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diff --git a/34265-h/34265-h.htm b/34265-h/34265-h.htm new file mode 100644 index 0000000..55deb0a --- /dev/null +++ b/34265-h/34265-h.htm @@ -0,0 +1,4765 @@ +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xml:lang="de" lang="de"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=iso-8859-1" /> + + <meta http-equiv="Content-Style-Type" content="text/css" /> + <title>The Project Gutenberg eBook of Das Anjekind, by Waldemar Bonsels</title> + + <style type="text/css"> + + body { + margin-left: 10%; + margin-right: 10%; + } + + h1,h2 { + text-align: center; + clear: both; + font-weight: normal; + } + + h1 { + font-size: 250%; + letter-spacing: .33em; + } + + h2 { + font-size: 150%; + } + + hr { + width: 45%; + margin-top: 2em; + margin-bottom: 2em; + margin-left: auto; + margin-right: auto; + clear: both; + } + + ins { + text-decoration: none; + border-bottom: 1px dashed; + } + + p.mynote { + background-color: #DDE; + color: #000; + padding: 1em; + margin: 1em 5%; + font-family: sans-serif; + font-size: 90%; + } + + p { + margin-top: .75em; + text-align: justify; + margin-bottom: .75em; + } + + p.author { + font-size: 100%; + letter-spacing: .2em; + text-align: center; + } + + p.subtitle { + font-size: 120%; + text-align: center; + } + + p.emphasize { + font-size: 150%; + letter-spacing: .2em; + text-align: center; + } + p.judge { + font-size: 100%; + letter-spacing: .2em; + text-align: center; + } + + p.intro { + margin-left: 30%; + margin-right: 30%; + font-size: 92%; + } + + p.anrede { + text-align: left; + margin-left:17%; + } + + p.relright { + text-align: right; + margin-right: 15%; + } + + p.source { + text-align: right; + } + + table { + margin-left: auto; + margin-right: auto; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em; + } + + td.number { + text-align: right; + } + + td { + vertical-align: top; + text-align: left; + padding: .1em 1em; + } + table.toc { + text-decoration: none; + } + + table.toc a{ + text-decoration: none; + } + + .blockquote { + margin-left: 5%; + margin-right: 10%; + } + + .pagenum { + position: absolute; + right: 3%; + } + + a[title].pagenum:after { + content: attr(title); + border: 1px solid silver; + display: inline; + font-size: x-small; + text-align: right; + color: #808080; + font-style: normal; + padding: 1px 4px 1px 4px; + font-variant: normal; + font-weight: normal; + text-decoration: none; + text-indent: 0em; + letter-spacing: 0em; + } + + .center { + text-align: center; + } + + .poem { + margin-left:10%; + margin-right:10%; + text-align: left; + } + + .poem .stanza { + margin: 1em 0em 1em 0em; + } + + .poem span.i0 { + display: block; + margin-left: 0em; + padding-left: 3em; + text-indent: -3em; + } + + </style> +</head> + +<body> + + +<pre> + +The Project Gutenberg EBook of Das Anjekind, by Waldemar Bonsels + +This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with +almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Das Anjekind + Eine Erzählung + +Author: Waldemar Bonsels + +Release Date: November 9, 2010 [EBook #34265] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS ANJEKIND *** + + + + +Produced by Norbert H. Langkau, Peter Simon and the Online +Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net + + + + + + +</pre> + +<p class="mynote"> +Einige Druckfehler sind korrigiert und mit <ins title="nicht korrigierter Text">Popups</ins> notiert. Rechtschreibungsformen +wie »stehen« : »stehn« sind ungeändert. <br /> +Die Kapitelübersicht wurde der HTML-Version des eBooks hinzugefügt.</p> + +<p class="intro"><br /> +<br /> +Die erste Auflage dieses Buches ist +im Jahre 1913 erschienen. Alle +Rechte vorbehalten. Copyright by +Schuster & Loeffler, Berlin 1913 +<br /> +<br /> +<br /> +</p> + +<p class="author">Waldemar Bonsels</p> + +<h1>Das Anjekind</h1> + +<p class="center">Eine Erzählung<br /> +</p> + +<p class="subtitle">Elfte bis fünfundzwanzigste Auflage</p> + +<hr /> +<p class="center">Verlegt bei Schuster & Loeffler<br /> +Berlin und Leipzig<br /> +1918</p> + +<p> </p> + +<p class="center">Druck<br /> +der Spamerschen<br /> +Buchdruckerei in Leipzig</p> + +<hr /> +<p class="subtitle">Kapitelübersicht</p> + +<table class="toc" summary="Inhaltsverzeichnis"> + <tbody> + <tr> + <td><br /> + </td> + <td>Seite</td> + </tr> + <tr> + <td><a href="#Erstes_Kapitel">Erstes Kapitel</a><br /> + </td> + <td class="number">5</td> + </tr> + <tr> + <td><a href="#Zweites_Kapitel">Zweites Kapitel</a></td> + <td class="number">31</td> + </tr> + <tr> + <td><a href="#Drittes_Kapitel">Drittes Kapitel</a></td> + <td class="number">44</td> + </tr> + <tr> + <td><a href="#Viertes_Kapitel">Viertes Kapitel</a></td> + <td class="number">58</td> + </tr> + <tr> + <td><a href="#Funftes_Kapitel">Fünftes Kapitel</a></td> + <td class="number">65</td> + </tr> + <tr> + <td><a href="#Sechstes_Kapitel">Sechstes Kapitel</a></td> + <td class="number">76</td> + </tr> + <tr> + <td><a href="#Siebentes_Kapitel">Siebentes Kapitel</a></td> + <td class="number">88</td> + </tr> + <tr> + <td><a href="#Achtes_Kapitel">Achtes Kapitel</a></td> + <td class="number">102</td> + </tr> + <tr> + <td><a href="#Neuntes_Kapitel">Neuntes Kapitel</a></td> + <td class="number">118</td> + </tr> + <tr> + <td><a href="#Zehntes_Kapitel">Zehntes Kapitel</a></td> + <td class="number">126</td> + </tr> + <tr> + <td><a href="#Elftes_Kapitel">Elftes Kapitel</a></td> + <td class="number">134</td> + </tr> + <tr> + <td><a href="#Zwolftes_Kapitel">Zwölftes Kapitel</a></td> + <td class="number">146</td> + </tr> + <tr> + <td><a href="#Dreizehntes_Kapitel">Dreizehntes Kapitel</a></td> + <td class="number">156</td> + </tr> + <tr> + <td><a href="#Vierzehntes_Kapitel">Vierzehntes Kapitel</a></td> + <td class="number">168</td> + </tr> + </tbody> +</table> + +<hr /> +<h2><a name="Erstes_Kapitel" id="Erstes_Kapitel">Erstes Kapitel</a></h2> + +<p>Es soll damit begonnen werden, die Geschichte von Anjes +Vater zu erzählen, deren grausames Ende den am Leben +gebrochenen Mann veranlaßte, das einsame Moorland +aufzusuchen, das Anjes Heimat geworden ist.</p> + +<p>Nicht weit von der Stelle entfernt, wo der Gurdelbach +aus der Einöde tritt und sein ruhiges Wasser, das in den +dunklen Moorgründen, die es durchfließt, wie von Trauer +und Schwermut erfüllt worden ist, liegt das Dorf Gorching. +Gegen Norden erstreckt sich weit jene Moorlandschaft, +die die Einöde genannt wird und die als unzugängig und +verwildert gilt. In Gorching war Anjes Vater, der +Jakob Vinzenz Gerom hieß, trotz seiner Jugend einer +der angesehensten Bauern. Nicht allein sein Hof war +einer der einträglichsten, sondern seine alteingesessene Familie +war geachtet und reich. Er hatte das Anwesen früh und +<a class="pagenum" name="Page_6" title="6"></a>allein geerbt und gut bewirtschaftet, so daß er als wohlbestellt +und glücklich von manchem beneidet worden wäre, +wenn nicht ein schwermütiger Hang zum Grübeln sein +Leben verdunkelt hätte, wie auch eine Unduldsamkeit fast +jeder Menschengemeinschaft, die in furchtbaren Jähzorn +ausarten konnte. Da die Ausbrüche solcher Wesensart +den schlichten Naturen seiner Umgebung unvoraussehbar +erschienen, wurde er mehr und mehr gemieden, und +es verbreiteten sich Meinungen über die Beschaffenheit +seiner Seele, die dazu angetan waren, ihm mehr und mehr +das Vertrauen seiner Mitbewohner zu entziehen. Das +altbewährte Gesinde und die Tagelöhner seines Hofes, +worunter manche ihn schon als Kind gekannt hatten, teilten +diese Abneigung der Nachbarn nicht, wohl aber übertrug +die Zurückhaltung der Dorfbewohner sich langsam +auch auf sie.</p> + +<p>Im Anwesen Vinzenz Geroms ging es ruhiger zu, +als auf den anderen Höfen, nicht nur, daß er ein umsichtiger +und geschickter Mann war, auch seine Gehilfen +in den Scheunen und auf den Äckern dienten ihm in +einer Art andächtiger Scheu und viel ergebener, als es <a class="pagenum" name="Page_7" title="7"></a> +der Fall gewesen wäre, wenn Gerom auch nur einige jener +argen Charakterzüge gehabt hätte, die ihm nachgesagt +wurden, denn die Vorbedingung zu einer Ergebenheit, +die den Dienenden nicht entwürdigen soll, ist die Gerechtigkeit +des Herrn.</p> + +<p>Gerom war fünfunddreißig Jahre alt, als die dänische +Malerin Angelika Lett nach Gorching kam. Ein städtischer +Reisewagen hielt unter der großen Linde, die vor +dem einzigen Gasthaus des Dorfes stand, und die ermüdeten +Pferde tauchten ihre dunklen Mäuler bedächtig und +gierig in das klare Quellwasser des Steinbeckens im +Lindenschatten. Man nahm die Fremde befangen und +zurückhaltend auf, sie mietete zwei helle Zimmer im Gasthof, +und der Kutscher und der Hausknecht schleppten ihr +zahlreiches und buntes Gepäck in die Hausdiele. Es war +nicht ein einziger größerer Koffer darunter, sondern es +bestand aus lauter kleineren Päckchen und Schachteln, +die, vom Kreisrund bis zu unförmigen kleinen Ballen, alle +Formen aufzuweisen hatten, die irgend denkbar waren. +Die junge Dame stand auf den Steinstufen, überzählte +alles +sorgfältig und lachte den Dorfkindern zu, die, die <a class="pagenum" name="Page_8" title="8"></a> +Morgensonne im hellen Haar und die erstaunten Seelchen +auf den offenen Lippen, einen schweigsamen Halbkreis unter +der Linde bildeten.</p> + +<p>Es hätte wohl niemand von dieser Fremden gesagt, +daß sie schön sei, aber ihre Erscheinung gehörte zu jenen +seltsamen Frauenwundern, bei denen diese so wichtige und +entscheidende Frage durch ein unbestimmbares Etwas aufgehoben +wird. Man könnte es vielleicht einen so getreulichen +Abglanz ihrer Seele in allem Körperlichen ihres +Wesens nennen, daß darüber jede besondere Wertung +einzelner Züge oder Bewegungen aufgehoben zu sein schien. +Man müßte es der Wärme des Lichts vergleichen oder +der heimlichen Wohltat des Windes, bei welchen niemand +der äußeren Wahrzeichen bedarf, um die himmlische Zugehörigkeit +ihrer Wesen zu verspüren.</p> + +<p>Angelika war klein von Figur und nach dem Urteil +der meisten etwa dreißig Jahre alt. Sie hob das Mißtrauen +und die Besorgnisse der Dorfbewohner, die den +Besuch Fremder nicht gewohnt waren, durch große +Sicherheit ihres Auftretens und durch eine Selbständigkeit +ihrer Handlungsweise auf, die bei aller Zurückhaltung<a class="pagenum" name="Page_9" title="9"></a> +etwas Wohltuendes hatte. Kaspar und Friedel Lindner, +die beiden Knaben eines Tagelöhners, wurden ihre Freunde +und trugen ihr ihre Staffelei und den Farbenkasten ins +Moorgelände. Sie schleppten das leichte Gerüst zu +zweien wie eine kleine Trittleiter, und ihre braunen +nackten Beinchen stießen abwechselnd an das blanke Holz +des schönen Kastens mit seinen blinkenden Schlössern. +Angelikas Sommerhut, groß wie ein Schirm, warf +seinen runden Schatten voraus, und lange Zeit waren +Kaspar und Friedel durch dieses Amt die berühmtesten +Knaben in Gorching.</p> + +<p>Eines Morgens schickte das junge Mädchen die Knaben +bei einem Hof außerhalb des Dorfes mit dem Malgerät +ins Gasthaus zurück und blieb vor den Ringmauern +und dem hohen Tor der Einfahrt stehen. War sie denn +hier noch niemals vorübergekommen, daß sie diese Schönheit +nicht früher gesehn hatte? Sie schaute die Birkenallee +zurück, die schlecht gepflegte Landstraße zog sich unruhig +und doch friedlich über die kaum merklichen Hügel +des Geländes dahin, und an ihrem Ende sah man +den Turm der Gorchinger Kirche. Die Straße war bewachsen,<a class="pagenum" name="Page_10" title="10"></a> +und nur die beiden Furten, die von den Rädern +der Wagen stammten, gaben ihr ihr melancholisches Gepräge, +jenen seltenen Reiz des Berührbaren im Unberührten, +und zugleich jene Zeitlosigkeit, die nur solchen Menschenwerken +anhaftet, die ihr Wesen durch die Jahrhunderte +nicht verändern. Der lichte Birkenschatten verschleierte +den stillen Zug der Furchen in diesem Bild.</p> + +<p>Angelika betrachtete nun die Einfahrt zu jenem Hof, bei +dem sie haltgemacht hatte, genauer. Die Jahre hatten +das glorreiche Werk ihres Ausgleichs nahezu vollendet +und den Steinen der Ringmauern jene Farben und jenes +Schimmern verliehen, die nur sie geben können. Hin und +wieder brach aus der grünen Gartenwelt, die die Mauer +verbarg, ein Rankennetz von wildem Wein durch einen +Spalt, oder über ihre Ziegelborde leuchteten die weißen +Teller des blühenden Holunders aus dunklen Kuppeln über +das Erdgrau dieser ehrwürdigen Wälle. Einzelne große +Tannen wirkten beinahe ganz schwarz; zur Rechten, wo +die Mauer nach hinten einbog, lag unter Weiden ein +großer Teich.</p> + +<p>Angelika trat langsam durch den Torbogen in den<a class="pagenum" name="Page_11" title="11"></a> +inneren Hof ein, an dessen Ende das große Bauernhaus +lag, das den Eindruck eines alten Herrenhauses machte; +es war einstöckig und mit Ziegeln gedeckt, die Terrasse +war zur Rechten und zur Linken von Akazien umstanden, +und auf dem großen, wohlgepflegten Rasenplatz saßen +weiße Tauben in der Sonne. Die Wirtschaftsgebäude +und Scheunen zur Linken waren schneeweiß getüncht und +mit Stroh gedeckt, sie zogen sich, wie es Angelika erschien, +noch weit zur Seite hin, wie es zur Rechten der +dunkle Garten tat, der durch einen Bretterzaun vom Hofplatz +getrennt war.</p> + +<p>Das Wohnhaus fesselte die junge Malerin am meisten; +es war von jener schlichten Schönheit, die nur die edle +Einfalt der Zweckmäßigkeit und die Menschenerfahrung +der Jahrhunderte geben können. Aus seinem Bereich schien +alle Willkür des vergänglichen Zeitgeschmacks verbannt, +streng und erhaben stand es in seiner freien Klarheit auf +dem Erdgrund, und eine unbestimmbare Traurigkeit ging +von ihm aus.</p> + +<p>Aus einer der Scheunenausfahrten wurde ein Landwagen +geschafft, der nicht eben sonderlich vornehm, aber<a class="pagenum" name="Page_12" title="12"></a> +von großer Gediegenheit zu sein schien, die Knechte wuschen +mit Schwämmen die gelben Räder, und ein Bursche führte +die Pferde hinter dem Stall hervor. Ein wenig beiseit +stand ein großer, ernster Mann, der schweigsam ihrem +Treiben zusah, sein dunkles Haupt- und Barthaar wirkte +beinahe ganz schwarz, seine aufmerksamen Augen hatten +bei ihrer verschonten Klarheit etwas grüblerisch Benommenes, +man war versucht, es träumerisch zu nennen, wenn +solch ein Wort nicht allem an der starken und trotzigen +Erscheinung widersprochen hätte.</p> + +<p>Es war Vinzenz Gerom, der dort auf seinem Hof stand, +und an diesem Morgen lernte Angelika ihn kennen.</p> + +<p>Er soll auf sie zugetreten sein, als er sie erblickt hatte, +mit einer ganz eigenen Bestimmtheit. Er ergriff ihre Hand +zur Begrüßung, ohne zu lächeln, mit einem harten, beinahe +verstockten Griff, und hielt sie fest. Die Leute, die +ihn heimlich beobachteten, sollen den Eindruck gehabt haben, +als sei Angelika eine alte Bekannte von ihm, aber es ist +nicht der Fall gewesen, obgleich auch sein tiefes Aufatmen +etwas von der Befreitheit nach einer langen Erwartung +der Trennung gehabt haben mag. Sie lächelte neugierig<a class="pagenum" name="Page_13" title="13"></a> +und befangen, aber ohne Herablassung über diesen jungen +Landmann, dessen hilflose Gastfreundlichkeit sie fesselte, +und so war Gerom der erste in Gorching, der Angelika +von einer neuen Seite kennenlernte, denn sie begegnete +ihm mit einem kindlichen Frohsinn, der die Strenge ihres +klugen Verhaltens in Arglosigkeit und Lieblichkeit verkehrte.</p> + +<p>Es geschah dann, daß Angelika einige Tage nach dieser +Begegnung in das Landhaus Geroms einzog, der ihr die +Zimmer des rechten Flügels einräumte, drei hohe, altmodisch +hergerichtete Räume, in deren erstem ein dunkler Kamin +aus blinkenden Kacheln stand. Die Fenster lagen tief und +teilweise verhüllt von grünen Ranken, die nun mit geheimnisvollem +Flüstern das Licht und die Stimmen des großen +Sommers einließen.</p> + +<p>Es ging scheinbar eine entscheidende Wandlung im +Wesen Vinzenz Geroms vor sich, im Grunde entfalteten +sich nur die verborgenen Kräfte seiner Seele unter dem +wehmütigen und kindhaften Lächeln des Mädchens, das +in seinem Hause und Herzen zu Gast gekommen war. +Angelikas Lächeln, von dem es erschien, als bräche es durch +heiße Schleier einer verborgenen Traurigkeit, hatte jene<a class="pagenum" name="Page_14" title="14"></a> +überwindende Forderung des Frauenwesens, der das Gemüt +des Mannes in Verlangen oder in Taten zu folgen +gezwungen ist. In solchem Frauenlächeln naht den Sinnen +die Anklage der Menschenunschuld, die um der Liebe +willen zerstört zu werden scheint, und die auch immer zerstört +wird, wenn die Liebe nicht darüber wacht, darum ist +es, als ob dieses wehmütige Lächeln einer gefährdeten Unschuld +Liebe heraufbeschwöre, wie eine edle Handlung die +Ergriffenheit der Barmherzigen.</p> + +<p>Nach außen hin erschien Gerom beinahe finsterer und +verschlossener als zuvor, vielleicht weil er wußte, daß man +ihm sein Handeln übel nachsah, und weil er fühlte, daß +er es vor anderen so wenig zu erklären oder zu rechtfertigen +in der Lage war, wie anfänglich vor sich selbst. Angelika +wurde seine Schutzbefohlene. Oft erschien es ihm kaum +ausdenkbar, daß sie den Ansturm des Lebens ohne seine +Hilfe jemals hatte bestehn können. Er sprach mit niemandem +über sie und duldete kaum, daß in seiner Gegenwart +ein Wort über sie fiel.</p> + +<p>Die hilflose Art, in der der einsame und einfache Mann +seine zärtliche Neigung kundtat oder verbarg, nahm auch<a class="pagenum" name="Page_15" title="15"></a> +den Gleichmütigsten die Kraft zum Spott. Es war, als +hütete er an der Schwelle der Erdennacht ein Licht, das +ihm der Vater im Himmel zum Herzen seines Menschendaseins +gesandt hatte. Sein Handeln war von jener +Scheu, wie nur die Regungen einer großen Liebe sie +kennen, und von der Zartheit, die dem Mann so wohl +ansteht, der seiner Kraft so gewiß ist, daß er sie nicht durch +Rauheit zu erweisen wünscht. Oft sah man die Beiden +an ruhigen und klaren Abenden nebeneinander durch die +Felder gehn, deren Ähren hoch standen und das braune +Gold wiegten, das die herabgesunkene Sonne im Westen +über dem Land zurückgelassen hatte. Nein, es war kein +Zweifel, er hatte seinen Arm schützend um sie gelegt, und +ihr blonder Kopf ruhte an seiner Schulter. Sie erschien +klein in ihrem einfachen weißen Kleid, hilflos und traurig, +bis plötzlich ihr Lachen weich und wie aus voller, tiefer +Freude kommend erscholl. So war es schwer zu wissen, +was beiden geschah, aber da die Menschen selten mehr in +andere zu legen verstehn, als ihr eigenes Gemüt enthält, +so entstanden böse und häßliche Gerüchte neben Erstaunen +oder Rührung.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_16" title="16"></a>Als schon der Sommer zur Neige ging, kamen Gerom +eines Abends durch den Großknecht Gerüchte zu Ohren, +die ihn erbleichen ließen. Er ging vom Hofe fort, ohne +seinen Hut, so wie er stand, wortlos hinaus auf die Landstraße, +bis er den Pfarrhof von Gorching erreicht hatte, +wo er kundtat, daß er sich mit Angelika Lett zu vermählen +gedächte, und darum bat, daß dies den Ortsbewohnern +bekanntgegeben würde.</p> + +<p>Dies hat sich so zugetragen, wie es berichtet wird, +und es ist allen unbegreiflich und geheimnisvoll erschienen, +denn Vinzenz Gerom war ein einfacher Mann, und obgleich +sein Geschlecht alteingesessen war und hohes Ansehen +genoß, war doch der Unterschied der beiden Liebenden +in Stand und Lebensgewohnheiten sehr groß, und +von der Fremden wußte niemand mehr als ihren Namen. +Nur eins ist sicher, und es wird vielen eine vollgültige +Erklärung sein, Vinzenz Gerom war ein eigenwilliger +und selbständiger Charakter und ein Mann von Gefühlskräften +und natürlicher Klugheit. Alles übrige bleibt +zwischen zwei Menschen eine Frage der Lebensbetrachtung +und der äußeren Verhältnisse, Gebiete, auf welchen Charaktere<a class="pagenum" name="Page_17" title="17"></a> +sich leicht einander fügen lernen, und es unterliegt +keinem Zweifel, daß Angelika mit der weisen Anmut +ihres Anspruchs die heimliche Erzieherin ihres Freundes +gewesen ist. Es gelang ihr mühelos, dem stolzen Mann +ihre Wünsche und Hoffnungen als seinen eigenen Anspruch +hinzustellen und sein Herz ohne Falsch mit Behutsamkeit +in die Bewußtseinswelt seines Werts zu heben.</p> + +<p>Es war sicher, irgend etwas behielt Angelikas Wesen +für sich, es war eine verborgene Welt des Empfindens +und der Gedanken, die sie nicht teilen wollte oder konnte. +Aber es erschien Gerom nicht als ein Recht, das ihm vorenthalten +wurde, weil Angelikas traurige Versunkenheit, +mit der sie seine schüchternen Fragen zuweilen abwehrte, +ihm heilig war. Wie leicht lassen sich die Geheimnisse +einer klugen und verschwiegenen Frau der Wesensart ihres +Geschlechts als Tugend zurechnen, wenn das Vertrauen +einer großen Liebe alles kleine Forschen verhindert.</p> + +<p>So war es gewiß keine ernstliche Sorge, die zuweilen +Geroms Stirn umwölkte, sondern eine heimliche Angst, +die aus dem Dunkel der Vergangenheit Angelikas emporstieg. +Er fühlte, daß niemals etwas geschehn sein konnte,<a class="pagenum" name="Page_18" title="18"></a> +was den Wert des Mädchens herabgesetzt hatte, aber ihm +war oft, als seien jene Geschehnisse um so gefahrvoller und +furchterregender, je mehr sie den Wert dieser jungen Frau +erhöht haben mochten. Wie viele Untugenden, die ihr Freude +bereitet hätten, wäre er nicht willens gewesen, ihr zu vergeben; +er fürchtete vielmehr, daß es eine große Tugend +sein könnte, die ihr Leid gebracht hatte.</p> + +<p>Zu den äußeren Anlässen solcher Besorgnisse gehörten +die Briefe, die Angelika absandte und empfing, allerdings +selten erhielt und selten abschickte. Oft vergingen Monate, +und Gerom litt mit ihr unter der aufreibenden Qual ihrer +Erwartung, über die niemand sprach. Die schmerzliche +Erlösung, die endlich ein kurzer Brief brachte, zerteilte +Geroms dunkles Herzensreich in zwei Teile, er schritt umher +wie ein fröhlicher Kranker. Aber er fragte niemals, +denn er konnte sich nicht so tief entwürdigen, etwas in +Angelikas Leben für schöner und größer zu halten, als das, +was sie ihm gab.</p> + +<p>An einem klaren Abend des Spätsommers wurde +Angelika von einem Dorfjungen in den Gorchinger +Rasthof geholt, es sei ein Fremder angekommen. Die<a class="pagenum" name="Page_19" title="19"></a> +junge Frau ging sogleich mit starren Augen und hängendem +Köpfchen in einem eigenartigen Schritt, der ganz neu +an ihr erschien, der etwas vom Traumwandeln hatte und +zugleich etwas gewaltsam Unbekümmertes. Sie verabschiedete +sich von niemand, Gerom war zu Pferd auf den +Feldern.</p> + +<p>Was geschehn ist, weiß niemand, es blieb allen in +Gorching verborgen. Man hörte heftige und verhaltene +Worte in dem Zimmer des fremden Mannes, unterdrücktes +Schluchzen und auch einmal ein leidenschaftliches +Wimmern, das die Magd für heimliches Lachen hielt. +Angelika kam spät zurück, sie war über die Landstraße +gelaufen, klein und weiß, durch die hereinbrechende Nacht, +zwischen den beiden weißlichen Meeren dahin, die der +Abendnebel auf den Wiesen bildete. Der Großknecht ließ +sie ein, während die Hunde wie toll an ihren Ketten rissen +und die Stille weit umher mit ihrem wütenden Bellen +erfüllten.</p> + +<p>Mit dem Kommen des fremden Mannes, der Angelika +kein Fremder war, erschien ihr die Sicherheit und +Ordnung der Welt zerstört, wenn sie nicht alles diesen<a class="pagenum" name="Page_20" title="20"></a> +Händen anvertraute, die sie einst erhoben und erniedrigt +hatten, geschlagen und geliebkost, entwürdigt und geheilt. +Sie schlief in der Nacht nicht, mit wehmütigem Lächeln +gedachte sie der Freiheit, die sie in diesen Sommermonaten +zu erringen geglaubt hatte. Es gibt einen Zustand erschöpfter +Leidenskraft, der wie Gelassenheit und Ruhe erscheinen +kann, es ist der Zeitpunkt, an dem die Kräfte des +Lebens und die Kräfte des Todes einander die Wage halten, +über den Trümmern des eigenen Willens.</p> + +<p>Am Morgen sah Gerom sie in unruhvoller Besorgnis +lange an. »Du bist blaß, Angelika, du bist sehr blaß«, +sagte er. Er ritt gleich darauf schweigend fort. So weiß +er es, dachte sie. Gegen Mittag kam der Bote aus dem +Gasthof.</p> + +<p>Ich will versuchen zu warten, dachte Angelika, vielleicht +ist am Abend der ganze Tag vergangen und ich bin nicht +zu ihm hinübergegangen. Gerom kam nicht. Sie saß +im Schatten der Holunderbank am Teich und sah die +Sonne hinter die Pappeln sinken, von Ast zu Ast schien +sie niederzuklimmen, und als sie sich rötlich färbte, weinte +die junge Frau vor Schwäche und Angst und Liebesleid<a class="pagenum" name="Page_21" title="21"></a> +und lief nach Gorching hinüber, quer über die gemähten +Roggenfelder, wie ein verlassenes Kind.</p> + +<p>Unterwegs blieb sie einmal stehn, ballte ihre kleine, feste +Hand und schüttelte die Faust nach Geroms Hof hinüber. +»Du kannst nicht helfen«, schrie sie laut. »Du bist ein +Schwächling bei all deiner Kraft, deiner Güte …« Sie +ließ sich nieder und weinte. Bestaubt und todmüde, mit +entstelltem Angesicht, langte sie im Gasthof an.</p> + +<p>Nun paßten sie zueinander, der Fremde und Angelika, +die nun, wie er, verwildert und bleich zu den Ausgestoßenen +der Irdischen zu gehören schien. Es war unfaßlich, wie +rasch die Nähe dieses Mannes ihr ganzes Wesen verändert +zu haben schien, im Grunde hatte er es nur gelöst, +soviel ist gewiß, denn es war sein Eigentum. Ihr Gesicht +wirkte geradezu häßlich für alle Augen, die sie früher gesehen +hatten. Aber es war eine eigenartige Häßlichkeit, +eine Häßlichkeit von göttlichem Ursprung, der schützende +Erdenmantel über den himmlischen Geheimnissen des +Lebendigen.</p> + +<p>Sie fand ihn nicht zornig und hart wie gestern, sondern +traurig, vielleicht kniete sie deshalb vor ihm, während<a class="pagenum" name="Page_22" title="22"></a> +sie sprach. Wenn er sich zu ihr niederbeugte, wenn seine +Lider sich senkten, sah man, wie schön sein blasses Gesicht +war, das im Unbelebten der Tagesstunden ermattet und +kränklich aussah. Ihre Haare vermischten sich, ihre feuchten +Hände und ihr Atem voll Glut und Unfrieden.</p> + +<p>»Ach,« antwortete er ihrem Geständnis mit seinem +klugen und traurigen Lächeln, »ein Kind trägst du von +ihm, von ihm trägst du ein Kind, Anje …«</p> + +<p>»Wenn ich ein Kind von dir geboren hätte,« sagte +sie fest, »so würde ich um des Kindes willen die Kraft +gehabt haben, bei Gerom zu bleiben. Ich wäre nicht über +die Felder gelaufen …«</p> + +<p>Er sah sie an, vielleicht verstand er sie nicht gleich, aber +dann drückte er sie so an sich, daß sie leise aufschrie.</p> + +<p>Sie fragte aber doch: »Liebster, und daß es nun so ist, +ich meine, daß ich sein Kind trage, quält dich das nicht? +Gerom würde dich töten, wenn du nur deine Hand auf +meine Haare legtest.«</p> + +<p>»Ihm gehören auch nicht einmal diese Haare«, sagte +er liebevoll und sicher, und strich sie ihr von den Schläfen, +legte sie hart an das ungeduldige Köpfchen, so daß er es<a class="pagenum" name="Page_23" title="23"></a> +ganz in seinen beiden Händen hielt, und betrachtete so ihr +Gesicht.</p> + +<p>»Ich komme niemals, niemals von dir frei, Anje.«</p> + +<p>»Ich hätte so gern gelebt«, sagte sie deutlich.</p> + +<p>Es mußte wohl der Gedanke an die Hoffnungen seines +eigenen Lebens sein, der ihm plötzlich die Stirn umwölkte. +Er ließ sie los. Seine Augen fragten sie etwas, es mußte +eine Frage sein, deren Bedeutung oft zwischen ihnen gebrannt +hatte, denn sie verstand ihn und rief schmerzvoll:</p> + +<p>»Ich weiß es nicht, ich weiß nicht, wie es werden soll! +Ich kann meinen armen Leib von dir fortschleppen, aber +ich kann meine Seele nicht von deiner reißen.« Und darauf +legte sie ihm plötzlich die Hände auf die Schultern, sah ihn +heiß und mit ihrem ganzen Blut und Wesen an und fragte +mit einem schrecklichen und süßen Lächeln: »Nicht wahr, +ich töte dich, nicht wahr? Sag', wodurch töte ich dich, sag' +es mir doch …«</p> + +<p>Und so sagte sie es ihm, indem sie ihn so fragte.</p> + +<p>Nach einer Weile wurde die Türklinke niedergedrückt +und, da die Tür verschlossen war, wurde es eine kleine +Weile still. In diesem kurzen Augenblick sah Anje ihren<a class="pagenum" name="Page_24" title="24"></a> +Geliebten an, es war ihr Abschied von ihm. Er fühlte es, +ohne es zu wissen. Dann erschütterte ein furchtbares Krachen +die abendliche Stille des Hauses, und Anje fing ganz heimlich +und kindlich zu lachen an.</p> + +<p>Erst als Gerom im Zimmer stand, erhob sich der +Fremde langsam.</p> + +<p>»Ich hätte Ihnen auch geöffnet«, sagte er gelassen, +aber so kalt, daß die Herausforderung in seinen Worten +deutlich seine tiefe Anteilnahme verriet, die er nicht verbergen +wollte. Gerom stand dicht an der Tür, als ob er +den Ausgang decken wollte, und der starke Mann zitterte, +wie ein Baum, dessen Wurzeln von eisernen Äxten zerschnitten +werden. Jetzt, da der Fremde sprach, wandte er sich +ihm zu und von Angelika ab, die ruhig, mit herabhängenden +Armen, dastand. Sie war ihm unaussprechlich hilflos erschienen, +er empfand die große Stille ihrer Seele nicht, deren +Armut und Gerechtigkeit sich irdisch nicht mehr erweisen +wollte noch konnte. Als ihr Geliebter sich erhob und vor Gerom +stand, zitterte sie vor Freude in dem Bewußtsein, daß die +Kraft seines Wesens bis an die Pforten eines ewigen Reichs +triumphieren würde. Und nun mochte kommen was wollte.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_25" title="25"></a>Gerom sprach nicht. In Angelikas Herzen wuchs eine +Angst empor, die ihr alles zu verdunkeln drohte. Der +kleine niedrige Raum lag im Abendlicht, Gerom schien +nicht hineinzupassen, er sah wie ein Riese aus und erschien +ihr um so furchtbarer, als sie den Ausdruck seines Gesichts +nicht unterscheiden konnte.</p> + +<p>»Wenn Sie mit mir sprechen wollen …« sagte der +Fremde. Es erschien, als dächte er an ganz andere Dinge. +Angelika wußte, wer der Stärkere war.</p> + +<p>Da sagte Gerom mit dunkler Stimme zu ihr:</p> + +<p>»Steh auf! Geh heim! Geh gleich <ins title="heim">heim!</ins>«</p> + +<p>Obgleich sie seine Stimme nicht erkannte, antwortete +sie ihm beinahe in gewohnter Weise:</p> + +<p>»So – –, so Gerom, kann ich doch nicht gehn.«</p> + +<p>Er stöhnte dumpf auf. Wenn es nur hell gewesen wäre. +Sie sah fragend zu ihrem Geliebten hinüber. Er nickte:</p> + +<p>»Ja, geh heim.« Und dann sagte er zu Gerom:</p> + +<p>»Wir wollen hinausgehn, wir können ja draußen +reden, wenn Sie wollen.« Er schritt ruhig voran, und +der andere folgte ihm wie ein breiter, bedrohlicher Schatten.</p> + +<p>Angelika langte in Geroms Hof an, als es längst Nacht<a class="pagenum" name="Page_26" title="26"></a> +war. Eine alte Magd war vor dem Kamin eingeschlafen, +in dem in diesen Spätsommernächten schon Holzscheite +glommen. Sie hockte als ein lebloses Kleiderbündel im +Winkel, die welke Wange unter dem grauen Haar, an +einen Holzpfosten des Geländers gelehnt und notdürftig +auf ihren Arm gestützt.</p> + +<p>Angelika stand vor ihr und sah die kleinen lebhaften +Flämmchen an, die über die verglimmenden Scheite huschten. +Sie sprangen unversehens auf und erloschen wieder, +waren von bläulicher Färbung und von einer kränklichen +Hast. Ihr Widerschein spiegelte sich in den Kacheln und +gab dem Raum sein dürftiges, unruhiges Licht. Die +sinkende Mondsichel stand draußen über den Moorgründen +der Haide, über der Einöde mit ihrem verschwiegenen +Gurdelbach. Man sah sein fahles Licht durch die bewegungslosen +Vorhänge der Fenster scheinen, an denen +die traurige Nacht vorüberzog. So war das Licht im +Zimmer unbestimmbar und voller Ungewißheit, die stummen +Gegenstände wirkten bedeutungsvoll und lebendig.</p> + +<p>Die junge Frau erkannte den Rahmen des Bildes, das +Geroms Vater darstellte; sie glaubte die heimliche Qual<a class="pagenum" name="Page_27" title="27"></a> +der Augen zu erkennen, diesen düsteren und trotzigen Drang +nach dem Licht der Erkenntnis, der auch Geroms Blicke +bezeichnete. Die Standuhr tickte nicht, es mußte vergessen +worden sein, sie aufzuziehen.</p> + +<p>Der Mond draußen verlor langsam seinen Schein, der +Morgen kündigte sich an, das Feuer im Kamin war nun +völlig erloschen, und die Alte war auf den Teppich niedergesunken, +auf dem sie ruhig schlief. Man hörte ihre Atemzüge +nicht, und draußen und drinnen war es totenstill, da +die Geschöpfe der Nacht zur Ruhe gegangen waren und die +Vögel noch schliefen. Dann kam ein unhörbarer Wind auf, +der das herannahende Licht ankündigte. Die Stimmen der +Wasservögel aus dem Moor wurden laut, und die Blätter +bewegten sich neben dem Fenster. Es rieselte hoch oben in +der Spitze einer Pappel, als ob es regnete, und das Zimmer +wurde grau.</p> + +<p>Dies ist Angelikas Lebensnacht und ihr Daseinsmorgen +gewesen, der ihr den Geschmack des Abschieds von +irdischem Sein und Gut in die Seele trug, sie verharrte +in tiefem Schweigen, dachte keine Gedanken und empfand +keine Gefühle. Sie empfand nur ihr armes, abgekehrtes<a class="pagenum" name="Page_28" title="28"></a> +Menschenwesen und den gewaltigen Gang des lebendigen +Lebens, das an ihr dahinzog wie lautloser Wind an +einem Stein.</p> + +<p>Dann kamen Schritte heran, sie klangen erst gedämpft +und fern und dann immer eindringlicher in der blauen Luft +der Dämmerung draußen; nun tönten sie schwer unter +ihren Fenstern, und ein gebeugter Schatten schleppte sich +vorüber, glitt auch über sie hin und wurde ihr zur großen +dunklen Gestalt, als nun die Tür sich öffnete. Sie wußte +noch, daß ein Hund draußen vor seiner Hütte sich erhoben +haben mußte, denn sie entsann sich deutlich beim Beginn +des Kommenden des Klirrens einer Kette.</p> + +<p>Es war Gerom. Eigentlich wußte sie alles, schon ehe +sie ihn recht sah, denn seine Tat begleitete ihn wie eine +drückende Finsternis. Er sprach nicht, er ging schwer und +scheinbar sehr ermattet auf und nieder, wobei er schaukelte +und bald den Kopf hängen ließ, bald nickte, oder die Arme +schwenkte, aber nicht im Takt seiner Schritte.</p> + +<p>Endlich blieb er dicht vor Angelika stehn, so dicht, daß +sie zurückgetreten wäre, wenn sie es gekonnt hätte. Da nun +das blasse Morgenlicht in sein Gesicht fiel, sah sie, wie<a class="pagenum" name="Page_29" title="29"></a> +entstellt es war, und empfand nichts mehr als eine +furchtbare Angst.</p> + +<p>»Gerom!,« schrie sie auf und sank nieder, »erbarme +dich, tu mir kein Leid, um des Heilands willen, Gerom, +tu mir kein Leid!«</p> + +<p>Und während sie schrie und flehte, und während ihre +Hände krampfhaft am groben Tuch seines Rocks tasteten +und griffen, war ihr, als verhöhnte irgend etwas im Grund +ihrer Seele sie selbst und ihr armseliges Tun. Dabei kam +ihr deutlich zum Bewußtsein, wie naß sein Gewand war.</p> + +<p>Es schien, als ob Geroms Gedanken erst durch ihren +Jammer zu dem geführt wurden, was sie befürchtete. Ich +werde sie schlagen, dachte er, ich werde sie so schlagen, als +wollte ich mit der Faust bis ans Herz dringen.</p> + +<p>»O, höre mich an, sieh mich an, Gerom, ich habe nicht +gewußt, was ich getan hab'.«</p> + +<p>Gott weiß es, warum sie es getan hat, dachte er. Sie +ist ein Weib, Gott weiß es …</p> + +<p>Und dann atmete er tief auf und sagte mit schweren +Lippen: »Draußen …«, stockte wieder und faltete dann +seine großen Hände.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_30" title="30"></a>»Was willst du tun,« schrie die junge Frau mit lautem +Weinen auf, »was soll ich tun?!«</p> + +<p>»Du,« sagte er rasch, »du – bist ja ein Kind … geh +hinaus, glätte sein Haar, wasch ihm das Blut aus seinen +Augen und leg seine Hände zusammen …«</p> + +<p>Nun war es, als habe er jenen Faustschlag, der bis an +ihr Herz dringen sollte, mit seiner ganzen Kraft geführt, +Angelika sank ohne ein Wort zu Boden und blieb still +liegen. Eine ihrer kleinen weißen Hände lag gekrümmt +mit dem Rücken nach unten an seinem Stiefel.</p> + +<p>Gerom sah auf sie nieder und hob sie nach einer Weile +behutsam und vorsichtig auf. Er ging so zart dabei zu +Werke, als stünde ihm die ganze Fülle seiner Liebe zu +Gebote, und sein Gesicht war voller Rührung. Als er +sie hinaustrug, sagte er zu ihr, als verstünde sie ihn: »Ja, +er ist tot. Er hat mich, grade so wie du, um sein Leben +angefleht. – Ich werde dir kein Leid antun, du Kleine. +Ach Ihr … könnt nicht leben und könnt nicht sterben.«</p> + +<hr /> +<h2><a name="Zweites_Kapitel" id="Zweites_Kapitel">Zweites Kapitel</a><a class="pagenum" name="Page_31" title="31"></a> </h2> + +<p>Ungefähr sechs Jahre nach diesen Ereignissen wurde +Vinzenz Gerom aus seiner Kerkerhaft entlassen. Angelika +war gestorben, irgendwo in einer jener kleinen Provinzstädte, +wie sie in solcher Verlassenheit und Stille nur +Dänemark aufzuweisen hat. Sie hatte ein Mädchen +geboren, das auf den Namen Angelika Gerom getauft +worden war.</p> + +<p>Vinzenz Gerom kam eines Tages, es war an einem +Sonntag und die Glocken läuteten, zu Fuß nach Gorching +zurück. Er würde wohl von niemandem erkannt worden +sein, wenn man ihn nicht auf seinem Hof erblickt hätte. +Sein Haar war ergraut, und er trug einen langen blauen +Mantel, der seine Gestalt, die gebeugt einherschritt, seltsam +entstellte und ihm den Anschein eines weltabgekehrten +Sonderlings verlieh. Nur sein Schritt hatte an Festigkeit<a class="pagenum" name="Page_32" title="32"></a> +nicht verloren, und seine Augen, in ihrer versonnenen +Glut, waren ungebrochen und ungetrübt.</p> + +<p>Er bekümmerte sich wenig um die Wirtschaftsberichte, +die ihm von seinen Verwandten vorgelegt wurden; der +Hof war schlecht bestellt worden, soviel war gewiß. Er +hatte Angelikas Tod im dritten Jahre seiner Einkerkerung +erfahren, aber keine Erlaubnis erhalten, die Tote noch +einmal zu sehn. Nun gab man ihm auf dem Amt in +Gorching einen Brief von seiner verstorbenen Frau, den er +stumm nahm und lange nicht aufbrach. Es schien, als +gewänne sein Wunsch Gewalt in ihm, diese Zeilen zu +vernichten, ohne daß er seinem Herzen die letzten irdischen +Grüße der Frau vergönnte, die er geliebt und getötet hatte. +Der Gedanke an sein Kind, von dessen Dasein er wußte, +veranlaßte ihn endlich, das Schreiben zu lesen.</p> + +<p>Es mußte in den letzten Lebensstunden der jungen Frau +verfaßt worden sein, denn die Schriftzüge waren unsicher, +und sie hatte keinen Wert auf Sorgfalt gelegt. Sie hatte +einen beliebigen kleinen Zettel für diese Worte genommen; +einen Augenblick überkam Gerom eine Regung von Erbarmen, +und zugleich wurde ihm schmerzlich klar, daß<a class="pagenum" name="Page_33" title="33"></a> +dies der erste und zugleich der letzte Brief war, den er von +seinem Weibe erhalten hatte. Der Brief enthielt folgende +Worte:</p> + +<p class="anrede">An Vinzenz Gerom.</p> + +<blockquote> + <p>Ich muß sterben. Ich kann nicht mehr darüber +sprechen, was du mir in meinem Leben gewesen bist, +vielleicht würde ich auch nicht das Richtige sagen können, +es sollen meine Hoffnungen und meine ungewisse +Angst mit mir in der Nacht vergehen, die über mich +hereinbricht. Ich danke dir für die Lebensbarmherzigkeit, +die ich für kurze Zeit in deiner geduldigen Liebe +gefunden habe, ich danke dir für Anje, mein Kind, oh +ich möchte dir danken ohne Ende. Ich will, daß du +sie nach meinem Tode und nach deiner Gefangenschaft +zu dir nimmst, höre mich an, ich will es. Ich fürchte +nicht um sie, und weder dein Zorn noch deine Bitterkeit +schrecken mich ab, mein Kind in deine Hände zu +befehlen, denn ich weiß, daß du einmal in deinem Leben +Verlangen nach einem Menschen tragen wirst, dem +du verzeihen kannst, was die Menschen dir zugefügt +haben.</p> +</blockquote> + +<p class="relright">Angelika.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_34" title="34"></a> +Nachdem der verlassene Mann diese Worte gelesen +hatte, sank ihm das Haupt auf die Brust, und der Zettel +fiel ihm aus der herabhängenden Hand, ihm ward langsam +in aufdämmernden Gewißheiten mehr und mehr zu +Sinn, als sei Angelika niemals sein Eigentum gewesen. +Seine von Bitternis gehüteten Träume hatten sich in der +Hoffnung gewiegt, daß jener verhängnisvolle Vorfall, der +ihn um sein irdisches Glück gebracht hatte, eine Irrung +des Herzens dieser seltsamen Frau gewesen war. Er hatte +sich wieder und wieder klar gemacht, daß im Grunde ihre +Liebe ihm gehören müsse, denn er konnte nicht glauben, +daß die zärtlichen Gebärden einer so stürmischen Hingabe, +wie sie Angelika in seinen Armen geschehn war, der Erinnerung +und der Trauer um Vergangenes angehören +sollten. Aber nun fühlte er, daß aus diesen Zeilen weder +Liebe noch Leidenschaft sprachen, denn beide fassen ihr +Wesen nicht in solche Worte des Danks, hinter denen +sich das eigne Leid verbirgt; und wie konnte eine Mutter +ihrem Manne für ein Kind danken, da es doch sein Kind +war? So schloß sie ihn mit diesen Abschiedsworten zuletzt +noch aus jener Gemeinschaft aus, die ihn allein hätte<a class="pagenum" name="Page_35" title="35"></a> +versöhnen können, und sie verwandelte sein Zugehörigkeitsgefühl +der Bitterkeit in das Entsetzen der Verlassenheit.</p> + +<p>Ich bin in Wahrheit ein Mörder, dachte er. Bisher +habe ich geglaubt, ein gewalttätiger Hüter meines Rechts +gewesen zu sein, aber nun hat diese Tote mir durch ihr +Vermächtnis den Frieden meines Daseins zertrümmert. +Was soll ich ihrem Kinde verzeihn? Nur den Unedlen +ist es eine Genugtuung, vergeben zu können.</p> + +<p>So beschloß Gerom, den Wunsch der Toten nicht zu +erfüllen, und sein Kind in der Fremde heranwachsen zu +lassen; aber seine Liebe war stärker als sein Entschluß. Er +empfand in der Qual seines Zwiespalts dunkel, daß irgendwo +eine Gerechtigkeit in jener Vergebung leuchten müsse, +die Angelika gemeint hatte, der einfältige Ausgleich zum +Bestand, der in den großen Absichten der Natur verborgen +ist. Als er endlich den Brief verfaßte, der sein +Kind zu ihm rufen sollte, zitterten seine Hände und seine +Lippen, und die neue Demütigung, die seine Liebe ihm auferlegte, +überwältigte ihn zu Tränen, die über sein unbewegliches +Gesicht in den ergrauten Bart tropften.</p> + +<hr /> + +<p><a class="pagenum" name="Page_36" title="36"></a>Als die kleine Anje anlangte, nahm Gerom sie zwischen +seine großen Hände und hielt sie von sich ab, um sie zu +betrachten. Er war nicht froh und nicht traurig, sein Gemüt +schien kaum bewegt. Vergrämt forschte er in dem +blassen Kindergesicht und strich endlich zögernd über das +helle Haar. Da legte das von der weiten Reise ermüdete +und geängstigte Kind hilfesuchend seinen Arm um den +rauhen Hals des Vaters und schmiegte die Wange an +seine Schulter. –</p> + +<p>Gerom verkaufte seinen Hof und sein Land und erwarb +an Stelle seines reichen und erträglichen Besitzes einen +großen Landstrich der Einöde, den die Gemeinde ihm ohne +Bedenken abtrat. Dort ließ er in den dichten Niederungen +des Sumpflands auf einer Hebung des Lands, die der +Wald getrocknet hatte, ein grobes Blockhaus errichten, +versah sich mit allem, was ein Einsiedlerleben möglich machte, +nahm eines Tages sein Kind an die Hand und schritt langsam +und feierlich durch das Frühlingsland seiner neuen +Heimat entgegen. Nur Hirte begleitete die beiden, das war +ein großer, häßlicher Hund mit gelbem Zottelhaar und einer +schwarzen Schnauze, zu dessen Pflege niemals etwas unternommen<a class="pagenum" name="Page_37" title="37"></a> +worden war. Sein Kopf hatte eine überraschende +Ähnlichkeit mit dem eines Affen, und seine hellbraunen +Augen, die einen warmen Goldglanz ausstrahlten, lagen +tief unter den Stirnfalten und waren das Gutmütigste +der Welt.</p> + +<p>Wie Anje in der Einöde heranwuchs, wußte sich niemand +recht zu erklären, hätte die alte Onne, die am +Waldrand des Moors lebte, sich nicht zuweilen des Kindes +angenommen, so wäre die kleine Menschenblüte vielleicht +in der rauhen Traurigkeit verkümmert, in die Gerom sein +düsteres Dasein hüllte. Er mied die Menschen in einem +Haß, den Jahr um Jahr seine Einsamkeit in ihm befestigte, +man ließ ihn in Furcht und Mitleid gewähren +und vergaß ihn langsam. Als einmal um des Kindes +willen zu ihm gesandt wurde, kam der alte Lehrer am +Abend, vor Schrecken zitternd, aus dem Moor zurück, +es seien dort draußen Wunder geschehen, das Land blühte, +aber Gerom sei ein Tier geworden. Anje habe er nicht +zu Gesicht bekommen, aber der Alte habe gedroht, Gorching +in Brand zu stecken, wenn man ihm sein Kind +nähme.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_38" title="38"></a>Die alte Onne wohnte am Moorrand in einer Torfhütte. +In vergangenen Zeiten hatte sie den Fuhrleuten, +die von der Dachenau hinüber ins Gorchinger Land wollten, +das Mittagessen bereitet. Sie bewahrte Speisevorräte +und Getränke in ihrem Keller, es gab Unterkunft bei +ihr, wenn es sein mußte, und jedenfalls immer Rast. Ihr +kleines Haus lag zwei Stunden von Gorching entfernt +am Rand der Einöde und war so von Weiden, Birken +und Kiefern verborgen im Dickicht, daß es im Sommer +niemand fand, der nicht darum wußte, nur der blaue +Rauch, der vom Holzdach aufstieg, verriet es zuweilen.</p> + +<p>Wie alt Onne war, wußte niemand, sie hatte längst +die Jahre erreicht, nach denen man nicht mehr fragt. In +solch hohem Alter tritt bisweilen ein Zustand ein, der vom +Tod nicht mehr erreichbar erscheint, es gibt Menschen, +die der Tod vergißt. Die Urenkel sehen solch ein Väterchen +oder Mütterlein laufen und wissen, daß schon ihre Eltern +sie nicht anders gekannt haben. Sie können nicht sterben, +gut, so leben sie denn, und bisweilen mit unverständlicher +Geistesfrische und wie in einer neuen Jugend der +Seele.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_39" title="39"></a>Wenn man Onne auf einem Moorpfad begegnete, +ohne sie zu kennen, konnte man lange darüber in Zweifel +sein, was man vor sich hatte, etwas Unförmiges in +grauer und brauner Tönung, in Farben, die sich der Umgebung +angepaßt hatten, nahte sich in holperigen Sprüngen, +übereifrig und doch langsam. Endlich erkannte man mühsam +einen weißen Scheitel, unter dem eine lange braune +Nase herabhing, die Schultern und die Krümmung des +Rückens überragten ihn, und die Knie der Schreitenden +schienen ihn bald rechts, bald links beinahe zu berühren.</p> + +<p>Die Alte ging einmal in der Woche nach Gorching, +wo sie Waldbeeren oder Pilze verkaufte, Holz oder Torf. +Sie bediente sich eines kleinen Wagens, der ursprünglich +ein Kinderwagen gewesen sein mochte, und dessen vier Räder +alle von verschiedener Größe waren, es schien so, als +habe sich der Wagen im Lauf der Jahre den Bewegungen +seiner Besitzerin angepaßt.</p> + +<p>Die Landleute nannten Onne »die Sackziege«. Wenn +im Abendrot gegen den Horizont die merkwürdig ruhlos +bewegte Masse der Alten und ihres Wagens sich aus dem +Dorf bewegte, um langsam im Dunst der feuchten Niederungen<a class="pagenum" name="Page_40" title="40"></a> +zu entschwinden, so wußte man, daß es ein Freitag +gewesen war.</p> + +<p>Onne war es übrigens, die Gerom mit allem versah, +dessen er an Lebensmitteln aus Gorching bedurfte, und so +kam es, daß sie Anje kennen lernte. Die alte Frau war +keineswegs lächerlich oder einfältig, wie diejenigen sie schelten +mochten, die sie nur vom Schauen her kannten oder +nach den Lästerungen ihrer Gegner. Denn Onne hatte in +der Tat Freunde und Feinde, deren Regungen für und +gegen sie, sich bis zur Liebe oder bis zum Haß gesteigert +hatten; danach ist die Bedeutsamkeit eines Menschen +sicherer einzuschätzen, als nach kleinen Einzelzügen oder aus +guten oder schlechten Eigenschaften. So gehörte sie auch +durchaus nicht zu jener Sorte alter Waldweiblein, die sich +durch Hexensprüche oder Wahrsagen beim Gesindel der +Menschen in Respekt halten, sondern wenn einmal ein +Mensch zu ihr kam, um ihre Hilfe zu erbitten, so war es +eher dann, wenn er sein Schicksal verwinden, als wenn er +es erfahren wollte. So war die Scheu, die man vor ihr +empfand, und die Achtung, die sie bei manchen auslöste, +nicht eine Folge der Urteilslosigkeit ihrer Umgebung, sondern<a class="pagenum" name="Page_41" title="41"></a> +sie kamen, wie alle wahrhaft geheimnisvollen Einwirkungen, +aus dem Wert ihres Herzens.</p> + +<p>Obgleich man sie selten mit einem andern Menschen +zusammen sah, als mit Gerom, und obgleich sie schweigsam +und spöttisch war, ging ihr Einfluß weit, und es +galt als ein Zeichen besonderer Bekräftigung, wenn einer +Meinung hinzugefügt wurde: Onne hat es gesagt. So +hieß es, der letzte Pfarrer von Gorching habe ihretwegen +sein Amt niederlegen müssen, niemand wußte recht, weshalb +eigentlich, aber jeder glaubte es. Er war ein junger +lebensfroher Mann gewesen, der diesen Schicksalsschlag +nicht allzu hart genommen und der Einsamkeit des Landes +ohne Schmerz entsagt hatte. Es war ihm ein böser +Zufall mit einer Bauerntochter geschehn, der ihm nicht +verziehen wurde, obgleich sein Weib fast immer krank +war. Aber manche wunderten sich sehr, als er am Tage +seiner Abreise mit bittersüßem Lächeln dem Ortsvorsteher +zum Abschied sagte: »Unter Euch Gerechten gibt es nur +drei Weltbürger, die hausen im Moor.« Da der Ortsvorsteher +zwar ein reicher Bauer war, aber sonst alle Eigenschaften +hatte, die die Obrigkeit der Dörfer zuweilen auszeichnet,<a class="pagenum" name="Page_42" title="42"></a> +so dachte er für die Zukunft nicht sonderlich +achtungsvoll über solche Leute, wie etwa der Pfarrer sie +unter »Weltbürgern« verstanden haben mochte.</p> + +<p>Onne sagte zu Gerom: »Der Pfarrer hätte bleiben +sollen, er war ein guter Mensch, aber wie soll man +einen Fuchs festhalten, wenn er mit dem Schwanz voranläuft?«</p> + +<p>Es war übrigens ungemein schwer, Onne zu verstehen, +man brauchte sehr lange dazu, bis man es gelernt hatte, +und da dann noch die Schwierigkeit hinzukam, das Verstandene +auch begreifen zu müssen, so gehörten nur sehr +wenige in Gorching oder im Dachenauischen zu diesen +Erwählten. Sie sprudelte ihre Worte zunächst heraus, +schien sie dann wieder einzufangen und begann eine Weile +mit ihren Kiefern darauf zu kauen, dann zischte sie sie +durch eine große Zahnlücke nach links, dort mußte man +aufpassen, denn nun waren sie am verständlichsten.</p> + +<p>Niemand hatte es besser gelernt, als Anje, das Kind. +Onne hatte ihr wunderbarerweise vom ersten Augenblick +an Vertrauen eingeflößt, und die Zuneigung war im +Laufe der Jahre zu einer großen Liebe geworden. Onne<a class="pagenum" name="Page_43" title="43"></a> +verstand das einsame und scheinbar verwilderte Kind, dem +niemand Liebe erwies, denn Gerom verbarg sein Herz +bis zur Schwermut. Onne wußte, daß Menschen von +selbständigen Kräften der Empfindung sich in ihrer Jugend +nicht durch Beständigkeit oder Gleichmaß der Herzensregungen +auszeichnen. Sie verstand Anjes Wildheit und +die an Trauer grenzende Weichheit, mit der sie abwechselte, +und liebte an dem kleinen Mädchen den hilflosen Unbestand +der Empfänglichen.</p> + +<p>Sie hatte zuweilen den Versuch gemacht, Anje mit +unter Menschen zu nehmen, aber Gerom wollte es nicht, +und als sie das Kind einmal heimlich zu überreden trachtete, +stieß sie auf Widerstand. Da ergab sich die kluge +alte Frau und überließ Anje dem Walten der großen +Wälder, dem beständigen Wechsel der Jahreszeiten, dem +geduldigen Land und den himmlischen Botschaften des +Windes.</p> + +<hr /> +<h2><a class="pagenum" name="Page_44" title="44"></a><a name="Drittes_Kapitel" id="Drittes_Kapitel">Drittes Kapitel</a></h2> + +<p>Wenn Hirte, der große gelbe Hund, durch die veränderten +Lebensbedingungen auch gezwungen war, einen +guten Teil seiner Erfahrungen als überflüssig zu betrachten, +so gab er deshalb seinen Eifer nicht auf, den Ansprüchen +gerecht zu werden, die man an ihn stellte. Er +hatte bald herausgebracht, daß es im Grunde Anje war, +die seiner bedurfte, und da dieser Hinweis auf seine Verpflichtungen +mit seiner Neigung zusammenfiel, ergab er +sich Anje mit der ganzen Ausschließlichkeit seines Wesens. +Er schlief an ihrem Lager, wo immer das Kind sich zur +Ruhe niederlegte, erwachte mit jedem Seufzer, der der +kleinen von Träumen bedrängten Brust entwich, und +horchte auf das Ticken des Regens, oder das Rascheln +der nächtlichen Tiere im Laub. Schon ein Nachtfalter, +der sich am Glas der Scheiben stieß, weckte ihn auf.<a class="pagenum" name="Page_45" title="45"></a> +Wenn Anje sich im Schlaf bewegte oder sich auf die +andere Seite bettete, benutzte er die Gelegenheit, sich selbst +ein wenig zu regen oder zu gähnen, was bisweilen notwendig +war, aber er würde es nicht gewagt haben, wenn +seine kleine Herrin ruhig schlief.</p> + +<p>Des Morgens begegneten Anjes erwachende Augen +dem braunen Goldglanz der seinen, er saß in respektvoller +Entfernung auf dem Boden, hatte sein Maul etwas geöffnet, +und seine Brauen bewegten sich erwartungsvoll und +freundlich. Überhaupt war Hirtes Heiterkeit von großer +Beständigkeit, immer lag sein Frohsinn im glücklichen Streit +mit der Schwermut seiner tierhaften Befangenheit.</p> + +<p>Die kleine Anje nahm, wie alles, was ihr begegnete, +so auch Hirtes ergebene Liebe wie ein selbstverständliches +Gut entgegen. Die Sonne über dem Bach und über den +vielerlei Pflanzen des Waldes und des Moors, die Lieder +der Vögel und der Schimmer des Mondes hinter dem +Laubdach der Bäume, waren so schlicht und wahr ihr +Eigentum, wie das Leben ihrer kleinen braunen Hände +und das göttliche Geschick ihrer Augen. Sie nahm die +Güter der Erde an, wie nur Kinder sie nehmen können,<a class="pagenum" name="Page_46" title="46"></a> +und ihr irdischer und himmlischer Gott, der Herr über alles, +was sie umgab, war ihr Vater. Sie kannte keinen Zweifel +an seiner Macht und an seiner Güte und liebte ihn in der +schrankenlosen Hingabe, wie sie entstehn kann, wenn ein +junges Gemüt Stunde für Stunde eine Liebe empfindet, +in deren herbe Verschlossenheit kein Schrecknis des Alltags +fällt, die unberührbar und unerwiesen bleibt, die keine Beweise +zu liefern scheint, als einzig den verschwiegenen Gram +ihrer irdischen Gebundenheit, in einem heiligen Abstand.</p> + +<p>Denn Geroms Herz war wahrhaft gebrochen, und er +hatte die Kraft zur Hingabe für seine Erdenzeit verloren. +So entströmte ihm scheinbar die Fülle seiner Liebeskraft +in heimatloser Allmacht, denn so wenig er in der Lage +war, ein zweites Mal zu vertraun, so wenig konnte er +seine Kraft zu jener Gemeinschaft verleugnen, die die Liebe +in die Welt bringt.</p> + +<p>Es war wunderbar genug, daß Anje ihn nicht fürchtete, +denn sein Gesicht verfinstere sich um so mehr, je mehr sie ihm +ihre Liebe zeigte oder darbot. Aber der Eifer der kleinen Anje +ermüdete darüber nicht, ihre Zärtlichkeit wuchs, und ihr kindliches +Tun nahm überhand an demütiger Weisheit der Liebe.<a class="pagenum" name="Page_47" title="47"></a> +Einmal legte er Anje seine Hand aufs Haar, in einer +Müdigkeit ohne Gedanken, aber er erschrak darüber, wie +furchtbar die Wirkung war. Das kleine Mädchen erschauerte +und sank mit Zittern an seinen Knien nieder, +die blasse Wange gegen seinen groben Stiefel gepreßt, +wagte nicht sich zu rühren und sagte kein Wort. Es war, +als verginge sie in einer Ohnmacht, ihr Glück ertragen zu +können. Gerom erbebte und brüllte fast:</p> + +<p>»Steh auf! Was ist geschehen?! Steh auf!«</p> + +<p>Sie erhob sich und lächelte, ihre Lippen waren beinahe +weiß. Sie verstand den Zorn ihres Vaters und begriff, +daß es erschüttern mußte, so viel gegeben zu haben, wie er +es getan hatte. Gerom ging mit großen Schritten hinaus.</p> + +<p>Er würde wohl auf seine finstre und überlegene Art gelächelt +haben, wenn Onne ihm erzählt hätte, Anje sei das +eigenwilligste und trotzigste Kind, daß sich denken ließe. +Aber die Alte hütete sich wohl, auch wollte Gerom von +niemandem etwas über sein Kind hören. Sie begriff das +Verlangen nach Liebe, das in dem kleinen Herzen Anjes +brannte, und schirmte es heimlich auf ihre Art.</p> + +<p>Einmal hatte Anje die Nacht in Onnes Hütte zugebracht,<a class="pagenum" name="Page_48" title="48"></a> +wie es oft geschah, aber diesmal mußte Gerom es ein +erstes Mal gewahr geworden sein. Da Onne es mit dem +Schlafen wie ihre Hühner hielt, sich mit der Sonne +niederlegte und sich im ersten Morgengrauen erhob, so +ließ sie das Kind noch ruhen, als das Licht sie aufweckte. +Da sah sie nach etwa einer Stunde beim Beerensuchen +Gerom durch den Wald kommen, er brach im Lauf +durch das Unterholz in der Richtung auf ihre Hütte zu, +wie ein Bär stürmte er dahin, er schnitt die Wege ab +und achtete nicht darauf, daß das Buschwerk sein graues +Haar verwüstete, und seine Blicke waren vor Angst erstarrt. +Als er Onne entdeckte, hielt er plötzlich inne, ging +langsam, strich über seine Schläfen, und die Alte sah ihn +in seinen Bart lächeln, als er bei ihr war, wie sie ihn nie +hatte lächeln sehn.</p> + +<p>»Was ist geschehn?«, fragte sie. Die rote Morgensonne +schien durch die betauten Büsche in den Wald, und +es tropfte von den Blättern.</p> + +<p>»Was soll geschehn sein?«, fragte Gerom düster und +schaute auf das dichte Moos des Waldbodens, er atmete +schwer, aber er stellte die Frage nicht, die sein Gemüt<a class="pagenum" name="Page_49" title="49"></a> +zerdrückte. Onnes welkes, altes Herz wärmte sich in +der Glut dieser Liebe, denn obgleich sie längst begriffen +hatte, was Gerom in den Wald trieb, sagte sie ihm noch +nicht, wo sein Kind war. Als er es erfuhr, brummte er +wie nebenhin: »<ins title="Anje ..">Anje …</ins> mag sie schlafen, wo sie will.« +Aber von dieser Stunde an war Onne niemals wieder in +Besorgnis, die Liebe des kleinen Mädchens zu ihrem Vater +möchte sich jemals in Bitterkeit verkehren.</p> + +<p>Aber so sicherlich für gewöhnlich die Neigung eines +jungen Gemüts in Zärtlichkeit aufblüht, so eigenartig war +es, daß Anjes Verlangen danach sich nicht auf Hirte +übertrug. Eigentlich hatte Hirte es beinahe schlecht bei +ihr, wenn er auch unter keiner Bosheit oder Willkür zu +leiden hatte, aber sein deutlich zur Schau getragenes +Begehr nach sinnfälligen Beweisen von Gunst fand keine +Beachtung. Anje streichelte ihn sehr selten, und nur dann, +wenn er sich irgendwie verdient gemacht hatte, oder wenn +sie an alles andere und nur nicht an ihn dachte. Das +mußte ertragen werden, aber daß er schwer daran trug, +sah man seinen Augen an, wenn sie sich von untenher zu +Anje emporrichteten, den Wulst der Brauen ein wenig<a class="pagenum" name="Page_50" title="50"></a> +mithoben und sich in ihrer schweigsamen Sprache um den +Willen der gebannten Seele mühten. Nur wenn sie +miteinander einen schmalen Waldpfad beschritten, rieb er +zuweilen seinen Kopf an Anjes braunem Knie, das wurde +aber in der Hauptsache nur deshalb geduldet, weil es verständlich +war, daß gern beide den Pfad benutzen, und weil Hirte +nicht voranlaufen sollte und nicht hinterhertrotten mochte.</p> + +<p>Eine Aufgabe, die Hirte sehr wichtig einschätzte und +der er mit großer Gewissenhaftigkeit oblag, war das Bewachen +der Kleider beim Baden im Gurdelbach. In +solchen Augenblicken erschien ihm der Sinn seines Daseins +erfüllt, er wurde vor Ernst beinahe traurig und fast hochmütig +vor Stolz. Um Hirtes Wesensart ganz würdigen +zu können, mußte man ihn an diesem Posten gesehen haben, +dessen Bedeutung ihm in keiner Weise dadurch geschmälert +wurde, daß Anjes ganze Kleidung aus einem +grauen Leinenkittel und einem Gürtel bestand und daß +niemals jemand den Wald betrat. Aber in solchen Augenblicken +war das Kittelchen in Hirtes Augen so gut wie +ein Purpurmantel, und hinter jedem Busch vermutete er +Landstreicher oder Straßenräuber.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_51" title="51"></a>Wenn alles still blieb, blinzelte er durch das Schilf +nach Anjes gelbem Haar und horchte auf das heitere +Plätschern des Wassers. Man mußte beim Lauschen den +Kopf schräg halten und wenn möglich für kurz die Blicke +in eine andere Richtung schicken, damit einem nichts entging. +Der Kittel war noch da.</p> + +<p>Dann, wenn Anje ihr Bad beendet hatte und im Gras +in der Sonne lag, durfte Hirte baden. Er ging ein wenig +abseits ins Wasser, weil dort die Frösche noch nicht aufgestört +waren, und man beobachten konnte, wie sie mit +einem langen Satz flüchteten. Dies tat Hirte wohl, weil +es seine Autorität erwies und ihn belustigte. Es erschien +ihm außerordentlich erstaunlich, daß man diese Tiere +immer erst dann erblickte, wenn es zu spät war, sie zu erwischen, +und daß man sie niemals im Wasser wiederfand. +Allerdings machte Hirte nur noch scheinbar den Versuch, +sie zu schnappen, es hatte seinen Grund darin, daß es ihm +vor Jahren einmal gelungen war.</p> + +<p>Dann kam die Stunde im Ufergrün, wo sie nebeneinander +in der Sonne trocknen mußten. Es war herrlich, +mit müden und glücklichen Blicken das Schilf im<a class="pagenum" name="Page_52" title="52"></a> +sanften Wind bewegt zu sehn und das Blinken der Sonne +vom Wasser her mit in seine Träume zu nehmen. Alles +verwandelte sich in ein warmes Glück, das in goldgrünem +Schimmer über die Erde zog. Der Himmel kam herab, +und der Boden wurde leicht, wie auch der Körper und +die Gedanken. Alle Gestalten verwandelten sich zu lichten +Dingen und kehrten frei in die Geheimnisse des Bluts ein, +dessen Pochen zu verstummen schien. Die Regungen der +Luft wurden vernehmlich, wie ein Brausen aus der Höhe, +die Stimmen der Insekten und das Flüstern der Blätter +ließen sich verstehn, und das Licht schien zu erklingen. –</p> + +<p>Je mehr Anje heranwuchs, um so weiter dehnte sie +langsam ihre Streifzüge in die Wildnis der Einöde aus. +Ein Weg scheint kleiner zu werden, je länger man ihn +kennt, und Anjes Mut wuchs mit ihrer Selbständigkeit +und ihrer Kraft, auch war Verlaß auf Hirte, der immer +dabei sein wollte, wenn eine Entdeckungsfahrt unternommen +wurde. Anje kannte nun die fahlen Birkenbestände +im Sumpfland, unter denen die Farne zwischen gestürzten +Stämmen im Modergrund wuchsen, sie kannte die +schwarzen Seen im Moorland, die in der leblosen Ebene<a class="pagenum" name="Page_53" title="53"></a> +lagen, und an deren toten Ufern nichts grünte als ein +scharfes Gras und im Hochsommer gelbe oder violette +Blumen, deren gedrängte Blüten an einem saftigen +Stengel saßen, und die vereinzelt, wie Wahrzeichen der Gefahr, +im Sumpfboden hockten. Gegen Osten zogen sich mit +Weiden bestandene Gründe hin, deren Ende niemand zu +kennen schien, und gegen Süden der schwarze Tannenwald, +dessen Bäume so dicht standen, daß kein Sonnenstrahl +bis auf den braunen Nadelteppich fand. Nur die Abendsonne +schien spät durch die hängenden Zweige hinein, zwischen +die Stämme am Boden und trug himmlische Wunder +voll dunkler Glut in seine Totenstille. –</p> + +<p>Einmal war Anje mit Hirte in diesem Wald so weit +vorgedrungen, daß sie an der Landstraße anlangte, die ihn +durchschnitt. Es war die alte Heerstraße, die von der +Dachenau hinüber ins Gorchinger Land führte. Ein +schmaler Graben trennte ihre Wagenspuren vom Tannenwald, +an dessen Rand sich im Schutz der tiefen Zweige +Anje und Hirte ein Versteck bereitet hatten, von dem aus +sie den Gang der Welt und den Verlauf des großen Lebens +beobachteten und Erfahrungen von Bedeutung sammelten.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_54" title="54"></a>Die Landstraße war vernachlässigt und wurde fast niemals +mehr benutzt, sie war bewachsen, und nur ihre zwei +Furchen von den Rädern der Wagen kennzeichneten ihre +fast vergessene Bestimmung. Es kamen sehr selten Gefährte +vorüber und nur hier und da ein Landmann oder +ein Wanderbursche, vielleicht der Flurschütze oder sein Gehilfe +oder ein Tagelöhner, der sein Kalb auf den Gorchinger +Markt trieb, aber diese Ereignisse waren für Anje von +großer Bedeutung. Mit Herzklopfen sah sie schon von +fern, im Dämmerlicht der Straßenbirken, ein bewegliches +Pünktchen nahn und in den Tannenwald kommen, und +ihr Herz schlug hart und langsam, wenn endlich ein Mensch +daherkam und vorüberzog. Sie verdankte ihrem geduldigen +Eifer eine wichtige Errungenschaft ihrer Kindertage, es +war die Kunst des Singens. Eines Morgens war ein +Wagen dahergekommen, den sie schon von weitem knarren +hörten, und sie hatten laufen müssen, Hirte und sie, um +rechtzeitig bei ihrem Versteck mit ihm zusammenzutreffen. +Es war ein schwerer Wagen, der von zwei gefleckten +Pferden gezogen wurde und mit grauem Tuch überspannt +war. Der Fuhrmann schritt nebenher, er hatte seine gelbe<a class="pagenum" name="Page_55" title="55"></a> +Peitsche geschultert und sang. Die kleine Anje sah mit +großen Augen durch die Tannennadeln und zitterte vor +Glück. Die mächtige Männerstimme scholl laut und +traurig durch den Morgen, es war Anje, als wäre alles +Vertraute umher plötzlich verändert, der Himmel, die +grünen Tannenwipfel darin, ihre eigenen Hände und Hirtes +freundlicher Blick. Sie wußte nicht, wie ihr geschah, und +gab sich hilflos den Segnungen der feierlichen Kraft hin, +die ihr Herz bestürmte. Sie versuchte zu verstehn, was +der fremde Mann sang, eine beklemmend traurige Erinnerung +an ihre frühste Kindheit stieg dunkel, mit lichten +Gestalten, aus ihrer Seele empor.</p> + +<p>»Hirte,« sagte sie, »hörst du?«</p> + +<p>Hirte veränderte die Stellung seiner Ohren und sah +Anje an.</p> + +<p>Sie schüttelte den Kopf und schob ihn fort, da er die +Befangenheit seiner Herrin zu benutzen suchte, um seine +schwarze Schnauze in ihre Hand zu bohren. Da verstand +er, daß Großes vor sich ging, und saß still und aufrecht.</p> + +<p>Der Gesang verhallte in der Ferne, und als der Morgen<a class="pagenum" name="Page_56" title="56"></a> +wieder still war und nur die Häher riefen und aus der +Birkenniederung der Kuckuck, versuchte Anje zu singen.</p> + +<p>Hirte sprang auf und geriet in Verlegenheit, aber er +mußte sich nun im Laufe der kommenden Zeit bemühn, +eine Stellung zu diesen seltsamen, langgezogenen Tönen zu +finden, die ohne Sinn der Worte und von bedeutungsvollen +Bewegungen der Hände begleitet, aus der Schattenwildnis +der Einöde zum Himmel emporklangen. Anje +sang mit tiefer Kinderstimme, wie das Wasser durch den +Moorgrund zog und wie die Pflanzen sich gegen das Licht +drängten, sie erlöste die Klage der Stummen um sich +her, lernte vom Wind und vom Regen und legte in die +wortlose Klage ihres Liedes den Sinn der geduldigen Natur +auf ihre Art. Sie bildete die Worte für ihre Lieder selbst, +und es klang aus der feuchten Kühle in den Sonnenschein +hinaus, ausklingend auf »öh« und »euh« in unbegreiflich +inbrünstiger Schwermut. Sie rief den Abend herbei +und begrüßte die dahinziehenden Wolken, sie beantwortete +die verschleierten Stimmen aus den Nebelgründen und +dankte dem Mond.</p> + +<p>Bald gab es in Gorching ein neues Wunder des<a class="pagenum" name="Page_57" title="57"></a> +Moors, das man abergläubisch mit den Geheimnissen +der schaffenden Natur verband, und das als das Wahrzeichen +für die Erfüllung von Hoffnungen oder für das +Eintreffen von Befürchtungen galt: »Das Anjekind singt +im Moor.«</p> + +<hr /> +<h2><a class="pagenum" name="Page_58" title="58"></a><a name="Viertes_Kapitel" id="Viertes_Kapitel">Viertes Kapitel</a></h2> + +<p>Anjes Leben war glücklich. Sie bewegte sich unter den +vielerlei Lebewesen der Moorebene und des Waldes wie +unter wohlwollenden Gefährten, sie kannte die Pflanzen +und wußte, wann ihre Knospen aufbrachen, ob sie des +Nachts ihre Kelche schlossen und welcherlei Insekten sie +besuchten. Sie fühlte den Regen kommen, bevor noch die +Kühle oder der Schatten ihn verrieten, und sah am Zug +der Wolken, ob der Wind wechseln und woher er kommen +würde. Die Tiere und die Wolkenbilder am Horizont +verrieten ihr die Ereignisse der Natur, von den Bienen +erfuhr sie die Stunde, in der ein Unwetter hereinbrechen +würde, und die Vögel warnten sie im Walddunkel, wenn +sie schlief. Sie wußte, ob der Laut, den ein Tier gab, +Freude, Schmerz oder Angst verriet, ob die Geschöpfe der +Fluren einander warnten oder lockten, ihre Gewohnheiten<a class="pagenum" name="Page_59" title="59"></a> +verkündeten ihr die Anzeichen der Tagesstunden, bis +spät in die Nacht hinein.</p> + +<p>Anje hörte an den Regungen der Kreaturen, wann die +Sonne unterging. Sie lag mit geschlossenen Augen am +Wasserrand des Moorsees, das Gesicht in den Händen +und die Hände im Gras. Sie wußte, daß die Sonne im +Westen schon tief stand, und lauschte. Dann fühlte sie die +unhörbaren Bewegungen, in denen das Wasser, Tiere, +Pflanzen und Wind wie mit leisem Aufseufzen sich der +Nacht ergaben, wenn der Rand des glühenden Sonnenballs +versank.</p> + +<p>Da ihre Sinne Gemeinschaft mit den Sinnen der +Lebendigen der Natur hatten, so wertete sie die Wohltaten +ihres freien Tags nach den Ansprüchen ihrer stummen +Lebensgefährten. Hirte hörte sie seltsame Dinge sagen, +und es wurde ihm mancherlei erklärt, von dem er, bei all +seiner Bescheidenheit, eine überlegene Meinung bewahrte. +Anje erzählte ihm vom klugen Licht, das alle Wege fand, +und vom Wasser, das niemand verändern könnte, die +Luft ängstigte sich vor den Wetterwolken und sprang in +den Wald, und der Himmel war bald nah, bald fern.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_60" title="60"></a>Anje hatte große Furcht vor allen Geräuschen, die nicht +dem selbsttätigen Leben der Geschöpfe entsprangen, die +Stille der Natur war das Element ihres Friedens, in ihr +atmete und ruhte ihre kleine Seele. Als sie einst zum +erstenmal hörte, wie ihr Vater einen Ast zersägte, weinte +sie mit dem schreienden Baum. Erst viel später begriff sie +die scheinbaren Grausamkeiten, die sich mit der Erhaltung +des Lebens verbinden. Sie hatte lange den Marder gehaßt, +der die Nester der Vögel zerstörte und ihre Brut +vertilgte, bis sie einst im Hochwald eine vom Sturm gefällte +Buche fand, in deren Stamm ein Marderpaar sein +Heim in einem verlassenen Eichhornbau errichtet hatte. +Dort beobachtete sie, wie der Marder seinen Jungen, die +vor Furcht und Hunger jämmerlich klagten, Nahrung +brachte, und sie sah, daß es ein nackter Vogel war, den +er ihnen zutrug. Da begriff Anje zum erstenmal, daß die +Natur des Mitleids und der Hilfe des Menschen nicht +bedurfte, was man ihr hinzuzufügen glaubte, nahm man +ihr gewiß an anderer Stelle. Anje empfand sich als zu +klein, um zu wissen, was zu tun notwendig war, dessen +war nur ihr Vater mächtig.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_61" title="61"></a>Aber sie herrschte im Wald und war ihrer Kräfte froh, +die mit ihrer Andacht wuchsen. Sie beobachtete die +Ranken der Schlinggewächse, wie sie sich geduldig drehten +und im Wachsen nach einem Halt tasteten. Darüber erkannte +sie, daß ihre eigenen Augen wohlgeschickter waren, +aber sie half den Pflanzen nicht, sondern ließ ihnen ihr +Wesen. Die Bäume, die großen und kleinen, blieben ihr +Leben lang an dem Ort stehen, der sie hervorgebracht hatte, +immer traf der Westwind die gleichen Blätter zuerst, und +immer dieselben Äste empfingen im Wipfel die Morgenglut. +Anje aber konnte schreiten, wohin sie wollte, sie +konnte den Schein der Sonne empfangen oder sich im +Schatten bergen. Im heimlichen Glück ihrer Kräfte +versank ihr Blick oft im Gedanken an die Geduld der +Bäume, die schön und erhaben waren und denen nichts +mangelte. Sie versuchte wohl eine Weile wie ein Baum +zu leben, stellte sich klein und feierlich zwischen die großen +Freunde und bildete mit ihnen den Wald. Aber sie vergaß +ihre ernsten Pflichten schon bei einem Schmetterling +oder bei irgendeinem Gedanken, der herangaukelte, wie +jener.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_62" title="62"></a>Zu ihrer größten Freude gehörte es, auf den Moorwiesen +der Arbeit der Insekten zuzuschaun, dem Eifer der +Bienen, dem Spiel der Schmetterlinge oder den Beschäftigungen +der Käfer. Sie machte mit ihnen den sonnigen +Weg von einer Blume zur anderen und bebte vor +Glück, wenn sie mit einer Biene ein rotes oder blaues +Blumenhaus betrat. Das farbige Licht der duftenden +Halle schlug auch über ihr zusammen, sie begriff die Seligkeit, +so licht zu hausen. Die kleineren Blumen neigten +sich an ihren Stielen, wenn ein geflügeltes Tier ankam, +und so verband sich oft ein gelindes Schaukeln mit ihrem +sorglosen Tun. Trafen sich zwei in der gleichen Blüte, so +ließen sie einander vorüber, ohne sich zu stören, das kam, +weil der Reichtum an Blumen unermeßlich war.</p> + +<p>Die kleine Anje liebte den Ausblick in das ebene Land. +In der Weite erhoben sich die Kuppeln der Bäume vereinzelt +oder in Gruppen, die das Blau der Ferne geheimnisvoll +zusammenschloß und verkleinerte. Das bunte Bild +des Landes unter dem Himmelsblau weitete ihr Herz in +unsagbaren Ahnungen von zukünftigem Geschehn. Gegen +Süden verschloß das schwarze Band des Föhrenwaldes<a class="pagenum" name="Page_63" title="63"></a> +die Welt. Dorthin zogen am Abend die Krähen, deren +Flug man am längsten mit den Blicken folgen konnte.</p> + +<p>Am meisten aber liebte Anje den Wind, der vom kaum +vernehmbaren Flüstern bis zur brausenden Musik anwachsen +konnte, und der ihr das Leben der Natur verherrlichte. +Sie kannte seine Stimme in der Ebene und +<ins title="ilte">eilte</ins> über das Feld seinem freien Singen entgegen, <ins title="dase">das</ins> +<ins title="eihre">ihre</ins> Arme in sinnloser Freude emporriß. Er <ins title="beherrscht">beherrschte</ins> +den Himmel und lenkte den Gang der Wolkenzüge, die +er in grauen Massen über die Erde dahintrieb oder der +Sonne entgegen, in deren Wärme die weißen im Blau +zergingen. Er bediente sich der Baumkronen, um sein +Brausen, das bis zum donnernden Getöse anschwellen +konnte, vernehmen zu lassen, und diesem Anschwellen +lauschte ihr Blut mit jauchzendem Erbeben. Wenn er +sich zu seiner Gewalt erhob, so befreite er die Sinne von +den Gedanken und beflügelte die Seele, die sich ihm vertraute, +wie das Laub des Erdbodens oder wie der Staub +der Wege. Der Wind rief die Ahnung von einer Vollendung +wach, die in keiner Stille zu finden war.</p> + +<p>Er drang wie das Licht überall hin, und niemand entging<a class="pagenum" name="Page_64" title="64"></a> +seinen Berührungen, die Leben weckten. Er konnte +klagen und Trauer verbreiten, bald schmeichelte er, bald +drohte er, es war um so seltsamer, als man seine Kraft +kannte, und man verstand ihn nur, wenn man bedachte, +daß er ein Kind war. Oft kam er im Dunkeln der +Sommernacht ins Zimmer, man fühlte ihn auf der +warmen Stirn, und er brachte den Schlaf, wenn er die +Augenlider berührte, weil darüber das Blut kühl und +glücklich wurde.</p> + +<p>Oft zog Anje im Traum mit ihm hinaus, sie kühlten +das Wasser für den Morgen, schaukelten die Zweige der +Büsche und kamen aus dem Wald in die Ebene. Dort +zogen sie unter den Sternen hin über die Moorseen, im +Dunkeln. Nach solcher Fahrt blieb ihr die Erinnerung +zurück, als ob sie den Wind erblickt hätte, den noch niemand +gesehen hatte, aber sie wurde sich keiner Einsamkeit +bewußt.</p> + +<hr /> +<h2><a class="pagenum" name="Page_65" title="65"></a><a name="Funftes_Kapitel" id="Funftes_Kapitel">Fünftes Kapitel</a></h2> + +<p>Als Anje so groß geworden war, daß Hirtes Schnauze +bis an ihre Schulter reichte, wenn sie nebeneinander im +Ginster saßen, nahm die alte Onne sich ihrer auf etwas +veränderte Art an, denn Gerom ließ sein Kind tun, was +es wollte, er beschäftigte es niemals und lehnte, wo immer +es war, ihre Hilfe mit einer barschen Herablassung ab: +was denn solch ein zartes Ding rechtes tun könne, und ob +man glaube, er würde nicht selbst mit seiner Arbeit fertig. +Diese Nichtachtung war nur ein Mantel, unter dem er +seinen Wunsch verbarg, Anje ungehindert von Tageslasten +und Menschenpflicht heranwachsen zu sehen. Sie war +keineswegs schwach und hilflos, wie er sie nannte, sondern, +obgleich von zarten Gliedern, ein gesundes Kind +von blühender Kraft, aber Gerom verachtete die Menschen +und ihr Handeln, das er betört und armselig nannte,<a class="pagenum" name="Page_66" title="66"></a> +und gönnte ihnen in ihrem Tun nicht die kleinste Gemeinsamkeit +mit seinem Kind. Zwar hinderte er Anje +nicht daran, wenn sie Neigung zeigte, sich hier oder dort +zu beschäftigen, aber sie tat es selten und nur dann, wenn +sie dadurch in der Nähe ihres Vaters verweilen konnte.</p> + +<p>Gerom lebte der Vorstellung, daß alles Bewußtsein des +Bösen und jede Macht der Finsternis erst durch Menschengeselligkeit +in die Welt getragen würde. Als Onne ihm +einmal die Zuneigung ihres alten Herzens in Bewunderung +für sein ernstes Leben darbrachte, antwortete er ihr ruhig: +»Es ist leicht gut zu sein, wenn man allein ist, die Natur +nimmt uns an, so wie wir sind.«</p> + +<p>Onne schaute vor sich hin, ihre grauweißen Haarsträhnen +zogen sich arm an den faltigen Schläfen hin +und an den hohlen Wangen nieder, die die Farbe welken +Laubs hatten und unzählige Fältchen und Risse.</p> + +<p>»Gerom,« sagte sie, »das ist wohl wahr, aber wer die +Kraft hat, die Natur zu ertragen, dem kommt keine Gefahr +mehr von den Menschen.«</p> + +<p>Gerom sah sie an. »Mütterchen …« sagte er langsam, +aber dann erschrak er über den weichen Klang seiner<a class="pagenum" name="Page_67" title="67"></a> +Stimme und schwieg, und da Onne sich darauf verstand, +woher ein Wort kam und wieviel es bedeutete, begnügte +sie sich mit dieser Antwort und dachte in ihrem +Sinn: Mit Gerom läßt sich leben.</p> + +<p>In diesem Herbst kam Anje häufiger zu Onne als +sonst, und eines Abends, als sie schon die Holzläden der +Fenster geschlossen hatten und ein Scheitfeuer auf dem +Herd angezündet worden war, ging Onne an ihre Truhe.</p> + +<p>Die kleine Anje wußte, daß dieser Kasten mit seinem +groben Schnitzwerk und seinem Schlüssel, dessen Bart +fast so groß war wie ihre Hand, die unerhörtesten Schätze +enthielt, und ihre Augen wurden still und groß in der Erwartung, +was Onne tun wollte. Die Alte hob mit Mühe +den schweren Deckel und lehnte ihn an die Wand. Nun +hielt das plumpe Holzungeheuer seinen Rachen geöffnet, +und Anje kam ein Zittern an, vor Scheu und Begierde +sah sie nichts als ein buntes Durcheinander, das +vor ihren Augen flimmerte.</p> + +<p>Draußen rüttelte der Herbstwind in den Bäumen, die +Tannen sausten und das Laubwerk rauschte; hin und wieder +schlug der Laden mit leisem Klappern an, und Hirte,<a class="pagenum" name="Page_68" title="68"></a> +der am Feuer saß, bewegte unablässig die Ohren, und seine +Augen waren voll Besorgnis. Der Raum war nur durch +das Herdfeuer erhellt, und im Spiel der Flammen erschien +es zuweilen so, als bewegte sich alles in ihm.</p> + +<p>»Onne,« flüsterte die kleine Anje; ihr war, als müßte +sie Einhalt gebieten, was konnte nicht geschehn, wenn man +sich so tief in die Truhe wagte, als es die Alte tat, die +ihre beiden Hände bis auf den Grund der Schätze hinabgewühlt +hatte. Da bog sich Onnes braunes Gesicht über +den Truhenrand nach ihr zurück, und sie sah, daß es unter +den grauen Strähnen lächelte.</p> + +<p>Das Kind atmete auf. Den vergangenen Morgen über +hatte sie der Alten beim Ausbessern der Hüttenwand geholfen, +so gut sie konnte, es mußten Risse verstopft werden, und +hier und da sollte ein Nagel eingeschlagen werden, der +ein morsches Brett halten mußte. Am Mittag hatte sie +es ihrem Vater erzählt, der dann schweigend ein paar +Bretter auf seine Schulter geladen, die große Säge über +den Arm gehängt und den Hammer in die Tasche geschoben +hatte. So machten sie sich auf den Weg zu +Onne.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_69" title="69"></a>»Gib her,« sagte er, als er sah, daß Anje die Nägel +trug, und nahm sie ihr ab.</p> + +<p>Dann war ein gewichtigtes Hämmern und Sägen angegangen, +Anje saß vor Stolz glühend neben der Alten +am Grabenhang und fühlte, wie groß und stark ihr Vater +war. Onne blinzelte in den Abendschein hinaus, und ihre +winzigen Äuglein leuchteten vor Zuversicht, nun mochte +der Winter kommen. Anje war später bei ihr geblieben, +weil man nicht so rasch, und vor allem schwer allein, mit +dieser Freude fertig werden konnte. Es mußte alles im +einzelnen nachgeprüft und bewundert werden, wie die Bretter +paßten und schlossen und wie sorgfältig die langen Nägel +umgeschlagen waren. Als Gerom am Abend heimschritt, +wandte er sich, einen Augenblick zögernd, nach seinem +Kind um, aber als er zwei eifrige Angesichter, ein welkes +und ein blühendes, in frohem Staunen vor einer kleinen +Falltür am Hühnerstall sah, die er dort angebracht hatte, +begriff er und ging fort. –</p> + +<p>Und nun, bei diesem verheißungsvollen Lächeln der +Alten über den Truhenschätzen, war es Anje plötzlich, als +ob etwas geschehen sollte, das in einem Zusammenhang<a class="pagenum" name="Page_70" title="70"></a> +mit der Freude dieses Tages stand. Onne holte aus dem +Grund der Truhe ein Buch hervor, verstaute und verschloß +alles wieder sorgfältig und reichte das rötliche Ding von +verblaßtem Glanz dem Kinde zum Geschenk.</p> + +<p>»Hier steht es,« sagte Onne, nahm es zurück, blätterte +und versuchte dabei, ihrer Hornbrille Halt zu verschaffen, +»hör zu, wie ich es lese: ›Um das weiße Schloß flogen +in der Abendsonne die Schwalben, es lag auf ebenem Gefilde, +frei im weiten Land …‹« Sie stockte und gab ihren +Gläsern Schuld. »Ich kann es nicht mehr recht herausbringen, +aber du sollst sehn, du wirst es lernen.«</p> + +<p>Und zum nächtlichen Erbrausen des rauhen Waldes, +der den Wind von der Ebene her mit Gesang in seine +Fittiche nahm, erblühte der kleinen Anje an ihrem geschützten +Platz am alten Feuer das Wunder, daß das +Licht der Menschengedanken in gebrechlichen Hüllen bewahrt +werden konnte.</p> + +<p>Aber Anje hat niemals lesen gelernt. Sie hütete das +kleine rötliche Buch wie einen heiligen Schrein, der Reichtümer +enthielt, aber sie trug kein Verlangen danach, diese +Schätze zu heben. Nur die Anfangszeilen des Buchs,<a class="pagenum" name="Page_71" title="71"></a> +die ihr Onne gesagt hatte, blieben in ihrer Erinnerung +bewahrt, und ihr einfacher Inhalt beflügelte ihre Träume +über die Herrlichkeiten der fremden Welt.</p> + +<p>Es war zu Anfang des Buchs ein Bild eingefügt, auf +dem unter einem grünen Eichbaum mit braunem Stamm +ein verwundeter Mann am Wege lag. Er war nach +den Gewohnheiten einer vergangenen Zeit gekleidet, mit +einer schmalen gelblichen Hose, die seine Beine seltsam lang +erscheinen ließ, und die sehr hoch hinaufreichte, bis an +ein kurzes Jäckchen von grellem Blau. Seine weißen +Hände waren sehr schlank, und sein Gesicht war zur +Rechten und Linken von einem Streifen Bart eingerahmt, +der von den Schläfen ein wenig an der Wange +entlang niederwuchs. Aus seiner Brust rieselte in einer +sorgfältigen Zickzacklinie ein Bächlein himbeerfarbenen +Bluts, färbte das Gras und verrann auf dem Fußweg, +an dessen Ende, am Horizont, klein, mit erhobenen Armen +und weit gespreizten Beinen zwei Männer davonliefen.</p> + +<p>Dieses Bild beschäftigte das Gemüt des Kindes ohne +Unterlaß. Sie begriff nicht, was die Menschen veranlaßt +haben konnte, jenem Fremden die Brust zu verletzen,<a class="pagenum" name="Page_72" title="72"></a> +so daß ihm sein Blut verrann und daß seine großen Augen +sich schließen mußten vor Schmerz oder Schwäche. Auch +war niemand zu sehn, der ihm hätte helfen können, und +der große Eichbaum stand ruhig da im Tageslicht.</p> + +<p>Sie zerdrückte eine späte Beere auf ihrer Hand, um +den roten Saft auf der Haut fließen zu sehn, aber er lief +in einer graden Linie nieder und tropfte ins Gras, es +mußte wohl nur das Blut aus dem Herzen sein, das solch +gezackte Wege beschrieb. Da verletzte sie ihren Arm mit +einem Dorn, aber das Wunder des Bildes erfüllte sich +nicht an ihr. Die steigenden warmen Tropfen und ihr +schmaler Weg zur Erde nieder, versenkten sie in tiefe Nachdenklichkeit.</p> + +<p>Hirte hatte herausgebracht, daß Anje ein Buch besaß, +und er betrachtete von der Seite her das bunte Bild darin. +Er unternahm den Versuch, mit Hilfe seiner schwarzen +Nase zu begreifen, was seinen Augen verschlossen blieb; +aber Anje hielt das Buch hoch. –</p> + +<p>Langsam lichtete sich nun der Wald, und von Nacht +zu Nacht schienen die Sternbilder heller ins Moorland +nieder. Anje lag am Waldrand und schickte ihre Gedanken<a class="pagenum" name="Page_73" title="73"></a> +zu ihnen hinauf, es gab keine Hingabe von größerem +Frieden als die an die Sterne. Im Bereich ihres +erhabenen Lichts erschien es Anje, als würden die lebendigen +Wesen der Erdoberfläche einander gleich, und ihre +Schicksale unterschieden sich nicht mehr voneinander. Langsam +glitt ihr Empfinden in ein Himmelsland von grenzenloser +Ausdehnung hinüber, und sie mußte singen. In +der Ergriffenheit ihrer Sinne war ihr dann oft, als müßte +in der Menschenbrust verborgen ein Heil von unnennbarer +Art wohnen.</p> + +<p>Sie trat still aus ihrer Tannenfinsternis in die weite +Nacht hinaus, beschritt das Moor bis an einen der +schwarzen Tümpel und sah die Nacht im Wasser an. +Andächtig reckte sie sich vor, bis sie neben den Sternen +am Rand des Wasserspiegels ihr Angesicht sah.</p> + +<hr /> +<p>Im Winter schlief ihr Herz. Wenn der Schnee das +Land bedeckte und die Bäume und Pflanzen in seine reine +Kühle bettete, sah sie im wohlbestellten Haus ihres Vaters +das Feuer im Kamin an, das ihr den Sommer in ihre +Erinnerung rief. Wohl kannte sie die Freude, in die<a class="pagenum" name="Page_74" title="74"></a> +frische Klarheit eines Wintertags hinauszuschreiten, die +Spuren der Tiere im Schnee zu suchen, und die Ruhe +des schlafenden Waldes als Glück zu empfinden, aber ihr +Lebensteil war nur der Sommer. Sie fühlte sich im +Winter verlassen und wünschte sich, schlafen zu können, +wie es Tiere und Pflanzen taten. Die Traulichkeit des +gesicherten Wohnraums ängstigte sie, und oft, wenn sie +des Abends von Onnes Haus heimkehrte und den rötlichen +Lichtschein des Fensters durch den bläulichen Schnee schimmern +sah, war ihr zumut, als müßte sie umkehren, um +den Tieren der verlassenen Wildnis nah zu sein, und doch +tat sie nichts zu deren Schutz oder Ernährung. Gerom +wunderte sich zuweilen im stillen darüber, wenn er von +seiner harten Holzarbeit im Winterwald ein erfrorenes +oder hungerndes Tier mitbrachte und Anje sah es nicht an.</p> + +<p>Aber mit dem Föhn erwachte Anjes Blut in einem +seligen Fieber, die Stimme des Wassers gewann Gewalt +über sie, und sie lauschte ruhlos auf den Wind. Mit +den ersten Weidenkätzchen war sie von Geroms Hof verschwunden, +oft fand er im Wald sein Kind wie ein fremdes +Wesen. Sie weckt die Blumen, dachte er, weckt die Vögel.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_75" title="75"></a>»Was tust du, Anje?«, fragte er sie einmal, als er sie im +Weidengebüsch am Moorrand traf.</p> + +<p>»Was ich tue?«, fragte sie langsam, hob ihre strahlenden +Augen zu den seinen empor und sah ihn an. Ihr +Gesicht war ernst, und sie lächelte kaum, aber es war +Gerom ums Herz, als ergriffe sie mit ihren beiden Armen +den großen Frühling und schüttete ihn über sein Haupt.</p> + +<p>Rasch schritt er hinweg, und sein Fuß stampfte schwer +im feuchten Grund. Er riß ein paar blühende Weidenzweige +ab und nahm sie mit. Was frag ich auch – im +Frühling, dachte er, von uneingestandener Beglückung bis +auf den Grund seines Herzens bewegt.</p> + +<hr /> +<h2><a class="pagenum" name="Page_76" title="76"></a><a name="Sechstes_Kapitel" id="Sechstes_Kapitel">Sechstes Kapitel</a></h2> + +<p>Wenn im Sommerwind der Wald erbrauste, erhob +sich Hirte, rückte den plumpen Kopf vor und knurrte. Seine +Augen suchten im Unsicheren der bewegten Gründe, und +oft drängte er sich an Anje und verriet Furcht. Das Mädchen +wußte, daß der Wald von unsichtbaren Gestalten +bevölkert war und verstand Hirtes Angst. Wie viele +Menschen, die unter der Willkür erzittern, die in den Unbilden +der Witterung lauert, und die zugleich in ihrem +Unterhalt von der Gnade der Natur abhängen, glaubte +auch Anje daran, daß die geheimnisvollen Mächte der +Natur in unsichtbaren Gestalten einhergingen. Im ruhigen +Sonnenschein hielten sie sich verborgen, aber sie erwachten +und erhoben sich mit dem Sturm, mit der Dämmerung +und mit dem Nebel. Sie waren je nach ihrer Art und +Berufung dem Menschen freundlich oder feindlich gesinnt,<a class="pagenum" name="Page_77" title="77"></a> +und man tat gut daran, sie nicht zu erzürnen. Sie rächten +ihren Unwillen an allen Wesen, die in ihre Gewalt gerieten, +oder sie befreiten die Bedrängten, nach ihrem Willen. +Es gab Orte, die deutlich von ihrem Aufenthalt Zeugnis ablegten, +und wer klug war, vermied es sorgsam, sie zu betreten. +Sie hetzten das Wild, das ihre Heimstätten entweiht hatte, +in die Schlingen der Wilderer, scheuchten die Sumpfvögel +in verhängnisvollen Augenblicken aus ihren Schlupfwinkeln +auf, so daß sie sich durch ihr Geschrei den Jägern verrieten, +oder sie lockten Fremde durch ihre Nachtlichter vom +Wege ab in die Wirrnis des Dickichts oder ins Moor.</p> + +<p>Anjes Augen hatten sich an das geheimnisvolle Wesen +dieser Lichter gewöhnt, die von den Nachtgeistern plötzlich +in ein Stückchen moderndes Holz oder in ein Glühwürmchen +verwandelt werden konnten. Sie wußte, daß dieser +tote Glanz ungewohnte Augen über seine Nähe oder Entfernung +täuschen konnte, sie hatte erfahren, daß solch +ein Lichtlein den Blicken oft als Schein in weiter Ferne +am Waldsaum oder im Sumpfgrund erscheinen konnte, +während es doch in Wahrheit dicht vor den getäuschten +Blicken totenstill in einem Busch hing.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_78" title="78"></a>Aber sie selbst fürchtete die Geister der unberührten +Natur nicht, da sie ihr Reich kannte und nach ihrem +Willen lebte, sie hatte ihre heimlichen Mittel gegen ihre +Willkür und erkennbare Wahrzeichen ihres Schutzes, +zu denen das Feuer gehörte. Oft blieb sie nachts am +Rand des Tannenwalds, im weißlichen Birkenhain oder +in den Weiden der Niederungen. An solchen Orten hatte +sie kleine Feuerplätze errichtet, dürres Holz angesammelt, +oder im Dickicht eine Laubwand gegen den Nachtwind +oder gegen den Mondschein geflochten, denn der Mond +durfte Schlafenden nicht auf ihre Lider scheinen, weil sie +sonst am kommenden Tage Träumen nachhingen und die +Welt ihrer Vorstellungen sich mit der Wirklichkeit vermischte.</p> + +<p>Wenn sie dort in der hereinbrechenden Nacht ihr Feuer +hütete, hörte sie die Stimmen der Tiere, die des Nachts +leben, sie wechselten mit dem Gang der Stunden und +verstummten gegen Mitternacht. Dann kam die ruhigste +Stunde und endlich langsam das Licht. Dieser Wechsel +der Nacht zum Morgen hatte die größte Gewalt über +Anjes Seele, es gab nichts für sie in der Welt, was sie<a class="pagenum" name="Page_79" title="79"></a> +andächtiger stimmte, und er erfüllte ihr Wesen mit einer +feierlichen Traurigkeit. Ihr war zu Mut, als müßte ihr +Herz in zwei Teile zerbrechen, als hinge es dem Scheidenden +nach und verlangte zugleich mit derselben Stärke des +Bluts nach dem Kommenden. Sie wurde sich in solcher +Stunde dessen bewußt, daß sie als Mensch allein ihr irdisches +Leben verbrachte, und hätte darüber in Tränen ausbrechen +können, wie erfüllt von Herrlichkeit dieses Leben +war. Nur in dieser Ergriffenheit überkam sie zuweilen +auch der Gedanke an den Tod ihres Leibes. Sie legte +ihre harte kleine Hand, die vom Tau kalt war, auf die +Stelle ihrer Brust, unter der ihr Herz klopfte, und versuchte +zu begreifen, daß der Augenblick kommen sollte, an dem +dies Pochen endete, und an dem nur andere noch diese +Glieder, die Hand und Füße, die ihr gehörten, bewegen +und betasten konnten. Der Gedanke, daß ihr Leib dann +dem Willen anderer überliefert sein sollte, füllte sie mit +Schrecken, sie beschloß, im Wald zu sterben, in unauffindbaren +Gründen des Dickichts unter Ranken und braunem +Laub.</p> + +<p>Nach solchen Gedanken konnte sie den Tau von ihren<a class="pagenum" name="Page_80" title="80"></a> +Augenlidern streifen, so still hatte sie dagesessen und so erstarrt +hatten ihre Blicke auf einem einzigen Punkt am +Boden geruht. Oft war es ein Tannenzapfen gewesen +oder ein Farrenbüschel, und wenn sie am Tag, mitten im +Sonnenschein, ihre Augen schloß, erschien ihr dieser Gegenstand +so deutlich, daß sie glaubte ihn greifen zu können. Er +trug noch die Spuren ihrer Gedanken wie ein dämmriges +Kleid und legte seine Schleier über das tiefe Grau ihrer +Augen. –</p> + +<p>Es war noch früh, als Anje an einem Sommermorgen +durch die nassen Waldfarren den Niederungen des Gurdelbachs +zuschritt, um zu baden. Als sie in das Bereich des +Schilfes trat, mußte sie vorsichtiger gehen, von den grünen +Halmen erhoben sich träge große Libellen mit schwarzblauen +Flügeln, es war so still in der Sonne, daß man +das Rascheln ihrer Flügel hören konnte. Wo der Birkenhain +bis an das Ufer trat, machte der Fluß eine scharfe +Wendung, die Böschung war unterspült und der helle +Kiesgrund leuchtete durch das klare Wasser. Anje schlug +einen losen Knoten in ihr gelbes Haar, warf ihren grauen +Kittel ab, der nur bis an die Knie reichte, und trat langsam,<a class="pagenum" name="Page_81" title="81"></a> +Schritt für Schritt in die kühle Flut. Eine Schlange +wurde durch Anjes Kommen im Moordunkel der Böschung +aufgeschreckt, anfangs versuchte sie den überhängenden Uferrand +zu erreichen, kehrte dann aber um und schwamm über +den Fluß. Die Strömung trieb sie ein wenig ab, ihre +gelassenen Bewegungen im Wasser zogen die Blicke an, +Anje betrachtete das Tier aufmerksam und ohne Furcht, +bis es ihren Augen entschwunden war. Dann ließ sie sich +langsam rücklings niedersinken, als vertraute sie sich den +Armen Gottes an. Das Wasser schlug für einen Augenblick +über ihr zusammen, und als sie wieder emportauchte +und es aus ihren Haaren schüttelte, erschien ihr die Welt +zu einer neuen Klarheit wiedergeboren, der blaue Himmel +strahlte bis an den Grund ihres eilenden Herzens, der +Wald schimmerte in Sonnenruhe, und jede neue Welle +trug eine Fülle von Frische und Licht. Die Berührungen +des Windes erweckten im Blut die fröhlichen Gewißheiten +einer Geborgenheit im lebendigen Erdengut.</p> + +<p>Als das Mädchen sich nach einer Weile erhob und ins +flachere Wasser trat, um ihr Haar zum Trocknen der +Sonne hinzuhalten, sah sie einen Menschen zwischen den<a class="pagenum" name="Page_82" title="82"></a> +Birken stehn. Er war noch etwa zwanzig Schritte vom +Ufer entfernt, die Farrenkräuter und das Schilf verdeckten +ihn ihren Blicken bis an seine Knie. Seine Hände waren +etwas erhoben, er schien wie erstarrt, der Ausdruck seines +jungen Gesichts war von qualvoller Spannung, von der +sich schüchtern der Glanz eines großen Entzückens abhob.</p> + +<p>Nun, da er sich von Anje entdeckt sah, verwandelte sich +der Ausdruck seines Gesichts in Unsicherheit und Befangenheit, +er hob den Arm und rief etwas. Es klang wie eine +Bitte um Verzeihung, Anje verstand ihn nicht, sie empfand +auch nicht, daß alles am Gebaren dieses Fremden davon +sprach, daß er nicht zu glauben wagte, was sich seinen +Blicken darbot. Er starrte das Mädchen immer noch voll +Angst und Hoffnung an und begriff diese Ruhe ohne +Scheu nicht, in der sie ihn mit unverwandtem Blick beobachtete. +Es erschien ihm, als habe er ein Tier des +Waldes aufgestört, das zwischen Schreck und Furcht verharrte, +um im nächsten Augenblick in blinder Flucht durch +die Büsche zu brechen.</p> + +<p>Aber es geschah etwas ganz anderes, als er sich einen +Schritt näher wagte, gewahrte er, wie das Mädchen sich<a class="pagenum" name="Page_83" title="83"></a> +ohne ein Wort der Abwehr und ohne eine Gebärde der +Furcht langsam niederbückte. Dann sah er ihren Körper +in einer Bewegung von herrlicher Freiheit jählings erhoben, +gestrafft und vorgebeugt, und ein großer Kieselstein +prallte dicht neben ihm mit lautem Schall an den Stamm +einer Birke. Und ehe er sich recht besann und die Gesinnung +ermaß, die hinter dieser Haltung sein möchte, traf ein +zweiter, faustgroßer Stein seine Schulter. Es war ihm, +als wäre der furchtbare Schmerz, der ihn fast niederwarf, +aus einem blitzenden Sprühn, aus goldenem Licht eines +beschützten Hauptes und aus silbernem Glitzern eines gepanzerten +Körpers zu ihm gesandt worden, er schrie laut +auf und taumelte ein paar Schritte voran. Er verstand +seine eigenen Worte nicht, die Wut und Begierde und +tödlichen Schreck verrieten. »Wer macht so grobe Scherze, +die das Leben gefährden«, schrie er. Er begriff nicht, daß +die festen Züge vor ihm weder Scham noch Furcht verrieten +und auch nicht einen Schein jener Besorgnis, die er erwartete +und die ihn ermutigt hätte. Im Gesichte des Mädchens +las er einzig den Wunsch, mit dem Stein zu treffen, den +sie gelassen, beinahe behaglich, in ihrer braunen Hand wog.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_84" title="84"></a>Dieser Stein traf ihn im Winkel seines Auges, zwischen +der Schläfe und dem Backenknochen. Er sank lautlos, +ohne noch eine Bewegung zu machen, mit dem Gesicht in +die Farrenkräuter.</p> + +<p>Anje ging langsam, aber ohne Zögern, durch das Schilf +auf den Gefallenen zu. An ihrem Körper rann das Wasser +glitzernd nieder und blinkte auf in dieser Halbsonne, wie sie +unter dem Laub der Birken herrscht. Die Schattenschleier +gaben dem Licht einen unwirklichen Schein, Anjes nasses +Haar lag wie Gold auf ihrer Schulter. Diese Goldlichter +huschten über ihren ganzen Körper hin und hüllten +ihn ein.</p> + +<p>Der Fremde lag totenstill im Farren. Eine kleine Spinne +kroch hastig über seine Schulter, und die Hand lag breit gespreizt +auf einem Moospolster. Anje sah nun, daß er ein +Gewehr trug und einen Hirschfänger am Gürtel. Um +das Gesicht zu sehn, mußte sie seinen Kopf wenden, und +sie tat es vorsichtig und neugierig. Die Wunde entstellte +sein Gesicht, das ihr ebenmäßig, aber wesenlos erschien, +sie ließ seine Haare beinahe verächtlich los, als der erloschene +Blick aus den halbgeschlossenen Augen ihr begegnete.<a class="pagenum" name="Page_85" title="85"></a> +Da sie Blut von der Schläfe rinnen sah, durchsuchte +sie seine Taschen nach einem Tuch, und als sie es +gefunden hatte, verband sie den Besinnungslosen mit Sorgfalt, +wie sie es bei ihrem Vater gesehn, wenn seine rauhe +Arbeit ihm Schaden getan hatte. Dann holte sie ihren +Kittel, bekleidete sich und trat gelassen den Heimweg an.</p> + +<hr /> +<p>So kam Anje in Fridlins Leben. Er drängte sich ihr +mit dem gedankenlosen Eigensinn seiner Jugend seit diesem +Tage auf und vergaß sie um so weniger, als er nicht begriff, +wie leicht er ihr verzeihen konnte. In der Försterei, +in der er bedienstet war, erhielt er damals bald Auskunft, +der Förster selbst lachte belustigt, aber ein wenig verächtlich, +und nahm sich später den jungen Menschen für ein +besonderes Gespräch beiseite, und die Mitteilungen, die +dabei gemacht worden sind, mußten sehr ernster Natur +gewesen sein, denn sie stimmten Fridlin für lange Zeit +nachdenklich.</p> + +<p>In der Küche wußten die Mägde später weit besser +Bescheid, der junge Mann hörte mißmutig zu, aber er +konnte sich nichts entgehen lassen, obgleich er die Torheiten<a class="pagenum" name="Page_86" title="86"></a> +verachtete, die über Gerom und sein Kind im Lande in +Umlauf waren.</p> + +<p>»Was wollt ihr denn,« sagte er mürrisch, »sie wird +ein Mädchen sein, wie alle anderen.«</p> + +<p><ins title="Friedlin">Fridlin</ins> lehnte im Türrahmen, im grünen +Lindenlicht, +das durch den Hof auf die sauberen Geräte der Küche sank +und auf die nackten Arme der hantierenden Frauen.</p> + +<p>»Du mußt es ja erfahren haben,« gab die junge Magd +zur Antwort und sah Fridlin besorgt und aufmerksam an, +»geh nicht mehr hin, so viel sag' ich.« Und sie lachte und +sah auf die Beule in seinem Gesicht, die ihn entstellte.</p> + +<p>Was er beim Förster, seinem Dienstherrn, gehört hatte, +war ihm bedeutungsvoller. Gerom wilderte. Er stand schon +seit lange im Verdacht, und wenn Fridlin bisher nicht +darüber unterrichtet worden war, so war es mit Vorbedacht +unterblieben, da der Alte den unbesonnenen Eifer +des Burschen mißachtete. Er kannte Gerom und wußte, +daß mit ihm nicht zu scherzen war, daß er niemand fürchtete +und daß ihm sein eigenes Leben gering galt. Er +selbst hatte bisher kaum mehr getan, als dieses Gelüste +des verwilderten Mannes, wie Gerom ihm erschien, nach<a class="pagenum" name="Page_87" title="87"></a> +Möglichkeit in Grenzen zu halten, denn er wußte wohl, +daß Gerom kein Gewerbe aus seinem Raube machte, sondern +daß er um der Gefahr und Freiheit willen jagte, die +die Jagd, wie sonst kaum etwas, mit sich bringt.</p> + +<p>Es kam hinzu, daß Gerom den Wildbestand nicht unvernünftig +gefährdete, sondern sinnvoll und mit dem Anstand +des gerechten Weidmanns vorging; so viel ließ sich +leicht feststellen. Und deshalb liebte der Förster, der ein +guter Jäger war, Gerom mit Bewunderung und Neid +verbunden. Gerom war ihm an Geduld überlegen und +nicht weniger in seinen Kenntnissen der Waldwelt, und +da alle Gewerbe, deren ursprüngliche Ausübung sich mit +den Darbietungen der Natur verbindet, Edelmut und +Großzügigkeit bewahren, so duldete der Förster Geroms +Treiben, beinahe ohne daß dieser Schritt gegen sein Pflichtbewußtsein +ihn im Gewissen bedrängte. Es kam jenes Gefühl +hinzu, das alle Herzen im Lande bewegte, soweit Gerom +und sein Schicksal bekannt waren, daß dem Manne vom +Leben bitteres Unrecht geschehen sei und daß er freiwillig +eine Strafe, über die menschliche Gerechtigkeit hinaus, zu +verbüßen schien.</p> + +<hr /> +<h2><a class="pagenum" name="Page_88" title="88"></a><a name="Siebentes_Kapitel" id="Siebentes_Kapitel">Siebentes +Kapitel</a></h2> + +<p>Es war an einem Herbstmorgen, als der Pfarrer von +Gorching ins Moorland hinabschritt, um die Leute dort +zu besuchen, die zu seiner Gemeinde gehörten. »Meine +drei Heiden«, sagte er. Er kannte Geroms Geschichte, +und ihm war viel Widerspruchsvolles über Anje zu Ohren +gekommen. Es ging ihm, wie es Leuten seiner Art und +seines Berufs leicht zu ergehen pflegt, er vermutete hinter +unverständlichen Dingen das Wirken des Bösen, und +seine Meinung war, daß das Gute und das klar Verständliche +immer das gleiche sein müßten und Hand in +Hand gingen. Er selber schien einen Teil dieser einfachen +Erkenntnis darzustellen, denn seinem schlichten Sinn ordnete +sich die Welt nur in solchen Begriffen, die er mit +seinen Handlungen in Einklang zu bringen vermochte. Dabei +war er ein Mann von Klugheit und Nachdenklichkeit<a class="pagenum" name="Page_89" title="89"></a> +und glücklich genug, für die erste dieser Eigenschaften +nicht zu viele Gedanken und für die zweite nicht zuviel +Verstand zu besitzen. Das mochte ein Grund dafür gewesen +sein, daß er sich geduldig in das vergessene Dorf +Gorching senden ließ. Man hatte ihn auf seinem städtischen +Posten nicht brauchen können, weil er nicht in der +Lage gewesen war, den Menschen gegenüber jene Strenge +aufzubringen, die als heilsam gilt.</p> + +<p>Auf seinem einsamen Weg in die Einöde gestand er +sich ein, daß es eine heimliche Scheu gewesen war, die ihn +bisher davon abgehalten hatte, Gerom zu besuchen, aber je +länger er in Gorching weilte, um so mehr empfand er, daß +eine bedeutungsvolle Einwirkung aus dem Moorland her +auf den Gemütern lastete. Ihm war es oft erschienen, als +erhöbe sich mit dem Dunst der Abende aus dem Sumpf +der Einöde auf grauen Schwingen das Gespenst des Aberglaubens +und schliche in die Hütten und Herzen seiner +Menschen. Je mehr man es ihm zu verbergen trachtete, +um so mehr beschäftigte es ihn. Was hatte mit dem Seufzer +eines Verscheidenden, an dessen Schmerzensbett er gesessen, +das Anjekind zu tun? Und was hatte Elsbetha bei der<a class="pagenum" name="Page_90" title="90"></a> +alten Onne zu schaffen, als ihr Mißgeschick widerfuhr +und sich in Gorching niemand ihrer annahm? Seinen +Fragen wich man aus, und seine Ermahnungen stießen +auf einen Trotz, aus dessen Grund die verschwiegene Überlegenheit +der Verstocktheit sah.</p> + +<p>Da es ein Freitag war, an dem er sich auf den Weg +gemacht hatte, so kam es, daß er nach einer guten Weile +der alten Onne begegnete, die hinter ihrem Wagen her +nach Gorching humpelte. Er redete sie an, und ihm wurde +über ihrem Anblick heiter zumut, aber er verstand ihre +kargen Antworten kaum. Als er nach Gerom fragte, lachte +sie ihn an, drückte sich noch mehr zusammen, als die Jahre +sie ohnehin eingepreßt hatten, und öffnete ihren Mund, +so daß ihr einer schöner Zahn, auf den sie sehr stolz war, +aus den dunklen Landschaften ihrer Kiefern funkelte. Er +solle nicht gehn, so viel ließ sich verstehn. Da der junge +Pfarrer merkte, daß sie wohl begriff, was er selbst sagte, +begleitete er sie ein Stückchen Wegs zurück, wobei er hilfsbereit +ihren Wagen ergriff, um ihn zu schieben; aber Onne +brauchte den Wagen als Stütze, und er mußte ihn ihr +zurückgeben. Dabei dachte er, nicht eben gesicherter in<a class="pagenum" name="Page_91" title="91"></a> +seinen Absichten: So kann es uns bei den Wohltaten ergehen, +die wir zu erweisen glauben.</p> + +<p>Aber dann sprach er liebevoll und mit großem Ernst +zu ihr; die heimliche Beschämung, die er empfand, wenn +er ihr eingeschrumpftes Gesicht sah, das kaum noch einem +Menschenantlitz glich, ließ sich durch den beglückenden Eifer +seiner Überzeugung verdrängen. Dann wieder mußte er sich +sagen: Ist sie dem Vater im Himmel nicht näher als du?</p> + +<p>Nun blieb sie stehn und antwortete ihm etwas, der +Pfarrer beugte sich zu ihr nieder, denn es verlangte ihn +sehr danach zu wissen, welchen Widerhall seine wohlmeinenden +Worte in ihr weckten. Es war ihr wichtig, sich +verständlich zu machen, so viel war sicher. Nach langer +Mühe hatte er sie verstanden. Ob er Pilze brauchen +könnte …</p> + +<p>Die Birken warfen schon ihr empfindsames Laub ab, +es sank durch den Sonnenschein in die Gräben nieder, die +sich nach dem letzten Regen zu beiden Seiten der Straße +gebildet hatten, spiegelte sich im Fallen und ruhte im unbewegten +Schwarz des Wassers vom Sommerwind aus. +Das Moorland wurde immer öder, als nun der Pfarrer<a class="pagenum" name="Page_92" title="92"></a> +weiterschritt, die Steppen hatten sich gelbbraun gefärbt, +von einem warmen Kupferton untermischt, gegen den die +weißen Birkenstämme schimmerten. Mit niedrigem Gebüsch, +das im Dunst lag, begann in der Ferne das verwilderte +Waldland der Einöde. Die Welt erschien unermeßlich +groß und verlassen.</p> + +<p>Es begegnete ihm niemand mehr. Ratlos stand er endlich +vor der Sumpfwildnis der Einöde, nirgends war ein Pfad zu +sehen, das Buschwerk, die Erlen und Birken standen im seichten +Wasser, das Schilf sirrte leise im Wind, und mit jedem +Schritt wurde das Dickicht undurchdringlicher. Er erblickte +Schlingpflanzen, die er niemals gesehn hatte, und im Moorwasser +blühten immer noch kleine weiße Blumen mit zarten +Stielen. Umgesunkene Stämme vermoderten zu warmem +Schutt, der glomm und duftete, und nichts rührte sich als der +Luftzug über dem Wasser. Wild und traurig hauchte es ihm +entgegen und wies ihn ab; er atmete auf, als er nach einer +Weile wieder auf dem gesicherten Boden der Landstraße +in der Sonne stand.</p> + +<p>Um seiner Erleichterung willen befiel ihn ein Gefühl +von Beschämung, er begriff nicht, daß die Atemzüge der<a class="pagenum" name="Page_93" title="93"></a> +unberührten Natur ihm Entsetzen einzuflößen vermochten. +Als er wohl eine halbe Stunde lang am Moorrande der +Einöde dahingeschritten war, erspähte er eine Lichtung +jenseits des kleinen Bachs, der träge am Rand seiner +Straße floß, und er sah in einem Weidengebüsch drei behauene +Fichtenbalken, die eine Brücke bildeten. Jenseits +lief eine schmale Wagenspur durch das Gras, und ein +wenig weiter war deutlich ein Waldpfad erkenntlich. Der +Pfarrer erinnerte sich Onnes Gefährts, diesen Weg mußte +sie gekommen sein, und er beschloß ihm nachzugehn.</p> + +<p>Die Sonne, die nun verhangen war, hatte ihren Höhepunkt +am Himmel erreicht, so daß es gegen Mittag sein mochte. +Geroms Ansiedlung lag eine Stunde vom Weg entfernt, +und der Pfarrer hoffte, sie in diesem Zeitraum erreichen zu +können. Der Waldpfad wand sich durch Dickicht und über +Sümpfe dahin, zuweilen hart am Rand eines Flusses durchs +Schilf, dies mußte der Gurdelbach sein. Onnes Behausung +lag schon hinter ihm, sie war ihm entgangen, wie den meisten, +die das Moor betraten, ehe der Herbst es gelichtet hatte.</p> + +<p>Dem Schreitenden war zumut, als dränge er mehr +und mehr in die Bereiche einer ganz neuen Welt vor. So<a class="pagenum" name="Page_94" title="94"></a> +mag es von Ursprung her auf der Erde gewesen sein, dachte +er. Es bedrängte ihn eine Scheu, die ihm zuweilen den +freien Atem benahm, und er fürchtete sich vor dem Geräusch +seiner Schritte. Der Weg führte über eine morsche Holzbrücke, +die ohne Geländer und grob gefügt war, jenseits +in einen Tannenwald. Im roten Dämmerlicht zwischen +den alten Stämmen, die sehr dicht standen, vernahm er +auf dem Nadelteppich den Klang seines Fußes nicht mehr. +Es war totenstill umher, auf dem Boden wuchs kein +Hälmchen, alles schien in der Grabesruhe erstorben zu sein, +die herrschte. Hier und dort hatte ein scharlachrot leuchtender +Pilz sich aus dem Nadelteppich erhoben. Es kam +ein Birkenwald, dessen weißliches Moderlicht unwirklich +glomm nach der dunklen Versunkenheit der Tannennacht. +Ihm kam dieser Schein wie jenes tote Leuchten vor, das +er aus seiner Knabenzeit kannte, wenn er, lange im Sonnenschein +liegend, die Augen geschlossen hatte und sie dann +öffnete. Der Boden war hügelig und voller Sumpflöcher, +weiße Stämme, die umgesunken waren, faulten im Grund, +der fahle Silberhauch dieser Waldferne betörte das Auge, +er wirkte bald nah, bald unerreichbar fern.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_95" title="95"></a>Da lauschte er beklommen auf, die Einöde erklang. Er +begriff nicht, was ihm zu Ohren drang, und ein jähes +Entsetzen ließ sein Blut stocken; er griff an sein Herz, und +ein Zittern kam ihn an. Es tönte melancholisch und in +wortlosen, beinahe tierhaften Klagelauten auf und schloß +weich und trauervoll in einem langgezogenen, unaussprechlich +holden Versinken der Klänge in Wind und Weite +und Dämmergrün.</p> + +<p>»Was ist das, was ich höre?« stammelte er und fühlte, +daß seine Lippen kalt und leblos wurden. Er verstand nicht, +was ihn an diesen gesungenen Tönen so mächtig ergriff, +diese Klage kam fremdartig heran, menschlich und doch +wie aus Bereichen des Unbewußten, aus dunkler Ferne +und doch vertraut.</p> + +<p>Da sah er am Ufer des Gurdelbachs ein Mädchen +sitzen, sie war es, die gesungen hatte, ein unscheinbares +Geschöpf, beinahe noch ein Kind, mit hellem Haar und +in einem grauen Kittel. Als er auf sie zutrat, sah sie ihn +an, ohne mehr zu rühren als den Kopf, den sie ihm langsam +zuwandte.</p> + +<p>Anje Gerom konnte es nicht sein. Er stand noch im<a class="pagenum" name="Page_96" title="96"></a> +Bann des seltsamen Singsangs, den er eben gehört hatte, +und sein Blut gaukelte ihm törichte Bilder vor. Anje +Gerom ist ein großes Mädchen im weißen Gewand, mit +langem Blondhaar und einem feierlichen Schritt, dachte +er. Sie ist schlank und würdig, die Rehe flüchten nicht, +wenn sie einherschreitet, und ihre milden Augen streun +Frieden aus, wie der Mai Blumen. Jedoch dies dort ist +eine kleine Wildkatze, sie schaut mich an, als dächte sie +an ihre Krallen, und sie ist häßlich, weiß Gott, recht +häßlich ist sie. Ihre tiefe Stimme klang ihm im Blut +nach. Es ist das Kind eines Torfstechers, dachte er unsicher, +und plötzlich zog es ihm durch den Sinn: die Sonne +scheint, sei gepriesen, Vater im Himmel.</p> + +<p>Er trat auf das Kind zu.</p> + +<p>»Ich möchte das Haus Vinzenz Geroms finden, wer +bist du, Kind? Sieh mich an.«</p> + +<p>Das Gesicht des Mädchens, das nun nah vor ihm +am Hang kauerte, blieb ruhig und unberührt. Was +konnte dem Pfarrer daran gelegen sein, es zu würdigen? +Menschen, deren Einfluß wahrhaft bedeutungsvoll werden +kann, fallen uns für gewöhnlich nicht sonderlich auf,<a class="pagenum" name="Page_97" title="97"></a> +weil die Gebärde der ruhenden Kraft in den meisten Fällen +arglos ist.</p> + +<p>»Ich möchte Geroms Haus finden,« begann er etwas +unsicher von neuem, »kannst du mich führen?«</p> + +<p>Das Mädchen betrachtete ihn eine Weile stumm und +sagte dann einfach: »Ja.«</p> + +<p>Er setzte sich ihr gegenüber, kaum daß er es gewollt +hatte, nun war es geschehn und mochte so bleiben. Das +Wasser zog mit leisem Rauschen dahin, es flimmerte durch +das Schilf, das sich nicht bewegte, die Bäume standen +auf stillem Grund, ließen den Duft des Waldes aus und +den gedämpften Sonnenschein ein. Das Mädchen ließ +sein Handeln zu und betrachtete ihn ohne Neugierde, wie +es ihm schien, und ohne Scheu; aber alles umher, wie +auch sie selbst, ließ ihn eigenartig allein. Er sah sich um, +als suchte er nach irgendeinem Beistand, endlich fragte er +sie, wer sie sei, und sie antwortete ihm:</p> + +<p>»Ich bin Anje, Geroms Kind.«</p> + +<p>Ihr gelbes Haar war heller als der feine Ton ihres +Gesichts, es wirkte fast grell und schien ein wenig rauh, +obgleich es im Licht glänzte, man hätte mit der Hand<a class="pagenum" name="Page_98" title="98"></a> +darüber hinfahren müssen, um es zu prüfen. Ihre Stirn +war niedrig und die Augen lagen etwas schräg, als hätten +die zarten Backenknochen, die deutlich sichtbar waren, sie +in den äußeren Winkeln um ein kleines emporgedrängt. +Was machte ihr Gesicht so rührend hilflos? Sicher nicht +der breite Mund oder die kindliche Nase, die beinahe +etwas frech wirkte, nein, es waren die Linien ihrer Wangen +und das kleine Kinn.</p> + +<p>Eigentlich ist sie häßlich, sagte sich der Pfarrer finster, +aber man muß trachten, ihr Liebes zu erweisen, sie wird +dankbar dafür sein. Der zierliche Körper …</p> + +<p>Er hielt in seiner Betrachtung jählings inne, verwirrte +sich und stammelte in großem Ungeschick, es wäre Zeit, +es sei gut, gleich aufzubrechen, denn der Weg wäre recht +lang. Dabei verfiel er in einen derben und väterlichen +Ton, dessen er sich zugleich schämte.</p> + +<p>Es blieb feierlich still im Wald, Anje hatte ihre Haltung +geändert, er sah ihre bloßen Füße im Moos. Er selbst +war aufgestanden und hatte sich an den Stamm einer +Birke gelehnt. Mit gerunzelter Stirn, und scheinbar ernst +mit sich selbst beschäftigt, sah er forschend in die Waldferne,<a class="pagenum" name="Page_99" title="99"></a> +aber seine große Hand verwirrte sich an seiner Halsbinde +und an seiner Stirn.</p> + +<p>»So komm denn nun …«, sagte er streng.</p> + +<p>Ein kleiner Ast fiel aus dem Baum nieder, unter dem +die beiden warteten, er sank auf eine bemooste Stelle des +Waldbodens, um dort für immer liegenzubleiben, geduldig +zog das Wasser seinen Weg und die Sonne sah +es an.</p> + +<p>Es war dem jungen Pfarrer von nun an, als führte +ein fremder Wille ihn geheimnisvoll durch ein unbekanntes +Reich. Er entsann sich später der Ereignisse, die nun +eintraten, wie man an die unbegreifliche Klarheit eines +Traumbilds zurückdenkt, und doch ist alles einfach und verständlich +gewesen; sein Gang durch die Schwüle des Walddickichts, +der Ruf der Sumpfvögel und Anjes weicher +Tritt. Er hatte sich über ihren Eifer gefreut und über die +besonnene Sicherheit ihres Tuns. Sie ging immer vor +ihm her und sprach nicht, bald sah er ihre Gestalt in +den gelbgrünen Rutennetzen der Weidenbüsche, dann glitt +sie zwischen dunklen Stämmen dahin, unverständlich hell +in der Schattendämmerung des großen Walddoms, den<a class="pagenum" name="Page_100" title="100"></a> +Glanz des gedämpften Sonnenscheins in ihren Haaren. +Aber mehr und mehr war ihm, als gelte es, Unnennbares +zu verstehen und dem Herzen zuzuführen, ein quälendes +Unbehagen in seiner Brust nahm überhand, und ihm erschien +es, als kämpfte sein Herz in ziellosem Drängen vor +unsichtbaren Hindernissen um verlorene Rechte.</p> + +<p>»Führst du mich zu deinem Vater?«, fragte er einmal +beinahe bescheiden, sie gingen nun schon viel länger als eine +Stunde. Sie sah sich um, blieb stehn und ließ ihre Augen +in seinen ruhn, ein lebendiges Rätsel tat sich ihm stumm in +unschuldigem Glanz auf.</p> + +<p>»Nun?«, fragte er überfreundlich und griff fast täppisch +zu, »wollen wir Hand in Hand gehen?« Sie war +ihm schon wieder um vieles voraus. »An diesem schönen +Tag …«, fügte er noch hinzu, und fast wäre er über eine +der Baumwurzeln gestolpert, die wie Schlangenleiber aus +dem weichen Boden quollen und in die Farne krochen. +Nein, dazu war sie schon viel zu groß. Als er nach einer +Weile auf besserem Boden ein wenig aufatmete, ging er +ernstlich mit sich zu Rate, auf welche Art für die Erziehung +dieses Mädchens etwas getan werden könnte.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_101" title="101"></a>Aber als im Sumpfgelände, nach einer langen, vielfach +verschlungenen Bahn, sein Fuß in den feuchten Boden +einsank und er, mit beiden Armen die Zweige der Lärchen +und das Buschwerk zerteilend, mühsam durch das schilfartige +Gras dahintappte, war Anje plötzlich verschwunden. +Er rief laut ihren Namen, aber er erhielt keine Antwort +und fand sich nicht mehr zurecht.</p> + +<p>Erst am Mittag des kommenden Tages gelang es ihm, +sich mit großer Mühe und zu Tode erschöpft nach Gorching +zurückzufinden; die Nacht, die er in Angst und Unfrieden +allein in der Wildnis verbringen mußte, ließ einen +Schatten ihrer Finsternis in seinem Gemüt zurück. Erst +viel später in seinem Leben, als längst das Anjekind nicht +mehr sang, lernte er ein karges Lächeln bei der Erinnerung +an diese Begegnung, aber dieses Lächeln war von jener +Wehmut, mit der die Natur die Menschen trösten kann, +deren Gemüt sie den Ausweg zu Klarheit und Vollendung +verschließt.</p> + +<hr /> +<h2><a class="pagenum" name="Page_102" title="102"></a><a name="Achtes_Kapitel" id="Achtes_Kapitel">Achtes Kapitel</a></h2> + +<p>Eines Nachts erwachte Anje und sah im Mondlicht +ihren Vater aus der Haustüre treten und den Himmel +mustern. Er trug eine Jagdbüchse in der hängenden Hand +und ein Gewand, das ihn verjüngte und zugleich entstellte. +Hirte versuchte sich anzuschließen, aber er wurde gleichgültig +zurückgewiesen. Gerom schritt durch die Tannenbestände, +am Holzschuppen vorüber, den Niederungen des +Gurdelbachs zu. Nur Anje kannte, außer ihm, diesen +Pfad, der für andere unzugänglich war, denn er führte +durch Sümpfe am Ufer eines Altwassers hin, man mußte +über gesunkene Baumstämme klettern und genau wissen +über welche, da manche von ihnen nachgaben und sanken.</p> + +<p>Anje kannte keine Furcht um ihren Vater, aber sie +schaute nachdenklich in das Mondlicht hinaus, das ruhig, +wie Schnee, auf dem niedrigen Teerdach des Holzschuppens<a class="pagenum" name="Page_103" title="103"></a> +lag. Im Wald schimmerte es zwischen den hohen Stämmen +und wandelte ihre Größe in machtvolle Bedeutung +um. In blaugrauen Kuppeln schimmerte die feuchte Ferne, +und ein Geruch von Teer und Fäulnis schaukelte bald +wärmer, bald kühler durch die Monddämmerung heran. +Ab und zu fiel ein Tropfen in das welke Bodenlaub.</p> + +<p>Anje dachte an die große Welt, die außerhalb ihrer +Stille im Wald, in den Fernen war. »Um das weiße +Schloß flogen in der Abendsonne die Schwalben, es lag +auf ebenem Gefilde, frei im weiten Land …« Ihre Gedanken +beschäftigten sich ohne Verlangen mit den Dingen, +die es außer ihrer Waldheimat geben mußte, sie fühlte sich +glücklich in der Gewißheit, daß der Wandel der Menschen +auf Erden reich und mannigfach war. Sie holte ihr Buch +herbei und ließ den Mond in seine Seiten scheinen, ihre +Augen ruhten ernst auf den Zeilen, die die unbekannten +Güter bargen und bewahrten; geheimnisvoll schwieg das +Buch, wie draußen der Wald.</p> + +<p>Am Tage war Fridlin bei ihrem Vater gewesen. Sie +hatte in den vergangenen Wochen den jungen Mann oft +im Walde getroffen, aber niemals mit ihm gesprochen,<a class="pagenum" name="Page_104" title="104"></a> +obgleich sie fühlte, daß er es wollte. Er störte sie und raubte +ihr ihre Ruhe, aber sie verriet ihn nicht an ihren Vater. +Nun war er gekommen. Anfänglich klang nur seine +Stimme, aufgeregt und abgerissen, als müßte er um jedes +Wort kämpfen, dann sprach ihr Vater, und Fridlin schwieg, +eingeschüchtert durch die derbe, harte Antwort. Sie sah ihn +hinausstürmen durch den Wald und wußte, daß er nicht +wieder zu ihrem Vater kommen würde.</p> + +<p>Am Abend sah ihr Vater sie an. Alle Freude umnachtete +sich ihr in der Traurigkeit, die ihr in einem raschen +Blick begegnete. In diesem Blick, den Gerom nicht hatte +sehen lassen wollen, kam die erste Ahnung des Abschieds +zu ihr in einer Bedrängnis von unendlicher Hoffnungslosigkeit. +Ihr war zum erstenmal in ihrem Leben, als ob +es Gewalten auf der Erde gäbe, denen keine Menschenkraft +gewachsen ist, und sie mußte an den Tod denken. +Und doch lag im Gesicht ihres Vaters der Schein einer +heimlichen Gewißheit. Er sprach nicht mit ihr, obgleich +sie es erwartet hatte, aber da ihr gleichgültig war, was +Fridlin gewollt haben konnte, wenn er nur ihrem Vater kein +Leid zugetragen hatte, fragte sie nicht und gab sich zufrieden.<a class="pagenum" name="Page_105" title="105"></a> +Sie empfand, daß jene Traurigkeit, die aus seinen Augen +ihr Herz überströmt hatte, nicht durch Geschehnisse über +ihn gekommen war, die Menschen ändern können, sondern +daß sie ein Teil des Lebens war und auch ihrer wartete. +Dem Ereignis des Tages aber galt das heimliche Lächeln.</p> + +<p>Da hörte sie aus der Nachtferne vom Weidensumpf +her einen Schuß fallen und gleich darauf einen zweiten. +Es wehte sacht unter den Sternen her, als atmete der Wald +im Schlaf, dann vernahm sie Tritte im Laub, die der +Schreitende zu dämpfen suchte. Anje maß gelassen die Entfernung und +die Richtung und trat langsam aus dem Mondlicht +ins Zimmer zurück. Sie kannte die Schritte und Bewegungen +des Herannahenden nicht, der noch verborgen war.</p> + +<p>Nach einer Weile trat Fridlin aus dem Wald in den +Mondschein hinaus.</p> + +<p>»Anje,« rief er, »Anje Gerom, hör mich an!«</p> + +<p>Hirte schlug an und arbeitete aufgeregt an der Tür. Mit +einem trotzigen Ruck griff Fridlin an den Hirschfänger.</p> + +<p>»Anje,« rief er, »hör mich! Bist du im Haus, Anje?«</p> + +<p>Er sprach mit heißer Stimme, die voller Verzweiflung erklang, +es blieb ganz ruhig umher und im Haus, bis<a class="pagenum" name="Page_106" title="106"></a> +sich draußen die rauhe Stimme wieder erhob, bald verwundert, +bald böse und wild. Es kam keine Antwort, denn +Anje war an die Tür hinuntergeschlichen, um Hirte zu +beruhigen, sie saß neben ihm im dunklen Haus auf der +Schwelle zu Geroms Wohnraum und streichelte den gelben +Kopf des Hundes.</p> + +<p>»Du mußt still sein, Hirte, der Mann vor dem Haus +wird uns nichts Böses zufügen, er geht bald wieder fort.«</p> + +<p>Sie hielt ihre Hand in einen schmalen Streifen Mondlicht, +der durch ein kleines Fenster über der Tür in die Hausdiele +sank. Hirte knurrte und sah Anje nicht an, es war +seine Meinung, daß sie von diesen Dingen nicht soviel +verstand wie er, und gegen Wachsamkeit sollte man besser +nicht einschreiten.</p> + +<p>Da die Fenster ihres Schlafraums und auch ihre Tür +offen standen, hörte sie immer noch die Stimme vor dem +Haus. Wenn es eine Weile still geblieben war, so glaubte +sie, der Fremde sei fort, aber immer begann sein Rufen +von neuem, langsam stieg in Anjes Herzen Angst um ihn +empor, denn ihr Vater konnte zurückkommen. Da entschloß +sie sich endlich, es ihm zu sagen, öffnete die Tür<a class="pagenum" name="Page_107" title="107"></a> +und zog sie vorsichtig hinter sich zu, damit Hirte im Haus +blieb.</p> + +<p>Fridlin trat vor ihr zurück, wie vor einer Erscheinung, +Schritt für Schritt und mit entsetzten Augen. Es war, als +ertrüge er nach so langem Harren die Erfüllung seines Verlangens +nicht mehr, er hielt seine Hand ausgestreckt von +sich ab und wankte.</p> + +<p>»Geh fort, eh mein Vater zurückkommt«, sagte Anje.</p> + +<p>Er war auf seine Knie niedergesunken in das Gras, +im Schatten, und bewegte sich, als ob er mit jemandem +kämpfte, aber nun sprang er plötzlich auf und stürmte +auf Anje zu, wie ein Geblendeter gegen einen Lichtschein.</p> + +<p>»Bist du es – oh, du bist es wirklich? Hörst du, daß +du mit mir kommen sollst!? Du hast mich mit dem Stein +verwundet …«</p> + +<p>»Nein«, sagte Anje, »ich bleibe hier.«</p> + +<p>»Ach mein Herz!« rief er. Seine Stimme überschlug +sich, so wild bedrängte sein Schmerz ihn, er schlug mit der +Faust an seine Brust, daß es dröhnte. Er war voll Ungeschick +und konnte seine Sinne nicht meistern, denn die +Ruhlosigkeit der vergangenen Wochen hatte ihn verwirrt<a class="pagenum" name="Page_108" title="108"></a> +und entkräftet. »Weißt du denn nicht,« keuchte er und +schüttelte seine Fäuste, »weißt du nicht, was hier brennt? +Wie ich dich gesucht habe! Wo ist dein Herz!? Ich rufe +im Wald und das Echo klingt, aber du …«</p> + +<p>Er vermochte nicht weiterzusprechen, eine große Mutlosigkeit +dämpfte den Zorn seiner Verzweiflung nieder, hilflos +hob er den Blick und sah empor, gegen ihren ruhigen +Sinn fand er keine Waffen. Sie stand da in ihrem +grauen Kittel gegen die dunkle Wand der Nacht, und +der Mond glänzte in ihrem Haar. Ein kindliches Bedauern +war der einzige Ausdruck, der verriet, daß sie ihn +hörte, aber er gab keine Gewißheit ihrer Teilnahme. Ein +Schwindel seiner Ohnmacht überwältigte <ins title="Friedlin">Fridlin</ins>, +und er +schlug die Hände vor sein Gesicht.</p> + +<p>»So ist es Gerom, dein Vater …«, schrie er plötzlich +heiser und reckte sich auf, mit schwerem Atem, aber Anje +war fort, und das Haus lag ruhig im Mondschein.</p> + +<p>Sie saß wieder im Dunkeln der Hausdiele neben Hirte, +lehnte sich gegen ihre Gewohnheit an ihn, und hörte ihr +Herz pochen. Eine feindliche Unruhe peinigte ihr Gemüt, +in ratlosem Unfrieden sah sie das Licht vom Mond, und<a class="pagenum" name="Page_109" title="109"></a> +ihre Gedanken vermochten nicht mehr, als mit dem Klopfen +ihres Herzens immer den gleichen Weg der dumpfen Angst +zu machen, den das Herz eilte.</p> + +<p>Fridlin hatte sich draußen abgekehrt, einen Augenblick +starrte er vorgebeugt in jene Richtung hinüber, in der die +Schüsse gefallen waren, er kämpfte mit sich um einen +Entschluß, aber es schien ihm keine Befreiung aus der +Tat zu kommen, die er plante. Düster wandte er sich um +und schritt fort, durch die Hoffnungslosigkeit niedergebeugt, +die die Stürme des Verlangens so schnell in eine +öde Ruhe verwandeln kann.</p> + +<p>Er begriff nicht, daß sein Leben nun mit dem herannahenden +Tag beginnen sollte, wie es mit dieser Nacht +geendet hatte. »Das Anjekind hat ihm gesungen«, sagten +sie. Er lächelte und schöpfte mit der Hand die Tropfen +von den Blättern, um seine Stirn zu kühlen, sein Büchsenlauf +streifte das Laub und verfing sich im Geäst. Der +Mond verschleierte sich, und die dunkle Waldstille füllte +sich mit drohenden Gestalten.</p> + +<p>In seiner Ratlosigkeit war Fridlin zum Pfarrer gegangen, +dort hoffte er sicher zu sein, daß das angstvolle<a class="pagenum" name="Page_110" title="110"></a> +und mitleidige Lächeln ihn nicht peinigen würde, dem sein +Gesicht begegnete, wo immer er sich zeigte, aber er war +ohne Trost fortgeeilt, und die Unsicherheit des Pfarrers +kränkte seinen Stolz. Er entsann sich kaum noch, was +ihn dorthin getrieben hatte, vielleicht nur sein Wunsch, +einen Menschen zu finden, der unbefangen mit ihm besprach, +ob Gerom ihm sein Kind geben würde, und wie +man es anstellen sollte, sich beiden auf rechtliche Art zu +nähern. Aber der Pfarrer wich ihm aus, er lenkte das +Gespräch ab, als befürchtete er, daß es galt, ihn selbst zu +erforschen, denn er gedachte seines eigenen Mißgeschicks +in der Einöde. Endlich riet er Fridlin, sich Gedanken aus +dem Kopf zu schlagen, die nicht von Vernunft geleitet und +nicht redlich seien.</p> + +<p>Der Morgen nahte über der Ebene. Fridlin hatte den +Waldrand erreicht und sah den Nebel gegen Osten in +einem Lichtschein schwimmen, der nicht mehr vom Mond +kam. Dies war die dritte Nacht, die er nicht schlief; was +Wunder, daß der Förster ihn mißbilligend ansah und +kein freundliches Wort mehr fand. Zu Anfang hatte er +ihn grob gewarnt: »Laß gehn, was nicht dein ist. Glaub<a class="pagenum" name="Page_111" title="111"></a> +mir, Bursche, der Wald läßt sich das Herz nicht verwunden, +er gibt zögernd her, was sein ist, und niemand +beraubt ihn ungestraft. Unsereins muß wissen, was recht +ist, sonst taugt er nicht zum Weidwerk.« Das war noch +wohlgemeint gewesen und hatte fast Trost gespendet, man +fühlte den Ernst hindurch, an dem man teilhaben sollte, +aber seit kurzem lächelte der Alte höhnisch unter seinem +Bart, kaum merklich, und wandte sich verächtlich ab, +statt zu sprechen. Nur einmal hatte er zur Abendstunde +noch gleichmütig gemeint: »Fridlin, es gibt Wälder mit +mehr Sonne, als sie der Einödwald hat; tu dich um, +euch Jungen ist die Welt nach außen hin weit und nach +innen eng. Geh, rat ich dir.«</p> + +<p>Fridlin hatte sich am Waldrand auf einen gesunkenen +Föhrenstamm gesetzt. »Das geht nicht mehr,« antwortete +er laut der Stimme seiner Erinnerung, »wohin ich mich +schlage, Förster, ich muß durch die Einöde gehn, um Anje +zu Gesicht zu bekommen. Soll ich hier zugrunde gehn, so +mag es geschehn, draußen sterb' ich gewißlich dahin.« –</p> + +<p>Er erschrak furchtbar, als sich neben ihm eine Gestalt +erhob, sie stand feierlich im Grund und reckte den Arm<a class="pagenum" name="Page_112" title="112"></a> +aus. Es war eine entlaubte Weide, die in der Nebeldämmerung +stand. Es erschien Fridlin, als käme das Licht +sprungweise und heimtückisch. Ihn fror, aber er verharrte +in seiner hockenden Stellung im Morgendunst und fühlte +seine Augenlider naß und kalt werden. Nach einer Weile +ertrug er es nicht mehr, dem Walddunkel seinen Rücken +zuzukehren, es beschlich und belauerte ihn in der Dämmerung.</p> + +<p>»Ich werde krank«, sagte er, lächelte bescheiden und atmete +tief auf.</p> + +<p>Ein Wasserhuhn schnarrte bekümmert im Schilf, die +Sonne hob sich langsam und rot in den Schleiern der +Nebel, und ringsumher begann ein eifriges Tropfenticken. +Da erhob sich Fridlin und sah sich um, er wußte nur ungewiß, +wo er sich befand, die ebene Landschaft hatte nur +geringe Merkmale, nach denen man sich richten konnte.</p> + +<p>Nach einer Weile stieß er auf die alte Dachenauische +Fahrstraße nach Gorching und traf Onne unter den +Tannen; sie musterte ihn aufmerksam, gedankenlos blieb +er neben ihr stehn.</p> + +<p>Ja, es sei wahr, antwortete er auf ihre Frage, der +Dienst ließe ihm wenig Ruhe. Onne sagte:</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_113" title="113"></a>»In den Dachenauer Wäldern gibt es genug zu beachten, +was tust du nachts in der Einöde? Drüben gibt +es Nacht genug, verstehst du?«</p> + +<p>Fridlin verstand. Er wurde zornig und sagte erbost:</p> + +<p>»Gesindel gibt es überall.«</p> + +<p>Onne nickte vor sich hin, als ob diese Tatsache ihr zu +denken gäbe, dann meinte sie freundlich:</p> + +<p>»O der Grünschnabel, wie er das Herz versteckt, und +es bricht ihm doch so jammervoll aus den Augen. Du«, +fuhr sie plötzlich in verändertem Tone fort, »hör auf mich, +und bleib mir in der Dachenau. Aus deinem Gesicht +spricht nichts Gutes mehr …« Sie kam ihm ganz nah +und sah ihm, gebückt, unter seine Augen; aus ihrem roten +Kopftuch schaute das winzige braune Gesicht in tausend +Fältchen hervor, und das Lebenslicht ihrer Augen schien +alt und still.</p> + +<p>Fridlin war zu unglücklich, um zornig bleiben zu können. +Erstaunt blickte er auf die Alte nieder, die ihn einschüchterte, +er hatte immer nur gleichgültige Worte mit ihr gewechselt, +was wußte sie denn, und was wollte sie von ihm? Aber +als der Ausdruck ihres Gesichts sich langsam in ein Lächeln<a class="pagenum" name="Page_114" title="114"></a> +verkehrte, das nicht spöttisch oder boshaft war, packte es +ihn plötzlich angesichts dieser alten befreiten Frau, die den +Bedrängnissen des Lebens für immer enthoben war.</p> + +<p>»Du solltest nicht schelten«, sagte er hilflos und lehnte sich +an einen Baumstamm. Seine Übermüdung und seine Verzweiflung +überwältigten ihn, und er fing an zu weinen, ohne +daß sein Gesicht sich bewegte, seine Hände hingen herab.</p> + +<p>»Setz dich nieder ins Gras, Fridlin«, sagte Onne, +als merkte sie nichts. Wer keine Tränen weinen kann, +der fühlt sie oft bei anderen kommen, ehe sie das Auge +benetzen. Sie sprach nicht über das, was Fridlin bewegte, +sondern hockte sich neben den jungen Menschen auf den +Waldboden und sprach von den Wäldern und von den +Wanderburschen, die durchs Land zogen.</p> + +<p>Onne wußte längst, um was es sich handelte, aber sie +wußte auch, daß man seine Tränen zuweilen bei einem +Menschen weinen muß, der sie nicht sieht. Fridlin war +ihr lieb. Zu Anfang hatte sie geglaubt, er spüre Gerom +nach, aber dann hatte sie bald herausgebracht, daß das +Anjekind schuld an diesem Unfrieden war. Da Anje +nicht mit ihr über solche Dinge sprach, mußte sie selbst<a class="pagenum" name="Page_115" title="115"></a> +sehn, was sich anspann und wie es auslief. Das Mißgeschick +des Pfarrers hatte sie erst in Gorching erfahren, +in dem Aberglauben, dem er hatte begegnen wollen, war +seine Gemeinde durch sein Erlebnis aufs neue bestärkt +worden. Nun sagte sie unvermittelt zu Fridlin:</p> + +<p>»Schlag dir das Anjekind aus dem Sinn.«</p> + +<p>Fridlin fuhr erschrocken auf, denn die Stimme knarrte +fast böse, und ihm war eben noch zu Sinn gewesen, als +ob sie ihn tröstete. Sein Trotz erstickte ihm, als er Onne +ansah, er fragte sie nur schüchtern, ob Anje mit ihr über ihn +gesprochen hätte. Onnes welke Hand mit den dünnen braunen +Fingern wischte seine Worte aus der Morgenluft, sie +blinzelte in die rote Sonne hinein.</p> + +<p>»Söhnchen,« sagte sie, »mein Söhnchen, heb dir dein +Leben auf. Was soll denn das Anjekind gesagt haben? +Was uns keine Antwort gibt, wird darüber nicht häßlich, +sieh um dich, wer antwortet dir? Was ich sagen kann, +verstehst du nicht, was du verstehst, willst du nicht hören. +Ihr Menschen wandert auf Wegen, wohin die Stimme +des Anjekinds nicht kommt.«</p> + +<p>Aus ihrem zerfallenen Antlitz brach ein Glanz von Genügen,<a class="pagenum" name="Page_116" title="116"></a> +so daß es war, als müsse die Natur umher erschüttert +aufhorchen, um zu erforschen, was diese Augen +in ihr gesehn hatten. Fridlin starrte mit bitterem Mund +auf seine Hände.</p> + +<p>Nach einer Weile musterte Onne, sich nähernd, sein +mageres Gesicht, das unter ermüdeten Zügen eine entschlossene +Wildheit hatte. Sie kannte diesen beinahe verschlafenen +Zug um die Augen herum und das leicht getrübte +Blau der Augen selbst, deren Blicke solange anteillos +erscheinen konnten, bis jählings die aufflammende +Leidenschaft sie weckte. Onne wußte wohl, wie leer das +Herz und wie taub das Blut hinter den klaren wohlbestellten +Augen sein kann, deren sauberen Blick die meisten +Menschen lieben.</p> + +<p>»Alle geben denselben Ratschlag«, sagte Fridlin dumpf. +»Meint ihr denn, ich sei ohne Vernunft? Aber was +hilft mir eure Einsicht.«</p> + +<p>Onne blinzelte hinüber, es schien, als wünschte sich +Fridlin nicht einmal, daß man ihm Glauben schenken +möchte, er sprach seine Worte leblos in den ungewissen +Wind. Da verstand sie, daß es zu spät für Ratschläge war.</p> +<p><a class="pagenum" name="Page_117" title="117"></a> +»Anjekind …«, sagte sie, legte ihre welken Hände ineinander +und sah in die lautlose Natur, als habe sie sich +an ihre Herrlichkeit gewandt.</p> + +<p>Fridlin litt nach einer Weile unter Onnes Schweigen; +als er forschend auf sie hinblickte, von der Stille geängstigt, +erschien sie ihm greisenhafter als zuvor und abgekehrt von +allem, was sie zusammengeführt hatte.</p> + +<p>»Wie meintest du deine Worte, Mütterchen?«, fragte +er unruhig. »Hat es mit Geroms Kind eine Bewandtnis, +die unselig macht?«</p> + +<p>Aber Onne antwortete ihm nicht mehr, ihr Gesicht +war nicht zu erforschen, erloschen neigte es sich zu Boden, +und der Morgenwind und das Licht, die ihr Spiel in den +Büschen trieben, lockten sein Herz, um es aufs neue seinem +Ungemach zu überlassen.</p> + +<hr /> +<h2><a class="pagenum" name="Page_118" title="118"></a><a name="Neuntes_Kapitel" id="Neuntes_Kapitel">Neuntes Kapitel</a></h2> + +<p>Am neuen Tag weckten die rötlichen Strahlen der +Sonne Anje, sie schlug ihre Augen auf, ohne sich zu regen, +sie war in einem einzigen Augenblick wach und sich ihres +Daseins ohne Benommenheit bewußt, aber sie rührte +sich nicht, sondern blieb still so liegen, wie sie erwacht war, +die eine Hand auf ihrem Herzen und die andere unter dem +Kopf. Der Morgen zog in ihre Augen ein, mit dem +kühlen Wind von den beschienenen Waldwipfeln und der +Frische der Wiesen. Das rote Licht an der Wand rührte +sich still, wie es draußen die Zweige der Bäume vor ihrem +geöffneten Fenster taten, und Hirte schlief an der Türschwelle.</p> + +<p>Anje dachte an das traurige Gesicht Fridlins. Nicht +an ihn selbst, und kaum an das, was ihn um ihretwillen +bewegen mochte, noch was seine Ansprüche vor ihr sein +könnten, sondern sie sah nur das bleiche, abgemagerte Angesicht<a class="pagenum" name="Page_119" title="119"></a> +eines Menschen vor sich und dachte tief betroffen +und bekümmert darüber nach, daß in der Welt Kräfte +herrschen müßten, die solche Entstellung in die Züge der +Menschen bringen konnten.</p> + +<p>Es drängte sie, bald hinauszukommen in ihr vertrautes +Land, fast empfand sie eine Befürchtung, dort möchte sich +mancherlei verändert haben. Hirte erwachte durch ihre +rasche Bewegung, erhob sich vorsichtig und reckte sich, +wobei er Anje ansah.</p> + +<p>»Hirte, bleib hier«, sagte sie und schritt eilig die Treppe +nieder. Unten stand die Stubentür weit geöffnet, und die +Sonne schien ins Haus. Gerom war fort, er mußte nur +ganz kurze Zeit geschlafen haben, denn er kam von seinen +nächtlichen Streifzügen für gewöhnlich erst in der Morgendämmerung +heim. Er hatte Anje Milch neben das große +Brot auf den Küchentisch gestellt und einige rotwangige +Sommeräpfel, die noch naß vom Tau waren. Anje trank +nur die Milch, ihre Augen trennten sich nicht vom Sonnenglanz, +die Äpfel nahm sie nicht, aber sie legte sie beiseite, +damit ihr Vater nicht glauben möchte, sie habe seine Gabe +verschmäht, wenn er am Mittag vor ihr zurückkehrte.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_120" title="120"></a>Die Frische des Sommermorgens legte sich kühl auf +Anjes Augen und Hände, sie belebte das Blut, das vom +gesunden Schlaf noch müde war und vertrieb die bösen +Gedanken. Im Gebüsch sang mit feiner Stimme eine +Meise ihr helles Lied, Anje blieb stehn, sah empor zu dem +kleinen Tier und atmete mit ihm die herrliche Luft und +die unendliche Fülle des Lichts ein.</p> + +<p>Als sie wieder dahinschritt, legten die Tropfen von den +Gräsern sich auf ihre nackten Füße und der Tau der +Sträucher badete ihre Stirn, die Pflanzen gaben ihr von +der Überfülle ihrer Frische, stumm und freigebig, aus ihrem +lebendigen Glück. Als das Buschwerk sich lichtete und +die großen Stämme sich vom stillen Grund erhoben, +breitete Anje ihre Arme aus und rief die Bäume. Es +kam sie im Dahinschreiten ein Taumeln an, ihre junge +Kraft wiegte und trug sie, so daß sie dahinzog wie die +Vögel durch die Luft oder wie die Fische durch ihr klares +Wasser. Sie preßte ihre Hände auf die Stelle ihrer Brust, +unter der ihr Herz schlug, und neigte sich, wie durch die +Fülle des Lichts trunken gemacht, gegen die strahlende +Morgensonne, wie sie es von den Zweigen und Blumen<a class="pagenum" name="Page_121" title="121"></a> +im ersten Wind gesehen hatte, der sich erhob, wenn die +Sonne aufging. Das Lächeln, das ihr kindliches Angesicht +verklärte, war von unaussprechlicher Traurigkeit, +wie das Übermaß der Freude sie der Seele gibt.</p> + +<p>Hier wuchs im Walde dichtes Moos, auf dessen dunkelgrünem +Teppich die Füße lautlos schritten und sanft gebettet +wurden, und über ihr regten sich die Wipfel unvernehmbar, +die Blätter berührten einander oben in ihrer +freien Höhe, von der sie das Land überschauten.</p> + +<p>Als Anje an die Moortümpel der Altwasser kam, sah +sie im Sumpf eine Giftschlange, die sich behaglich aus +ihrem feuchten Versteck zu einem beschienenen Erdflecken +wand, der schon von der Sonne erwärmt worden war. +Das Mädchen verharrte lautlos auf ihrem Stand, in +ihre hellen Augen kam ein kaltes Licht, und ihr Gesicht zeichnete +sich nun durch entschlossene Härte aus. Dabei beobachtete +sie die gelassenen Windungen des gefährlichen +Tiers mit gespannter Aufmerksamkeit. Es war seltsam +ergreifend zu betrachten, wie der nachgeschobene Teil des +biegsamen Körpers genau den Weg des vorangeglittenen +Teils einhielt, so daß er wie auf seiner eigenen Spur verschwand<a class="pagenum" name="Page_122" title="122"></a> +und so, daß seine Bewegungen in der reglosen +Umgebung kaum auffielen. Als das schön gezeichnete +Tier den Ort gewählt hatte, der ihm willkommen war, +rollte es sich gemächlich langsam zusammen. Der böse +Kopf mit der spielenden Zunge hob sich blinzelnd gegen +das warme Licht, als prüfe es seine goldene Wohltat in +feinem Genuß, und dann ruhte ein rundes, zackig geschmücktes +Ornament am Boden, kaum von der Erdfarbe unterschieden +und im Spiel des Sonnenlichts geschützt.</p> + +<p>Mit dem Ausdruck einer koboldhaften Bosheit im Gesicht +zog Anje sich langsam in den Schatten zurück, umschlich +einen Schlehnbusch, um zur Böschung des Wassers zu +gelangen, und löste vorsichtig zwei Steine aus dem Ufergrund. +Dann warf sie ihren Kittel ab und wickelte ihn +plump und fest um ihre linke Hand, preßte damit den einen +Stein an ihre Brust und hob den anderen mit der rechten. +So schlich sie langsam wieder hinzu und faßte ihre Gegnerin +fest ins Auge, es funkelte böse aus den grauen Lichtgründen +unter den feinen Brauen. Als sie so dicht herangelangt +war, daß nur noch drei Schritte sie von der +Schlange trennten, wandte das Tier mit einer kaum merkbaren<a class="pagenum" name="Page_123" title="123"></a> +Bewegung das platte Köpfchen und sah Anje an. +Die winzigen Äuglein waren von überraschender Wachheit, +aufmerksam und wild, wie auch die Augen ihrer +Gegnerin. Es war ein Augenblick voll mächtiger Anspannung +und Anje wußte, daß sie nun keine Bewegung +mehr machen durfte. Aber sie fürchtete sich nicht, sondern +ihre Sorge war nur, die Feindin möchte ihr entgehen, +so empfand sie auch ihren ungeschützten Körper nur +als von jeder Hemmung befreit und glühte vor Gier, den +tödlichen Wurf zu tun. Leise wog sie den Stein, aber +ohne zu zielen, denn sie wußte gut, daß die Augen ihrem +Arm nur Dienste leisteten und daß die geschwungene Hand +ihr eigenes Geschick hatte.</p> + +<p>Ihr Stein traf das gedämpfte, zackige Bunt in der +Mitte, und nach dem dumpfen Aufschlag begann ein lautloses +Wälzen in einem rasch und schmerzhaft gewundenen +Knäuel. Das tödlich verwundete Tier bewegte sich nicht +mehr vom Fleck, es erschien, als suchte es in Todeswindungen +einen Weg zu sich selbst, als trachtete es sterbensgierig +danach sich in den Abgrund seiner eigenen Schmerzen +zu wühlen.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_124" title="124"></a>Anje war einen <ins title="Schrit">Schritt</ins> näher getreten, +hatte ihren +Kittel fortgeworfen und sich auf die Zehen erhoben. Unter +den gewölbten Brauen senkten sich ihre hellen Augenlider +und ließen den Blick durch einen winzigen Spalt zu der +sterbenden Gegnerin nieder. Dabei hielt sie die Arme starr +an den Körper gepreßt, nur die bewegten Finger schienen, +weit abgespreizt, entfliehen zu wollen, und verrieten ihre +innere Erregtheit. Sie drückte ihre Knie dabei fest aneinander +und ihre Lippen spielten im grausigen und süßen +Takt einer Sinnenfreude, die an der Grenze der Bewußtlosigkeit +flackerte.</p> + +<p>Der Morgensonnenschein, bewegt durch die Blätter der +Zweige, in denen er einen Teil seines goldenen Glanzes +hängen ließ, spielte in fühllosem Frohsinn auf Anjes schimmernden +Schultern und über den letzten Regungen der +sterbenden Schlange. Da rief ein Häher im nahen Busch +und schoß mit wenig Flügelschlägen über das Wasser des +Gurdelbachs in die Birken. Anje fuhr empor, wie aus +dem Bann eines heißen Traums erwacht und ihre erschrockenen +Augen folgten dem Vogel. Sie atmete tief +auf und lächelte hilflos.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_125" title="125"></a>Da sah sie drüben am Ufer, dicht vor einer Krümmung +des Bachs, Onne unter den Bäumen, ihr rotes Kopftuch +bewegte sich nahe über dem Boden langsam voran. +Anjes Angesicht hellte sich auf, sie schlüpfte rasch in ihren +Kittel, hob die Hände an den Mund und mit ihrer seltsam +tiefen Kinderstimme begann sie ihr Lied an den +Morgenwind:</p> + +<div class="poem"> +<div class="stanza"><span class="i0">Du kommst über die Wiesen<br /> +</span><span class="i0">zu mir in mein Haar,<br /> +</span><span class="i0">Der Tau fällt nieder;<br /> +</span><span class="i0">nun kommt die Sonne!<br /> +</span></div> +</div> + +<p>Drüben richtete Onne sich mühsam auf, sie suchte mit +einer Hand Halt an einem Baum und schützte mit der +anderen ihre alten Augen. Ihr welkes Gesicht erstrahlte, +aber ehe sie noch eine Antwort geben konnte, rauschte das +Bachwasser sprühend auf, so daß der Sonnenschein über +der Flut, wie in hellem Schrecken, glitzernd emporsprang, +und Anje stand vor ihr und lachte glücklich.</p> + +<hr /> +<h2><a name="Zehntes_Kapitel" id="Zehntes_Kapitel">Zehntes Kapitel</a></h2> + +<p><a class="pagenum" name="Page_126" title="126"></a>Der Herbst kam langsam über die Landschaften der +Einöde wie ein schwermütiger Entschluß Gottes, aber es +gab noch sommerlich durchwärmte Tage von großer Klarheit +und in den Gründen des Einödmoors zögerte der +Sommer mit seinem Abschied.</p> + +<p>Die alte Onne saß eines Tages in der Morgensonne +am Ufer des Gurdelbachs gegen einen Birkenstamm gestützt +im Todesschatten ihrer versunkenen Zeit, den Bedrängnissen +des irdischen Lebens entrückt. Sie lächelte vor +sich hin und die unbekümmerte Natur nahm die neue Ruhe +geduldig an. Onnes Gesicht war nun ganz zusammengesunken, +es sah über dem an die Brust gezogenen Arm +den Erdboden an, dem es glich, und die andere herabhängende +Hand berührte das Waldlaub. An diesem Platz +am Bach, nahe der Landstraße, hatte ihr Leben sich beschlossen,<a class="pagenum" name="Page_127" title="127"></a> +das vor langer Zeit in anderen Gegenden begonnen +hatte, und das sie unter Menschenangst und-hoffnung +in die Verlassenheit der Alternden geleitet hatte, bis in +den Frieden des Alters. Wie ein Wunder leuchtete über der +verbrauchten Hülle ihres Geistes ein zufriedenes Lächeln, +als sei ihr mit ihrer Trennung vom irdischen Gut die Erfüllung +einer großen Pflicht gelungen.</p> + +<p>Anje schlief an diesem Morgen noch in Onnes Hütte +im Laub am Herd, und Hirte ging durch die Büsche vor +dem Haus und betrachtete die Beeren der Ebereschen, die +wie ein roter Schatten rings um die Stämme herum auf +dem Boden lagen. Hirte war sichtlich gealtert, sein Gang +hatte bisweilen etwas Schleppendes, und er schlief in den +Morgenstunden nicht mehr recht, wie es alten Leuten oft +geht, die des Morgens immer zuerst auf den Plätzen umhergehen +oder vor den Häusern in der Frühsonne sitzen.</p> + +<p>Der Blätterfall beschäftigte ihn, die welken Sommergäste +kamen unauffällig von ihren hohen Sitzen herab, schaukelten +rötlich oder gelb durch die stille Luft, aber am Boden ließen +sich keine Bewegungen mehr feststellen, so aufmerksam man +ihren letzten Weg auch bis zu Ende verfolgte. Hirte konnte<a class="pagenum" name="Page_128" title="128"></a> +sich nicht mehr entschließen, sie auf ihrem Weg zu fangen, +wie er es in seiner Jugend getan hatte, er sah ihnen zu und +dachte darüber nach, daß es in jedem Jahr das gleiche +Schauspiel gab. Er sah in den Wald hinein, soweit er es +noch konnte, aber im Nebel ließ sich wenig erkennen, man +mußte abwarten, bis das Licht an Kraft zugenommen hatte.</p> + +<p>Er wußte, daß Onne am Abend nicht nach Hause gekommen +war, aber irgend etwas beunruhigte ihn mehr und +mehr; hätte Anje nicht so fest geschlafen, würde er seinem +Gelüste nachgekommen sein, seiner seltsamen Traurigkeit +in leisem Heulen Ausdruck zu geben.</p> + +<p>Er ging an die Tür der Hütte und sah vorsichtig von +der Schwelle aus hinein. Etwas Sonnenrot drang in +den Raum und legte sich feierlich auf die verräucherten +Gesimse, so daß die beiden Kupferkessel ein stilles Glühn +begannen. Anje schlief immer noch. Ihr Haar lag hell +im braunen Laub und die eine Hand ruhte auf ihrem +Herzen, die andere lag unter ihrer heißen Wange, und +das Gesicht sah ernst und beschäftigt aus. Hirte begriff, +wie wichtig der Schlaf war, hielt den Kopf schräg und +dachte an Anje. Schließlich war sie alles, was er hatte.<a class="pagenum" name="Page_129" title="129"></a> +Andere Hunde lebten in Dörfern, begleiteten Reiter oder +bewachten Fuhrwerke, zwischen den Rädern oder vom Bock +aus. Nicht daß Hirte den Wunsch nach Anschluß an +seinesgleichen gehabt hätte, aber man sah doch allerlei und +verglich die Pflichten. Je länger er Anje betrachtete, um so +freundlicher erschien ihm sein Geschick, das Überfluß an +Glücksgütern hatte, und er wedelte in Gedanken und ging +wieder hinaus, es mußte abgewartet werden, ob Anje bald +erwachte.</p> + +<p>Draußen befiel ihn wieder diese seltsame Beunruhigung, +es drängte ihn in den Wald, er wußte nicht wohin. Er +ließ den Morgenwind um seine schwarze Nase streifen +und atmete die Luft stoßweise ein. Ohne es recht zu +wollen, brach er in langgezogenes Heulen aus, in dem er +seine eigene Stimme kaum wiedererkannte. Als er sich +umwandte, stand Anje in der Tür, in der Morgensonne, +rieb sich die Augen und griff dann mit beiden Händen +in ihr Haar, ihr Körper atmete Kraft und Frische aus, +und ihre grauen Augen leuchteten wie aus eigenen Lichtgründen.</p> + +<p>Sie schritt rasch zum Brunnen und der Klang des<a class="pagenum" name="Page_130" title="130"></a> +hölzernen Pumpenschwengels vermischte sich mit dem +Sprudeln des fallenden Wassers. Hirte war es gewohnt, +daß er nicht beachtet wurde, und schaute andächtig zu, +wie Anje sich wusch, aber die heimliche Besorgnis quälte +ihn und er ging mit sich zu Rate, ob er nicht Anje aufmerksam +machen müsse, daß ein Geheimnis den Wald +erfüllte.</p> + +<p>Da Anje gewohnt war, beim Erwachen Onne nicht +mehr vorzufinden, bemerkte sie erst am Herd, daß die Alte +die Nacht nicht in der Hütte zugebracht hatte, sie sah +nachdenklich hinaus und dann haftete ihr Blick am +Boden. Die Nächte waren kühl und lang. Besorgt betrachtete +sie den Hund und entsann sich seiner Stimme, die +sie geweckt hatte. Sie legte ihr blondes Haar rasch zusammen, +teilte ihr Brot mit Hirte, und gleich darauf gingen beide +miteinander durch das nasse Gras, bis die Waldschatten +sie aufnahmen. Das leere Haus blieb still zurück, und die +Morgenluft drang durch die offene Tür in den Raum, in +dem das vergessene Feuer langsam erlosch. –</p> + +<p>Als Anje die alte Onne in ihrer eingesunkenen Lage +am Bach fand, wagte sie nicht, sich ihr zu nähern, ihr<a class="pagenum" name="Page_131" title="131"></a> +war, als ob ein kühler Windzug ihre Stirn streifte, und +aus dieser Ruhe sah es sie wie mit dunklen Augen an. Sie +umschlang einen Baumstamm mit dem Arm und beugte +sich in einem Zustand von unbeschreiblicher Angst vor. Sie +wollte rufen, aber ihre Stimme war lautlos geworden. +Hirte stand zitternd neben ihr und sog die Luft mit kläglichem +Winseln ein. Aber ihre Liebe trieb sie hinzu, sie +schlich bebend heran, langsam und Schritt für Schritt; +ihre Bedrängnis war so groß, daß es ihr erschien, als +klänge die Luft in einem schmerzenden Sausen. Endlich +war sie ganz nah bei der Ruhenden angelangt und legte +atemlos die Spitzen ihrer Finger auf Onnes Hand. Die +welken Finger im Laub rückten ein wenig beiseit und waren +so kalt wie das Tauwasser der Pflanzen, die geöffneten +Augen hatten kein Licht mehr.</p> + +<p>Da löste sich Anjes Stimme zu einem Klagegeschrei, +das den ganzen Wald erfüllte. Hirte sprang auf und +verkroch sich winselnd im Gebüsch. Anje wurde von einem +Entsetzen gerüttelt, das nicht seinesgleichen unter den Gefühlen +der Menschen hat, sie entäußerte sich ihres ganzen +Selbst in dieser Klage, die kaum etwas Menschliches<a class="pagenum" name="Page_132" title="132"></a> +hatte und die Hilflosigkeit der <ins title="verdammten">Verdammten</ins> +zum Himmel +emportrug. Die leere Finsternis des Todes überströmte und +begrub ihre Sinne und das Bewußtsein jener furchtbaren +Menschenohnmacht, die die Glaubenden befällt, wenn +Gottes Angesicht sich abwendet, und die nur starke Naturen +in ihrer höllischen Bedrohung kennen.</p> + +<p>Endlich richtete sie sich wie aus einer Betäubung auf, +und der ganze Wald war tot. Ein furchtbares Schweigen +umfing sie, und ihr war, als hätten alle Lebendigen des +Waldes ihre Sinne verloren, die den ihren geglichen hatten. +Mit herabhängenden Armen stand Anje verlassen da und +weinte laut. Sie sah durch den Flor ihrer Tränen auf +Onne herab, und die entwürdigende Qual einer tiefen +Schuld zerriß ihr Gemüt immer aufs neue.</p> + +<p>So fand ihr Vater sie endlich, eingeschlafen, den Kopf in +den Schoß der toten Onne gebettet und den Arm um ihren +Hals geschlungen, er hob sie wortlos auf und trug sie +heim, als gäbe es keine andere Heilung.</p> + +<hr /> +<p>Nun war es nacht, als Anje auf ihrem Bett erwachte, +und der Mond schien ins Zimmer, sie erhob<a class="pagenum" name="Page_133" title="133"></a> +sich und ging durch das stille Haus. Ihr Vater war fort, +in seiner Stube lag auf dem Bett Onne aufgebahrt und +hielt in den zusammengelegten Händen kleine Blumen, +die emporstanden, als ob sie eingepflanzt seien. Die Fenster +waren weit geöffnet und draußen zog die Nacht vorüber.</p> + +<p>Anje setzte sich auf einen Stuhl neben das Totenbett. +Der Mond schien auf Onnes geschlossene Lider, die sehr +tief in das Gesicht eingesunken waren. Jetzt war es wieder +Nacht, und nachts gab es für Anje keine fremden Menschen. +Sie ahnte, wie die Erde sich unaufhörlich bewegte, entgegen +dem Stern Merkur, den Onne ihr gezeigt hatte, +und dachte:</p> + +<p>Du, andere, ich, mit euch allen mache ich die herrliche +Reise, Tag und Nacht, Nacht und Tag.</p> + +<hr /> +<h2><a class="pagenum" name="Page_134" title="134"></a><a name="Elftes_Kapitel" id="Elftes_Kapitel">Elftes Kapitel</a></h2> + +<p>Am Tage darauf ging Gerom morgens nach Gorching. +Dieser schwere Weg, den er seit vielen Jahren nicht mehr +gemacht hatte, war seine letzte Darbietung an Onne, er +machte ihn ihr zulieb, und deshalb brachte er es über sich. +Aber je weiter er in der leblosen Morgensonne dahinschritt, +die rötlich und ohne Glanz im Himmelsdunst +hing, um so mehr erkannte er, daß Onne ihr letzter Weg +leichter gewesen sein mochte, als ihm der seine war.</p> + +<p>Das kahle Land beängstigte sein Gemüt, es gab ihn +preis, er vermißte das Dach der Bäume über seinem +Haupt, das er eine vergessene Zahl von Jahren als +Schutz über sich gewußt hatte, und die Windstimmen +der Büsche und Pflanzen. Mit derben Schritten ging +er, wie zu einem Angriff gerüstet, dahin, den Ansiedlungen +der Menschen entgegen. Seine Lippen verzog ein höhnisches<a class="pagenum" name="Page_135" title="135"></a> +Lächeln, und sein versunkener Blick war scheu und +zornig. Er schritt immer hart an den Straßenbirken dahin +und berührte die eine oder andere mit seiner Hand, +als ob er sie befragte. Einmal fand er Onnes Wagenspuren +im feuchten Erdreich am Grabenhang und lächelte +spärlich. Es begegnete ihm niemand, bis er vor seinem +Hof anlangte. Für einen Augenblick erschien ihm sein +Leben, von jenem Tag an, an welchem er Angelika vor +seinem Hause angetroffen hatte, bis zu dieser Stunde, wie +ein eilender Traum, so flüchtig dahingegangen, daß nur +weniges sich dem Gedächtnis eingeprägt hatte, aber alsdann +begannen die Dinge, die er erblickte, zu ihm zu reden.</p> + +<p>Die graue Mauer war hier und da ausgebessert +worden, und es war eine Scheune hinzugekommen, auch +sie war weiß getüncht, wie die übrigen Wirtschaftsgebäude, +und mit Stroh gedeckt. Das Wohnhaus erschien ihm +kleiner, als er es in der Erinnerung bewahrt hatte, die +Akazien der Einfahrt, die Treppe und die bewachsene +Hauswand nötigten ihm ein fragendes Lächeln ab, sie erschienen +ihm sinnlos geziert, aufgeputzt für vergängliche +Menschlein. Nur die schwarzen Tannen aus dem Garten,<a class="pagenum" name="Page_136" title="136"></a> +die gealterten Wahrzeichen der Ansiedlung, sahen ihn +ehrfurchtgebietend an, und in der Spitze der Pappel bewegten +sich die Blätter, in ihnen erhob sich der Morgenwind +vor Tagesgraun.</p> + +<p>Gerom sah das Fenster an, aus dem sich einst Angelika +gebeugt hatte, um ihn zu begrüßen, wenn er von den +Feldern heimkehrte. Auf dem Gesimse standen Blumentöpfe +mit leuchtenden Blüten, und die Vorhänge hinter +ihnen zeigten einen knappen, lächerlichen Schwung. Ein +junger Bauer in wohlbestelltem Gewand trat nach einer +Weile aus einem der Wirtschaftsgebäude, er pfiff und +sah zum Dach hinauf. Als er den merkwürdig gekleideten +Fremden am Tor der Einfahrt erblickte, musterte er ihn +erstaunt und schien zu schwanken, ob er ihn nach seinem +Begehr fragen sollte, aber er schritt weiter, deutlich erfreut +über die Beachtung, die seine Habe bei anderen fand. Als +er um die Hausecke verschwunden war, ließ ein Schwarm +weißer Tauben sich auf dem Rasenrund der Einfahrt +nieder.</p> + +<p>Im Weiterschreiten wurde Gerom weicher ums Herz, +denn es gesellte sich seinen Empfindungen die Erhobenheit<a class="pagenum" name="Page_137" title="137"></a> +hinzu, die Menschen bewegt, die sich auf der Reise befinden. +Angelika begleitete ihn. Ich wünsche, daß Gott dich +möchte in Frieden halten nach der Unruhe deines Lebens, +dachte er. Die weiten Felder wechselten, zumeist waren sie +schon gemäht, nur die Wiesen erschienen noch lebensvoll +in ihrem satten Grün. Es begann sich mehr und mehr +zu trüben, bis ein milder Regen niederging. Das Erdland, +das den letzten Sommer, seine Erinnerungen und +seine Toten trug, rauschte geheimnisvoll unter den Berührungen +der Wolken. Gerom betrachtete den genäßten +Staub der Straße, und der Gedanke überwältigte ihn, +daß Angelikas Füße diesen Weg einst betreten hatten. +Einmal war sie ihn gegangen, um in sein Leben zu finden, +ein anderes Mal, um großen Schmerz hineinzutragen.</p> + +<p>Als Gerom die breite gepflasterte Straße mitten durch +Gorching ging, zur Rechten und Linken die Häuser und +vor sich den spitzen Turm der Kirche, wußte er unter den +Menschen plötzlich wieder, daß er ein Mörder war. Er +schritt düster dahin bis zum Pfarrhof und begrüßte niemanden, +seine Fäuste zitterten unter seinem Zorn und er +machte ungelenke Schritte, aber da erschien ihm, wie vor<a class="pagenum" name="Page_138" title="138"></a> +seinen Augen, der Frühlingswald am Gurdelbach, und +die Weiden blühten. Mitten darin stand sein Kind und +bog die Zweige zur Seite, um in sein Gesicht sehn zu +können. Er fühlte ihr Lächeln wie wärmendes Licht +nahen, und ein inniger Glaube verwandelte sein Herz bis +zur Glückseligkeit, er erhob sein Haupt und seine Augen +befreiten Sinns, und aller Groll wich von ihm.</p> + +<hr /> +<p>Onne wurde nun in die Erde des Gorchinger Friedhofs +gebettet. Ein Kreuz auf ihrem Grabhügel, dessen Balken +in der Mitte durch ein hölzernes Kreisrund verbunden +waren, trug nach Geroms Willen die Worte eines Liedes, +das er aus seiner Jugend in der Erinnerung hatte:</p> + +<div class="poem"> +<div class="stanza"><span class="i0">Von dem Baum, der sich entlaubt,<br /> +</span><span class="i0">tropft ein Blatt auch auf dein Haupt.<br /> +</span><span class="i0">Laß die Hand und halte still,<br /> +</span><span class="i0">laß es liegen, wie es will.<br /> +</span></div> +</div> + +<p>Gerom und sein Kind waren nicht zur Bestattung +nach Gorching gekommen. Das Wunderspiel von Furcht +und Hoffnung verwob die Ausgeschiedenen aufs neue in<a class="pagenum" name="Page_139" title="139"></a> +seine Dämmerwelt. Es erschien den meisten der Anwesenden, +als könnte diese Bestattung nicht verlaufen wie jede +andere; mit der alten Frau wurde ihnen viel mehr zu Grabe +getragen als die irdischen Überreste einer Verschiedenen, +diese späte Tat des Todes verwirrte ihre Gemüter, als +sei ein Teil des Waldes dahingesunken, oder eine Kluft +in ihre Weltbetrachtung gerissen worden. Als nach einer +Weile Fridlin erschien und in den Gruppen umhersuchte, +als handelte es sich nicht um ein feierliches Begebnis, sondern +um ein ratloses Verhandeln über ein verlorenes Gut, +war der Rest der unsicheren Andacht zerstört.</p> + +<p>Das ausgezehrte Gesicht Fridlins war von Schmerzen +entstellt, er warf sich endlich nieder und rief Onne am offenen +Grab mit verwirrten Worten an.</p> + +<p>»Wie hast du es gemeint,« rief er unter Schluchzen, +»was hast du im Wald von Anje gehört?«</p> + +<p>Er sprach noch mancherlei Dinge, die trotz ihrer Unverständlichkeit +einschüchternd wirkten, weil man sie mit +seinem Leidenseindruck in Zusammenhang brachte, und +weil sie durch seine Verzweiflung einen schaurigen Sinn +bekamen, den keine Klarheit ihnen hätte verleihen können.<a class="pagenum" name="Page_140" title="140"></a> +Niemand begriff, daß der junge Mann sich in Hoffnungslosigkeit +und Herzensangst in ihre Mitte gedrängt hatte, +weil er unbewußt Hilfe von den Menschen erhoffte. Vielleicht +mochte hierin der Grund zu finden sein, daß er sich +plötzlich in maßlosem Zorn gegen die Nächststehenden +wandte und in Schmähungen ausbrach. Als man ihn +ergriff und fortführte, wurde er still und ließ mit sich +geschehn, was man wollte. –</p> + +<p>Als Gerom am Abend zur Ruhe gehn wollte, trat +Anje vor ihn hin und fragte ihn schüchtern:</p> + +<p>»Gehst du heute nacht in den Wald?«</p> + +<p>Gerom sah erstaunt auf und bejahte ihre Frage zögernd.</p> + +<p>»Warum willst du es wissen?« antwortete er ihr.</p> + +<p>Anje strich sich ihr Haar gelassen über die Schulter, +vom Herd her fiel ein milder Feuerschein über ihre Gestalt, +ihr ruhiges Gesicht glühte im dämmrigen Rot. +Geroms Stirn verfinsterte sich, er stand schwer und alt +im Schatten an der Tür, und sein grauer, verwilderter +Bart bedeckte seine Brust bis zur Hälfte. Er forschte in +diesen Zügen, deren reines Licht von so großer Unschuld +erstrahlte, daß ihn eine glückhafte Schwäche befiel,<a class="pagenum" name="Page_141" title="141"></a> +die das Herz eigensinnig zu unerreichbaren Gütern überredete. +Er fühlte sich schuldig, weil er ihr kein Trostwort +gesagt hatte wegen Onnes Tod, aber er brachte dererlei +nicht über sich; war es nicht Tröstung genug, daß sie beide +den gleichen Schmerz ertragen mußten? Aber vielleicht +verlangte es sie nach einem Beweis seiner Teilnahme.</p> + +<p>Deshalb sagte er nun:</p> + +<p>»Onne ist gestorben …«, er stockte und fuhr fort: »so +sollte es geschehn.«</p> + +<p>Anje sah auf.</p> + +<p>»Fürchte dich im Wald,« sagte sie, ohne auf seine +Worte einzugehn, »ich habe Angst, weil niemand gegen +den Tod einen Schutz hat.«</p> + +<p>Überrascht tat Gerom einen Schritt auf sie zu, dann +besann er sich und sagte ruhig:</p> + +<p>»Anje, der Tod ist eine Pflicht des Menschen, wer ihn +fürchtet, versteht das Leben nicht.«</p> + +<p>»In das Leben kommt die Angst«, sagte Anje und +legte die Hände unter ihrem Gesicht zusammen, wobei sie +die Arme an die Brust drückte, und mit zitternder Stimme +fügte sie in ihrer kindlichen Weisheit hinzu: »Du bist<a class="pagenum" name="Page_142" title="142"></a> +der Vater, was soll ich ohne dich tun? Ich kann auch +die Pflicht ohne dich nicht tun.«</p> + +<p>Gerom wandte sich ab und stieß mit dem Fuß an die +Holzscheite am Herd, um sie zusammenzuschichten. Es +verlangte ihn inbrünstig danach, Anje einen Beweis seiner +Liebe zu geben, aber schon sein Wunsch beschämte ihn. +Am späten Abend, als die Nacht herabsank, dachte er an +ihre Worte und den einfachen Sinn. Es kam ihm darüber +zum Bewußtsein, daß Anje auf diese Art noch niemals +zu ihm gesprochen hatte, und darüber erkannte er, +wie reich Onne gewesen war. Wie oft mochte ihr sein +Kind vieles dargebracht haben, was das Herz bewegte. +Nun kam Anje zu ihm, weil die alte Frau gestorben war. +Außer den Darbietungen der Seele gab es für ihn keine +Gaben, deren Wert er achtete, und er segnete die Tote. +Im farbigen Licht des Herbstwalds sah er wieder +Anje und Onne vor der Holzwand ihrer Hütte stehn, +nachdem er Ausbesserungen daran vorgenommen hatte, +auch erschienen sie ihm beim Beerensuchen unter den +Tannen, Onnes rotes Kopftuch leuchtete neben dem +hellen Haar des Kindes, beide schritten gebückt durch<a class="pagenum" name="Page_143" title="143"></a> +das braune und grünliche Dämmerlicht der großen +Bäume.</p> + +<p>Seine Gedanken raubten ihm den Schlaf. Über dem +einsamen Haus und seinen Menschen herrschte die traurige +Ratlosigkeit in allen Räumen, die der Tod nach seinen +unbeschreiblichen Besuchen zurückläßt. So erhob sich Gerom +unruhig in der Nacht und erstieg die Treppe zu Anjes +Schlafkammer. Auf halbem Wege glaubte er Schritte +zu hören, die zu verstummen schienen, sobald die seinen erklangen. +Es war ganz dunkel im Haus, nur durch das +kleine bläuliche Rechteck eines Fensters sah er zwei Sterne, +einen größeren, der lebhaft flimmerte, und einen kleinen +neben ihm, der friedsam glühte. Er begegnete Anje auf +der Treppe.</p> + +<p>»Ich kann nicht einschlafen«, sagte sie.</p> + +<p>»Wohin willst du denn gehn?«, fragte Gerom befangen, +denn es beschämte ihn, daß er seinem Wunsch +nachgegeben hatte, in das schlafende Gesicht seines Kindes +schaun zu wollen, aber es hatte ihn übermächtig gepackt, +als wälzte sich die Last seiner langen Einsamkeit zur Stunde +wie in Bergen auf seine Brust. Er hatte an Anjes Angesicht<a class="pagenum" name="Page_144" title="144"></a> +gedacht, an die warme Stille ihrer Schläfen, an +die gesenkten Augenlider, die am hellsten waren, und an +das unschuldige Glück ihres schlafenden Mundes. Heiß +und bitter ward er sich bewußt: Ich hab sonst nichts.</p> + +<p>Nun hörte er aus der Dunkelheit über sich die Stimme +antworten:</p> + +<p>»Ich wollte zu dir.«</p> + +<p>Da schritt er hinauf und umarmte Anje. Sie legte +ihre Arme um seinen Hals und hängte sich daran. Keiner +von ihnen sprach im dunklen Haus. Dann nahm Gerom +ihre Hände:</p> + +<p>»Du sollst des Todes wegen nicht traurig sein«, sagte +er mit bebender Stimme.</p> + +<p>Er fühlte, wie Anje eifrig den Kopf schüttelte, und er +empfand ihr Lächeln, obgleich er es nicht sah, aber er war +dieses Lächelns so gewiß, daß er später in seiner Erinnerung +den Eindruck hatte, als sei es in diesen Augenblicken hell +gewesen. –</p> + +<p>So war nun Onne im Tode gelungen, was sie in +ihrem Leben nicht zuwege gebracht hatte. Vielleicht war +auch Angelikas Wunsch durch Geroms Gang in ihr Bereich<a class="pagenum" name="Page_145" title="145"></a> +mächtig geworden, denn das Glühn der Liebeswünsche, +die Tote mitnehmen, vereint sich im Unvergänglichen +zu Licht, das wieder auf die Erde sinkt und niemals +seinen Platz verfehlen wird.</p> + +<hr /> +<h2><a class="pagenum" name="Page_146" title="146"></a><a name="Zwolftes_Kapitel" id="Zwolftes_Kapitel">Zwölftes Kapitel</a></h2> + +<p>Ein Herbstmorgen dämmerte herauf, Gerom kniete auf +dem schmalen Pfad einer Waldlichtung zwischen Himbeersträuchern, +mit einem erlegten Rehbock beschäftigt. Das +Tier blutete aus dem Maul, und der leblose Kopf mit den +gebrochenen Augen schlenkerte hin und her unter den Hantierungen +des Jägers und verstreute die Blutstropfen. Die +vom Nebel dämmrige Morgenluft befeuchtete die Büsche +und das Gras, Geroms grauer Bart war so naß wie +seine Hände und das Fell des Rehs. Eine feine Wolke +dampfte an der Stelle empor, wo die beiden in der kühlen +Morgenluft weilten, und Geroms Gesicht hatte einen +düsteren Ausdruck von Entschlossenheit, der es stark und +schön erscheinen ließ. Im Gebüsch kam ein Vogel an; +er ließ sich nieder, flog aber sogleich wieder davon, als habe +das tote Waldtier ihn erschreckt, das Reis der Himbeere<a class="pagenum" name="Page_147" title="147"></a> +schwankte leicht von seiner Berührung, und ins Gras fielen +Tropfen.</p> + +<p>Als Gerom von seiner Hantierung einen Augenblick +aufschaute, sah er auf dem Pfad im Morgennebel Fridlin +stehn.</p> + +<p>So ungewiß die Umrisse dieser Gestalt sich aus dem +grauen Dunst hoben, so wenig ließ seine Haltung einen +Zweifel über die Absichten zu, die ihn an seinem Platz +hielten. Gerom drehte sich langsam herum, ohne sich von +den Knien zu erheben, und wandte sich Fridlin voll zu, +wobei er die blutige Hand an die Stirn hob, um den Blick +zu sichern. Seine Ruhe und die Vorsicht seiner Bewegung +erinnerte an ein Raubtier, das über seiner Beute den Feind +prüft, und das im Bewußtsein seines Rechtes oder seiner +Kraft handelt, nur seine Augen sahen besorgt und zornig +drein, wie wohl einer dreinschaun mag, der gefahrbringende +Befugnisse in der Verwaltung eines Unmündigen vermutet.</p> + +<p>So geschah es, daß es eine Weile totenstill in der Waldlichtung +blieb, die nach Osten geöffnet war, so daß man +den herannahenden Morgen im weißen Licht über der +Ebene im Nebel schimmern sah. Gerom machte eine unwirsche<a class="pagenum" name="Page_148" title="148"></a> +Bewegung mit der Hand: »Geh deiner Wege«, +sagte er barsch, aber noch ehe er Fridlins Antwort recht +verstanden hatte, empfand er aus dem Ton seiner Stimme, +daß ihm Gefahr drohte, und er reckte sich ingrimmig auf, +zog den Nacken ein, und seine Hände ballten sich zu Fäusten, +deren eine das blutige Messer hielt, er blieb aber noch +auf den Knien am Boden. Fridlin sagte beinahe leise, +aber böse und entschieden:</p> + +<p>»Laß den Bock und die Büchse, wo sie liegen, und +geh du.«</p> + +<p>Gerom verstand nur so viel, daß dieser Bursche, der +Anje nachstellte und dem er sein Haus verwiesen hatte, ihm +kraft seines Amtes zu drohn wagte. Ein geduldetes Unrecht +verwandelt sich im Bewußtsein bald in ein Recht, +so daß Gerom um so heißer in Zorn geriet, als er sich in +einem längst erwiesenen Anspruch beeinträchtigt sah und +kein Schuldbewußtsein empfand. Fridlin war um einige +große Schritte näher getreten, nun erkannte Gerom den +Haß, der das Gesicht seines Gegners entstellte. Ach, du +bist es, dachte er, als sähe er einen ganz neuen Menschen +vor sich.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_149" title="149"></a>Darüber schwand seine Sorge, da es galt sich zu bewähren, +er lachte aber nur herausfordernd auf, wandte sich ab +und beugte sich wieder über das erbeutete Tier. Da erklang +Fridlins Stimme in tödlicher Gereiztheit und fast geschluchzt:</p> + +<p>»Du kannst von deiner Gewohnheit zu morden nicht +lassen, Alter, aber jetzt ist es genug. Deine Waffe und +das Wild sind mein, dafür behalt deine Schande und +dein Kind, das aus ihr gekommen ist, und dein Leben, +wenn du magst.«</p> + +<p>»Leg dein Spielzeug fort, Bursche«, antwortete Gerom +langsam, aber mit ruhiger Stimme, die die dunkle Ahnung +von einer nahenden Wandlung bewegte. Aber diese Betroffenheit +war nur von kurzer Dauer, es befiel ihn darüber +ein Grimm, der wie mit roten Nebeln seine Blicke verschleierte.</p> + +<p>»Glaubst du, junger Hund, ich fürchtete dich?« fragte er +und erhob sich wie ein Bär vom Grund; im Gesträuch, +dicht neben ihm, lehnte seine Jagdbüchse. Er machte den +Schritt dorthin in einem ungelenken Satz und in halb gebückter +Haltung, in scheinbarer Unsicherheit, und sein rasch und +plump bewegter Körper bot auf diese Art ein schwer zu<a class="pagenum" name="Page_150" title="150"></a> +sicherndes Ziel für den Gegner. Mit grimmigem Aufschrei +ergriff er wie mit einem Schlag seine Büchse, als ob er +sie mit der Hand zerschmettern wollte. Die mit großer +Gewandtheit gepaarte Wildheit dieser Bewegung schüchterte +selbst Fridlin ein, obgleich es in seinem Willen lag, +daß Gerom sich seiner Waffe bemächtigen sollte.</p> + +<p>Als jener nun in gebückter Haltung herumschnellte, feuerte +Fridlin von seinem ruhigen und aufrechten Stand aus seine +Waffe ab, die mit einer Kugel geladen war, und durchschoß +Geroms Brust. Der alte Mann sank mit einer +täppischen Bewegung zu Boden, wobei er das Gewehr +fahren lassen mußte, um seinen Körper zu stützen, und der +Ausdruck seines Gesichts war darüber einen Augenblick voll +Verlegenheit, als schämte er sich und als unterdrückte er +ein eiliges Wort der Erklärung. Aber dann riß ihn ein +wütender Lebenswille zusammen, und er raffte sich steil auf +die Knie empor, ließ sein Blut aus dem Mund rinnen, +wie es wollte, und hob die Jagdbüchse gegen Fridlin.</p> + +<p>Der junge Mensch war mit zwei raschen Schritten +hinzugesprungen und stand nun dicht vor dem tödlich verwundeten +Mann. Zwei weitaufgerissene blaue Augen,<a class="pagenum" name="Page_151" title="151"></a> +aus denen eine unwirkliche Lebenshelligkeit flackerte, bemächtigten +sich seiner in furchtbarer Anklage. Das Blut, das +aus den Mundwinkeln troff, entfärbte sich in dem grauen +Bart, zog dunkle Rinnsale herein und klebte die Haare an +das Tuch des Rocks, dabei sank der große Kopf herab und +arbeitete sich, nach rechts und links wankend, mühselig +wieder empor, wobei Gerom das Blut zu schlucken sich +bemühte. Als er nach einer krampfhaften Bemühung +Halt gewann, richtete er die Büchse ohne Schwanken auf +Fridlin, ließ sie aber plötzlich mit einem schweren Lächeln +sinken und schüttelte den Kopf. Er hatte neben dem jungen +Menschen, der bewegungslos dastand und sein Teil zu erwarten +schien, die Waldferne im Nebel gesehn, die sich +unter den Bäumen im Morgenwind gelichtet hatte. Es +strahlte ihm friedsam auf diesem Wege entgegen, ein freundlicher +Schein von Genügen und geduldigem Glück, und +was den Rest seines Lebens hindurch seine Stillung gewesen +war, überwand ihn in diesem furchtbaren Augenblick +zu einem guten Beschluß.</p> + +<p>»Armer Hund«, sagte er mit einem Gurgeln in der +ersterbenden Stimme zu Fridlin, ließ die Jagdbüchse ins<a class="pagenum" name="Page_152" title="152"></a> +Gras fallen und ergab sich seinem Schicksal, indem er sich +sinken ließ und sich beinahe demütig an den Erdboden +drückte. Er legte die große Hand, die einst Angelika geschirmt +und getragen hatte, die später ihren Geliebten erwürgt +und die viel später auf Anjes Haar geruht hatte, +auf die Wunde seiner lebendigen Brust und ließ den Tod +herannahn, wie er wollte.</p> + +<p>Fridlin beugte sich in fassungslosem Entsetzen vor. +Nun, da Gerom dem Tod sein Recht ließ, begriff er, daß +er ihn heraufbeschworen hatte und daß er selbst lebte. +Seinem zerstörten Gemüt drängte sich ungewollt der +Wunsch auf, von seiner Verpflichtung zu reden, es klang +närrisch und armselig, als er zu stammeln begann: »Du +hättest das Wild lassen sollen, Alter …« Er verstummte +und schluchzte trocken auf. Mit seiner Erkenntnis, daß +nun in dieser Waldlichtung ein anderer seine Herrschaft +angetreten hatte, überflutete das würgende Graun vor +diesem Allmächtigen seinen Geist; mit einem Aufschrei +aus dem Grund seiner armen gequälten Seele sprang er +auf und lief davon, ohne zu erkennen, daß er es tat, ohne +zu wissen, wohin es ihn trieb. Unter den Bäumen, an die<a class="pagenum" name="Page_153" title="153"></a> +er stieß, schrie er: »Das Anjekind ist an dem Unheil +schuld, das Anjekind …«</p> + +<p>Gerom vernahm nichts von diesen Worten, er wurde +sich nach einer Weile, bevor seine Sinne sich ganz umdunkelten, +dessen bewußt, daß er nun allein war, und daß +er nicht mehr die Kräfte hatte, um sich heimschleppen zu +können. Seine Brust war durchschossen, ihm war, als +drängte die Morgenluft bis in die Kammern seines Herzens, +erkühlend, ausleerend. Seine Gedanken reihten sich +um das Letzte, was er erblickte, das war ein merkwürdig +großer Zweig, der sich über seinen Augen im weißlichen +All gemächlich hin und her bewegte. In diesem weißlichen +Licht des Alls schwebte auch er selber, und sein Körper +wurde ihm leicht, als ob nun die Erde, die er im verschlossenen +Gemüt auf seine Art ertragen hatte, begänne +ihn zu tragen. Seine erleichterten Gedanken zogen ruhig +durch sein Leben, dessen große Ereignisse sie zu verschmähn +schienen, wie auch das Durchlittene, das sein Dasein reich +gemacht hatte, so daß es war, als ob ein guter Geist ihm +den Abschied vom irdischen Dasein leicht machen wollte, +dessen Inhalt die Schmerzen sind und nicht das Genossene.<a class="pagenum" name="Page_154" title="154"></a> +Wie dunkle Felsen liegen sie im durchmessenen Tal. Aber +der befreiende Strom, der dem Sterbenden durch die Sinne +zog, setzte sich aus lichten Gestalten zusammen, die mit +wunschlosem Lächeln herangaukelten. Er erblickte den +Fluß mit seinem Holzsteg, an dem er als Knabe gefischt +hatte, und die grüne Schilfwand des Ufers wurde vom +Wasser bestrichen, das die langen Gräser am Grund ins +Schwanken brachte, so daß es aussah, als schwämmen sie +wehmütig gegen die Strömung. Er sah ein Bildnis in +nüchternen Farben, eine Mutter Gottes mit einem Kinde +darstellend, das an der Wand seines Kerkers gehangen +hatte, und an dessen Holzrahmen von unbekannter Hand +Buchstaben in ein kleines Herz eingezeichnet waren. Angelika +ordnete Blumen in ein gläsernes Gefäß ein, für +dessen Gebrauch als Blumenbehälter man die Stiele kurz +schneiden mußte, sie lächelte auf ihre geheimnisvolle Art, +die ins Unerreichbare hinüberführte. Er sah dabei ununterbrochen, +wie sich das dunkle Grau des Zweiges über ihm +im weißlichen All bewegte, und unterschied die Blätter +und verfolgte ihre geduldigen und langsamen Bewegungen +in der nebligen Morgenluft.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_155" title="155"></a>Plötzlich dachte er an Anje, das Kind, und begann sich +auf dem Boden hin und her zu werfen, so daß das Blut +aus seiner Brust das niedergedrückte Gras seines kalten +Betts färbte. Seine Bewegungen waren nur noch schwach +und langsam, nur ihre weit ausholende Geste, wie er die +Arme warf und wie ihm die Stirn an den Boden schlug, +verrieten seine innere Bewegung und die Größe seiner +Angst. Zuletzt tauchte aus den finsteren Wolken, die sich +über ihn dahinwälzten, wie eine beleuchtete Insel aus +schwarzer Meerfläche, das Bewußtsein auf, daß er Anje +auf der Treppe begegnet war und daß sie an seinem Hals +gehangen hatte.</p> + +<p>Nun war ihm, als käme Anje aus dem dämmrigen +Braun und Grün der Waldferne dahergeschritten, und +sie legte ihre Hände auf seine Stirn. Es war der Morgenwind, +der es tat. Anje beugte sich über ihn und lächelte +froh, dies war die Sonne, die den Nebel aus der Lichtung +vertrieben hatte und strahlend in den frischen Wald schien. +Anje legte Geroms Haupt zurecht, daß es Ruhe haben +sollte, und preßte dann ihre Hand fest auf sein Herz, damit +es nun stillstehen sollte. Es war der Tod, der es tat.</p> + +<hr /> +<h2><a class="pagenum" name="Page_156" title="156"></a><a name="Dreizehntes_Kapitel" id="Dreizehntes_Kapitel">Dreizehntes +Kapitel</a></h2> + +<p>Anje schritt in der Frische des Herbstmorgens, an jenem +Tage, dessen Beginn Geroms Augen noch empfunden +hatten, durch den Wald. Sie wählte den Weg, der im +Schilf des Gurdelbachs entlang in die Weiden führte, +bald an Tannen vorüber, bald am Altwasser dahin.</p> + +<p>Ein Zweig mit roten Beeren hing in der Morgensonne +über dem Wasser, das Leuchten der herrlichen Farbe +im Sonnenschein zog Anjes Blick an, sie blieb stehn und +betrachtete die begrünten Ufer, über deren Pflanzen die +unschuldige Müdigkeit des Herbstes lag. Hier, im Frischen, +schien der Sommer noch nicht verdrängt, und doch kündigte +der Wandel der Zeit sich an, man fühlte ihn an +der Art des Lichts, am Geruch der Luft und an dieser +glückvollen Müdigkeit, in der die Pflanzen, die ihr +Wachstum längst beendet hatten, sich neigten über das<a class="pagenum" name="Page_157" title="157"></a> +dahinziehende Wasser. Die Bäume und Büsche bildeten +hier eine natürliche Laube, die über dem Bach gegen die +Sonne geöffnet war, so daß Anje in der Walddämmerung +stand und dies strahlende bunte Blätterhaus mit +seinem glitzernden Boden bewunderte. Ihr Glück war +so groß, als sähe sie dies alles zum ersten Mal, vielleicht +war es das herrliche Rot der kleinen Beeren über der +Flut, das ihr das Bild der Natur so wunderbar erneuerte. +Es schien, als läge über den Pflanzen am Ufer +die Erinnerung an das leidenschaftliche Blühn des Frühlings, +an die Gestilltheit und Fülle des warmen Sommers, +und ein Abglanz des Friedens, der ihrer im nahenden +Winter harrte, und die kleine Anje begriff über ihrer +Freude an beidem, am Sein und Ruhn, daß das Leben +und der Tod nur Zeichen einer beständigen Herrlichkeit +sein mußten, die höher als ihr Erkennen war. Sie hatte +einst durch Onne vom Dasein Gottes erfahren, als vom +Schöpfer der Welt und als vom Herzschlag der lebendigen +Natur.</p> + +<p>Sein Dasein war ihr selbstverständlich erschienen, wie +das Dasein ihres leiblichen Vaters, ihr Herz kannte noch<a class="pagenum" name="Page_158" title="158"></a> +keinen Zweifel, weil es keine Schuld kannte, und weil sie +der Schöpferkraft Gottes auch ihr Dasein verdankte, so wie +es war. Ihr Vertrauen zu Gott zeigte sich in der Dankbarkeit, +in der sie seine Welt bewohnte, und ihr Glaube erwies +sich in ihrer Freude daran.</p> + +<p>Als die alte Onne, bekümmert durch ihre Lebensmüdigkeit, +Anje einmal von der Schuld der Menschheit gegen +Gott gesprochen hatte, war aus Anjes Kindermund die +seltsame Antwort gekommen:</p> + +<p>»So wird Gott die Schuld gutmachen.«</p> + +<p>Aus den Augen der alten Frau brach ein Leuchten, +dem plötzlich Tränen folgten, die es verlöschten, aber unverwandt +blieben die Augen auf Anjes Angesicht haften, +wie im Bann einer wunderbaren Erscheinung, und mit +bebender Stimme rief Onne:</p> + +<p>»Er ist gekommen und hat es getan!«</p> + +<p>»Warum weinst du?« fragte Anje.</p> + +<p>Da sagte Onne: »Oh, du <ins title="gesegenetes">gesegnetes</ins> +Kind.«</p> + +<p>Mit der Erinnerung an diese Worte der alten Frau +kam Anje der Gedanke an die Nacht, die für Onne unaufhörlich +herrschte. Sie schritt langsam weiter durch<a class="pagenum" name="Page_159" title="159"></a> +das Schilf, das flüsterte, wenn sie es berührte, und oft +glänzte ein Sonnenblick durch das bunte Laub nieder, in +ihren blonden Haaren auf. Anje gab ihrer plötzlichen +Traurigkeit nach und weinte, ohne ihr Gesicht zu verhüllen, +sie schämte sich ihrer Tränen nicht vor der Erde, +die die Wiege des Todes und des Lebens zugleich ist. Dem +Mädchen war zumut, als wäre es mit einem heimlichen, +wohltuenden Stolz verbunden, zu wissen, wie schwer die +Erde oft zu ertragen ist.</p> + +<hr /> +<p>Fridlin verbrachte diesen Tag ruhlos im Wald. Ohne +Nahrung und zu Tode ermüdet, schweifte er in der Einöde +umher, bald dieser, bald jener seiner planlosen Eingebungen +gehorchend, aber ohne zu einem vernünftigen +Entschluß kommen zu können, bis ihn im Dickicht ein +Schlaf überwältigte, der einer Ohnmacht gleichkam. Im +Traum führte er seine Absichten aus, bald die eine, bald +die andere, er stand vor dem Förster und beichtete ihm das +Geschehene, sorgsam bemüht, Gerom ins Unrecht zu +setzen und den Zwang von Pflicht und Selbsterhaltung +darzustellen, der ihn getrieben hatte zu töten. Gegen dieses<a class="pagenum" name="Page_160" title="160"></a> +Lächeln des Försters, das ihn als Antwort traf, mußte es +doch einen Einwand geben; woher wollte jener wissen oder +erweisen, was zu dieser Tat geführt hatte? Dann wieder +suchte er im Wald Anje, die er nun vom Zwang des +väterlichen Willens befreit glaubte, und fand sie im Grund +jener aus Grün und Braun gewebten Tiefe der Waldferne +allein. Er eilte auf sie zu, und seine frohe Gewißheit, +ihr nicht nur alles erklären zu können, sondern auch +ihre verzeihende und tröstende Liebe zu finden, beflügelte +seine Schritte. Aber die unhaltbare Ferne entrückte ihm +und mit ihr Anje, wie einst in Wirklichkeit, wenn er +hoffte, sie erreicht zu haben. Ihre Spur blieb im Licht +und in der Stille auf wunderbare Art zurück, zugleich +ungreifbar und klar geschieden, überall dem Vertrauten +zugehörig und doch fremd, wie eine Spur im Schnee.</p> + +<p>Im Verlauf seines tiefen und doch ruhlosen Schlafs +nahm es an finstern Mächten zu, die ihn mehr und mehr +zu bedrängen begannen. Sie waren ohne greifbare Gestalt +und nahten in gewaltigen Ballen heran, die sich geräuschlos +in furchtbarer Allmacht über ihn dahinwälzten. +Es gab kein Entrinnen, da die herannahenden Nächte,<a class="pagenum" name="Page_161" title="161"></a> +die kreisenden schwarzen Wolken vergleichbar waren und +das ganze All umfaßten, doch Raum auf seiner Brust +fanden, der sie zu entwachsen schienen und die sie zugleich +begruben. Als er von seinem eigenen Stöhnen erwachte, +war es Nacht, er riß die Augen auf und starrte um sich, +ohne sich zurechtfinden zu können. Seinen verfinsterten +Sinnen war anfänglich nicht mehr erkennbar, als daß +jene düsteren Ballen, die ihn begruben, sich über ihm, in +einem merkwürdig weißen Licht verschwimmend, still angesammelt +hatten. Es waren die Baumkronen, unter +denen er geschlafen hatte, im schrägen Licht des Mondes, +der aufgegangen war.</p> + +<p>Er sprang jählings empor und stürmte mit vorgereckten +Armen zwischen den schwarzen Stämmen dahin, als +gälte es, der Gefangenschaft der Bäume zu entrinnen, +einem unsicheren Lichtschein entgegen, der schwach in der +Ferne glomm. Dort flimmerte das ungewisse Himmelslicht +an den Erlbüschen und Weiden, an deren Wurzeln +es sich in Wasserlachen spiegelte, im Schwarzen und +totenstill. Diese Ruhe lockte Fridlins fieberndes Blut, +sie versprach ihm Kühle und das Ende seiner Qual, die<a class="pagenum" name="Page_162" title="162"></a> +er kaum noch erkannte, deren Wesen er in den Zerrüttungen +seiner Sinne ahnte, wie Schlafende eine herannahende +Gefahr im Traum. Scheinbar schüchtern und +zweifelnd trat er bedächtig hinzu und sah das schwarze +Wasser an. Sein Spiegelbild bewegte sich darin, er fuhr +voll Entsetzen zurück und reckte die Hände nach unten hin +gegen den morastigen Hauch aus, der dem Moorwasser +entströmte und dem tausendjährigen Schlamm.</p> + +<p>In der kahlen Gabelung eines Weidenstumpfs über +dem feuchten Grund hockte ein graues Tier mit dem Gesicht +eines kleinen alten Menschen. Es war weich und +farblos, mit breiten Schultern, in denen der Kopf sanftmütig +schaukelte. Das Gesicht lächelte mit matten Augen +und freundlich, und die Hände hingen schwächlich an den +halb erhobenen Armen nieder. Fridlin kannte dies Fabelwesen, +das er zu erblicken glaubte, aus seiner Kinderzeit +her und wußte, daß es beim Herannahen bedrängter Menschen +für gewöhnlich flüchtete, um sich abwartend in die +Gabelung einer anderen Weide zu setzen. Es drückte die +Köpfe ertrinkender Menschen nieder, die in den Sumpf +geraten waren.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_163" title="163"></a>Im Grunde zog es den Verlorenen in seiner Schreckensnacht +zu einer anderen Stätte hin, es war eine schmerzvolle +Sucht, die als drängendes Unterbewußtsein von +Augenblick zu Augenblick an Macht über ihn gewann. +Als er diesem Drang endlich nachgab, lichteten sich die +Verfinsterungen seines Gemüts ein wenig, als ob sich mit +seinem Gehorsam gegen dieses Verlangen eine Erleichterung +seiner Sinne verbände. Er fand die Waldlichtung +in kurzer Zeit, in der Geroms Leiche im Mondschein lag. +Dort erkannte er beim zögernden Hinzuschleichen zuerst +nur eine dunkle, unförmige Masse am Boden zwischen +den Himbeersträuchern und versuchte auf den Zehenspitzen +und mit stockendem Atem, hinter den Büschen stehend, +die Formen des Körpers zu unterscheiden. Seine Vorsicht +hatte etwas sonderbar Kleinliches, er vermied die nassen +Zweige und achtete sorgsam darauf, kein Geräusch hervorzurufen.</p> + +<p>Neben dem Toten, mitten im vollen Mond, saß das +Anjekind mit gefalteten Händen.</p> + +<p>So hell das sinkende Gestirn immer noch schien, gab +das nächtliche Licht ihrer Gestalt doch etwas Unwirkliches,<a class="pagenum" name="Page_164" title="164"></a> +sie erschien in ihrer geraden stillen Haltung wie eine +zur Hälfte versunkene Statue, besonders weil der Mond +von hinten her auf ihren Körper schien und das eintönige +dunkle Grau ihrer Erscheinung in hellere Umrisse legte. +Da ihr Haar gelöst war, sah ihr Haupt in dieser Beleuchtung +ungewöhnlich groß aus, es ruhte fast unförmig, +wie ein Tierkopf, auf den schmalen, lieblichen Schultern. +Von ihnen abwärts sanken die Linien der hängenden +Arme gerade nieder, von bleichem Licht eingerahmt, regungslos +und doch von eindringlicher Lebendigkeit. Fridlin +erkannte lange nicht, worauf ihre Blicke gerichtet waren, +bis er, erstarrend vor Entsetzen, gewahr wurde, daß sie +ihn ansah.</p> + +<p>Ihn befiel der Zweifel, ob er jemals von diesem Wesen +etwas gewollt hatte, das dort hockte und ihn mit seinen +Blicken beherrschte. Was war von ihr seiner armen +Menschenhoffnung verbunden gewesen? Im Fieber durchmaß +sein Geist die Wegstrecke seines Lebens, die von der +ersten Begegnung im Sommergrün am Gurdelbach bis +zu diesem nächtlichen Waldplatz führte. Seine Sinne +trieben ihn durch ein Chaos von unklaren Vorstellungen<a class="pagenum" name="Page_165" title="165"></a> +dahin, wie aufgescheuchte Vögel durch staubigen Wind +getrieben werden, der ein herannahendes Ungewitter verkündet. +Mit einer übergroßen Ermüdung zugleich befiel +ihn eine Kindertraurigkeit, so daß er hätte still und in +Rührung über sich selbst vor sich hinweinen können. Er +sagte laut:</p> + +<p>»Ich bin unschuldig.«</p> + +<p>Da erhob Anje sich rasch, es erschien deutlich so, als +ob sie es in einem fröhlichen Eifer täte; jetzt war sie es +wieder selbst, wie ehedem, Fridlin erkannte sie besser, als +sie nun auf ihn zukam und mit der Hand die Zweige der +Sträucher zur Seite bog. Sie legte ihm den Arm um +den Nacken, so daß er im höchsten Erstaunen seinen Kopf +etwas zurückbiegen mußte, um sie ansehen zu können. Sein +Mund öffnete sich etwas, und seine aufgerissenen Augen +starrten in Anjes bleiches Gesicht. Sie schmiegte ihren +Körper leicht an den seinen, so daß ihn ein rätselhafter +Schauer für einen Augenblick aus seinem Erstaunen zog, +er empfand die weiche Schmiegsamkeit dieses Körpers und +einen Hauch, dem Geruch welkender Blumen vergleichbar, +der aus ihrem offenen Haar stieg. Dann sah er ihren<a class="pagenum" name="Page_166" title="166"></a> +Mund, der mit geöffneten Lippen in einer wehmütigen +Verzerrung lächelte, und begriff, wie durch einen lauten +Zuruf gewarnt, seinen Tod.</p> + +<p>In der jähen abwehrenden Bewegung, die er mit einem +leidenschaftlichen Ruck machte, traf es ihn. Er sah noch, +daß Anjes Kopf durch sein Aufschrecken zurückgeworfen +wurde und hatte die Empfindung, als hätte ihre kleine +Faust fest und aufgeregt in der Nähe des Herzens gegen +seine Brust geschlagen. Erst beim nächsten Atemzug begriff +er, was ihm geschehen war und sah hinab: merkwürdig +plump und unwirklich hockte der Griff des Jagdmessers +ihm aufrecht am Rock, und nun ergriff es eisig das Herz +seines Lebens, zog ihn in einen süßlichen Taumel von +Ohnmacht hinein und schmerzvoll zu Boden nieder. Er +starb rasch, weil sein Herz durchstochen war, und unter +Anjes Augen, einen betroffenen Widerspruch und eine +Frage in seinem übermüdeten Gesicht, ohne die Qual des +Todes im Bewußtsein gekostet zu haben. –</p> + +<p>Der Mond sank tiefer herab, und die Waldungen der +Einöde umdunkelten sich mehr und mehr. Der Wind +trieb nasse Nebelschwaden aus den Gründen der Sümpfe<a class="pagenum" name="Page_167" title="167"></a> +in die Lichtung, jene Dünste, die den beklemmenden Geruch +wie von Teer und alter Erdnässe mit sich bringen, +wie sie dem späten Herbstland entsteigen. Nur die schweren +Umrisse der Baumgruppen, die den Augen am nächsten +waren, blieben noch eine Weile kenntlich, während +schon nach einer kleinen Entfernung die fahlen Nachtschleier +alles in der einförmigen Ebene in eine unerforschliche +Ausgeglichenheit betteten. Die kreisende Erde setzte +unermüdlich ihre Reise fort, mit den toten, den lebendigen +und den heraufdrängenden Wesen der Natur.</p> + +<hr /> +<h2><a class="pagenum" name="Page_168" title="168"></a><a name="Vierzehntes_Kapitel" id="Vierzehntes_Kapitel">Vierzehntes +Kapitel</a></h2> + +<p>Zwei Tage nach diesen Ereignissen erhielt das Forsthaus +der Dachenau einen ungewöhnlichen Besuch; es war +Hirte, der in einem traurigen Zustand vor der Gartentür +anlangte und hineinzukommen versuchte. Die Jagdhunde +des Försters erschwerten ihm sein Vorhaben nach Kräften +und im besten Glauben, ihren Verpflichtungen nachzukommen, +so daß Hirte gezwungen war, sich bis zur Ankunft +eines Menschen im Gebüsch zu verbergen, wo er sich +in das welke Laub legte und wartete. Er leckte den weißen +Reif von den braunen, gekrümmten Blättern, weil er +durstig war, und zitterte vor Hunger und Kälte, denn in +dieser Nacht waren die ersten Fröste niedergegangen, und +schon den ganzen Morgen über rauschte, wie ein bunter +Regen, überall das Laubwerk zu Boden.</p> + +<p>Als der Förster erschien, wagte Hirte sich aus seinem<a class="pagenum" name="Page_169" title="169"></a> +Versteck hervor, und wie er es erhofft hatte, wurden die +beiden Jagdhunde sogleich zurückgerufen, als sie ihn durch +ihren Zorn verrieten. Der Förster trat hinzu und zog die +Brauen hoch, als seine Blicke über den armen Hirte hinglitten, +dessen Zustand bejammernswert war. Er schien +sich kaum auf den Beinen halten zu können, und sein +nasses ruppiges Fell sah aus, als ob es zerfetzt und durchlöchert +wäre. Aber Hirte schämte sich seines Zustands +nicht, er nahm auch keine Nahrung an, obgleich er so von +Kräften war, daß ihm das Laufen Mühe machte. Er +war glücklich, einen Menschen gefunden zu haben, und +mit seinen nachdenklichen Augen, die nie anders als traurig +dreinschauen konnten, lief er ein Stückchen in den Wald, +kehrte um, suchte die Blicke des Försters und verschwand +wieder im Wald.</p> + +<p>Da nahm der alte Mann mit ernstem Gesicht seine +Jagdbüchse über die Schulter, schloß seine eigenen Hunde +im Hofe an und folgte Hirte. Auf dem langen Weg, der +bald durch unsicheres Gelände, bald durch Wald und +Erlendickicht führte, überkam den Förster eine immer +größere Besorgnis, die sich langsam zur Angst steigerte,<a class="pagenum" name="Page_170" title="170"></a> +je unermüdlicher Hirte zur Eile anzutreiben schien. Das +häßliche Tier, dessen Eifer mit seiner letzten Körperkraft +rang, rührte ihn so tief, daß er mit einer ganz ungewohnten +Bewegung kämpfte. Als der Hund wieder bei ihm +anlangte, beugte er sich nieder und klopfte liebevoll den +mageren Rücken und streichelte den unschönen Kopf, der +seine Gedanken nicht verraten konnte und unter dem ein +Herz aus verborgenen Gründen her ein unerforschbares +Liebeslicht in die matten Augen schickte. Sie hatten nun +die alte Landstraße längst überschritten.</p> + +<p>»Hirte,« sagte er, »Hirte, was ist denn geschehen?«</p> + +<p>Das Tier entzog sich seiner Liebkosung ohne Erkenntlichkeit +und eilte wieder voraus. Oft, wenn ein Hindernis +dem Alten den Weg erschwerte, stand Hirte drüben und +sah aufmerksam <ins title="zu">zu.</ins> Er bändigte seine Ungeduld, +und es +erschien fast, als riete er zur Vorsicht.</p> + +<p>Der Förster wußte, daß Fridlin nun schon die zweite +Nacht nicht in die Dachenau zurückgekehrt war, und +wenn er nicht erbittert auf den jungen Menschen gewesen +wäre, so hätte er sicher Nachforschungen anstellen lassen. +Vor ihm verschwand Hirte in einer Lichtung zwischen<a class="pagenum" name="Page_171" title="171"></a> +Himbeerbüschen und kam nicht mehr zurück. Der Alte +schüttelte den Kopf und stolperte eilig über den unebenen +Grund voran, dieser Ort lag wohl eine Stunde von +Geroms Blockhaus entfernt. Da sah er die großen, +dunklen Flecke durch das Gezweig, zwei, drei, und +zwischen ihnen bewegte sich der braune Hirte, um sich +dann niederzulegen.</p> + +<p>Der alte Mann reckte die Arme gegen das Bild aus, +das sich ihm darbot. »In meinen alten Tagen soll ich +es sehen …«, stammelte er und stand still da, als wäre +die unbeschreibliche Erstarrung auch über ihn gekommen, +die über den stillen Menschen vor ihm lag. Aus einem +Busch, dicht zu seiner Seite, sahen ihn trüb und hell die +gebrochenen Augen seines jungen Gehilfen aus einem +weißen Gesicht an. Der Kopf war zurückgeworfen und +hatte keinen Halt, er hing leblos nieder, mit Reif auf der +Stirn, und diese ihres Lebens beraubten Augen spiegelten +den großen leeren Himmel, der sich grau und kalt, wie +eine letzte Hoffnung, über der verlassenen Erde ausspannte. +Aus der Brust des Toten starrte der Knauf eines Jagdmessers, +der aus Hirschhorn geschnitzt war, und rätselhaft<a class="pagenum" name="Page_172" title="172"></a> +zärtlich ruhte die erkaltete Hand daneben, wie die blutlosen +Hände der Märtyrer in Verzücktheit das erleuchtete Herz +der Brust zu schützen scheinen.</p> + +<p>Dem Toten gegenüber erkannte er die derbe Gestalt des +Einsiedlers Gerom an dem großen grauen Bart, der die +halbe Brust verdeckte. Auch Gerom war tot, seine Augen +waren geschlossen, und der Reif der Nacht glitzerte auf +den Lidern, wie er auf den Halmen und Steinen umher +und auf den welken Blättern glitzerte. An seine Seite +geschmiegt lag sein Kind. Anjes Arm war von unten her +um den Hals ihres Vaters geschlungen, so daß sein Haupt +an ihrer Schulter ruhte, und sie hatte ihre Wange an +seine gepreßt. In einer Gebärde von Frömmigkeit, die +hilflos und unaussprechlich liebreich war, war ihr nur +dürftig bekleideter Körper an den seinen angedrückt, sie +deckte ihn spärlich mit ihren zarten Gliedern, und der Ausdruck +ihres Gesichts war von abweisender Bitterkeit.</p> + +<p>Da sah der Förster, der sich bisher nicht zu rühren gewagt +hatte, daß ein kaum spürbarer, feiner Hauch aus +ihrem Mund in die kalte Morgenluft emporstieg, und +von wilder Freude und Angst emporgerissen, stieß er einen<a class="pagenum" name="Page_173" title="173"></a> +rauhen Schrei aus, der so unbeherrscht war wie sein jäher +Sprung zu den Beiden hinüber.</p> + +<p>»Kleine!« rief er. »Anje! Anjekind!«</p> + +<p>Sie rührte sich nicht. Es erschien ihm nur, als ob ihr +Arm, der den Vater hielt, eine schwache Regung zeigte, +in der er sich fester um den erstarrten Hals legte. Da +warf der Zitternde seinen groben Rock ab, riß sein Tuch +vom Hals und hob das Mädchen behutsam vom nassen +Boden auf. Er schien alles andere um sich her vergessen +zu haben, und das Grauen, das von den Toten ausging, +berührte ihn nicht mehr, vor Freude bebend hüllte er Anje +in das derbe Tuch seines Rocks. Wie kühl und leicht ihr +schlanker Körper war. Seine Augen gingen ihm vor Erbarmen +über, als er die erstarrten Glieder des Kindes an +ihren leblosen Körper legte. So hob er sie auf seine Arme +und eilte mit großen Schritten davon, seine Last so fest +an sich pressend, wie ihre zarte Gestalt es ihm zu erlauben +schien, und den warmen Hauch seines Mundes auf dem +nassen bleichen Angesicht an seiner Brust.</p> + +<p>So sah er im Davoneilen nicht, daß Hirte sich erhob +und Miene machte, ihm zu folgen, aber er hatte nicht die<a class="pagenum" name="Page_174" title="174"></a> +Kraft dazu. Er machte ein paar Schritte, zögerte und +sah den Beiden nach, die bald zwischen den Baumstämmen +verschwunden waren. Die braunen Augen unter den +Stirnfalten sahen Anje nach, solange er noch eine Bewegung +in der Ferne wahrnahm, dann kehrte er um, legte +sich neben Gerom auf den Boden, den großen Kopf auf +den Vorderfüßen, und schloß die Augen.</p> + +<hr /> +<p>Anje hatte von aller Fürsorge der erschütterten Menschen, +die sie in ihr Haus aufnahmen, nichts empfunden. Die +beiden kalten Nächte und ein langer, grauer Tag, die sie +wie in einem Zustand der Betäubung mit ihren Schmerzen +zugebracht hatte, waren stärker gewesen als der ohnmächtige +Widerstand ihrer Seele, die keine andere menschliche +Zuflucht kannte als das Herz ihres Vaters. –</p> + +<p>Nun erwachte sie in der ruhigen Nacht und schlug +ihre Augen auf. Sie erblickte ein großes, fremdes Zimmer, +das in sanftem Licht erglänzte, aber sie erkannte nicht, daß +es Licht vom Mond war. Sie lag in einem breiten Bett, +dessen Leinen duftete, und man hatte ihr ein weißes Kleid +angezogen, das ihr kühl und schwer erschien, aber so rein<a class="pagenum" name="Page_175" title="175"></a> +wie Schnee. Alles umher, wie auch der Atem ihrer Brust, +war unendlich leicht und frei, sie glaubte zu träumen und +versuchte sich zu besinnen. Aber durch ihr Gemüt zog nur +der geheimnisvolle Beginn ihres kleinen Buchs, als erinnerte +ihre Hoffnung sich. »Um das weiße Schloß flogen +in der Abendsonne die Schwalben, es lag auf ebenem Gefilde, +frei im weiten Land …«</p> + +<p>Durch das unverhangene Fenster sank der Mondschein +so hell in den stillen Raum, daß Anje an der Wand zwei +Bilder erkannte, die Begebnisse auf der Jagd darstellten, +eilende Menschen, gefleckte Hunde und einen sinkenden +Hirsch, der am Rande des Wassers in die Knie gebrochen +war. Dazwischen hing das Bildwerk eines Mannes, der +mit ausgebreiteten Armen an zwei Balken schwebte, die +ein Kreuz bildeten, sein Kopf hing zwischen den Schultern +herab und trug einen rauhen Kranz, der seine Stirn verwundet +hatte. Anje versuchte sich aufzurichten, aber auch +so erkannte sie mit Erschrecken, daß die Hände und Füße +des Mannes mit Nägeln an das Holz geschlagen waren. +Das Blut troff dunkel daran nieder, und sein gemarterter +Leib wand sich, wie in großen Schmerzen, zur Seite.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_176" title="176"></a>Anje begriff nicht, was dies Bildnis großer Menschengrausamkeit +in diesem Raum bedeuten sollte, ein kaltes +Entsetzen schüttelte sie barmherzig in ihr Fieber zurück, aus +dem sie kaum erwacht war, und die aus einem finsteren +Reich auftauchende Ahnung an eine große Traurigkeit, +die sie nicht hatte ertragen können. Ihre Sinne versanken +aufs neue in die Dämmerung des Schlafs, und lautlos +brach die gnädige Nacht über sie herein.</p> + +<p>Aber es träumte sie, daß die Tür sich öffnete und Onne +über die Schwelle trat, um sie zu fragen, ob sie in den +Wald zurückwollte. Sie sprang jubelnd auf, und der +Sonnenschein begegnete ihnen, das Glitzern des Morgens +an den Pflanzen und das Rauschen der Bäume im Wind. +Mit seligem Eifer eilte sie voran, der blaue Himmel erstrahlte +im grünen Waldfrieden, und das Wasser des +Gurdelbachs zog, bald feierlich, bald leise plätschernd, über +dunklen Grund. Am Ufer schaukelte das Schilf, von +dessen geneigten Blättern die Libellen sich in die durchschienene +Luft erhoben, und der Kuckuck rief aus den Birkengründen. +Sie trug wieder ihren grauen Kittel, und die +warme Herrlichkeit ihrer Kinderfreiheit umfing sie.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_177" title="177"></a>Aber da sank, wie eine uralte Erinnerung der Erde, +die Liebesangst in ihr Herz, sie wandte sich an Onne und +fragte schüchtern:</p> + +<p>»Führst du mich zum Vater?«</p> + +<p>Onne erhob ihren Stock und neigte sich ein wenig vor, +und auch Anje senkte den Kopf und lauschte, denn sie fühlte, +daß etwas geschehen sollte. Da vernahm sie aus der Ferne +die Axtschläge ihres Vaters im Wald, und warf jauchzend +ihre Arme empor. Sie stürmte ihrem Vater durch die +grüne Sonnenherrlichkeit entgegen.</p> + +<p>Als die besorgten Menschen mit dem hereinbrechenden +Tag in das Zimmer kamen, in welchem Anje schlief, war +das Kind gestorben. Auf seinem Angesicht lag ein Lächeln +von solcher Glückseligkeit, daß alle, die es sahen, hinausgingen +und weinten.</p> + +<p class="judge">Ende</p> + +<table border="1" cellspacing="0" summary="Advertisement 1"> + <tbody> + <tr> + <td> + <p class="center">Im Verlag von Schuster & Loeffler in Berlin +erschien von</p> + <p class="subtitle">Waldemar Bonsels:</p> + <p class="emphasize">Die Biene Maja und ihre Abenteuer</p> + <p class="center">Ein Roman für Kinder</p> + <p class="center">Neunzigste Auflage</p> + <p class="center">Preis M. 3.— brosch., M. 4.50 geb.</p> + <p class="judge">Urteil der Presse:</p> + <p> Wir haben seit den Meistern deutscher Märchenkunst kaum +wieder ein Buch empfangen, das die große Aufgabe eines Kinderbuchs +bewältigt, den Alten eine Quelle des Humors zu sein und den Kindern +eine Welt tiefen Ernstes und unschuldiger Freude. Aus diesem Buch +strahlt das Herz eines Dichters, der sich in seiner Beschränkung als +Meister erweist, dem sein Los in diesem Werk wahrhaft aufs Liebliche +gefallen ist. Gebt dieses Buch euren Kindern, es ist ein herrliches +Buch.</p> + <p class="source">Die deutsche Frau, Berlin.</p> + </td> + </tr> + <tr> + <td> + <p class="subtitle">Waldemar Bonsels:</p> + <p class="emphasize">Himmelsvolk</p> + <p class="center">Ein Buch von Blumen, Tieren und Gott</p> + <p class="center">Siebzigste Auflage</p> + <p class="center">Preis M. 3.50 brosch., M. 5.— geb.</p> + <p class="judge">Urteil der Presse:</p> + <p>Wie Waldemar Bonsels erzählt, das muß man selbst genießen, +selbst mit durchleben, muß bewundern, wie dieses Dichterauge Erde und +Gestirne, Wolken und Wasser, Pflanze, Tier und Mensch mit einem Blick +durchdringt, der den Grund aller Dinge, allen Erlebens, aller Seelen +sieht, muß dieses völlige Einssein mit Gott, diese Helligkeit, Güte und +Liebe miterleben, die das Buch füllt, und die den durchziehen wird, der +das Buch liest. – Am Ende dieses Buches stehen die Worte eines Sehers: +»Wir müssen alle das Lächeln wieder lernen, das unseren kurzen +Lebenstagen und ihrem vergänglichen Werk und Schmerz gilt. Wir sind +alle aus der Freude geboren und kehren zu ihr zurück.«</p> + <p class="source">Frankfurter Zeitung, Frankfurt a. M.</p> + </td> + </tr> + </tbody> +</table> + +<table border="1" cellspacing="0" summary="Advertisement 2"> + + <tbody> + <tr> + <td> + <p class="center">Im gleichen Verlag erschien ferner von</p> + <p class="subtitle">Waldemar Bonsels:</p> + <p class="emphasize">Wartalun</p> + <p class="center">Eine Schloßgeschichte – Siebzehnte Auflage</p> + <p class="center">Preis M. 5.— brosch., M. 6.50 geb.</p> + <p class="judge">Urteil der Presse:</p> + <p>Unter Waldemar Bonsels' immer kunstreichen Romanen ist +»Wartalun« ein herrlich großes Lebensgemälde voll hinreißender +Schönheit und voll tiefster, formzeugender Anschauung des +Ewig-Menschlichen.</p> + <p class="source">Hessische Landeszeitung, Darmstadt.</p> + </td> + </tr> + <tr> + <td> + <p class="subtitle">Waldemar Bonsels:</p> + <p class="emphasize">Der tiefste Traum</p> + <p class="center">Eine Erzählung – Siebzehnte Auflage</p> + <p class="center">Preis M. 3.— brosch., M. 4.50 geb.</p> + <p class="judge">Urteil der Presse:</p> + <p>Ein Stimmungszauber geht von dem Buche aus, der die Sinne mit +lockender Gewalt zur innigsten Anteilnahme zwingt. Der eigenartige +Zauber liegt auf der rein menschlichen Seite des tiefen Problems, und +die ganze Entwicklung der beiden Charaktere ist einzig darauf +gerichtet, alles in eine ungemein vertiefte und goldgeklärte Harmonie +ausklingen zu lassen.</p> + <p class="source">Generalanzeiger für Elberfeld.</p> + </td> + </tr> + <tr> + <td> + <p class="subtitle">Waldemar Bonsels:</p> + <p class="emphasize">Die Heimat des Todes</p> + <p class="center">Empfindsame Kriegsberichte</p> + <p class="center">Neunte Auflage</p> + <p class="center">Preis M. 3.— brosch., M. 4.50 geb.</p> + <p class="judge">Urteil der Presse:</p> + <p>Das Buch schrieb ein Dichter, der damit unseren betrübten +Tagen ein so schönes Licht entzündete, daß man an Gleichnisse und +Seligpreisungen der Heiligen Schrift gemahnt wird. »Die Heimat des +Todes« könnte wohl zu den wenigen Schriften zählen, die in späteren +Zeiten eine Spur von dem tieferen Wesen unserer Kämpfe und Leiden zu +tragen bestimmt sind. Denn das Buch schrieb ein Dichter, dem die Gabe +verliehen ist, in das Zwielicht unserer persönlichen Anteilnahme mit +einem Strahl ewigen Lichts zu leuchten.</p> + <p class="source">Die Rheinlande, Düsseldorf.</p> + </td> + </tr> + </tbody> +</table> + +<table border="1" cellspacing="0" summary="Advertisement 3"> + <tbody> + <tr> + <td> + <p class="center">Im Verlag von Rütten & Loening, Frankfurt a. M., erschien ferner von</p> + <p class="subtitle">Waldemar Bonsels:</p> + <p class="emphasize">Indienfahrt</p> + <p class="center">Dreißigstes Tausend</p> + <p class="center">Preis M. 5.— brosch., M. 7.— geb.</p> + <p class="judge">Urteile der Presse:</p> + <p>Ich gestehe offen, daß mir noch niemals ein so +formvollendetes, künstlerisch durchdachtes und von Schönheit +überquellendes Buch unter die Augen gekommen ist.</p> + <p class="source">Der Bund, Bern.</p> + <p>Waldemar Bonsels' Buch ist nicht nur das schönste, das ich je +über Indien gelesen habe, auch ohne Rücksicht auf den Gegenstand muß +ich es zu den wenigen großen Kunstwerken der Literatur der Gegenwart +zählen, die an sich vollkommen sind. In meiner tiefen Ergriffenheit +möchte ich auf dieses Buch alle die Lobsprüche häufen, wie sie +schlagwortartig bei Anerkennungen wiederkehren. Nach Jahren erst hat +Bonsels seine reichen, in der Zeit kaum bemessenen Eindrücke gestaltet, +ein großes Kunstwerk entstand, von wundervollem Aufbau der sich +entschleiernden Wunder Indiens. Ich kannte diesen großen Dichter kaum, +auf den das deutsche Volk gerade inmitten seiner heldenhaften Not stolz +sein darf und von dem es Außerordentliches für die Befreiung seiner +seelischen Zukunft erwartet.</p> + <p class="source">Die Hilfe, Berlin.</p> + </td> + </tr> + <tr> + <td> + <p class="subtitle">Waldemar Bonsels:</p> + <p class="emphasize">Menschenwege</p> + <p class="center">Aus den Notizen eines Vagabunden</p> + <p class="center">Achtzehntes Tausend</p> + <p class="center">Preis M. 5.— brosch., M. 7.— geb.</p> + <p class="judge">Urteil der Presse:</p> + <p>Der Dichter stellt in diesem Buch die natürliche Freiheit +eines von jedem Stand und jedem gesellschaftlichen Zwang befreiten +Menschen gegen die ganze Befangenheit der Gesellschaft. Der Vagabund +ist ein Landstreicher aus freiem Willen, er will durch nichts gelten +als durch die Kraft eines echten Gemütes, und er sucht Gott im +Menschen. Dieser Vagabund ist die Verkörperung der Sehnsucht der neuen +Jugend. Wie alle Werke von Waldemar Bonsels ist auch dieses neueste ein +Meisterwerk künstlerischer Form, in einer Sprache geschrieben, deren +kraftvolle Schönheit jeder Regung der Seele folgt, und die durch den +unerschöpflichen Reichtum der Bilder die Landschaften seiner Gedanken +mit der Anmut und Lieblichkeit, mit dem Ernst und der Macht einer +wahrhaft sittlichen Forderung erfüllt.</p> + <p class="source">Hannoverscher Courier.</p> + </td> + </tr> + </tbody> +</table> + + + + + + + + +<pre> + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Das Anjekind, by Waldemar Bonsels + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS ANJEKIND *** + +***** This file should be named 34265-h.htm or 34265-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/3/4/2/6/34265/ + +Produced by Norbert H. Langkau, Peter Simon and the Online +Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. Special rules, +set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to +copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to +protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project +Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you +charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you +do not charge anything for copies of this eBook, complying with the +rules is very easy. 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