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| author | Roger Frank <rfrank@pglaf.org> | 2025-10-15 05:20:26 -0700 |
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You may copy it, give it away or re-use it under the terms of +the Project Gutenberg License included with this eBook or online at +www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Römische Geschichte Book 3 + +Author: Theodor Mommsen + +Release Date: February, 2002 [Etext #3062] +[Most recently updated: January 15, 2020] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE *** + + + + + + + + + + + +</pre> + + +<h1>Römische Geschichte </h1> + +<h4>Drittes Buch<br/> +Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der +griechischen Staaten +</h4> + +<h2>von Theodor Mommsen</h2> + +<hr /> + +<p> +The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some +(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a +modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek +words, nor is there any differentiation between the different accents of +ancient Greek and the subscript iotas are missing as well. +</p> + +<h2>Contents</h2> + +<table summary="" style="margin-left: auto; margin-right: auto"> + +<tr> +<td> <a href="#part03"><b>Drittes Buch—Von der Einigung Italiens bis auf +die Unterwerfung Karthagos und der griechischen Staaten</b></a></td> +</tr> + + +<tr> +<td> <a href="#chap01">KAPITEL I. Karthago</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap02">KAPITEL II. Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap03">KAPITEL III. Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap04">KAPITEL IV. Hamilkar und Hannibal</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap05">KAPITEL V. Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap06">KAPITEL VI. Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap07">KAPITEL VII. Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap08">KAPITEL VIII. Die östlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap09">KAPITEL IX. Der Krieg gegen Antiochos von Asien</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap10">KAPITEL X. Der Dritte Makedonische Krieg</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap11">KAPITEL XI. Regiment und Regierte</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap12">KAPITEL XII. Boden- und Geldwirtschaft</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap13">KAPITEL XIII. Glaube und Sitte</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap14">KAPITEL XIV. Literatur und Kunst</a></td> +</tr> + + +</table> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="part03"></a>Drittes Buch<br/> +Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der +griechischen Staaten +</h2> + +<p> +arduum res gestas scribere +</p> + +<p> +arg beschwerlich ist es, Geschichte zu schreiben +</p> + +<p class="right"> +Sallust +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap01"></a>KAPITEL I.<br/> +Karthago</h2> + +<p> +Der semitische Stamm steht inmitten und doch auch ausserhalb der Voelker der +alten klassischen Welt. Der Schwerpunkt liegt fuer jenen im Osten, fuer diese +am Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wanderung die Grenze verschoben und die +Staemme durcheinanderwarfen, immer schied und scheidet ein tiefes Gefuehl der +Fremdartigkeit die indogermanischen Voelker von den syrischen, israelitischen, +arabischen Nationen. Dies gilt auch von demjenigen semitischen Volke, das mehr +als irgendein anderes gegen Westen sich ausgebreitet hat, von den Phoenikern. +Ihre Heimat ist der schmale Kuestenstreif zwischen Kleinasien, dem syrischen +Hochland und Aegypten, die Ebene genannt, das heisst Kanaan. Nur mit diesem +Namen hat die Nation sich selber genannt - noch in der christlichen Zeit nannte +der afrikanische Bauer sich einen Kanaaniter; den Hellenen aber hiess Kanaan +das “Purpurland” oder auch das “Land der roten +Maenner”, Phoenike, und Punier pflegten auch die Italiker, Phoeniker oder +Punier pflegen wir noch die Kanaaniter zu heissen. Das Land ist wohl geeignet +zum Ackerbau; aber vor allen Dingen sind die vortrefflichen Haefen und der +Reichtum an Holz und Metallen dem Handel guenstig, der hier, wo das ueberreiche +oestliche Festland hinantritt an die weithin sich ausbreitende insel- und +hafenreiche Mittellaendische See, vielleicht zuerst in seiner ganzen +Grossartigkeit dem Menschen aufgegangen ist. Was Mut, Scharfsinn und +Begeisterung vermoegen, haben die Phoeniker aufgeboten, um dem Handel und was +aus ihm folgt, der Schiffahrt, Fabrikation, Kolonisierung, die volle +Entwicklung zu geben und Osten und Westen zu vermitteln. In unglaublich frueher +Zeit finden wir sie in Kypros und Aegypten, in Griechenland und Sizilien, in +Afrika und Spanien, ja sogar auf dem Atlantischen Meer und der Nordsee. Ihr +Handelsgebiet reicht von Sierra Leone und Cornwall im Westen bis oestlich zur +malabarischen Kueste; durch ihre Haende gehen das Gold und die Perlen des +Ostens, der tyrische Purpur, die Sklaven, das Elfenbein, die Loewen- und +Pardelfelle aus dem inneren Afrika, der arabische Weihrauch, das Linnen +Aegyptens, Griechenlands Tongeschirr und edle Weine, das kyprische Kupfer, das +spanische Silber, das englische Zinn, das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen +die phoenikischen Schiffer, was es brauchen kann oder doch kaufen mag, und +ueberall kommen sie herum, um immer wieder zurueckzukehren zu der engen Heimat, +an der ihr Herz haengt. Die Phoeniker haben wohl ein Recht, in der Geschichte +genannt zu werden neben der hellenischen und der latinischen Nation; aber auch +an ihnen und vielleicht an ihnen am meisten bewaehrt es sich, dass das Altertum +die Kraefte der Voelker einseitig entwickelte. Die grossartigen und dauernden +Schoepfungen, welche auf dem geistigen Gebiete innerhalb des aramaeischen +Stammes entstanden sind, gehoeren nicht zunaechst den Phoenikern an; wenn +Glauben und Wissen in gewissem Sinn den aramaeischen Nationen vor allen anderen +eigen und den Indogermanen erst aus dem Osten zugekommen sind, so hat doch +weder die phoenikische Religion noch die phoenikische Wissenschaft und Kunst, +soviel wir sehen, jemals unter den aramaeischen einen selbstaendigen Rang +eingenommen. Die religioesen Vorstellungen der Phoeniker sind formlos und +unschoen, und ihr Gottesdienst schien Luesternheit und Grausamkeit mehr zu +naehren als zu baendigen bestimmt; von einer besonderen Einwirkung +phoenikischer Religion auf andere Voelker wird wenigstens in der geschichtlich +klaren Zeit nichts wahrgenommen. Ebensowenig begegnet eine auch nur der +italischen, geschweige denn derjenigen der Mutterlaender der Kunst +vergleichbare phoenikische Tektonik oder Plastik. Die aelteste Heimat der +wissenschaftlichen Beobachtung und ihrer praktischen Verwertung ist Babylon +oder doch das Euphratland gewesen: hier wahrscheinlich folgte man zuerst dem +Lauf der Sterne; hier schied und schrieb man zuerst die Laute der Sprache; hier +begann der Mensch ueber Zeit und Raum und ueber die in der Natur wirkenden +Kraefte zu denken; hierhin fuehren die aeltesten Spuren der Astronomie und +Chronologie, des Alphabets, der Masse und Gewichte. Die Phoeniker haben wohl +von den kunstreichen und hoch entwickelten babylonischen Gewerken fuer ihre +Industrie, von der Sternbeobachtung fuer ihre Schiffahrt, von der Lautschrift +und der Ordnung der Masse fuer ihren Handel Vorteil gezogen und manchen +wichtigen Keim der Zivilisation mit ihren Waren vertrieben; aber dass das +Alphabet oder irgendein anderes jener genialen Erzeugnisse des Menschengeistes +ihnen eigentuemlich angehoere, laesst sich nicht erweisen, und was durch sie +von religioesen und wissenschaftlichen Gedanken den Hellenen zukam, das haben +sie mehr wie der Vogel das Samenkorn als wie der Ackersmann die Saat +ausgestreut. Die Kraft die bildungsfaehigen Voelker, mit denen sie sich +beruehrten, zu zivilisieren und sich zu assimilieren, wie sie die Hellenen und +selbst die Italiker besitzen, fehlte den Phoenikern gaenzlich. Im +Eroberungsgebiet der Roemer sind vor der romanischen Zunge die iberischen und +die keltischen Sprachen verschollen; die Berber Afrikas reden heute noch +dieselbe Sprache wie zu den Zeiten der Hannos und der Barkiden. Aber vor allem +mangelt den Phoenikern, wie allen aramaeischen Nationen im Gegensatz zu den +indogermanischen, der staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke der sich +selber regierenden Freiheit. Waehrend der hoechsten Bluete von Sidon und Tyros +ist das phoenikische Land der ewige Zankapfel der am Euphrat und am Nil +herrschenden Maechte und bald den Assyrern, bald den Aegyptern untertan. Mit +der halben Macht haetten hellenische Staedte sich unabhaengig gemacht; aber die +vorsichtigen sidonischen Maenner, berechnend, dass die Sperrung der +Karawanenstrassen nach dem Osten oder der aegyptischen Haefen ihnen weit hoeher +zu stehen komme als der schwerste Tribut, zahlten lieber puenktlich ihre +Steuern, wie es fiel nach Ninive oder nach Memphis, und fochten sogar, wenn es +nicht anders sein konnte, mit ihren Schiffen die Schlachten der Koenige mit. +Und wie die Phoeniker daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen, waren sie +auch draussen keineswegs geneigt, die friedlichen Bahnen der kaufmaennischen +mit der erobernden Politik zu vertauschen. Ihre Niederlassungen sind +Faktoreien; es liegt ihnen mehr daran, den Eingeborenen Waren abzunehmen und +zuzubringen, als weite Gebiete in fernen Laendern zu erwerben und daselbst die +schwere und langsame Arbeit der Kolonisierung durchzufuehren. Selbst mit ihren +Konkurrenten vermeiden sie den Krieg; aus Aegypten, Griechenland, Italien, dem +oestlichen Sizilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdraengen und in den +grossen Seeschlachten, die in frueher Zeit um die Herrschaft im westlichen +Mittelmeer geliefert worden sind, bei Alalia (217 537) und Kyme (280 474), sind +es die Etrusker, nicht die Phoeniker, die die Schwere des Kampfes gegen die +Griechen tragen. Ist die Konkurrenz einmal nicht zu vermeiden, so gleicht man +sich aus, so gut es gehen will; es ist nie von den Phoenikern ein Versuch +gemacht worden, Caere oder Massalia zu erobern. Noch weniger natuerlich sind +die Phoeniker zum Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der +aelteren Zeit offensiv auf dem Kampfplatze erscheinen, in der grossen +sizilischen Expedition der afrikanischen Phoeniker, welche mit der Niederlage +bei Himera durch Gelon von Syrakus endigte (274 480), sind sie nur als +gehorsame Untertanen des Grosskoenigs und um der Teilnahme an dem Feldzug gegen +die oestlichen Hellenen auszuweichen, gegen die Hellepen des Westens +ausgerueckt; wie denn ihre syrischen Stammgenossen in der Tat in demselben Jahr +sich mit den Persern bei Salamis mussten schlagen lassen. +</p> + +<p> +Es ist das nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten Gewaessern und mit +bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und dass diese unter den +Phoenikern zu finden waren, haben sie oft bewiesen. Es ist noch weniger Mangel +an Zaehigkeit und Eigenartigkeit des Nationalgefuehls; vielmehr haben die +Aramaeer mit einer Hartnaeckigkeit, welche kein indogermanisches Volk je +erreicht hat und welche uns Okzidentalen bald mehr, bald weniger als menschlich +zu sein duenkt, ihre Nationalitaet gegen alle Lockungen der griechischen +Zivilisation wie gegen alle Zwangsmittel der orientalischen und +okzidentalischen Despoten mit den Waffen des Geistes wie mit ihrem Blute +verteidigt. Es ist der Mangel an staatlichem Sinn, der bei dem lebendigsten +Stammgefuehl, bei der treuesten Anhaenglichkeit an die Vaterstadt doch das +eigenste Wesen der Phoeniker bezeichnet. Die Freiheit lockte sie nicht und es +geluestete sie nicht nach der Herrschaft; “ruhig lebten sie”, sagt +das Buch der Richter, “nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemut +und im Besitz von Reichtum”. +</p> + +<p> +Unter allen phoenikischen Ansiedlungen gediehen keine schneller und sicherer +als die von den Tyriern und Sidoniern an der Suedkueste Spaniens und an der +nordafrikanischen gegruendeten, in welche Gegenden weder der Arm des +Grosskoenigs noch die gefaehrliche Rivalitaet der griechischen Seefahrer +reichte, die Eingeborenen aber den Fremdlingen gegenueberstanden wie in Amerika +die Indianer den Europaeern. Unter den zahlreichen und bluehenden phoenikischen +Staedten an diesen Gestaden ragte vor allem hervor die “Neustadt”, +Karthada oder, wie die Okzidentalen sie nennen, Karchedon oder Karthago. Nicht +die frueheste Niederlassung der Phoeniker in dieser Gegend und urspruenglich +vielleicht schutzbefohlene Stadt des nahen Utica, der aeltesten Phoenikerstadt +in Libyen, ueberfluegelte sie bald ihre Nachbarn, ja die Heimat selbst durch +die unvergleichlich guenstige Lage und die rege Taetigkeit ihrer Bewohner. +Gelegen unfern der (ehemaligen) Muendung des Bagradas (Medscherda), der die +reichste Getreidelandschaft Nordafrikas durchstroemt, auf einer fruchtbaren +noch heute mit Landhaeusern besetzten und mit Oliven- und Orangenwaeldern +bedeckten Anschwellung des Bodens, der gegen die Ebene sanft sich abdacht und +an der Seeseite als meerumflossenes Vorgebirg endigt, inmitten des grossen +Hafens von Nordafrika, des Golfes von Tunis, da wo dies schoene Bassin den +besten Ankergrund fuer groessere Schiffe und hart am Strande trinkbares +Quellwasser darbietet, ist dieser Platz fuer Ackerbau und Handel und die +Vermittlung beider so einzig guenstig, dass nicht bloss die tyrische Ansiedlung +daselbst die erste phoenikische Kaufstadt ward, sondern auch in der roemischen +Zeit Karthago, kaum wiederhergestellt, die dritte Stadt des Kaiserreichs wurde +und noch heute unter nicht guenstigen Verhaeltnissen und an einer weit weniger +gut gewaehlten Stelle dort eine Stadt von hunderttausend Einwohnern besteht und +gedeiht. Die agrikole, merkantile, industrielle Bluete einer Stadt in solcher +Lage und mit solchen Bewohnern erklaert sich selbst; wohl aber fordert die +Frage eine Antwort, auf welchem Weg diese Ansiedlung zu einer politischen +Machtentwicklung gelangte, wie sie keine andere phoenikische Stadt besessen +hat. +</p> + +<p> +Dass der phoenikische Stamm seine politische Passivitaet auch in Karthago nicht +verleugnet hat, dafuer fehlt es keineswegs an Beweisen. Karthago bezahlte bis +in die Zeiten seiner Bluete hinab fuer den Boden, den die Stadt einnahm, +Grundzins an die einheimischen Berber, den Stamm der Maxyer oder Maxitaner; und +obwohl das Meer und die Wueste die Stadt hinreichend schuetzten vor jedem +Angriff der oestlichen Maechte, scheint Karthago doch die Herrschaft des +Grosskoenigs wenn auch nur dem Namen nach anerkannt und ihm gelegentlich +gezinst zu haben, um sich die Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu +sichern. +</p> + +<p> +Aber bei allem guten Willen, sich zu fuegen und zu schmiegen, traten doch +Verhaeltnisse ein, die diese Phoeniker in eine energischere Politik draengten. +Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich unaufhaltsam gegen Westen +ergoss, der die Phoeniker schon aus dem eigentlichen Griechenland und von +Italien verdraengt hatte und eben sich anschickte, in Sizilien, in Spanien, ja +in Libyen selbst das gleiche zu tun, mussten die Phoeniker doch irgendwo +standhalten, wenn sie nicht gaenzlich sich wollten erdruecken lassen. Hier, wo +sie mit griechischen Kaufleuten und nicht mit dem Grosskoenig zu tun hatten, +genuegte es nicht, sich zu unterwerfen, um gegen Schoss und Zins Handel und +Industrie in alter Weise fortzufuehren. Schon waren Massalia und Kyrene +gegruendet; schon das ganze oestliche Sizilien in den Haenden der Griechen; es +war fuer die Phoeniker die hoechste Zeit zu ernstlicher Gegenwehr. Die +Karthager nahmen sie auf; in langen und hartnaeckigen Kriegen setzten sie dem +Vordringen der Kyrenaeer eine Grenze und der Hellenismus vermochte nicht sich +westwaerts der Wueste von Tripolis festzusetzen. Mit karthagischer Hilfe +erwehrten ferner die phoenikischen Ansiedler auf der westlichen Spitze +Siziliens sich der Griechen und begaben sich gern und freiwillig in die +Klientel der maechtigen stammverwandten Stadt. Diese wichtigen Erfolge, die ins +zweite Jahrhundert Roms fallen und die den suedwestlichen Teil des Mittelmeers +den Phoenikern retteten, gaben der Stadt, die sie erfochten hatte, von selbst +die Hegemonie der Nation und zugleich eine veraenderte politische Stellung. +Karthago war nicht mehr eine blosse Kaufstadt; sie zielte nach der Herrschaft +ueber Libyen und ueber einen Teil des Mittelmeers, weil sie es musste. +Wesentlich trug wahrscheinlich bei zu diesen Erfolgen das Aufkommen der +Soeldnerei, die in Griechenland etwa um die Mitte des vierten Jahrhunderts der +Stadt in Uebung kam, bei den Orientalen aber, namentlich bei den Karern weit +aelter ist und vielleicht eben durch die Phoeniker emporkam. Durch das +auslaendische Werbesystem ward der Krieg zu einer grossartigen Geldspekulation, +die eben recht im Sinn des phoenikischen Wesens ist. +</p> + +<p> +Es war wohl erst die Rueckwirkung dieser auswaertigen Erfolge, welche die +Karthager veranlasste, in Afrika von Miet- und Bitt- zum Eigenbesitz und zur +Eroberung ueberzugehen. Erst um 300 Roms (450) scheinen die karthagischen +Kaufleute sich des Bodenzinses entledigt zu haben, den sie bisher den +Einheimischen hatten entrichten muessen. Dadurch ward eine eigene +Ackerwirtschaft im grossen moeglich. Von jeher hatten die Phoeniker es sich +angelegen sein lassen, ihre Kapitalien auch als Grundbesitzer zu nutzen und den +Feldbau im grossen Massstab zu betreiben durch Sklaven oder gedungene Arbeiter; +wie denn ein grosser Teil der Juden in dieser Art den tyrischen Kaufherren um +Tagelohn dienstbar war. Jetzt konnten die Karthager unbeschraenkt den reichen +libyschen Boden ausbeuten durch ein System, das dem der heutigen +Plantagenbesitzer verwandt ist: gefesselte Sklaven bestellten das Land - wir +finden, dass einzelne Buerger deren bis zwanzigtausend besassen. Man ging +weiter. Die ackerbauenden Doerfer der Umgegend - der Ackerbau scheint bei den +Libyern sehr frueh und wahrscheinlich schon vor der phoenikischen Ansiedlung, +vermutlich von Aegypten aus, eingefuehrt zu sein - wurden mit Waffengewalt +unterworfen und die freien libyschen Bauern umgewandelt in Fellahs, die ihren +Herren den vierten Teil der Bodenfruechte als Tribut entrichteten und zur +Bildung eines eigenen karthagischen Heeres einem regelmaessigen +Rekrutierungssystem unterworfen wurden. Mit den schweifenden Hirtenstaemmen +(νομάδες) an den Grenzen waehrten die Fehden bestaendig; indes sicherte eine +verschanzte Postenkette das befriedete Gebiet und langsam wurden jene +zurueckgedraengt in die Wuesten und Berge oder gezwungen, die karthagische +Oberherrschaft anzuerkennen, Tribut zu zahlen und Zuzug zu stellen. Um die Zeit +des Ersten Punischen Krieges ward ihre grosse Stadt Theveste (Tebessa, an den +Quellen des Medscherda) von den Karthagern erobert. Dies sind die +“Staedte und Staemme (έθνη) der Untertanen”, die in den +karthagischen Staatsvertraegen erscheinen; jenes die unfreien libyschen +Doerfer, dieses die untertaenigen Nomaden. +</p> + +<p> +Hierzu kam endlich die Herrschaft Karthagos ueber die uebrigen Phoeniker in +Afrika oder die sogenannten Libyphoeniker. Es gehoerten zu diesen teils die von +Karthago aus an die ganze afrikanische Nord- und einen Teil der Nordwestkueste +gefuehrten kleineren Ansiedelungen, die nicht unbedeutend gewesen sein koennen, +da allein am Atlantischen Meer auf einmal 30000 solcher Kolonisten sesshaft +gemacht wurden, teils die besonders an der Kueste der heutigen Provinz +Constantine und des Beylik von Tunis zahlreichen altphoenikischen +Niederlassungen, zum Beispiel Hippo, spaeter regius zugenannt (Bona), +Hadrumetum (Susa), Klein-Leptis (suedlich von Susa) - die zweite Stadt der +afrikanischen Phoeniker -, Thapsus (ebendaselbst), Gross-Leptis (Lebda westlich +von Tripolis). Wie es gekommen ist, dass sich all diese Staedte unter +karthagische Botmaessigkeit begaben, ob freiwillig, etwa um sich zu schirmen +vor den Angriffen der Kyrenaeer und Numidier, oder gezwungen, ist nicht mehr +nachzuweisen; sicher aber ist es, dass sie als Untertanen der Karthager selbst +in offiziellen Aktenstuecken bezeichnet werden, ihre Mauern hatten +niederreissen muessen und Steuer und Zuzug nach Karthago zu leisten hatten. +Indes waren sie weder der Rekrutierung noch der Grundsteuer unterworfen, +sondern leisteten ein Bestimmtes an Mannschaft und Geld, Klein-Leptis zum +Beispiel jaehrlich die ungeheure Summe von 465 Talenten (574000 Taler); ferner +lebten sie nach gleichem Recht mit den Karthagern und konnten mit ihnen in +gleiche Ehe treten ^1. Einzig Utica war, wohl weniger durch seine Macht als +durch die Pietaet der Karthager gegen ihre alten Beschuetzer, dem gleichen +Schicksal entgangen und hatte seine Mauern und seine Selbstaendigkeit bewahrt; +wie denn die Phoeniker fuer solche Verhaeltnisse eine merkwuerdige, von der +griechischen Gleichgueltigkeit wesentlich abstechende Ehrfurcht hegten. Selbst +im auswaertigen Verkehr sind es stets “Karthago und Utica”, die +zusammen festsetzen und versprechen; was natuerlich nicht ausschliesst, dass +die weit groessere Neustadt der Tat nach auch ueber Utica die Hegemonie +behauptete. So ward aus der tyrischen Faktorei die Hauptstadt eines maechtigen +nordafrikanischen Reiches, das von der tripolitanischen Wueste sich erstreckte +bis zum Atlantischen Meer, im westlichen Teil (Marokko und Algier) zwar mit zum +Teil oberflaechlicher Besetzung der Kuestensaeume sich begnuegend, aber in dem +reicheren oestlichen, den heutigen Distrikten von Constantine und Tunis, auch +das Binnenland beherrschend und seine Grenze bestaendig weiter gegen Sueden +vorschiebend; die Karthager waren, wie ein alter Schriftsteller bezeichnend +sagt, aus Tyriern Libyer geworden. Die phoenikische Zivilisation herrschte in +Libyen aehnlich wie in Kleinasien und Syrien die griechische nach den Zuegen +Alexanders, wenn auch nicht mit gleicher Gewalt. An den Hoefen der +Nomadenscheichs ward phoenikisch gesprochen und geschrieben und die +zivilisierteren einheimischen Staemme nahmen fuer ihre Sprache das phoenikische +Alphabet an ^2; sie vollstaendig zu phoenikisieren lag indes weder im Geiste +der Nation noch in der Politik Karthagos. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Die schaerfste Bezeichnung dieser wichtigen Klasse findet sich in dem +karthagischen Staatsvertrag (Polyb. 7, 9), wo sie im Gegensatz einerseits zu +den Uticensern, anderseits zu den libyschen Untertanen heissen: οι Καρχ ηδονίων +ύπαρχη όσοι τοίς αυτοίς νόμοις χρώνται. Sonst heissen sie auch Bundes- +συμμαχίδες πόλεις Diod. 20, 10) oder steuerpflichtige Staedte (Liv. 34, 62; +Iust. 22, 7, 3). Ihr Conubium mit den Karthagern erwaehnt Diodoros 20, 55; das +Commercium folgt aus den “gleichen Gesetzen”. Dass die +altphoenikischen Kolonien zu den Libyphoenikern gehoeren, beweist die +Bezeichnung Hippos als einer libyphoenikischen Stadt (Liv. 25, 40); anderseits +heisst es hinsichtlich der von Karthago aus gegruendeten Ansiedlungen zum +Beispiel im Periplus des Hanno: “Es beschlossen die Karthager, dass Hanno +jenseits der Saeulen des Herkules schiffe und Staedte der Libyphoeniker +gruende”. Im wesentlichen bezeichnen die Libyphoeniker bei den Karthagern +nicht eine nationale, sondern eine staatsrechtliche Kategorie. Damit kann es +recht wohl bestehen, dass der Name grammatisch die mit Libyern gemischten +Phoeniker bezeichnet (Liv. 21, 22, Zusatz zum Text des Polybios); wie denn in +der Tat wenigstens bei der Anlage sehr exponierter Kolonien den Phoenikern +haeufig Libyer beigegeben wurden (Diod. 13, 79; Cic. Scaur. 42). Die Analogie +im Namen und im Rechtsverhaeltnis zwischen den Latinern Roms und den +Libyphoenikern Karthagos ist unverkennbar. +</p> + +<p> +^2 Das libysche oder numidische Alphabet, das heisst dasjenige, womit die +Berber ihre nichtsemitische Sprache schrieben und schreiben, eines der +zahllosen aus dem aramaeischen Uralphabet abgeleiteten, scheint allerdings +diesem in einzelnen Formen naeher zu stehen als das phoenikische; aber es folgt +daraus noch keineswegs, dass die Libyer die Schrift nicht von den Phoenikern, +sondern von aelteren Einwanderern erhielten, so wenig als die teilweise +aelteren Formen der italischen Alphabete diese aus dem griechischen abzuleiten +verbieten. Vielmehr wird die Ableitung des libyschen Alphabets aus dem +phoenikischen einer Periode des letzteren angehoeren, welche aelter ist als +die, in der die auf uns gekommenen Denkmaeler der phoenikischen Sprache +geschrieben wurden. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Die Epoche, in der diese Umwandlung Karthagos in die Hauptstadt von Libyen +stattgefunden hat, laesst sich um so weniger bestimmen, als die Veraenderung +ohne Zweifel stufenweise erfolgt ist. Der eben erwaehnte Schriftsteller nennt +als den Reformator der Nation den Hanno; wenn dies derselbe ist, der zur Zeit +des ersten Krieges mit Rom lebte, so kann er nur als Vollender des neuen +Systems angesehen werden, dessen Durchfuehrung vermutlich das vierte und +fuenfte Jahrhundert Roms ausgefuellt hat. +</p> + +<p> +Mit dem Aufbluehen Karthagos Hand in Hand ging das Sinken der grossen +phoenikischen Staedte in der Heimat, von Sidon und besonders von Tyros, dessen +Bluete teils infolge innerer Bewegungen, teils durch die Drangsale von aussen, +namentlich die Belagerungen durch Salmanassar im ersten, Nabukodrossor im +zweiten, Alexander im fuenften Jahrhundert Roms zugrunde gerichtet ward. Die +edlen Geschlechter und die alten Firmen von Tyros siedelten groesstenteils +ueber nach der gesicherten und bluehenden Tochterstadt und brachten dorthin +ihre Intelligenz, ihre Kapitalien und ihre Traditionen. Als die Phoeniker mit +Rom in Beruehrung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste +kanaanitische Stadt wie Rom die erste der latinischen Gemeinden. +</p> + +<p> +Aber die Herrschaft ueber Libyen war nur die eine Haelfte der karthagischen +Macht; ihre See- und Kolonialherrschaft hatte gleichzeitig nicht minder +gewaltig sich entwickelt. +</p> + +<p> +In Spanien war der Hauptplatz der Phoeniker die uralte tyrische Ansiedlung in +Gades (Cadiz); ausserdem besassen sie westlich und oestlich davon eine Kette +von Faktoreien und im Innern das Gebiet der Silbergruben, so dass sie etwa das +heutige Andalusien und Granada oder doch wenigstens die Kueste davon +innehatten. Das Binnenland den einheimischen kriegerischen Nationen +abzugewinnen war man nicht bemueht; man begnuegte sich mit dem Besitz der +Bergwerke und der Stationen fuer den Handel und fuer den Fisch- und Muschelfang +und hatte Muehe auch nur hier sich gegen die anwohnenden Staemme zu behaupten. +Es ist wahrscheinlich, dass diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch +waren, sondern tyrisch, und Gades nicht mitzaehlte unter den tributpflichtigen +Staedten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen Phoeniker tatsaechlich +unter karthagischer Hegemonie, wie die von Karthago den Gaditanern gegen die +Eingeborenen gesandte Hilfe und die Anlegung karthagischer +Handelsniederlassungen westlich von Gades beweist. Ebusus und die Balearen +wurden dagegen von den Karthagern selbst in frueher Zeit besetzt, teils der +Fischereien wegen, teils als Vorposten gegen die Massalioten, mit denen von +hier aus die heftigsten Kaempfe gefuehrt wurden. +</p> + +<p> +Ebenso setzten die Karthager schon am Ende des zweiten Jahrhunderts Roms sich +fest auf Sardinien, welches ganz in derselben Art wie Libyen von ihnen +ausgebeutet ward. Waehrend die Eingeborenen sich in dem gebirgigen Innern der +Insel der Verknechtung zur Feldsklaverei entzogen wie die Numidier in Afrika an +dem Saum der Wueste, wurden nach Karalis (Cagliari) und anderen wichtigen +Punkten phoenikische Kolonien gefuehrt und die fruchtbaren Kuestenlandschaften +durch eingefuehrte libysche Ackerbauern verwertet. +</p> + +<p> +In Sizilien endlich war zwar die Strasse von Messana und die groessere +oestliche Haelfte der Insel in frueher Zeit den Griechen in die Haende +gefallen; allein den Phoenikern blieben unter dem Beistand der Karthager teils +die kleineren Inseln in der Naehe, die Aegaten, Melite, Gaulos, Kossyra, unter +denen namentlich die Ansiedlung auf Malta reich und bluehend war, teils die +West- und Nordwestkueste Siziliens, wo sie von Motye, spaeter von Lilybaeon aus +die Verbindung mit Afrika, von Panormos und Soloeis aus die mit Sardinien +unterhielten. Das Innere der Insel blieb in dem Besitz der Eingeborenen, der +Elymer, Sikaner, Sikeler. Es hatte sich in Sizilien, nachdem das weitere +Vordringen der Griechen gebrochen war, ein verhaeltnismaessig friedlicher +Zustand hergestellt, den selbst die von den Persern veranlasste Heerfahrt der +Karthager gegen ihre griechischen Nachbarn auf der Insel (274 480) nicht auf +die Dauer unterbrach und der im ganzen fortbestand bis auf die attische +Expedition nach Sizilien (339-341 415-413). Die beiden rivalisierenden Nationen +bequemten sich, einander zu dulden, und beschraenkten sich im wesentlichen jede +auf ihr Gebiet. +</p> + +<p> +Alle diese Niederlassungen und Besitzungen waren an sich wichtig genug; allein +noch von weit groesserer Bedeutung insofern, als sie die Pfeiler der +karthagischen Seeherrschaft wurden. Durch den Besitz Suedspaniens, der +Balearen, Sardiniens, des westlichen Sizilien und Melites in Verbindung mit der +Verhinderung hellenischer Kolonisierung, sowohl an der spanischen Ostkueste als +auf Korsika und in der Gegend der Syrten machten die Herren der +nordafrikanischen Kueste ihre See zu einer geschlossenen und monopolisierten +die westliche Meerenge. Nur das Tyrrhenische und gallische Meer mussten die +Phoeniker mit andern Nationen teilen. Es war dies allenfalls zu ertragen, +solange die Etrusker und die Griechen sich hier das Gleichgewicht hielten; mit +den ersteren als den minder gefaehrlichen Nebenbuhlern trat Karthago sogar +gegen die Griechen in Buendnis. Indes als nach dem Sturz der etruskischen +Macht, den, wie es zu gehen pflegt bei derartigen Notbuendnissen, Karthago wohl +schwerlich mit aller Macht abzuwenden bestrebt gewesen war, und nach der +Vereitelung der grossen Entwuerfe des Alkibiades Syrakus unbestritten dastand +als die erste griechische Seemacht, fingen begreiflicherweise nicht nur die +Herren von Syrakus an, nach der Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und +zugleich ueber das Tyrrhenische und Adriatische Meer zu streben, sondern wurden +auch die Karthager gewaltsam in eine energischere Politik gedraengt. Das +naechste Ergebnis der langen und hartnaeckigen Kaempfe zwischen ihnen und ihrem +ebenso maechtigen als schaendlichen Gegner Dionysios von Syrakus (348-389 +406-365) war die Vernichtung oder Schwaechung der sizilischen Mittelstaaten, +die im Interesse beider Parteien lag und die Teilung der Insel zwischen den +Syrakusanern und den Karthagern. Die bluehendsten Staedte der Insel: Selinus, +Himera, Akragas, Gela, Messana, wurden im Verlauf dieser heillosen Kaempfe von +den Karthagern von Grund aus zerstoert; nicht ungern sah Dionysios, wie das +Hellenentum hier zugrunde ging oder doch geknickt ward, um sodann, gestuetzt +auf die fremden, aus Italien, Gallien und Spanien angeworbenen Soeldner, die +veroedeten oder mit Militaerkolonien belegten Landschaften desto sicherer zu +beherrschen. Der Friede, der nach des karthagischen Feldherrn Mago Sieg bei +Kronion 371 (383) abgeschlossen ward und den Karthagern die griechischen +Staedte Thermae (das alte Himera), Egesta, Herakleia Minoa, Selinus und einen +Teil des Gebietes von Akragas bis an den Halykos unterwarf, galt den beiden um +den Besitz der Insel ringenden Maechten nur als vorlaeufiges Abkommen; immer +von neuem wiederholten sich beiderseits die Versuche, den Nebenbuhler ganz zu +verdraengen. Viermal - zur Zeit des aelteren Dionysios 360 (394), in der +Timoleons 410 (344), in der des Agathokles 445 (309), in der pyrrhischen 476 +(278) - waren die Karthager Herren von ganz Sizilien bis auf Syrakus und +scheiterten an dessen festen Mauern; fast ebenso oft schienen die Syrakusaner +unter tuechtigen Fuehrern, wie der aeltere Dionysios, Agathokles und Pyrrhos +waren, ihrerseits ebenso nahe daran, die Afrikaner von der Insel zu +verdraengen. Mehr und mehr aber neigte sich das Uebergewicht auf die Seite der +Karthager, von denen regelmaessig der Angriff ausging und die, wenn sie auch +nicht mit roemischer Stetigkeit ihr Ziel verfolgten, doch mit weit groesserer +Planmaessigkeit und Energie den Angriff betrieben als die von Parteien +zerrissene und abgehetzte Griechenstadt die Verteidigung. Mit Recht durften die +Phoeniker erwarten, dass nicht immer eine Pest oder ein fremder Condottiere die +Beute ihnen entreissen wuerde; und vorlaeufig war wenigstens zur See der Kampf +schon entschieden: Pyrrhos’ Versuch, die syrakusanische Flotte +wiederherzustellen, war der letzte. Nachdem dieser gescheitert war, beherrschte +die karthagische Flotte ohne Nebenbuhler das ganze westliche Mittelmeer; und +ihre Versuche, Syrakus, Rhegion, Tarent zu besetzen, zeigten, was man vermochte +und wohin man zielte. Hand in Hand damit ging das Bestreben, den Seehandel +dieser Gegend immer mehr sowohl dem Ausland wie den eigenen Untertanen +gegenueber zu monopolisieren; und es war nicht karthagische Art, vor +irgendeiner zum Zwecke fuehrenden Gewaltsamkeit zurueckzuscheuen. Ein +Zeitgenosse der Punischen Kriege, der Vater der Geographie Eratosthenes +(479-560 275-194), bezeugt es, dass jeder fremde Schiffer, welcher nach +Sardinien oder nach der Gaditanischen Strasse fuhr, wenn er den Karthagern in +die Haende fiel, von ihnen ins Meer gestuerzt ward; und damit stimmt es voellig +ueberein, dass Karthago den roemischen Handelsschiffen die spanischen, +sardinischen und libyschen Haefen durch den Vertrag vom Jahre 406 (348) +freigab, dagegen durch den vom Jahre 448 (306) sie ihnen mit Ausnahme des +eigenen karthagischen saemtlich schloss. +</p> + +<p> +Die Verfassung Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa fuenfzig Jahre vor +dein Anfang des Ersten Punischen Krieges starb, als uebergegangen aus der +monarchischen in eine Aristokratie oder in eine zur Oligarchie sich neigende +Demokratie; denn mit beiden Namen benennt er sie. Die Leitung der Geschaefte +stand zunaechst bei dem Rat der Alten, welcher gleich der spartanischen Gerusia +bestand aus den beiden jaehrlich von der Buergerschaft ernannten Koenigen und +achtundzwanzig Gerusiasten, die auch, wie es scheint, Jahr fuer Jahr von der +Buergerschaft erwaehlt wurden. Dieser Rat ist es, der im wesentlichen die +Staatsgeschaefte erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege trifft, die +Aushebungen und Werbungen anordnet, den Feldherrn ernennt und ihm eine Anzahl +Gerusiasten beiordnet, aus denen dann regelmaessig die Unterbefehlshaber +genommen werden; an ihn werden die Depeschen adressiert. Ob neben diesem +kleinen Rat noch ein grosser stand, ist zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er +viel zu bedeuten. Ebensowenig scheint den Koenigen ein besonderer Einfluss +zugestanden zu haben; hauptsaechlich funktionierten sie als Oberrichter, wie +sie nicht selten auch heissen (Schofeten, praetores). Groesser war die Gewalt +des Feldherrn; Isokrates, Aristoteles’ aelterer Zeitgenosse, sagt, dass +die Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten und +so mag das Amt des karthagischen Feldherrn mit Recht von roemischen +Schriftstellern als Diktatur bezeichnet werden, obgleich die ihm beigegebenen +Gerusiasten tatsaechlich wenigstens seine Macht beschraenken mussten, und +ebenso nach Niederlegung des Amtes ihn eine den Roemern unbekannte ordentliche +Rechenschaftslegung erwartete. Eine feste Zeitgrenze bestand fuer das Amt des +Feldherrn nicht, und es ist derselbe also schon deshalb vom Jahrkoenig +unzweifelhaft verschieden gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdruecklich +unterscheidet; doch war die Vereinigung mehrerer Aemter in einer Person bei den +Karthagern ueblich, und so kann es nicht befremden, dass oft derselbe Mann +zugleich als Feldherr und als Schofet erscheint. +</p> + +<p> +Aber ueber der Gerusia und ueber den Beamten stand die Koerperschaft der +Hundertvier-, kuerzer Hundertmaenner oder der Richter, das Hauptbollwerk der +karthagischen Oligarchie. In der urspruenglichen karthagischen Verfassung fand +sie sich nicht, sondern sie war gleich dem spartanischen Ephorat hervorgegangen +aus der aristokratischen Opposition gegen die monarchischen Elemente derselben. +Bei der Kaeuflichkeit der Aemter und der geringen Mitgliederzahl der hoechsten +Behoerde drohte eine einzige durch Reichtum und Kriegsruhm vor allen +hervorleuchtende karthagische Familie, das Geschlecht des Mago, die Verwaltung +in Krieg und Frieden und die Rechtspflege in ihren Haenden zu vereinigen; dies +fuehrte ungefaehr um die Zeit der Dezemvirn zu einer Aenderung der Verfassung +und zur Einsetzung dieser neuen Behoerde. Wir wissen, dass die Bekleidung der +Quaestur ein Anrecht gab zum Eintritt in die Richterschaft, dass aber dennoch +der Kandidat einer Wahl unterlag durch gewisse sich selbst ergaenzende +Fuenfmaennerschaften; ferner dass die Richter, obwohl sie rechtlich vermutlich +von Jahr zu Jahr gewaehlt wurden, doch tatsaechlich laengere Zeit, ja +lebenslaenglich im Amt blieben, weshalb sie bei den Roemern und Griechen +gewoehnlich Senatoren genannt werden. So dunkel das einzelne ist, so klar +erkennt man das Wesen der Behoerde als einer aus aristokratischer Kooptation +hervorgehenden oligarchischen; wovon eine vereinzelte, aber charakteristische +Spur ist, dass in Karthago neben dem gemeinen Buerger- ein eigenes Richterbad +bestand. Zunaechst waren sie bestimmt zu fungieren als politische Geschworene, +die namentlich die Feldherren, aber ohne Zweifel vorkommendenfalls auch die +Schofeten und Gerusiasten nach Niederlegung ihres Amtes zur Verantwortung zogen +und nach Gutduenken, oft in ruecksichtslos grausamer Weise, selbst mit dem Tode +bestraften. Natuerlich ging hier wie ueberall, wo die Verwaltungsbehoerden +unter Kontrolle einer anderen Koerperschaft gestellt werden, der Schwerpunkt +der Macht ueber von der kontrollierten auf die kontrollierende Behoerde; und es +begreift sich leicht, teils dass die letztere allenthalben in die Verwaltung +eingriff, wie denn zum Beispiel die Gerusia wichtige Depeschen erst den +Richtern vorlegt und dann dem Volke, teils dass die Furcht vor der regelmaessig +nach dem Erfolg abgemessenen Kontrolle daheim den karthagischen Staatsmann wie +den Feldherrn in Rat und Tat laehmte. +</p> + +<p> +Die karthagische Buergerschaft scheint, wenn auch nicht wie in Sparta +ausdruecklich auf die passive Assistenz bei den Staatshandlungen beschraenkt, +doch tatsaechlich dabei nur in einem sehr geringen Grade von Einfluss gewesen +zu sein. Bei den Wahlen in die Gerusia war ein offenkundiges Bestechungssystem +Regel; bei der Ernennung eines Feldherrn wurde das Volk zwar befragt, aber wohl +erst, wenn durch Vorschlag der Gerusia der Sache nach die Ernennung erfolgt +war; und in anderen Faellen ging man nur an das Volk, wenn die Gerusia es fuer +gut fand oder sich nicht einigen konnte. Volksgerichte kannte man in Karthago +nicht. Die Machtlosigkeit der Buergerschaft ward wahrscheinlich wesentlich +durch ihre politische Organisierung bedingt; die karthagischen +Tischgenossenschaften, die hierbei genannt und den spartanischen Pheiditien +verglichen werden, moegen oligarchisch geleitete Zuenfte gewesen sein. Sogar +ein Gegensatz zwischen “Stadtbuergern” und +“Handarbeitern” wird erwaehnt, der auf eine sehr niedrige, +vielleicht rechtlose Stellung der letzteren schliessen laesst. +</p> + +<p> +Fassen wir die einzelnen Momente zusammen, so erscheint die karthagische +Verfassung als ein Kapitalistenregiment, wie es begreiflich ist bei einer +Buergergemeinde ohne wohlhabende Mittelklasse und bestehend einerseits aus +einer besitzlosen, von der Hand in den Mund lebenden staedtischen Menge, +anderseits aus Grosshaendlern, Plantagenbesitzern und vornehmen Voegten. Das +System, die heruntergekommenen Herren auf Kosten der Untertanen wieder zu +Vermoegen zu bringen, indem sie als Schatzungsbeamte und Fronvoegte in die +abhaengigen Gemeinden ausgesendet werden, dieses unfehlbare Kennzeichen einer +verrotteten staedtischen Oligarchie, fehlt auch in Karthago nicht; Aristoteles +bezeichnet es als die wesentliche Ursache der erprobten Dauerhaftigkeit der +karthagischen Verfassung. Bis auf seine Zeit hatte in Karthago weder von oben +noch von unten eine nennenswerte Revolution stattgefunden; die Menge blieb +fuehrerlos infolge der materiellen Vorteile, welche die regierende Oligarchie +allen ehrgeizigen oder bedraengten Vornehmen zu bieten imstande war und ward +abgefunden mit den Brosamen, die in Form der Wahlbestechung oder sonst von dem +Herrentisch fuer sie abfielen. Eine demokratische Opposition konnte freilich +bei solchem Regiment nicht mangeln; aber noch zur Zeit des Ersten Punischen +Krieges war dieselbe voellig machtlos. Spaeterhin, zum Teil unter dem Einfluss +der erlittenen Niederlagen, erscheint ihr politischer Einfluss im Steigen und +in weit rascherem, als gleichzeitig der der gleichartigen roemischen Partei: +die Volksversammlungen begannen in politischen Fragen die letzte Entscheidung +zu geben und brachen die Allmacht der karthagischen Oligarchie. Nach Beendigung +des Hannibalischen Krieges ward auf Hannibals Vorschlag sogar durchgesetzt, +dass kein Mitglied des Rates der Hundert zwei Jahre nacheinander im Amte sein +koenne und damit die volle Demokratie eingefuehrt, welche allerdings nach der +Lage der Dinge allein Karthago zu retten vermochte, wenn es dazu ueberhaupt +noch Zeit war. In dieser Opposition herrschte ein maechtiger patriotischer und +reformierender Schwung; doch darf darueber nicht uebersehen werden, auf wie +fauler und morscher Grundlage sie ruhte. Die karthagische Buergerschaft, die +von kundigen Griechen der alexandrinischen verglichen wird, war so zuchtlos, +dass sie insofern es wohl verdient hatte, machtlos zu sein; und wohl durfte +gefragt werden, was da aus Revolutionen fuer Heil kommen solle, wo, wie in +Karthago, die Buben sie machen halfen. +</p> + +<p> +In finanzieller Hinsicht behauptet Karthago in jeder Beziehung unter den +Staaten des Altertums den ersten Platz. Zur Zeit des Peloponnesischen Krieges +war diese phoenikische Stadt nach dem Zeugnis des ersten Geschichtschreibers +der Griechen allen griechischen Staaten finanziell ueberlegen und werden ihre +Einkuenfte denen des Grosskoenigs verglichen; Polybios nennt sie die reichste +Stadt der Welt. Von der Intelligenz der karthagischen Landwirtschaft, welche +Feldherren und Staatsmaenner dort wie spaeter in Rom wissenschaftlich zu +betreiben und zu lehren nicht verschmaehten, legt ein Zeugnis ab die +agronomische Schrift des Karthagers Mago, welche von den spaeteren griechischen +und roemischen Landwirten durchaus als der Grundkodex der rationellen +Ackerwirtschaft betrachtet und nicht bloss ins Griechische uebersetzt, sondern +auch auf Befehl des roemischen Senats lateinisch bearbeitet und den italischen +Gutsbesitzern offiziell anempfohlen ward. Charakteristisch ist die enge +Verbindung dieser phoenikischen Acker- mit der Kapitalwirtschaft; es wird als +eine Hauptmaxime der phoenikischen Landwirtschaft angefuehrt, nie mehr Land zu +erwerben, als man intensiv zu bewirtschaften vermoege. Auch der Reichtum des +Landes an Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen, worin Libyen infolge seiner +Nomadenwirtschaft es nach Polybios’ Zeugnis vielleicht allen uebrigen +Laendern der Erde damals zuvortat, kam den Karthagern zugute. Wie in der +Ausnutzung des Bodens die Karthager die Lehrmeister der Roemer waren, wurden +sie es auch in der Ausbeutung der Untertanen; durch diese floss nach Karthago +mittelbar die Grundrente “des besten Teils von Europa” und der +reichen, zum Teil, zum Beispiel in der Byzakitis und an der Kleinen Syrte, +ueberschwenglich gesegneten nordafrikanischen Landschaft. Der Handel, der in +Karthago von jeher als ehrenhaftes Gewerbe galt, und die auf Grund des Handels +aufbluehende Reederei und Fabrikation brachten schon im natuerlichen Laufe der +Dinge den dortigen Ansiedlern jaehrlich goldene Ernten, und es ist frueher +schon bezeichnet worden, wie man durch ausgedehnte und immer gesteigerte +Monopolisierung nicht bloss aus dem Aus-, sondern auch aus dem Inland allen +Handel des westlichen Mittelmeeres und den ganzen Zwischenhandel zwischen dem +Westen und Osten mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu konzentrieren +verstand. Wissenschaft und Kunst scheinen in Karthago, wie spaeterhin in Rom, +zwar wesentlich durch hellenischen Einfluss bestimmt, aber nicht +vernachlaessigt worden zu sein; es gab eine ansehnliche phoenikische Literatur +und bei Eroberung der Stadt fanden sich reiche, freilich nicht in Karthago +geschaffene, sondern aus den sizilischen Tempeln weggefuehrte Kunstschaetze und +betraechtliche Bibliotheken vor. Aber auch der Geist stand hier im Dienste des +Kapitals; was von der Literatur hervorgehoben wird, sind vornehmlich die +agronomischen und geographischen Schriften, wie das schon erwaehnte Werk des +Mago und der noch in Uebersetzung vorhandene, urspruenglich in einem der +karthagischen Tempel oeffentlich aufgestellte Bericht des Admirals Hanno von +seiner Beschiffung der westafrikanischen Kueste. Selbst die allgemeine +Verbreitung gewisser Kenntnisse und besonders der Kunde fremder Sprachen ^3, +worin das Karthago dieser Zeit ungefaehr mit dem kaiserlichen Rom auf einer +Linie gestanden haben mag, zeugt von der durchaus praktischen Richtung, welche +der hellenischen Bildung in Karthago gegeben ward. Wenn es schlechterdings +unmoeglich ist, von der Kapitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in +diesem London des Altertums zusammenstroemte, so kann wenigstens von den +oeffentlichen Einnahmequellen einigermassen einen Begriff geben, dass trotz des +kostspieligen Systems, nach dem Karthago sein Kriegswesen organisiert hatte, +und trotz der sorg- und treulosen Verwaltung des Staatsguts dennoch die +Beisteuern der Untertanen und die Zollgefaelle die Ausgaben vollstaendig +deckten und von den Buergern direkte Steuern nicht erhoben wurden; ja dass noch +nach dem Zweiten Punischen Kriege, als die Macht des Staates schon gebrochen +war, die laufenden Ausgaben und eine jaehrliche Abschlagszahlung nach Rom von +340000 Talern ohne Steuerausschreibung bloss durch eine einigermassen geregelte +Finanzwirtschaft gedeckt werden konnten und vierzehn Jahre nach dem Frieden der +Staat zur sofortigen Erlegung der noch uebrigen sechsunddreissig Termine sich +erbot. Aber es ist nicht bloss die Summe der Einkuenfte, in der sich die +Ueberlegenheit der karthagischen Finanzwirtschaft ausspricht; auch die +oekonomischen Grundsaetze einer spaeteren und vorgeschritteneren Zeit finden +wir hier allein unter allen bedeutenderen Staaten des Altertums: es ist von +auslaendischen Staatsanleihen die Rede, und im Geldsystem finden wir neben +Gold- und Silber- ein dem Stoff nach wertloses Zeichengeld erwaehnt, welches in +dieser Weise sonst dem Altertum fremd ist. In der Tat, wenn der Staat eine +Spekulation waere, nie haette einer glaenzender seine Aufgabe geloest als +Karthago. +</p> + +<p> +—————————————————— +</p> + +<p> +^3 Der Wirtschafter auf dem Landgut, obwohl Sklave, muss dennoch, nach der +Vorschrift des karthagischen Agronomen Mago (bei Varro rast. 1, 17), lesen +koennen und einige Bildung besitzen. Im Prolog des Plautinischen +‘Poeners’ heisst es von dem Titelhelden: +</p> + +<p> +Die Sprachen alle kann er, aber tut, als koenn’ +</p> + +<p> +Er keine - ein Poener ist es durchaus; was wollt ihr mehr? +</p> + +<p> +——————————————————- +</p> + +<p> +Vergleichen wir die Macht der Karthager und der Roemer. Beide waren Acker- und +Kaufstaedte und lediglich dieses; die durchaus untergeordnete und durchaus +praktische Stellung von Kunst und Wissenschaft war in beiden wesentlich +dieselbe, nur dass in dieser Hinsicht Karthago weiter vorgeschritten war als +Rom. Aber in Karthago hatte die Geld- ueber die Grundwirtschaft, in Rom damals +noch die Grund- ueber die Geldwirtschaft das Uebergewicht, und wenn die +karthagischen Ackerwirte durchgaengig grosse Guts- und Sklavenbesitzer waren, +bebaute in dem Rom dieser Zeit die grosse Masse der Buergerschaft noch selber +das Feld. Die Mehrzahl der Bevoelkerung war in Rom besitzend, das ist +konservativ, in Karthago besitzlos und dem Golde der Reichen wie dem Reformruf +der Demokraten zugaenglich. In Karthago herrschte schon die ganze, maechtigen +Handelsstaedten eigene Opulenz, waehrend Sitte und Polizei in Rom wenigstens +aeusserlich noch altvaeterische Strenge und Sparsamkeit aufrecht erhielten. Als +die karthagischen Gesandten von Rom zurueckkamen, erzaehlten sie ihren +Kollegen, dass das innige Verhaeltnis der roemischen Ratsherren zueinander alle +Vorstellung uebersteige; ein einziges silbernes Tafelgeschirr reiche aus fuer +den ganzen Rat und sei in jedem Haus, wo man sie zu Gaste geladen, ihnen wieder +begegnet. Der Spott ist bezeichnend fuer die beiderseitigen wirtschaftlichen +Zustaende. +</p> + +<p> +Beider Verfassung war aristokratisch; wie der Senat in Rom regierten die +Richter in Karthago und beide nach dem gleichen Polizeisystem. Die strenge +Abhaengigkeit, in welcher die karthagische Regierungsbehoerde den einzelnen +Beamten hielt, der Befehl derselben an die Buerger, sich des Erlernens der +griechischen Sprache unbedingt zu enthalten und mit einem Griechen nur +vermittels des oeffentlichen Dolmetschers zu verkehren, sind aus demselben +Geiste geflossen wie das roemische Regierungssystem; aber gegen die grausame +Haerte und die ans Alberne streifende Unbedingtheit solcher karthagischen +Staatsbevormundung erscheint das roemische Bruechen- und Ruegesystem mild und +verstaendig. Der roemische Senat, welcher der eminenten Tuechtigkeit sich +oeffnete und im besten Sinn die Nation vertrat, durfte ihr auch vertrauen und +brauchte die Beamten nicht zu fuerchten. Der karthagische Senat dagegen beruhte +auf einer eifersuechtigen Kontrolle der Verwaltung durch die Regierung und +vertrat ausschliesslich die vornehmen Familien; sein Wesen war das Misstrauen +noch oben wie nach unten und darum konnte er weder sicher sein, dass das Volk +ihm folgte, wohin er fuehrte, noch unbesorgt vor Usurpationen der Beamten. +Daher der feste Gang der roemischen Politik, die im Unglueck keinen Schritt +zurueckwich und die Gunst des Glueckes nicht verscherzte durch Fahrlaessigkeit +und Halbheit; waehrend die Karthager vom Kampf abstanden, wo eine letzte +Anstrengung vielleicht alles gerettet haette, und, der grossen nationalen +Aufgaben ueberdruessig oder vergessen, den halbfertigen Bau einstuerzen +liessen, um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Daher ist der tuechtige +Beamte in Rom regelmaessig im Einverstaendnis mit seiner Regierung, in Karthago +haeufig in entschiedener Fehde mit den Herren daheim und gedraengt, sich ihnen +verfassungswidrig zu widersetzen und mit der opponierenden Reformpartei +gemeinschaftliche Sache zu machen. +</p> + +<p> +Karthago wie Rom beherrschten ihre Stammgenossen und zahlreiche stammfremde +Gemeinden. Aber Rom hatte einen Distrikt nach dem andern in sein Buergerrecht +aufgenommen und den latinischen Gemeinden selbst gesetzlich Zugaenge zu +demselben eroeffnet; Karthago schloss von Haus aus sich ab und liess den +abhaengigen Distrikten nicht einmal die Hoffnung auf dereinstige +Gleichstellung. Rom goennte den stammverwandten Gemeinden Anteil an den +Fruechten des Sieges, namentlich an den gewonnenen Domaenen, und suchte in den +uebrigen untertaenigen Staaten durch materielle Beguenstigung der Vornehmen und +Reichen wenigstens eine Partei in das Interesse Roms zu ziehen; Karthago +behielt nicht bloss fuer sich, was die Siege einbrachten, sondern entriss sogar +den Staedten besten Rechts die Handelsfreiheit. Rom nahm der Regel nach nicht +einmal den unterworfenen Gemeinden die Selbstaendigkeit ganz und legte keiner +eine feste Steuer auf; Karthago sandte seine Voegte ueberall hin und belastete +selbst die altphoenikischen Staedte mit schwerem Zins, waehrend die +unterworfenen Staemme faktisch als Staatssklaven behandelt wurden. So war im +karthagisch-afrikanischen Staatsverband nicht eine einzige Gemeinde mit +Ausnahme von Utica, die nicht durch den Sturz Karthagos politisch und materiell +sich verbessert haben wuerde; in dem roemisch-italischen nicht eine einzige, +die bei der Auflehnung gegen ein Regiment, das die materiellen Interessen +sorgfaeltig schonte und die politische Opposition wenigstens nirgend durch +aeusserste Massregeln zum Kampf herausforderte, nicht noch mehr zu verlieren +gehabt haette als zu gewinnen. Wenn die karthagischen Staatsmaenner meinten, +die phoenikischen Untertanen durch die groessere Furcht vor den empoerten +Libyern, die saemtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das karthagische +Interesse geknuepft zu haben, so uebertrugen sie einen kaufmaennischen Kalkuel +dahin, wo er nicht hingehoert; die Erfahrung bewies, dass die roemische +Symmachie trotz ihrer scheinbar loseren Fuegung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie +eine Mauer aus Felsenstuecken, die karthagische dagegen wie Spinneweben +zerriss, sowie ein feindliches Heer den afrikanischen Boden betrat. So geschah +es bei den Landungen. von Agathokles und von Regulus und ebenso im +Soeldnerkrieg; von dem Geiste, der in Afrika herrschte, zeugt zum Beispiel, +dass die libyschen Frauen den Soeldnern freiwillig ihren Schmuck steuerten zum +Kriege gegen Karthago. Nur in Sizilien scheinen die Karthager milder +aufgetreten zu sein und darum auch bessere Ergebnisse erlangt zu haben. Sie +gestatteten ihren Untertanen hier verhaeltnismaessige Freiheit im Handel mit +dem Ausland und liessen sie ihren inneren Verkehr wohl von Anfang an und +ausschliesslich mit Metallgeld treiben, ueberhaupt bei weitem freier sich +bewegen, als dies den Sarden und Libyern erlaubt ward. Waere Syrakus in ihre +Haende gefallen, so haette sich freilich dies bald geaendert; indes dazu kam es +nicht, und so bestand, bei der wohlberechneten Milde des karthagischen +Regiments und bei der unseligen Zerrissenheit der sizilischen Griechen, in +Sizilien in der Tat eine ernstlich phoenikisch gesinnte Partei - wie denn zum +Beispiel noch nach dem Verlust der Insel an die Roemer Philinos von Akragas die +Geschichte des grossen Krieges durchaus im phoenikischen Sinne schrieb. Aber im +ganzen mussten doch auch die Sizilianer als Untertanen wie als Hellenen ihren +phoenikischen Herren wenigstens ebenso abgeneigt sein wie den Roemern die +Samniten und Tarentiner. +</p> + +<p> +Finanziell ueberstiegen die karthagischen Staatseinkuenfte ohne Zweifel um +vieles die roemischen; allein dies glich zum Teil sich wieder dadurch aus, dass +die Quellen der karthagischen Finanzen, Tribute und Zoelle weit eher und eben, +wenn man sie am noetigsten brauchte, versiegten als die roemischen, und dass +die karthagische Kriegfuehrung bei weitem kostspieliger war als die roemische. +</p> + +<p> +Die militaerischen Hilfsmittel der Roemer und Karthager waren sehr verschieden, +jedoch in vieler Beziehung nicht ungleich abgewogen. Die karthagische +Buergerschaft betrug noch bei Eroberung der Stadt 700000 Koepfe mit Einschluss +der Frauen und Kinder ^4 und mochte am Ende des fuenften Jahrhunderts +wenigstens ebenso zahlreich sein; sie vermochte im fuenften Jahrhundert im +Notfall ein Buergerheer von 40 000 Hopliten auf die Beine zu bringen. Ein +ebenso starkes Buergerheer hatte Rom schon im Anfang des fuenften Jahrhunderts +unter gleichen Verhaeltnissen ins Feld geschickt; seit den grossen +Erweiterungen des Buergergebiets im Laufe des fuenften Jahrhunderts musste die +Zahl der waffenfaehigen Vollbuerger mindestens sich verdoppelt haben. Aber weit +mehr noch als der Zahl der Waffenfaehigen nach war Rom in dem Effektivstand des +Buergermilitaers ueberlegen. So sehr die karthagische Regierung auch es sich +angelegen sein liess, die Buerger zum Waffendienst zu bestimmen, so konnte sie +doch weder dem Handwerker und Fabrikarbeiter den kraeftigen Koerper des +Landmanns geben noch den angeborenen Widerwillen der Phoeniker vor dem +Kriegswerk ueberwinden. Im fuenften Jahrhundert focht in den sizilischen Heeren +noch eine “heilige Schar” von 2500 Karthagern als Garde des +Feldherrn; im sechsten findet sich in den karthagischen Heeren, zum Beispiel in +dem spanischen, mit Ausnahme der Offiziere nicht ein einziger Karthager. +Dagegen standen die roemischen Bauern keineswegs bloss in den Musterrollen, +sondern auch auf den Schlachtfeldern. Aehnlich verhielt es sich mit den +Stammverwandten der beiden Gemeinden; waehrend die Latiner den Roemern nicht +mindere Dienste leisteten als ihre Buergertruppen, waren die Libyphoeniker +ebensowenig kriegstuechtig wie die Karthager und begreiflicherweise noch weit +weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den Heeren, indem die +zuzugspflichtigen Staedte ihre Verbindlichkeit vermutlich mit Geld abkauften. +In dem eben erwaehnten spanischen Heer von etwa 15000 Mann bestand nur eine +einzige Reiterschar von 450 Mann und auch diese nur zum Teil aus +Libyphoenikern. Den Kern der karthagischen Armeen bildeten die libyscher. +Untertanen, aus deren Rekruten sich unter tuechtigen Offizieren ein gutes +Fussvolk bilden liess und deren leichte Reiterei in ihrer Art unuebertroffen +war. Dazu kamen die Mannschaften der mehr oder minder abhaengigen +Voelkerschaften Libyens und Spaniens und die beruehmten Schleuderer von den +Balearen, deren Stellung zwischen Bundeskontingenten und Soeldnerscharen die +Mitte gehalten zu haben scheint; endlich im Notfall die im Ausland angeworbene +Soldateska. Ein solches Heer konnte der Zahl nach ohne Muehe fast auf jede +beliebige Staerke gebracht werden und auch an Tuechtigkeit der Offiziere, an +Waffenkunde und Mut faehig sein, mit dem roemischen sich zu messen; allein +nicht bloss verstrich, wenn Soeldner angenommen werden mussten, ehe dieselben +bereit standen, eine gefaehrlich lange Zeit, waehrend die roemische Miliz jeden +Augenblick auszuruecken imstande war, sondern, was die Hauptsache ist, waehrend +die karthagischen Heere nichts zusammenhielt als die Fahnenehre und der +Vorteil, fanden sich die roemischen durch alles vereinigt, was sie an das +gemeinsame Vaterland band. Dem karthagischen Offizier gewoehnlichen Schlages +galten seine Soeldner, ja selbst die libyschen Bauern ungefaehr soviel wie +heute im Krieg die Kanonenkugeln; daher Schaendlichkeiten, wie zum Beispiel der +Verrat der libyschen Truppen durch ihren Feldherrn Himilko 358 (396), der einen +gefaehrlichen Aufstand der Libyer zur Folge hatte, und daher jener zum +Sprichwort gewordene Ruf der “punischen Treue”, der den Karthagern +nicht wenig geschadet hat. Alles Unheil, welches Fellah- und Soeldnerheere +ueber einen Staat bringen koennen, hat Karthago in vollem Masse erfahren und +mehr als einmal seine bezahlten Knechte gefaehrlicher erfunden als seine +Feinde. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Man hat an der Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Ruecksicht auf den +Raum die moegliche Einwohnerzahl auf hoechstens 250000 Koepfe berechnet. +Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen, namentlich in einer +Handelsstadt mit sechsstoeckigen Haeusern, ist dagegen zu erinnern, dass die +Zaehlung wohl politisch zu verstehen ist, nicht staedtisch, ebenso wie die +roemischen Zensuszahlen, und dass dabei also alle Karthager gezaehlt sind, +mochten sie in der Stadt oder in der Umgegend wohnen oder im untertaenigen +Gebiet oder im Ausland sich aufhalten. Solcher Abwesenden gab es natuerlich +eine grosse Zahl in Karthago; wie denn ausdruecklich berichtet wird, dass in +Gades aus gleichem Grunde die Buergerliste stets eine weit hoehere Ziffer wies +als die der in Gades ansaessigen Buerger war. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Die Maengel dieses Heerwesens konnte die karthagische Regierung nicht verkennen +und suchte sie allerdings auf jede Weise wieder einzubringen. Man hielt auf +gefuellte Kassen und gefuellte Zeughaeuser, um jederzeit Soeldner ausstatten zu +koennen. Man wandte grosse Sorgfalt auf das, was bei den Alten die heutige +Artillerie vertrat: den Maschinenbau, in welcher Waffe wir die Karthager den +Sikelioten regelmaessig ueberlegen finden, und die Elefanten, seit diese im +Kriegswesen die aelteren Streitwagen verdraengt hatten; in den Kasematten +Karthagos befanden sich Stallungen fuer 300 Elefanten. Die abhaengigen Staedte +zu befestigen, konnte man freilich nicht wagen und musste es geschehen lassen, +dass jedes in Afrika gelandete feindliche Heer mit dem offenen Lande auch die +Staedte und Flecken gewann; recht im Gegensatz zu Italien, wo die meisten +unterworfenen Staedte ihre Mauern behalten hatten und eine Kette roemischer +Festungen die ganze Halbinsel beherrschte. Dagegen fuer die Befestigung der +Hauptstadt bot man auf, was Geld und Kunst vermochten; und mehrere Male rettete +den Staat nichts als die Staerke der karthagischen Mauern, waehrend Rom +politisch und militaerisch so gesichert war, dass es eine foermliche Belagerung +niemals erfahren hat. Endlich das Hauptbollwerk des Staats war die +Kriegsmarine, auf die man die groesste Sorgfalt verwandte. Im Bau wie in der +Fuehrung der Schiffe waren die Karthager den Griechen ueberlegen; in Karthago +zuerst baute man Schiffe mit mehr als drei Ruderverdecken, und die +karthagischen Kriegsfahrzeuge, in dieser Zeit meistens Fuenfdecker, waren in +der Regel bessere Segler als die griechischen, die Ruderer, saemtlich +Staatssklaven, die nicht von den Galeeren kamen, vortrefflich eingeschult und +die Kapitaene gewandt und furchtlos. In dieser Beziehung war Karthago +entschieden den Roemern ueberlegen, die mit den wenigen Schiffen der +verbuendeten Griechen und den wenigeren eigenen nicht imstande waren, sich in +der offenen See auch nur zu zeigen gegen die Flotte, die damals unbestritten +das westliche Meer beherrschte. +</p> + +<p> +Fassen wir schliesslich zusammen, was die Vergleichung der Mittel der beiden +grossen Maechte ergibt, so rechtfertigt sich wohl das Urteil eines einsichtigen +und unparteiischen Griechen, dass Karthago und Rom, da der Kampf zwischen ihnen +begann, im allgemeinen einander gewachsen waren. Allein wir koennen nicht +unterlassen hinzuzufuegen, dass Karthago wohl aufgeboten hatte, was Geist und +Reichtum vermochten, um kuenstliche Mittel zum Angriff und zur Verteidigung +sich zu erschaffen, aber dass es nicht imstande gewesen war, die Grundmaengel +des fehlenden eigenen Landheers und der nicht auf eigenen Fuessen stehenden +Symmachie in irgend ausreichender Weise zu ersetzen. Dass Rom nur in Italien, +Karthago nur in Libyen ernstlich angegriffen werden konnte, liess sich nicht +verkennen; und ebensowenig, dass Karthago auf die Dauer einem solchen Angriff +nicht entgehen konnte. Die Flotten waren in jener Zeit der Kindheit der +Schiffahrt noch nicht bleibendes Erbgut der Nationen, sondern liessen sich +herstellen, wo es Baeume, Eisen und Wasser gab; dass selbst maechtige +Seestaaten nicht imstande waren, den zur See schwaecheren Feinden die Landung +zu wehren, war einleuchtend und in Afrika selbst mehrfach erprobt worden. Seit +Agathokles den Weg dahin gezeigt hatte, konnte auch ein roemischer General ihn +finden, und waehrend in Italien mit dem Einruecken einer Invasionsarmee der +Krieg begann, war er in Libyen im gleichen Fall zu Ende und verwandelte sich in +eine Belagerung, in der, wenn nicht besondere Zufaelle eintraten, auch der +hartnaeckigste Heldenmut endlich unterliegen musste. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap02"></a>KAPITEL II.<br/> +Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago</h2> + +<p> +Seit mehr als einem Jahrhundert verheerte die Fehde zwischen den Karthagern und +den syrakusanischen Herren die schoene sizilische Insel. Von beiden Seiten ward +der Krieg gefuehrt einerseits mit politischem Propagandismus, indem Karthago +Verbindungen unterhielt mit der aristokratisch-republikanischen Opposition in +Syrakus, die syrakusanischen Dynasten mit der Nationalpartei in den Karthago +zinspflichtig gewordenen Griechenstaedten; anderseits mit Soeldnerheeren, mit +welchen Timoleon und Agathokles ebensowohl ihre Schlachten schlugen wie die +phoenikischen Feldherren. Und wie man auf beiden Seiten mit gleichen Mitteln +focht, ward auch auf beiden Seiten mit gleicher, in der okzidentalischen +Geschichte beispielloser Ehr- und Treulosigkeit gestritten. Die unterliegende +Partei waren die Syrakusier. Noch im Frieden von 440 (314) hatte Karthago sich +beschraenkt auf das Drittel der Insel westlich von Herakleia, Minoa und Himera +und hatte ausdruecklich die Hegemonie der Syrakusier ueber saemtliche oestliche +Staedte anerkannt. Pyrrhos’ Vertreibung aus Sizilien und Italien (479 +275) liess die bei weitem groessere Haelfte der Insel und vor allem das +wichtige Akragas in Karthagos Haenden; den Syrakusiern blieb nichts als +Tauromenion und der Suedosten der Insel. In der zweiten grossen Stadt an der +Ostkueste, in Messana, hatte eine fremdlaendische Soldatenschar sich +festgesetzt und behauptete die Stadt, unabhaengig von den Syrakusiern wie von +den Karthagern. Es waren kampanische Landsknechte, die in Messana geboten. Das +bei den in und um Capua angesiedelten Sabellern eingerissene wueste Wesen (I, +368) hatte im vierten und fuenften Jahrhundert aus Kampanien gemacht, was +spaeter Aetolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen Werbeplatz fuer die +soeldnersuchenden Fuersten und Staedte. Die von den kampanischen Griechen dort +ins Leben gerufene Halbkultur, die barbarische Ueppigkeit des Lebens in Capua +und den uebrigen kampanischen Staedten, die politische Ohnmacht, zu der die +roemische Hegemonie sie verurteilte, ohne ihnen doch durch ein straffes +Regiment die Verfuegung ueber sich selbst vollstaendig zu entziehen - alles +dies trieb die kampanische Jugend scharenweise unter die Fahnen der +Werbeoffiziere; und es versteht sich, dass der leichtsinnige und gewissenlose +Selbstverkauf hier wie ueberall die Entfremdung von der Heimat, die Gewoehnung +an Gewalttaetigkeit und Soldatenunfug und die Gleichgueltigkeit gegen den +Treuebruch im Gefolge hatte. Warum eine Soeldnerschar sich der ihrer Hut +anvertrauten Stadt nicht fuer sich selbst bemaechtigen solle, vorausgesetzt +nur, dass sie dieselbe zu behaupten imstande sei, leuchtete diesen Kampanern +nicht ein - hatten doch die Samniten in Capua selbst, die Lucaner in einer +Reihe griechischer Staedte ihre Herrschaft in nicht viel ehrenhafterer Weise +begruendet. Nirgend luden die politischen Verhaeltnisse mehr zu solchen +Unternehmungen ein als in Sizilien; schon die waehrend des Peloponnesischen +Krieges nach Sizilien gelangten kampanischen Hauptleute hatten in Entella und +Aetna in solcher Art sich eingenistet. Etwa um das Jahr 470 (284) setzte ein +kampanischer Trupp, der frueher unter Agathokles gedient hatte und nach dessen +Tode (465 289) das Raeuberhandwerk auf eigene Rechnung trieb, sich fest in +Messana, der zweiten Stadt des griechischen Siziliens und dem Hauptsitz der +antisyrakusanischen Partei in dem noch von Griechen beherrschten Teile der +Insel. Die Buerger wurden erschlagen oder vertrieben, die Frauen und Kinder und +die Haeuser derselben unter die Soldaten verteilt und die neuen Herren der +Stadt, die “Marsmaenner”, wie sie sich nannten, oder die Mamertiner +wurden bald die dritte Macht der Insel, deren nordoestlichen Teil sie in den +wuesten Zeiten nach Agathokles’ Tode sich unterwarfen. Die Karthager +sahen nicht ungern diese Vorgaenge, durch welche die Syrakusier anstatt einer +stammverwandten und in der Regel ihnen verbuendeten oder untertaenigen Stadt +einen neuen und maechtigen Gegner in naechster Naehe erhielten; mit +karthagischer Hilfe behaupteten die Mamertiner sich gegen Pyrrhos und der +unzeitige Abzug des Koenigs gab ihnen ihre ganze Macht zurueck. +</p> + +<p> +Es ziemt der Historie weder, den treulosen Frevel zu entschuldigen, durch den +sie der Herrschaft sich bemaechtigten, noch zu vergessen, dass der Gott, der +die Suende der Vaeter straft bis ins vierte Glied, nicht der Gott der +Geschichte ist. Wer sich berufen fuehlt, die Suenden anderer zu richten, mag +die Menschen verdammen; fuer Sizilien konnte es heilbringend sein, dass hier +eine streitkraeftige und der Insel eigene Macht sich zu bilden anfing, die +schon bis achttausend Mann ins Feld zu stellen vermochte und die allmaehlich +sich in den Stand setzte, den Kampf, welchem die trotz der ewigen Kriege sich +immer mehr der Waffen entwoehnenden Hellenen nicht mehr gewachsen waren, zu +rechter Zeit gegen die Auslaender mit eigenen Kraeften aufzunehmen. +</p> + +<p> +Zunaechst indes kam es anders. Ein junger syrakusanischer Offizier, der durch +seine Abstammung aus dem Geschlechte Gelons und durch seine engen +verwandtschaftlichen Beziehungen zum Koenig Pyrrhos ebenso sehr wie durch die +Auszeichnung, mit der er in dessen Feldzuegen gefochten hatte, die Blicke +seiner Mitbuerger wie die der syrakusanischen Soldateska auf sich gelenkt +hatte, Hieron, des Hierokles Sohn, ward durch eine militaerische Wahl an die +Spitze des mit den Buergern hadernden Heeres gerufen (479/80 275/74). Durch +seine kluge Verwaltung, sein adliges Wesen und seinen maessigen Sinn gewann er +schnell sich die Herzen der syrakusanischen, des schaendlichsten Despotenunfugs +gewohnten Buergerschaft und ueberhaupt der sizilischen Griechen. Er entledigte +sich, freilich auf treulose Weise, des unbotmaessigen Soeldnerheeres, +regenerierte die Buergermiliz und versuchte, anfangs mit dem Titel als +Feldherr, spaeter als Koenig, mit den Buergertruppen und frischen und +lenksameren Geworbenen die tiefgesunkene hellenische Macht wiederherzustellen. +Mit den Karthagern, die im Einverstaendnis mit den Griechen den Koenig Pyrrhos +von der Insel vertrieben hatten, war damals Friede; die naechsten Feinde der +Syrakusier waren die Mamertiner, die Stammgenossen der verhassten, vor kurzem +ausgerotteten Soeldner, die Moerder ihrer griechischen Wirte, die Schmaelerer +des syrakusanischen Gebiets, die Zwingherren und Brandschatzer einer Menge +kleinerer griechischer Staedte. Im Bunde mit den Roemern, die eben um diese +Zeit gegen die Bundes-, Stamm- und Frevelgenossen der Mamertiner, die Kampaner +in Rhegion, ihre Legionen schickten, wandte Hieron sich gegen Messana. Durch +einen grossen Sieg, nach welchem Hieron zum Koenig der Sikelioten ausgerufen +ward (484 270), gelang es, die Mamertiner in ihre Staedte einzuschliessen, und +nachdem die Belagerung einige Jahre gewaehrt hatte, sahen die Mamertiner sich +aufs aeusserste gebracht und ausserstande, die Stadt gegen Hieron laenger mit +eigenen Kraeften zu behaupten. Dass eine Uebergabe auf Bedingungen nicht +moeglich war und das Henkerbeil, das die rheginischen Kampaner in Rom getroffen +hatte, ebenso sicher in Syrakus der messanischen wartete, leuchtete ein; die +einzige Rettung war die Auslieferung der Stadt entweder an die Karthager oder +an die Roemer, denen beiden hinreichend gelegen sein musste an der Eroberung +des wichtigen Platzes, um ueber alle anderen Bedenken hinwegzusehen. Ob es +vorteilhafter sei, den Herren Afrikas oder den Herren Italiens sich zu ergeben, +war zweifelhaft; nach langem Schwanken entschied sich endlich die Majoritaet +der kampanischen Buergerschaft, den Besitz der meerbeherrschenden Festung den +Roemern anzutragen. +</p> + +<p> +Es war ein weltgeschichtlicher Moment von der tiefsten Bedeutung, als die Boten +der Mamertiner im roemischen Senat erschienen. Zwar was alles an dem +ueberschreiten des schmalen Meerarms hing, konnte damals niemand ahnen; aber +dass an diese Entscheidung, wie sie immer ausfiel, ganz andere und wichtigere +Folgen sich knuepfen wuerden als an irgendeinen der bisher vom Senat gefassten +Beschluesse, musste jedem der ratschlagenden Vaeter der Stadt offenbar sein. +Streng rechtliche Maenner freilich mochten fragen, wie es moeglich sei, +ueberhaupt zu ratschlagen; wie man daran denken koenne, nicht bloss das +Buendnis mit Hieron zu brechen, sondern, nachdem eben erst die rheginischen +Kampaner mit gerechter Haerte von den Roemern bestraft worden waren, jetzt ihre +nicht weniger schuldigen sizilischen Spiessgesellen zum Buendnis und zur +Freundschaft von Staats wegen zuzulassen und sie der verdienten Strafe zu +entziehen. Man gab damit ein Aergernis, das nicht bloss den Gegnern Stoff zu +Deklamationen liefern, sondern auch sittliche Gemueter ernstlich empoeren +musste. Allein wohl mochte auch der Staatsmann, dem die politische Moral +keineswegs bloss eine Phrase war, zurueckfragen, wie man roemische Buerger, die +den Fahneneid gebrochen und roemische Bundesgenossen hinterlistig gemordet +hatten, gleichstellen koenne mit Fremden, die gegen Fremde gefrevelt haetten, +wo jenen zu Richtern, diesen zu Raechern die Roemer niemand bestellt habe. +Haette es sich nur darum gehandelt, ob die Syrakusaner oder die Mamertiner in +Messana geboten, so konnte Rom allerdings sich diese wie jene gefallen lassen. +Rom strebte nach dem Besitz Italiens, wie Karthago nach dem Siziliens; +schwerlich gingen beider Maechte Plaene damals weiter. Allein eben darin lag es +begruendet, dass jede an ihrer Grenze eine Mittelmacht zu haben und zu halten +wuenschte - so die Karthager Tarent, die Roemer Syrakus und Messana - und dass +sie, als dies unmoeglich geworden war, die Grenzplaetze lieber sich goennten +als der anderen Grossmacht. Wie Karthago in Italien versucht hatte, als Rhegion +und Tarent von den Roemern in Besitz genommen werden sollten, diese Staedte +fuer sich zu gewinnen und nur durch Zufall daran gehindert worden war, so bot +jetzt in Sizilien sich fuer Rom die Gelegenheit dar, die Stadt Messana in seine +Symmachie zu ziehen; schlug man sie aus, so durfte man nicht erwarten, dass die +Stadt selbstaendig blieb oder syrakusanisch ward, sondern man warf sie selbst +den Phoenikern in die Arme. War es gerechtfertigt, die Gelegenheit +entschluepfen zu lassen, die sicher so nicht wiederkehrte, sich des +natuerlichen Brueckenkopfs zwischen Italien und Sizilien zu bemaechtigen und +ihn durch eine tapfere und aus guten Gruenden zuverlaessige Besatzung zu +sichern? gerechtfertigt, mit dem Verzicht auf Messana die Herrschaft ueber den +letzten freien Pass zwischen der Ost- und Westsee und die Handelsfreiheit +Italiens aufzuopfern? Zwar liessen sich gegen die Besetzung Messanas auch +Bedenken anderer Art geltend machen, als die der Gefuehls- und +Rechtlichkeitspolitik waren. Dass sie zu einem Kriege mit Karthago fuehren +musste, war das geringste derselben; so ernst ein solcher war, Rom hatte ihn +nicht zu fuerchten. Aber wichtiger war es, dass man mit dem Ueberschreiten der +See abwich von der bisherigen rein italischen und rein kontinentalen Politik; +man gab das System auf, durch welches die Vaeter Roms Groesse gegruendet +hatten, um ein anderes zu erwaehlen, dessen Ergebnisse vorherzusagen niemand +vermochte. Es war einer der Augenblicke, wo die Berechnung aufhoert und wo der +Glaube an den eigenen Stern und an den Stern des Vaterlandes allein den Mut +gibt, die Hand zu fassen, die aus dem Dunkel der Zukunft winkt, und ihr zu +folgen, es weiss keiner wohin. Lange und ernst beriet der Senat ueber den +Antrag der Konsuln, die Legionen den Mamertinern zu Hilfe zu fuehren; er kam zu +keinem entscheidenden Beschluss. Aber in der Buergerschaft, an welche die Sache +verwiesen ward, lebte das frische Gefuehl der durch eigene Kraft gegruendeten +Grossmacht. Die Eroberung Italiens gab den Roemern, wie die Griechenlands den +Makedoniern, wie die Schlesiens den Preussen, den Mut, eine neue politische +Bahn zu betreten; formell motiviert war die Unterstuetzung der Mamertiner durch +die Schutzherrschaft, die Rom ueber saemtliche Italiker ansprach. Die +ueberseeischen Italiker wurden in die italische Eidgenossenschaft aufgenommen +^1 und auf Antrag der Konsuln von der Buergerschaft beschlossen, ihnen Hilfe zu +senden (489 265). +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Die Mamertiner traten voellig in dieselbe Stellung zu Rom wie die italischen +Gemeinden, verpflichteten sich, Schiffe zu stellen (Cic. Verr. 5, 19, 50) und +besassen, wie die Muenzen beweisen, das Recht der Silberpraegung nicht. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Es kam darauf an, wie die beiden durch diese Intervention der Roemer in die +Angelegenheiten der Insel zunaechst betroffenen und beide bisher dem Namen nach +mit Rom verbuendeten sizilischen Maechte dieselbe aufnehmen wuerden. Hieron +hatte Grund genug, die an ihn ergangene Aufforderung der Roemer, gegen ihre +neuen Bundesgenossen in Messana die Feindseligkeiten einzustellen, ebenso zu +behandeln, wie die Samniten und die Lucaner in gleichem Fall die Besetzung von +Capua und Thurii aufgenommen hatten und den Roemern mit einer Kriegserklaerung +zu antworten; blieb er indes allein, so war ein solcher Krieg eine Torheit und +von seiner vorsichtigen und gemaessigten Politik konnte man erwarten, dass er +in das Unvermeidliche sich fuegen werde, wenn Karthago sich ruhig verhielt. +Unmoeglich schien dies nicht. Eine roemische Gesandtschaft ging jetzt (489 +265), sieben Jahre nach dem Versuch der phoenikischen Flotte, sich Tarents zu +bemaechtigen, nach Karthago, um Aufklaerung wegen dieser Vorgaenge zu +verlangen; die nicht unbegruendeten, aber halb vergessenen Beschwerden tauchten +auf einmal wieder auf - es schien nicht ueberfluessig, unter anderen +Kriegsvorbereitungen auch die diplomatische Ruestkammer mit Kriegsgruenden zu +fuellen und fuer die kuenftigen Manifeste sich, wie die Roemer es pflegten, die +Rolle des angegriffenen Teils zu reservieren. Wenigstens das konnte man mit +vollem Rechte sagen, dass die beiderseitigen Unternehmungen auf Tarent und auf +Messana der Absicht und dem Rechtsgrund nach vollkommen gleichstanden und nur +der zufaellige Erfolg den Unterschied machte. Karthago vermied den offenen +Bruch. Die Gesandten brachten nach Rom die Desavouierung des karthagischen +Admirals zurueck, der den Versuch auf Tarent gemacht hatte, nebst den +erforderlichen falschen Eiden; auch die karthagischen Gegenbeschuldigungen, die +natuerlich nicht fehlten, waren gemaessigt gehalten und unterliessen es, die +beabsichtigte Invasion Siziliens als Kriegsgrund zu bezeichnen. Sie war es +indes; denn wie Rom die italischen, so betrachtete Karthago die sizilischen +Angelegenheiten als innere, in die eine unabhaengige Macht keinen Eingriff +gestatten kann, und war entschlossen, hiernach zu handeln. Nur ging die +phoenikische Politik einen leiseren Gang, als der der offenen Kriegsdrohung +war. Als die Vorbereitungen zu der roemischen Hilfesendung an die Mamertiner +endlich so weit gediehen waren, dass die Flotte, gebildet aus den +Kriegsschiffen von Neapel, Tarent, Velia und Lokri, und die Vorhut des +roemischen Landheeres unter dem Kriegstribun Gaius Claudius in Rhegion +erschienen (Fruehling 490 264), kam ihnen von Messana die unerwartete +Botschaft, dass die Karthager im Einverstaendnis mit der antiroemischen Partei +in Messana, als neutrale Macht einen Frieden zwischen Hieron und den +Mamertinern vermittelt haetten; dass die Belagerung also aufgehoben sei und +dass im Hafen von Messana eine karthagische Flotte, in der Burg karthagische +Besatzung liege, beide unter dem Befehl des Admirals Hanno. Die jetzt vom +karthagischen Einfluss beherrschte mamertinische Buergerschaft liess, unter +verbindlichem Dank fuer die schleunig gewaehrte Bundeshilfe, den roemischen +Befehlshabern anzeigen, dass man sich freue, derselben nicht mehr zu beduerfen. +Der gewandte und verwegene Offizier, der die roemische Vorhut befehligte, ging +nichtsdestoweniger mit seinen Truppen unter Segel. Die Karthager wiesen die +roemischen Schiffe zurueck und brachten sogar einige derselben auf; doch sandte +der karthagische Admiral, eingedenk der strengen Befehle, keine Veranlassung +zum Ausbruch der Feindseligkeiten zugeben, den guten Freunden jenseits der +Meerenge dieselben zurueck. Es schien fast, als haetten die Roemer vor Messana +sich ebenso nutzlos kompromittiert wie die Karthager vor Tarent. Aber Claudius +liess sich nicht abschrecken, und bei einem zweiten Versuch gelang die Landung. +Kaum angelangt, berief er die Buergerschaft zur Versammlung, und auf seinen +Wunsch erschien in derselben gleichfalls der karthagische Admiral, noch immer +waehnend, den offenen Bruch vermeiden zu koennen. Allein in der Versammlung +selbst bemaechtigten die Roemer sich seiner Person, und Hanno sowie die +schwache und fuehrerlose phoenikische Besatzung auf der Burg waren kleinmuetig +genug, jener, seinen Truppen den Befehl zum Abzug zu geben, diese, dem Befehl +des gefangenen Feldherrn nachzukommen und mit ihm die Stadt zu raeumen. So war +der Brueckenkopf der Insel in den Haenden der Roemer. +</p> + +<p> +Die karthagischen Behoerden, mit Recht erzuernt ueber die Torheit und Schwaeche +ihres Feldherrn, liessen ihn hinrichten und erklaerten den Roemern den Krieg. +Vor allem galt es, den verlorenen Platz wiederzugewinnen. Eine starke +karthagische Flotte, gefuehrt von Hanno, Hannibals Sohn, erschien auf der Hoehe +von Messana. Waehrend sie selber die Meerenge sperrte, begann die von ihr ans +Land gesetzte karthagische Armee die Belagerung von der Nordseite; Hieron, der +nur auf das Losschlagen der Karthager gewartet hatte, um den Krieg gegen Rom zu +beginnen, fuehrte sein kaum zurueckgezogenes Heer wieder gegen Messana und +uebernahm den Angriff auf die Suedseite der Stadt. +</p> + +<p> +Allein mittlerweile war auch der roemische Konsul Appius Claudius Caudex mit +dem Hauptheer in Rhegion erschienen, und in einer dunklen Nacht gelang die +Ueberfahrt trotz der karthagischen Flotte. Kuehnheit und Glueck waren mit den +Roemern; die Verbuendeten, nicht gefasst auf einen Angriff des gesamten +roemischen Heeres und daher nicht vereinigt, wurden von den aus der Stadt +ausrueckenden roemischen Legionen einzeln geschlagen und damit die Belagerung +aufgehoben. Den Sommer ueber behauptete das roemische Heer das Feld und machte +sogar einen Versuch auf Syrakus; allein nachdem dieser gescheitert war und auch +die Belagerung von Echetla (an der Grenze der Gebiete von Syrakus und Karthago) +mit Verlust hatte aufgegeben werden muessen, kehrte das roemische Heer zurueck +nach Messana und von da unter Zuruecklassung einer starken Besatzung nach +Italien. Die Erfolge dieses ersten ausseritalischen Feldzugs der Roemer moegen +daheim der Erwartung nicht ganz entsprochen haben, da der Konsul nicht +triumphierte; indes konnte das kraeftige Auftreten der Roemer in Sizilien nicht +verfehlen, auf die Griechen daselbst grossen Eindruck zu machen. Im folgenden +Jahre betraten beide Konsuln und ein doppelt so starkes Heer ungehindert die +Insel. Der eine derselben, Marcus Valerius Maximus, seitdem von diesem Feldzug +“der von Messana” (Messalla) genannt, erfocht einen glaenzenden +Sieg ueber die verbuendeten Karthager und Syrakusaner; und als nach dieser +Schlacht das phoenikische Heer nicht mehr gegen die Roemer das Feld zu halten +wagte, da fielen nicht bloss Alaesa, Kentoripa und ueberhaupt die kleineren +griechischen Staedte den Roemern zu, sondern Hieron selbst verliess die +karthagische Partei und machte Frieden und Buendnis mit den Roemern (491 263). +Er folgte einer richtigen Politik, indem er, sowie sich gezeigt hatte, dass es +den Roemern mit dem Einschreiten in Sizilien Ernst war, sich sofort ihnen +anschloss, als es noch Zeit war, den Frieden ohne Abtretungen und Opfer zu +erkaufen. Die sizilischen Mittelstaaten, Syrakus und Messana, die eine eigene +Politik nicht durchfuehren konnten und nur zwischen roemischer und +karthagischer Hegemonie zu waehlen hatten, mussten jedenfalls die erstere +vorziehen, da die Roemer damals sehr wahrscheinlich noch nicht die Insel fuer +sich zu erobern beabsichtigten, sondern nur sie nicht von Karthago erobern zu +lassen, und auf alle Faelle anstatt des karthagischen Tyrannisier- und +Monopolisiersystems von Rom eine leidlichere Behandlung und Schutz der +Handelsfreiheit zu erwarten war. Hieron blieb seitdem der wichtigste, +standhafteste und geachtetste Bundesgenosse der Roemer auf der Insel. +</p> + +<p> +Fuer die Roemer war hiermit das naechste Ziel erreicht. Durch das +Doppelbuendnis mit Messana und Syrakus und den festen Besitz der ganzen +Ostkueste war die Landung auf der Insel und die bis dahin sehr schwierige +Unterhaltung der Heere gesichert und verlor der bisher bedenkliche und +unberechenbare Krieg einen grossen Teil seines waglichen Charakters. Man machte +denn auch fuer denselben nicht groessere Anstrengungen als fuer die Kriege in +Samnium und Etrurien; die zwei Legionen, die man fuer das naechste Jahr (492 +262) nach der Insel hinuebersandte, reichten aus, um im Einverstaendnis mit den +sizilischen Griechen die Karthager ueberall in die Festungen zurueckzutreiben. +Der Oberbefehlshaber der Karthager, Hannibal, Gisgons Sohn, warf mit dem Kern +seiner Truppen sich in Akragas, um diese wichtigste karthagische Landstadt aufs +aeusserste zu verteidigen. Unfaehig, die feste Stadt zu stuermen, blockierten +die Roemer sie mit verschanzten Linien und einem doppelten Lager; die +Eingeschlossenen, die bis 50000 Koepfe zaehlten, litten bald Mangel am +Notwendigen. Zum Entsatz landete der karthagische Admiral Hanno bei Herakleia +und schnitt seinerseits der roemischen Belagerungsarmee die Zufuhr ab. Auf +beiden Seiten war die Not gross; man entschloss sich endlich zu einer Schlacht, +um aus den Bedraengnissen und der Ungewissheit herauszukommen. In dieser zeigte +sich die numidische Reiterei ebensosehr der roemischen ueberlegen wie der +phoenikischen Infanterie das roemische Fussvolk; das letztere entschied den +Sieg, allein die Verluste auch der Roemer waren sehr betraechtlich. Der Erfolg +der gewonnenen Schlacht ward zum Teil dadurch verscherzt, dass es nach der +Schlacht waehrend der Verwirrung und der Ermuedung der Sieger der belagerten +Armee gelang, aus der Stadt zu entkommen und die Flotte zu erreichen; dennoch +war der Sieg von Bedeutung. Akragas fiel dadurch in die Haende der Roemer und +damit war die ganze Insel in ihrer Gewalt mit Ausnahme der Seefestungen, in +denen der karthagische Feldherr Hamilkar, Hannos Nachfolger im Oberbefehl, sich +bis an die Zaehne verschanzte und weder durch Gewalt noch durch Hunger zu +vertreiben war. Der Krieg spann von da an sich nur fort durch die Ausfaelle der +Karthager aus den sizilischen Festungen und durch ihre Landungen an den +italischen Kuesten. +</p> + +<p> +In der Tat empfanden die Roemer erst jetzt die wirklichen Schwierigkeiten des +Krieges. Wenn die karthagischen Diplomaten, wie erzaehlt wird, vor dem Ausbruch +der Feindseligkeiten die Roemer warnten, es nicht bis zum Bruche zu treiben, +denn wider ihren Willen koenne kein Roemer auch nur die Haende sich im Meer +waschen, so war diese Drohung wohl begruendet. Die karthagische Flotte +beherrschte ohne Nebenbuhler die See und hielt nicht bloss die sizilischen +Kuestenstaedte im Gehorsam und mit allem Notwendigen versehen, sondern bedrohte +auch Italien mit einer Landung, weswegen schon 492 (262) dort eine +konsularische Armee hatte zurueckbleiben muessen. Zwar zu einer groesseren +Invasion kam es nicht; allein wohl landeten kleinere karthagische Abteilungen +an den italischen Kuesten und brandschatzten die Bundesgenossen und, was +schlimmer als alles Uebrige war, der Handel Roms und seiner Bundesgenossen war +voellig gelaehmt; es brauchte nicht lange so fortzugehen, um Caere, Ostia, +Neapel, Tarent, Syrakus vollstaendig zugrunde zu richten, waehrend die +Karthager ueber die Kontributionssummen und den reichen Kaperfang die +ausbleibenden sizilischen Tribute leicht verschmerzten. Die Roemer erfuhren +jetzt, was Dionysios, Agathokles und Pyrrhos erfahren hatten, dass es ebenso +leicht war, die Karthager aus dem Felde zu schlagen, als schwierig, sie zu +ueberwinden. Man sah es ein, dass alles darauf ankam, eine Flotte zu schaffen +und beschloss eine solche von zwanzig Drei- und hundert Fuenfdeckern +herzustellen. Die Ausfuehrung indes dieses energischen Beschlusses war nicht +leicht. Zwar die aus den Rhetorschulen stammende Darstellung, die glauben +machen moechte, als haetten damals zuerst die Roemer die Ruder ins Wasser +getaucht, ist eine kindische Phrase; Italiens Handelsmarine musste um diese +Zeit sehr ausgedehnt sein, und auch an italischen Kriegsschiffen fehlte es +keineswegs. Aber es waren dies Kriegsbarken und Dreidecker, wie sie in +frueherer Zeit ueblich gewesen waren; Fuenfdecker, die nach dem neueren, +besonders von Karthago ausgehenden System des Seekrieges fast ausschliesslich +in der Linie verwendet wurden, hatte man in Italien noch nicht gebaut. Die +Massregel der Roemer war also ungefaehr derart, wie wenn jetzt ein Seestaat von +Fregatten und Kuttern uebergehen wollte zum Bau von Linienschiffen; und eben +wie man heute in solchem Fall womoeglich ein fremdes Linienschiff zum Muster +nehmen wuerde, ueberwiesen auch die Roemer ihren Schiffsbaumeistern eine +gestrandete karthagische Pentere als Modell. Ohne Zweifel haetten die Roemer, +wenn sie gewollt haetten, mit Hilfe der Syrakusaner und Massalioten schneller +zum Ziele gelangen koennen; allein ihre Staatsmaenner waren zu einsichtig, um +Italien durch eine nichtitalische Flotte verteidigen zu wollen. Dagegen wurden +die italischen Bundesgenossen stark angezogen sowohl fuer die Schiffsoffiziere, +die man groesstenteils aus der italischen Handelsmarine genommen haben wird, +als fuer die Matrosen, deren Name (socii navales) beweist, dass sie eine +Zeitlang ausschliesslich von den Bundesgenossen gestellt wurden; daneben wurden +spaeter Sklaven, die der Staat und die reicheren Familien lieferten, und bald +auch die aermere Klasse der Buerger verwandt. Unter solchen Verhaeltnissen, und +wenn man teils den damaligen, verhaeltnismaessig niedrigen Stand des +Schiffsbaus, teils die roemische Energie wie billig in Anschlag bringt, wird es +begreiflich, dass die Roemer die Aufgabe, an der Napoleon gescheitert ist, eine +Kontinental- in eine Seemacht umzuwandeln, innerhalb eines Jahres loesten und +ihre Flotte von hundertundzwanzig Segeln in der Tat im Fruehjahr 494 (260) vom +Stapel lief. Freilich kam dieselbe der karthagischen an Zahl und +Segeltuechtigkeit keineswegs gleich; und es fiel dies um so mehr ins Gewicht, +als die Seetaktik dieser Zeit vorwiegend im Manoevrieren bestand. Dass +Schwergeruestete und Bogenschuetzen vom Verdeck herab fochten, oder dass +Wurfmaschinen von demselben aus arbeiteten, gehoerte zwar auch zum Seegefecht +dieser Zeit; allein der gewoehnliche und eigentlich entscheidende Kampf bestand +im Niedersegeln der feindlichen Schiffe, zu welchem Zwecke die Vorderteile mit +schweren Eisenschnaebeln versehen waren; die kaempfenden Schiffe pflegten +einander zu umkreisen, bis dem einen oder dem andern der Stoss gelang, der +gewoehnlich entschied. Deshalb befanden sich unter der Bemannung eines +gewoehnlichen griechischen Dreideckers von etwa 200 Mann nur etwa zehn +Soldaten, dagegen 170 Ruderer, 50 bis 60 fuer jedes Deck; die des Fuenfdeckers +zaehlte etwa 300 Ruderer, und Soldaten nach Verhaeltnis. +</p> + +<p> +Man kam auf den gluecklichen Gedanken, das, was den roemischen Schiffen bei +ihren ungeuebten Schiffsoffizieren und Rudermannschaften an +Manoevrierfaehigkeit notwendig abgehen musste, dadurch zu ersetzen, dass man +den Soldaten im Seegefecht wiederum eine bedeutendere Rolle zuteilte. Man +brachte auf dem Vorderteil des Schiffes eine fliegende Bruecke an, welche nach +vorn wie nach beiden Seiten hin niedergelassen werden konnte; sie war zu beiden +Seiten mit Brustwehren versehen und hatte Raum fuer zwei Mann in der Front. +Wenn das feindliche Schiff zum Stoss auf das roemische heransegelte oder, +nachdem der Stoss vermieden war, demselben zur Seite lag, schlug diese Bruecke +auf dessen Verdeck nieder und mittels eines eisernen Stachels in dasselbe ein; +wodurch nicht bloss das Niedersegeln verhindert, sondern es auch den roemischen +Schiffssoldaten moeglich ward, ueber die Bruecke auf das feindliche Verdeck +hinueberzugehen und dasselbe wie im Landgefecht zu erstuermen. Eine eigene +Schiffsmiliz ward nicht gebildet, sondern nach Beduerfnis die Landtruppen zu +diesem Schiffsdienst verwandt; es kommt vor, dass in einer grossen Seeschlacht, +wo freilich die roemische Flotte zugleich die Landungsarmee an Bord hat, bis +120 Legionarier auf den einzelnen Schiffen fechten. +</p> + +<p> +So schufen sich die Roemer eine Flotte, die der karthagischen gewachsen war. +Diejenigen irren, die aus dem roemischen Flottenbau ein Feenmaerchen machen, +und verfehlen ueberdies ihren Zweck; man muss begreifen um zu bewundern. Der +Flottenbau der Roemer war eben gar nichts als ein grossartiges Nationalwerk, wo +durch Einsicht in das Noetige und Moegliche, durch geniale Erfindsamkeit, durch +Energie in Entschluss und Ausfuehrung das Vaterland aus einer Lage gerissen +ward, die uebler war, als sie zunaechst schien. +</p> + +<p> +Der Anfang indes war den Roemern nicht guenstig. Der roemische Admiral, der +Konsul Gnaeus Cornelius Scipio, der mit den ersten siebzehn segelfertigen +Fahrzeugen nach Messana in See gegangen war (494 260), meinte auf der Fahrt +Lipara durch einen Handstreich wegnehmen zu koennen. Allein eine Abteilung der +bei Panormos stationierten karthagischen Flotte sperrte den Hafen der Insel, in +dem die roemischen Schiffe vor Anker gegangen waren, und nahm die ganze Eskadre +mit dem Konsul ohne Kampf gefangen. Indes dies schreckte die Hauptflotte nicht +ab, sowie die Vorbereitungen beendigt waren, gleichfalls nach Messana unter +Segel zu gehen. Auf der Fahrt laengs der italischen Kueste traf sie auf ein +schwaecheres karthagisches Rekognoszierungsgeschwader, dem sie das Glueck +hatte, einen den ersten roemischen mehr als aufwiegenden Verlust zuzufuegen, +und traf also gluecklich und siegreich im Hafen von Messana ein, wo der zweite +Konsul Gaius Duilius das Kommando an der Stelle seines gefangenen Kollegen +uebernahm. An der Landspitze von Mylae, nordwestlich von Messana, traf die +karthagische Flotte, die unter Hannibal von Panormos herankam, auf die +roemische, welche hier ihre erste groessere Probe bestand. Die Karthager, in +den schlecht segelnden und unbehilflichen roemischen Schiffen eine leichte +Beute erblickend, stuerzten sich in aufgeloester Linie auf dieselben; aber die +neu erfundenen Enterbruecken bewaehrten sich vollkommen. Die roemischen Schiffe +fesselten und stuermten die feindlichen, wie sie einzeln heransegelten; es war +ihnen weder von vorn, noch von den Seiten beizukommen, ohne dass die +gefaehrliche Bruecke sich niedersenkte auf das feindliche Verdeck. Als die +Schlacht zu Ende war, waren gegen fuenfzig karthagische Schiffe, fast die +Haelfte der Flotte, von den Roemern versenkt oder genommen, unter den letzteren +das Admiralsschiff Hannibals, einst das des Koenigs Pyrrhos. Der Gewinn war +gross; noch groesser der moralische Eindruck. Rom war ploetzlich eine Seemacht +geworden und hatte das Mittel in der Hand, den Krieg, der endlos sich +hinauszuspinnen und dem italischen Handel den Ruin zu drohen schien, energisch +zu Ende zu fuehren. +</p> + +<p> +Es gab dazu einen doppelten Weg. Man konnte entweder Karthago auf den +italischen Inseln angreifen und ihm die Kuestenfestungen Siziliens und +Sardiniens eine nach der andern entreissen, was vielleicht durch gut +kombinierte Operationen zu Lande und zur See ausfuehrbar war; war dies +durchgesetzt, so konnte entweder mit Karthago auf Grund der Abtretung dieser +Inseln Friede geschlossen, oder, wenn dies misslang oder nicht genuegte, der +zweite Akt des Krieges nach Afrika verlegt werden. Oder man konnte die Inseln +vernachlaessigen und sich gleich mit aller Macht auf Afrika werfen, nicht in +Agathokles’ abenteuernder Art die Schiffe hinter sich verbrennend und +alles setzend auf den Sieg eines verzweifelten Haufens, sondern durch eine +starke Flotte die Verbindungen der afrikanischen Invasionsarmee mit Italien +deckend; in diesem Falle liess sich entweder von der Bestuerzung der Feinde +nach den ersten Erfolgen ein maessiger Friede erwarten oder, wenn man wollte, +mit aeusserster Gewalt den Feind zu vollstaendiger Ergebung noetigen. +</p> + +<p> +Man waehlte zunaechst den ersten Operationsplan. Im Jahre nach der Schlacht von +Mylae (495 259) erstuermte der Konsul Lucius Scipio den Hafen Aleria auf +Korsika - wir besitzen noch den Grabstein des Feldherrn, der dieser Tat gedenkt +- und machte aus Korsika eine Seestation gegen Sardinien. Ein Versuch, sich auf +der Nordkueste dieser Insel in Ulbia festzusetzen, misslang, da es der Flotte +an Landungstruppen fehlte. Im folgenden Jahre (496 258) ward er zwar mit +besserem Erfolg wiederholt und die offenen Flecken an der Kueste gepluendert; +aber zu einer bleibenden Festsetzung der Roemer kam es nicht. Ebensowenig kam +man in Sizilien vorwaerts. Hamilkar fuehrte energisch und geschickt den Krieg +nicht bloss mit Waffen zu Lande und zur See, sondern auch mit der politischen +Propaganda; von den zahllosen kleinen Landstaedten fielen jaehrlich einige von +den Roemern ab und mussten den Phoenikern muehsam wieder entrissen werden, und +in den Kuestenfestungen behaupteten die Karthager sich unangefochten, +namentlich in ihrem Hauptquartier Panormos und in ihrem neuen Waffenplatz +Drepana, wohin der leichteren Seeverteidigung wegen Hamilkar die Bewohner des +Eryx uebergesiedelt hatte. Ein zweites grosses Seetreffen am Tyndarischen +Vorgebirg (497 257), in dem beide Teile sich den Sieg zuschrieben, aenderte +nichts an der Lage der Dinge. In dieser Weise kam man nicht vom Fleck, mochte +die Schuld nun an dem geteilten und schnell wechselnden Oberbefehl der +roemischen Truppen liegen, der die konzentrierte Gesamtleitung einer Reihe +kleinerer Operationen ungemein erschwerte, oder auch an den allgemeinen +strategischen Verhaeltnissen, welche allerdings in einem solchen Fall nach dem +damaligen Stande der Kriegswissenschaft sich fuer den Angreifer ueberhaupt (I, +426) und ganz besonders fuer die noch im Anfang der wissenschaftlichen +Kriegskunst stehenden Roemer unguenstig stellten. Mittlerweile litt, wenn auch +die Brandschatzung der italischen Kuesten aufgehoert hatte, doch der italische +Handel nicht viel weniger als vor dem Flottenbau. Muede des erfolglosen Ganges +der Operationen und ungeduldig, dem Kriege ein Ziel zu setzen, beschloss der +Senat, das System zu aendern und Karthago in Afrika anzugreifen. Im Fruehjahr +498 (256) ging eine Flotte von 330 Linienschiffen unter Segel nach der +libyschen Kueste; an der Muendung des Himeraflusses am suedlichen Ufer +Siziliens nahm sie das Landungsheer an Bord: es waren vier Legionen unter der +Fuehrung der beiden Konsuln Marcus Atilius Regulus und Lucius Manlius Volso, +beides erprobte Generale. Der karthagische Admiral liess es geschehen, dass die +feindlichen Truppen sich einschifften; aber auf der weiteren Fahrt nach Afrika +fanden die Roemer die feindliche Flotte auf der Hoehe von Eknomos in +Schlachtordnung aufgestellt, um die Heimat vor der Invasion zu decken. Nicht +leicht haben groessere Massen zur See gefochten als in dieser Schlacht +gegeneinander standen. Die roemische Flotte von 330 Segeln zaehlte mindestens +100000 Mann an Schiffsbemannung ausser der etwa 40000 Mann starken +Landungsarmee; die karthagische von 350 Schiffen trug an Bemannung mindestens +die gleiche Zahl, so dass gegen dreimalhunderttausend Menschen an diesem Tage +aufgeboten waren, um zwischen den beiden maechtigen Buergerschaften zu +entscheiden. Die Phoeniker standen in einfacher weitausgedehnter Linie, mit dem +linken Fluegel gelehnt an die sizilische Kueste. Die Roemer ordneten sich ins +Dreieck, die Admiralschiffe der beiden Konsuln an der Spitze, in schraeger +Linie rechts und links neben ihnen das erste und zweite Geschwader, endlich das +dritte mit den zum Transport der Reiterei gebauten Fahrzeugen im Schlepptau in +der Linie, die das Dreieck schloss. Also segelten sie dichtgeschlossen auf den +Feind. Langsamer folgte ein viertes in Reserve gestelltes Geschwader. Der +keilfoermige Angriff durchbrach ohne Muehe die karthagische Linie, da das +zunaechst angegriffene Zentrum derselben absichtlich zurueckwich, und die +Schlacht loeste sich auf in drei gesonderte Treffen. Waehrend die Admirale mit +den beiden auf den Fluegeln aufgestellten Geschwadern dem karthagischen Zentrum +nachsetzten und mit ihm handgemein wurden, schwenkte der linke, an der Kueste +aufgestellte Fluegel der Karthager auf das dritte roemische Geschwader ein, +welches durch die Schleppschiffe gehindert ward, den beiden vorderen zu folgen, +und draengte dasselbe in heftigem und ueberlegenem Angriff gegen das Ufer; +gleichzeitig wurde die roemische Reserve von dem rechten karthagischen Fluegel +auf der hohen See umgangen und von hinten angefallen. Das erste dieser drei +Treffen war bald zu Ende: die Schiffe des karthagischen Mitteltreffens, +offenbar viel schwaecher als die beiden gegen sie fechtenden roemischen +Geschwader, wandten sich zur Flucht. Mittlerweile hatten die beiden anderen +Abteilungen der Roemer einen harten Stand gegen den ueberlegenen Feind; allein +im Nahgefecht kamen die gefuerchteten Enterbruecken ihnen zustatten, und mit +deren Hilfe gelang es, sich so lange zu halten, bis die beiden Admirale mit +ihren Schiffen herankommen konnten. Dadurch erhielt die roemische Reserve Luft, +und die karthagischen Schiffe des rechten Fluegels suchten vor der Uebermacht +das Weite. Nun, nachdem auch dieser Kampf zum Vorteil der Roemer entschieden, +fielen alle noch seefaehigen roemischen Schiffe dem hartnaeckig seinen Vorteil +verfolgenden karthagischen linken Fluegel in den Ruecken, so dass dieser +umzingelt und fast alle Schiffe desselben genommen wurden. Der uebrige Verlust +war ungefaehr gleich. Von der roemischen Flotte waren 24 Segel versenkt, von +der karthagischen 30 versenkt, 64 genommen. Die karthagische Flotte gab trotz +des betraechtlichen Verlustes es nicht auf, Afrika zu decken und ging zu diesem +Ende zurueck an den Golf von Karthago, wo sie die Landung erwartete und eine +zweite Schlacht zu liefern gedachte. Allein die Roemer landeten statt an der +westlichen Seite der Halbinsel, die den Golf bilden hilft, vielmehr an der +oestlichen, wo die Bai von Clupea ihnen einen fast bei allen Winden Schutz +bietenden geraeumigen Hafen und die Stadt, hart am Meere auf einem +schildfoermig aus der Ebene aufsteigenden Huegel gelegen, eine vortreffliche +Hafenfestung darbot. Ungehindert vom Feinde schifften sie die Truppen aus und +setzten sich auf dem Huegel fest; in kurzer Zeit war ein verschanztes +Schiffslager errichtet, und das Landheer konnte seine Operationen beginnen. Die +roemischen Truppen durchstreiften und brandschatzten das Land; bis 20000 +Sklaven konnten nach Rom gefuehrt werden. Durch die ungeheuersten Gluecksfaelle +war der kuehne Plan auf den ersten Wurf und mit geringen Opfern gelungen; man +schien am Ziele zu stehen. Wie sicher die Roemer sich fuehlten, beweist der +Beschluss des Senats, den groessten Teil der Flotte und die Haelfte der Armee +nach Italien zurueckzuschicken; Marcus Regulus blieb allein in Afrika mit 40 +Schiffen, 15000 Mann zu Fuss und 500 Reitern. Es schien indes die Zuversicht +nicht uebertrieben. Die karthagische Armee, die entmutigt sich in die Ebene +nicht wagte, erlitt erst recht eine Schlappe in den waldigen Defileen, in denen +sie ihre beiden besten Waffen, die Reiterei und die Elefanten nicht verwenden +konnte. Die Staedte ergaben sich in Masse, die Numidier standen auf und +ueberschwemmten weithin das offene Land. Regulus konnte hoffen, den naechsten +Feldzug zu beginnen mit der Belagerung der Hauptstadt, zu welchem Ende er dicht +bei derselben, in Tunes sein Winterlager aufschlug. +</p> + +<p> +Der Karthager Mut war gebrochen; sie baten um Frieden. Allein die Bedingungen, +die der Konsul stellte: nicht bloss Abtretung von Sizilien und Sardinien, +sondern Eingehung eines ungleichen Buendnisses mit Rom, welches die Karthager +verpflichtet haette, auf eine eigene Kriegsmarine zu verzichten und zu den +roemischen Kriegen Schiffe zu stellen - diese Bedingungen, welche Karthago mit +Neapel und Tarent gleichgestellt haben wuerden, konnten nicht angenommen +werden, solange noch ein karthagisches Heer im Felde, eine karthagische Flotte +auf der See, und die Hauptstadt unerschuettert stand. Die gewaltige +Begeisterung, wie sie in den orientalischen Voelkern, auch den tief gesunkenen, +bei dem Herannahen aeusserster Gefahren grossartig aufzuflammen pflegt, diese +Energie der hoechsten Not trieb die Karthager zu Anstrengungen, wie man sie den +Budenleuten nicht zugetraut haben mochte. Hamilkar, der in Sizilien den kleinen +Krieg gegen die Roemer so erfolgreich gefuehrt hatte, erschien in Libyen mit +der Elite der sizilischen Truppen, die fuer die neuausgehobene Mannschaft einen +trefflichen Kern abgab; die Verbindungen und das Gold der Karthager fuehrten +ihnen ferner die trefflichen numidischen Reiter scharenweise zu und ebenso +zahlreiche griechische Soeldner, darunter den gefeierten Hauptmann Xanthippos +von Sparta, dessen Organisierungstalent und strategische Einsicht seinen neuen +Dienstherren von grossem Nutzen war ^2. Waehrend also im Lauf des Winters die +Karthager ihre Vorbereitungen trafen, stand der roemische Feldherr untaetig bei +Tunes. Mochte er nicht ahnen, welcher Sturm sich ueber seinem Haupt +zusammenzog, oder mochte militaerisches Ehrgefuehl ihm zu tun verbieten, was +seine Lage erheischte - statt zu verzichten auf eine Belagerung, die er doch +nicht imstande war, auch nur zu versuchen, und sich einzuschliessen in die Burg +von Clupea, blieb er mit einer Handvoll Leute vor den Mauern der feindlichen +Hauptstadt stehen, sogar seine Rueckzugslinie zu dem Schiffslager zu sichern +versaeumend, und versaeumend sich zu schaffen, was ihm vor allen Dingen fehlte +und was durch Verhandlungen mit den aufstaendischen Staemmen der Numidier so +leicht zu erreichen war, eine gute leichte Reiterei. Mutwillig brachte er sich +und sein Heer also in dieselbe Lage, in der einst Agathokles auf seinem +verzweifelten Abenteurerzug sich befunden hatte. Als das Fruehjahr kam (499 +255), hatten sich die Dinge schon so veraendert, dass jetzt die Karthager es +waren, die zuerst ins Feld rueckten und den Roemern eine Schlacht anboten; +natuerlich, denn es lag alles daran, mit dem Heer des Regulus fertig zu werden, +ehe von Italien Verstaerkung kommen konnte. Aus demselben Grunde haetten die +Roemer zoegern sollen; allein im Vertrauen auf ihre Unueberwindlichkeit im +offenen Felde nahmen sie sofort die Schlacht an trotz ihrer geringeren Staerke +- denn obwohl die Zahl des Fussvolks auf beiden Seiten ungefaehr dieselbe war, +gaben doch den Karthagern die 4000 Reiter und 100 Elefanten ein entschiedenes +Uebergewicht - und trotz des unguenstigen Terrains - die Karthager hatten sich +auf einem weiten Blachfeld, vermutlich unweit Tunes, aufgestellt. Xanthippos, +der an diesem Tage die Karthager kommandierte, warf zunaechst seine Reiterei +auf die feindliche, die wie gewoehnlich auf den beiden Fluegeln der +Schlachtlinie stand; die wenigen roemischen Schwadronen zerstoben im Nu vor den +feindlichen Kavalleriemassen und das roemische Fussvolk sah sich von demselben +ueberfluegelt und umschwaermt. Die Legionen, hierdurch nicht erschuettert, +gingen zum Angriff vor gegen die feindliche Linie; und obwohl die zur Deckung +vor derselben aufgestellte Elefantenreihe den rechten Fluegel und das Zentrum +der Roemer hemmte, fasste wenigstens der linke roemische Fluegel, an den +Elefanten vorbeimarschierend, die Soeldnerinfanterie auf dem rechten +feindlichen und warf sie vollstaendig. Allein eben dieser Erfolg zerriss die +roemischen Reihen. Die Hauptmasse, vorn von den Elefanten, an den Seiten und im +Ruecken von der Reiterei angegriffen, formierte sich zwar ins Viereck und +verteidigte sich heldenmuetig, allein endlich wurden doch die geschlossenen +Massen gesprengt und aufgerieben. Der siegreiche linke Fluegel traf auf das +noch frische karthagische Zentrum, wo die libysche Infanterie ihm gleiches +Schicksal bereitete. Bei der Beschaffenheit des Terrains und der Ueberzahl der +feindlichen Reiterei ward niedergehauen oder gefangen, was in diesen Massen +gefochten hatte; nur zweitausend Mann, vermutlich vorzugsweise die zu Anfang +zersprengten leichten Truppen und Reiter, gewannen, waehrend die roemischen +Legionen sich niedermachen liessen, soviel Vorsprung, um mit Not Clupea zu +erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der Konsul selbst, der spaeter in +Karthago starb; seine Familie, in der Meinung, dass er von den Karthagern nicht +nach Kriegsgebrauch behandelt worden sei, nahm an zwei edlen karthagischen +Gefangenen die empoerendste Rache, bis es selbst die Sklaven erbarmte und auf +deren Anzeige die Tribune der Schaendlichkeit steuerten ^3. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^2 Der Bericht, dass zunaechst Xanthippos’ militaerisches Talent Karthago +gerettet habe, ist wahrscheinlich gefaerbt; die karthagischen Offiziere werden +schwerlich auf den Fremden gewartet haben, um zu lernen, dass die leichte +afrikanische Kavallerie zweckmaessiger auf der Ebene verwandt werde als in +Huegeln und Waeldern. Von solchen Wendungen, dem Echo der griechischen +Wachtstubengespraeche, ist selbst Polybios nicht frei. Dass Xanthippos nach dem +Siege von den Karthagern ermordet worden sei, ist eine Erfindung; er ging +freiwillig fort, vielleicht in aegyptische Dienste. +</p> + +<p> +^3 Weiter ist ueber Regulus’ Ende nichts mit Sicherheit bekannt; selbst +seine Sendung nach Rom, die bald 503 (251), bald 513 (241) gesetzt wird, ist +sehr schlecht beglaubigt, Die spaetere Zeit, die in dem Glueck und Unglueck der +Vorfahren nur nach Stoffen suchte fuer Schulakte, hat aus Regulus den Prototyp +des ungluecklichen wie aus Fabricius das des duerftigen Helden gemacht und eine +Menge obligat erfundener Anekdoten auf seinen Namen in Umlauf gesetzt; +widerwaertige Flitter, die uebel kontrastieren mit der ernsten und schlichten +Geschichte. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +Wie die Schreckenspost nach Rom gelangte, war die erste Sorge natuerlich +gerichtet auf die Rettung der in Clupea eingeschlossenen Mannschaft. Eine +roemische Flotte von 350 Segeln lief sofort aus, und nach einem schoenen Sieg +am Hermaeischen Vorgebirg, bei welchem die Karthager 114 Schiffe einbuessten, +gelangte sie nach Clupea eben zur rechten Zeit, um die dort verschanzten +Truemmer der geschlagenen Armee aus ihrer Bedraengnis zu befreien. Waere sie +gesandt worden, ehe die Katastrophe eintrat, so haette sie die Niederlage in +einen Sieg verwandeln moegen, der wahrscheinlich den phoenikischen Kriegen ein +Ende gemacht haben wuerde. So vollstaendig aber hatten jetzt die Roemer den +Kopf verloren, dass sie nach einem gluecklichen Gefecht vor Clupea saemtliche +Truppen auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig den wichtigen und +leicht zu verteidigenden Platz raeumend, der ihnen die Moeglichkeit der Landung +in Afrika sicherte, und der Rache der Karthager ihre zahlreichen afrikanischen +Bundesgenossen schutzlos preisgebend. Die Karthager versaeumten die Gelegenheit +nicht, ihre leeren Kassen zu fuellen und den Untertanen die Folgen der Untreue +deutlich zu machen. Eine ausserordentliche Kontribution von 1000 Talenten +Silber (1740000 Taler) und 20000 Rindern ward ausgeschrieben und in saemtlichen +abgefallenen Gemeinden die Scheiche ans Kreuz geschlagen - es sollen ihrer +dreitausend gewesen sein und dieses entsetzliche Wueten der karthagischen +Beamten wesentlich den Grund gelegt haben zu der Revolution, welche einige +Jahre spaeter in Afrika ausbrach. Endlich, als wollte wie frueher das Glueck, +so jetzt das Unglueck den Roemern das Mass fuellen, gingen auf der Rueckfahrt +der Flotte in einem schweren Sturm drei Vierteile der roemischen Schiffe mit +der Mannschaft zugrunde; nur achtzig gelangten in den Hafen (Juli 499 255). Die +Kapitaene hatten das Unheil wohl vorausgesagt, aber die improvisierten +roemischen Admirale die Fahrt einmal also befohlen. +</p> + +<p> +Nach so ungeheuren Erfolgen konnten die Karthager die lange eingestellte +Offensive wiederum ergreifen. Hasdrubal, Hannos Sohn, landete in Lilybaeon mit +einem starken Heer, das besonders durch die gewaltige Elefantenmasse - es waren +ihrer 140 - in den Stand gesetzt wurde, gegen die Roemer das Feld zu halten; +die letzte Schlacht hatte gezeigt, wie es moeglich war, den Mangel eines guten +Fussvolks durch Elefanten und Reiterei einigermassen zu ersetzen. Auch die +Roemer nahmen den sizilischen Krieg von neuem auf: die Vernichtung des +Landungsheeres hatte, wie die freiwillige Raeumung von Clupea beweist, im +roemischen Senat sofort wieder der Partei die Oberhand gegeben, die den +afrikanischen Krieg nicht wollte und sich begnuegte, die Inseln allmaehlich zu +unterwerfen. Allein auch hierzu bedurfte man einer Flotte; und da diejenige +zerstoert war, mit der man bei Mylae, bei Eknomos und am Hermaeischen +Vorgebirge gesiegt hatte, baute man eine neue. Zu zweihundertundzwanzig neuen +Kriegsschiffen wurde auf einmal der Kiel gelegt - nie hatte man bisher +gleichzeitig so viele zu bauen unternommen -, und in der unglaublich kurzen +Zeit von drei Monaten standen sie saemtlich segelfertig. Im Fruehjahr 500 (254) +erschien die roemische Flotte, dreihundert groesstenteils neue Schiffe +zaehlend, an der sizilischen Nordkueste. Durch einen gluecklichen Angriff von +der Seeseite ward die bedeutendste Stadt des karthagischen Siziliens, Panormos, +erobert, und ebenso fielen hier die kleineren Plaetze Solus, Kephaloedion, +Tyndaris den Roemern in die Haende, so dass am ganzen noerdlichen Gestade der +Insel nur noch Thermae den Karthagern verblieb. Panormos ward seitdem eine der +Hauptstationen der Roemer auf Sizilien. Der Landkrieg daselbst stockte indes; +die beiden Armeen standen vor Lilybaeon einander gegenueber, ohne dass die +roemischen Befehlshaber, die der Elefantenmasse nicht beizukommen wussten, eine +Hauptschlacht zu erzwingen versucht haetten. +</p> + +<p> +Im folgenden Jahre (501 253) zogen die Konsuln es vor, statt die sicheren +Vorteile in Sizilien zu verfolgen, eine Expedition nach Afrika zu machen, nicht +um zu landen, sondern um die Kuestenstaedte zu pluendern. Ungehindert kamen sie +damit zustande; allein nachdem sie schon in den schwierigen und ihren Piloten +unbekannten Gewaessern der Kleinen Syrte auf die Untiefen aufgelaufen und mit +Muehe wieder losgekommen waren, traf die Flotte zwischen Sizilien und Italien +ein Sturm, der ueber 150 roemische Schiffe kostete; auch diesmal hatten die +Piloten, trotz ihrer Vorstellungen und Bitten, den Weg laengs der Kueste zu +waehlen, auf Befehl der Konsuln von Panormos gerades Weges durch das offene +Meer nach Ostia zu steuern muessen. +</p> + +<p> +Da ergriff Kleinmut die Vaeter der Stadt; sie beschlossen, die Kriegsflotte +abzuschaffen bis auf 60 Segel und den Seekrieg auf die Kuestenverteidigung und +die Geleitung der Transporte zu beschraenken. Zum Glueck nahm eben jetzt der +stockende Landkrieg auf Sizilien eine guenstigere Wendung. Nachdem im Jahre 502 +(252) Thermae, der letzte Punkt, den die Karthager an der Nordkueste besassen, +und die wichtige Insel Lipara den Roemern in die Haende gefallen waren, erfocht +im Jahre darauf der Konsul Lucius Caecilius Metellus unter den Mauern von +Panormos einen glaenzenden Sieg ueber das Elefantenheer (Sommer 503 251). Die +unvorsichtig vorgefuehrten Tiere wurden von den im Stadtgraben aufgestellten +leichten Truppen der Roemer geworfen und stuerzten teils in den Graben hinab, +teils zurueck auf ihre eigenen Leute, die in wilder Verwirrung mit den +Elefanten zugleich sich zum Strande draengten, um von den phoenikischen +Schiffen aufgenommen zu werden. 120 Elefanten wurden gefangen, und das +karthagische Heer, dessen Staerke auf den Tieren beruhte, musste sich wiederum +in die Festungen einschliessen. Es blieb, nachdem auch noch der Eryx den +Roemern in die Haende gefallen war (505 249), auf der Insel den Karthagern +nichts mehr als Drepana und Lilybaeon. Karthago bot zum zweitenmal den Frieden +an; allein der Sieg des Metellus und die Ermattung des Feindes gab der +energischeren Partei im Senat die Oberhand. Der Friede ward zurueckgewiesen und +beschlossen, die Belagerung der beiden sizilischen Staedte ernsthaft +anzugreifen und zu diesem Ende wiederum eine Flotte von 200 Segeln in See gehen +zu lassen. Die Belagerung von Lilybaeon, die erste grosse und regelrechte, die +Rom unternahm, und eine der hartnaeckigsten, die die Geschichte kennt, wurde +von den Roemern mit einem wichtigen Erfolg eroeffnet: ihrer Flotte gelang es, +sich in den Hafen der Stadt zu legen und dieselbe von der Seeseite zu +blockieren. Indes vollstaendig die See zu sperren, vermochten die Belagerer +nicht. Trotz ihrer Versenkungen und Palisaden und trotz der sorgfaeltigsten +Bewachung unterhielten gewandte und der Untiefen und Fahrwaesser genau kundige +Schnellsegler eine regelmaessige Verbindung zwischen den Belagerten in der +Stadt und der karthagischen Flotte im Hafen von Drepana; ja nach einiger Zeit +glueckte es einem karthagischen Geschwader von 50 Segeln, in den Hafen +einzufahren, Lebensmittel in Menge und Verstaerkung von 10000 Mann in die Stadt +zu werfen und unangefochten wieder heimzukehren. Nicht viel gluecklicher war +die belagernde Landarmee. Man begann mit regelrechtem Angriff; die Maschinen +wurden errichtet, und in kurzer Zeit hatten die Batterien sechs Mauertuerme +eingeworfen; die Bresche schien bald gangbar. Allein der tuechtige karthagische +Befehlshaber Himilko wehrte diesen Angriff ab, indem auf seine Anordnung hinter +der Bresche sich ein zweiter Wall erhob. Ein Versuch der Roemer, mit der +Besatzung ein Einverstaendnis anzuknuepfen, ward ebenso noch zur rechten Zeit +vereitelt. Ja es gelang den Karthagern, nachdem ein erster, zu diesem Zwecke +gemachter Ausfall abgeschlagen worden war, waehrend einer stuermischen Nacht +die roemische Maschinenreihe zu verbrennen. Die Roemer gaben hierauf die +Vorbereitungen zum Sturm auf und begnuegten sich, die Mauer zu Wasser und zu +Lande zu blockieren. Freilich waren dabei die Aussichten auf Erfolg sehr fern, +solange man nicht imstande war, den feindlichen Schiffen den Zugang gaenzlich +zu verlegen; und einen nicht viel leichteren Stand als in der Stadt die +Belagerten hatte das Landheer der Belagerer, welchem die Zufuhren durch die +starke und verwegene leichte Reiterei der Karthager haeufig abgefangen wurden +und das die Seuchen, die in der ungesunden Gegend einheimisch sind, zu +dezimieren begannen. Die Eroberung Lilybaeons war nichtsdestoweniger wichtig +genug, um geduldig bei der muehseligen Arbeit auszuharren, die denn doch mit +der Zeit der. gewuenschten Erfolg verhiess. Allein dem neuen Konsul Publius +Claudius schien die Aufgabe, Lilybaeon eingeschlossen zu halten, allzu gering; +es gefiel ihm besser, wieder einmal den Operationsplan zu aendern und mit +seinen zahlreichen neu bemannten Schiffen die karthagische in dem nahen Hafen +von Drepana verweilende Flotte unversehens zu ueberfallen. Mit dem ganzen +Blockadegeschwader, das Freiwillige aus den Legionen an Bord genommen hatte, +fuhr er um Mitternacht ab und erreichte, in guter Ordnung segelnd, den rechten +Fluegel am Lande, den linken in der hohen See, gluecklich mit Sonnenaufgang den +Hafen von Drepana. Hier kommandierte der phoenikische Admiral Atarbas. Obwohl +ueberrascht, verlor er die Besonnenheit nicht und liess sich nicht in den Hafen +einschliessen, sondern wie die roemischen Schiffe in den nach Sueden +sichelfoermig sich oeffnenden Hafen an der Landseite einfuhren, zog er an der +noch freien Seeseite seine Schiffe aus dem Hafen heraus und stellte sich +ausserhalb desselben in Linie. Dem roemischen Admiral blieb nichts uebrig, als +die vordersten Schiffe moeglichst schnell aus dem Hafen zurueckzunehmen und +sich gleichfalls vor demselben zur Schlacht zu ordnen; allein ueber dieser +rueckgaengigen Bewegung verlor er die freie Wahl seiner Aufstellung und musste +die Schlacht annehmen in einer Linie, die teils von der feindlichen um fuenf +Schiffe ueberfluegelt ward, da es an Zeit gebrach, die Schiffe wieder aus dem +Hafen vollstaendig zu entwickeln, teils so dicht an die Kueste gedraengt war, +dass seine Fahrzeuge weder zurueckweichen noch hinter der Linie hinsegelnd sich +untereinander zu Hilfe kommen konnten. Die Schlacht war nicht bloss verloren, +ehe sie begann, sondern die roemische Flotte so vollstaendig umstrickt, dass +sie fast ganz den Feinden in die Haende fiel. Zwar der Konsul entkam, indem er +zuerst davonfloh; aber 93 roemische Schiffe, mehr als drei Viertel der +Blockadeflotte, mit dem Kern der roemischen Legionen an Bord, fielen den +Phoenikern in die Haende. Es war der erste und einzige grosse Seesieg, den die +Karthager ueber die Roemer erfochten haben. Lilybaeon war der Tat nach von der +Seeseite entsetzt, denn wenn auch die Truemmer der roemischen Flotte in ihre +fruehere Stellung zurueckkehrten, so war diese doch jetzt viel zu schwach, um +den nie ganz geschlossenen Hafen ernstlich zu versperren, und konnte vor dem +Angriff der karthagischen Schiffe sich selbst nur retten durch den Beistand des +Landheers. Die eine Unvorsichtigkeit eines unerfahrenen und frevelhaft +leichtsinnigen Offiziers hatte alles vereitelt, was in dem langen und +aufreibenden Festungskrieg muehsam erreicht worden war; und was dessen Uebermut +noch an Kriegsschiffen den Roemern gelassen hatte, ging kurz darauf durch den +Unverstand seines Kollegen zugrunde. Der zweite Konsul, Lucius Iunius Pullus, +der den Auftrag erhalten hatte, die fuer das Heer in Lilybaeon bestimmten +Zufuhren in Syrakus zu verladen und die Transportflotte laengs der suedlichen +Kueste der Insel mit der zweiten roemischen Flotte von 120 Kriegsschiffen zu +geleiten, beging, statt seine Schiffe zusammenzuhalten, den Fehler, den ersten +Transport allein abgehen zu lassen und erst spaeter mit dem zweiten zu folgen. +Als der karthagische Unterbefehlshaber Karthalo, der mit hundert auserlesenen +Schiffen die roemische Flotte im Hafen von Lilybaeon blockierte, davon +Nachricht erhielt, wandte er sich nach der Suedkueste der Insel, schnitt die +beiden roemischen Geschwader, sich zwischen sie legend, voneinander ab und +zwang sie, an den unwirtlichen Gestaden von Gela und Kamarina in zwei Nothaefen +sich zu bergen. Die Angriffe der Karthager wurden freilich von den Roemern +tapfer zurueckgewiesen mit Hilfe der hier wie ueberall an der Kueste schon seit +laengerer Zeit errichteten Strandbatterien; allein da an Vereinigung und +Fortsetzung der Fahrt fuer die Roemer nicht zudenken war, konnte Karthago die +Vollendung seines Werkes den Elementen ueberlassen. Der naechste grosse Sturm +vernichtete denn auch beide roemische Flotten auf ihren schlechten Reeden +vollstaendig, waehrend der phoenikische Admiral auf der hohen See mit seinen +unbeschwerten und gut gefuehrten Schiffen ihm leicht entging. Die Mannschaft +und die Ladung gelang es den Roemern indes groesstenteils zu retten (505 249). +</p> + +<p> +Der roemische Senat war ratlos. Der Krieg waehrte nun ins sechzehnte Jahr, und +von dem Ziele schien man im sechzehnten weiter ab zu sein als im ersten. Vier +grosse Flotten waren in diesem Kriege zugrunde gegangen, drei davon mit +roemischen Heeren an Bord; ein viertes ausgesuchtes Landheer hatte der Feind in +Libyen vernichtet, ungerechnet die zahllosen Opfer, die die kleinen Gefechte +zur See, die in Sizilien die Schlachten und mehr noch der Postenkrieg und die +Seuchen gefordert hatten. Welche Zahl von Menschenleben der Krieg wegraffte, +ist daraus zuerkennen, dass die Buergerrolle bloss von 502 (252) auf 507 (247) +um etwa 40000 Koepfe, den sechsten Teil der Gesamtzahl, sank; wobei die +Verluste der Bundesgenossen, die die ganze Schwere des Seekriegs und daneben +der Landkrieg mindestens in gleichem Verhaeltnis wie die Roemer traf, noch +nicht mit eingerechnet sind. Von der finanziellen Einbusse ist es nicht +moeglich, sich eine Vorstellung zu machen; aber sowohl der unmittelbare Schaden +an Schiffen und Material als der mittelbare durch die Laehmung des Handels +muessen ungeheuer gewesen sein. Allein schlimmer als dies alles war die +Abnutzung aller Mittel, durch die man den Krieg hatte endigen wollen. Man hatte +eine Landung in Afrika mit frischen Kraeften, im vollen Siegeslauf versucht und +war gaenzlich gescheitert. Man hatte Sizilien Stadt um Stadt zu erstuermen +unternommen; die geringeren Plaetze waren gefallen, aber die beiden gewaltigen +Seeburgen Lilybaeon und Drepana standen unbezwinglicher als je zuvor. Was +sollte man beginnen? In der Tat, der Kleinmut behielt gewissermassen Recht. Die +Vaeter der Stadt verzagten; sie liessen die Sachen eben gehen, wie sie gehen +mochten, wohl wissend, dass ein ziel- und endlos sich hinspinnender Krieg fuer +Italien verderblicher war als die Anstrengung des letzten Mannes und des +letzten Silberstuecks, aber ohne den Mut und die Zuversicht zu dem Volk und zu +dem Glueck, um zu den alten, nutzlos vergeudeten neue Opfer zu fordern. Man +schaffte die Flotte ab; hoechstens foerderte man die Kaperei und stellte den +Kapitaenen, die auf ihre eigene Hand den Korsarenkrieg zu beginnen bereit +waren, zu diesem Behuf Kriegsschiffe des Staates zur Verfuegung. Der Landkrieg +ward dem Namen nach fortgefuehrt, weil man eben nicht anders konnte; allein man +begnuegte sich, die sizilischen Festungen zu beobachten, und was man besass, +notduerftig zu behaupten, was dennoch, seit die Flotte fehlte, ein sehr +zahlreiches Heer und aeusserst kostspielige Anstalten erforderte. +</p> + +<p> +Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, wo Karthago den gewaltigen Gegner +zu demuetigen imstande war. Dass auch dort die Erschoepfung der Kraefte +gefuehlt ward, versteht sich; indes wie die Sachen standen, konnten die +phoenikischen Finanzen unmoeglich so im Verfall sein, dass die Karthager den +Krieg, der ihnen hauptsaechlich nur Geld kostete, nicht haetten offensiv und +nachdruecklich fortfuehren koennen. Allein die karthagische Regierung war eben +nicht energisch, sondern schwach und laessig, wenn nicht ein leichter und +sicherer Gewinn oder die aeusserste Not sie trieb. Froh, der roemischen Flotte +los zu sein, liess man toericht auch die eigene verfallen und fing an, nach dem +Beispiel der Feinde sich zu Lande und zur See auf den kleinen Krieg in und um +Sizilien zu beschraenken. +</p> + +<p> +So folgten sechs tatenlose Kriegsjahre (506-511 248-243), die ruhmlosesten, +welche die roemische Geschichte dieses Jahrhunderts kennt, und ruhmlos auch +fuer das Volk der Karthager. Indes ein Mann von diesen dachte und handelte +anders als seine Nation. Hamilkar, genannt Barak oder Barkas, das ist der +Blitz, ein junger, vielversprechender Offizier, uebernahm im Jahre 507 (247) +den Oberbefehl in Sizilien. Es fehlte in seiner Armee wie in jeder +karthagischen an einer zuverlaessigen und kriegsgeuebten Infanterie; und die +Regierung, obwohl sie vielleicht eine solche zu schaffen imstande und auf jeden +Fall es zu versuchen verpflichtet gewesen waere, begnuegte sich, den +Niederlagen zuzusehen und hoechstens die geschlagenen Feldherren ans Kreuz +heften zu lassen. Hamilkar beschloss, sich selber zu helfen. Er wusste es wohl, +dass seinen Soeldnern Karthago so gleichgueltig war wie Rom, und dass er von +seiner Regierung nicht phoenikische oder libysche Konskribierte, sondern im +besten Fall die Erlaubnis zu erwarten hatte, mit seinen Leuten das Vaterland +auf eigene Faust zu retten, vorausgesetzt, dass es nichts koste. Allein er +kannte auch sich und die Menschen. An Karthago lag seinen Soeldnern freilich +nichts; aber der echte Feldherr vermag es, den Soldaten an die Stelle des +Vaterlandes seine eigene Persoenlichkeit zu setzen, und ein solcher war der +junge General. Nachdem er die Seinigen im Postenkrieg vor Drepana und Lilybaeon +gewoehnt hatte, dem Legionaer ins Auge zu sehen, setzte er auf dem Berge Eirkte +(Monte Pellegrino bei Palermo), der gleich einer Festung das umliegende Land +beherrscht, sich mit seinen Leuten fest und liess sie hier haeuslich mit ihren +Frauen und Kindern sich einrichten und das platte Land durchstreifen, waehrend +phoenikische Kaper die italische Kueste bis Cumae brandschatzten. So ernaehrte +er seine Leute reichlich, ohne von den Karthagern Geld zu begehren, und +bedrohte, mit Drepana die Verbindung zur See unterhaltend, das wichtige +Panormos in naechster Naehe mit Ueberrumpelung. Nicht bloss vermochten die +Roemer nicht, ihn von seinem Felsen zu vertreiben, sondern nachdem an der +Eirkte der Kampf eine Weile gedauert hatte, schuf sich Hamilkar eine zweite +aehnliche Stellung am Eryx. Diesen Berg, der auf der halben Hoehe die +gleichnamige Stadt, auf der Spitze den Tempel der Aphrodite trug, hatten bis +dahin die Roemer in Haenden gehabt und von da aus Drepana beunruhigt. Hamilkar +nahm die Stadt weg und belagerte das Heiligtum, waehrend die Roemer von der +Ebene her ihn ihrerseits blockierten. Die von den Roemern auf den verlorenen +Posten des Tempels gestellten keltischen Ueberlaeufer aus dem karthagischen +Heer, ein schlimmes Raubgesindel, das waehrend dieser Belagerung den Tempel +pluenderte und Schaendlichkeiten aller Art veruebte, verteidigten die +Felsenspitze mit verzweifeltem Mut; aber auch Hamilkar liess sich nicht wieder +aus der Stadt verdraengen und hielt mit der Flotte und der Besatzung von +Drepana stets sich zur See die Verbindung offen. Der sizilische Krieg schien +eine immer unguenstigere Wendung fuer die Roemer zu nehmen. Der roemische Staat +kam in demselben um sein Geld und seine Soldaten und die roemischen Feldherren +um ihr Ansehen: es war schon klar, dass dem Hamilkar kein roemischer General +gewachsen war, und die Zeit liess sich berechnen, wo auch der karthagische +Soeldner sich dreist wuerde messen koennen mit dem Legionaer. Immer verwegener +zeigten sich die Kaper Hamilkars an der italischen Kueste - schon hatte gegen +eine dort gelandete karthagische Streifpartei ein Praetor ausruecken muessen. +Noch einige Jahre, so tat Hamilkar von Sizilien aus mit der Flotte, was spaeter +auf dem Landweg von Spanien aus sein Sohn unternahm. +</p> + +<p> +Indes der roemische Senat verharrte in seiner Untaetigkeit; die Partei der +Kleinmuetigen hatte einmal in ihm die Mehrzahl. Da entschlossen sich eine +Anzahl einsichtiger und hochherziger Maenner, den Staat auch ohne +Regierungsbeschluss zu retten und dem heillosen Sizilischen Krieg ein Ende zu +machen. Die gluecklichen Korsarenfahrten hatten wenn nicht den Mut der Nation +gehoben, doch in engeren Kreisen die Energie und die Hoffnung geweckt; man +hatte sich schon in Geschwader zusammengetan, Hippo an der afrikanischen Kueste +niedergebrannt, den Karthagern vor Panormos ein glueckliches Seegefecht +geliefert. Durch Privatunterzeichnung, wie sie auch wohl in Athen, aber nie in +so grossartiger Weise vorgekommen ist, stellten die vermoegenden und +patriotisch gesinnten Roemer eine Kriegsflotte her, deren Kern die fuer den +Kaperdienst gebauten Schiffe und die darin geuebten Mannschaften abgaben und +die ueberhaupt weit sorgfaeltiger hergestellt wurde, als dies bisher bei dem +Staatsbau geschehen war. Diese Tatsache, dass eine Anzahl Buerger im +dreiundzwanzigsten Jahre eines schweren Krieges zweihundert Linienschiffe mit +einer Bemannung von 60000 Matrosen freiwillig dem Staate darboten, steht +vielleicht ohne Beispiel da in den Annalen der Geschichte. Der Konsul Gaius +Lutatius Catulus, dem die Ehre zuteil ward, diese Flotte in die sizilische See +zu fuehren, fand dort kaum einen Gegner; die paar karthagischen Schiffe, mit +denen Hamilkar seine Korsarenzuege gemacht, verschwanden vor der Uebermacht, +und fast ohne Widerstand besetzten die Roemer die Haefen von Lilybaeon und +Drepana, deren Belagerung zu Wasser und zu Lande jetzt energisch begonnen ward. +Karthago war vollstaendig ueberrumpelt; selbst die beiden Festungen, schwach +verproviantiert, schwebten in grosser Gefahr. Man ruestete daheim an einer +Flotte, aber so eilig man tat, ging das Jahr zu Ende, ohne dass in Sizilien +karthagische Segel sich gezeigt haetten; und als endlich im Fruehjahr 513 (241) +die zusammengerafften Schiffe auf der Hoehe von Drepana erschienen, war es doch +mehr eine Transport- als eine schlagfertige Kriegsflotte zu nennen. Die +Phoeniker hatten gehofft, ungestoert landen, die Vorraete ausschiffen und die +fuer ein Seegefecht erforderlichen Truppen an Bord nehmen zu koennen; allein +die roemischen Schiffe verlegten ihnen den Weg und zwangen sie, da sie von der +heiligen Insel (jetzt Maritima) nach Drepana segeln wollten, bei der kleinen +Insel Aegusa (Favignana), die Schlacht anzunehmen (10. Maerz 513 241). Der +Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft, die roemische Flotte, gut gebaut und +bemannt und, da die vor Drepana erhaltene Wunde den Konsul Catulus noch an das +Lager fesselte, von dem tuechtigen Praetor Publius Valerius Falto vortrefflich +gefuehrt, warf im ersten Augenblick die schwer beladenen, schlecht und schwach +bemannten Schiffe der Feinde; fuenfzig wurden versenkt, mit siebzig eroberten +fuhren die Sieger ein in den Hafen von Lilybaeon. Die letzte grosse Anstrengung +der roemischen Patrioten hatte Frucht getragen; sie brachte den Sieg und mit +ihm den Frieden. +</p> + +<p> +Die Karthager kreuzigten zunaechst den ungluecklichen Admiral, was die Sache +nicht anders machte, und schickten alsdann dem sizilischen Feldherrn +unbeschraenkte Vollmacht, den Frieden zu schliessen. Hamilkar, der, seine +siebenjaehrige Heldenarbeit durch fremde Fehler vernichtet sah, fuegte +hochherzig sich in das Unvermeidliche, ohne darum weder seine Soldatenehre noch +sein Volk noch seine Entwuerfe aufzugeben. Sizilien freilich war nicht zu +halten, seit die Roemer die See beherrschten, und dass die karthagische +Regierung, die ihre leere Kasse vergeblich durch ein Staatsanlehen in Aegypten +zu fuellen versucht hatte, auch nur einen Versuch noch machen wuerde, die +roemische Flotte zu ueberwaeltigen, liess sich nicht erwarten. Er gab also die +Insel auf. Dagegen ward die Selbstaendigkeit und Integritaet des karthagischen +Staats und Gebiets ausdruecklich anerkannt in der ueblichen Form, dass Rom sich +verpflichtete, nicht mit der karthagischen, Karthago, nicht mit der roemischen +Bundesgenossenschaft, das heisst mit den beiderseitigen untertaenigen und +abhaengigen Gemeinden, in Sonderbuendnis zu treten oder Krieg zu beginnen oder +in diesem Gebiet Hoheitsrechte auszuueben oder Werbungen vorzunehmen ^4. Was +die Nebenbedingungen anlangt, so verstand sich die unentgeltliche Rueckgabe der +roemischen Gefangenen und die Zahlung einer Kriegskontribution von selbst; +dagegen die Forderung des Catulus, dass Hamilkar die Waffen und die roemischen +Ueberlaeufer ausliefern solle, wies der Karthager entschlossen zurueck, und mit +Erfolg. Catulus verzichtete auf das zweite Begehren und gewaehrte den +Phoenikern freien Abzug aus Sizilien gegen das maessige Loesegeld von 18 +Denaren (4 Taler) fuer den Mann. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Dass die Karthager versprechen mussten, keine Kriegsschiffe in das Gebiet +der roemischen Symmachie - also auch nicht nach Syrakus, vielleicht selbst +nicht nach Massalia - zu senden (Zon. 8, 17), klingt glaublich genug; allein +der Text des Vertrages schweigt davon (Polyb. 3, 27). +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +Wenn den Karthagern die Fortfuehrung des Krieges nicht wuenschenswert erschien, +so hatten sie Ursache, mit diesen Bedingungen zufrieden zu sein. Es kann sein, +dass das natuerliche Verlangen, dem Vaterland mit dem Triumph auch den Frieden +zu bringen, die Erinnerung an Regulus und den wechselvollen Gang des Krieges, +die Erwaegung, dass ein patriotischer Aufschwung, wie er zuletzt den Sieg +entschieden hatte, sich nicht gebieten noch wiederholen laesst, vielleicht +selbst Hamilkars Persoenlichkeit mithalfen, den roemischen Feldherrn zu solcher +Nachgiebigkeit zu bestimmen. Gewiss ist es, dass man in Rom mit dem +Friedensentwurf unzufrieden war und die Volksversammlung, ohne Zweifel unter +dem Einfluss der Patrioten, die die letzte Schiffsruestung durchgesetzt hatten, +anfaenglich die Ratifikation verweigerte. In welchem Sinne dies geschah, wissen +wir nicht und vermoegen also nicht zu entscheiden, ob die Opponenten den +Frieden nur verwarfen, um dem Feinde noch einige Konzessionen mehr abzudringen, +oder ob sie sich erinnerten, dass Regulus von Karthago den Verzicht auf die +politische Unabhaengigkeit gefordert hatte, und entschlossen waren, den Krieg +fortzufuehren, bis man an diesem Ziel stand und es sich nicht mehr um Frieden +handelte, sondern um Unterwerfung. Erfolgte die Weigerung in dem ersten Sinne, +so war sie vermutlich fehlerhaft; gegen den Gewinn Siziliens verschwand jedes +andere Zugestaendnis, und es war bei Hamilkars Entschlossenheit und +erfinderischem Geist sehr gewagt, die Sicherung des Hauptgewinns an Nebenzwecke +zu setzen. Wenn dagegen die gegen den Frieden opponierende Partei in der +vollstaendigen politischen Vernichtung Karthagos das einzige fuer die roemische +Gemeinde genuegende Ende des Kampfes erblickte, so zeigte sie politischen Takt +und Ahnung der kommenden Dinge; ob aber auch Roms Kraefte noch ausreichten, um +den Zug des Regulus zu erneuern und soviel nachzusetzen, als erforderlich war, +um nicht bloss den Mut, sondern die Mauern der maechtigen Phoenikerstadt zu +brechen, ist eine andere Frage, welche in dem einen oder dem andern Sinn zu +beantworten jetzt niemand wagen kann. +</p> + +<p> +Schliesslich uebertrug man die Erledigung der wichtigen Frage einer Kommission, +die in Sizilien an Ort und Stelle entscheiden sollte. Sie bestaetigte im +wesentlichen den Entwurf; nur ward die fuer die Kriegskosten von Karthago zu +zahlende Summe erhoeht auf 3200 Talente (5½ Mill. Taler), davon ein Drittel +gleich, der Rest in zehn Jahreszielern zu entrichten. Wenn ausser der Abtretung +von Sizilien auch noch die der Inseln zwischen Italien und Sizilien in den +definitiven Traktat aufgenommen ward, so kann hierin nur eine redaktionelle +Veraenderung gefunden werden; denn dass Karthago, wenn es Sizilien hingab, sich +die laengst von der roemischen Flotte besetzte Insel Lipara nicht konnte +vorbehalten wollen, versteht sich von selbst, und dass man mit Ruecksicht auf +Sardinien und Korsika absichtlich eine zweideutige Bestimmung in den Vertrag +gesetzt habe, ist ein unwuerdiger und unwahrscheinlicher Verdacht. +</p> + +<p> +So war man endlich einig. Der unbesiegte Feldherr einer ueberwundenen Nation +stieg herab von seinen langverteidigten Bergen und uebergab den neuen Herren +der Insel die Festungen, die die Phoeniker seit wenigstens vierhundert Jahren +in ununterbrochenem Besitz gehabt hatten und von deren Mauern alle Stuerme der +Hellenen erfolglos abgeprallt waren. Der Westen hatte Frieden (513 241). +</p> + +<p> +Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem Kampfe, welcher die roemische +Grenze vorrueckte ueber den Meeresring, der die Halbinsel einfasst. Es ist +einer der laengsten und schwersten, welchen die Roemer gefuehrt haben; die +Soldaten, welche die entscheidende Schlacht schlugen, waren, als er begann, zum +guten Teil noch nicht geboren. Dennoch und trotz der unvergleichlich +grossartigen Momente, die er darbietet, ist kaum ein anderer Krieg zu nennen, +den die Roemer militaerisch sowohl wie politisch so schlecht und so unsicher +gefuehrt haben. Es konnte das kaum anders sein; er steht inmitten eines +Wechsels der politischen Systeme, zwischen der nicht mehr ausreichenden +italischen Politik und der noch nicht gefundenen des Grossstaats. Der roemische +Senat und das roemische Kriegswesen waren unuebertrefflich organisiert fuer die +rein italische Politik. Die Kriege, welche diese hervorrief, waren reine +Kontinentalkriege und ruhten stets auf der in der Mitte der Halbinsel gelegenen +Hauptstadt als der letzten Operationsbasis und demnaechst auf der roemischen +Festungskette. Die Aufgaben waren vorzugsweise taktisch, nicht strategisch; +Maersche und Operationen zaehlten nur an zweiter Stelle, an erster die +Schlachten; der Festungskrieg war in der Kindheit; die See und der Seekrieg +kamen kaum einmal beilaeufig in Betracht. Es ist begreiflich, zumal wenn man +nicht vergisst, dass in den damaligen Schlachten bei dem Vorherrschen der +blanken Waffe wesentlich das Handgemenge entschied, dass eine Ratsversammlung +diese Operationen zu dirigieren und wer eben Buergermeister war, die Truppen zu +befehligen imstande war. Auf einen Schlag war das alles umgewandelt. Das +Schlachtfeld dehnte sich aus in unabsehbare Ferne, in unbekannte Landstriche +eines andern Erdteils hinein und hinaus ueber weite Meeresflaechen; jede Welle +war dem Feinde eine Strasse, von jedem Hafen konnte man seinen Anmarsch +erwarten. Die Belagerung der festen Plaetze, namentlich der Kuestenfestungen, +an der die ersten Taktiker Griechenlands gescheitert waren, hatten die Roemer +jetzt zum erstenmal zu versuchen. Man kam nicht mehr aus mit dem Landheer und +mit dem Buergermilizwesen. Es galt, eine Flotte zu schaffen und, was +schwieriger war, sie zu gebrauchen, es galt, die wahren Angriffs- und +Verteidigungspunkte zu finden, die Massen zu vereinigen und zu richten, auf +lange Zeit und weite Ferne die Zuege zu berechnen und ineinanderzupassen; +geschah dies nicht, so konnte auch der taktisch weit schwaechere Feind leicht +den staerkeren Gegner besiegen. Ist es ein Wunder, dass die Zuegel eines +solchen Regiments der Ratversammlung und den kommandierenden Buergermeistern +entschluepften? +</p> + +<p> +Offenbar wusste man beim Beginn des Krieges nicht, was man begann; erst im +Laufe des Kampfes draengten die Unzulaenglichkeiten des roemischen Systems eine +nach der anderen sich auf: der Mangel einer Seemacht, das Fehlen einer festen +militaerischen Leitung, die Unzulaenglichkeit der Feldherren, die vollstaendige +Unbrauchbarkeit der Admirale. Zum Teil half man ihnen ab durch Energie und +durch Glueck; so dem Mangel einer Flotte. Aber auch diese gewaltige Schoepfung +war ein grossartiger Notbehelf und ist es zu allen Zeiten geblieben. Man +bildete eine roemische Flotte, aber man nationalisierte sie nur dem Namen nach +und behandelte sie stets stiefmuetterlich: der Schiffsdienst blieb gering +geschaetzt neben dem hochgeehrten Dienst in den Legionen, die Seeoffiziere +waren grossenteils italische Griechen, die Bemannung Untertanen oder gar +Sklaven und Gesindel. Der italische Bauer war und blieb wasserscheu; unter den +drei Dingen, die Cato in seinem Leben bereute, war das eine, dass er einmal zu +Schiff gefahren sei, wo er zu Fuss habe gehen koennen. Es lag dies zum Teil +wohl in der Natur der Sache, da die Schiffe Rudergaleeren waren und der +Ruderdienst kaum geadelt werden kann; allein, eigene Seelegionen wenigstens +haette man bilden und auf die Errichtung eines roemischen Seeoffizierstandes +hinwirken koennen. Man haette, den Impuls der Nation benutzend, allmaehlich +darauf ausgehen sollen, eine nicht bloss durch die Zahl, sondern durch +Segelfaehigkeit und Routine bedeutende Seemacht herzustellen, wozu in dem +waehrend des langen Krieges entwickelten Kaperwesen ein wichtiger Anfang schon +gemacht war; allein es geschah nichts derart von der Regierung. Dennoch ist das +roemische Flottenwesen in seiner unbehilflichen Grossartigkeit noch die +genialste Schoepfung dieses Krieges und hat wie im Anfang so zuletzt fuer Rom +den Ausschlag gegeben. Viel schwieriger zu ueberwinden waren diejenigen +Maengel, die sich ohne Aenderung der Verfassung nicht beseitigen liessen. Dass +der Senat je nach dem Stande der in ihm streitenden Parteien von einem System +der Kriegfuehrung zum andern absprang und so unglaubliche Fehler beging, wie +die Raeumung von Clupea und die mehrmalige Einziehung der Flotte waren; dass +der Feldherr des einen Jahres sizilische Staedte belagerte und sein Nachfolger, +statt dieselben zur Uebergabe zu zwingen, die afrikanische Kueste brandschatzte +oder ein Seetreffen zu liefern fuer gut fand; dass ueberhaupt der Oberbefehl +jaehrlich von Rechts wegen wechselte - das alles liess sich nicht abstellen, +ohne Verfassungsfragen anzuregen, deren Loesung schwieriger war als der Bau +einer Flotte, aber freilich ebensowenig zu vereinigen mit den Forderungen eines +solchen Krieges. Vor allen Dingen aber wusste niemand noch in die neue +Kriegfuehrung sich zu finden, weder der Senat noch die Feldherren. +Regulus’ Feldzug ist ein Beispiel davon, wie seltsam man in dem Gedanken +befangen war, dass die taktische Ueberlegenheit alles entscheide. Es gibt nicht +leicht einen Feldherrn, dem das Glueck so wie ihm die Erfolge in den Schoss +geworfen hat; er stand im Jahr 498 (256) genau da, wo fuenfzig Jahre spaeter +Scipio, nur dass ihm kein Hannibal und keine erprobte feindliche Armee +gegenueberstand. Allein der Senat zog die halbe Armee zurueck, sowie man sich +von der taktischen Ueberlegenheit der Roemer ueberzeugt hatte; im blinden +Vertrauen auf diese blieb der Feldherr stehen, wo er eben stand, um +strategisch, und nahm er die Schlacht an, wo man sie ihm anbot, um auch +taktisch sich ueberwinden zu lassen. Es war dies um so bezeichnender, als +Regulus in seiner Art ein tuechtiger und erprobter Feldherr war. Eben die +Bauernmanier, durch die Etrurien und Samnium genommen worden waren, war die +Ursache der Niederlage in der Ebene von Tunes. Der in seinem Bereiche ganz +richtige Satz, dass jeder rechte Buergersmann zum General tauge, war irrig +geworden; in dem neuen Kriegssystem konnte man nur Feldherren von +militaerischer Schule und militaerischem Blicke brauchen, und das freilich war +nicht jeder Buergermeister. Noch viel aerger aber war es, dass man das +Oberkommando der Flotte als eine Dependenz des Oberbefehls der Landarmee +behandelte und der erste beste Stadtvorsteher meinte, nicht bloss General, +sondern auch Admiral spielen zu koennen. An den schlimmsten Niederlagen, die +Rom in diesem Krieg erlitten hat, sind nicht die Stuerme schuld und noch +weniger die Karthager, sondern der anmassliche Unverstand seiner +Buergeradmirale. +</p> + +<p> +Rom hat endlich gesiegt; aber das Bescheiden mit einem weit geringeren Gewinn, +als er zu Anfang gefordert, ja geboten worden war, sowie die energische +Opposition, auf welche in Rom der Friede stiess, bezeichnen sehr deutlich die +Halbheit und die Oberflaechlichkeit des Sieges wie des Friedens; und wenn Rom +gesiegt hat, so verdankt es diesen Sieg zwar auch der Gunst der Goetter und der +Energie seiner Buerger, aber mehr als beiden den die Maengel der roemischen +Kriegfuehrung noch weit uebertreffenden Fehlern seiner Feinde. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap03"></a>KAPITEL III.<br/> +Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen</h2> + +<p> +Die italische Eidgenossenschaft, wie sie aus den Krisen des fuenften +Jahrhunderts hervorgegangen war, oder der Staat Italien vereinigte unter +roemischer Hegemonie die Stadt- und Gaugemeinden vom Apennin bis an das +Ionische Meer. Allein bevor noch das fuenfte Jahrhundert zu Ende ging, waren +diese Grenzen bereits nach beiden Seiten hin ueberschritten, waren jenseits des +Apennin wie jenseits des Meeres italische, der Eidgenossenschaft angehoerige +Gemeinden entstanden. Im Norden hatte die Republik, alte und neue Unbill zu +raechen, bereits im Jahre 471 (283) die keltischen Senonen vernichtet, im +Sueden in dem grossen Kriege 490-513 (264-241) die Phoeniker von der +sizilischen Insel verdraengt. Dort gehoerte ausser der Buergeransiedlung Sena +namentlich die latinische Stadt Ariminum, hier die Mamertinergemeinde in +Messana zu der von Rom geleiteten Verbindung, und wie beide national italischen +Ursprungs waren, so hatten auch beide teil an den gemeinen Rechten und +Pflichten der italischen Eidgenossenschaft. Es mochten mehr die augenblicklich +draengenden Ereignisse als eine umfassende politische Berechnung diese +Erweiterungen hervorgerufen haben; aber begreiflicherweise brach wenigstens +jetzt, nach den grossen, gegen Karthago erstrittenen Erfolgen, bei der +roemischen Regierung eine neue und weitere politische Idee sich Bahn, welche +die natuerliche Beschaffenheit der Halbinsel ohnehin schon nahe genug legte. +Politisch und militaerisch war es wohl gerechtfertigt, die Nordgrenze von dem +niedrigen und leicht zu ueberschreitenden Apennin an die maechtige Scheidewand +Nord- und Suedeuropas, die Alpen, zu verlegen und mit der Herrschaft ueber +Italien die ueber die Meere und Inseln im Westen und Osten der Halbinsel zu +vereinigen; und nachdem durch die Vertreibung der Phoeniker aus Sizilien der +schwerste Teil getan war, vereinigten sich mancherlei Umstaende, um der +roemischen Regierung die Vollendung des Werkes zu erleichtern. +</p> + +<p> +In der Westsee, die fuer Italien bei weitem mehr in Betracht kam als das +Adriatische Meer, war die wichtigste Stellung, die grosse fruchtbare und +hafenreiche Insel Sizilien, durch den karthagischen Frieden zum groesseren Teil +in den Besitz der Roemer uebergegangen. Koenig Hieron von Syrakus, der in den +letzten zweiundzwanzig Kriegsjahren unerschuetterlich an dem roemischen +Buendnis festgehalten hatte, haette auf eine Gebietserweiterung billigen +Anspruch gehabt; allein wenn die roemische Politik den Krieg in dem Entschluss +begonnen hatte, nur sekundaere Staaten auf der Insel zu dulden, so ging bei +Beendigung desselben ihre Absicht entschieden schon auf den Eigenbesitz +Siziliens. Hieron mochte zufrieden sein, dass ihm sein Gebiet - das heisst +ausser dem unmittelbaren Bezirk von Syrakus die Feldmarken von Eloros, Neeton, +Akrae, Leontini, Megara und Tauromenion - und seine Selbstaendigkeit gegen das +Ausland, in Ermangelung jeder Veranlassung, ihm diese zu schmaelern, beides im +bisherigen Umfang gelassen ward, und dass der Krieg der beiden Grossmaechte +nicht mit dem voelligen Sturz der einen oder der anderen geendigt hatte und +also fuer die sizilische Mittelmacht wenigstens noch die Moeglichkeit des +Bestehens blieb. In dem uebrigen bei weitem groesseren Teile Siziliens, in +Panormos, Lilybaeon, Akragas, Messana, richteten die Roemer sich haeuslich ein. +Sie bedauerten nur, dass der Besitz des schoenen Eilandes doch nicht +ausreichte, um die westliche See in ein roemisches Binnenmeer zu verwandeln, +solange noch Sardinien karthagisch blieb. Da eroeffnete sich bald nach dem +Friedensschluss eine unerwartete Aussicht, auch diese zweite Insel des +Mittelmeeres den Karthagern zu entreissen. In Afrika hatten unmittelbar nach +dem Abschluss des Friedens mit Rom die Soeldner und die Untertanen +gemeinschaftlich gegen die Phoeniker sich empoert. Die Schuld der gefaehrlichen +Insurrektion trug wesentlich die karthagische Regierung. Hamilkar hatte in den +letzten Kriegsjahren seinen sizilischen Soeldnern den Sold nicht wie frueher +aus eigenen Mitteln auszahlen koennen und vergeblich Geldsendungen von daheim +erbeten; er moege, hiess es, die Mannschaft nur zur Abloehnung nach Afrika +senden. Er gehorchte, aber da er die Leute kannte, schiffte er sie vorsichtig +in kleineren Abteilungen ein, damit man sie truppweise abloehnen oder +mindestens auseinanderlegen koenne, und legte selber hierauf den Oberbefehl +nieder. Allein alle Vorsicht scheiterte, nicht so sehr an den leeren Kassen als +an dem kollegialischen Geschaeftsgang und dem Unverstand der Buerokratie. Man +wartete, bis das gesamte Heer wieder in Libyen vereinigt stand und versuchte +dann, den Leuten an dem versprochenen Solde zu kuerzen. Natuerlich entstand +eine Meuterei unter den Truppen, und das unsichere und feige Benehmen der +Behoerden zeigte den Meuterern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen +waren gebuertig aus den von Karthago beherrschten oder abhaengigen Distrikten; +sie kannten die Stimmung, welche die von der Regierung dekretierte +Schlaechterei nach dem Zuge des Regulus und der fuerchterliche Steuerdruck dort +ueberall hervorgerufen hatten, und kannten auch ihre Regierung, die nie Wort +hielt und nie verzieh: sie wussten, was ihrer wartete, wenn sie mit dem +meuterisch erpressten Solde sich nach Hause zerstreuten. Seit langem hatte man +in Karthago sich die Mine gegraben und bestellte jetzt selbst die Leute, die +nicht anders konnten, als sie anzuenden. Wie ein Lauffeuer ergriff die +Revolution Besatzung um Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen trugen +ihren Schmuck herbei, um den Soeldnern die Loehnung zu zahlen; eine Menge +karthagischer Buerger, darunter einige der ausgezeichnetsten Offiziere des +sizilischen Heeres, wurden das Opfer der erbitterten Menge; schon war Karthago +von zwei Seiten belagert und das aus der Stadt ausrueckende karthagische Heer +durch die Verkehrtheit des ungeschickten Fuehrers gaenzlich geschlagen. +</p> + +<p> +Wie man also in Rom den gehassten und immer noch gefuerchteten Feindin +groesserer Gefahr schweben sah, als je die roemischen Kriege ueber ihn gebracht +hatten, fing man an, mehr und mehr den Friedensschluss von 513 (241) zu +bereuen, der, wenn er nicht wirklich voreilig war, jetzt wenigstens allen +voreilig erschien, und zu vergessen, wie erschoepft damals der eigene Staat +gewesen war, wie maechtig der karthagische damals dagestanden hatte. Die Scham +verbot zwar, mit den karthagischen Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja +man gestattete den Karthagern ausnahmsweise, zu diesem Krieg in Italien +Werbungen zu veranstalten, und untersagte den italischen Schiffern, mit den +Libyern zu verkehren. Indes darf bezweifelt werden, ob es der Regierung von Rom +mit diesen bundesfreundlichen Verfuegungen sehr ernst war. Denn als +nichtsdestoweniger der Verkehr der afrikanischen Insurgenten mit den roemischen +Schiffern fortging und Hamilkar, den die aeusserste Gefahr wieder an die Spitze +der karthagischen Armee zurueckgefuehrt hatte, eine Anzahl dabei betroffener +italischer Kapitaene aufgriff und einsteckte, verwandte sich der Senat fuer +dieselben bei der karthagischen Regierung und bewirkte ihre Freigebung. Auch +die Insurgenten selbst schienen in den Roemern ihre natuerlichen Bundesgenossen +zu erkennen; die sardinischen Besatzungen, welche gleich der uebrigen +karthagischen Armee sich fuer die Aufstaendischen erklaert hatten, boten, als +sie sich ausserstande sahen, die Insel gegen die Angriffe der unbezwungenen +Gebirgsbewohner aus dem Innern zu halten, den Besitz derselben den Roemern an +(um 515 239); und aehnliche Anerbietungen kamen sogar von der Gemeinde Utica, +welche ebenfalls an dem Aufstand teilgenommen hatte und nun durch die Waffen +Hamilkars aufs aeusserste bedraengt ward. Das letztere Anerbieten wies man in +Rom zurueck, hauptsaechlich wohl, weil es ueber die natuerlichen Grenzen +Italiens hinaus und also weitergefuehrt haben wuerde, als die roemische +Regierung damals zu gehen gedachte; dagegen ging sie auf die Anerbietungen der +sardinischen Meuterer ein und uebernahm von ihnen, was von Sardinien in den +Haenden der Karthager gewesen war (516 238). Mit schwererem Gewicht als in der +Angelegenheit der Mamertiner trifft die Roemer hier der Tadel, dass die grosse +und siegreiche Buergerschaft es nicht verschmaehte, mit dem feilen +Soeldnergesindel Bruederschaft zu machen und den Raub zu teilen, und es nicht +ueber sich gewann, dem Gebote des Rechtes und der Ehre den augenblicklichen +Gewinn nachzusetzen. Die Karthager, deren Bedraengnis eben um die Zeit der +Besetzung Sardiniens aufs hoechste gestiegen war, schwiegen vorlaeufig ueber +die unbefugte Vergewaltigung; nachdem indes diese Gefahr wider Erwarten und +wahrscheinlich wider Verhoffen der Roemer durch Hamilkars Genie abgewendet und +Karthago in Afrika wieder in seine volle Herrschaft eingesetzt worden war (517 +237), erschienen sofort in Rom karthagische Gesandte, um die Rueckgabe +Sardiniens zu fordern. Allein die Roemer, nicht geneigt, den Raub wieder +herauszugeben, antworteten mit nichtigen oder doch nicht hierher gehoerenden +Beschwerden ueber allerlei Unbill, die die Karthager roemischen Handelsleuten +zugefuegt haben sollten, und eilten, den Krieg zu erklaeren ^1; der Satz, dass +in der Politik jeder darf, was er kann, trat hervor in seiner unverhuellten +Schamlosigkeit. Die gerechte Erbitterung hiess die Karthager, den gebotenen +Krieg annehmen; haette Catulus fuenf Jahre zuvor auf Sardiniens Abtretung +bestanden, der Krieg wuerde wahrscheinlich seinen Fortgang gehabt haben. Allein +jetzt, wo beide Inseln verloren, Libyen in Gaerung, der Staat durch den +vierundzwanzigjaehrigen Krieg mit Rom und den fast fuenfjaehrigen entsetzlichen +Buergerkrieg aufs aeusserste geschwaecht war, musste man wohl sich fuegen. Nur +auf wiederholte flehentliche Bitten und nachdem die Phoeniker sich verpflichtet +hatten, fuer die mutwillig veranlassten Kriegsruestungen eine Entschaedigung +von 1200 Talenten (2 Mill. Taler) nach Rom zu zahlen, standen die Roemer +widerwillig vom Kriege ab. So erwarb Rom fast ohne Kampf Sardinien, wozu man +Korsika fuegte, die alte etruskische Besitzung, in der vielleicht noch vom +letzten Kriege her einzelne roemische Besatzungen standen. Indes beschraenkten +die Roemer, eben wie es die Phoeniker getan hatten, sich in Sardinien und mehr +noch in dem rauhen Korsika auf die Besetzung der Kuesten. Mit den Eingeborenen +im Innern fuehrte man bestaendige Kriege, oder vielmehr man trieb dort die +Menschenjagd: man hetzte sie mit Hunden und fuehrte die gefangene Ware auf den +Sklavenmarkt, aber an eine ernstliche Unterwerfung ging man nicht. Nicht um +ihrer selbst willen hatte man die Inseln besetzt, sondern zur Sicherung +Italiens. Seit sie die drei grossen Eilande besass, konnte die +Eidgenossenschaft das Tyrrhenische Meer das ihrige nennen. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Dass die Abtretung der zwischen Sizilien und Italien liegenden Inseln, die +der Friede von 513 (241) den Karthagern vorschrieb, die Abtretung Sardiniens +nicht einschloss, ist ausgemacht (vgl. 2, 60); es ist aber auch schlecht +beglaubigt, dass die Roemer die Besetzung der Insel drei Jahre nach dem Frieden +damit motivierten. Haetten sie es getan, so wuerden sie bloss der politischen +Schamlosigkeit eine diplomatische Albernheit hinzugefuegt haben. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Die Gewinnung der Inseln in der italischen Westsee fuehrte in das roemische +Staatswesen einen Gegensatz ein, der zwar allem Anschein nach aus blossen +Zweckmaessigkeitsruecksichten und fast zufaellig entstanden, aber darum nicht +minder fuer die ganze Folgezeit von der tiefsten Bedeutung geworden ist; den +Gegensatz der festlaendischen und der ueberseeischen Verwaltungsform oder, um +die spaeter gelaeufigen Bezeichnungen zu brauchen, den Gegensatz Italiens und +der Provinzen. Bis dahin hatten die beiden hoechsten Beamten der Gemeinde, die +Konsuln, einen gesetzlich abgegrenzten Sprengel nicht gehabt, sondern ihr +Amtsbezirk sich soweit erstreckt wie ueberhaupt das roemische Regiment; wobei +es sich natuerlich von selbst versteht, dass sie faktisch sich in das +Amtsgebiet teilten, und ebenso sich von selbst versteht, dass sie in jedem +einzelnen Bezirk ihres Sprengels durch die dafuer bestehenden Bestimmungen +gebunden waren, also zum Beispiel die Gerichtsbarkeit ueber roemische Buerger +ueberall dem Praetor zu ueberlassen und in den latinischen und sonst autonomen +Gemeinden die bestehenden Vertraege einzuhalten hatten. Die seit 487 (267) +durch Italien verteilten vier Quaestoren beschraenkten die konsularische +Amtsgewalt formell wenigstens nicht, indem sie in Italien ebenso wie in Rom +lediglich als von den Konsuln abhaengige Hilfsbeamte betrachtet wurden. Man +scheint diese Verwaltungsweise anfaenglich auch auf die Karthago abgenommenen +Gebiete erstreckt und Sizilien wie Sardinien einige Jahre durch Quaestoren +unter Oberaufsicht der Konsuln regiert zu haben; allein sehr bald wusste man +sich praktisch von der Unentbehrlichkeit eigener Oberbehoerden fuer die +ueberseeischen Landschaften ueberzeugen. Wie man die Konzentrierung der +roemischen Jurisdiktion in der Person des Praetors bei der Erweiterung der +Gemeinde hatte aufgeben und in die entfernteren Bezirke stellvertretende +Gerichtsherren hatte senden muessen, ebenso masste jetzt (527 227) auch die +administrativ-militaerische Konzentration in der Person der Konsuln aufgegeben +werden. Fuer jedes der neuen ueberseeischen Gebiete, sowohl fuer Sizilien wie +fuer Sardinien nebst Korsika, ward ein besonderer Nebenkonsul eingesetzt, +welcher an Rang und Titel dem Konsul nach- und dem Praetor gleichstand, +uebrigens aber, gleich dem Konsul der aelteren Zeit vor Einsetzung der Praetur, +in seinem Sprengel zugleich Oberfeldherr, Oberamtmann und Oberrichter war. Nur +die unmittelbare Kassenverwaltung ward wie von Haus aus den Konsuln, so auch +diesen neuen Oberbeamten entzogen und ihnen ein oder mehrere Quaestoren +zugegeben, die zwar in alle Wege ihnen untergeordnet und in der Rechtspflege +wie im Kommando ihre Gehilfen waren, aber doch die Kassenverwaltung zu fuehren +und darueber nach Niederlegung ihres Amtes dem Senat Rechnung zu legen hatten. +</p> + +<p> +Diese Verschiedenheit in der Oberverwaltung schied wesentlich die +ueberseeischen Besitzungen Roms von den festlaendischen. Die Grundsaetze, nach +denen Rom die abhaengigen Landschaften in Italien organisiert hatte, wurden +grossenteils auch auf die ausseritalischen Besitzungen uebertragen. Dass die +Gemeinden ohne Ausnahme die Selbstaendigkeit dem Auslands gegenueber verloren, +versteht sich von selbst. Was den inneren Verkehr anlangt, so durfte fortan +kein Provinziale ausserhalb seiner eigenen Gemeinde in der Provinz rechtes +Eigentum erwerben, vielleicht auch nicht eine rechte Ehe schliessen. Dagegen +gestattete die roemische Regierung wenigstens den sizilischen Staedten, die man +nicht zu fuerchten hatte, eine gewisse foederative Organisation und wohl selbst +allgemeine sikeliotische Landtage mit einem unschaedlichen Petitions- und +Beschwerderecht ^2. Im Muenzwesen war es zwar nicht wohl moeglich, das +roemische Courant sofort auch auf den Inseln zum allein gueltigen zu erklaeren; +aber gesetzlichen Kurs scheint dasselbe doch von vornherein erhalten zu haben +und ebenso, wenigstens in der Regel, den Staedten im roemischen Sizilien das +Recht, in edlen Metallen, zu muenzen, entzogen worden zu sein ^3. Dagegen blieb +nicht bloss das Grundeigentum in ganz Sizilien unangetastet - der Satz, dass +das ausseritalische Land durch Kriegsrecht den Roemern zu Privateigentum +verfallen sei, war diesem Jahrhundert noch unbekannt -, sondern es behielten +auch die saemtlichen sizilischen und sardinischen Gemeinden die +Selbstverwaltung und eine gewisse Autonomie, die freilich nicht in +rechtsverbindlicher Weise ihnen zugesichert, sondern provisorisch zugelassen +ward. Wenn die demokratischen Gemeindeverfassungen ueberall beseitigt und in +jeder Stadt die Macht in die Haende des die staedtische Aristokratie +repraesentierenden Gemeinderates gelegt ward; wenn ferner wenigstens die +sizilischen Gemeinden angewiesen wurden, jedes fuenfte Jahr dem roemischen +Zensus korrespondierend eine Gemeindeschaetzung zu veranstalten, so war beides +nur eine notwendige Folge der Unterordnung unter den roemischen Senat, welcher +mit griechischen Ekklesien und ohne Uebersicht der finanziellen und +militaerischen Hilfsmittel einer jeden abhaengigen Gemeinde in der Tat nicht +regieren konnte; und auch in den italischen Landschaften war in dieser wie in +jener Hinsicht das gleiche geschehen. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^2 Dahin fuehren teils das Auftretender “Siculer” gegen Marcellus +(Liv. 26, 26 f.), teils die “Gesamteingaben aller sizilischen +Gemeinden” (Cic. Verr. 2, 42, 102; 45, 114; 50,146; 3, 88, 204), teils +bekannte Analogien (Marquardt, Landbuch Bd. 3 1, S. 267). Aus dem mangelnden +commercium zwischen den einzelnen Staedten folgt der Mangel des concilium noch +keineswegs. +</p> + +<p> +^3 So streng wie in Italien ward das Gold- und Silbermuenzrecht in den +Provinzen nicht von Rom monopolisiert, offenbar weil auf das nicht auf +roemischen Fuss geschlagene Gold- und Silbergeld es weniger ankam. Doch sind +unzweifelhaft auch hier die Praegstaetten in der Regel auf Kupfer- oder +hoechstens silberne Kleinmuenze beschraenkt worden; eben die am besten +gestellten Gemeinden des roemischen Sizilien, wie die Mamertiner, die +Kentoripiner, die Halaesiner, die Segestaner, wesentlich auch die Panormitaner +haben nur Kupfer geschlagen. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Aber neben dieser wesentlichen Rechtsgleichheit stellte sich zwischen den +italischen einer- und den ueberseeischen Gemeinden andererseits ein +folgenreicher Unterschied fest. Waehrend die mit den italischen Staedten +abgeschlossenen Vertraege denselben ein festes Kontingent zu dem Heer oder der +Flotte der Roemer auferlegten, wurden den ueberseeischen Gemeinden, mit denen +eine bindende Paktierung ueberhaupt nicht eingegangen ward, dergleichen Zuzug +nicht auferlegt, sondern sie verloren das Waffenrecht ^4, nur dass sie nach +Aufgebot des roemischen Praetors zur Verteidigung ihrer eigenen Heimat +verwendet werden konnten. Die roemische Regierung sandte regelmaessig italische +Truppen in der von ihr festgesetzten Staerke auf die Inseln; dafuer wurde der +Zehnte der sizilischen Feldfruechte und ein Zoll von fuenf Prozent des Wertes +aller in den sizilischen Haefen aus- und eingehenden Handelsartikel nach Rom +entrichtet. Den Insulanern waren diese Abgaben nichts Neues. Die Abgaben, +welche die karthagische Republik und der persische Grosskoenig sich zahlen +liessen, waren jenem Zehnten wesentlich gleichartig; und auch in Griechenland +war eine solche Besteuerung nach orientalischem Muster von jeher mit der +Tyrannis und oft auch mit der Hegemonie verknuepft gewesen. Die Sizilianer +hatten laengst in dieser Weise den Zehnten entweder nach Syrakus oder nach +Karthago entrichtet und laengst auch die Hafenzoelle nicht mehr fuer eigene +Rechnung erhoben. “Wir haben”, sagt Cicero, “die sizilischen +Gemeinden also in unsere Klientel und in unseren Schutz aufgenommen, dass sie +bei dem Rechte blieben, nach welchem sie bisher gelebt hatten, und unter +denselben Verhaeltnissen der roemischen Gemeinde gehorchten, wie sie bisher +ihren eigenen Herren gehorcht hatten.” Es ist billig, dies nicht zu +vergessen; aber im Unrecht fortfahren heisst auch Unrecht tun. Nicht fuer die +Untertanen, die nur den Herrn wechselten, aber wohl fuer ihre neuen Herren war +das Aufgeben des ebenso weisen wie grossherzigen Grundsatzes der roemischen +Staatsordnung, von den Untertanen nur Kriegshilfe und nie statt derselben +Geldentschaedigung anzunehmen, von verhaengnisvoller Bedeutung, gegen die alle +Milderungen in den Ansaetzen und der Erhebungsweise sowie alle Ausnahmen im +einzelnen verschwanden. Solche Ausnahmen wurden allerdings mehrfach gemacht. +Messana trat geradezu in die Eidgenossenschaft der Togamaenner ein und stellte +wie die griechischen Staedte in Italien sein Kontingent zu der roemischen +Flotte. Einer Reihe anderer Staedte wurde zwar nicht der Eintritt in die +italische Wehrgenossenschaft, aber ausser anderen Beguenstigungen Freiheit von +Steuer und Zehnten zugestanden, so dass ihre Stellung in finanzieller Hinsicht +selbst noch guenstiger war als die der italischen Gemeinden. Es waren dies +Egesta und Halikyae, welche zuerst unter den Staedten des karthagischen +Sizilien zum roemischen Buendnis uebergetreten waren; Kentoripa im oestlichen +Binnenland, das bestimmt war, das syrakusanische Gebiet in naechster Naehe zu +ueberwachen ^5; an der Nordkueste Halaesa, das zuerst von den freien +griechischen Staedten den Roemern sich angeschlossen hatte; und vor allem +Panormos, bisher die Hauptstadt des karthagischen Sizilien und jetzt bestimmt, +die des roemischen zu werden. Den alten Grundsatz ihrer Politik, die +abhaengigen Gemeinden in sorgfaeltig abgestufte Klassen verschiedenen Rechts zu +gliedern, wandten die Roemer also auch auf Sizilien an; aber durchschnittlich +standen die sizilischen und sardinischen Gemeinden nicht im +bundesgenoessischen, sondern in dem offenkundigen Verhaeltnis steuerpflichtiger +Untertaenigkeit. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Darauf geht Hierons Aeusserung (Liv. 22, 37): es sei ihm bekannt, dass die +Roemer sich keiner anderen Infanterie und Reiterei als roemischer oder +latinischer bedienten und “Auslaender” nur hoechstens unter den +Leichtbewaffneten verwendeten. +</p> + +<p> +^5 Das zeigt schon ein Blick auf die Karte, aber ebenso die merkwuerdige +Bestimmung, dass es den Kentoripinern ausnahmsweise gestattet blieb, sich in +ganz Sizilien anzukaufen. Sie bedurften als roemische Aufpasser der freiesten +Bewegung. Uebrigens scheint Kentoripa auch unter den ersten zu Rom +uebergetretenen Staedten gewesen zu sein (Diod. 1, 23 p. 501). +</p> + +<p> +————————————————————————— +</p> + +<p> +Allerdings fiel dieser tiefgreifende Gegensatz zwischen den zuzug- und den +steuer- oder doch wenigstens nicht zuzugpflichtigen Gemeinden mit dem Gegensatz +zwischen Italien und den Provinzen nicht in rechtlich notwendiger Weise +zusammen. Es konnten auch ueberseeische Gemeinden der italischen +Eidgenossenschaft angehoeren, wie denn die Mamertiner mit den italischen +Sabellern wesentlich auf einer Linie standen, und selbst der Neugruendung von +Gemeinden latinischen Rechts stand in Sizilien und Sardinien rechtlich so wenig +etwas im Wege wie in dem Lande jenseits des Apennin. Es konnten auch +festlaendische Gemeinden des Waffenrechts entbehren und tributaer sein, wie +dies fuer einzelne keltische Distrikte am Po wohl schon jetzt galt und spaeter +in ziemlich ausgedehntem Umfange eingefuehrt ward. Allein der Sache nach +ueberwogen die zuzugpflichtigen Gemeinden ebenso entschieden auf dem Festlande +wie die steuerpflichtigen auf den Inseln; und waehrend weder in dem hellenisch +zivilisierten Sizilien noch auf Sardinien italische Ansiedelungen +roemischerseits beabsichtigt wurden, stand es bei der roemischen Regierung ohne +Zweifel schon jetzt fest, das barbarische Land zwischen Apennin und Alpen nicht +bloss sich zu unterwerfen, sondern auch, wie die Eroberung fortschritt, dort +neue Gemeinden italischen Ursprungs und italischen Rechts zu konstituieren. +Also wurden die ueberseeischen Besitzungen nicht bloss Untertanenland, sondern +sie waren auch bestimmt, es fuer alle Zukunft zu bleiben; dagegen der neu +abgegrenzte gesetzliche Amtsbezirk der Konsuln oder, was dasselbe ist, das +festlaendische roemische Gebiet sollte ein neues und weiteres Italien werden, +das von den Alpen bis zum Ionischen Meere reichte. Vorerst freilich fiel dies +Italien als wesentlich geographischer Begriff mit dem politischen der +italischen Eidgenossenschaft nicht durchaus zusammen und war teils weiter, +teils enger. Aber schon jetzt betrachtete man den ganzen Raum bis zur +Alpengrenze als Italia, das heisst als gegenwaertiges oder kuenftiges Gebiet +der Togatraeger und steckte, aehnlich wie es in Nordamerika geschah und +geschieht, die Grenze vorlaeufig geographisch ab, um sie mit der weiter +vorschreitenden Kolonisierung allmaehlich auch politisch vorzuschieben ^6. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^6 Dieser Gegensatz zwischen Italien als dem roemischen Festland oder dem +konsularischen Sprengel einer- und dem ueberseeischen Gebiet oder den +Praetorensprengeln andererseits erscheint schon im sechsten Jahrhundert in +mehrfachen Anwendungen. Die Religionsvorschrift, dass gewisse Priester Rom +nicht verlassen durften (Val. Max. 1, 1, 2), ward dahin ausgelegt, dass es +ihnen nicht gestattet sei, das Meer zu ueberschreiten (Liv. ep. 19; 36; 51; +Tac. ann. 3, 58; 71; Cic. Phil. 11, 8; 18; vgl. Liv. 28, 38; 44; ep. 59). +Bestimmter noch gehoert hierher die Auslegung, welche von der alten Vorschrift, +dass der Konsul nur “auf roemischem Boden” den Diktator ernennen +duerfe, im Jahre 544 vorgetragen wird: der roemische Boden begreife ganz +Italien in sich (Liv. 27, 5). Die Einrichtung des keltischen Landes zwischen +den Alpen und dem Apennin zu einem eigenen, vom konsularischen verschiedenen +und einem besonderen staendigen Oberbeamten unterworfenen Sprengel gehoert erst +Sulla an. Es wird natuerlich dagegen niemand geltend machen, dass schon im +sechsten Jahrhundert sehr haeufig Gallia oder Ariminum als +“Amtsbezirk” (provincia) gewoehnlich eines der Konsuln genannt +wird. Provincia ist bekanntlich in der aelteren Sprache nicht, was es spaeter +allein bedeutet, ein raeumlich abgegrenzter, einem staendigen Oberbeamten +unterstellter Sprengel, sondern die fuer den einzelnen Konsul zunaechst durch +Uebereinkommen mit seinem Kollegen unter Mitwirkung des Senats festgestellte +Kompetenz; und in diesem Sinn sind haeufig einzelne norditalische Landschaften +oder auch Norditalien ueberhaupt einzelnen Konsuln als provincia ueberwiesen +worden. +</p> + +<p> +—————————————————————— +</p> + +<p> +Im Adriatischen Meer, an dessen Eingang die wichtige und laengst vorbereitete +Kolonie Brundisium endlich noch waehrend des Krieges mit Karthago gegruendet +worden war (510 244), war Roms Suprematie von vornherein entschieden. In der +Westsee hatte Rom den Rivalen beseitigen muessen; in der oestlichen sorgte +schon die hellenische Zwietracht dafuer, dass alle Staaten auf der griechischen +Halbinsel ohnmaechtig blieben oder wurden. Der bedeutendste derselben, der +makedonische, war unter dem Einfluss Aegyptens vom oberen Adriatischen Meer +durch die Aetoler wie aus dem Peloponnes durch die Achaeer verdraengt worden +und kaum noch imstande, die Nordgrenze gegen die Barbaren zu schuetzen. Wie +sehr den Roemern daran gelegen war, Makedonien und dessen natuerlichen +Verbuendeten, den syrischen Koenig, niederzuhalten, und wie eng sie sich +anschlossen an die eben darauf gerichtete aegyptische Politik, beweist das +merkwuerdige Anerbieten, das sie nach dem Ende des Krieges mit Karthago dem +Koenig Ptolemaeos III. Euergetes machten, ihn in dem Kriege zu unterstuetzen, +den er wegen Berenikes Ermordung gegen Seleukos II. Kallinikos von Syrien (reg. +507-529 247-225) fuehrte und bei dem wahrscheinlich Makedonien fuer den +letztern Partei genommen hatte. Ueberhaupt werden die Beziehungen Roms zu den +hellenistischen Staaten enger; auch mit Syrien verhandelte der Senat schon und +verwandte sich bei dem ebengenannten Seleukos fuer die stammverwandten Ilier. +</p> + +<p> +Einer unmittelbaren Einmischung in die Angelegenheiten der oestlichen Maechte +bedurfte es zunaechst nicht. Die achaeische Eidgenossenschaft, die im +Aufbluehen geknickt ward durch die engherzige Coteriepolitik des Aratos, die +aetolische Landsknechtrepublik, das verfallene Makedonierreich hielten selber +einer den andern nieder; und ueberseeischen Laendergewinn vermied man damals +eher in Rom, als dass man ihn suchte. Als die Akarnanen, sich darauf berufend, +dass sie allein unter allen Griechen nicht teilgenommen haetten an der +Zerstoerung Ilions, die Nachkommen des Aeneas um Hilfe baten gegen die Aetoler, +versuchte der Senat zwar eine diplomatische Verwendung; allein da die Aetoler +darauf eine nach ihrer Weise abgefasste, das heisst unverschaemte Antwort +erteilten, ging das antiquarische Interesse der roemischen Herren doch +keineswegs so weit, um dafuer einen Krieg anzufangen, durch den sie die +Makedonier von ihrem Erbfeind befreit haben wuerden (um 515 239). +</p> + +<p> +Selbst den Unfug der Piraterie, die bei solcher Lage der Dinge +begreiflicherweise das einzige Gewerbe war, das an der adriatischen Kueste +bluehte und vor der auch der italische Handel viel zu leiden hatte, liessen +sich die Roemer mit einer Geduld, die mit ihrer gruendlichen Abneigung gegen +den Seekrieg und ihrem schlechten Flottenwesen eng zusammenhing, laenger als +billig gefallen. Allein endlich ward es doch zu arg. Unter Beguenstigung +Makedoniens, das keine Veranlassung mehr fand, sein altes Geschaeft der +Beschirmung des hellenischen Handels vor den adriatischen Korsaren zu Gunsten +seiner Feinde fortzufuehren, hatten die Herren von Skodra die illyrischen +Voelkerschaften, etwa die heutigen Dalmatiner, Montenegriner und Nordalbanesen, +zu gemeinschaftlichen Piratenzuegen im grossen Stil vereinigt; mit ganzen +Geschwadern ihrer schnellsegelnden Zweidecker, der bekannten +“liburnischen” Schiffe, fuehrten die Illyrier den Krieg gegen +jedermann zur See und an den Kuesten. Die griechischen Ansiedlungen in diesen +Gegenden, die Inselstaedte Issa (Lissa) und Pharos (Lesina), die wichtigen +Kuestenplaetze Epidamnos (Durazzo) und Apollonia (noerdlich von Avlona am +Aoos), hatten natuerlich vor allem zu leiden und sahen sich wiederholt von den +Barbaren belagert. Aber noch weiter suedlich, in Phoenike, der bluehendsten +Stadt von Epeiros, setzten die Korsaren sich fest; halb gezwungen, halb +freiwillig traten die Epeiroten und Akarnanen mit den fremden Raeubern in eine +unnatuerliche Symmachie; bis nach Elis und Messene hin waren die Kuesten +unsicher. Vergeblich vereinigten die Aetoler und Achaeer, was sie an Schiffen +hatten, um dem Unwesen zu steuern; in offener Seeschlacht wurden sie von den +Seeraeubern und deren griechischen Bundesgenossen geschlagen; die +Korsarenflotte vermochte endlich sogar die reiche und wichtige Insel Kerkyra +(Korfu) einzunehmen. Die Klagen der italischen Schiffer, die Hilfsgesuche der +altverbuendeten Apolloniaten, die flehenden Bitten der belagerten Issaer +noetigten endlich den roemischen Senat, wenigstens Gesandte nach Skodra zu +schicken. Die Brueder Gaius und Lucius Coruncanius kamen, um von dem Koenig +Agron Abstellung des Unwesens zu fordern. Der Koenig gab zur Antwort, dass nach +illyrischem Landrecht der Seeraub ein erlaubtes Gewerbe sei und die Regierung +nicht das Recht habe, der Privatkaperei zu wehren; worauf Lucius Coruncanius +erwiderte, dass dann Rom es sich angelegen sein lassen werde, den Illyriern ein +besseres Landrecht beizubringen. Wegen dieser, allerdings nicht sehr +diplomatischen Replik wurde, wie die Roemer behaupteten, auf Geheiss des +Koenigs, einer der Gesandten auf der Heimkehr ermordet und die Auslieferung der +Moerder verweigert. Der Senat hatte jetzt keine Wahl mehr. Mit dem Fruehjahr +525 (229) erschien vor Apollonia eine Flotte von 200 Linienschiffen mit einer +Landungsarmee an Bord; vor jener zerstoben die Korsarenboote, waehrend diese +die Raubburgen brach; die Koenigin Teuta, die nach ihres Gemahls Agron Tode die +Regierung fuer ihren unmuendigen Sohn Pinnes fuehrte, musste, in ihrem letzten +Zufluchtsort belagert, die Bedingungen annehmen, die Rom diktierte. Die Herren +von Skodra wurden wieder im Norden wie im Sueden auf ihr urspruengliches +engbegrenztes Gebiet beschraenkt und hatten nicht bloss alle griechischen +Staedte, sondern auch die Ardiaeer in Dalmatien, die Parthiner um Epidamnos, +die Atintanen im noerdlichen Epeiros aus ihrer Botmaessigkeit zu entlassen; +suedlich von Lissos (Alessio zwischen Scutari und Durazzo) sollten kuenftig +illyrische Kriegsfahrzeuge ueberhaupt nicht und nicht armierte nicht ueber zwei +zusammen fahren duerfen. Roms Seeherrschaft auf dem Adriatischen Meer war in +der loeblichsten und dauerhaftesten Weise zur vollen Anerkennung gebracht durch +die rasche und energische Unterdrueckung des Piratenunfugs. Allein man ging +weiter und setzte sich zugleich an der Ostkueste fest. Die Illyrier von Skodra +wurden tributpflichtig nach Rom; auf den dalmatinischen Inseln und Kuesten +wurde Demetrios von Pharos, der aus den Diensten der Teuta in roemische +getreten war, als abhaengiger Dynast und roemischer Bundesgenosse eingesetzt; +die griechischen Staedte Kerkyra, Apollonia, Epidamnos und die Gemeinden der +Atintanen und Parthiner wurden in milden Formen der Symmachie an Rom geknuepft. +Diese Erwerbungen an der Ostkueste des Adriatischen Meeres waren nicht +ausgedehnt genug, um einen eigenen Nebenkonsul fuer sie einzusetzen: nach +Kerkyra und vielleicht auch nach anderen Plaetzen scheinen Statthalter +untergeordneten Ranges gesandt und die Oberaufsicht ueber diese Besitzungen den +Oberbeamten, welche Italien verwalteten, mit uebertragen worden zu sein ^7. +Also traten gleich Sizilien und Sardinien auch die wichtigsten Seestationen im +Adriatischen Meer in die roemische Botmaessigkeit ein. Wie haette es auch +anders kommen sollen? Rom brauchte eine gute Seestation im oberen Adriatischen +Meere, welche ihm seine Besitzungen an dem italischen Ufer nicht gewaehrten; +die neuen Bundesgenossen, namentlich die griechischen Handelsstaedte, sahen in +den Roemern ihre Retter und taten ohne Zweifel, was sie konnten, sich des +maechtigen Schutzes dauernd zu versichern; im eigentlichen Griechenland, war +nicht bloss niemand imstande zu widersprechen, sondern das Lob der Befreier auf +allen Lippen. Man kann fragen, ob der Jubel in Hellas groesser war oder die +Scham, als statt der zehn Linienschiffe der Achaeischen Eidgenossenschaft, der +streitbarsten Macht Griechenlands, jetzt zweihundert Segel der Barbaren in ihre +Haefen einliefen und mit einem Schlage die Aufgabe loesten, die den Griechen +zukam und an der diese so klaeglich gescheitert waren. Aber wenn man sich +schaemte, dass die Rettung den bedraengten Landsleuten vom Ausland hatte kommen +muessen, so geschah es wenigstens mit guter Manier; man saeumte nicht, die +Roemer durch Zulassung zu den Isthmischen Spielen und den Eleusinischen +Mysterien feierlich in den hellenischen Nationalverband aufzunehmen. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^7 Ein stehender roemischer Kommandant von Kerkyra scheint bei Polyb. 22,15, 6 +(falsch uebersetzt von Liv. 38, 11; vgl. 42, 37), ein solcher von Issa bei Liv. +43, 9 vorzukommen. Dazu kommt die Analogie des Praefectus pro legato insularem +Baliarum (Orelli 732) und des Statthalters von Pandataria (IRN 3528). Es +scheint danach ueberhaupt in der roemischen Verwaltung Regel gewesen zu sein, +fuer die entfernteren Inseln nicht senatorische praefecti zu bestellen. Diese +“Stellvertreter” aber setzen ihrem Wesen nach einen Oberbeamten +voraus, der sie ernennt und beaufsichtigt; und dies koennen in dieser Zeit nur +die Konsuln gewesen sein. Spaeter, seit Einrichtung der Provinzen Makedonien +und Gallia Cisalpina, kam die Oberverwaltung an den einen dieser beiden +Statthalter; wie denn das hier in Rede stehende Gebiet, der Kern des spaeteren +roemischen Illyricum, bekanntlich zum Teil zu Caesars Verwaltungssprengel mit +gehoerte. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Makedonien schwieg; es war nicht in der Verfassung, mit den Waffen zu +protestieren, und verschmaehte, es mit Worten zu tun. Auf Widerstand traf man +nirgend; aber nichtsdestoweniger hatte Rom, indem es die Schluessel zum Hause +des Nachbarn an sich nahm, in diesem sich einen Gegner geschaffen, von dem, +wenn er wieder zu Kraeften oder eine guenstige Gelegenheit ihm vorkam, sich +erwarten liess, dass er sein Schweigen zu brechen wissen werde. Haette der +kraeftige und besonnene Koenig Antigonos Doson laenger gelebt, so wuerde wohl +er schon den hingeworfenen Handschuh aufgehoben haben; denn als einige Jahre +spaeter der Dynast Demetrios von Pharos sich der roemischen, Hegemonie entzog, +im Einverstaendnis mit den Istriern vertragswidrig Seeraub trieb und die von +den Roemern fuer unabhaengig erklaerten Atintanen sich unterwarf, machte +Antigonos Buendnis mit ihm, und Demetrios’ Truppen fochten mit in +Antigonos’ Heer in der Schlacht bei Sellasia (532 222). Allein Antigonos +starb (Winter 533/34 221/20); sein Nachfolger Philippos, noch ein Knabe, liess +es geschehen, dass der Konsul Lucius Aemilius Paullus den Verbuendeten +Makedoniens angriff, seine Hauptstadt zerstoerte und ihn landfluechtig aus +seinem Reiche trieb (535 219). +</p> + +<p> +Auf dem Festland des eigentlichen Italien suedlich vom Apennin war tiefer +Friede seit dem Fall von Tarent; der sechstaegige Krieg mit Falerii (513 241) +ist kaum etwas mehr als eine Kuriositaet. Aber gegen Norden dehnte zwischen dem +Gebiet der Eidgenossenschaft und der Naturgrenze Italiens, der Alpenkette, noch +eine weite Strecke sich aus, die den Roemern nicht botmaessig war. Als Grenze +Italiens galt an der adriatischen Kueste der Aesisfluss, unmittelbar oberhalb +Ancona. Jenseits dieser Grenze gehoerte die naechstliegende, eigentlich +gallische Landschaft bis Ravenna einschliesslich in aehnlicher Weise wie das +eigentliche Italien zu dem roemischen Reichsverband; die Senonen, die hier +ehemals gesessen hatten, waren in dem Kriege 471/72 (283/82) ausgerottet und +die einzelnen Ortschaften entweder als Buergerkolonien, wie Sena gallica, oder +als Bundesstaedte, sei es latinischen Rechts, wie Ariminum, sei es italischen, +wie Ravenna, mit Rom verknuepft worden. Auf dem weiten Gebiet jenseits Ravenna +bis zu der Alpengrenze sassen nichtitalische Voelkerschaften. Suedlich vom Po +behauptete sich noch der maechtige Keltenstamm der Boier (von Parma bis +Bologna), neben denen oestlich die Lingonen, westlich (im Gebiet von Parma) die +Anaren, zwei kleinere, vermutlich in der Klientel der Boier stehende keltische +Kantone die Ebene ausfuellten. Wo diese aufhoert, begannen die Ligurer, die mit +einzelnen keltischen Staemmen gemischt auf dem Apennin von oberhalb Arezzo und +Pisa an sitzend, das Quellgebiet des Po innehatten. Von der Ebene nordwaerts +vom Po hatten die Veneter, verschiedenen Stammes von den Kelten und wohl +illyrischer Abkunft, den oestlichen Teil etwa von Verona bis zur Kueste im +Besitz; zwischen ihnen und den westlichen Gebirgen sassen die Cenomanen (um +Brescia und Cremona), die selten mit der keltischen Nation hielten und wohl +stark mit Venetern gemischt waren, und die Insubrer (um Mailand), dieser der +bedeutendste der italischen Keltengaue und in stetiger Verbindung nicht bloss +mit den kleineren, in den Alpentaelern zerstreuten Gemeinden teils keltischer, +teils anderer Abkunft, sondern auch mit den Keltengauen jenseits der Alpen. Die +Pforten der Alpen, der maechtige, auf fuenfzig deutsche Meilen schiffbare +Strom, die groesste und fruchtbarste Ebene des damaligen zivilisierten Europas, +waren nach wie vor in den Haenden der Erbfeinde des italischen Namens, die, +wohl gedemuetigt und geschwaecht, doch immer noch kaum dem Namen nach abhaengig +und immer noch unbequeme Nachbarn, in ihrer Barbarei verharrten und duenngesaet +in den weiten Flaechen ihre Herden- und Plunderwirtschaft fortfuehrten. Man +durfte erwarten, dass die Roemer eilen wuerden, sich dieser Gebiete zu +bemaechtigen; um so mehr als die Kelten allmaehlich anfingen, ihrer Niederlagen +in den Feldzuegen von 471 und 472 (283 282) zu vergessen und sich wieder zu +regen, ja was noch bedenklicher war, die transalpinischen Kelten aufs neue +begannen, diesseits der Alpen sich zu zeigen. In der Tat hatten bereits im +Jahre 516 (238) die Boier den Krieg erneuert und deren Herren Atis und Galatas, +freilich ohne Auftrag der Landesgemeinde, die Transalpiner aufgefordert, mit +ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen; zahlreich waren diese dem Ruf gefolgt +und im Jahre 518 (236) lagerte ein Keltenheer vor Ariminum, wie Italien es +lange nicht gesehen hatte. Die Roemer, fuer den Augenblick viel zu schwach, um +die Schlacht zu versuchen, schlossen Waffenstillstand und liessen, um Zeit zu +gewinnen, Boten der Kelten nach Rom gehen, die im Senat die Abtretung von +Ariminum zu fordern wagten - es schien, als seien die Zeiten des Brennus +wiedergekehrt. Aber ein unvermuteter Zwischenfall machte dem Krieg ein Ende, +bevor er noch recht begonnen hatte. Die Boier, unzufrieden mit den ungebetenen +Bundesgenossen und wohl fuer ihr eigenes Gebiet fuerchtend, gerieten in Haendel +mit den Transalpinern; es kam zwischen den beiden Keltenheeren zu offener +Feldschlacht, und nachdem die boischen Haeuptlinge von ihren eigenen Leuten +erschlagen waren, kehrten die Transalpiner heim. Damit waren die Boier den +Roemern in die Haende gegeben, und es hing nur von diesen ab, sie gleich den +Senonen auszutreiben und wenigstens bis an den Po vorzudringen; allein es ward +vielmehr denselben gegen die Abtretung einiger Landstriche der Friede gewaehrt +(518 236). Das mag damals geschehen sein, weil man eben den Wiederausbruch des +Kriegs mit Karthago erwartete; aber nachdem dieser durch die Abtretung +Sardiniens abgewandt worden war, forderte es die richtige Politik der +roemischen Regierung, das Land bis an die Alpen so rasch und so vollstaendig +wie moeglich in Besitz zu nehmen. Die bestaendigen Besorgnisse der Kelten vor +einer solchen roemischen Invasion sind darum hinreichend gerechtfertigt; indes +die Roemer beeilten sich eben nicht. So begannen denn die Kelten ihrerseits den +Krieg, sei es, dass die roemischen Ackerverteilungen an der Ostkueste (522 +232), obwohl zunaechst nicht gegen sie gerichtet, sie besorgt gemacht hatten, +sei es, dass sie die Unvermeidlichkeit eines Krieges mit Rom um den Besitz der +Lombardei begriffen, sei es, was vielleicht das Wahrscheinlichste ist, dass das +ungeduldige Kelterwolk wieder einmal des Sitzens muede war und eine neue +Heerfahrt zu ruesten beliebte. Mit Ausschluss der Cenomanen, die mit den +Venetern hielten und sich fuer die Roemer erklaerten, traten dazu saemtliche +italische Kelten zusammen, und ihnen schlossen sich unter den Fuehrern +Concolitanus und Aneroestus zahlreich die Kelten des oberen Rhonetals oder +vielmehr deren Reislaeufer an ^8. Mit 50000 zu Fuss und 20000 zu Ross oder zu +Wagen kaempfenden Streitern rueckten die Fuehrer der Kelten auf den Apennin zu +(529 225). Von dieser Seite hatte man in Rom sich des Angriffs nicht versehen +und nicht erwartet, dass die Kelten mit Vernachlaessigung der roemischen +Festungen an der Ostkueste und des Schutzes der eigenen Stammesgenossen +geradeswegs gegen die Hauptstadt vorzugehen wagen wuerden. Nicht gar lange +vorher hatte ein aehnlicher Keltenschwarm in ganz gleicher Weise Griechenland +ueberschwemmt; die Gefahr war ernst und schien noch ernster, als sie war. Der +Glaube, dass Roms Untergang diesmal unvermeidlich und der roemische Boden vom +Verhaengnis gallisch zu werden bestimmt sei, war selbst in Rom unter der Menge +so allgemein verbreitet, dass sogar die Regierung es nicht unter ihrer Wuerde +hielt, den krassen Aberglauben des Poebels durch einen noch krasseren zu bannen +und zur Erfuellung des Schicksalspruchs einen gallischen Mann und eine +gallische Frau auf dem roemischen Markt lebendig begraben zu lassen. Daneben +traf man ernstlichere Anstalten. Von den beiden konsularischen Heeren, deren +jedes etwa 25000 Mann zu Fuss und 1100 Reiter zaehlte, stand das eine unter +Gaius Atilius Regulus in Sardinien, das zweite unter Lucius Aemilius Papus bei +Ariminum; beide erhielten Befehl, sich so schnell wie moeglich nach dem +zunaechst bedrohten Etrurien zu begeben. Schon hatten gegen die mit Rom +verbuendeten Cenomanen und Veneter die Kelten eine Besatzung in der Heimat +zuruecklassen muessen; jetzt ward auch der Landsturm der Umbrer angewiesen, von +den heimischen Bergen herab in die Ebene der Boier einzuruecken und dem Feinde +auf seinen eigenen Aeckern jeden erdenklichen Schaden zuzufuegen. Die Landwehr +der Etrusker und Sabiner sollte den Apennin besetzen und womoeglich sperren, +bis die regulaeren Truppen eintreffen koennten. In Rom bildete sich eine +Reserve von 50000 Mann; durch ganz Italien, das diesmal in Rom seinen rechten +Vorkaempfer sah, wurde die dienstfaehige Mannschaft verzeichnet, Vorraete und +Kriegsmaterial zusammengebracht. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^8 Dieselben, die Polybios bezeichnet als “die Kelten in den Alpen und an +der Rhone, die man wegen ihrer Reislaeuferei Gaesaten (Landsknechte) +nenne”, werden in den kapitolinischen Fasten Germani genannt. Moeglich +ist es, dass die gleichzeitige Geschichtschreibung hier nur Kelten genannt und +erst die historische Spekulation der caesarischen und augustischen Zeit die +Redaktoren jener Fasten bewogen hat, daraus “Germanen” zu machen. +Wofern dagegen die Nennung der Germanen in den Fasten auf gleichzeitige +Aufzeichnungen zurueckgeht - in welchem Falle dies die aelteste Erwaehnung +dieses Namens ist -, wird man hier doch nicht an die spaeter so genannten +deutschen Staemme denken duerfen, sondern an einen keltischen Schwarm. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Indes alles das forderte Zeit; man hatte einmal sich ueberrumpeln lassen, und +wenigstens Etrurien zu retten, war es zu spaet. Die Kelten fanden den Apennin +kaum verteidigt und pluenderten unangefochten die reichen Ebenen des tuskischen +Gebietes, das lange keinen Feind gesehen. Schon standen sie bei Clusium, drei +Tagemaersche von Rom, als das Heer von Ariminum unter dem Konsul Papus ihnen in +der Flanke erschien, waehrend die etruskische Landwehr, die sich nach der +Ueberschreitung des Apennin im Ruecken der Gallier zusammengezogen hatte, dem +Marsch der Feinde folgte. Eines Abends, nachdem bereits beide Heere sich +gelagert und die Biwakfeuer angezuendet hatten, brach das keltische Fussvolk +ploetzlich wieder auf und zog in rueckwaertiger Richtung ab auf der Strasse +gegen Faesulae (Fiesole); die Reiterei besetzte die Nacht hindurch die +Vorposten und folgte am andern Morgen der Hauptmacht. Als die tuskische +Landwehr, die dicht am Feinde lagerte, seines Abzugs inneward, meinte sie, dass +der Schwarm anfange sich zu verlaufen und brach auf zu eiligem Nachsetzen. Eben +darauf hatten die Gallier gerechnet; ihr ausgeruhtes und geordnetes Fussvolk +empfing auf dem wohl gewaehlten Schlachtfeld die roemische Miliz, die ermattet +und aufgeloest von dem Gewaltmarsch herankam. 6000 Mann fielen nach heftigem +Kampf, und auch der Rest des Landsturms, der notduerftig auf einem Huegel +Zuflucht gefunden, waere verloren gewesen, wenn nicht rechtzeitig das +konsularische Heer erschienen waere. Dies bewog die Gallier, sich nach der +Heimat zurueckzuwenden. Ihr geschickt angelegter Plan, die Vereinigung der +beiden roemischen Heere zu hindern und das schwaechere einzeln zu vernichten, +war nur halb gelungen; fuer jetzt schien es ihnen geraten, zunaechst die +betraechtliche Beute in Sicherheit zu bringen. Des bequemeren Marsches wegen +zogen sie sich aus der Gegend von Chiusi, wo sie standen, an die ebene Kueste +und marschierten am Strande hin, als sie unvermutet hier sich den Weg verlegt +fanden. Es waren die sardinischen Legionen, die bei Pisae gelandet waren und, +da sie zu spaet kamen, um den Apennin zu sperren, sich sofort auf demselben +Kuestenweg, den die Gallier verfolgten, in der entgegengesetzten Richtung in +Bewegung gesetzt hatten. Bei Telamon (an der Muendung des Ombrone) trafen sie +auf den Feind. Waehrend das roemische Fussvolk in geschlossener Front auf der +grossen Strasse vorrueckte, ging die Reiterei, vom Konsul Gaius Atilius Regulus +selber gefuehrt, seitwaerts vor, um den Galliern in die Flanke zu kommen und so +bald wie moeglich dem anderen roemischen Heer unter Papus Kunde von ihrem +Eintreffen zu geben. Es entspann sich ein heftiges Reitergefecht, in dem mit +vielen tapferen Roemern auch Regulus fiel; aber nicht umsonst hatte er sein +Leben aufgeopfert: sein Zweck war erreicht. Papus gewahrte das Gefecht und +ahnte den Zusammenhang; schleunig ordnete er seine Scharen und von beiden +Seiten drangen nun roemische Legionen auf das Keltenheer ein. Mutig stellte +dieses sich zum Doppelkampf, die Transalpiner und Insubrer gegen die Truppen +des Papus, die alpinischen Taurisker und die Boier gegen das sardinische +Fussvolk; das Reitergefecht ging davon gesondert auf dem Fluegel seinen Gang. +Die Kraefte waren der Zahl nach nicht ungleich gemessen, und die verzweifelte +Lage der Gallier zwang sie zur hartnaeckigsten Gegenwehr. Aber die +Transalpiner, nur des Nahkampfes gewohnt, wichen vor den Geschossen der +roemischen Plaenkler; im Handgemenge setzte die bessere Staehlung der +roemischen Waffen die Gallier in Nachteil; endlich entschied der Flankenangriff +der siegreichen roemischen Reiterei den Tag. Die keltischen Berittenen +entrannen; fuer das Fussvolk, das zwischen dem Meere und den drei roemischen +Heeren eingekeilt war, gab es keine Flucht. 10000 Kelten mit dem Koenig +Concolitanus wurden gefangen; 40000 andere lagen tot auf dem Schlachtfeld; +Aneroestus und sein Gefolge hatten sich nach keltischer Sitte selber den Tod +gegeben. +</p> + +<p> +Der Sieg war vollstaendig und die Roemer fest entschlossen, die Wiederholung +solcher Einfaelle durch die voellige Ueberwaeltigung der Kelten diesseits der +Alpen unmoeglich zu machen. Ohne Widerstand ergaben im folgenden Jahr (530 224) +sich die Boier nebst den Lingonen, das Jahr darauf (531 223) die Anaren; damit +war das Flachland bis zum Padus in roemischen Haenden. Ernstlichere Kaempfe +kostete die Eroberung des noerdlichen Ufers. Gaius Flaminius ueberschritt in +dem neugewonnenen anarischen Gebiet (etwa bei Piacenza) den Fluss (531 223); +allein bei dem Uebergang und mehr noch bei der Festsetzung am anderen Ufer +erlitt er so schwere Verluste und fand sich, den Fluss im Ruecken, in einer so +gefaehrlichen Lage, dass er mit dem Feind um freien Abzug kapitulierte, den die +Insubrer toerichterweise zugestanden. Kaum war er indes entronnen, als er vom +Gebiet der Cenomanen aus und mit diesen vereinigt von Norden her in den Gau der +Insubrer zum zweitenmal einrueckte. Zu spaet begriffen diese, um was es sich +jetzt handle; sie nahmen aus dem Tempel ihrer Goettin die goldenen Feldzeichen, +“die unbeweglichen” genannt, und mit ihrem ganzen Aufgebot, 50000 +Mann stark, boten sie den Roemern die Schlacht. Die Lage dieser war +gefaehrlich: sie standen mit dem Ruecken an einem Fluss (vielleicht dem Oglio), +von der Heimat getrennt durch das feindliche Gebiet und fuer den Beistand im +Kampf wie fuer die Rueckzugslinie angewiesen auf die unsichere Freundschaft der +Cenomanen. Indes es gab keine Wahl. Man zog die in den roemischen Reihen +fechtenden Gallier auf das linke Ufer des Flusses; auf dem rechten, den +Insubrern gegenueber, stellte man die Legionen auf und brach die Bruecken ab, +um von den unsicheren Bundesgenossen wenigstens nicht im Ruecken angefallen zu +werden. +</p> + +<p> +Freilich schnitt also der Fluss den Rueckzug ab und ging der Weg zur Heimat +durch das feindliche Heer. Aber die Ueberlegenheit der roemischen Waffen und +der roemischen Disziplin erfocht den Sieg und das Heer schlug sich durch; +wieder einmal hatte die roemische Taktik die strategischen Fehler gutgemacht. +Der Sieg gehoerte den Soldaten und Offizieren, nicht den Feldherren, die gegen +den gerechten Beschluss des Senats nur durch Volksgunst triumphierten. Gern +haetten die Insubrer Frieden gemacht; aber Rom forderte unbedingte +Unterwerfung, und so weit war man noch nicht. Sie versuchten, sich mit Hilfe +der noerdlichen Stammgenossen zu halten, und mit 30000 von ihnen geworbenen +Soeldnern derselben und ihrer eigenen Landwehr empfingen sie die beiden im +folgenden Jahr (532 222) abermals aus dem cenomanischen Gebiet in das ihrige +einrueckenden konsularischen Heere. Es gab noch manches harte Gefecht; bei +einer Diversion, welche die Insubrer gegen die roemische Festung Clastidium +(Casteggio, unterhalb Pavia) am rechten Poufer versuchten, fiel der gallische +Koenig Virdumarus von der Hand des Konsuls Marcus Marcellus. Allein nach einer +halb von den Kelten schon gewonnenen, aber endlich doch fuer die Roemer +entschiedenen Schlacht erstuermte der Konsul Gnaeus Scipio die Hauptstadt der +Insubrer, Mediolanum, und die Einnahme dieser und der Stadt Comum machte der +Gegenwehr ein Ende. Damit waren die italischen Kelten vollstaendig besiegt, und +wie eben vorher die Roemer den Hellenen im Piratenkrieg den Unterschied +zwischen roemischer und griechischer Seebeherrschung gezeigt, so hatten sie +jetzt glaenzend bewiesen, dass Rom Italiens Pforten anders gegen den Landraub +zu wahren wusste als Makedonien die Tore Griechenlands und dass trotz allen +inneren Haders Italien dem Nationalfeinde gegenueber ebenso einig wie +Griechenland zerrissen dastand. +</p> + +<p> +Die Alpengrenze war erreicht, insofern als das ganze Flachland am Po entweder +den Roemern untertaenig oder, wie das cenomanische und venetische Gebiet, von +abhaengigen Bundesgenossen besessen war; es bedurfte indes der Zeit, um die +Konsequenzen dieses Sieges zu ziehen und die Landschaft zu romanisieren. Man +verfuhr dabei nicht in derselben Weise. In dem gebirgigen Nordwesten Italiens +und in den entfernteren Distrikten zwischen den Alpen und dem Po duldete man im +ganzen die bisherigen Bewohner; die zahlreichen sogenannten Kriege, die +namentlich gegen die Ligurer gefuehrt wurden (zuerst 516 238), scheinen mehr +Sklavenjagden gewesen zu sein, und wie oft auch die Gaue und Taeler den Roemern +sich unterwarfen, war die roemische Herrschaft doch hier kaum mehr als ein +Name. Auch die Expedition nach Istrien (533 221) scheint nicht viel mehr +bezweckt zu haben, als die letzten Schlupfwinkel der adriatischen Piraten zu +vernichten und laengs der Kueste zwischen den italischen Eroberungen und den +Erwerbungen an dem anderen Ufer eine Kontinentalverbindung herzustellen. +Dagegen die Kelten in den Landschaften suedlich vom Po waren der Vernichtung +rettungslos verfallen; denn bei dem losen Zusammenhang der keltischen Nation +nahm keiner der noerdlichen Kettengaue ausser fuer Geld sich der italischen +Stammgenossen an, und die Roemer sahen in denselben nicht bloss ihre +Nationalfeinde, sondern auch die Usurpatoren ihres natuerlichen Erbes. Die +ausgedehnte Ackerverteilung von 522 (332) hatte schon das gesamte Gebiet +zwischen Ancona und Ariminum mit roemischen Kolonisten gefuellt, die ohne +kommunale Organisation in Marktflecken und Doerfern hier sich ansiedelten. Auf +diesem Wege ging man weiter, und es war nicht schwer, eine halbbarbarische, dem +Ackerbau nur nebenher obliegende und ummauerter Staedte entbehrende +Bevoelkerung, wie die keltische war, zu verdraengen und auszurotten. Die grosse +Nordchaussee, die wahrscheinlich schon achtzig Jahre frueher ueber Otricoli +nach Narni gefuehrt und kurz vorher bis an die neubegruendete Festung Spoletium +(514 240) verlaengert worden war, wurde jetzt (534 220) unter dem Namen der +Flaminischen Strasse ueber den neu angelegten Marktflecken Forum Flaminii (bei +Foligno) durch den Furlopass an die Kueste und an dieser entlang von Fanum +(Fano) bis nach Ariminum gefuehrt; es war die erste Kunststrasse, die den +Apennin ueberschritt und die beiden italischen Meere verband. Man war eifrig +beschaeftigt, das neugewonnene fruchtbare Gebiet mit roemischen Ortschaften zu +bedecken. Schon war zur Deckung des Uebergangs ueber den Po auf dem rechten +Ufer die starke Festung Placentia (Piacenza) gegruendet, nicht weit davon am +linken Cremona angelegt, ferner auf dem den Boiern abgenommenen Gebiet der +Mauerbau von Mutina (Modena) weit vorgeschritten; schon bereitete man weitere +Landanweisungen und die Fortfuehrung der Chaussee vor, als ein ploetzliches +Ereignis die Roemer in der Ausbeutung ihrer Erfolge unterbrach. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap04"></a>KAPITEL IV.<br/> +Hamilkar und Hannibal</h2> + +<p> +Der Vertrag mit Rom von 513 (241) gab den Karthagern Frieden, aber um einen +teuren Preis. Dass die Tribute des groessten Teils von Sizilien jetzt in den +Schatz des Feindes flossen statt in die karthagische Staatskasse, war der +geringste Verlust. Viel empfindlicher war es, dass man nicht bloss die Hoffnung +hatte aufgeben muessen, deren Erfuellung so nahe geschienen, die saemtlichen +Seestrassen aus dem oestlichen in das westliche Mittelmeer zu monopolisieren, +sondern dass das ganze handelspolitische System gesprengt, das bisher +ausschliesslich beherrschte suedwestliche Becken des Mittelmeers seit Siziliens +Verlust fuer alle Nationen ein offenes Fahrwasser, Italiens Handel von dem +phoenikischen vollstaendig unabhaengig geworden war. Indes die ruhigen +sidonischen Maenner haetten auch darueber vielleicht sich zu beruhigen +vermocht. Man hatte schon aehnliche Schlaege erfahren; man hatte mit den +Massalioten, den Etruskern, den sizilischen Griechen teilen muessen, was man +frueher allein besessen; auch das, was man jetzt noch hatte, Afrika, Spanien, +die Pforten des Atlantischen Meeres, reichte aus, um maechtig und wohlgemut zu +leben. Aber freilich, wer buergte dafuer, dass wenigstens dies blieb? +</p> + +<p> +Was Regulus gefordert und wie wenig ihm gefehlt hatte, um das, was er forderte, +zu erreichen, konnte nur vergessen, wer vergessen wollte; und wenn Rom den +Versuch, den es von Italien aus mit so grossem Erfolg unternommen hatte, jetzt +von Lilybaeon aus erneuerte, so war Karthago, wenn nicht die Verkehrtheit des +Feindes oder ein besonderer Gluecksfall dazwischen trat, unzweifelhaft +verloren. Zwar man hatte jetzt Frieden; aber es hatte an einem Haar gehangen, +dass dem Frieden die Ratifikation verweigert ward, und man wusste, wie die +oeffentliche Meinung in Rom diesen Friedensschluss beurteilte. Es mochte sein, +dass Rom an die Eroberung Afrikas jetzt noch nicht dachte und noch Italien ihm +genuegte; aber wenn die Existenz des karthagischen Staats an dieser +Genuegsamkeit hing, so sah es uebel damit aus, und wer buergte dafuer, dass die +Roemer nicht eben ihrer italischen Politik es angemessen fanden, den +afrikanischen Nachbar zwar nicht sich zu unterwerfen, aber doch zu vertilgen? +</p> + +<p> +Kurz, Karthago durfte den Frieden von 513 (241) nur als einen Waffenstillstand +betrachten und musste ihn benutzen zur Vorbereitung fuer die unvermeidliche +Erneuerung des Krieges; nicht, um die erlittene Niederlage zu raechen, nicht +einmal zunaechst, um das Verlorene zurueckzugewinnen, sondern um sich eine +nicht von dem Gutfinden des Landesfeindes abhaengige Existenz zu erfechten. +Allein wenn einem schwaecheren Staat ein gewisser, aber der Zeit nach +unbestimmter Vernichtungskrieg bevorsteht, werden die kluegeren, +entschlosseneren, hingebenderen Maenner, die zu dem unvermeidlichen Kampf sich +sogleich fertig machen, ihn zur guenstigen Stunde aufnehmen und so die +politische Defensive durch die strategische Offensive verdecken moechten, +ueberall sich gehemmt sehen durch die traege und feige Masse der Geldesknechte, +der Altersschwachen, der Gedankenlosen, welche nur Zeit zu gewinnen, nur in +Frieden zu leben und zu sterben, nur den letzten Kampf um jeden Preis +hinauszuschieben bedacht sind. So gab es auch in Karthago eine Friedens- und +eine Kriegspartei, die beide wie natuerlich sich anschlossen an den schon +zwischen den Konservativen und den Reformisten bestehenden politischen +Gegensatz: jene fand ihre Stuetze in den Regierungsbehoerden, dem Rat der Alten +und der Hundertmaenner, an deren Spitze Hanno, der sogenannte Grosse, stand, +diese in den Leitern der Menge, namentlich dem angesehenen Hasdrubal, und in +den Offizieren des sizilischen Heeres, dessen grosse Erfolge unter Hamilkars +Fuehrung, wenn sie auch sonst vergeblich gewesen waren, doch den Patrioten +einen Weg gezeigt hatten, der Rettung aus der ungeheuren Gefahr zu versprechen +schien. Schon lange mochte zwischen diesen Parteien heftige Fehde bestehen, als +der libysche Krieg zwischen sie hineinschlug. Wie er entstand, ist schon +erzaehlt worden. Nachdem die Regierungspartei die Meuterei durch die unfaehige, +alle Vorsichtsmassregeln der sizilischen Offiziere vereitelnde Verwaltung +angezettelt hatte, durch die Nachwirkung ihres unmenschlichen Regierungssystems +diese Meuterei in eine Revolution umgeschlagen und endlich durch ihre und +namentlich ihres Fuehrers, des Heerverderbers Hanno militaerische Unfaehigkeit +das Land an den Rand des Abgrundes gebracht worden war, ward der Held von der +Eirkte, Hamilkar Barkas, in der hoechsten Not von der Regierung selbst ersucht, +sie von den Folgen ihrer Fehler und Verbrechen zu retten. Er nahm das Kommando +an und dachte hochsinnig genug, es selbst dann nicht niederzulegen, als man ihm +den Hanno zum Kollegen gab; ja als die erbitterte Armee denselben heimschickte, +vermochte er es ueber sich, ihm auf die flehentliche Bitte der Regierung zum +zweitenmal den Mitoberbefehl einzuraeumen und trotz der Feinde wie trotz des +Kollegen durch seinen Einfluss bei den Aufstaendischen, seine geschickte +Behandlung der numidischen Scheichs, sein unvergleichliches Organisatoren- und +Feldherrngenie in unglaublich kurzer Zeit den Aufstand voellig niederzuwerfen +und das empoerte Afrika zum Gehorsam zurueckzubringen (Ende 517 237). +</p> + +<p> +Die Patriotenpartei hatte waehrend dieses Krieges geschwiegen; jetzt sprach sie +um so lauter. Einerseits war bei dieser Katastrophe die ganze Verderbtheit und +Verderblichkeit der herrschenden Oligarchie an den Tag gekommen, ihre +Unfaehigkeit, ihre Coteriepolitik, ihre Hinneigung zu den Roemern; anderseits +zeigte die Wegnahme Sardiniens und die drohende Stellung, welche Rom dabei +einnahm, deutlich auch dem geringsten Mann, dass das Damoklesschwert der +roemischen Kriegserklaerung stets ueber Karthago hing, und dass, wenn Karthago +unter den gegenwaertigen Verhaeltnissen mit Rom zum Kriege kam, dieser +notwendig den Untergang der phoenikischen Herrschaft in Libyen zur Folge haben +muesse. Es mochte in Karthago nicht wenige geben, die, an der Zukunft des +Vaterlandes verzweifelnd, die Auswanderung nach den Inseln des Atlantischen +Meeres anrieten; wer durfte sie schelten? Aber edlere Gemueter verschmaehen es, +ohne die Nation sich selber zu bergen, und grosse Naturen geniessen das +Vorrecht, aus dem, worueber die Menge der Guten verzweifelt, Begeisterung zu +schoepfen. Man nahm die neuen Bedingungen an, wie sie Rom eben diktierte; es +blieb nichts uebrig, als sich zu fuegen und den neuen Hass zu dem alten +schlagend ihn sorgfaeltig zu sammeln und zu sparen, dieses letzte Kapitel einer +gemisshandelten Nation. Dann aber schritt man zu einer politischen Reform ^1. +Von der Unverbesserlichkeit der Regimentspartei hatte man sich hinreichend +ueberzeugt; dass die regierenden Herren auch im letzten Krieg weder ihren Groll +vergessen noch groessere Weisheit gelernt hatten, zeigte zum Beispiel die ans +Naive grenzende Unverschaemtheit, dass sie jetzt dem Hamilkar den Prozess +machten als dem Urheber des Soeldnerkrieges, insofern er ohne Vollmacht der +Regierung seinen sizilischen Soldaten Geldversprechungen gemacht habe. Wenn der +Klub der Offiziere und Volksfuehrer die morschen Stuehle dieses Missregiments +haette umstossen wollen, so wuerde er in Karthago selbst schwerlich auf grosse +Schwierigkeiten gestossen sein; allein auf desto groessere in Rom, mit dem die +regierenden Herren von Karthago schon in Verbindungen standen, die an +Landesverrat grenzten. Zu allen uebrigen Schwierigkeiten der Lage kam noch die +hinzu, dass die Mittel zur Rettung des Vaterlandes geschaffen werden mussten, +ohne dass weder die Roemer noch die eigene roemisch gesinnte Regierung recht +darum gewahr wurden. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Wir sind ueber diese Vorgaenge nicht bloss unvollkommen berichtet, sondern +auch einseitig, da natuerlich die Version der karthagischen Friedenspartei die +der roemischen Annalisten wurde. Indes selbst in unsern zertruemmerten und +getruebten Berichten - die wichtigsten sind Fabius bei Polyb. 3, 8; App. Hisp. +4 und Diod. 25 p. 567 - erscheinen die Verhaeltnisse der Parteien deutlich +genug. Von dem gemeinen Klatsch, mit dem die “revolutionaere +Verbindung” (εταιρεία τών πονηροτάτων ανθρώπων) von ihren Gegnern +beschmutzt ward, kann man bei Nepos (Ham. 3) Proben lesen, die ihresgleichen +suchen, vielleicht auch finden. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +So liess man die Verfassung unangetastet und die regierenden Herren im vollen +Genuss ihrer Sonderrechte und des gemeinen Gutes. Es ward bloss beantragt und +durchgesetzt, von den beiden Oberfeldherren, die am Ende des libyschen Krieges +an der Spitze der karthagischen Truppen standen, Hanno und Hamilkar, den +ersteren abzurufen und den letzteren zum Oberfeldherrn fuer ganz Afrika auf +unbestimmte Zeit in der Art zu ernennen, dass er eine von den +Regierungskollegien unabhaengige Stellung - eine verfassungswidrige +monarchische Gewalt nannten es die Gegner, Cato eine Diktatur - erhielt und er +nur von der Volksversammlung abberufen und zur Verantwortung gezogen werden +durfte ^2. Selbst die Wahl eines Nachfolgers ging nicht von den Behoerden der +Hauptstadt aus, sondern vom Heere, das heisst von den im Heere als Gerusiasten +oder Offiziere dienenden Karthagern, die auch bei Vertraegen neben dem +Feldherrn genannt werden; natuerlich blieb der Volksversammlung daheim das +Bestaetigungsrecht. Mag dies Usurpation sein oder nicht, es bezeichnet +deutlich, wie die Kriegspartei das Heer als ihre Domaene ansah und behandelte. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^2 Die Barkas schliessen die wichtigsten Staatsvertraege ab und die +Ratifikation der Behoerde ist eine Formalitaet (Polyb. 3, 21); Rom protestiert +bei ihnen und beim Senat (Polyb. 3, 15). Die Stellung der Barkas zu Karthago +hat manche Aehnlichkeit mit der der Oranier gegen die Generalstaaten. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Der Auftrag, den Hamilkar also empfing, klang nicht eben verfaenglich. Die +Kriege mit den numidischen Staemmen ruhten an der Grenze nie; vor kurzem erst +war im Binnenland die “Stadt der hundert Tore” Theveste (Tebessa) +von den Karthagern besetzt worden. Die Fortfuehrung dieser Grenzfehden, die dem +neuen Oberfeldherrn von Afrika zufiel, war an sich nicht von solcher Bedeutung, +dass nicht die karthagische Regierung, die man ja in ihrem naechsten Kreise +gewaehren liess, zu den darueber von der Volksversammlung getroffenen +Beliebungen haette stillschweigen koennen, waehrend die Roemer die Tragweite +derselben vielleicht nicht einmal erkannten. +</p> + +<p> +So stand an der Spitze des Heeres der eine Mann, der im sizilischen und im +libyschen Kriege es bewaehrt hatte, dass die Geschicke ihn oder keinen zum +Retter des Vaterlandes bestimmten. Grossartiger als von ihm ist vielleicht +niemals der grossartige Kampf des Menschen gegen das Schicksal gefuehrt worden. +Das Heer sollte den Staat retten; aber was fuer ein Heer? Die karthagische +Buergerwehr hatte unter Hamilkars Fuehrung im libyschen Kriege sich nicht +schlecht geschlagen; allein er wusste wohl, dass es ein anderes ist, die +Kaufleute und Fabrikanten einer Stadt, die in der hoechsten Gefahr schwebt, +einmal zum Kampf hinauszufuehren, und ein anderes, Soldaten aus ihnen zu +bilden. Die karthagische Patriotenpartei lieferte ihm vortreffliche Offiziere, +aber in ihr war natuerlich fast ausschliesslich die gebildete Klasse vertreten +- Buergermiliz hatte er nicht, hoechstens einige libyphoenikische +Reiterschwadronen. Es galt ein Heer zu schaffen aus den libyschen +Zwangsrekruten und aus Soeldnern; was einem Feldherrn wie Hamilkar moeglich +war, allein auch ihm nur, wenn er seinen Leuten puenktlich und reichlich den +Sold zu zahlen vermochte. Aber dass die karthagischen Staatseinkuenfte in +Karthago selbst zu viel noetigeren Dingen gebraucht wurden als fuer die gegen +den Feind fechtenden Heere, hatte er in Sizilien erfahren. Es musste also +dieser Krieg sich selber ernaehren und im grossen ausgefuehrt werden, was auf +dem Monte Pellegrino im kleinen versucht worden war. Aber noch mehr. Hamilkar +war nicht bloss Militaer-, er war auch Parteichef; gegen die unversoehnliche +und der Gelegenheit, ihn zu stuerzen, begierig und geduldig harrende +Regierungspartei musste er auf die Buergerschaft sich stuetzen, und mochten +deren Fuehrer noch so rein und edel sein, die Masse war tief verdorben und +durch das unselige Korruptionssystem gewoehnt, nichts fuer nichts zu geben. In +einzelnen Momenten schlug wohl die Not oder die Begeisterung einmal durch, wie +das ueberall selbst in den feilsten Koerperschaften vorkommt; wollte aber +Hamilkar fuer seinen im besten Fall erst nach einer Reihe von Jahren +durchfuehrbaren Plan die Unterstuetzung der karthagischen Gemeinde dauernd sich +sichern, so musste er seinen Freunden in der Heimat durch regelmaessige +Geldsendungen die Mittel geben, den Poebel bei guter Laune zu erhalten. So +genoetigt, von der lauen und feilen Menge die Erlaubnis, sie zu retten, zu +erbetteln oder zu erkaufen; genoetigt, dem Uebermut der Verhassten seines +Volkes, der stets von ihm Besiegten durch Demut und Schweigsamkeit die +unentbehrliche Gnadenfrist abzudingen; genoetigt, den verachteten +Vaterlandsverraetern, die sich die Herren seiner Stadt nannten, mit seinen +Plaenen seine Verachtung zu bergen - so stand der hohe Mann mit wenigen +gleichgesinnten Freunden zwischen den Feinden von aussen und den Feinden von +innen, auf die Unentschlossenheit der einen und der andern bauend, zugleich +beide taeuschend und beiden trotzend, um nur erst die Mittel, Geld und Soldaten +zu gewinnen zum Kampf gegen ein Land, das, selbst wenn das Heer schlagfertig +dastand, mit diesem zu erreichen schwierig, zu ueberwinden kaum moeglich +schien. Er war noch ein junger Mann, wenig hinaus ueber die Dreissig; aber er +schien zu ahnen, als er sich anschickte zu seinem Zuge, dass es ihm nicht +vergoennt sein werde, das Ziel seiner Arbeit zu erreichen und das Land der +Erfuellung anders als von weitem zu schauen. Seinen neunjaehrigen Sohn Hannibal +hiess er, da er Karthago verliess, am Altar des hoechsten Gottes dem roemischen +Namen ewigen Hass schwoeren, und zog ihn und die juengeren Soehne Hasdrubal und +Mago, die “Loewenbrut”, wie er sie nannte, im Feldlager auf als die +Erben seiner Entwuerfe, seines Genies und seines Hasses. +</p> + +<p> +Der neue Oberfeldherr von Libyen brach unmittelbar nach der Beendigung des +Soeldnerkrieges von Karthago auf (etwa im Fruehjahr 518 236). Er schien einen +Zug gegen die freien Libyer im Westen zu beabsichtigen; sein Heer, das +besonders an Elefanten stark war, zog an der Kueste hin, neben ihm segelte die +Flotte, gefuehrt von seinem treuen Bundesgenossen Hasdrubal. Ploetzlich vernahm +man, er sei bei den Saeulen des Herkules ueber das Meer gegangen und in Spanien +gelandet, wo er Krieg fuehre mit den Eingeborenen; mit Leuten, die ihm nichts +zuleide getan und ohne Auftrag seiner Regierung, klagten die karthagischen +Behoerden. Sie konnten wenigstens nicht klagen, dass er die afrikanischen +Angelegenheiten vernachlaessige; als die Numidier wieder einmal aufstanden, +trieb sein Unterfeldherr Hasdrubal sie so nachdruecklich zu Paaren, dass auf +lange Zeit an der Grenze Ruhe war und mehrere bisher unabhaengige Staemme sich +bequemten, Tribut zu zahlen. Was er selbst in Spanien getan, koennen wir im +einzelnen nicht mehr verfolgen; dem alten Cato, der ein Menschenalter nach +Hamilkars Tode in Spanien die noch frischen Spuren seines Wirkens sah, zwangen +sie trotz allem Poenerhass den Ausruf ab, dass kein Koenig wert sei, neben +Hamilkar Barkas genannt zu werden. In den Erfolgen liegt auch uns wenigstens im +allgemeinen noch vor, was von Hamilkar als Militaer und als Staatsmann in den +neun letzten Jahren seines Lebens (518-526 236-228) geleistet worden ist, bis +er im besten Mannesalter in offener Feldschlacht tapfer kaempfend den Tod fand, +wie Scharnhorst, eben als seine Plaene zu reifen begannen, und was alsdann +waehrend der naechsten acht Jahre (527-534 227-220) der Erbe seines Amtes und +seiner Plaene, sein Tochtermann Hasdrubal an dem angefangenen Werke im Sinne +des Meisters weiter geschaffen hat. Statt der kleinen Entrepôts fuer den +Handel, die nebst dem Schutzrecht ueber Gades bis dahin Karthago an der +spanischen Kueste allein besessen und als Dependenz von Libyen behandelt hatte, +ward ein karthagisches Reich in Spanien durch Hamilkars Feldherrnkunst +begruendet und durch Hasdrubals staatsmaennische Gewandtheit befestigt. Die +schoensten Landschaften Spaniens, die Sued- und Ostkueste wurden phoenikisches +Provinzialgebiet; Staedte wurden gegruendet, vor allem an dem einzigen guten +Hafen der Suedkueste Spanisch-Karthago (Cartagena) von Hasdrubal angelegt, mit +des Gruenders praechtiger “Koenigsburg”; der Ackerbau bluehte auf +und mehr noch die Grubenwirtschaft in den gluecklich aufgefundenen Silberminen +von Cartagena, die ein Jahrhundert spaeter ueber 2½ Mill. Taler (36 Mill. +Sesterzen) jaehrlich eintrugen. Die meisten Gemeinden bis zum Ebro wurden +abhaengig von Karthago und zahlten ihm Zins; Hasdrubal verstand es, die +Haeuptlinge auf alle Weise, selbst durch Zwischenheiraten in das karthagische +Interesse zu ziehen. So erhielt Karthago hier fuer seinen Handel und seine +Fabriken eine reiche Absatzquelle, und die Einnahmen der Provinz naehrten nicht +bloss das Heer, sondern es blieb noch uebrig, nach Hause zu senden und fuer die +Zukunft zurueckzulegen. Aber die Provinz bildete und schulte zugleich die +Armee. In dem Karthago unterworfenen Gebiet fanden regelmaessige Aushebungen +statt; die Kriegsgefangenen wurden untergesteckt in die karthagischen Korps; +von den abhaengigen Gemeinden kam Zuzug und kamen Soeldner, soviel man +begehrte. In dem langen Kriegsleben fand der Soldat im Lager eine zweite Heimat +und als Ersatz fuer den Patriotismus den Fahnensinn und die begeisterte +Anhaenglichkeit an seine grossen Fuehrer; die ewigen Kaempfe mit den tapferen +Iberern und Kelten schufen zu der vorzueglichen numidischen Reiterei ein +brauchbares Fussvolk. +</p> + +<p> +Von Karthago aus liess man die Barkas machen. Da der Buergerschaft +regelmaessige Leistungen nicht abverlangt wurden, sondern vielmehr fuer sie +noch etwas abfiel, auch der Handel in Spanien wiederfand, was er in Sizilien +und Sardinien verloren, wurde der spanische Krieg und das spanische Heer mit +seinen glaenzenden Siegen und wichtigen Erfolgen bald so populaer, dass es +sogar moeglich ward, in einzelnen Krisen, zum Beispiel nach Hamilkars Fall, +bedeutende Nachsendungen afrikanischer Truppen nach Spanien durchzusetzen, und +die Regierungspartei wohl oder uebel dazu schweigen oder doch sich begnuegen +musste, unter sich und gegen die Freunde in Rom auf die demagogischen Offiziere +und den Poebel zu schelten. +</p> + +<p> +Auch von Rom aus geschah nichts, um den spanischen Angelegenheiten ernstlich +eine andere Wendung zu geben. Die erste und vornehmste Ursache der Untaetigkeit +der Roemer war unzweifelhaft eben ihre Unbekanntschaft mit den Verhaeltnissen +der entlegenen Halbinsel, welche sicher auch die Hauptursache gewesen ist, +weshalb Hamilkar zur Ausfuehrung seines Planes Spanien und nicht, wie es sonst +wohl auch moeglich gewesen waere, Afrika selbst erwaehlte. Zwar die +Erklaerungen, mit denen die karthagischen Feldherren den roemischen, um +Erkundigungen an Ort und Stelle einzuziehen nach Spanien gesandten Kommissarien +entgegenkamen, die Versicherungen, dass alles dies nur geschehe, um die +roemischen Kriegskontributionen prompt zahlen zu koennen, konnten im Senat +unmoeglich Glauben finden; allein man erkannte wahrscheinlich von Hamilkars +Plaenen nur den naechsten Zweck: fuer die Tribute und den Handel der verlorenen +Inseln in Spanien Ersatz zu schaffen, und hielt einen Angriffskrieg der +Karthager, und namentlich eine Invasion Italiens von Spanien aus, wie das +sowohl ausdrueckliche Angaben als die ganze Lage der Sache bezeugen, fuer +schlechterdings unmoeglich. Dass unter der Friedenspartei in Karthago manche +weiter sahen, versteht sich; allein wie sie dachten, konnten sie schwerlich +sehr geneigt sein, ueber den drohenden Sturm, den zu beschwoeren die +karthagischen Behoerden laengst ausserstande waren, ihre roemischen Freunde +aufzuklaeren und damit die Krise nicht abzuwenden, sondern zu beschleunigen; +und wenn es dennoch geschah, so mochte man in Rom solche Parteidenunziationen +mit Fug sehr vorsichtig aufnehmen. Allmaehlich allerdings musste die +unbegreiflich rasche und gewaltige Ausbreitung der karthagischen Macht in +Spanien die Aufmerksamkeit und die Besorgnisse der Roemer erwecken; wie sie ihr +denn auch in den letzten Jahren vor dem Ausbruch des Krieges in der Tat +Schranken zu setzen versuchten. Um das Jahr 528 (226) schlossen sie, ihres +jungen Hellenentums eingedenk, mit den beiden griechischen oder +halbgriechischen Staedten an der spanischen Ostkueste, Zakynthos oder Saguntum +(Murviedro unweit Valencia) und Emporiae (Ampurias) Buendnis, und indem sie den +karthagischen Feldherrn Hasdrubal davon in Kenntnis setzten, wiesen sie ihn +zugleich an, den Ebro nicht erobernd zu ueberschreiten, was auch zugesagt ward. +Es geschah dies keineswegs, um einen Einfall in Italien auf dem Landweg zu +hindern - den Feldherrn, der diesen unternahm, konnte ein Vertrag nicht fesseln +-, sondern teils um der materiellen Macht der spanischen Karthager, die +gefaehrlich zu werden begann, eine Grenze zu stecken, teils um sich an den +freien Gemeinden zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen, die Rom damit unter +seinen Schutz nahm, einen sicheren Anhalt zu bereiten fuer den Fall, dass eine +Landung und ein Krieg in Spanien notwendig werden sollte. Fuer den +bevorstehenden Krieg mit Karthago, ueber dessen Unvermeidlichkeit der Senat +sich nie getaeuscht hat, besorgte man von den spanischen Ereignissen schwerlich +groessere Nachteile, als dass man genoetigt werden koenne, einige Legionen nach +Spanien zu senden, und dass der Feind mit Geld und Soldaten etwas besser +versehen sein werde, als er ohne Spanien es gewesen waere - war man doch fest +entschlossen, wie der Feldzugsplan von 536 (218) beweist und wie es auch gar +nicht anders sein konnte, den naechsten Krieg in Afrika zu beginnen und zu +beendigen, womit dann ueber Spanien zugleich entschieden war. Dazu kamen in den +ersten Jahren die karthagischen Kontributionen, welche die Kriegserklaerung +abgeschnitten haette, alsdann der Tod Hamilkars, von dem Freunde und Feinde +urteilen mochten, dass seine Entwuerfe mit ihm gestorben seien, endlich in den +letzten Jahren, wo der Senat allerdings zu begreifen anfing, dass es nicht +weise sei, mit der Erneuerung des Krieges noch lange zu zoegern, der sehr +erklaerliche Wunsch, zuvor mit den Galliern im Potal fertig zu werden, da +diese, mit der Ausrottung bedroht, voraussichtlich jeden ernstlichen Krieg, den +Rom unternahm, benutzt haben wuerden, um die transalpinischen Voelkerschaften +aufs neue nach Italien zu locken und die immer noch aeusserst gefaehrlichen +Keltenzuege zu erneuern. Dass weder Ruecksichten auf die karthagische +Friedenspartei noch auf die bestehenden Vertraege die Roemer abhielten, +versteht sich; ueberdies boten, wenn man den Krieg wollte, die spanischen +Fehden jeden Augenblick einen Vorwand dazu dar. Unbegreiflich ist das Verhalten +Roms demnach keineswegs; aber ebensowenig laesst sich leugnen, dass der +roemische Senat diese Verhaeltnisse kurzsichtig und schlaff behandelt hat - +Fehler, wie sie seine Fuehrung der gallischen Angelegenheiten in der gleichen +Zeit noch viel unverzeihlicher aufweist. Ueberall ist die roemische Staatskunst +mehr ausgezeichnet durch Zaehigkeit, Schlauheit und Konsequenz, als durch eine +grossartige Auffassung und rasche Ordnung der Dinge, worin ihr vielmehr die +Feinde Roms von Pyrrhos bis auf Mithradates oft ueberlegen gewesen sind. +</p> + +<p> +So gab dem genialen Entwurf Hamilkars das Glueck die Weihe. Die Mittel zum +Kriege waren gewonnen, ein starkes kampf- und sieggewohntes Heer und eine +stetig sich fuellende Kasse; aber wie fuer den Kampf der rechte Augenblick, die +rechte Richtung gefunden werden sollte, fehlte der Fuehrer. Der Mann, dessen +Kopf und Herz in verzweifelter Lage unter einem verzweifelnden Volke den Weg +zur Rettung gebahnt hatte, war nicht mehr, als es moeglich ward, ihn zu +betreten. Ob sein Nachfolger Hasdrubal den Angriff unterliess, weil ihm der +Zeitpunkt noch nicht gekommen schien, oder ob er, mehr Staatsmann als Feldherr, +sich der Oberleitung des Unternehmens nicht gewachsen glaubte, vermoegen wir +nicht zu entscheiden. Als er im Anfang des Jahres 534 (220) von Moerderhand +gefallen war, beriefen die karthagischen Offiziere des spanischen Heeres an +seine Stelle Hamilkars aeltesten Sohn, den Hannibal. Er war noch ein junger +Mann - geboren 505 (249), also damals im neunundzwanzigsten Lebensjahr; aber er +hatte schon viel gelebt. Seine ersten Erinnerungen zeigten ihm den Vater im +entlegenen Lande fechtend und siegend auf der Eirkte; er hatte den Frieden des +Catulus, die bittere Heimkehr des unbesiegten Vaters, die Greuel des libyschen +Krieges mit durchempfunden. Noch ein Knabe, war er dem Vater ins Lager gefolgt; +bald zeichnete er sich aus. Sein leichter und festgebauter Koerper machte aus +ihm einen vortrefflichen Laeufer und Fechter und einen verwegenen Galoppreiter; +sich den Schlaf zu versagen, griff ihn nicht an und Speise wusste er nach +Soldatenart zu geniessen und zu entbehren. Trotz seiner im Lager verflossenen +Jugend besass er die Bildung der vornehmen Phoeniker jener Zeit; im +Griechischen brachte er, wie es scheint, erst als Feldherr, unter der Leitung +seines Vertrauten Sosilos von Sparta, es weit genug, um Staatsschriften in +dieser Sprache selber abfassen zu koennen. Wie er heranwuchs, trat er in das +Heer seines Vaters ein, um unter dessen Augen seinen ersten Waffendienst zu +tun, um ihn in der Schlacht neben sich fallen zu sehen. Nachher hatte er unter +seiner Schwester Gemahl Hasdrubal die Reiterei befehligt und durch glaenzende +persoenliche Tapferkeit wie durch sein Fuehrertalent sich ausgezeichnet. Jetzt +rief ihn, den erprobten jugendlichen General, die Stimme seiner Kameraden an +ihre Spitze und er konnte nun ausfuehren, wofuer sein Vater und sein Schwager +gelebt und gestorben. Er trat die Erbschaft an, und er durfte es. Seine +Zeitgenossen haben auf seinen Charakter Makel mancherlei Art zu werfen +versucht: den Roemern hiess er grausam, den Karthagern habsuechtig; freilich +hasste er, wie nur orientalische Naturen zu hassen verstehen, und ein Feldherr, +dem niemals Geld und Vorraete ausgegangen sind, musste wohl suchen zu haben. +Indes, wenn auch Zorn, Neid und Gemeinheit seine Geschichte geschrieben haben, +sie haben das reine und grosse Bild nicht zu trueben vermocht. Von schlechten +Erfindungen, die sich selber richten, und von dem abgesehen, was durch Schuld +seiner Unterfeldherren, namentlich des Hannibal Monomachos und Mago des +Samniten, in seinem Namen geschehen ist, liegt in den Berichten ueber ihn +nichts vor, was nicht unter den damaligen Verhaeltnissen und nach dem damaligen +Voelkerrecht zu verantworten waere; und darin stimmen sie alle zusammen, dass +er wie kaum ein anderer Besonnenheit und Begeisterung, Vorsicht und Tatkraft +miteinander zu vereinigen verstanden hat. Eigentuemlich ist ihm die +erfinderische Verschmitztheit, die einen der Grundzuege des phoenikischen +Charakters bildet; er ging gern eigentuemliche und ungeahnte Wege, Hinterhalte +und Kriegslisten aller Art waren ihm gelaeufig, und den Charakter der Gegner +studierte er mit beispielloser Sorgfalt. Durch eine Spionage ohnegleichen - er +hatte stehende Kundschafter sogar in Rom - hielt er von den Vornahmen des +Feindes sich unterrichtet; ihn selbst sah man haeufig in Verkleidungen und mit +falschem Haar, dies oder jenes auskundschaftend. Von seinem strategischen Genie +zeugt jedes Blatt der Geschichte dieser Zeit und nicht minder von seiner +staatsmaennischen Begabung, die er noch nach dem Frieden mit Rom durch seine +Reform der karthagischen Verfassung und durch den beispiellosen Einfluss +bekundete, den er als Iandfluechtiger Fremdling in den Kabinetten der +oestlichen Maechte ausuebte. Welche Macht ueber die Menschen er besass, beweist +seine unvergleichliche Gewalt ueber ein buntgemischtes und vielsprachiges Heer, +das in den schlimmsten Zeiten niemals gegen ihn gemeutert hat. Er war ein +grosser Mann; wohin er kam, ruhten auf ihm die Blicke aller. +</p> + +<p> +Hannibal beschloss sofort nach seiner Ernennung (Fruehling 534 220) den Beginn +des Krieges. Er hatte gute Gruende, jetzt, da das Keltenland noch in Gaerung +war und ein Krieg zwischen Rom und Makedonien vor der Tuer schien, ungesaeumt +loszuschlagen und den Krieg dahin zu tragen, wohin es ihm beliebte, bevor die +Roemer ihn begannen, wie es ihnen bequem war, mit einer Landung in Afrika. Sein +Heer war bald marschfertig, die Kasse durch einige Razzias in grossem Massstab +gefuellt; allein die karthagische Regierung zeigte nichts weniger als Lust, die +Kriegserklaerung nach Rom abgehen zu lassen. Hasdrubals, des patriotischer +Volksfuehrers Platz war in Karthago schwerer zu ersetzen als der Platz des +Feldherrn Hasdrubal in Spanien; die Partei des Friedens hatte jetzt daheim die +Oberhand und verfolgte die Fuehrer der Kriegspartei mit politischen Prozessen. +Sie, die schon Hamilkars Plaene beschnitten und bemaengelt hatte, war +keineswegs gemeint, den unbekannten jungen Mann, der jetzt in Spanien +befehligte, auf Staatskosten jugendlichen Patriotismus treiben zu lassen; und +Hannibal scheute doch davor zurueck, den Krieg in offener Widersetzlichkeit +gegen die legitimen Behoerden selber zu erklaeren; er versuchte die Saguntiner +zum Friedensbruch zu reizen; allein sie begnuegten sich, in Rom Klage zu +fuehren. Er versuchte, als darauf von Rom eine Kommission erschien, nun diese +durch schnoede Behandlung zur Kriegserklaerung zu treiben; allein die +Kommissarien sahen, wie die Dinge standen; sie schwiegen in Spanien, um in +Karthago Beschwerde zu fuehren und daheim zu berichten, dass Hannibal +schlagfertig stehe und der Krieg vor der Tuer sei. So verfloss die Zeit; schon +traf die Nachricht ein von dem Tode des Antigonos Doson, der etwa gleichzeitig +mit Hasdrubal ploetzlich gestorben war; im italischen Kettenland ward die +Gruendung der Festungen mit verdoppelter Schnelligkeit und Energie von den +Roemern betrieben; der Schilderhebung in Illyrien schickte man in Rom sich an, +im naechsten Fruehjahr ein rasches Ende zu bereiten. Jeder Tag war kostbar; +Hannibal entschloss sich. Er meldete kurz und gut nach Karthago, dass die +Saguntiner karthagischen Untertanen, den Torboleten, zu nahe traeten und er sie +darum angreifen muesse; und ohne die Antwort abzuwarten, begann er im Fruehjahr +535 (219) die Belagerung der mit Rom verbuendeten Stadt, das heisst den Krieg +gegen Rom. Was man in Karthago dachte und beriet, mag man sich etwa vorstellen +nach dem Eindruck, den Yorks Kapitulation in gewissen Kreisen machte. Alle +“angesehenen Maenner”, heisst es, missbilligten den “ohne +Auftrag” geschehenen Angriff; es war die Rede von Desavouierung, von +Auslieferung des dreisten Offiziers. Aber sei es, dass im karthagischen Rat die +naehere Furcht vor dem Heer und der Menge die vor Rom ueberwog; sei es, dass +man die Unmoeglichkeit begriff, einen solchen Schritt, einmal getan, +zurueckzutun; sei es, dass die blosse Macht der Traegheit ein bestimmtes +Auftreten hinderte - man entschloss sich endlich, sich zu nichts zu +entschliessen und den Krieg, wenn nicht zu fuehren, doch fuehren zu lassen. +Sagunt verteidigte sich, wie nur spanische Staedte sich zu verteidigen +verstehen; haetten die Roemer nur einen geringen Teil der Energie ihrer +Schutzbefohlenen entwickelt und nicht waehrend der achtmonatlichen Belagerung +Sagunts mit dem elenden illyrischen Raeuberkrieg die Zeit verdorben, so haetten +sie, Herren der See und geeigneter Landungsplaetze, sich die Schande des +zugesagten und nicht gewaehrten Schutzes ersparen und dem Krieg vielleicht eine +andere Wendung geben koennen. Indes sie saeumten, und die Stadt ward endlich +erstuermt. Wie Hannibal die Beute nach Karthago zur Verteilung sandte, ward der +Patriotismus und die Kriegslust bei vielen rege, die davon bisher nichts +gespuert hatten, und die Austeilung schnitt jede Versoehnung mit Rom ab. Als +daher nach der Zerstoerung Sagunts eine roemische Gesandtschaft in Karthago +erschien und die Auslieferung des Feldherrn und der im Lager anwesenden +Gerusiasten forderte, und als der roemische Sprecher, die versuchte +Rechtfertigung unterbrechend, die Diskussion abschnitt und, sein Gewand +zusammenfassend, sprach, dass er darin Frieden und Krieg halte und dass die +Gerusia waehlen moege, da ermannten sich die Gerusiasten zu der Antwort, dass +man es ankommen lasse auf die Wahl des Roemers; und als dieser den Krieg bot, +nahm man ihn an (Fruehling 536 218). Hannibal, der durch den hartnaeckigen +Widerstand der Saguntiner ein volles Jahr verloren hatte, war fuer den Winter +535/36 (219/18) wie gewoehnlich zurueckgegangen nach Cartagena, um alles teils +zum Angriff vorzubereiten, teils zur Verteidigung von Spanien und Afrika; denn +da er wie sein Vater und sein Schwager den Oberbefehl in beiden Gebieten +fuehrte, lag es ihm ob, auch zum Schutz der Heimat die Anstalten zu treffen. +Die gesamte Masse seiner Streitkraefte betrug ungefaehr 120000 Mann zu Fuss, +16000 zu Pferd; ferner 58 Elefanten und 32 bemannte, achtzehn unbemannte +Fuenfdecker ausser den in der Hauptstadt befindlichen Elefanten und Schiffen. +Mit Ausnahme weniger Ligurer unter den leichten Truppen gab es in diesem +karthagischen Heere Soeldner gar nicht; die Truppen bestanden ausser einigen +phoenikischen Schwadronen im wesentlichen aus den zum Dienst ausgehobenen +karthagischen Untertanen, Libyern und Spaniern. Der Treue der letzteren sich zu +versichern gab der menschenkundige Feldherr ihnen ein Zeichen des Vertrauens, +allgemeinen Urlaub waehrend des ganzen Winters; den Libyern versprach der +Feldherr, der den engherzigen phoenikischen Sonderpatriotismus nicht teilte, +eidlich das karthagische Buergerrecht, wenn sie als Sieger nach Afrika +zurueckkehren wuerden. Indes war diese Truppenmasse nur zum Teil fuer die +italische Expedition bestimmt. Etwa 20000 Mann kamen nach Afrika, der kleinere +Teil nach der Hauptstadt und dem eigentlich phoenikischen Gebiet, der groessere +an die westliche Spitze von Afrika. Zur Deckung von Spanien blieben 12000 Mann +zu Fuss zurueck nebst 2500 Pferden und fast der Haelfte der Elefanten, +ausserdem die dort stationierte Flotte; den Oberbefehl und das Regiment +uebernahm hier Hannibals juengerer Bruder Hasdrubal. Das unmittelbar +karthagische Gebiet ward verhaeltnismaessig schwach besetzt, da die Hauptstadt +im Notfall Hilfsmittel genug bot; ebenso genuegte in Spanien, wo neue +Aushebungen sich mit Leichtigkeit veranstalten liessen, fuer jetzt eine +maessige Zahl von Fusssoldaten, waehrend dagegen ein verhaeltnismaessig starker +Teil der eigentlich afrikanischen Waffen, der Pferde und Elefanten dort +zurueckblieb. Die Hauptsorgfalt wurde darauf gewendet, die Verbindungen +zwischen Spanien und Afrika zu sichern, weshalb in Spanien die Flotte blieb und +Westafrika von einer sehr starken Truppenmasse gehuetet ward. Fuer die Treue +der Truppen buergte, ausser den in dem festen Sagunt versammelten Geiseln der +spanischen Gemeinden, die Verlegung der Soldaten ausserhalb ihrer +Aushebungsbezirke, indem die ostafrikanische Landwehr vorwiegend nach Spanien, +die spanische nach Westafrika, die westafrikanische nach Karthago kamen. So war +fuer die Verteidigung hinreichend gesorgt. Was den Angriff anlangt, so sollte +von Karthago aus ein Geschwader von 20 Fuenfdeckern mit 1000 Soldaten an Bord +nach der italischen Westkueste segeln und diese verheeren, ein zweites von 25 +Segeln womoeglich sich wieder in Lilybaeon festsetzen; dieses bescheidene Mass +von Anstrengungen glaubte Hannibal seiner Regierung zumuten zu koennen. Mit der +Hauptarmee beschloss er selbst in Italien einzuruecken, wie das ohne Zweifel +schon in Hamilkars urspruenglichem Plan lag. Ein entscheidender Angriff auf Rom +war nur in Italien moeglich wie auf Karthago nur in Libyen; so gewiss Rom +seinen naechsten Feldzug mit dem letzteren begann, so gewiss durfte auch +Karthago sich nicht von vornherein entweder auf ein sekundaeres +Operationsobjekt, wie zum Beispiel Sizilien, oder gar auf die Verteidigung +beschraenken - die Niederlagen brachten in all diesen Faellen das gleiche +Verderben, nicht aber der Sieg die gleiche Frucht. +</p> + +<p> +Aber wie konnte Italien angegriffen werden? Es mochte gelingen, die Halbinsel +zu Wasser oder zu Lande zu erreichen; aber sollte der Zug nicht ein +verzweifeltes Abenteuer sein, sondern eine militaerische Expedition mit +strategischem Ziel, so bedurfte man dort einer naeheren Operationsbasis, als +Spanien oder Afrika waren. Auf eine Flotte und eine Hafenfestung konnte +Hannibal sich nicht stuetzen, da jetzt Rom das Meer beherrschte. Aber +ebensowenig bot sich in dem Gebiet der italischen Eidgenossenschaft irgendein +haltbarer Stuetzpunkt. Hatte sie zu ganz anderen Zeiten und trotz der +hellenischen Sympathien dem Stoss des Pyrrhos gestanden, so war nicht zu +erwarten, dass sie jetzt auf das Erscheinen des phoenikischen Feldherrn hin +zusammenbrechen werde; zwischen dem roemischen Festungsnetz und der +festgeschlossenen Bundesgenossenschaft ward das Invasionsheer ohne Zweifel +erdrueckt. Einzig das Ligurer- und Keltenland konnte fuer Hannibal sein, was +fuer Napoleon in seinen sehr aehnlichen russischen Feldzuegen Polen gewesen +ist; diese, noch von dem kaum beendigten Unabhaengigkeitskampf gaerenden +Voelkerschaften, den Italikern stammfremd und in ihrer Existenz bedroht, um die +eben jetzt sich die ersten Ringe der roemischen Festungs- und Chausseenkette +legten, mussten in dem phoenikischen Heere, das zahlreiche spanische Kelten in +seinen Reihen zaehlte, ihre Retter erkennen und ihm als erster Rueckhalt, als +Verpflegungs- und Rekrutierungsbezirk dienen. Schon waren foermliche Vertraege +mit den Boiern und Insubrern abgeschlossen, wodurch sie sich anheischig +machten, dem karthagischen Heer Wegweiser entgegenzusenden, ihnen gute Aufnahme +bei ihren Stammgenossen und Zufuhr unterwegs auszuwirken und gegen die Roemer +sich zu erheben, sowie das karthagische Heer auf italischem Boden stehe. Eben +in diese Gegend fuehrten endlich die Beziehungen zum Osten. Makedonien, das +durch den Sieg von Sellasia seine Herrschaft im Peloponnes neu befestigt hatte, +stand mit Rom in gespannten Verhaeltnissen; Demetrios von Pharos, der das +roemische Buendnis mit dem makedonischen vertauscht hatte und von den Roemern +vertrieben worden war, lebte als Fluechtling am makedonischen Hof, und dieser +hatte den Roemern die begehrte Auslieferung verweigert. Wenn es moeglich war, +die Heere vom Guadalquivir und vom Karasu irgendwo zu vereinigen gegen den +gemeinschaftlichen Feind, so konnte das nur am Po geschehen. So wies alles nach +Norditalien; und dass schon des Vaters Blick dahin gerichtet gewesen, zeigt die +karthagische Streifpartei, der die Roemer zu ihrer grossen Verwunderung im +Jahre 524 (230) in Ligurien begegnet waren. +</p> + +<p> +Weniger deutlich ist, warum Hannibal dem Land- vor dem Seeweg den Vorzug gab; +denn dass weder die Seeherrschaft der Roemer noch ihr Bund mit Massalia eine +Landung in Genua unmoeglich machte, leuchtet ein und hat die Folge bewiesen. In +unserer Ueberlieferung fehlen, um diese Frage genuegend zu entscheiden, nicht +wenige Faktoren, auf die es ankommen wuerde und die sich nicht durch Vermutung +ergaenzen lassen. Hannibal hatte unter zwei Uebeln zu waehlen. Statt den ihm +unbekannten und weniger zu berechnenden Wechselfaellen der Seefahrt und des +Seekrieges sich auszusetzen, muss es ihm geratener erschienen sein, lieber die +unzweifelhaft ernstlich gemeinten Zusicherungen der Boier und Insubrer +anzunehmen, um so mehr, als auch das bei Genua gelandete Heer noch die Berge +haette ueberschreiten muessen; schwerlich konnte er genau wissen, wie viel +geringere Schwierigkeiten der Apennin bei Genua darbietet als die Hauptkette +der Alpen. War doch der Weg, den er einschlug, die uralte Keltenstrasse, auf +der viel groessere Schwaerme die Alpen ueberstiegen hatten; der Verbuendete und +Erretter des Keltenvolkes durfte ohne Verwegenheit diesen betreten. +</p> + +<p> +So vereinigte Hannibal die fuer die grosse Armee bestimmten Truppen mit dem +Anfang der guten Jahreszeit in Cartagena; es waren ihrer 90000 Mann zu Fuss und +12000 Reiter, darunter etwa zwei Drittel Afrikaner und ein Drittel Spanier - +die mitgefuehrten 37 Elefanten mochten mehr bestimmt sein, den Galliern zu +imponieren, als zum ernstlichen Krieg. Hannibals Fussvolk war nicht mehr wie +das, welches Xanthippos fuehrte, genoetigt, sich hinter einen Vorhang von +Elefanten zu verbergen, und der Feldherr einsichtig genug, um dieser +zweischneidigen Waffe, die ebenso oft die Niederlage des eigenen wie die des +feindlichen Heeres herbeigefuehrt hatte, sich nur sparsam und vorsichtig zu +bedienen. Mit diesem Heere brach Hannibal im Fruehling 536 (218) von Cartagena +auf gegen den Ebro. Von den getroffenen Massregeln, namentlich den mit den +Kelten angeknuepften Verbindungen, von den Mitteln und dem Ziel des Zuges liess +er die Soldaten soviel erfahren, dass auch der Gemeine, dessen militaerischen +Instinkt der lange Krieg entwickelt haette, den klaren Blick und die sichere +Hand des Fuehrers ahnte und mit festem Vertrauen ihm in die unbekannte Weite +folgte; und die feurige Rede, in der er die Lage des Vaterlandes und die +Forderungen der Roemer vor ihnen darlegte, die gewisse Knechtung der teuren +Heimat, das schmachvolle Ansinnen der Auslieferung des geliebten Feldherrn und +seines Stabes, entflammte den Soldaten- und den Buergersinn in den Herzen +aller. +</p> + +<p> +Der roemische Staat war in einer Verfassung, wie sie auch in festgegruendeten +und einsichtigen Aristokratien wohl eintritt. Was man wollte, wusste man wohl; +es geschah auch manches, aber nichts recht noch zur rechten Zeit. Laengst +haette man Herr der Alpentore und mit den Kelten fertig sein koennen; noch +waren diese furchtbar und jene offen. Man haette mit Karthago entweder +Freundschaft haben koennen, wenn man den Frieden von 513 (241) ehrlich +einhielt, oder, wenn man das nicht wollte, konnte Karthago laengst unterworfen +sein; jener Friede ward durch die Wegnahme Sardiniens tatsaechlich gebrochen +und Karthagos Macht liess man zwanzig Jahre hindurch sich ungestoert +regenerieren. Mit Makedonien Frieden zu halten war nicht schwer; um geringen +Gewinn hatte man diese Freundschaft verscherzt. An einem leitenden, die +Verhaeltnisse im Zusammenhang beherrschenden Staatsmann muss es gefehlt haben; +ueberall war entweder zu wenig geschehen oder zu viel. Nun begann der Krieg, zu +dem man Zeit und Ort den Feind hatte bestimmen lassen; und im wohlbegruendeten +Vollgefuehl militaerischer Ueberlegenheit war man ratlos ueber Ziel und Gang +der naechsten Operationen. Man disponierte ueber eine halbe Million brauchbarer +Soldaten - nur die roemische Reiterei war minder gut und verhaeltnismaessig +minder zahlreich als die karthagische, jene etwa ein Zehntel, diese ein Achtel +der Gesamtzahl der ausrueckenden Truppen. Der roemischen Flotte von 220 +Fuenfdeckern, die eben aus dem Adriatischen Meere in die Westsee zurueckfuhr, +hatte keiner der von diesem Kriege beruehrten Staaten eine entsprechende +entgegenzustellen. Die natuerliche und richtige Verwendung dieser erdrueckenden +Uebermacht ergab sich von selbst. Seit langem stand es fest, dass der Krieg +eroeffnet werden sollte mit einer Landung in Afrika; die spaetere Wendung der +Ereignisse hatte die Roemer gezwungen, eine gleichzeitige Landung in Spanien in +den Kriegsplan aufzunehmen, vornehmlich, um nicht die spanische Armee vor den +Mauern von Karthago zu finden. Nach diesem Plan wusste man, als der Krieg durch +Hannibals Angriff auf Sagunt zu Anfang 535 (219) tatsaechlich eroeffnet war, +vor allen Dingen ein roemisches Heer nach Spanien werfen, ehe die Stadt fiel; +allein man versaeumte das Gebot des Vorteils nicht minder wie der Ehre. Acht +Monate lang hielt Sagunt sich umsonst - als die Stadt ueberging, hatte Rom zur +Landung in Spanien nicht einmal geruestet. Indes noch war das Land zwischen dem +Ebro und den Pyrenaeen frei, dessen Voelkerschaften nicht bloss die +natuerlichen Verbuendeten der Roemer waren, sondern auch von roemischen +Emissaeren gleich den Saguntinern Versprechungen schleunigen Beistandes +empfangen hatten. Nach Katalonien gelangt man zu Schiff von Italien nicht viel +weniger rasch wie von Cartagena zu Lande; wenn nach der inzwischen erfolgten +foermlichen Kriegserklaerung die Roemer wie die Phoeniker im April aufbrachen, +konnte Hannibal den roemischen Legionen an der Ebrolinie begegnen. +</p> + +<p> +Allerdings wurde denn auch der groessere Teil des Heeres und der Flotte fuer +den Zug nach Afrika verfuegbar gemacht und der zweite Konsul Publius Cornelius +Scipio an den Ebro beordert; allein er nahm sich Zeit, und als am Po ein +Aufstand ausbrach, liess er das zur Einschiffung bereitstehende Heer dort +verwenden und bildete fuer die spanische Expedition neue Legionen. So fand +Hannibal am Ebro zwar den heftigsten Widerstand, aber nur von den Eingeborenen; +mit diesen ward er, dem unter den obwaltenden Umstaenden die Zeit noch +kostbarer war als das Blut seiner Leute, mit Verlust des vierten Teiles seiner +Armee in einigen Monaten fertig und erreichte die Linie der Pyrenaeen. Dass +durch jene Zoegerung die spanischen Bundesgenossen Roms zum zweitenmal +aufgeopfert wurden, konnte man ebenso sicher vorhersehen, als die Zoegerung +selbst sich leicht vermeiden liess; wahrscheinlich aber waere selbst der Zug +nach Italien, den man in Rom noch im Fruehling 536 (218) nicht geahnt haben +muss, durch zeitiges Erscheinen der Roemer in Spanien abgewendet worden. +Hannibal hatte keineswegs die Absicht, sein spanisches +“Koenigreich” aufgebend, sich wie ein Verzweifelter nach Italien zu +werfen; die Zeit, die er an Sagunts Erstuermung und an die Unterwerfung +Kataloniens gewandt hatte, das betraechtliche Korps, das er zur Besetzung des +neugewonnenen Gebiets zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen zurueckliess, +beweisen zur Genuege, dass, wenn ein roemisches Heer ihm den Besitz Spaniens +streitig gemacht haette, er sich nicht begnuegt haben wuerde, sich demselben zu +entziehen; und was die Hauptsache war, wenn die Roemer seinen Abmarsch aus +Spanien auch nur um einige Wochen zu verzoegern imstande waren, so schloss der +Winter die Alpenpaesse, ehe Hannibal sie erreichte, und die afrikanische +Expedition ging ungehindert nach ihrem Ziele ab. +</p> + +<p> +An den Pyrenaeen angelangt, entliess Hannibal einen Teil seiner Truppen in die +Heimat; eine von Anfang an beschlossene Massregel, die den Feldherrn den +Soldaten gegenueber des Erfolges sicher zeigen und dem Gefuehl steuern sollte, +dass sein Unternehmen eines von denen sei, von welchen man nicht heimkehrt. Mit +einem Heer von 50000 Mann zu Fuss und 9000 zu Pferd, lauter alten Soldaten, +ward das Gebirg ohne Schwierigkeit ueberschritten und alsdann der Kuestenweg +ueber Narbonne und Nîmes eingeschlagen durch das keltische Gebiet, das teils +die frueher angeknuepften Verbindungen, teils das karthagische Gold, teils die +Waffen dem Heere oeffneten. Erst als dieses Ende Juli Avignon gegenueber an die +Rhone gelangte, schien seiner hier ein ernstlicher Widerstand zu warten. Der +Konsul Scipio, der auf seiner Fahrt nach Spanien in Massalia angelegt hatte +(etwa Ende Juni), war dort berichtet worden, dass er zu spaet komme und +Hannibal schon nicht bloss den Ebro, sondern auch die Pyrenaeen passiert habe. +Auf diese Nachrichten, welche zuerst die Roemer ueber die Richtung und das Ziel +Hannibals aufgeklaert zu haben scheinen, hatte der Konsul seine spanische +Expedition vorlaeufig aufgegeben und sich entschlossen, in Verbindung mit den +keltischen Voelkerschaften dieser Gegend, welche unter dem Einfluss der +Massalioten und dadurch unter dem roemischen standen, die Phoeniker an der +Rhone zu empfangen und ihnen den Uebergang ueber den Fluss und den Einmarsch in +Italien zu verwehren. Zum Glueck fuer Hannibal stand gegenueber dem Punkte, wo +er ueberzugehen gedachte, fuer jetzt nur der keltische Landsturm, waehrend der +Konsul selbst mit seinem Heer von 22000 Mann zu Fuss und 2000 Reitern noch in +Massalia selbst vier Tagemaersche stromabwaerts davon sich befand. Die Boten +des gallischen Landsturms eilten, ihn zu benachrichtigen. Hannibal sollte das +Heer mit der starken Reiterei und den Elefanten unter den Augen des Feindes und +bevor Scipio eintraf ueber den reissenden Strom fuehren; und er besass nicht +einen Nachen. Sogleich wurden auf seinen Befehl von den zahlreichen +Rhoneschiffern in der Umgegend alle ihre Barken zu jedem Preise aufgekauft und +was an Kaehnen noch fehlte, aus gefaellten Baeumen gezimmert; und in der Tat +konnte die ganze zahlreiche Armee an einem Tage uebergesetzt werden. Waehrend +dies geschah, marschierte eine starke Abteilung unter Hanno, Bomilkars Sohn, in +Gewaltmaerschen stromaufwaerts bis zu einem zwei kleine Tagemaersche oberhalb +Avignon gelegenen Uebergangspunkt, den sie unverteidigt fanden. Hier +ueberschritten sie auf schleunig zusammengeschlagenen Floessen den Fluss, um +dann stromabwaerts sich wendend die Gallier in den Ruecken zu fassen, die dem +Hauptheer den Uebergang verwehrten. Schon am Morgen des fuenften Tages nach der +Ankunft an der Rhone, des dritten nach Hannos Abmarsch, stiegen die +Rauchsignale der entsandten Abteilung am gegenueberliegenden Ufer auf, fuer +Hannibal das sehnlich erwartete Zeichen zum Uebergang: Eben als die Gallier, +sehend, dass die feindliche Kahnflotte in Bewegung kam, das Ufer zu besetzen +eilten, loderte ploetzlich ihr Lager hinter ihnen in Flammen auf; ueberrascht +und geteilt, vermochten sie weder dem Angriff zu stehen noch dem Uebergang zu +wehren und zerstreuten sich in eiliger Flucht. +</p> + +<p> +Scipio hielt waehrenddessen in Massalia Kriegsratsitzungen ueber die geeignete +Besetzung der Rhôneuebergaenge und liess sich nicht einmal durch die dringenden +Botschaften der Keltenfuehrer zum Aufbruch bestimmen. Er traute ihren +Nachrichten nicht und begnuegte sich, eine schwache roemische Reiterabteilung +zur Rekognoszierung auf dem linken Rhoneufer zu entsenden. Diese traf bereits +die gesamte feindliche Armee auf dies Ufer uebergegangen und beschaeftigt, die +allein noch am rechten Ufer zurueckgebliebenen Elefanten nachzuholen; nachdem +sie in der Gegend von Avignon, um nur die Rekognoszierung beendigen zu koennen, +einigen karthagischen Schwadronen ein hitziges Gefecht geliefert hatte - das +erste, in dem die Roemer und Phoeniker in diesem Krieg aufeinandertrafen -, +machte sie sich eiligst auf den Rueckweg, um im Hauptquartier Bericht zu +erstatten. Scipio brach nun Hals ueber Kopf mit all seinen Truppen gegen +Avignon auf; allein als er dort eintraf, war selbst die zur Deckung des +Uebergangs der Elefanten zurueckgelassene karthagische Reiterei bereits seit +drei Tagen abmarschiert, und es blieb dem Konsul nichts uebrig, als mit +ermuedeten Truppen und geringem Ruhm nach Massalia heimzukehren und auf die +“feige Flucht” des Puniers zu schmaelen. So hatte man erstens zum +drittenmal durch reine Laessigkeit die Bundesgenossen und eine wichtige +Verteidigungslinie preisgegeben, zweitens, indem man nach diesem ersten Fehler +vom verkehrten Rasten zu verkehrtem Hasten ueberging und ohne irgendeine +Aussicht auf Erfolg nun doch noch tat, was mit so sicherer einige Tage zuvor +geschehen konnte, eben dadurch das wirkliche Mittel, den Fehler +wiedergutzumachen, aus den Haenden gegeben. Seit Hannibal diesseits der Rhone +im Keltenland stand, war es nicht mehr zu hindern, dass er an die Alpen +gelangte; allein wenn sich Scipio auf die erste Kunde hin mit seinem ganzen +Heer nach Italien wandte - in sieben Tagen war ueber Genua der Po zu erreichen +- und mit seinem Korps die schwachen Abteilungen im Potal vereinigte, so konnte +er wenigstens dort dem Feind einen gefaehrlichen Empfang bereiten. Allein nicht +bloss verlor er die kostbare Zeit mit dem Marsch nach Avignon, sondern es +fehlte sogar dem sonst tuechtigen Manne, sei es der politische Mut, sei es die +militaerische Einsicht, die Bestimmung seines Korps den Umstaenden gemaess zu +veraendern; er sandte das Gros desselben unter seinem Bruder Gnaeus nach +Spanien und ging selbst mit weniger Mannschaft zurueck nach Pisae. +</p> + +<p> +Hannibal, der nach dem Uebergang ueber die Rhone in einer grossen +Heeresversammlung den Truppen das Ziel seines Zuges auseinandergesetzt und den +aus dem Potal angelangten Keltenhaeuptling Magilus selbst durch den Dolmetsch +hatte zu dem Heere sprechen lassen, setzte inzwischen ungehindert seinen Marsch +nach den Alpenpaessen fort. Welchen derselben er waehlte, darueber konnte weder +die Kuerze des Weges noch die Gesinnung der Einwohner zunaechst entscheiden, +wenngleich er weder mit Umwegen noch mit Gefechten Zeit zu verlieren hatte. Den +Weg musste er einschlagen, der fuer seine Bagage, seine starke Reiterei und die +Elefanten praktikabel war und in dem ein Heer hinreichende Subsistenzmittel, +sei es im guten oder mit Gewalt, sich verschaffen konnte - denn obwohl Hannibal +Anstalten getroffen hatte, Lebensmittel auf Saumtieren sich nachzufuehren, so +konnten bei einem Heere, das immer noch trotz starker Verluste gegen 50000 Mann +zaehlte, diese doch notwendig nur fuer einige Tage ausreichen. Abgesehen von +dem Kuestenweg, den Hannibal nicht einschlug, nicht weil die Roemer ihn +sperrten, sondern weil er ihn von seinem Ziel abgefuehrt haben wuerde, fuehrten +in alter Zeit ^3 von Gallien nach Italien nur zwei namhafte Alpenuebergaenge: +der Pass ueber die Kottische Alpe (Mont Genèvre) in das Gebiet der Tauriner +(ueber Susa oder Fenestrelles nach Turin) und der ueber die Graische (Kleiner +St. Bernhard) in das der Salasser (nach Aosta und Ivrea). Der erstere Weg ist +der kuerzere; allein von da an, wo er das Rhonetal verlaesst, fuehrt er in den +unwegsamen und unfruchtbaren Flusstaelern des Drak, der Romanche und der oberen +Durance durch ein schwieriges und armes Bergland und erfordert einen mindestens +sieben- bis achttaegigen Gebirgsmarsch; eine Heerstrasse hat erst Pompeius hier +angelegt, um zwischen der dies- und der jenseitigen gallischen Provinz eine +kuerzere Verbindung herzustellen. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^3 Der Weg ueber den Mont Cenis ist erst im Mittelalter eine Heerstrasse +geworden. Die oestlichen Paesse, wie zum Beispiel der ueber die Poeninische +Alpe oder den Grossen St. Bernhard, der uebrigens auch erst durch Caesar und +Augustus Militaerstrasse ward, kommen natuerlich hier nicht in Betracht. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard ist etwas laenger; allein nachdem er die +erste, das Rhonetal oestlich begrenzende Alpenwand ueberstiegen hat, haelt er +sich in dem Tale der oberen Isère, das von Grenoble ueber Chambéry bis hart an +den Fuss des Kleinen St. Bernhard, das heisst der Hochalpenkette sich hinzieht +und unter allen Alpentaelern das breiteste, fruchtbarste und bevoelkertste ist. +Es ist ferner der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard unter allen natuerlichen +Alpenpassagen zwar nicht die niedrigste, aber bei weitem die bequemste; obwohl +dort keine Kunststrasse angelegt ist, ueberschritt auf ihr noch im Jahre 1815 +ein oesterreichisches Korps mit Artillerie die Alpen. Dieser Weg, der bloss +ueber zwei Bergkaemme fuehrt, ist endlich von den aeltesten Zeiten an die +grosse Heerstrasse aus dem keltischen in das italische Land gewesen. Die +karthagische Armee hatte also in der Tat keine Wahl; es war ein glueckliches +Zusammentreffen, aber kein bestimmendes Motiv fuer Hannibal, dass die ihm +verbuendeten keltischen Staemme in Italien bis an den Kleinen St. Bernhard +wohnten, waehrend ihn der Weg ueber den Mont Genèvre zunaechst in das Gebiet +der Tauriner gefuehrt haben wuerde, die seit alten Zeiten mit den Insubrern in +Fehde lagen. +</p> + +<p> +So marschierte das karthagische Heer zunaechst an der Rhone hinauf gegen das +Tal der oberen Isère zu, nicht, wie man vermuten koennte, auf dem naechsten +Weg, an dem linken Ufer der unteren Isère hinauf, von Valence nach Grenoble, +sondern durch die “Insel” der Allobrogen, die reiche und damals +schon dichtbevoelkerte Niederung, die noerdlich und westlich von der Rhone, +suedlich von der Isère, oestlich von den Alpen umfasst wird. Es geschah dies +wieder deshalb, weil die naechste Strasse durch ein unwegsames und armes +Bergland gefuehrt haette, waehrend die Insel eben und aeusserst fruchtbar ist +und nur eine einfache Bergwand sie von dem oberen Isèretal scheidet. Der Marsch +an der Rhone in und quer durch die Insel bis an den Fuss der Alpenwand war in +sechzehn Tagen vollendet; er bot geringe Schwierigkeit und auf der Insel selbst +wusste Hannibal durch geschickte Benutzung einer zwischen zwei allobrogischen +Haeuptlingen ausgebrochenen Fehde sich einen der bedeutendsten derselben zu +verpflichten, dass derselbe den Karthagern nicht bloss durch die ganze Ebene +das Geleit gab, sondern auch ihnen die Vorraete ergaenzte und die Soldaten mit +Waffen, Kleidung und Schuhzeug versah. Allein an dem Uebergang ueber die erste +Alpenkette, die steil und wandartig emporsteigt und ueber die nur ein einziger +gangbarer Pfad (ueber den Mont du Chat beim Dorfe Chevelu) fuehrt, waere fast +der Zug gescheitert. Die allobrogische Bevoelkerung hatte den Pass stark +besetzt. Hannibal erfuhr es frueh genug, um einen Ueberfall zu vermeiden, und +lagerte am Fuss, bis nach Sonnenuntergang die Kelten sich in die Haeuser der +naechsten Stadt zerstreuten, worauf er in der Nacht den Pass einnahm. So war +die Hoehe gewonnen; allein auf dem aeusserst steilen Weg, der von der Hoehe +nach dem See von Bourget hinabfuehrt, glitten und stuerzten die Maultiere und +die Pferde. Die Angriffe, die an geeigneten Stellen von den Kelten auf die +marschierende Armee gemacht wurden, waren weniger an sich als durch das in +Folge derselben entstehende Getuemmel sehr unbequem; und als Hannibal sich mit +seinen leichten Truppen von oben herab auf die Allobrogen warf, wurden diese +zwar ohne Muehe und mit starkem Verlust den Berg hinuntergejagt, allein die +Verwirrung, besonders in dem Train, ward noch erhoeht durch den Laerm des +Gefechts. So nach starkem Verlust in der Ebene angelangt, ueberfiel Hannibal +sofort die naechste Stadt, um die Barbaren zu zuechtigen und zu schrecken und +zugleich seinen Verlust an Saumtieren und Pferden moeglichst wieder zu +ersetzen. Nach einem Rasttag in dem anmutigen Tal von Chambéry setzte die Armee +an der Isère hinauf ihren Marsch fort, ohne in dem breiten und reichen Grund +durch Mangel oder Angriffe aufgehalten zu werden. Erst als man am vierten Tage +eintrat in das Gebiet der Ceutronen (die heutige Tarantaise), wo allmaehlich +das Tal sich verengt, hatte man wiederum mehr Veranlassung, auf seiner Hut zu +sein. Die Ceutronen empfingen das Heer an der Landesgrenze (etwa bei Conflans) +mit Zweigen und Kraenzen, stellten Schlachtvieh, Fuehrer und Geiseln, und wie +durch Freundesland zog man durch ihr Gebiet. Als jedoch die Truppen unmittelbar +am Fuss der Alpen angelangt waren, da wo der Weg die Isère verlaesst und durch +ein enges und schwieriges Defilee an den Bach Reclus hinauf sich zu dem Gipfel +des Bernhard emporwindet, erschien auf einmal die Landwehr der Ceutronen teils +im Ruecken der Armee, teils auf den rechts und links den Pass einschliessenden +Bergraendern, in der Hoffnung, den Tross und das Gepaeck abzuschneiden. Allein +Hannibal, dessen sicherer Takt in all jenem Entgegenkommen der Ceutronen nichts +gesehen hatte als die Absicht, zugleich Schonung ihres Gebiets und die reiche +Beute zu gewinnen, hatte in Erwartung eines solchen Angriffs den Tross und die +Reiterei voraufgeschickt und deckte den Marsch mit dem gesamten Fussvolk; die +Absicht der Feinde wurde dadurch vereitelt, obwohl er nicht verhindern konnte, +dass sie, auf den Bergabhaengen den Marsch des Fussvolks begleitend, ihm durch +geschleuderte oder herabgerollte Steine sehr betraechtlichen Verlust zufuegten. +An dem “weissen Stein” (noch jetzt la roche blanche), einem hohen, +am Fusse des Bernhard einzeln stehenden und den Aufweg auf denselben +beherrschenden Kreidefels, lagerte Hannibal mit seinem Fussvolk, den Abzug der +die ganze Nacht hindurch muehsam hinaufklimmenden Pferde und Saumtiere zu +decken, und erreichte unter bestaendigen, sehr blutigen Gefechten endlich am +folgenden Tage die Passhoehe. Hier, auf der geschuetzten Hochebene, die sich um +einen kleinen See, die Quelle der Doria, in einer Ausdehnung von etwa 2½ +Miglien ausbreitet, liess er die Armee rasten. Die Entmutigung hatte +angefangen, sich der Gemueter der Soldaten zu bemaechtigen. Die immer +schwieriger werdenden Wege, die zu Ende gehenden Vorraete, die Defileenmaersche +unter bestaendigen Angriffen des unerreichbaren Feindes, die arg gelichteten +Reihen, die hoffnungslose Lage der Versprengten und Verwundeten, das nur der +Begeisterung des Fuehrers und seiner Naechsten nicht chimaerisch erscheinende +Ziel, fingen an, auch auf die afrikanischen und spanischen Veteranen zu wirken. +Indes die Zuversicht des Feldherrn blieb sich immer gleich; zahlreiche +Versprengte fanden sich wieder ein; die befreundeten Gallier waren nah, die +Wasserscheide erreicht und der dem Bergwanderer so erfreuliche Blick auf den +absteigenden Pfad eroeffnet; nach kurzer Rast schickte man mit erneutem Mute zu +dem letzten und schwierigsten Unternehmen, dem Hinabmarsch sich an. Von Feinden +ward das Heer dabei nicht wesentlich beunruhigt; aber die vorgerueckte +Jahreszeit - man war schon im Anfang September - vertrat bei dem Niederweg das +Ungemach, das bei dem Aufweg die Ueberfaelle der Anwohner bereitet hatten. Auf +dem steilen und schluepfrigen Berghang laengs der Doria, wo der frischgefallene +Schnee die Pfade verborgen und verdorben hatte, verirrten und glitten Menschen +und Tiere und stuerzten in die Abgruende; ja gegen das Ende des ersten +Tagemarsches gelangte man an eine Wegstrecke von etwa 200 Schritt Laenge, auf +welche von den steil darueber haengenden Felsen des Cramont bestaendig Lawinen +hinabstuerzen und wo in kalten Sommern der Schnee das ganze Jahr liegt. Das +Fussvolk kam hinueber; aber Pferde und Elefanten vermochten die glatten +Eismassen, ueber welche nur eine duenne Decke frischgefallenen Schnees sich +hinzog, nicht zu passieren und mit dem Trosse, der Reiterei und den Elefanten +nahm der Feldherr oberhalb der schwierigen Stelle das Lager. Am folgenden Tag +bahnten die Reiter durch angestrengtes Schanzen den Weg fuer Pferde und +Saumtiere; allein erst nach einer ferneren dreitaegigen Arbeit mit bestaendiger +Abloesung der Haende konnten endlich die halbverhungerten Elefanten +hinuebergefuehrt werden. So war nach viertaegigem Aufenthalt die ganze Armee +wieder vereinigt und nach einem weiteren dreitaegigen Marsch durch das immer +breiter und fruchtbarer sich entwickelnde Tal der Doria, dessen Einwohner, die +Salasser, Klienten der Insubrer, in den Karthagern ihre Verbuendeten und ihre +Befreier begruessten, gelangte die Armee um die Mitte des September in die +Ebene von Ivrea, wo die erschoepften Truppen in den Doerfern einquartiert +wurden, um durch gute Verpflegung und eine vierzehntaegige Rast von den +beispiellosen Strapazen sich zu erholen. Haetten die Roemer, wie sie es +konnten, ein Korps von 30000 ausgeruhten und kampffertigen Leuten etwa bei +Turin gehabt und die Schlacht sofort erzwungen, so haette es misslich +ausgesehen um Hannibals grossen Plan; zum Glueck fuer ihn waren sie wieder +einmal nicht, wo sie sein sollten, und stoerten die feindlichen Truppen nicht +in der Ruhe, deren sie so sehr bedurften ^4. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Die vielbestrittenen topographischen Fragen, die an diese beruehmte +Expedition sich knuepfen, koennen als erledigt und im wesentlichen als geloest +gelten durch die musterhaft gefuehrte Untersuchung der Herren Wickham und +Gramer. Ueber die chronologischen, die gleichfalls Schwierigkeiten darbieten, +moegen hier ausnahmsweise einige Bemerkungen stehen. +</p> + +<p> +Als Hannibal auf den Gipfel des Bernhard gelangte, “fingen die Spitzen +schon an, sich dicht mit Schnee zu bedecken” (Polyb. 3, 54); auf dem Wege +lag Schnee (Polyb. 3, 55), aber vielleicht groesstenteils nicht frisch +gefallener, sondern Schnee von herabgestuerzten Lawinen. Auf dem Bernhard +beginnt der Winter um Michaelis, der Schneefall im September; als Ende August +die genannten Englaender den Berg ueberstiegen, fanden sie fast gar keinen +Schnee auf ihrem Wege, aber zu beiden Seiten die Bergabhaenge davon bedeckt. +Hiernach scheint Hannibal Anfang September auf dem Pass angelangt zu sein; +womit auch wohl vereinbar ist, dass er dort eintraf, “als schon der +Winter herannahte” - denn mehr ist ςυνάπτειν τήν τής πλειάδος δύσιν +(Polyb. 3, 54) nicht, am wenigsten der Tag des Fruehuntergangs der Plejaden +(etwa 26. Oktober); vgl. C. L. Ideler, Lehrbuch der Chronologie. Berlin 1831. +Bd. 1, S. 241. +</p> + +<p> +Kam Hannibal neun Tage spaeter, also Mitte September in Italien an, so ist auch +Platz fuer die von da bis zur Schlacht an der Trebia gegen Ende Dezember (περί +χειμερινάς τροπάς Polyb. 3, 72) eingetretenen Ereignisse, namentlich die +Translokation des nach Afrika bestimmten Heeres von Lilybaeon nach Placentia. +Es passt dazu ferner, dass in einer Heerversammlung υπό τήν εαρινήν ώραν +(Polyb. 3, 34), also gegen Ende Maerz, der Tag des Abmarsches bekannt gemacht +ward und der Marsch fuenf (oder nach App. Hisp. 7, 4 sechs) Monate waehrte. +Wenn also Hannibal Anfang September auf dem Bernhard war, so war er, da er von +der Rhone bis dahin 30 Tage gebraucht, an der Rhône Anfang August eingetroffen, +wo denn freilich Scipio, der im Anfang des Sommers (Polyb. 3, 41), also +spaetestens Anfang Juni sich einschiffte unterwegs sich sehr verweilt oder in +Massalia in seltsamer Untaetigkeit laengere Zeit gesessen haben muss. +</p> + +<p> +—————————————————————— +</p> + +<p> +Das Ziel war erreicht, aber mit schweren Opfern. Von den 50000 zu Fuss, den +9000 zu Ross dienenden alten Soldaten, welche die Armee nach dem +Pyrenaeenuebergang zaehlte, waren mehr als die Haelfte das Opfer der Gefechte, +der Maersche und der Flussuebergaenge geworden; Hannibal zaehlte nach seiner +eigenen Angabe jetzt nicht mehr als 20000 zu Fuss - davon drei Fuenftel Libyer, +zwei Fuenftel Spanier - und 6000 zum Teil wohl demontierte Reiter, deren +verhaeltnismaessig geringer Verlust nicht minder fuer die Trefflichkeit der +numidischen Kavallerie spricht wie fuer die wohlueberlegte Schonung, mit der +der Feldherr diese ausgesuchte Truppe verwandte. Ein Marsch von 526 Miglien +oder etwa 33 maessigen Tagemaerschen, dessen Fortsetzung und Beendigung durch +keinen besonderen, nicht vorherzusehenden groesseren Unfall gestoert, vielmehr +nur durch unberechenbare Gluecksfaelle und noch unberechenbarere Fehler des +Feindes moeglich ward und der dennoch nicht bloss solche Opfer kostete, sondern +die Armee so strapazierte und demoralisierte, dass sie einer laengeren Rast +bedurfte, um wieder kampffaehig zu werden, ist eine militaerische Operation von +zweifelhaftem Werte, und es darf in Frage gestellt werden, ob Hannibal sie +selber als gelungen betrachtete. Nur duerfen wir daran nicht unbedingt einen +Tadel des Feldherrn knuepfen; wir sehen wohl die Maengel des von ihm befolgten +Operationsplans, koennen aber nicht entscheiden, ob er imstande war, sie +vorherzusehen - fuehrte doch sein Weg durch unbekanntes Barbarenland -, und ob +ein anderer Plan, etwa die Kuestenstrasse einzuschlagen oder in Cartagena oder +Karthago sich einzuschiffen, ihn geringeren Gefahren ausgesetzt haben wuerde. +Die umsichtige und meisterhafte Ausfuehrung des Planes im einzelnen ist auf +jeden Fall bewundernswert, und worauf am Ende alles ankam - sei es nun mehr +durch die Gunst des Schicksals oder sei es mehr durch die Kunst des Feldherrn, +Hamilkars grosser Gedanke, in Italien den Kampf mit Rom aufzunehmen, war jetzt +zur Tat geworden. Sein Geist ist es, der diesen Zug entwarf; und wie Steins und +Scharnhorsts Aufgabe schwieriger und grossartiger war als die von York und +Bluecher, so hat auch der sichere Takt geschichtlicher Erinnerung das letzte +Glied der grossen Kette von vorbereitenden Taten, den Uebergang ueber die +Alpen, stets mit groesserer Bewunderung genannt als die Schlachten am +Trasimenischen See und auf der Ebene von Cannae. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap05"></a>KAPITEL V.<br/> +Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae</h2> + +<p> +Durch das Erscheinen der karthagischen Armee diesseits der Alpen war mit einem +Schlag die Lage der Dinge verwandelt und der roemische Kriegsplan gesprengt. +Von den beiden roemischen Hauptarmeen war die eine in Spanien gelandet und dort +schon mit dem Feinde handgemein; sie zurueckzuziehen, war nicht mehr moeglich. +Die zweite, die unter dem Oberbefehl des Konsuls Tiberius Sempronius nach +Afrika bestimmt war, stand gluecklicherweise noch in Sizilien; die roemische +Zauderei bewies sich hier einmal von Nutzen. Von den beiden karthagischen nach +Italien und Sizilien bestimmten Geschwadern war das erste durch den Sturm +zerstreut und einige der Schiffe desselben bei Messana von den syrakusanischen +aufgebracht worden; das zweite hatte vergeblich versucht, Lilybaeon zu +ueberrumpeln und darauf in einem Seegefecht vor diesem Hafen den kuerzeren +gezogen. Doch war das Verweilen der feindlichen Geschwader in den italischen +Gewaessern so unbequem, dass der Konsul beschloss, bevor er nach Afrika +ueberfuhr, die kleinen Inseln um Sizilien zu besetzen und die gegen Italien +operierende karthagische Flotte zu vertreiben. Mit der Eroberung von Melite und +dem Aufsuchen des feindlichen Geschwaders, das er bei den Liparischen Inseln +vermutete, waehrend es bei Vibo (Monteleone) gelandet die brettische Kueste +brandschatzte, endlich mit der Erkundung eines geeigneten Landungsplatzes an +der afrikanischen Kueste war ihm der Sommer vergangen, und so traf der Befehl +des Senats, so schleunig wie moeglich zur Verteidigung der Heimat +zurueckzukehren, Heer und Flotte noch in Lilybaeon. +</p> + +<p> +Waehrend also die beiden grossen, jede fuer sich der Armee Hannibals an Zahl +gleichen roemischen Armeen in weiter Ferne von dem Potal verweilten, war man +hier auf einen Angriff schlechterdings nicht gefasst. Zwar stand dort ein +roemisches Heer infolge der unter den Kelten schon vor Ankunft der +karthagischen Armee ausgebrochenen Insurrektion. Die Gruendung der beiden +roemischen Zwingburgen Placentia und Cremona, von denen jede 6000 Kolonisten +erhielt, und namentlich die Vorbereitungen zur Gruendung von Mutina im boischen +Lande hatten schon im Fruehling 536 (218), vor der mit Hannibal verabredeten +Zeit, die Boier zum Aufstand getrieben, dem sich die Insubrer sofort +anschlossen. Die schon auf dem mutinensischen Gebiet angesiedelten Kolonisten, +ploetzlich ueberfallen, fluechteten sich in die Stadt. Der Praetor Lucius +Manlius, der in Ariminum den Oberbefehl fuehrte, eilte schleunig mit seiner +einzigen Legion herbei, um die blockierten Kolonisten zu entsetzen; allein in +den Waeldern ueberrascht, blieb ihm nach starkem Verlust nichts anderes uebrig, +als sich auf einem Huegel festzusetzen und hiervon den Boiern sich gleichfalls +belagern zu lassen, bis eine zweite von Rom gesandte Legion unter dem Praetor +Lucius Atilius Heer und Stadt gluecklich befreite und den gallischen Aufstand +fuer den Augenblick daempfte. Dieser voreilige Aufstand der Boier, der +einerseits, insofern er Scipios Abfahrt nach Spanien verzoegerte, Hannibals +Plan wesentlich gefoerdert hatte, war anderseits die Ursache, dass er das Potal +nicht bis auf die Festungen voellig unbesetzt fand. Allein das roemische Korps, +dessen zwei stark dezimierte Legionen keine 20000 Soldaten zaehlten, hatte +genug zu tun, die Kelten im Zaum zu halten, und dachte nicht daran, die +Alpenpaesse zu besetzen, deren Bedrohung man auch in Rom erst erfuhr, als im +August der Konsul Publius Scipio ohne sein Heer von Massalia nach Italien +zurueckkam, und vielleicht selbst damals wenig beachtete, da ja das tollkuehne +Beginnen allein an den Alpen scheitern werde. Also stand in der entscheidenden +Stunde an dem entscheidenden Platz nicht einmal ein roemischer Vorposten; +Hannibal hatte volle Zeit, sein Heer auszuruhen, die Hauptstadt der Tauriner, +die ihm die Tore verschloss, nach dreitaegiger Belagerung zu erstuermen und +alle ligurischen und keltischen Gemeinden im oberen Potal zum Buendnis zu +bewegen oder zu schrecken, bevor Scipio, der das Kommando im Potal uebernommen +hatte, ihm in den Weg trat. Dieser, dem die schwierige Aufgabe zufiel, mit +einem bedeutend geringeren, namentlich an Reiterei sehr schwachen Heer das +Vordringen der ueberlegenen feindlichen Armee auf- und die ueberall sich +regende keltische Insurrektion niederzuhalten, war, vermutlich bei Placentia, +ueber den Po gegangen und rueckte an diesem hinauf dem Feind entgegen, waehrend +Hannibal nach der Einnahme von Turin flussabwaerts marschierte, um den +Insubrern und Boiern Luft zu machen. In der Ebene zwischen dem Ticino und der +Sesia unweit Vercellae traf die roemische Reiterei, die mit dem leichten +Fussvolk zu einer forcierten Rekognoszierung vorgegangen war, auf die zu +gleichem Zwecke ausgesendete phoenikische, beide gefuehrt von den Feldherren in +Person. Scipio nahm das angebotene Gefecht trotz der Ueberlegenheit des Feindes +an; allein sein leichtes Fussvolk, das vor der Front der Reiter aufgestellt +war, riss vor dem Stoss der feindlichen schweren Reiterei aus und waehrend +diese von vorn die roemischen Reitermassen engagierte, nahm die leichte +numidische Kavallerie, nachdem sie die zersprengten Scharen des feindlichen +Fussvolks beiseite gedraengt hatte, die roemischen Reiter in die Flanken und +den Ruecken. Dies entschied das Gefecht. Der Verlust der Roemer war sehr +betraechtlich; der Konsul selbst, der als Soldat gutmachte, was er als Feldherr +gefehlt hatte, empfing eine gefaehrliche Wunde und verdankte seine Rettung nur +der Hingebung seines siebzehnjaehrigen Sohnes, der mutig in die Feinde +hineinsprengend seine Schwadron zwang, ihm zu folgen und den Vater heraushieb. +Scipio, durch dies Gefecht aufgeklaert ueber die Staerke des Feindes, begriff +den Fehler, den er gemacht hatte, mit einer schwaecheren Armee sich in der +Ebene mit dem Ruecken gegen den Fluss aufzustellen und entschloss sich, unter +den Augen des Gegners auf das rechte Poufer zurueckzukehren. Wie die +Operationen sich auf einen engeren Raum zusammenzogen und die Illusionen der +roemischen Unwiderstehlichkeit von ihm wichen, fand er sein bedeutendes +militaerisches Talent wieder, das der bis zur Abenteuerlichkeit verwegene Plan +seines jugendlichen Gegners auf einen Augenblick paralysiert hatte. Waehrend +Hannibal sich zur Feldschlacht bereit machte, gelangte Scipio durch einen rasch +entworfenen und sicher ausgefuehrten Marsch gluecklich auf das zur Unzeit +verlassene rechte Ufer des Flusses und brach die Pobruecke hinter dem Heere ab, +wobei freilich das mit der Deckung des Abbruchs beauftragte roemische +Detachement von 600 Mann abgeschnitten und gefangen wurde. Indes konnte, da der +obere Lauf des Flusses in Hannibals Haenden war, es diesem nicht verwehrt +werden, dass er stromaufwaerts marschierend auf einer Schiffbruecke uebersetzte +und in wenigen Tagen auf dem rechten Ufer dem roemischen Heere gegenuebertrat. +Dies hatte in der Ebene vorwaerts von Placentia Stellung genommen; allein die +Meuterei einer keltischen Abteilung im roemischen Lager und die ringsum aufs +neue ausbrechende gallische Insurrektion zwang den Konsul, die Ebene zu raeumen +und sich auf den Huegeln hinter der Trebia festzusetzen, was ohne namhaften +Verlust bewerkstelligt ward, da die nachsetzenden numidischen Reiter mit dem +Pluendern und Anzuenden des verlassenen Lagers die Zeit verdarben. In dieser +starken Stellung, den linken Fluegel gelehnt an den Apennin, den rechten an den +Po und die Festung Placentia, von vorn gedeckt durch die in dieser Jahreszeit +nicht unbedeutende Trebia, vermochte er zwar die reichen Magazine von +Clastidium (Casteggio), von dem ihn in dieser Stellung die feindliche Armee +abschnitt, nicht zu retten und die insurrektionelle Bewegung fast aller +gallischen Kantone mit Ausnahme der roemisch gesinnten Cenomanen nicht +abzuwenden. Aber Hannibals Weitermarsch war voellig gehemmt und derselbe +genoetigt, sein Lager dem roemischen gegenueber zu schlagen; ferner hinderte +die von Scipio genommene Stellung sowie die Bedrohung der insubrischen Grenzen +durch die Cenomanen die Hauptmasse der gallischen Insurgenten, sich unmittelbar +dem Feinde anzuschliessen, und gab dem zweiten roemischen Heer, das +mittlerweile von Lilybaeon in Ariminum eingetroffen war, Gelegenheit, mitten +durch das insurgierte Land ohne wesentliche Hinderung Placentia zu erreichen +und mit der Poarmee sich zu vereinigen. Scipio hatte also seine schwierige +Aufgabe vollstaendig und glaenzend geloest. Das roemische Heer, jetzt nahe an +40000 Mann stark und dem Gegner wenn auch an Reiterei nicht gewachsen, doch an +Fussvolk wenigstens gleich, brauchte bloss da stehen zu bleiben, wo es stand, +um den Feind entweder zu noetigen, in der winterlichen Jahreszeit den +Flussuebergang und den Angriff auf das roemische Lager zu versuchen oder sein +Vorruecken einzustellen und den Wankelmut der Gallier durch die laestigen +Winterquartiere auf die Probe zu setzen. Indes so einleuchtend dies war, so war +es nicht minder unzweifelhaft, dass man schon im Dezember stand und bei jenem +Verfahren zwar vielleicht Rom den Sieg gewann, aber nicht der Konsul Tiberius +Sempronius, der infolge von Scipios Verwundung den Oberbefehl allein fuehrte +und dessen Amtsjahr in wenigen Monaten ablief. Hannibal kannte den Mann und +versaeumte nichts, ihn zum Kampf zu reizen; die den Roemern treugebliebenen +keltischen Doerfer wurden grausam verheert und als darueber ein Reitergefecht +sich entspann, gestattete Hannibal den Gegnern, sich des Sieges zu ruehmen. +Bald darauf, an einem rauhen regnerischen Tage, kam es, den Roemern unvermutet, +zu der Hauptschlacht. Vom fruehesten Morgen an hatten die roemischen leichten +Truppen herumgeplaenkelt mit der leichten Reiterei der Feinde; diese wich +langsam, und hitzig eilten die Roemer ihr nach durch die hochangeschwollene +Trebia, den errungenen Vorteil zu verfolgen. Ploetzlich standen die Reiter; die +roemische Vorhut fand sich auf dem von Hannibal gewaehlten Schlachtfeld seiner +zur Schlacht geordneten Armee gegenueber - sie war verloren, wenn nicht das +Gros der Armee schleunigst ueber den Bach folgte. Hungrig, ermuedet und +durchnaesst kamen die Roemer an und eilten sich, in Reihe und Glied zu stellen; +die Reiter wie immer auf den Fluegeln, das Fussvolk im Mitteltreffen. Die +leichten Truppen, die auf beiden Seiten die Vorhut bildeten, begannen das +Gefecht; allein die roemischen hatten fast schon gegen die Reiterei sich +verschossen und wichen sofort, ebenso auf den Fluegeln die Reiterei, welche die +Elefanten von vorn bedraengten und die weit zahlreicheren karthagischen Reiter +links und rechts ueberfluegelten. Aber das roemische Fussvolk bewies sich +seines Namens wert; es focht zu Anfang der Schlacht mit der entschiedensten +Ueberlegenheit gegen die feindliche Infanterie, und selbst als die +Zurueckdraengung der roemischen Reiter der feindlichen Kavallerie und den +Leichtbewaffneten gestattete, ihre Angriffe gegen das roemische Fussvolk zu +kehren, stand dasselbe zwar vom Vordringen ab, aber zum Weichen war es nicht zu +bringen. Da ploetzlich erschien eine auserlesene karthagische Schar, 1000 Mann +zu Fuss und ebensoviele zu Pferd unter der Fuehrung von Mago, Hannibals +juengstem Bruder, aus einem Hinterhalt in dem Ruecken der roemischen Armee und +hieb ein in die dicht verwickelten Massen. Die Fluegel der Armee und die +letzten Glieder des roemischen Zentrums wurden durch diesen Angriff aufgeloest +und zersprengt. Das erste Treffen, 10000 Mann stark, durchbrach, sich eng +zusammenschliessend, die karthagische Linie und bahnte mitten durch die Feinde +sich seitwaerts einen Ausweg, der der feindlichen Infanterie, namentlich den +gallischen Insurgenten teuer zu stehen kam; diese tapfere Truppe gelangte also, +nur schwach verfolgt, nach Placentia. Die uebrige Masse ward zum groessten Teil +bei dem Versuch, den Fluss zu ueberschreiten, von den Elefanten und den +leichten Truppen des Feindes niedergemacht; nur ein Teil der Reiterei und +einige Abteilungen des Fussvolks vermochten den Fluss durchwatend das Lager zu +gewinnen, wohin ihnen die Karthager nicht folgten, und erreichten von da +gleichfalls Placentia ^1. Wenige Schlachten machen dem roemischen Soldaten mehr +Ehre als diese an der Trebia und wenige zugleich sind eine schwerere Anklage +gegen den Feldherrn, der sie schlug; obwohl der billig Urteilende nicht +vergessen wird, dass die an einem bestimmten Tage ablaufende +Feldhauptmannschaft eine unmilitaerische Institution war und von Dornen sich +einmal keine Feigen ernten lassen. Auch den Siegern kam der Sieg teuer zu +stehen. Wenngleich der Verlust im Kampfe hauptsaechlich auf die keltischen +Insurgenten gefallen war, so erlagen doch nachher den infolge des rauhen und +nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine Menge von Hannibals alten +Soldaten und saemtliche Elefanten bis auf einen einzigen. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Polybios’ Bericht ueber die Schlacht an der Trebia ist vollkommen +klar. Wenn Placentia auf dem rechten Ufer der Trebia an deren Muendung in den +Po lag, und wenn die Schlacht auf dem linken Ufer geliefert ward, waehrend das +roemische Lager auf dem rechten geschlagen war - was beides wohl bestritten +worden, aber nichtsdestoweniger unbestreitbar ist -, so mussten allerdings die +roemischen Soldaten, ebensogut um Placentia wie um das Lager zu gewinnen, die +Trebia passieren. Allein bei dem Uebergang in das Lager haetten sie durch die +aufgeloesten Teile der eigenen Armee und durch das feindliche Umgehungskorps +sich den Weg bahnen und dann fast im Handgemenge mit dem Feinde den Fluss +ueberschreiten muessen. Dagegen ward der Uebergang bei Placentia +bewerkstelligt, nachdem die Verfolgung nachgelassen hatte, das Korps mehrere +Meilen vom Schlachtfeld entfernt und im Bereiche einer roemischen Festung +angelangt war; es kann sogar sein, obwohl es sich nicht beweisen laesst, dass +hier eine Bruecke ueber die Trebia fuehrte und der Brueckenkopf am anderen Ufer +von der placentinischen Garnison besetzt war. Es ist einleuchtend, dass die +erste Passage ebenso schwierig wie die zweite leicht war und Polybios also, +Militaer wie er war, mit gutem Grunde von dem Korps der Zehntausend bloss sagt, +dass es in geschlossenen Kolonnen nach Placentia sich durchschlug (3, 74, 6), +ohne des hier gleichgueltigen Uebergangs ueber den Fluss zu gedenken. +</p> + +<p> +Die Verkehrtheit der Livianischen Darstellung, welche das phoenikische Lager +auf das rechte, das roemische auf das linke Ufer der Trebia verlegt, ist +neuerdings mehrfach hervorgehoben worden. Es mag nur noch daran erinnert +werden, dass die Lage von Clastidium bei dem heutigen Casteggio jetzt durch +Inschriften festgestellt ist (Orelli-Henzen 5117). +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +Die Folge dieses ersten Sieges der Invasionsarmee war, dass die nationale +Insurrektion sich nun im ganzen Kettenland ungestoert erhob und organisierte. +Die Ueberreste der roemische Poarmee warfen sich in die Festungen Placentia und +Cremona; vollstaendig abgeschnitten von der Heimat, mussten sie ihre Zufuhren +auf dem Fluss zu Wasser beziehen. Nur wie durch ein Wunder entging der Konsul +Tiberius Sempronius der Gefangenschaft, als er mit einem schwachen Reitertrupp +der Wahlen wegen nach Rom ging. Hannibal, der nicht durch weitere Maersche in +der rauben Jahreszeit die Gesundheit seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte, +bezog, wo er war, das Winterbiwak und begnuegte sich, da ein ernstlicher +Versuch auf die groesseren Festungen zu nichts gefuehrt haben wuerde, durch +Angriffe auf den Flusshafen von Placentia und andere kleinere roemische +Positionen den Feind zu necken. Hauptsaechlich beschaeftigte er sich damit, den +gallischen Aufstand zu organisieren; ueber 60000 Fusssoldaten und 4000 +Berittene sollen von den Kelten sich seinem Heer angeschlossen haben. +</p> + +<p> +Fuer den Feldzug des Jahres 537 (217) wurden in Rom keine ausserordentlichen +Anstrengungen gemacht; der Senat betrachtete, und nicht mit Unrecht, trotz der +verlorenen Schlacht die Lage noch keineswegs als ernstlich gefahrvoll. Ausser +den Kuestenbesatzungen, die nach Sardinien, Sizilien und Tarent, und den +Verstaerkungen, die nach Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen Konsuln +Gaius Flaminius und Gnaeus Servilius nur soviel Mannschaft, als noetig war, um +die vier Legionen wieder vollzaehlig zu machen; einzig die Reiterei wurde +verstaerkt. Sie sollten die Nordgrenze decken und stellten sich deshalb an den +beiden Kunststrassen auf, die von Rom nach Norden fuehrten, und von denen die +westliche damals bei Arretium, die oestliche bei Ariminum endigte; jene +besetzte Gaius Flaminius, diese Gnaeus Servilius. Hier zogen sie die Truppen +aus den Pofestungen, wahrscheinlich zu Wasser, wieder an sich und erwarteten +den Beginn der besseren Jahreszeit, um in der Defensive die Apenninpaesse zu +besetzen und, zur Offensive uebergehend, in das Potal hinabzusteigen und etwa +bei Placentia sich die Hand zu reichen. Allein Hannibal hatte keineswegs die +Absicht, das Potal zu verteidigen. Er kannte Rom besser vielleicht, als die +Roemer selbst es kannten, und wusste sehr genau, wie entschieden er der +Schwaechere war und es blieb trotz der glaenzenden Schlacht an der Trebia; er +wusste auch, dass sein letztes Ziel, die Demuetigung Roms, von dem zaehen +roemischen Trotz weder durch Schreck noch durch Ueberraschung zu erreichen sei, +sondern nur durch die tatsaechliche Ueberwaeltigung der stolzen Stadt. Es lag +klar am Tage, wie unendlich ihm, dem von daheim nur unsichere und +unregelmaessige Unterstuetzung zukam und der in Italien zunaechst nur auf das +schwankende und latinische Kelterwolk sich zu lehnen vermochte, die italische +Eidgenossenschaft an politischer Festigkeit und an militaerischen Hilfsmitteln +ueberlegen war; und wie tief trotz aller angewandten Muehe der phoenikische +Fusssoldat unter dem Legionaer taktisch stand, hatte die Defensive Scipios und +der glaenzende Rueckzug der geschlagenen Infanterie an der Trebia vollkommen +erwiesen. Aus dieser Einsicht flossen die beiden Grundgedanken, die Hannibals +ganze Handlungsweise in Italien bestimmt haben: den Krieg mit stetem Wechsel +des Operationsplans und des Schauplatzes, gewissermassen abenteuernd zu +fuehren, die Beendigung desselben aber nicht von den militaerischen Erfolgen, +sondern von den politischen, von der allmaehlichen Lockerung und der endlichen +Sprengung der italischen Eidgenossenschaft zu erwarten. Jene Fuehrung war +notwendig, weil das einzige, was Hannibal gegen so viele Nachteile in die +Waagschale zu werfen hatte, sein militaerisches Genie nur dann vollstaendig ins +Gewicht fiel, wenn er seine Gegner stets durch unvermutete Kombinationen +deroutierte, und er verloren war, sowie der Krieg zum Stehen kam. Dieses Ziel +war das von der richtigen Politik ihm gebotene, weil er, der gewaltige +Schlachtensieger, sehr deutlich einsah, dass er jedesmal die Generale ueberwand +und nicht die Stadt, und nach jeder neuen Schlacht die Roemer den Karthagern +ebenso ueberlegen blieben, wie er den roemischen Feldherren. Dass Hannibal +selbst auf dem Gipfel des Gluecks sich nie hierueber getaeuscht hat, ist +bewunderungswuerdiger als seine bewundertsten Schlachten. +</p> + +<p> +Dies und nicht die Bitten der Gallier um Schonung ihres Landes, die ihn nicht +bestimmen durften, ist auch die Ursache, warum Hannibal seine neugewonnene +Operationsbasis gegen Italien jetzt gleichsam fallen liess und den +Kriegsschauplatz nach Italien selbst verlegte. Vorher hiess er alle Gefangenen +sich vorfuehren. Die Roemer liess er aussondern und mit Sklavenfesseln belasten +- dass Hannibal alle waffenfaehigen Roemer, die ihm hier und sonst in die +Haende fielen, habe niedermachen lassen, ist ohne Zweifel mindestens stark +uebertrieben; dagegen wurden die saemtlichen italischen Bundesgenossen ohne +Loesegeld entlassen, um daheim zu berichten, dass Hannibal nicht gegen Italien +Krieg fuehre, sondern gegen Rom; dass er jeder italischen Gemeinde die alte +Unabhaengigkeit und die alten Grenzen wieder zusichere und dass den Befreiten +der Befreier auf dem Fusse folge als Retter und als Raecher. In der Tat +bracher, da der Winter zu Ende ging, aus dem Potal auf, um sich einen Weg durch +die schwierigen Defileen des Apennin zu suchen. Gaius Flaminius mit der +etruskischen Armee stand vorlaeufig noch bei Arezzo, um von hier aus zur +Deckung des Arnotales und der Apenninpaesse etwa nach Lucca abzuruecken, sowie +es die Jahreszeit erlaubte. Allein Hannibal kam ihm zuvor. Der Apenninuebergang +ward in moeglichst westlicher Richtung, das heisst moeglichst weit vom Feinde, +ohne grosse Schwierigkeit bewerkstelligt; allein die sumpfigen Niederungen +zwischen dem Serchio und dem Arno waren durch die Schneeschmelze und die +Fruehlingsregen so ueberstaut, dass die Armee vier Tage im Wasser zu +marschieren hatte, ohne auch nur zur naechtlichen Rast einen anderen trockenen +Platz zu finden, als den das zusammengehaeufte Gepaeck und die gefallenen +Saumtiere darboten. Die Truppen litten unsaeglich, namentlich das gallische +Fussvolk, das hinter dem karthagischen in den schon grundlosen Wegen +marschierte; es murrte laut und waere ohne Zweifel in Masse ausgerissen, wenn +nicht die karthagische Reiterei unter Mago, die den Zug beschloss, ihm die +Flucht unmoeglich gemacht haette. Die Pferde, unter denen die Klauenseuche +ausbrach, fielen haufenweise; andere Seuchen dezimierten die Soldaten; Hannibal +selbst verlor infolge einer Entzuendung das eine Auge. Indes das Ziel ward +erreicht; Hannibal lagerte bei Fiesole, waehrend Gaius Flaminius noch bei +Arezzo abwartete, dass die Wege gangbar wuerden, um sie zu sperren. Nachdem die +roemische Defensivstellung somit umgangen war, konnte der Konsul, der +vielleicht stark genug gewesen waere, um die Bergpaesse zu verteidigen, aber +sicher nicht imstande war, Hannibal jetzt im offenen Felde zu stehen, nichts +Besseres tun als warten, bis das zweite, nun bei Ariminum voellig ueberfluessig +gewordene Heer herankam. Indes er selber urteilte anders. Er war ein +politischer Parteifuehrer, durch seine Bemuehungen, die Macht des Senats zu +beschraenken, in die Hoehe gekommen, durch die gegen ihn waehrend seiner +Konsulate gesponnenen aristokratischen Intrigen auf die Regierung erbittert, +durch die wohl gerechtfertigte Opposition gegen deren parteilichen Schlendrian +fortgerissen zu trotziger Ueberhebung ueber Herkommen und Sitte, berauscht +zugleich von der blinden Liebe des gemeinen Mannes und ebenso sehr von dem +bitteren Hass der Herrenpartei, und ueber alles dies mit der fixen Idee +behaftet, dass er ein militaerisches Genie sei. Sein Feldzug gegen die Insubrer +von 531 (223), der fuer unbefangene Urteiler nur bewies, dass tuechtige +Soldaten oefters gutmachen, was schlechte Generale verderben, galt ihm und +seinen Anhaengern als der unumstoessliche Beweis, dass man nur den Gaius +Flaminius an die Spitze des Heeres zu stellen brauche, um dem Hannibal ein +schnelles Ende zu bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite Konsulat +verschafft, und solche Hoffnungen hatten jetzt eine derartige Menge von +unbewaffneten Beutelustigen in sein Lager gefuehrt, dass deren Zahl nach der +Versicherung nuechterner Geschichtschreiber die der Legionarier ueberstieg. Zum +Teil hierauf gruendete Hannibal seinen Plan. Weit entfernt, ihn anzugreifen, +marschierte er an ihm vorbei und liess durch die Kelten, die das Pluendern +gruendlich verstanden, und die zahlreiche Reiterei die Landschaft rings umher +brandschatzen. Die Klagen und die Erbitterung der Menge, die sich musste +auspluendern lassen unter den Augen des Helden, der sie zu bereichern +versprochen; das Bezeigen des Feindes, dass er ihm weder die Macht noch den +Entschluss zutraue, vor der Ankunft seines Kollegen etwas zu unternehmen, +mussten einen solchen Mann bestimmen, sein strategisches Genie zu entwickeln +und dem unbesonnenen hochmuetigen Feind eine derbe Lektion zu erteilen. Nie ist +ein Plan vollstaendiger gelungen. Eilig folgte der Konsul dem Marsch des +Feindes, der an Arezzo vorueber langsam durch das reiche Chianatal gegen +Perugia zog; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo Hannibal, genau +unterrichtet von dem Marsch seines Gegners, volle Zeit gehabt hatte, sein +Schlachtfeld zu waehlen, ein enges Defilee zwischen zwei steilen Bergwaenden, +das am Ausgang ein hoher Huegel, am Eingang der Trasimenische See schloss. Mit +dem Kern seiner Infanterie verlegte er den Ausweg; die leichten Truppen und die +Reiterei stellten zu beiden Seiten verdeckt sich auf. Unbedenklich rueckten die +roemischen Kolonnen in den unbesetzten Pass; der dichte Morgennebel verbarg +ihnen die Stellung des Feindes. Wie die Spitze des roemischen Zuges sich dein +Huegel naeherte, gab Hannibal das Zeichen zur Schlacht; zugleich schloss die +Reiterei, hinter den Huegeln vorrueckend, den Eingang des Passes und auf den +Raendern rechts und links zeigten die verziehenden Nebel ueberall phoenikische +Waffen. Es war kein Treffen, sondern nur eine Niederlage. Was ausserhalb des +Defilees geblieben war, wurde von den Reitern in den See gesprengt, der +Hauptzug in dem Passe selbst fast ohne Gegenwehr vernichtet und die meisten, +darunter der Konsul selbst, in der Marschordnung niedergehauen. Die Spitze der +roemischen Heersaeule, 6000 Mann zu Fuss schlugen sich zwar durch das +feindliche Fussvolk durch und bewiesen wiederum die unwiderstehliche Gewalt der +Legionen; allein abgeschnitten und ohne Kunde von dem uebrigen Heer, +marschierten sie aufs Geratewohl weiter, wurden am folgenden Tag auf einem +Huegel, den sie besetzt hatten, von einem karthagischen Reiterkorps umzingelt +und da die Kapitulation, die ihnen freien Abzug versprach, von Hannibal +verworfen ward, saemtlich als kriegsgefangen behandelt. 15000 Roemer waren +gefallen, ebenso viele gefangen, das heisst das Heer war vernichtet; der +geringe karthagische Verlust - 1500 Mann - traf wieder vorwiegend die Gallier +^2. Und als waere dies nicht genug, so ward gleich nach der Schlacht am +Trasimenischen See die Reiterei des ariminensischen Heeres unter Gaius +Centenius, 4000 Mann stark, die Gnaeus Servilius, selber langsam nachrueckend, +vorlaeufig seinem Kollegen zu Hilfe sandte, gleichfalls von dem phoenikischen +Heer umzingelt und teils niedergemacht, teils gefangen. Ganz Etrurien war +verloren und ungehindert konnte Hannibal auf Rom marschieren. Dort machte man +sich auf das Aeusserste gefasst; man brach die Tiberbruecken ab und ernannte +den Quintus Fabius Maximus zum Diktator, um die Mauern instand zu setzen und +die Verteidigung zu leiten, fuer welche ein Reserveheer gebildet ward. Zugleich +wurden zwei neue Legionen anstatt der vernichteten unter die Waffen gerufen und +die Flotte, die im Fall einer Belagerung wichtig werden konnte, instand +gesetzt. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^2 Das Datum der Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender, muss nach +dem berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius seine Diktatur +nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes (Liv. 22, 31, 7; 32, 1) +niederlegte, also sie etwa Anfang Mai antrat. Die Kalenderverwirrung war schon +in dieser Zeit in Rom sehr arg. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +Allein Hannibal sah weiter als Koenig Pyrrhos. Er marschierte nicht auf Rom; +auch nicht gegen Gnaeus Servilius, der, ein tuechtiger Feldherr, seine Armee +mit Hilfe der Festungen an der Nordstrasse auch jetzt unversehrt erhalten und +vielleicht den Gegner sich gegenueber festgehalten haben wuerde. Es geschah +wieder einmal etwas ganz Unerwartetes. An der Festung Spoletium vorbei, deren +Ueberrumpelung fehlschlug, marschierte Hannibal durch Umbrien, verheerte +entsetzlich das ganz mit roemischen Bauernhoefen bedeckte picenische Gebiet und +machte Halt an den Ufern des Adriatischen Meeres. Menschen und Pferde in seinem +Heer hatten noch die Nachwehen der Fruehlingskampagne nicht verwunden; hier +hielt er eine laengere Rast, um in der anmutigen Gegend und der schoenen +Jahreszeit sein Heer sich erholen zu lassen und sein libysches Fussvolk in +roemischer Weise zu reorganisieren, wozu die Masse der erbeuteten roemischen +Waffen ihm die Mittel darbot. Von hier aus knuepfte er ferner die lange +unterbrochenen Verbindungen mit der Heimat wieder an, indem er zu Wasser seine +Siegesbotschaften nach Karthago sandte. Endlich, als sein Heer hinreichend sich +wiederhergestellt hatte und der neue Waffendienst genugsam geuebt war, brach er +auf und marschierte langsam an der Kueste hinab in das suedliche Italien +hinein. +</p> + +<p> +Er hatte richtig gerechnet, als er zu dieser Umgestaltung der Infanterie sich +jetzt entschloss; die Ueberraschung der bestaendig eines Angriffs auf die +Hauptstadt gewaertigen Gegner liess ihm mindestens vier Wochen ungestoerter +Musse zur Verwirklichung des beispiellos verwegenen Experiments, im Herzen des +feindlichen Landes mit einer noch immer verhaeltnismaessig geringen Armee sein +militaerisches System vollstaendig zu aendern und den Versuch zu machen, den +unbesiegbaren italischen afrikanische Legionen gegenueberzustellen. Allein +seine Hoffnung, dass die Eidgenossenschaft nun anfangen werde, sich zu lockern, +erfuellte sich nicht. Auf die Etrusker, die schon ihre letzten +Unabhaengigkeitskriege vorzugsweise mit gallischen Soeldnern gefuehrt hatten, +kam es hierbei am wenigsten an; der Kern der Eidgenossenschaft, namentlich in +militaerischer Hinsicht, waren naechst den latinischen die sabellischen +Gemeinden, und mit gutem Grund hatte Hannibal jetzt diesen sich genaehert. +Allein eine Stadt nach der andern schloss ihre Tore; nicht eine einzige +italische Gemeinde machte Buendnis mit dem Phoeniker. Damit war fuer die Roemer +viel, ja alles gewonnen; indes man begriff in der Hauptstadt, wie unvorsichtig +es sein wuerde, die Treue der Bundesgenossen auf eine solche Probe zu stellen, +ohne dass ein roemisches Heer das Feld hielt. Der Diktator Quintus Fabius zog +die beiden in Rom gebildeten Ersatzlegionen und das Heer von Ariminum zusammen, +und als Hannibal an der roemischen Festung Luceria vorbei gegen Arpi +marschierte, zeigten sich in seiner rechten Flanke bei Aeca die roemischen +Feldzeichen. Ihr Fuehrer indes verfuhr anders als seine Vorgaenger. Quintus +Fabius war ein hochbejahrter Mann, von einer Bedachtsamkeit und Festigkeit, die +nicht wenigen als Zauderei und Eigensinn erschien; ein eifriger Verehrer der +guten alten Zeit, der politischen Allmacht des Senats und des +Buergermeisterkommandos erwartete er das Heil des Staates naechst Opfern und +Gebeten von der methodischen Kriegfuehrung. Politischer Gegner des Gaius +Flaminius und durch die Reaktion gegen dessen toerichte Kriegsdemagogie an die +Spitze der Geschaefte gerufen, ging er ins Lager ab, ebenso fest entschlossen, +um jeden Preis eine Hauptschlacht zu vermeiden, wie sein Vorgaenger, um jeden +Preis eine solche zu liefern, und ohne Zweifel ueberzeugt, dass die ersten +Elemente der Strategik Hannibal verbieten wuerden vorzuruecken, solange das +roemische Heer intakt ihm gegenueberstehe, und dass es also nicht schwer halten +werde, die auf das Fouragieren angewiesene feindliche Armee im kleinen Gefecht +zu schwaechen und allmaehlich auszuhungern. Hannibal, wohlbedient von seinen +Spionen in Rom und im roemischen Heer, erfuhr den Stand der Dinge sofort und +richtete wie immer seinen Feldzugsplan ein nach der Individualitaet des +feindlichen Anfuehrers. An dem roemischen Heer vorbei marschierte er ueber den +Apennin in das Herz von Italien nach Benevent, nahm die offene Stadt Telesia an +der Grenze von Samnium und Kampanien und wandte sich von da gegen Capua, das +als die bedeutendste unter allen von Rom abhaengigen italischen Staedten und +die einzige Rom einigermassen ebenbuertige darum den Druck des roemischen +Regiments schwerer als irgendeine andere empfand. Er hatte dort Verbindungen +angeknuepft, die den Abfall der Kampaner vom roemischen Buendnis hoffen +liessen: allein diese Hoffnung schlug ihm fehl. So wieder rueckwaerts sich +wendend schlug er die Strasse nach Apulien ein. Der Diktator war waehrend +dieses ganzen Zuges der karthagischen Armee auf die Hoehen gefolgt und hatte +seine Soldaten zu der traurigen Rolle verurteilt, mit den Waffen in der Hand +zuzusehen, wie die numidischen Reiter weit und breit die treuen Bundesgenossen +pluenderten und in der ganzen Ebene die Doerfer in Flammen aufgingen. Endlich +eroeffnete er der erbitterten roemischen Armee die sehnlich herbeigewuenschte +Gelegenheit, an den Feind zu kommen. Wie Hannibal den Rueckmarsch angetreten, +sperrte ihm Fabius den Weg bei Casilinum (dem heutigen Capua), indem er auf dem +linken Ufer des Volturnus diese Stadt stark besetzte und auf dem rechten die +kroenenden Hoehen mit seiner Hauptarmee einnahm, waehrend eine Abteilung von +4000 Mann auf der am Fluss hinfuehrenden Strasse selbst sich lagerte. Allein +Hannibal hiess seine Leichtbewaffneten die Anhoehen, die unmittelbar neben der +Strasse sich erhoben, erklimmen und von hier aus eine Anzahl Ochsen mit +angezuendeten Reisbuendeln auf den Hoernern vortreiben, so dass es schien, als +zoege dort die karthagische Armee in naechtlicher Weile bei Fackelschein ab. +Die roemische Abteilung, die die Strasse sperrte, sich umgangen und die fernere +Deckung der Strasse ueberfluessig waehnend, zog sich seitwaerts auf dieselben +Anhoehen; auf der dadurch freigewordenen Strasse zog Hannibal dann mit dem Gros +seiner Armee ab, ohne dem Feind zu begegnen, worauf er am anderen Morgen ohne +Muehe und mit starkem Verlust fuer die Roemer seine leichten Truppen degagierte +und zuruecknahm. Ungehindert setzte Hannibal darauf seinen Marsch in +nordoestlicher Richtung fort und kam auf weiten Umwegen, nachdem er die +Landschaften der Hirpiner, Kampaner, Samniten, Paeligner und Frentaner ohne +Widerstand durchzogen und gebrandschatzt hatte, mit reicher Beute und voller +Kasse wieder in der Gegend von Luceria an, als dort eben die Ernte beginnen +sollte. Nirgend auf dem weiten Marsch hatte er taetigen Widerstand, aber +nirgend auch Bundesgenossen gefunden. Wohl erkennend, dass ihm nichts uebrig +blieb, als sich auf Winterquartiere im offenen Felde einzurichten, begann er +die schwierige Operation, den Winterbedarf des Heeres durch dieses selbst von +den Feldern der Feinde einbringen zu lassen. Die weite, groesstenteils flache +nordapulische Landschaft, die Getreide und Futter im Ueberfluss darbot und von +seiner ueberlegenen Reiterei gaenzlich beherrscht werden konnte, hatte er +hierzu sich ausersehen. Bei Gerunium, fuenf deutsche Meilen noerdlich von +Luceria, ward ein verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel des Heeres +taeglich zum Einbringen der Vorraete ausgesendet wurden, waehrend Hannibal mit +dem Rest Stellung nahm, um das Lager und die ausgesendeten Detachements zu +decken. Der Reiterfuehrer Marcus Minucius, der im roemischen Lager in +Abwesenheit des Diktators den Oberbefehl stellvertretend fuehrte, hielt die +Gelegenheit geeignet, um naeher an den Feind heranzuruecken und bezog ein Lager +im larinatischen Gebiet, wo er auch teils durch seine blosse Anwesenheit die +Detachierungen und dadurch die Verproviantierung des feindlichen Heeres +hinderte, teils in einer Reihe gluecklicher Gefechte, die seine Truppen gegen +einzelne phoenikische Abteilungen und sogar gegen Hannibal selbst bestanden, +die Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdraengte und sie noetigte, +sich bei Gerunium zu konzentrieren. Auf die Nachricht von diesen Erfolgen, die +begreiflich bei der Darstellung nicht verloren, brach in der Hauptstadt der +Sturm gegen Quintus Fabius los. Er war nicht ganz ungerechtfertigt. So weise es +war, sich roemischerseits verteidigend zu verhalten und den Haupterfolg von dem +Abschneiden der Subsistenzmittel des Feindes zu erwarten, so war es doch ein +seltsames Verteidigungs- und Aushungerungssystem, das dem Feind gestattete, +unter den Augen einer an Zahl gleichen roemischen Armee ganz Mittelitalien +ungehindert zu verwuesten und durch eine geordnete Fouragierung im groessten +Massstab sich fuer den Winter hinreichend zu verproviantieren. So hatte Publius +Scipio, als er im Potal kommandierte, die defensive Haltung nicht verstanden, +und der Versuch seines Nachfolgers, ihn nachzuahmen, war bei Casilinum auf eine +Weise gescheitert, die den staedtischen Spottvoegeln reichlichen Stoff gab. Es +war bewundernswert, dass die italischen Gemeinden nicht wankten, als ihnen +Hannibal die Ueberlegenheit der Phoeniker, die Nichtigkeit der roemischen Hilfe +so fuehlbar dartat; allein wie lange konnte man ihnen zumuten, die zwiefache +Kriegslast zu ertragen und sich unter den Augen der roemischen Truppen und +ihrer eigenen Kontingente auspluendern zu lassen? Endlich, was das roemische +Heer anlangte, so konnte man nicht sagen, dass es den Feldherrn zu dieser +Kriegfuehrung noetigte; es bestand seinem Kerne nach aus den tuechtigen +Legionen von Ariminum und daneben aus einberufener, groesstenteils ebenfalls +dienstgewohnter Landwehr, und weit entfernt, durch die letzten Niederlagen +entmutigt zu sein, war es erbittert ueber die wenig ehrenvolle Aufgabe, die +sein Feldherr, “Hannibals Lakai”, ihm zuwies, und verlangte mit +lauter Stimme, gegen den Feind gefuehrt zu werden. Es kam zu den heftigsten +Auftritten in den Buergerversammlungen gegen den eigensinnigen alten Mann; +seine politischen Gegner, an ihrer Spitze der gewesene Praetor Gaius Terentius +Varro, bemaechtigten sich des Haders - wobei man nicht vergessen darf, dass der +Diktator tatsaechlich vom Senat ernannt ward, und dies Amt galt als das +Palladium der konservativen Partei - und setzten im Verein mit den unmutigen +Soldaten und den Besitzern der gepluenderten Gueter den verfassungs- und +sinnwidrigen Volksbeschluss durch: die Diktatur, die dazu bestimmt war, in +Zeiten der Gefahr die Uebelstaende des geteilten Oberbefehls zu beseitigen, in +gleicher Weise wie dem Quintus Fabius auch dessen bisherigem Unterfeldherrn +Marcus Minucius zu erteilen ^3. So wurde die roemische Armee, nachdem ihre +gefaehrliche Spaltung in zwei abgesonderte Korps eben erst zweckmaessig +beseitigt worden war, nicht bloss wiederum geteilt, sondern auch an die Spitze +der beiden Haelften Fuehrer gestellt, welche offenkundig geradezu +entgegengesetzte Kriegsplaene befolgten. Quintus Fabius blieb natuerlich mehr +als je bei seinem methodischen Nichtstun; Marcus Minucius, genoetigt, seinen +Diktatortitel auf dem Schlachtfelde zu rechtfertigen, griff uebereilt und mit +geringen Streitkraeften an und waere vernichtet worden, wenn nicht hier sein +Kollege durch das rechtzeitige Erscheinen eines frischen Korps groesseres +Unglueck abgewandt haette. Diese letzte Wendung der Dinge gab dem System des +passiven Widerstandes gewissermassen Recht. Allein in der Tat hatte Hannibal in +diesem Feldzug vollstaendig erreicht, was mit den Waffen erreicht werden +konnte: nicht eine einzige wesentliche Operation hatten weder der stuermische +noch der bedaechtige Gegner ihm vereitelt, und seine Verproviantierung war, +wenn auch nicht ohne Schwierigkeit, doch im wesentlichen so vollstaendig +gelungen, dass dem Heer in dem Lager bei Gerunium der Winter ohne Beschwerde +vorueberging. Nicht der Zauderer hat Rom gerettet, sondern das feste Gefuege +seiner Eidgenossenschaft und vielleicht nicht minder der Nationalhass der +Okzidentalen gegen den phoenikischen Mann. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +^3 Die Inschrift des von dem neuen Diktator wegen seines Sieges bei Gerunium +dem Hercules Sieger errichteten Weihgeschenkes: Hercolei sacrom M. Minuci(us) +C. f. dictator vovit ist im Jahre 1862 in Rom bei S. Lorenzo aufgefunden +worden. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +Trotz aller Unfaelle stand der roemische Stolz nicht minder aufrecht als die +roemische Symmachie. Die Geschenke, welche der Koenig Hieron von Syrakus und +die griechischen Staedte in Italien fuer den naechsten Feldzug anboten - die +letzteren traf der Krieg minder schwer als die uebrigen italischen +Bundesgenossen Roms, da sie nicht zum Landheer stellten -, wurden mit Dank +abgelehnt; den illyrischen Haeuptlingen zeigte man an, dass sie nicht saeumen +moechten mit Entrichtung des Tributs; ja man beschickte den Koenig von +Makedonien abermals um die Auslieferung des Demetrios von Pharos. Die +Majoritaet des Senats war trotz der Quasilegitimation, welche die letzten +Ereignisse dem Zaudersystem des Fabius gegeben hatten, doch fest entschlossen, +von dieser den Staat zwar langsam, aber sicher zugrunde richtenden +Kriegfuehrung abzugehen; wenn der Volksdiktator mit seiner energischeren +Kriegfuehrung gescheitert war, so schob man, und nicht mit Unrecht, die Ursache +darauf, dass man eine halbe Massregel getroffen und ihm zu wenig Truppen +gegeben habe. Diesen Fehler beschloss man zu vermeiden und ein Heer +aufzustellen, wie Rom noch keines ausgesandt hatte: acht Legionen, jede um ein +Fuenftel ueber die Normalzahl verstaerkt, und die entsprechende Anzahl +Bundesgenossen, genug, um den nicht halb so starken Gegner zu erdruecken. +Ausserdem ward eine Legion unter dem Praetor Lucius Postumius nach dem Potal +bestimmt, um womoeglich die in Hannibals Heer dienenden Kelten nach der Heimat +zurueckzuziehen. Diese Beschluesse waren verstaendig; es kam nur darauf an, +auch ueber den Oberbefehl angemessen zu bestimmen. Das starre Auftreten des +Quintus Fabius und die daran sich anspinnenden demagogischen Hetzereien hatten +die Diktatur und ueberhaupt den Senat unpopulaerer gemacht als je; im Volke +ging, wohl nicht ohne Schuld seiner Fuehrer, die toerichte Rede, dass der Senat +den Krieg absichtlich in die Laenge ziehe. Da also an die Ernennung eines +Diktators nicht zu denken war, versuchte der Senat die Wahl der Konsuln +angemessen zu leiten, was indes den Verdacht und den Eigensinn erst recht rege +machte. Mit Muehe brachte der Senat den einen seiner Kandidaten durch, den +Lucius Aemilius Paullus, der im Jahre 535 (219) den Illyrischen Krieg +verstaendig gefuehrt hatte; die ungeheure Majoritaet der Buerger gab ihm zum +Kollegen den Kandidaten der Volkspartei Gaius Terentius Varro, einen unfaehigen +Mann, der nur durch seine verbissene Opposition gegen den Senat und namentlich +als Haupturheber der Wahl des Marcus Minucius zum Mitdiktator bekannt war, und +den nichts der Menge empfahl als seine niedrige Geburt und seine rohe +Unverschaemtheit. +</p> + +<p> +Waehrend diese Vorbereitungen zu dem naechsten Feldzug in Rom getroffen wurden, +hatte der Krieg bereits in Apulien wieder begonnen. Sowie die Jahreszeit es +gestattete, die Winterquartiere zu verlassen, brach Hannibal, wie immer den +Krieg bestimmend und die Offensive fuer sich nehmend, von Gerunium in der +Richtung nach Sueden auf, ueberschritt an Luceria vorbeimarschierend den +Aufidus und nahm das Kastell von Cannae (zwischen Canosa und Barletta), das die +canusinische Ebene beherrschte und den Roemern bis dahin als Hauptmagazin +gedient hatte. Die roemische Armee, welche, nachdem Fabius in der Mitte des +Herbstes verfassungsmaessig seine Diktatur niedergelegt hatte, jetzt von Gnaeus +Servilius und Marcus Regulus zuerst als Konsuln; dann als Prokonsuln +kommandiert wurde, hatte den empfindlichen Verlust nicht abzuwenden gewusst; +aus militaerischen wie aus politischen Ruecksichten ward es immer notwendiger, +den Fortschritten Hannibals durch eine Feldschlacht zu begegnen. Mit diesem +bestimmten Auftrag des Senats trafen denn auch die beiden neuen +Oberbefehlshaber Paullus und Varro im Anfang des Sommers 538 (216) in Apulien +ein. Mit den vier neuen Legionen und dem entsprechenden Kontingent der +Italiker, die sie heranfuehrten, stieg die roemische Armee auf 80000 Mann zu +Fuss, halb Buerger, halb Bundesgenossen, und 6000 Reiter, wovon ein Drittel +Buerger, zwei Drittel Bundesgenossen waren; wogegen Hannibals Armee zwar 10000 +Reiter, aber nur etwa 40000 Mann zu Fuss zaehlte. Hannibal wuenschte nichts +mehr als eine Schlacht, nicht bloss aus den allgemeinen, frueher eroerterten +Gruenden, sondern auch besonders deshalb, weil das weite apulische Blachfeld +ihm gestattete, die ganze Ueberlegenheit seiner Reiterei zu entwickeln und weil +die Verpflegung seiner zahlreichen Armee, hart an dem doppelt so starken und +auf eine Reihe von Festungen gestuetzten Feind, trotz seiner ueberlegenen +Reiterei sehr bald ungemein schwierig zu werden drohte. Auch die Fuehrer der +roemischen Streitmacht waren, wie gesagt, im allgemeinen entschlossen zu +schlagen und naeherten in dieser Absicht sich dem Feinde; allein die +einsichtigeren unter ihnen erkannten Hannibals Lage und beabsichtigten daher, +zunaechst zu warten und nur nahe am Feinde sich aufzustellen, um ihn zum Abzug +und zur Annahme der Schlacht auf einem ihm minder guenstigen Terrain zu +noetigen. Hannibal lagerte bei Cannae am rechten Ufer des Aufidus. Paullus +schlug sein Lager an beiden Ufern des Flusses auf, so dass die Hauptmacht am +linken Ufer zu stehen kam, ein starkes Korps aber am rechten unmittelbar dem +Feind gegenueber Stellung nahm, um ihm die Zufuhren zu erschweren, vielleicht +auch Cannae zu bedrohen. Hannibal, dem alles daran lag, bald zum Schlagen zu +kommen, ueberschritt mit dem Gros seiner Truppen den Strom und bot auf dem +linken Ufer die Schlacht an, die Paullus nicht annahm. Allein dem +demokratischen Konsul missfiel dergleichen militaerische Pedanterie; es war so +viel davon geredet worden, dass man ausziehe, nicht um Posten zu stehen, +sondern um die Schwerter zu gebrauchen; er befahl, auf den Feind zu gehen, wo +und wie man ihn eben fand. Nach der alten toerichterweise beibehaltenen Sitte +wechselte die entscheidende Stimme im Kriegsrat zwischen dem Oberfeldherren Tag +um Tag; man musste also am folgenden Tage sich fuegen und dem Helden von der +Gasse seinen Willen tun. Auf dem linken Ufer, wo das weite Blachfeld der +ueberlegenen Reiterei des Feindes vollen Spielraum bot, wollte allerdings auch +er nicht schlagen; aber er beschloss, die gesamten roemischen Streitkraefte auf +dem rechten zu vereinigen und hier, zwischen den karthagischen Lager und Cannae +Stellung nehmend und dieses ernstlich bedrohend, die Schlacht anzubieten. Eine +Abteilung von 10000 Mann blieb in dem roemischen Hauptlager zurueck mit dem +Auftrag, das karthagische waehrend des Gefechts wegzunehmen und damit dem +feindlichen Heere den Rueckzug ueber den Fluss abzuschneiden; das Gros der +roemischen Armee ueberschritt mit dem grauenden Morgen des 2. August nach dem +unberichtigten, etwa im Juni nach dem richtigen Kalender, den in dieser +Jahreszeit seichten und die Bewegungen der Truppen nicht wesentlich hindernden +Fluss und stellte bei dem kleineren roemischen Lager westlich von Cannae sich +in Linie auf. Die karthagische Armee folgte und ueberschritt gleichfalls den +Strom, an den der rechte roemische wie der linke karthagische Fluegel sich +lehnten. Die roemische Reiterei stand auf den Fluegeln, die schwaechere der +Buergerwehr auf dem rechten am Fluss, gefuehrt von Paullus, die staerkere +bundesgenoessische auf dem linken gegen die Ebene, gefuehrt von Varro. Im +Mitteltreffen stand das Fussvolk in ungewoehnlich tiefen Gliedern unter dem +Befehl des Konsuls des Vorjahrs, Gnaeus Servilius. Diesem gegenueber ordnete +Hannibal sein Fussvolk in halbmondfoermiger Stellung, so dass die keltischen +und iberischen Truppen in ihrer nationalen Ruestung die vorgeschobene Mitte, +die roemisch geruesteten Libyer auf beiden Seiten die zurueckgenommenen Fluegel +bildeten. An der Flussseite stellte die gesamte schwere Reiterei unter +Hasdrubal sich auf, an der Seite nach der Ebene hinaus die leichten numidischen +Reiter. Nach kurzem Vorpostengefecht der leichten Truppen war bald die ganze +Linie im Gefecht. Wo die leichte Reiterei der Karthager gegen Varros schwere +Kavallerie focht, zog das Gefecht unter stetigen Chargen der Numidier ohne +Entscheidung sich hin. Dagegen im Mitteltreffen warfen die Legionen die ihnen +zuerst begegnenden spanischen und gallischen Truppen vollstaendig; eilig +draengten die Sieger nach und verfolgten ihren Vorteil. Allein mittlerweile +hatte auf dem rechten Fluegel das Glueck sich gegen die Roemer gewandt. +Hannibal hatte den linken Reiterfluegel der Feinde bloss beschaeftigen lassen, +um Hasdrubal mit der ganzen regulaeren Reiterei gegen den schwaecheren rechten +zu verwenden und diesen zuerst zu werfen. Nach tapferer Gegenwehr wichen die +roemischen Reiter und was nicht niedergehauen ward, wurde den Fluss +hinaufgejagt und in die Ebene versprengt; verwundert ritt Paullus zu dem +Mitteltreffen, das Schicksal der Legionen zu wenden oder doch zu teilen. Diese +hatten, um den Sieg ueber die vorgeschobene feindliche Infanterie besser zu +verfolgen, ihre Frontstellung in eine Angriffskolonne verwandelt, die +keilfoermig eindrang in das feindliche Zentrum. In dieser Stellung wurden sie +von dem rechts und links einschwenkenden libyschen Fussvolk von beiden Seiten +heftig angegriffen und ein Teil von ihnen gezwungen, Halt zu machen, um gegen +die Flankenangriffe sich zu verteidigen, wodurch das Vorruecken ins Stocken kam +und die ohnehin schon uebermaessig dicht gereihte Infanteriemasse nun gar nicht +mehr Raum fand, sich zu entwickeln. Inzwischen hatte Hasdrubal, nachdem er mit +dem Fluegel des Paullus fertig war, seine Reiter aufs neue gesammelt und +geordnet und sie hinter dem feindlichen Mitteltreffen weg gegen den Fluegel des +Varro gefuehrt. Dessen italische Reiterei, schon mit den Numidiern hinreichend +beschaeftigt, stob vor dem doppelten Angriff schnell auseinander. Hasdrubal, +die Verfolgung der Fluechtigen den Numidiern ueberlassend, ordnete zum +drittenmal seine Schwadronen, um sie dem roemischen Fussvolk in den Ruecken zu +fuehren. Dieser letzte Stoss entschied. Flucht war nicht moeglich und Quartier +ward nicht gegeben; es ist vielleicht nie ein Heer von dieser Groesse so +vollstaendig und mit so geringem Verlust des Gegners auf dem Schlachtfeld +selbst vernichtet worden wie das roemische bei Cannae. Hannibal hatte nicht +ganz 6000 Mann eingebuesst, wovon zwei Drittel auf die Kelten kamen, die der +erste Stoss der Legionen traf. Dagegen von den 76000 Roemern, die in der +Schlachtlinie gestanden hatten, deckten 70000 das Feld, darunter der Konsul +Lucius Paullus, der Altkonsul Gnaeus Servilius, zwei Drittel der +Stabsoffiziere, achtzig Maenner senatorischen Ranges. Nur den Konsul Marcus +Varro rettete sein rascher Entschluss und sein gutes Pferd nach Venusia, und er +ertrug es zu leben. Auch die Besatzung des roemischen Lagers, 10000 Mann stark, +ward groesstenteils kriegsgefangen; nur einige tausend Mann, teils aus diesen +Truppen, teils aus der Linie, entkamen nach Canusium. Ja als sollte in diesem +Jahre durchaus mit Rom ein Ende gemacht werden, fiel noch vor Ablauf desselben +die nach Gallien gesandte Legion in einen Hinterhalt und wurde mit ihrem +Feldherrn Lucius Postumius, dem fuer das naechste Jahr ernannten Konsul, von +den Galliern gaenzlich vernichtet. +</p> + +<p> +Dieser beispiellose Erfolg schien nun endlich die grosse politische Kombination +zu reifen, um derentwillen Hannibal nach Italien gegangen war. Er hatte seinen +Plan wohl zunaechst auf sein Heer gebaut; allein in richtiger Erkenntnis der +ihm entgegenstehenden Macht sollte dies in seinem Sinn nur die Vorhut sein, mit +der die Kraefte des Westens und Ostens allmaehlich sich vereinigen wuerden, um +der stolzen Stadt den Untergang zu bereiten. Zwar diejenige Unterstuetzung, die +die gesichertste schien, die Nachsendungen von Spanien her, hatte das kuehne +und feste Auftreten des dorthin gesandten roemischen Feldherrn Gnaeus Scipio +ihm vereitelt. Nach Hannibals Uebergang ueber die Rhone war dieser nach +Emporiae gesegelt und hatte sich zuerst der Kueste zwischen den Pyrenaeen und +dem Ebro, dann nach Besiegung des Hanno auch des Binnenlandes bemaechtigt (536 +218). Er hatte im folgenden Jahr (537 217) die karthagische Flotte an der +Ebromuendung voellig geschlagen, hatte, nachdem sein Bruder Publius, der +tapfere Verteidiger des Potals, mit Verstaerkung von 8000 Mann zu ihm gestossen +war, sogar den Ebro ueberschritten und war vorgedrungen bis gegen Sagunt. Zwar +hatte Hasdrubal das Jahr darauf (538 216), nachdem er aus Afrika Verstaerkungen +erhalten, den Versuch gemacht, den Befehl seines Bruders gemaess eine Armee +ueber die Pyrenaeen zu fuehren; allein die Scipionen verlegten ihm den +Uebergang ueber den Ebro und schlugen ihn vollstaendig, etwa um dieselbe Zeit, +wo in Italien Hannibal bei Cannae siegte. Die maechtige Voelkerschaft der +Keltiberer und zahlreiche andere spanische Staemme hatten den Scipionen sich +zugewandt; diese beherrschten das Meer und die Pyrenaeenpaesse und durch die +zuverlaessigen Massalioten auch die gallische Kueste. So war von Spanien aus +fuer Hannibal jetzt weniger als je Unterstuetzung zu erwarten. +</p> + +<p> +Von Karthago war bisher zur Unterstuetzung des Feldherrn in Italien so viel +geschehen, wie man erwarten konnte: phoenikische Geschwader bedrohten die +Kuesten Italiens und der roemischen Inseln und hueteten Afrika vor einer +roemischen Landung, und dabei blieb es. Ernstlicheren Beistand verhinderte +nicht sowohl die Ungewissheit, wo Hannibal zu finden sei, und der Mangel eines +Landeplatzes in Italien, als die langjaehrige Gewohnheit, dass das spanische +Heer sich selbst genuege, vor allem aber die grollende Friedenspartei. Hannibal +empfand schwer die Folgen dieser unverzeihlichen Untaetigkeit; trotz allen +Sparens des Geldes und der mitgebrachten Soldaten wurden seine Kassen +allmaehlich leer, der Sold kam in Rueckstand und die Reihen seiner Veteranen +fingen an sich zu lichten. Jetzt aber brachte die Siegesbotschaft von Cannae +selbst die faktioese Opposition daheim zum Schweigen. Der karthagische Senat +beschloss dem Feldherrn betraechtliche Unterstuetzungen an Geld und Mannschaft, +teils aus Afrika, teils aus Spanien, unter anderm 4000 numidische Reiter und 40 +Elefanten zur Verfuegung zu stellen und in Spanien wie in Italien den Krieg +energisch zu betreiben. +</p> + +<p> +Die laengstbesprochene Offensivallianz zwischen Karthago und Makedonien war +anfangs durch Antigonos’ ploetzlichen Tod, dann durch seines Nachfolgers +Philippos Unentschlossenheit und dessen und seiner hellenischen Bundesgenossen +unzeitigen Krieg gegen die Aetoler (534-537 220-217) verzoegert worden. Erst +jetzt, nach der Cannensischen Schlacht, fand Demetrios von Pharos Gehoer bei +Philippos mit dem Antrag, seine illyrischen Besitzungen an Makedonien +abzutreten - sie massten freilich erst den Roemern entrissen werden -, und erst +jetzt schloss der Hof von Pella ab mit Karthago. Makedonien uebernahm es, eine +Landungsarmee an die italische Ostkueste zu werfen, wogegen ihm die Rueckgabe +der roemischen Besitzungen in Epeiros zugesichert ward. +</p> + +<p> +In Sizilien hatte Koenig Hieron zwar waehrend der Friedensjahre, soweit es mit +Sicherheit geschehen konnte, eine Neutralitaetspolitik eingehalten, und auch +den Karthagern waehrend der gefaehrlichen Krisen nach dem Frieden mit Rom +namentlich durch Kornsendungen sich gefaellig erwiesen. Es ist kein Zweifel, +dass er den abermaligen Bruch zwischen Karthago und Rom hoechst ungern sah; +aber ihn abzuwenden vermochte er nicht, und als er eintrat, hielt er mit +wohlberechneter Treue fest an Rom. Allein bald darauf (Herbst 538 216) rief der +Tod den alten Mann nach vierundfuenfzigjaehriger Regierung ab. Der Enkel und +Nachfolger des klugen Greises, der junge unfaehige Hieronymus, liess sich +sogleich mit den karthagischen Diplomaten ein; und da diese keine Schwierigkeit +machten, ihm zuerst Sizilien bis an die alte karthagisch-sizilische Grenze, +dann sogar, da sein Uebermut stieg, den Besitz der ganzen Insel vertragsmaessig +zuzusichern, trat er in Buendnis mit Karthago und liess mit der karthagischen +Flotte, die gekommen war, um Syrakus zu bedrohen, die syrakusanische sich +vereinigen. Die Lage der roemischen Flotte bei Lilybaeon, die schon mit dem +zweiten, bei den aegatischen Inseln postierten karthagischen Geschwader zu tun +gehabt hatte, ward auf einmal sehr bedenklich, waehrend zugleich die in Rom zur +Einschiffung nach Sizilien bereitstehende Mannschaft infolge der Cannensischen +Niederlage fuer andere und dringendere Erfordernisse verwendet werden musste. +</p> + +<p> +Was aber vor allem entscheidend war, jetzt endlich begann das Gebaeude der +roemischen Eidgenossenschaft aus den Fugen zu weichen, nachdem es die Stoesse +zweier schwerer Kriegsjahre unerschuettert ueberstanden hatte. Es traten auf +Hannibals Seite Arpi in Apulien und Uzentum in Messapien, zwei alte, durch die +roemischen Kolonien Luceria und Brundisium schwer beeintraechtigte Staedte; die +saemtlichen Staedte der Brettier - diese zuerst von allen - mit Ausnahme der +Peteliner und der Consentiner, die erst belagert werden mussten; die Lucaner +groesstenteils; die in die Gegend von Salernum verpflanzten Picenter; die +Hirpiner; die Samniten mit Ausnahme der Pentrer; endlich und vornehmlich Capua, +die zweite Stadt Italiens, die 30000 Mann zu Fuss und 4000 Berittene ins Feld +zu stellen vermochte und deren Uebertritt den der Nachbarstaedte Atella und +Calatia entschied. Freilich widersetzte sich die vielfach an das roemische +Interesse gefesselte Adelspartei ueberall und namentlich in Capua dem +Parteiwechsel sehr ernstlich, und die hartnaeckigen inneren Kaempfe, die +hierueber entstanden, minderten nicht wenig den Vorteil, den Hannibal von +diesen Uebertritten zog. Er sah sich zum Beispiel genoetigt, in Capua einen der +Fuehrer der Adelspartei, den Decius Magius, der noch nach dem Einruecken der +Phoeniker hartnaeckig das roemische Buendnis verfocht, festnehmen und nach +Karthago abfuehren zu lassen, um so den ihm selbst sehr ungelegenen Beweis zu +liefern, was es auf sich habe mit der von dem karthagischen Feldherrn soeben +den Kampanern feierlich zugesicherten Freiheit und Souveraenitaet. Dagegen +hielten die sueditalischen Griechen fest am roemischen Buendnis, wobei die +roemischen Besatzungen freilich auch das Ihrige taten, aber mehr noch der sehr +entschiedene Widerwille der Hellenen gegen die Phoeniker selbst und deren neue +lucanische und brettische Bundesgenossen, und ihre Anhaenglichkeit an Rom, das +jede Gelegenheit, seinen Hellenismus zu betaetigen, eifrig benutzt und gegen +die Griechen in Italien eine ungewohnte Milde gezeigt hatte. So widerstanden +die kampanischen Griechen, namentlich Neapel, mutig Hannibals eigenem Angriff; +dasselbe taten in Grossgriechenland trotz ihrer sehr gefaehrdeten Stellung +Rhegion, Thurii, Metapont und Tarent. Kroton und Lokri dagegen wurden von den +vereinigten Brettiern und Phoenikern teils erstuermt, teils zur Kapitulation +gezwungen und die Krotoniaten nach Lokri gefuehrt, worauf brettische Kolonisten +jene wichtige Seestation besetzten. Dass die sueditalischen Latiner, wie +Brundisium, Venusia, Paestum, Cosa, Cales, unerschuettert mit Rom hielten, +versteht sich von selbst. Waren sie doch die Zwingburgen der Eroberer im +fremden Land, angesiedelt auf dem Acker der Umwohner, mit ihren Nachbarn +verfehdet; traf es doch sie zunaechst, wenn Hannibal sein Wort wahr machte und +jeder italischen Gemeinde die alten Grenzen zurueckgab. In gleicher Weise gilt +dies von ganz Mittelitalien, dem. aeltesten Sitz der roemischen Herrschaft, wo +latinische Sitte und Sprache schon ueberall vorwog und man sich als Genosse der +Herrscher, nicht als Untertan fuehlte. Hannibals Gegner im karthagischen Senat +unterliessen nicht, daran zu erinnern, dass nicht ein roemischer Buerger, nicht +eine latinische Gemeinde sich Karthago in die Arme geworfen habe. Dieses +Grundwerk der roemischen Macht konnte gleich der kyklopischen Mauer nur Stein +um Stein zertruemmert werden. +</p> + +<p> +Das waren die Folgen des Tages von Cannae, an dem die Bluete der Soldaten und +Offiziere der Eidgenossenschaft, ein Siebentel der gesamten Zahl der +kampffaehigen Italiker zugrunde ging. Es war eine grausame, aber gerechte +Strafe der schweren politischen Versuendigungen, die sich nicht etwa bloss +einzelne toerichte oder elende Maenner, sondern die roemische Buergerschaft +selbst hatte zu Schulden kommen lassen. Die fuer die kleine Landstadt +zugeschnittene Verfassung passte der Grossmacht nirgend mehr; es war eben nicht +moeglich, ueber die Frage, wer die Heere der Stadt in einem solchen Kriege +fuehren solle, Jahr fuer Jahr die Pandorabuechse des Stimmkastens entscheiden +zu lassen. Da eine gruendliche Verfassungsrevision, wenn sie ueberhaupt +ausfuehrbar war, jetzt wenigstens nicht begonnen werden durfte, so haette +zunaechst der einzigen Behoerde, die dazu imstande war, dem Senat die +tatsaechliche Oberleitung des Krieges und namentlich die Vergebung und +Verlaengerung des Kommandos ueberlassen werden und den Komitien nur die +formelle Bestaetigung verbleiben sollen. Die glaenzenden Erfolge der Scipionen +auf dem schwierigen spanischen Kriegsschauplatz zeigten, was auf diesem Wege +sich erreichen liess. Allein die politische Demagogie, die bereits an dem +aristokratischen Grundbau der Verfassung nagte, hatte sich der italischen +Kriegfuehrung bemaechtigt; die unvernuenftige Beschuldigung, dass die Vornehmen +mit dem auswaertigen Feinde konspirierten, hatte auf das “Volk” +Eindruck gemacht. Die Heilande des politischen Koehlerglaubens, die Gaius +Flaminius und Gaius Varro, beide “neue Maenner” und Volksfreunde +vom reinsten Wasser, waren demnach zur Ausfuehrung ihrer unter dem Beifall der +Menge auf dem Markt entwickelten Operationsplaene von eben dieser Menge +beauftragt worden, und die Ergebnisse waren die Schlachten am Trasimenischen +See und bei Cannae. Dass der Senat, der begreiflicherweise seine Aufgabe jetzt +besser fasste, als da er des Regulus halbe Armee aus Afrika zurueckberief, die +Leitung der Angelegenheiten fuer sich begehrte und jenem Unwesen sich +widersetzte, war pflichtgemaess; allein auch er hatte, als die erste jener +beiden Niederlagen ihm fuer den Augenblick das Ruder in die Hand gab, +gleichfalls nicht unbefangen von Parteiinteressen gehandelt. So wenig Quintus +Fabius mit jenen roemischen Kleonen verglichen werden darf, so hatte doch auch +er den Krieg nicht bloss als Militaer gefuehrt, sondern seine starre Defensive +vor allem als politischer Gegner des Gaius Flaminius festgehalten und in der +Behandlung des Zerwuerfnisses mit seinem Unterfeldherrn getan, was an ihm lag, +um in einer Zeit, die Einigkeit forderte, zu erbittern. Die Folge war erstlich, +dass das wichtigste Instrument, das eben fuer solche Faelle die Weisheit der +Vorfahren dem Senat in die Hand gegeben hatte, die Diktatur ihm unter den +Haenden zerbrach; und zweitens mittelbar wenigstens die Cannensische Schlacht. +Den jaehen Sturz der roemischen Macht verschuldeten aber weder Quintus Fabius +noch Gaius Varro, sondern das Misstrauen zwischen dem Regiment und den +Regierten, die Spaltung zwischen Rat und Buergerschaft. Wenn noch Rettung und +Wiedererhebung des Staates moeglich war, musste sie daheim beginnen mit +Wiederherstellung der Einigkeit und des Vertrauens. Dies begriffen und, was +schwerer wiegt, dies getan zu haben, getan mit Unterdrueckung aller an sich +gerechten Rekriminationen, ist die herrliche und unvergaengliche Ehre des +roemischen Senats. Als Varro - allein von allen Generalen, die in der Schlacht +kommandiert hatten - nach Rom zurueckkehrte, und die roemischen Senatoren bis +an das Tor ihm entgegengingen und ihm dankten, dass er an der Rettung des +Vaterlandes nicht verzweifelt habe, waren dies weder leere Reden, um mit +grossen Worten das Unheil zu verhuellen, noch bitterer Spott ueber einen +Armseligen; es war der Friedensschluss zwischen dem Regiment und den Regierten. +Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines solchen Aufrufs verstummte das +demagogische Geklatsch; fortan gedachte man in Rom nur, wie man gemeinsam die +Not zu wenden vermoege. Quintus Fabius, dessen zaeher Mut in diesem +entscheidenden Augenblick dem Staat mehr genuetzt hat als all seine +Kriegstaten, und die anderen angesehenen Senatoren gingen dabei in allem voran +und gaben den Buergern das Vertrauen auf sich und auf die Zukunft zurueck. Der +Senat bewahrte seine feste und strenge Haltung, waehrend die Boten von allen +Seiten nach Rom eilten, um die verlorenen Schlachten, den Uebertritt der +Bundesgenossen, die Aufhebung von Posten und Magazinen zu berichten, um +Verstaerkung zu begehren fuer das Potal und fuer Sizilien, da doch Italien +preisgegeben und Rom selbst fast unbesetzt war. Das Zusammenstroemen der Menge +an den Toren ward untersagt, die Gaffer und die Weiber in die Haeuser gewiesen, +die Trauerzeit um die Gefallenen auf dreissig Tage beschraenkt, damit der +Dienst der freudigen Goetter, von dem das Trauergewand ausschloss, nicht +allzulange unterbrochen werde - denn so gross war die Zahl der Gefallenen, dass +fast in keiner Familie die Totenklage fehlte. Was vom Schlachtfeld sich +gerettet hatte, war indes durch zwei tuechtige Kriegstribune, Appius Claudius +und Publius Scipio den Sohn, in Canusium gesammelt worden; der letztere +verstand es, durch seine stolze Begeisterung und durch die drohend erhobenen +Schwerter seiner Getreuen, diejenigen vornehmen jungen Herren auf andere +Gedanken zu bringen, die in bequemer Verzweiflung an die Rettung des +Vaterlandes ueber das Meer zu entweichen gedachten. Zu ihnen begab sich mit +einer Handvoll Leute der Konsul Gaius Varro; allmaehlich fanden sich dort etwa +zwei Legionen zusammen, die der Senat zu reorganisieren und zu schimpflichem +und unbesoldetem Kriegsdienst zu degradieren befahl. Der unfaehige Feldherr +ward unter einem schicklichen Vorwand nach Rom zurueckberufen; der in den +gallischen Kriegen erprobte Praetor Marcus Claudius Marcellus, der bestimmt +gewesen war, mit der Flotte von Ostia nach Sizilien abzugehen, uebernahm den +Oberbefehl. Die aeussersten Kraefte wurden angestrengt, um eine kampffaehige +Armee zu organisieren. Die Latiner wurden beschickt um Hilfe in der +gemeinschaftlichen Gefahr; Rom selbst ging mit dem Beispiel voran und rief die +ganze Mannschaft bis ins Knabenalter unter die Waffen, bewaffnete die +Schuldknechte und die Verbrecher, ja stellte sogar achttausend vom Staate +angekaufte Sklaven in das Heer ein. Da es an Waffen fehlte, nahm man die alten +Beutestuecke aus den Tempeln und setzte Fabriken und Gewerbe ueberall in +Taetigkeit. Der Senat ward ergaenzt - nicht, wie aengstliche Patrioten +forderten, aus den Latinern, sondern aus den naechstberechtigten roemischen +Buergern. Hannibal bot die Loesung der Gefangenen auf Kosten des roemischen +Staatsschatzes an; man lehnte sie ab und liess den mit der Abordnung der +Gefangenen angelangten karthagischen Boten nicht in die Stadt; es durfte nicht +scheinen, als denke der Senat an Frieden. Nicht bloss die Bundesgenossen +sollten nicht glauben, dass Rom sich anschicke zu transigieren, sondern es +musste auch dem letzten Buerger begreiflich gemacht werden, dass fuer ihn wie +fuer alle es keinen Frieden gebe und Rettung nur im Siege sei. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap06"></a>KAPITEL VI.<br/> +Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama</h2> + +<p> +Hannibals Ziel bei seinem Zug nach Italien war die Sprengung der italischen +Eidgenossenschaft gewesen; nach drei Feldzuegen war dasselbe erreicht, soweit +es ueberhaupt erreichbar war. Dass die griechischen und die latinischen oder +latinisierten Gemeinden Italiens, nachdem sie durch den Tag von Cannae nicht +irre geworden waren, ueberhaupt nicht dem Schreck, sondern nur der Gewalt +weichen wuerden, lag am Tage, und der verzweifelte Mut, mit dem selbst in +Sueditalien einzelne kleine und rettungslos verlorene Landstaedte, wie das +brettische Petelia, gegen den Phoeniker sich wehrten, zeigte sehr klar, was +seiner bei den Marsern und Latinern warte. Wenn Hannibal gemeint hatte, auf +diesem Wege mehr erreichen und auch die Latiner gegen Rom fuehren zu koennen, +so hatten diese Hoffnungen sich als eitel erwiesen. Aber es scheint, als habe +auch sonst die italische Koalition keineswegs die gehofften Resultate fuer +Hannibal geliefert. Capua hatte sofort sich ausbedungen, dass Hannibal das +Recht nicht haben solle, kampanische Buerger zwangsweise unter die Waffen zu +rufen; die Staedter hatten nicht vergessen, wie Pyrrhos in Tarent aufgetreten +war, und meinten toerichterweise, zugleich der roemischen und der phoenikischen +Herrschaft sich entziehen zu koennen. Samnium und Lucanien waren nicht mehr, +was sie gewesen, als Koenig Pyrrhos gedacht hatte, an der Spitze der +sabellischen Jugend in Rom einzuziehen. Nicht bloss zerschnitt das roemische +Festungsnetz ueberall den Landschaften Sehnen und Nerven, sondern es hatte auch +die vieljaehrige roemische Herrschaft die Einwohner der Waffen entwoehnt - nur +maessiger Zuzug kam von hier zu den roemischen Heeren -, den alten Hass +beschwichtigt, ueberall eine Menge einzelner in das Interesse der herrschenden +Gemeinde gezogen. Man schloss sich wohl dem Ueberwinder der Roemer an, nachdem +Roms Sache einmal verloren schien; allein man fuehlte doch, dass es jetzt nicht +mehr um die Freiheit sich handle, sondern um die Vertauschung des italischen +mit dem phoenikischen Herrn, und nicht Begeisterung, sondern Kleinmut warf die +sabellischen Gemeinden dem Sieger in die Arme. Unter solchen Umstaenden stockte +in Italien der Krieg. Hannibal, der den suedlichen Teil der Halbinsel +beherrschte bis hinauf zum Volturnus und zum Garganus und diese Landschaften +nicht wie das Keltenland einfach wieder aufgeben konnte, hatte jetzt +gleichfalls eine Grenze zu decken, die nicht ungestraft entbloesst ward; und, +um die gewonnenen Landschaften gegen die ueberall ihm trotzenden Festungen und +die von Norden her anrueckenden Heere zu verteidigen und gleichzeitig die +schwierige Offensive gegen Mittelitalien zu ergreifen, reichten seine +Streitkraefte, ein Heer von etwa 40000 Mann, ohne die italischen Zuzuege zu +rechnen, bei weitem nicht aus. Vor allen Dingen aber fand er andere Gegner sich +gegenueber. Durch furchtbare Erfahrungen belehrt, gingen die Roemer ueber zu +einem verstaendigeren System der Kriegfuehrung, stellten nur erprobte Offiziere +an die Spitze ihrer Armeen und liessen dieselben, wenigstens wo es not tat, auf +laengere Zeit bei dem Kommando. Diese Feldherren sahen weder den feindlichen +Bewegungen noch den Bergen herab zu, noch warfen sie sich auf den Gegner, wo +sie ihn eben fanden, sondern, die rechte Mitte zwischen Zauderei und +Vorschnelligkeit haltend, stellten sie in verschanzten Lagern, unter den Mauern +der Festungen sich auf und nahmen den Kampf da an, wo der Sieg zu Resultaten, +die Niederlage nicht zur Vernichtung fuehrte. Die Seele dieser neuen +Kriegfuehrung war Marcus Claudius Marcellus. Mit richtigem Instinkt hatten nach +dem unheilvollen Tag von Cannae Senat und Volk auf diesen tapferen und +krieggewohnten Mann die Blicke gewandt und ihm zunaechst den faktischen +Oberbefehl uebertragen. Er hatte in dem schwierigen Sizilischen Kriege gegen +Hamilkar seine Schule gemacht und in den letzten Feldzuegen gegen die Kelten +sein Fuehrertalent wie seine persoenliche Tapferkeit glaenzend bewaehrt. Obwohl +ein hoher Fuenfziger, brannte er doch vom jugendlichsten Soldatenfeuer und +hatte erst wenige Jahre zuvor als Feldherr den feindlichen Feldherrn vom Pferde +gehauen - der erste und einzige roemische Konsul, dem eine solche Waffentat +gelang. Sein Leben war den beiden Gottheiten geweiht, denen er den glaenzenden +Doppeltempel am Capenischen Tore errichtete, der Ehre und der Tapferkeit; und +wenn die Rettung Roms aus dieser hoechsten Gefahr nicht das Verdienst eines +einzelnen ist, sondern der roemischen Buergerschaft insgemein und vorzugsweise +dem Senat gebuehrt, so hat doch kein einzelner Mann bei dem gemeinsamen Bau +mehr geschafft als Marcus Marcellus. +</p> + +<p> +Vom Schlachtfeld hatte Hannibal sich nach Kampanien gewandt. Er kannte Rom +besser als die naiven Leute, die in alter und neuer Zeit gemeint haben, dass er +mit einem Marsch auf die feindliche Hauptstadt den Kampf haette beendigen +koennen. Die heutige Kriegskunst zwar entscheidet den Krieg auf dem +Schlachtfeld; allein in der alten Zeit, wo der Angriffskrieg gegen die +Festungen weit minder entwickelt war als das Verteidigungssystem, ist +unzaehlige Male der vollstaendigste Erfolg im Feld an den Mauern der +Hauptstaedte zerschellt. Rat und Buergerschaft in Karthago waren weitaus nicht +zu vergleichen mit Senat und Volk in Rom, Karthagos Gefahr nach Regulus’ +erstem Feldzug unendlich dringender als die Roms nach der Schlacht bei Cannae; +und Karthago hatte standgehalten und vollstaendig gesiegt. Mit welchem Schein +konnte man meinen, dass Rom jetzt dem Sieger die Schluessel entgegentragen oder +auch nur einen billigen Frieden annehmen werde? Statt also ueber solche leeren +Demonstrationen moegliche und wichtige Erfolge zu verscherzen oder die Zeit zu +verlieren mit der Belagerung der paar tausend roemischer Fluechtlinge in den +Mauern von Canusium, hatte sich Hannibal sofort nach Capua begeben, bevor die +Roemer Besatzung hineinwerfen konnten, und hatte durch sein Anruecken diese +zweite Stadt Italiens nach langem Schwanken zum Uebertritt bestimmt. Er durfte +hoffen, von Capua aus sich eines der kampanischen Haefen bemaechtigen zu +koennen, um dort die Verstaerkungen an sich zu ziehen, welche seine +grossartigen Siege der Opposition daheim abgerungen hatten. Als die Roemer +erfuhren, wohin Hannibal sich gewendet habe, verliessen auch sie Apulien, wo +nur eine schwache Abteilung zurueckblieb und sammelten die ihnen gebliebenen +Streitkraefte auf dem rechten Ufer des Volturnus. Mit den zwei cannensischen +Legionen marschierte Marcus Marcellus nach Teanum Sidicinum, wo er von Rom und +Ostia die zunaechst verfuegbaren Truppen an sich zog, und ging, waehrend der +Diktator Marcus Junius mit der schleunigst neu gebildeten Hauptarmee langsam +nachfolgte, bis an den Volturnus nach Casilinum vor, um womoeglich Capua zu +retten. Dies zwar fand er schon in der Gewalt des Feindes; dagegen waren dessen +Versuche auf Neapel an dem mutigen Widerstand der Buergerschaft gescheitert, +und die Roemer konnten noch rechtzeitig in den wichtigen Hafenplatz eine +Besatzung werfen. Ebenso treu hielten zu Rom die beiden anderen groesseren +Kuestenstaedte, Cumae und Nuceria. In Nola schwankte der Kampf zwischen der +Volks- und der Senatspartei wegen des Anschlusses an die Karthager oder an die +Roemer. Benachrichtigt, dass die erstere die Oberhand gewinne, ging Marcellus +bei Caiatia ueber den Fluss und, an den Hoehen von Suessula hin um die +feindliche Armee herum marschierend, erreichte er Nola frueh genug, um es gegen +die aeusseren und die inneren Feinde zu behaupten. Ja bei einem Ausfall schlug +er Hannibal selber mit namhaftem Verlust zurueck; ein Erfolg, der als die erste +Niederlage, die Hannibal erlitt, moralisch von weit groesserer Bedeutung war +als durch seine materiellen Resultate. Zwar wurden in Kampanien Nuceria, +Acerrae und nach einer hartnaeckigen, bis ins folgende Jahr (539 215) sich +hinziehenden Belagerung auch der Schluessel der Volturnuslinie, Casilinum, von +Hannibal erobert und ueber die Senate dieser Staedte, die zu Rom gehalten +hatten, die schwersten Blutgerichte verhaengt. Aber das Entsetzen macht +schlechte Propaganda; es gelang den Roemern, mit verhaeltnismaessig geringer +Einbusse den gefaehrlichen Moment der ersten Schwaeche zu ueberwinden. Der +Krieg kam in Kampanien zum Stehen, bis der Winter einbrach und Hannibal in +Capua Quartier nahm, durch dessen Ueppigkeit seine seit drei Jahren nicht unter +Dach gekommenen Truppen keineswegs gewannen. Im naechsten Jahre (539 215) +erhielt der Krieg schon ein anderes Ansehen. Der bewaehrte Feldherr Marcus +Marcellus und Tiberius Sempronius Gracchus, der sich im vorjaehrigen Feldzug +als Reiterfuehrer des Diktators ausgezeichnet hatte, ferner der alte Quintus +Fabius Maximus traten, Marcellus als Prokonsul, die beiden andern als Konsuln, +an die Spitze der drei roemische Heere, welche bestimmt waren, Capua und +Hannibal zu umringen; Marcellus auf Nola und Suessula gestuetzt, Maximus am +rechten Ufer des Volturnus bei Cales sich aufstellend, Gracchus an der Kueste, +wo er Neapel und Cumae deckend bei Liternum Stellung nahm. Die Kampaner, welche +nach Hamae, drei Miglien von Cumae, ausrueckten, um die Cumaner zu +ueberrumpeln, wurden von Gracchus nachdruecklich geschlagen; Hannibal, der, um +die Scharte auszuwetzen, vor Cumae erschienen war, zog selbst in einem Gefecht +den kuerzeren, und kehrte, da die von ihm angebotene Hauptschlacht verweigert +ward, unmutig nach Capua zurueck. Waehrend so die Roemer in Kampanien nicht +bloss behaupteten, was sie besassen, sondern auch Compulteria und andere +kleinere Plaetze wieder gewannen, erschollen von Hannibals oestlichen +Verbuendeten laute Klagen. Ein roemisches Heer unter dem Praetor Marcus +Valerius hatte bei Luceria sich aufgestellt, teils um in Gemeinschaft mit der +roemischen Flotte die Ostkueste und die Bewegungen der Makedonier zu +beobachten, teils um in Verbindung mit der Armee von Nola die aufstaendigen +Samniten, Lucaner und Hirpiner zu brandschatzen. Um diesen Luft zu machen, +wandte Hannibal zunaechst sich gegen seinen taetigsten Gegner Marcus Marcellus; +allein derselbe erfocht unter den Mauern von Nola einen nicht unbedeutenden +Sieg ueber die phoenikische Armee, und diese musste, ohne die Scharte wieder +ausgewetzt zu haben, um den Fortschritten des feindlichen Heeres in Apulien +endlich zu steuern, von Kampanien nach Arpi aufbrechen. Ihr folgte Tiberius +Gracchus mit seinem Korps, waehrend die beiden anderen roemischen Heere in +Kampanien sich anschickten, mit dem naechsten Fruehjahr zum Angriff auf Capua +ueberzugehen. +</p> + +<p> +Hannibals klaren Blick hatten die Siege nicht geblendet. Es ward immer +deutlicher, dass er so nicht zum Ziele kam. Jene raschen Maersche, jenes fast +abenteuerliche Hin- und Herwerfen des Krieges, denen Hannibal im wesentlichen +seine Erfolge verdankte, waren zu Ende, der Feind gewitzigt, weitere +Unternehmungen durch die unumgaengliche Verteidigung des Gewonnenen selbst fast +unmoeglich gemacht. An die Offensive liess sich nicht denken, die Defensive war +schwierig und drohte jaehrlich es mehr zu werden; er konnte es sich nicht +verleugnen, dass die zweite Haelfte seines grossen Tagwerks, die Unterwerfung +der Latiner und die Eroberung Roms, nicht mit seinen und der italischen +Bundesgenossen Kraeften allein beendigt werden konnte. Die Vollendung stand bei +dem Rat von Karthago, bei dem Hauptquartier in Cartagena, bei den Hoefen von +Pella und Syrakus. Wenn in Afrika, Spanien, Sizilien, Makedonien jetzt alle +Kraefte gemeinschaftlich angestrengt wurden gegen den gemeinschaftlichen Feind; +wenn Unteritalien der grosse Sammelplatz ward fuer die Heere und Flotten von +Westen, Sueden und Osten, so konnte er hoffen, gluecklich zu Ende zu fuehren, +was die Vorhut unter seiner Leitung so glaenzend begonnen hatte. Das +Natuerlichste und Leichteste waere gewesen, ihm von daheim genuegende +Unterstuetzung zuzusenden; und der karthagische Staat, der vom Kriege fast +unberuehrt geblieben und von einer auf eigene Rechnung und Gefahr handelnden +kleinen Zahl entschlossener Patrioten aus tiefem Verfall dem vollen Sieg so +nahe gefuehrt war, haette dies ohne Zweifel vermocht. Dass es moeglich gewesen +waere, eine phoenikische Flotte von jeder beliebigen Staerke bei Lokri oder +Kroton landen zu lassen, zumal solange, als der Hafen von Syrakus den +Karthagern offenstand und durch Makedonien die brundisinische Flotte in Schach +gehalten ward, beweist die ungehinderte Ausschiffung von 4000 Afrikanern, die +Bomilkar dem Hannibal um diese Zeit von Karthago zufuehrte, in Lokri, und mehr +noch Hannibals ungestoerte Ueberfahrt, als schon jenes alles verloren gegangen +war. Allein nachdem der erste Eindruck des Sieges von Cannae sich verwischt +hatte, wies die karthagische Friedenspartei, die zu allen Zeiten bereit war, +den Sturz der politischen Gegner mit dem des Vaterlandes zu erkaufen, und die +in der Kurzsichtigkeit und Laessigkeit der Buergerschaft treue Verbuendete +fand, die Bitten des Feldherrn um nachdruecklichere Unterstuetzung ab mit der +halb einfaeltigen, halb tueckischen Antwort, dass er ja keine Hilfe brauche, +wofern er wirklich Sieger sei, und half so nicht viel weniger als der roemische +Senat Rom erretten. Hannibal, im Lager erzogen und dem staedtischen +Parteigetriebe fremd, fand keinen Volksfuehrer, auf den er sich haette stuetzen +koennen wie sein Vater auf Hasdrubal, und musste die Mittel zur Rettung der +Heimat, die diese selbst in reicher Fuelle besass, im Ausland suchen. +</p> + +<p> +Hier durfte er, und wenigstens mit mehr Aussicht auf Erfolg, rechnen auf die +Fuehrer des spanischen Patriotenheeres, auf die in Syrakus angeknuepften +Verbindungen und auf Philippos’ Intervention. Es kam alles darauf an, von +Spanien, Syrakus oder Makedonien neue Streitkraefte gegen Rom auf den +italischen Kampfplatz zu fuehren; und um dies zu erreichen oder zu hindern, +sind die Kriege in Spanien, Sizilien und Griechenland gefuehrt worden. Sie sind +alle nur Mittel zum Zweck, und sehr mit Unrecht hat man sie oft hoeher +angeschlagen. Fuer die Roemer sind es wesentlich Defensivkriege, deren +eigentliche Aufgabe ist, die Pyrenaeenpaesse zu behaupten, die makedonische +Armee in Griechenland festzuhalten, Messana zu verteidigen und die Verbindung +zwischen Italien und Sizilien zu sperren; es versteht sich, dass diese +Defensive womoeglich offensiv gefuehrt wird und im guenstigen Fall sich +entwickelt zur Verdraengung der Phoeniker aus Spanien und Sizilien und zur +Sprengung der Buendnisse Hannibals mit Syrakus und mit Philippos. Der italische +Krieg an sich tritt zunaechst in den Hintergrund und loest sich auf in +Festungskaempfe und Razzias, die in der Hauptsache nichts entscheiden. Allein +Italien bleibt dennoch, solange die Phoeniker ueberhaupt die Offensive +festhalten, stets das Ziel der Operationen, und alle Anstrengung wie alles +Interesse knuepft sich daran, die Isolierung Hannibals im suedlichen Italien +aufzuheben oder zu verewigen. +</p> + +<p> +Waere es moeglich gewesen, unmittelbar nach der Cannensischen Schlacht alle die +Hilfsmittel heranzuziehen, auf die Hannibal sich Rechnung machen durfte, so +konnte er des Erfolges ziemlich gewiss sein. Allein in Spanien war Hasdrubals +Lage eben damals nach der Schlacht am Ebro so bedenklich, dass die Leistungen +von Geld und Mannschaft, zu denen der cannensische Sieg die karthagische +Buergerschaft angespannt hatte, groesstenteils fuer Spanien verwendet wurden, +ohne dass doch die Lage der Dinge dort dadurch viel besser geworden waere. Die +Scipionen verlegten den Kriegsschauplatz im folgenden Feldzug (539 215) vom +Ebro an den Guadalquivir und erfochten in Andalusien, mitten im eigentlich +karthagischen Gebiet, bei Illiturgi und Intibili zwei glaenzende Siege. In +Sardinien mit den Eingeborenen angeknuepfte Verbindungen liessen die Karthager +hoffen, dass sie sich der Insel wuerden bemaechtigen koennen, die als +Zwischenstation zwischen Spanien und Italien von Wichtigkeit gewesen waere. +Indes Titus Manlius Torquatus, der mit einem roemischen Heer nach Sardinien +gesendet ward, vernichtete die karthagische Landungsarmee vollstaendig und +sicherte den Roemern aufs neue den unbestrittenen Besitz der Insel (539 215). +Die nach Sizilien geschickten cannensischen Legionen behaupteten im Norden und +Osten der Insel sich mutig und gluecklich gegen die Karthager und Hieronymos, +welcher letztere schon gegen Ende des Jahres 539 (215) durch Moerderhand seinen +Tod fand. Selbst mit Makedonien verzoegerte sich die Ratifikation des +Buendnisses, hauptsaechlich weil die makedonischen an Hannibal gesendeten Boten +auf der Rueckreise von den roemischen Kriegsschiffen aufgefangen wurden. So +unterblieb vorlaeufig die gefuerchtete Invasion der Ostkueste, und die Roemer +gewannen Zeit, die wichtigste Station Brundisium zuerst mit der Flotte, alsdann +auch mit dem vor der Ankunft des Gracchus zur Deckung von Apulien verwendeten +Landheer zu sichern und fuer den Fall der Kriegserklaerung einen Einfall in +Makedonien selbst vorzubereiten. Waehrend also in Italien der Kampf zum Stehen +und Stocken kam, war ausserhalb Italien karthagischerseits nichts geschehen, +was neue Heere oder Flotten rasch nach Italien gefoerdert haette. +Roemischerseits hatte man sich dagegen mit der groessten Energie ueberall in +Verteidigungszustand gesetzt und in dieser Abwehr da, wo Hannibals Genie +fehlte, groesstenteils mit Erfolg gefochten. Darueber verrauchte der kurzlebige +Patriotismus, den der Cannensische Sieg in Karthago erweckt hatte; die nicht +unbedeutenden Streitkraefte, welche man dort disponibel gemacht hatte, waren, +sei es durch faktioese Opposition, sei es bloss durch ungeschickte Ausgleichung +der verschiedenen, im Rat laut gewordenen Meinungen, so zersplittert worden, +dass sie nirgend wesentlich foerderten und da, wo sie am nuetzlichsten gewesen +waeren, eben der kleinste Teil hinkam. Am Ende des Jahres 539 (215) durfte auch +der besonnene roemische Staatsmann sich sagen, dass die dringende Gefahr +vorueber sei und die heldenmuetig begonnene Gegenwehr nur auf saemtlichen +Punkten mit Anspannung aller Kraefte auszuharren habe, um zum Ziel zu gelangen. +</p> + +<p> +Am ersten ging der Krieg in Sizilien zu Ende. Es hatte nicht zunaechst in +Hannibals Plan gelegen, auf der Insel einen Kampf anzuspinnen, sondern halb +zufaellig, hauptsaechlich durch die knabenhafte Eitelkeit des unverstaendigen +Hieronymos war hier ein Landkrieg ausgebrochen, dessen, ohne Zweifel eben aus +diesem Grunde, der karthagische Rat mit besonderem Eifer sich annahm. Nachdem +Hieronymos zu Ende 539 (215) getoetet war, schien es mehr als zweifelhaft, ob +die Buergerschaft bei der von ihm befolgten Politik verbleiben werde. Wenn +irgend eine Stadt, so hatte Syrakus Ursache an Rom festzuhalten, da der Sieg +der Karthager ueber die Roemer unzweifelhaft jenen wenigstens die Herrschaft +ueber ganz Sizilien geben musste und an eine wirkliche Einhaltung der von +Karthago den Syrakusanern gemachten Zusagen kein ernsthafter Mann glauben +konnte. Teils hierdurch bewogen, teils geschreckt durch die drohenden Anstalten +der Roemer, die alles aufboten, um die wichtige Insel, die Bruecke zwischen +Italien und Afrika, wieder vollstaendig in ihre Gewalt zu bringen, und jetzt +fuer den Feldzug 540 (214) ihren besten Feldherrn, den Marcus Marcellus nach +Sizilien gesandt hatten, zeigte die syrakusanische Buergerschaft sich geneigt, +durch rechtzeitige Rueckkehr zum roemischen Buendnis das Geschehene vergessen +zu machen. Allein bei der entsetzlichen Verwirrung in der Stadt, wo nach +Hieronymos’ Tode die Versuche zur Wiederherstellung der alten +Volksfreiheit und die Handstreiche der zahlreichen Praetendenten auf den +erledigten Thron wild durcheinander wogten, die Hauptleute der fremden +Soeldnerscharen aber die eigentlichen Herren der Stadt waren, fanden Hannibals +gewandte Emissaere Hippokrates und Epikydes Gelegenheit, die Friedensversuche +zu vereiteln. Durch den Namen der Freiheit regten sie die Masse auf; masslos +uebertriebene Schilderungen von der fuerchterlichen Bestrafung, die den soeben +wieder unterworfenen Leontinern von den Roemern zuteil geworden sein sollte, +erweckten auch in dem bessern Teil der Buergerschaft den Zweifel, ob es nicht +zu spaet sei, um das alte Verhaeltnis mit Rom wiederherzustellen; unter den +Soeldnern endlich wurden die zahlreichen roemischen Ueberlaeufer, meistens +durchgegangene Ruderer von der Flotte, leicht ueberzeugt, dass der Friede der +Buergerschaft mit Rom ihr Todesurteil sei. So wurden die Vorsteher der +Buergerschaft erschlagen, der Waffenstillstand gebrochen und Hippokrates und +Epikydes uebernahmen das Regiment der Stadt. Es blieb dem Konsul nichts uebrig, +als zur Belagerung zu schreiten; indes die geschickte Leitung der Verteidigung, +wobei der als gelehrter Mathematiker beruehmte syrakusanische Ingenieur +Archimedes sich besonders hervortat, zwang die Roemer nach achtmonatlicher +Belagerung, dieselbe in eine Blockade zu Wasser und zu Lande umzuwandeln. +Mittlerweile war von Karthago aus, das bisher nur mit seinen Flotten die +Syrakusaner unterstuetzt hatte, auf die Nachricht von der abermaligen +Schilderhebung derselben gegen die Roemer ein starkes Landheer unter Himilko +nach Sizilien gesendet worden, das ungehindert bei Herakleia Minoa landete und +sofort die wichtige Stadt Akragas besetzte. Um dem Himilko die Hand zu reichen, +rueckte der kuehne und faehige Hippokrates aus Syrakus mit einer Armee aus; +Marcellus’ Lage zwischen der Besatzung von Syrakus und den beiden +feindlichen Heeren fing an bedenklich zu werden. Indes mit Hilfe einiger +Verstaerkungen, die von Italien eintrafen, behauptete er seine Stellung auf der +Insel und setzte die Blockade von Syrakus fort. Dagegen trieb mehr noch als die +feindlichen Armeen die fuerchterliche Strenge, mit der die Roemer auf der Insel +verfuhren, namentlich die Niedermetzelung der des Abfalls verdaechtigen +Buergerschaft von Enna durch die roemische Besatzung daselbst, den groessten +Teil der kleinen Landstaedte den Karthagern in die Arme. Im Jahre 542 (212) +gelang es den Belagerern von Syrakus waehrend eines Festes in der Stadt, einen +von den Wachen verlassenen Teil der weitlaeuftigen Aussenmauern zu ersteigen +und in die Vorstaedte einzudringen, die von der Insel und der eigentlichen +Stadt am Strande (Achradina) sich gegen das innere Land hin erstreckten. Die +Festung Euryalos, die, am aeussersten westlichen Ende der Vorstaedte gelegen, +diese und die vom Binnenland nach Syrakus fuehrende Hauptstrasse deckte, war +hiermit abgeschnitten und fiel nicht lange nachher. Als so die Belagerung der +Stadt eine den Roemern guenstige Wendung zu nehmen begann, rueckten die beiden +Heere unter Himilko und Hippokrates zum Entsatz heran und versuchten einen +gleichzeitigen, ueberdies noch mit einem Landungsversuch der karthagischen +Flotte und einem Ausfall der syrakusanischen Besatzung kombinierten Angriff auf +die roemischen Stellungen; allein er ward allerseits abgeschlagen, und die +beiden Entsatzheere mussten sich begnuegen, vor der Stadt ihr Lager +aufzuschlagen, in den sumpfigen Niederringen des Anapos, die im Hochsommer und +im Herbst den darin Verweilenden toedliche Seuchen erzeugen. Oft hatten diese +die Stadt gerettet, oefter als die Tapferkeit der Buerger; zu den Zeiten des +ersten Dionys waren zwei phoenikische Heere, damals die Stadt belagernd, unter +ihren Mauern durch diese Seuchen vernichtet worden. Jetzt wendete der Stadt das +Schicksal die eigene Schutzwehr zum Verderben; waehrend Marcellus’ Heer, +in den Vorstaedten einquartiert, nur wenig litt, veroedeten die Fieber die +phoenikischen und syrakusanischen Biwaks. Hippokrates starb, desgleichen +Himilko und die meisten Afrikaner; die Ueberbleibsel der beiden Heere, +groesstenteils eingeborene Sikeler, verliefen sich in die benachbarten Staedte. +Noch machten die Karthager einen Versuch, die Stadt von der Seeseite zu retten; +allein der Admiral Bomilkar entwich, als die roemische Flotte ihm die Schlacht +anbot. Jetzt gab selbst Epikydes, der in der Stadt befehligte, dieselbe +verloren und entrann nach Akragas. Gern haette Syrakus sich den Roemern +ergeben; die Verhandlungen hatten schon begonnen. Allein zum zweitenmal +scheiterten sie an den Ueberlaeufern; in einer abermaligen Meuterei der +Soldaten wurden die Vorsteher der Buergerschaft und eine Anzahl angesehener +Buerger erschlagen und das Regiment und die Verteidigung der Stadt von den +fremden Truppen ihren Hauptleuten uebertragen. Nun knuepfte Marcellus mit einem +von diesen eine Unterhandlung an, die ihm den einen der beiden noch freien +Stadtteile, die Insel, in die Haende lieferte; worauf die Buergerschaft ihm +freiwillig auch die Tore von Achradina auftat (Herbst 542 212). Wenn irgendwo, +haette gegen diese Stadt, die offenbar nicht in ihrer eigenen Gewalt gewesen +war und mehrfach die ernstlichsten Versuche gemacht hatte, sich der Tyrannei +des fremden Militaers zu entziehen, selbst nach den nicht loeblichen +Grundsaetzen des roemischen Staatsrechts ueber die Behandlung bundbruechiger +Gemeinden die Gnade walten koennen. Allein nicht bloss beflecke Marcellus seine +Kriegerehre durch die Gestattung einer allgemeinen Pluenderung der reichen +Kaufstadt, bei der mit zahlreichen anderen Buergern auch Archimedes den Tod +fand, sondern es hatte auch der roemische Senat kein Ohr fuer die verspaeteten +Beschwerden der Syrakusaner ueber den gefeierten Feldherrn und gab weder den +einzelnen die Beute zurueck noch der Stadt ihre Freiheit. Syrakus und die +frueher von ihm abhaengigen Staedte traten unter die den Roemern +steuerpflichtigen Gemeinden ein - nur Tauromenion und Neeton erhielten das +Recht von Messana, waehrend die leontinische Mark roemische Domaene und die +bisherigen Eigentuemer roemische Paechter wurden -, und in dem den Hafen +beherrschenden Stadtteil, der “Insel”, durfte fortan kein +syrakusanischer Buerger wohnen. +</p> + +<p> +Sizilien schien also fuer die Karthager verloren; allein Hannibals Genie war +auch hier aus der Ferne taetig. Er sandte zu dem karthagischen Heer, das unter +Hanno und Epikydes rat- und tatlos bei Akragas stand, einen libyschen +Reiteroffizier, den Muttines, der den Befehl der numidischen Reiterei uebernahm +und mit seinen fluechtigen Scharen den bitteren Hass, den die roemische +Zwingherrschaft auf der ganzen Insel gesaet hatte, zu offener Flamme anfachend, +einen Guerillakrieg in der weitesten Ausdehnung und mit dem gluecklichsten +Erfolg begann, ja sogar, als am Himerafluss die karthagische und roemische +Armee aufeinandertrafen, gegen Marcellus selbst mit Glueck einige Gefechte +bestand. Indes das Verhaeltnis, das zwischen Hannibal und dem karthagischen Rat +obwaltete, wiederholte hier sich im kleinen. Der vom Rat bestellte Feldherr +verfolgte mit eifersuechtigem Neid den von Hannibal gesandten Offizier und +bestand darauf, dem Prokonsul eine Schlacht zu liefern ohne Muttines und die +Numidier. Hannos Wille geschah und er ward vollstaendig geschlagen. Muttines +liess sich dadurch nicht irren; er behauptete sich im Innern des Landes, +besetzte mehrere kleine Staedte und konnte, da von Karthago nicht +unbetraechtliche Verstaerkungen ihm zukamen, seine Operationen allmaehlich +ausdehnen. Seine Erfolge waren so glaenzend, dass endlich der Oberfeldherr, da +er den Reiteroffizier nicht anders hindern konnte, ihn zu verdunkeln, demselben +kurzweg das Kommando ueber die leichte Reiterei abnahm und es seinem Sohn +uebertrug. Der Numidier, der nun seit zwei Jahren seinen phoenikischen Herren +die Insel erhalten hatte, fand hiermit das Mass seiner Geduld erschoepft; er +und seine Reiter, die dem juengeren Hanno zu folgen sich weigerten, traten in +Unterhandlungen mit dem roemischen Feldherrn Marcus Valerius Laevinus und +lieferten ihm Akragas aus. Hanno entwich in einem Nachen und ging nach +Karthago, um den schaendlichen Vaterlandsverrat des hannibalischen Offiziers +den Seinen zu berichten; die phoenikische Besatzung in der Stadt ward von den +Roemern niedergemacht und die Buergerschaft in die Sklaverei verkauft (544 +210). Zur Sicherung der Insel vor aehnlichen Ueberfaellen, wie die Landung von +540 (214) gewesen war, erhielt die Stadt eine neue, aus den roemisch gesinnten +Sizilianern ausgelesene Einwohnerschaft; die alte herrliche Akragas war +gewesen. Nachdem also ganz Sizilien unterworfen war, ward roemischerseits +dafuer gesorgt, dass einige Ruhe und Ordnung auf die zerruettete Insel +zurueckkehrte. Man trieb das Raeubergesindel, das im Innern hauste, in Masse +zusammen und schaffte es hinueber nach Italien, um von Rhegion aus in Hannibals +Bundesgenossengebiet zu sengen und zu brennen; die Regierung tat ihr +Moegliches, um den gaenzlich darniederliegenden Ackerbau wieder auf der Insel +in Aufnahme zu bringen. Im karthagischen Rat war wohl noch oefter die Rede +davon, eine Flotte nach Sizilien zu senden und den Krieg zu erneuern; allein es +blieb bei Entwuerfen. +</p> + +<p> +Entscheidender als Syrakus haette Makedonien in den Gang der Ereignisse +eingreifen koennen. Von den oestlichen Maechten war fuer den Augenblick weder +Foerderung noch Hinderung zu erwarten. Antiochos der Grosse, Philippos’ +natuerlicher Bundesgenosse, hatte nach dem entscheidenden Siege der Aegypter +bei Raphia 537 (217) sich gluecklich schaetzen muessen, von dem schlaffen +Philopator Frieden auf Basis des Status quo ante zu erhalten; teils die +Rivalitaet der Lagiden und der stets drohende Wiederausbruch des Krieges, teils +Praetendentenaufstaende im Innern und Unternehmungen aller Art in Kleinasien, +Baktrien und den oestlichen Satrapien hinderten ihn, jener grossen +antiroemische Allianz sich anzuschliessen, wie Hannibal sie im Sinne trug. Der +aegyptische Hof stand entschieden auf der Seite Roms, mit dem er das Buendnis +544 (210) erneuerte; allein es war von Ptolemaeos Philopator nicht zu erwarten, +dass er Rom anders als durch Kornschiffe unterstuetzen werde. In den grossen +italischen Kampf ein entscheidendes Gewicht zu werfen, waren somit Makedonien +und Griechenland durch nichts gehindert als durch die eigene Zwietracht; sie +konnten den hellenischen Namen retten, wenn sie es ueber sich gewannen, nur +fuer wenige Jahre gegen den gemeinschaftlichen Feind zusammenzustehen. Wohl +gingen solche Stimmungen durch Griechenland. Des Agelaos von Naupaktos +prophetisches Wort, dass er fuerchte, es moege mit den Kampfspielen, die jetzt +die Hellenen unter sich auffuehrten, demnaechst vorbei sein; seine ernste +Mahnung, nach Westen die Blicke zu richten und nicht zuzulassen, dass eine +staerkere Macht allen jetzt streitenden Parteien den Frieden des gleichen +Joches bringe - diese Reden hatten wesentlich dazu beigetragen, den Frieden +zwischen Philippos und den Aetolern herbeizufuehren (537 217), und fuer dessen +Tendenz war es bezeichnend, dass der aetolische Bund sofort eben den Agelaos zu +seinem Strategen ernannte. Der nationale Patriotismus regte sich in +Griechenland wie in Karthago; einen Augenblick schien es moeglich, einen +hellenischen Volkskrieg gegen Rom zu entfachen. Allein der Feldherr eines +solchen Heerzuges konnte nur Philippos von Makedonien sein und ihm fehlte die +Begeisterung und der Glaube an die Nation, womit ein solcher Krieg allein +gefuehrt werden konnte. Er verstand die schwierige Aufgabe nicht, sich aus dem +Unterdruecker in den Vorfechter Griechenlands umzuwandeln. Schon sein Zaudern +bei dem Abschluss des Buendnisses mit Hannibal verdarb den ersten und besten +Eifer der griechischen Patrioten; und als er dann in den Kampf gegen Rom +eintrat, war die Art der Kriegfuehrung noch weniger geeignet, Sympathie und +Zuversicht zu erwecken. Gleich der erste Versuch, der schon im Jahre der +cannensischen Schlacht (538 216) gemacht ward, sich der Stadt Apollonia zu +bemaechtigen, scheiterte in einer fast laecherlichen Weise, indem Philippos +schleunigst umkehrte auf das gaenzlich unbegruendete Geruecht, dass eine +roemische Flotte in das Adriatische Meer steuere. Dies geschah, noch ehe es zum +foermlichen Bruch mit Rom kam; als dieser endlich erfolgt war, erwarteten +Freund und Feind eine makedonische Landung in Unteritalien. Seit 539 (215) +standen bei Brundisium eine roemische Flotte und ein roemisches Heer, um +derselben zu begegnen; Philippos, der ohne Kriegsschiffe war, zimmerte an einer +Flottille von leichten illyrischen Barken, um sein Heer hinueberzufuehren. +Allein als es Ernst werden sollte, entsank ihm der Mut, den gefuerchteten +Fuenfdeckern zur See zu begegnen; er brach das seinem Bundesgenossen Hannibal +gegebene Versprechen, einen Landungsversuch zu machen, und um doch etwas zu +tun, entschloss er sich, auf seinen Teil der Beute, die roemischen Besitzungen +in Epeiros, einen Angriff zu machen (540 214). Im besten Falle waere dabei +nichts herausgekommen; allein die Roemer, die wohl wussten, dass die offensive +Deckung vorzueglicher ist als die defensive, begnuegten sich keineswegs, wie +Philippos gehofft haben mochte, dem Angriff vom andern Ufer her zuzusehen. Die +roemische Flotte fuehrte eine Heerabteilung von Brundisium nach Epeiros; Orikon +ward dem Koenig wieder abgenommen, nach Apollonia Besatzung geworfen und das +makedonische Lager erstuermt, worauf Philippos vom halben Tun zur voelligen +Untaetigkeit ueberging und einige Jahre in tatenlosem Kriegszustand +verstreichen liess, trotz aller Beschwerden Hannibals, der umsonst solcher +Lahmheit und Kurzsichtigkeit sein Feuer und seine Klarheit einzuhauchen +versuchte. Auch war es nicht Philippos, der dann die Feindseligkeiten +erneuerte. Der Fall von Tarent (542 212), womit Hannibal einen vortrefflichen +Hafen an denjenigen Kuesten gewann, die zunaechst sich zur Landung eines +makedonischen Heeres eigneten, veranlasste die Roemer, den Schlag von weitem zu +parieren und den Makedoniern daheim so viel zu schaffen zu machen, dass sie an +einen Versuch auf Italien nicht denken konnten. In Griechenland war der +nationale Aufschwung natuerlich laengst verraucht. Mit Hilfe der alten +Opposition gegen Makedonien und der neuen Unvorsichtigkeiten und +Ungerechtigkeiten, die Philippos sich hatte zu Schulden kommen lassen, fiel es +dem roemischen Admiral Laevinus nicht schwer, gegen Makedonien eine Koalition +der Mittel- und Kleinmaechte unter roemischem Schutz zustande zu bringen. An +der Spitze derselben standen die Aetoler, auf deren Landtag Laevinus selber +erschienen war und sie durch Zusicherung des seit langem von ihnen begehrten +akarnanischen Gebiets gewonnen hatte. Sie schlossen mit Rom den ehrbaren +Vertrag die uebrigen Hellenen auf gemeinschaftliche Rechnung an Land und Leuten +zu pluendern, so dass das Land den Aetolern, die Leute und die fahrende Habe +den Roemern gehoeren sollten. Ihnen schlossen sich im eigentlichen Griechenland +die antimakedonisch oder vielmehr zunaechst antiachaeisch gesinnten Staaten an: +in Attika Athen, im Peloponnes Elis und Messene, besonders aber Sparta, dessen +altersschwache Verfassung eben um diese Zeit ein dreister Soldat Machanidas +ueber den Haufen geworfen hatte, um unter dem Namen des unmuendigen Koenigs +Pelops selbst despotisch zu regieren und ein auf gedungene Soeldnerscharen +gestuetztes Abenteurerregiment zu begruenden. Es traten ferner hinzu die ewigen +Gegner Makedoniens, die Haeuptlinge der halb wilden thrakischen und illyrischen +Staemme und endlich Koenig Attalos von Pergamon, der in dem Ruin der beiden +griechischen Grossstaaten, die ihn einschlossen, den eigenen Vorteil mit +Einsicht und Energie verfolgte und scharfsichtig genug war, sich der roemischen +Klientel schon jetzt anzuschliessen, wo seine Teilnahme noch etwas wert war. Es +ist weder erfreulich noch erforderlich, den Wechselfaellen dieses ziellosen +Kampfes zu folgen. Philippos, obwohl er jedem einzelnen seiner Gegner +ueberlegen war und nach allen Seiten hin die Angriffe mit Energie und +persoenlicher Tapferkeit zurueckwies, rieb sich dennoch auf in dieser heillosen +Defensive. Bald galt es, sich gegen die Aetoler zu wenden, die in Gemeinschaft +mit der roemischen Flotte die ungluecklichen Akarnanen vernichteten und Lokris +und Thessalien bedrohten; bald rief ihn ein Einfall der Barbaren in die +noerdlichen Landschaften; bald sandten die Achaeer um Hilfe gegen die +aetolischen und spartanischen Raubzuege; bald bedrohten Koenig Attalos von +Pergamon und der roemische Admiral Publius Sulpicius mit ihren vereinigten +Flotten die oestliche Kueste oder setzten Truppen ans Land in Euboea. Der +Mangel einer Kriegsflotte laehmte Philippos in allen seinen Bewegungen; es kam +so weit, dass er von seinem Bundesgenossen Prusias in Bithymen, ja von Hannibal +Kriegsschiffe erbat. Erst gegen das Ende des Krieges entschloss er sich zu dem, +womit er haette anfangen muessen, hundert Kriegsschiffe bauen zu lassen; +Gebrauch ist indes von denselben nicht mehr gemacht worden, wenn ueberhaupt der +Befehl zur Ausfuehrung kam. Alle, die Griechenlands Lage begriffen und ein Herz +dafuer hatten, beklagten den unseligen Krieg, in dem Griechenlands letzte +Kraefte sich selbst zerfleischten und der Wohlstand des Landes zugrunde ging; +wiederholt hatten die Handelsstaaten Rhodos, Chios, Mytilene, Byzanz, Athen, ja +selbst Aegypten versucht zu vermitteln. In der Tat lag es beiden Parteien nahe +genug, sich zu vertragen. Wie die Makedonier hatten auch die Aetoler, auf die +es von den roemischen Bundesgenossen hauptsaechlich ankam, viel unter dem Krieg +zu leiden; besonders seit der kleine Koenig der Athamanen von Philippos +gewonnen worden und dadurch das innere Aetolien den makedonischen Einfaellen +geoeffnet war. Auch von ihnen gingen allmaehlich manchem die Augen auf ueber +die ehrlose und verderbliche Rolle, zu der sie das roemische Buendnis +verurteilte; es ging ein Schrei der Empoerung durch die ganze griechische +Nation, als die Aetoler in Gemeinschaft mit den Roemern hellenische +Buergerschaften, wie die von Antikyra, Oreos, Dyme, Aegina, in Masse in die +Sklaverei verkauften. Allein die Aetoler waren schon nicht mehr frei: sie +wagten viel, wenn sie auf eigene Hand mit Philippos Frieden schlossen, und +fanden die Roemer keineswegs geneigt, zumal bei der guenstigen Wendung der +Dinge in Spanien und in Italien, von einem Kriege abzustehen, den sie +ihrerseits bloss mit einigen Schiffen fuehrten und dessen Last und Nachteil +wesentlich auf die Aetoler fiel. Endlich entschlossen diese sich doch, den +vermittelnden Staedten Gehoer zu geben; trotz der Gegenbestrebungen der Roemer +kam im Winter 548/49 (206/05) ein Friede zwischen den griechischen Maechten +zustande. Aetolien hatte einen uebermaechtigen Bundesgenossen in einen +gefaehrlichen Feind verwandelt; indes es schien dem roemischen Senat, der eben +damals die Kraefte des erschoepften Staates zu der entscheidenden afrikanischen +Expedition aufbot, nicht der geeignete Augenblick, den Bruch des Buendnisses zu +ahnden. Selbst den Krieg mit Philippos, den nach dem Ruecktritt der Aetoler die +Roemer nicht ohne bedeutende eigene Anstrengungen haetten fuehren koennen, +erschien es zweckmaessig, durch einen Frieden zu beendigen, durch den der +Zustand vor dem Kriege im wesentlichen wiederhergestellt ward und namentlich +Rom mit Ausnahme des wertlosen atintanischen Gebiets seine saemtlichen +Besitzungen an der epeirotischen Kueste behielt. Unter den Umstaenden musste +Philippos sich noch gluecklich schaetzen, solche Bedingungen zu erhalten; +allein es war damit ausgesprochen, was sich freilich nicht laenger verbergen +liess, dass all das unsaegliche Elend, welches die zehn Jahre eines mit +widerwaertiger Unmenschlichkeit gefuehrten Krieges ueber Griechenland gebracht +hatten, nutzlos erduldet, und dass die grossartige und richtige Kombination, +die Hannibal entworfen und ganz Griechenland einen Augenblick geteilt hatte, +unwiederbringlich gescheitert war. +</p> + +<p> +In Spanien, wo der Geist Hamilkars und Hannibals maechtig war, war der Kampf +ernster. Er bewegt sich in seltsamen Wechselfaellen, wie die eigentuemliche +Beschaffenheit des Landes und die Sitte des Volkes sie mit sich bringen. Die +Bauern und Hirten, die in dem schoenen Ebrotal und dem ueppig fruchtbaren +Andalusien wie in dem rauhen von zahlreichen Waldgebirgen durchschnittenen +Hochland zwischen jenem und diesem wohnten, waren ebenso leicht als bewaffneter +Landsturm zusammenzutreiben wie schwer gegen den Feind zu fuehren und +ueberhaupt nur zusammenzuhalten. Die Staedte waren ebensowenig zu festem und +gemeinschaftlichem Handeln zu vereinigen, so hartnaeckig jede einzelne +Buergerschaft hinter ihren Waellen dem Draenger Trotz bot. Sie alle scheinen +zwischen den Roemern und den Karthagern wenig Unterschied gemacht zu haben; ob +die laestigen Gaeste, die sich im Ebrotal, oder die, welche am Guadalquivir +sich festgesetzt hatten, ein groesseres oder kleineres Stueck der Halbinsel +besassen, mag den Eingeborenen ziemlich gleichgueltig gewesen sein, weshalb von +der eigentuemlich spanischen Zaehigkeit im Parteinehmen mit einzelnen +Ausnahmen, wie Sagunt auf roemischer, Astapa auf karthagischer Seite, in diesem +Krieg wenig hervortritt. Dennoch ward der Krieg von beiden Seiten, da weder die +Roemer noch die Afrikaner hinreichende eigene Mannschaft mit sich gefuehrt +hatten, notwendig zum Propagandakrieg, in dem selten festgegruendete +Anhaenglichkeit, gewoehnlich Furcht, Geld oder Zufall entschied, und der, wenn +er zu Ende schien, sich in einen endlosen Festungs- und Guerillakrieg +aufloeste, um bald aus der Asche wieder aufzulodern. Die Armeen erscheinen und +verschwinden wie die Duenen am Strand; wo gestern ein Berg stand, findet man +heute seine Spur nicht mehr. Im allgemeinen ist das Uebergewicht auf Seiten der +Roemer, teils weil sie in Spanien zunaechst wohl auftraten als Befreier des +Landes von der phoenikischen Zwingherrschaft, teils durch die glueckliche Wahl +ihrer Fuehrer und durch den staerkeren Kern mitgebrachter zuverlaessiger +Truppen; doch ist es bei unserer sehr unvollkommenen und namentlich in der +Zeitrechnung tiefzerruetteten Ueberlieferung nicht wohl moeglich, von einem +also gefuehrten Kriege eine befriedigende Darstellung zu geben. +</p> + +<p> +Die beiden Statthalter der Roemer auf der Halbinsel, Gnaeus und Publius Scipio, +beide, namentlich Gnaeus, gute Generale und vortreffliche Verwalter, vollzogen +ihre Aufgabe mit dem glaenzendsten Erfolg. Nicht bloss war der Riegel der +Pyrenaeen durchstehend behauptet und der Versuch, die gesprengte Landverbindung +zwischen dem feindlichen Oberfeldherrn und seinem Hauptquartier +wiederherzustellen, blutig zurueckgewiesen worden, nicht bloss in Tarraco durch +umfassende Festungswerke und Hafenanlagen nach dem Muster des spanischen +Neukarthago ein spanisches Neurom erschaffen, sondern es hatten auch die +roemischen Heere schon 539 (215) in Andalusien mit Glueck gefochten. Der Zug +dorthin ward das Jahr darauf (540 214) mit noch groesserem Erfolg wiederholt; +die Roemer trugen ihre Waffen fast bis zu den Saeulen des Herakles, breiteten +ihre Klientel im suedlichen Spanien aus und sicherten endlich durch die +Wiedergewinnung und Wiederherstellung von Sagunt sich eine wichtige Station auf +der Linie vom Ebro nach Cartagena, indem sie zugleich eine alte Schuld der +Nation soweit moeglich bezahlten. Waehrend die Scipionen so die Karthager aus +Spanien fast verdraengten, wussten sie ihnen im westlichen Afrika selbst einen +gefaehrlichen Feind zu erwecken an dem maechtigen westafrikanischen Fuersten +Syphax in den heutigen Provinzen Oran und Algier, welcher mit den Roemern in +Verbindung trat (um 541 213). Waere es moeglich gewesen, ein roemisches Heer +ihm zuzufuehren, so haette man auf grosse Erfolge hoffen duerfen; allein in +Italien konnte man eben damals keinen Mann entbehren und das spanische Heer war +zu schwach, um sich zu teilen. Indes schon Syphax’ eigene Truppen, +geschult und gefuehrt von roemischen Offizieren, erregten unter den libyschen +Untertanen Karthagos so ernstliche Gaerung, dass der stellvertretende +Oberkommandant von Spanien und Afrika, Hasdrubal Barkas, selbst mit dem Kern +der spanischen Truppen nach Afrika ging. Vermutlich durch ihn trat dort eine +Wendung ein; der Koenig Gala in der heutigen Provinz Constantine, seit langem +der Rival des Syphax, erklaerte sich fuer Karthago, und sein tapferer Sohn +Massinissa schlug den Syphax und noetigte ihn zum Frieden. Ueberliefert ist +uebrigens von diesem libyschen Krieg wenig mehr als die Erzaehlung der +grausamen Rache, die Karthago, wie es pflegte, nach Massinissas Siege an den +Aufstaendischen nahm. +</p> + +<p> +Diese Wendung der Dinge in Afrika ward auch folgenreich fuer den spanischen +Krieg. Hasdrubal konnte abermals nach Spanien sich wenden (543 211), wohin bald +betraechtliche Verstaerkungen und Massinissa selbst ihm folgten. Die Scipionen, +die waehrend der Abwesenheit des feindlichen Oberfeldherrn (541 542 213 212) im +karthagischen Gebiet Beute und Propaganda zu machen fortgefahren hatten, sahen +sich unerwartet von so ueberlegenen Streitkraeften angegriffen, dass sie +entweder hinter den Ebro zurueckweichen oder die Spanier aufbieten mussten. Sie +waehlten das letztere und nahmen 20000 Keltiberer in Sold, worauf sie dann, um +den drei feindlichen Armeen unter Hasdrubal Barkas, Hasdrubal Gisgons Sohn, und +Mago besser zu begegnen, ihr Heer teilten und nicht einmal ihre roemischen +Truppen zusammenhielten. Damit bereiteten sie sich den Untergang. Waehrend +Gnaeus mit seinem Korps, einem Drittel der roemischen und den saemtlichen +spanischen Truppen, Hasdrubal Barkas gegenueber lagerte, bestimmte dieser ohne +Muehe durch eine Summe Geldes die Spanier im roemischen Heere zum Abzuge, was +ihnen nach ihrer Landsknechtmoral vielleicht nicht einmal als Treubruch +erschien, da sie ja nicht zu den Feinden ihres Soldherrn ueberliefen. Dem +roemischen Feldherrn blieb nichts uebrig, als in moeglichster Eile seinen +Rueckzug zu beginnen, wobei der Feind ihm auf dem Fusse folgte. Mittlerweile +sah sich das zweite roemische Korps unter Publius von den beiden anderen +phoenikischen Armeen unter Hasdrubal Gisgons Sohn und Mago lebhaft angegriffen, +und Massinissas kecke Reiterscharen setzten die Karthager in entschiedenen +Vorteil. Schon war das roemische Lager fast eingeschlossen; wenn noch die +bereits im Anzuge begriffenen spanischen Hilfstruppen eintrafen, waren die +Roemer vollstaendig umzingelt. Der kuehne Entschluss des Prokonsuls, mit seinen +besten Truppen den Spaniern entgegenzugehen, bevor deren Erscheinen die Luecke +in der Blockade fuellte, endigte nicht gluecklich. Die Roemer waren wohl +anfangs im Vorteil; allein die numidischen Reiter, die den Ausfallenden rasch +waren nachgesandt worden, erreichten sie bald und hemmten sowohl die Verfolgung +des halb schon erfochtenen Sieges, als auch den Rueckmarsch, bis dass die +phoenikische Infanterie herankam und endlich der Fall des Feldherrn die +verlorene Schlacht in eine Niederlage verwandelte. Nachdem Publius also erlegen +war, fand Gnaeus, der langsam zurueckweichend sich des einen karthagischen +Heeres muehsam erwehrt hatte, ploetzlich von dreien zugleich sich angefallen +und durch die numidische Reiterei jeden Rueckzug sich abgeschnitten. Auf einen +nackten Huegel gedraengt, der nicht einmal die Moeglichkeit bot, ein Lager zu +schlagen, wurde das ganze Korps niedergehauen oder kriegsgefangen; von dem +Feldherrn selbst ward nie wieder sichere Kunde vernommen. Eine kleine Abteilung +allein rettete ein trefflicher Offizier aus Gnaeus’ Schule, Gaius +Marcius, hinueber auf das andere Ufer des Ebro und ebendahin gelang es dem +Legaten Titus Fonteius, den von dem Korps des Publius im Lager gebliebenen Teil +in Sicherheit zu bringen; sogar die meisten im suedlichen Spanien zerstreuten +roemischen Besatzungen vermochten sich dorthin zu fluechten. Bis zum Ebro +herrschten die Phoeniker in ganz Spanien ungestoert und der Augenblick schien +nicht fern, wo der Fluss ueberschritten, die Pyrenaeen frei und die Verbindung +mit Italien hergestellt sein wuerde. Da fuehrte die Not im roemischen Lager den +rechten Mann an die Spitze. Die Wahl der Soldaten berief mit Umgehung aelterer, +nicht untuechtiger Offiziere zum Fuehrer des Heeres jenen Gaius Marcius, und +seine gewandte Leitung und vielleicht ebenso sehr der Neid und Hader unter den +drei karthagischen Feldherren entrissen diesen die weiteren Fruechte des +wichtigen Sieges. Was von den Karthagern den Fluss ueberschritten, wurde +zurueckgeworfen und zunaechst die Ebrolinie behauptet, bis Rom Zeit gewann, ein +neues Heer und einen neuen Feldherrn zu senden. Zum Glueck gestattete dies die +Wendung des Krieges in Italien, wo soeben Capua gefallen war; es kam eine +starke Legion - 12000 Mann - unter dem Propraetor Gaius Claudius Nero, die das +Gleichgewicht der Waffen wieder herstellte. Eine Expedition nach Andalusien im +folgenden Jahr (544 210) hatte den besten Erfolg; Hasdrubal Barkas ward +umstellt und eingeschlossen und entrann der Kapitulation nur durch unfeine List +und offenen Wortbruch. Allein Nero war der rechte Feldherr nicht fuer den +Spanischen Krieg. Er war ein tuechtiger Offizier, aber ein harter auffahrender +unpopulaerer Mann, wenig geschickt, die alten Verbindungen wieder anzuknuepfen +und neue einzuleiten und Vorteil zu ziehen aus der Unbill und dem Uebermut, +womit die Punier nach dem Tode der Scipionen Freund und Feind im Jenseitigen +Spanien behandelt und alle gegen sich erbittert hatten. Der Senat, der die +Bedeutung und die Eigentuemlichkeit des Spanischen Krieges richtig beurteilte +und durch die von der roemischen Flotte gefangen eingebrachten Uticenser von +den grossen Anstrengungen erfahren hatte, die man in Karthago machte, um +Hasdrubal und Massinissa mit einem starken Heer ueber die Pyrenaeen zu senden, +beschloss, nach Spanien neue Verstaerkungen zu schicken und einen +ausserordentlichen Feldherrn hoeheren Ranges, dessen Ernennung man dem Volke +anheimzugeben fuer gut fand. Lange Zeit - so lautet der Bericht - meldete sich +niemand zur Uebernahme des verwickelten und gefaehrlichen Geschaefts, bis +endlich ein junger siebenundzwanzigjaehriger Offizier, Publius Scipio, der Sohn +des in Spanien gefallenen gleichnamigen Generals, gewesener Kriegstribun und +Aedil, als Bewerber auftrat. Es ist ebenso unglaublich, dass der roemische +Senat in diesen von ihm veranlassten Komitien eine Wahl von solchem Belang dem +Zufall anheimgestellt haben sollte, als dass Ehrgeiz und Vaterlandsliebe in Rom +so ausgestorben gewesen, dass fuer den wichtigen Posten kein versuchter +Offizier sich angeboten haette. Wenn dagegen die Blicke des Senats sich wandten +auf den jungen talentvollen und erprobten Offizier, der in den heissen Tagen am +Ticinus und bei Cannae sich glaenzend ausgezeichnet hatte, dem aber noch der +erforderliche Rang abging, um als Nachfolger von gewesenen Praetoren und +Konsuln aufzutreten, so war es sehr natuerlich, diesen Weg einzuschlagen, der +das Volk auf gute Art noetigte, den einzigen Bewerber trotz seiner mangelnden +Qualifikation zuzulassen und zugleich ihn und die ohne Zweifel sehr unpopulaere +spanische Expedition bei der Menge beliebt machen musste. War der Effekt dieser +angeblich improvisierten Kandidatur berechnet, so gelang er vollstaendig. Der +Sohn, der den Tod des Vaters zu raechen ging, dem er neun Jahre zuvor am +Ticinus das Leben gerettet hatte, der maennlich schoene junge Mann mit den +langen Locken, der bescheiden erroetend in Ermangelung eines Besseren sich +darbot fuer den Posten der Gefahr, der einfache Kriegstribun, den nun auf +einmal die Stimmen der Zenturien zu der hoechsten Amtstaffel erhoben - das +alles machte auf die roemischen Buerger und Bauern einen wunderbaren und +unausloeschlichen Eindruck. Und in der Tat, Publius Scipio war eine begeisterte +und begeisternde Natur. Er ist keiner jener wenigen, die mit ihrem eisernen +Willen die Welt auf Jahrhunderte hinaus durch Menschenkraft in neue Gleise +zwingen; oder die doch auf Jahre dem Schicksal in die Zuegel fallen, bis die +Raeder ueber sie hinrollen. Publius Scipio hat im Auftrag des Senats Schlachten +gewonnen und Laender eroberter hat mit Hilfe seiner militaerischen Lorbeeren +auch als Staatsmann in Rom eine hervorragende Stellung eingenommen; aber es ist +weit von da bis zu Alexander und Caesar. Als Offizier ist er seinem Vaterlande +wenigstens nicht mehr gewesen als Marcus Marcellus, und politisch hat er, wenn +auch vielleicht ohne seiner unpatriotischen und persoenlichen Politik sich +deutlich bewusst zu sein, seinem Lande mindestens ebensoviel geschadet, als er +ihm durch seine Feldherrngaben genutzt hat. Dennoch ruht ein besonderer Zauber +auf dieser anmutigen Heldengestalt; von der heiteren und sicheren Begeisterung, +die Scipio halb glaeubig halb geschickt vor sich hertrug, ist sie durchaus wie +von einer blendenden Aureole umflossen. Mit gerade genug Schwaermerei, um die +Herzen zu erwaermen, und genug Berechnung, um das Verstaendige ueberall +entscheiden und das Gemeine nicht aus dem Ansatz wegzulassen; nicht naiv genug, +um den Glauben der Menge an seine goettlichen Inspirationen zu teilen, noch +schlicht genug, ihn zu beseitigen, und doch im stillen innig ueberzeugt, ein +Mann vom Gottes besonderen Gnaden zu sein - mit einem Wort eine echte +Prophetennatur; ueber dem Volke stehend und nicht minder ausser dem Volke; ein +Mann felsenfesten Worts und koeniglichen Sinns, der durch Annahme des gemeinen +Koenigtitels sich zu erniedrigen meinte, aber ebensowenig begreifen konnte, +dass die Verfassung der Republik auch ihn band; seiner Groesse so sicher, dass +er nichts wusste von Neid und Hass und fremdes Verdienst leutselig anerkannte, +fremde Fehler mitleidig verzieh; ein vorzueglicher Offizier und feingebildeter +Diplomat, ohne das abstossende Sondergepraege dieses oder jenes Berufs, +hellenische Bildung einigend mit dem vollsten roemischen Nationalgefuehl, +redegewandt und anmutiger Sitte, gewann Publius Scipio die Herzen der Soldaten +und der Frauen, seiner Landsleute und der Spanier, seiner Nebenbuhler im Senat +und seines groesseren karthagischen Gegners. Bald war sein Name auf allen +Lippen und er der Stern, der seinem Lande Sieg und Frieden zu bringen bestimmt +schien. +</p> + +<p> +Publius Scipio ging nach Spanien 544/45 (210/09) ab, begleitet von dem +Propraetor Marcus Silanus, der an Neros Stelle treten und dem jungen +Oberfeldherrn als Beistand und Rat dienen sollte, und von seinem Flottenfuehrer +und Vertrauten Gaius Laelius, ausgeruestet abermals mit einer ueberzaehlig +starken Legion und einer wohlgefuellten Kasse. Gleich sein erstes Auftreten +bezeichnet einer der kuehnsten und gluecklichsten Handstreiche, die die +Geschichte kennt. Die drei karthagischen Heerfuehrer standen Hasdrubal Barkas +an den Quellen, Hasdrubal Gisgons Sohn an der Muendung des Tajo, Mago an den +Saeulen des Herakles; der naechste von ihnen um zehn Tagemaersche entfernt von +der phoenikischen Hauptstadt Neukarthago. Ploetzlich im Fruehjahr 545 (209), +ehe noch die feindlichen Heere sich in Bewegung setzten, brach Scipio gegen +diese Stadt, die er von der Ebromuendung aus in wenigen Tagen auf dem +Kuestenweg erreichen konnte, mit seiner ganzen Armee von ungefaehr 30000 Mann +und der Flotte auf und ueberraschte die nicht ueber 1000 Mann starke +phoenikische Besatzung mit einem kombinierten Angriff zu Wasser und zu Lande. +Die Stadt, auf einer in den Hafen hinein vorspringenden Landspitze gelegen, sah +sich zugleich auf drei Seiten von der roemischen Flotte, auf der vierten von +den Legionen bedroht und jede Hilfe war weit entfernt; aber der Kommandant Mago +wehrte sich mit Entschlossenheit und bewaffnete die Buergerschaft, da die +Soldaten nicht ausreichten, um die Mauern zu besetzen. Es ward ein Ausfall +versucht, welchen indes die Roemer ohne Muehe zurueckschlugen und ihrerseits, +ohne zu der Eroeffnung einer regelmaessigen Belagerung sich die Zeit zu nehmen, +den Sturm auf der Landseite begannen. Heftig draengten die Stuermenden auf dem +schmalen Landweg gegen die Stadt; immer neue Kolonnen loesten die ermuedeten +ab; die schwache Besatzung war aufs aeusserste erschoepft, aber einen Erfolg +hatten die Roemer nicht gewonnen. Scipio hatte auch keinen erwartet; der Sturm +hatte bloss den Zweck, die Besatzung von der Hafenseite wegzuziehen, wo er, +unterrichtet davon, dass ein Teil des Hafens zur Ebbezeit trocken liege, einen +zweiten Angriff beabsichtigte. Waehrend an der Landseite der Sturm tobte, +sandte Scipio eine Abteilung mit Leitern ueber das Watt, “wo Neptun ihnen +selbst den Weg zeige”, und sie hatte in der Tat das Glueck, die Mauern +hier unverteidigt zu finden. So war am ersten Tage die Stadt gewonnen, worauf +Mago in der Burg kapitulierte. Mit der karthagischen Hauptstadt fielen achtzehn +abgetakelte Kriegs- und 63 Lastschiffe, das gesamte Kriegsmaterial, bedeutende +Getreidevorraete, die Kriegskasse von 600 Talenten (ueber 1 Million Taler), +zehntausend Gefangene, darunter achtzehn karthagische Gerusiasten oder Richter, +und die Geiseln der saemtlichen spanischen Bundesgenossen Karthagos in die +Gewalt der Roemer. Scipio verhiess den Geiseln die Erlaubnis zur Heimkehr, +sowie die Gemeinde eines jeden mit Rom in Buendnis getreten sein wuerde, und +nutzte die Hilfsmittel, die die Stadt ihm darbot, sein Heer zu verstaerken und +in besseren Stand zu bringen, indem er die neukarthagischen Handwerker, +zweitausend an der Zahl, fuer das roemische Heer arbeiten hiess gegen das +Versprechen der Freiheit bei der Beendigung des Krieges, und aus der uebrigen +Menge die faehigen Leute zum Ruderdienst auf den Schiffen auslas. Die +Stadtbuerger aber wurden geschont und ihnen die Freiheit und die bisherige +Stellung gelassen; Scipio kannte die Phoeniker und wusste, dass sie gehorchen +wuerden, und es war wichtig, die Stadt mit dem einzigen vortrefflichen Hafen an +der Ostkueste und den reichen Silberbergwerken nicht bloss durch eine Besatzung +zu sichern. +</p> + +<p> +So war die verwegene Unternehmung gelungen, verwegen deshalb, weil es Scipio +nicht unbekannt war, dass Hasdrubal Barkas von seiner Regierung den Befehl +erhalten hatte, nach Gallien vorzudringen, und diesen auszufuehren beschaeftigt +war, und weil die schwache, am Ebro zurueckgelassene Abteilung unmoeglich +imstande war, ihm dies ernstlich zu wehren, wenn Scipios Rueckkehr sich auch +nur verzoegerte. Indes er war zurueck in Tarraco, ehe Hasdrubal sich am Ebro +gezeigt hatte; das gefaehrliche Spiel, das der junge Feldherr spielte, als er +seine naechste Aufgabe im Stich liess, um einen lockenden Streich auszufuehren, +ward verdeckt durch den fabelhaften Erfolg, den Neptunus und Scipio +gemeinschaftlich gewonnen hatten. Die wunderhafte Einnahme der phoenikischen +Hauptstadt rechtfertigte so ueber die Massen alles, was man daheim von dem +wunderbaren Juengling sich versprochen hatte, dass jedes andere Urteil +verstummen musste. Scipios Kommando wurde auf unbestimmte Zeit verlaengert; er +selber beschloss, sich nicht mehr auf die duerftige Aufgabe zu beschraenken, +der Hueter der Pyrenaeenpaesse zu sein. Schon hatten infolge des Falles von +Neukarthago nicht bloss die diesseitigen Spanier sich voellig unterworfen, +sondern auch jenseits des Ebro die maechtigsten Fuersten die karthagische +Klientel mit der roemischen vertauscht. Scipio nutzte den Winter 545/46 +(209/08) dazu, seine Flotte aufzuloesen und mit den dadurch gewonnenen Leuten +sein Landheer so zu vermehren, dass er zugleich den Norden bewachen und im +Sueden die Offensive nachdruecklicher als bisher ergreifen koenne, und +marschierte im Jahre 546 (208) nach Andalusien. Hier traf er auf Hasdrubal +Barkas, der in Ausfuehrung des lange gehegten Planes, dem Bruder zu Hilfe zu +kommen, nordwaerts zog. Bei Baecula kam es zur Schlacht, in der sich die Roemer +den Sieg zuschrieben und 10000 Gefangene gemacht haben sollen; aber Hasdrubal +erreichte, wenn auch mit Aufopferung eines Teils seiner Armee, im wesentlichen +seinen Zweck. Mit seiner Kasse, seinen Elefanten und dem besten Teil seiner +Truppen schlug er sich durch an die spanische Nordkueste, erreichte am Ozean +hinziehend die westlichen, wie es scheint, nicht besetzten Pyrenaeenpaesse und +stand noch vor dem Eintritt der schlechten Jahreszeit in Gallien, wo er +Winterquartier nahm. Es zeigte sich, dass Scipios Entschluss, mit der ihm +aufgetragenen Defensive die Offensive zu verbinden, unueberlegt und unweise +gewesen war; der naechsten Aufgabe des spanischen Heeres, die nicht bloss +Scipios Vater und Oheim, sondern selbst Gaius Marcius und Gaius Nero mit viel +geringeren Mitteln geloest hatten, hatte der siegreiche Feldherr an der Spitze +einer starken Armee in seinem Uebermut nicht genuegt, und wesentlich er +verschuldete die aeusserst gefaehrliche Lage Roms im Sommer 547 (207), als +Hannibals Plan eines kombinierten Angriffs auf die Roemer endlich dennoch sich +realisierte. Indes die Goetter deckten die Fehler ihres Lieblings mit Lorbeeren +zu. In Italien ging die Gefahr gluecklich vorueber; man liess sich das Bulletin +des zweideutigen Sieges von Baecula gefallen und gedachte, als neue +Siegesberichte aus Spanien einliefen, nicht weiter des Umstandes, dass man den +faehigsten Feldherrn und den Kern der spanisch-phoenikischen Armee in Italien +zu bekaempfen gehabt hatte. +</p> + +<p> +Nach Hasdrubal Barkas’ Entfernung beschlossen die beiden in Spanien +zurueckbleibenden Feldherren, vorlaeufig zurueckzuweichen, Hasdrubal Gisgons +Sohn nach Lusitanien, Mago gar auf die Balearen, und bis neue Verstaerkungen +aus Afrika anlangten, nur Massinissas leichte Reiterei in Spanien streifen zu +lassen, aehnlich wie es Muttines in Sizilien mit so grossem Erfolge getan. So +geriet die ganze Ostkueste in die Gewalt der Roemer. Im folgenden Jahre (547 +207) erschien wirklich aus Afrika Hanno mit einem dritten Heere, worauf auch +Mago und Hasdrubal sich wieder nach Andalusien wandten. Allein Marcus Silanus +schlug Magos und Hannos vereinigte Heere und nahm den letzteren selbst +gefangen. Hasdrubal gab darauf die Behauptung des offenen Feldes auf und +verteilte seine Truppen in die andalusischen Staedte, von denen Scipio in +diesem Jahr nur noch eine, Oringis, erstuermen konnte. Die Phoeniker schienen +ueberwaeltigt; aber dennoch vermochten sie das Jahr darauf (548 206) wieder ein +gewaltiges Heer ins Feld zu senden, 32 Elefanten, 4000 Mann zu Pferde, 70000 zu +Fuss, freilich zum allergroessten Teil zusammengeraffte spanische Landwehr. +Wieder bei Baecula kam es zur Schlacht. Das roemische Heer zaehlte wenig mehr +als die Haelfte des feindlichen und auch von ihm war ein guter Teil Spanier. +Scipio stellte, wie Wellington in gleichem Fall, seine Spanier so auf, dass sie +nicht zum Schlagen kamen - die einzige Moeglichkeit, ihr Ausreissen zu +verhindern -, waehrend er umgekehrt seine roemischen Truppen zuerst auf die +Spanier warf. Der Tag war dennoch hart bestritten; doch siegten endlich die +Roemer, und wie sich von selbst versteht, war die Niederlage eines solchen +Heeres gleichbedeutend mit der voelligen Aufloesung desselben - einzeln +retteten sich Hasdrubal und Mago nach Gades. Die Roemer standen jetzt ohne +Nebenbuhler auf der Halbinsel; die wenigen nicht gutwillig sich fuegenden +Staedte wurden einzeln bezwungen und zum Teil mit grausamer Haerte bestraft. +Scipio konnte sogar auf der afrikanischen Kueste dem Syphax einen Besuch +abstatten und mit ihm, ja selbst mit Massinissa fuer den Fall einer Expedition +nach Afrika Verbindungen einleiten - ein tollkuehnes Wagstueck, das durch +keinen entsprechenden Zweck gerechtfertigt ward, so sehr auch der Bericht davon +den neugierigen Hauptstaedtern daheim behagen mochte. Nur Gades, wo Mago den +Befehl fuehrte, war noch phoenikisch. Einen Augenblick schien es, als ob, +nachdem die Roemer die karthagische Erbschaft angetreten und die hier und da in +Spanien genaehrte Hoffnung nach Beendigung des phoenikischen Regiments auch der +roemischen Gaeste loszuwerden und die alte Freiheit wieder zu erlangen, +hinreichend widerlegt hatten, in Spanien eine allgemeine Insurrektion gegen die +Roemer ausbrechen wuerde, bei welcher die bisherigen Verbuendeten Roms +vorangingen. Die Erkrankung des roemischen Feldherrn und die Meuterei eines +seiner Korps, veranlasst durch den seit vielen Jahren rueckstaendigen Sold, +beguenstigten den Aufstand. Indes Scipio genas schneller als man gemeint hatte +und daempfte mit Gewandtheit den Soldatentumult; worauf auch die Gemeinden, die +bei der Nationalerhebung vorangegangen waren, alsbald niedergeworfen wurden, +ehe die Insurrektion Boden gewann. Da es also auch damit nichts und Gades doch +auf die Laenge nicht zu halten war, befahl die karthagische Regierung dem Mago +zusammenzuraffen, was dort an Schiffen, Truppen und Geld sich vorfinde, und +damit womoeglich dem Krieg in Italien eine andere Wendung zu geben. Scipio +konnte dies nicht wehren - es raechte sich jetzt, dass er seine Flotte +aufgeloest hatte - und musste zum zweitenmal die ihm anvertraute Beschirmung +der Heimat gegen neue Invasion seinen Goettern anheimstellen. Unbehindert +verliess der letzte von Hamilkars Soehnen die Halbinsel. Nach seinem Abzug +ergab sich auch Gades, die aelteste und letzte Besitzung der Phoeniker auf +spanischem Boden, unter guenstigen Bedingungen den neuen Herren. Spanien war +nach dreizehnjaehrigem Kampfe aus einer karthagischen in eine roemische Provinz +verwandelt worden, in der zwar noch jahrhundertelang die stets besiegte und nie +ueberwundene Insurrektion den Kampf gegen die Roemer fortfuehrte, aber doch im +Augenblick kein Feind den Roemern gegenueberstand. Scipio ergriff den ersten +Moment der Scheinruhe, um sein Kommando abzugeben (Ende 548 206) und in Rom +persoenlich von den erfochtenen Siegen und den gewonnenen Landschaften zu +berichten. +</p> + +<p> +Waehrend also Marcellus in Sizilien, Publius Sulpicius in Griechenland, Scipio +in Spanien den Krieg beendigten, ging auf der italischen Halbinsel der +gewaltige Kampf ununterbrochen weiter. Hier standen, nachdem die Cannensische +Schlacht geschlagen war und deren Folgen an Verlust und Gewinn sich allmaehlich +uebersehen liessen, im Anfang des Jahres 540 (214), des fuenften Kriegsjahres, +die Roemer und Phoeniker folgendermassen sich gegenueber. Norditalien hatten +die Roemer nach Hannibals Abzug wieder besetzt und deckten es mit drei +Legionen, wovon zwei im Keltenlande standen, die dritte als Rueckhalt in +Picenum. Unteritalien bis zum Garganus und Volturnus war mit Ausnahme der +Festungen und der meisten Haefen in Hannibals Haenden. Er stand mit der +Hauptarmee bei Arpi, ihm in Apulien gegenueber, gestuetzt auf die Festungen +Luceria und Benevent, Tiberius Gracchus mit vier Legionen. Im brettischen +Lande, dessen Einwohner sich Hannibal gaenzlich in die Arme geworfen hatten und +wo auch die Haefen, mit Ausnahme von Rhegion, das die Roemer von Messana aus +schuetzten, von den Phoenikern besetzt worden waren, stand ein zweites +karthagisches Heer unter Hanno, ohne zunaechst einen Feind sich gegenueber zu +sehen. Die roemische Hauptarmee von vier Legionen unter den beiden Konsuln +Quintus Fabius und Marcus Marcellus war im Begriff, die Wiedergewinnung Capuas +zu versuchen. Dazu kam roemischerseits die Reserve von zwei Legionen in der +Hauptstadt, die in alle Seehaefen gelegte Besatzung, welche in Tarent und +Brundisium wegen der dort befuerchteten makedonischen Landung durch eine Legion +verstaerkt worden war, endlich die starke, das Meer ohne Widerstreit +beherrschende Flotte. Rechnet man dazu die roemischen Heere in Sizilien, +Sardinien und Spanien, so laesst sich die Gesamtzahl der roemischen +Streitkraefte, auch abgesehen von dem Besatzungsdienst, den in den +unteritalischen Festungen die dort angesiedelte Buergerschaft zu versehen +hatte, nicht unter 200000 Mann anschlagen, darunter ein Drittel fuer dies Jahr +neu einberufene Leute und etwa die Haelfte roemische Buerger. Man darf +annehmen, dass die gesamte dienstfaehige Mannschaft vom 17. bis zum 46. Jahre +unter den Waffen stand und die Felder, wo der Krieg sie zu bearbeiten erlaubte, +von den Sklaven, den Alten, den Kindern und Weibern bestellt wurden. Dass unter +solchen Verhaeltnissen auch die Finanzen in der peinlichsten Verlegenheit +waren, ist begreiflich; die Grundsteuer, auf die man hauptsaechlich angewiesen +war, ging natuerlich nur sehr unregelmaessig ein. Aber trotz dieser Not um +Mannschaft und Geld vermochten die Roemer dennoch, das rasch Verlorene zwar +langsam und mit Anspannung aller Kraefte, aber doch zurueckzuerobern; ihre +Heere jaehrlich zu vermehren, waehrend die phoenikischen zusammenschwanden; +gegen Hannibals italische Bundesgenossen, die Kampaner, Apuler, Samniten, +Brettier, die weder wie die roemischen Festungen in Unteritalien sich selber +genuegten noch von Hannibals schwachem Heer hinreichend gedeckt werden konnten, +jaehrlich Boden zu gewinnen; endlich mittels der von Marcus Marcellus +begruendeten Kriegsweise das Talent der Offiziere zu entwickeln und die +Ueberlegenheit des roemischen Fussvolks in vollem Umfange ins Spiel zu bringen. +Hannibal durfte wohl noch auf Siege hoffen, aber nicht mehr auf Siege wie am +Trasimenischen See und am Aufidus; die Zeiten der Buergergenerale waren vorbei. +Es blieb ihm nichts uebrig, als abzuwarten, bis entweder Philippos die laengst +versprochene Landung ausfuehren oder die Brueder aus Spanien ihm die Hand +reichen wuerden, und mittlerweile sich, seine Armee und seine Klientel soweit +moeglich unversehrt und bei guter Laune zu erhalten. Man erkennt in der zaehen +Defensive, die jetzt beginnt, mit Muehe den Feldherrn wieder, der wie kaum ein +anderer stuermisch und verwegen die Offensive gefuehrt hat; es ist +psychologisch wie militaerisch bewundernswert, dass derselbe Mann die beiden +ihm gestellten Aufgaben ganz entgegengesetzter Art in gleicher Vollkommenheit +geloest hat. +</p> + +<p> +Zunaechst zog der Krieg sich vornehmlich nach Kampanien. Hannibal erschien +rechtzeitig zum Schutz der Hauptstadt, deren Einschliessung er hinderte; allein +weder vermochte er irgendeine der kampanischen Staedte, die die Roemer +besassen, den starken roemischen Besatzungen zu entreissen, noch konnte er +wehren, dass ausser einer Menge minder wichtiger Landstaedte auch Casilinum, +das ihm den Uebergang ueber den Volturnus sicherte, von den beiden +Konsularheeren nach hartnaeckiger Gegenwehr genommen ward. Ein Versuch +Hannibals Tarent zu gewinnen, wobei es namentlich auf einen sicheren +Landungsplatz fuer die makedonische Armee abgesehen war, schlug ihm fehl. Das +brettische Heer der Karthager unter Hanno schlug sich inzwischen in Lucanien +mit der roemischen Armee von Apulien herum; Tiberius Gracchus bestand hier mit +Erfolg den Kampf und gab nach einem gluecklichen Gefecht unweit Benevent, bei +dem die zum Dienst gepressten Sklavenlegionen sich ausgezeichnet hatten, den +Sklavensoldaten im Namen des Volks die Freiheit und das Buergerrecht. +</p> + +<p> +Im folgenden Jahr (541 213) gewannen die Roemer das reiche und wichtige Arpi +zurueck, dessen Buergerschaft, nachdem die roemischen Soldaten sich in die +Stadt eingeschlichen hatten, mit ihnen gegen die karthagische Besatzung +gemeinschaftliche Sache machte. Ueberhaupt lockerten sich die Bande der +Hannibalischen Symmachie; eine Anzahl der vornehmsten Capuaner und mehrere +brettische Staedte gingen ueber zu Rom; sogar eine spanische Abteilung des +phoenikischen Heeres trat, durch spanische Emissaere von dem Gang der +Ereignisse in der Heimat in Kenntnis gesetzt, aus karthagischen in roemische +Dienste. +</p> + +<p> +Unguenstiger war fuer die Roemer das Jahr 542 (212) durch neue politische und +militaerische Fehler, die Hannibal auszubeuten nicht unterliess. Die +Verbindungen, welche Hannibal in den grossgriechischen Staedten unterhielt, +hatten zu keinem ernstlichen Resultat gefuehrt; nur die in Rom befindlichen +tarentinischen und thurinischen Geiseln liessen sich durch seine Emissaere zu +einem tollen Fluchtversuch bestimmen, wobei sie schleunig von den roemischen +Posten wieder aufgegriffen wurden. Allein die unverstaendige Rachsucht der +Roemer foerderte Hannibal mehr als seine Intrigen; die Hinrichtung der +saemtlichen entwichenen Geiseln beraubte sie eines kostbaren Unterpfandes, und +die erbitterten Griechen sannen seitdem, wie sie Hannibal die Tore oeffnen +moechten. Wirklich ward Tarent durch Einverstaendnis mit der Buergerschaft und +durch die Nachlaessigkeit des roemischen Kommandanten von den Karthagern +besetzt; kaum dass die roemische Besatzung sich in der Burg behauptete. Dem +Beispiel Tarents folgten Herakleia, Thurii und Metapont, aus welcher Stadt zur +Rettung der Tarentiner Akropolis die Besatzung hatte weggezogen werden muessen. +Damit war die Gefahr einer makedonischen Landung so nahe gerueckt, dass Rom +sich genoetigt sah, dem fast gaenzlich vernachlaessigten griechischen Krieg +neue Aufmerksamkeit und neue Anstrengungen zuzuwenden, wozu gluecklicherweise +die Einnahme von Syrakus und der guenstige Stand des spanischen Krieges die +Moeglichkeit gewaehrte. Auf dem Hauptkriegsschauplatz, in Kampanien, ward mit +sehr abwechselndem Erfolge gefochten. Die in der Naehe von Capua postierten +Legionen hatten zwar die Stadt noch nicht eigentlich eingeschlossen, aber doch +die Bestellung des Ackers und die Einbringung der Ernte so sehr gehindert, dass +die volkreiche Stadt auswaertiger Zufuhr dringend bedurfte. Hannibal brachte +also einen betraechtlichen Getreidetransport zusammen und wies die Kampaner an, +ihn bei Benevent in Empfang zu nehmen; allein deren Saumseligkeit gab den +Konsuln Quintus Flaccus und Appius Claudius Zeit herbeizukommen, dem Hanno, der +den Transport deckte, eine schwere Niederlage beizubringen und sich seines +Lagers und der gesamten Vorraete zu bemaechtigen. Die beiden Konsuln schlossen +darauf die Stadt ein, waehrend Tiberius Gracchus sich auf der Appischen Strasse +aufstellte, um Hannibal den Weg zum Entsatz zu verlegen. Aber der tapfere Mann +fiel durch die schaendliche List eines treulosen Lucaners, und sein Tod kam +einer voelligen Niederlage gleich, da sein Heer, groesstenteils bestehend aus +jenen von ihm freigesprochenen Sklaven, nach dem Tode des geliebten Fuehrers +auseinanderlief. So fand Hannibal die Strasse nach Capua offen und noetigte +durch sein unvermutetes Erscheinen die beiden Konsuln, die kaum begonnene +Einschliessung wieder aufzuheben, nachdem noch vor Hannibals Eintreffen ihre +Reiterei von der phoenikischen, die unter Hanno und Bostar als Besatzung in +Capua lag, und der ebenso vorzueglichen kampanischen nachdruecklich geschlagen +worden war. Die totale Vernichtung der von Marcus Centenius, einem vom +Unteroffizier zum Feldherrn unvorsichtig befoerderten Mann, angefuehrten +regulaeren Truppen und Freischaren in Lucanien, und die nicht viel weniger +vollstaendige Niederlage des nachlaessigen und uebermuetigen Praetors Gnaeus +Fulvius Flaccus in Apulien beschlossen die lange Reihe der Unfaelle dieses +Jahres. Aber das zaehe Ausharren der Roemer machte wenigstens an dem +entscheidenden Punkte den raschen Erfolg Hannibals doch wieder zunichte. Sowie +Hannibal Capua den Ruecken wandte, um sich nach Apulien zu begeben, zogen die +roemischen Heere sich abermals um Capua zusammen, bei Puteoli und Volturnum +unter Appius Claudius, bei Casilinum unter Quintus Fulvius, auf der Nolanischen +Strasse unter dem Praetor Gaius Claudius Nero; die drei wohlverschanzten und +durch befestigte Linien miteinander verbundenen Lager sperrten jeden Zugang, +und die grosse, ungenuegend verproviantierte Stadt musste durch blosse +Umstellung in nicht entfernter Zeit sich zur Kapitulation gezwungen sehen, wenn +kein Entsatz kam. Wie der Winter 542/43 (212/11) zu Ende ging, waren auch die +Vorraete fast erschoepft, und dringende Boten, die kaum imstande waren, durch +die wohlbewachten roemischen Linien sich durchzuschleichen, begehrten +schleunige Hilfe von Hannibal, der, mit der Belagerung der Burg beschaeftigt, +in Tarent stand. In Eilmaerschen brach er mit 33 Elefanten und seinen besten +Truppen von Tarent nach Kampanien auf, hob den roemischen Posten in Calatia auf +und nahm sein Lager am Berge Tifata unmittelbar bei Capua, in der sicheren +Erwartung, dass die roemischen Feldherren eben wie im vorigen Jahre daraufhin +die Belagerung aufheben wuerden. Allein die Roemer, die Zeit gehabt hatten, +ihre Lager und ihre Linien festungsartig zu verschanzen, ruehrten sich nicht +und sahen unbeweglich von den Waellen aus zu, wie auf der einen Seite die +kampanischen Reiter, auf der anderen die numidischen Schwaerme an ihre Linien +anprallten. An einen ernstlichen Sturm durfte Hannibal nicht denken; er konnte +voraussehen, dass sein Anruecken bald die anderen roemischen Heere nach +Kampanien nachziehen wuerde, wenn nicht schon frueher der Mangel an Futter in +dem systematisch ausfouragierten Lande ihn aus Kampanien vertrieb. Dagegen +liess sich nichts machen. Hannibal versuchte noch einen Ausweg, den letzten, +der seinem erfinderischen Geist sich darbot, um die wichtige Stadt zu retten. +Er brach mit dem Entsatzheer, nachdem er den Kampanern von seinem Vorhaben +Nachricht gegeben und sie zum Ausharren ermahnt hatte, von Capua auf und schlug +die Strasse nach Rom ein. Mit derselben gewandten Kuehnheit wie in seinen +ersten italischen Feldzuegen warf er sich mit einem schwachen Heer zwischen die +feindlichen Armeen und Festungen und fuehrte seine Truppen durch Samnium und +auf der Valerischen Strasse an Tibur vorbei bis zur Aniobruecke, die er +passierte und auf dem anderen Ufer ein Lager nahm, eine deutsche Meile von der +Stadt. Den Schreck empfanden noch die Enkel der Enkel, wenn ihnen erzaehlt ward +von “Hannibal vor dem Tor”; eine ernstliche Gefahr war nicht +vorhanden. Die Landhaeuser und Aecker in der Naehe der Stadt wurden von den +Feinden verheert; die beiden Legionen in der Stadt, die gegen sie ausrueckten, +verhinderten die Berennung der Mauern. Durch einen Handstreich, wie ihn Scipio +bald nachher gegen Neukarthago ausfuehrte, Rom zu ueberrumpeln, hatte Hannibal +uebrigens nie gemeint und noch weniger an eine ernstliche Belagerung gedacht; +seine Hoffnung war einzig darauf gestellt, dass im ersten Schreck ein Teil des +Belagerungsheeres von Capua nach Rom marschieren und ihm also Gelegenheit geben +werde, die Blockade zu sprengen. Darum brach er nach kurzem Verweilen wieder +auf. Die Roemer sahen in seiner Umkehr ein Wunder der goettlichen Gnade, die +durch Zeichen und Gesichte den argen Mann zum Abzug bestimmt habe, wozu ihn die +roemischen Legionen freilich zu noetigen nicht vermochten; an der Stelle, wo +Hannibal der Stadt am naechsten gekommen war, von dem Capenischen Tor an dem +zweiten Miglienstein der Appischen Strasse, errichteten die dankbaren +Glaeubigen dem Gott “Rueckwender Beschuetzer” (Rediculus Tutanus) +einen Altar. In der Tat zog Hannibal ab, weil es so in seinem Plane lag, und +schlug die Richtung nach Capua ein. Allein die roemischen Feldherren hatten den +Fehler nicht begangen, auf den ihr Gegner gerechnet hatte; unbeweglich standen +die Legionen in den Linien um Capua und nur ein schwaches Korps war auf die +Kunde von Hannibals Marsch nach Rom detachiert worden. Wie Hannibal dies +erfuhr, wandte er sich ploetzlich um gegen den Konsul Publius Galba, der ihm +von Rom her unbesonnen gefolgt war, und mit dem er bisher vermieden hatte zu +schlagen, ueberwand ihn und erstuermte sein Lager; aber es war das ein geringer +Ersatz fuer Capuas jetzt unvermeidlichen Fall. Lange schon hatte die +Buergerschaft daselbst, namentlich die besseren Klassen derselben, mit bangen +Ahnungen der Zukunft entgegengesehen; den Fuehrern der Rom feindlichen +Volkspartei blieb das Rathaus und die staedtische Verwaltung fast +ausschliesslich ueberlassen. Jetzt ergriff die Verzweiflung Vornehme und +Geringe, Kampaner und Phoeniker ohne Unterschied. Achtundzwanzig vom Rat +waehlten den freiwilligen Tod; die uebrigen uebergaben die Stadt dem Gutfinden +eines unversoehnlich erbitterten Feindes. Dass Blutgerichte folgen mussten, +verstand sich von selbst; man stritt nur ueber langen oder kurzen Prozess: ob +es klueger und zweckmaessiger sei, die weiteren Verzweigungen des Hochverrats +auch ausserhalb Capuas gruendlich zu ermitteln oder durch rasche Exekution der +Sache ein Ende zu machen. Ersteres wollten Appius Claudius und der roemische +Senat; die letztere Meinung, vielleicht die weniger unmenschliche, siegte ob. +Dreiundfuenfzig capuanische Offiziere und Beamte wurden auf den Marktplaetzen +von Cales und Teanum auf Befehl und vor den Augen des Prokonsuls Quintus +Flaccus ausgepeitscht und enthauptet, der Rest des Rates eingekerkert, ein +zahlreicher Teil der Buergerschaft in die Sklaverei verkauft, das Vermoegen der +Wohlhabenderen konfisziert. Aehnliche Gerichte ergingen ueber Atella und +Calatia. Diese Strafen waren hart; allein mit Ruecksicht auf das, was Capuas +Abfall fuer Rom bedeutet, und auf das, was der Kriegsgebrauch jener Zeit wenn +nicht recht, doch ueblich gemacht hatte, sind sie begreiflich. Und hatte nicht +durch den Mord der saemtlichen in Capua zur Zeit des Abfalls anwesenden +roemischen Buerger unmittelbar nach dem uebertritt die Buergerschaft sich +selber ihr Urteil gesprochen? Arg aber war es, dass Rom diese Gelegenheit +benutzte, um die stille Rivalitaet, die lange zwischen den beiden groessten +Staedten Italiens bestanden hatte, zu befriedigen und durch die Aufhebung der +kampanischen Stadtverfassung die gehasste und beneidete Nebenbuhlerin +vollstaendig politisch zu vernichten. +</p> + +<p> +Ungeheuer war der Eindruck von Capuas Fall, und nur um so mehr, weil er nicht +durch Ueberraschung, sondern durch eine zweijaehrige, allen Anstrengungen +Hannibals zum Trotze durchgefuehrte Belagerung herbeigefuehrt worden war. Er +war ebenso sehr das Signal der den Roemern wiedergewonnenen Oberhand in +Italien, wie sechs Jahre zuvor der Uebertritt Capuas zu Hannibal das Signal der +verlorenen gewesen war. Vergeblich hatte Hannibal versucht, dem Eindruck dieser +Nachricht auf die Bundesgenossen entgegenzuarbeiten durch die Einnahme von +Rhegion oder der tarentinischen Burg. Sein Gewaltmarsch, um Rhegion zu +ueberraschen, hatte nichts gefruchtet und in der Burg von Tarent war der Mangel +zwar gross, seit das tarentinisch-karthagische Geschwader den Hafen sperrte, +aber da die Roemer mit ihrer weit staerkeren Flotte jenem Geschwader selbst die +Zufuhr abzuschneiden vermochten, und das Gebiet, das Hannibal beherrschte, kaum +genuegte, sein Heer zu ernaehren, so litten die Belagerer auf der Seeseite +nicht viel weniger als die Belagerten in der Burg und verliessen endlich den +Hafen. Es gelang nichts mehr; das Glueck selbst schien von dem Karthager +gewichen. Diese Folgen von Capuas Fall, die tiefe Erschuetterung des Ansehens +und Vertrauens, das Hannibal bisher bei den italischen Verbuendeten genossen, +und die Versuche jeder nicht allzusehr kompromittierten Gemeinde, auf leidliche +Bedingungen in die roemische Symmachie wieder zurueckzutreten, waren noch weit +empfindlicher fuer Hannibal als der unmittelbare Verlust. Er hatte die Wahl, in +die schwankenden Staedte entweder Besatzung zu werfen, wodurch er sein schon zu +schwaches Heer noch mehr schwaechte und seine zuverlaessigen Truppen der +Aufreibung in kleinen Abteilungen und dem Verrat preisgab - so wurden ihm im +Jahre 544 (210) bei dem Abfall der Stadt Salapia 500 auserlesene numidische +Reiter niedergemacht; oder die unsicheren Staedte zu schleifen und anzuzuenden, +um sie dem Feind zu entziehen, was denn auch die Stimmung unter seiner +italischen Klientel nicht heben konnte. Mit Capuas Fall fuehlten die Roemer des +endlichen Ausganges des Krieges in Italien sich wiederum sicher; sie entsandten +betraechtliche Verstaerkungen nach Spanien, wo durch den Fall der beiden +Scipionen die Existenz der roemischen Armee gefaehrdet war, und gestatteten zum +erstenmal seit dem Beginn des Krieges sich eine Verminderung der Gesamtzahl der +Truppen, die bisher trotz der jaehrlich steigenden Schwierigkeit der Aushebung +jaehrlich vermehrt worden und zuletzt bis auf 23 Legionen gestiegen war. Darum +ward denn auch im naechsten Jahr (544 210 ) der italische Krieg laessiger als +bisher von den Roemern gefuehrt, obwohl Marcus Marcellus nach Beendigung des +sizilischen Krieges wieder den Oberbefehl der Hauptarmee uebernommen hatte; er +betrieb in den inneren Landschaften den Festungskrieg und lieferte den +Karthagern unentschiedene Gefechte. Auch der Kampf um die tarentinische +Akropole blieb ohne entscheidendes Resultat. In Apulien gelang Hannibal die +Besiegung des Prokonsuls Gnaeus Fulvius Centumalus bei Herdoneae. Das Jahr +darauf (545 209) schritten die Roemer dazu, der zweiten Grossstadt, die zu +Hannibal uebergetreten war, der Stadt Tarent sich wieder zu bemaechtigen. +Waehrend Marcus Marcellus den Kampf gegen Hannibal selbst mit gewohnter +Zaehigkeit und Energie fortsetzte - in einer zweitaegigen Schlacht erfocht er, +am ersten Tage geschlagen, am zweiten einen schweren und blutigen Sieg; +waehrend der Konsul Quintus Fulvius die schon schwankenden Lucaner und Hirpiner +zum Wechsel der Partei und zur Auslieferung der phoenikischen Besatzungen +bestimmte; waehrend gut geleitete Razzias von Rhegion aus Hannibal noetigten, +den bedraengten Brettiern zu Hilfe zu eilen, setzte der alte Quintus Fabius, +der noch einmal - zum fuenftenmal - das Konsulat und damit den Auftrag, Tarent +wieder zu erobern, angenommen hatte, sich fest in dem nahen messapischen +Gebiet, und der Verrat einer brettischen Abteilung der Besatzung ueberlieferte +ihm die Stadt, in der von den erbitterten Siegern fuerchterlich gehaust ward. +Was von der Besatzung oder von der Buergerschaft ihnen vorkam, wurde +niedergemacht und die Haeuser gepluendert. Es sollen 30000 Tarentiner als +Sklaven verkauft, 3000 Talente (5 Mill. Taler) in den Staatsschatz geflossen +sein. Es war die letzte Waffentat des achtzigjaehrigen Feldherrn; Hannibal kam +zum Entsatz, als alles vorbei war, und zog sich zurueck nach Metapont. +</p> + +<p> +Nachdem also Hannibal seine wichtigsten Eroberungen eingebuesst +</p> + +<p> +hatte und allmaehlich sich auf die suedwestliche Spitze der Halbinsel +beschraenkt sah, hoffte Marcus Marcellus, der fuer das naechste Jahr (546 208) +zum Konsul gewaehlt worden war, in Verbindung mit seinem tuechtigen Kollegen +Titus Quinctius Crispinus dem Krieg durch einen entscheidenden Angriff ein Ende +zu machen. Den alten Soldaten fochten seine sechzig Jahre nicht an; wachend und +traeumend verfolgte ihn der eine Gedanke, Hannibal zu schlagen und Italien zu +befreien. Allein das Schicksal sparte diesen Kranz fuer ein juengeres Haupt. +Bei einer unbedeutenden Rekognoszierung wurden beide Konsuln in der Gegend von +Venusia von einer Abteilung afrikanischer Reiter ueberfallen. Marcellus focht +den ungleichen Kampf, wie er vor vierzig Jahren gegen Hamilkar, vor vierzehn +bei Clastidium gefochten hatte, bis er sterbend vom Pferde sank; Crispinus +entkam, starb aber an den im Gefecht empfangenen Wunden (546 208). +</p> + +<p> +Man stand jetzt im elften Kriegsjahr. Die Gefahr schien geschwunden, die einige +Jahre zuvor die Existenz des Staates bedroht hatte; aber nur um so mehr fuehlte +man den schweren und jaehrlich schwerer werdenden Druck des endlosen Krieges. +Die Staatsfinanzen litten unsaeglich. Man hatte nach der Schlacht von Cannae +(538 216) eine eigene Bankkommission (tres viri mensarii) aus den angesehensten +Maennern niedergesetzt, um fuer die oeffentlichen Finanzen in diesen schweren +Zeiten eine dauernde und umsichtige Oberbehoerde zu haben; sie mag getan haben, +was moeglich war, aber die Verhaeltnisse waren von der Art, dass alle +Finanzweisheit daran zuschanden ward. Gleich zu Anfang des Krieges hatte man +die Silber- und die Kupfermuenze verringert, den Legalkurs des Silberstueckes +um mehr als ein Drittel erhoeht und eine Goldmuenze weit ueber den Metallwert +ausgegeben. Sehr bald reichte dies nicht aus; man musste von den Lieferanten +auf Kredit nehmen und sah ihnen durch die Finger, weil man sie brauchte, bis +der arge Unterschleif zuletzt die Aedilen veranlasste, durch Anklage vor dem +Volk an einigen der schlimmsten ein Exempel zu statuieren. Man nahm den +Patriotismus der Vermoegenden, die freilich verhaeltnismaessig eben am meisten +litten, oft in Anspruch und nicht umsonst. Die Soldaten aus den besseren +Klassen und die Unteroffiziere und Reiter insgesamt schlugen, freiwillig oder +durch den Geist der Korps gezwungen, die Annahme des Soldes aus. Die +Eigentuemer der von der Gemeinde bewaffneten und nach dem Treffen bei Benevent +freigesprochenen Sklaven erwiderten der Bankkommission, die ihnen Zahlung +anbot, dass sie dieselbe bis zum Ende des Krieges anstehen lassen wollten (540 +214). Als fuer die Ausrichtung der Volksfeste und die Instandhaltung der +oeffentlichen Gebaeude kein Geld mehr in der Staatskasse war, erklaerten die +Gesellschaften, die diese Geschaefte bisher in Akkord gehabt hatten, sich +bereit, dieselben vorlaeufig unentgeltlich fortzufuehren (540 214). Es ward +sogar, ganz wie im Ersten Punischen Kriege, mittels einer freiwilligen Anleihe +bei den Reichen eine Flotte ausgeruestet und bemannt (544 210). Man verbrauchte +die Muendelgelder, ja man griff endlich im Jahre der Eroberung von Tarent den +letzten, lange gesparten Notpfennig (1144000 Taler) an. Dennoch genuegte der +Staat seinen notwendigsten Zahlungen nicht; die Entrichtung des Soldes stockte +namentlich in den entfernteren Landschaften in besorglicher Weise. Aber die +Bedraengnis des Staats war nicht der schlimmste Teil des materiellen +Notstandes. ueberall lagen die Felder brach; selbst wo der Krieg nicht hauste, +fehlte es an Haenden fuer die Hacke und die Sichel. Der Preis des Medimnos (1 +preussischer Scheffel) war gestiegen bis auf 15 Denare (3 1/3 Taler), +mindestens das Dreifache des hauptstaedtischen Mittelpreises, und viele waeren +geradezu Hungers gestorben, wenn nicht aus Aegypten Zufuhr gekommen waere und +nicht vor allem der in Sizilien wieder aufbluehende Feldbau der aergsten Not +gesteuert haette. Wie aber solche Zustaende die kleinen Bauernwirtschaften +zerstoeren, den sauer zurueckgelegten Sparschatz verzehren, die bluehenden +Doerfer in Bettler- und Raeubernester verwandeln, das lehren aehnliche Kriege, +aus denen sich anschaulichere Berichte erhalten haben. +</p> + +<p> +Bedenklicher noch als diese materielle Not war die steigende Abneigung der +Bundesgenossen gegen den roemischen Krieg, der ihnen Gut und Blut frass. Zwar +auf die nichtlatinischen Gemeinden kam es dabei weniger an. Der Krieg selber +bewies es, dass sie nichts vermochten, solange die latinische Nation zu Rom +stand; an ihrer groesseren oder geringeren Widerwilligkeit war nicht viel +gelegen. Jetzt indes fing auch Latium an zu schwanken. Die meisten latinischen +Kommunen in Etrurien, Latium, dem Marsergebiet und dem noerdlichen Kampanien, +also eben in denjenigen latinischen Landschaften, die unmittelbar am wenigsten +von dem Kriege gelitten hatten, erklaerten im Jahre 545 (209) dem roemischen +Senat, dass sie von jetzt an weder Kontingente noch Steuern mehr schicken und +es den Roemern ueberlassen wuerden, den in ihrem Interesse gefuehrten Krieg +selber zu bestreiten. Die Bestuerzung in Rom war gross; allein fuer den +Augenblick gab es kein Mittel, die Widerspenstigen zu zwingen. Zum Glueck +handelten nicht alle latinischen Gemeinden so. Die gallischen, picenischen und +sueditalischen Kolonien, an ihrer Spitze das maechtige und patriotische +Fregellae, erklaerten im Gegenteil, dass sie um so enger und treulicher an Rom +sich anschloessen - freilich war es diesen allen sehr deutlich dargetan, dass +bei dem gegenwaertigen Kriege ihre Existenz womoeglich noch mehr auf dem Spiele +stand als die der Hauptstadt und dass dieser Krieg wahrlich nicht bloss fuer +Rom, sondern fuer die latinische Hegemonie in Italien, ja fuer Italiens +nationale Unabhaengigkeit gefuehrt ward. Auch jener halbe Abfall war sicherlich +nicht Landesverrat, sondern Kurzsichtigkeit und Erschoepfung; ohne Zweifel +wuerden dieselben Staedte ein Buendnis mit den Phoenikern mit Abscheu +zurueckgewiesen haben. Allein immer war es eine Spaltung zwischen Roemern und +Latinern, und der Rueckschlag auf die unterworfene Bevoelkerung der +Landschaften blieb nicht aus. In Arretium zeigte sich sogleich eine bedenkliche +Gaerung; eine im Interesse Hannibals unter den Etruskern angestiftete +Verschwoerung ward entdeckt und schien so gefaehrlich, dass man deswegen +roemische Truppen marschieren liess. Militaer und Polizei unterdrueckten diese +Bewegung zwar ohne Muehe; allein sie war ein ernstes Zeichen, was in jenen +Landschaften kommen koenne, seit die latinischen Zwingburgen nicht mehr +schreckten. +</p> + +<p> +In diese schwierigen und gespannten Verhaeltnisse schlug ploetzlich die +Nachricht hinein, dass Hasdrubal im Herbst des Jahres 546 (208) die Pyrenaeen +ueberschritten habe und man sich darauf gefasst machen muesse, im naechsten +Jahr in Italien den Krieg mit den beiden Soehnen Hamilkars zu fuehren. Nicht +umsonst hatte Hannibal die langen schweren Jahre hindurch auf seinem Posten +ausgeharrt; was die faktioese Opposition daheim, was der kurzsichtige Philippos +ihm versagt hatte, das fuehrte endlich der Bruder ihm heran, in dem wie in ihm +selbst Hamilkars Geist maechtig war. Schon standen achttausend Ligurer, durch +phoenikisches Gold geworben, bereit, sich mit Hasdrubal zu vereinigen; wenn er +die erste Schlacht gewann, so durfte er hoffen, gleich dem Bruder die Gallier, +vielleicht die Etrusker gegen Rom unter die Waffen zu bringen. Italien war aber +nicht mehr, was es vor elf Jahren gewesen; der Staat und die einzelnen waren +erschoepft, der latinische Bund gelockert, der beste Feldherr soeben auf dem +Schlachtfeld gefallen und Hannibal nicht bezwungen. In der Tat, Scipio mochte +die Gunst seines Genius preisen, wenn er die Folgen seines unverzeihlichen +Fehlers von ihm und dem Lande abwandte. +</p> + +<p> +Wie in den Zeiten der schwersten Gefahr bot Rom wieder dreiundzwanzig Legionen +auf; man rief Freiwillige zu den Waffen und zog die gesetzlich vom Kriegsdienst +Befreiten zur Aushebung mit heran. Dennoch wurde man ueberrascht. Freunden und +Feinden ueber alle Erwartung frueh stand Hasdrubal diesseits der Alpen (547 +207); die Gallier, der Durchmaersche jetzt gewohnt, oeffneten fuer gutes Geld +willig ihre Paesse und lieferten, was das Heer bedurfte. Wenn man in Rom +beabsichtigt hatte, die Ausgaenge der Alpenpaesse zu besetzen, so kam man damit +wieder zu spaet; schon vernahm man, dass Hasdrubal am Padus stehe, dass er die +Gallier mit gleichem Erfolge wie einst sein Bruder zu den Waffen rufe, dass +Placentia berannt werde. Schleunigst begab der Konsul Marcus Livius sich zu der +Nordarmee; und es war hohe Zeit, dass er erschien. Etrurien und Umbrien waren +in dumpfer Gaerung; Freiwillige von dort verstaerkten das phoenikische Heer. +Sein Kollege Gaius Nero zog aus Venusia den Praetor Gaius Hostilius Tubulus an +sich und eilte mit einem Heere von 40000 Mann, Hannibal den Weg nach Norden zu +verlegen. Dieser sammelte seine ganze Macht im brettischen Gebiet, und auf der +grossen, von Rhegion nach Apulien fuehrenden Strasse vorrueckend traf er bei +Grumentum auf den Konsul. Es kam zu einem hartnaeckigen Gefecht, in welchem +Nero sich den Sieg zuschrieb; allein Hannibal vermochte wenigstens, wenn auch +mit Verlust, durch einen seiner gewoehnlichen geschickten Seitenmaersche sich +dem Feinde zu entziehen und ungehindert Apulien zu erreichen. Hier blieb er +stehen und lagerte anfangs bei Venusia, alsdann bei Canusium, Nero, der ihm auf +dem Fuss gefolgt war, dort wie hier ihm gegenueber. Dass Hannibal freiwillig +stehenblieb und nicht von der roemischen Armee am Vorruecken gehindert ward, +scheint nicht zu bezweifeln; der Grund, warum er gerade hier und nicht weiter +noerdlich sich aufstellte, muss gelegen haben in Verabredungen Hannibals mit +Hasdrubal oder in Mutmassungen ueber dessen Marschroute, die wir nicht kennen. +Waehrend also hier die beiden Heere sich untaetig gegenueberstanden, ward die +im Hannibalischen Lager sehnlich erwartete Depesche Hasdrubals von Neros Posten +aufgefangen; sie ergab, dass Hasdrubal beabsichtigte, die Flaminische Strasse +einzuschlagen, also zunaechst sich an der Kueste zu halten und dann bei Fanum +ueber den Apennin gegen Narnia sich zu wenden, an welchem Orte er Hannibal zu +treffen gedenke. Sofort liess Nero nach Narnia als dem zur Vereinigung der +beiden phoenikischen Heere ausersehenen Punkt die hauptstaedtische Reserve +vorgehen, wogegen die bei Capua stehende Abteilung nach der Hauptstadt kam und +dort eine neue Reserve gebildet ward. Ueberzeugt, dass Hannibal die Absicht des +Bruders nicht kenne und fortfahren werde, ihn in Apulien zu erwarten, +entschloss sich Nero zu dem kuehnen Wagnis, mit einem kleinen, aber +auserlesenen Korps von 7000 Mann in Gewaltmaerschen nordwaerts zu eilen und +womoeglich in Gemeinschaft mit dem Kollegen den Hasdrubal zur Schlacht zu +zwingen; er konnte es, denn das roemische Heer, das er zurueckliess, blieb +immer stark genug, um Hannibal entweder standzuhalten, wenn er angriff, oder +ihn zu geleiten und mit ihm zugleich an dem Orte der Entscheidung einzutreffen, +wenn er abzog. Nero fand den Kollegen Marcus Livius bei Sena gallica, den Feind +erwartend. Sofort rueckten beide Konsuln aus gegen Hasdrubal, den sie +beschaeftigt fanden, den Metaurus zu ueberschreiten. Hasdrubal wuenschte die +Schlacht zu vermeiden und sich seitwaerts den Roemern zu entziehen; allein +seine Fuehrer liessen ihn im Stich, er verirrte sich auf dem ihm fremden +Terrain und wurde endlich auf dem Marsch von der roemischen Reiterei +angegriffen und so lange festgehalten, bis auch das roemische Fussvolk eintraf +und die Schlacht unvermeidlich ward. Hasdrubal stellte die Spanier auf den +rechten Fluegel, davor seine zehn Elefanten, die Gallier auf den linken, den er +versagte. Lange schwankte das Gefecht auf dem rechten Fluegel und der Konsul +Livius, der hier befehligte, ward hart gedraengt, bis Nero, seine strategische +Operation taktisch wiederholend, den ihm unbeweglich gegenueberstehenden Feind +stehen liess und, um die eigene Armee herum marschierend, den Spaniern in die +Flanke fiel. Dies entschied. Der schwer erkaempfte und sehr blutige Sieg war +vollstaendig; das Heer, das keinen Rueckzug hatte, ward vernichtet, das Lager +erstuermt, Hasdrubal, da er die vortrefflich geleitete Schlacht verloren sah, +suchte und fand gleich seinem Vater einen ehrlichen Reitertod. Als Offizier und +als Mann war er wert, Hannibals Bruder zu sein. +</p> + +<p> +Am Tage nach der Schlacht brach Nero wieder auf und stand nach kaum +vierzehntaegiger Abwesenheit abermals in Apulien Hannibal gegenueber, den keine +Botschaft erreicht und der sich nicht geruehrt hatte. Die Botschaft brachte ihm +der Konsul mit; es war der Kopf des Bruders, den der Roemer den feindlichen +Posten hinwerfen liess, also dem grossen Gegner, der den Krieg mit Toten +verschmaehte, die ehrenvolle Bestattung des Paullus, Gracchus und Marcellus +vergeltend. Hannibal erkannte, dass er umsonst gehofft hatte und dass alles +vorbei war. Er gab Apulien und Lucanien, sogar Metapont auf und zog mit seinen +Truppen zurueck in das brettische Land, dessen Haefen sein einziger Rueckzug +waren. Durch die Energie der roemischen Feldherren und mehr noch durch eine +beispiellos glueckliche Fuegung war eine Gefahr von Rom abgewandt, deren +Groesse Hannibals zaehes Ausharren in Italien rechtfertigt und die mit der +Groesse der cannensischen den Vergleich vollkommen aushaelt. Der Jubel in Rom +war grenzenlos; die Geschaefte begannen wieder wie in Friedenszeit; jeder +fuehlte, dass die Gefahr des Krieges verschwunden sei. +</p> + +<p> +Indes ein Ende zu machen beeilte man sich in Rom eben nicht. Der Staat und die +Buerger waren erschoepft durch die uebermaessige moralische und materielle +Anspannung aller Kraefte; gern gab man der Sorglosigkeit und der Ruhe sich hin. +Heer und Flotte wurden vermindert, die roemischen und latinischen Bauern auf +ihre veroedeten Hoefe zurueckgefuehrt, die Kasse durch den Verkauf eines Teils +der kampanischen Domaene gefuellt. Die Staatsverwaltung wurde neu geregelt und +die eingerissenen Unordnungen abgestellt; man fing an, das freiwillige +Kriegsanlehen zurueckzuzahlen, und zwang die im Rueckstand gebliebenen +latinischen Gemeinden, ihren versaeumten Pflichten mit schweren Zinsen zu +genuegen. +</p> + +<p> +Der Krieg in Italien stockte. Es war ein glaenzender Beweis von Hannibals +strategischem Talent sowie freilich auch von der Unfaehigkeit der jetzt ihm +gegenueberstehenden roemischen Feldherren, dass er von da an noch durch vier +Jahre im brettischen Lande das Feld behaupten und von dem weit ueberlegenen +Gegner weder gezwungen werden konnte, sich in die Festungen einzuschliessen +noch sich einzuschiffen. Freilich musste er immer weiter zurueckweichen, +weniger in Folge der ihm von den Roemern gelieferten, nichts entscheidenden +Gefechte, als weil seine brettischen Bundesgenossen immer schwieriger wurden +und er zuletzt nur auf die Staedte noch zaehlen konnte, die sein Heer besetzt +hielt. So gab er Thurii freiwillig auf; Lokri ward auf Publius Scipios +Veranstaltung von Rhegion aus wieder eingenommen (549 205). Als sollten seine +Entwuerfe noch schliesslich von den karthagischen Behoerden, die sie ihm +verdorben hatten, selbst eine glaenzende Rechtfertigung erhalten, suchten diese +in der Angst vor der erwarteten Landung der Roemer jene Plaene nun selbst +wieder hervor (548, 549 206, 205) und sandten an Hannibal nach Italien, an Mago +nach Spanien Verstaerkung und Subsidien mit dem Befehl, den Krieg in Italien +aufs neue zu entflammen und den zitternden Besitzern der libyschen Landhaeuser +und der karthagischen Buden noch einige Frist zu erfechten. Ebenso ging eine +Gesandtschaft nach Makedonien, um Philippos zur Erneuerung des Buendnisses und +zur Landung in Italien zu bestimmen (549 205). Allein es war zu spaet. +Philippos hatte wenige Monate zuvor mit Rom Frieden geschlossen; die +bevorstehende politische Vernichtung Karthagos war ihm zwar unbequem, aber er +tat oeffentlich wenigstens nichts gegen Rom. Es ging ein kleines makedonisches +Korps nach Afrika, das nach der Behauptung der Roemer Philippos aus seiner +Tasche bezahlte; begreiflich waere es, allein Beweise wenigstens hatten, wie +der spaetere Verlauf der Ereignisse zeigt, die Roemer dafuer nicht. An eine +makedonische Landung in Italien ward nicht gedacht. +</p> + +<p> +Ernstlicher griff Mago, Hamilkars juengster Sohn, seine Aufgabe an. Mit den +Truemmern der spanischen Armee, die er zunaechst nach Minorca gefuehrt hatte, +landete er im Jahre 549 (205) bei Genua, zerstoerte die Stadt und rief die +Ligurer und Gallier zu den Waffen, die das Gold und die Neuheit des +Unternehmens wie immer scharenweise herbeizog; seine Verbindungen gingen sogar +durch ganz Etrurien, wo die politischen Prozesse nicht ruhten. Allein was er an +Truppen mitgebracht, war zu wenig fuer eine ernstliche Unternehmung gegen das +eigentliche Italien, und Hannibal war gleichfalls viel zu schwach und sein +Einfluss in Unteritalien viel zu sehr gesunken, als dass er mit Erfolg haette +vorgehen koennen. Die karthagischen Herren hatten die Rettung der Heimat nicht +gewollt, da sie moeglich war; jetzt, da sie sie wollten, war sie nicht mehr +moeglich. +</p> + +<p> +Wohl niemand zweifelte im roemischen Senat, weder daran, dass der Krieg +Karthagos gegen Rom zu Ende sei, noch daran, dass nun der Krieg Roms gegen +Karthago begonnen werden muesse; allein die afrikanische Expedition, so +unvermeidlich sie war, scheute man sich anzuordnen. Man bedurfte dazu vor allem +eines faehigen und beliebten Fuehrers; und man hatte keinen. Die besten +Generale waren entweder auf dem Schlachtfeld gefallen oder sie waren, wie +Quintus Fabius und Quintus Fulvius, fuer einen solchen ganz neuen und +wahrscheinlich langwierigen Krieg zu alt. Die Sieger von Sena, Gaius Nero und +Marcus Livius, waeren der Aufgabe schon gewachsen gewesen, allein sie waren +beide im hoechsten Grade unpopulaere Aristokraten; es war zweifelhaft, ob es +gelingen wuerde, ihnen das Kommando zu verschaffen - so weit war man ja schon, +dass die Tuechtigkeit allein nur in den Zeiten der Angst die Wahlen entschied +-, und mehr als zweifelhaft, ob dies die Maenner waren, die dem erschoepften +Volke neue Anstrengungen ansinnen durften. Da kam Publius Scipio aus Spanien +zurueck, und der Liebling der Menge, der seine von ihr empfangene Aufgabe so +glaenzend erfuellt hatte oder doch erfuellt zu haben schien, ward sogleich fuer +das naechste Jahr zum Konsul gewaehlt. Er trat sein Amt an (549 205) mit dem +festen Entschluss, die schon in Spanien entworfene afrikanische Expedition +jetzt zu verwirklichen. Indes im Senat wollte nicht bloss die Partei der +methodischen Kriegfuehrung von einer afrikanischen Expedition so lange nichts +wissen, als Hannibal noch in Italien stand, sondern es war auch die Majoritaet +dem jungen Feldherrn selbst keineswegs guenstig gesinnt. Seine griechische +Eleganz und moderne Bildung und Gesinnung sagte den strengen und etwas +baeurischen Vaetern der Stadt sehr wenig zu und gegen seine Kriegfuehrung in +Spanien bestanden ebenso ernste Bedenken wie gegen seine Soldatenzucht. Wie +begruendet der Vorwurf war, dass er gegen seine Korpschefs allzugrosse +Nachsicht zeige, bewiesen sehr bald die Schaendlichkeiten, die Gaius Pleminius +in Lokri veruebte, und die Scipio allerdings durch seine fahrlaessige +Beaufsichtigung in der aergerlichsten Weise mittelbar mit verschuldet hatte. +Dass bei den Verhandlungen im Senat ueber die Anordnung des afrikanischen +Feldzugs und die Bestellung des Feldherrn dafuer der neue Konsul nicht uebel +Lust bezeigte, wo immer Brauch und Verfassung mit seinen Privatabsichten in +Konflikt gerieten, solche Hemmnisse beiseite zu schieben, und dass er sehr +deutlich zu verstehen gab, wie er sich aeussersten Falls der Regierungsbehoerde +gegenueber auf seinen Ruhm und seine Popularitaet bei dem Volke zu stuetzen +gedenke, musste den Senat nicht bloss kraenken, sondern auch die ernstliche +Besorgnis erwecken, ob ein solcher Oberfeldherr bei dem bevorstehenden +Entscheidungskrieg und den etwaigen Friedensverhandlungen mit Karthago sich an +die ihm gewordenen Instruktionen binden werde; eine Besorgnis, welche die +eigenmaechtige Fuehrung der spanischen Expedition keineswegs zu beschwichtigen +geeignet war. Indes bewies man auf beiden Seiten Einsicht genug, um es nicht +zum Aeussersten kommen zu lassen. Auch der Senat konnte nicht verkennen, dass +die afrikanische Expedition notwendig und es nicht weise war, dieselbe ins +Unbestimmte hinauszuschieben; nicht verkennen, dass Scipio ein aeusserst +faehiger Offizier und insofern zum Fuehrer eines solchen Krieges wohl geeignet +war und dass, wenn einer, er es vermochte, vom Volke die Verlaengerung seines +Oberbefehls so lange als noetig und die Aufbietung der letzten Kraefte zu +erlangen. Die Majoritaet kam zu dem Entschluss, Scipio den gewuenschten Auftrag +nicht zu versagen, nachdem derselbe zuvor die der hoechsten Regierungsbehoerde +schuldige Ruecksicht wenigstens der Form nach beobachtet und im Voraus sich dem +Beschluss des Senats unterworfen hatte. Scipio sollte dies Jahr nach Sizilien +gehen, um den Bau der Flotte, die Herstellung des Belagerungsmaterials und die +Bildung der Expeditionsarmee zu betreiben, und dann im naechsten Jahr in Afrika +landen. Es ward ihm hierzu die sizilische Armee - noch immer jene beiden aus +den Truemmern des cannensischen Heeres gebildeten Legionen - zur Disposition +gestellt, da zur Deckung der Insel eine schwache Besatzung und die Flotte +vollstaendig ausreichten, und ausserdem ihm gestattet, in Italien Freiwillige +aufzubieten. Es war augenscheinlich, dass der Senat die Expedition nicht +anordnete, sondern vielmehr geschehen liess; Scipio erhielt nicht die Haelfte +der Mittel, die man einst Regulus zu Gebot gestellt hatte, und ueberdies eben +dasjenige Korps, das seit Jahren vom Senat mit berechneter Zuruecksetzung +behandelt worden war. Die afrikanische Armee war im Sinne der Majoritaet des +Senats ein verlorener Posten von Strafkompanien und Volontaers, deren Untergang +der Staat allenfalls verschmerzen konnte. +</p> + +<p> +Ein anderer Mann als Scipio haette vielleicht erklaert, dass die afrikanische +Expedition entweder mit anderen Mitteln oder gar nicht unternommen werden +muesse; allein Scipios Zuversicht ging auf die Bedingungen ein, wie sie immer +waren, um nur zu dem heissersehnten Kommando zu gelangen. Sorgfaeltig vermied +er, soweit es anging, das Volk unmittelbar zu belaestigen, um nicht der +Popularitaet der Expedition zu schaden. Die Kosten derselben, namentlich die +betraechtlichen des Flottenbaus, wurden teils beigeschafft durch eine +sogenannte freiwillige Kontribution der etruskischen Staedte, das heisst durch +eine den Arretinern und den sonstigen phoenikisch gesinnten Gemeinden zur +Strafe auferlegte Kriegssteuer, teils auf die sizilischen Staedte gelegt; in +vierzig Tagen war die Flotte segelfertig. Die Mannschaft verstaerkten +Freiwillige, deren bis siebentausend aus allen Teilen Italiens dem Rufe des +geliebten Offiziers folgten. So ging Scipio im Fruehjahr 550 (204) mit zwei +starken Veteranenlegionen (etwa 30000 Mann), 40 Kriegs- und 400 +Transportschiffen nach Afrika unter Segel und landete gluecklich, ohne den +geringsten Widerstand zu finden, am Schoenen Vorgebirge in der Naehe von Utica. +</p> + +<p> +Die Karthager, die seit langem erwarteten, dass auf die Pluenderungszuege, +welche die roemischen Geschwader in den letzten Jahren haeufig nach der +afrikanischen Kueste gemacht hatten, ein ernstlicher Einfall folgen werde, +hatten, um dessen sich zu erwehren, nicht bloss den italisch-makedonischen +Krieg aufs neue in Gang zu bringen versucht, sondern auch daheim geruestet, um +die Roemer zu empfangen. Es war gelungen, von den beiden rivalisierenden +Berberkoenigen, Massinissa von Cirta (Constantine), dem Herrn der Massyler, und +Syphax von Siga (an der Tafnamuendung, westlich von Oran), dem Herrn der +Massaesyler, den letzteren, den bei weitem maechtigeren und bisher den Roemern +befreundeten, durch Vertrag und Verschwaegerung eng an Karthago zu knuepfen, +indem man den anderen, den alten Nebenbuhler des Syphax und Bundesgenossen der +Karthager, fallen liess. Massinissa war nach verzweifelter Gegenwehr der +vereinigten Macht der Karthager und des Syphax erlegen und hatte seine Laender +dem letzteren zur Beute lassen muessen; er selbst irrte mit wenigen Reitern in +der Wueste. Ausser dem Zuzug, der von Syphax zu erwarten war, stand ein +karthagisches Heer von 20000 Mann zu Fuss, 6000 Reitern und 140 Elefanten - +Hanno war eigens deshalb auf Elefantenjagd ausgeschickt worden - schlagfertig +zum Schutz der Hauptstadt, unter der Fuehrung des in Spanien erprobten +Feldherrn Hasdrubal, Gisgons Sohn; im Hafen lag eine starke Flotte. Ein +makedonisches Korps unter Sopater und eine Sendung keltiberischer Soeldner +wurden demnaechst erwartet. +</p> + +<p> +Auf das Geruecht von Scipios Landung traf Massinissa sofort in dem Lager des +Feldherrn ein, dem er vor nicht langem in Spanien als Feind gegenuebergestanden +hatte; allein der laenderlose Fuerst brachte zunaechst den Roemern nichts als +seine persoenliche Tuechtigkeit, und die Libyer, obwohl der Aushebungen und +Steuern herzlich muede, hatten doch in aehnlichen Faellen zu bittere +Erfahrungen gemacht, um sich sofort fuer die Roemer zu erklaeren. So begann +Scipio den Feldzug. Solange er nur die schwaechere karthagische Armee gegen +sich hatte, war er im Vorteil und konnte nach einigen gluecklichen +Reitergefechten zur Belagerung von Utica schreiten; allein als Syphax eintraf, +angeblich mit 50000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern, musste die Belagerung +aufgehoben und auf einem leicht zu verschanzenden Vorgebirg zwischen Utica und +Karthago ein befestigtes Schiffslager geschlagen werden. Hier verging dem +roemischen General der Winter 550/51 (204/03). Aus der ziemlich unbequemen +Lage, in der das Fruehjahr ihn fand, befreite er sich durch einen gluecklichen +Handstreich. Die Afrikaner, eingeschlaefert durch die von Scipio mehr listig +als ehrlich angesponnenen Friedensverhandlungen, liessen sich in einer und +derselben Nacht in ihren beiden Lagern ueberfallen: die Rohrhuetten der +Numidier loderten in Flammen auf, und als die Karthager eilten zu helfen, traf +ihr eigenes Lager dasselbe Schicksal; wehrlos wurden die Fluechtenden von den +roemischen Abteilungen niedergemacht. Dieser naechtliche Ueberfall war +verderblicher als manche Schlacht. Indes die Karthager liessen den Mut nicht +sinken und verwarfen sogar den Rat der Furchtsamen, oder vielmehr der +Verstaendigen, Mago und Hannibal zurueckzurufen. Eben jetzt waren die +erwarteten keltiberischen und makedonischen Hilfstruppen angelangt; man +beschloss, auf den “grossen Feldern”, fuenf Tagemaersche von Utica, +noch einmal die offene Feldschlacht zu versuchen. Scipio eilte, sie anzunehmen; +mit leichter Muehe zerstreuten seine Veteranen und Freiwilligen die +zusammengerafften karthagischen und numidischen Schwaerme und auch die +Keltiberer, die bei Scipio auf Gnade nicht rechnen durften, wurden nach +hartnaeckiger Gegenwehr zusammengehauen. Die Afrikaner konnten nach dieser +doppelten Niederlage nirgend mehr das Feld halten. Ein Angriff auf das +roemische Schiffslager, den die karthagische Flotte versuchte, lieferte zwar +kein unguenstiges, aber doch auch kein entscheidendes Resultat und ward weit +aufgewogen durch die Gefangennahme des Syphax, die dem Scipio sein +beispielloser Gluecksstern zuwarf und durch welche Massinissa das fuer die +Roemer ward, was anfangs Syphax den Karthagern gewesen war. +</p> + +<p> +Nach solchen Niederlagen konnte die karthagische Friedenspartei, die seit +sechzehn Jahren hatte schweigen muessen, wiederum ihr Haupt erheben und sich +offen auflehnen gegen das Regiment der Barkas und der Patrioten. Hasdrubal, +Gisgons Sohn, ward abwesend von der Regierung zum Tode verurteilt und ein +Versuch gemacht, von Scipio Waffenstillstand und Frieden zu erlangen. Er +forderte Abtretung der spanischen Besitzungen und der Inseln des Mittelmeeres, +Uebergabe des Reiches des Syphax an Massinissa, Auslieferung der Kriegsschiffe +bis auf zwanzig und eine Kriegskontribution von 4000 Talenten (fast 7 Mill. +Taler) - Bedingungen, die fuer Karthago so beispiellos guenstig erscheinen, +dass die Frage sich aufdraengt, ob sie Scipio mehr in seinem oder mehr in Roms +Interesse anbot. Die karthagischen Bevollmaechtigten nahmen dieselben an unter +Vorbehalt der Ratifikation ihrer Behoerden, und es ging eine karthagische +Gesandtschaft deshalb nach Rom ab. Allein die karthagische Patriotenpartei war +nicht gemeint, so leichten Kaufs auf den Kampf zu verzichten; der Glaube an die +edle Sache, das Vertrauen auf den grossen Feldherrn, selbst das Beispiel, das +Rom gegeben hatte, feuerten sie an auszuharren, auch davon abgesehen, dass der +Friede notwendig die Gegenpartei ans Ruder und damit ihnen selbst den Untergang +bringen musste. In der Buergerschaft hatte die Patriotenpartei das +Uebergewicht; man beschloss, die Opposition ueber den Frieden verhandeln zu +lassen und mittlerweile sich zu einer letzten und entscheidenden Anstrengung +vorzubereiten. An Mago und an Hannibal erging der Befehl, schleunigst nach +Afrika heimzukehren. Mago, der seit drei Jahren (459-551 205-203) daran +arbeitete, in Norditalien eine Koalition gegen Rom ins Leben zu rufen, war eben +damals im Gebiet der Insubrer (um Mailand) dem weit ueberlegenen roemischen +Doppelheer unterlegen. Die roemische Reiterei war zum Weichen und das Fussvolk +ins Gedraenge gebracht worden und der Sieg schien sich fuer die Karthager zu +erklaeren, als der kuehne Angriff eines roemischen Trupps auf die feindlichen +Elefanten und vor allem die schwere Verwundung des geliebten und faehigen +Fuehrers das Glueck der Schlacht wandte: das phoenikische Heer musste an die +ligurische Kueste zurueckweichen. Hier erhielt es den Befehl zur Einschiffung +und vollzog ihn; Mago aber starb waehrend der Ueberfahrt an seiner Wunde. +Hannibal waere dem Befehl wahrscheinlich zuvorgekommen, wenn nicht die letzten +Verhandlungen mit Philipp ihm eine neue Aussicht dargeboten haetten, seinem +Vaterland in Italien nuetzlicher sein zu koennen als in Libyen; als er in +Kroton, wo er in der letzten Zeit gestanden hatte, ihn empfing, saeumte er +nicht, ihm nachzukommen. Er liess seine Pferde niederstossen sowie die +italischen Soldaten, die sich weigerten, ihm ueber das Meer zu folgen, und +bestieg die auf der Rede von Kroton laengst in Bereitschaft stehenden +Transportschiffe. Die roemischen Buerger atmeten auf, da der gewaltige libysche +Loewe, den zum Abzug zu zwingen selbst jetzt noch niemand sich getraute, also +freiwillig dem italischen Boden den Ruecken wandte; bei diesem Anlass ward dem +einzigen ueberlebenden unter den roemischen Feldherren, welche die schwere Zeit +mit Ehren bestanden hatten, dem fast neunzigjaehrigen Quintus Fabius von Rat +und Buergerschaft der Graskranz verehrt. Dieser Kranz, welchen nach roemischer +Sitte das durch den Feldherrn gerettete Heer seinem Retter darbrachte, von der +ganzen Gemeinde zu empfangen, war die hoechste Auszeichnung, die einem +roemischen Buerger je zuteil geworden ist, und der letzte Ehrenschmuck des +alten Feldherrn, der noch in demselben Jahre aus dem Leben schied (551 203). +Hannibal aber gelangte, ohne Zweifel nicht unter dem Schutz des +Waffenstillstandes, sondern allein durch seine Schnelligkeit und sein Glueck, +ungehindert nach Leptis und betrat, der letzte von Hamilkars +“Loewenbrut”, hier abermals nach sechsunddreissigjaehriger +Abwesenheit den Boden der Heimat, die er, fast noch ein Knabe, verlassen hatte, +um seine grossartige und doch so durchaus vergebliche Heldenlaufbahn zu +beginnen und westwaerts ausziehend von Osten her heimzukehren, rings um die +karthagische See einen weiten Siegeskreis beschreibend. Jetzt, wo geschehen +war, was er hatte verhueten wollen und was er verhuetet haette, wenn er +gedurft, jetzt sollte er, wenn moeglich, retten und helfen; und er tat es, ohne +zu klagen und zu schelten. Mit seiner Ankunft trat die Patriotenpartei offen +auf; das schaendliche Urteil gegen Hasdrubal ward kassiert, neue Verbindungen +mit den numidischen Scheichs durch Hannibals Gewandtheit angeknuepft und nicht +bloss dem tatsaechlich abgeschlossenen Frieden in der Volksversammlung die +Bestaetigung verweigert, sondern auch durch die Pluenderung einer an der +afrikanischen Kueste gestrandeten roemischen Transportflotte, ja sogar durch +den ueberfall eines roemische Gesandte fuehrenden roemischen Kriegsschiffs der +Waffenstillstand gebrochen. In gerechter Erbitterung brach Scipio aus seinem +Lager bei Tunis auf (552 202) und durchzog das reiche Tal des Bagradas +(Medscherda), indem er den Ortschaften keine Kapitulation mehr gewaehrte, +sondern die Einwohnerschaften der Flecken und Staedte in Masse aufgreifen und +verkaufen liess. Schon war er tief ins Binnenland eingedrungen und stand bei +Naraggara (westlich von Sicca, jetzt el Kef, an der Grenze von Tunis und +Algier), als Hannibal, der ihm von Hadrumetum aus entgegengezogen war, mit ihm +zusammentraf. Der karthagische Feldherr versuchte von dem roemischen in einer +persoenlichen Zusammenkunft bessere Bedingungen zu erlangen; allein Scipio, der +schon bis an die aeusserste Grenze der Zugestaendnisse gegangen war, konnte +nach dem Bruch des Waffenstillstandes unmoeglich zu weiterer Nachgiebigkeit +sich verstehen, und es ist nicht glaublich, dass Hannibal bei diesem Schritt +etwas anderes bezweckte, als der Menge zu zeigen, dass die Patrioten keineswegs +unbedingt gegen den Frieden seien. Die Konferenz fuehrte zu keinem Ergebnis und +so kam es zu der Entscheidungsschlacht bei Zama (vermutlich unweit Sicca) ^1. +In drei Linien ordnete Hannibal sein Fussvolk: in das erste Glied die +karthagischen Mietstruppen, in das zweite die afrikanische Land- und die +phoenikische Buergerwehr nebst dem makedonischen Korps, in das dritte die +Veteranen, die ihm aus Italien gefolgt waren. Vor der Linie standen die achtzig +Elefanten, die Reiter auf den Fluegeln. Scipio stellte gleichfalls seine +Legionen in drei Glieder, wie die Roemer pflegten, und ordnete sie so, dass die +Elefanten durch und neben der Linie weg ausbrechen konnten, ohne sie zu +sprengen. Dies gelang nicht bloss vollstaendig, sondern die seitwaerts +ausweichenden Elefanten brachten auch die karthagischen Reiterfluegel in +Unordnung, so dass gegen diese Scipios Reiterei, die ueberdies durch das +Eintreffen von Massinissas Scharen dem Feinde weit ueberlegen war, leichtes +Spiel hatte und bald in vollem Nachsetzen begriffen war. Ernster war der Kampf +des Fussvolks. Lange stand das Gefecht zwischen den beiderseitigen ersten +Gliedern; in dem aeusserst blutigen Handgemenge gerieten endlich beide Teile in +Verwirrung und mussten an den zweiten Gliedern einen Halt suchen. Die Roemer +fanden ihn; die karthagische Miliz aber zeigte sich so unsicher und schwankend, +dass sich die Soeldner verraten glaubten und es zwischen ihnen und der +karthagischen Buergerwehr zum Handgemenge kam. Indes Hannibal zog eilig, was +von den beiden ersten Linien noch uebrig war, auf die Fluegel zurueck und schob +seine italischen Kerntruppen auf der ganzen Linie vor. Scipio draengte dagegen +in der Mitte zusammen, was von der ersten Linie noch kampffaehig war und liess +das zweite und dritte Glied rechts und links an das erste sich anschliessen. +Abermals begann auf derselben Walstatt ein zweites, noch fuerchterlicheres +Gemetzel; Hannibals alte Soldaten wankten nicht trotz der Ueberzahl der Feinde, +bis die Reiterei der Roemer und des Massinissa, von der Verfolgung der +geschlagenen feindlichen zurueckkehrend, sie von allen Seiten umringte. Damit +war nicht bloss der Kampf zu Ende, sondern das phoenikische Heer vernichtet; +dieselben Soldaten, die vierzehn Jahre zuvor bei Cannae gewichen waren, hatten +ihren Ueberwindern bei Zama vergolten. Mit einer Handvoll Leute gelangte +Hannibal fluechtig nach Hadrumetum. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Von den beiden diesen Namen fuehrenden Orten ist wahrscheinlich der +westlichere, etwa 60 Miglien westlich von Hadrumetum gelegene, derjenige der +Schlacht (vgl. Hermes 20, 1885, S. 144, 318). Die Zeit ist der Fruehling oder +Sommer des Jahres 552 (202); die Bestimmung des Tages auf den 19. Oktober wegen +der angeblichen Sonnenfinsternis ist nichtig. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +Nach diesem Tage konnte auf karthagischer Seite nur der Unverstand zur +Fortsetzung des Krieges raten. Dagegen lag es in der Hand des roemischen +Feldherrn, sofort die Belagerung der Hauptstadt zu beginnen, die weder gedeckt +noch verproviantiert war, und, wenn nicht unberechenbare Zwischenfaelle +eintraten, das Schicksal, welches Hannibal ueber Rom hatte bringen wollen, +jetzt ueber Karthago walten zu lassen. Scipio hat es nicht getan; er gewaehrte +den Frieden (553 201), freilich nicht mehr auf die frueheren Bedingungen. +Ausser den Abtretungen, die schon bei den letzen Verhandlungen fuer Rom wie +fuer Massinissa gefordert worden waren, wurde den Karthagern auf fuenfzig Jahre +eine jaehrliche Kontribution von 200 Talenten (340000 Taler) aufgelegt und +mussten sie sich anheischig machen, nicht gegen Rom oder seine Verbuendeten und +ueberhaupt ausserhalb Afrika gar nicht, in Afrika ausserhalb ihres eigenen +Gebietes nur nach eingeholter Erlaubnis Roms Krieg zu fuehren; was tatsaechlich +darauf hinauslief, dass Karthago tributpflichtig ward und seine politische +Selbstaendigkeit verlor. Es scheint sogar, dass die Karthager unter Umstaenden +verpflichtet waren, Kriegsschiffe zu der roemischen Flotte zu stellen. +</p> + +<p> +Man hat Scipio beschuldigt, dass er, um die Ehre der Beendigung des schwersten +Krieges, den Rom gefuehrt hat, nicht mit dem Oberbefehl an einen Nachfolger +abgeben zu muessen, dem Feinde zu guenstige Bedingungen gewaehrte. Die Anklage +moechte gegruendet sein, wenn der erste Entwurf zustande gekommen waere; gegen +den zweiten scheint sie nicht gerechtfertigt. Weder standen in Rom die +Verhaeltnisse so, dass der Guenstling des Volkes nach dem Siege bei Zama die +Abberufung ernstlich zu fuerchten gehabt haette - war doch schon vor dem Siege +ein Versuch, ihn abzuloesen, vom Senat an die Buergerschaft und von dieser +entschieden zurueckgewiesen worden; noch rechtfertigen die Bedingungen selbst +diese Beschuldigung. Die Karthagerstadt hat, nachdem ihr also die Haende +gebunden und ein maechtiger Nachbar ihr zur Seite gestellt war, nie auch nur +einen Versuch gemacht, sich der roemischen Suprematie zu entziehen, geschweige +denn, mit Rom zu rivalisieren; es wusste ueberdies jeder, der es wissen wollte, +dass der soeben beendigte Krieg viel mehr von Hannibal unternommen worden war +als von Karthago und dass der Riesenplan der Patriotenpartei sich +schlechterdings nicht erneuern liess. Es mochte den rachsuechtigen Italienern +wenig duenken, dass nur die fuenfhundert ausgelieferten Kriegsschiffe in +Flammen aufloderten und nicht auch die verhasste Stadt; Verbissenheit und +Dorfschulzenverstand mochten die Meinung verfechten, dass nur der vernichtete +Gegner wirklich besiegt sei, und den schelten, der das Verbrechen, die Roemer +zittern gemacht zu haben, verschmaeht hatte, gruendlicher zu bestrafen. Scipio +dachte anders und wir haben keinen Grund und also kein Recht anzunehmen, dass +in diesem Fall die gemeinen Motive den Roemer bestimmten, und nicht die adligen +und hochsinnigen, die auch in seinem Charakter lagen. Nicht das Bedenken der +etwaigen Abberufung oder des moeglichen Glueckswechsels noch die allerdings +nicht fernliegende Besorgnis vor dem Ausbruch des Makedonischen Krieges haben +den sicheren und zuversichtlichen Mann, dem bisher noch alles unbegreiflich +gelungen war, abgehalten, die Exekution an der ungluecklichen Stadt zu +vollziehen, die fuenfzig Jahre spaeter seinem Adoptivenkel aufgetragen wurde +und die freilich wohl jetzt gleich schon vollzogen werde konnte. Es ist viel +wahrscheinlicher, dass die beiden grossen Feldherren, bei denen jetzt auch die +politische Entscheidung stand, den Frieden wie er war boten und annahmen, um +dort der ungestuemen Rachsucht der Sieger, hier der Hartnaeckigkeit und dem +Unverstand der Ueberwundenen gerechte und verstaendige Schranken zu setzen; der +Seelenadel und die staatsmaennische Begabung der hohen Gegner zeigt sich nicht +minder in Hannibals grossartiger Fuegung in das Unvermeidliche als in Scipios +weisem Zuruecktreten von dem Ueberfluessigen und Schmaehlichen des Sieges. +Sollte er, der hochherzige und freiblickende Mann, sich nicht gefragt haben, +was es denn dem Vaterlande nuetzte, nachdem die politische Macht der +Karthagerstadt vernichtet war, diesen uralten Sitz des Handels und Ackerbaus +voellig zu verderben und einen der Grundpfeiler der damaligen Zivilisation +frevelhaft niederzuwerfen? Die Zeit war noch nicht gekommen, wo die ersten +Maenner Roms sich hergaben zu Henkern der Zivilisation der Nachbarn und die +ewige Schande der Nation leichtfertig glaubten von sich mit einer muessigen +Traene abzuwaschen. +</p> + +<p> +So war der Zweite Punische Krieg, oder wie die Roemer ihn richtiger nennen, der +Hannibalische Krieg beendigt, nachdem er siebzehn Jahre vom Hellespont bis zu +den Saeulen des Herkules die Inseln und Landschaften verheert hatte. Vor diesem +Krieg hatte Rom sein politisches Ziel nicht hoeher gesteckt als bis zu der +Beherrschung des Festlandes der italischen Halbinsel innerhalb ihrer +natuerlichen Grenzen und der italischen Inseln und Meere. Dass man den Krieg +auch beendigte mit dem Gedanken, nicht die Herrschaft ueber die Staaten am +Mittelmeer oder die sogenannte Weltmonarchie begruendet, sondern einen +gefaehrlichen Nebenbuhler unschaedlich gemacht und Italien bequeme Nachbarn +gegeben zu haben, wird durch die Behandlung Afrikas beim Friedensschluss +deutlich bewiesen. Es ist wohl richtig, dass andere Ergebnisse des Krieges, +namentlich die Eroberung von Spanien, diesem Gedanken wenig entsprachen; aber +die Erfolge fuehrten eben ueber die eigentliche Absicht hinaus, und zu dem +Besitz von Spanien sind die Roemer in der Tat man moechte sagen zufaellig +gelangt. Die Herrschaft ueber Italien haben die Roemer errungen, weil sie sie +erstrebt haben; die Hegemonie und die daraus entwickelte Herrschaft ueber das +Mittelmeergebiet ist ihnen gewissermassen ohne ihre Absicht durch die +Verhaeltnisse zugeworfen worden. +</p> + +<p> +Die unmittelbaren Resultate des Krieges waren ausserhalb Italien die +Verwandlung Spaniens in eine roemische, freilich in ewiger Auflehnung +begriffene Doppelprovinz; die Vereinigung des bis dahin abhaengigen +syrakusanischen Reiches mit der roemischen Provinz Sizilien; die Begruendung +des roemischen statt des karthagischen Patronats ueber die bedeutendsten +numidischen Haeuptlinge; endlich die Verwandlung Karthagos aus einem maechtigen +Handelsstaat in eine wehrlose Kaufstadt; mit einem Worte Roms unbestrittene +Hegemonie ueber den Westen des Mittelmeergebiets, in weiterer Entwicklung das +notwendige Ineinandergreifen des oestlichen und des westlichen Staatensystems, +das im Ersten Punischen Krieg sich nur erst angedeutet hatte, und damit das +demnaechst bevorstehende entscheidende Eingreifen Roms in die Konflikte der +alexandrischen Monarchien. In Italien wurde dadurch zunaechst das Keltenvolk, +wenn nicht schon vorher, doch jetzt sicher zum Untergang bestimmt, und es war +nur noch eine Zeitfrage, wann die Exekution vollzogen werden wuerde. Innerhalb +der roemischen Eidgenossenschaft war die Folge des Krieges das schaerfere +Hervortreten der herrschenden latinischen Nation, deren inneren Zusammenhang +die trotz einzelner Schwankungen doch im ganzen in treuer Gemeinschaft +ueberstandene Gefahr geprueft und bewaehrt hatte, und die steigende +Unterdrueckung der nicht latinischen oder nicht latinisierten Italiker, +namentlich der Etrusker und der unteritalischen Sabeller. Am schwersten traf +die Strafe oder vielmehr die Rache teils den maechtigsten teils den zugleich +ersten und letzten Bundesgenossen Hannibals, die Gemeinde Capua und die +Landschaft der Brettier. Die capuanische Verfassung ward vernichtet und Capua +aus der zweiten Stadt in das erste Dorf Italiens umgewandelt; es war sogar die +Rede davon, die Stadt zu schleifen und dem Boden gleichzumachen. Den gesamten +Grund und Boden mit Ausnahme weniger Besitzungen Auswaertiger oder roemisch +gesinnter Kampaner erklaerte der Senat zur oeffentlichen Domaene und gab ihn +seitdem an kleine Leute parzellenweise in Zeitpacht. Aehnlich wurden die +Picenter am Silarus behandelt; ihre Hauptstadt wurde geschleift und die +Bewohner zerstreut in die umliegenden Doerfer. Der Brettier Los war noch +haerter; sie wurden in Masse gewissermassen zu Leibeigenen der Roemer gemacht +und fuer ewige Zeiten vom Waffenrecht ausgeschlossen. Aber auch die uebrigen +Verbuendeten Hannibals buessten schwer, so die griechischen Staedte mit +Ausnahme der wenigen, die bestaendig zu Rom gehalten hatten, wie die +kampanischen Griechen und die Rheginer. Nicht viel weniger litten die Arpaner +und eine Menge anderer apulischer, lucanischer, samnitischer Gemeinden, die +grossenteils Stuecke ihrer Mark verloren. Auf einem Teile der also gewonnenen +Aecker wurden neue Kolonien angelegt; so im Jahre 560 (194) eine ganze Reihe +Buergerkolonien an den besten Haefen Unteritaliens, unter denen Sipontum (bei +Manfredonia) und Kroton zu nennen sind, ferner Salernum in dem ehemaligen +Gebiet der suedlichen Picenter und diesen zur Zwingburg bestimmt, vor allem +aber Puteoli, das bald der Sitz der vornehmen Villeggiatur und des +asiatisch-aegyptischen Luxushandels ward. Ferner ward Thurii latinische Festung +unter dem neuen Namen Copia (560 194), ebenso die reiche brettische Stadt Vibo +unter dem Namen Valentia (562 192). Auf anderen Grundstuecken in Samnium und +Apulien wurden die Veteranen der siegreichen Armee von Afrika einzeln +angesiedelt; der Rest blieb Gemeinland und die Weideplaetze der vornehmen +Herren in Rom ersetzten die Gaerten und Ackerfelder der Bauern. Es versteht +sich, dass ausserdem in allen Gemeinden der Halbinsel die namhaften, nicht gut +roemisch gesinnten Leute soweit beseitigt wurden, als dies durch politische +Prozesse und Gueterkonfiskationen durchzusetzen war. Ueberall in Italien +fuehlten die nichtlatinischen Bundesgenossen, dass ihr Name eitel und dass sie +fortan Untertanen Roms seien; die Besiegung Hannibals ward als eine zweite +Unterjochung Italiens empfunden und alle Erbitterung wie aller Uebermut des +Siegers vornehmlich an den italischen, nichtlatinischen Bundesgenossen +ausgelassen. Selbst die farblose und wohlpolizierte roemische Komoedie dieser +Zeit traegt davon die Spuren; wenn die niedergeworfenen Staedte Capua und +Atella dem zuegellosen Witz der roemischen Posse polizeilich freigegeben und +die letztere geradezu deren Schildburg wurde, wenn andere Lustspieldichter +darueber spassten, dass in der todbringenden Luft, wo selbst die ausdauerndste +Rasse der Sklaven, das Syrervolk, verkomme, die kampanische Sklavenschaft schon +gelernt habe auszuhalten, so hallt aus solchen gefuehllosen Spoettereien der +Hohn der Sieger, freilich auch der Jammerlaut der zertretenen Nationen wieder. +Wie die Dinge standen, zeigt die aengstliche Sorgfalt, womit waehrend des +folgenden Makedonischen Krieges die Bewachung Italiens vom Senat betrieben +ward, und die Verstaerkungen, die den wichtigsten Kolonien - so Venusia 554 +(200), Narnia 555 (199), Cosa 557 (197), Cales kurz vor 570 (184) - von Rom aus +zugesandt wurden. +</p> + +<p> +Welche Luecken Krieg und Hunger in die Reihen der italischen Bevoelkerung +gerissen hatten, zeigt das Beispiel der roemischen Buergerschaft, deren Zahl +waehrend des Krieges fast um den vierten Teil geschwunden war; die Angabe der +Gesamtzahl der im Hannibalischen Krieg gefallenen Italiker auf 300000 Koepfe +scheint danach durchaus nicht uebertrieben. Natuerlich fiel dieser Verlust +vorwiegend auf den Kern der Buergerschaft, die ja auch den Kern wie die Masse +der Streiter stellte; wie furchtbar namentlich der Senat sich lichtete, zeigt +die Ergaenzung desselben nach der Schlacht bei Cannae, wo derselbe auf 123 +Koepfe geschwunden war und mit Muehe und Not durch eine ausserordentliche +Ernennung von 177 Senatoren wieder auf seinen Normalstand gebracht ward. Dass +endlich der siebzehnjaehrige Krieg, der zugleich in allen Landschaften Italiens +und nach allen vier Weltgegenden im Ausland gefuehrt worden war, die +Volkswirtschaft im tiefsten Grund erschuettert haben muss, ist im allgemeinen +klar; zur Ausfuehrung im einzelnen reicht die Ueberlieferung nicht hin. Zwar +der Staat gewann durch die Konfiskationen, und namentlich das kampanische +Gebiet blieb seitdem eine unversiegliche Quelle der Staatsfinanzen; allein +durch diese Ausdehnung der Domaenenwirtschaft ging natuerlich der +Volkswohlstand um ebenso viel zurueck, als er in anderen Zeiten gewonnen hatte +durch die Zerschlagung der Staatslaendereien. Eine Menge bluehender Ortschaften +- man rechnet vierhundert - war vernichtet und verderbt, das muehsam gesparte +Kapital aufgezehrt, die Bevoelkerung durch das Lagerleben demoralisiert, die +alte gute Tradition buergerlicher und baeuerlicher Sitte von der Hauptstadt an +bis in das letzte Dorf untergraben. Sklaven und verzweifelte Leute taten sich +in Raeuberbanden zusammen, von deren Gefaehrlichkeit es einen Begriff gibt, +dass in einem einzigen Jahre (569 185) allein in Apulien 7000 Menschen wegen +Strassenraubs verurteilt werden mussten; die sich ausdehnenden Weiden mit den +halb wilden Hirtensklaven beguenstigten diese heillose Verwilderung des Landes. +Der italische Ackerbau sah sich in seiner Existenz bedroht durch das zuerst in +diesem Kriege aufgestellte Beispiel, dass das roemische Volk statt von selbst +geerntetem auch von sizilischem und aegyptischem Getreide ernaehrt werden +koenne. Dennoch durfte der Roemer, dem die Goetter beschieden hatten, das Ende +dieses Riesenkampfes zu erleben, stolz in die Vergangenheit und zuversichtlich +in die Zukunft blicken. Es war viel verschuldet, aber auch viel erduldet +worden; das Volk, dessen gesamte dienstfaehige Jugend fast zehn Jahre hindurch +Schild und Schwert nicht abgelegt hatte, durfte manches sich verzeihen. Jenes +wenn auch durch wechselseitige Befehdung unterhaltene, doch im ganzen +friedliche und freundliche Zusammenleben der verschiedenen Nationen, wie es das +Ziel der neueren Voelkerentwicklungen zu sein scheint, ist dem Altertum fremd: +damals galt es Amboss zu sein oder Hammer; und in dem Wettkampf der Sieger war +der Sieg den Roemern geblieben. Ob man verstehen werde ihn zu benutzen, die +latinische Nation immer fester an Rom zu ketten, Italien allmaehlich zu +latinisieren, die Unterworfenen in den Provinzen als Untertanen zu beherrschen, +nicht als Knechte auszunutzen, die Verfassung zu reformieren, den schwankenden +Mittelstand neu zu befestigen und zu erweitern - das mochte mancher fragen; +wenn man es verstand, so durfte Italien gluecklichen Zeiten entgegensehen, in +denen der auf eigene Arbeit unter guenstigen Verhaeltnissen gegruendete +Wohlstand und die entschiedenste politische Suprematie ueber die damalige +zivilisierte Welt jedem Gliede des grossen Ganzen ein gerechtes Selbstgefuehl, +jedem Stolz ein wuerdiges Ziel, jedem Talent eine offene Bahn geschaffen haben +wuerden. Freilich wenn nicht, nicht. Fuer den Augenblick aber schwiegen die +bedenklichen Stimmen und die trueben Besorgnisse, als von allen Seiten die +Krieger und Sieger in ihre Haeuser zurueckkehrten, als Dankfeste und +Lustbarkeiten, Geschenke an Soldaten und Buerger an der Tagesordnung waren, die +geloesten Gefangenen heimgesandt wurden aus Gallien, Afrika, Griechenland und +endlich der jugendliche Sieger im glaenzenden Zuge durch die geschmueckten +Strassen der Hauptstadt zog, um seine Palme in dem Haus des Gottes +niederzulegen, von dem, wie sich die Glaeubigen zufluesterten, er zu Rat und +Tat unmittelbar die Eingebungen empfangen hatte. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap07"></a>KAPITEL VII.<br/> +Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode</h2> + +<p> +In der Erstreckung der roemischen Herrschaft bis an die Alpen- oder, wie man +jetzt schon sagte, bis an die italische Grenze und in der Ordnung und +Kolonisierung der keltischen Landschaften war Rom durch den Hannibalischen +Krieg unterbrochen worden. Es verstand sich von selbst, dass man jetzt da +fortfahren wuerde, wo man aufgehoert hatte, und die Kelten begriffen es wohl. +Schon im Jahre des Friedensschlusses mit Karthago (553 201) hatten im Gebiet +der zunaechst bedrohten Boier die Kaempfe wieder begonnen; und ein erster +Erfolg, der ihnen gegen den eilig aufgebotenen roemischen Landsturm gelang, +sowie das Zureden eines karthagischen Offiziers Hamilkar, der von Magos +Expedition her in Norditalien zurueckgeblieben war, veranlassten im folgenden +Jahr (554 200) eine allgemeine Schilderhebung nicht bloss der beiden zunaechst +bedrohten Staemme, der Boier und Insubrer; auch die Ligurer trieb die +naeherrueckende Gefahr in die Waffen, und selbst die cenomanische Jugend hoerte +diesmal weniger auf die Stimme ihrer vorsichtigen Behoerden als auf den Notruf +der bedrohten Stammgenossen. Von “den beiden Riegeln gegen die gallischen +Zuege”, Placentia und Cremona, ward der erste niedergeworfen - von der +placentinischen Einwohnerschaft retteten nicht mehr als 2000 das Leben -, der +zweite berannt. Eilig marschierten die Legionen heran, um zu retten, was noch +zu retten war. Vor Cremona kam es zu einer grossen Schlacht. Die geschickte und +kriegsmaessige Leistung derselben von seiten des phoenikischen Fuehrers +vermochte es nicht, die Mangelhaftigkeit seiner Truppen zu ersetzen; dem +Andrang der Legionen hielten die Gallier nicht stand und unter den Toten, +welche zahlreich das Schlachtfeld bedeckten, war auch der karthagische +Offizier. Indes setzten die Kelten den Kampf fort; dasselbe roemische Heer, +welches bei Cremona gesiegt, wurde das naechste Jahr (555 199), hauptsaechlich +durch die Schuld des sorglosen Fuehrers, von den Insubrern fast aufgerieben und +erst 556 (198) konnte Placentia notduerftig wiederhergestellt werden. Aber der +Bund der zu dem Verzweiflungskampf vereinigten Kantone ward in sich uneins; die +Boier und die Insubrer gerieten in Zwist, und die Cenomanen traten nicht bloss +zurueck von dem Nationalbunde, sondern erkauften sich auch Verzeihung von den +Roemern durch schimpflichen Verrat der Landsleute, indem sie waehrend einer +Schlacht, die die Insubrer den Roemern am Mincius lieferten, ihre Bundes- und +Kampfgenossen von hinten angriffen und aufreiben halfen (557 197). So +gedemuetigt und im Stich gelassen, bequemten sich die Insubrer nach dem Fall +von Comum gleichfalls zu einem Sonderfrieden (558 196). Die Bedingungen, welche +Rom den Cenomanen und Insubrern vorschrieb, waren allerdings haerter, als sie +den Gliedern der italischen Eidgenossenschaft gewaehrt zu werden pflegten; +namentlich vergass man nicht, die Scheidewand zwischen Italikern und Kelten +gesetzlich zu befestigen und zu verordnen, dass nie ein Buerger dieser beiden +Keltenstaemme das roemische Buergerrecht solle gewinnen koennen. Indes liess +man diesen transpadanischen Keltendistrikten ihre Existenz und ihre nationale +Verfassung, so dass sie nicht Stadtgebiete, sondern Voelkergaue bildeten, und +legte ihnen auch wie es scheint keinen Tribut auf; sie sollten den roemischen +Ansiedlungen suedlich vom Po als Bollwerk dienen und die nachrueckenden +Nordlaender wie die raeuberischen Alpenbewohner, welche regelmaessige Razzias +in diese Gegenden zu unternehmen pflegten, von Italien abhalten. Uebrigens +griff auch in diesen Landschaften die Latinisierung mit grosser Schnelligkeit +um sich; die keltische Nationalitaet vermochte offenbar bei weitem nicht den +Widerstand zu leisten wie die der zivilisierten Sabeller und Etrusker. Der +gefeierte lateinische Lustspieldichter Statius Caecilius, der im Jahre 586 +(168) starb, war ein freigelassener Insubrer; und Polybios, der gegen Ausgang +des sechsten Jahrhunderts diese Gegenden bereiste, versichert, vielleicht nicht +ohne eigene Uebertreibung, dass daselbst nur noch wenige Doerfer unter den +Alpen keltisch geblieben seien. Die Veneter dagegen scheinen ihre Nationalitaet +laenger behauptet zu haben. +</p> + +<p> +Das hauptsaechliche Bestreben der Roemer war in diesen Landschaften +begreiflicherweise darauf gerichtet, dem Nachruecken der transalpinischen +Kelten zu steuern und die natuerliche Scheidewand der Halbinsel und des inneren +Kontinents auch zur politischen Grenze zu machen. Dass die Furcht vor dem +roemischen Namen schon zu den naechstliegenden keltischen Kantonen jenseits der +Alpen gedrungen war, zeigt nicht bloss die vollstaendige Untaetigkeit, mit der +dieselben der Vernichtung oder Unterjochung ihrer diesseitigen Landsleute +zusahen, sondern mehr noch die offizielle Missbilligung und Desavouierung, +welche die transalpinischen Kantone - man wird zunaechst an die Helvetier +(zwischen dem Genfer See und dem Main) und an die Karner oder Taurisker (in +Kaernten und Steiermark) zu denken haben - gegen die beschwerdefuehrenden +roemischen Gesandten aussprachen ueber die Versuche einzelner keltischer +Haufen, sich diesseits der Alpen in friedlicher Weise anzusiedeln, nicht minder +die demuetige Art, in welcher diese Auswandererhaufen selbst zuerst bei dem +roemischen Senat um Landanweisung bittend einkamen, alsdann aber dem strengen +Gebot, ueber die Alpen zurueckzugehen, ohne Widerrede sich fuegten (568 f., 575 +186, 179) und die Stadt, die sie unweit des spaeteren Aquileia schon angelegt +hatten, wieder zerstoeren liessen. Mit weiser Strenge gestattete der Senat +keinerlei Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Alpentore fuer die keltische +Nation fortan geschlossen seien, und schritt mit schweren Strafen gegen +diejenigen roemischen Untertanen ein, die solche Uebersiedlungsversuche von +Italien aus veranlasst hatten. Ein Versuch dieser Art, welcher auf einer bis +dahin den Roemern wenig bekannten Strasse im innersten Winkel des Adriatischen +Meeres stattfand, mehr aber noch, wie es scheint, der Plan Philipps von +Makedonien, wie Hannibal von Westen so seinerseits von Osten her in Italien +einzufallen, veranlassten die Gruendung einer Festung in dem aeussersten +nordoestlichen Winkel Italien, der noerdlichsten italischen Kolonie Aquileia +(571-573 183-181), die nicht bloss diesen Weg den Fremden fuer immer zu +verlegen, sondern auch die fuer die dortige Schiffahrt vorzueglich bequem +gelegene Meeresbucht zu sichern und der immer noch nicht ganz ausgerotteten +Piraterie in diesen Gewaessern zu steuern bestimmt war. Die Anlage Aquileias +veranlasste einen Krieg gegen die Istrier (576, 577 178, 177), der mit der +Erstuermung einiger Kastelle und dem Fall des Koenigs Aepulo schnell beendigt +war und durch nichts merkwuerdig ist als durch den panischen Schreck, den die +Kunde von der Ueberrumpelung des roemischen Lagers durch eine Handvoll Barbaren +bei der Flotte und sodann in ganz Italien hervorrief. +</p> + +<p> +Anders verfuhr man in der Landschaft diesseits des Padus, die der roemische +Senat beschlossen hatte Italien einzuverleiben. Die Boier, die dies zunaechst +traf, wehrten sich mit verzweifelter Entschlossenheit. Es ward sogar der Padus +von ihnen ueberschritten und ein Versuch gemacht, die Insubrer wieder unter die +Waffen zu bringen (560 194); ein Konsul ward in seinem Lager von ihnen +blockiert und wenig fehlte, dass er unterlag; Placentia hielt sich muehsam +gegen die ewigen Angriffe der erbitterten Eingeborenen. Bei Mutina endlich ward +die letzte Schlacht geliefert; sie war lang und blutig, aber die Roemer siegten +(561 193), und seitdem war der Kampf kein Krieg mehr, sondern eine +Sklavenhetze. Die einzige Freistatt im boischen Gebiet war bald das roemische +Lager, in das der noch uebrige bessere Teil der Bevoelkerung sich zu fluechten +begann; die Sieger konnten nach Rom berichten, ohne sehr zu uebertreiben, dass +von der Nation der Boier nichts mehr uebrig sei als Kinder und Greise. So +freilich musste sie sich ergeben in das Schicksal, das ihr bestimmt war. Die +Roemer forderten Abtretung des halben Gebiets (563 191); sie konnte nicht +verweigert werden, aber auch auf dem geschmaelerten Bezirk, der den Boiern +blieb, verschwanden sie bald und verschmolzen mit ihren Besiegern ^1. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +^1 Nach Strabons Bericht waeren diese italischen Boier von den Roemern ueber +die Alpen verstossen worden und aus ihnen die boische Ansiedlung im heutigen +Ungarn um Steinamanger und Oedenburg hervorgegangen, welche in der augustischen +Zeit von den ueber die Donau gegangenen Geten angegriffen und vernichtet wurde, +dieser Landschaft aber den Namen der boischen Einoede hinterliess. Dieser +Bericht passt sehr wenig zu der wohlbeglaubigten Darstellung der roemischen +Jahrbuecher, nach der man sich roemischerseits begnuegte mit der Abtretung des +halben Gebietes; und um das Verschwinden der italischen Boier zu erklaeren, +bedarf es in der Tat der Annahme einer gewaltsamen Vertreibung nicht - +verschwinden doch auch die uebrigen keltischen Voelkerschaften, obwohl von +Krieg und Kolonisierung in weit minderem Grade heimgesucht, nicht viel weniger +rasch und vollstaendig aus der Reihe der italischen Nationen. Anderseits +fuehren andere Berichte vielmehr darauf, jene Boier am Neusiedler See +herzuleiten von dem Hauptstock der Nation, der ehemals in Bayern und Boehmen +sass, bis deutsche Staemme ihn suedwaerts draengten. Ueberall aber ist es sehr +zweifelhaft, ob die Boier, die man bei Bordeaux, am Po, in Boehmen findet, +wirklich auseinandergesprengte Zweige eines Stammes sind und nicht bloss eine +Namensgleichheit obwaltet. Strabons Annahme duerfte auf nichts anderem beruhen +als auf einem Rueckschluss aus der Namensgleichheit, wie die Alten ihn bei den +Kimbern, Venetern und sonst oft unueberlegt anwandten. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Nachdem die Roemer also sich reinen Boden geschaffen hatten, wurden die +Festungen Placentia und Cremona, deren Kolonisten die letzten unruhigen Jahre +grossenteils hingerafft oder zerstreut hatten, wieder organisiert und neue +Ansiedler dorthin gesandt; neu gegruendet wurden in und bei dem ehemaligen +senonischen Gebiet Potentia (bei Recanati unweit Ancona; 570 184) und Pisaurum +(Pesaro; 570 184), ferner in der neu gewonnenen boischen Landschaft die +Festungen Bonoma (565 189), Mutina (571 183) und Parma (571 183), von denen die +Kolonie Mutina schon vor dem Hannibalischen Krieg angelegt und nur der +Abschluss der Gruendung durch diesen unterbrochen worden war. Wie immer verband +sich mit der Anlage der Festungen auch die von Militaerchausseen. Es wurde die +Flaminische Strasse von ihrem noerdlichen Endpunkt Ariminum unter dem Namen der +Aemilischen bis Placentia verlaengert (567 187). Ferner ward die Strasse von +Rom nach Arretium oder die Cassische, die wohl schon laengst Munizipalchaussee +gewesen war, wahrscheinlich im Jahre 583 (171) von der roemischen Gemeinde +uebernommen und neu angelegt, schon 567 (187) aber die Strecke von Arretium +ueber den Apennin nach Bononia bis an die neue Aemilische Strasse hergestellt, +wodurch man eine kuerzere Verbindung zwischen Rom und den Pofestungen erhielt. +Durch diese durchgreifenden Massnahmen wurde der Apennin als die Grenze des +keltischen und des italischen Gebiets tatsaechlich beseitigt und ersetzt durch +den Po. Diesseits des Po herrschte fortan wesentlich die italische Stadt-, +jenseits desselben wesentlich die keltische Gauverfassung, und es war ein +leerer Name, wenn auch jetzt noch das Gebiet zwischen Apennin und Po zur +keltischen Landschaft gerechnet ward. +</p> + +<p> +In dem nordwestlichen italischen Gebirgsland, dessen Taeler und Huegel +hauptsaechlich von dem vielgeteilten ligurischen Stamm eingenommen waren, +verfuhren die Roemer in aehnlicher Weise. Was zunaechst nordwaerts vom Arno +wohnte, ward vertilgt. Es traf dies hauptsaechlich die Apuaner, die, auf dem +Apennin zwischen dem Arno und der Magra wohnend, einerseits das Gebiet von +Pisae, anderseits das von Bononia und Mutina unaufhoerlich pluenderten. Was +hier nicht dem Schwert der Roemer erlag, ward nach Unteritalien in die Gegend +von Benevent uebergesiedelt (574 180), und durch energische Massregeln die +ligurische Nation, weicher man noch im Jahre 578 (175) die von ihr eroberte +Kolonie Mutina wieder abnehmen musste, in den Bergen, die das Potal von dem des +Arno scheiden, vollstaendig unterdrueckt. Die 577 (177) auf dem ehemals +apuanischen Gebiet angelegte Festung Luna unweit Spezzia deckte die Grenze +gegen die Ligurer aehnlich wie Aquileia gegen die Transalpiner und gab zugleich +den Roemern einen vortrefflichen Hafen, der seitdem fuer die Ueberfahrt nach +Massalia und nach Spanien die gewoehnliche Station ward. Die Chaussierung der +Kuesten- oder Aurelischen Strasse von Rom nach Luna und der von Luca ueber +Florenz nach Arretium gefuehrten Querstrasse zwischen der Aurelischen und +Cassischen gehoert wahrscheinlich in dieselbe Zeit. +</p> + +<p> +Gegen die westlicheren ligurischen Staemme, die die genuesischen Apenninen und +die Seealpen innehatten, ruhten die Kaempfe nie. Es waren unbequeme Nachbarn, +die zu Lande und zur See zu pluendern pflegten; die Pisaner und die Massalioten +hatten von ihren Einfaellen und ihren Korsarenschiffen nicht wenig zu leiden. +Bleibende Ergebnisse wurden indes bei den ewigen Fehden nicht gewonnen, +vielleicht auch nicht bezweckt; ausser dass man, wie es scheint, um mit dem +transalpinischen Gallien und Spanien neben der regelmaessigen See- auch eine +Landverbindung zu haben, bemueht war, die grosse Kuestenstrasse von Luna ueber +Massalia nach Emporiae wenigstens bis an die Alpen freizumachen - jenseits der +Alpen lag es dann den Massalioten ob, den roemischen Schiffen die Kuestenfahrt +und den Landreisenden die Uferstrasse offen zu halten. Das Binnenland mit +seinen unwegsamen Taelern und seinen Felsennestern, mit seinen armen, aber +gewandten und verschlagenen Bewohnern diente den Roemern hauptsaechlich als +Kriegsschule zur Uebung und Abhaertung der Soldaten wie der Offiziere. +</p> + +<p> +Aehnliche sogenannte Kriege wie gegen die Ligurer fuehrte man gegen die Korsen +und mehr noch gegen die Bewohner des inneren Sardinien, welche die gegen sie +gerichteten Raubzuege durch Ueberfaelle der Kuestenstriche vergalten. Im +Andenken geblieben ist die Expedition des Tiberius Gracchus gegen die Sarden +577 (177) nicht so sehr, weil er der Provinz den “Frieden” gab, +sondern weil er bis 80000 der Insulaner erschlagen oder gefangen zu haben +behauptete und Sklaven von dort in solcher Masse nach Rom schleppte, dass es +Sprichwort ward: “spottwohlfeil wie ein Sarde”. +</p> + +<p> +In Afrika ging die roemische Politik wesentlich auf in dem einen, ebenso +kurzsichtigen wie engherzigen Gedanken, das Wiederaufkommen der karthagischen +Macht zu verhindern und deshalb die unglueckliche Stadt bestaendig unter dem +Druck und unter dem Damoklesschwert einer roemischen Kriegserklaerung zu +erhalten. Schon die Bestimmung des Friedensvertrags, dass den Karthagern zwar +ihr Gebiet ungeschmaelert bleiben, aber ihrem Nachbarn Massinissa alle +diejenigen Besitzungen garantiert sein sollten, die er oder sein Vorweser +innerhalb der karthagischen Grenzen besessen haetten, sieht fast so aus, als +waere sie hineingesetzt, um Streitigkeiten nicht zu beseitigen, sondern zu +erwecken. Dasselbe gilt von der durch den roemischen Friedenstraktat den +Karthagern auferlegten Verpflichtung, nicht gegen roemische Bundesgenossen +Krieg zu fuehren, so dass nach dem Wortlaut des Vertrags sie nicht einmal +befugt waren, aus ihrem eigenen und unbestrittenen Gebiet den numidischen +Nachbarn zu vertreiben. Bei solchen Vertraegen und bei der Unsicherheit der +afrikanischen Grenzverhaeltnisse ueberhaupt konnte Karthagos Lage gegenueber +einem ebenso maechtigen wie ruecksichtslosen Nachbarn einem Oberherrn, der +zugleich Schiedsrichter und Partei war, nicht anders als peinlich sein; aber +die Wirklichkeit war aerger als die aergsten Erwartungen. Schon 561 (193) sah +Karthago sich unter nichtigen Vorwaenden ueberfallen und den reichsten Teil +seines Gebiets, die Landschaft Emporiae an der Kleinen Syrte, teils von den +Numidiern gepluendert, teils sogar von ihnen in Besitz genommen. So gingen die +Uebergriffe bestaendig weiter; das platte Land kam in die Haende der Numidier, +und mit Muehe behaupteten die Karthager sich in den groesseren Ortschaften. +Bloss in den letzten zwei Jahren, erklaerten die Karthager im Jahre 582 (172), +seien ihnen wieder siebzig Doerfer vertragswidrig entrissen worden. Botschaft +ueber Botschaft ging nach Rom; die Karthager beschworen den roemischen Senat, +ihnen entweder zu gestatten, sich mit den Waffen zu verteidigen, oder ein +Schiedsgericht mit Spruchgewalt zu bestellen, oder die Grenze neu zu +regulieren, damit sie wenigstens ein- fuer allemal erfuehren, wieviel sie +einbuessen sollten; besser sei es sonst, sie geradezu zu roemischen Untertanen +zumachen, als sie so allmaehlich den Libyern auszuliefern. Aber die roemische +Regierung, die schon 554 (200) ihrem Klienten geradezu Gebietserweiterungen, +natuerlich auf Kosten Karthagos, in Aussicht gestellt hatte, schien wenig +dagegen zuhaben, dass er die ihm bestimmte Beute sich selber nahm; sie +maessigte wohl zuweilen das allzugrosse Ungestuem der Libyer, die ihren alten +Peinigern jetzt das Erlittene reichlich vergalten, aber im Grunde war ja eben +dieser Quaelerei wegen Massinissa von den Roemern Karthago zum Nachbar gesetzt +worden. Alle Bitten und Beschwerden hatten nur den Erfolg, dass entweder +roemische Kommissionen in Afrika erschienen, die nach gruendlicher Untersuchung +zu keiner Entscheidung kamen, oder bei den Verhandlungen in Rom Massinissas +Beauftragte Mangel an Instruktionen vorschuetzten und die Sache vertagt ward. +Nur phoenikische Geduld war imstande, sich in eine solche Lage mit Ergebung zu +schicken, ja dabei den Machthabern jeden Dienst und jede Artigkeit, die sie +begehrten und nicht begehrten, mit unermuedlicher Beharrlichkeit zu erweisen +und namentlich durch Kornsendungen um die roemische Gunst zu buhlen. +</p> + +<p> +Indes war diese Fuegsamkeit der Besiegten doch nicht bloss Geduld und Ergebung. +Es gab noch in Karthago eine Patriotenpartei und an ihrer Spitze stand der +Mann, der, wo immer das Schicksal ihn hinstellte, den Roemern furchtbar blieb. +Sie hatte es nicht aufgegeben, unter Benutzung der leicht vorauszusehenden +Verwicklungen zwischen Rom und den oestlichen Maechten noch einmal den Kampf +aufzunehmen und, nachdem der grossartige Plan Hamilkars und seiner Soehne +wesentlich an der karthagischen Oligarchie gescheitert war, fuer diesen neuen +Kampf vor allem das Vaterland innerlich zu erneuern. Die bessernde Macht der +Not und wohl auch Hannibals klarer, grossartiger und der Menschen maechtiger +Geist bewirkten politische und finanzielle Reformen. Die Oligarchie, die durch +Erhebung der Kriminaluntersuchung gegen den grossen Feldherrn wegen absichtlich +unterlassener Einnahme Roms und Unterschlagung der italischen Beute das Mass +ihrer verbrecherischen Torheiten voll gemacht hatte - diese verfaulte +Oligarchie wurde auf Hannibals Antrag ueber den Haufen geworfen und ein +demokratisches Regiment eingefuehrt, wie es den Verhaeltnissen der +Buergerschaft angemessen war (vor 559 195). Die Finanzen wurden durch +Beitreibung der rueckstaendigen und unterschlagenen Gelder und durch +Einfuehrung einer besseren Kontrolle so schnell wieder geordnet, dass die +roemische Kontribution gezahlt werden konnte, ohne die Buerger irgendwie mit +ausserordentlichen Steuern zu belasten. Die roemische Regierung, eben damals im +Begriff, den bedenklichen Krieg mit dem Grosskoenig von Asien zu beginnen, +folgte diesen Vorgaengen mit begreiflicher Besorgnis; es war keine eingebildete +Gefahr, dass die karthagische Flotte in Italien landen und ein zweiter +Hannibalischer Krieg dort sich entspinnen koenne, waehrend die roemischen +Legionen in Kleinasien fochten. Man kann darum die Roemer kaum tadeln, wenn sie +eine Gesandtschaft nach Karthago schickten (559 195), die vermutlich beauftragt +war, Hannibals Auslieferung zu fordern. Die grollenden karthagischen +Oligarchen, die Briefe ueber Briefe nach Rom sandten, um den Mann, der sie +gestuerzt, wegen geheimer Verbindungen mit den antiroemisch gesinnten Maechten +dem Landesfeind zu denunzieren, sind veraechtlich, aber ihre Meldungen waren +wahrscheinlich richtig; und so wahr es auch ist, dass in jener Gesandtschaft +ein demuetigendes Eingestaendnis der Furcht des maechtigen Volkes vor dem +einfachen Schofeten von Karthago lag, so begreiflich und ehrenwert es ist, dass +der stolze Sieger von Zama im Senat Einspruch tat gegen diesen erniedrigenden +Schritt, so war doch jenes Eingestaendnis eben nichts anderes als die schlichte +Wahrheit, und Hannibal eine so ausserordentliche Natur, dass nur roemische +Gefuehlspolitiker ihn laenger an der Spitze des karthagischen Staats dulden +konnten. Die eigentuemliche Anerkennung, die er bei der feindlichen Regierung +fand, kam ihm selbst schwerlich ueberraschend. Wie Hannibal und nicht Karthago +den letzten Krieg gefuehrt hatte, so hatte auch Hannibal das zu tragen, was den +Besiegten trifft. Die Karthager konnten nichts tun als sich fuegen und ihrem +Stern danken, dass Hannibal, durch seine rasche und besonnene Flucht nach dem +Orient die groessere Schande ihnen ersparend, seiner Vaterstadt bloss die +mindere liess, ihren groessten Buerger auf ewige Zeiten aus der Heimat +verbannt, sein Vermoegen eingezogen und sein Haus geschleift zu haben. Das +tiefsinnige Wort aber, dass diejenigen die Lieblinge der Goetter sind, denen +sie die unendlichen Freuden und die unendlichen Leiden ganz verleihen, hat also +an Hannibal in vollem Masse sich bewaehrt. +</p> + +<p> +Schwerer als das Einschreiten gegen Hannibal laesst es sich verantworten, dass +die roemische Regierung nach dessen Entfernung nicht aufhoerte, die Stadt zu +beargwohnen und zu plagen. Zwar gaerten dort die Parteien nach wie vor; allein +nach der Entfernung des ausserordentlichen Mannes, der fast die Geschicke der +Welt gewendet haette, bedeutete die Patriotenpartei nicht viel mehr in Karthago +als in Aetolien und in Achaia. Die verstaendigste Idee unter denen, welche +damals die unglueckliche Stadt bewegten, war ohne Zweifel die, sich an +Massinissa anzuschliessen und aus dem Draenger den Schutzherrn der Phoeniker zu +machen. Allein weder die nationale noch die libysch gesinnte Faktion der +Patrioten gelangte an das Ruder, sondern es blieb das Regiment bei den roemisch +gesinnten Oligarchen, welche, soweit sie nicht ueberhaupt aller Gedanken an die +Zukunft sich begaben, einzig die Idee festhielten, die materielle Wohlfahrt und +die Kommunalfreiheit Karthagos unter dem Schutze Roms zu retten. Hierbei haette +man in Rom wohl sich beruhigen koennen. Allein weder die Menge noch selbst die +regierenden Herren vom gewoehnlichen Schlag vermochten sich der gruendlichen +Angst vom Hannibalischen Kriege her zu entschlagen; die roemischen Kaufleute +aber sahen mit neidischen Augen die Stadt auch jetzt, wo ihre politische Macht +dahin war, im Besitz einer ausgedehnten Handelsklientel und eines +festgegruendeten, durch nichts zu erschuetternden Reichtums. Schon im Jahre 567 +(187) erbot sich die karthagische Regierung die saemtlichen im Frieden von 553 +(201) stipulierten Terminzahlungen sofort zu entrichten, was die Roemer, denen +an der Tributpflichtigkeit Karthagos weit mehr gelegen war als an den +Geldsummen selbst, begreiflicherweise ablehnten und daraus nur die Ueberzeugung +gewannen, dass aller angewandten Muehe ungeachtet die Stadt nicht ruiniert und +nicht zu ruinieren sei. Immer aufs neue liefen Geruechte ueber die Umtriebe der +treulosen Phoeniker durch Rom. Bald hatte ein Emissaer Hannibals, Ariston von +Tyros, sich in Karthago blicken lassen, um die Buergerschaft auf die Landung +einer asiatischen Kriegsflotte vorzubereiten (561 193); bald hatte der Rat in +geheimer nächtlicher Sitzung im Tempel des Heilgottes den Gesandten des Perseus +Audienz gegeben (581 173); bald sprach man von der gewaltigen Flotte, die in +Karthago fuer den Makedonischen Krieg geruestet werde (583 171). Es ist nicht +wahrscheinlich, dass diesen und aehnlichen Dingen mehr als hoechstens die +Unbesonnenheiten einzelner zugrunde lagen; immer aber waren sie das Signal zu +neuen diplomatischen Misshandlungen von roemischer, zu neuen Uebergriffen von +Massinissas Seite, und die Meinung stellte immer mehr sich fest, je weniger +Sinn und Verstand in ihr war, dass ohne einen dritten punischen Krieg mit +Karthago nicht fertig zu werden sei. +</p> + +<p> +Waehrend also die Macht der Phoeniker in dem Lande ihrer Wahl ebenso dahinsank +wie sie laengst in ihrer Heimat erlegen war, erwuchs neben ihnen ein neuer +Staat. Seit unvordenklichen Zeiten wie noch heutzutage ist das nordafrikanische +Kuestenland bewohnt von dem Volke, das sich selber Schilah oder Tamazigt heisst +und welches die Griechen und Roemer die Nomaden oder Numidier, das ist das +Weidevolk, die Araber Berber nennen, obwohl auch sie dieselben wohl als +“Hirten” (Schâwie) bezeichnen, und das wir Berber oder Kabylen zu +nennen gewohnt sind. Dasselbe ist, soweit seine Sprache bis jetzt erforscht +ist, keiner anderen bekannten Nation verwandt. In der karthagischen Zeit hatten +diese Staemme mit Ausnahme der unmittelbar um Karthago oder unmittelbar an der +Kueste hausenden wohl im ganzen ihre Unabhaengigkeit behauptet, aber auch bei +ihrem Hirten- und Reiterleben, wie es noch jetzt die Bewohner des Atlas +fuehren, im wesentlichen beharrt, obwohl das phoenikische Alphabet und +ueberhaupt die phoenikische Zivilisation ihnen nicht fremd blieb und es wohl +vorkam, dass die Berberscheichs ihre Soehne in Karthago erziehen liessen und +mit phoenikischen Adelsfamilien sich verschwaegerten. Die roemische Politik +wollte unmittelbare Besitzungen in Afrika nicht haben und zog es vor, einen +Staat dort grosszuziehen, der nicht genug bedeutete, um Roms Schutz entbehren +zu koennen und doch genug, um Karthagos Macht, nachdem dieselbe auf Afrika +beschraenkt war, auch hier niederzuhalten und der gequaelten Stadt jede freie +Bewegung unmoeglich zu machen. Was man suchte, fand man bei den eingeborenen +Fuersten. Um die Zeit des Hannibalischen Krieges standen die nordafrikanischen +Eingeborenen unter drei Oberkoenigen, deren jedem nach dortiger Art eine Menge +Fuersten gefolgspflichtig waren: dem Koenig der Mauren, Bocchar, der, vom +Atlantischen Meer bis zum Fluss Molochath (jetzt Mluia an der +marokkanisch-franzoesischen Grenze), dem Koenig der Massaesyler, Syphax, der +von da bis an das sogenannte Durchbohrte Vorgebirge (Siebenkap zwischen +Djidjeli und Bona) in den heutigen Provinzen Oran und Algier, und dem Koenig +der Massyler, Massinissa, der von dem Durchbohrten Vorgebirge bis an die +karthagische Grenze in der heutigen Provinz Constantine gebot. Der maechtigste +von diesen, der Koenig von Siga, Syphax, war in dem letzten Krieg zwischen Rom +und Karthago ueberwunden und gefangen nach Italien abgefuehrt worden, wo er in +der Haft starb; sein weites Gebiet kam im wesentlichen an Massinissa - der Sohn +des Syphax, Vermina, obwohl er durch demuetiges Bitten von den Roemern einen +kleinen Teil des vaeterlichen Besitzes zurueckerlangte (554 200), vermochte +doch den aelteren roemischen Bundesgenossen nicht um die Stellung des +bevorzugten Draengens von Karthago zu bringen. Massinissa ward der Gruender des +Numidischen Reiches; und nicht oft hat Wahl oder Zufall so den rechten Mann an +die rechte Stelle gesetzt. Koerperlich gesund und gelenkig bis in das hoechste +Greisenalter, maessig und nuechtern wie ein Araber, faehig, jede Strapaze zu +ertragen, vom Morgen bis zum Abend auf demselben Flecke zu stehen und +vierundzwanzig Stunden zu Pferde zu sitzen, in den abenteuerlichen +Glueckswechseln seiner Jugend wie auf den Schlachtfeldern Spaniens als Soldat +und als Feldherr gleich erprobt, und ebenso ein Meister der schwereren Kunst, +in seinem zahlreichen Hause Zucht und in seinem Lande Ordnung zu erhalten, +gleich bereit, sich dem maechtigen Beschuetzer ruecksichtslos zu Fuessen zu +werfen wie den schwaecheren Nachbar ruecksichtslos unter die Fuesse zu treten +und zu alledem mit den Verhaeltnissen Karthagos, wo er erzogen und in den +vornehmsten Haeusern aus- und eingegangen war, ebenso genau bekannt wie von +afrikanisch bitterem Hasse gegen seine und seiner Nation Bedraengen erfuellt, +ward dieser merkwuerdige Mann die Seele des Aufschwungs seiner, wie es schien, +im Verkommen begriffenen Nation, deren Tugenden und Fehler in ihm gleichsam +verkoerpert erschienen. Das Glueck beguenstigte ihn wie in allem so auch darin, +dass es ihm zu seinem Werke die Zeit liess. Er starb im neunzigsten Jahr seines +Lebens (516-605 238-149), im sechzigsten seiner Regierung, bis an sein +Lebensende im vollen Besitz seiner koerperlichen und geistigen Kraefte, und +hinterliess einen einjaehrigen Sohn und den Ruf, der staerkste Mann und der +beste und gluecklichste Koenig seiner Zeit gewesen zu sein. Es ist schon +erzaehlt worden, mit welcher berechneten Deutlichkeit die Roemer in ihrer +Oberleitung der afrikanischen Angelegenheiten ihre Parteinahme fuer Massinissa +hervortreten liessen, und wie dieser die stillschweigende Erlaubnis, auf Kosten +Karthagos sein Gebiet zu vergroessern, eifrig und stetig benutzte. Das ganze +Binnenland bis an den Wuestensaum fiel dem einheimischen Herrscher gleichsam +von selber zu, und selbst das obere Tal des Bagradas (Medscherda) mit der +reichen Stadt Vaga ward dem Koenig untertan; aber auch an der Kueste oestlich +von Karthago besetzte er die alte Sidonierstadt Gross-Leptis und andere +Strecken, so dass sein Reich sich von der mauretanischen bis zur kyrenaeischen +Grenze erstreckte, das karthagische Gebiet zu Lande von allen Seiten umfasste +und ueberall in naechster Naehe auf die Phoeniker drueckte. Es leidet keinen +Zweifel, dass er in Karthago seine kuenftige Hauptstadt sah; die libysche +Partei daselbst ist bezeichnend. Aber nicht allein durch die Schmaelerung des +Gebiets geschah Karthagos Eintrag. Die schweifenden Hirten wurden durch ihren +grossen Koenig ein anderes Volk. Nach dem Beispiel des Koenigs, der weithin die +Felder urbar machte und jedem seiner Soehne bedeutende Ackergueter hinterliess, +fingen auch seine Untertanen an, sich ansaessig zu machen und Ackerbau zu +treiben. Wie seine Hirten in Buerger, verwandelte er seine Plunderhorden in +Soldaten, die von Rom neben den Legionen zu fechten gewuerdigt wurden, und +hinterliess seinen Nachfolgern eine reich gefuellte Schatzkammer, ein +wohldiszipliniertes Heer und sogar eine Flotte. Seine Residenz Cirta +(Constantine) ward die lebhafte Hauptstadt eines maechtigen Staates und ein +Hauptsitz der phoenikischen Zivilisation, die an dem Hofe des Berberkoenigs +eifrige und wohl auch auf das kuenftige karthagisch-numidische Reich berechnete +Pflege fand. Die bisher unterdrueckte libysche Nationalitaet hob sich dadurch +in ihren eigenen Augen, und selbst in die altphoenikischen Staedte, wie +Gross-Leptis, drang einheimische Sitte und Sprache ein. Der Berber fing an, +unter der Aegide Roms sich dem Phoeniker gleich, ja ueberlegen zu fuehlen; die +karthagischen Gesandten mussten in Rom es hoeren, dass sie in Afrika Fremdlinge +seien und das Land den Libyern gehoere. Die selbst in der nivellierenden +Kaiserzeit noch lebensfaehig und kraeftig dastehende phoenikisch-nationale +Zivilisation Nordafrikas ist bei weitem weniger das Werk der Karthager als das +des Massinissa. +</p> + +<p> +In Spanien fuegten die griechischen und phoenikischen Staedte an der Kueste, +wie Emporiae, Saguntum, Neukarthago, Malaca, Gades, sich um so bereitwilliger +der roemischen Herrschaft, als sie sich selber ueberlassen, kaum imstande +gewesen waeren, sich gegen die Eingeborenen zu schuetzen; wie aus gleichen +Gruenden Massalia, obwohl bei weitem bedeutender und wehrhafter als jene +Staedte, es doch nicht versaeumte, durch engen Anschluss an die Roemer, denen +Massalia wieder als Zwischenstation zwischen Italien und Spanien vielfach +nuetzlich wurde, sich einen maechtigen Rueckhalt zu sichern. Die Eingeborenen +dagegen machten den Roemern unsaeglich zu schaffen. Zwar fehlte es keineswegs +an Ansaetzen zu einer national-iberischen Zivilisation, von deren +Eigentuemlichkeit freilich es uns nicht wohl moeglich ist, eine deutliche +Vorstellung zu gewinnen. Wir finden bei den Iberern eine weitverbreitete +nationale Schrift, die sich in zwei Hauptarten, die des Ebrotals und die +andalusische, und jede von diesen vermutlich wieder in mannigfache +Verzweigungen spaltet und deren Ursprung in sehr fruehe Zeit hinaufzureichen +und eher auf das altgriechische als auf das phoenikische Alphabet +zurueckzugehen scheint. Von den Turdetanern (um Sevilla) ist sogar +ueberliefert, dass sie Lieder aus uralter Zeit, ein metrisches Gesetzbuch von +6000 Verszeilen, ja sogar geschichtliche Aufzeichnungen besassen; allerdings +wird diese Voelkerschaft die zivilisierteste unter allen spanischen genannt und +zugleich die am wenigsten kriegerische, wie sie denn auch ihre Kriege +regelmaessig mit fremden Soeldnern fuehrte. Auf dieselbe Gegend werden wohl +auch Polybios’ Schilderungen zu beziehen sein von dem bluehenden Stand +des Ackerbaus und der Viehzucht in Spanien, weshalb bei dem Mangel an +Ausfuhrgelegenheit Korn und Fleisch dort um Spottpreise zu haben war, und von +den praechtigen Koenigspalaesten mit den goldenen und silbernen Kruegen voll +“Gerstenwein”. Auch die Kulturelemente, die die Roemer mitbrachten, +fasste wenigstens ein Teil der Spanier eifrig auf, so dass frueher als irgendwo +sonst in den ueberseeischen Provinzen sich in Spanien die Latinisierung +vorbereitete. So kam zum Beispiel schon in dieser Epoche der Gebrauch der +warmen Baeder nach italischer Weise bei den Eingeborenen auf. Auch das +roemische Geld ist allem Anschein nach weit frueher als irgendwo sonst +ausserhalb Italien in Spanien nicht bloss gangbar, sondern auch nachgemuenzt +worden; was durch die reichen Silberbergwerke des Landes einigermassen +begreiflich wird. Das sogenannte “Silber von Osca” (jetzt Huesca in +Aragonien), das heisst spanische Denare mit iberischen Aufschriften, wird schon +559 (195) erwaehnt, und viel spaeter kann der Anfang der Praegung schon deshalb +nicht gesetzt werden, weil das Gepraege dem der aeltesten roemischen Denare +nachgeahmt ist. Allein mochte auch in den suedlichen und oestlichen +Landschaften die Gesittung der Eingeborenen der roemischen Zivilisation und der +roemischen Herrschaft soweit vorgearbeitet haben, dass diese dort nirgend auf +ernstliche Schwierigkeiten stiessen, so war dagegen der Westen und Norden und +das ganze Binnenland besetzt von zahlreichen, mehr oder minder rohen +Voelkerschaften, die von keinerlei Zivilisation viel wussten - in Intercatia +zum Beispiel war noch um 600 (154) der Gebrauch des Goldes und Silbers +unbekannt - und sich ebensowenig untereinander wie mit den Roemern vertrugen. +Charakteristisch ist fuer diese freien Spanier der ritterliche Sinn der Maenner +und wenigstens ebenso sehr der Frauen. Wenn die Mutter den Sohn in die Schlacht +entliess, begeisterte sie ihn durch die Erzaehlung von den Taten seiner Ahnen, +und dem tapfersten Mann reichte die schoenste Jungfrau unaufgefordert als Braut +die Hand. Zweikaempfe waren gewoehnlich, sowohl um den Preis der Tapferkeit wie +zur Ausmachung von Rechtshaendeln - selbst Erbstreitigkeiten zwischen +fuerstlichen Vettern wurden auf diesem Wege erledigt. Es kam auch nicht selten +vor, dass ein bekannter Krieger vor die feindlichen Reihen trat und sich einen +Gegner bei Namen herausforderte; der Besiegte uebergab dann dem Gegner Mantel +und Schwert und machte auch wohl noch mit ihm Gastfreundschaft. Zwanzig Jahre +nach dem Ende des Hannibalischen Krieges sandte die kleine keltiberische +Gemeinde von Complega (in der Gegend der Tajoquellen) dem roemischen Feldherrn +Botschaft zu, dass er ihnen fuer jeden gefallenen Mann ein Pferd, einen Mantel +und ein Schwert senden moege, sonst werde es ihm uebel ergehen. Stolz auf ihre +Waffenehre, so dass sie haeufig es nicht ertrugen, die Schmach der Entwaffnung +zu ueberleben, waren die Spanier dennoch geneigt, jedem Werber zu folgen und +fuer jeden fremden Span ihr Leben einzusetzen - bezeichnend ist die Botschaft, +die ein der Landessitte wohl kundiger roemischer Feldherr einem keltiberischen, +im Solde der Turdetaner gegen die Roemer fechtenden Schwarm zusandte: entweder +nach Hause zu kehren, oder fuer doppelten Sold in roemische Dienste zu treten, +oder Tag und Ort zur Schlacht zu bestimmen. Zeigte sich kein Werbeoffizier, so +trat man auch wohl auf eigene Hand zu Freischaren zusammen, um die +friedlicheren Landschaften zu brandschatzen, ja sogar die Staedte einzunehmen +und zu besetzen, ganz in kampanischer Weise. Wie wild und unsicher das +Binnenland war, davon zeugt zum Beispiel, dass die Internierung westlich von +Cartagena bei den Roemern als schwere Strafe galt, und dass in einigermassen +aufgeregten Zeiten die roemischen Kommandanten des jenseitigen Spaniens +Eskorten bis zu 6000 Mann mit sich nahmen. Deutlicher noch zeigt es der +seltsame Verkehr, den in der griechisch-spanischen Doppelstadt Emporiae an der +oestlichen Spitze der Pyrenaeen die Griechen mit ihren spanischen Nachbarn +pflogen. Die griechischen Ansiedler, die auf der Spitze der Halbinsel, von dem +spanischen Stadtteil durch eine Mauer getrennt wohnten, liessen diese jede +Nacht durch den dritten Teil ihrer Buergerwehr besetzen und an dem einzigen Tor +einen hoeheren Beamten bestaendig die Wache versehen; kein Spanier durfte die +griechische Stadt betreten und die Griechen brachten den Eingeborenen die Waren +nur zu in starken und wohleskortierten Abteilungen. Diese Eingeborenen voll +Unruhe und Kriegslust, voll von dem Geiste des Cid wie des Don Quixote sollten +denn nun von den Roemern gebaendigt und womoeglich gesittigt werden. +Militaerisch war die Aufgabe nicht schwer. Zwar bewiesen die Spanier nicht +bloss hinter den Mauern ihrer Staedte oder unter Hannibals Fuehrung, sondern +selbst allein und in offener Feldschlacht sich als nicht veraechtliche Gegner; +mit ihrem kurzen zweischneidigen Schwert, welches spaeter die Roemer von ihnen +annahmen, und ihren gefuerchteten Sturmkolonnen brachten sie nicht selten +selbst die roemischen Legionen zum Wanken. Haetten sie es vermocht, sich +militaerisch zu disziplinieren und politisch zusammenzuschliessen, so haetten +sie vielleicht der aufgedrungenen Fremdherrschaft sich entledigen koennen; aber +ihre Tapferkeit war mehr die des Guerillas als des Soldaten und es mangelte ihr +voellig der politische Verstand. So kam es in Spanien zu keinem ernsten Krieg, +aber ebensowenig zu einem ernstlichen Frieden; die Spanier haben sich, wie +Caesar spaeter ganz richtig ihnen vorhielt, nie im Frieden ruhig und nie im +Kriege tapfer erwiesen. So leicht der roemische Feldherr mit den +Insurgentenhaufen fertig ward, so schwer war es dem roemischen Staatsmanne, ein +geeignetes Mittel zu bezeichnen, um Spanien wirklich zu beruhigen und zu +zivilisieren: in der Tat konnte er, da das einzige wirklich genuegende, eine +umfassende latinische Kolonisierung, dem allgemeinen Ziel der roemischen +Politik dieser Epoche zuwiderlief, hier nur mit Palliativen verfahren. +</p> + +<p> +Das Gebiet, welches die Roemer im Laufe des Hannibalischen Krieges in Spanien +erwarben, zerfiel von Haus aus in zwei Massen; die ehemals karthagische +Provinz, die zunaechst die heutigen Landschaften Andalusien, Granada, Murcia +und Valencia umfasste, und die Ebrolandschaft oder das heutige Aragonien und +Katalonien, das Standquartier des roemischen Heeres waehrend des letzten +Krieges; aus welchen Gebieten die beiden roemischen Provinzen des Jen- und +Diesseitigen Spaniens hervorgingen. Das Binnenland, ungefaehr den beiden +Kastilien entsprechend, das die Roemer unter dem Namen Keltiberien +zusammenfassten, suchte man allmaehlich unter roemische Botmaessigkeit zu +bringen, waehrend man die Bewohner der westlichen Landschaften, namentlich die +Lusitaner im heutigen Portugal und dem spanischen Estremadura, von Einfaellen +in das roemische Gebiet abzuhalten sich begnuegte und mit den Staemmen an der +Nordkueste, den Callaekern, Asturern und Kantabrern ueberhaupt noch gar nicht +sich beruehrte. Die Behauptung und Befestigung der gewonnenen Erfolge war indes +nicht durchzufuehren ohne eine stehende Besatzung, indem dem Vorsteher des +diesseitigen Spaniens namentlich die Baendigung der Keltiberer und dem des +jenseitigen die Zurueckweisung der Lusitaner jaehrlich zu schaffen machten. Es +ward somit noetig, in Spanien ein roemisches Heer von vier starken Legionen +oder etwa 40000 Mann Jahr aus Jahr ein auf den Beinen zu halten; wobei dennoch +sehr haeufig zur Verstaerkung der Truppen in den von Rom besetzten Landschaften +der Landsturm aufgeboten werden musste. Es war dies in doppelter Weise von +grosser Wichtigkeit, indem hier zuerst, wenigstens zuerst in groesserem Umfang, +die militaerische Besetzung des Landes bleibend und infolgedessen auch der +Dienst anfaengt dauernd zu werden. Die alte roemische Weise, nur dahin Truppen +zu senden, wohin das augenblickliche Kriegsbeduerfnis sie rief, und ausser in +sehr schweren und wichtigen Kriegen die einberufenen Leute nicht ueber ein Jahr +bei der Fahne zu halten, erwies sich als unvertraeglich mit der Behauptung der +unruhigen, fernen und ueberseeischen spanischen Aemter; es war schlechterdings +unmoeglich, die Truppen von da wegzuziehen, und sehr gefaehrlich, sie auch nur +in Masse abzuloesen. Die roemische Buergerschaft fing an innezuwerden, dass die +Herrschaft ueber ein fremdes Volk nicht bloss fuer den Knecht eine Plage ist, +sondern auch fuer den Herrn, und murrte laut ueber den verhassten spanischen +Kriegsdienst. Waehrend die neuen Feldherren mit gutem Grund sich weigerten, die +Gesamtabloesung der bestehenden Korps zu gestatten, meuterten diese und +drohten, wenn man ihnen den Abschied nicht gebe, ihn sich selber zu nehmen. +</p> + +<p> +Den Kriegen selbst, die in Spanien von den Roemern gefuehrt wurden, kommt nur +eine untergeordnete Bedeutung zu. Sie begannen schon mit Scipios Abreise und +waehrten, solange der Hannibalische Krieg dauerte. Nach dem Frieden mit +Karthago (553 201) ruhten auch auf der Halbinsel die Waffen, jedoch nur auf +kurze Zeit. Im Jahre 557 (197) brach in beiden Provinzen eine allgemeine +Insurrektion aus; der Befehlshaber der Jenseitigen ward hart gedraengt, der der +Diesseitigen voellig ueberwunden und selber erschlagen. Es ward noetig, den +Krieg mit Ernst anzugreifen, und obwohl inzwischen der tuechtige Praetor +Quintus Minucius ueber die erste Gefahr Herr geworden war, beschloss doch der +Senat im Jahre 559 (195), den Konsul Marcus Cato selbst nach Spanien zu senden. +Er fand auch in der Tat bei der Landung in Emporiae das ganze Diesseitige +Spanien von den Insurgenten ueberschwemmt; kaum dass diese Hafenstadt und im +inneren Land ein paar Burgen noch fuer Rom behauptet wurden. Es kam zur offenen +Feldschlacht zwischen den Insurgenten und dem konsularischen Heer, in der nach +hartem Kampf Mann gegen Mann endlich die roemische Kriegskunst mit der +gesparten Reserve den Tag entschied. Das ganze Diesseitige Spanien sandte +darauf seine Unterwerfung ein; indes es war mit derselben so wenig ernstlich +gemeint, dass auf das Geruecht von der Heimkehr des Konsuls nach Rom sofort der +Aufstand abermals begann. Allein das Geruecht war falsch, und nachdem Cato die +Gemeinden, die zum zweitenmal sich aufgelehnt hatten, schnell bezwungen und in +Masse in die Sklaverei verkauft hatte, ordnete er eine allgemeine Entwaffnung +der Spanier in der diesseitigen Provinz an und erliess an die saemtlichen +Staedte der Eingeborenen von den Pyrenaeen bis zum Guadalquivir den Befehl, +ihre Mauern an einem und demselben Tage niederzureissen. Niemand wusste, wie +weit das Gebot sich erstreckte, und es war keine Zeit sich zu verstaendigen; +die meisten Gemeinden gehorchten und auch von den wenigen widerspenstigen +wagten es nicht viele, als das roemische Heer demnaechst vor ihren Mauern +erschien, es auf den Sturm ankommen zu lassen. +</p> + +<p> +Diese energischen Massregeln waren allerdings nicht ohne nachhaltigen Erfolg. +Allein nichtsdestoweniger hatte man fast jaehrlich in der “friedlichen +Provinz” ein Gebirgstal oder ein Bergkastell zum Gehorsam zu bringen, und +die stetigen Einfaelle der Lusitaner in die jenseitige Provinz fuehrten +gelegentlich zu derben Niederlagen der Roemer; wie zum Beispiel 563 (191) ein +roemisches Heer nach starkem Verlust sein Lager im Stich lassen und in +Eilmaerschen in die ruhigeren Landschaften zurueckkehren musste. Erst ein Sieg, +den der Praetor Lucius Aemilius Paullus 565 (189) ^2, und ein zweiter noch +bedeutenderer, den der tapfere Praetor Gaius Calpurnius jenseits des Tagus 569 +(185) ueber die Lusitaner erfocht, schafften auf einige Zeit Ruhe. Im +diesseitigen Spanien ward die bis dahin fast nominelle Herrschaft der Roemer +ueber die keltiberischen Voelkerschaften fester begruendet durch Quintus +Fulvius Flaccus, der nach einem grossen Siege ueber dieselben 573 (181) +wenigstens die naechstliegenden Kantone zur Unterwerfung zwang, und besonders +durch seinen Nachfolger Tiberius Gracchus (575, 576 179, 178), welcher mehr +noch als durch die Waffen, mit denen er dreihundert spanische Ortschaften sich +unterwarf, durch sein geschicktes Eingehen auf die Weise der schlichten und +stolzen Nation dauernde Erfolge erreichte. Indem er angesehene Keltiberer +bestimmte, im roemischen Heer Dienste zu nehmen, schuf er sich eine Klientel; +indem er den schweifenden Leuten Land anwies und sie in Staedten zusammenzog - +die spanische Stadt Graccurris bewahrte des Roemers Namen -, ward dem +Freibeuterwesen ernstlich gesteuert; indem er die Verhaeltnisse der einzelnen +Voelkerschaften zu den Roemern durch gerechte und weise Vertraege regelte, +verstopfte er soweit moeglich die Quelle kuenftiger Empoerungen. Sein Name +blieb bei den Spaniern in gesegnetem Andenken, und es trat in dem Lande +seitdem, wenn auch die Keltiberer noch manches Mal unter dem Joch zuckten, doch +vergleichungsweise Ruhe ein. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +^2 Von diesem Statthalter ist kuerzlich das folgende Dekret auf einer in der +Naehe von Gibraltar aufgefundenen, jetzt im Pariser Museum aufbewahrten +Kupfertafel zum Vorschein gekommen: “L. Aimilius, des Lucius Sohn, +Imperator, hat verfuegt, dass die in dem Turm von Laskuta [durch Muenzen und +Plin. 3, 1, 15 bekannt, aber ungewisser Lage] wohnhaften Sklaven der Hastenser +[Hasta regia, unweit Jerez de la Frontera] frei sein sollen. Den Boden und die +Ortschaft, die sie zur Zeit besitzen, sollen sie auch ferner besitzen und +haben, so lange es dem Volk und dem Rat der Roemer belieben wird. Verhandelt im +Lager am 12. Januar [564 oder 565 der Stadt]. “ (L. Aimilius L. f. +inpeirator decreivit, utei quei Hastensium seruei in turri Lascutana +habitarent, leiberei essent. Agrum oppidumqu[eJ, quod ea tempestate posedisent, +item possidere habereque iousit, dum poplus senatusque Romanus vellet. Act. in +castreis a. d. XII k. Febr.) Es ist dies die aelteste roemische Urkunde, die +wir im Original besitzen, drei Jahre frueher abgefasst als der bekannte Erlass +der Konsuln des Jahres 568 (186) in der Bacchanalienangelegenheit. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +Das Verwaltungssystem der beiden spanischen Provinzen war dem +sizilisch-sardinischen aehnlich, aber nicht gleich. Die Oberverwaltung ward wie +hier so dort in die Haende zweier Nebenkonsuln gelegt, die zuerst im Jahr 557 +(197) ernannt wurden, in welches Jahr auch die Grenzregulierung und die +definitive Organisierung der neuen Provinzen faellt. Die verstaendige Anordnung +des Baebischen Gesetzes (573 181), dass die spanischen Praetoren immer auf zwei +Jahre ernannt werden sollten, kam infolge des steigenden Zudrangs zu den +hoechsten Beamtenstellen und mehr noch infolge der eifersuechtigen Ueberwachung +der Beamtengewalt durch den Senat nicht ernstlich zur Ausfuehrung, und es +blieb, soweit nicht in ausserordentlichem Wege Abweichungen eintraten, auch +hier bei dem fuer diese entfernten und schwer kennenzulernenden Provinzen +besonders unvernuenftigen jaehrlichen Wechsel der roemischen Statthalter. Die +abhaengigen Gemeinden wurden durchgaengig zinspflichtig; allein statt der +sizilischen und sardinischen Zehnten und Zoelle wurden in Spanien vielmehr von +den Roemern, eben wie frueher hier von den Karthagern, den einzelnen Staedten +und Staemmen feste Abgaben an Geld oder sonstigen Leistungen auferlegt, welche +auf militaerischere Wege beizutreiben der Senat infolge der Beschwerdefuehrung +der spanischen Gemeinden im Jahr 583 (171) untersagte. Getreidelieferungen +wurden hier nicht anders als gegen Entschaedigung geleistet, und auch hierbei +durfte der Statthalter nicht mehr als das zwanzigste Korn erheben und ueberdies +gemaess der eben erwaehnten Vorschrift der Oberbehoerde den Taxpreis nicht +einseitig feststellen. Dagegen hatte die Verpflichtung der spanischen +Untertanen, zu den roemischen Heeren Zuzug zu leisten, hier eine ganz andere +Wichtigkeit als wenigstens in dem friedlichen Sizilien, und es ward dieselbe +auch in den einzelnen Vertraegen genau geordnet. Auch das Recht der Praegung +von Silbermuenzen roemischer Waehrung scheint den spanischen Staedten sehr +haeufig zugestanden und das Muenzmonopol hier keineswegs so wie in Sizilien von +der roemischen Regierung in Anspruch genommen worden zu sein. Ueberall bedurfte +man in Spanien zu sehr der Untertanen, um hier nicht die Provinzialverfassung +in moeglichst schonender Weise einzufuehren und zu handhaben. Zu den besonders +von Rom beguenstigten Gemeinden zaehlten namentlich die grossen Kuestenplaetze +griechischer, phoenikischer oder roemischer Gruendung, wie Saguntum, Gades, +Tarraco, die als die natuerlichen Pfeiler der roemischen Herrschaft auf der +Halbinsel zum Buendnis mit Rom zugelassen wurden. Im ganzen war Spanien fuer +die roemische Gemeinde militaerisch sowohl wie finanziell mehr eine Last als +ein Gewinn; und die Frage liegt nahe, weshalb die roemische Regierung, in deren +damaliger Politik der ueberseeische Laendererwerb offenbar noch nicht lag, sich +dieser beschwerlichen Besitzungen nicht entledigt hat. Die nicht unbedeutenden +Handelsverbindungen, die wichtigen Eisen- und die noch wichtigeren, selbst im +fernen Orient seit alter Zeit beruehmten Silbergruben ^3, welche Rom wie +Karthago fuer sich nahm und deren Bewirtschaftung namentlich Marcus Cato +regulierte (559 195), werden dabei ohne Zweifel mitbestimmend gewesen sein; +allein die Hauptursache, weshalb man die Halbinsel in unmittelbarem Besitz +behielt, war die, dass es dort an Staaten mangelte, wie im Keltenland die +massaliotische Republik, in Libyen das numidische Koenigreich waren, und dass +man Spanien nicht loslassen konnte, ohne die Erneuerung des spanischen +Koenigreichs der Barleiden jedem unternehmenden Kriegsmann freizugeben. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^3 1. Makk. 8, 3: “Und Judas hoerte, was die Roemer getan hatten im Lande +Hispanien, um Herren zu werden der Silber- und Goldgruben daselbst.” +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap08"></a>KAPITEL VIII.<br/> +Die östlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg</h2> + +<p> +Das Werk, welches Koenig Alexander von Makedonien begonnen hatte, ein +Jahrhundert zuvor, ehe die Roemer in dem Gebiet, das er sein genannt, den +ersten Fussbreit Landes gewonnen, dies Werk hatte im Verlauf der Zeit, bei +wesentlicher Festhaltung des grossen Grundgedankens, den Orient zu +hellenisieren, sich veraendert und erweitert zu dem Aufbau eines +hellenisch-asiatischen Staatensystems. Die unbezwingliche Wander- und +Siedellust der griechischen Nation, die einst ihre Handelsleute nach Massalia +und Kyrene, an den Nil und in das Schwarze Meer gefuehrt hatte, hielt jetzt +fest, was der Koenig gewonnen hatte, und ueberall in dem alten Reich der +Achaemeniden liess unter dem Schutz der Sarissen griechische Zivilisation sich +friedlich nieder. Die Offiziere, die den grossen Feldherrn beerbten, vertrugen +allmaehlich sich untereinander und es stellte ein Gleichgewichtssystem sich +her, dessen Schwankungen selbst eine gewisse Regelmaessigkeit zeigen. Von den +drei Staaten ersten Ranges, die demselben angehoeren, Makedonien, Asien und +Aegypten, war Makedonien unter Philippos dem Fuenften, der seit 534 (220) dort +den Koenigsthron einnahm, im ganzen, aeusserlich wenigstens, was es gewesen war +unter dem zweiten Philippos, dem Vater Alexanders: ein gut arrondierter +Militaerstaat mit wohlgeordneten Finanzen. An der Nordgrenze hatten die +ehemaligen Verhaeltnisse sich wiederhergestellt, nachdem die Fluten der +gallischen Ueberschwemmung verlaufen waren; die Grenzwache hielt die +illyrischen Barbaren wenigstens in gewoehnlichen Zeiten ohne Muehe im Zaum. Im +Sueden war Griechenland nicht bloss ueberhaupt von Makedonien abhaengig, +sondern ein grosser Teil desselben: ganz Thessalien im weitesten Sinn von +Olympos bis zum Spercheios und der Halbinsel Magnesia, die grosse und wichtige +Insel Euboea, die Landschaften Lokris, Doris und Phokis, endlich in Attika und +im Peloponnes eine Anzahl einzelner Plaetze, wie das Vorgebirge Sunion, +Korinth, Orchomenos, Heraea, das triphylische Gebiet - alle diese Land- und +Ortschaften waren Makedonien geradezu untertaenig und empfingen makedonische +Besatzung, vor allen Dingen die drei wichtigen Festungen Demetrias in Magnesia, +Chalkis auf Euboea und Korinth, “die drei Fesseln der Hellenen”. +Die Macht des Staates aber lag vor allem in dem Stammland, in der makedonischen +Landschaft. Zwar die Bevoelkerung dieses weiten Gebiets war auffallend duenn; +mit Anstrengung aller Kraefte vermochte Makedonien kaum soviel Mannschaft +aufzubringen als ein gewoehnliches konsularisches Heer von zwei Legionen +zaehlte, und es ist unverkennbar, dass in dieser Hinsicht sich das Land noch +nicht von der durch die Zuege Alexanders und den gallischen Einfall +hervorgebrachten Entvoelkerung erholt hatte. Aber waehrend im eigentlichen +Griechenland die sittliche und staatliche Kraft der Nation zerruettet war und +dort, da es mit dem Volke doch vorbei und das Leben kaum mehr der Muehe wert +schien, selbst von den Besseren der eine ueber dem Becher, der andere mit dem +Rapier, der dritte bei der Studierlampe den Tag verdarb, waehrend im Orient und +in Alexandreia die Griechen unter die dichte einheimische Bevoelkerung wohl +befruchtende Elemente aussaeen und ihre Sprache wie ihre Maulfertigkeit, ihre +Wissenschaft und Afterwissenschaft dort ausbreiten konnten, aber ihre Zahl kaum +genuegte, um den Nationen die Offiziere, die Staatsmaenner und die Schulmeister +zu liefern, und viel zu gering war, um einen Mittelstand rein griechischen +Schlages auch nur in den Staedten zu bilden, bestand dagegen im noerdlichen +Griechenland noch ein guter Teil der alten kernigen Nationalitaet, aus der die +Marathonkaempfer hervorgegangen waren. Daher ruehrt die Zuversicht, mit der die +Makedonier, die Aetoler, die Akarnanen, ueberall wo sie im Osten auftreten, als +ein besserer Schlag sich geben und genommen werden, und die ueberlegene Rolle, +welche sie deswegen an den Hoefen von Alexandreia und Antiocheia spielen. Die +Erzaehlung ist bezeichnend von dem Alexandriner, der laengere Zeit in +Makedonien gelebt und dort Landessitte und Landestracht angenommen hat, und +nun, da er in seine Vaterstadt heimkehrt, sich selber einen Mann und die +Alexandriner gleich Sklaven achtet. Diese derbe Tuechtigkeit und der +ungeschwaechte Nationalsinn kamen vor allem dem makedonischen als dem +maechtigsten und geordnetsten der nordgriechischen Staaten zugute. Wohl ist +auch hier der Absolutismus emporgekommen gegen die alte gewissermassen +staendische Verfassung; allein Herr und Untertanen stehen doch in Makedonien +keineswegs zueinander wie in Asien und Aegypten, und das Volk fuehlt sich noch +selbstaendig und frei. In festem Mut gegen den Landesfeind, wie er auch heisse, +in unerschuetterlicher Treue gegen die Heimat und die angestammte Regierung, in +mutigem Ausharren unter den schwersten Bedraengnissen steht unter allen +Voelkern der alten Geschichte keines dem roemischen so nah wie das +makedonische, und die an das Wunderbare grenzende Regeneration des Staates nach +der gallischen Invasion gereicht den leitenden Maennern wie dem Volke, das sie +leiteten, zu unvergaenglicher Ehre. +</p> + +<p> +Der zweite von den Grossstaaten, Asien, war nichts als das oberflaechlich +umgestaltete und hellenisierte Persien, das Reich des “Koenigs der +Koenige”, wie sein Herr sich, bezeichnend fuer seine Anmassung wie fuer +seine Schwaeche, zu nennen pflegte, mit denselben Anspruechen von Hellespont +bis zum Pandschab zu gebieten und mit derselben kernlosen Organisation, ein +Buendel von mehr oder minder abhaengigen Dependenzstaaten, unbotmaessigen +Satrapien und halbfreien griechischen Staedten. Von Kleinasien namentlich, das +nominell zum Reich der Seleukiden gezaehlt ward, war tatsaechlich die ganze +Nordkueste und der groessere Teil des oestlichen Binnenlandes in den Haenden +einheimischer Dynastien oder der aus Europa eingedrungenen Keltenhaufen, von +dem Westen ein guter Teil im Besitz der Koenige von Pergamon, und die Inseln +und Kuestenstaedte teils aegyptisch, teils frei, so dass dem Grosskoenig hier +wenig mehr blieb als das innere Kilikien, Phrygien und Lydien und eine grosse +Anzahl nicht wohl zu realisierender Rechtstitel gegen freie Staedte und +Fuersten - ganz und gar wie seiner Zeit die Herrschaft des deutschen Kaisers +ausser seinem Hausgebiet bestellt war. Das Reich verzehrte sich in den +vergeblichen Versuchen, die Aegypter aus den Kuestenlandschaften zu +verdraengen, in dem Grenzhader mit den oestlichen Voelkern, den Parthern und +Baktriern, in den Fehden mit den zum Unheil Kleinasiens daselbst ansaessig +gewordenen Kelten, in den bestaendigen Bestrebungen, den Emanzipationsversuchen +der oestlichen Satrapen und der kleinasiatischen Griechen zu steuern, und in +den Familienzwisten und Praetendentenaufstaenden, an denen es zwar in keinem +der Diadochenstaaten fehlt, wie ueberhaupt an keinem der Greuel, welche die +absolute Monarchie in entarteter Zeit in ihrem Gefolge fuehrt, allein die in +dem Staate Asien deshalb verderblicher waren als anderswo, weil sie hier bei +der losen Zusammenfuegung des Reiches zu der Abtrennung einzelner Landesteile +auf kuerzere oder laengere Zeit zu fuehren pflegten. +</p> + +<p> +Im entschiedensten Gegensatz gegen Asien war Aegypten ein festgeschlossener +Einheitsstaat, in dem die intelligente Staatskunst der ersten Lagiden unter +geschickter Benutzung des alten nationalen und religioesen Herkommens eine +vollkommen absolute Kabinettsherrschaft begruendet hatte und wo selbst das +schlimmste Missregiment weder Emanzipations- noch Zerspaltungsversuche +herbeizufuehren vermochte. Sehr verschieden von dem nationalen Royalismus der +Makedonier, der auf ihrem Selbstgefuehl ruhte und dessen politischer Ausdruck +war, war in Aegypten das Land vollstaendig passiv, die Hauptstadt dagegen alles +und diese Hauptstadt Dependenz des Hofes; weshalb hier mehr noch als in +Makedonien und Asien die Schlaffheit und Traegheit der Herrscher den Staat +laehmte, waehrend umgekehrt in den Haenden von Maennern, wie der erste +Ptolemaeos und Ptolemaeos Euergetes, diese Staatsmaschine sich aeusserst +brauchbar erwies. Zu den eigentuemlichen Vorzuegen Aegyptens vor den beiden +grossen Rivalen gehoert es, dass die aegyptische Politik nicht nach Schatten +griff, sondern klare und erreichbare Zwecke verfolgte. Makedonien, die Heimat +Alexanders; Asien, das Land, in dem Alexander seinen Thron gegruendet hatte, +hoerten nicht auf, sich als unmittelbare Fortsetzungen der alexandrischen +Monarchie zu betrachten und lauter oder leiser den Anspruch zu erheben, +dieselbe wenn nicht her-, so doch wenigstens darzustellen. Die Lagiden haben +nie eine Weltmonarchie zu gruenden versucht und nie von Indiens Eroberung +getraeumt; dafuer aber zogen sie den ganzen Verkehr zwischen Indien und dem +Mittelmeer von den phoenikischen Haefen nach Alexandreia und machten Aegypten +zu dem ersten Handels- und Seestaat dieser Epoche und zum Herrn des oestlichen +Mittelmeeres und seiner Kuesten und Inseln. Es ist bezeichnend, dass Ptolemaeos +III. Euergetes alle seine Eroberungen freiwillig an Seleukos Kallinikos +zurueckgab bis auf die Hafenstadt von Antiocheia. Teils hierdurch, teils durch +die guenstige geographische Lage kam Aegypten den beiden Kontinentalmaechten +gegenueber in eine vortreffliche militaerische Stellung zur Verteidigung wie +zum Angriff. Waehrend der Gegner selbst nach gluecklichen Erfolgen kaum +imstande war, das ringsum fuer Landheere fast unzugaengliche Aegypten ernstlich +zu bedrohen, konnten die Aegypter von der See aus nicht bloss in Kyrene sich +festsetzen, sondern auch auf Kypros und den Kykladen, auf der +phoenikisch-syrischen und auf der ganzen Sued- und Westkueste von Kleinasien, +ja sogar in Europa auf dem thrakischen Chersonesos. Durch die beispiellose +Ausbeutung des fruchtbaren Niltals zum unmittelbaren Besten der Staatskasse und +durch eine die materiellen Interessen ernstlich und geschickt foerdernde und +ebenso ruecksichtslose wie einsichtige Finanzwirtschaft war der alexandrinische +Hof seinen Gegner auch als Geldmacht bestaendig ueberlegen. Endlich die +intelligente Munifizenz, mit der die Lagiden der Tendenz des Zeitalters nach +ernster Forschung in allen Gebieten des Koennens und Wissens entgegenkamen und +diese Forschungen in die Schranken der absoluten Monarchie einzuhegen und in +die Interessen derselben zu verflechten verstanden, nuetzte nicht bloss +unmittelbar dem Staat, dessen Schiff- und Maschinenbau den Einfluss der +alexandrinischen Mathematik zu ihrem Frommen verspuerten, sondern machte auch +diese neue geistige Macht, die bedeutendste und grossartigste, welche das +hellenische Volk nach seiner politischen Zersplitterung in sich hegte, soweit +sie sich ueberhaupt zur Dienstbarkeit bequemen wollte, zur Dienerin des +alexandrinischen Hofes. Waere Alexanders Reich stehengeblieben, so haette die +griechische Kunst und Wissenschaft einen Staat gefunden, wuerdig und faehig, +sie zu fassen; jetzt wo die Nation in Truemmer gefallen war, wucherte in ihr +der gelehrte Kosmopolitismus, und sehr bald ward dessen Magnet Alexandreia, wo +die wissenschaftlichen Mittel und Sammlungen unerschoepflich waren, die Koenige +Tragoedien und die Minister Kommentare dazu schrieben und die Pensionen und +Akademien florierten. +</p> + +<p> +Das Verhaeltnis der drei Grossstaaten zueinander ergibt sich aus dem Gesagten. +Die Seemacht, welche die Kuesten beherrschte und das Meer monopolisierte, +musste nach dem ersten grossen Erfolg, der politischen Trennung des +europaeischen Kontinents von dem asiatischen, weiter hinarbeiten auf die +Schwaechung der beiden Grossstaaten des Festlandes und also auf die +Beschuetzung der saemtlichen kleineren Staaten, waehrend umgekehrt Makedonien +und Asien zwar auch untereinander rivalisierten, aber doch vor allen Dingen in +Aegypten ihren gemeinschaftlichen Gegner fanden und ihm gegenueber +zusammenhielten oder doch haetten zusammenhalten sollen. +</p> + +<p> +Unter den Staaten zweiten Ranges ist fuer die Beruehrungen des Ostens mit dem +Westen zunaechst nur mittelbar von Bedeutung die Staatenreihe, welche vom +suedlichen Ende des Kaspischen Meeres zum Hellespont sich hinziehend das Innere +und die Nordkueste Kleinasiens ausfuellt: Atropatene (im heutigen Aserbeidschan +suedwestlich vom Kaspischen Meer), daneben Armenien, Kappadokien im +kleinasiatischen Binnenland, Pontos am suedoestlichen, Bithynien am +suedwestlichen Ufer des Schwarzen Meeres - sie alle Splitter des grossen +Perserreiches und beherrscht von morgenlaendischen, meistens altpersischen +Dynastien, die entlegene Berglandschaft Atropatene namentlich die rechte +Zufluchtsstaette des alten Persertums, an der selbst Alexanders Zug spurlos +voruebergebraust war, und alle auch in derselben zeitweiligen und +oberflaechlichen Abhaengigkeit von der griechischen Dynastie, die in Asien an +die Stelle der Grosskoenige getreten war oder sein wollte. +</p> + +<p> +Von groesserer Wichtigkeit fuer die allgemeinen Verhaeltnisse ist der +Keltenstaat in dem kleinasiatischen Binnenland. Hier mitten inne zwischen +Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien und Phrygien hatten drei keltische +Voelkerschaften, die Tolistoager, Tectosagen und Trocmer sich ansaessig +gemacht, ohne darum weder von der heimischen Sprache und Sitte noch von ihrer +Verfassung und ihrem Freibeuterhandwerk zu lassen. Die zwoelf Vierfuersten, +jeder einem der vier Kantone eines der drei Staemme vorgesetzt, bildeten mit +ihrem Rate von dreihundert Maennern die hoechste Autoritaet der Nation und +traten auf der “heiligen Staette” (Drunemetum) namentlich zur +Faellung von Bluturteilen zusammen. Seltsam wie diese keltische Gauverfassung +den Asiaten erschien, ebenso fremdartig duenkte ihnen der Wagemut und die +Landsknechtsitte der nordischen Eindringlinge, welche teils ihren +unkriegerischen Nachbarn die Soeldner zu jedem Krieg lieferten, teils die +umliegenden Landschaften auf eigene Faust pluenderten oder brandschatzten. +Diese rohen aber kraeftigen Barbaren waren der allgemeine Schreck der +verweichlichten umwohnenden Nationen, ja der asiatischen Grosskoenige selbst, +welche, nachdem manches asiatische Heer von den Kelten war aufgerieben worden, +und Koenig Antiochos I. Soter sogar im Kampf gegen sie sein Leben verloren +hatte (493 261) zuletzt selber zur Zinszahlung sich verstanden. +</p> + +<p> +Dem kuehnen und gluecklichen Auftreten gegen diese gallischen Horden verdankte +es ein reicher Buerger von Pergamon, Attalos, dass er von seiner Vaterstadt den +Koenigstitel empfing und ihn auf seine Nachkommen vererbte. Dieser neue Hof war +im kleinen was der alexandrinische im grossen; auch hier war die Foerderung der +materiellen Interessen, die Pflege von Kunst und Literatur an der Tagesordnung +und das Regiment eine umsichtige und nuechterne Kabinettspolitik, deren +wesentlicher Zweck war, teils die Macht der beiden gefaehrlichen +festlaendischen Nachbarn zu schwaechen, teils einen selbstaendigen +Griechenstaat im westlichen Kleinasien zu begruenden. Der wohlgefuellte Schatz +trug viel zu der Bedeutung dieser pergamenischen Herren bei; sie schossen den +syrischen Koenigen bedeutende Summen vor, deren Rueckzahlung spaeter unter den +roemischen Friedensbedingungen eine Rolle spielte, und selbst +Gebietserwerbungen gelangen auf diesem Wege, wie zum Beispiel Aegina, das die +verbuendeten Roemer und Aetoler im letzten Krieg den Bundesgenossen Philipps, +den Achaeern, entrissen hatten, von den Aetolern, denen es vertragsmaessig +zufiel, um 30 Talente (51000 Taler) an Attalos verkauft ward. Indes trotz des +Hofglanzes und des Koenigstitels behielt das pergamenische Gemeinwesen immer +etwas vom staedtischen Charakter, wie es denn auch in seiner Politik +gewoehnlich mit den Freistaedten zusammenging. Attalos selbst, der Lorenzo +de’ Medici des Altertums, blieb sein lebelang ein reicher Buergersmann, +und das Familienleben der Attaliden, aus deren Hause ungeachtet des +Koenigstitels die Eintracht und Innigkeit nicht gewichen war, stach sehr ab +gegen die wueste Schandwirtschaft der adligeren Dynastien. +</p> + +<p> +In dem europaeischen Griechenland waren ausser den roemischen Besitzungen an +der Ostkueste, von denen in den wichtigsten, namentlich in Kerkyra roemische +Beamte residiert zu haben scheinen, und dem unmittelbar makedonischen Gebiet +noch mehr oder minder imstande, eine eigene Politik zu verfolgen, die +Epeiroten, Akarnanen und Aetoler im noerdlichen, die Boeoter und Athener im +mittleren Griechenland und die Achaeer, Lakedaemonier, Messenier und Eleer im +Peloponnes. Unter diesen waren die Republiken der Epeiroten, Akarnanen und +Boeoter in vielfacher Weise eng an Makedonien geknuepft, namentlich die +Akarnanen, weil sie der von den Aetolern drohenden Unterdrueckung einzig durch +makedonischen Schutz zu entgehen vermochten; von Bedeutung war keine von ihnen. +Die inneren Zustaende waren sehr verschieden; wie es zum Teil aussah, dafuer +mag als Beispiel dienen, dass bei den Boeotern, wo es freilich am aergsten +zuging, es Sitte geworden war, jedes Vermoegen, das nicht in gerader Linie +vererbte, an die Kneipgesellschaften zu vermachen, und es fuer die Bewerber um +die Staatsaemter manches Jahrzehnt die erste Wahlbedingung war, dass sie sich +verpflichteten, keinem Glaeubiger, am wenigsten einem Auslaender, die +Ausklagung seiner Schuldner zu gestatten. +</p> + +<p> +Die Athener pflegten von Alexandreia aus gegen Makedonien unterstuetzt zu +werden und standen im engen Bunde mit den Aetolern; auch sie indes waren +voellig machtlos, und fast nur der Nimbus attischer Kunst und Poesie hob diese +unwuerdigen Nachfolger einer herrlichen Vorzeit unter einer Reihe von +Kleinstaedten gleichen Schlages hervor. +</p> + +<p> +Nachhaltiger war die Macht der aetolischen Eidgenossenschaft; das kraeftige +Nordgriechentum war hier noch ungebrochen, aber freilich ausgeartet in wueste +Zucht- und Regimentlosigkeit - es war Staatsgesetz, dass der aetolische Mann +gegen jeden, selbst gegen den mit den Aetolern verbuendeten Staat als +Reislaeufer dienen koenne, und auf die dringenden Bitten der uebrigen Griechen, +dies Unwesen abzustellen, erklaerte die aetolische Tagsatzung, eher koenne man +Aetolien aus Aetolien wegschaffen als diesen Grundsatz aus ihrem Landrecht. Die +Aetoler haetten dem griechischen Volke von grossem Nutzen sein koennen, wenn +sie ihm nicht durch diese organisierte Raeuberwirtschaft, durch ihre +gruendliche Verfeindung mit der achaeischen Eidgenossenschaft und durch die +unselige Opposition gegen den makedonischen Grossstaat noch viel mehr geschadet +haetten. +</p> + +<p> +Im Peloponnes hatte der Achaeische Bund die besten Elemente des eigentlichen +Griechenlands zusammengefasst zu einer auf Gesittung, Nationalsinn und +friedliche Schlagfertigkeit gegruendeten Eidgenossenschaft. Indes die Bluete +und namentlich die Wehrhaftigkeit derselben war trotz der aeusserlichen +Erweiterung geknickt worden durch Aratos’ diplomatischen Egoismus, +welcher den Achaeischen Bund durch die leidigen Verwicklungen mit Sparta und +die noch leidigere Anrufung makedonischer Intervention im Peloponnes der +makedonischen Suprematie so vollstaendig unterworfen hatte, dass die +Hauptfestungen der Landschaft seitdem makedonische Besatzungen empfingen und +dort jaehrlich Philippos der Eid der Treue geschworen wurde. Die schwaecheren +Staaten im Peloponnes, Elis, Messene und Sparta, wurden durch ihre alte, +namentlich durch Grenzstreitigkeiten genaehrte Verfeindung mit der achaeischen +Eidgenossenschaft in ihrer Politik bestimmt und waren aetolisch und +antimakedonisch gesinnt, weil die Achaeer es mit Philippos hielten. Einige +Bedeutung unter diesen Staaten hatte einzig das spartanische Soldatenkoenigtum, +das nach dem Tode des Machanidas an einen gewissen Nabis gekommen war; er +stuetzte sich immer dreister auf die Vagabunden und fahrenden Soeldner, denen +er nicht bloss die Haeuser und Aecker, sondern auch die Frauen und Kinder der +Buerger ueberwies, und unterhielt emsig Verbindungen, ja schloss geradezu eine +Assoziation zum Seeraub auf gemeinschaftliche Rechnung mit der grossen +Soeldner- und Piratenherberge, der Insel Kreta, wo er auch einige Ortschaften +besass. Seine Raubzuege zu Lande wie seine Piratenschiffe am Vorgebirge Malea +waren weit und breit gefuerchtet, er selbst als niedrig und grausam verhasst; +aber seine Herrschaft breitete sich aus, und um die Zeit der Schlacht bei Zama +war es ihm sogar gelungen, sich in den Besitz von Messene zu setzen. +</p> + +<p> +Endlich die unabhaengigste Stellung unter den Mittelstaaten hatten die freien +griechischen Kaufstaedte an dem europaeischen Ufer der Propontis sowie auf der +ganzen kleinasiatischen Kueste und auf den Inseln des Aegaeischen Meeres; sie +sind zugleich die lichteste Seite in dieser trueben Mannigfaltigkeit des +hellenischen Staatensystems, namentlich drei unter ihnen, die seit Alexanders +Tode wieder volle Freiheit genossen und durch ihren taetigen Seehandel auch zu +einer achtbaren politischen Macht und selbst zu bedeutendem Landgebiet gelangt +waren: Byzantion, die Herrin des Bosporos, reich und maechtig durch die +Sundzoelle und den wichtigen Kornhandel nach dem Schwarzen Meer; Kyzikos an der +asiatischen Propontis, die Tochterstadt und die Erbin Milets, in engsten +Beziehungen zu dem Hofe von Pergamon, und endlich und vor allen Rhodos. Die +Rhodier, die gleich nach Alexanders Tode die makedonische Besatzung vertrieben +hatten, waren durch ihre glueckliche Lage fuer Handel und Schiffahrt Vermittler +des Verkehrs in dem ganzen oestlichen Mittelmeer geworden und die tuechtige +Flotte wie der in der beruehmten Belagerung von 450 (304) bewaehrte Mut der +Buerger setzten sie in den Stand, in jener Zeit ewiger Fehden aller gegen alle +vorsichtig und energisch eine neutrale Handelspolitik zu vertreten und wenn es +galt zu verfechten; wie sie denn zum Beispiel die Byzantier mit den Waffen +zwangen, den rhodischen Schiffen Zollfreiheit im Bosporos zu gestatten, und +ebensowenig den pergamenischen Dynasten das Schwarze Meer zu sperren erlaubten. +Vom Landkrieg hielten sie sich dagegen womoeglich fern, obwohl sie an der +gegenueberliegenden karischen Kueste nicht unbetraechtliche Besitzungen +erworben hatten, und fuehrten ihn, wenn es nicht anders sein konnte, mit +Soeldnern. Nach allen Seiten hin, mit Syrakus, Makedonien und Syrien, vor allem +aber mit Aegypten standen sie in freundschaftlichen Beziehungen und genossen +hoher Achtung bei den Hoefen, so dass nicht selten in den Kriegen der +Grossstaaten ihre Vermittlung angerufen ward. Ganz besonders aber nahmen sie +sich der griechischen Seestaedte an, deren es an den Gestaden des Pontischen, +Bithynischen und Pergamenischen Reiches wie auf den von Aegypten den Seleukiden +entrissenen kleinasiatischen Kuesten und Inseln unzaehlige gab, wie zum +Beispiel Sinope, Herakleia Pontike, Kios, Lampsakos, Abydos, Mytilene, Chios, +Smyrna, Samos, Halikarnassos und andere mehr. Alle diese waren im wesentlichen +frei und hatten mit ihren Grundherren nichts zu schaffen, als die Bestaetigung +ihrer Privilegien von ihnen zu erbitten und hoechstens ihnen einen maessigen +Zins zu entrichten; gegen etwaige Uebergriffe der Dynasten wusste man bald +schmiegsam, bald energisch sich zu wehren. Hauptsaechlich hilfreich hierbei +waren die Rhodier, welche zum Beispiel Sinope gegen Mithradates von Pontos +nachdruecklich unterstuetzten. Wie fest sich unter dem Hader und eben durch die +Zwiste der Monarchen die Freiheiten dieser kleinasiatischen Staedte gegruendet +hatten, beweist zum Beispiel, dass einige Jahre nachher zwischen Antiochos und +den Roemern nicht ueber die Freiheit der Staedte selbst gestritten ward, +sondern darueber, ob sie die Bestaetigung ihrer Freibriefe vom Koenig +nachzusuchen haetten oder nicht. Dieser Staedtebund war wie in allem so auch in +dieser eigentuemlichen Stellung zu den Landesherren eine foermliche Hansa, sein +Haupt Rhodos, das in Vertraegen fuer sich und seine Bundesgenossen verhandelte +und stipulierte. Hier ward die staedtische Freiheit gegen die monarchischen +Interessen vertreten, und waehrend um die Mauern herum die Kriege tobten, blieb +hier in verhaeltnismaessiger Ruhe Buergersinn und buergerlicher Wohlstand +heimisch, und es gediehen hier Kunst und Wissenschaft, ohne durch wueste +Soldatenwirtschaft zertreten oder von der Hofluft korrumpiert zu werden. +</p> + +<p> +Also standen die Dinge im Osten, als die politische Scheidewand zwischen dem +Orient und dem Okzident fiel und die oestlichen Maechte, zunaechst Philippos +von Makedonien, veranlasst wurden, in die Verhaeltnisse des Westens +einzugreifen. Wie es geschah und wie der Erste Makedonische Krieg (540-549 +214-205) verlief, ist zum Teil schon erzaehlt und angedeutet worden, was +Philippos im Hannibalischen Kriege haette tun koennen und wie wenig von dem +geschah, was Hannibal hatte erwarten und berechnen duerfen. Es hatte wieder +einmal sich gezeigt, dass unter allen Wuerfelspielen keines verderblicher ist +als die absolute Erbmonarchie. Philippos war nicht der Mann, dessen Makedonien +damals bedurfte; indes eine unbedeutende Natur war er nicht. Er war ein rechter +Koenig, in dem besten und dem schlimmsten Sinne des Wortes. Das lebhafte +Gefuehl, selbst und allein zu herrschen, war der Grundzug seines Wesens; er war +stolz auf seinen Purpur, aber nicht bloss auf ihn, und er durfte stolz sein. Er +bewies nicht allein die Tapferkeit des Soldaten und den Blick des Feldherrn, +sondern auch einen hohen Sinn in der Leitung der oeffentlichen Angelegenheiten, +wo immer sein makedonisches Ehrgefuehl verletzt ward. Voll Verstand und Witz +gewann er, wen er gewinnen wollte, vor allem eben die faehigsten und +gebildetsten Maenner, so zum Beispiel Flamininus und Scipio; er war ein guter +Gesell beim Becher und den Frauen nicht bloss durch seinen Rang gefaehrlich. +Allein er war zugleich eine der uebermuetigsten und frevelhaftesten Naturen, +die jenes freche Zeitalter erzeugt hat. Er pflegte zu sagen, dass er niemand +fuerchte als die Goetter; aber es schien fast, als seien diese Goetter +dieselben, denen sein Flottenfuehrer Dikaearchos regelmaessige Opfer +darbrachte, die Gottlosigkeit (Asebeia) und der Frevel (Paranomia). Weder das +Leben seiner Ratgeber und der Beguenstiger seiner Plaene war ihm heilig, noch +verschmaehte er es, seine Erbitterung gegen die Athener und Attalos durch +Zerstoerung ehrwuerdiger Denkmaeler und namhafter Kunstwerke zu befriedigen; es +wird als Staatsmaxime von ihm angefuehrt, dass, wer den Vater ermorden lasse, +auch die Soehne toeten muesse. Es mag sein, dass ihm nicht eigentlich die +Grausamkeit eine Wollust war; allein fremdes Leben und Leiden war ihm +gleichgueltig, und die Inkonsequenz, die den Menschen allein ertraeglich macht, +fand nicht Raum in seinem starren und harten Herzen. Er hat den Satz, dass fuer +den absoluten Koenig kein Versprechen und kein Moralgebot bindend sei, so +schroff und grell zur Schau getragen, dass er eben dadurch seinen Plaenen die +wesentlichsten Hindernisse in den Weg legte. Einsicht und Entschlossenheit kann +niemand ihm absprechen; aber es ist damit in seltsamer Weise Zauderei und +Fahrigkeit vereinigt; was vielleicht zum Teil dadurch sich erklaert, dass er +schon im achtzehnten Jahr zum absoluten Herrscher berufen ward und dass sein +unbaendiges Wueten gegen jeden, der durch Widerreden und Widerraten ihn in +seinem Selbstregieren stoerte, alle selbstaendigen Ratgeber von ihm +verscheuchte. Was alles in seiner Seele mitgewirkt haben mag, um die schwache +und schmaehliche Fuehrung des Ersten Makedonischen Krieges hervorzurufen, +laesst sich nicht sagen - vielleicht jene Laessigkeit der Hoffart, die erst +gegen die nahegerueckte Gefahr ihre volle Kraft entwickelt, vielleicht selbst +Gleichgueltigkeit gegen den nicht von ihm entworfenen Plan und Eifersucht auf +Hannibals ihn beschaemende Groesse. Gewiss ist, dass sein spaeteres Benehmen +nicht den Philippos wiedererkennen laesst, an dessen Saumseligkeit Hannibals +Plan scheiterte. +</p> + +<p> +Philippos schloss den Vertrag mit den Aetolern und den Roemern 548/49 (206/05) +in der ernsten Absicht, mit Rom einen dauernden Frieden zu machen und sich +kuenftig ausschliesslich den Angelegenheiten des Ostens zu widmen. Es leidet +keinen Zweifel, dass er Karthagos rasche Ueberwaeltigung ungern sah; es kann +auch sein, dass Hannibal auf eine zweite makedonische Kriegserklaerung hoffte +und dass Philippos im stillen das letzte karthagische Heer mit Soeldnern +verstaerkte. Allein sowohl die weitschichtigen Dinge, in die er mittlerweile im +Osten sich einliess, als auch die Art der Unterstuetzung und besonders das +voellige Stillschweigen der Roemer ueber diesen Friedensbruch, da sie doch nach +Kriegsgruenden suchten, setzen es ausser Zweifel, dass Philippos keineswegs im +Jahre 551 (203) nachholen wollte, was er zehn Jahre zuvor haette tun sollen. +</p> + +<p> +Er hatte sein Auge nach einer ganz anderen Seite gewendet. Ptolemaeos +Philopator von Aegypten war 549 (205) gestorben. Gegen seinen Nachfolger +Ptolemaeos Epiphanes, ein fuenfjaehriges Kind, hatten die Koenige von +Makedonien und Asien Philippos und Antiochos sich vereinigt, um den alten Groll +der Kontinentalmonarchien gegen den Seestaat gruendlich zu saettigen. Der +aegyptische Staat sollte aufgeloest werden, Aegypten und Kypros an Antiochos, +Kyrene, Ionien und die Kykladen an Philippos fallen. Recht in Philippos’ +Art, der ueber solche Ruecksichten lachte, begannen die Koenige den Krieg, +nicht bloss ohne Ursache, sondern selbst ohne Vorwand, “eben wie die +grossen Fische die kleinen auffressen”. Die Verbuendeten hatten uebrigens +richtig gerechnet, besonders Philippos. Aegypten hatte genug zu tun, sich des +naeheren Feindes in Syrien zu erwehren, und musste die kleinasiatischen +Besitzungen und die Kykladen unverteidigt preisgeben, als Philippos auf diese +als auf seinen Anteil an der Beute sich warf. In dem Jahr, wo Karthago mit Rom +den Frieden abschloss (553 201), liess derselbe eine von den ihm untertaenigen +Staedten ausgeruestete Flotte Truppen an Bord nehmen und an der thrakischen +Kueste hinauf segeln. Hier ward Lysimacheia der aetolischen Besatzung +entrissen, und Perinthos, das zu Byzanz im Klientelverhaeltnis stand, +gleichfalls besetzt. So war mit den Byzantiern der Friede gebrochen, mit den +Aetolern, die soeben mit Philippos Frieden gemacht, wenigstens das gute +Einvernehmen gestoert. Die Ueberfahrt nach Asien stiess auf keine +Schwierigkeiten, da Koenig Prusias von Bithynien mit Makedonien im Bunde war; +zur Vergeltung half Philippos ihm die griechischen Kaufstaedte in seinem Gebiet +bezwingen. Kalchedon unterwarf sich. Kios, das widerstand, wurde erstuermt und +dem Boden gleich, ja die Einwohner zu Sklaven gemacht - eine zwecklose +Barbarei, ueber die Prusias selbst, der die Stadt unbeschaedigt zu besitzen +wuenschte, verdriesslich war und die die ganze hellenische Welt aufs tiefste +erbitterte. Besonders verletzt noch waren abermals die Aetoler, deren Strateg +in Kios kommandiert hatte, und die Rhodier, deren Vermittlungsversuche von dem +Koenig schnoede und arglistig vereitelt worden waren. Aber waere auch dies +nicht gewesen, es standen die Interessen aller griechischen Kaufstaedte auf dem +Spiel. Unmoeglich konnte man zugeben, dass die milde und fast nur nominelle +aegyptische Herrschaft verdraengt ward durch das makedonische Zwingherrentum, +mit dem die staedtische Selbstregierung und der freie Handelsverkehr sich +nimmermehr vertrug; und die furchtbare Behandlung der Kianer zeigte, dass es +hier sich nicht um das Bestaetigungsrecht der staedtischen Freibriefe handelte, +sondern um Tod und Leben fuer einen und fuer alle. Schon war Lampsakos gefallen +und Thasos behandelt worden wie Kios; man musste sich eilen. Der wackere +Strateg von Rhodos, Theophiliskos, ermahnte seine Buerger der gemeinsamen +Gefahr durch gemeinsame Abwehr zu begegnen und nicht geschehen zu lassen, dass +die Staedte und Inseln einzeln dem Feinde zur Beute wuerden. Rhodos entschloss +sich und erklaerte Philippos den Krieg. Byzanz schloss sich an; ebenso der +hochbejahrte Koenig Attalos von Pergamon, Philippos’ persoenlicher und +politischer Feind. Waehrend die Flotte der Verbuendeten sich an der aeolischen +Kueste sammelte, liess Philippos durch einen Teil der seinigen Chios und Samos +wegnehmen. Mit dem anderen erschien er selbst vor Pergamon, das er indes +vergeblich berannte; er musste sich begnuegen, das platte Land zu durchstreifen +und an den weit und breit zerstoerten Tempeln die Spuren makedonischer +Tapferkeit zurueckzulassen. Ploetzlich brach er auf und ging wieder zu Schiff, +um sich mit seinem Geschwader, das bei Samos stand, zu vereinigen. Allein die +rhodisch-pergamenische Flotte folgte ihm und zwang ihn zur Schlacht in der +Meerenge von Chios. Die Zahl der makedonischen Deckschiffe war geringer, allein +die Menge ihrer offenen Kaehne glich dies wieder aus und Philippos’ +Soldaten fochten mit grossem Mute; doch unterlag. er endlich. Fast die Haelfte +seiner Deckschiffe, vierundzwanzig Segel, wurden versenkt oder genommen, 6000 +makedonische Matrosen, 3000 Soldaten kamen um, darunter der Admiral Demokrates, +2000 wurden gefangen. Den Bundesgenossen kostete der Sieg nicht mehr als 800 +Mann und sechs Segel. Aber von den Fuehrern der Verbuendeten war Attalos von +seiner Flotte abgeschnitten und gezwungen worden, sein Admiralschiff bei +Erythrae auf den Strand laufen zu lassen; und Theophiliskos von Rhodos, dessen +Buergermut den Krieg und dessen Tapferkeit die Schlacht entschieden hatte, +starb den Tag nach derselben an seinen Wunden. So konnte, waehrend +Attalos’ Flotte in die Heimat ging und die rhodische vorlaeufig bei Chios +blieb, Philippos, der faelschlich sich den Sieg zuschrieb, seine Fahrt weiter +fortsetzen und sich nach Samos wenden, um die karischen Staedte zu besetzen. An +der karischen Kueste lieferten die Rhodier, diesmal von Attalos nicht +unterstuetzt, der makedonischen Flotte unter Herakleides ein zweites Treffen +bei der kleinen Insel Lade vor dem Hafen von Milet. Der Sieg, den wieder beide +Teile sich zuschrieben, scheint hier von den Makedoniern gewonnen zu sein, denn +waehrend die Rhodier nach Myndos und von da nach Kos zurueckwichen, besetzten +jene Milet und ein Geschwader unter dem Aetoler Dikaearchos die Kykladen. +Philippos inzwischen verfolgte auf dem karischen Festland die Eroberung der +rhodischen Besitzungen daselbst und der griechischen Staedte; haette er +Ptolemaeos selbst angreifen wollen und es nicht vorgezogen, sich auf die +Gewinnung seines Beuteanteils zu beschraenken, so wuerde er jetzt selbst an +einen Zug nach Aegypten haben denken koennen. In Karien stand zwar kein Heer +den Makedoniern gegenueber, und Philippos durchzog ungehindert die Gegend von +Magnesia bis Mylasa; aber jede Stadt in dieser Landschaft war eine Festung, und +der Belagerungskrieg zog sich in die Laenge, ohne erhebliche Resultate zu geben +oder zu versprechen. Der Satrap von Lydien, Zeuxis, unterstuetzte den +Bundesgenossen seines Herren ebenso lau, wie Philippos sich lau in der +Foerderung der Interessen des syrischen Koenigs bewiesen hatte, und die +griechischen Staedte gaben Unterstuetzung nur aus Furcht oder Zwang. Die +Verproviantierung des Heeres ward immer schwieriger; Philippos musste heute den +pluendern, der ihm gestern freiwillig gegeben hatte, und dann wieder gegen +seine Natur sich bequemen zu bitten. So ging allmaehlich die gute Jahreszeit zu +Ende, und in der Zwischenzeit hatten die Rhodier ihre Flotte verstaerkt und +auch die des Attalos wieder an sich gezogen, so dass sie zur See entschieden +ueberlegen waren. Es schien fast, als koennten sie dem Koenig den Rueckzug +abschneiden und ihn zwingen, Winterquartier in Karien zu nehmen, waehrend doch +die Angelegenheiten daheim, namentlich die drohende Intervention der Aetoler +und der Roemer, seine Rueckkehr dringend erheischten. Philippos sah die Gefahr; +er liess Besatzungen, zusammen bis 3000 Mann, teils in Myrina, um Pergamon in +Schach zu halten, teils in den kleinen Staedten um Mylasa: Iassos, Bargylia, +Euromos, Pedasa, um den trefflichen Hafen und einen Landungsplatz in Karien +sich zu sichern; mit der Flotte gelang es ihm bei der Nachlaessigkeit, mit +welcher die Bundesgenossen das Meer bewachten, gluecklich die thrakische Kueste +zu erreichen und noch vor dem Winter 553/54 (201/00) zu Hause zu sein. +</p> + +<p> +In der Tat zog sich gegen Philipp im Westen ein Gewitter zusammen, welches ihm +nicht laenger gestattete, die Pluenderung des wehrlosen Aegyptens fortzusetzen. +Die Roemer, die in demselben Jahre endlich den Frieden mit Karthago auf ihre +Bedingungen abgeschlossen hatten, fingen an, sich ernstlich um diese +Verwicklungen im Osten zu bekuemmern. Es ist oft gesagt worden, dass sie nach +der Eroberung des Westens sofort daran gegangen seien, den Osten sich zu +unterwerfen; eine ernstliche Erwaegung wird zu einem gerechteren Urteil +fuehren. Nur die stumpfe Unbilligkeit kann es verkennen, dass Rom in dieser +Zeit noch keineswegs nach der Herrschaft ueber die Mittelmeerstaaten griff, +sondern nichts weiter begehrte, als in Afrika und in Griechenland +ungefaehrliche Nachbarn zu haben; und eigentlich gefaehrlich fuer Rom war +Makedonien nicht. Seine Macht war allerdings nicht gering und es ist +augenscheinlich, dass der roemische Senat den Frieden von 548/49 (206/05), der +sie ganz in ihrer Integritaet beliess, nur ungern gewaehrte; allein wie wenig +man ernstliche Besorgnisse vor Makedonien in Rom hegte und hegen durfte, +beweist am besten die geringe und doch nie gegen Uebermacht zu fechten +genoetigte Truppenzahl, mit welcher Rom den naechsten Krieg gefuehrt hat. Der +Senat haette wohl eine Demuetigung Makedoniens gern gesehen; allein um den +Preis eines in Makedonien mit roemischen Truppen gefuehrten Landkrieges war sie +ihm zu teuer, und darum machte er nach dem Ruecktritt der Aetoler sofort +freiwillig Frieden auf Grundlage des Status quo. Es ist darum auch nichts +weniger als ausgemacht, dass die roemische Regierung diesen Frieden in der +bestimmten Absicht schloss, den Krieg bei gelegenerer Zeit wieder zu beginnen, +und sehr gewiss, dass augenblicklich bei der gruendlichen Erschoepfung des +Staats und der aeussersten Unlust der Buergerschaft auf einen zweiten +ueberseeischen Krieg sich einzulassen, der Makedonische Krieg den Roemern in +hohem Grade unbequem kam. Aber jetzt war er unvermeidlich. Den makedonischen +Staat, wie er im Jahre 549 (205) war, konnte man sich als Nachbar gefallen +lassen; allein unmoeglich durfte man gestatten, dass derselbe den besten Teil +des kleinasiatischen Griechenlands und das wichtige Kyrene hinzuerwarb, die +neutralen Handelsstaaten erdrueckte und damit seine Macht verdoppelte. Es kam +hinzu, dass der Sturz Aegyptens, die Demuetigung, vielleicht die +Ueberwaeltigung von Rhodos auch dem sizilischen und italischen Handel tiefe +Wunden geschlagen haben wuerden; und konnte man ueberhaupt ruhig zusehen, wie +der italische Verkehr mit dem Osten von den beiden grossen Kontinentalmaechten +abhaengig ward? Gegen Attalos, den treuen Bundesgenossen aus dem Ersten +Makedonischen Krieg, hatte Rom ueberdies die Ehrenpflicht zu wahren und zu +hindern, dass Philippos, der ihn schon in seiner Hauptstadt belagert hatte, ihn +nicht von Land und Leuten vertrieb. Endlich war der Anspruch Roms, den +schuetzenden Arm ueber alle Hellenen auszustrecken, keineswegs bloss Phrase; +die Neapolitaner, Rheginer, Massalioten und Emporiten konnten bezeugen, dass +dieser Schutz sehr ernst gemeint war, und gar keine Frage ist es, dass in +dieser Zeit die Roemer den Griechen naeher standen als jede andere Nation und +wenig ferner als die hellenisierten Makedonier. Es ist seltsam, den Roemern das +Recht zu bestreiten, ueber die frevelhafte Behandlung der Kianer und Thasier in +ihren menschlichen wie in ihren hellenischen Sympathien sich empoert zu +fuehlen. So vereinigten sich in der Tat alle politischen, kommerziellen und +sittlichen Motive, um Rom zu dem zweiten Kriege gegen Philippos zu bestimmen, +einem der gerechtesten, die die Stadt je gefuehrt hat. Es gereicht dem Senat +zur hohen Ehre, dass er sofort sich entschloss und sich weder durch die +Erschoepfung des Staates noch durch die Impopularitaet einer solchen +Kriegserklaerung abhalten liess, seine Anstalten zu treffen - schon 553 (201) +erschien der Propraetor Marcus Valerius Laevinus mit der sizilischen Flotte von +38 Segeln in der oestlichen See. Indes war die Regierung in Verlegenheit, einen +ostensibeln Kriegsgrund ausfindig zu machen, dessen sie dem Volk gegenueber +notwendig bedurfte, auch wenn sie nicht ueberhaupt viel zu einsichtig gewesen +waere, um die rechtliche Motivierung des Krieges in Philippos’ Art gering +zu schaetzen. Die Unterstuetzung, die Philippos nach dem Frieden mit Rom den +Karthagern gewaehrt haben sollte, war offenbar nicht erweislich. Die roemischen +Untertanen in der illyrischen Landschaft beschwerten sich zwar schon seit +laengerer Zeit ueber die makedonischen Obergriffe. Schon 551 (203) hatte ein +roemischer Gesandter an der Spitze des illyrischen Aufgebots Philippos’ +Scharen aus dem illyrischen Gebiet hinausgeschlagen und der Senat deswegen den +Gesandten des Koenigs 552 (202) erklaert, wenn er Krieg suche, werde er ihn +frueher finden, als ihm lieb sei. Allein diese Uebergriffe waren eben nichts +als die gewoehnlichen Frevel, wie Philippos sie gegen seine Nachbarn uebte; +eine Verhandlung darueber haette im gegenwaertigen Augenblick zur Demuetigung +und Suehnung, aber nicht zum Kriege gefuehrt. Mit den saemtlichen +kriegfuehrenden Maechten im Osten stand die roemische Gemeinde dem Namen nach +in Freundschaft und haette ihnen Beistand gegen den Angriff gewaehren koennen. +Allein Rhodos und Pergamon, die begreiflicherweise nicht saeumten, die +roemische Hilfe zu erbitten, waren formell die Angreifer, und Aegypten, wenn +auch alexandrinische Gesandte den roemischen Senat ersuchten, die Vormundschaft +ueber das koenigliche Kind zu uebernehmen, scheint doch auch nicht eben sich +beeilt zu haben, durch Anrufung unmittelbarer roemischer Intervention zwar die +augenblickliche Bedraengnis zu beendigen, aber zugleich der grossen westlichen +Macht das Ostmeer zu oeffnen. Vor allen Dingen aber haette die Hilfe fuer +Aegypten zunaechst in Syrien geleistet werden muessen und wuerde Rom in einen +Krieg mit Asien und Makedonien zugleich verwickelt haben, was man natuerlich um +so mehr zu vermeiden wuenschte, als man fest entschlossen war, wenigstens in +die asiatischen Angelegenheiten sich nicht zu mischen. Es blieb nichts uebrig, +als vorlaeufig eine Gesandtschaft nach dem Osten abzuordnen, um teils von +Aegypten zu erlangen, was den Umstaenden nach nicht schwer war, dass es die +Einmischung der Roemer in die griechischen Angelegenheiten geschehen liess, +teils den Koenig Antiochos zu beschwichtigen, indem man ihm Syrien preisgab, +teils endlich den Bruch mit Philippos moeglichst zu beschleunigen und die +Koalition der griechisch-asiatischen Kleinstaaten gegen ihn zu foerdern (Ende +553 201). In Alexandreia erreichte man ohne Muehe, was man wuenschte; der Hof +hatte keine Wahl und musste dankbar den Marcus Aemilius Lepidus aufnehmen, den +der Senat abgesandt hatte, um als “Vormund des Koenigs” dessen +Interessen zu vertreten, soweit dies ohne eigentliche Intervention moeglich +war. Antiochos loeste zwar seinen Bund mit Philipp nicht auf und gab den +Roemern nicht die bestimmten Erklaerungen, welche sie wuenschten; uebrigens +aber, sei es aus Schlaffheit, sei es bestimmt durch die Erklaerung der Roemer, +in Syrien nicht intervenieren zu wollen, verfolgte er seine Plaene daselbst und +liess die Dinge in Griechenland und Kleinasien gehen. +</p> + +<p> +Darueber war das Fruehjahr 554 (200) herangekommen, und der Krieg hatte aufs +neue begonnen. Philippos warf sich zunaechst wieder auf Thrakien, wo er die +saemtlichen Kuestenplaetze, namentlich Maroneia, Aenos, Elaeos, Sestos +besetzte; er wollte seine europaeischen Besitzungen vor einer roemischen +Landung gesichert wissen. Alsdann griff er an der asiatischen Kueste Abydos an, +an dessen Gewinn ihm gelegen sein musste, da er durch den Besitz von Sestos und +Abydos mit seinem Bundesgenossen Antiochos in festere Verbindung kam und nicht +mehr zu fuerchten brauchte, dass die Flotte der Bundesgenossen ihm den Weg nach +oder aus Kleinasien sperre. Diese beherrschte das Aegaeische Meer, nachdem das +schwaechere makedonische Geschwader sich zurueckgezogen hatte; Philippos +beschraenkte zur See sich darauf, auf dreien der Kykladen, Andros, Kythnos und +Paros, Besatzungen zu unterhalten und Kaperschiffe auszuruesten. Die Rhodier +gingen nach Chios und von da nach Tenedos, wo Attalos, der den Winter ueber bei +Aegina gestanden und mit den Deklamationen der Athener sich die Zeit vertrieben +hatte, mit seinem Geschwader zu ihnen stiess. Es waere wohl moeglich gewesen, +den Abydenern, die sich heldenmuetig verteidigten, zu Hilfe zu kommen; allein +die Verbuendeten ruehrten sich nicht, und so ergab sich endlich die Stadt, +nachdem fast alle Waffenfaehigen im Kampf vor den Mauern und nach der +Kapitulation ein grosser Teil der Einwohner durch eigene Hand gefallen waren, +der Gnade des Siegers; sie bestand darin, dass den Abydenern drei Tage Frist +gegeben wurden, um freiwillig zu sterben. Hier im Lager von Abydos traf die +roemische Gesandtschaft, die nach Beendigung ihrer Geschaefte in Syrien und +Aegypten die griechischen Kleinstaaten besucht und bearbeitet hatte, mit dem +Koenig zusammen und entledigte sich ihrer vom Senat erhaltenen Auftraege: der +Koenig solle gegen keinen griechischen Staat einen Angriffskrieg fuehren, die +dem Ptolemaeos entrissenen Besitzungen zurueckgeben und wegen der den +Pergamenern und Rhodiern zugefuegten Schaedigung sich ein Schiedsgericht +gefallen lassen. Die Absicht des Senats, den Koenig zur foermlichen +Kriegserklaerung zu reizen, ward nicht erreicht; der roemische Gesandte Marcus +Aemilius erhielt vom Koenig nichts als die feine Antwort, dass er dem jungen +schoenen roemischen Mann wegen dieser seiner drei Eigenschaften das Gesagte +zugute halten wolle. +</p> + +<p> +Indes war mittlerweile die von Rom gewuenschte Veranlassung von einer anderen +Seite her gekommen. Die Athener hatten in ihrer albernen und grausamen +Eitelkeit zwei unglueckliche Akarnanen hinrichten lassen, weil dieselben sich +zufaellig in ihre Mysterien verirrt hatten. Als die Akarnanen in begreiflicher +Erbitterung von Philippos begehrten, dass er ihnen Genugtuung verschaffe, +konnte dieser das gerechte Begehren seiner treuesten Bundesgenossen nicht +weigern und gestattete ihnen, in Makedonien Mannschaft auszuheben und damit und +mit ihren eigenen Leuten ohne foermliche Kriegserklaerung in Attika +einzufallen. Zwar war dies nicht bloss kein eigentlicher Krieg, sondern es +liess auch der Fuehrer der makedonischen Schar, Nikanor, auf die drohenden +Worte der gerade in Athen anwesenden roemischen Gesandten sofort seine Truppen +den Rueckmarsch antreten (Ende 553 201). Aber es war zu spaet. Eine athenische +Gesandtschaft ging nach Rom, um ueber den Angriff Philipps auf einen alten +Bundesgenossen Roms zu berichten, und aus der Art, wie der Senat sie empfing, +sah Philippos deutlich, was ihm bevorstand; weshalb er zunaechst, gleich im +Fruehling 554 (200) seinen Oberbefehlshaber in Griechenland, Philokles, anwies, +das attische Gebiet zu verwuesten und die Stadt moeglichst zu bedraengen. +</p> + +<p> +Der Senat hatte jetzt, was er bedurfte, und konnte im Sommer 554 (200) die +Kriegserklaerung “wegen Angriffs auf einen mit Rom verbuendeten +Staat” vor die Volksversammlung bringen. Sie wurde das erstemal fast +einstimmig verworfen; toerichte oder tueckische Volkstribunen querulierten +ueber den Rat, der den Buergern keine Ruhe goennen wolle; aber der Krieg war +einmal notwendig und genau genommen schon begonnen, so dass der Senat +unmoeglich zuruecktreten konnte. Die Buergerschaft ward durch Vorstellungen und +Konzessionen zum Nachgeben bewogen. Es ist bemerkenswert, dass diese +Konzessionen wesentlich auf Kosten der Bundesgenossen erfolgten. Aus ihren im +aktiven Dienst befindlichen Kontingenten wurden - ganz entgegen den sonstigen +roemischen Maximen - die Besatzungen von Gallien, Unteritalien, Sizilien und +Sardinien, zusammen 20000 Mann, ausschliesslich genommen, die saemtlichen vom +Hannibalischen Krieg her unter Waffen stehenden Buergertruppen aber entlassen; +nur Freiwillige sollten daraus zum Makedonischen Krieg aufgeboten werden +duerfen, welches denn freilich, wie sich nachher fand, meistens gezwungene +Freiwillige waren - es rief dies spaeter im Herbst 555 (199) einen bedenklichen +Militaeraufstand im Lager von Apollonia hervor. Aus neu einberufenen Leuten +wurden sechs Legionen gebildet, von denen je zwei in Rom und in Etrurien +blieben und nur zwei in Brundisium nach Makedonien eingeschifft wurden, +gefuehrt von dem Konsul Publius Sulpicius Galba. +</p> + +<p> +So hatte sich wieder einmal recht deutlich gezeigt, dass fuer die weitlaeufigen +und schwierigen Verhaeltnisse, in welche Rom durch seine Siege gebracht war, +die souveraenen Buergerversammlungen mit ihren kurzsichtigen und vom Zufall +abhaengigen Beschluessen schlechterdings nicht mehr passten und dass deren +verkehrtes Eingreifen in die Staatsmaschine zu gefaehrlichen Modifikationen der +militaerisch notwendigen Massregeln und zu noch gefaehrlicherer Zuruecksetzung +der latinischen Bundesgenossen fuehrte. +</p> + +<p> +Philippos’ Lage war sehr uebel. Die oestlichen Staaten, die gegen jede +Einmischung Roms haetten zusammenstehen muessen und unter anderen Umstaenden +auch vielleicht zusammengestanden waeren, waren hauptsaechlich durch seine +Schuld so untereinander verhetzt, dass sie die roemische Invasion entweder +nicht zu hindern oder sogar zu foerdern geneigt waren. Asien, Philipps +natuerlicher und wichtiger Bundesgenosse, war von ihm vernachlaessigt worden +und ueberdies zunaechst durch die Verwicklung mit Aegypten und den syrischen +Krieg an taetigem Eingreifen gehindert. Aegypten hatte ein dringendes Interesse +daran, dass die roemische Flotte dem Ostmeer fern blieb; selbst jetzt noch gab +eine aegyptische Gesandtschaft in Rom sehr deutlich zu verstehen, wie bereit +der alexandrinische Hof sei, den Roemern die Muehe abzunehmen, in Attika zu +intervenieren. Allein der zwischen Asien und Makedonien abgeschlossene +Teilungsvertrag ueber Aegypten warf diesen wichtigen Staat geradezu den Roemern +in die Arme und erzwang die Erklaerung des Kabinetts von Alexandreia, dass es +in die Angelegenheiten des europaeischen Griechenlands sich nur mit +Einwilligung der Roemer mischen werde. Aehnlich, aber noch bedraengter gestellt +waren die griechischen Handelsstaedte, an ihrer Spitze Rhodos, Pergamon, +Byzanz; sie haetten unter anderen Umstaenden ohne Zweifel das Ihrige getan, um +den Roemern das Ostmeer zu verschliessen, aber Philippos’ grausame und +vernichtende Eroberungspolitik hatte sie zu einem ungleichen Kampf gezwungen, +in den sie ihrer Selbsterhaltung wegen alles anwenden mussten, die italische +Grossmacht zu verwickeln. Im eigentlichen Griechenland fanden die roemischen +Gesandten, die dort eine zweite Ligue gegen Philippos zu stiften beauftragt +waren, gleichfalls vom Feinde wesentlich vorgearbeitet. Von der +antimakedonischen Partei, den Spartanern, Eleern, Athenern und Aetolern, haette +Philippos die letzten vielleicht zu gewinnen vermocht, da der Friede von 548 +(206) in ihren Freundschaftsbund mit Rom einen tiefen und keineswegs +aufgeheilten Riss gemacht hatte; allein abgesehen von den alten Differenzen, +die wegen der von Makedonien der aetolischen Eidgenossenschaft entzogenen +thessalischen Staedte Echinos, Larissa Kremaste, Pharsalos und des +phthiotischen Thebae zwischen den beiden Staaten bestanden, hatte die +Vertreibung der aetolischen Besatzungen aus Lysimacheia und Kios bei den +Aetolern neue Erbitterung gegen Philippos hervorgerufen. Wenn sie zauderten, +sich der Ligue gegen ihn anzuschliessen, so lag der Grund wohl hauptsaechlich +in der fortwirkenden Verstimmung zwischen ihnen und den Roemern. +</p> + +<p> +Bedenklicher noch war es, dass selbst unter den fest an das makedonische +Interesse geknuepften griechischen Staaten, den Epeiroten, Akarnanen, Boeotern +und Achaeern, nur die Akarnanen und Boeoter unerschuettert zu Philippos +standen. Mit den Epeiroten verhandelten die roemischen Gesandten nicht ohne +Erfolg und namentlich der Koenig der Athamanen, Amynander, schloss an Rom sich +fest an. Sogar von den Achaeern hatte Philippos durch die Ermordung des Aratos +teils viele verletzt, teils ueberhaupt einer freieren Entwicklung der +Eidgenossenschaft wieder Raum gegeben; sie hatte unter Philopoemens (502-571 +252-183, Strateg zuerst 546 208) Leitung ihr Heerwesen regeneriert, in +gluecklichen Kaempfen gegen Sparta das Zutrauen zu sich selber wiedergefunden +und folgte nicht mehr, wie zu Aratos’ Zeit, blind der makedonischen +Politik. Einzig in ganz Hellas sah die achaeische Eidgenossenschaft, die von +Philippos’ Vergroesserungssucht weder Nutzen noch zunaechst Nachteil zu +erwarten hatte, diesen Krieg vom unparteiischen und nationalhellenischen +Gesichtspunkte an; sie begriff, was zu begreifen nicht schwer war, dass die +hellenische Nation damit den Roemern selber sich auslieferte, sogar ehe diese +es wuenschten und begehrten, und versuchte darum, zwischen Philippos und den +Rhodiern zu vermitteln; allein es war zu spaet. Der nationale Patriotismus, der +einst den Bundesgenossenkrieg beendigt und der. ersten Krieg zwischen +Makedonien und Rom wesentlich mit herbeigefuehrt hatte, war erloschen; die +achaeische Vermittlung blieb ohne Erfolg, und vergeblich bereiste Philippos die +Staedte und Inseln, um die Nation wieder zu entflammen - es war das die Nemesis +fuer Kios und Abydos. Die Achaeer, da sie nicht aendern konnten und nicht +helfen mochten, blieben neutral. +</p> + +<p> +Im Herbst des Jahres 554 (200) landete der Konsul Publius Sulpicius Galba mit +seinen beiden Legionen und 1000 numidischen Reitern, ja sogar mit Elefanten, +die aus der karthagischen Beute herruehrten, bei Apollonia; auf welche +Nachricht der Koenig eilig vom Hellespont nach Thessalien zurueckkehrte. Indes +teils die schon weit vorgerueckte Jahreszeit, teils die Erkrankung des +roemischen Feldherrn bewirkten, dass zu Lande dies Jahr nichts weiter +vorgenommen ward als eine starke Rekognoszierung, bei der die naechstliegenden +Ortschaften, namentlich die makedonische Kolonie Antipatreia, von den Roemern +besetzt wurden. Fuer das naechste Jahr ward mit den noerdlichen Barbaren, +namentlich mit Pleuratos, dem damaligen Herrn von Skodra, und dem +Dardanerfuersten Bato, die selbstverstaendlich eilten, die gute Gelegenheit zu +nutzen, ein gemeinschaftlicher Angriff auf Makedonien verabredet. +</p> + +<p> +Wichtiger waren die Unternehmungen der roemischen Flotte, die 100 Deck- und 80 +leichte Schiffe zaehlte. Waehrend die uebrigen Schiffe bei Kerkyra fuer den +Winter Station nahmen, ging eine Abteilung unter Gaius Claudius Cento nach dem +Peiraeeus, um den bedraengten Athenern Beistand zu leisten. Da Cento indes die +attische Landschaft gegen die Streifereien der korinthischen Besatzung und die +makedonischen Korsaren schon hinreichend gedeckt fand, segelte er weiter und +erschien ploetzlich vor Chalkis auf Euboea, dem Hauptwaffenplatz Philipps in +Griechenland, wo die Magazine, die Waffenvorraete und die Gefangenen aufbewahrt +wurden und der Kommandant Sopater nichts weniger als einen roemischen Angriff +erwartete. Die unverteidigte Mauer ward erstiegen, die Besatzung niedergemacht, +die Gefangenen befreit und die Vorraete verbrannt; leider fehlte es an Truppen, +um die wichtige Position zu halten. Auf die Kunde von diesem ueberfall brach +Philippos in ungestuemer Erbitterung sofort von Demetrias in Thessalien auf +nach Chalkis, und da er hier nichts von dem Feind mehr fand als die +Brandstaette, weiter nach Athen, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Allein +die Ueberrumpelung misslang und auch der Sturm war vergeblich, so sehr der +Koenig sein Leben preisgab; das Herannahen von Gaius Claudius vom Peiraeeus, +des Attalos von Aegina her zwangen ihn zum Abzug. Philippos verweilte indes +noch einige Zeit in Griechenland; aber politisch und militaerisch waren seine +Erfolge gleich gering. Umsonst versuchte er die Achaeer fuer sich in Waffen zu +bringen; und ebenso vergeblich waren seine Angriffe auf Eleusis und den +Peiraeeus sowie ein zweiter auf Athen selbst. Es blieb ihm nichts uebrig, als +seine begreifliche Erbitterung in unwuerdiger Weise durch Verwuestung der +Landschaft und Zerstoerung, der Baeume des Akademos zu befriedigen und nach dem +Norden zurueckzukehren. So verging der Winter. Mit dem Fruehjahr 555 (199) +brach der Prokonsul Publius Sulpicius aus seinem Winterlager auf, entschlossen, +seine Legionen von Apollonia auf der kuerzesten Linie in das eigentliche +Makedonien zu fuehren. Diesen Hauptangriff von Westen her sollten drei +Nebenangriffe unterstuetzen: in noerdlicher Richtung der Einfall der Dardaner +und Illyrier, in oestlicher ein Angriff der kombinierten Flotte der Roemer und +der Bundesgenossen, die bei Aegina sich sammelte; endlich von Sueden her +sollten die Athamanen vordringen und, wenn es gelang, sie zur Teilnahme am +Kampfe zu bestimmen, zugleich die Aetoler. Nachdem Galba die Berge, die der +Apsos (jetzt Beratinó) durchschneidet, ueberschritten hatte und durch die +fruchtbare dassaretische Ebene gezogen war, gelangte er an die Gebirgskette, +die Illyrien und Makedonien scheidet und betrat, diese uebersteigend, das +eigentliche makedonische Gebiet. Philippos war ihm entgegengegangen; allein in +den ausgedehnten und schwach bevoelkerten Landschaften Makedoniens suchten sich +die Gegner einige Zeit vergeblich, bis sie endlich in der lynkestischen +Provinz, einer fruchtbaren aber sumpfigen Ebene, unweit der nordwestlichen +Landesgrenze aufeinandertrafen und keine 1000 Schritt voneinander die Lager +schlugen. Philippos’ Heer zaehlte, nachdem er das zur Besetzung der +noerdlichen Paesse detachierte Korps an sich gezogen hatte, etwa 20000 Mann zu +Fuss und 2000 Reiter; das roemische war ungefaehr ebenso stark. Indes die +Makedonier hatten den grossen Vorteil, dass sie, in der Heimat fechtend und mit +Weg und Steg bekannt, mit leichter Muehe den Proviant zugefuehrt erhielten, +waehrend sie sich so dicht an die Roemer gelagert hatten, dass diese es nicht +wagen konnten, zu ausgedehnter Fouragierung sich zu zerstreuen. Der Konsul bot +die Schlacht wiederholt an, allein der Koenig versagte sie beharrlich und die +Gefechte zwischen den leichten Truppen, wenn auch die Roemer darin einige +Vorteile erfochten, aenderten in der Hauptsache nichts. Galba war genoetigt, +sein Lager abzubrechen und anderthalb Meilen weiter bei Oktolophos ein anderes +aufzuschlagen, von wo er leichter sich verproviantieren zu koennen meinte. Aber +auch hier wurden die ausgeschickten Abteilungen von den leichten Truppen und +der Reiterei der Makedonier vernichtet; die Legionen mussten zu Hilfe kommen +und trieben dann freilich die makedonische Vorhut, die zu weit vorgegangen war, +mit starkem Verlust in das Lager zurueck, wobei der Koenig selbst das Pferd +verlor und nur durch die hochherzige Hingebung eines seiner Reiter das Leben +rettete. Aus dieser gefaehrlichen Lage befreite die Roemer der bessere Erfolg +der von Galba veranlassten Nebenangriffe der Bundesgenossen oder vielmehr die +Schwaeche der makedonischen Streitkraefte. Obwohl Philippos in seinem Gebiet +moeglichst starke Aushebungen vorgenommen und roemische Ueberlaeufer und andere +Soeldner hinzugeworben hatte, hatte er doch nicht vermocht, ausser den +Besatzungen in Kleinasien und Thrakien, mehr als das Heer, womit er selbst dem +Konsul gegenueberstand, auf die Beine zu bringen, und ueberdies noch, um dieses +zu bilden, die Nordpaesse in der pelagonischen Landschaft entbloessen muessen. +Fuer die Deckung der Ostkueste verliess er sich teils auf die von ihm +angeordnete Verwuestung der Inseln Skiathos und Peparethos, die der feindlichen +Flotte eine Station haetten bieten koennen, teils auf die Besatzung von Thasos +und der Kueste und auf die unter Herakleides bei Demetrias aufgestellte Flotte. +Fuer die Suedgrenze hatte er gar auf die mehr als zweifelhafte Neutralitaet der +Aetoler rechnen muessen. Jetzt traten diese ploetzlich dem Bunde gegen +Makedonien bei und drangen sofort mit den Athamanen vereinigt in Thessalien +ein, waehrend zugleich die Dardaner und Illyrier die noerdlichen Landschaften +ueberschwemmten und die roemische Flotte unter Lucius Apustius, von Kerkyra +aufbrechend, in den oestlichen Gewaessern erschien, wo die Schiffe des Attalos, +der Rhodier und der Istrier sich mit ihr vereinigten. +</p> + +<p> +Philippos gab hiernach freiwillig seine Stellung auf und wich in oestlicher +Richtung zurueck: ob es geschah, um den wahrscheinlich unvermuteten Einfall der +Aetoler zurueckzuschlagen oder um das roemische Heer sich nach und ins +Verderben zu ziehen oder um je nach den Umstaenden das eine oder das andere zu +tun, ist nicht wohl zu entscheiden. Er bewerkstelligte seinen Rueckzug so +geschickt, dass Galba, der den verwegenen Entschluss fasste, ihm zu folgen, +seine Spur verlor und es Philippos moeglich ward, den Engpass, der die +Landschaften Lynkestis und Eordaea scheidet, auf Seitenwegen zu erreichen und +zu besetzen, um die Roemer hier zu erwarten und ihnen einen heissen Empfang zu +bereiten. Es kam an der von ihm gewaehlten Stelle zur Schlacht. Aber die langen +makedonischen Speere erwiesen sich unbrauchbar auf dem waldigen und ungleichen +Terrain; die Makedonier wurden teils umgangen, teils durchbrochen und verloren +viele Leute. Indes wenn auch Philippos’ Heer nach diesem ungluecklichen +Treffen nicht laenger imstande war, den Roemern das weitere Vordringen zu +wehren, so scheuten sich doch diese selber in dem unwegsamen und feindlichen +Land, weiteren unbekannten Gefahren entgegenzuziehen, und kehrten zurueck nach +Apollonia, nachdem sie die fruchtbaren Landschaften Hochmakedoniens Eordaea, +Elimea, Orestis verwuestet und die bedeutendste Stadt von Orestis, Keletron +(jetzt Kastoria auf einer Halbinsel in dem gleichnamigen See), sich ihnen +ergeben hatte - es war die einzige makedonische Stadt, die den Roemern ihre +Tore oeffnete. Im illyrischen Land ward die Stadt der Dassaretier, Pelion, an +den oberen Zufluessen des Apsos, erstuermt und stark besetzt, um auf einem +aehnlichen Zug kuenftig als Basis zu dienen. +</p> + +<p> +Philippos stoerte die roemische Hauptarmee auf ihrem Rueckzug nicht, sondern +wandte sich in Gewaltmaerschen gegen die Aetoler und Athamanen, die in der +Meinung, dass die Legionen den Koenig beschaeftigten, das reiche Tal des +Peneios furcht- und ruecksichtslos pluenderten, schlug sie vollstaendig und +noetigte, was nicht fiel, sich einzeln auf den wohlbekannten Bergpfaden zu, +retten. Durch diese Niederlage und ebenso sehr durch die starken Werbungen, die +in Aetolien fuer aegyptische Rechnung stattfanden, schwand die Streitkraft der +Eidgenossenschaft nicht wenig zusammen. Die Dardaner wurden von dem Fuehrer der +leichten Truppen Philipps, Athenagoras, ohne Muehe und mit starkem Verlust +ueber die Berge zurueckgejagt. Die roemische Flotte richtete auch nicht viel +aus; sie vertrieb die makedonische Besatzung von Andros, suchte Euboea und +Skiathos heim und machte dann Versuche auf die chalkidische Halbinsel, die aber +die makedonische Besatzung bei Mende kraeftig zurueckwies. Der Rest des Sommers +verging mit der Einnahme von Oreos auf Euboea, welche durch die entschlossene +Verteidigung der makedonischen Besatzung lange verzoegert ward. Die schwache +makedonische Flotte unter Herakleides stand untaetig bei Herakleia und wagte +nicht den Feinden das Meer streitig zu machen. Fruehzeitig gingen diese in die +Winterquartiere, die Roemer nach dem Peiraeeus und Kerkyra, die Rhodier und +Pergamener in die Heimat. +</p> + +<p> +Im ganzen konnte Philipp zu den Ereignissen dieses Feldzuges sich Glueck +wuenschen. Die roemischen Truppen standen nach einem aeusserst beschwerlichen +Feldzug im Herbst genau da, von wo sie im Fruehling aufgebrochen waren, und +ohne das rechtzeitige Dareinschlagen der Aetoler und die unerwartet glueckliche +Schlacht am Pass von Eordaea haette von der gesamten Macht vielleicht kein Mann +das roemische Gebiet wiedergesehen. Die vierfache Offensive hatte ueberall +ihren Zweck verfehlt und Philippos sah im Herbste nicht bloss sein ganzes +Gebiet vom Feind gereinigt, sondern er konnte noch einen, freilich +vergeblichen, Versuch machen, die an der aetolisch-thessalischen Grenze +gelegene und die Peneiosebene beherrschende feste Stadt Thaumakoi den Aetolern +zu entreissen. Wenn Antiochos, um dessen Kommen Philippos vergeblich zu den +Goettern flehte, sich im naechsten Feldzug mit ihm vereinigte, so durfte er +grosse Erfolge erwarten. Es schien einen Augenblick, als schicke dieser sich +dazu an; sein Heer erschien in Kleinasien und besetzte einige Ortschaften des +Koenigs Attalos, der von den Roemern militaerischen Schutz erbat. Diese indes +beeilten sich nicht, den Grosskoenig jetzt zum Bruch zu draengen; sie schickten +Gesandte, die in der Tat es erreichten, dass Attalos’ Gebiet geraeumt +ward. Von daher hatte Philippos nichts zu hoffen. +</p> + +<p> +Indes der glueckliche Ausgang des letzten Feldzugs hatte Philipps Mut oder +Uebermut so gehoben, dass, nachdem er der Neutralitaet der Achaeer und der +Treue der Makedonier sich durch die Aufopferung einiger festen Plaetze und des +verabscheuten Admirals Herakleides aufs neue versichert hatte, im naechsten +Fruehling 556 (198) er es war, der die Offensive ergriff und in die +atintanische Landschaft einrueckte, um in dem engen Pass, wo sich der Aoos +(Viosa) zwischen den Bergen Aeropos und Asmaos durchwindet, ein +wohlverschanztes Lager zu beziehen. Ihm gegenueber lagerte das durch neue +Truppensendungen verstaerkte roemische Heer, ueber das zuerst der Konsul des +vorigen Jahres, Publius Villius, sodann seit dem Sommer 556 (198) der +diesjaehrige Konsul Titus Quinctius Flamininus den Oberbefehl fuehrte. +Flamininus, ein talentvoller, erst dreissigjaehriger Mann, gehoerte zu der +juengeren Generation, welche mit dem altvaeterischen Wesen auch den +altvaeterischen Patriotismus von sich abzutun anfing und zwar auch noch an das +Vaterland, aber mehr an sich und an das Hellenentum dachte. Ein geschickter +Offizier und besserer Diplomat, war er in vieler Hinsicht fuer die Behandlung +der schwierigen griechischen Verhaeltnisse vortrefflich geeignet; dennoch waere +es vielleicht fuer Rom wie fuer Griechenland besser gewesen, wenn die Wahl auf +einen minder von hellenischen Sympathien erfuellten Mann gefallen und ein +Feldherr dorthin gesandt worden waere, den weder feine Schmeichelei bestochen +noch beissende Spottrede verletzt haette, der die Erbaermlichkeit der +hellenischen Staatsverfassungen nicht ueber literarischen und kuenstlerischen +Reminiszenzen vergessen und der Hellas nach Verdienst behandelt, den Roemern +aber es erspart haette, unausfuehrbaren Idealen nachzustreben. +</p> + +<p> +Der neue Oberbefehlshaber hatte mit dem Koenig sogleich eine Zusammenkunft, +waehrend die beiden Heere untaetig sich gegenueberstanden. Philippos machte +Friedensvorschlaege; er erbot sich, alle eigenen Eroberungen zurueckzugeben und +wegen des den griechischen Staedten zugefuegten Schadens sich einem billigen +Austrag zu unterwerfen; aber an dem Begehren, altmakedonische Besitzungen, +namentlich Thessalien, aufzugeben, scheiterten die Verhandlungen. Vierzig Tage +standen die beiden Heere in dem Engpass des Aoos, ohne dass Philippos wich oder +Flamininus sich entschliessen konnte, entweder den Sturm anzuordnen oder den +Koenig stehenzulassen und die vorjaehrige Expedition wieder zu versuchen. Da +half dem roemischen General die Verraeterei einiger Vornehmer unter den sonst +gut makedonisch gesinnten Epeiroten, namentlich des Charops, aus der +Verlegenheit. Sie fuehrten auf Bergpfaden ein roemisches Korps von 4000 Mann zu +Fuss und 300 Reitern auf die Hoehen oberhalb des makedonischen Lagers und wie +alsdann der Konsul das feindliche Herr von vorn angriff, entschied das +Anruecken jener unvermutet von den beherrschenden Bergen herabsteigenden +roemischen Abteilung die Schlacht. Philippos verlor Lager und Verschanzung und +gegen 2000 Mann und wich eilig zurueck bis an den Pass Tempel die Pforte des +eigentlichen Makedoniens. Allen anderen Besitz gab er auf bis auf die +Festungen; die thessalischen Staedte, die er nicht verteidigen konnte, +zerstoerte er selbst - nur Pherae schloss ihm die Tore und entging dadurch dem +Verderben. Teils durch diese Erfolge der roemischen Waffen, teils durch +Flamininus’ geschickte Milde bestimmt, traten zunaechst die Epeiroten vom +makedonischen Buendnis ab. In Thessalien waren auf die erste Nachricht vom +Siege der Roemer sogleich die Athamanen und Aetoler eingebrochen, und die +Roemer folgten bald; das platte Land war leicht ueberschwemmt, allein die +festen Staedte, die gut makedonisch gesinnt waren und von Philippos +Unterstuetzung empfingen, fielen nur nach tapferem Widerstand oder widerstanden +sogar dem ueberlegenen Feind; so vor allem Atrax am linken Ufer des Peneios, wo +in der Bresche die Phalanx statt der Mauer stand. Bis auf diese thessalischen +Festungen und das Gebiet der treuen Akarnanen war somit ganz Nordgriechenland +in den Haenden der Koalition. +</p> + +<p> +Dagegen war der Sueden durch die Festungen Chalkis und Korinth, die durch das +Gebiet der makedonisch gesinnten Boeoter miteinander die Verbindung +unterhielten, und durch die achaeische Neutralitaet noch immer wesentlich in +makedonischer Gewalt, und Flamininus entschloss sich, da es doch zu spaet war, +um dies Jahr noch in Makedonien einzudringen, zunaechst Landheer und Flotte +gegen Korinth und die Achaeer zu wenden. Die Flotte, die wieder die rhodischen +und pergamenischen Schiffe an sich gezogen hatte, war bisher damit beschaeftigt +gewesen, zwei kleinere Staedte auf Euboea, Eretria und Karystos, einzunehmen +und daselbst Beute zu machen; worauf beide indes ebenso wie Oreos wieder +aufgegeben und von dem makedonischen Kommandanten von Chalkis, Philokles, aufs +neue besetzt wurden. Die vereinigte Flotte wandte sich von da nach Kenchreae, +dem oestlichen Hafen von Korinth, um diese starke Festung zu bedrohen. Von der +anderen Seite rueckte Flamininus in Phokis ein und besetzte die Landschaft, in +der nur Elateia eine laengere Belagerung aushielt; diese Gegend, namentlich +Antikyra am Korinthischen Meerbusen, war zum Winterquartier ausersehen. Die +Achaeer, die also auf der einen Seite die roemischen Legionen sich naehern, auf +der anderen die roemische Flotte schon an ihrem eigenen Gestade sahen, +verzichteten auf ihre sittlich ehrenwerte, aber politisch unhaltbare +Neutralitaet; nachdem die Gesandten der am engsten an Makedonien geknuepften +Staedte Dyme, Megalopolis und Argos die Tagsatzung verlassen hatten, beschloss +dieselbe den Beitritt zu der Koalition gegen Philippos. Kykliades und andere +Fuehrer der makedonischen Partei verliessen die Heimat; die Truppen der Achaeer +vereinigten sich sofort mit der roemischen Flotte und eilten, Korinth zu Lande +einzuschliessen, welche Stadt, die Zwingburg Philipps gegen die Achaeer, ihnen +roemischerseits fuer ihren Beitritt zu dem Bunde zugesichert worden war. Die +makedonische Besatzung indes, die 1300 Mann stark war und grossenteils aus +italischen Ueberlaeufern bestand, verteidigte entschlossen die fast +uneinnehmbare Stadt; ueberdies kam von Chalkis Philokles herbei mit einer +Abteilung von 1500 Mann, die nicht bloss Korinth entsetzte, sondern auch in das +Gebiet der Achaeer eindrang und im Einverstaendnis mit der makedonisch +gesinnten Buergerschaft ihnen Argos entriss. Allein der Lohn solcher Hingebung +war, dass der Koenig die treuen Argeier der Schreckensherrschaft des Nabis von +Sparta auslieferte. Diesen, den bisherigen Bundesgenossen der Roemer, hoffte er +nach dem Beitritt der Achaeer zu der roemischen Koalition zu sich +hinueberzuziehen; denn er war hauptsaechlich nur deshalb roemischer +Bundesgenosse geworden, weil er in Opposition zu den Achaeern und seit 550 +(204) sogar in offenem Kriege mit ihnen sich befand. Allein Philippos’ +Angelegenheiten standen zu verzweifelt, als dass irgend jemand jetzt sich auf +seine Seite zu schlagen Lust verspuert haette. Nabis nahm zwar Argos von +Philippos an, allein er verriet den Verraeter und blieb im Buendnis mit +Flamininus, welcher in der Verlegenheit, jetzt mit zwei untereinander im Krieg +begriffenen Maechten verbuendet zu sein, vorlaeufig zwischen den Spartanern und +Achaeern einen Waffenstillstand auf vier Monate vermittelte. +</p> + +<p> +So kam der Winter heran. Philippos benutzte ihn abermals, um womoeglich einen +billigen Frieden zu erhalten. Auf einer Konferenz, die in Nikaea am Malischen +Meerbusen abgehalten ward, erschien der Koenig persoenlich und versuchte, mit +Flamininus zu einer Verstaendigung zu gelangen, indem er den petulanten +Uebermut der kleinen Herren mit Stolz und Feinheit zurueckwies und durch +markierte Deferenz gegen die Roemer als die einzigen ihm ebenbuertigen Gegner +von diesen ertraegliche Bedingungen zu erhalten suchte. Flamininus war gebildet +genug, um durch die Urbanitaet des Besiegten gegen ihn und die Hoffart gegen +die Bundesgenossen, welche der Roemer wie der Koenig gleich verachten gelernt +hatten, sich geschmeichelt zu fuehlen; allein seine Vollmacht ging nicht so +weit wie das Begehren des Koenigs: er gestand ihm gegen Einraeumung von Phokis +und Lokris einen zweimonatlichen Waffenstillstand zu und wies ihn in der +Hauptsache an seine Regierung. Im roemischen Senat war man sich laengst einig, +dass Makedonien alle seine auswaertigen Besitzungen aufgeben muesse; als daher +Philippos’ Gesandte in Rom erschienen, begnuegte man sich zu fragen, ob +sie Vollmacht haetten, auf ganz Griechenland, namentlich auf Korinth, Chalkis +und Demetrias zu verzichten, und da sie dies verneinten, brach man sofort die +Unterhandlungen ab und beschloss die energische Fortsetzung des Krieges. Mit +Hilfe der Volkstribunen gelang es dem Senat, den so nachteiligen Wechsel des +Oberbefehls zu verhindern und Flamininus das Kommando zu verlaengern; er +erhielt bedeutende Verstaerkung, und die beiden frueheren Oberbefehlshaber +Publius Galba und Publius Villius wurden angewiesen, sich ihm zur Verfuegung zu +stellen. Auch Philippos entschloss sich, noch eine Feldschlacht zu wagen. Um +Griechenland zu sichern, wo jetzt alle Staaten mit Ausnahme der Akarnanen und +Boeoter gegen ihn in Waffen standen, wurde die Besatzung von Korinth bis auf +6000 Mann verstaerkt, waehrend er selbst, die letzten Kraefte des erschoepften +Makedoniens anstrengend und Kinder und Greise in die Phalanx einreihend, ein +Heer von etwa 26000 Mann, darunter 16000 makedonische Phalangiten, auf die +Beine brachte. So begann der vierte Feldzug 557 (197). Flamininus schickte +einen Teil der Flotte gegen die Akarnanen, die in Leukas belagert wurden; im +eigentlichen Griechenland bemaechtigte er sich durch List der boeotischen +Hauptstadt Thebae, wodurch sich die Boeoter gezwungen sahen, dem Buendnis gegen +Makedonien wenigstens dem Namen nach beizutreten. Zufrieden, hierdurch die +Verbindung zwischen Korinth und Chalkis gesprengt zu haben, wandte er sich nach +Norden, wo allein die Entscheidung fallen konnte. Die grossen Schwierigkeiten +der Verpflegung des Heeres in dem feindlichen und grossenteils oeden Lande, die +schon oft die Operationen gehemmt hatten, sollte jetzt die Flotte beseitigen, +indem sie das Heer laengs der Kueste begleitete und ihm die aus Afrika, +Sizilien und Sardinien gesandten Vorraete nachfuehrte. Indes die Entscheidung +kam frueher, als Flamininus gehofft hatte. Philippos, ungeduldig und +zuversichtlich wie er war, konnte es nicht aushalten, den Feind an der +makedonischen Grenze zu erwarten; nachdem er bei Dion sein Heer gesammelt +hatte, rueckte er durch den Tempepass in Thessalien ein und traf mit dem ihm +entgegenrueckenden feindlichen Heer in der Gegend von Skotussa zusammen. Beide +Heere, das makedonische und das roemische, das durch Zuzuege der Apolloniaten +und Athamanen und die von Nabis gesandten Kretenser, besonders aber durch einen +ansehnlichen aetolischen Haufen verstaerkt worden war, zaehlten ungefaehr +gleich viel Streiter, jedes etwa 26000 Mann; doch waren die Roemer an Reiterei +dem Gegner ueberlegen. Vorwaerts Skotussa, auf dem Plateau des Karadagh, traf +waehrend eines trueben Regentages der roemische Vortrab unvermutet auf den +feindlichen, der einen zwischen beiden Lagern gelegenen, hohen und steilen +Huegel, die Kynoskephalae genannt, besetzt hielt. Zurueckgetrieben in die +Ebene, erhielten die Roemer Verstaerkung aus dem Lager von den leichten Truppen +und dem trefflichen Korps der aetolischen Reiterei und draengten nun ihrerseits +den makedonischen Vortrab auf und ueber die Hoehe zurueck. Hier aber fanden +wiederum die Makedonier Unterstuetzung an ihrer gesamten Reiterei und dem +groessten Teil der leichten Infantrie; die Roemer, die unvorsichtig sich +vorgewagt hatten, wurden mit grossem Verlust bis hart an ihr Lager +zurueckgejagt und haetten sich voellig zur Flucht gewandt, wenn nicht die +aetolischen Ritter in der Ebene den Kampf so lange hingehalten haetten, bis +Flamininus die schnell geordneten Legionen herbeifuehrte. Dem ungestuemen Ruf +der siegreichen, die Fortsetzung des Kampfes fordernden Truppen gab der Koenig +nach und ordnete auch seine Schwerbewaffneten eilig zu der Schlacht, die weder +Feldherr noch Soldaten an diesem Tage erwartet hatten. Es galt, den Huegel zu +besetzen, der augenblicklich von Truppen ganz entbloesst war. Der rechte +Fluegel der Phalanx unter des Koenigs eigener Fuehrung kam frueh genug dort an, +um sich ungestoert auf der Hoehe in Schlachtordnung zu stellen; der linke aber +war noch zurueck, als schon die leichten Truppen der Makedonier, von den +Legionen gescheucht, den Huegel heraufstuermten. Philipp schob die fluechtigen +Haufen rasch an der Phalanx vorbei in das Mitteltreffen, und ohne zu erwarten, +bis auf dem linken Fluegel Nikanor mit der anderen, langsamer folgenden Haelfte +der Phalanx eingetroffen war, hiess er die rechte Phalanx mit gesenkten Speeren +den Huegel hinab sich auf die Legionen stuerzen und gleichzeitig die wieder +geordnete leichte Infanterie sie umgehen und ihnen in die Flanke fallen. Der am +guenstigen Orte unwiderstehliche Angriff der Phalanx zersprengte das roemische +Fussvolk, und der linke Fluegel der Roemer ward voellig geschlagen. Auf dem +anderen Fluegel liess Nikanor, als er den Koenig angreifen sah, die andere +Haelfte der Phalanx schleunig nachruecken; sie geriet dabei auseinander, und +waehrend die ersten Reihen schon den Berg hinab eilig dem siegreichen rechten +Fluegel folgten und durch das ungleiche Terrain noch mehr in Unordnung kamen, +gewannen die letzten Glieder eben erst die Hoehe. Der rechte Fluegel der Roemer +ward unter diesen Umstaenden leicht mit dem feindlichen linken fertig; die +Elefanten allein, die auf diesem Fluegel standen, vernichteten die aufgeloesten +makedonischen Scharen. Waehrend hier ein fuerchterliches Gemetzel entstand, +nahm ein entschlossener roemischer Offizier zwanzig Faehnlein zusammen und warf +sich mit diesen auf den siegreichen makedonischen Fluegel, der, den roemischen +linken verfolgend, so weit vorgedrungen war, dass der roemische rechte ihm im +Ruecken stand. Gegen den Angriff von hinten war die Phalanx wehrlos und mit +dieser Bewegung die Schlacht zu Ende. Bei der vollstaendigen Aufloesung der +beiden Phalangen ist es begreiflich, dass man 13000 teils gefangene, teils +gefallene Makedonier zaehlte, meistens gefallene, weil die roemischen Soldaten +das makedonische Zeichen der Ergebung, das Aufheben der Sarissen, nicht +kannten; der Verlust der Sieger war gering. Philippos entkam nach Larissa und +nachdem er alle seine Papiere verbrannt hatte, um niemanden zu kompromittieren, +raeumte er Thessalien und ging in seine Heimat zurueck. +</p> + +<p> +Gleichzeitig mit dieser grossen Niederlage erlitten die Makedonier noch andere +Nachteile auf allen Punkten, die sie noch besetzt hielten: in Karien schlugen +die rhodischen Soeldner das dort stehende makedonische Korps und zwangen +dasselbe, sich in Stratonikeia einzuschliessen; die korinthische Besatzung ward +von Nikostratos und seinen Achaeern mit starkem Verlust geschlagen, das +akarnanische Leukas nach heldenmuetiger Gegenwehr erstuermt. Philippos war +vollstaendig ueberwunden; seine letzten Verbuendeten, die Akarnanen, ergaben +sich auf die Nachricht von der Schlacht bei Kynoskephalae. +</p> + +<p> +Es lag vollstaendig in der Hand der Roemer, den Frieden zu diktieren: sie +nutzten ihre Macht, ohne sie zu missbrauchen. Man konnte das Reich Alexanders +vernichten; auf der Konferenz der Bundesgenossen ward dies Begehren von +aetolischer Seite ausdruecklich gestellt. Allein was hiess das anders als den +Wall hellenischer Bildung gegen Thraker und Kelten niederreissen? Schon war +waehrend des eben beendigten Krieges das bluehende Lysimacheia auf dem +Thrakischen Chersonesos von den Thrakern gaenzlich zerstoert worden - eine +ernste Warnung fuer die Zukunft. Flamininus, der tiefe Blicke in die +widerwaertigen Verfehdungen der griechischen Staaten getan hatte, konnte nicht +die Hand dazu bieten, dass die roemische Grossmacht fuer den Groll der +aetolischen Eidgenossenschaft die Exekution uebernahm, auch wenn nicht seine +hellenischen Sympathien fuer den feinen und ritterlichen Koenig ebenso sehr +gewonnen gewesen waeren wie sein roemisches Nationalgefuehl verletzt war durch +die Prahlerei der Aetoler, der “Sieger von Kynoskephalae”, wie sie +sich nannten. Den Aetolern erwiderte er, dass es nicht roemische Sitte sei, +Besiegte zu vernichten, uebrigens seien sie ja ihre eigenen Herren und stehe es +ihnen frei, mit Makedonien ein Ende zu machen, wenn sie koennten. Der Koenig +ward mit aller moeglichen Ruecksicht behandelt, und nachdem er sich bereit +erklaert hatte, auf die frueher gestellten Forderungen jetzt einzugehen, ihm +von Flamininus gegen Zahlung einer Geldsumme und Stellung von Geiseln, darunter +seines Sohnes Demetrios, ein laengerer Waffenstillstand bewilligt, den +Philippos hoechst noetig brauchte, um die Dardaner aus Makedonien +hinauszuschlagen. +</p> + +<p> +Die definitive Regulierung der verwickelten griechischen Angelegenheiten ward +vom Senat einer Kommission von zehn Personen uebertragen, deren Haupt und Seele +wieder Flamininus war. Philippos erhielt von ihr aehnliche Bedingungen, wie sie +Karthago gestellt worden waren. Er verlor alle auswaertigen Besitzungen in +Kleinasien, Thrakien, Griechenland und auf den Inseln des Aegaeischen Meeres; +dagegen blieb das eigentliche Makedonien ungeschmaelert bis auf einige +unbedeutende Grenzstriche und die Landschaft Orestis, welche frei erklaert ward +- eine Bestimmung, die Philippos aeusserst empfindlich fiel, allein die die +Roemer nicht umhin konnten, ihm vorzuschreiben, da bei seinem Charakter es +unmoeglich war, ihm die freie Verfuegung ueber einmal von ihm abgefallene +Untertanen zu lassen. Makedonien wurde ferner verpflichtet, keine auswaertigen +Buendnisse ohne Vorwissen Roms abzuschliessen noch nach auswaerts Besatzungen +zu schicken; ferner nicht ausserhalb Makedoniens gegen zivilisierte Staaten +noch ueberhaupt gegen roemische Bundesgenossen Krieg zu fuehren und kein Heer +ueber 5000 Mann, keine Elefanten und nicht ueber fuenf Deckschiffe zu +unterhalten, die uebrigen an die Roemer auszuliefern. Endlich trat Philippos +mit den Roemern in Symmachie, die ihn verpflichtete, auf Verlangen Zuzug zu +senden, wie denn gleich nachher die makedonischen Truppen mit den Legionen +zusammen fochten. Ausserdem zahlte er eine Kontribution von 1000 Talenten +(1700000 Taler). +</p> + +<p> +Nachdem Makedonien also zu vollstaendiger politischer Nullitaet herabgedrueckt +und ihm nur so viel Macht gelassen war, als es bedurfte, um die Grenze von +Hellas gegen die Barbaren zu hueten, schritt man dazu, ueber die vom Koenig +abgetretenen Besitzungen zu verfuegen. Die Roemer, die eben damals in Spanien +erfuhren, dass ueberseeische Provinzen ein sehr zweifelhafter Gewinn seien, und +die ueberhaupt keineswegs des Laendererwerbes wegen den Krieg begonnen hatten, +nahmen nichts von der Beute fuer sich und zwangen dadurch auch ihre +Bundesgenossen zur Maessigung. Sie beschlossen, saemtliche Staaten +Griechenlands, die bisher unter Philippos gestanden, frei zu erklaeren; und +Flamininus erhielt den Auftrag, das desfaellige Dekret den zu den Isthmischen +Spielen versammelten Griechen zu verlesen (558 196). Ernsthafte Maenner +freilich mochten fragen, ob denn die Freiheit ein verschenkbares Gut sei und +was Freiheit ohne Einigkeit und Einheit der Nation bedeute; doch war der Jubel +gross und aufrichtig, wie die Absicht aufrichtig war, in der der Senat die +Freiheit verlieh ^1. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Wir haben noch Goldstater mit dem Kopf des Flamininus und der Inschrift +“T. Quincti(us)”, unter dem Regiment des Befreiers der Hellenen in +Griechenland geschlagen. Der Gebrauch der lateinischen Sprache ist eine +bezeichnende Artigkeit. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Ausgenommen waren von dieser gemeinen Massregel nur die illyrischen +Landschaften oestlich von Epidamnos, die an den Herrn von Skodra, Pleuratos, +fielen und diesen, ein Menschenalter zuvor von den Roemern gedemuetigten Land- +und Seeraeuberstaat wieder zu der maechtigsten unter all den kleinen +Herrschaften in diesen Strichen machten; ferner einige Ortschaften im +westlichen Thessalien, die Amynander besetzt hatte und die man ihm liess, und +die drei Inseln Paros, Skyros und Imbros, welche Athen fuer seine vielen +Drangsale und seine noch zahlreicheren Dankadressen und Hoeflichkeiten aller +Art zum Geschenk erhielt. Dass die Rhodier ihre karischen Besitzungen behielten +und Aegina den Pergamenern blieb, versteht sich. Sonst ward den Bundesgenossen +nur mittelbar gelohnt durch den Zutritt der neu befreiten Staedte zu den +verschiedenen Eidgenossenschaften. Am besten wurden die Achaeer bedacht, die +doch am spaetesten der Koalition gegen Philippos beigetreten waren; wie es +scheint, aus dem ehrenwerten Grunde, dass dieser Bundesstaat unter allen +griechischen der geordnetste und ehrbarste war. Die saemtlichen Besitzungen +Philipps auf dem Peloponnes und dem Isthmos, also namentlich Korinth, wurden +ihrem Bunde einverleibt. Mit den Aetolern dagegen machte man wenig Umstaende; +sie durften die phokischen und lokrischen Staedte in ihre Symmachie aufnehmen, +allein ihre Versuche, dieselbe auch auf Akarnanien und Thessalien auszudehnen, +wurden teils entschieden zurueckgewiesen, teils in die Ferne geschoben, und die +thessalischen Staedte vielmehr in vier kleine selbstaendige Eidgenossenschaften +geordnet. Dem Rhodischen Staedtebund kam die Befreiung von Thasos und Lemnos, +der thrakischen und kleinasiatischen Staedte zugute. +</p> + +<p> +Schwierigkeit machte die Ordnung der inneren Verhaeltnisse Griechenlands, +sowohl der Staaten zueinander, als der einzelnen Staaten in sich. Die +dringendste Angelegenheit war der zwischen den Spartanern und Achaeern seit 550 +(204) gefuehrte Krieg, dessen Vermittlung den Roemern notwendig zufiel. Allein +nach vielfachen Versuchen, Nabis zum Nachgeben, namentlich zur Herausgabe der +von Philippos ihm ausgelieferten achaeischen Bundesstadt Argos zu bestimmen, +blieb Flamininus doch zuletzt nichts uebrig, als dem eigensinnigen kleinen +Raubherrn, der auf den offenkundigen Groll der Aetoler gegen die Roemer und auf +Antiochos’ Einruecken in Europa rechnete und die Rueckstellung von Argos +beharrlich weigerte, endlich von den saemtlichen Hellenen auf einer grossen +Tagfahrt in Korinth den Krieg erklaeren zu lassen und mit der Flotte und dem +roemisch-bundesgenoessischen Heere, darunter auch einem von Philippos gesandten +Kontingent und einer Abteilung lakedaemonischer Emigranten unter dem legitimen +Koenig von Sparta, Agesipolis, in den Peloponnes einzuruecken (559 195). Um den +Gegner durch die ueberwaeltigende Uebermacht sogleich zu erdruecken, wurden +nicht weniger als 50000 Mann auf die Beine gebracht und mit Vernachlaessigung +der uebrigen Staedte sogleich die Hauptstadt selbst umstellt; allein der +gewuenschte Erfolg ward dennoch nicht erreicht. Nabis hatte eine betraechtliche +Armee, bis 15000 Mann, darunter 5000 Soeldner, ins Feld gestellt und seine +Herrschaft durch ein vollstaendiges Schreckensregiment, die Hinrichtung in +Masse der ihm verdaechtigen Offiziere und Bewohner der Landschaft, aufs neue +befestigt. Sogar als er selber nach den ersten Erfolgen der roemischen Armee +und Flotte sich entschloss, nachzugeben und die von Flamininus ihm gestellten +verhaeltnismaessig sehr guenstigen Bedingungen anzunehmen, verwarf “das +Volk”, das heisst das von Nabis in Sparta angesiedelte Raubgesindel, +nicht mit Unrecht die Rechenschaft nach dem Siege fuerchtend und getaeuscht +durch obligate Luegen ueber die Beschaffenheit der Friedensbedingungen und das +Heranruecken der Aetoler und der Asiaten, den von dem roemischen Feldherrn +gebotenen Frieden, und der Kampf begann aufs neue. Es kam zu einer Schlacht vor +den Mauern und zu einem Sturm auf dieselben; schon waren sie von den Roemern +erstiegen, als das Anzuenden der genommenen Strassen die Stuermenden wieder zur +Umkehr zwang. Endlich nahm denn doch der eigensinnige Widerstand ein Ende. +Sparta behielt seine Selbstaendigkeit und ward weder gezwungen, die Emigranten +wieder aufzunehmen, noch dem Achaeischen Bunde beizutreten; sogar die +bestehende monarchische Verfassung und Nabis selbst blieben unangetastet. +Dagegen musste Nabis seine auswaertigen Besitzungen, Argos, Messene, die +kretischen Staedte und ueberdies noch die ganze Kueste, abtreten, sich +verpflichten, weder auswaertige Buendnisse zu schliessen noch Krieg zu fuehren +und keine anderen Schiffe zu halten als zwei offene Kaehne, endlich alles +Raubgut wieder abzuliefern, den Roemern Geiseln zu stellen und eine +Kriegskontribution zu zahlen. Den spartanischen Emigranten wurden die Staedte +an der lakonischen Kueste gegeben und diese neue Volksgemeinde, die im +Gegensatz zu den monarchisch regierten Spartanern sich die der “freien +Lakonen” nannte, angewiesen, in den Achaeischen Bund einzutreten. Ihr +Vermoegen erhielten die Emigrierten nicht zurueck, indem die ihnen angewiesene +Landschaft dafuer als Ersatz angesehen ward; wogegen verfuegt wurde, dass ihre +Weiber und Kinder nicht wider deren Willen in Sparta zurueckgehalten werden +sollten. Die Achaeer, obwohl sie durch diese Verfuegung ausser Argos noch die +freien Lakonen erhielten, waren dennoch wenig zufrieden; sie hatten die +Beseitigung des gefuerchteten und gehassten Nabis, die Rueckfuehrung der +Emigrierten und die Ausdehnung der achaeischen Symmachie auf den ganzen +Peloponnes erwartet. Der Unbefangene wird indes nicht verkennen, dass +Flamininus diese schwierigen Angelegenheiten so billig und gerecht regelte, wie +es moeglich ist, wo zwei beiderseits unbillige und ungerechte politische +Parteien sich gegenueberstehen. Bei der alten und tiefen Verfeindung zwischen +den Spartanern und Achaeern waere die Einverleibung Spartas in den Achaeischen +Bund einer Unterwerfung Spartas unter die Achaeer gleichgekommen, was der +Billigkeit nicht minder zuwiderlief als der Klugheit. Die Rueckfuehrung der +Emigranten und die vollstaendige Restauration eines seit zwanzig Jahren +beseitigten Regiments wuerde nur ein Schreckensregiment an die Stelle eines +anderen gesetzt haben; der Ausweg, den Flamininus ergriff, war eben darum der +rechte, weil er beide extreme Parteien nicht befriedigte. Endlich schien dafuer +gruendlich gesorgt, dass es mit dem spartanischen See- und Landraub ein Ende +hatte und das Regiment daselbst, wie es nun eben war, nur der eigenen Gemeinde +unbequem fallen konnte. Es ist moeglich, dass Flamininus, der den Nabis kannte +und wissen musste, wie wuenschenswert dessen persoenliche Beseitigung war, +davon abstand, um nur einmal zu Ende zu kommen und nicht durch unabsehbar sich +fortspinnende Verwicklungen den reinen Eindruck seiner Erfolge zu trueben; +moeglich auch, dass er ueberdies an Sparta ein Gegengewicht gegen die Macht der +Achaeischen Eidgenossenschaft im Peloponnes zu konservieren suchte. Indes der +erste Vorwurf trifft einen Nebenpunkt und in letzterer Hinsicht ist es wenig +wahrscheinlich, dass die Roemer sich herabliessen, die Achaeer zu fuerchten. +</p> + +<p> +Aeusserlich wenigstens war somit zwischen den kleinen griechischen Staaten +Friede gestiftet. Aber auch die inneren Verhaeltnisse der einzelnen Gemeinden +gaben dem roemischen Schiedsrichter zu tun. Die Boeoter trugen ihre +makedonische Gesinnung selbst noch nach der Verdraengung der Makedonier aus +Griechenland offen zur Schau; nachdem Flamininus auf ihre Bitten ihren in +Philippos’ Diensten gestandenen Landsleuten die Rueckkehr verstattet +hatte, ward der entschiedenste der makedonischen Parteigaenger, Brachyllas, zum +Vorstand der Boeotischen Genossenschaft erwaehlt und auch sonst Flamininus auf +alle Weise gereizt. Er ertrug es mit beispielloser Geduld: indes die roemisch +gesinnten Boeoter, die wussten, was nach dem Abzug der Roemer ihrer warte, +beschlossen den Tod des Brachyllas, und Flamininus, dessen Erlaubnis sie sich +dazu erbitten zu muessen glaubten, sagte wenigstens nicht nein. Brachyllas ward +demnach ermordet; worauf die Boeoter sich nicht begnuegten, die Moerder zu +verfolgen, sondern auch den einzeln durch ihr Gebiet passierenden roemischen +Soldaten auflauerten und deren an 500 erschlugen. Dies war denn doch zu arg; +Flamininus legte ihnen eine Busse von einem Talent fuer jeden Soldaten auf, und +da sie diese nicht zahlten, nahm er die naechstliegenden Truppen zusammen und +belagerte Koroneia (558 196). Nun verlegte man sich auf Bitten; in der Tat +liess Flamininus auf die Verwendung der Achaeer und Athener gegen eine sehr +maessige Busse von den Schuldigen ab, und obwohl die makedonische Partei +fortwaehrend in der kleinen Landschaft am Ruder blieb, setzten die Roemer ihrer +knabenhaften Opposition nichts entgegen als die Langmut der Uebermacht. Auch im +uebrigen Griechenland begnuegte sich Flamininus, soweit es ohne +Gewalttaetigkeit anging, auf die inneren Verhaeltnisse namentlich der +neubefreiten Gemeinden einzuwirken, den Rat und die Gerichte in die Haende der +Reicheren und die antimakedonisch gesinnte Partei ans Ruder zu bringen und die +staedtischen Gemeinwesen dadurch, dass er das, was in jeder Gemeinde nach +Kriegsrecht an die Roemer gefallen war, zu dem Gemeindegut der betreffenden +Stadt schlug, moeglichst an das roemische Interesse zu knuepfen. Im Fruehjahr +560 (194) war die Arbeit beendigt: Flamininus versammelte noch einmal in +Korinth die Abgeordneten der saemtlichen griechischen Gemeinden, ermahnte sie +zu verstaendigem und maessigem Gebrauch der ihnen verliehenen Freiheit und +erbat sich als einzige Gegengabe fuer die Roemer, dass man die italischen +Gefangenen, die waehrend des Hannibalischen Krieges nach Griechenland verkauft +worden waren, binnen dreissig Tagen ihm zusende. Darauf raeumte er die letzten +Festungen, in denen noch roemische Besatzung stand, Demetrias, Chalkis nebst +den davon abhaengigen kleineren Forts auf Euboea, und Akrokorinth, also die +Rede der Aetoler, dass Rom die Fesseln Griechenlands von Philippos geerbt, +tatsaechlich Luege strafend, und zog mit den saemtlichen roemischen Truppen und +den befreiten Gefangenen in die Heimat. +</p> + +<p> +Nur von der veraechtlichen Unredlichkeit oder der schwaechlichen +Sentimentalitaet kann es verkannt werden, dass es mit der Befreiung +Griechenlands den Roemern vollkommen ernst war, und die Ursache, weshalb der +grossartig angelegte Plan ein so kuemmerliches Gebaeude lieferte, einzig zu +suchen ist in der vollstaendigen sittlichen und staatlichen Aufloesung der +hellenischen Nation. Es war nichts Geringes, dass eine maechtige Nation das +Land, welches sie sich gewoehnt hatte, als ihre Urheimat und als das Heiligtum +ihrer geistigen und hoeheren Interessen zu betrachten, mit ihrem maechtigen Arm +ploetzlich zur vollen Freiheit fuehrte und jeder Gemeinde desselben die +Befreiung von fremder Schatzung und fremder Besatzung und die unbeschraenkte +Selbstregierung verlieh; bloss die Jaemmerlichkeit sieht hierin nichts als +politische Berechnung. Der politische Kalkuel machte den Roemern die Befreiung +Griechenlands moeglich, zur Wirklichkeit wurde sie durch die eben damals in Rom +und vor allem in Flamininus selbst unbeschreiblich maechtigen hellenischen +Sympathien. Wenn ein Vorwurf die Roemer trifft, so ist es der, dass sie alle +und vor allem den Flamininus, der die wohlbegruendeten Bedenken des Senats +ueberwand, der Zauber des hellenischen Namens hinderte, die Erbaermlichkeit des +damaligen griechischen Staatenwesens in ihrem ganzen Umfang zu erkennen, und +dass sie all den Gemeinden, die mit ihren in sich und gegeneinander gaerenden +ohnmaechtigen Antipathien weder zu handeln noch sich ruhig zu halten +verstanden, ihr Treiben auch ferner gestatteten. Wie die Dinge einmal standen, +war es vielmehr noetig, dieser ebenso kuemmerlichen als schaedlichen Freiheit +durch eine an Ort und Stelle dauernd anwesende Uebermacht ein- fuer allemal ein +Ende zu machen; die schwaechliche Gefuehlspolitik war bei all ihrer scheinbaren +Humanitaet weit grausamer, als die strengste Okkupation gewesen sein wuerde. In +Boeotien zum Beispiel musste Rom einen politischen Mord, wenn nicht +veranlassen, doch zulassen, weil man sich einmal entschlossen hatte, die +roemischen Truppen aus Griechenland wegzuziehen und somit den roemisch +gesinnten Griechen nicht wehren konnte, dass sie landueblicher Weise sich +selber halfen. Aber auch Rom selbst litt unter den Folgen dieser Halbheit. Der +Krieg mit Antiochos waere nicht entstanden ohne den politischen Fehler der +Befreiung Griechenlands, und er waere ungefaehrlich geblieben ohne den +militaerischen Fehler, aus den Hauptfestungen an der europaeischen Grenze die +Besatzungen wegzuziehen. Die Geschichte hat eine Nemesis fuer jede Suende, fuer +den impotenten Freiheitsdrang wie fuer den unverstaendigen Edelmut. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap09"></a>KAPITEL IX.<br/> +Der Krieg gegen Antiochos von Asien</h2> + +<p> +In dem Reiche Asien trug das Diadem der Seleukiden seit dem Jahre 531 (223) der +Koenig Antiochos der Dritte, der Urenkel des Begruenders der Dynastie. Auch er +war gleich Philippos mit neunzehn Jahren zur Regierung gekommen und hatte +Taetigkeit und Unternehmungsgeist genug namentlich in seinen ersten Feldzuegen +im Osten entwickelt, um ohne allzu arge Laecherlichkeit im Hofstil der Grosse +zu heissen. Mehr indes durch die Schlaffheit seiner Gegner, namentlich des +aegyptischen Philopator, als durch seine eigene Tuechtigkeit war es ihm +gelungen, die Integritaet der Monarchie einigermassen wiederherzustellen und +zuerst die oestlichen Satrapien Medien und Parthyene, dann auch den von Achaeos +diesseits des Tauros in Kleinasien begruendeten Sonderstaat wieder mit der +Krone zu vereinigen. Ein erster Versuch, das schmerzlich entbehrte syrische +Kuestenland den Aegyptern zu entreissen, war im Jahre der Trasimenischen +Schlacht von Philopator bei Raphia blutig zurueckgewiesen worden, und Antiochos +hatte sich wohl gehuetet, mit Aegypten den Streit wieder aufzunehmen, solange +dort ein Mann, wenn auch ein schlaffer, auf dem Thron sass. Aber nach +Philopators Tode (549 205) schien der rechte Augenblick gekommen, mit Aegypten +ein Ende zu machen; Antiochos verband sich zu diesem Zweck mit Philippos und +hatte sich auf Koilesyrien geworfen, waehrend dieser die kleinasiatischen +Staedte angriff. Als die Roemer hier intervenierten, schien es einen +Augenblick, als werde Antiochos gegen sie mit Philippos gemeinschaftliche Sache +machen, wie die Lage der Dinge und der Buendnisvertrag es mit sich brachten. +Allein nicht weitsichtig genug, um ueberhaupt die Einmischung der Roemer in die +Angelegenheiten des Ostens sofort mit aller Energie zurueckzuweisen, glaubte +Antiochos seinen Vorteil am besten zu wahren, wenn er Philippos’ leicht +vorauszusehende Ueberwaeltigung durch die Roemer dazu nutzte, um das +Aegyptische Reich, das er mit Philippos hatte teilen wollen, nun fuer sich +allein zu gewinnen. Trotz der engen Beziehungen Roms zu dem alexandrinischen +Hof und dem koeniglichen Muendel hatte doch der Senat keineswegs die Absicht, +wirklich, wie er sich nannte, dessen “Beschuetzer” zu sein; fest +entschlossen, sich um die asiatischen Angelegenheiten nicht anders als im +aeussersten Notfall zu bekuemmern und den Kreis der roemischen Macht mit den +Saeulen des Herakles und dem Hellespont zu begrenzen, liess er den Grosskoenig +machen. Mit der Eroberung des eigentlichen Aegypten, die leichter gesagt als +getan war, mochte es freilich diesem selbst nicht recht ernst sein; dagegen +ging er daran, die auswaertigen Besitzungen Aegyptens eine nach der andern zu +unterwerfen und griff zunaechst die kilikischen sowie die syrischen und +palaestinensischen an. Der grosse Sieg, den er im Jahre 556 (198) am Berge +Panion bei den Jordanquellen ueber den aegyptischen Feldherrn Skopas erfocht, +gab ihm nicht bloss den vollstaendigen Besitz dieses Gebiets bis an die Grenze +des eigentlichen Aegypten, sondern schreckte die aegyptischen Vormuender des +jungen Koenigs so sehr, dass dieselben, um Antiochos vom Einruecken in Aegypten +abzuhalten, sich zum Frieden bequemten und durch das Verloebnis ihres Muendels +mit der Tochter des Antiochos, Kleopatra, den Frieden besiegelten. Nachdem also +das naechste Ziel erreicht war, ging Antiochos in dem folgenden Jahr, dem der +Schlacht von Kynoskephalae, mit einer starken Flotte von 100 Deck- und 100 +offenen Schiffen nach Kleinasien, um die ehemals aegyptischen Besitzungen an +der Sued- und Westkueste Kleinasiens in Besitz zu nehmen - wahrscheinlich hatte +die aegyptische Regierung diese Distrikte, die faktisch in Philippos’ +Haenden waren, im Frieden an Antiochos abgetreten und ueberhaupt auf die +saemtlichen auswaertigen Besitzungen zu dessen Gunsten verzichtet - und um +ueberhaupt die kleinasiatischen Griechen wieder zum Reiche zu bringen. Zugleich +sammelte sich ein starkes syrisches Landheer in Sardes. +</p> + +<p> +Dieses Beginnen war mittelbar gegen die Roemer gerichtet, welche von Anfang an +Philippos die Bedingung gestellt hatten, seine Besatzungen aus Kleinasien +wegzuziehen und den Rhodiern und Pergamenern ihr Gebiet, den Freistaedten die +bisherige Verfassung ungekraenkt zu lassen, und nun an Philippos’ Stelle +sich Antiochos derselben bemaechtigen sehen mussten. Unmittelbar aber sahen +sich Attalos und die Rhodier jetzt von Antiochos durchaus mit derselben Gefahr +bedroht, die sie wenige Jahre zuvor zum Kriege gegen Philippos getrieben hatte; +und natuerlich suchten sie die Roemer in diesen Krieg ebenso wie in den eben +beendigten zu verwickeln. Schon 555/56 (199/98) hatte Attalos von den Roemern +militaerische Hilfe begehrt gegen Antiochos, der sein Gebiet besetzt habe, +waehrend Attalos’ Truppen in dem roemischen Kriege beschaeftigt seien. +Die energischeren Rhodier erklaerten sogar dem Koenig Antiochos, als im +Fruehjahr 557 (197) dessen Flotte an der kleinasiatischen Kueste hinauf +segelte, dass sie die Ueberschreitung der Chelidonischen Inseln (an der +lykischen Kueste) als Kriegserklaerung betrachten wuerden, und als Antiochos +sich hieran nicht kehrte, hatten sie, ermutigt durch die eben eintreffende +Kunde von der Schlacht bei Kynoskephalae, sofort den Krieg begonnen und die +wichtigsten karischen Staedte Kaunos, Halikarnassos, Myndos, ferner die Insel +Samos in der Tat vor dem Koenig geschuetzt. Auch von den halbfreien Staedten +hatten zwar die meisten sich demselben gefuegt, allein einige derselben, +namentlich die wichtigen Staedte Smyrna, Alexandreia, Trogs und Lampsakos +hatten auf die Kunde von der Ueberwaeltigung Philipps gleichfalls Mut bekommen, +sich dem Syrer zu widersetzen, und ihre dringenden Bitten vereinigten sich mit +denen der Rhodier. Es ist nicht zu bezweifeln, dass Antiochos, soweit er +ueberhaupt faehig war, einen Entschluss zu fassen und festzuhalten, schon jetzt +es bei sich festgestellt hatte, nicht bloss die aegyptischen Besitzungen in +Asien an sich zu bringen, sondern auch in Europa fuer sich zu erobern und einen +Krieg deswegen mit Rom wo nicht zu suchen, doch es darauf ankommen zu lassen. +Die Roemer hatten insofern alle Ursache, jenem Ansuchen ihrer Bundesgenossen zu +willfahren und in Asien unmittelbar zu intervenieren; aber sie bezeigten sich +dazu wenig geneigt. Nicht bloss zauderte man, solange der Makedonische Krieg +waehrte, und gab dem Attalos nichts als den Schutz diplomatischer Verwendung, +die uebrigens zunaechst sich wirksam erwies; sondern auch nach dem Siege sprach +man wohl es aus, dass die Staedte, die Ptolemaeos und Philippos in Haenden +gehabt, nicht von Antiochos sollten in Besitz genommen werden, und die Freiheit +der asiatischen Staedte Myrina, Abydos, Lampsakos ^1, Kios figurierte in den +roemischen Aktenstuecken, allein man tat nicht das Geringste, um sie +durchzusetzen und liess es geschehen, dass Koenig Antiochos die gute +Gelegenheit des Abzugs der makedonischen Besatzungen aus denselben benutzte, um +die seinigen hineinzulegen. Ja man ging so weit, sich selbst dessen Landung in +Europa im Fruehjahr 557 (197) und sein Einruecken in den Thrakischen +Chersonesos gefallen zu lassen, wo er Sestos und Madytos in Besitz nahm und +laengere Zeit verwandte auf die Zuechtigung der thrakischen Barbaren und die +Wiederherstellung des zerstoerten Lysimacheia, das er zu seinem +Hauptwaffenplatz und zur Hauptstadt der neugegruendeten Satrapie Thrakien +ausersehen hatte. Flamininus, in dessen Haenden die Leitung dieser +Angelegenheiten sich befand, schickte wohl nach Lysimacheia an den Koenig +Gesandte, die von der Integritaet des aegyptischen Gebiets und von der Freiheit +der saemtlichen Hellenen redeten; allein es kam dabei nichts heraus. Der Koenig +redete wiederum von seinen unzweifelhaften Rechtstiteln auf das alte, von +seinem Ahnherrn Seleukos eroberte Reich des Lysimachos, setzte auseinander, +dass er nicht beschaeftigt sei, Land zu erobern, sondern einzig die Integritaet +seines angestammten Gebiets zu wahren, und lehnte die roemische Vermittlung in +seinen Streitigkeiten mit den ihm untertaenigen Staedten in Kleinasien ab. Mit +Recht konnte er hinzufuegen, dass mit Aegypten bereits Friede geschlossen sei +und es den Roemern insofern an einem formellen Grund fehle zu intervenieren ^2. +Die ploetzliche Heimkehr des Koenigs nach Asien, veranlasst durch die falsche +Nachricht von dem Tode des jungen Koenigs von Aegypten und die dadurch +hervorgerufenen Projekte einer Landung auf Kypros oder gar in Alexandreia, +beendigte die Konferenzen, ohne dass man auch nur zu einem Abschluss, +geschweige denn zu einem Resultat gekommen waere. Das folgende Jahr 559 (195) +kam Antiochos wieder nach Lysimacheia mit verstaerkter Flotte und Armee und +beschaeftigte sich mit der Einrichtung der neuen Satrapie, die er seinem Sohne +Seleukos bestimmte; in Ephesos kam Hannibal zu ihm, der von Karthago hatte +landfluechtig werden muessen, und der ungemein ehrenvolle Empfang, der ihm +zuteil ward, war so gut wie eine Kriegserklaerung gegen Rom. Nichtsdestoweniger +zog noch im Fruehjahr 560 (194) Flamininus saemtliche roemische Besatzungen aus +Griechenland heraus. Es war dies unter den obwaltenden Verhaeltnissen +wenigstens eine arge Verkehrtheit, wenn nicht ein straefliches Handeln wider +das eigene bessere Wissen; denn der Gedanke laesst sich nicht abweisen, dass +Flamininus, um nur den Ruhm des gaenzlich beendigten Krieges und des befreiten +Hellas ungeschmaelert heimzubringen, sich begnuegte, das glimmende Feuer des +Aufstandes und des Krieges vorlaeufig oberflaechlich zu verschuetten. Der +roemische Staatsmann mochte vielleicht recht haben, wenn er jeden Versuch, +Griechenland unmittelbar in roemische Botmaessigkeit zu bringen und jede +Intervention der Roemer in die asiatischen Angelegenheiten fuer einen +politischen Fehler erklaerte; aber die gaerende Opposition in Griechenland, der +schwaechliche Uebermut des Asiaten, das Verweilen des erbitterten +Roemerfeindes, der schon den Westen gegen Rom in Waffen gebracht hatte, im +syrischen Hauptquartier, alles dies waren deutliche Anzeichen des Herannahens +einer neuen Schilderhebung des hellenischen Ostens, deren Ziel mindestens sein +musste, Griechenland aus der roemischen Klientel in die der antiroemisch +gesinnten Staaten zu bringen und, wenn dies erreicht worden waere, sofort sich +weiter gesteckt haben wuerde. Es ist einleuchtend, dass Rom dies nicht +geschehen lassen konnte. Indem Flamininus, all jene sicheren Kriegsanzeichen +ignorierend, aus Griechenland die Besatzungen wegzog und gleichzeitig dennoch +an den Koenig von Asien Forderungen stellte, fuer die marschieren zu lassen er +nicht gesonnen war, tat er in Worten zu viel, was in Taten zu wenig und vergass +seiner Feldherrn- und Buergerpflicht ueber der eigenen Eitelkeit, die Rom den +Frieden und den Griechen in beiden Weltteilen die Freiheit geschenkt zu haben +wuenschte und waehnte. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Nach einem kuerzlich aufgefundenen Dekret der Stadt Lampsakos (AM 6, 1891, +S. 95) schickten die Lampsakener nach der Niederlage Philipps Gesandte an den +roemischen Senat mit der Bitte, dass die Stadt in den zwischen Rom und dem +Koenig (Philippos) abgeschlossenen Vertrag mit einbezogen werden moege (όπως +συμπεριληφθώμεν [εν ταίς συνθήκαις] ταίς γενομέναις Ρωμαίοις πρός τόν +[βασιλέα]), welche der Senat, wenigstens nach der Auffassung der Bittsteller, +denselben gewaehrte und sie im uebrigen an Flamininus und die zehn Gesandten +wies. Von diesem erbitten dann dieselben in Korinth Garantie ihrer Verfassung +und Briefe an die Koenige. Flamininus gibt ihnen auch dergleichen Schreiben; +ueber den Inhalt erfahren wir nichts Genaueres, als dass in dem Dekret die +Gesandtschaft als erfolgreich bezeichnet wird. Aber wenn der Senat und +Flamininus die Autonomie und Demokratie der Lampsakener formell und positiv +garantiert haetten, wuerde das Dekret schwerlich so ausfuehrlich bei den +hoeflichen Antworten verweilen, welche die unterwegs um Verwendung bei dem +Senat angesprochenen roemischen Befehlshaber den Gesandten erteilten. +</p> + +<p> +Bemerkenswert ist in dieser Urkunde noch die gewiss auf die troische Legende +zurueckgehende “Bruederschaft” der Lampsakener und der Roemer und +die von jenen mit Erfolg angerufene Vermittlung der Bundesgenossen und Freunde +Roms, der Massalioten, welche mit den Lampsakenern durch die gemeinsame +Mutterstadt Phokaea verbunden waren. +</p> + +<p> +^2 Das bestimmte Zeugnis des Hieronymos, welcher das Verloebnis der syrischen +Kleopatra mit Ptolemaeos Epiphanes in das Jahr 556 (198) setzt, in Verbindung +mit den Andeutungen bei Livius (33, 40) und Appian (Syr. 3) und mit dem +wirklichen Vollzug der Vermaehlung im Jahre 561 (193) setzen es ausser Zweifel +dass die Einmischung der Roemer in die aegyptischen Angelegenheiten in diesem +Fall eine formell unberufene war. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +Antiochos nuetzte die unerwartete Frist, um im Innern und mit seinen Nachbarn +die Verhaeltnisse zu befestigen, bevor er den Krieg beginnen wuerde, zu dem er +seinerseits entschlossen war und immer mehr es ward, je mehr der Feind zu +zoegern schien. Er vermaehlte jetzt (561 193) dem jungen Koenig von Aegypten +dessen Verlobte, seine Tochter Kleopatra; dass er zugleich seinem Schwiegersohn +die Rueckgabe der ihm entrissenen Provinzen versprochen habe, ward zwar spaeter +aegyptischerseits behauptet, allein wahrscheinlich mit Unrecht, und jedenfalls +blieb faktisch das Land bei dem Syrischen Reiche ^3. Er bot dem Eumenes, der im +Jahre 557 (197) seinem Vater Attalos auf dem Thron von Pergamon gefolgt war, +die Zurueckgabe der ihm abgenommenen Staedte und gleichfalls eine seiner +Toechter zur Gemahlin, wenn er von dem roemischen Buendnis lassen wolle. Ebenso +vermaehlte er eine Tochter dem Koenig Ariarathes von Kappadokien und gewann die +Galater durch Geschenke, waehrend er die stets aufruehrerischen Pisidier und +andere kleine Voelkerschaften mit den Waffen bezwang. Den Byzantiern wurden +ausgedehnte Privilegien bewilligt; in Hinsicht der kleinasiatischen Staedte +erklaerte der Koenig, dass er die Unabhaengigkeit der alten Freistaedte wie +Rhodos und Kyzikos, zugestehen und hinsichtlich der uebrigen sich begnuegen +wolle mit einer bloss formellen Anerkennung seiner landesherrlichen Gewalt; er +gab sogar zu verstehen, dass er bereit sei, sich dem Schiedsspruch der Rhodier +zu unterwerfen. Im europaeischen Griechenland war er der Aetoler gewiss und +hoffte auch Philippos wieder unter die Waffen zu bringen. Ja es erhielt ein +Plan Hannibals die koenigliche Genehmigung, wonach dieser von Antiochos eine +Flotte von 100 Segeln und ein Landheer von 10000 Mann zu Fuss und 1000 Reitern +erhalten und damit zuerst in Karthago den Dritten Punischen und sodann in +Italien den Zweiten Hannibalischen Krieg erwecken sollte; tyrische Emissaere +gingen nach Karthago, um die Schilderhebung daselbst einzuleiten. Man hoffte +endlich auf Erfolge der spanischen Insurrektion, die eben als Hannibal Karthago +verliess auf ihrem Hoehepunkt stand. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^3 Wir haben dafuer das Zeugnis des Polybios (28, 1), das die weitere +Geschichte Judaeas vollkommen bestaetigt; Eusebios (chron. p. 117 Mai) irrt, +wenn er Philometor zum Herrn von Syrien macht. Allerdings finden wir, dass um +567 (187) syrische Steuerpaechter ihre Abgaben nach Alexandreia zahlen (Ios. +ant. Iud. 12, 4, 7); allein ohne Zweifel geschah dies unbeschadet der +Souveraenitaetsrechte nur deswegen, weil die Mitgift der Kleopatra auf diese +Stadtgefaelle angewiesen war; und eben daher entsprang spaeter vermutlich der +Streit. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +Waehrend also von langer Hand und im weitesten Umfang der Sturm gegen Rom +vorbereitet ward, waren es wie immer die in diese Unternehmung verwickelten +Hellenen, die am wenigsten bedeuteten und am wichtigsten und ungeduldigsten +taten. Die erbitterten und uebermuetigen Aetoler fingen nachgerade selber an zu +glauben, dass Philippos von ihnen und nicht von den Roemern ueberwunden worden +sei, und konnten es gar nicht erwarten, dass Antiochos in Griechenland +einruecke. Ihre Politik ist charakterisiert durch die Antwort, die ihr Strateg +bald darauf dem Flamininus gab, da derselbe eine Abschrift der Kriegserklaerung +gegen Rom begehrte: die werde er selber ihm ueberbringen, wenn das aetolische +Heer am Tiber lagern werde. Die Aetoler machten die Geschaeftstraeger des +syrischen Koenigs fuer Griechenland und taeuschten beide Teile, indem sie dem +Koenig vorspiegelten, dass alle Hellenen die Arme nach ihm als ihrem rechten +Erloeser, ausstreckten, und denen, die in Griechenland auf sie hoeren wollten, +dass die Landung des Koenigs naeher sei, als sie wirklich war. So gelang es +ihnen in der Tat, den einfaeltigen Eigensinn des Nabis zum Losschlagen zu +bestimmen und damit in Griechenland das Kriegsfeuer zwei Jahre nach +Flamininus’ Entfernung, im Fruehling 562 (192) wieder anzufachen; allein +sie verfehlten damit ihren Zweck. Nabis warf sich auf Gythion, eine der durch +den letzten Vertrag an die Achaeer gekommenen Staedte der freien Lakonen und +nahm sie ein, allein der kriegserfahrene Strateg, der Achaeer Philopoemen, +schlug ihn an den Barbosthenischen Bergen und kaum den vierten Teil seines +Heeres brachte der Tyrann wieder in seine Hauptstadt zurueck, in der +Philopoemen ihn einschloss. Da ein solcher Anfang freilich nicht genuegte, um +Antiochos nach Europa zufuehren, beschlossen die Aetoler, sich selber in den +Besitz von Sparta, Chalkis und Demetrias zu setzen und durch den Gewinn dieser +wichtigen Staedte den Koenig zur Einschiffung zu bestimmen. Zunaechst gedachte +man sich Spartas dadurch zu bemaechtigen, dass der Aetoler Alexamenos, unter +dem Vorgeben, bundesmaessigen Zuzug zu bringen, mit 1000 Mann in die Stadt +einrueckend, bei dieser Gelegenheit den Nabis aus dem Wege raeume und die Stadt +besetze. Es geschah so und Nabis ward bei einer Heerschau erschlagen; allein +als die Aetoler darauf, um die Stadt zu pluendern, sich zerstreuten, fanden die +Lakedaemonier Zeit sich zu sammeln und machten sie bis auf den letzten Mann +nieder. Die Stadt liess darauf von Philopoemen sich bestimmen, in den +Achaeischen Bund einzutreten. Nachdem den Aetolern dies loebliche Projekt also +verdientermassen nicht bloss gescheitert war, sondern gerade den +entgegengesetzten Erfolg gehabt hatte, fast den ganzen Peloponnes in den +Haenden der Gegenpartei zu einigen, ging es ihnen auch in Chalkis wenig besser, +indem die roemische Partei daselbst gegen die Aetoler und die chalkidischen +Verbannten die roemisch gesinnten Buergerschaften von Eretria und Karystos auf +Euboea rechtzeitig herbeirief. Dagegen glueckte die Besetzung von Demetrias, da +die Magneten, denen die Stadt zugefallen war, nicht ohne Grund fuerchteten, +dass sie von den Roemern dem Philippos als Preis fuer die Hilfe gegen Antiochos +versprochen sei; es kam hinzu, dass mehrere Schwadronen aetolischer Reiter +unter dem Vorwende, dem Eurylochos, dem zurueckgerufenen Haupt der Opposition +gegen Rom, das Geleite zu geben, sich in die Stadt einzuschleichen wussten. So +traten die Magneten halb freiwillig, halb gezwungen auf die Seite der Aetoler, +und man saeumte nicht, dies bei dem Seleukiden geltend zu machen. +</p> + +<p> +Antiochos entschloss sich. Der Bruch mit Rom, so sehr man auch bemueht war, ihn +durch das diplomatische Palliativ der Gesandtschaften hinauszuschieben, liess +sich nicht laenger vermeiden. Schon im Fruehling 561 (193) hatte Flamininus, +der fortfuhr, im Senat in den oestlichen Angelegenheiten das entscheidende Wort +zu haben, gegen die Boten des Koenigs Menippos und Hegesianax das roemische +Ultimatum ausgesprochen: entweder aus Europa zu weichen und in Asien nach +seinem Gutduenken zu schalten, oder Thrakien zu behalten und das Schutzrecht +der Roemer ueber Smyrna, Lampsakos und Alexandreia Troas sich gefallen zu +lassen. Dieselben Forderungen waren in Ephesos, dem Hauptwaffenplatz und +Standquartier des Koenigs in Kleinasien, im Fruehling 562 (192) noch einmal +zwischen Antiochos und den Gesandten des Senats Publius Sulpicius und Publius +Villius, verhandelt worden, und von beiden Seiten hatte man sich getrennt mit +der Ueberzeugung, dass eine friedliche Einigung nicht mehr moeglich sei. In Rom +war seitdem der Krieg beschlossen. Schon im Sommer 562 (192) erschien eine +roemische Flotte von 30 Segeln mit 3000 Soldaten an Bord unter Aulus Atilius +Serranus vor Gythion, wo ihr Eintreffen den Abschluss des Vertrags zwischen den +Achaeern und Spartanern beschleunigte; die sizilische und italische Ostkueste +wurde stark besetzt, um gegen etwaige Landungsversuche gesichert zu sein; fuer +den Herbst ward in Griechenland ein Landheer erwartet. Flamininus bereiste im +Auftrag des Senats seit dem Fruehjahr 562 (192) Griechenland, um die Intrigen +der Gegenpartei zu hintertreiben und soweit moeglich die unzeitige Raeumung +Griechenlands wiedergutzumachen. Bei den Aetolern war es schon so weit +gekommen, dass die Tagsatzung foermlich den Krieg gegen Rom beschloss. Dagegen +gelang es dem Flamininus, Chalkis fuer die Roemer zu retten, indem er eine +Besatzung von 500 Achaeern und 500 Pergamenern hineinwarf. Er machte ferner +einen Versuch, Demetrias wieder zu gewinnen; und die Magneten schwankten. Wenn +auch einige kleinasiatische Staedte, die Antiochos vor dem Beginn des grossen +Krieges zu bezwingen sich vorgenommen, noch widerstanden, er durfte jetzt nicht +laenger mit der Landung zoegern, wofern er nicht die Roemer all die Vorteile +wiedergewinnen lassen wollte, die sie durch die Wegziehung ihrer Besatzungen +aus Griechenland zwei Jahre zuvor aufgegeben hatten. Antiochos nahm die Schiffe +und Truppen zusammen, die er eben unter der Hand hatte - es waren nur 40 +Deckschiffe und 10000 Mann zu Fuss nebst 500 Pferden und sechs Elefanten - und +brach vom thrakischen Chersonesos nach Griechenland auf, wo er im Herbst 562 +(192) bei Pteleon am Pagasaeischen Meerbusen an das Land stieg und sofort das +nahe Demetrias besetzte. Ungefaehr um dieselbe Zeit landete auch ein roemisches +Heer von etwa 25000 Mann unter dem Praetor Marcus Baebius bei Apollonia. Also +war von beiden Seiten der Krieg begonnen. +</p> + +<p> +Es kam darauf an, wie weit jene umfassend angelegte Koalition gegen Rom, als +deren Haupt Antiochos auftrat, sich realisieren werde. Was zunaechst den Plan +betraf, in Karthago und Italien den Roemern Feinde zu erwecken, so traf +Hannibal wie ueberall so auch am Hof zu Ephesos das Los, seine grossartigen und +hochherzigen Plaene fuer kleinkraemerischer und niedriger Leute Rechnung +entworfen zu haben. Zu ihrer Ausfuehrung geschah nichts, als dass man einige +karthagische Patrioten kompromittierte; den Karthagern blieb keine andere Wahl, +als sich den Roemern unbedingt botmaessig zu erweisen. Die Kamarilla wollte +eben den Hannibal nicht - der Mann war der Hofkabale zu unbequem gross, und +nachdem sie allerlei abgeschmackte Mittel versucht hatte, zum Beispiel den +Feldherrn, mit dessen Namen die Roemer ihre Kinder schreckten, des +Einverstaendnisses mit den roemischen Gesandten zu bezichtigen, gelang es ihr, +den grossen Antiochos, der wie alle unbedeutenden Monarchen auf seine +Selbstaendigkeit sich viel zugute tat und mit nichts so leicht zu beherrschen +war wie mit der Furcht, beherrscht zu werden, auf den weisen Gedanken zu +bringen, dass er sich nicht durch den vielgenannten Mann duerfe verdunkeln +lassen; worauf denn im hohen Rat beschlossen ward, den Phoeniker kuenftig nur +fuer untergeordnete Aufgaben und zum Ratgeben zu verwenden, vorbehaltlich +natuerlich den Rat nie zu befolgen. Hannibal raechte sich an dem Gesindel, +indem er jeden Auftrag annahm und jeden glaenzend ausfuehrte. +</p> + +<p> +In Asien hielt Kappadokien zu dem Grosskoenig; dagegen trat Prusias von +Bithynien wie immer auf die Seite des Maechtigeren. Koenig Eumenes blieb der +alten Politik seines Hauses getreu, die ihm erst jetzt die rechte Frucht tragen +sollte. Er hatte Antiochos’ Anerbietungen nicht bloss beharrlich +zurueckgewiesen, sondern auch die Roemer bestaendig zu einem Kriege gedraengt, +von dem er die Vergroesserung seines Reiches erwartete. Ebenso schlossen die +Rhodier und die Byzantier sich ihren alten Bundesgenossen an. Auch Aegypten +trat auf die Seite Roms und bot Unterstuetzung an Zufuhr und Mannschaft an, +welche man indes roemischerseits nicht annahm. +</p> + +<p> +In Europa kam es vor allem an auf die Stellung, die Philippos von Makedonien +einnehmen wuerde. Vielleicht waere es die richtige Politik fuer ihn gewesen, +sich, alles Geschehenen und nicht Geschehenen ungeachtet, mit Antiochos zu +vereinigen; allein Philippos ward in der Regel nicht durch solche Ruecksichten +bestimmt, sondern durch Neigung und Abneigung, und begreiflicherweise traf sein +Hass viel mehr den treulosen Bundesgenossen, der ihn gegen den +gemeinschaftlichen Feind im Stich gelassen hatte, um dafuer auch seinen Anteil +an der Beute einzuziehen und ihm in Thrakien ein laestiger Nachbar zu werden, +als seinen Besieger, der ihn ruecksichts- und ehrenvoll behandelt hatte. Es kam +hinzu, dass Antiochos durch Aufstellung abgeschmackter Praetendenten auf die +makedonische Krone und durch die prunkvolle Bestattung der bei Kynoskephalae +bleichenden makedonischen Gebeine den leidenschaftlichen Mann tief verletzte. +Er stellte seine ganze Streitmacht mit aufrichtigem Eifer den Roemern zur +Verfuegung. Ebenso entschieden wie die erste Macht Griechenlands hielt die +zweite, die Achaeische Eidgenossenschaft fest am roemischen Buendnis; von den +kleineren Gemeinden blieben ausserdem dabei die Thessaler und die Athener, bei +welchen letzteren eine von Flamininus in die Burg gelegte achaeische Besatzung +die ziemlich starke Patriotenpartei zur Vernunft brachte. Die Epeiroten gaben +sich Muehe, es womoeglich beiden Teilen recht zu machen. Sonach traten auf +Antiochos’ Seite ausser den Aetolern und den Magneten, denen ein Teil der +benachbarten Perrhaeber sich anschloss, nur der schwache Koenig der Athamanen, +Amynander, der sich durch toerichte Aussichten auf die makedonische +Koenigskrone blenden liess, die Boeoter, bei denen die Opposition gegen Rom +noch immer am Ruder war, und im Peloponnes die Eleer und Messenier, gewohnt, +mit den Aetolern gegen die Achaeer zu stehen. Das war denn freilich ein +erbaulicher Anfang; und der Oberfeldherrntitel mit unumschraenkter Gewalt, den +die Aetoler dem Grosskoenig dekretierten, schien zu dem Schaden der Spott. Man +hatte sich eben wie gewoehnlich beiderseits belogen: statt der unzaehlbaren +Scharen Asiens fuehrte der Koenig eine Armee heran, kaum halb so stark wie ein +gewoehnliches konsularisches Heer, und statt der offenen Arme, die saemtliche +Hellenen ihrem Befreier vom roemischen Joch entgegenstrecken sollten, trugen +ein paar Klephtenhaufen und einige verliederlichte Buergerschaften dem Koenig +Waffenbruederschaft an. +</p> + +<p> +Fuer den Augenblick freilich war Antiochos den Roemern im eigentlichen +Griechenland zuvorgekommen. Chalkis hatte Besatzung von den griechischen +Verbuendeten der Roemer und wies die erste Aufforderung zurueck; allein die +Festung ergab sich, als Antiochos mit seiner ganzen Macht davorrueckte, und +eine roemische Abteilung, die zu spaet kam, um sie zu besetzen, wurde beim +Delion von Antiochos vernichtet. Euboea also war fuer die Roemer verloren. Noch +machte schon im Winter Antiochos in Verbindung mit den Aetolern und Athamanen +einen Versuch, Thessalien zu gewinnen; die Thermopylen wurden auch besetzt, +Pherae und andere Staedte genommen, aber Appius Claudius kam mit 2000 Mann von +Apollonia heran, entsetzte Larisa und nahm hier Stellung. Antiochos, des +Winterfeldzugs muede, zog es vor, in sein lustiges Quartier nach Chalkis +zurueckzugehen, wo es hoch herging und der Koenig sogar trotz seiner fuenfzig +Jahre und seiner kriegerischen Plaene mit einer huebschen Chalkidierin Hochzeit +machte. So verstrich der Winter 562/63 (192/91), ohne dass Antiochos viel mehr +getan haette als in Griechenland hin- und herschreiben - er fuehre den Krieg +mit Tinte und Feder, sagte ein roemischer Offizier. Mit dem ersten Fruehjahr +563 (191) traf der roemische Stab bei Apollonia ein, der Oberfeldherr Manius +Acilius Glabrio, ein Mann von geringer Herkunft, aber ein tuechtiger, von den +Feinden wie von seinen Soldaten gefuerchteter Feldherr, der Admiral Gaius +Livius, unter den Kriegstribunen Marcus Porcius Cato, der Ueberwinder Spaniens, +und Lucius Valerius Flaccus, die nach altroemischer Weise es nicht +verschmaehten, obwohl gewesene Konsuln, wieder als einfache Kriegstribune in +das Heer einzutreten. Mit sich brachten sie Verstaerkungen an Schiffen und +Mannschaft, darunter numidische Reiter und libysche Elefanten, von Massinissa +gesendet, und die Erlaubnis des Senats, von den ausseritalischen Verbuendeten +bis zu 5000 Mann Hilfstruppen anzunehmen, wodurch die Gesamtzahl der roemischen +Streitkraefte auf etwa 40000 Mann stieg. Der Koenig, der im Anfang des +Fruehjahrs sich zu den Aetolern begeben und von da aus eine zwecklose +Expedition nach Akarnanien gemacht hatte, kehrte auf die Nachricht von Glabrios +Landung in sein Hauptquartier zurueck, um nun in allem Ernst den Feldzug zu +beginnen. Allein durch seine und seiner Stellvertreter in Asien Saumseligkeit +waren unbegreiflicherweise ihm alle Verstaerkungen ausgeblieben, so dass er +nichts hatte als das schwache und nun noch durch Krankheit und Desertion in den +liederlichen Winterquartieren dezimierte Heer, womit er im Herbst des vorigen +Jahres bei Pteleon gelandet war. Auch die Aetoler, die so ungeheure Massen +hatten ins Feld stellen wollen, fuehrten jetzt, da es galt, ihrem Oberfeldherrn +nicht mehr als 4000 Mann zu. Die roemischen Truppen hatten bereits die +Operationen in Thessalien begonnen, wo die Vorhut in Verbindung mit dem +makedonischen Heer die Besatzungen des Antiochos aus den thessalischen Staedten +hinausschlug und das Gebiet der Athamanen besetzte. Der Konsul mit der +Hauptarmee folgte nach; die Gesamtmacht der Roemer sammelte sich in Larisa. +Statt eilig nach Asien zurueckzukehren und vor dem in jeder Hinsicht +ueberlegenen Feind das Feld zu raeumen, beschloss Antiochos, sich in den von +ihm besetzten Thermopylen zu verschanzen und dort die Ankunft des grossen +Heeres aus Asien abzuwarten. Er selbst stellte in dem Hauptpass sich auf und +befahl den Aetolern, den Hochpfad zu besetzen, auf welchem es einst Xerxes +gelungen war, die Spartaner zu umgehen. Allein nur der Haelfte des aetolischen +Zuzugs gefiel es, diesem Befehl des Oberfeldherrn nachzukommen; die uebrigen +2000 Mann warfen sich in die nahe Stadt Herakleia, wo sie an der Schlacht +keinen andern Teil nahmen, als dass sie versuchten, waehrend derselben das +roemische Lager zu ueberfallen und auszurauben. Auch die auf dem Gebirg +postierten Aetoler betrieben den Wachdienst laessig und widerwillig; ihr Posten +auf dem Kallidromos liess sich von Cato ueberrumpeln, und die asiatische +Phalanx, die der Konsul mittlerweile von vorn angegriffen hatte, stob +auseinander, als ihr die Roemer den Berg hinabeilend in die Flanke fielen. Da +Antiochos fuer nichts gesorgt und an den Rueckzug nicht gedacht hatte, so ward +das Heer teils auf dem Schlachtfeld, teils auf der Flucht vernichtet; kaum dass +ein kleiner Haufen Demetrias, und der Koenig selbst mit 500 Mann Chalkis +erreichte. Eilig schiffte er sich nach Ephesos ein; Europa war bis auf die +thrakischen Besitzungen ihm verloren und nicht einmal die Festungen laenger zu +verteidigen. Chalkis ergab sich an die Roemer, Demetrias an Philippos, dem als +Entschaedigung fuer die fast schon von ihm vollendete und dann auf Befehl des +Konsuls aufgegebene Eroberung der Stadt Lamia in Achaia Phthiotis die Erlaubnis +ward, sich der saemtlichen zu Antiochos uebergetretenen Gemeinden im +eigentlichen Thessalien und selbst des aetolischen Grenzgebiets, der +dolopischen und aperantischen Landschaften, zu bemaechtigen. Was sich in +Griechenland fuer Antiochos ausgesprochen hatte, eilte, seinen Frieden zu +machen: die Epeiroten baten demuetig um Verzeihung fuer ihr zweideutiges +Benehmen, die Boeoter ergaben sich auf Gnade und Ungnade, die Eleer und +Messenier fuegten, die letzteren nach einigem Straeuben, sich den Achaeern. Es +erfuellte sich, was Hannibal dem Koenig vorhergesagt hatte, dass auf die +Griechen, die jedem Sieger sich unterwerfen wuerden, schlechterdings gar nichts +ankomme. Selbst die Aetoler versuchten, nachdem ihr in Herakleia +eingeschlossenes Korps nach hartnaeckiger Gegenwehr zur Kapitulation gezwungen +worden war, mit den schwer gereizten Roemern ihren Frieden zu machen; indes die +strengen Forderungen des roemischen Konsuls und eine rechtzeitig von Antiochos +einlaufende Geldsendung gaben ihnen den Mut, die Verhandlungen noch einmal +abzubrechen und waehrend zwei ganzer Monate die Belagerung in Naupaktos +auszuhalten. Schon war die Stadt aufs Aeusserste gebracht und die Erstuermung +oder die Kapitulation nicht mehr fern, als Flamininus, fortwaehrend bemueht, +jede hellenische Gemeinde vor den aergsten Folgen ihres eigenen Unverstandes +und vor der Strenge seiner rauheren Kollegen zu bewahren, sich ins Mittel +schlug und zunaechst einen leidlichen Waffenstillstand zustande brachte. Damit +ruhten in ganz Griechenland, vorlaeufig wenigstens, die Waffen. +</p> + +<p> +Ein ernsterer Krieg stand in Asien bevor, den nicht so sehr der Feind, als die +weite Entfernung und die unsichere Verbindung mit der Heimat in sehr +bedenklichem Licht erscheinen liessen, waehrend doch bei Antiochos’ +kurzsichtigem Eigensinn der Krieg nicht wohl anders als durch einen Angriff im +eigenen Lande des Feindes beendet werden konnte. Es galt zunaechst, sich der +See zu versichern. Die roemische Flotte, die waehrend des Feldzugs in +Griechenland die Aufgabe gehabt hatte, die Verbindung zwischen Griechenland und +Kleinasien zu unterbrechen, und der es auch gelungen war, um die Zeit der +Schlacht bei den Thermopylen einen starken asiatischen Transport bei Andros +aufzugreifen, war seitdem beschaeftigt, den Uebergang der Roemer nach Asien +fuer das naechste Jahr vorzubereiten und zunaechst die feindliche Flotte aus +dem Aegaeischen Meer zu vertreiben. Dieselbe lag im Hafen von Kyssus auf dem +suedlichen Ufer der gegen Chios auslaufenden Landzunge Ioniens; dort suchte die +roemische sie auf, bestehend aus 75 roemischen, 23 pergamenischen und sechs +karthagischen Deckschiffen unter der Fuehrung des Gaius Livius. Der syrische +Admiral Polyxenidas, ein rhodischer Emigrierter, hatte nur 70 Deckschiffe +entgegenzustellen; allein da die roemische Flotte noch die rhodischen Schiffe +erwartete und Polyxenidas auf die ueberlegene Seetuechtigkeit namentlich der +tyrischen und sidonischen Schiffe vertraute, nahm er den Kampf sogleich an. Zu +Anfang zwar gelang es den Asiaten, eines der karthagischen Schiffe zu +versenken; allein sowie es zum Entern kam, siegte die roemische Tapferkeit und +nur der Schnelligkeit ihrer Ruder und Segel verdankten es die Gegner, dass sie +nicht mehr als 23 Schiffe verloren. Noch waehrend des Nachsetzens stiessen zu +der roemischen Flotte 25 rhodische Schiffe und die Ueberlegenheit der Roemer in +diesen Gewaessern war nun zwiefach entschieden. Die feindliche Flotte verhielt +sich seitdem ruhig im Hafen von Ephesos, und da es nicht gelang, sie zu einer +zweiten Schlacht zu bestimmen, loeste die roemisch-bundesgenoessische Flotte +fuer den Winter sich auf; die roemischen Kriegsschiffe gingen nach dem Hafen +von Kane in der Naehe von Pergamon. Beiderseits war man waehrend des Winters +fuer den naechsten Feldzug Vorbereitungen zu treffen bemueht. Die Roemer +suchten die kleinasiatischen Griechen auf ihre Seite zu bringen: Smyrna, das +alle Versuche des Koenigs, der Stadt sich zu bemaechtigen, beharrlich +zurueckgewiesen hatte, nahm die Roemer mit offenen Armen auf und auch in Samos, +Chios, Erythrae, Klazomenae, Phokaea, Kyme und sonst gewann die roemische +Partei die Oberhand. Antiochos war entschlossen, den Roemern womoeglich den +Uebergang nach Asien zu wehren, weshalb er eifrig zur See ruestete und teils +durch Polyxenidas die bei Ephesos stationierende Flotte herstellen und +vermehren, teils durch Hannibal in Lykien, Syrien und Phoenikien eine neue +Flotte ausruesten liess, ausserdem aber ein gewaltiges Landheer aus allen +Gegenden seines weitlaeufigen Reiches in Kleinasien zusammentrieb. Frueh im +naechsten Jahre (564 190) nahm die roemische Flotte ihre Operationen wieder +auf. Gaius Livius liess durch die rhodische Flotte, die diesmal, 36 Segel +stark, rechtzeitig erschienen war, die feindliche auf der Hoehe von Ephesos +beobachten und ging mit dem groessten Teil der roemischen und den +pergamenischen Schiffen nach dem Hellespont, um seinem Auftrag gemaess durch +die Wegnahme der Festungen daselbst den Uebergang des Landheeres vorzubereiten. +Schon war Sestos besetzt und Abydos aufs Aeusserste gebracht, als ihn die Kunde +von der Niederlage der rhodischen Flotte zurueckrief. Der rhodische Admiral +Pausistratos, eingeschlaefert durch die Vorspiegelungen seines Landsmannes, von +Antiochos abfallen zu wollen, hatte sich im Hafen von Samos ueberrumpeln +lassen, er selbst war gefallen, seine saemtlichen Schiffe bis auf fuenf +rhodische und zwei troische Segel waren vernichtet, Samos, Phokaea, Kyme auf +diese Botschaft zu Seleukos uebergetreten, der in diesen Gegenden fuer seinen +Vater den Oberbefehl zu Lande fuehrte. Indes als die roemische Flotte teils von +Kane, teils vom Hellespont herbeikam und nach einiger Zeit zwanzig neue Schiffe +der Rhodier bei Samos sich mit ihr vereinigten, ward Polyxenidas abermals +genoetigt, sich in den Hafen von Ephesos einzuschliessen. Da er die angebotene +Seeschlacht verweigerte und bei der geringen Zahl der roemischen Mannschaften +an einen Angriff von der Landseite nicht zu denken war, blieb auch der +roemischen Flotte nichts uebrig, als gleichfalls sich bei Samos aufzustellen. +Eine Abteilung ging inzwischen nach Patara an die lykische Kueste, um teils den +Rhodiern gegen die sehr beschwerlichen, von dorther auf sie gerichteten +Angriffe Ruhe zu verschaffen, teils und vornehmlich, um die feindliche Flotte, +die Hannibal heranfuehren sollte, vom Aegaeischen Meer abzusperren. Als dieses +Geschwader gegen Patara nichts ausrichtete, erzuernte der neue Admiral Lucius +Aemilius Regillus, der mit 20 Kriegsschiffen von Rom angelangt war und bei +Samos den Gaius Livius abgeloest hatte, sich darueber so sehr, dass er mit der +ganzen Flotte dorthin aufbrach; kaum gelang es seinen Offizieren, ihm unterwegs +begreiflich zu machen, dass es zunaechst nicht auf die Eroberung von Patara +ankomme, sondern auf die Beherrschung des Aegaeischen Meeres, und ihn zur +Umkehr nach Samos zu bestimmen. Auf dem kleinasiatischen Festland hatte +mittlerweile Seleukos die Belagerung von Pergamon begonnen, waehrend Antiochos +mit dem Hauptheer das pergamenische Gebiet und die Besitzungen der Mytilenaeer +auf dem Festland verwuestete; man hoffte, mit den verhassten Attaliden fertig +zu werden, bevor die roemische Hilfe erschien. Die roemische Flotte ging nach +Elaea und dem Hafen von Adramyttion, um den Bundesgenossen zu helfen; allein da +es dem Admiral an Truppen fehlte, richtete er nichts aus. Pergamon schien +verloren; aber die schlaff und nachlaessig geleitete Belagerung gestattete dem +Eumenes, achaeische Hilfstruppen unter Diophanes in die Stadt zu werfen, deren +kuehne und glueckliche Ausfaelle die mit der Belagerung beauftragten gallischen +Soeldner des Antiochos dieselbe aufzuheben zwangen. Auch in den suedlichen +Gewaessern wurden die Entwuerfe des Antiochos vereitelt. Die von Hannibal +geruestete und gefuehrte Flotte versuchte, nachdem sie lange durch die +stehenden Westwinde zurueckgehalten worden war, endlich in das Aegaeische Meer +zu gelangen; allein an der Muendung des Eurymedon vor Aspendos in Pamphylien +traf sie auf ein rhodisches Geschwader unter Eudamos, und in der Schlacht, die +die beiden Flotten sich hier lieferten, trug ueber Hannibals Taktik und ueber +die numerische Ueberzahl die Vorzueglichkeit der rhodischen Schiffe und +Seeoffiziere den Sieg davon - es war dies die erste Seeschlacht und die letzte +Schlacht gegen Rom, die der grosse Karthager schlug. Die siegreiche rhodische +Flotte stellte darauf sich bei Patara auf und hemmte hier die beabsichtigte +Vereinigung der beiden asiatischen Flotten. Im Aegaeischen Meer ward die +roemisch-rhodische Flotte bei Samos, nachdem sie durch die Entsendung der +pergamenischen Schiffe in den Hellespont zur Unterstuetzung des dort eben +anlangenden Landheers sich geschwaecht hatte, nun ihrerseits von der des +Polyxenidas angegriffen, der jetzt neun Segel mehr zaehlte als der Gegner. Am +23. Dezember des unberichtigten Kalenders, nach dem berichtigten etwa Ende +August 564 (190), kam es zur Schlacht am Vorgebirg Myonnesos zwischen Teos und +Kolophon; die Roemer durchbrachen die feindliche Schlachtlinie und umzingelten +den linken Fluegel gaenzlich, so dass 42 Schiffe von ihnen genommen wurden oder +sanken. Viele Jahrhunderte nachher verkuendigte den Roemern die Inschrift in +saturnischem Mass ueber dem Tempel der Seegeister, der zum Andenken dieses +Sieges auf dem Marsfeld erbaut ward, wie vor den Augen des Koenigs Antiochos +und seines ganzen Landheers die Flotte der Asiaten geschlagen worden und die +Roemer also “den grossen Zwist schlichteten und die Koenige +bezwangen”. Seitdem wagten die feindlichen Schiffe nicht mehr, sich auf +der offenen See zu zeigen und versuchten nicht weiter, den Uebergang des +roemischen Landheers zu erschweren. +</p> + +<p> +Zur Fuehrung des Krieges auf dem asiatischen Kontinent war in Rom der Sieger +von Zama ausersehen worden, der in der Tat den Oberbefehl fuehrte fuer den +nominellen Hoechstkommandierenden, seinen geistig unbedeutenden und +militaerisch unfaehigen Bruder Lucius Scipio. Die bisher in Unteritalien +stehende Reserve ward nach Griechenland, das Heer des Glabrio nach Asien +bestimmt; als es bekannt ward, wer dasselbe befehligen werde, meldeten sich +freiwillig 5000 Veteranen aus dem Hannibalischen Krieg, um noch einmal unter +ihrem geliebten Fuehrer zu fechten. Im roemischen Juli, nach der richtigen Zeit +im Maerz fanden die Scipionen sich bei dem Heere ein, um den asiatischen +Feldzug zu beginnen; allein man war unangenehm ueberrascht, als man statt +dessen sich zunaechst in einen endlosen Kampf mit den verzweifelnden Aetolern +verwickelt fand. Der Senat, der Flamininus’ grenzenlose Ruecksichten +gegen die Hellenen uebertrieben fand, hatte den Aetolern die Wahl gelassen +zwischen Zahlung einer voellig unerschwinglichen Kriegskontribution und +unbedingter Ergebung, was sie aufs neue unter die Waffen getrieben hatte; es +war nicht abzusehen, wann dieser Gebirgs- und Festungskrieg zu Ende gehen +werde. Scipio beseitigte das unbequeme Hindernis durch Verabredung eines +sechsmonatlichen Waffenstillstandes und trat darauf den Marsch nach Asien an. +Da die eine feindliche Flotte in dem Aegaeischen Meere nur blockiert war und +die zweite, die aus dem Suedmeer herankam, trotz des mit ihrer Fernhaltung +beauftragten Geschwaders taeglich dort eintreffen konnte, schien es ratsam, den +Landweg durch Makedonien und Thrakien einzuschlagen und ueber den Hellespont zu +gehen; hier waren keine wesentlichen Hindernisse zu erwarten, da Koenig +Philippos von Makedonien vollstaendig zuverlaessig, auch Koenig Prusias von +Bithynien mit den Roemern in Buendnis war und die roemische Flotte leicht sich +in der Meerenge festzusetzen vermochte. Der lange und muehselige Weg laengs der +makedonischen und thrakischen Kueste ward ohne wesentlichen Verlust +zurueckgelegt; Philippos sorgte teils fuer Zufuhr, teils fuer freundliche +Aufnahme bei den thrakischen Wilden. Indes hatte man teils mit den Aetolern, +teils auf dem Marsch soviel Zeit verloren, dass das Heer erst etwa um die Zeit +der Schlacht von Myonnesos an dem Thrakischen Chersonesos anlangte. Aber +Scipios wunderbares Glueck raeumte wie einst in Spanien und Afrika so jetzt in +Asien alle Schwierigkeiten vor ihm aus dem Wege. Auf die Kunde von der Schlacht +bei Myonnesos verlor Antiochos so vollstaendig den Kopf, dass er in Europa die +starkbesetzte und verproviantierte Festung Lysimacheia von der Besatzung und +der dem Wiederhersteller ihrer Stadt treu ergebenen Einwohnerschaft raeumen +liess und dabei sogar vergass, die Besatzungen aus Aenos und Maroneia +gleichfalls herauszuziehen, ja die reichen Magazine zu vernichten, am +asiatischen Ufer aber der Landung der Roemer nicht den geringsten Widerstand +entgegensetzte, sondern waehrend derselben sich in Sardes damit die Zeit +vertrieb, auf das Schicksal zu schelten. Es ist kaum zweifelhaft, dass, wenn er +nur bis zu dem nicht mehr fernen Ende des Sommers Lysimacheia haette +verteidigen und sein grosses Heer an den Hellespont vorruecken lassen, Scipio +genoetigt worden waere, auf dem europaeischen Ufer Winterquartier zu nehmen, in +einer militaerisch wie politisch keineswegs gesicherten Lage. +</p> + +<p> +Waehrend die Roemer, am asiatischen Ufer ausgeschifft, einige Tage +stillstanden, um sich zu erholen und ihren durch religioese Pflichten +zurueckgehaltenen Fuehrer zu erwarten, trafen in ihrem Lager Gesandte des +Grosskoenigs ein, um ueber den Frieden zu unterhandeln. Antiochos bot die +Haelfte der Kriegskosten und die Abtretung seiner europaeischen Besitzungen +sowie der saemtlichen in Kleinasien zu Rom uebergetretenen griechischen +Staedte; allein Scipio forderte Kriegskosten und die Aufgebung von ganz +Kleinasien. Jene Bedingungen, erklaerte er, waeren annehmbar gewesen, wenn das +Heer noch vor Lysimacheia oder auch diesseits des Hellespont staende; jetzt +aber reichten sie nicht, wo das Ross schon den Zaum, ja den Reiter fuehle. Die +Versuche des Grosskoenigs, von dem feindlichen Feldherrn in morgenlaendischer +Art den Frieden durch Geldsummen zu erkaufen - er bot die Haelfte seiner +Jahreseinkuenfte! -, scheiterten wie billig; fuer die unentgeltliche Rueckgabe +seines in Gefangenschaft geratenen Sohnes gab der stolze Buerger dem +Grosskoenig als Lohn den Freundesrat, auf jede Bedingung Frieden zu schliessen. +In der Tat stand es nicht so; haette der Koenig sich zu entschliessen vermocht, +den Krieg in die Laenge und in das innere Asien zurueckweichend den Feind sich +nachzuziehen, so war ein guenstiger Ausgang noch keineswegs unmoeglich. Allein +Antiochos, gereizt durch den vermutlich berechneten Uebermut des Gegners und +fuer jede dauernde und konsequente Kriegfuehrung zu schlaff, eilte, seine +ungeheure, aber ungleiche und undisziplinierte Heermasse je eher desto lieber +dem Stoss der roemischen Legionen darzubieten. Im Tale des Hermos bei Magnesia +am Sipylos unweit Smyrna trafen im Spaetherbst 564 (190) die roemischen Truppen +auf den Feind. Er zaehlte nahe an 80000 Mann, darunter 12000 Reiter; die +Roemer, die von Achaeern, Pergamenern und makedonischen Freiwilligen etwa 5000 +Mann bei sich hatten, bei weitem nicht die Haelfte; allein sie waren des Sieges +so gewiss, dass sie nicht einmal die Genesung ihres krank in Elaea +zurueckgebliebenen Feldherrn abwarteten, an dessen Stelle Gnaeus Domitius das +Kommando uebernahm. Um nur seine ungeheure Truppenzahl aufstellen zu koennen, +bildete Antiochos zwei Treffen; im ersten stand die Masse der leichten Truppen, +die Peltasten, Bogentraeger, Schleuderer, die berittenen Schuetzen der Myser, +Daher und Elymaeer, die Araber auf ihren Dromedaren und die Sichelwagen; im +zweiten hielt auf den beiden Fluegeln die schwere Kavallerie (die Kataphrakten, +eine Art Kuerassiere), neben ihnen im Mitteltreffen das gallische und +kappadokische Fussvolk und im Zentrum die makedonisch bewaffnete Phalanx, 16000 +Mann stark, der Kern des Heeres, die aber auf dem engen Raum nicht Platz fand +und sich in Doppelgliedern 32 Mann tief aufstellen musste. In dem Zwischenraum +der beiden Treffen standen 54 Elefanten, zwischen die Haufen der Phalanx und +der schweren Reiterei verteilt. Die Roemer stellten auf den linken Fluegel, wo +der Fluss Deckung gab, nur wenige Schwadronen, die Masse der Reiterei und die +saemtlichen Leichtbewaffneten kamen auf den rechten, den Eumenes fuehrte; die +Legionen standen im Mitteltreffen. Eumenes begann die Schlacht damit, dass er +seine Schuetzen und Schleuderer gegen die Sichelwagen schickte mit dem Befehl, +auf die Bespannung zu halten; in kurzer Zeit waren nicht bloss diese +zersprengt, sondern auch die naechststehenden Kamelreiter mit fortgerissen; +schon geriet sogar im zweiten Treffen der dahinterstehende linke Fluegel der +schweren Reiterei in Verwirrung. Nun warf sich Eumenes mit der ganzen +roemischen Reiterei, die 3000 Pferde zaehlte, auf die Soeldnerinfanterie, die +im zweiten Treffen zwischen der Phalanx und dem linken Fluegel der schweren +Reiterei stand, und da diese wich, flohen auch die schon in Unordnung geratenen +Kuerassiere. Die Phalanx, die eben die leichten Truppen durchgelassen hatte und +sich fertig machte, gegen die roemischen Legionen vorzugehen, wurde durch den +Angriff der Reiterei in der Flanke gehemmt und genoetigt, stehenzubleiben und +nach beiden Seiten Front zu machen, wobei die tiefe Aufstellung ihr wohl +zustatten kam. Waere die schwere asiatische Reiterei zur Hand gewesen, so +haette die Schlacht wiederhergestellt werden koennen, aber der linke Fluegel +war zersprengt, und der rechte, den Antiochos selber anfuehrte, hatte, die +kleine, ihm gegenueberstehende roemische Reiterabteilung vor sich hertreibend, +das roemische Lager erreicht, wo man des Angriffs sich mit grosser Muehe +erwehrte. Darueber fehlten auf der Walstatt jetzt im entscheidenden Augenblick +die Reiter. Die Roemer hueteten sich wohl, die Phalanx mit den Legionen +anzugreifen, sondern sandten gegen sie die Schuetzen und Schleuderer, denen in +der dichtgedraengten Masse kein Geschoss fehlging. Die Phalanx zog sich +nichtsdestoweniger langsam und geordnet zurueck, bis die in den Zwischenraeumen +stehenden Elefanten scheu wurden und die Glieder zerrissen. Damit loeste das +ganze Heer sich auf in wilder Flucht; ein Versuch, das Lager zu halten, +misslang und mehrte nur die Zahl der Toten und Gefangenen. Die Schaetzung des +Verlustes des Antiochos auf 50000 Mann ist bei der grenzenlosen Verwirrung +nicht unglaublich; den Roemern, deren Legionen gar nicht zum Schlagen gekommen +waren, kostete der Sieg, der ihnen den dritten Weltteil ueberlieferte, 24 +Reiter und 300 Fusssoldaten. Kleinasien unterwarf sich, selbst Ephesos, von wo +der Admiral die Flotte eilig fluechten musste, und die Residenzstadt Sardes. +Der Koenig bat um Frieden und ging ein auf die von den Roemern gestellten +Bedingungen, die, wie gewoehnlich, keine anderen waren als die vor der Schlacht +gebotenen, als namentlich die Abtretung Kleinasiens enthielten. Bis zu deren +Ratifikation blieb das Heer in Kleinasien auf Kosten des Koenigs, was ihm auf +nicht weniger als 3000 Talente (5 Mill. Taler) zu stehen kam. Antiochos selber +nach seiner liederlichen Art verschmerzte bald den Verlust der Haelfte seines +Reiches; es sieht ihm gleich, dass er den Roemern fuer die Abnahme der Muehe, +ein allzugrosses Reich zu regieren, dankbar zu sein behauptete. Aber Asien war +mit dem Tage. von Magnesia aus der Reihe der Grossstaaten gestrichen; und wohl +niemals ist eine Grossmacht so rasch, so voellig und so schmaehlich zugrunde +gegangen wie das Seleukidenreich unter diesem Antiochos dem Grossen. Er selbst +ward bald darauf (567 187) in Elymais oberhalb des Persischen Meerbusens bei +der Pluenderung des Beltempels, mit dessen Schaetzen er seine leeren Kassen zu +fuellen gekommen war, von den erbitterten Einwohnern erschlagen. +</p> + +<p> +Die roemische Regierung hatte, nachdem der Sieg erfochten war, die +Angelegenheiten Kleinasiens und Griechenlands zu ordnen. Sollte hier die +roemische Herrschaft auf fester Grundlage errichtet werden, so genuegte dazu +keineswegs, dass Antiochos der Oberherrschaft in Vorderasien entsagt hatte. Die +politischen Verhaeltnisse daselbst sind oben dargelegt worden. Die griechischen +Freistaedte an der ionischen und aeolischen Kueste sowie das ihnen wesentlich +gleichartige pergamenische Koenigreich waren allerdings die natuerlichen +Traeger der neuen roemischen Obergewalt, die auch hier wesentlich auftrat als +Schirmherr der stammverwandten Hellenen. Aber die Dynasten im inneren +Kleinasien und an der Nordkueste des Schwarzen Meeres hatten den Koenigen von +Asien laengst kaum noch ernstlich gehorcht, und der Vertrag mit Antiochos +allein gab den Roemern keine Gewalt ueber das Binnenland. Es war unabweislich +eine gewisse Grenze zu ziehen, innerhalb deren der roemische Einfluss fortan +massgebend sein sollte. Dabei fiel vor allem ins Gewicht das Verhaeltnis der +asiatischen Hellenen zu den seit einem Jahrhundert daselbst angesiedelten +Kelten. Diese hatten die kleinasiatischen Landschaften foermlich unter sich +verteilt und ein jeder der drei Gaue erhob in seinem Brandschatzungsgebiet die +festgesetzten Tribute. Wohl hatte die Buergerschaft von Pergamon unter der +kraeftigen Fuehrung ihrer dadurch zu erblichem Fuerstentum gelangten Vorsteher +sich des unwuerdigen Joches entledigt, und die schoene Nachbluete der +hellenischen Kunst, welche kuerzlich der Erde wieder entstiegen ist, ist +erwachsen aus diesen letzten, von nationalem Buergersinn getragenen +hellenischen Kriegen. Aber es war ein kraeftiger Gegenschlag, kein +entscheidender Erfolg; wieder und wieder hatten die Pergamener ihren +staedtischen Frieden gegen die Einfaelle der wilden Horden aus den oestlichen +Gebirgen mit den Waffen zu vertreten gehabt, und die grosse Mehrzahl der +uebrigen Griechenstaedte ist wahrscheinlich in der alten Abhaengigkeit +verblieben ^4. Wenn Roms Schirmherrschaft ueber die Hellenen auch in Asien mehr +als ein Name sein sollte, so musste dieser Tributpflichtigkeit ihrer neuen +Klienten ein Ziel gesetzt werden; und da die roemische Politik den Eigenbesitz +und die damit verknuepfte stehende Besetzung des Landes zur Zeit in Asien noch +viel mehr als auf der griechisch-makedonischen Halbinsel ablehnte, so blieb in +der Tat nichts anderes uebrig, als bis zu der Grenze, welche Roms Machtgebiet +gesteckt werden sollte, auch Roms Waffen zu tragen und bei den Kleinasiaten +ueberhaupt, vor allem aber in den Keltengauen die neue Oberherrlichkeit mit der +Tat einzusetzen. +</p> + +<p> +————————————————— +</p> + +<p> +^4 Aus dem erwaehnten Dekret von Lampsakos geht mit ziemlicher Sicherheit +hervor, dass die Lampsakener bei den Massalioten nicht bloss Verwendung in Rom +erbaten, sondern auch Verwendung bei den Tolistoagiern (so heissen die sonst +Tolistoboger genannten Kelten in dieser Urkunde und in der pergamenischen +Inschrift CIG 3536, den aeltesten Denkmaelern, die sie erwaehnen). Danach sind +wahrscheinlich die Lampsakener noch um die Zeit des Philippischen Krieges +diesem Gau zinsbar gewesen (vgl. Liv. 38, 16). +</p> + +<p> +————————————————- +</p> + +<p> +Dies hat der neue roemische Oberfeldherr Gnaeus Manlius Volso getan, der den +Lucius Scipio in Kleinasien abloeste. Es ist ihm dies zum schweren Vorwurf +gemacht worden; die der neuen Wendung der Politik abgeneigten Maenner im Senat +vermissten bei dem Kriege den Zweck wie den Grund. Den ersteren Tadel gegen +diesen Zug insbesondere zu erheben, ist nicht gerechtfertigt; derselbe war +vielmehr, nachdem der roemische Staat sich in die hellenischen Verhaeltnisse, +so, wie es geschehen war, eingemischt hatte, eine notwendige Konsequenz dieser +Politik. Ob das hellenische Gesamtpatronat fuer Rom das richtige war, kann +gewiss in Zweifel gezogen werden; aber von dem Standpunkt aus betrachtet, den +Flamininus und die von ihm gefuehrte Majoritaet nun einmal genommen hatten, war +die Niederwerfung der Galater in der Tat eine Pflicht der Klugheit wie der +Ehre. Besser begruendet ist der Vorwurf, dass es zur Zeit an einem rechten +Kriegsgrund gegen dieselben fehlte; denn eigentlich im Bunde mit Antiochos +hatten sie nicht gestanden, sondern ihn nur nach ihrem Brauch in ihrem Lande +Mietstruppen anwerben lassen. Aber dagegen fiel entscheidend ins Gewicht, dass +die Sendung einer roemischen Truppenmacht nach Asien der roemischen +Buergerschaft nur unter ganz ausserordentlichen Verhaeltnissen angesonnen +werden konnte und, wenn einmal eine derartige Expedition notwendig war, alles +dafuer sprach, sie sogleich und mit dem einmal in Asien stehenden siegreichen +Heere auszufuehren. So wurde, ohne Zweifel unter dem Einfluss des Flamininus +und seiner Gesinnungsgenossen im Senat, im Fruehjahr 565 (189) der Feldzug in +das innere Kleinasien unternommen. Der Konsul brach von Ephesos auf, +brandschatzte die Staedte und Fuersten am oberen Maeander und in Pamphylien +ohne Mass und wandte sich darauf nordwaerts gegen die Kelten. Der westliche +Kanton derselben, die Tolistoager, hatte sich auf den Berg Olympos, der +mittlere, die Tectosagen, auf den Berg Magaba mit Hab und Gut zurueckgezogen, +in der Hoffnung, dass sie sich hier wuerden verteidigen koennen, bis der Winter +die Fremden zum Abzug zwaenge. Allein die Geschosse der roemischen Schleuderer +und Schuetzen, die gegen die damit unbekannten Kelten so oft den Ausschlag +gaben, fast wie in neuerer Zeit das Feuergewehr gegen die wilden Voelker, +erzwangen die Hoehen, und die Kelten unterlagen in einer jener Schlachten, wie +sie gar oft frueher und spaeter am Po und an der Seine geliefert worden sind, +die aber hier so seltsam erscheint wie das ganze Auftreten des nordischen +Stammes unter den griechischen und phrygischen Nationen. Die Zahl der +Erschlagenen und mehr noch die der Gefangenen war an beiden Stellen ungeheuer. +Was uebrig blieb, rettete sich ueber den Halys zu dem dritten keltischen Gau +der Trocmer, welche der Konsul nicht angriff. Dieser Fluss war die Grenze, an +welcher die damaligen Leiter der roemischen Politik beschlossen hatten +innezuhalten. Phrygien, Bithynien, Paphlagonien sollten von Rom abhaengig +werden; die weiter oestlich gelegenen Landschaften ueberliess man sich selber. +</p> + +<p> +Die Regulierung der kleinasiatischen Verhaeltnisse erfolgte teils durch den +Frieden mit Antiochos (565 189), teils durch die Festsetzungen einer roemischen +Kommission, der der Konsul Volso vorstand. Ausser der Stellung von Geiseln, +darunter seines juengeren gleichnamigen Sohnes, und einer nach dem Mass der +Schaetze Asiens bemessenen Kriegskontribution von 15000 euboeischen Talenten +(25½ Mill. Taler), davon der fuenfte Teil sogleich, der Rest in zwoelf +Jahreszielern zu entrichten war, wurde Antiochos auferlegt die Abtretung seines +gesamten europaeischen Laenderbesitzes und in Kleinasien aller seiner +Besitzungen und Rechtsansprueche noerdlich vom Taurusgebirge und westlich von +der Muendung des Kestros zwischen Aspendos und Perge in Pamphylien, so dass ihm +in Vorderasien nichts blieb als das oestliche Pamphylien und Kilikien. Mit dem +Patronat ueber die vorderasiatischen Koenigreiche und Herrschaften war es +natuerlich vorbei. Asien oder, wie das Reich der Seleukiden von da an +gewoehnlich und angemessener genannt wird, Syrien verlor das Recht, gegen die +westlichen Staaten Angriffskriege zu fuehren und im Fall eines +Verteidigungskrieges von ihnen beim Frieden Land zu gewinnen, das Recht, das +Meer westlich von der Kalykadnosmuendung in Kilikien mit Kriegsschiffen zu +befahren, ausser um Gesandte, Geiseln oder Tribut zu bringen, ueberhaupt +Deckschiffe ueber zehn zu halten, ausser im Fall eines Verteidigungskrieges, +und Kriegselefanten zu zaehmen, endlich das Recht, in den westlichen Staaten +Werbungen zu veranstalten oder politische Fluechtlinge und Ausreisser daraus +bei sich aufzunehmen. Die Kriegsschiffe, die er ueber die bestimmte Zahl +besass, die Elefanten und die politischen Fluechtlinge, welche bei ihm sich +befanden, lieferte er aus. Zur Entschaedigung erhielt der Grosskoenig den Titel +eines Freundes der roemischen Buergergemeinde. Der Staat Syrien war hiermit zu +Lande und auf dem Meer vollstaendig aus dem Westen verdraengt und fuer immer; +es ist bezeichnend fuer die kraft- und zusammenhanglose Organisation des +Seleukidenreichs, dass dasselbe allein unter allen von Rom ueberwundenen +Grossstaaten nach der ersten Ueberwindung niemals eine zweite Entscheidung +durch die Waffen begehrt hat. +</p> + +<p> +Die beiden Armenien, bisher wenigstens dem Namen nach asiatische Satrapien, +verwandelten sich, wenn nicht gerade in Gemaessheit des roemischen +Friedensvertrages, doch unter dessen Einfluss in selbstaendige Koenigreiche und +ihre Inhaber Artaxias und Zariadris wurden Gruender neuer Dynastien. +</p> + +<p> +Koenig Ariarathes von Kappadokien kam, da sein Land ausserhalb der von den +Roemern bezeichneten Grenze ihrer Klientel lag, mit einer Geldbusse von 600 +Talenten (1 Mill. Taler) davon, die dann noch auf die Fuerbitte seines +Schwiegersohnes Eumenes auf die Haelfte herabgesetzt ward. +</p> + +<p> +Koenig Prusias von Bithynien behielt sein Gebiet, wie es war, ebenso die +Kelten; doch mussten diese geloben, nicht ferner bewaffnete Haufen ueber die +Grenze zu senden, und die schimpflichen Tribute der kleinasiatischen Staedte +hatten ein Ende. Die asiatischen Griechen ermangelten nicht, diese allerdings +allgemein und nachhaltig empfundene Wohltat mit goldenen Kraenzen und den +transzendentalsten Lobreden zu vergelten. +</p> + +<p> +In Vorderasien war die Besitzregulierung nicht ohne Schwierigkeit, zumal da +hier die dynastische Politik des Eumenes mit der der griechischen Hansa +kollidierte; endlich gelang es, sich in folgender Art zu verstaendigen. Allen +griechischen Staedten, die am Tage der Schlacht von Magnesia frei und den +Roemern beigetreten waren, wurde ihre Freiheit bestaetigt und sie alle mit +Ausnahme der bisher dem Eumenes zinspflichtigen der Tributzahlung an die +verschiedenen Dynasten fuer die Zukunft enthoben. So wurden namentlich frei die +Staedte Dardanos und Ilion, die alten Stammgenossen der Roemer von +Aeneas’ Zeiten her, ferner Kyme, Smyrna, Klazomenae, Erythrae, Chios, +Kolophon, Miletos und andere altberuehmte Namen. Phokaea, das gegen die +Kapitulation von den roemischen Flottensoldaten gepluendert worden war, erhielt +zum Ersatz dafuer, obwohl es nicht unter die im Vertrag bezeichnete Kategorie +fiel, ausnahmsweise gleichfalls seine Mark zurueck und die Freiheit. Den +meisten Staedten der griechisch-asiatischen Hansa wurden ueberdies +Gebietserweiterungen und andere Vorteile zuteil. Am besten ward natuerlich +Rhodos bedacht, das Lykien mit Ausschluss von Telmissos und den groesseren Teil +von Karien suedlich vom Maeander empfing; ausserdem garantierte Antiochos in +seinem Reiche den Rhodiern ihr Eigentum und ihre Forderungen sowie die bisher +genossene Zollfreiheit. +</p> + +<p> +Alles uebrige, also bei weitem der groesste Teil der Beute, fiel an die +Attaliden, deren alte Treue gegen Rom sowie die von Eumenes in diesem Kriege +bestandene Drangsal und sein persoenliches Verdienst um den Ausfall der +entscheidenden Schlacht von Rom so belohnt ward, wie nie ein Koenig seinen +Verbuendeten gelohnt hat. Eumenes empfing in Europa den Chersonesos mit +Lysimacheia; in Asien ausser Mysien, das er schon besass, die Provinzen +Phrygien am Hellespont, Lydien mit Ephesos und Sardes, den noerdlichen Streif +von Karien bis zum Maeander mit Tralles und Magnesia, Grossphrygien und +Lykaonien nebst einem Stueck von Kilikien, die milysche Landschaft zwischen +Phrygien und Lykien und als Hafenplatz am suedlichen Meer die lykische Stadt +Telmissos; ueber Pamphylien ward spaeter zwischen Eumenes und Antiochos +gestritten, inwieweit es dies- oder jenseits der gesteckten Grenze liege und +also jenem oder diesem zukomme. Ausserdem erhielt er die Schutzherrschaft und +das Zinsrecht ueber diejenigen griechischen Staedte, die nicht unbeschraenkt +die Freiheit empfingen; doch wurde auch hier bestimmt, dass den Staedten ihre +Freibriefe bleiben und die Abgabe nicht erhoeht werden solle. Ferner musste +Antiochos sich anheischig machen, die 350 Talente (600000 Taler), die er dem +Vater Attalos schuldig geworden war, dem Eumenes zu entrichten, ebenso ihn mit +127 Talenten (218000 Taler) fuer die rueckstaendigen Getreidelieferungen zu +entschaedigen. Endlich erhielt Eumenes die koeniglichen Forsten und die von +Antiochos abgelieferten Elefanten, nicht aber die Kriegsschiffe, die verbrannt +wurden; eine Seemacht litten die Roemer nicht neben sich. Hierdurch war das +Reich der Attaliden in Osteuropa und Asien das geworden, was Numidien in Afrika +war, ein von Rom abhaengiger maechtiger Staat mit absoluter Verfassung, +bestimmt und faehig, sowohl Makedonien als Syrien in Schranken zu halten, ohne +anders als in ausserordentlichen Faellen roemischer Unterstuetzung zu +beduerfen. Mit dieser durch die roemische Politik gebotenen Schoepfung hatte +man die durch republikanische und nationale Sympathie und Eitelkeit gebotene +Befreiung der asiatischen Griechen soweit moeglich vereinigt. Um die +Angelegenheiten des ferneren Ostens jenseits des Tauros und Halys war man fest +entschlossen, sich nicht zu bekuemmern; es zeigen dies sehr deutlich die +Bedingungen des Friedens mit Antiochos und noch entschiedener die bestimmte +Weigerung des Senats, der Stadt Soloi in Kilikien die von den Rhodiern fuer sie +erbetene Freiheit zu gewaehren. Ebenso getreu blieb man dem festgestellten +Grundsatz, keine unmittelbaren ueberseeischen Besitzungen zu erwerben. Nachdem +die roemische Flotte noch eine Expedition nach Kreta gemacht und die Freigebung +der dorthin in die Sklaverei verkauften Roemer durchgesetzt hatte, verliessen +Flotte und Landheer im Nachsommer 566 (188) Asien, wobei das Landheer, das +wieder durch Thrakien zog, durch die Nachlaessigkeit des Feldherrn unterwegs +von den Ueberfaellen der Wilden viel zu leiden hatte. Die Roemer brachten +nichts heim aus dem Osten als Ehre und Gold, die in dieser Zeit sich schon +beide in der praktischen Form der Dankadresse, dem goldenen Kranze, +zusammenzufinden pflegten. +</p> + +<p> +Auch das europaeische Griechenland war von diesem asiatischen Krieg +erschuettert worden und bedurfte neuer Ordnung. Die Aetoler, die immer noch +nicht gelernt hatten, sich in ihre Nichtigkeit zu finden, hatten nach dem im +Fruehling 564 (190) mit Scipio abgeschlossenen Waffenstillstand nicht bloss +durch ihre kephallenischen Korsaren den Verkehr zwischen Italien und +Griechenland schwierig und unsicher gemacht, sondern vielleicht noch waehrend +des Waffenstillstandes, getaeuscht durch falsche Nachrichten ueber den Stand +der Dinge in Asien, die Tollheit begangen, den Amynander wieder auf seinen +athamanischen Thron zu setzen und mit Philippos in den von diesem besetzten +aetolischen und thessalischen Grenzlandschaften sich herumzuschlagen, wobei der +Koenig mehrere Nachteile erlitt. Es versteht sich, dass hiernach Rom ihre Bitte +um Frieden mit der Landung des Konsuls Marcus Fulvius Nobilior beantwortete. Er +traf im Fruehling 565 (189) bei den Legionen ein und nahm nach +fuenfzehntaegiger Belagerung durch eine fuer die Besatzung ehrenvolle +Kapitulation Ambrakia, waehrend zugleich die Makedonier, die Illyrier, die +Epeiroten, die Akarnanen und Achaeer ueber die Aetoler herfielen. Von +eigentlichem Widerstand konnte nicht die Rede sein; auf die wiederholten +Friedensgesuche der Aetoler standen denn auch die Roemer vom Kriege ab und +gewaehrten Bedingungen, welche solchen erbaermlichen und tueckischen Gegnern +gegenueber billig genannt werden muessen. Die Aetoler verloren alle Staedte und +Gebiete, die in den Haenden ihrer Gegner waren, namentlich Ambrakia, welches +infolge einer gegen Marcus Fulvius in Rom gesponnenen Intrige spaeter frei und +selbstaendig ward, ferner Oinia, das den Akarnanen gegeben wurde; ebenso traten +sie Kephallenia ab. Sie verloren das Recht, Krieg und Frieden zu schliessen und +wurden in dieser Hinsicht von den auswaertigen Beziehungen Roms abhaengig; +endlich zahlten sie eine starke Geldsumme. Kephallenia setzte sich auf eigene +Hand gegen diesen Vertrag und fuegte sich erst, als Marcus Fulvius auf der +Insel landete; ja die Einwohner von Same, die befuerchteten, aus ihrer +wohlgelegenen Stadt durch eine roemische Kolonie ausgetrieben zu werden, fielen +nach der ersten Unterwerfung wieder ab und hielten eine viermonatliche +Belagerung aus, worauf die Stadt endlich genommen und die Einwohner saemtlich +in die Sklaverei verkauft wurden. +</p> + +<p> +Rom blieb auch hier dabei, sich grundsaetzlich auf Italien und die italischen +Inseln zu beschraenken. Es nahm von der Beute nichts fuer sich als die beiden +Inseln Kephallenia und Zakynthos, welche den Besitz von Kerkyra und anderen +Seestationen am Adriatischen Meer wuenschenswert ergaenzten. Der uebrige +Laendererwerb kam an die Verbuendeten Roms; indes die beiden bedeutendsten +derselben, Philippos und die Achaeer, waren keineswegs befriedigt durch den +ihnen an der Beute gegoennten Anteil. Philippos fuehlte sich nicht ohne Grund +verletzt. Er durfte sagen, dass in dem letzten Krieg die eigentlichen +Schwierigkeiten, die nicht in dem Feinde, sondern in der Entfernung und der +Unsicherheit der Verbindungen lagen, wesentlich durch seinen loyalen Beistand +ueberwunden waren. Der Senat erkannte dies auch an, indem er ihm den noch +rueckstaendigen Tribut erliess und seine Geiseln ihm zuruecksandte; allein +Gebietserweiterungen, wie er sie gehofft, empfing er nicht. Er erhielt das +magnetische Gebiet mit Demetrias, das er den Aetolern abgenommen hatte; +ausserdem blieben tatsaechlich in seinen Haenden die dolopische und +athamanische Landschaft und ein Teil von Thessalien, aus denen gleichfalls die +Aetoler von ihm vertrieben worden waren. In Thrakien blieb zwar das Binnenland +in makedonischer Klientel, aber ueber die Kuestenstaedte und die Inseln Thasos +und Lemnos, die faktisch in Philipps Haenden waren, ward nichts bestimmt, der +Chersonesos sogar ausdruecklich an Eumenes gegeben; und es war nicht schwer zu +erkennen, dass Eumenes nur deshalb auch Besitzungen in Europa empfing, um nicht +bloss Asien, sondern auch Makedonien im Notfall niederzuhalten. Die Erbitterung +des stolzen und in vieler Hinsicht ritterlichen Mannes ist natuerlich; allein +es war nicht Schikane, was die Roemer bestimmte, sondern eine unabweisliche +politische Notwendigkeit. Makedonien buesste dafuer, dass es einmal eine Macht +ersten Ranges gewesen war und mit Rom auf gleichem Fuss Krieg gefuehrt hatte: +man hatte hier, und hier mit viel besserem Grund als gegen Karthago, sich +vorzusehen, dass die alte Machtstellung nicht wiederkehre. +</p> + +<p> +Anders stand es mit den Achaeern. Sie hatten im Laufe des Krieges gegen +Antiochos ihren lange genaehrten Wunsch befriedigt, den Peloponnes ganz in ihre +Eidgenossenschaft zu bringen, indem zuerst Sparta, dann, nach der Vertreibung +der Asiaten aus Griechenland, auch Elis und Messene mehr oder weniger gezwungen +beigetreten waren. Die Roemer hatten dies geschehen lassen und es sogar +geduldet, dass man dabei mit absichtlicher Ruecksichtslosigkeit gegen Rom +verfuhr. Flamininus hatte, als Messene erklaerte, sich den Roemern zu +unterwerfen, aber nicht in die Eidgenossenschaft eintreten zu wollen und diese +darauf Gewalt brauchte, zwar nicht unterlassen, den Achaeern zu Gemuete zu +fuehren, dass solche Sonderverfuegungen ueber einen Teil der Beute an sich +unrecht und in dem Verhaeltnis der Achaeer zu den Roemern mehr als unpassend +seien, aber denn doch in seiner sehr unpolitischen Nachgiebigkeit gegen die +Hellenen im wesentlichen den Achaeern ihren Willen getan. Allein damit hatte +die Sache kein Ende. Die Achaeer, von ihrer zwerghaften Vergroesserungssucht +gepeinigt, liessen die Stadt Pleuron in Aetolien, die sie waehrend des Krieges +besetzt hatten, nicht fahren, machten sie vielmehr zum unfreiwilligen Mitgliede +ihrer Eidgenossenschaft; sie kauften Zakynthos von dem Statthalter des letzten +Besitzers Amynander und haetten gern noch Aegina dazu gehabt. Nur widerwillig +gaben sie jene Insel an Rom heraus und hoerten sehr unmutig Flamininus’ +guten Ratschlag, sich mit ihrem Peloponnes zu begnuegen. Sie glaubten es sich +schuldig zu sein, die Unabhaengigkeit ihres Staates um so mehr zur Schau zu +tragen, je weniger daran war; man sprach von Kriegsrecht, von der treuen +Beihilfe der Achaeer in den Kriegen der Roemer; man fragte die roemischen +Gesandten auf der achaeischen Tagsatzung, warum Rom sich um Messene bekuemmere, +da Achaia ja nicht nach Capua frage, und der hochherzige Patriot, der also +gesprochen, wurde beklatscht und war der Stimmen bei den Wahlen sicher. Das +alles wuerde sehr recht und sehr erhaben gewesen sein, wenn es nicht noch viel +laecherlicher gewesen waere. Es lag wohl eine tiefe Gerechtigkeit und ein noch +tieferer Jammer darin, dass Rom, so ernstlich es die Freiheit der Hellenen zu +gruenden und den Dank der Hellenen zu verdienen bemueht war, dennoch ihnen +nichts gab als die Anarchie und nichts erntete als den Undank. Es lagen auch +den hellenischen Antipathien gegen die Schutzmacht sicher sehr edle Gefuehle +zugrunde, und die persoenliche Bravheit einzelner tonangebender Maenner ist +ausser Zweifel. Aber darum bleibt dieser achaeische Patriotismus nicht minder +eine Torheit und eine wahre historische Fratze. Bei all jenem Ehrgeiz und all +jener nationalen Empfindlichkeit geht durch die ganze Nation vom ersten bis zum +letzten Mann das gruendlichste Gefuehl der Ohnmacht. Stets horcht jeder nach +Rom, der liberale Mann nicht weniger wie der servile; man dankt dem Himmel, +wenn das gefuerchtete Dekret ausbleibt; man mault, wenn der Senat zu verstehen +gibt, dass man wohl tun werde, freiwillig nachzugeben, um es nicht gezwungen zu +tun; man tut, was man muss womoeglich in einer fuer die Roemer verletzenden +Weise, “um die Formen zu retten”; man berichtet, erlaeutert, +verschiebt, weicht aus, und wenn das endlich alles nicht mehr gehen will, so +wird mit einem patriotischen Seufzer nachgegeben. Das Treiben haette Anspruch +wo nicht auf Billigung doch auf Nachsicht, wenn die Fuehrer zum Kampf +entschlossen gewesen waeren und den Untergang der Nation der Knechtschaft +vorgezogen haetten; aber weder Philopoemen noch Lykortas dachten an einen +solchen politischen Selbstmord - man wollte womoeglich frei sein, aber denn +doch vor allem leben. Zu allem diesem aber sind es niemals die Roemer, die die +gefuerchtete roemische Intervention in die inneren Angelegenheiten +Griechenlands hervorrufen, sondern stets die Griechen selbst, die wie die +Knaben den Stock, den sie fuerchten, selber einer ueber den andern bringen. Der +von dem gelehrten Poebel hellenischer und nachhellenischer Zeit bis zum Ekel +wiederholte Vorwurf, dass die Roemer bestrebt gewesen waeren, inneren Zwist in +Griechenland zu stiften, ist eine der tollsten Abgeschmacktheiten, welche +politisierende Philologen nur je ausgesonnen haben. Nicht die Roemer trugen den +Hader nach Griechenland - wahrlich Eulen nach Athen -, sondern die Griechen +ihre Zwistigkeiten nach Rom. Namentlich die Achaeer, die ueber ihren +Arrondierungsgeluesten gaenzlich uebersahen, wie sehr zu ihrem eigenen Besten +es gewesen, dass Flamininus die aetolisch gesinnten Staedte nicht der +Eidgenossenschaft einverleibt hatte, erwarben in Lakedaemon und Messene sich +eine wahre Hydra inneren Zwistes. Unaufhoerlich baten und flehten Mitglieder +dieser Gemeinden in Rom, sie aus der verhassten Gemeinschaft zu loesen, +darunter charakteristisch genug selbst diejenigen, die die Rueckkehr in die +Heimat den Achaeern verdankten. Unaufhoerlich ward von dem Achaeischen Bunde in +Sparta und Messene regeneriert und restauriert: die wuetendsten Emigrierten von +dort bestimmten die Massregeln der Tagsatzung. Vier Jahre nach dem nominellen +Eintritt Spartas in die Eidgenossenschaft kam es sogar zum offenen Kriege und +zu einer bis zum Wahnsinn vollstaendigen Restauration, wobei die saemtlichen +von Nabis mit dem Buergerrecht beschenkten Sklaven wieder in die Knechtschaft +verkauft und aus dem Erloes ein Saeulengang in der Achaeerstadt Megalopolis +gebaut, ferner die alten Gueterverhaeltnisse in Sparta wiederhergestellt, die +Lykurgischen Gesetze durch die achaeischen ersetzt, die Mauern niedergerissen +wurden (566 188). Ueber alle diese Wirtschaft ward dann zuletzt von allen +Seiten der roemische Senat zum Schiedsspruch aufgefordert - eine Belaestigung, +die die gerechte Strafe fuer die befolgte sentimentale Politik war. Weit +entfernt, sich zu viel in diese Angelegenheiten zu mischen, ertrug der Senat +nicht bloss die Nadelstiche der achaeischen Gesinnungstuechtigkeit mit +musterhafter Indifferenz, sondern liess selbst die aergsten Dinge mit +straeflicher Gleichgueltigkeit geschehen. Man freute sich herzlich in Achaia, +als nach jener Restauration die Nachricht von Rom einlief, dass der Senat +darueber zwar gescholten, aber nichts kassiert habe. Fuer die Lakedaemonier +geschah von Rom aus nichts, als dass der Senat, empoert ueber den von den +Achaeern verfuegten Justizmord von beilaeufig sechzig bis achtzig Spartanern, +der Tagsatzung die Kriminaljustiz ueber die Spartaner nahm - freilich ein +empoerender Eingriff in die inneren Angelegenheiten eines unabhaengigen +Staates! Die roemischen Staatsmaenner kuemmerten sich so wenig wie moeglich um +diese Suendflut in der Nussschale, wie am besten die vielfachen Klagen beweisen +ueber die oberflaechlichen, widersprechenden und unklaren Entscheidungen des +Senats; freilich, wie sollte er klar antworten, wenn auf einmal vier Parteien +aus Sparta zugleich im Senat gegeneinander redeten! Dazu kam der persoenliche +Eindruck, den die meisten dieser peloponnesischen Staatsmaenner in Rom machten; +selbst Flamininus schuettelte den Kopf, als ihm einer derselben heute etwas +vortanzte und den andern Tag ihn von Staatsgeschaeften unterhielt. Es kam so +weit, dass dem Senat zuletzt die Geduld voellig ausging und er die +Peloponnesier dahin beschied, dass er sie nicht mehr bescheiden werde und sie +machen koennten, was sie wollten (572 182). Begreiflich ist dies, aber nicht +recht; wie die Roemer einmal standen, hatten sie die sittliche und politische +Verpflichtung, hier mit Ernst und Konsequenz einen leidlichen Zustand +herzustellen. Jener Achaeer Kallikrates, der im Jahre 575 (179) an den Senat +ging, um ihn ueber die Zustaende im Peloponnes aufzuklaeren und eine +folgerechte und gehaltene Intervention zu fordern, mag als Mensch noch etwas +weniger getaugt haben als sein Landsmann Philopoemen, der jene Patriotenpolitik +wesentlich begruendet hat; aber er hatte recht. +</p> + +<p> +So umfasste die Klientel der roemischen Gemeinde jetzt die saemtlichen Staaten +von dem oestlichen zu dem westlichen Ende des Mittelmeeres; nirgend bestand ein +Staat, den man der Muehe wert gehalten haette zu fuerchten. Aber noch lebte ein +Mann, dem Rom diese seltene Ehre erwies: der heimatlose Karthager, der erst den +ganzen Westen, alsdann den ganzen Osten gegen Rom in Waffen gebracht hatte und +der vielleicht nur gescheitert war, dort an der ehrlosen Aristokraten-, hier an +der kopflosen Hofpolitik. Antiochos hatte sich im Frieden verpflichten muessen, +den Hannibal auszuliefern; allein derselbe war zuerst nach Kreta, dann nach +Bithynien entronnen ^5 und lebte jetzt am Hof des Koenigs Prusias, +beschaeftigt, diesen in seinen Kriegen gegen Eumenes zu unterstuetzen und wie +immer siegreich zu Wasser und zu Lande. Es wird behauptet, dass er auch den +Prusias zum Kriege gegen Rom habe reizen wollen; eine Torheit, die so, wie sie +erzaehlt wird, sehr wenig glaublich klingt. Gewisser ist es, dass zwar der +roemische Senat es unter seiner Wuerde hielt, den Greis in seinem letzten Asyl +aufjagen zu lassen - denn die Ueberlieferung, die auch den Senat beschuldigt, +scheint keinen Glauben zu verdienen -, dass aber Flamininus, der in seiner +unruhigen Eitelkeit nach neuen Zielen fuer grosse Taten suchte, auf seine +eigene Hand es unternahm, wie die Griechen von ihren Ketten, so Rom von +Hannibal zu befreien und gegen den groessten Mann seiner Zeit den Dolch zwar +nicht zu fuehren, was nicht diplomatisch ist, aber ihn zu schleifen und zu +richten. Prusias, der jaemmerlichste unter den Jammerprinzen Asiens, machte +sich ein Vergnuegen daraus, dem roemischen Gesandten die kleine Gefaelligkeit +zu erweisen, die derselbe mit halben Worten erbat, und da Hannibal sein Haus +von Moerdern umstellt sah, nahm er Gift. Er war seit langem gefasst darauf, +fuegt ein Roemer hinzu, denn er kannte die Roemer und das Wort der Koenige. +Sein Todesjahr ist nicht gewiss; wahrscheinlich starb er in der zweiten Haelfte +des Jahres 571 (183), siebenundsechzig Jahre alt. Als er geboren ward, stritt +Rom mit zweifelhaftem Erfolg um den Besitz von Sizilien; er hatte gerade genug +gelebt, um den Westen vollstaendig unterworfen zu sehen, um noch selber seine +letzte Roemerschlacht gegen die Schiffe seiner roemisch gewordenen Vaterstadt +zu schlagen, um dann zuschauen zu muessen, wie Rom auch den Osten ueberwand +gleichwie der Sturm das fuehrerlose Schiff, und zu fuehlen, dass er allein +imstande war, es zu lenken. Es konnte ihm keine Hoffnung weiter fehlschlagen, +als er starb; aber redlich hatte er in fuenfzigjaehrigem Kampfe den +Knabenschwur gehalten. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^5 Dass er auch nach Armenien gekommen sei und auf Bitten des Koenigs Artaxias +die Stadt Artaxata am Araxes erbaut habe (Strab. 11 p. 528; Plut. Luc. 31), ist +sicher Erfindung; aber es ist bezeichnend, wie Hannibal, fast wie Alexander, +mit den orientalischen Fabeln verwachsen ist. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Um dieselbe Zeit, wahrscheinlich in demselben Jahre, starb auch der Mann, den +die Roemer seinen Ueberwinder zu nennen pflegten, Publius Scipio. Ihn hatte das +Glueck mit allen den Erfolgen ueberschuettet, die seinem Gegner versagt +blieben, mit Erfolgen, die ihm gehoerten und nicht gehoerten. Spanien, Afrika, +Asien hatte er zum Reiche gebracht und Rom, das er als die erste Gemeinde +Italiens gefunden, war bei seinem Tode die Gebieterin der zivilisierten Welt. +Er selbst hatte der Siegestitel so viele, dass deren ueberblieben fuer seinen +Bruder und seinen Vetter ^6. Und doch verzehrte auch ihn durch seine letzten +Jahre bitterer Gram, und er starb, wenig ueber fuenfzig Jahre alt, in +freiwilliger Verbannung, mit dem Befehl an die Seinigen, seine Leiche nicht in +der Vaterstadt beizusetzen, fuer die er gelebt hatte und in der seine Ahnen +ruhten. Es ist nicht genau bekannt, was ihn aus der Stadt trieb. Die +Anschuldigungen wegen Bestechung und unterschlagener Gelder, die gegen ihn und +mehr noch gegen seinen Bruder Lucius gerichtet wurden, waren ohne Zweifel +nichtige Verleumdungen, die solche Verbitterung nicht hinreichend erklaeren; +obwohl es charakteristisch fuer den Mann ist, dass er seine Rechnungsbuecher, +statt sich einfach aus ihnen zu rechtfertigen, im Angesicht des Volks und der +Anklaeger zerriss und die Roemer aufforderte, ihn zum Tempel des Jupiter zu +begleiten und den Jahrestag seines Sieges bei Zama zu feiern. Das Volk liess +den Anklaeger stehen und folgte dem Scipio auf das Kapitol; aber es war dies +der letzte schoene Tag des hohen Mannes. Sein stolzer Sinn, seine Meinung, ein +anderer und besserer zu sein als die uebrigen Menschen, seine sehr entschiedene +Familienpolitik, die namentlich in seinem Bruder Lucius den widerwaertigen +Strohmann eines Helden grosszog, verletzten viele und nicht ohne Grund. Wie der +echte Stolz das Herz beschirmt, so legt es die Hoffart jedem Schlag und jedem +Nadelstich bloss und zerfrisst auch den urspruenglichen Hochsinn. Ueberall aber +gehoert es zur Eigentuemlichkeit solcher, aus echtem Gold und schimmerndem +Flitter seltsam gemischter Naturen, wie Scipio eine war, dass sie des Glueckes +und des Glanzes der Jugend beduerfen, um ihren Zauber zu ueben, und dass, wenn +dieser Zauber zu schwinden anfaengt, unter allen am schmerzlichsten der +Zauberer selbst erwacht. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^6 Africanus, Asiagenus, Hispallus. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap10"></a>KAPITEL X.<br/> +Der Dritte Makedonische Krieg</h2> + +<p> +Philippos von Makedonien war empfindlich gekraenkt durch die Behandlung, die er +nach dem Frieden mit Antiochos von den Roemern erfahren hatte; und der weitere +Verlauf der Dinge war nicht geeignet, seinen Groll zu beschwichtigen. Seine +Nachbarn in Griechenland und Thrakien, grossenteils Gemeinden, die einst vor +dem makedonischen Namen nicht minder gezittert hatten wie jetzt vor dem +roemischen, machten es sich wie billig zum Geschaeft, der gefallenen Grossmacht +all die Tritte zurueckzugeben, die sie seit Philippos’ des Zweiten Zeiten +von Makedonien empfangen hatten; der nichtige Hochmut und der wohlfeile +antimakedonische Patriotismus der Hellenen dieser Zeit machte sich Luft auf den +Tagsatzungen der verschiedenen Eidgenossenschaften und in unaufhoerlichen +Beschwerden bei dem roemischen Senat. Philippos war von den Roemern zugestanden +worden, was er den Aetolern abgenommen habe; allein foermlich an die Aetoler +angeschlossen hatte sich in Thessalien nur die Eidgenossenschaft der Magneten, +wogegen diejenigen Staedte, die Philippos in zwei anderen der thessalischen +Eidgenossenschaften, der thessalischen im engeren Sinn und der perrhaebischen, +den Aetolern entrissen hatte, von ihren Buenden zurueckverlangt wurden aus dem +Grunde, dass Philippos diese Staedte nur befreit, nicht erobert habe. Auch die +Athamanen glaubten ihre Freiheit begehren zu koennen; auch Eumenes forderte die +Seestaedte, die Antiochos im eigentlichen Thrakien besessen hatte, namentlich +Aenos und Maroneia, obwohl ihm im Frieden mit Antiochos nur der Thrakische +Chersonesos ausdruecklich zugesprochen war. All diese Beschwerden und zahllose +geringere seiner saemtlichen Nachbarn, ueber Unterstuetzung des Koenigs Prusias +gegen Eumenes, ueber Handelskonkurrenz, ueber verletzte Kontrakte und geraubtes +Vieh stroemten nach Rom; vor dem roemischen Senat musste der Koenig von +Makedonien von dem souveraenen Gesindel sich verklagen lassen und Recht nehmen +oder Unrecht, wie es fiel; er musste sehen, dass das Urteil stets gegen ihn +ausfiel, musste knirschend von der thrakischen Kueste, aus den thessalischen +und perrhaebischen Staedten die Besatzungen wegziehen und die roemischen +Kommissare hoeflich empfangen, welche nachzusehen kamen, ob auch alles +vorschriftsmaessig ausgefuehrt sei. Man war in Rom nicht so erbittert gegen +Philippos wie gegen Karthago, ja in vieler Hinsicht dem makedonischen Herrn +sogar geneigt; man verletzte hier nicht so ruecksichtslos wie in Libyen die +Formen, aber im Grunde war die Lage Makedoniens wesentlich dieselbe wie die von +Karthago. Indes Philippos war keineswegs der Mann, diese Pein mit phoenikischer +Geduld ueber sich ergehen zu lassen. Leidenschaftlich wie er war, hatte er nach +seiner Niederlage mehr dem treulosen Bundesgenossen gezuernt als dem +ehrenwerten Gegner, und seit langem gewohnt, nicht makedonische, sondern +persoenliche Politik zu treiben, hatte er in dem Kriege mit Antiochos nichts +gesehen als eine vortreffliche Gelegenheit, sich an dem Alliierten, der ihn +schmaehlich im Stich gelassen und verraten hatte, augenblicklich zu raechen. +Dies Ziel hatte er erreicht; allein die Roemer, die sehr gut begriffen, dass +den Makedonier nicht die Freundschaft fuer Rom, sondern die Feindschaft gegen +Antiochos bestimmte, und die ueberdies keineswegs nach solchen Stimmungen der +Neigung und Abneigung ihre Politik zu regeln pflegten, hatten sich wohl +gehuetet, irgend etwas Wesentliches zu Philippos’ Gunsten zu tun, und +hatten vielmehr die Attaliden, die von ihrer ersten Erhebung an mit Makedonien +in heftiger Fehde lagen und von dem Koenig Philippos politisch und persoenlich +aufs bitterste gehasst wurden, die Attaliden, die unter allen oestlichen +Maechten am meisten dazu beigetragen hatten, Makedonien und Syrien zu +zertruemmern und die roemische Klientel auf den Osten auszudehnen, die +Attaliden, die in dem letzten Krieg, wo Philippos es freiwillig und loyal mit +Rom gehalten, um ihrer eigenen Existenz willen wohl mit Rom hatten halten +muessen, hatten diese Attaliden dazu benutzt, um im wesentlichen das Reich des +Lysimachos wieder aufzubauen, dessen Vernichtung der wichtigste Erfolg der +makedonischen Herrscher nach Alexander gewesen war, und Makedonien einen Staat +an die Seite zu stellen, der zugleich ihm an Macht ebenbuertig und Roms Klient +war. +</p> + +<p> +Dennoch haette vielleicht, wie die Verhaeltnisse einmal standen, ein weiser und +sein Volk mit Hingebung beherrschender Regent sich entschlossen, den ungleichen +Kampf gegen Rom nicht wieder aufzunehmen; allein Philippos, in dessen Charakter +von allen edlen Motiven das Ehrgefuehl, von allen unedlen die Rachsucht am +maechtigsten waren, war taub fuer die Stimme sei es der Feigheit, sei es der +Resignation, und naehrte tief im Herzen den Entschluss, abermals die Wuerfel zu +werfen. Als ihm wieder einmal Schmaehungen hinterbracht wurden, wie sie auf den +thessalischen Tagsatzungen gegen Makedonien zu fallen pflegten, antwortete er +mit der Theokritischen Zeile, dass noch die letzte Sonne nicht untergegangen +sei ^1. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Ηδη γάρ φράσδη πάνθ' άλιον άμμι δεδύκειν. (1, 102). +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Philippos bewies bei der Vorbereitung und der Verbergung seiner Entschluesse +eine Ruhe, einen Ernst und eine Konsequenz, die, wenn er in besseren Zeiten sie +bewaehrt haette, vielleicht den Geschicken der Welt eine andere Richtung +gegeben haben wuerden. Namentlich die Fuegsamkeit gegen die Roemer, mit der er +sich die unentbehrliche Frist erkaufte, war fuer den harten und stolzen Mann +eine schwere Pruefung, die er doch mutig ertrug - seine Untertanen freilich und +die unschuldigen Gegenstaende des Haders, wie das unglueckliche Maroneia, +buessten schwer den verhaltenen Groll. Schon im Jahre 571 (183) schien der +Krieg ausbrechen zu muessen; aber auf Philippos’ Geheiss bewirkte sein +juengerer Sohn Demetrios eine Ausgleichung des Vaters mit Rom, wo er einige +Jahre als Geisel gelebt hatte und sehr beliebt war. Der Senat, namentlich +Flamininus, der die griechischen Angelegenheiten leitete, suchte in Makedonien +eine roemische Partei zu bilden, die Philippos’ natuerlich den Roemern +nicht unbekannte Bestrebungen zu paralysieren imstande waere, und hatte zu +deren Haupt, ja vielleicht zum kuenftigen Koenig Makedoniens, den juengeren, +leidenschaftlich an Rom haengenden Prinzen ausersehen. Man gab mit +absichtlicher Deutlichkeit zu verstehen, dass der Senat dem Vater um des Sohnes +willen verzeihe; wovon natuerlich die Folge war, dass im koeniglichen Hause +selbst Zwistigkeiten entstanden und namentlich des Koenigs aelterer und vom +Vater zum Nachfolger bestimmter, aber in ungleicher Ehe erzeugter Sohn Perseus +in seinem Bruder den kuenftigen Nebenbuhler zu verderben suchte. Es scheint +nicht, dass Demetrios sich in die roemischen Intrigen einliess; erst der +falsche Verdacht des Verbrechens zwang ihn, schuldig zu werden, und auch da +beabsichtigte er, wie es scheint, nichts weiter als die Flucht nach Rom. Indes +Perseus sorgte dafuer, dass der Vater diese Absicht auf die rechte Weise +erfuhr; ein untergeschobener Brief von Flamininus an Demetrios tat das uebrige +und lockte dem Vater den Befehl ab, den Sohn aus dem Wege zu raeumen. Zu spaet +erfuhr Philippos die Raenke, die Perseus gesponnen hatte, und der Tod ereilte +ihn ueber der Absicht, den Brudermoerder zu strafen und von der Thronfolge +auszuschliessen. Er starb im Jahre 575 (179) in Demetrias, im +neunundfuenfzigsten Lebensjahre. Das Reich hinterliess er zerschmettert, das +Haus zerruettet, und gebrochenen Herzens gestand er sich ein, dass all seine +Muehsal und all seine Frevel vergeblich gewesen waren. +</p> + +<p> +Sein Sohn Perseus trat darauf die Regierung an, ohne in Makedonien oder bei dem +roemischen Senat Widerspruch zu finden. Er war ein stattlicher Mann, in allen +Leibesuebungen wohl erfahren, im Lager aufgewachsen und des Befehlens gewohnt, +gleich seinem Vater herrisch und nicht bedenklich in der Wahl seiner Mittel. +Ihn reizten nicht der Wein und die Frauen, ueber die Philippos seines Regiments +nur zu oft vergass; er war stetig und beharrlich wie sein Vater leichtsinnig +und leidenschaftlich. Philippos, schon als Knabe Koenig und in den ersten +zwanzig Jahren seiner Herrschaft vom Glueck begleitet, war vom Schicksal +verwoehnt und verdorben worden; Perseus bestieg den Thron in seinem +einunddreissigsten Jahr, und wie er schon als Knabe mitgenommen worden war in +den ungluecklichen roemischen Krieg, wie er aufgewachsen war im Druck der +Erniedrigung und in dem Gedanken einer nahen Wiedergeburt des Staates, so erbte +er von seinem Vater mit dem Reich seine Drangsale, seine Erbitterung und seine +Hoffnungen. In der Tat griff er mit aller Entschlossenheit die Fortsetzung des +vaeterlichen Werkes an und ruestete eifriger, als es vorher geschehen war, zum +Kriege gegen Rom; kam doch fuer ihn noch hinzu, dass es wahrlich nicht die +Schuld der Roemer war, wenn er das makedonische Diadem trug. Mit Stolz sah die +stolze makedonische Nation auf den Prinzen, den sie an der Spitze ihrer Jugend +stehen und fechten zu sehen gewohnt war; seine Landsleute und viele Hellenen +aller Staemme meinten in ihm den rechten Feldherrn fuer den nahen +Befreiungskrieg gefunden zu haben. Aber er war nicht, was er schien; ihm fehlte +Philipps Genialitaet und Philipps Spannkraft, die wahrhaft koeniglichen +Eigenschaften, die das Glueck verdunkelt und geschaendet, aber die reinigende +Macht der Not wieder zu Ehren gebracht hatte. Philippos liess sich und die +Dinge gehen; aber wenn es galt, fand er in sich die Kraft zu raschem und +ernstlichem Handeln. Perseus spann weite und feine Plaene und verfolgte sie mit +unermuedlicher Beharrlichkeit; aber wenn die Stunde schlug und das, was er +angelegt und vorbereitet hatte, ihm in der lebendigen Wirklichkeit +entgegentrat, erschrak er vor seinem eigenen Werke. Wie es beschraenkten +Naturen eigen ist, ward ihm das Mittel zum Zweck; er haeufte Schaetze auf +Schaetze fuer den Roemerkrieg und als die Roemer im Lande standen, vermochte er +nicht von seinen Goldstuecken sich zu trennen. Es ist bezeichnend, dass nach +der Niederlage der Vater zuerst eilte, die kompromittierenden Papiere in seinem +Kabinett zu vernichten, der Sohn dagegen seine Kassen nahm und sich +einschiffte. In gewoehnlichen Zeiten haette er einen Koenig vom Dutzendschlag +so gut und besser wie mancher andere abgeben koennen; aber er war nicht +geschaffen, ein Unternehmen zu leiten, das von Haus aus verloren war, wenn +nicht ein ausserordentlicher Mann es beseelte. +</p> + +<p> +Makedoniens Macht war nicht gering. Die Ergebenheit des Landes gegen das Haus +der Antigoniden war ungebrochen, das Nationalgefuehl hier allein nicht durch +den Hader politischer Parteien paralysiert. Den grossen Vorteil der +monarchischen Verfassung, dass jeder Regierungswechsel den alten Groll und Zank +beseitigt und eine neue Aera anderer Menschen und frischer Hoffnungen +herauffuehrt, hatte der Koenig verstaendig benutzt und seine Regierung begonnen +mit allgemeiner Amnestie, mit Zurueckberufung der fluechtigen Bankerottierer +und Erlass der rueckstaendigen Steuern. Die gehaessige Haerte des Vaters +brachte also dem Sohn nicht bloss Vorteil, sondern auch Liebe. Sechsundzwanzig +Friedensjahre hatten die Luecken in der makedonischen Bevoelkerung teils von +selbst ausgefuellt, teils der Regierung gestattet, hierfuer als fuer den +eigentlichen wunden Fleck des Landes ernstliche Fuersorge zu treffen. Philippos +hielt die Makedonier an zur Ehe und Kinderzeugung; er besetzte die +Kuestenstaedte, aus denen er die Einwohner in das Innere zog, mit thrakischen +Kolonisten von zuverlaessiger Wehrhaftigkeit und Treue; er zog, um die +verheerenden Einfaelle der Dardaner ein fuer allemal abzuwehren, gegen Norden +eine Scheidewand, indem er das Zwischenland jenseits der Landesgrenze bis an +das barbarische Gebiet zu Einoede machte, und gruendete neue Staedte in den +noerdlichen Provinzen. Kurz, er tat Zug fuer Zug dasselbe fuer Makedonien, +wodurch spaeter Augustus das Roemische Reich zum zweitenmal gruendete. Die +Armee war zahlreich - 30 000 Mann, ohne die Zuzuege und die Mietstruppen zu +rechnen - und die junge Mannschaft geuebt durch den bestaendigen Grenzkrieg +gegen die thrakischen Barbaren. Seltsam ist es, dass Philippos nicht wie +Hannibal es versuchte, sein Heer roemisch zu organisieren; allein es begreift +sich, wenn man sich erinnert, was den Makedoniern ihre zwar oft ueberwundene, +aber doch noch immer unueberwindlich geglaubte Phalanx galt. Durch die neuen +Finanzquellen, die Philippos in Bergwerken, Zoellen und Zehnten sich geschaffen +hatte, und den aufbluehenden Ackerbau und Handel war es gelungen, den Schatz, +die Speicher und die Arsenale zu fuellen; als der Krieg begann, lag im +makedonischen Staatsschatz Geld genug, um fuer das dermalige Heer und fuer +10000 Mann Mietstruppen auf zehn Jahre den Sold zu zahlen und fanden sich in +den oeffentlichen Magazinen Getreidevorraete auf ebenso lange Zeit (18 Mill. +Medimnen oder preussische Scheffel) und Waffen fuer ein dreifach so starkes +Heer, als das gegenwaertige war. In der Tat war Makedonien ein ganz anderer +Staat geworden, als da es durch den Ausbruch des zweiten Krieges mit Rom +ueberrascht ward; die Macht des Reiches war in allen Beziehungen mindestens +verdoppelt - mit einer in jeder Hinsicht weit geringeren hatte Hannibal es +vermocht, Rom bis in seine Grundfesten zu erschuettern. +</p> + +<p> +Nicht so guenstig standen die aeusseren Verhaeltnisse. Es lag in der Natur der +Sache, dass Makedonien jetzt die Plaene von Hannibal und von Antiochos wieder +aufnehmen und versuchen musste, sich an die Spitze einer Koalition aller +unterdrueckten Staaten gegen Roms Suprematie zu stellen; und allerdings gingen +die Faeden vom Hofe zu Pydna nach allen Seiten. Indes der Erfolg war gering. +Dass die Treue der Italiker schwankte, ward wohl behauptet; allein es konnte +weder Freund noch Feind entgehen, dass zunaechst die Wiederaufnahme der +Samnitenkriege nicht gerade wahrscheinlich sei. Die naechtlichen Konferenzen +makedonischer Abgeordneter mit dem karthagischen Senat, die Massinissa in Rom +denunzierte, konnten gleichfalls ernsthafte und einsichtige Maenner nicht +erschrecken, selbst wenn sie nicht, wie es sehr moeglich ist, voellig erfunden +waren. Die Koenige von Syrien und Bithynien suchte der makedonische Hof durch +Zwischenheiraten in das makedonische Interesse zu ziehen; allein es kam dabei +weiter nichts heraus, als dass die unsterbliche Naivitaet der Diplomatie, die +Laender mit Liebschaften erobern zu wollen, sich einmal mehr prostituierte. Den +Eumenes, den gewinnen zu wollen laecherlich gewesen waere, haetten +Perseus’ Agenten gern beseitigt; er sollte auf der Rueckkehr von Rom, wo +er gegen Makedonien gewirkt hatte, bei Delphi ermordet werden, allein der +saubere Plan misslang. +</p> + +<p> +Von groesserer Bedeutung waren die Bestrebungen, die noerdlichen Barbaren und +die Hellenen gegen Rom aufzuwiegeln. Philippos hatte den Plan entworfen, die +alten Feinde Makedoniens, die Dardaner in dem heutigen Serbien, zu erdruecken +durch einen anderen, vom linken Ufer der Donau herbeigezogenen, noch wilderen +Schwarm deutscher Abstammung, den der Bastarner, sodann mit diesen und der +ganzen dadurch in Bewegung gesetzten Voelkerlawine selbst nach Italien auf dem +Landweg zu ziehen und in die Lombardei einzufallen, wohin er die Alpenpaesse +bereits erkunden liess - ein grossartiger, Hannibals wuerdiger Entwurf, welchen +auch ohne Zweifel Hannibals Alpenuebergang unmittelbar angeregt hat. Es ist +mehr als wahrscheinlich, dass hiermit die Gruendung der roemischen Festung +Aquileia zusammenhaengt, die eben in Philippos’ letzte Zeit faellt (573 +181) und nicht passt zu dem sonst von den Roemern bei ihren italischen +Festungsanlagen befolgten System. Der Plan scheiterte indes an dem +verzweifelten Widerstand der Dardaner und der mitbetroffenen naechstwohnenden +Voelkerschaften; die Bastarner mussten wieder abziehen und der ganze Haufen +ertrank auf der Heimkehr unter dem einbrechenden Eise der Donau. Der Koenig +suchte nun wenigstens unter den Haeuptlingen des illyrischen Landes, des +heutigen Dalmatiens und des noerdlichen Albaniens, seine Klientel auszubreiten. +Nicht ohne Perseus’ Vorwissen kam einer derselben, der treulich zu Rom +hielt, Arthetauros, durch Moerderhand um. Der bedeutendste von allen, Genthios, +der Sohn und Erbe des Pleuratos, stand zwar dem Namen nach gleich seinem Vater +in Buendnis mit Rom, allein die Boten von Issa, einer griechischen Stadt auf +einer der dalmatinischen Inseln, berichteten dem Senat, dass Koenig Perseus mit +dem jungen, schwachen, trunkfaelligen Menschen in heimlichem Einverstaendnis +stehe und Genthios’ Gesandte in Rom dem Perseus als Spione dienten. +</p> + +<p> +In den Landschaften oestlich von Makedonien gegen die untere Donau zu stand der +maechtigste unter den thrakischen Haeuptlingen, der Fuerst der Orysen und Herr +des ganzen oestlichen Thrakiens von der makedonischen Grenze am Hebros +(Maritza) bis an den mit griechischen Staedten bedeckten Kuestensaum, der kluge +und tapfere Kotys, mit Perseus im engsten Buendnis; von den anderen kleineren +Haeuptlingen, die es hier mit Rom hielten, ward einer, der Fuerst der Sagaeer, +Abrupolis, infolge eines gegen Amphipolis am Strymon gerichteten Raubzugs von +Perseus geschlagen und aus dem Lande getrieben. Von hierher hatte Philipp +zahlreiche Kolonisten gezogen und standen Soeldner zu jeder Zeit in beliebiger +Zahl zu Gebot. +</p> + +<p> +Unter der ungluecklichen hellenischen Nation ward von Philippos und Perseus +lange vor der Kriegserklaerung gegen Rom ein zwiefacher Propagandakrieg lebhaft +gefuehrt, indem man teils die nationale, teils - man gestatte den Ausdruck - +die kommunistische Partei auf die Seite Makedoniens zu bringen versuchte. Dass +alle national Gesinnten unter den asiatischen wie unter den europaeischen +Griechen jetzt im Herzen makedonisch waren, versteht sich von selbst; nicht +wegen einzelner Ungerechtigkeiten der roemischen Befreier, sondern weil die +Herstellung der hellenischen Nationalitaet durch eine fremde den Widerspruch in +sich selbst trug, und jetzt, wo es freilich zu spaet war, jeder es begriff, +dass die abscheulichste makedonische Regierung minder unheilvoll fuer +Griechenland war als die aus den edelsten Absichten ehrenhafter Auslaender +hervorgegangene freie Verfassung. Dass die tuechtigsten und rechtschaffensten +Leute in ganz Griechenland gegen Rom Partei ergriffen, war in der Ordnung; +roemisch gesinnt war nur die feile Aristokratie und hier und da ein einzelner +ehrlicher Mann, der ausnahmsweise sich ueber den Zustand und die Zukunft der +Nation nicht taeuschte. Am schmerzlichsten empfand dies Eumenes von Pergamon, +der Traeger jener fremdlaendischen Freiheit unter den Griechen. Vergeblich +behandelte er die ihm unterworfenen Staedte mit Ruecksichten aller Art; +vergeblich buhlte er um die Gunst der Gemeinden und der Tagsatzungen mit +wohlklingenden Worten und noch besser klingendem Golde - er musste vernehmen, +dass man seine Geschenke zurueckgewiesen, ja dass man eines schoenen Tages im +ganzen Peloponnes nach Tagsatzungsbeschluss alle frueher ihm errichteten +Statuen zerschlagen und die Ehrentafeln eingeschmolzen habe (584 170), waehrend +Perseus’ Name auf allen Lippen war; waehrend selbst die ehemals am +entschiedensten antimakedonisch gesinnten Staaten, wie die Achaeer, ueber die +Aufhebung der gegen Makedonien gerichteten Gesetze berieten; waehrend +Byzantion, obwohl innerhalb des Pergamenischen Reiches gelegen, nicht von +Eumenes, sondern von Perseus Schutz und Besatzung gegen die Thraker erbat und +empfing, und ebenso Lampsakos am Hellespont sich dem Makedonier anschloss; +waehrend die maechtigen und besonnenen Rhodier dem Koenig Perseus seine +syrische Braut, da die syrischen Kriegsschiffe im Aegaeischen Meer sich nicht +zeigen durften, mit ihrer ganzen praechtigen Kriegsflotte von Antiocheia her +zufuehrten und hochgeehrt und reich beschenkt, namentlich mit Holz zum +Schiffbau, wieder heimkehrten; waehrend Beauftragte der asiatischen Staedte, +also der Untertanen des Eumenes, in Samothrake mit makedonischen Abgeordneten +geheime Konferenzen hielten. Jene Sendung der rhodischen Kriegsflotte schien +wenigstens eine Demonstration; und sicher war es eine, dass der Koenig Perseus +unter dem Vorwand einer gottesdienstlichen Handlung bei Delphi den Hellenen +sich und seine ganze Armee zur Schau stellte. Dass der Koenig sich auf diese +nationale Propaganda bei dem bevorstehenden Kriege zu stuetzen gedachte, war in +der Ordnung. Arg aber war es, dass er die fuerchterliche oekonomische +Zerruettung Griechenlands benutzte, um alle diejenigen, die eine Umwaelzung der +Eigentums- und Schuldverhaeltnisse wuenschten, an Makedonien zu ketten. Von der +beispiellosen Ueberschuldung der Gemeinden wie der einzelnen im europaeischen +Griechenland, mit Ausnahme des in dieser Hinsicht etwas besser geordneten +Peloponnes, ist es schwer, sich einen hinreichenden Begriff zu machen; es kam +vor, dass eine Stadt die andere ueberfiel und auspluenderte, bloss um Geld zu +machen, so zum Beispiel die Athener Oropos, und bei den Aetolern, den +Perrhaebern, den Thessalern lieferten die Besitzenden und die Nichtbesitzenden +sich foermliche Schlachten. Die aergsten Greueltaten verstehen sich bei solchen +Zustaenden von selbst; so wurde bei den Aetolern eine allgemeine Versoehnung +verkuendet und ein neuer Landfriede gemacht, einzig zu dem Zweck, eine Anzahl +von Emigranten ins Garn zu locken und zu ermorden. Die Roemer versuchten zu +vermitteln; aber ihre Gesandten kehrten unverrichteter Sache zurueck und +meldeten, dass beide Parteien gleich schlecht und die Erbitterung nicht zu +bezaehmen sei. Hier half in der Tat nichts anderes mehr als der Offizier und +der Scharfrichter; der sentimentale Hellenismus fing an, ebenso grauenvoll zu +werden, wie er von Anfang an laecherlich gewesen war. Koenig Perseus aber +bemaechtigte sich dieser Partei, wenn sie den Namen verdient, der Leute, die +nichts, am wenigsten einen ehrlichen Namen zu verlieren hatten, und erliess +nicht bloss Verfuegungen zu Gunsten der makedonischen Bankerottierer, sondern +liess auch in Larisa, Delphi und Delos Plakate anschlagen, welche saemtliche +wegen politischer oder anderer Verbrechen oder ihrer Schulden wegen +landfluechtig gewordene Griechen aufforderten, nach Makedonien zu kommen und +volle Einsetzung in ihre ehemaligen Ehren und Gueter zu gewaertigen. Dass sie +kamen, kann man sich denken; ebenso dass in ganz Nordgriechenland die glimmende +soziale Revolution nun in offene Flammen ausschlug und die national-soziale +Partei daselbst um Hilfe zu Perseus sandte. Wenn die hellenische Nationalitaet +nur mit solchen Mitteln zu retten war, so durfte bei aller Verehrung fuer +Sophokles und Pheidias man sich die Frage erlauben, ob das Ziel des Preises +wert sei. +</p> + +<p> +Der Senat begriff, dass er schon zu lange gezoegert habe und dass es Zeit sei, +dem Treiben ein Ende zu machen. Die Vertreibung des thrakischen Haeuptlings +Abrupolis, der mit den Roemern in Buendnis stand, die Buendnisse Makedoniens +mit den Byzantiern, Aetolern und einem Teil der boeotischen Staedte waren +ebensoviel Verletzungen des Friedens von 557 (197) und genuegten fuer das +offizielle Kriegsmanifest; der wahre Grund des Krieges war, dass Makedonien im +Begriff stand, seine formelle Souveraenitaet in eine reelle zu verwandeln und +Rom aus dem Patronat ueber die Hellenen zu verdraengen. Schon 581 (173) +sprachen die roemischen Gesandten auf der achaeischen Tagsatzung es ziemlich +unumwunden aus, dass ein Buendnis mit Perseus mit dem Abfall von dem roemischen +gleichbedeutend sei. Im Jahr 582 (172) kam Koenig Eumenes persoenlich nach Rom +mit einem langen Beschwerdenregister und deckte die ganze Lage der Dinge im +Senat auf, worauf dieser wider Erwarten in geheimer Sitzung sofort die +Kriegserklaerung beschloss und die Landungsplaetze in Epeiros mit Besatzungen +versah. Der Form wegen ging noch eine Gesandtschaft nach Makedonien, deren +Botschaft aber derart war, dass Perseus, erkennend, dass er nicht zurueck +koenne, die Antwort gab, er sei bereit, ein neues wirklich gleiches Buendnis +mit Rom zu schliessen, allein den Vertrag von 557 (197) sehe er als aufgehoben +an, und die Gesandten anwies, binnen drei Tagen das Reich zu verlassen. Damit +war der Krieg tatsaechlich erklaert. Es war im Herbst 582 (172); wenn Perseus +wollte, konnte er ganz Griechenland besetzen und die makedonische Partei +ueberall ans Regiment bringen, ja vielleicht die bei Apollonia stehende +roemische Division von 5000 Mann unter Gnaeus Sicinius erdruecken und den +Roemern die Landung streitig machen. Allein der Koenig, dem schon vor dem Ernst +der Dinge zu grauen begann, liess sich mit seinem Gastfreund, dem Konsular +Quintus Marcius Philippus, ueber die Frivolitaet der roemischen +Kriegserklaerung in Verhandlungen ein und sich durch diese bestimmen, den +Angriff zu verschieben und noch einmal einen Friedensversuch in Rom zu machen, +den, wie begreiflich, der Senat nur beantwortete mit der Ausweisung saemtlicher +Makedonier aus Italien und der Einschiffung der Legionen. Zwar tadelten die +Senatoren der aelteren Schule die “neue Weisheit” ihres Kollegen +und die unroemische List; allein der Zweck war erreicht und der Winter +verfloss, ohne dass Perseus sich ruehrte. Desto eifriger nutzten die roemischen +Diplomaten die Zwischenzeit, um Perseus eines jeden Anhaltes in Griechenland zu +berauben. Der Achaeer war man sicher. Nicht einmal die Patriotenpartei +daselbst, die weder mit jenen sozialen Bewegungen einverstanden war noch +ueberhaupt sich weiter verstieg als zu der Sehnsucht nach einer weisen +Neutralitaet, dachte daran, sich Perseus in die Arme zu werfen; und ueberdies +war dort jetzt durch roemischen Einfluss die Gegenpartei ans Ruder gekommen, +die unbedingt sich an Rom anschloss. Der Aetolische Bund hatte zwar in seinen +inneren Unruhen von Perseus Hilfe erbeten; aber der unter den Augen der +roemischen Gesandten gewaehlte neue Strateg Lykiskos war roemischer gesinnt als +die Roemer selbst. Auch bei den Thessalern behielt die roemische Partei die +Oberhand. Sogar die von Alters her makedonisch gesinnten und oekonomisch aufs +tiefste zerruetteten Boeoter hatten in ihrer Gesamtheit sich nicht offen fuer +Perseus erklaert; doch liessen wenigstens drei ihrer Staedte, Thisbae, +Haliartos und Koroneia auf eigene Hand sich mit Perseus ein. Da auf die +Beschwerde des roemischen Gesandten die Regierung der boeotischen +Eidgenossenschaft ihm den Stand der Dinge mitteilte, erklaerte jener, dass sich +am besten zeigen werde, welche Stadt es mit Rom halte und welche nicht, wenn +jede sich einzeln ihm gegenueber ausspreche; und daraufhin lief die Boeotische +Eidgenossenschaft geradezu auseinander. Es ist nicht wahr, dass +Epaminondas’ grosser Bau von den Roemern zerstoert worden ist; er fiel +tatsaechlich zusammen, ehe sie daran ruehrten, und ward also freilich das +Vorspiel fuer die Aufloesung der uebrigen, noch fester geschlossenen +griechischen Staedtebuende ^2. Mit der Mannschaft der roemisch gesinnten +boeotischen Staedte belagerte der roemische Gesandte Publius Lentulus +Haliartos, noch ehe die roemische Flotte im Aegaeischen Meer erschien. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +^2 Die rechtliche Aufloesung der Boeotischen Eidgenossenschaft erfolgte +uebrigens wohl noch nicht jetzt, sondern erst nach der Zerstoerung Korinths +(Paus. 7, 14, 4; 16, 6.) +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +Chalkis ward mit achaeischer, die orestische Landschaft mit epeirotischer +Mannschaft, die dassaretischen und illyrischen Kastelle an der makedonischen +Westgrenze von den Truppen des Gnaeus Sicinius besetzt, und sowie die +Schiffahrt wieder begann, erhielt Larisa eine Besatzung von 2000 Mann. Perseus +sah dem allem untaetig zu und hatte keinen Fussbreit Landes ausserhalb seines +eigenen Gebietes inne, als im Fruehling oder nach dem offiziellen Kalender im +Juni 583 (171) die roemischen Legionen an der Westkueste landeten. Es ist +zweifelhaft, ob Perseus namhafte Bundesgenossen gefunden haben wuerde, auch +wenn er soviel Energie gezeigt haette, als er Schlaffheit bewies; unter diesen +Umstaenden blieb er natuerlich voellig allein, und jene weitlaeufigen +Propagandaversuche fuehrten vorlaeufig wenigstens zu gar nichts. Karthago, +Genthios von Illyrien, Rhodos und die kleinasiatischen Freistaedte, selbst das +mit Perseus bisher so eng befreundete Byzanz, boten den Roemern Kriegsschiffe +an, welche diese indes ablehnten. Eumenes machte sein Landheer und seine +Schiffe mobil. Koenig Ariarathes von Kappadokien schickte ungeheissen Geiseln +nach Rom. Perseus’ Schwager, Koenig Prusias II. von Bithynien, blieb +neutral. In ganz Griechenland ruehrte sich niemand. Koenig Antiochos IV. von +Syrien, im Kurialstil “der Gott, der glaenzende Siegbringer” +genannt zur Unterscheidung von seinem Vater, dem “Grossen”, ruehrte +sich zwar, aber nur um dem ganz ohnmaechtigen Aegypten waehrend dieses Krieges +das syrische Kuestenland zu entreissen. +</p> + +<p> +Indes wenn Perseus auch fast allein stand, so war er doch ein nicht +veraechtlicher Gegner. Sein Heer zaehlte 43000 Mann, darunter 21000 Phalangiten +und 4000 makedonische und thrakische Reiter, der Rest groesstenteils Soeldner. +Die Gesamtmacht der Roemer in Griechenland betrug zwischen 30- und 40000 Mann +italischer Truppen, ausserdem ueber 10000 Mann numidischen, ligurischen, +griechischen, kretischen und besonders pergamenischen Zuzugs. Dazu kam die +Flotte, die nur 40 Deckschiffe zaehlte, da ihr keine feindliche gegenueberstand +- Perseus, dem der Vertrag mit Rom Kriegsschiffe zu bauen verboten hatte, +richtete erst jetzt Werften in Thessalonike ein -, die aber bis 10000 Mann +Truppen an Bord hatte, da sie hauptsaechlich bei Belagerungen mitzuwirken +bestimmt war. Die Flotte fuehrte Gaius Lucretius, das Landheer der Konsul +Publius Licinius Crassus. Derselbe liess eine starke Abteilung in Illyrien, um +von Westen aus Makedonien zu beunruhigen, waehrend er mit der Hauptmacht wie +gewoehnlich von Apollonia nach Thessalien aufbrach. Perseus dachte nicht daran, +den schwierigen Marsch zu stoeren, sondern begnuegte sich, in Perrhaebien +einzuruecken und die naechsten Festungen zu besetzen. Am Ossa erwartete er den +Feind und unweit Larisa erfolgte das erste Gefecht zwischen den beiderseitigen +Reitern und leichten Truppen. Die Roemer wurden entschieden geschlagen. Kotys +mit der thrakischen Reiterei hatte die italische, Perseus mit der makedonischen +die griechische geworfen und zersprengt; die Roemer hatten 2000 Mann zu Fuss, +2000 Reiter an Toten, 600 Reiter an Gefangenen verloren und mussten sich +gluecklich schaetzen, unbehindert den Peneios ueberschreiten zu koennen. +Perseus benutzte den Sieg, um auf dieselben Bedingungen, die Philippos erhalten +hatte, den Frieden zu erbitten; sogar dieselbe Summe zu zahlen war er bereit. +Die Roemer schlugen die Forderung ab; sie schlossen nie Frieden nach einer +Niederlage, und hier haette der Friedensschluss allerdings folgeweise den +Verlust Griechenlands nach sich gezogen. Indes anzugreifen verstand der elende +roemische Feldherr auch nicht; man zog hin und her in Thessalien, ohne dass +etwas von Bedeutung geschah. Perseus konnte die Offensive ergreifen; er sah die +Roemer schlecht gefuehrt und zaudernd; wie ein Lauffeuer war die Nachricht +durch Griechenland gegangen, dass das griechische Heer im ersten Treffen +glaenzend gesiegt habe - ein zweiter Sieg konnte zur allgemeinen Insurrektion +der Patriotenpartei fuehren und durch die Eroeffnung eines Guerillakrieges +unberechenbare Erfolge bewirken. Allein Perseus war ein guter Soldat, aber kein +Feldherr wie sein Vater; er hatte sich auf einen Verteidigungskrieg gefasst +gemacht, und wie die Dinge anders gingen, fand er sich wie gelaehmt. Einen +unbedeutenden Erfolg, den die Roemer in einem zweiten Reitergefecht bei +Phalanna davontrugen, nahm er zum Vorwand, um nun doch, wie es beschraenkten +und eigensinnigen Naturen eigen ist, zu dem ersten Plan zurueckzukehren und +Thessalien zu raeumen. Das hiess natuerlich soviel, als auf jeden Gedanken +einer hellenischen Insurrektion verzichten; was sonst sich haette erreichen +lassen, zeigt der dennoch erfolgte Parteiwechsel der Epeiroten. Von beiden +Seiten geschah seitdem nichts Ernstliches mehr; Perseus ueberwand den Koenig +Genthios, zuechtigte die Dardaner und liess durch Kotys die roemisch gesinnten +Thraker und die pergamenischen Truppen aus Thrakien hinausschlagen. Dagegen +nahm die roemische Westarmee einige illyrische Staedte, und der Konsul +beschaeftigte sich damit, Thessalien von den makedonischen Besatzungen zu +reinigen und sich der unruhigen Aetoler und Akarnanen durch Besetzung von +Ambrakia zu versichern. Am schwersten aber empfanden den roemischen Heldenmut +die ungluecklichen boeotischen Staedte, die mit Perseus hielten; die Einwohner +sowohl von Thisbae, das sich ohne Widerstand ergab, sowie der roemische Admiral +Gaius Lucretius vor der Stadt erschien, wie von Haliartos, das ihm die Tore +schloss und erstuermt werden musste, wurden von ihm in die Sklaverei verkauft, +Koroneia von dem Konsul Crassus gar der Kapitulation zuwider ebenso behandelt. +Noch nie hatte ein roemisches Heer so schlechte Mannszucht gehalten wie unter +diesen Befehlshabern. Sie hatten das Heer so zerruettet, dass auch im naechsten +Feldzug 584 (170) der neue Konsul Aulus Hostilius an ernstliche Unternehmungen +nicht denken konnte, zumal da der neue Admiral Lucius Hortensius sich ebenso +unfaehig und gewissenlos erwies wie sein Vorgaenger. Die Flotte lief ohne allen +Erfolg in den thrakischen Kuestenplaetzen an. Die Westarmee unter Appius +Claudius, dessen Hauptquartier in Lychnidos im dassaretischen Gebiet war, +erlitt eine Schlappe ueber die andere; nachdem eine Expedition nach Makedonien +hinein voellig verunglueckt war, griff gegen Anfang des Winters der Koenig mit +den an der Suedgrenze durch den tiefen, alle Paesse sperrenden Schnee +entbehrlich gewordenen Truppen den Appius seinerseits an, nahm ihm zahlreiche +Ortschaften und eine Menge Gefangene ab und knuepfte Verbindungen mit dem +Koenig Genthios an; ja er konnte einen Versuch machen, in Aetolien einzufallen, +waehrend Appius sich in Epeiros von der Besatzung einer Festung, die er +vergeblich belagert hatte, noch einmal schlagen liess. Die roemische Hauptarmee +machte ein paar Versuche, erst ueber die Kambunischen Berge, dann durch die +thessalischen Paesse in Makedonien einzudringen, aber sie wurden schlaff +angestellt und beide von Perseus zurueckgewiesen. Hauptsaechlich beschaeftigte +der Konsul sich mit der Reorganisierung des Heeres, die freilich auch vor allen +Dingen noetig war, aber einen strengeren Mann und einen namhafteren Offizier +erforderte. Abschied und Urlaub waren kaeuflich geworden, die Abteilungen daher +niemals vollzaehlig; die Mannschaft ward im Sommer einquartiert, und wie die +Offiziere im grossen Stil, stahlen die Gemeinen im kleinen; die befreundeten +Voelkerschaften wurden in schmaehlicher Weise beargwohnt - so waelzte man die +Schuld der schimpflichen Niederlage bei Larisa auf die angebliche Verraeterei +der aetolischen Reiterei und sandte unerhoerterweise deren Offiziere zur +Kriminaluntersuchung nach Rom; so draengte man die Molotter in Epeiros. durch +falschen Verdacht zum wirklichen Abfall; die verbuendeten Staedte wurden, als +waeren sie erobert, mit Kriegskontributionen belegt, und wenn sie auf den +roemischen Senat provozierten, die Buerger hingerichtet oder zu Sklaven +verkauft - so in Abdera und aehnlich in Chalkis. Der Senat schritt sehr +ernstlich ein ^3: er befahl die Befreiung der ungluecklichen Koroneier und +Abderiten und verbot den roemischen Beamten, ohne Erlaubnis des Senats +Leistungen von den Bundesgenossen zu verlangen. Gaius Lucretius ward von der +Buergerschaft einstimmig verurteilt. Allein das konnte nicht aendern, dass das +Ergebnis dieser beiden ersten Feldzuege militaerisch null, politisch ein +Schandfleck fuer die Roemer war, deren ungemeine Erfolge im Osten nicht zum +wenigsten darauf beruhten, dass sie der hellenischen Suendenwirtschaft +gegenueber sittlich rein und tuechtig auftraten. Haette an Perseus’ +Stelle Philippos kommandiert, so wuerde dieser Krieg vermutlich mit der +Vernichtung des roemischen Heeres und dem Abfall der meisten Hellenen begonnen +haben; allein Rom war so gluecklich, in den Fehlern stets von seinen Gegnern +ueberboten zu werden. Perseus begnuegte sich in Makedonien, das nach Sueden und +Westen eine wahre Bergfestung ist, gleichwie in einer belagerten Stadt sich zu +verschanzen. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^3 Der kuerzlich aufgefundene Senatsbeschluss vom 9. Oktober 584 (170), der die +Rechtsverhaeltnisse von Thisbae regelt (Eph. epigr. 1872, S. 278 f.; AM 4, +1889, S. 235f.), gibt einen deutlichen Einblick in diese Verhaeltnisse. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Auch der dritte Oberfeldherr, den Rom 585 (169) nach Makedonien sandte, Quintus +Marcius Philippus, jener schon erwaehnte ehrliche Gastfreund des Koenigs, war +seiner keineswegs leichten Aufgabe durchaus nicht gewachsen. Er war ehrgeizig +und unternehmend, aber ein schlechter Offizier. Sein Wagestueck, durch den Pass +Lapathus westlich von Tempe den Uebergang ueber den Olympos in der Art zu +gewinnen, dass er gegen die Besatzung des Passes eine Abteilung zurueckliess +und mit der Hauptmacht durch unwegsame Abhaenge nach Herakleion zu den Weg sich +bahnte, wird dadurch nicht entschuldigt, dass es gelang. Nicht bloss konnte +eine Handvoll entschlossener Leute ihm den Weg verlegen, wo dann an keinen +Rueckzug zu denken war, sondern noch nach dem Uebergang stand er mit der +makedonischen Hauptmacht vor sich, hinter sich die stark befestigten +Bergfestungen Tempe und Lapathus, eingekeilt in eine schmale Strandebene und +ohne Zufuhr wie ohne Moeglichkeit zu fouragieren, in einer nicht minder +verzweifelten Lage, als da er in seinem ersten Konsulat in den ligurischen +Engpaessen, die seitdem seinen Namen behielten, sich gleichfalls hatte +umzingeln lassen. Allein wie damals ihn ein Zufall rettete, so jetzt +Perseus’ Unfaehigkeit. Als ob er den Gedanken nicht fassen koenne, gegen +die Roemer anders als durch Sperrung der Paesse sich zu verteidigen, gab er +sich seltsamerweise verloren, sowie er die Roemer diesseits derselben +erblickte, fluechtete eiligst nach Pydna und befahl, seine Schiffe zu +verbrennen und seine Schaetze zu versenken. Aber selbst dieser freiwillige +Abzug der makedonischen Armee befreite den Konsul noch nicht aus seiner +peinlichen Lage. Er ging zwar ungehindert vor, musste aber nach vier +Tagemaerschen wegen Mangels an Lebensmitteln sich wieder rueckwaerts wenden; +und da auch der Koenig zur Besinnung kam und schleunigst umkehrte, um in die +verlassene Position wieder einzuruecken, so waere das roemische Heer in grosse +Gefahr geraten, wenn nicht zur rechten Zeit das unueberwindliche Tempe +kapituliert und seine reichen Vorraete dem Feind ueberliefert haette. Die +Verbindung mit dem Sueden war nun zwar dadurch dem roemischen Heere gesichert; +aber auch Perseus hatte sich in seiner frueheren wohlgewaehlten Stellung an dem +Ufer des kleinen Flusses Elpios stark verbarrikadiert und hemmte hier den +weiteren Vormarsch der Roemer. So verblieb das roemische Heer den Rest des +Sommers und den Winter eingeklemmt in den aeussersten Winkel Thessaliens; und +wenn die Ueberschreitung der Paesse allerdings ein Erfolg und der erste +wesentliche in diesem Krieg war, so verdankte man ihn doch nicht der +Tuechtigkeit des roemischen, sondern der Verkehrtheit des feindlichen +Feldherrn. Die roemische Flotte versuchte vergebens Demetrias zu nehmen und +richtete ueberhaupt gar nichts aus. Perseus’ leichte Schiffe streiften +kuehn zwischen den Kykladen, beschuetzten die nach Makedonien bestimmten +Kornschiffe und griffen die feindlichen Transporte auf. Bei der Westarmee stand +es noch weniger gut; Appius Claudius konnte mit seiner geschwaechten Abteilung +nichts ausrichten, und der von ihm begehrte Zuzug aus Achaia ward durch die +Eifersucht des Konsuls abgehalten zu kommen. Dazu kam, dass Genthios sich von +Perseus durch das Versprechen einer grossen Geldsumme hatte erkaufen lassen, +mit Rom zu brechen, und die roemischen Gesandten einkerkern liess; worauf +uebrigens der sparsame Koenig es ueberfluessig fand, die zugesicherten Gelder +zu zahlen, da Genthios nun allerdings ohnehin gezwungen war, statt der +bisherigen zweideutigen eine entschieden feindliche Stellung gegen Rom +einzunehmen. So hatte man also einen kleinen Krieg mehr neben dem grossen, der +nun schon drei Jahre sich hinzog. Ja haette Perseus sich von seinem Golde zu +trennen vermocht, er haette den Roemern noch gefaehrlichere Feinde erwecken +koennen. Ein Keltenschwarm unter Clondicus, 10000 Mann zu Pferde und ebenso +viele zu Fuss, bot in Makedonien selbst sich an, bei ihm Dienste zu nehmen; +allein man konnte sich ueber den Sold nicht einigen. Auch in Hellas gaerte es +so, dass ein Guerillakrieg sich mit einiger Geschicklichkeit und einer vollen +Kasse leicht haette entzuenden lassen; allein da Perseus nicht Lust hatte zu +geben und die Griechen nichts umsonst taten, blieb das Land ruhig. +</p> + +<p> +Endlich entschloss man sich in Rom, den rechten Mann nach Griechenland zu +senden. Es war Lucius Aemilius Paullus, der Sohn des gleichnamigen Konsuls, der +bei Cannae fiel; ein Mann von altem Adel, aber geringem Vermoegen und deshalb +auf dem Wahlplatz nicht so gluecklich wie auf dem Schlachtfeld, wo er in +Spanien und mehr noch in Ligurien sich ungewoehnlich hervorgetan. Ihn waehlte +das Volk fuer das Jahr 586 (168) zum zweitenmal zum Konsul seiner Verdienste +wegen, was damals schon eine seltene Ausnahme war. Er war in jeder Beziehung +der rechte: ein vorzueglicher Feldherr von der alten Schule, streng gegen sich +und seine Leute und trotz seiner sechzig Jahre noch frisch und kraeftig, ein +unbestechlicher Beamter - “einer der wenigen Roemer jener Zeit, denen man +kein Geld bieten konnte”, sagt ein Zeitgenosse von ihm - und ein Mann von +hellenischer Bildung, der noch als Oberfeldherr die Gelegenheit benutzte, um +Griechenland der Kunstwerke wegen zu bereisen. +</p> + +<p> +Sowie der neue Feldherr im Lager bei Herakleion eingetroffen war, liess er, +waehrend Vorpostengefechte im Flussbett des Elpios die Makedonier +beschaeftigten, den schlecht bewachten Pass bei Pythion durch Publius Nasica +ueberrumpeln; der Feind war dadurch umgangen und musste nach Pydna +zurueckweichen. Hier, am roemischen 4. September 586 (168) oder am 22. Juni des +Julianischen Kalenders - eine Mondfinsternis, die ein kundiger roemischer +Offizier dem Heer voraussagte, damit kein boeses Anzeichen darin gefunden +werde, gestattet hier die genaue Zeitbestimmung - wurden beim Traenken der +Rosse nach Mittag zufaellig die Vorposten handgemein, und beide Teile +entschlossen sich, die eigentlich erst auf den naechsten Tag angesetzte +Schlacht sofort zu liefern. Ohne Helm und Panzer durch die Reihen schreitend +ordnete der greise Feldherr der Roemer selber seine Leute. Kaum standen sie, so +stuermte die furchtbare Phalanx auf sie ein; der Feldherr selber, der doch +manchen harten Kampf gesehen hatte, gestand spaeter ein, dass er gezittert +habe. Die roemische Vorhut zerstob, eine paelignische Kohorte ward +niedergerannt und fast vernichtet, die Legionen selbst wichen eilig zurueck, +bis sie einen Huegel erreicht hatten, bis hart an das roemische Lager. Hier +wandte sich das Glueck. Das unebene Terrain und die eilige Verfolgung hatte die +Glieder der Phalanx geloest; in einzelnen Kohorten drangen die Roemer in jede +Luecke ein, griffen von der Seite und von hinten an, und da die makedonische +Reiterei, die allein noch haette Hilfe bringen koennen, ruhig zusah und bald +sich in Massen davonmachte, mit ihr unter den ersten der Koenig, so war in +weniger als einer Stunde das Geschick Makedoniens entschieden. Die 3000 +erlesenen Phalangiten liessen sich niederhauen bis auf den letzten Mann; es +war, als wolle die Phalanx, die ihre letzte grosse Schlacht bei Pydna schlug, +hier selber untergehen. Die Niederlage war furchtbar; 20000 Makedonier lagen +auf dem Schlachtfeld, 11000 wurden gefangen. Der Krieg war zu Ende, am +fuenfzehnten Tage nachdem Paullus den Oberbefehl uebernommen hatte; ganz +Makedonien unterwarf sich in zwei Tagen. Der Koenig fluechtete mit seinem Golde +- noch hatte er ueber 6000 Talente (10 Mill. Taler) in seiner Kasse - nach +Samothrake, begleitet von wenigen Getreuen. Allein da er selbst von diesen noch +einen ermordete, den Euandros von Kreta, der als Anstifter des gegen Eumenes +versuchten Mordes zur Rechenschaft gezogen werden sollte, verliessen ihn auch +die koeniglichen Pagen und die letzten Gefaehrten. Einen Augenblick hoffte er, +dass das Asylrecht ihn schuetzen werde; allein selbst er begriff, dass er sich +an einen Strohhalm halte. Ein Versuch, zu Kotys zu fluechten, misslang. So +schrieb er an den Konsul; allein der Brief ward nicht angenommen, da er sich +darin Koenig genannt hatte. Er erkannte sein Schicksal und lieferte auf Gnade +und Ungnade den Roemern sich aus mit seinen Kindern und seinen Schaetzen, +kleinmuetig und weinend, den Siegern selbst zum Ekel. Mit ernster Freude und +mehr der Wandelbarkeit der Geschicke als dem gegenwaertigen Erfolg nachsinnend +empfing der Konsul den vornehmsten Gefangenen, den je ein roemischer Feldherr +heimgebracht hat. Perseus starb wenige Jahre darauf als Staatsgefangener in +Alba am Fuciner See ^4; sein Sohn lebte in spaeteren Jahren in derselben +italischen Landstadt als Schreiber. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +^4 Dass die Roemer, um zugleich ihm das Wort zu halten, das ihm sein Leben +verbuergte, und Rache an ihm zu nehmen, ihn durch Entziehung des Schlafs +getoetet, ist sicher eine Fabel. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +So ging das Reich Alexanders des Grossen, das den Osten bezwungen und +hellenisiert hatte, 144 Jahre nach seinem Tode zugrunde. +</p> + +<p> +Damit aber zu dem Trauerspiel die Posse nicht fehlte, ward gleichzeitig auch +der Krieg gegen den “Koenig” Genthios von Illyrien von dem Praetor +Lucius Anicius binnen dreissig Tagen begonnen und beendet, die Piratenflotte +genommen, die Hauptstadt Skodra erobert, und die beiden Koenige, der Erbe des +grossen Alexander und der des Pleuratos, zogen nebeneinander gefangen in Rom +ein. +</p> + +<p> +Es war im Senat beschlossen worden, dass die Gefahr nicht wiederkehren duerfe, +die Flamininus’ unzeitige Milde ueber Rom gebracht hatte. Makedonien ward +vernichtet. Auf der Konferenz zu Amphipolis am Strymon verfuegte die roemische +Kommission die Aufloesung des festgeschlossenen, durch und durch monarchischen +Einheitsstaates in vier, nach dem Schema der griechischen Eidgenossenschaften +zugeschnittene republikanisch-foederative Gemeindebuende, den von Amphipolis in +den oestlichen Landschaften, den von Thessalonike mit der chalkidischen +Halbinsel, den von Pella an der thessalischen Grenze und den von Pelagonia im +Binnenland. Zwischenheiraten unter den Angehoerigen der verschiedenen +Eidgenossenschaften waren ungueltig, und keiner durfte in mehr als einer +derselben ansaessig sein. Alle koeniglichen Beamten sowie deren erwachsene +Soehne mussten das Land verlassen und sich nach Italien begeben, bei +Todesstrafe - man fuerchtete noch immer, und mit Recht, die Zuckungen der alten +Loyalitaet. Das Landrecht und die bisherige Verfassung blieb uebrigens +bestehen; die Beamten wurden natuerlich durch Gemeindewahlen ernannt und +innerhalb der Gemeinden wie der Buende die Macht in die Haende der Vornehmen +gelegt. Die koeniglichen Domaenen und die Regalien wurden den +Eidgenossenschaften nicht zugestanden, namentlich die Gold- und Silbergruben, +ein Hauptreichtum des Landes, zu bearbeiten untersagt; doch ward 596 (138) +wenigstens die Ausbeutung der Silbergruben wieder gestattet ^5. Die Einfuhr von +Salz, die Ausfuhr von Schiffbauholz wurden verboten. Die bisher an den Koenig +gezahlte Grundsteuer fiel weg, und es blieb den Eidgenossenschaften und den +Gemeinden ueberlassen, sich selber zu besteuern; doch hatten diese die Haelfte +der bisherigen Grundsteuer nach einem ein fuer allemal festgestellten Satz, +zusammen jaehrlich 100 Talente (170000 Taler), nach Rom zu entrichten ^6. Das +ganze Land ward fuer ewige Zeiten entwaffnet, die Festung Demetrias geschleift; +nur an der Nordgrenze sollte eine Postenkette gegen die Einfaelle der Barbaren +bestehen bleiben. Von den abgelieferten Waffen wurden die kupfernen Schilde +nach Rom gesandt, der Rest verbrannt. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^5 Die Angabe Cassiodors, dass im Jahre 596 (158) die makedonischen Bergwerke +wieder eroeffnet wurden, erhaelt ihre naehere Bestimmung durch die Muenzen. +Goldmuenzen der vier Makedonien sind nicht vorhanden; die Goldgruben also +blieben entweder geschlossen oder es wurde das gewonnene Gold als Barren +verwertet. Dagegen finden sich allerdings Silbermuenzen des ersten Makedoniens +(Amphipolis), in welchem Bezirk die Silbergruben belegen sind; fuer die kurze +Zeit in der sie geschlagen sein muessen (596-608 158-146) ist die Zahl +derselben auffallend gross und zeugt entweder von einem sehr energischen +Betrieb der Gruben oder von massenhafter Umpraegung des alten Koeniggeldes. +</p> + +<p> +^6 Wenn das makedonische Gemeinwesen durch die Roemer der +“herrschaftlichen Auflagen und Abgaben entlastet ward” (Polyb. 37, +4), so braucht deshalb noch nicht notwendig ein spaeterer Erlass dieser Steuer +angenommen zu werden; es genuegt zur Erklaerung von Polybios’ Worten, +dass die bisher herrschaftliche jetzt Gemeindesteuer ward. Der Fortbestand der +der Provinz Makedonien von Paullus gegebenen Verfassung bis wenigstens in die +augustische Zeit (Liv. 45, 32; Iust. 33, 2) wuerde freilich sich auch mit dem +Erlass der Steuer vereinigen lassen. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Man erreichte seinen Zweck. Das makedonische Land hat zweimal noch auf den Ruf +von Prinzen aus dem alten Herrscherhause zu den Waffen gegriffen, und ist +uebrigens von jener Zeit bis auf den heutigen Tag ohne Geschichte geblieben. +</p> + +<p> +Aehnlich ward Illyrien behandelt. Das Reich des Genthios ward in drei kleine +Freistaaten zerschnitten; auch hier zahlten die Ansaessigen die Haelfte der +bisherigen Grundsteuer an ihre neuen Herren, mit Ausnahme der Staedte, die es +mit den Roemern gehalten hatten und dafuer Grundsteuerfreiheit erhielten - eine +Ausnahme, die zu machen Makedonien keine Veranlassung bot. Die illyrische +Piratenflotte ward konfisziert und den angeseheneren griechischen Gemeinden an +dieser Kueste geschenkt. Die ewigen Quaelereien, welche die Illyrier den +Nachbarn namentlich durch ihre Korsaren zufuegten, hatten hiermit wenigstens +auf lange hinaus ein Ende. +</p> + +<p> +Kotys in Thrakien, der schwer zu erreichen und gelegentlich gegen Eumenes zu +brauchen war, erhielt Verzeihung und seinen gefangenen Sohn zurueck. +</p> + +<p> +So waren die noerdlichen Verhaeltnisse geordnet und auch Makedonien endlich von +dem Joch der Monarchie erloest - in der Tat, Griechenland war freier als je, +ein Koenig nirgend mehr vorhanden. +</p> + +<p> +Aber man beschraenkte sich nicht darauf, Makedonien Sehnen und Nerven zu +zerschneiden. Es war im Senat beschlossen, die saemtlichen hellenischen +Staaten, Freund und Feind, ein fuer allemal unschaedlich zu machen und sie +miteinander in dieselbe demuetige Klientel hinabzudruecken. Die Sache selbst +mag sich rechtfertigen lassen; allein die Art der Ausfuehrung namentlich gegen +die maechtigeren unter den griechischen Klientelstaaten ist einer Grossmacht +nicht wuerdig und zeigt, dass die Epoche der Fabier und Scipionen zu Ende ist. +Am schwersten traf dieser Rollenwechsel denjenigen Staat, der von Rom +geschaffen und grossgezogen war, um Makedonien im Zaum zu halten, und dessen +man jetzt nach Makedoniens Vernichtung freilich nicht mehr bedurfte, das Reich +der Attaliden. Es war nicht leicht, gegen den klugen und besonnenen Eumenes +einen ertraeglichen Vorwand zu finden, um ihn aus seiner bevorzugten Stellung +zu verdraengen und ihn in Ungnade fallen zu lassen. Auf einmal kamen um die +Zeit, da die Roemer im Lager bei Herakleion standen, seltsame Geruechte ueber +ihn in Umlauf; er stehe mit Perseus im heimlichen Verkehr; ploetzlich sei seine +Flotte wie weggeweht gewesen; fuer seine Nichtteilnahme am Feldzug seien ihm +500, fuer die Vermittlung des Friedens 1500 Talente geboten worden, und nur an +Perseus’ Geiz habe sich der Vertrag zerschlagen. Was die pergamenische +Flotte anlangt, so ging der Koenig mit ihr, als die roemische sich ins +Winterquartier begab, gleichfalls heim, nachdem er dem Konsul seine Aufwartung +gemacht hatte. Die Bestechungsgeschichte ist so sicher ein Maerchen wie nur +irgendeine heutige Zeitungsente; denn dass der reiche, schlaue und konsequente +Attalide, der den Bruch zwischen Rom und Makedonien durch seine Reise 582 (172) +zunaechst veranlasst hatte, und fast deswegen von Perseus’ Banditen +ermordet worden waere, in dem Augenblick, wo die wesentlichen Schwierigkeiten +eines Krieges ueberwunden waren, an dessen endlichem Ausgang er ueberdies nie +ernstlich gezweifelt haben konnte, dass er seinen Anteil an der Beute seinem +Moerder um einige Talente verkauft und das Werk langer Jahre an eine solche +Erbaermlichkeit gesetzt haben sollte, ist denn doch nicht bloss gelogen, +sondern sehr albern gelogen. Dass kein Beweis weder in Perseus’ Papieren +noch sonst sich vorfand, ist sicher genug; denn selbst die Roemer wagten nicht, +jene Verdaechtigungen laut auszusprechen. Aber sie hatten ihren Zweck. Was man +wollte, zeigt das Benehmen der roemischen Grossen gegen Attalos, Eumenes’ +Bruder, der die pergamenischen Hilfstruppen in Griechenland befehligt hatte. +Mit offenen Armen ward der wackere und treue Kamerad in Rom empfangen und +aufgefordert, nicht fuer seinen Bruder, sondern fuer sich zu bitten - gern +werde der Senat ihm ein eigenes Reich gewaehren, Attalos erbat nichts als Aenos +und Maroneia. Der Senat meinte, dass dies nur eine vorlaeufige Bitte sei und +gestand sie mit grosser Artigkeit zu. Als er aber abreiste, ohne weitere +Forderungen gestellt zu haben, und der Senat zu der Einsicht kam, dass die +pergamenische Regentenfamilie unter sich nicht so lebe, wie es in den +fuerstlichen Haeusern hergebracht war, wurden Aenos und Maroneia zu +Freistaedten erklaert. Nicht einen Fussbreit Landes erhielten die Pergamener +von der makedonischen Beute; hatte man nach Antiochos’ Besiegung +Philippos gegenueber noch die Formen geschont, so wollte man jetzt verletzen +und demuetigen. Um diese Zeit scheint der Senat Pamphylien, ueber dessen Besitz +Eumenes und Antiochos bisher gestritten, unabhaengig erklaert zu haben. +Wichtiger war es, dass die Galater, bisher im wesentlichen in der Gewalt des +Eumenes, nachdem derselbe den pontischen Koenig mit Waffengewalt aus Galatien +vertrieben und im Frieden ihm die Zusage abgenoetigt hatte, mit den galatischen +Fuersten keine Verbindung ferner unterhalten zu wollen, jetzt, ohne Zweifel +rechnend auf die zwischen Eumenes und den Roemern eingetretene Spannung, wenn +nicht geradezu von diesen veranlasst, sich gegen Eumenes erhoben, sein Reich +ueberschwemmten und ihn in grosse Gefahr brachten. Eumenes erbat die roemische +Vermittlung; der roemische Gesandte war dazu bereit, meinte aber, dass Attalos, +der das pergamenische Heer befehligte, besser nicht mitgehe, um die Wilden +nicht zu verstimmen, und merkwuerdigerweise richtete er gar nichts aus, ja er +erzaehlte bei der Rueckkehr, dass seine Vermittlung die Wilden erst recht +erbittert habe. Es waehrte nicht lange, so ward die Unabhaengigkeit der Galater +von dem Senat ausdruecklich anerkannt und gewaehrleistet. Eumenes entschloss +sich, persoenlich nach Rom zu gehen und im Senat seine Sache zu fuehren. Da +beschloss dieser ploetzlich, wie vom boesen Gewissen geplagt, dass Koenige +kuenftig nicht mehr nach Rom sollten kommen duerfen, und schickte ihm nach +Brundisium einen Quaestor entgegen, ihm diesen Senatsbeschluss vorzulegen, ihn +zu fragen, was er wolle, und ihm anzudeuten, dass man seine schleunige Abreise +gern sehen werde. Der Koenig schwieg lange; er begehre, sagte er endlich, +weiter nichts und schiffte sich wieder ein. Er sah, wie es stand: die Epoche +der halbmaechtigen und halbfreien Bundesgenossenschaft war zu Ende; es begann +die der ohnmaechtigen Untertaenigkeit. +</p> + +<p> +Aehnlich erging es den Rhodiern. Ihre Stellung war ungemein bevorzugt; sie +standen mit Rom nicht in eigentlicher Symmachie, sondern in einem gleichen +Freundschaftsverhaeltnis, das sie nicht hinderte, Buendnisse jeder Art +einzugehen und nicht noetigte, den Roemern auf Verlangen Zuzug zu leisten. +Vermutlich war eben dies die letzte Ursache, weshalb ihr Einverstaendnis mit +Rom schon seit einiger Zeit getruebt war. Die ersten Zerwuerfnisse mit Rom +hatten stattgefunden infolge des Aufstandes der nach Antiochos’ +Ueberwindung ihnen zugeteilten Lykier gegen ihre Zwingherren, die sie (576 178) +als abtruennige Untertanen in grausamer Weise knechteten; diese aber +behaupteten, nicht Untertanen, sondern Bundesgenossen der Rhodier zu sein und +drangen damit im roemischen Senat durch, als derselbe aufgefordert war, den +zweifelhaften Sinn des Friedensinstruments festzustellen. Hierbei hatte indes +ein gerechtfertigtes Mitleid mit den, arg gedrueckten Leuten wohl das meiste +getan; wenigstens geschah von Rom nichts weiter, und man liess diesen wie +anderen hellenischen Hader gehen. Als der Krieg mit Perseus ausbrach, sahen ihn +die Rhodier zwar wie alle uebrigen verstaendigen Griechen ungern, und +namentlich Eumenes als Anstifter desselben war uebel berufen, so dass sogar +seine Festgesandtschaft bei der Heliosfeier in Rhodos abgewiesen ward. Allein +dies hinderte sie nicht, fest an Rom zu halten und die makedonische Partei, die +es wie allerorts so auch in Rhodos gab, nicht an das Ruder zu lassen; die noch +585 (169) ihnen erteilte Erlaubnis, Getreide aus Sizilien auszufuehren, beweist +die Fortdauer des guten Vernehmens mit Rom. Ploetzlich erschienen kurz vor der +Schlacht bei Pydna rhodische Gesandte im roemischen Hauptquartier und im +roemischen Senat mit der Erklaerung, dass die Rhodier nicht laenger diesen +Krieg dulden wuerden, der auf ihren makedonischen Handel und auf die +Hafeneinnahme druecke, und dass sie der Partei, die sich weigere, Frieden zu +schliessen, selbst den Krieg zu erklaeren gesonnen seien, auch zu diesem Ende +bereits mit Kreta und mit den asiatischen Staedten ein Buendnis abgeschlossen +haetten. In einer Republik mit Urversammlungen ist vieles moeglich; aber diese +wahnsinnige Intervention einer Handelsstadt, die erst beschlossen sein kann, +als man in Rhodos den Fall des Tempepasses kannte, verlangt eine naehere +Erklaerung. Den Schluessel gibt die wohl beglaubigte Nachricht, dass der Konsul +Quintus Marcius, jener Meister der “neumodischen Diplomatie”, im +Lager bei Herakleion, also nach Besetzung des Tempepasses, den rhodischen +Gesandten Agepolis mit Artigkeiten ueberhaeuft und ihn unter der Hand ersucht +hatte, den Frieden zu vermitteln. Republikanische Verkehrtheit und Eitelkeit +taten das uebrige; man meinte, die Roemer gaeben sich verloren, man haette gern +zwischen vier Grossmaechten zugleich den Vermittler gespielt - Verbindungen mit +Perseus spannen sich an; rhodische Gesandte von makedonischer Gesinnung sagten +mehr, als sie sagen sollten; und man war gefangen. Der Senat, der ohne Zweifel +groesstenteils selbst von jenen Intrigen nichts wusste, vernahm die wundersame +Botschaft mit begreiflicher Indignation und war erfreut ueber die gute +Gelegenheit zur Demuetigung der uebermuetigen Kaufstadt. Ein kriegslustiger +Praetor ging gar so weit, bei dem Volk die Kriegserklaerung gegen Rhodos zu +beantragen. Umsonst beschworen die rhodischen Gesandten einmal ueber das andere +kniefaellig den Senat, der hundertundvierzigjaehrigen Freundschaft mehr als des +einen Verstosses zu gedenken; umsonst schickten sie die Haeupter der +makedonischen Partei auf das Schafott oder nach Rom; umsonst sandten sie einen +schweren Goldkranz zum Dank fuer die unterbliebene Kriegserklaerung. Der +ehrliche Cato bewies zwar, dass die Rhodier eigentlich gar nichts verbrochen +haetten und fragte, ob man anfangen wolle, Wuensche und Gedanken zu strafen und +ob man den Voelkern die Besorgnis verargen koenne, dass die Roemer sich alles +erlauben moechten, wenn sie niemanden mehr fuerchten wuerden. Seine Worte und +Warnungen waren vergeblich. Der Senat nahm den Rhodiern ihre Besitzungen auf +dem Festland, die einen jaehrlichen Ertrag von 120 Talenten (200000 Taler) +abwarfen. Schwerer noch fielen die Schlaege gegen den rhodischen Handel. Schon +die Verbote der Salzeinfuhr nach und der Ausfuhr von Schiffbauholz aus +Makedonien scheinen gegen Rhodos gerichtet. Unmittelbarer noch traf den +rhodischen Handel die Errichtung des delischen Freihafens; der rhodische +Hafenzoll, der bis dahin jaehrlich 1 Mill. Drachmen (286000 Taler) abgeworfen +hatte, sank in kuerzester Zeit auf 150000 Drachmen (43000 Taler). Ueberhaupt +aber waren die Rhodier in ihrer Freiheit und dadurch in ihrer freien und +kuehnen Handelspolitik gelaehmt, und der Staat fing an zu siechen. Selbst das +erbetene Buendnis ward anfangs abgeschlagen und erst 590 (164) nach +wiederholten Bitten erneuert. Die gleich schuldigen, aber machtlosen Kreter +kamen mit einem derben Verweis davon. +</p> + +<p> +Mit Syrien und Aegypten konnte man kuerzer zu Werke gehen. Zwischen beiden war +Krieg ausgebrochen, wieder einmal ueber Koilesyrien und Palaestina. Nach der +Behauptung der Aegypter waren diese Provinzen bei der Vermaehlung der syrischen +Kleopatra an Aegypten abgetreten worden; was der Hof von Babylon indes, der +sich im faktischen Besitz befand, in Abrede stellte. Wie es scheint, gab die +Anweisung der Mitgift auf die Steuern der koilesyrischen Staedte die +Veranlassung zu dem Hader und war das Recht auf syrischer Seite; den Ausbruch +des Krieges veranlasste der Tod der Kleopatra im Jahr 581 (173), mit dem +spaetestens die Rentenzahlungen aufhoerten. Der Krieg scheint von Aegypten +begonnen zu sein; allein auch Koenig Antiochos Epiphanes ergriff die +Gelegenheit gern, um das traditionelle Ziel der Seleukidenpolitik, die +Erwerbung Aegyptens, waehrend der Beschaeftigung der Roemer in Makedonien noch +einmal - es sollte das letzte Mal sein - anzustreben. Das Glueck schien ihm +guenstig. Der damalige Koenig von Aegypten, Ptolemaeos VI. Philometor, der Sohn +jener Kleopatra, hatte kaum das Knabenalter ueberschritten und war schlecht +beraten; nach einem grossen Sieg an der syrisch-aegyptischen Grenze konnte +Antiochos in demselben Jahr, in welchem die Legionen in Griechenland landeten +(583 171), in das Gebiet seines Neffen einruecken und bald war dieser selbst in +seiner Gewalt. Es gewann den Anschein, als gedenke Antiochos unter Philometors +Namen, sich in den Besitz von ganz Aegypten zu setzen; Alexandreia schloss ihm +deshalb die Tore, setzte den Philometor ab und ernannte an seiner Stelle den +juengeren Bruder, Euergetes II. oder der Dicke genannt, zum Koenig. Unruhen in +seinem Reiche riefen den syrischen Koenig aus Aegypten ab; als er zurueckkam, +hatten in seiner Abwesenheit die Brueder sich miteinander vertragen, und er +setzte nun gegen beide den Krieg fort. Wie er eben vor Alexandreia stand, nicht +lange nach der Schlacht von Pydna (586 168), traf ihn der roemische Gesandte +Gaius Popillius, ein harter, barscher Mann, und insinuierte ihm den Befehl des +Senats, alles Eroberte zurueckzugeben und Aegypten in einer bestimmten Frist zu +raeumen. Der Koenig erbat sich Bedenkzeit; aber der Konsular zog mit dem Stabe +einen Kreis um ihn und hiess ihn sich erklaeren, bevor er den Kreis +ueberschreite. Antiochos erwiderte, dass er gehorche und zog ab nach seiner +Residenz, um dort als der Gott, der glaenzende Siegbringer, der er war, die +Bezwingung Aegyptens nach roemischer Sitte zu feiern und den Triumph des +Paullus zu parodieren. +</p> + +<p> +Aegypten fuegte sich freiwillig in die roemische Klientel; aber auch die +Koenige von Babylon standen hiermit ab von dem letzten Versuch, ihre +Unabhaengigkeit gegen Rom zu behaupten. Wie Makedonien im Krieg des Perseus, so +machten die Seleukiden im koilesyrischen den gleichen und gleich letzten +Versuch, sich ihre ehemalige Macht wiederzugewinnen; aber es ist bezeichnend +fuer den Unterschied der beiden Reiche, dass dort die Legionen, hier das +barsche Wort eines Diplomaten entschied. +</p> + +<p> +In Griechenland selbst waren als Verbuendete des Perseus, nachdem die +boeotischen Staedte schon mehr als genug gebuesst hatten, nur noch die Molotter +zu strafen. Auf geheimen Befehl des Senats gab Paullus an einem Tage siebzig +Ortschaften in Epeiros der Pluenderung preis und verkaufte die Einwohner, +150000 an der Zahl, in die Sklaverei. Die Aetoler verloren Amphipolis, die +Akarnanen Leukas wegen ihres zweideutigen Benehmens; wogegen die Athener, die +fortfuhren, den bettelnden Poeten ihres Aristophanes zu spielen, nicht bloss +Delos und Lemnos geschenkt erhielten, sondern sogar sich nicht schaemten, um +die oede Staette von Haliartos zu petitionieren, die ihnen denn auch zuteil +ward. So war etwas fuer die Musen geschehen, aber mehr war zu tun fuer die +Justiz. Eine makedonische Partei gab es in jeder Stadt und also begannen durch +ganz Griechenland die Hochverratsprozesse. Wer in Perseus’ Heer gedient +hatte, ward sofort hingerichtet; nach Rom ward beschieden, wen die Papiere des +Koenigs oder die Angabe der zum Denunzieren herbeistroemenden politischen +Gegner konpromittierten - der Achaeer Kallikrates und der Aetoler Lykiskos +zeichneten sich aus in diesem Gewerbe. So wurden die namhafteren Patrioten +unter den Thessalern, Aetolern, Akarnanen, Lesbiern und so weiter aus der +Heimat entfernt; namentlich aber ueber tausend Achaeer, wobei man nicht so sehr +den Zweck verfolgte, den weggefuehrten Leuten den Prozess, als die kindische +Opposition der Hellenen mundtot zu machen. Den Achaeern, die wie gewoehnlich +sich nicht zufrieden gaben, bis sie die Antwort hatten, die sie ahnten, +erklaerte der Senat, ermuedet durch die ewigen Bitten um Einleitung der +Untersuchung, endlich rundheraus, dass bis auf weiter die Leute in Italien +bleiben wuerden. Sie wurden hier in den Landstaedten interniert und leidlich +gehalten, Fluchtversuche indes mit dem Tode bestraft; aehnlich wird die Lage +der aus Makedonien weggefuehrten ehemaligen Beamten gewesen sein. Wie die Dinge +einmal standen, war dieser Ausweg, so gewaltsam er war, noch der ertraeglichste +und die enragierten Griechen der Roemerpartei sehr wenig zufrieden damit, dass +man nicht haeufiger koepfte. Lykiskos hatte es deshalb zweckmaessig gefunden, +in der Ratsversammlung vorlaeufig 500 der vornehmsten Maenner der aetolischen +Patriotenpartei niederstossen zu lassen; die roemische Kommission, die den +Menschen brauchte, liess es hingehen und tadelte nur, dass man diesen +hellenischen Landesgebrauch durch roemische Soldaten habe vollstrecken lassen. +Aber man darf glauben, dass sie zum Teil, um solche Greuel abzuschneiden, jenes +italische Internierungssystem aufstellte. Da ueberhaupt im eigentlichen +Griechenland keine Macht auch nur von der Bedeutung von Rhodos oder Pergamon +bestand, so bedurfte es hier einer Demuetigung weiter nicht, sondern was man +tat, geschah nur, um Gerechtigkeit, freilich im roemischen Sinne, zu ueben und +die aergerlichsten Ausbrueche des Parteihaders zu beseitigen. +</p> + +<p> +Es waren hiermit die hellenistischen Staaten saemtlich der roemischen Klientel +vollstaendig untertan geworden und das gesamte Reich Alexanders des Grossen, +gleich als waere die Stadt seiner Erben Erbe geworden, an die roemische +Buergergemeinde gefallen. Von allen Seiten stroemten die Koenige und die +Gesandten nach Rom, um Glueck zu wuenschen, und es zeigte sich, dass niemals +kriechender geschmeichelt wird, als wenn Koenige antichambrieren. Koenig +Massinissa, der nur auf ausdruecklichen Befehl davon abgestanden war, selber zu +erscheinen, liess durch seinen Sohn erklaeren, dass er sich nur als den +Nutzniesser, die Roemer aber als die wahren Eigentuemer seines Reiches +betrachte und dass er stets mit dem zufrieden sein werde, was sie ihm uebrig +lassen wuerden. Darin war wenigstens Wahrheit. Koenig Prusias von Bithynien +aber, der seine Neutralitaet abzubuessen hatte, trug die Palme in diesem +Wettkampf davon; er fiel auf sein Antlitz nieder, als er in den Senat gefuehrt +ward, und huldigte den “rettenden Goettern”. Da er so sehr +veraechtlich war, sagt Polybios, gab man ihm eine artige Antwort und schenkte +ihm die Flotte des Perseus. +</p> + +<p> +Der Augenblick wenigstens fuer solche Huldigungen war wohlgewaehlt. Von der +Schlacht von Pydna rechnet Polybios die Vollendung der roemischen +Weltherrschaft. Sie ist in der Tat die letzte Schlacht, in der ein +zivilisierter Staat als ebenbuertige Grossmacht Rom auf der Walstatt +gegenuebergetreten ist; alle spaeteren Kaempfe sind Rebellionen oder Kriege +gegen Voelker, die ausserhalb des Kreises der roemisch-griechischen +Zivilisation stehen, gegen sogenannte Barbaren. Die ganze zivilisierte Welt +erkennt fortan in dem roemischen Senat den obersten Gerichtshof, dessen +Kommissionen in letzter Instanz zwischen Koenigen und Voelkern entscheiden, um +dessen Sprache und Sitte sich anzueignen fremde Prinzen und vornehme junge +Maenner in Rom verweilen. Ein klarer und ernstlicher Versuch, sich dieser +Herrschaft zu entledigen, ist in der Tat nur ein einziges Mal gemacht worden, +von dem grossen Mithradates von Pontos. Die Schlacht bei Pydna bezeichnet aber +auch zugleich den letzten Moment, wo der Senat noch festhaelt an der +Staatsmaxime, wo irgend moeglich jenseits der italischen Meere keine +Besitzungen und keine Besatzungen zu uebernehmen, sondern jene zahllosen +Klientelstaaten durch die blosse politische Suprematie in Ordnung zu halten. +Dieselben durften also weder sich in voellige Schwaeche und Anarchie aufloesen, +wie es dennoch in Griechenland geschah, noch aus ihrer halbfreien Stellung sich +zur vollen Unabhaengigkeit entwickeln, wie es doch nicht ohne Erfolg Makedonien +versuchte. Kein Staat durfte ganz zugrunde gehen, aber auch keiner sich auf +eigene Fuesse stellen; weshalb der besiegte Feind wenigstens die gleiche, oft +eine bessere Stellung bei den roemischen Diplomaten hatte als der treue +Bundesgenosse, und der Geschlagene zwar aufgerichtet, aber wer selber sich +aufrichtete, erniedrigt ward - die Aetoler, Makedonien nach dem Asiatischen +Krieg, Rhodos, Pergamon machten die Erfahrung. Aber diese Beschuetzerrolle ward +nicht bloss bald den Herren ebenso unleidlich wie den Dienern, sondern es +erwies sich auch das roemische Protektorat mit seiner undankbaren, stets von +vorn wieder beginnenden Sisyphusarbeit als innerlich unhaltbar. Die Anfaenge +eines Systemwechsels und der steigenden Abneigung Roms, auch nur Mittelstaaten +in der ihnen moeglichen Unabhaengigkeit neben sich zu dulden, zeigen sich schon +deutlich nach der Schlacht von Pydna in der Vernichtung der makedonischen +Monarchie. Die immer haeufigere und immer unvermeidlichere Intervention in die +inneren Angelegenheiten der griechischen Kleinstaaten mit ihrer Missregierung +und ihrer politischen wie sozialen Anarchie, die Entwaffnung Makedoniens, wo +doch die Nordgrenze notwendig einer anderen Wehr als blosser Posten bedurfte, +endlich die beginnende Grundsteuerentrichtung nach Rom aus Makedonien und +Illyrien sind ebensoviel Anfaenge der nahenden Verwandlung der Klientelstaaten +in Untertanen Roms. +</p> + +<p> +Werfen wir zum Schluss einen Blick zurueck auf den von Rom seit der Einigung +Italiens bis auf Makedoniens Zertruemmerung durchmessenen Lauf, so erscheint +die roemische Weltherrschaft keineswegs als ein von unersaettlicher Laendergier +entworfener und durchgefuehrter Riesenplan, sondern als ein Ergebnis, das der +roemischen Regierung sich ohne, ja wider ihren Willen aufgedrungen hat. +Freilich liegt jene Auffassung nahe genug - mit Recht laesst Sallustius den +Mithradates sagen, dass die Kriege Roms mit Staemmen, Buergerschaften und +Koenigen aus einer und derselben uralten Ursache, aus der nie zu stillenden +Begierde nach Herrschaft und Reichtum hervorgegangen seien; aber mit Unrecht +hat man dieses durch die Leidenschaft und den Erfolg bestimmte Urteil als eine +geschichtliche Tatsache in Umlauf gesetzt. Es ist offenbar fuer jede nicht +oberflaechliche Betrachtung, dass die roemische Regierung waehrend dieses +ganzen Zeitraums nichts wollte und begehrte als die Herrschaft ueber Italien, +dass sie bloss wuenschte, nicht uebermaechtige Nachbarn neben sich zu haben, +und dass sie, nicht aus Humanitaet gegen die Besiegten, sondern in dem sehr +richtigen Gefuehl, den Kern des Reiches nicht von der Umlage erdruecken zu +lassen, sich ernstlich dagegen stemmte, erst Afrika, dann Griechenland, endlich +Asien in den Kreis der roemischen Klientel hineinzuziehen, bis die Umstaende +jedesmal die Erweiterung des Kreises erzwangen oder wenigstens mit +unwiderstehlicher Gewalt nahelegten. Die Roemer haben stets behauptet, dass sie +nicht Eroberungspolitik trieben und stets die Angegriffenen gewesen seien; es +ist dies doch etwas mehr als eine Redensart. Zu allen grossen Kriegen mit +Ausnahme des Krieges um Sizilien, zu dem Hannibalischen und dem Antiochischen +nicht minder als zu denen mit Philippos und Perseus, sind sie in der Tat +entweder durch einen unmittelbaren Angriff oder durch eine unerhoerte Stoerung +der bestehenden politischen Verhaeltnisse genoetigt und daher auch in der Regel +von ihrem Ausbruch ueberrascht worden. Dass sie nach dem Sieg sich nicht so +gemaessigt haben, wie sie vor allem im eigenen Interesse Italiens es haette tun +sollen, dass zum Beispiel die Festhaltung Spaniens, die Uebernahme der +Vormundschaft ueber Afrika, vor allem der halb phantastische Plan, den Griechen +ueberall die Freiheit zu bringen, schwere Fehler waren gegen die italische +Politik, ist deutlich genug. Allein die Ursachen davon sind teils die blinde +Furcht vor Karthago, teils der noch viel blindere hellenische +Freiheitsschwindel; Eroberungslust haben die Roemer in dieser Epoche so wenig +bewiesen, dass sie vielmehr eine sehr verstaendige Eroberungsfurcht zeigen. +Ueberall ist die roemische Politik nicht entworfen von einem einzigen +gewaltigen Kopfe und traditionell auf die folgenden Geschlechter vererbt, +sondern die Politik einer sehr tuechtigen, aber etwas beschraenkten +Ratsherrenversammlung die, um Plaene in Caesars oder Napoleons Sinn zu +entwerfen, der grossartigen Kombination viel zu wenig und des richtigen +Instinkts fuer die Erhaltung des eigenen Gemeinwesens viel zu viel gehabt hat. +Die roemische Weltherrschaft beruht in ihrem letzten Grunde auf der staatlichen +Entwicklung des Altertums ueberhaupt. Die alte Welt kannte das Gleichgewicht +der Nationen nicht und deshalb war jede Nation, die sich im Innern geeinigt +hatte, ihre Nachbarn entweder geradezu zu unterwerfen bestrebt, wie die +hellenischen Staaten, oder doch unschaedlich zu machen, wie Rom, was denn +freilich schliesslich auch auf die Unterwerfung hinauslief. Aegypten ist +vielleicht die einzige Grossmacht des Altertums, die ernstlich ein System des +Gleichgewichts verfolgt hat; in dem entgegengesetzten trafen Seleukos und +Antigonos, Hannibal und Scipio zusammen, und wenn es uns jammervoll erscheint, +dass all die andern reich begabten und hochentwickelten Nationen des Altertums +haben vergehen muessen, um eine unter allen zu bereichern, und dass alle am +letzten Ende nur entstanden scheinen, um bauen zu helfen an Italiens Groesse +und, was dasselbe ist, an Italiens Verfall, so muss doch die geschichtliche +Gerechtigkeit es anerkennen, dass hierin nicht die militaerische Ueberlegenheit +der Legion ueber die Phalanx, sondern die notwendige Entwicklung der +Voelkerverhaeltnisse des Altertums ueberhaupt gewaltet, also nicht der +peinliche Zufall entschieden, sondern das unabaenderliche und darum +ertraegliche Verhaengnis sich erfuellt hat. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap11"></a>KAPITEL XI.<br/> +Regiment und Regierte</h2> + +<p> +Der Sturz des Junkertums nahm dem roemischen Gemeinwesen seinen +aristokratischen Charakter keineswegs. Es ist schon frueher darauf hingewiesen +worden, dass die Plebejerpartei von Haus aus denselben gleichfalls, ja in +gewissem Sinne noch entschiedener an sich trug als das Patriziat; denn wenn +innerhalb des alten Buergertums die unbedingte Gleichberechtigung gegolten +hatte, so ging die neue Verfassung von Anfang an aus von dem Gegensatz der in +den buergerlichen Rechten wie in den buergerlichen Nutzungen bevorzugten +senatorischen Haeuser zu der Masse der uebrigen Buerger. Unmittelbar mit der +Beseitigung des Junkertums und mit der formellen Feststellung der buergerlichen +Gleichheit bildeten sich also eine neue Aristokratie und die derselben +entsprechende Opposition; und es ist frueher dargestellt worden, wie jene dem +gestuerzten Junkertum sich gleichsam aufpfropfte und darum auch die ersten +Regungen der neuen Fortschrittspartei sich mit den letzten der alten +staendischen Opposition verschlangen. Die Anfaenge dieser Parteibildung +gehoeren also dem fuenften, ihre bestimmte Auspraegung erst dem folgenden +Jahrhundert an. Aber es wird diese innere Entwicklung nicht bloss von dem +Waffenlaerm der grossen Kriege und Siege gleichsam uebertaeubt, sondern es +entzieht sich auch ihr Bildungsprozess mehr als irgendein anderer in der +roemischen Geschichte dem Auge. Wie eine Eisdecke unvermerkt ueber den Strom +sich legt und unvermerkt denselben mehr und mehr einengt, so entsteht diese +neue roemische Aristokratie; und ebenso unvermerkt tritt ihr die neue +Fortschrittspartei gegenueber gleich der im Grunde sich verbergenden und +langsam sich wieder ausdehnenden Stroemung. Die einzelnen jede fuer sich +geringen Spuren dieser zwiefachen und entgegengesetzten Bewegung, deren +historisches Fazit fuer jetzt noch in keiner eigentlichen Katastrophe +tatsaechlich vor Augen tritt, zur allgemeinen geschichtlichen Anschauung +zusammenzufassen, ist sehr schwer. Aber der Untergang der bisherigen +Gemeindefreiheit und die Grundlegung zu den kuenftigen Revolutionen fallen in +diese Epoche; und die Schilderung derselben sowie der Entwicklung Roms +ueberhaupt bleibt unvollstaendig, wenn es nicht gelingt, die Maechtigkeit jener +Eisdecke sowohl wie die Zunahme der Unterstroemung anschaulich darzulegen und +in dem furchtbaren Droehnen und Krachen die Gewalt des kommenden Bruches ahnen +zu lassen. +</p> + +<p> +Die roemische Nobilitaet knuepfte auch formell an aeltere, noch der Zeit des +Patriziats angehoerende Institutionen an. Die gewesenen ordentlichen hoechsten +Gemeindebeamten genossen nicht bloss, wie selbstverstaendlich, von jeher +tatsaechlich hoeherer Ehre, sondern es knuepften sich daran schon frueh gewisse +Ehrenvorrechte. Das aelteste derselben war wohl, dass den Nachkommen solcher +Beamten gestattet ward, im Familiensaal an der Wand, wo der Stammbaum gemalt +war, die Wachsmasken dieser ihrer erlauchten Ahnen nach dem Tode derselben +aufzustellen und diese Bilder bei Todesfaellen von Familiengliedern im +Leichenkondukt aufzufuehren; wobei man sich erinnern muss, dass die Verehrung +des Bildes nach italisch-hellenischer Anschauung als unrepublikanisch galt, und +die roemische Staatspolizei darum die Ausstellung der Bilder von Lebenden +ueberall nicht duldete und die der Bilder Verstorbener streng ueberwachte. +Hieran schlossen mancherlei aeussere, solchen Beamten und ihren Nachkommen +durch Gesetz oder Gebrauch reservierte Abzeichen sich an: der goldene +Fingerring der Maenner, der silberbeschlagene Pferdeschmuck der Juenglinge, der +Purpurbesatz des Oberkleides und die goldene Amulettkapsel der Knaben ^1 - +geringe Dinge, aber dennoch wichtige in einer Gemeinde, wo die buergerliche +Gleichheit auch im aeusseren Auftreten so streng festgehalten und noch waehrend +des Hannibalischen Krieges ein Buerger eingesperrt und jahrelang im Gefaengnis +gehalten ward, weil er unerlaubter Weise mit einem Rosenkranz auf dem Haupte +oeffentlich erschienen war ^2. Diese Auszeichnungen moegen teilweise schon in +der Zeit des Patrizierregiments bestanden und, solange innerhalb des Patriziats +noch vornehme und geringe Familien unterschieden wurden, den ersteren als +aeussere Abzeichen gedient haben; politische Wichtigkeit erhielten sie sicher +erst durch die Verfassungsaenderung vom Jahre 387 (367), wo durch zu den jetzt +wohl schon durchgaengig Ahnenbilder fuehrenden patrizischen die zum Konsulat +gelangenden plebejischen Familien mit der gleichen Berechtigung hinzutraten. +Jetzt stellte ferner sich fest, dass zu den Gemeindeaemtern, woran diese +erblichen Ehrenrechte geknuepft waren, weder die niederen noch die +ausserordentlichen noch die Vorstandschaft der Plebs gehoere, sondern lediglich +das Konsulat, die diesem gleichstehende Praetur und die an der gemeinen +Rechtspflege, also an der Ausuebung der Gemeindeherrlichkeit teilnehmende +kurulische Aedilitaet ^3. Obwohl diese plebejische Nobilitaet im strengen Sinne +des Wortes sich erst hat bilden koennen, seit die kurulischen Aemter sich den +Plebejern geoeffnet hatten, steht sie doch in kurzer Zeit, um nicht zu sagen +von vornherein, in einer gewissen Geschlossenheit da - ohne Zweifel weil +laengst in den altsenatorischen Plebejerfamilien sich eine solche Adelschaft +vorgebildet hatte. Das Ergebnis der Licinischen Gesetze kommt also der Sache +nach nahezu hinaus auf das, was man jetzt einen Pairsschub nennen wuerde. Wie +die durch ihre kurulischen Ahnen geadelten plebejischen Familien mit den +patrizischen sich koerperschaftlich zusammenschlossen und eine gesonderte +Stellung und ausgezeichnete Macht im Gemeinwesen errangen, war man wieder auf +dem Punkte angelangt, von wo man ausgegangen war, gab es wieder nicht bloss +eine regierende Aristokratie und einen erblichen Adel, welche beide in der Tat +nie verschwunden waren, sondern einen regierenden Erbadel, und musste die Fehde +zwischen den die Herrschaft okkupierenden Geschlechtern und den gegen die +Geschlechter sich auflehnenden Gemeinen abermals beginnen. Und so weit war man +sehr bald. Die Nobilitaet begnuegte sich nicht mit ihren gleichgueltigen +Ehrenrechten, sondern rang nach politischer Sonder- und Alleinmacht und suchte +die wichtigsten Institutionen des Staats, den Senat und die Ritterschaft, aus +Organen des Gemeinwesens in Organe des altneuen Adels zu verwandeln. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^1 All diese Abzeichen kommen, seit sie ueberhaupt aufkommen, zunaechst +wahrscheinlich nur der eigentlichen Nobilitaet, d. h. den agnatischen +Deszendenten kurulischer Beamten zu, obwohl sie nach der Art solcher +Dekorationen im Laufe der Zeit alle auf einen weiteren Kreis ausgedehnt worden +sind. Bestimmt nachzuweisen ist dies fuer den goldenen Fingerring, den im +fuenften Jahrhundert nur die Nobilitaet (Plin. nat. 33, 1, 18), im sechsten +schon jeder Senator und Senatorensohn (Liv. 26, 36), im siebenten jeder von +Ritterzensus, in der Kaiserzeit jeder Freigeborene traegt; ferner von dem +silbernen Pferdeschmuck, der noch im Hannibalischen Kriege nur der Nobilitaet +zukommt (Liv. 26, 37); von dem Purpurbesatz der Knabentoga, der anfangs nur den +Soehnen der kurulischen Magistrate, dann auch denen der Ritter, spaeterhin +denen aller Freigeborenen endlich, aber doch schon zur Zeit des Hannibalischen +Krieges, selbst den Soehnen der Freigelassenen gestattet ward (Macr. Sat. 1, +6). Die goldene Amulettkapsel (bulla) war Abzeichen der Senatorenkinder in der +Zeit des Hannibalischen Krieges (Macr. Sat. a.a.O.; Liv. 26, 36), in der +ciceronischen der Kinder von Ritterzensus (Cic. Verr. 1, 58, 152), wogegen die +Geringeren das Lederamulett (lorum) tragen. +</p> + +<p> +Der Purpurstreif (clavus) an der Tunika ist Abzeichen der Senatoren und der +Ritter, so dass wenigstens in spaeterer Zeit ihn jene breit, diese schmal +trugen; mit der Nobilitaet hat der Clavus nichts zu schaffen. +</p> + +<p> +^2 Plin. nat. 21, 3, 6. Das Recht, oeffentlich bekraenzt zu erscheinen, ward +durch Auszeichnung im Kriege erworben (Polyb. 6, 39, 9; Liv. 10, 41), das +unbefugte Kranztragen war also ein aehnliches Vergehen, wie wenn heute jemand +ohne Berechtigung einen Militaerverdienstorden anlegen wuerde. +</p> + +<p> +^3 Ausgeschlossen bleiben also das Kriegstribunat mit konsularischer Gewalt, +das Prokonsulat, die Quaestur, das Volkstribunat und andere mehr. Was die +Zensur anlangt, so scheint sie trotz des kurulischen Sessels der Zensoren (Liv. +40, 45 ; vergl. 27, 8) nicht als kurulisches Amt gegolten zu haben; fuer die +spaetere Zeit indes, wo nur der Konsular Zensor werden kann, ist die Frage ohne +praktischen Wert. Die plebejische Aedilitaet hat urspruenglich sicher nicht zu +den kurulischen Magistraturen gezaehlt (Liv. 23, 23); doch kann es sein, dass +sie spaeter mit in den Kreis derselben hineingezogen ward. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Die rechtliche Abhaengigkeit des roemischen Senats der Republik, namentlich des +weiteren patrizisch-plebejischen, von der Magistratur, hatte sich rasch +gelockert, ja in das Gegenteil verwandelt. Die durch die Revolution von 244 +(510) eingeleitete Unterwerfung der Gemeindeaemter unter den Gemeinderat, die +Uebertragung der Berufung in den Rat vom Konsul auf den Zensor, endlich und vor +allem die gesetzliche Feststellung des Anrechts gewesener kurulischer Beamten +auf Sitz und Stimme im Senat hatten den Senat aus einer, von den Beamten +berufenen und in vieler Hinsicht von ihnen abhaengigen Ratsmannschaft in ein so +gut wie unabhaengiges und in gewissem Sinn sich selber ergaenzendes +Regierungskollegium umgewandelt; denn die beiden Wege, durch welche man in den +Senat gelangte: die Wahl zu einem kurulischen Amte und die Berufung durch den +Zensor, standen der Sache nach beide bei der Regierungsbehoerde selbst. Zwar +war in dieser Epoche die Buergerschaft noch zu unabhaengig, um die Nichtadligen +aus dem Senat vollstaendig ausschliessen zu lassen, auch wohl die Adelschaft +noch zu verstaendig, um dies auch nur zu wollen; allein bei der streng +aristokratischen Gliederung des Senats in sich selbst, der scharfen +Unterscheidung sowohl der gewesenen kurulischen Beamten nach ihren drei +Rangklassen der Konsulare, Praetorier und Aedilizier, als auch namentlich der +nicht durch ein kurulisches Amt in den Senat gelangten und darum von der +Debatte ausgeschlossenen Senatoren, wurden doch die Nichtadligen, obgleich sie +wohl in ziemlicher Anzahl im Senate sassen, zu einer unbedeutenden und +verhaeltnismaessig einflusslosen Stellung in demselben herabgedrueckt und ward +der Senat wesentlich Traeger der Nobilitaet. +</p> + +<p> +Zu einem zweiten, zwar minder wichtigen, aber darum nicht unwichtigen Organ der +Nobilitaet wurde das Institut der Ritterschaft entwickelt. Dem neuen Erbadel +musste, da er nicht die Macht hatte, sich des Alleinbesitzes der Komitien +anzumassen, es in hohem Grade wuenschenswert sein, wenigstens eine +Sonderstellung innerhalb der Gemeindevertretung zu erhalten. In der +Quartierversammlung fehlte dazu jede Handhabe; dagegen schienen die +Ritterzenturien in der Servianischen Ordnung fuer diesen Zweck wie geschaffen. +Die achtzehnhundert Pferde, welche die Gemeinde lieferte ^4, wurden +verfassungsmaessig ebenfalls von den Zensoren vergeben. Zwar sollten diese die +Ritter nach militaerischen Ruecksichten erlesen und bei den Musterungen alle +durch Alter oder sonst unfaehigen oder ueberhaupt unbrauchbaren Reiter +anhalten, ihr Staatspferd abzugeben; aber dass die Ritterpferde vorzugsweise +den Vermoegenden gegeben wurden, lag im Wesen der Einrichtung selbst, und +ueberall war den Zensoren nicht leicht zu wehren, dass sie mehr auf vornehme +Geburt sahen als auf Tuechtigkeit und den einmal aufgenommenen ansehnlichen +Leuten, namentlich den Senatoren, auch ueber die Zeit ihr Pferd liessen. +Vielleicht ist es sogar gesetzlich festgestellt worden, dass der Senator +dasselbe behalten konnte, so lange er wollte. So wurde es denn wenigstens +tatsaechlich Regel, dass die Senatoren in den achtzehn Ritterzenturien stimmten +und die uebrigen Plaetze in denselben vorwiegend an die jungen Maenner der +Nobilitaet kamen. Das Kriegswesen litt natuerlich darunter, weniger noch durch +die effektive Dienstunfaehigkeit eines nicht ganz geringen Teils der +Legionarreiterei, als durch die dadurch herbeigefuehrte Vernichtung der +militaerischen Gleichheit, indem die vornehme Jugend sich von dem Dienst im +Fussvolk mehr und mehr zurueckzog. Das geschlossene adlige Korps der +eigentlichen Ritterschaft wurde tonangebend fuer die gesamte, den durch +Herkunft und Vermoegen hoechstgestellten Buergern entnommene Legionarreiterei. +Man wird es danach ungefaehr verstehen, weshalb die Ritter schon waehrend des +Sizilischen Krieges dem Befehl des Konsuls Gaius Aurelius Cotta, mit den +Legionariern zu schanzen, den Gehorsam verweigerten (502 252), und weshalb Cato +als Oberfeldherr des spanischen Heeres seiner Reiterei eine ernste Strafrede zu +halten sich veranlasst fand. Aber diese Umwandlung der Buergerreiterei in eine +berittene Nobelgarde gereichte dem Gemeinwesen nicht entschiedener zum Nachteil +als zum Vorteil der Nobilitaet, welche in den achtzehn Ritterzenturien nicht +bloss ein gesondertes, sondern auch das tonangebende Stimmrecht erwarb. +</p> + +<p> +————————————————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Die gangbare Annahme, wonach die sechs Adelszenturien allein 1200 die +gesamte Reiterei also 3600 Pferde gezaehlt haben soll, ist nicht haltbar. Die +Zahl der Ritter nach der Anzahl der von den Annalisten aufgefuehrten +Verdoppelungen zu bestimmen, ist ein methodischer Fehler; jede dieser +Erzaehlungen ist vielmehr fuer sich entstanden und zu erklaeren. Bezeugt aber +ist weder die erste Zahl, die nur in der selbst von den Verfechtern dieser +Meinung als verschrieben anerkannten Stelle Ciceros (rep. 2, 20), noch die +zweite, die ueberhaupt nirgend bei den Alten erscheint. Dagegen spricht fuer +die im Text vorgetragene Annahme einmal und vor allem die nicht durch +Zeugnisse, sondern durch die Institutionen selbst angezeigte Zahl; denn es ist +gewiss, dass die Zenturie 100 Mann zaehlt und es urspruenglich drei, dann +sechs, endlich seit der Servianischen Reform achtzehn Ritterzenturien gab. Die +Zeugnisse gehen nur scheinbar davon ab. Die alte, in sich zusammenhaengende +Tradition, die W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,1, S. 243) entwickelt hat, setzt +nicht die achtzehn patrizisch-plebejischen, sondern die sechs patrizischen +Zenturien auf 1800 Koepfe an: und dieser sind Livius (1, 36, nach der +handschriftlich allein beglaubigten und durchaus nicht nach Livius’ +Einzelansaetzen zu korrigierenden Lesung) und Cicero a.a.O. (nach der +grammatisch allein zulaessigen Lesung MDCCC, s. Becker, a.a.O., S. 244) +offenbar gefolgt. Allein eben. Cicero deutet zugleich sehr verstaendlich an, +dass hiermit der damalige Bestand der roemischen Ritterschaft ueberhaupt +bezeichnet werden soll. Es ist also die Zahl der Gesamtheit auf den +hervorragendsten Teil uebertragen worden durch eine Prolepsis, wie sie den +alten nicht allzu nachdenklichen Annalisten gelaeufig ist - ganz in gleicher +Art werden ja auch schon der Stammgemeinde, mit Antizipation des Kontingents +der Titier und der Lucerer, 300 Reiter statt 100 beigelegt (Becker, a.a.O., S. +238). Endlich ist der Antrag Catos (p. 66 Jordan), die Zahl der Ritterpferde +auf 2200 zu erhoehen, eine ebenso bestimmte Bestaetigung der oben vorgetragenen +wie Widerlegung der entgegengesetzten Ansicht. Die geschlossene Zahl der +Ritterschaft hat wahrscheinlich fortbestanden bis auf Sulla, wo mit dem +faktischen Wegfall der Zensur die Grundlage derselben wegfiel und allem +Anschein nach an die Stelle der zensorischen Erteilung des Ritterpferdes die +Erwerbung desselben durch Erbrecht trat: fortan ist der Senatorensohn geborener +Ritter. Indes neben dieser geschlossenen Ritterschaft, den equites equo +publico, stehen seit fruehrepublikanischer Zeit die zum Rossdienst auf eigenem +Pferd pflichtigen Buerger, welche nichts sind als die hoechste Zensusklasse; +sie stimmen nicht in den Ritterzenturien, aber gelten sonst als Ritter und +nehmen die Ehrenrechte der Ritterschaft ebenfalls in Anspruch. +</p> + +<p> +In der Augustischen Ordnung bleibt den senatorischen Haeusern das erbliche +Ritterrecht; daneben aber wird die zensorische Verleihung des Ritterpferdes als +Kaiserrecht und ohne Beschraenkung auf eine bestimmte Zahl erneuert und faellt +damit fuer die erste Zensusklasse als solche die Ritterbenennung weg. +</p> + +<p> +————————————————————————————————- +</p> + +<p> +Verwandter Art ist die foermliche Trennung der Plaetze des senatorischen +Standes von denjenigen, von welchen aus die uebrige Menge den Volksfesten +zuschaute. Es war der grosse Scipio, der in seinem zweiten Konsulat 560 (194) +sie bewirkte. Auch das Volksfest war eine Volksversammlung so gut wie die zur +Abstimmung berufene der Zenturien; und dass jene nichts zu beschliessen hatte, +machte die hierin liegende offizielle Ankuendigung der Scheidung von +Herrenstand und Untertanenschaft nur um so praegnanter. Die Neuerung fand darum +auch auf Seiten der Regierung vielfachen Tadel, weil sie nur gehaessig und +nicht nuetzlich war und dem Bestreben des kluegeren Teiles der Aristokratie ihr +Sonderregiment unter den Formen der buergerlichen Gleichheit zu verstecken, ein +sehr offenkundiges Dementi gab. Hieraus erklaert es sich, weshalb die Zensur +der Angelpunkt der spaeteren republikanischen Verfassung ward; warum dieses +urspruenglich keineswegs in erster Reihe stehende Amt sich allmaehlich mit +einem ihm an sich durchaus nicht zukommenden aeusseren Ehrenschmuck und einer +ganz einzigen aristokratisch-republikanischen Glorie umgab und als der +Gipfelpunkt und die Erfuellung einer wohlgefuehrten oeffentlichen Laufbahn +erschien; warum die Regierung jeden Versuch der Opposition, ihre Maenner in +dieses Amt zu bringen oder gar den Zensor waehrend oder nach seiner +Amtsfuehrung wegen derselben vor dem Volke zur Verantwortung zu ziehen, als +einen Angriff auf ihr Palladium ansah und gegen jedes derartige Beginnen wie +ein Mann in die Schranken trat - es genuegt in dieser Beziehung an den Sturm zu +erinnern, den die Bewerbung Catos um die Zensur hervorrief und an die +ungewoehnlich ruecksichtslosen und formverletzenden Massregeln, wodurch der +Senat die gerichtliche Verfolgung der beiden unbeliebten Zensoren des Jahres +550 (204) verhinderte. Dabei verbindet mit dieser Glorifizierung der Zensur +sich ein charakteristisches Misstrauen der Regierung gegen dieses ihr +wichtigstes und eben darum gefaehrlichstes Werkzeug. Es war durchaus notwendig, +den Zensoren das unbedingte Schalten ueber das Senatoren- und Ritterpersonal zu +belassen, da das Ausschliessungs- von dem Berufungsrecht nicht wohl getrennt +und auch jenes nicht wohl entbehrt werden konnte, weniger um oppositionelle +Kapazitaeten aus dem Senat zu beseitigen, was das leisetretende Regiment dieser +Zeit vorsichtig vermied, als um der Aristokratie ihren sittlichen Nimbus zu +bewahren, ohne den sie rasch eine Beute der Opposition werden musste. Das +Ausstossungsrecht blieb; aber man brauchte hauptsaechlich den Glanz der blanken +Waffe - die Schneide, die man fuerchtete, stumpfte man ab. Ausser der Schranke, +welche in dem Amte selbst lag, insofern die Mitgliederlisten der adligen +Koerperschaften nur von fuenf zu fuenf Jahren der Revision unterlagen, und +ausser den in dem Interzessionsrecht des Kollegen und dem Kassationsrecht des +Nachfolgers gegebenen Beschraenkungen trat noch eine weitere sehr fuehlbare +hinzu, indem eine dem Gesetz gleichstehende Observanz es dem Zensor zur Pflicht +machte, keinen Senator und keinen Ritter ohne Angabe schriftlicher +Entscheidungsgruende und in der Regel nicht ohne ein gleichsam gerichtliches +Verfahren von der Liste zu streichen. +</p> + +<p> +In dieser hauptsaechlich auf den Senat, die Ritterschaft und die Zensur +gestuetzten politischen Stellung riss die Nobilitaet nicht bloss das Regiment +wesentlich an sich, sondern gestaltete auch die Verfassung in ihrem Sinne um. +Es gehoert schon hierher, dass man, um die Gemeindeaemter im Preise zu halten, +die Zahl derselben so wenig wie irgend moeglich und keineswegs in dem Grade +vermehrte, wie die Erweiterung der Grenzen und die Vermehrung der Geschaefte es +erfordert haetten. Nur dem allerdringlichsten Beduerfnis ward notduerftig +abgeholfen durch die Teilung der bisher von dem einzigen Praetor verwalteten +Gerichtsgeschaefte unter zwei Gerichtsherren, von denen der eine die +Rechtssachen unter roemischen Buergern, der andere diejenigen unter +Nichtbuergern oder zwischen Buergern und Nichtbuergern uebernahm, im Jahre 511 +(243), und durch die Ernennung von vier Nebenkonsuln fuer die vier +ueberseeischen Aemter Sizilien (527 227), Sardinien und Korsika (527 227), das +Dies- und das Jenseitige Spanien (557 197). Die allzu summarische Art der +roemischen Prozesseinleitung sowie der steigende Einfluss des Bueropersonals +gehen wohl zum grossen Teil zurueck auf die materielle Unzulaenglichkeit der +roemischen Magistratur. +</p> + +<p> +Unter den von der Regierung veranlassten Neuerungen, die darum, weil sie fast +durchgaengig nicht den Buchstaben, sondern nur die Uebung der bestehenden +Verfassung aendern, nicht weniger Neuerungen sind, treten am bestimmtesten die +Massregeln hervor, wodurch die Bekleidung der Offiziersstellen wie der +buergerlichen Aemter nicht, wie der Buchstabe der Verfassung es gestattete und +deren Geist es forderte, lediglich von Verdienst und Tuechtigkeit, sondern mehr +und mehr von Geburt und Anciennetaet abhaengig gemacht ward. Bei der Ernennung +der Stabsoffiziere geschah dies nicht der Form, um so mehr aber der Sache nach. +Sie war schon im Laufe der vorigen Periode grossenteils vom Feldherrn auf die +Buergerschaft uebergegangen; in dieser Zeit kam es weiter auf, dass die +saemtlichen Stabsoffiziere der regelmaessigen jaehrlichen Aushebung, die +vierundzwanzig Kriegstribune der vier ordentlichen Legionen, in den +Quartierversammlungen ernannt wurden. Immer unuebersteiglicher zog sich also +die Schranke zwischen den Subalternen, die ihre Posten durch puenktlichen und +tapferen Dienst vom Feldherrn, und dem Stab, der seine bevorzugte Stelle durch +Bewerbung von der Buergerschaft sich erwarb. Um nur den aergsten Missbraeuchen +dabei zu steuern und ganz ungepruefte junge Menschen von diesen wichtigen +Posten fernzuhalten, wurde es noetig, die Vergebung der Stabsoffiziersstellen +an den Nachweis einer gewissen Zahl von Dienstjahren zu knuepfen. +Nichtsdestoweniger wurde, seit das Kriegstribunat, die rechte Saeule des +roemischen Heerwesens, den jungen Adligen als erster Schrittstein auf ihrer +politischen Laufbahn hingestellt war, die Dienstpflicht unvermeidlich sehr +haeufig eludiert und die Offizierswahl abhaengig von allen Uebelstaenden des +demokratischen Aemterbettels und der aristokratischen Junkerexklusivitaet. Es +war eine schneidende Kritik der neuen Institution, dass bei ernsthaften Kriegen +(zum Beispiel 583 171) es notwendig befunden ward, diese demokratische +Offizierswahl zu suspendieren und die Ernennung des Stabes wieder dem Feldherrn +zu ueberlassen. +</p> + +<p> +Bei den buergerlichen Aemtern ward zunaechst und vor allem die Wiederwahl zu +den hoechsten Gemeindestellen beschraenkt. Es war dies allerdings notwendig, +wenn das Jahrkoenigtum nicht ein leerer Name werden sollte; und schon in der +vorigen Periode war die abermalige Wahl zum Konsulat erst nach Ablauf von zehn +Jahren gestattet und die zur Zensur ueberhaupt untersagt worden. Gesetzlich +ging man in dieser Epoche nicht weiter; wohl aber lag eine fuehlbare Steigerung +darin, dass das Gesetz hinsichtlich des zehnjaehrigen Intervalls zwar im Jahre +537 (217) fuer die Dauer des Krieges in Italien suspendiert, nachher aber davon +nicht weiter dispensiert, ja gegen das Ende dieses Zeitabschnitts die +Wiederwahl ueberhaupt schon selten ward. Weiter erging gegen das Ende dieser +Periode (574 180) ein Gemeindebeschluss, der die Bewerber um Gemeindeaemter +verpflichtete, dieselben in einer festen Stufenfolge zu uebernehmen und bei +jedem gewisse Zwischenzeiten und Altersgrenzen einzuhalten. Die Sitte freilich +hatte beides laengst vorgeschrieben; aber es war doch eine empfindliche +Beschraenkung der Wahlfreiheit, dass die uebliche Qualifikation zur rechtlichen +erhoben und der Waehlerschaft das Recht entzogen ward, in ausserordentlichen +Faellen sich ueber jene Erfordernisse wegzusetzen. Ueberhaupt wurde den +Angehoerigen der regierenden Familien ohne Unterschied der Tuechtigkeit der +Eintritt in den Senat eroeffnet, waehrend nicht bloss der aermeren und +geringeren Schichten der Bevoelkerung der Eintritt in die regierenden Behoerden +sich voellig verschloss, sondern auch alle nicht zu der erblichen Aristokratie +gehoerenden roemischen Buerger zwar nicht gerade aus der Kurie, aber wohl von +den beiden hoechsten Gemeindeaemtern, dem Konsulat und der Zensur, tatsaechlich +ferngehalten wurden. Nach Manius Curius und Gaius Fabricius ist kein nicht der +sozialen Aristokratie angehoeriger Konsul nachzuweisen und wahrscheinlich +ueberhaupt kein einziger derartiger Fall vorgekommen. Aber auch die Zahl der +Geschlechter, die in dem halben Jahrhundert vom Anfang des Hannibalischen bis +zum Ende des Perseischen Krieges zum ersten Male in den Konsular- und +Zensorenlisten erscheinen, ist aeusserst beschraenkt; und bei weitem die +meisten derselben, wie zum Beispiel die Flaminier, Terentier, Porcier, Acilier, +Laelier lassen sich auf Oppositionswahlen zurueckfuehren oder gehen zurueck auf +besondere aristokratische Konnexionen, wie denn die Wahl des Gaius Laelius 564 +(190) offenbar durch die Scipionen gemacht worden ist. Die Ausschliessung der +Aermeren vom Regiment war freilich durch die Verhaeltnisse geboten. Seit Rom +ein rein italischer Staat zu sein aufgehoert und die hellenische Bildung +adoptiert hatte, war es nicht laenger moeglich, einen kleinen Bauersmann vom +Pfluge weg an die Spitze der Gemeinde zu stellen. Aber das war nicht notwendig +und nicht wohlgetan, dass die Wahlen fast ohne Ausnahme in dem engen Kreis der +kurulischen Haeuser sich bewegten und ein “neuer Mensch” nur durch +eine Art Usurpation in denselben einzudringen vermochte ^5. Wohl lag eine +gewisse Erblichkeit nicht bloss in dem Wesen des senatorischen Instituts, +insofern dasselbe von Haus aus auf einer Vertretung der Geschlechter beruhte, +sondern in dem Wesen der Aristokratie ueberhaupt, insofern staatsmaennische +Weisheit und staatsmaennische Erfahrung von dem tuechtigen Vater auf den +tuechtigen Sohn sich vererben und der Anhauch des Geistes hoher Ahnen jeden +edlen Funken in der Menschenbrust rascher und herrlicher zur Flamme entfacht. +In diesem Sinne war die roemische Aristokratie zu allen Zeiten erblich gewesen, +ja sie hatte in der alten Sitte, dass der Senator seine Soehne mit sich in den +Rat nahm und der Gemeindebeamte mit den Abzeichen der hoechsten Amtsehre, dem +konsularischen Purpurstreif und der goldenen Amulettkapsel des Triumphators, +seine Soehne gleichsam vorweisend schmueckte, ihre Erblichkeit mit grosser +Naivitaet zur Schau getragen. Aber wenn in der aelteren Zeit die Erblichkeit +der aeusseren Wuerde bis zu einem gewissen Grade durch die Vererbung der +inneren Wuerdigkeit bedingt gewesen war und die senatorische Aristokratie den +Staat nicht zunaechst kraft Erbrechts gelenkt hatte, sondern kraft des +hoechsten aller Vertretungsrechte, des Rechtes der trefflichen gegenueber den +gewoehnlichen Maennern, so sank sie in dieser Epoche, und namentlich mit +reissender Schnelligkeit seit dem Ende des Hannibalischen Krieges, von ihrer +urspruenglichen hohen Stellung als dem Inbegriff der in Rat und Tat +erprobtesten Maenner der Gemeinde herab zu einem durch Erbfolge sich +ergaenzenden und kollegialisch missregierenden Herrenstand. Ja, so weit war es +in dieser Zeit bereits gekommen, dass aus dem schlimmen Uebel der Oligarchie +das noch schlimmere der Usurpation der Gewalt durch einzelne Familien sich +entwickelte. Von der widerwaertigen Hauspolitik des Siegers von Zama und von +seinem leider erfolgreichen Bestreben, mit den eigenen Lorbeeren die +Unfaehigkeit und Jaemmerlichkeit des Bruders zuzudecken, ist schon die Rede +gewesen; und der Nepotismus der Flaminine war womoeglich noch unverschaemter +und aergerlicher als der der Scipionen. Die unbedingte Wahlfreiheit gereichte +in der Tat weit mehr solchen Koterien zum Vorteil als der Waehlerschaft. Dass +Marcus Valerius Corvus mit dreiundzwanzig Jahren Konsul geworden war, war ohne +Zweifel zum Besten der Gemeinde gewesen; aber wenn jetzt Scipio mit +dreiundzwanzig Jahren zur Aedilitaet, mit dreissig zum Konsulat gelangte, wenn +Flamininus noch nicht dreissig Jahre alt von der Quaestur zum Konsulat +emporstieg, so lag darin eine ernste Gefahr fuer die Republik. Man war schon +dahin gelangt, den einzigen wirksamen Damm gegen die Familienregierung und ihre +Konsequenzen in einem streng oligarchischen Regiment finden zu muessen; und das +ist der Grund, weshalb auch diejenige Partei, die sonst der Oligarchie +opponierte, zu der Beschraenkung der Wahlfreiheit die Hand bot. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +5 Die Stabilitaet des roemischen Adels kann man namentlich fuer die +patrizischen Geschlechter in den konsularischen und aedilizischen Fasten +deutlich verfolgen. Bekanntlich haben in den Jahren 388-581 (366-173) (mit +Ausnahme der Jahre 399, 400, 401, 403, 405, 409, 411, in denen beide Konsuln +Patrizier waren) je ein Patrizier und ein Plebejer das Konsulat bekleidet. +Ferner sind die Kollegien der kurulischen Aedilen in den varronisch ungeraden +Jahren wenigstens bis zum Ausgang des sechsten Jahrhunderts ausschliesslich aus +den Patriziern gewaehlt worden und sind fuer die sechzehn Jahre 541, 545, 547, +549, 551, 553, 555, 557, 561, 565, 567, 575, 585, 589, 591, 593 bekannt. Diese +patrizischen Konsuln und Aedilen verteilen sich folgendermassen nach den +Geschlechtern: +</p> + + +<p> +Konsuln 388-500 Konsuln 501-581 Kurulische Aedilen jener +</p> + +<p> + (366-254): (253-173): 16 patrizische Kollegien +</p> + + +<p> +Cornelier 15 15 14 +</p> + +<p> +Valerier 10 8 4 +</p> + +<p> +Claudier 4 8 2 +</p> + +<p> +Aemilier 9 6 2 +</p> + +<p> +Fabier 6 6 1 +</p> + +<p> +Manlier 4 6 1 +</p> + +<p> +Postumier 2 6 2 +</p> + +<p> +Servilier 3 4 2 +</p> + +<p> +Quinctier 2 3 1 +</p> + +<p> +Furier 2 3 - +</p> + +<p> +Sulpicier 6 2 2 +</p> + +<p> +Veturier - 2 - +</p> + +<p> +Papirier 3 1 - +</p> + +<p> +Nautier 2 - - +</p> + +<p> +Julier 1 - 1 +</p> + +<p> +Foslier 1 - - + +</p> <p> +————————————————————————— + +</p> <p> + 70 70 32 +</p> + +<p> +Also die fuenfzehn bis sechzehn hohen Adelsgeschlechter, die zur Zeit der +Licinischen Gesetze in der Gemeinde maechtig waren, haben ohne wesentliche +Aenderung des Bestandes, freilich zum Teil wohl durch Adoption aufrecht +erhalten, die naechsten zwei Jahrhunderte, ja bis zum Ende der Republik sich +behauptet. Zu dem Kreise der plebejischen Nobilitaet treten zwar von Zeit zu +Zeit neue Geschlechter hinzu; indes auch die alten plebejischen Haeuser, wie +die Licinier, Fulvier, Atilier, Domitier, Marcier, Junier, herrschen in den +Fasten in der entschiedensten Weise durch drei Jahrhunderte vor. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +Von diesem allmaehlich sich veraendernden Geiste der Regierung trug den Stempel +das Regiment. Zwar in der Verwaltung der aeusseren Angelegenheiten ueberwog in +dieser Zeit noch diejenige Folgerichtigkeit und Energie, durch welche die +Herrschaft der roemischen Gemeinde ueber Italien gegruendet worden war. In der +schweren Lehrzeit des Krieges um Sizilien hatte die roemische Aristokratie sich +allmaehlich auf die Hoehe ihrer neuen Stellung erhoben; und wenn sie das von +Rechts wegen lediglich zwischen den Gemeindebeamten und der Gemeindeversammlung +geteilte Regiment verfassungswidrig fuer den Gemeinderat usurpierte, so +legitimierte sie sich dazu durch ihre zwar nichts weniger als geniale, aber +klare und feste Steuerung des Staats waehrend des hannibalischen Sturmes und +der daraus sich entspinnenden weiteren Verwicklungen, und bewies es der Welt, +dass den weiten Kreis der italisch-hellenischen Staaten zu beherrschen einzig +der roemische Senat vermochte und in vieler Hinsicht einzig verdiente: Allein +ueber dem grossartigen und mit den grossartigsten Erfolgen gekroenten Auftreten +des regierenden roemischen Gemeinderats gegen den aeusseren Feind darf es nicht +uebersehen werden, dass in der minder scheinbaren und doch weit wichtigeren und +weit schwereren Verwaltung der inneren Angelegenheiten des Staates sowohl die +Handhabung der bestehenden Ordnungen wie die neuen Einrichtungen einen fast +entgegengesetzten Geist offenbaren, oder, richtiger gesagt, die +entgegengesetzte Richtung hier bereits das Uebergewicht gewonnen hat. +</p> + +<p> +Vor allem dem einzelnen Buerger gegenueber ist das Regiment nicht mehr, was es +gewesen. Magistrat heisst der Mann, der mehr ist als die andern; und wenn er +der Diener der Gemeinde ist, so ist er eben darum der Herr eines jeden +Buergers. Aber diese straffe Haltung laesst jetzt sichtlich nach. Wo das +Koteriewesen und der Aemterbettel so in Bluete steht wie in dem damaligen Rom, +huetet man sich, die Gegendienste der Standesgenossen und die Gunst der Menge +durch strenge Worte und ruecksichtslose Amtspflege zu verscherzen. Wo einmal +ein Beamter mit altem Ernst und alter Strenge auftritt, da sind es in der +Regel, wie zum Beispiel Cotta (502 252) und Cato, neue, nicht aus dem Schosse +des Herrenstandes hervorgegangene Maenner. Es war schon etwas, dass Paullus, +als er zum Oberfeldherrn gegen Perseus ernannt worden war, statt nach beliebter +Art sich bei der Buergerschaft zu bedanken, derselben erklaerte, er setze +voraus, dass sie ihn zum Feldherrn gewaehlt haetten, weil sie ihn fuer den +faehigsten zum Kommando gehalten, und ersuche sie deshalb, ihm nun nicht +kommandieren zu helfen, sondern stillzuschweigen und zu gehorchen. Roms +Suprematie und Hegemonie im Mittelmeergebiet ruhte nicht zum wenigsten auf der +Strenge seiner Kriegszucht und seiner Rechtspflege. Unzweifelhaft war es auch, +im grossen und ganzen genommen, den ohne Ausnahme tief zerruetteten +hellenischen, phoenikischen und orientalischen Staaten in diesen Beziehungen +damals noch unendlich ueberlegen; dennoch kamen schon arge Dinge auch in Rom +vor. Wie die Erbaermlichkeit der Oberfeldherren, und zwar nicht etwa von der +Opposition gewaehlter Demagogen, wie Gaius Flaminius und Gaius Varro, sondern +gut aristokratischer Maenner, bereits im dritten Makedonischen Krieg das Wohl +des Staates auf das Spiel gesetzt hatte, ist frueher erzaehlt worden. Und in +welcher Art die Rechtspflege schon hin und wieder gehandhabt ward, das zeigt +der Auftritt im Lager des Konsuls Lucius Quinctius Flamininus bei Placentia +(562 192) - um seinen Buhlknaben fuer die ihm zuliebe versaeumten Fechterspiele +in der Hauptstadt zu entschaedigen, hatte der hohe Herr einen in das roemische +Lager gefluechteten, vornehmen Boier herbeirufen lassen und ihn mit eigener +Hand beim Gelage niedergestossen. Schlimmer als der Vorgang selber, dem mancher +aehnliche sich an die Seite stellen liesse, war es noch, dass der Taeter nicht +bloss nicht vor Gericht gestellt ward, sondern, als ihn der Zensor Cato +deswegen aus der Liste der Senatoren strich, seine Standesgenossen den +Ausgestossenen im Theater einluden, seinen Senatorenplatz wieder einzunehmen - +freilich war er der Bruder des Befreiers der Griechen und eines der +maechtigsten Koteriehaeupter des Senats. +</p> + +<p> +Auch das Finanzwesen der roemischen Gemeinde ging in dieser Epoche eher zurueck +als vorwaerts. Zwar der Betrag der Einnahmen war zusehends im Wachsen. Die +indirekten Abgaben - direkte gab es in Rom nicht - stiegen infolge der +erweiterten Ausdehnung des roemischen Gebietes, welche es zum Beispiel noetig +machte, in den Jahren 555, 575 (199, 179) an der kampanischen und brettischen +Kueste neue Zollbueros in Puteoli, Castra (Squillace) und anderswo +einzurichten. Auf demselben Grunde beruht der neue, die Salzverkaufspreise nach +den verschiedenen Distrikten Italiens abstufende Salztarif vom Jahre 550 (204), +indem es nicht laenger moeglich war, den jetzt durch ganz Italien zerstreuten +roemischen Buergern das Salz zu einem und demselben Preise abzugeben; da indes +die roemische Regierung wahrscheinlich den Buergern dasselbe zum +Produktionspreis, wenn nicht darunter abgab, so ergab diese Finanzmassregel +fuer den Staat keinen Gewinn. Noch ansehnlicher war die Steigerung des Ertrages +der Domaenen. Die Abgabe freilich, welche von dem zur Okkupation verstatteten +italischen Domanialland dem Aerar von Rechts wegen zukam, ward zum +allergroessten Teil wohl weder gefordert noch geleistet. Dagegen blieb nicht +bloss das Hutgeld bestehen, sondern es wurden auch die infolge des +Hannibalischen Krieges neu gewonnenen Domaenen, namentlich der groessere Teil +des Gebiets von Capua und das von Leontini, nicht zum Okkupieren hingegeben, +sondern parzelliert und an kleine Zeitpaechter ausgetan und der auch hier +versuchten Okkupation von der Regierung mit mehr Nachdruck als gewoehnlich +entgegengetreten; wodurch dem Staate eine betraechtliche und sichere +Einnahmequelle entstand. Auch die Bergwerke des Staats, namentlich die +wichtigen spanischen, wurden durch Verpachtung verwertet. Endlich traten zu den +Einnahmen die Abgaben der ueberseeischen Untertanen hinzu. +Ausserordentlicherweise flossen waehrend dieser Epoche sehr bedeutende Summen +in den Staatsschatz, namentlich an Beutegeld aus dem Antiochischen Kriege 200 +(14500000 Taler), aus dem Perseischen 210 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler) - +letzteres die groesste Barsumme, die je auf einmal in die roemische Kasse +gelangt ist. +</p> + +<p> +Indes ward diese Zunahme der Einnahme durch die steigenden Ausgaben +groesstenteils wieder ausgeglichen. Die Provinzen, etwa mit Ausnahme Siziliens, +kosteten wohl ungefaehr ebensoviel als sie eintrugen; die Ausgaben fuer Wege- +und andere Bauten stiegen im Verhaeltnis mit der Ausdehnung des Gebiets; auch +die Rueckzahlung der von den ansaessigen Buergern waehrend der schweren +Kriegszeiten erhobenen Vorschuesse (tributa) lastete noch manches Jahr nachher +auf dem roemischen Aerar. Dazu kamen die durch die verkehrte Wirtschaft und die +schlaffe Nachsicht der Oberbehoerden dem gemeinen Wesen verursachten sehr +namhaften Verluste. Von dem Verhalten der Beamten in den Provinzen, von ihrer +ueppigen Wirtschaft aus gemeinem Saeckel, von den Unterschleifen namentlich am +Beutegut, von dem beginnenden Bestechungs- und Erpressungssystem wird unten +noch die Rede sein. Wie der Staat bei den Verpachtungen seiner Gefaelle und den +Akkorden ueber Lieferungen und Bauten im allgemeinen wegkam, kann man ungefaehr +danach ermessen, dass der Senat im Jahre 587 (167) beschloss, von dem Betrieb +der an Rom gefallenen makedonischen Bergwerke abzusehen, weil die +Grubenpaechter doch entweder die Untertanen pluendern oder die Kasse bestehlen +wuerden - freilich ein naives Armutszeugnis, das die kontrollierende Behoerde +sich selber ausstellte. Man liess nicht bloss, wie schon gesagt ward, die +Abgabe von dem okkupierten Domanialland stillschweigend fallen, sondern man +litt es auch, dass bei Privatanlagen in der Hauptstadt und sonst auf +oeffentlichen Grund und Boden uebergegriffen und das Wasser aus den +oeffentlichen Leitungen zu Privatzwecken abgeleitet ward; es machte sehr boeses +Blut, wenn einmal ein Zensor gegen solche Kontravenienten ernstlich einschritt +und sie zwang, entweder auf die Sondernutzung des gemeinen Gutes zu verzichten +oder dafuer das gesetzliche Boden- und Wassergeld zu zahlen. Der Gemeinde +gegenueber bewies das sonst so peinliche oekonomische Gewissen der Roemer eine +merkwuerdige Weite. “Wer einen Buerger bestiehlt”, sagt Cato, +“beschliesst sein Leben in Ketten und Banden; in Gold und Purpur aber, +wer die Gemeinde bestiehlt.” Wenn trotz dessen, dass das oeffentliche Gut +der roemischen Gemeinde ungestraft und ungescheut von Beamten und Spekulanten +gepluendert ward, noch Polybios es hervorhebt, wie selten in Rom der +Unterschleif sei, waehrend man in Griechenland kaum hier und da einen Beamten +finde, der nicht in die Kasse greife; wie der roemische Kommissar und Beamte +auf sein einfaches Treuwort hin ungeheure Summen redlich verwalte, waehrend in +Griechenland der kleinsten Summe wegen zehn Briefe besiegelt und zwanzig Zeugen +aufgeboten wuerden und doch jedermann betruege, so liegt hierin nur, dass die +soziale und oekonomische Demoralisation in Griechenland noch viel weiter +vorgeschritten war als in Rom und namentlich hier noch nicht wie dort der +unmittelbare und offenbare Kassendefekt florierte. Das allgemeine finanzielle +Resultat spricht sich fuer uns am deutlichsten in dem Stand der oeffentlichen +Bauten und in dem Barbestand des Staatsschatzes aus. Fuer das oeffentliche +Bauwesen finden wir in Friedenszeiten ein Fuenftel, in Kriegszeiten ein Zehntel +der Einkuenfte verwendet, was den Umstaenden nach nicht gerade reichlich +gewesen zu sein scheint. Es geschah mit diesen Summen sowie mit den nicht in +die Staatskasse unmittelbar fallenden Bruchgeldern wohl manches fuer die +Pflasterung der Wege in und vor der Hauptstadt, fuer die Chaussierung der +italischen Hauptstrassen ^6, fuer die Anlage oeffentlicher Gebaeude. Wohl die +bedeutendste unter den aus dieser Periode bekannten hauptstaedtischen Bauten +war die wahrscheinlich im Jahre 570 (184) verdungene grosse Reparatur und +Erweiterung des hauptstaedtischen Kloakennetzes, wofuer auf einmal 1700000 +Taler (24 Mill. Sesterzen) angewiesen wurden und der vermutlich der Hauptsache +nach angehoert, was von den Kloaken heute noch vorhanden ist. Aber allem +Anschein nach stand in dem oeffentlichen Bauwesen, auch abgesehen von den +schweren Kriegszeiten, diese Periode hinter dem letzten Abschnitt der vorigen +zurueck; zwischen 482 und 607 (272 und 147) ist in Rom keine neue Wasserleitung +angelegt worden. Der Staatsschatz nahm freilich zu: die letzte Reserve betrug +im Jahre 545 (209), wo man sich genoetigt sah, sie anzugreifen, nur 1144000 +Taler (4000 Pfund Gold; 2, 171), wogegen kurze Zeit nach dem Schluss dieser +Periode (597 157) nahe an 6 Mill. Taler in edlen Metallen in der Staatskasse +vorraetig waren. Allein bei den ungeheuren ausserordentlichen Einnahmen, welche +in dem Menschenalter nach dem Ende des Hannibalischen Krieges der roemischen +Staatskasse zuflossen, befremdet die letztere Summe mehr durch ihre Niedrigkeit +als durch ihre Hoehe. Soweit bei den vorliegenden, mehr als duerftigen Angaben +es zulaessig ist, hier von Resultaten zu sprechen, zeigen die roemischen +Staatsfinanzen wohl einen Ueberschuss der Einnahme ueber die Ausgabe, aber +darum doch nichts weniger als ein glaenzendes Gesamtergebnis. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +^6 Die Kosten von diesen sind indes wohl grossenteils auf die Anlieger geworfen +worden. Das alte System, Fronen anzusagen, war nicht abgeschafft; es muss nicht +selten vorgekommen sein, dass man den Gutsbesitzern die Sklaven wegnahm, um sie +beim Strassenbau zu verwenden (Cato agr. 2). +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +Am bestimmtesten tritt der veraenderte Geist der Regierung hervor in der +Behandlung der italischen und ausseritalischen Untertanen der roemischen +Gemeinde. Man hatte sonst in Italien unterschieden die gewoehnlichen und die +latinischen bundesgenoessischen Gemeinden, die roemischen Passiv- und die +roemischen Vollbuerger. Von diesen vier Klassen wurde die dritte im Laufe +dieser Periode so gut wie vollstaendig beseitigt, indem das, was frueher schon +fuer die Passivbuergergemeinden in Latium und in der Sabina geschehen war, +jetzt auch auf die des ehemaligen volskischen Gebiets Anwendung fand und diese +allmaehlich, zuletzt vielleicht im Jahre 566 (188) Arpinum, Fundi und Formiae, +das volle Buergerrecht empfingen. In Kampanien wurde Capua nebst einer Anzahl +benachbarter kleinerer Gemeinden infolge seines Abfalls von Rom im +Hannibalischen Kriege aufgeloest. Wenn auch einige wenige Gemeinden, wie +Velitrae im Volskergebiet, Teanum und Cumae in Kampanien, in dem frueheren +Rechtsverhaeltnis verblieben sein moegen, so darf doch, im grossen und ganzen +betrachtet, dies Buergerrecht zweiter Klasse jetzt als beseitigt gelten. +</p> + +<p> +Dagegen trat neu hinzu eine besonders zurueckgesetzte, der Kommunalfreiheit und +des Waffenrechts entbehrende und zum Teil fast den Gemeindesklaven gleich +behandelte Klasse (peregrini dediticii), wozu namentlich die Angehoerigen der +ehemaligen, mit Hannibal verbuendet gewesenen kampanischen, suedlichen +picentischen und brettischen Gemeinden gehoerten. Ihnen schlossen sich die +diesseits der Alpen geduldeten Kettenstaemme an, deren Stellung zu der +italischen Eidgenossenschaft zwar nur unvollkommen bekannt ist, aber doch durch +die in ihre Bundesvertraege mit Rom aufgenommene Klausel, dass keiner aus +diesen Gemeinden je das roemische Buergerrecht solle gewinnen duerfen, +hinreichend als eine zurueckgesetzte charakterisiert wird. +</p> + +<p> +Die Stellung der nichtlatinischen Bundesgenossen hatte, wie schon frueher +angedeutet ward, durch den Hannibalischen Krieg sich sehr zu ihrem Nachteil +veraendert. Nur wenige Gemeinden dieser Kategorie, wie zum Beispiel Neapel, +Nola, Rhegion, Herakleia, hatten waehrend aller Wechselfaelle dieses Krieges +unveraendert auf der Seite Roms gestanden und darum ihr bisheriges Bundesrecht +unveraendert behalten; bei weitem die meisten mussten infolge ihres +Parteiwechsels sich eine nachteilige Revision der bestehenden Vertraege +gefallen lassen. Von der gedrueckten Stellung der nichtlatinischen +Bundesgenossen zeugt die Auswanderung aus ihren Gemeinden in die latinischen; +als im Jahre 577 (177) die Samniten und Paeligner bei dem Senat um Herabsetzung +ihrer Kontingente einkamen, wurde dies damit motiviert, dass waehrend der +letzten Jahre 4000 samnitische und paelignische Familien nach der latinischen +Kolonie Fregellae uebergesiedelt seien. +</p> + +<p> +Dass die Latiner, das heisst jetzt die wenigen noch ausserhalb des roemischen +Buergerverbandes stehenden Staedte im alten Latium wie Tibur und Praeneste, die +ihnen rechtlich gleichgestellten Bundesstaedte, wie namentlich einzelne der +Herniker, und die durch ganz Italien zerstreuten latinischen Kolonien auch +jetzt noch besser gestellt waren, ist hierin enthalten; doch hatten auch sie im +Verhaeltnis kaum weniger sich verschlechtert. Die ihnen auferlegten Lasten +wurden unbillig gesteigert und der Druck des Kriegsdienstes mehr und mehr von +der Buergerschaft ab auf sie und die anderen italischen Bundesgenossen +gewaelzt. So wurden zum Beispiel 536 (218) fast doppelt soviel Bundesgenossen +aufgeboten als Buerger; so nach dem Ende des Hannibalischen Krieges die Buerger +alle, nicht aber die Bundesgenossen verabschiedet; so die letzteren +vorzugsweise fuer den Besatzungs- und den verhassten spanischen Dienst +verwandt; so bei dem Triumphalgeschenk 577 (177) den Bundesgenossen nicht wie +sonst die gleiche Verehrung mit den Buergern, sondern nur die Haelfte gegeben, +so dass inmitten des ausgelassenen Jubels dieses Soldatenkarnevals die +zurueckgesetzten Abteilungen stumm dem Siegeswagen folgten: so erhielten bei +Landanweisungen in Norditalien die Buerger je zehn, die Nichtbuerger je drei +Morgen Ackerlandes. Die unbeschraenkte Freizuegigkeit war den latinischen +Gemeinden bereits frueher (486 268) genommen und ihnen die Auswanderung nach +Rom nur dann gestattet worden, wenn sie leibliche Kinder und einen Teil ihres +Vermoegens in der Heimatgemeinde zurueckliessen. Indes diese laestigen +Vorschriften wurden auf vielfache Weise umgangen oder uebertreten, und der +massenhafte Zudrang der Buerger der latinischen Ortschaften nach Rom und die +Klagen ihrer Behoerden ueber die zunehmende Entvoelkerung der Staedte und die +Unmoeglichkeit, unter solchen Umstaenden das festgesetzte Kontingent zu +leisten, veranlassten die roemische Regierung, polizeiliche Ausweisungen aus +der Hauptstadt in grossem Umfang zu veranstalten (567, 577 187, 177). Die +Massregel mochte unvermeidlich sein, ward aber darum nicht weniger schwer +empfunden. Weiter fingen die von Rom im italischen Binnenland angelegten +Staedte gegen das Ende dieser Periode an, statt des latinischen, das volle +Buergerrecht zu empfangen, was bis dahin nur hinsichtlich der Seekolonien +geschehen war, und die bisher fast regelmaessige Erweiterung der Latinerschaft +durch neu hinzutretende Gemeinden hatte damit ein Ende. Aquileia, dessen +Gruendung 571 (183) begann, ist die juengste der italischen Kolonien Roms +geblieben, welche mit latinischem Recht beliehen wurden; den ungefaehr +gleichzeitig ausgefuehrten Kolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma, Luna +(570-577 184-177) ward schon das volle Buergerrecht gegeben. Die Ursache war +offenbar das Sinken des latinischen im Vergleich mit dem roemischen +Buergerrecht. Die in die neuen Pflanzstaedte ausgefuehrten Kolonisten wurden +von jeher und jetzt mehr als je vorwiegend aus der roemischen Buergerschaft +ausgewaehlt, und es fehlten selbst unter dem aermeren Teile derselben die +Leute, die willig gewesen waeren, auch mit Erwerbung bedeutender materieller +Verteile ihr Buerger- gegen latinisches Recht zu vertauschen. +</p> + +<p> +Endlich ward den Nichtbuergern, Gemeinden wie Einzelnen, der Eintritt in das +roemische Buergerrecht fast vollstaendig gesperrt. Das aeltere Verfahren, die +unterworfenen Gemeinden der roemischen einzuverleiben, hatte man um 400 (350) +fallenlassen, um nicht durch uebermaessige Ausdehnung der roemischen +Buergerschaft dieselbe allzusehr zu dezentralisieren, und deshalb die +Halbbuergergemeinden eingerichtet. Jetzt gab man die Zentralisation der +Gemeinde auf, indem teils die Halbbuergergemeinden das Vollbuergerrecht +empfingen, teils zahlreiche entferntere Buergerkolonien zu der Gemeinde +hinzutraten; aber auf das aeltere Inkorporationssystem kam man den verbuendeten +Gemeinden gegenueber nicht zurueck. Dass nach der vollendeten Unterwerfung +Italiens auch nur eine einzige italische Gemeinde das bundesgenoessische mit +dem roemischen Buergerrecht vertauscht haette, laesst sich nicht nachweisen; +wahrscheinlich hat in der Tat seitdem keine mehr dieses erhalten. Auch der +Uebertritt einzelner Italiker in das roemische Buergerrecht fand fast allein +noch statt fuer die latinischen Gemeindebeamten und durch besondere +Beguenstigung fuer einzelne der bei Gruendung von Buergerkolonien mit +zugelassenen Nichtbuerger ^7. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^7 So wurde bekanntlich dem Rudiner Ennius bei Gelegenheit der Gruendung der +Buergerkolonien Potentia und Pisaurum von einem der Triumvirn, Q. Fulvius +Nobilior, das Buergerrecht geschenkt (Cic. Brut. 20, 79); worauf er denn auch +nach bekannter Sitte dessen Vornamen annahm. Von Rechts wegen erwarben, +wenigstens in dieser Epoche, die in die Buergerkolonie mit deduzierten +Nichtbuerger dadurch die roemische Civitaet keineswegs, wenn sie auch haeufig +dieselbe sich anmassten (Liv. 34, 42); es wurde aber den mit der Gruendung +einer Kolonie beauftragten Beamten durch eine Klausel in dem jedesmaligen +Volksschluss die Verleihung des Buergerrechts an eine beschraenkte Anzahl von +Personen gestattet (Cic. Balb. 21, 48). +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Diesen tatsaechlichen und rechtlichen Umgestaltungen der Verhaeltnisse der +italischen Untertanen kann wenigstens innerer Zusammenhang und Folgerichtigkeit +nicht abgesprochen wer den. Die Lage der Untertanenklassen wurde im Verhaeltnis +ihrer bisherigen Abstufung durchgaengig verschlechtert und, waehrend die +Regierung sonst die Gegensaetze zu mildern und durch Uebergaenge zu vermitteln +bemueht gewesen war, wuerden jetzt ueberall die Mittelglieder beseitigt und die +verbindenden Bruecken abgebrochen. Wie innerhalb der roemischen Buergerschaft +der Herrenstand von dem Volke sich absonderte, den oeffentlichen Lasten +durchgaengig sich entzog und die Ehren und Vorteile durchgaengig fuer sich +nahm, so trat die Buergerschaft ihrerseits der italischen Eidgenossenschaft +gegenueber und schloss diese mehr und mehr von dem Mitgenuss der Herrschaft +aus, waehrend sie an den gemeinen Lasten doppelten und dreifachen Anteil +ueberkam. Wie die Nobilitaet gegenueber den Plebejern, so lenkte die +Buergerschaft gegenueber den Nichtbuergern zurueck in die Abgeschlossenheit des +verfallenen Patriziats; das Plebejat, das durch die Liberalitaet seiner +Institutionen grossgeworden war, schnuerte jetzt selbst sich ein in die starren +Satzungen des Junkertums. Die Aufhebung der Passivbuergerschaften kann an sich +nicht getadelt werden und gehoert auch ihrem Motiv nach vermutlich in einen +anderen, spaeter noch zu eroerternden Zusammenhang; dennoch ging schon dadurch +ein vermittelndes Zwischenglied verloren. Bei weitem bedenklicher aber war das +Schwinden des Unterschieds zwischen den latinischen und den uebrigen italischen +Gemeinden. Die Grundlage der roemischen Macht war die bevorzugte Stellung der +latinischen Nation innerhalb Italiens; sie wich unter den Fuessen, seit die +latinischen Staedte anfingen, sich nicht mehr als die bevorzugten Teilhaber an +der Herrschaft der maechtigen stammverwandten Gemeinde, sondern wesentlich +gleich den uebrigen als Untertanen Roms zu empfinden und alle Italiker ihre +Lage gleich unertraeglich zu finden begannen. Denn dass die Brettier und ihre +Leidensgenossen schon voellig wie Sklaven behandelt wurden und voellig wie +Sklaven sich verhielten, zum Beispiel von der Flotte, auf der sie als +Ruderknechte dienten, ausrissen, wo sie konnten und gern gegen Rom Dienste +nahmen; dass ferner in den keltischen und vor allem den ueberseeischen +Untertanen eine noch gedruecktere und von der Regierung in berechneter Absicht +der Verachtung und Misshandlung durch die Italiker preisgegebene Klasse den +Italikern zur Seite gestellt ward, schloss freilich auch eine Abstufung +innerhalb der Untertanenschaft in sich, konnte aber doch fuer den frueheren +Gegensatz zwischen den stammverwandten und den stammfremden italischen +Untertanen nicht entfernt einen Ersatz gewaehren. Eine tiefe Verstimmung +bemaechtigte sich der gesamten italischen Eidgenossenschaft, und nur die Furcht +hielt sie ab, laut sich zu aeussern. Der Vorschlag, der nach der Schlacht bei +Cannae im Senat gemacht ward, aus jeder latinischen Gemeinde zwei Maennern das +roemische Buergerrecht und Sitz im Senat zu gewaehren, war freilich zur Unzeit +gestellt und ward mit Recht abgelehnt; aber er zeigt doch, mit welcher +Besorgnis man schon damals in der herrschenden Gemeinde auf das Verhaeltnis +zwischen Latium und Rom blickte. Wenn jetzt ein zweiter Hannibal den Krieg nach +Italien getragen haette, so durfte man zweifeln, ob auch er an dem felsenfesten +Widerstand des latinischen Namens gegen die Fremdherrschaft gescheitert sein +wuerde. +</p> + +<p> +Aber bei weitem die wichtigste Institution, welche diese Epoche in das +roemische Gemeinwesen eingefuehrt hat, und zugleich diejenige, welche am +entschiedensten und verhaengnisvollsten aus der bisher eingehaltenen Bahn wich, +waren die neuen Vogteien. Das aeltere roemische Staatsrecht kannte +zinspflichtige Untertanen nicht; die ueberwundenen Buergerschaften wurden +entweder in die Sklaverei verkauft oder in der roemischen aufgehoben oder +endlich zu einem Buendnis zugelassen, das ihnen wenigstens die kommunale +Selbstaendigkeit und die Steuerfreiheit sicherte. Allein die karthagischen +Besitzungen in Sizilien, Sardinien und Spanien sowie Hierons Reich hatten ihren +frueheren Herren gesteuert und gezinst; wenn Rom diese Besitzungen einmal +behalten wollte, war es nach dem Urteil der Kurzsichtigen das Verstaendigste +und unzweifelhaft das Bequemste, die neuen Gebiete lediglich nach den +bisherigen Normen zu verwalten. Man behielt also die karthagisch-hieronische +Provinzialverfassung einfach bei und organisierte nach derselben auch +diejenigen Landschaften, die man, wie das Diesseitige Spanien, den Barbaren +entriss. Es war das Hemd des Nessos, das man vom Feind erbte. Ohne Zweifel war +es anfaenglich die Absicht der roemischen Regierung, durch die Abgaben der +Untertanen nicht eigentlich sich zu bereichern, sondern nur die Kosten der +Verwaltung und Verteidigung damit zu decken; doch wich man auch hiervon schon +ab, als man Makedonien und Illyrien tributpflichtig machte, ohne daselbst die +Regierung und die Grenzbesetzung zu uebernehmen. Ueberhaupt aber kam es weit +weniger darauf an, dass man noch in der Belastung Mass hielt, als darauf, dass +man ueberhaupt die Herrschaft in ein nutzbares Recht verwandelte; fuer den +Suendenfall ist es gleich, ob man nur den Apfel nimmt oder gleich den Baum +pluendert. Die Strafe folgte dem Unrecht auf dem Fuss. Das neue +Provinzialregiment noetigte zu der Einsetzung von Voegten, deren Stellung nicht +bloss mit der Wohlfahrt der Vogteien, sondern auch mit der roemischen +Verfassung schlechthin unvertraeglich war. Wie die roemische Gemeinde in den +Provinzen an die Stelle des frueheren Landesherrn trat, so war ihr Vogt +daselbst an Koenigs Statt; wie denn auch zum Beispiel der sizilische Praetor in +dem Hieronischen Palast zu Syrakus residierte. Von Rechts wegen sollte nun zwar +der Vogt nichtsdestoweniger sein Amt mit republikanischer Ehrbarkeit und +Sparsamkeit verwalten. Cato erschien als Statthalter von Sardinien in den ihm +untergebenen Staedten zu Fuss und von einem einzigen Diener begleitet, welcher +ihm den Rock und die Opferschale nachtrug, und als er von seiner spanischen +Statthalterschaft heimkehrte, verkaufte er vorher sein Schlachtross, weil er +sich nicht befugt hielt, die Transportkosten desselben dem Staate in Rechnung +zu bringen. Es ist auch keine Frage, dass die roemischen Statthalter, obgleich +sicherlich nur wenige von ihnen die Gewissenhaftigkeit so wie Cato bis an die +Grenze der Knauserei und Laecherlichkeit trieben, doch zum guten Teil durch +ihre altvaeterliche Froemmigkeit, durch die bei ihren Mahlzeiten herrschende +ehrbare Stille, durch die verhaeltnismaessig rechtschaffene Amts- und +Rechtspflege, namentlich die angemessene Strenge gegen die schlimmsten unter +den Blutsaugern der Provinzialen, die roemischen Steuerpaechter und Bankiers, +ueberhaupt durch den Ernst und die Wuerde ihres Auftretens den Untertanen, vor +allen den leichtfertigen und haltungslosen Griechen nachdruecklich imponierten. +Auch die Provinzialen befanden sich unter ihnen verhaeltnismaessig leidlich. +Man war durch die karthagischen Voegte und syrakusanischen Herren nicht +verwoehnt und sollte bald Gelegenheit finden, im Vergleich mit den +nachkommenden Skorpionen der gegenwaertigen Ruten sich dankbar zu erinnern; es +ist wohl erklaerlich, wie spaeterhin das sechste Jahrhundert der Stadt als die +goldene Zeit der Provinzialherrschaft erschien. Aber es war auf die Laenge +nicht durchfuehrbar, zugleich Republikaner und Koenig zu sein. Das +Landvogtspielen demoralisierte mit furchtbarer Geschwindigkeit den roemischen +Herrenstand. Hoffart und Uebermut gegen die Provinzialen lagen so sehr in der +Rolle, dass daraus dem einzelnen Beamten kaum ein Vorwurf gemacht werden darf. +Aber schon war es selten, und um so seltener, als die Regierung mit Strenge an +dem alten Grundsatz festhielt, die Gemeindebeamten nicht zu besolden, dass der +Vogt ganz reine Haende aus der Provinz wieder mitbrachte; dass Paullus, der +Sieger von Pydna, kein Geld nahm, wird bereits als etwas Besonderes angemerkt. +Die ueble Sitte, dem Amtmann “Ehrenwein” und andere +“freiwillige” Gaben zu verabreichen, scheint so alt wie die +Provinzialverfassung selbst und mag wohl auch ein karthagisches Erbstueck sein; +schon Cato musste in seiner Verwaltung Sardiniens 556 (198) sich begnuegen, +diese Hebungen zu regulieren und zu ermaessigen. Das Recht der Beamten und +ueberhaupt der in Staatsgeschaeften Reisenden auf freies Quartier und freie +Befoerderung ward schon als Vorwand zu Erpressungen benutzt. Das wichtigere +Recht des Beamten, Getreidelieferungen teils zu seinem und seiner Leute +Unterhalt (in cellam), teils im Kriegsfall zur Ernaehrung des Heeres oder bei +anderen besonderen Anlaessen gegen einen billigen Taxpreis in seiner Provinz +auszuschreiben, wurde schon so arg gemissbraucht, dass auf die Klagen der +Spanier der Senat im Jahre 583 (171) die Feststellung des Taxpreises fuer +beiderlei Lieferungen den Amtsleuten zu entziehen sich veranlasst fand. Selbst +fuer die Volksfeste in Rom fing schon an bei den Untertanen requiriert zu +werden; die masslosen Tribulationen, die der Aedil Tiberius Sempronius Gracchus +fuer die von ihm auszurichtende Festlichkeit ueber italische wie +ausseritalische Gemeinden ergehen liess, veranlassten den Senat, offiziell +dagegen einzuschreiten (572 182). Was ueberhaupt der roemische Beamte sich am +Schlusse dieser Periode nicht bloss gegen die ungluecklichen Untertanen, +sondern selbst gegen die abhaengigen Freistaaten und Koenigreiche herausnahm, +das zeigen die Raubzuege des Gnaeus Volso in Kleinasien und vor allem die +heillose Wirtschaft in Griechenland waehrend des Krieges gegen Perseus. Die +Regierung hatte kein Recht, sich darueber zu verwundern, da sie es an jeder +ernstlichen Schranke gegen die uebergriffe dieses militaerischen +Willkuerregiments fehlen liess. Zwar die gerichtliche Kontrolle mangelte nicht +ganz. Konnte auch der roemische Vogt nach dem allgemeinen und mehr als +bedenklichen Grundsatz: gegen den Oberfeldherrn waehrend der Amtsverwaltung +keine Beschwerdefuehrung zu gestatten, regelmaessig erst dann zur Rechenschaft +gezogen werden, wenn das Uebel geschehen war, so war doch an sich sowohl eine +Kriminal- als eine Zivilverfolgung gegen ihn moeglich. Um jene einzuleiten, +musste ein Volkstribun kraft der ihm zustehenden richterlichen Gewalt die Sache +in die Hand nehmen und sie an das Volksgericht bringen; die Zivilklage wurde +von dem Senator, der die betreffende Praetur verwaltete, an eine nach der +damaligen Gerichtsverfassung aus dem Schosse des Senats bestellte Jury +gewiesen. Dort wie hier lag also die Kontrolle in den Haenden des +Herrenstandes, und obwohl dieser noch rechtlich und ehrenhaft genug war, um +gegruendete Beschwerden nicht unbedingt beiseite zu legen, der Senat sogar +verschiedene Male auf Anrufen der Geschaedigten die Einleitung eines +Zivilverfahrens selber zu veranlassen sich herbeiliess, so konnten doch Klagen +von Niedrigen und Fremden gegen maechtige Glieder der regierenden Aristokratie +vor weit entfernten und wenn nicht in gleicher Schuld befangenen, doch +mindestens dem gleichen Stande angehoerigen Richtern und Geschworenen von +Anfang an nur dann auf Erfolg rechnen, wenn das Unrecht klar und schreiend war; +und vergeblich zu klagen, war fast gewisses Verderben. Einen gewissen Anhalt +fanden die Geschaedigten freilich in den erblichen Klientelverhaeltnissen, +welche die Staedte und Landschaften der Untertanen mit ihren Besiegern und +andern ihnen naeher getretenen Roemern verknuepften. Die spanischen Statthalter +empfanden es, dass an Catos Schutzbefohlenen sich niemand ungestraft vergriff; +und dass die Vertreter der drei von Paullus ueberwundenen Nationen, der +Spanier, Ligurer und Makedonier, sich es nicht nehmen liessen, seine Bahre zum +Scheiterhaufen zu tragen, war die schoenste Totenklage um den edlen Mann. +Allein dieser Sonderschutz gab nicht bloss den Griechen Gelegenheit, ihr ganzes +Talent, sich ihren Herren gegenueber wegzuwerfen, in Rom zu entfalten und durch +ihre bereitwillige Servilitaet auch ihre Herren zu demoralisieren - die +Beschluesse der Syrakusaner zu Ehren des Marcellus, nachdem er ihre Stadt +zerstoert und gepluendert und sie ihn vergeblich deshalb beim Senat verklagt +hatten, sind eines der schandbarsten Blaetter in den wenig ehrbaren Annalen von +Syrakus -, sondern es hatte auch bei der schon gefaehrlichen Familienpolitik +dieses Hauspatronat seine politisch bedenkliche Seite. Immer wurde auf diesem +Wege wohl bewirkt, dass die roemischen Beamten die Goetter und den Senat +einigermassen fuerchteten und im Stehlen meistenteils Mass hielten, allein man +stahl denn doch, und ungestraft, wenn man mit Bescheidenheit stahl. Die +heillose Regel stellte sich fest, dass bei geringen Erpressungen und maessiger +Gewalttaetigkeit der roemische Beamte gewissermassen in seiner Kompetenz und +von Rechts wegen straffrei sei, die Beschaedigten also zu schweigen haetten; +woraus denn die Folgezeit die verhaengnisvollen Konsequenzen zu ziehen nicht +unterlassen hat. Indes waeren auch die Gerichte so streng gewesen, wie sie +schlaff waren, es konnte doch die gerichtliche Rechenschaft nur den aergsten +Uebelstaenden steuern. Die wahre Buergschaft einer guten Verwaltung liegt in +der strengen und gleichmaessigen Oberaufsicht der hoechsten +Verwaltungsbehoerde; und hieran liess der Senat es vollstaendig mangeln. Hier +am fruehesten machte die Schlaffheit und Unbeholfenheit des kollegialischen +Regiments sich geltend. Von Rechts wegen haetten die Voegte einer weit +strengeren und spezielleren Aufsicht unterworfen werden sollen, als sie fuer +die italischen Munizipalverwaltungen ausgereicht hatte, und mussten jetzt, wo +das Reich grosse ueberseeische Gebiete umfasste, die Anstalten gesteigert +werden, durch welche die Regierung sich die Uebersicht ueber das Ganze +bewahrte. Von beidem geschah das Umgekehrte. Die Voegte herrschten so gut wie +souveraen, und das wichtigste der fuer den letzteren Zweck dienenden Institute, +die Reichsschatzung, wurde noch auf Sizilien, aber auf keine der spaeter +erworbenen Provinzen mehr erstreckt. Diese Emanzipation der obersten +Verwaltungsbeamten von der Zentralgewalt war mehr als bedenklich. Der roemische +Vogt, an der Spitze der Heere des Staats und im Besitz bedeutender +Finanzmittel, dazu einer schlaffen gerichtlichen Kontrolle unterworfen und von +der Oberverwaltung tatsaechlich unabhaengig, endlich mit einer gewissen +Notwendigkeit dahin gefuehrt, sein und seiner Administrierten Interesse von dem +der roemischen Gemeinde zu scheiden und ihm entgegenzustellen, glich weit mehr +einem persischen Satrapen als einem der Mandatare des roemischen Senats in der +Zeit der Samnitischen Kriege, und kaum konnte der Mann, der eben im Auslande +eine gesetzliche Militaertyrannis gefuehrt hatte, von da den Weg wieder zurueck +in die buergerliche Gemeinschaft finden, die wohl Befehlende und Gehorchende, +aber nicht Herren und Knechte unterschied. Auch die Regierung empfand es, dass +die beiden fundamentalen Saetze die Gleichheit innerhalb der Aristokratie und +die Unterordnung der Beamtengewalt unter das Senatskollegium, ihr hier unter +den Haenden zu schwinden begannen. Aus der Abneigung der Regierung gegen +Erwerbung neuer Vogteien und gegen das ganze Vogteiwesen, der Einrichtung der +Provinzialquaesturen, die wenigstens die Finanzgewalt den Voegten aus den +Haenden zu nehmen bestimmt waren, der Beseitigung der an sich so zweckmaessigen +Einrichtung laengerer Statthalterschaften leuchtet sehr deutlich die Besorgnis +hervor, welche die weiterblickenden roemischen Staatsmaenner vor der hier +gesaeten Saat empfanden. Aber Diagnose ist nicht Heilung. Das innere Regiment +der Nobilitaet entwickelte sich weiter in der einmal angegebenen Richtung, und +der Verfall der Verwaltung und des Finanzwesens, die Vorbereitung kuenftiger +Revolutionen und Usurpationen hatten ihren wenn nicht unbemerkten, doch +ungehemmten stetigen Fortgang. +</p> + +<p> +Wenn die neue Nobilitaet weniger scharf als die alte Geschlechtsaristokratie +formuliert war und wenn diese gesetzlich, jene nur tatsaechlich die uebrige +Buergerschaft im Mitgenuss der politischen Rechte beeintraechtigte, so war eben +darum die zweite Zuruecksetzung nur schwerer zu ertragen und schwerer zu +sprengen als die erste. An Versuchen zu dem letzteren fehlte es natuerlich +nicht. Die Opposition ruhte auf der Gemeindeversammlung wie die Nobilitaet auf +dem Senat; um jene zu verstehen, ist zunaechst die damalige roemische +Buergerschaft nach ihrem Geist und ihrer Stellung im Gemeinwesen zu schildern. +</p> + +<p> +Was von einer Buergerversammlung wie die roemische war, nicht dem bewegenden +Triebrad, sondern dem festen Grund des Ganzen, gefordert werden kann: ein +sicherer Blick fuer das gemeine Beste, eine einsichtige Folgsamkeit gegenueber +dem richtigen Fuehrer, ein festes Herz in guten und boesen Tagen und vor allem +die Aufopferungsfaehigkeit des Einzelnen fuer das Ganze, des gegenwaertigen +Wohlbehagens fuer das Glueck der Zukunft - das alles hat die roemische Gemeinde +in so hohem Grade geleistet, dass, wo der Blick auf das Ganze sich richtet, +jede Bemaekelung in bewundernder Ehrfurcht verstummt. Auch jetzt war der gute +und verstaendige Sinn noch durchaus in ihr vorwiegend. Das ganze Verhalten der +Buergerschaft der Regierung wie der Opposition gegenueber beweist mit +vollkommener Deutlichkeit, dass dasselbe gewaltige Buergertum, vor dem selbst +Hannibals Genie das Feld raeumen musste, auch in den roemischen Komitien +entschied; die Buergerschaft hat wohl oft geirrt, jedoch nicht geirrt in +Poebeltuecke, sondern in buergerlicher und baeuerlicher Beschraenktheit. Aber +allerdings wurde die Maschinerie, mittels welcher die Buergerschaft in den Gang +der oeffentlichen Angelegenheiten eingriff, immer unbehilflicher und wuchsen +ihr durch ihre eigenen Grosstaten die Verhaeltnisse vollstaendig ueber den +Kopf. Dass im Laufe dieser Epoche teils die meisten bisherigen +Passivbuergergemeinden, teils eine betraechtliche Anzahl neuangelegter +Pflanzstaedte das volle roemische Buergerrecht empfingen, ist schon angegeben +worden. Am Ende derselben erfuellte die roemische Buergerschaft in ziemlich +geschlossener Masse Latium im weitesten Sinn, die Sabina und einen Teil +Kampaniens, so dass sie an der Westkueste noerdlich bis Caere, suedlich bis +Cumae reichte; innerhalb dieses Gebiets standen nur wenige Staedte, wie Tibur, +Praeneste, Signia, Norba, Ferentinum ausser derselben. Dazu kamen die +Seekolonien an den italischen Kuesten, welche durchgaengig das roemische +Vollbuergerrecht besassen, die picenischen und transapenninischen Kolonien der +juengsten Zeit, denen das Buergerrecht hatte eingeraeumt werden muessen, und +eine sehr betraechtliche Anzahl roemischer Buerger, die, ohne eigentliche, +gesonderte Gemeinwesen zu bilden, in Marktflecken und Doerfern (fora et +conciliabula) durch ganz Italien zerstreut lebten. Wenn man der +Unbehilflichkeit einer also beschaffenen Stadtgemeinde auch fuer die Zwecke der +Rechtspflege ^8 und der Verwaltung teils durch die frueher schon erwaehnten +stellvertretenden Gerichtsherren einigermassen abhalf, teils wohl auch schon, +namentlich in den See- und den neuen picenischen und transapenninischen +Kolonien, zu der spaeteren Organisation kleinerer staedtischer Gemeinwesen +innerhalb der grossen roemischen Stadtgemeinde wenigstens die ersten +Grundlinien zog, so blieb doch in allen politischen Fragen die Urversammlung +auf dem roemischen Marktplatz allein berechtigt; und es springt in die Augen, +dass diese in ihrer Zusammensetzung wie in ihrem Zusammenhandeln jetzt nicht +mehr war, was sie gewesen, als die saemtlichen Stimmberechtigten ihre +buergerliche Berechtigung in der Art ausuebten, dass sie am Morgen von ihren +Hoefen weggehen und an demselben Abend wieder zurueck sein konnten. Es kam +hinzu, dass die Regierung - ob aus Unverstand, Schlaffheit oder boeser Absicht, +laesst sich nicht sagen - die nach dem Jahre 513 (241) in den Buergerverband +eintretenden Gemeinden nicht mehr wie frueher in neuerrichtete Wahlbezirke, +sondern in die alten mit einschrieb; so dass allmaehlich jeder Bezirk aus +verschiedenen, ueber das ganze roemische Gebiet zerstreuten Ortschaften sich +zusammensetzte. Wahlbezirke wie diese, von durchschnittlich 8000, die +staedtischen natuerlich von mehr, die laendlichen von weniger +Stimmberechtigten, und ohne oertlichen Zusammenhang und innere Einheit, liessen +schon keine bestimmte Leitung und keine genuegende Vorbesprechung mehr zu; was +um so mehr vermisst werden musste, als den Abstimmungen selbst keine freie +Debatte voranging. Wenn ferner die Buergerschaft vollkommen die Faehigkeit. +hatte, ihre Gemeindeinteressen wahrzunehmen, so war es doch sinnlos und +geradezu laecherlich, in den hoechsten und schwierigsten Fragen, welche die +herrschende Weltmacht zu loesen ueberkam, einem wohlgesinnten, aber zufaellig +zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das entscheidende Wort +einzuraeumen und ueber Feldherrnernennungen und Staatsvertraege in letzter +Instanz Leute urteilen zu lassen, die weder die Gruende noch die Folgen ihrer +Beschluesse begriffen. In allen ueber eigentliche Gemeindesachen hinausgehenden +Dingen haben denn auch die roemischen Urversammlungen eine unmuendige und +selbst alberne Rolle gespielt. In der Regel standen die Leute da und sagten ja +zu allen Dingen; und wenn sie ausnahmsweise aus eigenem Antrieb nein sagten, +wie zum Beispiel bei der Kriegserklaerung gegen Makedonien 554 (200), so machte +sicher die Kirchturms- der Staatspolitik eine kuemmerliche und kuemmerlich +auslaufende Opposition. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^8 In der bekanntlich zunaechst auf ein Landgut in der Gegend von Venafrum sich +beziehenden landwirtschaftlichen Anweisung Catos wird die rechtliche +Eroerterung der etwa entstehenden Prozesse nur fuer einen bestimmten Fall nach +Rom gewiesen: wenn naemlich der Gutsherr die Winterweide an den Besitzer einer +Schafherde verpachtet, also mit einem in der Regel nicht in der Gegend +domizilierten Paechter zu tun hat (agr. 149). Es laesst sich daraus schliessen. +dass in dem gewoehnlichen Fall, wo mit einem in der Gegend domizilierten Manne +kontrahiert ward, die etwa entspringenden Prozesse schon zu Catos Zeit nicht in +Rom, sondern vor den Ortsrichtern entschieden wurden. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Endlich stellte dem unabhaengigen Buergerstand sich der Klientenpoebel formell +gleichberechtigt und tatsaechlich oft schon uebermaechtig zur Seite. Die +Institutionen, aus denen er hervorging, waren uralt. Seit unvordenklicher Zeit +uebte der vornehme Roemer auch ueber seine Freigelassenen und Zugewandten eine +Art Regiment aus und ward von denselben bei allen ihren wichtigeren +Angelegenheiten zu Rate gezogen, wie denn zum Beispiel ein solcher Klient nicht +leicht seine Kinder verheiratete, ohne die Billigung seines Patrons erlangt zu +haben, und sehr oft dieser die Partien geradezu machte. Aber wie aus der +Aristokratie ein eigener Herrenstand ward, der in seiner Hand nicht bloss die +Macht, sondern auch den Reichtum vereinigte, so wurden aus den Schutzbefohlenen +Guenstlinge und Bettler; und der neue Anhang der Reichen unterhoehlte +aeusserlich und innerlich den Buergerstand. Die Aristokratie duldete nicht +bloss diese Klientel, sondern beutete finanziell und politisch sie aus. So zum +Beispiel wurden die alten Pfennigkollekten, welche bisher hauptsaechlich nur zu +religioesen Zwecken und bei der Bestattung verdienter Maenner stattgefunden +hatten, jetzt von angesehenen Herren - zuerst 568 (186) von Lucius Scipio in +Veranlassung eines von ihm beabsichtigten Volksfestes - benutzt, um bei +ausserordentlichen Gelegenheiten vom Publikum eine Beisteuer zu erheben. Die +Schenkungen wurden besonders deshalb gesetzlich beschraenkt (550 204), weil die +Senatoren anfingen, unter diesem Namen von ihren Klienten regelmaessigen Tribut +zu nehmen. Aber vor allen Dingen diente der Schweif dem Herrenstande dazu, die +Komitien zu beherrschen; und der Ausfall der Wahlen zeigt es deutlich, welche +maechtige Konkurrenz der abhaengige Poebel bereits in dieser Zeit dem +selbstaendigen Mittelstand machte. +</p> + +<p> +Die reissend schnelle Zunahme des Gesindels, namentlich in der Hauptstadt, +welche hierdurch vorausgesetzt wird, ist auch sonst nachweisbar. Die steigende +Zahl und Bedeutung der Freigelassenen beweisen die schon im vorigen Jahrhundert +gepflogenen und in diesem sich fortsetzenden, sehr ernsten Eroerterungen ueber +ihr Stimmrecht in den Gemeindeversammlungen, und der waehrend des +Hannibalischen Krieges vom Senat gefasste merkwuerdige Beschluss, die ehrbaren +freigelassenen Frauen zur Beteiligung bei den oeffentlichen Kollekten +zuzulassen und den rechten Kindern freigelassener Vaeter die bisher nur den +Kindern der Freigeborenen zukommenden Ehrenzeichen zu gestatten. Wenig besser +als die Freigelassenen mochte die Majoritaet der nach Rom uebersiedelnden +Hellenen und Orientalen sein, denen die nationale Servilitaet ebenso +unvertilgbar wie jenen die rechtliche anhaftete. +</p> + +<p> +Aber es wirkten nicht bloss diese natuerlichen Ursachen mit zu dem Aufkommen +eines hauptstaedtischen Poebels, sondern es kann auch weder die Nobilitaet noch +die Demagogie von dem Vorwurf freigesprochen werden, systematisch denselben +grossgezogen und durch Volksschmeichelei und noch schlimmere Dinge den alten +Buergersinn, soviel an ihnen war, unterwuehlt zu haben. Noch war die +Waehlerschaft durchgaengig zu achtbar, als dass unmittelbare Wahlbestechung im +grossen sich haette zeigen duerfen; aber indirekt ward schon in unloeblichster +Weise um die Gunst der Stimmberechtigten geworben. Die alte Verpflichtung der +Beamten, namentlich der Aedilen, fuer billige Kornpreise zu sorgen und die +Spiele zu beaufsichtigen, fing an, in das auszuarten, woraus endlich die +entsetzliche Parole des kaiserlichen Stadtpoebels hervorging: Brot umsonst und +ewiges Volksfest. Grosse Kornsendungen, welche entweder die +Provinzialstatthalter zur Verfuegung der roemischen Marktbehoerde stellten oder +auch wohl die Provinzen selbst, um sich bei einzelnen roemischen Beamten in +Gunst zu setzen, unentgeltlich nach Rom lieferten, machten es seit der Mitte +des sechsten Jahrhunderts den Aedilen moeglich, an die hauptstaedtische +Buergerbevoelkerung das Getreide zu Schleuderpreisen abzugeben. Es sei kein +Wunder, meinte Cato, dass die Buergerschaft nicht mehr auf guten Rat hoere - +der Bauch habe eben keine Ohren. Die Volkslustbarkeiten nahmen in +erschreckender Weise zu. Fuenfhundert Jahre hatte die Gemeinde sich mit einem +Volksfest im Jahr und mit einem Spielplatz begnuegt; der erste roemische +Demagoge von Profession, Gaius Flaminius, fuegte ein zweites Volksfest und +einen zweiten Spielplatz hinzu (534 220) ^9, und mag sich mit diesen +Einrichtungen, deren Tendenz schon der Name des neuen Festes: +“plebejische Spiele” hinreichend bezeichnet, die Erlaubnis erkauft +haben, die Schlacht am Trasimenischen See zu liefern. Rasch ging man weiter in +der einmal eroeffneten Bahn. Das Fest zu Ehren der Ceres, der Schutzgottheit +des Plebejertums, kann, wenn ueberhaupt, doch nur wenig juenger sein als das +plebejische. Weiter ward nach Anleitung der Sibyllinischen und Marcischen +Weissagungen schon 542 (212) ein viertes Volksfest zu Ehren Apollons, 550 (204) +ein fuenftes zu Ehren der neu aus Phrygien nach Rom uebergesiedelten Grossen +Mutter hinzugefuegt. Es waren dies die schweren Jahre des Hannibalischen +Krieges - bei der ersten Feier der Apollospiele ward die Buergerschaft von dem +Spielplatz weg zu den Waffen gerufen; die eigentuemlich italische Deisidaemonie +war fieberhaft aufgeregt, und es fehlte nicht an solchen, welche sie nutzten, +um Sibyllen- und Prophetenorakel in Umlauf zu setzen und durch deren Inhalt und +Vertretung sich der Menge zu empfehlen; kaum darf man es tadeln, dass die +Regierung, welche der Buergerschaft so ungeheure Opfer zumuten musste, in +solchen Dingen nachgab. Was man aber einmal nachgegeben, blieb bestehen; ja +selbst in ruhigeren Zeiten (581 173) kam noch ein freilich geringeres +Volksfest, die Spiele zu Ehren der Flora hinzu. Die Kosten dieser neuen +Festlichkeiten bestritten die mit der Ausrichtung der einzelnen Feste +beauftragten Beamten aus eigenen Mitteln - so die kurulischen Aedilen zu dem +alten Volksfest noch das Fest der Goettermutter und das der Flora, die +plebejischen das Plebejer- und das Ceresfest, der staedtische Praetor die +Apollinarischen Spiele. Man mag damit, dass die neuen Volksfeste wenigstens dem +gemeinen Saeckel nicht zur Last fielen, sich vor sich selber entschuldigt +haben; in der Tat waere es weit weniger nachteilig gewesen, das Gemeindebudget +mit einer Anzahl unnuetzer Ausgaben zu belasten, als zu gestatten, dass die +Ausrichtung einer Volkslustbarkeit tatsaechlich zur Qualifikation fuer die +Bekleidung des hoechsten Gemeindeamtes ward. Die kuenftigen Konsularkandidaten +machten bald in dem Aufwande fuer diese Spiele einander eine Konkurrenz, die +die Kosten derselben ins Unglaubliche steigerte; und es schadete +begreiflicherweise nicht, wenn der Konsul in Hoffnung noch ausser dieser +gleichsam gesetzlichen eine freiwillige “Leistung” (munus), ein +Fechterspiel auf seine Kosten zum besten gab. Die Pracht der Spiele wurde +allmaehlich der Massstab, nach dem die Waehlerschaft die Tuechtigkeit der +Konsulatsbewerber bemass. Die Nobilitaet hatte freilich schwer zu zahlen - ein +anstaendiges Fechterspiel kostete 750000 Sesterzen (50000 Taler); allein sie +zahlte gern, da sie ja damit den unvermoegenden Leuten die politische Laufbahn +verschloss. Aber die Korruption beschraenkte sich nicht auf den Markt, sondern +uebertrug sich auch schon auf das Lager. Die alte Buergerwehr hatte sich +gluecklich geschaetzt, eine Entschaedigung fuer die Kriegsarbeit und im +gluecklichen Fall eine geringe Siegesgabe heimzubringen; die neuen Feldherren, +an ihrer Spitze Scipio Africanus, warfen das roemische wie das Beutegeld mit +vollen Haenden unter sie aus - es war darueber, dass Cato waehrend der letzten +Feldzuege gegen Hannibal in Afrika mit Scipio brach. Die Veteranen aus dem +Zweiten Makedonischen und dem kleinasiatischen Krieg kehrten bereits +durchgaengig als wohlhabende Leute heim; schon fing der Feldherr an, auch von +den Besseren gepriesen zu werden, der die Gaben der Provinzialen und den +Kriegsgewinn nicht bloss fuer sich und sein unmittelbares Gefolge nahm und aus +dessen Lager nicht wenige Maenner mit Golde, sondern viele mit Silber in den +Taschen zurueckkamen - dass auch die bewegliche Beute des Staates sei, fing an +in Vergessenheit zu geraten. Als Lucius Paullus wieder in alter Weise mit +derselben verfuhr, da fehlte wenig, dass seine eigenen Soldaten, namentlich die +durch die Aussicht auf reichen Raub zahlreich herbeigelockten Freiwilligen, +nicht durch Volksbeschluss dem Sieger von Pydna die Ehre des Triumphes +aberkannt haetten, die man schon an jeden Bezwinger von drei ligurischen +Doerfern wegwarf. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^9 Die Anlage des Circus ist bezeugt. Ueber die Entstehung der plebejischen +Spiele gibt es keine alte Ueberlieferung, denn was der falsche Asconius (p. 143 +Orelli) sagt, ist keine; aber da sie in dem Flaminischen Circus gefeiert wurden +(Val. Max. 1, 7, 4) und zuerst sicher im Jahre 538 (216), vier Jahre nach +dessen Erbauung, vorkommen (Liv. 23, 30), so wird das oben Gesagte dadurch +hinreichend bewiesen. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Wie sehr die Kriegszucht und der kriegerische Geist der Buergerschaft unter +diesem Uebergang der Kriegs- in das Raubhandwerk litten, kann man an den +Feldzuegen gegen Perseus verfolgen; und fast in skurriler Weise offenbarte die +einreissende Feigheit der unbedeutende Istrische Krieg (576 178), wo ueber ein +geringes, vom Geruechte lawinenhaft vergroessertes Scharmuetzel das Landheer +und die Seemacht der Roemer, ja die Italiker daheim ins Weglaufen kamen und +Cato seinen Landsleuten ueber ihre Feigheit eine eigene Strafpredigt zu halten +noetig fand. Auch hier ging die vornehme Jugend voran. Schon waehrend des +Hannibalischen Krieges (545 200) sahen die Zensoren sich veranlasst, gegen die +Laessigkeit der Militaerpflichtigen von Ritterschatzung mit ernsten Strafen +einzuschreiten. Gegen das Ende dieser Periode (574 ? 180) stellte ein +Buergerschaftsbeschluss den Nachweis von zehn Dienstjahren als Qualifikation +fuer die Bekleidung eines jeden Gemeindeamtes fest, um die Soehne der +Nobilitaet dadurch zum Eintritt in das Heer zu noetigen. +</p> + +<p> +Aber wohl nichts spricht so deutlich fuer den Verfall des rechten Stolzes und +der rechten Ehre bei Hohen wie bei Geringen als das Jagen nach Abzeichen und +Titeln, das im Ausdruck verschieden, aber im Wesen gleichartig bei allen +Staenden und Klassen erscheint. Zu der Ehre des Triumphes draengte man sich so, +dass es kaum gelang, die alte Regel aufrecht zu erhalten, welche nur dem die +Macht der Gemeinde in offener Feldschlacht mehrenden, ordentlichen hoechsten +Gemeindebeamten verstattete zu triumphieren und dadurch allerdings nicht selten +eben die Urheber der wichtigsten Erfolge von dieser Ehre ausschloss. Man musste +es schon sich gefallen lassen, dass diejenigen Feldherren, welche vergeblich +versucht oder keine Aussicht hatten, den Triumph vom Senat oder der +Buergerschaft zu erlangen, auf eigene Hand wenigstens auf dem Albanischen Berg +triumphierend aufzogen (zuerst 523 231). Schon war kein Gefecht mit einem +ligurischen oder korsischen Haufen zu unbedeutend, um nicht daraufhin den +Triumph zu erbitten. Um den friedlichen Triumphatoren, wie zum Beispiel die +Konsuln des Jahres 570 (184) gewesen waren, das Handwerk zu legen, wurde die +Gestattung des Triumphes an den Nachweis einer Feldschlacht geknuepft, die +wenigstens 5000 Feinden das Leben gekostet; aber auch dieser Nachweis ward +oefter durch falsche Bulletins umgangen - sah man doch auch schon in den +vornehmen Haeusern manche feindliche Ruestung prangen, die keineswegs vom +Schlachtfeld dahin kam. Wenn sonst der Oberfeldherr des einen Jahres es sich +zur Ehre gerechnet hatte, das naechste Jahr in den Stab seines Nachfolgers +einzutreten, so war es jetzt eine Demonstration gegen die neumodische Hoffart, +dass der Konsular Cato unter Tiberius Sempronius Longus (560 194) und Manius +Glabrio (563 191; 2, 258) als Kriegstribun Dienste nahm. Sonst hatte fuer den +der Gemeinde erwiesenen Dienst der Dank der Gemeinde ein- fuer allemal genuegt; +jetzt schien jedes Verdienst eine bleibende Auszeichnung zu fordern. Bereits +der Sieger von Mylae (494 260) Gaius Duilius hatte es durchgesetzt, dass ihm, +wenn er abends durch die Strassen der Hauptstadt ging, ausnahmsweise ein +Fackeltraeger und ein Pfeifer voraufzog. Statuen und Denkmaeler, sehr oft auf +Kosten des Geehrten errichtet, wurden so gemein, dass man es spoettisch fuer +eine Auszeichnung erklaeren konnte, ihrer zu entbehren. Aber nicht lange +genuegten derartige bloss persoenliche Ehren. Es kam auf, aus den gewonnenen +Siegen dem Sieger und seinen Nachkommen einen bleibenden Zunamen zu schoepfen; +welchen Gebrauch vornehmlich der Sieger von Zama begruendet hat, indem er sich +selber den Mann von Afrika, seinen Bruder den von Asien, seinen Vetter den von +Spanien nennen liess ^10. Dem Beispiel der Hohen folgten die Niederen nach. +Wenn der Herrenstand es nicht verschmaehte, die Rangklassen der Leichenordnung +festzustellen und dem gewesenen Zensor ein purpurnes Sterbekleid zu +dekretieren, so konnte man es den Freigelassenen nicht veruebeln, dass auch sie +verlangten, wenigstens ihre Soehne mit dem vielbeneideten Purpurstreif +schmuecken zu duerfen. Der Rock, der Ring und die Amulettkapsel unterschieden +nicht bloss den Buerger und die Buergerin von dem Fremden und dem Sklaven, +sondern auch den Freigeborenen von dem gewesenen Knecht, den Sohn freigeborener +von dem freigelassener Eltern, den Ritter- und den Senatorensohn von dem +gemeinen Buerger, den Sproessling eines kurulischen Hauses von dem gemeinen +Senator - und das in derjenigen Gemeinde, in der alles, was gut und gross, das +Werk der buergerlichen Gleichheit war! +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +^10 2, 276. Das erste sichere Beispiel eines solchen Beinamens ist das des +Manius Valerius Maximus, Konsul 491 (263), der als Sieger von Messana den Namen +Messala annahm; dass der Konsul von 419 (335) in aehnlicher Weise Calenus +genannt worden sei, ist falsch. Die Beinamen Maximus im Valerischen und +Fabischen Geschlecht sind nicht durchaus gleichartig. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +Die Zwiespaeltigkeit innerhalb der Gemeinde wiederholt sich in der Opposition. +Gestuetzt auf die Bauernschaft erheben die Patrioten den lauten Ruf nach +Reform; gestuetzt auf die hauptstaedtische Menge beginnt die Demagogie ihr +Werk. Obwohl die beiden Richtungen sich nicht voellig trennen lassen, sondern +mehrfach Hand in Hand gehen, wird es doch notwendig sein, sie in der +Betrachtung voneinander zu sondern. +</p> + +<p> +Die Reformpartei tritt uns gleichsam verkoerpert entgegen in der Person des +Marcus Porcius Cato (520-605 234-149). Cato, der letzte namhafte Staatsmann des +aelteren, noch auf Italien sich beschraenkenden und dem Weltregiment +abgeneigten Systems, galt darum spaeterhin als das Muster des echten Roemers +von altem Schrot und Korn; mit groesserem Recht wird man ihn betrachten als den +Vertreter der Opposition des roemischen Mittelstandes gegen die neue +hellenisch-kosmopolitische Nobilitaet. Beim Pfluge hergekommen, ward er durch +seinen Gutsnachbarn, einen der wenigen dem Zuge der Zeit abholden Adligen, +Lucius Valerius Flaccus, in die politische Laufbahn gezogen; der derbe +sabinische Bauer schien dem rechtschaffenen Patrizier der rechte Mann, um dem +Strom der Zeit sich entgegenzustemmen; und er hatte in ihm sich nicht +getaeuscht. Unter Flaccus’ Aegide und nach guter alter Sitte mit Rat und +Tat den Mitbuergern und dem Gemeinwesen dienend, focht er sich empor bis zum +Konsulat und zum Triumph, ja sogar bis zur Zensur. Mit dem siebzehnten Jahre +eingetreten in die Buergerwehr, hatte er den ganzen Hannibalischen Krieg von +der Schlacht am Trasimenischen See bis zu der bei Zama durchgemacht, unter +Marcellus und Fabius, unter Nero und Scipio gedient und bei Tarent und Sena, in +Afrika, Sardinien, Spanien, Makedonien sich als Soldat, als Stabsoffizier und +als Feldherr gleich tuechtig bewaehrt. Wie auf der Walstatt stand er auf dem +Marktplatz. Seine furchtlose und schlagfertige Rede, sein derber treffender +Bauernwitz, seine Kenntnis des roemischen Rechts und der roemischen +Verhaeltnisse, seine unglaubliche Ruehrigkeit und sein eiserner Koerper machten +ihn zuerst in den Nachbarstaedten angesehen, alsdann, nachdem er auf dem Markt +und in der Kurie der Hauptstadt auf einen groesseren Schauplatz getreten war, +zu dem einflussreichsten Sachwalter und Staatsredner seiner Zeit. Er nahm den +Ton auf, den zuerst Manius Curius, unter den roemischen Staatsmaennern sein +Ideal, angeschlagen hatte; sein langes Leben hat er daran gesetzt, dem +einreissenden Verfall redlich, wie er es verstand, nach allen Seiten hin zu +begegnen, und noch in seinem fuenfundachtzigsten Jahre auf dem Marktplatz dem +neuen Zeitgeist Schlachten geliefert. Er war nichts weniger als schoen - gruene +Augen habe er, behaupteten seine Feinde, und rote Haare - und kein grosser +Mann, am wenigsten ein weitblickender Staatsmann. Politisch und sittlich +gruendlich borniert und stets das Ideal der guten alten Zeit vor den Augen und +auf den Lippen, verachtete er eigensinnig alles Neue. Durch seine Strenge gegen +sich vor sich selber legitimiert zu mitleidloser Schaerfe und Haerte gegen +alles und alle, rechtschaffen und ehrbar, aber ohne Ahnung einer jenseits der +polizeilichen Ordnung und der kaufmaennischen Redlichkeit liegenden Pflicht, +ein Feind aller Bueberei und Gemeinheit wie aller Eleganz und Genialitaet und +vor allen Dingen der Feind seiner Feinde, hat er nie einen Versuch gemacht, die +Quellen des Uebels zu verstopfen, und sein Leben lang gegen nichts gefochten +als gegen Symptome und namentlich gegen Personen. Die regierenden Herren sahen +zwar auf den ahnenlosen Beller vornehm herab und glaubten nicht mit Unrecht, +ihn weit zu uebersehen; aber die elegante Korruption in und ausser dem Senat +zitterte doch im geheimen vor dem alten Sittenmeisterer von stolzer +republikanischer Haltung, vor dem narbenbedeckten Veteranen aus dem +Hannibalischen Krieg, vor dem hoechst einflussreichen Senator und dem Abgott +der roemischen Bauernschaft. Einem nach dem andern seiner vornehmen Kollegen +hielt er oeffentlich sein Suendenregister vor, allerdings ohne es mit den +Beweisen sonderlich genau zu nehmen, und allerdings auch mit besonderem Genuss +denjenigen, die ihn persoenlich gekreuzt oder gereizt hatten. Ebenso ungescheut +verwies und beschalt er oeffentlich auch der Buergerschaft jede neue +Unrechtfertigkeit und jeden neuen Unfug. Seine bitterboesen Angriffe erweckten +ihm zahllose Feinde und mit den maechtigsten Adelskoterien der Zeit, namentlich +den Scipionen und den Flamininen, lebte er in ausgesprochener unversoehnlicher +Fehde; vierundvierzigmal ist er oeffentlich angeklagt worden. Aber die +Bauernschaft - und es ist dies bezeichnend dafuer, wie maechtig noch in dieser +Zeit in dem roemischen Mittelstand derjenige Geist war, der den Tag von Cannae +hatte uebertragen machen - liess den ruecksichtslosen Verfechter der Reform in +ihren Abstimmungen niemals fallen; ja als im Jahre 570 (184) Cato mit seinem +adligen Gesinnungsgenossen Lucius Flaccus sich um die Zensur bewarb und im +voraus ankuendigte, dass sie in diesem Amte eine durchgreifende Reinigung der +Buergerschaft an Haupt und Gliedern vorzunehmen beabsichtigten, wurden die +beiden gefuerchteten Maenner von der Buergerschaft gewaehlt ungeachtet aller +Anstrengungen des Adels, und derselbe musste es hinnehmen, dass in der Tat das +grosse Fegefest stattfand und dabei unter anderen der Bruder des Afrikaners von +der Ritter-, der Bruder des Befreiers der Griechen von der Senatorenliste +gestrichen wurden. +</p> + +<p> +Dieser Krieg gegen die Personen und die vielfachen Versuche, mit Justiz und +Polizei den Geist der Zeit zu bannen, wie achtungswert auch die Gesinnung war, +aus der sie hervorgingen, konnten doch hoechstens den Strom der Korruption auf +eine kurze Weile zurueckstauen; und wenn es bemerkenswert ist, dass Cato dem +zum Trotz oder vielmehr dadurch seine politische Rolle zu spielen vermocht hat, +so ist es ebenso bezeichnend, dass es so wenig ihm gelang, die Koryphaeen der +Gegenpartei wie diesen ihn zu beseitigen, und die von ihm und seinem +Gesinnungsgenossen vor der Buergerschaft angestellten Rechenschaftsprozesse +wenigstens in den politisch wichtigen Faellen durchgaengig ganz ebenso +erfolglos geblieben sind wie die gegen Cato gerichteten Anklagen. Nicht viel +mehr als diese Anklagen haben die Polizeigesetze gewirkt, welche namentlich zur +Beschraenkung des Luxus und zur Herbeifuehrung eines sparsamen und ordentlichen +Haushaltes in dieser Epoche in ungemeiner Anzahl erlassen wurden und die zum +Teil in der Darstellung der Volkswirtschaft noch zu beruehren sein werden. +</p> + +<p> +Bei weitem praktischer und nuetzlicher waren die Versuche, dem einreissenden +Verfall mittelbar zu steuern, unter denen die Ausweisungen von neuen +Bauernhufen aus dem Domanialland ohne Zweifel den ersten Platz einnehmen. +Dieselben haben in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Kriege mit Karthago +und wieder vom Ende des letzteren bis gegen den Schluss dieses Zeitabschnitts +in grosser Anzahl und in bedeutendem Umfange stattgefunden; die wichtigsten +darunter sind die Aufteilung der picenischen Possessionen durch Gaius Flaminius +im Jahre 522 (232),die Anlage von acht neuen Seekolonien im Jahre 560 (194) und +vor allem die umfassende Kolonisation der Landschaft zwischen dem Apennin und +dem Po durch die Anlage der latinischen Pflanzstaedte Placentia, Cremona, +Bononia und Aquileia und der Buergerkolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma +und Luna in den Jahren 536 (218) und 565-577 (189-177). Bei weitem die meisten +dieser segensreichen Gruendungen duerfen der Reformpartei zugeschrieben werden. +Hinweisend einerseits auf die Verwuestung Italiens durch den Hannibalischen +Krieg und das erschreckende Hinschwindender Bauernstellen und ueberhaupt der +freien italischen Bevoelkerung, anderseits auf die weit ausgedehnten, neben und +gleich Eigentum besessenen Possessionen der Vornehmen im Cisalpinischen +Gallien, in Samnium, in der apulischen und brettischen Landschaft haben Cato +und seine Gesinnungsgenossen sie gefordert; und obwohl die roemische Regierung +diesen Forderungen wahrscheinlich nicht in dem Massstab nachkam, wie sie es +gekonnt und gesollt haette, so blieb sie doch nicht taub gegen die warnende +Stimme des verstaendigen Mannes. +</p> + +<p> +Verwandter Art ist der Vorschlag, den Cato im Senat stellte, dem Verfall der +Buergerreiterei durch Errichtung von vierhundert neuen Reiterstellen Einhalt zu +tun. An den Mitteln dazu kann es der Staatskasse nicht gefehlt haben; doch +scheint der Vorschlag an dem exklusiven Geiste der Nobilitaet und ihrem +Bestreben, diejenigen, die nur Reiter und nicht Ritter waren, aus der +Buergerreiterei zu verdraengen, gescheitert zu sein. Dagegen erzwangen die +schweren Kriegslaeufte, welche ja sogar die roemische Regierung zu dem +gluecklicherweise verunglueckenden Versuch bestimmten, ihre Heere nach +orientalischer Art vom Sklavenmarkt zu rekrutieren, die Milderung der fuer den +Dienst im Buergerheer bisher geforderten Qualifikationen: des Minimalzensus von +11000 Assen (300 Taler) und der Freigeborenheit. Abgesehen davon, dass man die +zwischen 4000 (115 Taler) und 1500 Assen (43 Taler) geschaetzten Freigeborenen +und saemtliche Freigelassene zum Flottendienst anzog, wurde der Minimalzensus +fuer den Legionaer auf 4000 Asse (115 Taler) ermaessigt und wurden im Notfall +auch sowohl die Flottendienstpflichtigen als sogar die zwischen 1500 (43 Taler) +und 375 Asse (11 Taler) geschaetzten Freigeborenen in das Buergerfussvolk +miteingestellt. Diese vermutlich dem Ende der vorigen oder dem Anfang dieser +Epoche angehoerenden Neuerungen sind ohne Zweifel ebensowenig wie die +servianische Militaerreform aus Parteibestrebungen hervorgegangen; allein sie +taten doch der demokratischen Partei insofern wesentlichen Vorschub, als mit +den buergerlichen Belastungen zuerst die buergerlichen Ansprueche und sodann +auch die buergerlichen Rechte sich notwendig ins Gleichgewicht setzten. Die +Armen und Freigelassenen fingen an in dem Gemeinwesen etwas zu bedeuten, seit +sie ihm dienten; und hauptsaechlich daraus entsprang eine der wichtigsten +Verfassungsaenderungen dieser Zeit, die Umgestaltung der Zenturiatkomitien, +welche hoechst wahrscheinlich in demselben Jahre erfolgte, in welchem der Krieg +um Sizilien zu Ende ging (513 241). +</p> + +<p> +Nach der bisherigen Stimmordnung hatten in den Zenturiatkomitien wenn auch +nicht mehr, wie bis auf die Reform des Appius Claudius, allein die Ansaessigen +gestimmt, aber doch die Vermoegenden ueberwogen: es hatten zuerst die Ritter +gestimmt, das heisst der patrizisch-plebejische Adel, sodann die +Hoechstbesteuerten, das heisst diejenigen, die ein Vermoegen von mindestens +100000 Assen (2900 Taler) dem Zensor nachgewiesen hatten ^11; und diese beiden +Abteilungen hatten, wenn sie zusammenhielten, jede Abstimmung entschieden. Das +Stimmrecht der Steuerpflichtigen der vier folgenden Klassen war von +zweifelhaftem Gewicht, das derjenigen, deren Schaetzung unter dem niedrigsten +Klassensatz von 11000 Assen (300 Taler) geblieben war, wesentlich illusorisch +gewesen. Nach der neuen Ordnung wurde der Ritterschaft, obwohl sie ihre +gesonderten Abteilungen behielt, das Vorstimmrecht entzogen und dasselbe auf +eine aus der ersten Klasse durch das Los erwaehlte Stimmabteilung uebertragen. +Die Wichtigkeit jenes adligen Vorstimmrechts kann nicht hoch genug angeschlagen +werden, zumal in einer Epoche, in der tatsaechlich der Einfluss des Adels auf +die Gesamtbuergerschaft in stetigem Steigen war. War doch selbst der +eigentliche Junkerstand noch in dieser Zeit maechtig genug, um die gesetzlich +den Patriziern wie den Plebejern offenstehende zweite Konsul- und zweite +Zensorstelle, jene bis an den Schluss dieser Periode (bis 582 172), diese noch +ein Menschenalter darueber hinaus (bis 623 131), lediglich aus den Seinigen zu +besetzen, ja in dem gefaehrlichsten Moment, den die roemische Republik erlebt +hat, in der Krise nach der Cannensischen Schlacht, die vollkommen gesetzlich +erfolgte Wahl des nach aller Ansicht faehigsten Offiziers, des Plebejers +Marcellus, zu der durch des Patriziers Paullus Tod erledigten Konsulstelle +einzig seines Plebejertums wegen rueckgaengig zu machen. Dabei ist es freilich +charakteristisch fuer das Wesen auch dieser Reform, dass das Vorstimmrecht nur +dem Adel, nicht aber den Hoechstbesteuerten entzogen ward, das den +Ritterzenturien entzogene Vorstimmrecht nicht auf eine etwa durch das Los aus +der ganzen Buergerschaft erwaehlte Abteilung, sondern ausschliesslich auf die +erste Klasse ueberging. Diese sowie ueberhaupt die fuenf Stufen blieben wie sie +waren; nur die Grenze nach unter, wurde wahrscheinlich in der Weise verschoben, +dass der Minimalzensus wie fuer den Dienst in der Legion so auch fuer das +Stimmrecht in den Zenturien von 11000 auf 4000 Asse herabgesetzt ward. +Ueberdies lag schon in der formeller Beibehaltung der frueheren Saetze bei dem +allgemeinen Steigen des Vermoegensstandes gewissermassen eine Ausdehnung des +Stimmrechts im demokratischen Sinn. Die Gesamtzahl der Abteilungen blieb +gleichfalls unveraendert; aber wenn bis dahin, wie gesagt, die achtzehn +Ritterzenturien und die 80 der ersten Klasse in den 193 Stimmzenturien allein +die Majoritaet gehabt hatten, so wurden in der reformierten Ordnung die Stimmen +der ersten Klasse auf 70 herabgesetzt und dadurch bewirkt, dass unter allen +Umstaenden wenigstens die zweite Stufe zur Abstimmung gelangte. Wichtiger noch +und der eigentliche Schwerpunkt der Reform war die Verbindung, in welche die +neuen Stimmabteilungen mit der Tribusordnung gesetzt wurden. Von jeher sind die +Zenturien aus den Tribus in der Weise hervorgegangen, dass wer einer Tribus +angehoerte, von dem Zensor in eine der Zenturien eingeschrieben werden musste. +Seitdem die nicht ansaessigen Buerger in die Tribus eingeschrieben worden +waren, gelangten also auch sie in die Zenturien, und waehrend sie in den +Tribusversammlungen selbst auf die vier staedtischen Abteilungen beschraenkt +waren, hatten sie in denen der Zenturien mit den ansaessigen Buergern formell +das gleiche Recht, wenngleich wahrscheinlich die zensorische Willkuer in der +Zusammensetzung der Zenturien dazwischen trat und den in die Landtribus +eingeschriebenen Buergern das Uebergewicht auch in der Zenturienversammlung +gewaehrte. Dieses Uebergewicht wurde durch die reformierte Ordnung rechtlich in +der Weise festgestellt, dass von den 70 Zenturien der ersten Klasse jeder +Tribus zwei zugewiesen wurden, demnach die nicht ansaessigen Buerger davon nur +acht erhielten; in aehnlicher Weise muss auch in den vier anderen Stufen den +ansaessigen Buergern das Uebergewicht eingeraeumt worden sein. Im gleichen +Sinne wurde die bisherige Gleichstellung der Freigelassenen mit den +Freigeborenen im Stimmrecht in dieser Zeit beseitigt und wurden auch die +ansaessigen Freigelassenen in die vier staedtischen Tribus gewiesen. Dies +geschah im Jahre 534 (220) durch einen der namhaftesten Maenner der +Reformpartei, den Zensor Gaius Flaminius, und wurde dann von dem Zensor +Tiberius Sempronius Gracchus, dem Vater der beiden Urheber der roemischen +Revolution, fuenfzig Jahre spaeter (585 169) wiederholt und verschaerft. Diese +Reform der Zenturien, die vielleicht in ihrer Gesamtheit ebenfalls von +Flaminius ausgegangen ist, war die erste wichtige Verfassungsaenderung, die die +neue Opposition der Nobilitaet abgewann, der erste Sieg der eigentlichen +Demokratie. Der Kern derselben besteht teils in der Beschraenkung des +zensorischen Willkuerregiments, teils in der Beschraenkung des Einflusses +einerseits der Nobilitaet, anderseits der Nichtansaessigen und der +Freigelassenen, also in der Umgestaltung der Zenturiatkomitien nach dem fuer +die Tributkomitien schon geltenden Prinzip; was sich schon dadurch empfahl, +dass Wahlen, Gesetzvorschlaege, Kriminalanklagen und ueberhaupt alle die +Mitwirkung der Buergerschaft erfordernde Angelegenheiten durchgaengig an die +Tributkomitien gebracht und die schwerfaelligeren Zenturien nicht leicht anders +zusammengerufen wurden, als wo es verfassungsmaessig notwendig oder doch +ueblich war, um die Zensoren, Konsuln und Praetoren zu waehlen und um einen +Angriffskrieg zu beschliessen. Es ward also durch diese Reform nicht ein neues +Prinzip in die Verfassung hinein, sondern ein laengst in der praktisch +haeufigeren und wichtigeren Kategorie der Buergerschaftsversammlungen +massgebendes zu allgemeiner Geltung gebracht. Ihre wohl demokratische, aber +keineswegs demagogische Tendenz zeigt sich deutlich in ihrer Stellungnahme zu +den eigentlichen Stuetzen jeder wirklich revolutionaeren Partei, dem +Proletariat und der Freigelassenschaft. Darum darf denn auch die praktische +Bedeutung dieser Abaenderung der fuer die Urversammlungen massgebenden +Stimmordnung nicht allzu hoch angeschlagen werden. Das neue Wahlgesetz hat die +gleichzeitige Bildung eines neuen politisch privilegierten Standes nicht +verhindert und vielleicht nicht einmal wesentlich erschwert. Es ist sicher +nicht bloss Schuld der allerdings mangelhaften Ueberlieferung, dass wir nirgend +eine tatsaechliche Einwirkung der vielbesprochenen Reform auf den politischen +Verlauf der Dinge nachzuweisen vermoegen. Innerlich haengt uebrigens mit dieser +Reform noch die frueher schon erwaehnte Beseitigung der nicht stimmberechtigten +roemischen Buergergemeinden und deren allmaehliches Aufgehen in die +Vollbuergergemeinde zusammen. Es lag in dem nivellierenden Geiste der +Fortschrittspartei, die Gegensaetze innerhalb des Mittelstandes zu beseitigen, +waehrend die Kluft zwischen Buergern und Nichtbuergern sich gleichzeitig +breiter und tiefer zog. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^11 Ueber die urspruenglichen roemischen Zensussaetze ist es schwierig, etwas +Bestimmtes aufzustellen. Spaeterhin galten bekanntlich als Minimalzensus der +ersten Klasse 100000 As, wozu die Zensus der vier uebrigen Klassen in dem +(wenigstens ungefaehren) Verhaeltnis von ¾, ½, ¼, 1/9 stehen. Diese Saetze aber +versteht bereits Polybios und verstehen alle spaeteren Schriftsteller von dem +leichten As (zu 1/10 Denar), und es scheint hieran festgehalten werden zu +muessen, wenn auch in Beziehung auf das Voconische Gesetz dieselben Summen als +schwere Asse (zu ¼ Denar) in Ansatz gebracht werden (Geschichte des Roemischen +Muenzwesens, S. 302). Appius Claudius aber, der zuerst im Jahre 442 (312) die +Zensussaetze in Geld statt in Grundbesitz ausdrueckte, kann sich dabei nicht +des leichten As bedient haben, der erst 485 (269) aufkam. Entweder also hat er +dieselben Betraege in schweren Assen ausgedrueckt und sind diese bei der +Muenzreduktion in leichte umgesetzt worden, oder er stellte die spaeteren +Ziffern auf, und es blieben dieselben trotz der Muenzreduktion, welche in +diesem Falle eine Herabsetzung der Klassensaetze um mehr als die Haelfte +enthalten haben wuerde. Gegen beide Annahmen lassen sich gueltige Bedenken +erheben; doch scheint die erstere glaublicher, da ein so exorbitanter +Fortschritt in der demokratischen Entwicklung weder fuer das Ende des fuenften +Jahrhunderts noch als beilaeufige Konsequenz einer bloss administrativen +Massregel wahrscheinlich ist, auch wohl schwerlich ganz aus der Ueberlieferung +verschwunden sein wuerde. 100000 leichte As oder 40000 Sesterzen koennen +uebrigens fueglich als Aequivalent der urspruenglichen roemischen Vollhufe von +vielleicht 20 Morgen angesehen werden; so dass danach die Schatzungssaetze +ueberhaupt nur im Ausdruck, nicht aber im Wert gewechselt haben wuerden. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Fasst man zusammen, was von der Reformpartei dieser Zeit gewollt und erreicht +ward, so hat sie dem einreissenden Verfall, vor allem dem Einschwinden des +Bauernstandes und der Lockerung der alten, strengen und sparsamen Sitte, aber +auch dem uebermaechtigen politischen Einfluss der neuen Nobilitaet +unzweifelhaft patriotisch und energisch zu steuern sich bemueht und bis zu +einem gewissen Grade auch gesteuert. Allein man vermisst ein hoeheres +politisches Ziel. Das Missbehagen der Menge, der sittliche Unwille der Besseren +fanden wohl in dieser Opposition ihren angemessenen und kraeftigen Ausdruck; +aber man sieht weder eine deutliche Einsicht in die Quelle des Uebels noch +einen festen Plan, im grossen und ganzen zu bessern. Eine gewisse +Gedankenlosigkeit geht hindurch durch all diese sonst so ehrenwerten +Bestrebungen, und die rein defensive Haltung der Verteidiger weissagt wenig +Gutes fuer den Erfolg. Ob die Krankheit ueberhaupt durch Menschenwitz geheilt +werden konnte, bleibt billig dahingestellt; die roemischen Reformatoren dieser +Zeit aber scheinen mehr gute Buerger als gute Staatsmaenner gewesen zu sein und +den grossen Kampf des alten Buergertums gegen den neuen Kosmopolitismus auf +ihrer Seite einigermassen unzulaenglich und spiessbuergerlich gefuehrt zu +haben. +</p> + +<p> +Aber wie neben der Buergerschaft der Poebel in dieser Zeit emporkam, so trat +auch schon neben die achtbare und nuetzliche Oppositionspartei die +volksschmeichelnde Demagogie. Bereits Cato kennt das Gewerbe der Leute, die an +der Redesucht kranken wie andere an der Trink- und der Schlafsucht; die sich +Zuhoerer mieten, wenn sich keine freiwillig einfinden, und die man wie den +Marktschreier anhoert, ohne auf sie zu hoeren, geschweige denn, wenn man Hilfe +braucht, sich ihnen anzuvertrauen. In seiner derben Art schildert der Alte +diese nach dem Muster der griechischen Schwaetzer des Marktes gebildeten +spassigen und witzelnden, singenden und tanzenden, allezeit bereiten Herrchen; +zu nichts, meint er, ist so einer zu brauchen, als um sich im Zuge als +Hanswurst zu produzieren und mit dem Publikum Reden zu wechseln - fuer ein +Stueck Brot ist ihm ja das Reden wie das Schweigen feil. In der Tat, diese +Demagogen waren die schlimmsten Feinde der Reform. Wie diese vor allen Dingen +und nach allen Seiten hin auf sittliche Besserung drang, so hielt die Demagogie +vielmehr hin auf Beschraenkung der Regierungs- und Erweiterung der +Buergerschaftskompetenz. In ersterer Beziehung ist die wichtigste Neuerung die +tatsaechliche Abschaffung der Diktatur. Die durch Quintus Fabius und seine +populaeren Gegner 537 (217) hervorgerufene Krise gab diesem von Haus aus +unpopulaeren Institut den Todesstoss. Obwohl die Regierung einmal nachher noch +(538 216) unter dem unmittelbaren Eindruck der Schlacht von Cannae einen mit +aktivem Kommando ausgestatteten Diktator ernannt hat, so durfte sie dies doch +in ruhigeren Zeiten nicht wieder wagen, und nachdem noch ein paar Male (zuletzt +552 202), zuweilen nach vorgaengiger Bezeichnung der zu ernennenden Person +durch die Buergerschaft, ein Diktator fuer staedtische Geschaefte eingesetzt +worden war, kam dieses Amt, ohne foermlich abgeschafft zu werden, tatsaechlich +ausser Gebrauch. Damit ging dem kuenstlich ineinander gefugten roemischen +Verfassungssystem ein fuer dessen eigentuemliche Beamtenkollegialitaet sehr +wuenschenswertes Korrektiv verloren und buesste die Regierung, von der das +Eintreten der Diktatur, das heisst die Suspension der Konsuln, durchaus und in +der Regel auch die Bezeichnung des zu ernennenden Diktators abgehangen hatte, +eines ihrer wichtigsten Werkzeuge ein - nur unvollkommen ward dasselbe ersetzt +durch die vom Senat seitdem in Anspruch genommene Befugnis, in +ausserordentlichen Faellen, namentlich bei ploetzlich ausbrechendem Aufstand +oder Krieg, den zeitigen hoechsten Beamten gleichsam diktatorische Gewalt zu +verleihen durch die Instruktion: nach Ermessen fuer das gemeine Wohl Massregeln +zu treffen, und damit einen dem heutigen Standrecht aehnlichen Zustand +herbeizufuehren. Daneben dehnte die formelle Kompetenz des Volkes in der +Beamtenernennung wie in Regierungs-, Verwaltungs- und Finanzfragen in +bedenklicher Weise sich aus. Die Priesterschaften, namentlich die politisch +wichtigsten Kollegien der Sachverstaendigen, ergaenzten sich nach altem +Herkommen selber und ernannten selber ihre Vorsteher, soweit diese +Koerperschaften ueberhaupt Vorsteher hatten; und in der Tat war fuer diese zur +Ueberlieferung der Kunde goettlicher Dinge von Geschlecht zu Geschlecht +bestimmten Institute die einzige ihrem Geist entsprechende Wahlform die +Kooptation. Es ist darum zwar nicht von grossem politischen Gewicht, aber +bezeichnend fuer die beginnende Desorganisation der republikanischen Ordnungen, +dass in dieser Zeit (vor 542 212) zwar noch nicht die Wahl in die Kollegien +selbst, aber wohl die Bezeichnung der Vorstaende der Curionen und der +Pontifices aus dem Schosse dieser Koerperschatten von den Kollegien auf die +Gemeinde ueberging; wobei ueberdies noch, mit echt roemischer formaler +Goetterfurcht, um ja nichts zu versehen, nur die kleinere Haelfte der Bezirke, +also nicht das “Volk” den Wahlakt vollzog. Von groesserer Bedeutung +war das zunehmende Eingreifen der Buergerschaft in persoenliche und sachliche +Fragen aus dem Kreise der Militaerverwaltung und der aeusseren Politik. Hierher +gehoert der Uebergang der Ernennung der ordentlichen Stabsoffiziere vom +Feldherrn auf die Buergerschaft, dessen schon gedacht ward; hierher die Wahlen +der Fuehrer der Opposition zu Oberfeldherren gegen Hannibal; hierher der +verfassungs- und vernunftwidrige Buergerschaftsbeschluss von 537 (217), wodurch +das hoechste Kommando zwischen dem unpopulaeren Generalissimus und seinem +populaeren und ihm im Lager wie daheim opponierenden Unterfeldherrn geteilt +ward; hierher das gegen einen Offizier wie Marcellus vor der Buergerschaft +verfuehrte tribunizische Gequengel wegen unverstaendiger und unredlicher +Kriegfuehrung (545 209), welches denselben doch schon noetigte, aus dem Lager +nach der Hauptstadt zu kommen und sich wegen seiner militaerischen Befaehigung +vor dem Publikum der Hauptstadt auszuweisen; hierher die noch skandaloeseren +Versuche, dem Sieger von Pydna durch Buergerschaftsbeschluss den Triumph +abzuerkennen; hierher die allerdings wohl vom Senat veranlasste Bekleidung +eines Privatmanns mit ausserordentlicher konsularischer Amtsgewalt (544 210); +hierher die bedenkliche Drohung Scipios, den Oberbefehl in Afrika, wenn der +Senat ihm denselben verweigere, sich von der Buergerschaft bewilligen zu lassen +(549 205); hierher der Versuch eines vor Ehrgeiz. halb naerrischen Menschen, +der Buergerschaft wider Willen der Regierung eine in jeder Hinsicht +ungerechtfertigte Kriegserklaerung gegen die Rhodier zu entreissen (587 167); +hierher das neue staatsrechtliche Axiom, dass jeder Staatsvertrag erst durch +Ratifikation der Gemeinde vollgueltig werde. Dieses Mitregieren und +Mitkommandieren der Buergerschaft war in hohem Grade bedenklich, aber weit +bedenklicher noch ihr Eingreifen in das Finanzwesen der Gemeinde; nicht bloss, +weil die Macht des Senats in der Wurzel getroffen wurde durch jeden Angriff auf +das aelteste und wichtigste Recht der Regierung: die ausschliessliche +Verwaltung des Gemeindevermoegens, sondern weil die Unterstellung der +wichtigsten hierher gehoerigen Angelegenheit, der Aufteilung der +Gemeindedomaenen, unter die Urversammlungen der Buergerschaft mit Notwendigkeit +der Republik ihr Grab grub. Die Urversammlung aus dem Gemeingut unbeschraenkt +in den eigenen Beutel hineindekretieren zu lassen, ist reicht bloss verkehrt, +sondern der Anfang vom Ende; es demoralisiert die bestgesinnte Buergerschaft +und gibt dem Antragsteller eine mit keinem freien Gemeinwesen vertraegliche +Macht. Wie heilsam auch die Aufteilung des Gemeinlandes und wie zwiefachen +Tadels darum der Senat wert war, indem er es unterliess, durch freiwillige +Aufteilung des okkupierten Landes dies gefaehrlichste aller Agitationsmittel +abzuschneiden, so hat doch Gaius Flaminius, indem er mit dem Antrag auf +Aufteilung der picenischen Domaenen im Jahre 522 (232) an die Buergerschaft +ging, durch das Mittel ohne Zweifel dem Gemeinwesen mehr geschadet, als durch +den Zweck ihm genuetzt. Wohl hatte zweihundertundfuenfzig Jahre zuvor Spurius +Cassius dasselbe beantragt; aber die beiden Massregeln, wie genau sie auch dem +Buchstaben nach zusammenstimmten, waren dennoch insofern voellig verschieden, +als Cassius eine Gemeindesache an die lebendige und noch sich selber regierende +Gemeinde, Flaminius eine Staatsfrage an die Urversammlung eines grossen Staates +brachte. Mit vollem Recht betrachtete nicht etwa bloss die Regierungs-, sondern +auch die Reformpartei das militaerische, administrative und finanzielle +Regiment als legitime Domaene des Senats und huetete sie sich wohl, von der +formellen Macht der innerlich in unabwendbarer Aufloesung begriffenen +Urversammlungen vollen Gebrauch zu machen, geschweige denn sie zu steigern. +Wenn nie, selbst nicht in der beschraenktesten Monarchie, dem Monarchen eine so +voellig nichtige Rolle zugefallen ist, wie sie dem souveraenen roemischen Volke +zugeteilt ward, so war dies zwar in mehr als einer Hinsicht zu bedauern, aber +bei dem dermaligen Stande der Komitialmaschine auch nach der Ansicht der +Reformfreunde eine Notwendigkeit. Darum haben Cato und seine Gesinnungsgenossen +nie eine Frage an die Buergerschaft gebracht, welche in das eigentliche +Regiment eingegriffen haette, niemals die von ihnen gewuenschten politischen +oder finanziellen Massregeln, wie zum Beispiel die Kriegserklaerung gegen +Karthago und die Ackerauslegungen, mittelbar oder unmittelbar durch +Buergerschaftsbeschluss dem Senat abgezwungen. Die Regierung des Senats mochte +schlecht sein; die Urversammlungen konnten nicht regieren. Nicht als haette in +ihnen eine boeswillige Majoritaet vorgeherrscht; im Gegenteil fand das Wort +eines angesehenen Mannes, fand der laute Ruf der Ehre und der lautere der Not +in der Regel in den Komitien noch Gehoer und wendete die aeussersten +Schaedigungen und Schaendlichkeiten ab - die Buergerschaft, vor der Marcellus +sich verantwortete, liess den Anklaeger schimpflich durchfallen und waehlte den +Angeklagten zum Konsul fuer das folgende Jahr; auch von der Notwendigkeit des +Krieges gegen Philippos liess die Versammlung sich ueberzeugen, endigte den +Krieg gegen Perseus durch die Wahl des Paullus und bewilligte diesem den +wohlverdienten Triumph. Aber zu solchen Wahlen und solchen Beschluessen +bedurfte es doch schon eines besonderen Aufschwungs; durchgaengig folgte die +Masse willenlos dem naechsten Impulse, und Unverstand und Zufall entschieden. +</p> + +<p> +Im Staate wie in jedem Organismus ist das Organ, welches nicht mehr wirkt, +schon auch schaedlich; auch die Nichtigkeit der souveraenen Volksversammlung +schloss keine geringe Gefahr ein. Jede Minoritaet im Senat konnte der +Majoritaet gegenueber verfassungsmaessig an die Komitien appellieren. Jedem +einzelnen Manne, der die leichte Kunst besass, unmuendigen Ohren zu predigen +oder auch nur Geld wegzuwerfen, war ein Weg eroeffnet, um sich eine Stellung zu +verschaffen oder einen Beschluss zu erwirken, denen gegenueber Beamte und +Regierung formell gehalten waren zu gehorchen. Daher denn jene Buergergenerale, +gewohnt, im Weinhaus Schlachtplaene auf den Tisch zu zeichnen und kraft ihres +angeborenen strategischen Genies mitleidig auf den Gamaschendienst +herabzusehen; daher jene Stabsoffiziere, die ihr Kommando dem hauptstaedtischen +Aemterbettel verdankten und, wenn es einmal Ernst galt, vor allen Dingen in +Masse verabschiedet werden mussten - und daher die Schlachten am Trasimenischen +See und bei Cannae und die schimpfliche Kriegfuehrung gegen Perseus. Auf +Schritt und Tritt ward die Regierung durch jene unberechenbaren +Buergerschaftsbeschluesse gekreuzt und beirrt, und begreiflicherweise eben da +am meisten, wo sie am meisten in ihrem guten Recht war. +</p> + +<p> +Aber die Schwaechung der Regierung und der Gemeinde selbst waren noch die +geringere unter den aus dieser Demagogie sich entwickelnden Gefahren. +Unmittelbarer noch draengte unter der Aegide der verfassungsmaessigen Rechte +der Buergerschaft die faktioese Gewalt der einzelnen Ehrgeizigen sich empor. +Was formell als Wille der hoechsten Autoritaet im Staate auftrat, war der Sache +nach sehr oft nichts als das persoenliche Belieben des Antragstellers; und was +sollte werden aus einem Gemeinwesen, in welchem Krieg und Frieden, Ernennung +und Absetzung des Feldherrn und der Offiziere, die gemeine Kasse und das +gemeine Gut von den Launen der Menge und ihrer zufaelligen Fuehrer abhingen? +Das Gewitter war noch nicht ausgebrochen; aber dicht und dichter ballten die +Wolken sich zusammen und einzelne Donnerschlaege rollten bereits durch die +schwuele Luft. Dabei trafen in zwiefach bedenklicher Weise die scheinbar +entgegengesetztesten Richtungen in ihren aeussersten Spitzen sowohl +hinsichtlich der Zwecke wie hinsichtlich der Mittel zusammen. In der +Poebelklientel und dem Poebelkultus machten Familienpolitik und Demagogie sich +eine gleichartige und gleich gefaehrliche Konkurrenz. Gaius Flaminius galt den +Staatsmaennern der folgenden Generation als der Eroeffner derjenigen Bahn, aus +welcher die Gracchischen Reformen und - setzen wir hinzu - weiterhin die +demokratisch-monarchische Revolution hervorging. Aber auch Publius Scipio, +obwohl tonangebend in der Hoffart, der Titeljagd, der Klientelmacherei der +Nobilitaet, stuetzte sich in seiner persoenlichen und fast dynastischen Politik +gegen den Senat auf die Menge, die er nicht bloss durch den Schimmer seiner +Individualitaet bezauberte, sondern auch durch seine Kornsendungen bestach, auf +die Legionen, deren Gunst er durch rechte und unrechte Mittel sich erwarb, und +vor allen Dingen auf die ihm persoenlich anhaengende hohe und niedere Klientel +- nur die traeumerische Unklarheit, auf welcher der Reiz wie die Schwaeche +dieses merkwuerdigen Mannes grossenteils beruht, liessen ihn aus dem Glauben: +nichts zu sein noch sein zu wollen als der erste Buerger von Rom, nicht oder +doch nicht voellig erwachen. +</p> + +<p> +Die Moeglichkeit einer Reform zu behaupten, wuerde ebenso verwegen sein, wie +sie zu leugnen; dass eine durchgreifende Verbesserung des Staats an Haupt und +Gliedern dringendes Beduerfnis war und dass von keiner Seite dazu ein +ernstlicher Versuch gemacht ward, ist gewiss. Zwar im einzelnen geschah von +seiten des Senats wie von seiten der buergerschaftlichen Opposition mancherlei. +Dort wie hier waren die Majoritaeten noch wohlgesinnt und boten ueber den Riss +weg, der die Parteien trennte, noch haeufig sich die Haende, um +gemeinschaftlich die schlimmsten Uebelstaende zu beseitigen. Aber da man die +Quellen nicht verstopfte, so half es wenig, dass die besseren Maenner mit +Besorgnis auf das dumpfe Tosen der anschwellenden Flut lauschten und an Deichen +und Daemmen arbeiteten. Indem auch sie sich mit Palliativen begnuegten und +selbst diese, namentlich eben die wichtigsten, wie die Verbesserung der Justiz +und die Aufteilung des Domaniallandes, nicht rechtzeitig und umfaenglich genug +anwandten, halfen sie mit dazu, den Nachkommen eine boese Zukunft zu bereiten. +Indem sie versaeumten, den Acker umzubrechen waehrend es Zeit war, zeitigten +Unkraut auch, die es nicht saeten. Den spaeteren Geschlechtern, die die Stuerme +der Revolution erlebten, erschien die Zeit nach dem Hannibalischen Kriege als +die goldene Roms und Cato als das Muster des roemischen Staatsmanns. Es war +vielmehr die Windstille vor dem Sturm und die Epoche der politischen +Mittelmaessigkeiten, eine Zeit wie die des Walpoleschen Regiments in England; +und kein Chatham fand sich in Rom, der die stockenden Adern der Nation wieder +in frische Wallung gebracht haette. Wo man den Blick hinwendet, klaffen in dem +alten Bau Risse und Spalten; man sieht die Arbeiter geschaeftig, bald sie zu +verstreichen, bald sie zu erweitern; von Vorbereitungen aber zu einem +ernstlichen Um- oder Neubau gewahrt man nirgend eine Spur, und es fragt sich +nicht mehr, ob, sondern nur noch, wann das Gebaeude einstuerzen wird. In keiner +Epoche ist die roemische Verfassung formell so stabil geblieben wie in der vom +Sizilischen Kriege bis auf den Dritten Makedonischen und noch ein Menschenalter +darueber hinaus; aber die Stabilitaet der Verfassung war hier wie ueberall +nicht ein Zeichen der Gesundheit des Staats, sondern der beginnenden Erkrankung +und der Vorbote der Revolution. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap12"></a>KAPITEL XII.<br/> +Boden- und Geldwirtschaft</h2> + +<p> +Wie mit dem sechsten Jahrhundert der Stadt zuerst eine einigermassen +pragmatisch zusammenhaengende Geschichte derselben moeglich wird, so treten +auch in dieser Zeit zuerst die oekonomischen Zustaende mit groesserer +Bestimmtheit und Anschaulichkeit hervor. Zugleich stellt die Grosswirtschaft im +Ackerbau wie im Geldwesen in ihrer spaeteren Weise und Ausdehnung jetzt zuerst +sich fest, ohne dass sich genau scheiden liesse, was darin auf aelteres +Herkommen, was auf Nachahmung der Boden- und Geldwirtschaft der frueher +zivilisierten Nationen, namentlich der Phoeniker, was auf die steigende +Kapitalmasse und die steigende Intelligenz der Nation zurueckgeht. Zur +richtigen Einsicht in die innere Geschichte Roms wird es beitragen, diese +wirtschaftlichen Verhaeltnisse hier zusammenfassend zu schildern. +</p> + +<p> +Die Bodenwirtschaft ^1 war entweder Guts- oder Weide- oder Kleinwirtschaft, +wovon die erste in der von Cato entworfenen Schilderung uns mit grosser +Anschaulichkeit entgegentritt. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Um uebrigens von dem alten Italien ein richtiges Bild zu gewinnen, ist es +notwendig, sich zu erinnern, welche grossen Veraenderungen auch hier durch die +neuere Kultur entstanden sind. Von den Getreidearten ward im Altertum Roggen +nicht gebaut und des als Unkraut wohlbekannten Hafers sah man in der Kaiserzeit +mit Verwunderung die Deutschen sich zum Brei bedienen. Der Reis ward in Italien +zuerst am Ende des fuenfzehnten, der Mais daselbst zuerst am Anfang des +siebzehnten Jahrhunderts kultiviert. Die Kartoffeln und Tomaten stammen aus +Amerika; die Artischocken scheinen nichts als eine durch Kultur entstandene +Varietaet der den Roemern bekannten Cardonen, aber doch in ihrer +Eigentuemlichkeit neueren Ursprungs zu sein. Die Mandel dagegen oder die +“griechische Nuss”, der Pfirsich oder die “persische”, +auch die “weiche Nuss” (nux mollusca) sind zwar Italien +urspruenglich fremd, aber begegnen wenigstens schon hundertfuenfzig Jahre vor +Christus. Die Dattelpalme, in Italien aus Griechenland, wie in Griechenland aus +dem Orient eingefuehrt und ein lebendiger Zeuge des uralten +kommerziell-religioesen Verkehrs des Okzidents mit den Orientalen, ward in +Italien bereits dreihundert Jahre vor Christus gezogen (Liv. 10, 47; Pallad. 5, +5, 2; 11, 12, 1), nicht der Fruechte wegen (Plin. nat. 13, 4, 26), sondern eben +wie heutzutage, als Prachtgewaechs und um der Blaetter bei oeffentlichen +Festlichkeiten sich zu bedienen. Juenger ist die Kirsche oder die Frucht von +Kerasus am Schwarzen Meer, die erst in der ciceronischen Zeit in Italien +gepflanzt zu werden anfing, obwohl der wilde Kirschbaum daselbst einheimisch +ist; noch juenger vielleicht die Aprikose oder die “armenische +Pflaume”. Der Zitronenbaum ward erst in der spaeteren Kaiserzeit in +Italien kultiviert; die Orange kam gar erst durch die Mauren im zwoelften oder +dreizehnten Jahrhundert dahin, ebenso erst im sechzehnten von Amerika die Aloe +(Agave americana). Die Baumwolle ist in Europa zuerst von Arabern gebaut +worden. Auch der Bueffel und der Seidenwurm sind nur dem neuen, nicht dem alten +Italien eigen. +</p> + +<p> +Wie man sieht, sind die mangelnden grossenteils eben diejenigen Produkte, die +uns recht “italienisch” scheinen; und wenn das heutige Deutschland, +verglichen mit demjenigen, welches Caesar betrat, ein suedliches Land genannt +werden kann, so ist auch Italien in nicht minderem Grade seitdem +“suedlicher” geworden. +</p> + +<p> +Die roemischen Landgueter waren, als groesserer Grundbesitz betrachtet, +durchgaengig von beschraenktem Umfang. Das von Cato beschriebene hatte ein +Areal von 240 Morgen; ein sehr gewoehnliches Mass war die sogenannte Centuria +von 200 Morgen. Wo die muehsame Rebenzucht betrieben ward, wurde die +Wirtschaftseinheit noch kleiner gemacht; Cato setzt fuer diesen Fall einen +Flaecheninhalt von 100 Morgen voraus. Wer mehr Kapital in die Landwirtschaft +stecken wollte, vergroesserte nicht sein Gut, sondern erwarb mehrere Gueter; +wie denn wohl schon der Maximalsatz des Okkupationsbesitzes von 500 Morgen als +Inbegriff von zwei oder drei Landguetern gedacht worden ist. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +Vererbpachtung ist der italischen Privat- wie der roemischen Gemeindewirtschaft +fremd; nur bei den abhaengigen Gemeinden kam sie vor. Verpachtung auf kuerzere +Zeit, sowohl gegen eine feste Geldsumme als auch in der Art, dass der Paechter +alle Betriebskosten trug und dafuer einen Anteil, in der Regel wohl die Haelfte +der Fruechte, empfing ^2, war nicht unbekannt, aber Ausnahme und Notbehelf; ein +eigener Paechterstand hat sich deshalb in Italien nicht gebildet ^3. +Regelmaessig leitete also der Eigentuemer selber den Betrieb seiner Gueter; +indes wirtschaftete er nicht eigentlich selbst, sondern erschien nur von Zeit +zu Zeit auf dem Gute, um den Wirtschaftsplan festzustellen, die Ausfuehrung zu +beaufsichtigen und seinen Leuten die Rechnung abzunehmen, wodurch es ihm +moeglich ward, teils eine Anzahl Gueter gleichzeitig zu nutzen, teils sich nach +Umstaenden den Staatsgeschaeften zu widmen. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^2 Nach Cato (agr. 137, vgl. 16) wird bei der Teilpacht der Bruttoertrag des +Gutes, nach Abzug des fuer die Pflugstiere benoetigten Futters, zwischen +Verpaechter und Paechter (colonus partiarius) zu den zwischen ihnen +ausgemachten Teilen geteilt. Dass die Teile in der Regel gleich waren, laesst +die Analogie des franzoesischen bail à cheptel und der aehnlichen italienischen +Pachtung auf halb und halb sowie die Abwesenheit jeder Spur anderer +Quotenteilung vermuten. Denn unrichtig hat man den politor, der das fuenfte +Korn, oder, wenn vor dem Dreschen geteilt wird, den sechsten bis neunten +Aehrenkorb erhaelt (Cato agr. 136, vgl. 5), hierher gezogen; er ist nicht +Teilpaechter, sondern ein in der Erntezeit angenommener Arbeiter, der seinen +Tagelohn durch jenen Gesellschaftsvertrag erhaelt. +</p> + +<p> +^3 Eigentliche Bedeutung hat die Pacht erst gewonnen, als die roemischen +Kapitalisten anfingen, ueberseeische Besitzungen in grossem Umfang zu erwerben; +wo man es denn auch zu schaetzen wusste, wenn eine Zeitpacht durch mehrere +Generationen fortging (Colum. 1, 7, 3). +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +Von Getreide wurden namentlich Spelt und Weizen, auch Gerste und Hirse gebaut; +daneben Rueben, Rettiche, Knoblauch, Mohn und, besonders zum Viehfutter, +Lupinen, Bohnen, Erbsen, Wicken und andere Futterkraeuter. In der Regel ward im +Herbst, nur ausnahmsweise im Fruehjahr gesaet. Fuer die Bewaesserung und +Entwaesserung war man sehr taetig und zum Beispiel die Drainage durch +geblendete Graeben frueh im Gebrauch. Auch Wiesen zur Heugewinnung fehlten +nicht und schon zu Catos Zeit wurden sie haeufig kuenstlich berieselt. Von +gleicher, wo nicht von groesserer wirtschaftlicher Bedeutung als Korn und Kraut +waren der Oelbaum und der Rebstock, von denen jener zwischen die Saaten, dieser +fuer sich auf eigenen Weinbergen gepflanzt ward ^4. Auch Feigen-, Apfel-, Birn- +und andere Fruchtbaeume wurden gezogen und ebenso, teils zum Holzschlag, teils +wegen des zur Streu und zum Viehfutter nuetzlichen Laubes, Ulmen, Pappeln und +andere Laubbaeume und Buesche. Dagegen hat bei den Italikern, bei denen +durchgaengig Vegetabilien, Fleischspeisen nur ausnahmsweise und dann fast nur +Schweine- und Lammfleisch auf den Tisch kamen, die Viehzucht eine weit +geringere Rolle gespielt als in der heutigen Oekonomie. Obwohl man den +oekonomischen Zusammenhang des Ackerbaus und der Viehzucht und namentlich die +Wichtigkeit der Duengerproduktion nicht verkannte, so war doch die heutige +Verbindung von Acker- und Viehwirtschaft dem Altertum fremd. An Grossvieh ward +nur gehalten, was zur Bestellung des Ackers erforderlich war, und dasselbe +nicht auf eigenem Weideland, sondern im Sommer durchaus und meistens auch im +Winter im Stall gefuettert. Dagegen wurden auf die Stoppelweide Schafe +aufgetrieben, von denen Cato 100 Stueck auf 240 Morgen rechnet; haeufig indes +zog der Eigentuemer es vor, die Winterweide an einen grossen Herdenbesitzer in +Pacht zu geben oder auch seine Schafherde einem Teilpaechter gegen Ablieferung +einer bestimmten Anzahl von Laemmern und eines gewissen Masses von Kaese und +Milch zu ueberlassen. Schweine - Cato rechnet auf das groessere Landgut zehn +Staelle -, Huehner, Tauben wurden auf dem Hofe gehalten und nach Beduerfnis +gemaestet, auch, wo Gelegenheit dazu war, eine kleine Hasenschonung und ein +Fischkasten eingerichtet - die bescheidenen Anfaenge der spaeter so +unermesslich sich ausdehnenden Wild- und Fischhegung und Zuechtung. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Dass zwischen den Rebstoecken kein Getreide gebaut ward, sondern hoechstens +leicht im Schatten fortkommende Futterkraeuter, geht aus Cato (agr. 33, vgl. +137) hervor; und darum rechnet auch Columella (3, 3) bei dem Weinberg keinen +anderen Nebengewinn als den Ertrag der verkauften Ableger. Dagegen die +Baumpflanzung (arbustum) wird wie jedes Getreidefeld besaet (Colum. 2, 9, 6). +Nur wo der Wein an lebendigen Baeumen gezogen wird, baut man auch zwischen +diesen Getreide. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +Die Feldarbeit ward beschafft mit Ochsen, die zum Pfluegen, und Eseln, die +besonders zum Duengerschleppen und zum Treiben der Muehle verwandt wurden; auch +ward wohl noch, wie es scheint fuer den Herrn, ein Pferd gehalten. Man zog +diese Tiere nicht auf dem Gut, sondern kaufte sie; durchgaengig waren +wenigstens Ochsen und Pferde verschnitten. Auf das Gut von 100 Morgen rechnet +Cato ein, auf das von 240 drei Joch Ochsen, ein juengerer Landwirt Saserna auf +200 Morgen zwei Joch; Esel wurden nach Catos Anschlag fuer das kleinere +Grundstueck drei, fuer das groessere vier erfordert. +</p> + +<p> +Die Menschenarbeit ward regelmaessig durch Sklaven beschafft. An der Spitze der +Gutssklavenschaft (familia rustica) stand der Wirtschafter (vilicus, von +villa), der einnimmt und ausgibt, kauft und verkauft, die Instruktionen des +Herrn entgegennimmt und in dessen Abwesenheit anordnet und straft. Unter ihm +stehen die Wirtschafterin (vilica), die Haus, Kueche und Speisekammer, +Huehnerhof und Taubenschlag besorgt; eine Anzahl Pflueger (bubulci) und +gemeiner Knechte, ein Eseltreiber, ein Schweine- und, wo es eine Schafherde +gab, ein Schafhirt. Die Zahl schwankte natuerlich je nach der +Bewirtschaftungsweise. Auf ein Ackergut von 200 Morgen ohne Baumpflanzungen +werden zwei Pflueger und sechs Knechte, auf ein gleiches mit Baumpflanzungen +zwei Pflueger und neun Knechte, auf ein Gut von 240 Morgen mit +Olivenpflanzungen und Schafherde drei Pflueger, fuenf Knechte und drei Hirten +gerechnet. Fuer den Weinberg brauchte man natuerlich mehr Arbeitskraefte: auf +ein Gut von 100 Morgen mit Rebpflanzungen kommen ein Pflueger, elf Knechte und +zwei Hirten. Der Wirtschafter stand natuerlich freier als die uebrigen Knechte; +die Magonischen Buecher rieten, ihm Ehe, Kinderzeugung und eigene Kasse zu +gestatten, und Cato, ihn mit der Wirtschafterin zu verheiraten; er allein wird +auch Aussicht gehabt haben, im Fall des Wohlverhaltens von dem Herrn die +Freiheit zu erlangen. Im uebrigen bildeten alle einen gemeinschaftlichen +Hausstand. Die Knechte wurden eben wie das Grossvieh nicht auf dem Gut gezogen, +sondern in arbeitsfaehigem Alter auf dem Sklavenmarkt gekauft, auch wohl, wenn +sie durch Alter oder Krankheit arbeitsunfaehig geworden waren, mit anderem +Ausschuss wieder auf den Markt geschickt ^5. Das Wirtschaftsgebaeude (villa +rustica) war zugleich Stallung fuer das Vieh, Speicher fuer die Fruechte und +Wohnung des Wirtschafters wie der Knechte; wogegen fuer den Herrn haeufig auf +dem Gut ein abgesondertes Landhaus (villa urbana) eingerichtet war. Ein jeder +Sklave, auch der Wirtschafter selbst, erhielt seine Beduerfnisse auf Rechnung +des Herrn in gewissen Fristen nach festen Saetzen geliefert, womit er dann +auszukommen hatte; so Kleider und Schuhzeug, die auf dem Markte gekauft wurden +und von denen die Empfaenger nur die Instandhaltung selber beschafften; so +monatlich eine Quantitaet Weizen, die jeder selbst zu mahlen hatte, ferner +Salz, Zukost - Oliven oder Salzfisch -, Wein und Oel. Die Quantitaet richtete +sich nach der Arbeit, weshalb zum Beispiel der Wirtschafter, der leichtere +Arbeit hat als die Knechte, knapperes Mass als diese empfing. Alles Backen und +Kochen besorgte die Wirtschafterin und alle assen gemeinschaftlich dieselbe +Kost. Es war nicht Regel, die Sklaven zu fesseln; wer aber Strafe verwirkt +hatte oder einen Entweichungsversuch befuerchten liess, ward angeschlossen auf +die Arbeit geschickt und des Nachts in den Sklavenkerker gesperrt ^6. +Regelmaessig reichten diese Gutssklaven hin; im Notfall halfen, wie sich von +selbst versteht, die Nachbarn mit ihren Sklaven gegen Tagelohn einer dem andern +aus. Fremde Arbeiter wurden sonst fuer gewoehnlich nicht verwandt, ausser in +besonders ungesunden Gegenden, wo man es vorteilhaft fand, den Sklavenstand zu +beschraenken und dafuer gemietete Leute zu verwenden, und zur Einbringung der +Ernte, fuer welche die stehenden Arbeitskraefte nirgend genuegten. Bei der +Korn- und Heuernte nahm man gedungene Schnitter hinzu, die oft an Lohnes Statt +von ihrem Eingebrachten die sechste bis neunte Garbe oder, wenn sie auch +droschen, das fuenfte Korn empfingen - so zum Beispiel gingen jaehrlich +umbrische Arbeiter in grosser Zahl in das Tal von Rieti, um hier die Ernte +einbringen zu helfen. Die Trauben- und Olivenernte ward in der Regel einem +Unternehmer in Akkord gegeben, welcher durch seine Mannschaften, gedungene +Freie oder auch fremde oder eigene Sklaven, unter Aufsicht einiger vom +Gutsbesitzer dazu angestellter Leute das Lesen und Pressen besorgte und den +Ertrag an den Herrn ablieferte ^7; sehr haeufig verkaufte auch der Gutsbesitzer +die Ernte auf dem Stock oder Zweig und liess den Kaeufer die Einbringung +besorgen. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^5 Mago oder sein Uebersetzer (bei Varro tust. 1, 17, 3) raet, die Sklaven +nicht zu zuechten, sondern nicht juenger als zweiundzwanzigjaehrig zu kaufen; +und ein aehnliches Verfahren muss auch Cato im Sinn gehabt haben, wie der +Personalbestand seiner Musterwirtschaft deutlich beweist, obwohl er es nicht +geradezu sagt. Den Verkauf der alten und kranken Sklaven raet Cato (agr. 2) +ausdruecklich an. Die Sklavenzuechtung, wie sie Columella (1, 8) beschreibt, +wobei die Sklavinnen, welche drei Soehne haben, von der Arbeit befreit, die +Muetter von vier Soehnen sogar freigelassen werden, ist wohl mehr eine +selbstaendige Spekulation als ein Teil des regelmaessigen Gutsbetriebes, +aehnlich wie das von Cato selbst betriebene Geschaeft, Sklaven zur Abrichtung +und zum Wiederverkauf aufzukaufen (Plut. Cato mai. 21). Die ebendaselbst +erwaehnte charakteristische Besteuerung bezieht sich wohl auf die eigentliche +Dienerschaft (familia urbana). +</p> + +<p> +^6 In dieser Beschraenkung ist die Fesselung der Sklaven und selbst der +Haussoehne (Dion. Hal. 2, 26) uralt; und also als Ausnahme erscheinen auch bei +Cato die gefesselten Feldarbeiter, denen, da sie nicht selbst mahlen koennen, +statt des Kornes Brot verabreicht werden muss (56). Sogar in der Kaiserzeit +tritt die Fesselung der Sklaven durchgaengig noch auf als eine definitiv von +dem Herrn, provisorisch von dem Wirtschafter zuerkannte Bestrafung (Colum. 1, +8; Gaius inst. 1, 13; Ulp. reg. 1, 11). Wenn dennoch die Bestellung der Felder +durch gefesselte Sklaven in spaeterer Zeit als eigenes Wirtschaftssystem +vorkommt und der Arbeiterzwinger (ergastulum), ein Kellergeschoss mit vielen +aber schmalen und nicht vom Boden aus mit der Hand zu erreichenden +Fensteroeffnungen (Colum. 1, 6), ein notwendiges Stueck des +Wirtschaftsgebaeudes wird, so vermittelt sich dies dadurch, dass die Lage der +Gutssklaven haerter war als die der uebrigen Knechte und darum vorwiegend +diejenigen Sklaven dazu genommen wurden, welche sich vergangen hatten oder zu +haben schienen. Dass grausame Herren uebrigens auch ohne jeden Anlass die +Fesselung eintreten liessen, soll damit nicht geleugnet werden und liegt auch +klar darin angedeutet, dass die Rechtsbuecher die den Verbrechersklaven +treffenden Nachteile nicht ueber die Gefesselten, sondern die Strafe halber +Gefesselten verhaengen. Ganz ebenso stand es mit der Brandmarkung; sie sollte +eigentlich Strafe sein; aber es wurde auch wohl die ganze Herde gezeichnet +(Diod. 35, 5; J. Bernays, Ueber das Phokylideische Gedicht. Berlin 1856, S. +XXXI). +</p> + +<p> +^7 Von der Weinlese sagt dies Cato nicht ausdruecklich wohl aber Varro (rust. +1, 17), und es liegt auch in der Sache. Es waere oekonomisch fehlerhaft +gewesen, den Stand der Gutssklavenschaft nach dem Mass der Erntearbeiten +einzurichten, und am wenigsten wuerde man, wenn es dennoch geschehen waere, die +Trauben auf dem Stock verkauft haben, was doch haeufig vorkam (Cato agr. 147). +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +Die ganze Wirtschaft ist durchdrungen von der unbedingten Ruecksichtslosigkeit +der Kapitalmacht. Knecht und Vieh stehen auf einer Linie; ein guter Kettenhund, +heisst es bei einem roemischen Landwirt, muss nicht zu freundlich gegen seine +“Mitsklaven” sein. Man naehrt gehoerig den Knecht wie den Stier, +solange sie arbeiten koennen, weil es nicht wirtschaftlich waere, sie hungern +zu lassen; und man verkauft sie wie die abgaengige Pflugschar, wenn sie +arbeitsunfaehig geworden sind, weil es ebenfalls nicht wirtschaftlich waere, +sie laenger zu behalten. In aelterer Zeit hatten religioese Ruecksichten auch +hier mildernd eingegriffen und den Knecht wie den Pflugstier an den gebotenen +Fest- und Rasttagen ^8 von der Arbeit entbunden; nichts ist bezeichnender fuer +den Geist Catos und seiner Gesinnungsgenossen als die Art, wie sie die +Heiligung des Feiertags dem Buchstaben nach einschaerften und der Sache nach +umgingen, naemlich anrieten, den Pflug an jenen Tagen allerdings ruhen zu +lassen, aber mit anderen nicht ausdruecklich verpoenten Arbeiten auch an diesen +Tagen die Sklavenschaft rastlos zu beschaeftigen. Grundsaetzlich ward ihr +keinerlei freie Regung gestattet - der Sklave, lautet einer von Catos +Wahrspruechen, muss entweder arbeiten oder schlafen -, und durch menschliche +Beziehungen die Knechte an das Gut oder an den Herrn zu knuepfen, ward nicht +einmal versucht. Der Rechtsbuchstabe waltete in unverhuellter Scheusslichkeit, +und man machte sich keine Illusionen ueber die Folgen. “Soviel Sklaven, +soviel Feinde”, sagt ein roemisches Sprichwort. Es war ein oekonomischer +Grundsatz, Spaltungen innerhalb der Sklavenschaft eher zu hegen als zu +unterdruecken; in demselben Sinne warnten schon Platon und Aristoteles und +nicht minder das Orakel der Ackerwirte, der Karthager Mago, davor, Sklaven +gleicher Nationalitaet zusammenzubringen, um nicht landsmannschaftliche +Verbindungen und vielleicht Komplotte herbeizufuehren. Es ward, wie schon +gesagt, die Sklavenschaft von den Gutsherren ganz ebenso regiert, wie die +roemische Gemeinde die Untertanenschaften regierte in den “Landguetern +des roemischen Volkes”, den Provinzen; und die Welt hat es empfunden, +dass der herrschende Staat sein neues Regierungs- nach dem Sklavenhaltersystem +entwickelte. Wenn man uebrigens sich zu jener wenig beneidenswerten Hoehe des +Denkens emporgeschwungen hat, wo in der Wirtschaft durchaus nichts gilt als das +darin steckende Kapital, so kann man der roemischen Gutswirtschaft das Lob der +Folgerichtigkeit, Taetigkeit, Puenktlichkeit, Sparsamkeit und Soliditaet nicht +versagen. Der kernige, praktische Landmann spiegelt sich in der Catonischen +Schilderung des Wirtschafters, wie er sein soll, der zuerst im Hofe auf und +zuletzt im Bette ist, der streng gegen sich ist wie gegen seine Leute und vor +allem die Wirtschafterin in Respekt zu halten weiss, aber auch die Arbeiter und +das Vieh, insbesondere den Pflugstier wohl versorgt, der oft und bei jeder +Arbeit mit anfasst, aber sich nie wie ein Knecht muede arbeitet, der stets zu +Hause ist, nicht borgt noch verborgt, keine Gastereien gibt, um keinen anderen +Gottesdienst als um den der eignen Haus- und Feldgoetter sich kuemmert und als +rechter Sklave allen Verkehr mit den Goettern wie mit den Menschen dem Herrn +anheimstellt, der endlich vor allen Dingen demselben bescheiden begegnet und +den von ihm empfangenen Instruktionen, ohne zu wenig und ohne zu viel zu +denken, getreulich und einfach nachlebt. Der ist ein schlechter Landmann, +heisst es anderswo, der das kauft, was er auf seinem Gute erzeugen kann; ein +schlechter Hausvater, welcher bei Tage vornimmt, was bei Licht sich beschaffen +laesst, es sei denn, dass das Wetter schlecht ist; ein noch schlechterer, +welcher am Werkeltag tut, was am Feiertag getan werden kann; der schlechteste +von allen aber der, welcher bei gutem Wetter zu Hause statt im Freien arbeiten +laesst. Auch die charakteristische Duengerbegeisterung mangelt nicht; und wohl +sind es goldene Regeln, dass fuer den Landmann der Boden nicht da ist zum +Scheuern und Fegen, sondern zum Saeen und Ernten, dass man also zuvor Reben und +Oelbaeume pflanzen und erst nachher und nicht in allzu frueher Jugend ein +Landhaus sich einrichten soll. Eine gewisse Bauernhaftigkeit ist der Wirtschaft +freilich eigen und anstatt der rationellen Ermittlung der Ursachen und +Wirkungen treten durchgaengig die bekannten baeurischen Erfahrungssaetze auf; +doch ist man sichtbar bestrebt, sich fremde Erfahrungen und auslaendische +Produkte anzueignen, wie denn schon in Catos Verzeichnis der Fruchtbaumsorten +griechische, afrikanische und spanische erscheinen. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^8 Columella (2, 12, 9) rechnet auf das Jahr durchschnittlich 45 Regen- und +Feiertage; und damit stimmt ueberein, dass nach Tertullian (idol. 14) die Zahl +der heidnischen Festtage noch nicht die fuenfzig Tage der christlichen +Freudenzeit von Ostern bis Pfingsten erreicht. Dazu kommt dann die Rastzeit des +Mittwinters nach vollbrachter Herbstsaat, welche Columella auf dreissig Tage +anschlaegt. In diese fiel ohne Zweifel durchgaengig das wandelbare +“Saatfest” (feriae sementivae; vgl. 1, 201 und Ov. fast. 1, 661). +Mit den Gerichtsferien in der Ernte (Plin. epist. 8, 21, 2 und sonst) und +Weinlesezeit darf dieser Rastmonat nicht verwechselt werden. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Die Bauernwirtschaft war von der des Gutsbesitzers hauptsaechlich nur +verschieden durch den kleineren Massstab. Der Eigentuemer selbst und seine +Kinder arbeiteten hier mit den Sklaven oder auch an deren Statt. Der Viehstand +zog sich zusammen, und wo das Gut nicht laenger die Kosten des Pfluges und +seiner Bespannung deckte, trat dafuer die Hacke ein. Oel- und Weinbau traten +zurueck oder fielen ganz weg. In der Naehe Roms oder eines anderen groesseren +Absatzplatzes bestanden auch sorgfaeltig berieselte Blumen- und Gemuesegaerten, +aehnlich etwa wie man sie jetzt um Neapel sieht, und gaben sehr reichlichen +Ertrag. +</p> + +<p> +Die Weidewirtschaft ward bei weitem mehr ins Grosse getrieben als der Feldbau. +Das Weidelandgut (saltus) musste auf jeden Fall betraechtlich mehr Flaechenraum +haben als das Ackergut - man rechnete mindestens 800 Morgen - und konnte mit +Vorteil fuer das Geschaeft fast ins Unendliche ausgedehnt werden. Nach den +klimatischen Verhaeltnissen Italiens ergaenzen sich daselbst gegenseitig die +Sommerweide in den Bergen und die Winterweide in den Ebenen; schon in jener +Zeit wurden, eben wie jetzt noch und grossenteils wohl auf denselben Pfaden, +die Herden im Fruehjahr von Apulien nach Samnium und im Herbst wieder zurueck +von da nach Apulien getrieben. Die Winterweide indes fand, wie schon bemerkt +ist, nicht durchaus auf besonderem Weideland statt, sondern war zum Teil +Stoppelweide. Man zog Pferde, Rinder, Esel Maulesel, hauptsaechlich um den +Gutsbesitzern, Frachtfuehrern, Soldaten und so weiter die benoetigten Tiere zu +liefern; auch Schweine- und Ziegenherden fehlten nicht. Weit selbstaendiger +aber und weit hoeher entwickelt war infolge des fast durchgaengigen Tragens von +Wollstoffen die Schafzucht. Der Betrieb ward durch Sklaven beschafft und war im +ganzen dem Gutsbetrieb aehnlich, so dass der Viehmeister (magister pecoris) an +die Stelle des Wirtschafters trat. Den Sommer ueber kamen die Hirtensklaven +meistenteils nicht unter Dach, sondern hausten, oft meilenweit von menschlichen +Wohnungen entfernt, unter Schuppen und Huerden; es lag also in den +Verhaeltnissen, dass man die kraeftigsten Maenner dazu auslas, ihnen Pferde und +Waffen gab und ihnen eine bei weitem freiere Bewegung gestattete, als dies bei +der Gutsmannschaft geschah. +</p> + +<p> +Um die oekonomischen Resultate dieser Bodenwirtschaft einigermassen zu +wuerdigen, sind die Preisverhaeltnisse und namentlich die Kornpreise dieser +Zeit zu erwaegen. Durchschnittlich sind dieselben zum Erschrecken gering, und +zum guten Teil durch Schuld der roemischen Regierung, welche in dieser +wichtigen Frage, nicht so sehr durch ihre Kurzsichtigkeit, als durch eine +unverzeihliche Beguenstigung des hauptstaedtischen Proletariats auf Kosten der +italischen Bauernschaft, zu den furchtbarsten Fehlgriffen gefuehrt worden ist. +Es handelt sich hier vor allem um den Konflikt des ueberseeischen und des +italischen Korns. Das Getreide, das von den Provinzialen teils unentgeltlich, +teils gegen eine maessige Verguetigung der roemischen Regierung geliefert ward, +wurde von dieser teils an Ort und Stelle zur Verpflegung des roemischen +Beamtenpersonals und der roemischen Heere verwandt, teils an die Zehntpaechter +in der Art abgetreten, dass diese dafuer entweder Geldzahlung leisteten oder +auch es uebernahmen, gewisse Quantitaeten Getreide nach Rom oder wohin es sonst +erforderlich war zu liefern. Seit dem Zweiten Makedonischen Kriege wurden die +roemischen Heere durchgaengig mit ueberseeischem Korne unterhalten, und wenn +dies auch der roemischen Staatskasse zum Vorteil gereichte, so verschloss sich +doch damit eine wichtige Absatzquelle fuer den italischen Landmann. Indes dies +war das geringste. Der Regierung, welche laengst wie billig auf die Kornpreise +ein wachsames Auge gehabt hatte und bei drohenden Teuerungen durch +rechtzeitigen Einkauf im Ausland eingeschritten war, lag es nahe, seit die +Kornlieferungen der Untertanen ihr alljaehrlich grosse Getreidemassen und +wahrscheinlich groessere, als man in Friedenszeiten brauchte, in die Haende +fuehrten, und seit ihr ueberdies die Gelegenheit geboten war, auslaendisches +Getreide in fast unbegrenzter Quantitaet zu maessigen Preisen zu erwerben, mit +solchem Getreide die hauptstaedtischen Maerkte zu ueberfuehren und dasselbe zu +Saetzen abzugeben, die entweder an sich oder doch verglichen mit den italischen +Schleuderpreise waren. Schon in den Jahren 551-554 (203-200) und, wie es +scheint, zunaechst auf Veranstaltung Scipios, wurde in Rom der preussische +Scheffel (sechs Modii) spanischen und afrikanischen Weizens von Gemeinde wegen +an die Buerger zu 24, ja zu 12 Assen (17-8½ Groschen) abgegeben; einige Jahre +nachher (558 196) kamen ueber 160000 Scheffel sizilischen Getreides zu dem +letzteren Spottpreis in der Hauptstadt zur Verteilung. Umsonst eiferte Cato +gegen diese kurzsichtige Politik; die beginnende Demagogie mischte sich hinein, +und diese ausserordentlichen, aber vermutlich sehr haeufigen Austeilungen von +Korn unter dem Marktpreis durch die Regierung oder einzelne Beamte, sind der +Keim der spaeteren Getreidegesetze geworden. Aber auch wenn das ueberseeische +Korn nicht auf diesem ausserordentlichen Wege an die Konsumenten gelangte, +drueckte es auf den italischen Ackerbau. Nicht bloss wurden die Getreidemassen, +die der Staat an die Zehntpaechter losschlug, ohne Zweifel in der Regel von +diesen so billig erworben, dass sie beim Wiederverkauf unter dem +Produktionspreis weggegeben werden konnten; sondern wahrscheinlich war auch in +den. Provinzen, namentlich in Sizilien, teils infolge der guenstigen +Bodenverhaeltnisse, teils der ausgedehnten Gross- und Sklavenwirtschaft nach +karthagischem System der Produktionspreis ueberhaupt betraechtlich niedriger +als in Italien, der Transport aber des sizilischen und sardinischen Getreides +nach Latium wenigstens ebenso billig, wenn nicht billiger wie der Transport +dahin aus Etrurien, Kampanien oder gar Norditalien. Es musste also schon im +natuerlichen Laufe der Dinge das ueberseeische Korn nach der Halbinsel stroemen +und das dort erzeugte im Preise herabdruecken. Unter diesen durch die leidige +Sklavenwirtschaft unnatuerlich verschobenen Verhaeltnissen waere es vielleicht +gerechtfertigt gewesen, zu Gunsten des italischen Getreides auf das +ueberseeische einen Schutzzoll zu legen; aber es scheint vielmehr das +Umgekehrte geschehen und zu Gunsten der Einfuhr des ueberseeischen Korns nach +Italien in den Provinzen ein Prohibitivsystem in Anwendung gebracht zu sein - +denn wenn die Ausfuhr einer Quantitaet Getreide aus Sizilien den Rhodiern als +besondere Verguenstigung gestattet ward, so muss wohl der Regel nach die +Kornausfuhr aus den Provinzen nur nach Italien hin frei gewesen und also das +ueberseeische Korn fuer das Mutterland monopolisiert worden sein. Die Wirkungen +dieser Wirtschaft liegen deutlich vor. Ein Jahr ausserordentlicher +Fruchtbarkeit wie 504 (250), wo man in der Hauptstadt fuer 6 roemische Modii (= +1 preuss. Scheffel) Spelt nicht mehr als 3/5 Denar (4 Groschen) zahlte und zu +demselben Preise 180 roemische Pfund (zu 22 Lot preussisch) trockene Feigen, 60 +Pfund Oel, 72 Pfund Fleisch und 6 Congii (= 17 preuss. Quart) Wein verkauft +wurden, kommt freilich eben seiner Ausserordentlichkeit wegen wenig in +Betracht; aber bestimmter sprechen andere Tatsachen. Schon zu Catos Zeit heisst +Sizilien die Kornkammer Roms. In fruchtbaren Jahren wurde in den italischen +Haefen das sizilische und sardinische Korn um die Fracht losgeschlagen. In den +reichsten Kornlandschaften der Halbinsel, in der heutigen Romagna und Lombardei +zahlte man zu Polybios’ Zeit fuer Kost und Nachtquartier im Wirtshaus +durchschnittlich den Tag einen halben As (1/3 Groschen); der preussische +Scheffel Weizen galt hier einen halben Denar (3½ Groschen). Der letztere +Durchschnittspreis, etwa der zwoelfte Teil des sonstigen Normalpreises ^9, +zeigt mit unwidersprechlicher Deutlichkeit, dass es der italischen +Getreideproduktion an Absatzquellen voellig mangelte und infolgedessen das Korn +wie das Kornland daselbst so gut wie entwertet war. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^9 Als hauptstaedtischer Mittelpreis des Getreides kann wenigstens fuer das +siebente und achte Jahrhundert Roms angenommen werden 1 Denar fuer den +roemischen Modius oder 1/3 Taler fuer den preussischen Scheffel Weizen, wofuer +heutzutage (nach dem Durchschnitt der Preise in den Provinzen Brandenburg und +Pommern von 1816- 1841) ungefaehr 1 Taler 24 Silbergroschen gezahlt wird. Ob +diese nicht sehr bedeutende Differenz der roemischen und der heutigen Preise +auf dem Steigen des Korn- oder dem Sinken des Silberwertes beruht, laesst sich +schwerlich entscheiden. +</p> + +<p> +Uebrigens duerfte es sehr zweifelhaft sein, ob in dem Rom dieser und der +spaeteren Zeit die Kornpreise wirklich staerker geschwankt haben, als dies +heutzutage der Fall ist. Vergleicht man Preise wie die oben angefuehrten von 4 +und 7 Groschen den preussischen Scheffel mit denen der aergsten Kriegsteuerung +und Hungersnot, wo zum Beispiel im Hannibalischen Kriege der preussische +Scheffel auf 99 (1 Medimnos = 15 Drachmen: Polyb. 9, 44), im Buergerkriege auf +198 (1 Modius = 5 Denare: Cic. Verr. E, 92; 214), in der grossen Teuerung unter +Augustus gar auf 218 Groschen (5 Modii = 27; Denare: Euseb. chron. p. Chr. 7 +Scal.) stieg, so ist der Abstand freilich ungeheuer; allein solche Extreme sind +wenig belehrend und koennten nach beiden Seiten hin unter gleichen Bedingungen +auch heute noch sich wiederholen. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +In einem grossen Industriestaat, dessen Ackerbau die Bevoelkerung nicht zu +ernaehren vermag, haette ein solches Ergebnis als nuetzlich oder doch nicht +unbedingt als nachteilig betrachtet werden moegen; ein Land wie Italien, wo die +Industrie unbedeutend, die Landwirtschaft durchaus Hauptsache war, ward auf +diesem Wege systematisch ruiniert und den Interessen der wesentlich +unproduktiven hauptstaedtischen Bevoelkerung, der freilich das Brot nicht +billig genug werden konnte, das Wohl des Ganzen auf die schmaehlichste Weise +geopfert. Nirgend vielleicht liegt es so deutlich wie hier zutage, wie schlecht +die Verfassung und wie unfaehig die Verwaltung dieser sogenannten goldenen Zeit +der Republik war. Das duerftigste Repraesentativsystem haette wenigstens zu +ernstlichen Beschwerden und zur Einsicht in den Sitz des Uebels gefuehrt; aber +in jenen Urversammlungen der Buergerschaft machte alles andere eher sich +geltend als die warnende Stimme des vorahnenden Patrioten. Jede Regierung, die +diesen Namen verdiente, wuerde von selber eingeschritten sein; aber die Masse +des roemischen Senats mag in gutem Koehlerglauben in den niedrigen Kornpreisen +das wahre Glueck des Volkes gesehen haben, und die Scipionen und Flaminine +hatten ja wichtigere Dinge zu tun, die Griechen zu emanzipieren und die +republikanische Koenigskontrolle zu besorgen - so trieb das Schiff ungehindert +in die Brandung hinein. +</p> + +<p> +Seit der kleine Grundbesitz keinen wesentlichen Reinertrag mehr lieferte, war +die Bauernschaft rettungslos verloren, und um so mehr, als allmaehlich auch aus +ihr, wenngleich langsamer als aus den uebrigen Staenden, die sittliche Haltung +und sparsame Wirtschaft der frueheren republikanischen Zeit entwich. Es war nur +noch eine Zeitfrage, wie rasch die italischen Bauernhufen durch Aufkaufen und +Niederlegen in den groesseren Grundbesitz aufgehen wuerden. +</p> + +<p> +Eher als der Bauer war der Gutsbesitzer imstande, sich zu behaupten. Derselbe +produzierte an sich schon billiger als jener, wenn er sein Land nicht nach dem +aelteren System an kleinere Zeitpaechter abgab, sondern es nach dem neueren +durch seine Knechte bewirtschaften liess; wo dies also nicht schon frueher +geschehen war, zwang die Konkurrenz des sizilischen Sklavenkorns den italischen +Gutsherrn, zu folgen und anstatt mit freien Arbeiterfamilien mit Sklaven ohne +Weib und Kind zu wirtschaften. Es konnte der Gutsbesitzer ferner sich eher +durch Steigerung oder auch durch Aenderung der Kultur den Konkurrenten +gegenueber halten und eher auch mit einer geringeren Bodenrente sich begnuegen +als der Bauer, dem Kapital wie Intelligenz mangelten und der nur eben hatte, +was er brauchte, um zu leben. Hierauf beruht in der roemischen Gutswirtschaft +das Zuruecktreten des Getreidebaus, der vielfach sich auf die Gewinnung der +fuer das Arbeiterpersonal erforderlichen Quantitaet beschraenkt zu haben +scheint ^10, und die Steigerung der Oel- und Weinproduktion sowie der +Viehzucht. Diese hatten bei den guenstigen klimatischen Verhaeltnissen Italiens +die auslaendische Konkurrenz nicht zu fuerchten: der italische Wein, das +italische Oel, die italische Wolle beherrschten nicht bloss die eigenen +Maerkte, sondern gingen bald auch ins Ausland; das Potal, das sein Getreide +nicht abzusetzen vermochte, versorgte halb Italien mit Schweinen und Schinken. +Dazu stimmt recht wohl, was uns ueber die oekonomischen Resultate der +roemischen Bodenwirtschaft berichtet wird. Es ist einiger Grund zu der Annahme +vorhanden, dass das in Grundstuecken angelegte Kapital mit sechs Prozent sich +gut zu verzinsen schien; was auch der damaligen, um das Doppelte hoeheren +durchschnittlichen Kapitalrente angemessen erscheint. Die Viehzucht lieferte im +ganzen bessere Ergebnisse als die Feldwirtschaft; in dieser rentierte am besten +der Weinberg, demnaechst der Gemuesegarten und die Olivenpflanzung, am +wenigsten Wiese und Kornfeld ^11. Natuerlich wird die Betreibung einer jeden +Wirtschaftsgattung unter den ihr angemessenen Verhaeltnissen und auf ihrem +naturgemaessen Boden vorausgesetzt. Diese Verhaeltnisse reichten an sich schon +aus, um allmaehlich an die Stelle der Bauernwirtschaft ueberall die +Grosswirtschaft zu setzen; und auf dem Wege der Gesetzgebung ihnen +entgegenzuwirken war schwer. Aber arg war es, dass man durch das spaeter noch +zu erwaehnende Claudische Gesetz (kurz vor 536 218) die senatorischen Haeuser +von der Spekulation ausschloss und dadurch deren ungeheure Kapitalien +kuenstlich zwang, vorzugsweise in Grund und Boden sich anzulegen, das heisst +die alten Bauernstellen durch Meierhoefe und Viehweiden zu ersetzen. Es kamen +ferner der dem Staat weit nachteiligeren Viehwirtschaft, gegenueber dem +Gutsbetrieb, noch besondere Foerderungen zustatten. Einmal entsprach sie als +die einzige Art der Bodennutzung, welche in der Tat den Betrieb im grossen +erheischte und lohnte, allein der Kapitalienmasse und dem Kapitalistensinn +dieser Zeit. Die Gutswirtschaft forderte zwar nicht die dauernde Anwesenheit +des Herrn auf dem Gut, aber doch sein haeufiges Erscheinen daselbst und +gestattete die Erweiterung der Gueter nicht wohl und die Vervielfaeltigung des +Besitzes nur in beschraenkten Grenzen; wogegen das Weidegut sich unbegrenzt +ausdehnen liess und den Eigentuemer wenig in Anspruch nahm. Aus diesem Grunde +fing man schon an, gutes Ackerland selbst mit oekonomischem Verlust in Weide zu +verwandeln - was die Gesetzgebung freilich, wir wissen nicht wann, vielleicht +um diese Zeit, aber schwerlich mit Erfolg, untersagte. Dazu kamen die Folgen +der Domaenenokkupation. Durch dieselbe entstanden nicht bloss, da regelmaessig +in groesseren Stuecken okkupiert ward, ausschliesslich grosse Gueter, sondern +es scheuten sich auch die Besitzer, in diesen auf beliebigen Widerruf stehenden +und rechtlich immer unsicheren Besitz bedeutende Bestellungskosten zu stecken, +namentlich Reben und Oelbaeume zu pflanzen; wovon denn die Folge war, dass man +diese Laendereien vorwiegend als Viehweide nutzte. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^10 Darum nennt Cato die beiden Gueter, die er schildert, kurzweg +Olivenpflanzung (olivetum) und Weinberg (vinea), obwohl darauf keineswegs bloss +Wein und Oel, sondern auch Getreide und anderes mehr gebaut ward. Waeren +freilich die 800 culei, auf die der Besitzer des Weinbergs angewiesen wird, +sich mit Faessern zu versehen (11), das Maximum einer Jahresernte, so muessten +alle 100 Morgen mit Reben bepflanzt gewesen sein, da der Ertrag von 8 culei +fuer den Morgen schon ein fast unerhoerter war (Colum. 3, 3); allein Varro +(rust. 1, 22) verstand, und offenbar mit Recht, die Angabe, dass der +Weinbergbesitzer in den Fall kommen kann, die neue Lese eintun zu muessen, +bevor die alte verkauft ist. +</p> + +<p> +^11 Dass der roemische Landwirt von seinem Kapital durchschnittlich sechs +Prozent machte, laesst Columella (3, 3, 9) schliessen. Einen genaueren Anschlag +fuer Kosten und Ertrag haben wir nur fuer den Weinberg, wofuer Columella auf +den Morgen folgende Kostenberechnung aufstellt: +</p> + +<p> +Kaufpreis des Bodens 1000 Sesterzen +</p> + +<p> +Kaufpreis der Arbeitssklaven +</p> + +<p> +auf den Morgen repartiert 1143 Sesterzen +</p> + +<p> +Reben und Pfaehle 2000 Sesterzen +</p> + +<p> +Verlorene Zinsen waehrend +</p> + +<p> +der ersten zwei Jahre 497 Sesterzen +</p> + +<p> +Zusammen 4640 Sesterzen +</p> + +<p> + = 336 Taler. +</p> + +<p> +Den Ertrag berechnet er auf wenigstens 60 Amphoren von mindestens 900 Sesterzen +(65 Taler) Wert, was also eine Rente von 17 Prozent darstellen wuerde. Indes +ist dieselbe zum Teil illusorisch, da, auch von Missernten abgesehen, die +Kosten der Einbringung und die fuer Instandhaltung der Reben, Pfaehle und +Sklaven. aus dem Ansatz gelassen worden sind. +</p> + +<p> +Den Bruttoertrag von Wiese, Weide und Wald berechnet derselbe Landwirt auf +hoechstens 100 Sesterzen den Morgen und den des Getreidefeldes eher auf weniger +als auf mehr; wie denn ja auch der Durchschnittsertrag von 25 roemischen +Scheffeln Weizen auf den Morgen schon nach dem hauptstaedtischen +Durchschnittspreis von 1 Denar den Scheffel nicht mehr als 100 Sesterzen +Bruttoertrag gibt und am Produktionsplatz der Preis noch niedriger gestanden +haben muss. Varro (3, 2) rechnet als gewoehnlichen guten Bruttoertrag eines +groesseren Gutes 150 Sesterzen vom Morgen. Entsprechende Kostenanschlaege sind +hierfuer nicht ueberliefert; dass die Bewirtschaftung hier bei weitem weniger +Kosten machte als bei dem Weinberg, versteht sich von selbst. +</p> + +<p> +Alle diese Angaben fallen uebrigens ein Jahrhundert und laenger nach Catos Tod. +Von ihm haben wir nur die allgemeine Angabe, dass sich Viehwirtschaft besser +rentiere als Ackerbau (bei Cic. off. 2,25; 89; Colum. 6 praef. 4, vgl. 2, 16, +2; Plin. nat. 18, 5, 30; Plut. Cato mai. 21); was natuerlich nicht heissen +soll, dass es ueberall raetlich ist, Ackerland in Weide zu verwandeln, sondern +relativ zu verstehen ist dahin, dass das fuer die Herdenwirtschaft auf +Bergweiden und sonst geeignetem Weideland angelegte Kapital, verglichen mit dem +in die Feldwirtschaft auf geeignetem Kornland gesteckten, hoehere Zinsen trage. +Vielleicht ist dabei auch noch darauf Ruecksicht genommen, dass die mangelnde +Taetigkeit und Intelligenz des Grundherrn bei Weideland weniger nachteilig +wirkt als bei der hoch gesteigerten Reben- und Olivenkultur. Innerhalb des +Ackergutes stellt sich nach Cato die Bodenrente folgendermassen in absteigender +Reihe: 1. Weinberg; 2. Gemuesegarten; 3. Weidenbusch, der infolge der +Rebenkultur hohen Ertrag abwarf; 4. Olivenpflanzung; 5. Wiese zur Heugewinnung; +6. Kornfeld; 7. Busch; 8. Schlagforst; 9. Eichenwald zur Viehfuetterung - +welche neun Bestandteile in dem Wirtschaftsplan der catonischen Mustergueter +saemtlich wiederkehren. +</p> + +<p> +Von dem hoeheren Reinertrag des Weinbaues gegenueber dem Kornbau zeugt auch, +dass nach dem im Jahre 637 (117) zwischen der Stadt Genua und den ihr +zinspflichtigen Doerfern ausgefaellten Schiedsspruch die Stadt von dem Wein den +Sechsten, von dem Getreide den Zwanzigsten als Erbzins empfaengt. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Von der roemischen Geldwirtschaft in aehnlicher Weise eine zusammenfassende +Darstellung zu geben, verbietet teils der Mangel von Fachschriften aus dem +roemischen Altertum ueber dieselbe, teils ihre Natur selbst, die bei weitem +mannigfaltiger und vielseitiger ist als die Bodennutzung. Was sich ermitteln +laesst, gehoert seinen Grundzuegen nach vielleicht weniger noch als die +Bodenwirtschaft den Roemern eigentuemlich an, sondern ist vielmehr Gemeingut +der gesamten antiken Zivilisation, deren Grosswirtschaft begreiflicherweise +eben wie die heutige ueberall zusammenfiel. Im Geldwesen namentlich scheint das +kaufmaennische Schema zunaechst von den Griechen festgestellt und von den +Roemern nur aufgenommen worden zu sein. Dennoch sind die Schaerfe der +Durchfuehrung und die Weite des Massstabes eben hier so eigentuemlich roemisch, +dass der Geist der roemischen Oekonomie und ihre Grossartigkeit im Guten wie im +Schlimmen vor allem in der Geldwirtschaft sich offenbart. +</p> + +<p> +Der Ausgangspunkt der roemischen Geldwirtschaft war natuerlich das +Leihgeschaeft, und kein Zweig der kommerziellen Industrie ist von den Roemern +eifriger gepflegt worden als das Geschaeft des gewerbmaessigen Geldverleihers +(fenerator) und des Geldhaendlers oder des Bankiers (argentarius). Das +Kennzeichen einer entwickelten Geldwirtschaft, der Uebergang der groesseren +Kassefuehrung von den einzelnen Kapitalisten auf den vermittelnden Bankier, der +fuer seine Kunden Zahlung empfaengt und leistet, Gelder belegt und aufnimmt und +im In- und Ausland ihre Geldgeschaefte vermittelt, ist schon in der catonischen +Zeit vollstaendig entwickelt. Aber die Bankiers machten nicht bloss die +Kassierer der Reichen in Rom, sondern drangen schon ueberall in die kleinen +Geschaefte ein und liessen immer haeufiger in den Provinzen und Klientelstaaten +sich nieder. Den Geldsuchenden vorzuschiessen fing schon im ganzen Umfange des +Reiches an sozusagen Monopol der Roemer zu werden. +</p> + +<p> +Eng damit verwandt war das unermessliche Gebiet der Entreprise. Das System der +mittelbaren Geschaeftsfuehrung durchdrang den ganzen roemischen Verkehr. Der +Staat ging voran, indem er all seine komplizierteren Hebungen, alle +Lieferungen, Leistungen und Bauten gegen eine feste zu empfangende oder zu +zahlende Summe an Kapitalisten oder Kapitalistengesellschaften abgab. Aber auch +Private gaben durchgaengig in Akkord, was irgend in Akkord sich geben liess: +die Bauten und die Einbringung der Ernte und sogar die Regulierung der +Erbschafts- und der Konkursmasse, wobei der Unternehmer - gewoehnlich ein +Bankier - die saemtlichen Aktiva erhielt und dagegen sich verpflichtete, die +Passiva vollstaendig oder bis zu einem gewissen Prozentsatz zu berichtigen und +nach Umstaenden noch daraufzuzahlen. +</p> + +<p> +Welche hervorragende Rolle in der roemischen Volkswirtschaft der ueberseeische +Handel bereits frueh gespielt hatte, ist seinerzeit gezeigt worden; von dem +weiteren Aufschwung, den derselbe in dieser Periode nahm, zeugt die steigende +Bedeutung der italischen Hafenzoelle in der roemischen Finanzwirtschaft. Ausser +den keiner weiteren Auseinandersetzung beduerfenden Ursachen, durch die die +Bedeutung des ueberseeischen Handels stieg, ward derselbe noch kuenstlich +gesteigert durch die bevorrechtete Stellung, die die herrschende italische +Nation in den Provinzen einnahm, und durch die wohl jetzt schon in vielen +Klientelstaaten den Roemern und Latinern vertragsmaessig zustehende +Zollfreiheit. +</p> + +<p> +Dagegen blieb die Industrie verhaeltnismaessig zurueck. Die Gewerke waren +freilich unentbehrlich, und es zeigen sich wohl auch Spuren, dass sie bis zu +einem gewissen Grade in Rom sich konzentrierten, wie denn Cato dem kampanischen +Landwirt anraet, seinen Bedarf an Sklavenkleidung und Schuhzeug, an Pfluegen, +Faessern und Schloessern in Rom zu kaufen. Auch kann bei dem starken Verbrauch +von Wollstoffen die Ausdehnung und Eintraeglichkeit der Tuchfabrikation nicht +bezweifelt werden ^12. Doch zeigen sich keine Versuche, die gewerbsmaessige +Industrie, wie sie in Aegypten und Syrien bestand, nach Italien zu verpflanzen +oder auch nur sie im Auslande mit italischem Kapital zu betreiben. Zwar wurde +auch in Italien Flachs gebaut und Purpur bereitet, aber wenigstens die letztere +Industrie gehoerte wesentlich dem griechischen Tarent an, und ueberall ueberwog +hier wohl schon jetzt die Einfuhr von aegyptischem Linnen und milesischem oder +tyrischem Purpur die einheimische Fabrikation. +</p> + +<p> +————————————————————————————————- +</p> + +<p> +^12 Die industrielle Bedeutung des roemischen Tuchgewerks ergibt sich schon aus +der merkwuerdigen Rolle, die die Walker in der roemischen Komoedie spielen. Die +Eintraeglichkeit der Walkergruben bezeugt Cato (bei Plut. Cato mai. 21). +</p> + +<p> +————————————————————————————————- +</p> + +<p> +Dagegen gehoert gewissermassen hierher die Pachtung oder der Kauf +ausseritalischer Laendereien durch roemische Kapitalisten, um daselbst den +Kornbau und die Viehzucht im grossen zu betreiben. Die Anfaenge dieser +spaeterhin in so enormen Verhaeltnissen sich entwickelnden Spekulation fallen, +namentlich auf Sizilien, wahrscheinlich schon in diese Zeit; zumal da die den +Sikelioten auferlegten Verkehrsbeschraenkungen, wenn sie nicht dazu eingefuehrt +waren, doch wenigstens dahin wirken mussten, den davon befreiten roemischen +Spekulanten eine Art von Monopol fuer den Grundbesitzerwerb in die Haende zu +geben. +</p> + +<p> +Der Geschaeftsbetrieb in all diesen verschiedenen Zweigen erfolgte durchgaengig +durch Sklaven. Der Geldverleiher und der Bankier richteten, soweit ihr +Geschaeftskreis reichte, Nebenkontore und Zweigbanken unter Direktion ihrer +Sklaven und Freigelassenen ein. Die Gesellschaft, die vom Staate Hafenzoelle +gepachtet hatte, stellte fuer das Hebegeschaeft in jedem Bureau hauptsaechlich +ihre Sklaven und Freigelassenen an. Wer in Bauunternehmungen machte, kaufte +sich Architektensklaven; wer sich damit abgab, die Schauspiele oder +Fechterspiele fuer Rechnung der Beikommenden zu besorgen, erhandelte oder erzog +sich eine spielkundige Sklaventruppe oder eine Bande zum Fechthandwerk +abgerichteter Knechte. Der Kaufmann liess sich seine Waren auf eigenen Schiffen +unter der Fuehrung von Sklaven oder Freigelassenen kommen und vertrieb sie +wieder in derselben Weise im Gross- oder Kleinverkehr. Dass der Betrieb der +Bergwerke und der Fabriken lediglich durch Sklaven erfolgte, braucht danach +kaum gesagt zu werden. Die Lage dieser Sklaven war freilich auch nicht +beneidenswert und durchgaengig unguenstiger als die der griechischen; dennoch +befanden, wenn von den letzten Klassen abgesehen wird, die Industriesklaven +sich im ganzen ertraeglicher als die Gutsknechte. Sie hatten haeufiger Familie +und faktisch selbstaendige Wirtschaft und die Moeglichkeit, Freiheit und +eigenes Vermoegen zu erwerben, lag ihnen nicht fern. Daher waren diese +Verhaeltnisse die rechte Pflanzschule der Emporkoemmlinge aus dem Sklavenstand, +welche durch Bediententugend und oft durch Bedientenlaster in die Reihen der +roemischen Buerger und nicht selten zu grossem Wohlstand gelangten und +sittlich, oekonomisch und politisch wenigstens ebensoviel wie die Sklaven +selbst zum Ruin des roemischen Gemeinwesens beigetragen haben. +</p> + +<p> +Der roemische Geschaeftsverkehr dieser Epoche ist der gleichzeitigen +politischen Machtentwicklung vollkommen ebenbuertig und in seiner Art nicht +minder grossartig. Wer ein anschauliches Bild von der Lebendigkeit des Verkehrs +mit dem Ausland zu haben wuenscht, braucht nur die Literatur, namentlich die +Lustspiele dieser Zeit aufzuschlagen, in denen der phoenikische Handelsmann +phoenikisch redend auf die Buehne gebracht wird und der Dialog von griechischen +und halbgriechischen Worten und Phrasen wimmelt. Am bestimmtesten aber laesst +sich die Ausdehnung und Intensitaet des roemischen Geschaeftsverkehrs in den +Muenz- und Geldverhaeltnissen verfolgen. Der roemische Denar hielt voellig +Schritt mit den roemischen Legionen. Dass die sizilischen Muenzstaetten, +zuletzt im Jahre 542 (212) die syrakusanische, infolge der roemischen Eroberung +geschlossen oder doch auf Kleinmuenze beschraenkt wurden und in Sizilien und +Sardinien der Denar wenigstens neben dem aelteren Silbercourant und +wahrscheinlich sehr bald ausschliesslich gesetzlichen Kurs erhielt, wurde schon +gesagt. Ebenso rasch, wo nicht noch rascher, drang die roemische Silbermuenze +in Spanien ein, wo die grossen Silbergruben bestanden und eine aeltere +Landesmuenze so gut wie nicht vorhanden war; sehr frueh haben die spanischen +Staedte sogar angefangen, auf roemischen Fuss zu muenzen. Ueberhaupt bestand, +da Karthago nur in beschraenktem Umfang muenzte, ausser der roemischen keine +einzige bedeutende Muenzstaette im westlichen Mittelmeergebiet mit Ausnahme +derjenigen von Massalia und etwa noch der Muenzstaetten der illyrischen +Griechen in Apollonia und Dyrrhachion. Diese wurden demnach, als die Roemer +anfingen sich im Pogebiet festzusetzen, um 525 (229) dem roemischen Fuss in der +Art unterworfen, dass ihnen zwar die Silberpraegung blieb, sie aber +durchgaengig, namentlich die Massalioten, veranlasst wurden, ihre Drachme auf +das Gewicht des roemischen Dreivierteldenars zu regulieren, den denn auch die +roemische Regierung ihrerseits unter dem Namen der Victoriamuenze (victoriatus) +zunaechst fuer Oberitalien zu praegen begann. Dieses neue von dem roemischen +abhaengige System beherrschte nicht bloss das massaliotische, oberitalische und +illyrische Gebiet, sondern es gingen auch diese Muenzen in die noerdlichen +Barbarenlandschaften, namentlich die massaliotischen in die Alpengegenden das +ganze Rhonegebiet hinauf und die illyrischen bis hinein in das heutige +Siebenbuergen. Auf die oestliche Haelfte des Mittelmeergebiets erstreckte in +dieser Epoche wie die unmittelbare roemische Herrschaft so auch die roemische +Muenze sich noch nicht; dafuer aber trat hier der rechte und naturgemaesse +Vermittler des internationalen und ueberseeischen Handels, das Gold, ein. Zwar +die roemische Regierung hielt in ihrer streng konservativen Art, abgesehen von +einer voruebergehenden, durch die Finanzbedraengnis waehrend des Hannibalischen +Krieges veranlassten Goldpraegung, unwandelbar daran fest, ausser dem +national-italischen Kupfer nichts als Silber zu schlagen; aber der Verkehr +hatte bereits solche Verhaeltnisse angenommen, dass er auch ohne Muenze mit dem +Golde nach dem Gewicht auszukommen vermochte. Von dem Barbestande, der im Jahre +597 (157) in der roemischen Staatskasse lag, war kaum ein Sechstel gepraegtes +oder ungepraegtes Silber, fuenf Sechstel Gold in Barren ^13, und ohne Zweifel +fanden sich in allen Kassen der groesseren roemischen Kapitalisten die edlen +Metalle wesentlich in dem gleichen Verhaeltnisse. Bereits damals also nahm das +Gold im Grossverkehr die erste Stelle ein und ueberwog, wie hieraus weiter +geschlossen werden darf, im allgemeinen Verkehr derjenige mit dem Ausland und +namentlich mit dem seit Philipp und Alexander dem Grossen zum Goldcourant +uebergegangenen Osten. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^13 Es lagen in der Kasse 17410 roemische Pfund Gold, 22070 Pfund ungepraegten, +18230 Pfund gepraegten Silbers. Das Legalverhaeltnis des Goldes zum Silber war +1 Pfund Gold = 4000 Sesterzen oder 1:11,91. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Der Gesamtgewinn aus diesem ungeheuren Geschaeftsverkehr der roemischen +Kapitalisten floss ueber kurz oder lang in Rom zusammen; denn soviel dieselben +auch ins Ausland gingen, siedelten sie doch sich dort nicht leicht dauernd an, +sondern kehrten frueher oder spaeter zurueck nach Rom, indem sie ihr gewonnenes +Vermoegen entweder realisierten und in Italien anlegten oder auch mit den +erworbenen Kapitalien und Verbindungen den Geschaeftsbetrieb von Rom aus +fortsetzten. Die Gelduebermacht Roms gegen die uebrige zivilisierte Welt war +denn auch vollkommen ebenso entschieden wie seine politische und militaerische. +Rom stand in dieser Beziehung den uebrigen Laendern aehnlich gegenueber wie +heutzutage England dem Kontinent - wie denn ein Grieche von dem juengeren +Scipio Africanus sagt, dass er “fuer einen Roemer” nicht reich +gewesen sei. Was man in dem damaligen Rom unter Reichtum verstand, kann man +ungefaehr danach abnehmen, dass Lucius Paullus bei einem Vermoegen von 100000 +Talern (60 Talente) nicht fuer einen reichen Senator galt, und dass eine +Mitgift, wie jede der Toechter des aelteren Scipio Africanus sie erhielt, von +90000 Talern (50 Talente) als angemessene Aussteuer eines vornehmen Maedchens +angesehen ward, waehrend der reichste Grieche dieses Jahrhunderts nicht mehr +als eine halbe Million Taler (300 Talente) im Vermoegen hatte. +</p> + +<p> +Es war denn auch kein Wunder, dass der kaufmaennische Geist sich der Nation +bemaechtigte, oder vielmehr - denn er war nicht neu in Rom -, dass daselbst das +Kapitalistentum jetzt alle uebrigen Richtungen und Stellungen des Lebens +durchdrang und verschlang und der Ackerbau wie das Staatsregiment anfingen, +Kapitalistenentreprisen zu werden. Die Erhaltung und Mehrung des Vermoegens war +durchaus ein Teil der oeffentlichen und der Privatmoral. “Einer Witwe +Habe mag sich mindern”, schrieb Cato in dem fuer seinen Sohn aufgesetzten +Lebenskatechismus, “der Mann muss sein Vermoegen mehren, und derjenige +ist ruhmwuerdig und goettlichen Geistes voll, dessen Rechnungsbuecher bei +seinem Tode nachweisen, dass er mehr hinzuerworben als ererbt hat”. Wo +darum Leistung und Gegenleistung sich gegenueberstehen, wird jedes auch ohne +irgendwelche Foermlichkeit abgeschlossene Geschaeft respektiert, und wenn nicht +durch das Gesetz, doch durch kaufmaennische Gewohnheit und Gerichtsgebrauch +erforderlichenfalls dem verletzten Teil das Klagerecht zugestanden ^14; aber +das formlose Schenkungsversprechen ist nichtig in der rechtlichen Theorie wie +in der Praxis. In Rom, sagt Polybios, schenkt keiner keinem, wenn er nicht +muss, und niemand zahlt einen Pfennig vor dem Verfalltag, auch unter nahen +Angehoerigen nicht. Sogar die Gesetzgebung ging ein auf diese kaufmaennische +Moral, die in allem Weggeben ohne Entgelt eine Verschleuderung findet; das +Geben von Geschenken und Vermaechtnissen, die Uebernahme von Buergschaften +wurden in dieser Zeit durch Buergerschaftsschluss beschraenkt, die Erbschaften, +wenn sie nicht an die naechsten Verwandten fielen, wenigstens besteuert. Im +engsten Zusammenhang damit durchdrang die kaufmaennische Puenktlichkeit, +Ehrlichkeit und Respektabilitaet das ganze roemische Leben. Buch ueber seine +Ausgabe und Einnahme zu fuehren, ist jeder ordentliche Mann sittlich +verpflichtet - wie es denn auch in jedem wohleingerichteten Hause ein +besonderes Rechnungszimmer (tablinum) gab -, und jeder traegt Sorge, dass er +nicht ohne letzten Willen aus der Welt scheide; es gehoerte zu den drei Dingen, +die Cato in seinem Leben bereut zu haben bekennt, dass er einen Tag ohne +Testament gewesen sei. Die gerichtliche Beweiskraft, ungefaehr wie wir sie den +kaufmaennischen Buechern beizulegen pflegen, kam nach roemischer Uebung jenen +Hausbuechern durchgaengig zu. Das Wort des unbescholtenen Mannes galt nicht +bloss gegen ihn, sondern auch zu seinen eigenen Gunsten: bei Differenzen unter +rechtschaffenen Leuten war nichts gewoehnlicher als sie durch einen, von der +einen Partei geforderten und von der anderen geleisteten Eid zu schlichten, +womit sie sogar rechtlich als erledigt galten; und den Geschworenen schrieb +eine traditionelle Regel vor, in Ermangelung von Beweisen zunaechst fuer den +unbescholtenen gegen den bescholtenen Mann und nur bei gleicher +Reputierlichkeit beider Parteien fuer den Beklagten zu sprechen ^15. Die +konventionelle Respektabilitaet tritt namentlich in der scharfen und immer +schaerferen Auspraegung des Satzes hervor, dass kein anstaendiger Mann sich +fuer persoenliche Dienstleistungen bezahlen lassen duerfe. Darum erhielten denn +nicht bloss Beamte, Offiziere, Geschworene, Vormuender und ueberhaupt alle mit +oeffentlichen Verrichtungen beauftragten anstaendigen Maenner keine andere +Verguetung fuer ihre Dienstleistungen als hoechstens den Ersatz ihrer Auslagen, +sondern es wurden auch die Dienste, welche Bekannte (amici) sich untereinander +leisten: Verbuergung, Vertretung im Prozess, Aufbewahrung (depositum), +Gebrauchsueberlassung der nicht zum Vermieten bestimmten Gegenstaende +(commodatum), ueberhaupt Geschaeftsverwaltung und Besorgung (procuratio) nach +demselben Grundsatz behandelt, so dass es unschicklich war, dafuer eine +Verguetung zu empfangen, und eine Klage selbst auf die versprochene nicht +gestattet ward. Wie vollstaendig der Mensch im Kaufmann aufging, zeigt wohl am +schaerfsten die Ersetzung des Duells, auch des politischen, in dem roemischen +Leben dieser Zeit durch die Geldwette und den Prozess. Die gewoehnliche Form, +um persoenliche Ehrenfragen zu erledigen, war die, dass zwischen dem Beleidiger +und dem Beleidigten um die Wahrheit oder Falschheit der beleidigenden +Behauptung gewettet und im Wege der Einklagung der Wettsumme die Tatfrage in +aller Form rechtens vor die Geschworenen gebracht ward; die Annahme einer +solchen, von dem Beleidigten oder dem Beleidiger angebotenen Wette war, ganz +wie heutzutage die der Ausforderung zum Zweikampf rechtlich freigestellt, aber +ehrenhafterweise oft nicht zu vermeiden. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^14 Darauf beruht die Klagbarkeit des Kauf-, Miet-, Gesellschaftsvertrags und +ueberhaupt die ganze Lehre von den nicht formalen klagbaren Vertraegen. +</p> + +<p> +^15 Die Hauptstelle darueber ist das Fragment Catos bei Gell. 14, 2. Auch fuer +den Literalkontrakt, das heisst die lediglich auf die Eintragung des +Schuldpostens in das Rechnungsbuch des Glaeubigers basierte Forderung, gibt +diese rechtliche Beruecksichtigung der persoenlichen Glaubwuerdigkeit der +Partei, selbst wo es sich um ihr Zeugnis in eigener Sache handelt, den +Schluessel; und daher ist auch, als spaeter diese kaufmaennische +Reputierlichkeit aus dem roemischen Leben entwich, der Literalkontrakt nicht +gerade abgeschafft worden, aber von selber verschwunden. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Eine der wichtigsten Folgen dieses mit einer dem Nichtgeschaeftsmann schwer +fasslichen Intensitaet auftretenden Kaufmannstums war die ungemeine Steigerung +des Assoziationswesens. In Rom erhielt dasselbe noch besondere Nahrung durch +das schon oft erwaehnte System der Regierung, ihre Geschaefte durch +Mittelsmaenner beschaffen zu lassen; denn bei dem Umfang dieser Verrichtungen +war es natuerlich und wohl auch der groesseren Sicherheit wegen oft vom Staate +vorgeschrieben, dass nicht einzelne Kapitalisten, sondern +Kapitalistengesellschaften diese Pachtungen und Lieferungen uebernahmen. Nach +dem Muster dieser Unternehmungen organisierte sich der gesamte Grossverkehr. Es +finden sogar sich Spuren, dass fuer das Assoziationswesen so charakteristische +Zusammentreten der konkurrierenden Gesellschaften zur gemeinschaftlichen +Aufstellung von Monopolpreisen auch bei den Roemern vorgekommen ist ^16. +Namentlich in den ueberseeischen und den sonst mit bedeutendem Risiko +verbundenen Geschaeften nahm das Assoziationswesen eine solche Ausdehnung an, +dass es praktisch an die Stelle der dem Altertum unbekannten Assekuranzen trat. +Nichts war gewoehnlicher als das sogenannte Seedarlehen, das heutige +Grossaventurgeschaeft, wodurch Gefahr und Gewinn des ueberseeischen Handels +sich auf die Eigentuemer von Schiff und Ladung und die saemtlichen fuer diese +Fahrt kreditierenden Kapitalisten verhaeltnismaessig verteilt. Es war aber +ueberhaupt roemische Wirtschaftsregel, sich lieber bei vielen Spekulationen mit +kleinen Parten zu beteiligen, als selbstaendig zu spekulieren; Cato riet dem +Kapitalisten, nicht ein einzelnes Schiff mit seinem Gelde auszuruesten, sondern +mit neunundvierzig andern Kapitalisten zusammen fuenfzig Schiffe auszusenden +und an jedem zum fuenfzigsten Teil sich zu interessieren. Die hierdurch +herbeigefuehrte groessere Verwicklung der Geschaeftsfuehrung uebertrug der +roemische Kaufmann durch seine puenktliche Arbeitsamkeit und seine - vom reinen +Kapitalistenstandpunkt aus freilich unserem Kontorwesen bei weitem +vorzuziehende - Sklaven- und Freigelassenenwirtschaft. So griffen diese +kaufmaennischen Assoziationen mit hundertfachen Faeden in die Oekonomie eines +jeden angesehenen Roemers ein. Es gab nach Polybios’ Zeugnis kaum einen +vermoegenden Mann in Rom, der nicht als offener oder stiller Gesellschafter bei +den Staatspachtungen beteiligt gewesen waere; und um soviel mehr wird ein jeder +durchschnittlich einen ansehnlichen Teil seines Kapitals in den kaufmaennischen +Assoziationen ueberhaupt stecken gehabt haben. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^16 In dem merkwuerdigen Musterkontrakt Catos (agr. 144) fuer den wegen der +Olivenlese abzuschliessenden Akkord findet sich folgender Paragraph: “Es +soll [bei der Lizitation von den Unternehmungslustigen] niemand zuruecktreten, +um zu bewirken, dass die Olivenlese und Presse teurer verdungen werde; ausser +wenn [der Mitbieter den andern Bieter] sofort als seinen Kompagnon namhaft +macht. Wenn dagegen gefehlt zu sein scheint, so sollen auf Verlangen des +Gutsherrn oder des von ihm bestellten Aufsehers alle Kompagnons [derjenigen +Assoziation, mit welcher der Akkord abgeschlossen worden ist,] beschwoeren, +[nicht zu jener Beseitigung der Konkurrenz mitgewirkt zu haben]. Wenn sie den +Eid nicht schwoeren, wird der Akkordpreis nicht gezahlt.” Dass der +Unternehmer eine Gesellschaft, nicht ein einzelner Kapitalist ist, wird +stillschweigend vorausgesetzt. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Auf allem diesem aber beruht die Dauer der roemischen Vermoegen, die vielleicht +noch merkwuerdiger ist als deren Groesse. Die frueher hervorgehobene, in dieser +Art vielleicht einzige Erscheinung, dass der Bestand der grossen Geschlechter +durch mehrere Jahrhunderte sich fast gleich bleibt, findet hier, in den +einigermassen engen, aber soliden Grundsaetzen der kaufmaennischen +Vermoegensverwaltung ihre Erklaerung. +</p> + +<p> +Bei der einseitigen Hervorhebung des Kapitals in der roemischen Oekonomie +konnten die von der reinen Kapitalistenwirtschaft unzertrennlichen Uebelstaende +nicht ausbleiben. Die buergerliche Gleichheit, welche bereits durch das +Emporkommen des regierenden Herrenstandes eine toedliche Wunde empfangen hatte, +erlitt einen gleich schweren Schlag durch die scharf und immer schaerfer sich +zeichnende soziale Abgrenzung der Reichen und der Armen. Fuer die Scheidung +nach unten hin ist nichts folgenreicher geworden als der schon erwaehnte, +anscheinend gleichgueltige, in der Tat einen Abgrund von Kapitalistenuebermut +und Kapitalistenfrevel in sich schliessende Satz, dass es schimpflich sei, fuer +die Arbeit Geld zu nehmen - es zog sich damit die Scheidewand nicht bloss +zwischen dem gemeinen Tageloehner und Handwerker und dem respektablen Guts- und +Fabrikbesitzer, sondern ebenso auch zwischen dem Soldaten und Unteroffizier und +dem Kriegstribun, zwischen dem Schreiber und Boten und dem Beamten. Nach oben +hin zog eine aehnliche Schranke das von Gaius Flaminius veranlasste Claudische +Gesetz (kurz vor 536 218), welches Senatoren und Senatorensoehnen untersagte, +Seeschiffe ausser zum Transport des Ertrags ihrer Landgueter zu besitzen und +wahrscheinlich auch sich bei den oeffentlichen Lizitationen zu beteiligen, +ueberhaupt ihnen alles das zu betreiben verbot, was die Roemer unter +“Spekulation” (quaestus) verstanden ^17. Zwar ward diese Bestimmung +nicht von den Senatoren hervorgerufen, sondern war ein Werk der demokratischen +Opposition, welche damit zunaechst wohl nur den Uebelstand beseitigen wollte, +dass Regierungsmitglieder mit der Regierung selbst Geschaefte machten; es kann +auch sein, dass die Kapitalisten hier schon, wie spaeter so oft, mit der +demokratischen Partei gemeinschaftliche Sache gemacht und die Gelegenheit +wahrgenommen haben, durch den Ausschluss der Senatoren die Konkurrenz zu +vermindern. Jener Zweck ward natuerlich nur sehr unvollkommen erreicht, da das +Assoziationswesen den Senatoren Wege genug eroeffnete, im stillen weiter zu +spekulieren; aber wohl hat dieser Volksschluss eine gesetzliche Grenze zwischen +den nicht oder doch nicht offen spekulierenden und den spekulierenden Vornehmen +gezogen und der zunaechst politischen eine reine Finanzaristokratie an die +Seite gestellt, den spaeter so genannten Ritterstand, dessen Rivalitaeten mit +dem Herrenstand die Geschichte des folgenden Jahrhunderts erfuellen. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +^17 Liv. 21, 63 (vgl. Cic. Verr. 5, 18, 45) spricht nur von der Verordnung +ueber die Seeschiffe; aber dass auch die Staatsentreprisen (redemptiones) dem +Senator gesetzlich untersagt waren, sagen Asconius (tog. cand. p. 94 Orelli) +und Dio Cassius (55, 10, 5), und da nach Livius “jede Spekulation fuer +den Senator unschicklich gefunden ward”, so hat das Claudische Gesetz +wahrscheinlich weiter gereicht. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Eine weitere Folge der einseitigen Kapitalmacht war das unverhaeltnismaessige +Hervortreten eben der sterilsten und fuer die Volkswirtschaft im ganzen und +grossen am wenigsten produktiven Verkehrszweige. Die Industrie, die in erster +Stelle haette erscheinen sollen, stand vielmehr an der letzten. Der Handel +bluehte; aber er war durchgaengig passiv. Nicht einmal an der Nordgrenze +scheint man imstande gewesen zu sein, fuer die Sklaven, welche aus den +keltischen und wohl auch schon aus den deutschen Laendern nach Ariminum und den +anderen norditalischen Maerkten stroemten, mit Waren Deckung zu geben; +wenigstens wurde schon 523 (231) die Ausfuhr des Silbergeldes in das Keltenland +von der roemischen Regierung untersagt. In dem Verkehr nun gar mit +Griechenland, Syrien, Aegypten, Kyrene, Karthago musste die Bilanz notwendig +zum Nachteil Italiens sich stellen. Rom fing an, die Hauptstadt der +Mittelmeerstaaten und Italien Roms Weichbild zu werden; mehr wollte man eben +auch nicht sein und liess den Passivhandel, wie jede Stadt, die nichts weiter +als Hauptstadt ist, notwendig ihn fuehrt, mit opulenter Gleichgueltigkeit sich +gefallen - besass man doch Geld genug, um damit alles zu bezahlen, was man +brauchte und nicht brauchte. Dagegen die unproduktivsten aller Geschaefte, der +Geldhandel und das Hebungswesen, waren der rechte Sitz und die feste Burg der +roemischen Oekonomie. Was endlich in dieser noch an Elementen zur Emporbringung +eines wohlhabenden Mittel- und auskoemmlichen Kleinstandes enthalten war, +verkuemmerte unter dem unseligen Sklavenbetrieb oder steuerte im besten Fall +zur Vermehrung des leidigen Freigelassenenstandes bei. +</p> + +<p> +Aber vor allem zehrte die tiefe Unsittlichkeit, welche der reinen +Kapitalwirtschaft inwohnt, an dem Marke der Gesellschaft und des Gemeinwesens +und ersetzte die Menschen- und die Vaterlandsliebe durch den unbedingten +Egoismus. Der bessere Teil der Nation empfand es sehr lebendig, welche Saat des +Verderbens in jenem Spekulantentreiben lag; und vor allem richteten sich der +instinktmaessige Hass des grossen Haufens wie die Abneigung des wohlgesinnten +Staatsmanns gegen das seit langem von den Gesetzen verfolgte und dem Buchstaben +des Rechtes nach immer noch verpoente gewerbsmaessige Leihgeschaeft. Es heisst +in einem Lustspiel dieser Zeit: +</p> + +<p> +Wahrhaftig gleich eracht’ ich ganz die Kuppler und euch Wuchrer; +</p> + +<p> +Wenn jene feilstehn insgeheim, tut ihr’s auf offnem Markte. +</p> + +<p> +Mit Kneipen die, mit Zinsen ihr, schindet die Leut’ ihr beide. +</p> + +<p> +Gesetze gnug hat eurethalb die Buergerschaft erlassen; +</p> + +<p> +Ihr bracht’ sie, wie man sie erliess; ein Schlupf ist stets gefunden. +</p> + +<p> +Wie heisses Wasser, das verkuehlt, so achtet das Gesetz ihr. +</p> + +<p> +Energischer noch als der Lustspieldichter sprach der Fuehrer der Reformpartei +Cato sich aus. “Es hat manches fuer sich”, heisst es in der Vorrede +seiner Anweisung zum Ackerbau, “Geld auf Zinsen zu leihen; aber es ist +nicht ehrenhaft. Unsere Vorfahren haben also geordnet und in dem Gesetze +geschrieben, dass der Dieb zwiefachen, der Zinsnehmer vierfachen Ersatz zu +leisten schuldig sei; woraus man abnehmen kann, ein wieviel schlechterer +Buerger als der Dieb der Zinsnehmer von ihnen erachtet ward”. Der +Unterschied, meint er anderswo, zwischen einem Geldverleiher und einem Moerder +sei nicht gross; und man muss es ihm lassen, dass er in seinen Handlungen nicht +hinter seinen Reden zurueckblieb - als Statthalter in Sardinien hat er durch +seine strenge Rechtspflege die roemischen Bankiers geradezu zum Lande +hinausgetrieben. Der regierende Herrenstand betrachtete ueberhaupt seiner +ueberwiegenden Majoritaet nach die Wirtschaft der Spekulanten mit Widerwillen +und fuehrte sich nicht bloss durchschnittlich rechtschaffener und ehrbarer in +den Provinzen als diese Geldleute, sondern tat auch oefter ihnen Einhalt; nur +brachen der haeufige Wechsel der roemischen Oberbeamten und die unvermeidliche +Ungleichheit ihrer Gesetzhandhabung dem Bemuehen, jenem Treiben zu steuern, +notwendig die Spitze ab. Man begriff es auch wohl, was zu begreifen nicht +schwer war, dass es weit weniger darauf ankam, die Spekulation polizeilich zu +ueberwachen, als der ganzen Volkswirtschaft eine veraenderte Richtung zu geben; +hauptsaechlich in diesem Sinne wurde von Maennern, wie Cato war, durch Lehre +und Beispiel der Ackerbau gepredigt. “Wenn unsere Vorfahren”, +faehrt Cato in der eben angefuehrten Vorrede fort, “einem tuechtigen Mann +die Lobrede hielten, so lobten sie ihn als einen tuechtigen Bauern und einen +tuechtigen Landwirt; wer also gelobt ward, schien das hoechste Lob erhalten zu +haben. Den Kaufmann halte ich fuer wacker und erwerbsfleissig; aber sein +Geschaeft ist Gefahren und Ungluecksfaellen allzusehr ausgesetzt. Dagegen die +Bauern geben die tapfersten Leute und die tuechtigsten Soldaten; kein Erwerb +ist wie dieser ehrbar, sicher und niemandem gehaessig, und die damit sich +abgeben, kommen am wenigsten auf boese Gedanken”. Von sich selber pflegte +er zu sagen, dass sein Vermoegen lediglich aus zwei Erwerbsquellen herstamme: +aus dem Ackerbau und aus der Sparsamkeit; und wenn das auch weder sehr logisch +gedacht noch genau der Wahrheit gemaess war ^18, so hat er doch nicht mit +Unrecht seinen Zeitgenossen wie der Nachwelt als das Muster eines roemischen +Gutsbesitzers gegolten. Leider ist es eine ebenso merkwuerdige wie schmerzliche +Wahrheit, dass dieses soviel und sicher im besten Glauben gepriesene Heilmittel +der Landwirtschaft selber durchdrungen war von dem Gifte der +Kapitalistenwirtschaft. Bei der Weidewirtschaft liegt dies auf der Hand; sie +war darum auch bei dem Publikum am meisten beliebt und bei der Partei der +sittlichen Reform am wenigsten gut angeschrieben. Aber wie war es denn mit dem +Ackerbau selbst? Der Krieg, den vom dritten bis zum fuenften Jahrhundert der +Stadt das Kapital gegen die Arbeit in der Art gefuehrt hatte, dass es mittels +des Schuldzinses die Bodenrente den arbeitenden Bauern entzog und den muessig +zehrenden Rentiers in die Haende fuehrte, war ausgeglichen worden +hauptsaechlich durch die Erweiterung der roemischen Oekonomie und das +Hinueberwerfen des in Latium vorhandenen Kapitals auf die in dem ganzen +Mittelmeergebiet taetige Spekulation. Jetzt vermochte auch das ausgedehnte +Geschaeftsgebiet die gesteigerte Kapitalmasse nicht mehr zu fassen; und eine +wahnwitzige Gesetzgebung arbeitete zugleich daran, teils die senatorischen +Kapitalien auf kuenstlichem Wege zur Anlage in italischem Grundbesitz zu +draengen, teils durch die Einwirkung auf die Kornpreise das italische Ackerland +systematisch zu entwerten. So begann denn der zweite Feldzug des Kapitals gegen +die freie Arbeit oder, was im Altertum wesentlich dasselbe ist, gegen die +Bauernwirtschaft; und war der erste arg gewesen, so schien er mit dem zweiten +verglichen milde und menschlich. Die Kapitalisten liehen nicht mehr an den +Bauern auf Zinsen aus, was an sich schon nicht anging, da der Kleinbesitzer +keinen Ueberschuss von Belang mehr erzielte, und auch nicht einfach und nicht +radikal genug war, sondern sie kauften die Bauernstellen auf und verwandelten +sie im besten Fall in Meierhoefe mit Sklavenwirtschaft. Man nannte das +ebenfalls Ackerbau; in der Tat war es wesentlich die Anwendung der +Kapitalwirtschaft auf die Erzeugung der Bodenfruechte. Die Schilderung der +Ackerbauer, die Cato gibt, ist vortrefflich und vollkommen richtig; aber wie +passt sie auf die Wirtschaft selbst, die er schildert und anraet? Wenn ein +roemischer Senator, wie das nicht selten gewesen sein kann, solcher Landgueter +wie das von Cato beschriebene vier besass, so lebten auf dem gleichen Raum, der +zur Zeit der alten Kleinherrschaft hundert bis hundertundfuenfzig +Bauernfamilien ernaehrt hatte, jetzt eine Familie freier Leute und etwa +fuenfzig groesstenteils unverheiratete Sklaven. Wenn dies das Heilmittel war, +um die sinkende Volkswirtschaft zu bessern, so sah es leider der Krankheit +selber bis zum Verwechseln aehnlich. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^18 Einen Teil seines Vermoegens steckte Cato wie jeder andere Roemer in +Viehzucht und Handels- und andere Unternehmungen. Aber es war nicht seine Art, +geradezu die Gesetze zu verletzen; er hat weder in Staatspachtungen spekuliert, +was er als Senator nicht durfte, noch Zinsgeschaefte betrieben. Man tut ihm +Unrecht, wenn man ihm in letzter Beziehung eine von seiner Theorie abweichende +Praxis vorwirft: das Seedarlehen, mit dem er allerdings sich abgab, ist vor dem +Gesetz kein verbotener Zinsbetrieb und gehoert auch der Sache nach wesentlich +zu den Reederei- und Befrachtungsgeschaeften. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Das Gesamtergebnis dieser Wirtschaft liegt in den veraenderten +Bevoelkerungsverhaeltnissen nur zu deutlich vor Augen. Freilich war der Zustand +der italischen Landschaften sehr ungleich und zum Teil sogar gut. Die bei der +Kolonisation des Gebietes zwischen den Apenninen und dem Po in grosser Anzahl +daselbst gegruendeten Bauernstellen verschwanden nicht so schnell. Polybios, +der nicht lange nach dem Ende dieser Periode die Gegend bereiste, ruehmt ihre +zahlreiche, schoene und kraeftige Bevoelkerung; bei einer richtigen +Korngesetzgebung waere es wohl moeglich gewesen, nicht Sizilien, sondern die +Polandschaft zur Kornkammer der Hauptstadt zu machen. Aehnlich hatte Picenum +und der sogenannte “gallische Acker” durch die Aufteilungen des +Domaniallandes in Gemaessheit des Flaminischen Gesetzes 522 (232) eine +zahlreiche Bauernschaft erhalten, welche freilich im Hannibalischen Krieg arg +mitgenommen ward. In Etrurien und wohl auch in Umbrien waren die inneren +Verhaeltnisse der untertaenigen Gemeinden dem Gedeihen eines freien +Bauernstandes unguenstig. Besser stand es in Latium, dem die Vorteile des +hauptstaedtischen Marktes doch nicht ganz entzogen werden konnten und das der +Hannibalische Krieg im ganzen verschont hatte, sowie in den abgeschlossenen +Bergtaelern der Marser und Sabeller. Sueditalien dagegen hatte der +Hannibalische Krieg furchtbar heimgesucht und ausser einer Menge kleinerer +Ortschaften die beiden groessten Staedte, Capua und Tarent, beide einst +imstande, Heere von 30000 Mann ins Feld zu stellen, zugrunde gerichtet. Samnium +hatte von den schweren Kriegen des fuenften Jahrhunderts sich wieder erholt; +nach der Zaehlung von 529 (225) war es imstande, halb soviel Waffenfaehige zu +stellen als die saemtlichen latinischen Staedte und wahrscheinlich damals nach +dem roemischen Buergerdistrikt die bluehendste Landschaft der Halbinsel. Allein +der Hannibalische Krieg hatte das Land aufs neue veroedet und die +Ackeranweisungen daselbst an die Soldaten des Scipionischen Heeres, obwohl +bedeutend, deckten doch wahrscheinlich nicht den Verlust. Noch uebler waren in +demselben Kriege Kampanien und Apulien, beides bis dahin wohlbevoelkerte +Landschaften, von Freund und Feind zugerichtet worden. In Apulien fanden +spaeter zwar Ackeranweisungen statt, allein die hier angelegten Kolonien +wollten nicht gedeihen. Bevoelkerter blieb die schoene kampanische Ebene; doch +ward die Mark von Capua und der anderen, im Hannibalischen Kriege aufgeloesten +Gemeinden Staatsbesitz und waren die Inhaber derselben durchgaengig nicht +Eigentuemer, sondern kleine Zeitpaechter. Endlich in dem weiten lucanischen und +brettischen Gebiet ward die schon vor dem Hannibalischen Krieg sehr duenne +Bevoelkerung von der ganzen Schwere des Krieges selbst und der daran sich +reihenden Strafexekutionen getroffen; und auch von Rom aus geschah nicht viel, +um hier den Ackerbau wieder in die Hoehe zu bringen - mit Ausnahme etwa von +Valentia (Vibo, jetzt Monteleone) kam keine der dort angelegten Kolonien recht +in Aufnahme. Bei aller Ungleichheit der politischen und oekonomischen +Verhaeltnisse der verschiedenen Landschaften und dem verhaeltnismaessig +bluehenden Zustand einzelner derselben ist im ganzen doch der Rueckgang +unverkennbar, und er wird durch die unverwerflichsten Zeugnisse ueber den +allgemeinen Zustand Italiens bestaetigt. Cato und Polybios stimmen darin +ueberein, dass Italien am Ende des sechsten Jahrhunderts weit schwaecher als am +Ende des fuenften bevoelkert und keineswegs mehr imstande war, Heermassen +aufzubringen wie im Ersten Punischen Kriege. Die steigende Schwierigkeit der +Aushebung, die Notwendigkeit, die Qualifikation zum Dienst in den Legionen +herabzusetzen, die Klagen der Bundesgenossen ueber die Hoehe der von ihnen zu +stellenden Kontingente bestaetigen diese Angaben; und was die roemische +Buergerschaft anlangt, so reden die Zahlen. Sie zaehlte im Jahre 502 (252), +kurz nach Regulus’ Zug nach Afrika, 298000 waffenfaehige Maenner; +dreissig Jahre spaeter, kurz vor dem Anfang des Hannibalischen Krieges (534 +220), war sie auf 270000 Koepfe, also um ein Zehntel, wieder zwanzig Jahre +weiter, kurz vor dem Ende desselben Krieges (550 204) auf 214000 Koepfe, also +um ein Viertel gesunken; und ein Menschenalter nachher, waehrend dessen keine +ausserordentlichen Verluste eingetreten waren, wohl aber die Anlage besonders +der grossen Buergerkolonien in der norditalischen Ebene einen fuehlbaren +ausserordentlichen Zuwachs gebracht hatte, war dennoch kaum die Ziffer wieder +erreicht, auf der die Buergerschaft zu Anfang dieser Periode gestanden hatte. +Haetten wir aehnliche Ziffern fuer die italische Bevoelkerung ueberhaupt, so +wuerden sie ohne allen Zweifel ein verhaeltnismaessig noch ansehnlicheres +Defizit aufweisen. Das Sinken der Volkskraft laesst sich weniger belegen, doch +ist es von landwirtschaftlichen Schriftstellern bezeugt, dass Fleisch und Milch +aus der Nahrung des gemeinen Mannes mehr und mehr verschwanden. Daneben wuchs +die Sklavenbevoelkerung, wie die freie sank. In Apulien, Lucanien und dem +Brettierland muss schon zu Catos Zeit die Viehwirtschaft den Ackerbau +ueberwogen haben; die halbwilden Hirtensklaven waren hier recht eigentlich die +Herren im Hause. Apulien ward durch sie so unsicher gemacht, dass starke +Besatzung dorthin gelegt werden musste; im Jahre 569 (185) wurde daselbst eine +im groessten Massstab angelegte, auch mit dem Bacchanalienwesen sich +verzweigende Sklavenverschwoerung entdeckt und gegen 7000 Menschen kriminell +verurteilt. Aber auch in Etrurien mussten roemische Truppen gegen eine +Sklavenbande marschieren (558 196, und sogar in Latium kam es vor, dass Staedte +wie Setia und Praeneste Gefahr liefen, von einer Bande entlaufener Knechte +ueberrumpelt zu werden (556 198). Zusehends schwand die Nation zusammen und +loeste die Gemeinschaft der freien Buerger sich auf in eine Herren- und +Sklavenschaft; und obwohl es zunaechst die beiden langjaehrigen Kriege mit +Karthago waren, welche die Buerger- wie die Bundesgenossenschaft dezimierten +und ruinierten, so haben zu dem Sinken der italischen Volkskraft und Volkszahl +die roemischen Kapitalisten ohne Zweifel ebensoviel beigetragen wie Hamilkar +und Hannibal. Es kann niemand sagen, ob die Regierung haette helfen koennen; +aber erschreckend und beschaemend ist es, dass in den doch grossenteils +wohlmeinenden und tatkraeftigen Kreisen der roemischen Aristokratie nicht +einmal die Einsicht in den ganzen Ernst der Situation und die Ahnung von der +ganzen Hoehe der Gefahr sich offenbart. Als eine roemische Dame vom hohen Adel, +die Schwester eines der zahlreichen Buergeradmirale, die im Ersten Punischen +Krieg die Flotten der Gemeinde zugrunde gerichtet hatten, eines Tages auf dem +roemischen Markt ins Gedraenge geriet, sprach sie es laut vor den Umstehenden +aus, dass es hohe Zeit sei, ihren Bruder wieder an die Spitze einer Flotte zu +stellen und durch einen neuen Aderlass der Buergerschaft auf dem Markte Luft zu +machen (508 246). So dachten und sprachen freilich die wenigsten; aber es war +diese frevelhafte Rede doch nichts als der schneidende Ausdruck der +straeflichen Gleichgueltigkeit, womit die gesamte hohe und reiche Welt auf die +gemeine Buerger- und Bauernschaft herabsah. Man wollte nicht gerade ihr +Verderben, aber man liess es geschehen; und so kam denn ueber das eben noch in +maessiger und verdienter Wohlfahrt unzaehliger freier und froehlicher Menschen +bluehende italische Land mit Riesenschnelle die Veroedung. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap13"></a>KAPITEL XIII.<br/> +Glaube und Sitte</h2> + +<p> +In strenger Bedingtheit verfloss dem Roemer das Leben und je vornehmer er war, +desto weniger war er ein freier Mann. Die allmaechtige Sitte bannte ihn in +einen engen Kreis des Denkens und Handelns und streng und ernst oder, um die +bezeichnenden lateinischen Ausdruecke zu brauchen, traurig und schwer gelebt zu +haben, war sein Ruhm. Keiner hatte mehr und keiner weniger zu tun, als sein +Haus in guter Zucht zu halten und in Gemeideangelegenheiten mit Tat und Rat +seinen Mann zu stehen. Indem aber der einzelne nichts sein wollte noch sein +konnte als ein Glied der Gemeinde, ward der Ruhm und die Macht der Gemeinde +auch von jedem einzelnen Buerger als persoenlicher Besitz empfunden und ging +zugleich mit dem Namen und dern Hof auf die Nachfahren ueber; und wie also ein +Geschlecht nach dem anderen in die Gruft gelegt. ward und jedes folgende zu dem +alten Ehrenbestande neuen Erwerb haeufte, schwoll das Gesamtgefuehl der edlen +roemischen Familien zu jenem gewaltigen Buergerstolz an, dessengleichen die +Erde wohl nicht wieder gesehen hat und dessen so fremd- wie grossartige Spuren, +wo wir ihnen begegnen, uns gleichsam einer anderen Welt anzugehoeren scheinen. +Zwar gehoerte zu dem eigentuemlichen Gepraege dieses maechtigen Buergersinnes +auch dies, dass er durch die starre buergerliche Einfachheit und Gleichheit +waehrend des Lebens nicht unterdrueckt, aber gezwungen ward, sich in die +schweigende Brust zu verschliessen und dass er erst nach dem Tode sich aeussern +durfte; dann aber trat er auch in dem Leichenbegaengnis des angesehenen Mannes +mit einer sinnlichen Gewaltigkeit hervor, die mehr als jede andere Erscheinung +im roemischen Leben geeignet ist, uns Spaeteren von diesem wunderbaren +Roemergeist eine Ahnung zu geben. Es war ein seltsamer Zug, dem beizuwohnen die +Buergerschaft geladen ward durch den Ruf des Weibels der Gemeinde: “Jener +Wehrmann ist Todes verblichen; wer da kann, der komme, dem Lucius Aemilius das +Geleite zu geben; er wird weggetragen aus seinem Hause”. Es eroeffneten +ihn die Scharen der Klageweiber, der Musikanten und der Taenzer, von welchen +letzteren einer in Kleidung und Maske als des Verstorbenen Konterfei erschien, +auch wohl gestikulierend und agierend den wohlbekannten Mann noch einmal der +Menge vergegenwaertigte. Sodann folgte der grossartigste und eigentuemlichste +Teil dieser Feierlichkeit, die Ahnenprozession, gegen die alles uebrige +Gepraenge so verschwand, dass wahrhaft vornehme roemische Maenner wohl ihren +Erben vorschrieben, die Leichenfeier lediglich darauf zu beschraenken. Es ist +schon frueher gesagt worden, dass von denjenigen Ahnen, die die kurulische +Aedilitaet oder ein hoeheres ordentliches Amt bekleidet hatten, die in Wachs +getriebenen und bemalten Gesichtsmasken, soweit moeglich nach dem Leben +gefertigt, aber auch fuer die fruehere Zeit bis in und ueber die der Koenige +hinauf nicht mangelnd, an den Waenden des Familiensaales in hoelzernen +Schreinen aufgestellt zu werden pflegten und als der hoechste Schmuck des +Hauses galten. Wenn ein Todesfall in der Familie eintrat, so wurden mit diesen +Gesichtsmasken und der entsprechenden Amtstracht geeignete Leute, namentlich +Schauspieler, fuer das Leichenbegaengnis staffiert, so dass die Vorfahren, +jeder in dem bei Lebzeiten von ihm gefuehrten vornehmsten Schmuck, der +Triumphator im goldgestickten, der Zensor im purpurnen, der Konsul im +purpurgesaeumten Mantel, mit ihren Liktoren und den sonstigen Abzeichen ihres +Amtes, alle zu Wagen dem Toten das letzte Geleite gaben. Auf der mit schweren +purpurnen und goldgestickten Decken und feinen Leintuechern ueberspreiteten +Bahre lag dieser selbst, gleichfalls in dem vollen Schmuck des hoechsten von +ihm bekleideten Amtes und umgeben von den Ruestungen der von ihm erlegten +Feinde und den in Scherz und Ernst ihm gewonnenen Kraenzen. Hinter der Bahre +kamen die Leidtragenden, alle in schwarzem Gewande und ohne Schmuck, die Soehne +des Verstorbenen mit verhuelltem Haupt, die Toechter ohne Schleier, die +Verwandter. und Geschlechtsgenossen, die Freunde, Klienten: und Freigelassenen. +So ging der Zug auf den Markt. Hier wurde die Leiche in die Hoehe gerichtet; +die Ahnen stiegen von den Wagen herab und liessen auf den kurulischen Stuehlen +sich nieder, und des verstorbenen Sohn oder der naechste Geschlechtsgenosse +betrat die Rednerbuehne, um in schlichter Aufzaehlung die Namen und Taten eines +jeden der im Kreise herumsitzenden Maenner und zuletzt die des juengst +Verstorbenen der versammelten Menge zu verlautbaren. +</p> + +<p> +Man mag das Barbarensitte nennen, und eine kuenstlerisch empfindende Nation +haette freilich diese wunderliche Auferstehung der Toter, sicherlich nicht bis +in die Epoche der voll entwickelten Zivilisation hinein ertragen; aber selbst +sehr kuehle und sehr wenig ehrfuerchtig geartete Griechen, wie zum Beispiel +Polybios, liessen doch durch die grandiose Naivitaet dieser Totenfeier sich +imponieren. Zu der ernsten Feierlichkeit, zu dem gleichfoermigen Zuge, zu der +stolzen Wuerdigkeit des roemischen Lebens gehoerte es notwendig mit, dass die +abgeschiedenen Geschlechter fortfuhren, gleichsam koerperlich unter dem +gegenwaertigen zu wandeln und dass, wenn ein Buerger, der Muehsal und der Ehren +satt, zu seinen Vaetern versammelt ward, diese Vaeter selbst auf dem Markte +erschienen, um ihn in ihrer Mitte zu empfangen. +</p> + +<p> +Aber man war jetzt an einem Wendepunkt angelangt. Soweit Roms Macht sich nicht +mehr auf Italien beschraenkte, sondern weithin nach Osten und Westen +uebergriff, war es auch mit der alten italischen Eigenartigkeit vorbei und trat +an deren Stelle die hellenisierende Zivilisation. Zwar unter griechischem +Einfluss hatte Italien gestanden, seit es ueberhaupt eine Geschichte hatte. Es +ist frueher dargestellt worden, wie das jugendliche Griechenland und das +jugendliche Italien, beide mit einer gewissen Naivitaet und Originalitaet, +geistige Anregungen gaben und empfingen; wie in spaeterer Zeit in mehr +aeusserlicher Weise Rom sich die Sprache und die Erfindungen der Griechen zum +praktischen Gebrauche anzueignen bemueht war. Aber der Hellenismus der Roemer +dieser Zeit war dennoch in seinen Ursachen wie in seinen Folgen etwas +wesentlich Neues. Man fing an, das Beduerfnis nach einem reicheren Geistesleben +zu empfinden und vor der eigenen geistigen Nichtigkeit gleichsam zu +erschrecken; und wenn selbst kuenstlerisch begabte Nationen, wie die englische +und die deutsche, in den Pausen ihrer Produktivitaet es nicht verschmaeht +haben, sich der armseligen franzoesischen Kultur als Lueckenbuesser zu +bedienen, so kann es nicht befremden, dass die italische jetzt sich mit +brennendem Eifer auf die herrlichen Schaetze wie auf den wuesten Unflat der +geistigen Entwicklung von Hellas warf. Aber es war doch noch etwas Tieferes und +Innerlicheres, was die Roemer unwiderstehlich in den hellenischen Strudel +hineinriss. Die hellenische Zivilisation nannte wohl noch sich hellenisch, aber +sie war es nicht mehr, sondern vielmehr humanistisch und kosmopolitisch. Sie +hatte auf dem geistigen Gebiete vollstaendig und bis zu einem gewissen Grade +auch politisch das Problem geloest, aus einer Masse verschiedener Nationen ein +Ganzes zu gestalten; und indem dieselbe Aufgabe in weiteren Grenzen jetzt auf +Rom ueberging, uebernahm es mit der anderen Erbschaft Alexanders des Grossen +auch den Hellenismus. Darum ist derselbe jetzt weder bloss Anregung mehr noch +Nebensache, sondern durchdringt das innerste Mark der italischen Nation. +Natuerlich straeubte die lebenskraeftige italische Eigenartigkeit sich gegen +das fremde Element. Erst nach dem heftigsten Kampfe raeumte der italische Bauer +dem weltbuergerlichen Grossstaedter das Feld; und wie bei uns der franzoesische +Frack den germanischen Deutschrock ins Leben gerufen hat, so hat auch der +Rueckschlag des Hellenismus in Rom eine Richtung erweckt, die sich in einer den +frueheren Jahrhunderten durchaus fremden Weise dem griechischen Einfluss +prinzipiell opponierte und dabei ziemlich haeufig in derbe Albernheiten und +Laecherlichkeiten verfiel. +</p> + +<p> +Es gab kein Gebiet des menschlichen Tuns und Sinnens, auf dem dieser Kampf der +alten und der neuen Weise nicht gefuehrt worden waere. Selbst die politischen +Verhaeltnisse wurden davon beherrscht. Das wunderliche Projekt, die Hellenen zu +emanzipieren, dessen wohlverdienter Schiffbruch frueher dargestellt ward; der +verwandte gleichfalls hellenische Gedanke der Solidaritaet der Republiken den +Koenigen gegenueber und die Propaganda hellenischer Politie gegen orientalische +Despotie, welche beide zum Beispiel fuer die Behandlung Makedoniens mit +massgebend gewesen sind, sind die fixen Ideen der neuen Schule, eben wie die +Karthagerfurcht die fixe Idee der alten war; und wenn Cato die letztere bis zur +Laecherlichkeit gepredigt hat, so ward auch mit dem Philhellenentum hier und da +wenigstens ebenso albern kokettiert - so zum Beispiel liess der Besieger des +Koenigs Antiochos nicht bloss sich in griechischer Tracht seine Bildsaeule auf +dem Kapitol errichten, sondern legte auch, statt auf gut lateinisch sich +Asiaticus zu nennen, den freilich sinn- und sprachwidrigen, aber doch +praechtigen und beinahe griechischen Beinamen Asiagenus sich zu ^1. Eine +wichtigere Konsequenz dieser Stellung der herrschenden Nation zu dem +Hellenentum war es, dass die Latinisierung in Italien ueberall, nur nicht den +Hellenen gegenueber Boden gewann. Die Griechenstaedte in Italien, soweit der +Krieg sie nicht zernichtete, blieben griechisch. In Apulien, um das die Roemer +sich freilich wenig bekuemmerten, scheint eben in dieser Epoche der Hellenismus +vollstaendig durchgedrungen zu sein und die dortige lokale Zivilisation mit der +verbluehenden hellenischen sich ins Niveau gesetzt zu haben. Die Ueberlieferung +schweigt zwar davon; aber die zahlreichen, durchgaengig mit griechischer +Aufschrift versehenen Stadtmuenzen und die hier allein in Italien mehr +schwunghaft und praechtig als geschmackvoll betriebene Fabrikation bemalter +Tongefaesse nach griechischer Art zeigen uns Apulien vollstaendig eingegangen +in griechische Art und griechische Kunst. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Dass Asiagenus die urspruengliche Titulatur des Helden von Magnesia und +seiner Deszendenten war, ist durch Muenzen und Inschriften festgestellt; wenn +die kapitolinischen Fasten ihn Asiaticus nennen, so stellt sich dies zu den +mehrfach vorkommenden Spuren nicht gleichzeitiger Redaktion. Es kann jener +Beiname nichts sein als eine Korruption von Ασιαγένης. wie auch spaetere +Schriftsteller wohl dafuer schreiben, was aber nicht den Sieger von Asia +bezeichnet, sondern den geborenen Asiaten. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Aber der eigentliche Kampfplatz des Hellenismus und seiner nationalen +Antagonisten war in der gegenwaertigen Periode das Gebiet des Glaubens und der +Sitte und der Kunst und Literatur; und es darf nicht unterlassen werden, von +dieser freilich in tausenderlei Richtungen zugleich sich bewegenden und schwer +zu einer Anschauung zusammenzufassenden grossen Prinzipienfehde eine +Darstellung zu versuchen. +</p> + +<p> +Wie der alte einfache Glaube noch jetzt in den Italikern lebendig war, zeigt am +deutlichsten die Bewunderung oder Verwunderung, welche dies Problem der +italischen Froemmigkeit bei den hellenischen Zeitgenossen erregte. Bei dem +Zwiste mit den Aetolern bekam es der roemische Oberfeldherr zu hoeren, dass er +waehrend der Schlacht nichts getan habe als wie ein Pfaffe beten und opfern; +wogegen Polybios mit seiner etwas platten Gescheitheit seine Landsleute auf die +politische Nuetzlichkeit dieser Gottesfurcht aufmerksam macht und sie belehrt, +dass der Staat nun einmal nicht aus lauter klugen Leuten bestehen koenne und +dergleichen Zeremonien um der Menge willen sehr zweckmaessig seien. +</p> + +<p> +Aber wenn man in Italien noch besass, was in Hellas laengst eine Antiquitaet +war, eine nationale Religion, so fing sie doch schon sichtlich an, sich zur +Theologie zu verknoechern. In nichts vielleicht tritt die beginnende Erstarrung +des Glaubens so bestimmt hervor wie in den veraenderten oekonomischen +Verhaeltnissen des Gottesdienstes und der Priesterschaft. Der oeffentliche +Gottesdienst wurde nicht bloss immer weitschichtiger, sondern vor allem auch +immer kostspieliger. Lediglich zu dem wichtigen Zweck, die Ausrichtung der +Goetterschmaeuse zu beaufsichtigen, wurde im Jahre 558 (196) zu den drei alten +Kollegien der Augurn, Pontifices und Orakelbewahrer ein viertes der drei +Schmausherren (tres viri epulones) hinzugefuegt. Billig schmausen nicht bloss +die Goetter, sondern auch ihre Priester; neuer Stiftungen indes bedurfte es +hierfuer nicht, da ein jedes Kollegium sich seiner Schmausangelegenheiten mit +Eifer und Andacht befliss. Neben den klerikalen Gelagen fehlt auch die +klerikale Immunitaet nicht. Die Priester nahmen selbst in Zeiten schwerer +Bedraengnis es als ihr Recht in Anspruch, zu den oeffentlichen Abgaben nicht +beizutragen und liessen erst nach sehr aergerlichen Kontroversen sich zur +Nachzahlung der rueckstaendigen Steuern zwingen (558 196). Wie fuer die +Gemeinde wurde auch fuer den einzelnen Mann die Froemmigkeit mehr und mehr ein +kostspieliger Artikel. Die Sitte der Stiftungen und ueberhaupt der Uebernahme +dauernder pekuniaerer Verpflichtungen zu religioesen Zwecken war bei den +Roemern in aehnlicher Weise wie heutzutage in den katholischen Laendern +verbreitet; diese Stiftungen, namentlich seit sie von der hoechsten geistlichen +und zugleich hoechsten Rechtsautoritaet der Gemeinde, den Pontifices, als eine +auf jeden Erben und sonstigen Erwerber des Gutes von Rechts wegen uebergehende +Reallast betrachtet wurden, fingen an, eine hoechst drueckende Vermoegenslast +zu werden - “Erbschaft ohne Opferschuld” ward bei den Roemern +sprichwoertlich gesagt, etwa wie bei uns “Rose ohne Dornen”. Das +Geluebde des Zehnten der Habe wurde so gemein, dass jeden Monat ein paar Male +infolgedessen auf dem Rindermarkt in Rom oeffentliches Gastgebot abgehalten +ward. Mit dem orientalischen Kult der Goettermutter gelangten unter anderem +gottseligen Unfug auch die jaehrlich an festen Tagen wiederkehrenden, von Haus +zu Haus geheischten Pfennigkollekten (stipem cogere) nach Rom. Endlich die +untergeordnete Priester- und Prophetenschaft gab wie billig nichts fuer nichts; +und es ist ohne Zweifel aus dem Leben gegriffen, wenn auf der roemischen Buehne +in der ehelichen Gardinenkonversation neben der Kuechen-, Hebammen- und +Praesentenrechnung auch das fromme Konto mit erscheint: +</p> + +<p> +Gleichfalls, Mann, muss ich was haben auf den naechsten Feiertag +</p> + +<p> +Fuer die Kuesterin, fuer die Wahrsagerin, fuer die Traum- und die kluge Frau; +</p> + +<p> +Saehst du nur, wie die mich anguckt! Eine Schand’ ist’s, +schick’ ich nichts. +</p> + +<p> +Auch der Opferfrau durchaus mal geben muss ich ordentlich. +</p> + +<p> +Man schuf zwar in dieser Zeit in Rom nicht wie frueher einen Silber- so jetzt +einen Goldgott; aber in der Tat regierte er dennoch in den hoechsten wie in den +niedrigsten Kreisen des religioesen Lebens. Der alte Stolz der latinischen +Landesreligion, die Billigkeit ihrer oekonomischen Anforderungen, war +unwiederbringlich dahin. Aber gleichzeitig war es auch mit der alten +Einfachheit aus. Das Bastardkind von Vernunft und Glauben, die Theologie, war +bereits geschaeftig, die ihr eigene beschwerliche Weitlaeufigkeit und +feierliche Gedankenlosigkeit in den alten Landesglauben hinein und dessen Geist +damit auszutreiben. Der Katalog der Verpflichtungen und Vorrechte des +Jupiterpriesters zum Beispiel koennte fueglich im Talmud stehen. Mit der +natuerlichen Regel, dass nur die fehlerlos verrichtete religioese Pflicht den +Goettern genehm sei, trieb man es praktisch so weit, dass ein einzelnes Opfer +wegen wieder und wieder begangener Versehen bis dreissigmal hintereinander +wiederholt wird, dass die Spiele, die ja auch Gottesdienst waren, wenn der +leitende Beamte sich versprochen oder vergriffen oder die Musik einmal eine +unrichtige Pause gemacht hatte, als nicht geschehen galten und von vorne, oft +mehrere, ja bis zu sieben Malen hintereinander wieder begonnen werden massten. +In dieser Uebertreibung der Gewissenhaftigkeit liegt an sich schon ihre +Erstarrung; und die Reaktion dagegen, die Gleichgueltigkeit und der Unglaube +liessen auch nicht auf sich warten. Schon im Ersten Punischen Kriege (505 249) +kam es vor, dass mit den vor der Schlacht zu befragenden Auspizien der Konsul +selber offenkundigen Spott trieb - freilich ein Konsul aus dem absonderlichen +und im Guten und Boesen der Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Gegen +das Ende dieser Epoche werden schon Klagen laut, dass die Augurallehre +vernachlaessigt werde und dass, mit Cato zu reden, eine Menge alter Vogelkunden +und Vogelschauungen durch die Traegheit des Kollegiums in Vergessenheit geraten +sei. Ein Augur wie Lucius Paullus, der in dem Priestertum eine Wissenschaft und +nicht einen Titel sah, war bereits eine seltene Ausnahme und musste es auch +wohl sein, wenn die Regierung immer offener und ungescheuter die Auspizien zur +Durchsetzung ihrer politischen Absichten benutzte, das heisst die +Landesreligion nach Polybios’ Auffassung als einen zur Prellung des +grossen Publikums brauchbaren Aberglauben behandelte. Wo also vorgearbeitet +war, fand die hellenistische Irreligiositaet offene Bahn. Mit der beginnenden +Kunstliebhaberei fingen schon zu Catos Zeit die heiligen Bildnisse der Goetter +an, die Zimmer der Reichen gleich anderem Hausgeraet zu schmuecken. +Gefaehrlichere Wunden schlug der Religion die beginnende Literatur. Zwar offene +Angriffe durfte sie nicht wagen, und was geradezu durch sie zu den religioesen +Vorstellungen hinzukam, wie zum Beispiel durch Ennius, der in Nachbildung des +griechischen Uranos dem roemischen Saturnus geschoepfte Vater Caelus, war wohl +auch hellenistisch, aber nicht von grosser Bedeutung. Folgenreich dagegen war +die Verbreitung der Epicharmischen und Euhemeristischen Lehren in Rom. Die +poetische Philosophie, welche die spaeteren Pythagoreer aus den Schriften des +alten sizilischen Lustspieldichters Epicharmos von Megara (um 280 470) +ausgezogen oder vielmehr, wenigstens groesstenteils, ihm untergeschoben hatten, +sah in den griechischen Goettern Natursubstanzen, in Zeus die Luft, in der +Seele ein Sonnenstaeubchen und so weiter; insofern diese Naturphilosophie, +aehnlich wie in spaeterer Zeit die stoische Lehre, in ihren allgemeinsten +Grundzuegen der roemischen Religion wahlverwandt war, war sie geeignet, die +allegorisierende Aufloesung der Landesreligion einzuleiten. Eine +historisierende Zersetzung der Religion lieferten die “heiligen +Memoiren” des Euhemeros von Messene (um 450 300), die in Form von +Berichten ueber die von dem Verfasser in das wunderbare Ausland getanen Reisen +die von den sogenannten Goettern umlaufenden Nachrichten gruendlich und +urkundlich sichteten und im Resultat darauf hinausliefen, dass es Goetter weder +gegeben habe noch gebe. Zur Charakteristik des Buches mag das eine genuegen, +dass die Geschichte von Kronos’ Kinderverschlingung erklaert wird aus der +in aeltester Zeit bestehenden und durch Koenig Zeus abgeschafften +Menschenfresserei. Trotz oder auch durch seine Plattheit und Tendenzmacherei +machte das Produkt in Griechenland ein unverdientes Glueck und half in +Gemeinschaft mit den gangbaren Philosophien dort die tote Religion begraben. Es +ist ein merkwuerdiges Zeichen des ausgesprochenen und wohlbewussten +Antagonismus zwischen der Religion und der neuen Literatur, dass bereits Ennius +diese notorisch destruktiven Epicharmischen und Euhemeristischen Schriften ins +Lateinische uebertrug. Die Uebersetzer moegen vor der roemischen Polizei sich +damit gerechtfertigt haben, dass die Angriffe sich nur gegen die griechischen +und nicht gegen die latinischen Goetter wandten; aber die Ausrede war ziemlich +durchsichtig. In seinem Sinne hatte Cato ganz recht, diese Tendenzen, wo immer +sie ihm vorkamen, ohne Unterschied mit der ihm eigenen Bitterkeit zu verfolgen +und auch den Sokrates einen Sittenverderber und Religionsfrevler zu heissen. +</p> + +<p> +So ging es mit der alten Landesreligion zusehends auf die Neige; und wie man +die maechtigen Staemme des Urwaldes rodete, bedeckte sich der Boden mit +wucherndem Domgestruepp und bis dahin nicht gesehenem Unkraut. Inlaendischer +Aberglaube und auslaendische Afterweisheit gingen buntscheckig durch-, neben- +und gegeneinander. Kein italischer Stamm blieb frei von der Umwandlung alten +Glaubens in neuen Aberglauben. Wie bei den Etruskern die Gedaerme- und +Blitzweisheit, so stand bei den Sabellern, besonders den Marsern, die freie +Kunst des Vogelguckens und Schlangenbeschwoerens in ueppigem Flor. Sogar bei +der latinischen Nation, ja in Rom selbst begegnen, obwohl hier +verhaeltnismaessig am wenigsten, doch auch aehnliche Erscheinungen - so die +praenestinischen Spruchlose und in Rom im Jahre 573 (181) die merkwuerdige +Entdeckung des Grabes und der hinterlassenen Schriften des Koenigs Numa, welche +ganz unerhoerten und seltsamen Gottesdienst vorgeschrieben haben sollen. Mehr +als dies und dass die Buecher sehr neu ausgesehen haetten, erfuhren die +Glaubensdurstigen zu ihrem Leidwesen nicht; denn der Senat legte die Hand auf +den Schatz und liess die Rollen kurzweg ins Feuer werfen. Die inlaendische +Fabrikation reichte also vollkommen aus, um jeden billigerweise zu verlangenden +Bedarf von Unsinn zu decken; allein man war weit entfernt, sich daran genuegen +zu lassen. Der damalige, bereits denationalisierte und von orientalischer +Mystik durchdrungene Hellenismus brachte wie den Unglauben so auch den +Aberglauben in seinen aergerlichsten und gefaehrlichsten Gestaltungen nach +Italien, und eben als auslaendischer hatte dieser Schwindel noch einen ganz +besonderen Reiz. Die chaldaeischen Astrologen und Nativitaetensteller waren +schon im sechsten Jahrhundert durch ganz Italien verbreitet; noch weit +bedeutender aber, ja weltgeschichtlich epochemachend war die Aufnahme der +phrygischen Goettermutter unter die oeffentlich anerkannten Goetter der +roemischen Gemeinde, zu der die Regierung waehrend der letzten bangen Jahre des +Hannibalischen Krieges (550 204) sich hatte verstehen muessen. Es ging deswegen +eine eigene Gesandtschaft nach Pessinus, einer Stadt des kleinasiatischen +Keltenlandes, und der raube Feldstein, den die dortige Priesterschaft als die +richtige Mutter Kybele den Fremden freigebig verehrte, ward mit unerhoertem +Gepraenge von der Gemeinde eingeholt, ja es wurden zur ewigen Erinnerung an das +froehliche Ereignis unter den hoeheren Staenden Klubgesellschaften mit +umgehender Bewirtung der Mitglieder untereinander gestiftet, welche das +beginnende Cliquentreiben wesentlich gefoerdert zu haben scheinen. Mit der +Konzessionierung dieses Kybelekultes fusste die Gottesverehrung der Orientalen +offiziell Fuss in Rom, und wenn auch die Regierung noch streng darauf hielt, +dass die Kastratenpriester der neuen Goetter Kelten (Galli), wie sie hiessen, +auch blieben und noch kein roemischer Buerger zu diesem frommen Eunuchentum +sich hergab, so musste dennoch der wueste Apparat der “Grossen +Mutter”, diese, mit dem Obereunuchen an der Spitze unter fremdlaendischer +Musik von Pfeifen und Pauken in orientalischer Kleiderpracht durch die Gassen +aufziehende und von Haus zu Haus bettelnde Priesterschaft und das ganze +sinnlich-moenchische Treiben vom wesentlichsten Einfluss auf die Stimmung und +Anschauung des Volkes sein. Wohin das fuehrte, zeigte sich nur zu rasch und nur +zu schrecklich. Wenige Jahre spaeter (568 186) kam eine Muckerwirtschaft der +scheusslichsten Art bei den roemischen Behoerden zur Anzeige, eine geheime +naechtliche Feier zu Ehren des Gottes Bakchos, die durch einen griechischen +Pfaffen zuerst nach Etrurien gekommen war und, wie ein Krebsschaden um sich +fressend, sich rasch nach Rom und ueber ganz Italien verbreitet, ueberall die +Familien zerruettet und die aergsten Verbrechen, unerhoerte Unzucht, +Testamentsfaelschungen, Giftmorde hervorgerufen hatte. Ueber 7000 Menschen +wurden deswegen kriminell, grossenteils mit dem Tode bestraft und strenge +Vorschriften fuer die Zukunft erlassen; dennoch gelang es nicht, der Wirtschaft +Herr zu werden, und sechs Jahre spaeter (574 180) klagte der betreffende +Beamte, dass wieder 3000 Menschen verurteilt seien und noch kein Ende sich +absehen lasse. +</p> + +<p> +Natuerlich waren in der Verdammung dieser ebenso unsinnigen wie +gemeinschaedlichen Afterfroemmigkeit alle vernuenftigen Leute sich einig; die +altglaeubigen Frommen wie die Angehoerigen der hellenischen Aufklaerung trafen +hier im Spott wie im Aerger zusammen. Cato setzte seinem Wirtschafter in die +Instruktion, “dass er ohne Vorwissen und Auftrag des Herrn kein Opfer +darbringen noch fuer sich darbringen lassen solle ausser an dem Hausherd und am +Flurfest auf dem Fluraltar, und dass er nicht sich Rats erholen duerfe weder +bei einem Eingeweidebeschauer noch bei einem klugen Mann noch bei einem +Chaldaeer”. Auch die bekannte Frage, wie nur der Priester es anfange, das +Lachen zu verbeissen, wenn er seinem Kollegen begegne, ist ein Catonisches Wort +und urspruenglich auf den etruskischen Gedaermebetrachter angewandt worden. +Ziemlich in demselben Sinn schilt Ennius in echt euripideischem Stil auf die +Bettelpropheten und ihren Anhang: +</p> + +<p> +Diese aberglaeubischen Pfaffen, dieses freche Prophetenpack, +</p> + +<p> +Die verrueckt und die aus Faulheit, die gedraengt von Hungerpein, +</p> + +<p> +Wollen andern Wege weisen, die sie sich nicht finden aus, +</p> + +<p> +Schenken Schaetze dem, bei dem sie selbst den Pfennig betteln gehn. +</p> + +<p> +Aber in solchen Zeiten hat die Vernunft von vornherein gegen die Unvernunft +verlorenes Spiel. Die Regierung schritt freilich ein; die frommen Preller +wurden polizeilich gestraft und ausgewiesen, jede auslaendische nicht besonders +konzessionierte Gottesverehrung untersagt, selbst die Befragung des +verhaeltnismaessig unschuldigen Spruchorakels in Praeneste noch 512 (242) von +Amts wegen verhindert und, wie schon gesagt ward, das Muckerwesen streng +verfolgt. Aber wenn die Koepfe einmal gruendlich verrueckt sind, so setzt auch +der hoehere Befehl sie nicht wieder in die Richte. Wieviel die Regierung +dennoch nachgeben musste oder wenigstens nachgab, geht gleichfalls aus dem +Gesagten hervor. Die roemische Sitte, die etruskischen Weisen in vorkommenden +Faellen von Staats wegen zu befragen und deshalb auch auf die Fortpflanzung der +etruskischen Wissenschaft in den vornehmen etruskischen Familien von Regierungs +wegen hinzuwirken, sowie die Gestattung des nicht unsittlichen und auf die +Frauen beschraenkten Geheimdienstes der Demeter moegen wohl noch der aelteren, +unschuldigen und verhaeltnismaessig gleichgueltigen Uebernahme auslaendischer +Satzungen beizuzaehlen sein. Aber die Zulassung des Goettermutterdienstes ist +ein arges Zeichen davon, wie schwach dem neuen Aberglauben gegenueber sich die +Regierung fuehlte, vielleicht auch davon, wie tief er in sie selber +eingedrungen war; und ebenso ist es entweder eine unverzeihliche +Nachlaessigkeit oder etwas noch Schlimmeres, dass gegen eine Wirtschaft, wie +die Bacchanalien waren, erst so spaet und auch da noch auf eine zufaellige +Anzeige hin von den Behoerden eingeschritten ward. +</p> + +<p> +Wie nach der Vorstellung der achtbaren Buergerschaft dieser Zeit das roemische +Privatleben beschaffen sein sollte, laesst sich im wesentlichen abnehmen aus +dem Bilde, das uns von dem des aelteren Cato ueberliefert worden ist. Wie +taetig Cato als Staatsmann, Sachwalter, Schriftsteller und Spekulant auch war, +so war und blieb das Familienleben der Mittelpunkt seiner Existenz - besser ein +guter Ehemann sein, meinte er, als ein grosser Senator. Die haeusliche Zucht +war streng. Die Dienerschaft durfte nicht ohne Befehl das Haus verlassen noch +ueber die haeuslichen Vorgaenge mit Fremden schwatzen. Schwerere Strafen wurden +nicht mutwillig auferlegt, sondern nach einer gleichsam gerichtlichen +Verhandlung zuerkannt und vollzogen; wie scharf es dabei herging, kann man +daraus abnehmen, dass einer seiner Sklaven wegen eines ohne Auftrag von ihm +abgeschlossenen und dem Herrn zu Ohren gekommenen Kaufhandels sich erhing. +Wegen leichter Vergehen, zum Beispiel bei Beschickung der Tafel vorgekommener +Versehen, pflegte der Konsular dem Fehlbaren die verwirkten Hiebe nach Tische +eigenhaendig mit dem Riemen aufzuzaehlen. Nicht minder streng hielt er Frau und +Kinder in Zucht, aber in anderer Art; denn an die erwachsenen Kinder und an die +Frau Hand anzulegen wie an die Sklaven, erklaerte er fuer suendhaft. Bei der +Wahl der Frau missbilligte er die Geldheiraten und empfahl, auf gute Herkunft +zu sehen, heiratete uebrigens selbst im Alter die Tochter eines seiner armen +Klienten. Uebrigens nahm er es mit der Enthaltsamkeit auf Seiten des Mannes so, +wie man es damit ueberall in Sklavenlaendern nimmt; auch galt ihm die Ehefrau +durchaus nur als ein notwendiges Uebel. Seine Schriften fliessen ueber von +Scheltreden gegen das schwatzhafte, putzsuechtige, unregierliche schoene +Geschlecht; “ueberlaestig und hoffaertig sind die Frauen alle” - +meinte der alte Herr - und “waeren die Menschen der Weiber los, so +moechte unser Leben wohl minder gottlos sein”. Dagegen war die Erziehung +der ehelichen Kinder ihm Herzens- und Ehrensache und die Frau in seinen Augen +eigentlich nur der Kinder wegen da. Sie naehrte in der Regel selbst, und wenn +sie ihre Kinder an der Brust von Sklavinnen saugen liess, so legte sie dafuer +auch wohl selbst deren Kinder an die eigene Brust - einer der wenigen Zuege, +worin das Bestreben hervortritt, durch menschliche Beziehungen, +Muttergemeinschaft und Milchbruederschaft die Institution der Sklaverei zu +mildern. Bei dem Waschen und Wickeln der Kinder war der alte Feldherr, wenn +irgend moeglich, selber zugegen. Mit Ehrfurcht wachte er ueber die kindliche +Unschuld; wie in Gegenwart der vestalischen Jungfrauen, versichert er, habe er +in Gegenwart seiner Kinder sich gehuetet, ein schaendliches Wort in den Mund zu +nehmen und nie vor den Augen seiner Tochter die Mutter umfasst, ausser wenn +diese bei einem Gewitter in Angst geraten sei. Die Erziehung seines Sohnes ist +wohl der schoenste Teil seiner mannigfaltigen und vielfach ehrenwerten +Taetigkeit. Seinem Grundsatz getreu, dass der rotbackige Bube besser tauge als +der blasse, leitete der alte Soldat seinen Knaben selbst zu allen +Leibesuebungen an und lehrte ihn ringen, reiten, schwimmen und fechten und +Hitze und Frost ertragen. Aber er empfand auch sehr richtig, dass die Zeit +vorbei war, wo der Roemer damit auskam, ein tuechtiger Bauer und Soldat zu +sein, und ebenso den nachteiligen Einfluss, den es auf das Gemuet des Knaben +haben musste, wenn er in dem Lehrer, der ihn gescholten und gestraft und ihm +Ehrerbietung abgewonnen hatte, spaeterhin einen Sklaven erkannte. Darum lehrte +er selbst den Knaben, was der Roemer zu lernen pflegte, lesen und schreiben und +das Landrecht kennen; ja er arbeitete noch in spaeten Jahren sich in die +allgemeine Bildung der Hellenen soweit hinein, dass er imstande war, das, was +er daraus dem Roemer brauchbar erachtete, seinem Sohn in der Muttersprache zu +ueberliefern. Auch seine ganze Schriftstellerei war zunaechst auf den Sohn +berechnet, und sein Geschichtswerk schrieb er fuer diesen mit grossen +deutlichen Buchstaben eigenhaendig ab. Er lebte schlicht und sparsam. Seine +strenge Wirtschaftlichkeit litt keine Luxusausgaben. Kein Sklave durfte ihn +mehr kosten als 1500 (460 Taler), kein Kleid mehr als 100 Denare (30 Taler); in +seinem Haus sah man keinen Teppich und lange Zeit an den Zimmerwaenden keine +Tuenche. Fuer gewoehnlich ass und trank er dieselbe Kost mit seinem Gesinde und +litt nicht, dass die Mahlzeit ueber 30 Asse (21 Groschen) an baren Auslagen zu +stehen kam; im Kriege war sogar der Wein durchgaengig von seinem Tisch verbannt +und trank er Wasser oder nach Umstaenden Wasser mit Essig gemischt. Dagegen war +er kein Feind von Gastereien; sowohl mit seiner Klubgesellschaft in der Stadt +als auch auf dem Lande mit seinen Gutsnachbarn sass er gern und lange bei +Tafel, und wie seine mannigfaltige Erfahrung und sein schlagfertiger Witz ihn +zu einem beliebten Gesellschafter machten, so verschmaehte er auch weder die +Wuerfel noch die Flasche, teilte sogar in seinem Wirtschaftsbuch unter anderen +Rezepten ein erprobtes Hausmittel mit fuer den Fall, dass man eine +ungewoehnlich starke Mahlzeit und einen allzutiefen Trunk getan. Sein ganzes +Sein bis ins hoechste Alter hinauf war Taetigkeit. Jeder Augenblick war +eingeteilt und ausgefuellt, und jeden Abend pflegte er bei sich zu +rekapitulieren, was er den Tag ueber gehoert, gesagt und getan hatte. So blieb +denn Zeit fuer die eigenen Geschaefte wie fuer die der Bekannten und der +Gemeinde und nicht minder fuer Gespraech und Vergnuegen; alles ward rasch und +ohne viel Reden abgetan, und in echtem Taetigkeitsinn war ihm nichts so +verhasst als die Vielgeschaeftigkeit und die Wichtigtuerei mit Kleinigkeiten. +</p> + +<p> +So lebte der Mann, der den Zeitgenossen und den Nachkommen als der rechte +roemische Musterbuerger galt und in dem, gegenueber dem griechischen +Muessiggang und der griechischen Sittenlosigkeit, die roemische, allerdings +etwas grobdraehtige Taetigkeit und Bravheit gleichsam verkoerpert erschienen - +wie denn ein spaeter roemischer Dichter sagt: +</p> + +<p> +Nichts ist an der fremden Sitt’ als tausendfache Schwindelei; +</p> + +<p> +Besser als der roemische Buerger fuehrt sich keiner auf der Welt; +</p> + +<p> +Mehr als hundert Sokratesse gilt der eine Cato mir. +</p> + +<p> +Solche Urteile wird die Geschichte nicht unbedingt sich aneignen; aber wer die +Revolution ins Auge fasst, welche der entartete Hellenismus dieser Zeit in dem +Leben und Denken der Roemer vollzog, wird geneigt sein, die Verurteilung der +fremden Sitte eher zu schaerfen als zu mildern. +</p> + +<p> +Die Bande der Familie lockerten sich mit grauenvoller Geschwindigkeit. +Pestartig griff die Grisetten- und Buhlknabenwirtschaft um sich, und wie die +Verhaeltnisse lagen, war es nicht einmal moeglich, gesetzlich dagegen. etwas +Wesentliches zu tun - die hohe Steuer, welche Cato als Zensor (570 184) auf +diese abscheulichste Gattung der Luxussklaven legte, wollte nicht viel bedeuten +und ging ueberdies ein paar Jahre darauf mit der Vermoegenssteuer ueberhaupt +tatsaechlich ein. Die Ehelosigkeit, ueber die schon zum Beispiel im Jahre 520 +(234) schwere Klage gefuehrt ward, und die Ehescheidungen nahmen natuerlich im +Verhaeltnis zu. Im Schosse der vornehmsten Familien kamen grauenvolle +Verbrechen vor, wie zum Beispiel der Konsul Gaius Calpurnius Piso von seiner +Gemahlin und seinem Stiefsohn vergiftet ward, um eine Nachwahl zum Konsulat +herbeizufuehren und dadurch dem letzeren das hoechste Amt zu verschaffen, was +auch gelang (574 180). Es beginnt ferner die Emanzipation der Frauen. Nach +alter Sitte stand die verheiratete Frau von Rechts wegen unter der +eheherrlichen, mit der vaeterlichen gleichstehenden Gewalt, die unverheiratete +unter der Vormundschaft ihrer naechsten maennlichen Agnaten, die der +vaeterlichen Gewalt wenig nachgab; eigenes Vermoegen hatte die Ehefrau nicht, +die vaterlose Jungfrau und die Witwe wenigstens nicht dessen Verwaltung. Aber +jetzt fingen die Frauen an, nach vermoegensrechtlicher Selbstaendigkeit zu +streben und teils auf Advokatenschleichwegen, namentlich durch Scheinehen, sich +der agnatischen Vormundschaft entledigend die Verwaltung ihres Vermoegens +selbst in die Hand zu nehmen, teils bei der Verheiratung sich auf nicht viel +bessere Weise der nach der Strenge des Rechts notwendigen eheherrlichen Gewalt +zu entziehen. Die Masse von Kapital, die in den Haenden der Frauen sich +zusammenfand, schien den Staatsmaennern der Zeit so bedenklich, dass man zu dem +exorbitanten Mittel griff, die testamentarische Erbeseinsetzung der Frauen +gesetzlich zu untersagen (585 169), ja sogar durch eine hoechst willkuerliche +Praxis auch die ohne Testament auf Frauen fallenden Kollateralerbschaften +denselben groesstenteils zu entziehen. Ebenso wurden die Familiengerichte ueber +die Frau, die an jene eheherrliche und vormundschaftliche Gewalt anknuepften, +praktisch mehr und mehr zur Antiquitaet. Aber auch in oeffentlichen Dingen +fingen die Frauen schon an, einen Willen zu haben und gelegentlich, wie Cato +meinte, “die Herrscher der Welt zu beherrschen”; in der +Buergerschaftsversammlung war ihr Einfluss zu spueren, ja es erhoben sich +bereits in den Provinzen Statuen roemischer Damen. +</p> + +<p> +Die Ueppigkeit stieg in Tracht, Schmuck und Geraet, in den Bauten und in der +Tafel; namentlich seit der Expedition nach Kleinasien im Jahre 564 (190) trug +der asiatisch-hellenische Luxus, wie er in Ephesos und Alexandreia herrschte, +sein leeres Raffinement und seine geld-, tag- und freudenverderbende +Kleinkraemerei ueber nach Rom. Auch hier waren die Frauen voran; sie setzten es +trotz Catos eifrigem Schelten durch, dass der bald nach der Schlacht von Cannae +(539 215) gefasste Buergerschaftsbeschluss, welcher ihnen den Goldschmuck, die +bunten Gewaender und die Wagen untersagte, nach dem Frieden mit Karthago (559 +195) wieder aufgehoben ward; ihrem eifrigen Gegner blieb nichts uebrig, als auf +diese Artikel eine hohe Steuer zu legen (570 184). Eine Masse neuer und +groesstenteils frivoler Gegenstaende, zierlich figuriertes Silbergeschirr, +Tafelsofas mit Bronzebeschlag, die sogenannten attalischen Gewaender und +Teppiche von schwerem Goldbrokat fanden jetzt ihren Weg nach Rom. Vor allem war +es die Tafel, um die dieser neue Luxus sich drehte. Bisher hatte man ohne +Ausnahme nur einmal am Tage warm gegessen; jetzt wurden auch bei dem zweiten +Fruehstueck (prandium) nicht selten warme Speisen aufgetragen, und fuer die +Hauptmahlzeit reichten die bisherigen zwei Gaenge nicht mehr aus. Bisher hatten +die Frauen im Hause das Brotbacken und die Kueche selber beschafft und nur bei +Gastereien hatte man einen Koch von Profession besonders gedungen, der dann +Speisen wie Gebaeck gleichmaessig besorgte. Jetzt dagegen begann die +wissenschaftliche Kochkunst. In den guten Haeusern ward ein eigener Koch +gehalten. Die Arbeitsteilung ward notwendig, und aus dem Kuechenhandwerk +zweigte das des Brot- und Kuchenbackens sich ab - um 583 (171) entstanden die +ersten Baeckerlaeden in Rom. Gedichte ueber die Kunst, gut zu essen, mit langen +Verzeichnissen der essenswertesten Seefische und Meerfruechte fanden ihr +Publikum; und es blieb nicht bei der Theorie. Auslaendische Delikatessen, +pontische Sardellen, griechischer Wein fingen an, in Rom geschaetzt zu werden, +und Catos Rezept, dem gewoehnlichen Landwein mittels Salzlake den Geschmack des +koischen zu geben, wird den roemischen Weinhaendlern schwerlich erheblichen +Abbruch getan haben. Das alte ehrbare Singen und Sagen der Gaeste und ihrer +Knaben wurde verdraengt durch die asiatischen Harfenistinnen. Bis dahin hatte +man in Rom wohl bei der Mahlzeit tapfer getrunken, aber eigentliche Trinkgelage +nicht gekannt; jetzt kam das foermliche Kneipen in Schwung, wobei der Wein +wenig oder gar nicht gemischt und aus grossen Bechern getrunken ward und das +Vortrinken mit obligater Nachfolge regierte, das “griechisch +Trinken” (Graeco more bibere) oder “griechen” (pergraecari, +congraecare), wie die Roemer es nennen. Im Gefolge dieser Zechwirtschaft nahm +das Wuerfelspiel, das freilich bei den Roemern laengst ueblich war, solche +Verhaeltnisse an, dass die Gesetzgebung es noetig fand, dagegen einzuschreiten. +Die Arbeitsscheu und das Herumlungern griffen zusehends um sich ^2. Cato schlug +vor, den Markt mit spitzen Steinen pflastern zu lassen, um den Tagedieben das +Handwerk zu legen; man lachte ueber den Spass und kam der Lust zu lottern und +zu gaffen von allen Seher. her entgegen. Der erschreckenden Ausdehnung der +Volkslustbarkeiten waehrend dieser Epoche wurde bereits gedacht. Zu Anfang +derselben ward, abgesehen von einigen unbedeutenden, mehr den religioesen +Zeremonien beizuzaehlenden Wettrennen und Wettfahrten, nur im Monat September +ein einziges allgemeines Volksfest von viertaegiger Dauer und mit einem fest +bestimmten Kostenmaximum abgehalten; am Schlusse derselben hatte dieses +Volksfest wenigstens schon sechstaegige Dauer und wurden ueberdies daneben zu +Anfang April das Fest der Goettermutter oder die sogenannten megalensischen, +gegen Ende April das Ceres- und das Flora-, im Juni das Apollo-, im November +das Plebejerfest und wahrscheinlich alle diese bereits mehrtaegig gefeiert. +Dazu kamen die zahlreichen Instaurationen, bei denen die fromme Skrupulositaet +vermutlich oft bloss als Vorwand diente, und die unaufhoerlichen +ausserordentlichen Volksfeste, unter denen die schon erwaehnten Schmaeuse von +den Geloebniszehnten (2., 391), die Goetterschmaeuse, die Triumphal- und die +Leichenfeste und vor allem die Festlichkeiten hervortreten, welche nach dem +Abschluss eines der laengeren, durch die etruskisch-roemische Religion +abgegrenzten Zeitraeume, der sogenannten Saecula, zuerst im Jahre 505 (249), +gefeiert wurden. Gleichzeitig mehrten sich die Hausfeste. Waehrend des Zweiten +Punischen Krieges kamen unter den Vornehmen die schon erwaehnten Schmausereien +an dem Einzugstag der Goettermutter auf (seit 550 204), unter den geringeren +Leuten die aehnlichen Saturnalien (seit 537 217); beide unter dem Einfluss der +fortan festverbuendeten Gewalten des fremden Pfaffen und des fremden Kochs. Man +war ganz nahe an dem idealen Zustand, dass jeder Tagedieb wusste, wo er jeden +Tag verderben konnte; und das in einer Gemeinde, wo sonst fuer jeden einzelnen +wie fuer alle zusammen die Taetigkeit Lebenszweck und das muessige Geniefeen +von der Sitte wie vom Gesetz geaechtet gewesen war! Dabei machten innerhalb +dieser Festlichkeiten die schlechten und demoralisierenden Elemente mehr und +mehr sich geltend. Den Glanz- und Schlusspunkt der Volksfeste bildeten freilich +nach wie vor noch die Wettfahrten; und ein Dichter dieser Zeit schildert sehr +anschaulich die Spannung, womit die Augen der Menge an dem Konsul hingen, wenn +er den Wagen das Zeichen zum Abfahren zu geben im Begriff war. Aber die +bisherigen Lustbarkeiten genuegten doch schon nicht mehr; man verlangte nach +neuen und mannigfaltigeren. Neben den einheimischen Ringern und Kaempfern +treten jetzt (zuerst 568 186) auch griechische Athleten auf. Von den +dramatischen Auffuehrungen wird spaeter die Rede sein; es war wohl auch ein +Gewinn von zweifelhaftem Wert, aber doch auf jeden Fall der beste bei dieser +Gelegenheit gemachte Erwerb, dass die griechische Komoedie und Tragoedie nach +Rom verpflanzt ward. Den Spass, Hasen und Fuechse vor dem Publikum laufen und +hetzen zu lassen, mochte man schon lange sich gemacht haben; jetzt wurden aus +diesen unschuldigen Jagden foermliche Tierhetzen, und die wilden Bestien +Afrikas, Loewen und Panther, wurden (zuerst nachweislich 568 186) mit grossen +Kosten nach Rom transportiert, um toetend oder sterbend den hauptstaedtischen +Gaffern zur Augenweide zu dienen. Die noch abscheulicheren Fechterspiele, wie +sie in Etrurien und Kampanien gangbar waren, fanden jetzt auch in Rom Eingang; +zuerst im Jahre 490 (264) wurde auf dem roemischen Markt Menschenblut zum +Spasse vergossen. Natuerlich trafen diese entsittlichenden Belustigungen auch +auf strengen Tadel; der Konsul des Jahres 476 (268), Publius Sempronius Sophus, +sandte seiner Frau den Scheidebrief zu, weil sie einem Leichenspiel beigewohnt +hatte; die Regierung setzte es durch, dass die Ueberfuehrung der auslaendischen +Bestien nach Rom durch Buergerbeschluss untersagt ward und hielt mit Strenge +darauf, dass bei den Gemeindefesten keine Gladiatoren erschienen. Allein auch +hier fehlte ihr doch sei es die rechte Macht oder die rechte Energie; es gelang +zwar, wie es scheint, die Tierhetzen niederzuhalten, aber das Auftreten von +Fechterpaaren bei Privatfesten, namentlich bei Leichenfeiern, ward nicht +unterdrueckt. Noch weniger war es zu verhindern, dass das Publikum dem +Tragoeden den Komoedianten, dem Komoedianten den Seiltaenzer, dem Seiltaenzer +den Fechter vorzog und die Schaubuehne sich mit Vorliebe in dem Schmutze des +hellenischen Lebens herumtrieb. Was von bildenden Elementen in den szenischen +und musischen Spielen enthalten war, gab man von vornherein preis; die Absicht +der roemischen Festgeber ging ganz und gar nicht darauf, durch die Macht der +Poesie die gesamte Zuschauerschaft wenn auch nur voruebergehend auf die Hoehe +der Empfindung der Besten zu erheben, wie es die griechische Buehne in ihrer +Bluetezeit tat, oder einem ausgewaehlten Kreise einen Kunstgenuss zu bereiten, +wie unsere Theater es versuchen. Wie in Rom Direktion und Zuschauer beschaffen +waren, zeigt der Auftritt bei den Triumphalspielen 587 (167), wo die ersten +griechischen Floetenspieler, da sie mit ihren Melodien durchfielen, vom +Regisseur angewiesen wurden, statt zu musizieren miteinander zu boxen, worauf +denn der Jubel kein Ende nehmen wollte. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +^2 Eine Art Parabase in dem Plautinischen ‘Curculio’ schildert das +derzeitige Treiben auf dem hauptstaedtischen Markte, zwar mit wenig Witz, aber +mit grosser Anschaulichkeit: +</p> + +<p> +Lasst euch weisen, welchen Orts ihr welche Menschen finden moegt, +</p> + +<p> +Dass nicht seine Zeit verliere, wer von euch zu sprechen wuenscht +</p> + +<p> +Einen rechten oder schlechten, guten oder schlimmen Mann. +</p> + +<p> +Suchst Du einen Eidesfaelscher? auf die Dingstatt schick’ ich Dich. +</p> + +<p> +Einen Luegensack und Prahlhans? geh zur Cluacina hin. +</p> + +<p> +[Reiche wueste Ehemaenner sind zu haben im Bazar; +</p> + +<p> +Auch der Lustknab’ ist zu Haus dort und wer auf Geschaeftchen passt.] +</p> + +<p> +Doch am Fischmarkt sind, die gehen kneipen aus gemeinem Topf. +</p> + +<p> +Brave Maenner, gute Zahler wandeln auf dem untern Markt, +</p> + +<p> +In der Mitt’ am Graben aber die, die nichts als Schwindler sind. +</p> + +<p> +Dreiste Schwaetzer, boese Buben stehn zusammen am Bassin; +</p> + +<p> +Mit der frechen Zunge schimpfen sie um nichts die Leute aus +</p> + +<p> +Und doch liefern wahrlich selber gnug, das man ruegen mag. +</p> + +<p> +Unter den alten Buden sitzen, welche Geld auf Zinsen leihn; +</p> + +<p> +Unterm Kastortempel, denen rasch zu borgen schlecht bekommt; +</p> + +<p> +Auf der Tuskergasse sind die Leute, die sich bieten feil; +</p> + +<p> +Im Velabrum hat es Baecker, Fleischer, Opferpfaffen auch, +</p> + +<p> +Schuldner den Termin verlaengernd, Wuchrer verhelfend zum Ganttermin: +</p> + +<p> +Reiche wueste Ehemaenner bei Leucadia Oppia. +</p> + +<p> +Die eingeklammerten Verse sind ein spaeterer, erst nach Erbauung des ersten +roemischen Basars (570 184) eingelegter Zusatz. +</p> + +<p> +Mit dem Geschaeft des Baeckers (pistor, woertlich Mueller) war in dieser Zeit +Delikatessenverkauf und Kneipgelegenheit verbunden (Fest. v. alicariae p. 7 +Mueller; Plaut. Capt. 160; Poen. 1, 2, 54; Trin. 407). Dasselbe gilt von den +Fleischern. Leucadia Oppia mag ein schlechtes Haus gehalten haben. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +Schon verdarb nicht mehr bloss die hellenische Ansteckung die roemischen +Sitten, sondern umgekehrt fingen die Schueler an, die Lehrmeister zu +demoralisieren. Die Fechterspiele, die in Griechenland unbekannt waren, fuehrte +Koenig Antiochos Epiphanes (579-590 175-164), der Roemeraffe von Profession, +zuerst am syrischen Hofe ein, und obwohl sie dem menschlicheren und +kunstsinnigeren griechischen Publikum anfangs mehr Abscheu als Freude erregten, +so hielten sie sich doch dort ebenfalls und kamen allmaehlich in weiteren +Kreisen in Gebrauch. +</p> + +<p> +Selbstverstaendlich hatte diese Revolution in Leben und Sitte auch eine +oekonomische Revolution in ihrem Gefolge. Die Existenz in der Hauptstadt ward +immer begehrter wie immer kostspieliger. Die Mieten stiegen zu unerhoerter +Hoehe. Die neuen Luxusartikel wurden mit Schwindelpreisen bezahlt; das +Faesschen Sardellen aus dem Schwarzen Meer mit 1600 Sesterzen (120 Taler) +hoeher als ein Ackerknecht, ein huebscher Knabe mit 24000 Sesterzen (1800 +Taler) hoeher als mancher Bauernhof. Geld also und nichts als Geld war die +Losung fuer hoch und niedrig. Schon lange tat in Griechenland niemand etwas +umsonst, wie die Griechen selber mit unloeblicher Naivitaet einraeumten; seit +dem Zweiten Makedonischen Krieg fingen die Roemer an, auch in dieser Hinsicht +zu hellenisieren. Die Respektabilitaet musste mit gesetzlichen Notstuetzen +versehen und zum Beispiel durch Volksschluss den Sachwaltern untersagt werden, +fuer ihre Dienste Geld zu nehmen; eine schoene Ausnahme machten nur die +Rechtsverstaendigen, die bei ihrer ehrbaren Sitte, guten Rat umsonst zu geben, +nicht durch Buergerbeschluss festgehalten zu werden brauchten. Man stahl +womoeglich nicht geradezu; aber alle krummen Wege, zu schnellem Reichtum zu +gelangen, schienen erlaubt: Pluenderung und Bettel, Lieferantenbetrug und +Spekulantenschwindel, Zins- und Kornwucher, selbst die oekonomische Ausnutzung +rein sittlicher Verhaeltnisse wie der Freundschaft und der Ehe. Vor allem die +letztere wurde auf beiden Seiten Gegenstand der Spekulation; Geldheiraten waren +gewoehnlich und es zeigte sich noetig, den Schenkungen, welche die Ehegatten +sich untereinander machten, die rechtliche Gueltigkeit abzuerkennen. Dass unter +Verhaeltnissen dieser Art Plaene zur Anzeige kamen, die Hauptstadt an allen +Ecken anzuzuenden, kann nicht befremden. Wenn der Mensch keinen Genuss mehr in +der Arbeit findet und bloss arbeitet, um so schnell wie moeglich zum Genuss zu +gelangen, so ist es nur ein Zufall, wenn er kein Verbrecher wird. Alle +Herrlichkeiten der Macht und des Reichtums hatte das Schicksal ueber die Roemer +mit voller Hand ausgeschuettet; aber wahrlich, die Pandorabuechse war eine Gabe +von zweifelhaftem Wert. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap14"></a>KAPITEL XIV.<br/> +Literatur und Kunst</h2> + +<p> +Die roemische Literatur beruht auf ganz eigentuemlichen, in dieser Art kaum bei +einer anderen Nation wiederkehrenden Anregungen. Um sie richtig zu wuerdigen, +ist es notwendig, zuvoerderst den Volksunterricht und die Volksbelustigungen +dieser Zeit ins Auge zu fassen. +</p> + +<p> +Alle geistige Bildung geht aus von der Sprache; und es gilt dies vor allem fuer +Rom. In einer Gemeinde, wo die Rede und die Urkunde so viel bedeutete, wo der +Buerger in einem Alter, in welchem man nach heutigen Begriffen noch Knabe ist, +bereits ein Vermoegen zu unbeschraenkter Verwaltung ueberkam und in den Fall +kommen konnte, vor der versammelten Gemeinde Standreden halten zu muessen, hat +man nicht bloss auf den freien und feinen Gebrauch der Muttersprache von jeher +grossen Wert gelegt, sondern auch frueh sich bemueht, denselben in den +Knabenjahren sich anzueignen. Auch die griechische Sprache war bereits in der +hannibalischen Zeit in Italien allgemein verbreitet. In den hoeheren Kreisen +war die Kunde der allgemein vermittelnden Sprache der alten Zivilisation +laengst haeufig gewesen und jetzt, bei dem durch die veraenderte Weltstellung +ungeheuer gesteigerten roemischen Verkehr mit Auslaendern und im Auslande, dem +Kaufmann wie dem Staatsmann wo nicht notwendig, doch vermutlich schon sehr +wesentlich. Durch die italische Sklaven- und Freigelassenschaft aber, die zu +einem sehr grossen Teil aus geborenen Griechen oder Halbgriechen bestand, drang +griechische Sprache und griechisches Wissen bis zu einem gewissen Grade ein +auch in die unteren Schichten namentlich der hauptstaedtischen Bevoelkerung. +Aus den Lustspielen dieser Zeit kann man sich ueberzeugen, dass eben der nicht +vornehmen hauptstaedtischen Menge ein Latein mundgerecht war, welches zum +rechten Verstaendnis das Griechische so notwendig voraussetzt wie Sternes +Englisch und Wielands Deutsch das Franzoesische ^1. Die Maenner der +senatorischen Familien aber redeten nicht bloss griechisch vor einem +griechischen Publikum, sondern machten auch diese Reden bekannt - so Tiberius +Gracchus (Konsul 577, 591 177,163) eine von ihm auf Rhodos gehaltene - und +schrieben in der hannibalischen Zeit ihre Chroniken griechisch, von welcher +Schriftstellerei spaeter noch zu sprechen sein wird. Einzelne gingen noch +weiter. Den Flamininus ehrten die Griechen durch Huldigungen in roemischer +Sprache; aber auch er erwiderte das Kompliment: der “grosse Feldherr der +Aeneiaden” brachte den griechischen Goettern nach griechischer Sitte mit +griechischen Distichen seine Weihgeschenke dar ^2. Einem anderen Senator +rueckte Cato es vor, dass er bei griechischen Trinkgelagen griechische +Rezitative mit der gehoerigen Modulation vorzutragen sich nicht geschaemt habe. +</p> + +<p> +————————————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Ein bestimmter Kreis griechischer Ausdruecke, wie stratioticus, machaera, +nauclerus, trapezita, danista, drapeta, oenopolium, bolus, malacus, morus, +graphicus, logus, apologus, techna, schema, gehoert durchaus zum Charakter der +Plautinischen Sprache; Uebersetzungen werden selten dazu gefuegt und nur bei +Woertern, die ausserhalb des durch jene Anfuehrungen bezeichneten Ideenkreises +stehen, wie zum Beispiel es im ‘Wilden’ (1, 1, 60), freilich in +einem vielleicht erst spaeter eingefuegten Verse heisst: φρόνησις est sapientia +[Edelmut ist Weisheit]. Auch griechische Brocken sind gemein, zum Beispiel in +der ‘Casina’ (3, 6, 9): +</p> + +<p> +πράγματά μοι παρέχεις - Dabo μέγα κακόν, ut opinor; +</p> + +<p> +ebenso griechische Wortspiele, zum Beispiel in ‘Die beiden Bacchis’ +(240): +</p> + +<p> +opus est chryso Chrysalo; +</p> + +<p> +wie denn auch Ennius die etymologische Bedeutung von Alexandros, Andromache als +den Zuschauern bekannt voraussetzt (Varro ling. 7, 82). Am bezeichnendsten sind +die halbgriechischen Bildungen wie ferritribax, plagipatida, pugilice oder im +‘Bramarbas’ (213): +</p> + +<p> +euge! euscheme hercle astitit sic dulice et comoedice! +</p> + +<p> +Ei die Tenuere! Holla, seht mir den Farceur da, den Akteur! +</p> + +<p> +^2 Eines dieser im Namen des Flamininus gedichteten Epigramme lautet also: +Dioskuren, o hoert, ihr freudigen Tummler der Rosse! +</p> + +<p> +Knaben des Zeus, o hoert, Spartas tyndarische Herrn! +</p> + +<p> +Titus der Aeneiade verehrt euch die herrliche Gabe, +</p> + +<p> +Als Freiheit verliehn er dem hellenischen Stamm. +</p> + +<p> +————————————————————————————— +</p> + +<p> +Unter dem Einfluss dieser Verhaeltnisse entwickelte sich der roemische +Unterricht. Es ist ein Vorurteil, dass in der allgemeinen Verbreitung der +elementaren Kenntnisse das Altertum hinter unserer Zeit wesentlich +zurueckgestanden habe. Auch unter den niederen Klassen und den Sklaven wurde +viel gelesen, geschrieben und gerechnet; bei dem Wirtschaftersklaven zum +Beispiel setzt Cato nach Magos Vorgang die Faehigkeit zu lesen und zu schreiben +voraus. Der Elementarunterricht sowie der Unterricht im Griechischen muessen +lange vor dieser Zeit in sehr ausgedehntem Umfang in Rom erteilt worden sein. +Dieser Epoche aber gehoeren die Anfaenge eines Unterrichts an, der statt einer +bloss aeusserlichen Abrichtung eine wirkliche Geistesbildung bezweckt. Bisher +hatte in Rom die Kenntnis des Griechischen im buergerlichen und geselligen +Leben so wenig einen Vorzug gegeben, wie etwa heutzutage in einem Dorfe der +deutschen Schweiz die Kenntnis des Franzoesischen ihn gibt; und die aeltesten +Schreiber griechischer Chroniken mochten unter den uebrigen Senatoren stehen +wie in den holsteinischen Marschen der Bauer, welcher studiert hat und des +Abends, wenn er vom Pfluge nach Hause kommt, den Virgilius vom Schranke nimmt. +Wer mit seinem Griechisch mehr vorstellen wollte, galt als schlechter Patriot +und als Geck; und gewiss konnte noch in Catos Zeit auch wer schlecht oder gar +nicht griechisch sprach, ein vornehmer Mann sein und Senator oder Konsul +werden. Aber es ward doch schon anders. Der innerliche Zersetzungsprozess der +italischen Nationalitaet war bereits, namentlich in der Aristokratie, weit +genug gediehen, um das Surrogat der Nationalitaet, die allgemein humane +Bildung, auch fuer Italien unvermeidlich zu machen; und auch der Drang nach +einer gesteigerten Zivilisation regte bereits sich maechtig. Diesem kam der +griechische Sprachunterricht gleichsam von selber entgegen. Von jeher ward +dabei die klassische Literatur, namentlich die ‘Ilias’ und mehr +noch die ‘Odyssee’ zu Grunde gelegt; die ueberschwenglichen +Schaetze hellenischer Kunst und Wissenschaft lagen damit bereits ausgebreitet +vor den Augen der Italiker da. Ohne eigentlich aeusserliche Umwandlung des +Unterrichts ergab es sich von selbst, dass aus dem empirischen Sprach- ein +hoeherer Literaturunterricht wurde, dass die an die Literatur sich knuepfende +allgemeine Bildung den Schuelern in gesteigertem Mass ueberliefert, dass die +erlangte Kunde von diesen benutzt ward, um einzudringen in die den Geist der +Zeit beherrschende griechische Literatur, die Euripideischen Tragoedien und die +Lustspiele Menanders. +</p> + +<p> +In aehnlicher Weise gewann auch der lateinische Unterricht ein groesseres +Schwergewicht. Man fing an, in der hoeheren Gesellschaft Roms das Beduerfnis zu +empfinden, die Muttersprache wo nicht mit der griechischen zu vertauschen, doch +wenigstens zu veredeln und dem veraenderten Kulturstand anzuschmiegen; und auch +hierfuer sah man in jeder Beziehung sich angewiesen auf die Griechen. Die +oekonomische Gliederung der roemischen Wirtschaft legte, wie jedes andere +geringe und um Lohn geleistete Geschaeft, so auch den Elementarunterricht in +der Muttersprache vorwiegend in die Haende von Sklaven, Freigelassenen oder +Fremden, das heisst vorwiegend von Griechen oder Halbgriechen ^3; es hatte dies +um so weniger Schwierigkeit, als das lateinische Alphabet dem griechischen fast +gleich, die beiden Sprachen nahe und auffaellig verwandt waren. Aber dies war +das wenigste; weit tiefer griff die formelle Bedeutung des griechischen +Unterrichts in den lateinischen ein. Wer da weiss, wie unsaeglich schwer es +ist, fuer die hoehere geistige Bildung der Jugend geeignete Stoffe und +geeignete Formen zu finden und wie noch viel schwieriger man von den einmal +gefundenen Stoffen und Formen sich losmacht, wird es begreifen, dass man dem +Beduerfnis eines gesteigerten lateinischen Unterrichts nicht anders zu genuegen +wusste, als indem man diejenige Loesung dieses Problems, welche der griechische +Sprach- und Literaturunterricht darstellte, auf den Unterricht im Lateinischen +einfach uebertrug - geht doch heutzutage in der Uebertragung der +Unterrichtsmethode von den toten auf die lebenden Sprachen ein ganz aehnlicher +Prozess unter unseren Augen vor. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^3 Ein solcher war zum Beispiel der Sklave des aelteren Cato, Chilon, der als +Kinderlehrer fuer seinen Herrn Geld erwarb (Plut. Cato mai. 20). +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Aber leider fehlte es zu einer solchen Uebertragung eben am Besten. Lateinisch +lesen und schreiben konnte man freilich an den Zwoelf Tafeln lernen; aber eine +lateinische Bildung setzte eine Literatur voraus und eine solche war in Rom +nicht vorhanden. +</p> + +<p> +Hierzu kam ein Zweites. Die Ausdehnung der roemischen Volkslustbarkeit ist +frueher dargestellt worden. Laengst spielte bei denselben die Buehne eine +bedeutende Rolle; die Wagenrennen waren wohl bei allen die eigentliche +Hauptbelustigung, fanden aber doch durchgaengig nur einmal, am Schlusstage +statt, waehrend die ersten Tage wesentlich dem Buehnenspiel anheimfielen. +Allein lange Zeit bestanden diese Buehnenvorstellungen hauptsaechlich in +Taenzen und Gaukelspiel; die improvisierten Lieder, die bei denselben auch +vorgetragen wurden, waren ohne Dialog und ohne Handlung. Jetzt erst sah man +fuer sie sich nach einem wirklichen Schauspiel um. Die roemischen +Volksfestlichkeiten standen durchaus unter der Herrschaft der Griechen, die ihr +Talent des Zeitvertreibs und Tageverderbes von selber den Roemern zu +Plaesiermeistern bestellte. Keine Volksbelustigung aber war in Griechenland +beliebter und keine mannigfaltiger als das Theater; dasselbe musste bald die +Blicke der roemischen Festgeber und ihres Hilfspersonals auf sich ziehen. Wohl +lag nun in dem aelteren roemischen Buehnenlied ein dramatischer, der +Entwicklung vielleicht faehiger Keim; allein daraus das Drama herauszubilden, +forderte vom Dichter wie vom Publikum eine Genialitaet im Geben und Empfangen, +wie sie bei den Roemern ueberhaupt nicht und am wenigsten in dieser Zeit zu +finden war; und waere sie zu finden gewesen, so wuerde die Hastigkeit der mit +dem Amuesement der Menge betrauten Leute schwerlich der edlen Frucht Ruhe und +Weile zur Zeitigung gegoennt haben. Auch hier war ein aeusserliches Beduerfnis +vorhanden, dem die Nation nicht zu genuegen vermochte; man wuenschte sich ein +Theater und es mangelten die Stuecke. +</p> + +<p> +Auf diesen Elementen beruht die roemische Literatur; und ihre Mangelhaftigkeit +war damit von vornherein und notwendig gegeben. Alle wirkliche Kunst beruht auf +der individuellen Freiheit und dem froehlichen Lebensgenuss, und die Keime zu +einer solchen hatten in Italien nicht gefehlt; allein indem die roemische +Entwicklung die Freiheit und Froehlichkeit durch das Gemeingefuehl und das +Pflichtbewusstsein ersetzte, ward die Kunst von ihr erdrueckt und musste statt +sich zu entwickelt. verkuemmern. Der Hoehepunkt der roemischen Entwicklung ist +die literaturlose Zeit. Erst als die roemische Nationalitaet sich aufzuloesen +und die hellenisch-kosmopolitischen Tendenzen sich geltend zu machen anfingen, +stellte im Gefolge derselben die Literatur in Rom sich ein; und darum steht sie +von Haus aus und mit zwingender innerlicher Noetigung auf griechischem Boden +und in schroffem Gegensatz gegen den spezifisch roemischen Nationalsinn. Vor +allem die roemische Poesie ging. zunaechst gar nicht aus dem innerlichen +Dichtertriebe hervor, sondern aus den aeusserlichen Anforderungen der Schule, +welche lateinische Lehrbuecher, und der Buehne, die lateinische Schauspiele +brauchte. Beide Institutionen aber, die Schule wie die Buehne, waren durch und +durch antiroemisch und revolutionaer. Der gaffende Theatermuessiggang war dem +Philisterernst wie dem Taetigkeitssinn der Roemer alten Schlags ein Greuel; und +wenn es der tiefste und grossartigste Gedanke in dem roemischen Gemeinwesen +war, dass es innerhalb der roemischen Buergerschaft keinen Herrn und keinen +Knecht, keinen Millionaer und keinen Bettler geben, vor allem aber der gleiche +Glaube und die gleiche Bildung alle Roemer umfassen sollte, so war die Schule +und die notwendig exklusive Schulbildung noch bei weitem gefaehrlicher, ja fuer +das Gleichheitsgefuehl geradezu zerstoerend. Schule und Theater wurden die +wirksamsten Hebel des neuen Geistes der Zeit und nur um so mehr, weil sie +lateinisch redeten. Man konnte vielleicht griechisch sprechen und schreiben, +ohne darum aufzuhoeren, ein Roemer zu sein; hier aber gewoehnte man sich, mit +roemischen Worten zu reden, waehrend das ganze innere Sein und Leben griechisch +ward. Es ist nicht eine der erfreulichsten Tatsachen in diesem glaenzenden +Saeculum des roemischen Konservativismus, aber wohl eine der merkwuerdigsten +und geschichtlich belehrendsten, wie waehrend desselben in dem gesamten nicht +unmittelbar politischen geistigen Gebiet der Hellenismus Wurzel geschlagen und +wie der Maître de Plaisir des grossen Publikums und der Kinderlehrer im engen +Bunde miteinander eine roemische Literatur erschaffen haben. +</p> + +<p> +Gleich in dem aeltesten roemischen Schriftsteller erscheint die spaetere +Entwicklung gleichsam in der Nuss. Der Grieche Andronikos (vor 482 bis nach 547 +272-207), spaeter als roemischer Buerger Lucius ^4 Livius Andronicus genannt, +kam in fruehem Alter im Jahre 482 (272) unter den anderen tarentinischen +Gefangenen nach Rom in den Besitz des Siegers von Sena, Marcus Livius Salinator +(Konsul 535, 547 219, 207). Sein Sklavengewerbe war teils die Schauspielerei +und Textschreiberei, teils der Unterricht in der lateinischen und griechischen +Sprache, welchen er sowohl den Kindern seines Herrn als auch anderen Knaben +vermoegender Maenner in und ausser dem Hause erteilte; er zeichnete sich dabei +so aus, dass sein Herr ihn freigab, und selbst die Behoerde, die sich seiner +nicht selten bedient, zum Beispiel nach der gluecklichen Wendung des +Hannibalischen Krieges 547 (207) ihm die Verfertigung des Dankliedes +uebertragen hatte, aus Ruecksicht fuer ihn der Poeten- und Schauspielerzunft +einen Platz fuer ihren gemeinsamen Gottesdienst im Minervatempel auf dem +Aventin einraeumte. Seine Schriftstellerei ging hervor aus seinem zwiefachen +Gewerbe. Als Schulmeister uebersetzte er die Odyssee ins Lateinische, um den +lateinischen Text ebenso bei seinem lateinischen wie den griechischen bei +seinem griechischen Unterricht zu Grunde zu legen; und es hat dieses aelteste +roemische Schulbuch seinen Platz im Unterricht durch Jahrhunderte behauptet. +Als Schauspieler schrieb er nicht bloss wie jeder andere sich die Texte selbst, +sondern er machte sie auch als Buecher bekannt, das heisst, er las sie +oeffentlich vor und verbreitete sie durch Abschriften. Was aber noch wichtiger +war, er setzte an die Stelle des alten wesentlich lyrischen Buehnengedichts das +griechische Drama. Es war im Jahre 514 (240), ein Jahr nach dem Ende des Ersten +Punischen Krieges, dass das erste Schauspiel auf der roemischen Buehne +aufgefuehrt ward. Diese Schoepfung eines Epos, einer Tragoedie, einer Komoedie +in roemischer Sprache und von einem Mann, der mehr Roemer als Grieche war, war +geschichtlich ein Ereignis; von einem kuenstlerischen Wert der Arbeiten kann +nicht die Rede sein. Sie verzichten auf jeden Anspruch an Originalitaet; als +Uebersetzungen aber betrachtet, sind sie von einer Barbarei, die nur um so +empfindlicher ist, als diese Poesie nicht naiv ihre eigene Einfalt vortraegt, +sondern die hohe Kunstbildung des Nachbarvolkes schulmeisterhaft nachstammelt. +Die starken Abweichungen vom Original sind nicht aus der Freiheit, sondern aus +der Roheit der Nachdichtung hervorgegangen; die Behandlung ist bald platt, bald +schwuelstig, die Sprache hart und verzwickt ^5. Man glaubt es ohne Muehe, was +die alten Kunstrichter versichern, dass, von den Zwangslesern in der Schule +abgesehen, keiner die Livischen Gedichte zum zweiten Male in die Hand nahm. +Dennoch wurden diese Arbeiten in mehrfacher Hinsicht massgebend fuer die +Folgezeit. Sie eroeffneten die roemische Uebersetzungsliteratur und buergerten +die griechischen Versmasse in Latium ein. Wenn dies nur hinsichtlich der Dramen +geschah und die Livische ‘Odyssee’ vielmehr in dem nationalen +saturnischen Masse geschrieben ward, so war der Grund offenbar, dass die Jamben +und Trochaeen der Tragoedie und Komoedie weit leichter sich im Lateinischen +nachbilden liessen als die epischen Daktylen. +</p> + +<p> +———————————————————————————— +</p> + +<p> +^4 Die spaetere Regel, dass der Freigelassene notwendig den Vornamen des +Patrons fuehrt, gilt fuer das republikanische Rom noch nicht. +</p> + +<p> +^5 In einem der Trauerspiele des Livius hiess es: +</p> + +<p> +quem ego néfrendem álui lácteam immulgéns opem. +</p> + +<p> +Milchfuell’ ein Zahnlosem melkend ihm aufnaehrt’ ich ihn. +</p> + +<p> +Die Homerischen Verse (Od. 12, 16) +</p> + +<p> +Ούδ' άρα Κίρκην +</p> + +<p> +εξ Αίδεω ελθόντες ελήθομεν, αλλά μάλ' 'ωκα +</p> + +<p> +ηλθ' εντυναμένη. άμα δ΄ αμφίπολοι φέρον αυτή +</p> + +<p> +σίτον καί κρέα πολλά καί αίθοπα οίνον ερυθρον. +</p> + +<p> +aber verborgen +</p> + +<p> +Kehrten der Kirke wir nicht vom Hades, sondern gar hurtig +</p> + +<p> +Kam sie gewaertig herbei; es trugen die dienenden Jungfraun +</p> + +<p> +Brot ihr und Fleisch in Fuell’ und den tiefrot funkelnden Wein her. +</p> + +<p> +werden also verdolmetscht: +</p> + +<p> +tópper cíti ad aédis - vénimús Círcae: +</p> + +<p> +simúl dúona córam (?) - pórtant ád návis. +</p> + +<p> +mília ália in ísdem - ínserínúntur. +</p> + +<p> +In Eil’ geschwinde kaemmen - wir zu Kirkes Hause. +</p> + +<p> +Zugleich vor uns die Gueter - bringt man zu den Schiffen +</p> + +<p> +Auch wurden aufgeladen - tausend andere Dinge. +</p> + +<p> +Am merkwuerdigsten ist nicht so sehr die Barbarei als die Gedankenlosigkeit des +Uebersetzers, der statt Kirke zum Odysseus vielmehr den Odysseus zur Kirke +schickt. Ein zweites, noch laecherlicheres Quiproquo ist die Uebersetzung von +αιδοίοιςιν έδωκα (Od. 15, 373) durch lusi (Fest. v. affatim p. 11). Dergleichen +ist auch geschichtlich nicht gleichgueltig; man erkennt darin die Stufe der +Geistesbildung, auf der diese aeltesten roemischen versezimmernden Schulmeister +standen; und nebenbei auch, dass dem Andronikos, wenn er gleich in Tarent +geboren war, doch das Griechische nicht eigentlich Muttersprache gewesen sein +kann. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Indes diese Vorstufe der literarischen Entwicklung ward bald ueberschritten. +Die Livischen Epen und Dramen galten den Spaeteren, und ohne Zweifel mit gutem +Recht, gleich den daedalischen Statuen von bewegungs- und ausdrucksloser +Starrheit mehr als Kuriositaeten denn als Kunstwerke. In der folgenden +Generation aber baute auf den einmal festgestellten Grundlagen eine lyrische, +epische und dramatische Kunst sich auf; und auch geschichtlich ist es von hoher +Wichtigkeit, dieser poetischen Entwicklung zu folgen. +</p> + +<p> +Sowohl dem Umfang der Produktion nach wie in der Wirkung auf das Publikum stand +an der Spitze der poetischen Entwicklung das Drama. Ein stehendes Theater mit +festem Eintrittsgeld gab es im Altertum nicht; in Griechenland wie in Rom trat +das Schauspiel nur als Bestandteil der jaehrlich wiederkehrenden oder auch +ausserordentlichen buergerlichen Lustbarkeiten auf. Zu den Massregeln, wodurch +die Regierung der mit Recht besorglich erscheinenden Ausdehnung der Volksfeste +entgegenwirkte oder entgegenzuwirken sich einbildete, gehoerte es mit, dass sie +die Errichtung eines steinernen Theatergebaeudes nicht zugab ^6. Statt dessen +wurde fuer jedes Fest ein Brettergeruest mit einer Buehne fuer die Akteure +(proscaenium, pulpitum) und einem dekorierten Hintergrund (scaena) +aufgeschlagen und im Halbzirkel vor derselben der Zuschauerplatz (cavea) +abgesteckt, welcher ohne Stufen und Sitze bloss abgeschraegt ward, so dass die +Zuschauer, soweit sie nicht Sessel sich mitbringen liessen, kauerten, lagen +oder standen ^7. Die Frauen moegen frueh abgesondert und auf die obersten und +schlechtesten Plaetze beschraenkt worden sein; sonst waren gesetzlich die +Plaetze nicht geschieden, bis man seit dem Jahre 560 (194), wie schon gesagt +ward, den Senatoren die untersten und besten Plaetze reservierte. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^6 Zwar wurde schon 575 (179) ein solches fuer die Apollinarischen Spiele am +Flaminischen Rennplatz erbaut (Liv. 40, 51; W. A. Becker, Topographie der Stadt +Rom, S. 605), aber wahrscheinlich bald darauf wieder niedergerissen. +</p> + +<p> +^7 Noch 599 (155) gab es Sitzplaetze im Theater nicht (F. W. Ritschl, Parerga +zu Plautus und Terentius. Bd. 1. Leipzig 1845, S. XVII, XX, 214; vgl. O. +Ribbeck, Die roemische Tragoedie im Zeitalter der Republik. Leipzig 1875, S. +285); wenn dennoch nicht bloss die Verfasser der plautinischen Prologe, sondern +schon Plautus selbst mehrfach auf ein sitzendes Publikum hindeutet (Mil. 82; +83; Aul. 4, 9, 6; Truc. a. E.; Epid. a. E.), so muessen wohl die meisten +Zuschauer sich Stuehle mitgebracht oder sich auf den Boden gesetzt haben. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Das Publikum war nichts weniger als vornehm. Allerdings zogen die besseren +Staende sich nicht von den allgemeinen Volkslustbarkeiten zurueck; die Vaeter +der Stadt scheinen sogar anstandshalber verpflichtet gewesen zu sein, sich bei +denselben zu zeigen. Aber wie es im Wesen eines Buergerfestes liegt, wurden +zwar Sklaven und wohl auch Auslaender ausgeschlossen, aber jedem Buerger mit +Frau und Kindern der Zutritt unentgeltlich verstattet ^8, und es kann darum die +Zuschauerschaft nicht viel anders gewesen sein, als wie man sie heutzutage bei +oeffentlichen Feuerwerken und Gratisvorstellungen sieht. Natuerlich ging es +denn auch nicht allzu ordentlich her: Kinder schrien, Frauen schwatzten und +kreischten, hier und da machte eine Dirne Anstalt, sich auf die Buehne zu +draengen; die Gerichtsdiener hatten an diesen Festtagen nichts weniger als +Feiertag und Gelegenheit genug hier einen Mantel abzupfaenden und da mit der +Rute zu wirken. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^8 Frauen und Kinder scheinen zu allen Zeiten im roemischen Theater zugelassen +worden zu sein (Val. Man.. 6, 3, 12; Plut. Quaest. conv. 14; Cic. har. resp. +12, 24; Vitr. 5, 3, 1; Suet. Aug. 44 usw.); aber Sklaven waren von Rechts wegen +ausgeschlossen (Cic, har. resp. 12, 26; Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. XIX, 223) +und dasselbe muss wohl von den Fremden gelten, abgesehen natuerlich von den +Gaesten der Gemeinde, die unter oder neben den Senatoren Platz nahmen (Varro 5, +155; Tust. 43, 5, 10; Suet. Aug. 44). +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Durch die Einfuehrung des griechischen Dramas steigerten sich wohl die +Anforderungen an das Buehnenpersonal und es scheint an faehigen Leuten kein +Oberfluss gewesen zu sein - ein Stueck des Naevius musste einmal in Ermangelung +von Schauspielern durch Dilettanten aufgefuehrt werden. Allein. in der Stellung +des Kuenstlers aenderte sich dadurch nichts; der Poet oder, wie er in dieser +Zeit genannt ward, der “Schreiber”, der Schauspieler und der +Komponist gehoerten nach wie vor nicht bloss zu der an sich gering geachteten +Klasse der Lohnarbeiter, sondern wurden auch vor wie nach in der oeffentlichen +Meinung auf die markierteste Weise zurueckgesetzt und polizeilich misshandelt +(l, 475). Natuerlich hielten sich alle reputierlichen Leute von diesem Gewerbe +fern - der Direktor der Truppe (dominus gregis, factionis, auch choragus), in +der Regel zugleich der Hauptschauspieler, war meist ein Freigelassener, ihre +Glieder in der Regel seine Sklaven; die Komponisten, die uns genannt werden, +sind saemtlich Unfreie. Der Lohn war nicht bloss gering - ein +Buehnendichterhonorar von 8000 Sesterzen (600 Taler) wird kurz nach dem Ende +dieser Periode als ein ungewoehnlich hohes bezeichnet -, sondern ward ueberdies +von den festgebenden Beamten nur gezahlt, wenn das Stueck nicht durchfiel. Mit +der Bezahlung war alles abgetan: von Dichterkonkurrenz und Ehrenpreisen, wie +sie in Attika vorkamen, war in Rom noch nicht die Rede - man scheint daselbst +in dieser Zeit, wie bei uns, nur geklatscht oder ausgepfiffen, auch an jedem +Tage nur ein einziges Stueck zur Auffuehrung gebracht zu haben ^9. Unter +solchen Verhaeltnissen, wo die Kunst um Tagelohn ging und es statt der +Kuenstlerehre nur eine Kuenstlerschande gab, konnte das neue roemische +Nationaltheater weder originell noch ueberhaupt nur kuenstlerisch sich +entwickeln; und wenn der edle Wetteifer der edelsten Athener die attische +Buehne ins Leben gerufen hatte, so konnte die roemische, im ganzen genommen, +nichts werden als eine Sudelkopie davon, bei der man nur sich wundert, dass sie +im einzelnen noch so viel Anmut und Witz zu entfalten vermocht hat. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^9 Aus den plautinischen Prologen (Cas. 17; Amph. 65) darf auf eine +Preisverteilung nicht geschlossen werden (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 229); +aber auch Trin. 706 kann sehr wohl dem griechischen Original, nicht dem +Uebersetzer angehoeren, und das voellige Stillschweigen der Didaskalien und +Prologe sowie der gesamten Ueberlieferung ueber Preisgerichte und Preise ist +entscheidend. +</p> + +<p> +Dass an jedem Tage nur ein Stueck gegeben wird, folgt daraus, dass die +Zuschauer am Beginn des Stuecks von Hause kommen (Poen. 10) und nach dem Ende +nach Hause gehen (Epid. Pseud. Rud. Stich. Truc. a. E.). Man kam, wie dieselben +Stellen zeigen, nach dem zweiten Fruehstueck ins Theater und war zur +Mittagszeit wieder zu Hause; es waehrte das Schauspiel also nach unserer +Rechnung etwa von Mittag bis halb drei Uhr, und so lange mag ein Plautinisches +Stueck mit der Musik in den Zwischenakten auch ungefaehr spielen (vgl. Hor. +epist. 2, 1. 1891. Wenn Tacitus (arm. 14 20) die Zuschauer “ganze +Tage” im Theater zubringen laesst, so sind dies Zustaende einer spaeteren +Zeit. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +In der Buehnenwelt ward das Trauerspiel bei weitem durch die Komoedie +ueberwogen; die Stirnen der Zuschauer runzelten sich, wenn statt des gehofften +Lustspiels ein Trauerspiel begann. So ist es gekommen, dass diese Zeit wohl +eigene Komoediendichter, wie Plautus und Caecilius, aufweist, eigene +Tragoediendichter aber nicht begegnen, und dass unter den dem Namen nach uns +bekannten Dramen dieser Epoche auf ein Trauerspiel drei Lustspiele kommen. +Natuerlich griffen die roemischen I.ustspieldichter oder vielmehr Uebersetzer +zunaechst nach den Stuecken, welche die hellenische Schaubuehne der Zeit +beherrschten; und damit fanden sie sich ausschliesslich ^10 gebannt in den +Kreis der neueren attischen Komoedie und zunaechst ihrer namhaftesten Dichter +Philemon von Soioi in Kilikien (394? - 492 360 - 262) und Menandros von Athen +(412-462 342-292). Dieses Lustspiel ist nicht bloss fuer die roemische +Literatur-, sondern selbst fuer die ganze Volksentwicklung so wichtig geworden, +dass auch die Geschichte Ursache hat, dabei zu verweilen. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^10 Die sparsame Benutzung der sogenannten mittleren Komoedie der Attiker kommt +geschichtlich nicht in Betracht, da diese nichts war als das minder entwickelte +menandrische Lustspiel. Vor. einer Benutzung der aelteren Komoedie mangelt jede +Spur. Die roemische Hilarotragoedie, die Gattung des Plautinischen Amphitryon, +heisst zwar den roemischen Literarhistorikern die Rhinthonische; aber auch die +neueren Attiker dichteten dergleichen Parodien und es ist nicht abzusehen, +warum die Roemer fuer ihre Uebersetzungen, statt auf diese naechstliegenden +Dichter, vielmehr auf Rinthon und die aelteren zurueckgegriffen haben sollten. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +Die Stuecke sind von ermuedender Einfoermigkeit. Fast ohne Ausnahme drehen sie +sich darum, einem jungen Menschen auf Kosten entweder seines Vaters oder auch +des Bordellhalters zum Besitze eines Liebchens von unzweifelhafter Anmut und +sehr zweifelhafter Sittlichkeit zu verhelfen. Der Weg zum Liebesglueck geht +regelmaessig durch irgendeine Geldprellerei, und der verschmitzte Bediente, der +die benoetigte Summe und die erforderliche Schwindelei liefert, waehrend der +Liebhaber ueber seine Liebes- und Geldnot jammert, ist das eigentliche Triebrad +des Stueckes. Es ist kein Mangel an obligaten Betrachtungen ueber Freude und +Leid der Liebe, an traenenreichen Abschiedsszenen, an Liebhabern, die vor +Herzenspein sich ein Leides anzutun drohen; die Liebe oder vielmehr die +Verliebtheit war, wie die alten Kunstrichter sagen, der eigentliche Lebenshauch +der Menandrischen Poesie. Den Schluss macht die wenigstens bei Menander +unvermeidliche Hochzeit; wobei noch zu mehrerer Erbauung und Befriedigung der +Zuschauer die Tugend des Maedchens sich herauszustellen pflegt als wenn nicht +ganz, doch so gut wie unbeschaedigt und das Maedchen selbst als die abhanden +gekommene Tochter eines reichen Mannes, demnach als eine in jeder Hinsicht gute +Partie. Neben diesen liebes- finden sich auch Ruehrstuecke; wie denn zum +Beispiel unter den Plautinischen Komoedien der ‘Strick’ sich um +Schiffbruch und Asylrecht bewegt, das ‘Dreitalerstueck’ und +‘Die Gefangenen’ gar keine Maedchenintrige enthalten, sondern die +edelmuetige Aufopferung des Freundes fuer den Freund, des Sklaven fuer den +Herrn schildern. Personen und Situationen wiederholen sich dabei wie auf einer +Tapete bis ins einzelne herab, wie man denn gar nicht herauskommt aus den +Apartes ungesehener Horcher, aus dem Anpochen an die Haustueren, aus den mit +irgendeinem Gewerbe durch die Strassen fegenden Sklaven; die stehenden Masken, +deren es eine gewisse feste Zahl, zum Beispiel acht Greisen-, sieben +Bedientenmasken gab, aus denen, in der Regel wenigstens, der Dichter nur +auszuwaehlen hatte, beguenstigten weiter die schablonenartige Behandlung. Eine +solche Komoedie musste wohl das lyrische Element in der aelteren, den Chor, +wegwerfen und sich von Haus aus auf Gespraech und hoechstens Rezitation +beschraenken - mangelte ihr doch nicht bloss das politische Element, sondern +ueberhaupt jede wahre Leidenschaft und jede poetische Hebung. Auf eine +grossartige und eigentlich poetische Wirkung legten es die Stuecke auch +verstaendigerweise gar nicht an; ihr Reiz bestand zunaechst in der +Verstandesbeschaeftigung durch den Stoff sowohl, wobei die neuere Komoedie sich +von der aelteren ebenso sehr durch die groessere innerliche Leere wie durch die +groessere aeusserliche Verschlungenheit der Fabel unterschied, als besonders +durch die Ausfuehrung im Detail, wobei namentlich die fein zugespitzte +Konversation der Triumph des Dichters und das Entzuecken des Publikums war. +Verwirrungen und Verwechslungen, womit sich ein Hinuebergreifen in den tollen, +oft zuegellosen Schwank sehr gut vertraegt - wie denn zum Beispiel die Casina +mit dem Abzug der beiden Braeutigame und des als Braut aufgeputzten Soldaten +echt falstaffisch schliesst -, Scherze, Schnurren und Raetsel, welche ja auch +an der attischen Tafel dieser Zeit in Ermangelung eines wirklichen Gespraechs +die stehenden Unterhaltungstoffe hergaben, fuellen zum guten Teil diese +Komoedien aus. Die Dichter derselben schrieben nicht wie Eupolis und +Aristophanes fuer eine grosse Nation, sondern vielmehr fuer eine gebildete und, +wie andere geistreiche und in tatenloser Geistreichigkeit verkommende Zirkel, +in Rebusraten und Scharadenspiel aufgehende Gesellschaft. Sie geben darum auch +kein Bild ihrer Zeit - von der grossen geschichtlichen und geistigen Bewegung +derselben ist in diesen Komoedien nichts zu spueren, und man muss erst daran +erinnert werden, dass Philemon und Menander wirklich Zeitgenossen von Alexander +und Aristoteles gewesen sind -, aber wohl ein ebenso elegantes wie treues Bild +der gebildeten attischen Gesellschaft, aus deren Kreisen die Komoedie auch +niemals heraustritt. Noch in dem getruebten lateinischen Abbild, aus dem wir +sie hauptsaechlich kennen, ist die Anmut des Originals nicht voellig verwischt +und namentlich in den Stuecken, die dem talentvollsten unter diesen Dichtern, +dem Menander, nachgebildet sind, das Leben, das der Dichter leben sah und +selber lebte, nicht so sehr in seinen Verirrungen und Verzerrungen, als in +seiner liebenswuerdigen Alltaeglichkeit artig widergespiegelt. Die freundlichen +haeuslichen Verhaeltnisse zwischen Vater und Tochter, Mann und Frau, Herrn und +Diener, mit ihren Liebschaften und sonstigen kleinen Krisen sind so +allgemeingueltig abkonterfeit, dass sie noch heute ihre Wirkung nicht +verfehlen; der Bedientenschmaus zum Beispiel, womit der ‘Stichus’ +schliesst, ist in der Beschraenktheit seiner Verhaeltnisse und der Eintracht +der beiden Liebhaber und des einen Schaetzchens in seiner Art von +unuebertrefflicher Zierlichkeit. Von grosser Wirkung sind die eleganten +Grisetten, die gesalbt und geschmueckt, mit modischem Haarputz und im bunten +goldgestickten Schleppgewande erscheinen oder besser noch auf der Buehne +Toilette machen. In ihrem Gefolge stellen die Gelegenheitsmacherinnen sich ein, +bald von der gemeinsten Sorte, wie deren eine im ‘Curculio’ +auftritt, bald Duennen gleich Goethes alter Barbara, wie die Scapha in der +Wunderkomoedie; auch an hilfreichen Bruedern und Kumpanen ist kein Mangel. Sehr +reichlich und mannigfaltig besetzt sind die alten Rollen; es erscheinen +umeinander der strenge und geizige, der zaertliche und weichmuetige, der +nachsichtige gelegenheitsmachende Papa, der verliebte Greis, der alte bequeme +Junggesell, die eifersuechtige bejahrte Hausehre mit ihrer alten, gegen den +Herrn mit der Frau haltenden Magd; wogegen die Juenglingsrollen zuruecktreten +und weder der erste Liebhaber noch der hie und da begegnende tugendhafte +Mustersohn viel bedeuten wollen. Die Bedientenwelt: der verschmitzte +Kammerdiener, der strenge Hausmeister, der alte wackere Erzieher, der +knoblauchduftende Ackerknecht, das impertinente Juengelchen - leitet schon +hinueber zu den sehr zahlreichen Gewerberollen. Eine stehende Figur darunter +ist der Spassmacher (parasitus), welcher fuer die Erlaubnis, an der Tafel des +Reichen mitzuschmausen, die Gaeste mit Schnurren und Scharaden zu belustigen, +auch nach Umstaenden sich die Scherben an den Kopf werfen zu lassen hat - es +war dies damals in Athen ein foermliches Gewerbe, und sicher ist es auch keine +poetische Fiktion, wenn ein solcher Schmarotzer auftritt, aus seinen Witz- und +Anekdotenbuechern sich eigens praeparierend. Beliebte Rollen sind ferner der +Koch, der nicht bloss mit unerhoerten Saucen zu renommieren versteht, sondern +auch wie ein gelernter Dieb zu stipitzen; der freche, zu jedem Laster sich mit +Vergnuegen bekennende Bordellwirt, wovon der Ballio im ‘Luegenbold’ +ein Musterexemplar ist; der militaerische Bramarbas, in dem die +Landsknechtwirtschaft der Diadochenzeit sehr bestimmt anklingt; der +gewerbsmaessige Industrieritter oder der Sykophant, der schuftige Wechsler, der +feierlich alberne Arzt, der Priester, Schiffer, Fischer und dergleichen mehr. +Dazu kommen endlich die eigentlichen Charakterrollen, wie der Aberglaeubige +Menanders, der Geizige in der Plautinischen Topfkomoedie. Die +nationalhellenische Poesie hat auch in dieser ihrer letzten Schoepfung ihre +unverwuestliche plastische Kraft noch bewaehrt; aber die Seelenmalerei ist hier +doch schon mehr aeusserlich kopiert als innerlich nachempfunden und um so mehr, +je mehr die Aufgabe sich den wahrhaft poetischen naehert - es ist bezeichnend, +dass in den eben angefuehrten Charakterrollen die psychologische Wahrheit +grossenteils durch die abstrakte Begriffsentwicklung vertreten wird, der +Geizige hier die Nagelschnitze sammelt und die vergossene Traene als +verschwendetes Wasser beklagt. Indes dieser Mangel an tiefer Charakteristik und +ueberhaupt die ganze poetische und sittliche Hohlheit dieser neueren Komoedie +faellt weniger den Lustspieldichtern zur Last als der gesamten Nation. Das +spezifische Griechentum war im Verscheiden; Vaterland, Volksglaube, +Haeuslichkeit, alles edle Tun und Sinnen war gewichen, Poesie, Historie und +Philosophie innerlich erschoepft und dem Athener nichts uebrig geblieben, als +die Schule, der Fischmarkt und das Bordell - es ist kein Wunder und kaum ein +Tadel, wenn die Poesie, die die menschliche Existenz zu verklaeren bestimmt +ist, aus einem solchen Leben nichts weiter machen konnte, als was das +Menandrische Lustspiel uns darstellt. Sehr merkwuerdig ist dabei, wie die +Poesie dieser Zeit, wo immer sie dem zerruetteten attischen Leben einigermassen +den Ruecken zu wenden vermochte, ohne doch in. schulmaessige Nachdichtung zu +verfallen, sofort sich am Ideal staerkt und erfrischt. In dem einzigen +Ueberrest des parodisch-heroischen Lustspiels dieser Zeit, in Plautus’ +‘Amphitryon’ weht durchaus eine reinere und poetischere Luft als in +allen uebrigen Truemmern der gleichzeitigen Schaubuehne; die gutmuetigen, leise +ironisch gehaltenen Goetter, die edlen Gestalten aus der Heroenwelt, die +possierlich feigen Sklaven machen zueinander den wundervollsten Gegensatz und +nach dem drolligen Verlauf der Handlung die Geburt des Goettersohnes unter +Donner und Blitz eine beinahe grossartige Schlusswirkung. Diese Aufgabe der +Mythenironisierung war aber auch verhaeltnismaessig unschuldig und poetisch, +verglichen mit der des gewoehnlichen das attische Leben der Zeit schildernden +Lustspiels. Eine besondere Anklage darf vom geschichtlich-sittlichen Standpunkt +aus gegen die Poeten keineswegs erhoben und dem einzelnen Dichter kein +individueller Vorwurf daraus gemacht werden, dass er im Niveau seiner Epoche +steht; die Komoedie war nicht Ursache, sondern Wirkung der in dem Volksleben +waltenden Verdorbenheit. Aber wohl ist es, namentlich um den Einfluss dieser +Lustspiele auf das roemische Volksleben richtig zu beurteilen, notwendig, auf +den Abgrund hinzuweisen, der unter all jener Feinheit und Zierlichkeit sich +auftut. Die Flegeleien und Zoten, welche zwar Menander einigermassen vermied, +an denen aber bei den anderen Poeten kein Mangel ist, sind das wenigste; weit +schlimmer ist die grauenvolle Lebensoede, deren einzige Oasen die Verliebtheit +und der Rausch sind, die fuerchterliche Prosa, worin was einigermassen wie +Enthusiasmus aussieht allein bei den Gaunern zu finden ist, denen der eigene +Schwindel den Kopf verdreht hat und die das Prellergewerbe mit einer gewissen +Begeisterung treiben, und vor allem jene unsittliche Sittlichkeit, mit welcher +namentlich die menandrischen Stuecke staffiert sind. Das Laster wird +abgestraft, die Tugend belohnt und etwaige Peccadillos durch Bekehrung bei oder +nach der Hochzeit zugedeckt. Es gibt Stuecke, wie die Plautinische +‘Dreitalerkomoedie’ und mehrere Terenzische, in denen allen +Personen bis auf die Sklaven hinab eine Portion Tugendhaftigkeit beigemischt +ist; alle wimmeln von ehrlichen Leuten, die fuer sich betruegen lassen, von +Maedchentugend womoeglich, von gleich beguenstigten und Kompagnie machenden +Liebhabern; moralische Gemeinplaetze und wohl gedrechselte Sittensprueche sind +gemein wie die Brombeeren. In einem versoehnenden Finale, wie das in ‘Die +beiden Bacchis’ ist, wo die prellenden Soehne und die geprellten Vaeter +zu guter Letzt alle miteinander ins Bordell kneipen gehen, steckt eine voellig +Kotzebuesche Sittenfaeulnis. +</p> + +<p> +Auf diesen Grundlagen und aus diesen Elementen erwuchs das roemische Lustspiel. +Originalitaet ward bei demselben nicht bloss durch aesthetische, sondern +wahrscheinlich zunaechst durch polizeiliche Unfreiheit ausgeschlossen. Unter +der betraechtlichen Masse der lateinischen Lustspiele dieser Gattung, die uns +bekannt sind, findet sich nicht ein einziges, das sich nicht als Nachbildung +eines bestimmten griechischen ankuendigte; es gehoert zum vollstaendigen Titel, +dass der Name des griechischen Stueckes und Verfassers mit genannt wird, und +wenn, wie das wohl vorkam, ueber die “Neuheit” eines Stueckes +gestritten ward, so handelte es sich darum, ob dasselbe schon frueher +uebersetzt worden sei. Die Komoedie spielt nicht etwa bloss haeufig im Ausland, +sondern es ist eine zwingende Notwendigkeit und die ganze Kunstgattung (fabula +palliata) danach benannt, dass der Schauplatz ausserhalb Roms, gewoehnlich in +Athen ist und dass die handelnden Personen Griechen oder doch Nichtroemer sind. +Selbst im einzelnen wird, besonders in denjenigen Dingen, worin auch der +ungebildete Roemer den Gegensatz bestimmt empfand, das auslaendische Kostuem +streng durchgefuehrt. So wird der Name Roms und der Roemer vermieden und wo +ihrer gedacht wird, heissen sie auf gut griechisch “Auslaender” +(barbari); ebenso erscheint unter den unzaehlige Male vorkommenden Geld- und +Muenzbezeichnungen auch nicht ein einziges Mal die roemische Muenze. Man macht +sich von so grossen und so gewandten Talenten, wie Naevius und Plautus waren, +eine seltsame Vorstellung, wenn man dergleichen auf ihre freie Wahl +zurueckfuehrt; diese krasse und sonderbare Exterritorialitaet der roemischen +Komoedie war ohne Zweifel durch ganz andere als aesthetische Ruecksichten +bedingt. Die Verlegung solcher gesellschaftlicher Verhaeltnisse, wie sie die +neuattische Komoedie durchgaengig zeichnet, nach dem Rom der hannibalischen +Epoche wuerde geradezu ein Attentat auf dessen buergerliche Ordnung und Sitte +gewesen sein. Da aber die Schauspiele in dieser Zeit regelmaessig von den +Aedilen und Praetoren gegeben wurden, die gaenzlich vom Senat abhingen, und +selbst die ausserordentlichen Festlichkeiten, zum Beispiel die Leichenspiele, +nicht ohne Regierungserlaubnis stattfanden, und da ferner die roemische Polizei +ueberall nicht und am wenigsten mit den Komoedianten Umstaende zu machen +gewohnt war, so ergibt es sich von selbst, weshalb diese Komoedie, selbst +nachdem sie unter die roemischen Volkslustbarkeiten aufgenommen war, doch noch +keinen Roemer auf die Buehne bringen durfte und gleichsam in das Ausland +verbannt blieb. +</p> + +<p> +Noch viel entschiedener ward den Bearbeitern das Recht, einen Lebenden lobend +oder tadelnd zu nennen, sowie jede verfaengliche Anspielung auf die +Zeitverhaeltnisse untersagt. In dem ganzen plautinischen und nachplautinischen +Komoedienrepertoire ist, soweit wir es kennen, nicht zu einer einzigen +Injurienklage Stoff. Ebenso begegnet uns von den bei dem lebhaften +Munizipalsinn der Italiker besonders bedenklichen Invektiven gegen Gemeinden - +wenn von einigen ganz unschuldigen Scherzen abgesehen wird - kaum eine andere +Spur als der bezeichnende Hohn auf die ungluecklichen Capuaner und Atellaner +und merkwuerdigerweise verschiedene Spottreden ueber die Hoffart wie ueber das +schlechte Latein der Praenestiner ^11. Ueberhaupt findet sich in den +Plautinischen Stuecken von Beziehungen auf die Ereignisse und Verhaeltnisse der +Gegenwart nichts als Glueckwuensche fuer die Kriegfuehrung ^12 oder zu den +friedlichen Zeiten; allgemeine Ausfaelle gegen Korn- und Zinswucher, gegen +Verschwendung, gegen Kandidatenbestechung, gegen die allzu haeufigen Triumphe, +gegen die gewerbsmaessigen Beitreiber verwirkter Geldbussen, gegen pfaendende +Steuerpaechter, gegen die teuren Preise der Oelhaendler, ein einziges Mal - im +‘Curculio’ - eine an die Parabasen der aelteren attischen Komoedie +erinnernde, uebrigens wenig verfaengliche laengere Diatribe ueber das Treiben +auf dem roemischen Markt. Aber selbst in solchen hoechst polizeilich normal +patriotischen Bestrebungen unterbricht sich wohl der Dichter: +</p> + +<p> +Doch bin ich nicht naerrisch, mich zu kuemmern um den Staat, +</p> + +<p> +Da die Obrigkeit da ist, die sich hat zu kuemmern drum? +</p> + +<p> +und im ganzen genommen ist kaum ein politisch zahmeres Lustspiel zu denken, als +das roemische des sechsten Jahrhunderts gewesen ist ^13. Eine merkwuerdige +Ausnahme macht allein der aelteste namhafte roemische Lustspieldichter Gnaeus +Naevius. Wenn er auch nicht gerade roemische Originallustspiele schrieb, so +sind doch noch die wenigen Truemmer, die wir von ihm besitzen, voll von +Beziehungen auf roemische Zustaende und Personen. Er nahm es unter anderm sich +heraus, nicht bloss einen gewissen Maler Theodotos mit Namen zu verhoehnen, +sondern selbst an den Sieger von Zama folgende Verse zu richten, deren +Aristophanes sich nicht haette schaemen duerfen: +</p> + +<p> +Jenen selbst, der grosse Dinge ruhmvoll oft zu Ende fuehrte, +</p> + +<p> +Dessen Taten lebendig leben, der bei den Voelkern allen allein gilt, +</p> + +<p> +Den hat nach Haus der eigene Vater von dem Liebchen geholt im Hemde. +</p> + +<p> +Wie in den Worten: +</p> + +<p> +Heute wollen freie Worte reden wir am Freiheitsfest, +</p> + +<p> +so mag er oefter polizeiwidrig angesetzt und bedenkliche Fragen getan haben, +wie zum Beispiel: +</p> + +<p> +Wie ward ein so gewaltiger Staat nur so geschwind euch ruiniert? +</p> + +<p> +worauf denn mit einem politischen Suendenregister geantwortet ward, zum +Beispiel: +</p> + +<p> +Es taten neue Redner sich, einfaeltige junge Menschen auf. +</p> + +<p> +————————————————————————————————- +</p> + +<p> +^11 Bacch. 24; Trin. 609; Truc. 3, 2, 23. Auch Naevius, der es freilich +ueberall nicht so genau nahm, spottet ueber Praenestiner und Lanuviner (com. 21 +R.) Eine gewisse Spannung zwischen Praenestinern und Roemern tritt oefter +hervor (Liv. 23, 20, 42, 1); und die Exekutionen in der pyrrhischen sowie die +Katastrophe der sullanischen Zeit stehen sicher damit im Zusammenhang. +Unschuldige Scherze wie Capt. 160; 881 passierten natuerlich die Zensur. +Bemerkenswert ist auch das Kompliment fuer Massalia (Cas. 5, 4, 1). +</p> + +<p> +^12 So schliesst der Prolog der Kaestchenkomoedie mit folgenden Worten, die +hier stehen moegen als die einzige gleichzeitige Erwaehnung des Hannibalischen +Krieges in der auf uns gekommenen Literatur: +</p> + +<p> +Also verhaelt sich dieses. Lebet wohl und siegt +</p> + +<p> +Mit Maennermut, so wie ihr dies bisher getan. +</p> + +<p> +Bewahret eure Verbuendeten alten und neuen Bunds, +</p> + +<p> +Zuleget Zuzug ihnen, eurem rechten Schluss gemaess, +</p> + +<p> +Verderbt die Verhassten, wirket Lorbeer euch und Lob, +</p> + +<p> +Damit besiegt gewaehre der Poener euch die Poen. +</p> + +<p> +Die vierte Zeile (augete auxilia vostris iustis legibus) geht auf die den +saeumigen latinischen Kolonien im Jahre 550 (204) auferlegten Nachleistungen +(Liv. 29, 15; oben 2, 175). +</p> + +<p> +^13 Man kann darum auch bei Plautus kaum mit der Annahme von Anspielungen auf +Zeitereignisse vorsichtig genug sein. Vielen verkehrten Scharfsinn dieser Art +hat die neueste Untersuchung beseitigt; aber sollte nicht auch die Beziehung +auf die Bacchanalien, welche im Cas. 5, 4, 11 gefunden wird (Ritschl, Parerga, +Bd. 1, S. 192), zensurwidrig sein? Man koennte sogar die Sache umkehren und aus +den Erwaehnungen des Bacchusfestes in der ‘Casina’ und einigen +anderen Stuecken (Amph. 703; Aul. 3, 1, 3; Bacch. 53, 371; Mil. 1016 und +besonders Men. 836) den Schluss ziehen, dass dieselben zu einer Zeit +geschrieben sind, wo es noch nicht verfaenglich war, von Bacchanalien zu reden. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Allein die roemische Polizei war nicht gemeint, gleich der attischen die +Buehneninvektiven und politischen Diatriben zu privilegieren oder auch nur zu +dulden. Naevius ward wegen solcher und aehnlicher Ausfaelle in den Block +geschlossen und musste sitzen, bis er in anderen Komoedien oeffentlich Busse +und Abbitte getan hatte. Ihn trieben diese Haendel, wie es scheint, aus. der +Heimat; seine Nachfolger aber liessen durch sein Beispiel sich warnen - einer +derselben deutet sehr verstaendlich an, dass er ganz und gar nicht Lust habe, +gleich dem Kollegen Naevius der unfreiwilligen Maulsperre zu unterliegen. So +ward es durchgesetzt, was in seiner Art nicht viel weniger einzig ist als die +Besiegung Hannibals, dass in einer Epoche der fieberhaftesten Volksaufregung +eine volkstuemliche Schaubuehne von der vollstaendigsten politischen +Farblosigkeit entstand. +</p> + +<p> +Aber innerhalb dieser von Sitte und Polizei eng und peinlich gezogenen +Schranken ging der Poesie der Atem aus. Nicht mit Unrecht mochte Naevius die +Lage des Dichters unter dem Szepter der Lagiden und Seleukiden, verglichen mit +derjenigen in dem freien Rom, beneidenswert nennen ^14. Der Erfolg im einzelnen +ward natuerlich bestimmt durch die Beschaffenheit des eben vorliegenden +Originals und das Talent des einzelnen Bearbeiters; doch muss bei aller +individuellen Verschiedenheit dies ganze Uebersetzungsrepertoire in gewissen +Grundzuegen uebereingestimmt haben, insofern saemtliche Lustspiele denselben +Bedingungen der Auffuehrung und demselben Publikum angepasst wurden. +Durchgaengig war die Behandlung im ganzen wie im einzelnen im hoechsten Grade +frei; und sie musste es wohl sein. Wenn die Originalstuecke vor derselben +Gesellschaft spielten, die sie kopierten, und eben hierin ihr +hauptsaechlichster Reiz lag, so war das roemische Publikum dieser Zeit von dem +attischen so verschieden, dass es jene auslaendische Welt nicht einmal imstande +war recht zu verstehen. Von dem haeuslichen Leben der Hellenen fasste der +Roemer weder die Anmut und Humanitaet noch die Sentimentalitaet und die +uebertuenchte Leere. Die Sklavenwelt war eine voellig andere; der roemische +Sklave war ein Stueck Hausrat, der attische ein Bedienter - wo Sklavenehen +vorkommen, oder der Herr mit dem Sklaven ein humanes Gespraech fuehrt, erinnern +die roemischen Uebersetzer ihr Publikum daran, sich an dergleichen in Athen +gewoehnliche Dinge nicht zu stossen ^15; und als man spaeter Lustspiele in +roemischem Kostuem zu schreiben anfing, musste die Rolle des pfiffigen +Bedienten herausgeworfen werden, weil das roemische Publikum solche, ihre +Herren uebersehende und gaengelnde Sklaven nicht vertrug. Eher als die feinen +Alltagsfiguren hielten die an sich derber und possenhafter zugeschnittenen +Staende- und Charakterbilder die Uebertragung aus; aber auch von diesen musste +doch der roemische Bearbeiter manche und wahrscheinlich eben die feinsten und +originellsten, wie zum Beispiel die Thais, die Hochzeitskoechin, die +Mondbeschwoererin, den Bettelpfaffen Menanders, ganz liegen lassen und sich +vorwiegend an diejenigen auslaendischen Gewerbe halten, mit welchen der bereits +sehr allgemein in Rom verbreitete griechische Tafelluxus sein Publikum vertraut +gemacht hatte. Wenn der Kochkuenstler und der Spassmacher in dem Plautinischen +Lustspiel mit so auffallender Vorliebe und Lebendigkeit geschildert sind, so +liegt der Schluessel dazu darin, dass griechische Koeche ihre Dienste schon +damals auf dem roemischen Markt taeglich ausboten und dass Cato das Verbot, +einen Spassmacher zu halten, sogar seinem Wirtschafter in die Instruktion zu +setzen noetig fand. In gleicher Weise konnte der Uebersetzer von der eleganten +attischen Konversation seiner Originale einen sehr grossen Teil nicht brauchen. +Zu der raffinierten Kneip- und Bordellwirtschaft Athens stand der roemische +Buerger- und Bauersmann ungefaehr wie der deutsche Kleinstaedter zu den +Mysterien des Palais Royal. Die eigentliche Kuechengelehrsamkeit ging nicht in +seinen Kopf; die Esspartien blieben freilich auch in der roemischen Nachbildung +sehr zahlreich, aber ueberall dominiert ueber die mannigfaltige Baeckerei und +die raffinierten Saucen und Fischgerichte der derbe roemische Schweinebraten. +Von den Raetselreden und Trinkliedern, von der griechischen Rhetorik und +Philosophie, die in den Originalen eine so grosse Rolle spielten, begegnet in +der Bearbeitung nur hier und da eine verlorene Spur. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^14 Etwas anderes kann die merkwuerdige Stelle in dem ‘Maedel von +Tarent’ nicht bedeuten: +</p> + +<p> +Was im Theater hier mir gerechten Beifall fand, +</p> + +<p> +Dass das kein Koenig irgend anzufechten wagt - +</p> + +<p> +Wie viel besser als hier der Freie hat’s darin der Knecht! +</p> + +<p> +^15 Wie das moderne Hellas ueber Sklaventum dachte, kann man zum Beispiel bei +Euripides (Ion. 854; vgl. Hel. 728) sehen: +</p> + +<p> +Dem Sklaven bringt das eine einzig Schande nur: +</p> + +<p> +Der Name; in allem andern ist nicht schlechter als +</p> + +<p> +Der freie Mann der Sklave, welcher brav sich fuehrt. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +Die Verwuestung, welche die roemischen Bearbeiter durch die Ruecksicht auf ihr +Publikum in den Originalen anzurichten genoetigt waren, draengte sie +unvermeidlich in eine Weise des Zusammenstreichens und Durcheinanderwerfens +hinein, mit der keine kuenstlerische Komposition sich vertrug. Es war +gewoehnlich, nicht bloss ganze Rollen des Originals herauszuwerfen, sondern +auch dafuer andere aus anderen Lustspielen desselben oder auch eines anderen +Dichters wieder einzustuecken; was freilich bei der aeusserlich rationellen +Komposition der Originale und ihren stehenden Figuren und Motiven nicht voellig +so arg war, wie es scheint. Es gestatteten ferner wenigstens in der aelteren +Zeit sich die Dichter hinsichtlich der Komposition die seltsamsten Lizenzen. +Die Handlung des sonst so vortrefflichen ‘Stichus’ (aufgefuehrt 554 +200) besteht darin, dass zwei Schwestern, welche der Vater veranlassen moechte, +sich von ihren abwesenden Ehemaennern zu scheiden, die Penelopen spielen, bis +die Maenner mit reichem Kaufmannsgewinn und als Praesent fuer den +Schwiegervater mit einem huebschen Maedchen wieder nach Hause kommen. In der +‘Casina’, die bei dem Publikum ganz besonders Glueck machte, kommt +die Braut, von der das Stueck heisst und um die es sich dreht, gar nicht zum +Vorschein, und die Aufloesung wird ganz naiv als “spaeter drinnen vor +sich gehend” vom Epilog erzaehlt. Ueberhaupt wird sehr oft die +Verwicklung ueber das Knie gebrochen, ein angesponnener Faden fallengelassen +und was dergleichen Zeichen einer unfertigen Kunst mehr sind. Die Ursache +hiervon ist wahrscheinlich weit weniger in der Ungeschicklichkeit der +roemischen Bearbeiter zu suchen als in der Gleichgueltigkeit des roemischen +Publikums gegen die aesthetischen Gesetze. Allmaehlich indes bildete sich der +Geschmack. In den spaeteren Stuecken hat Plautus offenbar mehr Sorgfalt auf die +Komposition gewendet und ‘Die Gefangenen’ zum Beispiel, der +‘Luegenbold’, ‘Die beiden Bacchis’ sind in ihrer Art +meisterhaft gefuehrt; seinem Nachfolger Caecilius, von dem wir keine Stuecke +mehr besitzen, wird es nachgeruehmt, dass er sich vorzugsweise durch die +kunstmaessigere Behandlung des Sujets auszeichnete. +</p> + +<p> +In der Behandlung des einzelnen fuehren das Bestreben des Poeten, seinen +roemischen Zuhoerern die Dinge moeglichst vor die Augen zu bringen, und die +Vorschrift der Polizei, die Stuecke auslaendisch zu halten, die wunderlichsten +Kontraste herbei. Die roemischen Goetter, die sakralen, militaerischen, +juristischen Ausdruecke der Roemer, nehmen sich seltsam aus in der griechischen +Welt; bunt durcheinander gehen die roemischen Aedilen und Dreiherren mit den +Agoranomen und Demarchen; in Aetolien oder Epidamnos spielende Stuecke schicken +den Zuschauer ohne Bedenken nach dem Velabrum und dem Kapitol. Schon eine +solche klecksartige Aufsetzung der roemischen Lokaltoene auf den griechischen +Grund ist eine Barbarisierung; aber diese in ihrer naiven Art oft sehr +spasshaften Interpolationen sind weit ertraeglicher als die durchgaengige +Umstimmung der Stuecke ins Rohe, welche bei der keineswegs attischen Bildung +des Publikums den Bearbeitern notwendig schien. Freilich mochten schon von den +neuattischen Poeten manche in der Ruepelhaftigkeit keiner Nachhilfe beduerfen; +Stuecke wie die Plautinische ‘Eselskomoedie’ werden ihre +unuebertreffliche Plattheit und Gemeinheit nicht erst dem Uebersetzer +verdanken. Aber es walten doch in den roemischen Komoedien die rohen Motive in +einer Weise vor, dass die Uebersetzer hierin entweder interpoliert oder +mindestens sehr einseitig kompiliert haben muessen. In der unendlichen +Pruegelfuelle und der stets ueber dem Ruecken der Sklaven schwebenden Peitsche +erkennt man deutlich das catonische Hausregiment, sowie die catonische +Opposition gegen die Frauen in dem nimmer endenden Heruntermachen der Weiber. +Unter den Spaessen eigener Erfindung, mit welchen die roemischen Bearbeiter die +elegante attische Konversation zu wuerzen fuer gut befunden haben, finden sich +manche von einer kaum glaublichen Gedankenlosigkeit und Roheit ^16. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +^16 So ist zum Beispiel in das sonst sehr artige Examen, welches in dem +Plautinischen ‘Stichus’ der Vater mit seinen Toechtern ueber die +Eigenschaften einer guten Ehefrau anstellt, die ungehoerige Frage eingelegt, ob +es besser sei, eine Jungfrau oder eine Witwe zu heiraten, bloss um darauf mit +einem nicht minder ungehoerigen und im Munde der Sprecherin geradezu unsinnigen +Gemeinplatz gegen die Frauen zu antworten. Aber das ist Kleinigkeit gegen den +folgenden Fall. In Menanders ‘Halsband’ klagt ein Ehemann dem +Freunde seine Not: +</p> + +<p> +A: Ich freite die reiche Erbin Lamia, du weisst +</p> + +<p> +Es doch? - B: Ja freilich. - A: Sie, der dieses Haus gehoert +</p> + +<p> +Und die Felder und alles andre hier umher. Sie duenkt, +</p> + +<p> +Gott weiss es! von allem Ungemach das aergste uns; +</p> + +<p> +Zur Last ist sie all’ und jedem, nicht bloss mir allein, +</p> + +<p> +Dem Sohn auch und gar der Tochter. - B: Allerdings, ich weiss, +</p> + +<p> +So ist es. +</p> + +<p> +In der lateinischen Bearbeitung des Caecilius ist aus diesem, in seiner grossen +Einfachheit eleganten Gespraech der folgende Flegeldialog geworden: +</p> + +<p> +B: Deine Frau ist also zaenkisch, nicht? - A: Ei schweig davon! - +</p> + +<p> +B: Wieso? - A: Ich mag nichts davon hoeren. Komm’ ich etwa dir +</p> + +<p> +Nach Haus und setze mich, augenblicks versetzt sie mir +</p> + +<p> +Einen nuechternen Kuss. - B: Ei nun, mit dem Kusse trifft sie’s schon; +</p> + +<p> +Ausspeien sollst du, meint sie, was du auswaerts trankst. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Was dagegen die metrische Behandlung anlangt, so macht im ganzen der +geschmeidige und klingende Vers den Bearbeitern alle Ehre. Wenn die jambischen +Trimeter, die in den Originalen vorherrschten und ihrem maessigen +Konversationston allein angemessen waren, in der lateinischen Bearbeitung sehr +haeufig durch jambische oder trochaeische Tetrameter ersetzt worden sind, so +wird auch hiervon die Ursache weniger in der Ungeschicklichkeit der Bearbeiter +zu suchen sein, die den Trimeter gar wohl zu handhaben wussten, als in dem +ungebildeten Geschmack des roemischen Publikums, dem der praechtige Vollklang +der Langverse auch da gefiel, wo er nicht hingehoerte. +</p> + +<p> +Endlich traegt auch die Inszenierung der Stuecke den gleichen Stempel der +Gleichgueltigkeit der Direktion wie des Publikums gegen die aesthetischen +Anforderungen. Die griechische Schaubuehne, welche schon wegen des Umfangs des +Theaters und des Spielens bei Tage auf ein eigentliches Gebaerdenspiel +verzichtete, die Frauenrollen mit Maennern besetzte und einer kuenstlichen +Verstaerkung der Stimme des Schauspielers notwendig bedurfte, ruhte in +szenischer wie in akustischer Hinsicht durchaus auf dem Gebrauch der Gesichts- +und Schallmasken. Diese waren auch in Rom wohlbekannt; bei den +Dilettantenauffuehrungen erschienen die Spieler ohne Ausnahme maskiert. Dennoch +wurden den Schauspielern, welche die griechischen Lustspiele in Rom auffuehren +sollten, die dafuer notwendigen, freilich ohne Zweifel viel kuenstlicheren +Masken nicht gegeben; was denn, von allem andern abgesehen, in Verbindung mit +der mangelhaften akustischen Einrichtung der Buehne ^17 den Schauspieler nicht +bloss noetigte seine Stimme ueber die Gebuehr anzustrengen, sondern schon den +Livius zu dem hoechst unkuenstlerischen, aber unvermeidlichen Ausweg zwang, die +Gesangstuecke durch einen ausserhalb des Spielerpersonals stehenden Saenger +vortragen und von dem Schauspieler, in dessen Rolle sie fielen, nur durch +stummes Spiel darstellen zu lassen. Ebensowenig fanden die roemischen Festgeber +ihre Rechnung dabei, sich fuer Dekorationen und Maschinerie in wesentliche +Kosten zu setzen. Auch die attische Buehne stellte regelmaessig eine Strasse +mit Haeusern im Hintergrunde vor und hatte keine wandelbaren Dekorationen; +allein man besass doch ausser anderem mannigfaltigen Apparat namentlich eine +Vorrichtung, um eine kleinere, das Innere eines Hauses vorstellende Buehne auf +die Hauptszene hinauszuschieben. Das roemische Theater aber ward damit nicht +versehen, und man kann es darum dem Poeten kaum zum Vorwurf machen, wenn alles, +sogar das Wochenbett auf der Strasse abgehalten wird. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +^17 Selbst als man steinerne Theater baute, mangelten diesen die +Schallgefaesse, wodurch die griechischen Baumeister die Schauspieler +unterstuetzten (Vitr. 5, 5, 8). +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +So war das roemische Lustspiel des sechsten Jahrhunderts beschaffen. Die Art +und Weise, wie man die griechischen Schauspiele nach Rom uebertrug, gewaehrt +von dem verschiedenartigen Kulturstand ein geschichtlich unschaetzbares Bild; +in aesthetischer wie in sittlicher Hinsicht aber stand das Original nicht hoch +und das Nachbild noch tiefer. Die Welt bettelhaften Gesindels, wie sehr auch +die roemischen Bearbeiter sie unter der Wohltat des Inventars antraten, +erschien doch in Rom verschlagen und fremdartig, die feine Charakteristik +gleichsam weggeworfen; die Komoedie stand nicht mehr auf dem Boden der +Wirklichkeit, sondern die Personen und Situationen schienen wie ein +Kartenspiel, willkuerlich und gleichgueltig gemischt; im Original ein Lebens-, +ward sie in der Bearbeitung ein Zerrbild. Bei einer Direktion, die imstande +war, einen griechischen Agon mit Floetenspiel, Taenzerchoeren, Tragoeden und +Athleten anzukuendigen und schliesslich denselben in eine Pruegelei zu +verwandeln, vor einem Publikum, welches, wie noch spaetere Dichter klagen, in +Masse aus dem Schauspiel weglief, wenn es Faustkaempfer oder Seiltaenzer oder +gar Fechter zu sehen gab, mussten Dichter, wie die roemischen waren, +Lohnarbeiter von gesellschaftlich niedriger Stellung, wohl selbst wider die +eigene bessere Einsicht und den eigenen besseren Geschmack sich der +herrschenden Frivolitaet und Roheit mehr oder minder fuegen. Es ist alles +Moegliche, dass nichtsdestoweniger einzelne lebende und frische Talente unter +ihnen aufstanden, die das Fremdlaendische und Gemachte in der Poesie wenigstens +zurueckzudraengen und in den einmal gewiesenen Bahnen zu erfreulichen und +selbst bedeutenden Schoepfungen zu gelangen vermochten. An ihrer Spitze steht +Gnaeus Naevius, der erste Roemer, der es verdient, ein Dichter zu heissen und, +soweit die ueber ihn erhaltenen Berichte und die geringen Bruchstuecke seiner +Werke uns ein Urteil gestatten, allem Anschein nach eines der merkwuerdigsten +und bedeutendsten Talente in der roemischen Literatur ueberhaupt. Er war des +Andronicus juengerer Zeitgenosse - seine poetische Taetigkeit begann bedeutend +vor und endigte wahrscheinlich erst nach dem Hannibalischen Kriege - und im +allgemeinen von ihm abhaengig; auch er war, wie das in gemachten Literaturen zu +sein pflegt, in allen von seinem Vorgaenger aufgebrachten Kunstgattungen, im +Epos, im Trauer- und Lustspiel, zugleich taetig und schloss auch im Metrischen +sich eng an ihn an. Nichtsdestoweniger trennt die Dichter wie die Dichtungen +eine ungeheure Kluft. Naevius war kein Freigelassener, kein Schulmeister und +kein Schauspieler, sondern ein zwar nicht vornehmer, aber unbescholtener +Buerger, wahrscheinlich einer der latinischen Gemeinden Kampaniens, und Soldat +im Ersten Punischen Kriege ^18. Recht im Gegensatz zu Livius ist Naevius’ +Sprache bequem und klar, frei von aller Steifheit und von aller Affektion und +scheint selbst im Trauerspiel dem Pathos gleichsam absichtlich aus dem Wege zu +gehen; die Verse, trotz des nicht seltenen Hiatus und mancher anderen, +spaeterhin beseitigten Lizenzen, fliessen leicht und schoen ^19. Wenn die +Quasipoesie des Livius etwa wie bei uns die Gottschedische aus rein +aeusserlichen Impulsen hervor- und durchaus am Gaengelbande der Griechen ging, +so emanzipierte sein Nachfolger die roemische Poesie und traf mit der wahren +Wuenschelrute des Dichters diejenigen Quellen, aus denen allein in Italien eine +volkstuemliche Dichtung entspringen konnte: die Nationalgeschichte und die +Komik. Die epische Dichtung lieferte nicht mehr bloss dem Schulmeister ein +Lesebuch, sondern wandte sich selbstaendig an das hoerende und lesende +Publikum. Die Buehnendichtung war bisher, gleich der Kostuemverfertigung, ein +Nebengeschaeft des Schauspielers oder eine Handlangerei fuer denselben gewesen; +mit Naevius wandte das Verhaeltnis sich um und der Schauspieler ward nun der +Diener des Dichters. Durchaus bezeichnet seine poetische Taetigkeit ein +volkstuemliches Gepraege. Es tritt am bestimmtesten hervor in seinem ernsten +Nationalschauspiel und in seinem Nationalepos, wovon spaeter noch die Rede sein +wird; aber auch in den Lustspielen, die unter allen seinen poetischen +Leistungen die seinem Talent am meisten zusagenden und erfolgreichsten gewesen +zu sein scheinen, haben, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich nur aeussere +Ruecksichten den Dichter bestimmt, sich so, wie er es tat, den griechischen +Originalen anzuschliessen und dennoch ihn nicht gehindert, in frischer +Lustigkeit und im vollen Leben in der Gegenwart seine Nachfolger und +wahrscheinlich selbst die matten Originale weit hinter sich zurueckzulassen, ja +in gewissem Sinne in die Bahnen des Aristophanischen Lustspiels einzulenken. Er +hat es wohl empfunden und in seiner Grabschrift auch ausgesprochen, was er +seiner Nation gewesen ist: +</p> + +<p> +Wenn Goettern um den Menschen - Totentrauer ziemte, +</p> + +<p> +Den Dichter Naevius klagten - goettliche Camenen; +</p> + +<p> +Dieweil, seit er hinunter - zu den Schatten abschied, +</p> + +<p> +Verschollen ist in Rom der - Ruhm der roemischen Rede. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^18 Die Personalnotizen ueber Naevius sind arg verwirrt. Da er im Ersten +Punischen Kriege focht, kann er nicht nach 495 (259) geboren sein. 519 (235) +wurden Schauspiele, wahrscheinlich die ersten, von ihm gegeben (Gell. 12, 21, +45). Dass er schon 550 (204) gestorben sei, wie gewoehnlich angegeben wird, +bezweifelte Varro (bei Cic. Brut. 15, 60) gewiss mit Recht; waere es wahr, so +muesste er waehrend des Hannibalischen Krieges in Feindesland entwichen sein. +Auch die Spottverse auf Scipio koennen nicht vor der Schlacht bei Zama +geschrieben sein. Man wird sein Leben zwischen 490 (264) und 560 (194) setzen +duerfen, so dass er Zeitgenosse der beiden 543 (211) gefallenen Scipionen (Cic. +rep. 4, 10), zehn Jahre juenger als Andronicus und vielleicht zehn Jahre aelter +als Plautus war. Seine kampanische Herkunft deutet Gellius, seine latinische +Nationalitaet, wenn es dafuer der Beweise beduerfte, er selbst in der +Grabschrift an. wenn er nicht roemischer Buerger, sondern etwa Buerger von +Cales oder einer anderen latinischen Stadt Kampaniens war, so erklaert es sich +leichter, dass ihn die roemische Polizei so ruecksichtslos behandelte. +Schauspieler war er auf keinen Fall, da er im Heere diente. +</p> + +<p> +^19 Man vergleiche zum Beispiel mit den livianischen das Bruchstueck aus +Naevius’ Trauerspiel ‘Lycurgus’: +</p> + +<p> +Die ihr des koeniglichen Leibes haltet Wacht, +</p> + +<p> +Sogleich zum laubesreichen Platze macht euch auf, +</p> + +<p> +Wo willig ungepflanzt emporsprosst das Gebuesch. +</p> + +<p> +Oder die beruehmten Worte, die in ‘Hektors Abschied’ Hektor zu +Priamos sagt: +</p> + +<p> +Lieblich, Vater, klingt von dir mir Lob, dem vielgelobten Mann. +</p> + +<p> +und den reizenden Vers aus dem ‘Maedel von Tarent’: +</p> + +<p> +Alii adnutat, alii adnictat; alium amat, alium tenet. +</p> + +<p> +Zu diesem nickt sie, nach jenem blickt sie; diesen im Herzen, den im Arm. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Und solcher Maenner- und Dichterstolz ziemte wohl dem Manne, der die Kaempfe +gegen Hamilkar und gegen Hannibal teils miterlebte, teils selber mitfocht, und +der fuer die tief bewegte und in gewaltigem Freudenjubel gehobene Zeit nicht +gerade den poetisch hoechsten, aber wohl einen tuechtigen, gewandten und +volkstuemlichen dichterischen Ausdruck fand. Es ist schon erzaehlt worden, in +welche Haendel mit den Behoerden er darueber geriet und wie er, vermutlich +dadurch von Rom vertrieben, sein Leben in Utica beschloss. Auch hier ging das +individuelle Leben ueber dem gemeinen Besten, das Schoene ueber dem Nuetzlichen +zugrunde. +</p> + +<p> +In der aeusseren Stellung wie in der Auffassung seines Dichterberufs scheint +ihm sein juengerer Zeitgenosse, Titus Maccius Plautus (500? - 570 254-184). +weit nachgestanden zu haben. Gebuertig aus dem kleinen, urspruenglich +umbrischen, aber damals, vielleicht schon latinisierten Staedtchen Sassina, +lebte er in Rom als Schauspieler und, nachdem er den damit gemachten Gewinn in +kaufmaennischen Spekulationen wieder eingebuesst hatte, als Theaterdichter von +der Bearbeitung griechischer Lustspiele, ohne in einem anderen Fache der +Literatur taetig zu sein und wahrscheinlich ohne Anspruch auf eigentliches +Schriftstellertum zu machen. Solcher handwerksmaessigen Komoedienbearbeiter +scheint es in Rom damals eine ziemliche Zahl gegeben zu haben; allein ihre +Namen sind, zumal da sie wohl durchgaengig ihre Stuecke nicht publizierten ^20, +so gut wie verschollen, und was von diesem Repertoire sich erhielt, ging +spaeterhin auf den Namen des populaersten unter ihnen, des Plautus. Die +Literatoren des folgenden Jahrhunderts zaehlten bis hundertunddreissig solcher +“plautinischer Stuecke”, von denen indes auf jeden Fall ein grosser +Teil nur von Plautus durchgesehen oder ihm ganz fremd war; der Kern derselben +ist noch vorhanden. Ein gegruendetes Urteil ueber die poetische +Eigentuemlichkeit des Bearbeiters zu faellen, ist dennoch sehr schwer, wo nicht +unmoeglich, da die Originale uns nicht erhalten sind. Dass die Bearbeitung ohne +Auswahl gute wie schlechte Stuecke uebertrug, dass sie der Polizei wie dem +Publikum gegenueber untertaenig und untergeordnet dastand, dass sie gegen die +aesthetischen Anforderungen sich ebenso gleichgueltig verhielt wie ihr Publikum +und diesem zuliebe die Originale ins Possenhafte und Gemeine umstimmte, sind +Vorwuerfe, die mehr gegen die ganze Uebersetzungsfabrik als gegen den einzelnen +Bearbeiter sich richten. Dagegen darf als dem Plautus eigentuemlich gelten die +meisterliche Behandlung der Sprache und der mannigfachen Rhythmen, ein seltenes +Geschick, die Situation buehnengerecht zu gestalten und zu nutzen, der fast +immer gewandte und oft vortreffliche Dialog und vor allen Dingen eine derbe und +frische Lustigkeit, die in gluecklichen Spaessen, in einem reichen +Schimpfwoerterlexikon, in launigen Wortbildungen, in drastischen, oft mimischen +Schilderungen und Situationen unwiderstehlich komisch wirkt - Vorzuege, in +denen man den gewesenen Schauspieler zu erkennen meint. Ohne Zweifel hat der +Bearbeiter auch hierin mehr das Gelungene der Originale festgehalten als +selbstaendig geschaffen - was in den Stuecken sicher auf den Uebersetzer +zurueckgefuehrt werden kann, ist milde gesagt mittelmaessig; allein es wird +dadurch begreiflich, warum Plautus der eigentliche roemische Volkspoet und der +rechte Mittelpunkt der roemischen Buehne geworden und geblieben, ja noch nach +dem Untergang der roemischen Welt das Theater mehrfach auf ihn zurueckgekommen +ist. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +^20 Diese Annahme scheint deshalb notwendig, weil man sonst unmoeglich in der +Art, wie die Alten es tun, ueber die Echtheit oder Unechtheit der Plautinischen +Stuecke haette schwanken koennen; bei keinem eigentlichen Schriftsteller des +roemischen Altertums begegnet eine auch nur annaehernd aehnliche Ungewissheit +ueber das literarische Eigentum. Auch in dieser Hinsicht wie in so vielen +anderen aeusserlichen Dingen besteht die merkwuerdigste Analogie zwischen +Plautus und Shakespeare. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Noch weit weniger vermoegen wir zu einem eigenen Urteil ueber den dritten und +letzten - denn Ennius schrieb wohl Komoedien, aber durchaus ohne Erfolg - +namhaften Lustspieldichter dieser Epoche, Statius Caecilius, zu gelangen. Der +Lebensstellung und dem Gewerbe nach stand er mit Plautus gleich. Geboren im +Keltenland in der Gegend von Mediolanum kam er unter den insubrischen +Kriegsgefangenen nach Rom und lebte dort als Sklave, spaeter als Freigelassener +von der Bearbeitung griechischer Komoedien fuer das Theater bis zu seinem +wahrscheinlich fruehen Tode (586 168). Dass seine Sprache nicht rein war, ist +bei seiner Herkunft begreiflich; dagegen bemuehte er sich, wie schon gesagt +ward, um strengere Komposition. Bei den Zeitgenossen fanden seine Stuecke nur +schwer Eingang, und auch das spaetere Publikum liess gegen Plautus und Terenz +den Caecilius fallen; wenn dennoch die Kritiker der eigentlichen Literaturzeit +Roms, der varronischen und augustinischen Epoche, unter den roemischen +Bearbeitern griechischer Lustspiele dem Caecilius die erste Stelle eingeraeumt +haben, so scheint dies darauf zu beruhen, dass die kunstrichterliche +Mittelmaessigkeit gern der geistesverwandten poetischen vor dem einseitig +Vortrefflichen den Vorzug gibt. Wahrscheinlich hat jene Kunstkritik den +Caecilius nur deshalb unter ihre Fluegel genommen, weil et regelrechter als +Plautus und kraeftiger als Terenz war; wobei er immer noch recht wohl weit +geringer als beide gewesen sein kann. +</p> + +<p> +Wenn also der Literarhistoriker bei aller Anerkennung des sehr achtbaren +Talents der roemischen Lustspieldichter doch in ihrem reinen +Uebersetzungsrepertoire weder eine kuenstlerisch bedeutende noch eine +kuenstlerisch reine Leistung erkennen kann, so muss das geschichtlich-sittliche +Urteil ueber dasselbe notwendig noch bei weitem haerter ausfallen. Das +griechische Lustspiel, das demselben zu Grunde liegt, war sittlich insofern +gleichgueltig, als es eben nur im Niveau der Korruption seines Publikums stand; +die roemische Schaubuehne aber war in dieser zwischen der alten Strenge und der +neuen Verderbnis schwankenden Epoche die hohe Schule zugleich des Hellenismus +und des Lasters. Dieses attisch-roemische Lustspiel mit seiner in der Frechheit +wie in der Sentimentalitaet gleich unsittlichen, den Namen der Liebe +usurpierenden Leibes- und Seelenprostitution, mit seiner widerlichen und +widernatuerlichen Edelmuetigkeit, mit seiner durchgaengigen Verherrlichung des +Kneipenlebens, mit seiner Mischung von Bauernroheit und auslaendischem +Raffinement, war eine fortlaufende Predigt roemisch-hellenischer Demoralisation +und ward auch als solche empfunden. Ein Zeugnis bewahrt der Epilog der +Plautinischen ‘Gefangenen’: +</p> + +<p> +Dieses Lustspiel, da ihr schautet, ist anstaendig ganz und gar: +</p> + +<p> +Nicht wird darin ausgegriffen, Liebeshaendel hat es nicht, +</p> + +<p> +Keine Kinderunterschiebung, keine Geldabschwindelung; +</p> + +<p> +Nicht kauft drin der Sohn sein Maedchen ohne des Vaters Willen frei. +</p> + +<p> +Selten nur ersinnt ein Dichter solcherlei Komoedien, +</p> + +<p> +Die die Guten besser machen. Wenn drum euch dies Stueck gefiel, +</p> + +<p> +Wenn wir Spieler euch gefallen, lasst uns dies das Zeichen sein: +</p> + +<p> +Wer auf Anstand haelt, der klatsche nun zum Lohn uns unserm Spiel. +</p> + +<p> +Man sieht hier, wie die Partei der sittlichen Reform ueber das griechische +Lustspiel geurteilt hat; und es kann hinzugesetzt werden, dass auch in jenen +weissen Raben, den moralischen Lustspielen, die Moralitaet von derjenigen Art +ist, die nur dazu taugt, die Unschuld gewisser zu betoeren. Wer kann es +bezweifeln, dass diese Schauspiele der Korruption praktischen Vorschub getan +haben? Als Koenig Alexander an einem Lustspiel dieser Art, das der Verfasser +ihm vorlas, keinen Geschmack fand, entschuldigte sich der Dichter, dass das +nicht an ihm sondern an dem Koenige liege; um ein solches Stueck zu geniessen, +muesse man gewohnt sein, Kneipgelage abzuhalten und eines Maedchens wegen +Schlaege auszuteilen und zu empfangen. Der Mann kannte sein Handwerk; wenn also +die roemische Buergerschaft allmaehlich an diesen griechischen Komoedien +Geschmack fand, so sieht man, um weichen Preis es geschah. Es gereicht der +roemischen Regierung zum Vorwurf, nicht, dass sie fuer diese Poesie so wenig +tat, sondern dass sie dieselbe ueberhaupt duldete. Das Laster ist zwar auch +ohne Kanzel maechtig; aber damit ist es noch nicht entschuldigt, demselben eine +Kanzel zu errichten. Es war mehr eine Ausrede als eine ernstliche Verteidigung, +dass man das hellenisierende Lustspiel von der unmittelbaren Beruehrung der +Personen und Institutionen Roms fernhielt. Vielmehr haette die Komoedie +wahrscheinlich sittlich weniger geschadet, wenn man sie freier haette walten, +den Beruf des Poeten sich veredeln und eine einigermassen selbstaendige +roemische Poesie sich entwickeln lassen; denn die Poesie ist auch eine +sittliche Macht, und wenn sie tiefe Wunden schlaegt, so vermag sie auch viel zu +heilen. Wie es war, geschah auch auf diesem Gebiet von der Regierung zu wenig +und zu viel; die politische Halbheit und die moralische Heuchelei ihrer +Buehnenpolizei hat zu der furchtbar raschen Aufloesung der roemischen Nation +das Ihrige beigetragen. +</p> + +<p> +Wenn indes die Regierung dem roemischen Lustspieldichter nicht gestattete, die +Zustaende seiner Vaterstadt darzustellen und seine Mitbuerger auf die Buehne zu +bringen, so war doch dadurch die Entstehung eines lateinischen +Nationallustspiels nicht unbedingt abgeschnitten; denn die roemische +Buergerschaft war in dieser Zeit noch nicht mit der latinischen Nation +zusammengefallen, und es stand dem Dichter frei, seine Stuecke wie in Athen und +Massalia, ebenso auch in den italischen Staedten latinischen Rechts spielen zu +lassen. In der Tat entstand auf diesem Wege das lateinische Originallustspiel +(fabula togata ^21; der nachweislich aelteste Verfasser solcher Stuecke, +Titinius, bluehte wahrscheinlich um das Ende dieser Epoche ^22. Auch diese +Komoedie ruhte auf der Grundlage des neuattischen Intrigenstuecks; aber sie war +nicht Uebersetzung, sondern Nachdichtung: der Schauplatz des Stuecks war in +Italien und die Schauspieler erschienen in dem nationalen Gewande, in der Toga. +Hier waltet das latinische Leben und Treiben in eigentuemlicher Frische. Die +Stuecke bewegen sich in dem buergerlichen Leben der Mittelstaedte Latiums, wie +schon die Titel zeigen: ‘Die Harfenistin oder das Maedchen von +Ferentinum’, ‘Die Floetenblaeserin’, ‘Die +Juristin’, ‘Die Walker’, und manche einzelne Situationen noch +weiter bestaetigen, wie zum Beispiel ein Spiessbuerger sich darin seine Schuhe +nach dem Muster der albanischen Koenigssandalen machen laesst. In auffallender +Weise treten die maennlichen gegen die Frauenrollen zurueck ^23. Mit echt +nationalem Stolze gedenkt der Dichter der grossen Zeit des Pyrrhischen Krieges +und sieht herab auf die neulatinischen Nachbarn, +</p> + +<p> +Welche oskisch und volskisch reden, denn Latein verstehn sie nicht. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^21 Togatus bezeichnet in der juristischen und ueberhaupt in der technischen +Sprache den Italiker im Gegensatz nicht bloss zu dem Auslaender, sondern auch +zu dem roemischen Buerger. So ist vor allen Dingen formula togatorum (CIL I, +200, von 21; 50) das Verzeichnis derjenigen italischen Militaerpflichtigen, die +nicht in den Legionen dienen. Auch die Benennung des Cisalpinischen oder +Diesseitigen Galliens als Gallia togata, die zuerst bei Hirtius vorkommt und +nicht lange nachher aus dem gemeinen Sprachgebrauch wieder verschwindet, +bezeichnet diese Landschaft vermutlich nach ihrer rechtlichen Stellung, +insofern in der Epoche vom Jahre 665 (89) bis zum Jahre 705 (49) die grosse +Mehrzahl ihrer Gemeinden latinisches Recht besass. Virgil (Aen. 1, 282) scheint +ebenfalls bei der gens togata, die er neben den Roemern nennt, an die +latinische Nation gedacht zu haben. +</p> + +<p> +Danach wird man auch in der fabula togata dasjenige Lustspiel zu erkennen +haben, das in Latium spielte wie die fabula palliata in Griechenland; beiden +aber ist die Verlegung des Schauplatzes in das Ausland gemeinsam, und die Stadt +und die Buergerschaft Roms auf die Buehne zu bringen, bleibt ueberhaupt dem +Lustspieldichter untersagt. Dass in der Tat die togata nur in den Staedten +latinischen Rechts spielen durfte, zeigt die Tatsache, dass alle Staedte, in +denen unseres Wissens Stuecke des Titinius und Afranius spielen, Setia, +Ferentinum, Velitrae, Brundisium nachweislich bis auf den Bundesgenossenkrieg +latinisches oder doch bundesgenoessisches Recht gehabt haben. Durch die +Erstreckung des Buergerrechts auf ganz Italien ging den Lustspieldichtern diese +latinische Inszenierung verloren, da das Cisalpinische Gallien, das rechtlich +an die Stelle der latinischen Gemeinden gesetzt ward fuer den hauptstaedtischen +Buehnendichter zu fern lag, und es scheint damit auch die fabula togata in der +Tat verschwunden zu sein. Indes traten die rechtlich untergegangenen Gemeinden +Italiens, wie Capua und Atella, in diese Luecke ein, und insofern ist die +fabula Atellana gewissermassen die Fortsetzung der togata. +</p> + +<p> +^22 Ueber Titinius fehlt es an allen literarischen Angaben; ausser dass, nach +einem Varronischen Fragment zu schliessen, er aelter als Terenz (558-595 +196-159) gewesen zu sein scheint (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 194) - denn mehr +moechte freilich auch aus dieser Stelle nicht entnommen werden koennen und, +wenn auch von den beiden hier verglichenen Gruppen die zweite (Trabea, Atilius, +Caecilius) im ganzen aelter ist als die erste (Titinius, Terentius, Atta), +darum noch nicht gerade der aelteste der juengeren Gruppe juenger zu erachten +sein als der juengste der aelteren. +</p> + +<p> +^23 Von den fuenfzehn Titinischen Komoedien, die wir kennen, sind sechs nach +Maenner- (baratus?, caecus, fullo nes, Hortensius, Quintus, varus), neun nach +Frauenrollen benannt (Gemma, iurisperita, prilia?, privigna, psaltria oder +Ferentinatis, Setina, tibicina, Veliterna, Ulubrana ?), von denen zwei, die +‘Juristin’ und die ‘Floetenblaeserin’ offenbar +Maennergewerbe parodierten. Auch in den Bruchstuecken waltet die Frauenwelt +vor. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Der hauptstaedtischen Buehne gehoert dieses Lustspiel ebenso an wie das +griechische; immer aber mag in demselben etwas von der landschaftlichen +Opposition gegen das grossstaedtische Wesen und Unwesen geherrscht haben, wie +sie gleichzeitig bei Cato und spaeterhin bei Varro hervortritt. Wie in der +deutschen Komoedie, die in ganz aehnlicher Weise von der franzoesischen +ausgegangen war wie die roemische von der attischen, sehr bald die +franzoesische Lisette durch das Frauenzimmerchen Franziska abgeloest ward, so +trat, wenn nicht mit gleicher poetischer Gewalt, doch in derselben Richtung und +vielleicht mit aehnlichem Erfolg, in Rom neben das hellenisierende das +latinische Nationallustspiel. +</p> + +<p> +Wie das griechische Lustspiel kam auch das griechische Trauerspiel im Laufe +dieser Epoche nach Rom. Dasselbe war ein wertvollerer und in gewisser Hinsicht +auch ein leichterer Erwerb als die Komoedie. Die Grundlage des Trauerspiels, +das griechische, namentlich das Homerische Epos, war den Roemern nicht fremd +und bereits mit ihrer eigenen Stammsage verflochten; und ueberhaupt ward der +empfaengliche Fremde weit leichter heimisch in der idealen Welt der heroischen +Mythen als auf dem Fischmarkt von Athen. Dennoch hat auch das Trauerspiel, nur +minder schroff und minder gemein, die antinationale und hellenisierende Weise +gefoerdert; wobei es von der entscheidendsten Wichtigkeit war, dass die +griechische tragische Buehne dieser Zeit vorwiegend von Euripides (274, 348 +480, 406) beherrscht ward. Diesen merkwuerdigen Mann und seine noch viel +merkwuerdigere Wirkung auf Mit- und Nachwelt erschoepfend darzustellen, ist +dieses Ortes nicht; aber die geistige Bewegung der spaeteren griechischen und +der griechisch-roemischen Epoche ward so sehr durch ihn bestimmt, dass es +unerlaesslich ist, sein Wesen wenigstens in den Grundzuegen zu skizzieren. +Euripides gehoert zu denjenigen Dichtern, welche die Poesie zwar auf eine +hoehere Stufe heben, aber in diesem Fortschritt bei weitem mehr das richtige +Gefuehl dessen, was sein sollte, als die Macht offenbaren, dies poetisch zu +erschaffen. Das tiefe Wort, welches sittlich wie poetisch die Summe aller +Tragik zieht, dass Handeln Leiden ist, gilt freilich auch fuer die antike +Tragoedie; den handelnden Menschen stellt sie dar, aber eigentliche +Individualisierung ist ihr fremd. Die unuebertroffene Grossheit, womit der +Kampf des Menschen und des Schicksals bei Aeschylos sich vollzieht, beruht +wesentlich darauf, dass jede der ringenden Maechte nur im ganzen aufgefasst +wird; das wesenhafte Menschliche ist im ‘Prometheus’ und +‘Agamemnon’ nur leicht angehaucht von dichterischer +Individualisierung. Sophokles fasst wohl die Menschennatur in ihrer allgemeinen +Bedingtheit, den Koenig, den Greis, die Schwester; aber den Mikrokosmos des +Menschen in seiner Allseitigkeit, den Charakter bringt keine einzelne seiner +Gestalten zu Anschauung. Es ist hier ein hohes Ziel erreicht, aber nicht das +hoechste; die Schilderung des Menschen in seiner Ganzheit und die Verflechtung +dieser einzelnen, in sich fertigen Gestalten zu einer hoeheren poetischen +Totalitaet ist eine Steigerung und darum sind, gegen Shakespeare gehalten, +Aeschylos und Sophokles unvollkommene Entwicklungsstufen. Allein wie Euripides +es unternimmt, den Menschen darzustellen wie er ist, liegt darin mehr ein +logischer und in gewissem Sinn ein geschichtlicher als ein dichterischer +Fortschritt. Er hat die antike Tragoedie zu zerstoeren, nicht die moderne zu +erschaffen vermocht. Ueberall blieb er auf halbem Wege stehen. Die Masken, +durch welche die Aeusserung des Seelenlebens gleichsam aus dem Besonderen ins +Allgemeine uebersetzt wird, sind fuer die typische Tragoedie des Altertums +ebenso notwendig wie mit dem Charaktertrauerspiel unvertraeglich; Euripides +aber behielt sie bei. Mit bewundernswert feinem Gefuehl hatte die aeltere +Tragoedie das dramatische Element, das frei walten zu lassen sie nicht +vermochte, niemals rein dargestellt, sondern es stets durch die epischen Stoffe +aus der Uebermenschenwelt der Goetter und Heroen und durch die lyrischen Choere +gewissermassen gebunden. Man fuehlt es, dass Euripides an diesen Ketten riss: +er ging mit seinen Stoffen wenigstens bis in die halb historische Zeit hinab +und seine Chorlieder traten so zurueck, dass man bei spaeteren Auffuehrungen +sie haeufig und wohl kaum zum Nachteil der Stuecke wegliess - aber doch hat er +weder seine Gestalten voellig auf den Boden der Wirklichkeit gestellt noch den +Chor ganz beiseite geworfen. Durchaus und nach allen Seiten hin ist er der +volle Ausdruck einer Zeit einerseits der grossartigsten geschichtlichen und +philosophischen Bewegung, anderseits der Truebung des Urquells aller Poesie, +der reinen und schlichten Volkstuemlichkeit. Wenn die ehrfuerchtige +Froemmigkeit der aelteren Tragiker deren Stuecke gleichsam mit einem Abglanz +des Himmels ueberstroemt, wenn die Abgeschlossenheit des engen Horizontes der +aelteren Hellenen auch ueber den Hoerer ihre befriedende Macht uebt, so +erscheint die Euripideische Welt in dem fahlen Schimmer der Spekulation so +entgoettlicht wie durchgeistigt, und truebe Leidenschaften zucken wie die +Blitze durch die grauen Wolken hin. Der alte, tiefe innerliche Schicksalsglaube +ist verschwunden; das Fatum regiert als aeusserlich despotische Macht, und +knirschend tragen die Knechte ihre Fesseln. Derjenige Unglaube, welcher der +verzweifelnde Glaube ist, redet aus diesem Dichter mit daemonischer Gewalt. +Notwendigerweise gelangt also der Dichter niemals zu einer ihn selber +ueberwaeltigenden plastischen Konzeption und niemals zu einer wahrhaft +poetischen Wirkung im ganzen; weshalb er auch sich gegen die Komposition seiner +Trauerspiele gewissermassen gleichgueltig verhalten, ja hierin nicht selten +geradezu gesudelt und seinen Stuecken weder in einer Handlung noch in einer +Persoenlichkeit einen Mittelpunkt gegeben hat - die liederliche Manier, den +Knoten durch den Prolog zu schuerzen und durch eine Goettererscheinung oder +eine aehnliche Plumpheit zu loesen, hat recht eigentlich Euripides aufgebracht. +Alle Wirkung liegt bei ihm im Detail, und mit allerdings grosser Kunst ist +hierin von allen Seiten alles aufgeboten, um den unersetzlichen Mangel +poetischer Totalitaet zu verdecken. Euripides ist Meister in den sogenannten +Effekten, welche in der Regel sinnlich sentimental gefaerbt sind und oft noch +durch einen besonderen Hautgout, zum Beispiel durch Verwehung von Liebesstoffen +mit Mord oder Inzest, die Sinnlichkeit stacheln. Die Schilderungen der willig +sterbenden Polyxena, der vor geheimem Liebesgram vergehenden Phaedra, vor allem +die prachtvolle der mystisch verzueckten Bakchen sind in ihrer Art von der +groessten Schoenheit; aber sie sind weder kuenstlerisch noch sittlich rein und +Aristophanes’ Vorwurf, dass der Dichter keine Penelope zu schildern +vermoege, vollkommen begruendet. Verwandter Art ist das Hineinziehen des +gemeinen Mitleids in die Euripideische Tragoedie. Wenn seine verkuemmerten +Heroen, wie der Menelaos in der ‘Helena’, die Andromache, die +Elektra als arme Baeuerin, der kranke und ruinierte Kaufmann Telephos, +widerwaertig oder laecherlich und in der Regel beides zugleich sind, so machen +dagegen diejenigen Stuecke, die mehr in der Atmosphaere der gemeinen +Wirklichkeit sich halten und aus dem Trauerspiel in das ruehrende +Familienstueck und beinahe schon in die sentimentale Komoedie uebergehen, wie +die ‘Iphigenie in Aulis’, der ‘Ion’, die +‘Alkestis’ vielleicht unter all seinen zahlreichen Werken die +erfreulichste Wirkung. Ebenso oft, aber mit geringerem Glueck versucht der +Dichter das Verstandesinteresse ins Spiel zu bringen. Dahin gehoert die +verwickelte Handlung, welche darauf berechnet ist, nicht wie die aeltere +Tragoedie das Gemuet zu bewegen, sondern vielmehr die Neugierde zu spannen; +dahin der dialektisch zugespitzte, fuer uns Nichtathener oft geradezu +unertraegliche Dialog; dahin die Sentenzen, die wie die Blumen im Ziergarten +durch die Euripideischen Stuecke ausgestreut sind; dahin vor allem die +Euripideische Psychologie, die keineswegs auf unmittelbar menschlicher +Nachempfindung, sondern auf rationeller Erwaegung beruht. Seine Medeia ist +insofern allerdings nach dem Leben geschildert, als sie vor ihrer Abfahrt +gehoerig mit Reisegeld versehen wird; von dem Seelenkampf zwischen Mutterliebe +und Eifersucht wird der unbefangene Leser nicht viel bei Euripides finden. Vor +allem aber ist in den Euripideischen Tragoedien die poetische Wirkung ersetzt +durch die tendenzioese. Ohne eigentlich unmittelbar in die Tagesfragen +einzutreten und durchaus mehr die sozialen als die politischen Fragen ins Auge +fassend, trifft doch Euripides in seinen innerlichen Konsequenzen zusammen mit +dem gleichzeitigen politischen und philosophischen Radikalismus und ist der +erste und oberste Apostel der neuen, die alte attische Volkstuemlichkeit +aufloesenden kosmopolitischen Humanitaet. Hierauf beruht wie die Opposition, +auf die der ungoettliche und unattische Dichter bei seinen Zeitgenossen stiess, +so auch der wunderbare Enthusiasmus, mit welchem die juengere Generation und +das Ausland dem Dichter der Ruehrung und der Liebe, der Sentenz und der +Tendenz, der Philosophie und der Humanitaet sich hingab. Das griechische +Trauerspiel schritt mit Euripides ueber sich selber hinaus und brach also +zusammen; aber des weltbuergerlichen Dichters Erfolg ward dadurch nur +gefoerdert, da gleichzeitig auch die Nation ueber sich hinausschritt und +gleichfalls zusammenbrach. Die Aristophanische Kritik mochte sittlich wie +poetisch vollkommen das Richtige treffen; aber die Dichtung wirkt nun einmal +geschichtlich nicht in dem Masse ihres absoluten Wertes, sondern in dem Masse, +wie sie den Geist der Zeit vorzufuehlen vermag, und in dieser Hinsicht ist +Euripides unuebertroffen. So ist es denn gekommen, dass Alexander ihn fleissig +las, dass Aristoteles den Begriff des tragischen Dichters im Hinblick auf ihn +entwickelte, dass die juengste dichtende wie bildende Kunst in Attika aus ihm +gleichsam hervorging, das neuattische Lustspiel nichts tat, als den Euripides +ins Komische uebertragen, und die in den spaeteren Vasenbildern uns +entgegentretende Malerschule ihre Stoffe nicht mehr den alten Epen, sondern der +Euripideischen Tragoedie entnahm, dass endlich, je mehr das alte Hellas dem +neuen Hellenismus wich, des Dichters Ruhm und Einfluss mehr und mehr stieg und +das Griechentum im Auslande, in Aegypten wie in Rom, unmittelbar oder mittelbar +wesentlich durch Euripides bestimmt ward. +</p> + +<p> +Der Euripideische Hellenismus ist durch die verschiedenartigsten Kanaele nach +Rom geflossen und mag daselbst wohl rascher und tiefer mittelbar gewirkt haben +als geradezu in der Form der Uebersetzung. Die tragische Schaubuehne ist in Rom +nicht gerade spaeter eroeffnet worden als die komische; allein sowohl die bei +weitem groesseren Kosten der tragischen Inszenierung, worauf doch, wenigstens +waehrend des Hannibalischen Krieges, ohne Zweifel Ruecksicht genommen worden +ist, als auch die Beschaffenheit des Publikums hielten die Entwicklung der +Tragoedie zurueck. In den Plautinischen Lustspielen wird auf Tragoedien nicht +gerade oft hingedeutet, und die meisten Anfuehrungen der Art moegen aus den +Originalen heruebergenommen sein. Der erste und einzig erfolgreiche +Tragoediendichter dieser Zeit war des Naevius und Plautus juengerer Zeitgenosse +Quintus Ennius (515-585 239-169), dessen Stuecke schon von den gleichzeitigen +Lustspieldichtern parodiert und von den Spaeteren bis in die Kaiserzeit hinein +geschaut und deklamiert wurden. +</p> + +<p> +Uns ist die tragische Schaubuehne der Roemer weit weniger bekannt als die +komische; im ganzen genommen wiederholen dieselben Erscheinungen, die bei +dieser wahrgenommen wurden, sich auch bei jener. Das Repertoire ging +gleichfalls wesentlich aus Uebersetzungen griechischer Stuecke hervor. Die +Stoffe werden mit Vorliebe der Belagerung von Troja und den unmittelbar damit +zusammenhaengenden Sagen entnommen, offenbar weil dieser Mythenkreis allein dem +roemischen Publikum durch den Schulunterricht gelaeufig war; daneben +ueberwiegen die sinnlich-grausamen Motive, der Mutter- oder Kindermord in den +‘Eumeniden’, im ‘Alkmaeon’, im +‘Kresphontes’, in der ‘Melanippe’, in der +‘Medeia’, die Jungfrauenopfer in der ‘Polyxena’, den +‘Erechthiden’, der ‘Andromeda’, der +‘Iphigeneia’ - man kann nicht umhin, sich dabei zu erinnern, dass +das Publikum dieser Tragoedien Fechterspielen zuzuschauen gewohnt war. Frauen- +und Geisterrollen scheinen den tiefsten Eindruck gemacht zu haben. Die +bemerkenswerteste Abweichung der roemischen Bearbeitung von dem Original +betrifft ausser dem Wegfall der Masken den Chor. Der roemischen, zunaechst wohl +fuer das komische chorlose Spiel eingerichteten Buehne mangelte der besondere +Tanzplatz (orchestra) mit dem Altar in der Mitte, auf dem der griechische Chor +sich bewegte, oder vielmehr es diente derselbe bei den Roemern als eine Art +Parkett; danach muss wenigstens der kunstvoll gegliederte und mit der Musik und +der Deklamation verschlungene Chortanz in Rom weggefallen sein, und wenn der +Chor auch blieb, so hatte er doch wenig zu bedeuten. Im einzelnen fehlte es +natuerlich an Vertauschungen der Masse, an Verkuerzungen und Verunstaltungen +nicht; in der lateinischen Bearbeitung der Euripideischen +‘Iphigeneia’ zum Beispiel ist, sei es nach dem Muster einer anderen +Tragoedie, sei es nach eigener Erfindung des Bearbeiters, aus dem Frauen- ein +Soldatenchor gemacht. Gute Uebersetzungen in unserem Sinn koennen die +lateinischen Tragoedien des sechsten Jahrhunderts freilich nicht genannt werden +^24, doch gab wahrscheinlich ein Trauerspiel des Ennius von dem Euripideischen +Original ein weit minder getruebtes Bild als ein Plautinisches Lustspiel von +dem des Menander. +</p> + +<p> +Die geschichtliche Stellung und Wirkung des griechischen Trauerspiels in Rom +ist derjenigen der griechischen Komoedie vollstaendig gleichartig; und wenn, +wie das der Unterschied der Dichtgattungen mit sich bringt, in dem Trauerspiel +die hellenistische Richtung geistiger und reinlicher auftritt, so trug dagegen +die tragische Buehne dieser Zeit und ihr hauptsaechlicher Vertreter Ennius noch +weit entschiedener die antinationale und mit Bewusstsein propagandistische +Tendenz zur Schau. Ennius, schwerlich der bedeutendste, aber sicher der +einflussreichste Dichter des sechsten Jahrhunderts, war kein geborener Latiner, +sondern von Haus aus ein Halbgrieche; messapischer Abkunft und hellenischer +Bildung, siedelte er in seinem fuenfunddreissigsten Jahre nach Rom ueber und +lebte dort, anfangs als Insasse, seit 570 (184) als Buerger in beschraenkten +Verhaeltnissen, teils von dem Unterricht im Lateinischen und Griechischen, +teils von dem Ertrag seiner Stuecke, teils von den Verehrungen derjenigen +roemischen Grossen, welche, wie Publius Scipio, Titus Flaminius, Marcus Fulvius +Nobilior, geneigt waren, den modernen Hellenismus zu foerdern und dem Poeten zu +lohnen, der ihr eigenes und ihrer Ahnen Lob sang, und auch wohl einzelne von +ihnen, gewissermassen als im voraus fuer die zu verrichtenden Grosstaten +bestellter Hofpoet, ins Feldlager begleitete. Das Klientennaturell, das fuer +einen solchen Beruf erforderlich war, hat er selbst zierlich geschildert ^25. +Von Haus aus und seiner ganzen Lebensstellung nach Kosmopolit, verstand er es, +die Nationalitaeten, unter denen er lebte, die griechische, launische, ja sogar +die oskische sich anzueignen, ohne doch einer von ihnen sich zu eigen zu geben; +und wenn bei den frueheren roemischen Poeten der Hellenismus mehr folgeweise +aus ihrer dichterischen Wirksamkeit hervorgegangen als ihr deutliches Ziel +gewesen war, und sie darum auch mehr oder minder wenigstens versucht hatten, +sich auf einen volkstuemlichen Boden zu stellen, so ist sich Ennius vielmehr +seiner revolutionaeren Tendenz mit merkwuerdiger Klarheit bewusst und arbeitet +sichtlich darauf hin, die neologisch-hellenische Richtung bei den Italikern +energisch zur Geltung zu bringen. Sein brauchbarstes Werkzeug war die +Tragoedie. Die Truemmer seiner Trauerspiele zeigen, dass ihm das gesamte +tragische Repertoire der Griechen und namentlich auch Aeschylos und Sophokles +sehr wohl bekannt waren; um so weniger ist es zufaellig, dass er bei weitem die +meisten und darunter alle seiner gefeierten Stuecke dem Euripides nachgebildet +hat. Bei der Auswahl und Behandlung bestimmten ihn freilich zum Teil aeussere +Ruecksichten; aber nicht dadurch allein kann es veranlasst sein, dass er so +entschieden den Euripides im Euripides hervorhob, die Choere noch mehr +vernachlaessigte als sein Original, die sinnliche Wirkung noch schaerfer als +der Grieche akzentuierte, dass er Stuecke aufgriff wie den +‘Thyestes’ und den aus Aristophanes’ unsterblichem Spott so +wohlbekannten ‘Telephos’ und deren Prinzenjammer und Jammerprinzen, +ja sogar ein Stueck wie ‘Menalippe die Philosophin’, wo die ganze +Handlung sich um die Verkehrtheit der Volksreligion dreht und die Tendenz, +dieselbe vom naturphilosophischen Standpunkte aus zu befehden, auf der flachen +Hand liegt. Gegen den Wunderglauben fliegen ueberall, zum Teil in nachweislich +eingelegten Stellen ^26, die schaerfsten Pfeile, und von Tiraden, wie die +folgende ist: +</p> + +<p> +Himmelsgoetter freilich gibt es, sagt’ ich sonst und sag’ ich noch; +</p> + +<p> +Doch sie kuemmern keinesweges, mein’ ich, sich um der Menschen Los, +</p> + +<p> +Sonst ging’s gut den Guten, schlecht den Boesen; doch dem ist nicht so. +</p> + +<p> +wundert man sich fast, dass sie die roemische Buehnenzensur passierten. Dass +Ennius in einem eigenen Lehrgedicht dieselbe Irreligiositaet wissenschaftlich +predigte, ward schon bemerkt; und offenbar ist es ihm mit dieser Aufklaerung +Herzenssache gewesen. Dazu stimmt vollkommen die hier und da hervortretende +radikal gefaerbte politische Opposition ^27, die Verherrlichung der +griechischen Tafelfreuden, vor allem die Vernichtung des letzten nationalen +Elements in der lateinischen Poesie, des saturnischen Masses, und dessen +Ersetzung durch den griechischen Hexameter. Dass der +“vielgestaltige” Poet alle diese Aufgaben mit gleicher Sauberkeit +ausfuehrte, dass er der keineswegs daktylisch angelegten Sprache den Hexameter +abrang und ohne den natuerlichen Fluss der Rede zu hemmen sich mit Sicherheit +und Freiheit in den ungewohnten Massen und Formen bewegte, zeugt von seinem +ungemeinen, in der Tat mehr griechischen als roemischen Formtalent ^28; wo man +bei ihm anstoesst, verletzt viel haeufiger griechische Sprachdiftelei ^29 als +roemische Roheit. Er war kein grosser Dichter, aber ein anmutiges und heiteres +Talent, durchaus eine lebhaft anempfindende poetische Natur, die freilich des +poetischen Kothurnes bedurfte, um sich als Dichter zu fuehlen, und der die +komische Ader vollstaendig abging. Man begreift den Stolz, womit der +hellenisierende Poet auf die rauhen Weisen herabsieht, “in denen die +Waldgeister und die Barden ehemals sangen”, und die Begeisterung, womit +er die eigene Kunstpoesie feiert: +</p> + +<p> +Heil Dichter Ennius! welcher du den Sterblichen +</p> + +<p> +Das Feuerlied kredenzest aus der tiefen Brust. +</p> + +<p> +———————————————————————————————————— +</p> + +<p> +^24 Zur Vergleichung stehe hier der Anfang der Euripideischen und der +Ennianischen ‘Medeia’: +</p> + +<p> +Είθ' ώφελ' Αργούς διασπάσθαι σκάφος +</p> + +<p> +Κόλχων ες αίαν κυανέας Συπληγάδας +</p> + + +<p> +Μήδ' τέν νάπαισι Πηλίου πεσείν ποτε Utinam ne in nemore Pelio securibus +</p> + +<p> +Τμηθείσα πεύκη, μηδ' ερετμώσαι χέρας Caesa accidisset abiegna ad terram +</p> + +<p> + trabes, +</p> + +<p> + Neve inde navis inchoandae exordium +</p> + +<p> + Coepisset, quae nunc nominatur +</p> + +<p> + nomine +</p> + +<p> +Ανδρών αρίστων, οι τό πάγχρυσον θέρος Argo, quia Argivi in ea dilecti +</p> + +<p> + viri +</p> + +<p> + Vecti petebant pellem inauratam +</p> + +<p> + arietis +</p> + +<p> +Πελία μετήλθον. Ου γάρ άν δέσποιν εμή Colchis, imperio regis Peliae, per +</p> + +<p> + dolum. +</p> + +<p> +Μηδεία πύργους γής έπλευσα Ιωλκίας Nam nunquam era errans mea domo +</p> + +<p> + efferret pedem +</p> + +<p> +Έρωτι θυμόν εκπλαγείσ' Ιάσονος. Medea, animo aegra, amore saevo +</p> + +<p> +saucia. +</p> + + +<p> +Nie durch die schwarzen Symplegaden +</p> + +<p> +haette hin +</p> + +<p> +Fliegen gesollt ins Kolcherland der +</p> + +<p> +Argo Schiff, +</p> + +<p> +Noch stuerzen in des Pelion O waer’ im Pelionhaine von den +</p> + +<p> +Waldesschlucht jemals Beilen nie +</p> + +<p> +Gefaellt die Fichte, noch berudern Gehaun zur Erde hingestuerzt +</p> + +<p> +sie die Hand der Tannenstamm +</p> + +<p> + Und haette damit der Angriff +</p> + +<p> + angefangen nie +</p> + +<p> + Zum Beginn des Schiffes, das +</p> + +<p> + man jetzt mit Namen nennt +</p> + + +<p> +Der Tapfern, die das goldne Vliess Argo weil drin fuhr Argos + +</p> <p> +dem Pelias auserlesne Schar, + +</p> <p> + Von Kolchi nach Gebot des + +</p> <p> + Koenigs Pelias + +</p> <p> +Zu holen gingen! Nicht die Herrin Mit List zu holen uebergueldetes + +</p> <p> +waere mir Widdervliess! + +</p> <p> +Medeia zu des Iolkerlandes Tuermen Vors Haus dann irr den Fuss mir + +</p> <p> +dann Herrin setzte nie, + +</p> <p> +Von Iasons Liebe sinnbetoert Medea, krank im Herzen, wund von + +</p> <p> +hinweggeschifft. Liebespein. +</p> + +<p> +Die Abweichungen der Uebersetzung vom Original sind belehrend, nicht bloss die +Tautologien und Periphrasen, sondern auch die Beseitigung oder Erlaeuterung der +weniger bekannten mythologischen Namen: der Symplegaden, des Kolcherlandes, der +Argo. Eigentliche Missverstaendnisse des Originals aber sind bei Ennius selten. +</p> + +<p> +^25 Ohne Zweifel mit Recht galt den Alten als Selbstcharakteristik des Dichters +die Stelle im siebenten Buch der Chronik, wo der Konsul den Vertrauten zu sich +ruft, +</p> + +<p> +mit welchem er gern und +</p> + +<p> +Oftmals Tisch und Gespraech und seiner Geschaefte Eroertrung +</p> + +<p> +Teilte, wenn heim er kam, ermuedet von wichtigen Dingen, +</p> + +<p> +Drob er geratschlagt hatte die groessere Haelfte des Tags durch +</p> + +<p> +Auf dem Markte sowohl wie im ehrwuerdigen Stadtrat; +</p> + +<p> +Welchem das Gross’ und das Klein’ und den Scherz auch er mitteilen +</p> + +<p> +Durft’ und alles zugleich, was gut und was uebel man redet, +</p> + +<p> +Schuetten ihm aus, wenn er mocht’, und anvertrauen ihm sorglos; +</p> + +<p> +Welcher geteilt mit ihm viel Freud’ im Hause und draussen; +</p> + +<p> +Den nie schaendlicher Rat aus Leichtsinn oder aus Bosheit +</p> + +<p> +Uebel zu handeln verlockt; ein Mann, unterrichtet, ergeben, +</p> + +<p> +Angenehm, redegewandt und genuegsam froehlichen Herzens, +</p> + +<p> +Redend zur richtigen Zeit und das Passende, klueglich und kuerzlich, +</p> + +<p> +Im Verkehre bequem und bewandert verschollener Dinge, +</p> + +<p> +Denn ihn lehrten die Jahre die Sitten der Zeit und der Vorzeit, +</p> + +<p> +Von vielfaeltigen Sachen der Goetter und Menschen Gesetz auch, +</p> + +<p> +Und ein Gespraech zu berichten verstand er sowie zu verschweigen. +</p> + +<p> +In der vorletzten Zeile ist wohl zu schreiben multarum rerum leges divumque +hominumque. +</p> + +<p> +^26 Vgl. 2, 393. Aus der Definition des Wahrsagers bei Euripides (Iph. Aul. +956), dass er ein Mann sei, +</p> + +<p> +Der wenig Wahres unter vielem Falschen sagt +</p> + +<p> +Im besten Fall; und trifft er’s nicht, es geht ihm hin. +</p> + +<p> +hat der lateinische Uebersetzer folgende Diatribe gegen die Horoskopsteller +gemacht: +</p> + +<p> +Sterneguckerzeichen sucht er auf am Himmel, passt, ob wo +</p> + +<p> +Jovis Zieg’ oder Krebs ihm aufgeh’ oder einer Bestie Licht. +</p> + +<p> +Nicht vor seine Fuesse schaut man und durchforscht den Himmelsraum. +</p> + +<p> +^27 Im ‘Telephus’ heisst es: +</p> + +<p> +Palam mutire plebeis piaculum est. +</p> + +<p> +Verbrechen ist gemeinem Mann ein lautes Wort. +</p> + +<p> +^28 Die folgenden, in Form und Inhalt vortrefflichen Worte gehoeren der +Bearbeitung des Euripideischen ‘Phoenix’ an: +</p> + +<p> +Doch dem Mann mit Mute maechtig ziemt’s zu wirken in der Welt +</p> + +<p> +Und den Schuldigen zu laden tapfer vor den Richterstuhl. +</p> + +<p> +Das ist Freiheit, wo im Busen rein und fest wem schlaegt das Herz; +</p> + +<p> +Sonst in dunkler Nacht verborgen bleibt die frevelhafte Tat. +</p> + +<p> +In dem wahrscheinlich der Sammlung der vermischten Gedichte einverleibten +‘Scipio’ standen die malerischen Zeilen: +</p> + +<p> +— munduscaeli vastus constitit silentio; +</p> + +<p> +Et Neptunus saevus undis asperis pausam dedit, +</p> + +<p> +Sol equis iter repressit ungulis volantibus, +</p> + +<p> +Constitere amnes perennes, arbores vento vacant. +</p> + +<p> +[Iovis winkt’;] es ging ein Schweigen durch des Himmels weiten Raum. +</p> + +<p> +Rasten hiess die Meereswogen streng die grollenden Neptun, +</p> + +<p> +Seiner Rosse fliegende Hufe hielt zurueck der Sonnengott, +</p> + +<p> +Inne haelt der Fluss im Fluten, im Gezweig nicht weht der Wind. +</p> + +<p> +Die letzte Stelle gibt auch einen Einblick in die Art, wie der Dichter seine +Originalpoesien arbeitete: sie ist nichts als eine Ausfuehrung der Worte, die +in der urspruenglich wohl Sophokleischen Tragoedie ‘Hektors +Loesung’ ein dem Kampfe zwischen Hephaestos und dem Skamander +Zuschauender spricht: +</p> + +<p> +Constitit Credo Scamander, arbores vento vacant. +</p> + +<p> +Inne haelt, schau! der Skamander, im Gezweig nicht weht der Wind. +</p> + +<p> +und das Motiv ruehrt schliesslich aus der Ilias (21, 381) her. +</p> + +<p> +^29 So heisst es im ‘Phoenix’: +</p> + +<p> +- - stultust, qui cupita cupiens cupienter cupit. +</p> + +<p> +Toericht, wer Begehrtes begehrend ein Begieriger begehrt, +</p> + +<p> +und es ist dies noch nicht das tollste Radschlagen der Art. Auch akrostichische +Spielereien kommen vor (Cic. div. 2, 54, 111). +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Der geistreiche Mann war eben sich bewusst, mit vollen Segeln zu fahren; das +griechische Trauerspiel ward und blieb fortan ein Besitztum der launischen +Nation. +</p> + +<p> +Einsamere Wege und mit minder guenstigem Winde steuerte ein kuehnerer Schiffer +nach einem hoeheren Ziel. Naevius bearbeitete nicht bloss gleich Ennius, +wenngleich mit weit geringerem Erfolg, griechische Trauerspiele fuer die +roemische Buehne, sondern er versuchte auch ein ernstes Nationalschauspiel +(fabula praetextata) selbstaendig zu schaffen. Aeusserliche Hindernisse standen +hier nicht im Weg; er brachte Stoffe sowohl aus der roemischen Sage als aus der +gleichzeitigen Landesgeschichte auf die Buehne seiner Heimat. Derart sind seine +‘Erziehung des Romulus und Remus’ oder der ‘Wolf’, +worin der Koenig Amulius von Alba auftrat, und sein ‘Clastidium’, +worin der Sieg des Marcellus ueber die Kelten 532 (222) gefeiert ward. Nach +seinem Vorgang hat auch Ennius in der ‘Ambrakia’ die Belagerung der +Stadt durch seinen Goenner Nobilior 565 (189; 2, 273) nach eigener Anschauung +geschildert. Die Zahl dieser Nationalschauspiele blieb indes gering und die +Gattung verschwand rasch wieder vom Theater; die duerftige Sage und die +farblose Geschichte Roms vermochten mit dem hellenischen Sagenkreis nicht auf +die Dauer zu konkurrieren. Ueber den dichterischen Gehalt der Stuecke haben wir +kein Urteil mehr; aber wenn die poetische Intention im ganzen in Anschlag +kommen darf, so gibt es in der roemischen Literatur wenige Griffe von solcher +Genialitaet, wie die Schoepfung eines roemischen Nationalschauspiels war. Nur +die griechischen Tragoedien der aeltesten, den Goettern noch sich naeher +fuehlenden Zeit, nur Dichter wie Phrynichos und Aeschylos hatten den Mut +gehabt, die von ihnen miterlebten und mitverrichteten Grosstaten neben denen +der Sagenzeit auf die Buehne zu bringen; und wenn irgendwo es uns lebendig +entgegentritt, was die Punischen Kriege waren und wie sie wirkten; so ist es +hier, wo ein Dichter, der wie Aeschylos die Schlachten, die er sang, selber +geschlagen, die Koenige und Konsuln Roms auf diejenige Buehne fuehrte, auf der +man bis dahin einzig Goetter und Heroen zu sehen gewohnt war. +</p> + +<p> +Auch die Lesepoesie beginnt in dieser Epoche in Rom; schon Livius buergerte die +Sitte, welche bei den Alten die heutige Publikation vertrat, die Vorlesung +neuer Werke durch den Verfasser, auch in Rom wenigstens insofern ein, als er +dieselben in seiner Schule vortrug. Da die Dichtkunst hier nicht oder doch +nicht geradezu nach Brot ging, ward dieser Zweig derselben nicht so wie die +Buehnendichtung von der Ungunst der oeffentlichen Meinung betroffen; gegen das +Ende dieser Epoche sind auch schon der eine oder der andere vornehme Roemer in +dieser Art als Dichter oeffentlich aufgetreten ^30. Vorwiegend indes ward die +rezitative Poesie kultiviert von denselben Dichtern, die mit der szenischen +sich abgaben, und ueberhaupt hat jene neben der Buehnendichtung eine +untergeordnete Rolle gespielt, wie es denn auch ein eigentliches dichterisches +Lesepublikum in dieser Zeit nur noch in sehr beschraenktem Masse in Rom gegeben +haben kann. Vor allem schwach vertreten war die lyrische, didaktische, +epigrammatische Poesie. Die religioesen Festkantaten, von denen die Jahrbuecher +dieser Zeit allerdings bereits den Verfasser namhaft zu machen der Muehe wert +halten, sowie die monumentalen Tempel- und Grabinschriften, fuer welche das +saturnische Mass das stehende blieb, gehoerten kaum der eigentlichen Literatur +an. Soweit ueberhaupt in dieser die kleinere Poesie erscheint, tritt sie in der +Regel und schon bei Naevius unter dem Namen der Satura auf - eine Bezeichnung, +die urspruenglich dem alten, seit Livius durch das griechische Drama von der +Buehne verdraengten handlungslosen Buehnengedicht zukam, nun aber in der +rezitativen Poesie einigermassen unseren “vermischten Gedichten” +entspricht und gleich diesen nicht eigentlich eine positive Kunstgattung und +Kunstweise anzeigt, sondern nur Gedichte nicht epischer und nicht dramatischer +Art von beliebigem, meist subjektivem Stoff und beliebiger Form. Ausser Catos +spaeter noch zu erwaehnendem ‘Gedicht von den Sitten’, welches +vermutlich, anknuepfend an die aelteren Anfaenge volkstuemlich didaktischer +Poesie, in saturnischen Versen geschrieben war, gehoeren hierher besonders die +kleineren Gedichte des Ennius, welche der auf diesem Gebiet sehr fruchtbare +Dichter teils in seiner Saturensammlung, teils abgesondert veroeffentlichte: +kuerzere erzaehlende Poesien aus der vaterlaendischen Sagen- oder +gleichzeitigen Geschichte, Bearbeitungen des religioesen Romans des Euhemeros, +der auf den Namen des Epicharmos laufenden naturphilosophischen Poesien, der +Gastronomie des Archestratos von Gela, eines Poeten der hoeheren Kochkunst; +ferner einen Dialog zwischen dem Leben und dem Tode, Aesopische Fabeln, eine +Sammlung von Sittenspruechen, parodische und epigrammatische Kleinigkeiten - +geringe Sachen, aber bezeichnend wie fuer die Mannigfaltigkeit so auch fuer die +didaktisch-neologische Tendenz des Dichters, der auf diesem Gebiete, wohin die +Zensur nicht reichte, sich offenbar am freiesten gehen liess. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +^30 Ausser Cato werden noch aus dieser Zeit zwei “Konsulare und +Poeten” genannt (Suet. vita Ter. 4): Quintus Labeo, Konsul 571 (183), und +Marcus Popillius, Konsul 581 (173). Doch bleibt es dahingestellt, ob sie ihre +Gedichte auch publizierten. Selbst von Cato duerfte letzteres zweifelhaft sein. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Groessere dichterische wie geschichtliche Bedeutung nehmen die Versuche in +Anspruch, die Landeschronik metrisch zu behandeln. Wieder war es Naevius, der +dichterisch formte, was sowohl von der Sagen- als von der gleichzeitigen +Geschichte einer zusammenhaengenden Erzaehlung faehig war und namentlich den +Ersten Punischen Krieg einfach und klar, so schlecht und recht, wie die Dinge +waren, ohne irgend etwas als unpoetisch zu verschmaehen und ohne irgendwie, +namentlich in der Schilderung der geschichtlichen Zeit, auf poetische Hebung +oder gar Verzierungen auszugehen, durchaus in der gegenwaertigen Zeit +berichtend, in dem halb prosaischen saturnischen Nationalversmass +heruntererzaehlte ^31. Es gilt von dieser Arbeit wesentlich dasselbe, was von +dem Nationalschauspiel desselben Dichters gesagt ward. Die epische Poesie der +Griechen bewegt sich wie die tragische voellig und wesentlich in der heroischen +Zeit; es war ein durchaus neuer und wenigstens der Anlage nach ein +beneidenswert grossartiger Gedanke, mit dem Glanze der Poesie die Gegenwart zu +durchleuchten. Mag immerhin in der Ausfuehrung die Naevische Chronik nicht viel +mehr gewesen sein als die in mancher Hinsicht verwandten mittelalterlichen +Reimchroniken, so hatte doch sicher mit gutem Grund der Dichter sein ganz +besonderes Wohlgefallen an diesem seinem Werke. Es war nichts Kleines in einer +Zeit, wo es eine historische Literatur ausser den offiziellen Aufzeichnungen +noch schlechterdings nicht gab, seinen Landsleuten ueber die Taten der Zeit und +der Vorzeit einen zusammenhaengenden Bericht gedichtet und daneben die +grossartigsten Momente daraus ihnen dramatisch zur Anschauung gebracht zu +haben. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +^31 Den Ton werden folgende Bruchstuecke veranschaulichen. Von der Dido: +</p> + +<p> +Freundlich und kundig fragt sie - welcher Art Aeneas +</p> + +<p> +Von Troia schied. +</p> + +<p> +spaeter: +</p> + +<p> +Die Haende sein zum Himmel - hob empor der Koenig +</p> + +<p> +Amulius, dankt den Goettern - +</p> + +<p> +aus einer Rede, wo die indirekte Fassung bemerkenswert ist: +</p> + +<p> +Doch liessen sie im Stiche - jene tapfren Maenner, +</p> + +<p> +Das wuerde Schmach dem Volk sein - jeglichem Geschlechte. +</p> + +<p> +bezueglich auf die Landung in Malta im Jahre 498 (256): +</p> + +<p> +Nach Meute schifft der Roemer, - ganz und gar die Insel +</p> + +<p> +Brennt ab, verheert, zerstoert er, - macht den Feind zunichte. +</p> + +<p> +endlich von dem Frieden, der den Krieg um Sizilien beendigte: +</p> + +<p> +Bedungen wird es auch durch - Gaben des Lutatius +</p> + +<p> +Zu suehnen; er bedingt noch, - dass sie viel Gefangne +</p> + +<p> +Und aus Sizilien gleichfalls - rueck die Geiseln geben. +</p> + +<p> +———————————————————————————— +</p> + +<p> +Eben dieselbe Aufgabe wie Naevius stellte sich auch Ennius; aber die Gleichheit +des Gegenstandes laesst den politischen und poetischen Gegensatz des nationalen +und des antinationalen Dichters nur um so greller hervortreten. Naevius suchte +fuer den neuen Stoff eine neue Form; Ennius fuegte oder zwaengte denselben in +die Formen des hellenischen Epos. Der Hexameter ersetzt den saturnischen Vers, +die aufgeschmueckte, nach plastischer Anschaulichkeit ringende Homeridenmanier +die schlichte Geschichtserzaehlung. Wo es irgend angeht, wird geradezu Homer +uebertragen, wie zum Beispiel die Bestattung der bei Herakleia Gefallenen nach +dem Muster der Bestattung des Patroklos geschildert wird und in der Kappe des +mit den Istriern fechtenden Kriegstribuns Marcus Livius Stolo kein anderer +steckt als der Homerische Aias - nicht einmal die Homerische Anrufung der Muse +wird dem Leser erlassen. Die epische Maschinerie ist vollstaendig im Gange; +nach der Schlacht von Cannae zum Beispiel verzeiht Juno in vollem Goetterrat +den Roemern und verheisst ihnen Jupiter nach erlangter ehefraeulicher +Einwilligung den endlichen Sieg ueber die Karthager. Auch die neologische und +hellenistische Tendenz ihres Verfassers verleugnen die +‘Jahrbuecher’ keineswegs. Schon die bloss dekorative Verwendung der +Goetterwelt traegt diesen Stempel. In dem merkwuerdigen Traumgesicht, womit das +Gedicht sich einfuehrt, wird auf gut pythagoreisch berichtet, dass die jetzt im +Quintus Ennius wohnhafte Seele vor diesem in Horneros und noch frueher in einem +Pfau sesshaft gewesen sei, und alsdann auf gut naturphilosophisch das Wesen der +Dinge und das Verhaeltnis des Koerpers zum Geiste auseinandergesetzt. Selbst +die Wahl des Stoffes dient den gleichen Zwecken - haben doch die hellenischen +Literaten aller Zeiten eine vorzueglich geeignete Handhabe fuer ihre +griechisch-kosmopolitischen Tendenzen eben in der Zurechtmachung der roemischen +Geschichte gefunden. Ennius betont es, dass man die Roemer +</p> + +<p> +Griechen ja immer genannt und Graier sie pflege zu heissen. +</p> + +<p> +Der poetische Wert der vielgefeierten Jahrbuecher ist nach den frueheren +Bemerkungen ueber die Vorzuege und Maengel des Dichters im allgemeinen leicht +abzumessen. Dass durch den Aufschwung, den die grosse Zeit der Punischen Kriege +dem italischen Volksgefuehl gab, auch dieser lebhaft mitempfindende Poet sich +gehoben fuehlte und er nicht bloss die Homerische Einfachheit oft gluecklich +traf, sondern auch noch oefter die roemische Feierlichkeit und Ehrenhaftigkeit +aus seinen Zeilen ergreifend widerhallt, ist ebenso natuerlich wie die +Mangelhaftigkeit der epischen Komposition, die notwendig sehr lose und +gleichgueltig gewesen sein muss, wenn es dem Dichter moeglich war, einem sonst +verschollenen Helden und Patron zuliebe ein eigenes Buch nachtraeglich +einzufuegen. Im ganzen aber waren die ‘Jahrbuecher’ ohne Frage +Ennius’ verfehltestes Werk. Der Plan, eine ‘Ilias’ zu machen, +kritisiert sich selbst. Ennius ist es gewesen, welcher mit diesem Gedicht zum +erstenmal jenen Wechselbalg von Epos und Geschichte in die Literatur +eingefuehrt hat, der von da an bis auf den heutigen Tag als Gespenst, das weder +zu leben noch zu sterben vermag, in ihr umgeht. Einen Erfolg aber hat das +Gedicht allerdings gehabt. Ennius gab sich mit noch groesserer Unbefangenheit +fuer den roemischen Homer als Klopstock fuer den deutschen, und ward von den +Zeitgenossen und mehr noch von der Nachwelt dafuer genommen. Die Ehrfurcht vor +dem Vater der roemischen Poesie erbte fort von Geschlecht zu Geschlecht: den +Ennius, sagt noch der feine Quintilian, wollen wir verehren wie einen +altersgrauen heiligen Hain, dessen maechtige tausendjaehrige Eichen mehr +ehrwuerdig als schoen sind; und wer darueber sich wundern sollte, der moege an +verwandte Erscheinungen, an den Erfolg der Aeneide, der Henriade, der Messiade +sich erinnern. Eine maechtige poetische Entwicklung der Nation freilich wuerde +jene beinahe komische offizielle Parallelisierung der Homerischen +‘Ilias’ und der Ennianischen ‘Jahrbuecher’ so gut +abgeschuettelt haben wie wir die Sappho-Karschin und den Pindar-Willamov; aber +eine solche hat in Rom nicht stattgefunden. Bei dem stofflichen Interesse des +Gedichts besonders fuer die aristokratischen Kreise und dem grossen Formtalent +des Dichters blieben die ‘Jahrbuecher’ das aelteste roemische +Originalgedicht, welches den spaeteren gebildeten Generationen lesenswert und +lesbar erschien; und so ist es wunderlicherweise gekommen, dass in diesem +durchaus antinationalen Epos eines halbgriechischen Literaten die spaetere Zeit +das rechte roemische Mustergedicht verehrt hat. +</p> + +<p> +Nicht viel spaeter als die roemische Poesie, aber in sehr verschiedener Weise +entstand in Rom eine prosaische Literatur. Es fielen bei dieser sowohl die +kuenstlichen Foerderungen hinweg, wodurch die Schule und die Buehne vor der +Zeit eine roemische Poesie grosszogen, als auch die kuenstliche Hemmung, worauf +namentlich die roemische Komoedie in der strengen und beschraenkten +Buehnenzensur traf. Es war ferner diese schriftstellerische Taetigkeit nicht +durch den dem “Baenkelsaenger” anhaftenden Makel von vornherein bei +der guten Gesellschaft in den Bann getan. Darum ist denn auch die prosaische +Schriftstellerei zwar bei weitem weniger ausgedehnt und weniger rege als die +gleichzeitige poetische, aber weit naturgemaesser entwickelt; und wenn die +Poesie fast voellig in den Haenden der geringen Leute ist und kein einziger +vornehmer Roemer unter den gefeierten Dichtern dieser Zeit erscheint, so ist +umgekehrt unter den Prosaikern dieser Epoche kaum ein nicht senatorischer Norne +und sind es durchaus die Kreise der hoechsten Aristokratie, gewesene Konsuln +und Zensoren, die Fabier, die Gracchen, die Scipionen, von denen diese +Literatur ausgeht. Dass die konservative und nationale Tendenz sich besser mit +dieser Prosaschriftstellerei vertrug als mit der Poesie, liegt in der Sache; +doch hat auch hier, und namentlich in dem wichtigsten Zweige dieser Literatur, +in der Geschichtschreibung, die hellenistische Richtung auf Stoff und Form +maechtig, ja uebermaechtig eingewirkt. +</p> + +<p> +Bis in die Zeit des Hannibalischen Krieges gab es in Rom eine +Geschichtschreibung nicht; denn die Anzeichnungen des Stadtbuchs gehoerten zu +den Akten, nicht zu der Literatur, und verzichteten von Haus aus auf jede +Entwicklung des Zusammenhanges der Dinge. Es ist bezeichnend fuer die +Eigentuemlichkeit des roemischen Wesens, dass trotz der weit ueber die Grenzen +Italiens ausgedehnten Macht der roemischen Gemeinde und trotz der stetigen +Beruehrung der vornehmen roemischen Gesellschaft mit den literarisch so +fruchtbaren Griechen dennoch nicht vor der Mitte des sechsten Jahrhunderts das +Beduerfnis sich regte, die Taten und Geschicke der roemischen Buergerschaft auf +schriftstellerischem Wege zur Kunde der Mit- und Nachwelt zu bringen. Als nun +aber dies Beduerfnis endlich empfunden ward, fehlte es fuer die roemische +Geschichte an fertigen schriftstellerischem Formen und an einem fertigen +Lesepublikum; und grosses Talent und laengere Zeit waren erforderlich, um beide +zu erschaffen. Zunaechst wurden daher diese Schwierigkeiten gewissermassen +umgangen dadurch, dass man die Landesgeschichte entweder in der Muttersprache, +aber in Versen, oder in Prosa, aber griechisch schrieb. Von den metrischen +Chroniken des Naevius (geschrieben um 550? 204) und Ennius (geschrieben um 581 +173) ist schon die Rede gewesen; sie gehoeren zugleich zu der aeltesten +historischen Literatur der Roemer, ja die des Naevius darf als das ueberhaupt +aelteste roemische Geschichtswerk angesehen werden. Ungefaehr gleichzeitig +entstanden die griechischen Geschichtsbuecher des Quintus Fabius Pictor ^32 +(nach 553 201), eines waehrend des Hannibalischen Krieges in Staatsgeschaeften +taetigen Mannes aus vornehmem Geschlecht, und des Sohnes des Scipio Africanus, +Publius Scipio († um 590 164). Dort also bediente man sich der bis zu einem +gewissen Grade bereits entwickelten Dichtkunst und wandte sich an das nicht +gaenzlich mangelnde poetische Publikum; hier fand man die fertigen griechischen +Formen vor und richtete die Mitteilungen, wie schon das weit hinaus ueber die +Grenzen Latiums sich erstreckende stoffliche Interesse derselben es nahelegte, +zunaechst an das gebildete Ausland. Den ersten Weg schlugen die plebejischen, +den zweiten die vornehmeren Schriftsteller ein; eben wie in der Zeit Friedrichs +des Grossen neben der vaterlaendischen Pastoren- und +Professorenschriftstellerei eine aristokratische Literatur in franzoesischer +Sprache stand und die Gleim und Ramler deutsche Kriegslieder, die Koenige und +Feldherren franzoesische Kriegsgeschichten verfassten. Weder die metrischen +Chroniken, noch die griechischen roemischer Verfasser waren eine eigentliche +lateinische Geschichtschreibung; diese begann erst mit Cato, dessen nicht vor +dem Schluss dieser Epoche publizierte ‘Ursprungsgeschichten’ +zugleich das aelteste lateinisch geschriebene Geschichts- und das erste +bedeutende prosaische Werk der roemischen Literatur sind ^33. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^32 Die griechische Abfassung dieses aeltesten prosaischen roemischen +Geschichtswerkes ist durch Dionys (1, 6) und Cicero (div. 1, 27 , 43) ausser +Zweifel gestellt. Ein Problem bleiben die unter demselben Namen von Quintilian +und spaeteren Grammatikern angefuehrten lateinischen Annalen, und es wird die +Schwierigkeit noch dadurch gesteigert, dass unter demselben Namen auch eine +sehr ausfuehrliche Darstellung des pontifizischen Rechts in lateinischer +Sprache angefuehrt wird. Indes die letztere Schrift wird von keinem, der die +Entwicklung der roemischen Literatur im Zusammenhang verfolgt hat, einem +Verfasser aus der Zeit des Hannibalischen Krieges beigelegt werden; und auch +lateinische Annalen aus dieser Zeit erscheinen problematisch, obwohl es +dahingestellt bleiben muss, ob hier eine Verwechslung mit dem juengeren +Annalisten Quintus Fabius Maximus Servilianus (Konsul 612 142) obwaltet, oder +ob von den griechischen Annalen des Fabius wie von denen des Acilius und des +Albinus eine alte lateinische Bearbeitung existiert, oder ob es zwei Annalisten +des Namens Fabius Pictor gegeben hat. +</p> + +<p> +Das dem Lucius Cincius Alimentus, einem Zeitgenossen des Fabius, beigelegte, +ebenfalls griechische Geschichtswerk scheint untergeschoben und ein Machwerk +aus augustischer Zeit. +</p> + +<p> +^33 Catos gesamte literarische Taetigkeit gehoert erst in sein Greisenalter +(Cic. Cat. 11 38; Nep. Cato 3); die Abfassung auch der frueheren Buecher der +‘Ursprungsgeschichten’ faellt nicht vor, aber wahrscheinlich auch +nicht lange nach 586 (168) (Plin. nat. 3, 14, 114). +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Alle diese Werke waren freilich nicht im Sinne der Griechen ^34, wohl aber im +Gegensatz zu der rein notizenhaften Fassung des Stadtbuchs pragmatische +Geschichten von zusammenhaengender Erzaehlung und mehr oder minder geordneter +Darstellung. Sie umfassten, soviel wir sehen saemtlich, die Landesgeschichte +von der Erbauung Roms bis auf die Zeit des Schreibers, obwohl dem Titel nach +das Werk des Naevius nur den ersten Krieg mit Karthago, das Catos nur die +Ursprungsgeschichten betraf; danach zerfielen sie von selbst in die drei +Abschnitte der Sagenzeit, der Vor- und der Zeitgeschichte. Bei der Sagenzeit +war fuer die Entstehungsgeschichte der Stadt Rom, die ueberall mit grosser +Ausfuehrlichkeit dargestellt ward, die eigentuemliche Schwierigkeit zu +ueberwinden, dass davon, wie frueher ausgefuehrt ward, zwei voellig +unvereinbare Fassungen vorlagen: die nationale, welche wenigstens in den +Hauptumrissen wahrscheinlich schon im Stadtbuch schriftlich fixiert war, und +die griechische des Timaeos, die diesen roemischen Chronikschreibern nicht +unbekannt geblieben sein kann. Jene sollte Rom an Alba, diese Rom an Troia +anknuepfen; dort ward es also von dem albanischen Koenigssohn Romulus, hier von +dem troischen Fuersten Aeneas erbaut. Der gegenwaertigen Epoche, wahrscheinlich +entweder dem Naevius oder dem Pictor, gehoert die Verklitterung der beiden +Maerchen an. Der albanische Koenigssohn Romulus bleibt der Gruender Roms, aber +wird zugleich Aeneas Tochtersohn; Aeneas gruendet Rom nicht, bringt aber dafuer +die roemischen Penaten nach Italien und erbaut diesen zum Sitze Lavinium, sein +Sohn Ascanius die Mutterstadt von Rom und die alte Metropole Latiums, das Lange +Alba. Das alles war recht uebel und ungeschickt erfunden. Dass die +urspruenglichen Penaten Roms nicht, wie man bisher geglaubt, in ihrem Tempel am +roemischen Markte, sondern in dem zu Lavinium aufbewahrt seien, musste dem +Roemer ein Greuel sein, und die griechische Dichtung kam noch schlimmer weg, +indem die Goetter erst dem Enkel verliehen, was sie dem Ahn zugeschieden +hatten. Indes die Redaktion genuegte ihrem Zweck: ohne geradezu den nationalen +Ursprung Roms zu verleugnen, trug sie doch auch der hellenisierenden Tendenz +Rechnung und legalisierte einigermassen das in dieser Zeit bereits stark im +Schwunge gehende Kokettieren mit dem Aeneadentum; und so wurde dies die +stereotype und bald die offizielle Ursprungsgeschichte der maechtigen Gemeinde. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^34 Offenbar im Gegensatz gegen Fabius hebt Polybios (40, 6, 4) es hervor, dass +der Graecomane Albinus sich Muehe gegeben habe, seine Geschichte pragmatisch zu +schreiben. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Von der Ursprungsfabel abgesehen, hatten im uebrigen die griechischen +Historiographen sich um die roemische Gemeinde wenig oder gar nicht gekuemmert, +so dass die weitere Darstellung der Landesgeschichte vorwiegend aus +einheimischen Quellen geflossen sein muss, ohne dass in der uns zugekommenen +duerftigen Kunde mit Bestimmtheit auseinander traete, welcherlei +Ueberlieferungen ausser dem Stadtbuch den aeltesten Chronisten zu Gebote +gestanden und was sie etwa von dem Ihrigen hinzugetan haben. Die aus Herodot +eingelegten Anekdoten ^35 sind diesen aeltesten Annalisten wohl noch fremd +gewesen und eine unmittelbare Entlehnung griechischen Stoffes in diesem +Abschnitt nicht nachweisbar. Um so bemerkenswerter ist die ueberall, selbst bei +dem Griechenfeind Cato, mit grosser Bestimmtheit hervortretende Tendenz, nicht +bloss Rom an Hellas anzuknuepfen, sondern Italiker und Griechen als ein +urspruenglich gleiches Volk darzustellen - hierher gehoeren die aus +Griechenland eingewanderten Uritaliker oder Aboriginer sowie die nach Italien +wandernden Urgriechen oder Pelasger. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^35 So ist die Geschichte der Belagerung von Gabii aus Herodotischen Anekdoten +von Zopyros und dem Tyrannen Thrasybulos zusammengeschrieben, eine Version der +Aussetzungsgeschichte des Romulus, ueber den Leisten der Herodotischen +Erzaehlung von Kyros’ Jugend geschlagen. +</p> + +<p> +————————————————- +</p> + +<p> +Die landlaeufige Erzaehlung fuehrte in einem, wenn auch schwach und lose +geknuepften Faden, doch einigermassen zusammenhaengend durch die Koenigszeit +bis hinab auf die Einsetzung der Republik; hier aber versiegte die Sage ganz, +und es war nicht bloss schwierig, sondern wohl geradezu unmoeglich, aus den +Beamtenverzeichnissen und den ihnen angehaengten duerftigen Vermerken eine +irgendwie zusammenhaengende und lesbare Erzaehlung zu gestalten. Am meisten +empfanden dies die Dichter. Naevius scheint deshalb von der Koenigszeit +sogleich auf den Krieg um Sizilien uebergegangen zu sein; Ennius, der im +dritten seiner achtzehn Buecher noch die Koenigszeit, im sechsten schon den +Krieg mit Pyrrhos beschrieb, kann die ersten zwei Jahrhunderte der Republik +hoechstens in den allgemeinsten Umrissen behandelt haben. Wie die griechisch +schreibenden Annalisten sich geholfen haben, wissen wir nicht. Einen +eigentuemlichen Weg schlug Cato ein. Auch er verspuerte keine Lust, wie er +selber sagt, “zu berichten, was auf der Tafel im Hause des Oberpriesters +steht: wie oft der Weizen teuer gewesen und wann Mond und Sonne sich +verfinstert haetten”; und so bestimmte er denn das zweite und dritte Buch +seines Geschichtswerkes fuer die Berichte ueber die Entstehung der uebrigen +italischen Gemeinden und deren Eintritt in die roemische Eidgenossenschaft. Er +machte sich also los aus den Fesseln der Chronik, welche Jahr fuer Jahr nach +Voranstellung der jedesmaligen Beamten die Ereignisse berichtet; namentlich +hierher wird die Angabe gehoeren, dass Catos Geschichtswerk die Vorgaenge +“abschnittsweise” erzaehlte. Diese in einem roemischen Werke +auffallende Beruecksichtigung der uebrigen italischen Gemeinden griff teils in +die oppositionelle Stellung des Verfassers ein, welcher gegen das +hauptstaedtische Treiben sich durchaus auf das munizipale Italien stuetzte, +teils gewaehrte sie einen gewissen Ersatz fuer die mangelnde Geschichte Roms +von der Vertreibung des Koenigs Tarquinius bis auf den Pyrrhischen Krieg, indem +sie deren wesentliches Ergebnis, die Einigung Italiens unter Rom, in ihrer Art +gleichfalls darstellte. +</p> + +<p> +Dagegen die Zeitgeschichte wurde wiederum zusammenhaengend und eingehend +behandelt: nach eigener Kunde schilderten Naevius den ersten, Fabius den +zweiten Krieg mit Karthago; Ennius widmete wenigstens dreizehn von den achtzehn +Buechern seiner Chronik der Epoche von Pyrrhos bis auf den Istrischen Krieg; +Cato erzaehlte im vierten und fuenften Buche seines Geschichtswerkes die Kriege +vom Ersten Punischen bis auf den mit Perseus und in den beiden letzten, +wahrscheinlich anders und ausfuehrlicher angelegten die Ereignisse aus den +letzten zwanzig Lebensjahren des Verfassers. Fuer den Pyrrhischen Krieg mag +Ennius den Timaeos oder andere griechische Quellen benutzt haben; im ganzen +aber beruhten die Berichte teils auf eigener Wahrnehmung oder Mitteilungen von +Augenzeugen, teils einer auf dem andern. +</p> + +<p> +Gleichzeitig mit der historischen und gewissermassen als ein Anhang dazu begann +die Rede- und Briefliteratur, welche ebenfalls Cato eroeffnet - denn aus der +frueheren Zeit besass man nichts als einige, meistenteils wohl erst in +spaeterer Zeit aus den Familienarchiven an das Licht gezogene Leichenreden, wie +zum Beispiel diejenige, die der alte Quintus Fabius, der Gegner Hannibals, als +Greis seinem im besten Mannesalter verstorbenen Sohn gehalten hatte. Cato +dagegen zeichnete von den unzaehligen Reden, die er waehrend seiner langen und +taetigen oeffentlichen Laufbahn gehalten, die geschichtlich wichtigen in seinem +Alter auf, gewissermassen als politische Memoiren, und machte sie teils in +seinem Geschichtswerk, teils, wie es scheint, als selbstaendige Nachtraege +dazu, bekannt. Auch eine Briefsammlung hat es von ihm schon gegeben. +</p> + +<p> +Mit der nichtroemischen Geschichte befasste man sich wohl insoweit, als eine +gewisse Kenntnis derselben dem gebildeten Roemer nicht mangeln durfte; schon +von dem alten Fabius heisst es, dass ihm nicht bloss die roemischen, sondern +auch die auswaertigen Kriege gelaeufig gewesen, und dass Cato den Thukydides +und die griechischen Historiker ueberhaupt fleissig las, ist bestimmt bezeugt. +Allein wenn man von der Anekdoten- und Spruchsammlung absieht, welche Cato als +Fruechte dieser Lektuere fuer sich zusammenstellte, ist von einer +schriftstellerischen Taetigkeit auf diesem Gebiet nichts wahrzunehmen. +</p> + +<p> +Dass durch diese beginnende historische Literatur insgesamt eine harmlose +Unkritik durchgeht, versteht sich von selbst; weder Schriftsteller noch Leser +nahmen an inneren oder aeusseren Widerspruechen leicht Anstoss. Koenig +Tarquinius der Zweite, obwohl bei dem Tode seines Vaters schon erwachsen und +neununddreissig Jahre nach demselben zur Regierung gelangend, besteigt +nichtsdestoweniger noch als Juengling den Thron. Pythagoras, der etwa ein +Menschenalter vor Vertreibung der Koenige nach Italien kam, gilt den roemischen +Historikern darum nicht minder als Freund des weisen Numa. Die im Jahre 262 +(492) der Stadt nach Syrakus geschickten Staatsboten verhandeln dort mit dem +aelteren Dionysios, der sechsundachtzig Jahre nachher (348 406) den Thron +bestieg. Vornehmlich tritt diese naive Akrisie hervor in der Behandlung der +roemischen Chronologie. Da nach der - wahrscheinlich in ihren Grundzuegen schon +in der vorigen Epoche festgestellten - roemischen Zeitrechnung die Gruendung +Roms 240 Jahre vor die Einweihung des Kapitolinischen Tempels, 360 Jahre vor +den gallischen Brand und das letztere, auch in griechischen Geschichtswerken +erwaehnte Ereignis nach diesen in das Jahr des athenischen Archonten Pyrgion +388 v. Chr. (Ol. 98, 1) fiel, so stellt sich hiernach die Erbauung Roms auf Ol. +8, 1. Dieses war, nach der damals bereits als kanonisch geltenden +Eratosthenischen Zeitrechnung, das Jahr nach Troias Fall 436; +nichtsdestoweniger blieb in der gemeinen Erzaehlung der Gruender Roms der +Tochtersohn des troischen Aeneas. Cato, der als guter Finanzmann hier +nachrechnete, machte freilich in diesem Fall auf den Widerspruch aufmerksam; +eine Aushilfe aber scheint auch er nicht vorgeschlagen zu haben - das spaeter +zu diesem Zweck eingeschobene Verzeichnis der albanischen Koenige ruehrt sicher +nicht von ihm her. +</p> + +<p> +Dieselbe Unkritik, wie sie hier obwaltet, beherrschte bis zu einem gewissen +Grade auch die Darstellung der historischen Zeit. Die Berichte trugen sicher +ohne Ausnahme diejenige starke Parteifaerbung, wegen welcher der fabische ueber +die Anfaenge des zweiten Krieges mit Karthago von Polybios mit der ihm eigenen +kuehlen Bitterkeit durchgezogen wird. Das Misstrauen indes ist hier besser am +Platz als der Vorwurf. Es ist einigermassen laecherlich, von den roemischen +Zeitgenossen Hannibals ein gerechtes Urteil ueber ihre Gegner zu verlangen; +eine bewusste Entstellung der Tatsachen aber, soweit der naive Patriotismus +nicht von selber eine solche einschliesst, ist den Vaetern der roemischen +Geschichte doch nicht nachgewiesen worden. +</p> + +<p> +Auch von wissenschaftlicher Bildung und selbst von dahin einschlagender +Schriftstellerei gehoeren die Anfaenge in diese Epoche. Der bisherige +Unterricht hatte sich wesentlich auf Lesen und Schreiben und auf die Kenntnis +des Landrechts beschraenkt ^36. Allmaehlich aber ging den Roemern in der +innigen Beruehrung mit den Griechen der Begriff einer allgemeineren Bildung auf +und regte sich das Bestreben, nicht gerade diese griechische Bildung +unmittelbar nach Rom zu verpflanzen, aber doch nach ihr die roemische +einigermassen zu modifizieren. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^36 Plautus sagt (Most. 126) von den Eltern, dass sie die Kinder “lesen +und die Rechte und Gesetze kennen lehren”; und dasselbe zeigt Plut. Cato +mai. 20. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +Vor allen Dingen fing die Kenntnis der Muttersprache an sich zur lateinischen +Grammatik auszubilden; die griechische Sprachwissenschaft uebertrug sich auf +das verwandte italische Idiom. Die grammatische Taetigkeit begann ungefaehr +gleichzeitig mit der roemischen Schriftstellerei. Schon um 520 (234) scheint +ein Schreiblehrer Spurius Carvilius das lateinische Alphabet reguliert und dem +ausserhalb desselben stehenden Buchstaben g (I, 487) den Platz des entbehrlich +gewordenen z gegeben zu haben, welchen derselbe noch in den heutigen +okzidentalischen Alphabeten behauptet. An der Feststellung der Rechtschreibung +werden die roemischen Schulmeister fortwaehrend gearbeitet haben; und auch die +lateinischen Musen haben ihre schulmeisterliche Hippokrene nie verleugnet und +zu allen Zeiten neben der Poesie sich der Orthographie beflissen. Namentlich +Ennius hat, auch hierin Klopstock gleich, nicht bloss das anklingende +Etymologienspiel schon ganz in alexandrinischer Art geuebt ^37, sondern auch +fuer die bis dahin uebliche einfache Bezeichnung der Doppelkonsonanten die +genauere griechische Doppelschreibung eingefuehrt. Von Naevius und Plautus +freilich ist nichts dergleichen bekannt - die volksmaessigen Poeten werden +gegen Rechtschreibung und Etymologie auch in Rom sich so gleichgueltig +verhalten haben, wie Dichter es pflegen. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +^37 So heisst ihm in den Epicharmischen Gedichten Jupiter davon quod invat, +Ceres davon quod gerit fruges. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Rhetorik und Philosophie blieben den Roemern dieser Zeit noch fern. Die Rede +stand bei ihnen zu entschieden im Mittelpunkt des oeffentlichen Lebens, als +dass der fremde Schulmeister ihr haette beikommen koennen; der echte Redner +Cato goss ueber das alberne Isokrateische “ewig reden lernen und niemals +reden koennen” die ganze Schale seines zornigen Spottes aus. Die +griechische Philosophie, obwohl sie durch Vermittlung der lehrhaften und vor +allem der tragischen Poesie einen gewissen Einfluss auf die Roemer gewann, +wurde doch mit einer aus baeurischer Ignoranz und ahnungsvollem Instinkt +gemischten Apprehension betrachtet. Cato nannte den Sokrates unverbluemt einen +Schwaetzer und einen als Frevler an dem Glauben und den Gesetzen seiner Heimat +mit Recht hingerichteten Revolutionaer; und wie selbst die der Philosophie +geneigten Roemer von ihr dachten, moegen wohl die Worte des Ennius aussprechen: +</p> + +<p> +Philosophieren will ich, doch kurz und nicht die ganze Philosophie; +</p> + +<p> +Gut ist’s von ihr nippen, aber sich in sie versenken schlimm. +</p> + +<p> +Dennoch duerfen die poetische Sittenlehre und die Anweisung zur Redekunst, die +sich unter den Catonischen Schriften befanden, angesehen werden als die +roemische Quintessenz oder, wenn man lieber will, das roemische Caput mortuum +der griechischen Philosophie und Rhetorik. Die naechsten Quellen Catos waren +fuer das Sittengedicht neben der selbstverstaendlichen Anpreisung der einfachen +Vaetersitte vermutlich die Pythagoreischen Moralschriften, fuer das Rednerbuch +die Thukydideischen und besonders die Demosthenischen Reden, welche alle Cato +eifrig studierte. Von dem Geiste dieser Handbuecher kann man ungefaehr sich +eine Vorstellung machen nach der goldenen, von den Nachfahren oefter +angefuehrten als befolgten Regel fuer den Redner, “an die Sache zu denken +und daraus die Worte sich ergeben zu lassen” ^38. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +^38 Rem tene, verba sequentur. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +Aehnliche allgemein propaedeutische Handbuecher verfasste Cato auch fuer die +Heilkunst, die Kriegswissenschaft, die Landwirtschaft und die +Rechtswissenschaft, welche Disziplinen alle ebenfalls mehr oder minder unter +griechischem Einfluss standen. Wenn nicht die Physik und Mathematik, so fanden +doch die damit zusammenhaengenden Nuetzlichkeitswissenschaften bis zu einem +gewissen Grade Eingang in Rom. Am meisten gilt dies von der Medizin. Nachdem im +Jahre 535 (219) der erste griechische Arzt, der Peloponnesier Archagathos in +Rom sich niedergelassen und dort durch seine chirurgischen Operationen solches +Ansehen erworben hatte, dass ihm von Staats wegen ein Lokal angewiesen und das +roemische Buergerrecht geschenkt ward, stroemten seine Kollegen scharenweise +nach Italien. Cato freilich machte nicht bloss die fremden Heilkuenstler mit +einem Eifer herunter, der einer besseren Sache wuerdig war, sondern versuchte +auch, durch sein aus eigener Erfahrung und daneben wohl auch aus der +medizinischen Literatur der Griechen zusammengestelltes medizinisches +Hilfsbuechlein die gute alte Sitte wieder emporzubringen, wo der Hausvater +zugleich der Hausarzt war. Die Aerzte und das Publikum kuemmerten wie billig +sich wenig um dieses eigensinnige Gekeife; doch blieb das Gewerbe, eines der +eintraeglichsten, die es in Rom gab, Monopol der Auslaender, und Jahrhunderte +lang hat es in Rom nur griechische Aerzte gegeben. +</p> + +<p> +Von der barbarischen Gleichgueltigkeit, womit man bisher in Rom die Zeitmessung +behandelt hatte, kam man wenigstens einigermassen zurueck. Mit der Aufstellung +der ersten Sonnenuhr auf dem roemischen Markt im Jahre 491 (263) fing die +griechische Stunde (ώρα, hora) auch bei den Roemern an gebraucht zu werden; +freilich begegnete es dabei, dass man in Rom eine fuer das um vier Grade +suedlicher liegende Katane gearbeitete Sonnenuhr aufstellte und ein Jahrhundert +lang sich danach richtete. Gegen Ende dieser Epoche erscheinen einzelne +vornehme Maenner, die sich fuer mathematische Dinge interessierten. Manius +Acilius Glabrio (Konsul 563 191) versuchte der Kalenderverwirrung durch ein +Gesetz zu steuern, das dem Pontifikalkollegium gestattete, nach Ermessen +Schaltmonate einzulegen und wegzulassen; wenn dies seinen Zweck verfehlte, ja +uebel aerger machte, so lag die Ursache davon wohl weniger in dem Unverstand +als in der Gewissenlosigkeit der roemischen Theologen. Auch der griechisch +gebildete Marcus Fulvius Nobilior (Konsul 565 189) gab sich Muehe wenigstens um +allgemeine Kundmachung des roemischen Kalenders. Gaius Sulpicius Gallus (Konsul +588 166), der nicht bloss die Mondfinsternis von 586 (168) vorhergesagt, +sondern auch ausgerechnet hatte, wie weit es von der Erde bis zum Monde sei und +der selbst als astronomischer Schriftsteller aufgetreten zu sein scheint, wurde +deshalb von seinen Zeitgenossen als ein Wunder des Fleisses und des +Scharfsinnes angestaunt. +</p> + +<p> +Dass fuer die Landwirtschaft und die Kriegskunst zunaechst die ererbte und die +eigene Erfahrung massgebend war, versteht sich von selbst und spricht auch in +derjenigen der zwei Catonischen Anleitungen zur Landwirtschaft, die auf unsere +Zeit gekommen ist, sehr bestimmt sich aus. Dennoch fielen auch auf diesen +untergeordneten eben wie in den hoeheren geistigen Gebieten die Resultate der +griechischen und der lateinischen, ja selbst der phoenikischen Kultur zusammen +und kann schon darum die einschlagende auslaendische Literatur nicht ganz +unberuecksichtigt geblieben sein. +</p> + +<p> +Dagegen gilt dasselbe nur in untergeordnetem Grade von der Rechtswissenschaft. +Die Taetigkeit der Rechtsgelehrten dieser Zeit ging noch wesentlich auf in der +Bescheidung der anfragenden Parteien und in der Belehrung der juengeren +Zuhoerer; doch bildete in dieser muendlichen Unterweisung schon sich ein +traditioneller Regelstamm und auch schriftstellerische Taetigkeit mangelt nicht +ganz. Wichtiger als Catos kuerzer Abriss wurde fuer die Rechtswissenschaft das +von Sextus Aelius Paetus, genannt der “Schlaue” (catus), welcher +der erste praktische Jurist seiner Zeit war und infolge dieser seiner +gemeinnuetzigen Taetigkeit zum Konsulat (556 198) und zur Zensur (560 194) +emporstieg, veroeffentlichte sogenannte “dreiteilige Buch”, das +heisst eine Arbeit ueber die Zwoelf Tafeln, welche zu jedem Satze derselben +eine Erlaeuterung, hauptsaechlich wohl der veralteten und unverstaendlichen +Ausdruecke, und das entsprechende Klagformular hinzufuegte. Wenn dabei in jener +Glossierung der Einfluss der griechischen grammatischen Studien unleugbar +hervortritt, so knuepfte die Klagformulierung vielmehr an die aeltere Sammlung +des Appius und die ganze volkstuemliche und prozessualische Rechtsentwicklung +an. +</p> + +<p> +Im allgemeinen tritt der Wissenschaftsbestand dieser Epoche mit grosser +Bestimmtheit hervor in der Gesamtheit jener von Cato fuer seinen Sohn +aufgesetzten Handbuecher, die als eine Art Enzyklopaedie in kurzen Saetzen +darlegen sollten, was ein “tuechtiger Mann” (vir bonus) als Redner, +Arzt, Landwirt, Kriegsmann und Rechtskundiger sein muesse. Ein Unterschied +zwischen propaedeutischen und Fachwissenschaften wurde noch nicht gemacht, +sondern was von der Wissenschaft ueberhaupt notwendig und nuetzlich erschien, +von jedem rechten Roemer gefordert. Ausgeschlossen ist dabei teils die +lateinische Grammatik, die also damals noch nicht diejenige formale Entwicklung +gehabt haben kann, welche der eigentliche wissenschaftliche Sprachunterricht +voraussetzt, teils die Musik und der ganze Kreis der mathematischen und +physischen Wissenschaften. Durchaus sollte in der Wissenschaft das unmittelbar +Praktische, aber auch nichts als dies und dieses moeglichst kurz und schlicht +zusammengefasst werden. Die griechische Literatur wurde dabei wohl benutzt, +aber nur um aus der Masse von Spreu und Wust einzelne brauchbare +Erfahrungssaetze zu gewinnen - “die griechischen Buecher muss man +einsehen, aber nicht durchstudieren”, lautet einer von Catos +Weidspruechen. So entstanden jene haeuslichen Not- und Hilfsbuecher, die +freilich mit der griechischen Spitzfindigkeit und Unklarheit auch den +griechischen Scharf- und Tiefsinn austrieben, aber eben dadurch fuer die +Stellung der Roemer zu den griechischen Wissenschaften fuer alle Zeiten +massgebend geworden sind. +</p> + +<p> +So zog denn mit der Weltherrschaft zugleich Poesie und Literatur in Rom ein, +oder, mit einem Dichter der ciceronischen Zeit zu reden: +</p> + +<p> +Als wir Hannibal bezwungen, nahte mit beschwingtem Schritt +</p> + +<p> +Der Quiriten hartem Volke sich die Mus’ im Kriegsgewand. +</p> + +<p> +Auch in den sabellisch und etruskisch redenden Landschaften wird es +gleichzeitig an geistiger Bewegung nicht gemangelt haben. Wenn Trauerspiele in +etruskischer Sprache erwaehnt werden, wenn Tongefaesse mit oskischen +Inschriften Bekanntschaft ihrer Verfertiger mit der griechischen Komoedie +verraten, so draengt die Frage sich auf, ob nicht gleichzeitig mit Naevius und +Cato auch am Arnus und Volturnus eine gleich der roemischen hellenisierende +Literatur in der Bildung begriffen gewesen ist. Indes jede Kunde darueber ist +verschollen, und die Geschichte kann hier nur die Luecke bezeichnen. +</p> + +<p> +Die roemische Literatur, ueber die allein uns ein Urteil noch verstattet ist, +wie problematisch ihr absoluter Wert dem Aesthetiker erscheinen mag, bleibt +dennoch fuer denjenigen, der die Geschichte Roms erkennen will, von einzigem +Wert als das Spiegelbild des inneren Geisteslebens Italiens in dem +waffenklirrenden und zukunftsvollen sechsten Jahrhundert, in welchem die +italische Entwicklung abschloss und das Land anfing einzutreten in die +allgemeinere der antiken Zivilisation. Auch in ihr herrscht diejenige +Zwiespaeltigkeit, die ueberall in dieser Epoche das Gesamtleben der Nation +durchdringt und die Uebergangszeit charakterisiert. Ueber die Mangelhaftigkeit +der hellenistisch-roemischen Literatur kann kein unbefangenes und durch den +ehrwuerdigen Rost zweier Jahrtausende unbeirrtes Auge sich taeuschen. Die +roemische Literatur steht neben der griechischen wie die deutsche Orangerie +neben dem sizilischen Orangenwald; man kann an beiden sich erfreuen, aber +nebeneinander sie auch nur zu denken, geht nicht an. Womoeglich noch +entschiedener als von der roemischen Schriftstellerei in der fremden Sprache +gilt dies von derjenigen in der Muttersprache der Latiner; zu einem sehr +grossen Teil ist dieselbe gar nicht das Werk von Roemern, sondern von +Fremdlingen, von Halbgriechen, Kelten, bald auch Afrikanern, die das Latein +sich erst aeusserlich angeeignet hatten - unter denen, die in dieser Zeit als +Dichter vor das Publikum traten, ist nicht bloss, wie gesagt, nicht ein +nachweislich vornehmer Mann, sondern auch keiner, dessen Heimat erweislich das +eigentliche Latium waere. Selbst die Benennung des Dichters ist auslaendisch; +schon Ennius nennt sich mit Nachdruck einen Poeten ^39. Aber diese Poesie ist +nicht bloss auslaendisch, sondern sie ist auch mit allen denjenigen Maengeln +behaftet, welche da sich einfinden, wo die Schulmeister schriftstellern und der +grosse Haufe das Publikum ausmacht. Es ist gezeigt worden, wie die Komoedie +durch die Ruecksicht auf die Menge kuenstlerisch vergroebert wurde, ja in +poebelhafte Roheit verfiel; es ist ferner gezeigt worden, dass zwei der +einflussreichsten roemischen Schriftsteller zunaechst Schulmeister und erst +folgeweise Poeten waren, und dass, waehrend die griechische erst nach dem +Abbluehen der volkstuemlichen Literatur erwachsene Philologie nur am toten +Koerper experimentierte, in Latium Begruendung der Grammatik und Grundlegung +der Literatur, fast wie bei den heutigen Heidenmissionen, von Haus aus Hand in +Hand gegangen sind. In der Tat, wenn man diese hellenistische Literatur des +sechsten Jahrhunderts unbefangen ins Auge fasst, jene handwerksmaessige, jeder +eigenen Produktivitaet bare Poesie, jene durchgaengige Nachahmung eben der +flachsten Kunstgattungen des Auslandes, jenes Uebersetzungsrepertoire, jenen +Wechselbalg von Epos, so fuehlt man sich versucht sie rein zu den +Krankheitssymptomen dieser Epoche zu rechnen. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +^39 Vgl. 2, 445: +</p> + +<p> +Enni poeta salve, qui mortalibus +</p> + +<p> +Versus propinas flammeos medullitus. +</p> + +<p> +Die Bildung des Namens poeta aus dem vulgar-griechischen ποητής statt ποιητής - +wie επόησεν den attischen Toepfern gelaeufig war - ist charakteristisch. +Uebrigens bezeichnet poeta technisch nur den Verfasser epischer und rezitativer +Gedichte, nicht den Buehnendichter, welcher in dieser Zeit vielmehr scriba +heisst (Fest. v. scriba, p. 333 M.). +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +Dennoch wuerde ein solches Urteil, wenn nicht ungerecht, doch nur sehr +einseitig gerecht sein. Vor allen Dingen ist wohl zu bedenken, dass diese +gemachte Literatur in einer Nation emporkam, die nicht bloss keine +volkstuemliche Dichtkunst besass, sondern auch nie mehr zu einer solchen +gelangen konnte. In dem Altertum, welchem die moderne Poesie des Individuums +fremd ist, faellt die schoepferisch poetische Taetigkeit wesentlich in die +unbegreifliche Zeit des Werdebangens und der Werdelust der Nation; unbeschadet +der Groesse der griechischen Epiker und Tragiker darf man es aussprechen, dass +ihr Dichten wesentlich bestand in der Redaktion der uralten Erzaehlungen von +menschlichen Goettern und goettlichen Menschen. Diese Grundlage der antiken +Poesie mangelte in Latium gaenzlich; wo die Goetterwelt gestaltlos und die Sage +nichtig blieb, konnten auch die goldenen Aepfel der Poesie freiwillig nicht +gedeihen. Hierzu kommt ein Zweites und Wichtigeres. Die innerliche geistige +Entwicklung wie die aeusserliche staatliche Entfaltung Italiens waren +gleichmaessig auf einem Punkte angelangt, wo es nicht laenger moeglich war, die +auf dem Ausschluss aller hoeheren und individuellen Geistesbildung beruhende +roemische Nationalitaet festzuhalten und den Hellenismus von sich abzuwehren. +Zunaechst auf dieser allerdings revolutionaeren und denationalisierenden, aber +fuer die notwendige geistige Ausgleichung der Nationen unerlaesslichen +Propaganda des Hellenismus in Italien beruht die geschichtliche und selbst die +dichterische Berechtigung der roemisch-hellenistischen Literatur. Es ist aus +ihrer Werkstatt nicht ein einziges neues und echtes Kunstwerk hervorgegangen, +aber sie hat den geistigen Horizont von Hellas ueber Italien erstreckt. Schon +rein aeusserlich betrachtet setzt die griechische Poesie bei dem Hoerer eine +gewisse Summe positiver Kenntnisse voraus. Die voellige Abgeschlossenheit in +sich, die zu den wesentlichsten Eigentuemlichkeiten zum Beispiel des +Shakespeareschen Dramas gehoert, ist der antiken Dichtung fremd; wem der +griechische Sagenkreis nicht bekannt ist, der wird fuer jede Rhapsodie wie fuer +jede Tragoedie den Hintergrund und oft selbst das gemeine Verstaendnis +vermissen. Wenn dem roemischen Publikum dieser Zeit, wie das die Plautinischen +Lustspiele zeigen, die Homerischen Gedichte und die Heraklessagen einigermassen +gelaeufig und von den uebrigen Mythen wenigstens die allgemeingueltigen bekannt +waren ^40, so wird diese Kunde neben der Schule zunaechst durch die Buehne ins +Publikum gedrungen und damit zum Verstaendnis der hellenischen Dichtung +wenigstens ein Anfang gemacht sein. Aber weit tiefer noch wirkte, worauf schon +die geistreichsten Literatoren des Altertums mit Recht den Ton gelegt haben, +die Einbuergerung griechischer Dichtersprache und griechischer Masse in Latium. +Wenn “das besiegte Griechenland den rauhen Sieger durch die Kunst +ueberwand”, so geschah dies zunaechst dadurch, dass dem ungefuegen +lateinischen Idiom eine gebildete und gehobene Dichtersprache abgewonnen ward, +dass anstatt der eintoenigen und gehackten Saturnier der Senar floss und der +Hexameter rauschte, dass die gewaltigen Tetrameter, die jubelnden Anapaeste, +die kunstvoll verschlungenen lyrischen Rhythmen das lateinische Ohr in der +Muttersprache trafen. Die Dichtersprache ist der Schluessel zu der idealen Welt +der Poesie, das Dichtmass der Schluessel zu der poetischen Empfindung; wem das +beredte Beiwort stumm und das lebendige Gleichnis tot ist, wem die Takte der +Daktylen und Jamben nicht innerlich erklingen, fuer den haben Homer und +Sophokles umsonst gedichtet. Man sage nicht, dass das poetische und rhythmische +Gefuehl sich von selber verstehen. Die idealen Empfindungen sind freilich von +der Natur in die Menschenbrust gepflanzt, aber um zu keimen brauchen sie +guenstigen Sonnenscheins; und vor allem in der poetisch wenig angeregten +latinischen Nation bedurften sie auch aeusserlicher Pflege. Man sage auch +nicht, dass bei der weitverbreiteten Kenntnis der griechischen Sprache deren +Literatur fuer das empfaengliche roemische Publikum ausgereicht haette. Der +geheimnisvolle Zauber, den die Sprache ueber den Menschen ausuebt und von dem +Dichtersprache und Rhythmus nur Steigerungen sind, haengt nicht jeder zufaellig +angelernten, sondern einzig der Muttersprache an. Von diesem Gesichtspunkt aus +wird man die hellenistische Literatur und namentlich die Poesie der Roemer +dieser Zeit gerechter beurteilen. Wenn ihr Bestreben darauf hinausging, den +Euripideischen Radikalismus nach Rom zu verpflanzen, die Goetter entweder in +verstorbene Menschen oder in gedachte Begriffe aufzuloesen, ueberhaupt dem +denationalisierten Hellas ein denationalisiertes Latium an die Seite zu setzen +und alle rein und scharf entwickelten Volkstuemlichkeiten in den +problematischen Begriff der allgemeinen Zivilisation aufzuloesen, so steht +diese Tendenz erfreulich oder widerwaertig zu finden in eines jeden Belieben, +in niemandes aber, ihre historische Notwendigkeit zu bezweifeln. Von diesem +Gesichtspunkte aus laesst selbst die Mangelhaftigkeit der roemischen Poesie +zwar nimmermehr sich verleugnen, aber sich erklaeren und damit gewissermassen +sich rechtfertigen. Wohl geht durch sie hindurch ein Missverhaeltnis zwischen +dem geringfuegigen und oft verhunzten Inhalt und der verhaeltnismaessig +vollendeten Form, aber die eigentliche Bedeutung dieser Poesie war auch eben +formeller und vor allen Dingen sprachlicher und metrischer Art. Es war nicht +schoen, dass die Poesie in Rom vorwiegend in den Haenden von Schulmeistern und +Auslaendern und vorwiegend Uebersetzung oder Nachdichtung war; aber wenn die +Poesie zunaechst nur eine Bruecke von Latium nach Hellas schlagen sollte, so +waren Livius und Ennius allerdings berufen zum poetischen Pontifikat in Rom und +die Uebersetzungsliteratur das einfachste Mittel zum Ziele. Es war noch weniger +schoen, dass die roemische Poesie sich mit Vorliebe auf die verschliffensten +und geringhaltigsten Originale warf; aber in diesem Sinne war es zweckgemaess. +Niemand wird die Euripideische Poesie der Homerischen an die Seite stellen +wollen; aber geschichtlich betrachtet sind Euripides und Menander voellig +ebenso die Bibel des kosmopolitischen Hellenismus wie die ‘Ilias’ +und die ‘Odyssee’ diejenige des volkstuemlichen Hellenentums, und +insofern hatten die Vertreter dieser Richtung guten Grund, ihr Publikum vor +allem in diesen Literaturkreis einzufuehren. Zum Teil mag auch das +instinktmaessige Gefuehl der beschraenkten poetischen Kraft die roemischen +Bearbeiter bewogen haben, sich vorzugsweise an Euripides und Menander zu halten +und den Sophokles und gar den Aristophanes beiseite liegen zu lassen; denn +waehrend die Poesie wesentlich national und schwer zu verpflanzen ist, so sind +Verstand und Witz, auf denen die Euripideische wie die Menandrische Dichtung +beruhte, von Haus aus kosmopolitisch. Immer verdient es noch ruehmliche +Anerkennung, dass die roemischen Poeten des sechsten Jahrhunderts nicht an die +hellenische Tagesliteratur oder den sogenannten Alexandrinismus sich +anschlossen, sondern lediglich in der aelteren klassischen Literatur, wenn auch +nicht gerade in deren reichsten und reinsten Bereichen, ihre Muster sich +suchten. Ueberhaupt, wie unzaehlige falsche Akkommodationen und kunstwidrige +Missgriffe man auch denselben nachweisen mag, es sind eben nur diejenigen +Versuendigungen an dem Evangelium, welche das nichts weniger als reinliche +Missionsgeschaeft mit zwingender Notwendigkeit begleiten; und sie werden +geschichtlich und selbst aesthetisch einigermassen aufgewogen durch den von dem +Propagandatum ebenso unzertrennlichen Glaubenseifer. Ueber das Evangelium mag +man anders urteilen als Ennius getan; aber wenn es bei dem Glauben nicht so +sehr darauf ankommt, was, als wie geglaubt wird, so kann auch den roemischen +Dichtern des sechsten Jahrhunderts Anerkennung und Bewunderung nicht versagt +werden. Ein frisches und maechtiges Gefuehl fuer die Gewalt der hellenischen +Weltliteratur, eine heilige Sehnsucht, den Wunderbaum in das fremde Land zu +verpflanzen, durchdrangen die gesamte Poesie des sechsten Jahrhunderts und +flossen in eigentuemlicher Weise zusammen mit dem durchaus gehobenen Geiste +dieser grossen Zeit. Der spaetere gelaeuterte Hellenismus sah auf die +poetischen Leistungen derselben mit einer gewissen Verachtung herab; eher +vielleicht haette er zu den Dichtern hinaufsehen moegen, die bei aller +Unvollkommenheit doch in einem innerlicheren Verhaeltnis zu der griechischen +Poesie standen und der echten Dichtkunst naeher kamen als ihre hoeher +gebildeten Nachfahren. In der verwegenen Nacheiferung, in den klingenden +Rhythmen, selbst in dem maechtigen Dichterstolz der Poeten dieser Zeit ist mehr +als in irgendeiner anderen Epoche der roemischen Literatur eine imponierende +Grandiositaet, und auch wer ueber die Schwaechen dieser Poesie sich nicht +taeuscht, darf das stolze Wort auf sie anwenden, mit dem sie selber sich +gefeiert hat, dass sie den Sterblichen +</p> + +<p> +das Feuerlied kredenzt hat aus der tiefen Brust. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +^40 Aus dem troischen und dem Herakles-Kreise kommen selbst untergeordnete +Figuren vor, zum Beispiel Talthybios (Stich. 305), Autolykos (Bacch. 275), +Parthaon (Men. 745). In den allgemeinsten Umrissen muessen ferner zum Beispiel +die thebanische und die Argonautensage, die Geschichten von Bellerophon (Bacch. +810), Pentheus (Merc. 467), Prokne und Philomele (Rud. 604), Sappho und Phaon +(Mil. 1247) bekannt gewesen sein. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +Wie die hellenisch-roemische Literatur dieser Zeit wesentlich tendenzioes ist, +so beherrscht die Tendenz auch ihr Widerspiel, die gleichzeitige nationale +Schriftstellerei. Wenn jene nichts mehr und nichts weniger wollte, als die +latinische Nationalitaet durch Schoepfung einer lateinisch redenden, aber in +Form und Geist hellenischen Poesie vernichten, so musste eben der beste und +reinste Teil der latinischen Nation mit dem Hellenismus selbst die +entsprechende Literatur gleichfalls von sich werfen und in Acht und Bann tun. +Man stand zu Catos Zeit in Rom der griechischen Literatur gegenueber ungefaehr +wie in der Zeit der Caesaren dem Christentum: Freigelassene und Fremde bildeten +den Kern der poetischen wie spaeter den Kern der christlichen Gemeinde; der +Adel der Nation und vor allem die Regierung sahen in der Poesie wie im +Christentum lediglich feindliche Maechte; ungefaehr aus denselben Ursachen sind +Plautus und Ennius von der roemischen Aristokratie zum Gesindel gestellt und +die Apostel und Bischoefe von der roemischen Regierung hingerichtet worden. +Natuerlich war es auch hier vor allem Cato, der die Heimat gegen die Fremde mit +Lebhaftigkeit vertrat. Die griechischen Literaten und Aerzte sind ihm der +gefaehrlichste Abschaum des grundverdorbenen Griechenvolks ^41, und mit +unaussprechlicher Verachtung werden die roemischen Baenkelsaenger von ihm +behandelt. Man hat ihn und seine Gesinnungsgenossen deswegen oft und hart +getadelt und allerdings sind die Aeusserungen seines Unwillens nicht selten +bezeichnet von der ihm eigenen schroffen Borniertheit; bei genauerer Erwaegung +indes wird man nicht bloss im einzelnen ihm wesentlich Recht geben, sondern +auch anerkennen muessen, dass die nationale Opposition auf diesem Boden mehr +als irgendwo sonst ueber die Unzulaenglichkeit der bloss ablehnenden +Verteidigung hinausgegangen ist. Wenn sein juengerer Zeitgenosse Aulus +Postumius Albinus, der durch sein widerliches Hellenisieren den Hellenen selbst +zum Gespoett ward und der zum Beispiel schon griechische Verse zimmerte - wenn +dieser Albinus sich in der Vorrede zu seinem Geschichtswerk wegen des +mangelhaften Griechisch damit verteidigte, dass er ein geborener Roemer sei, +war da die Frage nicht voellig an ihrem Orte, ob er rechtskraeftig verurteilt +worden sei, Dinge zu treiben, .die er nicht verstehe? oder waren etwa die +Gewerbe des fabrikmaessigen Komoedienuebersetzers und des um Brot und +Protektion singenden Heldendichters vor zweitausend Jahren ehrenhafter, als sie +es jetzt sind? oder hatte Cato nicht Ursache, es dem Nobilior vorzuruecken, +dass er den Ennius, welcher uebrigens in seinen Versen die roemischen +Potentaten ohne Ansehen der Person glorifizierte und auch den Cato selbst mit +Lob ueberhaeufte, als den Saenger seiner kuenftigen Grosstaten mit sich nach +Ambrakia nahm? oder nicht Ursache die Griechen, die er in Rom und Athen +kennenlernte, ein unverbesserlich elendes Gesindel zu schelten? Diese +Opposition gegen die Bildung der Zeit und den Tageshellenismus war wohl +berechtigt; einer Opposition aber gegen die Bildung und das Hellenentum +ueberhaupt hat Cato keineswegs sich schuldig gemacht. Vielmehr ist es das +hoechste Lob der Nationalpartei, dass auch sie mit grosser Klarheit die +Notwendigkeit begriff, eine lateinische Literatur zu erschaffen und dabei die +Anregungen des Hellenismus ins Spiel zu bringen; nur sollte ihrer Absicht nach +die lateinische Schriftstellerei nicht nach der griechischen abgeklatscht und +der roemischen Volkstuemlichkeit aufgezwaengt, sondern unter griechischer +Befruchtung der italischen Nationalitaet gemaess entwickelt werden. Mit einem +genialen Instinkt, der weniger von der Einsicht der einzelnen als von dem +Schwung der Epoche ueberhaupt zeugt, erkannte man, dass fuer Rom bei dem +gaenzlichen Mangel der poetischen Vorschoepfung der einzige Stoff zur +Entwicklung eines eigenen geistigen Lebens in der Geschichte lag. Rom war, was +Griechenland nicht war, ein Staat; und auf dieser gewaltigen Empfindung beruht +sowohl der kuehne Versuch, den Naevius machte, mittels der Geschichte zu einem +roemischen Epos und einem roemischen Schauspiel zu gelangen, als auch die +Schoepfung der lateinischen Prosa durch Cato. Das Beginnen freilich, die +Goetter und Heroen der Sage durch Roms Koenige und Konsuln zu ersetzen, gleicht +dem Unterfangen der Giganten, mit aufeinander getuermten Bergen den Himmel zu +stuermen; ohne eine Goetterwelt gibt es kein antikes Epos und kein antikes +Drama, und die Poesie kennt keine Surrogate. Maessiger und verstaendiger +ueberliess Cato die eigentliche Poesie als unrettbar verloren der Gegenpartei, +obwohl sein Versuch, nach dem Muster der aelteren roemischen, des appischen +Sitten- und des Ackerbaugedichts eine didaktische Poesie in nationalem Versmass +zu erschaffen, wenn nicht dem Erfolge, doch der Absicht nach bedeutsam und +achtungswert bleibt. Einen guenstigeren Boden gewaehrte ihm die Prosa, und er +hat denn auch die ganze ihm eigene Vielseitigkeit und Energie daran gesetzt, +eine prosaische Literatur in der Muttersprache zu erschaffen. Es ist dies +Bestreben nur um so roemischer und nur um so achtbarer, als er sein Publikum +zunaechst im Familienkreise erblickte und als er damit in seiner Zeit ziemlich +alleinstand. So entstanden seine ‘Ursprungsgeschichten’, seine +aufgezeichneten Staatsreden, seine fachwissenschaftlichen Werke. Allerdings +sind sie vom nationalen Geiste getragen und bewegen sich in nationalen Stoffen; +allein sie sind nichts weniger als antihellenisch, sondern vielmehr wesentlich, +nur freilich in anderer Art als die Schriften der Gegenpartei, unter +griechischem Einfluss entstanden. Die Idee und selbst der Titel seines +Hauptwerkes ist den griechischen “Gruendungsgeschichten” (κτίσεις) +entlehnt. Dasselbe gilt von seiner Redeschriftstellerei - er hat den Isokrates +verspottet, aber vom Thukydides und Demosthenes zu lernen versucht. Seine +‘Enzyklopaedie’ ist wesentlich das Resultat seines Studiums der +griechischen Literatur. Von allem, was der ruehrige und patriotische Mann +angegriffen hat, ist nichts folgenreicher und nichts seinem Vaterlande +nuetzlicher gewesen als diese von ihm selbst wohl verhaeltnismaessig gering +angeschlagene literarische Taetigkeit. Er fand zahlreiche und wuerdige +Nachfolger in der Rede- und der wissenschaftlichen Schriftstellerei; und wenn +auf seine originellen, in ihrer Art wohl der griechischen Logographie +vergleichbaren ‘Ursprungsgeschichten’ auch kein Herodot und +Thukydides gefolgt ist, so ward es doch von ihm und durch ihn festgestellt, +dass die literarische Beschaeftigung mit den Nuetzlichkeitswissenschaften wie +mit der Geschichte fuer den Roemer nicht bloss ehrenhaft, sondern ehrenvoll +sei. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +^41 “Von diesen Griechen”, heisst es bei ihm, “werde ich an +seinem Orte sagen, mein Sohn Marcus, was ich zu Athen ueber sie in Erfahrung +gebracht habe; und will es beweisen, dass es nuetzlich ist, ihre Schriften +einzusehen, nicht sie durchzustudieren. Es ist eine grundverdorbene und +unregierliche Rasse - glaube mir, das ist wahr wie ein Orakel; und wenn das +Volk seine Bildung herbringt, so wird es alles verderben und ganz besonders, +wenn es seine Aerzte hierher schickt. Sie haben sich verschworen, alle Barbaren +umzubringen mit Arzeneiung, aber sie lassen sich dafuer noch bezahlen, damit +man ihnen vertraue und sie uns leicht zugrunde richten moegen. Auch uns nennen +sie Barbaren, ja schimpfen uns mit dem noch gemeineren Namen der Opiker. Auf +die Heilkuenstler also lege ich dir Acht und Bann.” +</p> + +<p> +Der eifrige Mann wusste nicht, dass der Name der Opiker, der im Lateinischen +eine schmutzige Bedeutung hat, im Griechischen ganz unverfaenglich ist, und +dass die Griechen auf die unschuldigste Weise dazu gekommen waren, die Italiker +mit demselben zu bezeichnen. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Werfen wir schliesslich noch einen Blick auf den Stand der bauenden und +bildenden Kuenste, so macht, was die ersten anlangt, der beginnende Luxus sich +weniger in dem oeffentlichen als im Privatbauwesen bemerklich. Erst gegen den +Schluss dieser Periode, namentlich mit der Catonischen Zensur (570 184) faengt +man in jenem an, neben der gemeinen Notdurft auch die gemeine Bequemlichkeit +ins Auge zu fassen, die aus den Wasserleitungen gespeisten Bassins (lacus) mit +Stein auszulegen (570 184), Saeulengaenge aufzufuehren (575, 580 179, 174) und +vor allem die attischen Gerichts- und Geschaeftshallen, die sogenannten +Basiliken nach Rom zu uebertragen. Das erste dieser etwa unseren heutigen +Basaren entsprechende Gebaeude, die porcische oder Silberschmiedhalle, wurde +von Cato im Jahre 570 (184) neben dem Rathaus errichtet, woran dann rasch +andere sich anschlossen, bis allmaehlich an den Langseiten des Marktes die +Privatlaeden durch diese glaenzenden saeulengetragenen Hallen ersetzt waren. +Tiefer aber griff in das taegliche Leben die Umwandlung des Hausbaues ein, +welche spaetestens in diese Epoche gesetzt werden muss: es schieden sich +allmaehlich Wohnsaal (atrium), Hof (cavum aedium), Garten und Gartenhallen +(peristylium), der Raum zur Aufbewahrung der Papiere (tablinum), Kapelle, +Kueche, Schlafzimmer; und in der inneren Einrichtung fing die Saeule an sowohl +im Hofe wie im Wohnsaal zur Stuetzung der offenen Decke und auch fuer die +Gartenhallen verwandt zu werden - wobei wohl ueberall griechische Muster +kopiert oder doch benutzt wurden. Doch blieb das Baumaterial einfach; +“unsere Vorfahren”, sagt Varro, “wohnten in Haeusern aus +Backsteinen und legten nur, um die Feuchtigkeit abzuwehren, ein maessiges +Quaderfundament”. +</p> + +<p> +Von roemischer Plastik begegnet kaum eine andere Spur als etwa die +Wachsbossierung der Ahnenbilder. Etwas oefter ist von Malerei und Malern die +Rede: Manius Valerius liess den Sieg ueber die Karthager und Hieron, den er im +Jahre 491 (263) vor Messana erfochten, auf der Seitenwand des Rathauses +abschildern - die ersten historischen Fresken in Rom, denn viele gleichartige +folgten und die im Gebiet der bildenden Kunst das sind, was nicht viel spaeter +das Nationalepos und das Nationalschauspiel im Gebiet der Poesie wurden. Es +werden als Maler genannt, ein gewisser Theodotos, der, wie Naevius spottete, +</p> + +<p> +verschanzt, in Decken sitzend, drinnen im heiligen Raum +</p> + +<p> +die scherzenden Laren malte mit dem Ochsenschwanz. +</p> + +<p> +Marcus Pacuvius von Brundisium, welcher in dem Herkulestempel auf dem +Rindermarkt malte - derselbe, der im hoeheren Alter als Bearbeiter griechischer +Tragoedien sich einen Namen gemacht hat; der Kleinasiate Marcus Plautius Lyco, +dem fuer seine schoenen Malereien im Junotempel zu Ardea diese Gemeinde ihr +Buergerrecht verlieh ^42. Aber es tritt doch eben darin sehr deutlich hervor, +dass die Kunstuebung in Rom nicht bloss ueberhaupt untergeordnet und mehr +Handwerk als Kunst war, sondern dass sie auch, wahrscheinlich noch +ausschliesslicher als die Poesie, den Griechen und Halbgriechen anheimfiel. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +^42 Plautius gehoert in diese oder in den Anfang der folgenden Periode, da die +Beischrift bei seinen Bildern (Plin. nat. 35, 10, 115) als hexametrisch nicht +fueglich aelter sein kann als Ennius und die Schenkung des ardeatischen +Buergerrechts notwendig vor dem Bundesgenossenkrieg stattgefunden haben muss, +durch den Ardea seine Selbstaendigkeit verlor. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +Dagegen zeigen sich in den vornehmen Kreisen die ersten Spuren des spaeteren +dilettantischen und Sammlerinteresses. Man bewunderte schon die Pracht der +korinthischen und athenischen Tempel und sah die altmodischen Tonbilder auf den +roemischen Tempeldaechern mit Geringschaetzung an; selbst ein Mann wie Lucius +Paullus, eher Catos Gesinnungsgenosse als Scipios, betrachtete und beurteilte +den Zeus des Pheidias mit Kennerblick. Mit dem Wegfuehren der Kunstschaetze aus +den eroberten griechischen Staedten machte in groesserem Massstab den ersten +Anfang Marcus Marcellus nach der Einnahme von Syrakus (542 212); und obwohl +dies bei den Maennern alter Zucht scharfen Tadel fand und zum Beispiel der alte +strenge Quintus Maximus nach der Einnahme von Tarent (545 209) die Bildsaeulen +der Tempel nicht anzuruehren, sondern den Tarentinern ihre erzuernten Goetter +zu lassen gebot, so wurden doch dergleichen Tempelpluenderungen immer +haeufiger. Namentlich durch Titus Flamininus (560 194) und Marcus Fulvius +Nobilior (567 187), zwei Hauptvertreter des roemischen Hellenismus, sowie durch +Lucius Paullus (587 167) fuellten sich die oeffentlichen Gebaeude Roms mit den +Meisterwerken des griechischen Meissels. Auch hier ging den Roemern die Ahnung +auf, dass das Kunstinteresse so gut wie das poetische einen wesentlichen Teil +der hellenischen Bildung, das heisst der modernen Zivilisation ausmache; allein +waehrend die Aneignung der griechischen Poesie ohne eine gewisse poetische +Taetigkeit unmoeglich war, schien hier das blosse Beschauen und Herbeischaffen +auszureichen, und darum ist eine eigene Literatur in Rom auf kuenstlichem Wege +gestaltet, zur Entwicklung einer eigenen Kunst aber nicht einmal ein Versuch +gemacht worden. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<pre> + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 3 by Theodor Mommsen + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE *** + +***** This file should be named 3062-h.htm or 3062-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/3/0/6/3062/ + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. 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