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+The Project Gutenberg EBook of Das Anjekind, by Waldemar Bonsels
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+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
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+
+Title: Das Anjekind
+ Eine Erzählung
+
+Author: Waldemar Bonsels
+
+Release Date: November 9, 2010 [EBook #34265]
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+Language: German
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+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS ANJEKIND ***
+
+
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+
+Produced by Norbert H. Langkau, Peter Simon and the Online
+Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
+
+
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+</pre>
+
+<p class="mynote">
+Einige Druckfehler sind korrigiert und mit <ins title="nicht korrigierter Text">Popups</ins> notiert. Rechtschreibungsformen
+wie »stehen«&nbsp;: »stehn« sind ungeändert. <br />
+Die Kapitelübersicht wurde der HTML-Version des eBooks hinzugefügt.</p>
+
+<p class="intro"><br />
+<br />
+Die erste Auflage dieses Buches ist
+im Jahre 1913 erschienen. Alle
+Rechte vorbehalten. Copyright by
+Schuster &amp; Loeffler, Berlin 1913
+<br />
+<br />
+<br />
+</p>
+
+<p class="author">Waldemar Bonsels</p>
+
+<h1>Das Anjekind</h1>
+
+<p class="center">Eine Erzählung<br />
+</p>
+
+<p class="subtitle">Elfte bis fünfundzwanzigste Auflage</p>
+
+<hr />
+<p class="center">Verlegt bei Schuster &amp; Loeffler<br />
+Berlin und Leipzig<br />
+1918</p>
+
+<p>&nbsp;&nbsp;</p>
+
+<p class="center">Druck<br />
+der Spamerschen<br />
+Buchdruckerei in Leipzig</p>
+
+<hr />
+<p class="subtitle">Kapitelübersicht</p>
+
+<table class="toc" summary="Inhaltsverzeichnis">
+ <tbody>
+ <tr>
+ <td><br />
+ </td>
+ <td>Seite</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td><a href="#Erstes_Kapitel">Erstes Kapitel</a><br />
+ </td>
+ <td class="number">5</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td><a href="#Zweites_Kapitel">Zweites Kapitel</a></td>
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+ </tr>
+ <tr>
+ <td><a href="#Drittes_Kapitel">Drittes Kapitel</a></td>
+ <td class="number">44</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td><a href="#Viertes_Kapitel">Viertes Kapitel</a></td>
+ <td class="number">58</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td><a href="#Funftes_Kapitel">Fünftes Kapitel</a></td>
+ <td class="number">65</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td><a href="#Sechstes_Kapitel">Sechstes Kapitel</a></td>
+ <td class="number">76</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td><a href="#Siebentes_Kapitel">Siebentes Kapitel</a></td>
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+ </tr>
+ <tr>
+ <td><a href="#Achtes_Kapitel">Achtes Kapitel</a></td>
+ <td class="number">102</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td><a href="#Neuntes_Kapitel">Neuntes Kapitel</a></td>
+ <td class="number">118</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td><a href="#Zehntes_Kapitel">Zehntes Kapitel</a></td>
+ <td class="number">126</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td><a href="#Elftes_Kapitel">Elftes Kapitel</a></td>
+ <td class="number">134</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td><a href="#Zwolftes_Kapitel">Zwölftes Kapitel</a></td>
+ <td class="number">146</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td><a href="#Dreizehntes_Kapitel">Dreizehntes Kapitel</a></td>
+ <td class="number">156</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td><a href="#Vierzehntes_Kapitel">Vierzehntes Kapitel</a></td>
+ <td class="number">168</td>
+ </tr>
+ </tbody>
+</table>
+
+<hr />
+<h2><a name="Erstes_Kapitel" id="Erstes_Kapitel">Erstes Kapitel</a></h2>
+
+<p>Es soll damit begonnen werden, die Geschichte von Anjes
+Vater zu erzählen, deren grausames Ende den am Leben
+gebrochenen Mann veranlaßte, das einsame Moorland
+aufzusuchen, das Anjes Heimat geworden ist.</p>
+
+<p>Nicht weit von der Stelle entfernt, wo der Gurdelbach
+aus der Einöde tritt und sein ruhiges Wasser, das in den
+dunklen Moorgründen, die es durchfließt, wie von Trauer
+und Schwermut erfüllt worden ist, liegt das Dorf Gorching.
+Gegen Norden erstreckt sich weit jene Moorlandschaft,
+die die Einöde genannt wird und die als unzugängig und
+verwildert gilt. In Gorching war Anjes Vater, der
+Jakob Vinzenz Gerom hieß, trotz seiner Jugend einer
+der angesehensten Bauern. Nicht allein sein Hof war
+einer der einträglichsten, sondern seine alteingesessene Familie
+war geachtet und reich. Er hatte das Anwesen früh und
+<a class="pagenum" name="Page_6" title="6"></a>allein geerbt und gut bewirtschaftet, so daß er als wohlbestellt
+und glücklich von manchem beneidet worden wäre,
+wenn nicht ein schwermütiger Hang zum Grübeln sein
+Leben verdunkelt hätte, wie auch eine Unduldsamkeit fast
+jeder Menschengemeinschaft, die in furchtbaren Jähzorn
+ausarten konnte. Da die Ausbrüche solcher Wesensart
+den schlichten Naturen seiner Umgebung unvoraussehbar
+erschienen, wurde er mehr und mehr gemieden, und
+es verbreiteten sich Meinungen über die Beschaffenheit
+seiner Seele, die dazu angetan waren, ihm mehr und mehr
+das Vertrauen seiner Mitbewohner zu entziehen. Das
+altbewährte Gesinde und die Tagelöhner seines Hofes,
+worunter manche ihn schon als Kind gekannt hatten, teilten
+diese Abneigung der Nachbarn nicht, wohl aber übertrug
+die Zurückhaltung der Dorfbewohner sich langsam
+auch auf sie.</p>
+
+<p>Im Anwesen Vinzenz Geroms ging es ruhiger zu,
+als auf den anderen Höfen, nicht nur, daß er ein umsichtiger
+und geschickter Mann war, auch seine Gehilfen
+in den Scheunen und auf den Äckern dienten ihm in
+einer Art andächtiger Scheu und viel ergebener, als es <a class="pagenum" name="Page_7" title="7"></a>
+der Fall gewesen wäre, wenn Gerom auch nur einige jener
+argen Charakterzüge gehabt hätte, die ihm nachgesagt
+wurden, denn die Vorbedingung zu einer Ergebenheit,
+die den Dienenden nicht entwürdigen soll, ist die Gerechtigkeit
+des Herrn.</p>
+
+<p>Gerom war fünfunddreißig Jahre alt, als die dänische
+Malerin Angelika Lett nach Gorching kam. Ein städtischer
+Reisewagen hielt unter der großen Linde, die vor
+dem einzigen Gasthaus des Dorfes stand, und die ermüdeten
+Pferde tauchten ihre dunklen Mäuler bedächtig und
+gierig in das klare Quellwasser des Steinbeckens im
+Lindenschatten. Man nahm die Fremde befangen und
+zurückhaltend auf, sie mietete zwei helle Zimmer im Gasthof,
+und der Kutscher und der Hausknecht schleppten ihr
+zahlreiches und buntes Gepäck in die Hausdiele. Es war
+nicht ein einziger größerer Koffer darunter, sondern es
+bestand aus lauter kleineren Päckchen und Schachteln,
+die, vom Kreisrund bis zu unförmigen kleinen Ballen, alle
+Formen aufzuweisen hatten, die irgend denkbar waren.
+Die junge Dame stand auf den Steinstufen, überzählte
+alles
+sorgfältig und lachte den Dorfkindern zu, die, die <a class="pagenum" name="Page_8" title="8"></a>
+Morgensonne im hellen Haar und die erstaunten Seelchen
+auf den offenen Lippen, einen schweigsamen Halbkreis unter
+der Linde bildeten.</p>
+
+<p>Es hätte wohl niemand von dieser Fremden gesagt,
+daß sie schön sei, aber ihre Erscheinung gehörte zu jenen
+seltsamen Frauenwundern, bei denen diese so wichtige und
+entscheidende Frage durch ein unbestimmbares Etwas aufgehoben
+wird. Man könnte es vielleicht einen so getreulichen
+Abglanz ihrer Seele in allem Körperlichen ihres
+Wesens nennen, daß darüber jede besondere Wertung
+einzelner Züge oder Bewegungen aufgehoben zu sein schien.
+Man müßte es der Wärme des Lichts vergleichen oder
+der heimlichen Wohltat des Windes, bei welchen niemand
+der äußeren Wahrzeichen bedarf, um die himmlische Zugehörigkeit
+ihrer Wesen zu verspüren.</p>
+
+<p>Angelika war klein von Figur und nach dem Urteil
+der meisten etwa dreißig Jahre alt. Sie hob das Mißtrauen
+und die Besorgnisse der Dorfbewohner, die den
+Besuch Fremder nicht gewohnt waren, durch große
+Sicherheit ihres Auftretens und durch eine Selbständigkeit
+ihrer Handlungsweise auf, die bei aller Zurückhaltung<a class="pagenum" name="Page_9" title="9"></a>
+etwas Wohltuendes hatte. Kaspar und Friedel Lindner,
+die beiden Knaben eines Tagelöhners, wurden ihre Freunde
+und trugen ihr ihre Staffelei und den Farbenkasten ins
+Moorgelände. Sie schleppten das leichte Gerüst zu
+zweien wie eine kleine Trittleiter, und ihre braunen
+nackten Beinchen stießen abwechselnd an das blanke Holz
+des schönen Kastens mit seinen blinkenden Schlössern.
+Angelikas Sommerhut, groß wie ein Schirm, warf
+seinen runden Schatten voraus, und lange Zeit waren
+Kaspar und Friedel durch dieses Amt die berühmtesten
+Knaben in Gorching.</p>
+
+<p>Eines Morgens schickte das junge Mädchen die Knaben
+bei einem Hof außerhalb des Dorfes mit dem Malgerät
+ins Gasthaus zurück und blieb vor den Ringmauern
+und dem hohen Tor der Einfahrt stehen. War sie denn
+hier noch niemals vorübergekommen, daß sie diese Schönheit
+nicht früher gesehn hatte? Sie schaute die Birkenallee
+zurück, die schlecht gepflegte Landstraße zog sich unruhig
+und doch friedlich über die kaum merklichen Hügel
+des Geländes dahin, und an ihrem Ende sah man
+den Turm der Gorchinger Kirche. Die Straße war bewachsen,<a class="pagenum" name="Page_10" title="10"></a>
+und nur die beiden Furten, die von den Rädern
+der Wagen stammten, gaben ihr ihr melancholisches Gepräge,
+jenen seltenen Reiz des Berührbaren im Unberührten,
+und zugleich jene Zeitlosigkeit, die nur solchen Menschenwerken
+anhaftet, die ihr Wesen durch die Jahrhunderte
+nicht verändern. Der lichte Birkenschatten verschleierte
+den stillen Zug der Furchen in diesem Bild.</p>
+
+<p>Angelika betrachtete nun die Einfahrt zu jenem Hof, bei
+dem sie haltgemacht hatte, genauer. Die Jahre hatten
+das glorreiche Werk ihres Ausgleichs nahezu vollendet
+und den Steinen der Ringmauern jene Farben und jenes
+Schimmern verliehen, die nur sie geben können. Hin und
+wieder brach aus der grünen Gartenwelt, die die Mauer
+verbarg, ein Rankennetz von wildem Wein durch einen
+Spalt, oder über ihre Ziegelborde leuchteten die weißen
+Teller des blühenden Holunders aus dunklen Kuppeln über
+das Erdgrau dieser ehrwürdigen Wälle. Einzelne große
+Tannen wirkten beinahe ganz schwarz; zur Rechten, wo
+die Mauer nach hinten einbog, lag unter Weiden ein
+großer Teich.</p>
+
+<p>Angelika trat langsam durch den Torbogen in den<a class="pagenum" name="Page_11" title="11"></a>
+inneren Hof ein, an dessen Ende das große Bauernhaus
+lag, das den Eindruck eines alten Herrenhauses machte;
+es war einstöckig und mit Ziegeln gedeckt, die Terrasse
+war zur Rechten und zur Linken von Akazien umstanden,
+und auf dem großen, wohlgepflegten Rasenplatz saßen
+weiße Tauben in der Sonne. Die Wirtschaftsgebäude
+und Scheunen zur Linken waren schneeweiß getüncht und
+mit Stroh gedeckt, sie zogen sich, wie es Angelika erschien,
+noch weit zur Seite hin, wie es zur Rechten der
+dunkle Garten tat, der durch einen Bretterzaun vom Hofplatz
+getrennt war.</p>
+
+<p>Das Wohnhaus fesselte die junge Malerin am meisten;
+es war von jener schlichten Schönheit, die nur die edle
+Einfalt der Zweckmäßigkeit und die Menschenerfahrung
+der Jahrhunderte geben können. Aus seinem Bereich schien
+alle Willkür des vergänglichen Zeitgeschmacks verbannt,
+streng und erhaben stand es in seiner freien Klarheit auf
+dem Erdgrund, und eine unbestimmbare Traurigkeit ging
+von ihm aus.</p>
+
+<p>Aus einer der Scheunenausfahrten wurde ein Landwagen
+geschafft, der nicht eben sonderlich vornehm, aber<a class="pagenum" name="Page_12" title="12"></a>
+von großer Gediegenheit zu sein schien, die Knechte wuschen
+mit Schwämmen die gelben Räder, und ein Bursche führte
+die Pferde hinter dem Stall hervor. Ein wenig beiseit
+stand ein großer, ernster Mann, der schweigsam ihrem
+Treiben zusah, sein dunkles Haupt- und Barthaar wirkte
+beinahe ganz schwarz, seine aufmerksamen Augen hatten
+bei ihrer verschonten Klarheit etwas grüblerisch Benommenes,
+man war versucht, es träumerisch zu nennen, wenn
+solch ein Wort nicht allem an der starken und trotzigen
+Erscheinung widersprochen hätte.</p>
+
+<p>Es war Vinzenz Gerom, der dort auf seinem Hof stand,
+und an diesem Morgen lernte Angelika ihn kennen.</p>
+
+<p>Er soll auf sie zugetreten sein, als er sie erblickt hatte,
+mit einer ganz eigenen Bestimmtheit. Er ergriff ihre Hand
+zur Begrüßung, ohne zu lächeln, mit einem harten, beinahe
+verstockten Griff, und hielt sie fest. Die Leute, die
+ihn heimlich beobachteten, sollen den Eindruck gehabt haben,
+als sei Angelika eine alte Bekannte von ihm, aber es ist
+nicht der Fall gewesen, obgleich auch sein tiefes Aufatmen
+etwas von der Befreitheit nach einer langen Erwartung
+der Trennung gehabt haben mag. Sie lächelte neugierig<a class="pagenum" name="Page_13" title="13"></a>
+und befangen, aber ohne Herablassung über diesen jungen
+Landmann, dessen hilflose Gastfreundlichkeit sie fesselte,
+und so war Gerom der erste in Gorching, der Angelika
+von einer neuen Seite kennenlernte, denn sie begegnete
+ihm mit einem kindlichen Frohsinn, der die Strenge ihres
+klugen Verhaltens in Arglosigkeit und Lieblichkeit verkehrte.</p>
+
+<p>Es geschah dann, daß Angelika einige Tage nach dieser
+Begegnung in das Landhaus Geroms einzog, der ihr die
+Zimmer des rechten Flügels einräumte, drei hohe, altmodisch
+hergerichtete Räume, in deren erstem ein dunkler Kamin
+aus blinkenden Kacheln stand. Die Fenster lagen tief und
+teilweise verhüllt von grünen Ranken, die nun mit geheimnisvollem
+Flüstern das Licht und die Stimmen des großen
+Sommers einließen.</p>
+
+<p>Es ging scheinbar eine entscheidende Wandlung im
+Wesen Vinzenz Geroms vor sich, im Grunde entfalteten
+sich nur die verborgenen Kräfte seiner Seele unter dem
+wehmütigen und kindhaften Lächeln des Mädchens, das
+in seinem Hause und Herzen zu Gast gekommen war.
+Angelikas Lächeln, von dem es erschien, als bräche es durch
+heiße Schleier einer verborgenen Traurigkeit, hatte jene<a class="pagenum" name="Page_14" title="14"></a>
+überwindende Forderung des Frauenwesens, der das Gemüt
+des Mannes in Verlangen oder in Taten zu folgen
+gezwungen ist. In solchem Frauenlächeln naht den Sinnen
+die Anklage der Menschenunschuld, die um der Liebe
+willen zerstört zu werden scheint, und die auch immer zerstört
+wird, wenn die Liebe nicht darüber wacht, darum ist
+es, als ob dieses wehmütige Lächeln einer gefährdeten Unschuld
+Liebe heraufbeschwöre, wie eine edle Handlung die
+Ergriffenheit der Barmherzigen.</p>
+
+<p>Nach außen hin erschien Gerom beinahe finsterer und
+verschlossener als zuvor, vielleicht weil er wußte, daß man
+ihm sein Handeln übel nachsah, und weil er fühlte, daß
+er es vor anderen so wenig zu erklären oder zu rechtfertigen
+in der Lage war, wie anfänglich vor sich selbst. Angelika
+wurde seine Schutzbefohlene. Oft erschien es ihm kaum
+ausdenkbar, daß sie den Ansturm des Lebens ohne seine
+Hilfe jemals hatte bestehn können. Er sprach mit niemandem
+über sie und duldete kaum, daß in seiner Gegenwart
+ein Wort über sie fiel.</p>
+
+<p>Die hilflose Art, in der der einsame und einfache Mann
+seine zärtliche Neigung kundtat oder verbarg, nahm auch<a class="pagenum" name="Page_15" title="15"></a>
+den Gleichmütigsten die Kraft zum Spott. Es war, als
+hütete er an der Schwelle der Erdennacht ein Licht, das
+ihm der Vater im Himmel zum Herzen seines Menschendaseins
+gesandt hatte. Sein Handeln war von jener
+Scheu, wie nur die Regungen einer großen Liebe sie
+kennen, und von der Zartheit, die dem Mann so wohl
+ansteht, der seiner Kraft so gewiß ist, daß er sie nicht durch
+Rauheit zu erweisen wünscht. Oft sah man die Beiden
+an ruhigen und klaren Abenden nebeneinander durch die
+Felder gehn, deren Ähren hoch standen und das braune
+Gold wiegten, das die herabgesunkene Sonne im Westen
+über dem Land zurückgelassen hatte. Nein, es war kein
+Zweifel, er hatte seinen Arm schützend um sie gelegt, und
+ihr blonder Kopf ruhte an seiner Schulter. Sie erschien
+klein in ihrem einfachen weißen Kleid, hilflos und traurig,
+bis plötzlich ihr Lachen weich und wie aus voller, tiefer
+Freude kommend erscholl. So war es schwer zu wissen,
+was beiden geschah, aber da die Menschen selten mehr in
+andere zu legen verstehn, als ihr eigenes Gemüt enthält,
+so entstanden böse und häßliche Gerüchte neben Erstaunen
+oder Rührung.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_16" title="16"></a>Als schon der Sommer zur Neige ging, kamen Gerom
+eines Abends durch den Großknecht Gerüchte zu Ohren,
+die ihn erbleichen ließen. Er ging vom Hofe fort, ohne
+seinen Hut, so wie er stand, wortlos hinaus auf die Landstraße,
+bis er den Pfarrhof von Gorching erreicht hatte,
+wo er kundtat, daß er sich mit Angelika Lett zu vermählen
+gedächte, und darum bat, daß dies den Ortsbewohnern
+bekanntgegeben würde.</p>
+
+<p>Dies hat sich so zugetragen, wie es berichtet wird,
+und es ist allen unbegreiflich und geheimnisvoll erschienen,
+denn Vinzenz Gerom war ein einfacher Mann, und obgleich
+sein Geschlecht alteingesessen war und hohes Ansehen
+genoß, war doch der Unterschied der beiden Liebenden
+in Stand und Lebensgewohnheiten sehr groß, und
+von der Fremden wußte niemand mehr als ihren Namen.
+Nur eins ist sicher, und es wird vielen eine vollgültige
+Erklärung sein, Vinzenz Gerom war ein eigenwilliger
+und selbständiger Charakter und ein Mann von Gefühlskräften
+und natürlicher Klugheit. Alles übrige bleibt
+zwischen zwei Menschen eine Frage der Lebensbetrachtung
+und der äußeren Verhältnisse, Gebiete, auf welchen Charaktere<a class="pagenum" name="Page_17" title="17"></a>
+sich leicht einander fügen lernen, und es unterliegt
+keinem Zweifel, daß Angelika mit der weisen Anmut
+ihres Anspruchs die heimliche Erzieherin ihres Freundes
+gewesen ist. Es gelang ihr mühelos, dem stolzen Mann
+ihre Wünsche und Hoffnungen als seinen eigenen Anspruch
+hinzustellen und sein Herz ohne Falsch mit Behutsamkeit
+in die Bewußtseinswelt seines Werts zu heben.</p>
+
+<p>Es war sicher, irgend etwas behielt Angelikas Wesen
+für sich, es war eine verborgene Welt des Empfindens
+und der Gedanken, die sie nicht teilen wollte oder konnte.
+Aber es erschien Gerom nicht als ein Recht, das ihm vorenthalten
+wurde, weil Angelikas traurige Versunkenheit,
+mit der sie seine schüchternen Fragen zuweilen abwehrte,
+ihm heilig war. Wie leicht lassen sich die Geheimnisse
+einer klugen und verschwiegenen Frau der Wesensart ihres
+Geschlechts als Tugend zurechnen, wenn das Vertrauen
+einer großen Liebe alles kleine Forschen verhindert.</p>
+
+<p>So war es gewiß keine ernstliche Sorge, die zuweilen
+Geroms Stirn umwölkte, sondern eine heimliche Angst,
+die aus dem Dunkel der Vergangenheit Angelikas emporstieg.
+Er fühlte, daß niemals etwas geschehn sein konnte,<a class="pagenum" name="Page_18" title="18"></a>
+was den Wert des Mädchens herabgesetzt hatte, aber ihm
+war oft, als seien jene Geschehnisse um so gefahrvoller und
+furchterregender, je mehr sie den Wert dieser jungen Frau
+erhöht haben mochten. Wie viele Untugenden, die ihr Freude
+bereitet hätten, wäre er nicht willens gewesen, ihr zu vergeben;
+er fürchtete vielmehr, daß es eine große Tugend
+sein könnte, die ihr Leid gebracht hatte.</p>
+
+<p>Zu den äußeren Anlässen solcher Besorgnisse gehörten
+die Briefe, die Angelika absandte und empfing, allerdings
+selten erhielt und selten abschickte. Oft vergingen Monate,
+und Gerom litt mit ihr unter der aufreibenden Qual ihrer
+Erwartung, über die niemand sprach. Die schmerzliche
+Erlösung, die endlich ein kurzer Brief brachte, zerteilte
+Geroms dunkles Herzensreich in zwei Teile, er schritt umher
+wie ein fröhlicher Kranker. Aber er fragte niemals,
+denn er konnte sich nicht so tief entwürdigen, etwas in
+Angelikas Leben für schöner und größer zu halten, als das,
+was sie ihm gab.</p>
+
+<p>An einem klaren Abend des Spätsommers wurde
+Angelika von einem Dorfjungen in den Gorchinger
+Rasthof geholt, es sei ein Fremder angekommen. Die<a class="pagenum" name="Page_19" title="19"></a>
+junge Frau ging sogleich mit starren Augen und hängendem
+Köpfchen in einem eigenartigen Schritt, der ganz neu
+an ihr erschien, der etwas vom Traumwandeln hatte und
+zugleich etwas gewaltsam Unbekümmertes. Sie verabschiedete
+sich von niemand, Gerom war zu Pferd auf den
+Feldern.</p>
+
+<p>Was geschehn ist, weiß niemand, es blieb allen in
+Gorching verborgen. Man hörte heftige und verhaltene
+Worte in dem Zimmer des fremden Mannes, unterdrücktes
+Schluchzen und auch einmal ein leidenschaftliches
+Wimmern, das die Magd für heimliches Lachen hielt.
+Angelika kam spät zurück, sie war über die Landstraße
+gelaufen, klein und weiß, durch die hereinbrechende Nacht,
+zwischen den beiden weißlichen Meeren dahin, die der
+Abendnebel auf den Wiesen bildete. Der Großknecht ließ
+sie ein, während die Hunde wie toll an ihren Ketten rissen
+und die Stille weit umher mit ihrem wütenden Bellen
+erfüllten.</p>
+
+<p>Mit dem Kommen des fremden Mannes, der Angelika
+kein Fremder war, erschien ihr die Sicherheit und
+Ordnung der Welt zerstört, wenn sie nicht alles diesen<a class="pagenum" name="Page_20" title="20"></a>
+Händen anvertraute, die sie einst erhoben und erniedrigt
+hatten, geschlagen und geliebkost, entwürdigt und geheilt.
+Sie schlief in der Nacht nicht, mit wehmütigem Lächeln
+gedachte sie der Freiheit, die sie in diesen Sommermonaten
+zu erringen geglaubt hatte. Es gibt einen Zustand erschöpfter
+Leidenskraft, der wie Gelassenheit und Ruhe erscheinen
+kann, es ist der Zeitpunkt, an dem die Kräfte des
+Lebens und die Kräfte des Todes einander die Wage halten,
+über den Trümmern des eigenen Willens.</p>
+
+<p>Am Morgen sah Gerom sie in unruhvoller Besorgnis
+lange an. »Du bist blaß, Angelika, du bist sehr blaß«,
+sagte er. Er ritt gleich darauf schweigend fort. So weiß
+er es, dachte sie. Gegen Mittag kam der Bote aus dem
+Gasthof.</p>
+
+<p>Ich will versuchen zu warten, dachte Angelika, vielleicht
+ist am Abend der ganze Tag vergangen und ich bin nicht
+zu ihm hinübergegangen. Gerom kam nicht. Sie saß
+im Schatten der Holunderbank am Teich und sah die
+Sonne hinter die Pappeln sinken, von Ast zu Ast schien
+sie niederzuklimmen, und als sie sich rötlich färbte, weinte
+die junge Frau vor Schwäche und Angst und Liebesleid<a class="pagenum" name="Page_21" title="21"></a>
+und lief nach Gorching hinüber, quer über die gemähten
+Roggenfelder, wie ein verlassenes Kind.</p>
+
+<p>Unterwegs blieb sie einmal stehn, ballte ihre kleine, feste
+Hand und schüttelte die Faust nach Geroms Hof hinüber.
+»Du kannst nicht helfen«, schrie sie laut. »Du bist ein
+Schwächling bei all deiner Kraft, deiner Güte &hellip;« Sie
+ließ sich nieder und weinte. Bestaubt und todmüde, mit
+entstelltem Angesicht, langte sie im Gasthof an.</p>
+
+<p>Nun paßten sie zueinander, der Fremde und Angelika,
+die nun, wie er, verwildert und bleich zu den Ausgestoßenen
+der Irdischen zu gehören schien. Es war unfaßlich, wie
+rasch die Nähe dieses Mannes ihr ganzes Wesen verändert
+zu haben schien, im Grunde hatte er es nur gelöst,
+soviel ist gewiß, denn es war sein Eigentum. Ihr Gesicht
+wirkte geradezu häßlich für alle Augen, die sie früher gesehen
+hatten. Aber es war eine eigenartige Häßlichkeit,
+eine Häßlichkeit von göttlichem Ursprung, der schützende
+Erdenmantel über den himmlischen Geheimnissen des
+Lebendigen.</p>
+
+<p>Sie fand ihn nicht zornig und hart wie gestern, sondern
+traurig, vielleicht kniete sie deshalb vor ihm, während<a class="pagenum" name="Page_22" title="22"></a>
+sie sprach. Wenn er sich zu ihr niederbeugte, wenn seine
+Lider sich senkten, sah man, wie schön sein blasses Gesicht
+war, das im Unbelebten der Tagesstunden ermattet und
+kränklich aussah. Ihre Haare vermischten sich, ihre feuchten
+Hände und ihr Atem voll Glut und Unfrieden.</p>
+
+<p>»Ach,« antwortete er ihrem Geständnis mit seinem
+klugen und traurigen Lächeln, »ein Kind trägst du von
+ihm, von ihm trägst du ein Kind, Anje &hellip;«</p>
+
+<p>»Wenn ich ein Kind von dir geboren hätte,« sagte
+sie fest, »so würde ich um des Kindes willen die Kraft
+gehabt haben, bei Gerom zu bleiben. Ich wäre nicht über
+die Felder gelaufen &hellip;«</p>
+
+<p>Er sah sie an, vielleicht verstand er sie nicht gleich, aber
+dann drückte er sie so an sich, daß sie leise aufschrie.</p>
+
+<p>Sie fragte aber doch: »Liebster, und daß es nun so ist,
+ich meine, daß ich sein Kind trage, quält dich das nicht?
+Gerom würde dich töten, wenn du nur deine Hand auf
+meine Haare legtest.«</p>
+
+<p>»Ihm gehören auch nicht einmal diese Haare«, sagte
+er liebevoll und sicher, und strich sie ihr von den Schläfen,
+legte sie hart an das ungeduldige Köpfchen, so daß er es<a class="pagenum" name="Page_23" title="23"></a>
+ganz in seinen beiden Händen hielt, und betrachtete so ihr
+Gesicht.</p>
+
+<p>»Ich komme niemals, niemals von dir frei, Anje.«</p>
+
+<p>»Ich hätte so gern gelebt«, sagte sie deutlich.</p>
+
+<p>Es mußte wohl der Gedanke an die Hoffnungen seines
+eigenen Lebens sein, der ihm plötzlich die Stirn umwölkte.
+Er ließ sie los. Seine Augen fragten sie etwas, es mußte
+eine Frage sein, deren Bedeutung oft zwischen ihnen gebrannt
+hatte, denn sie verstand ihn und rief schmerzvoll:</p>
+
+<p>»Ich weiß es nicht, ich weiß nicht, wie es werden soll!
+Ich kann meinen armen Leib von dir fortschleppen, aber
+ich kann meine Seele nicht von deiner reißen.« Und darauf
+legte sie ihm plötzlich die Hände auf die Schultern, sah ihn
+heiß und mit ihrem ganzen Blut und Wesen an und fragte
+mit einem schrecklichen und süßen Lächeln: »Nicht wahr,
+ich töte dich, nicht wahr? Sag', wodurch töte ich dich, sag'
+es mir doch &hellip;«</p>
+
+<p>Und so sagte sie es ihm, indem sie ihn so fragte.</p>
+
+<p>Nach einer Weile wurde die Türklinke niedergedrückt
+und, da die Tür verschlossen war, wurde es eine kleine
+Weile still. In diesem kurzen Augenblick sah Anje ihren<a class="pagenum" name="Page_24" title="24"></a>
+Geliebten an, es war ihr Abschied von ihm. Er fühlte es,
+ohne es zu wissen. Dann erschütterte ein furchtbares Krachen
+die abendliche Stille des Hauses, und Anje fing ganz heimlich
+und kindlich zu lachen an.</p>
+
+<p>Erst als Gerom im Zimmer stand, erhob sich der
+Fremde langsam.</p>
+
+<p>»Ich hätte Ihnen auch geöffnet«, sagte er gelassen,
+aber so kalt, daß die Herausforderung in seinen Worten
+deutlich seine tiefe Anteilnahme verriet, die er nicht verbergen
+wollte. Gerom stand dicht an der Tür, als ob er
+den Ausgang decken wollte, und der starke Mann zitterte,
+wie ein Baum, dessen Wurzeln von eisernen Äxten zerschnitten
+werden. Jetzt, da der Fremde sprach, wandte er sich
+ihm zu und von Angelika ab, die ruhig, mit herabhängenden
+Armen, dastand. Sie war ihm unaussprechlich hilflos erschienen,
+er empfand die große Stille ihrer Seele nicht, deren
+Armut und Gerechtigkeit sich irdisch nicht mehr erweisen
+wollte noch konnte. Als ihr Geliebter sich erhob und vor Gerom
+stand, zitterte sie vor Freude in dem Bewußtsein, daß die
+Kraft seines Wesens bis an die Pforten eines ewigen Reichs
+triumphieren würde. Und nun mochte kommen was wollte.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_25" title="25"></a>Gerom sprach nicht. In Angelikas Herzen wuchs eine
+Angst empor, die ihr alles zu verdunkeln drohte. Der
+kleine niedrige Raum lag im Abendlicht, Gerom schien
+nicht hineinzupassen, er sah wie ein Riese aus und erschien
+ihr um so furchtbarer, als sie den Ausdruck seines Gesichts
+nicht unterscheiden konnte.</p>
+
+<p>»Wenn Sie mit mir sprechen wollen &hellip;« sagte der
+Fremde. Es erschien, als dächte er an ganz andere Dinge.
+Angelika wußte, wer der Stärkere war.</p>
+
+<p>Da sagte Gerom mit dunkler Stimme zu ihr:</p>
+
+<p>»Steh auf! Geh heim! Geh gleich <ins title="heim">heim!</ins>«</p>
+
+<p>Obgleich sie seine Stimme nicht erkannte, antwortete
+sie ihm beinahe in gewohnter Weise:</p>
+
+<p>»So &ndash; &ndash;, so Gerom, kann ich doch nicht gehn.«</p>
+
+<p>Er stöhnte dumpf auf. Wenn es nur hell gewesen wäre.
+Sie sah fragend zu ihrem Geliebten hinüber. Er nickte:</p>
+
+<p>»Ja, geh heim.« Und dann sagte er zu Gerom:</p>
+
+<p>»Wir wollen hinausgehn, wir können ja draußen
+reden, wenn Sie wollen.« Er schritt ruhig voran, und
+der andere folgte ihm wie ein breiter, bedrohlicher Schatten.</p>
+
+<p>Angelika langte in Geroms Hof an, als es längst Nacht<a class="pagenum" name="Page_26" title="26"></a>
+war. Eine alte Magd war vor dem Kamin eingeschlafen,
+in dem in diesen Spätsommernächten schon Holzscheite
+glommen. Sie hockte als ein lebloses Kleiderbündel im
+Winkel, die welke Wange unter dem grauen Haar, an
+einen Holzpfosten des Geländers gelehnt und notdürftig
+auf ihren Arm gestützt.</p>
+
+<p>Angelika stand vor ihr und sah die kleinen lebhaften
+Flämmchen an, die über die verglimmenden Scheite huschten.
+Sie sprangen unversehens auf und erloschen wieder,
+waren von bläulicher Färbung und von einer kränklichen
+Hast. Ihr Widerschein spiegelte sich in den Kacheln und
+gab dem Raum sein dürftiges, unruhiges Licht. Die
+sinkende Mondsichel stand draußen über den Moorgründen
+der Haide, über der Einöde mit ihrem verschwiegenen
+Gurdelbach. Man sah sein fahles Licht durch die bewegungslosen
+Vorhänge der Fenster scheinen, an denen
+die traurige Nacht vorüberzog. So war das Licht im
+Zimmer unbestimmbar und voller Ungewißheit, die stummen
+Gegenstände wirkten bedeutungsvoll und lebendig.</p>
+
+<p>Die junge Frau erkannte den Rahmen des Bildes, das
+Geroms Vater darstellte; sie glaubte die heimliche Qual<a class="pagenum" name="Page_27" title="27"></a>
+der Augen zu erkennen, diesen düsteren und trotzigen Drang
+nach dem Licht der Erkenntnis, der auch Geroms Blicke
+bezeichnete. Die Standuhr tickte nicht, es mußte vergessen
+worden sein, sie aufzuziehen.</p>
+
+<p>Der Mond draußen verlor langsam seinen Schein, der
+Morgen kündigte sich an, das Feuer im Kamin war nun
+völlig erloschen, und die Alte war auf den Teppich niedergesunken,
+auf dem sie ruhig schlief. Man hörte ihre Atemzüge
+nicht, und draußen und drinnen war es totenstill, da
+die Geschöpfe der Nacht zur Ruhe gegangen waren und die
+Vögel noch schliefen. Dann kam ein unhörbarer Wind auf,
+der das herannahende Licht ankündigte. Die Stimmen der
+Wasservögel aus dem Moor wurden laut, und die Blätter
+bewegten sich neben dem Fenster. Es rieselte hoch oben in
+der Spitze einer Pappel, als ob es regnete, und das Zimmer
+wurde grau.</p>
+
+<p>Dies ist Angelikas Lebensnacht und ihr Daseinsmorgen
+gewesen, der ihr den Geschmack des Abschieds von
+irdischem Sein und Gut in die Seele trug, sie verharrte
+in tiefem Schweigen, dachte keine Gedanken und empfand
+keine Gefühle. Sie empfand nur ihr armes, abgekehrtes<a class="pagenum" name="Page_28" title="28"></a>
+Menschenwesen und den gewaltigen Gang des lebendigen
+Lebens, das an ihr dahinzog wie lautloser Wind an
+einem Stein.</p>
+
+<p>Dann kamen Schritte heran, sie klangen erst gedämpft
+und fern und dann immer eindringlicher in der blauen Luft
+der Dämmerung draußen; nun tönten sie schwer unter
+ihren Fenstern, und ein gebeugter Schatten schleppte sich
+vorüber, glitt auch über sie hin und wurde ihr zur großen
+dunklen Gestalt, als nun die Tür sich öffnete. Sie wußte
+noch, daß ein Hund draußen vor seiner Hütte sich erhoben
+haben mußte, denn sie entsann sich deutlich beim Beginn
+des Kommenden des Klirrens einer Kette.</p>
+
+<p>Es war Gerom. Eigentlich wußte sie alles, schon ehe
+sie ihn recht sah, denn seine Tat begleitete ihn wie eine
+drückende Finsternis. Er sprach nicht, er ging schwer und
+scheinbar sehr ermattet auf und nieder, wobei er schaukelte
+und bald den Kopf hängen ließ, bald nickte, oder die Arme
+schwenkte, aber nicht im Takt seiner Schritte.</p>
+
+<p>Endlich blieb er dicht vor Angelika stehn, so dicht, daß
+sie zurückgetreten wäre, wenn sie es gekonnt hätte. Da nun
+das blasse Morgenlicht in sein Gesicht fiel, sah sie, wie<a class="pagenum" name="Page_29" title="29"></a>
+entstellt es war, und empfand nichts mehr als eine
+furchtbare Angst.</p>
+
+<p>»Gerom!,« schrie sie auf und sank nieder, »erbarme
+dich, tu mir kein Leid, um des Heilands willen, Gerom,
+tu mir kein Leid!«</p>
+
+<p>Und während sie schrie und flehte, und während ihre
+Hände krampfhaft am groben Tuch seines Rocks tasteten
+und griffen, war ihr, als verhöhnte irgend etwas im Grund
+ihrer Seele sie selbst und ihr armseliges Tun. Dabei kam
+ihr deutlich zum Bewußtsein, wie naß sein Gewand war.</p>
+
+<p>Es schien, als ob Geroms Gedanken erst durch ihren
+Jammer zu dem geführt wurden, was sie befürchtete. Ich
+werde sie schlagen, dachte er, ich werde sie so schlagen, als
+wollte ich mit der Faust bis ans Herz dringen.</p>
+
+<p>»O, höre mich an, sieh mich an, Gerom, ich habe nicht
+gewußt, was ich getan hab'.«</p>
+
+<p>Gott weiß es, warum sie es getan hat, dachte er. Sie
+ist ein Weib, Gott weiß es &hellip;</p>
+
+<p>Und dann atmete er tief auf und sagte mit schweren
+Lippen: »Draußen &hellip;«, stockte wieder und faltete dann
+seine großen Hände.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_30" title="30"></a>»Was willst du tun,« schrie die junge Frau mit lautem
+Weinen auf, »was soll ich tun?!«</p>
+
+<p>»Du,« sagte er rasch, »du &ndash; bist ja ein Kind &hellip; geh
+hinaus, glätte sein Haar, wasch ihm das Blut aus seinen
+Augen und leg seine Hände zusammen &hellip;«</p>
+
+<p>Nun war es, als habe er jenen Faustschlag, der bis an
+ihr Herz dringen sollte, mit seiner ganzen Kraft geführt,
+Angelika sank ohne ein Wort zu Boden und blieb still
+liegen. Eine ihrer kleinen weißen Hände lag gekrümmt
+mit dem Rücken nach unten an seinem Stiefel.</p>
+
+<p>Gerom sah auf sie nieder und hob sie nach einer Weile
+behutsam und vorsichtig auf. Er ging so zart dabei zu
+Werke, als stünde ihm die ganze Fülle seiner Liebe zu
+Gebote, und sein Gesicht war voller Rührung. Als er
+sie hinaustrug, sagte er zu ihr, als verstünde sie ihn: »Ja,
+er ist tot. Er hat mich, grade so wie du, um sein Leben
+angefleht. &ndash; Ich werde dir kein Leid antun, du Kleine.
+Ach Ihr &hellip; könnt nicht leben und könnt nicht sterben.«</p>
+
+<hr />
+<h2><a name="Zweites_Kapitel" id="Zweites_Kapitel">Zweites Kapitel</a><a class="pagenum" name="Page_31" title="31"></a> </h2>
+
+<p>Ungefähr sechs Jahre nach diesen Ereignissen wurde
+Vinzenz Gerom aus seiner Kerkerhaft entlassen. Angelika
+war gestorben, irgendwo in einer jener kleinen Provinzstädte,
+wie sie in solcher Verlassenheit und Stille nur
+Dänemark aufzuweisen hat. Sie hatte ein Mädchen
+geboren, das auf den Namen Angelika Gerom getauft
+worden war.</p>
+
+<p>Vinzenz Gerom kam eines Tages, es war an einem
+Sonntag und die Glocken läuteten, zu Fuß nach Gorching
+zurück. Er würde wohl von niemandem erkannt worden
+sein, wenn man ihn nicht auf seinem Hof erblickt hätte.
+Sein Haar war ergraut, und er trug einen langen blauen
+Mantel, der seine Gestalt, die gebeugt einherschritt, seltsam
+entstellte und ihm den Anschein eines weltabgekehrten
+Sonderlings verlieh. Nur sein Schritt hatte an Festigkeit<a class="pagenum" name="Page_32" title="32"></a>
+nicht verloren, und seine Augen, in ihrer versonnenen
+Glut, waren ungebrochen und ungetrübt.</p>
+
+<p>Er bekümmerte sich wenig um die Wirtschaftsberichte,
+die ihm von seinen Verwandten vorgelegt wurden; der
+Hof war schlecht bestellt worden, soviel war gewiß. Er
+hatte Angelikas Tod im dritten Jahre seiner Einkerkerung
+erfahren, aber keine Erlaubnis erhalten, die Tote noch
+einmal zu sehn. Nun gab man ihm auf dem Amt in
+Gorching einen Brief von seiner verstorbenen Frau, den er
+stumm nahm und lange nicht aufbrach. Es schien, als
+gewänne sein Wunsch Gewalt in ihm, diese Zeilen zu
+vernichten, ohne daß er seinem Herzen die letzten irdischen
+Grüße der Frau vergönnte, die er geliebt und getötet hatte.
+Der Gedanke an sein Kind, von dessen Dasein er wußte,
+veranlaßte ihn endlich, das Schreiben zu lesen.</p>
+
+<p>Es mußte in den letzten Lebensstunden der jungen Frau
+verfaßt worden sein, denn die Schriftzüge waren unsicher,
+und sie hatte keinen Wert auf Sorgfalt gelegt. Sie hatte
+einen beliebigen kleinen Zettel für diese Worte genommen;
+einen Augenblick überkam Gerom eine Regung von Erbarmen,
+und zugleich wurde ihm schmerzlich klar, daß<a class="pagenum" name="Page_33" title="33"></a>
+dies der erste und zugleich der letzte Brief war, den er von
+seinem Weibe erhalten hatte. Der Brief enthielt folgende
+Worte:</p>
+
+<p class="anrede">An Vinzenz Gerom.</p>
+
+<blockquote>
+ <p>Ich muß sterben. Ich kann nicht mehr darüber
+sprechen, was du mir in meinem Leben gewesen bist,
+vielleicht würde ich auch nicht das Richtige sagen können,
+es sollen meine Hoffnungen und meine ungewisse
+Angst mit mir in der Nacht vergehen, die über mich
+hereinbricht. Ich danke dir für die Lebensbarmherzigkeit,
+die ich für kurze Zeit in deiner geduldigen Liebe
+gefunden habe, ich danke dir für Anje, mein Kind, oh
+ich möchte dir danken ohne Ende. Ich will, daß du
+sie nach meinem Tode und nach deiner Gefangenschaft
+zu dir nimmst, höre mich an, ich will es. Ich fürchte
+nicht um sie, und weder dein Zorn noch deine Bitterkeit
+schrecken mich ab, mein Kind in deine Hände zu
+befehlen, denn ich weiß, daß du einmal in deinem Leben
+Verlangen nach einem Menschen tragen wirst, dem
+du verzeihen kannst, was die Menschen dir zugefügt
+haben.</p>
+</blockquote>
+
+<p class="relright">Angelika.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_34" title="34"></a>
+Nachdem der verlassene Mann diese Worte gelesen
+hatte, sank ihm das Haupt auf die Brust, und der Zettel
+fiel ihm aus der herabhängenden Hand, ihm ward langsam
+in aufdämmernden Gewißheiten mehr und mehr zu
+Sinn, als sei Angelika niemals sein Eigentum gewesen.
+Seine von Bitternis gehüteten Träume hatten sich in der
+Hoffnung gewiegt, daß jener verhängnisvolle Vorfall, der
+ihn um sein irdisches Glück gebracht hatte, eine Irrung
+des Herzens dieser seltsamen Frau gewesen war. Er hatte
+sich wieder und wieder klar gemacht, daß im Grunde ihre
+Liebe ihm gehören müsse, denn er konnte nicht glauben,
+daß die zärtlichen Gebärden einer so stürmischen Hingabe,
+wie sie Angelika in seinen Armen geschehn war, der Erinnerung
+und der Trauer um Vergangenes angehören
+sollten. Aber nun fühlte er, daß aus diesen Zeilen weder
+Liebe noch Leidenschaft sprachen, denn beide fassen ihr
+Wesen nicht in solche Worte des Danks, hinter denen
+sich das eigne Leid verbirgt; und wie konnte eine Mutter
+ihrem Manne für ein Kind danken, da es doch sein Kind
+war? So schloß sie ihn mit diesen Abschiedsworten zuletzt
+noch aus jener Gemeinschaft aus, die ihn allein hätte<a class="pagenum" name="Page_35" title="35"></a>
+versöhnen können, und sie verwandelte sein Zugehörigkeitsgefühl
+der Bitterkeit in das Entsetzen der Verlassenheit.</p>
+
+<p>Ich bin in Wahrheit ein Mörder, dachte er. Bisher
+habe ich geglaubt, ein gewalttätiger Hüter meines Rechts
+gewesen zu sein, aber nun hat diese Tote mir durch ihr
+Vermächtnis den Frieden meines Daseins zertrümmert.
+Was soll ich ihrem Kinde verzeihn? Nur den Unedlen
+ist es eine Genugtuung, vergeben zu können.</p>
+
+<p>So beschloß Gerom, den Wunsch der Toten nicht zu
+erfüllen, und sein Kind in der Fremde heranwachsen zu
+lassen; aber seine Liebe war stärker als sein Entschluß. Er
+empfand in der Qual seines Zwiespalts dunkel, daß irgendwo
+eine Gerechtigkeit in jener Vergebung leuchten müsse,
+die Angelika gemeint hatte, der einfältige Ausgleich zum
+Bestand, der in den großen Absichten der Natur verborgen
+ist. Als er endlich den Brief verfaßte, der sein
+Kind zu ihm rufen sollte, zitterten seine Hände und seine
+Lippen, und die neue Demütigung, die seine Liebe ihm auferlegte,
+überwältigte ihn zu Tränen, die über sein unbewegliches
+Gesicht in den ergrauten Bart tropften.</p>
+
+<hr />
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_36" title="36"></a>Als die kleine Anje anlangte, nahm Gerom sie zwischen
+seine großen Hände und hielt sie von sich ab, um sie zu
+betrachten. Er war nicht froh und nicht traurig, sein Gemüt
+schien kaum bewegt. Vergrämt forschte er in dem
+blassen Kindergesicht und strich endlich zögernd über das
+helle Haar. Da legte das von der weiten Reise ermüdete
+und geängstigte Kind hilfesuchend seinen Arm um den
+rauhen Hals des Vaters und schmiegte die Wange an
+seine Schulter. &ndash;</p>
+
+<p>Gerom verkaufte seinen Hof und sein Land und erwarb
+an Stelle seines reichen und erträglichen Besitzes einen
+großen Landstrich der Einöde, den die Gemeinde ihm ohne
+Bedenken abtrat. Dort ließ er in den dichten Niederungen
+des Sumpflands auf einer Hebung des Lands, die der
+Wald getrocknet hatte, ein grobes Blockhaus errichten,
+versah sich mit allem, was ein Einsiedlerleben möglich machte,
+nahm eines Tages sein Kind an die Hand und schritt langsam
+und feierlich durch das Frühlingsland seiner neuen
+Heimat entgegen. Nur Hirte begleitete die beiden, das war
+ein großer, häßlicher Hund mit gelbem Zottelhaar und einer
+schwarzen Schnauze, zu dessen Pflege niemals etwas unternommen<a class="pagenum" name="Page_37" title="37"></a>
+worden war. Sein Kopf hatte eine überraschende
+Ähnlichkeit mit dem eines Affen, und seine hellbraunen
+Augen, die einen warmen Goldglanz ausstrahlten, lagen
+tief unter den Stirnfalten und waren das Gutmütigste
+der Welt.</p>
+
+<p>Wie Anje in der Einöde heranwuchs, wußte sich niemand
+recht zu erklären, hätte die alte Onne, die am
+Waldrand des Moors lebte, sich nicht zuweilen des Kindes
+angenommen, so wäre die kleine Menschenblüte vielleicht
+in der rauhen Traurigkeit verkümmert, in die Gerom sein
+düsteres Dasein hüllte. Er mied die Menschen in einem
+Haß, den Jahr um Jahr seine Einsamkeit in ihm befestigte,
+man ließ ihn in Furcht und Mitleid gewähren
+und vergaß ihn langsam. Als einmal um des Kindes
+willen zu ihm gesandt wurde, kam der alte Lehrer am
+Abend, vor Schrecken zitternd, aus dem Moor zurück,
+es seien dort draußen Wunder geschehen, das Land blühte,
+aber Gerom sei ein Tier geworden. Anje habe er nicht
+zu Gesicht bekommen, aber der Alte habe gedroht, Gorching
+in Brand zu stecken, wenn man ihm sein Kind
+nähme.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_38" title="38"></a>Die alte Onne wohnte am Moorrand in einer Torfhütte.
+In vergangenen Zeiten hatte sie den Fuhrleuten,
+die von der Dachenau hinüber ins Gorchinger Land wollten,
+das Mittagessen bereitet. Sie bewahrte Speisevorräte
+und Getränke in ihrem Keller, es gab Unterkunft bei
+ihr, wenn es sein mußte, und jedenfalls immer Rast. Ihr
+kleines Haus lag zwei Stunden von Gorching entfernt
+am Rand der Einöde und war so von Weiden, Birken
+und Kiefern verborgen im Dickicht, daß es im Sommer
+niemand fand, der nicht darum wußte, nur der blaue
+Rauch, der vom Holzdach aufstieg, verriet es zuweilen.</p>
+
+<p>Wie alt Onne war, wußte niemand, sie hatte längst
+die Jahre erreicht, nach denen man nicht mehr fragt. In
+solch hohem Alter tritt bisweilen ein Zustand ein, der vom
+Tod nicht mehr erreichbar erscheint, es gibt Menschen,
+die der Tod vergißt. Die Urenkel sehen solch ein Väterchen
+oder Mütterlein laufen und wissen, daß schon ihre Eltern
+sie nicht anders gekannt haben. Sie können nicht sterben,
+gut, so leben sie denn, und bisweilen mit unverständlicher
+Geistesfrische und wie in einer neuen Jugend der
+Seele.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_39" title="39"></a>Wenn man Onne auf einem Moorpfad begegnete,
+ohne sie zu kennen, konnte man lange darüber in Zweifel
+sein, was man vor sich hatte, etwas Unförmiges in
+grauer und brauner Tönung, in Farben, die sich der Umgebung
+angepaßt hatten, nahte sich in holperigen Sprüngen,
+übereifrig und doch langsam. Endlich erkannte man mühsam
+einen weißen Scheitel, unter dem eine lange braune
+Nase herabhing, die Schultern und die Krümmung des
+Rückens überragten ihn, und die Knie der Schreitenden
+schienen ihn bald rechts, bald links beinahe zu berühren.</p>
+
+<p>Die Alte ging einmal in der Woche nach Gorching,
+wo sie Waldbeeren oder Pilze verkaufte, Holz oder Torf.
+Sie bediente sich eines kleinen Wagens, der ursprünglich
+ein Kinderwagen gewesen sein mochte, und dessen vier Räder
+alle von verschiedener Größe waren, es schien so, als
+habe sich der Wagen im Lauf der Jahre den Bewegungen
+seiner Besitzerin angepaßt.</p>
+
+<p>Die Landleute nannten Onne »die Sackziege«. Wenn
+im Abendrot gegen den Horizont die merkwürdig ruhlos
+bewegte Masse der Alten und ihres Wagens sich aus dem
+Dorf bewegte, um langsam im Dunst der feuchten Niederungen<a class="pagenum" name="Page_40" title="40"></a>
+zu entschwinden, so wußte man, daß es ein Freitag
+gewesen war.</p>
+
+<p>Onne war es übrigens, die Gerom mit allem versah,
+dessen er an Lebensmitteln aus Gorching bedurfte, und so
+kam es, daß sie Anje kennen lernte. Die alte Frau war
+keineswegs lächerlich oder einfältig, wie diejenigen sie schelten
+mochten, die sie nur vom Schauen her kannten oder
+nach den Lästerungen ihrer Gegner. Denn Onne hatte in
+der Tat Freunde und Feinde, deren Regungen für und
+gegen sie, sich bis zur Liebe oder bis zum Haß gesteigert
+hatten; danach ist die Bedeutsamkeit eines Menschen
+sicherer einzuschätzen, als nach kleinen Einzelzügen oder aus
+guten oder schlechten Eigenschaften. So gehörte sie auch
+durchaus nicht zu jener Sorte alter Waldweiblein, die sich
+durch Hexensprüche oder Wahrsagen beim Gesindel der
+Menschen in Respekt halten, sondern wenn einmal ein
+Mensch zu ihr kam, um ihre Hilfe zu erbitten, so war es
+eher dann, wenn er sein Schicksal verwinden, als wenn er
+es erfahren wollte. So war die Scheu, die man vor ihr
+empfand, und die Achtung, die sie bei manchen auslöste,
+nicht eine Folge der Urteilslosigkeit ihrer Umgebung, sondern<a class="pagenum" name="Page_41" title="41"></a>
+sie kamen, wie alle wahrhaft geheimnisvollen Einwirkungen,
+aus dem Wert ihres Herzens.</p>
+
+<p>Obgleich man sie selten mit einem andern Menschen
+zusammen sah, als mit Gerom, und obgleich sie schweigsam
+und spöttisch war, ging ihr Einfluß weit, und es
+galt als ein Zeichen besonderer Bekräftigung, wenn einer
+Meinung hinzugefügt wurde: Onne hat es gesagt. So
+hieß es, der letzte Pfarrer von Gorching habe ihretwegen
+sein Amt niederlegen müssen, niemand wußte recht, weshalb
+eigentlich, aber jeder glaubte es. Er war ein junger
+lebensfroher Mann gewesen, der diesen Schicksalsschlag
+nicht allzu hart genommen und der Einsamkeit des Landes
+ohne Schmerz entsagt hatte. Es war ihm ein böser
+Zufall mit einer Bauerntochter geschehn, der ihm nicht
+verziehen wurde, obgleich sein Weib fast immer krank
+war. Aber manche wunderten sich sehr, als er am Tage
+seiner Abreise mit bittersüßem Lächeln dem Ortsvorsteher
+zum Abschied sagte: »Unter Euch Gerechten gibt es nur
+drei Weltbürger, die hausen im Moor.« Da der Ortsvorsteher
+zwar ein reicher Bauer war, aber sonst alle Eigenschaften
+hatte, die die Obrigkeit der Dörfer zuweilen auszeichnet,<a class="pagenum" name="Page_42" title="42"></a>
+so dachte er für die Zukunft nicht sonderlich
+achtungsvoll über solche Leute, wie etwa der Pfarrer sie
+unter »Weltbürgern« verstanden haben mochte.</p>
+
+<p>Onne sagte zu Gerom: »Der Pfarrer hätte bleiben
+sollen, er war ein guter Mensch, aber wie soll man
+einen Fuchs festhalten, wenn er mit dem Schwanz voranläuft?«</p>
+
+<p>Es war übrigens ungemein schwer, Onne zu verstehen,
+man brauchte sehr lange dazu, bis man es gelernt hatte,
+und da dann noch die Schwierigkeit hinzukam, das Verstandene
+auch begreifen zu müssen, so gehörten nur sehr
+wenige in Gorching oder im Dachenauischen zu diesen
+Erwählten. Sie sprudelte ihre Worte zunächst heraus,
+schien sie dann wieder einzufangen und begann eine Weile
+mit ihren Kiefern darauf zu kauen, dann zischte sie sie
+durch eine große Zahnlücke nach links, dort mußte man
+aufpassen, denn nun waren sie am verständlichsten.</p>
+
+<p>Niemand hatte es besser gelernt, als Anje, das Kind.
+Onne hatte ihr wunderbarerweise vom ersten Augenblick
+an Vertrauen eingeflößt, und die Zuneigung war im
+Laufe der Jahre zu einer großen Liebe geworden. Onne<a class="pagenum" name="Page_43" title="43"></a>
+verstand das einsame und scheinbar verwilderte Kind, dem
+niemand Liebe erwies, denn Gerom verbarg sein Herz
+bis zur Schwermut. Onne wußte, daß Menschen von
+selbständigen Kräften der Empfindung sich in ihrer Jugend
+nicht durch Beständigkeit oder Gleichmaß der Herzensregungen
+auszeichnen. Sie verstand Anjes Wildheit und
+die an Trauer grenzende Weichheit, mit der sie abwechselte,
+und liebte an dem kleinen Mädchen den hilflosen Unbestand
+der Empfänglichen.</p>
+
+<p>Sie hatte zuweilen den Versuch gemacht, Anje mit
+unter Menschen zu nehmen, aber Gerom wollte es nicht,
+und als sie das Kind einmal heimlich zu überreden trachtete,
+stieß sie auf Widerstand. Da ergab sich die kluge
+alte Frau und überließ Anje dem Walten der großen
+Wälder, dem beständigen Wechsel der Jahreszeiten, dem
+geduldigen Land und den himmlischen Botschaften des
+Windes.</p>
+
+<hr />
+<h2><a class="pagenum" name="Page_44" title="44"></a><a name="Drittes_Kapitel" id="Drittes_Kapitel">Drittes Kapitel</a></h2>
+
+<p>Wenn Hirte, der große gelbe Hund, durch die veränderten
+Lebensbedingungen auch gezwungen war, einen
+guten Teil seiner Erfahrungen als überflüssig zu betrachten,
+so gab er deshalb seinen Eifer nicht auf, den Ansprüchen
+gerecht zu werden, die man an ihn stellte. Er
+hatte bald herausgebracht, daß es im Grunde Anje war,
+die seiner bedurfte, und da dieser Hinweis auf seine Verpflichtungen
+mit seiner Neigung zusammenfiel, ergab er
+sich Anje mit der ganzen Ausschließlichkeit seines Wesens.
+Er schlief an ihrem Lager, wo immer das Kind sich zur
+Ruhe niederlegte, erwachte mit jedem Seufzer, der der
+kleinen von Träumen bedrängten Brust entwich, und
+horchte auf das Ticken des Regens, oder das Rascheln
+der nächtlichen Tiere im Laub. Schon ein Nachtfalter,
+der sich am Glas der Scheiben stieß, weckte ihn auf.<a class="pagenum" name="Page_45" title="45"></a>
+Wenn Anje sich im Schlaf bewegte oder sich auf die
+andere Seite bettete, benutzte er die Gelegenheit, sich selbst
+ein wenig zu regen oder zu gähnen, was bisweilen notwendig
+war, aber er würde es nicht gewagt haben, wenn
+seine kleine Herrin ruhig schlief.</p>
+
+<p>Des Morgens begegneten Anjes erwachende Augen
+dem braunen Goldglanz der seinen, er saß in respektvoller
+Entfernung auf dem Boden, hatte sein Maul etwas geöffnet,
+und seine Brauen bewegten sich erwartungsvoll und
+freundlich. Überhaupt war Hirtes Heiterkeit von großer
+Beständigkeit, immer lag sein Frohsinn im glücklichen Streit
+mit der Schwermut seiner tierhaften Befangenheit.</p>
+
+<p>Die kleine Anje nahm, wie alles, was ihr begegnete,
+so auch Hirtes ergebene Liebe wie ein selbstverständliches
+Gut entgegen. Die Sonne über dem Bach und über den
+vielerlei Pflanzen des Waldes und des Moors, die Lieder
+der Vögel und der Schimmer des Mondes hinter dem
+Laubdach der Bäume, waren so schlicht und wahr ihr
+Eigentum, wie das Leben ihrer kleinen braunen Hände
+und das göttliche Geschick ihrer Augen. Sie nahm die
+Güter der Erde an, wie nur Kinder sie nehmen können,<a class="pagenum" name="Page_46" title="46"></a>
+und ihr irdischer und himmlischer Gott, der Herr über alles,
+was sie umgab, war ihr Vater. Sie kannte keinen Zweifel
+an seiner Macht und an seiner Güte und liebte ihn in der
+schrankenlosen Hingabe, wie sie entstehn kann, wenn ein
+junges Gemüt Stunde für Stunde eine Liebe empfindet,
+in deren herbe Verschlossenheit kein Schrecknis des Alltags
+fällt, die unberührbar und unerwiesen bleibt, die keine Beweise
+zu liefern scheint, als einzig den verschwiegenen Gram
+ihrer irdischen Gebundenheit, in einem heiligen Abstand.</p>
+
+<p>Denn Geroms Herz war wahrhaft gebrochen, und er
+hatte die Kraft zur Hingabe für seine Erdenzeit verloren.
+So entströmte ihm scheinbar die Fülle seiner Liebeskraft
+in heimatloser Allmacht, denn so wenig er in der Lage
+war, ein zweites Mal zu vertraun, so wenig konnte er
+seine Kraft zu jener Gemeinschaft verleugnen, die die Liebe
+in die Welt bringt.</p>
+
+<p>Es war wunderbar genug, daß Anje ihn nicht fürchtete,
+denn sein Gesicht verfinstere sich um so mehr, je mehr sie ihm
+ihre Liebe zeigte oder darbot. Aber der Eifer der kleinen Anje
+ermüdete darüber nicht, ihre Zärtlichkeit wuchs, und ihr kindliches
+Tun nahm überhand an demütiger Weisheit der Liebe.<a class="pagenum" name="Page_47" title="47"></a>
+Einmal legte er Anje seine Hand aufs Haar, in einer
+Müdigkeit ohne Gedanken, aber er erschrak darüber, wie
+furchtbar die Wirkung war. Das kleine Mädchen erschauerte
+und sank mit Zittern an seinen Knien nieder,
+die blasse Wange gegen seinen groben Stiefel gepreßt,
+wagte nicht sich zu rühren und sagte kein Wort. Es war,
+als verginge sie in einer Ohnmacht, ihr Glück ertragen zu
+können. Gerom erbebte und brüllte fast:</p>
+
+<p>»Steh auf! Was ist geschehen?! Steh auf!«</p>
+
+<p>Sie erhob sich und lächelte, ihre Lippen waren beinahe
+weiß. Sie verstand den Zorn ihres Vaters und begriff,
+daß es erschüttern mußte, so viel gegeben zu haben, wie er
+es getan hatte. Gerom ging mit großen Schritten hinaus.</p>
+
+<p>Er würde wohl auf seine finstre und überlegene Art gelächelt
+haben, wenn Onne ihm erzählt hätte, Anje sei das
+eigenwilligste und trotzigste Kind, daß sich denken ließe.
+Aber die Alte hütete sich wohl, auch wollte Gerom von
+niemandem etwas über sein Kind hören. Sie begriff das
+Verlangen nach Liebe, das in dem kleinen Herzen Anjes
+brannte, und schirmte es heimlich auf ihre Art.</p>
+
+<p>Einmal hatte Anje die Nacht in Onnes Hütte zugebracht,<a class="pagenum" name="Page_48" title="48"></a>
+wie es oft geschah, aber diesmal mußte Gerom es ein
+erstes Mal gewahr geworden sein. Da Onne es mit dem
+Schlafen wie ihre Hühner hielt, sich mit der Sonne
+niederlegte und sich im ersten Morgengrauen erhob, so
+ließ sie das Kind noch ruhen, als das Licht sie aufweckte.
+Da sah sie nach etwa einer Stunde beim Beerensuchen
+Gerom durch den Wald kommen, er brach im Lauf
+durch das Unterholz in der Richtung auf ihre Hütte zu,
+wie ein Bär stürmte er dahin, er schnitt die Wege ab
+und achtete nicht darauf, daß das Buschwerk sein graues
+Haar verwüstete, und seine Blicke waren vor Angst erstarrt.
+Als er Onne entdeckte, hielt er plötzlich inne, ging
+langsam, strich über seine Schläfen, und die Alte sah ihn
+in seinen Bart lächeln, als er bei ihr war, wie sie ihn nie
+hatte lächeln sehn.</p>
+
+<p>»Was ist geschehn?«, fragte sie. Die rote Morgensonne
+schien durch die betauten Büsche in den Wald, und
+es tropfte von den Blättern.</p>
+
+<p>»Was soll geschehn sein?«, fragte Gerom düster und
+schaute auf das dichte Moos des Waldbodens, er atmete
+schwer, aber er stellte die Frage nicht, die sein Gemüt<a class="pagenum" name="Page_49" title="49"></a>
+zerdrückte. Onnes welkes, altes Herz wärmte sich in
+der Glut dieser Liebe, denn obgleich sie längst begriffen
+hatte, was Gerom in den Wald trieb, sagte sie ihm noch
+nicht, wo sein Kind war. Als er es erfuhr, brummte er
+wie nebenhin: »<ins title="Anje ..">Anje &hellip;</ins> mag sie schlafen, wo sie will.«
+Aber von dieser Stunde an war Onne niemals wieder in
+Besorgnis, die Liebe des kleinen Mädchens zu ihrem Vater
+möchte sich jemals in Bitterkeit verkehren.</p>
+
+<p>Aber so sicherlich für gewöhnlich die Neigung eines
+jungen Gemüts in Zärtlichkeit aufblüht, so eigenartig war
+es, daß Anjes Verlangen danach sich nicht auf Hirte
+übertrug. Eigentlich hatte Hirte es beinahe schlecht bei
+ihr, wenn er auch unter keiner Bosheit oder Willkür zu
+leiden hatte, aber sein deutlich zur Schau getragenes
+Begehr nach sinnfälligen Beweisen von Gunst fand keine
+Beachtung. Anje streichelte ihn sehr selten, und nur dann,
+wenn er sich irgendwie verdient gemacht hatte, oder wenn
+sie an alles andere und nur nicht an ihn dachte. Das
+mußte ertragen werden, aber daß er schwer daran trug,
+sah man seinen Augen an, wenn sie sich von untenher zu
+Anje emporrichteten, den Wulst der Brauen ein wenig<a class="pagenum" name="Page_50" title="50"></a>
+mithoben und sich in ihrer schweigsamen Sprache um den
+Willen der gebannten Seele mühten. Nur wenn sie
+miteinander einen schmalen Waldpfad beschritten, rieb er
+zuweilen seinen Kopf an Anjes braunem Knie, das wurde
+aber in der Hauptsache nur deshalb geduldet, weil es verständlich
+war, daß gern beide den Pfad benutzen, und weil Hirte
+nicht voranlaufen sollte und nicht hinterhertrotten mochte.</p>
+
+<p>Eine Aufgabe, die Hirte sehr wichtig einschätzte und
+der er mit großer Gewissenhaftigkeit oblag, war das Bewachen
+der Kleider beim Baden im Gurdelbach. In
+solchen Augenblicken erschien ihm der Sinn seines Daseins
+erfüllt, er wurde vor Ernst beinahe traurig und fast hochmütig
+vor Stolz. Um Hirtes Wesensart ganz würdigen
+zu können, mußte man ihn an diesem Posten gesehen haben,
+dessen Bedeutung ihm in keiner Weise dadurch geschmälert
+wurde, daß Anjes ganze Kleidung aus einem
+grauen Leinenkittel und einem Gürtel bestand und daß
+niemals jemand den Wald betrat. Aber in solchen Augenblicken
+war das Kittelchen in Hirtes Augen so gut wie
+ein Purpurmantel, und hinter jedem Busch vermutete er
+Landstreicher oder Straßenräuber.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_51" title="51"></a>Wenn alles still blieb, blinzelte er durch das Schilf
+nach Anjes gelbem Haar und horchte auf das heitere
+Plätschern des Wassers. Man mußte beim Lauschen den
+Kopf schräg halten und wenn möglich für kurz die Blicke
+in eine andere Richtung schicken, damit einem nichts entging.
+Der Kittel war noch da.</p>
+
+<p>Dann, wenn Anje ihr Bad beendet hatte und im Gras
+in der Sonne lag, durfte Hirte baden. Er ging ein wenig
+abseits ins Wasser, weil dort die Frösche noch nicht aufgestört
+waren, und man beobachten konnte, wie sie mit
+einem langen Satz flüchteten. Dies tat Hirte wohl, weil
+es seine Autorität erwies und ihn belustigte. Es erschien
+ihm außerordentlich erstaunlich, daß man diese Tiere
+immer erst dann erblickte, wenn es zu spät war, sie zu erwischen,
+und daß man sie niemals im Wasser wiederfand.
+Allerdings machte Hirte nur noch scheinbar den Versuch,
+sie zu schnappen, es hatte seinen Grund darin, daß es ihm
+vor Jahren einmal gelungen war.</p>
+
+<p>Dann kam die Stunde im Ufergrün, wo sie nebeneinander
+in der Sonne trocknen mußten. Es war herrlich,
+mit müden und glücklichen Blicken das Schilf im<a class="pagenum" name="Page_52" title="52"></a>
+sanften Wind bewegt zu sehn und das Blinken der Sonne
+vom Wasser her mit in seine Träume zu nehmen. Alles
+verwandelte sich in ein warmes Glück, das in goldgrünem
+Schimmer über die Erde zog. Der Himmel kam herab,
+und der Boden wurde leicht, wie auch der Körper und
+die Gedanken. Alle Gestalten verwandelten sich zu lichten
+Dingen und kehrten frei in die Geheimnisse des Bluts ein,
+dessen Pochen zu verstummen schien. Die Regungen der
+Luft wurden vernehmlich, wie ein Brausen aus der Höhe,
+die Stimmen der Insekten und das Flüstern der Blätter
+ließen sich verstehn, und das Licht schien zu erklingen. &ndash;</p>
+
+<p>Je mehr Anje heranwuchs, um so weiter dehnte sie
+langsam ihre Streifzüge in die Wildnis der Einöde aus.
+Ein Weg scheint kleiner zu werden, je länger man ihn
+kennt, und Anjes Mut wuchs mit ihrer Selbständigkeit
+und ihrer Kraft, auch war Verlaß auf Hirte, der immer
+dabei sein wollte, wenn eine Entdeckungsfahrt unternommen
+wurde. Anje kannte nun die fahlen Birkenbestände
+im Sumpfland, unter denen die Farne zwischen gestürzten
+Stämmen im Modergrund wuchsen, sie kannte die
+schwarzen Seen im Moorland, die in der leblosen Ebene<a class="pagenum" name="Page_53" title="53"></a>
+lagen, und an deren toten Ufern nichts grünte als ein
+scharfes Gras und im Hochsommer gelbe oder violette
+Blumen, deren gedrängte Blüten an einem saftigen
+Stengel saßen, und die vereinzelt, wie Wahrzeichen der Gefahr,
+im Sumpfboden hockten. Gegen Osten zogen sich mit
+Weiden bestandene Gründe hin, deren Ende niemand zu
+kennen schien, und gegen Süden der schwarze Tannenwald,
+dessen Bäume so dicht standen, daß kein Sonnenstrahl
+bis auf den braunen Nadelteppich fand. Nur die Abendsonne
+schien spät durch die hängenden Zweige hinein, zwischen
+die Stämme am Boden und trug himmlische Wunder
+voll dunkler Glut in seine Totenstille. &ndash;</p>
+
+<p>Einmal war Anje mit Hirte in diesem Wald so weit
+vorgedrungen, daß sie an der Landstraße anlangte, die ihn
+durchschnitt. Es war die alte Heerstraße, die von der
+Dachenau hinüber ins Gorchinger Land führte. Ein
+schmaler Graben trennte ihre Wagenspuren vom Tannenwald,
+an dessen Rand sich im Schutz der tiefen Zweige
+Anje und Hirte ein Versteck bereitet hatten, von dem aus
+sie den Gang der Welt und den Verlauf des großen Lebens
+beobachteten und Erfahrungen von Bedeutung sammelten.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_54" title="54"></a>Die Landstraße war vernachlässigt und wurde fast niemals
+mehr benutzt, sie war bewachsen, und nur ihre zwei
+Furchen von den Rädern der Wagen kennzeichneten ihre
+fast vergessene Bestimmung. Es kamen sehr selten Gefährte
+vorüber und nur hier und da ein Landmann oder
+ein Wanderbursche, vielleicht der Flurschütze oder sein Gehilfe
+oder ein Tagelöhner, der sein Kalb auf den Gorchinger
+Markt trieb, aber diese Ereignisse waren für Anje von
+großer Bedeutung. Mit Herzklopfen sah sie schon von
+fern, im Dämmerlicht der Straßenbirken, ein bewegliches
+Pünktchen nahn und in den Tannenwald kommen, und
+ihr Herz schlug hart und langsam, wenn endlich ein Mensch
+daherkam und vorüberzog. Sie verdankte ihrem geduldigen
+Eifer eine wichtige Errungenschaft ihrer Kindertage, es
+war die Kunst des Singens. Eines Morgens war ein
+Wagen dahergekommen, den sie schon von weitem knarren
+hörten, und sie hatten laufen müssen, Hirte und sie, um
+rechtzeitig bei ihrem Versteck mit ihm zusammenzutreffen.
+Es war ein schwerer Wagen, der von zwei gefleckten
+Pferden gezogen wurde und mit grauem Tuch überspannt
+war. Der Fuhrmann schritt nebenher, er hatte seine gelbe<a class="pagenum" name="Page_55" title="55"></a>
+Peitsche geschultert und sang. Die kleine Anje sah mit
+großen Augen durch die Tannennadeln und zitterte vor
+Glück. Die mächtige Männerstimme scholl laut und
+traurig durch den Morgen, es war Anje, als wäre alles
+Vertraute umher plötzlich verändert, der Himmel, die
+grünen Tannenwipfel darin, ihre eigenen Hände und Hirtes
+freundlicher Blick. Sie wußte nicht, wie ihr geschah, und
+gab sich hilflos den Segnungen der feierlichen Kraft hin,
+die ihr Herz bestürmte. Sie versuchte zu verstehn, was
+der fremde Mann sang, eine beklemmend traurige Erinnerung
+an ihre frühste Kindheit stieg dunkel, mit lichten
+Gestalten, aus ihrer Seele empor.</p>
+
+<p>»Hirte,« sagte sie, »hörst du?«</p>
+
+<p>Hirte veränderte die Stellung seiner Ohren und sah
+Anje an.</p>
+
+<p>Sie schüttelte den Kopf und schob ihn fort, da er die
+Befangenheit seiner Herrin zu benutzen suchte, um seine
+schwarze Schnauze in ihre Hand zu bohren. Da verstand
+er, daß Großes vor sich ging, und saß still und aufrecht.</p>
+
+<p>Der Gesang verhallte in der Ferne, und als der Morgen<a class="pagenum" name="Page_56" title="56"></a>
+wieder still war und nur die Häher riefen und aus der
+Birkenniederung der Kuckuck, versuchte Anje zu singen.</p>
+
+<p>Hirte sprang auf und geriet in Verlegenheit, aber er
+mußte sich nun im Laufe der kommenden Zeit bemühn,
+eine Stellung zu diesen seltsamen, langgezogenen Tönen zu
+finden, die ohne Sinn der Worte und von bedeutungsvollen
+Bewegungen der Hände begleitet, aus der Schattenwildnis
+der Einöde zum Himmel emporklangen. Anje
+sang mit tiefer Kinderstimme, wie das Wasser durch den
+Moorgrund zog und wie die Pflanzen sich gegen das Licht
+drängten, sie erlöste die Klage der Stummen um sich
+her, lernte vom Wind und vom Regen und legte in die
+wortlose Klage ihres Liedes den Sinn der geduldigen Natur
+auf ihre Art. Sie bildete die Worte für ihre Lieder selbst,
+und es klang aus der feuchten Kühle in den Sonnenschein
+hinaus, ausklingend auf »öh« und »euh« in unbegreiflich
+inbrünstiger Schwermut. Sie rief den Abend herbei
+und begrüßte die dahinziehenden Wolken, sie beantwortete
+die verschleierten Stimmen aus den Nebelgründen und
+dankte dem Mond.</p>
+
+<p>Bald gab es in Gorching ein neues Wunder des<a class="pagenum" name="Page_57" title="57"></a>
+Moors, das man abergläubisch mit den Geheimnissen
+der schaffenden Natur verband, und das als das Wahrzeichen
+für die Erfüllung von Hoffnungen oder für das
+Eintreffen von Befürchtungen galt: »Das Anjekind singt
+im Moor.«</p>
+
+<hr />
+<h2><a class="pagenum" name="Page_58" title="58"></a><a name="Viertes_Kapitel" id="Viertes_Kapitel">Viertes Kapitel</a></h2>
+
+<p>Anjes Leben war glücklich. Sie bewegte sich unter den
+vielerlei Lebewesen der Moorebene und des Waldes wie
+unter wohlwollenden Gefährten, sie kannte die Pflanzen
+und wußte, wann ihre Knospen aufbrachen, ob sie des
+Nachts ihre Kelche schlossen und welcherlei Insekten sie
+besuchten. Sie fühlte den Regen kommen, bevor noch die
+Kühle oder der Schatten ihn verrieten, und sah am Zug
+der Wolken, ob der Wind wechseln und woher er kommen
+würde. Die Tiere und die Wolkenbilder am Horizont
+verrieten ihr die Ereignisse der Natur, von den Bienen
+erfuhr sie die Stunde, in der ein Unwetter hereinbrechen
+würde, und die Vögel warnten sie im Walddunkel, wenn
+sie schlief. Sie wußte, ob der Laut, den ein Tier gab,
+Freude, Schmerz oder Angst verriet, ob die Geschöpfe der
+Fluren einander warnten oder lockten, ihre Gewohnheiten<a class="pagenum" name="Page_59" title="59"></a>
+verkündeten ihr die Anzeichen der Tagesstunden, bis
+spät in die Nacht hinein.</p>
+
+<p>Anje hörte an den Regungen der Kreaturen, wann die
+Sonne unterging. Sie lag mit geschlossenen Augen am
+Wasserrand des Moorsees, das Gesicht in den Händen
+und die Hände im Gras. Sie wußte, daß die Sonne im
+Westen schon tief stand, und lauschte. Dann fühlte sie die
+unhörbaren Bewegungen, in denen das Wasser, Tiere,
+Pflanzen und Wind wie mit leisem Aufseufzen sich der
+Nacht ergaben, wenn der Rand des glühenden Sonnenballs
+versank.</p>
+
+<p>Da ihre Sinne Gemeinschaft mit den Sinnen der
+Lebendigen der Natur hatten, so wertete sie die Wohltaten
+ihres freien Tags nach den Ansprüchen ihrer stummen
+Lebensgefährten. Hirte hörte sie seltsame Dinge sagen,
+und es wurde ihm mancherlei erklärt, von dem er, bei all
+seiner Bescheidenheit, eine überlegene Meinung bewahrte.
+Anje erzählte ihm vom klugen Licht, das alle Wege fand,
+und vom Wasser, das niemand verändern könnte, die
+Luft ängstigte sich vor den Wetterwolken und sprang in
+den Wald, und der Himmel war bald nah, bald fern.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_60" title="60"></a>Anje hatte große Furcht vor allen Geräuschen, die nicht
+dem selbsttätigen Leben der Geschöpfe entsprangen, die
+Stille der Natur war das Element ihres Friedens, in ihr
+atmete und ruhte ihre kleine Seele. Als sie einst zum
+erstenmal hörte, wie ihr Vater einen Ast zersägte, weinte
+sie mit dem schreienden Baum. Erst viel später begriff sie
+die scheinbaren Grausamkeiten, die sich mit der Erhaltung
+des Lebens verbinden. Sie hatte lange den Marder gehaßt,
+der die Nester der Vögel zerstörte und ihre Brut
+vertilgte, bis sie einst im Hochwald eine vom Sturm gefällte
+Buche fand, in deren Stamm ein Marderpaar sein
+Heim in einem verlassenen Eichhornbau errichtet hatte.
+Dort beobachtete sie, wie der Marder seinen Jungen, die
+vor Furcht und Hunger jämmerlich klagten, Nahrung
+brachte, und sie sah, daß es ein nackter Vogel war, den
+er ihnen zutrug. Da begriff Anje zum erstenmal, daß die
+Natur des Mitleids und der Hilfe des Menschen nicht
+bedurfte, was man ihr hinzuzufügen glaubte, nahm man
+ihr gewiß an anderer Stelle. Anje empfand sich als zu
+klein, um zu wissen, was zu tun notwendig war, dessen
+war nur ihr Vater mächtig.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_61" title="61"></a>Aber sie herrschte im Wald und war ihrer Kräfte froh,
+die mit ihrer Andacht wuchsen. Sie beobachtete die
+Ranken der Schlinggewächse, wie sie sich geduldig drehten
+und im Wachsen nach einem Halt tasteten. Darüber erkannte
+sie, daß ihre eigenen Augen wohlgeschickter waren,
+aber sie half den Pflanzen nicht, sondern ließ ihnen ihr
+Wesen. Die Bäume, die großen und kleinen, blieben ihr
+Leben lang an dem Ort stehen, der sie hervorgebracht hatte,
+immer traf der Westwind die gleichen Blätter zuerst, und
+immer dieselben Äste empfingen im Wipfel die Morgenglut.
+Anje aber konnte schreiten, wohin sie wollte, sie
+konnte den Schein der Sonne empfangen oder sich im
+Schatten bergen. Im heimlichen Glück ihrer Kräfte
+versank ihr Blick oft im Gedanken an die Geduld der
+Bäume, die schön und erhaben waren und denen nichts
+mangelte. Sie versuchte wohl eine Weile wie ein Baum
+zu leben, stellte sich klein und feierlich zwischen die großen
+Freunde und bildete mit ihnen den Wald. Aber sie vergaß
+ihre ernsten Pflichten schon bei einem Schmetterling
+oder bei irgendeinem Gedanken, der herangaukelte, wie
+jener.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_62" title="62"></a>Zu ihrer größten Freude gehörte es, auf den Moorwiesen
+der Arbeit der Insekten zuzuschaun, dem Eifer der
+Bienen, dem Spiel der Schmetterlinge oder den Beschäftigungen
+der Käfer. Sie machte mit ihnen den sonnigen
+Weg von einer Blume zur anderen und bebte vor
+Glück, wenn sie mit einer Biene ein rotes oder blaues
+Blumenhaus betrat. Das farbige Licht der duftenden
+Halle schlug auch über ihr zusammen, sie begriff die Seligkeit,
+so licht zu hausen. Die kleineren Blumen neigten
+sich an ihren Stielen, wenn ein geflügeltes Tier ankam,
+und so verband sich oft ein gelindes Schaukeln mit ihrem
+sorglosen Tun. Trafen sich zwei in der gleichen Blüte, so
+ließen sie einander vorüber, ohne sich zu stören, das kam,
+weil der Reichtum an Blumen unermeßlich war.</p>
+
+<p>Die kleine Anje liebte den Ausblick in das ebene Land.
+In der Weite erhoben sich die Kuppeln der Bäume vereinzelt
+oder in Gruppen, die das Blau der Ferne geheimnisvoll
+zusammenschloß und verkleinerte. Das bunte Bild
+des Landes unter dem Himmelsblau weitete ihr Herz in
+unsagbaren Ahnungen von zukünftigem Geschehn. Gegen
+Süden verschloß das schwarze Band des Föhrenwaldes<a class="pagenum" name="Page_63" title="63"></a>
+die Welt. Dorthin zogen am Abend die Krähen, deren
+Flug man am längsten mit den Blicken folgen konnte.</p>
+
+<p>Am meisten aber liebte Anje den Wind, der vom kaum
+vernehmbaren Flüstern bis zur brausenden Musik anwachsen
+konnte, und der ihr das Leben der Natur verherrlichte.
+Sie kannte seine Stimme in der Ebene und
+<ins title="ilte">eilte</ins> über das Feld seinem freien Singen entgegen, <ins title="dase">das</ins>
+<ins title="eihre">ihre</ins> Arme in sinnloser Freude emporriß. Er <ins title="beherrscht">beherrschte</ins>
+den Himmel und lenkte den Gang der Wolkenzüge, die
+er in grauen Massen über die Erde dahintrieb oder der
+Sonne entgegen, in deren Wärme die weißen im Blau
+zergingen. Er bediente sich der Baumkronen, um sein
+Brausen, das bis zum donnernden Getöse anschwellen
+konnte, vernehmen zu lassen, und diesem Anschwellen
+lauschte ihr Blut mit jauchzendem Erbeben. Wenn er
+sich zu seiner Gewalt erhob, so befreite er die Sinne von
+den Gedanken und beflügelte die Seele, die sich ihm vertraute,
+wie das Laub des Erdbodens oder wie der Staub
+der Wege. Der Wind rief die Ahnung von einer Vollendung
+wach, die in keiner Stille zu finden war.</p>
+
+<p>Er drang wie das Licht überall hin, und niemand entging<a class="pagenum" name="Page_64" title="64"></a>
+seinen Berührungen, die Leben weckten. Er konnte
+klagen und Trauer verbreiten, bald schmeichelte er, bald
+drohte er, es war um so seltsamer, als man seine Kraft
+kannte, und man verstand ihn nur, wenn man bedachte,
+daß er ein Kind war. Oft kam er im Dunkeln der
+Sommernacht ins Zimmer, man fühlte ihn auf der
+warmen Stirn, und er brachte den Schlaf, wenn er die
+Augenlider berührte, weil darüber das Blut kühl und
+glücklich wurde.</p>
+
+<p>Oft zog Anje im Traum mit ihm hinaus, sie kühlten
+das Wasser für den Morgen, schaukelten die Zweige der
+Büsche und kamen aus dem Wald in die Ebene. Dort
+zogen sie unter den Sternen hin über die Moorseen, im
+Dunkeln. Nach solcher Fahrt blieb ihr die Erinnerung
+zurück, als ob sie den Wind erblickt hätte, den noch niemand
+gesehen hatte, aber sie wurde sich keiner Einsamkeit
+bewußt.</p>
+
+<hr />
+<h2><a class="pagenum" name="Page_65" title="65"></a><a name="Funftes_Kapitel" id="Funftes_Kapitel">Fünftes Kapitel</a></h2>
+
+<p>Als Anje so groß geworden war, daß Hirtes Schnauze
+bis an ihre Schulter reichte, wenn sie nebeneinander im
+Ginster saßen, nahm die alte Onne sich ihrer auf etwas
+veränderte Art an, denn Gerom ließ sein Kind tun, was
+es wollte, er beschäftigte es niemals und lehnte, wo immer
+es war, ihre Hilfe mit einer barschen Herablassung ab:
+was denn solch ein zartes Ding rechtes tun könne, und ob
+man glaube, er würde nicht selbst mit seiner Arbeit fertig.
+Diese Nichtachtung war nur ein Mantel, unter dem er
+seinen Wunsch verbarg, Anje ungehindert von Tageslasten
+und Menschenpflicht heranwachsen zu sehen. Sie war
+keineswegs schwach und hilflos, wie er sie nannte, sondern,
+obgleich von zarten Gliedern, ein gesundes Kind
+von blühender Kraft, aber Gerom verachtete die Menschen
+und ihr Handeln, das er betört und armselig nannte,<a class="pagenum" name="Page_66" title="66"></a>
+und gönnte ihnen in ihrem Tun nicht die kleinste Gemeinsamkeit
+mit seinem Kind. Zwar hinderte er Anje
+nicht daran, wenn sie Neigung zeigte, sich hier oder dort
+zu beschäftigen, aber sie tat es selten und nur dann, wenn
+sie dadurch in der Nähe ihres Vaters verweilen konnte.</p>
+
+<p>Gerom lebte der Vorstellung, daß alles Bewußtsein des
+Bösen und jede Macht der Finsternis erst durch Menschengeselligkeit
+in die Welt getragen würde. Als Onne ihm
+einmal die Zuneigung ihres alten Herzens in Bewunderung
+für sein ernstes Leben darbrachte, antwortete er ihr ruhig:
+»Es ist leicht gut zu sein, wenn man allein ist, die Natur
+nimmt uns an, so wie wir sind.«</p>
+
+<p>Onne schaute vor sich hin, ihre grauweißen Haarsträhnen
+zogen sich arm an den faltigen Schläfen hin
+und an den hohlen Wangen nieder, die die Farbe welken
+Laubs hatten und unzählige Fältchen und Risse.</p>
+
+<p>»Gerom,« sagte sie, »das ist wohl wahr, aber wer die
+Kraft hat, die Natur zu ertragen, dem kommt keine Gefahr
+mehr von den Menschen.«</p>
+
+<p>Gerom sah sie an. »Mütterchen &hellip;« sagte er langsam,
+aber dann erschrak er über den weichen Klang seiner<a class="pagenum" name="Page_67" title="67"></a>
+Stimme und schwieg, und da Onne sich darauf verstand,
+woher ein Wort kam und wieviel es bedeutete, begnügte
+sie sich mit dieser Antwort und dachte in ihrem
+Sinn: Mit Gerom läßt sich leben.</p>
+
+<p>In diesem Herbst kam Anje häufiger zu Onne als
+sonst, und eines Abends, als sie schon die Holzläden der
+Fenster geschlossen hatten und ein Scheitfeuer auf dem
+Herd angezündet worden war, ging Onne an ihre Truhe.</p>
+
+<p>Die kleine Anje wußte, daß dieser Kasten mit seinem
+groben Schnitzwerk und seinem Schlüssel, dessen Bart
+fast so groß war wie ihre Hand, die unerhörtesten Schätze
+enthielt, und ihre Augen wurden still und groß in der Erwartung,
+was Onne tun wollte. Die Alte hob mit Mühe
+den schweren Deckel und lehnte ihn an die Wand. Nun
+hielt das plumpe Holzungeheuer seinen Rachen geöffnet,
+und Anje kam ein Zittern an, vor Scheu und Begierde
+sah sie nichts als ein buntes Durcheinander, das
+vor ihren Augen flimmerte.</p>
+
+<p>Draußen rüttelte der Herbstwind in den Bäumen, die
+Tannen sausten und das Laubwerk rauschte; hin und wieder
+schlug der Laden mit leisem Klappern an, und Hirte,<a class="pagenum" name="Page_68" title="68"></a>
+der am Feuer saß, bewegte unablässig die Ohren, und seine
+Augen waren voll Besorgnis. Der Raum war nur durch
+das Herdfeuer erhellt, und im Spiel der Flammen erschien
+es zuweilen so, als bewegte sich alles in ihm.</p>
+
+<p>»Onne,« flüsterte die kleine Anje; ihr war, als müßte
+sie Einhalt gebieten, was konnte nicht geschehn, wenn man
+sich so tief in die Truhe wagte, als es die Alte tat, die
+ihre beiden Hände bis auf den Grund der Schätze hinabgewühlt
+hatte. Da bog sich Onnes braunes Gesicht über
+den Truhenrand nach ihr zurück, und sie sah, daß es unter
+den grauen Strähnen lächelte.</p>
+
+<p>Das Kind atmete auf. Den vergangenen Morgen über
+hatte sie der Alten beim Ausbessern der Hüttenwand geholfen,
+so gut sie konnte, es mußten Risse verstopft werden, und
+hier und da sollte ein Nagel eingeschlagen werden, der
+ein morsches Brett halten mußte. Am Mittag hatte sie
+es ihrem Vater erzählt, der dann schweigend ein paar
+Bretter auf seine Schulter geladen, die große Säge über
+den Arm gehängt und den Hammer in die Tasche geschoben
+hatte. So machten sie sich auf den Weg zu
+Onne.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_69" title="69"></a>»Gib her,« sagte er, als er sah, daß Anje die Nägel
+trug, und nahm sie ihr ab.</p>
+
+<p>Dann war ein gewichtigtes Hämmern und Sägen angegangen,
+Anje saß vor Stolz glühend neben der Alten
+am Grabenhang und fühlte, wie groß und stark ihr Vater
+war. Onne blinzelte in den Abendschein hinaus, und ihre
+winzigen Äuglein leuchteten vor Zuversicht, nun mochte
+der Winter kommen. Anje war später bei ihr geblieben,
+weil man nicht so rasch, und vor allem schwer allein, mit
+dieser Freude fertig werden konnte. Es mußte alles im
+einzelnen nachgeprüft und bewundert werden, wie die Bretter
+paßten und schlossen und wie sorgfältig die langen Nägel
+umgeschlagen waren. Als Gerom am Abend heimschritt,
+wandte er sich, einen Augenblick zögernd, nach seinem
+Kind um, aber als er zwei eifrige Angesichter, ein welkes
+und ein blühendes, in frohem Staunen vor einer kleinen
+Falltür am Hühnerstall sah, die er dort angebracht hatte,
+begriff er und ging fort. &ndash;</p>
+
+<p>Und nun, bei diesem verheißungsvollen Lächeln der
+Alten über den Truhenschätzen, war es Anje plötzlich, als
+ob etwas geschehen sollte, das in einem Zusammenhang<a class="pagenum" name="Page_70" title="70"></a>
+mit der Freude dieses Tages stand. Onne holte aus dem
+Grund der Truhe ein Buch hervor, verstaute und verschloß
+alles wieder sorgfältig und reichte das rötliche Ding von
+verblaßtem Glanz dem Kinde zum Geschenk.</p>
+
+<p>»Hier steht es,« sagte Onne, nahm es zurück, blätterte
+und versuchte dabei, ihrer Hornbrille Halt zu verschaffen,
+»hör zu, wie ich es lese: &rsaquo;Um das weiße Schloß flogen
+in der Abendsonne die Schwalben, es lag auf ebenem Gefilde,
+frei im weiten Land &hellip;&lsaquo;« Sie stockte und gab ihren
+Gläsern Schuld. »Ich kann es nicht mehr recht herausbringen,
+aber du sollst sehn, du wirst es lernen.«</p>
+
+<p>Und zum nächtlichen Erbrausen des rauhen Waldes,
+der den Wind von der Ebene her mit Gesang in seine
+Fittiche nahm, erblühte der kleinen Anje an ihrem geschützten
+Platz am alten Feuer das Wunder, daß das
+Licht der Menschengedanken in gebrechlichen Hüllen bewahrt
+werden konnte.</p>
+
+<p>Aber Anje hat niemals lesen gelernt. Sie hütete das
+kleine rötliche Buch wie einen heiligen Schrein, der Reichtümer
+enthielt, aber sie trug kein Verlangen danach, diese
+Schätze zu heben. Nur die Anfangszeilen des Buchs,<a class="pagenum" name="Page_71" title="71"></a>
+die ihr Onne gesagt hatte, blieben in ihrer Erinnerung
+bewahrt, und ihr einfacher Inhalt beflügelte ihre Träume
+über die Herrlichkeiten der fremden Welt.</p>
+
+<p>Es war zu Anfang des Buchs ein Bild eingefügt, auf
+dem unter einem grünen Eichbaum mit braunem Stamm
+ein verwundeter Mann am Wege lag. Er war nach
+den Gewohnheiten einer vergangenen Zeit gekleidet, mit
+einer schmalen gelblichen Hose, die seine Beine seltsam lang
+erscheinen ließ, und die sehr hoch hinaufreichte, bis an
+ein kurzes Jäckchen von grellem Blau. Seine weißen
+Hände waren sehr schlank, und sein Gesicht war zur
+Rechten und Linken von einem Streifen Bart eingerahmt,
+der von den Schläfen ein wenig an der Wange
+entlang niederwuchs. Aus seiner Brust rieselte in einer
+sorgfältigen Zickzacklinie ein Bächlein himbeerfarbenen
+Bluts, färbte das Gras und verrann auf dem Fußweg,
+an dessen Ende, am Horizont, klein, mit erhobenen Armen
+und weit gespreizten Beinen zwei Männer davonliefen.</p>
+
+<p>Dieses Bild beschäftigte das Gemüt des Kindes ohne
+Unterlaß. Sie begriff nicht, was die Menschen veranlaßt
+haben konnte, jenem Fremden die Brust zu verletzen,<a class="pagenum" name="Page_72" title="72"></a>
+so daß ihm sein Blut verrann und daß seine großen Augen
+sich schließen mußten vor Schmerz oder Schwäche. Auch
+war niemand zu sehn, der ihm hätte helfen können, und
+der große Eichbaum stand ruhig da im Tageslicht.</p>
+
+<p>Sie zerdrückte eine späte Beere auf ihrer Hand, um
+den roten Saft auf der Haut fließen zu sehn, aber er lief
+in einer graden Linie nieder und tropfte ins Gras, es
+mußte wohl nur das Blut aus dem Herzen sein, das solch
+gezackte Wege beschrieb. Da verletzte sie ihren Arm mit
+einem Dorn, aber das Wunder des Bildes erfüllte sich
+nicht an ihr. Die steigenden warmen Tropfen und ihr
+schmaler Weg zur Erde nieder, versenkten sie in tiefe Nachdenklichkeit.</p>
+
+<p>Hirte hatte herausgebracht, daß Anje ein Buch besaß,
+und er betrachtete von der Seite her das bunte Bild darin.
+Er unternahm den Versuch, mit Hilfe seiner schwarzen
+Nase zu begreifen, was seinen Augen verschlossen blieb;
+aber Anje hielt das Buch hoch. &ndash;</p>
+
+<p>Langsam lichtete sich nun der Wald, und von Nacht
+zu Nacht schienen die Sternbilder heller ins Moorland
+nieder. Anje lag am Waldrand und schickte ihre Gedanken<a class="pagenum" name="Page_73" title="73"></a>
+zu ihnen hinauf, es gab keine Hingabe von größerem
+Frieden als die an die Sterne. Im Bereich ihres
+erhabenen Lichts erschien es Anje, als würden die lebendigen
+Wesen der Erdoberfläche einander gleich, und ihre
+Schicksale unterschieden sich nicht mehr voneinander. Langsam
+glitt ihr Empfinden in ein Himmelsland von grenzenloser
+Ausdehnung hinüber, und sie mußte singen. In
+der Ergriffenheit ihrer Sinne war ihr dann oft, als müßte
+in der Menschenbrust verborgen ein Heil von unnennbarer
+Art wohnen.</p>
+
+<p>Sie trat still aus ihrer Tannenfinsternis in die weite
+Nacht hinaus, beschritt das Moor bis an einen der
+schwarzen Tümpel und sah die Nacht im Wasser an.
+Andächtig reckte sie sich vor, bis sie neben den Sternen
+am Rand des Wasserspiegels ihr Angesicht sah.</p>
+
+<hr />
+<p>Im Winter schlief ihr Herz. Wenn der Schnee das
+Land bedeckte und die Bäume und Pflanzen in seine reine
+Kühle bettete, sah sie im wohlbestellten Haus ihres Vaters
+das Feuer im Kamin an, das ihr den Sommer in ihre
+Erinnerung rief. Wohl kannte sie die Freude, in die<a class="pagenum" name="Page_74" title="74"></a>
+frische Klarheit eines Wintertags hinauszuschreiten, die
+Spuren der Tiere im Schnee zu suchen, und die Ruhe
+des schlafenden Waldes als Glück zu empfinden, aber ihr
+Lebensteil war nur der Sommer. Sie fühlte sich im
+Winter verlassen und wünschte sich, schlafen zu können,
+wie es Tiere und Pflanzen taten. Die Traulichkeit des
+gesicherten Wohnraums ängstigte sie, und oft, wenn sie
+des Abends von Onnes Haus heimkehrte und den rötlichen
+Lichtschein des Fensters durch den bläulichen Schnee schimmern
+sah, war ihr zumut, als müßte sie umkehren, um
+den Tieren der verlassenen Wildnis nah zu sein, und doch
+tat sie nichts zu deren Schutz oder Ernährung. Gerom
+wunderte sich zuweilen im stillen darüber, wenn er von
+seiner harten Holzarbeit im Winterwald ein erfrorenes
+oder hungerndes Tier mitbrachte und Anje sah es nicht an.</p>
+
+<p>Aber mit dem Föhn erwachte Anjes Blut in einem
+seligen Fieber, die Stimme des Wassers gewann Gewalt
+über sie, und sie lauschte ruhlos auf den Wind. Mit
+den ersten Weidenkätzchen war sie von Geroms Hof verschwunden,
+oft fand er im Wald sein Kind wie ein fremdes
+Wesen. Sie weckt die Blumen, dachte er, weckt die Vögel.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_75" title="75"></a>»Was tust du, Anje?«, fragte er sie einmal, als er sie im
+Weidengebüsch am Moorrand traf.</p>
+
+<p>»Was ich tue?«, fragte sie langsam, hob ihre strahlenden
+Augen zu den seinen empor und sah ihn an. Ihr
+Gesicht war ernst, und sie lächelte kaum, aber es war
+Gerom ums Herz, als ergriffe sie mit ihren beiden Armen
+den großen Frühling und schüttete ihn über sein Haupt.</p>
+
+<p>Rasch schritt er hinweg, und sein Fuß stampfte schwer
+im feuchten Grund. Er riß ein paar blühende Weidenzweige
+ab und nahm sie mit. Was frag ich auch &ndash; im
+Frühling, dachte er, von uneingestandener Beglückung bis
+auf den Grund seines Herzens bewegt.</p>
+
+<hr />
+<h2><a class="pagenum" name="Page_76" title="76"></a><a name="Sechstes_Kapitel" id="Sechstes_Kapitel">Sechstes Kapitel</a></h2>
+
+<p>Wenn im Sommerwind der Wald erbrauste, erhob
+sich Hirte, rückte den plumpen Kopf vor und knurrte. Seine
+Augen suchten im Unsicheren der bewegten Gründe, und
+oft drängte er sich an Anje und verriet Furcht. Das Mädchen
+wußte, daß der Wald von unsichtbaren Gestalten
+bevölkert war und verstand Hirtes Angst. Wie viele
+Menschen, die unter der Willkür erzittern, die in den Unbilden
+der Witterung lauert, und die zugleich in ihrem
+Unterhalt von der Gnade der Natur abhängen, glaubte
+auch Anje daran, daß die geheimnisvollen Mächte der
+Natur in unsichtbaren Gestalten einhergingen. Im ruhigen
+Sonnenschein hielten sie sich verborgen, aber sie erwachten
+und erhoben sich mit dem Sturm, mit der Dämmerung
+und mit dem Nebel. Sie waren je nach ihrer Art und
+Berufung dem Menschen freundlich oder feindlich gesinnt,<a class="pagenum" name="Page_77" title="77"></a>
+und man tat gut daran, sie nicht zu erzürnen. Sie rächten
+ihren Unwillen an allen Wesen, die in ihre Gewalt gerieten,
+oder sie befreiten die Bedrängten, nach ihrem Willen.
+Es gab Orte, die deutlich von ihrem Aufenthalt Zeugnis ablegten,
+und wer klug war, vermied es sorgsam, sie zu betreten.
+Sie hetzten das Wild, das ihre Heimstätten entweiht hatte,
+in die Schlingen der Wilderer, scheuchten die Sumpfvögel
+in verhängnisvollen Augenblicken aus ihren Schlupfwinkeln
+auf, so daß sie sich durch ihr Geschrei den Jägern verrieten,
+oder sie lockten Fremde durch ihre Nachtlichter vom
+Wege ab in die Wirrnis des Dickichts oder ins Moor.</p>
+
+<p>Anjes Augen hatten sich an das geheimnisvolle Wesen
+dieser Lichter gewöhnt, die von den Nachtgeistern plötzlich
+in ein Stückchen moderndes Holz oder in ein Glühwürmchen
+verwandelt werden konnten. Sie wußte, daß dieser
+tote Glanz ungewohnte Augen über seine Nähe oder Entfernung
+täuschen konnte, sie hatte erfahren, daß solch
+ein Lichtlein den Blicken oft als Schein in weiter Ferne
+am Waldsaum oder im Sumpfgrund erscheinen konnte,
+während es doch in Wahrheit dicht vor den getäuschten
+Blicken totenstill in einem Busch hing.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_78" title="78"></a>Aber sie selbst fürchtete die Geister der unberührten
+Natur nicht, da sie ihr Reich kannte und nach ihrem
+Willen lebte, sie hatte ihre heimlichen Mittel gegen ihre
+Willkür und erkennbare Wahrzeichen ihres Schutzes,
+zu denen das Feuer gehörte. Oft blieb sie nachts am
+Rand des Tannenwalds, im weißlichen Birkenhain oder
+in den Weiden der Niederungen. An solchen Orten hatte
+sie kleine Feuerplätze errichtet, dürres Holz angesammelt,
+oder im Dickicht eine Laubwand gegen den Nachtwind
+oder gegen den Mondschein geflochten, denn der Mond
+durfte Schlafenden nicht auf ihre Lider scheinen, weil sie
+sonst am kommenden Tage Träumen nachhingen und die
+Welt ihrer Vorstellungen sich mit der Wirklichkeit vermischte.</p>
+
+<p>Wenn sie dort in der hereinbrechenden Nacht ihr Feuer
+hütete, hörte sie die Stimmen der Tiere, die des Nachts
+leben, sie wechselten mit dem Gang der Stunden und
+verstummten gegen Mitternacht. Dann kam die ruhigste
+Stunde und endlich langsam das Licht. Dieser Wechsel
+der Nacht zum Morgen hatte die größte Gewalt über
+Anjes Seele, es gab nichts für sie in der Welt, was sie<a class="pagenum" name="Page_79" title="79"></a>
+andächtiger stimmte, und er erfüllte ihr Wesen mit einer
+feierlichen Traurigkeit. Ihr war zu Mut, als müßte ihr
+Herz in zwei Teile zerbrechen, als hinge es dem Scheidenden
+nach und verlangte zugleich mit derselben Stärke des
+Bluts nach dem Kommenden. Sie wurde sich in solcher
+Stunde dessen bewußt, daß sie als Mensch allein ihr irdisches
+Leben verbrachte, und hätte darüber in Tränen ausbrechen
+können, wie erfüllt von Herrlichkeit dieses Leben
+war. Nur in dieser Ergriffenheit überkam sie zuweilen
+auch der Gedanke an den Tod ihres Leibes. Sie legte
+ihre harte kleine Hand, die vom Tau kalt war, auf die
+Stelle ihrer Brust, unter der ihr Herz klopfte, und versuchte
+zu begreifen, daß der Augenblick kommen sollte, an dem
+dies Pochen endete, und an dem nur andere noch diese
+Glieder, die Hand und Füße, die ihr gehörten, bewegen
+und betasten konnten. Der Gedanke, daß ihr Leib dann
+dem Willen anderer überliefert sein sollte, füllte sie mit
+Schrecken, sie beschloß, im Wald zu sterben, in unauffindbaren
+Gründen des Dickichts unter Ranken und braunem
+Laub.</p>
+
+<p>Nach solchen Gedanken konnte sie den Tau von ihren<a class="pagenum" name="Page_80" title="80"></a>
+Augenlidern streifen, so still hatte sie dagesessen und so erstarrt
+hatten ihre Blicke auf einem einzigen Punkt am
+Boden geruht. Oft war es ein Tannenzapfen gewesen
+oder ein Farrenbüschel, und wenn sie am Tag, mitten im
+Sonnenschein, ihre Augen schloß, erschien ihr dieser Gegenstand
+so deutlich, daß sie glaubte ihn greifen zu können. Er
+trug noch die Spuren ihrer Gedanken wie ein dämmriges
+Kleid und legte seine Schleier über das tiefe Grau ihrer
+Augen. &ndash;</p>
+
+<p>Es war noch früh, als Anje an einem Sommermorgen
+durch die nassen Waldfarren den Niederungen des Gurdelbachs
+zuschritt, um zu baden. Als sie in das Bereich des
+Schilfes trat, mußte sie vorsichtiger gehen, von den grünen
+Halmen erhoben sich träge große Libellen mit schwarzblauen
+Flügeln, es war so still in der Sonne, daß man
+das Rascheln ihrer Flügel hören konnte. Wo der Birkenhain
+bis an das Ufer trat, machte der Fluß eine scharfe
+Wendung, die Böschung war unterspült und der helle
+Kiesgrund leuchtete durch das klare Wasser. Anje schlug
+einen losen Knoten in ihr gelbes Haar, warf ihren grauen
+Kittel ab, der nur bis an die Knie reichte, und trat langsam,<a class="pagenum" name="Page_81" title="81"></a>
+Schritt für Schritt in die kühle Flut. Eine Schlange
+wurde durch Anjes Kommen im Moordunkel der Böschung
+aufgeschreckt, anfangs versuchte sie den überhängenden Uferrand
+zu erreichen, kehrte dann aber um und schwamm über
+den Fluß. Die Strömung trieb sie ein wenig ab, ihre
+gelassenen Bewegungen im Wasser zogen die Blicke an,
+Anje betrachtete das Tier aufmerksam und ohne Furcht,
+bis es ihren Augen entschwunden war. Dann ließ sie sich
+langsam rücklings niedersinken, als vertraute sie sich den
+Armen Gottes an. Das Wasser schlug für einen Augenblick
+über ihr zusammen, und als sie wieder emportauchte
+und es aus ihren Haaren schüttelte, erschien ihr die Welt
+zu einer neuen Klarheit wiedergeboren, der blaue Himmel
+strahlte bis an den Grund ihres eilenden Herzens, der
+Wald schimmerte in Sonnenruhe, und jede neue Welle
+trug eine Fülle von Frische und Licht. Die Berührungen
+des Windes erweckten im Blut die fröhlichen Gewißheiten
+einer Geborgenheit im lebendigen Erdengut.</p>
+
+<p>Als das Mädchen sich nach einer Weile erhob und ins
+flachere Wasser trat, um ihr Haar zum Trocknen der
+Sonne hinzuhalten, sah sie einen Menschen zwischen den<a class="pagenum" name="Page_82" title="82"></a>
+Birken stehn. Er war noch etwa zwanzig Schritte vom
+Ufer entfernt, die Farrenkräuter und das Schilf verdeckten
+ihn ihren Blicken bis an seine Knie. Seine Hände waren
+etwas erhoben, er schien wie erstarrt, der Ausdruck seines
+jungen Gesichts war von qualvoller Spannung, von der
+sich schüchtern der Glanz eines großen Entzückens abhob.</p>
+
+<p>Nun, da er sich von Anje entdeckt sah, verwandelte sich
+der Ausdruck seines Gesichts in Unsicherheit und Befangenheit,
+er hob den Arm und rief etwas. Es klang wie eine
+Bitte um Verzeihung, Anje verstand ihn nicht, sie empfand
+auch nicht, daß alles am Gebaren dieses Fremden davon
+sprach, daß er nicht zu glauben wagte, was sich seinen
+Blicken darbot. Er starrte das Mädchen immer noch voll
+Angst und Hoffnung an und begriff diese Ruhe ohne
+Scheu nicht, in der sie ihn mit unverwandtem Blick beobachtete.
+Es erschien ihm, als habe er ein Tier des
+Waldes aufgestört, das zwischen Schreck und Furcht verharrte,
+um im nächsten Augenblick in blinder Flucht durch
+die Büsche zu brechen.</p>
+
+<p>Aber es geschah etwas ganz anderes, als er sich einen
+Schritt näher wagte, gewahrte er, wie das Mädchen sich<a class="pagenum" name="Page_83" title="83"></a>
+ohne ein Wort der Abwehr und ohne eine Gebärde der
+Furcht langsam niederbückte. Dann sah er ihren Körper
+in einer Bewegung von herrlicher Freiheit jählings erhoben,
+gestrafft und vorgebeugt, und ein großer Kieselstein
+prallte dicht neben ihm mit lautem Schall an den Stamm
+einer Birke. Und ehe er sich recht besann und die Gesinnung
+ermaß, die hinter dieser Haltung sein möchte, traf ein
+zweiter, faustgroßer Stein seine Schulter. Es war ihm,
+als wäre der furchtbare Schmerz, der ihn fast niederwarf,
+aus einem blitzenden Sprühn, aus goldenem Licht eines
+beschützten Hauptes und aus silbernem Glitzern eines gepanzerten
+Körpers zu ihm gesandt worden, er schrie laut
+auf und taumelte ein paar Schritte voran. Er verstand
+seine eigenen Worte nicht, die Wut und Begierde und
+tödlichen Schreck verrieten. »Wer macht so grobe Scherze,
+die das Leben gefährden«, schrie er. Er begriff nicht, daß
+die festen Züge vor ihm weder Scham noch Furcht verrieten
+und auch nicht einen Schein jener Besorgnis, die er erwartete
+und die ihn ermutigt hätte. Im Gesichte des Mädchens
+las er einzig den Wunsch, mit dem Stein zu treffen, den
+sie gelassen, beinahe behaglich, in ihrer braunen Hand wog.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_84" title="84"></a>Dieser Stein traf ihn im Winkel seines Auges, zwischen
+der Schläfe und dem Backenknochen. Er sank lautlos,
+ohne noch eine Bewegung zu machen, mit dem Gesicht in
+die Farrenkräuter.</p>
+
+<p>Anje ging langsam, aber ohne Zögern, durch das Schilf
+auf den Gefallenen zu. An ihrem Körper rann das Wasser
+glitzernd nieder und blinkte auf in dieser Halbsonne, wie sie
+unter dem Laub der Birken herrscht. Die Schattenschleier
+gaben dem Licht einen unwirklichen Schein, Anjes nasses
+Haar lag wie Gold auf ihrer Schulter. Diese Goldlichter
+huschten über ihren ganzen Körper hin und hüllten
+ihn ein.</p>
+
+<p>Der Fremde lag totenstill im Farren. Eine kleine Spinne
+kroch hastig über seine Schulter, und die Hand lag breit gespreizt
+auf einem Moospolster. Anje sah nun, daß er ein
+Gewehr trug und einen Hirschfänger am Gürtel. Um
+das Gesicht zu sehn, mußte sie seinen Kopf wenden, und
+sie tat es vorsichtig und neugierig. Die Wunde entstellte
+sein Gesicht, das ihr ebenmäßig, aber wesenlos erschien,
+sie ließ seine Haare beinahe verächtlich los, als der erloschene
+Blick aus den halbgeschlossenen Augen ihr begegnete.<a class="pagenum" name="Page_85" title="85"></a>
+Da sie Blut von der Schläfe rinnen sah, durchsuchte
+sie seine Taschen nach einem Tuch, und als sie es
+gefunden hatte, verband sie den Besinnungslosen mit Sorgfalt,
+wie sie es bei ihrem Vater gesehn, wenn seine rauhe
+Arbeit ihm Schaden getan hatte. Dann holte sie ihren
+Kittel, bekleidete sich und trat gelassen den Heimweg an.</p>
+
+<hr />
+<p>So kam Anje in Fridlins Leben. Er drängte sich ihr
+mit dem gedankenlosen Eigensinn seiner Jugend seit diesem
+Tage auf und vergaß sie um so weniger, als er nicht begriff,
+wie leicht er ihr verzeihen konnte. In der Försterei,
+in der er bedienstet war, erhielt er damals bald Auskunft,
+der Förster selbst lachte belustigt, aber ein wenig verächtlich,
+und nahm sich später den jungen Menschen für ein
+besonderes Gespräch beiseite, und die Mitteilungen, die
+dabei gemacht worden sind, mußten sehr ernster Natur
+gewesen sein, denn sie stimmten Fridlin für lange Zeit
+nachdenklich.</p>
+
+<p>In der Küche wußten die Mägde später weit besser
+Bescheid, der junge Mann hörte mißmutig zu, aber er
+konnte sich nichts entgehen lassen, obgleich er die Torheiten<a class="pagenum" name="Page_86" title="86"></a>
+verachtete, die über Gerom und sein Kind im Lande in
+Umlauf waren.</p>
+
+<p>»Was wollt ihr denn,« sagte er mürrisch, »sie wird
+ein Mädchen sein, wie alle anderen.«</p>
+
+<p><ins title="Friedlin">Fridlin</ins> lehnte im Türrahmen, im grünen
+Lindenlicht,
+das durch den Hof auf die sauberen Geräte der Küche sank
+und auf die nackten Arme der hantierenden Frauen.</p>
+
+<p>»Du mußt es ja erfahren haben,« gab die junge Magd
+zur Antwort und sah Fridlin besorgt und aufmerksam an,
+»geh nicht mehr hin, so viel sag' ich.« Und sie lachte und
+sah auf die Beule in seinem Gesicht, die ihn entstellte.</p>
+
+<p>Was er beim Förster, seinem Dienstherrn, gehört hatte,
+war ihm bedeutungsvoller. Gerom wilderte. Er stand schon
+seit lange im Verdacht, und wenn Fridlin bisher nicht
+darüber unterrichtet worden war, so war es mit Vorbedacht
+unterblieben, da der Alte den unbesonnenen Eifer
+des Burschen mißachtete. Er kannte Gerom und wußte,
+daß mit ihm nicht zu scherzen war, daß er niemand fürchtete
+und daß ihm sein eigenes Leben gering galt. Er
+selbst hatte bisher kaum mehr getan, als dieses Gelüste
+des verwilderten Mannes, wie Gerom ihm erschien, nach<a class="pagenum" name="Page_87" title="87"></a>
+Möglichkeit in Grenzen zu halten, denn er wußte wohl,
+daß Gerom kein Gewerbe aus seinem Raube machte, sondern
+daß er um der Gefahr und Freiheit willen jagte, die
+die Jagd, wie sonst kaum etwas, mit sich bringt.</p>
+
+<p>Es kam hinzu, daß Gerom den Wildbestand nicht unvernünftig
+gefährdete, sondern sinnvoll und mit dem Anstand
+des gerechten Weidmanns vorging; so viel ließ sich
+leicht feststellen. Und deshalb liebte der Förster, der ein
+guter Jäger war, Gerom mit Bewunderung und Neid
+verbunden. Gerom war ihm an Geduld überlegen und
+nicht weniger in seinen Kenntnissen der Waldwelt, und
+da alle Gewerbe, deren ursprüngliche Ausübung sich mit
+den Darbietungen der Natur verbindet, Edelmut und
+Großzügigkeit bewahren, so duldete der Förster Geroms
+Treiben, beinahe ohne daß dieser Schritt gegen sein Pflichtbewußtsein
+ihn im Gewissen bedrängte. Es kam jenes Gefühl
+hinzu, das alle Herzen im Lande bewegte, soweit Gerom
+und sein Schicksal bekannt waren, daß dem Manne vom
+Leben bitteres Unrecht geschehen sei und daß er freiwillig
+eine Strafe, über die menschliche Gerechtigkeit hinaus, zu
+verbüßen schien.</p>
+
+<hr />
+<h2><a class="pagenum" name="Page_88" title="88"></a><a name="Siebentes_Kapitel" id="Siebentes_Kapitel">Siebentes
+Kapitel</a></h2>
+
+<p>Es war an einem Herbstmorgen, als der Pfarrer von
+Gorching ins Moorland hinabschritt, um die Leute dort
+zu besuchen, die zu seiner Gemeinde gehörten. »Meine
+drei Heiden«, sagte er. Er kannte Geroms Geschichte,
+und ihm war viel Widerspruchsvolles über Anje zu Ohren
+gekommen. Es ging ihm, wie es Leuten seiner Art und
+seines Berufs leicht zu ergehen pflegt, er vermutete hinter
+unverständlichen Dingen das Wirken des Bösen, und
+seine Meinung war, daß das Gute und das klar Verständliche
+immer das gleiche sein müßten und Hand in
+Hand gingen. Er selber schien einen Teil dieser einfachen
+Erkenntnis darzustellen, denn seinem schlichten Sinn ordnete
+sich die Welt nur in solchen Begriffen, die er mit
+seinen Handlungen in Einklang zu bringen vermochte. Dabei
+war er ein Mann von Klugheit und Nachdenklichkeit<a class="pagenum" name="Page_89" title="89"></a>
+und glücklich genug, für die erste dieser Eigenschaften
+nicht zu viele Gedanken und für die zweite nicht zuviel
+Verstand zu besitzen. Das mochte ein Grund dafür gewesen
+sein, daß er sich geduldig in das vergessene Dorf
+Gorching senden ließ. Man hatte ihn auf seinem städtischen
+Posten nicht brauchen können, weil er nicht in der
+Lage gewesen war, den Menschen gegenüber jene Strenge
+aufzubringen, die als heilsam gilt.</p>
+
+<p>Auf seinem einsamen Weg in die Einöde gestand er
+sich ein, daß es eine heimliche Scheu gewesen war, die ihn
+bisher davon abgehalten hatte, Gerom zu besuchen, aber je
+länger er in Gorching weilte, um so mehr empfand er, daß
+eine bedeutungsvolle Einwirkung aus dem Moorland her
+auf den Gemütern lastete. Ihm war es oft erschienen, als
+erhöbe sich mit dem Dunst der Abende aus dem Sumpf
+der Einöde auf grauen Schwingen das Gespenst des Aberglaubens
+und schliche in die Hütten und Herzen seiner
+Menschen. Je mehr man es ihm zu verbergen trachtete,
+um so mehr beschäftigte es ihn. Was hatte mit dem Seufzer
+eines Verscheidenden, an dessen Schmerzensbett er gesessen,
+das Anjekind zu tun? Und was hatte Elsbetha bei der<a class="pagenum" name="Page_90" title="90"></a>
+alten Onne zu schaffen, als ihr Mißgeschick widerfuhr
+und sich in Gorching niemand ihrer annahm? Seinen
+Fragen wich man aus, und seine Ermahnungen stießen
+auf einen Trotz, aus dessen Grund die verschwiegene Überlegenheit
+der Verstocktheit sah.</p>
+
+<p>Da es ein Freitag war, an dem er sich auf den Weg
+gemacht hatte, so kam es, daß er nach einer guten Weile
+der alten Onne begegnete, die hinter ihrem Wagen her
+nach Gorching humpelte. Er redete sie an, und ihm wurde
+über ihrem Anblick heiter zumut, aber er verstand ihre
+kargen Antworten kaum. Als er nach Gerom fragte, lachte
+sie ihn an, drückte sich noch mehr zusammen, als die Jahre
+sie ohnehin eingepreßt hatten, und öffnete ihren Mund,
+so daß ihr einer schöner Zahn, auf den sie sehr stolz war,
+aus den dunklen Landschaften ihrer Kiefern funkelte. Er
+solle nicht gehn, so viel ließ sich verstehn. Da der junge
+Pfarrer merkte, daß sie wohl begriff, was er selbst sagte,
+begleitete er sie ein Stückchen Wegs zurück, wobei er hilfsbereit
+ihren Wagen ergriff, um ihn zu schieben; aber Onne
+brauchte den Wagen als Stütze, und er mußte ihn ihr
+zurückgeben. Dabei dachte er, nicht eben gesicherter in<a class="pagenum" name="Page_91" title="91"></a>
+seinen Absichten: So kann es uns bei den Wohltaten ergehen,
+die wir zu erweisen glauben.</p>
+
+<p>Aber dann sprach er liebevoll und mit großem Ernst
+zu ihr; die heimliche Beschämung, die er empfand, wenn
+er ihr eingeschrumpftes Gesicht sah, das kaum noch einem
+Menschenantlitz glich, ließ sich durch den beglückenden Eifer
+seiner Überzeugung verdrängen. Dann wieder mußte er sich
+sagen: Ist sie dem Vater im Himmel nicht näher als du?</p>
+
+<p>Nun blieb sie stehn und antwortete ihm etwas, der
+Pfarrer beugte sich zu ihr nieder, denn es verlangte ihn
+sehr danach zu wissen, welchen Widerhall seine wohlmeinenden
+Worte in ihr weckten. Es war ihr wichtig, sich
+verständlich zu machen, so viel war sicher. Nach langer
+Mühe hatte er sie verstanden. Ob er Pilze brauchen
+könnte &hellip;</p>
+
+<p>Die Birken warfen schon ihr empfindsames Laub ab,
+es sank durch den Sonnenschein in die Gräben nieder, die
+sich nach dem letzten Regen zu beiden Seiten der Straße
+gebildet hatten, spiegelte sich im Fallen und ruhte im unbewegten
+Schwarz des Wassers vom Sommerwind aus.
+Das Moorland wurde immer öder, als nun der Pfarrer<a class="pagenum" name="Page_92" title="92"></a>
+weiterschritt, die Steppen hatten sich gelbbraun gefärbt,
+von einem warmen Kupferton untermischt, gegen den die
+weißen Birkenstämme schimmerten. Mit niedrigem Gebüsch,
+das im Dunst lag, begann in der Ferne das verwilderte
+Waldland der Einöde. Die Welt erschien unermeßlich
+groß und verlassen.</p>
+
+<p>Es begegnete ihm niemand mehr. Ratlos stand er endlich
+vor der Sumpfwildnis der Einöde, nirgends war ein Pfad zu
+sehen, das Buschwerk, die Erlen und Birken standen im seichten
+Wasser, das Schilf sirrte leise im Wind, und mit jedem
+Schritt wurde das Dickicht undurchdringlicher. Er erblickte
+Schlingpflanzen, die er niemals gesehn hatte, und im Moorwasser
+blühten immer noch kleine weiße Blumen mit zarten
+Stielen. Umgesunkene Stämme vermoderten zu warmem
+Schutt, der glomm und duftete, und nichts rührte sich als der
+Luftzug über dem Wasser. Wild und traurig hauchte es ihm
+entgegen und wies ihn ab; er atmete auf, als er nach einer
+Weile wieder auf dem gesicherten Boden der Landstraße
+in der Sonne stand.</p>
+
+<p>Um seiner Erleichterung willen befiel ihn ein Gefühl
+von Beschämung, er begriff nicht, daß die Atemzüge der<a class="pagenum" name="Page_93" title="93"></a>
+unberührten Natur ihm Entsetzen einzuflößen vermochten.
+Als er wohl eine halbe Stunde lang am Moorrande der
+Einöde dahingeschritten war, erspähte er eine Lichtung
+jenseits des kleinen Bachs, der träge am Rand seiner
+Straße floß, und er sah in einem Weidengebüsch drei behauene
+Fichtenbalken, die eine Brücke bildeten. Jenseits
+lief eine schmale Wagenspur durch das Gras, und ein
+wenig weiter war deutlich ein Waldpfad erkenntlich. Der
+Pfarrer erinnerte sich Onnes Gefährts, diesen Weg mußte
+sie gekommen sein, und er beschloß ihm nachzugehn.</p>
+
+<p>Die Sonne, die nun verhangen war, hatte ihren Höhepunkt
+am Himmel erreicht, so daß es gegen Mittag sein mochte.
+Geroms Ansiedlung lag eine Stunde vom Weg entfernt,
+und der Pfarrer hoffte, sie in diesem Zeitraum erreichen zu
+können. Der Waldpfad wand sich durch Dickicht und über
+Sümpfe dahin, zuweilen hart am Rand eines Flusses durchs
+Schilf, dies mußte der Gurdelbach sein. Onnes Behausung
+lag schon hinter ihm, sie war ihm entgangen, wie den meisten,
+die das Moor betraten, ehe der Herbst es gelichtet hatte.</p>
+
+<p>Dem Schreitenden war zumut, als dränge er mehr
+und mehr in die Bereiche einer ganz neuen Welt vor. So<a class="pagenum" name="Page_94" title="94"></a>
+mag es von Ursprung her auf der Erde gewesen sein, dachte
+er. Es bedrängte ihn eine Scheu, die ihm zuweilen den
+freien Atem benahm, und er fürchtete sich vor dem Geräusch
+seiner Schritte. Der Weg führte über eine morsche Holzbrücke,
+die ohne Geländer und grob gefügt war, jenseits
+in einen Tannenwald. Im roten Dämmerlicht zwischen
+den alten Stämmen, die sehr dicht standen, vernahm er
+auf dem Nadelteppich den Klang seines Fußes nicht mehr.
+Es war totenstill umher, auf dem Boden wuchs kein
+Hälmchen, alles schien in der Grabesruhe erstorben zu sein,
+die herrschte. Hier und dort hatte ein scharlachrot leuchtender
+Pilz sich aus dem Nadelteppich erhoben. Es kam
+ein Birkenwald, dessen weißliches Moderlicht unwirklich
+glomm nach der dunklen Versunkenheit der Tannennacht.
+Ihm kam dieser Schein wie jenes tote Leuchten vor, das
+er aus seiner Knabenzeit kannte, wenn er, lange im Sonnenschein
+liegend, die Augen geschlossen hatte und sie dann
+öffnete. Der Boden war hügelig und voller Sumpflöcher,
+weiße Stämme, die umgesunken waren, faulten im Grund,
+der fahle Silberhauch dieser Waldferne betörte das Auge,
+er wirkte bald nah, bald unerreichbar fern.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_95" title="95"></a>Da lauschte er beklommen auf, die Einöde erklang. Er
+begriff nicht, was ihm zu Ohren drang, und ein jähes
+Entsetzen ließ sein Blut stocken; er griff an sein Herz, und
+ein Zittern kam ihn an. Es tönte melancholisch und in
+wortlosen, beinahe tierhaften Klagelauten auf und schloß
+weich und trauervoll in einem langgezogenen, unaussprechlich
+holden Versinken der Klänge in Wind und Weite
+und Dämmergrün.</p>
+
+<p>»Was ist das, was ich höre?« stammelte er und fühlte,
+daß seine Lippen kalt und leblos wurden. Er verstand nicht,
+was ihn an diesen gesungenen Tönen so mächtig ergriff,
+diese Klage kam fremdartig heran, menschlich und doch
+wie aus Bereichen des Unbewußten, aus dunkler Ferne
+und doch vertraut.</p>
+
+<p>Da sah er am Ufer des Gurdelbachs ein Mädchen
+sitzen, sie war es, die gesungen hatte, ein unscheinbares
+Geschöpf, beinahe noch ein Kind, mit hellem Haar und
+in einem grauen Kittel. Als er auf sie zutrat, sah sie ihn
+an, ohne mehr zu rühren als den Kopf, den sie ihm langsam
+zuwandte.</p>
+
+<p>Anje Gerom konnte es nicht sein. Er stand noch im<a class="pagenum" name="Page_96" title="96"></a>
+Bann des seltsamen Singsangs, den er eben gehört hatte,
+und sein Blut gaukelte ihm törichte Bilder vor. Anje
+Gerom ist ein großes Mädchen im weißen Gewand, mit
+langem Blondhaar und einem feierlichen Schritt, dachte
+er. Sie ist schlank und würdig, die Rehe flüchten nicht,
+wenn sie einherschreitet, und ihre milden Augen streun
+Frieden aus, wie der Mai Blumen. Jedoch dies dort ist
+eine kleine Wildkatze, sie schaut mich an, als dächte sie
+an ihre Krallen, und sie ist häßlich, weiß Gott, recht
+häßlich ist sie. Ihre tiefe Stimme klang ihm im Blut
+nach. Es ist das Kind eines Torfstechers, dachte er unsicher,
+und plötzlich zog es ihm durch den Sinn: die Sonne
+scheint, sei gepriesen, Vater im Himmel.</p>
+
+<p>Er trat auf das Kind zu.</p>
+
+<p>»Ich möchte das Haus Vinzenz Geroms finden, wer
+bist du, Kind? Sieh mich an.«</p>
+
+<p>Das Gesicht des Mädchens, das nun nah vor ihm
+am Hang kauerte, blieb ruhig und unberührt. Was
+konnte dem Pfarrer daran gelegen sein, es zu würdigen?
+Menschen, deren Einfluß wahrhaft bedeutungsvoll werden
+kann, fallen uns für gewöhnlich nicht sonderlich auf,<a class="pagenum" name="Page_97" title="97"></a>
+weil die Gebärde der ruhenden Kraft in den meisten Fällen
+arglos ist.</p>
+
+<p>»Ich möchte Geroms Haus finden,« begann er etwas
+unsicher von neuem, »kannst du mich führen?«</p>
+
+<p>Das Mädchen betrachtete ihn eine Weile stumm und
+sagte dann einfach: »Ja.«</p>
+
+<p>Er setzte sich ihr gegenüber, kaum daß er es gewollt
+hatte, nun war es geschehn und mochte so bleiben. Das
+Wasser zog mit leisem Rauschen dahin, es flimmerte durch
+das Schilf, das sich nicht bewegte, die Bäume standen
+auf stillem Grund, ließen den Duft des Waldes aus und
+den gedämpften Sonnenschein ein. Das Mädchen ließ
+sein Handeln zu und betrachtete ihn ohne Neugierde, wie
+es ihm schien, und ohne Scheu; aber alles umher, wie
+auch sie selbst, ließ ihn eigenartig allein. Er sah sich um,
+als suchte er nach irgendeinem Beistand, endlich fragte er
+sie, wer sie sei, und sie antwortete ihm:</p>
+
+<p>»Ich bin Anje, Geroms Kind.«</p>
+
+<p>Ihr gelbes Haar war heller als der feine Ton ihres
+Gesichts, es wirkte fast grell und schien ein wenig rauh,
+obgleich es im Licht glänzte, man hätte mit der Hand<a class="pagenum" name="Page_98" title="98"></a>
+darüber hinfahren müssen, um es zu prüfen. Ihre Stirn
+war niedrig und die Augen lagen etwas schräg, als hätten
+die zarten Backenknochen, die deutlich sichtbar waren, sie
+in den äußeren Winkeln um ein kleines emporgedrängt.
+Was machte ihr Gesicht so rührend hilflos? Sicher nicht
+der breite Mund oder die kindliche Nase, die beinahe
+etwas frech wirkte, nein, es waren die Linien ihrer Wangen
+und das kleine Kinn.</p>
+
+<p>Eigentlich ist sie häßlich, sagte sich der Pfarrer finster,
+aber man muß trachten, ihr Liebes zu erweisen, sie wird
+dankbar dafür sein. Der zierliche Körper &hellip;</p>
+
+<p>Er hielt in seiner Betrachtung jählings inne, verwirrte
+sich und stammelte in großem Ungeschick, es wäre Zeit,
+es sei gut, gleich aufzubrechen, denn der Weg wäre recht
+lang. Dabei verfiel er in einen derben und väterlichen
+Ton, dessen er sich zugleich schämte.</p>
+
+<p>Es blieb feierlich still im Wald, Anje hatte ihre Haltung
+geändert, er sah ihre bloßen Füße im Moos. Er selbst
+war aufgestanden und hatte sich an den Stamm einer
+Birke gelehnt. Mit gerunzelter Stirn, und scheinbar ernst
+mit sich selbst beschäftigt, sah er forschend in die Waldferne,<a class="pagenum" name="Page_99" title="99"></a>
+aber seine große Hand verwirrte sich an seiner Halsbinde
+und an seiner Stirn.</p>
+
+<p>»So komm denn nun &hellip;«, sagte er streng.</p>
+
+<p>Ein kleiner Ast fiel aus dem Baum nieder, unter dem
+die beiden warteten, er sank auf eine bemooste Stelle des
+Waldbodens, um dort für immer liegenzubleiben, geduldig
+zog das Wasser seinen Weg und die Sonne sah
+es an.</p>
+
+<p>Es war dem jungen Pfarrer von nun an, als führte
+ein fremder Wille ihn geheimnisvoll durch ein unbekanntes
+Reich. Er entsann sich später der Ereignisse, die nun
+eintraten, wie man an die unbegreifliche Klarheit eines
+Traumbilds zurückdenkt, und doch ist alles einfach und verständlich
+gewesen; sein Gang durch die Schwüle des Walddickichts,
+der Ruf der Sumpfvögel und Anjes weicher
+Tritt. Er hatte sich über ihren Eifer gefreut und über die
+besonnene Sicherheit ihres Tuns. Sie ging immer vor
+ihm her und sprach nicht, bald sah er ihre Gestalt in
+den gelbgrünen Rutennetzen der Weidenbüsche, dann glitt
+sie zwischen dunklen Stämmen dahin, unverständlich hell
+in der Schattendämmerung des großen Walddoms, den<a class="pagenum" name="Page_100" title="100"></a>
+Glanz des gedämpften Sonnenscheins in ihren Haaren.
+Aber mehr und mehr war ihm, als gelte es, Unnennbares
+zu verstehen und dem Herzen zuzuführen, ein quälendes
+Unbehagen in seiner Brust nahm überhand, und ihm erschien
+es, als kämpfte sein Herz in ziellosem Drängen vor
+unsichtbaren Hindernissen um verlorene Rechte.</p>
+
+<p>»Führst du mich zu deinem Vater?«, fragte er einmal
+beinahe bescheiden, sie gingen nun schon viel länger als eine
+Stunde. Sie sah sich um, blieb stehn und ließ ihre Augen
+in seinen ruhn, ein lebendiges Rätsel tat sich ihm stumm in
+unschuldigem Glanz auf.</p>
+
+<p>»Nun?«, fragte er überfreundlich und griff fast täppisch
+zu, »wollen wir Hand in Hand gehen?« Sie war
+ihm schon wieder um vieles voraus. »An diesem schönen
+Tag &hellip;«, fügte er noch hinzu, und fast wäre er über eine
+der Baumwurzeln gestolpert, die wie Schlangenleiber aus
+dem weichen Boden quollen und in die Farne krochen.
+Nein, dazu war sie schon viel zu groß. Als er nach einer
+Weile auf besserem Boden ein wenig aufatmete, ging er
+ernstlich mit sich zu Rate, auf welche Art für die Erziehung
+dieses Mädchens etwas getan werden könnte.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_101" title="101"></a>Aber als im Sumpfgelände, nach einer langen, vielfach
+verschlungenen Bahn, sein Fuß in den feuchten Boden
+einsank und er, mit beiden Armen die Zweige der Lärchen
+und das Buschwerk zerteilend, mühsam durch das schilfartige
+Gras dahintappte, war Anje plötzlich verschwunden.
+Er rief laut ihren Namen, aber er erhielt keine Antwort
+und fand sich nicht mehr zurecht.</p>
+
+<p>Erst am Mittag des kommenden Tages gelang es ihm,
+sich mit großer Mühe und zu Tode erschöpft nach Gorching
+zurückzufinden; die Nacht, die er in Angst und Unfrieden
+allein in der Wildnis verbringen mußte, ließ einen
+Schatten ihrer Finsternis in seinem Gemüt zurück. Erst
+viel später in seinem Leben, als längst das Anjekind nicht
+mehr sang, lernte er ein karges Lächeln bei der Erinnerung
+an diese Begegnung, aber dieses Lächeln war von jener
+Wehmut, mit der die Natur die Menschen trösten kann,
+deren Gemüt sie den Ausweg zu Klarheit und Vollendung
+verschließt.</p>
+
+<hr />
+<h2><a class="pagenum" name="Page_102" title="102"></a><a name="Achtes_Kapitel" id="Achtes_Kapitel">Achtes Kapitel</a></h2>
+
+<p>Eines Nachts erwachte Anje und sah im Mondlicht
+ihren Vater aus der Haustüre treten und den Himmel
+mustern. Er trug eine Jagdbüchse in der hängenden Hand
+und ein Gewand, das ihn verjüngte und zugleich entstellte.
+Hirte versuchte sich anzuschließen, aber er wurde gleichgültig
+zurückgewiesen. Gerom schritt durch die Tannenbestände,
+am Holzschuppen vorüber, den Niederungen des
+Gurdelbachs zu. Nur Anje kannte, außer ihm, diesen
+Pfad, der für andere unzugänglich war, denn er führte
+durch Sümpfe am Ufer eines Altwassers hin, man mußte
+über gesunkene Baumstämme klettern und genau wissen
+über welche, da manche von ihnen nachgaben und sanken.</p>
+
+<p>Anje kannte keine Furcht um ihren Vater, aber sie
+schaute nachdenklich in das Mondlicht hinaus, das ruhig,
+wie Schnee, auf dem niedrigen Teerdach des Holzschuppens<a class="pagenum" name="Page_103" title="103"></a>
+lag. Im Wald schimmerte es zwischen den hohen Stämmen
+und wandelte ihre Größe in machtvolle Bedeutung
+um. In blaugrauen Kuppeln schimmerte die feuchte Ferne,
+und ein Geruch von Teer und Fäulnis schaukelte bald
+wärmer, bald kühler durch die Monddämmerung heran.
+Ab und zu fiel ein Tropfen in das welke Bodenlaub.</p>
+
+<p>Anje dachte an die große Welt, die außerhalb ihrer
+Stille im Wald, in den Fernen war. »Um das weiße
+Schloß flogen in der Abendsonne die Schwalben, es lag
+auf ebenem Gefilde, frei im weiten Land &hellip;« Ihre Gedanken
+beschäftigten sich ohne Verlangen mit den Dingen,
+die es außer ihrer Waldheimat geben mußte, sie fühlte sich
+glücklich in der Gewißheit, daß der Wandel der Menschen
+auf Erden reich und mannigfach war. Sie holte ihr Buch
+herbei und ließ den Mond in seine Seiten scheinen, ihre
+Augen ruhten ernst auf den Zeilen, die die unbekannten
+Güter bargen und bewahrten; geheimnisvoll schwieg das
+Buch, wie draußen der Wald.</p>
+
+<p>Am Tage war Fridlin bei ihrem Vater gewesen. Sie
+hatte in den vergangenen Wochen den jungen Mann oft
+im Walde getroffen, aber niemals mit ihm gesprochen,<a class="pagenum" name="Page_104" title="104"></a>
+obgleich sie fühlte, daß er es wollte. Er störte sie und raubte
+ihr ihre Ruhe, aber sie verriet ihn nicht an ihren Vater.
+Nun war er gekommen. Anfänglich klang nur seine
+Stimme, aufgeregt und abgerissen, als müßte er um jedes
+Wort kämpfen, dann sprach ihr Vater, und Fridlin schwieg,
+eingeschüchtert durch die derbe, harte Antwort. Sie sah ihn
+hinausstürmen durch den Wald und wußte, daß er nicht
+wieder zu ihrem Vater kommen würde.</p>
+
+<p>Am Abend sah ihr Vater sie an. Alle Freude umnachtete
+sich ihr in der Traurigkeit, die ihr in einem raschen
+Blick begegnete. In diesem Blick, den Gerom nicht hatte
+sehen lassen wollen, kam die erste Ahnung des Abschieds
+zu ihr in einer Bedrängnis von unendlicher Hoffnungslosigkeit.
+Ihr war zum erstenmal in ihrem Leben, als ob
+es Gewalten auf der Erde gäbe, denen keine Menschenkraft
+gewachsen ist, und sie mußte an den Tod denken.
+Und doch lag im Gesicht ihres Vaters der Schein einer
+heimlichen Gewißheit. Er sprach nicht mit ihr, obgleich
+sie es erwartet hatte, aber da ihr gleichgültig war, was
+Fridlin gewollt haben konnte, wenn er nur ihrem Vater kein
+Leid zugetragen hatte, fragte sie nicht und gab sich zufrieden.<a class="pagenum" name="Page_105" title="105"></a>
+Sie empfand, daß jene Traurigkeit, die aus seinen Augen
+ihr Herz überströmt hatte, nicht durch Geschehnisse über
+ihn gekommen war, die Menschen ändern können, sondern
+daß sie ein Teil des Lebens war und auch ihrer wartete.
+Dem Ereignis des Tages aber galt das heimliche Lächeln.</p>
+
+<p>Da hörte sie aus der Nachtferne vom Weidensumpf
+her einen Schuß fallen und gleich darauf einen zweiten.
+Es wehte sacht unter den Sternen her, als atmete der Wald
+im Schlaf, dann vernahm sie Tritte im Laub, die der
+Schreitende zu dämpfen suchte. Anje maß gelassen die Entfernung und
+die Richtung und trat langsam aus dem Mondlicht
+ins Zimmer zurück. Sie kannte die Schritte und Bewegungen
+des Herannahenden nicht, der noch verborgen war.</p>
+
+<p>Nach einer Weile trat Fridlin aus dem Wald in den
+Mondschein hinaus.</p>
+
+<p>»Anje,« rief er, »Anje Gerom, hör mich an!«</p>
+
+<p>Hirte schlug an und arbeitete aufgeregt an der Tür. Mit
+einem trotzigen Ruck griff Fridlin an den Hirschfänger.</p>
+
+<p>»Anje,« rief er, »hör mich! Bist du im Haus, Anje?«</p>
+
+<p>Er sprach mit heißer Stimme, die voller Verzweiflung erklang,
+es blieb ganz ruhig umher und im Haus, bis<a class="pagenum" name="Page_106" title="106"></a>
+sich draußen die rauhe Stimme wieder erhob, bald verwundert,
+bald böse und wild. Es kam keine Antwort, denn
+Anje war an die Tür hinuntergeschlichen, um Hirte zu
+beruhigen, sie saß neben ihm im dunklen Haus auf der
+Schwelle zu Geroms Wohnraum und streichelte den gelben
+Kopf des Hundes.</p>
+
+<p>»Du mußt still sein, Hirte, der Mann vor dem Haus
+wird uns nichts Böses zufügen, er geht bald wieder fort.«</p>
+
+<p>Sie hielt ihre Hand in einen schmalen Streifen Mondlicht,
+der durch ein kleines Fenster über der Tür in die Hausdiele
+sank. Hirte knurrte und sah Anje nicht an, es war
+seine Meinung, daß sie von diesen Dingen nicht soviel
+verstand wie er, und gegen Wachsamkeit sollte man besser
+nicht einschreiten.</p>
+
+<p>Da die Fenster ihres Schlafraums und auch ihre Tür
+offen standen, hörte sie immer noch die Stimme vor dem
+Haus. Wenn es eine Weile still geblieben war, so glaubte
+sie, der Fremde sei fort, aber immer begann sein Rufen
+von neuem, langsam stieg in Anjes Herzen Angst um ihn
+empor, denn ihr Vater konnte zurückkommen. Da entschloß
+sie sich endlich, es ihm zu sagen, öffnete die Tür<a class="pagenum" name="Page_107" title="107"></a>
+und zog sie vorsichtig hinter sich zu, damit Hirte im Haus
+blieb.</p>
+
+<p>Fridlin trat vor ihr zurück, wie vor einer Erscheinung,
+Schritt für Schritt und mit entsetzten Augen. Es war, als
+ertrüge er nach so langem Harren die Erfüllung seines Verlangens
+nicht mehr, er hielt seine Hand ausgestreckt von
+sich ab und wankte.</p>
+
+<p>»Geh fort, eh mein Vater zurückkommt«, sagte Anje.</p>
+
+<p>Er war auf seine Knie niedergesunken in das Gras,
+im Schatten, und bewegte sich, als ob er mit jemandem
+kämpfte, aber nun sprang er plötzlich auf und stürmte
+auf Anje zu, wie ein Geblendeter gegen einen Lichtschein.</p>
+
+<p>»Bist du es &ndash; oh, du bist es wirklich? Hörst du, daß
+du mit mir kommen sollst!? Du hast mich mit dem Stein
+verwundet &hellip;«</p>
+
+<p>»Nein«, sagte Anje, »ich bleibe hier.«</p>
+
+<p>»Ach mein Herz!« rief er. Seine Stimme überschlug
+sich, so wild bedrängte sein Schmerz ihn, er schlug mit der
+Faust an seine Brust, daß es dröhnte. Er war voll Ungeschick
+und konnte seine Sinne nicht meistern, denn die
+Ruhlosigkeit der vergangenen Wochen hatte ihn verwirrt<a class="pagenum" name="Page_108" title="108"></a>
+und entkräftet. »Weißt du denn nicht,« keuchte er und
+schüttelte seine Fäuste, »weißt du nicht, was hier brennt?
+Wie ich dich gesucht habe! Wo ist dein Herz!? Ich rufe
+im Wald und das Echo klingt, aber du &hellip;«</p>
+
+<p>Er vermochte nicht weiterzusprechen, eine große Mutlosigkeit
+dämpfte den Zorn seiner Verzweiflung nieder, hilflos
+hob er den Blick und sah empor, gegen ihren ruhigen
+Sinn fand er keine Waffen. Sie stand da in ihrem
+grauen Kittel gegen die dunkle Wand der Nacht, und
+der Mond glänzte in ihrem Haar. Ein kindliches Bedauern
+war der einzige Ausdruck, der verriet, daß sie ihn
+hörte, aber er gab keine Gewißheit ihrer Teilnahme. Ein
+Schwindel seiner Ohnmacht überwältigte <ins title="Friedlin">Fridlin</ins>,
+und er
+schlug die Hände vor sein Gesicht.</p>
+
+<p>»So ist es Gerom, dein Vater &hellip;«, schrie er plötzlich
+heiser und reckte sich auf, mit schwerem Atem, aber Anje
+war fort, und das Haus lag ruhig im Mondschein.</p>
+
+<p>Sie saß wieder im Dunkeln der Hausdiele neben Hirte,
+lehnte sich gegen ihre Gewohnheit an ihn, und hörte ihr
+Herz pochen. Eine feindliche Unruhe peinigte ihr Gemüt,
+in ratlosem Unfrieden sah sie das Licht vom Mond, und<a class="pagenum" name="Page_109" title="109"></a>
+ihre Gedanken vermochten nicht mehr, als mit dem Klopfen
+ihres Herzens immer den gleichen Weg der dumpfen Angst
+zu machen, den das Herz eilte.</p>
+
+<p>Fridlin hatte sich draußen abgekehrt, einen Augenblick
+starrte er vorgebeugt in jene Richtung hinüber, in der die
+Schüsse gefallen waren, er kämpfte mit sich um einen
+Entschluß, aber es schien ihm keine Befreiung aus der
+Tat zu kommen, die er plante. Düster wandte er sich um
+und schritt fort, durch die Hoffnungslosigkeit niedergebeugt,
+die die Stürme des Verlangens so schnell in eine
+öde Ruhe verwandeln kann.</p>
+
+<p>Er begriff nicht, daß sein Leben nun mit dem herannahenden
+Tag beginnen sollte, wie es mit dieser Nacht
+geendet hatte. »Das Anjekind hat ihm gesungen«, sagten
+sie. Er lächelte und schöpfte mit der Hand die Tropfen
+von den Blättern, um seine Stirn zu kühlen, sein Büchsenlauf
+streifte das Laub und verfing sich im Geäst. Der
+Mond verschleierte sich, und die dunkle Waldstille füllte
+sich mit drohenden Gestalten.</p>
+
+<p>In seiner Ratlosigkeit war Fridlin zum Pfarrer gegangen,
+dort hoffte er sicher zu sein, daß das angstvolle<a class="pagenum" name="Page_110" title="110"></a>
+und mitleidige Lächeln ihn nicht peinigen würde, dem sein
+Gesicht begegnete, wo immer er sich zeigte, aber er war
+ohne Trost fortgeeilt, und die Unsicherheit des Pfarrers
+kränkte seinen Stolz. Er entsann sich kaum noch, was
+ihn dorthin getrieben hatte, vielleicht nur sein Wunsch,
+einen Menschen zu finden, der unbefangen mit ihm besprach,
+ob Gerom ihm sein Kind geben würde, und wie
+man es anstellen sollte, sich beiden auf rechtliche Art zu
+nähern. Aber der Pfarrer wich ihm aus, er lenkte das
+Gespräch ab, als befürchtete er, daß es galt, ihn selbst zu
+erforschen, denn er gedachte seines eigenen Mißgeschicks
+in der Einöde. Endlich riet er Fridlin, sich Gedanken aus
+dem Kopf zu schlagen, die nicht von Vernunft geleitet und
+nicht redlich seien.</p>
+
+<p>Der Morgen nahte über der Ebene. Fridlin hatte den
+Waldrand erreicht und sah den Nebel gegen Osten in
+einem Lichtschein schwimmen, der nicht mehr vom Mond
+kam. Dies war die dritte Nacht, die er nicht schlief; was
+Wunder, daß der Förster ihn mißbilligend ansah und
+kein freundliches Wort mehr fand. Zu Anfang hatte er
+ihn grob gewarnt: »Laß gehn, was nicht dein ist. Glaub<a class="pagenum" name="Page_111" title="111"></a>
+mir, Bursche, der Wald läßt sich das Herz nicht verwunden,
+er gibt zögernd her, was sein ist, und niemand
+beraubt ihn ungestraft. Unsereins muß wissen, was recht
+ist, sonst taugt er nicht zum Weidwerk.« Das war noch
+wohlgemeint gewesen und hatte fast Trost gespendet, man
+fühlte den Ernst hindurch, an dem man teilhaben sollte,
+aber seit kurzem lächelte der Alte höhnisch unter seinem
+Bart, kaum merklich, und wandte sich verächtlich ab,
+statt zu sprechen. Nur einmal hatte er zur Abendstunde
+noch gleichmütig gemeint: »Fridlin, es gibt Wälder mit
+mehr Sonne, als sie der Einödwald hat; tu dich um,
+euch Jungen ist die Welt nach außen hin weit und nach
+innen eng. Geh, rat ich dir.«</p>
+
+<p>Fridlin hatte sich am Waldrand auf einen gesunkenen
+Föhrenstamm gesetzt. »Das geht nicht mehr,« antwortete
+er laut der Stimme seiner Erinnerung, »wohin ich mich
+schlage, Förster, ich muß durch die Einöde gehn, um Anje
+zu Gesicht zu bekommen. Soll ich hier zugrunde gehn, so
+mag es geschehn, draußen sterb' ich gewißlich dahin.« &ndash;</p>
+
+<p>Er erschrak furchtbar, als sich neben ihm eine Gestalt
+erhob, sie stand feierlich im Grund und reckte den Arm<a class="pagenum" name="Page_112" title="112"></a>
+aus. Es war eine entlaubte Weide, die in der Nebeldämmerung
+stand. Es erschien Fridlin, als käme das Licht
+sprungweise und heimtückisch. Ihn fror, aber er verharrte
+in seiner hockenden Stellung im Morgendunst und fühlte
+seine Augenlider naß und kalt werden. Nach einer Weile
+ertrug er es nicht mehr, dem Walddunkel seinen Rücken
+zuzukehren, es beschlich und belauerte ihn in der Dämmerung.</p>
+
+<p>»Ich werde krank«, sagte er, lächelte bescheiden und atmete
+tief auf.</p>
+
+<p>Ein Wasserhuhn schnarrte bekümmert im Schilf, die
+Sonne hob sich langsam und rot in den Schleiern der
+Nebel, und ringsumher begann ein eifriges Tropfenticken.
+Da erhob sich Fridlin und sah sich um, er wußte nur ungewiß,
+wo er sich befand, die ebene Landschaft hatte nur
+geringe Merkmale, nach denen man sich richten konnte.</p>
+
+<p>Nach einer Weile stieß er auf die alte Dachenauische
+Fahrstraße nach Gorching und traf Onne unter den
+Tannen; sie musterte ihn aufmerksam, gedankenlos blieb
+er neben ihr stehn.</p>
+
+<p>Ja, es sei wahr, antwortete er auf ihre Frage, der
+Dienst ließe ihm wenig Ruhe. Onne sagte:</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_113" title="113"></a>»In den Dachenauer Wäldern gibt es genug zu beachten,
+was tust du nachts in der Einöde? Drüben gibt
+es Nacht genug, verstehst du?«</p>
+
+<p>Fridlin verstand. Er wurde zornig und sagte erbost:</p>
+
+<p>»Gesindel gibt es überall.«</p>
+
+<p>Onne nickte vor sich hin, als ob diese Tatsache ihr zu
+denken gäbe, dann meinte sie freundlich:</p>
+
+<p>»O der Grünschnabel, wie er das Herz versteckt, und
+es bricht ihm doch so jammervoll aus den Augen. Du«,
+fuhr sie plötzlich in verändertem Tone fort, »hör auf mich,
+und bleib mir in der Dachenau. Aus deinem Gesicht
+spricht nichts Gutes mehr &hellip;« Sie kam ihm ganz nah
+und sah ihm, gebückt, unter seine Augen; aus ihrem roten
+Kopftuch schaute das winzige braune Gesicht in tausend
+Fältchen hervor, und das Lebenslicht ihrer Augen schien
+alt und still.</p>
+
+<p>Fridlin war zu unglücklich, um zornig bleiben zu können.
+Erstaunt blickte er auf die Alte nieder, die ihn einschüchterte,
+er hatte immer nur gleichgültige Worte mit ihr gewechselt,
+was wußte sie denn, und was wollte sie von ihm? Aber
+als der Ausdruck ihres Gesichts sich langsam in ein Lächeln<a class="pagenum" name="Page_114" title="114"></a>
+verkehrte, das nicht spöttisch oder boshaft war, packte es
+ihn plötzlich angesichts dieser alten befreiten Frau, die den
+Bedrängnissen des Lebens für immer enthoben war.</p>
+
+<p>»Du solltest nicht schelten«, sagte er hilflos und lehnte sich
+an einen Baumstamm. Seine Übermüdung und seine Verzweiflung
+überwältigten ihn, und er fing an zu weinen, ohne
+daß sein Gesicht sich bewegte, seine Hände hingen herab.</p>
+
+<p>»Setz dich nieder ins Gras, Fridlin«, sagte Onne,
+als merkte sie nichts. Wer keine Tränen weinen kann,
+der fühlt sie oft bei anderen kommen, ehe sie das Auge
+benetzen. Sie sprach nicht über das, was Fridlin bewegte,
+sondern hockte sich neben den jungen Menschen auf den
+Waldboden und sprach von den Wäldern und von den
+Wanderburschen, die durchs Land zogen.</p>
+
+<p>Onne wußte längst, um was es sich handelte, aber sie
+wußte auch, daß man seine Tränen zuweilen bei einem
+Menschen weinen muß, der sie nicht sieht. Fridlin war
+ihr lieb. Zu Anfang hatte sie geglaubt, er spüre Gerom
+nach, aber dann hatte sie bald herausgebracht, daß das
+Anjekind schuld an diesem Unfrieden war. Da Anje
+nicht mit ihr über solche Dinge sprach, mußte sie selbst<a class="pagenum" name="Page_115" title="115"></a>
+sehn, was sich anspann und wie es auslief. Das Mißgeschick
+des Pfarrers hatte sie erst in Gorching erfahren,
+in dem Aberglauben, dem er hatte begegnen wollen, war
+seine Gemeinde durch sein Erlebnis aufs neue bestärkt
+worden. Nun sagte sie unvermittelt zu Fridlin:</p>
+
+<p>»Schlag dir das Anjekind aus dem Sinn.«</p>
+
+<p>Fridlin fuhr erschrocken auf, denn die Stimme knarrte
+fast böse, und ihm war eben noch zu Sinn gewesen, als
+ob sie ihn tröstete. Sein Trotz erstickte ihm, als er Onne
+ansah, er fragte sie nur schüchtern, ob Anje mit ihr über ihn
+gesprochen hätte. Onnes welke Hand mit den dünnen braunen
+Fingern wischte seine Worte aus der Morgenluft, sie
+blinzelte in die rote Sonne hinein.</p>
+
+<p>»Söhnchen,« sagte sie, »mein Söhnchen, heb dir dein
+Leben auf. Was soll denn das Anjekind gesagt haben?
+Was uns keine Antwort gibt, wird darüber nicht häßlich,
+sieh um dich, wer antwortet dir? Was ich sagen kann,
+verstehst du nicht, was du verstehst, willst du nicht hören.
+Ihr Menschen wandert auf Wegen, wohin die Stimme
+des Anjekinds nicht kommt.«</p>
+
+<p>Aus ihrem zerfallenen Antlitz brach ein Glanz von Genügen,<a class="pagenum" name="Page_116" title="116"></a>
+so daß es war, als müsse die Natur umher erschüttert
+aufhorchen, um zu erforschen, was diese Augen
+in ihr gesehn hatten. Fridlin starrte mit bitterem Mund
+auf seine Hände.</p>
+
+<p>Nach einer Weile musterte Onne, sich nähernd, sein
+mageres Gesicht, das unter ermüdeten Zügen eine entschlossene
+Wildheit hatte. Sie kannte diesen beinahe verschlafenen
+Zug um die Augen herum und das leicht getrübte
+Blau der Augen selbst, deren Blicke solange anteillos
+erscheinen konnten, bis jählings die aufflammende
+Leidenschaft sie weckte. Onne wußte wohl, wie leer das
+Herz und wie taub das Blut hinter den klaren wohlbestellten
+Augen sein kann, deren sauberen Blick die meisten
+Menschen lieben.</p>
+
+<p>»Alle geben denselben Ratschlag«, sagte Fridlin dumpf.
+»Meint ihr denn, ich sei ohne Vernunft? Aber was
+hilft mir eure Einsicht.«</p>
+
+<p>Onne blinzelte hinüber, es schien, als wünschte sich
+Fridlin nicht einmal, daß man ihm Glauben schenken
+möchte, er sprach seine Worte leblos in den ungewissen
+Wind. Da verstand sie, daß es zu spät für Ratschläge war.</p>
+<p><a class="pagenum" name="Page_117" title="117"></a>
+»Anjekind &hellip;«, sagte sie, legte ihre welken Hände ineinander
+und sah in die lautlose Natur, als habe sie sich
+an ihre Herrlichkeit gewandt.</p>
+
+<p>Fridlin litt nach einer Weile unter Onnes Schweigen;
+als er forschend auf sie hinblickte, von der Stille geängstigt,
+erschien sie ihm greisenhafter als zuvor und abgekehrt von
+allem, was sie zusammengeführt hatte.</p>
+
+<p>»Wie meintest du deine Worte, Mütterchen?«, fragte
+er unruhig. »Hat es mit Geroms Kind eine Bewandtnis,
+die unselig macht?«</p>
+
+<p>Aber Onne antwortete ihm nicht mehr, ihr Gesicht
+war nicht zu erforschen, erloschen neigte es sich zu Boden,
+und der Morgenwind und das Licht, die ihr Spiel in den
+Büschen trieben, lockten sein Herz, um es aufs neue seinem
+Ungemach zu überlassen.</p>
+
+<hr />
+<h2><a class="pagenum" name="Page_118" title="118"></a><a name="Neuntes_Kapitel" id="Neuntes_Kapitel">Neuntes Kapitel</a></h2>
+
+<p>Am neuen Tag weckten die rötlichen Strahlen der
+Sonne Anje, sie schlug ihre Augen auf, ohne sich zu regen,
+sie war in einem einzigen Augenblick wach und sich ihres
+Daseins ohne Benommenheit bewußt, aber sie rührte
+sich nicht, sondern blieb still so liegen, wie sie erwacht war,
+die eine Hand auf ihrem Herzen und die andere unter dem
+Kopf. Der Morgen zog in ihre Augen ein, mit dem
+kühlen Wind von den beschienenen Waldwipfeln und der
+Frische der Wiesen. Das rote Licht an der Wand rührte
+sich still, wie es draußen die Zweige der Bäume vor ihrem
+geöffneten Fenster taten, und Hirte schlief an der Türschwelle.</p>
+
+<p>Anje dachte an das traurige Gesicht Fridlins. Nicht
+an ihn selbst, und kaum an das, was ihn um ihretwillen
+bewegen mochte, noch was seine Ansprüche vor ihr sein
+könnten, sondern sie sah nur das bleiche, abgemagerte Angesicht<a class="pagenum" name="Page_119" title="119"></a>
+eines Menschen vor sich und dachte tief betroffen
+und bekümmert darüber nach, daß in der Welt Kräfte
+herrschen müßten, die solche Entstellung in die Züge der
+Menschen bringen konnten.</p>
+
+<p>Es drängte sie, bald hinauszukommen in ihr vertrautes
+Land, fast empfand sie eine Befürchtung, dort möchte sich
+mancherlei verändert haben. Hirte erwachte durch ihre
+rasche Bewegung, erhob sich vorsichtig und reckte sich,
+wobei er Anje ansah.</p>
+
+<p>»Hirte, bleib hier«, sagte sie und schritt eilig die Treppe
+nieder. Unten stand die Stubentür weit geöffnet, und die
+Sonne schien ins Haus. Gerom war fort, er mußte nur
+ganz kurze Zeit geschlafen haben, denn er kam von seinen
+nächtlichen Streifzügen für gewöhnlich erst in der Morgendämmerung
+heim. Er hatte Anje Milch neben das große
+Brot auf den Küchentisch gestellt und einige rotwangige
+Sommeräpfel, die noch naß vom Tau waren. Anje trank
+nur die Milch, ihre Augen trennten sich nicht vom Sonnenglanz,
+die Äpfel nahm sie nicht, aber sie legte sie beiseite,
+damit ihr Vater nicht glauben möchte, sie habe seine Gabe
+verschmäht, wenn er am Mittag vor ihr zurückkehrte.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_120" title="120"></a>Die Frische des Sommermorgens legte sich kühl auf
+Anjes Augen und Hände, sie belebte das Blut, das vom
+gesunden Schlaf noch müde war und vertrieb die bösen
+Gedanken. Im Gebüsch sang mit feiner Stimme eine
+Meise ihr helles Lied, Anje blieb stehn, sah empor zu dem
+kleinen Tier und atmete mit ihm die herrliche Luft und
+die unendliche Fülle des Lichts ein.</p>
+
+<p>Als sie wieder dahinschritt, legten die Tropfen von den
+Gräsern sich auf ihre nackten Füße und der Tau der
+Sträucher badete ihre Stirn, die Pflanzen gaben ihr von
+der Überfülle ihrer Frische, stumm und freigebig, aus ihrem
+lebendigen Glück. Als das Buschwerk sich lichtete und
+die großen Stämme sich vom stillen Grund erhoben,
+breitete Anje ihre Arme aus und rief die Bäume. Es
+kam sie im Dahinschreiten ein Taumeln an, ihre junge
+Kraft wiegte und trug sie, so daß sie dahinzog wie die
+Vögel durch die Luft oder wie die Fische durch ihr klares
+Wasser. Sie preßte ihre Hände auf die Stelle ihrer Brust,
+unter der ihr Herz schlug, und neigte sich, wie durch die
+Fülle des Lichts trunken gemacht, gegen die strahlende
+Morgensonne, wie sie es von den Zweigen und Blumen<a class="pagenum" name="Page_121" title="121"></a>
+im ersten Wind gesehen hatte, der sich erhob, wenn die
+Sonne aufging. Das Lächeln, das ihr kindliches Angesicht
+verklärte, war von unaussprechlicher Traurigkeit,
+wie das Übermaß der Freude sie der Seele gibt.</p>
+
+<p>Hier wuchs im Walde dichtes Moos, auf dessen dunkelgrünem
+Teppich die Füße lautlos schritten und sanft gebettet
+wurden, und über ihr regten sich die Wipfel unvernehmbar,
+die Blätter berührten einander oben in ihrer
+freien Höhe, von der sie das Land überschauten.</p>
+
+<p>Als Anje an die Moortümpel der Altwasser kam, sah
+sie im Sumpf eine Giftschlange, die sich behaglich aus
+ihrem feuchten Versteck zu einem beschienenen Erdflecken
+wand, der schon von der Sonne erwärmt worden war.
+Das Mädchen verharrte lautlos auf ihrem Stand, in
+ihre hellen Augen kam ein kaltes Licht, und ihr Gesicht zeichnete
+sich nun durch entschlossene Härte aus. Dabei beobachtete
+sie die gelassenen Windungen des gefährlichen
+Tiers mit gespannter Aufmerksamkeit. Es war seltsam
+ergreifend zu betrachten, wie der nachgeschobene Teil des
+biegsamen Körpers genau den Weg des vorangeglittenen
+Teils einhielt, so daß er wie auf seiner eigenen Spur verschwand<a class="pagenum" name="Page_122" title="122"></a>
+und so, daß seine Bewegungen in der reglosen
+Umgebung kaum auffielen. Als das schön gezeichnete
+Tier den Ort gewählt hatte, der ihm willkommen war,
+rollte es sich gemächlich langsam zusammen. Der böse
+Kopf mit der spielenden Zunge hob sich blinzelnd gegen
+das warme Licht, als prüfe es seine goldene Wohltat in
+feinem Genuß, und dann ruhte ein rundes, zackig geschmücktes
+Ornament am Boden, kaum von der Erdfarbe unterschieden
+und im Spiel des Sonnenlichts geschützt.</p>
+
+<p>Mit dem Ausdruck einer koboldhaften Bosheit im Gesicht
+zog Anje sich langsam in den Schatten zurück, umschlich
+einen Schlehnbusch, um zur Böschung des Wassers zu
+gelangen, und löste vorsichtig zwei Steine aus dem Ufergrund.
+Dann warf sie ihren Kittel ab und wickelte ihn
+plump und fest um ihre linke Hand, preßte damit den einen
+Stein an ihre Brust und hob den anderen mit der rechten.
+So schlich sie langsam wieder hinzu und faßte ihre Gegnerin
+fest ins Auge, es funkelte böse aus den grauen Lichtgründen
+unter den feinen Brauen. Als sie so dicht herangelangt
+war, daß nur noch drei Schritte sie von der
+Schlange trennten, wandte das Tier mit einer kaum merkbaren<a class="pagenum" name="Page_123" title="123"></a>
+Bewegung das platte Köpfchen und sah Anje an.
+Die winzigen Äuglein waren von überraschender Wachheit,
+aufmerksam und wild, wie auch die Augen ihrer
+Gegnerin. Es war ein Augenblick voll mächtiger Anspannung
+und Anje wußte, daß sie nun keine Bewegung
+mehr machen durfte. Aber sie fürchtete sich nicht, sondern
+ihre Sorge war nur, die Feindin möchte ihr entgehen,
+so empfand sie auch ihren ungeschützten Körper nur
+als von jeder Hemmung befreit und glühte vor Gier, den
+tödlichen Wurf zu tun. Leise wog sie den Stein, aber
+ohne zu zielen, denn sie wußte gut, daß die Augen ihrem
+Arm nur Dienste leisteten und daß die geschwungene Hand
+ihr eigenes Geschick hatte.</p>
+
+<p>Ihr Stein traf das gedämpfte, zackige Bunt in der
+Mitte, und nach dem dumpfen Aufschlag begann ein lautloses
+Wälzen in einem rasch und schmerzhaft gewundenen
+Knäuel. Das tödlich verwundete Tier bewegte sich nicht
+mehr vom Fleck, es erschien, als suchte es in Todeswindungen
+einen Weg zu sich selbst, als trachtete es sterbensgierig
+danach sich in den Abgrund seiner eigenen Schmerzen
+zu wühlen.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_124" title="124"></a>Anje war einen <ins title="Schrit">Schritt</ins> näher getreten,
+hatte ihren
+Kittel fortgeworfen und sich auf die Zehen erhoben. Unter
+den gewölbten Brauen senkten sich ihre hellen Augenlider
+und ließen den Blick durch einen winzigen Spalt zu der
+sterbenden Gegnerin nieder. Dabei hielt sie die Arme starr
+an den Körper gepreßt, nur die bewegten Finger schienen,
+weit abgespreizt, entfliehen zu wollen, und verrieten ihre
+innere Erregtheit. Sie drückte ihre Knie dabei fest aneinander
+und ihre Lippen spielten im grausigen und süßen
+Takt einer Sinnenfreude, die an der Grenze der Bewußtlosigkeit
+flackerte.</p>
+
+<p>Der Morgensonnenschein, bewegt durch die Blätter der
+Zweige, in denen er einen Teil seines goldenen Glanzes
+hängen ließ, spielte in fühllosem Frohsinn auf Anjes schimmernden
+Schultern und über den letzten Regungen der
+sterbenden Schlange. Da rief ein Häher im nahen Busch
+und schoß mit wenig Flügelschlägen über das Wasser des
+Gurdelbachs in die Birken. Anje fuhr empor, wie aus
+dem Bann eines heißen Traums erwacht und ihre erschrockenen
+Augen folgten dem Vogel. Sie atmete tief
+auf und lächelte hilflos.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_125" title="125"></a>Da sah sie drüben am Ufer, dicht vor einer Krümmung
+des Bachs, Onne unter den Bäumen, ihr rotes Kopftuch
+bewegte sich nahe über dem Boden langsam voran.
+Anjes Angesicht hellte sich auf, sie schlüpfte rasch in ihren
+Kittel, hob die Hände an den Mund und mit ihrer seltsam
+tiefen Kinderstimme begann sie ihr Lied an den
+Morgenwind:</p>
+
+<div class="poem">
+<div class="stanza"><span class="i0">Du kommst über die Wiesen<br />
+</span><span class="i0">zu mir in mein Haar,<br />
+</span><span class="i0">Der Tau fällt nieder;<br />
+</span><span class="i0">nun kommt die Sonne!<br />
+</span></div>
+</div>
+
+<p>Drüben richtete Onne sich mühsam auf, sie suchte mit
+einer Hand Halt an einem Baum und schützte mit der
+anderen ihre alten Augen. Ihr welkes Gesicht erstrahlte,
+aber ehe sie noch eine Antwort geben konnte, rauschte das
+Bachwasser sprühend auf, so daß der Sonnenschein über
+der Flut, wie in hellem Schrecken, glitzernd emporsprang,
+und Anje stand vor ihr und lachte glücklich.</p>
+
+<hr />
+<h2><a name="Zehntes_Kapitel" id="Zehntes_Kapitel">Zehntes Kapitel</a></h2>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_126" title="126"></a>Der Herbst kam langsam über die Landschaften der
+Einöde wie ein schwermütiger Entschluß Gottes, aber es
+gab noch sommerlich durchwärmte Tage von großer Klarheit
+und in den Gründen des Einödmoors zögerte der
+Sommer mit seinem Abschied.</p>
+
+<p>Die alte Onne saß eines Tages in der Morgensonne
+am Ufer des Gurdelbachs gegen einen Birkenstamm gestützt
+im Todesschatten ihrer versunkenen Zeit, den Bedrängnissen
+des irdischen Lebens entrückt. Sie lächelte vor
+sich hin und die unbekümmerte Natur nahm die neue Ruhe
+geduldig an. Onnes Gesicht war nun ganz zusammengesunken,
+es sah über dem an die Brust gezogenen Arm
+den Erdboden an, dem es glich, und die andere herabhängende
+Hand berührte das Waldlaub. An diesem Platz
+am Bach, nahe der Landstraße, hatte ihr Leben sich beschlossen,<a class="pagenum" name="Page_127" title="127"></a>
+das vor langer Zeit in anderen Gegenden begonnen
+hatte, und das sie unter Menschenangst und-hoffnung
+in die Verlassenheit der Alternden geleitet hatte, bis in
+den Frieden des Alters. Wie ein Wunder leuchtete über der
+verbrauchten Hülle ihres Geistes ein zufriedenes Lächeln,
+als sei ihr mit ihrer Trennung vom irdischen Gut die Erfüllung
+einer großen Pflicht gelungen.</p>
+
+<p>Anje schlief an diesem Morgen noch in Onnes Hütte
+im Laub am Herd, und Hirte ging durch die Büsche vor
+dem Haus und betrachtete die Beeren der Ebereschen, die
+wie ein roter Schatten rings um die Stämme herum auf
+dem Boden lagen. Hirte war sichtlich gealtert, sein Gang
+hatte bisweilen etwas Schleppendes, und er schlief in den
+Morgenstunden nicht mehr recht, wie es alten Leuten oft
+geht, die des Morgens immer zuerst auf den Plätzen umhergehen
+oder vor den Häusern in der Frühsonne sitzen.</p>
+
+<p>Der Blätterfall beschäftigte ihn, die welken Sommergäste
+kamen unauffällig von ihren hohen Sitzen herab, schaukelten
+rötlich oder gelb durch die stille Luft, aber am Boden ließen
+sich keine Bewegungen mehr feststellen, so aufmerksam man
+ihren letzten Weg auch bis zu Ende verfolgte. Hirte konnte<a class="pagenum" name="Page_128" title="128"></a>
+sich nicht mehr entschließen, sie auf ihrem Weg zu fangen,
+wie er es in seiner Jugend getan hatte, er sah ihnen zu und
+dachte darüber nach, daß es in jedem Jahr das gleiche
+Schauspiel gab. Er sah in den Wald hinein, soweit er es
+noch konnte, aber im Nebel ließ sich wenig erkennen, man
+mußte abwarten, bis das Licht an Kraft zugenommen hatte.</p>
+
+<p>Er wußte, daß Onne am Abend nicht nach Hause gekommen
+war, aber irgend etwas beunruhigte ihn mehr und
+mehr; hätte Anje nicht so fest geschlafen, würde er seinem
+Gelüste nachgekommen sein, seiner seltsamen Traurigkeit
+in leisem Heulen Ausdruck zu geben.</p>
+
+<p>Er ging an die Tür der Hütte und sah vorsichtig von
+der Schwelle aus hinein. Etwas Sonnenrot drang in
+den Raum und legte sich feierlich auf die verräucherten
+Gesimse, so daß die beiden Kupferkessel ein stilles Glühn
+begannen. Anje schlief immer noch. Ihr Haar lag hell
+im braunen Laub und die eine Hand ruhte auf ihrem
+Herzen, die andere lag unter ihrer heißen Wange, und
+das Gesicht sah ernst und beschäftigt aus. Hirte begriff,
+wie wichtig der Schlaf war, hielt den Kopf schräg und
+dachte an Anje. Schließlich war sie alles, was er hatte.<a class="pagenum" name="Page_129" title="129"></a>
+Andere Hunde lebten in Dörfern, begleiteten Reiter oder
+bewachten Fuhrwerke, zwischen den Rädern oder vom Bock
+aus. Nicht daß Hirte den Wunsch nach Anschluß an
+seinesgleichen gehabt hätte, aber man sah doch allerlei und
+verglich die Pflichten. Je länger er Anje betrachtete, um so
+freundlicher erschien ihm sein Geschick, das Überfluß an
+Glücksgütern hatte, und er wedelte in Gedanken und ging
+wieder hinaus, es mußte abgewartet werden, ob Anje bald
+erwachte.</p>
+
+<p>Draußen befiel ihn wieder diese seltsame Beunruhigung,
+es drängte ihn in den Wald, er wußte nicht wohin. Er
+ließ den Morgenwind um seine schwarze Nase streifen
+und atmete die Luft stoßweise ein. Ohne es recht zu
+wollen, brach er in langgezogenes Heulen aus, in dem er
+seine eigene Stimme kaum wiedererkannte. Als er sich
+umwandte, stand Anje in der Tür, in der Morgensonne,
+rieb sich die Augen und griff dann mit beiden Händen
+in ihr Haar, ihr Körper atmete Kraft und Frische aus,
+und ihre grauen Augen leuchteten wie aus eigenen Lichtgründen.</p>
+
+<p>Sie schritt rasch zum Brunnen und der Klang des<a class="pagenum" name="Page_130" title="130"></a>
+hölzernen Pumpenschwengels vermischte sich mit dem
+Sprudeln des fallenden Wassers. Hirte war es gewohnt,
+daß er nicht beachtet wurde, und schaute andächtig zu,
+wie Anje sich wusch, aber die heimliche Besorgnis quälte
+ihn und er ging mit sich zu Rate, ob er nicht Anje aufmerksam
+machen müsse, daß ein Geheimnis den Wald
+erfüllte.</p>
+
+<p>Da Anje gewohnt war, beim Erwachen Onne nicht
+mehr vorzufinden, bemerkte sie erst am Herd, daß die Alte
+die Nacht nicht in der Hütte zugebracht hatte, sie sah
+nachdenklich hinaus und dann haftete ihr Blick am
+Boden. Die Nächte waren kühl und lang. Besorgt betrachtete
+sie den Hund und entsann sich seiner Stimme, die
+sie geweckt hatte. Sie legte ihr blondes Haar rasch zusammen,
+teilte ihr Brot mit Hirte, und gleich darauf gingen beide
+miteinander durch das nasse Gras, bis die Waldschatten
+sie aufnahmen. Das leere Haus blieb still zurück, und die
+Morgenluft drang durch die offene Tür in den Raum, in
+dem das vergessene Feuer langsam erlosch. &ndash;</p>
+
+<p>Als Anje die alte Onne in ihrer eingesunkenen Lage
+am Bach fand, wagte sie nicht, sich ihr zu nähern, ihr<a class="pagenum" name="Page_131" title="131"></a>
+war, als ob ein kühler Windzug ihre Stirn streifte, und
+aus dieser Ruhe sah es sie wie mit dunklen Augen an. Sie
+umschlang einen Baumstamm mit dem Arm und beugte
+sich in einem Zustand von unbeschreiblicher Angst vor. Sie
+wollte rufen, aber ihre Stimme war lautlos geworden.
+Hirte stand zitternd neben ihr und sog die Luft mit kläglichem
+Winseln ein. Aber ihre Liebe trieb sie hinzu, sie
+schlich bebend heran, langsam und Schritt für Schritt;
+ihre Bedrängnis war so groß, daß es ihr erschien, als
+klänge die Luft in einem schmerzenden Sausen. Endlich
+war sie ganz nah bei der Ruhenden angelangt und legte
+atemlos die Spitzen ihrer Finger auf Onnes Hand. Die
+welken Finger im Laub rückten ein wenig beiseit und waren
+so kalt wie das Tauwasser der Pflanzen, die geöffneten
+Augen hatten kein Licht mehr.</p>
+
+<p>Da löste sich Anjes Stimme zu einem Klagegeschrei,
+das den ganzen Wald erfüllte. Hirte sprang auf und
+verkroch sich winselnd im Gebüsch. Anje wurde von einem
+Entsetzen gerüttelt, das nicht seinesgleichen unter den Gefühlen
+der Menschen hat, sie entäußerte sich ihres ganzen
+Selbst in dieser Klage, die kaum etwas Menschliches<a class="pagenum" name="Page_132" title="132"></a>
+hatte und die Hilflosigkeit der <ins title="verdammten">Verdammten</ins>
+zum Himmel
+emportrug. Die leere Finsternis des Todes überströmte und
+begrub ihre Sinne und das Bewußtsein jener furchtbaren
+Menschenohnmacht, die die Glaubenden befällt, wenn
+Gottes Angesicht sich abwendet, und die nur starke Naturen
+in ihrer höllischen Bedrohung kennen.</p>
+
+<p>Endlich richtete sie sich wie aus einer Betäubung auf,
+und der ganze Wald war tot. Ein furchtbares Schweigen
+umfing sie, und ihr war, als hätten alle Lebendigen des
+Waldes ihre Sinne verloren, die den ihren geglichen hatten.
+Mit herabhängenden Armen stand Anje verlassen da und
+weinte laut. Sie sah durch den Flor ihrer Tränen auf
+Onne herab, und die entwürdigende Qual einer tiefen
+Schuld zerriß ihr Gemüt immer aufs neue.</p>
+
+<p>So fand ihr Vater sie endlich, eingeschlafen, den Kopf in
+den Schoß der toten Onne gebettet und den Arm um ihren
+Hals geschlungen, er hob sie wortlos auf und trug sie
+heim, als gäbe es keine andere Heilung.</p>
+
+<hr />
+<p>Nun war es nacht, als Anje auf ihrem Bett erwachte,
+und der Mond schien ins Zimmer, sie erhob<a class="pagenum" name="Page_133" title="133"></a>
+sich und ging durch das stille Haus. Ihr Vater war fort,
+in seiner Stube lag auf dem Bett Onne aufgebahrt und
+hielt in den zusammengelegten Händen kleine Blumen,
+die emporstanden, als ob sie eingepflanzt seien. Die Fenster
+waren weit geöffnet und draußen zog die Nacht vorüber.</p>
+
+<p>Anje setzte sich auf einen Stuhl neben das Totenbett.
+Der Mond schien auf Onnes geschlossene Lider, die sehr
+tief in das Gesicht eingesunken waren. Jetzt war es wieder
+Nacht, und nachts gab es für Anje keine fremden Menschen.
+Sie ahnte, wie die Erde sich unaufhörlich bewegte, entgegen
+dem Stern Merkur, den Onne ihr gezeigt hatte,
+und dachte:</p>
+
+<p>Du, andere, ich, mit euch allen mache ich die herrliche
+Reise, Tag und Nacht, Nacht und Tag.</p>
+
+<hr />
+<h2><a class="pagenum" name="Page_134" title="134"></a><a name="Elftes_Kapitel" id="Elftes_Kapitel">Elftes Kapitel</a></h2>
+
+<p>Am Tage darauf ging Gerom morgens nach Gorching.
+Dieser schwere Weg, den er seit vielen Jahren nicht mehr
+gemacht hatte, war seine letzte Darbietung an Onne, er
+machte ihn ihr zulieb, und deshalb brachte er es über sich.
+Aber je weiter er in der leblosen Morgensonne dahinschritt,
+die rötlich und ohne Glanz im Himmelsdunst
+hing, um so mehr erkannte er, daß Onne ihr letzter Weg
+leichter gewesen sein mochte, als ihm der seine war.</p>
+
+<p>Das kahle Land beängstigte sein Gemüt, es gab ihn
+preis, er vermißte das Dach der Bäume über seinem
+Haupt, das er eine vergessene Zahl von Jahren als
+Schutz über sich gewußt hatte, und die Windstimmen
+der Büsche und Pflanzen. Mit derben Schritten ging
+er, wie zu einem Angriff gerüstet, dahin, den Ansiedlungen
+der Menschen entgegen. Seine Lippen verzog ein höhnisches<a class="pagenum" name="Page_135" title="135"></a>
+Lächeln, und sein versunkener Blick war scheu und
+zornig. Er schritt immer hart an den Straßenbirken dahin
+und berührte die eine oder andere mit seiner Hand,
+als ob er sie befragte. Einmal fand er Onnes Wagenspuren
+im feuchten Erdreich am Grabenhang und lächelte
+spärlich. Es begegnete ihm niemand, bis er vor seinem
+Hof anlangte. Für einen Augenblick erschien ihm sein
+Leben, von jenem Tag an, an welchem er Angelika vor
+seinem Hause angetroffen hatte, bis zu dieser Stunde, wie
+ein eilender Traum, so flüchtig dahingegangen, daß nur
+weniges sich dem Gedächtnis eingeprägt hatte, aber alsdann
+begannen die Dinge, die er erblickte, zu ihm zu reden.</p>
+
+<p>Die graue Mauer war hier und da ausgebessert
+worden, und es war eine Scheune hinzugekommen, auch
+sie war weiß getüncht, wie die übrigen Wirtschaftsgebäude,
+und mit Stroh gedeckt. Das Wohnhaus erschien ihm
+kleiner, als er es in der Erinnerung bewahrt hatte, die
+Akazien der Einfahrt, die Treppe und die bewachsene
+Hauswand nötigten ihm ein fragendes Lächeln ab, sie erschienen
+ihm sinnlos geziert, aufgeputzt für vergängliche
+Menschlein. Nur die schwarzen Tannen aus dem Garten,<a class="pagenum" name="Page_136" title="136"></a>
+die gealterten Wahrzeichen der Ansiedlung, sahen ihn
+ehrfurchtgebietend an, und in der Spitze der Pappel bewegten
+sich die Blätter, in ihnen erhob sich der Morgenwind
+vor Tagesgraun.</p>
+
+<p>Gerom sah das Fenster an, aus dem sich einst Angelika
+gebeugt hatte, um ihn zu begrüßen, wenn er von den
+Feldern heimkehrte. Auf dem Gesimse standen Blumentöpfe
+mit leuchtenden Blüten, und die Vorhänge hinter
+ihnen zeigten einen knappen, lächerlichen Schwung. Ein
+junger Bauer in wohlbestelltem Gewand trat nach einer
+Weile aus einem der Wirtschaftsgebäude, er pfiff und
+sah zum Dach hinauf. Als er den merkwürdig gekleideten
+Fremden am Tor der Einfahrt erblickte, musterte er ihn
+erstaunt und schien zu schwanken, ob er ihn nach seinem
+Begehr fragen sollte, aber er schritt weiter, deutlich erfreut
+über die Beachtung, die seine Habe bei anderen fand. Als
+er um die Hausecke verschwunden war, ließ ein Schwarm
+weißer Tauben sich auf dem Rasenrund der Einfahrt
+nieder.</p>
+
+<p>Im Weiterschreiten wurde Gerom weicher ums Herz,
+denn es gesellte sich seinen Empfindungen die Erhobenheit<a class="pagenum" name="Page_137" title="137"></a>
+hinzu, die Menschen bewegt, die sich auf der Reise befinden.
+Angelika begleitete ihn. Ich wünsche, daß Gott dich
+möchte in Frieden halten nach der Unruhe deines Lebens,
+dachte er. Die weiten Felder wechselten, zumeist waren sie
+schon gemäht, nur die Wiesen erschienen noch lebensvoll
+in ihrem satten Grün. Es begann sich mehr und mehr
+zu trüben, bis ein milder Regen niederging. Das Erdland,
+das den letzten Sommer, seine Erinnerungen und
+seine Toten trug, rauschte geheimnisvoll unter den Berührungen
+der Wolken. Gerom betrachtete den genäßten
+Staub der Straße, und der Gedanke überwältigte ihn,
+daß Angelikas Füße diesen Weg einst betreten hatten.
+Einmal war sie ihn gegangen, um in sein Leben zu finden,
+ein anderes Mal, um großen Schmerz hineinzutragen.</p>
+
+<p>Als Gerom die breite gepflasterte Straße mitten durch
+Gorching ging, zur Rechten und Linken die Häuser und
+vor sich den spitzen Turm der Kirche, wußte er unter den
+Menschen plötzlich wieder, daß er ein Mörder war. Er
+schritt düster dahin bis zum Pfarrhof und begrüßte niemanden,
+seine Fäuste zitterten unter seinem Zorn und er
+machte ungelenke Schritte, aber da erschien ihm, wie vor<a class="pagenum" name="Page_138" title="138"></a>
+seinen Augen, der Frühlingswald am Gurdelbach, und
+die Weiden blühten. Mitten darin stand sein Kind und
+bog die Zweige zur Seite, um in sein Gesicht sehn zu
+können. Er fühlte ihr Lächeln wie wärmendes Licht
+nahen, und ein inniger Glaube verwandelte sein Herz bis
+zur Glückseligkeit, er erhob sein Haupt und seine Augen
+befreiten Sinns, und aller Groll wich von ihm.</p>
+
+<hr />
+<p>Onne wurde nun in die Erde des Gorchinger Friedhofs
+gebettet. Ein Kreuz auf ihrem Grabhügel, dessen Balken
+in der Mitte durch ein hölzernes Kreisrund verbunden
+waren, trug nach Geroms Willen die Worte eines Liedes,
+das er aus seiner Jugend in der Erinnerung hatte:</p>
+
+<div class="poem">
+<div class="stanza"><span class="i0">Von dem Baum, der sich entlaubt,<br />
+</span><span class="i0">tropft ein Blatt auch auf dein Haupt.<br />
+</span><span class="i0">Laß die Hand und halte still,<br />
+</span><span class="i0">laß es liegen, wie es will.<br />
+</span></div>
+</div>
+
+<p>Gerom und sein Kind waren nicht zur Bestattung
+nach Gorching gekommen. Das Wunderspiel von Furcht
+und Hoffnung verwob die Ausgeschiedenen aufs neue in<a class="pagenum" name="Page_139" title="139"></a>
+seine Dämmerwelt. Es erschien den meisten der Anwesenden,
+als könnte diese Bestattung nicht verlaufen wie jede
+andere; mit der alten Frau wurde ihnen viel mehr zu Grabe
+getragen als die irdischen Überreste einer Verschiedenen,
+diese späte Tat des Todes verwirrte ihre Gemüter, als
+sei ein Teil des Waldes dahingesunken, oder eine Kluft
+in ihre Weltbetrachtung gerissen worden. Als nach einer
+Weile Fridlin erschien und in den Gruppen umhersuchte,
+als handelte es sich nicht um ein feierliches Begebnis, sondern
+um ein ratloses Verhandeln über ein verlorenes Gut,
+war der Rest der unsicheren Andacht zerstört.</p>
+
+<p>Das ausgezehrte Gesicht Fridlins war von Schmerzen
+entstellt, er warf sich endlich nieder und rief Onne am offenen
+Grab mit verwirrten Worten an.</p>
+
+<p>»Wie hast du es gemeint,« rief er unter Schluchzen,
+»was hast du im Wald von Anje gehört?«</p>
+
+<p>Er sprach noch mancherlei Dinge, die trotz ihrer Unverständlichkeit
+einschüchternd wirkten, weil man sie mit
+seinem Leidenseindruck in Zusammenhang brachte, und
+weil sie durch seine Verzweiflung einen schaurigen Sinn
+bekamen, den keine Klarheit ihnen hätte verleihen können.<a class="pagenum" name="Page_140" title="140"></a>
+Niemand begriff, daß der junge Mann sich in Hoffnungslosigkeit
+und Herzensangst in ihre Mitte gedrängt hatte,
+weil er unbewußt Hilfe von den Menschen erhoffte. Vielleicht
+mochte hierin der Grund zu finden sein, daß er sich
+plötzlich in maßlosem Zorn gegen die Nächststehenden
+wandte und in Schmähungen ausbrach. Als man ihn
+ergriff und fortführte, wurde er still und ließ mit sich
+geschehn, was man wollte. &ndash;</p>
+
+<p>Als Gerom am Abend zur Ruhe gehn wollte, trat
+Anje vor ihn hin und fragte ihn schüchtern:</p>
+
+<p>»Gehst du heute nacht in den Wald?«</p>
+
+<p>Gerom sah erstaunt auf und bejahte ihre Frage zögernd.</p>
+
+<p>»Warum willst du es wissen?« antwortete er ihr.</p>
+
+<p>Anje strich sich ihr Haar gelassen über die Schulter,
+vom Herd her fiel ein milder Feuerschein über ihre Gestalt,
+ihr ruhiges Gesicht glühte im dämmrigen Rot.
+Geroms Stirn verfinsterte sich, er stand schwer und alt
+im Schatten an der Tür, und sein grauer, verwilderter
+Bart bedeckte seine Brust bis zur Hälfte. Er forschte in
+diesen Zügen, deren reines Licht von so großer Unschuld
+erstrahlte, daß ihn eine glückhafte Schwäche befiel,<a class="pagenum" name="Page_141" title="141"></a>
+die das Herz eigensinnig zu unerreichbaren Gütern überredete.
+Er fühlte sich schuldig, weil er ihr kein Trostwort
+gesagt hatte wegen Onnes Tod, aber er brachte dererlei
+nicht über sich; war es nicht Tröstung genug, daß sie beide
+den gleichen Schmerz ertragen mußten? Aber vielleicht
+verlangte es sie nach einem Beweis seiner Teilnahme.</p>
+
+<p>Deshalb sagte er nun:</p>
+
+<p>»Onne ist gestorben &hellip;«, er stockte und fuhr fort: »so
+sollte es geschehn.«</p>
+
+<p>Anje sah auf.</p>
+
+<p>»Fürchte dich im Wald,« sagte sie, ohne auf seine
+Worte einzugehn, »ich habe Angst, weil niemand gegen
+den Tod einen Schutz hat.«</p>
+
+<p>Überrascht tat Gerom einen Schritt auf sie zu, dann
+besann er sich und sagte ruhig:</p>
+
+<p>»Anje, der Tod ist eine Pflicht des Menschen, wer ihn
+fürchtet, versteht das Leben nicht.«</p>
+
+<p>»In das Leben kommt die Angst«, sagte Anje und
+legte die Hände unter ihrem Gesicht zusammen, wobei sie
+die Arme an die Brust drückte, und mit zitternder Stimme
+fügte sie in ihrer kindlichen Weisheit hinzu: »Du bist<a class="pagenum" name="Page_142" title="142"></a>
+der Vater, was soll ich ohne dich tun? Ich kann auch
+die Pflicht ohne dich nicht tun.«</p>
+
+<p>Gerom wandte sich ab und stieß mit dem Fuß an die
+Holzscheite am Herd, um sie zusammenzuschichten. Es
+verlangte ihn inbrünstig danach, Anje einen Beweis seiner
+Liebe zu geben, aber schon sein Wunsch beschämte ihn.
+Am späten Abend, als die Nacht herabsank, dachte er an
+ihre Worte und den einfachen Sinn. Es kam ihm darüber
+zum Bewußtsein, daß Anje auf diese Art noch niemals
+zu ihm gesprochen hatte, und darüber erkannte er,
+wie reich Onne gewesen war. Wie oft mochte ihr sein
+Kind vieles dargebracht haben, was das Herz bewegte.
+Nun kam Anje zu ihm, weil die alte Frau gestorben war.
+Außer den Darbietungen der Seele gab es für ihn keine
+Gaben, deren Wert er achtete, und er segnete die Tote.
+Im farbigen Licht des Herbstwalds sah er wieder
+Anje und Onne vor der Holzwand ihrer Hütte stehn,
+nachdem er Ausbesserungen daran vorgenommen hatte,
+auch erschienen sie ihm beim Beerensuchen unter den
+Tannen, Onnes rotes Kopftuch leuchtete neben dem
+hellen Haar des Kindes, beide schritten gebückt durch<a class="pagenum" name="Page_143" title="143"></a>
+das braune und grünliche Dämmerlicht der großen
+Bäume.</p>
+
+<p>Seine Gedanken raubten ihm den Schlaf. Über dem
+einsamen Haus und seinen Menschen herrschte die traurige
+Ratlosigkeit in allen Räumen, die der Tod nach seinen
+unbeschreiblichen Besuchen zurückläßt. So erhob sich Gerom
+unruhig in der Nacht und erstieg die Treppe zu Anjes
+Schlafkammer. Auf halbem Wege glaubte er Schritte
+zu hören, die zu verstummen schienen, sobald die seinen erklangen.
+Es war ganz dunkel im Haus, nur durch das
+kleine bläuliche Rechteck eines Fensters sah er zwei Sterne,
+einen größeren, der lebhaft flimmerte, und einen kleinen
+neben ihm, der friedsam glühte. Er begegnete Anje auf
+der Treppe.</p>
+
+<p>»Ich kann nicht einschlafen«, sagte sie.</p>
+
+<p>»Wohin willst du denn gehn?«, fragte Gerom befangen,
+denn es beschämte ihn, daß er seinem Wunsch
+nachgegeben hatte, in das schlafende Gesicht seines Kindes
+schaun zu wollen, aber es hatte ihn übermächtig gepackt,
+als wälzte sich die Last seiner langen Einsamkeit zur Stunde
+wie in Bergen auf seine Brust. Er hatte an Anjes Angesicht<a class="pagenum" name="Page_144" title="144"></a>
+gedacht, an die warme Stille ihrer Schläfen, an
+die gesenkten Augenlider, die am hellsten waren, und an
+das unschuldige Glück ihres schlafenden Mundes. Heiß
+und bitter ward er sich bewußt: Ich hab sonst nichts.</p>
+
+<p>Nun hörte er aus der Dunkelheit über sich die Stimme
+antworten:</p>
+
+<p>»Ich wollte zu dir.«</p>
+
+<p>Da schritt er hinauf und umarmte Anje. Sie legte
+ihre Arme um seinen Hals und hängte sich daran. Keiner
+von ihnen sprach im dunklen Haus. Dann nahm Gerom
+ihre Hände:</p>
+
+<p>»Du sollst des Todes wegen nicht traurig sein«, sagte
+er mit bebender Stimme.</p>
+
+<p>Er fühlte, wie Anje eifrig den Kopf schüttelte, und er
+empfand ihr Lächeln, obgleich er es nicht sah, aber er war
+dieses Lächelns so gewiß, daß er später in seiner Erinnerung
+den Eindruck hatte, als sei es in diesen Augenblicken hell
+gewesen. &ndash;</p>
+
+<p>So war nun Onne im Tode gelungen, was sie in
+ihrem Leben nicht zuwege gebracht hatte. Vielleicht war
+auch Angelikas Wunsch durch Geroms Gang in ihr Bereich<a class="pagenum" name="Page_145" title="145"></a>
+mächtig geworden, denn das Glühn der Liebeswünsche,
+die Tote mitnehmen, vereint sich im Unvergänglichen
+zu Licht, das wieder auf die Erde sinkt und niemals
+seinen Platz verfehlen wird.</p>
+
+<hr />
+<h2><a class="pagenum" name="Page_146" title="146"></a><a name="Zwolftes_Kapitel" id="Zwolftes_Kapitel">Zwölftes Kapitel</a></h2>
+
+<p>Ein Herbstmorgen dämmerte herauf, Gerom kniete auf
+dem schmalen Pfad einer Waldlichtung zwischen Himbeersträuchern,
+mit einem erlegten Rehbock beschäftigt. Das
+Tier blutete aus dem Maul, und der leblose Kopf mit den
+gebrochenen Augen schlenkerte hin und her unter den Hantierungen
+des Jägers und verstreute die Blutstropfen. Die
+vom Nebel dämmrige Morgenluft befeuchtete die Büsche
+und das Gras, Geroms grauer Bart war so naß wie
+seine Hände und das Fell des Rehs. Eine feine Wolke
+dampfte an der Stelle empor, wo die beiden in der kühlen
+Morgenluft weilten, und Geroms Gesicht hatte einen
+düsteren Ausdruck von Entschlossenheit, der es stark und
+schön erscheinen ließ. Im Gebüsch kam ein Vogel an;
+er ließ sich nieder, flog aber sogleich wieder davon, als habe
+das tote Waldtier ihn erschreckt, das Reis der Himbeere<a class="pagenum" name="Page_147" title="147"></a>
+schwankte leicht von seiner Berührung, und ins Gras fielen
+Tropfen.</p>
+
+<p>Als Gerom von seiner Hantierung einen Augenblick
+aufschaute, sah er auf dem Pfad im Morgennebel Fridlin
+stehn.</p>
+
+<p>So ungewiß die Umrisse dieser Gestalt sich aus dem
+grauen Dunst hoben, so wenig ließ seine Haltung einen
+Zweifel über die Absichten zu, die ihn an seinem Platz
+hielten. Gerom drehte sich langsam herum, ohne sich von
+den Knien zu erheben, und wandte sich Fridlin voll zu,
+wobei er die blutige Hand an die Stirn hob, um den Blick
+zu sichern. Seine Ruhe und die Vorsicht seiner Bewegung
+erinnerte an ein Raubtier, das über seiner Beute den Feind
+prüft, und das im Bewußtsein seines Rechtes oder seiner
+Kraft handelt, nur seine Augen sahen besorgt und zornig
+drein, wie wohl einer dreinschaun mag, der gefahrbringende
+Befugnisse in der Verwaltung eines Unmündigen vermutet.</p>
+
+<p>So geschah es, daß es eine Weile totenstill in der Waldlichtung
+blieb, die nach Osten geöffnet war, so daß man
+den herannahenden Morgen im weißen Licht über der
+Ebene im Nebel schimmern sah. Gerom machte eine unwirsche<a class="pagenum" name="Page_148" title="148"></a>
+Bewegung mit der Hand: »Geh deiner Wege«,
+sagte er barsch, aber noch ehe er Fridlins Antwort recht
+verstanden hatte, empfand er aus dem Ton seiner Stimme,
+daß ihm Gefahr drohte, und er reckte sich ingrimmig auf,
+zog den Nacken ein, und seine Hände ballten sich zu Fäusten,
+deren eine das blutige Messer hielt, er blieb aber noch
+auf den Knien am Boden. Fridlin sagte beinahe leise,
+aber böse und entschieden:</p>
+
+<p>»Laß den Bock und die Büchse, wo sie liegen, und
+geh du.«</p>
+
+<p>Gerom verstand nur so viel, daß dieser Bursche, der
+Anje nachstellte und dem er sein Haus verwiesen hatte, ihm
+kraft seines Amtes zu drohn wagte. Ein geduldetes Unrecht
+verwandelt sich im Bewußtsein bald in ein Recht,
+so daß Gerom um so heißer in Zorn geriet, als er sich in
+einem längst erwiesenen Anspruch beeinträchtigt sah und
+kein Schuldbewußtsein empfand. Fridlin war um einige
+große Schritte näher getreten, nun erkannte Gerom den
+Haß, der das Gesicht seines Gegners entstellte. Ach, du
+bist es, dachte er, als sähe er einen ganz neuen Menschen
+vor sich.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_149" title="149"></a>Darüber schwand seine Sorge, da es galt sich zu bewähren,
+er lachte aber nur herausfordernd auf, wandte sich ab
+und beugte sich wieder über das erbeutete Tier. Da erklang
+Fridlins Stimme in tödlicher Gereiztheit und fast geschluchzt:</p>
+
+<p>»Du kannst von deiner Gewohnheit zu morden nicht
+lassen, Alter, aber jetzt ist es genug. Deine Waffe und
+das Wild sind mein, dafür behalt deine Schande und
+dein Kind, das aus ihr gekommen ist, und dein Leben,
+wenn du magst.«</p>
+
+<p>»Leg dein Spielzeug fort, Bursche«, antwortete Gerom
+langsam, aber mit ruhiger Stimme, die die dunkle Ahnung
+von einer nahenden Wandlung bewegte. Aber diese Betroffenheit
+war nur von kurzer Dauer, es befiel ihn darüber
+ein Grimm, der wie mit roten Nebeln seine Blicke verschleierte.</p>
+
+<p>»Glaubst du, junger Hund, ich fürchtete dich?« fragte er
+und erhob sich wie ein Bär vom Grund; im Gesträuch,
+dicht neben ihm, lehnte seine Jagdbüchse. Er machte den
+Schritt dorthin in einem ungelenken Satz und in halb gebückter
+Haltung, in scheinbarer Unsicherheit, und sein rasch und
+plump bewegter Körper bot auf diese Art ein schwer zu<a class="pagenum" name="Page_150" title="150"></a>
+sicherndes Ziel für den Gegner. Mit grimmigem Aufschrei
+ergriff er wie mit einem Schlag seine Büchse, als ob er
+sie mit der Hand zerschmettern wollte. Die mit großer
+Gewandtheit gepaarte Wildheit dieser Bewegung schüchterte
+selbst Fridlin ein, obgleich es in seinem Willen lag,
+daß Gerom sich seiner Waffe bemächtigen sollte.</p>
+
+<p>Als jener nun in gebückter Haltung herumschnellte, feuerte
+Fridlin von seinem ruhigen und aufrechten Stand aus seine
+Waffe ab, die mit einer Kugel geladen war, und durchschoß
+Geroms Brust. Der alte Mann sank mit einer
+täppischen Bewegung zu Boden, wobei er das Gewehr
+fahren lassen mußte, um seinen Körper zu stützen, und der
+Ausdruck seines Gesichts war darüber einen Augenblick voll
+Verlegenheit, als schämte er sich und als unterdrückte er
+ein eiliges Wort der Erklärung. Aber dann riß ihn ein
+wütender Lebenswille zusammen, und er raffte sich steil auf
+die Knie empor, ließ sein Blut aus dem Mund rinnen,
+wie es wollte, und hob die Jagdbüchse gegen Fridlin.</p>
+
+<p>Der junge Mensch war mit zwei raschen Schritten
+hinzugesprungen und stand nun dicht vor dem tödlich verwundeten
+Mann. Zwei weitaufgerissene blaue Augen,<a class="pagenum" name="Page_151" title="151"></a>
+aus denen eine unwirkliche Lebenshelligkeit flackerte, bemächtigten
+sich seiner in furchtbarer Anklage. Das Blut, das
+aus den Mundwinkeln troff, entfärbte sich in dem grauen
+Bart, zog dunkle Rinnsale herein und klebte die Haare an
+das Tuch des Rocks, dabei sank der große Kopf herab und
+arbeitete sich, nach rechts und links wankend, mühselig
+wieder empor, wobei Gerom das Blut zu schlucken sich
+bemühte. Als er nach einer krampfhaften Bemühung
+Halt gewann, richtete er die Büchse ohne Schwanken auf
+Fridlin, ließ sie aber plötzlich mit einem schweren Lächeln
+sinken und schüttelte den Kopf. Er hatte neben dem jungen
+Menschen, der bewegungslos dastand und sein Teil zu erwarten
+schien, die Waldferne im Nebel gesehn, die sich
+unter den Bäumen im Morgenwind gelichtet hatte. Es
+strahlte ihm friedsam auf diesem Wege entgegen, ein freundlicher
+Schein von Genügen und geduldigem Glück, und
+was den Rest seines Lebens hindurch seine Stillung gewesen
+war, überwand ihn in diesem furchtbaren Augenblick
+zu einem guten Beschluß.</p>
+
+<p>»Armer Hund«, sagte er mit einem Gurgeln in der
+ersterbenden Stimme zu Fridlin, ließ die Jagdbüchse ins<a class="pagenum" name="Page_152" title="152"></a>
+Gras fallen und ergab sich seinem Schicksal, indem er sich
+sinken ließ und sich beinahe demütig an den Erdboden
+drückte. Er legte die große Hand, die einst Angelika geschirmt
+und getragen hatte, die später ihren Geliebten erwürgt
+und die viel später auf Anjes Haar geruht hatte,
+auf die Wunde seiner lebendigen Brust und ließ den Tod
+herannahn, wie er wollte.</p>
+
+<p>Fridlin beugte sich in fassungslosem Entsetzen vor.
+Nun, da Gerom dem Tod sein Recht ließ, begriff er, daß
+er ihn heraufbeschworen hatte und daß er selbst lebte.
+Seinem zerstörten Gemüt drängte sich ungewollt der
+Wunsch auf, von seiner Verpflichtung zu reden, es klang
+närrisch und armselig, als er zu stammeln begann: »Du
+hättest das Wild lassen sollen, Alter &hellip;« Er verstummte
+und schluchzte trocken auf. Mit seiner Erkenntnis, daß
+nun in dieser Waldlichtung ein anderer seine Herrschaft
+angetreten hatte, überflutete das würgende Graun vor
+diesem Allmächtigen seinen Geist; mit einem Aufschrei
+aus dem Grund seiner armen gequälten Seele sprang er
+auf und lief davon, ohne zu erkennen, daß er es tat, ohne
+zu wissen, wohin es ihn trieb. Unter den Bäumen, an die<a class="pagenum" name="Page_153" title="153"></a>
+er stieß, schrie er: »Das Anjekind ist an dem Unheil
+schuld, das Anjekind &hellip;«</p>
+
+<p>Gerom vernahm nichts von diesen Worten, er wurde
+sich nach einer Weile, bevor seine Sinne sich ganz umdunkelten,
+dessen bewußt, daß er nun allein war, und daß
+er nicht mehr die Kräfte hatte, um sich heimschleppen zu
+können. Seine Brust war durchschossen, ihm war, als
+drängte die Morgenluft bis in die Kammern seines Herzens,
+erkühlend, ausleerend. Seine Gedanken reihten sich
+um das Letzte, was er erblickte, das war ein merkwürdig
+großer Zweig, der sich über seinen Augen im weißlichen
+All gemächlich hin und her bewegte. In diesem weißlichen
+Licht des Alls schwebte auch er selber, und sein Körper
+wurde ihm leicht, als ob nun die Erde, die er im verschlossenen
+Gemüt auf seine Art ertragen hatte, begänne
+ihn zu tragen. Seine erleichterten Gedanken zogen ruhig
+durch sein Leben, dessen große Ereignisse sie zu verschmähn
+schienen, wie auch das Durchlittene, das sein Dasein reich
+gemacht hatte, so daß es war, als ob ein guter Geist ihm
+den Abschied vom irdischen Dasein leicht machen wollte,
+dessen Inhalt die Schmerzen sind und nicht das Genossene.<a class="pagenum" name="Page_154" title="154"></a>
+Wie dunkle Felsen liegen sie im durchmessenen Tal. Aber
+der befreiende Strom, der dem Sterbenden durch die Sinne
+zog, setzte sich aus lichten Gestalten zusammen, die mit
+wunschlosem Lächeln herangaukelten. Er erblickte den
+Fluß mit seinem Holzsteg, an dem er als Knabe gefischt
+hatte, und die grüne Schilfwand des Ufers wurde vom
+Wasser bestrichen, das die langen Gräser am Grund ins
+Schwanken brachte, so daß es aussah, als schwämmen sie
+wehmütig gegen die Strömung. Er sah ein Bildnis in
+nüchternen Farben, eine Mutter Gottes mit einem Kinde
+darstellend, das an der Wand seines Kerkers gehangen
+hatte, und an dessen Holzrahmen von unbekannter Hand
+Buchstaben in ein kleines Herz eingezeichnet waren. Angelika
+ordnete Blumen in ein gläsernes Gefäß ein, für
+dessen Gebrauch als Blumenbehälter man die Stiele kurz
+schneiden mußte, sie lächelte auf ihre geheimnisvolle Art,
+die ins Unerreichbare hinüberführte. Er sah dabei ununterbrochen,
+wie sich das dunkle Grau des Zweiges über ihm
+im weißlichen All bewegte, und unterschied die Blätter
+und verfolgte ihre geduldigen und langsamen Bewegungen
+in der nebligen Morgenluft.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_155" title="155"></a>Plötzlich dachte er an Anje, das Kind, und begann sich
+auf dem Boden hin und her zu werfen, so daß das Blut
+aus seiner Brust das niedergedrückte Gras seines kalten
+Betts färbte. Seine Bewegungen waren nur noch schwach
+und langsam, nur ihre weit ausholende Geste, wie er die
+Arme warf und wie ihm die Stirn an den Boden schlug,
+verrieten seine innere Bewegung und die Größe seiner
+Angst. Zuletzt tauchte aus den finsteren Wolken, die sich
+über ihn dahinwälzten, wie eine beleuchtete Insel aus
+schwarzer Meerfläche, das Bewußtsein auf, daß er Anje
+auf der Treppe begegnet war und daß sie an seinem Hals
+gehangen hatte.</p>
+
+<p>Nun war ihm, als käme Anje aus dem dämmrigen
+Braun und Grün der Waldferne dahergeschritten, und
+sie legte ihre Hände auf seine Stirn. Es war der Morgenwind,
+der es tat. Anje beugte sich über ihn und lächelte
+froh, dies war die Sonne, die den Nebel aus der Lichtung
+vertrieben hatte und strahlend in den frischen Wald schien.
+Anje legte Geroms Haupt zurecht, daß es Ruhe haben
+sollte, und preßte dann ihre Hand fest auf sein Herz, damit
+es nun stillstehen sollte. Es war der Tod, der es tat.</p>
+
+<hr />
+<h2><a class="pagenum" name="Page_156" title="156"></a><a name="Dreizehntes_Kapitel" id="Dreizehntes_Kapitel">Dreizehntes
+Kapitel</a></h2>
+
+<p>Anje schritt in der Frische des Herbstmorgens, an jenem
+Tage, dessen Beginn Geroms Augen noch empfunden
+hatten, durch den Wald. Sie wählte den Weg, der im
+Schilf des Gurdelbachs entlang in die Weiden führte,
+bald an Tannen vorüber, bald am Altwasser dahin.</p>
+
+<p>Ein Zweig mit roten Beeren hing in der Morgensonne
+über dem Wasser, das Leuchten der herrlichen Farbe
+im Sonnenschein zog Anjes Blick an, sie blieb stehn und
+betrachtete die begrünten Ufer, über deren Pflanzen die
+unschuldige Müdigkeit des Herbstes lag. Hier, im Frischen,
+schien der Sommer noch nicht verdrängt, und doch kündigte
+der Wandel der Zeit sich an, man fühlte ihn an
+der Art des Lichts, am Geruch der Luft und an dieser
+glückvollen Müdigkeit, in der die Pflanzen, die ihr
+Wachstum längst beendet hatten, sich neigten über das<a class="pagenum" name="Page_157" title="157"></a>
+dahinziehende Wasser. Die Bäume und Büsche bildeten
+hier eine natürliche Laube, die über dem Bach gegen die
+Sonne geöffnet war, so daß Anje in der Walddämmerung
+stand und dies strahlende bunte Blätterhaus mit
+seinem glitzernden Boden bewunderte. Ihr Glück war
+so groß, als sähe sie dies alles zum ersten Mal, vielleicht
+war es das herrliche Rot der kleinen Beeren über der
+Flut, das ihr das Bild der Natur so wunderbar erneuerte.
+Es schien, als läge über den Pflanzen am Ufer
+die Erinnerung an das leidenschaftliche Blühn des Frühlings,
+an die Gestilltheit und Fülle des warmen Sommers,
+und ein Abglanz des Friedens, der ihrer im nahenden
+Winter harrte, und die kleine Anje begriff über ihrer
+Freude an beidem, am Sein und Ruhn, daß das Leben
+und der Tod nur Zeichen einer beständigen Herrlichkeit
+sein mußten, die höher als ihr Erkennen war. Sie hatte
+einst durch Onne vom Dasein Gottes erfahren, als vom
+Schöpfer der Welt und als vom Herzschlag der lebendigen
+Natur.</p>
+
+<p>Sein Dasein war ihr selbstverständlich erschienen, wie
+das Dasein ihres leiblichen Vaters, ihr Herz kannte noch<a class="pagenum" name="Page_158" title="158"></a>
+keinen Zweifel, weil es keine Schuld kannte, und weil sie
+der Schöpferkraft Gottes auch ihr Dasein verdankte, so wie
+es war. Ihr Vertrauen zu Gott zeigte sich in der Dankbarkeit,
+in der sie seine Welt bewohnte, und ihr Glaube erwies
+sich in ihrer Freude daran.</p>
+
+<p>Als die alte Onne, bekümmert durch ihre Lebensmüdigkeit,
+Anje einmal von der Schuld der Menschheit gegen
+Gott gesprochen hatte, war aus Anjes Kindermund die
+seltsame Antwort gekommen:</p>
+
+<p>»So wird Gott die Schuld gutmachen.«</p>
+
+<p>Aus den Augen der alten Frau brach ein Leuchten,
+dem plötzlich Tränen folgten, die es verlöschten, aber unverwandt
+blieben die Augen auf Anjes Angesicht haften,
+wie im Bann einer wunderbaren Erscheinung, und mit
+bebender Stimme rief Onne:</p>
+
+<p>»Er ist gekommen und hat es getan!«</p>
+
+<p>»Warum weinst du?« fragte Anje.</p>
+
+<p>Da sagte Onne: »Oh, du <ins title="gesegenetes">gesegnetes</ins>
+Kind.«</p>
+
+<p>Mit der Erinnerung an diese Worte der alten Frau
+kam Anje der Gedanke an die Nacht, die für Onne unaufhörlich
+herrschte. Sie schritt langsam weiter durch<a class="pagenum" name="Page_159" title="159"></a>
+das Schilf, das flüsterte, wenn sie es berührte, und oft
+glänzte ein Sonnenblick durch das bunte Laub nieder, in
+ihren blonden Haaren auf. Anje gab ihrer plötzlichen
+Traurigkeit nach und weinte, ohne ihr Gesicht zu verhüllen,
+sie schämte sich ihrer Tränen nicht vor der Erde,
+die die Wiege des Todes und des Lebens zugleich ist. Dem
+Mädchen war zumut, als wäre es mit einem heimlichen,
+wohltuenden Stolz verbunden, zu wissen, wie schwer die
+Erde oft zu ertragen ist.</p>
+
+<hr />
+<p>Fridlin verbrachte diesen Tag ruhlos im Wald. Ohne
+Nahrung und zu Tode ermüdet, schweifte er in der Einöde
+umher, bald dieser, bald jener seiner planlosen Eingebungen
+gehorchend, aber ohne zu einem vernünftigen
+Entschluß kommen zu können, bis ihn im Dickicht ein
+Schlaf überwältigte, der einer Ohnmacht gleichkam. Im
+Traum führte er seine Absichten aus, bald die eine, bald
+die andere, er stand vor dem Förster und beichtete ihm das
+Geschehene, sorgsam bemüht, Gerom ins Unrecht zu
+setzen und den Zwang von Pflicht und Selbsterhaltung
+darzustellen, der ihn getrieben hatte zu töten. Gegen dieses<a class="pagenum" name="Page_160" title="160"></a>
+Lächeln des Försters, das ihn als Antwort traf, mußte es
+doch einen Einwand geben; woher wollte jener wissen oder
+erweisen, was zu dieser Tat geführt hatte? Dann wieder
+suchte er im Wald Anje, die er nun vom Zwang des
+väterlichen Willens befreit glaubte, und fand sie im Grund
+jener aus Grün und Braun gewebten Tiefe der Waldferne
+allein. Er eilte auf sie zu, und seine frohe Gewißheit,
+ihr nicht nur alles erklären zu können, sondern auch
+ihre verzeihende und tröstende Liebe zu finden, beflügelte
+seine Schritte. Aber die unhaltbare Ferne entrückte ihm
+und mit ihr Anje, wie einst in Wirklichkeit, wenn er
+hoffte, sie erreicht zu haben. Ihre Spur blieb im Licht
+und in der Stille auf wunderbare Art zurück, zugleich
+ungreifbar und klar geschieden, überall dem Vertrauten
+zugehörig und doch fremd, wie eine Spur im Schnee.</p>
+
+<p>Im Verlauf seines tiefen und doch ruhlosen Schlafs
+nahm es an finstern Mächten zu, die ihn mehr und mehr
+zu bedrängen begannen. Sie waren ohne greifbare Gestalt
+und nahten in gewaltigen Ballen heran, die sich geräuschlos
+in furchtbarer Allmacht über ihn dahinwälzten.
+Es gab kein Entrinnen, da die herannahenden Nächte,<a class="pagenum" name="Page_161" title="161"></a>
+die kreisenden schwarzen Wolken vergleichbar waren und
+das ganze All umfaßten, doch Raum auf seiner Brust
+fanden, der sie zu entwachsen schienen und die sie zugleich
+begruben. Als er von seinem eigenen Stöhnen erwachte,
+war es Nacht, er riß die Augen auf und starrte um sich,
+ohne sich zurechtfinden zu können. Seinen verfinsterten
+Sinnen war anfänglich nicht mehr erkennbar, als daß
+jene düsteren Ballen, die ihn begruben, sich über ihm, in
+einem merkwürdig weißen Licht verschwimmend, still angesammelt
+hatten. Es waren die Baumkronen, unter
+denen er geschlafen hatte, im schrägen Licht des Mondes,
+der aufgegangen war.</p>
+
+<p>Er sprang jählings empor und stürmte mit vorgereckten
+Armen zwischen den schwarzen Stämmen dahin, als
+gälte es, der Gefangenschaft der Bäume zu entrinnen,
+einem unsicheren Lichtschein entgegen, der schwach in der
+Ferne glomm. Dort flimmerte das ungewisse Himmelslicht
+an den Erlbüschen und Weiden, an deren Wurzeln
+es sich in Wasserlachen spiegelte, im Schwarzen und
+totenstill. Diese Ruhe lockte Fridlins fieberndes Blut,
+sie versprach ihm Kühle und das Ende seiner Qual, die<a class="pagenum" name="Page_162" title="162"></a>
+er kaum noch erkannte, deren Wesen er in den Zerrüttungen
+seiner Sinne ahnte, wie Schlafende eine herannahende
+Gefahr im Traum. Scheinbar schüchtern und
+zweifelnd trat er bedächtig hinzu und sah das schwarze
+Wasser an. Sein Spiegelbild bewegte sich darin, er fuhr
+voll Entsetzen zurück und reckte die Hände nach unten hin
+gegen den morastigen Hauch aus, der dem Moorwasser
+entströmte und dem tausendjährigen Schlamm.</p>
+
+<p>In der kahlen Gabelung eines Weidenstumpfs über
+dem feuchten Grund hockte ein graues Tier mit dem Gesicht
+eines kleinen alten Menschen. Es war weich und
+farblos, mit breiten Schultern, in denen der Kopf sanftmütig
+schaukelte. Das Gesicht lächelte mit matten Augen
+und freundlich, und die Hände hingen schwächlich an den
+halb erhobenen Armen nieder. Fridlin kannte dies Fabelwesen,
+das er zu erblicken glaubte, aus seiner Kinderzeit
+her und wußte, daß es beim Herannahen bedrängter Menschen
+für gewöhnlich flüchtete, um sich abwartend in die
+Gabelung einer anderen Weide zu setzen. Es drückte die
+Köpfe ertrinkender Menschen nieder, die in den Sumpf
+geraten waren.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_163" title="163"></a>Im Grunde zog es den Verlorenen in seiner Schreckensnacht
+zu einer anderen Stätte hin, es war eine schmerzvolle
+Sucht, die als drängendes Unterbewußtsein von
+Augenblick zu Augenblick an Macht über ihn gewann.
+Als er diesem Drang endlich nachgab, lichteten sich die
+Verfinsterungen seines Gemüts ein wenig, als ob sich mit
+seinem Gehorsam gegen dieses Verlangen eine Erleichterung
+seiner Sinne verbände. Er fand die Waldlichtung
+in kurzer Zeit, in der Geroms Leiche im Mondschein lag.
+Dort erkannte er beim zögernden Hinzuschleichen zuerst
+nur eine dunkle, unförmige Masse am Boden zwischen
+den Himbeersträuchern und versuchte auf den Zehenspitzen
+und mit stockendem Atem, hinter den Büschen stehend,
+die Formen des Körpers zu unterscheiden. Seine Vorsicht
+hatte etwas sonderbar Kleinliches, er vermied die nassen
+Zweige und achtete sorgsam darauf, kein Geräusch hervorzurufen.</p>
+
+<p>Neben dem Toten, mitten im vollen Mond, saß das
+Anjekind mit gefalteten Händen.</p>
+
+<p>So hell das sinkende Gestirn immer noch schien, gab
+das nächtliche Licht ihrer Gestalt doch etwas Unwirkliches,<a class="pagenum" name="Page_164" title="164"></a>
+sie erschien in ihrer geraden stillen Haltung wie eine
+zur Hälfte versunkene Statue, besonders weil der Mond
+von hinten her auf ihren Körper schien und das eintönige
+dunkle Grau ihrer Erscheinung in hellere Umrisse legte.
+Da ihr Haar gelöst war, sah ihr Haupt in dieser Beleuchtung
+ungewöhnlich groß aus, es ruhte fast unförmig,
+wie ein Tierkopf, auf den schmalen, lieblichen Schultern.
+Von ihnen abwärts sanken die Linien der hängenden
+Arme gerade nieder, von bleichem Licht eingerahmt, regungslos
+und doch von eindringlicher Lebendigkeit. Fridlin
+erkannte lange nicht, worauf ihre Blicke gerichtet waren,
+bis er, erstarrend vor Entsetzen, gewahr wurde, daß sie
+ihn ansah.</p>
+
+<p>Ihn befiel der Zweifel, ob er jemals von diesem Wesen
+etwas gewollt hatte, das dort hockte und ihn mit seinen
+Blicken beherrschte. Was war von ihr seiner armen
+Menschenhoffnung verbunden gewesen? Im Fieber durchmaß
+sein Geist die Wegstrecke seines Lebens, die von der
+ersten Begegnung im Sommergrün am Gurdelbach bis
+zu diesem nächtlichen Waldplatz führte. Seine Sinne
+trieben ihn durch ein Chaos von unklaren Vorstellungen<a class="pagenum" name="Page_165" title="165"></a>
+dahin, wie aufgescheuchte Vögel durch staubigen Wind
+getrieben werden, der ein herannahendes Ungewitter verkündet.
+Mit einer übergroßen Ermüdung zugleich befiel
+ihn eine Kindertraurigkeit, so daß er hätte still und in
+Rührung über sich selbst vor sich hinweinen können. Er
+sagte laut:</p>
+
+<p>»Ich bin unschuldig.«</p>
+
+<p>Da erhob Anje sich rasch, es erschien deutlich so, als
+ob sie es in einem fröhlichen Eifer täte; jetzt war sie es
+wieder selbst, wie ehedem, Fridlin erkannte sie besser, als
+sie nun auf ihn zukam und mit der Hand die Zweige der
+Sträucher zur Seite bog. Sie legte ihm den Arm um
+den Nacken, so daß er im höchsten Erstaunen seinen Kopf
+etwas zurückbiegen mußte, um sie ansehen zu können. Sein
+Mund öffnete sich etwas, und seine aufgerissenen Augen
+starrten in Anjes bleiches Gesicht. Sie schmiegte ihren
+Körper leicht an den seinen, so daß ihn ein rätselhafter
+Schauer für einen Augenblick aus seinem Erstaunen zog,
+er empfand die weiche Schmiegsamkeit dieses Körpers und
+einen Hauch, dem Geruch welkender Blumen vergleichbar,
+der aus ihrem offenen Haar stieg. Dann sah er ihren<a class="pagenum" name="Page_166" title="166"></a>
+Mund, der mit geöffneten Lippen in einer wehmütigen
+Verzerrung lächelte, und begriff, wie durch einen lauten
+Zuruf gewarnt, seinen Tod.</p>
+
+<p>In der jähen abwehrenden Bewegung, die er mit einem
+leidenschaftlichen Ruck machte, traf es ihn. Er sah noch,
+daß Anjes Kopf durch sein Aufschrecken zurückgeworfen
+wurde und hatte die Empfindung, als hätte ihre kleine
+Faust fest und aufgeregt in der Nähe des Herzens gegen
+seine Brust geschlagen. Erst beim nächsten Atemzug begriff
+er, was ihm geschehen war und sah hinab: merkwürdig
+plump und unwirklich hockte der Griff des Jagdmessers
+ihm aufrecht am Rock, und nun ergriff es eisig das Herz
+seines Lebens, zog ihn in einen süßlichen Taumel von
+Ohnmacht hinein und schmerzvoll zu Boden nieder. Er
+starb rasch, weil sein Herz durchstochen war, und unter
+Anjes Augen, einen betroffenen Widerspruch und eine
+Frage in seinem übermüdeten Gesicht, ohne die Qual des
+Todes im Bewußtsein gekostet zu haben. &ndash;</p>
+
+<p>Der Mond sank tiefer herab, und die Waldungen der
+Einöde umdunkelten sich mehr und mehr. Der Wind
+trieb nasse Nebelschwaden aus den Gründen der Sümpfe<a class="pagenum" name="Page_167" title="167"></a>
+in die Lichtung, jene Dünste, die den beklemmenden Geruch
+wie von Teer und alter Erdnässe mit sich bringen,
+wie sie dem späten Herbstland entsteigen. Nur die schweren
+Umrisse der Baumgruppen, die den Augen am nächsten
+waren, blieben noch eine Weile kenntlich, während
+schon nach einer kleinen Entfernung die fahlen Nachtschleier
+alles in der einförmigen Ebene in eine unerforschliche
+Ausgeglichenheit betteten. Die kreisende Erde setzte
+unermüdlich ihre Reise fort, mit den toten, den lebendigen
+und den heraufdrängenden Wesen der Natur.</p>
+
+<hr />
+<h2><a class="pagenum" name="Page_168" title="168"></a><a name="Vierzehntes_Kapitel" id="Vierzehntes_Kapitel">Vierzehntes
+Kapitel</a></h2>
+
+<p>Zwei Tage nach diesen Ereignissen erhielt das Forsthaus
+der Dachenau einen ungewöhnlichen Besuch; es war
+Hirte, der in einem traurigen Zustand vor der Gartentür
+anlangte und hineinzukommen versuchte. Die Jagdhunde
+des Försters erschwerten ihm sein Vorhaben nach Kräften
+und im besten Glauben, ihren Verpflichtungen nachzukommen,
+so daß Hirte gezwungen war, sich bis zur Ankunft
+eines Menschen im Gebüsch zu verbergen, wo er sich
+in das welke Laub legte und wartete. Er leckte den weißen
+Reif von den braunen, gekrümmten Blättern, weil er
+durstig war, und zitterte vor Hunger und Kälte, denn in
+dieser Nacht waren die ersten Fröste niedergegangen, und
+schon den ganzen Morgen über rauschte, wie ein bunter
+Regen, überall das Laubwerk zu Boden.</p>
+
+<p>Als der Förster erschien, wagte Hirte sich aus seinem<a class="pagenum" name="Page_169" title="169"></a>
+Versteck hervor, und wie er es erhofft hatte, wurden die
+beiden Jagdhunde sogleich zurückgerufen, als sie ihn durch
+ihren Zorn verrieten. Der Förster trat hinzu und zog die
+Brauen hoch, als seine Blicke über den armen Hirte hinglitten,
+dessen Zustand bejammernswert war. Er schien
+sich kaum auf den Beinen halten zu können, und sein
+nasses ruppiges Fell sah aus, als ob es zerfetzt und durchlöchert
+wäre. Aber Hirte schämte sich seines Zustands
+nicht, er nahm auch keine Nahrung an, obgleich er so von
+Kräften war, daß ihm das Laufen Mühe machte. Er
+war glücklich, einen Menschen gefunden zu haben, und
+mit seinen nachdenklichen Augen, die nie anders als traurig
+dreinschauen konnten, lief er ein Stückchen in den Wald,
+kehrte um, suchte die Blicke des Försters und verschwand
+wieder im Wald.</p>
+
+<p>Da nahm der alte Mann mit ernstem Gesicht seine
+Jagdbüchse über die Schulter, schloß seine eigenen Hunde
+im Hofe an und folgte Hirte. Auf dem langen Weg, der
+bald durch unsicheres Gelände, bald durch Wald und
+Erlendickicht führte, überkam den Förster eine immer
+größere Besorgnis, die sich langsam zur Angst steigerte,<a class="pagenum" name="Page_170" title="170"></a>
+je unermüdlicher Hirte zur Eile anzutreiben schien. Das
+häßliche Tier, dessen Eifer mit seiner letzten Körperkraft
+rang, rührte ihn so tief, daß er mit einer ganz ungewohnten
+Bewegung kämpfte. Als der Hund wieder bei ihm
+anlangte, beugte er sich nieder und klopfte liebevoll den
+mageren Rücken und streichelte den unschönen Kopf, der
+seine Gedanken nicht verraten konnte und unter dem ein
+Herz aus verborgenen Gründen her ein unerforschbares
+Liebeslicht in die matten Augen schickte. Sie hatten nun
+die alte Landstraße längst überschritten.</p>
+
+<p>»Hirte,« sagte er, »Hirte, was ist denn geschehen?«</p>
+
+<p>Das Tier entzog sich seiner Liebkosung ohne Erkenntlichkeit
+und eilte wieder voraus. Oft, wenn ein Hindernis
+dem Alten den Weg erschwerte, stand Hirte drüben und
+sah aufmerksam <ins title="zu">zu.</ins> Er bändigte seine Ungeduld,
+und es
+erschien fast, als riete er zur Vorsicht.</p>
+
+<p>Der Förster wußte, daß Fridlin nun schon die zweite
+Nacht nicht in die Dachenau zurückgekehrt war, und
+wenn er nicht erbittert auf den jungen Menschen gewesen
+wäre, so hätte er sicher Nachforschungen anstellen lassen.
+Vor ihm verschwand Hirte in einer Lichtung zwischen<a class="pagenum" name="Page_171" title="171"></a>
+Himbeerbüschen und kam nicht mehr zurück. Der Alte
+schüttelte den Kopf und stolperte eilig über den unebenen
+Grund voran, dieser Ort lag wohl eine Stunde von
+Geroms Blockhaus entfernt. Da sah er die großen,
+dunklen Flecke durch das Gezweig, zwei, drei, und
+zwischen ihnen bewegte sich der braune Hirte, um sich
+dann niederzulegen.</p>
+
+<p>Der alte Mann reckte die Arme gegen das Bild aus,
+das sich ihm darbot. »In meinen alten Tagen soll ich
+es sehen &hellip;«, stammelte er und stand still da, als wäre
+die unbeschreibliche Erstarrung auch über ihn gekommen,
+die über den stillen Menschen vor ihm lag. Aus einem
+Busch, dicht zu seiner Seite, sahen ihn trüb und hell die
+gebrochenen Augen seines jungen Gehilfen aus einem
+weißen Gesicht an. Der Kopf war zurückgeworfen und
+hatte keinen Halt, er hing leblos nieder, mit Reif auf der
+Stirn, und diese ihres Lebens beraubten Augen spiegelten
+den großen leeren Himmel, der sich grau und kalt, wie
+eine letzte Hoffnung, über der verlassenen Erde ausspannte.
+Aus der Brust des Toten starrte der Knauf eines Jagdmessers,
+der aus Hirschhorn geschnitzt war, und rätselhaft<a class="pagenum" name="Page_172" title="172"></a>
+zärtlich ruhte die erkaltete Hand daneben, wie die blutlosen
+Hände der Märtyrer in Verzücktheit das erleuchtete Herz
+der Brust zu schützen scheinen.</p>
+
+<p>Dem Toten gegenüber erkannte er die derbe Gestalt des
+Einsiedlers Gerom an dem großen grauen Bart, der die
+halbe Brust verdeckte. Auch Gerom war tot, seine Augen
+waren geschlossen, und der Reif der Nacht glitzerte auf
+den Lidern, wie er auf den Halmen und Steinen umher
+und auf den welken Blättern glitzerte. An seine Seite
+geschmiegt lag sein Kind. Anjes Arm war von unten her
+um den Hals ihres Vaters geschlungen, so daß sein Haupt
+an ihrer Schulter ruhte, und sie hatte ihre Wange an
+seine gepreßt. In einer Gebärde von Frömmigkeit, die
+hilflos und unaussprechlich liebreich war, war ihr nur
+dürftig bekleideter Körper an den seinen angedrückt, sie
+deckte ihn spärlich mit ihren zarten Gliedern, und der Ausdruck
+ihres Gesichts war von abweisender Bitterkeit.</p>
+
+<p>Da sah der Förster, der sich bisher nicht zu rühren gewagt
+hatte, daß ein kaum spürbarer, feiner Hauch aus
+ihrem Mund in die kalte Morgenluft emporstieg, und
+von wilder Freude und Angst emporgerissen, stieß er einen<a class="pagenum" name="Page_173" title="173"></a>
+rauhen Schrei aus, der so unbeherrscht war wie sein jäher
+Sprung zu den Beiden hinüber.</p>
+
+<p>»Kleine!« rief er. »Anje! Anjekind!«</p>
+
+<p>Sie rührte sich nicht. Es erschien ihm nur, als ob ihr
+Arm, der den Vater hielt, eine schwache Regung zeigte,
+in der er sich fester um den erstarrten Hals legte. Da
+warf der Zitternde seinen groben Rock ab, riß sein Tuch
+vom Hals und hob das Mädchen behutsam vom nassen
+Boden auf. Er schien alles andere um sich her vergessen
+zu haben, und das Grauen, das von den Toten ausging,
+berührte ihn nicht mehr, vor Freude bebend hüllte er Anje
+in das derbe Tuch seines Rocks. Wie kühl und leicht ihr
+schlanker Körper war. Seine Augen gingen ihm vor Erbarmen
+über, als er die erstarrten Glieder des Kindes an
+ihren leblosen Körper legte. So hob er sie auf seine Arme
+und eilte mit großen Schritten davon, seine Last so fest
+an sich pressend, wie ihre zarte Gestalt es ihm zu erlauben
+schien, und den warmen Hauch seines Mundes auf dem
+nassen bleichen Angesicht an seiner Brust.</p>
+
+<p>So sah er im Davoneilen nicht, daß Hirte sich erhob
+und Miene machte, ihm zu folgen, aber er hatte nicht die<a class="pagenum" name="Page_174" title="174"></a>
+Kraft dazu. Er machte ein paar Schritte, zögerte und
+sah den Beiden nach, die bald zwischen den Baumstämmen
+verschwunden waren. Die braunen Augen unter den
+Stirnfalten sahen Anje nach, solange er noch eine Bewegung
+in der Ferne wahrnahm, dann kehrte er um, legte
+sich neben Gerom auf den Boden, den großen Kopf auf
+den Vorderfüßen, und schloß die Augen.</p>
+
+<hr />
+<p>Anje hatte von aller Fürsorge der erschütterten Menschen,
+die sie in ihr Haus aufnahmen, nichts empfunden. Die
+beiden kalten Nächte und ein langer, grauer Tag, die sie
+wie in einem Zustand der Betäubung mit ihren Schmerzen
+zugebracht hatte, waren stärker gewesen als der ohnmächtige
+Widerstand ihrer Seele, die keine andere menschliche
+Zuflucht kannte als das Herz ihres Vaters. &ndash;</p>
+
+<p>Nun erwachte sie in der ruhigen Nacht und schlug
+ihre Augen auf. Sie erblickte ein großes, fremdes Zimmer,
+das in sanftem Licht erglänzte, aber sie erkannte nicht, daß
+es Licht vom Mond war. Sie lag in einem breiten Bett,
+dessen Leinen duftete, und man hatte ihr ein weißes Kleid
+angezogen, das ihr kühl und schwer erschien, aber so rein<a class="pagenum" name="Page_175" title="175"></a>
+wie Schnee. Alles umher, wie auch der Atem ihrer Brust,
+war unendlich leicht und frei, sie glaubte zu träumen und
+versuchte sich zu besinnen. Aber durch ihr Gemüt zog nur
+der geheimnisvolle Beginn ihres kleinen Buchs, als erinnerte
+ihre Hoffnung sich. »Um das weiße Schloß flogen
+in der Abendsonne die Schwalben, es lag auf ebenem Gefilde,
+frei im weiten Land &hellip;«</p>
+
+<p>Durch das unverhangene Fenster sank der Mondschein
+so hell in den stillen Raum, daß Anje an der Wand zwei
+Bilder erkannte, die Begebnisse auf der Jagd darstellten,
+eilende Menschen, gefleckte Hunde und einen sinkenden
+Hirsch, der am Rande des Wassers in die Knie gebrochen
+war. Dazwischen hing das Bildwerk eines Mannes, der
+mit ausgebreiteten Armen an zwei Balken schwebte, die
+ein Kreuz bildeten, sein Kopf hing zwischen den Schultern
+herab und trug einen rauhen Kranz, der seine Stirn verwundet
+hatte. Anje versuchte sich aufzurichten, aber auch
+so erkannte sie mit Erschrecken, daß die Hände und Füße
+des Mannes mit Nägeln an das Holz geschlagen waren.
+Das Blut troff dunkel daran nieder, und sein gemarterter
+Leib wand sich, wie in großen Schmerzen, zur Seite.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_176" title="176"></a>Anje begriff nicht, was dies Bildnis großer Menschengrausamkeit
+in diesem Raum bedeuten sollte, ein kaltes
+Entsetzen schüttelte sie barmherzig in ihr Fieber zurück, aus
+dem sie kaum erwacht war, und die aus einem finsteren
+Reich auftauchende Ahnung an eine große Traurigkeit,
+die sie nicht hatte ertragen können. Ihre Sinne versanken
+aufs neue in die Dämmerung des Schlafs, und lautlos
+brach die gnädige Nacht über sie herein.</p>
+
+<p>Aber es träumte sie, daß die Tür sich öffnete und Onne
+über die Schwelle trat, um sie zu fragen, ob sie in den
+Wald zurückwollte. Sie sprang jubelnd auf, und der
+Sonnenschein begegnete ihnen, das Glitzern des Morgens
+an den Pflanzen und das Rauschen der Bäume im Wind.
+Mit seligem Eifer eilte sie voran, der blaue Himmel erstrahlte
+im grünen Waldfrieden, und das Wasser des
+Gurdelbachs zog, bald feierlich, bald leise plätschernd, über
+dunklen Grund. Am Ufer schaukelte das Schilf, von
+dessen geneigten Blättern die Libellen sich in die durchschienene
+Luft erhoben, und der Kuckuck rief aus den Birkengründen.
+Sie trug wieder ihren grauen Kittel, und die
+warme Herrlichkeit ihrer Kinderfreiheit umfing sie.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_177" title="177"></a>Aber da sank, wie eine uralte Erinnerung der Erde,
+die Liebesangst in ihr Herz, sie wandte sich an Onne und
+fragte schüchtern:</p>
+
+<p>»Führst du mich zum Vater?«</p>
+
+<p>Onne erhob ihren Stock und neigte sich ein wenig vor,
+und auch Anje senkte den Kopf und lauschte, denn sie fühlte,
+daß etwas geschehen sollte. Da vernahm sie aus der Ferne
+die Axtschläge ihres Vaters im Wald, und warf jauchzend
+ihre Arme empor. Sie stürmte ihrem Vater durch die
+grüne Sonnenherrlichkeit entgegen.</p>
+
+<p>Als die besorgten Menschen mit dem hereinbrechenden
+Tag in das Zimmer kamen, in welchem Anje schlief, war
+das Kind gestorben. Auf seinem Angesicht lag ein Lächeln
+von solcher Glückseligkeit, daß alle, die es sahen, hinausgingen
+und weinten.</p>
+
+<p class="judge">Ende</p>
+
+<table border="1" cellspacing="0" summary="Advertisement 1">
+ <tbody>
+ <tr>
+ <td>
+ <p class="center">Im Verlag von Schuster &amp; Loeffler in Berlin
+erschien von</p>
+ <p class="subtitle">Waldemar Bonsels:</p>
+ <p class="emphasize">Die Biene Maja und ihre Abenteuer</p>
+ <p class="center">Ein Roman für Kinder</p>
+ <p class="center">Neunzigste Auflage</p>
+ <p class="center">Preis M. 3.&mdash; brosch., M. 4.50 geb.</p>
+ <p class="judge">Urteil der Presse:</p>
+ <p> Wir haben seit den Meistern deutscher Märchenkunst kaum
+wieder ein Buch empfangen, das die große Aufgabe eines Kinderbuchs
+bewältigt, den Alten eine Quelle des Humors zu sein und den Kindern
+eine Welt tiefen Ernstes und unschuldiger Freude. Aus diesem Buch
+strahlt das Herz eines Dichters, der sich in seiner Beschränkung als
+Meister erweist, dem sein Los in diesem Werk wahrhaft aufs Liebliche
+gefallen ist. Gebt dieses Buch euren Kindern, es ist ein herrliches
+Buch.</p>
+ <p class="source">Die deutsche Frau, Berlin.</p>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td>
+ <p class="subtitle">Waldemar Bonsels:</p>
+ <p class="emphasize">Himmelsvolk</p>
+ <p class="center">Ein Buch von Blumen, Tieren und Gott</p>
+ <p class="center">Siebzigste Auflage</p>
+ <p class="center">Preis M. 3.50 brosch., M. 5.&mdash; geb.</p>
+ <p class="judge">Urteil der Presse:</p>
+ <p>Wie Waldemar Bonsels erzählt, das muß man selbst genießen,
+selbst mit durchleben, muß bewundern, wie dieses Dichterauge Erde und
+Gestirne, Wolken und Wasser, Pflanze, Tier und Mensch mit einem Blick
+durchdringt, der den Grund aller Dinge, allen Erlebens, aller Seelen
+sieht, muß dieses völlige Einssein mit Gott, diese Helligkeit, Güte und
+Liebe miterleben, die das Buch füllt, und die den durchziehen wird, der
+das Buch liest. &ndash; Am Ende dieses Buches stehen die Worte eines Sehers:
+»Wir müssen alle das Lächeln wieder lernen, das unseren kurzen
+Lebenstagen und ihrem vergänglichen Werk und Schmerz gilt. Wir sind
+alle aus der Freude geboren und kehren zu ihr zurück.«</p>
+ <p class="source">Frankfurter Zeitung, Frankfurt a. M.</p>
+ </td>
+ </tr>
+ </tbody>
+</table>
+
+<table border="1" cellspacing="0" summary="Advertisement 2">
+
+ <tbody>
+ <tr>
+ <td>
+ <p class="center">Im gleichen Verlag erschien ferner von</p>
+ <p class="subtitle">Waldemar Bonsels:</p>
+ <p class="emphasize">Wartalun</p>
+ <p class="center">Eine Schloßgeschichte &ndash; Siebzehnte Auflage</p>
+ <p class="center">Preis M. 5.&mdash; brosch., M. 6.50 geb.</p>
+ <p class="judge">Urteil der Presse:</p>
+ <p>Unter Waldemar Bonsels' immer kunstreichen Romanen ist
+»Wartalun« ein herrlich großes Lebensgemälde voll hinreißender
+Schönheit und voll tiefster, formzeugender Anschauung des
+Ewig-Menschlichen.</p>
+ <p class="source">Hessische Landeszeitung, Darmstadt.</p>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td>
+ <p class="subtitle">Waldemar Bonsels:</p>
+ <p class="emphasize">Der tiefste Traum</p>
+ <p class="center">Eine Erzählung &ndash; Siebzehnte Auflage</p>
+ <p class="center">Preis M. 3.&mdash; brosch., M. 4.50 geb.</p>
+ <p class="judge">Urteil der Presse:</p>
+ <p>Ein Stimmungszauber geht von dem Buche aus, der die Sinne mit
+lockender Gewalt zur innigsten Anteilnahme zwingt. Der eigenartige
+Zauber liegt auf der rein menschlichen Seite des tiefen Problems, und
+die ganze Entwicklung der beiden Charaktere ist einzig darauf
+gerichtet, alles in eine ungemein vertiefte und goldgeklärte Harmonie
+ausklingen zu lassen.</p>
+ <p class="source">Generalanzeiger für Elberfeld.</p>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td>
+ <p class="subtitle">Waldemar Bonsels:</p>
+ <p class="emphasize">Die Heimat des Todes</p>
+ <p class="center">Empfindsame Kriegsberichte</p>
+ <p class="center">Neunte Auflage</p>
+ <p class="center">Preis M. 3.&mdash; brosch., M. 4.50 geb.</p>
+ <p class="judge">Urteil der Presse:</p>
+ <p>Das Buch schrieb ein Dichter, der damit unseren betrübten
+Tagen ein so schönes Licht entzündete, daß man an Gleichnisse und
+Seligpreisungen der Heiligen Schrift gemahnt wird. »Die Heimat des
+Todes« könnte wohl zu den wenigen Schriften zählen, die in späteren
+Zeiten eine Spur von dem tieferen Wesen unserer Kämpfe und Leiden zu
+tragen bestimmt sind. Denn das Buch schrieb ein Dichter, dem die Gabe
+verliehen ist, in das Zwielicht unserer persönlichen Anteilnahme mit
+einem Strahl ewigen Lichts zu leuchten.</p>
+ <p class="source">Die Rheinlande, Düsseldorf.</p>
+ </td>
+ </tr>
+ </tbody>
+</table>
+
+<table border="1" cellspacing="0" summary="Advertisement 3">
+ <tbody>
+ <tr>
+ <td>
+ <p class="center">Im Verlag von Rütten &amp; Loening, Frankfurt a. M., erschien ferner von</p>
+ <p class="subtitle">Waldemar Bonsels:</p>
+ <p class="emphasize">Indienfahrt</p>
+ <p class="center">Dreißigstes Tausend</p>
+ <p class="center">Preis M. 5.&mdash; brosch., M. 7.&mdash; geb.</p>
+ <p class="judge">Urteile der Presse:</p>
+ <p>Ich gestehe offen, daß mir noch niemals ein so
+formvollendetes, künstlerisch durchdachtes und von Schönheit
+überquellendes Buch unter die Augen gekommen ist.</p>
+ <p class="source">Der Bund, Bern.</p>
+ <p>Waldemar Bonsels' Buch ist nicht nur das schönste, das ich je
+über Indien gelesen habe, auch ohne Rücksicht auf den Gegenstand muß
+ich es zu den wenigen großen Kunstwerken der Literatur der Gegenwart
+zählen, die an sich vollkommen sind. In meiner tiefen Ergriffenheit
+möchte ich auf dieses Buch alle die Lobsprüche häufen, wie sie
+schlagwortartig bei Anerkennungen wiederkehren. Nach Jahren erst hat
+Bonsels seine reichen, in der Zeit kaum bemessenen Eindrücke gestaltet,
+ein großes Kunstwerk entstand, von wundervollem Aufbau der sich
+entschleiernden Wunder Indiens. Ich kannte diesen großen Dichter kaum,
+auf den das deutsche Volk gerade inmitten seiner heldenhaften Not stolz
+sein darf und von dem es Außerordentliches für die Befreiung seiner
+seelischen Zukunft erwartet.</p>
+ <p class="source">Die Hilfe, Berlin.</p>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td>
+ <p class="subtitle">Waldemar Bonsels:</p>
+ <p class="emphasize">Menschenwege</p>
+ <p class="center">Aus den Notizen eines Vagabunden</p>
+ <p class="center">Achtzehntes Tausend</p>
+ <p class="center">Preis M. 5.&mdash; brosch., M. 7.&mdash; geb.</p>
+ <p class="judge">Urteil der Presse:</p>
+ <p>Der Dichter stellt in diesem Buch die natürliche Freiheit
+eines von jedem Stand und jedem gesellschaftlichen Zwang befreiten
+Menschen gegen die ganze Befangenheit der Gesellschaft. Der Vagabund
+ist ein Landstreicher aus freiem Willen, er will durch nichts gelten
+als durch die Kraft eines echten Gemütes, und er sucht Gott im
+Menschen. Dieser Vagabund ist die Verkörperung der Sehnsucht der neuen
+Jugend. Wie alle Werke von Waldemar Bonsels ist auch dieses neueste ein
+Meisterwerk künstlerischer Form, in einer Sprache geschrieben, deren
+kraftvolle Schönheit jeder Regung der Seele folgt, und die durch den
+unerschöpflichen Reichtum der Bilder die Landschaften seiner Gedanken
+mit der Anmut und Lieblichkeit, mit dem Ernst und der Macht einer
+wahrhaft sittlichen Forderung erfüllt.</p>
+ <p class="source">Hannoverscher Courier.</p>
+ </td>
+ </tr>
+ </tbody>
+</table>
+
+
+
+
+
+
+
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Das Anjekind, by Waldemar Bonsels
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS ANJEKIND ***
+
+***** This file should be named 34265-h.htm or 34265-h.zip *****
+This and all associated files of various formats will be found in:
+ http://www.gutenberg.org/3/4/2/6/34265/
+
+Produced by Norbert H. Langkau, Peter Simon and the Online
+Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
+
+
+Updated editions will replace the previous one--the old editions
+will be renamed.
+
+Creating the works from public domain print editions means that no
+one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
+(and you!) can copy and distribute it in the United States without
+permission and without paying copyright royalties. Special rules,
+set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
+copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
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+Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
+charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you
+do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
+rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose
+such as creation of derivative works, reports, performances and
+research. They may be modified and printed and given away--you may do
+practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is
+subject to the trademark license, especially commercial
+redistribution.
+
+
+
+*** START: FULL LICENSE ***
+
+THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
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+
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+Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
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+
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+electronic works
+
+1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
+electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
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+all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
+If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
+Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
+terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
+entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.
+
+1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
+used on or associated in any way with an electronic work by people who
+agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
+individual work is in the public domain in the United States and you are
+located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
+copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
+works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
+are removed. Of course, we hope that you will support the Project
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+ the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
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+ has agreed to donate royalties under this paragraph to the
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+ must be paid within 60 days following each date on which you
+ prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
+ returns. Royalty payments should be clearly marked as such and
+ sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
+ address specified in Section 4, "Information about donations to
+ the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
+
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+ does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
+ License. You must require such a user to return or
+ destroy all copies of the works possessed in a physical medium
+ and discontinue all use of and all access to other copies of
+ Project Gutenberg-tm works.
+
+- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
+ money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
+ electronic work is discovered and reported to you within 90 days
+ of receipt of the work.
+
+- You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg-tm works.
+
+1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
+electronic work or group of works on different terms than are set
+forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
+both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
+Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the
+Foundation as set forth in Section 3 below.
+
+1.F.
+
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+receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy
+is also defective, you may demand a refund in writing without further
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+
+1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
+WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
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+warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
+If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
+law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
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+provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
+
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+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
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+harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
+that arise directly or indirectly from any of the following which you do
+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at http://pglaf.org
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit http://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations.
+To donate, please visit: http://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
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+
+
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+
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+
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+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
+
+
+</pre>
+
+</body>
+
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