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diff --git a/32450-h/32450-h.htm b/32450-h/32450-h.htm new file mode 100644 index 0000000..4663ed8 --- /dev/null +++ b/32450-h/32450-h.htm @@ -0,0 +1,2391 @@ +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" +"http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> +<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=iso-8859-1" /> +<title>Über den Expressionismus in der Literatur und die neue Dichtung</title> +<!-- AUTHOR="Kasimir Edschmid" --> + +<style type='text/css'> +body { margin-left: 10%; margin-right: 10%; } +h1 { text-align: center; margin-top: 5%; margin-bottom: 5%; } +h2 { text-align: center; margin-top: 5%; margin-bottom: 10%; page-break-after: always} +h3 { text-align: center; margin-top: 5%; margin-bottom: 2%; page-break-before: always} +p { margin-left: 0%; + margin-right: 0%; + margin-top: 0%; + margin-bottom: 0%; + text-align: justify; + text-indent: 4% + } +p.noindent { text-indent: 0%; } +p.right { text-indent: 0%; + text-align: right; + margin-left: 8%; margin-right: 4%; + margin-top: 0%; margin-bottom: 2%; + } +p.lyrics {text-align:center; + text-indent: 0%; + margin-left: 0%; margin-right: 0%; + margin-top: 0%; margin-bottom: 2%; + font-size: small; + } +p.signature {text-indent: 0%; + text-align: right; + margin-left: 0%; margin-right: 20%; + margin-top: 1%; margin-bottom: 2%; + font-size: small; + } +p.blockquote {text-indent: 0%; + margin-left: 8%; margin-right: 4%; + margin-top: 2%; margin-bottom: 2%; + } +p.center { text-indent: 0%; text-align: center; margin-top: 0%; margin-bottom: 2%; } +p.contents { text-indent: 0%; text-align: center; margin-top: 0%; margin-bottom: 2%; } + +p.first { text-indent: 0% } +p.first:first-letter { font-size:xx-large;float:left;font-weight:normal;} + +a:link { text-decoration: none; color: rgb(10%,30%,60%); } +a:visited { text-decoration: none; color: rgb(10%,30%,60%); } +a:hover { text-decoration: underline; } +a:active { text-decoration: underline; } + +hr { margin-top: 0em; + margin-bottom: 0em; + margin-left: auto; + margin-right: auto; + clear: both; + color: black;} + + .hr50 { width: 50%; } +</style> +</head> + +<body> + + +<pre> + +The Project Gutenberg EBook of Über den Expressionismus in der Literatur +und die neue Dichtung, by Kasimir Edschmid + +This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with +almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Über den Expressionismus in der Literatur und die neue Dichtung + +Author: Kasimir Edschmid + +Release Date: May 20, 2010 [EBook #32450] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK UBER DEN EXPRESSIONISMUS *** + + + + +Produced by Jens Sadowski + + + + + +</pre> + + +<p style="font-size:small;text-indent:0%"> +Transcriber's Note: +Text that was s p a c e d - o u t has been changed to <i>italics</i>. +</p> + +<h1 style="page-break-before:always"> +Über den Expressionismus<br/> +in der Literatur<br/> +und die neue Dichtung +</h1> +<p class="center">von</p> +<h1>Kasimir Edschmid</h1> + +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> + + +<p style="text-align:center;text-indent:0%;font-size:small;letter-spacing: .1em"> +Vierte Auflage +</p> + +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> + +<hr class="hr50" /> + +<p style="text-align:center;text-indent:0%;font-weight:bold;letter-spacing:.2em;"> +Berlin<br/> +Erich Reiß Verlag<br/> +1919 +</p> + + +<p style="page-break-before:always"> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> + +<p style="text-align:center;text-indent:0%;font-size:small;letter-spacing:.2em"> +Spamersche Buchdruckerei in Leipzig +</p> + +<p style="page-break-before:always"> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> + +<p class="center"> +Fil. Dr. Malte Jacobsson und Ernst Norlind<br/> +in der großen Erinnerung der Tage<br/> +in Marstrand und Schloß Borgeby +</p> + + +<p style="page-break-before:always"> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p> </p> +<p class="lyrics" style="margin-bottom:0%;"> +Ach der Menge gefällt, was auf dem Marktplatz taugt,<br/> +Und es ehret der Knecht nur den Gewaltsamen;<br/> +An das Göttliche glauben<br/> +Die allein, die es selber sind.<br/> +</p> +<p class="signature">Hölderlin.</p> + +<p> + +</p> +<h2 class="chapter">Über die dichterische deutsche Jugend</h2><p> + +</p><p class="center"> +<i>An ein skandinavisches Publikum (März 1918)</i> + + +</p><p class="first">Nicht, was man wähnt, einigt uns: nicht +jenes Alter auf der Wage schwankend +der Zwanzig und Dreißig. + +</p><p>Nicht unsere Geburt in solcher Zeit, die uns +heißt, auf die Rechte der Jugend verzichten, +die uns nimmt, was Generationen vor uns inbrünstig +verführte: das Meer, die Welt . . . +die uns Eingeschlossenen diktiert, statt Lockungen +und Freiheiten nur das eine zu sehen: +Tod und Pflichten. + +</p><p>Nicht Kampf gegen schon Stürzendes verbindet, +wo wir doch, toleranter, duldsamer +als Vorangegangene, auf Formales geringsten +Wert legen, wo künstlerische Fragen, im +Äußeren nur ruhend, uns gleichgültig abgewendet +sehen, vielmehr bedacht auf die +Gesinnung. + +</p><p>Die Bindung ist das Ziel geistiger Kunst. + +</p><p>Wir spürten Jungsein in uns, als wir aufwuchsen, +niemals um uns aber Jugend. Wir +blieben einzelne, bis selbst schaffend, an +gleicher Arbeit erglüht, wir gemeinsame +Ziele, gleiche Begeisterungen an Stirn und +Gesicht erkannten. + +</p><p>Nun waren wir herausgeschleudert aus abseitiger +Verzweiflung, nun waren wir ganz: +Generation. + +</p><p>Eine Welle steigt mit den Mannesaltern, +oft seltener noch, auf, und ihr Zittern steht +gefangen noch lange in der folgenden Zeit. +Die Herzen stehen bei ihrer Hochfahrt gereckt, +Enthusiasmus entflammt, aus großer +gemeinsamer Idee gebiert sich die Gemeinsamkeit: +Jugend. + +</p><p>Denn junge Menschen gab es zu jeder Zeit. +Junge Menschen gab es, solang wir unsere +Knabenzeit zu den Jünglingen entfalteten +und wuchsen. Nie aber stand sie als Schar. +Nie als Phalanx. Nie sahen wir Zusammensein +zu großen Taten, nie begeisterte Munde, +die dies forderten, jenes schufen, anderes in +heiligem Eifer zerschlugen. + +</p><p>Jungsein allein genügt nicht. + +</p><p>Ist nicht, was Generationen mit dem Unvergleichlichsten +und Vergänglichsten, dem +Namen der Jugend nennt. Es ist nur die Idee. + +</p><p>Der junge Mann, den der Bürger soupçonniert, +den der alte Mann haßt, den reife Frauen +verlachen, der junge Mensch ist nur ein Mißverständnis +des Temperaments. Jugend, geschart, +rufend unter Fahnen der Idee, die sie +führt, Jugend, geeint, ist eines der gewaltigsten +Dinge, eine der Umwälzungen, die die Menschheit +weiterbringen. + +</p><p>Jugend dieses Sinnes heißt Revolution des +Geistes. + +</p><p>Wir, in steriler Zeit groß geworden, nach +schon gestorbenen Naturalisten geboren, die +Karusselle bürgerlichen Weltgefühls eitel +um unser Erstaunen schwingen sehend, wir, +im Wachsen von keiner Dichtung begleitet, +wir, die entbehrte, sehnsüchtig erwartete Ziele +demütig und verwundert in eigener Brust +entdeckten . . . wo grüßt uns Herzschlag +wie unserer, wo stürmten sie Barrikaden vor +uns, wo dröhnte das Zittern zuletzt, das uns +so beseligt . . . ist das nicht unsere Frage? + +</p><p>Ganz unten steht die Rotte um Goethe. +In deutschem Sturm und Drang bricht sich +Bewegung, Soziales gemischt mit der Literatur, +da bereitet chaotisch sich vor, was +Harmonie werden soll, unser aus blutendstem +Herzen erschrienes, aus letzter Sehnsucht +und jetzt schon fast verzweifelt ersehntes +Ziel: deutsche Kultur. + +</p><p>Da unten zerstörten junge Dichter ihr +Leben, da sie so leben wollten, wie sie dichteten, +und da die Zerrissenheit ihres Geistes +Ausgleich finden mußte in äußerem Schicksal. + +</p><p>Glänzendes Feuerwerk. + +</p><p>Revolte der Kraft gegen die Verzweiflung. +Ihr Dasein zerfetzt wie ihre Dramen. Ihr +Leben ist kurz. + +</p><p>Sie gehen nach Rußland, sterben in Moskau, +sterben in Italien, sterben in der Schweiz. +Sie sterben in Deutschland. + +</p><p>Als steiles Monument ragend immer nur: +Goethe. + +</p><p>Als hätten sie sich zerstören müssen, nach +irgendeinem Schicksal, daß in Goethes Saft +solch unaussprechliche Kraft und Süßigkeit +flösse, die nach allen Seiten, gerecht und harmonisch, +einen Untergrund legte zur künstlerischen +Struktur unseres Geistes, unserer Zeit. + +</p><p>Wieder eine Ballung, wieder ein großer +Versuch zum geistigen Ausdruck: die Romantik. + +</p><p>Da erhoben junge Leute sich zur Höhe des +Gefühls. Da trugen Schwärmende durch die +Strecke vom Hirn gesäuberter phantasieloser +Jahre, durch Jahre, vertrocknet von Aufklärung, +das Herz vor sich hin. Gelösten +Schrittes aus Toga und Chiton herausschreitend +zu phantastischem Barock, in +mittelalterliche Bewegtheit, zog sie die Buntheit +ihres Rhythmus zu den mystischen Quellen +des Blutes. + +</p><p>Ihr Stil erhielt Lockerung, ihr Geist die +Spannkraft, in barocker Geistigkeit deutsches +Wesen zur Idee zu schmelzen. Bewegung +schüttelte die Literatur von innen. Nach außen +war Stille. + +</p><p>Nicht jener Feuerbrand der Franzosen: +Mussets Lieder, die den Boulevard überflogen, +Victor Hugos stampfende Forderung „couleur“, +Théophile Gautier, Fels in roter Weste, +der alle Premierenschlachten schlug. + +</p><p>Nein, gelehrtenhaft ging es, wie es deutschem +Wesen früher entsprach, in der Stille +der Korrektheit bis zum Verwelken. + +</p><p>Der letzte große Versuch zum geistigen +deutschen Stil verflammte hier. + +</p><p>Noch war der Leib des Volkstums nicht genug +in Training, nicht stark genug von Massage. +So brach die Welle ab, die vor säkularer +Epoche Deutschland, seinem Mittelalter näher, +des Stromes der Kraft eigenmäßiger bewußt, +seinem Katholizismus dichter ans Herz binden +wollte. + +</p><p>Von da ab kein großer geistiger Zug mehr. +Junges Deutschland mit liberalen Frondeuren. +Naturalisten, schwächlicher Protest auf den +Mechanismus ungepflegter Zeit, Bürgerliches, +sich eitel spiegelnd auf Pferden und +Schaukeln, immer wandernd um die eigene +unwichtige Welt . . . dies Jahrhundert, es +ward gegeben als eine Medizin, an der zu +leiden aber nicht zu vergehen das Schicksal +uns unerbittlich hieß. + +</p><p>Bürgerliches Jahrhundert mit bourgeoisen +Temperamenten, epigonale Ritter schon donquichottisch +abgegangenen Geistes, zielloses +Zerfasern des Menschen, Jahrzehnte, gesäugt +von der Arznei bittersten Jahrhunderts mit kapitalistischer +Fassade, immer nur das Eigentliche +verschüttend, immer die Kulisse als +Panier erhoben, Zeit, die sich trennte und +manifestierte nach Klassen, Zeit der Rechtsanwälte, +der Offiziere und Proletare . . . liegt +nicht solche Zeit wie maskenhaftes Lächeln +grandios agierenden Schicksals, weggenommen +vom tragischen Gesicht der Zeit, +irgendwo unwichtig abgeschüttelt schon der +Vergessenheit zugewendet, vor der nur glänzendes +Können einiger Künstler es schützt. + +</p><p>Schwingt nicht ein Regenbogen? + +</p><p>Läuft die Brücke des Geistes nicht ehern, +von den magischen Punkten der Zeit zueinander +gestellt? + +</p><p>Steht nicht, über solche Epoche aufgeschleudert, +der Bogen zu Füßen Bettinas, +Tieks und Brentanos. Steht auf dem Aufprall +des anderen Bogens nicht Jugend von +heute, Herzschlag empfindend tief aus magischer +Nacht verflossenen Jahrhunderts. +Alle Herzen schlagend auf der Spitze der +großen Gefühle, alle Herzen entflammt vom +großen Gedanken der Menschheit? + +</p><p>Hier steht, wenn so Vielfältiges sich einigen +kann, eine Generation mit ihrer Idee. + +</p><p>Das sind die Summen. + +</p><p>Braucht es Ergänzungen? Reihen werden +nur genannt, Generationen, die hin und wieder +aufstehend, Gesicht und Geist der Zeit bestimmten. +Dies sind die Linien. + +</p><p>Nie aber ist jugendlicher Opfermut, Begeisterung +der Jugend hiermit erschöpft. + +</p><p>Die gab es, in einzelne zersplittert, jede +Stunde, jeden Tag. Einzelgänger haben wir +mehr als ein anderes Volk. Hätten wir +Kultur, hätten wir diese nicht, die an den +Wänden unmitteilsamer Zeit das Hirn zerschlugen. + +</p><p>Wo waren unseren Dichtern mütterliche +Jahre, wo nahm empfangender, wiederschenkender +Boden des Volkstums sie auf? Ausgespien +wie aus dem Mund der Apokalypse, +ging ihre Fahrt in den Irrsinn, die nichts +hielt, nichts begriff und niemand liebte. + +</p><p>Eigenwille und Chaotisches ihr Merkmal. +Gigantische Begabung ohne Ziel ihr Fatum. + +</p><p>Haben wir nicht Jahrhunderte nur nach +innen gelebt und nie nach außen? Wo ist +Ansatz einer Kultur, da noch der Leib des +Volkstums zuckt vor eigenem nicht beendetem +Gebären? War nicht lange unser Künstler +ein Gelehrter, Dichter ein Sonderling, der +Akademiker ziellose Hilflosigkeit im Dasein? + +</p><p>Wir, dieser Zeit heftiger ausgeliefert, sie +darum unerbittlicher bezwingend, enger verstrickt +als je Dichter einer Zeit, hingegeben +in tödlichem Maße, wir sind erst langsam an +dem Anfang und dem Willen, deutschen Stil +zu formen. + +</p><p>Wir stellen die Forderungen, messen den +Maßstab, heben die Fahne, ohne Rühmenswertes +dabei zu finden, nur gehorchend der innersten +Nötigung. Wir wollen die Tradition des +von selbst sich auswirkenden tätigen Geistes. + +</p><p>Wollen endlich für die Deutschen Fundament. + +</p><p>Erstreben jene lange Kette, von Nabelschnur +zu Nabelschnur geleitet, die die große bewunderte +Literatur unseres romanischen Nachbarvolkes, +die die Literatur Frankreichs rund +macht, unübertrefflich, durchlebt zur Harmonie. + + +</p><p>Ach, es ist kostbarste Kraft fast ohne Maß +verschäumt worden, ohne sichtbares Resultat, +aus der Eigenbrötlerischkeit der Deutschen, +die wieder ihre liebenswerte Stärke ist. + +</p><p>Tausende starben, verzweifelt, Hände wund, +Blut verspritzt, hoffnungslos über das Ziel . . . +Tausende, deren Werk, aufgefangen, unsterbliche +Leistung für sich vorwärts bewegende +Menschheit wäre. Sie alle, Vereinzelte, +fielen: Pioniere kommender Kultur. +Losgerissene vom Mutterboden, Vagierende, +Aufzuckende, Suchende nach dem großen +Zentrum ihres Wesens . . . was blieb als Tod? + +</p><p>Opfermutige kühne Jugend gab es jede Stunde, +jeden Tag. Ach, ihr Dasein, ihr Kämpfen, +jene Jünglinge und Männer, titanenhaft über +die Möglichkeit ihrer Zeit begehrend, die +ihre Spannung nicht aufnahm, ach, das Dasein +dieser Jugend ist das heroischste Thema +unserer tragischen Geschichte. + +</p><p>Werke schaffen von oft unerreichter Größe +des chaotischen Aufbaues, suchend ohne Ende, +irrend an den Rändern des Radius, Vorstoß +von jedem Punkte der Peripherien, stets die +Mitte wollend, die nicht bestand. + +</p><p>Gibt es Literatur, die mehr in solchem +Ringen bestes Blut verspritzte? + +</p><p>Gibt es Literatur, reicher an Opfern der +einzelnen, an Beispiel nicht geahnter Hingabe +des Geistes? + +</p><p>Gibt es Literatur, wo die Besten, so viele +der Auserwählten im Wahnsinn erst, im Tod +Erlösung fanden? Gibt es nicht die unsterblichen +Namen, den unsterblichsten Namen: +Hölderlin? + +</p><p>Ging darum nicht Georg Büchner in so +frühen Tod, weil sein ungeheurer Ausbruch +vorbeizuckte an der Zeit? + +</p><p>Verkam darum nicht Grabbe, verreckte +nicht Lenz? + +</p><p>Stand nicht Hebbel wüst kämpfend gegen +die Epoche, schoß Kleist die Kugel nicht durch +sein unauslöschliches Leben? + +</p><p>Ist nicht solches Schicksal, das ich anrufe, +das Tragischste und Panische, die Tragik, die +ich beschwöre, wenn ich Nietzsches heiligen +Namen nenne? + +</p><p>Trägt solch eigenwillige tapfere Jugend, +in die Pausen der Geschichte gesprengt und +verzischend, nicht Vermächtnisse der letzten +Bedeutung? Umflorte Historie der deutschen +Dichter, um die das Bürgerliche wuchs und +gedieh, die wahnsinnig wurden, verreckten, +als Alkoholiker eingingen wie Tiere? An +Mutigen hat es nie gefehlt. + +</p><p>Nie war Tapferkeit ein Fehler unseres Volkes +in der Handlung. + +</p><p>Nie auch im Geiste. + +</p><p>Uns fehlte nur Zeit. + +</p><p>Nichts verbindet außer der Tragik solch +Abgesprengter und Suchender den letzten +geistigen Ausdruck der deutschen Dichtung, +nichts bindet als sie Bettina an unsere +Zeit. + +</p><p>Der Weg der Dichtung unserer Tage führt +aus der Hülle zur Seele, aus dem Rang zum +Menschen, vom Schildern zum Geist. Die +Kunst wird positiv, sie zerfetzt den Menschen +nicht mehr, sie gibt den Kosmos in +seine Lunge. + +</p><p>Befreite aus dem Ballon von Glas, der ihr +Leben umfaßte, sehen die Menschen endlich +die Welt, in der Gefühle steigen, fallen, sich +regulieren, die Senkrechten ohne Ende sind, +der Horizont ohne Maß. Vor in den Hintergrund +getretener, vor bürgerlicher, kapitalistischer +Welt, solchem Ziel, solchen Künsten +zugewandter Stirn, steht die dichterische deutsche +Jugend, große Gedanken der Menschheit +wieder denkend, stärker noch entflammt als +die Fechter der Romantik, die verschwommen +noch nach dem Geiste suchten. + +</p><p>Ihre Zeit gehäuft von Leid, ihr Schicksal +prometheisch angeschmiedet ans Kreuz solchen +Daseins, ihre Seele zum Grauen ergriffen +vor dieser Opferung . . . wann in Jahrhunderten +erlitt Jugend so Hartes? + +</p><p>Aus Katastrophen und Zusammenbrüchen +als einziger Halt eine Jugend, streng die Forderungen +der Menschlichkeit aufgepflanzt, +unerbittlich die Hand auf den Zielen, Schicksal +dieses Krieges hinnehmend als Schickung +wie anderes Leid, aber hingerissen dadurch, +den Glauben noch höher fliegen. Wollen härter +schweißen zu lassen, im Mord die eherne +Stimme der Gerechtigkeit erbrausen zu sehen, +im Wahnsinn der Ereignisse das entflammte +Herz sicher in steter Berufung zu tragen . . . +wann geschah solches? + +</p><p>War vor diesen Katastrophen diese Jugend +gehöhnt, gescholten, nur die Seltenen +berührend, nun wuchs sie zum Ausgleich. +Spielen die Schaubühnen nicht Stücke, die +unzumutbar bürgerlichem Publikum früher +erschienen? War Dichtung nicht Privileg +weniger Köpfe in Deutschland . . . lesen nicht +Jünglinge, Männer Bücher ihrer Dichter, +wie nie früher Dichtung gelesen ward? Sagen +Schauspieler nicht Verse auf Podiums +und Kathedern? Erklärt solches Geheimnis +fabulöser Wirkung nicht sich allein durch +seine Einzigartigkeit selbst? + +</p><p>Ewiges Wechselspiel der erlesenen Kräfte. + +</p><p>Durstet die Zeit nicht nach der Kunst, die +aus dem Geist kommt und nicht aus dem +Stückwerk der Menschen? Braucht die harte +Epoche nicht den Halt, der nicht in der fließenden +Zeit steht, sondern aufgepflanzt im Innern +der Menschen? Ist etwas mehr not als Trost +gleichzeitig mit Erhebung? Ist ein Zweifel, +daß Kunst in den Zielen enorm sein muß, die +von Zeitgenossen, die leiden Stunde und Tag +um Tag, begehrt wird mit solcher Inbrunst? +Daß eine Kunst tief nach Wahrheit gehen +muß, die selbst über Mode und den Snob hoch +hinaus gesucht wird, obwohl sie schwer ist, +schwerer als jede Kunst, die Deutschen seither +ward in der Dichtung? Ist es eine Frage, +daß nur groß gespannte Kunst dies Menschen +reichen kann, deren Sehnsucht so nach Tiefstem +geht? Ist es eine Frage, die fast nicht +zu stellen mehr, kaum der Antwort bedürftig +ist, daß diese Kunst nichts in ihren Achsen +bewegt als jene Kraft aller Größe: Idee der +Menschheit? + +</p><p>Den schlichten Menschen in demütiger +Höhe als Instrument . . . was bedarf es weiter? +Die Welt steht offen mit Frage und Antwort. + +</p><p>Großen Gefühlen untertan, auf ihnen +schweifend . . . was sollen da Themen, was soll +der bürgerliche Gehalt vergangener Kunst? + +</p><p>Das Neue geht weit über Literatur, wird +schon Frage der Moralität. + +</p><p>Solche Dichtung ist ethisch von selbst: der +Mensch vor die Ewigkeit gestellt. + +</p><p>Keine Predigt. + +</p><p>Nie erbauende Literatur. + +</p><p>Aber Wille zur Steigerung und Hebung der +Menschen . . . ihr Gehalt. + +</p><p>Drei kreisende Ringe in der Brust, die seit +Ewigkeit große Kunst bewegten . . . dies ist, +was sie erfüllt auf dem Wege: Liebe, Gott, +Gerechtigeit. + +</p><p>Wie die großen Maler hingegangener Zeit +mit wenigen Vorwürfen ihr ganzes Leben verbrachten, +den gleichen Vorwurf immer mit +neuer Gläubigkeit inniger gestaltend, läuft +Kunst, die nicht nur die Literatur, die die +Menschen angeht, stets nach gleichem Ziel. + +</p><p>Kreist solch Schaffen um den schlichten +unverbildeten Menschen, hebt sein Element +ihn über Kausales, muß seine Handlung gerecht +sein auch im Bösen, letzthinnig in beliebiger +Schlichtheit, vom dunklen Drang des +Ethos angedonnert in <i>jeder</i> Handlung. + +</p><p>Die jungen Dichter, diesem Menschen die +Freiheit gebend, dem Ausschlag seines Gefühls +zu folgen, wohin es führe . . . die jungen +Dichter, die wählen lassen zwischen Laster +und Güte, sehen, wie von magnetischem Pole +angerissen, ihre Menschen alle zur Güte streben. +Doch nichts von Weichheit vor solchen +Aufgaben! Nichts Gebundenes, selbst nicht +in christlichem Sinne. + +</p><p>Selten war Überschwang so hart, Kunst so +stürmisch, Rhythmus der Seele derart unbändig +geführt. Menschen schaukeln im Kosmos. +Liebe ist ihnen Neigung zur Menschheit. +Ist Religiosität, die über Konfessionelles +hin das letzte, das streng gerichtet Rechte +will. + +</p><p>Donnernder schallt ihnen als die Kanonen +der größten Offensiven das Wort der Zusammengehörigkeit +unter den Menschen. Ist +Kampf, sei er vom Geist. Sie wollen Gerechtigkeit, +aber nicht von der Macht, ungeistig +wie nur eine, sondern Gerechtigkeit der Tat +und Liebe. Kämpferisch wie kaum eine Generation +kämpfen sie um den Geist. Aus Blut +und Qualm der Epoche sich hebend und fordernd +treffen sie auf solchen Wegen Gott. + +</p><p>Mit fiebrigen Händen, heißen Munden +suchen sie; ergriffenste Prosa, unerhörter +Rhythmus leidenschaftlichsten Gedichts fängt +ihn ein. Jede Erde, jedes Blatt, jedes Tier +erliegt der Beschwörung, einzustimmen in +solche Harmonie. Kein Raum, der nicht +mitzittert im religiösen Akkord der einfachen +Schöpfung. + +</p><p>Gott wird überallhin wiedergeboren. + +</p><p>Seine Liebe schlägt zurück, ein Kranz bindet +sich um die metaphysisch schwebende Erde. +Nur das Wichtige hat Sinn, nur die Förderung, +die jedes Echte trägt. Jedes Ding, angegriffen, +bestürmt, entschält sich. Voll +Ehrfurcht nähert Dichtung sich dem nur +Wichtigen, dem Kern des Dinges. + +</p><p>Keine Fassade mehr . . . Gefühl nur der +Menschen . . . Erde unter unwägbarem Himmel +. . . Melodie der Schöpfung aus dichterischem +Ruf. + +</p><p>Neue Zeit mit unwahrscheinlichen Kämpfen +naht und droht. + +</p><p>Gelassen und mutig sieht das Geschlecht +nach vorn. Ihm gibt es nur Menschen, ohne +Vorurteile, ohne Hemmung, ohne gezüchtete +Moral. Ihm gibt es keine innere Trennung +der Nation zu Nation. Sieht so gerichteter +Blick nicht durch das Volk zum Menschen? + +</p><p>Bewußtsein der Verantwortung bringt die +Verpflichtung. Ahnen, Vorhut zu sein kommender +Menschheit, großen Marschtritts ähnlichen +Wollens Vortreter zu sein nur in einer +Epoche der glatten Macht, der Militärs, der +Knebelungen gegen die Freiheit und den Geist +der Zeit, zwischen tausend Schlachten der +Völker . . . Blutschuld am Geiste heißt verpflichtet +sein, was gleicher Gesinnung vorausging. + +</p><p>Dies geht über Deutschland auf Europa. +Nach Westen gerichtet, Verehrung den großen +Genien französischen Namens, gewiß, daß +ebenso wie ohne Jean Paul, ohne Hölderlin, +Luther und Goethe die Geschichte der Menschheit +undenkbar sei ohne Voltaire, Pascal, +Rabelais, Rousseau und Balzac. Nach Osten +zum Licht des russischen Volkes gesprochen, +Ehrfurcht Tolstoi, Gogol, Puschkin, Dostojeweski! +Aus dem Norden hallend die Stimme +des wilden, auch in Zerrissenheit noch an +die Güte, an die Menschheit geklammerten +Strindberg. + +</p><p>Geht solche Verpflichtung nicht weiter? +Überschreitet den dünnen Bord Europas? +Kommt auf die Welt? Schafft Liebe nicht +grenzenlos sich zu jedem, das die Welt weiterschafft? + +</p><p>Ist solcher Geist, in Katastrophen erhoben, +in Gewittern der Seele gesalbt von Blitzen +des Grausens, aus Büchern ergreifend, auf +Schaubühnen das neue Pathos erhebend, +steil die Gesinnung vor sich aufgerichtet, +ist solcher nicht anderer Zeit als der gegenwärtigen +uns täglich mit Sinnlosigkeit, mit +Drohung, mit diktatorischem Irrsinn schlagenden +fast schon zugehörig? + +</p><p>Revolution des Geistes schafft neue Form, +der Bruch mit der Vergangenheit wird radikal. +Kellers große Tradition versumpfte +in bourgeoiser Niederung. + +</p><p>Größer entfachtes Weltgefühl schafft die +Kunst zur Vision. Nun diktiert der Geist, +wohl eng verschmolzen der Materie, doch sie +gestaltend, nicht in ihrer Abhängigkeit. Doch +auch nicht in der dünnen Sphäre saftloser +Geistigkeit. Die Gleichung heißt Geist und +Blut. Nicht Geist und Geist. Wir wollen +nicht schemenhafte Arien, die viele heut +singen. Wir wollen den Naturalismus aufpeitschen +zu fanatischer Vision. Das Ding +vergewaltigen im Geist . . .! Prosa wird wieder +Dichtung. Theater Kampfplatz größter +Zusammenhänge der Seele. Sätze gestrafft +mit der Biegung adliger Linie schöner Leiber. +Form und Gehalt schon eins geworden, elastisch +und bebend, stark die Verzückung und die +Forderung zu tragen . . . ist dies nicht genug? + +</p><p>In einem zentaurischen Bilde liegt das +Gemeinsame verschmolzen: der Träger und +das Getragene . . . unbändige im Gewitter +des Ethos erscheinende Dichtung, schlank +im umzuckten Lauf, stark aus den Lenden +emporgetaucht das männlich Getragene. +In der Neuheit des Bildes aber verwirrend, +doch siegreich und schön wie Kyniska, die +erste Frau, die in Athen sich Pferde hielt und, +selber lenkend, in den olympischen Spielen +mit ihnen siegte. + +</p><p>Doch vielleicht erscheint es, daß Sie, wenn +ich skandinavischem Publikum, dessen Dichter +ich nicht nur verehre, sondern deren Atem +ich liebe und deren gutem Geist ich ohne +Ermüdung Verkünder bin in meiner Heimat +. . . daß Sie, wenn ich schwedischem +Publikum unsere Ziele dergestalt bringe, +lächeln über so viel Begeisterungsfähigkeit +eines Deutschen, der, seiner Nation Tugenden +übertreibend, von eigenen Dingen, der +von den Zielen seiner Generation allzu hingegebenen +Herzens redet, fast der Kritik +nicht mehr mächtig und illuminiert als ein +Schwärmer. + +</p><p>Was tat ich? + +</p><p>Gab ich anderes als Glauben? + +</p><p>Kamen hier Feststellungen über meßbare +Zeit? + +</p><p>Nur Linien des Geistes. + +</p><p>Kann dies fallen? Niemals schwankte in +irgendeiner Historie Begeisterung mit so +starkem Ziel. Was sollen die Menschen? +Rührt nicht an die Tragik, ihr Schicksal. +Das ist kommender Zeit dunkel angehörig. +Jugend, so vielspältig in Aufbau, Gebärde, Gehalt +. . . kann anderes sie halten als eine Idee. + +</p><p>Würde dies falsch sein, was ich sage, versagten +sie alle. Es bliebe stehen, steiler als +je. Dies ist die Grundlage des Jahrhunderts. +Ob erreichbar, ob nicht, es bleibt gepflanzt. +Es bleibt geglaubt. Das nimmt nichts. Auch +nicht mörderischste Zeit. + +</p><p>Selbst wenn alle Begabungen, schlecht gewertet +im künstlerischen Maßstab, taub aus +der Geschichte fielen, diese erstrebten Werke +im Schatten später größer aufsteigenden Lichtes +faulten. Dichter das in Zukunft träge und +feig im Erwerb desavouierten, was heute ihr +Lob ist, ja ich selbst, der dies heute kündet, es +unaufhaltsam in späteren Jahren irr und grausam +schmähte . . . was machte dies all? + +</p><p>Ohnmächtige Auflehnung gegen den Geist, +der treibt und schafft. + +</p><p>Setze ich anderes hier fort als die Tradition +meines Volkes, das die tiefen Ideen, die es +einmal erkannte, in den besten Erscheinungen +bis zum Tode festhielt, im Glauben +oft unerbittlicher als in der Handlung, für +welche die andere Seite des Volkes oft einstand, +die weniger zum Geist gehörte? Setze +ich anderes fort als die Geschichte der Jugend +Deutschlands, Geschichte erlauchter +Männer und Jünglinge, den immer wiederkehrenden +tragischen Intervall unserer Geschichte? +Denn hätten wir wie jene den +Glauben nicht, wie sollten wir heute bestehen? + +</p><p>Vielleicht aber sehen wir, nach der Pause +des Jahrhunderts den Geist vielstimmig, doch +eindeutig aus uns rufen hörend, ja Denkmale +neuen Weltbilds um uns da und da +schon aufgerichtet erblickend, vielleicht sehen +wir Erfolg zu sicher und nah. + +</p><p>Vielleicht überschätzen wir, wie Sie kühleren +und nordischeren Geistes bestimmter abschätzen, +Leistung bereits mit der Idee, die +führt. + +</p><p>Vielleicht, ach, ist auch uns das Schicksal +unserer brüderlichen Jugend, die vor uns stritt, +wahnsinnig ward und verreckte, vielleicht ist +uns auch das Schicksal aller bester deutscher +Jugend bestimmt, statt der Erfüllung . . . +auch nur Leidensstation zu sein deutschen +Geistes und der Welt. + +</p><p>Daß uns nichts bleibt, die glaubten, aus so +viel edlem hingegangenen Blut die endgültige +Fahne zu heben, statt Ernten und Beginnen +nichts als Vorbereiten im Leid. + +</p><p>Sollte das Ziel im Beginn schon immer entweichend, +Traum unserer Kultur ein Phantom, +flüchtig gleich einem Tier und nie einholbar +bestem Herzblut bleiben? . . . Ach, sollte die +Tragik deutscher Jugend ohne Ende sein? + +</p><p>Medusisches Antlitz der Verheißung wieder +verschwimmen? Alles umsonst getan sein in +der Zeit, wo deutsche Jugend, zerstückt wie +nie, unter Feuer und Eisen der Kanonen verdirbt, +alle Begeisterung, alle Anstrengung +umsonst in der Wirkung, die wir der Sinnlosigkeit +entgegenhalten? Ach, Sie, der Sie +solches nicht vom satanischen Mittelpunkt, +es in abgeschwächten Echos der Peripherie +und entfernter nur spüren, Sie ahnen die Anspannung +nicht, mit der wir das Gegengewicht +halten dieser Welt jeden Tag. Sollte dies +zwecklos sein? Kann man das glauben? Wo +bliebe Gerechtigkeit, Sieg des Geistes? Das +Ziel herrlich gepflanzt in solcher Zeit, und +nichts erreichen . . . wie schmerzlich. Wäre +es möglich, frage ich, in solcher Zeit zu leben +ohne den Glauben an die Menschheit unserer +Idee, an die innere Überlegenheit unserer +Minorität? Wäre es möglich, einen Tag nur +zu existieren, ohne daß Geist, heftig umwerbend, +über uns stände? Unmenschlich und +sinnlos der Zweifel. + +</p><p>Kein Nacken erhöbe sich, kein Lächeln +erleuchtete mehr die Welt, fiele er nicht ab. +Kein Hirn wagte den Gedanken der Menschheit +einmal nur noch zu fassen. Wäre zu +denken, daß einem dies fehlte? + +</p><p>Fiele die Erde nicht, meteorisch und zwecklos, +feuergeflügelt ins Nichts? + +</p><p>Wäre der Mensch denkbar, wäre es möglich, +daß es einen gebe, einen, der den Mut, +der die Stirn hätte, die unmögliche, dieser +Zeit nur den Blick eines Auges lang entgegenzutreten +ohne den Glauben? + +</p><p>Bedenken Sie diese Frage, die fast eine verzweifelte +ist, aber als bestätigende und sichere +sich ausweist . . . ich weiß, Sie werden und +müssen die Antwort, damit gerecht gemessen +werde, Sie müssen die Antwort sagen: + +</p><p>Nein. + +</p> +<h2 class="chapter">Über den dichterischen Expressionismus</h2><p> + +</p><p class="center"> +<i>(Herbst 1917)</i> + + +</p><p class="first">Wenn man, selbst verstrickt in eine Bewegung, +(auch wenn sie einem selbst +keinen aktuellen sondern nur über-zeitlichen +Sinn hat . . .) darüber auszusagen den Drang +spürt, bedarf es vor allem Unerbittlichkeit +und Hingabe. Voll tiefem Glauben an die +Idee habe man Mißtrauen gegen die Zeitlichkeit. + +</p><p>Unser Blick, allzusehr befangen im Irdischen, +täuscht unsere Liebe zu leicht. + +</p><p>Inbrunst ohne die Strenge aber ist zügellos. +Der Glaube nur, der sich aus Sehnsucht +selber peinigt, wird endlich aktiv. Tieferer +Sinn steigt erst aus der Mißhandlung. +Schmähung der eigenen Hingabe macht sie +erst süß. Hier muß viel gewagt werden, um +das Undeutliche zu vermeiden, alles, um +das Gerechte deutlich zu machen. + +</p><p>Eifer allein ist die Leidenschaft des Beschränkten. + +</p><p>Kühnheit, die sich quält, ist das Ziel des +Edlen und Tapferen. + +</p><p>Schon der Außenstehende hat zwischen +dem Absoluten und sich die Zeit. Der Innenstehende +und Beteiligte hat zu der Zeit noch +die Sehnsucht, daß der Ausdruck, dem er +die unendliche Form gibt, der dauernde sei. +Ihm verwirrt das Urteil noch dazu die Liebe. + +</p><p>Es gibt darum nur eine Forderung: Grausamkeit. + +</p><p>So allein vermag manchmal das objektive +Bild aufzustehen und blank zu scheinen. +Doch auch dies ahnen wir nur. Die letzten +Urteile werden erst in der Zeit gefällt, nicht +in der Zeitlichkeit unseres Tags. + +</p><p>Um gerecht zu sein, bedürfen wir vieler +Distanz. Die aber haben wir nur durch den +Mut der Strenge. Ja, wir müssen es wagen, +voll Hoffnung, unsterbliche Ziele aufzutürmen, +den Gedanken zu halten, wir seien +ein Spielzeug nur der Schöpfung und was +uns groß erschien und das Höchste, sei nur +ein kleiner Versuch. Hohn käme über das, +was wir liebten, Verachtung auf unsere +Inbrunst. Auch dies bedenkend, muß der +Angriff gewagt sein. + +</p><p>Es muß der Mut da sein, größer als jener, +der bejaht, sich selbst zu schänden, zu +bluffen, geformtem Ding den Schädel einzuschlagen, +voll der Neugier, ob Bleibendes sich +weise. Nur Wille, sich selbst zu mißtrauen, +macht die Sehnsucht frisch, das Positive rund. + +</p><p>Nur so erhält das prüfende Auge Distanz. + +</p><p>Nur so verschwindet das gorgonische Haupt +der Bewegung, das die Zeit umspielt, und wir +greifen ihr ins Herz. Mit einem einzigen +Griff. Sein Ausschlag, seine Zuckung weist +in Vergangenes, weist in das Kommende. + +</p><p>Durch strengste Forderung allein kommen +wir zu überzeitlichem Urteil. Vielleicht aber +müssen wir hier auch nur stehen, glaubend +und hoffend, aber nicht wissend. Aber eines +besitzen wir zum wenigsten dann: geprüfteren +Blick. + +</p><p>Der Blick geht auf die Historie. + +</p><p>Doch ist diese nur logisch, dunkleren Zusammenhängen +der Idee gegenüber taub. +Logisch entwickelt der Geist sich nicht, +tieferen Kräften nach steht er auf und +braust oder schweigt. Wir fühlen ihn nur. +Zusammenhänge laufen nicht geradlinig, mehr +unter als in der sichtbaren Zeit. Dazu +kommt, daß auch rein formale Entwicklung +bei uns getrübt ist. Auch das rein Orientierende +am äußeren Verlauf der Entwicklung +ist in Deutschland schwer. + +</p><p>Wir haben noch nicht Tradition, noch +nicht gefestigten Mutterboden, aus dem in +organischem Wachstum die Idee sich entwickelt. + +</p><p>In Frankreich etwa steht jeder Revolutionär +auf den Schultern seines Vorgängers. +In Deutschland hält der Achtzehnjährige +den von Zwanzig für einen Idioten. + +</p><p>In Frankreich verehrt der Junge im Älteren +irgendwie den Erzeuger. Bei uns +ignoriert er ihn. Aus dem Zentrum völkischen +Weltgefühls schafft der Franzose. +Der Deutsche beginnt jeder von anderer +Stelle der Peripherie. Bei uns ist vieles +noch Zuckung sich gestaltender völkischer +Mentalität. Vieles noch stürzendes Chaos, +noch nicht starke tragfähige Ebene. + +</p><p>Darum haben wir wildere, unendlichere +aber zerrissenere Kunstwerke. Andere Völker +haben mehr die stete Form. + +</p><p>So ist selbst schwer beim Suchen des +Wesentlichen die formale Entwicklung aufzuzeichnen. +Historie bedeutet auch hier +nur die äußere Leitung. + +</p><p>Seit der Romantik war Stagnation. + +</p><p>Der große Bogen bürgerlichen Gefühls, +der zu enden anhebt, begann. Gegen ausgepumptes +Epigonentum schlug die naturalistische +Welle. Aus Schminke, Fassade und +Feigenblatt brach schamlos die Tatsache. +Nichts vom Wesen eines Dings. Nichts +Eigentliches, was der Gegenstand unserer +sensuellen Welt nur zudeckt. Nur Notiertes, +nur endlich Ausgesprochenes. Aber mit grandioser +Wucht. Lauter Dinge, belanglos für +das Kunstwerk in seiner letzten Form, aber +Anstöße, Kampf. + +</p><p>Der Naturalismus war eine Schlacht, die +wenig Sinn für sich hat, aber er gab Besinnung. +Da standen plötzlich wieder Dinge: +Häuser, Krankheit, Menschen, Armut, Fabriken. +Sie hatten keine Verbindung noch +zu Ewigem, waren nicht geschwängert von +Idee. Aber sie wurden genannt, gezeigt. + +</p><p>Nackte Zähne der Zeit klafften und zeigten +Hunger. + +</p><p>Er warf auch menschliche Fragen auf +und brachte das Eigentliche damit näher. +Er mischte sich mit Sozialem eng: schrie . . . +Hunger, Huren, Seuche, Arbeiter. Doch +ohne Ahnung seiner Grenzen focht er nicht +nur gegen die Form der Zeitlichkeit, er +hatte schöpferische Ambition. Er glaubte +ohne Geist sein zu können, begann den +Zikadenkampf gegen Gott. + +</p><p>Das löste ihn sofort auf. + +</p><p>Er dauerte kaum einen Atemzug. +Gegen seine wüste Orientierung gab es +einen Gegenpol voll Aristokratie. Gegen den +Lärm Adel, das Asoziale, das Kunst-à-tout-prix. +Die Überschätzung des Maschinellen +ließ auf die Seele deuten. Hier wurde zum +erstenmal wieder Dichtung. + +</p><p>Stefan Georges große Gestalt erhebt sich +da. Doch war es ihr, die noch zu nah den +reinen Tatsachen stand, nicht gegeben, Tempo, +Geist und Form zu großen, umfassenden +Schöpfungen zu verdichten. Dazu war die +Zeit noch nicht reif. Das wesentlichste Verdienst +dieser Bewegung ist der Wert, den +sie auf das Formale legte. + +</p><p>Man begann sich wieder zu besinnen, was +Schilderung und was dagegen Dichtung sei. +Die Unterschiede zwischen Schriftsteller und +Dichter wurden klar. + +</p><p>Sie wurden allzu klar gelegt. Denn so +lief diese Bewegung in Erstarrung. Man +verwechselte Dichten und Würde. Man +glaubte, das Wesentliche sei das Erlauchte, +und Würde sei besser als der Mut unbedenklichen +Zugriffs. Es wurde Cenacelkult +getrieben. Ästhetentum verbreitete sich +und traf in eine Zeit, die reich geworden, +von den Gründerjahren und dem Zustrom +des Geldes übersättigt, noch völlig ohne +die Struktur eines kulturellen Zeitbodens, +glaubte die schöne Décadence spielen zu +können. Immerhin aber hob sich das ganze +Niveau. + +</p><p>Man konnte nach George nicht mehr +vergessen, daß eine große Form unumgängig +sei für das Kunstwerk. Man konnte +nicht mehr nur durch Kraßheit, Photographieren +der Wirklichkeit, nicht mehr mit +flauen Sentiments nach dichterischen Zielen +greifen. Das strenge Gesetz Georges +brach über den Rand des Geheimbunds, +kam in Lyrik und Essai und Roman, auch +ins Drama und half erziehen. + +</p><p>Der Impressionismus begann, die Synthese +ward versucht. + +</p><p>Sie ward sogar erreicht in einem gewissen +Bezirk. Die leitenden Ströme der Zeit schlossen +sich zusammen, aber sie entzündeten sich +nur am Moment. + +</p><p>Es wurde die Kunst des <i>Augenblicks</i>. + +</p><p>Man war geschult und hatte Vorwürfe. +Mit nervöser Zärtlichkeit behandelte man +die Objekte. Sprunghaft setzte man Stück +an Stück. Mit gehobener Technik vermochte +man die Dinge anzugreifen, doch +wurde es oft Deskription. Das Eigentliche, +der letzte Sinn der Objekte erschöpfte sich +nicht. Denn der Lichtstrahl des Schöpfers +überzuckte sie nur kurz. + +</p><p>Es gab blendende Gebärden, göttliche Momente. +Das Unsterbliche tauchte bestürzend +auf und verschwand. + +</p><p>Es war wie die Anrufung eines Geistes, +dessen Umriß zitternd in der Luft schwebt, +geahnt wird, aber nie mit Brausen in die +Form der Wirklichwerdung stürzt. Es gab +Momentbilder von Schönheit, gab Gesten +von Tiefe, es gab vielleicht eine Tat, eine +Handlung, eine kurz herausgebrochene, unsterbliche +Schönheit. + +</p><p>Aber auch diese Zeit lag noch in jenem +Riesenbogen, der, bürgerlichen Vorstellungen +zugängig, kapitalistischen Zusammenhängen +unterworfen, privat blieb. + +</p><p>Nöte und Sorgen des Individuums lebten +darin. Die bürgerliche Gesellschaft gab ihr +Thema, Not und Gehalt. Ehe, Familie, +bürgerliches Dasein wurden Themen, die +man künstlerisch und technisch geschickt +verarbeitete. + +</p><p>Versuchte man Kosmisches, ward es nicht +erreicht, blieb im Lallen, gab man Natur, +ward es Ausschnitt, gab man Leben, war +es Sekunde, gab man Tod, war es nur das +Erlöschen, nicht das ungeheure nie endende +Geschehen des tragischen Hingangs. + +</p><p>Der Impressionismus, der so nie total +ward, nur Stückwerk gab, nur dramatisch +oder lyrisch oder sentimental für <i>einen</i> +Gestus, ein Gefühl war, diese kleinen Ausschnitte +der großen Welt aber formte, wurde +und mußte werden dem Kosmos gegenüber, +im Auge die Schöpfung, Mosaik. In unzählige +kleine Teile zerlegte er die Welt, +um ihr den tieferen Atem einzuhauchen. +Er war das Ende einer langen Entwicklung. + +</p><p>Das große Raumgefühl der Renaissance +erreichte in ihm den Schluß. Er zersetzte, +löste auf und parzellierte, formte das Zerschlagene +in kleine Gefühle, nicht zu massiv +verschmolzenen Zusammenhängen. + +</p><p>Über ihn hinaus gab es nur Anarchie. +Seine letzte Zerstäubung ist der Futurismus. +Expressionismus hat nicht die Spur mit ihm +zu tun. Futuristen waren es, die den schon +in Teile, Minuten, Fermaten zerteilten Raum +noch einmal zum Explodieren brachten, +indem sie das Weltbild als ein gleichzeitiges +Nebeneinander von Sinneseindrücken darstellten. +Sie spitzten die Teile des Impressionismus +nur zu, glätteten sie, gaben ihnen +schärfere Form und gespenstigeren Umriß, +vermieden das Kokette und schoben das +Nacheinander des impressionistischen Weltlaufs +zu einem hastigen, gehetzten Nebeneinander, +Ineinander. +Der Expressionismus, Schlagwort von +zweifelhafter Formulierung, hat mit dem +Impressionistischen nichts zu tun. + +</p><p>Er kam nicht aus ihm. Er hat keinen +inneren Kontakt, nicht einmal den des +Neuen, der den Alten erschlägt. Es sei +denn, daß dies die beiden Bewegungen verbände, +daß der eine den anderen vorbereitete +nach einem dunklen immanenten und unlogischen +Gesetz des Triebes, der Steigerung +der Idee und der Kraft. + +</p><p>Der Expressionismus hat vielerlei Ahnen, +gemäß dem Großen und Totalen, das seiner +Idee zugrunde liegt, in aller Welt, in aller Zeit. + +</p><p>Was die Menschen heute an ihm sehen, +ist fast nur das Gesicht, das, was erregt, das, +was epatiert. Man sieht nicht das Blut. +Programme, leicht zu postulieren, nie auszufüllen +mit Kraft, verwirren das Hirn, +als ob je eine Kunst anders aufgefahren sei +als aus der Notwendigkeit der Zeugung. +Mode, Geschäft, Sucht, Erfolg umkreisen +das erst Verhöhnte. + +</p><p>Als Propagatoren stehen die da, die in +dumpfem Drang des schaffenden Triebes +zuerst Neues schufen. Als ich vor drei +Jahren, wenig bekümmert um künstlerische +Dinge, mein erstes Buch schrieb, las ich +erstaunt, hier seien erstmals expressionistische +Novellen. Wort und Sinn waren mir +damals neu und taub. Aber nur die Unproduktiven +eilen mit Theorie der Sache +voraus. Eintreten für sein Ding ist eine +Kühnheit und eine Sache voll Anstand. Sich +für das Einzige erklären, Frage des bornierten +Hirns. Eitel ist dies ganze <i>äußere</i> +Kämpfen um den Stil, um die Seele des +Bürgers. Am Ende entscheidet lediglich die +gerechte und gut gerichtete Kraft. + +</p><p>Es kamen die Künstler der neuen Bewegung. +Sie gaben nicht mehr die leichte +Erregung. Sie gaben nicht mehr die nackte +Tatsache. Ihnen war der Moment, die Sekunde +der impressionistischen Schöpfung +nur ein taubes Korn in der mahlenden Zeit. +Sie waren nicht mehr unterworfen den Ideen, +Nöten und persönlichen Tragödien bürgerlichen +und kapitalistischen Denkens. + +</p><p>Ihnen entfaltete das <i>Gefühl</i> sich maßlos. + +</p><p>Sie sahen nicht. + +</p><p>Sie schauten. + +</p><p>Sie photographierten nicht. + +</p><p>Sie hatten Gesichte. + +</p><p>Statt der Rakete schufen sie die dauernde +Erregung. + +</p><p>Statt dem Moment die Wirkung in die +Zeit. Sie wiesen nicht die glänzende Parade +eines Zirkus. Sie wollten das Erlebnis, das +anhält. + +</p><p>Vor allem gab es gegen das Atomische, +Verstückte der Impressionisten nun ein großes, +umspannendes Weltgefühl. + +</p><p>In ihm stand die Erde, das Dasein als +eine große Vision. Es gab Gefühle darin +und Menschen. Sie sollten erfaßt werden +im Kern und im Ursprünglichen. + +</p><p>Die große Musik eines Dichters sind seine +Menschen. Sie werden ihm nur groß, wenn +ihre Umgebung groß ist. Nicht das heroische +Format, das führte nur zum Dekorativen, +nein, groß in dem Sinne, daß ihr Dasein, +ihr Erleben teil hat an dem großen Dasein +des Himmels und des Bodens, daß ihr Herz, +verschwistert allem Geschehen, schlägt im +gleichen Rhythmus wie die Welt. + +</p><p>Dafür bedurfte es einer tatsächlich neuen +Gestaltung der künstlerischen Welt. Ein +<i>neues Weltbild</i> mußte geschaffen werden, +das nicht mehr teil hatte an jenem nur +erfahrungsmäßig zu erfassenden der Naturalisten, +nicht mehr teil hatte an jenem +zerstückelten Raum, den die Impression gab, +das vielmehr <i>einfach</i> sein mußte, eigentlich, +und darum schön. + +</p><p>Die Erde ist eine riesige Landschaft, die +Gott uns gab. Es muß nach ihr so gesehen +werden, daß sie unverbildet zu uns kommt. +Niemand zweifelt, daß das das Echte nicht +sein kann, was uns als äußere Realität +erscheint. + +</p><p>Die Realität muß von uns geschaffen +werden. Der Sinn des Gegenstands muß +erwühlt sein. Begnügt darf sich nicht werden +mit der geglaubten, gewähnten, notierten +Tatsache, es muß das Bild der Welt rein und +unverfälscht gespiegelt werden. Das aber +ist nur in uns selbst. + +</p><p>So wird der ganze Raum des expressionistischen +Künstlers Vision. Er sieht nicht, +er schaut. Er schildert nicht, er erlebt. Er +gibt nicht wieder, er gestaltet. Er nimmt +nicht, er sucht. Nun gibt es nicht mehr die +Kette der Tatsachen: Fabriken, Häuser, +Krankheit, Huren, Geschrei und Hunger. +Nun gibt es ihre Vision. + +</p><p>Die Tatsachen haben Bedeutung nur so +weit, als, durch sie hindurchgreifend, die +Hand des Künstlers nach dem faßt, was +hinter ihnen steht. + +</p><p>Er sieht das Menschliche in den Huren, +das Göttliche in den Fabriken. Er wirkt +die einzelne Erscheinung in das Große ein, +das die Welt ausmacht. + +</p><p>Er gibt das tiefere Bild des Gegenstands, +die Landschaft seiner Kunst ist die große +paradiesische, die Gott ursprünglich schuf, +die herrlicher ist, bunter und unendlicher +als jene, die unsere Blicke nur in empirischer +Blindheit wahrzunehmen vermögen, die zu +schildern kein Reiz wäre, in der das Tiefe, +Eigentliche und im Geiste Wunderbare zu +suchen aber sekündlich voll von neuen +Reizen und Offenbarungen wird. + +</p><p>Alles bekommt Beziehung zur Ewigkeit. + +</p><p>Der Kranke ist nicht nur der Krüppel, +der leidet. Er wird die Krankheit selbst, +das Leid der ganzen Kreatur scheint aus +seinem Leib und bringt das Mitleid herab +von dem Schöpfer. + +</p><p>Ein Haus ist nicht mehr Gegenstand, +nicht mehr nur Stein, nur Anblick, nur ein +Viereck mit Attributen des Schön- oder +Häßlichseins. Es steigt darüber hinaus. Es +wird so lange gesucht in seinem eigentlichsten +Wesen, bis seine tiefere Form sich +ergibt, bis <i>das</i> Haus aufsteht, das befreit +ist von dem dumpfen Zwang der falschen +Wirklichkeit, das bis zum letzten Winkel +gesondert ist und gesiebt auf <i>den</i> Ausdruck, +der auch auf Kosten seiner Ähnlichkeit den +letzten <i>Charakter</i> herausbringt, bis es +schwebt, oder einstürzt, sich reckt oder gefriert, +bis endlich alles erfüllt ist, das an +Möglichkeiten in ihm schläft. + +</p><p>Eine Hure ist nicht mehr ein Gegenstand, +behängt und bemalt mit den Dekorationen +ihres Handwerks. Sie wird ohne Parfüme, +ohne Farben, ohne Tasche, ohne wiegende +Schenkel erscheinen. Aber ihr eigentliches +Wesen muß aus ihr herauskommen, daß +in der Einfachheit der Form doch alles +gesprengt wird von den Lastern, der Liebe, +der Gemeinheit und der Tragödie, die ihr +Herz und ihr Handwerk ausmachen. Denn +die Wirklichkeit ihres menschlichen Daseins +ist ohne Belang. Ihr Hut, ihr Gang, +ihre Lippe sind Surrogate. Ihr eigentliches +Wesen ist damit nicht erschöpft. + +</p><p>Die Welt ist da. Es wäre sinnlos, sie zu +wiederholen. + +</p><p>Sie im letzten Zucken, im eigentlichsten +Kern aufzusuchen und neu zu schaffen, das +ist die größte Aufgabe der Kunst. + +</p><p>Jeder Mensch ist nicht mehr Individuum, gebunden +an Pflicht, Moral, Gesellschaft, Familie. + +</p><p>Er wird in dieser Kunst nichts als das +Erhebendste und Kläglichste: <i>er wird +Mensch</i>. + +</p><p>Hier liegt das Neue und Unerhörte gegen +die Epochen vorher. + +</p><p>Hier wird der bürgerliche Weltgedanke +endlich nicht mehr gedacht. + +</p><p>Hier gibt es keine Zusammenhänge mehr, +die das Bild des Menschlichen verschleiern. +Keine Ehegeschichten, keine Tragödien, die +aus Zusammenprall von Konvention und +Freiheitsbedürfnis entstehen, keine Milieustücke, +keine gestrengen Chefs, lebenslustigen +Offiziere, keine Puppen, die an den Drähten +psychologischer Weltanschauungen hängend, +mit Gesetzen, Standpunkten, Irrungen und +Lastern dieses von Menschen gemachten +und konstruierten Gesellschaftsdaseins spielen, +lachen und leiden. + +</p><p>Durch alle diese Surrogate greift die Hand +des Künstlers grausam hindurch. Es zeigt +sich, daß sie Fassaden waren. Aus Kulisse +und Joch überlieferten verfälschten Gefühls +tritt nichts als der Mensch. Keine blonde +Bestie, kein ruchloser Primitiver, sondern +der einfache, schlichte Mensch. + +</p><p>Sein Herz atmet, seine Lunge braust, er +gibt sich hin der Schöpfung, von der er nicht +ein Stück ist, die in ihm sich schaukelt, +wie <i>er</i> sie widerspiegelt. Sein Leben reguliert +sich ohne die kleinliche Logik, ohne Folgerung, +beschämende Moral und Kausalität +lediglich nach dem ungeheueren Gradmesser +seines Gefühls. + +</p><p>Mit diesem Ausbruch seines Inneren ist +er allem verbunden. Er begreift die Welt, +die Erde steht in ihm. Er steht auf ihr, mit +beiden Beinen angewachsen, seine Inbrunst +umfaßt das Sichtbare und das Geschaute. + +</p><p>Nun ist der Mensch wieder großer, unmittelbarer +Gefühle mächtig. Er steht da, +so deutlich in seinem Herzen zu erfassen, +so absolut ursprünglich von den Wellen +seines Bluts durchlaufen, daß es erscheint, +er trüge sein Herz auf der Brust gemalt. +Er bleibt nicht mehr Figur. Er ist wirklich +Mensch. Er ist verstrickt in den Kosmos, +aber mit kosmischem Empfinden. + +</p><p>Er klügelt sich nicht durch das Leben. +Er geht hindurch. Er denkt nicht über sich, +er erlebt sich. Er schleicht nicht um die +Dinge, er faßt sie im Mittelpunkt an. Er ist +nicht un-, nicht übermenschlich, er ist nur +Mensch, feig und stark, gut und gemein und +herrlich, wie ihn Gott aus der Schöpfung entließ. + +</p><p>So sind ihm alle Dinge, deren Kern, deren +richtiges Wesen er zu schauen gewohnt +ist, nahe. + +</p><p>Er wird nicht unterdrückt, er liebt und +kämpft unmittelbar. Sein großes Gefühl +allein, kein verfälschtes Denken, führt ihn +und leitet ihn. + +</p><p>So kann er sich steigern und zu Begeisterungen +kommen, große Ekstasen aus seiner +Seele aufschwingen lassen. + +</p><p>Er kommt bis an Gott als die große nur +mit unerhörter Ekstase des Geistes zu erreichende +Spitze des Gefühls. + +</p><p>Doch sind diese Menschen keineswegs +töricht. Ihr Denkprozeß verläuft nur in +anderer Natur. Sie sind unverbildet. Sie +reflektieren nicht. + +</p><p>Sie erleben nicht in Kreisen, nicht durch +Echos. + +</p><p>Sie erleben <i>direkt</i>. + +</p><p>Das ist das größte Geheimnis dieser Kunst: +Sie ist ohne gewohnte Psychologie. + +</p><p>Dennoch geht ihr Erleben tiefer. Es geht +auf den einfachsten Bahnen, nicht auf den +verdrehten, von Menschen geschaffenen, von +Menschen geschändeten Arten des Denkens, +das, von bekannten Kausalitäten gelenkt, +nie kosmisch sein kann. + +</p><p>Aus dem Psychologischen kommt nur Analyse. +Es kommt Auseinanderfalten, Nachsehen, +Konsequenzenziehen, Erklärenwollen, +Besserwissen, eine Klugheit heucheln, die +doch nur nach den Ergebnissen geht, die +unseren für große Wunder blinden Augen bekannt +und durchsichtig sind. Denn vergessen +wir nicht: alle Gesetze, alle Lebenskreise, die +psychologisch gebannt sind, sind nur von uns +geschaffen, von uns angenommen und geglaubt. +Für das Unerklärliche, für die Welt, +für Gott gibt es im Vergangenen keine Erklärung. +Ein Achselzucken nur, eine Verneinung. + +</p><p>Daher ist diese neue Kunst positiv. + +</p><p>Weil sie intuitiv ist. Weil sie elementar +nur findend, willig, aber stolz sich den großen +Wundern des Daseins hingebend, frische +Kraft hat zum Handeln und zum Leiden. +Diese Menschen machen nicht den Umweg +über eine spiralenhafte Kultur. + +</p><p>Sie geben sich dem Göttlichen preis. Sie +sind direkt. Sie sind primitiv. Sie sind einfach, +weil das Einfachste das Schwerste ist +und das Komplizierteste, aber zu den größten +Offenbarungen geht. Denn täuschen wir +uns nicht: erst am Ende aller Dinge steht +das Schlichte, erst am Ende gelebter Tage +bekommt das Leben ruhigen steten Fluß. + +</p><p>So kommt es, daß diese Kunst, da sie +kosmisch ist, andere Höhe und Tiefe nehmen +kann als irgendeine impressionistische oder +naturalistische, wenn ihre Träger stark sind. +Mit dem Fortfall des psychologischen Apparats +fällt der ganze Décadencerummel, die +letzten Fragen können erhascht, große Probleme +des Lebens direkt attackiert werden. +In ganz neuer Weise erschließt sich aufbrandendem +Gefühl die Welt. + +</p><p>Der große Garten Gottes liegt paradiesisch +geschaut hinter der Welt der Dinge, wie +unser sterblicher Blick sie sieht. Große Horizonte +brechen auf. + +</p><p>Allein die andere Art des Blickpunkts verwirrt +den Menschen oft das Dargestellte. +Da beschaut und nicht gesehen wird, täuscht +der neue Umriß. Dem Menschen, der ungeschult +lebt, ist die Vision etwas Entferntes, +der plumpe Gegenstand aber deutlich und nah. + +</p><p>Das ausgewiesene Psychologische gibt dem +Aufbau des Kunstwerks andere Gesetze, edlere +Struktur. Es verschwindet das Sekundäre, +der Apparat, das Milieu bleibt nur angedeutet +und mit kurzem Umriß nur der +glühenden Masse des Seelischen einverschmolzen. + +</p><p>Die Kunst, die das Eigentliche nur will, +scheidet die Nebensache aus. Es gibt keine +Entremets mehr, keine Hors d’oeuvres, +nichts Kluges, was hineingemogelt, nichts +Essaiistisches, was allgemein unterstreichen, +nichts Dekoratives mehr, was von außen +her schmücken soll. Nein, das Wesentliche +reiht sich an das Wichtige. Das Ganze bekommt +gehämmerten Umriß, bekommt Linie +und gestraffte Form. + +</p><p>Es gibt keine Bäuche mehr, keine hängenden +Brüste. Der Torso des Kunstwerks +wächst aus straffen Schenkeln in edle Hüften +und steigt von dort in den Rumpf voll +Training und Gleichmaß. Die Flamme des +Gefühls, das direkt zusammenfließt mit dem +Kern der Welt, erfaßt das Direkte und +schmilzt es in sich ein. + +</p><p>Es bleibt nichts anderes übrig. + +</p><p>Manchmal unter dem großen Trieb des +Gefühls schmilzt die Hingabe an das Werk +diese übermäßig zusammen, es erscheint +verzerrt. Seine Struktur aber ist nur auf +das letzte Maß der Anspannung getrieben, +die Hitze des Gefühls bog die Seele des +Schaffenden so, daß sie, dunkel das Unermeßliche +wollend, das Unerhörte hinauszuschreien +begann. + +</p><p>Dies Wollen wird deutlich im Malerischen, +am klarsten in der Plastik. Im Schreiben +verwirrt die nicht zum erstenmal, aber noch +nie mit solcher Innigkeit und solcher Radikalität +vorgenommene Verkürzung und Veränderung +der Form. + +</p><p>Bei Plastiken Rodins sind die Oberflächen +noch zerrissen, jede Linie, jede Gebärde +noch orientiert nach einem Affekt, einem +Moment, einer einmaligen Handlung, kurz: +eingefangen in dem Augenblick, und bei aller +Kraft doch unterworfen einer psychologischen +Idee. Einer denkt, zwei andere küssen +sich. Es bleibt ein Vorgang. + +</p><p>Bei modernen Figuren sind die Oberflächen +mit kurzem Umriß gegeben, die +Furchen geglättet, nur das Wichtige modelliert. +Aber die Figur wird typisch, nicht +mehr. Untertan <i>einem</i> Gedanken, nicht mehr +hinauszuckend in die Sekunde, vielmehr sie +erhält Geltung in die Zeit. Alles Nebensächliche +fehlt. Das Wichtige gibt die Idee: +nicht mehr ein Denkender, nein: das Denken. +Nicht zwei Umschlungene: nein, die Umarmung +selbst. + +</p><p>Dasselbe unbewußt waltende Gesetz, das +ausscheidet, ohne negativ zu sein, das nur +erlesenen Moment zu magnetisch gleichen +Punkten bindet, reißt die Struktur des +<i>Schreibenden</i> zusammen. + +</p><p>Die Sätze liegen im Rhythmus anders +gefaltet als gewohnt. Sie unterstehen der +gleichen Absicht, demselben Strom des Geistes, +der nur das Eigentliche gibt. Melodik +und Biegung beherrscht sie. Doch nicht +zum Selbstzweck. Die Sätze dienen in großer +Kette hängend dem Geist, der sie formt. + +</p><p>Sie kennen nur seinen Weg, sein Ziel, +seinen Sinn. Sie binden Spitze an Spitze, +sie schnellen ineinander, nicht mehr verbunden +durch Puffer logischer Überleitung, +nicht mehr durch den federnden äußerlichen +Kitt der Psychologie. Ihre Elastizität liegt +in ihnen selbst. + +</p><p>Auch das Wort erhält andere Gewalt. +Das beschreibende, das umschürfende hört +auf. Dafür ist kein Platz mehr. Es wird +Pfeil. Trifft in das Innere des Gegenstands +und wird von ihm beseelt. Es wird kristallisch +das eigentliche Bild des Dinges. + +</p><p>Dann fallen die Füllwörter. + +</p><p>Das Verbum dehnt sich und verschärft +sich, angespannt so deutlich und eigentlich +den Ausdruck zu fassen. + +</p><p>Das Adjektiv bekommt Verschmelzung +mit dem Träger des Wortgedankens. Auch +es darf nicht umschreiben. Es allein muß +das Wesen am knappsten geben und nur +das Wesen. + +</p><p>Sonst nichts. + +</p><p>Doch an diesen sekundären Dingen, nicht +an den Zielen, scheitert gewöhnlich die +Diskussion. Die technische Frage verwirrt +und wird gehöhnt. Man glaubt sie Bluff. +Nie ist in einer Kunst das Technische so sehr +Produkt des Geistes wie hier. Nicht das ungewohnte +Formale schafft die Höhe des Kunstwerks. +Nicht hierin liegt Zweck und Idee. + +</p><p>Der Ansturm des Geistes und die brausende +Wolke des Gefühls schmelzen das +Kunstwerk auf diese Stufe zusammen und +erst aus dieser gesiebten, geläuterten Form +erhebt sich die aufsteigende Vision. + +</p><p>Die Menschheit aber will nicht wissen, +daß unter dem Äußeren erst das Dauernde +liegt. Der Geist, der die Dinge hinauftreibt +in eine größere Existenz, anders geformt als +die Sinne sie zeigen in dieser begrenzten +Welt, ist ihr unbekannt. + +</p><p>Es ist ein lächerlich kleiner Sprung zu +diesem Begreifen. Aber die Menschheit weiß +noch nicht, daß die Kunst nur eine Etappe +ist zu Gott. + +</p><p>Die Ziele aber liegen nahe bei Gott. + +</p><p>Das Herz der Menschen strahlt über die +Oberfläche hin. Persönliches wächst in das +Allgemeine. Seitherig übertriebene Bedeutung +des einzelnen unterzieht sich größerer +Wirkung der Idee. Das Reiche entkleidet +sich seines äußeren Rahmens und wird reich +in seiner Einfachheit. Alle Dinge werden +zurückgestaut auf ihr eigentliches Wesen: +das Einfache, das Allgemeine, das Wesentliche. + +</p><p>Die Herzen, so unmittelbar gelenkt, schlagen +groß und frei. Die Handlung wird voll +Ehrfurcht auch im Gemeinen. Die Elemente +walten nach großem Gesetz. + +</p><p>So wird das Ganze auch ethisch. + +</p><p>Nun aber springen die verwandten Züge auf. + +</p><p>Sie liegen nicht in der vorhergegangenen +Generation, von der diese Kunst alles scheidet. +Sie liegen nicht im einzelnen, nicht +in der Gotik, nicht im Nationalen, nicht bei +Goethe, Grünewald oder Mechtild von Magdeburg. +Nicht in romanischer Krypta, nicht +bei Notker, bei Otto dem Dritten, nicht bei +Eckehard, Chrestien von Troye oder den +Zaubersprüchen. + +</p><p>So einfach läuft die Geschichte der Seele +nicht am logisch historischen Band. + +</p><p>Verwandtschaft ist nicht begrenzt. Tradition +im letzten Sinne nicht national oder +an Geschichte einer Zeit gebunden. Nein, +überall ist das Verwandte, der Ansatz, das +Gleiche, wo eine ungeheure Macht die Seele +antrieb, mächtig zu sein, das Unendliche +zu suchen, und das letzte auszudrücken, +was Menschen schöpferisch mit dem Universum +bindet. + +</p><p>Überall wo die Flamme des Geistes glühend +aufbrach und das Molluskenhafte zu Kadavern +brannte, Unendliches aber formte, +als solle es zurückgehen in die Hand des +Schöpfers, alle dunkeln großen Evolutionen +des Geistes trieben dasselbe Bild der Schöpfung +hervor. + +</p><p>Es ist eine Lüge, daß das, was mit verbrauchtem +Abwort das Expressionistische +genannt wird, neu sei. Schändung, es umfasse +eine Mode. Verleumdung, es sei eine +nur künstlerische Bewegung. + +</p><p>Immer wenn der oder jener der Menschheit +die <i>Wurzeln</i> der Dinge in der Hand +hielt und seine Faust Griff hatte und Ehrfurcht, +gelang das Gleiche. Diese Art des +Ausdrucks ist nicht deutsch, nicht französisch. + +</p><p>Sie ist übernational. + +</p><p>Sie ist nicht nur Angelegenheit der Kunst. +Sie ist Forderung des Geistes. + +</p><p>Sie ist kein Programm des Stils. Sie ist +eine Frage der Seele. + +</p><p>Ein Ding der Menschheit. + +</p><p>Es gab Expressionismus in jeder Zeit. +Keine Zone, die ihn nicht hatte, keine Religion, +die ihn nicht feurig schuf. Kein +Stamm, der nicht das dumpfe Göttliche damit +besang und formte. Ausgebaut in großen +Zeiten mächtiger Ergriffenheit, gespeist +aus tiefen Schichten harmonisch gesteigerten +Lebens, einer breit ins Hohe wachsenden, +in Harmonie gebildeter Tradition wurde er +Stil der Gesamtheit: Assyrer, Perser, Griechen, +die Gotik, Ägypter, die Primitiven, +altdeutsche Maler hatten ihn. + +</p><p>Bei ganz tiefen Völkern, die Witterung +der Gottheit aus schrankenloser Natur überstob, +wurde er anonymer Ausdruck der +Angst und Ehrfurcht. Großen einzelnen +Meistern, deren Seele von Fruchtbarkeit +übervoll war, heftete er sich als natürlichster +Ausdruck in ihr Werk. Er war in der dramatischsten +Ekstase bei Grünewald, lyrisch +in den Jesuliedern der Nonne, bewegt bei +Shakespeare, in der Starre bei Strindberg, +unerbittlich in der Weichheit bei den Märchen +der Chinesen. Nun ergreift er eine +ganze Generation. Eine ganze Generation +Europas. + +</p><p>Die große Welle einer geistigen Bewegung +schlägt überall hoch. Die Sehnsucht der +Zeit fordert das letzte. Eine ganze Jugend +sucht gerecht zu werden der Forderung. +Was kommen wird, ist der Kampf der Kraft +mit der Forderung. + +</p><p>Denn daß Kunstwerke entstanden, war +nie allein Folge der Idee. <i>Sie</i> ist nur die +Sehnsucht nach Vollkommenerem, die in +die Menschen schlägt. Zur Formung gehört +die <i>Kraft</i>. Die Generation wird sie besitzen +oder nicht. Das liegt nach vorwärts und +entzieht sich unserem Hirn. Um so schärfer, +da diese Hauptgefahr einer Bewegung noch +im Dunkeln liegt, muß die Forderung nach +dem Echten mit Strenge gestellt sein. + +</p><p>Nur innere Gerechtigkeit bringt bei so +hohem Ziel das Radikale. Schon wird das, +was Ausbruch war, Mode. Schon schleicht +übler Geist herein. Nachläuferisches aufzudecken, +Fehler bloßzulegen. Ungenügendes +zu betonen bleibt die Aufgabe der Ehrlichen, +soweit es klarliegt und schon erkennbar +ist. Der tiefste Wert und der tiefste Sinn +liegt uns allen verborgen. + +</p><p>Nicht die schöpferische Stärke, die seltsame +Außenformen annimmt, verwischt nach +außen das Gesicht der Bewegung ins Irritierende +und Modegeile. Es ist vielmehr +das <i>bewußt</i> durchgeführte <i>Programm</i>. +Geistige Bewegung ist kein Rezept. Sie gehorcht +lediglich gestaltendem Gefühl. Da +die Bewegung durchgesetzt ist, beginnt ihre +nachträgliche Theorie produktiv zu werden. +Sie wird Schule, wird Akademie. Die Fackelträger +werden Polizisten, Ausrufer der einseitigen +Dogmatik, Beschränkte, Festgebundene +an das Heil eines Buchstabens. Stil +in höherem Sinne setzt sich durch als Kraft, +als selbständige Wucherung, reguliert von +tausend Zuflüssen und Strömen vom Geist +gebändigter Schöpferkraft. Nie als Form. +Gerade die einfachen Linien, die großen +Flächen, die verkürzte Struktur werden einförmig +bis zum Entsetzen, langweilig zum +Erbleichen werden, wenn sie nur gekonnt, +nicht gefühlt werden. Das abstrakte Wollen +aber sieht keine Grenze mehr. Erkennt nicht +mehr, welch ausbalanciertes Vermögen besteht +zwischen dem Gegenstand und der +schaffenden Form. Die Grenzen des Sinnlichen +durchbrechend schafft sie lauter +Theorie. Da ist kein Ding mehr, das gestaltet, +umgeformt, aufgesucht wird, da ist, den +Kampfplatz verlassend, nur öde Abstraktion. + +</p><p>Hier wird wie oft vergessen, daß jede +Wahrheit einen Punkt hat, wo sie, mit +törichter Überkonsequenz ausgeübt, Unwahrheit +wird. + +</p><p>Man ist nicht genial, wenn man stottert, +man ist nicht schlicht, indem man niggert, +man ist nicht neu, indem man imitiert. +Hier mehr wie irgendwo entscheidet die +<i>Ehrlichkeit</i>. Wir können nicht aus unserer +Haut und unserer Zeit. Bewußte Naivität +ist ein Greuel. Gemachter Expressionismus +ein übles Gebräu, gewollte Menschen +werden Maschinerie. Auch dies wird Frage +der dienenden Stärke. Hier ist das Treibende +und Gemeinsame nur, der Glaube, die Kraft +und die Inbrunst. + +</p><p>Wo dies aber beisammen sich fand zur +mystischen Hochzeit, war Expressionismus +in jeder Kunst, in jeder Tat. + +</p><p>Am Anfang die Schöpfung, die großen +Kreise der Mythen, die Sagen, die. Edda +Bei Hamsun, bei Baalschem, bei Hölderlin, +Novalis, Dante, bei den Utas, im Sanskrit, +bei De Coster, bei Gogol, bei Flaubert, bei +der Mystik des Mittelalters, in den Briefen +van Goghs, in Achim von Arnim. Bei dem +Flamen Demolder, bei Goethe, manchmal bei +Heinse. Im serbischen Volkslied, bei Rabelais, +bei Georg Büchner, bei Bocacce. Diese +Namen, zufällig herausgegriffen, sind kein +Abschluß, keine Vollständigkeit, nur Andeutungen +und vielleicht nicht einmal hierin +genügend. + +</p><p>Es ist vom Wichtigen nur das eine und das +andere. + +</p><p>Aber sie leiten über. Da stehen die Heutigen. +Da steht eine ganze Generation. Die +Generation Europas. Sie bildet aus tiefst +leidender Zeit den Menschen, die Liebe, +die Welt, das Schicksal. + +</p><p>Es kann große Kunst werden, babylonisch +gelungener Turm über solcher Zeit. Wenn +die Kraft dazu langt. + +</p><p>Denn die Ziele stehen klar und übersichtlich, +in der Kunst wie in der Moralität. +Aber die Stärke der Begabungen übersieht +hier keiner. Es ist billig, zu tadeln, beschränkt, +nur zu loben. Noch vermag niemand das +tiefere Bild zu entscheiden. Hier ist ebenso +vermessen ja zu sagen wie nein. + +</p><p>Dies alles ist Schicksal. + +</p><p>Uns vermag der Glaube, daß die Ziele +dieser Kunst höher sind als die vergangener +unserer nahen Zeitlichkeit, nicht darüber zu +täuschen, daß das große Kunstwerk dennoch +nur der große Schöpfer bildet. + +</p><p>Dies ist das letzte. + +</p><p>Die Tragödie der Zeit könnte es gewollt +haben, die Begabungen zu verteilen nach +ihrem Ermessen und uns nicht durchdringbarem +Sinn. Sie kann das eine meinen wie +das andere. + +</p><p>Sie kann die großen Begabungen hinüberwerfen +in Zeiten niederer Kunst und die +kleinen aufsparen für die großen Kämpfe +und tiefen Ziele. Auch dies ist hinzunehmen. + +</p><p>Noch sind unsere Augen zu befangen. +Noch haben wir nicht Raum zum Sehen. +Einziger Regulator geleisteten Werkes bleibt +nur die Zeit. Das letzte entscheidet, das +wissen wir heute wie immer, die <i>Kraft</i>. + +</p><p>Dies ist aber die größte Verwirrung, daß +die Menschen, geschlagen von dem Geist +der Zeitlichkeit, die Ambition der Leistung +verwechseln mit dem Werk. + +</p><p>Wohl steigt der Wille des Geistes heftiger +und höher heute, aber die Entscheidung +letzter Stunde liegt bei der <i>Persönlichkeit</i>. +Niemand ist gut, weil er neu ist. Keine +Kunst ist schlecht, weil sie anders ist. Diese +Anmaßung wäre grenzenlos. Ruhig urteilendem +Gefühl der Gerechtigkeit nach ist nur +das Gute dauernd, nur das Echte gerecht. + +</p><p>Ein guter Impressionist ist größerer Künstler +und bleibt für die Ewigkeit aufbewahrter +als die mittelmäßige Schöpfung des Expressionisten, +der nach Unsterblichkeit schaut. + +</p><p>Vielleicht besteht vor dem Urteil des letzten +Tages Zolas schamlose, gigantische, stammelnde +Nacktheit der Kraft besser als unser +großes Ringen um Gott. Auch das ist +Schicksal. + +</p><p>Vielleicht daß diese Kunst aber zu großen +Dingen führt. Wir würden es tragen. Vielleicht +daß wir zu niederen Dingen nur ausersehen +waren und die Ziele nicht erreichen. +Wir hätten auch dann Sinn gehabt. Wir +hätten anderes vielleicht erst spät einbrechendes +Große vorbereitet, das Niveau an +großen Aufgaben geschult und einen tatsächlichen +Stil der Epoche vorbereitet. Es +wäre menschlich auch dies zu tragen. + +</p><p>Hier haben wir kein Wissen. Das steht +bei Gott, der uns anrührte, daß wir schufen. +Wir haben kein Urteil, nur Glauben. Wir +dienen auch im Geringen. + +</p><p>Auch dies ist unsterblich. + +</p> +<h2 class="chapter">Nachwort</h2><p> + +</p><p class="first">Die beiden Versuche entstanden auf Anregung +zweier Reden, die gesprochen wurden, +um ein Bild zu geben, einen Zustand darzustellen, +keineswegs um ein Programm zu +postulieren. Die Rede über den Expressionismus +wurde gehalten im Dezember Neunzehnhundertsiebzehn +vor der „Deutschen Gesellschaft“ +und dem „Bund deutscher Künstler +und Gelehrter“. Die Rede über die dichterische +deutsche Jugend im Mai Neunzehnhundertachtzehn +in Stockholm, Göteborg, +Lund. + + +</p> + + + + + + + +<pre> + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Über den Expressionismus in der +Literatur und die neue Dichtung, by Kasimir Edschmid + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK UBER DEN EXPRESSIONISMUS *** + +***** This file should be named 32450-h.htm or 32450-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + https://www.gutenberg.org/3/2/4/5/32450/ + +Produced by Jens Sadowski + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. 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It exists +because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from +people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. +To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation +and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 +and the Foundation web page at https://www.pglaf.org. + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at +https://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent +permitted by U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. +Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered +throughout numerous locations. Its business office is located at +809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email +business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact +information can be found at the Foundation's web site and official +page at https://pglaf.org + +For additional contact information: + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. 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