absicht habe, die junge Frau schon aus den Armen der +rechtgläubigen Kirche herauszureißen und der seinigen zuzuführen, und +der Ehrwürdige Bruder Dennis, der fanatischeste unter den Fanatikern, +fühlte sich vor allen anderen dazu berufen, für die junge Christin wie +ihr Kind als Kämpfer aufzutreten. + +Mehrmals trafen sich hierauf die beiden Geistlichen, Bruder Dennis und +Conet in René's Wohnung, selbst während dessen Abwesenheit; Bruder +Conet fand aber bald welch ein anderer Geist diesen Mann beherrsche +wie den ehrwürdigen Nelson, und vermied sorgfältig auch nur die +mindeste Begegnung mit ihm auf geistlichen Gebiet unter dem, ihm +befreundeten Dach. Artig aber entschieden wieß er den wieder und +wieder gebotenen Kampf zurück. René erfuhr das auch, und gewann ihn +dadurch um so lieber; vergebens bat er aber den frommen Mr. Dennis +dagegen, von solchen Versuchen bei ihm abzustehn, da erstens nicht +einmal die geringste Gefahr irgend eines Glaubenswechsels für Sadie +vorhanden sei, ja die Frau sogar viel schwärmerischere Ideen bekam, +als ihm schon lieb war, und er auch nicht gern sein häusliches Glück +dem Zwiespalt opfern wollte, der die ganze Nation zu verschlingen +drohte. Der fromme Geistliche hatte höhere Pflichten als gegen die +Menschen und ihr häusliches Glück -- er hatte Pflichten gegen _Gott_ +und denen mußte er folgen, gleichviel wohinaus sein Weg ihn führte. +Der Allmächtige hatte ihn und seine Brüder jenem glorreichen Beruf +erwählt, Sein Wort, Seine Lehre, den Heiland der Welt und den Heiligen +Geist den Heiden dieser Seeen zu bringen und jubelnd in dem Gefühl -- +jubelnd in der Seligkeit der Ueberbringer so froher Botschaft für die +Verlorenen zu sein, schritt er vorwärts, das Kreuz in der gehobenen +Rechten. Wohl lauerte der Feind jetzt mit einem trügerischen Schatten +desselben Kreuzes die schon fast Geretteten von der richtigen Bahn +wieder abzulenken; schon streckte er die gierige Teufelsfaust aus, und +Gefahr drohte der kleinen Schaar der Rechtgläubigen von _allen_ +Seiten; aber fest und unerschrocken wandelten sie, die von Gott +Beauftragten, ihre Bahn. Ihr Loos war ein schweres, ihr Ausgang ein +zweifelhafter, aber sie zögerten nicht in dem begonnenen guten Werk, +und Gott, der die Herzen der Menschen sah und ihre innersten Thaten, +würde sie einst richten, ob sie recht gehandelt hätten vor Seinem +Angesicht. + +Bruder Nelson fühlte und achtete den Grund, der den französischen +Priester bewog mit dem fanatischen Geistlichen keinen religiösen Kampf +zu beginnen, was nur in offener Feindseligkeit enden konnte, ja diesen +Weg schon mehremal, selbst ohne Entgegnung, durch des frommen Mannes +Heftigkeit zu nehmen gedroht hatte. Er machte auch seinem Collegen +darüber mehrmals freundliche Vorstellungen, die dieser aber nur heftig +erwiederte, und in René's Wohnung war es solcher Art schon mehrmals +zwischen den beiden befreundeten Geistlichen selbst, was der Katholik +stets vermieden hatte, zu, wenn nicht feindlichen, doch sehr lebhaften +und jedenfalls für die Zuhörer unangenehmen Auftritten gekommen. + +René hätte sich Sorgen machen können, des aufsteigenden Wetters wegen, +aber sein leichter fröhlicher Sinn ließ das auch leicht an sich +vorübergehn, und zog's ihm auch manchmal die Stirne kraus, ein Blick +auf sein trautes Weib, glättete sie rasch wieder, und ein Lächeln +ihres Mundes trieb ihm wie fröhlicher Sonnenschein durch's Herz. + +Die ehrwürdigen Herren Nelson und Dennis hatten denn auch, nur wenige +Tage nach der Versammlung, wieder einmal in René's Wohnung eine sehr +ernste Debatte gehabt, in der der letztere, wie gewöhnlich, Sieger +geblieben, das heißt das letzte Wort behalten, und Sadie war zum +ersten Mal traurig geworden daß René über Beide lachte, und überhaupt +die Sache, die doch auch _seinen_ Gott betraf, so entsetzlich leicht +nehmen wollte. Die Geistlichen hatten lange das Haus verlassen, der, +schon vorher beschriebenen Versammlung beizuwohnen, und René und Sadie +saßen jetzt, Hand in Hand, die junge Frau das wirklich sorgenschwere +Haupt an des Gatten Schulter gelehnt, vor ihrem Haus, während die +kleine Sadie in dem Schooß der Mutter lachte und strampelte, und des +Himmels Blau in ihren klaren großen Augen wiederspiegelte. + +»Und bist Du noch bös auf mich, Sadie?« flüsterte René nach einer +langen langen Pause, in der er seine Lippen an ihre Stirn gepreßt +gehalten. + +»_Bös_, auf _Dich_, René?« sagte die Frau, und schüttelte wehmüthig +lächelnd mit dem Kopf -- »ich glaube nicht daß ich bös auf Dich werden +könnte. -- Das ist auch ein gar trauriges schmerzliches Wort; nur ein +wenig -- nur ein ganz klein wenig weh hast Du mir gethan -- aber es +gereut mich schon daß ich Dir Vorwürfe darüber gemacht. Du hattest es +sicher nicht so gemeint, wie ich thörichtes Kind es aufgenommen; -- +ich muß Dir auch gestehen -- « + +»Und was, meine Sadie?« + +»Schilt mich eine Thörin,« sagte Sadie, »ich hab' es verdient, aber -- +mir war es immer als ob Du auf Seiten der fremden Priester ständest, +wie Du lachtest, und das, das gerade gab mir einen ordentlichen Stich +durch das Herz, und das -- das glaub' ich auch, war, was mir +eigentlich weh dabei gethan.« + +»Das sollte es wahrlich nicht, Du treues Herz,« sagte René gutmüthig, +»aber komisch ist es doch wahrlich manchmal, daß Menschen, sonst ganz +vernünftige mit ihren fünf Sinnen begabte Menschen wie unser Freund +Dennis zum Beispiel, in mir unbegreiflicher Verblendung nicht allein +behaupten können, nein auch fest davon überzeugt sind, daß nur sie +allein den »schmalen dornenvollen Pfad« gefunden haben und wandeln, +der direkt zu Gottes Seligkeit führt.« + +»Und wenn sie recht hätten?« + +»Liebes Herz!« + +»Nein René, nein!« sagte Sadie rasch, sich fester an ihn schmiegend, +»ich will nicht streiten mit Dir über den Weg des Heils, aber Du mußt +auch nachsichtig mit mir sein, denn _wenn_ ich mich ängstige und +sorge ist es ja doch nur Deines, des Kindes wegen.« + +»Sieh nun, Sadie,« sagte René nach einer kleinen Pause, in der er sie +fest in seinen Arm geschlossen, »Ihr zürnt den fremden Priestern +meiner, oder vielmehr der Römisch katholischen Religion, daß sie den +Streit und Unfrieden auf Euere Insel gebracht hätten, und zum Theil +hast Du recht; aber wäre es möglich gewesen die katholische Religion +ganz fern von diesen Gruppen zu halten, wo mehr und mehr Fremde sich +ansiedelten, deren Religion allein doch kein Grund sein konnte sie +zurückzuweisen? ja hatten die Protestantischen Missionaire vor Gott +ein Recht _ihr_ Sektenthum allein als das wahre und richtige +hinzustellen?« + +»Vor Gott und den Menschen, _ja_!« sagte rasch und eifrig Sadie, »denn +ihr Leben haben sie daran gesetzt diesen Inseln die wahre Religion zu +bringen, und würden sie das gethan haben, wenn sie gerade ihre +Religion nicht für die wahre, allein wahre hielten, ja wenn sie nicht +_fest überzeugt_ gewesen wären daß sie es sei? -- Welchen bessern +Beweis konnten jene Männer geben, als daß sie Gut und Blut für ihren +Glauben einsetzten?« + +»_Gut_ und _Blut_,« sagte René achselzuckend, »das klingt wie viel +und ist wenig, dasselbe thut der gewöhnlichste Matrose auf jeder Reise +-- wir wollen Alle leben. Aber wir haben darüber schon gesprochen +meine Sadie, und gerathen da auf ein gefährliches, viel viel lieber zu +vermeidendes Feld. Der _Einzelne_ kann mir auch lieb und werth sein, +ohne daß ich gerade das Princip des Ganzen anerkenne, wie Du ja selber +auch den würdigen Vater Conet seines achtungswerthen Betragens, wie +seiner gesellschaftlichen Tugenden wegen lieb gewonnen hast, während +Du doch sonst gewiß in jeder Hinsicht seine Gegnerin bist.« + +»Ich begreife das überhaupt nicht,« sagte Sadie leise -- »er ist auch +gar nicht wie ein katholischer Priester -- « + +»Weil Du Dir diese Klasse Menschen eben gedacht hast wie sie Dir von +Bruder Rowe und Consorten geschildert wurde. Bei vielen trifft deren +Bild, ich habe Nichts dagegen, aber nicht bei Allen, nicht bei der +Mehrzahl, und -- wir sollen nie von einem Menschen das Schlechteste +denken, Sadie. Doch guter Gott, wohin verirren wir uns? -- ist das ein +Gespräch für Mann und Weib mit _dieser_ Welt um uns her, und dem +herzigen süßen Wesen da zwischen uns, daß Dich zupft und ruft und die +Mutter schon lange ablenken will von den düsteren Gedanken, die ihr +so nutzlos die Seele umlagern und -- so nutzlos hineingepflanzt sind +in den reinen treuen Boden? Wetter noch einmal Sadie, Bruder Dennis +ist mir ein lieber seelensguter Mann, ein Mann den ich achte und +verehre, weil ich fühle wie eben Alles bei ihm feste innige +Ueberzeugung ist, was er spricht -- selbst wenn er Unsinn -- nein mein +Lieb, ich meine es ja nicht so schlimm, er soll mir Dir nur nicht +solche Grillen und Gedanken in's Herz pressen, und zwingt er Dir noch +einmal die Thräne in's Auge, dann -- dann -- « + +»Und dann?« frug Sadie, und unter Thränen vor schaute ihr Blick +lächelnd zu ihm empor -- »und dann?« + +»Wettermädchen, Du machst mit mir doch was Du willst!« rief René, sie +an sich ziehend und küssend -- »ich verlange ja auch Nichts mehr auf +der weiten Gottes Welt, als daß sie uns unsern Frieden lassen, +ungestört und heilig, wie wir ihn -- « + +»Hahahahaha,« klang in diesem Augenblick eine silberreine Stimme zu +ihnen herüber, und als sie überrascht aufschauten, sprang eines der +eingeborenen Mädchen, das sie hier auf Tahiti kennen gelernt, und +trotz ihres wilden Wesens, in dem ein treues Herz verborgen lag, lieb +gewonnen, über die niedere Umzäunung, die den Nachbargarten von ihnen +trennte, und kam auf sie zu. + +Es war ein junges Ding von siebzehn Jahren vielleicht, und ganz in die +dünne luftige Tracht jener Mädchen gekleidet, mit kurzem ~pareu~ oder +Lendentuch, und leichtem Kattun-Ueberwurf über die Schultern, gerade +wie René Sadien zum ersten Mal gesehen. -- Aber die dunklen, mit +wohlriechendem Oel reich getränkten Locken schmückte ein künstlich +geflochtener Kranz von rothen Blüthen, mit den schneeigen Fasern der +Arrowroot durchwebt, und der Blick mit dem sie das junge Paar begrüßte +ruhte keck, ja fast höhnisch auf der liebenden Gruppe. + +Aia war schön, schön wie die Palme ihrer Wälder, die lichtbronzene +Haut in ihrer Färbung eher eine Zierde zu nennen, und die Gestalt voll +und üppig, und doch schlank und elastisch; aber die weiche +schwärmerische Gluth fehlte ihr, die den Zügen ihrer Landsmänninnen +einen so eigenthümlichen Reiz verleiht, und auch das Mädchenhafte, +ohne die der Schmelz abgestreift ist von jeder weiblichen Schönheit. +Keck und zuversichtlich blitzte ihr Auge umher, den begegnenden Blick +ertragend und besiegend, und ein eigenes bitteres, fast verächtliches +Lächeln, das ihre Lippen dabei umspielte, diente nicht dazu dessen +Ausdruck zu mildern. + +»Joranna Sadie -- Joranna René,« lachte sie, mit verschränkten Armen +vor der Gruppe stehen bleibend und sie betrachtend -- »Joranna Ihr +Beiden -- hahahaha -- sitzt Ihr nicht da, als ob Dir René erst vor kaum +einer Stunde seine tollen Liebeslügen in's Ohr geflüstert, und Ihr nun +alle Beide die Ueberzeugung hättet, Ihr könntet nicht leben ohne +einander? -- bah, bah, wie lange wird's noch dauern? -- Aber wundern +soll's mich doch, und hätt' ich früher daran gedacht, Sadie, hättest +Du mir auch von dem Pulver geben müssen, das Du ihm in die Cocosmilch +geschüttet -- vielleicht löge mir jener falsche Wi-wi jetzt auch noch +vor, daß ich die Schönste sei auf den weiten Inseln, und er sterben +müsse, wenn ich ihn nicht mehr lieben wolle. Hahahahaha, s'ist +wahrhaftig zum toll werden wenn man an solche Zeit zurückdenkt, und +sich das Alles dann immer und immer wieder vor den eigenen Augen +erneuen sieht; ja und immer und immer wieder Thörinnen findet, denen +der Hochmuthsteufel tief genug im Herzen steckt sich allein für +unverlaßbar zu halten. -- Aber Joranna; Ihr seid unverbesserlich, und +wenn er erst fort ist, Sadie, will ich Dich auslachen, wie Du es +verdienst.« + +Sie warf die Locken von den Schläfen zurück, und wollte nach dem +Strand hinunter eilen, als René's Entgegnung sie zurückhielt. + +»Du hast unrecht, Aia,« rief er ihr nach, »doppelt Unrecht, hier +gerade in beiden Nachbarhäusern. Sieh Lefevre an und Aumama, länger +noch als wir sind sie verheirathet mitsammen, haben zwei liebe Kinder +und denken gar nicht daran sich zu trennen.« + +»Denken nicht daran sich zu trennen?« rief Aia, die bei den ersten +Lauten schon stehen geblieben war, und den Kopf mit einem spöttischen, +fast feindlichen Lächeln dem Redner zugewandt hatte -- »denken nicht +daran sich zu trennen? ja Du hast recht -- wer weiß ob _Du_ nicht noch +früher dein Canoe wieder aus den Riffen steuerst als er -- aber +Le-fe-ve hat sich schon blind gesehen in ein paar andere Augen. +Schüttle nicht mit dem Kopf, Wi-wi wenn Du mir nicht widersprechen +kannst; reiß ihm das Kleid auf und lege dein Ohr an sein Herz -- für +wen schlägt's? -- bah -- so viel für Euch!« und sie schlug trotzig mit +der flachen Hand ihre Lende. + +»Aia -- komm her zu mir und setze Dich zu mir,« sagte Sadie jetzt mit +leiser, bittender Stimme. »Sei nicht so bös und ärgerlich, wir haben +Dich lieb hier, und Du meinst es doch nicht so arg, wie Du es +sprichst.« + +»Mein ich nicht?« sagte das Mädchen noch immer halb trotzig und +abgewandt, aber doch schon mit viel leiserer, milderer Stimme, als die +sanften, bittenden Laute ihr Ohr trafen -- »mein ich nicht? und woher +weißt Du's, Sadie? -- ich hasse Euch Alle miteinander, und wohl, oh +entsetzlich wohl soll mir's thun, wenn Ihr Alle -- Alle so unglücklich +werdet -- so -- wie -- « sie wandte rasch den Kopf ab von Sadie, aber +es war nur ein Moment -- + +»Aia!« rief Sadie, so bittend, so herzlich -- Aia stand zögernd, Trotz +und Zorn und Schaam hielten noch die Oberhand in ihrem Herzen, aber +nicht im Stand sich zu verstellen, gewann das bessere Gefühl, mit dem +einmal aufgerüttelten Schmerz die Oberhand, und mit wenigen Schritten +an ihrer Seite, kauerte sie neben ihr nieder, barg das Antlitz an +ihrem Schooß und flüsterte leise unter ausbrechenden Thränen: + +»Du bist gut, Sadie, gut wie -- wie -- ich habe keinen Vergleich mehr, +denn unsere Götter haben sie uns auch genommen und die ihrigen sind +falsch -- falsch wie sie selber. Aber ich bin viel zu schlecht für +Dich, viel zu schlecht; Aia darf Dir nicht mehr in's Auge sehen -- und +doch hatten Deine Lippen noch nie einen Vorwurf für sie.« + +»Armes Mädchen,« sagte die junge Frau leise und theilnehmend, und +suchte ihr Haupt zu sich aufzuheben, aber die Weinende wehrte sie ab, +und schlang den Arm nur fester um ihren Leib, sich ihre Stellung zu +wahren. + +René hatte sie mitleidig eine Zeitlang betrachtet, dann legte er seine +Hand auf ihre Schulter und sagte leise: + +»Bleibe bei uns, Aia, gehe nicht wieder nach Papetee, sondern bleibe +bei Sadie. Wir haben Brodfrucht und Fisch für Dich, und eine Matte +darauf zu schlafen, und Dein Kleid soll nicht schlechter sein, als Du +es bis jetzt getragen -- Sadie braucht eine Hülfe« fuhr er freundlich +fort, als er sah wie diese den Kopf der vor ihr Knieenden streichelte, +und sie liebkosend an sich zog, »und Du wirst recht, recht willkommen +sein, hier im Haus.« + +»René hat recht,« unterstützte die Bitte sein Weib, »geh nicht wieder +nach Papetee -- deine Mutter ist todt und dein Vater weit auf den +Inseln zu Leewärts drüben; meide die Stadt, die Dir nur Unheil bringt +und Fluch und Leid, und bleibe bei mir. Es wird Dich nicht gereuen und +Du wirst wieder froh und glücklich werden unter uns.« + +»Und die Mi-to-na-res?« sagte das Mädchen leise. + +»Werden die Reuige gern und liebend in ihren Schutz und Schirm nehmen +und ihr die Sünden vergeben, wie Gott einst gnädig auf uns +niederschauen möge,« sagte Sadie rasch und freudig, denn in der Frage +schon lag eine Zusage ihrer Bitte. Aia lag noch lange an der Gespielin +Schooß und ihre Thränen schienen rascher zu fließen, als eine laute +Männerstimme fröhlichen Gruß durch die Hecke blühender Akazien rief, +die den Garten von der Straße trennte. + +»Ah Lefevre,« antwortete René, »wie geht es Euch, Nachbar, und kommt +Ihr nicht herüber?« + +»Gleich, gleich,« lautete die Antwort, und sie hörten wie der junge +Franzose draußen noch mit Jemanden sprach und ihm Aufträge gab. + +Aber auch Aia hatte sich rasch und wie erschreckt emporgerichtet, und +die Locken aus der Stirn, die Thränen aus dem Auge werfend wandte sie +sich, als ob sie den Platz fliehen wollte; Sadie aber ergriff rasch +ihre Hand und sagte leise und bittend: + +»Gehe nicht fort von hier, Aia, bleibe bei uns.« + +»Nein nein,« rief aber das Mädchen und Sadie konnte sehen welchen +Seelenkampf es ihr kostete die Bitte auszuschlagen, den stillen +Frieden ihrer Wohnung zu verschmähn und allein und freundlos in dem +_wilden_ Leben fortzustürmen, »nein ich kann -- ich darf nicht bei Dir +bleiben -- ich verdiene es nicht -- ich bin bös und schlecht geworden, +und deines Gottes Fluch würde mich von der Schwelle treiben, auf der +jetzt noch Dein Glück und Frieden weilt -- aber« setzte sie wilder +hinzu, und ihr Auge blitzte in unheimlicher Gluth nach René hinüber, +»wenn sie Dich _Alle_ verlassen haben, und Du allein und freundlos in +der Welt stehst -- wie ich jetzt -- dann wird Aia an deiner Seite +sein, und Dir für das freundliche Wort danken, das Du heute zu ihr +gesprochen. Dann wollen wir lachen und tanzen und _zusammen_ in's +Leben stürmen, aber nicht mehr klagen und weinen. -- Den ~faï~ über die +Thränen -- sie waschen den Schaum von der Seele des Menschen, daß man +hinunter sehen kann bis auf den Grund -- und der Fischer lacht doch +nur, der darüber hinfährt.« + +»Du hast vielleicht Ursache Einem von uns zu zürnen, Aia,« sagte aber +René, der wohl sah welchen schmerzlichen, ja peinlichen Eindruck die +Worte auf seiner Sadie Seele machten, »und schmähst jetzt ungerecht +das ganze Geschlecht. Du wirst uns in späteren Jahren Abbitte thun.« + +»Werd' ich -- ha? und Le-fe-ve auch, wie?« -- lachte das Mädchen zornig +und deutete mit dem ausgestreckten Arm nach dem, eben den Garten +betretenden Franzosen. + +»Hallo Aia!« rief ihr dieser zu, »summt die wilde Hummel auch wieder +ihr Lied auf unserer Flur? -- ha, Du hast Thränen im Auge Mädchen? -- +geh, Du bist ein schwarzer Vogel und prophezeihst nur Unheil.« + +»Es bedarf keines Propheten,« sagte aber das Mädchen zürnend, indem +sie sich abwandte und das Schultertuch fester um sich zog -- »Jeder +von uns kann leicht vorhersagen daß die Sonne morgen früh wieder über +die Berge kommt, wenn sie am Abend hinter Morea[B] in die See +gesunken. -- Fort mit Euch, Ihr habt süße Worte auf der Zunge, und +Gift, tödtliches Gift im Herzen -- fort, Aia kennt Euch -- fort!« -- +und ohne Gruß noch Blick zurückzuwerfen, schritt sie den schmalen Pfad +hinab, der nach dem unteren Pförtchen führte und war bald in der +sogenannten ~broomroad~, dem gebahnten Weg nach Papetee, verschwunden. + +Sadie sah ihr seufzend nach und auch René konnte sich eines +unheimlichen Gefühls nicht ganz erwehren. + +»Joranna René, -- ~ah bon jour Madame~,« rief aber Lefevre der wohl +den peinlichen Eindruck zu verwischen wünschte, den die Worte des +wunderlichen Mädchens unverkennbar besonders auf Sadie gemacht, »hat +Ihnen Aia den schönen Abend verderben wollen? -- es ist ein albernes +Ding, und darf _mir_ gar nicht mehr über die Schwelle, denn Aumama +weint jedes Mal, wenn sie nur den Fuß unter das Dach gesetzt.« + +»Sie ist arm und unglücklich,« sagte Sadie. + +»Ach -- sie verstellt sich,« entgegnete mürrisch Lefevre -- »und trägt +wahrscheinlich selber mit die größte Schuld ihres Leid's. Wir armen +Teufel sollen's dann immer allein verbrochen haben, nicht wahr René? +-- Doch, was ich gleich sagen wollte; gehen Sie mit nach Papetee? -- +die ehrwürdigen Protestantischen Herren haben da wieder eine +Zusammenkunft, heut Nachmittag, und wie das Gerücht geht beabsichtigen +sie den Beschluß ernster Maßregeln, jeden Französischen Einfluß, und +mit ihm vielleicht auch gleich wieder die Französischen Priester, die +ihnen ein Dorn im Auge sind, von sich abzuschütteln.« + +»Die Missionaire« -- sagte René rasch, fuhr aber gleich darauf +langsamer fort, »sind wackere und brave, aber kurzsichtige Männer, sie +glauben das Heft jetzt in Händen zu haben und spielen so lange damit +bis es ihnen unter den Fingern wegschlüpft -- sie sollten sich nicht +in die Politik mischen.« + +»Was sagt Mr. Nelson dazu?« frug Lefevre. + +»Er hält die Ankunft der Katholiken auch für ein Unglück für die +Inseln, ist aber mit den Gewaltsmaßregeln unzufrieden die man dagegen +ergreifen will; doch was kann der Einzelne gegen die ganze Schaar +ausrichten.« + +»Und gehen Sie mit nach Papetee?« + +»Was sollen wir dort? -- herbe Reden hören, die uns vielleicht ärgern +und zu Gegenreden treiben? -- ich habe keine Freude an der Sache, und +sehe das Leid und Elend schon vor Augen das daraus entspringen wird +und muß.« + +»Aber wir mögen vielleicht noch Manches mildern was geschehen könnte. +Mörenhout ist ein vernünftiger Mann, und wird nicht zu weit gehn.« + +»Was kann Mörenhout _thun_?« sagte René achselzuckend -- »so wie die +Missionaire unter dem Schutz eines Englischen Kriegsschiffes stehn, +und so lange das im Hafen liegt, daß sie sich sicher fühlen, haben sie +das Wort, und wir kennen sie doch dahin gut genug, zu wissen, wie sie +das gebrauchen. -- Aber ich gehe mit, wir haben dann wenigstens unsere +Pflicht gethan, und uns selber nichts vorzuwerfen. Ich komme bald +wieder zurück, Sadie,« sagte er sich niederbeugend und ihre Stirn +küssend. + +»Bleibe nicht so gar lange aus heut',« bat die junge Frau ihn, leise +flüsternd, und die Kleine noch auf dem Knie haltend, die erst die +Aermchen um den von ihr Abschied nehmenden Vater geschlungen, sah sie +den Männern lange und schweigend nach. + +Aber Aia's Worte hatten doch trübe und schmerzliche Gedanken in ihrer +Seele wach gerufen. Nicht für das eigene Glück fürchtete sie dabei; so +keck und leicht René auch immer in das Leben stürmte, so treu war er +sich geblieben, was _sie_ betraf, von erster Stunde an wo er sie +gesehen, und das Kind, das er mit unendlicher Zärtlichkeit liebte, +schlang die Bande des Herzens ja noch fester um sie. Aber das wilde +Leben der Insel selber; die ihr feindlich dünkende Religion, die +weiter und weiter um sich zu greifen drohte, und viel, so entsetzlich +viel von dem verwarf, was ihr bis dahin der Seele Heiligstes gegolten; +der Unfrieden dabei zwischen den eigenen Lehrern, die Vorwürfe, die +von den Missionairen ihrem alten Vater o so ungerecht gemacht wurden, +der Römischen Kirche mehr als mit seiner Stellung verträglich zugethan +zu sein, wie er denn auch selbst das einzige Wesen das ihm näher +stand, einem Katholiken zur Frau gegeben; ja selbst René's +Gleichgültigkeit gegen einen Kampf, der doch die heiligsten Interessen +ihrer einstigen Seligkeit betraf, das Alles zog ihr in trüben +ängstigenden Bildern an der Seele vorüber. -- Und dabei hatte ja die +arme Aia recht mit so vielen Anderen; wohin sie dachte schrak sie vor +dem wilden Treiben zurück, das lockere Bande schlang um Europäer und +Insulanerinnen, und sie losließ, wie es dem Augenblick gefiel. Ob das +Herz darüber brach, oder die Verlassene in Schmerz und Trotz +Entschädigung, Vergessen suchte in wilder lasterhafter Lust; die Welle +des flüchtigen Tages schlug über ihr zusammen, und die nächste Sonne +hatte vergessen was sie gestern beschien in Lieb und Treue. + +»Mein schönes Atiu,« seufzte sie da leise vor sich hin -- »Du lieber, +lieber Platz an dem freundlichen Strand -- Deine Palmen so grün, Deine +Früchte so süß -- Atiu. Und der alte kleine Mi-to-na-re da am Haus, +der so oft hier herüberdenkt an seine kleine Pu-de-ni-a, die jetzt -- +aber nein, nein, nein, René fühlt sich wohl hier und glücklich in der, +seine Thätigkeit fordernden Welt, und einst kommt denn doch wohl die +Zeit, wo er sich wieder zurücksehnt nach jenem stillen Ort unseres +ersten, seligsten Glücks -- nach Atiu. -- Und die Zeit _wird_ wieder +kommen,« setzte sie nach einer kleinen Pause zuversichtlich hinzu, +»noch hab' ich nicht für immer Abschied genommen von all den +liebgewonnenen Stellen, von den guten Menschen -- ich weiß nur nicht +ob ich mich so recht herzlich darauf freuen soll -- oder davor +fürchten. Ach es ist ein recht recht böses Ding um das arme +Menschenherz!« + +FOOTNOTES: + +[B] Die Indianer nennen die Insel Imeo meist Morea. + + + + +Capitel 3. + +#Der Besuch -- Aumama.# + + +Sadie saß noch lange träumend da, und ihrem regen Geist tauchten bunte +und oft wunderliche Bilder auf, wie sie das Herz sich wohl ausmalt in +müßigen Stunden, sinnend und grübelnd ihre Farben schaut, und sich +vorspricht daß sie leben und sind -- bis sie in Dunst zerfließen, +anderen, bunteren vielleicht, Raum zu geben. Aber die Kleine scheuchte +ihr bald die Wolken von der Stirn -- wenn es wirklich Wolken gewesen, +die ihrem sonst so heiteren Antlitz jenen ernsten Schatten gegeben -- +und mit dem Kinde kosend und spielend kehrte das Lächeln auf ihre +Lippen zurück, und sie war bald wieder das heitere frohe Kind des +Waldes, dem Gott in seiner unendlichen Vaterhuld alle Wünsche +erfüllt, alle Tage gesegnet hatte, und das sich nun auch des heiteren +Sonnenlichts freute, in Glück und Dankbarkeit. + +»Hat mir das böse arme Mädchen doch selber fast das Herz schwer +gemacht eine ganze Stunde lang,« sagte sie lachend, und das Kind dabei +herzend, -- »hat uns Steine in den klaren See geworfen, meine Sadie, +und das Wasser getrübt, bis an den Rand hinauf. Aber nun wollen wir +auch wieder lachen und singen und fröhlich sein, bis Papa zurückkommt +und sich freut mit mir, an meinem kleinen lieben Töchterchen. Horch, +was ist das? -- hörst Du mein Kindchen, wie das trappelt und trappelt +da draußen? -- das ~buaa a fai tatatu~[C] klappert vorbei und Sadie -- +aber was ist das?« unterbrach sie sich rasch und fast erschreckt, als +näher und näher gekommenes Pferdegetrappel plötzlich an ihrer Pforte +hielt, und sie Stimmen vernahm -- »Fremde hier draußen bei uns? -- Was +für ein wildes reges Leben diese fremden Männer doch auf unsere +stillen Inseln gebracht haben,« setzte sie dann langsamer und +kopfschüttelnd hinzu, »und lärmend und lachend sprengen sie Wochentag +wie Sabbath die Straßen entlang, sich nicht mehr um den heiligen Tag +ihres eigenen Gottes kümmernd, als ob das Glockengeläute dem Oro oder +Taua gälte. Auf Atiu war es doch stiller und friedlicher, und wenn wir +dort -- ha, ich glaube wahrhaftig die Leute wollen hier herein.« + +»Dieß _muß_ der Ort sein,« sagte jetzt plötzlich eine Frauenstimme +draußen auf der Straße, in Französischer Sprache, die Sadie hatte, +selbst in der kurzen Zeit, vollkommen gut und fließend von René +sprechen lernen -- »wären Sie meinem Rath vorhin gefolgt, ~Monsieur +Belard~, so hätten wir nicht ein paar Miles ins Blaue hinein zu +galoppiren brauchen -- steigen wir ab?« + +»Jedenfalls, wenn es den Damen gefällig ist,« erwiederte eine +Männerstimme, »er kann kaum irgend wo anders wohnen.« + +Sadie die, ihr Kind auf dem Arm, auf einen kleinen Ausbau getreten +war, von dem aus sie, durch einen dichten Busch des Cap-Jasmins +verdeckt, die Straße vor der Thür gerade überschauen konnte, erkannte +drei Damen und zwei Herren, alle zu Pferde, die an der Pforte hielten, +jetzt abstiegen und den kleinen Hofraum, der zwischen der blühenden +Akazienhecke und dem Hause lag, betraten. + +Die Fremden suchten jedenfalls René, und Auskunft zu geben trat sie +ihnen, das Kind nach dortiger Sitte auf ihrer linken Hüfte reitend, +mit freundlichem Joranna entgegen. + +»Ah, da ist ein Mädchen,« rief die eine Dame, die, das lange Reitkleid +emporhaltend, nahe am Hause stehen geblieben war, und sich nach irgend +einem lebenden Wesen, das ihr Rede zu stehen vermochte, schien +umgesehen zu haben, »aber lieber Gott, Lucie, es ist eine Eingeborene, +und mit meinem Tahitisch sieht es noch windig aus -- ich kann noch +weiter Nichts als ~Joranna~ und ~aita~.« + +»Ich spreche französisch, meine Damen,« unterbrach sie die junge Frau, +leicht erröthend und die Kleine, die sich ängstlich an sie klammerte, +der fremden Gesichter wegen, mit ein paar freundlichen Worten auf den +Boden niedersetzend. + +»Ah, Du sprichst in der That Französisch, Kind?« sagte die andere +Dame, die von der ersten Lucie genannt war, erstaunt -- »und noch dazu +mit vortrefflicher Aussprache; sehr schön, dann kannst Du uns auch +sagen ob Monsieur René Delavigne hier wohnt und Madame Delavigne zu +sprechen ist.« + +Sadie lächelte, denn sie fühlte recht gut wie sie die Fremden in ihrem +einfachen Gewand für irgend ein Mädchen des Hauses hielten, und sagte +mit einer leisen Neigung des Kopfes, während aber ein höheres Roth +ihre Wangen und Schläfe bis auf den Nacken färbte und das liebe +Antlitz noch reizender machte: + +»Monsieur Delavigne wohnt hier allerdings, und Madame, oder Sadie +Delavigne -- « + +»Ah, dann ist dieß wohl seine Tochter? -- ein reizendes Kind!« +unterbrach sie Madame Belard und kniete bei der Kleinen nieder. + +»Und Madame Delavigne?« frug Mad. Brouard. + +»Bin ich selber,« flüsterte Sadie mehr als sie sprach. + +»Ah -- ~mon Dieu~ -- ~est il possible~? -- ~bless me~!« waren die +ersten erstaunten Ausrufe der Damen und Herren, denn so unerwartet kam +ihnen die Entdeckung, daß René eine Eingeborene »zur Frau hielt,« +selbst jeden schuldigen Anstand in diesen Ausrufungen zu vergessen, +und Sadie fühlte das mehr, als sie es verstand, denn das Blut drohte +ihr in diesem Augenblick die Adern der Schläfe zu zersprengen, und sie +bog sich zu dem Kind nieder ihre Verlegenheit -- wenigstens ihr +Erröthen zu verbergen. + +Die beiden Französinnen faßten sich aber rasch wieder, und wohl +einsehend, welchen Verstoß gegen jede gute Sitte sie hier, allerdings +nur in der ersten Ueberraschung, gemacht, traten sie auf Sadie zu, und +begrüßten sie, ihr die Hände entgegenstreckend, in fast herzlicher +Weise. + +»Ah, da hat uns Freund Delavigne eine Ueberraschung aufgespart,« rief +die erste Sprecherin, Madame Belard, lachend -- »wir haben natürlich +nicht vermuthen können, daß er schon _so_ heimisch auf den Inseln +geworden wäre. -- So sein Sie uns herzlich gegrüßt, Madame und +versichert dabei, daß wir trotzdem keine Unbekannte in Ihnen +aufsuchten. Ihr Herr Gemahl hat uns schon so viel Liebes und Gutes von +Ihnen erzählt -- nur Ihrer Abstammung erwähnte er nicht, +wahrscheinlich nur uns Ihre Liebenswürdigkeit so viel lebhafter +empfinden zu lassen.« + +Sadie athmete leichter auf; die freundlichen Worte, wenn sie ihren +Sinn auch nicht gleich vollkommen faßte, thaten ihr wohl. Sie hatte +sich vor einem ersten Zusammenkommen mit jenen fremden Frauen, von +denen ihr René schon erzählt, und in deren Haus sie einzuführen er +gewünscht hatte, schon lange gefürchtet; deren erstes Betragen hatte +dann ebenfalls nicht dazu gedient sie zu beruhigen, und um so +wohlthuender kam ihr jetzt die herzliche Anrede. Ihr einfach treues +Herz kannte auch weder Falsch noch Verstellung, und die Worte nehmend +wie sie ihr geboten wurden sagte sie, den Frauen beide Hände +entgegenstreckend, und ihnen offen und freundlich dabei in's Auge +schauend: + +»René wird es recht recht leid thun daß Sie ihn nicht hier gefunden +haben, aber sein Sie mir _herzlich_ willkommen und ruhen Sie sich ein +wenig aus bei mir, von Ihrem Ritt. Ich will die Kleine nur indessen +unter Aufsicht geben, und bin dann rasch wieder bei Ihnen.« + +Die Damen wollten erst höfliche Einreden machen, und sprachen von +»stören« und »beunruhigen«, Sadie führte sie aber lächelnd zu dem +freundlichen Sitz am Strand, und bat sie dort niederzusitzen, während +sie rasch mit dem Kind in das Haus eilte. + +»Ein reizendes Frauchen,« sagte Monsieur Belard schmunzelnd, als sie +in der Thür verschwunden war, und die Damen einiges zusammen +flüsterten; »Delavigne hat wahrhaftig keinen schlechten Geschmack; und +spricht vortrefflich Französisch -- vortrefflich.« + +»Mr. Delavigne hätte uns aber doch auch wohl vorher einen Wink über +seine Familienverhältnisse geben können,« meinte Mrs. Noughton, eine +Amerikanerin, die bis jetzt noch kein Wort mit Sadie gesprochen hatte +-- »er würde dadurch beiden Theilen eine Verlegenheit erspart haben.« + +»Lieber Gott, Verehrteste,« vertheidigte diesen die lebendige Madame +Belard, »die Verhältnisse auf den Inseln hier sind von den unsrigen so +sehr verschieden, daß man schon wirklich bei Manchem ein Auge +zudrücken muß, und nicht gar so entsetzlich streng sein darf. Es +bestehen übrigens auch wirkliche Verbindungen zwischen Europäern und +Insulanerinnen, und Monsieur Delavigne hat nur von seiner _Frau_ +gesprochen.« + +»Liebe Kinder, was zerbrecht Ihr Euch darüber den Kopf,« fiel ihnen +hier der andere, ältere Herr, ein Monsieur Brouard und der Gemahl der +viel jüngeren Lucie Brouard, in die Rede, »wenn Ihr in Rom seid müßt +Ihr leben wie die Römer,« sagt ein altes gutes Sprichwort. Madame +Delavigne ist ein reizendes junges Frauchen, und wohl im Stande einen +Mann zu fesseln.« + +»Und auf wie lange?« unterbrach ihn, mit einem fast boshaften Lächeln, +Madame Belard. + +»Auf wie lange, Madame?« wiederholte mit einem etwas frivolen +Achselzucken der Gefragte -- »ich bin kein Prophet oder Sterndeuter; +aber das sind Familienverhältnisse, und mancher Indianer hätte +vielleicht eben so gut ein Recht dieselbe Frage an uns Europäer zu +richten -- auf wie lange? ~mon Dieu~, wir sollten diesen wichtigen +Punkt überhaupt etwas genauer in unserem Trauungs-Ceremoniell +berücksichtigen; _auf wie lange_? -- wir müssen uns damit begnügen zu +wissen, daß wir _sind_, und eine Frage was wir einst _werden_, +geschieht wohl immer nur in's Blaue hinein.« + +»Es ist aber doch nur eine Indianerin,« bemerkte, mit einem +keineswegs zufrieden gestellten Blick, Mrs. Noughton, die aus den +Vereinigten Staaten von Nord-Amerika ein nicht leicht zu besiegendes +Vorurtheil gegen jede farbige Race, sie mochte einen Namen oder Stamm +haben welchen sie wollte, mitgebracht hatte, und sich immer des +Gedankens nicht erwehren konnte, daß solche Leute am Ende gar +_schwarzes_ Blut in ihren Adern haben könnten, oder mit anderen Worten +in zweiter oder dritter Generation von _Negern_ abstammten, mit denen +natürlich jeder vertrauliche, selbst freundschaftliche Verkehr außer +Frage gewesen wäre -- »und hätte ich das früher gewußt, würde ich ihr +wenigstens nicht zuerst meine Visite gemacht haben.« + +»Sie müssen aber bedenken, Mrs. Noughton,« sagte etwas eifrig Madame +Belard dagegen, »daß uns Monsieur Delavigne gar nicht zu sich +eingeladen, also auch keine Schuld hat an dem Besuch. Wir sind aus +freien Stücken hergekommen, und wenn ich auch gestehen muß daß ein +derartiges Verhältniß immer sein Unangenehmes, Störendes hat und uns +bei größeren Gesellschaften vielleicht auch dann und wann in +Verlegenheit bringen könnte, so -- « + +»Attention meine Damen,« unterbrach sie hier Mr. Brouard, mit etwas +gedämpfter Stimme, denn Sadie erschien in diesem Augenblick wieder auf +der Schwelle des Hauses, und hinter ihr ein Knabe, der einen großen +Präsentirteller mit Wein und Früchten trug. + +»So Mataoti,« rief sie diesem in seiner Sprache zu, »bediene die +Frauen und sei ein flinker Bursch,« sich dann aber zu ihren Gästen +wendend fügte sie herzlich hinzu: »aber Sie haben sich ja noch nicht +einmal gesetzt, in der ganzen langen Zeit -- bitte geben Sie mir Ihre +Hüte und machen Sie es sich bequem, René dürfen Sie doch nicht so bald +zurück erwarten, denn er und Monsieur Lefevre sind der politischen +Verhältnisse wegen nach Papetee gegangen, dort noch Manches vielleicht +mit ihren Freunden zu besprechen.« + +»Hahaha, das ist vortrefflich!« lachte Mr. Belard, »und denen zu +entgehen sind wir gerade ausgeritten; es wird förmlich Comödie +gespielt heute in der Residenz, und da die Missionaire Hauptrollen +dabei haben, fürchteten wir die Sache möchte doch am Ende zu +langweilig werden.« + +»So essen und trinken Sie nur wenigstens,« bat Sadie, die nicht ohne +Grund fürchtete das Gespräch könnte sich hier auf religiöse Bahn +lenken und das unter jeder Bedingung zu vermeiden wünschte -- »René +würde sich herzlich freuen wenn er hörte, daß es Ihnen bei uns +gefallen hat.« + +Die Damen zögerten noch unschlüssig was zu thun -- sie schienen sich +eine vor der andern zu geniren; Sadie bewegte sich aber mit solcher +Leichtigkeit in dem, ihr doch fremden Kreis, und ihre Bitte kam so +frisch und unverstellt aus dem Herzen, daß sie in ihrer Natürlichkeit +jede leere Höflichkeitsformel schon von vornherein unmöglich machte, +und selbst Mrs. Noughton mußte sich zuletzt gestehen, daß diese +Insulanerin ein ungewöhnlich liebenswürdiges Wesen sei, dem man wohl +gewogen sein könne -- wenn sie eben nicht die fatale broncefarbene +Haut gehabt hätte. + +Die Frauen hatten sich denn auch bald um den runden, mit einem +reinlichen Tuch bedeckten Tisch gesetzt, Monsieur Belard wurde hinaus +nach den Pferden geschickt, zu sehen ob diese ruhig stünden und +Mataoti von jetzt beordert bei ihnen zu bleiben, und wenige Minuten +später saß die Gesellschaft ganz traulich beisammen, und Madame Belard +und Brouard hatten -- sie wußten gar nicht wie sie dazu gekommen, der +kleinen Insulanerin, die mit ihrem reinen Französisch die Eingeborene +vollkommen vergessen machte, so viel vorzuplaudern und zu erzählen, +als ob sie sich schon seit langen Monaten gekannt, und nicht eben erst +heute, vor Minuten fast, zusammengekommen wären. Die Männer blieben +darin natürlich nicht zurück, besonders Mr. Brouard, der seinen Sitz +neben Sadie genommen, thaute ordentlich auf, und war von einer +Aufmerksamkeit gegen die kleine Insulanerin, daß er seine Nachbarin +zur Linken, Mrs. Noughton, total darüber vernachlässigte, die denn +auch der ganzen Unterhaltung -- der Französischen Sprache ohnedieß nur +oberflächlich mächtig -- mehr beobachtend als theilnehmend, und +ziemlich kalt und ernsthaft folgte. + +Eine volle Stunde hatten sie so gesessen und geplaudert, und Früchte +gegessen und Französischen Claret dazu getrunken, und Mataoti war +draußen bei den Pferden schon ganz ungeduldig geworden, als Madame +Brouard, die zuletzt ebenfalls stiller und einsylbiger wurde, und die +Unterhaltung ihrer Freundin und den Herren fast allein überließ, +endlich zum Aufbruch mahnte. Monsieur Brouard wollte noch gar nicht +fort, so vortrefflich hatte er sich amüsirt, und die Damen begannen +jetzt Abschied zu nehmen von ihrer neuen Bekanntschaft. + +Sadie sagte ihnen mit einfachen Worten wie es sie freue daß es ihnen +bei ihr gefallen hätte, und wie glücklich es René machen würde, wenn +er höre daß sie hier gewesen und gegessen und getrunken hätten -- »wir +können recht gute Nachbarschaft halten, hier auf Tahiti,« setzte sie +hinzu, und mit freundlichem Händedruck und Joranna, von Madame Belard +und Brouard ebenfalls eingeladen sie wieder zu besuchen, verließ die +kleine Gesellschaft den Garten, bestieg draußen die scharrenden +tanzenden Pferde wieder, und galoppirte wenige Minuten später mit +klappernden Hufen die Straße entlang nach Papetee nieder. + +»Sadie!« flüsterte da eine leise Stimme, als der Schall der Hufe auf +der harten Straße noch nicht verklungen war, und die junge Frau, die +noch lauschend stand, und in tiefem Nachdenken den mehr und mehr +verschwimmenden Tönen zu horchen schien, wandte sich rasch, und fast +wie erschreckt dem Rufe zu, der von der Nachbarhecke kam. + +»Aumama? -- und warum kommst Du nicht herüber?« + +»Ist die Luft rein?« frug eine klare, lachende Stimme. + +»Meinst Du die Fremden? -- sie sind fort; aber ich glaubte Du wärest +mit Lefevre nach Papetee gegangen?« + +Die junge Frau an der Hecke schüttelte mit dem Kopf und sagte lachend: + +»Ich wollte erst, wie aber René mitging blieb ich daheim; denen +schließen sich dann mehr und mehr Männer an und -- das Treiben in +ihrer Gesellschaft gefällt mir nicht; auch mit der Sprache kann ich +nicht so gut fertig werden wie Du. Aber ich komme hinüber -- « und ein +kleines Pförtchen öffnend, das zwischen einer blühenden und Frucht +tragenden Orangenhecke hindurchführte, trat Aumama, Sadiens +freundliche Nachbarin, in den Garten und küßte sie, ihren Arm um sie +schlagend auf die Lippen. + +Sie war in die einfache indianische Tracht gekleidet, mit dem langen +losen, bis auf die Knöchel niederfallenden Oberrock, der nur vorn am +Handgelenk zugeknöpft wird, ohne Schuh und Strümpfe, den Kopf mit +einem leichten Panama Männerstrohhut bedeckt, unter dem nur ein paar +große tiefdunkelrothe Blüthen der ~rosa sinensis~ hervorschauten, und +von dem vollen, mit wohlriechendem Oel getränkten rabenschwarzen +Lockenhaar fast wieder versteckt wurden. + +Ihre Gestalt war schlank und üppig, aber mit dem, den dortigen +Insulanern eigenen Bau breiter Schultern, auch die sonst kleinen und +zierlichen Füße nach _unseren_ Begriffen von Schönheit ein wenig zu +sehr einwärts gebogen; die Form des Gesichts jedoch dabei voll und +edel und die Augen mit einem eigenen Feuer unter den feingeschnittenen +Brauen hervorglühend. Aumama war überhaupt der vollkommene Typus eines +Tahitischen Weibes, dem trotz den lebendigen Augen selbst das sinnlich +Weiche in den Zügen nicht fehlte, und als die beiden jungen Frauen so +freundlich umschlungen, und von den wehenden Palmen überragt und +beschattet, zwischen den Blüthenbüschen standen, hätte man sich kaum +etwas Lieblicheres denken können auf der Welt. + +»Du hast vornehmen Besuch gehabt,« sagte Aumama endlich lächelnd, +nachdem die erste Begrüßung vorüber war. + +»Ja,« erwiederte Sadie, leicht erröthend, »und zwar unerwarteten; aber +warum kamst Du nicht herüber?« + +Aumama schüttelte, etwas ernsteren Ausdruck in den Zügen mit dem Kopf. + +»Nein,« sagte sie, »ich passe nicht zu den Leuten -- wir überhaupt +nicht -- und sie nicht zu uns -- es ist besser wir bleiben aus +einander.« + +»Aber Du närrisches Kind,« rief Sadie, »hast Du Dich denn nicht, so +wie ich gerade, mit Einem von ihnen für das ganze Leben verbunden, und +willst Du denn auch von ihm sagen, daß Ihr nicht zu einander paßt?« + +Aumama seufzte tief auf, und wandte das Köpfchen leicht zur Seite; sie +war jetzt recht ernst geworden, und der ganze frühere Frohsinn schien +verschwunden. + +»Ich _hoffe_ daß wir zu einander passen -- für das ganze Leben;« sagte +sie endlich leise, »es wäre wenigstens _recht_ traurig, wenn wir es je +anders finden sollten. Aber« setzte sie rascher, und wieder in den +leichteren Ton übergehend hinzu, »in unseren Familien ist das auch +etwas anderes; mit dem Mann den wir lieben, stehn wir in einem Rang; +er versteht _uns_, wir verstehen _ihn_ und in unserem Vaterland +schmiegt er sich leichter unseren Sitten an, oder lehrt uns allmählich +die seinen, beider Eigenthümlichkeiten in einander verschmelzend. Mit +den Gesellschaften jedoch ist das etwas anderes, besonders mit fremden +_Frauen_, und glaube mir, Sadie -- ich habe darin Erfahrung. Die +Weißen« fügte sie leiser hinzu, »halten uns für einen untergeordneten +Stamm, weil wir früher zu Götzen gebetet haben vielleicht -- « + +»Aber das haben sie auch gethan, ihre Vorväter wenigstens,« unterbrach +sie Sadie rasch, »Vater Osborne hat mir das selbst erzählt.« + +»Haben sie?« sagte Aumama erstaunt, »das ist das erste Mal, daß _ich_ +davon höre; aber auch vielleicht noch weil wir nicht so klug sind wie +sie, und so geschickt im Lesen und Schreiben. Auch unsere dunkle +Hautfarbe kommt ihnen nicht so schön vor -- den Frauen wenigstens, und +_Eifersucht_ mag oft gleichfalls, und gar nicht selten, die Ursache +sein, daß sie uns zurücksetzen und -- kränken. Ausnahmen mag es dabei +unter uns geben; so glaub' ich, Sadie, daß _Du_ Dich vielleicht wohl +unter ihnen fühlen wirst, weil ich einsehe, daß Du uns eingeborenen +und wild aufgewachsenen Mädchen in vielen vielen Stücken überlegen und +den weißen Frauen _fast_ gleichstehend bist; aber für mich paßt es +nicht -- mir schnürt es die Brust zusammen, wenn ich bei ihnen bin, +und die kalten vornehmen Blicke sehen muß, die sie auf mich werfen, +als ob es blos eine Gnade von ihnen wäre, daß sie mich zwischen sich +dulden. Da ist es mir weit weit wohler bei meinen Kindern am +freundlichen Strand, im Rauschen meiner Bäume, und vor mir die weite, +herrliche See -- ich halte es auch für gar kein Glück für uns, etwa« +setzte sie langsam und wie in recht ernstem Sinnen hinzu, »daß die +weißen Frauen in den letzten Monaten zu uns gekommen sind. Das Leben +auf Tahiti ist seitdem ein anderes geworden, und ich selbst fühle mich +nicht so wohl mehr in der neuen Umgebung -- habe mich auch selber +vielleicht geändert, oder -- Andere haben.« + +»Aia hat Dich traurig und ernst gemacht,« sagte Sadie, freundlich ihre +Hand ergreifend, »sie war auch hier bei mir, und ich -- « + +»Aia!« unterbrach sie rasch und heftig Aumama, aber mit weicherer +Stimme fuhr sie fort, »Aia ist ein armes, armes Mädchen und sie kann +mich nicht böse machen, aber« -- und ihre Augen funkelten in einem +eigenen wilden, fast unheimlichen Feuer -- »nicht ertrüg ich es auch +wie sie, und was sie ertragen hat. Bei jenem weißen Gott, der Oro's +Bilder zertrümmerte und unsere Tempel niederbrach, bei jenen Tempeln +selbst -- « Aumama schwieg, aber die Hand noch, wie zum Schwur +emporgereckt, die Locken, von denen der Strohhut abgefallen war, wild +ihre Stirn umflatternd, das Auge glühend in einem eigenen Licht, stand +sie wohl eine halbe Minute schweigend da, selber ein Bild der +zürnenden Gottheit ihres Landes. Da, wie unwillig mit sich selber, +schüttelte sie plötzlich den Kopf, strich sich die Locken aus der +Stirn und sagte, jeden unmuthigen Gedanken gewaltsam bannend. »Ich bin +ein Kind, Sadie, ein launisches Kind, und seit einigen Wochen komme +ich mir selber manchmal wie umgetauscht vor, so tolle Träume und +Bilder zwing' ich mir ordentlich selbst herauf, mich zu quälen und -- +ärgern auch. -- Aber fort fort mit ihnen, fröhlich wollen wir sein und +uns des Lebens freuen, denn der Himmel lacht noch rein und blau über +uns und die Götter, die in früheren Zeiten den Tisch unserer Väter mit +ihren Speisen deckten, haben uns auch jetzt noch ihre Gaben nicht +entzogen.« + +»Aumama,« sagte da Sadie, mehr herzlich als vorwurfsvoll, »Du sprichst +noch immer von den _Göttern_, und bist doch lange, lange schon eine +Christin, ja wie ich hoffen will eine gute Christin geworden. Sündige +nicht, denn der Gott der Gnade ist auch ein Gott der Rache und der +Strafe, und Vater Osborne würde es unendlich weh gethan haben, wenn er +Dich hätte je so reden hören.« + +»Und nicht um Alles in der Welt hätte ich _ihn_ kränken mögen,« rief +Aumama rasch, »er war der Einzige auch, der mich an Gott gehalten, der +Einzige, der mich die Möglichkeit eines solchen Wesens ahnen und +begreifen ließ, an das uns ja sonst die Uneinigkeit und der Haß der +anderen Priester zwingen mußte zu verzweifeln. Er war ein guter Mann +und die Feranis hatten ihn auch lieb, trotzdem daß er auf andere Weise +zu seinem Gott betete, als sie es thun; aber -- Sadie« -- fuhr sie +langsam und wie zögernd fort, »bist Du dennoch so -- so fest überzeugt +-- daß er recht hatte?« + +»Aumama?« rief Sadie erschreckt, und sah staunend die Freundin an. + +»Hast Du von dem alten Mann gehört?« sagte aber diese mit leiser +Stimme sich zu ihr überbeugend, und den Blick fragend auf sie +geheftet, »der drüben auf Bola Bola lebt, lange lange Jahre schon, und +der so wunderliche Sachen von dem Gott der Christen erzählt?« + +»Von dem Gott der _Christen_? -- ist er denn nicht selbst ein +Christ?« + +»Nein,« sagte Aumama rasch -- »nein -- er selber hat es versichert -- +er ist von dem Stamm die den Christengott gekreuzigt haben, und soll +behaupten Jener sei gar nicht der Messias gewesen.« + +»Das waren die Juden,« rief Sadie überrascht, »aber ich wußte gar +nicht, daß von jenem Stamm noch Leute lebten?« + +»Viele, viele sollen noch davon in dem fernen Lande der Weißen sein +und der alte Mann behauptet jener Gekreuzigte sei nicht Gottes Sohn +gewesen, und habe nicht die rechte Lehre gebracht, denn die Christen +unter einander wüßten es nicht einmal und stritten und kämpften +deshalb gegen einander, und hätten schon viele viele Tausend unter +sich erschlagen, zu beweisen wer recht und den rechten Gott und +Erlöser habe.« + +»Und wenn der Mann nun nicht die Wahrheit sagt?« + +»Nicht die Wahrheit? -- es soll ein alter alter Mann sein, und graue +Haare und grauen Bart haben; und streiten sie sich hier nicht etwa +auch um ihren Gott? -- Wer _hat_ recht? und wie jener Mann von Bola +Bola sagt giebt es in seinem Vaterland unter den Christen noch viele +andere Sekten, die alle einander hassen und gegen einander predigen. +Ist das ihre Religion des Friedens?« + +»Aumama, Du sprichst entsetzlich,« sagte Sadie schaudernd, »wer um des +Himmels Willen hat Dein Herz mit solchem Trug erfüllt?« + +»Trug?« wiederholte die Indianerin, und ihr Blick haftete fest auf +Sadie -- »gebe Gott daß es Trug wäre und Lüge, aber wer giebt uns +_Wahrheit_?« + +»Gott selber,« sagte da Sadie mit jenem kindlichen Vertrauen, das in +dem Schöpfer wirklich seinen Vater sieht, und in reiner, +ungeheuchelter Frömmigkeit am Throne des Höchsten sein Gebet, seinen +Dank niederlegt -- »Gott selber, Aumama; er hat uns die Wahrheit in +das Herz gelegt, und seine Boten schon vor langen Jahren gesandt, sie +uns hier zu lehren. Bete, bete mit voller Inbrunst und das Herz wird +Dir aufgehen, wenn Du Dich zu Gott wendest.« + +»Aber Le-fe-ve betet gar nicht,« warf das Mädchen wieder ein, dem +Gedanken folgend daß die Europäer selber, in verschiedene Religionen +getrennt, kein Vertrauen auf den Gott hätten, den sie den Inseln +gebracht -- »er ist ein guter Mann, aber er lacht, wenn man ihn an +seine Pflicht als Christ will mahnen; thut das René nicht auch?« + +»Nein,« rief Sadie schnell, aber doch nicht im Stand eine gewisse +Verlegenheit zu verbergen -- »er lacht mich niemals aus.« + +»Aber er betet auch nicht.« + +»Gott wird ihn schon erleuchten,« sagte die junge Frau, und barg ihre +Stirn einen Augenblick in den Händen, »ach es ist wahr,« fuhr sie dann +leiser fort, »und hat mir schon manche bittere Stunde, manche +schlaflose Nacht gemacht, wie wenig _er_ an seinen Gott denkt, und wie +viel gerade Gott für ihn doch eigentlich gethan.« + +»Und Mr. Osborne? hat er Dir nie an's Herz gelegt ihn deiner Kirche +zuzuführen? -- mir ist das oft und oft zur Pflicht gemacht, aber -- +wie bald hab' ich _den_ Versuch aufgegeben.« + +»René geht seinen eigenen Weg,« seufzte Sadie, »und Vater Osborne sah +das wohl und fühlte es, aber er hat mir nie ein Wort davon gesagt, ja +er warnte mich sogar vor religiösen Streitigkeiten mit dem Gatten. Auf +Atiu war auch Alles gut, aber hier in Tahiti, wo die Priester selber +einander feindlich gegenüber stehen, und seit Vater Osbornes Tod hat +sich René ganz von jeder Andacht abgewandt.« + +»Weißt Du wie Du jetzt aussiehst, Sadie?« rief da Aumama plötzlich, +den Ton wechselnd, und der Freundin Hand ergreifend. + +Sadie schaute überrascht empor, Aumama aber fuhr lächelnd fort -- +»scheuche die trüben Gedanken fort von der Stirn, sie passen nicht für +uns. Was kümmern uns die Streitigkeiten jener Priester, noch ist die +Banane so süß, die Cocosnuß so saftig als je und der Himmel lacht blau +und heiter auf uns nieder und unser schönes Land. Sieh da kommt deine +Sadie,« unterbrach sie sich plötzlich als das Kind, von einem jungen +vierzehnjährigen Mädchen getragen, in der Thür erschien -- »her zu mir +Herz, her zu mir mein süßes Kind, und Du sollst mir helfen der Mama +Züge wieder aufzuheitern. Und nun sollen auch Scha-lie und Ro-sy +herüber und mit Dir spielen, mein Herz, und froh und munter wollen wir +sein, und tanzen und springen.« + +Die Kleine aufgreifend, die ihr schon von Weitem lachend die Aermchen +entgegenstreckte, sprang sie mit ihr, wieder ganz das fröhliche +ausgelassene Kind dieser Inseln, singend und trällernd am Strand +umher, und rief die eigenen Kinder herüber mit ihr zu spielen und zu +tollen. Und selbst Sadie, wenn auch nicht im Stande so rasch die +quälenden Gedanken abzuschütteln vom Herzen, vergaß doch ebenfalls +bald bei dem Lachen und Jauchzen der Kleinen Alles, was sie noch +vorher mit Angst vielleicht und Sorge erfüllte, und das Herz ging ihr +wieder auf voll Lust und Glück in dem einen reinen und seligen Gefühl +der Mutter Lust. + +FOOTNOTES: + +[C] »Das Schwein das Menschen trägt« wie die Insulaner zuerst das +Pferd nannten, für das sie keinen Namen hatten. + + + + +Capitel 4. + +#Die Missionaire.# + + +Ueber die See brauste es daher, wild und stürmisch in furchtbar +entsetzlicher Wuth; an den Riffen schäumte und kochte die Brandung in +milchweißem Gischt, und warf ihre Wogen selbst in die sonst stillen +Binnenwasser, weiter und weiter wallend, bis zu dem weißen +Corallensand des Strandes und den freigespühlten Wurzeln der +Cocospalmen, die ihre Wipfel über dem Meere schaukelten und jetzt, wie +entsetzt über die Entweihung, die weiten, armartigen Blätter +emporwarfen und sich zurückbogen vor der anstürmenden Bö. Hei wie der +Sturmvogel so scharf und gellend pfeift wenn er über die aufgewühlte +See streicht, und seine langen elastischen Flügelspitzen auf die +glatte Woge preßt, von der die Windsbraut schon den schäumenden Kamm +geraubt und als Perlen hinausgestreut hat weit weit über das Meer; hei +wie die Brandung da kracht und tobt, und sich bäumt und reckt und mit +den weißen Armen hinüberlangt über den Korallendamm, und doch wieder +und immer wieder zurückgeworfen wird von dem gewaltigen Bollwerk, das +Jahrtausende gebaut. Und der Sturm, der machtlos seine Kraft brechen +sieht an diesem Damm, und seine Wellen, die er sich aufgerüttelt hat, +nicht hinüber bringen kann, so viel er auch hebt und drängt, und die +Schulter stemmt gegen die gewaltigen, wirft sich endlich selbst mit +dem flatternden Bart an das grüne Land, und die Palmen fassend in +tollem Spiel biegt und schaukelt er sie, wie er das Spiel sonst +vielleicht mit Halm oder Blüthe getrieben, im weit und straff +gespannten Bogen nieder, nieder bis ihre Kronen das Laubdach berühren +das sie stützt und hemmt und mit wildem eifrigen Rascheln die +auszweigenden Arme fest fest zusammenstreckt und sich hält und +gegenseitig hilft gegen den wilden ungestümen Feind. + +Gewaltig und furchtbar ist ein Sturm auf offener See, wo er die Wogen +aufwühlt und gräbt, und die bergwichtigen Massen wie spielend und in +entsetzlicher Schnelle vor sich her jagt; aber frei und ungehindert +rast er dort sich aus, keine Grenze hemmt ihn und selbst das schwanke +Schiff das er trifft auf seiner Bahn wirft er herum, taucht es und +schleudert es empor, reißt und splittert was er daran gerade fassen +und halten kann und -- jagt vorüber, müde solch unwürdigen Spiels. +Anders aber und grauenhaft furchtbarer ist er dort wo die bergige +Küste den Anprall hemmt, und dem Rasenden die Stirn bietet in +kräftigem Trotz. + +Nicht nur den neuen Grimm hat der Wüthende da auszulassen an der +starren hartnäckigen Wand, die sich ihm eisern entgegenstellt, nein +auch alte Unbill zu rächen, seit Jahrhunderten her, und seit manchem +furchtbaren Strauß, bei dem er sich wieder und wieder vergebens in die +Schluchten wühlte und bohrte, und die Grundfesten seines Feindes zu +untergraben suchte. Von der See führt er die Wogen heran zum +gemeinsamen Kampf, und sich selber wirft er wild und toll gegen die +Brustwehr von Baum und Gebüsch, das sich ihm zäh und unverdrossen +entgegenlegt; was hilft es ihm daß er die starren hartnäckigen Stämme +faßt und bricht und die schweren Kronen zu Boden schmettert, oder als +Widder braucht, gegen andere anzustürmen -- die elastische Palme biegt +und legt sich der Uebermacht, folgt aber dem Feind auf dem Fuß bei +jedem Zollbreit Weichen, und schüttelt ihm die Federkronen zornig in's +Angesicht. Wild heult und braust sie da auf, die tobende tolle +Windsbraut; bis hoch in die Lüfte hinauf pfeift es und zieht's und +dröhnt's, und wieder und wieder prasselt's an gegen Halde und Hang, +wieder und wieder reißt es und bricht und schmettert und stöhnt, ein +Opfer suchend in unsagbarem Grimm, bis die Kraft auf's Neue erschöpft +ist wie seit Jahrhunderten, und der Orkan jetzt weichend, seine Wuth +mit neuer Hoffnung beschwichtigen muß für den nächsten Tanz, sich +dennoch immer auf's Neue getäuscht zu sehn. Grollend und innerlich +gährend und kochend zieht er sich dann zurück, weit weit über die See, +in der Ferne dröhnt es und braust es noch, wie schwer athmend aus der +Tiefe auf -- bläulich schwarz liegt die See, einzelne Sturzwellen in +sich selbst zusammenbrechend und weiße weite Flächen, förmliche Thäler +bildend von milchigem Schaum, der zischend zerfließt, neu +aufquellender Woge zum Mantel zu dienen mit dem sie sich schmückt und +tanzt und ihn abwirft, der Schwester zu. Hu, wie das hohl geht da +unten und braust und murmelt -- aber die Sturmmöve zieht jetzt mit +klappendem Flügelschlag, nicht mehr regungslos kreisend, über das +stillere Wasser, das im wilden Unmuth noch nicht einmal den Strahl der +vorbrechenden Sonne wiedergeben mag, und faden matten Bleiglanz über +seine Fläche deckt. + +Auf dem Land aber, dem natürlichen Feind des Orkans, der ihm so starr +die Faust entgegenstreckt, wie die Fluth ihm jeder Zeit willige Hülfe +bietet und mit ihm tobt und rast, entfaltet der siegende Sonnenschein +schon wieder sein Panier, während die grollende See noch gegen die +Riffe pocht, und jeder niedergeschleuderte Tropfen wird zur Perle, die +blitzend und jubelnd im Lichte funkelt. Noch erzürnt, aber doch schon +wieder den warmen Strahl auf den Wangen fühlend, schütteln die Bäume +ihr Laub, und rauschen und rascheln, Blatt und Zweiglein wieder in die +alte Form zu bringen, aus der sie der ungestüme Störenfried +herausgerissen, und der warme Duft der aus den Thälern steigt wird zum +Nebelschleier, den sich der Berg wie Silberfäden durch die Krone +flicht, und dem das sinkende Tagsgestirn noch seinen schönsten +herrlichsten Farbenschmelz verleiht. + +Es war zur Zeit solcher Stürme, die sich besonders im Herbst und +Frühjahr zeigen unter dieser Breite, und der Orkan brauste noch in all +seiner furchtbaren Kraft über die Wasser, und schien die Riffe hinein +drängen zu wollen gegen das Land, solche berghohe Wogen thürmte er +auf, und schleuderte sie von Westen herbei, der Passat Strömung gerad +in die Zähne. Nur der fluthende Regen hatte nachgelassen und der Wind +fegte nur noch das Firmament rein, von widerspenstischen Wolken und +Schwaden, die wieder und wieder, jetzt aber machtlos und zu spät, zum +neuen Kampfe herbei wollten. + +In der Hauptstraße von Papetee, auf dem breiten Strand der die erste +Häuser- und Gartenreihe vom Meere trennte, und von den lebenslustigen +Tahitiern besonders Abends zum Sammelplatz benutzt wurde, blieben +jetzt Einzelne stehen und schauten auf das Meer hinaus, denen bald +Andere folgten; die Thüren der nächsten Häuser wurden geöffnet, die +Eigenthümer standen darin mit Telescopen und um diese wogte und preßte +bald das Volk in mächtiger Schaar, bald die Gläser, bald das weite +Meer betrachtend, und dem Wort der Ausschauenden wie einem Orakel +lauschend. + +Der Gegenstand aber um den es sich hier handelte war ein Schiff -- ein +großes Schiff das von Point Venus aus schon vor einer halben Stunde +etwa und noch im vollen Sturm, der Königin gemeldet worden, wo es, +weit draußen in Sicht, versucht hatte beizulegen und von den Inseln +abzukommen, der Wind war aber zu heftig gewesen solches Maneuver zu +gestatten. Die Fregatte -- denn daß jenes fremde Segel ein großes +Kriegsschiff sei unterlag schon gar keinem Zweifel mehr -- mußte vor +dem Wind abfallen, und kam jetzt unter dicht gereeftem Vormars- und +Vorstengenstagsegel um die Spitze herum jedenfalls bestimmt nach +Papetee einzulaufen, was aber jetzt, bei dem gewaltigen Seegang und +der schmalen Einfahrt durch die schäumenden Riffe nicht möglich war, +und nur bemüht nun, so wenig Fortgang als möglich zu machen um erst +einmal von den nächsten Riffen frei, wieder aufzubrassen und das +Beruhigen der Wasser abwartend, gegen den Wind anzukreuzen. + +Es war eine Fregatte, aber von welchem Land? Diese Frage beschäftigte +jetzt Alle in ängstlicher Spannung, und wie die meisten der +Eingeborenen gerade jetzt, nach ihrer vorhergegangenen Demonstration +das Erscheinen des ihnen nur zu gut bekannten ~Du Petit Thouars~ mit +seinem Fahrzeug fürchteten, so ängstlich waren sie, sich zu früh der +freudigen Hoffnung hinzugeben daß es noch ein Englisches Kriegsschiff +sein könne, ihre erstrebte Unabhängigkeit zu bestätigen. + +Die Meinungen über das Aussehen des Schiffes waren dabei getheilt, +während es Einzelne der Europäer nach dem Bau der Masten, denn von den +Segeln war gar Nichts zu erkennen, für einen Franzosen hielten, +behaupteten Andere den Amerikanischen Zuschnitt daran zu erkennen und +nur ein kleiner Theil beharrte auf seinem Ausspruch England sei nicht +zu verkennen und die Englische Flagge würde sich zeigen, so bald die +Fregatte den Eingang passire. + +Selbst die gerade in Papetee anwesenden, und gerade heute zu einer +vertraulichen Sitzung berufenen Missionaire standen auf der Verandah +des, in Papetee ansässigen Bruder Dennis versammelt, und blickten mit +etwas ängstlicher Spannung der Entfaltung der Flagge entgegen, die +besonders auf ihre Wirksamkeit einen entschiedenen Einfluß ausüben +mußte. + +Noch vor dem Sturm hatte ihre Sitzung begonnen, und während die +Windsbraut heulend an den Pfosten des Hauses rüttelte, die Palmen wie +Weidenruthen niederbog, und die reifen Früchte von den Bäumen riß, den +Boden zu streuen mit Orange und Brodfrucht, die saftigen Stiele der +Banane umknickte und duftige Blüthen weit und hoch hinaus in die Berge +führte, lagen die schwarz gekleideten Männer in dem langen luftigen +Gebäude auf den Knieen; und mischten ihre Hymnen und Sänge mit dem +Gebrüll des Orkans, ein Preislied dem Herrn der Stärke und +Barmherzigkeit. + +Es waren die Brüder Rowe, Dennis und Nelson, Mc. Kean, Smith und +Brower, zusammengekommen zu vertraulicher Berathung in so schwerer +Zeit, und die eigentlichen Vertreter auch, wenigstens die wichtigsten, +die sich gegenwärtig in der Südsee befanden, der Evangelischen Lehre +nicht mehr nur Bahn zu brechen unter den Heiden, obgleich auch jetzt +noch ganze Gruppen von Inseln ihren Göttern treu geblieben waren und +den neuen Glauben mistrauisch von sich wiesen, sondern sich zu wahren +und schützen gegen den Katholicismus, der ihren Fußtapfen gefolgt war +und die Flügel jetzt ausbreitete, ihr eigenes Licht zu verdunkeln. + +Bruder Dennis war unter diesen, und besonders in seinem Charakter als +Missionair, jedenfalls der bedeutenste, und wenn auch nicht einer der +ältesten, doch jedenfalls der eifrigsten Lehrer der Inseln, wo es nur +galt dem einen heiligen Ziel entgegenzustreben, den Heiland zu +verkünden und seiner Wunden Blut zu predigen in der Wüste. Er auch war +Einer der Wenigen, die mit Hintansetzung jedes Gedankens an sich +selbst in die Fremde zogen, die Bibel im Arm, das gehobene Kreuz, ja +das Schwert in der rechten, wenn gereizt seinen Schatz zu +vertheidigen, und rücksichtslos weiter schreitend dabei, welchen +Glauben, welche Familienverhältnisse er unter die Füße trat, wenn er +nur die Seelen der Verdammten rettete, und ihnen das Heil kündete, das +ihnen Gott geboten, und das den Weg um die ganze Erde genommen, zu +ihnen zu gelangen. + +Eigennutz, Ehrgeiz war ihm fremd, keine Familienbande fesselten ihn, +nicht Freundschaft, nicht Liebe hatten sein Herz auch nur für eine +Stunde dem einen hohen Zweck seines Lebens abwendig machen können, und +er hielt den Tag für verloren, an dem er nicht wenigstens einen, +seinem Verderben entgegengehenden Sünder wach gerüttelt, und ihm den +Abgrund gezeigt an dem er wandele, oder geduldet und gelitten hatte in +der Verbreitung jenes Glaubens, der ihm Licht und Seligkeit und Luft +und Liebe war. + +Von schmächtigem aber nicht schwächlichem Körperbau, zäh bis zum +äußersten und an Entbehrungen und Strapatzen gewohnt, die er eher +aufsuchte als vermied, hatte er schon den größten Theil der Inseln +durchstreift, den feindlichsten Stämmen dort mit »christlicher +Demuth«, wie er's nannte, getrotzt, und ihren Hohen Priestern in den +Bart die Machtlosigkeit und Nichtigkeit ihrer Götzen verkündet. Die +Indianer achten den Muthigen, wo sie ihn auch finden, und muthig +wahrlich mußte der sein, der allein und unbewaffnet in einem +feindlichen Gebiet wahrhaft tollkühn das angriff, was der Gegner am +theuersten hielt, und wofür er sein Leben eingesetzt hätte es zu +bewahren; ja unter den Opferkeulen selbst hatte ihn schon dieser +starre fanatische Trotz gerettet, und ihm die Achtung seiner +bisherigen Feinde, ja oft den späteren Sieg über sie, gesichert. + +Hier nun schon den Sieg in Händen, läßt es sich denken, mit welchem +Schmerz und Zorn der »Diener des Herren« _fremde_ Priester eindringen +sah in sein Heiligthum, und den Bau untergraben, an dem seine Kirche +schon Jahrzehende gebaut, und der ein Tempel Zions zu werden versprach +in Pracht und Herrlichkeit. Mit zagender Hoffnung wohl, aber auch mit +Furcht und Mißtrauen sah er deshalb dem Entfalten jener Flagge +entgegen, die ihnen entweder die frohe Hülfe vom Mutterlande brachte, +nach der sie sogar schon einen der Ihrigen, den ehrwürdigen Mr. +Pritchard, zugleich Consul Ihrer Britannischen Majestät abgesandt +hatten, oder neue Schwierigkeiten und Verlegenheiten bereiten konnte, +den gierigen Forderungen Französischer Capitaine gegenüber. + +Die Brüder Rowe und Nelson in ihrem so verschiedenartigen Charakter +kennen wir schon. + +Zwei Andere, Mc. Kean und Brower waren einfache Leute, Menschen, die +ihre Lebenszeit in der Bibel gegraben, das edle Metall mit dem tauben +Gestein mühsam und unverdrossen heraufgeschafft, ohne im Stande zu +sein es zu schmelzen und zu scheiden, und es nun Bergehoch um sich +aufgeschichtet hatten, eine treffliche Wehr wenigstens, nach Jedem zu +schleudern, der ihnen nahe kommen und ihre Stellung ihnen streitig +machen oder bekritisiren wollte. + +Bruder Smith zeigte sich als eine von diesen ganz verschiedene +Persönlichkeit; klein und geschmeidig hatte er sich dem Missionswesen +gewidmet, wie er sich irgend einem andern Stand oder Geschäft gewidmet +haben würde. Von Enthusiasmus war bei ihm keine Rede, von Schwärmerei +noch weniger. Er betrachtete das ganze innere Sein der Mission auf +eine ächt irdische und praktische Art als ein _Geschäft_, das ihm +durch die Missionsgesellschaft vom lieben Gott übertragen worden, und +auf diesem entlegenen Winkel schien er nun vollkommen bereit alle +solche Pflichten, die ihm vorgeschriebener Weise oblagen, auch +getreulich zu erfüllen, vorausgesetzt jedoch, daß ihm dann der liebe +Gott, neben anderen Kleinigkeiten, auch noch die Bitte des täglichen +Brodes mit seinen verschiedenen Variationen erfülle. Ein +ausgezeichneter Geschäftsmann außerdem, war eine seiner +Hauptbeschäftigungen die, von England zur Unterstützung der Mission +eingegangenen Waaren, die natürlich einen größeren Werth hatten als +Geld selber, gegen Roh-Produkte oder Fabrikate der Indianer, soweit +sie deren herstellten, ja gegen Arbeitskraft selbst und geleistete +Dienste anzubringen, und einen besseren Mann hierzu hätte sich die +Gesellschaft nicht wählen können. Schicklicher wäre es jedenfalls +gewesen hierzu einen besonderen Mann engagirt zu haben, der dann +weiter Nichts mit dem geistlichen Theil des »Geschäfts« hätte zu thun +haben dürfen; das Lehrergeschäft leidet, wo der Lehrer zu gleicher +Zeit neben seinen geistigen Ausgaben seine weltlichen Einnahmen +berechnen muß. Bruder Smith wußte aber Beides auf so geschickte Art zu +vereinigen, und die Waare mit solcher Salbung, die Lehre mit solcher +berechnenden Klugheit auszugeben, daß die Insulaner zuletzt nicht +selten beides Empfangene gar nicht mehr von einander zu unterscheiden +vermochten und in Zweifel waren, für was von den beiden Sachen sie ihr +Cocosnußöl und ihre Perlen und Muschelschalen eigentlich zu Markt +gebracht, und ob sie ein gutes oder schlechtes Geschäft dabei gemacht. + +Bruder Smith hatte auch lange nicht das Schroffe, Abstoßende des +finsteren Rowe, ja selbst des schwärmerischen Dennis. Bei dem Gebet +stand besonders der Letztere wie ein zürnender Geist, bereit Gottes +Zorn auf Jeden niederzudonnern, der anders dachte oder sprach als er, +während Bruder Smith mit ruhiger Ueberlegung die praktische Seite des +Christlichen Glaubens nicht allein nicht versäumte, sondern sogar nach +außen drehte. Der Eine gewann, der Zweite erhielt die Heiden dem +Christenthum. + +Brower und Mc. Kean waren ein Mittelding der Beiden, mehr an der Form +wie dem Sinne des Ganzen hängend; Smith wand sich zwischen Allen +durch. Mit einem anerkennungswerthen Scharfblick der Charaktere, +zwischen denen er sich befand, war er Schwärmer oder Enthusiast, Mann +der Form oder des einfachen Glaubens, der in dem Glauben gerade den +Formen blindlings folgt, aber diese nur eben vom Glauben abhängig +macht, nicht diesen ihnen unterwirft. Nie jedoch verlor er den Nutzen +irgend einer Stunde aus dem Auge und unermüdlich im Sammeln für seinen +heiligen Zweck, wuchsen ihm die Bedürfnisse aus dem Boden, und wurden +zu Bäumen, die ihre Früchte im reichen vollen Maaß auf ihn zurück und +nieder schüttelten. + +Auch er war der gedrohten Oberherrschaft Frankreichs in innerster +Seele abgeneigt, aber nicht ganz allein mit jener geistigen +Ueberzeugung, mit der Bruder Dennis den Untergang der Gerechten vorher +kündete, wenn sie sich durch die Irrlehren verführen ließen vom +rechten Pfade abzuweichen, sondern mehr fast im merkantilischen +Interesse. Die Franzosen hatten nämlich unter dem Schutz ihrer Kanonen +angefangen, eine Quantität der verschiedensten, bis jetzt von ihm mit +Vortheil abgesetzten Waaren, auf die Insel geworfen, deren Preise _er_ +früher allein bestimmen konnte, während sich ihm jetzt dadurch eine in +der That nicht unbedeutende Concurrenz eröffnete. Bunt und ordinär +gedruckte Kattune, für die er bis jetzt mit Leichtigkeit einen halben +Dollar per Yard erhalten, verschleuderten leichtsinnig junge Franzosen +um die Hälfte, und das Volk hätte von einem _Heiden_ gekauft, wenn es +die Waare billiger bekommen, wie viel mehr nicht von den »neuen +Christen«. Die Eindringlinge bezahlten außerdem für die Produkte der +Indianer weit mehr, als sie vernünftiger Weise hätten zahlen sollen, +wenn sie sich nicht den Markt für spätere Zeiten verderben wollten. Es +war keine Ordnung in der Sache, und der Kaufmann ging mit dem Christen +Hand in Hand, der Evangelischen Kirche den Sieg zu erflehen über die +»Baalspriester« wie sie gewöhnlich von den Kanzeln genannt wurden. + +Doch zurück zu unserem Schiff, das die Aufmerksamkeit der am Strand +Stehenden auf das Peinlichste spannte, und immer noch mit den kahlen +Masten gesonnen schien vorbei zu streichen, ohne auch nur einmal die +Farbe seiner Flagge zu zeigen. + +»Segne meine Seele!« rief ein dicht am Strand stehender Neger, der +früher einmal von einem Wallfischfänger auf irgend einer Insel +entsprungen war und seinen Weg nach Tahiti gefunden hatte, wo er jetzt +bei den Eingeborenen, theils seiner außerordentlich glänzenden +schwarzen Farbe, theils seiner Wohlbeleibtheit wegen als eine Art +Autorität in Seemännischen Fällen galt -- »segne meine Seele, wenn +ich nicht glaube der Bursche will einlaufen. Wenn er das bei _der_ See +versucht kann er sich darauf verlassen daß er heute in ~Davys locker~ +(Seeausdruck für Unterwelt) zu Nacht speist, denn kein Dampfschiff +könnte sich frei von den Leeriffen halten.« + +»Und was für ein Segel glaubst Du daß es ist, Pompey?« frug ihn Tati, +der Häuptling, der unfern von ihm stand und das Fahrzeug mit finsterem +Blick betrachtet hatte. + +»Englisch, ~by God~ Massa,« rief der Neger rasch, der den Häuptling +kannte -- »englisch, jeder Zoll von ihr[D] -- und ein Dorn +wahrscheinlich in Massa Gumbo's[E] Augen da drüben, der jetzt zwischen +zwei Feuer kommt, wenn er den Schwarz-Röcken einheizen und Land +pachten will von Königin Pomare, haw, haw, haw. Nun sollte noch ein +Franzmann dazu kommen, dann giebt's Spaß; aber dies Kind ging in die +Berge, Massa, denn wenn sie hier mit den eisernen Bällen an zu spielen +fingen, würd' es Manchem zu warm in seinem Rocke werden.« + +»Die ~Reine blanche~ ist's,« lautete aber eine andere Meinung, die +bald wie ein Lauffeuer durch die Menschenmasse lief, denn der +gefürchtete Admiral ~Du Petit Thouars~ war schon lange wieder im Hafen +erwartet worden, und trotz den zuversichtlichen Behauptungen der +Missionaire daß England ihnen jedenfalls Schutz und Hülfe senden +werde, gegen den Römischen Feind, traute man doch den Kanonen des +Letzteren nicht, der die Stadt jetzt schon zwei Mal mit seinen +eisernen Flanken bedroht und sie gezwungen hatte, seine Bedingungen +anzunehmen. + +Der Französische Consul hatte gegen die letzte Verhandlung protestirt +und war zornig fortgegangen; welchen Bericht würde er dem +Französischen Admiral machen? -- und die Königin mußte es dann wieder +entgelten, wie schon früher. + +»Da -- dort geht die Flagge vom Talbot!« rief da Pompey plötzlich -- +»und da die Privatsignale -- er wird den Andern vorm Einlaufen warnen +wollen.« + +»Dort kommt was Buntes an Bord draußen!« schrie ein Eingeborener, der +trotz dem noch heftigen Wehen und Schaukeln des Baumes auf eine Palme +geklettert war, einen bessern Ueberblick zu gewinnen -- »gleich wird's +heraus sein!« + +»Da kommt die Flagge -- alt England für immer!« jubelte ein junger +Bursch, ein Seecadet des Talbot der auf Urlaub an Land gewesen war, +wie der Sturm begonnen -- »dort weht der ~Union Jack~ und Monsiehr +Crapo hat sich zu früh gefreut wenn er glaubte es käme ein Landsmann.« + +»Englische Flagge -- Englische Fregatte!« schrie und wogte es aber +auch jetzt am Land durcheinander, die Missionaire auf der Verandah +drückten einander die Hand, und ein großer Theil der Insulaner jubelte +allerdings dem fremden Schiffe entgegen, Manche aber auch von Tati's +Anhang schauten gar zornig drein, und sahen die Parthei schon wieder +Sieger, die ihnen bis dahin immer störend und hemmend im Weg +gestanden. + +Die beiden Englischen Kriegsschiffe hatten indessen rasch +verschiedene, nur ihnen bekannte Signale gewechselt, und die fremde +Fregatte hielt noch fortwährend auf die Mündung des Hafens zu, als ob +sie die Einfahrt, trotz Wind, Wogen und Coralle, erzwingen wolle; wenn +aber auch der wirkliche Sturm nachgelassen hatte, wehte der Westwind +doch noch viel zu stark das Einlaufen in den Hafen, wären selbst die +furchtbaren Brandungswellen nicht gewesen, wagen zu dürfen und die +Fregatte, die auch vielleicht nur diese Stellung angenommen ihre +Signale ordentlich und deutlich auswehen zu lassen, fiel wieder vor +dem Winde ab, braßte ihre Marssegel vierkant und flog, fast vor Top +und Takel nur, aus dem Bereich der gefährlichen Klippen, draußen +vielleicht wieder beizudrehen und das Rückwechseln des Windes in den +gewöhnlichen Passat, der gar nicht lange mehr ausbleiben konnte, +abzuwarten. + +So lange die Signale noch dauerten, hatten sich die Eingeborenen +ziemlich ruhig gehalten; nur einige der der Königin und den +Missionairen ergebenen Häuptlinge, besonders Aonui und Potowai waren +hinauf in das Haus gegangen, wo sie die frommen Männer versammelt +sahen, deren Meinung über das Englische Kriegsschiff, das jedenfalls +einzukommen beabsichtigte, zu hören. Die Missionaire hatten nur eine +Stimme darüber; sie hofften daß es ihnen günstig lautende Nachrichten +von England bringen würde, ja daß vielleicht Bruder Pritchard selber +an Bord sei, die Rechte der Insulaner zu bestätigen und mit der +gesandten Macht zu beschützen. + +Das war genug, wie ein Lauffeuer zog sich die frohe Botschaft durch +die einzeln am Strand zerstreuten Gruppen: »Das Kriegsschiff ist für +uns gekommen; die Franzosen haben Nichts mehr auf den Inseln zu +befehlen -- der Vertrag den sie abgeschlossen haben, und der nur dahin +berechnet war uns zu ihren Sclaven zu machen und das Götzenthum wieder +einzuführen, ist vernichtet und keine Flagge soll hier mehr wehen als +die Tahitische und Englische!« + +Aonui war der Wildeste zwischen ihnen. + +»Brüder, der Tag der Vergeltung ist erschienen!« schrie er, auf einen +Haufen dort aufgefahrenen und zum Ausarbeiten von Canoes bestimmten +Holzes springend, von dem aus er die unter ihm Stehenden leicht +übersehen konnte, »die Beretanis kommen -- die uns die Bibel gebracht +haben, bringen uns jetzt auch Kanonen unsere Bibel zu vertheidigen -- +die Beretanis sind gut -- wir wollen Nichts weiter -- wir haben die +Bibel und die Feranis können gehen, wir halten sie nicht -- wir wollen +ihnen Freude wünschen -- aber nicht hier, irgend wo anders. -- Wir +haben die Feranis lieb -- sehr lieb -- es sind auch unsere Brüder -- +aber nicht so Brüder wie die Beretanis; andere Art. Die Beretanis +haben uns die Bibel gebracht, die Feranis wollen sie wieder nehmen. -- +Feranis haben viel Platz wo anders -- wir wollen ihnen Freude +wünschen.« + +Das etwa war der Sinn der Rede, die der Häuptling, die einzelnen Sätze +immer auf's Neue wiederholend, seinen Landsleuten vorschrie, denn der +um ihn wogende Tumult dauerte indessen fort und er konnte ihn mit +seiner Stimme nicht beschwichtigen, er mußte ihn selbst übertönen; +aber den Sinn verstanden sie doch, den ungefähren Sinn des Ganzen +wenigstens, und von Mund zu Mund lief der Ruf: »Fort mit den Feranis, +fort mit der Flagge, wieder an Bord mit den Priestern die uns die +neuen Götzen auf die Berge gestellt haben, den alten zum Trotz, und +uns unseren Glauben nehmen wollen und unser Land und die Bibel. Wir +haben die Bibel wir verlangen nicht mehr!« + +»Bin nur neugierig« sagte Pompey, der Neger, zu einem zufällig neben +ihm stehenden Seemann, unserm alten Bekannten, dem Iren Jim -- »was +sie heute wieder für Dummheiten anrichten werden, Mister -- seht nur +einmal wie die schwarz gekleideten Gentlemen da hinten so eifrig gegen +einander die Hände und Arme werfen, und streiten -- sie hacken Alle +auf den Einen ein mit den weißen Haaren, der wird wohl der einzige +Vernünftige unter ihnen sein.« + +»Und wie so, mein Bursche?« frug Jim O'Flannagan der mit den Augen der +Richtung gefolgt war, die ihm der Neger angab, und den Blick jetzt +forschend auf den allerdings sehr heftig mit einander gesticulirenden +Missionairen weilen ließ -- »es geht ja Alles so hübsch und trefflich +wie es nur gehen kann.« + +»Hübsch und trefflich? -- hm, ja, -- Manchem gefällt's so,« sagte der +Neger und betrachtete sich den Fremden etwas genauer, ohne daß Jim +etwa darauf geachtet hätte -- »aber hallo Mister,« setzte er +plötzlich hinzu, »haben wir nicht einander schon einmal da drüben bei +Mütterchen Tot getroffen?« Der Ire lachte. + +»Ich bin überall zu finden wo es gute Gesellschaft giebt,« sagte er +mit einem etwas zweideutigen Blick auf seinen schwarzen Gefährten, +»aber Freund, habt Ihr eine Idee wo die Geschichte hier hinaus will? +-- wie mir scheint wollen die guten Leute alle Franzosen ohne weitere +Säumniß aufpacken, und an Bord der ~Jeanne d'Arc~ schicken?« + +»Toll genug wären sie dazu,« brummte der Schwarze, »und das hier wär' +auch nicht der erste derartige dumme Streich, den sie machten; wenn's +Jemand gut mit ihnen meinte, sollt' er's verhindern.« + +»Wen geht's denn 'was an?« lachte der Ire, »dafür haben sie auch ihre +Seelsorger ihnen den richtigen Weg zu zeigen -- hallo, kennt Ihr die +Beiden da, die scheinen's eilig zu haben.« + +»Das sind die beiden ersten Häuptlinge der Insel, Tati und Utami,« +sagte der Neger schnell, »wenn die ihren Weg hätten, wüßt' ich _wen_ +sie vor allen Dingen auf das erste beste Schiff packten und nach +Leewärts schickten.« + +»Kann mir's denken,« sagte der Ire trocken, »'s kommt nur darauf an +jetzt, wer zuerst ein Schiff frei hat, Engländer oder Franzose, und +dem lieben Gott bleibt jetzt die Wahl vollkommen offen, wen er hier +behalten will, Katholiken oder Protestanten.« + +»Wenn sie den Feranis hier was zu Leid thun, schießt ihnen der +Franzose den ganzen Bettel zusammen -- und ich habe da drüben auch ein +kleines Häuschen stehn,« meinte der Neger. + +»Wenn's hinter dem Berge läge könnt' er aber anfangen wann er wollte?« +frug Jim, mit einem Seitenblick auf den Neger, den dieser mit einem +breiten Grinsen, das zwei Reihen prachtvoller Zähne aufdeckte, +beantwortete. + +Die Aufmerksamkeit der Beiden wurde aber bald für das Haus in Anspruch +genommen, in dem sich die Missionaire befanden, denn dorthin drängte +das Volk und schien von diesen eine bestimmte Leitung ihres Unmuths, +dem sie selber eigentlich noch nicht recht Ausdruck zu geben wußten, +zu verlangen. + +»Nieder mit der Flagge der Feranis!« tönte der Schrei -- »fort mit den +Priestern -- England hat seine Schiffe zu uns geschickt uns zu +beschützen, wir wollen nichts weiter mit den Wi-Wis zu thun haben -- +fort mit ihnen -- fort!« + +»Das thut kein Gut,« sagte da, in der Sprache der Insel, ein schlanker +Mann mit starkem Backen- und Schnurrbart, der an dem Iren und Neger +mit den, schon vorher von ihnen bemerkten Häuptlingen rasch +vorbeischritt -- »das thut wahrlich kein gut, und sie werden sich die +Folgen ihres thörichten Handelns später selber zuzuschreiben haben.« + +»Die Missionaire treiben's zum Aeußersten in ihrem stolzen Wahn,« +sagte Tati. + +»Und ihre kurzsichtige Politik wird ihnen das geistliche wie ihrer +armen Königin das weltliche Regiment rauben,« sagte der erste +Sprecher; »die einzige Rettung die dem Lande noch blieb, war eine +vernünftige Mäßigung, die Missionair wie Franzose zugleich im Zaum +gehalten hätte.« + +»Sagt das den Priestern, Consul Mörenhout, und sie zucken die Achseln +und bedauern bei der Sache nichts thun zu können, da sie sich _nie_ in +die Politik dieses Landes mischten.« + +»Heuchler!« zischte der Consul zwischen den Zähnen durch und schritt +jetzt, die Häuptlinge verlassend, rasch der Verandah zu, an deren +Treppe er eben den beiden Missionairen Dennis und Rowe begegnete, die, +von Nelson und Smith gefolgt, gerade niederstiegen. Als Mr. Rowe den +Französischen Consul auf sich zukommen sah, blieb er stehen und sagte, +noch ein paar Stufen höher als dieser, mit unendlicher Milde und +Freundlichkeit auf ihn niederblickend: + +»Und was führt unseren sehr ehrenwerthen Freund in solcher Aufregung +zu uns?« + +»Mr. Rowe,« erwiederte aber der Consul, ohne auf Ton oder Bemerkung +der Frage einzugehen, und rasch die Stufen, selbst an dem Geistlichen +vorbei, hinaufsteigend -- »ich möchte ein paar Worte mit Ihnen und den +übrigen Herren sprechen; aber augenblicklich sprechen« -- setzte er +rasch und ungeduldig hinzu, als er sah wie die geistlichen Herren noch +unschlüssig zögerten. »Es gilt auch jetzt nicht die Privat-Interessen +eines Protestantischen oder Katholischen Priesters,« fuhr er gereizt +und heftig fort, »es gilt die Interessen, das Wohl dieses Landes, +dessen Entscheidung Sie nun einmal -- mit welchem Rechte soll hier +unerörtert bleiben -- in die Hand genommen. Ihnen allein ist es jetzt +überlassen Alles noch friedlich zu Ende zu führen, oder auch einen +Krieg heraufzubeschwören, der die traurigsten furchtbarsten Folgen +haben müßte.« + +Die Missionaire blieben erst stehn und drehten dann mit dem +aufgeregten und gereizten Mann um, blieben aber oben auf der Verandah, +wo sich die übrigen bald um Mr. Rowe und den Französischen Consul +sammelten, und der Erstere sagte freundlich: + +»Sie scheinen sich in der Person zu irren, verehrter Herr; wir Alle +sind Männer des Friedens, denen es wahrlich nicht einfallen wird +muthwillig, wie Sie meinen, einen Krieg heraufzubeschwören. Greift das +Volk zu den Waffen, ein ihm unerträglich werdendes Joch abzuschütteln, +oder selbst erst der Gefahr auszuweichen, seinen Nacken darunter +gebeugt zu bekommen, was können _wir_, einzelne und unbewaffnete +Männer dafür oder dawider thun? ja _dürften_ wir das Volk +zurückhalten, selbst _wenn_ wir könnten, wo wir es auf der einen Seite +von einer Religion bedroht sehen, die unserer schwachen Meinung nach +zu ihrem jetzigen und späteren Verderben führen müßte, während wir es +in Händen haben, sie wenigstens auf ein einstiges Heil vorzubereiten.« + +Der Consul schritt rasch und ärgerlich auf der Verandah auf und ab, +erwiederte aber kein Wort -- er fühlte daß ihm bei der ersten Sylbe die +er laut spräche, die Galle überlaufen _müsse_, und wollte jetzt in +diesem, vielleicht für spätere Zeiten höchst wichtigen Augenblick +Alles vermeiden, was ihm später vielleicht als Uebereilung oder Hitze +hätte können zur Last gelegt werden. + +»Und weigern Sie sich wirklich?« sagte er endlich nach einer längeren +Pause, und in der That erst, als der Ehrwürdige Mr. Rowe schon wieder +Miene machte die Verandah zu verlassen -- »das blinde, mit allen +Europäischen Verhältnissen unbekannte Volk von einem übereilten +Schritt, wie das Niederreißen der Französischen Flagge zurückzuhalten? +-- bedenken Sie nicht, daß sich dieselben traurigen Scenen der +Französischen Fregatte in Monaten vielleicht schon wiederholen, und +Sie selbst dann in die mißlichste Lage der Welt bringen können?« + +Der Ehrwürdige Mr. Rowe warf den Kopf stolz empor, und sagte mit +vielleicht absichtlich sehr lauter Stimme: + +»Weder Ihre Ueberredung Herr Consul, noch Ihre _Drohungen_ können uns +zu einem Schritt bewegen, den wir für unverträglich mit unserem Amte +halten. Nicht die Politik, sondern die Religion dieses Landes brachte +uns an diese Küste, und Frankreich hatte vielleicht einmal die Absicht +den Protestantismus, da es ihm nicht durch die Lehre seiner Priester +gelang, mit Feuer und Schwert auszurotten; aber die Zeit ist Gott sei +Dank vorbei. Der Englische Consul ist, wie Sie wissen schon vor +längerer Zeit nach Großbritannien gegangen, dort den Schutz unserer +Confession, die Erhaltung unserer schwer erworbenen und verdienten +Rechte zu sichern, und Sie sehen da draußen in See in jenem +hellblinkenden Segel die Antwort unserer Nation. ~Monsieur Du Petit +Thouars~ wird sich einen andern Wirkungskreis für seine Heldenthaten +suchen müssen, denn nicht mehr blos mit wehrlosen Indianern und ihren +friedlichen Lehrern und Fürsten hat er es von jetzt an hier zu thun.« + +Mörenhout biß sich auf die Lippen, blieb einen Augenblick, wie noch +etwas überdenkend, stehen, und wollte dann, ohne weiteres Wort, die +Treppe wieder niedersteigen, als der alte ehrwürdige Mr. Nelson seinen +Arm ergriff und freundlich sagte: + +»Gehen Sie noch nicht, Consul Mörenhout; ein gutes Werk darf nicht so +leicht aufgegeben werden, und ich halte die Absicht dafür, in der Sie +hergekommen.« + +»Mr. Nelson spricht als ob dieses sogenannte »gute Werk« in unseren +Händen läge,« sagte Mr. Rowe gereizt. + +»Und das ist wahr!« rief aber der alte Mann in edlem Eifer erglühend, +und die Hand ausstreckend gegen die unten tobende Schaar. »Sündlich +wäre es von uns behaupten zu wollen, daß wir die Macht _nicht_ haben +das Volk zum Guten zu leiten und in den Schranken der Mäßigung zu +halten; ebenso wie es, in der jetzt überdieß gereizten Stimmung, einem +leichtsinnigen unglückseligen Schritt entgegen zu treiben. Wir als die +Lehrer des Volkes _dürfen_ nicht entscheiden ob Englische ob +Französische Flagge das Recht habe hier zu wehen -- unser Ziel ist, +die Eingeborenen zu Christen, nicht zu Engländern oder Franzosen zu +machen, und ihren Häuptlingen, von unseren Consuln aber nicht von +unseren Kanzeln unterstützt, bleibt es dann überlassen, sich die +Unabhängigkeit ihres Landes zu wahren.« + +»Es giebt Verhältnisse,« fiel ihm hier Bruder Rowe in's Wort, der den +aufsteigenden Grimm nicht länger bemeistern konnte, »bei denen ein +solches Zaudern in der guten Sache, das die Eingeborenen ihrem bösen +Geschick und den Gräueln des Pabstthums überließe, _Verrath_ genannt +werden könnte.« + +»Wir haben den fremden Priestern vorgeworfen« entgegnete Nelson ruhig, +»daß sie uns geschimpft und unsere Religion geschmäht haben; machen +wir es besser, wenn wir von Gräueln des Pabstthums reden? Ich bedauere +das Eindringen jener fremden Lehre, die unsere Beichtkinder irre +machen, und Zweifel bei ihnen erwecken muß, aber ich möchte sie nicht +mit dem Schwert bekämpft, möchte das Schwert nicht in unserer eigenen +Mitte geschliffen sehen.« + +»Daß Bruder Nelson die neue Lehre nicht mit dem Schwert bekämpft sehen +möchte, hat er allerdings schon bewiesen,« sagte Mr. Rowe. + +»In dem was ich gethan, steh' ich vor meinem Gott gerechtfertigt,« +erwiederte Nelson, ohne ein Zeichen von Bitterkeit, »der Menschen +Urtheil muß ich mich unterwerfen.« + +»Wehe über Israel!« seufzte da der ehrwürdige Mr. Brower und +schüttelte trauernd mit dem Kopf, »das ist die kalte Gluth, die fremde +Herzen erwärmen will, und nicht einmal im Stande ist, das eigene Feuer +hell und lohend anzufachen. Wehe über die Säumigen, die da zögern und +die Stunden zählen zum Tag, und nicht wirken wollen so lang es noch +Nacht ist; wehe über die Zaghaften am Tage des Gerichts, und wie +Gottes Donner noch mahnend an der Erde Vesten rüttelt, wird er ihnen +ein Zornesruf in den Ohren sein!« + +Mr. Mörenhout der das Gespräch, oder vielmehr den Streit der +Geistlichen mit kaum zu zähmender Ungeduld bis jetzt angehört, und +sich gewaltsam hatte zurückhalten müssen, seinem Unwillen nicht Luft +zu machen, dabei aber noch immer hoffte eine vernünftigere Ueberlegung +doch Raum gewinnen zu sehen, mußte nach den letzten Worten des +fanatischen Priesters jeden solchen Glauben schwinden lassen, und nur +noch einen letzten Versuch zu machen sagte er mit gezwungener Ruhe, +der man aber das Gewaltsame wohl anmerken konnte: + +»Und so weigern Sie sich denn, meine Herren, den Frieden mit +Frankreich aufrecht zu erhalten? -- weigern sich dem Volk das +Gefährliche, ja das Wahnsinnige solcher Handlung vorzustellen?« + +»Weigern, Herr Consul,« unterbrach ihn Rowe entrüstet, »wir haben +Nichts mit der Politik dieses Landes zu thun -- mit jedem derartigen +Antrag muß ich Sie an die Königin selber weisen.« + +Mörenhout wollte noch etwas erwiedern -- er öffnete schon den Mund und +that einen Schritt auf den Missionair zu, der sich dem gereizten Blick +des Mannes mißtrauisch aber doch muthig entgegenstellte; dann aber, +wie sich eines Besseren besinnend, drehte er sich scharf auf seinem +Absatz herum, blieb einen Moment, den vorn ausdehnenden Platz mit den +Blicken überfliegend stehen, winkte nach einer Stelle hinüber, wo Tati +und Utami mit dem jetzt zu ihnen gekommenen Paofai standen, und +schritt dann, während sich ihm die drei Häuptlinge anschlossen, rasch +und heftig mit ihnen gesticulirend, am Strand hinauf. + +FOOTNOTES: + +[D] Die Engländer und Amerikaner nennen alle Arten von Fahrzeugen +_weiblich_ und wie der Matrose behauptet aus einem allerdings nicht +gerade schmeichelhaften Grund für das schöne Geschlecht: weil die +Takelage, Segel etc. mehr koste als alles Uebrige. + +[E] Gumbo's, der Spottname der Franzosen in Louisiana, nach einem dort +bereiteten Lieblingsgericht derselben. + + + + +Capitel 5. + +#Die Königin Pomare.# + + +Der Sturm hatte nachgelassen, aber noch schleuderte der West den +Wellenschaum gegen das Leeufer[F] der Insel, und die schweren +Palmenwipfel, die den Palast Aimatas, der vierten der Pomaren, +umgaben, schwankten herüber und hinüber und schüttelten die schweren +Tropfen aus der Fruchtgeschmückten Krone. + +_Der Palast der Pomaren_ -- ein Zauber lag sonst auf dem Heiligthum, +das ein frohes gutmüthiges und deshalb auch leichtgläubiges Volk mit +allem ausgeschmückt, was seine Phantasie nur Großes und Erhabenes zu +erfinden vermochte. + +Was lag daran ob nur Bambusstäbe das leichte Dach von Pandanusblättern +stützten, nur feingeflochtene Matten und selbstgewebte Tapa den +inneren Raum zierten und verhingen -- was lag daran ob die Häuptlinge +aus einfachen Calebassen ihren Brodfruchtpoe verzehrten und den Saft +der Cocosnuß dazu tranken, sie waren die von Oro beschützten Fürsten, +und der Grund schon heilig, den ihr Fuß betrat. + +Und jetzt? -- Der Verkehr mit den Europäern hatte die alten einfachen +Sitten der Insulaner verdrängt -- die Missionaire, anstatt sich ihrem +einfachen Leben anzupassen, lenkten die Gier dieser sonst so +anspruchslosen bescheidenen Wesen auf die fremden Sachen die sie in +Masse mitgebracht; der Schutz der Könige selber ward durch Geschenke +-- tolles Zeug das nur bunt drein schaute und zu weiter Nichts diente +als den Platz ungemüthlich, unheimlich zu machen auf dem es stand -- +zu erhalten gesucht, und wie sich die Fürsten mehr den Fremden +hingaben, deren eigenthümliche Geschenke sie gewannen, wie sie von +ihrer Höhe niederstiegen und ihre Götter selbst zuletzt gegen +Glasperlen und andere bunte Sachen eintauschten, einen anderen _Gott_ +anzuerkennen, den ihnen jene schwarzen finsteren Männer brachten, da +war die königliche Macht dahin, wenn auch der äußerliche Prunk noch +blieb, ja für den Augenblick, wie das letzte Aufflackern einer Lampe, +vielleicht noch auf kurze Zeit erhöht und verstärkt wurde. + +Was die Königliche Majestät auf den Sandwichs Inseln, wo +Republikanische Missionaire zuerst Gottes Wort hinüberbrachten, erhob, +daß nämlich die Glieder der Königlichen Familie, besonders die +Frauen[G] der Christlichen Religion anhingen, und sie mit dieser Macht +auch das Volk dahin brachten sich zuletzt, wenigstens äußerlich, dem +neuen Cultus zu unterwerfen, das hatte auf den Gesellschaftsinseln, wo +die Priester einer Monarchie zuerst mit dem Kreuz und der Bibel +landeten, die entgegengesetzte Wirkung in dem starren Trotz den die +Pomaren, in ihren Herzen wenigstens, von je der Christlichen Religion +entgegensetzten, bis in späteren Jahren, und auch eigentlich erst +durch Krankheit geknickt und in der Hoffnung mit Hülfe der Weißen die +Zügel seiner Regierung wieder fester in die Hand nehmen zu können, der +zweite Pomare zur christlichen Religion übertrat, sonst aber seine +Sitten, und sehr wahrscheinlich auch im Inneren seinen alten Glauben, +ziemlich beibehielt. + +Die Fürsten, die man bis dahin für übernatürliche Wesen gehalten, +wurden _Menschen_, die Götter, die bis dahin die Schicksale der Völker +regiert und die Hand gehalten hatten über Land und See, wurden zu +Stücken Cocosholz, -- der Glaube, die Furcht, ja das Schlimmste von +Allem, die _Liebe_ des Volkes war ein Wahn, ein schöner Traum gewesen, +und daß eben das Volk dann zu Extremen übersprang, läßt sich denken. + +Das schlichte Bambushaus, zu dem der Tahitier sonst als dem +Herrschersitz seiner Könige mit scheuer Ehrfurcht aber auch mit Liebe +aufgeblickt, war verschwunden, und an dessen Statt stand ein +Europäisches Gebäude mit Schindeln gedeckt, mit Verandah und Treppe, +mit Thüren und Glasfenstern da, die Wände dicht und der kühlen +Seebrise undurchdringlich, das Dach fremd und unnatürlich in die +schlanken Palmen hineinstarrend -- das Innere dabei wild und +geschmacklos mit bunt und toll durch einander geworfenen Geschenken +verschiedener Schiffe und Länder ausgeschmückt oder eher verstellt, +mit Porcellan und Glas, mit Bronze und Messing, versilberten +Leuchtern, vergoldetem Schmuck, mit Servicen und Geschirren, so +geschmacklos als verwirrt geordnet oder besser gesagt aus dem Weg +gestellt. + +Die natürliche Majestät des Ganzen war gewichen und eine gezwungen +gekünstelte jetzt nicht mehr im Stande selbst in den Augen des +Eingeborenen zu imponiren. Die Ehrfurcht deshalb, die er dem +schlichten Bambus und der einfachen Tapa gezollt, und die sich selbst +auf die Pandanus-Matte erstreckte die der Fuß berührte, weigerte er +dem kostbaren Teppich und all jenen tausend und tausend +»Kostbarkeiten,« die er staunend anstarrte, an denen er aber kalt, ja +nicht selten mit einem Lächeln auf den Lippen, vorüberging. Er kannte +die Quelle aus der es floß, Pomare ging nicht mehr mit Oro Hand in +Hand und vor dem _neuen Gott_, wie ihnen die fremden Lehrer oft und +oft gesagt, _waren ja alle Menschen gleich_ -- das Bischen Staat dabei +hatten die Fremden mitgebracht, als Geschenke festen Fuß auf den +Inseln zu fassen, es war Nichts darunter, vor dem man hätte Ehrfurcht +haben können. + +Und rücksichtslos wie der Menschen Hand an dem Hermelin der Majestät +gerissen, und nach der Krone schon die Faust ausgestreckt, die Aimatas +Stirn umzog, so hatte der Sturm in seiner tobenden Lust auch seinen +Muth an dem geweihten Platz gekühlt und hineingegriffen in das +Heiligthum. + +Wo eine Anzahl dichter herrlicher Palmen auf etwas offener Stelle +wachsend, früher das Bambushaus der Königin überschattet, und einander +dabei zugleich Schutz und Schirm bieten konnten gegen die tollen +Windgeister, die zu Zeiten über die Berge rasten, da hatten die +meisten dieser stattlichen Bäume, dem größeren Gebäude Raum zu geben, +weggeschlagen werden müssen, und die einzelnen, zurückgebliebenen, +waren nicht mehr im Stande dem wilden West zu trotzen, wenn er den +rasenden Ansprung nahm gegen sie, die wehenden Blätter ihrer Krone +faßte und die Wipfel niederbog, scharf und gewaltig, bis fast zum +Boden hin. Hei wie sie da oft zurückschnellten, in Grimm und Unmuth, +dem tobenden Sturm gerad' in die Zähne, und die wehende Krone +schüttelnd in zornigem Trotz; vergebens -- wieder und wieder sauste +die Windsbraut heran, faßte die mächtigen Bäume und drückte sie in +ihrem tollen Spiel zur Erde nieder bis sie die herrlichste geknickt +und mit schwerem Fall zu Boden geschmettert, weit und zerstörend +hinein in Banane und Brodfruchtgarten. Und dann, wie ein unartig Kind, +das sein Spielzeug zerbrochen und bei dem Fall schon die Strafe +fürchtet, brauste der Sturm und tobte dahin, über die mächtigen +Waldeswipfel, daß sein Rauschen und Donnern weit hinein drang in +Berges Schlucht und Hang; aber am Boden lag die Palme zerknickt und +todt, der starre aufgespaltene Stamm kahl und vorwurfsvoll zum Himmel +deutend, und der Wipfel selbst ein traurig Bild zertrümmerter, +königlicher Kraft -- so viel sprechender hier, an der Schwelle der +Pomaren. + +Und wie der Sturm schwieg, wogte und drängte draußen das Volk in +wilderem unaufhaltsamerem Schwarm, zum ersten Mal wieder eine Macht +fühlend, die ihm bis jetzt genommen, zum ersten Mal wieder von denen +aufgefordert _selbstständig_ zu handeln, die bis jetzt mit ängstlicher +Sorgfalt jeden ihrer Schritte überwacht, und die Bibel drohend +entgegengehalten jedem freieren, kraftbewußten Wort. + +Das Volk _sprach_, und der Palast lag _verödet_; die Thüren standen +offen, oder schlugen im Zug hin und wieder, die im Inneren +angebrachten Europäischen Vorhänge und Gardinen flatterten und wehten +unordentlich aus, und die ~Eïnanas~ Pomares, die dienstthuenden +Hoffräulein der Fürstin selber hatten sich in Furcht und Neugierde +theils mit hinaus an den Strand gedrängt, das fremde Schiff und das +erregte Volk zu sehen, theils standen sie mit flatternden Locken und +Gewändern über die Verandah zerstreut, ihrer Pflichten nicht weiter +achtend, sich ihre Hoffnungen und Befürchtungen mitzutheilen. + +Pomare war in ihrem Gemach allein und die Königin stand, an ein +Fenster gelehnt, die linke Hand auf eine geöffnete Bibel, die neben +ihr auf einem kleinen Tischchen lag, die Stirn sinnend in die rechte +Hand gestützt, regungslos und schaute in tiefem Brüten hinaus über die +zerschüttelten Baumwipfel, die ihre Zweige noch nicht wieder +zurechtgefunden aus dem kaum vorübergebrausten Sturm, und wie +ängstlich die weiten grünen Arme ineinander rankten, einem noch immer +mißtrauisch befürchteten neuen Anprall zu begegnen. + +Es war eine schlanke edle Gestalt, mit nicht gerade schönen aber doch +wohlthuenden Zügen, und besonders feurigem lebendigem Auge, dessen +Brauen sich nur jetzt, in Sinnen und Unmuth vielleicht, fester und +härter zusammengezogen wie es sich sonst mit den voll und freundlich +geschnittenen Lippen vertrug. Sie ging ganz in die Landestracht +gekleidet, nur daß kostbarere Stoffe ihre Gestalt umschlossen, -- der +~pareu~ war von feinem gelb und roth gestreiften und mit kleinen +Silberblumen durchzogenem Gewebe, und der obere, erst nach der +Bekanntschaft mit den Europäern angenommene weite und vorn bis zum +Gürtel offene Rock, der nur am Handgelenk durch zwei Perlmutterknöpfe +zusammengehalten wurde, war von schwerer blaßrother Seide, um die +Hüften durch eine goldene emaillirte Spange zusammengehalten. Die +Haare trug sie in natürlichen Locken, durch die aber, vielleicht ein +wenig kokett auf die Krone anspielend, ein schmaler goldener Reif +gezogen war, vortrefflich gegen die rabenschwarze Fülle der Locken +abstechend, die ihre Stirn umspielten. An den Fingern blitzten zwei +etwas starke, goldene Ringe, der den Eingeborenen überhaupt liebste +und ehrenvollste Schmuck; ihre Füße aber waren nackt. + +Viele Minuten lang blieb sie in der beschriebenen Stellung, starr und +regungslos und nur manchmal war es, als ob sie ungeduldig hinaushorche +nach dem dumpf selbst bis zu ihr herüberwogenden Lärm, indeß die +Finger der linken Hand bewußtlos in dem heiligen Buche blätterten. + +»Sie kommen, Pomare, sie kommen,« rief da plötzlich Eines der Mädchen, +den Kopf eben nur zur Thür hereinsteckend und dann wieder, gerad so +rasch verschwindend. + +»~Aramai~, ~Eina~!« rief aber die Königin, sich zornig nach der Thür +herumdrehend, in der jetzt, etwas beschämt, das junge schöne Mädchen +wieder erschien und schüchtern stehen blieb -- »ist das jetzt Sitte +hier bei mir geworden, daß Ihr draußen herumlauft, Ihr Tollen, und +eben zu mir hereinstürmt und mir Euere Botschaft unter das Dach ruft, +als ob ich herübergeweht wäre von den Inseln zu windwärts? -- wer +kommt? ~waihine~ und wo sind Deine Gefährtinnen?« + +»Tati, der Häuptling, Pomare, mit dem weißen bösen Ferani,« sagte das +Mädchen etwas ängstlich -- »und noch viele viele andere Tanatas.« + +»Und die Eïnanas?« + +»Stehen draußen und sehen hinaus.« + +»Was will Tati von _mir_?« frug die Königin finster, mehr mit sich +selbst redend als zu dem Mädchen gewandt. + +»Böse Ferani ist bei Mitonares gewesen,« sagte da das Mädchen leise +und schnell -- »hat sich gezankt mit Mitonares und kommt jetzt zornig +und bös zu Pomare.« + +Ein verächtliches Lächeln zuckte um Pomares Lippen, daß die Eïnana den +Ferani fürchtete, aber die Botschaft selber beunruhigte sie doch. Der +Französische Consul verkehrte nie mit den Protestantischen +Geistlichen, die ihn, wie er recht gut wußte, haßten und verabscheuten +-- was hatte er dort zu thun, wenn nicht jene etwas gegen ihn, gegen +seine Nation unternommen, und warum wußte _sie_ noch Nichts davon? + +»Die Mitonares haben das Englische Schiff gesehen und glauben sich nun +Herren dieses Landes,« murmelte sie leise vor sich hin -- »aber noch +nicht -- noch nicht -- und das Alles sagt die Bibel, Alles, Alles was +sie wollen.« + +Lautes Sprechen auf der Verandah drang von dort herein, und die +Eïnanas, die bis jetzt draußen herum gestanden, schlichen leise in's +Zimmer, während Eine von ihnen die Ankunft des »Ferani ~Me-re-hu~« mit +Tati dem Häuptling meldete. Noch ehe aber Pomare nur die Erlaubniß +seiner Einführung geben konnte, wurde die Thür wieder, mehr +aufgerissen als geöffnet, und der Consul betrat rasch von Tati langsam +und wie scheu gefolgt, das Gemach. + +»Habt Ihr die Sitte verlernt, Consul Me-re-hu!« rief ihm aber Pomare +gereizt entgegen, noch ehe er den Mund öffnen konnte zu seiner +Vertheidigung, »daß Ihr zu einer Frau -- daß Ihr zu Pomaren in das +Haus dringt, als ob Ihr daheim wäret in Eurer eigenen Hütte? -- noch +haben Euere Kriegsschiffe meinen armen Thron nicht umgeworfen, und +Euere Soldaten mein Volk erschlagen, oder Euere Priester es bethört -- +geht fort von hier, Ihr seid ein unruhiger böser Mann -- und was will +Tati von seiner Königin, daß er mit dem Fremden über ihre Schwelle +bricht, wie ein Dieb bei Nacht?« + +»Nicht meinetwegen komme ich, kommt Tati hier zu Dir, Pomare!« +unterbrach sie hier Mörenhout, ohne Tati Zeit zu geben, sich selber zu +vertheidigen -- »Deinet-, Deines Reiches wegen sind wir hier, das +Deine tollen Priester im Begriff sind zu verderben.« + +»Consul Me-re-hu!« rief Pomare entrüstet. + +»Ja Pomare!« fuhr aber der Franzose in zornigem Eifer fort, »und +wiederholen muß ich's Dir, daß Deine Priester in diesem Augenblick +selbst daran arbeiten den Bruch unheilbar zu machen, den sie zwischen +diesem Land und Frankreich reißen. Auf die Bibel gestützt, der sie in +blindem Eifer, nicht rechts nicht links sehend, anhängen, predigen und +schreien sie daß sie dieser folgen, während es im Grund nur ihre +eigene starrköpfige Meinung ist, der sie das Banner vorantragen. +Gottes Zorn wollen sie dabei in ihrer Macht haben, während in ihrem +eigenen Lager Unfriede, Streit und Feindschaft, Neid und Habsucht +herrschen.« + +»Und seid Ihr nur hier hergekommen meine Prediger und Gottes Wort zu +lästern, Consul?« frug die Königin kalt. + +»Hierher gekommen Dich zu _bitten_ ihren Uebermuth zu steuern!« rief +Mörenhout, »Dich zu _warnen_ ihrem Einfluß, der der Französischen +Nation ein durchaus feindlicher ist, gerade jetzt, wo sie in +kurzsichtigem Triumph den Sieg in Händen zu haben glauben, nicht zu +viel Raum zu geben.« + +»Warnen,« wiederholte Pomare verächtlich, und drehte dem Consul halb +den Rücken -- »und was sagt Tati? hat der erste Häuptling Tahitis dem +Fremden das Wort überlassen?« fuhr sie aber rascher fort als sie +diesen mit verschränkten Armen und finsterem Blick still zur Seite +stehen sah. + +»So lang er das rechte spricht, warum nicht?« sagte der Häuptling +ernst -- »es ist dasselbe um das ich Pomare bitten wollte -- er hat es +Dir kund gethan.« + +»Und was _wollt_ Ihr von mir?« rief die Königin, jetzt wirklich +beunruhigt durch das ernste Aussehen der Männer, »was ist geschehen, +was haben die Mi-to-na-res gethan?« + +»Die Mi-to-na-res thun nie etwas,« sagte der Consul, aber jetzt weit +ruhiger als vorher, »sie stecken sich nur hinter die Masse, reizen mit +ihren Reden das Volk auf, und sind dann unschuldig wie die Kinder, +wenn der Saame aufgeht, den sie erst selbst gepflanzt.« + +Die Königin machte eine ungeduldige Bewegung und Tati, der wohl sah +daß der Consul, in seinem Zorn über die Missionaire gar nicht zum +Hauptpunkt kam, fiel da ein: + +»Sie sind unklug genug das Volk dazu zu treiben, daß es die +Französische Flagge niederreißt.« + +»Und welches Recht hat sie, hier zu wehen?« frug Pomare rasch. + +»Dem mit Dir selbst geschlossenen Vertrage nach!« rief der Consul. + +Tati biß sich auf die Lippen und entgegnete nur trocken: + +»Das Recht des Stärkeren, ich weiß von keinem anderen.« + +»Von keinem anderen?« frug der Consul erstaunt, und drehte sich rasch +nach dem Häuptling um -- »habt Ihr nicht selber mit den Vertrag +unterschrieben, der ihm es sichert?« + +»Eben weil Ihr die Stärkeren seid habt Ihr das Recht,« sagte der +Häuptling finster, »denn der Vertrag war in anderem Sinne, als Ihr ihn +auszubeuten wünscht, und wäret Ihr ein kleines Reich wie wir, würde +die Frage gar nicht sein um ja und nein, die Kriegskeule möchte dann +entscheiden welches Landes Flagge in der Brise flattern dürfte. So +aber, und weil mir ahnt _was_ Ihr begehrt, nicht etwa weil ich ein +Freund des Königs der Feranis bin, komme ich hierher und verlange von +Dir, Pomare, das Volk zurückzuhalten, daß es nicht muthwillig wieder +fremden Schiffen die willkommene Gelegenheit bietet die Hand nach +diesem Reiche auszustrecken. Die Priester tanzen um ihr Heiligthum und +sehen in die Flamme -- bis sie eben nichts weiter sehen und für alles +Andere, was außer ihnen vorgeht, blind sind; was kümmert sie Pomare +oder Tahiti, wenn sie Leute finden die in ihrem großen Buch lesen und +ihnen Früchte und Cocosöl bringen. Kaufleute von dem Lande der Feranis +sind gekommen und sie haben Nichts gesagt -- Priester kommen jetzt von +dort, und sie schreien daß Gott das Land mit Feuer und Schwefel +ausrotten würde; warum? weil die anderen Priester auch Ferkel haben +wollen zum Backen, und Brodfrucht zum Rösten -- weil sie auch _Worte_ +eintauschen wollen gegen Körbe voll Früchte und Hühner und Schweine.« + +»Aber wie kann ich's hindern?« sagte Pomare unschlüssig -- »Ihr wilden +Männer selber habt mich in ihre Hände gegeben, mit Euerem Zorn und +Ehrgeiz, und ich _will_ mich dem Ferani nicht beugen.« + +»Und wer sagt daß Du es sollst?« rief Tati schnell -- »aber eben so +wenig der Flagge der Beretanier.« + +»Die frommen Männer künden das Wort Gottes, nicht Beretaniens,« +entgegnete Pomare. + +»Ei beim Donner, laß sie das denen sagen die es glauben!« trotzte der +Häuptling -- »ihr eigener Bauch ist ihr Gott, und die Bibel halten sie +vor, ihn zu verstecken. Waren die Häuptlinge in alten Zeiten den +Göttern oder den Priestern unterthan? und wäre der neue Gott so wenig +mächtig, daß wir vor seinen Dienern nur allein die Furcht und +Ehrfurcht haben sollten?« + +Die Königin wollte reden, aber das Wort gebrach ihr in dem Augenblick, +dem zu erwiedern, und der Häuptling fuhr mit ruhiger, ja fast bewegter +Stimme fort: + +»Ich weiß daß sie alle Deine guten Eigenschaften, aber auch all Deine +Schwächen in das Feld gerufen haben, ihnen zu dienen; Dein gutes Herz +gewann Dich ihrem Gott, Dein Stolz, das Erbtheil Deines Stammes +unterstützte sie in dem Kampf mit Deinen Feinden. -- Sieh mich nicht +so an, Pomare, ich gehörte nie dazu, und wenn auch das Blut meiner +Väter, der alten und rechtmäßigen Fürsten dieser Inseln in meinen +Adern rollt, und mich Deinem _Stamm_ gegenüberstellte, hab ich Dich +selber stets geachtet und -- verehrt; aber weh, tief im Herzen weh thut +es mir den Häuptlingsstab aus unserer Faust gerissen zu sehen, nicht +eine andere würdige Hand zu schmücken, sondern einer Schaar Fremder +zum Stock zu dienen, mit dem sie ihre Heerde zusammentreiben. Mit Zorn +und Schmerz füllt mich der Gedanke jene finsteren Priester in unserem +schönen Lande herrschen zu sehen, weil wir selber nicht einmal den +Muth hatten, uns nur einander die Hand zu reichen.« + +»Aber ihre Religion ist die des Friedens,« sagte Pomare. + +»Und ihre Worte, ihre Lehre die des Kriegs!« rief der Häuptling mit +wieder zusammengezogenen Brauen -- »was auch stehen sie zwischen uns, +wer gab ihnen das Recht zu entscheiden und zu richten in diesem Land? +-- die Bibel? -- wir haben sie jetzt selber, nicht _ihr_ Verdienst ist +es _daß_ sie hier hergekommen, wenn sie selber überhaupt Wahrheit ist, +denn die Priester beweisen aus ihr, daß sie Gott selbst gesandt. So +nimm die Zügel wieder in die Hand, Pomare, wähle die, so es gut und +redlich mit dem Lande meinen, die aber auch an dieser Küste geboren +sind, zu seinen Richtern, und hier mein Wort, meine Hand, daß Tati nie +ein Korn von Eifersucht mehr in seinem Herzen nähren und Dir treu und +ehrlich zur Seite stehen wird mit besten Kräften.« + +»Sag es ihm zu, Pomare, er meint es gut mit Dir,« bestätigte hier der +Franzose des Häuptlings Worte, die Königin aber, die schon halb +unschlüssig gestanden, und den Blick, wie im inneren Kampf an den +Boden geheftet hielt, sah plötzlich zu dem Fremden auf und sagte +finster: + +»Dein Rath, Me-re-hu, hat noch nie diesem Lande gut gethan; Du +sprichst nicht mit Tati, indem Du für ihn sprichst.« + +»Ich verstehe Euere Wortspiele nicht,« sagte der Consul unwillig, den +die Zurückweisung der Indianerin verdrossen -- »aber ich weiß daß es +Tati gut mit Dir meint, und daß ich selber in diesem Augenblick +weniger im Interesse Frankreichs als dem Deinigen spreche -- willst Du +Nichts wissen davon, so thue meinetwegen was Du nicht lassen kannst, +schreib Dir dann aber auch selber die Folgen zu.« + +»Ich habe bei dem was ich je beschloß noch nie die Folgen gefürchtet,« +sagte Pomare ruhig -- »aber was wollt Ihr daß ich thue, was ich +verhindern soll? -- Ihr sprecht Beide wild auf mich ein und macht mich +irre, anstatt mich aufzuklären.« + +»Verhindern sollst Du,« rief der Consul da, »daß Deine Leute, in +Deinem Namen die Flagge Frankreichs niederreißen und die Deinige dafür +wehen lassen.« + +»Und wessen Flagge hat das meiste Recht dazu?« frug Pomare, dem +Französischen Consul fest in's Auge sehend. + +»Das meiste Recht die Deine, allerdings,« fiel aber hier Tati ein, ehe +Mörenhout etwas darauf erwiedern konnte, »aber nicht die meiste +Gewalt, Pomare, und nicht muthwillig sollst Du Dir einen Feind +schaffen, wo Du Dir keinen Freund dafür gewinnst, Dir beizustehen.« + +»Habt Ihr das Englische Schiff gesehen?« frug Pomare rasch und mit +triumphirendem Lächeln -- »habt Ihr gesehen, wie es hier einlaufen +wollte und nur durch den Westwind und die Brandung daran verhindert +wurde? -- wißt Ihr was es bringt?« + +»Nein, so wenig wie die Mitonares,« sagte Tati unwirsch, »die +Schwarzröcke behaupten freilich es brächte mit seinen Kanonen Frieden +für diese Inseln, aber ihre Köpfe reichen auch nicht höher als die +unseren, und sie können nicht sehen was im Bauch des Schiffes liegt, +ob Frieden, ob Krieg, oder wahrscheinlicher noch volle +Gleichgültigkeit wie wir es treiben hier auf den Inseln. Was wissen +die Capitaine solcher Schiffe von der Politik unseres oder ihres +Landes, wenn sie nicht ganz besonders abgeschickt werden? so wenig wie +unsere Fischercanoes wissen, was Pomare denkt oder thut.« + +»Aber wenn die Mitonares nun doch recht hätten?« sagte Pomare, mit +einem halb triumphirenden Seitenblick auf den Französischen Consul. + +»Du zögerst hier mit solchen Vermuthungen,« rief aber dieser jetzt +ungeduldig, »bis draußen _geschehen_ ist, was wir hier verhindern +wollen; hörst Du den Lärm, das Toben Deiner frommen christlichen +Unterthanen? -- wenn die französischen Kugeln hier herüberschmettern, +wirst Du zu spät bereuen unsere Bitten nicht erhört zu haben.« + +»Nennt Ihr das bitten, wenn Ihr mit Kanonen droht?« rief unwillig +Pomare. + +»Und weisest Du uns ab?« frug Tati leise. + +»Nein Tati, nein,« sagte Pomare schnell, sich zu ihm wendend und seine +Hand ergreifend, »gehe Du nicht fort im Unmuth von hier, denn ich +fühle wie schwer es _Dir_ geworden zu mir zu kommen. Ach wenn wir +selber unter einander einig wären, wenn nicht Neid, Haß und Eifersucht +uns entzweite, wir könnten ein festes Reich bilden, selbst gegen den +stärksten Feind. Unsere Berge sind hoch, unsere Schluchten steil, und +daß unsere jungen Leute kämpfen können haben sie in früheren +Schlachten bewiesen; aber wie die Religion unsere Familien entzweite, +und den Bruder gegen den Bruder in den Kampf rief, so hat ein +Mißverständniß jetzt vielleicht auch die Stämme selber einander +entfremdet, und Pomare wird nimmer die Hand zurückstoßen, die sich ihr +_freundlich_ entgegenstreckt -- nur der Drohung kann ich nicht +weichen, vielleicht _weil_ ich eine Frau bin, und mache Du mir denn +Vorschläge, wie wir am Besten einig und friedlich zusammen stehen, +ohne aber auch dem Ferani einen Rang zu gönnen der ihm nicht gebührt, +den ich nicht von ihm gefordert habe -- unser _Beschützer_ zu sein.« + +»Der da oben im Himmel wohnt, wie auch sein Name sein mag,« sagte Tati +ernst, »weiß daß ich dem Ferani nicht seiner selbst wegen die Hand +geboten, die stolzen Mitonares trieben mich dazu; aber willst Du mit +Deinem Volk Hand in Hand gehen, so laß jetzt kein eigenmächtig tolles +Handeln den Fremden beleidigen, bis wir uns friedlich mit ihm +verstanden. Was unsere Eifersucht hier gefehlt, kann jetzt noch die +Eifersucht der beiden fremden Nationen, der Beretanis und Feranis, +wieder ausgleichen, wir haben beider Gierde gleich zu fürchten.« + +»Die Beretanis haben uns noch nie gedroht,« sagte Pomare. + +»Ich will nicht urtheilen über sie -- ich kenne sie nicht,« sagte der +Häuptling finster, »aber je mächtiger sie sind, desto mehr entfernt +haben wir uns von ihnen zu halten -- der Hai theilt keine Beute mit +dem Delphin.« + +»Ich habe nicht befohlen der Fremden Flagge niederzureißen,« sagte +Pomare nach kurzem Sinnen -- »sprich mit den Mitonares, Tati, sie +werden es nicht dulden.« + +»Die Mitonares,« sagte der Häuptling höhnisch, »und zu ihnen schickst +Du mich, Dein Reich zu regieren, vielleicht bei ihnen anzufragen, was +sie für gut finden zu thun, ob Pomare herrschen soll oder ein Priester +auf Tahiti? eher möge die Zunge hier verdorren.« + +Wilder tobender Lärm und lautes Jauchzen scholl in diesem Augenblick +zu ihnen herein, und ein Läufer der Königin, der oben über Papetee +postirt gewesen, den Lauf des fremden Schiffes zu bewachen, kam, +unterwegs schon die frohe Nachricht verbreitend, jetzt zurück, Pomaren +zu melden daß das fremde Kriegsschiff, von den Riffen frei, gewendet +habe, und nun Segel setze den Hafen, so wie der Westwind nachlasse, zu +erreichen. Zugleich aber wurden auch draußen Stimmen laut und der +ehrwürdige Mr. Rowe, von dem Bruder Brower gefolgt, öffnete, ohne +vorher eine Meldung für nöthig zu halten, rasch die Thür, auf deren +Schwelle er jedoch überrascht stehen blieb als er die beiden, seinen +Interessen so feindlichen Männer hier erblickte. + +»Pomare mag der freudigen Botschaft verzeihen,« sagte rasch gefaßt und +mit einem freundlich demüthigen Ausdruck in den Zügen, trotzdem aber +auch mit einem rasch vorübergehenden, aber doch scharfen und etwas +boshaften Seitenblick auf den Consul Frankreichs, der ehrwürdige Mr. +Rowe, indem er nach den vorn hinausführenden und jetzt verhangenen +Fenstern zeigte, »da draußen wogt und drängt ein fröhliches, +glückliches Volk, ein Volk dem heute sein bedrängter Glaube +wiedergegeben.« + +»Was giebts, was ist es?« frug die Königin schnell. + +»Einzelne wollen auf dem Englischen Kriegsschiff das wieder gewendet +hat und hier her zu steht,« fiel Bruder Brower in die Rede, »neben der +Englischen die Tahitische Flagge erkannt haben.« + +Der Königin Augen glänzten in befriedigter Eitelkeit, und ihr Blick +flog rasch von Tati auf den Consul Frankreichs hinüber, der aber nur +den Missionair scharf beobachtete und aus dessen Zügen die Wahrheit +oder versteckte List herauszulesen suchte -- es war ihm +unwahrscheinlich daß ein Englisches Kriegsschiff, noch Meilen weit vom +Hafen entfernt, die Landesflagge eines so kleinen Inselstaates neben +der eigenen Flagge hissen sollte, -- und was dann war der Zweck einer +solchen _Erfindung_? + +»_Einzelne_?« wiederholte er fragend, das Wort scharf betont, »und +darüber erheben die Kanakas draußen einen solchen Lärm, daß _Einzelne_ +irgend ein Privatsignal des Kriegsschiffes für die Tahitische Flagge +genommen haben?« + +»Das Volk begrüßt den Freund und Beschützer seines Glaubens,« +erwiederte der Geistliche, halb abgewendet von dem Consul, dem +eigentlich die Erwiederung galt -- »es weiß sich jetzt frei von jeder +Angst und Besorgniß, und hat keinen Feind weiter zu fürchten.« + +»Gott schütze es vor seinen _Freunden_!« sagte Mörenhout finster. + +»Wir können gehen, Me-re-hu!« sagte Tati, der indessen an die +verhangenen Fenster getreten war, und den Vorhang zurückgeschoben +hatte, während er nach außen deutete, »da seht.« + +Alle wandten sich dorthin, wo am Strand ein bunter Zug von Männern und +Mädchen, hie und da mit englischen Matrosen gemischt, niederwogte, +voran dem Zuge aber sprang ein halbnackter Bursche, jubelnd und +jauchzend die zerrissene Französische Flagge tragend, die er um den +Kopf schwenkte und mit wilden Gesticulationen, denen das +Beifallsgetobe der Menge nicht fehlte, eine ihrer gewöhnlichen Hymnen, +die natürlich zu Volksmelodieen geworden waren, sang, und sich nur +dazu seine eigenen Worte extemporirte. + +»Ich glaube fast daß die Leute Herrn Mörenhout suchen,« sagte der +ehrwürdige Bruder Rowe mit einem nichts weniger als ehrwürdigen +Lächeln, »ihm die Reste seines Reiches zuzustellen.« + +»Alles Blut das dieser Handlung folgt komme über Sie und Ihre +Genossen!« rief aber der Consul mit zornblitzenden Augen, und verließ +rasch das Gemach. + +Tati zögerte noch, er sah nach der Königin hinüber, aber Pomare hielt, +in Schaam und Unmuth, den Blick an den Boden geheftet, und sah nicht +zu ihm auf: da seufzte der Häuptling tief tief auf, und verließ, ohne +den Priester auch nur eines Blickes zu würdigen, langsam das Haus. Der +Prediger aber faltete die Hände, und die Augen zur Decke erhebend +begann er, ohne die Gegenwart Pomares weiter zu beachten, mit lauter +und brünstiger Stimme ein Dankgebet, des Inhalts, daß Gott die +Götzenbilder nun zerstöret hätte mit mächtiger Hand, den Feind +ausgetrieben, der seinen Namen verleugnet, und Hülfe gesandt habe +seinem Volke in der Noth, es zu erlösen von der Gefahr und frei und +glücklich zu machen in Seinem Glauben. + +Pomare unterbrach ihn mit keiner Sylbe, und während sich die mit den +Missionairen hereingekommenen Eïnanas leise und geräuschlos der Thür +zuschoben und durch dieselbe verschwanden, den lärmenden Zug draußen +mit anzusehen, der ihnen interessanter war, als das Gebet des +finsteren Mannes, stand Pomare still und regungslos und nur ihr Blick +hob sich endlich langsam und scheu zu dem Antlitz des fanatischen +trotzigen Priesters, der hier Demuth gegen Gott heuchelte, dessen +eigene Gebote der Liebe und des Friedens er eben mit Füßen getreten. + +»Wer gab den Befehl, die fremde Flagge niederzureißen?« sagte sie +endlich mit leiser, vor innerer Bewegung zitternder Stimme, als der +Betende schwieg und die Blicke nur noch wie in Verzückung an der Decke +haften ließ. + +»Der Herr,« antwortete der Geistliche mit vertrauungsvoller Stimme, +ohne den Blick zu der Fragenden niederzusenken -- »Deine Feinde sind +geworfen, Pomare, denn der Herr ist mit Dir!« + +Pomare biß sich auf die Lippen, sie rang mit sich dem Priester +gegenüber als Königin aufzutreten, den Fremden fühlen zu lassen daß er +mit der Fürstin dieses Landes spräche, in deren Zimmer er sich +gedrängt und deren Reich er nicht der Bibel, nein sich selber und +seinen Genossen unterworfen hatte; aber die alte Scheu vor dem +Uebernatürlichen, als dessen Vertreter sie die finsteren Fremden sah, +war auch selbst jetzt zu stark, und sich abwendend sagte sie nur mit +zitternder, tief erregter Stimme: + +»Gott gebe es; aber ich fürchte Ihr habt nicht gut gethan. Mein Volk +ist entzweit, mein Reich bedroht, und was bin ich selber schon, wenn +erst fremde Kriegsschiffe sich um die Oberherrschaft dieser Insel +streiten? -- Nein, nein,« rief sie rasch, als der Geistliche schon die +Hand zu neuer Rede hob, »sprich mir nicht jetzt wieder all Deine schon +so oft gehörten Klagen und Drohungen -- sage mir jetzt nicht die +Verse Deines Buchs, das Du bis auf den letzten Buchstaben auswendig +kannst; ich begreife Dich doch nicht und mein Herz ist jetzt recht +voll und schwer -- ich fürchte mir ist heute ein großes Leid +geschehen, und hättest Du mich mit Tati versöhnen lassen, es wäre +besser für Tahiti gewesen. Geh jetzt, da draußen seh' ich Deine Brüder +-- ich glaube sie wollen zu mir, aber ich will sie jetzt nicht +sprechen, die Zeit muß entscheiden ob Ihr bös gethan habt oder übel, +aber mir ist recht traurig zu Sinn. -- Geh' jetzt, sag' ich,« rief sie +entschiedener, als der geistliche Herr sich noch immer nicht abweisen +lassen wollte, und ihr Fuß stampfte zornig den Boden -- das Blut der +Pomaren gewann die Oberhand. + +»So möge Dich der Herr erleuchten,« sagte der fromme Mann, »möge Dir +seinen Frieden geben und Seine Sanftmuth und Dich erkennen lassen was +er an Dir gethan in Seiner Liebe und Herrlichkeit -- Amen.« Und mit +gefalteten Händen und vorwärts geneigtem Haupt verließ er langsam das +Gemach. Pomare aber schloß die Thür, stützte die Stirn in ihren Arm +und weinte bitterlich. + + * * * * * + +Draußen indessen hatte ein wilderes Spiel stattgefunden, als selbst +Mörenhout vermuthet; von den Missionairen war nämlich der ehrwürdige +Bruder Smith mit nach der über Papetee ausstreckenden Landzunge +gegangen, dort die Bewegungen des fremden Kriegsschiffes rascher und +deutlicher übersehen zu können. Mit einem guten Glas bewaffnet +erkannte er denn auch bald daß das Schiff plötzlich wieder beidrehte +und trotz des noch hohen Seegangs, und nur erst einmal von den Klippen +frei, wieder Segel auf Segel setzte, nicht einen Fußbreit mehr +aufzugeben, als es gezwungen war. Jedenfalls schien es nach Papetee +bestimmt, dem es auch wieder zuhielt, und neben der noch wehenden +Flagge stiegen jetzt mehre Signale auf, von denen eines allerdings der +Tahitischen Flagge glich, auf die Entfernung hier aber kaum genau +bestimmt werden konnte. + +Die Missionaire sind von je her nicht ihrer nautischen Kenntnisse +wegen berühmt gewesen, wie sie denn auch, um das Kap der guten +Hoffnung die Inseln erreichend, den Tag nicht zählten den sie auf dem +180sten Grad von Greenwich aus gen Osten segelnd, gewannen, und den +Insulanern den Sonnabend für den Sabbath brachten, wodurch später eine +heillose Confusion entstand. Ob nun Bruder Smith auch hier die +Tahitische Flagge wirklich zu erkennen glaubte, oder ob er seine +sonstigen Absichten dabei hatte den ihn umstehenden Insulanern eine, +wie er sich wohl denken konnte, freudige Nachricht mitzutheilen, kurz +von ihm zuerst ging das Gerücht aus, das Englische Kriegsschiff das +wieder auf den Hafen zu halte, zeige die Tahitischen Farben, und das +genügte natürlich, dem jauchzenden Volk die frohe Kunde zu bringen daß +die Schiffe der Beretanier ihnen beistehen würden gegen den jetzt +gebrochenen Uebermuth der Wi-Wis -- wie sie nun wieder trotzig und +lachend genannt wurden. + +Von Mund zu Mund lief die Mähr, und wie das mit allen derartigen +Gerüchten ist, wurde bald übertrieben in's Unmögliche. Nicht mehr blos +ihre Flagge, ihre Religion zu schützen gegen die Uebergriffe der +Papisten, nein auch frühere Unbilden sollte sie rächen. Die Wi-Wis +mußten jetzt das Geld wieder herausgeben, daß sie erpreßt, und Pomare +bekam von den Beretanis, als Schadenersatz, das Französische +Kriegsschiff, die ~Jeanne d'Arc~ geschenkt, die gerade im Hafen vor +Anker lag. Wie Kinder lachten und schwatzten die Insulaner +durcheinander, träumten sich ihre Lieblingsbilder herauf, am hellen +Tag und bauten sich Schlösser so bunt und farbenreich in die Luft, daß +sie die Zukunft darüber vergaßen und Vergangenheit und, überhaupt nur +gewohnt den Augenblick zu benutzen, dem nach auch handelten. + +Während ein Theil anfing eine alte Tahitische Hymne nach dem Takte +eines weit älteren Englischen Liedes »~old hundred~« abzusingen, +sprang eine andere Gruppe, in ihrer Herzensfreude selbst die Gefahr +nicht achtend von den Missionairen dabei überrascht zu werden, zu +ihrem Nationaltanz an, und der Klang der Trommel mischte sich mit dem +frommen Lied der Singenden in wunderlicher, eigenthümlicher Weise. + +Anders aber und wilder gestaltete sich die Versammlung am unteren +Theil von Papetee; etwa zweihundert Schritt von da entfernt, wo die +Französische Flagge, vor dem Hause des Consul Mörenhout, zwischen +einer kleinen Gruppe hochstämmiger Cocospalmen und über ein Dickicht +dunkelgrüner Brodfruchtbäume auswehte, hatten sich Einzelne der +Missionaire, unter ihnen Dennis und Brower, gesammelt, und sprachen +auf dem offenen Platz in lautem Gebet ihren Jubel aus über den Sieg +der Bibel gegen das Pabstthum. Viele der angesehensten Häuptlinge +standen in ihrer Nähe, unter ihnen Aonui und Teraitane, wie der noch +immer halb wilde und trotzige Fanue, und wenn Einzelne auch gern in +ihren Jubel mit einstimmten, fraß es Andere wieder am Herzen _daß_ +eben fremde Schiffe bei ihnen den Ausschlag geben sollten, und nicht +mit Unrecht sahen sie die Priester als die gerade an, die fremden +Einfluß herbeigezogen hatten ihre Privatangelegenheiten zu regeln, +ihre Gesetze zu bestimmen, und mit einem Wort, ihr Land zu regieren. + +»Auf's Neue!« rief da der ehrwürdige Bruder Dennis in seinem glühenden +Eifer für das Wohl seiner Kirche, »auf's Neue hat der Herr der +Heerschaaren seine Hand ausgestreckt über die Häupter der Gläubigen, +und er wird die zum zweiten Mal in diesen Bergen aufgerichteten Götzen +zu Boden schleudern, wie er sie das erste Mal seine Macht und +Allgewalt hat fühlen lassen. _Noch_ weht da drüben die dreifarbige +Fahne der Papisten, noch flattern die feindlichen Farben in der +scharfen Brise, aber wie der stürmische West in kurzen Stunden dem +stillen herrschenden Passat weichen wird und muß, so wird auch jenes +Schiff da, dessen weiße Segel unserer gastlichen Küste jetzt +entgegenblähen, unser Land von dem Schimpf reinigen, einer anderen +Macht zu gehorchen als der Bibel, einer andern Gewalt unterthan zu +sein, als dem Lamm Gottes und dessen unendlicher Huld.« + +»Wenn denn das Wehen jener Flagge Euch so entsetzlich härmt,« rief da +Fanue, der jetzt bis dicht hinan zu dem Betenden getreten war und mit +untergeschlagenen Armen und fest auf einander gebissenen Zähnen den +Gesticulationen des frommen begeisterten Redners zugeschaut hatte, +»ei zum Wetter, warum faßt Ihr sie nicht und werft sie zu Boden?« + +»Das ist _unsere_ Pflicht!« rief aber da, dazwischentretend, der den +Missionairen ganz ergebene Aonui -- »nur eine Pflicht der Dankbarkeit +war es, an die uns die Rede des würdigen Mannes mahnt, England nicht +durch das stolze Wehen jener Flagge länger beschimpft zu sehen.« + +»England?« rief Fanue laut und trotzig, den Häuptling mit zürnendem +Staunen betrachtend. + +»Ja England!« wiederholte aber dieser, unbekümmert um den Zorn seines +Landsmannes, »England, das uns zu Menschen gemacht, das unsere Seelen +ewiger Qual entriß, und uns die _Bibel_ sandte, die heilige Schrift, +das Buch Gottes, Freunde, das Wort von Seinem eigenen Mund diktirt. +Wir haben _Alles_ damit erlangt was wir brauchen, und in uns selber +zurückgezogen, kann die feindliche Macht unsere Körper tödten, aber +unsere Seelen sind unsterblich, und liegen außer ihrem Bereich. +Deshalb aber schon wäre es schlecht, wäre es undankbar von uns, das +Land, was uns so reich, so glorreich beschenkt, auf unserem Grund und +Boden, vor unserer Thüre beleidigt zu sehen, und im Vertrauen auf +Jehovas Schutz bin ich bereit, die stolze Flagge, die über Baals +Götzendienste weht in den Staub zu werfen.« + +»Halt Aonui!« fiel ihm hier, seinen Arm ergreifend, der schon dem +Worte die That wollte folgen lassen, der bedächtigere Teraitane in die +Rede, »das wäre voreilig und -- unvorsichtig gehandelt. Ich schütze +den Freund, wenn er abwesend ist und sich nicht selber schützen kann, +weshalb jetzt? -- England hat seinen Vertreter hier -- eine eigene +Flagge und zwei große Schiffe, und wenn es sich beleidigt glaubt, mag +es selbst die fremde Flagge niederwerfen.« + +»Und seine eigene dafür aufpflanzen, nicht wahr?« rief rasch Fanue. + +»Die Englische Flagge ist noch stets eine Flagge der Liebe und des +Friedens gewesen,« fiel hier freundlich, den Streit der Insulaner zu +beschwichtigen, der ruhigere Missionair Brower in die Rede. + +»Aber dieß ist Tahitischer Grund und Boden,« zürnte Fanue, »was würde +die Königin der Beretanis sagen, wenn wir hinüberkommen wollten in ihr +Land, und Pomares Flagge aufpflanzen, auf ihren Wällen? -- Sie würde +sagen: was wollen die fremden Männer hier in _meinem_ Land? schickt +sie fort denn ich habe selber eine Flagge.« + +»England hat uns die Bibel gebracht,« sagte aber auch Potowai, ein +anderer Häuptling, der hinzutrat, »und wenn ich je ein anderes Land +als über uns stehend anerkennen werde, so kann und soll das immer nur +England sein.« + +»Aber Brüder, liebe Brüder,« rief da Dennis in frommer Begeisterung, +»wohin verirren wir uns? -- und glaubt Ihr daß wir, Euere Lehrer, etwas +anderes wollen können als Euer Wohl? -- Handelt es sich denn hier +darum, der Englischen Flagge Euch unterthan zu machen, oder Euere +eigene von Schmach und Knechtschaft zu retten? -- wollen wir Euch denn +England unterwerfen, und nicht vielmehr Euch frei machen, im Geist und +in der Wahrheit, und keinen Zwang dulden, weder auf Euerer Seele, noch +auf Eueren Körpern, als den, den Euch Gottes Liebe selber auferlegt, +»denn mein Joch ist leicht,« sagt der Herr. Mit der Einführung aber +der fremden Baalsdiener, mit ihren Rauchpfannen und ihrem +Bilderdienst, der sich nicht halten konnte hier auf den Inseln, +zwischen den frommen Bewohnern, die ihren Gott erst einmal erkannt, +ist jene feindliche Flagge aufgerichtet, und nur erst wieder mit ihrer +Wegnahme können wir, Euere Lehrer, je wieder hoffen Eueren Geist all +jenen feindlichen Eindrücken fern zu halten, der sich jetzt in so +gewaltiger Kraft geltend macht.« + +»Nun dann werft sie selber nieder!« brummte Fanue trotzig -- »weshalb +uns dazu brauchen wollen?« + +»Das ist kein Amt der Diener Gottes!« sagte da Bruder Brower schnell +-- »wir haben es stets vermieden uns in die politischen Verhältnisse +dieses Reiches einzumischen, und werden jetzt nicht -- « + +»Das _lügst_ Du stolzer Priester,« schrie ihm aber da der Häuptling +entgegen, mit glühenden Augen den trotzig emporfahrenden Missionair +messend, während seine Freunde auf einer, die dem Geistlichen +anhängenden Eingeborenen auf der anderen Seite dazwischen traten, +Frieden zu halten unter den beiden Streitenden. + +Der beleidigte Missionair wollte im Anfang, und vielleicht auch mit +gereizter Rede etwas darauf erwiedern, Dennis aber ergriff seinen Arm +und flüsterte ihm leise einige Worte zu, und selbst wohl das +Unschickliche heftiger Worte einsehend, sagte er gleich darauf ruhig +und mit milder Stimme: + +»Herr vergieb ihm, denn er weiß nicht was er thut!« + +Eben diese Ruhe aber reizte den alten greisen Häuptling, und Aonui und +Potowai, die ihn zu besänftigen suchten, von sich werfend, rief er +laut und trotzig: + +»Rolle nur Deine Augen, und wirf Dich in den Staub vor Deinem Gott; +mache das Volk dabei glauben daß Du vom Geist erleuchtet, und Dein +Mund ein Orakel seines Willens sei -- spiele Dein Spiel, wie es Dich +freut, aber wolle nicht _Männer_ kirren mit falschem Trug. Dein Gott +hat gedonnert und geblitzt, wie es _unsere_ Götter thaten vor ihm, +aber er schleuderte seine Donnerkeile zwischen die ~feis~ in den +Bergen, und die Du seine Feinde nennst, blieben unberührt -- sollen +_wir_ unser Blut daran setzen, wo er selber seine Waffen nur im +Scherze braucht? -- _wenn_ wir die Streitaxt aufgreifen, die begraben +sein müßte für immer, wenigstens zwischen _Euch_, wäre Euere ganze +Religion nicht eine Lüge, so geschieht es für unser _Land_, nicht für +Eueren Glauben, und Gottes Zorn, ich mag über dem weder die Flagge +Beretanis noch der Feranis wehen sehen! Ihr aber« -- sich jetzt zu +seinen Landsleuten wendend, von denen Einige im stummen Entsetzen und +mit emporgehobenen Händen standen, zürnte er laut -- »ruft mich, wenn +Ihr mich braucht, nur nicht zum Singen und Beten, sondern wenn es +gilt, das Vaterland wieder rein zu fegen, von Allem was fremd und +feindlich ist, und Fanue ist Euer Mann; aber hierher taugt er +_nicht_!« und mit den Worten, den Tapamantel fester um sich ziehend, +verließ er rasch und zornigen Schrittes den Trupp. + +»Ein wilder Geist, ein unbändiger Geist, den der Herr erleuchten, und +auf ihn das Licht Seiner Gnade recht bald ausgießen möge,« sagte +Brower mit einem frommen Blick nach oben, »ich will recht warm und +brünstig für ihn beten.« + +»So Dich Dein Auge ärgert, reiß es aus!« zürnte aber Dennis, mit dem +linken Arm die Bibel, die er damit hielt, fester an sich ziehend, die +Rechte dorthin gestreckt, wo der zornige Indianer eben verschwunden +war, und die Zurückgebliebenen noch standen ihm nachzuschauen, »und +wie der dürre Feigenbaum aus dem Boden gehoben, und in's Feuer +geworfen werden muß, so sollen die Glieder dieser Kirche gerichtet +werden, die abtrünnig und dürr am Stamm stehen.« + +»Und glaubt Ihr, Brüder, daß wir Anderen eben so denken wie Fanue?« +schrie Aonui jetzt in wilder Begeisterung -- »glaubt Ihr, daß _wir_ +nicht sterben könnten für den Glauben, für den Jesus Christus vor uns +gestorben ist? -- Jene Flagge da weht feindlich auf uns herüber, +feindlich auf die Bibel, die wir als Gottes Wort erkennen, und an +_uns_ ist es, nicht an den Beretanis, das zu entfernen, das uns +störend hier in den Weg tritt. Wer nicht mit mir ist, der ist wider +mich! sagt Christus -- Aonui fürchtet keinen Gegner, so lange er für +den Herrn streitet. So wer die Bibel liebt, der folge mir!« und mit +den zuletzt wild gejubelten Worten durchbrach er die Menge, die ihm +willig Raum gab, und sich ihm auch zum großen Theil anschloß, und +eilte raschen Schrittes dem Hause des Französischen Consuls zu, in +dessen Garten, auf einer dort aufgerichteten Stange die dreifarbige +Fahne lustig in der scharfen Brise flatterte und schlug. + +Der Consul war nicht im Haus, aber zwei Männer hatten kurz vorher den +Platz von einer anderen Seite betreten, Mr. Mörenhout aufzusuchen -- +René Delavigne und der Häuptling Paofai, und standen noch an der +verschlossenen Thür unweit des Flaggenstocks, als sie den +herantosenden Lärm der Masse hörten. + +»Hallo Paofai,« sagte René zu dem Häuptling, »der Specktakel kommt +näher, und es sollte mich am Ende gar nicht wundern, wenn sie unserem +Freund Mörenhout einen, vielleicht nichts weniger als +freundschaftlichen Besuch abstatten wollten.« + +»Sie sind zu Allem fähig,« sagte der Häuptling verächtlich; »ihre +Bibel tragen sie voraus, wie wir Oro früher in die Schlacht trugen, +und dann rennen sie blind und toll hinterdrein, und singen und beten +und treiben, wer weiß was sonst noch für Unsinn -- wenn Tahiti nicht +mein Vaterland wäre, ich setzte mich noch heute in mein Canoe, und +ließ mich nach leewärts treiben soweit es dem Wind gefiele -- bin es +fast müde hier das Spielwerk bald der Missionaire, bald der Franzosen +oder Engländer zu sein.« + +»Sie kommen wahrhaftig hierher zu!« rief René jetzt, der die Worte +seines Gefährten wenig beachtet und nur dem rasch näher kommenden Lärm +gelauscht hatte; »was _können_ sie wollen?« + +»Alles was toll und unklug ist,« sagte Paofai achselzuckend -- »sie +werden das Haus stürmen wollen und die Flagge niederreißen.« + +»Die Französische Flagge?« rief René, mit rasch aufblitzendem Zorn, +»das sollen sie beim Teufel lassen, so lange _ich's_ hindern kann.« + +»Wirst's eben nicht lange hindern können, Freund,« lachte der +Insulaner -- »aber -- gern leid' ich's auch nicht.« + +»Nieder mit der Flagge! nieder mit den drei Farben!« tobte jetzt der +Haufen heran, »sie gehört auch mit zu den Götzenbildern und muß +fallen!« + +»Das wird Ernst,« rief René, »herbei Paofai!« und ohne weiter +abzuwarten ob ihm der Häuptling folge, warf er sich mit dem ihm +eigenen tollkühnen Muth allein und unbewaffnet dem jetzt gegen den +Flaggenstock anstürmenden Haufen entgegen. Paofai zögerte dabei noch +einen Augenblick -- er sah das Hoffnungslose einer Vertheidigung, +solcher Uebermacht gegenüber, und wenn er auch mit zu der Parthei +seiner Landsleute gehörte, von der ein Theil jenen Vertrag mit den +Franzosen unterschrieben, betrachtete er die Feranis eben nur als +Mittel zum Zweck, seinen eigenen Rang wieder auf den Inseln zu +erlangen, den er durch die Macht der Pomaren theilweis verloren, und +nicht etwa dem Fremden Rechte einzuräumen, die seinem Stolz gerad' +entgegenliefen. Das edle Gefühl aber, das noch in seiner Brust +schlummerte, trieb ihn auch, dem Einzelnen gegen die Masse +beizustehen, und langsamer zwar, als ihm der junge Franzose +vorangegangen, und dabei lachend mit dem Kopf schüttelnd, als ob er +wisse daß er jetzt einen unüberlegten Streich begehe, folgte er dem +Fremden zur Fahnenstange, wo er eben zeitig genug ankam Zeuge zu sein +wie René, ohne ein Wort weiter zu verlieren, den voranstürmenden Aonui +aufgriff und mit solcher Kraft gegen den ihm nächst Folgenden warf, +das Beide zurücktaumelten, und die Bibel des frommen Häuptlings Hand +entfiel. + +»Zurück!« donnerte des jungen Mannes Stimme zu gleicher Zeit -- »das +hier ist fremdes Eigenthum, und keinem von Euch ist das Recht gegeben +es anzutasten!« + +»Nieder mit dem Wi-Wi!« schrieen dagegen von hinten vor Andere, +während sich Aonui, der hier keineswegs Widerstand zu finden +erwartet, erschreckt vom Boden aufraffte, und seinem Gegner in's Auge +sah. Er hatte gar nicht daran gedacht mit irgend einem Menschen hier +in Berührung kommen zu können, und nur durch fanatischen Eifer dahin +getrieben eine Holzstange umzuwerfen, und ein Stück Zeug +herunterzuholen, wußte er noch gar nicht, ob er seinen eigenen Leib in +eine vielleicht thörichte Gefahr dabei bringen solle oder nicht. -- Wo +kam der Wi-Wi auf einmal her? + +Aber auch Paofai trat jetzt hinzu, und die Nächsten mit dem Arm +langsam von der Stange zurückschiebend, sagte er mit seiner weichen +melodischen und zugleich so klangvollen Stimme: + +»Wißt Ihr was Ihr thun wollt, Ihr Männer von Tahiti? -- Ihr wollt eine +Nation beleidigen, mit der Ihr in diesem Augenblick auf +freundschaftlichem Fuße steht; Ihr wollt Euch einen Feind machen, der +mit seinen eisernen Kugeln Euere Hütten und Palmen und Brodfruchtbäume +niederwerfen und Euch verderben kann. Seid Ihr von einem bösen Geist +besessen daß Ihr so tobt?« + +»Er hat meine Bibel niedergeworfen!« rief in diesem Augenblick Aonui +mit zornfunkelnden Augen, erst jetzt das Entsetzliche bemerkend -- +»der Wi-Wi hat die Bibel in den Schmutz geworfen.« + +»Nieder mit dem Wi-Wi, nieder mit der Flagge!« schrie und brüllte da +die Schaar wild durcheinander -- »sie haben die Bibel geschändet -- +nieder mit den Feranis und ihren Götzen -- wir wollen keinen Vertrag, +wir wollen keine Freundschaft mit ihnen!« + +»Auch gut,« brummte René vor sich hin, und ein Stück Holz aufgreifend +das dort zufällig lag, schlug er den Ersten der Hand an das Seil legen +wollte die Flagge niederzuziehen, ohne weiter einen Ruf zu thun, damit +zu Boden. Andere aber drängten nach und obgleich er, ohne Rücksicht +auf sich selbst zu nehmen, blind und wild um sich herschlug, fand er +sich doch bald von der Masse überwältigt, zu Boden geworfen, und aus +dem Weg geschleppt, während Paofai selber, der sonst so geachtete und +gefürchtete Häuptling, kaum glimpflicher behandelt wurde. + +»Fort mit Dir Paofai!« schrie eine Stimme aus der Menge, und Hände +streckten sich drohend nach ihm aus -- »Du bist ein Freund der Wi-Wis +-- Du bist auch Einer von denen die uns an sie verrathen wollen -- fort +mit Dir. Dein Platz wäre neben der Bibel und nicht neben dem Hause von +Me-re-hu, dem Feinde Tahitis -- fort mit Dir!« + +»Aonui -- _Du_ haftest mir für die Sicherheit dieser Flagge!« rief da +Paofai, den Arm des Häuptlings ergreifend, als er fühlte wie er +ebenfalls durch den andrängenden Schwarm unwiderstehlich zurückgepreßt +wurde und dem Volk den Platz räumen mußte -- »von Dir wird sie +Frankreich wieder fordern.« + +»Frankreich soll zu Grase gehen,« brummte da eine Stimme in breitem +Irisch, dicht neben dem Häuptling, und die Flaggenlinie fassend zog +unser alter Bekannter, Jim, die wehende Flagge unter dem Jubelruf und +Jauchzen der Masse, von denen gleich zehn hinzusprangen ihm zu helfen, +nieder, und im Triumph wurde die erbeutete jetzt durch die Stadt +getragen. + +Kaum senkte sich die Flagge, als ein Boot von der ~Jeanne d'Arc~ +abstieß, an Land ruderte, die Ursache zu erfahren, und dort drohte die +Corvette würde die Stadt beschießen, wenn die Flagge nicht +augenblicklich wieder gehißt und mit der üblichen Ehrensalve von +Tahitischer Seite begrüßt werde. Der Capitain des Talbot aber, dem die +Drohung hinterbracht wurde, erklärte, in dem Augenblick wo der erste +Schuß aus dem Französischen Kriegsschiff auf die Stadt fiel, +seinerseits sein Feuer auf die Corvette zu eröffnen, und der Jubel +Papetees bei dieser Erklärung überstieg alle Grenzen. + +Die Missionaire sagten gleich, während der Talbot zum Gefecht +trommelte, und Alles an Deck klar machte, Kirche an, die Indianer +tanzten, ein kleiner Theil ausgenommen, dem diese Wendung der Dinge +nicht behagte, und die Prophezeihungen der Missionaire, was Englands +Beistand betraf, schienen allerdings Wahrheit werden zu wollen; Pomare +stand nicht mehr allein, eine arme verlassene Frau, und die +Geistlichen selber, als die jedenfalls indirekte, ja vielleicht sogar +direkte Ursache dieser so zeitgemäßen Hülfe, stiegen bei dem Volk, das +sich dem Mächtigen am liebsten unterwirft, bedeutend an Achtung. + +Die angeborene Gutmüthigkeit der Insulaner ließ sie aber auch ihren +Sieg nicht weiter treiben, und René wie Paofai blieben, nur erst aus +dem Weg geschafft, vollkommen unbelästigt. Am anderen Morgen jedoch, +mit dem wieder eingetroffenen Passatwind lief, unter dem Donner der +Tahitischen, etwas mittelmäßigen Geschützstücke, und den +Begrüßungsschüssen des Talbot, die Englische Fregatte der Vindictive +ein, und der Jubel erreichte hier seinen höchsten Grad, als die +freudige Botschaft von Mund zu Mund lief, der erwartete Geistliche +Pi-ri-ta-ti (Pritchard) sei wieder mit zurückgekehrt, der ja nur +deshalb nach England gegangen war, der Königin der Beretanis ihren +Streit mit den Feranis vorzulegen und Hülfe von dort zu bringen. Und +hatte er das nicht jetzt gethan? + +Mit einem wahren Triumphgeschrei wurde er empfangen, und unter dem +Jauchzen und Jubeln, ja unter den Segensrufen Tausender an Land +geführt, so daß der Ehrwürdige Mann dadurch wirklich in nicht geringe +Verlegenheit gerieth. Weder er noch das Kriegsschiff brachte nämlich +direkt ausgesprochene Hülfe von England, sondern nur, als Geschenk, +einen Wagen für die Königin Pomare, und Zeug zu einer rothen Uniform +für ihren Gemahl, den jetzt eine Zeitlang auf Imeo gewesenen jungen +Häuptling. + +Graf Aberdeen hatte sich damit begnügt dem jungen Staat seine +freundlichen Gesinnungen zu bekunden, und die Häuptlinge erschraken +allerdings als ihnen dieß endlich begreiflich gemacht wurde. Pomare +schloß sich einen ganzen Tag in ihr Haus ein, denn eine neue +Besitzergreifung Tahitis durch die Franzosen war nun allerdings nicht +unmöglich, und ihre Sicherheit ihnen keineswegs gewährleistet worden. +Was aber kümmerte das das Volk, die fröhlichen, gutmüthigen Kinder +dieser Inseln? Für den Augenblick waren sie jeder weiteren +Unannehmlichkeit überhoben, für den Augenblick lagen die Englischen +Kriegsschiffe drohend und ihnen Schutz gewährend in ihrer Bai, und +ihre Königin konnte in dem wunderlichsten Ding spatzieren fahren, das +ihre kühnste Phantasie sich je gedacht -- das Uebrige brachte die Zeit +-- weshalb sich vorher grämen? und die Predigten ihrer Geistlichen +bestärkten sie bald in der frohen Hoffnung daß kein Franzose es je +wieder wagen würde ihre Rechte anzutasten, ihre Religion ihnen zu +nehmen, oder sie mit seinen Kanonen zu zwingen seinem Willen Folge zu +leisten; was wollten sie mehr. + +FOOTNOTES: + +[F] Das westliche Ufer dieser Inseln wird stets das Leeufer genannt, +da der Wind, mit nur seltenen Ausnahmen, immer von Osten kommt. + +[G] Missionair Bingham spricht mit besonderer Ehrfurcht von dem +würdigen ~»Matriarchen« Kaahumanu~, der Gattin Kamehamea des Ersten -- +eine Frau von beinah dreihundert Pfund Gewicht. + + + + +Capitel 6. + +#Ein Ball in Papetee.# + + +Es läßt sich denken, in welche Aufregung die kleine Colonie durch die +erst beschriebenen Vorfälle gebracht wurde, denn während die +Insulaner, viel zu sehr dem Frieden geneigt, bei weitem in der +Majorität den Engländern zuhielten, und eine neue Religion wie ein +neues Regiment schon deshalb fürchteten, als es wieder auf's Neue eine +Umwälzung in ihren kaum regulirten Sitten und Gebräuchen hervorrufen +mußte, bestand der größte Theil der in Papetee selber angesiedelten +Fremden aus Franzosen, und deren heißes Blut revoltirte in Feuer und +Flamme gegen einen Zwang, der ihnen plötzlich aufgelegt werden sollte, +und um so drückender war, da sie die Hoffnung nicht einen Augenblick +aufgaben, durch das nächst einkommende Kriegsschiff -- und die von den +Insulanern so gefürchtete ~Reine blanche~ kreuzte in diesen Gewässern +-- das ganze, durch die Missionaire jetzt nur künstlich aufgebaute +System wieder umgeworfen zu sehen. + +Es versteht sich übrigens von selbst, daß während dieser Zeit der von +~Du Petit Thouars~ allerdings nicht ganz auf rechtlichem Wege +hergestellte und von den Häuptlingen gezeichnete Vertrag, zu dessen +Unterschrift man selbst Pomare zwang, nicht allein nicht mehr +beachtet, sondern vollständig anullirt wurde. Frei und offen predigten +die Protestanten gegen das Pabstthum und die beabsichtigte Occupation +der Franzosen, und die Römischen Priester, die ihre Kapelle auf einem +kleinen reizenden Hügel in Mativaibai errichtet hatten, konnten sich +in dieser Zeit nur auf einen sehr kleinen Kreis ihnen ergebener oder +doch wenigstens nicht feindlich gesinnter Insulaner verlassen. Im +Allgemeinen fürchteten die Indianer den Platz, der in seinen +Ceremonieen etwas Geheimnißvolles für sie hatte, und ihnen von ihren +Geistlichen in solchen Farben geschildert war, daß sie sich scheuten +ihn nach Dunkelwerden zu passiren. Ja sie würden ihn zerstört und jene +Priester wieder gewaltsam von dort vertrieben haben, hätten nicht Mr. +Nelson vorzüglich wie auch die Brüder Smith, Brower und Mc. Kean ihr +Möglichstes gethan sie von einem so unüberlegten und bösen Schritt +zurückzuhalten, zu dem sie der Feuereifer des frommen Dennis, wie der +unersättliche Ehrgeiz Rowes unaufhaltsam trieben. + +Der Französische Theil der Bewohner hielt sich indessen vollkommen +ruhig, und wenn auch Consul Mörenhout, in dem Gefühl seiner +beleidigten Würde, im Anfang René antreiben wollte der +Gewaltthätigkeit wegen Klage auf Schadenersatz einzureichen, die er, +bei Vertheidigung der Französischen Flagge gelitten, weigerte sich +dieser auf das Bestimmteste dagegen. + +»Ich bin von den Indianern freundlich aufgenommen,« sagte er, »und +wäre der Letzte einer einfachen Schlägerei wegen, bei der ich eben so +viel, vielleicht mehr, ausgetheilt habe als bekommen, neuen Grund zu +Streitigkeiten und Ursache zu späteren Forderungen meiner Landsleute +zu geben. Ich hätte gescheuter sein sollen als mich in Sachen zu +mengen die mich Nichts angehen.« + +Die Franzosen in Papetee waren damit nicht ganz einverstanden -- sie +wollten vor allen Dingen wieder neue Haltpunkte für unter Englischem +Einfluß ausgeübten Uebergriffe, und auch die Eingeborenen schienen +mißtrauisch gegen den Fremden geworden zu sein, den sie, als den +Gatten einer ihrer eingeborenen Mädchen, und in dem früheren Hause +des alten Mr. Osborne wohnend, schon gewissermaßen als einen der +ihrigen, gar nicht mehr als einen Wi-Wi betrachtet hatten, und der +doch jetzt feindlich und gewaltthätig gegen sie aufgetreten war. Das +so sehr freundliche Verhältniß, in dem er bis dahin mit ihnen +gestanden, schien jedenfalls gelockert, wenn auch nicht ganz gelöst. + +René hatte aber viel zu guten und leichten Muth, sich etwas derartiges +groß zu Herzen zu nehmen; wie er auf der einen Seite fest gegen seine +Landsleute blieb, und sich auf der anderen nichts Böses gegen die +Insulaner bewußt war, verkehrte er nach wie vor mit beiden Theilen, +und wußte sie beide wieder für sich zu gewinnen. Solche kleine +Neckereien und Mißverständnisse dienten aber keineswegs dazu, ihn +manches Andere was ihm störend in den Weg trat, übersehen zu lassen, +und nur die Heimath, seine Sadie, sein kleines herziges Mädchen +konnten ihm manchmal ganz jenen frohen fast wilden Uebermuth +wiedergeben, mit dem er sich einem drückenden Verhältniß damals +entzogen, und einem neuen Leben förmlich in die Arme geworfen hatte. + +Nichts destoweniger blieb das gesellschaftliche Leben der Inseln unter +den verschiedenen und so wenigen Franzosen, ein höchst +freundschaftliches; eigene Interessen, ja eigene Gefahr verband die +Leute auch schon fester mit einander, als es irgend etwas anderes im +Stande gewesen wäre zu thun, und das leichte französische Blut schwamm +überhaupt oben auf. + +Besonders viel trug hierzu die Belardsche Familie bei, die sich +wirklich unendliche und anerkennenswerthe Mühe gab in Papetee einen +freundschaftlichen Ton zu erhalten, ja eigentlich erst zu schaffen, wo +schon die Mischung der verschiedenen Racen etwas derartiges unendlich +schwierig machte. Die Europäer hatten meistens all ihre alten +Gewohnheiten, aber auch ihre Vorurtheile herübergebracht in eine ganz +neue Welt, in die weder die einen, noch die anderen passen wollten, +und konnten nur durch unermüdliche Ausdauer Einzelner, die sich der +letzteren wenigstens entledigt hatten, dazu gebracht werden sich +gemeinschaftlich zu amüsiren -- man wollte weiter Nichts von ihnen. + +Ein wirkliches Hinderniß aber für größere Gesellschaften blieb der +Mangel an Europäischen oder vielmehr weißen Damen, von denen sich nur +sehr wenige auf der Insel befanden, und zu einem wirklich +gesellschaftlichen Leben doch unumgänglich nöthig, ja unentbehrlich +waren. Mit den eingeborenen und mit Europäern fast durchschnittlich +nur »oberflächlich getrauten« Frauen konnte man auch in solcher Art +nicht gut verkehren; die Indianerinnen waren hübsch und lebendig, auch +gutmüthig und liebenswürdig, paßten aber nirgends weniger hin als in +Gesellschaft gebildeter _Frauen_, während mit der Protestantischen +Bevölkerung, die in dieser Hinsicht fast nur aus den Familien der +Missionaire bestand, ein näherer Verkehr ganz außer Frage blieb. +Selbst den feindlichen Stand abgerechnet, den diese beiden Theile der +Gesellschaft gegenwärtig einnahmen, hätten sie sich nie in dieser +Beziehung vereinigen können, da die strengen orthodoxen Geistlichen +jede Art von Spiel und Tanz schon als eine Sünde des Fleisches gegen +den Geist ansahen, nur in ihrer zurückgezogen ernst gehaltenen +Lebensart den Pfad zum Himmel zu finden glaubten, und von den, darin +viel zuversichtlicheren Franzosen häufig verspottet, aber gewiß nie +aufgesucht wurden. + +Nun lag diesen aber auch daran den Eingeborenen sowohl, wie vorzüglich +den Missionairen zu beweisen, daß sie keineswegs durch die im +Englischen Interesse geschehenen Schritte eingeschüchtert, sondern im +Gegentheil noch voll frischen Muthes wären, und noch mochten kaum +vierzehn Tage nach den vorherbeschriebenen Vorfällen vergangen sein, +als Mrs. Belard, von ihren Landsleuten dabei unterstützt, fest darauf +bestand, allen politischen wie gesellschaftlichen Hindernissen zum +Trotz, einen _Ball_ zu geben, und allerdings blieb ihr dabei Nichts +übrig, als sich über das, wogegen sie sich lange gesträubt, +wegzusetzen und eingeborene Frauen, von denen man sich ja die +geachtetsten aussuchen konnte, wirklich mit dazu zu ziehen; wenn auch +der Ball dadurch einen etwas wilden Charakter bekam. + +Aber die Missionaire traten ihnen selbst hierbei störend in den Weg, +denn diese hatten zu großen Einfluß auf den wirklich anständigen Theil +der weiblichen Bevölkerung Tahitis, auf die Frauen und Töchter der +ersten Häuptlinge, denen der Tanz als etwas rein sündliches, von ihren +finsteren Lehrern streng verboten und mit strengeren Strafen, wo sie +im Stande waren die in Kraft treten zu lassen, belegt war. Selbst +Sadie fürchtete nicht allein den Unwillen der Geistlichen zu erregen, +sondern ihr religiöser Sinn, vielleicht mit einer Art Scheu vor den +fremden Menschen verbunden, hielt sie zurück selbst von dem Gedanken +an solche Vergnügungen. + +René wollte sich aber daran nicht binden, doch erst als Sadie sah und +fühlte, daß sie ihm mit einer längeren Weigerung weh thun, ja +vielleicht auch Unfrieden im Hause anstiften würde, fügte sie sich +endlich seinem Wunsch; aber das Herz schlug ihr dabei, als sie ihm +ihre Einwilligung gab, und es war, als ob sie eine unrechte Handlung +begehen solle. Aengstlich suchte sie dabei nach Entschuldigungen für +ihre Zusage, und ihr gutes Herz ließ sie deren bald genug finden. René +war ja doch nun einmal Europäer und er mußte gewiß gern bei seinen +Landsleuten sein -- wußte Sadie doch selber wie glücklich es sie +machte, manchmal einen Bewohner von Atiu bei sich zu sehen, und das +lag doch nur solch kleine kleine Strecke von Tahiti entfernt, und die +Feranis wohnten so entsetzlich weit, sollte sie da die Ursache sein, +die ihn zurückhielt? + +Bei Brouards war sie deshalb auch schon, und bei Belards einmal mit +René gewesen; nur noch nicht bei Mrs. Noughton, der Amerikanerin, +deren kalt abstoßendes Benehmen ihrem ganzen Wesen weh that; auch René +fühlte kein Bedürfniß die Leute aufzusuchen, wenn ihn nicht gerade +eine Geschäftssache in ihr Haus führte. + +Trotz allen ihnen in den Weg gelegten Hindernissen wußten Belards +jedoch jede Schwierigkeit zu überwinden -- die Franzosen wollten +tanzen, und es bedurfte stärkerer Sachen als der Predigt eines +Missionairs, sie daran zu verhindern. Mr. Belard gab deshalb einen +Ball, und alle Franzosen Papetees wie die Officiere der noch im Hafen +liegenden ~Jeanne d'Arc~ waren eingeladen. + +Sadie fürchtete sich vor dem Abend, sie wußte selbst nicht warum, +aber sie durfte sich nicht weigern zu gehen, denn erstlich hatte +selbst Mr. Nelson seine Einwilligung gegeben, daß sie wenigstens Theil +an der Gesellschaft nehmen dürfe, und dann war sogar Lefevre mit +Aumama eingeladen -- Monsieur Belard _mußte_ Damen zum Tanzen haben -- +sie konnte sich da nicht ausschließen, _durfte_ René nicht so kränken. + +Der Vorbereitungen bedurfte es dabei nicht viele -- ihre Tracht, wenn +auch nach Europäischem Schnitt, war so schlicht und einfach wie nur +möglich, und frische Blumen im Haar schmückten das liebreizende +Antlitz der jungen Frau schöner als es Diamanten und Perlen vermocht +hätten -- vielleicht wußte sie das auch. + +Monsieur Belard wohnte in einem reizenden kleinen Gartenhaus in der +~Broomroad~, der nächsten Querstraße vom Strand ab, tief versteckt +zwischen breitblättrigen Brodfrucht und Papayas, von Palmen das Dach +überrauscht, und den Vorhof dicht bepflanzt mit Orangen und Bananen, +des Schattens wegen. Das Haus selber war leicht und luftig gebaut, +hatte aber doch schon Glasfenster und grüne Jalousieen, mit breiter +hoher Verandah und einen ziemlich großen bequemen Saal, der zu dem +heutigen Feste mit Blumen und Palmzweigen ganz einfach, aber höchst +geschmackvoll decorirt war. Wunderlich stachen dagegen freilich +einzelne Stücken aus einer civilisirten Welt ab, die ihren Weg nach +der Südsee gefunden, und zu den einfach hölzernen Wänden und der +tropischen Vegetation nicht so recht passen wollten. Auch die Meublen +waren zusammengewürfelt, wie Glück und Zufall einzelne Stücke nach +diesem entlegenen Theil der Welt herübergeführt, oder auch schon des +Tischlers Hand in neuerer Zeit sie aus einheimischem Holze gefertigt +hatte. So stand auf einer gelbgebeitzten Kommode eine Alabasteruhr +zwischen Manila Perlmuttermuscheln und blank polirten Zähnen der +Spermacetifische -- einen kleinen Mahagoni-Eckschrank schmückten ein +paar allerliebste französische Porcellanvasen voll duftender +Orangenblüthen, und längs der einen Wand standen zwei vortrefflich +gepolsterte und mit Damast überzogene Sophas, mit denen wieder ein +schmaler und langer, von Tannenholz aufgeschlagener Tisch nicht +harmoniren wollte, der die eine Ecke füllte, aber mit den kostbarsten +Produkten dieses an Früchten erfüllten Landes bedeckt war. + +Doch wunderlicher und bunter als die Geräthschaften war die +Gesellschaft selbst gemischt. + +Der wirklich gebildete Kreis von Bekannten reichte nämlich zu einem +solchen Fest nicht aus, die Linie mußte weiter gezogen werden und in +so engen Raum beschränkt auf der kleinen Insel, war man nicht einmal +im Stande noch unter den Wenigen die sich hier befanden, auszuscheiden +-- es müßten denn _sehr_ triftige Gründe dazu vorgelegen haben. Alles +deshalb, was nur einigermaßen auf Bildung Anspruch machte und aus dem +Mutterland oder überhaupt der civilisirten Welt stammte, die +protestantische Geistlichkeit ausgenommen, _war_ eingeladen, und die +kleine Villa versammelte in den eigenthümlichsten Trachten dabei, ein +so wunderlich gemischtes Völkchen wie sich wohl noch je, seit Papetee +stand, auf einem so kleinen Raum zusammengefunden hatte. + +Als René mit Sadie den Saal betrat, wo sie Mad. Belard in ihrer +lebendigen aber doch herzlichen Weise empfing, waren eben die +Officiere der ~Jeanne d'Arc~ eingetroffen. Das Vorstellen ging rasch +und ungezwungen genug vorüber; René hatte schon einige von diesen +vorher kennen gelernt und wurde auf das freundlichste von ihnen +begrüßt. + +Madame Brouard war noch nicht erschienen, und da Mad. Belard +anderweitig und in der That überall in Anspruch genommen wurde, und +René viel mit den Officieren zu sprechen hatte, blieb Sadie allein, +und sah sich eben etwas verlegen nach irgend einem Bekannten um, nicht +so ganz verlassen in dem fremden Zimmer zu stehen, als Mr. und Mrs. +Noughton den Saal betraten, und nach der üblichen Einführung an Sadie +vorüber gehen wollten. + +Mrs. Noughton wandte den Kopf nach der andern Seite und sah Sadie +nicht, und die arme kleine Frau stand einen Augenblick schüchtern und +unschlüssig da, ob sie die, stets etwas kalt gegen sie gewesene Fremde +anreden solle oder nicht; aber René ging gerade mit zweien der +Officiere den Saal hinunter und ließ sie da _ganz_ allein. + +»Madame Noughton,« sagte sie leise, und berührte mit ihrer +Fingerspitze den Arm der jetzt dicht an ihr Vorbeigehenden. + +Mrs. Noughton drehte langsam den Kopf nach ihr um und sah sie an. + +»Ich freue mich Sie auch hier zu treffen,« sagte Sadie. + +Mrs. Noughton neigte höflich das Haupt gegen sie, Mr. Noughton machte +eine etwas steife Verbeugung, und die beiden Gatten gingen, ohne +weiter ein Wort mit ihr zu wechseln, vorbei, dem andern Ende des +Saales zu. + +Sadie stand wie in den Boden gewurzelt, und das Herz schlug ihr +ängstlich und verlassen in der Brust. + +»Sie haben Dich gar nicht erkannt in den fremden Kleidern,« murmelte +sie endlich leise und halb lächelnd vor sich hin -- »sie haben +geglaubt es wäre Jemand ganz Anderes, Fremdes -- oder -- « das Blut +stieg ihr in vollem Strome in die Schläfe und von da zum Herzen +zurück, und sie hätte in diesem Augenblick Gott weiß was darum gegeben +zu Hause, bei ihrer kleinen Sadie sein und die fremde kalte +Gesellschaft verlassen zu können. Aber das ging nicht, und als sie +sich, wieder etwas mehr gefaßt, nun im Saale umschaute, sah sie wie +Mr. und Mrs. Noughton ganz allein und steif auf zwei Stühlen saßen und +Jedes starr vor sich niedersahen. In diesem Augenblick begann das in +dem Nebenzimmer aufgestellte und von der ~Jeanne d'Arc~ mit +herübergebrachte Musikcorps seine fröhlichen Weisen zu spielen; mehr +und mehr Gäste traten zugleich in den Saal, unter ihnen mehre bekannte +Gesichter -- eine Hand legte sich ihr plötzlich auf die Schulter -- es +war Aumama, die ihr lachend in's Auge schaute, und der trübe Schatten +der sich eben angefangen über Sadies Seele zu legen, wich dem ersten +freundlichen Eindruck der ihr entgegen trat. + +»Was sitzen die Beiden da drüben so ganz allein und steif?« flüsterte +dabei Aumama, die bemerkt hatte daß Sadie nach ihnen hinüberschaute. +»Segne mich, wie still und ehrbar sie sind, als ob sie in der Kirche +wären -- Mr. Aue könnte nicht steifer sitzen.« + +Sadie lächelte, aber sie wandte den Kopf ab von der Gruppe -- es war +ihr als ob sich die beiden Leute nur so steif und abgeschlossen dort +hinten hingesetzt hätten, nicht mit ihr zu sprechen -- und was hatte +sie ihnen gethan? -- »Und Aumama, Du bist auch hierhergekommen zu den +Fremden?« sagte sie endlich leise -- »ich glaubte Du fühltest Dich +nicht wohl zwischen ihnen?« -- + +»Nein, das thu' ich auch nicht,« erwiederte rasch und flüsternd die +junge Frau -- »ich habe zu Hause geweint und gezankt -- ich wollte +fort bleiben, aber Lefevre -- « sie wandte den Kopf ab und schwieg, und +setzte endlich langsam hinzu -- »es ging nicht anders.« + +»Ich wäre auch lieber daheim geblieben,« sagte Sadie treuherzig. + +»Und ich weiß nicht,« fuhr Aumama, auf sich selber niedersehend fort, +»mir ist meine Tracht bis jetzt noch nie aufgefallen, ja im Gegentheil +hab' ich das lange weite Oberkleid oft weit eher für überflüssig +gehalten, nur heute -- « und sie schaute halb verlegen umher -- »komme +ich mir hier so sonderbar so fremd selber und unbedeutend vor, als ob +ich nicht hergehöre zwischen die geputzten Leute -- sie mit allem um +sich hergehangen was nur die fremden Kaufleute in ihren Läden haben, +ich barfuß und nicht einmal ihre Sprache redend. Ob ihnen denn auch +wohl so zu Muth gewesen ist, als sie zuerst unser Land betreten? Bei +Dir ist es wohl anders -- Du hast Dich schon ganz ihrer Tracht +angepaßt.« + +»Wohl ist mir's auch nicht darin,« sagte Sadie kopfschüttelnd, »aber +ich fühle daß es nun einmal nicht anders geht; vielleicht fügst Du +Dich auch hinein.« + +»Nein,« erwiederte Aumama rasch -- »nie im Leben; je mehr ich mit den +Fremden in Berührung komme, desto mehr fühl' ich daß wir nicht für +einander gemacht sind. Sie sind stolz dabei, und worauf? -- sie tragen +Schuhe, weil sie nicht mit ihren unbehülflichen dünnen Sohlen unsere +Korallen betreten können -- ich hab' es neulich gesehen, wie sich die +Frauen badeten und nicht einen Schritt auf dem scharfen Boden zu thun +vermochten. Also deshalb stecken sie die Füße in solche Hülsen, und +soll ich dann mich schämen daß ich sie nicht trage, weil ich da eben +gehen kann, wo sie es nicht im Stande sind?« + +»Und doch thust Du es,« sagte Sadie lächelnd. + +»Weil wir eben Thörinnen sind, und das Fremde höher achten wie unsere +eigenen heimischen Sitten. -- Aber sieh was für goldblitzende Kleider +die Feranis von dem Schiff draußen tragen,« unterbrach sie sich jetzt +selber, als ihr die blitzenden Uniformen der Officiere des +Kriegsschiffs in's Auge fielen. »Und das sind doch nun auch Christen, +Sadie, und gute Menschen vielleicht und tragen so bunten Staat, und +uns verbieten die Mitonares jeden Schmuck. + +»Wir wissen auch nicht ob es nicht sündhaft ist so eitel Gold und Putz +zu tragen,« sagte leise Sadie -- »wenigstens nicht wenn wir zu Gottes +Altar gehn -- die Männer dort beten vielleicht nie, da können sie dann +freilich tragen was sie wollen. Aber sie drehen wieder hierher um, und +dort kommt auch Mad. Belard -- sie ist die freundlichste von allen +fremden Frauen.« + +Das Gespräch der beiden Frauen wurde hier unterbrochen, und in der +That betraten auch jetzt rasch nach einander mehre andere Gäste den +Saal, von denen Einige, ebenfalls mit eingeborenen Frauen, die beiden +Freundinnen herzlich begrüßten, und jedes weitere Gespräch zwischen +ihnen unterbrachen. + +Und was für bunte Gesellschaft war da versammelt. + +Die Officiere der Corvette erschienen natürlich in ihrer Uniform, und +Mr. Noughton, Mr. Belard und Brouard wie René und einige Andere waren +in schwarzem Frack, wie überhaupt in dem Europäischen Ballcostüm +gekommen. Das besonders kam übrigens den inländischen Frauen und +Mädchen wunderlich vor, und sobald es nur heimlicher Weise geschehen +konnte, kicherten und flüsterten sie nicht wenig darüber. + +Ein großer Theil der anderen Gäste ging jedoch in die leichte und +bequeme Tracht gekleidet, die das Klima eigentlich bedingt und +fordert; helle Sommerstoffe, weit und luftig gearbeitet und den +Gliedern vor allen Dingen Freiheit der Bewegung lassend. Strenge +Etikette konnte überhaupt an einem Ort nicht stattfinden, wo diese +schon zwei Dritttheile des schönen Geschlechts unrettbar +ausgeschlossen hätte, und mehr als zwei Dritttheile gehörten der +eingeborenen Race an, die nur zum Theil hatte bewogen werden können +Schuhe und Strümpfe anzuziehen, sonst aber nur über dem ~pareu~ das +weite loose Obergewand, und darunter die nackten Füße trug. + +Aumama bildete den Typus dieser, aus den schönsten Mädchen jenes +wunderschönen Stammes ausgewählten Schaar. Der Pareu den sie trug +bestand aus einem halbseidenen mattgrünen mit tiefrothen Fäden +durchzogenen und gemusterten Stoff, in der That nur ein einfaches +Stück Zeug, das um die Lenden geschlagen und an der linken Seite +eingesteckt wurde; über dieses aber trug sie das, erst durch die +Europäer und wahrscheinlich durch die Missionaire eingeführte +Obergewand, das vorn offen, und mit langen Aermeln an den Handgelenken +geknöpft, bis etwas über die Knie herunterfiel, und aus feinem +französischem Stoff bestand, der durch einen rothseidenen dünnen +Chinesischen Shawl im Gürtel zusammengehalten wurde, und die Formen +des Körpers mehr verrieth als verhüllte. Durch das schwarze lockige +und seidenweiche, mit wohlriechendem Cocosnußöl getränkte Haar wand +sich ihr, von Orangenblüthen durchflochten, das Gewebe eines reizenden +grünen und rothen Schlinggewächses, und die goldenen Ohrringe waren +fast von den darüber niederhängenden Knospen des ~cape Jasmin~ +überdeckt. Aumama, die Behende, wie sie in der bilderreichen Sprache +ihres Landes hieß, war eine der schönsten Frauen der Insel, und wie +bei den meisten ihres Alters, stand ihr die etwas dunklere Hautfarbe +nur zu ihrem Vortheil, während die großen lichtklaren und doch so +tiefschwarzen Augen Diamanten gleich, rein und feurig über den von +zartem Roth angehauchten, lichtbronzenen Wangen glühten. + +Mehrere andere Indianerinnen waren ähnlich wie Aumama gekleidet, +wenigstens mit demselben Schnitt des Gewandes und ähnlichen Stoffen, +die Capitaine von Wallfischfängern in letzterer Zeit auf Speculation, +theils von Frankreich, Deutschland oder England mitgebracht. Zwei der +Frauen nur hatten sich so weit civilisirt, Strümpfe und Schuhe zu +tragen; aber die neue Tracht saß ihnen nicht bequem, sie scharrten +beim Gehen fortwährend mit den Füßen; sie waren noch nicht gewohnt +diese hoch genug zu heben die Sohlen auch frei vom Boden zu bringen, +und die Strumpfbänder mochten sie auch wohl drücken, denn wie sie sich +nur unbemerkt glaubten, faßten sie da hinunter den, solchen Zwanges +ungewohnten Blutgefäßen Luft zu geben. + +Sadie vielleicht allein von allen übrigen eingeborenen Mädchen schien +sich in die fremde Tracht vollkommen gut gefunden zu haben, und +bewegte sich mit solcher Leichtigkeit darin, als ob sie von Jugend auf +daran gewöhnt gewesen wäre. Nichts desto weniger ging sie fast so +einfach gekleidet als ihre früheren Gespielinnen, in einem schlichten +Oberkleid von ungebleichter Seide, die rothe Schärpe ebenso geknüpft +wie Aumama, nur anders den Schnitt des Kleides selbst, das bis auf die +Knöchel hinunterging und die niedlichen in weißen Strümpfen und feinen +dünnen Lederschuhen steckenden Füße eben sichtbar werden ließ. In den +Haaren trug sie einen zierlich geflochtenen Kranz von Mandelblüthen, +und um den Hals eine einfache Schnur rother Korallen. + +Von den Officieren der ~Jeanne d'Arc~ waren bis jetzt nur der Capitain +mit dem ersten Lieutenant und einigen Seecadetten anwesend; der zweite +Lieutenant, den Geschäfte länger an Bord hielten, wie mehre andere +Marine-Officiere wurden aber auch noch erwartet, und René ging eben +mit dem Capitain der Corvette, mit dem er schon vor einiger Zeit +bekannt und gewissermaßen befreundet geworden, im Saal auf und ab, als +Monsieur Bertrand, der Name des Seconde-Lieutenants erschien und +augenblicklich auf den Capitain zuging, ihm irgend eine Meldung zu +machen. René trat ein paar Schritte abseits, den Rapport, der +vielleicht geheim war, nicht zu überhören, aber sein Auge haftete +unwillkürlich auf dem jungen Mann, dessen Züge ihm so bekannt +vorkamen, und dessen er sich doch, trotz alle dem nicht deutlicher +erinnern konnte. + +In diesem Augenblick drehten sich die Officiere nach ihm um, und der +Capitain war eben im Begriff die jungen Leute einander vorzustellen, +als Beide auch fast zu gleicher Zeit, »Delavigne«, »Bertrand« riefen +und einander fest umschlangen und küßten. + +Schulkameraden waren es aus frühster Jugendzeit, und es läßt sich +denken, mit welchem Jubel sie Beide hier, fast bei den Antipoden, die +Erinnerung an die Heimath, an das Vaterland, nach so vieljähriger +Abwesenheit begrüßten. + +Wir mögen uns losgerissen haben von Allem was uns einst lieb und +theuer gewesen, zerrissen mag das Band sein, das uns an die +verlassene Küste, wo unsere Wiege gestanden, fesselte; gleichgültig +hören wir wohl von fremden Menschen darüber sprechen, hören selbst +ungerührt den Ort nennen der unserer Kinderspiele Zeuge war, Zeuge der +heranwachsenden Kraft. Im Herzen zittert's und zuckt's dann vielleicht +nur ein wenig; lang verklungene Saiten wurden berührt, und sie +_wollten_ rauschen in der alten Weise, als sich noch eben zeitig genug +die Hand des Menschen stark und kräftig darauf legte, und sie +verstummen machte mit dem festen Willen. Unsere Nerven mögen von Eisen +sein, und das Unglaubliche ertragen, aber laß ein Bild selber +auftauchen aus jener Zeit, laß uns die Züge wieder vor uns sehen, mit +denen wir Freud und Leid getheilt, denen wir unsere Lust und Seligkeit +entgegenjubelten, denen wir den ersten Schmerz klagten und uns +ausweinten an seiner Brust, und die Hülle springt, die unsere Brust +umschloß, die erstarrte Thräne schmilzt und das Heimweh rüttelt zum +ersten Mal an den Stäben unserer Herzenskammer, und streckt die +scharfe entsetzliche Kralle aus nach dem Heiligthum, das wir von da an +wahren müssen wie unseren Augapfel, wenn sie nicht Halt gewinnen soll +daran, zu unserem Leid. + +Die beiden jungen Leute schienen auch in der That Alles um sich her +vergessen zu haben, in dem einen seligen Gefühl des Wiederfindens, +nach so langer, langer Zeit, hätte sie nicht des Capitains Stimme +wieder zu sich selbst und dem Bewußtsein des Platzes gebracht, an dem +sie sich befanden. + +»Hallo,« lachte dieser, »wie mir scheint mag ich da die Introduction +sparen, denn die Herren sind jedenfalls genauer mit einander bekannt, +wie ich vermuthen durfte.« + +»Das in der That,« sagte Bertrand, der sich überhaupt auch zuerst von +den Beiden wieder sammelte, indem er des Freundes Hand ergriff und +fest in der seinen hielt -- »nicht hoffen konnt' ich, hier an der +fremden Küste einen so alten lieben Jugendgefährten, ja Spielkameraden +aus der Knabenzeit zu treffen, und die Ueberraschung ist um so größer, +je größer die Freude ist.« + +»~Eh bien~, Bertrand, dann unterhalten sie auch Ihren Freund ein +wenig,« sagte der Capitain, »aber vergessen Sie nicht um 11 Uhr -- +bekommen Sie vorher Nachricht wenn er etwa noch bis dahin eingefangen +sein sollte?« + +»Ich erwarte den Führer der Patrouille selber hier, sobald er +zurückkehrt.« + +»Um so viel besser -- aber da drüben sehe ich ein paar Damen +eintreten, denen ich guten Abend sagen muß -- ich werde Sie nachher +bitten mir das Nähere dieses freudigen Wiedersehens mitzutheilen« -- +und mit einer leichten und freundlichen Verbeugung verließ er die +jungen Leute, die jetzt Arm in Arm, kaum noch ihrer Umgebung bewußt, +an eines der Fenster traten, dort erst dem ersten glücklichen Gefühl +des Wiedersehens auch Worte zu leihen. + +»Und so halt ich Dich denn wieder, René, nach so langer Trennung, Dich +den Flüchtigen eigentlich, der uns unter den Augen fort entschwand, +und keinem Freundesruf achten wollte der ihn zurückhalten sollte mit +seinem wilden ungestümen Sinn. Und wo hast Du Dich nun so lange +herumgetrieben? Mensch Du bist braun geworden wie ein Indianer.« + +»Ich weiß nicht wo ich da anfangen soll zu erzählen,« sagte René, dem +Blick in herzlicher Liebe begegnend, den jener fest auf ihn geheftet +hielt, »und wahrlich, ich hatte es schon fast aufgegeben je im Leben +einen Freund von über dem Wasser drüben wieder zu finden in der +fremden Welt. Die Zeit die ich hier verlebt, dünkt mich in diesem +Augenblick so entsetzlich lang, und ist mir doch auch wieder so rasch +so unglaublich rasch verflogen. Oh Bertrand, Du mußt mir viel, viel +von daheim erzählen; wie Ihr dort gelebt, wie Ihr -- oder nein -- +nein, auch lieber nicht; die Heimath liegt hinter mir, auf nimmer +Wiedersehn, und es ist vielleicht besser ich löse die Schlösser nicht +muthwillig, die mir das alte Bilderbuch meiner Jugend so freundlich +und fest verschlossen halten. Ich bin fertig mit _Frankreich_; aber +von _Dir_ möcht ich hören, wie es Dir geht, was Du treibst, was Du +_hoffst_, denn nach der Hoffnung eines Menschen beurtheilt sich der +Mensch selber meist am besten und leichtesten.« + +»Und weshalb auf nimmer Wiedersehn?« sagte Bertrand erstaunt, »unsere +Schiffe haben sich jetzt die Bahn gebrochen nach diesem fernen Punkt, +und wenige Monden können uns wieder in der Schallweite unserer alten +Kirchenglocken landen. Es mag ein Paradies sein das uns hier umgiebt, +kann es uns aber je der Heimath Reiz ersetzen? Du bist unstät, ein +Flüchtling auf fremdem Boden so lange Du Dich gewaltsam fern von ihm +hältst, und wie das Vaterhaus dem wegemüden Wanderer als theures Ziel +den langen schweren Pfad wohl vorgeschwebt, so öffnet Dir die Heimath +die Arme, und grüßt Dich, ja hält Dich, mit all ihrem unendlichen +Zauber, sobald Du nur erst einmal wieder das schöne Land betreten. +Sieh ich bin Seemann, René, und das _Meer_ sollte meine Heimath sein; +ich weiß auch ich gehöre eigentlich nicht auf's feste Land, und die +Zeit die ich dort zubringe, ist meiner Pflicht meist abgestohlen, und +dennoch hängt das Herz mit allen Fasern an jenem Fleck der mir das +Leben gab, und wenn ich auch, doch einmal draußen, vernünftig genug +bin solchen Gedanken keinen Raum zu gönnen, ist es, als ob mir das +Herz aus der Brust herausspringen wolle, sobald wir den Bug unseres +Schiffes einmal heimwärts kehren. Ich habe das im Anfang für eine +Krankheit gehalten und unseren Doktor gefragt, und der hat mir eine +Masse unsinniges Zeug dagegen verschrieben, aber es half Nichts; das +Uebel saß tief im Herzen und war im Nu gehoben sobald ich an Land +sprang.« + +»Und doch hab' ich recht, Bertrand,« sagte René, der mit einem leisen, +fast wehmüthigen Lächeln den Worten des Freundes gelauscht hatte. »So +lange Du noch frei und unstät in der Welt umherstreifst zeigt der +Compaß Deines Herzens dem einen heiligen Magnet, dem Vaterlande zu, +mag Dir dort Leid geblüht haben, oder Lust, aber -- es giebt einen +Fall, wo der Mensch selbst die Heimath vergessen kann und -- glücklich +sein.« + +»Nie, nie!« rief Bertrand rasch. + +»Ich bin verheirathet!« sagte René leise. + +»_Du?_ -- verheirathet?« sagte der Freund erstaunt -- »und mit wem? -- +wo? -- wann?« + +»Zuerst zeig ich Dir meine kleine Frau,« lächelte René, »ich brauche +vielleicht nur des einen Beweises, Dich zu überzeugen daß Du Unrecht +hast; dann erzähle ich Dir meinen -- Lebenslauf kann ich wohl kaum +sagen, eher meine Abenteuer, denn das Schicksal hat mich im tollen +Spiel einem entzogen mich muthwillig einem anderen in die Arme zu +werfen, bis mein schwanker Kahn den Hafen fand, der ihm Glück und Ruhe +brachte, und den verlaß ich nicht wieder. Ich kenne die Stürme die +draußen toben und bin es müde geworden ihnen wieder und wieder die +Stirn zu bieten.« + +»Und Deine Frau?« frug Bertrand, »warum will sie nicht mit Dir +zurück?« + +Die Trompeten schmetterten in diesem Augenblick den Beginn des Tanzes, +und René schaute umher nach Sadie. Schon wirbelten die Paare vorüber +und die junge Frau stand an der anderen Seite des Saales, noch neben +Aumama, an ihrer Seite aber jetzt Monsieur Brouard, seinen rechten +Arm, von dem sie sich leise zu befreien suchte, um ihre Taille gelegt, +und augenscheinlich bemüht sie zum Tanz zu nöthigen, den sie ihm +weigerte. + +Wie ein Stich zuckte es durch René's Herz -- er wußte selbst nicht +weshalb, und das Blut schoß ihm in die Schläfe; Bertrand aber, der +seinem Blick gefolgt war, schaute überrascht, und wie von einem +plötzlichen Gedanken erfaßt, zu ihm auf. + +»Und Deine Frau?« wiederholte er leise. + +»Siehst Du sie nicht da drüben, wie sie sich ziert,« lachte René +jetzt, die Hand auf des Freundes Achsel legend. + +»Die Insulanerin?« rief der Officier fast wie erschreckt, und so laut, +daß die ihm nächsten Paare nach ihm umschauten, und selbst Sadie +ängstlich nach René herüber blickte. + +»Die Missionaire stecken ihr noch etwas in den Füßen,« fuhr René, wie +entschuldigend gegen den Freund gewendet fort, »aber -- gefällt sie +Dir nicht?« + +»Es ist ein liebes, holdes Kind,« sagte der junge Mann, plötzlich ganz +still und ernst werdend -- »so hold und schön wie der sonnige Himmel +ihres Heimathslandes.« + +»Und weshalb seufzest Du da so schwer?« lachte René. + +»Aber weshalb befreist Du sie nicht von dem alten Gecken, der sie da +quält und peinigt?« sagte Bertrand rasch -- »sie hat ihm schon zehnmal +den Tanz abgeschlagen, und er läßt immer nicht nach -- er würde sich +das bei einer _weißen_ Dame nicht unterstehen.« + +»Du hast recht,« sagte René schnell, und that einen Schritt nach vorn, +setzte aber plötzlich langsamer und lächelnd hinzu: »es ist Einer +meiner Freunde und kennt Sadie, wie den etwas puritanischen Geist, +der sie manchmal noch von unsern Sitten und Gebräuchen als etwas, +ihrer eigenen Religion widerstrebendem, zurückschrecken läßt. Doch +komm Bertrand, wir dürfen uns der Gesellschaft nicht so lange +entziehen, Madame Belard da drüben -- ha wer ist jene junge Dame die +dort mit Deinem Capitain jetzt tanzt? -- ich habe sie noch nicht auf +Tahiti gesehen.« + +»Sie kommt von der Südseite der Insel, wie ich heute gehört,« +erwiederte Bertrand, »wo sie in der Familie eines dort angesiedelten +Franzosen gelebt. -- Aber Deine _Frau_ winkt Dir da drüben.« + +»Monsieur Brouard wird zudringlich, wie mir scheint,« entgegnete René +mit einem halb spöttischen Lächeln die Unterlippe beißend -- »komm mit +mir Bertrand, und ich zeige Dir mein Weib,« und den Arm des Freundes +fassend, ging er mit ihm, die Tänzer vermeidend, zu der anderen Seite +des Saales hinüber, wo ihm Sadie, sich jetzt ernstlich von dem alten +Herrn losmachend, rasch entgegen kam. + +»Ihre kleine Frau ist entsetzlich spröde,« rief ihm hier Monsieur +Brouard mit einem etwas verlegenen Lächeln entgegen -- »sie will unter +keiner Bedingung mit mir den ersten Walzer tanzen.« + +Sadie sah bittend zu dem Gatten auf, und René, ihren Arm lächelnd in +den seinen ziehend, sagte mit einer leichten etwas kalten Verbeugung +zu Herrn Brouard: + +»Ich habe Sie bis jetzt für unwiderstehlich gehalten, Monsieur, +verzeihen Sie dem noch rohen Geschmack der Insulanerin, die selbst +Ihren _unausgesetzten_ Bemühungen gegenüber ihr Recht zu wahren +suchte. Ich hatte schon den ersten Tanz vorher engagirt.« + +»Ah, dann bitte ich tausendmal um Vergebung,« sagte der Kaufmann, sich +verlegen, aber auch jedenfalls pikirt über die etwas kurze Abfertigung +zurückziehend, während René, ohne sich weiter um Herrn Brouard zu +kümmern, Sadiens Hand ergriff und sie mit herzlichen Worten dem +Jugendfreund als sein liebes, braves Weib, als seine Sadie jetzt +vorstellte. + +»Euch Beiden erzähl' ich nachher von einander,« setzte er dann lachend +hinzu, »und nun Sadie, darfst Du es mir nicht machen, wie Brouard -- +nicht wahr ich bekomme keinen Korb, wenn ich Dich jetzt um den Walzer +bitte?« + +»Aber René« sagte, leise sich zu ihm biegend, und hoch erröthend die +junge Frau, »was wird Mr. Nelson, was Mr. Dennis sagen, wenn sie +erfahren daß ich hier _getanzt_ -- ich thue doch wohl nicht recht +damit, und möchte Dir aber auch noch viel weniger weh thun, mit einer +Weigerung.« + +»Thorheit, Sadie, haben wir nicht zusammen die Tänze meines Vaterlands +vor Mr. Osbornes Augen getanzt auf Atiu?« frug René, mit einem leisen +Vorwurf in dem Klang der Stimme. + +»Auf Atiu,« wiederholte Sadie leise und das Wort rief liebe liebe +Bilder wach in ihrer Seele -- »auf Atiu!« + +»Der alte Mann hatte seine Freude daran, wenn wir fröhlich waren.« + +»Aber Mr. Dennis,« sagte Sadie schüchtern. + +René zog die Brauen zusammen und sah einen Augenblick finster vor sich +nieder; aber Sadie legte ihre Hand auf seinen Arm und schaute ihm mit +ihrem bittenden herzlichen Blick ins Auge. Er sah auf zu ihr, sah das +halbe Lächeln in ihren Zügen, und rasch seinen Arm um sie schlingend, +flog er mit ihr den früher oft und gern geübten Tanz dahin in den +Reihen der fröhlichen schwingenden Paare. + +Sadie tanzte mit unendlicher Grazie und Leichtigkeit, aber ihr Herz +war nicht bei dem Fest; in ihrer Brust wogte und stach es mit +vorwurfsvoller Stimme und quälte das arme unschuldsvolle Herz mit +trüben, ängstlichen Bildern. »Du sündigst jetzt« sagte sie sich leise +und immer und immer wieder vor, und des ehrwürdigen Bruder Dennis +Stimme klang dabei fortwährend in ihrem Ohr -- »Du hast Dich dem +wilden sündhaften Tanz ergeben, und der böse Feind greift schon nach +dem Arm, wo ihm der Finger kaum geboten in Lust und Leichtsinn.« + +»An was denkst Du Sadie?« flüsterte ihr René zu, wie er mit ihr +wirbelnd und sie fest in seinem Arm dahin flog, während die +eingeborenen Frauen besonders, Sadiens leichtem Tanze bewundernd mit +den Augen folgten. + +Sadie schüttelte leicht und erröthend mit dem Kopf, und zwang sich +fröhlich zu sein, aber die mahnende Stimme in ihr wurde stärker und +stärker, und wie schwindelnd lehnte sie sich endlich an Renés Schulter +und bat ihn sie zu einem Stuhl zu führen. + +»Du kannst das rasche Drehen noch nicht vertragen,« lachte der junge +Mann, sie dort hin geleitend wo Bertrand mit untergeschlagenen Armen +stand und keinen Blick bis jetzt verwandt hatte von dem Paar -- »nur +erst ein paar Tänze aber Dich munter im Kreis gedreht, und der +Schwindel verliert sich schon von selber. Es ist eine Art Seekrankheit +die wohl die meisten Menschen überstehen müssen.« + +»Ah Monsieur Delavigne -- hierher, wenn ich bitten darf, für einen +Moment nur,« rief in diesem Augenblick die fröhliche Stimme der Mad. +Belard, die ihm freundlich und dringend winkte zu ihr hin zu kommen. +Sadie deshalb dem Freunde übergebend, folgte er dem Ruf. + +»Monsieur,« rief ihm aber die lebendige kleine Frau schon von weitem +entgegen, »ich habe Ihnen eine sehr angenehme Nachricht mitzutheilen; +dort drüben, und ich werde indessen die Sorge für Ihre kleine Frau +übernehmen, ist eine junge Dame die den Augenblick nicht erwarten kann +Ihre Bekanntschaft zu machen, und sich schon nach allen Ihren +Verhältnissen auf das Genaueste und Peinlichste erkundigt hat. Soviel +rath' ich Ihnen, wahren Sie Ihr Herz.« + +»Sie sind zu gütig, Madame,« lachte René, »wenn dem wirklich so ist, +scheint die Sache in der That gefährlich zu werden.« + +»Spotten Sie nicht vor der Zeit,« warnte Madame Belard -- »Sie +bekommen es mit keinem gewöhnlichen Mädchen zu thun, und werden einem +Paar Augen Stand halten müssen, denen schon stärkere Herzen erlegen +sind als ein junger leichtsinniger Franzose wahrscheinlich in seiner +Brust mit herum trägt.« + +»Und die Dame?« + +»Warten Sie, dort drüben spricht sie noch mit Madame Choupin, der +Stiefmutter von Brouards Frau, der möchte ich nicht gerne in die Hände +laufen.« + +»Die junge Dame dort?« rief René rasch, »ah ich habe sie schon vorher +bemerkt: sie kommt von Papara, wenn ich nicht irre.« + +»Das Alles wird sie Ihnen gleich selber mittheilen, Monsieur; aber +aufrichtig gesagt,« setzte sie schelmisch hinzu, »bin ich selber +neugierig welch Interesse sie in so auffallender Weise an Ihnen nehmen +kann. Sie _müssen_ ihr doch fremd sein.« + +»Sympathie,« lachte René, »lieb ist mir's aber dabei daß gerade ein so +reizendes Wesen sich für mich interessirt.« + +»Sie müßte denn im Auftrag von Madame Choupin« -- sagte Mad. Belard, +Renés Arm ergreifend und mit einer komischen Mischung von Besorgniß +und Schadenfreude zu ihm aufschauend. + +»Um der heiligen Jungfrau Willen, Madame,« sagte aber René rasch und +mit komischer Angst, »schon der Gedanke ist grausam -- oder -- gönnen +Sie mir mein Glück nicht?« + +»_Gönnen_? was wollen Sie damit sagen, Monsieur, -- oder woher wissen +Sie überhaupt daß Ihnen ein Glück bevorsteht? eitles Männervolk; Ihr +Herren der Schöpfung werdet aber hier auf den Inseln viel zu sehr +verwöhnt, und hätte ich früher gewußt was ich jetzt weiß, nie im Leben +würde ich meine Einwilligung zu einem Umzug nach Tahiti gegeben +haben.« + +»Da kommt Mad. Choupin,« sagte René leise, und Madame Belard erschrak +und wandte sich rasch ab, den Platz zu verlassen, als sie das boshafte +Lächeln auf Renés Lippen bemerkte, und sich nun umdrehend sah wie Mad. +Choupin die andere Richtung eingeschlagen, und die junge Dame im +Gespräch mit Mad. Brouard zurückgelassen hatte. Madame Belard drohte +ihm lächelnd mit dem Finger und sagte leise: + +»Wenn Sie jenen alten Drachen näher kennten, würden Sie mir vollkommen +recht geben, und ihn fürchten wie ich, aber -- die Luft ist rein, so +kommen Sie, denn ich muß mich auch noch um meine anderen Gäste +bekümmern, und habe nicht Zeit hier Stundenlang mit Ihnen zu +plaudern.« -- Und seine Hand ergreifend führte sie ihn der Stelle zu, +wo die junge Fremde mit Madame Brouard, anscheinend in tiefem +Gespräche stand, behielt aber kaum Zeit für die ersten Worte, +»Monsieur Delavigne, Mademoiselle Susanne Lewis,« als die Instrumente +auf's Neue begannen und sich die Paare zur Française anstellten. + +»Desto besser, unter dem Tanz werden Sie noch schneller mit einander +bekannt,« rief die kleine muntere Frau, von dem Paar zurücktretend; +»dort aber kommt auch _mein_ Tänzer, ~Monsieur le capitain~, und ich +muß Sie für jetzt Ihrem Schicksal überlassen; doch -- unsere +Verabredung Monsieur, um die Auflösung dieses Räthsels wünsch' ich +nicht zu kommen.« Und ohne weiter den beiden jungen Leuten eine +Antwort zu gestatten, trat sie mit dem ihr jetzt den Arm reichenden +Capitain zum Tanze an, und Delavigne konnte ebenfalls nichts anderes +thun, als der schönen Fremden den Arm bieten, den sie auch mit einer +freundlichen Verneigung und einem eigenen schelmischen Lächeln dabei, +annahm. + +Die ersten Minuten gingen so mit der Anordnung des Tanzes vorüber, +ohne daß er im Stand gewesen wäre ein Wort weiter mit seiner schönen +Unbekannten zu wechseln, die erste Gelegenheit aber die sich ihm bot +ergreifend, sagte er leise: + +»Madame Belard hatte mich durch einige freundliche, aber jedenfalls +nur in Neckerei und Spott hingeworfene Worte ermuthigt zu glauben, daß +Sie, mein Fräulein, _wünschten_ mich kennen zu lernen; da ich aber gar +nicht weiß womit ich solch ein Glück verdient hätte -- « + +»Sie wissen noch nicht ob das ein Glück für Sie werden wird, +Monsieur,« lachte aber die Schöne schelmisch, und René sah wirklich +etwas überrascht zu ihr auf, denn die nämlichen Worte hatte Madame +Belard kurz vor ihr gebraucht, und konnten die beiden Damen mit +einander im Einverständniß sein? -- aber weshalb? -- + +»Es ist jedenfalls schon ein Glück in diese schönen Augen schauen zu +dürfen,« sagte er jedoch, sich rasch sammelnd -- »und Böses kann da +wahrlich nicht geschehen.« + +»Haben Sie ein gutes Gewissen?« frug die junge Dame. + +René lachte -- »Ja und nein, wenn Sie wollen; nicht schwerer zu +tragen, wie wir Sterblichen überhaupt und durchschnittlich, und auch +nicht leicht genug um zu befürchten, daß mir das Herz davonflöge über +Nacht.« + +»Sie sind ein weggelaufener Matrose,« sagte die junge Dame jetzt +lachend und sah neckend zu ihm auf. René erröthete; da aber seine +Geschichte, wie er diese Inseln betreten, auf Tahiti gar kein +Geheimniß war, sagte er ruhig: + +»Hat man schon versucht, mich Ihnen von der schlimmsten Seite +vorzuführen?« + +»Ob _man_ versucht hat?« lachte die Schöne, »Sie mögen selber +urtheilen. Uebrigens bin ich bei der Sache näher interessirt, als Sie +vielleicht glauben -- Sie sind mein Gefangener.« + +»Auf Gnade und Ungnade,« lachte René, gern in den leichten Ton des +wirklich wunderschönen Mädchens eingehend, dessen Reize erst jetzt wie +es schien, nach und nach seinem Auge sichtbar wurden. »Aber tausend +solche Gefangene haben Sie wohl schon solcher Art gemacht, und werden +uns deshalb auch wohl auf unser Ehrenwort entlassen müssen, Ihrem +Triumphwagen scheinbar frei zu folgen.« + +»Auf Ehrenwort? -- geben Sie kein leichtsinniges Versprechen, ehe Sie +wissen _wem_?« + +»Wem?« sagte René erstaunt, aber ihr Gespräch wurde hier durch den +Tanz unterbrochen, der die Paare vor rief und trennte, und es bot sich +von jetzt an keine Gelegenheit wieder auch nur ein Wort weiter zu +wechseln, bis die Française beendet war. René nahm jetzt seiner +Tänzerin Arm, und sie den Saal niederführend sagte er fragend: + +»Und nun, mein Fräulein, lösen Sie mir das Räthsel -- Sie tragen eine +Maske, legen die Hand daran sie zu lüften, und ziehen sie neckisch +wieder zurück. Ihr Spiegel sagt Ihnen schon, daß der Allmächtige Ihnen +einen gewaltigen Zauber in's Auge gelegt über uns arme Sterbliche; +mißbrauchen Sie die Macht nicht die Ihnen also gegeben -- Sie bedürfen +dessen nicht.« + +»Ein Wallfischfänger ist doch wahrlich nicht der Ort Schmeicheleien zu +lernen,« lachte die Schöne laut auf, »und dennoch scheint es fast als +ob Sie selbst dort einen wesentlichen Theil Ihrer Zeit dazu benutzt +hätten, nicht außer Uebung zu kommen. Oder haben Sie das Alles schon +wieder hier auf den Inseln profitirt?« + +»Mein Fräulein,« bat der junge Mann. + +»Sie haben recht,« sagte die junge Dame da plötzlich ernster werdend, +»es wird Zeit daß wir unsere beiderseitigen Stellungen einnehmen, die +uns gebühren; also nochmals Monsieur, Sie sind mein Gefangener, René +Delavigne!« + +»Von Herzen gern.« + +»Halt -- nicht für mich etwa, Monsieur, sondern für meinen Vater, +_Jonathan Lewis_, Capitain des dreimastigen Wallfischfängers ~»the +_Delaware_,«~ gut gekupfertes Schiff erster Klasse A, und derzeit -- « + +»Miß Lewis? -- aber wie ist das möglich?« unterbrach sie René in +vollem, unbegrenzten Erstaunen. + +»Derzeit« fuhr aber das schöne muthwillige Mädchen ernsthaft fort, +»wahrscheinlich und mit Gottes Hülfe schon zu Hause, in Bedford, von +seinem Kreuzzug heimgekehrt.« + +»Aber Sie, eine Französin, des alten durch und durch Jankee Capitains +Tochter?« rief René, immer noch ungläubig. + +»Weigern Sie sich mir zu gehorchen, weil mir der schriftliche +Verhaftsbefehl gebricht?« frug Miß Susanne. + +»Sie sind grausam, Miß.« + +»Nun denn, so will ich Ihnen mit zwei Worten das scheinbar +unerklärliche Räthsel lösen. Erstlich bin ich keine Französin, sondern +im New-York Staat in Nord-Amerika geboren, früh aber meiner Mutter +durch den Tod beraubt schickte mich der Vater -- wie Sie mir bezeugen +werden, ein etwas rauher Seemann -- nach Louisiana hinunter, wo seine +Schwester an einen französischen Pflanzer verheirathet war. Ist Ihnen +das nun klar?« + +»Ja, aber _jetzt_?« + +»Aber _jetzt_? ah, wie ich _hierher_ gerade komme?« lachte die +Jungfrau -- »Sie verlangen also in der That meine Legitimation? Ist +das auch etwas ungalant, will ich es doch den außerordentlichen +Umständen zu Gute halten. Schwächlich von Gesundheit, und von den +Sümpfen Louisianas mit wirklicher Gefahr für mein Leben bedroht, +schien es, als ob mir der rauhe Nord dafür keine Linderung bieten +sollte, denn dort hinauf zurückgekehrt, verschlimmerte sich mein Uebel +eher, als daß es sich gehoben hätte. Die Aerzte dort verordneten mir +daher eine Luftveränderung nach irgend einem milderen aber auch +gesunden tropischen Klima, und mein Vater, damals gerade im Begriff +ein Schiff zum Wallfischfang auszurüsten, sandte mich mit einem +Jugendfreund von sich voraus nach Tahiti, mich hier dann später zu +besuchen und vielleicht wieder abzuholen.« + +»Und war der Delaware hier?« + +»Nicht wahr _das_ interessirt Sie?« lachte Susanne. + +»Der Delaware interessirt mich allerdings,« lächelte René, »und Sie +werden mir den Grund nicht streitig machen.« + +»Nicht ich, Monsieur -- Sie haben volle Ursache, aber ich gebe Ihnen +auch mein Wort, daß sich der Delaware damals für _Sie_ interessirte,« +fuhr Susanne fort, »denn mein Vater landete gerade auf Tahiti, als Sie +von ihm entsprungen waren, und eilte deshalb wieder besonders von hier +fort den »entsprungenen Matrosen«, wie er mir erzählte, auf jener +Insel wieder »abzuholen«. Wer mir damals gesagt hätte daß _ich_ so +glücklich sein sollte ihn wieder einzufangen.« + +»Warum waren Sie nicht früher an Bord,« sagte René, »ich wäre nie +davongelaufen.« + +»Trau' Jemand Euch Männern,« rief Susanne abwehrend -- »kaum auf +festem Land, und mit keiner Sylbe mehr all jener heiligen Bande +gedenkend die den Flüchtigen jedenfalls noch im alten Vaterland +fesselten, hat er nichts Eiligeres zu thun als dem Beispiel seiner +Landsleute zu folgen, und sich ein armes Mädchen zu beschwatzen, das +ihm die Dauer seines Aufenthaltes hier die Zeit vertreibt.« + +»Sie thun mir Unrecht, Mademoiselle.« + +»Oh? -- Ihnen sind die gemachten Contrakte wohl stets heilig?« + +René biß sich auf die Lippen und sagte nach kleiner Pause: + +»Also tadeln sie mich, daß ich mich dem Leben an Bord eines +Wallfischfängers, dem ich nicht anders hätte für Jahre vielleicht +entgehen können, durch die Flucht entzogen habe.« + +»Nein,« sagte Susanne lachend, und das große schwarze seelenvolle Auge +zu ihm aufhebend begegnete sie einen Moment seinem Blick, und glitt +dann wie musternd und mit kaum unterdrücktem Muthwillen an seinem +Anzug nieder -- »ich begreife nur nicht,« fuhr sie dabei fort, »wie +Sie je den unglückseligen Gedanken gefaßt haben konnten _an Bord_ zu +gehen. Hahaha, wenn ich Sie jetzt so vor mir sehe, und Sie dann mir +als gewöhnlicher Matrose, in all dem Schmutz und entsetzlichen Leben +eines »~Whalers~« unter dem wüsten rohen Volk denke -- die +Glacéhandschuh trugen Sie damals noch nicht, wie? -- und auch wohl +nicht den Frack? -- Und wenn Sie nun damals wieder eingefangen wären? +aber die Einzelheiten müssen Sie mir nächstens einmal erzählen, +versprechen Sie mir das?« + +»Mit Vergnügen.« + +»Und _aufrichtig_?« + +»Wie meinem Beichtvater.« + +»Hm, ich weiß nicht ob ich mich _damit_ gerade begnügen möchte -- doch +wir werden ja sehen. Und Ihre -- _Frau_?« + +»Steht dort drüben mit jenem Französischen Officier -- darf ich Sie zu +ihr führen?« + +»Ich danke,« sagte die junge Dame mit etwas kalter Höflichkeit -- »ich +komme aus Louisiana -- und Sie dürfen mir nicht verargen, daß ich +gerade kein günstiges Vorurtheil habe für -- braune Haut.« + +René sah erstaunt, ja beleidigt zu ihr auf, und Susanne begegnete fest +dem Blick, der in seiner innersten Seele zu wurzeln schien, dort die +geheimsten Gedanken errathen zu wollen. + +Es war ein wunderschönes Mädchen wie sie da vor ihm stand; die volle +üppige Gestalt doch so zart und schlank in dem elastischen Reiz der +Jugend; das edle Antlitz mit jenem weichen Zauber blühender Frische +übergossen, der unsere Sinne auf den ersten Blick gefangen nimmt; die +Augen voll Gluth und Feuer, und doch wieder eines so sanften Ausdrucks +fähig daß sie den ernsten Schatten Lügen straften, wenn er streng und +zürnend daraus hervorblitzen wollte, aber einen Himmel öffnend wenn +ihr Glanz in milder Ruhe strahlte. + +René schaute in diese Sterne voll Gluth und Leben, bis er fast vergaß +weshalb er zu ihr aufgeblickt, und wie bittere Worte die süßen vollen +Lippen erst gesprochen; denn wie ein leises Lächeln über die ernsten +Züge glitt, war es wie spielendes Sonnenlicht auf der murmelnden +Quelle im Waldesdunkel, mit tausend blitzenden funkelnden Lichtern +tief hinableuchtend bis auf den reinen Grund. + +»Sie sind beleidigt,« sagte sie endlich leise -- »Sie hätten lieber +gehabt, daß ich eine Unwahrheit gesagt, der Gegenwart zu schmeicheln.« + +»Sie bringen ein Vorurtheil mit aus einer fernen Welt,« erwiederte +René, »und doch verzeih' ich Ihnen gern; Sie kennen Sadie noch nicht.« + +»_Sadie_ -- ein schöner, klangvoller Name -- ich wollte ich hieße +Sadie,« sagte Susanne -- »wir in Nord-Amerika wählen unsere Namen fast +nur aus der Bibel.« + +»Ah, schon wieder einen alten Bekannten getroffen?« unterbrach in +diesem Augenblick die Stimme des Capitains der ~Jeanne d'Arc~, das +Gespräch, und zwar gerade zu einer Zeit wo Susanna, mit feiner Hand +eben wieder eingelenkt hatte in ein milderes Gleis. »Sie haben Glück, +Monsieur Delavigne -- aber für jetzt möchte ich die Dame wenigstens um +den mir versprochenen Tanz bitten.« + +Miß Lewis nahm, mit einer leisen dankenden Neigung des Kopfes seinen +Arm, und René freundlich zunickend sagte sie: + +»Ich muß sie nachher noch einmal sprechen -- werden Sie kommen?« + +René verbeugte sich, aber Sadiens Bild stand in diesem Augenblick vor +seiner Seele, und er erwiederte das Lächeln nicht. + +Als er zurückschritt, sein Weib aufzusuchen, war Sadie eben mit +Bertrand, der mit der Hand nach ihm hinübergrüßte, zum Tanze +angetreten, und an dem nächsten Fenster bleibend, lehnte er dort mit +untergeschlagenen Armen, dem Tanze, an dem er dießmal keinen Theil +nehmen wollte, zuzuschauen. Im Anfang schwammen ihm aber die Gruppen +vor den Augen, ohne daß er im Stande gewesen wäre ein einziges Bild +aufzufassen und zu halten. Vor seiner inneren Seele zog wieder und +wieder die schöne Fremde -- zogen die kalten Worte, die sie +gesprochen, vorüber, und ein eigenes Weh, ein Gefühl dem er nicht +Worte, nicht Ausdruck zu geben vermochte, zuckte ihm durch das Herz. +Weshalb hatte sie ihn aufgesucht, weshalb sich ihm so freundlich +zugewandt; um ihn nur wieder zurückzustoßen? -- war das Ganze eine +gewöhnliche Koketterie gewesen, ihn nur die _Macht_ fühlen zu lassen, +die sie über Männerherzen auszuüben gewohnt sei, und ihm dann lachend +die Kluft zu zeigen die zwischen ihnen liege? »Bah -- « um seine Lippen +zuckte ein verächtliches Lächeln, als ihm der Gedanke aufstieg daß sie +sich _ihn_ zum Spiel ihrer Laune ersehen haben könnte -- und was sonst +war ihr Zweck? »Thörichtes Mädchen«, murmelte er leise vor sich hin, +»Deine Schönheit vermag wohl das Auge zu blenden für kurze Zeit, aber +den Mangel an Herz kann sie nicht ersetzen; geh und suche Dir ein +anderes Spiel, bei mir hast Du Deine Zeit verloren.« + +Und wieder wechselten die Bilder in Zauberschnelle vor seinem inneren +Auge -- die liebliche Gestalt in dem prächtigen Ballstaat -- die +vorüberschwirrenden Paare, deren einzelne Umrisse er schon nicht mehr +sah; dazu die Musik, alte bekannte, lange lange nicht mehr gehörte +Töne aus der Heimath -- Weisen nach denen er selbst in schönerer Zeit +-- heiliger Gott _die_ Erinnerung -- -- Er barg die Augen mit der +linken Hand, aber nur wilder und unermüdlicher stürmten die Gedanken +auf ihn ein, und nicht mehr entgehen konnte er den unabweisbaren. + +Mehre Minuten mußte er so gestanden haben, als eine leichte Hand +seinen Arm berührte, und fast erschreckt blickte er empor. + +»Bist Du krank?« sagte eine leise, liebe Stimme, und Sadies treue +seelenvolle Augen schauten bang und sorgend zu ihm empor; aber er +bedurfte Secunden sich zu sammeln, sich zurückzurufen aus den Scenen +in denen er jetzt -- zum ersten Mal wieder nach langen Jahren -- +geweilt, und die er bis dahin mit fester Willenskraft +zurückgeschleudert hatte wohin sie gehörten -- in die Vergangenheit. +Heute zum ersten Mal wieder, geweckt durch den Jugendgespielen +vielleicht -- vielleicht durch jenes schöne, kalte Bild, das ihn anzog +und abstieß zugleich in wunderbarer Kraft, waren sie in altem Grimm +und Schmerz erwacht, und es bedurfte wahrlich eines anderen, kaum +minder starken Zaubers ihre Gewalt zu brechen, oder doch zu mildern. + +Sadie -- wie ein Sonnenstrahl der Wolken Nacht durchbricht, und Licht +und Leben über die noch vor wenig Augenblicken nur mit Nebelschatten +gedeckten Fluren wirft, so tauchte plötzlich das holde Bild in all +seiner Milde und Lieblichkeit vor ihm auf, und Harfentönen gleich, die +mit den weichen vollen quellenden Tönen nicht mehr allein durch das +Ohr, nein durch alle Poren unseres Körpers in die Seele dringen und +die Nerven nachklingen machen ihre Harmonie, in dem Vibriren ihrer +feinsten Fasern, so sah er nicht allein das holde Kind in all seiner +Lieblichkeit vor sich stehen, nein so fühlte er auch das Wohlthuende +ihrer Nähe, das den bösen Geist zurückdrängte der ihn beschlich, und +leise ihre Hand ergreifend, die in der seinen zitterte flüsterte er +das Zauberwort, das sich ihm selber retten sollte -- »Sadie!« + +»Du bist krank, René,« sagte aber die junge Frau, ihn zum Fenster +drehend -- »Du siehst bleich und angegriffen aus -- laß uns zu Hause +gehen« -- setzte sie dann rasch und leiser hinzu -- »Dir wird wohler +dort, viel wohler, und -- mir auch.« + +»Mir fehlt Nichts, Du holdes Kind,« erwiederte René lächelnd -- ein +eigenes Gefühl trieb ihn seine jetzige Bewegung wie deren Ursache vor +dem Weibe zu verbergen, aber es lag etwas Gezwungenes in den Worten, +und das Auge der Liebe täuschte es nicht. René fühlte das auch wohl, +und jeden weiteren Verdacht zu beschwichtigen, vielleicht weiteren +Fragen zu entgehen, die er fürchtete, setzte er mit lauter fröhlicher +Stimme hinzu: »nein Kind, mir ist sogar heut' Abend recht froh und +leicht zu Sinn, und ich will noch recht viel tanzen. Verschmähte +Freude kehrt nimmermehr zurück und es wär' Sünde sie von der Thür zu +weisen.« + +»Ich weiß nicht von wem Sie sprechen,« sagte in diesem Augenblick eine +lachende Stimme an seiner Seite, und die muntere Madame Belard trat +zu ihnen hinan -- »aber nicht mehr wie schuldige Artigkeit wär' es, +sollt ich denken, die Wirthin, wenigstens zu einem einzigen Tanz zu +engagiren, daß sie nicht den _ganzen_ Abend auch nur zusehen muß, wie +sich ihre Gäste amüsiren.« + +René hätte in diesem Augenblick keine erwünschtere Entschuldigung +finden können, einer ihm jedenfalls peinlichen Besorgniß, ja mehr +noch, weiteren Fragen auszuweichen, und Sadie freundlich zunickend, +bot er der Frau Belard den Arm. Diese aber, die ihm noch scherzend den +Text las über seine für sie keineswegs schmeichelhafte Unhöflichkeit, +bat er jetzt mit all jenem liebenswürdigen Leichtsinn, der ihm so gut +stand vielleicht weil er ihm so ganz natürlich war, um Verzeihung, des +begangenen Fehlers wegen, den er schon wieder gut machen wolle, wenn +sie nur eben freundlich genug sein würde ihm Gelegenheit dazu zu +gönnen. + +»Hallo Sadie,« sagte in diesem Augenblick Aumama, die an ihre Seite +trat, »Du machst ja ein merkwürdig ernstes Gesicht -- bist Du schon +müde?« + +Sadie schüttelte lächelnd mit dem Kopf. + +»So leicht nicht, Aumama,« sagte sie leise, ihren Arm um der Freundin +Schulter legend, »und mir gefällt das Tanzen wundergut, wenn ich nur +wüßte« setzte sie wieder ernster werdend und leiser hinzu -- »ob wir +auch recht thun mit solcher Lust, und vielleicht nicht gar eine Sünde +begehen, von der wir uns selber vorlügen, daß das Ganze ja doch nur +eine unschuldige Freude sei.« + +»Und was ist's sonst?« lachte Aumama, »nimm mir den Tanz, und ich geb' +Dir mein Leben in den Kauf. -- Nur die Gesellschaft -- und die Art +hier _wie_ sie's treiben gefällt mir nicht. -- Das Umfassen hemmt die +freie fröhliche Bewegung der Glieder, das Drehen treibt mich +schwindlich, daß sich die Stube mit mir im Kreise wirbelt. Auch die +Wände, der Boden hier machen mich irr und unbehaglich; mir wird als ob +ich draußen im Canoe in offener See triebe und die Wellen mich auf und +nieder würfen. Nein, gieb mir den freien offenen Plan, die blühenden +Zweige und blinkenden Sterne über uns, die lustige Trommel zum +Einschlag in Tritt und Sprung, und ich bin Dein mit Leib und Seele, +wie Du mich willst. Hei wie die Tapa im Winde flattert und die Locke +Dir um die Schläfe jagt, wie das Blut da durch die Adern schießt, und +zu flüssigem Feuer wird, eh' es zum Herzen zurückkehrt. Bah, hier der +Tanz ist kalt -- kalt wie das Land aus dem er kommt, und es kann mir +das Herz nicht erwärmen, ob sie auch blasen und Specktakel machen mit +ihren wunderlichen Instrumenten, aus Leibeskräften. Nicht einmal eine +Trommel haben sie dabei, und das nennen sie Musik.« + +»Du bist ein wunderliches Mädchen,« lächelte Sadie -- »fremde Völker +haben doch auch fremde Sitten.« + +»Eben deshalb sollen sie uns die unseren lassen,« trotzte Aumama -- +»aber, was ich Dich fragen wollte,« setzte sie ernster hinzu -- »wer +ist das weiße Mädchen das mit René so lange tanzte, und so viel mit +ihm zu sprechen hatte?« + +»Ich weiß es nicht,« sagte Sadie -- »eine Fremde, glaub' ich, die von +Papara oder dessen Nachbarschaft kommt, und wohl hier wohnen bleiben +wird; -- warum?« + +»Mir gefiele das nicht, wär' ich wie Du,« sagte die Freundin mit dem +Kopfe schüttelnd -- »sie hat ein glattes listiges Gesicht und ihr +Blick -- ich konnte ihre Sprache nicht verstehen, aber das ist oft +nicht nöthig wenn die Augen so deutlich reden wie die Lippen.« + +»Und was haben die Dir gesagt?« frug Sadie. + +»Nichts was mich freute,« antwortete Aumama, »aber auch Nichts was ich +wieder erzählen möchte; man soll keinem Menschen etwas Uebles +nachreden, noch dazu auf den bloßen Verdacht hin.« + +»Du bist ärgerlich auf die fremden Frauen,« sagte Sadie lächelnd, +»weil Du nicht mit ihnen umgehen kannst wie wir es gewohnt sind unter +einander; es ist wohl möglich daß Du ihnen dabei unrecht thust. Aber +René hat seitdem gar nicht wieder mit ihr gesprochen.« + +»Aber auch mit Niemand Anderem,« sagte Aumama schnell -- »er stand da +am Fenster und stützte den Kopf in die Hand, bis Du zu ihm kamst.« + +Sadie schwieg und sah sinnend vor sich nieder; ihr Blick haftete aber +nicht lange am Boden, sondern suchte den Gatten, in dem wilden Gewirr +des Tanzes, dem sich René wieder mit vollem Eifer hingegeben. Aber +die, nach der ihr Blick dann umherschweifte, fand sie nicht; Miß Lewis +hatte den Saal verlassen und René lachte und plauderte noch immer mit +seiner lebendigen Tänzerin, der Frau Belard. + +Doch neue Gäste kamen zum Tanz, in dem jetzt gerade eine kurze Pause +eintrat, den Tänzern Gelegenheit zu geben sich an den hie und da +angebrachten und mit Früchten, Kuchen und Wein bedeckten Tafeln zu +erfrischen, und kaum schwieg die Musik, als Manche der wilden Mädchen, +froh eines lästigen Zwanges enthoben zu sein, in die Mitte des Saales +sprangen und sich dort bald von einem großen Theil der Männer umgeben +fanden. + +»Kommt!« rief Eine der fröhlichen Schaar, sich jetzt wenig an die +geputzten Fremden kehrend, deren unbekannte Weisen und monotones +Drehen im Ring herum sie schon lange geärgert und ermüdet hatte, + + »Komm! denn der scharfe Ton + Hat mich gelangweilt schon, + Komm! + Zuckt mir's durch Fuß und Knie, + Zuckt mir's im Herzen hie! + Komm!« + +»Frieden, Wahine -- gieb Ruhe -- fort mit Dir, Mädchen!« riefen +einzelne lachende Stimmen dazwischen -- »hier ist kein Platz für Euere +wilden Tänze, wo fremde Frauen sind -- auseinander mit Euch!« + +»Fort?« riefen aber Andere dazwischen, denen der wilde bekannte Laut +die Pulse schon rascher klopfen machte -- + + »Fort? laß sie schwatzen da, + Herzchen wir kommen ja, + Fort -- + Rasch nur die Trommel her, + Stehn wir nicht müßig mehr. + Fort!« + +und den Takt auf den Lenden schlagend mit ihren flachen Händen, und +singend und lachend begann die muntere Schaar, trotz dem Einspringen +einzelner Männer, die vielleicht nicht mit Unrecht fürchteten daß der +Tanz in dem Uebermuth des jubelnden Schwarmes ausarten könnte, den +wilden ~Upepehe~, den Lieblingstanz ihres Stammes. + +Die neuangekommenen Gäste, zwei Marine-Officiere der ~Jeanne d'Arc~, +mischten sich gleich lachend unter die jubelnden Dirnen, die sie fast +Alle kannten, und Mad. Belard beschwor jetzt René, seinen Einfluß +aufzubieten das zügellose Volk wieder zur Ordnung zurückzubringen, was +aber mit nicht wenig Schwierigkeiten verbunden war. In der Mitte +gestört, stoben sie nach allen Seiten hinaus, jede auf eigene Hand den +begonnenen Tanz auszuführen, und es wurde auch in der That erst dann +möglich sie wieder zu vollkommener Ordnung zu bringen, als die +Trompeten, auf Renés Zeichen, von Neuem zu einem Tanze einsetzten und +dadurch die Mädchen, die denen entgegen nicht ihren eigenen Takt +beibehalten konnten, zwangen aufzuhören. + +Als die Musik nun aber, nicht wieder durch eine neue Pause neue +Störung zu verursachen, in dem begonnenen Stücke blieb, sahen sich die +letztgekommenen Officiere ebenfalls nach Tänzerinnen um. Von weißen +Damen schien aber nur noch Mrs. Noughton übrig geblieben zu sein, die +trotz allen Aufforderungen auch noch nicht einen Schritt heut' Abend +getanzt, sondern wacker an der Seite ihres eben so langweiligen +Gatten auf dem einen Canape ausgehalten hatte. Madame Belard war mit +Monsieur Brouard angetreten, Madame Brouard mit dem Capitain, und +Fräulein Susanne blieb verschwunden. Mrs. Noughton weigerte sich aber +auch dießmal mit einer steifen Verbeugung an dem Tanze Theil zu nehmen +und Einer der neugekommenen Officiere schaute eben, leicht getröstet, +im Saal umher, sich unter den anwesenden Insulanerinnen Eine +herauszusuchen, mit der er möglicher Weise im Walzer fortkäme, als er +Sadie bemerkte, deren Europäische Tracht ihm gerade nicht besonders +auffiel. Rasch auf sie zu tretend, legte er seinen Arm um ihre Taille +und sagte: + +»Komm Wahine, dann wollen wir einmal versuchen wie wir herum kommen, +und halt das Köpfchen steif, daß Du mir nicht schwindlich wirst; ich +drehe Dich schon.« + +René hatte sich mit Bertrand wieder zusammengefunden, und schritt eben +langsam der Stelle zu wo Sadie stand, als er sah wie sie sich in dem +Arm des Fremden sträubte und sich ihm zu entwinden suchte; der junge +Officier aber, schon seit Monden langem Aufenthalt auf den Inseln +gewohnt mit den Frauen Tahitis umzugehen, glaubte nur hier eine etwas +spröder als gewöhnliche Schöne gefunden zu haben, und rief lachend: + +»Zum Teufel, mein Mädchen, stemme Dich nur nicht, ich thue Dir +Nichts;« Sadie aber war so erschreckt, daß sie nicht vermochte einen +Laut über die Lippen zu bringen und sich von dem starken Manne schon +emporgehoben fühlte, als René mit einem Sprung an ihrer Seite war, und +seine Hand mit einem Eisengriff in des Soldaten Schulter heftend, mit +vor Zorn bebender und kaum hörbarer Stimme sagte: + +»Zurück da, Monsieur -- das ist mein Weib.« + +»Sollst sie behalten, Kamerad,« lachte der junge, etwas rohe +Marine-Officier, »aber ein Tänzchen muß sie erst mit mir machen, davon +hilft ihr kein Gott.« + +»Lassen Sie mich los, Monsieur!« rief auch in diesem Augenblick Sadie, +die durch Renés Gegenwart ermuthigt, ihre Sprache wieder gewann, und +der Officier, durch das flüssige Französisch der Insulanerin +überrascht, ließ kaum in seinem Griff um ihre Taille nach, als er sich +auch schon von dem, kaum seiner Sinne mehr mächtigen René gefaßt und +mehre Schritte zurückgeschleudert fand. + +»Teufel!« schrie er, und die Hand fuhr fast unwillkührlich nach dem +leeren Degenkoppel, Bertrand sprang aber dazwischen, und der Officier +auch, sich rasch besinnend wo er sich befand, und daß er hier das Fest +nicht stören durfte, biß nur die Zähne auf einander und winkte dem, +trotzig zu ihm hinüberschauenden René ihm zu folgen. Aber andere Augen +hatten ebenfalls den Wink gesehen und verstanden, und ehe René im +Stande war sich von Sadie frei zu machen, und dem stillen aber wohl +begriffenen, ja erwarteten Ruf zu folgen, fühlte er eine Hand auf +seiner Schulter, und der Capitain der ~Jeanne d'Arc~, der gerade +zufällig mit seiner Tänzerin dort stehen geblieben, und Zeuge des +ganzen blitzesschnell in einandergreifenden Vorfalls gewesen war, bat +ihn, nur wenige Minuten auf seiner Stelle zu bleiben, bis er ihm +Antwort bringe von draußen. Dann ohne weiteres dem Officier folgend, +erreichte er diesen gerade an der Thür, faßte seinen Arm und führte +ihn mit sich hinaus. + +In dem Saal war indessen für den Augenblick Todtenstille eingetreten; +die Musici, vor denen der Streit stattgefunden, hatten auch fast wie +verabredet, aufgehört zu blasen so wie die Tänzer stockten. Auch die +übrigen Gäste, wenn auch nur wenige von ihnen die Ursache des so +plötzlich aufgetauchten Streites kannten, sahen daß er schon zu weit +gegangen war, anders als mit Blut wieder gesühnt zu werden, und +standen in jener peinlichen Erwartung, dem Ausgang des Ganzen +entgegenzusehen, die wir uns wohl stets bei irgend einer nahenden +Gefahr, mag sie uns oder einen Andern bedrohen, beschleichen fühlen. +Nur die eingeborenen Mädchen, denen nicht entgangen war daß Einer der +Betheiligten den Saal verlassen hatte, glaubten damit natürlich Alles +beigelegt, und zuerst die feierliche und so plötzliche Stille um sich +her einen Augenblick erstaunt beobachtend, gewann das leichte Element +bei ihnen doch nur zu bald wieder die Oberhand. + +»Hierher Waihines!« rief plötzlich die lachende Stimme Nahuihuas, +der Schwester Aumamas, mit der Lefevre schon fast den ganzen Abend +getanzt -- + + Schnell! + Schnell wie der gier'ge Hai + Schneidet die Fluth entzwei, + Schnell -- + +»Ruhe Wahine!« flüsterte es rasch um sie her, und das Mädchen schwieg +erschreckt, mitten in ihrem Gesang, als sie die ernsten finstern +Gesichter all' erblickte, die sich rasch und bestürzt auf sie +richteten. + +Madame Belard wußte aber wie dieser böse Geist zu bannen sei, und dem +Orchester ein Zeichen gebend, daß jetzt rasch wieder in den +unterbrochenen Tanz einfiel, ergriff sie den Arm Renés und den halb +Widerstrebenden mit sich fortziehend, flüsterte sie leise und +dringend: + +»Ei, Sie ungezogener Mensch, den eine Dame zum Tanz förmlich mit +Gewalt _zwingen_ muß. Sie haben mir meinen Tänzer fortgejagt, und sind +jetzt auch verpflichtet dessen Stelle zu übernehmen. Ueberdieß fühlen +Sie denn nicht daß Alles auf Sie achtet?« setzte sie leiser hinzu. +»Machen Sie wieder gut was Sie verdorben haben, und zeigen Sie den +Leuten daß Sie gar nicht daran denken Skandal anzufangen!« + +René fühlte mehr wie er verstand, daß sie recht hatte; einen Blick +nach Sadie zurückwerfend, die er jetzt in Bertrands Schutz sah, kam +ihm auch die Erinnerung an das Vergangene, und sich zu seiner +liebenswürdigen Tänzerin niederbiegend bat er leise: + +»Vergebung, theuerste Frau, Vergebung für den fatalen Auftritt den +ihnen hier meine Hitze bereitet, aber -- « + +»Ich weiß Alles,« beruhigte ihn Madame Belard, »ein Mißverständniß nur +-- ruhig Monsieur, Sie sollen mir nicht wieder hitzig werden und +aufbrausen, so lange _ich_ jetzt in Ihrem Schutze bin -- ein +Mißverständniß war die ganze Ursache, der junge Officier, der Sie gar +nicht kannte, kann nicht die Absicht gehabt haben Sie oder Sadie +wissentlich beleidigen zu wollen, und würde vielleicht eben so leicht +daran denken sich einen Finger abzuschneiden, als Streit zu suchen +hier bei mir.« + +»Aber er hat -- « + +»Ich weiß ja Alles,« unterbrach ihn wieder Madame Belard, in +gutmüthiger Ungeduld mit dem Kopf schüttelnd, als sie zum Ausruhen +abgetreten waren und Nichts als eingeborene Frauen um sich sahen, die +nicht verstanden was sie sprachen. »Er hat Ihre Frau nach _unseren_ +Begriffen von dem was sich schickt und gehört, beleidigt, und wäre das +auf einem Europäischen Ball vorgefallen, so könnte nichts anderes als +Degen oder Pistol den Streit entscheiden; hab' ich recht?« + +»_Wäre_ das?« wiederholte René erstaunt -- »und ist das nicht hier, bei +_meiner_ Frau genau dasselbe?« + +»Nein, nein und abermals nein!« sagte aber Madame Belard ungeduldig; +»nach Insulanischen Begriffen von Ehre und Schicklichkeit -- « + +»Aber meine Frau ist -- « + +»Eine Insulanerin, Sie mögen's drehen und wenden wie Sie wollen; und +wenn sie eine Ausnahme macht von den übrigen, von denen sie allerdings +wie Tag und Nacht verschieden ist, so liegt der doch nicht auf der +_Haut_ zu Tage, und das junge fröhliche Stück von einem Officier, das +in seinem Uebermuth, von den Schiffsbanden auf einen Abend frei zu +sein, nur hier herein springt, sich, wie es keine weiße Tänzerin +bekommen kann, nach dem schönsten Indianischen Gesicht umschaut und +da aus Versehen gerad' auf _Ihre_ Frau trifft, hätte eben so gut +vermuthen können einen Neger in weißer Haut zu finden, als eine +Indianerin, die sich so ganz ihrer eigenen Sitten entschlagen, und +Europäischen Gebräuchen mit ihrer Sprache und Haltung zugewandt hat.« + +»Aber ihre ganze Kleidung mußte ihm das schon von vorn herein +verrathen.« + +»Als ob Ihr Männer überhaupt je sähet womit sich eine arme Frau +herausgeputzt hat, diesen Herren der Schöpfung zu gefallen,« spottete +die junge Frau halb im Scherz halb im Ernst; »entweder Ihr mustert +ganz genau und auf das peinlichste, immer dabei Eueren schlechten +Geschmack bewährend, oder Ihr wißt nicht einmal ob wir Seide oder +Cattun getragen, wenn wir Stunden lang in Euerer Gesellschaft gewesen +sind -- Gott ist der Mensch grob,« seufzte sie dann nach einer kleinen +Pause, als René schwieg und vor sich nieder schaute, mit komischem +Ernst; »handgreiflich leg' ich's ihm in den Weg, und nicht eine kleine +unbedeutende Schmeichelei sagt er mir dafür.« + +»Liebe Madame Belard,« bat René. + +»Ich bin schon wieder gut,« lachte die kleine Frau, »aber René,« +setzte sie ernster, und einen Blick umherwerfend ob sie Niemand +überhöre, hinzu -- »seien Sie auch vernünftig, setzen Sie sich über +eine kleine Vernachlässigung Ihres sonst so lieben Weibchens eher +einmal hinweg, als Sie es nöthig hätten wenn sie -- eben von -- +unserer Farbe wäre. Der Fremde kann nun einmal unsere +Privatverhältnisse nicht so leicht durchschauen, und wird der +_farbigen Eingeborenen_ nie eine solche Achtung und Aufmerksamkeit +zollen, als ob sie ihm ebenbürtig wäre.« + +»Und ist sie das nicht?« rief René erstaunt, und Madame Belard biß +sich auf die Lippen; sie zögerte augenscheinlich mit einer Antwort, +die sie sich scheute gerade auszusprechen. + +»Lieber René,« sagte sie endlich nach einer kleinen Pause mit +wirklicher Herzlichkeit im Ton, wie sie bis jetzt noch nie zu ihm +gesprochen, »Sadie ist ein liebes herziges Kind, eine Frau die man +lieber gewinnt mit jedem Tag, und ihre ganze Seele liegt in ihrem +Blick, aber -- « + +»Aber? Madame Belard?« + +»Sie haben sich mit ihr die Rückkehr in die Heimath abgeschlossen,« +setzte die kleine Frau endlich entschlossen hinzu -- »Sie haben sich +auf Ihre Bambushütte und den Meeresstrand beschränkt, und -- ich weiß +nicht ob Sie daran gut gethan haben.« + +»Und paßt Sadie nicht in jede Gesellschaft?« + +»Ja -- aber die Gesellschaft paßt nicht für sie;« lautete die rasche +Antwort; »wenn sie von der Gesellschaft als das aufgenommen würde was +sie wirklich ist, in all' ihrer Anmuth und holden Weiblichkeit, keine +andere Frau könnte höher stehen, aber wir leben nun einmal in einer +Welt von Vorurtheilen, und -- können nicht durch die Wand mit dem +Kopf.« + +»Aber ich will von der Welt Nichts mehr -- mir genügt das Glück das +ich besitze -- sie sollen mir das nur unverkümmert lassen.« + +Madame Belard schüttelte mit dem Kopf und sagte ernst: + +»Sie kennen sich selber nicht, Delavigne, und sind hier in +Verhältnisse gekommen, die Sie noch nicht übersehen können; gebe Gott +daß ich unrecht habe, aber Sie passen so wenig zu dem thatenlosen +Leben dieser Inseln wie -- ich, und ich will auch meinem Gott danken, +wenn Monsieur Belard einmal ebenso denken lernt und die Segel wieder +heimwärts setzt.« + +»Und was sollte mich hindern ebenfalls nach Hause zurückzukehren?« +frug René, doch sein Auge suchte dabei den Boden als er sprach, und +nur als Madame Belard gar nicht antwortete sah er auf, und vor ihm +stand, mit einem eigenen Lächeln auf den zarten Lippen, _Susanne_; +aber ohne ihn anzureden schüttelte sie nur leise und wie mißbilligend +mit dem Kopf und schritt langsam der Stelle zu, auf welcher sich Herr +und Madame Brouard eben zum Fortgehen anschickten. Ihm blieb jedoch +keine Zeit weiter, denn durch die Tänzer schritt der Capitain der +~Jeanne d'Arc~, und mit einer entschuldigenden Verbeugung gegen Madame +Belard René's Arm ergreifend, führte er ihn mit hinaus in's Freie, wo +die kühle Seeluft seine heiße Stirn fächelte, und die Sterne gar +freundlich und traut auf sie herniederschienen. + +»Mr. Delavigne,« begann er hier, freundlich des jungen Mannes Hand +fassend und drückend, »es ist zwischen Ihnen und einem meiner +Officiere ein mir höchst fataler, ja schmerzlicher Fall vorgekommen.« + +»Ich stehe dem Herrn mit Vergnügen jeden Augenblick zu seiner +Genugthuung bereit,« erwiederte René ruhig. + +»Ich weiß das, ich weiß das,« beseitigte es der Capitain -- »aber die +Sache ist, daß Sie Beide recht und Beide unrecht haben.« + +»Ich verstehe Sie nicht,« sagte René. + +»Ich will mich deutlicher erklären,« fuhr der Capitain fort; »Sie sind +selber zu gut mit den hiesigen Verhältnissen bekannt, als daß ich +nöthig hätte Ihnen den Standpunkt anzugeben, auf dem die Indianischen +Mädchen den Europäern gegenüber stehen; Sie müssen den geringen +moralischen Zwang kennen, den sich beide Theile hier auferlegen, und +Monsieur Rodolphe konnte keine Ahnung haben, daß Eine von Tausenden +eine solche Ausnahme ihres Geschlechts hier machte.« + +»Er ist vollkommen gerechtfertigt Genugthuung zu verlangen,« +erwiederte René, dem es weh that das Geschlecht der Indianer so +herabgewürdigt zu sehen; doppelt weh vielleicht weil er fühlte wie +viel Wahrheit das Gesagte enthalte. + +»Tollköpfiges Geschlecht,« murmelte der Capitain, den Kopf ärgerlich +herüber und hinüber werfend, »aber Ihr sollt Euch nicht schießen, +Mann, Ihr sollt Euch mit einander vertragen, und einsehen daß Euch +Gott Euere gesunden Glieder gegeben hat, sie zur Ehre Eueres +Vaterlandes einzusetzen, wenn's Noth thut, aber nicht da in die +Schanze zu schlagen, wo es nur eines offenen Wortes zwischen beiden +Theilen bedarf, sich zu überzeugen daß Beide unrecht hatten.« + +»Monsieur Rodolphe wird schwerlich, nach dem Vorhergegangenen, das +erste Wort zum Frieden bieten,« sagte René vor sich hin. + +»So thun _Sie_ es, Delavigne,« rief der Capitain. + +»Ich? -- nie« -- zischte René zwischen den zusammengebissenen Zähnen +durch -- »er hat mein Weib beleidigt und jeder Andere hätte wie ich +gehandelt. Aber trotzdem will ich die Hand zur Versöhnung reichen,« +setzte er finster hinzu, »wenn Monsieur Rodolphe mit mir zu Madame +Delavigne geht, und die Dame dort, der begangenen Rohheit wegen, um +Entschuldigung bittet. Sie wissen selber Capitain, daß nach unseren +Begriffen von Ehre keine weitere Wahl mir oder ihm bleibt.« + +»Aber Delavigne, das würde bei -- das würde bei -- das würde in Europa +nöthig sein, aber hier -- « + +»Und sind unsere Gesetze der Ehre hier anderer Art?« frug René ihm +scharf dabei in's Auge schauend. + +Capitain Sinclair biß sich auf die Lippen -- er konnte Nichts darauf +erwiedern wenn er René nicht kränken und einen zarten, höchst +schwierigen Punkt berühren wollte; aber er wußte auch daß sich +Rodolphe gerade wieder _seinen_ Begriffen von Ehre nach, einer +Insulanerin gegenüber, deren Ehen mit den Weißen als viel zu leicht +und zu wenig bindend angenommen wurden, nie dazu verstehen würde. + +Es blieb da weiter keine Wahl, und tief aufseufzend und ärgerlich sich +abdrehend sagte der Capitain, der gern das Aeußerste vermieden hätte, +aber die Unmöglichkeit auch einsah: + +»So macht was Ihr wollt; schießt Euch beide ein paar Kugeln durch die +Jacken -- so sind ein paar Tollköpfe weniger auf der Welt -- aber ich +will mit der ganzen Sache Nichts weiter zu thun haben -- Nichts davon +wissen -- die Folgen über Euch!« + +Er kehrte raschen Schrittes in das Haus zurück, von der anderen Seite +aber näherte sich dem jungen Mann ein Marineofficier und sagte +höflich: + +»Monsieur Delavigne, wenn ich recht bin?« + +»So ist mein Name.« + +»Sie wissen, was -- « + +»Ich stehe Ihnen mit Vergnügen zu Diensten.« + +»An wen wünschen Sie daß ich mich wende?« + +»Lieutenant Bertrand wird so freundlich sein -- « + +»Ah -- besten Dank, Monsieur, und guten Abend.« + +Mit höflichem Gruß trennten sich die beiden Männer, und René folgte +dem vorangegangenen Capitain, Bertrand in Kenntniß zu setzen und um +seinen Beistand zu bitten, und seine Frau nach Hause abzuholen. Der +Abend war ihm verleidet worden gegen weitere Lust und Freude. +Unbemerkt, wenigstens unbeachtet hatte er dabei gehofft den Saal +wieder betreten zu können, Madame Belard schien ihn aber schon in +Angst und Sorge erwartet zu haben, und seinen Arm ergreifend führte +sie ihn den Saal entlang. + +»Was haben Sie gethan?« flüsterte sie dabei, »Sie wilder Mann; und die +arme Frau sitzt da drin und weint und sorgt und grämt sich, und weiß +-- ahnt noch nicht einmal das Schlimmste.« + +»Wo ist Sadie?« frug René leise, sich im ganzen Saal vergebens nach +ihr umschauend. + +»Auf meinem eigenen Zimmer -- ich führe Sie dorthin.« + +»Nur einen Augenblick, Madame,« bat René, »ich habe nur einem Herrn da +drüben zwei Worte zu sagen; entschuldigen Sie mich nur einen Moment, +ich bin gleich wieder bei Ihnen.« + +»Und so soll es doch zum Aeußersten getrieben werden?« flüsterte +erbleichend Madame Belard. + +René zuckte die Achseln -- aber Bertrand, ebenfalls im Begriff den +Saal zu verlassen, stand nur wenige Schritte von ihm entfernt -- +wenige Worte leise geflüstert, genügten -- sie drückten einander die +Hand, und René eilte rasch zu seiner ihn ängstlich erwartenden +Führerin zurück. + +»Was Ihr für entsetzliche Männer seid,« sagte sie dabei, als sie den +Saal verlassen hatten und die Treppe hinaufstiegen, der höher +gelegenen Wohnung zu -- »mit kaltem Blut verabreden sie da einander zu +morden oder zu verstümmeln, und machen sich weiß dabei daß es nöthig, +unumgänglich nöthig wäre. Guter Gott wie wird das jetzt enden. -- Aber +da gehen Sie hinein, und gehen Sie zu Haus mit ihr, so rasch Sie +können -- sie sehnt sich zu ihrem Kind, und ich möchte mich selber +hinsetzen und weinen, wenn ich daran denke wie das arme süße Wesen, +das hier Kummer und Sorge trägt unverschuldet, von mir eingeladen war +sich zu amüsiren, und jetzt zu Hause geht, das Herz voll zum +Ueberlaufen von Wehmuth und Leid. Sie dürfen mit ihr hier auf Papetee +nicht mehr unter weiße Männer gehen, René, oder Sie können der armen +Frau noch selber das Grab hier graben auf der fremden Insel.« + +Und damit, ohne weiter eine Antwort von ihm abzuwarten, öffnete sie +die Thür ihres Zimmers, ließ René eintreten und kehrte dann selbst zu +ihren Gästen zurück, dort keinen Verdacht zu erwecken daß irgend etwas +Außerordentliches vorgefallen sei, was den Frohsinn hätte stören +dürfen. + + + + +Capitel 7. + +#Unterwegs.# + + +René betrat rasch das kleine sonst so freundliche jetzt aber nur von +einer einzigen düster brennenden Lampe kaum erleuchtete Gemach -- eine +eigene Angst, über die er sich eigentlich keine Rechenschaft zu geben +wußte, preßte ihm das Herz zusammen, und nur zum Theil beruhigte es +ihn, als ihm Sadie entgegen kam und beide Hände für ihn ausstreckte. +Er zog sie leise an sich, und sie schmiegte ihr Köpfchen fest, fest an +seine Schulter, ohne ein einziges Wort zu sagen, ohne einen Laut +auszustoßen. + +»Arme Sadie,« flüsterte er leise, und küßte sie auf die heiße glühende +Stirn -- fester drückte sie sich an ihn, aber sie athmete kaum, und +René fühlte wie sie in seinem Arm zitterte. + +»Wir wollen zu Hause gehen, mein süßes Lieb,« sagte er flüsternd zu +ihr niedergebeugt, und sie nickte heftig an seiner Brust, aber ohne zu +reden -- das Herz war ihr so voll -- so voll und so weh. Schweigend +nahm er seinen Hut, den Madame Belard schon für ihn zurechtgestellt, +und seinen Arm um ihre Schulter legend, sie zu stützen zugleich und zu +führen, verließ er mit ihr das erleuchtete, Luft und Leben athmende +Haus, durch eine Hinterthür das Freie suchend, da vorn, den hellen +Fenstern gegenüber, hundert von Eingeborenen standen und lagen, den +Tönen der Instrumente, den wunderlichen Melodien lauschend, bis hie +und da eine Aehnlichkeit im Takt durch die Glieder Einzelner zuckte, +und sie zum Tanz antrieb aus freier Hand, mitten auf der Straße +draußen. + +Durch den Garten, unter den thauigen Bananen und Orangen schritten sie +hin, langsam und schweigend den schmalen Pfad entlang, auf den der +Mond nur mühsam durch Palmenkrone und Brodfruchtwipfel einzelne seiner +Strahlen konnte niederwerfen. Eine schmale Pforte führte auf die +äußere Straße, und dieser folgend erreichten sie bald den düsteren +Palmenhain, der vom Fuß der Hügel ab bis dicht an den Strand reichte +und von dessen Wellen selbst seine Wurzeln bespühlen ließ. + +»Du solltest Dich freuen an unseren Sitten und Vergnügungen,« sagte +endlich René leise, als sie schon lange schweigend neben einander +hingeschritten und René nur ängstlich bemüht gewesen war, die dicht an +ihn angeschmiegte Gestalt des jungen Weibes vor allen Unebenheiten des +Weges zu bewahren. »Du solltest tanzen und fröhlich sein, und hast nur +Schmerz dort gefunden und Herzeleid.« + +Sadie wollte sprechen; René fühlte wie sie sich von seinem Herzen halb +emporrichtete, aber es war auch als ob ihr die Kraft oder das Wort +dazu fehle. + +»Bist Du mir böse, Sadie?« sagte René endlich nach langer Pause, und +suchte dabei ihr Antlitz zu sich emporzuheben. + +»Nein René,« flüsterte die Frau leise und schüttelte langsam den Kopf +-- »nein, nicht böse -- aber -- aber eine Bitte hätte ich an Dich.« + +»Und nenne sie mein Herz.« + +»Du warst so glücklich in Atiu« -- fuhr Sadie nach kurzem Zögern fort, +-- »kein Schmerz, kein Weh drohte unseren Frieden zu stören. Dort -- +waren keine weißen Männer und Frauen weiter,« fuhr sie mehr Muth +gewinnend, aber doch immer noch schüchtern fort, »dort warst Du Einer +der Unseren geworden, Alle hatten Dich lieb, und ich selbst -- war ein +Kind des Bodens und fand dort meine Heimath. Hier sind wir fremd, und +der Charakter des Landes ist, durch _Deine_ Landsleute, wie auch +durch die Engländer ein anderer geworden. Die weißen Menschen dünken +sich besser in ihrer Farbe,« fuhr sie wieder leiser fort, »als wir, +denen die Sonne dunklere Haut gegeben. Sage mir Nichts dagegen, René, +ich _weiß_ es, und so weh es mir thut, ich wollte es gern ertragen um +_Deinetwillen_ -- wenn ich nicht eben _Deinet_willen Dich bitten müßte +wieder mit mir fort von hier zu ziehen.« + +»Meinetwillen, Sadie?« sagte René, aber es war ihm nicht Ernst mit der +Frage und Sadie wußte es. + +»Wenn Du es nicht selber _fühlst_, René,« sagte sie traurig, »mit +Worten kann ich es Dir nicht beschreiben; ich kann Dich auch nur +versichern daß ich die Ueberzeugung habe wie wir Beide recht, recht +unglücklich werden würden, wenn wir hier blieben.« + +»Aber mein Geschäft,« sagte René. + +»Trägt nicht die Cocospalme Milch im Ueberfluß,« bat Sadie, sich +fester an ihn schmiegend, »hängt nicht die Brodfrucht voll und reif am +Zweig, und die Orange bietet Dir die Frucht, indem sie ihre duftenden +Blüthen auf Dich niederschüttelt; hast Du nicht mich -- Dein Kind? -- +liegt nicht der Frieden Gottes auf jenem stillen kleinen Inselreich, +das Seine Huld mit Allem ausgestattet was lieb und schön und gut und +fruchtbar ist? Sieh René,« setzte sie lauter, fester hinzu, »ich habe +Alles gethan was Du von mir verlangt; ich habe mir Deine Sitten +angeeignet, so weit es in meiner Macht stand, ich trage Euere +Kleidung, ich spreche Euere Sprache, ich habe mein Herz Dir gegeben, +Dir, nur Dir allein -- und meinem Kind. Nur -- nur die Farbe konnt' +ich nicht ändern, die Gott meiner Haut gegeben -- ich bin ein Kind +dieser Inseln, und als solches hast Du mich lieben gelernt, und zu +Deinem Weib genommen. Aber meine Schwestern hier auf Tahiti sind +anderer Art -- nicht mit so treuer Sorgfalt erzogen wie ich, leben sie +meist wüst und wild in den Tag hinein -- und Deine Landsleute tragen +viel die Schuld. Du hast heute erfahren in welcher Achtung die +Insulanerin bei ihnen steht -- willst Du noch länger Zeuge sein wie +sie mich kränken und niederdrücken? -- und doch hast Du nicht den +zehnten Theil von dem gesehen was mir wie Messer in die Seele schnitt, +nicht die kalten verächtlichen Blicke einzelner Frauen -- nicht die +leichtfertigen Worte gehört, die mir, heimlich oft, oft ohne Furcht +und Scheu in die Ohren geflüstert wurden, und das Blut in die Wangen +jagten. _Ich_ gehöre nicht unter jene Menschen, ich passe auch nicht +für sie, sie nicht für mich, und willst Du hier bleiben auf Tahiti, +magst Du Dich nicht trennen von dem jetzt vielleicht lieb gewonnenen +Leben, so laß mich daheim bei meinem Kind, René, dorthin gehör' ich, +den Platz füll' ich aus, und unsere Hütte mag Dir selber eine Heimath +werden -- aber Atiu wird es uns doch nie ersetzen. -- O zögest Du +zurück, René.« + +René erwiederte Nichts; schweigend schritten sie neben einander hin, +und tolle Bilder zuckten ihm durch Sinn und Hirn, denen er nicht Form, +nicht Deutung zu geben vermochte. Das geschäftige, wenn nicht +gesellige Leben Papetees war ihm schon theilweis zum Bedürfniß +geworden, dem er nicht gern entsagen, das er sich aber noch weit +weniger gestehen mochte, und doch auch wieder fühlte er in +unbestimmter Ahnung die Gefahr, die seiner häuslichen Glückseligkeit +hier drohen könne. Er sah sich in Kampf und Streit mit Europäern, von +den Indianern angefeindet seiner Religion und Abstammung, von den +Europäern verachtet seiner Heirath wegen, und durch das Alles, wie ein +blendender neckischer Strahl, zuckte das weiße, wunderschöne Antlitz +des fremden Mädchens, das kalt und höhnisch auf ihn niedersah und +seiner Angst und Qual da unten nur zu spotten schien. _Jetzt_ gerade +sollte er Papetee verlassen, wo sie hier erschienen war, daß sie wohl +gar nachher sich rühmte, er sei vor ihr geflohen? -- bah -- was war +sie ihm? -- ihre Schönheit konnte ihn nicht locken, Sadie war schöner +-- und ihr Geist? -- ihr fehlte die milde Weiblichkeit die der +Geliebten jenen unendlichen Reiz verlieh. -- Und ihre Farbe -- blindes +thörichtes Menschenvolk, den Werth eines Herzens nach der Schaale oder +Farbe zu schätzen, und die süße Frucht gar deshalb zu verachten, weil +sie von der Sonne etwas mehr gebräunt. Und doch war gerade das jetzt +dem jungen ehrgeizigen Mann ein bitteres schmerzliches Gefühl, _daß_ +sie mit jenem kalten Lächeln auf ihn niedersehen _konnte_; der Gedanke +wurde ihm zur Qual, und ein Seufzer hob seine Brust. Es war zum +_ersten_ Mal der Wunsch daß die Geliebte seiner Farbe wäre, und Sadie +hörte und verstand den Seufzer, denn sie senkte das Köpfchen und +schritt lautlos neben ihm hin. + +So erreichten sie den stillen freundlichen Platz der ihre Heimath war, +das matte gedämpfte Licht das aus dem einen verhangenen Fenster quoll, +beleuchtete den Schlaf ihres Kindes, die Palme die ihren breiten +Wipfel darüber hing, rauschte leise und feierlich, und es war als ob +sie dem Schlaf des Lieblings lausche und ihm bunte freundliche Träume +zuflüstere über sein kleines Bett. + +Fast unwillkürlich blieben die beiden Gatten stehen, und wie ihr Blick +auf dem friedlichen Dache ruhte, das ihnen das Theuerste umschloß, als +René der tausend glücklichen, seligen Stunden gedachte, die er schon +dort mit seinem trauten Weib verlebt, und nun auch die frühere Zeit +-- die erste Zeit seiner Liebe, seiner Hoffnungen, des errungenen, so +schwer errungenen Glücks in vollen lebendigen Farben emporstieg vor +seinem inneren Geist, wie er damals den Augenblick gesegnet in dem er +dieses Paradies zuerst betrat, da überkam ihn ein recht weiches, +reuiges Gefühl, und sein Weib, sein treues braves Weib fest an sich +ziehend, preßte er seine Lippen an ihre glühende Stirn, und das +Liebeswort »Sadie« erstarb in dem langen, heißen Kuß. + +»Komm,« flüsterte sie endlich, und entzog sich leise seiner Umarmung +-- »komm!« und seine Hand ergreifend, führte sie den Gatten an das +Bett des Kindes. + +Oh wie so süß der kleine Liebling ruhte; die Lampe, von einem breiten +Bananenblatt verdeckt, warf nur den matten grünen Schein über den +schlummernden Engel hin; die langen seidenen Wimpern lagen voll und +dicht auf den von Schlaf gerötheten blühenden Wangen, und ein liebes +herziges Lächeln spielte um die fein und zart geschnittenen Lippen. +Engel flüstern mit dem Kind, wenn es im Schlafe lächelt, und das +Mutterherz sieht des Schutzgeistes Fittiche ausgebreitet über dem +Liebling. + +Komm lieber Leser, komm -- siehst Du die Gruppe dort, das Herz des +Weibes an des Mannes Brust, Mutter- und Vaterliebe dem Schlaf der +Unschuld lauschend und Gottes Segen niederflehend auf das Haupt des +schlummernden Kindes? -- Und darüber die rauschende Palme, das Bild +des Friedens? um sie her aber den stillen rauschenden Wald, und der +Sterne blitzende Schaar die Zeugen des erneuten Bundes? -- komm, +leise, leise daß Du es mir nicht störst, das freundliche Bild. -- +Wohin? -- nach dem Strand führ' ich Dich -- hörst Du die Brandung +rauschen über die Riffe hin? -- sie donnert ihre alte ewige Weise +unverdrossen fort, aber doch heimlicher, ruhiger heut' Nacht, als ob +sie selber sich scheue den heiligen Frieden zu stören, der auf der +wunderschönen Insel ruht, und wie des Mondes Scheibe dort oben über +den Gebirgshang herübersteigt und sein Licht über die See gießt, +blitzt ihm die Brandungswelle im weiten silbernen Streif den Strahl +zurück. Komm, dort unten liegt mein Canoe, und jenes freundliche Licht +leuchtet uns auf unserer Bahn. So, steig nur ein und fürchte sein +Schwanken nicht, der Luvbaum schützt es vollkommen vor jedem +Umschlagen, jeder weiteren Gefahr, und durch die Corallenriffe hin +steuere ich Dich in dem scharfgebauten Kahn über das Mond beleuchtete +Wasser anderen, wenn auch nicht so friedlichen Scenen zu. + +Klares Wasser unter uns -- tief, tief liegt es dort unten in +»purpurner Finsterniß« und lichte glühende Punkte ziehen und blitzen +durch die geheimnißvolle, dem Menschenauge noch unerschlossene Welt. +Dort unten baut der Korallenbaum nach rechts und links hinüber seine +Wälle und Dämme, gegen die Jahrtausende die wilde Brandung schlägt, +und im Innern dort hat er sich sein stilles Haus gebaut und sein +cristallenes Dach gewölbt, und jetzt bei Nacht entzündet er die grünen +Lichter alle, und wie ein Feeendom blitzt es und strahlt's zu Dir +hinauf. + +»Die Sterne, wenn sie alt werden und sterben, fallen sie in's Meer,« +sagt Dir der Indianer, »und dort feiern sie ihre Wiedergeburt und +tanzen und werden wieder jung« -- aber glaub's ihm nicht; tief unten +in dem Corallenwald, dessen eng und dicht verschlungene Zweige +neidisch das ihnen anvertraute Geheimniß wahren wollen, tanzt das +fröhliche Nixenvolk, das eigene Haar von blitzendem Licht +durchflochten, den frohen Reigen, huscht unter den Bäumen hin, herüber +und hinüber, und fährt hinauf und hinunter oft wie ein zündender +leuchtender Strahl. Und der träumende Fischer oben, der in seinem +Canoe liegt und staunend niederschaut in die ihm fremde wunderbare +Welt, sieht die Lichter und folgt ihrem Zucken und Schießen mit den +Augen, und glaubt auch manchmal daß er unter, neben sich -- doch nein, +hätt' er die Geister wirklich je belauscht, er würde nie zum Strande +wiederkehren; nur an der Schwelle darf er stehen, wie die Natur uns +Alle auf der Schwelle läßt, und keinen Blick erlaubt in ihr geheimes +wunderbares Wirken. + +Weiter -- schau nicht zu lang hinab, Dich schwindelt; und siehst Du +den lichten Streif da drüben, der schon zweimal herüber und +hinüberschoß, und dort zu Hause scheint, wo der Corallenhang die +weiten Arme aufwärts wirft -- das ist ein Hai, der unserem Kahne +lauernd folgt -- ein Wächter seinen Gebietern da unten. + +Sieh, am Bug kräuselt und zischt die Fluth und aus dem silberglühenden +Schaum blitzt sie Diamanten gleich funkelnde knisternde Lichter aus +über das ruhige Wasser, auf dem sie eine Weile rasten und dann +zerfließen. Mehr und mehr schwindet das Ufer zurück, und wir sehen den +Schatten der Palme nicht mehr in der klaren Fluth, wie sie den Wipfel +weit weit hinüberreicht sich zu spiegeln, und Morgens die Thautropfen +niederzuwerfen in ihr eigenes Bild. Der Berg mit seinen gewaltigen +Umrissen tritt massenhaft hervor, und links von uns donnert und +schäumt die Brandung und springt höher empor, und rollt lauter und +heftiger, als ob sie sich unserem Nahen widersetzen und uns +zurückscheuchen wolle aus ihrer Nähe. + +Dicht an der Corallenbank hin gleiten wir -- so dicht, daß wir mit dem +Ruder die hochaufzackenden starren Zweige berühren und Seeigel und +Stachelei in ihren schimmernden strahligen Betten im matten +Phosphorschein können liegen sehen -- schärfer kräuselt das Wasser am +Bug und einen Gluthstreifen zieht hinter dem Canoe die aufgerührte +Welle. Weiter -- von düsterer Nacht gedeckt, auf dem der Mond wie ein +Silberschleier liegt, und nur den eigenen Strahl zurückzublitzen +scheint, dehnt sich das waldbewachsene Ufer aus an unserer Rechten, +mit seinen dunklen Orangen- und Guiavenschatten, seinen +fächerblätterigen Pandanus und wehenden Palmen. + +Weiter -- die aufgescheuchte Möve, die im raschen Kreisschwung über +die Fluth streicht stößt nieder nach dem dunklen Schatten des Canoes, +flattert zurück, kehrt wieder, und abschweifend in weitem gewaltigen +Bogen verschwindet sie in dem dämmernden Zwitterlicht, und nur der +scharfe Schrei tönt noch aus dunkler Ferne zu uns her, die Bahn +verrathend der sie jetzt folgt. + +Sieh wie düster das Vorgebirge sich da hinauslagert in See, einem +riesigen Ungeheuer gleich das vom Gebirge niedergestiegen und sich +hier hineingeworfen in die klare Fluth, die heißen Flanken zu kühlen +und den lechzenden Schlund -- und das Brausen des Wassers -- ist es +doch fast als ob das schwere Athmen des Kolosses herübertöne in langen +gewaltigen Pausen. + +Daran hin gleitet der Kahn; so dicht -- durch die Palmen am Ufer +kannst Du das südliche Kreuz erkennen, wie es sich um des Südpols Axe +dreht -- und dort drüben die Lichter? dort liegt die Grenze unserer +Poesie -- die Compaßlichter sind's der im Hafen ankernden Schiffe, und +in den offenen Luken liegen eherne Feuerschlünde, wie schlafend jetzt +im Bau, jeden Augenblick aber bereit die eisernen Todesboten +hinüberzusenden an diese stillen Ufer. + +Unter jenem stolzen Schiff fahren wir hin -- der Talbot ist's -- und +der Mann dort, der das Kinn auf den Arm gestützt, träumend nach uns +herüberschaut der wachthabende Matrose, der schon lange das nahende +Boot beobachtet hat, und heimlich den Kopf schüttelt was die stillen +Ruderer hier draußen in der Bai thun so spät in der Nacht. Wie stolz +und symmetrisch die Masten, mit ihrem spinnewebartigen Gewirr von +Tauen und Stagen scharf und klar abzeichnen gegen das hellere +Firmament, und wie leicht und elastisch der stattliche Bau auf dem +Wasser ruht, der Möve gleich die schlummernd die weiche Woge gesucht, +sich in Schlaf zu schaukeln durch die stille Nacht. + +Und da drüben? -- der schlanke wespenartige Bau kündet ein anderes +Kriegsschiff, die ~Jeanne d'Arc~, bedroht wie es fast scheint von dem +Talbot hier und dem Vindictive da drüben, jenem gewaltigen Koloß, der +die Mündungen seiner Kanonen auch hier herüber gerichtet hält; aber +die Zähne gerade so weisend wie der stärkere Feind und mit +entschlossenem Trotz liegt die Corvette still und ruhig in so +gefährlicher Nachbarschaft, und mit der Morgensonne grüßt nicht +rascher der erste Strahl die stolzen Flaggen Albions, als ihre drei +Farben lustig im Winde flattern. + +Welch ein eigenes wunderliches Bild in der Fluth da unten, wie die +Schatten der dunklen Raaen herüber und hinüberziehen, und die Sterne +ihr Bild daneben suchen in dem unheimlich düsteren Wasserspiegel. + +Horch auf dem Kriegsschiff tönen die Schläge einer Glocke, »sechs +Glasen« schlägts, es ist elf Uhr, und kaum hat die Glocke der +Ankerwinde, vorn auf dem Vorcastle des Vindictive dem Compaßschlag +geantwortet, als in rascher Reihenfolge, die ~Jeanne d'Arc~ mit dem +Talbot zu gleicher Zeit, und nach ihnen alle Schiffe in der Bai die +Stunde schlagen. Alles ist wieder still und ruhig wie vorher, so +lautlos liegt die Nacht auf dem kaum athmenden Meer, daß man den +Schritt der einzelnen Wache auf dem nächsten Deck des französischen +Kriegsschiffs deutlich hört, und das leichte Summen einer heimischen +Melodie tönt leise, mit dem regelmäßigen Gang, zum Takt über das +Wasser. Da beginnt noch ein Schiff die versäumte Zeit langsam +nachzuschlagen -- die französische Schildwacht lacht, und zählt, mit +Singen einhaltend, die schläfrigen rauhen Schläge einer gesprungenen +Glocke. + +Von dort her kommen sie, von dem Wallfischfänger der gerade in unserer +Bahn liegt, und der Mann der die Wacht hatte schlief so sanft in Lee +vom Boot und träumte so süß, als das Schlagen der Glocken wieder und +immer wieder zu ihm herübertönte. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs +-- erst fein und dann tief -- er zählte sie von _allen_ Schiffen, und +als wieder Alles still und ruhig geworden, und er in seinem Halbschlaf +lange gewartet hatte daß die klappernden Töne seines eigenen faulen +Schiffes, der einst so rüstigen ~Kitty Clover~, wie immer den Nachtrab +aufbringen sollte, da erst fiel es ihm ein daß er selber heute das Amt +habe die alte lebensmüde Glocke sprechen zu machen, und mit einem +leise gemurmelten Fluch suchte er sich zusammen, stand auf und den +Klöppel anziehend daß er im Mißton sechsmal gegen die geborstene Seite +dröhnte, brummte er bei jedem traurigen Schlag: + +»Verdamme Dich -- altes -- geborstenes -- klapperndes -- schnarrendes +-- Lärmeisen Du! S'ist ein Skandal für die ganze Nachbarschaft,« +setzte er dann knurrend hinzu, als er den Lagerplatz wieder suchte +unter dem Boot, den Mondstrahlen wenigstens aus dem Weg zu gehen, und +nicht aufzuwachen am andern Morgen mit geschwollener Physionomie. + +Der Mond fällt jetzt voll und licht gegen die Flanke des schmutzigen, +von Rauch und Theer geschwärzten, thranigen Fahrzeugs der ~_Kitty +Clover_~ -- die Segel die gestern zum Trocknen gelöst worden, hängen +halbaufgegeit, die breiten Theerstreifen der Reefer zeigend[H] an den +Raaen; die kurzen Masten mit dem breiten Sitz für den Ausguck darauf, +die Boote aufgezogen und mit Cocosblattmatten dicht bedeckt, die heiße +Sonne über Tag davon abzuhalten, das zerfetzte Kupfer am Bug, das +Zeichen einer langen Reise, Alles kündet das Geschäft des +Wallfischfängers, und doch liegt er hier träge und faul, mitten fast +in der guten Jahreszeit, zu ruhen und träumen, statt im Norden oben +den Fischen aufzulauern und seinen Rumpf zu füllen. + +Dicht unter seinen Krahnen gleiten wir hin, und freier dehnt sich die +Bai hier vor uns aus. -- Siehst Du da drüben die kleine Palmen +bewachsene Insel, links der Einfahrt zu? -- ~Motuuta~ ist's, der +Königssitz der Pomaren, der stille Zeuge ihrer früheren Macht und +häuslichen Glückseligkeit. -- Vorbei; so ist die Zeit der Pomaren, +vorbei; ihre Macht ist zum Spott geworden zwischen Engländern und +Franzosen; zum Spiel, um das beide Nationen vielleicht mit +Kanonenkugeln würfeln, oder es auch dem einen Gegner, als nicht der +Mühe werth des Streits, freiwillig überlassen. + +Weiter -- aus den dunklen Schiffen heraus, deren düstere Rumpfe lange +Schatten werfen, und das weiche Mondlicht um sich her einzusaugen +scheinen, gleiten wir vor. Funken sprühend ordentlich in der +elektrischen Fluth, schießen wir dahin, das leichte Ruder den +scharfgebauten Kahn fast über die Welle hebend die ihn trägt. Da +drüben liegt der Strand -- weit und silbern dehnt sich der +mondbeschienene Muschelkies und blitzt und funkelt, und die Woge +quillt auf dagegen und saugt und breitet darüber hin, zurückweichend +nur den funkelnden Schaum ihm lassend, der in Atome auseinanderfließt. + +Erreicht haben wir jetzt das lange niedere, palmenbewachsene Land, den +rechten Arm der Bai, die ihn schützend vorhält gegen den Passat, und +kleine hochgebaute Gerüste laufen ein Stück hier in See hinaus, von +dem sandigen Strand ab, Seebooten auch bei niederem Wasserstand die +Anfahrt zu gestatten. + +Aber was braucht das Canoe solcher Hülfe, das schattige Ufer zu +erreichen? -- risch hin, mehr über wie durch das Wasser schießt's auf +der klaren Fluth, und das Ruder das es vorwärts treibt, hebt es und +zwingt es, selbst über Coralle und Sandbank fort, dem weißen +Muschelkies entgegen. Bambusstäbe sind hier überall dem Grund +eingestoßen, ein Zeichen für Fischer und Boote von tieferem Wasser; +mitten zwischen ihnen durch springt das Canoe, und wie die aufgebogene +Spitze in vier Zoll Wasser den Sand berührt, hebt sich das schlanke +Boot und sitzt fest. -- Nur hinaus, ob uns das warme salzige Naß den +Fuß auch netzt, am Cocosbasttau ziehen wir den Kahn hoch hinauf auf's +trockene Land, daß ihn die rückkehrende Fluth nicht hebt und +fortführt, und durch der Gärten schattiges Grün, durch die der +Mondenstrahl nicht einmal zur Erde dringt, führe ich Dich einen +Schleichweg hinauf zu heimlichem Platz. + +Reich' mir die Hand hier, denn der Pfad ist schmal, und dort gleich +hinter der Bananen letzte Reihe, denen der Brodfruchtbaum noch +Schatten giebt, beginnt das Dickicht der Guiaven, und über dem Pfad +reichen die niederen Büsche sich die Zweige traulich herüber und +schlingen die Arme fest in einander, tiefer und tiefer niederdrückend +in den Weg, bis des Menschen Hand, mit scharfem Stahl bewehrt, wieder +eine neue Bahn abzwingt den zudringlichen. Weiter -- halte Dich fest an +mich und hebe den Fuß, denn alte niedergebrochene Cocosnüsse und +Hülsen decken den Boden und -- was Du zertratst, und was unter Deinem +Fuße wich? -- reife Guiaven sind's, die den Boden hier decken, kehre +Dich nicht an sie, über und neben Dir wachsen mehr, und jetzt -- +siehst Du das Licht dort durch die Zweige blitzen? hörst Du die +gellenden Töne keifender Menschenstimmen? -- wir sind am Ziel und ich +führe Dich jetzt ein bei _Mütterchen Tot_. + +FOOTNOTES: + +[H] Die Wallfischfänger, um Nachts nicht zu viel Fortgang mit ihren +Schiffen zu machen, und Fischen vielleicht vorbeizulaufen, reefen +meist Abends ihre Segel, und da die Leute den Tag über Thran auskochen +und voll Fett sind, so machen sie auch Fettflecke in die Segel, auf +denen sie zum Einbinden liegen. + + + + +Capitel 8. + +#Mütterchen Tot's Hotel.# + + +Tief in den Guiaven versteckt, und etwa nur vier-oder fünfhundert +Schritte von den äußersten Häusern von Papetee entfernt, lag eine der +gewöhnlichen lang-ovalen niederen Bambushütten dieser Inseln, mit +Pandanusblättern gedeckt, und wenig mehr anderem Hausgeräth, als ein +paar eisernen Kesseln und einem Dutzend oder mehr niederer, halb +ausgehöhlter Schemel, die den Eingeborenen über Tag zum Sitz, und über +Nacht zum Kopfkissen dienen. + +Die Wände waren übrigens, statt dem Luftzug freien Raum zu gönnen wie +in den gewöhnlichen Indianischen Häusern, mit dünnen Bastmatten fast +überall verhangen, und der Wärme wegen konnte das nicht gut geschehen +sein, denn gerade dieser Platz hätte einer frischen Zugluft eher +bedurft, wo das Guiavendickicht wie eine Mauer fast den engen, darin +ausgehauenen Hof und Hausraum umschloß; aber der Besitzerin dieses +Platzes lag mehr daran ungestört und von neugierigen unberufenen Augen +nicht belästigt zu sein, als frische Luft zu haben -- obgleich sie +deren Wohlthat wohl auch zu schätzen verstand. + +Die Wände, wenn man das mit Bast überhangene Gatterwerk überhaupt so +nennen darf, waren auch weiter durch Nichts belästigt was etwa einen +besonderen Reichthum der Inwohner hätte anzeigen können; an der einen +Seite hingen nur ein paar alte Kattun-Ueberwürfe, abgenutzt und +geschwärzt durch die Jahre sowohl wie auch vielleicht den Rauch der +Hütte, neben diesen aber und unter einer langen Reihe ausgeschliffener +Cocosnußschalen, die die Stelle von Trinkbechern versahen, paradierte +ein alter, einst weiß gewesener, aber jetzt in jede mögliche, wie +unmögliche Form hineingedrückter Filzhut, der in besseren Tagen +vielleicht einmal den pomadisirten Kopf eines Dandy im lustigen alten +England geziert, jetzt aber verdammt war, seine Tage in +Cocosnußölqualm und Guiavenholzrauch in einer Tahitischen Hütte zu +verträumen. + +So kahl übrigens die Wände dreinschauten, so toll und wild stand alles +mögliche Geschirr und Geräth in den Ecken herum. Kalebassen, die auf +diesen Inseln den Bewohnern gewöhnlich zu Kommoden, Koffern, +Hutschachteln, Arbeitskörben, Speisekammern, Toiletten und Gott weiß +was sonst noch dienten, waren in Masse vorhanden, und hie und da eine +über die andere geschichtet; dabei lehnte, zwischen ein paar Besen, +einer Harpune und einem Ruder, eine alte rostige Flinte mit +Feuerschloß, und darüber, aber so versteckt hinter den Matten, daß es +nur von einzelnen Theilen der Hütte aus gesehen werden konnte, war ein +schmales kleines Bret befestigt, auf dem ein paar Bücher, und oben auf +eine dickleibige abgegriffene Bibel lagen. + +Interessanter und mannichfaltiger erwiesen sich aber jedenfalls die +Bewohner wie gegenwärtigen Insassen dieses abgelegenen Platzes, den +viele der Indianer sogar in abergläubischer Furcht mieden, weil sie +»Mütterchen Tot«, wie die Eigenthümerin von den Matrosen gewöhnlich +nur schlichtweg genannt wurde, in dem Besitz übernatürlicher Kräfte +glaubten, und allerdings rechtfertigte ihr Ansehen eine solche +Vermuthung, wenn überhaupt auf irgend ein menschliches Wesen +anzuwenden, vollkommen. + +»Mütterchen Tot« war ein Charakter, und Niemand betrat ihr Heiligthum +zum ersten Mal, ohne eine gewisse Scheu und Ehrfurcht zu empfinden, +die selbst den Rohsten beschlich -- aber ihr ehrwürdiges Aussehen trug +wahrlich nicht die Schuld dabei. + +Mütterchen Tot war übrigens -- ehe ich den Leser mit ihrem +_äußerlichen_ Menschen, dem Anzug, bekannt mache -- in Europa und zwar +in dem Reiche ihrer Großbritannischen Majestät vor langen, langen +Jahren geboren, Niemand aber konnte mehr an ihrem Dialekt erkennen ob +in dem bevorzugten England selber, dem ~»bonnie«~ Schottland oder der +»grünen Insel«, wie Irland von seinen poetischen Kindern genannt wird. +Sie mischte Alles durcheinander und ihre Sprache hatte dabei, durch +den langen Aufenthalt auf den Inseln, fast eben so viel Worte von +diesen angenommen, daß, wer nicht Tahitisch oder wenigstens eine der +Polynesischen Sprachen verstand, den Schlüssel zu all' den +wunderlichen Ausdrücken zu haben, kaum im Stande gewesen wäre Sinn +oder Verstand in ihre Rede zu bringen. Die Indianer und Fremden kamen +noch am leichtesten darüber hin, die ersteren glaubten sie spräche +Englisch, die anderen hielten es für Indianisch. + +In ihrer Jugend nun aus ihrem Vaterland, wie die böse Welt behaupten +wollte, nach Sydney deportirt, war sie von dort auf einem Englischen +Wallfischfänger entwichen, oder eigentlich von dem Capitain +desselben, den ihre Reize bestrickt haben mochten (denn Leute die +Jahrelang draußen in See herumfahren sind nicht immer wählerisch) +entführt worden. Der Capitain riskirte damals Zuchthaus, aber was +riskirt die Liebe _nicht_, und setzte später die junge Dame, als er +heimwärts fuhr und in solcher Begleitung doch nicht in einen +Englischen Hafen wieder einzulaufen wünschte, auf den Sandwichs-Inseln +ab, dort ihr Fortkommen, was ihr auch vollkommen gelang, weiter zu +suchen. + +Mütterchen Tot's Memoiren würden jedenfalls höchst interessante Daten +liefern, könnte sie nur eben veranlaßt werden näher auf sie einzugehn; +sie sprach aber nie über ihre Vergangenheit, und das einzige +Individuum, das vielleicht noch darüber, wenigstens über einen Theil +derselben, Auskunft hätte geben können, und auf das ich gleich nachher +zurückkommen werde, durfte nicht. + +Soviel ist gewiß, in der Gruppe der Sandwichs-Inseln hatte sie sich +lange Zeit aufgehalten, und bald auf Oahu bald auf Hawai, gehaust, war +dann mit einem Sandelholzfahrzeug nach den Freundlichen und +Navigators-Inseln gegangen, und hatte dort zuerst angefangen eine +kleine Wirthschaft zu gründen, in der sie besonders Matrosen +beherbergte, und ihnen berauschende Getränke verkaufte, um die sie, +wie um manches Andere, bei ihr würfeln konnten. Von dort streifte sie +nach Neu-Seeland hinüber, wo sie wieder lange Jahre blieb, sich aber +von hier eine »Stütze ihres Alters«, wie sie einen kleinen einäugigen +Irischen Schuhflicker nannte, der von jetzt ab bei ihr blieb, +mitbrachte. + +In Neu-Seeland hatten sie die Missionaire vertrieben und auf ein +Schiff gepackt, das sie Beide in der Samoagruppe landete, und hier +bewogen die Missionaire ebenfalls wieder einen Capitain das, ihnen +keineswegs freundlich gesinnte Wesen an Bord zu nehmen und dießmal, +aus ihrem Bereich ganz und gar hinaus, den Gambiers-Inseln zuzuführen, +wo sich die Katholiken schon seit längeren Jahren festgesetzt hatten. +Ein Typhoon aber, der das Schiff faßte und entmastete, strandete es an +Raivavai, und Mütterchen Tot fand wieder mit ihrem getreuen Begleiter +den Weg nach Tahiti, das ihr, als Mittelpunkt aller Europäer fast in +der Südsee, die besten Geschäfte und durch den Zwiespalt der +Protestantischen Missionaire mit den Katholiken, auch jedenfalls eher +eine sichere Ruhestätte wie irgend eine andere Insel versprach, wo nur +eine oder die andere Sekte allein gehaust, und dann auch geherrscht +hätte. + +Dem kleinen Irischen Schuster war das Alles gleichgültig; auch er +hatte übrigens eine Vergangenheit, die in Sydney ihren +Culminationspunkt, den Felsen gefunden, zu dem hingetrieben das +Bächlein seines Lebens wild und toll genug gesprudelt hatte, bis es +mit dem gewaltigen Sturz in die Tiefe, die ersten Convulsionen nur +einmal vorüber, wieder seine völlige Ruhe, wenn auch nicht Klarheit +erlangt hatte. + +Murphy -- er wußte selber nicht ob er je noch einen anderen Namen +gehabt -- war ebenfalls Einer jener wahren Patrioten die ~»had left +their country for their country's good«~ (zum Besten der Heimath, die +Heimath gemieden). _Wie_ er damals seine Freiheit wieder erlangt blieb +sein Geheimniß, soviel aber ist gewiß, daß er in dieser Zeit gerade +aufhörte ein Katholik zu sein, und das Studium der Bibel mit einem +Eifer begann, der ihm die Bewunderung der Protestantischen +Geistlichen, in deren Wirkungskreis er kam, hätte sichern müssen, +hätten diese nur eben zu ihm gelangen können, Zeuge seiner wirklich +angestrengten Thätigkeit zu sein. Wunderbarer Weise benahm er sich +aber bei diesem Studium fortwährend als ob er irgend ein entsetzliches +Verbrechen beginge, und in steter Furcht und Todesangst lebe dabei +ertappt zu werden. Witterte er einen Geistlichen in seiner Nähe (und +die frommen Männer machten sich manchmal die Freude ihn und seine +Gefährtin aufzusuchen, obgleich sie Beide lieber gehen als kommen +sahen, denn sie verzehrten nicht allein Nichts, sondern suchten nur +umher, Grund zur Anklage zu finden) so konnte Mütterchen Tot nicht +rascher bei der Hand sein eine vereinzelte Branntweinflasche zu +verbergen, die sich vielleicht in zu unerlaubter Nähe bei einem +Eingeborenen befand, als Murphy auch mit seiner Bibel in die nächste +Kalebasse hineinfuhr, und Alles darüber deckte, was ihm gerade unter +die Hände kam. Wenn er dabei die ganze Woche nicht an Arbeit gedacht, +faßte er jetzt gewiß den ersten besten Schuh auf, der ihm unter die +Hände kam, und fing an daran herum zu schneiden und zu stechen und zu +nähen, als ob sein Leben an seiner Eile hinge. + +Mütterchen Tot behandelte ihn dabei auf das Herabwürdigenste, und kein +Schimpfwort gab es auf Englisch, Irisch, Gälisch oder Schottisch, wie +in irgend einer der bekannten Polynesischen Sprachen und Dialekte, das +sie nicht schon an ihm abgestumpft, kein Geräth in ihrem ganzen Haus, +das sie nicht schon, bei irgend einer feierlichen oder unfeierlichen +Gelegenheit, nach seinem Kopf geschleudert hätte. Vor allen andern +aber war es die heilige Schrift selber auf die sie es in ihrem +schlimmsten und gefährlichsten Zorn abgesehen, und die sie dann im +Fall eines Streites mit ihrem höchst sanftmüthigen _Gatten_ (wenn ich +diesen ungerechtfertigten Namen überhaupt gebrauchen darf) häufig aus +der Hand riß und an den Kopf warf. Ja sie hatte schon mehrmals gedroht +das ganze heilige Buch bei der nächsten passenden Gelegenheit -- und +die Gelegenheit war eigentlich immer passend -- zu verbrennen; +wunderbarer Weise hielt sie aber immer eine eigene Scheu, die sie sich +aber nie selber eingestehen mochte, und jedenfalls mehr in einer +abergläubischen Furcht wie irgend einem religiösen Sinn wurzelte, +davon ab ihre Drohung auszuführen, während Murphy, der ihr doch nicht +so recht trauen mochte, seinerseits Alles that ihr das Buch, wenn er +ja einmal die Hütte verließ, aus den Augen zu bringen, und Kalebassen +und Ecken unaufhörlich damit wechselte. Nur bei vollkommenem +Waffenstillstand lag es, wenn nicht gebraucht, auf dem kleinen +Bücherbret auf einem Haufen verschiedener Traktätchen von Mäßigkeits- +und Bibelverbreitungsvereinen in Tahitischer Sprache, und Murphy hatte +seinen Sitz so gestellt, daß er das Buch fortwährend dabei im Auge +behielt. + +Ich sagte vorhin daß Mütterchen Tots Aeußeres gerade nicht dazu dienen +konnte besondere Ehrfurcht einzuflößen, und allerdings war sie, was +ihre äußere Erscheinung betraf, nichts weniger als eitel. Zwischen 50 +und 70 Jahren, denn wunderbarer Weise hielten Schmutz und Runzeln +ihre Züge mit einem solchen Schleier überzogen, daß man sie bald dem +einen, bald dem andern näher glaubte, hatte sie einen gewöhnlichen +~pareu~ von einst grellrothem aber jetzt verblichenen Kattun, mit +breiten hochgelben Streifen, um die Hüften geschlagen, und am Tag trug +sie ein dem ähnliches Obergewand, das ihre dürre Gestalt in weiten +Falten umhing; Abends aber, wenn die kühle Seebrise über die Küste +strich, obgleich sie die, von den Guiaven förmlich eingeschlossene +Hütte doch nicht erreichen konnte, wurde es dem ein heißes Klima +gewöhnten Mütterchen zu kühl, und sie zog einen alten erbsgelben +schmutzigen Männer-Oberrock, der früher einmal lange Haare gehabt +haben mochte, über ihr Kattunkleid, und knüpfte die zwei Knöpfe, die +ihm noch geblieben, fest zu bis unter den Hals. Der Rock ging ihr +dabei bis tief über die Knie nieder, und da seine Taschen ebenfalls +tief saßen, in deren einer sie den einzigen Genuß aufbewahrte, den sie +sich außer dem Brandy gönnte, ihre Schnupftabaksdose, so hatte sie nur +mit dieser Unannehmlichkeit zu kämpfen, daß sie so tief nach der ihr +unter den Händen fortweichenden Tasche niedertauchen mußte, und sich +gewöhnlich endlich gezwungen sah, ihre andere Hand auch noch mit zu +Hülfe zu nehmen, das scheue Taschenfutter zurückzuhalten. + +Den Hals trug sie blos, und auf dem Kopf einen alten Strohhut, wie er +in ihrer Jugend wahrscheinlich einmal das Ziel ihrer Wünsche gewesen +-- das Alter hatte sich daran festgeklammert, und unter den breiten, +wunderlich geformten und mit ein paar künstlichen, aber selbst in der +Kunst verblichenen und zerdrückten Blumen geschmückten Seitenwänden +desselben hingen die grauen langen Haare wirr hervor. + +Der Hut diente ihr gegen Sonnenbrand und Zugluft, am Tag wie Abends, +bis sie ihr Mattenlager in einem Winkel der Hütte suchte, über das sie +jedoch ein weites und gut in Stand gehaltenes Mosquitonetz gespannt +ließ; der Rock jedoch war unstreitig nicht ihr Eigenthum, oder wenn +doch, jedenfalls nur getheiltes, und Murphy, der wahrscheinlich +frühere Besitzer schien seine Ansprüche daran keineswegs aufgegeben zu +haben. Abends oder in Zeit der Kühle, bei Regenwetter oder sonstigen +Witterungsfällen, wo überhaupt das Tragen eines solchen Rocks unter +dieser Breite eine Entschuldigung fand, und nur den geringsten Grad +von Befriedigung gewähren konnte, hatte sich freilich Mütterchen Tot +darin eingeknöpft, und wollte Murphy dem Rechte des Besitzes nicht +ganz entsagen, so mußte er den Sonnenschein benutzen -- und das that +er auch. -- Jeden Tag wenigstens einmal, machte er den verzweifelten +Versuch in den Rock einzufahren, und darin auszuhalten, und blieb +darin zum Erstaunen aller, etwa in der Zeit eintreffenden Gäste, bis +ihm das Wasser am ganzen Körper herunter lief, und er das nutzlose +Kleidungsstück von den Schultern riß, aufpackte, zusammenrollte und +versuchte in eine Kalebasse zu zwingen, was er nach einer Weile +ebenfalls wieder aufgab, und sich dann seufzend an seine Bibel setzte +-- und der Rock blieb in der Ecke so lange liegen bis es Abends kühl +wurde und ihn Mütterchen Tot wieder brauchte. + +Außerdem trug Murphy ein paar sehr abgenutzte Sommerhosen, von irgend +einem farblosen dünnen Stoff, ein baumwollenes Hemd, eine +gelbgestreifte Weste, statt der fehlenden Knöpfe an den betreffenden +Stellen mit Bast zugebunden, und eine durch den Jahrelangen Gebrauch +schon total schwarz gebrannte Thonpfeife, die aber gewissermaßen mit +zu seinem Anzug gehörte, und ohne die er eben so leicht erschienen +wäre, wie ohne die Hosen oder die Weste. Nur der alte Filzhut schien +zum Staat an der Bambuswand zu hängen, und obgleich er ihn regelmäßig +abwischte, den Staub davon zu entfernen, erinnerte sich noch Niemand +ihn je darunter gesehen zu haben. Bei Murphy waren die Kleidungsstücke +alle in der Mitte, an Kopf und Beinen ging er barfuß. + +Murphy war Schuhmacher, aber natürlich nur für Europäer, denen er +altes Schuhwerk ausbesserte oder, wenn sie ihm das Leder dazu +lieferten, auch Neues fertigte, und wenn die Missionaire ihn und seine +Begleiterin schon gewiß lange, des unerlaubten Verkaufs spirituoser +Getränke wegen, weiter geschickt, es wenigstens nicht so unter ihren +Augen geduldet hätten, so erwies sich der kleine einäugige Irländer +doch auch wieder so nützlich, ja manchmal sogar unentbehrlich in +_dieser_ Hinsicht, daß sie das andere Auge zudrückten und ihn lieber +duldeten als sich in den Fall gesetzt sehen wollten ihre Kundschaft +einem dort kürzlich hingezogenen _katholischen_ Schuhmacher +zuzuwenden. Murphy fühlte auch eine gewisse Verehrung für diese +Männer, die ihm, weniger vielleicht durch ihr sonstiges Wesen und ihre +Predigten, als durch ihre fabelhafte Kenntniß der Bibel imponirten, +und bediente sie stets auf das prompteste. Da aber geschah es -- wie +überhaupt bei vielen anderen Gelegenheiten -- wo er mit Mütterchen Tot +auf das bösartigste zusammenkam, denn wenn sie irgend etwas haßte auf +der Welt, so war es, ihren eigenen Worten nach, ein »schwarzröckiger +Missionair«. Oeffentlich durfte sie aber freilich Nichts gegen sie +unternehmen, als höchstens schimpfen wenn sie sich unter ihren +Freunden befand, aber heimlich ließ sie auch dafür keine Gelegenheit +verstreichen ihnen irgend einen Schabernak zu spielen, und die +zerbrochenen Brandyflaschen welche die frommen Männer nicht selten +Morgens in ihrem Garten fanden, waren Kleinigkeit gegen die scharfen +Zwecken die sie ihnen sicher irgendwo in die Sohlen trieb, wenn Murphy +nur die Augen von einem fertigen Schuh verwandte. Nur der alleinige +Mangel an Concurrenz war im Stande gewesen, dem kleinen Iren die +Kundschaft bis jetzt zu erhalten. + +Mütterchen Tot's Hauptgeschäft war eigentlich der _verbotene_ +Brandyverkauf an die Indianer, den sie, trotz Consuln und +Missionairen, trotz Spioniren und Wachen der »Kirchenvorstände« in +vollem ununterbrochenen Gang zu halten wußte, und dabei eine Menge +Geld verdiente, von dem kein Mensch wußte wohin es kam, und dessen +Versteck aufzufinden selbst Murphys Scharfsinn bis jetzt entgangen +war. Von den Indianern bekam sie nur theilweise baar Geld, das jene +von den Europäern für Produkte gelöst, aber sie nahm auch alles +Andere, Cocosnüsse und Früchte, süße Kartoffeln, Hühner, Ferkel, +Matten, Tapa, Cocosöl, Perlmutterschaalen, Perlen; was ihr gebracht +wurde, es war einerlei, und sie wußte es wieder zu den höchsten +Preisen an die Schiffe, von denen sie ihre Spirituosen bezog, +abzusetzen. Auch zu dem Schmuggeln derselben hatte sie wieder ihre +besonderen Leute, großentheils unter den Europäern, und diese gerade +waren wiederum mit ihre beste Kundschaft. Doch wir finden noch eine +hübsche Gesellschaft in »Mütterchen Tot's Hotel«, wie die Bambushütte +von ihren Gästen sowohl wie ganz Papetee genannt wurde, versammelt, +und die alte Dame selber in bester Laune, denn gerade heute war ihr +wieder ein guter Wurf gelungen, und eine ganze Parthie neu +eingeführten Rum und Brandys glücklich in ihrem »Versteck« geborgen +worden, was sie auch wohl mit der klug benutzten politischen Aufregung +zu danken hatte, die beide Partheien zu viel beschäftigte ihre +Aufmerksamkeit so vollkommen dem sonst scharf genug bewachten Strande +zuzuwenden. + +In der Mitte des Hauses stand auf einem leichten Bambusgestell eine +ziemlich tiefe kleine eiserne Pfanne in der, aus dem flüssigen +Cocosnußöl heraus, ein riesiger Docht flammte; auf dem nackten Boden +aber umher waren verschiedene kleine Feuer angemacht und mit faulem +Holz oder feuchtem Laub beworfen, nur um Qualm zu erzeugen und die +Abends ziemlich lästigen Mosquitos fern zu halten. In diesem Rauch, +und bei dem ungewissen Licht des flackernden Dochts saßen, oder +kauerten vielmehr auf den niederen Sesseln, zehn oder zwölf Männer, +Weiße und Indianer, mit drei oder vier Indianischen Mädchen zwischen +sich, in buntem Gemisch zusammen, während im Kreis zwischen ihnen eine +noch halb volle Flasche herumging, aus der sich Jeder, wenn er Bedarf +fühlte, die vor ihm stehende Cocosschale füllte und die Flasche dann +weiter schickte. Mrs. Tot saß unfern davon, wieder in Murphys weißen +Rock eingeknöpft, auf einem ordentlichen Rohrstuhl, der sie den ganzen +Kreis bequem überschauen ließ, und Murphy selber lehnte in seinem +gewöhnlichen Winkel, wo er ein besonderes Licht in einer +Cocosnußschale brennen hatte, drückte den Kopf an die Wand und schlief +-- in wiefern das Schlaf genannt werden konnte, wenn sich Jemand mit +geschlossenen Augen, nur blindlings, aber ununterbrochen, der auf ihn +einstürmenden Mosquitos zu erwehren suchte. + +Die Unterhaltung war indessen lebendig genug geführt worden, hatte +aber meist gleichgültigen Gegenständen gegolten, in die die Mädchen +hinein lachten und tollten, den Männern die Flasche wegnahmen und sie +versteckten, und sogar Murphy in seiner Ecke mit einer Feder unter der +Nase kitzelten, was ihn zwang entsetzliche Gesichter zu schneiden und +mit den Händen, zu ihrem unbeschreiblichen Ergötzen, rasch und heftig +nach dem angegriffenen Theil zu fahren. Sie blieben dabei immer »zu +windwärts von ihm«, wie sie's in ihrer Sprache nannten, d. h. an +seiner blinden Seite, an der sie am wenigsten eine rasche Entdeckung +zu fürchten hatten, und trieben es so arg mit ihm, bis er zuletzt, +ohne jedoch seine listigen wie boshaften Quälerinnen zu entdecken, +munter wurde, sich die Augen (selbst das blinde dieser Operation +unterwerfend) ausrieb, und mit einem halblaut gemurmelten Fluch auf +die Mosquitos seine Lampe wieder ein wenig auffrischte, daß sie heller +brannte. + +»Und Ihr, O'Flannagan, mein Juwel,« mischte sich jetzt die Alte +hinein, die auf dem Stuhl zusammengekauert, die Füße halb +heraufgezogen und die zusammengeschlagenen Arme gegen die Knie +gelehnt, dem Gespräch theils behaglich zugehört, theils das Kreisen +der Flasche beobachtet, auch wohl einmal aufmerksam über den Lärm +hinübergehorcht hatte, ob sie draußen kein verdächtiges Geräusch +vernehme -- »Ihr wollt jetzt wieder eine Zeitlang auf der süßen Insel +bleiben? -- segne Euere Augen Kind, Ihr hättet zu keiner gelegneren +Zeit herüber kommen können, im ganzen gebenedeiten Kalenderjahr -- +laßt mir jetzt den Narren da drüben zufrieden, Ihr Dirnen, oder ich +hetze ihn über Euch, g'rad wenn er aufwacht -- Wespenzeug.« + +»Hallo Mutter Tot ist heute Abend böser Laune,« rief Eine der Mädchen +trotzig -- »sollen wohl ruhig hier sitzen im qualmigen Nest -- ehrbar +wie in der Predigt? Kommt Waihines, draußen im Freien ist's besser, +laßt sich die Schildkröte am Feuer räuchern.« Und lachend, die Melodie +ihres Tanzes trällernd, zu dem sie mit den Füßen den Takt schlug, +sprang sie, von den übrigen begleitet, denen der größte Theil der +Matrosen ebenfalls, theils fluchend theils lachend folgte, hinaus in's +Freie. + +»Das glaub' ich, Mütterchen;« brummte indeß unser alter Bekannter vom +Strande, ohne sich weiter um den Lärm der Fortspringenden zu kehren, +»natürlich, um gleich wieder die paar kaum verdienten Schillinge, und +wer weiß was sonst noch, zu riskiren, Dir Deinen Wintervorrath an +»Bergthau« einzulegen?« + +»Bah, Mann, es war keine Kunst den Branntwein an Land zu schaffen,« +brummte aber die Alte kopfschüttelnd, »und das Geld dießmal mit Sünden +verdient -- kein Mensch schaute danach, und ich hätte ihn selber +wollen im Canoe an Land und hier herauf bringen, wenn der Narr von +einem Schuster da in der Ecke nur für irgend was anderes noch, als +auseinandergegangenes Leder zu flicken, gut wäre.« + +Murphy, der munter genug geworden war die letzten Worte wie ihre +schmerzhafte Anspielung zu verstehen, knurrte nur etwas in den Bart, +erwiederte aber Nichts, und fing sich an seine Pfeife zu stopfen, mit +der er von da an langsam aber sicher der Nähe der Flasche zu +arbeitete, vor allen Dingen einmal in Armes Länge von ihr zu kommen, +und das Weitere dann seinem guten Glück zu überlassen, denn die Alte +gönnte ihm keinen Tropfen ihres Getränks, daß sie als ihre +Privatspeculation betrachtete, wenn er nicht eben so gut wie jeder +Andere dafür bezahlte. + +»Haha Mütterchen,« lachte aber sein Landsmann, ohne sich die Mühe zu +nehmen nach dem bezeichneten Individuum umzuschauen -- »nun die Arbeit +gethan ist wollt Ihr sie herunter setzen, ich sage Euch aber daß Ihr +Euch bald die Zeit wieder herbeiwünschen werdet wo sie Euch aufpassen +bis unter Euer Mosquitonetz, denn wenn die Franzosen hier doch noch +die Ueberhand kriegen, wird der Branntwein so billig wie der +Limonensaft, und der Kanaka kann ihn am Strand trinken, im offenen +Tageslicht.« + +»Wenn die Wi-Wis nur der Henker holen wollte,« knurrte die Alte, die +heimlich diese Besorgniß schon lange theilte, »aber die Englischen +»Eisenseiten« halten ihnen den Daumen auf's Auge, und ich werde ja den +Tag noch erleben, wo wir sie hinaustreiben sehen aus der Bai, wie eine +Schaar räudiger Hunde.« + +»Puh,« lachte Einer der schon halb angetrunkenen Indianer, indem er +von seinem Sitz hinunterrutschte, und sich, den Schemel unter den Kopf +schiebend, lang ausstreckte und dehnte zwischen die Trinker -- »puh, +die Beretanis nehmen den Mund voll -- sie sind lauter Worte und kein +Brandy -- morgen früh kein Schießcanoe mehr im Hafen.« + +»Unsinn, Du Saufaus,« schimpfte aber die Alte, einen mürrischen Blick +nach ihm hinüberwerfend, »was weißt _Du_ von den Schießcanoes, daß Du +Deine Zunge mit hineinhängst wenn vernünftige Leute reden.« + +»Was ich von den Schießcanoes weiß?« lallte aber der Insulaner -- »bin +d'ran vorbeigefahren heut Abend -- Toatiti ist nicht blind.« + +»Der Bursche hat am Ende nicht so ganz Unrecht,« meinte O'Flannagan +kopfschüttelnd -- »der ehrwürdige Mr. Pritchard muß gar nicht so +vortreffliche Nachrichten mitgebracht haben, sonst hätten seine +Kameraden hier, schon einen ganz anderen Lärm geschlagen, und +bestätigt sich jetzt das, daß die Engländer segeln, dann haben wir +auch in acht Tagen die Franzosen wieder über dem Hals. Ich weiß nur +jetzt nicht recht was man sich wünschen soll.« + +»Daß sie Beide der Teufel hole!« knurrte die Alte mürrisch in ihrem +wunderlichen Dialekt, »Einer ist so sehr darauf versessen einer armen +alten Frau das Bischen Lebensunterhalt zu entziehen, wie der Andere, +und wo die Einen Alles verbieten, erlauben die Andern Alles -- sie +geben sich ordentlich die größte Mühe die Inseln nur so schnell wie +möglich zu ruiniren. Aber hab' ich die Wahl, will ich doch noch lieber +die Franzosen als Herren wissen, denn Handel treiben die Missionaire +auch, und wer von ihnen ungeschoren bleiben will, muß ihnen dann ihre +Kattune und Bibeln abkaufen für gutes Cocosnußöl und +Perlmutterschaale; anstatt solch Eigenthum hier ansässigen Leuten zu +gönnen, klappert's in ihren eigenen Geldsäcken weiter.« + +»Oh laßt Euer nichtsnutziges Indianisches Gewäsch, und redet daß es +ein anderer ordentlicher Mensch auch verstehen kann,« rief aber hier +Einer der Englischen Matrosen, der Zimmermann der ~Kitty Clover~ +dazwischen, der mit der größten Aufmerksamkeit Mütterchen Tots Rede +gefolgt war, und um's Leben nicht herausbekommen konnte was sie +eigentlich gesprochen -- »wer ist todt und wo brennt's?« + +»Laßt's gut sein, Mütterchen,« beschwichtigte diese O'Flannagan, des +Engländers Einrede jedoch soweit beachtend, daß er in seiner +Muttersprache die Unterhaltung weiter führte, »durch ihr Verbot des +Brandy wiegen sie das Alles wieder auf, und Ihr bleibt noch immer in +ihrer Schuld. -- Wie viel rechnet Ihr etwa, daß Ihr jährlich an +heimlichem Grogverkauf verdient?« + +»Zählt einer armen Wittwe die Bissen die sie in den Mund steckt, +heh?« fuhr ihn aber die Alte an -- »daß ich zu leben habe an +Brodfrucht und Cocoswasser ist's eben genug, gönnt Ihr mir das etwa +auch nicht? -- Ihr verdient in einer Nacht mehr durch mich, wie ich +durch Euch das ganze Jahr.« + +»Haha Mütterchen,« lachte aber der Ire -- »Ihr lernt das Prahlen wohl +von den Franzosen, und dabei riskirt Ihr ohnedieß auch nicht Euere +Haut, und sitzt wohl und sicher hier in Euerem behaglichen Haus, +während sie unsereinem, wenn sie ihn faßten, vielleicht kurzen Proceß +machten, statt aller Weitläufigkeit.« + +»Bah, was riskirt _Ihr_,« brummte die Alte verächtlich -- »daß sie +Euch einstecken für ein paar Wochen, oder von der Insel verweisen dann +schifft Ihr Euch in Papetee ein, und steigt in Papara wieder an Land +-- es ist ordentlich erstaunlich, daß Ihr es unter den Umständen +wirklich wagt, einmal nach Dunkelwerden noch eine halbe Stunde für +funfzig schwere silberne Dollar zu arbeiten.« + +»Ihr redet wie Ihr's versteht,« brummte Jim finster in den Bart -- +»und ich habe auch gerade keine besondere Lust Euch das Ganze hier +weitläufig aus einander zu setzen; soviel aber kann ich Euch +versichern, ich wollte lieber zehntausendmal mit Eueren glattrasirten +Methodisten zusammenrennen, wie mit den großmäuligen Burschen, den +Franzosen, und -- habe dazu meine ganz absonderlichen Gründe, die eben +Niemand weiter etwas angehen, wie mich selber. Wenn das übrigens wahr +wird, was Taotiti da vermuthet, und die Engländer hier wieder klar +Fahrwasser machen, in das die Franzmänner nachher mit fliegenden +Fahnen einziehen, dann weiß meiner Mutter Sohn was er zu thun hat, und +jede andere Insel ist dann für mich bequemer wie Tahiti -- Ihr könnt +mir vielleicht eine Empfehlung nach Neu-Seeland mitgeben Mütterchen, +wie?« + +Murphy verzog bei diesen Worten das Gesicht zu einem breiten Grinsen, +Mütterchen Tot wurde aber böse, und begann eben mit einer vollen +Ladung Schimpfwörter gegen den heimlichen, aber desto boshafteren +Angriff des Iren, als draußen ein leises Pfeifen gehört wurde, und +Mrs. Tot sowohl, wie Jim alles Andere in dem einen Gefühl größter +Wachsamkeit vergaßen. + +»Hallo was ist das,« sagte Jim, stand auf von seinem Sitz, und zog +sich langsam nach einem entlegeneren Theil der Hütte hin, während +Toatiti die gerade vor ihm stehende Flasche zustöpselte, und unter +sich schob, von wo sie Murphy, der jetzt recht gut den passendsten +Zeitpunkt wußte, eben so rasch wieder entfernte, und damit auf seinen +Platz zurückglitt -- »da kommt Jemand.« + +»Das war To-to's Zeichen,« flüsterte die Alte, vorsichtig die Hand vor +die Flamme haltend, darüber hinwegschauen und den gleich erkennen zu +können der ihre Hütte noch zu dieser späten Stunde betreten würde -- +»Toatiti, wahr' Deine Flasche.« + +»Wahr meine Flasche?« knurrte der Indianer, auf dem Platz herumfühlend +wo er sie verborgen -- »das haben Andere gethan -- Oro's Zorn über +sie.« + +In diesem Augenblick öffnete sich aber die niedere Bambusthür, und von +dem auf Wacht draußen postirten Insulaner dicht gefolgt, betrat, den +Hut tief in die Augen gedrückt, ein Matrose den inneren Raum, blieb in +der Thüre stehen, sich erst zu orientiren in was für Gesellschaft er +eigentlich kam, und schritt dann, wie mit einem Blick um sich her +vollkommen zufriedengestellt, zur Flamme. Hier warf er den Hut ab, +setzte sich auf einen der leeren Schemel nieder, und fing an seine +Thonpfeife so ruhig zu stopfen, als ob er von klein auf hierher gehört +hätte, und gar nicht beabsichtigte je wieder einen so angenehmen Platz +zu verlassen. + +Niemand in der Hütte war übrigens mit größerem Erstaunen diesen +Bewegungen des Besuchs -- der für ihn kein fremder schien -- gefolgt, +als Mr. O'Flannagan, der in dem späten Wanderer mit einer keineswegs +freudigen Ueberraschung seinen früheren alten Spießgesellen, Jack, von +der ~Jeanne d'Arc~, erkannte, und sich dabei recht gut bewußt war, daß +er ihn halb und halb selber eingeladen, an Land zu kommen. + +»Well Jim,« begann dieser würdige Mann, nachdem er sich die Pfeife +angebrannt, während die Anderen ihm schweigend, und durch seine +Kaltblütigkeit wirklich überrascht, zuschauten -- »wie geht's heut' +Abend, was stehst Du denn dahinten in der Ecke? -- habt Ihr Nichts zu +trinken hier?« + +»Hol mich dieser und Jener« brummte aber Jim, der jetzt langsam +vorkam, und seinen alten Platz wieder einnahm, »wenn das nicht Jack +ist von der ~Jeanne~, nun mein Junge, hast Du den Platz hier wirklich +aufgefunden, und wo willst Du hin?« + +»Freundlicher Empfang das, bei Jingo,« lachte Jack -- »hallo Mate da +drüben, wenn Du mit der Flasche fertig bist, lang' sie mir einmal +herüber.« + +Die Anrede galt Murphy, der sich in diesem Augenblick unbeobachtet +genug geglaubt, einen heimlichen Angriff auf die erbeutete Flasche +wagen zu dürfen, und jetzt erschreckt absetzte und eine fast +unwillkürliche Bewegung machte das ~corpus delicti~ rasch wieder, und +bis zu geeigneterer Zeit zu verbergen, Toatiti war aber indessen auch +aufmerksam geworden, und in die Höh springend und mit dem Rufe: +»Hallo, weißer Mann -- hat meine Flasche,« holte er sich sein +Eigenthum wieder, mit dem er jedoch die gefährliche Nachbarschaft des +neugekommenen Fremden ebenfalls mied, und sich seinen Platz am anderen +Ende der Hütte suchte. Jim reichte Jack indessen eine andere Flasche +hinüber. + +»Und wer seid _Ihr_, wenn man fragen darf, mein feiner Herr?« sagte +aber jetzt Mütterchen Tot, mit noch immer etwas vorsichtig gedämpfter +Stimme, als ob sie nicht recht traue daß nicht vielleicht noch eine +andere Gesellschaft draußen an der Hütte stehen könne -- »Ihr kommt +hier gerade so breitbeinig herein, als ob Ihr mit zum Haus gehörtet, +und müßt doch wissen daß ich, den streng gehaltenen Gesetzen der Insel +nach, keinen Fremden über Nacht bei mir beherbergen darf, selbst wenn +ich ihn kenne, was bei Euch aber nicht einmal der Fall ist.« + +»Wer ich bin? -- hm, Jim da drüben wird Euch das am besten erzählen +können, wenn er sonst Lust dazu hat,« lachte der Matrose, zum ersten +Mal wieder absetzend mit der Flasche, und sich das Naß aus dem Bart +streichend. + +»Aber wo kommst Du noch her so spät in der Nacht,« frug jetzt Jim +selber, »und wie in der Welt hast Du den schmalen Pfad durch die +Guiaven verfolgen können?« + +»Verdammt wenig hab' ich überhaupt von einem Pfad gespürt,« lachte der +Seemann, »nein Kamerad, einen nichtswürdigen Kreuzzug habe ich durch +das niederträchtige Buschwerk hier gemacht nach allen Strichen und +Himmelsgegenden zu, und bin auf und ab lavirt, bis ich mich eben +bereit machte die Nacht unter Gottes freiem Himmel zuzubringen, als +ich noch zum guten Glück Euer freundliches Licht durch die Büsche +schimmern sah, und nun vor dem Wind Cours halten konnte, bis ich das +leise Pfeifen des Burschen da hörte, der mich noch immer so verstört +und mißtrauisch ansieht, als ob ich ihm alle Augenblicke wieder davon +laufen wolle. Hab' keine Angst, mein Junge, der Brandy ist +vortrefflich, und hier sucht mich doch kein Teufel, wenigstens nicht +bis es Tag wird, und man sich nicht mehr in den stachlichen +Orangengebüschen die Fetzen vom Leib, ja die Haut von den Knochen +reißt.« + +»Du bist desertirt?« frug O'Flannagan rasch. + +»Desertirt?« schrie die Alte, von ihrem Sitz aufspringend -- »und +halt' ich ein Versteck hier, für entlaufene Matrosen? was wollt Ihr da +hier? -- weshalb seid Ihr _hier_hergekommen?« + +»Pst, pst Alte,« suchte sie Jack aber wieder zu beruhigen, und die +Flasche vorher noch einmal gegen das Licht haltend, that er einen +zweiten Zug, der eben nicht viel für einen dritten übrig ließ -- »nur +nicht solchen Lärm einer Kleinigkeit wegen; das haben bessere Männer +vor mir gethan -- Wetter noch einmal, der Brandy ist famos, und ich +wollte die Flasche hier hätte eine Schwester.« + +»Aber sie haben Dich noch nicht vermißt?« sagte Jim, ihn über das +Licht aufmerksam betrachtend, »denn ich will doch nicht hoffen daß Du +eben, von den Spürhunden gehetzt, hier nur so zu Bau gekrochen bist.« + +»Der Vergleich könnte passen,« schmunzelte Jack, wie mit sich selber +zufrieden; »erst mit Dunkelwerden haben sie meine Spur in den Guiaven +verloren, und ich kann's ihnen nicht übel nehmen, denn ich wußte +selber nicht mehr wo ich war -- wie sollten sie's.« + +»Da haben wir's!« rief aber die Alte in Zorn und Grimm mit der rechten +Faust in ihre linke offene Hand schlagend; »wegen dem fortgelaufenen +Lump soll ich mir hier das Dach über dem Kopf niederreißen und mich +wieder hinaus in alle Welt jagen lassen? weiter fehlte mir Nichts -- +hinaus mit Dir mein Bursche, hinaus so schnell Du gekommen bist, oder +ich lasse Dich binden und knebeln und selber wieder auf Dein Schiff +zurückliefern, wohin Du gehörst, und das Du im Leben nicht hättest +verlassen sollen. + +»Herrliche Gastfreundschaft hier auf der Insel,« lachte Jack, ohne +aber auch nur die mindeste Bewegung zu machen, als ob er dem Befehl +Folge leisten wolle -- »patriarchalische Freundschaft das, hol' mich +der Böse -- sie sagen's Einem doch erst ganz höflich, ehe sie Einen +wieder hinauswerfen. Nun Jim, wie ist's? -- willst Du mich nicht +lieber wieder an Bord zurückschicken lassen? -- Du weißt, _ich_ könnte +nachher gar keine Geschichte erzählen, Gott bewahre, nicht die +mindeste.« + +»Unsinn,« knurrte der Ire, »es wäre mir verdammt egal was Du, einmal +erst wieder an Bord, erzählen oder erfinden könntest -- na, ich weiß +schon was Du sagen willst; die Alte hat aber in einer Hinsicht recht, +_hier_ kannst Du nicht bleiben, und _ich_ auch nicht, wenn sie Dich +wirklich bis an die Guiaven verfolgt haben, denn dann stöbern sie +auch, von ein oder dem andern _frommen_ Indianer geführt, die dabei +ein gutes Werk zu thun glauben, diese Hütte noch vor Tagesanbruch auf, +und könnten uns dabei im besten Schlaf erwischen.« + +»Hol sie der Teufel!« rief Jack finster -- »sie mögen thun was sie +nicht lassen können, aber meiner Mutter Sohn geht heute Nacht nicht +wieder allein in die Guiaven hinaus, und wenn ich die ganze +Mannschaft der ~Jeanne d'Arc~ hinter mir wüßte. -- Wenn Ihr mich aus +dem Weg haben wollt, versteckt mich hier irgendwo, ich bin müde wie +ein gehetzter Wolf und will schlafen; kommen die Monsieurs nachher +wirklich noch hierher, was ich aber doch stark bezweifeln möchte, so +kann sie die alte würdige Dame da, mit dem allerliebsten Hut auf und +dem gewiß höchst modernen Anzug, leicht genug auf eine falsche Fährte +bringen -- so, jetzt wißt Ihr das Kurze und Lange davon.« + +Mütterchen Tot, der vielleicht in ihrer ganzen jahrzehnte langen +Praxis ein solches Beispiel von keckem Trotz, _ihr_ gegenüber noch +nicht vorgekommen war, stand im ersten Augenblick wirklich starr vor +Ueberraschung -- jedenfalls sprachlos, dann aber war sie eben im +Begriff wie Gottes Zorn über den Unverschämten hereinzubrechen, der +ihr hier in ihrer eigenen Hütte zu trotzen, ja sie zu verhöhnen wagte, +als Jim dazwischen trat, und sie zurückhaltend den Arm des Matrosen +faßte und diesen bei Seite zog. + +»Was _will_ der Mensch hier?« kreischte jetzt aber das gereizte Weib +mit lauter, gellender Stimme, ziemlich unbekümmert wie es schien, wie +viel Specktakel sie mache -- »was thut er hier, was sucht er bei mir, +daß er -- « + +»Halt Mütterchen,« rief aber Jim rasch und heftig sie unterbrechend, +und den Arm drohend gegen sie aufgehoben -- »halt, oder Du schreist +Dich selber um den Hals -- der hier ist ein alter Kamerad von mir, und +ich werde ihn nicht in der Patsche sitzen lassen.« + +»Aber hier in meinem Hause -- « + +»Ruhig Mütterchen -- hier im Haus soll und kann er auch nicht bleiben +-- Du brauchst Dir deshalb keine Sorge zu machen; und Du, Jack,« +wandte sich Jim jetzt gegen diesen, der ziemlich geduldig das Ende der +Unterhaltung zu erwarten schien -- »Du stehst hier auf gefährlicherem +Boden als Du wahrscheinlich vermuthest, und je eher Du aus dem Schein +dieses Lichts kommst, desto besser für Dich -- vielleicht für uns alle +Beide.« + +»Aber wie zum Teufel _kann_ ich fort?« rief der Matrose ärgerlich, +»das Dickicht draußen ist ordentlich zugewachsen, und mit dem Licht +schon in Sicht, habe ich meinen Weg noch gewiß eine halbe Stunde +förmlich durcharbeiten müssen, nur den Platz hier zu erreichen.« + +»Du sollst auch nicht allein gehen,« unterbrach ihn Jim, »denn wir +müssen Dich eine ganze Strecke weit inland bringen, wenn Du es nicht +lieber vorziehst in der Nähe vom Strand zu bleiben und mit erster +Gelegenheit in einem Canoe nach irgend einer anderen Insel +überzusetzen.« + +»Nein nein -- danke,« sagte Jack nach kurzem Ueberlegen -- »draußen in +See ist langsames und unsicheres Fortkommen, und der Henker traue den +verschiedenen Fregatten die jetzt im Ein- oder Auslaufen sind; sie +könnten Einem jeden Augenblick über den Hals kommen, und -- neugierig +sind sie alle. Nein, ich will's jedenfalls erst einmal eine kurze Zeit +hier in den Bergen versuchen -- auf Salzwasser komme ich noch immer +zeitig genug.« + +»Gut, dann soll Dich Toatiti in die Berge bringen,« sagte Jim nach +einigem Nachdenken, und zwar in Tahitischer Sprache, mehr zu dem +Indianer selber, als zu Jack gewandt. + +»Toatiti wird sich hüten,« knurrte aber dieser, seine Stellung +beibehaltend und sich nur etwas mehr auf die Seite hinüberdrehend, +»Toatiti liegt hier ausgezeichnet und ist sehr durstig.« + +»Schwamm!« zischte der Ire zwischen den zusammengebissenen Zähnen +durch, aber er wußte auch daß mit den Insulanern, wenn sie einmal +keine Lust hatten, Nichts zu machen war, weder in Gutem noch Bösen, +und deshalb den anderen jungen Burschen zu sich winkend, flüsterte er +ihm etwas in's Ohr -- irgend ein Versprechen, seine Faulheit zu +beschwören, und mußte ihm dabei so dringend zugeredet haben, daß er +wirklich seine Tapa fester um sich her zog, die Haare aus dem Gesicht +schüttelte und sich bereit zeigte den Weißen »aus dem Weg« zu führen. + +Der Insulaner der Südsee ist eigentlich nicht faul -- wir haben +wenigstens kein Recht für ihn, dem die Natur Alles gegeben was er +braucht, wenn er nur die Hand danach ausstreckt, eine eben solche +Thätigkeit zu verlangen, wie sie unser ganzes Klima, unser Boden, +unser übervölkerter Staat schon zur Bedingung unserer Existenz +gemacht, und uns also auch damit jedes Verdienst genommen hat, sie uns +angeeignet zu haben -- wir können einmal nicht ohne sie leben, und +deshalb auch nicht mit ihr prahlen. Es würde ebenso wenig Einem +unserer reichen Leute, unserer Rentiers und Capitalisten einfallen +Holz zu hacken oder Straßen zu bauen mit Schaufel und Spitzhacke -- +»wir brauchen es nicht« sagen sie achselzuckend, »dafür haben wir +unsere Leute.« Dasselbe sagt der Insulaner -- »ich brauche es nicht«, +oder wenn er's nicht sagt liegt es in jeder Muskel seines Gesichts, in +jedem Nerv seines Körpers. Der Brodfruchtbaum ernährt ihn, und tausend +andere Fruchtbäume schütteln ihm selber das luxuriöseste Mahl auf den +Boden nieder; nur die Kleidung wurde früher von den Frauen und Mädchen +aus der Rinde gewisser Bäume herausgeschlagen, und dieser einzig +nöthigen Beschäftigung widmete wenigstens der weibliche Theil der +Bevölkerung einige Zeit; aber selbst das ist jetzt, sehr zum Schaden +der Insulaner, durch die erst von den Missionairen und später von +anderen Europäern eingeführten Cattune unnöthig gemacht und +aufgehoben, und die Missionaire selber verkauften ihnen die +Europäischen Stoffe, die ihnen durch ihre bunten Farben gefielen, um +einen Tauschartikel zu haben, für den sie ihren eigenen +Lebensunterhalt, wie anderes was sie zur Bequemlichkeit ihrer Existenz +gebrauchten, bekommen konnten. Den Frauen wurde damit die letzte +nützliche Beschäftigung genommen, und Bibellesen, das ihnen dafür +Ersatz geben sollte, konnte sie natürlich nur so lange fesseln, als es +eben den Reiz der Neuheit für sie hatte. Was kümmerten sie die Sagen +eines Volks von dem sie nicht einmal einen Begriff hatten wo und wann +es existirt, und jetzt gerade, wo das Glauben an die Wunder ihrer +eigenen Götter durch die fremden Männer erschüttert, ja über den +Haufen geworfen worden, sollten sie da gleich gläubig und +vertrauungsvoll zu noch viel wunderbareren Sachen aufschauen? -- + +Ach was -- die Sonne reifte ihre Früchte noch wie je -- im Schatten +ihrer wundervollen Wälder ruhte sich's so kühl wie sonst, und der +Zukunft _träumte_ es sich viel eher, wenigstens viel leichter +entgegen, als daß sie die Hand hätten »an den Pflug« legen sollen, wie +es die Missionaire fortwährend von ihnen verlangten. Wer etwas von +ihnen haben wollte mußte es gut bezahlen -- dann thaten sie es +vielleicht; aber gezwungen wollten sie noch immer nicht dazu werden. + +»Und wo führt er mich hin?« sagte Jack mit einem leisen Anflug von +Mißtrauen als er sah, wie sich der Indianer fertig machte ihn zu +begleiten, »hab ich weit zu gehen?« + +»Zu einem Haus in den Bergen,« erwiederte Jim, ihm die Worte leise +zuflüsternd -- »selbst Mütterchen Tot braucht den Ort nicht zu wissen, +obgleich sie Keinen verrathen würde, von dem sie nicht selber gleichen +Liebesdienst fürchten müßte -- der Platz liegt kaum eine halbe Meile +von hier entfernt, aber sicher versteckt, und ist wenigstens nicht, +wie der hier, als heimlicher Schlupfwinkel entlaufener Matrosen in +ganz Papetee, ja auf der ganzen Insel, berüchtigt -- bist Du fertig?« + +»Brauch' ich etwa andere Vorbereitungen,« lachte Jack, »als meine +Jacke wieder zuzuknöpfen? -- aber die Flasche hier nehme ich mit, es +ist immer noch ein Tropfen darin, und der Nebel liegt dicht auf den +Bergen. Und nun ade, Mütterchen, und vergelt' Dir Gott die +freundliche Bewirthung -- bis _ich's_ vielleicht einmal im Stande bin. +Und Du, Kamerad?« wandte er sich plötzlich noch gegen den Mann von der +~Kitty Clover~, der die ganze Zeit, seit Jack die Hütte betreten, +keine Sylbe gesprochen, und den fremden Gesellen nur manchmal, wenn +das unbemerkt geschehen konnte, unter seinem Hutrand vor beobachtet +hatte, »hast Du nicht vielleicht Lust einen Abendspatziergang +mitzumachen? -- s'ist verdammt langweilige Arbeit so allein mit einer +Rothhaut draußen in den Büschen herumzukriechen.« + +»Danke,« brummte aber der Matrose ohne aufzusehen -- »befinde mich +g'rade hier wohl wo ich bin.« + +»Auch gut,« brummte der Andere finster -- »besser keine Gesellschaft +wie schlechte,« und mit einem kurzen Gruß nach Jim hinüber, winkte er +seinem Führer und verließ rasch und mürrisch das Haus. + +Nicht ein Wort wurde gesprochen, als sich die leichte Bambusthür +wieder hinter den Beiden schloß, und die Zurückbleibenden horchten +viele Minuten lang lautlos und aufmerksam den, bald in der Ferne +verhallenden Schritten. Der Mann von der ~Kitty Clover~, Bob mit +Namen, brach zuerst das Schweigen wieder, und sich mit finster +zusammengezogenen Brauen den Hut aus der Stirn rückend brummte er, +mehr mit sich selbst als zu den Anderen redend, und die letzten Worte +des wunderlichen Burschen wiederholend, der hier so plötzlich zwischen +ihnen aufgetaucht und verschwunden war: + +»Besser keine Gesellschaft wie schlechte? -- Wetter Kamerad, Du +würdest weit in der Welt herumsuchen müssen, wenn Du schlechtere +finden wolltest wie Dein eigenes süßes Ich.« + +»Kennt Ihr ihn?« frug Jim rasch, sich zugleich nach dem Sprecher +umdrehend. + +»Vielleicht nicht so gut wie Ihr,« lachte dieser trocken, »aber immer +doch gut genug froh zu sein, daß ihm _mein_ Gesicht nicht gerade alte +Scenen in's Gedächtniß zurückrief. Wir waren vor gar nicht so langen +Jahren Schiffskameraden, ja Vortopgäste zusammen, und er wurde +gepeitscht und später in Ketten an Land geschafft, weil er das M. und +D. nicht von einander zu unterscheiden wußte.« + +»Das M. und D.?« sagte Jim erstaunt. + +»Nun das Mein und Dein,« lachte der Wallfischfänger, »aber noch +schlimmere Sachen wurden ihm zur Last gelegt, und ein halbes Wunder +nur rettete ihn damals von der Raanocke -- verdient hatte er sie schon +zehnmal.« + +»Aufgepaßt!« flüsterte da die Stimme der Alten rasch und vorsichtig +dazwischen -- »aufgepaßt, draußen sind wieder Schritte die da nicht +hingehören -- und der faule Gauch von einem Schuster kauert da +wahrhaftig wieder hinter seiner dickleibigen Bibel und schmiert die +Seiten voll Cocosöl -- hinaus mit Dir, Menschenkind, wohin Du gehörst, +und daß doch der Böse mit Dir und dem Buch davonflöge.« + +Murphy schien allerdings vollständig ausgeschlafen zu haben, und hatte +sich, da ihm die Flasche wieder abhanden gekommen, seinen +allnächtlichen Tröster, die Bibel, vom Gesims geholt, über der er bei +dem matten Licht der unsteten Flamme brütete. Mütterchen Tot's +Zornrede störte ihn nun allerdings etwas in dieser löblichen +Beschäftigung, aber theils ärgerlich gemacht durch den Verlust des +Brandy, theils durch die unermüdlichen Angriffe der Mosquiten, derer +er sich heute Abend kaum erwehren konnte, war ein sonst an ihm kaum +denkbarer Geist, der Geist des Widerspruchs, in ihn gefahren, und +mürrisch über das Buch und das Licht wegsehend rief er mit seiner +feinen, jetzt ärgerlich erregten Stimme: + +»Ach zum Henker, ich habe draußen Nichts zu suchen, und wenn man Einen +wie einen Menschen behandelte, könnte man auch wie ein Mensch +existiren. Laß die aufpassen die sich vor was zu fürchten haben; +Murphy hat ein gutes Gewissen und sitzt hier lange gut.« + +»Nun _das_ hat mir noch gefehlt!« schrie Mütterchen Tot, von ihrem +Sitz empor und auf den Rebellen zufahrend, der nur eben Zeit genug +behielt das Gestell mit der Lampe zwischen sich und die Megäre zu +bringen. Mütterchen Tot schien aber seine Taktik schon zu kennen, und +mit einem Griff ihrer langen Arme um die Flamme herumgreifend +erwischte sie das Buch, hob es mit beiden Armen auf und schleuderte es +blitzesschnell und mit einem ingrimmigen Fluch nach dem Kopf des +kleinen Schusters, der nur durch rasches Untertauchen dem nicht +unbeträchtlichen Gewicht des Bandes entgehen konnte. »_Da_,« schrie +sie dabei, kirschroth vor Wuth -- »da Du Lump, da nimm das und +studier's, und nun hinaus mit Dir, oder so wahr da oben der Mond am +Himmel steht, ich gieße Dir das heiße Cocosöl über den Leib, und brühe +Dich wie ein unreines Schwein das Du bist -- Du -- Du Lederstecher +Du.« + +»Zum Teufel noch einmal, Mütterchen,« rief aber Jim jetzt dazwischen, +der sich indessen ebenfalls zum Fortgehen bereit gemacht, und seine +Jacke zugeknöpft, seinen Hut aufgesetzt hatte -- »laßt den Lärm hier, +Ihr macht ja einen Skandal, daß die Hunde am Strand an zu bellen +fangen. Mir wird's unheimlich hier drin, und ich suche mir lieber ein +stilleres Quartier. Komm Kamerad, ich will Dich noch in gute +Gesellschaft bringen, heut' Abend, und morgen früh dann -- Teufel!« +unterbrach er sich aber rasch und erschreckt, denn draußen rasselten +plötzlich, wie auf ein gegebenes Kommando, eine Anzahl Gewehrkolben +auf den Boden, dicht an dem Eingang der Hütte nieder, und die Stimme +eines Befehlenden in Französischer Sprache wurde laut: + +»Zwei von Euch um das Haus herum, ob es noch einen anderen Eingang +hat, und Ihr hier bleibt an der Thür; was mit Gewalt hindurch will den +stoßt Ihr nieder -- Feuer auf jeden Flüchtling.« + +»Alle Wetter,« brummte Bob, jetzt ebenfalls aufspringend, und seine +Segeltuch-Hosen nach Art der Seeleute in die Höhe zerrend -- »Jack ist +ihnen zur rechten Zeit aus den Klauen gerutscht.« + +Es blieb ihm keine Zeit zu weiteren Bemerkungen, denn die Thür wurde +in diesem Augenblick aufgerissen, und sich bückend trat ein +Französischer See-Officier ein, dem eine Anzahl Marinesoldaten mit +aufgepflanztem Bajonett folgten, und somit ein Verlassen der Hütte, +die keine Fenster hatte, unmöglich machte. + +Der Officier, dessen Blick den inneren Raum, soweit das nämlich das +ungewisse Licht der Cocosflamme erlaubte, überflog, haftete zuerst auf +Murphy selber der, sich wenig um die Patrouille oder Haussuchung +kümmernd, an die er durch eine lange Reihe von Jahren auch wohl schon +gewöhnt sein mochte, nur rasch und bestürzt seine Bibel aufgegriffen +hatte, und mit dem dicken Buch jetzt gar nicht schnell genug in seine +Hülfskalebasse hineinfahren konnte. + +»Hallo Sir -- was habt _Ihr_ da so Kostbares zu verstecken he?« rief +er in Englischer Sprache, und ging langsam auf den kleinen Mann zu, +der fast instinktartig das erst halb hineingezwängte Buch bei Seite +und in den Schatten drückte, und nach einem angefangenen Schuh griff, +als ob er mitten in der Nacht seine mit Dunkelwerden aufgegebene +Arbeit wieder beginnen wolle. + +»Und seid Ihr hierhergekommen, Sirrah, unsere Taschen zu visitiren?« +knurrte aber unwirsch der kleine Ire, der schon einen tückischen +Seitenblick nach der ihm verhaßten Uniform warf, und seinen ganzen +trotzköpfigen Muth oder eher Widerspruchsgeist zurückbekommen hatte, +als er fand daß der nächtliche Besuch _nur_ Soldaten und keine +Missionaire waren, »wenn's _mir_ Vergnügen macht, kann ich meine +Kalebassen und Taschen so voll stopfen wie und mit was ich will -- was +geht's Euch an?« + +»Langsam mein Bursche, langsam,« lachte der Officier, unser alter +Bekannter Bertrand, durch die mürrische Antwort keineswegs böse +gemacht -- »wenn ich nachher neugierig werden sollte, wirst Du mir's +doch noch zeigen müssen, jetzt aber vor allen Dingen wollen wir Deine +Wohnung einmal etwas genauer besehen, ob wir nicht einen alten Freund +und Schiffskameraden darin entdecken können, der sich wahrscheinlich +von Bord verlaufen hat, und in der dunklen Nacht nicht wieder dorthin +zurückfinden kann. Die Guiaven stehen gar zu dicht um Euer Haus -- Ihr +solltet sie ein wenig lichten.« + +»Wie ich merke stehen sie doch noch immer nicht dicht genug;« brummte +Murphy halblaut vor sich hin, Mütterchen Tot nahm aber für ihn die +Unterhaltung auf, und mit ihrer schrillen Stimme kreischte sie dem +Officier entgegen: + +»_Deine_ Wohnung, _Deine_ Wohnung? wessen Wohnung habt Ihr hier anders +als _meine_? und glaubt Ihr daß der schmutzige Schuster da eine +Wohnung für sich selber hat? -- Ist das auch eine Manier einer armen +alleinstehenden Frau bei Nacht und Nebel in's Haus zu fallen, und sie +zu erschrecken, daß sie den Tod davon haben könnte? was wollt Ihr? wer +seid Ihr? wen sucht Ihr? nun, habt Ihr die Sprache verloren daß Ihr +dasteht wie von Gott verlassen?« + +»Alle Wetter,« lachte Bertrand, der sich erst jetzt von seinem Staunen +über die wunderbare, vor ihm aufsteigende und von der Flamme +phantastisch genug beschienene Gestalt erholen konnte -- »das ist +eine _Dame_; bei Allem was da schwimmt, ich hatte keine Ahnung daß +sich das schöne Geschlecht auch in solch alte Ueberröcke zurückziehen +könnte.« + +»Ach was _schöne Geschlecht -- Dame_,« knurrte die Megäre, »was wollt +Ihr, wen sucht Ihr? und ein Bischen rasch, denn es ist Schlafenszeit, +und ich möchte meine Ruhe haben wie ich's verlangen kann.« + +Der Officier hörte schon kaum mehr auf sie, sondern näher zum Licht +tretend, und seine Augen mit der linken ausgestreckten Hand dagegen +schützend suchte er vor allen Dingen herauszubekommen, ob außer den, +neben der Lampe sitzenden Individuen noch Andere vielleicht in der +Hütte befindlich, oder gar versteckt wären, einer eben nur +oberflächlichen Untersuchung auf bequeme Art auszuweichen. + +Jim hatte erst wirklich, und wie er das erste Niederstoßen der +Gewehrkolben hörte, eine Bewegung gemacht, als ob er sich in den +hinteren und dunkleren Theil der Hütte zurückziehen wolle, als aber +sein scharfes Ohr auch dort draußen Schritte hörte, blieb er ruhig +stehen und ließ sich dann sogar, als eben der Officier die Hütte +betrat, wieder auf seinen alten Platz nieder, wo er, den Kopf in die +Hände gestützt, und den breiträndigen Wachstuchhut nur etwas tiefer in +die Augen gezogen, ruhig sitzen blieb, und das Ganze mit vollkommen +gutem Gewissen schien abwarten zu wollen. Nur der mißtrauische und +finstere Blick, den er heimlich, unter dem Schatten seiner Hutkrempe +vor, nach dem Officier hinüberschoß, wie die fest zusammengebissenen +Zähne hätten können ahnen lassen, daß doch nicht Alles mit ihm so gut +und richtig sei, und er vielleicht gegenwärtig lieber den von +Mosquitos am meisten heimgesuchten Guiavensumpf, als gerade diesen +behaglichen Platz auf dem er sich befand, inne haben möchte. + +»Was oder wen ich suche, Madame?« wiederholte Bertrand langsam und +fast wie mit sich selber redend -- »hm, Jack scheint sich richtig aus +dem Staub gemacht oder doch einen sichereren Platz aufgefunden zu +haben. Ihr, da, zwei von Euch« wandte er sich dann in französischer +Sprache an die Soldaten, »sucht einmal an der Wand hin, ob Ihr nicht +irgendwo noch Jemand entdeckt, und wenn so, bringt ihn her zum Licht; +vielleicht können mir indessen diese beiden Burschen, die da so +schweigsam sitzen, etwas nähere Auskunft über den Gesuchten geben. +Heda Gentlemen,« wandte er sich jetzt an die beiden Leute, von denen +Bob nicht als Matrose zu verkennen war, während selbst Jim einen +ziemlich seemännischen Anstrich hatte, und hier auf Tahiti, wo man +kaum Leute anderen Berufs vermuthen konnte, recht gut für zu +Salzwasser gehörig gelten konnte -- »ich suche einen entsprungenen +Mann von der ~Jeanne d'Arc~, der auf den Namen Jack hört, und sonst +ein so durchtriebener nichtsnutziger Schuft ist, wie nur je Einer +Schuhleder zertreten oder das Deck eines Schiffes gewaschen hat. Kann +mich Einer von Euch auf die Spur bringen?« + +»Spur bringen?« brummte aber Bob dagegen -- »wenn's auf See wäre, aber +hier an Land bin ich immer froh wenn ich das Ufer selber wiederfinde, +mich nicht zwischen den verdammten Bäumen zu verlaufen -- da müßt Ihr +Euch schon einen Anderen suchen.« + +»Aber hast Du den Burschen nicht irgendwo gesichtet, Kamerad?« frug +der Officier wieder, der aus dem ganzen Wesen der Alten etwas +Aehnliches fast vermuthen wollte. »Er heißt Jack.« + +»So heißen wir ziemlich Alle,« knurrte der Seemann -- »wenn man Eines +Namen nicht weiß auf Englischen Schiffen, nennt man ihn Jack -- jeder +Matrose ist eigentlich ein geborener Jack, und kriegt den anderen +Namen, wie das Frauensvolk bei der Heirath, mit dem ersten +Salzwasser-Grog ohne Zucker und Rum, den sie ihm über den Schädel +gießen.« + +Bertrand hatte, während Bob sprach, zuerst Jim oberflächlich +betrachtet, und sich dann wieder in der Hütte umgesehen, in seiner +Erinnerung wurden aber andere Bilder wach, und wieder und wieder +kehrte sein Blick zu den halbbeschatteten Zügen des Mannes zurück, der +am Feuer mit zusammengezogenen Brauen saß und jetzt anfing in seiner +Tasche nach Tabak zu suchen, sich eine Pfeife zu stopfen. + +»Hallo Kamerad,« sagte er endlich, als die beiden Soldaten +zurückgekommen waren und gemeldet hatten daß sich Niemand weiter in +der Hütte befinde, »wo haben wir Beide denn schon einmal unser +Fahrwasser gekreuzt? -- Du bist ein Engländer?« + +»Wenigstens nicht weit davon,« brummte Jim, sich noch mehr in seine +Pfeife vertiefend, und jetzt halb vom Lichte abgewandt -- »habe aber +nicht die Ehre -- Menschen gleichen sich wie Blätter und Eier -- +tragen Alle die Nase mitten im Gesichte.« + +Bertrand barg einen Augenblick die Augen in der Hand, wie um durch +keine äußeren Eindrücke sein Gedächtniß zu beirren -- ein +thatenreiches Leben flog ihm in wirren Bildern vor dem inneren Geist +vorüber; aber zu viel der Scenen, zu viel der Gestalten wechselten und +schwammen da durcheinander, als ihm so rasch zu gestatten daß er sich +den einen, verlangten herausgriffe aus der Masse, und nur den Kopf +schüttelnd, schritt er mit verschränkten Armen ein paar Mal auf und ab +in der Hütte, ohne, wie es schien, auf die Inwohner viel zu achten, +ja fast vergessend, weshalb er eigentlich hierhergekommen. + +Jim war dabei diese höchst unnöthige Aufmerksamkeit, die der Officier, +den er selber recht gut wiedererkannte, auf ihn wandte, nichts weniger +als angenehm, und er fing an sich eben nicht mehr so sicher auf seinem +Platz zu fühlen. Er stand langsam auf und zog sich dem Hintergrund der +Hütte zu. + +Bertrand stampfte ungeduldig mit dem Fuß. + +»Weiß der Teufel,« murmelte er dabei leise vor sich hin, »wo mir die +Galgenphysionomie schon einmal vorgekommen, aber nichts Unbedeutendes +war's das ist sicher -- nun vielleicht fällt's mir wieder ein -- ha +-- « sagte er, emporsehend, als er den Seemann nicht mehr auf seinem +Sitz erblickte -- »ah, der Herr schläft wohl hier, und will sich sein +Lager zurechtmachen? -- habt Ihr Erlaubniß an Lande zu bleiben, und +auf welches Schiff gehört Ihr?« + +»Ich gehöre auf gar kein's,« entgegnete Jim finster aus dem Halbdunkel +der Hütte vor -- »die Insel hier ist meine Heimath, und ich werde +d'rauf schlafen können, denk' ich.« + +»Und Du, mein Bursche, auf welches Schiff gehörst Du?« wandte er sich +jetzt zu Bob -- »oder rechnest Du Dich etwa auch zu den Eingeborenen, +mit Deiner Furcht vor den Bäumen?« + +»Verdamm es, nein,« brummte der Seemann, »ich gehöre zur ~Kitty +Clover~.« + +»Dem Wallfischfänger?« + +»Ja.« + +»Und weshalb bist Du da nicht an Bord, Sirrah?« frug der Officier +scharf -- »die ~Kitty Clover~ steht überhaupt in dem Verdacht andere +Ladung als Thran an Bord zu führen, und wenn ich nicht irre haben die +Missionaire schon Klage eingereicht, daß Ihr den ganzen Ort mit Brandy +überschwemmt.« + +»Die Missionaire können zu Grase gehen,« erwiederte Bob gleichgültig, +»die schwatzen viel wenn der Tag lang ist. Was übrigens die ~Kitty +Clover~ thut geht _mich_ nichts an -- die ~Kitty Clover~ ist ein ganz +selbstständiges Frauenzimmer.« + +Bertrand lachte. »Doch apropos,« rief er plötzlich, sich zu Murphy +wendend, der noch immer auf seinem niederen Schemel saß, und den in +der Eile aufgegriffenen Schuh wie mißtrauisch betrachtete, »was war's +denn was der Bursche da vorhin versteckte? seh doch einmal Einer von +Euch nach -- in der Kalebasse da drüben muß es sein, vielleicht daß +uns das auf Jacks Spur bringt.« + +»Und was habt Ihr Euch um anderer Leute Kalebassen zu bekümmern?« rief +aber die Frau jetzt, zum ersten Mal des Schusters Parthei ergreifend, +der nur mit finster trotzigem Blick vor sein Eigenthum trat, und +nicht übel Willens schien es zum Aeußersten zu vertheidigen -- »hab +ich Euch nicht gesagt daß ich Nichts von Euerem ganzen Gesindel weiß, +und mir noch weniger daraus mache, und überhaupt wünsche die +gottvergessenen Wi-Wis in meinem ganzen Leben nicht gesehen zu haben? +-- ist das jetzt Zeit, mitten in der Nacht bei einer armen alten Frau +einzubrechen, das Unterste zu oberst zu kehren, und unschuldige Leute +mit geladenen Gewehren und Bajonetten zu erschrecken? Fort mit Euch +wohin Ihr selber gehört, was wollt Ihr von uns? -- was steht Ihr noch +da?« + +»Komm hier Mütterchen,« lachte aber der eine Soldat, ein riesiger +Bursche, sie und Murphy zu gleicher Zeit aber sanft bei Seite +schiebend, während der Andere, unter Murphys Armen fort, die fragliche +Kalebasse mit dem Bajonnet anspießte und nach vorn zog, wo das +allerdings höchst unverdächtige Buch zu Lichte rollte. + +»Eine Bibel,« lachte der Officier, »und weshalb versteckst Du die vor +_mir_? -- hab' keine Furcht mein frommer Bursche, ich wäre der Letzte +der Dich in Deiner Andacht störte -- laßt sie los.« + +»Gottes Fluch über Euch!« schrie aber jetzt die Alte, durch das ruhige +Verhalten der Leute nur noch mehr in Wuth gebracht. »Pest und Gift in +Euere Knochen, und faulende Krankheit, daß Ihr eine arme Frau +mißhandelt und drückt in ihrem eigenen Haus!« und zufällig vielleicht, +oder auch mit Absicht das heiße Cocosöl über die Eindringlinge +auszuschütten, stieß sie zu gleicher Zeit das hohe und leichte +Bambusgestell, auf dem Murphys Cocosschale mit dem darin brennenden +Docht stand, um, und die Soldaten konnten auch wirklich eben nur unter +laut ausgestoßenen Flüchen zur Seite springen, dem drohenden Oel, das +sich jetzt entzündete, zu entgehen. Auf dem Boden aber schlug es in +heller Flamme empor, den Platz mit seinem Lichte übergießend. + +»Alle Wetter Madonna,« rief Bertrand, der lachend zurücksprang, »Du +wirst Dir selber das Haus über dem Kopf anzünden, und da hinten -- « +sein Blick fiel in diesem Moment auf das, ihm fast unwillkürlich +zugewandte Antlitz des Iren, der sich überrascht nach der hellen +Flamme umschaute, und wie ein zündender Blitz sprang zu gleicher Zeit +die Erinnerung an jene Nacht in ihm auf, die Jack schon früher gegen +Jim erwähnt, seinem Gedächtniß mit Zauberschnelle das Wo und Wie jener +Züge in die Seele rufend. + +»~Sapristi~,« schrie er, den Degen mit dem Wort aus der Scheide +reißend und gegen den Iren anspringend -- »hab' ich Dich, Kamerad -- +ergieb Dich Schuft! hierher Ihr Leute!« + +»Verdammt!« knirrschte Jim zwischen den Zähnen durch, »aber noch habt +Ihr mich nicht!« und einen Sessel der dort stand aufgreifend, und dem +Franzosen vor die Füße schleudernd, daß dieser auf die Seite springen +mußte nicht darüber zu fallen, warf er sich, ehe die Soldaten +herbeieilen oder selbst Bertrand ihn erreichen konnte, mit aller +Gewalt gegen einen der Bambusstäbe an, der, jedenfalls schon zu einem +heimlichen Ausgang, einer Art Nothröhre benutzt, seinem Gewicht +nachgab und sich nach außen bog. Der Körper des Flüchtigen war im Nu +dahinter verschwunden, und als der Officier vorspringend mit seinem +Degen einen Stoß nach dem Entsprungenen führte, traf der +zurückschnellende Bambus die Klinge, und brach sie in der Mitte, wie +Glas entzwei. + +»Feuer! beim Teufel -- Feuer!« schrie Bertrand, wüthend gemacht, und +dem Knacken der Hähne folgte mit Blitzesschnelle eine Salve, mit wenig +mehr Erfolg aber wohl, als den Bambus an einigen Stellen zu +zersplittern und die Hütte mit Pulverrauch zu füllen. + +Der einzige Ruhige während der ganzen wilden Scene schien Bob, der +regungslos auf seinem Platz sitzen geblieben war, und nur nach dem +Verschwinden Jims und der rasch gefeuerten Salven wie spöttisch mit +dem Kopf schüttelte. »Hm, möchte wissen was da im Winde ist -- +verteufelter Kerl, wie fix er durch die Wand war,« murmelte er vor +sich hin; »sein Hals kann auch seinen Beinen dankbar sein, mein' ich, +denn auf einen bloßen Deserteur wird doch nicht gleich geschossen -- +hab's mir aber etwa gedacht, daß der Bursche wohl was erzählen könnte +-- wenn er nur wollte.« + +Ein paar Soldaten wollten jetzt rasch zur Thür hinaus, dem Flüchtigen +nachzusetzen, Bertrand rief sie aber zurück. + +»Laßt ihn heute, in dem Unterholz ist er schon lange in Sicherheit,« +sagte er seine Klinge vom Boden aufhebend und den Sprung, mit einem +leise gemurmelten Fluch wieder zusammenpassend -- »wart' aber +Canaille; also hier nach Tahiti her hast Du Dich gefunden? -- nun +hoffentlich war das nicht das letzte Mal daß wir einander begegnet +sind, und das nächste Mal _kenn'_ ich Dich, darauf kannst Du Dich +verlassen. Und Du Mütterchen,« wandte er sich plötzlich an die alte +Frau, die knurrend und keifend neben dem qualmenden brennenden Oele +stand, und giftige Blicke bald nach der Ursache dieser Ueberstürzung +ihres Hausstandes, bald nach dem unglücklichen Schuster hinüber warf, +an dem sie nur noch nicht recht wußte, wie sie einen Halt bekommen +sollte, ihren Grimm auszulassen -- »Du kannst mir vielleicht sagen wie +der Bursche, der da eben durch Deine Wand sprang, heißt, was er treibt +und wo er wohnt.« + +Mütterchen Tot war aber keineswegs in der Laune irgend eine Auskunft +zu geben, und ihren vollen Grimm gegen den Frager kehrend, überhäufte +sie ihn mit einer wahren Fluth von Schimpfreden und Zornesworten, daß +er verlange sie solle alles Gesindel kennen, das sich auf der Insel +herumtriebe, und die Wohnung von Leuten angeben die zu ihr in's Haus +kämen einen Dollar zu verzehren, wovon sie leben müsse in ihren alten +Tagen. + +Bob wollte ebenfalls von Nichts wissen, und Bertrand sah wohl ein daß +er hier nur seine, jetzt weit kostbarere Zeit vergeuden würde, aus den +hier Anwesenden durch Drohungen oder Bitten etwas herauszulocken. +Vielleicht aber vermochte ihm ihr Eigennutz, dieser gewaltige Hebel +der Menschheit mehr zu nützen, und sich an die Alte wendend da der +Matrose wohl schwerlich einen Kameraden verrathen würde, sagte er +ruhig: + +»Frieden Mütterchen, eben weil Ihr eine arme verlassene Wittwe seid, +red' ich zu Euerem Besten, und wollt Ihr einen Haufen Geld mit einem +Schlag verdienen, so habt Ihr weiter Nichts zu thun als Ja zu sagen.« + +»Haufen Geld,« mumpelte die Alte mürrisch, aber auf einmal merkwürdig +besänftigt, in ihrem zahnlosen Mund -- »Haufen Geld, ja mit der Zunge, +da versprecht Ihr Wi-Wis das Blaue vom Himmel herunter -- Haufen Geld +-- wie soll eine arme verlassene Wittwe einen Haufen Geld verdienen in +dieser schweren, drückenden Zeit? -- fort mit Euch, ich kenne Euch +schon von alten Zeiten her.« + +»Schon gut, Madonna, also Du weißt nicht wo jener Bursche, der da eben +durch die Bambuswand sprang, und mit der Gelegenheit dieses Hauses +_außerordentlich_ vertraut scheint, sich über Tag aufhält, und wo er +wohnt?« + +»Nein -- Nichts,« brummte die Alte mürrisch. + +»Weißt auch nicht wie er heißt?« + +Die Alte zögerte und sah halb unschlüssig Bob an, der aber sog ruhig +an seiner Pfeife und schaute still und heimlich lächelnd vor sich +nieder -- sie schüttelte trotzig mit dem Kopf. + +»Gut,« sagte Bertrand, sich die Lippen beißend, »vielleicht fällt +Dir's später ein; frischt sich aber Dein Gedächtniß, so kannst Du 500 +Frank -- verstehst Du? -- 500 Frank verdienen, wenn Du mir +Gelegenheit giebst des Schuftes habhaft zu werden.« + +»Fünfhundert Frank?« sagte die Alte ungläubig. + +»Auf der Stelle ausgezahlt, sobald wir den Burschen in unsere Gewalt +bekommen -- und selbst für den Anderen sollst Du zweihundert haben, +wenn Du uns zu seiner Ergreifung behülflich bist.« + +Bob hob jetzt zum ersten Mal den Blick vom Boden auf, und sah die Alte +lauernd an -- Mütterchen Tot schien aber in der That in tiefem +Nachdenken verloren über den Vorschlag, und es bedurfte einiger +Minuten, ehe sie die Versuchung von sich abschütteln konnte -- wenn +sie sich nicht etwa gar vor den Zeugen genirte. + +»Ich will Nichts mit der Sache zu thun haben,« brummte sie +kopfschüttelnd -- »hat O'Flannagan sich -- « + +»O'Flannagan?« frug Bertrand rasch. + +»Ach zum Teufel!« rief die Alte, jetzt selber ärgerlich werdend -- +»lauert Einem nicht das Wort von den Lippen, eh' es gesprochen ist -- +was weiß ich wie Einer heißt der bei mir aus und ein geht, und sich so +oder so nennen kann -- wen kümmerts. Es ist Nachtschlafenszeit, und +ich will meine Ruhe haben in meinem eigenen Haus -- versteht Ihr +das?« + +»Ich versteh' Euch, Mütterchen,« lachte aber Bertrand -- »danke +übrigens für den Wink, und -- vergeßt die 500 Frank nicht. -- Doch +jetzt: Achtung. Ihr Leute rechts umkehrt und vorwärts marsch!« und den +Soldaten voran schreitend, die ihm durch die niedere Thür mit +gebückten Köpfen folgten, verließ er rasch das Haus, und bald verklang +der letzte Schritt der bewaffneten Männer in der Ferne. + +Bob war aufgestanden und lauschte dem weiter und weiter +verschwimmenden Geräusch der ihm genug verhaßten Franzosen. Dann sich +den Hosengürtel nach Seemannsart in die Höhe rückend und den Hut etwas +weiter aus dem Gesicht schiebend, drückte er beide Hände neben den +Hüften in den Bund und drehte sich ab, ohne weiteres Wort oder Gruß +das Haus zu verlassen. + +Die Alte sah ihm finster und schweigend nach, ohne ihn aufzuhalten, in +der Thür aber blieb er plötzlich noch einmal stehen, drehte sich um, +nahm mit der linken Hand die Pfeife aus dem Munde, und sagte: + +»_Mein_ Name ist Bob Candy,« und sich dann auf dem Absatz +herumschwingend, verschwand er durch die noch offene Thür. + +Mütterchen Tot aber löschte die Lichter aus, ohne auf Murphy oder den +jetzt wieder zum Feuer niedergekauerten Indianer irgend eine +Rücksicht zu nehmen, und drückte sich mürrisch und knurrend auf ihr +Lager in der Ecke nieder. Sie hatte den Kopf voll, und selbst der +kleine Schuster konnte sich heut Abend unbelästigt auf sein Lager +werfen, den Mosquitos ein paar Stunden Schlaf abzuringen. + + + + +[Anmerkungen zur Transkription: Die Schreibweise einiger Wörter ist im +Originalbuch inkonsistent. Im vorliegenden ebook wurden lediglich +offensichtliche Druck- und Zeichensetzungsfehler korrigiert. + +Das Buch ist in Frakturschrift gedruckt. Textauszeichnungen wurden +folgendermaßen ersetzt: + +Sperrung: _gesperrter Text_ Antiquaschrift: ~Antiquatext~ Fettdruck: +#fetter Text# ] + + + + + + +End of Project Gutenberg's Tahiti. Zweiter Band., by Friedrich Gerstäcker + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK TAHITI. ZWEITER BAND. *** + +***** This file should be named 29464-8.txt or 29464-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/2/9/4/6/29464/ + +Produced by richyfourtytwo, Bernd Meyer and the Online +Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. Special rules, +set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to +copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to +protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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It exists +because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from +people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. +To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation +and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 +and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at +http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent +permitted by U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. +Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered +throughout numerous locations. Its business office is located at +809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email +business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact +information can be found at the Foundation's web site and official +page at http://pglaf.org + +For additional contact information: + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. 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Thus, we do not necessarily +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + + +Most people start at our Web site which has the main PG search facility: + + http://www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. diff --git a/29464-8.zip b/29464-8.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..bc37c4d --- /dev/null +++ b/29464-8.zip diff --git a/29464-h.zip b/29464-h.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..c6bed02 --- /dev/null +++ b/29464-h.zip diff --git a/29464-h/29464-h.htm b/29464-h/29464-h.htm new file mode 100644 index 0000000..cd19342 --- /dev/null +++ b/29464-h/29464-h.htm @@ -0,0 +1,7433 @@ +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> + <head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=iso-8859-1" /> + <title> + The Project Gutenberg eBook of Tahiti, by Friedrich Gerstäcker. + </title> + <style type="text/css"> + p { margin-top: .75em; + text-align: justify; + margin-bottom: .75em; + } + h1, h2, h3 { + text-align: center; /* all headings centered */ + clear: both; + } + hr { width: 20%; + margin-top: 2em; + margin-bottom: 2em; + margin-left: auto; + margin-right: auto; + clear: both; + height: 1px; + border: 0; + background-color: black; + color: black; + } + + hr.endchapter { + margin-top: 3em; + margin-bottom: 3em; + } + + div.note { + margin: 4em 10% 0 10%; + padding: 0 0.5em 0 0.5em; + border: 1px dashed black; + color: inherit; + background-color: rgb(80%,100%,80%); + font-size: smaller; + } + + table {margin-left: auto; margin-right: auto;} + #col1 { width: auto; } + #col2 { width: auto; } + #col3 { width: auto; } + #col4 { width: 15%; } + + body{margin-left: 10%; + margin-right: 10%; + } + + .pagenum { /* uncomment the next line for invisible page numbers */ + /* visibility: hidden; */ + position: absolute; + right: 1%; + font-size: smaller; + text-align: right; + } /* page numbers */ + + .center {text-align: center;} + .g {letter-spacing: 0.3ex; padding-left: 0.3ex;} + .f {font-family: "Courier New", monospace; + font-size: smaller; + font-style: normal;} + + .footnotes {border: dashed 1px; padding-bottom: 1em; margin-top: 2em;} + .footnote {margin-left: 10%; margin-right: 10%; font-size: smaller;} + .footnote .label {position: absolute; right: 84%; text-align: right;} + .fnanchor {vertical-align: super; font-size: .8em; text-decoration: none;} + + </style> + </head> +<body> + + +<pre> + +The Project Gutenberg EBook of Tahiti. Zweiter Band., by Friedrich Gerstäcker + +This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with +almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Tahiti. Zweiter Band. + Roman aus der Südsee + +Author: Friedrich Gerstäcker + +Release Date: July 20, 2009 [EBook #29464] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK TAHITI. ZWEITER BAND. *** + + + + +Produced by richyfourtytwo, Bernd Meyer and the Online +Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net + + + + + + +</pre> + + + +<h1><b>TAHITI.</b></h1> + +<p class="center"><span class="g">Roman aus der Südsee</span></p> + +<p class="center">von</p> + +<p class="center"><b>Friedrich Gerstäcker.</b></p> + +<p class="center">Zweite unveränderte Auflage.</p> + +<p class="center"><b>Zweiter Band.</b></p> + +<p class="center">Der Verfasser behält sich die Uebersetzung dieses Werkes vor.</p> + +<p class="center"><b>Leipzig,</b></p> + +<p class="center"><span class="g">Hermann Costenoble.</span></p> + +<p class="center">1857.</p> + + +<hr style="width: 65%;" /> + +<h2><a name="Inhalt_des_zweiten_Bandes" id="Inhalt_des_zweiten_Bandes"></a><b>Inhalt des zweiten Bandes.</b></h2> + + +<div class="center"> +<table border="0" cellpadding="4" cellspacing="0" summary=""> +<colgroup> + <col id="col1" /> + <col id="col2" /> + <col id="col3" /> + <col id="col4" /> +</colgroup> +<tr><td /><td /><td /><td align="right" style="font-size: smaller">Seite</td></tr> +<tr><td align="center">Cap. </td><td align="right">1.</td><td align="left">Die Mädchen von Tahiti und die alten Bekannten</td><td align="right"> + <a href="#Capitel_1">1</a></td></tr> +<tr><td align="center">"</td><td align="right">2.</td><td align="left">Sadie und René</td><td align="right"> + <a href="#Capitel_2">31</a></td></tr> +<tr><td align="center">"</td><td align="right">3.</td><td align="left">Der Besuch — Aumama</td><td align="right"> + <a href="#Capitel_3">67</a></td></tr> +<tr><td align="center">"</td><td align="right">4.</td><td align="left">Die Missionaire</td><td align="right"> + <a href="#Capitel_4">90</a></td></tr> +<tr><td align="center">"</td><td align="right">5.</td><td align="left">Die Königin Pomare</td><td align="right"> + <a href="#Capitel_5">121</a></td></tr> +<tr><td align="center">"</td><td align="right">6.</td><td align="left">Ein Ball in Papetee</td><td align="right"> + <a href="#Capitel_6">167</a></td></tr> +<tr><td align="center">"</td><td align="right">7.</td><td align="left">Unterwegs</td><td align="right"> + <a href="#Capitel_7">235</a></td></tr> +<tr><td align="center">"</td><td align="right">8.</td><td align="left">Mütterchen Tot's Hotel</td><td align="right"> + <a href="#Capitel_8">254</a></td></tr> +</table></div> + + +<hr class="endchapter" /> +<p><span class='pagenum'><a name="Page_1" id="Page_1">[1]</a></span></p> + +<h2><a name="Capitel_1" id="Capitel_1"></a>Capitel 1.</h2> +<h3>Die Mädchen von Tahiti und die alten Bekannten.</h3> + + +<p>Das Gebet war aus, das laute feierliche Amen schwoll durch die Wipfel +der Palmen nach See zu, sich draußen mit der Brandung Rollen zu +mischen. Mit dem Amen aber schien es auch, als ob der Zauber gebrochen +wäre, der den leichten fröhlichen Sinn der Insulaner bis dahin so +merkwürdig und außergewöhnlich fest im Zaum gehalten, und wie denn +auch der Eingeborne nie so recht tief den Ernst einer feierlichen +Stunde fühlt, sprang er im Nu zurück in sein alltäglich Leben.</p> + +<p>»Hierher Maïre, hierher und fort mit uns« klang der fröhliche Laut — »komm hinunter zum Guiavenbach; tief versteckt da in Busch und Laub +<span class='pagenum'> <a name="Page_2" id="Page_2">[2]</a></span>tanzen wir. Heute sehens die Mitonares nicht, denn großes Essen ist +immer wenn sie eine Zeitlang gebetet.«</p> + +<p>»Aber die anderen schwatzen« sagte Maïre unschlüssig zur Schwester +aufsehend, »und nachher arme Maïre; Vater Au-e hat mir so schon die +Hölle versprochen, und er schickte mich g'rad hinein, fänd er mich.«</p> + +<p>»Bah — bah — bah« lachte die Andere und schüttelte mit dem Kopf — »da, hier und hier« — auf Mund und Herz zeigend — »das ist fromm, das +hat Religion und das ist genug — <span class="g">Alles</span> andere aber ist frei, Maïre; +und rasch nun Mädchen, denn wir versäumen den Spaß.« — Und wie ein +paar aufgescheuchte Rehe flohen die beiden, von vielen Anderen jetzt +gefolgt, erst seitwärts in den Orangenhain, um dann hinter den Gärten +weg nicht dem Blick mancher »Kirchgänger« ausgesetzt zu sein, die +Aergerniß nehmen und die Fröhlichen verrathen könnten. — Und wie das +klang und sang und summte und schwirrte unter den Bäumen und Palmen — fröhliches Leben herrschte in den duftenden Schatten von Orange und +Guiava und der Klang der Flöte mischte sich in lachende +Mädchenstimmen, die sich neckten und jagten auf dem Plan, die Predigt +nachäfften und die Reden des heutigen Tages und dann wieder plötzlich +<span class='pagenum'> <a name="Page_3" id="Page_3">[3]</a></span>einfielen in die oft sehr graziösen aber noch öfter fast +unanständiger Stellungen ihrer Tänze <span class="f">Upepehe</span>, <span class="f">oris</span> und <span class="f">mamua</span>.</p> + +<p>Dort drüben der breite, halboffene Platz vor dem lang-ovalen +Vogelkäfig ähnlichen Bambusgebäude scheint der Mittelpunkt zu sein des +ganzen Viertels; hier wenigstens herrscht das regste ungebundenste +Leben, und die dunklen blumendurchflochtenen Locken, ja oft die glatt +geschorenen, aber mit bunten Kränzen fast bedeckten Köpfe der +eingebornen Mädchen mischen sich bunt und geschäftig durch die +bänderflatternden Strohhüte der Seeleute, an deren meisten die breite +schwarze Seide mit goldenen Buchstaben den Namen ihres Schiffes trug, +und sie als Leute von einem Kriegsschiff bekundete, hätte das nicht +schon außerdem der breite weiße Hemdkragen mit dem schmalen blauen +Streifen darum gethan.</p> + +<p>»Hallo Georg, das ist ein Hauptplatz hier für einen »Geh zu Ufer Tag,« +rief da ein alter, wettergebräunter Seemann einem jungen Burschen zu, +der Eines der Mädchen mit seinem linken Arm umschlungen und eine +halbgeleerte Flasche in der rechten Hand hielt, und das Mädchen +lachend zwingen wollte zu trinken — »nütz deine Zeit mein Junge, wer +weiß wie bald uns wieder so wohl wird.«</p> + +<p>»Wettermädchen das!« rief aber der junge Bursch,<span class='pagenum'> <a name="Page_4" id="Page_4">[4]</a></span> »sie ist wie +Quecksilber unter den Händen, man kann sie nicht festhalten — wirst +Du trinken?«</p> + +<p>»<span class="f">Aita, aita</span>!« schrie aber die trotzige Schöne, und wehrte ihn +entschlossen ab; »pfui über das Gift, das Ihr in Euch hinein schüttet, +bis Ihr wie das Vieh daliegt und die stieren Augen nicht mehr +schließen könnt — fort mit dem Zeug!« und ihm die Flasche aus der +Hand reißend, schleuderte sie dieselbe, ehe er's hindern konnte, mit +keckem Wurf weit ab von sich in ein Dickicht von jungen +Brodfruchtbäumen und Bananen.</p> + +<p>»Den Teufel, Mädchen!« schrie der Matrose, der von den letzten Worten +des braunen Kindes keine Sylbe verstanden hatte und jetzt überrascht +seiner Flasche nachwollte, »der Stoff ist theuer hier in Papetee und +nicht einmal so leicht zu bekommen.«</p> + +<p>»Hahahaha« lachte aber die Dirne und hielt ihn fest — »hol sie wenn +Du kannst, hol sie.«</p> + +<p>»Halt ihn, halt ihn,« lachten Andere und sprangen hinzu, sich der +Beute zu bemächtigen und den auslaufenden Brandy zu retten, aber zu +spät, und fluchend hoben sie die leere Flasche gegen das Licht.</p> + +<p>»<span class="f">Damn it</span>!« schrie der Eine, der sie erbeutet hatte, und der zuerst die +traurige Entdeckung machte — »auch nicht ein Tropfen übrig geblieben!« +und als ob er nicht einmal seinen eigenen Augen bei einer so<span class='pagenum'> <a name="Page_5" id="Page_5">[5]</a></span> +wichtigen Sache traue, hob er die leere Flasche dennoch an die Lippen, +den Zug zu prüfen, schleuderte sie dann aber mit einem richtigen +Kernfluch so hart er konnte gegen den nächsten Brodfruchtbaum, daß sie +in Scherben schmetternd umherspritzte. Das aber sollte ihm übel +bekommen.</p> + +<p>»<span class="f">Tam you</span>,« schrie da eine alte, wohlbeleibte Insulanerin, die ein +brennend rothes Stück Kattun um die Hüften und ein anderes um die +Schultern trug und schon lange genug mit Matrosen verkehrt haben +mochte, ihren Lieblingsausruf oder Fluch zu verstehen — »<span class="f">tam you</span>, Ihr +schmutzigen Weißen — weil <span class="g">Ihr</span> zehnfache Haut unter den Füßen tragt, +werft Ihr das Glas umher, daß es wie Dorn und Muschelbruch in unsere +Sohlen schneidet — <span class="f">tam you</span>, sag' ich noch einmal, und der Tag sei +verflucht, der Euch zuerst an diese Küste brachte!«</p> + +<p>Die Alte blieb aber hierbei nicht ununterstützt, denn von allen Seiten +kamen die Mädchen herbei, schimpften und schmähten in ihrer Sprache +und begannen dabei die gefährlichen Glasscherben, die ihnen schon +manche böse Wunde geschnitten, vom Boden aufzusuchen. Vergebens riefen +sie die Matrosen zurück und fügten sich endlich, da Bitten wie +Drohungen nutzlos blieben, lachend dem Unvermeidlichen, selber der +muntern, lebendigen Schaar zu helfen und<span class='pagenum'> <a name="Page_6" id="Page_6">[6]</a></span> beizustehn und das Uebel so +viel wie möglich zu heben — all die drohenden Spitzen nämlich +aufzusuchen oder zu entfernen, und kein Blatt blieb dabei ungewandt, +unter dem sich noch hätte die tückische Spitze bergen können.</p> + +<p>»Hurrah, meine Jungen! wer von Euch hat sein Prisengeld da im Laub +verloren? — halbpart wenn ich's finde,« schrie in diesem Augenblick +eine rauhe Stimme zwischen das Lachen und Toben der munteren Schaar +hinein, und Einer der Seeleute richtete sich rasch empor, zu sehen wer +der Neuangekommene sei, und ob nicht vielleicht ein alter Bekannter +und Schiffskamerad hier zwischen ihnen auftauche.</p> + +<p>»Hallo Kamerad,« brummte aber der, als er ein völlig fremdes Gesicht +vor sich sah, das ihm jedoch trotzdem ganz freundlich entgegennickte, +und dessen Eigenthümer sich so bequem und ohne weitere Einladung zu +ihnen in's Gras warf, als ob er zu ihrem »Volke« gehörte — »<span class="f">where do +you hail from</span>?«<a name="FNanchor_A_1" id="FNanchor_A_1"></a><a href="#Footnote_A_1" class="fnanchor">[A]</a></p> + +<p>Der Sprecher war der Bootsmann der »<span class="f">Jeanne d'Arc</span>,« der draußen in der +Bai vor ihrem Anker ritt und dessen Mannschaft heute Feiertag bekommen +hatte, der großen Volksversammlung wegen. Er <span class='pagenum'> <a name="Page_7" id="Page_7">[7]</a></span> +schien sich auch hier gewissermaßen als eine Art Obrigkeit zu +betrachten zwischen den übrigen Matrosen, und überdieß rechtfertigte +das ganze Aeußere des Neuangekommenen, unseres alten Bekannten Jim des +Iren, allerdings eine solche Frage, denn dem alten Matrosen überkam +es, ihm gegenüber, fast unwillkürlich, als ob er es mit keinem rechten +Seemann zu thun habe, und gleichwohl ließ doch auch wieder das +Einzelne seines Anzugs nichts erkennen, was einen solchen Verdacht +rechtfertigen mochte. Die blaue Jacke wie die weißleinene Hose hatte +den richtigen Schnitt, der mit Wachsleinwand überzogene Strohhut saß +ihm hinten auf dem krausen Haar und ein paar breite Streifen +schwarzseiden Band fielen ihm nach richtiger Art vorn über das linke +Auge nieder und doch lag ein gewisses Etwas in dem ganzen Betragen des +Fremden, das den alten Burschen, der sich manch langes, langes Jahr +auf der See und aller Länder Schiffe herumgeschlagen, wie eine Art +Instinkt überkam, er hätte hier keinen geborenen Seemann vor sich, und +der Bursche segele am Ende gar unter falscher Flagge.</p> + +<p>Der wirkliche Matrose — nicht der, der die See einmal zeitweilig zu +seinem Beruf wählt, ein paar Reisen macht vielleicht, und dann wieder +Jahre lang am festen Lande bleibt — hat auch etwas in seinem<span class='pagenum'> <a name="Page_8" id="Page_8">[8]</a></span> ganzen +Wesen, das unmöglich ist sich anzueignen, wenn es eben nicht natürlich +aus dem ganzen System unsers Körpers herauskommt und mit ihm eins +bildet. Die Hauptsache hierbei ist der fast schlenkernde und doch auch +wieder feste und elastische Gang von der steten Bewegung des Schiffes +her, der er natürlich fortwährend begegnen muß, und die ihn dann auch +zwingt, die Beine etwas weiter, wenn auch fast unmerklich, aus +einander zu setzen, als das auf dem festen Lande nöthig wäre; die Arme +hängen dabei, wie durch ihr eigenes Gewicht gezogen, grad am Körper +nieder, ohne ihn aber, weder rechts noch links in drei Zoll zu +berühren, und die halboffene harte Hand sieht gerade so aus, als ob +sie jeden Augenblick an Segel oder Tau zufassen wolle. Der Landmann +kann alles Andere nachahmen, dieses Tragen des Körpers wird ihm nie +gelingen, und nur eine jahrelange Uebung ist im Stande, ihn +zuzurichten, oder, wie die Matrosen sagen, ihn »<span class="f">ship shape</span>« zu machen.</p> + +<p>»Nun Sirrah!« rief der Irländer endlich lachend, nachdem er den +forschenden Blick des Bootsmanns, wenn auch nicht ohne ein leichtes +kaum erkennbares Erröthen, eine ganze Weile ertragen hatte, — »Ihr +werdet mich nun wohl kennen wenn Ihr mich wiederseht; — wie gefall +ich Euch?«<span class='pagenum'> <a name="Page_9" id="Page_9">[9]</a></span></p> + +<p>»Ganz und gar nicht, Kamerad,« sagte der aber trocken, und während er +sein Primchen Kautabak im Munde aus einer Backe in die andere +wechselte, »ganz und gar nicht, wenn Du die Wahrheit hören willst.«</p> + +<p>»Hahaha,« lachte aber der Ire, ohne sich im mindesten darüber +beleidigt zu fühlen, »verdamme mich wenn das nicht ehrlich von der +Leber weggesprochen ist; leid thut mir's nur bei der Sache, daß ich +das nämliche — nicht von Euch auch sagen kann.«</p> + +<p>»Dann werd' ich mein Möglichstes thun, das für mich so unglückliche +Vorurtheil bei Euch zu zerstören,« antwortete der Seemann ruhig.</p> + +<p>»Donnerwetter Ihr seid grob!« rief aber der Ire, der nun einmal +entschlossen schien jetzt Nichts übel zu nehmen, obgleich der ganze +kräftige Bau seines Körpers wie ein ziemlich entschlossener Zug um den +Mund, wohl glauben ließ daß er sonst eben eine wirkliche Beleidigung +nicht so leicht einstecken würde, »aber das schadet Nichts, Kamerad, +wir werden schon noch näher mit einander bekannt werden und ich bin +wie der Wein — ich gewinne durchs Liegen. Und nun Ihr da, Ihr +Mädchen,« wandte er sich zu diesen in ihrer eigenen Sprache, »laßt das +verdammte Suchen sein und kommt her — morgen wird sichs schon finden +was ihr verloren habt — beim Auskehren<span class='pagenum'> <a name="Page_10" id="Page_10">[10]</a></span> vielleicht — und wo ist +Amiomio heute? hol der Henker die kleine Wetterhexe, sie geht immer +fort und kommt niemals wieder.«</p> + +<p>»<span class="f">Naha-hio</span>!« riefen da einige der Mädchen, die sich auf den Anruf +umgedreht, erstaunt und untereinander aus — »<span class="f">O-fa-na-ga</span> wieder hier? +— und wo hat Dich Oro's Zorn so lange umhergetrieben?«</p> + +<p>»<span class="f">O-fa-na-ga</span>« spottete ihnen aber der Ire nach, »bei Jäsus, meine +Herzchen, Ihr habt den Namen noch immer nicht aussprechen lernen und +übersetzt meiner Mutter Sohn auf eine merkwürdige Weise ins +Tahitische. Was würde <span class="f">ould father O'Flannagan</span> sagen, wenn sie ihn so +zu Tische gerufen hätten — ha, meine <span class="f">namataruas</span>, Ihr beiden +unzertrennlichen Sterne, seid Ihr auch hier? und wo ist <span class="f">ipo Anoënoë</span>, +mein schlankes Mädchen von Bola-Bola, die tollste in Eurer tollen +Schaar?«</p> + +<p>»<span class="f">Anoënoë</span> ist fromm geworden« lachte eines der Mädchen, die er +<span class="f">namataruas</span> nach einem Zwillingsgestirn jener Zone genannt — »sie +lacht nicht mehr und trägt keine Blumen mehr im Haar und hinter den +Ohren.«</p> + +<p>»Hahahaha« lachte der Ire, »<span class="f">Anoënoë</span> fromm geworden das ist gut, das +ist vortrefflich, das ist — hahahaha — das ist beim Teufel zum +Todtschießen komisch!«<span class='pagenum'> <a name="Page_11" id="Page_11">[11]</a></span></p> + +<p>Der Bootsmann — eine schlanke, kräftige, ja selbst edle Gestalt, mit +ächt französischen Zügen, krausem dunkelen Barte und dunkelen Augen, +jeder Zoll ein Seemann, der englischen Sprache übrigens vollkommen +mächtig, hatte den Begrüßungen des Fremden mit den Mädchen und Frauen +des Platzes, die er alle kannte und bei Namen nannte, schweigend und +etwas erstaunt mit zugesehen, aber weiter kein Wort hineingeredet und +schien nur etwas ungeduldig und mit untergeschlagenen Armen das Ende +dieser Erkennungsscene zu erwarten. Er trug, trotz dem warmen Wetter, +seine blautuchene dicht mit kleinen blanken Knöpfen besetzte Jacke, +mit weißen Strümpfen und sauber gewichsten Schuhen und schneereinen +segeltuchenen selbstgemachten weiten Hosen, die nur dicht über den +Hüften fest anschlossen und auflagen; das weiße Hemd hielt ein +schwarzseidenes Halstuch mit einem Seemannsknoten locker zusammen, und +der leichte feine Panama Strohhut saß ihm fest und trotzig mehr nach +vorn in der Stirn, als ihn sonst Matrosen gewöhnlich zu tragen +pflegen.</p> + +<p>Endlich mochte ihm aber die Zeit doch zu lang währen und er unterbrach +die weiteren freundschaftlichen Erkundigungen des Fremden mit einem +nicht eben da einstimmenden:</p> + +<p>»<span class="f">I say stranger</span>! — Ihr scheint früher schon<span class='pagenum'> <a name="Page_12" id="Page_12">[12]</a></span> einmal auf Korallenboden +geankert zu haben — Euerer Physionomie verdankt Ihr die +Vertraulichkeit doch nicht.«</p> + +<p>»Der Geschmack ist verschieden, Kamerad!« lachte der Ire dagegen, »und +Einer liebt Bier, der Andere Milchsuppe; aber Ihr habt Recht, ich bin +hier zu Hause, und wenn ich auch nicht gerade hier wohne, führt mich +meine Straße oft genug vorbei — was Wunder da, daß ich Nachbars +Töchter kenne.«</p> + +<p>»Ei so laßt Euer In-ge-le-se-Schwatzen doch nun endlich einmal!« rief +da eines der Mädchen, zwischen die beiden Männer springend und des +Iren Arm ergreifend — »Her zu mir <span class="f">O-fa-na-ga</span> — und dreh deine +Taschen um, denn Du hast doch den Boden hier nicht wieder betreten, +ohne deiner Maïre Schmuck und Ringe mitgebracht zu haben; wo ist der +Ring von <span class="f">perú</span>, den Du mir so lange versprochen?«</p> + +<p>»Maïre!« rief der Ire erstaunt sie betrachtend — »<span class="g">das</span> ist Maïre? was +zum Wetter ist denn mit Dir vorgegangen Mädchen, ich kenne Dich ja gar +nicht mehr, wo sind deine Locken?«</p> + +<p>»Die hat der Mitonare abgeschnitten,« sagte die Schöne, halb beschämt, +halb unzufrieden.</p> + +<p>»Der Mitonare — und was zum Henker hat der Mitonare in deinen Haaren +zu suchen, Sirrah?«</p> + +<p>»Sie sollte fromm werden und keine tollen Streiche<span class='pagenum'> <a name="Page_13" id="Page_13">[13]</a></span> mehr treiben,« +lachte Ate-Ate, ihr das Kinn emporhebend und zum Lichte drehend.</p> + +<p>»Unsinn!« rief aber das Mädchen, — »das ist blos oben, <span class="f">O-fa-na-ga</span> — kehr Dich nicht daran — wo ist der Ring? her damit!«</p> + +<p>»Und mir auch — mir auch!« riefen Andere, auf ihn eindrängend, »mir +hat er Ohrgehänge versprochen — und mir bunte Federn aus dem Osten — und mir Kattun zu einem neuen Kleid!«</p> + +<p>»Zurück Mädchen, zurück!« rief aber der Ire lachend, der sich nur mit +Mühe der auf ihn Einstürmenden erwehren konnte — »Ihr hattet recht, +Kamerad, die Physionomie thuts bei den Dirnen hier allerdings nicht +allein, und sie reißen Einem — Wettermädchen Ihr, wollt Ihr Ruhe +geben — die Lumpen vom Leibe; würden sich auch verdammt wenig +Gewissen daraus machen, einen armen Teufel von Matrosen gleich bei +seinem ersten Ansprung an Land rein auszuplündern und nachher allein +sitzen zu lassen und auszulachen. Die braune Haut versteht sich so gut +darauf wie die weiße.«</p> + +<p>»Von welchem Schiff seid Ihr, Kamerad?« frug jetzt der Bootsmann, »Ihr +segelt wohl unter eigener Flagge?«</p> + +<p>Der Ire lächelte leise vor sich hin, schüttelte aber mit dem Kopf und +erwiederte schmunzelnd:<span class='pagenum'> <a name="Page_14" id="Page_14">[14]</a></span></p> + +<p>»Dießmal habt Ihr vorbeigeschossen, so schmeichelhaft die Anspielung +auch sein mochte; alt England für immer, ich möchte keine anderen +Farben an meiner Gaffel wehen haben, — selbst nicht die rothe;« +setzte er mit einem halb spöttischen, halb verschmitzten Seitenblick +auf den Bootsmann hinzu — »Um Euch übrigens zu beruhigen kann ich Euch +sagen daß ich Harpunier an Bord des Englischen Wallfischfängers, der +<span class="f">Kitty Clover</span> bin, die hier zu ihrer Erholung in Papetee liegt, und +auch da wohl noch eine Weile zu ihrer Erholung liegen bleiben wird, +wenn ihr die sehr verehrte Französische Regierung nichts in den Weg zu +legen für nöthig findet und den Aufenthalt noch länger gestattet.«</p> + +<p>Der Bootsmann unterdrückte nur mit Mühe einen Fluch auf die ironische +Anspielung daß seine Corvette, die früher den Insulanern imponirt, +gegenwärtig, durch die ihr überlegenen Engländer im Schach gehalten, +Nichts mehr zu sagen und zu befehlen hatte, aber er besann sich eines +Besseren und die Lippen nur zusammenpressend sagte er finster:</p> + +<p>»Ihr thätet wohl Euch mit der Französischen Regierung auf gutem Fuß zu +halten — die guten Leute in Papetee wissen heute noch gar nicht was +für Farben <span class="g">morgen</span> Mode sein könnten.«</p> + +<p>»Jedenfalls die schwarze,« schmunzelte der Ire,<span class='pagenum'> <a name="Page_15" id="Page_15">[15]</a></span> sich die Hände +reibend — »jedenfalls die schwarze. Jetzt bestimmen die Missionaire +die Moden und das sind liebe, liebe Menschen; haben uns Matrosen auch +so gern, als ob wir ihre Brüder wären — was wir ja doch auch +eigentlich sind. Es klingt ordentlich erbaulich »Bruder Jim oder +Bruder O'Flannagan.«</p> + +<p>»Daß sie uns nicht grün sind kann ich ihnen nicht verdenken,« brummte +der Bootsmann, »sie haben alle Ursache dazu, denn unsere beiden +Interessen laufen einander gerade schnurstracks entgegen. Also Ihr +gehört zu dem schmutzigen Wallfischfänger da draußen — habt Ihr +Fische bekommen?«</p> + +<p>»Ja Mister.«</p> + +<p>»Und welchen Port seid Ihr zuletzt angelaufen?«</p> + +<p>»Genirt's Euch, wenn Ihr's <span class="g">nicht</span> wißt?« frug der Ire spöttisch.</p> + +<p>»Geht zum Teufel!« brummte der Franzose zwischen den Zähnen durch — ärgerlich sich mit dem Burschen so weit eingelassen zu haben und +wandte ihm den Rücken.</p> + +<p>»Rrrrrrrrrr!« dröhnte in diesem Augenblick ein rascher Wirbel so dicht +vor ihren Ohren, daß sich der Bootsmann überrascht danach umsah; +lachende Mädchengesichter schauten ihm aber entgegen, wohin er +blickte, und Eine von diesen hatte eine richtige fran<span class='pagenum'> <a name="Page_16" id="Page_16">[16]</a></span>zösische Trommel +umgehängt, und schlug darauf jetzt mit fertiger Hand den Takt ihres +Inseltanzes.</p> + +<p>»Alle Wetter, Ate-Ate!« rief der vorgebliche Harpunier des <span class="f">Kitty +Clover</span>, und suchte das Mädchen zu fassen, das aber rasch zur Seite +sprang und ihn mit den Trommelschlägeln abwehrte — »Du bist ja wohl +gar gut französisch geworden, Mädchen, und dienst gegen deine früheren +Geliebten — ein eigenthümliches Mittel sich an den Treulosen zu +rächen!«</p> + +<p>»Zurück <span class="f">O-fa-na-ga</span>, zurück!« rief aber diese — »ich will die Zahl der +Falschen nicht vermehren, und es wäre schon jetzt Wahnsinn gegen sie +in den Kampf zu ziehen — sie sind wie die Guiaven im Wald, und +drücken alles Andere zu Boden — zurück weißer Mann! — Aber lasse das +Schwatzen hier, wir wollen tanzen, und Ihr stört uns nur mit Euerem +Zungen klappernden Volk. Da <span class="f">A-da</span>!« wie sie den Bootsmann der <span class="f">Jeanne +d'Arc</span> nach seinem nicht auszusprechenden Schiffe nannte — »da stell +Dich her, und nun paß auf, wir wollen den Tanz versuchen den Du uns +gelehrt und sieh ob wir's können.« Und zurückspringend begann sie mit +ziemlicher Genauigkeit <span class="f">Lord Howe's hornpipe</span>, den allbekannten +Matrosentanz auf der Trommel zu schlagen, indeß sie die Melodie dazu +mit klarer, ja glockenreiner Stimme sang, und die Mädchen flogen +herbei zum Tanz. <span class="g">Den</span><span class='pagenum'> <a name="Page_17" id="Page_17">[17]</a></span> Klängen konnten aber auch die Matrosen nicht +widerstehen, und gegen sie antanzend stampften sie nach den raschen +Takten den Rasen und schwenkten und warfen die Hüte in jubelnder Lust.</p> + +<p>Aber die Europäer ermüden bald; so schattig der Brodfruchtbaum auch +seine breitfingerigen Blätter und über ihm die Palme ihre Krone +streckt — die Luft ist zu heiß für solche Lust, und keuchend warfen +sie sich auf den Boden nieder, indeß sie die eingeborenen Mädchen +lachend umsprangen und mit Blumen und Bananenschaalen warfen.</p> + +<p>Aber lauter und wilder tönt die Trommel, in deren Schlagen Ate-Ate +Eine der Eingeborenen abgelößt und zu der sich noch eine zweite +gefunden hat; der Takt wechselt, lachende Männer und Mädchenstimmen +fallen ein in jubelndem Chor, und die erhitzten Tänzerinnen haben +schon Hut und Schultertuch abgestreift der wogenden Brust und +brennenden Stirn Luft und Kühlung zu geben. Dicht geschaart drängen +die Zuschauer herbei aus der Nachbarschaft, und hochgeschürzte +halbnackte Mädchen werfen sich immer aufs Neue hinein in den wilden +Reigen. Hei wie sie fliegen herüber und hinüber in toller Lust, mit +Armen und Knieen einfallend in den wüthenden Takt, schneller und +schneller, mit funkelnden Augen und wogender Brust, wieder und wieder, +auf und ab<span class='pagenum'> <a name="Page_18" id="Page_18">[18]</a></span> vor der Trommel und dem Jauchzen der bewundernden Schaar, +bis sie erschöpft zusammenbrechen, und andere — wildere ihren Platz +ausfüllen auf dem zerstampften mißhandelten Rasen.</p> + +<p>Bunt sind die Tänzer, bunter aber fast die Zuschauer die sie jetzt +umstehn, und die sich, durch den Ton des Instruments gelockt, +eingefunden haben. Neben dem noch bis an die Zähne tättowirten alten +Indianer, der mit grimmer Lust und leuchtenden Augen schon in seinem +Geist die alte Zeit wieder aufleben sieht mit ihren Festen und Tänzen +— die schöne fröhliche Zeit, ehe die schwarzgekleideten Männer mit +den finstern Gesichtern kamen und ihren sonnigen Boden betraten, steht +die würdige Matrone, der jetzt Blume und Blüthe im Haar schon ein +Gräuel und dem Herrn mißfällig dünkt, und sieht mit Seufzen und oft +und oft zum Himmel geschlagenen Blick, das Entsetzliche wieder vor +ihren Augen geschehen, dem folgend ihre Priester Pestilenz und Krieg +und die Racheblitze ihres Gottes prophezeiht. Aber sie <span class="g">sieht</span> doch den +Tanz, sie steht und zögert, und während sie seufzt und stöhnt, taucht +die Erinnerung in ihr auf, an frühere Zeit, wo sie selber im wilden +Sprung die Reihen der Mädchen geführt, die Fröhlichste unter den +Fröhlichen, bei denselben entsetzlichen Klängen, — wo sie mit +fliegender Brust und funkelndem Auge<span class='pagenum'> <a name="Page_19" id="Page_19">[19]</a></span> die Tapa von Schultern und +Hüfte, die Blumen aus den flatternden Locken riß, den Tänzer damit zu +werfen und — Jehovah stehe ihr bei, sie faltet erschrocken die Hände +und flieht den Platz, denn unter dem bunten wehenden Kattun zuckt' es +und zittert' es ihr in den Knieen und Füßen, und der Teufel war stark, +und lockte sie zu dem Entsetzlichen.</p> + +<p>Mitten hinein aber zwischen die Reihen und Gruppen der außen Stehenden +drängen jetzt wieder lachend und schwatzend und mit den Tänzerinnen +scherzend Französische Seeleute und Marinesoldaten, ihren Arm um die +nächste geschlungen, und den Takt des Tanzes mit Gesang oder +stampfendem Fuß unterstützend, und im Taumel von Lust und Freude +treibt sich die sorglose Schaar hier mitten zwischen dem Volk umher, +indeß die Mündungen seiner Kanonen schon auf die armen Bambushütten +gerichtet liegen und ein Zufall den blutigen Kampf entzünden kann.</p> + +<p>Aber was kümmerts die jungen Burschen; <span class="g">der</span> Tag ist noch der ihre, im +duftenden Wald, die wilde reizende Mädchenschaar an ihrer Seite, was +sorgen sie da um den nächsten. — Und wenn <span class="g">jetzt</span>, in diesem Augenblick +die Alarmtrommel tönte? — So unmöglich ist das nicht, denn der +Bootsmann horchte einmal schon rasch und erschrocken auf — aber bah, +es ist die neue Aufforderung zum Wiederbeginnen der<span class='pagenum'> <a name="Page_20" id="Page_20">[20]</a></span> Lust, und toller +und rasender als je werfen sich die Unermüdlichen hinein in den Tanz.</p> + +<p>Der Bootsmann oder <span class="f">contremaître</span> der <span class="f">Jeanne d'Arc</span> und Jim der Ire +hatten sich zurückgezogen vom Tanz und der Franzose stand allein, an +den Stamm eines Brodfruchtbaums gelehnt und schaute mit verschränkten +Armen dem wilden Spiele zu.</p> + +<p>Jim war in seiner Nähe und eben im Begriff auf ihn zuzugehen, aufs +Neue ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, als er sich am Arme gezupft +fühlte und rasch umschauend einen fremden Matrosen bemerkte, der ihm +vorsichtig winkte ihm zu folgen, und dann langsam, und scheinbar +absichtslos einem kleinen Guiavendickicht zuschlenderte, das hier den +nicht weit von da vorbeiströmenden Bach begrenzte. Jim schaute sich +vorsichtig um, ob er von keiner Seite beobachtet würde, blieb wohl +noch eine Viertelstunde ruhig und regungslos in seiner Stellung, dem +Tanze zuschauend, und folgte dann, die Hände in den Taschen und mit +den ihm nächsten Mädchen lachend und scherzend, dem Vorangegangenen. +Etwa zwanzig Schritt im Dickicht hörte er einen leisen Pfiff, +antwortete ebenso vorsichtig und befand sich wenige Minuten später dem +fremden Seemann gegenüber, der ihn ohne weiteres am Arm nahm und noch +tiefer in den Wald von Mape und Lichtnußbäumen und Guiaven +hineinführte.<span class='pagenum'> <a name="Page_21" id="Page_21">[21]</a></span></p> + +<p>»Alle Wetter Kamerad,« sagte endlich Jim stehen bleibend und seinen +schweigsamen Führer betrachtend, »was zum Henker schleppt Ihr mich +denn hier in den dicksten Busch, wo man sich die Augen in den Zacken +ausrennen kann. Was wollt Ihr von mir und wer seid Ihr selber?«</p> + +<p>»Wer ich bin, Dick Mulligan« sagte aber der Andere, »kann Dir ziemlich +egal sein, wenn nur — «</p> + +<p>»Dick Mulligan« wiederholte Jim und so sehr er sich auch Mühe gab +seine Bewegung zu verbergen, war es doch leicht zu sehn, wie er über +den Namen erschrak, »wen zum Teufel nennt Ihr Dick Mulligan?«</p> + +<p>»Pst Dick, nicht so laut,« sagte aber der Andere vorsichtig, »Du +brauchst Dich nicht zu geniren, wir Beide kennen einander, denn so +hab' ich mich doch Gott straf mich nicht verändert, daß Du nicht unter +der, vielleicht ein Bischen braun gewordenen Haut deinen alten +Gefährten Jack herausfinden solltest.«</p> + +<p>»Jack, bei Allem was da schwimmt!« rief Jim, »aber Mensch wo kommst Du +her, und in <span class="g">die</span> Jacke; Matrose an Bord eines <span class="g">französischen</span> +Kriegsschiffs« —</p> + +<p>»Das wäre eine langweilige Geschichte, Dir das Alles +auseinanderzusetzen, genug daß ich da bin und vielleicht Dir zum +Glück,« entgegnete aber der Andere — »Mensch Du hast Dich nicht im +Geringsten<span class='pagenum'> <a name="Page_22" id="Page_22">[22]</a></span> verändert, siehst noch aus wie vor fünf Jahren und läufst +hier so unbekümmert und gottvergnügt mit dem Bart und den Haaren in +der Welt herum, als ob Du nicht den Strick um den Hals trügst, und +jeden Augenblick gefaßt und vor Gericht geschleppt werden könntest — und wer Dich einmal gesehen, vergißt Dich im ganzen Leben nicht +wieder.«</p> + +<p>»Laß die alte Geschichte,« knurrte aber der Ire — »kein Mensch hier +hat eine Ahnung davon als wir Beide — weshalb das Aufheben!«</p> + +<p>»Kein Mensch, so?« — sagte Jack, »und weißt Du, wer auf der <span class="f">Jeanne +d'Arc</span> drüben zweiter Lieutenant ist?«</p> + +<p>»Wie soll ich's wissen,« erwiederte Jim unruhig, »Du kannst Dir denken +daß ich mit den Offizieren irgend einer Majestät so wenig wie möglich +in Berührung komme — wer wird's sein?«</p> + +<p>»Niemand Anderes als derselbe junge Bursch, der uns damals, in der +Pomatu Gruppe unsern schon sicher geglaubten Fang, den kleinen +Perlencutter abjagte und Dich dabei erwischte. Du entkamst ihm nachher +noch, aber er hat Dich doch beinah acht Tage festgehabt und kennt Dich +genau, ich habe ihn wenigstens die Geschichte selber zweimal an Bord +erzählen hören und er schwört darauf daß er Dich hängen sehn will, +wenn er Dir jemals im Leben wieder begegnet.«<span class='pagenum'> <a name="Page_23" id="Page_23">[23]</a></span></p> + +<p>»Unsinn, was kann er mir thun,« brummte aber Jim (denn wir wollen den +Namen beibehalten), »wir wurden eben von unserer Beute vertrieben, +aber das war doch auch weiter kein Beweis gegen mich.«</p> + +<p>»Sie haben die beiden Leichen in dem Pandanusdickicht gefunden,« sagte +Jack leise.</p> + +<p>»Den Teufel,« knirschte Jim zwischen den Zähnen durch — »das wäre +allerdings fatal — aber er hat keine Zeugen.«</p> + +<p>»Mehr wie er braucht,« entgegnete Jack — »drei von den Jungen die uns +damals den Spaß verdarben, sind auf der <span class="f">Jeanne d'Arc</span> — und Du kannst +Dir denken wie mir zwischen dem Gesindel zu Muthe sein muß — ein +Glück daß sie keine Ahnung haben wie nahe wir schon einmal »mit +einander in Geschäftsverbindung gestanden haben.«</p> + +<p>»Aber wie zum Henker bist Du auf das Französische Kriegsschiff +gekommen?« frug Jim nochmals erstaunt und vielleicht selbst +mißtrauisch.</p> + +<p>»Lieber Gott,« lachte Jack achselzuckend, »wie man bald das bald das +einmal in der Welt versucht, ehrlich durchzukommen. — Ich machte in +Marseille, an Bord eines Dampfers eine Speculation in silbernen +Löffeln — «</p> + +<p>»Pfui!« sagte Jim.</p> + +<p>»Pfui?« wiederholte Jack beleidigt — »das ist<span class='pagenum'> <a name="Page_24" id="Page_24">[24]</a></span> mir nun einmal +angeboren, daß ich nicht müßig gehen kann; doch um kurz zu sein +entstand da ein Mißverständniß dem ich, als der Schwächere zum Opfer +fiel. Sie steckten mich erst ein und schickten mich dann, zu meiner +weiteren Ausbildung auf ein Kriegsschiff.«</p> + +<p>»Und jetzt?«</p> + +<p>»Und jetzt? — bin ich an Bord und sehe mich nach einer passenden +Gelegenheit um meine Situation zu verbessern.«</p> + +<p>»Warum desertirst Du nicht?« frug ihn Jim.</p> + +<p>»Das ist eine böse Sache,« sagte Jack kopfschüttelnd, »das kann gut, +aber auch schlecht gehen — ja wenns hier einmal zum Ausbruch käme, +ließ ich mir's gefallen; jetzt wird aber Alles ausgeliefert was sich +fremd am Ufer blicken läßt. Du aber kannst mir am Ende dazu helfen.«</p> + +<p>»<span class="g">Ich</span> Dir? — wie mir's jetzt scheint habe ich alle Hände voll zu thun +meine eigene Haut in Sicherheit zu bringen — ist unser alter +Bekannter an Land?«</p> + +<p>»Gewiß, und stöbert hier gerade in der Nachbarschaft herum, ich habe +Dich deshalb abgerufen daß Du ihm nicht etwa in die Hände läufst — «</p> + +<p>»Nur meinethalben?« frug Jim den Gefährten mit einem etwas +zweifelhaften Blick.<span class='pagenum'> <a name="Page_25" id="Page_25">[25]</a></span></p> + +<p>»<span class="g">Nur</span> deinethalben? — nein« sagte der aufrichtige Jack — »ich sehe +nicht ein warum ich das Kind nicht beim rechten Namen nennen soll; mir +war es selber nicht ganz einerlei, die alte Geschichte wieder +aufgewärmt zu sehn, noch dazu da ich ein unfreiwilliger Zeuge des +Ganzen hätte sein müssen. Aber wirklich Jim, wie ich da erst von +unserem Bootsmann gehört habe, der sich gerade nicht in Dich scheint +verliebt zu haben, gehörst Du zu dem Wallfischfänger, der unten in der +Bai liegt — sind die Leute an Bord gut?«</p> + +<p>Jim zögerte einen Augenblick mit der Antwort und schielte seitwärts +nach seinem frühern Kameraden hinüber.</p> + +<p>»Du überlegst ob ich Dir da nicht etwa im Wege wäre?« sagte dieser +lachend.</p> + +<p>»Nein, nein,« erwiederte der Ire rasch und vielleicht etwas beschämt +seine Gedanken so schnell errathen und ausgesprochen zu sehn — »ich +wußte nur nicht gleich was Du damit meintest — ja, der Capitain ist +gut genug — Mac Rally, Du mußt ihn ja noch von früher her kennen.«</p> + +<p>»Mac Rally, Mac Rally? — nein, unter dem Namen nicht; wie hieß er +sonst — Du kannst mir trauen alter Junge,« setzte er lachend hinzu, +als er sah das Jim mit der Antwort zögerte — »mir liegt<span class='pagenum'> <a name="Page_26" id="Page_26">[26]</a></span> <span class="g">Alles</span> daran +sicher vom Bord der Franzosen zu kommen und wenn ich selbst — «</p> + +<p>»Aber warum schwimmst Du nicht zu dem Engländer hinüber, der nähme +Dich mit Vergnügen auf,« sagte Jim.</p> + +<p>»Weil ich dafür meine <span class="g">sehr</span> guten Gründe habe,« brummte Jack +verdrießlich; »ich fühle eine gerade so große Abneigung gegen +englische Offiziere wie Du, und — habe vielleicht eben so viel +Ursache — also Mac Rally — «</p> + +<p>»Erinnerst Du Dich noch auf Bill Kooney?« frug Jim.</p> + +<p>Jack pfiff leise vor sich hin und lachte verschmitzt.</p> + +<p>»Bill Kooney,« sagte er dann nach einer kurzen Pause — »Bill Kooney — aber wie zum Teufel ist der zu dem Wallfischfänger gekommen?«</p> + +<p>»Das ist eine naive Frage,« sagte Jim, »aber mein Junge, wenn dem so +ist daß der Gesell — wie heißt er doch gleich dein Lieutenant?«</p> + +<p>»Bertrand.«</p> + +<p>»Daß also der <span class="f">Monsieur</span> hier herumschwimmt, da ist's für mich Zeit aus +dem Cours zu gehn — bis ich ihm vielleicht einmal richtig hinein +kommen kann; ich muß so an Bord.«</p> + +<p>»Aber wo treffen wir uns wieder? ich möchte vorher genau wissen wann +Ihr segelt und Bill Koo<span class='pagenum'> <a name="Page_27" id="Page_27">[27]</a></span>ney doch auch gern einmal sehn, mit ihm meinen +Plan zu bereden.«</p> + +<p>»Ich gehöre gar nicht mehr an Bord,« sagte Jim — »daß ich Harpunier +wäre hab' ich deinem neugierigen Bootsmann nur aufgebunden.«</p> + +<p>»Du gehörst nicht mehr an Bord?« frug Jack erstaunt — »den Teufel +auch, da hast Du wohl dein »Geschäftsbüreau« jetzt an Land?«</p> + +<p>»Zu Zeiten,« sagte Jim ausweichend.</p> + +<p>»Und gehn die Geschäfte gut? — na hab' keine Angst,« setzte er aber +rasch hinzu, als er sah daß den neugefundenen Kameraden die Frage +etwas in Verlegenheit zu setzen schien, wenigstens nicht gleich und +unbedingt von ihm beantwortet wurde — »ich komme Dir dabei nicht in's +Gehege, bleibe aber, aufrichtig gesagt auch lieber einmal eine +Zeitlang auf festem Grund und Boden und in der angenehmen Gesellschaft +hier, mich von den überstandenen Strapatzen erst ein wenig auszuruhn. +Donnerwetter, man lebt doch nur einmal auf der Welt, und wozu sich in +einem fort schinden und placken, wie ein Hund!«</p> + +<p>»Ich weiß gerade nicht ob es Dir hier gefallen würde,« sagte Jim.</p> + +<p>»Daß laß meine Sorge sein,« lachte der Matrose, »wenn ich nur erst +glücklich aufgehoben wäre, eine Desertion in meinen Verhältnissen ist +nur zu ver<span class='pagenum'> <a name="Page_28" id="Page_28">[28]</a></span>dammt gefährlich, denn <span class="g">kriegten</span> sie mich wieder, möcht' ich +in jeder anderen, nur nicht in meiner eigenen Haut stecken. Ich könnte +Dir vielleicht hier auch in Manchem von Nutzen sein.«</p> + +<p>»Das bezweifle ich nicht im Mindesten,« entgegnete Jim ruhig, »aber +überleg's Dir wohl; wird eine große Belohnung auf den Einfang gesetzt, +so ist keinem von den Indianischen Schuften zu trauen. Am besten wär's +doch wohl Du sprächst einmal mit Mac Rally.«</p> + +<p>»Hm — ja — vielleicht — nun ich werde ja sehen,« sagte Jack wie +überlegend sich das Kinn streichend und dabei verstohlen auf Jim +hinüber schauend. — »Und wenn man Dich einmal hier am Ufer finden +wollte, wo bist Du da am besten zu erfragen?«</p> + +<p>»Kennst Du einen Platz hier auf der Insel, den sie »Mütterchen Tot's +Hotel« nennen?«</p> + +<p>»Nein — ich bin noch nie funfzig Schritt vom Strand fortgewesen.«</p> + +<p>»Du wirst ihn erfragen können — jeder Matrose kennt ihn.«</p> + +<p>»Wohnst Du dort?«</p> + +<p>»Nein, aber es ist der einzige Platz, den ich regelmäßig besuche.«</p> + +<p>»Gut, werd' ihn mir merken, und nun <span class="f">good bye</span>, Dick, unser Bootsmann +könnte mich sonst vermissen.«</p> + +<p>»Nenne mich nur nicht <span class="g">Dick</span>,« warf der Ire ein,<span class='pagenum'> <a name="Page_29" id="Page_29">[29]</a></span> »der Name war mir +unbehaglich, und ich möchte nicht gern immer wieder an jene +unglückselige Zeit erinnert werden.«</p> + +<p>»Hast Du Gewissensbisse?« lachte Jack.</p> + +<p>»Bah Gewissensbisse — Unsinn — aber keine Lust eine Raanocke zu +zieren, alter vergessener Geschichten wegen.«</p> + +<p>»Gut, gut; also Du, Jim, wenn Dir das sicherer klingt, könntest Dich +unter der Zeit doch immer einmal nach einem Quartier oder +Schlupfwinkel für mich umsehen — wenn's auch nur für den Nothfall +wäre; je weiter im Inneren, desto lieber ist mir's. So gute Nacht und — hab gut Acht auf deinen Hals!« — Und leise vor sich hinlachend +verließ er den Freund und ging zurück, wo er die Trommeln der +Insulaner noch hören konnte, die unermüdlich neue und frische Tänzer +herbeilockte.</p> + +<p>»Hm,« sagte Jim leise und nachdenkend vor sich hin, als der alte +Kamerad aus früheren Tagen in den Büschen verschwunden war, und seine +Schritte weiter und weiter im dürren Laub verklangen — »schön Dank für +die Warnung; ich weiß aber eben noch nicht, ob mir mein Hals in <span class="g">Deiner</span> +Gesellschaft sicher oder unsicher ist, mein alter Bursche, und fataler +Weise ist der Versuch gerade so gefährlich. Nun, jedenfalls bin ich +auf meiner Huth und vor Dir<span class='pagenum'> <a name="Page_30" id="Page_30">[30]</a></span> ziemlich sicher daß Du nicht selber aus +der Schule schwatzest; Vielleicht kommt mir aber der französische +Grünschnabel einmal gelegentlich unter die Finger und dann können wir +ja unsere Rechnungen mitsammen ausgleichen. Jetzt übrigens, so lange +es noch Tag ist, werde ich <span class="g">nicht</span> an Bord zurückgehn, sondern meine +Geschäfte hier am Land besorgen; ich traue den Insulanern nur nicht +viel zu; sie sind zu gleichgültig bei Allem was sie nicht unmittelbar +in die Höhe schüttelt, und müßten sich sehr geändert haben, wenn sie +überhaupt noch einmal zu einem entscheidenden Schlag zu bringen wären — sei der nun hingerichtet, wohin er wolle. — Hm — ist mir aber +auch wieder ungemein lieb erfahren zu haben daß der Gesell in einer +französischen Uniform steckt und hier herumläuft — werde doch zusehn +daß <span class="g">er mir</span> zuerst vorgestellt wird, und nicht ich <span class="g">ihm</span>.« — Und mit +einem vorsichtigen Blick umher, denn Jack's Warnung hatte seine +Wirkung keineswegs verfehlt, schlug er sich, mit der Gegend in der er +sich hier befand vollkommen gut bekannt, seitwärts in das Dickicht, +die Stadt auf einem anderen Pfade zu erreichen und verschwand bald +darauf in den dichten, hinter ihm sich wieder schließenden +Guiavenbüschen.<span class='pagenum'> <a name="Page_31" id="Page_31">[31]</a></span></p> + +<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_A_1" id="Footnote_A_1"></a><a href="#FNanchor_A_1"><span class="label">[A]</span></a> Ein Schiffsausdruck »wo kommt Ihr her — von woher seid +Ihr gesegelt?«</p></div> +</div> + + +<hr class="endchapter" /> +<h2><a name="Capitel_2" id="Capitel_2"></a>Capitel 2.</h2> +<h3>Sadie und René.</h3> + + +<p>Ah — die Brust hebt sich ordentlich frei, wie wir dem wilden wüsten +Treiben von Haß und Sünde, Leichtsinn und roher Sinnlichkeit den +Rücken kehren, dem Wald, dem unentweihten Walde zuzustreben. Noch +haben wir aber nicht all die bunten wilden Gruppen hinter uns, die +zerstreut bei all den verschiedenen Hütten, in all den kleinen Hainen +ihre Orgien feiern. Horch, von da drüben herüber lauter und munterer +Trommelschlag unter den Palmen vor — lachende Männer und +Mädchenstimmen und jubelnder Chor; und von <span class="g">dort</span>? tönt der scharfe +Klang einer kleinen, in den Zweigen eines Orangenbaumes aufgehangenen +Glocke, und der monotone Sang<span class='pagenum'> <a name="Page_32" id="Page_32">[32]</a></span> frommer Hymnen in Tahitischer Sprache, +von den Ehrwürdigen Männern selbst an einem Wochentag gesungen, weil +heute die Inseln ja dem rechten, dem »allein selig machenden +Protestantischen Glauben« gerettet wurden.</p> + +<p>Dahinein aber kreischt der laute fröhliche Sang halbtrunkener +Matrosen, die am Strand nieder neuen Vergnügungen zuziehen. Hier eine +Frauengestalt in wehdurchschauerter Angst niedergeworfen vor dem +zürnenden Gott, den Blick angstvoll nach oben gerichtet, als ob sie +fürchte daß der rächende Strahl den Zornesworten folgen müsse, die der +weiße fromme Mann eben niedergedonnert hatte von dem einfach hölzernen +Kanzelstand, auf die Häupter der kleinen »auserwählten Schaar« — dort +ein wildes braunes halbnacktes Mädchen, den Arm leichtfertig um die +Schulter eines französischen Soldaten gelegt, der mit ihr plaudert und +koßt, während sie den lachenden Blick frei und ruhig zu dem blauen +freundlichen Himmel emporhebt, und dabei mit halbem Ohr vielleicht den +fernen wohlbekannten Glockentönen lauscht.</p> + +<p>Widersprüche wohin das Auge fällt, und nur die Natur selber ist sich +treu geblieben in dem tollen wilden Gewirr — nur die Natur allein, +die Gottes Größe und Güte predigt in jeder Zeit, und ihre Gaben +liebend ausstreut über die Kinder des Allmäch<span class='pagenum'> <a name="Page_33" id="Page_33">[33]</a></span>tigen, gleichviel +welcher <span class="g">Sekte</span> sie angehören, welchen Namen die Lippe flüstert, wenn +das Herz, in stiller Anbetung versunken, emporstaunt zu seinen +Wundern, und gleichgültig dabei, ob sie ihre Stirnen nach Westen oder +Osten zum Gebet neigen — beten sie doch <span class="g">Alle</span> zu <span class="g">Ihm</span>.</p> + +<p>So, je weiter wir das wirre tolle Treiben Papetee's hinter uns lassen, +verschwimmen die Dissonnancen von Hymne und Trommel in dem gewaltigen +Donner der ewigen Brandung, und dem leisen flüsternden Rauschen der +Blätter und Palmenkronen, und dort draußen, weit draußen am +wunderschönen Strand, wohinaus kaum der donnernde Schall des +Geschützes drang, das den Aufgang und Niedergang der Sonne kündete, +hatte René seine Hütte gebaut. Ein wohl nicht großes aber doch +geräumiges Haus, dicht in den Schatten von Frucht- und Blüthenbäumen +hineingeschmiegt, diente ihm mit seiner kleinen Familie, wie dem alten +ehrwürdigen Mr. Osborne, von dem sie sich nicht hätten trennen mögen, +zum Aufenthalt; ja wurde ihm zur Heimath, und selbst Sadie fühlte sich +hier wieder wohl und glücklich, so heimisch so freundlich war der +kleine liebe Platz — so lieb fast wie Atiu — nur daß ihm die +Erinnerungen fehlten.</p> + +<p>— <span class="g">Nur daß ihm die Erinnerungen fehlten</span> — es ist ein kleines, +unbedeutendes Wort; die<span class='pagenum'> <a name="Page_34" id="Page_34">[34]</a></span> Erinnerung, und sie umfaßt doch, wenn wir +erst einmal wirklich ins Leben traten, Alles fast, was das Herz je +theuer gehalten und lieb, und dessen Klängen es mit freudigem Klopfen, +o wie gern doch, lauscht. Was anderes giebt unserer Heimath jenen +unendlichen Reiz, der uns nicht weilen läßt im fremden Land und uns +zurückzieht mit festen, kaum zerreißbaren Banden? — was anderes +zaubert uns mit einem Schlag alle die lieben, nie vergessenen, aber +wohl so oft und heiß ersehnten Bilder wieder herauf, die unserem Leben +damals Licht und Farbe, unserem Blut die Wärme, unserer Brust die +heitere Ruhe gaben? Verleih einem Platz diese Erinnerungen, und laß es +dann die ärmlichste dürftigste Hütte in einer Wildniß sein, und jede +Stütze ist uns theuer die noch den morschen Bau zusammenhält. Wir +kennen da jeden Baum, jeden Stein und an jedes, das noch so +unbedeutendste, an den schmalen Pfad der hinausführt zu dem stillen, +Linden umlaubten Friedhof, an das Gartenpförtchen, an den Apfelbaum +neben der Thür, an die Steinbank oder den murmelnden Bach, oder den +moosbewachsenen Eimer des Brunnens, selbst an die lieben Sterne die +nur <span class="g">so</span>, wie alte liebe Bekannte über <span class="g">der</span> Hütte standen, knüpft sich +eine Liebe, eine selige Erinnerung, und je älter wir dabei werden, je +weiter uns das Schicksal und<span class='pagenum'> <a name="Page_35" id="Page_35">[35]</a></span> je länger es uns fortgetrieben aus dem +Heiligthum, desto theurern Platz wahrt es sich in unserm Herzen.</p> + +<p>Und <span class="g">ohne</span> diese Erinnerungen? ja die Welt ist schön, und überall +gründet der unstete Mensch seinen Heerd, überall deckt Gottes +unendliche Güte den Boden für ihn mit Speise und Trank, und das +Geschlecht treibt und gedeiht — aber es treibt und gedeiht auch nur +eben, und wie in der Fremde beginnt es seine Hütte zu bauen, wie in +der Fremde siedelt es sich an und — denkt zurück an frühere +glücklichere Zeiten, liebere Plätze — an die Stelle wo seine Wiege +gestanden.</p> + +<p>Aber Sadie und René <span class="g">waren</span> glücklich — über ihnen wölbten, wie auf +Atiu wehende Cocospalmen ihre Häupter und schüttelten den Thau nieder +auf die duftenden Blüthen der Orangen, die ihren Fuß umwuchsen; vor +ihnen aus breiteten sich die Corallendurchzogenen Binnenwasser der +Riffe, klar und silberrein wie an der Schwesterinsel, und Abends +ruderte der junge Mann das Canoe hinaus, und vor ihm saß dann die +glückliche Mutter mit dem Kind am Herzen, dem Liebesblick seines Auges +in unendlicher Seligkeit begegnend; — es waren das so frohe, so +glückliche Stunden.</p> + +<p>Oh daß sie schwinden müssen, daß Alles nur auf Erden eine Spanne Zeit +umfaßt, und während uns<span class='pagenum'> <a name="Page_36" id="Page_36">[36]</a></span> die Sonne fröhlich scheint, daß da schon +düstre Wolkenschleier unterm Horizonte lagern müssen, die langsam aber +sicher höher steigen. Es giebt kein ungetrübtes Glück auf dieser Welt, +es kann's nicht geben, denn das Bewußtsein schon, wie nah der Wechsel +unserm Leben liegt, wie oft an einer Faser nur das Alles hängt, was +uns in diesem Augenblick entzückt, wirft einen trüben Schein selbst +auf die frohste Stunde, und das, was uns gerade im Unglück stärkt, was +den Blick vertrauend, hoffend dem Lichte zukehrt, wie trüb und traurig +uns auch im Herzen sei, und wie die Verzweiflung an ihm nagt und +zehrt, die Gewißheit irgend des einstigen Wechsels solcher +Leidenszeit, die klopft dann ebenfalls als Mahner an des Glückes Thor, +mit leisem Finger, aber still und unverdrossen fort.</p> + +<p>Nicht bei René; er war ein Kind im Glück und nahm das Alles mit so +frohem leichten Herzen an, wie Kinder Spielzeug nehmen, lachen und +springen damit und nicht d'ran denken daß es zerbrechen kann, sich +nicht d'rum kümmern. Nach langer schwerer Zeit, wo er viel dulden +mußte und ertragen, erschien das Alles hier ihm wie gehörig, wie +gerechter Lohn nur für Bestandenes; Sorge hatte er nie gekannt, der +Augenblick war ihm des Lebens Trieb gewesen, dem er folgte, dem +Augenblick gehörte er auch an, und<span class='pagenum'> <a name="Page_37" id="Page_37">[37]</a></span> wie er ebenso im Unglück wenig nur +gehofft, sich stets vom Schicksal ausersehn gedacht und kecken +trotzigen Muthes darin gerade Freude fand ihm zu begegnen, es zu +überwinden, so dachte er auch im Glück nicht oft hinaus wie's einst +wohl werden solle, wenn der Tod vielleicht hier oder da die Stützen +wegriß, oder and'res Leid mit kalter starrer Hand eingreifen könne in +sein junges Glück. Er lebte, liebte, das war ihm genug.</p> + +<p>Nicht so Sadie; auf jener stillen Insel still herangewachsen, hatte +sie kaum von einem höheren Lebensziel gewußt; der Schwestern sorglose +Freuden sorglos theilend, war ihr auch nie ein anderer Gedanke +gekommen, hatte sie nie einen andern Fall für möglich gehalten, als +mit der Palme am Strand zu blühen, zu gedeihen und unter ihrem +Schatten einst in leichter Erde, leicht und hoffend einem neuen, +besseren Leben entgegen zu träumen. Da kam René — mit ihm erschloß +sich eine neue Welt für sie, mit ihm gewann sie etwas was sie nie +geahnt — ein <span class="g">geistiges</span> Leben, neben ihrer Palmenwelt, und Alles das +was ihr die Brust von da mit solcher Seligkeit erfüllte, fand in dem +einem Herzen nur Ursprung und Ziel — und wenn das eine Herz ihr +wieder schwand dann — nein, sie dachte den Gedanken nie aus, und wenn +er aufsteigen wollte in ihr, floh sie vor sich selbst, und<span class='pagenum'> <a name="Page_38" id="Page_38">[38]</a></span> das Gefühl +gewann erst wirklich festen Grund in ihr, bekam erst Farbe und +Gestalt, als ihr ein anderer Schmerz durchs Leben zog — das erste +schwere herbe Leid der jungen Brust.</p> + +<p>Der alte ehrwürdige Mr. Osborne, ein Missionair im wahren Sinn des +Worts, der Gottes Liebe voll und wahr im Herzen trug, und Tausenden +schon damit Trost gebracht, fand gerade da, wo er Achtung und +Anerkennung hätte fordern dürfen, mit seinem treuen ehrlichen Herzen, +kalten dürren Grund, und wenn nicht offenen Kampf, weit Schlimmeres — heimlicher Bosheit Pfeil, der oft weit tödtlicher trifft als Blei und +Stahl. Herüber und hinüber geschickt auf der Insel, wo er kaum des +einen Stammes Herzen sich gewonnen, und wohlthätigen Einfluß auf sie +auszuüben begann, gekränkt und angefeindet, geärgert und betrübt, +erkrankte er endlich, und ehe René sowohl wie Sadie sich auf den +schmerzlichen Verlust der ihnen drohte, vorbereiten konnten, ja ehe +selbst nur die Befürchtung solcher Gefahr in ihnen aufgestiegen war, +machte ein Nervenschlag seinem Leben ein sanftes und nur zu rasches +Ende.</p> + +<p>Der Schmerz traf tief in ihr junges, bis dahin ungetrübtes Glück, und +Sadie besonders hatte viel, unendlich viel durch ihn verloren. Auch +René schmerzte der Verlust des alten wackern Mannes, der ihm ein +zwei<span class='pagenum'> <a name="Page_39" id="Page_39">[39]</a></span>ter Vater geworden, und ja auch eigentlich viel mit seinetwegen +ertragen und geduldet.</p> + +<p>Viele Monate vergingen denn auch, ehe sich Beide von dem Verlust +erholen, an die Trennung von ihm gewöhnen konnten, und selbst dann +noch wollte das Gefühl der Leere nicht ganz weichen — es fehlte ihnen +ein Theil ihrer selbst, und der Alles lindernden Zeit mußte es +vorbehalten bleiben sie vollständig dafür zu trösten.</p> + +<p>Dieser Todesfall war aber auch für René zum Trieb geworden, sich +irgend nach einer Thätigkeit umzuschauen, nach der auch, besonders +jetzt allein auf sich selbst angewiesen und in der lebendigeren +Ansiedlung mit neuen Bedürfnissen erwachsend, sein lebenskräftiger +Geist sich sehnte und drängte. Eine solche Beschäftigung wurde ihm +aber auch zuletzt zur Nothwendigkeit, wenn er nicht untergehen sollte +in dem müßigen, dem Insulaner wohl zusagenden, dem gebildeten Europäer +aber auf die Länge der Zeit nicht genügenden Leben.</p> + +<p>Kurz vor Mr. Osbornes Tode war ein Theil des Capitals, das René in +Frankreich stehen hatte, für ihn auf Tahiti eingetroffen, und er +beschloß jetzt dasselbe in kaufmännischen Speculationen anzulegen, und +sich außerdem mit dem Handel und Betrieb dieser<span class='pagenum'> <a name="Page_40" id="Page_40">[40]</a></span> Inseln bekannt zu +machen. Er bedurfte dessen allerdings nicht seine Lage zu verbessern +oder seine Existenz zu sichern, denn wenig genügte hier seinem +einfachen Leben, aber er wollte einen Antrieb haben, der ihn irgend +einem gestellten Ziel entgegen führte, und das zog ihn dann nicht +allein nicht von seinem häuslichen Leben ab, sondern mußte diesem +sogar einen noch höheren Reiz verleihen.</p> + +<p>Seine kleine freundliche Wohnung lag vielleicht eine halbe Meile +unterhalb Papetee, dicht am Meeresstrand, von hohen Wi- und Mapebäumen +umgeben, und die freie Aussicht nach dem reizenden Imeo hinüber +gewährend. Dort, schon mit mancher Europäischen Bequemlichkeit +ausgestattet, hatte er sich sein Nest gebaut, und zog ihn auch über +Tag dann und wann theils die Anknüpfung seiner Geschäfte, theils das +rege politische Treiben dieser lebendigen Zeit für Tahiti, nach der +Stadt, so fand ihn der Abend doch stets mit raschen Schritten +heimwärts, in die Arme seines trauten Weibes eilend, und schmiegte +sich dann das liebe holde Kind, dem die Mutterwürde einen fast noch +höheren Reiz verliehen, kosend an seine Seite, dann segnete er wohl +oft, in der Fülle seines Glücks, das Schiff, das ihn an diese +gastliche Küste geführt, und mehr noch den Entschluß Freiheit und +Leben daran gesetzt zu haben den Boden zu betreten,<span class='pagenum'> <a name="Page_41" id="Page_41">[41]</a></span> zu dem es ihn, +wie mit einer höheren inneren Stimme unaufhaltsam getrieben.</p> + +<p>Wie es dabei oft jungen Leuten geht, denen das Schicksal, und wie +häufig ihnen zum Heil, in ihrer ersten Liebe, bei ihren ersten +ehrgeizigen Plänen, den schon zum Genuß gehobenen Becher von den +Lippen reißt, und die dann plötzlich ihre Rechnung mit der Welt +abgeschlossen, ihre Ansprüche an das Leben und sein Glück vernichtet +glauben und gar nicht einsehen wollen, daß ihnen die Welt erst jetzt +so voll und weit die Arme öffnet, fand er Alles, Alles gerade in dem +Augenblick erfüllt, wo er sich schon an Abgrunds Rande wähnte, und den +Schritt für unvermeidlich, für unabwendbar hielt, der ihn +zerschmettert in die Tiefe senden mußte.</p> + +<p>Und wenn er dann wieder im Anfang, von einem Extrem zum andern +überspringend, jeder Gefahr entrissen, mit jedem Wunsch erfüllt, in +einem förmlichen Taumel von Wonne und Seligkeit der neu gefundenen +Rettungsbahn, die ihn nun durch blumige Auen führte, wie im Traume +folgte, verlor sich doch endlich dieses Gefühl, das ihn auch wirklich +sein Glück nur halb empfinden ließ, und mit dem vollen Bewußtsein +dessen was er sich hier, in dieser wunderherrlichen Welt gewonnen, +kehrte auch unendliche Ruhe und Seligkeit ein in sein Herz — eine +Ruhe<span class='pagenum'> <a name="Page_42" id="Page_42">[42]</a></span> die sein Weib unsagbar glücklich machte und ihrer Brust letzte, +durch die anderen Protestantischen Geistlichen wachgerufenen Zweifel +und Befürchtungen beschwichtigte und widerlegte, daß sich der unstete +Geist des jungen Mannes so leicht und vollständig dem doch ganz neuen +ungewohnten, und gewissermaßen abgeschlossenen Leben dieser Inseln +fügen werde.</p> + +<p>Wie aber der Wirkungskreis ein weiterer war, den er hier fand, so +zeigte sich auch bald das Leben ein ganz anderes, als in dem stillen, +abgeschlossenen Atiu. Tahiti, und auf ihm Papetee schien der +Mittelpunkt des Handels und Verkehrs für die südlich vom Aequator +gelegenen Inselgruppen werden zu wollen, und gerade in letzter Zeit +hatten sich mehre Amerikanische wie Französische Familien hier +niedergelassen, die den gesellschaftlichen Verhältnissen dieses +kleinen Inselstaates einen neuen, bis dahin noch nicht gekannten +Aufschwung zu geben versprachen. René dessen liebenswürdiges Benehmen +ihm leicht die Herzen derer gewann, mit denen er in Berührung kam, +trat bald darauf mit einem der Amerikaner sowohl wie den Franzosen in +Geschäftsverbindung, und fand sich auf das Herzlichste bei ihnen +eingeführt. Den Frauen besonders lag daran einen geselligen Verkehr +auf diesem abgelegenen Punkt zu eröffnen und zu erhalten, und sie +hörten kaum daß René verheirathet<span class='pagenum'> <a name="Page_43" id="Page_43">[43]</a></span> sei, als sie auch fest entschlossen +waren ihn aufzusuchen und mehr an sich und ihr Haus zu fesseln.</p> + +<p>René, der recht wohl fühlte daß er sich mit der stärkeren Bevölkerung +der Insel, wenn sich besonders noch mehr Europäer herüber zogen, einem +mehr geselligen Leben nicht ganz würde verschließen können, ja +verschließen mochte, hatte schon seit einiger Zeit angefangen Sadie +darauf vorzubereiten, und zum ersten Mal störte ihn hierin ihre +ungezwungene Tracht, die dem Klima wie der freien Bewegung des Körpers +doch so angemessen war. In den Kreisen in denen er sich aber in einem +mehr geselligen Leben bewegen mußte, wäre dieselbe jedenfalls, wenn +nicht geradezu ein Hinderniß, doch oft ein Stein des Anstoßes +geworden. Allerdings fürchtete er im Anfang diesen Punkt bei Sadie zu +berühren — es konnte sie kränken wenn sie glauben möchte sie gefiele +ihm weniger jetzt in dem bunten flatternden Tuch, als früher in der +ersten Liebe Zeit; aber Sadie war viel zu vernünftig nicht einzusehen, +wie sie mit dem Gatten in einen anderen Wirkungskreis getreten wäre +und sich dem anzuschmiegen hätte. Die liebe kleine Frau schüttelte +wohl anfangs darüber lächelnd den Kopf, aber die neuen Kleider standen +ihr vortrefflich, und mit dem, ihren Landsleuten eigenen Scharfblick +fügte sie sich so leicht nicht allein in die Tracht, son<span class='pagenum'> <a name="Page_44" id="Page_44">[44]</a></span>dern auch in +das ganze Neue und Fremde, das dieselbe mit sich brachte, als ob sie +von Kindheit an darin aufgezogen gewesen wäre, und nicht erst hätte +Alles abwerfen müssen was uns durch Gewohnheit und Sitte aus unserer +Jugend noch fast zur andern Natur geworden, und mit unserm inneren +Selbst verwachsen ist.</p> + +<p>Störend allein griffen manchmal, wenn auch selten, die kirchlichen und +dadurch wieder politischen Verhältnisse der Inseln in das Leben der +Glücklichen ein, denen sich René selber am liebsten ganz entzogen +hätte, wenn ihn eben die Geistlichen in Frieden gelassen. Die +Protestantischen Missionaire <span class="g">hielten es aber für ihre Pflicht</span> (ein +entsetzliches Wort solcher Herren) die junge, im rechten Glauben +erzogene und unglücklicherweise in die Hände eines Ungläubigen +gerathene junge Frau, unaufhörlich vor dem Abgrund zu warnen an dem +sie stehe, und ihr alle die Schrecknisse vor zu halten die sie +erwarteten, wenn sie dem von ihrem Gatten betretenen Pfade folge. Auch +das Kind mußte ja dem rechten Glauben erhalten werden, und so +bereitwillig sich René, um nur Ruhe von Außen und Frieden im Hause zu +haben, allen verlangten Ceremonien fügte, die für unumgänglich nöthig +gehalten wurden dem kleinen unschuldigen Erdenbürger eine einstige +Seligkeit zu<span class='pagenum'> <a name="Page_45" id="Page_45">[45]</a></span> sichern, so mußte er doch zuletzt entschieden gegen +einen Theil dieser Menschen auftreten, die in seinem Haus anfingen wie +in einem Taubenschlag aus und ein zu fliegen, und auf dem besten Weg +waren der armen Frau den Kopf zu verdrehen, und sie melancholisch und +unglücklich zu machen.</p> + +<p>Von den Geistlichen war nur Einer, mit dem er sich gewissermaßen +befreundete, und zwar eigenthümlicher Weise gerade Einer der +eifrigsten und entschiedensten der ganzen Gesellschaft. Bruder Nelson +lebte und webte nur in seiner Mission und behandelte seinen Beruf mit +einer Aufopferung, die ihn stets zuletzt an sich denken ließ, und +Belohnung nur wieder allein in dem Erfolg suchte und fand, den er dem +alleinigen Gott, seiner Meinung und Ueberzeugung nach, errang. Ruhig +und fest arbeitete er aber auch ohne Uebertreibung, ohne jenen <span class="g">blinden</span> +Eifer an der Besserung und Bekehrung seiner Mitmenschen, und gehörte +vor allen Dingen nicht zu jener tollen Schaar die mit dem Wahlspruch +»ein Tröpfchen <span class="g">Glaube</span> sei besser wie ein ganzes Meer voll <span class="g">Wissen</span>« das +Volk nur für ihre Worte und Formeln fanatisiren wollen, und Sinn und +Verstand dabei, mit einem verklärten Blick nach oben, unter die Füße +treten.</p> + +<p>René unterhielt sich gern und oft mit ihm, selbst über religiöse +Punkte und noch mehr und gewaltigern<span class='pagenum'> <a name="Page_46" id="Page_46">[46]</a></span> Stoff zur Unterhaltung, aber +auch zugleich dabei zu einer neuen Besorgniß, die seinen Eifer ihr zu +begegnen nur noch mehr anstachelte, erhielt der ehrwürdige Mr. Nelson +in einem neuen Gast des Hauses, der anfangs nur selten kam, sich aber +bald dort wohler fühlte und häufiger da gesehen wurde als den übrigen +Missionairen, die schon das Schlimmste fürchteten, lieb sein mochte.</p> + +<p>Es war dies Einer der Katholischen Priester, denen natürlich daran +gelegen sein mußte vor allen Dingen unter ihren Landsleuten festen Fuß +zu fassen, von denen aus sie ihre Lehre verbreiten und den Ketzern den +schon fast sicher geglaubten Sieg entreißen konnten. Vater Conet hatte +den jungen Franzosen und Landsmann aufgesucht, und trotzdem daß er von +diesem, der nicht mit Unrecht dadurch den religiösen Kampf über seine +eigene Schwelle zu ziehen fürchtete, im Anfang etwas kalt empfangen +und aufgenommen wurde, sich so liebenswürdig betragen, und sich so +fern auch selbst von jedem Schein eines Bekehrungsversuches gehalten, +daß René bald in ihm nur den lieben, ihm herzlich willkommenen +Landsmann sah. Selbst Bruder Nelson, der mit ihm einige Male da +zusammentraf und es zuletzt unmöglich fand im Gespräch das was ihnen +beiden so nahe lag, die Religion ganz zu vermeiden, lernte ihn mit +jedem Tage<span class='pagenum'> <a name="Page_47" id="Page_47">[47]</a></span> mehr als einen durchaus gebildeten, anständigen Mann +kennen, daß er nicht allein Nichts mehr gegen seine Besuche des Hauses +einzuwenden hatte, sondern sie im Gegentheil anfing gern zu sehn und +absichtlich ein und dieselbe Stunde mit dem katholischen Priester +wählte, ihn dort zu treffen.</p> + +<p>Unter den übrigen Geistlichen hatte aber, nichtsdestoweniger daß +Bruder Nelson das Haus besuchte, der überhaupt lange nicht als +entschieden und orthodox genug unter ihnen galt, mehr und mehr der +Verdacht Wurzel geschlagen, daß der katholische Priester wirklich die +heimliche Absicht habe, die junge Frau schon aus den Armen der +rechtgläubigen Kirche herauszureißen und der seinigen zuzuführen, und +der Ehrwürdige Bruder Dennis, der fanatischeste unter den Fanatikern, +fühlte sich vor allen anderen dazu berufen, für die junge Christin wie +ihr Kind als Kämpfer aufzutreten.</p> + +<p>Mehrmals trafen sich hierauf die beiden Geistlichen, Bruder Dennis und +Conet in René's Wohnung, selbst während dessen Abwesenheit; Bruder +Conet fand aber bald welch ein anderer Geist diesen Mann beherrsche +wie den ehrwürdigen Nelson, und vermied sorgfältig auch nur die +mindeste Begegnung mit ihm auf geistlichen Gebiet unter dem, ihm +befreundeten Dach. Artig aber entschieden wieß er<span class='pagenum'> <a name="Page_48" id="Page_48">[48]</a></span> den wieder und +wieder gebotenen Kampf zurück. René erfuhr das auch, und gewann ihn +dadurch um so lieber; vergebens bat er aber den frommen Mr. Dennis +dagegen, von solchen Versuchen bei ihm abzustehn, da erstens nicht +einmal die geringste Gefahr irgend eines Glaubenswechsels für Sadie +vorhanden sei, ja die Frau sogar viel schwärmerischere Ideen bekam, +als ihm schon lieb war, und er auch nicht gern sein häusliches Glück +dem Zwiespalt opfern wollte, der die ganze Nation zu verschlingen +drohte. Der fromme Geistliche hatte höhere Pflichten als gegen die +Menschen und ihr häusliches Glück — er hatte Pflichten gegen <span class="g">Gott</span> und +denen mußte er folgen, gleichviel wohinaus sein Weg ihn führte. Der +Allmächtige hatte ihn und seine Brüder jenem glorreichen Beruf +erwählt, Sein Wort, Seine Lehre, den Heiland der Welt und den Heiligen +Geist den Heiden dieser Seeen zu bringen und jubelnd in dem Gefühl — jubelnd in der Seligkeit der Ueberbringer so froher Botschaft für die +Verlorenen zu sein, schritt er vorwärts, das Kreuz in der gehobenen +Rechten. Wohl lauerte der Feind jetzt mit einem trügerischen Schatten +desselben Kreuzes die schon fast Geretteten von der richtigen Bahn +wieder abzulenken; schon streckte er die gierige Teufelsfaust aus, und +Gefahr drohte der kleinen Schaar der Rechtgläubigen von <span class="g">allen</span> Seiten;<span class='pagenum'> <a name="Page_49" id="Page_49">[49]</a></span> +aber fest und unerschrocken wandelten sie, die von Gott Beauftragten, +ihre Bahn. Ihr Loos war ein schweres, ihr Ausgang ein zweifelhafter, +aber sie zögerten nicht in dem begonnenen guten Werk, und Gott, der +die Herzen der Menschen sah und ihre innersten Thaten, würde sie einst +richten, ob sie recht gehandelt hätten vor Seinem Angesicht.</p> + +<p>Bruder Nelson fühlte und achtete den Grund, der den französischen +Priester bewog mit dem fanatischen Geistlichen keinen religiösen Kampf +zu beginnen, was nur in offener Feindseligkeit enden konnte, ja diesen +Weg schon mehremal, selbst ohne Entgegnung, durch des frommen Mannes +Heftigkeit zu nehmen gedroht hatte. Er machte auch seinem Collegen +darüber mehrmals freundliche Vorstellungen, die dieser aber nur heftig +erwiederte, und in René's Wohnung war es solcher Art schon mehrmals +zwischen den beiden befreundeten Geistlichen selbst, was der Katholik +stets vermieden hatte, zu, wenn nicht feindlichen, doch sehr lebhaften +und jedenfalls für die Zuhörer unangenehmen Auftritten gekommen.</p> + +<p>René hätte sich Sorgen machen können, des aufsteigenden Wetters wegen, +aber sein leichter fröhlicher Sinn ließ das auch leicht an sich +vorübergehn, und zog's ihm auch manchmal die Stirne kraus, ein Blick +auf sein trautes Weib, glättete sie rasch wieder, und<span class='pagenum'> <a name="Page_50" id="Page_50">[50]</a></span> ein Lächeln +ihres Mundes trieb ihm wie fröhlicher Sonnenschein durch's Herz.</p> + +<p>Die ehrwürdigen Herren Nelson und Dennis hatten denn auch, nur wenige +Tage nach der Versammlung, wieder einmal in René's Wohnung eine sehr +ernste Debatte gehabt, in der der letztere, wie gewöhnlich, Sieger +geblieben, das heißt das letzte Wort behalten, und Sadie war zum +ersten Mal traurig geworden daß René über Beide lachte, und überhaupt +die Sache, die doch auch <span class="g">seinen</span> Gott betraf, so entsetzlich leicht +nehmen wollte. Die Geistlichen hatten lange das Haus verlassen, der, +schon vorher beschriebenen Versammlung beizuwohnen, und René und Sadie +saßen jetzt, Hand in Hand, die junge Frau das wirklich sorgenschwere +Haupt an des Gatten Schulter gelehnt, vor ihrem Haus, während die +kleine Sadie in dem Schooß der Mutter lachte und strampelte, und des +Himmels Blau in ihren klaren großen Augen wiederspiegelte.</p> + +<p>»Und bist Du noch bös auf mich, Sadie?« flüsterte René nach einer +langen langen Pause, in der er seine Lippen an ihre Stirn gepreßt +gehalten.</p> + +<p>»<span class="g">Bös</span>, auf <span class="g">Dich</span>, René?« sagte die Frau, und schüttelte wehmüthig +lächelnd mit dem Kopf — »ich glaube nicht daß ich bös auf Dich werden +könnte. — Das ist auch ein gar trauriges schmerzliches Wort;<span class='pagenum'> <a name="Page_51" id="Page_51">[51]</a></span> nur ein +wenig — nur ein ganz klein wenig weh hast Du mir gethan — aber es +gereut mich schon daß ich Dir Vorwürfe darüber gemacht. Du hattest es +sicher nicht so gemeint, wie ich thörichtes Kind es aufgenommen; — ich muß Dir auch gestehen — «</p> + +<p>»Und was, meine Sadie?«</p> + +<p>»Schilt mich eine Thörin,« sagte Sadie, »ich hab' es verdient, aber — mir war es immer als ob Du auf Seiten der fremden Priester ständest, +wie Du lachtest, und das, das gerade gab mir einen ordentlichen Stich +durch das Herz, und das — das glaub' ich auch, war, was mir +eigentlich weh dabei gethan.«</p> + +<p>»Das sollte es wahrlich nicht, Du treues Herz,« sagte René gutmüthig, +»aber komisch ist es doch wahrlich manchmal, daß Menschen, sonst ganz +vernünftige mit ihren fünf Sinnen begabte Menschen wie unser Freund +Dennis zum Beispiel, in mir unbegreiflicher Verblendung nicht allein +behaupten können, nein auch fest davon überzeugt sind, daß nur sie +allein den »schmalen dornenvollen Pfad« gefunden haben und wandeln, +der direkt zu Gottes Seligkeit führt.«</p> + +<p>»Und wenn sie recht hätten?«</p> + +<p>»Liebes Herz!«</p> + +<p>»Nein René, nein!« sagte Sadie rasch, sich fester an ihn schmiegend, +»ich will nicht streiten mit Dir über den Weg des Heils, aber Du mußt +auch nach<span class='pagenum'> <a name="Page_52" id="Page_52">[52]</a></span>sichtig mit mir sein, denn <span class="g">wenn</span> ich mich ängstige und sorge +ist es ja doch nur Deines, des Kindes wegen.«</p> + +<p>»Sieh nun, Sadie,« sagte René nach einer kleinen Pause, in der er sie +fest in seinen Arm geschlossen, »Ihr zürnt den fremden Priestern +meiner, oder vielmehr der Römisch katholischen Religion, daß sie den +Streit und Unfrieden auf Euere Insel gebracht hätten, und zum Theil +hast Du recht; aber wäre es möglich gewesen die katholische Religion +ganz fern von diesen Gruppen zu halten, wo mehr und mehr Fremde sich +ansiedelten, deren Religion allein doch kein Grund sein konnte sie +zurückzuweisen? ja hatten die Protestantischen Missionaire vor Gott +ein Recht <span class="g">ihr</span> Sektenthum allein als das wahre und richtige +hinzustellen?«</p> + +<p>»Vor Gott und den Menschen, <span class="g">ja</span>!« sagte rasch und eifrig Sadie, »denn +ihr Leben haben sie daran gesetzt diesen Inseln die wahre Religion zu +bringen, und würden sie das gethan haben, wenn sie gerade ihre +Religion nicht für die wahre, allein wahre hielten, ja wenn sie nicht +<span class="g">fest überzeugt</span> gewesen wären daß sie es sei? — Welchen bessern Beweis +konnten jene Männer geben, als daß sie Gut und Blut für ihren Glauben +einsetzten?«</p> + +<p>»<span class="g">Gut</span> und <span class="g">Blut</span>,« sagte René achselzuckend, »das<span class='pagenum'> <a name="Page_53" id="Page_53">[53]</a></span> klingt wie viel und +ist wenig, dasselbe thut der gewöhnlichste Matrose auf jeder Reise — wir wollen Alle leben. Aber wir haben darüber schon gesprochen meine +Sadie, und gerathen da auf ein gefährliches, viel viel lieber zu +vermeidendes Feld. Der <span class="g">Einzelne</span> kann mir auch lieb und werth sein, +ohne daß ich gerade das Princip des Ganzen anerkenne, wie Du ja selber +auch den würdigen Vater Conet seines achtungswerthen Betragens, wie +seiner gesellschaftlichen Tugenden wegen lieb gewonnen hast, während +Du doch sonst gewiß in jeder Hinsicht seine Gegnerin bist.«</p> + +<p>»Ich begreife das überhaupt nicht,« sagte Sadie leise — »er ist auch +gar nicht wie ein katholischer Priester — «</p> + +<p>»Weil Du Dir diese Klasse Menschen eben gedacht hast wie sie Dir von +Bruder Rowe und Consorten geschildert wurde. Bei vielen trifft deren +Bild, ich habe Nichts dagegen, aber nicht bei Allen, nicht bei der +Mehrzahl, und — wir sollen nie von einem Menschen das Schlechteste +denken, Sadie. Doch guter Gott, wohin verirren wir uns? — ist das ein +Gespräch für Mann und Weib mit <span class="g">dieser</span> Welt um uns her, und dem +herzigen süßen Wesen da zwischen uns, daß Dich zupft und ruft und die +Mutter schon lange ablenken will von den düsteren Gedanken, die<span class='pagenum'> <a name="Page_54" id="Page_54">[54]</a></span> ihr +so nutzlos die Seele umlagern und — so nutzlos hineingepflanzt sind +in den reinen treuen Boden? Wetter noch einmal Sadie, Bruder Dennis +ist mir ein lieber seelensguter Mann, ein Mann den ich achte und +verehre, weil ich fühle wie eben Alles bei ihm feste innige +Ueberzeugung ist, was er spricht — selbst wenn er Unsinn — nein mein +Lieb, ich meine es ja nicht so schlimm, er soll mir Dir nur nicht +solche Grillen und Gedanken in's Herz pressen, und zwingt er Dir noch +einmal die Thräne in's Auge, dann — dann — «</p> + +<p>»Und dann?« frug Sadie, und unter Thränen vor schaute ihr Blick +lächelnd zu ihm empor — »und dann?«</p> + +<p>»Wettermädchen, Du machst mit mir doch was Du willst!« rief René, sie +an sich ziehend und küssend — »ich verlange ja auch Nichts mehr auf +der weiten Gottes Welt, als daß sie uns unsern Frieden lassen, +ungestört und heilig, wie wir ihn — «</p> + +<p>»Hahahahaha,« klang in diesem Augenblick eine silberreine Stimme zu +ihnen herüber, und als sie überrascht aufschauten, sprang eines der +eingeborenen Mädchen, das sie hier auf Tahiti kennen gelernt, und +trotz ihres wilden Wesens, in dem ein treues Herz verborgen lag, lieb +gewonnen, über die niedere Um<span class='pagenum'> <a name="Page_55" id="Page_55">[55]</a></span>zäunung, die den Nachbargarten von ihnen +trennte, und kam auf sie zu.</p> + +<p>Es war ein junges Ding von siebzehn Jahren vielleicht, und ganz in die +dünne luftige Tracht jener Mädchen gekleidet, mit kurzem <span class="f">pareu</span> oder +Lendentuch, und leichtem Kattun-Ueberwurf über die Schultern, gerade +wie René Sadien zum ersten Mal gesehen. — Aber die dunklen, mit +wohlriechendem Oel reich getränkten Locken schmückte ein künstlich +geflochtener Kranz von rothen Blüthen, mit den schneeigen Fasern der +Arrowroot durchwebt, und der Blick mit dem sie das junge Paar begrüßte +ruhte keck, ja fast höhnisch auf der liebenden Gruppe.</p> + +<p>Aia war schön, schön wie die Palme ihrer Wälder, die lichtbronzene +Haut in ihrer Färbung eher eine Zierde zu nennen, und die Gestalt voll +und üppig, und doch schlank und elastisch; aber die weiche +schwärmerische Gluth fehlte ihr, die den Zügen ihrer Landsmänninnen +einen so eigenthümlichen Reiz verleiht, und auch das Mädchenhafte, +ohne die der Schmelz abgestreift ist von jeder weiblichen Schönheit. +Keck und zuversichtlich blitzte ihr Auge umher, den begegnenden Blick +ertragend und besiegend, und ein eigenes bitteres, fast verächtliches +Lächeln, das ihre Lippen dabei umspielte, diente nicht dazu dessen +Ausdruck zu mildern.<span class='pagenum'> <a name="Page_56" id="Page_56">[56]</a></span></p> + +<p>»Joranna Sadie — Joranna René,« lachte sie, mit verschränkten Armen +vor der Gruppe stehen bleibend und sie betrachtend — »Joranna Ihr +Beiden — hahahaha — sitzt Ihr nicht da, als ob Dir René erst vor kaum +einer Stunde seine tollen Liebeslügen in's Ohr geflüstert, und Ihr nun +alle Beide die Ueberzeugung hättet, Ihr könntet nicht leben ohne +einander? — bah, bah, wie lange wird's noch dauern? — Aber wundern +soll's mich doch, und hätt' ich früher daran gedacht, Sadie, hättest +Du mir auch von dem Pulver geben müssen, das Du ihm in die Cocosmilch +geschüttet — vielleicht löge mir jener falsche Wi-wi jetzt auch noch +vor, daß ich die Schönste sei auf den weiten Inseln, und er sterben +müsse, wenn ich ihn nicht mehr lieben wolle. Hahahahaha, s'ist +wahrhaftig zum toll werden wenn man an solche Zeit zurückdenkt, und +sich das Alles dann immer und immer wieder vor den eigenen Augen +erneuen sieht; ja und immer und immer wieder Thörinnen findet, denen +der Hochmuthsteufel tief genug im Herzen steckt sich allein für +unverlaßbar zu halten. — Aber Joranna; Ihr seid unverbesserlich, und +wenn er erst fort ist, Sadie, will ich Dich auslachen, wie Du es +verdienst.«</p> + +<p>Sie warf die Locken von den Schläfen zurück,<span class='pagenum'> <a name="Page_57" id="Page_57">[57]</a></span> und wollte nach dem +Strand hinunter eilen, als René's Entgegnung sie zurückhielt.</p> + +<p>»Du hast unrecht, Aia,« rief er ihr nach, »doppelt Unrecht, hier +gerade in beiden Nachbarhäusern. Sieh Lefevre an und Aumama, länger +noch als wir sind sie verheirathet mitsammen, haben zwei liebe Kinder +und denken gar nicht daran sich zu trennen.«</p> + +<p>»Denken nicht daran sich zu trennen?« rief Aia, die bei den ersten +Lauten schon stehen geblieben war, und den Kopf mit einem spöttischen, +fast feindlichen Lächeln dem Redner zugewandt hatte — »denken nicht +daran sich zu trennen? ja Du hast recht — wer weiß ob <span class="g">Du</span> nicht noch +früher dein Canoe wieder aus den Riffen steuerst als er — aber +Le-fe-ve hat sich schon blind gesehen in ein paar andere Augen. +Schüttle nicht mit dem Kopf, Wi-wi wenn Du mir nicht widersprechen +kannst; reiß ihm das Kleid auf und lege dein Ohr an sein Herz — für +wen schlägt's? — bah — so viel für Euch!« und sie schlug trotzig mit +der flachen Hand ihre Lende.</p> + +<p>»Aia — komm her zu mir und setze Dich zu mir,« sagte Sadie jetzt mit +leiser, bittender Stimme. »Sei nicht so bös und ärgerlich, wir haben +Dich lieb hier, und Du meinst es doch nicht so arg, wie Du es +sprichst.«</p> + +<p>»Mein ich nicht?« sagte das Mädchen noch im<span class='pagenum'> <a name="Page_58" id="Page_58">[58]</a></span>mer halb trotzig und +abgewandt, aber doch schon mit viel leiserer, milderer Stimme, als die +sanften, bittenden Laute ihr Ohr trafen — »mein ich nicht? und woher +weißt Du's, Sadie? — ich hasse Euch Alle miteinander, und wohl, oh +entsetzlich wohl soll mir's thun, wenn Ihr Alle — Alle so unglücklich +werdet — so — wie — « sie wandte rasch den Kopf ab von Sadie, aber +es war nur ein Moment —</p> + +<p>»Aia!« rief Sadie, so bittend, so herzlich — Aia stand zögernd, Trotz +und Zorn und Schaam hielten noch die Oberhand in ihrem Herzen, aber +nicht im Stand sich zu verstellen, gewann das bessere Gefühl, mit dem +einmal aufgerüttelten Schmerz die Oberhand, und mit wenigen Schritten +an ihrer Seite, kauerte sie neben ihr nieder, barg das Antlitz an +ihrem Schooß und flüsterte leise unter ausbrechenden Thränen:</p> + +<p>»Du bist gut, Sadie, gut wie — wie — ich habe keinen Vergleich mehr, +denn unsere Götter haben sie uns auch genommen und die ihrigen sind +falsch — falsch wie sie selber. Aber ich bin viel zu schlecht für +Dich, viel zu schlecht; Aia darf Dir nicht mehr in's Auge sehen — und +doch hatten Deine Lippen noch nie einen Vorwurf für sie.«</p> + +<p>»Armes Mädchen,« sagte die junge Frau leise und theilnehmend, und +suchte ihr Haupt zu sich auf<span class='pagenum'> <a name="Page_59" id="Page_59">[59]</a></span>zuheben, aber die Weinende wehrte sie ab, +und schlang den Arm nur fester um ihren Leib, sich ihre Stellung zu +wahren.</p> + +<p>René hatte sie mitleidig eine Zeitlang betrachtet, dann legte er seine +Hand auf ihre Schulter und sagte leise:</p> + +<p>»Bleibe bei uns, Aia, gehe nicht wieder nach Papetee, sondern bleibe +bei Sadie. Wir haben Brodfrucht und Fisch für Dich, und eine Matte +darauf zu schlafen, und Dein Kleid soll nicht schlechter sein, als Du +es bis jetzt getragen — Sadie braucht eine Hülfe« fuhr er freundlich +fort, als er sah wie diese den Kopf der vor ihr Knieenden streichelte, +und sie liebkosend an sich zog, »und Du wirst recht, recht willkommen +sein, hier im Haus.«</p> + +<p>»René hat recht,« unterstützte die Bitte sein Weib, »geh nicht wieder +nach Papetee — deine Mutter ist todt und dein Vater weit auf den +Inseln zu Leewärts drüben; meide die Stadt, die Dir nur Unheil bringt +und Fluch und Leid, und bleibe bei mir. Es wird Dich nicht gereuen und +Du wirst wieder froh und glücklich werden unter uns.«</p> + +<p>»Und die Mi-to-na-res?« sagte das Mädchen leise.</p> + +<p>»Werden die Reuige gern und liebend in ihren Schutz und Schirm nehmen +und ihr die Sünden<span class='pagenum'> <a name="Page_60" id="Page_60">[60]</a></span> vergeben, wie Gott einst gnädig auf uns +niederschauen möge,« sagte Sadie rasch und freudig, denn in der Frage +schon lag eine Zusage ihrer Bitte. Aia lag noch lange an der Gespielin +Schooß und ihre Thränen schienen rascher zu fließen, als eine laute +Männerstimme fröhlichen Gruß durch die Hecke blühender Akazien rief, +die den Garten von der Straße trennte.</p> + +<p>»Ah Lefevre,« antwortete René, »wie geht es Euch, Nachbar, und kommt +Ihr nicht herüber?«</p> + +<p>»Gleich, gleich,« lautete die Antwort, und sie hörten wie der junge +Franzose draußen noch mit Jemanden sprach und ihm Aufträge gab.</p> + +<p>Aber auch Aia hatte sich rasch und wie erschreckt emporgerichtet, und +die Locken aus der Stirn, die Thränen aus dem Auge werfend wandte sie +sich, als ob sie den Platz fliehen wollte; Sadie aber ergriff rasch +ihre Hand und sagte leise und bittend:</p> + +<p>»Gehe nicht fort von hier, Aia, bleibe bei uns.«</p> + +<p>»Nein nein,« rief aber das Mädchen und Sadie konnte sehen welchen +Seelenkampf es ihr kostete die Bitte auszuschlagen, den stillen +Frieden ihrer Wohnung zu verschmähn und allein und freundlos in dem +<span class="g">wilden</span> Leben fortzustürmen, »nein ich kann — ich darf nicht bei Dir +bleiben — ich verdiene es nicht — ich bin bös und schlecht geworden, +und deines Gottes Fluch würde mich von der Schwelle treiben, auf der<span class='pagenum'> <a name="Page_61" id="Page_61">[61]</a></span> +jetzt noch Dein Glück und Frieden weilt — aber« setzte sie wilder +hinzu, und ihr Auge blitzte in unheimlicher Gluth nach René hinüber, +»wenn sie Dich <span class="g">Alle</span> verlassen haben, und Du allein und freundlos in +der Welt stehst — wie ich jetzt — dann wird Aia an deiner Seite +sein, und Dir für das freundliche Wort danken, das Du heute zu ihr +gesprochen. Dann wollen wir lachen und tanzen und <span class="g">zusammen</span> in's Leben +stürmen, aber nicht mehr klagen und weinen. — Den <span class="f">faï</span> über die Thränen — sie waschen den Schaum von der Seele des Menschen, daß man hinunter +sehen kann bis auf den Grund — und der Fischer lacht doch nur, der +darüber hinfährt.«</p> + +<p>»Du hast vielleicht Ursache Einem von uns zu zürnen, Aia,« sagte aber +René, der wohl sah welchen schmerzlichen, ja peinlichen Eindruck die +Worte auf seiner Sadie Seele machten, »und schmähst jetzt ungerecht +das ganze Geschlecht. Du wirst uns in späteren Jahren Abbitte thun.«</p> + +<p>»Werd' ich — ha? und Le-fe-ve auch, wie?« — lachte das Mädchen zornig +und deutete mit dem ausgestreckten Arm nach dem, eben den Garten +betretenden Franzosen.</p> + +<p>»Hallo Aia!« rief ihr dieser zu, »summt die wilde Hummel auch wieder +ihr Lied auf unserer Flur? — ha, Du hast Thränen im Auge Mädchen? — geh,<span class='pagenum'> <a name="Page_62" id="Page_62">[62]</a></span> Du bist ein schwarzer Vogel und prophezeihst nur Unheil.«</p> + +<p>»Es bedarf keines Propheten,« sagte aber das Mädchen zürnend, indem +sie sich abwandte und das Schultertuch fester um sich zog — »Jeder +von uns kann leicht vorhersagen daß die Sonne morgen früh wieder über +die Berge kommt, wenn sie am Abend hinter Morea<a name="FNanchor_B_2" id="FNanchor_B_2"></a><a href="#Footnote_B_2" class="fnanchor">[B]</a> in die See +gesunken. — Fort mit Euch, Ihr habt süße Worte auf der Zunge, und +Gift, tödtliches Gift im Herzen — fort, Aia kennt Euch — fort!« — und ohne Gruß noch Blick zurückzuwerfen, schritt sie den schmalen Pfad +hinab, der nach dem unteren Pförtchen führte und war bald in der +sogenannten <span class="f">broomroad</span>, dem gebahnten Weg nach Papetee, verschwunden.</p> + +<p>Sadie sah ihr seufzend nach und auch René konnte sich eines +unheimlichen Gefühls nicht ganz erwehren.</p> + +<p>»Joranna René, — <span class="f">ah bon jour Madame</span>,« rief aber Lefevre der wohl den +peinlichen Eindruck zu verwischen wünschte, den die Worte des +wunderlichen Mädchens unverkennbar besonders auf Sadie gemacht, »hat +Ihnen Aia den schönen Abend verderben wollen? — es ist ein albernes +Ding, und darf <span class="g">mir</span> gar nicht mehr über die Schwelle, denn Aumama <span class='pagenum'> <a name="Page_63" id="Page_63">[63]</a></span></p> + +<p>weint jedes Mal, wenn sie nur den Fuß unter das Dach gesetzt.«</p> + +<p>»Sie ist arm und unglücklich,« sagte Sadie.</p> + +<p>»Ach — sie verstellt sich,« entgegnete mürrisch Lefevre — »und trägt +wahrscheinlich selber mit die größte Schuld ihres Leid's. Wir armen +Teufel sollen's dann immer allein verbrochen haben, nicht wahr René? — Doch, was ich gleich sagen wollte; gehen Sie mit nach Papetee? — die ehrwürdigen Protestantischen Herren haben da wieder eine +Zusammenkunft, heut Nachmittag, und wie das Gerücht geht beabsichtigen +sie den Beschluß ernster Maßregeln, jeden Französischen Einfluß, und +mit ihm vielleicht auch gleich wieder die Französischen Priester, die +ihnen ein Dorn im Auge sind, von sich abzuschütteln.«</p> + +<p>»Die Missionaire« — sagte René rasch, fuhr aber gleich darauf +langsamer fort, »sind wackere und brave, aber kurzsichtige Männer, sie +glauben das Heft jetzt in Händen zu haben und spielen so lange damit +bis es ihnen unter den Fingern wegschlüpft — sie sollten sich nicht +in die Politik mischen.«</p> + +<p>»Was sagt Mr. Nelson dazu?« frug Lefevre.</p> + +<p>»Er hält die Ankunft der Katholiken auch für ein Unglück für die +Inseln, ist aber mit den Gewaltsmaßregeln unzufrieden die man dagegen +ergreifen<span class='pagenum'> <a name="Page_64" id="Page_64">[64]</a></span> will; doch was kann der Einzelne gegen die ganze Schaar +ausrichten.«</p> + +<p>»Und gehen Sie mit nach Papetee?«</p> + +<p>»Was sollen wir dort? — herbe Reden hören, die uns vielleicht ärgern +und zu Gegenreden treiben? — ich habe keine Freude an der Sache, und +sehe das Leid und Elend schon vor Augen das daraus entspringen wird +und muß.«</p> + +<p>»Aber wir mögen vielleicht noch Manches mildern was geschehen könnte. +Mörenhout ist ein vernünftiger Mann, und wird nicht zu weit gehn.«</p> + +<p>»Was kann Mörenhout <span class="g">thun</span>?« sagte René achselzuckend — »so wie die +Missionaire unter dem Schutz eines Englischen Kriegsschiffes stehn, +und so lange das im Hafen liegt, daß sie sich sicher fühlen, haben sie +das Wort, und wir kennen sie doch dahin gut genug, zu wissen, wie sie +das gebrauchen. — Aber ich gehe mit, wir haben dann wenigstens unsere +Pflicht gethan, und uns selber nichts vorzuwerfen. Ich komme bald +wieder zurück, Sadie,« sagte er sich niederbeugend und ihre Stirn +küssend.</p> + +<p>»Bleibe nicht so gar lange aus heut',« bat die junge Frau ihn, leise +flüsternd, und die Kleine noch auf dem Knie haltend, die erst die +Aermchen um den von ihr Abschied nehmenden Vater geschlungen, sah sie +den Männern lange und schweigend nach.<span class='pagenum'> <a name="Page_65" id="Page_65">[65]</a></span></p> + +<p>Aber Aia's Worte hatten doch trübe und schmerzliche Gedanken in ihrer +Seele wach gerufen. Nicht für das eigene Glück fürchtete sie dabei; so +keck und leicht René auch immer in das Leben stürmte, so treu war er +sich geblieben, was <span class="g">sie</span> betraf, von erster Stunde an wo er sie +gesehen, und das Kind, das er mit unendlicher Zärtlichkeit liebte, +schlang die Bande des Herzens ja noch fester um sie. Aber das wilde +Leben der Insel selber; die ihr feindlich dünkende Religion, die +weiter und weiter um sich zu greifen drohte, und viel, so entsetzlich +viel von dem verwarf, was ihr bis dahin der Seele Heiligstes gegolten; +der Unfrieden dabei zwischen den eigenen Lehrern, die Vorwürfe, die +von den Missionairen ihrem alten Vater o so ungerecht gemacht wurden, +der Römischen Kirche mehr als mit seiner Stellung verträglich zugethan +zu sein, wie er denn auch selbst das einzige Wesen das ihm näher +stand, einem Katholiken zur Frau gegeben; ja selbst René's +Gleichgültigkeit gegen einen Kampf, der doch die heiligsten Interessen +ihrer einstigen Seligkeit betraf, das Alles zog ihr in trüben +ängstigenden Bildern an der Seele vorüber. — Und dabei hatte ja die +arme Aia recht mit so vielen Anderen; wohin sie dachte schrak sie vor +dem wilden Treiben zurück, das lockere Bande schlang um Europäer und +Insulanerinnen, und sie losließ, wie es dem<span class='pagenum'> <a name="Page_66" id="Page_66">[66]</a></span> Augenblick gefiel. Ob das +Herz darüber brach, oder die Verlassene in Schmerz und Trotz +Entschädigung, Vergessen suchte in wilder lasterhafter Lust; die Welle +des flüchtigen Tages schlug über ihr zusammen, und die nächste Sonne +hatte vergessen was sie gestern beschien in Lieb und Treue.</p> + +<p>»Mein schönes Atiu,« seufzte sie da leise vor sich hin — »Du lieber, +lieber Platz an dem freundlichen Strand — Deine Palmen so grün, Deine +Früchte so süß — Atiu. Und der alte kleine Mi-to-na-re da am Haus, +der so oft hier herüberdenkt an seine kleine Pu-de-ni-a, die jetzt — aber nein, nein, nein, René fühlt sich wohl hier und glücklich in der, +seine Thätigkeit fordernden Welt, und einst kommt denn doch wohl die +Zeit, wo er sich wieder zurücksehnt nach jenem stillen Ort unseres +ersten, seligsten Glücks — nach Atiu. — Und die Zeit <span class="g">wird</span> wieder +kommen,« setzte sie nach einer kleinen Pause zuversichtlich hinzu, +»noch hab' ich nicht für immer Abschied genommen von all den +liebgewonnenen Stellen, von den guten Menschen — ich weiß nur nicht +ob ich mich so recht herzlich darauf freuen soll — oder davor +fürchten. Ach es ist ein recht recht böses Ding um das arme +Menschenherz!«<span class='pagenum'> <a name="Page_67" id="Page_67">[67]</a></span></p> + +<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_B_2" id="Footnote_B_2"></a><a href="#FNanchor_B_2"><span class="label">[B]</span></a> Die Indianer nennen die Insel Imeo meist Morea.</p></div> +</div> + + +<hr class="endchapter" /> +<h2><a name="Capitel_3" id="Capitel_3"></a>Capitel 3.</h2> +<h3>Der Besuch — Aumama.</h3> + + +<p>Sadie saß noch lange träumend da, und ihrem regen Geist tauchten bunte +und oft wunderliche Bilder auf, wie sie das Herz sich wohl ausmalt in +müßigen Stunden, sinnend und grübelnd ihre Farben schaut, und sich +vorspricht daß sie leben und sind — bis sie in Dunst zerfließen, +anderen, bunteren vielleicht, Raum zu geben. Aber die Kleine scheuchte +ihr bald die Wolken von der Stirn — wenn es wirklich Wolken gewesen, +die ihrem sonst so heiteren Antlitz jenen ernsten Schatten gegeben — und mit dem Kinde kosend und spielend kehrte das Lächeln auf ihre +Lippen zurück, und sie war bald wieder das heitere frohe Kind des +Waldes, dem Gott in seiner unendlichen<span class='pagenum'> <a name="Page_68" id="Page_68">[68]</a></span> Vaterhuld alle Wünsche +erfüllt, alle Tage gesegnet hatte, und das sich nun auch des heiteren +Sonnenlichts freute, in Glück und Dankbarkeit.</p> + +<p>»Hat mir das böse arme Mädchen doch selber fast das Herz schwer +gemacht eine ganze Stunde lang,« sagte sie lachend, und das Kind dabei +herzend, — »hat uns Steine in den klaren See geworfen, meine Sadie, +und das Wasser getrübt, bis an den Rand hinauf. Aber nun wollen wir +auch wieder lachen und singen und fröhlich sein, bis Papa zurückkommt +und sich freut mit mir, an meinem kleinen lieben Töchterchen. Horch, +was ist das? — hörst Du mein Kindchen, wie das trappelt und trappelt +da draußen? — das <span class="f">buaa a fai tatatu</span><a name="FNanchor_C_3" id="FNanchor_C_3"></a><a href="#Footnote_C_3" class="fnanchor">[C]</a> klappert vorbei und Sadie — aber was ist das?« unterbrach sie sich rasch und fast erschreckt, als +näher und näher gekommenes Pferdegetrappel plötzlich an ihrer Pforte +hielt, und sie Stimmen vernahm — »Fremde hier draußen bei uns? — Was +für ein wildes reges Leben diese fremden Männer doch auf unsere +stillen Inseln gebracht haben,« setzte sie dann langsamer und +kopfschüttelnd hinzu, »und lärmend und lachend sprengen sie Wochentag +wie Sabbath die Straßen entlang, sich nicht <span class='pagenum'> <a name="Page_69" id="Page_69">[69]</a></span></p> + +<p>mehr um den heiligen Tag ihres eigenen Gottes kümmernd, als ob das +Glockengeläute dem Oro oder Taua gälte. Auf Atiu war es doch stiller +und friedlicher, und wenn wir dort — ha, ich glaube wahrhaftig die +Leute wollen hier herein.«</p> + +<p>»Dieß <span class="g">muß</span> der Ort sein,« sagte jetzt plötzlich eine Frauenstimme +draußen auf der Straße, in Französischer Sprache, die Sadie hatte, +selbst in der kurzen Zeit, vollkommen gut und fließend von René +sprechen lernen — »wären Sie meinem Rath vorhin gefolgt, <span class="f">Monsieur +Belard</span>, so hätten wir nicht ein paar Miles ins Blaue hinein zu +galoppiren brauchen — steigen wir ab?«</p> + +<p>»Jedenfalls, wenn es den Damen gefällig ist,« erwiederte eine +Männerstimme, »er kann kaum irgend wo anders wohnen.«</p> + +<p>Sadie die, ihr Kind auf dem Arm, auf einen kleinen Ausbau getreten +war, von dem aus sie, durch einen dichten Busch des Cap-Jasmins +verdeckt, die Straße vor der Thür gerade überschauen konnte, erkannte +drei Damen und zwei Herren, alle zu Pferde, die an der Pforte hielten, +jetzt abstiegen und den kleinen Hofraum, der zwischen der blühenden +Akazienhecke und dem Hause lag, betraten.</p> + +<p>Die Fremden suchten jedenfalls René, und Auskunft zu geben trat sie +ihnen, das Kind nach dortiger<span class='pagenum'> <a name="Page_70" id="Page_70">[70]</a></span> Sitte auf ihrer linken Hüfte reitend, +mit freundlichem Joranna entgegen.</p> + +<p>»Ah, da ist ein Mädchen,« rief die eine Dame, die, das lange Reitkleid +emporhaltend, nahe am Hause stehen geblieben war, und sich nach irgend +einem lebenden Wesen, das ihr Rede zu stehen vermochte, schien +umgesehen zu haben, »aber lieber Gott, Lucie, es ist eine Eingeborene, +und mit meinem Tahitisch sieht es noch windig aus — ich kann noch +weiter Nichts als <span class="f">Joranna</span> und <span class="f">aita</span>.«</p> + +<p>»Ich spreche französisch, meine Damen,« unterbrach sie die junge Frau, +leicht erröthend und die Kleine, die sich ängstlich an sie klammerte, +der fremden Gesichter wegen, mit ein paar freundlichen Worten auf den +Boden niedersetzend.</p> + +<p>»Ah, Du sprichst in der That Französisch, Kind?« sagte die andere +Dame, die von der ersten Lucie genannt war, erstaunt — »und noch dazu +mit vortrefflicher Aussprache; sehr schön, dann kannst Du uns auch +sagen ob Monsieur René Delavigne hier wohnt und Madame Delavigne zu +sprechen ist.«</p> + +<p>Sadie lächelte, denn sie fühlte recht gut wie sie die Fremden in ihrem +einfachen Gewand für irgend ein Mädchen des Hauses hielten, und sagte +mit einer leisen Neigung des Kopfes, während aber ein höheres<span class='pagenum'> <a name="Page_71" id="Page_71">[71]</a></span> Roth +ihre Wangen und Schläfe bis auf den Nacken färbte und das liebe +Antlitz noch reizender machte:</p> + +<p>»Monsieur Delavigne wohnt hier allerdings, und Madame, oder Sadie +Delavigne — «</p> + +<p>»Ah, dann ist dieß wohl seine Tochter? — ein reizendes Kind!« +unterbrach sie Madame Belard und kniete bei der Kleinen nieder.</p> + +<p>»Und Madame Delavigne?« frug Mad. Brouard.</p> + +<p>»Bin ich selber,« flüsterte Sadie mehr als sie sprach.</p> + +<p>»Ah — <span class="f">mon Dieu</span> — <span class="f">est il possible</span>? — <span class="f">bless me</span>!« waren die ersten +erstaunten Ausrufe der Damen und Herren, denn so unerwartet kam ihnen +die Entdeckung, daß René eine Eingeborene »zur Frau hielt,« selbst +jeden schuldigen Anstand in diesen Ausrufungen zu vergessen, und Sadie +fühlte das mehr, als sie es verstand, denn das Blut drohte ihr in +diesem Augenblick die Adern der Schläfe zu zersprengen, und sie bog +sich zu dem Kind nieder ihre Verlegenheit — wenigstens ihr Erröthen +zu verbergen.</p> + +<p>Die beiden Französinnen faßten sich aber rasch wieder, und wohl +einsehend, welchen Verstoß gegen jede gute Sitte sie hier, allerdings +nur in der ersten Ueberraschung, gemacht, traten sie auf Sadie zu, und +begrüßten sie, ihr die Hände entgegenstreckend, in fast herzlicher +Weise.</p> + +<p>»Ah, da hat uns Freund Delavigne eine Ueber<span class='pagenum'> <a name="Page_72" id="Page_72">[72]</a></span>raschung aufgespart,« rief +die erste Sprecherin, Madame Belard, lachend — »wir haben natürlich +nicht vermuthen können, daß er schon <span class="g">so</span> heimisch auf den Inseln +geworden wäre. — So sein Sie uns herzlich gegrüßt, Madame und +versichert dabei, daß wir trotzdem keine Unbekannte in Ihnen +aufsuchten. Ihr Herr Gemahl hat uns schon so viel Liebes und Gutes von +Ihnen erzählt — nur Ihrer Abstammung erwähnte er nicht, +wahrscheinlich nur uns Ihre Liebenswürdigkeit so viel lebhafter +empfinden zu lassen.«</p> + +<p>Sadie athmete leichter auf; die freundlichen Worte, wenn sie ihren +Sinn auch nicht gleich vollkommen faßte, thaten ihr wohl. Sie hatte +sich vor einem ersten Zusammenkommen mit jenen fremden Frauen, von +denen ihr René schon erzählt, und in deren Haus sie einzuführen er +gewünscht hatte, schon lange gefürchtet; deren erstes Betragen hatte +dann ebenfalls nicht dazu gedient sie zu beruhigen, und um so +wohlthuender kam ihr jetzt die herzliche Anrede. Ihr einfach treues +Herz kannte auch weder Falsch noch Verstellung, und die Worte nehmend +wie sie ihr geboten wurden sagte sie, den Frauen beide Hände +entgegenstreckend, und ihnen offen und freundlich dabei in's Auge +schauend:</p> + +<p>»René wird es recht recht leid thun daß Sie ihn nicht hier gefunden +haben, aber sein Sie mir <span class="g">herz<span class='pagenum'> <a name="Page_73" id="Page_73">[73]</a></span>lich</span> willkommen und ruhen Sie sich ein +wenig aus bei mir, von Ihrem Ritt. Ich will die Kleine nur indessen +unter Aufsicht geben, und bin dann rasch wieder bei Ihnen.«</p> + +<p>Die Damen wollten erst höfliche Einreden machen, und sprachen von +»stören« und »beunruhigen«, Sadie führte sie aber lächelnd zu dem +freundlichen Sitz am Strand, und bat sie dort niederzusitzen, während +sie rasch mit dem Kind in das Haus eilte.</p> + +<p>»Ein reizendes Frauchen,« sagte Monsieur Belard schmunzelnd, als sie +in der Thür verschwunden war, und die Damen einiges zusammen +flüsterten; »Delavigne hat wahrhaftig keinen schlechten Geschmack; und +spricht vortrefflich Französisch — vortrefflich.«</p> + +<p>»Mr. Delavigne hätte uns aber doch auch wohl vorher einen Wink über +seine Familienverhältnisse geben können,« meinte Mrs. Noughton, eine +Amerikanerin, die bis jetzt noch kein Wort mit Sadie gesprochen hatte — »er würde dadurch beiden Theilen eine Verlegenheit erspart haben.«</p> + +<p>»Lieber Gott, Verehrteste,« vertheidigte diesen die lebendige Madame +Belard, »die Verhältnisse auf den Inseln hier sind von den unsrigen so +sehr verschieden, daß man schon wirklich bei Manchem ein Auge +zudrücken muß, und nicht gar so entsetzlich streng sein darf. Es +bestehen übrigens auch wirkliche Verbin<span class='pagenum'> <a name="Page_74" id="Page_74">[74]</a></span>dungen zwischen Europäern und +Insulanerinnen, und Monsieur Delavigne hat nur von seiner <span class="g">Frau</span> +gesprochen.«</p> + +<p>»Liebe Kinder, was zerbrecht Ihr Euch darüber den Kopf,« fiel ihnen +hier der andere, ältere Herr, ein Monsieur Brouard und der Gemahl der +viel jüngeren Lucie Brouard, in die Rede, »wenn Ihr in Rom seid müßt +Ihr leben wie die Römer,« sagt ein altes gutes Sprichwort. Madame +Delavigne ist ein reizendes junges Frauchen, und wohl im Stande einen +Mann zu fesseln.«</p> + +<p>»Und auf wie lange?« unterbrach ihn, mit einem fast boshaften Lächeln, +Madame Belard.</p> + +<p>»Auf wie lange, Madame?« wiederholte mit einem etwas frivolen +Achselzucken der Gefragte — »ich bin kein Prophet oder Sterndeuter; +aber das sind Familienverhältnisse, und mancher Indianer hätte +vielleicht eben so gut ein Recht dieselbe Frage an uns Europäer zu +richten — auf wie lange? <span class="f">mon Dieu</span>, wir sollten diesen wichtigen Punkt +überhaupt etwas genauer in unserem Trauungs-Ceremoniell +berücksichtigen; <span class="g">auf wie lange</span>? — wir müssen uns damit begnügen zu +wissen, daß wir <span class="g">sind</span>, und eine Frage was wir einst <span class="g">werden</span>, geschieht +wohl immer nur in's Blaue hinein.«</p> + +<p>»Es ist aber doch nur eine Indianerin,« bemerkte,<span class='pagenum'> <a name="Page_75" id="Page_75">[75]</a></span> mit einem +keineswegs zufrieden gestellten Blick, Mrs. Noughton, die aus den +Vereinigten Staaten von Nord-Amerika ein nicht leicht zu besiegendes +Vorurtheil gegen jede farbige Race, sie mochte einen Namen oder Stamm +haben welchen sie wollte, mitgebracht hatte, und sich immer des +Gedankens nicht erwehren konnte, daß solche Leute am Ende gar +<span class="g">schwarzes</span> Blut in ihren Adern haben könnten, oder mit anderen Worten +in zweiter oder dritter Generation von <span class="g">Negern</span> abstammten, mit denen +natürlich jeder vertrauliche, selbst freundschaftliche Verkehr außer +Frage gewesen wäre — »und hätte ich das früher gewußt, würde ich ihr +wenigstens nicht zuerst meine Visite gemacht haben.«</p> + +<p>»Sie müssen aber bedenken, Mrs. Noughton,« sagte etwas eifrig Madame +Belard dagegen, »daß uns Monsieur Delavigne gar nicht zu sich +eingeladen, also auch keine Schuld hat an dem Besuch. Wir sind aus +freien Stücken hergekommen, und wenn ich auch gestehen muß daß ein +derartiges Verhältniß immer sein Unangenehmes, Störendes hat und uns +bei größeren Gesellschaften vielleicht auch dann und wann in +Verlegenheit bringen könnte, so — «</p> + +<p>»Attention meine Damen,« unterbrach sie hier Mr. Brouard, mit etwas +gedämpfter Stimme, denn Sadie erschien in diesem Augenblick wieder auf +der<span class='pagenum'> <a name="Page_76" id="Page_76">[76]</a></span> Schwelle des Hauses, und hinter ihr ein Knabe, der einen großen +Präsentirteller mit Wein und Früchten trug.</p> + +<p>»So Mataoti,« rief sie diesem in seiner Sprache zu, »bediene die +Frauen und sei ein flinker Bursch,« sich dann aber zu ihren Gästen +wendend fügte sie herzlich hinzu: »aber Sie haben sich ja noch nicht +einmal gesetzt, in der ganzen langen Zeit — bitte geben Sie mir Ihre +Hüte und machen Sie es sich bequem, René dürfen Sie doch nicht so bald +zurück erwarten, denn er und Monsieur Lefevre sind der politischen +Verhältnisse wegen nach Papetee gegangen, dort noch Manches vielleicht +mit ihren Freunden zu besprechen.«</p> + +<p>»Hahaha, das ist vortrefflich!« lachte Mr. Belard, »und denen zu +entgehen sind wir gerade ausgeritten; es wird förmlich Comödie +gespielt heute in der Residenz, und da die Missionaire Hauptrollen +dabei haben, fürchteten wir die Sache möchte doch am Ende zu +langweilig werden.«</p> + +<p>»So essen und trinken Sie nur wenigstens,« bat Sadie, die nicht ohne +Grund fürchtete das Gespräch könnte sich hier auf religiöse Bahn +lenken und das unter jeder Bedingung zu vermeiden wünschte — »René +würde sich herzlich freuen wenn er hörte, daß es Ihnen bei uns +gefallen hat.«<span class='pagenum'> <a name="Page_77" id="Page_77">[77]</a></span></p> + +<p>Die Damen zögerten noch unschlüssig was zu thun — sie schienen sich +eine vor der andern zu geniren; Sadie bewegte sich aber mit solcher +Leichtigkeit in dem, ihr doch fremden Kreis, und ihre Bitte kam so +frisch und unverstellt aus dem Herzen, daß sie in ihrer Natürlichkeit +jede leere Höflichkeitsformel schon von vornherein unmöglich machte, +und selbst Mrs. Noughton mußte sich zuletzt gestehen, daß diese +Insulanerin ein ungewöhnlich liebenswürdiges Wesen sei, dem man wohl +gewogen sein könne — wenn sie eben nicht die fatale broncefarbene +Haut gehabt hätte.</p> + +<p>Die Frauen hatten sich denn auch bald um den runden, mit einem +reinlichen Tuch bedeckten Tisch gesetzt, Monsieur Belard wurde hinaus +nach den Pferden geschickt, zu sehen ob diese ruhig stünden und +Mataoti von jetzt beordert bei ihnen zu bleiben, und wenige Minuten +später saß die Gesellschaft ganz traulich beisammen, und Madame Belard +und Brouard hatten — sie wußten gar nicht wie sie dazu gekommen, der +kleinen Insulanerin, die mit ihrem reinen Französisch die Eingeborene +vollkommen vergessen machte, so viel vorzuplaudern und zu erzählen, +als ob sie sich schon seit langen Monaten gekannt, und nicht eben erst +heute, vor Minuten fast, zusammengekommen wären. Die Männer blieben +darin natürlich nicht zurück, besonders Mr. Brouard, der seinen Sitz<span class='pagenum'> <a name="Page_78" id="Page_78">[78]</a></span> +neben Sadie genommen, thaute ordentlich auf, und war von einer +Aufmerksamkeit gegen die kleine Insulanerin, daß er seine Nachbarin +zur Linken, Mrs. Noughton, total darüber vernachlässigte, die denn +auch der ganzen Unterhaltung — der Französischen Sprache ohnedieß nur +oberflächlich mächtig — mehr beobachtend als theilnehmend, und +ziemlich kalt und ernsthaft folgte.</p> + +<p>Eine volle Stunde hatten sie so gesessen und geplaudert, und Früchte +gegessen und Französischen Claret dazu getrunken, und Mataoti war +draußen bei den Pferden schon ganz ungeduldig geworden, als Madame +Brouard, die zuletzt ebenfalls stiller und einsylbiger wurde, und die +Unterhaltung ihrer Freundin und den Herren fast allein überließ, +endlich zum Aufbruch mahnte. Monsieur Brouard wollte noch gar nicht +fort, so vortrefflich hatte er sich amüsirt, und die Damen begannen +jetzt Abschied zu nehmen von ihrer neuen Bekanntschaft.</p> + +<p>Sadie sagte ihnen mit einfachen Worten wie es sie freue daß es ihnen +bei ihr gefallen hätte, und wie glücklich es René machen würde, wenn +er höre daß sie hier gewesen und gegessen und getrunken hätten — »wir +können recht gute Nachbarschaft halten, hier auf Tahiti,« setzte sie +hinzu, und mit freundlichem Händedruck und Joranna, von Madame Belard +und Brouard<span class='pagenum'> <a name="Page_79" id="Page_79">[79]</a></span> ebenfalls eingeladen sie wieder zu besuchen, verließ die +kleine Gesellschaft den Garten, bestieg draußen die scharrenden +tanzenden Pferde wieder, und galoppirte wenige Minuten später mit +klappernden Hufen die Straße entlang nach Papetee nieder.</p> + +<p>»Sadie!« flüsterte da eine leise Stimme, als der Schall der Hufe auf +der harten Straße noch nicht verklungen war, und die junge Frau, die +noch lauschend stand, und in tiefem Nachdenken den mehr und mehr +verschwimmenden Tönen zu horchen schien, wandte sich rasch, und fast +wie erschreckt dem Rufe zu, der von der Nachbarhecke kam.</p> + +<p>»Aumama? — und warum kommst Du nicht herüber?«</p> + +<p>»Ist die Luft rein?« frug eine klare, lachende Stimme.</p> + +<p>»Meinst Du die Fremden? — sie sind fort; aber ich glaubte Du wärest +mit Lefevre nach Papetee gegangen?«</p> + +<p>Die junge Frau an der Hecke schüttelte mit dem Kopf und sagte lachend:</p> + +<p>»Ich wollte erst, wie aber René mitging blieb ich daheim; denen +schließen sich dann mehr und mehr Männer an und — das Treiben in +ihrer Gesellschaft gefällt mir nicht; auch mit der Sprache kann ich +nicht so gut fertig werden wie Du. Aber ich komme hin<span class='pagenum'> <a name="Page_80" id="Page_80">[80]</a></span>über — « und ein +kleines Pförtchen öffnend, das zwischen einer blühenden und Frucht +tragenden Orangenhecke hindurchführte, trat Aumama, Sadiens +freundliche Nachbarin, in den Garten und küßte sie, ihren Arm um sie +schlagend auf die Lippen.</p> + +<p>Sie war in die einfache indianische Tracht gekleidet, mit dem langen +losen, bis auf die Knöchel niederfallenden Oberrock, der nur vorn am +Handgelenk zugeknöpft wird, ohne Schuh und Strümpfe, den Kopf mit +einem leichten Panama Männerstrohhut bedeckt, unter dem nur ein paar +große tiefdunkelrothe Blüthen der <span class="f">rosa sinensis</span> hervorschauten, und +von dem vollen, mit wohlriechendem Oel getränkten rabenschwarzen +Lockenhaar fast wieder versteckt wurden.</p> + +<p>Ihre Gestalt war schlank und üppig, aber mit dem, den dortigen +Insulanern eigenen Bau breiter Schultern, auch die sonst kleinen und +zierlichen Füße nach <span class="g">unseren</span> Begriffen von Schönheit ein wenig zu sehr +einwärts gebogen; die Form des Gesichts jedoch dabei voll und edel und +die Augen mit einem eigenen Feuer unter den feingeschnittenen Brauen +hervorglühend. Aumama war überhaupt der vollkommene Typus eines +Tahitischen Weibes, dem trotz den lebendigen Augen selbst das sinnlich +Weiche in den Zügen nicht fehlte, und als die beiden jungen Frauen so +freundlich umschlungen, und von den wehenden<span class='pagenum'> <a name="Page_81" id="Page_81">[81]</a></span> Palmen überragt und +beschattet, zwischen den Blüthenbüschen standen, hätte man sich kaum +etwas Lieblicheres denken können auf der Welt.</p> + +<p>»Du hast vornehmen Besuch gehabt,« sagte Aumama endlich lächelnd, +nachdem die erste Begrüßung vorüber war.</p> + +<p>»Ja,« erwiederte Sadie, leicht erröthend, »und zwar unerwarteten; aber +warum kamst Du nicht herüber?«</p> + +<p>Aumama schüttelte, etwas ernsteren Ausdruck in den Zügen mit dem Kopf.</p> + +<p>»Nein,« sagte sie, »ich passe nicht zu den Leuten — wir überhaupt +nicht — und sie nicht zu uns — es ist besser wir bleiben aus +einander.«</p> + +<p>»Aber Du närrisches Kind,« rief Sadie, »hast Du Dich denn nicht, so +wie ich gerade, mit Einem von ihnen für das ganze Leben verbunden, und +willst Du denn auch von ihm sagen, daß Ihr nicht zu einander paßt?«</p> + +<p>Aumama seufzte tief auf, und wandte das Köpfchen leicht zur Seite; sie +war jetzt recht ernst geworden, und der ganze frühere Frohsinn schien +verschwunden.</p> + +<p>»Ich <span class="g">hoffe</span> daß wir zu einander passen — für das ganze Leben;« sagte +sie endlich leise, »es wäre wenigstens <span class="g">recht</span> traurig, wenn wir es je +anders<span class='pagenum'> <a name="Page_82" id="Page_82">[82]</a></span> finden sollten. Aber« setzte sie rascher, und wieder in den +leichteren Ton übergehend hinzu, »in unseren Familien ist das auch +etwas anderes; mit dem Mann den wir lieben, stehn wir in einem Rang; +er versteht <span class="g">uns</span>, wir verstehen <span class="g">ihn</span> und in unserem Vaterland schmiegt +er sich leichter unseren Sitten an, oder lehrt uns allmählich die +seinen, beider Eigenthümlichkeiten in einander verschmelzend. Mit den +Gesellschaften jedoch ist das etwas anderes, besonders mit fremden +<span class="g">Frauen</span>, und glaube mir, Sadie — ich habe darin Erfahrung. Die Weißen« +fügte sie leiser hinzu, »halten uns für einen untergeordneten Stamm, +weil wir früher zu Götzen gebetet haben vielleicht — «</p> + +<p>»Aber das haben sie auch gethan, ihre Vorväter wenigstens,« unterbrach +sie Sadie rasch, »Vater Osborne hat mir das selbst erzählt.«</p> + +<p>»Haben sie?« sagte Aumama erstaunt, »das ist das erste Mal, daß <span class="g">ich</span> +davon höre; aber auch vielleicht noch weil wir nicht so klug sind wie +sie, und so geschickt im Lesen und Schreiben. Auch unsere dunkle +Hautfarbe kommt ihnen nicht so schön vor — den Frauen wenigstens, und +<span class="g">Eifersucht</span> mag oft gleichfalls, und gar nicht selten, die Ursache +sein, daß sie uns zurücksetzen und — kränken. Ausnahmen mag es dabei +unter uns geben; so glaub' ich, Sadie, daß <span class="g">Du</span> Dich vielleicht wohl +unter ihnen fühlen wirst,<span class='pagenum'> <a name="Page_83" id="Page_83">[83]</a></span> weil ich einsehe, daß Du uns eingeborenen +und wild aufgewachsenen Mädchen in vielen vielen Stücken überlegen und +den weißen Frauen <span class="g">fast</span> gleichstehend bist; aber für mich paßt es nicht — mir schnürt es die Brust zusammen, wenn ich bei ihnen bin, und die +kalten vornehmen Blicke sehen muß, die sie auf mich werfen, als ob es +blos eine Gnade von ihnen wäre, daß sie mich zwischen sich dulden. Da +ist es mir weit weit wohler bei meinen Kindern am freundlichen Strand, +im Rauschen meiner Bäume, und vor mir die weite, herrliche See — ich +halte es auch für gar kein Glück für uns, etwa« setzte sie langsam und +wie in recht ernstem Sinnen hinzu, »daß die weißen Frauen in den +letzten Monaten zu uns gekommen sind. Das Leben auf Tahiti ist seitdem +ein anderes geworden, und ich selbst fühle mich nicht so wohl mehr in +der neuen Umgebung — habe mich auch selber vielleicht geändert, oder — Andere haben.«</p> + +<p>»Aia hat Dich traurig und ernst gemacht,« sagte Sadie, freundlich ihre +Hand ergreifend, »sie war auch hier bei mir, und ich — «</p> + +<p>»Aia!« unterbrach sie rasch und heftig Aumama, aber mit weicherer +Stimme fuhr sie fort, »Aia ist ein armes, armes Mädchen und sie kann +mich nicht böse machen, aber« — und ihre Augen funkelten in einem +eigenen wilden, fast unheimlichen Feuer — »nicht<span class='pagenum'> <a name="Page_84" id="Page_84">[84]</a></span> ertrüg ich es auch +wie sie, und was sie ertragen hat. Bei jenem weißen Gott, der Oro's +Bilder zertrümmerte und unsere Tempel niederbrach, bei jenen Tempeln +selbst — « Aumama schwieg, aber die Hand noch, wie zum Schwur +emporgereckt, die Locken, von denen der Strohhut abgefallen war, wild +ihre Stirn umflatternd, das Auge glühend in einem eigenen Licht, stand +sie wohl eine halbe Minute schweigend da, selber ein Bild der +zürnenden Gottheit ihres Landes. Da, wie unwillig mit sich selber, +schüttelte sie plötzlich den Kopf, strich sich die Locken aus der +Stirn und sagte, jeden unmuthigen Gedanken gewaltsam bannend. »Ich bin +ein Kind, Sadie, ein launisches Kind, und seit einigen Wochen komme +ich mir selber manchmal wie umgetauscht vor, so tolle Träume und +Bilder zwing' ich mir ordentlich selbst herauf, mich zu quälen und — ärgern auch. — Aber fort fort mit ihnen, fröhlich wollen wir sein und +uns des Lebens freuen, denn der Himmel lacht noch rein und blau über +uns und die Götter, die in früheren Zeiten den Tisch unserer Väter mit +ihren Speisen deckten, haben uns auch jetzt noch ihre Gaben nicht +entzogen.«</p> + +<p>»Aumama,« sagte da Sadie, mehr herzlich als vorwurfsvoll, »Du sprichst +noch immer von den <span class="g">Göttern</span>, und bist doch lange, lange schon eine +Christin, ja wie ich hoffen will eine gute Christin ge<span class='pagenum'> <a name="Page_85" id="Page_85">[85]</a></span>worden. Sündige +nicht, denn der Gott der Gnade ist auch ein Gott der Rache und der +Strafe, und Vater Osborne würde es unendlich weh gethan haben, wenn er +Dich hätte je so reden hören.«</p> + +<p>»Und nicht um Alles in der Welt hätte ich <span class="g">ihn</span> kränken mögen,« rief +Aumama rasch, »er war der Einzige auch, der mich an Gott gehalten, der +Einzige, der mich die Möglichkeit eines solchen Wesens ahnen und +begreifen ließ, an das uns ja sonst die Uneinigkeit und der Haß der +anderen Priester zwingen mußte zu verzweifeln. Er war ein guter Mann +und die Feranis hatten ihn auch lieb, trotzdem daß er auf andere Weise +zu seinem Gott betete, als sie es thun; aber — Sadie« — fuhr sie +langsam und wie zögernd fort, »bist Du dennoch so — so fest überzeugt — daß er recht hatte?«</p> + +<p>»Aumama?« rief Sadie erschreckt, und sah staunend die Freundin an.</p> + +<p>»Hast Du von dem alten Mann gehört?« sagte aber diese mit leiser +Stimme sich zu ihr überbeugend, und den Blick fragend auf sie +geheftet, »der drüben auf Bola Bola lebt, lange lange Jahre schon, und +der so wunderliche Sachen von dem Gott der Christen erzählt?«</p> + +<p>»Von dem Gott der <span class="g">Christen</span>? — ist er denn nicht selbst ein Christ?«<span class='pagenum'> <a name="Page_86" id="Page_86">[86]</a></span></p> + +<p>»Nein,« sagte Aumama rasch — »nein — er selber hat es versichert — er ist von dem Stamm die den Christengott gekreuzigt haben, und soll +behaupten Jener sei gar nicht der Messias gewesen.«</p> + +<p>»Das waren die Juden,« rief Sadie überrascht, »aber ich wußte gar +nicht, daß von jenem Stamm noch Leute lebten?«</p> + +<p>»Viele, viele sollen noch davon in dem fernen Lande der Weißen sein +und der alte Mann behauptet jener Gekreuzigte sei nicht Gottes Sohn +gewesen, und habe nicht die rechte Lehre gebracht, denn die Christen +unter einander wüßten es nicht einmal und stritten und kämpften +deshalb gegen einander, und hätten schon viele viele Tausend unter +sich erschlagen, zu beweisen wer recht und den rechten Gott und +Erlöser habe.«</p> + +<p>»Und wenn der Mann nun nicht die Wahrheit sagt?«</p> + +<p>»Nicht die Wahrheit? — es soll ein alter alter Mann sein, und graue +Haare und grauen Bart haben; und streiten sie sich hier nicht etwa +auch um ihren Gott? — Wer <span class="g">hat</span> recht? und wie jener Mann von Bola Bola +sagt giebt es in seinem Vaterland unter den Christen noch viele andere +Sekten, die alle einander hassen und gegen einander predigen. Ist das +ihre Religion des Friedens?«<span class='pagenum'> <a name="Page_87" id="Page_87">[87]</a></span></p> + +<p>»Aumama, Du sprichst entsetzlich,« sagte Sadie schaudernd, »wer um des +Himmels Willen hat Dein Herz mit solchem Trug erfüllt?«</p> + +<p>»Trug?« wiederholte die Indianerin, und ihr Blick haftete fest auf +Sadie — »gebe Gott daß es Trug wäre und Lüge, aber wer giebt uns +<span class="g">Wahrheit</span>?«</p> + +<p>»Gott selber,« sagte da Sadie mit jenem kindlichen Vertrauen, das in +dem Schöpfer wirklich seinen Vater sieht, und in reiner, +ungeheuchelter Frömmigkeit am Throne des Höchsten sein Gebet, seinen +Dank niederlegt — »Gott selber, Aumama; er hat uns die Wahrheit in +das Herz gelegt, und seine Boten schon vor langen Jahren gesandt, sie +uns hier zu lehren. Bete, bete mit voller Inbrunst und das Herz wird +Dir aufgehen, wenn Du Dich zu Gott wendest.«</p> + +<p>»Aber Le-fe-ve betet gar nicht,« warf das Mädchen wieder ein, dem +Gedanken folgend daß die Europäer selber, in verschiedene Religionen +getrennt, kein Vertrauen auf den Gott hätten, den sie den Inseln +gebracht — »er ist ein guter Mann, aber er lacht, wenn man ihn an +seine Pflicht als Christ will mahnen; thut das René nicht auch?«</p> + +<p>»Nein,« rief Sadie schnell, aber doch nicht im Stand eine gewisse +Verlegenheit zu verbergen — »er lacht mich niemals aus.«<span class='pagenum'> <a name="Page_88" id="Page_88">[88]</a></span></p> + +<p>»Aber er betet auch nicht.«</p> + +<p>»Gott wird ihn schon erleuchten,« sagte die junge Frau, und barg ihre +Stirn einen Augenblick in den Händen, »ach es ist wahr,« fuhr sie dann +leiser fort, »und hat mir schon manche bittere Stunde, manche +schlaflose Nacht gemacht, wie wenig <span class="g">er</span> an seinen Gott denkt, und wie +viel gerade Gott für ihn doch eigentlich gethan.«</p> + +<p>»Und Mr. Osborne? hat er Dir nie an's Herz gelegt ihn deiner Kirche +zuzuführen? — mir ist das oft und oft zur Pflicht gemacht, aber — wie bald hab' ich <span class="g">den</span> Versuch aufgegeben.«</p> + +<p>»René geht seinen eigenen Weg,« seufzte Sadie, »und Vater Osborne sah +das wohl und fühlte es, aber er hat mir nie ein Wort davon gesagt, ja +er warnte mich sogar vor religiösen Streitigkeiten mit dem Gatten. Auf +Atiu war auch Alles gut, aber hier in Tahiti, wo die Priester selber +einander feindlich gegenüber stehen, und seit Vater Osbornes Tod hat +sich René ganz von jeder Andacht abgewandt.«</p> + +<p>»Weißt Du wie Du jetzt aussiehst, Sadie?« rief da Aumama plötzlich, +den Ton wechselnd, und der Freundin Hand ergreifend.</p> + +<p>Sadie schaute überrascht empor, Aumama aber fuhr lächelnd fort — »scheuche die trüben Gedanken fort von der Stirn, sie passen nicht für +uns. Was<span class='pagenum'> <a name="Page_89" id="Page_89">[89]</a></span> kümmern uns die Streitigkeiten jener Priester, noch ist die +Banane so süß, die Cocosnuß so saftig als je und der Himmel lacht blau +und heiter auf uns nieder und unser schönes Land. Sieh da kommt deine +Sadie,« unterbrach sie sich plötzlich als das Kind, von einem jungen +vierzehnjährigen Mädchen getragen, in der Thür erschien — »her zu mir +Herz, her zu mir mein süßes Kind, und Du sollst mir helfen der Mama +Züge wieder aufzuheitern. Und nun sollen auch Scha-lie und Ro-sy +herüber und mit Dir spielen, mein Herz, und froh und munter wollen wir +sein, und tanzen und springen.«</p> + +<p>Die Kleine aufgreifend, die ihr schon von Weitem lachend die Aermchen +entgegenstreckte, sprang sie mit ihr, wieder ganz das fröhliche +ausgelassene Kind dieser Inseln, singend und trällernd am Strand +umher, und rief die eigenen Kinder herüber mit ihr zu spielen und zu +tollen. Und selbst Sadie, wenn auch nicht im Stande so rasch die +quälenden Gedanken abzuschütteln vom Herzen, vergaß doch ebenfalls +bald bei dem Lachen und Jauchzen der Kleinen Alles, was sie noch +vorher mit Angst vielleicht und Sorge erfüllte, und das Herz ging ihr +wieder auf voll Lust und Glück in dem einen reinen und seligen Gefühl +der Mutter Lust.<span class='pagenum'> <a name="Page_90" id="Page_90">[90]</a></span></p> + +<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_C_3" id="Footnote_C_3"></a><a href="#FNanchor_C_3"><span class="label">[C]</span></a> »Das Schwein das Menschen trägt« wie die Insulaner zuerst +das Pferd nannten, für das sie keinen Namen hatten.</p></div> +</div> + + +<hr class="endchapter" /> +<h2><a name="Capitel_4" id="Capitel_4"></a>Capitel 4.</h2> +<h3>Die Missionaire.</h3> + + +<p>Ueber die See brauste es daher, wild und stürmisch in furchtbar +entsetzlicher Wuth; an den Riffen schäumte und kochte die Brandung in +milchweißem Gischt, und warf ihre Wogen selbst in die sonst stillen +Binnenwasser, weiter und weiter wallend, bis zu dem weißen +Corallensand des Strandes und den freigespühlten Wurzeln der +Cocospalmen, die ihre Wipfel über dem Meere schaukelten und jetzt, wie +entsetzt über die Entweihung, die weiten, armartigen Blätter +emporwarfen und sich zurückbogen vor der anstürmenden Bö. Hei wie der +Sturmvogel so scharf und gellend pfeift wenn er über die aufgewühlte +See streicht, und seine langen elastischen Flügelspitzen auf die +glatte<span class='pagenum'> <a name="Page_91" id="Page_91">[91]</a></span> Woge preßt, von der die Windsbraut schon den schäumenden Kamm +geraubt und als Perlen hinausgestreut hat weit weit über das Meer; hei +wie die Brandung da kracht und tobt, und sich bäumt und reckt und mit +den weißen Armen hinüberlangt über den Korallendamm, und doch wieder +und immer wieder zurückgeworfen wird von dem gewaltigen Bollwerk, das +Jahrtausende gebaut. Und der Sturm, der machtlos seine Kraft brechen +sieht an diesem Damm, und seine Wellen, die er sich aufgerüttelt hat, +nicht hinüber bringen kann, so viel er auch hebt und drängt, und die +Schulter stemmt gegen die gewaltigen, wirft sich endlich selbst mit +dem flatternden Bart an das grüne Land, und die Palmen fassend in +tollem Spiel biegt und schaukelt er sie, wie er das Spiel sonst +vielleicht mit Halm oder Blüthe getrieben, im weit und straff +gespannten Bogen nieder, nieder bis ihre Kronen das Laubdach berühren +das sie stützt und hemmt und mit wildem eifrigen Rascheln die +auszweigenden Arme fest fest zusammenstreckt und sich hält und +gegenseitig hilft gegen den wilden ungestümen Feind.</p> + +<p>Gewaltig und furchtbar ist ein Sturm auf offener See, wo er die Wogen +aufwühlt und gräbt, und die bergwichtigen Massen wie spielend und in +entsetzlicher Schnelle vor sich her jagt; aber frei und ungehindert +rast er dort sich aus, keine Grenze hemmt ihn und<span class='pagenum'> <a name="Page_92" id="Page_92">[92]</a></span> selbst das schwanke +Schiff das er trifft auf seiner Bahn wirft er herum, taucht es und +schleudert es empor, reißt und splittert was er daran gerade fassen +und halten kann und — jagt vorüber, müde solch unwürdigen Spiels. +Anders aber und grauenhaft furchtbarer ist er dort wo die bergige +Küste den Anprall hemmt, und dem Rasenden die Stirn bietet in +kräftigem Trotz.</p> + +<p>Nicht nur den neuen Grimm hat der Wüthende da auszulassen an der +starren hartnäckigen Wand, die sich ihm eisern entgegenstellt, nein +auch alte Unbill zu rächen, seit Jahrhunderten her, und seit manchem +furchtbaren Strauß, bei dem er sich wieder und wieder vergebens in die +Schluchten wühlte und bohrte, und die Grundfesten seines Feindes zu +untergraben suchte. Von der See führt er die Wogen heran zum +gemeinsamen Kampf, und sich selber wirft er wild und toll gegen die +Brustwehr von Baum und Gebüsch, das sich ihm zäh und unverdrossen +entgegenlegt; was hilft es ihm daß er die starren hartnäckigen Stämme +faßt und bricht und die schweren Kronen zu Boden schmettert, oder als +Widder braucht, gegen andere anzustürmen — die elastische Palme biegt +und legt sich der Uebermacht, folgt aber dem Feind auf dem Fuß bei +jedem Zollbreit Weichen, und schüttelt ihm die Federkronen zornig in's +Angesicht. Wild<span class='pagenum'> <a name="Page_93" id="Page_93">[93]</a></span> heult und braust sie da auf, die tobende tolle +Windsbraut; bis hoch in die Lüfte hinauf pfeift es und zieht's und +dröhnt's, und wieder und wieder prasselt's an gegen Halde und Hang, +wieder und wieder reißt es und bricht und schmettert und stöhnt, ein +Opfer suchend in unsagbarem Grimm, bis die Kraft auf's Neue erschöpft +ist wie seit Jahrhunderten, und der Orkan jetzt weichend, seine Wuth +mit neuer Hoffnung beschwichtigen muß für den nächsten Tanz, sich +dennoch immer auf's Neue getäuscht zu sehn. Grollend und innerlich +gährend und kochend zieht er sich dann zurück, weit weit über die See, +in der Ferne dröhnt es und braust es noch, wie schwer athmend aus der +Tiefe auf — bläulich schwarz liegt die See, einzelne Sturzwellen in +sich selbst zusammenbrechend und weiße weite Flächen, förmliche Thäler +bildend von milchigem Schaum, der zischend zerfließt, neu +aufquellender Woge zum Mantel zu dienen mit dem sie sich schmückt und +tanzt und ihn abwirft, der Schwester zu. Hu, wie das hohl geht da +unten und braust und murmelt — aber die Sturmmöve zieht jetzt mit +klappendem Flügelschlag, nicht mehr regungslos kreisend, über das +stillere Wasser, das im wilden Unmuth noch nicht einmal den Strahl der +vorbrechenden Sonne wiedergeben mag, und faden matten Bleiglanz über +seine Fläche deckt.<span class='pagenum'> <a name="Page_94" id="Page_94">[94]</a></span></p> + +<p>Auf dem Land aber, dem natürlichen Feind des Orkans, der ihm so starr +die Faust entgegenstreckt, wie die Fluth ihm jeder Zeit willige Hülfe +bietet und mit ihm tobt und rast, entfaltet der siegende Sonnenschein +schon wieder sein Panier, während die grollende See noch gegen die +Riffe pocht, und jeder niedergeschleuderte Tropfen wird zur Perle, die +blitzend und jubelnd im Lichte funkelt. Noch erzürnt, aber doch schon +wieder den warmen Strahl auf den Wangen fühlend, schütteln die Bäume +ihr Laub, und rauschen und rascheln, Blatt und Zweiglein wieder in die +alte Form zu bringen, aus der sie der ungestüme Störenfried +herausgerissen, und der warme Duft der aus den Thälern steigt wird zum +Nebelschleier, den sich der Berg wie Silberfäden durch die Krone +flicht, und dem das sinkende Tagsgestirn noch seinen schönsten +herrlichsten Farbenschmelz verleiht.</p> + +<p>Es war zur Zeit solcher Stürme, die sich besonders im Herbst und +Frühjahr zeigen unter dieser Breite, und der Orkan brauste noch in all +seiner furchtbaren Kraft über die Wasser, und schien die Riffe hinein +drängen zu wollen gegen das Land, solche berghohe Wogen thürmte er +auf, und schleuderte sie von Westen herbei, der Passat Strömung gerad +in die Zähne. Nur der fluthende Regen hatte nachgelassen und der Wind +fegte nur noch das Firmament<span class='pagenum'> <a name="Page_95" id="Page_95">[95]</a></span> rein, von widerspenstischen Wolken und +Schwaden, die wieder und wieder, jetzt aber machtlos und zu spät, zum +neuen Kampfe herbei wollten.</p> + +<p>In der Hauptstraße von Papetee, auf dem breiten Strand der die erste +Häuser- und Gartenreihe vom Meere trennte, und von den lebenslustigen +Tahitiern besonders Abends zum Sammelplatz benutzt wurde, blieben +jetzt Einzelne stehen und schauten auf das Meer hinaus, denen bald +Andere folgten; die Thüren der nächsten Häuser wurden geöffnet, die +Eigenthümer standen darin mit Telescopen und um diese wogte und preßte +bald das Volk in mächtiger Schaar, bald die Gläser, bald das weite +Meer betrachtend, und dem Wort der Ausschauenden wie einem Orakel +lauschend.</p> + +<p>Der Gegenstand aber um den es sich hier handelte war ein Schiff — ein +großes Schiff das von Point Venus aus schon vor einer halben Stunde +etwa und noch im vollen Sturm, der Königin gemeldet worden, wo es, +weit draußen in Sicht, versucht hatte beizulegen und von den Inseln +abzukommen, der Wind war aber zu heftig gewesen solches Maneuver zu +gestatten. Die Fregatte — denn daß jenes fremde Segel ein großes +Kriegsschiff sei unterlag schon gar keinem Zweifel mehr — mußte vor +dem Wind abfallen, und kam jetzt unter dicht gereeftem<span class='pagenum'> <a name="Page_96" id="Page_96">[96]</a></span> Vormars- und +Vorstengenstagsegel um die Spitze herum jedenfalls bestimmt nach +Papetee einzulaufen, was aber jetzt, bei dem gewaltigen Seegang und +der schmalen Einfahrt durch die schäumenden Riffe nicht möglich war, +und nur bemüht nun, so wenig Fortgang als möglich zu machen um erst +einmal von den nächsten Riffen frei, wieder aufzubrassen und das +Beruhigen der Wasser abwartend, gegen den Wind anzukreuzen.</p> + +<p>Es war eine Fregatte, aber von welchem Land? Diese Frage beschäftigte +jetzt Alle in ängstlicher Spannung, und wie die meisten der +Eingeborenen gerade jetzt, nach ihrer vorhergegangenen Demonstration +das Erscheinen des ihnen nur zu gut bekannten <span class="f">Du Petit Thouars</span> mit +seinem Fahrzeug fürchteten, so ängstlich waren sie, sich zu früh der +freudigen Hoffnung hinzugeben daß es noch ein Englisches Kriegsschiff +sein könne, ihre erstrebte Unabhängigkeit zu bestätigen.</p> + +<p>Die Meinungen über das Aussehen des Schiffes waren dabei getheilt, +während es Einzelne der Europäer nach dem Bau der Masten, denn von den +Segeln war gar Nichts zu erkennen, für einen Franzosen hielten, +behaupteten Andere den Amerikanischen Zuschnitt daran zu erkennen und +nur ein kleiner Theil beharrte auf seinem Ausspruch England sei nicht +zu<span class='pagenum'> <a name="Page_97" id="Page_97">[97]</a></span> verkennen und die Englische Flagge würde sich zeigen, so bald die +Fregatte den Eingang passire.</p> + +<p>Selbst die gerade in Papetee anwesenden, und gerade heute zu einer +vertraulichen Sitzung berufenen Missionaire standen auf der Verandah +des, in Papetee ansässigen Bruder Dennis versammelt, und blickten mit +etwas ängstlicher Spannung der Entfaltung der Flagge entgegen, die +besonders auf ihre Wirksamkeit einen entschiedenen Einfluß ausüben +mußte.</p> + +<p>Noch vor dem Sturm hatte ihre Sitzung begonnen, und während die +Windsbraut heulend an den Pfosten des Hauses rüttelte, die Palmen wie +Weidenruthen niederbog, und die reifen Früchte von den Bäumen riß, den +Boden zu streuen mit Orange und Brodfrucht, die saftigen Stiele der +Banane umknickte und duftige Blüthen weit und hoch hinaus in die Berge +führte, lagen die schwarz gekleideten Männer in dem langen luftigen +Gebäude auf den Knieen; und mischten ihre Hymnen und Sänge mit dem +Gebrüll des Orkans, ein Preislied dem Herrn der Stärke und +Barmherzigkeit.</p> + +<p>Es waren die Brüder Rowe, Dennis und Nelson, Mc. Kean, Smith und +Brower, zusammengekommen zu vertraulicher Berathung in so schwerer +Zeit, und die eigentlichen Vertreter auch, wenigstens die wichtigsten, +die sich gegenwärtig in der Südsee<span class='pagenum'> <a name="Page_98" id="Page_98">[98]</a></span> befanden, der Evangelischen Lehre +nicht mehr nur Bahn zu brechen unter den Heiden, obgleich auch jetzt +noch ganze Gruppen von Inseln ihren Göttern treu geblieben waren und +den neuen Glauben mistrauisch von sich wiesen, sondern sich zu wahren +und schützen gegen den Katholicismus, der ihren Fußtapfen gefolgt war +und die Flügel jetzt ausbreitete, ihr eigenes Licht zu verdunkeln.</p> + +<p>Bruder Dennis war unter diesen, und besonders in seinem Charakter als +Missionair, jedenfalls der bedeutenste, und wenn auch nicht einer der +ältesten, doch jedenfalls der eifrigsten Lehrer der Inseln, wo es nur +galt dem einen heiligen Ziel entgegenzustreben, den Heiland zu +verkünden und seiner Wunden Blut zu predigen in der Wüste. Er auch war +Einer der Wenigen, die mit Hintansetzung jedes Gedankens an sich +selbst in die Fremde zogen, die Bibel im Arm, das gehobene Kreuz, ja +das Schwert in der rechten, wenn gereizt seinen Schatz zu +vertheidigen, und rücksichtslos weiter schreitend dabei, welchen +Glauben, welche Familienverhältnisse er unter die Füße trat, wenn er +nur die Seelen der Verdammten rettete, und ihnen das Heil kündete, das +ihnen Gott geboten, und das den Weg um die ganze Erde genommen, zu +ihnen zu gelangen.</p> + +<p>Eigennutz, Ehrgeiz war ihm fremd, keine Familien<span class='pagenum'> <a name="Page_99" id="Page_99">[99]</a></span>bande fesselten ihn, +nicht Freundschaft, nicht Liebe hatten sein Herz auch nur für eine +Stunde dem einen hohen Zweck seines Lebens abwendig machen können, und +er hielt den Tag für verloren, an dem er nicht wenigstens einen, +seinem Verderben entgegengehenden Sünder wach gerüttelt, und ihm den +Abgrund gezeigt an dem er wandele, oder geduldet und gelitten hatte in +der Verbreitung jenes Glaubens, der ihm Licht und Seligkeit und Luft +und Liebe war.</p> + +<p>Von schmächtigem aber nicht schwächlichem Körperbau, zäh bis zum +äußersten und an Entbehrungen und Strapatzen gewohnt, die er eher +aufsuchte als vermied, hatte er schon den größten Theil der Inseln +durchstreift, den feindlichsten Stämmen dort mit »christlicher +Demuth«, wie er's nannte, getrotzt, und ihren Hohen Priestern in den +Bart die Machtlosigkeit und Nichtigkeit ihrer Götzen verkündet. Die +Indianer achten den Muthigen, wo sie ihn auch finden, und muthig +wahrlich mußte der sein, der allein und unbewaffnet in einem +feindlichen Gebiet wahrhaft tollkühn das angriff, was der Gegner am +theuersten hielt, und wofür er sein Leben eingesetzt hätte es zu +bewahren; ja unter den Opferkeulen selbst hatte ihn schon dieser +starre fanatische Trotz gerettet, und ihm die Achtung seiner +bisherigen Feinde, ja oft den späteren Sieg über sie, gesichert.<span class='pagenum'> <a name="Page_100" id="Page_100">[100]</a></span></p> + +<p>Hier nun schon den Sieg in Händen, läßt es sich denken, mit welchem +Schmerz und Zorn der »Diener des Herren« <span class="g">fremde</span> Priester eindringen +sah in sein Heiligthum, und den Bau untergraben, an dem seine Kirche +schon Jahrzehende gebaut, und der ein Tempel Zions zu werden versprach +in Pracht und Herrlichkeit. Mit zagender Hoffnung wohl, aber auch mit +Furcht und Mißtrauen sah er deshalb dem Entfalten jener Flagge +entgegen, die ihnen entweder die frohe Hülfe vom Mutterlande brachte, +nach der sie sogar schon einen der Ihrigen, den ehrwürdigen Mr. +Pritchard, zugleich Consul Ihrer Britannischen Majestät abgesandt +hatten, oder neue Schwierigkeiten und Verlegenheiten bereiten konnte, +den gierigen Forderungen Französischer Capitaine gegenüber.</p> + +<p>Die Brüder Rowe und Nelson in ihrem so verschiedenartigen Charakter +kennen wir schon.</p> + +<p>Zwei Andere, Mc. Kean und Brower waren einfache Leute, Menschen, die +ihre Lebenszeit in der Bibel gegraben, das edle Metall mit dem tauben +Gestein mühsam und unverdrossen heraufgeschafft, ohne im Stande zu +sein es zu schmelzen und zu scheiden, und es nun Bergehoch um sich +aufgeschichtet hatten, eine treffliche Wehr wenigstens, nach Jedem zu +schleudern, der ihnen nahe kommen und ihre Stellung ihnen streitig +machen oder bekritisiren wollte.<span class='pagenum'> <a name="Page_101" id="Page_101">[101]</a></span></p> + +<p>Bruder Smith zeigte sich als eine von diesen ganz verschiedene +Persönlichkeit; klein und geschmeidig hatte er sich dem Missionswesen +gewidmet, wie er sich irgend einem andern Stand oder Geschäft gewidmet +haben würde. Von Enthusiasmus war bei ihm keine Rede, von Schwärmerei +noch weniger. Er betrachtete das ganze innere Sein der Mission auf +eine ächt irdische und praktische Art als ein <span class="g">Geschäft</span>, das ihm durch +die Missionsgesellschaft vom lieben Gott übertragen worden, und auf +diesem entlegenen Winkel schien er nun vollkommen bereit alle solche +Pflichten, die ihm vorgeschriebener Weise oblagen, auch getreulich zu +erfüllen, vorausgesetzt jedoch, daß ihm dann der liebe Gott, neben +anderen Kleinigkeiten, auch noch die Bitte des täglichen Brodes mit +seinen verschiedenen Variationen erfülle. Ein ausgezeichneter +Geschäftsmann außerdem, war eine seiner Hauptbeschäftigungen die, von +England zur Unterstützung der Mission eingegangenen Waaren, die +natürlich einen größeren Werth hatten als Geld selber, gegen +Roh-Produkte oder Fabrikate der Indianer, soweit sie deren +herstellten, ja gegen Arbeitskraft selbst und geleistete Dienste +anzubringen, und einen besseren Mann hierzu hätte sich die +Gesellschaft nicht wählen können. Schicklicher wäre es jedenfalls +gewesen hierzu einen besonderen Mann engagirt zu haben, der dann +weiter<span class='pagenum'> <a name="Page_102" id="Page_102">[102]</a></span> Nichts mit dem geistlichen Theil des »Geschäfts« hätte zu thun +haben dürfen; das Lehrergeschäft leidet, wo der Lehrer zu gleicher +Zeit neben seinen geistigen Ausgaben seine weltlichen Einnahmen +berechnen muß. Bruder Smith wußte aber Beides auf so geschickte Art zu +vereinigen, und die Waare mit solcher Salbung, die Lehre mit solcher +berechnenden Klugheit auszugeben, daß die Insulaner zuletzt nicht +selten beides Empfangene gar nicht mehr von einander zu unterscheiden +vermochten und in Zweifel waren, für was von den beiden Sachen sie ihr +Cocosnußöl und ihre Perlen und Muschelschalen eigentlich zu Markt +gebracht, und ob sie ein gutes oder schlechtes Geschäft dabei gemacht.</p> + +<p>Bruder Smith hatte auch lange nicht das Schroffe, Abstoßende des +finsteren Rowe, ja selbst des schwärmerischen Dennis. Bei dem Gebet +stand besonders der Letztere wie ein zürnender Geist, bereit Gottes +Zorn auf Jeden niederzudonnern, der anders dachte oder sprach als er, +während Bruder Smith mit ruhiger Ueberlegung die praktische Seite des +Christlichen Glaubens nicht allein nicht versäumte, sondern sogar nach +außen drehte. Der Eine gewann, der Zweite erhielt die Heiden dem +Christenthum.</p> + +<p>Brower und Mc. Kean waren ein Mittelding der Beiden, mehr an der Form +wie dem Sinne des Gan<span class='pagenum'> <a name="Page_103" id="Page_103">[103]</a></span>zen hängend; Smith wand sich zwischen Allen +durch. Mit einem anerkennungswerthen Scharfblick der Charaktere, +zwischen denen er sich befand, war er Schwärmer oder Enthusiast, Mann +der Form oder des einfachen Glaubens, der in dem Glauben gerade den +Formen blindlings folgt, aber diese nur eben vom Glauben abhängig +macht, nicht diesen ihnen unterwirft. Nie jedoch verlor er den Nutzen +irgend einer Stunde aus dem Auge und unermüdlich im Sammeln für seinen +heiligen Zweck, wuchsen ihm die Bedürfnisse aus dem Boden, und wurden +zu Bäumen, die ihre Früchte im reichen vollen Maaß auf ihn zurück und +nieder schüttelten.</p> + +<p>Auch er war der gedrohten Oberherrschaft Frankreichs in innerster +Seele abgeneigt, aber nicht ganz allein mit jener geistigen +Ueberzeugung, mit der Bruder Dennis den Untergang der Gerechten vorher +kündete, wenn sie sich durch die Irrlehren verführen ließen vom +rechten Pfade abzuweichen, sondern mehr fast im merkantilischen +Interesse. Die Franzosen hatten nämlich unter dem Schutz ihrer Kanonen +angefangen, eine Quantität der verschiedensten, bis jetzt von ihm mit +Vortheil abgesetzten Waaren, auf die Insel geworfen, deren Preise <span class="g">er</span> +früher allein bestimmen konnte, während sich ihm jetzt dadurch eine in +der That nicht unbedeutende Concurrenz eröffnete. Bunt<span class='pagenum'> <a name="Page_104" id="Page_104">[104]</a></span> und ordinär +gedruckte Kattune, für die er bis jetzt mit Leichtigkeit einen halben +Dollar per Yard erhalten, verschleuderten leichtsinnig junge Franzosen +um die Hälfte, und das Volk hätte von einem <span class="g">Heiden</span> gekauft, wenn es +die Waare billiger bekommen, wie viel mehr nicht von den »neuen +Christen«. Die Eindringlinge bezahlten außerdem für die Produkte der +Indianer weit mehr, als sie vernünftiger Weise hätten zahlen sollen, +wenn sie sich nicht den Markt für spätere Zeiten verderben wollten. Es +war keine Ordnung in der Sache, und der Kaufmann ging mit dem Christen +Hand in Hand, der Evangelischen Kirche den Sieg zu erflehen über die +»Baalspriester« wie sie gewöhnlich von den Kanzeln genannt wurden.</p> + +<p>Doch zurück zu unserem Schiff, das die Aufmerksamkeit der am Strand +Stehenden auf das Peinlichste spannte, und immer noch mit den kahlen +Masten gesonnen schien vorbei zu streichen, ohne auch nur einmal die +Farbe seiner Flagge zu zeigen.</p> + +<p>»Segne meine Seele!« rief ein dicht am Strand stehender Neger, der +früher einmal von einem Wallfischfänger auf irgend einer Insel +entsprungen war und seinen Weg nach Tahiti gefunden hatte, wo er jetzt +bei den Eingeborenen, theils seiner außerordentlich glänzenden +schwarzen Farbe, theils seiner Wohlbeleibtheit wegen als eine Art +Autorität in Seemän<span class='pagenum'> <a name="Page_105" id="Page_105">[105]</a></span>nischen Fällen galt — »segne meine Seele, wenn +ich nicht glaube der Bursche will einlaufen. Wenn er das bei <span class="g">der</span> See +versucht kann er sich darauf verlassen daß er heute in <span class="f">Davys locker</span> +(Seeausdruck für Unterwelt) zu Nacht speist, denn kein Dampfschiff +könnte sich frei von den Leeriffen halten.«</p> + +<p>»Und was für ein Segel glaubst Du daß es ist, Pompey?« frug ihn Tati, +der Häuptling, der unfern von ihm stand und das Fahrzeug mit finsterem +Blick betrachtet hatte.</p> + +<p>»Englisch, <span class="f">by God</span> Massa,« rief der Neger rasch, der den Häuptling +kannte — »englisch, jeder Zoll von ihr<a name="FNanchor_D_4" id="FNanchor_D_4"></a><a href="#Footnote_D_4" class="fnanchor">[D]</a> — und ein Dorn +wahrscheinlich in Massa Gumbo's<a name="FNanchor_E_5" id="FNanchor_E_5"></a><a href="#Footnote_E_5" class="fnanchor">[E]</a> Augen da drüben, der jetzt zwischen +zwei Feuer kommt, wenn er den Schwarz-Röcken einheizen und Land +pachten will von Königin Pomare, haw, haw, haw. Nun sollte noch ein +Franzmann dazu kommen, dann giebt's Spaß; aber dies Kind ging in die +Berge, Massa, denn wenn sie hier mit</p> + +<p><span class='pagenum'><a name="Page_106" id="Page_106">[106]</a></span></p><p>den eisernen Bällen an zu spielen fingen, würd' es Manchem zu warm in +seinem Rocke werden.«</p> + +<p>»Die <span class="f">Reine blanche</span> ist's,« lautete aber eine andere Meinung, die bald +wie ein Lauffeuer durch die Menschenmasse lief, denn der gefürchtete +Admiral <span class="f">Du Petit Thouars</span> war schon lange wieder im Hafen erwartet +worden, und trotz den zuversichtlichen Behauptungen der Missionaire +daß England ihnen jedenfalls Schutz und Hülfe senden werde, gegen den +Römischen Feind, traute man doch den Kanonen des Letzteren nicht, der +die Stadt jetzt schon zwei Mal mit seinen eisernen Flanken bedroht und +sie gezwungen hatte, seine Bedingungen anzunehmen.</p> + +<p>Der Französische Consul hatte gegen die letzte Verhandlung protestirt +und war zornig fortgegangen; welchen Bericht würde er dem +Französischen Admiral machen? — und die Königin mußte es dann wieder +entgelten, wie schon früher.</p> + +<p>»Da — dort geht die Flagge vom Talbot!« rief da Pompey plötzlich — »und da die Privatsignale — er wird den Andern vorm Einlaufen warnen +wollen.«</p> + +<p>»Dort kommt was Buntes an Bord draußen!« schrie ein Eingeborener, der +trotz dem noch heftigen Wehen und Schaukeln des Baumes auf eine Palme +geklettert war, einen bessern Ueberblick zu gewinnen — »gleich wird's +heraus sein!«<span class='pagenum'> <a name="Page_107" id="Page_107">[107]</a></span></p> + +<p>»Da kommt die Flagge — alt England für immer!« jubelte ein junger +Bursch, ein Seecadet des Talbot der auf Urlaub an Land gewesen war, +wie der Sturm begonnen — »dort weht der <span class="f">Union Jack</span> und Monsiehr Crapo +hat sich zu früh gefreut wenn er glaubte es käme ein Landsmann.«</p> + +<p>»Englische Flagge — Englische Fregatte!« schrie und wogte es aber +auch jetzt am Land durcheinander, die Missionaire auf der Verandah +drückten einander die Hand, und ein großer Theil der Insulaner jubelte +allerdings dem fremden Schiffe entgegen, Manche aber auch von Tati's +Anhang schauten gar zornig drein, und sahen die Parthei schon wieder +Sieger, die ihnen bis dahin immer störend und hemmend im Weg +gestanden.</p> + +<p>Die beiden Englischen Kriegsschiffe hatten indessen rasch +verschiedene, nur ihnen bekannte Signale gewechselt, und die fremde +Fregatte hielt noch fortwährend auf die Mündung des Hafens zu, als ob +sie die Einfahrt, trotz Wind, Wogen und Coralle, erzwingen wolle; wenn +aber auch der wirkliche Sturm nachgelassen hatte, wehte der Westwind +doch noch viel zu stark das Einlaufen in den Hafen, wären selbst die +furchtbaren Brandungswellen nicht gewesen, wagen zu dürfen und die +Fregatte, die auch vielleicht nur diese Stellung angenommen ihre +Signale ordentlich und deutlich auswehen zu lassen, fiel wieder vor +dem<span class='pagenum'> <a name="Page_108" id="Page_108">[108]</a></span> Winde ab, braßte ihre Marssegel vierkant und flog, fast vor Top +und Takel nur, aus dem Bereich der gefährlichen Klippen, draußen +vielleicht wieder beizudrehen und das Rückwechseln des Windes in den +gewöhnlichen Passat, der gar nicht lange mehr ausbleiben konnte, +abzuwarten.</p> + +<p>So lange die Signale noch dauerten, hatten sich die Eingeborenen +ziemlich ruhig gehalten; nur einige der der Königin und den +Missionairen ergebenen Häuptlinge, besonders Aonui und Potowai waren +hinauf in das Haus gegangen, wo sie die frommen Männer versammelt +sahen, deren Meinung über das Englische Kriegsschiff, das jedenfalls +einzukommen beabsichtigte, zu hören. Die Missionaire hatten nur eine +Stimme darüber; sie hofften daß es ihnen günstig lautende Nachrichten +von England bringen würde, ja daß vielleicht Bruder Pritchard selber +an Bord sei, die Rechte der Insulaner zu bestätigen und mit der +gesandten Macht zu beschützen.</p> + +<p>Das war genug, wie ein Lauffeuer zog sich die frohe Botschaft durch +die einzeln am Strand zerstreuten Gruppen: »Das Kriegsschiff ist für +uns gekommen; die Franzosen haben Nichts mehr auf den Inseln zu +befehlen — der Vertrag den sie abgeschlossen haben, und der nur dahin +berechnet war uns zu ihren Sclaven zu machen und das Götzenthum wieder +ein<span class='pagenum'> <a name="Page_109" id="Page_109">[109]</a></span>zuführen, ist vernichtet und keine Flagge soll hier mehr wehen als +die Tahitische und Englische!«</p> + +<p>Aonui war der Wildeste zwischen ihnen.</p> + +<p>»Brüder, der Tag der Vergeltung ist erschienen!« schrie er, auf einen +Haufen dort aufgefahrenen und zum Ausarbeiten von Canoes bestimmten +Holzes springend, von dem aus er die unter ihm Stehenden leicht +übersehen konnte, »die Beretanis kommen — die uns die Bibel gebracht +haben, bringen uns jetzt auch Kanonen unsere Bibel zu vertheidigen — die Beretanis sind gut — wir wollen Nichts weiter — wir haben die +Bibel und die Feranis können gehen, wir halten sie nicht — wir wollen +ihnen Freude wünschen — aber nicht hier, irgend wo anders. — Wir +haben die Feranis lieb — sehr lieb — es sind auch unsere Brüder — aber nicht so Brüder wie die Beretanis; andere Art. Die Beretanis +haben uns die Bibel gebracht, die Feranis wollen sie wieder nehmen. — Feranis haben viel Platz wo anders — wir wollen ihnen Freude +wünschen.«</p> + +<p>Das etwa war der Sinn der Rede, die der Häuptling, die einzelnen Sätze +immer auf's Neue wiederholend, seinen Landsleuten vorschrie, denn der +um ihn wogende Tumult dauerte indessen fort und er konnte ihn mit +seiner Stimme nicht beschwichtigen, er mußte ihn selbst übertönen; +aber den Sinn ver<span class='pagenum'> <a name="Page_110" id="Page_110">[110]</a></span>standen sie doch, den ungefähren Sinn des Ganzen +wenigstens, und von Mund zu Mund lief der Ruf: »Fort mit den Feranis, +fort mit der Flagge, wieder an Bord mit den Priestern die uns die +neuen Götzen auf die Berge gestellt haben, den alten zum Trotz, und +uns unseren Glauben nehmen wollen und unser Land und die Bibel. Wir +haben die Bibel wir verlangen nicht mehr!«</p> + +<p>»Bin nur neugierig« sagte Pompey, der Neger, zu einem zufällig neben +ihm stehenden Seemann, unserm alten Bekannten, dem Iren Jim — »was +sie heute wieder für Dummheiten anrichten werden, Mister — seht nur +einmal wie die schwarz gekleideten Gentlemen da hinten so eifrig gegen +einander die Hände und Arme werfen, und streiten — sie hacken Alle +auf den Einen ein mit den weißen Haaren, der wird wohl der einzige +Vernünftige unter ihnen sein.«</p> + +<p>»Und wie so, mein Bursche?« frug Jim O'Flannagan der mit den Augen der +Richtung gefolgt war, die ihm der Neger angab, und den Blick jetzt +forschend auf den allerdings sehr heftig mit einander gesticulirenden +Missionairen weilen ließ — »es geht ja Alles so hübsch und trefflich +wie es nur gehen kann.«</p> + +<p>»Hübsch und trefflich? — hm, ja, — Manchem gefällt's so,« sagte der +Neger und betrachtete sich den Fremden etwas genauer, ohne daß Jim +etwa darauf<span class='pagenum'> <a name="Page_111" id="Page_111">[111]</a></span> geachtet hätte — »aber hallo Mister,« setzte er +plötzlich hinzu, »haben wir nicht einander schon einmal da drüben bei +Mütterchen Tot getroffen?« Der Ire lachte.</p> + +<p>»Ich bin überall zu finden wo es gute Gesellschaft giebt,« sagte er +mit einem etwas zweideutigen Blick auf seinen schwarzen Gefährten, +»aber Freund, habt Ihr eine Idee wo die Geschichte hier hinaus will? — wie mir scheint wollen die guten Leute alle Franzosen ohne weitere +Säumniß aufpacken, und an Bord der <span class="f">Jeanne d'Arc</span> schicken?«</p> + +<p>»Toll genug wären sie dazu,« brummte der Schwarze, »und das hier wär' +auch nicht der erste derartige dumme Streich, den sie machten; wenn's +Jemand gut mit ihnen meinte, sollt' er's verhindern.«</p> + +<p>»Wen geht's denn 'was an?« lachte der Ire, »dafür haben sie auch ihre +Seelsorger ihnen den richtigen Weg zu zeigen — hallo, kennt Ihr die +Beiden da, die scheinen's eilig zu haben.«</p> + +<p>»Das sind die beiden ersten Häuptlinge der Insel, Tati und Utami,« +sagte der Neger schnell, »wenn die ihren Weg hätten, wüßt' ich <span class="g">wen</span> sie +vor allen Dingen auf das erste beste Schiff packten und nach Leewärts +schickten.«</p> + +<p>»Kann mir's denken,« sagte der Ire trocken, »'s kommt nur darauf an +jetzt, wer zuerst ein Schiff<span class='pagenum'> <a name="Page_112" id="Page_112">[112]</a></span> frei hat, Engländer oder Franzose, und +dem lieben Gott bleibt jetzt die Wahl vollkommen offen, wen er hier +behalten will, Katholiken oder Protestanten.«</p> + +<p>»Wenn sie den Feranis hier was zu Leid thun, schießt ihnen der +Franzose den ganzen Bettel zusammen — und ich habe da drüben auch ein +kleines Häuschen stehn,« meinte der Neger.</p> + +<p>»Wenn's hinter dem Berge läge könnt' er aber anfangen wann er wollte?« +frug Jim, mit einem Seitenblick auf den Neger, den dieser mit einem +breiten Grinsen, das zwei Reihen prachtvoller Zähne aufdeckte, +beantwortete.</p> + +<p>Die Aufmerksamkeit der Beiden wurde aber bald für das Haus in Anspruch +genommen, in dem sich die Missionaire befanden, denn dorthin drängte +das Volk und schien von diesen eine bestimmte Leitung ihres Unmuths, +dem sie selber eigentlich noch nicht recht Ausdruck zu geben wußten, +zu verlangen.</p> + +<p>»Nieder mit der Flagge der Feranis!« tönte der Schrei — »fort mit den +Priestern — England hat seine Schiffe zu uns geschickt uns zu +beschützen, wir wollen nichts weiter mit den Wi-Wis zu thun haben — fort mit ihnen — fort!«</p> + +<p>»Das thut kein Gut,« sagte da, in der Sprache der Insel, ein schlanker +Mann mit starkem Backen- und Schnurrbart, der an dem Iren und Neger +mit<span class='pagenum'> <a name="Page_113" id="Page_113">[113]</a></span> den, schon vorher von ihnen bemerkten Häuptlingen rasch +vorbeischritt — »das thut wahrlich kein gut, und sie werden sich die +Folgen ihres thörichten Handelns später selber zuzuschreiben haben.«</p> + +<p>»Die Missionaire treiben's zum Aeußersten in ihrem stolzen Wahn,« +sagte Tati.</p> + +<p>»Und ihre kurzsichtige Politik wird ihnen das geistliche wie ihrer +armen Königin das weltliche Regiment rauben,« sagte der erste +Sprecher; »die einzige Rettung die dem Lande noch blieb, war eine +vernünftige Mäßigung, die Missionair wie Franzose zugleich im Zaum +gehalten hätte.«</p> + +<p>»Sagt das den Priestern, Consul Mörenhout, und sie zucken die Achseln +und bedauern bei der Sache nichts thun zu können, da sie sich <span class="g">nie</span> in +die Politik dieses Landes mischten.«</p> + +<p>»Heuchler!« zischte der Consul zwischen den Zähnen durch und schritt +jetzt, die Häuptlinge verlassend, rasch der Verandah zu, an deren +Treppe er eben den beiden Missionairen Dennis und Rowe begegnete, die, +von Nelson und Smith gefolgt, gerade niederstiegen. Als Mr. Rowe den +Französischen Consul auf sich zukommen sah, blieb er stehen und sagte, +noch ein paar Stufen höher als dieser, mit unendlicher Milde und +Freundlichkeit auf ihn niederblickend:<span class='pagenum'> <a name="Page_114" id="Page_114">[114]</a></span></p> + +<p>»Und was führt unseren sehr ehrenwerthen Freund in solcher Aufregung +zu uns?«</p> + +<p>»Mr. Rowe,« erwiederte aber der Consul, ohne auf Ton oder Bemerkung +der Frage einzugehen, und rasch die Stufen, selbst an dem Geistlichen +vorbei, hinaufsteigend — »ich möchte ein paar Worte mit Ihnen und den +übrigen Herren sprechen; aber augenblicklich sprechen« — setzte er +rasch und ungeduldig hinzu, als er sah wie die geistlichen Herren noch +unschlüssig zögerten. »Es gilt auch jetzt nicht die Privat-Interessen +eines Protestantischen oder Katholischen Priesters,« fuhr er gereizt +und heftig fort, »es gilt die Interessen, das Wohl dieses Landes, +dessen Entscheidung Sie nun einmal — mit welchem Rechte soll hier +unerörtert bleiben — in die Hand genommen. Ihnen allein ist es jetzt +überlassen Alles noch friedlich zu Ende zu führen, oder auch einen +Krieg heraufzubeschwören, der die traurigsten furchtbarsten Folgen +haben müßte.«</p> + +<p>Die Missionaire blieben erst stehn und drehten dann mit dem +aufgeregten und gereizten Mann um, blieben aber oben auf der Verandah, +wo sich die übrigen bald um Mr. Rowe und den Französischen Consul +sammelten, und der Erstere sagte freundlich:</p> + +<p>»Sie scheinen sich in der Person zu irren, verehrter Herr; wir Alle +sind Männer des Friedens,<span class='pagenum'> <a name="Page_115" id="Page_115">[115]</a></span> denen es wahrlich nicht einfallen wird +muthwillig, wie Sie meinen, einen Krieg heraufzubeschwören. Greift das +Volk zu den Waffen, ein ihm unerträglich werdendes Joch abzuschütteln, +oder selbst erst der Gefahr auszuweichen, seinen Nacken darunter +gebeugt zu bekommen, was können <span class="g">wir</span>, einzelne und unbewaffnete Männer +dafür oder dawider thun? ja <span class="g">dürften</span> wir das Volk zurückhalten, selbst +<span class="g">wenn</span> wir könnten, wo wir es auf der einen Seite von einer Religion +bedroht sehen, die unserer schwachen Meinung nach zu ihrem jetzigen +und späteren Verderben führen müßte, während wir es in Händen haben, +sie wenigstens auf ein einstiges Heil vorzubereiten.«</p> + +<p>Der Consul schritt rasch und ärgerlich auf der Verandah auf und ab, +erwiederte aber kein Wort — er fühlte daß ihm bei der ersten Sylbe die +er laut spräche, die Galle überlaufen <span class="g">müsse</span>, und wollte jetzt in +diesem, vielleicht für spätere Zeiten höchst wichtigen Augenblick +Alles vermeiden, was ihm später vielleicht als Uebereilung oder Hitze +hätte können zur Last gelegt werden.</p> + +<p>»Und weigern Sie sich wirklich?« sagte er endlich nach einer längeren +Pause, und in der That erst, als der Ehrwürdige Mr. Rowe schon wieder +Miene machte die Verandah zu verlassen — »das blinde, mit allen +Europäischen Verhältnissen unbekannte<span class='pagenum'> <a name="Page_116" id="Page_116">[116]</a></span> Volk von einem übereilten +Schritt, wie das Niederreißen der Französischen Flagge zurückzuhalten? — bedenken Sie nicht, daß sich dieselben traurigen Scenen der +Französischen Fregatte in Monaten vielleicht schon wiederholen, und +Sie selbst dann in die mißlichste Lage der Welt bringen können?«</p> + +<p>Der Ehrwürdige Mr. Rowe warf den Kopf stolz empor, und sagte mit +vielleicht absichtlich sehr lauter Stimme:</p> + +<p>»Weder Ihre Ueberredung Herr Consul, noch Ihre <span class="g">Drohungen</span> können uns zu +einem Schritt bewegen, den wir für unverträglich mit unserem Amte +halten. Nicht die Politik, sondern die Religion dieses Landes brachte +uns an diese Küste, und Frankreich hatte vielleicht einmal die Absicht +den Protestantismus, da es ihm nicht durch die Lehre seiner Priester +gelang, mit Feuer und Schwert auszurotten; aber die Zeit ist Gott sei +Dank vorbei. Der Englische Consul ist, wie Sie wissen schon vor +längerer Zeit nach Großbritannien gegangen, dort den Schutz unserer +Confession, die Erhaltung unserer schwer erworbenen und verdienten +Rechte zu sichern, und Sie sehen da draußen in See in jenem +hellblinkenden Segel die Antwort unserer Nation. <span class="f">Monsieur Du Petit +Thouars</span> wird sich einen andern Wirkungskreis für seine Heldenthaten +suchen müssen, denn nicht mehr blos mit<span class='pagenum'> <a name="Page_117" id="Page_117">[117]</a></span> wehrlosen Indianern und ihren +friedlichen Lehrern und Fürsten hat er es von jetzt an hier zu thun.«</p> + +<p>Mörenhout biß sich auf die Lippen, blieb einen Augenblick, wie noch +etwas überdenkend, stehen, und wollte dann, ohne weiteres Wort, die +Treppe wieder niedersteigen, als der alte ehrwürdige Mr. Nelson seinen +Arm ergriff und freundlich sagte:</p> + +<p>»Gehen Sie noch nicht, Consul Mörenhout; ein gutes Werk darf nicht so +leicht aufgegeben werden, und ich halte die Absicht dafür, in der Sie +hergekommen.«</p> + +<p>»Mr. Nelson spricht als ob dieses sogenannte »gute Werk« in unseren +Händen läge,« sagte Mr. Rowe gereizt.</p> + +<p>»Und das ist wahr!« rief aber der alte Mann in edlem Eifer erglühend, +und die Hand ausstreckend gegen die unten tobende Schaar. »Sündlich +wäre es von uns behaupten zu wollen, daß wir die Macht <span class="g">nicht</span> haben das +Volk zum Guten zu leiten und in den Schranken der Mäßigung zu halten; +ebenso wie es, in der jetzt überdieß gereizten Stimmung, einem +leichtsinnigen unglückseligen Schritt entgegen zu treiben. Wir als die +Lehrer des Volkes <span class="g">dürfen</span> nicht entscheiden ob Englische ob +Französische Flagge das Recht habe hier zu wehen — unser Ziel ist, +die Eingeborenen zu Christen, nicht zu Engländern oder Franzosen zu +machen, und ihren Häuptlingen, von unseren<span class='pagenum'> <a name="Page_118" id="Page_118">[118]</a></span> Consuln aber nicht von +unseren Kanzeln unterstützt, bleibt es dann überlassen, sich die +Unabhängigkeit ihres Landes zu wahren.«</p> + +<p>»Es giebt Verhältnisse,« fiel ihm hier Bruder Rowe in's Wort, der den +aufsteigenden Grimm nicht länger bemeistern konnte, »bei denen ein +solches Zaudern in der guten Sache, das die Eingeborenen ihrem bösen +Geschick und den Gräueln des Pabstthums überließe, <span class="g">Verrath</span> genannt +werden könnte.«</p> + +<p>»Wir haben den fremden Priestern vorgeworfen« entgegnete Nelson ruhig, +»daß sie uns geschimpft und unsere Religion geschmäht haben; machen +wir es besser, wenn wir von Gräueln des Pabstthums reden? Ich bedauere +das Eindringen jener fremden Lehre, die unsere Beichtkinder irre +machen, und Zweifel bei ihnen erwecken muß, aber ich möchte sie nicht +mit dem Schwert bekämpft, möchte das Schwert nicht in unserer eigenen +Mitte geschliffen sehen.«</p> + +<p>»Daß Bruder Nelson die neue Lehre nicht mit dem Schwert bekämpft sehen +möchte, hat er allerdings schon bewiesen,« sagte Mr. Rowe.</p> + +<p>»In dem was ich gethan, steh' ich vor meinem Gott gerechtfertigt,« +erwiederte Nelson, ohne ein Zeichen von Bitterkeit, »der Menschen +Urtheil muß ich mich unterwerfen.«</p> + +<p>»Wehe über Israel!« seufzte da der ehrwürdige<span class='pagenum'> <a name="Page_119" id="Page_119">[119]</a></span> Mr. Brower und +schüttelte trauernd mit dem Kopf, »das ist die kalte Gluth, die fremde +Herzen erwärmen will, und nicht einmal im Stande ist, das eigene Feuer +hell und lohend anzufachen. Wehe über die Säumigen, die da zögern und +die Stunden zählen zum Tag, und nicht wirken wollen so lang es noch +Nacht ist; wehe über die Zaghaften am Tage des Gerichts, und wie +Gottes Donner noch mahnend an der Erde Vesten rüttelt, wird er ihnen +ein Zornesruf in den Ohren sein!«</p> + +<p>Mr. Mörenhout der das Gespräch, oder vielmehr den Streit der +Geistlichen mit kaum zu zähmender Ungeduld bis jetzt angehört, und +sich gewaltsam hatte zurückhalten müssen, seinem Unwillen nicht Luft +zu machen, dabei aber noch immer hoffte eine vernünftigere Ueberlegung +doch Raum gewinnen zu sehen, mußte nach den letzten Worten des +fanatischen Priesters jeden solchen Glauben schwinden lassen, und nur +noch einen letzten Versuch zu machen sagte er mit gezwungener Ruhe, +der man aber das Gewaltsame wohl anmerken konnte:</p> + +<p>»Und so weigern Sie sich denn, meine Herren, den Frieden mit +Frankreich aufrecht zu erhalten? — weigern sich dem Volk das +Gefährliche, ja das Wahnsinnige solcher Handlung vorzustellen?«</p> + +<p>»Weigern, Herr Consul,« unterbrach ihn Rowe<span class='pagenum'> <a name="Page_120" id="Page_120">[120]</a></span> entrüstet, »wir haben +Nichts mit der Politik dieses Landes zu thun — mit jedem derartigen +Antrag muß ich Sie an die Königin selber weisen.«</p> + +<p>Mörenhout wollte noch etwas erwiedern — er öffnete schon den Mund und +that einen Schritt auf den Missionair zu, der sich dem gereizten Blick +des Mannes mißtrauisch aber doch muthig entgegenstellte; dann aber, +wie sich eines Besseren besinnend, drehte er sich scharf auf seinem +Absatz herum, blieb einen Moment, den vorn ausdehnenden Platz mit den +Blicken überfliegend stehen, winkte nach einer Stelle hinüber, wo Tati +und Utami mit dem jetzt zu ihnen gekommenen Paofai standen, und +schritt dann, während sich ihm die drei Häuptlinge anschlossen, rasch +und heftig mit ihnen gesticulirend, am Strand hinauf.<span class='pagenum'> <a name="Page_121" id="Page_121">[121]</a></span></p> + +<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_D_4" id="Footnote_D_4"></a><a href="#FNanchor_D_4"><span class="label">[D]</span></a> Die Engländer und Amerikaner nennen alle Arten von +Fahrzeugen <span class="g">weiblich</span> und wie der Matrose behauptet aus einem allerdings +nicht gerade schmeichelhaften Grund für das schöne Geschlecht: weil +die Takelage, Segel etc. mehr koste als alles Uebrige.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_E_5" id="Footnote_E_5"></a><a href="#FNanchor_E_5"><span class="label">[E]</span></a> Gumbo's, der Spottname der Franzosen in Louisiana, nach +einem dort bereiteten Lieblingsgericht derselben.</p></div> +</div> + + +<hr class="endchapter" /> +<h2><a name="Capitel_5" id="Capitel_5"></a>Capitel 5.</h2> +<h3>Die Königin Pomare.</h3> + + +<p>Der Sturm hatte nachgelassen, aber noch schleuderte der West den +Wellenschaum gegen das Leeufer<a name="FNanchor_F_6" id="FNanchor_F_6"></a><a href="#Footnote_F_6" class="fnanchor">[F]</a> der Insel, und die schweren +Palmenwipfel, die den Palast Aimatas, der vierten der Pomaren, +umgaben, schwankten herüber und hinüber und schüttelten die schweren +Tropfen aus der Fruchtgeschmückten Krone.</p> + +<p><span class="g">Der Palast der Pomaren</span> — ein Zauber lag sonst auf dem Heiligthum, das +ein frohes gutmüthiges und deshalb auch leichtgläubiges Volk mit <span class='pagenum'> <a name="Page_122" id="Page_122">[122]</a></span> +allem ausgeschmückt, was seine Phantasie nur Großes und Erhabenes zu +erfinden vermochte.</p> + +<p>Was lag daran ob nur Bambusstäbe das leichte Dach von Pandanusblättern +stützten, nur feingeflochtene Matten und selbstgewebte Tapa den +inneren Raum zierten und verhingen — was lag daran ob die Häuptlinge +aus einfachen Calebassen ihren Brodfruchtpoe verzehrten und den Saft +der Cocosnuß dazu tranken, sie waren die von Oro beschützten Fürsten, +und der Grund schon heilig, den ihr Fuß betrat.</p> + +<p>Und jetzt? — Der Verkehr mit den Europäern hatte die alten einfachen +Sitten der Insulaner verdrängt — die Missionaire, anstatt sich ihrem +einfachen Leben anzupassen, lenkten die Gier dieser sonst so +anspruchslosen bescheidenen Wesen auf die fremden Sachen die sie in +Masse mitgebracht; der Schutz der Könige selber ward durch Geschenke — tolles Zeug das nur bunt drein schaute und zu weiter Nichts diente +als den Platz ungemüthlich, unheimlich zu machen auf dem es stand — zu erhalten gesucht, und wie sich die Fürsten mehr den Fremden +hingaben, deren eigenthümliche Geschenke sie gewannen, wie sie von +ihrer Höhe niederstiegen und ihre Götter selbst zuletzt gegen +Glasperlen und andere bunte Sachen eintauschten, einen anderen <span class="g">Gott</span> +anzuerkennen, den ihnen jene schwarzen finsteren Männer brachten, da +war die<span class='pagenum'> <a name="Page_123" id="Page_123">[123]</a></span> königliche Macht dahin, wenn auch der äußerliche Prunk noch +blieb, ja für den Augenblick, wie das letzte Aufflackern einer Lampe, +vielleicht noch auf kurze Zeit erhöht und verstärkt wurde.</p> + +<p>Was die Königliche Majestät auf den Sandwichs Inseln, wo +Republikanische Missionaire zuerst Gottes Wort hinüberbrachten, erhob, +daß nämlich die Glieder der Königlichen Familie, besonders die +Frauen<a name="FNanchor_G_7" id="FNanchor_G_7"></a><a href="#Footnote_G_7" class="fnanchor">[G]</a> der Christlichen Religion anhingen, und sie mit dieser Macht +auch das Volk dahin brachten sich zuletzt, wenigstens äußerlich, dem +neuen Cultus zu unterwerfen, das hatte auf den Gesellschaftsinseln, wo +die Priester einer Monarchie zuerst mit dem Kreuz und der Bibel +landeten, die entgegengesetzte Wirkung in dem starren Trotz den die +Pomaren, in ihren Herzen wenigstens, von je der Christlichen Religion +entgegensetzten, bis in späteren Jahren, und auch eigentlich erst +durch Krankheit geknickt und in der Hoffnung mit Hülfe der Weißen die +Zügel seiner Regierung wieder fester in die Hand nehmen zu können, der +zweite Pomare zur christlichen Religion übertrat, sonst aber seine +Sitten, <span class='pagenum'> <a name="Page_124" id="Page_124">[124]</a></span> +und sehr wahrscheinlich auch im Inneren seinen alten Glauben, ziemlich +beibehielt.</p> + +<p>Die Fürsten, die man bis dahin für übernatürliche Wesen gehalten, +wurden <span class="g">Menschen</span>, die Götter, die bis dahin die Schicksale der Völker +regiert und die Hand gehalten hatten über Land und See, wurden zu +Stücken Cocosholz, — der Glaube, die Furcht, ja das Schlimmste von +Allem, die <span class="g">Liebe</span> des Volkes war ein Wahn, ein schöner Traum gewesen, +und daß eben das Volk dann zu Extremen übersprang, läßt sich denken.</p> + +<p>Das schlichte Bambushaus, zu dem der Tahitier sonst als dem +Herrschersitz seiner Könige mit scheuer Ehrfurcht aber auch mit Liebe +aufgeblickt, war verschwunden, und an dessen Statt stand ein +Europäisches Gebäude mit Schindeln gedeckt, mit Verandah und Treppe, +mit Thüren und Glasfenstern da, die Wände dicht und der kühlen +Seebrise undurchdringlich, das Dach fremd und unnatürlich in die +schlanken Palmen hineinstarrend — das Innere dabei wild und +geschmacklos mit bunt und toll durch einander geworfenen Geschenken +verschiedener Schiffe und Länder ausgeschmückt oder eher verstellt, +mit Porcellan und Glas, mit Bronze und Messing, versilberten +Leuchtern, vergoldetem Schmuck, mit Servicen und<span class='pagenum'> <a name="Page_125" id="Page_125">[125]</a></span> Geschirren, so +geschmacklos als verwirrt geordnet oder besser gesagt aus dem Weg +gestellt.</p> + +<p>Die natürliche Majestät des Ganzen war gewichen und eine gezwungen +gekünstelte jetzt nicht mehr im Stande selbst in den Augen des +Eingeborenen zu imponiren. Die Ehrfurcht deshalb, die er dem +schlichten Bambus und der einfachen Tapa gezollt, und die sich selbst +auf die Pandanus-Matte erstreckte die der Fuß berührte, weigerte er +dem kostbaren Teppich und all jenen tausend und tausend +»Kostbarkeiten,« die er staunend anstarrte, an denen er aber kalt, ja +nicht selten mit einem Lächeln auf den Lippen, vorüberging. Er kannte +die Quelle aus der es floß, Pomare ging nicht mehr mit Oro Hand in +Hand und vor dem <span class="g">neuen Gott</span>, wie ihnen die fremden Lehrer oft und oft +gesagt, <span class="g">waren ja alle Menschen gleich</span> — das Bischen Staat dabei hatten +die Fremden mitgebracht, als Geschenke festen Fuß auf den Inseln zu +fassen, es war Nichts darunter, vor dem man hätte Ehrfurcht haben +können.</p> + +<p>Und rücksichtslos wie der Menschen Hand an dem Hermelin der Majestät +gerissen, und nach der Krone schon die Faust ausgestreckt, die Aimatas +Stirn umzog, so hatte der Sturm in seiner tobenden Lust auch seinen +Muth an dem geweihten Platz gekühlt und hineingegriffen in das +Heiligthum.<span class='pagenum'> <a name="Page_126" id="Page_126">[126]</a></span></p> + +<p>Wo eine Anzahl dichter herrlicher Palmen auf etwas offener Stelle +wachsend, früher das Bambushaus der Königin überschattet, und einander +dabei zugleich Schutz und Schirm bieten konnten gegen die tollen +Windgeister, die zu Zeiten über die Berge rasten, da hatten die +meisten dieser stattlichen Bäume, dem größeren Gebäude Raum zu geben, +weggeschlagen werden müssen, und die einzelnen, zurückgebliebenen, +waren nicht mehr im Stande dem wilden West zu trotzen, wenn er den +rasenden Ansprung nahm gegen sie, die wehenden Blätter ihrer Krone +faßte und die Wipfel niederbog, scharf und gewaltig, bis fast zum +Boden hin. Hei wie sie da oft zurückschnellten, in Grimm und Unmuth, +dem tobenden Sturm gerad' in die Zähne, und die wehende Krone +schüttelnd in zornigem Trotz; vergebens — wieder und wieder sauste +die Windsbraut heran, faßte die mächtigen Bäume und drückte sie in +ihrem tollen Spiel zur Erde nieder bis sie die herrlichste geknickt +und mit schwerem Fall zu Boden geschmettert, weit und zerstörend +hinein in Banane und Brodfruchtgarten. Und dann, wie ein unartig Kind, +das sein Spielzeug zerbrochen und bei dem Fall schon die Strafe +fürchtet, brauste der Sturm und tobte dahin, über die mächtigen +Waldeswipfel, daß sein Rauschen und Donnern weit hinein drang in +Berges Schlucht und Hang; aber am Bo<span class='pagenum'> <a name="Page_127" id="Page_127">[127]</a></span>den lag die Palme zerknickt und +todt, der starre aufgespaltene Stamm kahl und vorwurfsvoll zum Himmel +deutend, und der Wipfel selbst ein traurig Bild zertrümmerter, +königlicher Kraft — so viel sprechender hier, an der Schwelle der +Pomaren.</p> + +<p>Und wie der Sturm schwieg, wogte und drängte draußen das Volk in +wilderem unaufhaltsamerem Schwarm, zum ersten Mal wieder eine Macht +fühlend, die ihm bis jetzt genommen, zum ersten Mal wieder von denen +aufgefordert <span class="g">selbstständig</span> zu handeln, die bis jetzt mit ängstlicher +Sorgfalt jeden ihrer Schritte überwacht, und die Bibel drohend +entgegengehalten jedem freieren, kraftbewußten Wort.</p> + +<p>Das Volk <span class="g">sprach</span>, und der Palast lag <span class="g">verödet</span>; die Thüren standen offen, +oder schlugen im Zug hin und wieder, die im Inneren angebrachten +Europäischen Vorhänge und Gardinen flatterten und wehten unordentlich +aus, und die <span class="f">Eïnanas</span> Pomares, die dienstthuenden Hoffräulein der +Fürstin selber hatten sich in Furcht und Neugierde theils mit hinaus +an den Strand gedrängt, das fremde Schiff und das erregte Volk zu +sehen, theils standen sie mit flatternden Locken und Gewändern über +die Verandah zerstreut, ihrer Pflichten nicht weiter achtend, sich +ihre Hoffnungen und Befürchtungen mitzutheilen.</p> + +<p>Pomare war in ihrem Gemach allein und die<span class='pagenum'> <a name="Page_128" id="Page_128">[128]</a></span> Königin stand, an ein +Fenster gelehnt, die linke Hand auf eine geöffnete Bibel, die neben +ihr auf einem kleinen Tischchen lag, die Stirn sinnend in die rechte +Hand gestützt, regungslos und schaute in tiefem Brüten hinaus über die +zerschüttelten Baumwipfel, die ihre Zweige noch nicht wieder +zurechtgefunden aus dem kaum vorübergebrausten Sturm, und wie +ängstlich die weiten grünen Arme ineinander rankten, einem noch immer +mißtrauisch befürchteten neuen Anprall zu begegnen.</p> + +<p>Es war eine schlanke edle Gestalt, mit nicht gerade schönen aber doch +wohlthuenden Zügen, und besonders feurigem lebendigem Auge, dessen +Brauen sich nur jetzt, in Sinnen und Unmuth vielleicht, fester und +härter zusammengezogen wie es sich sonst mit den voll und freundlich +geschnittenen Lippen vertrug. Sie ging ganz in die Landestracht +gekleidet, nur daß kostbarere Stoffe ihre Gestalt umschlossen, — der +<span class="f">pareu</span> war von feinem gelb und roth gestreiften und mit kleinen +Silberblumen durchzogenem Gewebe, und der obere, erst nach der +Bekanntschaft mit den Europäern angenommene weite und vorn bis zum +Gürtel offene Rock, der nur am Handgelenk durch zwei Perlmutterknöpfe +zusammengehalten wurde, war von schwerer blaßrother Seide, um die +Hüften durch eine goldene emaillirte Spange zusammengehalten. Die +Haare<span class='pagenum'> <a name="Page_129" id="Page_129">[129]</a></span> trug sie in natürlichen Locken, durch die aber, vielleicht ein +wenig kokett auf die Krone anspielend, ein schmaler goldener Reif +gezogen war, vortrefflich gegen die rabenschwarze Fülle der Locken +abstechend, die ihre Stirn umspielten. An den Fingern blitzten zwei +etwas starke, goldene Ringe, der den Eingeborenen überhaupt liebste +und ehrenvollste Schmuck; ihre Füße aber waren nackt.</p> + +<p>Viele Minuten lang blieb sie in der beschriebenen Stellung, starr und +regungslos und nur manchmal war es, als ob sie ungeduldig hinaushorche +nach dem dumpf selbst bis zu ihr herüberwogenden Lärm, indeß die +Finger der linken Hand bewußtlos in dem heiligen Buche blätterten.</p> + +<p>»Sie kommen, Pomare, sie kommen,« rief da plötzlich Eines der Mädchen, +den Kopf eben nur zur Thür hereinsteckend und dann wieder, gerad so +rasch verschwindend.</p> + +<p>»<span class="f">Aramai</span>, <span class="f">Eina</span>!« rief aber die Königin, sich zornig nach der Thür +herumdrehend, in der jetzt, etwas beschämt, das junge schöne Mädchen +wieder erschien und schüchtern stehen blieb — »ist das jetzt Sitte +hier bei mir geworden, daß Ihr draußen herumlauft, Ihr Tollen, und +eben zu mir hereinstürmt und mir Euere Botschaft unter das Dach ruft, +als ob ich herübergeweht wäre von den Inseln zu windwärts? — wer<span class='pagenum'> <a name="Page_130" id="Page_130">[130]</a></span> +kommt? <span class="f">waihine</span> und wo sind Deine Gefährtinnen?«</p> + +<p>»Tati, der Häuptling, Pomare, mit dem weißen bösen Ferani,« sagte das +Mädchen etwas ängstlich — »und noch viele viele andere Tanatas.«</p> + +<p>»Und die Eïnanas?«</p> + +<p>»Stehen draußen und sehen hinaus.«</p> + +<p>»Was will Tati von <span class="g">mir</span>?« frug die Königin finster, mehr mit sich +selbst redend als zu dem Mädchen gewandt.</p> + +<p>»Böse Ferani ist bei Mitonares gewesen,« sagte da das Mädchen leise +und schnell — »hat sich gezankt mit Mitonares und kommt jetzt zornig +und bös zu Pomare.«</p> + +<p>Ein verächtliches Lächeln zuckte um Pomares Lippen, daß die Eïnana den +Ferani fürchtete, aber die Botschaft selber beunruhigte sie doch. Der +Französische Consul verkehrte nie mit den Protestantischen +Geistlichen, die ihn, wie er recht gut wußte, haßten und verabscheuten — was hatte er dort zu thun, wenn nicht jene etwas gegen ihn, gegen +seine Nation unternommen, und warum wußte <span class="g">sie</span> noch Nichts davon?</p> + +<p>»Die Mitonares haben das Englische Schiff gesehen und glauben sich nun +Herren dieses Landes,« murmelte sie leise vor sich hin — »aber noch +nicht <span class='pagenum'> <a name="Page_131" id="Page_131">[131]</a></span> — noch nicht — und das Alles sagt die Bibel, Alles, Alles was +sie wollen.«</p> + +<p>Lautes Sprechen auf der Verandah drang von dort herein, und die +Eïnanas, die bis jetzt draußen herum gestanden, schlichen leise in's +Zimmer, während Eine von ihnen die Ankunft des »Ferani <span class="f">Me-re-hu</span>« mit +Tati dem Häuptling meldete. Noch ehe aber Pomare nur die Erlaubniß +seiner Einführung geben konnte, wurde die Thür wieder, mehr +aufgerissen als geöffnet, und der Consul betrat rasch von Tati langsam +und wie scheu gefolgt, das Gemach.</p> + +<p>»Habt Ihr die Sitte verlernt, Consul Me-re-hu!« rief ihm aber Pomare +gereizt entgegen, noch ehe er den Mund öffnen konnte zu seiner +Vertheidigung, »daß Ihr zu einer Frau — daß Ihr zu Pomaren in das +Haus dringt, als ob Ihr daheim wäret in Eurer eigenen Hütte? — noch +haben Euere Kriegsschiffe meinen armen Thron nicht umgeworfen, und +Euere Soldaten mein Volk erschlagen, oder Euere Priester es bethört — geht fort von hier, Ihr seid ein unruhiger böser Mann — und was will +Tati von seiner Königin, daß er mit dem Fremden über ihre Schwelle +bricht, wie ein Dieb bei Nacht?«</p> + +<p>»Nicht meinetwegen komme ich, kommt Tati hier zu Dir, Pomare!« +unterbrach sie hier Mörenhout, ohne Tati Zeit zu geben, sich selber zu +vertheidigen <span class='pagenum'> <a name="Page_132" id="Page_132">[132]</a></span> — »Deinet-, Deines Reiches wegen sind wir hier, das +Deine tollen Priester im Begriff sind zu verderben.«</p> + +<p>»Consul Me-re-hu!« rief Pomare entrüstet.</p> + +<p>»Ja Pomare!« fuhr aber der Franzose in zornigem Eifer fort, »und +wiederholen muß ich's Dir, daß Deine Priester in diesem Augenblick +selbst daran arbeiten den Bruch unheilbar zu machen, den sie zwischen +diesem Land und Frankreich reißen. Auf die Bibel gestützt, der sie in +blindem Eifer, nicht rechts nicht links sehend, anhängen, predigen und +schreien sie daß sie dieser folgen, während es im Grund nur ihre +eigene starrköpfige Meinung ist, der sie das Banner vorantragen. +Gottes Zorn wollen sie dabei in ihrer Macht haben, während in ihrem +eigenen Lager Unfriede, Streit und Feindschaft, Neid und Habsucht +herrschen.«</p> + +<p>»Und seid Ihr nur hier hergekommen meine Prediger und Gottes Wort zu +lästern, Consul?« frug die Königin kalt.</p> + +<p>»Hierher gekommen Dich zu <span class="g">bitten</span> ihren Uebermuth zu steuern!« rief +Mörenhout, »Dich zu <span class="g">warnen</span> ihrem Einfluß, der der Französischen Nation +ein durchaus feindlicher ist, gerade jetzt, wo sie in kurzsichtigem +Triumph den Sieg in Händen zu haben glauben, nicht zu viel Raum zu +geben.«</p> + +<p>»Warnen,« wiederholte Pomare verächtlich, und<span class='pagenum'> <a name="Page_133" id="Page_133">[133]</a></span> drehte dem Consul halb +den Rücken — »und was sagt Tati? hat der erste Häuptling Tahitis dem +Fremden das Wort überlassen?« fuhr sie aber rascher fort als sie +diesen mit verschränkten Armen und finsterem Blick still zur Seite +stehen sah.</p> + +<p>»So lang er das rechte spricht, warum nicht?« sagte der Häuptling +ernst — »es ist dasselbe um das ich Pomare bitten wollte — er hat es +Dir kund gethan.«</p> + +<p>»Und was <span class="g">wollt</span> Ihr von mir?« rief die Königin, jetzt wirklich +beunruhigt durch das ernste Aussehen der Männer, »was ist geschehen, +was haben die Mi-to-na-res gethan?«</p> + +<p>»Die Mi-to-na-res thun nie etwas,« sagte der Consul, aber jetzt weit +ruhiger als vorher, »sie stecken sich nur hinter die Masse, reizen mit +ihren Reden das Volk auf, und sind dann unschuldig wie die Kinder, +wenn der Saame aufgeht, den sie erst selbst gepflanzt.«</p> + +<p>Die Königin machte eine ungeduldige Bewegung und Tati, der wohl sah +daß der Consul, in seinem Zorn über die Missionaire gar nicht zum +Hauptpunkt kam, fiel da ein:</p> + +<p>»Sie sind unklug genug das Volk dazu zu treiben, daß es die +Französische Flagge niederreißt.«</p> + +<p>»Und welches Recht hat sie, hier zu wehen?« frug Pomare rasch.<span class='pagenum'> <a name="Page_134" id="Page_134">[134]</a></span></p> + +<p>»Dem mit Dir selbst geschlossenen Vertrage nach!« rief der Consul.</p> + +<p>Tati biß sich auf die Lippen und entgegnete nur trocken:</p> + +<p>»Das Recht des Stärkeren, ich weiß von keinem anderen.«</p> + +<p>»Von keinem anderen?« frug der Consul erstaunt, und drehte sich rasch +nach dem Häuptling um — »habt Ihr nicht selber mit den Vertrag +unterschrieben, der ihm es sichert?«</p> + +<p>»Eben weil Ihr die Stärkeren seid habt Ihr das Recht,« sagte der +Häuptling finster, »denn der Vertrag war in anderem Sinne, als Ihr ihn +auszubeuten wünscht, und wäret Ihr ein kleines Reich wie wir, würde +die Frage gar nicht sein um ja und nein, die Kriegskeule möchte dann +entscheiden welches Landes Flagge in der Brise flattern dürfte. So +aber, und weil mir ahnt <span class="g">was</span> Ihr begehrt, nicht etwa weil ich ein +Freund des Königs der Feranis bin, komme ich hierher und verlange von +Dir, Pomare, das Volk zurückzuhalten, daß es nicht muthwillig wieder +fremden Schiffen die willkommene Gelegenheit bietet die Hand nach +diesem Reiche auszustrecken. Die Priester tanzen um ihr Heiligthum und +sehen in die Flamme — bis sie eben nichts weiter sehen und für alles +Andere, was außer ihnen vorgeht, blind sind; was küm<span class='pagenum'> <a name="Page_135" id="Page_135">[135]</a></span>mert sie Pomare +oder Tahiti, wenn sie Leute finden die in ihrem großen Buch lesen und +ihnen Früchte und Cocosöl bringen. Kaufleute von dem Lande der Feranis +sind gekommen und sie haben Nichts gesagt — Priester kommen jetzt von +dort, und sie schreien daß Gott das Land mit Feuer und Schwefel +ausrotten würde; warum? weil die anderen Priester auch Ferkel haben +wollen zum Backen, und Brodfrucht zum Rösten — weil sie auch <span class="g">Worte</span> +eintauschen wollen gegen Körbe voll Früchte und Hühner und Schweine.«</p> + +<p>»Aber wie kann ich's hindern?« sagte Pomare unschlüssig — »Ihr wilden +Männer selber habt mich in ihre Hände gegeben, mit Euerem Zorn und +Ehrgeiz, und ich <span class="g">will</span> mich dem Ferani nicht beugen.«</p> + +<p>»Und wer sagt daß Du es sollst?« rief Tati schnell — »aber eben so +wenig der Flagge der Beretanier.«</p> + +<p>»Die frommen Männer künden das Wort Gottes, nicht Beretaniens,« +entgegnete Pomare.</p> + +<p>»Ei beim Donner, laß sie das denen sagen die es glauben!« trotzte der +Häuptling — »ihr eigener Bauch ist ihr Gott, und die Bibel halten sie +vor, ihn zu verstecken. Waren die Häuptlinge in alten Zeiten den +Göttern oder den Priestern unterthan? und wäre der neue Gott so wenig +mächtig, daß wir vor sei<span class='pagenum'> <a name="Page_136" id="Page_136">[136]</a></span>nen Dienern nur allein die Furcht und +Ehrfurcht haben sollten?«</p> + +<p>Die Königin wollte reden, aber das Wort gebrach ihr in dem Augenblick, +dem zu erwiedern, und der Häuptling fuhr mit ruhiger, ja fast bewegter +Stimme fort:</p> + +<p>»Ich weiß daß sie alle Deine guten Eigenschaften, aber auch all Deine +Schwächen in das Feld gerufen haben, ihnen zu dienen; Dein gutes Herz +gewann Dich ihrem Gott, Dein Stolz, das Erbtheil Deines Stammes +unterstützte sie in dem Kampf mit Deinen Feinden. — Sieh mich nicht +so an, Pomare, ich gehörte nie dazu, und wenn auch das Blut meiner +Väter, der alten und rechtmäßigen Fürsten dieser Inseln in meinen +Adern rollt, und mich Deinem <span class="g">Stamm</span> gegenüberstellte, hab ich Dich +selber stets geachtet und — verehrt; aber weh, tief im Herzen weh thut +es mir den Häuptlingsstab aus unserer Faust gerissen zu sehen, nicht +eine andere würdige Hand zu schmücken, sondern einer Schaar Fremder +zum Stock zu dienen, mit dem sie ihre Heerde zusammentreiben. Mit Zorn +und Schmerz füllt mich der Gedanke jene finsteren Priester in unserem +schönen Lande herrschen zu sehen, weil wir selber nicht einmal den +Muth hatten, uns nur einander die Hand zu reichen.«<span class='pagenum'> <a name="Page_137" id="Page_137">[137]</a></span></p> + +<p>»Aber ihre Religion ist die des Friedens,« sagte Pomare.</p> + +<p>»Und ihre Worte, ihre Lehre die des Kriegs!« rief der Häuptling mit +wieder zusammengezogenen Brauen — »was auch stehen sie zwischen uns, +wer gab ihnen das Recht zu entscheiden und zu richten in diesem Land? — die Bibel? — wir haben sie jetzt selber, nicht <span class="g">ihr</span> Verdienst ist +es <span class="g">daß</span> sie hier hergekommen, wenn sie selber überhaupt Wahrheit ist, +denn die Priester beweisen aus ihr, daß sie Gott selbst gesandt. So +nimm die Zügel wieder in die Hand, Pomare, wähle die, so es gut und +redlich mit dem Lande meinen, die aber auch an dieser Küste geboren +sind, zu seinen Richtern, und hier mein Wort, meine Hand, daß Tati nie +ein Korn von Eifersucht mehr in seinem Herzen nähren und Dir treu und +ehrlich zur Seite stehen wird mit besten Kräften.«</p> + +<p>»Sag es ihm zu, Pomare, er meint es gut mit Dir,« bestätigte hier der +Franzose des Häuptlings Worte, die Königin aber, die schon halb +unschlüssig gestanden, und den Blick, wie im inneren Kampf an den +Boden geheftet hielt, sah plötzlich zu dem Fremden auf und sagte +finster:</p> + +<p>»Dein Rath, Me-re-hu, hat noch nie diesem Lande gut gethan; Du +sprichst nicht mit Tati, indem Du für ihn sprichst.«<span class='pagenum'> <a name="Page_138" id="Page_138">[138]</a></span></p> + +<p>»Ich verstehe Euere Wortspiele nicht,« sagte der Consul unwillig, den +die Zurückweisung der Indianerin verdrossen — »aber ich weiß daß es +Tati gut mit Dir meint, und daß ich selber in diesem Augenblick +weniger im Interesse Frankreichs als dem Deinigen spreche — willst Du +Nichts wissen davon, so thue meinetwegen was Du nicht lassen kannst, +schreib Dir dann aber auch selber die Folgen zu.«</p> + +<p>»Ich habe bei dem was ich je beschloß noch nie die Folgen gefürchtet,« +sagte Pomare ruhig — »aber was wollt Ihr daß ich thue, was ich +verhindern soll? — Ihr sprecht Beide wild auf mich ein und macht mich +irre, anstatt mich aufzuklären.«</p> + +<p>»Verhindern sollst Du,« rief der Consul da, »daß Deine Leute, in +Deinem Namen die Flagge Frankreichs niederreißen und die Deinige dafür +wehen lassen.«</p> + +<p>»Und wessen Flagge hat das meiste Recht dazu?« frug Pomare, dem +Französischen Consul fest in's Auge sehend.</p> + +<p>»Das meiste Recht die Deine, allerdings,« fiel aber hier Tati ein, ehe +Mörenhout etwas darauf erwiedern konnte, »aber nicht die meiste +Gewalt, Pomare, und nicht muthwillig sollst Du Dir einen Feind +schaffen, wo Du Dir keinen Freund dafür gewinnst, Dir beizustehen.«<span class='pagenum'> <a name="Page_139" id="Page_139">[139]</a></span></p> + +<p>»Habt Ihr das Englische Schiff gesehen?« frug Pomare rasch und mit +triumphirendem Lächeln — »habt Ihr gesehen, wie es hier einlaufen +wollte und nur durch den Westwind und die Brandung daran verhindert +wurde? — wißt Ihr was es bringt?«</p> + +<p>»Nein, so wenig wie die Mitonares,« sagte Tati unwirsch, »die +Schwarzröcke behaupten freilich es brächte mit seinen Kanonen Frieden +für diese Inseln, aber ihre Köpfe reichen auch nicht höher als die +unseren, und sie können nicht sehen was im Bauch des Schiffes liegt, +ob Frieden, ob Krieg, oder wahrscheinlicher noch volle +Gleichgültigkeit wie wir es treiben hier auf den Inseln. Was wissen +die Capitaine solcher Schiffe von der Politik unseres oder ihres +Landes, wenn sie nicht ganz besonders abgeschickt werden? so wenig wie +unsere Fischercanoes wissen, was Pomare denkt oder thut.«</p> + +<p>»Aber wenn die Mitonares nun doch recht hätten?« sagte Pomare, mit +einem halb triumphirenden Seitenblick auf den Französischen Consul.</p> + +<p>»Du zögerst hier mit solchen Vermuthungen,« rief aber dieser jetzt +ungeduldig, »bis draußen <span class="g">geschehen</span> ist, was wir hier verhindern +wollen; hörst Du den Lärm, das Toben Deiner frommen christlichen +Unterthanen? — wenn die französischen Kugeln<span class='pagenum'> <a name="Page_140" id="Page_140">[140]</a></span> hier herüberschmettern, +wirst Du zu spät bereuen unsere Bitten nicht erhört zu haben.«</p> + +<p>»Nennt Ihr das bitten, wenn Ihr mit Kanonen droht?« rief unwillig +Pomare.</p> + +<p>»Und weisest Du uns ab?« frug Tati leise.</p> + +<p>»Nein Tati, nein,« sagte Pomare schnell, sich zu ihm wendend und seine +Hand ergreifend, »gehe Du nicht fort im Unmuth von hier, denn ich +fühle wie schwer es <span class="g">Dir</span> geworden zu mir zu kommen. Ach wenn wir selber +unter einander einig wären, wenn nicht Neid, Haß und Eifersucht uns +entzweite, wir könnten ein festes Reich bilden, selbst gegen den +stärksten Feind. Unsere Berge sind hoch, unsere Schluchten steil, und +daß unsere jungen Leute kämpfen können haben sie in früheren +Schlachten bewiesen; aber wie die Religion unsere Familien entzweite, +und den Bruder gegen den Bruder in den Kampf rief, so hat ein +Mißverständniß jetzt vielleicht auch die Stämme selber einander +entfremdet, und Pomare wird nimmer die Hand zurückstoßen, die sich ihr +<span class="g">freundlich</span> entgegenstreckt — nur der Drohung kann ich nicht weichen, +vielleicht <span class="g">weil</span> ich eine Frau bin, und mache Du mir denn Vorschläge, +wie wir am Besten einig und friedlich zusammen stehen, ohne aber auch +dem Ferani einen Rang zu gönnen der ihm nicht gebührt, den ich<span class='pagenum'> <a name="Page_141" id="Page_141">[141]</a></span> nicht +von ihm gefordert habe — unser <span class="g">Beschützer</span> zu sein.«</p> + +<p>»Der da oben im Himmel wohnt, wie auch sein Name sein mag,« sagte Tati +ernst, »weiß daß ich dem Ferani nicht seiner selbst wegen die Hand +geboten, die stolzen Mitonares trieben mich dazu; aber willst Du mit +Deinem Volk Hand in Hand gehen, so laß jetzt kein eigenmächtig tolles +Handeln den Fremden beleidigen, bis wir uns friedlich mit ihm +verstanden. Was unsere Eifersucht hier gefehlt, kann jetzt noch die +Eifersucht der beiden fremden Nationen, der Beretanis und Feranis, +wieder ausgleichen, wir haben beider Gierde gleich zu fürchten.«</p> + +<p>»Die Beretanis haben uns noch nie gedroht,« sagte Pomare.</p> + +<p>»Ich will nicht urtheilen über sie — ich kenne sie nicht,« sagte der +Häuptling finster, »aber je mächtiger sie sind, desto mehr entfernt +haben wir uns von ihnen zu halten — der Hai theilt keine Beute mit +dem Delphin.«</p> + +<p>»Ich habe nicht befohlen der Fremden Flagge niederzureißen,« sagte +Pomare nach kurzem Sinnen — »sprich mit den Mitonares, Tati, sie +werden es nicht dulden.«</p> + +<p>»Die Mitonares,« sagte der Häuptling höhnisch, »und zu ihnen schickst +Du mich, Dein Reich zu regieren,<span class='pagenum'> <a name="Page_142" id="Page_142">[142]</a></span> vielleicht bei ihnen anzufragen, was +sie für gut finden zu thun, ob Pomare herrschen soll oder ein Priester +auf Tahiti? eher möge die Zunge hier verdorren.«</p> + +<p>Wilder tobender Lärm und lautes Jauchzen scholl in diesem Augenblick +zu ihnen herein, und ein Läufer der Königin, der oben über Papetee +postirt gewesen, den Lauf des fremden Schiffes zu bewachen, kam, +unterwegs schon die frohe Nachricht verbreitend, jetzt zurück, Pomaren +zu melden daß das fremde Kriegsschiff, von den Riffen frei, gewendet +habe, und nun Segel setze den Hafen, so wie der Westwind nachlasse, zu +erreichen. Zugleich aber wurden auch draußen Stimmen laut und der +ehrwürdige Mr. Rowe, von dem Bruder Brower gefolgt, öffnete, ohne +vorher eine Meldung für nöthig zu halten, rasch die Thür, auf deren +Schwelle er jedoch überrascht stehen blieb als er die beiden, seinen +Interessen so feindlichen Männer hier erblickte.</p> + +<p>»Pomare mag der freudigen Botschaft verzeihen,« sagte rasch gefaßt und +mit einem freundlich demüthigen Ausdruck in den Zügen, trotzdem aber +auch mit einem rasch vorübergehenden, aber doch scharfen und etwas +boshaften Seitenblick auf den Consul Frankreichs, der ehrwürdige Mr. +Rowe, indem er nach den vorn hinausführenden und jetzt verhangenen +Fenstern zeigte, »da draußen wogt und drängt ein fröhliches,<span class='pagenum'> <a name="Page_143" id="Page_143">[143]</a></span> +glückliches Volk, ein Volk dem heute sein bedrängter Glaube +wiedergegeben.«</p> + +<p>»Was giebts, was ist es?« frug die Königin schnell.</p> + +<p>»Einzelne wollen auf dem Englischen Kriegsschiff das wieder gewendet +hat und hier her zu steht,« fiel Bruder Brower in die Rede, »neben der +Englischen die Tahitische Flagge erkannt haben.«</p> + +<p>Der Königin Augen glänzten in befriedigter Eitelkeit, und ihr Blick +flog rasch von Tati auf den Consul Frankreichs hinüber, der aber nur +den Missionair scharf beobachtete und aus dessen Zügen die Wahrheit +oder versteckte List herauszulesen suchte — es war ihm +unwahrscheinlich daß ein Englisches Kriegsschiff, noch Meilen weit vom +Hafen entfernt, die Landesflagge eines so kleinen Inselstaates neben +der eigenen Flagge hissen sollte, — und was dann war der Zweck einer +solchen <span class="g">Erfindung</span>?</p> + +<p>»<span class="g">Einzelne</span>?« wiederholte er fragend, das Wort scharf betont, »und +darüber erheben die Kanakas draußen einen solchen Lärm, daß <span class="g">Einzelne</span> +irgend ein Privatsignal des Kriegsschiffes für die Tahitische Flagge +genommen haben?«</p> + +<p>»Das Volk begrüßt den Freund und Beschützer seines Glaubens,« +erwiederte der Geistliche, halb abgewendet von dem Consul, dem +eigentlich die Erwiede<span class='pagenum'> <a name="Page_144" id="Page_144">[144]</a></span>rung galt — »es weiß sich jetzt frei von jeder +Angst und Besorgniß, und hat keinen Feind weiter zu fürchten.«</p> + +<p>»Gott schütze es vor seinen <span class="g">Freunden</span>!« sagte Mörenhout finster.</p> + +<p>»Wir können gehen, Me-re-hu!« sagte Tati, der indessen an die +verhangenen Fenster getreten war, und den Vorhang zurückgeschoben +hatte, während er nach außen deutete, »da seht.«</p> + +<p>Alle wandten sich dorthin, wo am Strand ein bunter Zug von Männern und +Mädchen, hie und da mit englischen Matrosen gemischt, niederwogte, +voran dem Zuge aber sprang ein halbnackter Bursche, jubelnd und +jauchzend die zerrissene Französische Flagge tragend, die er um den +Kopf schwenkte und mit wilden Gesticulationen, denen das +Beifallsgetobe der Menge nicht fehlte, eine ihrer gewöhnlichen Hymnen, +die natürlich zu Volksmelodieen geworden waren, sang, und sich nur +dazu seine eigenen Worte extemporirte.</p> + +<p>»Ich glaube fast daß die Leute Herrn Mörenhout suchen,« sagte der +ehrwürdige Bruder Rowe mit einem nichts weniger als ehrwürdigen +Lächeln, »ihm die Reste seines Reiches zuzustellen.«</p> + +<p>»Alles Blut das dieser Handlung folgt komme über Sie und Ihre +Genossen!« rief aber der Consul mit zornblitzenden Augen, und verließ +rasch das Gemach.<span class='pagenum'> <a name="Page_145" id="Page_145">[145]</a></span></p> + +<p>Tati zögerte noch, er sah nach der Königin hinüber, aber Pomare hielt, +in Schaam und Unmuth, den Blick an den Boden geheftet, und sah nicht +zu ihm auf: da seufzte der Häuptling tief tief auf, und verließ, ohne +den Priester auch nur eines Blickes zu würdigen, langsam das Haus. Der +Prediger aber faltete die Hände, und die Augen zur Decke erhebend +begann er, ohne die Gegenwart Pomares weiter zu beachten, mit lauter +und brünstiger Stimme ein Dankgebet, des Inhalts, daß Gott die +Götzenbilder nun zerstöret hätte mit mächtiger Hand, den Feind +ausgetrieben, der seinen Namen verleugnet, und Hülfe gesandt habe +seinem Volke in der Noth, es zu erlösen von der Gefahr und frei und +glücklich zu machen in Seinem Glauben.</p> + +<p>Pomare unterbrach ihn mit keiner Sylbe, und während sich die mit den +Missionairen hereingekommenen Eïnanas leise und geräuschlos der Thür +zuschoben und durch dieselbe verschwanden, den lärmenden Zug draußen +mit anzusehen, der ihnen interessanter war, als das Gebet des +finsteren Mannes, stand Pomare still und regungslos und nur ihr Blick +hob sich endlich langsam und scheu zu dem Antlitz des fanatischen +trotzigen Priesters, der hier Demuth gegen Gott heuchelte, dessen +eigene Gebote der Liebe und des Friedens er eben mit Füßen getreten.<span class='pagenum'> <a name="Page_146" id="Page_146">[146]</a></span></p> + +<p>»Wer gab den Befehl, die fremde Flagge niederzureißen?« sagte sie +endlich mit leiser, vor innerer Bewegung zitternder Stimme, als der +Betende schwieg und die Blicke nur noch wie in Verzückung an der Decke +haften ließ.</p> + +<p>»Der Herr,« antwortete der Geistliche mit vertrauungsvoller Stimme, +ohne den Blick zu der Fragenden niederzusenken — »Deine Feinde sind +geworfen, Pomare, denn der Herr ist mit Dir!«</p> + +<p>Pomare biß sich auf die Lippen, sie rang mit sich dem Priester +gegenüber als Königin aufzutreten, den Fremden fühlen zu lassen daß er +mit der Fürstin dieses Landes spräche, in deren Zimmer er sich +gedrängt und deren Reich er nicht der Bibel, nein sich selber und +seinen Genossen unterworfen hatte; aber die alte Scheu vor dem +Uebernatürlichen, als dessen Vertreter sie die finsteren Fremden sah, +war auch selbst jetzt zu stark, und sich abwendend sagte sie nur mit +zitternder, tief erregter Stimme:</p> + +<p>»Gott gebe es; aber ich fürchte Ihr habt nicht gut gethan. Mein Volk +ist entzweit, mein Reich bedroht, und was bin ich selber schon, wenn +erst fremde Kriegsschiffe sich um die Oberherrschaft dieser Insel +streiten? — Nein, nein,« rief sie rasch, als der Geistliche schon die +Hand zu neuer Rede hob, »sprich mir nicht jetzt wieder all Deine schon +so oft gehörten<span class='pagenum'> <a name="Page_147" id="Page_147">[147]</a></span> Klagen und Drohungen — sage mir jetzt nicht die +Verse Deines Buchs, das Du bis auf den letzten Buchstaben auswendig +kannst; ich begreife Dich doch nicht und mein Herz ist jetzt recht +voll und schwer — ich fürchte mir ist heute ein großes Leid +geschehen, und hättest Du mich mit Tati versöhnen lassen, es wäre +besser für Tahiti gewesen. Geh jetzt, da draußen seh' ich Deine Brüder — ich glaube sie wollen zu mir, aber ich will sie jetzt nicht +sprechen, die Zeit muß entscheiden ob Ihr bös gethan habt oder übel, +aber mir ist recht traurig zu Sinn. — Geh' jetzt, sag' ich,« rief sie +entschiedener, als der geistliche Herr sich noch immer nicht abweisen +lassen wollte, und ihr Fuß stampfte zornig den Boden — das Blut der +Pomaren gewann die Oberhand.</p> + +<p>»So möge Dich der Herr erleuchten,« sagte der fromme Mann, »möge Dir +seinen Frieden geben und Seine Sanftmuth und Dich erkennen lassen was +er an Dir gethan in Seiner Liebe und Herrlichkeit — Amen.« Und mit +gefalteten Händen und vorwärts geneigtem Haupt verließ er langsam das +Gemach. Pomare aber schloß die Thür, stützte die Stirn in ihren Arm +und weinte bitterlich.</p> + +<hr style='width: 45%;' /> + +<p>Draußen indessen hatte ein wilderes Spiel stattgefunden, als selbst +Mörenhout vermuthet; von den<span class='pagenum'> <a name="Page_148" id="Page_148">[148]</a></span> Missionairen war nämlich der ehrwürdige +Bruder Smith mit nach der über Papetee ausstreckenden Landzunge +gegangen, dort die Bewegungen des fremden Kriegsschiffes rascher und +deutlicher übersehen zu können. Mit einem guten Glas bewaffnet +erkannte er denn auch bald daß das Schiff plötzlich wieder beidrehte +und trotz des noch hohen Seegangs, und nur erst einmal von den Klippen +frei, wieder Segel auf Segel setzte, nicht einen Fußbreit mehr +aufzugeben, als es gezwungen war. Jedenfalls schien es nach Papetee +bestimmt, dem es auch wieder zuhielt, und neben der noch wehenden +Flagge stiegen jetzt mehre Signale auf, von denen eines allerdings der +Tahitischen Flagge glich, auf die Entfernung hier aber kaum genau +bestimmt werden konnte.</p> + +<p>Die Missionaire sind von je her nicht ihrer nautischen Kenntnisse +wegen berühmt gewesen, wie sie denn auch, um das Kap der guten +Hoffnung die Inseln erreichend, den Tag nicht zählten den sie auf dem +180sten Grad von Greenwich aus gen Osten segelnd, gewannen, und den +Insulanern den Sonnabend für den Sabbath brachten, wodurch später eine +heillose Confusion entstand. Ob nun Bruder Smith auch hier die +Tahitische Flagge wirklich zu erkennen glaubte, oder ob er seine +sonstigen Absichten dabei hatte den ihn umstehenden Insulanern eine, +wie er sich wohl<span class='pagenum'> <a name="Page_149" id="Page_149">[149]</a></span> denken konnte, freudige Nachricht mitzutheilen, kurz +von ihm zuerst ging das Gerücht aus, das Englische Kriegsschiff das +wieder auf den Hafen zu halte, zeige die Tahitischen Farben, und das +genügte natürlich, dem jauchzenden Volk die frohe Kunde zu bringen daß +die Schiffe der Beretanier ihnen beistehen würden gegen den jetzt +gebrochenen Uebermuth der Wi-Wis — wie sie nun wieder trotzig und +lachend genannt wurden.</p> + +<p>Von Mund zu Mund lief die Mähr, und wie das mit allen derartigen +Gerüchten ist, wurde bald übertrieben in's Unmögliche. Nicht mehr blos +ihre Flagge, ihre Religion zu schützen gegen die Uebergriffe der +Papisten, nein auch frühere Unbilden sollte sie rächen. Die Wi-Wis +mußten jetzt das Geld wieder herausgeben, daß sie erpreßt, und Pomare +bekam von den Beretanis, als Schadenersatz, das Französische +Kriegsschiff, die <span class="f">Jeanne d'Arc</span> geschenkt, die gerade im Hafen vor +Anker lag. Wie Kinder lachten und schwatzten die Insulaner +durcheinander, träumten sich ihre Lieblingsbilder herauf, am hellen +Tag und bauten sich Schlösser so bunt und farbenreich in die Luft, daß +sie die Zukunft darüber vergaßen und Vergangenheit und, überhaupt nur +gewohnt den Augenblick zu benutzen, dem nach auch handelten.</p> + +<p>Während ein Theil anfing eine alte Tahitische<span class='pagenum'> <a name="Page_150" id="Page_150">[150]</a></span> Hymne nach dem Takte +eines weit älteren Englischen Liedes »<span class="f">old hundred</span>« abzusingen, sprang +eine andere Gruppe, in ihrer Herzensfreude selbst die Gefahr nicht +achtend von den Missionairen dabei überrascht zu werden, zu ihrem +Nationaltanz an, und der Klang der Trommel mischte sich mit dem +frommen Lied der Singenden in wunderlicher, eigenthümlicher Weise.</p> + +<p>Anders aber und wilder gestaltete sich die Versammlung am unteren +Theil von Papetee; etwa zweihundert Schritt von da entfernt, wo die +Französische Flagge, vor dem Hause des Consul Mörenhout, zwischen +einer kleinen Gruppe hochstämmiger Cocospalmen und über ein Dickicht +dunkelgrüner Brodfruchtbäume auswehte, hatten sich Einzelne der +Missionaire, unter ihnen Dennis und Brower, gesammelt, und sprachen +auf dem offenen Platz in lautem Gebet ihren Jubel aus über den Sieg +der Bibel gegen das Pabstthum. Viele der angesehensten Häuptlinge +standen in ihrer Nähe, unter ihnen Aonui und Teraitane, wie der noch +immer halb wilde und trotzige Fanue, und wenn Einzelne auch gern in +ihren Jubel mit einstimmten, fraß es Andere wieder am Herzen <span class="g">daß</span> eben +fremde Schiffe bei ihnen den Ausschlag geben sollten, und nicht mit +Unrecht sahen sie die Priester als die gerade an, die fremden Einfluß +herbeigezogen hatten ihre Privatangelegenheiten zu regeln,<span class='pagenum'> <a name="Page_151" id="Page_151">[151]</a></span> ihre +Gesetze zu bestimmen, und mit einem Wort, ihr Land zu regieren.</p> + +<p>»Auf's Neue!« rief da der ehrwürdige Bruder Dennis in seinem glühenden +Eifer für das Wohl seiner Kirche, »auf's Neue hat der Herr der +Heerschaaren seine Hand ausgestreckt über die Häupter der Gläubigen, +und er wird die zum zweiten Mal in diesen Bergen aufgerichteten Götzen +zu Boden schleudern, wie er sie das erste Mal seine Macht und +Allgewalt hat fühlen lassen. <span class="g">Noch</span> weht da drüben die dreifarbige Fahne +der Papisten, noch flattern die feindlichen Farben in der scharfen +Brise, aber wie der stürmische West in kurzen Stunden dem stillen +herrschenden Passat weichen wird und muß, so wird auch jenes Schiff +da, dessen weiße Segel unserer gastlichen Küste jetzt entgegenblähen, +unser Land von dem Schimpf reinigen, einer anderen Macht zu gehorchen +als der Bibel, einer andern Gewalt unterthan zu sein, als dem Lamm +Gottes und dessen unendlicher Huld.«</p> + +<p>»Wenn denn das Wehen jener Flagge Euch so entsetzlich härmt,« rief da +Fanue, der jetzt bis dicht hinan zu dem Betenden getreten war und mit +untergeschlagenen Armen und fest auf einander gebissenen Zähnen den +Gesticulationen des frommen begeisterten<span class='pagenum'> <a name="Page_152" id="Page_152">[152]</a></span> Redners zugeschaut hatte, +»ei zum Wetter, warum faßt Ihr sie nicht und werft sie zu Boden?«</p> + +<p>»Das ist <span class="g">unsere</span> Pflicht!« rief aber da, dazwischentretend, der den +Missionairen ganz ergebene Aonui — »nur eine Pflicht der Dankbarkeit +war es, an die uns die Rede des würdigen Mannes mahnt, England nicht +durch das stolze Wehen jener Flagge länger beschimpft zu sehen.«</p> + +<p>»England?« rief Fanue laut und trotzig, den Häuptling mit zürnendem +Staunen betrachtend.</p> + +<p>»Ja England!« wiederholte aber dieser, unbekümmert um den Zorn seines +Landsmannes, »England, das uns zu Menschen gemacht, das unsere Seelen +ewiger Qual entriß, und uns die <span class="g">Bibel</span> sandte, die heilige Schrift, das +Buch Gottes, Freunde, das Wort von Seinem eigenen Mund diktirt. Wir +haben <span class="g">Alles</span> damit erlangt was wir brauchen, und in uns selber +zurückgezogen, kann die feindliche Macht unsere Körper tödten, aber +unsere Seelen sind unsterblich, und liegen außer ihrem Bereich. +Deshalb aber schon wäre es schlecht, wäre es undankbar von uns, das +Land, was uns so reich, so glorreich beschenkt, auf unserem Grund und +Boden, vor unserer Thüre beleidigt zu sehen, und im Vertrauen auf +Jehovas Schutz bin ich bereit, die stolze Flagge, die über Baals +Götzendienste weht in den Staub zu werfen.«<span class='pagenum'> <a name="Page_153" id="Page_153">[153]</a></span></p> + +<p>»Halt Aonui!« fiel ihm hier, seinen Arm ergreifend, der schon dem +Worte die That wollte folgen lassen, der bedächtigere Teraitane in die +Rede, »das wäre voreilig und — unvorsichtig gehandelt. Ich schütze +den Freund, wenn er abwesend ist und sich nicht selber schützen kann, +weshalb jetzt? — England hat seinen Vertreter hier — eine eigene +Flagge und zwei große Schiffe, und wenn es sich beleidigt glaubt, mag +es selbst die fremde Flagge niederwerfen.«</p> + +<p>»Und seine eigene dafür aufpflanzen, nicht wahr?« rief rasch Fanue.</p> + +<p>»Die Englische Flagge ist noch stets eine Flagge der Liebe und des +Friedens gewesen,« fiel hier freundlich, den Streit der Insulaner zu +beschwichtigen, der ruhigere Missionair Brower in die Rede.</p> + +<p>»Aber dieß ist Tahitischer Grund und Boden,« zürnte Fanue, »was würde +die Königin der Beretanis sagen, wenn wir hinüberkommen wollten in ihr +Land, und Pomares Flagge aufpflanzen, auf ihren Wällen? — Sie würde +sagen: was wollen die fremden Männer hier in <span class="g">meinem</span> Land? schickt sie +fort denn ich habe selber eine Flagge.«</p> + +<p>»England hat uns die Bibel gebracht,« sagte aber auch Potowai, ein +anderer Häuptling, der hinzutrat, »und wenn ich je ein anderes Land +als über uns<span class='pagenum'> <a name="Page_154" id="Page_154">[154]</a></span> stehend anerkennen werde, so kann und soll das immer nur +England sein.«</p> + +<p>»Aber Brüder, liebe Brüder,« rief da Dennis in frommer Begeisterung, +»wohin verirren wir uns? — und glaubt Ihr daß wir, Euere Lehrer, etwas +anderes wollen können als Euer Wohl? — Handelt es sich denn hier +darum, der Englischen Flagge Euch unterthan zu machen, oder Euere +eigene von Schmach und Knechtschaft zu retten? — wollen wir Euch denn +England unterwerfen, und nicht vielmehr Euch frei machen, im Geist und +in der Wahrheit, und keinen Zwang dulden, weder auf Euerer Seele, noch +auf Eueren Körpern, als den, den Euch Gottes Liebe selber auferlegt, +»denn mein Joch ist leicht,« sagt der Herr. Mit der Einführung aber +der fremden Baalsdiener, mit ihren Rauchpfannen und ihrem +Bilderdienst, der sich nicht halten konnte hier auf den Inseln, +zwischen den frommen Bewohnern, die ihren Gott erst einmal erkannt, +ist jene feindliche Flagge aufgerichtet, und nur erst wieder mit ihrer +Wegnahme können wir, Euere Lehrer, je wieder hoffen Eueren Geist all +jenen feindlichen Eindrücken fern zu halten, der sich jetzt in so +gewaltiger Kraft geltend macht.«</p> + +<p>»Nun dann werft sie selber nieder!« brummte Fanue trotzig — »weshalb +uns dazu brauchen wollen?«<span class='pagenum'> <a name="Page_155" id="Page_155">[155]</a></span></p> + +<p>»Das ist kein Amt der Diener Gottes!« sagte da Bruder Brower schnell — »wir haben es stets vermieden uns in die politischen Verhältnisse +dieses Reiches einzumischen, und werden jetzt nicht — «</p> + +<p>»Das <span class="g">lügst</span> Du stolzer Priester,« schrie ihm aber da der Häuptling +entgegen, mit glühenden Augen den trotzig emporfahrenden Missionair +messend, während seine Freunde auf einer, die dem Geistlichen +anhängenden Eingeborenen auf der anderen Seite dazwischen traten, +Frieden zu halten unter den beiden Streitenden.</p> + +<p>Der beleidigte Missionair wollte im Anfang, und vielleicht auch mit +gereizter Rede etwas darauf erwiedern, Dennis aber ergriff seinen Arm +und flüsterte ihm leise einige Worte zu, und selbst wohl das +Unschickliche heftiger Worte einsehend, sagte er gleich darauf ruhig +und mit milder Stimme:</p> + +<p>»Herr vergieb ihm, denn er weiß nicht was er thut!«</p> + +<p>Eben diese Ruhe aber reizte den alten greisen Häuptling, und Aonui und +Potowai, die ihn zu besänftigen suchten, von sich werfend, rief er +laut und trotzig:</p> + +<p>»Rolle nur Deine Augen, und wirf Dich in den Staub vor Deinem Gott; +mache das Volk dabei glauben daß Du vom Geist erleuchtet, und Dein +Mund ein Orakel seines Willens sei — spiele Dein<span class='pagenum'> <a name="Page_156" id="Page_156">[156]</a></span> Spiel, wie es Dich +freut, aber wolle nicht <span class="g">Männer</span> kirren mit falschem Trug. Dein Gott hat +gedonnert und geblitzt, wie es <span class="g">unsere</span> Götter thaten vor ihm, aber er +schleuderte seine Donnerkeile zwischen die <span class="f">feis</span> in den Bergen, und die +Du seine Feinde nennst, blieben unberührt — sollen <span class="g">wir</span> unser Blut +daran setzen, wo er selber seine Waffen nur im Scherze braucht? — <span class="g">wenn</span> wir die Streitaxt aufgreifen, die begraben sein müßte für immer, +wenigstens zwischen <span class="g">Euch</span>, wäre Euere ganze Religion nicht eine Lüge, +so geschieht es für unser <span class="g">Land</span>, nicht für Eueren Glauben, und Gottes +Zorn, ich mag über dem weder die Flagge Beretanis noch der Feranis +wehen sehen! Ihr aber« — sich jetzt zu seinen Landsleuten wendend, +von denen Einige im stummen Entsetzen und mit emporgehobenen Händen +standen, zürnte er laut — »ruft mich, wenn Ihr mich braucht, nur +nicht zum Singen und Beten, sondern wenn es gilt, das Vaterland wieder +rein zu fegen, von Allem was fremd und feindlich ist, und Fanue ist +Euer Mann; aber hierher taugt er <span class="g">nicht</span>!« und mit den Worten, den +Tapamantel fester um sich ziehend, verließ er rasch und zornigen +Schrittes den Trupp.</p> + +<p>»Ein wilder Geist, ein unbändiger Geist, den der Herr erleuchten, und +auf ihn das Licht Seiner Gnade recht bald ausgießen möge,« sagte +Brower mit einem<span class='pagenum'> <a name="Page_157" id="Page_157">[157]</a></span> frommen Blick nach oben, »ich will recht warm und +brünstig für ihn beten.«</p> + +<p>»So Dich Dein Auge ärgert, reiß es aus!« zürnte aber Dennis, mit dem +linken Arm die Bibel, die er damit hielt, fester an sich ziehend, die +Rechte dorthin gestreckt, wo der zornige Indianer eben verschwunden +war, und die Zurückgebliebenen noch standen ihm nachzuschauen, »und +wie der dürre Feigenbaum aus dem Boden gehoben, und in's Feuer +geworfen werden muß, so sollen die Glieder dieser Kirche gerichtet +werden, die abtrünnig und dürr am Stamm stehen.«</p> + +<p>»Und glaubt Ihr, Brüder, daß wir Anderen eben so denken wie Fanue?« +schrie Aonui jetzt in wilder Begeisterung — »glaubt Ihr, daß <span class="g">wir</span> +nicht sterben könnten für den Glauben, für den Jesus Christus vor uns +gestorben ist? — Jene Flagge da weht feindlich auf uns herüber, +feindlich auf die Bibel, die wir als Gottes Wort erkennen, und an <span class="g">uns</span> +ist es, nicht an den Beretanis, das zu entfernen, das uns störend hier +in den Weg tritt. Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich! sagt +Christus — Aonui fürchtet keinen Gegner, so lange er für den Herrn +streitet. So wer die Bibel liebt, der folge mir!« und mit den zuletzt +wild gejubelten Worten durchbrach er die Menge, die ihm willig Raum +gab, und sich ihm auch<span class='pagenum'> <a name="Page_158" id="Page_158">[158]</a></span> zum großen Theil anschloß, und eilte raschen +Schrittes dem Hause des Französischen Consuls zu, in dessen Garten, +auf einer dort aufgerichteten Stange die dreifarbige Fahne lustig in +der scharfen Brise flatterte und schlug.</p> + +<p>Der Consul war nicht im Haus, aber zwei Männer hatten kurz vorher den +Platz von einer anderen Seite betreten, Mr. Mörenhout aufzusuchen — René Delavigne und der Häuptling Paofai, und standen noch an der +verschlossenen Thür unweit des Flaggenstocks, als sie den +herantosenden Lärm der Masse hörten.</p> + +<p>»Hallo Paofai,« sagte René zu dem Häuptling, »der Specktakel kommt +näher, und es sollte mich am Ende gar nicht wundern, wenn sie unserem +Freund Mörenhout einen, vielleicht nichts weniger als +freundschaftlichen Besuch abstatten wollten.«</p> + +<p>»Sie sind zu Allem fähig,« sagte der Häuptling verächtlich; »ihre +Bibel tragen sie voraus, wie wir Oro früher in die Schlacht trugen, +und dann rennen sie blind und toll hinterdrein, und singen und beten +und treiben, wer weiß was sonst noch für Unsinn — wenn Tahiti nicht +mein Vaterland wäre, ich setzte mich noch heute in mein Canoe, und +ließ mich nach leewärts treiben soweit es dem Wind gefiele — bin<span class='pagenum'> <a name="Page_159" id="Page_159">[159]</a></span> es +fast müde hier das Spielwerk bald der Missionaire, bald der Franzosen +oder Engländer zu sein.«</p> + +<p>»Sie kommen wahrhaftig hierher zu!« rief René jetzt, der die Worte +seines Gefährten wenig beachtet und nur dem rasch näher kommenden Lärm +gelauscht hatte; »was <span class="g">können</span> sie wollen?«</p> + +<p>»Alles was toll und unklug ist,« sagte Paofai achselzuckend — »sie +werden das Haus stürmen wollen und die Flagge niederreißen.«</p> + +<p>»Die Französische Flagge?« rief René, mit rasch aufblitzendem Zorn, +»das sollen sie beim Teufel lassen, so lange <span class="g">ich's</span> hindern kann.«</p> + +<p>»Wirst's eben nicht lange hindern können, Freund,« lachte der +Insulaner — »aber — gern leid' ich's auch nicht.«</p> + +<p>»Nieder mit der Flagge! nieder mit den drei Farben!« tobte jetzt der +Haufen heran, »sie gehört auch mit zu den Götzenbildern und muß +fallen!«</p> + +<p>»Das wird Ernst,« rief René, »herbei Paofai!« und ohne weiter +abzuwarten ob ihm der Häuptling folge, warf er sich mit dem ihm +eigenen tollkühnen Muth allein und unbewaffnet dem jetzt gegen den +Flaggenstock anstürmenden Haufen entgegen. Paofai zögerte dabei noch +einen Augenblick — er sah das Hoffnungslose einer Vertheidigung, +solcher Uebermacht<span class='pagenum'> <a name="Page_160" id="Page_160">[160]</a></span> gegenüber, und wenn er auch mit zu der Parthei +seiner Landsleute gehörte, von der ein Theil jenen Vertrag mit den +Franzosen unterschrieben, betrachtete er die Feranis eben nur als +Mittel zum Zweck, seinen eigenen Rang wieder auf den Inseln zu +erlangen, den er durch die Macht der Pomaren theilweis verloren, und +nicht etwa dem Fremden Rechte einzuräumen, die seinem Stolz gerad' +entgegenliefen. Das edle Gefühl aber, das noch in seiner Brust +schlummerte, trieb ihn auch, dem Einzelnen gegen die Masse +beizustehen, und langsamer zwar, als ihm der junge Franzose +vorangegangen, und dabei lachend mit dem Kopf schüttelnd, als ob er +wisse daß er jetzt einen unüberlegten Streich begehe, folgte er dem +Fremden zur Fahnenstange, wo er eben zeitig genug ankam Zeuge zu sein +wie René, ohne ein Wort weiter zu verlieren, den voranstürmenden Aonui +aufgriff und mit solcher Kraft gegen den ihm nächst Folgenden warf, +das Beide zurücktaumelten, und die Bibel des frommen Häuptlings Hand +entfiel.</p> + +<p>»Zurück!« donnerte des jungen Mannes Stimme zu gleicher Zeit — »das +hier ist fremdes Eigenthum, und keinem von Euch ist das Recht gegeben +es anzutasten!«</p> + +<p>»Nieder mit dem Wi-Wi!« schrieen dagegen von hinten vor Andere, +während sich Aonui, der hier kei<span class='pagenum'> <a name="Page_161" id="Page_161">[161]</a></span>neswegs Widerstand zu finden +erwartet, erschreckt vom Boden aufraffte, und seinem Gegner in's Auge +sah. Er hatte gar nicht daran gedacht mit irgend einem Menschen hier +in Berührung kommen zu können, und nur durch fanatischen Eifer dahin +getrieben eine Holzstange umzuwerfen, und ein Stück Zeug +herunterzuholen, wußte er noch gar nicht, ob er seinen eigenen Leib in +eine vielleicht thörichte Gefahr dabei bringen solle oder nicht. — Wo +kam der Wi-Wi auf einmal her?</p> + +<p>Aber auch Paofai trat jetzt hinzu, und die Nächsten mit dem Arm +langsam von der Stange zurückschiebend, sagte er mit seiner weichen +melodischen und zugleich so klangvollen Stimme:</p> + +<p>»Wißt Ihr was Ihr thun wollt, Ihr Männer von Tahiti? — Ihr wollt eine +Nation beleidigen, mit der Ihr in diesem Augenblick auf +freundschaftlichem Fuße steht; Ihr wollt Euch einen Feind machen, der +mit seinen eisernen Kugeln Euere Hütten und Palmen und Brodfruchtbäume +niederwerfen und Euch verderben kann. Seid Ihr von einem bösen Geist +besessen daß Ihr so tobt?«</p> + +<p>»Er hat meine Bibel niedergeworfen!« rief in diesem Augenblick Aonui +mit zornfunkelnden Augen, erst jetzt das Entsetzliche bemerkend — »der Wi-Wi hat die Bibel in den Schmutz geworfen.«<span class='pagenum'> <a name="Page_162" id="Page_162">[162]</a></span></p> + +<p>»Nieder mit dem Wi-Wi, nieder mit der Flagge!« schrie und brüllte da +die Schaar wild durcheinander — »sie haben die Bibel geschändet — nieder mit den Feranis und ihren Götzen — wir wollen keinen Vertrag, +wir wollen keine Freundschaft mit ihnen!«</p> + +<p>»Auch gut,« brummte René vor sich hin, und ein Stück Holz aufgreifend +das dort zufällig lag, schlug er den Ersten der Hand an das Seil legen +wollte die Flagge niederzuziehen, ohne weiter einen Ruf zu thun, damit +zu Boden. Andere aber drängten nach und obgleich er, ohne Rücksicht +auf sich selbst zu nehmen, blind und wild um sich herschlug, fand er +sich doch bald von der Masse überwältigt, zu Boden geworfen, und aus +dem Weg geschleppt, während Paofai selber, der sonst so geachtete und +gefürchtete Häuptling, kaum glimpflicher behandelt wurde.</p> + +<p>»Fort mit Dir Paofai!« schrie eine Stimme aus der Menge, und Hände +streckten sich drohend nach ihm aus — »Du bist ein Freund der Wi-Wis — Du bist auch Einer von denen die uns an sie verrathen wollen — fort +mit Dir. Dein Platz wäre neben der Bibel und nicht neben dem Hause von +Me-re-hu, dem Feinde Tahitis — fort mit Dir!«</p> + +<p>»Aonui — <span class="g">Du</span> haftest mir für die Sicherheit dieser Flagge!« rief da +Paofai, den Arm des Häupt<span class='pagenum'> <a name="Page_163" id="Page_163">[163]</a></span>lings ergreifend, als er fühlte wie er +ebenfalls durch den andrängenden Schwarm unwiderstehlich zurückgepreßt +wurde und dem Volk den Platz räumen mußte — »von Dir wird sie +Frankreich wieder fordern.«</p> + +<p>»Frankreich soll zu Grase gehen,« brummte da eine Stimme in breitem +Irisch, dicht neben dem Häuptling, und die Flaggenlinie fassend zog +unser alter Bekannter, Jim, die wehende Flagge unter dem Jubelruf und +Jauchzen der Masse, von denen gleich zehn hinzusprangen ihm zu helfen, +nieder, und im Triumph wurde die erbeutete jetzt durch die Stadt +getragen.</p> + +<p>Kaum senkte sich die Flagge, als ein Boot von der <span class="f">Jeanne d'Arc</span> +abstieß, an Land ruderte, die Ursache zu erfahren, und dort drohte die +Corvette würde die Stadt beschießen, wenn die Flagge nicht +augenblicklich wieder gehißt und mit der üblichen Ehrensalve von +Tahitischer Seite begrüßt werde. Der Capitain des Talbot aber, dem die +Drohung hinterbracht wurde, erklärte, in dem Augenblick wo der erste +Schuß aus dem Französischen Kriegsschiff auf die Stadt fiel, +seinerseits sein Feuer auf die Corvette zu eröffnen, und der Jubel +Papetees bei dieser Erklärung überstieg alle Grenzen.<span class='pagenum'> <a name="Page_164" id="Page_164">[164]</a></span></p> + +<p>Die Missionaire sagten gleich, während der Talbot zum Gefecht +trommelte, und Alles an Deck klar machte, Kirche an, die Indianer +tanzten, ein kleiner Theil ausgenommen, dem diese Wendung der Dinge +nicht behagte, und die Prophezeihungen der Missionaire, was Englands +Beistand betraf, schienen allerdings Wahrheit werden zu wollen; Pomare +stand nicht mehr allein, eine arme verlassene Frau, und die +Geistlichen selber, als die jedenfalls indirekte, ja vielleicht sogar +direkte Ursache dieser so zeitgemäßen Hülfe, stiegen bei dem Volk, das +sich dem Mächtigen am liebsten unterwirft, bedeutend an Achtung.</p> + +<p>Die angeborene Gutmüthigkeit der Insulaner ließ sie aber auch ihren +Sieg nicht weiter treiben, und René wie Paofai blieben, nur erst aus +dem Weg geschafft, vollkommen unbelästigt. Am anderen Morgen jedoch, +mit dem wieder eingetroffenen Passatwind lief, unter dem Donner der +Tahitischen, etwas mittelmäßigen Geschützstücke, und den +Begrüßungsschüssen des Talbot, die Englische Fregatte der Vindictive +ein, und der Jubel erreichte hier seinen höchsten Grad, als die +freudige Botschaft von Mund zu Mund lief, der erwartete Geistliche +Pi-ri-ta-ti (Pritchard) sei wieder mit zurückgekehrt, der ja nur +deshalb nach England gegangen war, der Königin der Beretanis ihren +Streit mit den Feranis vorzulegen und Hülfe<span class='pagenum'> <a name="Page_165" id="Page_165">[165]</a></span> von dort zu bringen. Und +hatte er das nicht jetzt gethan?</p> + +<p>Mit einem wahren Triumphgeschrei wurde er empfangen, und unter dem +Jauchzen und Jubeln, ja unter den Segensrufen Tausender an Land +geführt, so daß der Ehrwürdige Mann dadurch wirklich in nicht geringe +Verlegenheit gerieth. Weder er noch das Kriegsschiff brachte nämlich +direkt ausgesprochene Hülfe von England, sondern nur, als Geschenk, +einen Wagen für die Königin Pomare, und Zeug zu einer rothen Uniform +für ihren Gemahl, den jetzt eine Zeitlang auf Imeo gewesenen jungen +Häuptling.</p> + +<p>Graf Aberdeen hatte sich damit begnügt dem jungen Staat seine +freundlichen Gesinnungen zu bekunden, und die Häuptlinge erschraken +allerdings als ihnen dieß endlich begreiflich gemacht wurde. Pomare +schloß sich einen ganzen Tag in ihr Haus ein, denn eine neue +Besitzergreifung Tahitis durch die Franzosen war nun allerdings nicht +unmöglich, und ihre Sicherheit ihnen keineswegs gewährleistet worden. +Was aber kümmerte das das Volk, die fröhlichen, gutmüthigen Kinder +dieser Inseln? Für den Augenblick waren sie jeder weiteren +Unannehmlichkeit überhoben, für den Augenblick lagen die Englischen +Kriegsschiffe drohend und ihnen Schutz gewährend in ihrer Bai, und +ihre Königin konnte in dem wunder<span class='pagenum'> <a name="Page_166" id="Page_166">[166]</a></span>lichsten Ding spatzieren fahren, das +ihre kühnste Phantasie sich je gedacht — das Uebrige brachte die Zeit — weshalb sich vorher grämen? und die Predigten ihrer Geistlichen +bestärkten sie bald in der frohen Hoffnung daß kein Franzose es je +wieder wagen würde ihre Rechte anzutasten, ihre Religion ihnen zu +nehmen, oder sie mit seinen Kanonen zu zwingen seinem Willen Folge zu +leisten; was wollten sie mehr.<span class='pagenum'> <a name="Page_167" id="Page_167">[167]</a></span></p> + +<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_F_6" id="Footnote_F_6"></a><a href="#FNanchor_F_6"><span class="label">[F]</span></a> Das westliche Ufer dieser Inseln wird stets das Leeufer +genannt, da der Wind, mit nur seltenen Ausnahmen, immer von Osten +kommt.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_G_7" id="Footnote_G_7"></a><a href="#FNanchor_G_7"><span class="label">[G]</span></a> Missionair Bingham spricht mit besonderer Ehrfurcht von +dem würdigen <span class="f">»Matriarchen« Kaahumanu</span>, der Gattin Kamehamea des Ersten — eine Frau von beinah dreihundert Pfund Gewicht.</p></div> +</div> + + +<hr class="endchapter" /> +<h2><a name="Capitel_6" id="Capitel_6"></a>Capitel 6.</h2> +<h3>Ein Ball in Papetee.</h3> + + +<p>Es läßt sich denken, in welche Aufregung die kleine Colonie durch die +erst beschriebenen Vorfälle gebracht wurde, denn während die +Insulaner, viel zu sehr dem Frieden geneigt, bei weitem in der +Majorität den Engländern zuhielten, und eine neue Religion wie ein +neues Regiment schon deshalb fürchteten, als es wieder auf's Neue eine +Umwälzung in ihren kaum regulirten Sitten und Gebräuchen hervorrufen +mußte, bestand der größte Theil der in Papetee selber angesiedelten +Fremden aus Franzosen, und deren heißes Blut revoltirte in Feuer und +Flamme gegen einen Zwang, der ihnen plötzlich aufgelegt werden sollte, +und um so drückender war, da sie die<span class='pagenum'> <a name="Page_168" id="Page_168">[168]</a></span> Hoffnung nicht einen Augenblick +aufgaben, durch das nächst einkommende Kriegsschiff — und die von den +Insulanern so gefürchtete <span class="f">Reine blanche</span> kreuzte in diesen Gewässern — das ganze, durch die Missionaire jetzt nur künstlich aufgebaute System +wieder umgeworfen zu sehen.</p> + +<p>Es versteht sich übrigens von selbst, daß während dieser Zeit der von +<span class="f">Du Petit Thouars</span> allerdings nicht ganz auf rechtlichem Wege +hergestellte und von den Häuptlingen gezeichnete Vertrag, zu dessen +Unterschrift man selbst Pomare zwang, nicht allein nicht mehr +beachtet, sondern vollständig anullirt wurde. Frei und offen predigten +die Protestanten gegen das Pabstthum und die beabsichtigte Occupation +der Franzosen, und die Römischen Priester, die ihre Kapelle auf einem +kleinen reizenden Hügel in Mativaibai errichtet hatten, konnten sich +in dieser Zeit nur auf einen sehr kleinen Kreis ihnen ergebener oder +doch wenigstens nicht feindlich gesinnter Insulaner verlassen. Im +Allgemeinen fürchteten die Indianer den Platz, der in seinen +Ceremonieen etwas Geheimnißvolles für sie hatte, und ihnen von ihren +Geistlichen in solchen Farben geschildert war, daß sie sich scheuten +ihn nach Dunkelwerden zu passiren. Ja sie würden ihn zerstört und jene +Priester wieder gewaltsam von dort vertrieben haben, hätten nicht Mr. +Nelson vorzüglich<span class='pagenum'> <a name="Page_169" id="Page_169">[169]</a></span> wie auch die Brüder Smith, Brower und Mc. Kean ihr +Möglichstes gethan sie von einem so unüberlegten und bösen Schritt +zurückzuhalten, zu dem sie der Feuereifer des frommen Dennis, wie der +unersättliche Ehrgeiz Rowes unaufhaltsam trieben.</p> + +<p>Der Französische Theil der Bewohner hielt sich indessen vollkommen +ruhig, und wenn auch Consul Mörenhout, in dem Gefühl seiner +beleidigten Würde, im Anfang René antreiben wollte der +Gewaltthätigkeit wegen Klage auf Schadenersatz einzureichen, die er, +bei Vertheidigung der Französischen Flagge gelitten, weigerte sich +dieser auf das Bestimmteste dagegen.</p> + +<p>»Ich bin von den Indianern freundlich aufgenommen,« sagte er, »und +wäre der Letzte einer einfachen Schlägerei wegen, bei der ich eben so +viel, vielleicht mehr, ausgetheilt habe als bekommen, neuen Grund zu +Streitigkeiten und Ursache zu späteren Forderungen meiner Landsleute +zu geben. Ich hätte gescheuter sein sollen als mich in Sachen zu +mengen die mich Nichts angehen.«</p> + +<p>Die Franzosen in Papetee waren damit nicht ganz einverstanden — sie +wollten vor allen Dingen wieder neue Haltpunkte für unter Englischem +Einfluß ausgeübten Uebergriffe, und auch die Eingeborenen schienen +mißtrauisch gegen den Fremden geworden zu sein, den sie, als den +Gatten einer ihrer eingeborenen<span class='pagenum'> <a name="Page_170" id="Page_170">[170]</a></span> Mädchen, und in dem früheren Hause +des alten Mr. Osborne wohnend, schon gewissermaßen als einen der +ihrigen, gar nicht mehr als einen Wi-Wi betrachtet hatten, und der +doch jetzt feindlich und gewaltthätig gegen sie aufgetreten war. Das +so sehr freundliche Verhältniß, in dem er bis dahin mit ihnen +gestanden, schien jedenfalls gelockert, wenn auch nicht ganz gelöst.</p> + +<p>René hatte aber viel zu guten und leichten Muth, sich etwas derartiges +groß zu Herzen zu nehmen; wie er auf der einen Seite fest gegen seine +Landsleute blieb, und sich auf der anderen nichts Böses gegen die +Insulaner bewußt war, verkehrte er nach wie vor mit beiden Theilen, +und wußte sie beide wieder für sich zu gewinnen. Solche kleine +Neckereien und Mißverständnisse dienten aber keineswegs dazu, ihn +manches Andere was ihm störend in den Weg trat, übersehen zu lassen, +und nur die Heimath, seine Sadie, sein kleines herziges Mädchen +konnten ihm manchmal ganz jenen frohen fast wilden Uebermuth +wiedergeben, mit dem er sich einem drückenden Verhältniß damals +entzogen, und einem neuen Leben förmlich in die Arme geworfen hatte.</p> + +<p>Nichts destoweniger blieb das gesellschaftliche Leben der Inseln unter +den verschiedenen und so wenigen Franzosen, ein höchst +freundschaftliches; eigene<span class='pagenum'> <a name="Page_171" id="Page_171">[171]</a></span> Interessen, ja eigene Gefahr verband die +Leute auch schon fester mit einander, als es irgend etwas anderes im +Stande gewesen wäre zu thun, und das leichte französische Blut schwamm +überhaupt oben auf.</p> + +<p>Besonders viel trug hierzu die Belardsche Familie bei, die sich +wirklich unendliche und anerkennenswerthe Mühe gab in Papetee einen +freundschaftlichen Ton zu erhalten, ja eigentlich erst zu schaffen, wo +schon die Mischung der verschiedenen Racen etwas derartiges unendlich +schwierig machte. Die Europäer hatten meistens all ihre alten +Gewohnheiten, aber auch ihre Vorurtheile herübergebracht in eine ganz +neue Welt, in die weder die einen, noch die anderen passen wollten, +und konnten nur durch unermüdliche Ausdauer Einzelner, die sich der +letzteren wenigstens entledigt hatten, dazu gebracht werden sich +gemeinschaftlich zu amüsiren — man wollte weiter Nichts von ihnen.</p> + +<p>Ein wirkliches Hinderniß aber für größere Gesellschaften blieb der +Mangel an Europäischen oder vielmehr weißen Damen, von denen sich nur +sehr wenige auf der Insel befanden, und zu einem wirklich +gesellschaftlichen Leben doch unumgänglich nöthig, ja unentbehrlich +waren. Mit den eingeborenen und mit Europäern fast durchschnittlich +nur »oberflächlich getrauten« Frauen konnte man auch in solcher Art<span class='pagenum'> <a name="Page_172" id="Page_172">[172]</a></span> +nicht gut verkehren; die Indianerinnen waren hübsch und lebendig, auch +gutmüthig und liebenswürdig, paßten aber nirgends weniger hin als in +Gesellschaft gebildeter <span class="g">Frauen</span>, während mit der Protestantischen +Bevölkerung, die in dieser Hinsicht fast nur aus den Familien der +Missionaire bestand, ein näherer Verkehr ganz außer Frage blieb. +Selbst den feindlichen Stand abgerechnet, den diese beiden Theile der +Gesellschaft gegenwärtig einnahmen, hätten sie sich nie in dieser +Beziehung vereinigen können, da die strengen orthodoxen Geistlichen +jede Art von Spiel und Tanz schon als eine Sünde des Fleisches gegen +den Geist ansahen, nur in ihrer zurückgezogen ernst gehaltenen +Lebensart den Pfad zum Himmel zu finden glaubten, und von den, darin +viel zuversichtlicheren Franzosen häufig verspottet, aber gewiß nie +aufgesucht wurden.</p> + +<p>Nun lag diesen aber auch daran den Eingeborenen sowohl, wie vorzüglich +den Missionairen zu beweisen, daß sie keineswegs durch die im +Englischen Interesse geschehenen Schritte eingeschüchtert, sondern im +Gegentheil noch voll frischen Muthes wären, und noch mochten kaum +vierzehn Tage nach den vorherbeschriebenen Vorfällen vergangen sein, +als Mrs. Belard, von ihren Landsleuten dabei unterstützt, fest darauf +bestand, allen politischen wie gesellschaftlichen Hindernissen zum +Trotz, einen <span class="g">Ball</span> zu geben, und<span class='pagenum'> <a name="Page_173" id="Page_173">[173]</a></span> allerdings blieb ihr dabei Nichts +übrig, als sich über das, wogegen sie sich lange gesträubt, +wegzusetzen und eingeborene Frauen, von denen man sich ja die +geachtetsten aussuchen konnte, wirklich mit dazu zu ziehen; wenn auch +der Ball dadurch einen etwas wilden Charakter bekam.</p> + +<p>Aber die Missionaire traten ihnen selbst hierbei störend in den Weg, +denn diese hatten zu großen Einfluß auf den wirklich anständigen Theil +der weiblichen Bevölkerung Tahitis, auf die Frauen und Töchter der +ersten Häuptlinge, denen der Tanz als etwas rein sündliches, von ihren +finsteren Lehrern streng verboten und mit strengeren Strafen, wo sie +im Stande waren die in Kraft treten zu lassen, belegt war. Selbst +Sadie fürchtete nicht allein den Unwillen der Geistlichen zu erregen, +sondern ihr religiöser Sinn, vielleicht mit einer Art Scheu vor den +fremden Menschen verbunden, hielt sie zurück selbst von dem Gedanken +an solche Vergnügungen.</p> + +<p>René wollte sich aber daran nicht binden, doch erst als Sadie sah und +fühlte, daß sie ihm mit einer längeren Weigerung weh thun, ja +vielleicht auch Unfrieden im Hause anstiften würde, fügte sie sich +endlich seinem Wunsch; aber das Herz schlug ihr dabei, als sie ihm +ihre Einwilligung gab, und es war, als ob sie eine unrechte Handlung +begehen solle. Aengst<span class='pagenum'> <a name="Page_174" id="Page_174">[174]</a></span>lich suchte sie dabei nach Entschuldigungen für +ihre Zusage, und ihr gutes Herz ließ sie deren bald genug finden. René +war ja doch nun einmal Europäer und er mußte gewiß gern bei seinen +Landsleuten sein — wußte Sadie doch selber wie glücklich es sie +machte, manchmal einen Bewohner von Atiu bei sich zu sehen, und das +lag doch nur solch kleine kleine Strecke von Tahiti entfernt, und die +Feranis wohnten so entsetzlich weit, sollte sie da die Ursache sein, +die ihn zurückhielt?</p> + +<p>Bei Brouards war sie deshalb auch schon, und bei Belards einmal mit +René gewesen; nur noch nicht bei Mrs. Noughton, der Amerikanerin, +deren kalt abstoßendes Benehmen ihrem ganzen Wesen weh that; auch René +fühlte kein Bedürfniß die Leute aufzusuchen, wenn ihn nicht gerade +eine Geschäftssache in ihr Haus führte.</p> + +<p>Trotz allen ihnen in den Weg gelegten Hindernissen wußten Belards +jedoch jede Schwierigkeit zu überwinden — die Franzosen wollten +tanzen, und es bedurfte stärkerer Sachen als der Predigt eines +Missionairs, sie daran zu verhindern. Mr. Belard gab deshalb einen +Ball, und alle Franzosen Papetees wie die Officiere der noch im Hafen +liegenden <span class="f">Jeanne d'Arc</span> waren eingeladen.</p> + +<p>Sadie fürchtete sich vor dem Abend, sie wußte<span class='pagenum'> <a name="Page_175" id="Page_175">[175]</a></span> selbst nicht warum, +aber sie durfte sich nicht weigern zu gehen, denn erstlich hatte +selbst Mr. Nelson seine Einwilligung gegeben, daß sie wenigstens Theil +an der Gesellschaft nehmen dürfe, und dann war sogar Lefevre mit +Aumama eingeladen — Monsieur Belard <span class="g">mußte</span> Damen zum Tanzen haben — sie konnte sich da nicht ausschließen, <span class="g">durfte</span> René nicht so kränken.</p> + +<p>Der Vorbereitungen bedurfte es dabei nicht viele — ihre Tracht, wenn +auch nach Europäischem Schnitt, war so schlicht und einfach wie nur +möglich, und frische Blumen im Haar schmückten das liebreizende +Antlitz der jungen Frau schöner als es Diamanten und Perlen vermocht +hätten — vielleicht wußte sie das auch.</p> + +<p>Monsieur Belard wohnte in einem reizenden kleinen Gartenhaus in der +<span class="f">Broomroad</span>, der nächsten Querstraße vom Strand ab, tief versteckt +zwischen breitblättrigen Brodfrucht und Papayas, von Palmen das Dach +überrauscht, und den Vorhof dicht bepflanzt mit Orangen und Bananen, +des Schattens wegen. Das Haus selber war leicht und luftig gebaut, +hatte aber doch schon Glasfenster und grüne Jalousieen, mit breiter +hoher Verandah und einen ziemlich großen bequemen Saal, der zu dem +heutigen Feste mit Blumen und Palmzweigen ganz einfach,<span class='pagenum'> <a name="Page_176" id="Page_176">[176]</a></span> aber höchst +geschmackvoll decorirt war. Wunderlich stachen dagegen freilich +einzelne Stücken aus einer civilisirten Welt ab, die ihren Weg nach +der Südsee gefunden, und zu den einfach hölzernen Wänden und der +tropischen Vegetation nicht so recht passen wollten. Auch die Meublen +waren zusammengewürfelt, wie Glück und Zufall einzelne Stücke nach +diesem entlegenen Theil der Welt herübergeführt, oder auch schon des +Tischlers Hand in neuerer Zeit sie aus einheimischem Holze gefertigt +hatte. So stand auf einer gelbgebeitzten Kommode eine Alabasteruhr +zwischen Manila Perlmuttermuscheln und blank polirten Zähnen der +Spermacetifische — einen kleinen Mahagoni-Eckschrank schmückten ein +paar allerliebste französische Porcellanvasen voll duftender +Orangenblüthen, und längs der einen Wand standen zwei vortrefflich +gepolsterte und mit Damast überzogene Sophas, mit denen wieder ein +schmaler und langer, von Tannenholz aufgeschlagener Tisch nicht +harmoniren wollte, der die eine Ecke füllte, aber mit den kostbarsten +Produkten dieses an Früchten erfüllten Landes bedeckt war.</p> + +<p>Doch wunderlicher und bunter als die Geräthschaften war die +Gesellschaft selbst gemischt.</p> + +<p>Der wirklich gebildete Kreis von Bekannten reichte nämlich zu einem +solchen Fest nicht aus, die Linie<span class='pagenum'> <a name="Page_177" id="Page_177">[177]</a></span> mußte weiter gezogen werden und in +so engen Raum beschränkt auf der kleinen Insel, war man nicht einmal +im Stande noch unter den Wenigen die sich hier befanden, auszuscheiden — es müßten denn <span class="g">sehr</span> triftige Gründe dazu vorgelegen haben. Alles +deshalb, was nur einigermaßen auf Bildung Anspruch machte und aus dem +Mutterland oder überhaupt der civilisirten Welt stammte, die +protestantische Geistlichkeit ausgenommen, <span class="g">war</span> eingeladen, und die +kleine Villa versammelte in den eigenthümlichsten Trachten dabei, ein +so wunderlich gemischtes Völkchen wie sich wohl noch je, seit Papetee +stand, auf einem so kleinen Raum zusammengefunden hatte.</p> + +<p>Als René mit Sadie den Saal betrat, wo sie Mad. Belard in ihrer +lebendigen aber doch herzlichen Weise empfing, waren eben die +Officiere der <span class="f">Jeanne d'Arc</span> eingetroffen. Das Vorstellen ging rasch und +ungezwungen genug vorüber; René hatte schon einige von diesen vorher +kennen gelernt und wurde auf das freundlichste von ihnen begrüßt.</p> + +<p>Madame Brouard war noch nicht erschienen, und da Mad. Belard +anderweitig und in der That überall in Anspruch genommen wurde, und +René viel mit den Officieren zu sprechen hatte, blieb Sadie allein, +und sah sich eben etwas verlegen nach irgend einem Bekannten um, nicht +so ganz verlassen in dem fremden<span class='pagenum'> <a name="Page_178" id="Page_178">[178]</a></span> Zimmer zu stehen, als Mr. und Mrs. +Noughton den Saal betraten, und nach der üblichen Einführung an Sadie +vorüber gehen wollten.</p> + +<p>Mrs. Noughton wandte den Kopf nach der andern Seite und sah Sadie +nicht, und die arme kleine Frau stand einen Augenblick schüchtern und +unschlüssig da, ob sie die, stets etwas kalt gegen sie gewesene Fremde +anreden solle oder nicht; aber René ging gerade mit zweien der +Officiere den Saal hinunter und ließ sie da <span class="g">ganz</span> allein.</p> + +<p>»Madame Noughton,« sagte sie leise, und berührte mit ihrer +Fingerspitze den Arm der jetzt dicht an ihr Vorbeigehenden.</p> + +<p>Mrs. Noughton drehte langsam den Kopf nach ihr um und sah sie an.</p> + +<p>»Ich freue mich Sie auch hier zu treffen,« sagte Sadie.</p> + +<p>Mrs. Noughton neigte höflich das Haupt gegen sie, Mr. Noughton machte +eine etwas steife Verbeugung, und die beiden Gatten gingen, ohne +weiter ein Wort mit ihr zu wechseln, vorbei, dem andern Ende des +Saales zu.</p> + +<p>Sadie stand wie in den Boden gewurzelt, und das Herz schlug ihr +ängstlich und verlassen in der Brust.</p> + +<p>»Sie haben Dich gar nicht erkannt in den frem<span class='pagenum'> <a name="Page_179" id="Page_179">[179]</a></span>den Kleidern,« murmelte +sie endlich leise und halb lächelnd vor sich hin — »sie haben +geglaubt es wäre Jemand ganz Anderes, Fremdes — oder — « das Blut +stieg ihr in vollem Strome in die Schläfe und von da zum Herzen +zurück, und sie hätte in diesem Augenblick Gott weiß was darum gegeben +zu Hause, bei ihrer kleinen Sadie sein und die fremde kalte +Gesellschaft verlassen zu können. Aber das ging nicht, und als sie +sich, wieder etwas mehr gefaßt, nun im Saale umschaute, sah sie wie +Mr. und Mrs. Noughton ganz allein und steif auf zwei Stühlen saßen und +Jedes starr vor sich niedersahen. In diesem Augenblick begann das in +dem Nebenzimmer aufgestellte und von der <span class="f">Jeanne d'Arc</span> mit +herübergebrachte Musikcorps seine fröhlichen Weisen zu spielen; mehr +und mehr Gäste traten zugleich in den Saal, unter ihnen mehre bekannte +Gesichter — eine Hand legte sich ihr plötzlich auf die Schulter — es +war Aumama, die ihr lachend in's Auge schaute, und der trübe Schatten +der sich eben angefangen über Sadies Seele zu legen, wich dem ersten +freundlichen Eindruck der ihr entgegen trat.</p> + +<p>»Was sitzen die Beiden da drüben so ganz allein und steif?« flüsterte +dabei Aumama, die bemerkt hatte daß Sadie nach ihnen hinüberschaute. +»Segne mich, wie still und ehrbar sie sind, als ob sie in<span class='pagenum'> <a name="Page_180" id="Page_180">[180]</a></span> der Kirche +wären — Mr. Aue könnte nicht steifer sitzen.«</p> + +<p>Sadie lächelte, aber sie wandte den Kopf ab von der Gruppe — es war +ihr als ob sich die beiden Leute nur so steif und abgeschlossen dort +hinten hingesetzt hätten, nicht mit ihr zu sprechen — und was hatte +sie ihnen gethan? — »Und Aumama, Du bist auch hierhergekommen zu den +Fremden?« sagte sie endlich leise — »ich glaubte Du fühltest Dich +nicht wohl zwischen ihnen?« —</p> + +<p>»Nein, das thu' ich auch nicht,« erwiederte rasch und flüsternd die +junge Frau — »ich habe zu Hause geweint und gezankt — ich wollte +fort bleiben, aber Lefevre — « sie wandte den Kopf ab und schwieg, und +setzte endlich langsam hinzu — »es ging nicht anders.«</p> + +<p>»Ich wäre auch lieber daheim geblieben,« sagte Sadie treuherzig.</p> + +<p>»Und ich weiß nicht,« fuhr Aumama, auf sich selber niedersehend fort, +»mir ist meine Tracht bis jetzt noch nie aufgefallen, ja im Gegentheil +hab' ich das lange weite Oberkleid oft weit eher für überflüssig +gehalten, nur heute — « und sie schaute halb verlegen umher — »komme +ich mir hier so sonderbar so fremd selber und unbedeutend vor, als ob +ich nicht hergehöre zwischen die geputzten Leute — sie mit allem um +sich hergehangen was nur die fremden Kaufleute<span class='pagenum'> <a name="Page_181" id="Page_181">[181]</a></span> in ihren Läden haben, +ich barfuß und nicht einmal ihre Sprache redend. Ob ihnen denn auch +wohl so zu Muth gewesen ist, als sie zuerst unser Land betreten? Bei +Dir ist es wohl anders — Du hast Dich schon ganz ihrer Tracht +angepaßt.«</p> + +<p>»Wohl ist mir's auch nicht darin,« sagte Sadie kopfschüttelnd, »aber +ich fühle daß es nun einmal nicht anders geht; vielleicht fügst Du +Dich auch hinein.«</p> + +<p>»Nein,« erwiederte Aumama rasch — »nie im Leben; je mehr ich mit den +Fremden in Berührung komme, desto mehr fühl' ich daß wir nicht für +einander gemacht sind. Sie sind stolz dabei, und worauf? — sie tragen +Schuhe, weil sie nicht mit ihren unbehülflichen dünnen Sohlen unsere +Korallen betreten können — ich hab' es neulich gesehen, wie sich die +Frauen badeten und nicht einen Schritt auf dem scharfen Boden zu thun +vermochten. Also deshalb stecken sie die Füße in solche Hülsen, und +soll ich dann mich schämen daß ich sie nicht trage, weil ich da eben +gehen kann, wo sie es nicht im Stande sind?«</p> + +<p>»Und doch thust Du es,« sagte Sadie lächelnd.</p> + +<p>»Weil wir eben Thörinnen sind, und das Fremde höher achten wie unsere +eigenen heimischen Sitten. — Aber sieh was für goldblitzende Kleider +die Feranis von dem Schiff draußen tragen,« unterbrach sie sich<span class='pagenum'> <a name="Page_182" id="Page_182">[182]</a></span> jetzt +selber, als ihr die blitzenden Uniformen der Officiere des +Kriegsschiffs in's Auge fielen. »Und das sind doch nun auch Christen, +Sadie, und gute Menschen vielleicht und tragen so bunten Staat, und +uns verbieten die Mitonares jeden Schmuck.</p> + +<p>»Wir wissen auch nicht ob es nicht sündhaft ist so eitel Gold und Putz +zu tragen,« sagte leise Sadie — »wenigstens nicht wenn wir zu Gottes +Altar gehn — die Männer dort beten vielleicht nie, da können sie dann +freilich tragen was sie wollen. Aber sie drehen wieder hierher um, und +dort kommt auch Mad. Belard — sie ist die freundlichste von allen +fremden Frauen.«</p> + +<p>Das Gespräch der beiden Frauen wurde hier unterbrochen, und in der +That betraten auch jetzt rasch nach einander mehre andere Gäste den +Saal, von denen Einige, ebenfalls mit eingeborenen Frauen, die beiden +Freundinnen herzlich begrüßten, und jedes weitere Gespräch zwischen +ihnen unterbrachen.</p> + +<p>Und was für bunte Gesellschaft war da versammelt.</p> + +<p>Die Officiere der Corvette erschienen natürlich in ihrer Uniform, und +Mr. Noughton, Mr. Belard und Brouard wie René und einige Andere waren +in schwarzem Frack, wie überhaupt in dem Europäischen Ballcostüm +gekommen. Das besonders kam übrigens den inländischen Frauen und +Mädchen wunderlich<span class='pagenum'> <a name="Page_183" id="Page_183">[183]</a></span> vor, und sobald es nur heimlicher Weise geschehen +konnte, kicherten und flüsterten sie nicht wenig darüber.</p> + +<p>Ein großer Theil der anderen Gäste ging jedoch in die leichte und +bequeme Tracht gekleidet, die das Klima eigentlich bedingt und +fordert; helle Sommerstoffe, weit und luftig gearbeitet und den +Gliedern vor allen Dingen Freiheit der Bewegung lassend. Strenge +Etikette konnte überhaupt an einem Ort nicht stattfinden, wo diese +schon zwei Dritttheile des schönen Geschlechts unrettbar +ausgeschlossen hätte, und mehr als zwei Dritttheile gehörten der +eingeborenen Race an, die nur zum Theil hatte bewogen werden können +Schuhe und Strümpfe anzuziehen, sonst aber nur über dem <span class="f">pareu</span> das +weite loose Obergewand, und darunter die nackten Füße trug.</p> + +<p>Aumama bildete den Typus dieser, aus den schönsten Mädchen jenes +wunderschönen Stammes ausgewählten Schaar. Der Pareu den sie trug +bestand aus einem halbseidenen mattgrünen mit tiefrothen Fäden +durchzogenen und gemusterten Stoff, in der That nur ein einfaches +Stück Zeug, das um die Lenden geschlagen und an der linken Seite +eingesteckt wurde; über dieses aber trug sie das, erst durch die +Europäer und wahrscheinlich durch die Missionaire eingeführte +Obergewand, das vorn offen, und mit langen Aermeln an den Handgelenken +geknöpft, bis<span class='pagenum'> <a name="Page_184" id="Page_184">[184]</a></span> etwas über die Knie herunterfiel, und aus feinem +französischem Stoff bestand, der durch einen rothseidenen dünnen +Chinesischen Shawl im Gürtel zusammengehalten wurde, und die Formen +des Körpers mehr verrieth als verhüllte. Durch das schwarze lockige +und seidenweiche, mit wohlriechendem Cocosnußöl getränkte Haar wand +sich ihr, von Orangenblüthen durchflochten, das Gewebe eines reizenden +grünen und rothen Schlinggewächses, und die goldenen Ohrringe waren +fast von den darüber niederhängenden Knospen des <span class="f">cape Jasmin</span> +überdeckt. Aumama, die Behende, wie sie in der bilderreichen Sprache +ihres Landes hieß, war eine der schönsten Frauen der Insel, und wie +bei den meisten ihres Alters, stand ihr die etwas dunklere Hautfarbe +nur zu ihrem Vortheil, während die großen lichtklaren und doch so +tiefschwarzen Augen Diamanten gleich, rein und feurig über den von +zartem Roth angehauchten, lichtbronzenen Wangen glühten.</p> + +<p>Mehrere andere Indianerinnen waren ähnlich wie Aumama gekleidet, +wenigstens mit demselben Schnitt des Gewandes und ähnlichen Stoffen, +die Capitaine von Wallfischfängern in letzterer Zeit auf Speculation, +theils von Frankreich, Deutschland oder England mitgebracht. Zwei der +Frauen nur hatten sich so weit civilisirt, Strümpfe und Schuhe zu +tragen;<span class='pagenum'> <a name="Page_185" id="Page_185">[185]</a></span> aber die neue Tracht saß ihnen nicht bequem, sie scharrten +beim Gehen fortwährend mit den Füßen; sie waren noch nicht gewohnt +diese hoch genug zu heben die Sohlen auch frei vom Boden zu bringen, +und die Strumpfbänder mochten sie auch wohl drücken, denn wie sie sich +nur unbemerkt glaubten, faßten sie da hinunter den, solchen Zwanges +ungewohnten Blutgefäßen Luft zu geben.</p> + +<p>Sadie vielleicht allein von allen übrigen eingeborenen Mädchen schien +sich in die fremde Tracht vollkommen gut gefunden zu haben, und +bewegte sich mit solcher Leichtigkeit darin, als ob sie von Jugend auf +daran gewöhnt gewesen wäre. Nichts desto weniger ging sie fast so +einfach gekleidet als ihre früheren Gespielinnen, in einem schlichten +Oberkleid von ungebleichter Seide, die rothe Schärpe ebenso geknüpft +wie Aumama, nur anders den Schnitt des Kleides selbst, das bis auf die +Knöchel hinunterging und die niedlichen in weißen Strümpfen und feinen +dünnen Lederschuhen steckenden Füße eben sichtbar werden ließ. In den +Haaren trug sie einen zierlich geflochtenen Kranz von Mandelblüthen, +und um den Hals eine einfache Schnur rother Korallen.</p> + +<p>Von den Officieren der <span class="f">Jeanne d'Arc</span> waren bis jetzt nur der Capitain +mit dem ersten Lieutenant und einigen Seecadetten anwesend; der zweite +Lieutenant,<span class='pagenum'> <a name="Page_186" id="Page_186">[186]</a></span> den Geschäfte länger an Bord hielten, wie mehre andere +Marine-Officiere wurden aber auch noch erwartet, und René ging eben +mit dem Capitain der Corvette, mit dem er schon vor einiger Zeit +bekannt und gewissermaßen befreundet geworden, im Saal auf und ab, als +Monsieur Bertrand, der Name des Seconde-Lieutenants erschien und +augenblicklich auf den Capitain zuging, ihm irgend eine Meldung zu +machen. René trat ein paar Schritte abseits, den Rapport, der +vielleicht geheim war, nicht zu überhören, aber sein Auge haftete +unwillkürlich auf dem jungen Mann, dessen Züge ihm so bekannt +vorkamen, und dessen er sich doch, trotz alle dem nicht deutlicher +erinnern konnte.</p> + +<p>In diesem Augenblick drehten sich die Officiere nach ihm um, und der +Capitain war eben im Begriff die jungen Leute einander vorzustellen, +als Beide auch fast zu gleicher Zeit, »Delavigne«, »Bertrand« riefen +und einander fest umschlangen und küßten.</p> + +<p>Schulkameraden waren es aus frühster Jugendzeit, und es läßt sich +denken, mit welchem Jubel sie Beide hier, fast bei den Antipoden, die +Erinnerung an die Heimath, an das Vaterland, nach so vieljähriger +Abwesenheit begrüßten.</p> + +<p>Wir mögen uns losgerissen haben von Allem was uns einst lieb und +theuer gewesen, zerrissen mag<span class='pagenum'> <a name="Page_187" id="Page_187">[187]</a></span> das Band sein, das uns an die +verlassene Küste, wo unsere Wiege gestanden, fesselte; gleichgültig +hören wir wohl von fremden Menschen darüber sprechen, hören selbst +ungerührt den Ort nennen der unserer Kinderspiele Zeuge war, Zeuge der +heranwachsenden Kraft. Im Herzen zittert's und zuckt's dann vielleicht +nur ein wenig; lang verklungene Saiten wurden berührt, und sie <span class="g">wollten</span> +rauschen in der alten Weise, als sich noch eben zeitig genug die Hand +des Menschen stark und kräftig darauf legte, und sie verstummen machte +mit dem festen Willen. Unsere Nerven mögen von Eisen sein, und das +Unglaubliche ertragen, aber laß ein Bild selber auftauchen aus jener +Zeit, laß uns die Züge wieder vor uns sehen, mit denen wir Freud und +Leid getheilt, denen wir unsere Lust und Seligkeit entgegenjubelten, +denen wir den ersten Schmerz klagten und uns ausweinten an seiner +Brust, und die Hülle springt, die unsere Brust umschloß, die erstarrte +Thräne schmilzt und das Heimweh rüttelt zum ersten Mal an den Stäben +unserer Herzenskammer, und streckt die scharfe entsetzliche Kralle aus +nach dem Heiligthum, das wir von da an wahren müssen wie unseren +Augapfel, wenn sie nicht Halt gewinnen soll daran, zu unserem Leid.</p> + +<p>Die beiden jungen Leute schienen auch in der That Alles um sich her +vergessen zu haben, in dem einen<span class='pagenum'> <a name="Page_188" id="Page_188">[188]</a></span> seligen Gefühl des Wiederfindens, +nach so langer, langer Zeit, hätte sie nicht des Capitains Stimme +wieder zu sich selbst und dem Bewußtsein des Platzes gebracht, an dem +sie sich befanden.</p> + +<p>»Hallo,« lachte dieser, »wie mir scheint mag ich da die Introduction +sparen, denn die Herren sind jedenfalls genauer mit einander bekannt, +wie ich vermuthen durfte.«</p> + +<p>»Das in der That,« sagte Bertrand, der sich überhaupt auch zuerst von +den Beiden wieder sammelte, indem er des Freundes Hand ergriff und +fest in der seinen hielt — »nicht hoffen konnt' ich, hier an der +fremden Küste einen so alten lieben Jugendgefährten, ja Spielkameraden +aus der Knabenzeit zu treffen, und die Ueberraschung ist um so größer, +je größer die Freude ist.«</p> + +<p>»<span class="f">Eh bien</span>, Bertrand, dann unterhalten sie auch Ihren Freund ein wenig,« +sagte der Capitain, »aber vergessen Sie nicht um 11 Uhr — bekommen +Sie vorher Nachricht wenn er etwa noch bis dahin eingefangen sein +sollte?«</p> + +<p>»Ich erwarte den Führer der Patrouille selber hier, sobald er +zurückkehrt.«</p> + +<p>»Um so viel besser — aber da drüben sehe ich ein paar Damen +eintreten, denen ich guten Abend sagen muß — ich werde Sie nachher +bitten mir das<span class='pagenum'> <a name="Page_189" id="Page_189">[189]</a></span> Nähere dieses freudigen Wiedersehens mitzutheilen« — und mit einer leichten und freundlichen Verbeugung verließ er die +jungen Leute, die jetzt Arm in Arm, kaum noch ihrer Umgebung bewußt, +an eines der Fenster traten, dort erst dem ersten glücklichen Gefühl +des Wiedersehens auch Worte zu leihen.</p> + +<p>»Und so halt ich Dich denn wieder, René, nach so langer Trennung, Dich +den Flüchtigen eigentlich, der uns unter den Augen fort entschwand, +und keinem Freundesruf achten wollte der ihn zurückhalten sollte mit +seinem wilden ungestümen Sinn. Und wo hast Du Dich nun so lange +herumgetrieben? Mensch Du bist braun geworden wie ein Indianer.«</p> + +<p>»Ich weiß nicht wo ich da anfangen soll zu erzählen,« sagte René, dem +Blick in herzlicher Liebe begegnend, den jener fest auf ihn geheftet +hielt, »und wahrlich, ich hatte es schon fast aufgegeben je im Leben +einen Freund von über dem Wasser drüben wieder zu finden in der +fremden Welt. Die Zeit die ich hier verlebt, dünkt mich in diesem +Augenblick so entsetzlich lang, und ist mir doch auch wieder so rasch +so unglaublich rasch verflogen. Oh Bertrand, Du mußt mir viel, viel +von daheim erzählen; wie Ihr dort gelebt, wie Ihr — oder nein — nein, auch lieber nicht; die Heimath liegt hinter mir, auf nimmer +Wiedersehn, und es ist vielleicht besser ich löse die<span class='pagenum'> <a name="Page_190" id="Page_190">[190]</a></span> Schlösser nicht +muthwillig, die mir das alte Bilderbuch meiner Jugend so freundlich +und fest verschlossen halten. Ich bin fertig mit <span class="g">Frankreich</span>; aber von +<span class="g">Dir</span> möcht ich hören, wie es Dir geht, was Du treibst, was Du <span class="g">hoffst</span>, +denn nach der Hoffnung eines Menschen beurtheilt sich der Mensch +selber meist am besten und leichtesten.«</p> + +<p>»Und weshalb auf nimmer Wiedersehn?« sagte Bertrand erstaunt, »unsere +Schiffe haben sich jetzt die Bahn gebrochen nach diesem fernen Punkt, +und wenige Monden können uns wieder in der Schallweite unserer alten +Kirchenglocken landen. Es mag ein Paradies sein das uns hier umgiebt, +kann es uns aber je der Heimath Reiz ersetzen? Du bist unstät, ein +Flüchtling auf fremdem Boden so lange Du Dich gewaltsam fern von ihm +hältst, und wie das Vaterhaus dem wegemüden Wanderer als theures Ziel +den langen schweren Pfad wohl vorgeschwebt, so öffnet Dir die Heimath +die Arme, und grüßt Dich, ja hält Dich, mit all ihrem unendlichen +Zauber, sobald Du nur erst einmal wieder das schöne Land betreten. +Sieh ich bin Seemann, René, und das <span class="g">Meer</span> sollte meine Heimath sein; +ich weiß auch ich gehöre eigentlich nicht auf's feste Land, und die +Zeit die ich dort zubringe, ist meiner Pflicht meist abgestohlen, und +dennoch hängt das Herz mit allen Fasern an jenem<span class='pagenum'> <a name="Page_191" id="Page_191">[191]</a></span> Fleck der mir das +Leben gab, und wenn ich auch, doch einmal draußen, vernünftig genug +bin solchen Gedanken keinen Raum zu gönnen, ist es, als ob mir das +Herz aus der Brust herausspringen wolle, sobald wir den Bug unseres +Schiffes einmal heimwärts kehren. Ich habe das im Anfang für eine +Krankheit gehalten und unseren Doktor gefragt, und der hat mir eine +Masse unsinniges Zeug dagegen verschrieben, aber es half Nichts; das +Uebel saß tief im Herzen und war im Nu gehoben sobald ich an Land +sprang.«</p> + +<p>»Und doch hab' ich recht, Bertrand,« sagte René, der mit einem leisen, +fast wehmüthigen Lächeln den Worten des Freundes gelauscht hatte. »So +lange Du noch frei und unstät in der Welt umherstreifst zeigt der +Compaß Deines Herzens dem einen heiligen Magnet, dem Vaterlande zu, +mag Dir dort Leid geblüht haben, oder Lust, aber — es giebt einen +Fall, wo der Mensch selbst die Heimath vergessen kann und — glücklich +sein.«</p> + +<p>»Nie, nie!« rief Bertrand rasch.</p> + +<p>»Ich bin verheirathet!« sagte René leise.</p> + +<p>»<span class="g">Du?</span> — verheirathet?« sagte der Freund erstaunt — »und mit wem? — wo? — wann?«</p> + +<p>»Zuerst zeig ich Dir meine kleine Frau,« lächelte René, »ich brauche +vielleicht nur des einen Beweises,<span class='pagenum'> <a name="Page_192" id="Page_192">[192]</a></span> Dich zu überzeugen daß Du Unrecht +hast; dann erzähle ich Dir meinen — Lebenslauf kann ich wohl kaum +sagen, eher meine Abenteuer, denn das Schicksal hat mich im tollen +Spiel einem entzogen mich muthwillig einem anderen in die Arme zu +werfen, bis mein schwanker Kahn den Hafen fand, der ihm Glück und Ruhe +brachte, und den verlaß ich nicht wieder. Ich kenne die Stürme die +draußen toben und bin es müde geworden ihnen wieder und wieder die +Stirn zu bieten.«</p> + +<p>»Und Deine Frau?« frug Bertrand, »warum will sie nicht mit Dir +zurück?«</p> + +<p>Die Trompeten schmetterten in diesem Augenblick den Beginn des Tanzes, +und René schaute umher nach Sadie. Schon wirbelten die Paare vorüber +und die junge Frau stand an der anderen Seite des Saales, noch neben +Aumama, an ihrer Seite aber jetzt Monsieur Brouard, seinen rechten +Arm, von dem sie sich leise zu befreien suchte, um ihre Taille gelegt, +und augenscheinlich bemüht sie zum Tanz zu nöthigen, den sie ihm +weigerte.</p> + +<p>Wie ein Stich zuckte es durch René's Herz — er wußte selbst nicht +weshalb, und das Blut schoß ihm in die Schläfe; Bertrand aber, der +seinem Blick gefolgt war, schaute überrascht, und wie von einem +plötzlichen Gedanken erfaßt, zu ihm auf.<span class='pagenum'> <a name="Page_193" id="Page_193">[193]</a></span></p> + +<p>»Und Deine Frau?« wiederholte er leise.</p> + +<p>»Siehst Du sie nicht da drüben, wie sie sich ziert,« lachte René +jetzt, die Hand auf des Freundes Achsel legend.</p> + +<p>»Die Insulanerin?« rief der Officier fast wie erschreckt, und so laut, +daß die ihm nächsten Paare nach ihm umschauten, und selbst Sadie +ängstlich nach René herüber blickte.</p> + +<p>»Die Missionaire stecken ihr noch etwas in den Füßen,« fuhr René, wie +entschuldigend gegen den Freund gewendet fort, »aber — gefällt sie +Dir nicht?«</p> + +<p>»Es ist ein liebes, holdes Kind,« sagte der junge Mann, plötzlich ganz +still und ernst werdend — »so hold und schön wie der sonnige Himmel +ihres Heimathslandes.«</p> + +<p>»Und weshalb seufzest Du da so schwer?« lachte René.</p> + +<p>»Aber weshalb befreist Du sie nicht von dem alten Gecken, der sie da +quält und peinigt?« sagte Bertrand rasch — »sie hat ihm schon zehnmal +den Tanz abgeschlagen, und er läßt immer nicht nach — er würde sich +das bei einer <span class="g">weißen</span> Dame nicht unterstehen.«</p> + +<p>»Du hast recht,« sagte René schnell, und that einen Schritt nach vorn, +setzte aber plötzlich langsamer und lächelnd hinzu: »es ist Einer +meiner Freunde<span class='pagenum'> <a name="Page_194" id="Page_194">[194]</a></span> und kennt Sadie, wie den etwas puritanischen Geist, +der sie manchmal noch von unsern Sitten und Gebräuchen als etwas, +ihrer eigenen Religion widerstrebendem, zurückschrecken läßt. Doch +komm Bertrand, wir dürfen uns der Gesellschaft nicht so lange +entziehen, Madame Belard da drüben — ha wer ist jene junge Dame die +dort mit Deinem Capitain jetzt tanzt? — ich habe sie noch nicht auf +Tahiti gesehen.«</p> + +<p>»Sie kommt von der Südseite der Insel, wie ich heute gehört,« +erwiederte Bertrand, »wo sie in der Familie eines dort angesiedelten +Franzosen gelebt. — Aber Deine <span class="g">Frau</span> winkt Dir da drüben.«</p> + +<p>»Monsieur Brouard wird zudringlich, wie mir scheint,« entgegnete René +mit einem halb spöttischen Lächeln die Unterlippe beißend — »komm mit +mir Bertrand, und ich zeige Dir mein Weib,« und den Arm des Freundes +fassend, ging er mit ihm, die Tänzer vermeidend, zu der anderen Seite +des Saales hinüber, wo ihm Sadie, sich jetzt ernstlich von dem alten +Herrn losmachend, rasch entgegen kam.</p> + +<p>»Ihre kleine Frau ist entsetzlich spröde,« rief ihm hier Monsieur +Brouard mit einem etwas verlegenen Lächeln entgegen — »sie will unter +keiner Bedingung mit mir den ersten Walzer tanzen.«</p> + +<p>Sadie sah bittend zu dem Gatten auf, und René, ihren Arm lächelnd in +den seinen ziehend, sagte mit<span class='pagenum'> <a name="Page_195" id="Page_195">[195]</a></span> einer leichten etwas kalten Verbeugung +zu Herrn Brouard:</p> + +<p>»Ich habe Sie bis jetzt für unwiderstehlich gehalten, Monsieur, +verzeihen Sie dem noch rohen Geschmack der Insulanerin, die selbst +Ihren <span class="g">unausgesetzten</span> Bemühungen gegenüber ihr Recht zu wahren suchte. +Ich hatte schon den ersten Tanz vorher engagirt.«</p> + +<p>»Ah, dann bitte ich tausendmal um Vergebung,« sagte der Kaufmann, sich +verlegen, aber auch jedenfalls pikirt über die etwas kurze Abfertigung +zurückziehend, während René, ohne sich weiter um Herrn Brouard zu +kümmern, Sadiens Hand ergriff und sie mit herzlichen Worten dem +Jugendfreund als sein liebes, braves Weib, als seine Sadie jetzt +vorstellte.</p> + +<p>»Euch Beiden erzähl' ich nachher von einander,« setzte er dann lachend +hinzu, »und nun Sadie, darfst Du es mir nicht machen, wie Brouard — nicht wahr ich bekomme keinen Korb, wenn ich Dich jetzt um den Walzer +bitte?«</p> + +<p>»Aber René« sagte, leise sich zu ihm biegend, und hoch erröthend die +junge Frau, »was wird Mr. Nelson, was Mr. Dennis sagen, wenn sie +erfahren daß ich hier <span class="g">getanzt</span> — ich thue doch wohl nicht recht damit, +und möchte Dir aber auch noch viel weniger weh thun, mit einer +Weigerung.«<span class='pagenum'> <a name="Page_196" id="Page_196">[196]</a></span></p> + +<p>»Thorheit, Sadie, haben wir nicht zusammen die Tänze meines Vaterlands +vor Mr. Osbornes Augen getanzt auf Atiu?« frug René, mit einem leisen +Vorwurf in dem Klang der Stimme.</p> + +<p>»Auf Atiu,« wiederholte Sadie leise und das Wort rief liebe liebe +Bilder wach in ihrer Seele — »auf Atiu!«</p> + +<p>»Der alte Mann hatte seine Freude daran, wenn wir fröhlich waren.«</p> + +<p>»Aber Mr. Dennis,« sagte Sadie schüchtern.</p> + +<p>René zog die Brauen zusammen und sah einen Augenblick finster vor sich +nieder; aber Sadie legte ihre Hand auf seinen Arm und schaute ihm mit +ihrem bittenden herzlichen Blick ins Auge. Er sah auf zu ihr, sah das +halbe Lächeln in ihren Zügen, und rasch seinen Arm um sie schlingend, +flog er mit ihr den früher oft und gern geübten Tanz dahin in den +Reihen der fröhlichen schwingenden Paare.</p> + +<p>Sadie tanzte mit unendlicher Grazie und Leichtigkeit, aber ihr Herz +war nicht bei dem Fest; in ihrer Brust wogte und stach es mit +vorwurfsvoller Stimme und quälte das arme unschuldsvolle Herz mit +trüben, ängstlichen Bildern. »Du sündigst jetzt« sagte sie sich leise +und immer und immer wieder vor, und des ehrwürdigen Bruder Dennis +Stimme klang dabei fortwährend in ihrem Ohr — »Du hast Dich dem +wil<span class='pagenum'> <a name="Page_197" id="Page_197">[197]</a></span>den sündhaften Tanz ergeben, und der böse Feind greift schon nach +dem Arm, wo ihm der Finger kaum geboten in Lust und Leichtsinn.«</p> + +<p>»An was denkst Du Sadie?« flüsterte ihr René zu, wie er mit ihr +wirbelnd und sie fest in seinem Arm dahin flog, während die +eingeborenen Frauen besonders, Sadiens leichtem Tanze bewundernd mit +den Augen folgten.</p> + +<p>Sadie schüttelte leicht und erröthend mit dem Kopf, und zwang sich +fröhlich zu sein, aber die mahnende Stimme in ihr wurde stärker und +stärker, und wie schwindelnd lehnte sie sich endlich an Renés Schulter +und bat ihn sie zu einem Stuhl zu führen.</p> + +<p>»Du kannst das rasche Drehen noch nicht vertragen,« lachte der junge +Mann, sie dort hin geleitend wo Bertrand mit untergeschlagenen Armen +stand und keinen Blick bis jetzt verwandt hatte von dem Paar — »nur +erst ein paar Tänze aber Dich munter im Kreis gedreht, und der +Schwindel verliert sich schon von selber. Es ist eine Art Seekrankheit +die wohl die meisten Menschen überstehen müssen.«</p> + +<p>»Ah Monsieur Delavigne — hierher, wenn ich bitten darf, für einen +Moment nur,« rief in diesem Augenblick die fröhliche Stimme der Mad. +Belard, die ihm freundlich und dringend winkte zu ihr hin<span class='pagenum'> <a name="Page_198" id="Page_198">[198]</a></span> zu kommen. +Sadie deshalb dem Freunde übergebend, folgte er dem Ruf.</p> + +<p>»Monsieur,« rief ihm aber die lebendige kleine Frau schon von weitem +entgegen, »ich habe Ihnen eine sehr angenehme Nachricht mitzutheilen; +dort drüben, und ich werde indessen die Sorge für Ihre kleine Frau +übernehmen, ist eine junge Dame die den Augenblick nicht erwarten kann +Ihre Bekanntschaft zu machen, und sich schon nach allen Ihren +Verhältnissen auf das Genaueste und Peinlichste erkundigt hat. Soviel +rath' ich Ihnen, wahren Sie Ihr Herz.«</p> + +<p>»Sie sind zu gütig, Madame,« lachte René, »wenn dem wirklich so ist, +scheint die Sache in der That gefährlich zu werden.«</p> + +<p>»Spotten Sie nicht vor der Zeit,« warnte Madame Belard — »Sie +bekommen es mit keinem gewöhnlichen Mädchen zu thun, und werden einem +Paar Augen Stand halten müssen, denen schon stärkere Herzen erlegen +sind als ein junger leichtsinniger Franzose wahrscheinlich in seiner +Brust mit herum trägt.«</p> + +<p>»Und die Dame?«</p> + +<p>»Warten Sie, dort drüben spricht sie noch mit Madame Choupin, der +Stiefmutter von Brouards Frau, der möchte ich nicht gerne in die Hände +laufen.«<span class='pagenum'> <a name="Page_199" id="Page_199">[199]</a></span></p> + +<p>»Die junge Dame dort?« rief René rasch, »ah ich habe sie schon vorher +bemerkt: sie kommt von Papara, wenn ich nicht irre.«</p> + +<p>»Das Alles wird sie Ihnen gleich selber mittheilen, Monsieur; aber +aufrichtig gesagt,« setzte sie schelmisch hinzu, »bin ich selber +neugierig welch Interesse sie in so auffallender Weise an Ihnen nehmen +kann. Sie <span class="g">müssen</span> ihr doch fremd sein.«</p> + +<p>»Sympathie,« lachte René, »lieb ist mir's aber dabei daß gerade ein so +reizendes Wesen sich für mich interessirt.«</p> + +<p>»Sie müßte denn im Auftrag von Madame Choupin« — sagte Mad. Belard, +Renés Arm ergreifend und mit einer komischen Mischung von Besorgniß +und Schadenfreude zu ihm aufschauend.</p> + +<p>»Um der heiligen Jungfrau Willen, Madame,« sagte aber René rasch und +mit komischer Angst, »schon der Gedanke ist grausam — oder — gönnen +Sie mir mein Glück nicht?«</p> + +<p>»<span class="g">Gönnen</span>? was wollen Sie damit sagen, Monsieur, — oder woher wissen +Sie überhaupt daß Ihnen ein Glück bevorsteht? eitles Männervolk; Ihr +Herren der Schöpfung werdet aber hier auf den Inseln viel zu sehr +verwöhnt, und hätte ich früher gewußt was ich jetzt weiß, nie im Leben +würde ich meine Einwilligung zu einem Umzug nach Tahiti gegeben +haben.«<span class='pagenum'> <a name="Page_200" id="Page_200">[200]</a></span></p> + +<p>»Da kommt Mad. Choupin,« sagte René leise, und Madame Belard erschrak +und wandte sich rasch ab, den Platz zu verlassen, als sie das boshafte +Lächeln auf Renés Lippen bemerkte, und sich nun umdrehend sah wie Mad. +Choupin die andere Richtung eingeschlagen, und die junge Dame im +Gespräch mit Mad. Brouard zurückgelassen hatte. Madame Belard drohte +ihm lächelnd mit dem Finger und sagte leise:</p> + +<p>»Wenn Sie jenen alten Drachen näher kennten, würden Sie mir vollkommen +recht geben, und ihn fürchten wie ich, aber — die Luft ist rein, so +kommen Sie, denn ich muß mich auch noch um meine anderen Gäste +bekümmern, und habe nicht Zeit hier Stundenlang mit Ihnen zu +plaudern.« — Und seine Hand ergreifend führte sie ihn der Stelle zu, +wo die junge Fremde mit Madame Brouard, anscheinend in tiefem +Gespräche stand, behielt aber kaum Zeit für die ersten Worte, +»Monsieur Delavigne, Mademoiselle Susanne Lewis,« als die Instrumente +auf's Neue begannen und sich die Paare zur Française anstellten.</p> + +<p>»Desto besser, unter dem Tanz werden Sie noch schneller mit einander +bekannt,« rief die kleine muntere Frau, von dem Paar zurücktretend; +»dort aber kommt auch <span class="g">mein</span> Tänzer, <span class="f">Monsieur le capitain</span>, und ich muß +Sie für jetzt Ihrem Schicksal überlassen; doch — unsere Verabredung +Monsieur, um die Auf<span class='pagenum'> <a name="Page_201" id="Page_201">[201]</a></span>lösung dieses Räthsels wünsch' ich nicht zu +kommen.« Und ohne weiter den beiden jungen Leuten eine Antwort zu +gestatten, trat sie mit dem ihr jetzt den Arm reichenden Capitain zum +Tanze an, und Delavigne konnte ebenfalls nichts anderes thun, als der +schönen Fremden den Arm bieten, den sie auch mit einer freundlichen +Verneigung und einem eigenen schelmischen Lächeln dabei, annahm.</p> + +<p>Die ersten Minuten gingen so mit der Anordnung des Tanzes vorüber, +ohne daß er im Stand gewesen wäre ein Wort weiter mit seiner schönen +Unbekannten zu wechseln, die erste Gelegenheit aber die sich ihm bot +ergreifend, sagte er leise:</p> + +<p>»Madame Belard hatte mich durch einige freundliche, aber jedenfalls +nur in Neckerei und Spott hingeworfene Worte ermuthigt zu glauben, daß +Sie, mein Fräulein, <span class="g">wünschten</span> mich kennen zu lernen; da ich aber gar +nicht weiß womit ich solch ein Glück verdient hätte — «</p> + +<p>»Sie wissen noch nicht ob das ein Glück für Sie werden wird, +Monsieur,« lachte aber die Schöne schelmisch, und René sah wirklich +etwas überrascht zu ihr auf, denn die nämlichen Worte hatte Madame +Belard kurz vor ihr gebraucht, und konnten die beiden Damen mit +einander im Einverständniß sein? — aber weshalb? <span class='pagenum'> <a name="Page_202" id="Page_202">[202]</a></span> —</p> + +<p>»Es ist jedenfalls schon ein Glück in diese schönen Augen schauen zu +dürfen,« sagte er jedoch, sich rasch sammelnd — »und Böses kann da +wahrlich nicht geschehen.«</p> + +<p>»Haben Sie ein gutes Gewissen?« frug die junge Dame.</p> + +<p>René lachte — »Ja und nein, wenn Sie wollen; nicht schwerer zu +tragen, wie wir Sterblichen überhaupt und durchschnittlich, und auch +nicht leicht genug um zu befürchten, daß mir das Herz davonflöge über +Nacht.«</p> + +<p>»Sie sind ein weggelaufener Matrose,« sagte die junge Dame jetzt +lachend und sah neckend zu ihm auf. René erröthete; da aber seine +Geschichte, wie er diese Inseln betreten, auf Tahiti gar kein +Geheimniß war, sagte er ruhig:</p> + +<p>»Hat man schon versucht, mich Ihnen von der schlimmsten Seite +vorzuführen?«</p> + +<p>»Ob <span class="g">man</span> versucht hat?« lachte die Schöne, »Sie mögen selber urtheilen. +Uebrigens bin ich bei der Sache näher interessirt, als Sie vielleicht +glauben — Sie sind mein Gefangener.«</p> + +<p>»Auf Gnade und Ungnade,« lachte René, gern in den leichten Ton des +wirklich wunderschönen Mädchens eingehend, dessen Reize erst jetzt wie +es schien, nach und nach seinem Auge sichtbar wurden. »Aber<span class='pagenum'> <a name="Page_203" id="Page_203">[203]</a></span> tausend +solche Gefangene haben Sie wohl schon solcher Art gemacht, und werden +uns deshalb auch wohl auf unser Ehrenwort entlassen müssen, Ihrem +Triumphwagen scheinbar frei zu folgen.«</p> + +<p>»Auf Ehrenwort? — geben Sie kein leichtsinniges Versprechen, ehe Sie +wissen <span class="g">wem</span>?«</p> + +<p>»Wem?« sagte René erstaunt, aber ihr Gespräch wurde hier durch den +Tanz unterbrochen, der die Paare vor rief und trennte, und es bot sich +von jetzt an keine Gelegenheit wieder auch nur ein Wort weiter zu +wechseln, bis die Française beendet war. René nahm jetzt seiner +Tänzerin Arm, und sie den Saal niederführend sagte er fragend:</p> + +<p>»Und nun, mein Fräulein, lösen Sie mir das Räthsel — Sie tragen eine +Maske, legen die Hand daran sie zu lüften, und ziehen sie neckisch +wieder zurück. Ihr Spiegel sagt Ihnen schon, daß der Allmächtige Ihnen +einen gewaltigen Zauber in's Auge gelegt über uns arme Sterbliche; +mißbrauchen Sie die Macht nicht die Ihnen also gegeben — Sie bedürfen +dessen nicht.«</p> + +<p>»Ein Wallfischfänger ist doch wahrlich nicht der Ort Schmeicheleien zu +lernen,« lachte die Schöne laut auf, »und dennoch scheint es fast als +ob Sie selbst dort einen wesentlichen Theil Ihrer Zeit dazu benutzt +hätten, nicht außer Uebung zu kommen. Oder<span class='pagenum'> <a name="Page_204" id="Page_204">[204]</a></span> haben Sie das Alles schon +wieder hier auf den Inseln profitirt?«</p> + +<p>»Mein Fräulein,« bat der junge Mann.</p> + +<p>»Sie haben recht,« sagte die junge Dame da plötzlich ernster werdend, +»es wird Zeit daß wir unsere beiderseitigen Stellungen einnehmen, die +uns gebühren; also nochmals Monsieur, Sie sind mein Gefangener, René +Delavigne!«</p> + +<p>»Von Herzen gern.«</p> + +<p>»Halt — nicht für mich etwa, Monsieur, sondern für meinen Vater, +<span class="g">Jonathan Lewis</span>, Capitain des dreimastigen Wallfischfängers <span class="f">»the +<span class="g">Delaware</span>,«</span> gut gekupfertes Schiff erster Klasse A, und derzeit — «</p> + +<p>»Miß Lewis? — aber wie ist das möglich?« unterbrach sie René in +vollem, unbegrenzten Erstaunen.</p> + +<p>»Derzeit« fuhr aber das schöne muthwillige Mädchen ernsthaft fort, +»wahrscheinlich und mit Gottes Hülfe schon zu Hause, in Bedford, von +seinem Kreuzzug heimgekehrt.«</p> + +<p>»Aber Sie, eine Französin, des alten durch und durch Jankee Capitains +Tochter?« rief René, immer noch ungläubig.</p> + +<p>»Weigern Sie sich mir zu gehorchen, weil mir der schriftliche +Verhaftsbefehl gebricht?« frug Miß Susanne.<span class='pagenum'> <a name="Page_205" id="Page_205">[205]</a></span></p> + +<p>»Sie sind grausam, Miß.«</p> + +<p>»Nun denn, so will ich Ihnen mit zwei Worten das scheinbar +unerklärliche Räthsel lösen. Erstlich bin ich keine Französin, sondern +im New-York Staat in Nord-Amerika geboren, früh aber meiner Mutter +durch den Tod beraubt schickte mich der Vater — wie Sie mir bezeugen +werden, ein etwas rauher Seemann — nach Louisiana hinunter, wo seine +Schwester an einen französischen Pflanzer verheirathet war. Ist Ihnen +das nun klar?«</p> + +<p>»Ja, aber <span class="g">jetzt</span>?«</p> + +<p>»Aber <span class="g">jetzt</span>? ah, wie ich <span class="g">hierher</span> gerade komme?« lachte die Jungfrau — »Sie verlangen also in der That meine Legitimation? Ist das auch etwas +ungalant, will ich es doch den außerordentlichen Umständen zu Gute +halten. Schwächlich von Gesundheit, und von den Sümpfen Louisianas mit +wirklicher Gefahr für mein Leben bedroht, schien es, als ob mir der +rauhe Nord dafür keine Linderung bieten sollte, denn dort hinauf +zurückgekehrt, verschlimmerte sich mein Uebel eher, als daß es sich +gehoben hätte. Die Aerzte dort verordneten mir daher eine +Luftveränderung nach irgend einem milderen aber auch gesunden +tropischen Klima, und mein Vater, damals gerade im Begriff ein Schiff +zum Wallfischfang auszurüsten, sandte mich mit einem Jugendfreund von<span class='pagenum'> <a name="Page_206" id="Page_206">[206]</a></span> +sich voraus nach Tahiti, mich hier dann später zu besuchen und +vielleicht wieder abzuholen.«</p> + +<p>»Und war der Delaware hier?«</p> + +<p>»Nicht wahr <span class="g">das</span> interessirt Sie?« lachte Susanne.</p> + +<p>»Der Delaware interessirt mich allerdings,« lächelte René, »und Sie +werden mir den Grund nicht streitig machen.«</p> + +<p>»Nicht ich, Monsieur — Sie haben volle Ursache, aber ich gebe Ihnen +auch mein Wort, daß sich der Delaware damals für <span class="g">Sie</span> interessirte,« +fuhr Susanne fort, »denn mein Vater landete gerade auf Tahiti, als Sie +von ihm entsprungen waren, und eilte deshalb wieder besonders von hier +fort den »entsprungenen Matrosen«, wie er mir erzählte, auf jener +Insel wieder »abzuholen«. Wer mir damals gesagt hätte daß <span class="g">ich</span> so +glücklich sein sollte ihn wieder einzufangen.«</p> + +<p>»Warum waren Sie nicht früher an Bord,« sagte René, »ich wäre nie +davongelaufen.«</p> + +<p>»Trau' Jemand Euch Männern,« rief Susanne abwehrend — »kaum auf +festem Land, und mit keiner Sylbe mehr all jener heiligen Bande +gedenkend die den Flüchtigen jedenfalls noch im alten Vaterland +fesselten, hat er nichts Eiligeres zu thun als dem Beispiel seiner +Landsleute zu folgen, und sich ein<span class='pagenum'> <a name="Page_207" id="Page_207">[207]</a></span> armes Mädchen zu beschwatzen, das +ihm die Dauer seines Aufenthaltes hier die Zeit vertreibt.«</p> + +<p>»Sie thun mir Unrecht, Mademoiselle.«</p> + +<p>»Oh? — Ihnen sind die gemachten Contrakte wohl stets heilig?«</p> + +<p>René biß sich auf die Lippen und sagte nach kleiner Pause:</p> + +<p>»Also tadeln sie mich, daß ich mich dem Leben an Bord eines +Wallfischfängers, dem ich nicht anders hätte für Jahre vielleicht +entgehen können, durch die Flucht entzogen habe.«</p> + +<p>»Nein,« sagte Susanne lachend, und das große schwarze seelenvolle Auge +zu ihm aufhebend begegnete sie einen Moment seinem Blick, und glitt +dann wie musternd und mit kaum unterdrücktem Muthwillen an seinem +Anzug nieder — »ich begreife nur nicht,« fuhr sie dabei fort, »wie +Sie je den unglückseligen Gedanken gefaßt haben konnten <span class="g">an Bord</span> zu +gehen. Hahaha, wenn ich Sie jetzt so vor mir sehe, und Sie dann mir +als gewöhnlicher Matrose, in all dem Schmutz und entsetzlichen Leben +eines »<span class="f">Whalers</span>« unter dem wüsten rohen Volk denke — die +Glacéhandschuh trugen Sie damals noch nicht, wie? — und auch wohl +nicht den Frack? — Und wenn Sie nun damals wieder eingefangen wären? +aber die Ein<span class='pagenum'> <a name="Page_208" id="Page_208">[208]</a></span>zelheiten müssen Sie mir nächstens einmal erzählen, +versprechen Sie mir das?«</p> + +<p>»Mit Vergnügen.«</p> + +<p>»Und <span class="g">aufrichtig</span>?«</p> + +<p>»Wie meinem Beichtvater.«</p> + +<p>»Hm, ich weiß nicht ob ich mich <span class="g">damit</span> gerade begnügen möchte — doch +wir werden ja sehen. Und Ihre — <span class="g">Frau</span>?«</p> + +<p>»Steht dort drüben mit jenem Französischen Officier — darf ich Sie zu +ihr führen?«</p> + +<p>»Ich danke,« sagte die junge Dame mit etwas kalter Höflichkeit — »ich +komme aus Louisiana — und Sie dürfen mir nicht verargen, daß ich +gerade kein günstiges Vorurtheil habe für — braune Haut.«</p> + +<p>René sah erstaunt, ja beleidigt zu ihr auf, und Susanne begegnete fest +dem Blick, der in seiner innersten Seele zu wurzeln schien, dort die +geheimsten Gedanken errathen zu wollen.</p> + +<p>Es war ein wunderschönes Mädchen wie sie da vor ihm stand; die volle +üppige Gestalt doch so zart und schlank in dem elastischen Reiz der +Jugend; das edle Antlitz mit jenem weichen Zauber blühender Frische +übergossen, der unsere Sinne auf den ersten Blick gefangen nimmt; die +Augen voll Gluth und Feuer, und doch wieder eines so sanften Ausdrucks +fähig daß sie den ernsten Schatten Lügen straften,<span class='pagenum'> <a name="Page_209" id="Page_209">[209]</a></span> wenn er streng und +zürnend daraus hervorblitzen wollte, aber einen Himmel öffnend wenn +ihr Glanz in milder Ruhe strahlte.</p> + +<p>René schaute in diese Sterne voll Gluth und Leben, bis er fast vergaß +weshalb er zu ihr aufgeblickt, und wie bittere Worte die süßen vollen +Lippen erst gesprochen; denn wie ein leises Lächeln über die ernsten +Züge glitt, war es wie spielendes Sonnenlicht auf der murmelnden +Quelle im Waldesdunkel, mit tausend blitzenden funkelnden Lichtern +tief hinableuchtend bis auf den reinen Grund.</p> + +<p>»Sie sind beleidigt,« sagte sie endlich leise — »Sie hätten lieber +gehabt, daß ich eine Unwahrheit gesagt, der Gegenwart zu schmeicheln.«</p> + +<p>»Sie bringen ein Vorurtheil mit aus einer fernen Welt,« erwiederte +René, »und doch verzeih' ich Ihnen gern; Sie kennen Sadie noch nicht.«</p> + +<p>»<span class="g">Sadie</span> — ein schöner, klangvoller Name — ich wollte ich hieße +Sadie,« sagte Susanne — »wir in Nord-Amerika wählen unsere Namen fast +nur aus der Bibel.«</p> + +<p>»Ah, schon wieder einen alten Bekannten getroffen?« unterbrach in +diesem Augenblick die Stimme des Capitains der <span class="f">Jeanne d'Arc,</span> das +Gespräch, und zwar gerade zu einer Zeit wo Susanna, mit feiner Hand +eben wieder eingelenkt hatte in ein milderes<span class='pagenum'> <a name="Page_210" id="Page_210">[210]</a></span> Gleis. »Sie haben Glück, +Monsieur Delavigne — aber für jetzt möchte ich die Dame wenigstens um +den mir versprochenen Tanz bitten.«</p> + +<p>Miß Lewis nahm, mit einer leisen dankenden Neigung des Kopfes seinen +Arm, und René freundlich zunickend sagte sie:</p> + +<p>»Ich muß sie nachher noch einmal sprechen — werden Sie kommen?«</p> + +<p>René verbeugte sich, aber Sadiens Bild stand in diesem Augenblick vor +seiner Seele, und er erwiederte das Lächeln nicht.</p> + +<p>Als er zurückschritt, sein Weib aufzusuchen, war Sadie eben mit +Bertrand, der mit der Hand nach ihm hinübergrüßte, zum Tanze +angetreten, und an dem nächsten Fenster bleibend, lehnte er dort mit +untergeschlagenen Armen, dem Tanze, an dem er dießmal keinen Theil +nehmen wollte, zuzuschauen. Im Anfang schwammen ihm aber die Gruppen +vor den Augen, ohne daß er im Stande gewesen wäre ein einziges Bild +aufzufassen und zu halten. Vor seiner inneren Seele zog wieder und +wieder die schöne Fremde — zogen die kalten Worte, die sie +gesprochen, vorüber, und ein eigenes Weh, ein Gefühl dem er nicht +Worte, nicht Ausdruck zu geben vermochte, zuckte ihm durch das Herz. +Weshalb hatte sie ihn aufgesucht, weshalb sich ihm so freundlich +zugewandt; um ihn<span class='pagenum'> <a name="Page_211" id="Page_211">[211]</a></span> nur wieder zurückzustoßen? — war das Ganze eine +gewöhnliche Koketterie gewesen, ihn nur die <span class="g">Macht</span> fühlen zu lassen, +die sie über Männerherzen auszuüben gewohnt sei, und ihm dann lachend +die Kluft zu zeigen die zwischen ihnen liege? »Bah — « um seine Lippen +zuckte ein verächtliches Lächeln, als ihm der Gedanke aufstieg daß sie +sich <span class="g">ihn</span> zum Spiel ihrer Laune ersehen haben könnte — und was sonst +war ihr Zweck? »Thörichtes Mädchen«, murmelte er leise vor sich hin, +»Deine Schönheit vermag wohl das Auge zu blenden für kurze Zeit, aber +den Mangel an Herz kann sie nicht ersetzen; geh und suche Dir ein +anderes Spiel, bei mir hast Du Deine Zeit verloren.«</p> + +<p>Und wieder wechselten die Bilder in Zauberschnelle vor seinem inneren +Auge — die liebliche Gestalt in dem prächtigen Ballstaat — die +vorüberschwirrenden Paare, deren einzelne Umrisse er schon nicht mehr +sah; dazu die Musik, alte bekannte, lange lange nicht mehr gehörte +Töne aus der Heimath — Weisen nach denen er selbst in schönerer Zeit — heiliger Gott <span class="g">die</span> Erinnerung — — Er barg die Augen mit der linken +Hand, aber nur wilder und unermüdlicher stürmten die Gedanken auf ihn +ein, und nicht mehr entgehen konnte er den unabweisbaren.</p> + +<p>Mehre Minuten mußte er so gestanden haben,<span class='pagenum'> <a name="Page_212" id="Page_212">[212]</a></span> als eine leichte Hand +seinen Arm berührte, und fast erschreckt blickte er empor.</p> + +<p>»Bist Du krank?« sagte eine leise, liebe Stimme, und Sadies treue +seelenvolle Augen schauten bang und sorgend zu ihm empor; aber er +bedurfte Secunden sich zu sammeln, sich zurückzurufen aus den Scenen +in denen er jetzt — zum ersten Mal wieder nach langen Jahren — geweilt, und die er bis dahin mit fester Willenskraft +zurückgeschleudert hatte wohin sie gehörten — in die Vergangenheit. +Heute zum ersten Mal wieder, geweckt durch den Jugendgespielen +vielleicht — vielleicht durch jenes schöne, kalte Bild, das ihn anzog +und abstieß zugleich in wunderbarer Kraft, waren sie in altem Grimm +und Schmerz erwacht, und es bedurfte wahrlich eines anderen, kaum +minder starken Zaubers ihre Gewalt zu brechen, oder doch zu mildern.</p> + +<p>Sadie — wie ein Sonnenstrahl der Wolken Nacht durchbricht, und Licht +und Leben über die noch vor wenig Augenblicken nur mit Nebelschatten +gedeckten Fluren wirft, so tauchte plötzlich das holde Bild in all +seiner Milde und Lieblichkeit vor ihm auf, und Harfentönen gleich, die +mit den weichen vollen quellenden Tönen nicht mehr allein durch das +Ohr, nein durch alle Poren unseres Körpers in die Seele dringen und +die Nerven nachklingen machen ihre Harmonie,<span class='pagenum'> <a name="Page_213" id="Page_213">[213]</a></span> in dem Vibriren ihrer +feinsten Fasern, so sah er nicht allein das holde Kind in all seiner +Lieblichkeit vor sich stehen, nein so fühlte er auch das Wohlthuende +ihrer Nähe, das den bösen Geist zurückdrängte der ihn beschlich, und +leise ihre Hand ergreifend, die in der seinen zitterte flüsterte er +das Zauberwort, das sich ihm selber retten sollte — »Sadie!«</p> + +<p>»Du bist krank, René,« sagte aber die junge Frau, ihn zum Fenster +drehend — »Du siehst bleich und angegriffen aus — laß uns zu Hause +gehen« — setzte sie dann rasch und leiser hinzu — »Dir wird wohler +dort, viel wohler, und — mir auch.«</p> + +<p>»Mir fehlt Nichts, Du holdes Kind,« erwiederte René lächelnd — ein +eigenes Gefühl trieb ihn seine jetzige Bewegung wie deren Ursache vor +dem Weibe zu verbergen, aber es lag etwas Gezwungenes in den Worten, +und das Auge der Liebe täuschte es nicht. René fühlte das auch wohl, +und jeden weiteren Verdacht zu beschwichtigen, vielleicht weiteren +Fragen zu entgehen, die er fürchtete, setzte er mit lauter fröhlicher +Stimme hinzu: »nein Kind, mir ist sogar heut' Abend recht froh und +leicht zu Sinn, und ich will noch recht viel tanzen. Verschmähte +Freude kehrt nimmermehr zurück und es wär' Sünde sie von der Thür zu +weisen.«</p> + +<p>»Ich weiß nicht von wem Sie sprechen,« sagte in diesem Augenblick eine +lachende Stimme an seiner<span class='pagenum'> <a name="Page_214" id="Page_214">[214]</a></span> Seite, und die muntere Madame Belard trat +zu ihnen hinan — »aber nicht mehr wie schuldige Artigkeit wär' es, +sollt ich denken, die Wirthin, wenigstens zu einem einzigen Tanz zu +engagiren, daß sie nicht den <span class="g">ganzen</span> Abend auch nur zusehen muß, wie +sich ihre Gäste amüsiren.«</p> + +<p>René hätte in diesem Augenblick keine erwünschtere Entschuldigung +finden können, einer ihm jedenfalls peinlichen Besorgniß, ja mehr +noch, weiteren Fragen auszuweichen, und Sadie freundlich zunickend, +bot er der Frau Belard den Arm. Diese aber, die ihm noch scherzend den +Text las über seine für sie keineswegs schmeichelhafte Unhöflichkeit, +bat er jetzt mit all jenem liebenswürdigen Leichtsinn, der ihm so gut +stand vielleicht weil er ihm so ganz natürlich war, um Verzeihung, des +begangenen Fehlers wegen, den er schon wieder gut machen wolle, wenn +sie nur eben freundlich genug sein würde ihm Gelegenheit dazu zu +gönnen.</p> + +<p>»Hallo Sadie,« sagte in diesem Augenblick Aumama, die an ihre Seite +trat, »Du machst ja ein merkwürdig ernstes Gesicht — bist Du schon +müde?«</p> + +<p>Sadie schüttelte lächelnd mit dem Kopf.</p> + +<p>»So leicht nicht, Aumama,« sagte sie leise, ihren Arm um der Freundin +Schulter legend, »und mir gefällt das Tanzen wundergut, wenn ich nur +wüßte«<span class='pagenum'> <a name="Page_215" id="Page_215">[215]</a></span> setzte sie wieder ernster werdend und leiser hinzu — »ob wir +auch recht thun mit solcher Lust, und vielleicht nicht gar eine Sünde +begehen, von der wir uns selber vorlügen, daß das Ganze ja doch nur +eine unschuldige Freude sei.«</p> + +<p>»Und was ist's sonst?« lachte Aumama, »nimm mir den Tanz, und ich geb' +Dir mein Leben in den Kauf. — Nur die Gesellschaft — und die Art +hier <span class="g">wie</span> sie's treiben gefällt mir nicht. — Das Umfassen hemmt die +freie fröhliche Bewegung der Glieder, das Drehen treibt mich +schwindlich, daß sich die Stube mit mir im Kreise wirbelt. Auch die +Wände, der Boden hier machen mich irr und unbehaglich; mir wird als ob +ich draußen im Canoe in offener See triebe und die Wellen mich auf und +nieder würfen. Nein, gieb mir den freien offenen Plan, die blühenden +Zweige und blinkenden Sterne über uns, die lustige Trommel zum +Einschlag in Tritt und Sprung, und ich bin Dein mit Leib und Seele, +wie Du mich willst. Hei wie die Tapa im Winde flattert und die Locke +Dir um die Schläfe jagt, wie das Blut da durch die Adern schießt, und +zu flüssigem Feuer wird, eh' es zum Herzen zurückkehrt. Bah, hier der +Tanz ist kalt — kalt wie das Land aus dem er kommt, und es kann mir +das Herz nicht erwärmen, ob sie auch blasen und Specktakel machen mit +ihren wunderlichen<span class='pagenum'> <a name="Page_216" id="Page_216">[216]</a></span> Instrumenten, aus Leibeskräften. Nicht einmal eine +Trommel haben sie dabei, und das nennen sie Musik.«</p> + +<p>»Du bist ein wunderliches Mädchen,« lächelte Sadie — »fremde Völker +haben doch auch fremde Sitten.«</p> + +<p>»Eben deshalb sollen sie uns die unseren lassen,« trotzte Aumama — »aber, was ich Dich fragen wollte,« setzte sie ernster hinzu — »wer +ist das weiße Mädchen das mit René so lange tanzte, und so viel mit +ihm zu sprechen hatte?«</p> + +<p>»Ich weiß es nicht,« sagte Sadie — »eine Fremde, glaub' ich, die von +Papara oder dessen Nachbarschaft kommt, und wohl hier wohnen bleiben +wird; — warum?«</p> + +<p>»Mir gefiele das nicht, wär' ich wie Du,« sagte die Freundin mit dem +Kopfe schüttelnd — »sie hat ein glattes listiges Gesicht und ihr +Blick — ich konnte ihre Sprache nicht verstehen, aber das ist oft +nicht nöthig wenn die Augen so deutlich reden wie die Lippen.«</p> + +<p>»Und was haben die Dir gesagt?« frug Sadie.</p> + +<p>»Nichts was mich freute,« antwortete Aumama, »aber auch Nichts was ich +wieder erzählen möchte; man soll keinem Menschen etwas Uebles +nachreden, noch dazu auf den bloßen Verdacht hin.«</p> + +<p>»Du bist ärgerlich auf die fremden Frauen,« sagte Sadie lächelnd, +»weil Du nicht mit ihnen umgehen<span class='pagenum'> <a name="Page_217" id="Page_217">[217]</a></span> kannst wie wir es gewohnt sind unter +einander; es ist wohl möglich daß Du ihnen dabei unrecht thust. Aber +René hat seitdem gar nicht wieder mit ihr gesprochen.«</p> + +<p>»Aber auch mit Niemand Anderem,« sagte Aumama schnell — »er stand da +am Fenster und stützte den Kopf in die Hand, bis Du zu ihm kamst.«</p> + +<p>Sadie schwieg und sah sinnend vor sich nieder; ihr Blick haftete aber +nicht lange am Boden, sondern suchte den Gatten, in dem wilden Gewirr +des Tanzes, dem sich René wieder mit vollem Eifer hingegeben. Aber +die, nach der ihr Blick dann umherschweifte, fand sie nicht; Miß Lewis +hatte den Saal verlassen und René lachte und plauderte noch immer mit +seiner lebendigen Tänzerin, der Frau Belard.</p> + +<p>Doch neue Gäste kamen zum Tanz, in dem jetzt gerade eine kurze Pause +eintrat, den Tänzern Gelegenheit zu geben sich an den hie und da +angebrachten und mit Früchten, Kuchen und Wein bedeckten Tafeln zu +erfrischen, und kaum schwieg die Musik, als Manche der wilden Mädchen, +froh eines lästigen Zwanges enthoben zu sein, in die Mitte des Saales +sprangen und sich dort bald von einem großen Theil der Männer umgeben +fanden.</p> + +<p>»Kommt!« rief Eine der fröhlichen Schaar, sich jetzt wenig an die +geputzten Fremden kehrend, deren<span class='pagenum'> <a name="Page_218" id="Page_218">[218]</a></span> unbekannte Weisen und monotones +Drehen im Ring herum sie schon lange geärgert und ermüdet hatte,</p> + +<p> +»Komm! denn der scharfe Ton<br /> +Hat mich gelangweilt schon,<br /> +<span style="margin-left: 1em;">Komm!</span><br /> +<span style="margin-left: 1em;">Zuckt mir's durch Fuß und Knie,</span><br /> +<span style="margin-left: 1em;">Zuckt mir's im Herzen hie!</span><br /> +<span style="margin-left: 1em;">Komm!«</span><br /> +</p> + +<p>»Frieden, Wahine — gieb Ruhe — fort mit Dir, Mädchen!« riefen +einzelne lachende Stimmen dazwischen — »hier ist kein Platz für Euere +wilden Tänze, wo fremde Frauen sind — auseinander mit Euch!«</p> + +<p>»Fort?« riefen aber Andere dazwischen, denen der wilde bekannte Laut +die Pulse schon rascher klopfen machte —</p> + +<p> +»Fort? laß sie schwatzen da,<br /> +Herzchen wir kommen ja,<br /> +<span style="margin-left: 1em;">Fort — </span><br /> +<span style="margin-left: 1em;">Rasch nur die Trommel her,</span><br /> +<span style="margin-left: 1em;">Stehn wir nicht müßig mehr.</span><br /> +<span style="margin-left: 1em;">Fort!«</span><br /> +</p> + +<p>und den Takt auf den Lenden schlagend mit ihren flachen Händen, und +singend und lachend begann die muntere Schaar, trotz dem Einspringen +einzelner Männer, die vielleicht nicht mit Unrecht fürchteten daß<span class='pagenum'> <a name="Page_219" id="Page_219">[219]</a></span> der +Tanz in dem Uebermuth des jubelnden Schwarmes ausarten könnte, den +wilden <span class="f">Upepehe</span>, den Lieblingstanz ihres Stammes.</p> + +<p>Die neuangekommenen Gäste, zwei Marine-Officiere der <span class="f">Jeanne d'Arc</span>, +mischten sich gleich lachend unter die jubelnden Dirnen, die sie fast +Alle kannten, und Mad. Belard beschwor jetzt René, seinen Einfluß +aufzubieten das zügellose Volk wieder zur Ordnung zurückzubringen, was +aber mit nicht wenig Schwierigkeiten verbunden war. In der Mitte +gestört, stoben sie nach allen Seiten hinaus, jede auf eigene Hand den +begonnenen Tanz auszuführen, und es wurde auch in der That erst dann +möglich sie wieder zu vollkommener Ordnung zu bringen, als die +Trompeten, auf Renés Zeichen, von Neuem zu einem Tanze einsetzten und +dadurch die Mädchen, die denen entgegen nicht ihren eigenen Takt +beibehalten konnten, zwangen aufzuhören.</p> + +<p>Als die Musik nun aber, nicht wieder durch eine neue Pause neue +Störung zu verursachen, in dem begonnenen Stücke blieb, sahen sich die +letztgekommenen Officiere ebenfalls nach Tänzerinnen um. Von weißen +Damen schien aber nur noch Mrs. Noughton übrig geblieben zu sein, die +trotz allen Aufforderungen auch noch nicht einen Schritt heut' Abend +getanzt, sondern wacker an der Seite ihres eben so langwei<span class='pagenum'> <a name="Page_220" id="Page_220">[220]</a></span>ligen +Gatten auf dem einen Canape ausgehalten hatte. Madame Belard war mit +Monsieur Brouard angetreten, Madame Brouard mit dem Capitain, und +Fräulein Susanne blieb verschwunden. Mrs. Noughton weigerte sich aber +auch dießmal mit einer steifen Verbeugung an dem Tanze Theil zu nehmen +und Einer der neugekommenen Officiere schaute eben, leicht getröstet, +im Saal umher, sich unter den anwesenden Insulanerinnen Eine +herauszusuchen, mit der er möglicher Weise im Walzer fortkäme, als er +Sadie bemerkte, deren Europäische Tracht ihm gerade nicht besonders +auffiel. Rasch auf sie zu tretend, legte er seinen Arm um ihre Taille +und sagte:</p> + +<p>»Komm Wahine, dann wollen wir einmal versuchen wie wir herum kommen, +und halt das Köpfchen steif, daß Du mir nicht schwindlich wirst; ich +drehe Dich schon.«</p> + +<p>René hatte sich mit Bertrand wieder zusammengefunden, und schritt eben +langsam der Stelle zu wo Sadie stand, als er sah wie sie sich in dem +Arm des Fremden sträubte und sich ihm zu entwinden suchte; der junge +Officier aber, schon seit Monden langem Aufenthalt auf den Inseln +gewohnt mit den Frauen Tahitis umzugehen, glaubte nur hier eine etwas +spröder als gewöhnliche Schöne gefunden zu haben, und rief lachend:<span class='pagenum'> <a name="Page_221" id="Page_221">[221]</a></span></p> + +<p>»Zum Teufel, mein Mädchen, stemme Dich nur nicht, ich thue Dir +Nichts;« Sadie aber war so erschreckt, daß sie nicht vermochte einen +Laut über die Lippen zu bringen und sich von dem starken Manne schon +emporgehoben fühlte, als René mit einem Sprung an ihrer Seite war, und +seine Hand mit einem Eisengriff in des Soldaten Schulter heftend, mit +vor Zorn bebender und kaum hörbarer Stimme sagte:</p> + +<p>»Zurück da, Monsieur — das ist mein Weib.«</p> + +<p>»Sollst sie behalten, Kamerad,« lachte der junge, etwas rohe +Marine-Officier, »aber ein Tänzchen muß sie erst mit mir machen, davon +hilft ihr kein Gott.«</p> + +<p>»Lassen Sie mich los, Monsieur!« rief auch in diesem Augenblick Sadie, +die durch Renés Gegenwart ermuthigt, ihre Sprache wieder gewann, und +der Officier, durch das flüssige Französisch der Insulanerin +überrascht, ließ kaum in seinem Griff um ihre Taille nach, als er sich +auch schon von dem, kaum seiner Sinne mehr mächtigen René gefaßt und +mehre Schritte zurückgeschleudert fand.</p> + +<p>»Teufel!« schrie er, und die Hand fuhr fast unwillkührlich nach dem +leeren Degenkoppel, Bertrand sprang aber dazwischen, und der Officier +auch, sich rasch besinnend wo er sich befand, und daß er hier das Fest +nicht stören durfte, biß nur die Zähne auf<span class='pagenum'> <a name="Page_222" id="Page_222">[222]</a></span> einander und winkte dem, +trotzig zu ihm hinüberschauenden René ihm zu folgen. Aber andere Augen +hatten ebenfalls den Wink gesehen und verstanden, und ehe René im +Stande war sich von Sadie frei zu machen, und dem stillen aber wohl +begriffenen, ja erwarteten Ruf zu folgen, fühlte er eine Hand auf +seiner Schulter, und der Capitain der <span class="f">Jeanne d'Arc,</span> der gerade +zufällig mit seiner Tänzerin dort stehen geblieben, und Zeuge des +ganzen blitzesschnell in einandergreifenden Vorfalls gewesen war, bat +ihn, nur wenige Minuten auf seiner Stelle zu bleiben, bis er ihm +Antwort bringe von draußen. Dann ohne weiteres dem Officier folgend, +erreichte er diesen gerade an der Thür, faßte seinen Arm und führte +ihn mit sich hinaus.</p> + +<p>In dem Saal war indessen für den Augenblick Todtenstille eingetreten; +die Musici, vor denen der Streit stattgefunden, hatten auch fast wie +verabredet, aufgehört zu blasen so wie die Tänzer stockten. Auch die +übrigen Gäste, wenn auch nur wenige von ihnen die Ursache des so +plötzlich aufgetauchten Streites kannten, sahen daß er schon zu weit +gegangen war, anders als mit Blut wieder gesühnt zu werden, und +standen in jener peinlichen Erwartung, dem Ausgang des Ganzen +entgegenzusehen, die wir uns wohl stets bei irgend einer nahenden +Gefahr, mag sie uns<span class='pagenum'> <a name="Page_223" id="Page_223">[223]</a></span> oder einen Andern bedrohen, beschleichen fühlen. +Nur die eingeborenen Mädchen, denen nicht entgangen war daß Einer der +Betheiligten den Saal verlassen hatte, glaubten damit natürlich Alles +beigelegt, und zuerst die feierliche und so plötzliche Stille um sich +her einen Augenblick erstaunt beobachtend, gewann das leichte Element +bei ihnen doch nur zu bald wieder die Oberhand.</p> + +<p>»Hierher Waihines!« rief plötzlich die lachende Stimme Nahuihuas, der +Schwester Aumamas, mit der Lefevre schon fast den ganzen Abend getanzt +--</p> + +<p> +Schnell!<br /> +Schnell wie der gier'ge Hai<br /> +Schneidet die Fluth entzwei,<br /> +Schnell —<br /> +</p> + +<p>»Ruhe Wahine!« flüsterte es rasch um sie her, und das Mädchen schwieg +erschreckt, mitten in ihrem Gesang, als sie die ernsten finstern +Gesichter all' erblickte, die sich rasch und bestürzt auf sie +richteten.</p> + +<p>Madame Belard wußte aber wie dieser böse Geist zu bannen sei, und dem +Orchester ein Zeichen gebend, daß jetzt rasch wieder in den +unterbrochenen Tanz einfiel, ergriff sie den Arm Renés und den halb +Widerstrebenden mit sich fortziehend, flüsterte sie leise und +dringend:</p> + +<p>»Ei, Sie ungezogener Mensch, den eine Dame<span class='pagenum'> <a name="Page_224" id="Page_224">[224]</a></span> zum Tanz förmlich mit +Gewalt <span class="g">zwingen</span> muß. Sie haben mir meinen Tänzer fortgejagt, und sind +jetzt auch verpflichtet dessen Stelle zu übernehmen. Ueberdieß fühlen +Sie denn nicht daß Alles auf Sie achtet?« setzte sie leiser hinzu. +»Machen Sie wieder gut was Sie verdorben haben, und zeigen Sie den +Leuten daß Sie gar nicht daran denken Skandal anzufangen!«</p> + +<p>René fühlte mehr wie er verstand, daß sie recht hatte; einen Blick +nach Sadie zurückwerfend, die er jetzt in Bertrands Schutz sah, kam +ihm auch die Erinnerung an das Vergangene, und sich zu seiner +liebenswürdigen Tänzerin niederbiegend bat er leise:</p> + +<p>»Vergebung, theuerste Frau, Vergebung für den fatalen Auftritt den +ihnen hier meine Hitze bereitet, aber — «</p> + +<p>»Ich weiß Alles,« beruhigte ihn Madame Belard, »ein Mißverständniß nur — ruhig Monsieur, Sie sollen mir nicht wieder hitzig werden und +aufbrausen, so lange <span class="g">ich</span> jetzt in Ihrem Schutze bin — ein +Mißverständniß war die ganze Ursache, der junge Officier, der Sie gar +nicht kannte, kann nicht die Absicht gehabt haben Sie oder Sadie +wissentlich beleidigen zu wollen, und würde vielleicht eben so leicht +daran denken sich einen Finger abzuschneiden, als Streit zu suchen +hier bei mir.«</p> + +<p>»Aber er hat — «<span class='pagenum'> <a name="Page_225" id="Page_225">[225]</a></span></p> + +<p>»Ich weiß ja Alles,« unterbrach ihn wieder Madame Belard, in +gutmüthiger Ungeduld mit dem Kopf schüttelnd, als sie zum Ausruhen +abgetreten waren und Nichts als eingeborene Frauen um sich sahen, die +nicht verstanden was sie sprachen. »Er hat Ihre Frau nach <span class="g">unseren</span> +Begriffen von dem was sich schickt und gehört, beleidigt, und wäre das +auf einem Europäischen Ball vorgefallen, so könnte nichts anderes als +Degen oder Pistol den Streit entscheiden; hab' ich recht?«</p> + +<p>»<span class="g">Wäre</span> das?« wiederholte René erstaunt — »und ist das nicht hier, bei +<span class="g">meiner</span> Frau genau dasselbe?«</p> + +<p>»Nein, nein und abermals nein!« sagte aber Madame Belard ungeduldig; +»nach Insulanischen Begriffen von Ehre und Schicklichkeit — «</p> + +<p>»Aber meine Frau ist — «</p> + +<p>»Eine Insulanerin, Sie mögen's drehen und wenden wie Sie wollen; und +wenn sie eine Ausnahme macht von den übrigen, von denen sie allerdings +wie Tag und Nacht verschieden ist, so liegt der doch nicht auf der +<span class="g">Haut</span> zu Tage, und das junge fröhliche Stück von einem Officier, das in +seinem Uebermuth, von den Schiffsbanden auf einen Abend frei zu sein, +nur hier herein springt, sich, wie es keine weiße Tänzerin bekommen +kann, nach dem schönsten<span class='pagenum'> <a name="Page_226" id="Page_226">[226]</a></span> Indianischen Gesicht umschaut und da aus +Versehen gerad' auf <span class="g">Ihre</span> Frau trifft, hätte eben so gut vermuthen +können einen Neger in weißer Haut zu finden, als eine Indianerin, die +sich so ganz ihrer eigenen Sitten entschlagen, und Europäischen +Gebräuchen mit ihrer Sprache und Haltung zugewandt hat.«</p> + +<p>»Aber ihre ganze Kleidung mußte ihm das schon von vorn herein +verrathen.«</p> + +<p>»Als ob Ihr Männer überhaupt je sähet womit sich eine arme Frau +herausgeputzt hat, diesen Herren der Schöpfung zu gefallen,« spottete +die junge Frau halb im Scherz halb im Ernst; »entweder Ihr mustert +ganz genau und auf das peinlichste, immer dabei Eueren schlechten +Geschmack bewährend, oder Ihr wißt nicht einmal ob wir Seide oder +Cattun getragen, wenn wir Stunden lang in Euerer Gesellschaft gewesen +sind — Gott ist der Mensch grob,« seufzte sie dann nach einer kleinen +Pause, als René schwieg und vor sich nieder schaute, mit komischem +Ernst; »handgreiflich leg' ich's ihm in den Weg, und nicht eine kleine +unbedeutende Schmeichelei sagt er mir dafür.«</p> + +<p>»Liebe Madame Belard,« bat René.</p> + +<p>»Ich bin schon wieder gut,« lachte die kleine Frau, »aber René,« +setzte sie ernster, und einen Blick umherwerfend ob sie Niemand +überhöre, hinzu — »seien Sie auch vernünftig, setzen Sie sich über +eine kleine<span class='pagenum'> <a name="Page_227" id="Page_227">[227]</a></span> Vernachlässigung Ihres sonst so lieben Weibchens eher +einmal hinweg, als Sie es nöthig hätten wenn sie — eben von — unserer Farbe wäre. Der Fremde kann nun einmal unsere +Privatverhältnisse nicht so leicht durchschauen, und wird der <span class="g">farbigen +Eingeborenen</span> nie eine solche Achtung und Aufmerksamkeit zollen, als ob +sie ihm ebenbürtig wäre.«</p> + +<p>»Und ist sie das nicht?« rief René erstaunt, und Madame Belard biß +sich auf die Lippen; sie zögerte augenscheinlich mit einer Antwort, +die sie sich scheute gerade auszusprechen.</p> + +<p>»Lieber René,« sagte sie endlich nach einer kleinen Pause mit +wirklicher Herzlichkeit im Ton, wie sie bis jetzt noch nie zu ihm +gesprochen, »Sadie ist ein liebes herziges Kind, eine Frau die man +lieber gewinnt mit jedem Tag, und ihre ganze Seele liegt in ihrem +Blick, aber — «</p> + +<p>»Aber? Madame Belard?«</p> + +<p>»Sie haben sich mit ihr die Rückkehr in die Heimath abgeschlossen,« +setzte die kleine Frau endlich entschlossen hinzu — »Sie haben sich +auf Ihre Bambushütte und den Meeresstrand beschränkt, und — ich weiß +nicht ob Sie daran gut gethan haben.«</p> + +<p>»Und paßt Sadie nicht in jede Gesellschaft?«</p> + +<p>»Ja — aber die Gesellschaft paßt nicht für sie;« lautete die rasche +Antwort; »wenn sie von der Gesell<span class='pagenum'> <a name="Page_228" id="Page_228">[228]</a></span>schaft als das aufgenommen würde was +sie wirklich ist, in all' ihrer Anmuth und holden Weiblichkeit, keine +andere Frau könnte höher stehen, aber wir leben nun einmal in einer +Welt von Vorurtheilen, und — können nicht durch die Wand mit dem +Kopf.«</p> + +<p>»Aber ich will von der Welt Nichts mehr — mir genügt das Glück das +ich besitze — sie sollen mir das nur unverkümmert lassen.«</p> + +<p>Madame Belard schüttelte mit dem Kopf und sagte ernst:</p> + +<p>»Sie kennen sich selber nicht, Delavigne, und sind hier in +Verhältnisse gekommen, die Sie noch nicht übersehen können; gebe Gott +daß ich unrecht habe, aber Sie passen so wenig zu dem thatenlosen +Leben dieser Inseln wie — ich, und ich will auch meinem Gott danken, +wenn Monsieur Belard einmal ebenso denken lernt und die Segel wieder +heimwärts setzt.«</p> + +<p>»Und was sollte mich hindern ebenfalls nach Hause zurückzukehren?« +frug René, doch sein Auge suchte dabei den Boden als er sprach, und +nur als Madame Belard gar nicht antwortete sah er auf, und vor ihm +stand, mit einem eigenen Lächeln auf den zarten Lippen, <span class="g">Susanne</span>; aber +ohne ihn anzureden schüttelte sie nur leise und wie mißbilligend mit +dem Kopf und schritt langsam der Stelle zu, auf welcher sich Herr und +Madame Brouard eben zum<span class='pagenum'> <a name="Page_229" id="Page_229">[229]</a></span> Fortgehen anschickten. Ihm blieb jedoch keine +Zeit weiter, denn durch die Tänzer schritt der Capitain der <span class="f">Jeanne +d'Arc</span>, und mit einer entschuldigenden Verbeugung gegen Madame Belard +René's Arm ergreifend, führte er ihn mit hinaus in's Freie, wo die +kühle Seeluft seine heiße Stirn fächelte, und die Sterne gar +freundlich und traut auf sie herniederschienen.</p> + +<p>»Mr. Delavigne,« begann er hier, freundlich des jungen Mannes Hand +fassend und drückend, »es ist zwischen Ihnen und einem meiner +Officiere ein mir höchst fataler, ja schmerzlicher Fall vorgekommen.«</p> + +<p>»Ich stehe dem Herrn mit Vergnügen jeden Augenblick zu seiner +Genugthuung bereit,« erwiederte René ruhig.</p> + +<p>»Ich weiß das, ich weiß das,« beseitigte es der Capitain — »aber die +Sache ist, daß Sie Beide recht und Beide unrecht haben.«</p> + +<p>»Ich verstehe Sie nicht,« sagte René.</p> + +<p>»Ich will mich deutlicher erklären,« fuhr der Capitain fort; »Sie sind +selber zu gut mit den hiesigen Verhältnissen bekannt, als daß ich +nöthig hätte Ihnen den Standpunkt anzugeben, auf dem die Indianischen +Mädchen den Europäern gegenüber stehen; Sie müssen den geringen +moralischen Zwang kennen, den sich beide Theile hier auferlegen, und +Monsieur Rodolphe konnte keine Ahnung haben, daß Eine von Tausen<span class='pagenum'> <a name="Page_230" id="Page_230">[230]</a></span>den +eine solche Ausnahme ihres Geschlechts hier machte.«</p> + +<p>»Er ist vollkommen gerechtfertigt Genugthuung zu verlangen,« +erwiederte René, dem es weh that das Geschlecht der Indianer so +herabgewürdigt zu sehen; doppelt weh vielleicht weil er fühlte wie +viel Wahrheit das Gesagte enthalte.</p> + +<p>»Tollköpfiges Geschlecht,« murmelte der Capitain, den Kopf ärgerlich +herüber und hinüber werfend, »aber Ihr sollt Euch nicht schießen, +Mann, Ihr sollt Euch mit einander vertragen, und einsehen daß Euch +Gott Euere gesunden Glieder gegeben hat, sie zur Ehre Eueres +Vaterlandes einzusetzen, wenn's Noth thut, aber nicht da in die +Schanze zu schlagen, wo es nur eines offenen Wortes zwischen beiden +Theilen bedarf, sich zu überzeugen daß Beide unrecht hatten.«</p> + +<p>»Monsieur Rodolphe wird schwerlich, nach dem Vorhergegangenen, das +erste Wort zum Frieden bieten,« sagte René vor sich hin.</p> + +<p>»So thun <span class="g">Sie</span> es, Delavigne,« rief der Capitain.</p> + +<p>»Ich? — nie« — zischte René zwischen den zusammengebissenen Zähnen +durch — »er hat mein Weib beleidigt und jeder Andere hätte wie ich +gehandelt. Aber trotzdem will ich die Hand zur Versöhnung reichen,« +setzte er finster hinzu, »wenn Monsieur Rodolphe mit mir zu Madame +Delavigne geht, und<span class='pagenum'> <a name="Page_231" id="Page_231">[231]</a></span> die Dame dort, der begangenen Rohheit wegen, um +Entschuldigung bittet. Sie wissen selber Capitain, daß nach unseren +Begriffen von Ehre keine weitere Wahl mir oder ihm bleibt.«</p> + +<p>»Aber Delavigne, das würde bei — das würde bei — das würde in Europa +nöthig sein, aber hier — «</p> + +<p>»Und sind unsere Gesetze der Ehre hier anderer Art?« frug René ihm +scharf dabei in's Auge schauend.</p> + +<p>Capitain Sinclair biß sich auf die Lippen — er konnte Nichts darauf +erwiedern wenn er René nicht kränken und einen zarten, höchst +schwierigen Punkt berühren wollte; aber er wußte auch daß sich +Rodolphe gerade wieder <span class="g">seinen</span> Begriffen von Ehre nach, einer +Insulanerin gegenüber, deren Ehen mit den Weißen als viel zu leicht +und zu wenig bindend angenommen wurden, nie dazu verstehen würde.</p> + +<p>Es blieb da weiter keine Wahl, und tief aufseufzend und ärgerlich sich +abdrehend sagte der Capitain, der gern das Aeußerste vermieden hätte, +aber die Unmöglichkeit auch einsah:</p> + +<p>»So macht was Ihr wollt; schießt Euch beide ein paar Kugeln durch die +Jacken — so sind ein paar Tollköpfe weniger auf der Welt — aber ich +will mit der ganzen Sache Nichts weiter zu thun haben — Nichts davon +wissen — die Folgen über Euch!«</p> + +<p>Er kehrte raschen Schrittes in das Haus zurück,<span class='pagenum'> <a name="Page_232" id="Page_232">[232]</a></span> von der anderen Seite +aber näherte sich dem jungen Mann ein Marineofficier und sagte +höflich:</p> + +<p>»Monsieur Delavigne, wenn ich recht bin?«</p> + +<p>»So ist mein Name.«</p> + +<p>»Sie wissen, was — «</p> + +<p>»Ich stehe Ihnen mit Vergnügen zu Diensten.«</p> + +<p>»An wen wünschen Sie daß ich mich wende?«</p> + +<p>»Lieutenant Bertrand wird so freundlich sein — «</p> + +<p>»Ah — besten Dank, Monsieur, und guten Abend.«</p> + +<p>Mit höflichem Gruß trennten sich die beiden Männer, und René folgte +dem vorangegangenen Capitain, Bertrand in Kenntniß zu setzen und um +seinen Beistand zu bitten, und seine Frau nach Hause abzuholen. Der +Abend war ihm verleidet worden gegen weitere Lust und Freude. +Unbemerkt, wenigstens unbeachtet hatte er dabei gehofft den Saal +wieder betreten zu können, Madame Belard schien ihn aber schon in +Angst und Sorge erwartet zu haben, und seinen Arm ergreifend führte +sie ihn den Saal entlang.</p> + +<p>»Was haben Sie gethan?« flüsterte sie dabei, »Sie wilder Mann; und die +arme Frau sitzt da drin und weint und sorgt und grämt sich, und weiß — ahnt noch nicht einmal das Schlimmste.«</p> + +<p>»Wo ist Sadie?« frug René leise, sich im ganzen Saal vergebens nach +ihr umschauend.<span class='pagenum'> <a name="Page_233" id="Page_233">[233]</a></span></p> + +<p>»Auf meinem eigenen Zimmer — ich führe Sie dorthin.«</p> + +<p>»Nur einen Augenblick, Madame,« bat René, »ich habe nur einem Herrn da +drüben zwei Worte zu sagen; entschuldigen Sie mich nur einen Moment, +ich bin gleich wieder bei Ihnen.«</p> + +<p>»Und so soll es doch zum Aeußersten getrieben werden?« flüsterte +erbleichend Madame Belard.</p> + +<p>René zuckte die Achseln — aber Bertrand, ebenfalls im Begriff den +Saal zu verlassen, stand nur wenige Schritte von ihm entfernt — wenige Worte leise geflüstert, genügten — sie drückten einander die +Hand, und René eilte rasch zu seiner ihn ängstlich erwartenden +Führerin zurück.</p> + +<p>»Was Ihr für entsetzliche Männer seid,« sagte sie dabei, als sie den +Saal verlassen hatten und die Treppe hinaufstiegen, der höher +gelegenen Wohnung zu — »mit kaltem Blut verabreden sie da einander zu +morden oder zu verstümmeln, und machen sich weiß dabei daß es nöthig, +unumgänglich nöthig wäre. Guter Gott wie wird das jetzt enden. — Aber +da gehen Sie hinein, und gehen Sie zu Haus mit ihr, so rasch Sie +können — sie sehnt sich zu ihrem Kind, und ich möchte mich selber +hinsetzen und weinen, wenn ich daran denke wie das arme süße Wesen, +das hier Kummer und Sorge trägt unverschuldet, von mir<span class='pagenum'> <a name="Page_234" id="Page_234">[234]</a></span> eingeladen war +sich zu amüsiren, und jetzt zu Hause geht, das Herz voll zum +Ueberlaufen von Wehmuth und Leid. Sie dürfen mit ihr hier auf Papetee +nicht mehr unter weiße Männer gehen, René, oder Sie können der armen +Frau noch selber das Grab hier graben auf der fremden Insel.«</p> + +<p>Und damit, ohne weiter eine Antwort von ihm abzuwarten, öffnete sie +die Thür ihres Zimmers, ließ René eintreten und kehrte dann selbst zu +ihren Gästen zurück, dort keinen Verdacht zu erwecken daß irgend etwas +Außerordentliches vorgefallen sei, was den Frohsinn hätte stören +dürfen.<span class='pagenum'> <a name="Page_235" id="Page_235">[235]</a></span></p> + + + +<hr class="endchapter" /> +<h2><a name="Capitel_7" id="Capitel_7"></a>Capitel 7.</h2> +<h3>Unterwegs.</h3> + + +<p>René betrat rasch das kleine sonst so freundliche jetzt aber nur von +einer einzigen düster brennenden Lampe kaum erleuchtete Gemach — eine +eigene Angst, über die er sich eigentlich keine Rechenschaft zu geben +wußte, preßte ihm das Herz zusammen, und nur zum Theil beruhigte es +ihn, als ihm Sadie entgegen kam und beide Hände für ihn ausstreckte. +Er zog sie leise an sich, und sie schmiegte ihr Köpfchen fest, fest an +seine Schulter, ohne ein einziges Wort zu sagen, ohne einen Laut +auszustoßen.</p> + +<p>»Arme Sadie,« flüsterte er leise, und küßte sie auf die heiße glühende +Stirn — fester drückte sie sich an ihn, aber sie athmete kaum, und +René fühlte wie sie in seinem Arm zitterte.<span class='pagenum'> <a name="Page_236" id="Page_236">[236]</a></span></p> + +<p>»Wir wollen zu Hause gehen, mein süßes Lieb,« sagte er flüsternd zu +ihr niedergebeugt, und sie nickte heftig an seiner Brust, aber ohne zu +reden — das Herz war ihr so voll — so voll und so weh. Schweigend +nahm er seinen Hut, den Madame Belard schon für ihn zurechtgestellt, +und seinen Arm um ihre Schulter legend, sie zu stützen zugleich und zu +führen, verließ er mit ihr das erleuchtete, Luft und Leben athmende +Haus, durch eine Hinterthür das Freie suchend, da vorn, den hellen +Fenstern gegenüber, hundert von Eingeborenen standen und lagen, den +Tönen der Instrumente, den wunderlichen Melodien lauschend, bis hie +und da eine Aehnlichkeit im Takt durch die Glieder Einzelner zuckte, +und sie zum Tanz antrieb aus freier Hand, mitten auf der Straße +draußen.</p> + +<p>Durch den Garten, unter den thauigen Bananen und Orangen schritten sie +hin, langsam und schweigend den schmalen Pfad entlang, auf den der +Mond nur mühsam durch Palmenkrone und Brodfruchtwipfel einzelne seiner +Strahlen konnte niederwerfen. Eine schmale Pforte führte auf die +äußere Straße, und dieser folgend erreichten sie bald den düsteren +Palmenhain, der vom Fuß der Hügel ab bis dicht an den Strand reichte +und von dessen Wellen selbst seine Wurzeln bespühlen ließ.</p> + +<p>»Du solltest Dich freuen an unseren Sitten und<span class='pagenum'> <a name="Page_237" id="Page_237">[237]</a></span> Vergnügungen,« sagte +endlich René leise, als sie schon lange schweigend neben einander +hingeschritten und René nur ängstlich bemüht gewesen war, die dicht an +ihn angeschmiegte Gestalt des jungen Weibes vor allen Unebenheiten des +Weges zu bewahren. »Du solltest tanzen und fröhlich sein, und hast nur +Schmerz dort gefunden und Herzeleid.«</p> + +<p>Sadie wollte sprechen; René fühlte wie sie sich von seinem Herzen halb +emporrichtete, aber es war auch als ob ihr die Kraft oder das Wort +dazu fehle.</p> + +<p>»Bist Du mir böse, Sadie?« sagte René endlich nach langer Pause, und +suchte dabei ihr Antlitz zu sich emporzuheben.</p> + +<p>»Nein René,« flüsterte die Frau leise und schüttelte langsam den Kopf — »nein, nicht böse — aber — aber eine Bitte hätte ich an Dich.«</p> + +<p>»Und nenne sie mein Herz.«</p> + +<p>»Du warst so glücklich in Atiu« — fuhr Sadie nach kurzem Zögern fort, — »kein Schmerz, kein Weh drohte unseren Frieden zu stören. Dort — waren keine weißen Männer und Frauen weiter,« fuhr sie mehr Muth +gewinnend, aber doch immer noch schüchtern fort, »dort warst Du Einer +der Unseren geworden, Alle hatten Dich lieb, und ich selbst — war ein +Kind des Bodens und fand dort meine Heimath. Hier sind wir fremd, und +der Charakter des<span class='pagenum'> <a name="Page_238" id="Page_238">[238]</a></span> Landes ist, durch <span class="g">Deine</span> Landsleute, wie auch durch +die Engländer ein anderer geworden. Die weißen Menschen dünken sich +besser in ihrer Farbe,« fuhr sie wieder leiser fort, »als wir, denen +die Sonne dunklere Haut gegeben. Sage mir Nichts dagegen, René, ich +<span class="g">weiß</span> es, und so weh es mir thut, ich wollte es gern ertragen um +<span class="g">Deinetwillen</span> — wenn ich nicht eben <span class="g">Deinet</span>willen Dich bitten müßte +wieder mit mir fort von hier zu ziehen.«</p> + +<p>»Meinetwillen, Sadie?« sagte René, aber es war ihm nicht Ernst mit der +Frage und Sadie wußte es.</p> + +<p>»Wenn Du es nicht selber <span class="g">fühlst</span>, René,« sagte sie traurig, »mit Worten +kann ich es Dir nicht beschreiben; ich kann Dich auch nur versichern +daß ich die Ueberzeugung habe wie wir Beide recht, recht unglücklich +werden würden, wenn wir hier blieben.«</p> + +<p>»Aber mein Geschäft,« sagte René.</p> + +<p>»Trägt nicht die Cocospalme Milch im Ueberfluß,« bat Sadie, sich +fester an ihn schmiegend, »hängt nicht die Brodfrucht voll und reif am +Zweig, und die Orange bietet Dir die Frucht, indem sie ihre duftenden +Blüthen auf Dich niederschüttelt; hast Du nicht mich — Dein Kind? — liegt nicht der Frieden Gottes auf jenem stillen kleinen Inselreich, +das Seine Huld mit Allem ausgestattet was lieb und schön und gut und +fruchtbar ist? Sieh René,« setzte sie lauter,<span class='pagenum'> <a name="Page_239" id="Page_239">[239]</a></span> fester hinzu, »ich habe +Alles gethan was Du von mir verlangt; ich habe mir Deine Sitten +angeeignet, so weit es in meiner Macht stand, ich trage Euere +Kleidung, ich spreche Euere Sprache, ich habe mein Herz Dir gegeben, +Dir, nur Dir allein — und meinem Kind. Nur — nur die Farbe konnt' +ich nicht ändern, die Gott meiner Haut gegeben — ich bin ein Kind +dieser Inseln, und als solches hast Du mich lieben gelernt, und zu +Deinem Weib genommen. Aber meine Schwestern hier auf Tahiti sind +anderer Art — nicht mit so treuer Sorgfalt erzogen wie ich, leben sie +meist wüst und wild in den Tag hinein — und Deine Landsleute tragen +viel die Schuld. Du hast heute erfahren in welcher Achtung die +Insulanerin bei ihnen steht — willst Du noch länger Zeuge sein wie +sie mich kränken und niederdrücken? — und doch hast Du nicht den +zehnten Theil von dem gesehen was mir wie Messer in die Seele schnitt, +nicht die kalten verächtlichen Blicke einzelner Frauen — nicht die +leichtfertigen Worte gehört, die mir, heimlich oft, oft ohne Furcht +und Scheu in die Ohren geflüstert wurden, und das Blut in die Wangen +jagten. <span class="g">Ich</span> gehöre nicht unter jene Menschen, ich passe auch nicht für +sie, sie nicht für mich, und willst Du hier bleiben auf Tahiti, magst +Du Dich nicht trennen von dem jetzt vielleicht lieb gewonnenen Leben, +so laß mich<span class='pagenum'> <a name="Page_240" id="Page_240">[240]</a></span> daheim bei meinem Kind, René, dorthin gehör' ich, den +Platz füll' ich aus, und unsere Hütte mag Dir selber eine Heimath +werden — aber Atiu wird es uns doch nie ersetzen. — O zögest Du +zurück, René.«</p> + +<p>René erwiederte Nichts; schweigend schritten sie neben einander hin, +und tolle Bilder zuckten ihm durch Sinn und Hirn, denen er nicht Form, +nicht Deutung zu geben vermochte. Das geschäftige, wenn nicht +gesellige Leben Papetees war ihm schon theilweis zum Bedürfniß +geworden, dem er nicht gern entsagen, das er sich aber noch weit +weniger gestehen mochte, und doch auch wieder fühlte er in +unbestimmter Ahnung die Gefahr, die seiner häuslichen Glückseligkeit +hier drohen könne. Er sah sich in Kampf und Streit mit Europäern, von +den Indianern angefeindet seiner Religion und Abstammung, von den +Europäern verachtet seiner Heirath wegen, und durch das Alles, wie ein +blendender neckischer Strahl, zuckte das weiße, wunderschöne Antlitz +des fremden Mädchens, das kalt und höhnisch auf ihn niedersah und +seiner Angst und Qual da unten nur zu spotten schien. <span class="g">Jetzt</span> gerade +sollte er Papetee verlassen, wo sie hier erschienen war, daß sie wohl +gar nachher sich rühmte, er sei vor ihr geflohen? — bah — was war +sie ihm? — ihre Schönheit konnte ihn nicht locken, Sadie war schöner — und ihr Geist? — ihr fehlte die milde<span class='pagenum'> <a name="Page_241" id="Page_241">[241]</a></span> Weiblichkeit die der +Geliebten jenen unendlichen Reiz verlieh. — Und ihre Farbe — blindes +thörichtes Menschenvolk, den Werth eines Herzens nach der Schaale oder +Farbe zu schätzen, und die süße Frucht gar deshalb zu verachten, weil +sie von der Sonne etwas mehr gebräunt. Und doch war gerade das jetzt +dem jungen ehrgeizigen Mann ein bitteres schmerzliches Gefühl, <span class="g">daß</span> sie +mit jenem kalten Lächeln auf ihn niedersehen <span class="g">konnte</span>; der Gedanke wurde +ihm zur Qual, und ein Seufzer hob seine Brust. Es war zum <span class="g">ersten</span> Mal +der Wunsch daß die Geliebte seiner Farbe wäre, und Sadie hörte und +verstand den Seufzer, denn sie senkte das Köpfchen und schritt lautlos +neben ihm hin.</p> + +<p>So erreichten sie den stillen freundlichen Platz der ihre Heimath war, +das matte gedämpfte Licht das aus dem einen verhangenen Fenster quoll, +beleuchtete den Schlaf ihres Kindes, die Palme die ihren breiten +Wipfel darüber hing, rauschte leise und feierlich, und es war als ob +sie dem Schlaf des Lieblings lausche und ihm bunte freundliche Träume +zuflüstere über sein kleines Bett.</p> + +<p>Fast unwillkürlich blieben die beiden Gatten stehen, und wie ihr Blick +auf dem friedlichen Dache ruhte, das ihnen das Theuerste umschloß, als +René der tausend glücklichen, seligen Stunden gedachte, die er schon +dort mit seinem trauten Weib verlebt, und nun<span class='pagenum'> <a name="Page_242" id="Page_242">[242]</a></span> auch die frühere Zeit — die erste Zeit seiner Liebe, seiner Hoffnungen, des errungenen, so +schwer errungenen Glücks in vollen lebendigen Farben emporstieg vor +seinem inneren Geist, wie er damals den Augenblick gesegnet in dem er +dieses Paradies zuerst betrat, da überkam ihn ein recht weiches, +reuiges Gefühl, und sein Weib, sein treues braves Weib fest an sich +ziehend, preßte er seine Lippen an ihre glühende Stirn, und das +Liebeswort »Sadie« erstarb in dem langen, heißen Kuß.</p> + +<p>»Komm,« flüsterte sie endlich, und entzog sich leise seiner Umarmung — »komm!« und seine Hand ergreifend, führte sie den Gatten an das +Bett des Kindes.</p> + +<p>Oh wie so süß der kleine Liebling ruhte; die Lampe, von einem breiten +Bananenblatt verdeckt, warf nur den matten grünen Schein über den +schlummernden Engel hin; die langen seidenen Wimpern lagen voll und +dicht auf den von Schlaf gerötheten blühenden Wangen, und ein liebes +herziges Lächeln spielte um die fein und zart geschnittenen Lippen. +Engel flüstern mit dem Kind, wenn es im Schlafe lächelt, und das +Mutterherz sieht des Schutzgeistes Fittiche ausgebreitet über dem +Liebling.</p> + +<p>Komm lieber Leser, komm — siehst Du die Gruppe dort, das Herz des +Weibes an des Mannes Brust,<span class='pagenum'> <a name="Page_243" id="Page_243">[243]</a></span> Mutter- und Vaterliebe dem Schlaf der +Unschuld lauschend und Gottes Segen niederflehend auf das Haupt des +schlummernden Kindes? — Und darüber die rauschende Palme, das Bild +des Friedens? um sie her aber den stillen rauschenden Wald, und der +Sterne blitzende Schaar die Zeugen des erneuten Bundes? — komm, +leise, leise daß Du es mir nicht störst, das freundliche Bild. — Wohin? — nach dem Strand führ' ich Dich — hörst Du die Brandung +rauschen über die Riffe hin? — sie donnert ihre alte ewige Weise +unverdrossen fort, aber doch heimlicher, ruhiger heut' Nacht, als ob +sie selber sich scheue den heiligen Frieden zu stören, der auf der +wunderschönen Insel ruht, und wie des Mondes Scheibe dort oben über +den Gebirgshang herübersteigt und sein Licht über die See gießt, +blitzt ihm die Brandungswelle im weiten silbernen Streif den Strahl +zurück. Komm, dort unten liegt mein Canoe, und jenes freundliche Licht +leuchtet uns auf unserer Bahn. So, steig nur ein und fürchte sein +Schwanken nicht, der Luvbaum schützt es vollkommen vor jedem +Umschlagen, jeder weiteren Gefahr, und durch die Corallenriffe hin +steuere ich Dich in dem scharfgebauten Kahn über das Mond beleuchtete +Wasser anderen, wenn auch nicht so friedlichen Scenen zu.</p> + +<p>Klares Wasser unter uns — tief, tief liegt es<span class='pagenum'> <a name="Page_244" id="Page_244">[244]</a></span> dort unten in +»purpurner Finsterniß« und lichte glühende Punkte ziehen und blitzen +durch die geheimnißvolle, dem Menschenauge noch unerschlossene Welt. +Dort unten baut der Korallenbaum nach rechts und links hinüber seine +Wälle und Dämme, gegen die Jahrtausende die wilde Brandung schlägt, +und im Innern dort hat er sich sein stilles Haus gebaut und sein +cristallenes Dach gewölbt, und jetzt bei Nacht entzündet er die grünen +Lichter alle, und wie ein Feeendom blitzt es und strahlt's zu Dir +hinauf.</p> + +<p>»Die Sterne, wenn sie alt werden und sterben, fallen sie in's Meer,« +sagt Dir der Indianer, »und dort feiern sie ihre Wiedergeburt und +tanzen und werden wieder jung« — aber glaub's ihm nicht; tief unten +in dem Corallenwald, dessen eng und dicht verschlungene Zweige +neidisch das ihnen anvertraute Geheimniß wahren wollen, tanzt das +fröhliche Nixenvolk, das eigene Haar von blitzendem Licht +durchflochten, den frohen Reigen, huscht unter den Bäumen hin, herüber +und hinüber, und fährt hinauf und hinunter oft wie ein zündender +leuchtender Strahl. Und der träumende Fischer oben, der in seinem +Canoe liegt und staunend niederschaut in die ihm fremde wunderbare +Welt, sieht die Lichter und folgt ihrem Zucken und Schießen mit den +Augen, und glaubt auch manchmal daß er unter, neben sich — doch nein, +hätt' er<span class='pagenum'> <a name="Page_245" id="Page_245">[245]</a></span> die Geister wirklich je belauscht, er würde nie zum Strande +wiederkehren; nur an der Schwelle darf er stehen, wie die Natur uns +Alle auf der Schwelle läßt, und keinen Blick erlaubt in ihr geheimes +wunderbares Wirken.</p> + +<p>Weiter — schau nicht zu lang hinab, Dich schwindelt; und siehst Du +den lichten Streif da drüben, der schon zweimal herüber und +hinüberschoß, und dort zu Hause scheint, wo der Corallenhang die +weiten Arme aufwärts wirft — das ist ein Hai, der unserem Kahne +lauernd folgt — ein Wächter seinen Gebietern da unten.</p> + +<p>Sieh, am Bug kräuselt und zischt die Fluth und aus dem silberglühenden +Schaum blitzt sie Diamanten gleich funkelnde knisternde Lichter aus +über das ruhige Wasser, auf dem sie eine Weile rasten und dann +zerfließen. Mehr und mehr schwindet das Ufer zurück, und wir sehen den +Schatten der Palme nicht mehr in der klaren Fluth, wie sie den Wipfel +weit weit hinüberreicht sich zu spiegeln, und Morgens die Thautropfen +niederzuwerfen in ihr eigenes Bild. Der Berg mit seinen gewaltigen +Umrissen tritt massenhaft hervor, und links von uns donnert und +schäumt die Brandung und springt höher empor, und rollt lauter und +heftiger, als ob sie sich unserem Nahen widersetzen und uns +zurückscheuchen wolle aus ihrer Nähe.<span class='pagenum'> <a name="Page_246" id="Page_246">[246]</a></span></p> + +<p>Dicht an der Corallenbank hin gleiten wir — so dicht, daß wir mit dem +Ruder die hochaufzackenden starren Zweige berühren und Seeigel und +Stachelei in ihren schimmernden strahligen Betten im matten +Phosphorschein können liegen sehen — schärfer kräuselt das Wasser am +Bug und einen Gluthstreifen zieht hinter dem Canoe die aufgerührte +Welle. Weiter — von düsterer Nacht gedeckt, auf dem der Mond wie ein +Silberschleier liegt, und nur den eigenen Strahl zurückzublitzen +scheint, dehnt sich das waldbewachsene Ufer aus an unserer Rechten, +mit seinen dunklen Orangen- und Guiavenschatten, seinen +fächerblätterigen Pandanus und wehenden Palmen.</p> + +<p>Weiter — die aufgescheuchte Möve, die im raschen Kreisschwung über +die Fluth streicht stößt nieder nach dem dunklen Schatten des Canoes, +flattert zurück, kehrt wieder, und abschweifend in weitem gewaltigen +Bogen verschwindet sie in dem dämmernden Zwitterlicht, und nur der +scharfe Schrei tönt noch aus dunkler Ferne zu uns her, die Bahn +verrathend der sie jetzt folgt.</p> + +<p>Sieh wie düster das Vorgebirge sich da hinauslagert in See, einem +riesigen Ungeheuer gleich das vom Gebirge niedergestiegen und sich +hier hineingeworfen in die klare Fluth, die heißen Flanken zu kühlen +und den lechzenden Schlund — und das Brausen<span class='pagenum'> <a name="Page_247" id="Page_247">[247]</a></span> des Wassers — ist es +doch fast als ob das schwere Athmen des Kolosses herübertöne in langen +gewaltigen Pausen.</p> + +<p>Daran hin gleitet der Kahn; so dicht — durch die Palmen am Ufer +kannst Du das südliche Kreuz erkennen, wie es sich um des Südpols Axe +dreht — und dort drüben die Lichter? dort liegt die Grenze unserer +Poesie — die Compaßlichter sind's der im Hafen ankernden Schiffe, und +in den offenen Luken liegen eherne Feuerschlünde, wie schlafend jetzt +im Bau, jeden Augenblick aber bereit die eisernen Todesboten +hinüberzusenden an diese stillen Ufer.</p> + +<p>Unter jenem stolzen Schiff fahren wir hin — der Talbot ist's — und +der Mann dort, der das Kinn auf den Arm gestützt, träumend nach uns +herüberschaut der wachthabende Matrose, der schon lange das nahende +Boot beobachtet hat, und heimlich den Kopf schüttelt was die stillen +Ruderer hier draußen in der Bai thun so spät in der Nacht. Wie stolz +und symmetrisch die Masten, mit ihrem spinnewebartigen Gewirr von +Tauen und Stagen scharf und klar abzeichnen gegen das hellere +Firmament, und wie leicht und elastisch der stattliche Bau auf dem +Wasser ruht, der Möve gleich die schlummernd die weiche Woge gesucht, +sich in Schlaf zu schaukeln durch die stille Nacht.<span class='pagenum'> <a name="Page_248" id="Page_248">[248]</a></span></p> + +<p>Und da drüben? — der schlanke wespenartige Bau kündet ein anderes +Kriegsschiff, die <span class="f">Jeanne d'Arc</span>, bedroht wie es fast scheint von dem +Talbot hier und dem Vindictive da drüben, jenem gewaltigen Koloß, der +die Mündungen seiner Kanonen auch hier herüber gerichtet hält; aber +die Zähne gerade so weisend wie der stärkere Feind und mit +entschlossenem Trotz liegt die Corvette still und ruhig in so +gefährlicher Nachbarschaft, und mit der Morgensonne grüßt nicht +rascher der erste Strahl die stolzen Flaggen Albions, als ihre drei +Farben lustig im Winde flattern.</p> + +<p>Welch ein eigenes wunderliches Bild in der Fluth da unten, wie die +Schatten der dunklen Raaen herüber und hinüberziehen, und die Sterne +ihr Bild daneben suchen in dem unheimlich düsteren Wasserspiegel.</p> + +<p>Horch auf dem Kriegsschiff tönen die Schläge einer Glocke, »sechs +Glasen« schlägts, es ist elf Uhr, und kaum hat die Glocke der +Ankerwinde, vorn auf dem Vorcastle des Vindictive dem Compaßschlag +geantwortet, als in rascher Reihenfolge, die <span class="f">Jeanne d'Arc</span> mit dem +Talbot zu gleicher Zeit, und nach ihnen alle Schiffe in der Bai die +Stunde schlagen. Alles ist wieder still und ruhig wie vorher, so +lautlos liegt die Nacht auf dem kaum athmenden Meer, daß man den +Schritt der einzelnen Wache auf dem nächsten Deck des französischen +Kriegsschiffs deutlich hört, und<span class='pagenum'> <a name="Page_249" id="Page_249">[249]</a></span> das leichte Summen einer heimischen +Melodie tönt leise, mit dem regelmäßigen Gang, zum Takt über das +Wasser. Da beginnt noch ein Schiff die versäumte Zeit langsam +nachzuschlagen — die französische Schildwacht lacht, und zählt, mit +Singen einhaltend, die schläfrigen rauhen Schläge einer gesprungenen +Glocke.</p> + +<p>Von dort her kommen sie, von dem Wallfischfänger der gerade in unserer +Bahn liegt, und der Mann der die Wacht hatte schlief so sanft in Lee +vom Boot und träumte so süß, als das Schlagen der Glocken wieder und +immer wieder zu ihm herübertönte. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs — erst fein und dann tief — er zählte sie von <span class="g">allen</span> Schiffen, und +als wieder Alles still und ruhig geworden, und er in seinem Halbschlaf +lange gewartet hatte daß die klappernden Töne seines eigenen faulen +Schiffes, der einst so rüstigen <span class="f">Kitty Clover</span>, wie immer den Nachtrab +aufbringen sollte, da erst fiel es ihm ein daß er selber heute das Amt +habe die alte lebensmüde Glocke sprechen zu machen, und mit einem +leise gemurmelten Fluch suchte er sich zusammen, stand auf und den +Klöppel anziehend daß er im Mißton sechsmal gegen die geborstene Seite +dröhnte, brummte er bei jedem traurigen Schlag:</p> + +<p>»Verdamme Dich — altes — geborstenes — klapperndes — schnarrendes — Lärmeisen Du! S'ist ein<span class='pagenum'> <a name="Page_250" id="Page_250">[250]</a></span> Skandal für die ganze Nachbarschaft,« +setzte er dann knurrend hinzu, als er den Lagerplatz wieder suchte +unter dem Boot, den Mondstrahlen wenigstens aus dem Weg zu gehen, und +nicht aufzuwachen am andern Morgen mit geschwollener Physionomie.</p> + +<p>Der Mond fällt jetzt voll und licht gegen die Flanke des schmutzigen, +von Rauch und Theer geschwärzten, thranigen Fahrzeugs der <span class="f"><span class="g">Kitty Clover</span></span> — die Segel die gestern zum Trocknen gelöst worden, hängen +halbaufgegeit, die breiten Theerstreifen der Reefer zeigend<a name="FNanchor_H_8" id="FNanchor_H_8"></a><a href="#Footnote_H_8" class="fnanchor">[H]</a> an den +Raaen; die kurzen Masten mit dem breiten Sitz für den Ausguck darauf, +die Boote aufgezogen und mit Cocosblattmatten dicht bedeckt, die heiße +Sonne über Tag davon abzuhalten, das zerfetzte Kupfer am Bug, das +Zeichen einer langen Reise, Alles kündet das Geschäft des +Wallfischfängers, und doch liegt er hier träge und faul, mitten fast +in der guten Jahreszeit, zu ruhen und träumen, statt im Norden oben +den Fischen aufzulauern und seinen Rumpf zu füllen. <span class='pagenum'> <a name="Page_251" id="Page_251">[251]</a></span></p> + +<p>Dicht unter seinen Krahnen gleiten wir hin, und freier dehnt sich die +Bai hier vor uns aus. — Siehst Du da drüben die kleine Palmen +bewachsene Insel, links der Einfahrt zu? — <span class="f">Motuuta</span> ist's, der +Königssitz der Pomaren, der stille Zeuge ihrer früheren Macht und +häuslichen Glückseligkeit. — Vorbei; so ist die Zeit der Pomaren, +vorbei; ihre Macht ist zum Spott geworden zwischen Engländern und +Franzosen; zum Spiel, um das beide Nationen vielleicht mit +Kanonenkugeln würfeln, oder es auch dem einen Gegner, als nicht der +Mühe werth des Streits, freiwillig überlassen.</p> + +<p>Weiter — aus den dunklen Schiffen heraus, deren düstere Rumpfe lange +Schatten werfen, und das weiche Mondlicht um sich her einzusaugen +scheinen, gleiten wir vor. Funken sprühend ordentlich in der +elektrischen Fluth, schießen wir dahin, das leichte Ruder den +scharfgebauten Kahn fast über die Welle hebend die ihn trägt. Da +drüben liegt der Strand — weit und silbern dehnt sich der +mondbeschienene Muschelkies und blitzt und funkelt, und die Woge +quillt auf dagegen und saugt und breitet darüber hin, zurückweichend +nur den funkelnden Schaum ihm lassend, der in Atome auseinanderfließt.</p> + +<p>Erreicht haben wir jetzt das lange niedere, palmenbewachsene Land, den +rechten Arm der Bai, die<span class='pagenum'> <a name="Page_252" id="Page_252">[252]</a></span> ihn schützend vorhält gegen den Passat, und +kleine hochgebaute Gerüste laufen ein Stück hier in See hinaus, von +dem sandigen Strand ab, Seebooten auch bei niederem Wasserstand die +Anfahrt zu gestatten.</p> + +<p>Aber was braucht das Canoe solcher Hülfe, das schattige Ufer zu +erreichen? — risch hin, mehr über wie durch das Wasser schießt's auf +der klaren Fluth, und das Ruder das es vorwärts treibt, hebt es und +zwingt es, selbst über Coralle und Sandbank fort, dem weißen +Muschelkies entgegen. Bambusstäbe sind hier überall dem Grund +eingestoßen, ein Zeichen für Fischer und Boote von tieferem Wasser; +mitten zwischen ihnen durch springt das Canoe, und wie die aufgebogene +Spitze in vier Zoll Wasser den Sand berührt, hebt sich das schlanke +Boot und sitzt fest. — Nur hinaus, ob uns das warme salzige Naß den +Fuß auch netzt, am Cocosbasttau ziehen wir den Kahn hoch hinauf auf's +trockene Land, daß ihn die rückkehrende Fluth nicht hebt und +fortführt, und durch der Gärten schattiges Grün, durch die der +Mondenstrahl nicht einmal zur Erde dringt, führe ich Dich einen +Schleichweg hinauf zu heimlichem Platz.</p> + +<p>Reich' mir die Hand hier, denn der Pfad ist schmal, und dort gleich +hinter der Bananen letzte Reihe, denen der Brodfruchtbaum noch +Schatten giebt, beginnt das Dickicht der Guiaven, und über dem Pfad<span class='pagenum'> <a name="Page_253" id="Page_253">[253]</a></span> +reichen die niederen Büsche sich die Zweige traulich herüber und +schlingen die Arme fest in einander, tiefer und tiefer niederdrückend +in den Weg, bis des Menschen Hand, mit scharfem Stahl bewehrt, wieder +eine neue Bahn abzwingt den zudringlichen. Weiter — halte Dich fest an +mich und hebe den Fuß, denn alte niedergebrochene Cocosnüsse und +Hülsen decken den Boden und — was Du zertratst, und was unter Deinem +Fuße wich? — reife Guiaven sind's, die den Boden hier decken, kehre +Dich nicht an sie, über und neben Dir wachsen mehr, und jetzt — siehst Du das Licht dort durch die Zweige blitzen? hörst Du die +gellenden Töne keifender Menschenstimmen? — wir sind am Ziel und ich +führe Dich jetzt ein bei <span class="g">Mütterchen Tot</span>.<span class='pagenum'> <a name="Page_254" id="Page_254">[254]</a></span></p> + +<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_H_8" id="Footnote_H_8"></a><a href="#FNanchor_H_8"><span class="label">[H]</span></a> Die Wallfischfänger, um Nachts nicht zu viel Fortgang mit +ihren Schiffen zu machen, und Fischen vielleicht vorbeizulaufen, +reefen meist Abends ihre Segel, und da die Leute den Tag über Thran +auskochen und voll Fett sind, so machen sie auch Fettflecke in die +Segel, auf denen sie zum Einbinden liegen.</p></div> +</div> + + +<hr class="endchapter" /> +<h2><a name="Capitel_8" id="Capitel_8"></a>Capitel 8.</h2> +<h3>Mütterchen Tot's Hotel.</h3> + + +<p>Tief in den Guiaven versteckt, und etwa nur vier-oder fünfhundert +Schritte von den äußersten Häusern von Papetee entfernt, lag eine der +gewöhnlichen lang-ovalen niederen Bambushütten dieser Inseln, mit +Pandanusblättern gedeckt, und wenig mehr anderem Hausgeräth, als ein +paar eisernen Kesseln und einem Dutzend oder mehr niederer, halb +ausgehöhlter Schemel, die den Eingeborenen über Tag zum Sitz, und über +Nacht zum Kopfkissen dienen.</p> + +<p>Die Wände waren übrigens, statt dem Luftzug freien Raum zu gönnen wie +in den gewöhnlichen Indianischen Häusern, mit dünnen Bastmatten fast +überall verhangen, und der Wärme wegen konnte<span class='pagenum'> <a name="Page_255" id="Page_255">[255]</a></span> das nicht gut geschehen +sein, denn gerade dieser Platz hätte einer frischen Zugluft eher +bedurft, wo das Guiavendickicht wie eine Mauer fast den engen, darin +ausgehauenen Hof und Hausraum umschloß; aber der Besitzerin dieses +Platzes lag mehr daran ungestört und von neugierigen unberufenen Augen +nicht belästigt zu sein, als frische Luft zu haben — obgleich sie +deren Wohlthat wohl auch zu schätzen verstand.</p> + +<p>Die Wände, wenn man das mit Bast überhangene Gatterwerk überhaupt so +nennen darf, waren auch weiter durch Nichts belästigt was etwa einen +besonderen Reichthum der Inwohner hätte anzeigen können; an der einen +Seite hingen nur ein paar alte Kattun-Ueberwürfe, abgenutzt und +geschwärzt durch die Jahre sowohl wie auch vielleicht den Rauch der +Hütte, neben diesen aber und unter einer langen Reihe ausgeschliffener +Cocosnußschalen, die die Stelle von Trinkbechern versahen, paradierte +ein alter, einst weiß gewesener, aber jetzt in jede mögliche, wie +unmögliche Form hineingedrückter Filzhut, der in besseren Tagen +vielleicht einmal den pomadisirten Kopf eines Dandy im lustigen alten +England geziert, jetzt aber verdammt war, seine Tage in +Cocosnußölqualm und Guiavenholzrauch in einer Tahitischen Hütte zu +verträumen.<span class='pagenum'> <a name="Page_256" id="Page_256">[256]</a></span></p> + +<p>So kahl übrigens die Wände dreinschauten, so toll und wild stand alles +mögliche Geschirr und Geräth in den Ecken herum. Kalebassen, die auf +diesen Inseln den Bewohnern gewöhnlich zu Kommoden, Koffern, +Hutschachteln, Arbeitskörben, Speisekammern, Toiletten und Gott weiß +was sonst noch dienten, waren in Masse vorhanden, und hie und da eine +über die andere geschichtet; dabei lehnte, zwischen ein paar Besen, +einer Harpune und einem Ruder, eine alte rostige Flinte mit +Feuerschloß, und darüber, aber so versteckt hinter den Matten, daß es +nur von einzelnen Theilen der Hütte aus gesehen werden konnte, war ein +schmales kleines Bret befestigt, auf dem ein paar Bücher, und oben auf +eine dickleibige abgegriffene Bibel lagen.</p> + +<p>Interessanter und mannichfaltiger erwiesen sich aber jedenfalls die +Bewohner wie gegenwärtigen Insassen dieses abgelegenen Platzes, den +viele der Indianer sogar in abergläubischer Furcht mieden, weil sie +»Mütterchen Tot«, wie die Eigenthümerin von den Matrosen gewöhnlich +nur schlichtweg genannt wurde, in dem Besitz übernatürlicher Kräfte +glaubten, und allerdings rechtfertigte ihr Ansehen eine solche +Vermuthung, wenn überhaupt auf irgend ein menschliches Wesen +anzuwenden, vollkommen.</p> + +<p>»Mütterchen Tot« war ein Charakter, und Nie<span class='pagenum'> <a name="Page_257" id="Page_257">[257]</a></span>mand betrat ihr Heiligthum +zum ersten Mal, ohne eine gewisse Scheu und Ehrfurcht zu empfinden, +die selbst den Rohsten beschlich — aber ihr ehrwürdiges Aussehen trug +wahrlich nicht die Schuld dabei.</p> + +<p>Mütterchen Tot war übrigens — ehe ich den Leser mit ihrem <span class="g">äußerlichen</span> +Menschen, dem Anzug, bekannt mache — in Europa und zwar in dem Reiche +ihrer Großbritannischen Majestät vor langen, langen Jahren geboren, +Niemand aber konnte mehr an ihrem Dialekt erkennen ob in dem +bevorzugten England selber, dem <span class="f">»bonnie«</span> Schottland oder der »grünen +Insel«, wie Irland von seinen poetischen Kindern genannt wird. Sie +mischte Alles durcheinander und ihre Sprache hatte dabei, durch den +langen Aufenthalt auf den Inseln, fast eben so viel Worte von diesen +angenommen, daß, wer nicht Tahitisch oder wenigstens eine der +Polynesischen Sprachen verstand, den Schlüssel zu all' den +wunderlichen Ausdrücken zu haben, kaum im Stande gewesen wäre Sinn +oder Verstand in ihre Rede zu bringen. Die Indianer und Fremden kamen +noch am leichtesten darüber hin, die ersteren glaubten sie spräche +Englisch, die anderen hielten es für Indianisch.</p> + +<p>In ihrer Jugend nun aus ihrem Vaterland, wie die böse Welt behaupten +wollte, nach Sydney deportirt, war sie von dort auf einem Englischen +Wall<span class='pagenum'> <a name="Page_258" id="Page_258">[258]</a></span>fischfänger entwichen, oder eigentlich von dem Capitain +desselben, den ihre Reize bestrickt haben mochten (denn Leute die +Jahrelang draußen in See herumfahren sind nicht immer wählerisch) +entführt worden. Der Capitain riskirte damals Zuchthaus, aber was +riskirt die Liebe <span class="g">nicht</span>, und setzte später die junge Dame, als er +heimwärts fuhr und in solcher Begleitung doch nicht in einen +Englischen Hafen wieder einzulaufen wünschte, auf den Sandwichs-Inseln +ab, dort ihr Fortkommen, was ihr auch vollkommen gelang, weiter zu +suchen.</p> + +<p>Mütterchen Tot's Memoiren würden jedenfalls höchst interessante Daten +liefern, könnte sie nur eben veranlaßt werden näher auf sie einzugehn; +sie sprach aber nie über ihre Vergangenheit, und das einzige +Individuum, das vielleicht noch darüber, wenigstens über einen Theil +derselben, Auskunft hätte geben können, und auf das ich gleich nachher +zurückkommen werde, durfte nicht.</p> + +<p>Soviel ist gewiß, in der Gruppe der Sandwichs-Inseln hatte sie sich +lange Zeit aufgehalten, und bald auf Oahu bald auf Hawai, gehaust, war +dann mit einem Sandelholzfahrzeug nach den Freundlichen und +Navigators-Inseln gegangen, und hatte dort zuerst angefangen eine +kleine Wirthschaft zu gründen, in der sie besonders Matrosen +beherbergte, und ihnen berau<span class='pagenum'> <a name="Page_259" id="Page_259">[259]</a></span>schende Getränke verkaufte, um die sie, +wie um manches Andere, bei ihr würfeln konnten. Von dort streifte sie +nach Neu-Seeland hinüber, wo sie wieder lange Jahre blieb, sich aber +von hier eine »Stütze ihres Alters«, wie sie einen kleinen einäugigen +Irischen Schuhflicker nannte, der von jetzt ab bei ihr blieb, +mitbrachte.</p> + +<p>In Neu-Seeland hatten sie die Missionaire vertrieben und auf ein +Schiff gepackt, das sie Beide in der Samoagruppe landete, und hier +bewogen die Missionaire ebenfalls wieder einen Capitain das, ihnen +keineswegs freundlich gesinnte Wesen an Bord zu nehmen und dießmal, +aus ihrem Bereich ganz und gar hinaus, den Gambiers-Inseln zuzuführen, +wo sich die Katholiken schon seit längeren Jahren festgesetzt hatten. +Ein Typhoon aber, der das Schiff faßte und entmastete, strandete es an +Raivavai, und Mütterchen Tot fand wieder mit ihrem getreuen Begleiter +den Weg nach Tahiti, das ihr, als Mittelpunkt aller Europäer fast in +der Südsee, die besten Geschäfte und durch den Zwiespalt der +Protestantischen Missionaire mit den Katholiken, auch jedenfalls eher +eine sichere Ruhestätte wie irgend eine andere Insel versprach, wo nur +eine oder die andere Sekte allein gehaust, und dann auch geherrscht +hätte.</p> + +<p>Dem kleinen Irischen Schuster war das Alles<span class='pagenum'> <a name="Page_260" id="Page_260">[260]</a></span> gleichgültig; auch er +hatte übrigens eine Vergangenheit, die in Sydney ihren +Culminationspunkt, den Felsen gefunden, zu dem hingetrieben das +Bächlein seines Lebens wild und toll genug gesprudelt hatte, bis es +mit dem gewaltigen Sturz in die Tiefe, die ersten Convulsionen nur +einmal vorüber, wieder seine völlige Ruhe, wenn auch nicht Klarheit +erlangt hatte.</p> + +<p>Murphy — er wußte selber nicht ob er je noch einen anderen Namen +gehabt — war ebenfalls Einer jener wahren Patrioten die <span class="f">»had left +their country for their country's good«</span> (zum Besten der Heimath, die +Heimath gemieden). <span class="g">Wie</span> er damals seine Freiheit wieder erlangt blieb +sein Geheimniß, soviel aber ist gewiß, daß er in dieser Zeit gerade +aufhörte ein Katholik zu sein, und das Studium der Bibel mit einem +Eifer begann, der ihm die Bewunderung der Protestantischen +Geistlichen, in deren Wirkungskreis er kam, hätte sichern müssen, +hätten diese nur eben zu ihm gelangen können, Zeuge seiner wirklich +angestrengten Thätigkeit zu sein. Wunderbarer Weise benahm er sich +aber bei diesem Studium fortwährend als ob er irgend ein entsetzliches +Verbrechen beginge, und in steter Furcht und Todesangst lebe dabei +ertappt zu werden. Witterte er einen Geistlichen in seiner Nähe (und +die frommen Männer machten sich manchmal die Freude ihn und seine +Gefährtin auf<span class='pagenum'> <a name="Page_261" id="Page_261">[261]</a></span>zusuchen, obgleich sie Beide lieber gehen als kommen +sahen, denn sie verzehrten nicht allein Nichts, sondern suchten nur +umher, Grund zur Anklage zu finden) so konnte Mütterchen Tot nicht +rascher bei der Hand sein eine vereinzelte Branntweinflasche zu +verbergen, die sich vielleicht in zu unerlaubter Nähe bei einem +Eingeborenen befand, als Murphy auch mit seiner Bibel in die nächste +Kalebasse hineinfuhr, und Alles darüber deckte, was ihm gerade unter +die Hände kam. Wenn er dabei die ganze Woche nicht an Arbeit gedacht, +faßte er jetzt gewiß den ersten besten Schuh auf, der ihm unter die +Hände kam, und fing an daran herum zu schneiden und zu stechen und zu +nähen, als ob sein Leben an seiner Eile hinge.</p> + +<p>Mütterchen Tot behandelte ihn dabei auf das Herabwürdigenste, und kein +Schimpfwort gab es auf Englisch, Irisch, Gälisch oder Schottisch, wie +in irgend einer der bekannten Polynesischen Sprachen und Dialekte, das +sie nicht schon an ihm abgestumpft, kein Geräth in ihrem ganzen Haus, +das sie nicht schon, bei irgend einer feierlichen oder unfeierlichen +Gelegenheit, nach seinem Kopf geschleudert hätte. Vor allen andern +aber war es die heilige Schrift selber auf die sie es in ihrem +schlimmsten und gefährlichsten Zorn abgesehen, und die sie dann im +Fall eines Streites mit ihrem höchst sanftmüthigen <span class="g">Gatten</span> (wenn ich<span class='pagenum'> <a name="Page_262" id="Page_262">[262]</a></span> +diesen ungerechtfertigten Namen überhaupt gebrauchen darf) häufig aus +der Hand riß und an den Kopf warf. Ja sie hatte schon mehrmals gedroht +das ganze heilige Buch bei der nächsten passenden Gelegenheit — und +die Gelegenheit war eigentlich immer passend — zu verbrennen; +wunderbarer Weise hielt sie aber immer eine eigene Scheu, die sie sich +aber nie selber eingestehen mochte, und jedenfalls mehr in einer +abergläubischen Furcht wie irgend einem religiösen Sinn wurzelte, +davon ab ihre Drohung auszuführen, während Murphy, der ihr doch nicht +so recht trauen mochte, seinerseits Alles that ihr das Buch, wenn er +ja einmal die Hütte verließ, aus den Augen zu bringen, und Kalebassen +und Ecken unaufhörlich damit wechselte. Nur bei vollkommenem +Waffenstillstand lag es, wenn nicht gebraucht, auf dem kleinen +Bücherbret auf einem Haufen verschiedener Traktätchen von Mäßigkeits- +und Bibelverbreitungsvereinen in Tahitischer Sprache, und Murphy hatte +seinen Sitz so gestellt, daß er das Buch fortwährend dabei im Auge +behielt.</p> + +<p>Ich sagte vorhin daß Mütterchen Tots Aeußeres gerade nicht dazu dienen +konnte besondere Ehrfurcht einzuflößen, und allerdings war sie, was +ihre äußere Erscheinung betraf, nichts weniger als eitel. Zwischen 50 +und 70 Jahren, denn wunderbarer Weise hielten<span class='pagenum'> <a name="Page_263" id="Page_263">[263]</a></span> Schmutz und Runzeln +ihre Züge mit einem solchen Schleier überzogen, daß man sie bald dem +einen, bald dem andern näher glaubte, hatte sie einen gewöhnlichen +<span class="f">pareu</span> von einst grellrothem aber jetzt verblichenen Kattun, mit +breiten hochgelben Streifen, um die Hüften geschlagen, und am Tag trug +sie ein dem ähnliches Obergewand, das ihre dürre Gestalt in weiten +Falten umhing; Abends aber, wenn die kühle Seebrise über die Küste +strich, obgleich sie die, von den Guiaven förmlich eingeschlossene +Hütte doch nicht erreichen konnte, wurde es dem ein heißes Klima +gewöhnten Mütterchen zu kühl, und sie zog einen alten erbsgelben +schmutzigen Männer-Oberrock, der früher einmal lange Haare gehabt +haben mochte, über ihr Kattunkleid, und knüpfte die zwei Knöpfe, die +ihm noch geblieben, fest zu bis unter den Hals. Der Rock ging ihr +dabei bis tief über die Knie nieder, und da seine Taschen ebenfalls +tief saßen, in deren einer sie den einzigen Genuß aufbewahrte, den sie +sich außer dem Brandy gönnte, ihre Schnupftabaksdose, so hatte sie nur +mit dieser Unannehmlichkeit zu kämpfen, daß sie so tief nach der ihr +unter den Händen fortweichenden Tasche niedertauchen mußte, und sich +gewöhnlich endlich gezwungen sah, ihre andere Hand auch noch mit zu +Hülfe zu nehmen, das scheue Taschenfutter zurückzuhalten.<span class='pagenum'> <a name="Page_264" id="Page_264">[264]</a></span></p> + +<p>Den Hals trug sie blos, und auf dem Kopf einen alten Strohhut, wie er +in ihrer Jugend wahrscheinlich einmal das Ziel ihrer Wünsche gewesen — das Alter hatte sich daran festgeklammert, und unter den breiten, +wunderlich geformten und mit ein paar künstlichen, aber selbst in der +Kunst verblichenen und zerdrückten Blumen geschmückten Seitenwänden +desselben hingen die grauen langen Haare wirr hervor.</p> + +<p>Der Hut diente ihr gegen Sonnenbrand und Zugluft, am Tag wie Abends, +bis sie ihr Mattenlager in einem Winkel der Hütte suchte, über das sie +jedoch ein weites und gut in Stand gehaltenes Mosquitonetz gespannt +ließ; der Rock jedoch war unstreitig nicht ihr Eigenthum, oder wenn +doch, jedenfalls nur getheiltes, und Murphy, der wahrscheinlich +frühere Besitzer schien seine Ansprüche daran keineswegs aufgegeben zu +haben. Abends oder in Zeit der Kühle, bei Regenwetter oder sonstigen +Witterungsfällen, wo überhaupt das Tragen eines solchen Rocks unter +dieser Breite eine Entschuldigung fand, und nur den geringsten Grad +von Befriedigung gewähren konnte, hatte sich freilich Mütterchen Tot +darin eingeknöpft, und wollte Murphy dem Rechte des Besitzes nicht +ganz entsagen, so mußte er den Sonnenschein benutzen — und das that +er auch. — Jeden Tag wenigstens einmal, machte er den verzweifelten +Versuch in den<span class='pagenum'> <a name="Page_265" id="Page_265">[265]</a></span> Rock einzufahren, und darin auszuhalten, und blieb +darin zum Erstaunen aller, etwa in der Zeit eintreffenden Gäste, bis +ihm das Wasser am ganzen Körper herunter lief, und er das nutzlose +Kleidungsstück von den Schultern riß, aufpackte, zusammenrollte und +versuchte in eine Kalebasse zu zwingen, was er nach einer Weile +ebenfalls wieder aufgab, und sich dann seufzend an seine Bibel setzte — und der Rock blieb in der Ecke so lange liegen bis es Abends kühl +wurde und ihn Mütterchen Tot wieder brauchte.</p> + +<p>Außerdem trug Murphy ein paar sehr abgenutzte Sommerhosen, von irgend +einem farblosen dünnen Stoff, ein baumwollenes Hemd, eine +gelbgestreifte Weste, statt der fehlenden Knöpfe an den betreffenden +Stellen mit Bast zugebunden, und eine durch den Jahrelangen Gebrauch +schon total schwarz gebrannte Thonpfeife, die aber gewissermaßen mit +zu seinem Anzug gehörte, und ohne die er eben so leicht erschienen +wäre, wie ohne die Hosen oder die Weste. Nur der alte Filzhut schien +zum Staat an der Bambuswand zu hängen, und obgleich er ihn regelmäßig +abwischte, den Staub davon zu entfernen, erinnerte sich noch Niemand +ihn je darunter gesehen zu haben. Bei Murphy waren die Kleidungsstücke +alle in der Mitte, an Kopf und Beinen ging er barfuß.</p> + +<p>Murphy war Schuhmacher, aber natürlich nur<span class='pagenum'> <a name="Page_266" id="Page_266">[266]</a></span> für Europäer, denen er +altes Schuhwerk ausbesserte oder, wenn sie ihm das Leder dazu +lieferten, auch Neues fertigte, und wenn die Missionaire ihn und seine +Begleiterin schon gewiß lange, des unerlaubten Verkaufs spirituoser +Getränke wegen, weiter geschickt, es wenigstens nicht so unter ihren +Augen geduldet hätten, so erwies sich der kleine einäugige Irländer +doch auch wieder so nützlich, ja manchmal sogar unentbehrlich in +<span class="g">dieser</span> Hinsicht, daß sie das andere Auge zudrückten und ihn lieber +duldeten als sich in den Fall gesetzt sehen wollten ihre Kundschaft +einem dort kürzlich hingezogenen <span class="g">katholischen</span> Schuhmacher zuzuwenden. +Murphy fühlte auch eine gewisse Verehrung für diese Männer, die ihm, +weniger vielleicht durch ihr sonstiges Wesen und ihre Predigten, als +durch ihre fabelhafte Kenntniß der Bibel imponirten, und bediente sie +stets auf das prompteste. Da aber geschah es — wie überhaupt bei +vielen anderen Gelegenheiten — wo er mit Mütterchen Tot auf das +bösartigste zusammenkam, denn wenn sie irgend etwas haßte auf der +Welt, so war es, ihren eigenen Worten nach, ein »schwarzröckiger +Missionair«. Oeffentlich durfte sie aber freilich Nichts gegen sie +unternehmen, als höchstens schimpfen wenn sie sich unter ihren +Freunden befand, aber heimlich ließ sie auch dafür keine Gelegenheit +verstreichen ihnen irgend einen<span class='pagenum'> <a name="Page_267" id="Page_267">[267]</a></span> Schabernak zu spielen, und die +zerbrochenen Brandyflaschen welche die frommen Männer nicht selten +Morgens in ihrem Garten fanden, waren Kleinigkeit gegen die scharfen +Zwecken die sie ihnen sicher irgendwo in die Sohlen trieb, wenn Murphy +nur die Augen von einem fertigen Schuh verwandte. Nur der alleinige +Mangel an Concurrenz war im Stande gewesen, dem kleinen Iren die +Kundschaft bis jetzt zu erhalten.</p> + +<p>Mütterchen Tot's Hauptgeschäft war eigentlich der <span class="g">verbotene</span> +Brandyverkauf an die Indianer, den sie, trotz Consuln und +Missionairen, trotz Spioniren und Wachen der »Kirchenvorstände« in +vollem ununterbrochenen Gang zu halten wußte, und dabei eine Menge +Geld verdiente, von dem kein Mensch wußte wohin es kam, und dessen +Versteck aufzufinden selbst Murphys Scharfsinn bis jetzt entgangen +war. Von den Indianern bekam sie nur theilweise baar Geld, das jene +von den Europäern für Produkte gelöst, aber sie nahm auch alles +Andere, Cocosnüsse und Früchte, süße Kartoffeln, Hühner, Ferkel, +Matten, Tapa, Cocosöl, Perlmutterschaalen, Perlen; was ihr gebracht +wurde, es war einerlei, und sie wußte es wieder zu den höchsten +Preisen an die Schiffe, von denen sie ihre Spirituosen bezog, +abzusetzen. Auch zu dem Schmuggeln derselben hatte sie wieder ihre +besonderen<span class='pagenum'> <a name="Page_268" id="Page_268">[268]</a></span> Leute, großentheils unter den Europäern, und diese gerade +waren wiederum mit ihre beste Kundschaft. Doch wir finden noch eine +hübsche Gesellschaft in »Mütterchen Tot's Hotel«, wie die Bambushütte +von ihren Gästen sowohl wie ganz Papetee genannt wurde, versammelt, +und die alte Dame selber in bester Laune, denn gerade heute war ihr +wieder ein guter Wurf gelungen, und eine ganze Parthie neu +eingeführten Rum und Brandys glücklich in ihrem »Versteck« geborgen +worden, was sie auch wohl mit der klug benutzten politischen Aufregung +zu danken hatte, die beide Partheien zu viel beschäftigte ihre +Aufmerksamkeit so vollkommen dem sonst scharf genug bewachten Strande +zuzuwenden.</p> + +<p>In der Mitte des Hauses stand auf einem leichten Bambusgestell eine +ziemlich tiefe kleine eiserne Pfanne in der, aus dem flüssigen +Cocosnußöl heraus, ein riesiger Docht flammte; auf dem nackten Boden +aber umher waren verschiedene kleine Feuer angemacht und mit faulem +Holz oder feuchtem Laub beworfen, nur um Qualm zu erzeugen und die +Abends ziemlich lästigen Mosquitos fern zu halten. In diesem Rauch, +und bei dem ungewissen Licht des flackernden Dochts saßen, oder +kauerten vielmehr auf den niederen Sesseln, zehn oder zwölf Männer, +Weiße und Indianer, mit drei oder vier Indianischen Mäd<span class='pagenum'> <a name="Page_269" id="Page_269">[269]</a></span>chen zwischen +sich, in buntem Gemisch zusammen, während im Kreis zwischen ihnen eine +noch halb volle Flasche herumging, aus der sich Jeder, wenn er Bedarf +fühlte, die vor ihm stehende Cocosschale füllte und die Flasche dann +weiter schickte. Mrs. Tot saß unfern davon, wieder in Murphys weißen +Rock eingeknöpft, auf einem ordentlichen Rohrstuhl, der sie den ganzen +Kreis bequem überschauen ließ, und Murphy selber lehnte in seinem +gewöhnlichen Winkel, wo er ein besonderes Licht in einer +Cocosnußschale brennen hatte, drückte den Kopf an die Wand und schlief — in wiefern das Schlaf genannt werden konnte, wenn sich Jemand mit +geschlossenen Augen, nur blindlings, aber ununterbrochen, der auf ihn +einstürmenden Mosquitos zu erwehren suchte.</p> + +<p>Die Unterhaltung war indessen lebendig genug geführt worden, hatte +aber meist gleichgültigen Gegenständen gegolten, in die die Mädchen +hinein lachten und tollten, den Männern die Flasche wegnahmen und sie +versteckten, und sogar Murphy in seiner Ecke mit einer Feder unter der +Nase kitzelten, was ihn zwang entsetzliche Gesichter zu schneiden und +mit den Händen, zu ihrem unbeschreiblichen Ergötzen, rasch und heftig +nach dem angegriffenen Theil zu fahren. Sie blieben dabei immer »zu +windwärts von ihm«, wie sie's in ihrer Sprache nannten, d. h. an<span class='pagenum'> <a name="Page_270" id="Page_270">[270]</a></span> +seiner blinden Seite, an der sie am wenigsten eine rasche Entdeckung +zu fürchten hatten, und trieben es so arg mit ihm, bis er zuletzt, +ohne jedoch seine listigen wie boshaften Quälerinnen zu entdecken, +munter wurde, sich die Augen (selbst das blinde dieser Operation +unterwerfend) ausrieb, und mit einem halblaut gemurmelten Fluch auf +die Mosquitos seine Lampe wieder ein wenig auffrischte, daß sie heller +brannte.</p> + +<p>»Und Ihr, O'Flannagan, mein Juwel,« mischte sich jetzt die Alte +hinein, die auf dem Stuhl zusammengekauert, die Füße halb +heraufgezogen und die zusammengeschlagenen Arme gegen die Knie +gelehnt, dem Gespräch theils behaglich zugehört, theils das Kreisen +der Flasche beobachtet, auch wohl einmal aufmerksam über den Lärm +hinübergehorcht hatte, ob sie draußen kein verdächtiges Geräusch +vernehme — »Ihr wollt jetzt wieder eine Zeitlang auf der süßen Insel +bleiben? — segne Euere Augen Kind, Ihr hättet zu keiner gelegneren +Zeit herüber kommen können, im ganzen gebenedeiten Kalenderjahr — laßt mir jetzt den Narren da drüben zufrieden, Ihr Dirnen, oder ich +hetze ihn über Euch, g'rad wenn er aufwacht — Wespenzeug.«</p> + +<p>»Hallo Mutter Tot ist heute Abend böser Laune,« rief Eine der Mädchen +trotzig — »sollen wohl ruhig<span class='pagenum'> <a name="Page_271" id="Page_271">[271]</a></span> hier sitzen im qualmigen Nest — ehrbar +wie in der Predigt? Kommt Waihines, draußen im Freien ist's besser, +laßt sich die Schildkröte am Feuer räuchern.« Und lachend, die Melodie +ihres Tanzes trällernd, zu dem sie mit den Füßen den Takt schlug, +sprang sie, von den übrigen begleitet, denen der größte Theil der +Matrosen ebenfalls, theils fluchend theils lachend folgte, hinaus in's +Freie.</p> + +<p>»Das glaub' ich, Mütterchen;« brummte indeß unser alter Bekannter vom +Strande, ohne sich weiter um den Lärm der Fortspringenden zu kehren, +»natürlich, um gleich wieder die paar kaum verdienten Schillinge, und +wer weiß was sonst noch, zu riskiren, Dir Deinen Wintervorrath an +»Bergthau« einzulegen?«</p> + +<p>»Bah, Mann, es war keine Kunst den Branntwein an Land zu schaffen,« +brummte aber die Alte kopfschüttelnd, »und das Geld dießmal mit Sünden +verdient — kein Mensch schaute danach, und ich hätte ihn selber +wollen im Canoe an Land und hier herauf bringen, wenn der Narr von +einem Schuster da in der Ecke nur für irgend was anderes noch, als +auseinandergegangenes Leder zu flicken, gut wäre.«</p> + +<p>Murphy, der munter genug geworden war die letzten Worte wie ihre +schmerzhafte Anspielung zu verstehen, knurrte nur etwas in den Bart, +erwiederte aber Nichts, und fing sich an seine Pfeife zu stopfen,<span class='pagenum'> <a name="Page_272" id="Page_272">[272]</a></span> mit +der er von da an langsam aber sicher der Nähe der Flasche zu +arbeitete, vor allen Dingen einmal in Armes Länge von ihr zu kommen, +und das Weitere dann seinem guten Glück zu überlassen, denn die Alte +gönnte ihm keinen Tropfen ihres Getränks, daß sie als ihre +Privatspeculation betrachtete, wenn er nicht eben so gut wie jeder +Andere dafür bezahlte.</p> + +<p>»Haha Mütterchen,« lachte aber sein Landsmann, ohne sich die Mühe zu +nehmen nach dem bezeichneten Individuum umzuschauen — »nun die Arbeit +gethan ist wollt Ihr sie herunter setzen, ich sage Euch aber daß Ihr +Euch bald die Zeit wieder herbeiwünschen werdet wo sie Euch aufpassen +bis unter Euer Mosquitonetz, denn wenn die Franzosen hier doch noch +die Ueberhand kriegen, wird der Branntwein so billig wie der +Limonensaft, und der Kanaka kann ihn am Strand trinken, im offenen +Tageslicht.«</p> + +<p>»Wenn die Wi-Wis nur der Henker holen wollte,« knurrte die Alte, die +heimlich diese Besorgniß schon lange theilte, »aber die Englischen +»Eisenseiten« halten ihnen den Daumen auf's Auge, und ich werde ja den +Tag noch erleben, wo wir sie hinaustreiben sehen aus der Bai, wie eine +Schaar räudiger Hunde.«</p> + +<p>»Puh,« lachte Einer der schon halb angetrunkenen Indianer, indem er +von seinem Sitz hinunterrutschte, und sich, den Schemel unter den Kopf +schie<span class='pagenum'> <a name="Page_273" id="Page_273">[273]</a></span>bend, lang ausstreckte und dehnte zwischen die Trinker — »puh, +die Beretanis nehmen den Mund voll — sie sind lauter Worte und kein +Brandy — morgen früh kein Schießcanoe mehr im Hafen.«</p> + +<p>»Unsinn, Du Saufaus,« schimpfte aber die Alte, einen mürrischen Blick +nach ihm hinüberwerfend, »was weißt <span class="g">Du</span> von den Schießcanoes, daß Du +Deine Zunge mit hineinhängst wenn vernünftige Leute reden.«</p> + +<p>»Was ich von den Schießcanoes weiß?« lallte aber der Insulaner — »bin +d'ran vorbeigefahren heut Abend — Toatiti ist nicht blind.«</p> + +<p>»Der Bursche hat am Ende nicht so ganz Unrecht,« meinte O'Flannagan +kopfschüttelnd — »der ehrwürdige Mr. Pritchard muß gar nicht so +vortreffliche Nachrichten mitgebracht haben, sonst hätten seine +Kameraden hier, schon einen ganz anderen Lärm geschlagen, und +bestätigt sich jetzt das, daß die Engländer segeln, dann haben wir +auch in acht Tagen die Franzosen wieder über dem Hals. Ich weiß nur +jetzt nicht recht was man sich wünschen soll.«</p> + +<p>»Daß sie Beide der Teufel hole!« knurrte die Alte mürrisch in ihrem +wunderlichen Dialekt, »Einer ist so sehr darauf versessen einer armen +alten Frau das Bischen Lebensunterhalt zu entziehen, wie der Andere, +und wo die Einen Alles verbieten, erlauben die Andern Alles — sie +geben sich ordentlich die größte<span class='pagenum'> <a name="Page_274" id="Page_274">[274]</a></span> Mühe die Inseln nur so schnell wie +möglich zu ruiniren. Aber hab' ich die Wahl, will ich doch noch lieber +die Franzosen als Herren wissen, denn Handel treiben die Missionaire +auch, und wer von ihnen ungeschoren bleiben will, muß ihnen dann ihre +Kattune und Bibeln abkaufen für gutes Cocosnußöl und +Perlmutterschaale; anstatt solch Eigenthum hier ansässigen Leuten zu +gönnen, klappert's in ihren eigenen Geldsäcken weiter.«</p> + +<p>»Oh laßt Euer nichtsnutziges Indianisches Gewäsch, und redet daß es +ein anderer ordentlicher Mensch auch verstehen kann,« rief aber hier +Einer der Englischen Matrosen, der Zimmermann der <span class="f">Kitty Clover</span> +dazwischen, der mit der größten Aufmerksamkeit Mütterchen Tots Rede +gefolgt war, und um's Leben nicht herausbekommen konnte was sie +eigentlich gesprochen — »wer ist todt und wo brennt's?«</p> + +<p>»Laßt's gut sein, Mütterchen,« beschwichtigte diese O'Flannagan, des +Engländers Einrede jedoch soweit beachtend, daß er in seiner +Muttersprache die Unterhaltung weiter führte, »durch ihr Verbot des +Brandy wiegen sie das Alles wieder auf, und Ihr bleibt noch immer in +ihrer Schuld. — Wie viel rechnet Ihr etwa, daß Ihr jährlich an +heimlichem Grogverkauf verdient?«</p> + +<p>»Zählt einer armen Wittwe die Bissen die sie<span class='pagenum'> <a name="Page_275" id="Page_275">[275]</a></span> in den Mund steckt, +heh?« fuhr ihn aber die Alte an — »daß ich zu leben habe an +Brodfrucht und Cocoswasser ist's eben genug, gönnt Ihr mir das etwa +auch nicht? — Ihr verdient in einer Nacht mehr durch mich, wie ich +durch Euch das ganze Jahr.«</p> + +<p>»Haha Mütterchen,« lachte aber der Ire — »Ihr lernt das Prahlen wohl +von den Franzosen, und dabei riskirt Ihr ohnedieß auch nicht Euere +Haut, und sitzt wohl und sicher hier in Euerem behaglichen Haus, +während sie unsereinem, wenn sie ihn faßten, vielleicht kurzen Proceß +machten, statt aller Weitläufigkeit.«</p> + +<p>»Bah, was riskirt <span class="g">Ihr</span>,« brummte die Alte verächtlich — »daß sie Euch +einstecken für ein paar Wochen, oder von der Insel verweisen dann +schifft Ihr Euch in Papetee ein, und steigt in Papara wieder an Land — es ist ordentlich erstaunlich, daß Ihr es unter den Umständen +wirklich wagt, einmal nach Dunkelwerden noch eine halbe Stunde für +funfzig schwere silberne Dollar zu arbeiten.«</p> + +<p>»Ihr redet wie Ihr's versteht,« brummte Jim finster in den Bart — »und ich habe auch gerade keine besondere Lust Euch das Ganze hier +weitläufig aus einander zu setzen; soviel aber kann ich Euch +versichern, ich wollte lieber zehntausendmal mit Eueren glattrasirten +Methodisten zusammenrennen, wie mit<span class='pagenum'> <a name="Page_276" id="Page_276">[276]</a></span> den großmäuligen Burschen, den +Franzosen, und — habe dazu meine ganz absonderlichen Gründe, die eben +Niemand weiter etwas angehen, wie mich selber. Wenn das übrigens wahr +wird, was Taotiti da vermuthet, und die Engländer hier wieder klar +Fahrwasser machen, in das die Franzmänner nachher mit fliegenden +Fahnen einziehen, dann weiß meiner Mutter Sohn was er zu thun hat, und +jede andere Insel ist dann für mich bequemer wie Tahiti — Ihr könnt +mir vielleicht eine Empfehlung nach Neu-Seeland mitgeben Mütterchen, +wie?«</p> + +<p>Murphy verzog bei diesen Worten das Gesicht zu einem breiten Grinsen, +Mütterchen Tot wurde aber böse, und begann eben mit einer vollen +Ladung Schimpfwörter gegen den heimlichen, aber desto boshafteren +Angriff des Iren, als draußen ein leises Pfeifen gehört wurde, und +Mrs. Tot sowohl, wie Jim alles Andere in dem einen Gefühl größter +Wachsamkeit vergaßen.</p> + +<p>»Hallo was ist das,« sagte Jim, stand auf von seinem Sitz, und zog +sich langsam nach einem entlegeneren Theil der Hütte hin, während +Toatiti die gerade vor ihm stehende Flasche zustöpselte, und unter +sich schob, von wo sie Murphy, der jetzt recht gut den passendsten +Zeitpunkt wußte, eben so rasch wieder<span class='pagenum'> <a name="Page_277" id="Page_277">[277]</a></span> entfernte, und damit auf seinen +Platz zurückglitt — »da kommt Jemand.«</p> + +<p>»Das war To-to's Zeichen,« flüsterte die Alte, vorsichtig die Hand vor +die Flamme haltend, darüber hinwegschauen und den gleich erkennen zu +können der ihre Hütte noch zu dieser späten Stunde betreten würde — »Toatiti, wahr' Deine Flasche.«</p> + +<p>»Wahr meine Flasche?« knurrte der Indianer, auf dem Platz herumfühlend +wo er sie verborgen — »das haben Andere gethan — Oro's Zorn über +sie.«</p> + +<p>In diesem Augenblick öffnete sich aber die niedere Bambusthür, und von +dem auf Wacht draußen postirten Insulaner dicht gefolgt, betrat, den +Hut tief in die Augen gedrückt, ein Matrose den inneren Raum, blieb in +der Thüre stehen, sich erst zu orientiren in was für Gesellschaft er +eigentlich kam, und schritt dann, wie mit einem Blick um sich her +vollkommen zufriedengestellt, zur Flamme. Hier warf er den Hut ab, +setzte sich auf einen der leeren Schemel nieder, und fing an seine +Thonpfeife so ruhig zu stopfen, als ob er von klein auf hierher gehört +hätte, und gar nicht beabsichtigte je wieder einen so angenehmen Platz +zu verlassen.</p> + +<p>Niemand in der Hütte war übrigens mit größerem Erstaunen diesen +Bewegungen des Besuchs — der für ihn kein fremder schien — gefolgt, +als Mr.<span class='pagenum'> <a name="Page_278" id="Page_278">[278]</a></span> O'Flannagan, der in dem späten Wanderer mit einer keineswegs +freudigen Ueberraschung seinen früheren alten Spießgesellen, Jack, von +der <span class="f">Jeanne d'Arc,</span> erkannte, und sich dabei recht gut bewußt war, daß +er ihn halb und halb selber eingeladen, an Land zu kommen.</p> + +<p>»Well Jim,« begann dieser würdige Mann, nachdem er sich die Pfeife +angebrannt, während die Anderen ihm schweigend, und durch seine +Kaltblütigkeit wirklich überrascht, zuschauten — »wie geht's heut' +Abend, was stehst Du denn dahinten in der Ecke? — habt Ihr Nichts zu +trinken hier?«</p> + +<p>»Hol mich dieser und Jener« brummte aber Jim, der jetzt langsam +vorkam, und seinen alten Platz wieder einnahm, »wenn das nicht Jack +ist von der <span class="f">Jeanne,</span> nun mein Junge, hast Du den Platz hier wirklich +aufgefunden, und wo willst Du hin?«</p> + +<p>»Freundlicher Empfang das, bei Jingo,« lachte Jack — »hallo Mate da +drüben, wenn Du mit der Flasche fertig bist, lang' sie mir einmal +herüber.«</p> + +<p>Die Anrede galt Murphy, der sich in diesem Augenblick unbeobachtet +genug geglaubt, einen heimlichen Angriff auf die erbeutete Flasche +wagen zu dürfen, und jetzt erschreckt absetzte und eine fast +unwillkürliche Bewegung machte das <span class="f">corpus delicti</span> rasch wieder, und +bis zu geeigneterer Zeit zu verbergen,<span class='pagenum'> <a name="Page_279" id="Page_279">[279]</a></span> Toatiti war aber indessen auch +aufmerksam geworden, und in die Höh springend und mit dem Rufe: +»Hallo, weißer Mann — hat meine Flasche,« holte er sich sein +Eigenthum wieder, mit dem er jedoch die gefährliche Nachbarschaft des +neugekommenen Fremden ebenfalls mied, und sich seinen Platz am anderen +Ende der Hütte suchte. Jim reichte Jack indessen eine andere Flasche +hinüber.</p> + +<p>»Und wer seid <span class="g">Ihr</span>, wenn man fragen darf, mein feiner Herr?« sagte aber +jetzt Mütterchen Tot, mit noch immer etwas vorsichtig gedämpfter +Stimme, als ob sie nicht recht traue daß nicht vielleicht noch eine +andere Gesellschaft draußen an der Hütte stehen könne — »Ihr kommt +hier gerade so breitbeinig herein, als ob Ihr mit zum Haus gehörtet, +und müßt doch wissen daß ich, den streng gehaltenen Gesetzen der Insel +nach, keinen Fremden über Nacht bei mir beherbergen darf, selbst wenn +ich ihn kenne, was bei Euch aber nicht einmal der Fall ist.«</p> + +<p>»Wer ich bin? — hm, Jim da drüben wird Euch das am besten erzählen +können, wenn er sonst Lust dazu hat,« lachte der Matrose, zum ersten +Mal wieder absetzend mit der Flasche, und sich das Naß aus dem Bart +streichend.</p> + +<p>»Aber wo kommst Du noch her so spät in der Nacht,« frug jetzt Jim +selber, »und wie in der Welt<span class='pagenum'> <a name="Page_280" id="Page_280">[280]</a></span> hast Du den schmalen Pfad durch die +Guiaven verfolgen können?«</p> + +<p>»Verdammt wenig hab' ich überhaupt von einem Pfad gespürt,« lachte der +Seemann, »nein Kamerad, einen nichtswürdigen Kreuzzug habe ich durch +das niederträchtige Buschwerk hier gemacht nach allen Strichen und +Himmelsgegenden zu, und bin auf und ab lavirt, bis ich mich eben +bereit machte die Nacht unter Gottes freiem Himmel zuzubringen, als +ich noch zum guten Glück Euer freundliches Licht durch die Büsche +schimmern sah, und nun vor dem Wind Cours halten konnte, bis ich das +leise Pfeifen des Burschen da hörte, der mich noch immer so verstört +und mißtrauisch ansieht, als ob ich ihm alle Augenblicke wieder davon +laufen wolle. Hab' keine Angst, mein Junge, der Brandy ist +vortrefflich, und hier sucht mich doch kein Teufel, wenigstens nicht +bis es Tag wird, und man sich nicht mehr in den stachlichen +Orangengebüschen die Fetzen vom Leib, ja die Haut von den Knochen +reißt.«</p> + +<p>»Du bist desertirt?« frug O'Flannagan rasch.</p> + +<p>»Desertirt?« schrie die Alte, von ihrem Sitz aufspringend — »und +halt' ich ein Versteck hier, für entlaufene Matrosen? was wollt Ihr da +hier? — weshalb seid Ihr <span class="g">hier</span>hergekommen?«</p> + +<p>»Pst, pst Alte,« suchte sie Jack aber wieder zu<span class='pagenum'> <a name="Page_281" id="Page_281">[281]</a></span> beruhigen, und die +Flasche vorher noch einmal gegen das Licht haltend, that er einen +zweiten Zug, der eben nicht viel für einen dritten übrig ließ — »nur +nicht solchen Lärm einer Kleinigkeit wegen; das haben bessere Männer +vor mir gethan — Wetter noch einmal, der Brandy ist famos, und ich +wollte die Flasche hier hätte eine Schwester.«</p> + +<p>»Aber sie haben Dich noch nicht vermißt?« sagte Jim, ihn über das +Licht aufmerksam betrachtend, »denn ich will doch nicht hoffen daß Du +eben, von den Spürhunden gehetzt, hier nur so zu Bau gekrochen bist.«</p> + +<p>»Der Vergleich könnte passen,« schmunzelte Jack, wie mit sich selber +zufrieden; »erst mit Dunkelwerden haben sie meine Spur in den Guiaven +verloren, und ich kann's ihnen nicht übel nehmen, denn ich wußte +selber nicht mehr wo ich war — wie sollten sie's.«</p> + +<p>»Da haben wir's!« rief aber die Alte in Zorn und Grimm mit der rechten +Faust in ihre linke offene Hand schlagend; »wegen dem fortgelaufenen +Lump soll ich mir hier das Dach über dem Kopf niederreißen und mich +wieder hinaus in alle Welt jagen lassen? weiter fehlte mir Nichts — hinaus mit Dir mein Bursche, hinaus so schnell Du gekommen bist, oder +ich lasse Dich binden und knebeln und selber wieder auf Dein Schiff +zurückliefern, wohin Du ge<span class='pagenum'> <a name="Page_282" id="Page_282">[282]</a></span>hörst, und das Du im Leben nicht hättest +verlassen sollen.</p> + +<p>»Herrliche Gastfreundschaft hier auf der Insel,« lachte Jack, ohne +aber auch nur die mindeste Bewegung zu machen, als ob er dem Befehl +Folge leisten wolle — »patriarchalische Freundschaft das, hol' mich +der Böse — sie sagen's Einem doch erst ganz höflich, ehe sie Einen +wieder hinauswerfen. Nun Jim, wie ist's? — willst Du mich nicht +lieber wieder an Bord zurückschicken lassen? — Du weißt, <span class="g">ich</span> könnte +nachher gar keine Geschichte erzählen, Gott bewahre, nicht die +mindeste.«</p> + +<p>»Unsinn,« knurrte der Ire, »es wäre mir verdammt egal was Du, einmal +erst wieder an Bord, erzählen oder erfinden könntest — na, ich weiß +schon was Du sagen willst; die Alte hat aber in einer Hinsicht recht, +<span class="g">hier</span> kannst Du nicht bleiben, und <span class="g">ich</span> auch nicht, wenn sie Dich +wirklich bis an die Guiaven verfolgt haben, denn dann stöbern sie +auch, von ein oder dem andern <span class="g">frommen</span> Indianer geführt, die dabei ein +gutes Werk zu thun glauben, diese Hütte noch vor Tagesanbruch auf, und +könnten uns dabei im besten Schlaf erwischen.«</p> + +<p>»Hol sie der Teufel!« rief Jack finster — »sie mögen thun was sie +nicht lassen können, aber meiner Mutter Sohn geht heute Nacht nicht +wieder allein<span class='pagenum'> <a name="Page_283" id="Page_283">[283]</a></span> in die Guiaven hinaus, und wenn ich die ganze +Mannschaft der <span class="f">Jeanne d'Arc</span> hinter mir wüßte. — Wenn Ihr mich aus dem +Weg haben wollt, versteckt mich hier irgendwo, ich bin müde wie ein +gehetzter Wolf und will schlafen; kommen die Monsieurs nachher +wirklich noch hierher, was ich aber doch stark bezweifeln möchte, so +kann sie die alte würdige Dame da, mit dem allerliebsten Hut auf und +dem gewiß höchst modernen Anzug, leicht genug auf eine falsche Fährte +bringen — so, jetzt wißt Ihr das Kurze und Lange davon.«</p> + +<p>Mütterchen Tot, der vielleicht in ihrer ganzen jahrzehnte langen +Praxis ein solches Beispiel von keckem Trotz, <span class="g">ihr</span> gegenüber noch nicht +vorgekommen war, stand im ersten Augenblick wirklich starr vor +Ueberraschung — jedenfalls sprachlos, dann aber war sie eben im +Begriff wie Gottes Zorn über den Unverschämten hereinzubrechen, der +ihr hier in ihrer eigenen Hütte zu trotzen, ja sie zu verhöhnen wagte, +als Jim dazwischen trat, und sie zurückhaltend den Arm des Matrosen +faßte und diesen bei Seite zog.</p> + +<p>»Was <span class="g">will</span> der Mensch hier?« kreischte jetzt aber das gereizte Weib mit +lauter, gellender Stimme, ziemlich unbekümmert wie es schien, wie viel +Specktakel sie mache — »was thut er hier, was sucht er bei mir, daß +er — «<span class='pagenum'> <a name="Page_284" id="Page_284">[284]</a></span></p> + +<p>»Halt Mütterchen,« rief aber Jim rasch und heftig sie unterbrechend, +und den Arm drohend gegen sie aufgehoben — »halt, oder Du schreist +Dich selber um den Hals — der hier ist ein alter Kamerad von mir, und +ich werde ihn nicht in der Patsche sitzen lassen.«</p> + +<p>»Aber hier in meinem Hause — «</p> + +<p>»Ruhig Mütterchen — hier im Haus soll und kann er auch nicht bleiben — Du brauchst Dir deshalb keine Sorge zu machen; und Du, Jack,« +wandte sich Jim jetzt gegen diesen, der ziemlich geduldig das Ende der +Unterhaltung zu erwarten schien — »Du stehst hier auf gefährlicherem +Boden als Du wahrscheinlich vermuthest, und je eher Du aus dem Schein +dieses Lichts kommst, desto besser für Dich — vielleicht für uns alle +Beide.«</p> + +<p>»Aber wie zum Teufel <span class="g">kann</span> ich fort?« rief der Matrose ärgerlich, »das +Dickicht draußen ist ordentlich zugewachsen, und mit dem Licht schon +in Sicht, habe ich meinen Weg noch gewiß eine halbe Stunde förmlich +durcharbeiten müssen, nur den Platz hier zu erreichen.«</p> + +<p>»Du sollst auch nicht allein gehen,« unterbrach ihn Jim, »denn wir +müssen Dich eine ganze Strecke weit inland bringen, wenn Du es nicht +lieber vorziehst in der Nähe vom Strand zu bleiben und mit<span class='pagenum'> <a name="Page_285" id="Page_285">[285]</a></span> erster +Gelegenheit in einem Canoe nach irgend einer anderen Insel +überzusetzen.«</p> + +<p>»Nein nein — danke,« sagte Jack nach kurzem Ueberlegen — »draußen in +See ist langsames und unsicheres Fortkommen, und der Henker traue den +verschiedenen Fregatten die jetzt im Ein- oder Auslaufen sind; sie +könnten Einem jeden Augenblick über den Hals kommen, und — neugierig +sind sie alle. Nein, ich will's jedenfalls erst einmal eine kurze Zeit +hier in den Bergen versuchen — auf Salzwasser komme ich noch immer +zeitig genug.«</p> + +<p>»Gut, dann soll Dich Toatiti in die Berge bringen,« sagte Jim nach +einigem Nachdenken, und zwar in Tahitischer Sprache, mehr zu dem +Indianer selber, als zu Jack gewandt.</p> + +<p>»Toatiti wird sich hüten,« knurrte aber dieser, seine Stellung +beibehaltend und sich nur etwas mehr auf die Seite hinüberdrehend, +»Toatiti liegt hier ausgezeichnet und ist sehr durstig.«</p> + +<p>»Schwamm!« zischte der Ire zwischen den zusammengebissenen Zähnen +durch, aber er wußte auch daß mit den Insulanern, wenn sie einmal +keine Lust hatten, Nichts zu machen war, weder in Gutem noch Bösen, +und deshalb den anderen jungen Burschen zu sich winkend, flüsterte er +ihm etwas in's Ohr — irgend ein Versprechen, seine Faulheit zu +beschwören,<span class='pagenum'> <a name="Page_286" id="Page_286">[286]</a></span> und mußte ihm dabei so dringend zugeredet haben, daß er +wirklich seine Tapa fester um sich her zog, die Haare aus dem Gesicht +schüttelte und sich bereit zeigte den Weißen »aus dem Weg« zu führen.</p> + +<p>Der Insulaner der Südsee ist eigentlich nicht faul — wir haben +wenigstens kein Recht für ihn, dem die Natur Alles gegeben was er +braucht, wenn er nur die Hand danach ausstreckt, eine eben solche +Thätigkeit zu verlangen, wie sie unser ganzes Klima, unser Boden, +unser übervölkerter Staat schon zur Bedingung unserer Existenz +gemacht, und uns also auch damit jedes Verdienst genommen hat, sie uns +angeeignet zu haben — wir können einmal nicht ohne sie leben, und +deshalb auch nicht mit ihr prahlen. Es würde ebenso wenig Einem +unserer reichen Leute, unserer Rentiers und Capitalisten einfallen +Holz zu hacken oder Straßen zu bauen mit Schaufel und Spitzhacke — »wir brauchen es nicht« sagen sie achselzuckend, »dafür haben wir +unsere Leute.« Dasselbe sagt der Insulaner — »ich brauche es nicht«, +oder wenn er's nicht sagt liegt es in jeder Muskel seines Gesichts, in +jedem Nerv seines Körpers. Der Brodfruchtbaum ernährt ihn, und tausend +andere Fruchtbäume schütteln ihm selber das luxuriöseste Mahl auf den +Boden nieder; nur die Kleidung wurde früher von den Frauen und Mädchen +aus der Rinde gewisser<span class='pagenum'> <a name="Page_287" id="Page_287">[287]</a></span> Bäume herausgeschlagen, und dieser einzig +nöthigen Beschäftigung widmete wenigstens der weibliche Theil der +Bevölkerung einige Zeit; aber selbst das ist jetzt, sehr zum Schaden +der Insulaner, durch die erst von den Missionairen und später von +anderen Europäern eingeführten Cattune unnöthig gemacht und +aufgehoben, und die Missionaire selber verkauften ihnen die +Europäischen Stoffe, die ihnen durch ihre bunten Farben gefielen, um +einen Tauschartikel zu haben, für den sie ihren eigenen +Lebensunterhalt, wie anderes was sie zur Bequemlichkeit ihrer Existenz +gebrauchten, bekommen konnten. Den Frauen wurde damit die letzte +nützliche Beschäftigung genommen, und Bibellesen, das ihnen dafür +Ersatz geben sollte, konnte sie natürlich nur so lange fesseln, als es +eben den Reiz der Neuheit für sie hatte. Was kümmerten sie die Sagen +eines Volks von dem sie nicht einmal einen Begriff hatten wo und wann +es existirt, und jetzt gerade, wo das Glauben an die Wunder ihrer +eigenen Götter durch die fremden Männer erschüttert, ja über den +Haufen geworfen worden, sollten sie da gleich gläubig und +vertrauungsvoll zu noch viel wunderbareren Sachen aufschauen? —</p> + +<p>Ach was — die Sonne reifte ihre Früchte noch wie je — im Schatten +ihrer wundervollen Wälder ruhte sich's so kühl wie sonst, und der +Zukunft<span class='pagenum'> <a name="Page_288" id="Page_288">[288]</a></span> <span class="g">träumte</span> es sich viel eher, wenigstens viel leichter entgegen, +als daß sie die Hand hätten »an den Pflug« legen sollen, wie es die +Missionaire fortwährend von ihnen verlangten. Wer etwas von ihnen +haben wollte mußte es gut bezahlen — dann thaten sie es vielleicht; +aber gezwungen wollten sie noch immer nicht dazu werden.</p> + +<p>»Und wo führt er mich hin?« sagte Jack mit einem leisen Anflug von +Mißtrauen als er sah, wie sich der Indianer fertig machte ihn zu +begleiten, »hab ich weit zu gehen?«</p> + +<p>»Zu einem Haus in den Bergen,« erwiederte Jim, ihm die Worte leise +zuflüsternd — »selbst Mütterchen Tot braucht den Ort nicht zu wissen, +obgleich sie Keinen verrathen würde, von dem sie nicht selber gleichen +Liebesdienst fürchten müßte — der Platz liegt kaum eine halbe Meile +von hier entfernt, aber sicher versteckt, und ist wenigstens nicht, +wie der hier, als heimlicher Schlupfwinkel entlaufener Matrosen in +ganz Papetee, ja auf der ganzen Insel, berüchtigt — bist Du fertig?«</p> + +<p>»Brauch' ich etwa andere Vorbereitungen,« lachte Jack, »als meine +Jacke wieder zuzuknöpfen? — aber die Flasche hier nehme ich mit, es +ist immer noch ein Tropfen darin, und der Nebel liegt dicht auf den +Bergen. Und nun ade, Mütterchen, und vergelt'<span class='pagenum'> <a name="Page_289" id="Page_289">[289]</a></span> Dir Gott die +freundliche Bewirthung — bis <span class="g">ich's</span> vielleicht einmal im Stande bin. +Und Du, Kamerad?« wandte er sich plötzlich noch gegen den Mann von der +<span class="f">Kitty Clover</span>, der die ganze Zeit, seit Jack die Hütte betreten, keine +Sylbe gesprochen, und den fremden Gesellen nur manchmal, wenn das +unbemerkt geschehen konnte, unter seinem Hutrand vor beobachtet hatte, +»hast Du nicht vielleicht Lust einen Abendspatziergang mitzumachen? — s'ist verdammt langweilige Arbeit so allein mit einer Rothhaut draußen +in den Büschen herumzukriechen.«</p> + +<p>»Danke,« brummte aber der Matrose ohne aufzusehen — »befinde mich +g'rade hier wohl wo ich bin.«</p> + +<p>»Auch gut,« brummte der Andere finster — »besser keine Gesellschaft +wie schlechte,« und mit einem kurzen Gruß nach Jim hinüber, winkte er +seinem Führer und verließ rasch und mürrisch das Haus.</p> + +<p>Nicht ein Wort wurde gesprochen, als sich die leichte Bambusthür +wieder hinter den Beiden schloß, und die Zurückbleibenden horchten +viele Minuten lang lautlos und aufmerksam den, bald in der Ferne +verhallenden Schritten. Der Mann von der <span class="f">Kitty Clover</span>, Bob mit Namen, +brach zuerst das Schweigen wieder, und sich mit finster +zusammengezogenen Brauen den Hut aus der Stirn rückend brummte er, +mehr mit sich selbst als zu den Anderen redend, und die<span class='pagenum'> <a name="Page_290" id="Page_290">[290]</a></span> letzten Worte +des wunderlichen Burschen wiederholend, der hier so plötzlich zwischen +ihnen aufgetaucht und verschwunden war:</p> + +<p>»Besser keine Gesellschaft wie schlechte? — Wetter Kamerad, Du +würdest weit in der Welt herumsuchen müssen, wenn Du schlechtere +finden wolltest wie Dein eigenes süßes Ich.«</p> + +<p>»Kennt Ihr ihn?« frug Jim rasch, sich zugleich nach dem Sprecher +umdrehend.</p> + +<p>»Vielleicht nicht so gut wie Ihr,« lachte dieser trocken, »aber immer +doch gut genug froh zu sein, daß ihm <span class="g">mein</span> Gesicht nicht gerade alte +Scenen in's Gedächtniß zurückrief. Wir waren vor gar nicht so langen +Jahren Schiffskameraden, ja Vortopgäste zusammen, und er wurde +gepeitscht und später in Ketten an Land geschafft, weil er das M. und +D. nicht von einander zu unterscheiden wußte.«</p> + +<p>»Das M. und D.?« sagte Jim erstaunt.</p> + +<p>»Nun das Mein und Dein,« lachte der Wallfischfänger, »aber noch +schlimmere Sachen wurden ihm zur Last gelegt, und ein halbes Wunder +nur rettete ihn damals von der Raanocke — verdient hatte er sie schon +zehnmal.«</p> + +<p>»Aufgepaßt!« flüsterte da die Stimme der Alten rasch und vorsichtig +dazwischen — »aufgepaßt, draußen sind wieder Schritte die da nicht +hingehören <span class='pagenum'> <a name="Page_291" id="Page_291">[291]</a></span> — und der faule Gauch von einem Schuster kauert da +wahrhaftig wieder hinter seiner dickleibigen Bibel und schmiert die +Seiten voll Cocosöl — hinaus mit Dir, Menschenkind, wohin Du gehörst, +und daß doch der Böse mit Dir und dem Buch davonflöge.«</p> + +<p>Murphy schien allerdings vollständig ausgeschlafen zu haben, und hatte +sich, da ihm die Flasche wieder abhanden gekommen, seinen +allnächtlichen Tröster, die Bibel, vom Gesims geholt, über der er bei +dem matten Licht der unsteten Flamme brütete. Mütterchen Tot's +Zornrede störte ihn nun allerdings etwas in dieser löblichen +Beschäftigung, aber theils ärgerlich gemacht durch den Verlust des +Brandy, theils durch die unermüdlichen Angriffe der Mosquiten, derer +er sich heute Abend kaum erwehren konnte, war ein sonst an ihm kaum +denkbarer Geist, der Geist des Widerspruchs, in ihn gefahren, und +mürrisch über das Buch und das Licht wegsehend rief er mit seiner +feinen, jetzt ärgerlich erregten Stimme:</p> + +<p>»Ach zum Henker, ich habe draußen Nichts zu suchen, und wenn man Einen +wie einen Menschen behandelte, könnte man auch wie ein Mensch +existiren. Laß die aufpassen die sich vor was zu fürchten haben; +Murphy hat ein gutes Gewissen und sitzt hier lange gut.«</p> + +<p>»Nun <span class="g">das</span> hat mir noch gefehlt!« schrie Müt<span class='pagenum'> <a name="Page_292" id="Page_292">[292]</a></span>terchen Tot, von ihrem Sitz +empor und auf den Rebellen zufahrend, der nur eben Zeit genug behielt +das Gestell mit der Lampe zwischen sich und die Megäre zu bringen. +Mütterchen Tot schien aber seine Taktik schon zu kennen, und mit einem +Griff ihrer langen Arme um die Flamme herumgreifend erwischte sie das +Buch, hob es mit beiden Armen auf und schleuderte es blitzesschnell +und mit einem ingrimmigen Fluch nach dem Kopf des kleinen Schusters, +der nur durch rasches Untertauchen dem nicht unbeträchtlichen Gewicht +des Bandes entgehen konnte. »<span class="g">Da</span>,« schrie sie dabei, kirschroth vor +Wuth — »da Du Lump, da nimm das und studier's, und nun hinaus mit +Dir, oder so wahr da oben der Mond am Himmel steht, ich gieße Dir das +heiße Cocosöl über den Leib, und brühe Dich wie ein unreines Schwein +das Du bist — Du — Du Lederstecher Du.«</p> + +<p>»Zum Teufel noch einmal, Mütterchen,« rief aber Jim jetzt dazwischen, +der sich indessen ebenfalls zum Fortgehen bereit gemacht, und seine +Jacke zugeknöpft, seinen Hut aufgesetzt hatte — »laßt den Lärm hier, +Ihr macht ja einen Skandal, daß die Hunde am Strand an zu bellen +fangen. Mir wird's unheimlich hier drin, und ich suche mir lieber ein +stilleres Quartier. Komm Kamerad, ich will Dich noch in gute +Gesellschaft bringen, heut' Abend, und morgen früh<span class='pagenum'> <a name="Page_293" id="Page_293">[293]</a></span> dann — Teufel!« +unterbrach er sich aber rasch und erschreckt, denn draußen rasselten +plötzlich, wie auf ein gegebenes Kommando, eine Anzahl Gewehrkolben +auf den Boden, dicht an dem Eingang der Hütte nieder, und die Stimme +eines Befehlenden in Französischer Sprache wurde laut:</p> + +<p>»Zwei von Euch um das Haus herum, ob es noch einen anderen Eingang +hat, und Ihr hier bleibt an der Thür; was mit Gewalt hindurch will den +stoßt Ihr nieder — Feuer auf jeden Flüchtling.«</p> + +<p>»Alle Wetter,« brummte Bob, jetzt ebenfalls aufspringend, und seine +Segeltuch-Hosen nach Art der Seeleute in die Höhe zerrend — »Jack ist +ihnen zur rechten Zeit aus den Klauen gerutscht.«</p> + +<p>Es blieb ihm keine Zeit zu weiteren Bemerkungen, denn die Thür wurde +in diesem Augenblick aufgerissen, und sich bückend trat ein +Französischer See-Officier ein, dem eine Anzahl Marinesoldaten mit +aufgepflanztem Bajonett folgten, und somit ein Verlassen der Hütte, +die keine Fenster hatte, unmöglich machte.</p> + +<p>Der Officier, dessen Blick den inneren Raum, soweit das nämlich das +ungewisse Licht der Cocosflamme erlaubte, überflog, haftete zuerst auf +Murphy selber der, sich wenig um die Patrouille oder Haussuchung +kümmernd, an die er durch eine lange Reihe von Jahren auch wohl schon +gewöhnt sein mochte,<span class='pagenum'> <a name="Page_294" id="Page_294">[294]</a></span> nur rasch und bestürzt seine Bibel aufgegriffen +hatte, und mit dem dicken Buch jetzt gar nicht schnell genug in seine +Hülfskalebasse hineinfahren konnte.</p> + +<p>»Hallo Sir — was habt <span class="g">Ihr</span> da so Kostbares zu verstecken he?« rief er +in Englischer Sprache, und ging langsam auf den kleinen Mann zu, der +fast instinktartig das erst halb hineingezwängte Buch bei Seite und in +den Schatten drückte, und nach einem angefangenen Schuh griff, als ob +er mitten in der Nacht seine mit Dunkelwerden aufgegebene Arbeit +wieder beginnen wolle.</p> + +<p>»Und seid Ihr hierhergekommen, Sirrah, unsere Taschen zu visitiren?« +knurrte aber unwirsch der kleine Ire, der schon einen tückischen +Seitenblick nach der ihm verhaßten Uniform warf, und seinen ganzen +trotzköpfigen Muth oder eher Widerspruchsgeist zurückbekommen hatte, +als er fand daß der nächtliche Besuch <span class="g">nur</span> Soldaten und keine +Missionaire waren, »wenn's <span class="g">mir</span> Vergnügen macht, kann ich meine +Kalebassen und Taschen so voll stopfen wie und mit was ich will — was +geht's Euch an?«</p> + +<p>»Langsam mein Bursche, langsam,« lachte der Officier, unser alter +Bekannter Bertrand, durch die mürrische Antwort keineswegs böse +gemacht — »wenn ich nachher neugierig werden sollte, wirst Du mir's +doch noch zeigen müssen, jetzt aber vor allen Dingen<span class='pagenum'> <a name="Page_295" id="Page_295">[295]</a></span> wollen wir Deine +Wohnung einmal etwas genauer besehen, ob wir nicht einen alten Freund +und Schiffskameraden darin entdecken können, der sich wahrscheinlich +von Bord verlaufen hat, und in der dunklen Nacht nicht wieder dorthin +zurückfinden kann. Die Guiaven stehen gar zu dicht um Euer Haus — Ihr +solltet sie ein wenig lichten.«</p> + +<p>»Wie ich merke stehen sie doch noch immer nicht dicht genug;« brummte +Murphy halblaut vor sich hin, Mütterchen Tot nahm aber für ihn die +Unterhaltung auf, und mit ihrer schrillen Stimme kreischte sie dem +Officier entgegen:</p> + +<p>»<span class="g">Deine</span> Wohnung, <span class="g">Deine</span> Wohnung? wessen Wohnung habt Ihr hier anders als +<span class="g">meine</span>? und glaubt Ihr daß der schmutzige Schuster da eine Wohnung für +sich selber hat? — Ist das auch eine Manier einer armen +alleinstehenden Frau bei Nacht und Nebel in's Haus zu fallen, und sie +zu erschrecken, daß sie den Tod davon haben könnte? was wollt Ihr? wer +seid Ihr? wen sucht Ihr? nun, habt Ihr die Sprache verloren daß Ihr +dasteht wie von Gott verlassen?«</p> + +<p>»Alle Wetter,« lachte Bertrand, der sich erst jetzt von seinem Staunen +über die wunderbare, vor ihm aufsteigende und von der Flamme +phantastisch genug beschienene Gestalt erholen konnte — »das ist +eine<span class='pagenum'> <a name="Page_296" id="Page_296">[296]</a></span> <span class="g">Dame</span>; bei Allem was da schwimmt, ich hatte keine Ahnung daß sich +das schöne Geschlecht auch in solch alte Ueberröcke zurückziehen +könnte.«</p> + +<p>»Ach was <span class="g">schöne Geschlecht — Dame</span>,« knurrte die Megäre, »was wollt +Ihr, wen sucht Ihr? und ein Bischen rasch, denn es ist Schlafenszeit, +und ich möchte meine Ruhe haben wie ich's verlangen kann.«</p> + +<p>Der Officier hörte schon kaum mehr auf sie, sondern näher zum Licht +tretend, und seine Augen mit der linken ausgestreckten Hand dagegen +schützend suchte er vor allen Dingen herauszubekommen, ob außer den, +neben der Lampe sitzenden Individuen noch Andere vielleicht in der +Hütte befindlich, oder gar versteckt wären, einer eben nur +oberflächlichen Untersuchung auf bequeme Art auszuweichen.</p> + +<p>Jim hatte erst wirklich, und wie er das erste Niederstoßen der +Gewehrkolben hörte, eine Bewegung gemacht, als ob er sich in den +hinteren und dunkleren Theil der Hütte zurückziehen wolle, als aber +sein scharfes Ohr auch dort draußen Schritte hörte, blieb er ruhig +stehen und ließ sich dann sogar, als eben der Officier die Hütte +betrat, wieder auf seinen alten Platz nieder, wo er, den Kopf in die +Hände gestützt, und den breiträndigen Wachstuchhut nur etwas tiefer in +die Augen gezogen, ruhig sitzen blieb, und das<span class='pagenum'> <a name="Page_297" id="Page_297">[297]</a></span> Ganze mit vollkommen +gutem Gewissen schien abwarten zu wollen. Nur der mißtrauische und +finstere Blick, den er heimlich, unter dem Schatten seiner Hutkrempe +vor, nach dem Officier hinüberschoß, wie die fest zusammengebissenen +Zähne hätten können ahnen lassen, daß doch nicht Alles mit ihm so gut +und richtig sei, und er vielleicht gegenwärtig lieber den von +Mosquitos am meisten heimgesuchten Guiavensumpf, als gerade diesen +behaglichen Platz auf dem er sich befand, inne haben möchte.</p> + +<p>»Was oder wen ich suche, Madame?« wiederholte Bertrand langsam und +fast wie mit sich selber redend — »hm, Jack scheint sich richtig aus +dem Staub gemacht oder doch einen sichereren Platz aufgefunden zu +haben. Ihr, da, zwei von Euch« wandte er sich dann in französischer +Sprache an die Soldaten, »sucht einmal an der Wand hin, ob Ihr nicht +irgendwo noch Jemand entdeckt, und wenn so, bringt ihn her zum Licht; +vielleicht können mir indessen diese beiden Burschen, die da so +schweigsam sitzen, etwas nähere Auskunft über den Gesuchten geben. +Heda Gentlemen,« wandte er sich jetzt an die beiden Leute, von denen +Bob nicht als Matrose zu verkennen war, während selbst Jim einen +ziemlich seemännischen Anstrich hatte, und hier auf Tahiti, wo man +kaum Leute anderen Berufs vermuthen konnte, recht gut für zu<span class='pagenum'> <a name="Page_298" id="Page_298">[298]</a></span> +Salzwasser gehörig gelten konnte — »ich suche einen entsprungenen +Mann von der <span class="f">Jeanne d'Arc,</span> der auf den Namen Jack hört, und sonst ein +so durchtriebener nichtsnutziger Schuft ist, wie nur je Einer +Schuhleder zertreten oder das Deck eines Schiffes gewaschen hat. Kann +mich Einer von Euch auf die Spur bringen?«</p> + +<p>»Spur bringen?« brummte aber Bob dagegen — »wenn's auf See wäre, aber +hier an Land bin ich immer froh wenn ich das Ufer selber wiederfinde, +mich nicht zwischen den verdammten Bäumen zu verlaufen — da müßt Ihr +Euch schon einen Anderen suchen.«</p> + +<p>»Aber hast Du den Burschen nicht irgendwo gesichtet, Kamerad?« frug +der Officier wieder, der aus dem ganzen Wesen der Alten etwas +Aehnliches fast vermuthen wollte. »Er heißt Jack.«</p> + +<p>»So heißen wir ziemlich Alle,« knurrte der Seemann — »wenn man Eines +Namen nicht weiß auf Englischen Schiffen, nennt man ihn Jack — jeder +Matrose ist eigentlich ein geborener Jack, und kriegt den anderen +Namen, wie das Frauensvolk bei der Heirath, mit dem ersten +Salzwasser-Grog ohne Zucker und Rum, den sie ihm über den Schädel +gießen.«</p> + +<p>Bertrand hatte, während Bob sprach, zuerst Jim oberflächlich +betrachtet, und sich dann wieder in der<span class='pagenum'> <a name="Page_299" id="Page_299">[299]</a></span> Hütte umgesehen, in seiner +Erinnerung wurden aber andere Bilder wach, und wieder und wieder +kehrte sein Blick zu den halbbeschatteten Zügen des Mannes zurück, der +am Feuer mit zusammengezogenen Brauen saß und jetzt anfing in seiner +Tasche nach Tabak zu suchen, sich eine Pfeife zu stopfen.</p> + +<p>»Hallo Kamerad,« sagte er endlich, als die beiden Soldaten +zurückgekommen waren und gemeldet hatten daß sich Niemand weiter in +der Hütte befinde, »wo haben wir Beide denn schon einmal unser +Fahrwasser gekreuzt? — Du bist ein Engländer?«</p> + +<p>»Wenigstens nicht weit davon,« brummte Jim, sich noch mehr in seine +Pfeife vertiefend, und jetzt halb vom Lichte abgewandt — »habe aber +nicht die Ehre — Menschen gleichen sich wie Blätter und Eier — tragen Alle die Nase mitten im Gesichte.«</p> + +<p>Bertrand barg einen Augenblick die Augen in der Hand, wie um durch +keine äußeren Eindrücke sein Gedächtniß zu beirren — ein +thatenreiches Leben flog ihm in wirren Bildern vor dem inneren Geist +vorüber; aber zu viel der Scenen, zu viel der Gestalten wechselten und +schwammen da durcheinander, als ihm so rasch zu gestatten daß er sich +den einen, verlangten herausgriffe aus der Masse, und nur den Kopf +schüttelnd, schritt er mit verschränkten Armen ein paar Mal auf und ab +in der Hütte, ohne, wie<span class='pagenum'> <a name="Page_300" id="Page_300">[300]</a></span> es schien, auf die Inwohner viel zu achten, +ja fast vergessend, weshalb er eigentlich hierhergekommen.</p> + +<p>Jim war dabei diese höchst unnöthige Aufmerksamkeit, die der Officier, +den er selber recht gut wiedererkannte, auf ihn wandte, nichts weniger +als angenehm, und er fing an sich eben nicht mehr so sicher auf seinem +Platz zu fühlen. Er stand langsam auf und zog sich dem Hintergrund der +Hütte zu.</p> + +<p>Bertrand stampfte ungeduldig mit dem Fuß.</p> + +<p>»Weiß der Teufel,« murmelte er dabei leise vor sich hin, »wo mir die +Galgenphysionomie schon einmal vorgekommen, aber nichts Unbedeutendes +war's das ist sicher — nun vielleicht fällt's mir wieder ein — ha — « sagte er, emporsehend, als er den Seemann nicht mehr auf seinem +Sitz erblickte — »ah, der Herr schläft wohl hier, und will sich sein +Lager zurechtmachen? — habt Ihr Erlaubniß an Lande zu bleiben, und +auf welches Schiff gehört Ihr?«</p> + +<p>»Ich gehöre auf gar kein's,« entgegnete Jim finster aus dem Halbdunkel +der Hütte vor — »die Insel hier ist meine Heimath, und ich werde +d'rauf schlafen können, denk' ich.«</p> + +<p>»Und Du, mein Bursche, auf welches Schiff gehörst Du?« wandte er sich +jetzt zu Bob — »oder rechnest Du Dich etwa auch zu den Eingeborenen, +mit Deiner Furcht vor den Bäumen?«<span class='pagenum'> <a name="Page_301" id="Page_301">[301]</a></span></p> + +<p>»Verdamm es, nein,« brummte der Seemann, »ich gehöre zur <span class="f">Kitty +Clover</span>.«</p> + +<p>»Dem Wallfischfänger?«</p> + +<p>»Ja.«</p> + +<p>»Und weshalb bist Du da nicht an Bord, Sirrah?« frug der Officier +scharf — »die <span class="f">Kitty Clover</span> steht überhaupt in dem Verdacht andere +Ladung als Thran an Bord zu führen, und wenn ich nicht irre haben die +Missionaire schon Klage eingereicht, daß Ihr den ganzen Ort mit Brandy +überschwemmt.«</p> + +<p>»Die Missionaire können zu Grase gehen,« erwiederte Bob gleichgültig, +»die schwatzen viel wenn der Tag lang ist. Was übrigens die <span class="f">Kitty +Clover</span> thut geht <span class="g">mich</span> nichts an — die <span class="f">Kitty Clover</span> ist ein ganz +selbstständiges Frauenzimmer.«</p> + +<p>Bertrand lachte. »Doch apropos,« rief er plötzlich, sich zu Murphy +wendend, der noch immer auf seinem niederen Schemel saß, und den in +der Eile aufgegriffenen Schuh wie mißtrauisch betrachtete, »was war's +denn was der Bursche da vorhin versteckte? seh doch einmal Einer von +Euch nach — in der Kalebasse da drüben muß es sein, vielleicht daß +uns das auf Jacks Spur bringt.«</p> + +<p>»Und was habt Ihr Euch um anderer Leute Kalebassen zu bekümmern?« rief +aber die Frau jetzt, zum ersten Mal des Schusters Parthei ergreifend, +der<span class='pagenum'> <a name="Page_302" id="Page_302">[302]</a></span> nur mit finster trotzigem Blick vor sein Eigenthum trat, und +nicht übel Willens schien es zum Aeußersten zu vertheidigen — »hab +ich Euch nicht gesagt daß ich Nichts von Euerem ganzen Gesindel weiß, +und mir noch weniger daraus mache, und überhaupt wünsche die +gottvergessenen Wi-Wis in meinem ganzen Leben nicht gesehen zu haben? — ist das jetzt Zeit, mitten in der Nacht bei einer armen alten Frau +einzubrechen, das Unterste zu oberst zu kehren, und unschuldige Leute +mit geladenen Gewehren und Bajonetten zu erschrecken? Fort mit Euch +wohin Ihr selber gehört, was wollt Ihr von uns? — was steht Ihr noch +da?«</p> + +<p>»Komm hier Mütterchen,« lachte aber der eine Soldat, ein riesiger +Bursche, sie und Murphy zu gleicher Zeit aber sanft bei Seite +schiebend, während der Andere, unter Murphys Armen fort, die fragliche +Kalebasse mit dem Bajonnet anspießte und nach vorn zog, wo das +allerdings höchst unverdächtige Buch zu Lichte rollte.</p> + +<p>»Eine Bibel,« lachte der Officier, »und weshalb versteckst Du die vor +<span class="g">mir</span>? — hab' keine Furcht mein frommer Bursche, ich wäre der Letzte +der Dich in Deiner Andacht störte — laßt sie los.«</p> + +<p>»Gottes Fluch über Euch!« schrie aber jetzt die Alte, durch das ruhige +Verhalten der Leute nur noch<span class='pagenum'> <a name="Page_303" id="Page_303">[303]</a></span> mehr in Wuth gebracht. »Pest und Gift in +Euere Knochen, und faulende Krankheit, daß Ihr eine arme Frau +mißhandelt und drückt in ihrem eigenen Haus!« und zufällig vielleicht, +oder auch mit Absicht das heiße Cocosöl über die Eindringlinge +auszuschütten, stieß sie zu gleicher Zeit das hohe und leichte +Bambusgestell, auf dem Murphys Cocosschale mit dem darin brennenden +Docht stand, um, und die Soldaten konnten auch wirklich eben nur unter +laut ausgestoßenen Flüchen zur Seite springen, dem drohenden Oel, das +sich jetzt entzündete, zu entgehen. Auf dem Boden aber schlug es in +heller Flamme empor, den Platz mit seinem Lichte übergießend.</p> + +<p>»Alle Wetter Madonna,« rief Bertrand, der lachend zurücksprang, »Du +wirst Dir selber das Haus über dem Kopf anzünden, und da hinten — « +sein Blick fiel in diesem Moment auf das, ihm fast unwillkürlich +zugewandte Antlitz des Iren, der sich überrascht nach der hellen +Flamme umschaute, und wie ein zündender Blitz sprang zu gleicher Zeit +die Erinnerung an jene Nacht in ihm auf, die Jack schon früher gegen +Jim erwähnt, seinem Gedächtniß mit Zauberschnelle das Wo und Wie jener +Züge in die Seele rufend.</p> + +<p>»<span class="f">Sapristi</span>,« schrie er, den Degen mit dem Wort aus der Scheide reißend +und gegen den Iren an<span class='pagenum'> <a name="Page_304" id="Page_304">[304]</a></span>springend — »hab' ich Dich, Kamerad — ergieb +Dich Schuft! hierher Ihr Leute!«</p> + +<p>»Verdammt!« knirrschte Jim zwischen den Zähnen durch, »aber noch habt +Ihr mich nicht!« und einen Sessel der dort stand aufgreifend, und dem +Franzosen vor die Füße schleudernd, daß dieser auf die Seite springen +mußte nicht darüber zu fallen, warf er sich, ehe die Soldaten +herbeieilen oder selbst Bertrand ihn erreichen konnte, mit aller +Gewalt gegen einen der Bambusstäbe an, der, jedenfalls schon zu einem +heimlichen Ausgang, einer Art Nothröhre benutzt, seinem Gewicht +nachgab und sich nach außen bog. Der Körper des Flüchtigen war im Nu +dahinter verschwunden, und als der Officier vorspringend mit seinem +Degen einen Stoß nach dem Entsprungenen führte, traf der +zurückschnellende Bambus die Klinge, und brach sie in der Mitte, wie +Glas entzwei.</p> + +<p>»Feuer! beim Teufel — Feuer!« schrie Bertrand, wüthend gemacht, und +dem Knacken der Hähne folgte mit Blitzesschnelle eine Salve, mit wenig +mehr Erfolg aber wohl, als den Bambus an einigen Stellen zu +zersplittern und die Hütte mit Pulverrauch zu füllen.</p> + +<p>Der einzige Ruhige während der ganzen wilden Scene schien Bob, der +regungslos auf seinem Platz sitzen geblieben war, und nur nach dem +Verschwinden<span class='pagenum'> <a name="Page_305" id="Page_305">[305]</a></span> Jims und der rasch gefeuerten Salven wie spöttisch mit +dem Kopf schüttelte. »Hm, möchte wissen was da im Winde ist — verteufelter Kerl, wie fix er durch die Wand war,« murmelte er vor +sich hin; »sein Hals kann auch seinen Beinen dankbar sein, mein' ich, +denn auf einen bloßen Deserteur wird doch nicht gleich geschossen — hab's mir aber etwa gedacht, daß der Bursche wohl was erzählen könnte — wenn er nur wollte.«</p> + +<p>Ein paar Soldaten wollten jetzt rasch zur Thür hinaus, dem Flüchtigen +nachzusetzen, Bertrand rief sie aber zurück.</p> + +<p>»Laßt ihn heute, in dem Unterholz ist er schon lange in Sicherheit,« +sagte er seine Klinge vom Boden aufhebend und den Sprung, mit einem +leise gemurmelten Fluch wieder zusammenpassend — »wart' aber +Canaille; also hier nach Tahiti her hast Du Dich gefunden? — nun +hoffentlich war das nicht das letzte Mal daß wir einander begegnet +sind, und das nächste Mal <span class="g">kenn'</span> ich Dich, darauf kannst Du Dich +verlassen. Und Du Mütterchen,« wandte er sich plötzlich an die alte +Frau, die knurrend und keifend neben dem qualmenden brennenden Oele +stand, und giftige Blicke bald nach der Ursache dieser Ueberstürzung +ihres Hausstandes, bald nach dem unglücklichen Schuster hinüber warf, +an dem sie nur<span class='pagenum'> <a name="Page_306" id="Page_306">[306]</a></span> noch nicht recht wußte, wie sie einen Halt bekommen +sollte, ihren Grimm auszulassen — »Du kannst mir vielleicht sagen wie +der Bursche, der da eben durch Deine Wand sprang, heißt, was er treibt +und wo er wohnt.«</p> + +<p>Mütterchen Tot war aber keineswegs in der Laune irgend eine Auskunft +zu geben, und ihren vollen Grimm gegen den Frager kehrend, überhäufte +sie ihn mit einer wahren Fluth von Schimpfreden und Zornesworten, daß +er verlange sie solle alles Gesindel kennen, das sich auf der Insel +herumtriebe, und die Wohnung von Leuten angeben die zu ihr in's Haus +kämen einen Dollar zu verzehren, wovon sie leben müsse in ihren alten +Tagen.</p> + +<p>Bob wollte ebenfalls von Nichts wissen, und Bertrand sah wohl ein daß +er hier nur seine, jetzt weit kostbarere Zeit vergeuden würde, aus den +hier Anwesenden durch Drohungen oder Bitten etwas herauszulocken. +Vielleicht aber vermochte ihm ihr Eigennutz, dieser gewaltige Hebel +der Menschheit mehr zu nützen, und sich an die Alte wendend da der +Matrose wohl schwerlich einen Kameraden verrathen würde, sagte er +ruhig:</p> + +<p>»Frieden Mütterchen, eben weil Ihr eine arme verlassene Wittwe seid, +red' ich zu Euerem Besten,<span class='pagenum'> <a name="Page_307" id="Page_307">[307]</a></span> und wollt Ihr einen Haufen Geld mit einem +Schlag verdienen, so habt Ihr weiter Nichts zu thun als Ja zu sagen.«</p> + +<p>»Haufen Geld,« mumpelte die Alte mürrisch, aber auf einmal merkwürdig +besänftigt, in ihrem zahnlosen Mund — »Haufen Geld, ja mit der Zunge, +da versprecht Ihr Wi-Wis das Blaue vom Himmel herunter — Haufen Geld — wie soll eine arme verlassene Wittwe einen Haufen Geld verdienen in +dieser schweren, drückenden Zeit? — fort mit Euch, ich kenne Euch +schon von alten Zeiten her.«</p> + +<p>»Schon gut, Madonna, also Du weißt nicht wo jener Bursche, der da eben +durch die Bambuswand sprang, und mit der Gelegenheit dieses Hauses +<span class="g">außerordentlich</span> vertraut scheint, sich über Tag aufhält, und wo er +wohnt?«</p> + +<p>»Nein — Nichts,« brummte die Alte mürrisch.</p> + +<p>»Weißt auch nicht wie er heißt?«</p> + +<p>Die Alte zögerte und sah halb unschlüssig Bob an, der aber sog ruhig +an seiner Pfeife und schaute still und heimlich lächelnd vor sich +nieder — sie schüttelte trotzig mit dem Kopf.</p> + +<p>»Gut,« sagte Bertrand, sich die Lippen beißend, »vielleicht fällt +Dir's später ein; frischt sich aber Dein Gedächtniß, so kannst Du 500 +Frank — verstehst<span class='pagenum'> <a name="Page_308" id="Page_308">[308]</a></span> Du? — 500 Frank verdienen, wenn Du mir +Gelegenheit giebst des Schuftes habhaft zu werden.«</p> + +<p>»Fünfhundert Frank?« sagte die Alte ungläubig.</p> + +<p>»Auf der Stelle ausgezahlt, sobald wir den Burschen in unsere Gewalt +bekommen — und selbst für den Anderen sollst Du zweihundert haben, +wenn Du uns zu seiner Ergreifung behülflich bist.«</p> + +<p>Bob hob jetzt zum ersten Mal den Blick vom Boden auf, und sah die Alte +lauernd an — Mütterchen Tot schien aber in der That in tiefem +Nachdenken verloren über den Vorschlag, und es bedurfte einiger +Minuten, ehe sie die Versuchung von sich abschütteln konnte — wenn +sie sich nicht etwa gar vor den Zeugen genirte.</p> + +<p>»Ich will Nichts mit der Sache zu thun haben,« brummte sie +kopfschüttelnd — »hat O'Flannagan sich — «</p> + +<p>»O'Flannagan?« frug Bertrand rasch.</p> + +<p>»Ach zum Teufel!« rief die Alte, jetzt selber ärgerlich werdend — »lauert Einem nicht das Wort von den Lippen, eh' es gesprochen ist — was weiß ich wie Einer heißt der bei mir aus und ein geht, und sich so +oder so nennen kann — wen kümmerts. Es ist Nachtschlafenszeit, und +ich will meine Ruhe haben in meinem eigenen Haus — versteht Ihr +das?«<span class='pagenum'> <a name="Page_309" id="Page_309">[309]</a></span></p> + +<p>»Ich versteh' Euch, Mütterchen,« lachte aber Bertrand — »danke +übrigens für den Wink, und — vergeßt die 500 Frank nicht. — Doch +jetzt: Achtung. Ihr Leute rechts umkehrt und vorwärts marsch!« und den +Soldaten voran schreitend, die ihm durch die niedere Thür mit +gebückten Köpfen folgten, verließ er rasch das Haus, und bald verklang +der letzte Schritt der bewaffneten Männer in der Ferne.</p> + +<p>Bob war aufgestanden und lauschte dem weiter und weiter +verschwimmenden Geräusch der ihm genug verhaßten Franzosen. Dann sich +den Hosengürtel nach Seemannsart in die Höhe rückend und den Hut etwas +weiter aus dem Gesicht schiebend, drückte er beide Hände neben den +Hüften in den Bund und drehte sich ab, ohne weiteres Wort oder Gruß +das Haus zu verlassen.</p> + +<p>Die Alte sah ihm finster und schweigend nach, ohne ihn aufzuhalten, in +der Thür aber blieb er plötzlich noch einmal stehen, drehte sich um, +nahm mit der linken Hand die Pfeife aus dem Munde, und sagte:</p> + +<p>»<span class="g">Mein</span> Name ist Bob Candy,« und sich dann auf dem Absatz +herumschwingend, verschwand er durch die noch offene Thür.</p> + +<p>Mütterchen Tot aber löschte die Lichter aus, ohne auf Murphy oder den +jetzt wieder zum Feuer nieder<span class='pagenum'> <a name="Page_310" id="Page_310">[310]</a></span>gekauerten Indianer irgend eine +Rücksicht zu nehmen, und drückte sich mürrisch und knurrend auf ihr +Lager in der Ecke nieder. Sie hatte den Kopf voll, und selbst der +kleine Schuster konnte sich heut Abend unbelästigt auf sein Lager +werfen, den Mosquitos ein paar Stunden Schlaf abzuringen.</p> + + + + +<hr style="width: 65%;" /> +<div class="note"> +<p><b>Anmerkungen zur Transkription:</b> Die Schreibweise einiger Wörter ist im Originalbuch inkonsistent. Im vorliegenden ebook wurden lediglich +offensichtliche Druck- und Zeichensetzungsfehler korrigiert.</p> +</div> + + + + + + + + + +<pre> + + + + + +End of Project Gutenberg's Tahiti. Zweiter Band., by Friedrich Gerstäcker + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK TAHITI. ZWEITER BAND. *** + +***** This file should be named 29464-h.htm or 29464-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/2/9/4/6/29464/ + +Produced by richyfourtytwo, Bernd Meyer and the Online +Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. Special rules, +set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to +copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to +protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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It exists +because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from +people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. +To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation +and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 +and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at +http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent +permitted by U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. +Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered +throughout numerous locations. Its business office is located at +809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email +business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact +information can be found at the Foundation's web site and official +page at http://pglaf.org + +For additional contact information: + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. 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Thus, we do not necessarily +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + + +Most people start at our Web site which has the main PG search facility: + + http://www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. + + +</pre> + +</body> +</html> diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. 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