summaryrefslogtreecommitdiff
diff options
context:
space:
mode:
-rw-r--r--.gitattributes3
-rw-r--r--36488-0.txt3318
-rw-r--r--36488-0.zipbin0 -> 58281 bytes
-rw-r--r--36488-8.txt3318
-rw-r--r--36488-8.zipbin0 -> 57887 bytes
-rw-r--r--36488-h.zipbin0 -> 253314 bytes
-rw-r--r--36488-h/36488-h.htm3966
-rw-r--r--36488-h/images/cover.jpgbin0 -> 207784 bytes
-rw-r--r--36488-h/images/logo.pngbin0 -> 6045 bytes
-rw-r--r--36488-page-images.zipbin0 -> 10369321 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/c0001.jpgbin0 -> 5686701 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/f0001-image.pngbin0 -> 380003 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/f0001.pngbin0 -> 11856 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/f0002-blank.pngbin0 -> 1319 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0003.pngbin0 -> 71499 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0004.pngbin0 -> 75658 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0005.pngbin0 -> 66255 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0006.pngbin0 -> 68209 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0007.pngbin0 -> 63180 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0008.pngbin0 -> 67864 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0009.pngbin0 -> 61428 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0010.pngbin0 -> 63201 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0011.pngbin0 -> 57002 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0012.pngbin0 -> 73074 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0013.pngbin0 -> 70137 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0014.pngbin0 -> 69068 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0015.pngbin0 -> 62805 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0016.pngbin0 -> 59133 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0017.pngbin0 -> 61109 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0018.pngbin0 -> 62929 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0019.pngbin0 -> 65914 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0020.pngbin0 -> 69535 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0021.pngbin0 -> 72523 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0022.pngbin0 -> 66526 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0023.pngbin0 -> 58390 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0024.pngbin0 -> 71185 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0025.pngbin0 -> 69930 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0026.pngbin0 -> 73728 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0027.pngbin0 -> 59568 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0028.pngbin0 -> 74226 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0029.pngbin0 -> 63477 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0030.pngbin0 -> 75775 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0031.pngbin0 -> 73574 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0032.pngbin0 -> 73062 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0033.pngbin0 -> 72497 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0034.pngbin0 -> 62320 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0035.pngbin0 -> 65284 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0036.pngbin0 -> 72621 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0037.pngbin0 -> 71892 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0038.pngbin0 -> 66864 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0039.pngbin0 -> 71720 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0040.pngbin0 -> 55483 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0041.pngbin0 -> 60103 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0042.pngbin0 -> 58507 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0043.pngbin0 -> 52233 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0044.pngbin0 -> 51974 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0045.pngbin0 -> 65602 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0046.pngbin0 -> 62118 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0047.pngbin0 -> 61931 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0048.pngbin0 -> 67095 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0049.pngbin0 -> 58423 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0050.pngbin0 -> 51090 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0051.pngbin0 -> 71307 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0052.pngbin0 -> 69397 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0053.pngbin0 -> 68123 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0054.pngbin0 -> 64884 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0055.pngbin0 -> 68030 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0056.pngbin0 -> 66780 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0057.pngbin0 -> 63516 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0058.pngbin0 -> 65730 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0059.pngbin0 -> 62735 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0060.pngbin0 -> 65104 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0061.pngbin0 -> 69373 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0062.pngbin0 -> 70892 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0063.pngbin0 -> 68209 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0064.pngbin0 -> 67148 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0065.pngbin0 -> 69875 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0066.pngbin0 -> 63982 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0067.pngbin0 -> 75722 bytes
-rw-r--r--36488-page-images/p0068.pngbin0 -> 26027 bytes
-rw-r--r--LICENSE.txt11
-rw-r--r--README.md2
82 files changed, 10618 insertions, 0 deletions
diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes
new file mode 100644
index 0000000..6833f05
--- /dev/null
+++ b/.gitattributes
@@ -0,0 +1,3 @@
+* text=auto
+*.txt text
+*.md text
diff --git a/36488-0.txt b/36488-0.txt
new file mode 100644
index 0000000..4f59eea
--- /dev/null
+++ b/36488-0.txt
@@ -0,0 +1,3318 @@
+The Project Gutenberg EBook of Jüdische Geschichten, by Jizchok Lejb Perez
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Jüdische Geschichten
+
+Author: Jizchok Lejb Perez
+
+Translator: Alexander Eliasberg
+
+Release Date: June 21, 2011 [EBook #36488]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JÜDISCHE GESCHICHTEN ***
+
+
+
+
+Produced by Norbert H. Langkau, Jana Srna and the Online
+Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
+
+
+
+
+
+
+ [ Anmerkungen zur Transkription:
+
+ Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen;
+ lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Eine Liste
+ der vorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes.
+
+ Im Original gesperrt gedruckter Text wurde mit = markiert.
+ Im Original in Antiqua gedruckter Text wurde mit _ markiert.
+ ]
+
+
+
+
+ Jüdische Geschichten
+
+
+ Von
+ Jizchok Lejb Perez
+
+
+ Aus dem Jidischen
+ übertragen von
+ Alexander Eliasberg
+
+ Im Insel-Verlag / Leipzig
+
+
+
+
+Ein Zwiegespräch
+
+
+An einem Frühlingstage, einem richtigen warmen Pessachtage, gehen Reb
+Schachno, ein langer, magerer Jude, der letzte Überrest der alten Kozker
+Chassidim-Gemeinde, und Reb Sorach, ein ebenso magerer, doch
+kleingewachsener Jude, der letzte lebende Vertreter der alten Belzer(1)
+Gemeinde, vor der Stadt spazieren. In ihren jüngeren Jahren waren sie
+Feinde auf Tod und Leben, denn Reb Schachno war der Anführer der Kozker
+gegen die Belzer, und Reb Sorach der Anführer der Belzer gegen die
+Kozker. Doch jetzt, wo sie beide alt geworden sind und die Kozker nicht
+mehr das sind, was sie früher waren, ebenso wie auch die Belzer ihr
+früheres Feuer verloren haben, sind sie aus den Parteien ausgetreten und
+haben die Führerschaft jüngeren Leuten überlassen, die in Glaubenssachen
+schwächer, sonst aber rüstiger sind als sie.
+
+ (1) Kozk: Städtchen in Russisch-Polen; Belz: Städtchen in Galizien. An
+ beiden Orten gab es berühmte Chassidim-Gemeinden, die sich heftig
+ befehdeten.
+
+An einem Wintertage, an der Ofenbank im Bethause haben sie Frieden
+geschlossen, und nun gehen sie am dritten Pessachfeiertage spazieren. Am
+weiten, blauen Himmel strahlt die Sonne, aus der Erde sprießen überall
+Halme, und man kann beinahe sehen, wie bei jedem Grashalme ein Engel
+steht und ihn zur Eile antreibt. Vögel schießen durch die Luft auf der
+Suche nach den vorjährigen Nestern. Und Reb Schachno sagt zu Reb Sorach:
+
+»Die Kozker Chassidim, die richtigen Kozker von altem Schrot und Korn --
+von den heutigen Kozkern spreche ich nicht! -- hielten nicht viel von
+der Haggodo(2) ...«
+
+ (2) Haggodo: die Geschichte des Auszuges der Juden aus Ägypten, die an
+ den beiden ersten Pessachabenden bei der Tafel verlesen wird.
+
+»Doch um so mehr von den Mazzeknödeln!« lächelt Reb Sorach.
+
+»Lache nicht über die Knödel!« antwortet Reb Schachno sehr ernst. »Lache
+nicht! Du kennst doch die geheime Bedeutung des Bibelwortes: ›Du sollst
+den Knecht nicht seinem Herrn überantworten‹?«
+
+»Mir genügt es,« antwortet Reb Sorach stolz und überlegen, »daß ich die
+Verzückung des Gebets kenne.«
+
+Reb Schachno tut so, als ob er es nicht gehört hätte, und fährt fort:
+
+»Der offenbare Sinn der Worte ist doch klar: wenn ein Knecht, ein
+Diener, ein Leibeigener seinem Herrn entläuft, darf man ihn, nach dem
+Gebote der Thora, nicht einfangen; man darf ihn nicht binden und seinem
+Herrn zurückbringen. Denn wenn ein Mensch entlaufen ist, so konnte er es
+wohl nicht länger aushalten ... Es handelt sich also einfach um die
+Rettung einer Menschenseele! Und der verborgene Sinn dieser selben Worte
+ist ebenso einfach. Der Menschenleib ist ein Knecht, der Knecht der
+Seele! Der Leib ist ein Lüstling: sieht er ein Stück Schweinefleisch,
+oder eine fremde Frau, oder irgendeinen Götzendienst, oder ich weiß
+nicht was, -- so will er aus der Haut fahren. Doch die Seele wehrt es
+ihm und spricht: ›Du sollst nicht sündigen!‹ und er muß sich fügen.
+Ebenso umgekehrt: will die Seele irgendein göttliches Gebot erfüllen, so
+muß es der Leib für sie tun, und wenn er noch so müde und zerschlagen
+ist: die Hände müssen arbeiten, die Füße laufen, der Mund sprechen ...
+Warum? Weil es ihm sein Herr, das heißt die Seele, befohlen hat. Und
+dennoch heißt es: ›Du sollst den Knecht nicht seinem Herrn
+überantworten.‹ Man darf also den Leib nicht ganz an die Seele
+ausliefern: die flammende Seele würde ihn sonst zu Asche verbrennen, und
+hätte der Schöpfer Seelen ohne Leiber haben wollen, so hätte er
+überhaupt keine Welt erschaffen! Darum hat auch der Leib seine Rechte;
+es steht geschrieben: ›Wer zu viel fastet, ist Sünder‹; denn der Leib
+muß essen! Wer fahren will, muß seinen Gaul füttern. Kommt irgendein
+Feiertag, so freue auch du dich, Leib! Nimm einen Schluck Branntwein!
+Die Seele hat ihre Freude, und auch der Leib hat seine Freude: die Seele
+erfreut sich am Segensspruch, den man dabei sprechen muß, und der Leib
+-- am Branntwein selbst! Heut ist Pessach, das Fest der Erinnerung an
+unsere Befreiung aus Ägypten, -- komm her, Leib, da hast du einen
+Mazzeknödel! Und der Leib fühlt sich dadurch gehoben; denn er wird
+teilhaftig der wahren Freude, die in der Erfüllung eines göttlichen
+Gebots liegt ... Lache nicht über die Knödel, mein Lieber, lache nicht!«
+
+Reb Sorach muß gestehen, daß die Auslegung tief ist und sich hören
+lassen kann. Er ißt aber aus Prinzip keinerlei aus Mazzes hergestellte
+Speisen!
+
+»In diesem Falle hast du deine Freude an der trockenen Mazze selbst ...«
+
+»Wer hat genug Mazzes, um sich satt zu essen? Und wer hat noch Zähne, um
+sie zu beißen?«
+
+»Wie erfüllst du dann das Gebot: ›An deinen Festen sollst du dich
+freuen‹ in bezug auf den Leib?«
+
+»Weiß ich? Manchmal hat der Leib Freude an einem Schluck Rosinenwein ...
+Ich persönlich habe meine größte Freude an der Haggodo selbst. Ich sitze
+da, lese die Haggodo, zähle die ägyptischen Plagen auf, verdoppele sie
+und lese sie immer von neuem ...«
+
+»Du roher Kerl!«
+
+»Roher Kerl? Nach so vielen Verfolgungen, die das Volk Israel erlitten,
+nach so vielen Jahren der Verbannung der göttlichen Majestät aus ihrem
+Tempel? Ich meine, man hätte einführen sollen, daß die zehn Plagen
+siebenmal aufgezählt werden ... Daß das Gebet ›Ergieße deinen Zorn,
+Herr, auf die Völker, die dich nicht anbeten!‹ siebenmal gesprochen
+wird! Doch vor allen Dingen die ägyptischen Plagen -- die machen mir die
+größte Freude! Ich würde sie am liebsten bei offenen Türen und Fenstern
+aufzählen: sollen =sie= es nur hören! Was habe ich zu fürchten? Die
+heilige Sprache verstehen sie ja sowieso nicht!«
+
+Reb Schachno wird für eine Weile nachdenklich, und dann beginnt er wie
+folgt:
+
+»Ich will dir eine Geschichte erzählen, die bei uns passiert ist. Ich
+will nicht übertreiben -- etwa zehn Häuser vom Hause des gottseligen
+Rabbi entfernt wohnte ein Metzger. Ich will nicht mit dem Munde
+sündigen; denn der Mann ist schon längst auf jener Welt, -- aber der
+Metzger war ein roher Mensch, nun eben ein echter Metzger. Einen Nacken
+hatte er wie ein Stier, Augenbrauen wie Borsten und Hände wie Klötze.
+Und erst seine Stimme! Wenn er sprach, klang es wie ein ferner Donner
+oder wie wenn Soldaten schießen! Ich glaube sogar, er stammte aus
+Belz ...«
+
+»Na, na!« brummt Reb Sorach.
+
+»So wahr ich lebe!« erwidert Reb Schachno kaltblütig. »Zu beten pflegte
+er mit einer besonders wilden Stimme, mit allerlei Nebengeräuschen. Bei
+manchen Gebeten klang es, wie wenn man Wasser ins Feuer schüttet ...«
+
+»Das kannst du dir schenken!«
+
+»Nun stelle dir vor, was für einen Lärm es gibt, wenn sich so ein Kerl
+an den Pessachtisch setzt und die Haggodo liest! In der Wohnung des
+Rabbi hört man jedes Wort! Nun, ein Metzger ist eben ein Metzger. Alle
+Tischgenossen beim Rabbi lachen. Und selbst der Rabbi, seligen
+Angedenkens, bewegt leise die Lippen, und man sieht, daß er lächelt.
+Doch später, als der Bursche anfing, die Plagen aufzuzählen, als sie ihm
+aus dem Maule herausflogen wie Flintenkugeln, als er bei jeder Plage mit
+der Faust auf den Tisch hämmerte, so daß die Weinbecher klirrten, --
+wurde der Rabbi, sein Andenken sei gesegnet, sehr traurig ...«
+
+»Traurig? Am Feiertage, am heiligen Pessachfeste -- traurig? Was redest
+du da?«
+
+»Man fragte ihn auch nach der Ursache.«
+
+»Und was gab er für eine Antwort?«
+
+»Auch der Schöpfer der Welt, sagte er, ist beim Auszuge Israels aus
+Ägypten traurig gewesen.«
+
+»Wo hat er das her?«
+
+»Es steht in einem Midrasch! Als die Kinder Israels durch das Meer
+gezogen waren und das Meer zurückfloß und Pharao mit seinem ganzen Heere
+bedeckte und ertränkte, fingen die Engel zu singen an, die Seraphim
+flogen, und die Räder, auf denen Gottes Thron ruht, rollten durch alle
+sieben Himmel, jauchzend ob der guten Botschaft. Und die Gestirne und
+Sternenbilder fingen zu tanzen an! Du kannst dir denken, was für eine
+Freude es war, als es hieß: Die ganze Unreinheit ist ins Meer versunken!
+Doch der Schöpfer der Welt gebot allen Ruhe und sprach von seinem Throne
+herab: ›Meine Kinder ertrinken im Meere, und ihr singt und tanzt?‹ Denn
+Pharao und sein ganzes Heer und selbst alle Unreinheit -- sind Gottes
+Geschöpfe ... ›Und der Herr erbarmte sich seiner Schöpfung‹ -- so steht
+es geschrieben!«
+
+»Von mir aus ...«, seufzt Reb Sorach. Nach einer Weile fragt er:
+
+»Und wenn das schon in einem Midrasch steht, was hat da dein Rabbi Neues
+entdeckt?«
+
+Reb Schachno bleibt stehen und sagt sehr ernst:
+
+»Erstens, du Belzer Narr, ist niemand verpflichtet, neue Auslegungen zu
+geben: in der Thora gibt es nichts Neues und nichts Altes, das Neue ist
+alt, und das Alte neu. Zweitens wird damit erklärt, warum es Sitte ist,
+die ganze Haggodo mit einer traurigen Melodie zu singen. Und drittens
+verstehen wir jetzt den Vers: ›Israel soll sich nicht erfreuen nach der
+Art der anderen Völker.‹ Deine Freude soll nicht roh sein! Du bist doch
+kein Bauer! Rachlust ist kein jüdisch Ding!«
+
+
+
+
+Wenn nicht noch höher!
+
+
+Und der Rebbe von Nemirow pflegte alljährlich um die Selichoszeit(3)
+jeden Morgen zu verschwinden.
+
+ (3) Drei Tage vor dem Neujahrsfeste, an denen die Juden vor
+ Morgengrauen geweckt werden, um in den Bethäusern Selichos
+ (Bußpsalmen) zu beten.
+
+Er war nirgends zu finden: weder in der Schul, noch in den beiden
+Lehrhäusern, noch in einem der Betzirkel; und bei sich zu Hause schon
+ganz gewiß nicht. Seine Wohnung stand offen; jeder, wer nur wollte,
+konnte hineingehen; gestohlen wurde beim Rebben =niemals=. Doch in der
+Wohnung war keine Menschenseele.
+
+Wo kann der Rebbe sein?
+
+Wo soll er sein? Selbstverständlich im Himmel! Hat denn so ein Rebbe vor
+den Schrecklichen Tagen(4) wenig auszurichten? Juden brauchen,
+unberufen, Lebensunterhalt, Frieden, Gesundheit, gute Partien für die
+Kinder; sie wollen gut und fromm sein, doch die Sünden sind groß, und
+der Satan durchschaut mit seinen tausend Augen die Welt von einem Ende
+bis zum anderen und sieht alles und zeigt jede Kleinigkeit an ... Und
+wer soll helfen, wenn nicht der Rebbe?
+
+ (4) Die zehn Tage zwischen Neujahr und Versöhnungstag, an denen das
+ himmlische Gericht seine Beschlüsse für das kommende Jahr fällt.
+
+So dachte sich die ganze Gemeinde.
+
+Einmal kommt aber in die Stadt ein Litwak(5). Er lacht! Ihr wißt doch,
+was ein Litwak ist: von Andachtsbüchern hält er gar nichts, dafür stopft
+er sich den Kopf mit Talmudabschnitten und Bibelstellen voll. Und dieser
+Litwak weist aus dem Talmud nach -- er sticht einem damit förmlich die
+Augen aus --, daß selbst Moses bei Lebzeiten kein einziges Mal in den
+Himmel kam, sondern stets zehn Handbreiten unter dem Himmel zurückblieb!
+Geh einer und streite mit einem Litwak!
+
+ (5) Ein Jude aus Litauen und Westrußland; er wird von den polnischen
+ Juden als Rationalist und Gegner des chassidischen Wunderglaubens gern
+ verspottet.
+
+»Wo kommt also der Rebbe hin?«
+
+»Meine Sorge!« antwortet er und zuckt die Achsel; und wie er das sagt,
+faßt er schon den Entschluß -- was ein Litwak nicht alles kann! -- der
+Sache auf den Grund zu gehen.
+
+ * * * * *
+
+Noch am selben Abend, bald nach dem Abendgebet, stiehlt sich der Litwak
+ins Zimmer des Rebben hinein, kriecht unter des Rebben Bett und liegt.
+Er will die Nacht durchwachen und sehen, was der Rebbe vor Morgengrauen,
+wenn die Leute zu den Selichos gehen, anfängt.
+
+Jemand anderer an seiner Stelle würde einschlummern und die Zeit
+verschlafen; doch ein Litwak weiß immer Rat: um sich wach zu halten,
+nimmt er im Kopfe einen ganzen Talmudabschnitt durch; ich weiß nicht
+mehr, ob es der Abschnitt »Von den Schlachtungen« oder der »Von den
+Gelübden« war.
+
+Vor Morgengrauen hört er, wie man an die Läden klopft, um die Leute zum
+Gebet zu rufen.
+
+Der Rebbe war schon lange wach. Der Litwak hörte ihn schon seit einer
+Stunde seufzen.
+
+Jeder, der den Nemirower Rebben nur einmal seufzen hörte, weiß, welche
+Trauer um das ganze Volk Israel, welche Seelenqual in jedem seiner
+Seufzer steckt ... Es wird einem ganz bange ums Herz, wenn man ihn
+seufzen hört! Ein Litwak hat aber doch ein Herz aus Eisen: er hört zu
+und bleibt ruhig liegen! So liegen sie beide: der Rebbe -- leben soll
+er! -- =auf= dem Bett, der Litwak =unter= dem Bett.
+
+Etwas später hört der Litwak, wie im ganzen Hause die Betten zu knarren
+beginnen, wie die Hausleute aufstehen, wie hie und da ein jüdisches Wort
+fällt; wie das Wasser in die Waschbecken fließt, und wie die Türen auf-
+und zugemacht werden ... Dann verlassen alle das Haus; es wird wieder
+still; im Zimmer ist es finster; nur ein schwacher Mondstrahl dringt
+durch einen Spalt im Laden ...
+
+Später gestand der Litwak, daß, als er allein mit dem Rebben geblieben
+war, ihn ein Grauen befallen hatte. Es überlief ihn heiß und kalt vor
+Angst, und die Wurzeln seiner Schläfenlocken stachen ihn wie Nadeln.
+
+Es ist doch wirklich keine Kleinigkeit: mit dem Rebben allein, beim
+Morgengrauen in der Selichoszeit!...
+
+Ein Litwak ist aber starrköpfig: er zittert wie ein Fisch im Wasser und
+-- liegt!
+
+ * * * * *
+
+Endlich steht der Rebbe auf ...
+
+Zunächst wäscht er sich und verrichtet alles, was ein Jude am Morgen
+verrichten muß. Dann geht er zum Schrank und holt ein Bündel hervor; im
+Bündel sind Bauernkleider: ein Paar Leinenhosen, Schaftstiefel, ein
+Bauernrock, eine große Pelzmütze und ein breiter, mit Messingnägeln
+verzierter Ledergurt.
+
+Und der Rebbe zieht alle die Kleider an.
+
+Aus der Rocktasche hängt das Ende eines dicken Bauernstrickes heraus.
+
+Der Rebbe geht aus dem Zimmer, der Litwak geht ihm nach.
+
+Der Rebbe geht in die Küche, bückt sich, holt unter dem Bett eine Axt
+hervor, steckt sie sich hinter den Gurt und verläßt das Haus.
+
+Der Litwak zittert, bleibt aber nicht zurück.
+
+ * * * * *
+
+Ein stilles Grauen, das Grauen der Selichoszeit lagert über den dunklen
+Gassen. Hie und da dringt der Aufschrei eines Betenden aus einem der
+Betzirkel oder das Stöhnen eines Kranken aus einem Fenster .. Der Rebbe
+schleicht an den Mauern entlang, immer im Schatten der Häuser ... So
+schwimmt er aus einem Schatten in den anderen, und der Litwak schwimmt
+ihm nach ...
+
+Und der Litwak hört, wie das laute Pochen seines eigenen Herzens sich
+mit den schweren Tritten des Rebben vermengt. Er bleibt aber trotzdem
+nicht zurück und gelangt zusammen mit dem Rebben vor die Stadt.
+
+ * * * * *
+
+Vor der Stadt gibt es ein Wäldchen.
+
+Der Rebbe -- leben soll er! -- geht ins Wäldchen. Nach dreißig, vierzig
+Schritten bleibt er vor einem jungen Baum stehen. Der Litwak sieht mit
+Bestürzung, wie der Rebbe die Axt aus dem Gürtel zieht und auf den
+Baumstamm einschlägt.
+
+Er sieht, wie der Rebbe immer wieder ausholt; er hört, wie der Baum
+ächzt und knackt. Der Baum fällt, und der Rebbe spaltet den Stamm in
+Klötze, dann die Klötze in Späne. Dann macht er aus den Spänen eine
+Tracht Holz, umbindet sie mit dem Strick, den er in der Tasche hatte,
+lädt sie sich auf den Rücken, steckt die Axt wieder in den Gürtel und
+geht zur Stadt zurück.
+
+In der hintersten Gasse bleibt er vor einem kleinen, halb eingefallenen
+Häuschen stehen und klopft ans Fenster.
+
+»Wer klopft?« fragt eine erschrockene Stimme aus dem Häuschen. Der
+Litwak erkennt, daß es die Stimme einer Jüdin, einer kranken Jüdin ist.
+
+»Ich bin es!« antwortet der Rebbe auf kleinrussisch.
+
+»Wer bist du?« fragt wieder die Frauenstimme.
+
+»Wassil!« antwortet der Rebbe.
+
+»Was für ein Wassil? Und was willst du, Wassil?«
+
+»Ich habe Holz zu verkaufen!« sagt der angebliche Wassil. »Sehr billig,
+so gut wie umsonst!«
+
+Und ohne die Antwort abzuwarten, tritt der Rebbe ins Haus.
+
+ * * * * *
+
+Der Litwak schleicht ihm nach und sieht im fahlen Morgenlichte eine
+ärmliche Stube, zerbrochenes Hausgerät ... Im Bette liegt eine kranke
+Jüdin, in Lumpen gehüllt, und sie spricht mit erbitterter Stimme:
+
+»Kaufen? Womit soll ichs kaufen? Wo soll ich arme Witwe Geld hernehmen?«
+
+»Ich will es dir borgen!« antwortet der falsche Wassil. »Es sind im
+ganzen sechs Groschen!«
+
+»Wie soll ich sie dir bezahlen?« stöhnt die arme Jüdin.
+
+»Törichte Frau!« spricht der Rebbe vorwurfsvoll. »Sieh: du bist arm und
+krank, und ich traue dir das bißchen Holz: =ich vertraue= dir, daß du es
+mir bezahlen wirst. Und du hast einen so großen, so starken Gott und
+vertraust ihm nicht ... Du traust ihm nicht einmal die dummen sechs
+Groschen für eine Tracht Holz!«
+
+»Und wer wird einheizen?« stöhnt die Witwe. »Habe ich denn die Kraft
+aufzustehen? Mein Sohn ist schon fort auf die Arbeit.«
+
+»Ich will auch einheizen,« sagt der Rebbe.
+
+ * * * * *
+
+Und während er das Holz in den Ofen legte, sprach der Rebbe stöhnend den
+ersten Abschnitt der Selichos ...
+
+Und als er Feuer gemacht, und das Holz lustig zu flackern begann, sprach
+er, schon etwas lustiger, den zweiten Abschnitt ...
+
+Und den dritten Abschnitt sprach er, als das Holz richtig brannte und er
+das Ofenblech schloß ...
+
+ * * * * *
+
+Der Litwak, der das alles gesehen, wurde von nun an Nemirower Chassid.
+
+Und sooft später jemand erzählte, daß der Nemirower Rebbe alljährlich
+zur Selichoszeit jeden Morgen die Erde verlasse und in den Himmel
+fliege, lachte der Litwak nicht mehr, sondern fügte still hinzu:
+
+»Wenn nicht noch höher!«
+
+
+
+
+Die Kabbalisten
+
+
+In schlechten Zeiten sinkt sogar die beste Ware -- die göttliche
+Wissenschaft -- im Werte. Und so ist von der Laschtschower Jeschiwo(6)
+schließlich nichts übriggeblieben als der Rosch-Jeschiwo Reb Jekel und
+ein einziger Schüler.
+
+ (6) Jeschiwo: freie Akademie für Talmudstudium und höheres jüdisches
+ Wissen in osteuropäischen Ländern. -- Rosch-Jeschiwo: Oberhaupt einer
+ Jeschiwo.
+
+Der Rosch-Jeschiwo ist ein alter, hagerer Mann mit langem, zerzaustem
+Bart und erloschenen Augen. Lemech, sein einziger Schüler, ist ein
+langer, schmächtiger Jüngling mit blassem Gesicht, schwarzen
+Schläfenlocken, schwarzen, meistens gesenkten Augen, trockenen Lippen
+und einer spitz hervortretenden, zitternden Gurgel. Beide tragen
+geflickte Röcke, die vorn offen stehen und den nackten Leib -- denn sie
+haben keine Hemden an -- sehen lassen. Der Rosch-Jeschiwo schleppt mit
+großer Mühe ein Paar schwere Bauernstiefel; dem Schüler fallen seine
+viel zu großen Stadtschuhe von den bloßen Füßen; denn er hat keine
+Socken.
+
+Das ist alles, was von der einst so berühmten Jeschiwo übriggeblieben
+ist!
+
+Die verarmten Einwohner des Städtchens schickten immer weniger Essen und
+luden die Schüler immer seltener zu Mahlzeiten ein. Darum verzogen sich
+die armen Schüler nach anderen Städten. Reb Jekel will aber hier
+sterben, und sein Schüler will ihm die Scherben auf die Augen legen.
+
+Sie beide müssen viel hungern. Und wenn man wenig ißt, schläft man auch
+wenig. Und nach schlaflosen Nächten und vielen Hungertagen bekommt man
+Lust zur Kabbala!
+
+Wenn man schon ganze Nächte durchwacht und tagelang hungert, so will man
+davon wenigstens einen Nutzen haben: durch Fasten und Kasteiungen kann
+man ja erreichen, daß sich alle Tore der Welt öffnen und alle
+Geheimnisse, Engel und Geister offenbar werden!
+
+So beschäftigen sich die beiden seit längerer Zeit mit der Kabbala.
+
+Sie sitzen an einem langen Tisch in der leeren Stube. Bei den anderen
+Juden ist es schon nach dem Essen, doch bei den beiden noch vor dem
+Frühstück. Sie sind es aber gewohnt. Der Rosch-Jeschiwo hat seine Augen
+halb geschlossen und redet; der Schüler hält den Kopf in beide Hände
+gestützt und lauscht.
+
+»Es gibt darin«, sagt der Rosch-Jeschiwo, »vielerlei Stufen der
+Vervollkommnung: einer kennt ein Stückchen, ein anderer die Hälfte, und
+ein dritter die ganze Melodie. Der Rebbe, seligen Angedenkens, kannte
+zum Beispiel die ganze Melodie, sogar mit einem Nachspiel. -- Und ich«,
+fügt er traurig hinzu, »bin nur der Gnade teilhaftig geworden, ein ganz
+kleines Stückchen zu kennen -- kaum so groß ...«
+
+Er mißt auf seinem dürren Finger ein winziges Endchen ab und fährt fort:
+
+»Es gibt Melodien, die Worte haben müssen ... Das ist die niedrigste
+Stufe. Und es gibt eine höhere Stufe: die Melodie braucht keine Worte;
+sie wird ohne Worte gesungen, als reine Melodie ... Aber auch diese
+Melodie bedarf einer Stimme und braucht Lippen, durch die sie dringt!
+Und Lippen sind -- du verstehst mich doch? -- etwas Körperliches. Daher
+ist auch die Stimme, wenn auch eine edle Form des Körperlichen, aber
+immerhin etwas Körperliches! Nehmen wir an, daß die Stimme auf der
+Grenze zwischen Geistigem und Körperlichem steht!
+
+»Doch in jedem Falle ist die Melodie, die der Stimme bedarf und von den
+Lippen abhängt, noch nicht ganz rein, nicht ganz geistig!
+
+»Die richtige, höchste Melodie wird aber ganz ohne Stimme gesungen ...
+Sie tönt im Innern des Menschen, in seinem Herzen, in allen Gliedern. So
+sind die Worte des Königs David zu verstehen: ›Alle meine Gebeine
+lobpreisen Gott!‹ Im Marke der Knochen muß es tönen, und das ist das
+schönste Loblied auf den Herrn, gesegnet sei sein Name! Denn eine solche
+Melodie ist nicht von einem Wesen aus Fleisch und Blut erfunden. Sie ist
+ein Teil jener Melodie, mit der Gott die Welt erschaffen hat, ein Teil
+der Seele, die er ihr eingegeben hat ... So singen die himmlischen
+Heerscharen!...«
+
+Der Vortrag wurde unterbrochen durch das Erscheinen eines zerlumpten
+Burschen mit einem Strick um die Lenden. Er trat in die Stube, stellte
+auf den Tisch vor den Rosch-Jeschiwo eine Schüssel Grütze, legte ein
+Stück Brot dazu und sagte mit roher Stimme:
+
+»Reb Tewel schickt dem Rosch-Jeschiwo sein Essen!« Und bei der Tür
+wandte er sich noch einmal um und fügte hinzu: »Ich komme später die
+Schüssel holen!«
+
+Durch die Stimme des Burschen aus den himmlischen Harmonien gerissen,
+stand der Rosch-Jeschiwo mühselig auf und schleppte sich in seinen
+schweren Stiefeln zum Wassergefäß bei der Tür, um sich die Hände zu
+waschen. Im Gehen sprach er weiter, doch mit weniger Inbrunst als
+vorhin, und der Schüler verfolgte ihn von seinem Platze aus mit
+leuchtenden Augen und lauschenden Ohren.
+
+»Ich bin aber nicht einmal für würdig befunden,« sagt traurig der
+Rosch-Jeschiwo, »zu wissen, auf welcher Stufe dieses erreicht werden
+kann, bei welchem Tor des Himmels ... Weißt du,« gibt er lächelnd zu,
+»die nötigen Kasteiungen und Betübungen kenne ich wohl, und ich werde
+sie dir, vielleicht noch heute, mitteilen!«
+
+Dem Schüler springen schier die Augen heraus, er sitzt mit offenem Munde
+da und fängt jedes Wort des Meisters mit Gier auf. Doch der Meister
+bricht ab ... Er wäscht sich die Hände, trocknet sie ab, spricht die
+vorgeschriebene Gebetformel, geht zurück zum Tisch und spricht mit
+bebenden Lippen das Gebet über den Bissen Brot.
+
+Und er ergreift mit zitternden Händen die Schüssel, und der warme Dampf
+verdeckt sein ausgemergeltes Gesicht. Dann setzt er die Schüssel wieder
+auf den Tisch, nimmt mit der Rechten den Löffel und wärmt die Linke am
+Rande der Schüssel. Dabei zerkaut er mit seinem zahnlosen Munde langsam
+den Bissen Brot, über den er das Gebet gesprochen hat.
+
+Als Gesicht und Hände warm geworden sind, legt er seine Stirn in Falten,
+spitzt die dünnen blauen Lippen und beginnt zu blasen. Der Schüler
+starrt ihn unverwandt an. Doch als die zitternden Lippen des Greises dem
+ersten Löffel Grütze entgegeneilen, packt ihn etwas am Herzen: er
+bedeckt sein Gesicht mit den Händen und schrumpft gleichsam ein.
+
+Nach einer Weile kam ein anderer Bursche, ebenfalls mit einer Schüssel
+Grütze und einem Stück Brot, und sagte:
+
+»Reb Jojssef schickt dem Schüler sein Frühstück!«
+
+Doch der Schüler zog die Hände vom Gesicht nicht fort. Der
+Rosch-Jeschiwo legte seinen Löffel weg und ging an den Schüler heran.
+Einige Zeit betrachtete er ihn mit Stolz und Liebe, dann berührte er
+seine Schulter:
+
+»Man hat dir Essen gebracht!« weckte er ihn mit freundlicher Stimme.
+
+Der Schüler nahm seine Hände langsam und unwillig vom Gesicht weg. Das
+Gesicht war noch blasser geworden, und die Augen brannten noch
+unheimlicher.
+
+»Ich weiß, Rebbe!« antwortete er. »Doch ich werde heute nicht essen.«
+
+»Den vierten Tag fasten?« fragte der Rosch-Jeschiwo erstaunt. »Und ohne
+mich?« fügte er etwas beleidigt hinzu.
+
+»Es ist ein eigener Fasttag,« antwortete der Schüler. »Ich faste heute
+zur Buße ...«
+
+»Was redest du? Wie kommst du zur Buße?«
+
+»Gewiß, Rebbe! Ich muß büßen ..., weil ich vor einem Augenblick, als Ihr
+zu essen begannt, gegen das Gebot ›Laß dich nicht gelüsten‹ sündigte!«
+
+ * * * * *
+
+In der folgenden Nacht weckte der Schüler den Lehrer. Die beiden
+schliefen einander gegenüber auf Bänken in der Lehrstube.
+
+»Rebbe, Rebbe!« rief der Schüler mit schwacher Stimme.
+
+»Was ist?« Der Rosch-Jeschiwo erwachte und erschrak.
+
+»Ich war soeben auf dem höchsten Gipfel ...«
+
+»Wieso?« fragt der Rosch-Jeschiwo, noch etwas verschlafen.
+
+»Es hat =in mir= gesungen!«
+
+»Wieso? Wieso?«
+
+»Das weiß ich selbst nicht, Rebbe,« antwortete der Schüler kaum hörbar.
+»Ich konnte nicht einschlafen und vertiefte mich in Euren Vortrag ...
+Ich wollte um jeden Preis jene Melodie kennen lernen ... Und vor großem
+Kummer, daß ich es nicht konnte, fing ich zu weinen an ... Alles weinte
+in mir, alle meine Glieder weinten vor dem Schöpfer der Welt! Und dabei
+machte ich die Gebetübungen, die Ihr mich gelehrt habt, doch seltsam:
+nicht mit dem Munde, sondern tief im Innern! Und plötzlich wurde es so
+hell. Ich hielt die Augen geschlossen, und doch war es um mich hell,
+sehr hell, blendend hell ...«
+
+»Recht so!« sagte der Alte, sich vorbeugend.
+
+»Und vor dieser Helle wurde mir so gut, so leicht ... Es war mir, als ob
+ich keine Schwere mehr hätte, als ob mein Leib jedes Gewicht verloren
+hätte und fliegen könnte ...«
+
+»Recht so!«
+
+»Dann wurde es mir so lustig, so lebendig zumute ... Mein Gesicht blieb
+unbeweglich, meine Lippen rührten sich nicht, und doch lachte ich ...
+Lachte so gut, so herzlich, so fröhlich ...«
+
+»So, so! Ganz recht: in höchster Freude ...«
+
+»Dann summte etwas in mir, wie der Anfang einer Melodie ...«
+
+Der Rosch-Jeschiwo sprang von seiner Bank auf und war mit einem Satz
+beim Schüler.
+
+»Und weiter?«
+
+»Und weiter fühlte ich, wie es in mir zu singen anfing ...«
+
+»Was hast du dabei gefühlt? Was? Was? Sag!...«
+
+»Ich fühlte, daß alle meine Sinne geschlossen und verstopft sind, und in
+mir inwendig etwas singt ... Ganz wie es sich gehört: ohne Worte und
+ohne Töne, so ...«
+
+»Wie? Wie?«
+
+»Nein, ich kann es nicht ... Früher konnte ich es noch ... Dann wurde
+aus dem Singen ...«
+
+»Was wurde aus dem Singen? Was?«
+
+»Eine Art Musik ... Gleich als ob ich in mir eine Geige hätte, oder als
+ob in meinem Innersten der Spielmann Jojne säße und eines der Stücke
+spielte, die er beim Rabbi an der Tafel spielt! Es klang aber noch viel
+schöner, edler, trauriger! Und alles ohne Töne, ganz ohne Töne, rein
+geistig ...«
+
+»Wohl dir! Wohl dir! Wohl dir!«
+
+»Und nun ist alles weg!« sagt der Schüler sehr traurig. »Meine Sinne
+sind wieder erwacht, und ich bin so müde, so furchtbar müde, daß
+ich ...«
+
+»Rebbe!« schreit er plötzlich auf, sich an die Brust greifend. »Rebbe,
+sprecht mir das Sterbegebet vor! Man ist mich holen gekommen! Sie
+brauchen dort oben einen neuen Chorjungen! Ein Engel mit weißen
+Flügeln... Rebbe! Rebbe! Schma Ißroel!(7) Schma ...«
+
+ (7) Schma Ißroel: »Höre, Israel«, das heiligste jüdische Gebet.
+
+ * * * * *
+
+Das ganze Städtchen wünschte sich einen solchen Tod. Doch dem
+Rosch-Jeschiwo war es zu wenig.
+
+»Noch einige Fasttage,« seufzte er, »und er wäre noch ganz anders
+gestorben: durch einen Kuß von Gottes Munde!«
+
+
+
+
+Berl der Schneider
+
+
+Erew Jom-Kippur -- Vorabend des Versöhnungstages -- in der Berditschewer
+Schul. Es senkt sich die Nacht. Die alten Leute haben bereits vor dem
+Thoraschreine das Gebet: »Mit Wissen des Schöpfers und mit Wissen der
+Schöpfung ...« gesprochen und sind auf ihre Plätze zurückgekehrt. Rabbi
+Levi-Jizchok steht am Vorbeterpult: er soll das Kol-Nidrej anstimmen,
+doch er schweigt.
+
+Alle Blicke hängen an seinem Rücken. In der Weiberabteilung ist es still
+wie auf dem Meere vor dem Sturme. Vielleicht wird er zuvor, wie er das
+schon manchmal tat, einige Worte sprechen, wird sich in der gemeinen
+Volkssprache mit dem Schöpfer der Welt auseinandersetzen, wie ein Mensch
+mit seinem Nächsten spricht.
+
+Aber Rabbi Levi-Jizchok steht, in Kittel(8) und Gebetmantel gehüllt, vor
+dem Pulte und schweigt.
+
+ (8) Kittel: Totenhemd, das jeder Jude am Versöhnungstage während des
+ Gottesdienstes trägt.
+
+Was hat das zu bedeuten?
+
+Sind die Tore des Gebets zu einer so späten Stunde noch geschlossen? Hat
+Rabbi Levi-Jizchok nicht die Kraft anzuklopfen? Er hält seinen Kopf
+etwas geneigt, wie lauschend; lauscht er, ob man die Tore nicht schon
+aufschließt?
+
+Und plötzlich wendet sich Rabbi Levi-Jizchok um und ruft:
+
+»Schuldiener!«
+
+Der Schuldiener eilt zu ihm hin, und der Rabbi fragt:
+
+»Ist Berl der Schneider noch nicht da?«
+
+Die Gemeinde ist vor Erstaunen wie versteinert. Der Schuldiener
+stammelt: »Ich weiß nicht ...« und sieht sich um. Auch Rabbi
+Levi-Jizchok mustert die Anwesenden.
+
+»Nein, er ist noch nicht da!« sagt er schließlich. »Ist zu Hause
+geblieben.« Und dann wendet er sich wieder zum Schuldiener:
+
+»Geh zu Berl dem Schneider ins Haus und ruf ihn her! Ich, Levi-Jizchok,
+der Rabbi der Stadt, ließe ihn rufen!«
+
+Berl der Schneider wohnt in der Schulgasse, nicht weit vom Bethause. Und
+er kommt auch sehr bald, ohne Kittel und Gebetmantel, in
+Werktagskleidern. Sein Gesicht ist finster, seine Augen sind böse und
+erschrocken zugleich. Er geht auf Rabbi Levi-Jizchok zu und sagt:
+
+»Ihr habt mich rufen lassen, Rabbi, so bin ich zu =Euch= gekommen.«
+
+Er betont: »Zu Euch«.
+
+»Sag einmal, Berele,« fragt der Rabbi lächelnd, »warum wird heute dort
+oben von dir so viel gesprochen? Die himmlischen Heerscharen sind nur
+mit dir allein beschäftigt. Man hört nichts als: Berl der Schneider und
+Berl der Schneider!«
+
+»Aha!« triumphiert Berl.
+
+»Hast du irgendeine Beschwerde vorzubringen?«
+
+»Gewiß!«
+
+»Gegen wen denn, Berele?«
+
+»Gegen den Schöpfer der Welt!« antwortet Berl.
+
+Die Gemeinde hätte ihn in Stücke gerissen. Doch Rabbi Levi-Jizchok
+lächelt noch freundlicher.
+
+»Vielleicht wirst du uns erzählen, um was es sich handelt?«
+
+»Gerne!« sagt Berl. »Von mir aus kann die Sache sogar gleich hier von
+Euch entschieden werden. Darf ich sprechen?«
+
+»Sprich!«
+
+»Den ganzen Sommer lang«, beginnt Berl der Schneider seine Anklage,
+»habe ich, nicht auf Euch gesagt, Rabbi, gar keine Arbeit gehabt ...
+Weder von einem Juden, noch von einem Bauern. Ich könnte mich einfach
+hinlegen und sterben, so schlecht ging es mir!«
+
+»Ach!« zweifelt der Rabbi: »Der Same Abrahams, Isaaks und Jakobs ist
+doch mildtätig, -- du hättest auf die Barmherzigkeit der Leute vertrauen
+sollen!«
+
+»Darum handelt es sich nicht, Rabbi. Ich sage niemandem ein Wort und
+nehme von niemandem etwas an.«
+
+Von einem Geschöpf aus Fleisch und Blut nimmt er keine Geschenke an. Er
+hat vor dem Schöpfer der Welt die gleichen Rechte wie die andern Leute.
+Das einzige, was er getan hat -- er hat seine Tochter in eine größere
+Stadt zu fremden Menschen dienen geschickt. Und er sitzt allein zu Hause
+und wartet, was der Schöpfer mit ihm zu tun beschließt.
+
+Einmal vor dem Laubhüttenfeste geht die Tür auf. Aha! Nun hat er es doch
+erlebt. Und in der Tat, es ist ein Bote vom Gutsherrn: Berl soll ihm
+einen Mantel mit Pelz füttern. Der Schöpfer will also doch um ihn
+sorgen! Er geht aufs Schloß, man führt ihn in ein eigenes Zimmer und
+übergibt ihm den Mantel und die Felle.
+
+»Hättet Ihr nur die Felle gesehen, Rabbi! Die schönsten Fuchsfelle, die
+es nur gibt!«
+
+Es ist aber die höchste Zeit zum Kol Nidrej-Gebet. Darum sucht der Rabbi
+die Erzählung abzukürzen:
+
+»Also kurz und gut, du hast den Mantel gefüttert und warst fertig. Was
+geschah dann?«
+
+»Eine Kleinigkeit geschah: drei Felle blieben mir übrig.«
+
+»Und die hast du eingesteckt?«
+
+»Das ist leichter gesagt, Rabbi, als getan! Denn wenn man aus dem
+Schlosse kommt, steht vor dem Tore ein Wächter, und wenn dieser Verdacht
+hat, so durchsucht er die Kleider und zwingt sogar einen, die Stiefel
+auszuziehen. Und findet man bei mir, Gott behüte, die Felle, so hat der
+Gutsherr böse Hunde und Reitknechte ...«
+
+»Was tatest du nun?«
+
+»Bin ich aber doch Berl der Schneider! Ich gehe in die Küche und bitte,
+daß man mir ein Brot schenkt.«
+
+»Christenbrot, Berele!«
+
+»Nicht zum Essen brauchte ich es, Rabbi! Man schenkt mir einen großen
+Laib. Ich gehe damit in das Zimmer, wo ich genäht habe, schneide das
+Brot auf, höhle die Hälften aus, rolle das Weiche, das ich
+herausgenommen, so lange in den Händen herum, bis es den Geruch vom
+Schweiß annimmt, und werfe es dem Hunde vor, der in dem Zimmer liegt.
+Hunde lieben Menschenschweiß. Und die drei Fuchsfelle stecke ich in den
+Laib und gehe. Am Tore hält man mich an: Was trägst du, Jude, unterm
+Arm? Ich zeige den Brotlaib her, und man läßt mich gehen. Etwas weiter
+beginne ich schon zu laufen. Ich gehe nicht durch die Landstraße,
+sondern nehme den kürzeren Feldweg.
+
+»So gehe ich und hüpfe beinahe vor Freude: Nun werde ich zum
+Laubhüttenfest einen eigenen Palmenzweig haben und einen eigenen
+Paradiesapfel! Nichts von der Gemeinde Geborgtes ... So schöne
+Fuchsfelle!...
+
+»Da erzittert unter mir die Erde ... Ich weiß schon, was das ist: ein
+Reiter jagt mir nach! Das Blut erstarrt in mir. Sie haben wohl die Felle
+nachgezählt ... Entrinnen kann ich nicht: es ist doch ein Reiter, und
+dazu noch auf einem von den Pferden des Gutsherrn! Ich werfe sofort den
+Brotlaib in die Stoppeln und merke mir die Stelle, mache mir für alle
+Fälle ein Zeichen. Und schon höre ich, wie man mich ruft: Berl! Berl! --
+Ich erkenne die Stimme: es ist wirklich der Reitknecht vom Gutshof. Alle
+Glieder zittern mir, Rabbi! Meine Seele sitzt mir in den Fußknöcheln ...
+Ich wende mich aber um und gehe dem Reiter entgegen.
+
+»Nun stellt sich heraus, der ganze Schreck war umsonst: ich hatte
+vergessen, an den Pelzmantel ein Hängsel anzunähen. Darum hatte man mir
+den Reiter nachgeschickt. Der Reiter setzt mich hinter sich aufs Pferd,
+und schon reiten wir zurück.
+
+»Ich danke Gott für die Rettung, nähe das Hängsel an und gehe. Doch wie
+ich zu der bewußten Stelle komme, ist der Brotlaib nicht mehr da! Die
+Felder sind längst abgemäht, kein Menschenkind kommt da vorbei, und kein
+Vogel in der Welt hat die Kraft, eine solche Last wegzuschleppen ... Es
+ist also klar, wer das getan hat ...«
+
+»Wer?« fragt Rabbi Levi-Jizchok.
+
+»Er!« antwortet Berl der Schneider und deutet mit dem Finger nach oben.
+»Der Schöpfer der Welt! Sein Werk ists! Und ich weiß, Rabbi, warum er
+das getan hat: Er, der große Herr, will nicht dulden, daß ich, Berl der
+Schneider, mir nach Schneiderart einen Rest aneigne ...«
+
+»Es stimmt ja auch,« sagt Rabbi Levi-Jizchok mild: »Nach dem Gesetz ...«
+
+»Ach was, Gesetz!« ereifert sich Berl. »Der Brauch bricht ein Gesetz.
+Nicht ich habe den Brauch eingeführt; er stammt von uralten Zeiten!«
+
+»Und wenn schon der Schöpfer der Welt,« fährt er fort, »der große und
+stolze Herr nicht will, daß ich, Berl der Schneider, der ärmste Knecht
+von allen Knechten, die ihm dienen, mir einen Rest aneigne, so soll er
+mir Arbeit verschaffen, so soll er mir, wie jeder andre Herr, Gehalt
+zahlen! Aber er duldet nicht das eine und gibt mir nicht das andre. Nun
+will ich ihm, dem Schöpfer der Welt, nicht länger dienen. Ich habe es
+gelobt! Es ist aus!«
+
+Durch die Gemeinde geht eine Bewegung. Drohende Hände erheben sich. Man
+will auf den Schneider losstürzen. Doch Rabbi Levi-Jizchok gebietet
+Ruhe. Es wird wieder still, und der Rabbi fragt gütig:
+
+»Und was geschah weiter, Berl?«
+
+»Nichts! Ich komme nach Hause und esse, ohne zuvor die Hände zu waschen.
+Mein Weib will mich zur Rede stellen -- ich schlage sie ins Gesicht. Ich
+lege mich zu Bett und spreche nicht das Abendgebet. Meine Lippen wollen
+von selbst ›Höre Israel!‹ sprechen, doch ich beiße sie mit den Zähnen.
+Und am Morgen: weder Segensspruch, noch Handwaschung, noch Morgengebet:
+Er soll mir zu essen geben! Mein Weib rennt aus dem Hause ins Dorf zu
+ihrem Vater, dem Pächter. Also bleibe ich ohne Weib! Es ist mir sogar
+lieber so: ich bin ja Berl der Schneider, doch sie ist nur ein schwaches
+jüdisches Weib, -- soll sie lieber damit nichts zu tun haben. Und ich
+tue das meinige: am Laubhüttenfest weder Laubhütte, noch Palmenzweig. An
+den Festtagen spreche ich keinen Segensspruch über den Wein, und am
+Simchas-Tojre-Tag, an dem uns die Thora gegeben wurde, ziehe ich mir,
+wie Mordechai nach Hamans Mordbeschluß, zum Zeichen der Trauer einen
+Sack an!
+
+»Und wie die Zeit vor dem Neujahrsfeste kommt, wenn man jede Nacht ins
+Bethaus geht, um Bußgebete zu sprechen, da wird es mir schon etwas
+bange: der Schuldiener klopft jede Nacht ans Fenster, um mich zu wecken,
+und mein Herz klopft auch. Es zieht mich hin ... Aber ich bin ja Berl
+der Schneider und halte mein Wort! Ich ziehe mir die Bettdecke über den
+Kopf und gebe nicht nach. Dann kommt das Neujahrsfest -- ich rühre
+keinen Finger. Und wenn die Stunde kommt, wenn man Schojfer(9) bläst,
+stopfe ich mir Werg in die Ohren ... Das Herz will mir aus dem Leibe
+springen, Rabbi! Ich habe vor mir selbst Ekel: ich bin ungewaschen und
+trage schmutzige Werktagskleider. Ein kleiner Spiegel hängt bei mir in
+der Stube -- ich kehre ihn um zur Wand, ich will mich nicht sehen! Und
+wie ich höre, daß die Gemeinde zum Flusse geht, um die Sünden ins Wasser
+abzuschütteln ...«
+
+ (9) Widderhorn, das am jüdischen Neujahrstage geblasen wird.
+
+Er verstummt für eine Weile und ruft dann aus:
+
+»Aber recht habe ich, Rabbi! Und ohne was zu erreichen, will ich nicht
+nachgeben!«
+
+Rabbi Levi-Jizchok denkt eine Weile nach und fragt:
+
+»Was willst du also, Berl? Willst du Arbeit und Verdienst?«
+
+»Ich spucke auf Verdienst!« erwiderte Berl beleidigt. »Verdienst hätte
+ich =vorher= haben sollen! Auf Verdienst hat jedermann Anrecht! Der
+Vogel in der Luft, der Wurm in der Erde -- sie alle haben ihr Auskommen.
+Verdienst ist etwas Selbstverständliches. Jetzt will ich mehr!«
+
+»Sag doch, Berl, was du willst!«
+
+»Ist es wahr, Rabbi, daß am Jom-Kippur nur die Sünden des Menschen gegen
+Gott verziehen werden?«
+
+»So ist es!«
+
+»Und die Sünden des Menschen gegen seinen Nächsten nicht?«
+
+»Nein.«
+
+Berl der Schneider richtet sich auf und sagt laut und bestimmt:
+
+»Also werde ich, Berl der Schneider, nur dann nachgeben und wieder in
+den Dienst des Schöpfers der Welt treten, wenn er mir zuliebe an diesem
+Jom-Kippur auch die andern Sünden verzeiht! Habe ich nicht recht,
+Rabbi?«
+
+»Du hast recht!« erwidert der Rabbi. »Bleibe nur dabei -- man wird dir
+schon nachgeben müssen ...«
+
+Und er wendet sich wieder zum Betpult, richtet den Kopf in die Höhe,
+lauscht hinauf und verkündet nach einer Weile:
+
+»Du hast es durchgesetzt, Berl! Nun schnell nach Haus, hole Kittel und
+Gebetmantel!«
+
+
+
+
+Der das Leben gibt, gibt auch wovon zu leben
+
+Eine Geschichte von Jojchenen dem Melamed(10)
+
+ (10) Jüdischer Kleinkinderlehrer.
+
+
+I
+
+Vorrede. Ich entschuldige mich und bekenne meine Ansicht, daß es in der
+Welt keinen Unglauben gibt
+
+Meine Herren! Ich, Jojchenen der Melamed, will euch eine Geschichte
+erzählen. Und die Geschichte, die ich euch erzählen will, ist wie ein
+Rädchen in einem Rade: eine Geschichte in einer anderen Geschichte.
+
+Beide Geschichten habe ich nicht erfunden oder, wie man sagt, aus den
+Fingern gesogen. Ich bin, gottlob, kein Schreiber. Ich erzähle sie euch
+ganz einfach, ohne Salz und Schmalz; Wortgeklingel lieb ich nicht ...
+Wer die Wahrheit sagt, braucht keine Kunstgriffe, der spricht einfach
+seine Muttersprache.
+
+Eine Vorrede muß ich euch aber doch geben: diese Geschichten, die ich
+erzählen will, werden euch möglicherweise zeigen, daß ihr, meine Herren,
+in vielen Dingen zu weit gegangen seid und euch zu sehr auf eure Sinne
+verlassen habt; daß es in der Welt Dinge gibt, von welchen weder euch
+noch euren größten Weisen je geträumt hat ... Darum bitte ich euch, mir
+das nicht übelzunehmen.
+
+Wenn ihr wollt, könnt ihr glauben, und wenn nicht, so nicht.
+
+Ich will mich auch gleich vor meinen Freunden rechtfertigen: es wird
+meine Freunde vielleicht verdrießen, daß ich sozusagen aus der Schule
+plaudere, und dazu noch heutzutage, wo es so viel Unglauben gibt ... und
+daß dadurch ein Ärgernis entstehen kann. Gott bewahre! Ich will ihnen
+sagen, daß es überhaupt keinen Unglauben auf der Welt gibt: das mit dem
+Unglauben ist eine erfundene Sache!
+
+Denn die ganze Welt ist nichts als Glauben!
+
+Könnte es denn auch anders sein?
+
+Die Welt ist unendlich groß, hat wirklich keine Grenzen! Und unser
+Verstand ist so klein, so winzig, daß wir einem Menschen gleichen, der
+in einer finsteren Nacht, mit einem Pfenniglicht in der Hand, das kaum
+vier Schritt weit leuchtet, durch eine öde, finstere Wüste geht!
+
+Ich bleibe bei meiner Meinung: ohne Glauben kann man überhaupt nicht
+auskommen! Die Vernunft allein reicht nicht aus. Wo kommt dann das
+Märchen vom Unglauben her? Nun, diese nichtsnutzigen Schreiber, die für
+das einfache Volk, für Köchinnen und Dienstmädchen Bücher verfassen, die
+Geschichten von Mördern und Räubern, von Falschmünzern und
+Wechselfälschern ausdenken, nur um die Leute zu erschrecken und ihr Blut
+in Wallung zu bringen, -- diese selben Schreiber haben auch den
+Unglauben und den Irrglauben erfunden! Und zwar mit demselben Zweck: um
+das gemeine Volk -- die Dienstmädchen, Schuster- und Schneiderlehrlinge
+-- zu erschrecken ...
+
+Doch in Wahrheit: ohne Glaube kein Wille; einfach jüdisch gesprochen
+heißt das, daß ein Mensch, der nichts glaubt, auch nichts will und zu
+nichts Lust hat!
+
+Ein solcher Mensch ist nichts mehr als ein Lehmklumpen, ein Stück Holz!
+Und wenn du Menschen siehst, welche Gelüste haben oder ihre Gelüste
+zugunsten andrer, größerer oder erhabenerer überwinden. Menschen, welche
+essen und trinken, Familienglück genießen, im Schweiße ihres Angesichts
+arbeiten und den Kopf voller Geschäfte haben, so wisse, daß diese
+Menschen =glauben=! Daß sie zumindest an ihr eigen Leben glauben!...
+
+Denn zweifeln kann man ja schließlich auch daran! Wenn man will, so sagt
+man: Das Leben ist nichts! Und dagegen läßt sich schon wirklich nichts
+machen.
+
+Doch die Regel ist: alle glauben. Nur glaubt der eine, daß der Leviathan
+vor dem Schor-ha-Bor(11) verzehrt werden wird; und der andre sagt: nein,
+umgekehrt, der Schor-ha-Bor kommt zuerst, und dann der Leviathan als
+Zuspeise. Und ein »aufgeklärter« junger Mann, der weder an den Leviathan
+noch an den Schor-ha-Bor glaubt, der glaubt an den Äther! Und was ist
+dieser Äther? Da erklärte mir ein solcher junger Mann: der Äther ist
+etwas, was weder Körper noch körperliche Kraft, weder Seele noch
+überhaupt etwas Geistiges ist; er nimmt keinen Raum ein und hat kein
+Gewicht ... Mit einem Worte: er ist ein »Ja« und ein »Nein« zugleich!
+
+ (11) Leviathan (aus dem Buche Hiob) und Schor-ha-Bor (ein Riesenstier
+ der talmudischen Sage) sollen bei Messias' Ankunft von den Gerechten
+ verzehrt werden.
+
+Frage ich ihn, ob er den Äther gesehen hat? Nein! Aber er glaubt an ihn!
+Kurz und gut: alle glauben.
+
+Was ist dann der Unterschied? Nun, jeder glaubt an =seinen= Rebben,
+jeder hat =seinen= Glauben, sozusagen =seinen= kleinen Götzen.
+
+Alle blicken fremden Leuten auf den Mund. Alle küssen; doch der eine
+küßt den Vorhang vor dem Thoraschreine, wenn er auch nicht weiß, was im
+Schreine ist; der andre das kabbalistische Buch »Megillo Tmirin«, wenn
+es vom Tische herunterfällt; ich habe sogar mit meinen eigenen Augen
+gesehen, wie einer von ihren Leuten die »Geheimnisse von Paris« küßte.
+Und ich habe aus sicherer Quelle gehört, daß diese »Geheimnisse« die
+schauerliche Geschichte von einem gewissen Charbojno darstellen -- doch
+nicht von unserem Charbojno, seligen Angedenkens, aus dem Buche
+Esther(12), sondern von einem Pariser Holzhacker, der barfuß auf
+Glasscherben herumging -- und noch ähnliche Lügen, die ein Pariser
+Lügner erfunden und ein Wilnaer »Aufgeklärter« in die heilige Sprache
+übersetzt hat.
+
+ (12) Kap. 1, V. 10.
+
+Meine Herren! Ich habe gottlob viel vom Leben und von der Welt gesehen;
+ich war Melamed in Dörfern und in kleinen Städten und auch in großen
+Städten. Seit sieben Jahren bin ich, Gott sei Dank, Melamed in Warschau,
+und ich komme, gottlob, unter Menschen, und ich kenne Menschen! Ich
+kenne Misnagdim(13), die beim chassidischen Gebet »_Wajizmach purkonej_«
+aus der Haut fahren, und ich kenne Chassidim, die einen, der zu einem
+andern Rebben fährt, für einen Ketzer -- daß Gott davor behüte! --
+halten.
+
+ (13) Misnagdim: Gegner der Chassidim sowie auch überhaupt alle
+ Nicht-Chassidim.
+
+Ich kenne auch »Aufgeklärte«, sogar sehr viele; bedeutende und
+unbedeutende, solche, die wirklich was wissen, und gewöhnliche
+Schreiberseelen; ich kenne sogar viele, sehr viele Abtrünnige. Das alles
+kenne ich. Doch einen Menschen, der nicht glaubt, habe ich noch nie
+gesehen!
+
+Ich wage sogar die Behauptung aufzustellen, daß es in der ganzen
+Gesellschaft der »Aufgeklärten« keinen einzigen gibt, der seinen eigenen
+Zuschnitt, sein eigenes System, seinen eigenen Weg hätte. Ich sah unter
+ihnen keinen einzigen, der seine eigene Ansicht über die Dinge hätte;
+mit Ausnahme von vielleicht zwei oder drei ganz großen Karpfenköpfen ...
+Und die ganze übrige Gesellschaft, wie ihr sie seht, ist nicht ein
+ausgeblasenes Ei wert! Auch sie sind Chassidim, nur von einer andern
+Richtung! Sie glauben eben an =ihren= Rebben! Und sie hängen an =ihrem=
+größten Mann der Zeit, genau so, wie wir an dem unsrigen!
+
+Und ich kann einen heiligen Eid schwören, daß keiner von ihnen ein
+eigenes Lehrgebäude hat, nicht einmal für eine Stunde! Nichts als Glaube
+an den Großen der Zeit. Und sie sprechen ihm alles nach, ohne einen
+Unterschied zu machen zwischen dem, was er mit Überlegung, bei klarem
+Verstande und im Ernst gelehrt, und dem, was er so nebenhin, oder im
+Zorne, oder gar nur, um zu widersprechen, gesagt hat.
+
+Ganz wie bei unsern Gesinnungsgenossen! Es ist nicht der geringste
+Unterschied!
+
+Und wenn einer von dieser Gesellschaft zu mir kommt und sagt, daß er an
+nichts glaubt, so ist es einfach dumm: ich werde ihn doch nicht dadurch
+beschämen, daß ich ihm meine Ansicht sage. Für mich selbst weiß ich
+aber, daß er entweder Spaß macht oder einfach prahlt; und gerade ein
+solcher fürchtet sich, nachts allein auszugehen! Und vielleicht =muß= er
+überhaupt so sprechen, weil es sein Geschäft verlangt. Was tut der
+Mensch nicht wegen seines Geschäfts!... Und er kann ja auch ein ganz
+dummer Mensch sein, der nicht einmal weiß, =was= er nicht weiß und was
+man glauben muß!
+
+Und wenn so, warum sollen wir uns dessen schämen, was wir glauben?!
+Worin sind denn unsere Gesinnungsgenossen ärger als alle die
+»Aufgeklärten«, die nichts andres tun, als Ammenmärchen und Wunder zum
+größern Ruhme ihrer Großen erzählen? Weil unsere Geschichten nicht
+erfunden sind? Weil wir die Leute nicht mit Schauergeschichten von
+Räubern und Mördern, Falschmünzern und Wechselfälschern erschrecken? Muß
+man denn unbedingt nur über solche Dinge schreiben, die glatt erfunden
+sind?
+
+Und ich will ja keine Geschichte von jenseit des Meeres oder aus uralten
+Zeiten erzählen, sondern eine wahre Begebenheit, die sich hier in
+Warschau und zudem vor ganz kurzer Zeit ereignet hat!
+
+Und vielleicht kommt jemand und sagt: Es ist nicht wahr! Die Sache ist
+erlogen!... Gut, soll er nur kommen, soll er sich unterstehen! Ich bin,
+Gott sei Dank, ein einfacher Melamed und kein Schreiber, Gott behüte!
+Und Lügen ist weder mein Handwerk noch mein Geschäft!
+
+Kurz und gut -- meine Geschichte ist wahr. Und wenn jemand kommt und ihr
+eine andere Deutung gibt? Gut, so werden wir ihn anhören.
+
+Bis hierher geht die Vorrede, und nun beginnt die Geschichte selbst.
+
+
+II
+
+Ein Ausspruch des »Schweigers« gesegneten Angedenkens. Die Vorzüge
+meines Bruders; er ruhe in Frieden. Ein guter Anfang
+
+Man erzählt vom »Schweiger«(14), gesegneten Angedenkens, daß er, als man
+ihn einmal fragte, warum er nicht, wie die andern Rebben, aus der Thora
+predige, einfach geschwiegen habe, wie er es bei allen Fragen zu tun
+pflegte.
+
+ (14) Zuname eines berühmten chassidischen Rebben.
+
+Doch zu einer andern Stunde, als er besonders gnädig aufgelegt war und
+man in ihn mit derselben Frage wieder drang, sagte er mit einem Lächeln:
+
+»Die Welt«, sagte er, »wundert sich über =mich=, warum ich nicht
+Thoraweisheit predige. Und ich wundere mich über diejenigen, die das tun
+können. Wie kann man in der Thora anfangen und aufhören, wo die Thora
+weder Anfang noch Ende hat und die Unendlichkeit selbst ist?
+
+»In Wirklichkeit ist es aber so: Leute, die keine Ahnung von der Thora
+haben und predigen, was ihnen gerade in den Sinn kommt, beginnen, wann
+und wo sie wollen, und endigen, wann und wo sie wollen. Denn die Thora,
+die sie predigen, ist nicht die Unendlichkeit, nicht die Thora des Herrn
+der Welt! Es ist ihre eigene, von ihnen erfundene Thora ... Doch einer,
+der die Thora wirklich kennt, predigt nicht, weil er nicht weiß, wo er
+beginnen und wo er endigen soll!
+
+»Und in weltlichen Dingen ist es auch so. Zum Beispiel bei einem
+Rechtsstreit, wenn man die Zeugen vernimmt. Ein wahrheitsliebender
+Mensch, der nicht lügen kann und will, beginnt seine Zeugenaussage mit
+den sechs Tagen der Schöpfung und kommt niemals zu der Sache selbst; und
+zum Schluß -- schon gar nicht! Doch einer, der frei aus dem Kopfe
+spricht, legt sich alles hübsch zurecht und spricht wie ein Mensch, der
+Anfang und Ende weiß ... Und seine Aussage fließt dahin wie Baumöl!«
+
+Dieselbe Regel gilt auch für jede Erzählung: der Schreiber, der sich
+alles aus den Fingern saugt, kann eine Geschichte beginnen, wann und wo
+er will; sie ist seine eigene Schöpfung, und er kann mit ihr tun, was
+ihm beliebt! Wenn er will, macht er sie kurz. Doch ich, der ich eine
+wahre Begebenheit erzählen will, weiß wirklich nicht, womit ich anfangen
+und womit ich endigen soll! »Es gibt nichts Neues unter der Sonne« --
+jede Sache hängt von einer früheren Sache ab, und die frühere von einer
+noch früheren, und diese letztere kann man auch nicht verstehen, wenn
+man nicht weiß, was noch früher war. Und so gelangt man zu den sechs
+Tagen der Schöpfung ... Doch zu Ehren meines geliebten Bruders
+Seinwel-Jechïel, er ruhe in Frieden, will ich mit ihm beginnen ...
+
+Es ist jedermann bewußt -- die ganze Franziskanergasse weiß es --, daß
+mein Bruder, gesegneten Angedenkens, ein großer Gelehrter und ein
+wirklich gottesfürchtiger Mann war.
+
+Er war Witwer, und in seinen alten Tagen blieb er ganz allein mit seiner
+Tochter, der Jungfrau Broche-Leë -- es soll zwischen Lebendigen und
+Toten wohl unterschieden werden! Er lebte in großer Not, und da er keine
+Kraft mehr zu unterrichten hatte, blieb er schließlich -- nicht auf euch
+gesagt und auf keinen Juden gesagt! -- ohne Brot. Und die Jungfrau
+Broche-Leë wuchs, unberufen, wie auf Hefe ... Mit einem Wort -- es war
+ein Jammer!
+
+Was tut Gott? Einige Hausväter, lauter geachtete feine Männer, deren
+Kinder mein Bruder unterrichtet hatte, tun sich zusammen und übernehmen
+es, Broche-Leë zu verheiraten und ihrem Vater, er ruhe in Frieden, die
+Mittel zu geben, damit er ins Heilige Land fahren kann.
+
+Obwohl die Reise nicht zum Abschluß gedieh, da er unterwegs -- nicht auf
+euch gesagt! -- an einem Herzschlag starb, so war ihm doch vergönnt, die
+Stadt Zfas im Heiligen Lande zu sehen, woselbst er seinen Geist aufgab
+und in einem jüdischen Grabe mit großen Ehren beigesetzt wurde.
+
+Der Rabbiner von Zfas hielt auf seinem Grabe einen feurigen Nachruf und
+druckte ihn, den Nachruf, in seinem Werke »Kostbare Perlen« ab; und wer
+in dieses Werk hineinsieht, leckt sich die Finger ab.
+
+Da ich jetzt schon einmal den Anfang habe, werde ich mit der
+eigentlichen Geschichte beginnen.
+
+
+III
+
+Die Geschichte selbst. Schlecht getroffen. Jammer. Broche-Leë wird von
+ihrem Mann verlassen
+
+Mildtätigkeit ist eine große Sache. Doch nur für den, der sie übt. Und
+ich beneide nicht den, der Almosen empfängt und vom Vorstand des
+Wohltätigkeitsvereins abhängt ...
+
+Aber ich beneide meinen Bruder, er ruhe in Frieden, daß er zur rechten
+Zeit verschied und den späteren Jammer nicht mehr sah!
+
+Denn die Hausväter, welche Broche-Leë die Mitgift gaben, hatten bloß das
+eine vergessen, daß sie die Tochter eines Gelehrten und eine fromme und
+reine Seele war. Bei der Wahl des Bräutigams berücksichtigten sie weder
+das, noch viel weniger die Verdienste ihres Vaters. Sie trachteten nur
+danach, ihr einen Ernährer zum Mann zu geben. Sie handelten ganz ohne
+Vorbedacht, nur um die Sache irgendwie zu erledigen. Man gabelte einen
+jungen Mann auf, der in einer Rechtsanwaltskanzlei halb angestellt war
+und ab und zu etwas verdiente. Und da er keine zu großen Ansprüche
+machte und ein Weib ernähren konnte, griff man zu. Man nähte die
+Aussteuer, hinterlegte die Mitgift, nahm Spielleute auf und feierte
+Hochzeit. Ich gratuliere!
+
+Die Wahrheit zu sagen, gefiel mir der junge Mann gar nicht. Auch mein
+Weib Feige, sie soll gesund sein, meinte, daß man keine besonders
+kostbare Anschaffung gemacht hatte. Da aber mein Bruder, er ruhe in
+Frieden, dazu gar nichts sagte, so schwiegen wir selbstverständlich
+auch.
+
+Doch dieses Schweigen war nicht klug!
+
+Kaum war mein Bruder, gesegneten Angedenkens, abgereist, als die
+Geschichte losging, und es sich zeigte, daß in dieser Ehe etwas nicht in
+Ordnung war. Ich hörte bald, daß der häusliche Friede beim jungen Paare
+etwas hinkte! Man zankte sich, man schrie, und die Nachbarn klopften an
+die Wände. Ich hörte auch, daß der junge Mann Mojsche-Ißroel nicht
+ausnehmend fromm war, was Broche-Leë sehr mißfiel. Und er schreckte sie
+damit, daß er den Kaftan ablegen und den kurzen deutschen Rock anziehen
+werde, daß er sogar selbst Rechtsanwalt werden wollte. Mojsche-Ißroel
+hielt ihr vor, daß die Hausväter ihn betrogen hätten: sie hätten ihm vor
+der Trauung eine andre, schönere Braut gezeigt; sie hätte er gewiß nicht
+genommen! Er bemängelte auch ihre Aussteuer: Alte Lumpen, sagte er. Auch
+hätte man ihm die übliche Beköstigung in den ersten Ehejahren
+versprochen und ihm hinterdrein die Zunge gezeigt. Noch sagte er, er
+hätte erwartet, daß die Wohltäter sich für ihn verwenden, ihn, wie er
+sagte, »protegieren« würden; sie hätten sich aber auf der Armenhochzeit
+nur angegessen und angetanzt und ihn später nicht über ihre Schwelle
+gelassen.
+
+Selbstverständlich wollte ich mich gleich in der ersten Stunde nicht
+einmischen ... Die Hausväter und meine Frau Feige, leben soll sie,
+wollten es nicht zulassen. Und schließlich ist es ja auch nichts Neues!
+Es kommt oft genug vor, daß es in der ersten Zeit nach der Hochzeit, ehe
+man sich aneinander gewöhnt hat, zwischen Mann und Weib Streitigkeiten
+gibt. Und später -- Gewohnheit ist die zweite Natur -- lebt man doch
+zusammen!
+
+Die Wahrheit zu sagen, gab es auch zwischen mir und meiner Frau Feige --
+sie soll gesund sein! -- im ersten Jahre nach der Hochzeit
+Zusammenstöße. Doch später, als die Kinder kamen und wir um unseren
+Lebensunterhalt selbst sorgen mußten, hörten diese Dummheiten auf. Ich
+suchte mir irgendein Geschäft; es glückte mir nicht, und so wurde ich
+Melamed. Und es ist wirklich nicht so schlimm -- man lebt -- möge es bis
+hundertundzwanzig Jahr' so weiter gehen!
+
+Also kurz und gut -- ich schwieg. Besonders, als mir meine Frau Feige,
+sie soll leben, über Broche-Leë eine vielsagende Andeutung machte. Und
+mir braucht man nicht erst einen Finger in den Mund zu legen. Also ein
+gutes Zeichen, daß es nur gut abläuft! Leider lief es aber nicht nach
+Wunsch ab.
+
+Er besserte sich nämlich gar nicht, er wurde sogar noch schlimmer.
+Dieser Prachtmensch hatte unsers Vaters Abrahams Eigenschaft: er sprach
+wenig und tat viel. Es genügte nicht, daß er sich deutsch kleidete, er
+begann auch ganze Nächte hindurch Karten zu spielen.
+
+Jeden Abend brachte er seine Kumpane mit ins Haus und zwang Broche-Leë,
+ihnen Tee zu kochen und sie mit Branntwein und Hering zu bewirten; und
+den Hering natürlich mit Essig und Öl -- anders paßt es ihm nicht. Und
+dazu weiße Semmeln; Schwarzbrot ist ihnen zu gering! Und wenn etwas von
+den sieben Sachen fehlte, machte er einen Krach. Obendrein verhöhnte er
+sie und machte sie zum Spott für die Leute. Und das nicht genug -- er
+beschimpfte sie noch mit den gemeinsten Ausdrücken!
+
+Nun sah ich ein, daß die Sache nicht gut steht und daß man weiter nicht
+schweigen darf. Ich faßte mir ein Herz und ging zum Ehepaar hin.
+
+Ich komme herein und fange, natürlich zunächst mit guten Worten an, mit
+=feinen= Reden, sogar mit einem Scherzwort, wie schon so meine Natur
+ist. Ich versuche die Sache zuerst freundschaftlich und gutmütig
+anzufassen und sage ihm, daß, obwohl er ein Verbrecher vor dem Herrn
+ist, die Sache noch nicht hoffnungslos sei; und ich schildere ihm das
+große Ansehen, das der Bußfertige im Himmel hat, und sage ihm, daß ihm
+auch die Verdienste von Broche-Leës gottseligen Ahnen im Himmel
+beistehen würden. Er müsse nur mit der Buße beginnen, nur einmal
+ernsthaft an Buße denken.
+
+Ich verspreche ihm noch, ihm menschlich näher zu treten, ihn in meinen
+Betzirkel einzuführen und sogar, falls ich einmal, so Gott will, zum
+Rebben fahren werde, ihn mitzunehmen; und noch ähnliche
+freundschaftliche Worte sage ich ihm.
+
+Da bricht er in ein Gelächter aus! Er lacht über mich, über meinen
+Betzirkel und über den Rebben! Er möchte, sagt er, auf alle diese
+schönen Sachen verzichten, wenn ich ihm nur Broche-Leë abnehme! Und
+dabei gebraucht er Ausdrücke, die man überhaupt nicht in den Mund nehmen
+kann!
+
+Notgedrungen mußte ich nun einen strengeren Ton anschlagen. Ich sagte
+ihm, daß er, obwohl er sich deutsch kleide, doch nur ein Ignorant und
+ein Taugenichts sei. Und dann sagte ich ihm noch ganz furchtlos: wenn er
+Buße tut, ists gut, und wenn nicht, so wird er manches schwarze und
+finstere Jahr in der Hölle zu kosten kriegen!
+
+Fängt er schon wieder zu lachen an: »Wer Hölle? Was Hölle?« Als ob er
+schon einmal dort gewesen wäre und gesehen hätte, daß es, Gott behüte,
+gar keine Hölle gibt! Und dann weist mir noch der freche Kerl die Tür!
+
+Was sollte ich tun? Broche-Leë ist, sehe ich, grün und gelb, die Tränen
+fließen ihr wie Bäche aus den Augen. Ich gehe also fort und lasse den
+Frechling vor das Rabbinergericht laden.
+
+Er kommt nicht hin, und ich lasse wieder eine Zeit verstreichen.
+
+Und da wurde es plötzlich still. Vom Ehepaar hörte ich gar nichts mehr.
+Das kam aber nur daher, weil der Verbrecher seiner Broche-Leë verboten
+hatte, über meine Schwelle zu kommen; sonst würde er sie windelweich
+schlagen! Broche-Leë ist aber ein gesittetes Weib und tut, was der Mann
+verlangt. Sie sitzt also zu Hause und vergießt heimliche Tränen.
+
+Und höre ich nichts, so weiß ich nichts!
+
+Inzwischen habe ich auch meine eigene Tracht Sorgen: meine Frau Feige
+wird mir krank; der Arzt sagt, es sei Fieber; die Nachbarn sagen etwas
+anderes, und ich meine, es kommt von einem bösen Blick. Das Haus ist
+ohne Hausfrau, die Kinder ohne Mutter und auch -- ohne Vater: es ist
+gerade Semesterwechsel, und ich muß herumlaufen, um mir noch zwei oder
+drei Schüler zu verschaffen. Und das ist nicht genug: ich bin auch
+selbst nicht ganz beisammen.
+
+Die Warschauer steilen Treppen nehmen mir alle Lebenskraft! Und dazu
+hetzt man mich noch von allen Seiten: der Hausherr mahnt das
+Wohnungsgeld, und ich bin ihm schon zwei Quartale schuldig geblieben!
+Und der Bezirksinspektor verlangt von mir, daß ich noch ein Zimmer
+hinzumiete, damit es die Schüler geräumiger haben, damit es in der
+Lehrstube mehr Luft gibt!
+
+Gott möge es mir verzeihen -- ich habe an Broche-Leë nicht mehr gedacht!
+Und sooft ich mich an sie erinnerte, sagte ich mir: da es so still ist,
+wird sich der Bösewicht wohl doch bekehrt haben, und sie tun jetzt
+nichts, als sich herzen und küssen! Und weil es ihr so gut geht, hat sie
+die armen Verwandten ganz vergessen.
+
+Aber einmal -- ich komme halb ohnmächtig und, nicht auf euch gesagt, mit
+geschwollenen Füßen nach Hause, will mir die Hände waschen, irgend etwas
+herunterschlingen, schnell das Tischgebet sprechen und die Knochen im
+Bette ausstrecken -- da verkündet mir meine Frau Feige eine frohe
+Botschaft: Broche-Leë war dagewesen, hatte bittere Tränen vergossen und
+uns Mörder gescholten, weil uns ihr Unglück nichts anginge; sie sei eine
+verlassene Waise, elend und einsam wie ein Stein.
+
+Sie erzählte noch, daß ihr Mann Mojsche-Ißroel sie martere und ihr
+Todfeind sei. Er schlage und prügele sie, so daß sie schon viele Male
+aus Nase und Ohren geblutet habe.
+
+Und ich frage meine Frau Feige: »Wie kann das sein? Daß ein Jude seine
+Frau schlägt, und dazu noch eine Frau in gesegneten Umständen?!...«
+
+Sie antwortet, daß es wohl von seiner wahnsinnigen Bosheit kommt;
+Mojsche-Ißroel hat den rechten Weg schon längst verlassen. Er hat jedes
+Gottvertrauen verloren; darum schreit er, er habe nicht mehr, wovon zu
+leben ... Und er verlangt -- sein Name und sein Andenken mögen
+ausgelöscht werden! -- daß Broche-Leë sich etwas antue ... Die ganze
+Welt macht es, sagt er, so; selbst die feinsten Damen ... Und da sie es
+nicht tun will, schlägt er sie und beschimpft sie und ihren Vater mit
+den schrecklichsten Flüchen!
+
+Wie ich höre, daß er meinem Bruder, gesegneten Angedenkens, flucht,
+werde ich voller Zorn! Ich vergesse alles andre, nehme meinen Stecken --
+mein Tod oder sein Tod! Abschlachten werde ich den Hund! -- und laufe
+ohne Atem und Besinnung aus dem Hause ...
+
+Und ich komme und sehe ...
+
+Einen Jammer sehe ich!
+
+Die Tür steht offen, in der Stube ists stockfinster. Der Kerl ist fort,
+durchgebrannt! Fort ist der ganze Hausrat, selbst die Bettwäsche hat er
+abgezogen ... Und wo ist sie?
+
+Sie liegt auf dem Boden und windet sich in Krämpfen ...
+
+
+IV
+
+Ein Wunder. Meine Frau Feige und ihre Taten. Man wirft mich hinaus, und
+wohin ich gehe
+
+Es geschah ein Wunder, daß meine Frau Feige, unberufen, ihren gesunden
+Menschenverstand behielt.
+
+Als ich den Stecken nahm und schrie, daß ich den Hund umbringen werde,
+nahm es sich meine Frau Feige gar nicht zu Herzen ... Sie weiß ganz gut,
+daß ich, Gott behüte, kein Mörder bin und nicht eine Fliege an der Wand
+töten kann; sie weiß, daß ich, wenn ich schon in Zorn gerate, vor allen
+Dingen zu weinen anfange. Ich habe schon einmal so eine Natur: vor Zorn
+fließen mir die Tränen wie Wasser.
+
+Meine Frau Feige weiß auch, daß ich selbst meine Schüler nicht so
+schlage, wie es sich gehört, und daß mir sogar die Väter deswegen
+Vorwürfe machen; auch ich selbst fürchte zuweilen, daß ich in dieser
+Hinsicht vor Gott und den Menschen sündige: denn oft ist so ein Hieb
+notwendig! Besonders seitdem einer meiner Schüler in schlechte
+Gesellschaft geriet, ist es meine feste Meinung, daß man zuweilen
+schlagen =muß=!
+
+Wir wollen aber nicht abschweifen!
+
+Also meine Frau Feige wußte ganz gut, daß ich ihm nichts tun würde, und
+blieb darum ruhig auf dem Bette sitzen. Doch später, als eine Stunde,
+zwei Stunden vergingen und ich noch immer nicht zurück war, bekam sie
+doch Angst und sagte sich, daß ich den Hund gewiß wie einen Fisch in
+Stücke geschnitten habe und dafür ins Loch gesperrt worden sei!
+
+Da gab es was! Sie vergaß alle ihre Schmerzen, die Kinder in den Betten
+und das bißchen Hausrat, das wir hatten, sprang aus dem Bette, warf sich
+etwas um und lief mir nach; vergaß sogar die Tür hinter sich zu
+schließen.
+
+Ich schau mich um, -- sie ist da. Und kaum ist sie da, als sie gleich
+auf den ersten Blick erkennt, was vorgeht. Vor allen Dingen, als sie
+mich wie ein Stück Holz dastehen sieht, schreit sie mich an:
+»Nichtstuer!« Und im gleichen Augenblick reißt sie die Tür auf und ruft:
+»Hilfe!« Sofort kommen einige Nachbarinnen. Meine Frau Feige übernimmt
+das Kommando, und die Nachbarinnen folgen ihren Befehlen. Und eines der
+Weiber wirft mich auf Feiges Befehl tatsächlich zur Tür hinaus.
+
+Wo geht man nun hin? Auf der Straße ist nasser Schnee, der Wind peitscht
+mir das Gesicht und stiehlt sich durch die Löcher in meine Kleider
+hinein ...
+
+Also gehe ich ins Bethaus. Dort sitzen noch einige Leute, die nach dem
+Beten ein wenig in den Talmud hineinschauen. Ich nehme mir auch einen
+Talmudband. Und fertig, mehr brauche ich nicht! Kaum öffne ich den
+Talmud, ist Broche-Leë vergessen! Vergessen ist ihr Mann, der Bösewicht!
+Und auch die ganze Welt. Wer ist von ihrem Mann verlassen? Wer ist
+durchgebrannt? Wer liegt in Kindsnöten? Das gibt es alles nicht!...
+
+
+V
+
+Meine Schüler. Wer ist mein Lehrer? Die Thora und ihr Lohn. Das
+Gleichnis vom Vogel. Schlimme Gedanken und Zweifel
+
+Wenn ich manchmal selbst mit großer Freude studiere, können es meine
+Schüler aus den reichen Häusern nicht begreifen. Sie fragen mich, ob
+=ich= auch noch lernen muß? Und wer =mein= Rebbe ist?
+
+Die Dummköpfe! Sie wissen nicht, daß die Welt ein guter Rebbe ist, und
+die Sorge ums Brot -- ein gar vortrefflicher Rebbe! Leiden und Unglück
+sind gute Melameds .. Die Mücke, die ewig das Gehirn sticht mit der
+Frage: »Und was werden wir essen?«, ist ein gar feuriger Rebbe! Und dann
+sind auch meine Schüler selbst mitsamt ihren Vätern -- meinen Brotgebern
+-- sehr feine Lehrer, ausgezeichnete Lehrer!
+
+Alles treibt zum Lernen. Aber wie die Thora, so auch ihr Lohn. Schlage
+ich den Talmud auf, so werde ich ein andrer Mensch. Ich fühle, daß sich
+mir der Himmel auftut! Daß der Herr der Welt mir in seiner großen Gnade
+Flügel, große und breite Flügel verliehen hat! Und ich fliege auf diesen
+Flügeln empor -- ich bin ein Adler, und ich fliege in weite Fernen fort;
+nicht übers Meer fliege ich, sondern aus der Welt ganz hinaus! Aus der
+Welt voller Lüge, Verstellung und bösen Leiden ...
+
+Und ich schwinge mich in eine ganz andre Welt hinauf, in eine neue Welt,
+in eine Welt, wo es nur Gutes gibt. In eine Welt, wo weder dickbäuchige
+Hausbesitzer noch unwissende vornehme Herren etwas gelten; wo es weder
+Geld noch Nahrungssorgen gibt, weder schwere Kindsnöte, noch hungernde
+Kinder, noch schreiende Weiber!
+
+Und dort bin ich, ich, der arme, kranke, unterdrückte, hungernde
+Melamed, ich ärmster Bettler, der ich hier stumm wie ein Fisch bin und
+von allen wie ein Wurm getreten werde, -- dort bin ich der Mensch, der
+Vornehme, dessen Meinung gilt! Und ich bin frei, und mein Wille ist
+frei, und =ich= habe zu befehlen! Welten baue ich auf und Welten
+zertrümmere ich und baue mir neue an ihrer Stelle! Neue, schönere und
+bessere Welten! Und ich lebe in diesen Welten und schwebe in ihnen
+herum! Ich bin im Paradiese, im wirklichen Paradiese!
+
+Und ich weiß, daß ich mehr weiß, als ich meinen Schülern mitteilen will
+und kann, mehr als ich mir selbst eingestehe. Ich ahne Dinge, die man
+mit den Lippen gar nicht aussprechen kann, die kein Auge sieht und kein
+Ohr hört, die nur im Herzen blühen, nur im Herzen leben und pochen!
+
+Die »zwei, die zugleich nach einem Gebetmantel greifen«, deren Streit
+der Talmud untersucht, sind für mich nicht zwei beliebige Menschen von
+der Straße, nicht ein Schimen und ein Ruben, wie ich es meinen Schülern
+erkläre; und auch der Gebetmantel, um welchen der Streit geht, ist kein
+gewöhnlicher Gebetmantel, wie man ihn im Laden von Jossel Pesches kaufen
+kann ... Ich fasse es tiefer an!
+
+Ich fange alle die Funken auf, die =zwischen= den Zeilen, =zwischen= den
+Worten, =zwischen= den Buchstaben leuchten; meine Seele saugt sie ein
+wie ein Schwamm! Ich fühle, wie mich das Licht, das der Frommen im
+Jenseits wartet, ganz durchtränkt und erfüllt!
+
+Ach, nur sitzen und studieren! Nur studieren!
+
+ * * * * *
+
+Und das muß ich euch auch sagen: wenn ich in reiche Häuser komme und
+sehe, wie die Leute ganze Nächte hindurch Karten spielen, oder die Zeit
+mit Weibern oder andern Eitelkeiten verbringen; oder wenn ich durch die
+Straße gehe und durch die offene Tür einer Schenke einen Handwerker
+sehe, wie er in einer Wolke von Tabakrauch sitzt und trinkt und dummes
+Zeug spricht; wenn ich das alles sehe, sage ich euch, werde ich gar
+nicht böse ... ich mache den Leuten gar keine Vorwürfe; im Gegenteil:
+mir tut das Herz weh vor Mitleid mit ihnen!
+
+Denn wenn wir es so betrachten, was sollen sie ohne Thora tun?
+
+Wie ich bereits erwähnte, gab ich einmal auch in einem Dorfe Unterricht.
+Mein Schüler zeigte mir, wie am Ende des Sommers alle Vöglein
+zusammenflogen, um unser Land noch vor Wintersanfang zu verlassen ...
+Ich sah, wie sie sich zu ganzen Heeren versammelten und davonflogen in
+weite Fernen ...
+
+Die kleinen Vöglein können und wollen hier nicht bei Schnee und Frost
+bleiben ... In dieser Zeit hat hier so ein armes Vöglein keinerlei
+Lebensmöglichkeit ... Und die Vöglein wissen es, sie fühlen es, daß der
+Winter naht, daß ihr Todesengel kommt ...
+
+Doch einmal sah ich, wie ein armes verkrüppeltes Vöglein mit einem
+gebrochenen Flügel auf der nassen, kalten Erde herumhüpfte; es piepste
+und konnte sich nicht vom Boden erheben, um den großen Vögeln
+nachzufliegen. Es war wirklich ein Jammer, zu sehen, wie das arme
+Vöglein keinen Platz finden konnte, wie es immer hüpfte und hüpfte, und
+den andern freien Vögeln, die schon davonflogen, nachsah ...
+
+Damals sagte ich mir: diesem kranken Vögelchen gleicht die Seele des
+Unwissenden!...
+
+Fliegen können sie nicht, denn sie haben keine Flügel -- keine Thora!
+Gib ihnen Thora, gib ihnen Flügel, so werden auch sie fliegen in die
+fernen Welten!
+
+Man hat ihnen aber die Flügel zerbrochen, und darum hüpfen sie immer im
+kalten Straßenschmutz herum ... Darum müssen sie schamlose Reden führen
+oder Karten spielen: der Reiche im Salon, der Arme in der Schenke ...
+
+Doch wollen wir zur Sache zurückkehren!
+
+Also ich sitze und studiere. Die paar Leute, die noch im Bethause waren,
+sind einer nach dem andern heimgegangen. Der Schuldiener ging als
+letzter fort.
+
+Was geht es mich an? Ich sehe es ja gar nicht!
+
+Bei Licht, im warmen Bethause, den offenen Talmudband vor mir, fürchte
+ich allein nichts! Ich bin vertieft, ganz wie es sich gehört.
+
+Die Thora gleicht doch, wie ihr wißt, dem Meere. Die Wellen schlagen und
+wollen mich verschlingen ... Doch ich kann schwimmen! Ich tauche unter
+und bin schon wieder oben! Zuweilen wird das Meer still; schön, rein und
+klar wie der Himmel liegt es da, und meine Seele badet im frischen,
+belebenden Wasser; sie gleitet wie über einen Spiegel dahin in Wonne und
+Schönheit ... Und das Wasser wäscht sie, reinigt sie von allen Flecken,
+von den schwarzen irdischen Stäubchen ...
+
+Und rein und heilig wird meine Seele ...
+
+Doch plötzlich fühle ich einen brennenden Schmerz in den Fingern, und
+ich sitze im Finstern ...
+
+Der Lichtstummel, den ich in den Fingern hielt, ist ausgegangen!
+
+Alleinsein im Finstern fürchte ich. Und es überfällt mich eine große
+Angst!
+
+Wenn es um mich herum hell ist, bei Tage oder auch bei Nacht, fürchte
+ich nichts. Mir ist gut! Ich sehe die Welt, und ich spüre den Hausherrn
+=über= der Welt! Ich sehe die Welt, und die Welt sieht mich. Und ich
+weiß, daß ich ein Teil der Welt bin, und daß ihr Hausherr auch mein
+Hausherr ist; daß ohne seinen Willen mir kein Haar gekrümmt werden kann.
+Er wird es nicht dulden, und auch die Welt selbst wird es nicht dulden.
+Warum sollten sie es auch zulassen?
+
+Aber wenn ich allein im Finstern bin und die Welt nicht sehe, dann --
+ach, dann höre ich überhaupt auf, Mensch zu sein! Mich befallen böse
+Gedanken, und es scheint mir -- Gott möge mich dafür nicht strafen --,
+daß ich gar keinen Zusammenhang mit der Welt mehr habe, daß man mich von
+ihr losgetrennt und aus ihr weggeführt hat ... Ich habe mit ihr nichts
+zu tun; weder ich, noch mein Weib, noch meine Kinder ... Nichts haben
+wir mit ihr zu schaffen! Gleich wird man mich oder einen von uns ganz
+still wegtun, und niemand wird es sehen, niemand wird es wissen und
+gewiß niemand fühlen.
+
+Kaum war das Licht ausgegangen, als mich gleich meine Festtagsseele, die
+nur während des Lernens in meinem Leibe ist, verließ und ich bei meiner
+zitternden, erschrockenen Werktagsseele blieb, bei der Seele des
+bettelarmen Melameds ... Ich bin wieder ein Nichts, ein Wurm, ein
+verlorenes Ding ...
+
+Und meine Lippen zittern: Gott soll helfen! Gott soll helfen!
+
+Und das Herz nagt und bangt: Broche-Leë wird gebären ... gewiß wird sie
+gebären. Sie wird sogar Zwillinge haben. Denn ihre Mutter war wegen
+ihrer Zwillingsgeburten berühmt!
+
+Du hast wohl zu wenig an eigen Weib und Kind? Also fällt dir noch
+Broche-Leë mit einem Kind zu, Broche-Leë mit zwei, mit drei Kindern ...
+Seinwel-Jechïel ruht im Grabe; er sitzt jetzt im Paradiese und lernt
+Thora. Und du arbeite und ernähre seine Tochter!
+
+Und böse Gedanken sagen mir: Wenn Gott sich erbarmen will, so hat er
+keinen andern Ausweg, als den Todesengel zu schicken ... zu mir ... zu
+der Gebärenden ...
+
+Barmherziger Gott! Barmherziger Gott!
+
+Und ich weiß, daß ich vor Gott sündige, daß ich in Gotteslästerung
+verfalle. Ich weiß das, doch ich habe nicht die Macht, den bösen
+Gedanken aus dem Herzen zu vertreiben ... Denn allein bin ich schwach
+und im Finstern noch schwächer!
+
+Ich weiß, daß das einzige Mittel dagegen die Thora ist, und ich will sie
+auswendig studieren; ich will mich auf eines der Probleme besinnen, doch
+ich kann nicht: ich habe alles vergessen, habe die ganze Thora
+vergessen!
+
+Und ich rief mit allen meinen Kräften aus:
+
+»Herr der Welt! Hilf mir! Hilf mir!«
+
+Und es geschah mir ein Wunder!
+
+
+VI
+
+Das Wunder. Das verborgene Licht. Erlösung einer Seele. Der Todesengel,
+welcher kommt, weil man ihn rief
+
+Als ich diese Geschichte später einem »Aufgeklärten«, einem meiner
+früheren Schüler erzählte, lachte er, und noch wie! Es war, sagte er,
+gar kein Wunder, sondern nur ein Zufall oder eine Einbildung, oder
+vielleicht gar ein Traum oder dergleichen.
+
+Was macht das?
+
+Jitro, Moses' Schwiegervater, hatte bekanntlich sieben Namen, und doch
+gab es nur =einen= Jitro!
+
+Nenne es, wie du willst: Zufall, Einbildung, Wunder, -- Geschichte
+bleibt Geschichte!
+
+Ich weiß nur, daß gerade in dem Augenblick, als ich, Gott behüte, in die
+tiefste Hölle hinabzustürzen glaubte, sich das ganze Bethaus mit Licht
+füllte! Es war eine so blaue Helle wie in den Lichtsäulen, die manchmal
+im Sommer von der Sonne durch ein Fenster schräg in die Stube fallen ...
+
+Man sieht ganz deutlich, daß eine solche Säule aus kleinen Lichttropfen
+besteht und daß jedes Tröpfchen in ihr strahlend herumwirbelt.
+
+Und eine solche Säule erfüllte damals das ganze Bethaus.
+
+Plötzlich werde ich ruhig ... und alles Denken hört auf!...
+
+Das Bethaus ist von einer süßen Helle erfüllt. Und ich -- von einem
+süßen, lichten Gottvertrauen! Und alles in mir ist so rein, so klar, so
+kristallen!
+
+Und wie ich nach der Ostwand blicke, von der die Lichtsäule kommt, sehe
+ich jemanden!
+
+Wen, glaubt ihr, sehe ich?
+
+Meinen Bruder, gesegneten Angedenkens, sehe ich! Und gerade auf dem
+Platze, wo er bei Lebzeiten immer zu sitzen und zu studieren pflegte.
+
+Er hat vor sich ein Buch ... Sein Gesicht kann ich nicht sehen, weil er
+den Kopf in die Hand stützt. Doch das Herz sagt mir, daß er es ist, mein
+Bruder Seinwel-Jechïel ...
+
+Und ich erschrak gar nicht!
+
+Denn die Regel ist: wer vor Lebendigen keine Angst hat, der zittert vor
+Toten. Doch ich armer Wurm, der ich vor allem, was da lebt, zittere, was
+soll ich vor einem Toten Angst haben? Und vor wem? Vor meinem Bruder
+Seinwel-Jechïel, der auch bei Lebzeiten wie Seide war? Und ich frage ihn
+ganz einfach:
+
+»Bist du es, Seinwel-Jechïel?«
+
+»Ja, ich bin es!« antwortet er und nimmt die Hand von den Augen.
+
+Ich erblicke sein Gesicht. Es strahlt in seltsamer Lieblichkeit, und in
+seinen Augen liegt eine eigentümliche Süße ...
+
+Und ich frage weiter:
+
+»Was tust du da, Bruder?«
+
+Und er antwortet:
+
+»Was ich tue? Sehr viel tue ich! Als ich bei Lebzeiten hier saß und
+lernte, verwirrte mich oft der Satan; Nahrungssorgen mischten sich ein,
+und ich übersprang viele Stellen und lernte andre wiederum ohne große
+Andacht. Nun tue ich das, was man oben über mich verhängte, damit meine
+Seele endgültig erlöst werde: Ich wiederhole!«
+
+»Und alles mit Andacht?«
+
+Er nickt bejahend, und ich sage:
+
+»Seinwel-Jechïel, du lernst mit Andacht, weil du nicht weißt, daß ...«
+
+Er unterbricht mich mit seiner süßen Stimme:
+
+»Narr,« sagt er, »im Gegenteil: eben weil ich weiß, lerne ich jetzt mit
+solcher Andacht. Bei Lebzeiten wußte ich wenig und zweifelte viel, und
+darum übersprang ich viele Stellen ohne Andacht. Denn nur das, was man
+nicht weiß und woran man zweifelt, verwirrt ... Doch jetzt, da ich weiß
+und keine Zweifel mehr habe, studiere ich immer mit Andacht.«
+
+»Du weißt auch, daß Mojsche-Ißroel ...?«
+
+»Nach Amerika entlaufen ist? Ich weiß es! Ich weiß sogar, mit welchem
+Schiff er durchgebrannt ist ... Verbotene Speisen ißt er auf dem Schiff.
+Ich weiß es!«
+
+»Weißt du, daß Broche-Leë ...«
+
+»In schweren Kindsnöten liegt? Gewiß weiß ich es! Ich weiß sogar, daß
+sie einen Sohn haben wird ...«
+
+»Keine Zwillinge?«
+
+»Nein, keine Zwillinge. Sie ist aber sehr zu bedauern! Das Kind wird ein
+Krüppel sein ... Der Bösewicht hat sie gestoßen und dem Kinde Schaden
+zugefügt ...«
+
+Und ich frage weiter:
+
+»Vielleicht weißt du auch, wovon sie leben werden?«
+
+»Auch das weiß ich!« sagt er mild. Er kommt auf mich zu, legt mir seine
+Hand auf die Achsel und sagt:
+
+»Schau durchs Fenster hinaus!«
+
+Ich tue es.
+
+»Nun, was siehst du?«
+
+»Ich sehe jemanden vorbeigehen ... Er ist weiß gekleidet, und sein
+Antlitz leuchtet, als ob Gottes Herrlichkeit darauf ruhte ... Ganz
+unglaublich strahlt sein Antlitz ... Er geht langsam ... Mir ists, als
+ob ich eine süße, herzige Weise hörte, die ein Spielmann im Gehen
+spielte ... Da ist er schon vorbeigegangen, der Mensch ...«
+
+»Es war kein Mensch -- ein Engel wars!«
+
+»Ein Engel?«
+
+»Ein guter, sehr guter Engel ... Der Todesengel!«
+
+»Der Todesengel?« rufe ich erschrocken aus.
+
+»Warum zitterst du so? Willst du ihm entfliehen?«
+
+»Und wohin ging der Engel?«
+
+»Wohin er ging? Zum reichen Reb Simche. Auch seine Tochter liegt in
+Kindsnöten ...«
+
+»Ich weiß es: ich habe ja heute früh mit noch andern Leuten für sie und
+das Kind Psalmen gelesen ...«
+
+»Das Gebet hilft nur zur Hälfte. Das Kind wird leben.«
+
+»Und sie?«
+
+»Hast doch eben gesehen ...«
+
+»Also zu ihr ging der Engel! Und so ohne Lust ging er, mit langsamen
+Schritten ... Wohl aus Mitleid?«
+
+»Vielleicht. Er hat keine Eile, weil er nicht Gottes Sendbote ist!«
+
+»Was sagst du?« rufe ich erschrocken. »Wer hat denn noch zu bestimmen?«
+
+»Auch der Mensch hat seinen Willen ... Sie selbst hat ihn gerufen ...«
+
+»Sie selbst?!«
+
+»Sie wollte kein Kind haben, keine Mutter sein! Hat dem Kinde Schaden
+zufügen wollen ...«
+
+»Herr der Welt!« rufe ich mit großem Schmerz aus. »Sie wird für ihre
+Sünde sterben ... Aber was hat das Kind verbrochen? Das Kind wird doch
+ohne Mutter bleiben ... Herr der Welt!«
+
+»Schrei nicht!« sagt Seinwel-Jechïel und nimmt mich bei der Hand.
+»Schrei nicht! Broche-Leë wird des Kindes Amme sein. Und von heute an
+wisse: Der das Leben gibt, gibt auch wovon zu leben!«
+
+Und im selben Augenblick zerrann er mir in der Luft, und die helle
+Lichtsäule verschwand. Durch das Fenster sah schon der bleiche
+Wintermorgen herein.
+
+
+VII
+
+Der das Leben gibt, gibt auch wovon zu leben
+
+Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was ich in diesen Augenblicken
+empfand!
+
+Ich fiel meiner ganzen Länge nach nieder, und die Quellen meiner Augen
+taten sich auf, und die Tränen flossen und flossen ...
+
+Und es war mir, als ob ich nicht Tränen weinte, sondern Steine: als ob
+mir aus dem Herzen Steine heraufkämen und durch die Augen herausrollten.
+Denn je mehr Tränen ich vergoß, desto weniger Steine blieben mir auf dem
+Herzen, desto leichter und freier wurde es mir in der Brust!
+
+Und die Geschichte geht schon zu Ende.
+
+Ich gehe nach Hause.
+
+Die Tür, sehe ich, steht offen!
+
+Ich trete in die Stube und sehe im schwachen, bleichen Morgenlichte, daß
+Diebe dagewesen sind! Der ganze Hausrat ist weg!
+
+»Macht nichts!« sage ich mir.
+
+Die Kinder husten im Schlafe trocken und heiser.
+
+Ich höre es und denke mir: »Schadet nichts, macht nichts!«
+
+Bald kommt meine Frau Feige heim und sagt: »Gratuliere!« Und ich
+antworte:
+
+»Ein Söhnchen, ein Krüppel!«
+
+Sie schaut mich an.
+
+»Bist du ein Prophet oder was?« Sie hört gar nicht, daß die Kinder
+husten, und sieht nicht, daß die Wohnung ausgeräumt ist.
+
+»Woher weißt du das?«
+
+Und ich sage ihr:
+
+»Noch mehr weiß ich, Feige, meine Frau! Ich weiß, daß des reichen Reb
+Simches Tochter weggekommen ist (das Wort ›verschieden‹ konnte ich nicht
+über die Lippen bringen) und daß das Kind, auch ein Söhnchen, lebt! Und
+daß Broche-Leë seine Amme sein wird!«
+
+»Wer hat dir das alles erzählt?«
+
+»Denn«, sage ich ihr, »der das Leben gibt, gibt auch wovon zu leben.«
+
+Und ich erzählte ihr alles.
+
+
+
+
+Der kranke Knabe
+
+
+Mameschi, ich will dir ein Geheimnis erzählen; doch der Vater soll davon
+nichts erfahren!
+
+Du fragst mich: warum? Weil der Vater mich weniger lieb hat ...
+
+Nein, Mameschi, ich sündige mit den Lippen: er hat mich nicht weniger
+lieb, er hat mich nur =anders= lieb!
+
+Er ist ja der Vater und muß streng sein ...
+
+Vater hat einen langen Bart; Vaters Gesicht fühlt sich beim Streicheln
+nicht so an wie Mutters atlasglattes Gesicht ... Er hat auch ganz andre
+Augen und einen ganz andern Blick. Wenn du mich anschaust, hast du so
+lachende und dabei so feuchte, so gütige und dabei so traurige Augen ...
+Du bist Mutter und zugleich Kamerad ... Vor dir kann ich keine
+Geheimnisse haben ... Mit deinen Augen ziehst du mir jedes Geheimnis aus
+dem Herzen heraus ...
+
+Vater schaut ganz anders: immer ernst, beinahe kalt ...
+
+Nein, Mameschi, es sind ganz andre, wirklich ganz andre Augen!
+
+Als ich noch klein war, hatte ich vor dem Vater weniger Angst. Ich weiß
+noch, wie ich ihm auf die Knie zu springen pflegte, wie ich ihm das Haar
+zerzauste, den Bart zerteilte und zu Zöpfen flocht, die Lippen
+übereinanderbog; und wenn er mich böse anschauen wollte, drückte ich ihm
+die Lider hinunter und schloß ihm einfach die Augen ... Heute kann ichs
+nicht mehr ...
+
+Einmal -- hörst du, Mameschi? -- einmal, als ich krank war, erwachte ich
+und sah euch beide an meinem Bette stehen ... Du hast so still, so
+herzensstill geweint; und der Vater ... Mameschi!... Vater hatte damals
+ein so schreckliches Gesicht, und ich sah, daß er Gott böse war! Vor
+Schreck schloß ich wieder die Augen ...
+
+Und seit damals kann ich dem Vater nicht mehr nahe kommen wie früher ...
+Etwas hält mich zurück! Oft will mir das Herz aus der Brust springen und
+ihm zufliegen, und doch kann ich es nicht!
+
+Glaubst du, daß ich den Vater weniger lieb habe? Gott behüte! Ich habe
+Vater sehr lieb und gewinne ihn mit jedem Tag, mit jeder Minute noch
+lieber ... Wenn er auf mich zugeht, hüpft mir das Herz vor Freude, und
+es bebt in mir die Seele vor Hoffnung: gleich wird er mich bei der Hand
+fassen und an sein Herz drücken ...
+
+Vor dir zittere ich nicht: du hast mich immer und gleich lieb ... Du
+hast für mich immer Zeit, und du umarmst und küßt mich jeden Augenblick
+... Du bist immer, immer mein ... Vater hat so viel Geschäfte!
+
+Ich weiß: er will, daß ich einmal reich sein soll!
+
+ * * * * *
+
+Jetzt willst du wohl, Mameschi, mein Geheimnis hören?
+
+Ich schäme mich!
+
+Vor der Mutter, sagst du, soll man sich nicht schämen? Es ist wahr ...
+Und doch ... Weißt du was, Mameschi? Setz dich hier auf diesen Stuhl vor
+dem Fenster ... Gut so!
+
+Ach, wie schön die Sonne untergeht! Wie schön fallen ihre rötlichen
+Strahlen auf dein edles, blasses Gesicht!...
+
+Ach, Mameschi, wie schön, wie schön und edel bist du!
+
+Warte ... Nun will ich mich dir zu Füßen setzen ... Und du sollst mir,
+wenn ich erzähle, nicht ins Gesicht schauen ... Ich will mich auf den
+Fußschemel setzen und beim Erzählen zum Fenster hinausschauen ...
+
+Nein!... So ists nicht gut! Ich werde mich vor der Sonne schämen ...
+Siehst du: am Tage strahlt sie, doch am Abend nimmt sie von uns so
+traurig Abschied, daß ich mich schäme, von mir zu sprechen ...
+
+Ich will meinen Kopf an deinen Schoß lehnen ... Ich will meine Augen
+schließen, und du ... du leg mir noch deine Hand auf die Stirn ... Ist
+es dir nicht zu schwer, Mameschi, wenn ich meinen Kopf so an dich lehne?
+Nein?
+
+Sechzehn Jahre ist dein Kind alt und hat ein so leichtes, ein so kleines
+Köpfchen ... Und ich selbst ...
+
+Seufze nicht, Mameschi! Gott hat mich nicht zu karg bedacht: er gab mir
+zwar wenig Fleisch, dafür aber viele andre gute Gaben: dich, den Vater
+... Tage und Nächte mit wunderlichen Träumen ... Und nun -- das
+Geheimnis ...
+
+Nun sehe ich nichts ... Mit geschlossenen Augen werde ich es vielleicht
+doch erzählen können ... Ich wills versuchen ...
+
+Es fällt mir so schwer!...
+
+Wenn ich es mir so überlege -- so ist es nichts: ein Netz aus einigen
+wunderlichen Strahlen, -- und doch lastet es mir auf dem Herzen wie ein
+Stein ... Es ist kein Kieselstein, kein Stein von der Gasse oder vom
+Felde ...
+
+Es ist ein kostbarer Stein; er strahlt und leuchtet ...
+
+Er liegt mir tief in der Brust und erfüllt mein ganzes Wesen, alle meine
+Glieder mit seinen Strahlen, mit seinem heimlichen, warmen, lebendigen
+Licht ...
+
+Das Licht soll nicht verlöschen, Mameschi!
+
+Es verlischt so vieles!...
+
+ * * * * *
+
+Hörst du, Mameschi!
+
+Nein, warte, so einfach und geradeaus beginnen kann ich doch nicht ...
+
+Hör aber! Weißt du noch, Mameschi, daß du mir gestern etwas Kleingeld
+gabst? Weißt du es noch?
+
+Ich habe davon noch nichts ausgegeben, und doch fehlt mir schon
+etwas ...
+
+Es fehlt mir ein Zehnerl!
+
+Ob ich es verloren habe? Nein ... Du gibst mir doch das Geld, damit ich
+davon armen Leuten, armen Kindern, denen ich bei meinen Spaziergängen
+begegne, Almosen gebe ... Armengeld werde ich doch nicht verlieren!
+
+Ob ich es weggegeben habe? Gewiß. Ob einem Armen? Ich weiß es nicht ...
+Vielleicht ja, und vielleicht auch nicht ... Hör nur zu, vielleicht
+wirst du es selbst verstehen!
+
+Gestern ging die Sonne ebenso schön unter ... Vielleicht noch
+schöner ...
+
+Du hast mich schauen gelehrt, und ich schaue und sehe, was andre
+meinesgleichen nicht sehen ... Darum gehe ich am liebsten ganz allein
+spazieren ... Gestern ging ich hinter die Stadt, du weißt, zu der Stelle
+am Flusse, von wo aus man sie ganz überblickt. Die Häuser türmen sich
+übereinander, immer höher und höher; und die Häuser, die weiter stehen,
+wollen über die andern hinüberschauen und auch etwas von Gottes Welt
+sehen; darum ragen sie, je weiter sie stehen, um so höher hinauf. Und
+die Sonne sieht im Untergehen auf sie herab und übergießt sie mit ihrem
+Lichte ... nimmt Abschied von ihnen ... küßt sie ...
+
+Und ich sehe, wie die Schatten diesen letzten Strahlen nachjagen, wie
+sie sich immer mehr und mehr verdichten und wie sie fließen und überall
+eindringen, wo sie nur können. Sie erfüllen alle Zwischenräume zwischen
+den Häusern, alle freien Plätze zwischen den Mauern, und sie heben und
+jagen das letzte rötliche Sonnenlicht hinauf, in den Himmel, aus dem es
+kommt ... »Geht zur Ruhe, ihr Strahlen, jetzt ist =unsre= Zeit!... Gute
+Nacht!...«
+
+Und es wird allmählich dunkler und dunkler und der Himmel immer tiefer
+und tiefer ... Bald werden, einer nach dem andern, die Sterne
+aufleuchten ... Und wie ich das alles sehe, komme ich zur
+Schreinergasse, zu der letzten Gasse der Stadt, die so steil
+hinuntergeht ... Und so kam ich zum Fluß, wo die alte Schul steht ...
+
+Und ich kam ganz nahe an die alte Schul heran.
+
+Am Tage sieht sie schrecklich aus: armselig, baufällig, ganz schwarz vor
+Alter ... Die Spinnen wollen aus Mitleid die eingeschlagenen
+Fensterscheiben überweben ... Und auf dem Hügel gegenüber, am andern
+Ende der Gasse, steht die schlanke, spitze Christenkirche und lacht ...
+
+Doch am Abend sah die alte Schul ganz anders aus ... Zum ersten Male sah
+ich sie gestern so ... Ein leichter, lieblicher, dunkelblauer Nebel
+umhüllte sie ... Die Fenster ohne Scheiben waren gar nicht blind ... Sie
+blickten ernst und tief in die Welt hinaus ... Und die Gesimse oben
+lebten und rührten sich beinahe. Die gemalten Löwen wollten sich von der
+Mauer losreißen ... Gleich werden sie zu brüllen anfangen!
+
+Glaubst du, daß =das= mein Geheimnis ist? Nein, Mameschi! Das alles sehe
+ich erst jetzt, wie ich es dir erzähle; mit den gestrigen Augen sehe ich
+es.
+
+Ach, Mameschi, wenn ich reich wäre!
+
+Was ich dann täte?
+
+Ich würde die alte Schul wieder aufrichten!
+
+Ich will, daß auch sie hoch ist und in den Himmel hinaufragt! Und sie
+muß höher sein, weil sie tiefer steht! Und ein goldenes Dach soll sie
+haben und kristallene Fensterscheiben!
+
+Hörst du, Mameschi, so denke ich es mir: man kann ja auch ohne Schul
+auskommen; denn Gott ist überall ... Wo nur eine Träne fällt, die merkt
+er! Wo jemand die Augen zu ihm hebt, den sieht er! Wo nur ein
+bekümmertes Herz seufzt, das hört er!... Wenn man aber schon eine Schul
+hat, so soll sie hoch, schön, strahlend und würdig sein.
+
+So dachte ich es mir auch gestern. Und plötzlich hörte ich ein Weinen!
+Ein leises und trauriges Weinen, süß und traurig und so seltsam
+ergreifend ...
+
+Wenn du spielst, kommen manchmal aus dem Klavier solche weinende
+Töne ...
+
+Und ich glaubte -- Mameschi, die Wahrheit zu sagen, =wollte= ich es
+glauben, und ich wandte mich absichtlich nicht um, um es möglichst lange
+glauben zu können -- ich glaubte, daß das Weinen und Schluchzen aus der
+alten Schul kommt ... daß dort drinnen, in dunkelblauen Nebel gehüllt,
+die Seele der alten Schul sitzt und weint ...
+
+Und sie beklagt sich, daß die Sonne ihr unrecht tut ..., daß sie ganze
+Garben ihres goldenen Lichtes auf das Kirchendach ausschüttet und ihr
+kaum einen Strahl gönnt ... Sie wirft ihr am hellsten Mittag nur einen
+blassen Strahl wie ein Almosen zu ... Und dieser Strahl gleitet über sie
+weg und stiehlt sich fort, wie verschämt!...
+
+Aber es war =nicht= die Schul ...
+
+ * * * * *
+
+Es war ein kleines Mädchen ... Es lag im Sande, suchte etwas und
+weinte ...
+
+Als ich mich umwandte, sah ich erst nur ihr abgetragenes Kleidchen wie
+einen dunkelgrauen Fleck auf dem gelben Sande und ein Paar ausgetretene
+Schuhe!
+
+Und noch etwas sah ich ...
+
+Mameschi, ich schäme mich ... es wird mir so warm ... Stelle dir vor:
+eine Flut rote, ganz feuerrote Haare ... Funken stoben aus ihnen ...
+
+»Was weinst du, Mädchen, und was suchst du im Sand?«
+
+Ihre Mutter hatte sie etwas kaufen geschickt und ihr ein Zehnerl
+mitgegeben. Jemand stieß sie im Vorbeigehen an, und das Zehnerl fiel in
+den Sand ... Darum weint sie ...
+
+Ich -- wenn ich Gott weiß was verloren hätte, ich täte nicht weinen!
+
+Ich frage sie: »Wars ein großer Zehner oder ein weißes Zehnerl?«
+
+»Ein weißes!« sagt sie und wendet sich nach mir gar nicht um.
+
+»Ich will dir suchen helfen,« sage ich.
+
+Ich bücke mich, tue so, als ob ich suchte, und finde ihr ein weißes
+Zehnerl.
+
+»Hier hast du es!«
+
+Sie sprang vor Freude auf und warf sich mit einem Ruck des Kopfes die
+rote Haarflut in den Nacken ... Und unter den Haaren kam wie unter einer
+Wolke ein kleines alabasterweißes Gesichtchen zum Vorschein ... Und
+Augen waren darin, Mameschi, Augen ...
+
+Nein, Mameschi, die Augen kann ich nicht beschreiben!...
+
+So viel Freude leuchtete in ihnen ...
+
+Die ganze Nacht träumte ich von diesen Augen, die ganze Nacht ...
+
+ * * * * *
+
+Das ist mein ganzes Geheimnis, Mameschi!
+
+Du lächelst?
+
+Lache nicht, Mameschi! Die Augen vergesse ich niemals ...
+
+ * * * * *
+
+Mameschi ...
+
+Darf ich wieder einmal in die Schreinergasse gehen, mir wieder ... die
+alte Schul anschauen?...
+
+
+
+
+Bonze Schweig
+
+
+Hier auf =dieser= Welt machte Bonze Schweigs Tod gar keinen Eindruck!
+Man kann lange fragen, =wer= Bonze Schweig war, =wie= er lebte, =woran=
+er starb: ob ihm das =Herz= barst, ob ihm die Kräfte ausgingen, ob ihm
+unter einer schweren Last das Rückgrat brach ... Wer weiß? Vielleicht
+starb er gar vor Hunger ...
+
+Wenn ein Trambahnpferd stürzt, macht das schon viel mehr Eindruck: die
+Zeitungen berichten darüber, Hunderte von Menschen rennen aus allen
+Gassen herbei, um das gefallene Pferd oder nur die Stelle, wo sich der
+Unfall ereignete, zu sehen ... Doch auch dem Trambahnpferde wäre diese
+Ehre nicht zuteil, wenn es ebenso viele Millionen Trambahnpferde gäbe
+wie Menschen.
+
+Bonze hat still gelebt und ist still gestorben. Wie ein Schatten glitt
+er durch =unsre= Welt.
+
+Bei Bonzes Beschneidungsfeier trank man keinen Wein, klirrten keine
+Becher. Bei seiner Bar-Mizwa(15) hielt er keine wohlgesetzte Rede ... Er
+lebte wie ein farbloses Sandkörnchen am Meeresufer unter Millionen
+seinesgleichen. Und als der Wind das Sandkörnchen aufhob und auf das
+andre Ufer des Meeres hinübertrug, merkte es niemand.
+
+ (15) Feier des 13. Geburtstages: mit dreizehn Jahren erlangt der Jude
+ religiöse Mündigkeit.
+
+Solange er lebte, behielt der Straßenschmutz keine einzige Spur seiner
+Füße. Und als er begraben war, warf der Wind die kleine Holztafel auf
+seinem Grabe um. Die Frau des Totengräbers fand später das Brettchen
+weit vom Grabe liegen, machte Feuer damit und kochte darauf ihre
+Kartoffeln ... Drei Tage nach Bonzes Tode wußte der Totengräber nicht
+mehr, wo er ihn beerdigt hatte!
+
+Hätte Bonze ein richtiges Grabmal gehabt, so wäre es möglich, daß
+hundert Jahre nach seinem Tode Altertumsforscher den Grabstein gefunden
+hätten; dann wäre Bonze Schweigs Namen noch einmal in =unsrer= Luft
+erklungen.
+
+Ein Schatten! In keinem Menschenherzen, in keinem Menschenhirn blieb
+Bonze Schweigs Bild zurück. Nichts erinnert an ihn. Elend gelebt, elend
+gestorben!
+
+Wenn nicht der ewige Straßenlärm, so hätte vielleicht jemand gehört, wie
+Bonze Schweigs Rückgrat unter den schweren Lasten knackte; hätte die
+Welt mehr Zeit gehabt, so hätte vielleicht jemand bemerkt, daß Bonze
+Schweig erloschene Augen und furchtbar eingefallene Wangen hatte, daß
+er, selbst wenn er keine Last auf dem Rücken schleppte, immer den Kopf
+gesenkt hielt, als ob er sich schon bei Lebzeiten ein Grab suchte. Und
+wenn es nur ebensoviel Menschen gäbe wie Trambahnpferde, so hätte
+vielleicht doch jemand gefragt: was ist aus Bonze Schweig geworden?!
+
+Als man Bonze Schweig ins Spital brachte, blieb seine Schlafstelle im
+Keller nicht leer: zehn seinesgleichen warteten schon auf seinen Winkel,
+den sie untereinander versteigerten. Als man ihn aus dem Spitalbette hob
+und in die Leichenkammer brachte, warteten auf sein Bett schon zwanzig
+andre arme Kranke ... Und als man ihn aus der Leichenkammer hinaustrug,
+brachte man zwanzig Leichen herein, die man unter einem eingestürzten
+Hause herausgeholt hatte ... Wer weiß, wie lange er in seinem Grabe
+bleiben darf, wer weiß, wieviel Tote auf das kleine Fleckchen Erde
+warten ...
+
+Still geboren, still gelebt, still gestorben und noch stiller begraben .
+. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
+. . .
+
+ * * * * *
+
+Ganz anders war es aber auf =jener= Welt! Dort machte Bonze Schweigs Tod
+einen gewaltigen Eindruck.
+
+Die große Posaune, die dereinst auf Erden bei Messias' Ankunft erklingen
+wird, verkündete in allen sieben Himmeln: Bonze Schweig ist im =Herrn
+entschlafen=! Die vornehmsten Engel mit den breitesten Flügeln flogen
+durch den Himmel und riefen einander zu: Bonze Schweig ist zu den
+himmlischen Scharen einberufen worden! Und im Paradiese war eitel
+Freude, ein Singen und Rauschen: Bonze Schweig! Das ist doch wirklich
+kein Spaß!
+
+Junge Engel mit diamantenen Augen, goldenen, filigran gearbeiteten
+Flügeln und silbernen Pantöffelchen flogen und liefen ihm
+freudejauchzend entgegen! Das Rauschen der Flügel, das Klappern der
+Pantöffelchen, das fröhliche Lachen der jungen, frischen, rosigen Engel
+klang durch alle Himmel und drang bis vor den Thron der Göttlichen
+Majestät. Und Gott selbst wußte schon auch, daß Bonze Schweig kommt!
+
+Vater Abraham stellte sich vor der Himmelstür auf, die rechte Hand zu
+einem gar freundlichen Willkommengruß ausgestreckt, ein süßes Lächeln
+auf seinem strahlenden Greisenantlitz.
+
+Was rollt da durch den Himmel?
+
+Zwei Engel rollen einen goldenen Großvaterstuhl ins Paradies. Er ist für
+Bonze Schweig.
+
+Was hat eben so hell aufgeblitzt?
+
+Eine goldene Krone, mit den teuersten Edelsteinen besetzt, wurde soeben
+vorbeigetragen: alles für Bonze!
+
+»Noch vor dem Urteilsspruche des Himmlischen Gerichtshofes?« fragen die
+Gerechten etwas verwundert und nicht ohne Neid.
+
+»Ach!« antworten die Engel, »die Verhandlung wird nur eine leere
+Formalität sein! Selbst der Ankläger wird nicht wissen, was gegen Bonze
+Schweig vorzubringen wäre. Der ganze Prozeß wird höchstens fünf Minuten
+dauern!«
+
+»Ihr wagt es, über Bonze Schweig die Nase zu rümpfen?«
+
+ * * * * *
+
+Als die jungen Engel Bonze in der Luft abfingen und ihm eine Hymne
+sangen; als Vater Abraham ihm wie ein alter Kamerad die Hand drückte;
+als man ihm sagte, daß für ihn im Paradies bereits ein Sessel stehe, daß
+man für ihn eine Krone vorbereitet habe, daß am Himmlischen Gerichtshofe
+über ihn fast kein Wort fallen würde, -- da tat Bonze Schweig dasselbe,
+was er bei Lebzeiten tat: er =schwieg= vor Schreck. Das Herz stand ihm
+still. Er war überzeugt, daß das Ganze ein Traum sei oder eine
+Verwechslung.
+
+Er war an beides gewöhnt: mehr als einmal träumte er auf jener Welt, daß
+er vom Boden Geld aufliest, ganze Berge Geld; und wenn er erwachte, war
+er womöglich noch ärmer als zuvor. Mehr als einmal lächelte man ihm aus
+Versehen zu, und als man merkte, daß es eine Verwechslung war, wandte
+man sich weg und spie aus ...
+
+»Ich habe schon einmal so ein Glück!« denkt er sich.
+
+Er fürchtet die Augen aufzuheben, damit der Traum nicht verschwinde: er
+wird noch in irgendeinem Loche unter Schlangen und Skorpionen erwachen.
+Er fürchtet, auch nur ein Wort zu sagen, auch nur ein Glied zu rühren,
+daß man ihn nicht erkenne und zum Teufel jage ...
+
+Er zittert und hört nicht die Komplimente der Engel; er sieht nicht, wie
+sie ihren Reigen um ihn tanzen; er antwortet nicht auf Vater Abrahams
+Willkommengruß, und als man ihn vor den Himmlischen Gerichtshof bringt,
+sagt er nicht Guten Tag.
+
+Er ist vor Schreck ganz außer sich!
+
+Und sein Schreck wird noch größer, als sein Blick unwillkürlich auf den
+Fußboden des Verhandlungssaales fällt: nichts als Alabaster und
+Diamanten! »Auf solchem Fußboden stehen meine Füße!« sagt er sich ganz
+bestürzt. »Wer weiß, mit welchem vornehmen Herrn, mit welchem Rabbi, mit
+welchem göttlichen Manne sie mich verwechseln! Und wenn der Betreffende
+kommt, dann ist es aus mit mir!«
+
+Vor Schreck hört er nicht einmal, wie der Gerichtspräsident verkündet:
+»Der Fall Bonze Schweig!« und sich dann an den Fürsprech wendet, indem
+er ihm die Akten übergibt: »Lies, doch mach es kurz!«
+
+Der ganze Saal dreht sich um Bonze im Kreise herum; es rauscht ihm in
+den Ohren, und durch das Rauschen hindurch unterscheidet er allmählich
+die Stimme des himmlischen Fürsprechs, süß wie eine Geige:
+
+»Sein Name paßte ihm, wie ein von einem genialen Schneider gefertigtes
+Kleid auf einen schlanken Menschenleib ...«
+
+»Was redet er da?« fragt sich Bonze, und er hört, wie eine ungeduldige
+Stimme den Fürsprech unterbricht:
+
+»Bitte, ohne Gleichnisse!«
+
+»Er klagte niemals,« fährt der Fürsprech fort, »weder über Gott noch
+über die Menschen. In seinen Augen leuchtete niemals ein Funken des
+Hasses, und er hob sie kein einziges Mal mit einem Vorwurf gen
+Himmel ...«
+
+Bonze versteht wieder kein Wort, doch er hört, wie die harte Stimme von
+vorhin den Fürsprech wieder unterbricht:
+
+»Ohne Rhetorik!«
+
+»Hiob hielt es nicht aus, doch er war unglücklicher als Hiob ...«
+
+»Bitte, Tatsachen, nackte Tatsachen!« unterbricht der Präsident noch
+ungeduldiger.
+
+»Mit acht Tagen wurde er beschnitten ...«
+
+»Bitte, ohne realistische Details!«
+
+»Der Operateur war ein Pfuscher, konnte das Blut nicht stillen ...«
+
+»Weiter!«
+
+»Doch er schwieg immer,« fährt der Fürsprech fort. »Er schwieg auch, als
+er mit dreizehn Jahren seine Mutter verlor und eine Stiefmutter bekam,
+eine Stiefmutter, böse wie eine Schlange ...«
+
+»Meint er vielleicht doch mich?« denkt sich Bonze.
+
+»Bitte, keine Verdächtigungen gegen dritte Personen!« grollt der
+Präsident.
+
+»Sie kargte ihm jeden Bissen ab; sie gab ihm verschimmeltes Brot von
+vorgestern ... Sehnen statt Fleisch ... Und sie selbst trank
+währenddessen Kaffee mit Sahne ...«
+
+»Zur Sache!« schreit der Präsident.
+
+»Dafür geizte sie nicht mit Kniffen und Schlägen, und sein blau und
+braun unterlaufener Körper sah aus allen Löchern seiner schäbigen
+Kleider hervor ... Im Winter, beim größten Frost mußte er barfuß auf dem
+Hofe Holz spalten, und seine Knabenhände waren zu schwach, die
+Holzklötze zu schwer und das Beil zu stumpf ... Mehr als einmal renkte
+er sich dabei den Arm aus, mehr als einmal fror er sich die Füße wund,
+doch er =schwieg= immer. Selbst vor dem Vater ...«
+
+»Vor dem Trunkenbold!« ruft lachend der Ankläger dazwischen, und Bonze
+überläuft es kalt.
+
+»... klagte er niemals,« beendet der Fürsprech seinen Satz. »Und immer
+elend, immer allein ... keine Freunde, keine Schule, kein einziges
+ganzes Gewand ... keine Minute freie Zeit ...«
+
+»Tatsachen!« ermahnt wieder der Präsident.
+
+»Er schwieg auch, als sein betrunkener Vater ihn einmal bei den Haaren
+packte und mitten in der Nacht, in einer Winternacht, aus dem Hause
+hinauswarf! Er erhob sich still aus dem Schnee und ging, wohin ihn die
+Füße trugen ...
+
+»Er schwieg auch auf seiner Wanderung, und selbst beim größten Hunger
+bettelte er nur mit den Augen.
+
+»Erst in einer schwindligen, feuchten Frühlingsnacht erreichte er die
+Großstadt. Er verschwand in ihr sofort wie ein Wassertropfen im Meere,
+und doch verbrachte er gleich die erste Nacht im Arrest ... Er schwieg
+und fragte nicht, warum und wofür. Und als er aus dem Arrest herauskam,
+suchte er sich gleich die schwerste Arbeit. Und schwieg!
+
+»Viel schwerer, als die Arbeit selbst, war es für ihn, Arbeit zu finden.
+Doch er schwieg!
+
+»In kaltem Schweiß gebadet, unter der schwersten Last zusammenbrechend,
+von Krämpfen im leeren Magen geplagt, schwieg er!
+
+»Von fremden Rädern mit Kot bespritzt, von fremden Mündern bespien, mit
+der schwersten Last auf dem Rücken vom Bürgersteige auf die Straße
+gestoßen, zwischen Droschken, Equipagen und Trambahnen gejagt, jeden
+Augenblick den Tod vor Augen, -- schwieg er!
+
+»Er rechnete niemals nach, wieviel Zentner Last auf den Pfennig seines
+Lohnes kamen, wie oft er bei einem Gange, für den er einen Dreier bekam,
+zusammenbrach; wie oft er beinahe die Seele ausspie, wenn er seinen Lohn
+mahnte. Er rechnete niemals nach, weder den eigenen noch den fremden
+Verdienst -- er schwieg!
+
+»Seinen Lohn mahnte er niemals laut: er stand wie ein Bettler vor der
+Tür und bettelte wie ein Hund mit den Augen. ›Komm später!‹ -- und er
+verschwand stumm wie ein Schatten, um ›später‹ noch stummer um seinen
+Lohn zu betteln!
+
+»Er schwieg sogar, wenn man von seinem Lohn etwas abschwindelte oder ihm
+eine falsche Münze gab! Er schwieg immer!...«
+
+»Man meint also doch mich!« tröstet sich Bonze.
+
+Der Fürsprech nimmt einen Schluck Wasser und fährt fort: »Einmal kam in
+sein Leben eine neue Wendung. Eine Equipage auf Gummirädern raste durch
+die Straße: die Pferde waren durchgegangen, und der Kutscher lag schon
+längst mit zerschmettertem Schädel irgendwo auf dem Pflaster ... Aus den
+Mäulern der erschrockenen Pferde spritzt Schaum, unter ihren Hufen
+stieben Funken, ihre Augen funkeln wie glühende Kohlen in finsterer
+Nacht ... Und in der Equipage sitzt mehr tot als lebendig ein Mensch ...
+
+»Und Bonze hielt die rasenden Pferde auf!
+
+»Der Gerettete war ein Jude, ein bekannter Wohltäter, und er vergaß
+Bonzes Tat nicht!
+
+»Er übergab ihm die Peitsche des getöteten Kutschers, und Bonze wurde
+Kutscher. Er tat noch mehr: er verheiratete ihn; und noch mehr: er
+versorgte ihn sogar gleich mit einem Kinde ...
+
+»Und Bonze schwieg immer!«
+
+»Er meint mich!« sagt sich Bonze. Er zweifelt nicht mehr, und doch wagt
+er noch immer nicht, einen Blick auf den Himmlischen Gerichtshof zu
+werfen. Und er hört, wie der Fürsprech fortfährt:
+
+»Er schwieg auch, als sein Wohltäter bald darauf seine Zahlungen
+einstellte und auch ihm, Bonze, den Lohn vorenthielt ...
+
+»Er schwieg, als seine Frau von ihm weglief und ihm ein Brustkind
+zurückließ ...
+
+»Er schwieg sogar, als fünfzehn Jahre später dieses selbe Kind, das
+inzwischen groß und stark geworden war, ihn, seinen Vater, aus dem Hause
+hinauswarf ...«
+
+»Mich meint er, mich!« freut sich Bonze.
+
+»Er schwieg,« fährt der Fürsprech weicher und trauriger fort, »als
+dieser selbe Wohltäter mit allen Gläubigern Vergleich schloß und nur ihm
+keinen Pfennig von seinem Lohn bezahlte; und selbst dann, als er, wieder
+einmal in einer Equipage mit Gummirädern und löwengleichen Pferden
+dahinrasend, ihn, Bonze Schweig, überfuhr!...
+
+»Er schwieg immer! Auf der Polizei sagte er nicht einmal, wer ihn
+überfahren hatte ...
+
+»Er schwieg auch im Spital, wo man doch =schreien= darf!
+
+»Er schwieg, als der Doktor sich weigerte, anders als gegen Bezahlung
+von fünfzig Kopeken zu seinem Bette zu gehen; als der Krankenwärter ohne
+fünf Kopeken ihm die Wäsche nicht wechseln wollte!
+
+»Er schwieg in der Agonie, er schwieg im Sterben ...
+
+»Kein Wort gegen Gott, kein Wort gegen Menschen!
+
+»_Dixi!_«
+
+Bonze fängt wieder an am ganzen Leibe zu zittern. Er weiß, daß nach dem
+Fürsprech der Ankläger das Wort hat. Wer weiß, was =der= sagen wird!
+Bonze hat von seinem ganzen Leben nichts im Gedächtnisse behalten. Auch
+auf jener Welt vergaß er jede Minute schon in der nächsten Minute ...
+Der Fürsprech hatte ihm alles in Erinnerung gebracht. Wer weiß, woran
+ihn der Ankläger erinnern wird!
+
+»Meine Herren!« fängt der Ankläger mit scharfer, stechender, sengender
+Stimme an.
+
+Er kommt nicht weiter.
+
+»Meine Herren!« beginnt er von neuem, schon viel weicher, und stockt
+wieder.
+
+Schließlich erklingt aus dem gleichen Munde eine beinahe milde Stimme:
+
+»Meine Herren! =Er= schwieg, also will auch ich schweigen.«
+
+Es wird still, und es erklingt eine neue, weiche, zitternde Stimme:
+
+»Bonze, mein Kind Bonze!« klingt es wie eine Harfe: »Mein Herzenskind
+Bonze!«
+
+In Bonze schluchzt das Herz ... Er möchte jetzt die Augen aufschlagen,
+sie sind aber von Tränen geblendet ... So süß und traurig zugleich war
+es ihm noch niemals ums Herz. »Mein Kind!« -- seit dem Tode seiner
+Mutter hat er noch nie eine solche Stimme und solche Worte gehört.
+
+»Mein Kind!« fährt der Allbarmherzige Vater des Gerichts fort. »Du
+schwiegst immer! Du hast kein einziges Glied, keinen einzigen Knochen in
+deinem Leibe, der nicht wundgeschlagen wäre; es ist keine noch so
+verborgene Stelle in deiner Seele, die nicht blutete ... Und du
+schwiegst immer ...
+
+»Dort verstand sich niemand darauf; vielleicht wußtest du sogar selbst
+nicht, daß du schreien kannst und daß vor deinem Schreien die Mauern
+Jerichos erzittern und einstürzen würden? Du wußtest nichts von der
+Kraft, die in dir schlummerte ...
+
+»Auf jener Welt wurde dein Schweigen nicht belohnt. Doch jene Welt ist
+die Welt der Lüge. Hier, auf der Welt der Wahrheit, wirst du deinen Lohn
+bekommen!
+
+»Dich wird der Himmlische Gerichtshof nicht richten, über dich wird er
+keinen Spruch fällen.
+
+»Dir wird er nichts zuteilen und nichts zumessen: nimm dir, was du
+willst! =Alles= ist dein!«
+
+Bonze hebt zum erstenmal die Augen. Das Licht, das von allen Seiten auf
+ihn eindringt, blendet ihn. Alles blitzt, alles glänzt und funkelt, von
+allen Seiten schießen Strahlen; von den Wänden, von den Geräten, von den
+Engeln und von den Richtern.
+
+Und er läßt die müden Augen wieder sinken.
+
+»Ist es wahr?« fragt er ungläubig und verschämt.
+
+»Gewiß!« antwortet sehr bestimmt der Vater des Gerichts. »Ich sage dir
+ja: alles ist dein! Alles im Himmel gehört dir! Wähle und nimm dir, was
+du willst: denn du nimmst nur von dem, was dir gehört!«
+
+»Ist es wahr?« fragt Bonze wieder, doch schon etwas sicherer.
+
+»Gewiß! Gewiß! Gewiß!« versichert man ihn von allen Seiten.
+
+»Nun, wenn so,« sagt Bonze lächelnd, »so will ich jeden Morgen eine
+warme Semmel mit frischer Butter!«
+
+Richter und Engel schlagen verschämt die Augen nieder. Der Ankläger
+beginnt zu lachen.
+
+
+
+
+Neïlo in der Hölle(16)
+
+ (16) Neïlo: Schlußgebet, wichtigstes Gebet am Versöhnungstage
+ (Jom-Kippur).
+
+
+An einem ganz gewöhnlichen Tage, es war weder Jahrmarkt noch
+Wochenmarkt, hörten die Marktleute plötzlich Pferdegetrabe und sahen in
+der Ferne den Straßenkot aufspritzen. Bald zeigte sich auch eine Kutsche
+mit einem Pferde. Wer kann da gefahren kommen? Doch als die Kutsche auf
+dem Marktplatze anlangte, wandten sich alle Leute voller Abscheu, Angst
+und Zorn weg: in der Kutsche saß der Angeber aus der Nachbarstadt, der
+wohl direkt in die Hölle fuhr. Wer weiß, wen er diesmal bei den Behörden
+angeben wird!
+
+Plötzlich wird es still, die Leute schauen unwillkürlich hin: die
+Kutsche ist stehengeblieben, das Pferd hat den Kopf gesenkt und säuft
+aus einer Pfütze, und der Angeber ist von seinem Sitz heruntergefallen
+und liegt unbeweglich da.
+
+Es ist ja immerhin eine Menschenseele! Die Leute laufen hinzu: der Mann
+ist tot. Der Feldscher bestätigt: »Der ist erledigt!« Angestellte der
+Beerdigungsbrüderschaft nehmen sich der Leiche an. Pferd und Wagen
+werden verkauft, und mit dem Erlös werden die Beerdigungskosten
+bestritten.
+
+Kaum ist er beerdigt, als die Teufel seine Seele packen, sie nach der
+Hölle schleppen und dort dem Torbeamten übergeben. Der Angeber wird für
+eine Weile beim Höllentor aufgehalten, und der Beamte, der die Bücher
+und Eingänge und Ausgänge führt, nimmt gelangweilt und gähnend seine
+Personalien auf und trägt alles mit träger Hand in sein Buch ein.
+
+Und der Angeber, dessen ganzer Einfluß in der Hölle nichts mehr wert
+ist, gibt Antwort: Da und da geboren, da und da geheiratet, soundso
+lange sich vom Schwiegervater aushalten lassen, dann von Frau und
+Kindern entlaufen, in die und die Stadt verzogen und den Beruf eines
+Angebers ergriffen, von dem er auch so lange lebte, bis sein Maß voll
+wurde. Er starb plötzlich auf der Durchreise, auf dem Marktplatze der
+Stadt Lahadam.
+
+Da wird der Höllenbeamte, der die Bücher führt, plötzlich interessiert.
+Er hält mitten im Gähnen an und fragt:
+
+»Wie heißt die Stadt? La -- ha -- --«
+
+»Lahadam!« wiederholt der Angeber.
+
+Der Matrikelführer wird plötzlich rot, und seine Augen drücken höchstes
+Erstaunen aus.
+
+»Habt ihr mal von einer solchen Stadt gehört?« wendet er sich an seine
+Gehilfen.
+
+Die Gehilfen zucken die Achseln, schütteln die Köpfe und strecken die
+Zungen aus:
+
+»Nein, noch nie!«
+
+»Gibts überhaupt eine solche Stadt?«
+
+Jede Gemeinde hat in der Hölle ihr eigenes Buch. Die Bücher sind
+alphabetisch geordnet, und jeder Buchstabe hat einen eigenen Schrank.
+Man nimmt also alle Bücher mit L durch: Lublin, Lemberg, Leipzig; alle
+Städte sind da, doch keine Stadt Lahadam!
+
+»Und doch gibt es eine solche Stadt!« sagt der Angeber. »Eine Stadt in
+Polen.«
+
+»Ist sie vielleicht ganz neu gegründet?«
+
+»Nein, sie steht schon an die zwanzig Jahre da. Der Gutsbesitzer hat sie
+erbaut und zwei Jahrmärkte eingesetzt. Es gibt da eine Schule, ein
+Bethaus, ein Bad ..., zwei heimliche Branntweinschenken ...«
+
+»Ist hier schon einmal wer aus Lahadam gewesen?« fragt der
+Matrikelführer noch einmal seine Gehilfen.
+
+»Nein, niemand!« antworten sie.
+
+»Sterben denn dort die Leute gar nicht?« fragt man den Angeber.
+
+»Warum sollen sie nicht sterben?« antwortet er nach Judenart mit einer
+Frage. »Die Leute wohnen in kleinen, dumpfen Zimmern, das Bad ist so
+gebaut, daß man darin nicht atmen kann, das ganze Städtchen steht auf
+einem Sumpf!« Der Angeber fällt allmählich in seinen gewohnten
+Angeberton.
+
+»Auch einen Friedhof gibt es dort. Die Beerdigungsbrüderschaft schindet
+furchtbar hohe Gebühren. Erst vor kurzem gab es da eine Seuche ...«
+
+Man schickt den Angeber in die entsprechende Abteilung der Hölle und
+fragt wegen des Städtchens Lahadam an höherer Stelle an; da muß etwas
+nicht in Ordnung sein: die Stadt steht seit zwanzig Jahren da; es hat
+dort sogar schon eine Seuche gegeben, und doch -- kein einziger Toter
+von dort!
+
+Die höhere Stelle schickt Boten hinauf, um der Sache nachzugehen: es
+stimmt! Und es verhält sich so: Es ist ein Städtchen wie jedes andere,
+mit wenig gottgefälligen Werken und sehr viel Sünden. Der böse Trieb
+arbeitet dort sogar recht energisch. Also, wo ist der Haken? Nun, sie
+haben eben in ihrer Gemeinde einen ganz ungewöhnlichen Vorbeter! Das
+heißt, der Vorbeter ist als Mensch durchaus gewöhnlich und unbedeutend,
+doch er hat eine Stimme, eine so süße, so himmlische Stimme, daß, wenn
+er singt, selbst die verstocktesten eisernen Herzen weich wie Wachs
+werden. Kaum steht er am Vorbeterpult, als die ganze Gemeinde ihre
+Sünden bereut und so aufrichtig Buße tut, daß oben alle Sünden vergeben
+und aus den Registern gestrichen werden. Und die Tore des Paradieses
+stehen allen Einwohnern von Lahadam weit offen. Wenn einer kommt und
+sagt: »Ich bin aus Lahadam«, so wird er gar nicht mehr weiter gefragt.
+
+Die ganze Geschichte paßt der Hölle selbstverständlich gar nicht, und
+Satan selbst nimmt die Sache in die Hand. Er wird mit dem Vorbeter schon
+fertig werden! Was tut er? Er schickt auf die Erde hinauf und läßt sich
+einen lebenden kalikutischen Hahn mit rotem Kamm holen. Man bringt ihm
+bald den Hahn und stellt ihn vor ihn auf den Tisch. Der Hahn ist so
+erschrocken, daß er sich gar nicht rührt, und der Satan -- verflucht sei
+sein Name! -- setzt sich vor ihn hin, fängt ihn zu krauen an und starrt
+so lange und unverwandt auf seinen roten Kamm, bis dieser weiß wie Kalk
+wird. Wie der Satan fühlt, daß der Allmächtige oben in höchsten Zorn
+geraten ist, ruft er aus:
+
+»Soll er seine süße Stimme verlieren bis zu seiner Sterbestunde!«
+
+Wen er bei dieser Beschwörung meinte, wißt ihr selbst; und ehe noch der
+Kamm des kalikutischen Hahns wieder rot geworden war, hatte schon der
+Vorbeter von Lahadam seine Stimme verloren. Seine Kehle ist wie
+geschlagen; er kann kaum noch sprechen. Wer am Unglück die Schuld hat,
+weiß man schon; das heißt, einige Wunderrabbis wissen es. Wer hat aber
+den Mut, dem Vorbeter so etwas zu sagen? Es ist doch sowieso nichts mehr
+zu machen! Wenn der Vorbeter als Mensch noch irgendwie hervorragend
+wäre, so könnte man vielleicht durch Fürbitte im Himmel etwas erreichen.
+Aber er war eben ein durchaus unbedeutender Mensch, eine Null ...
+
+Der Vorbeter reist von einem Wunderrabbi zum andern, doch keiner kann
+ihm etwas sagen. Nun kommt er zum Rabbi von Opatow und gibt ihm keine
+Ruhe: er wird nicht fortgehen, bis er die Wahrheit erfahren hat. Es ist
+ein Jammer mit dem Menschen! Und der Rabbi versucht ihn zu trösten:
+
+»Wisse, daß deine Heiserkeit nur bis zu deiner Sterbestunde anhalten
+wird. Dein Sterbegebet wirst du aber schon mit einer so klaren Stimme
+sprechen können, daß man es in allen Himmeln hören wird!«
+
+»Und bis dahin?«
+
+»Bis dahin ist die Sache hoffnungslos!«
+
+Der Vorbeter bestürmt noch einmal den Rabbi:
+
+»Wie ist das geschehen? Warum ist mir das geschehen?«
+
+Und er plagt den Rabbi so lange, bis dieser ihm alles erzählt.
+
+»Wenn so,« schreit der Vorbeter mit heiserer Stimme auf, »so werde ich
+mich schon rächen!« Und mit diesen Worten läuft er hinaus.
+
+»Wie willst du dich rächen? Und an wem?« ruft ihm der Rabbi nach. Doch
+der Mann ist schon fort.
+
+Das geschah an einem Dienstag; andre sagen -- an einem Mittwoch. Und als
+am Donnerstag abend die Fischer von Opatow Fische zum Sabbat fangen
+wollten und ihr Netz herauszogen, so war das Netz auffallend schwer; und
+wie man es herauszog, lag darin der Vorbeter von Lahadam.
+
+Er hatte sich von der Brücke ins Wasser gestürzt. Und wie er das
+Sterbegebet sprechen sollte, hatte er seine schöne Stimme, wie es ihm
+der Rabbi ganz richtig vorausgesagt hatte, wiederbekommen; denn der
+Satan hatte ausdrücklich bestimmt: »Bis zur Sterbestunde!« Doch als er
+ins Wasser sprang und sich ertränkte, hat er das Sterbegebet gar nicht
+gesprochen, sondern seine Stimme für später aufgehoben. Und das war
+seine Rache, wie ihr es gleich sehen werdet.
+
+Wie es einem Selbstmörder geziemt, wird der Vorbeter sofort von den
+Teufeln gepackt und in die Hölle geschleppt. Beim Tore wird er wie
+üblich ausgefragt, aber er gibt keine Antwort. Man versucht, ihn mit
+einer glühenden Gabel zum Sprechen zu bringen, doch er schweigt.
+
+»Nehmt ihn so!«
+
+Man weiß doch auch so, wer er ist: man hatte ihn ja erwartet! Und man
+nimmt ihn »so« und führt ihn zu einem Kessel, der für ihn gerade heiß
+gemacht wird: sobald das Pech zu sieden anfängt, wird man ihn
+hineinwerfen. Doch der Vorbeter setzt sich plötzlich den Daumen an die
+Gurgel und beginnt den Kaddisch aus der Neïlo ...
+
+Er singt, und seine Stimme klingt immer mächtiger und noch süßer, noch
+herzergreifender als je ... Und in den Kesseln, aus denen bisher ein
+Winseln und Jammern drang, wird es plötzlich still. Dann fallen Stimmen
+ins Gebet ein, verbrühte Köpfe heben die Deckel von den Kesseln, und
+versengte Lippen singen mit ...
+
+Die Teufel, die bei den Kesseln stehen, beten nicht mit: sie sind vor
+Schreck wie gelähmt. Sie stehen -- der eine mit einer Tracht Brennholz
+zum Nachlegen, der andre mit einem Schürhaken, der dritte mit einer
+eisernen Gabel in der Hand, mit aufgerissenen Mäulern, ausgestreckten
+Zungen, runden Augen und verzerrten Gesichtern und rühren sich nicht;
+andre sind vor Schreck umgefallen ... Während der Vorbeter in der Neïlo
+fortfährt, geht das Feuer unter den Kesseln allmählich aus, und die
+Toten kommen einer nach dem andern heraus.
+
+Er singt, und die ganze Gemeinde betet voller Inbrunst mit; und während
+sie beten, verheilen die Brandwunden und überziehen sich mit neuer Haut,
+verbrannte Glieder wachsen nach, und alle Leiber sind wie geläutert ...
+
+Und wie der Vorbeter zur Stelle kommt: »Gesegnet seiest du, Herr, der du
+die Toten lebendig machst!« -- werden alle Toten wirklich lebendig,
+nehmen die Gestalt an, die sie vorher hatten, und rufen wie ein Mensch
+»Amen!« Und bei der Stelle: »Sein großer Name werde gepriesen in alle
+Ewigkeit!...« klingt es so laut, daß alle Himmel sich auftun und das
+Bußgebet der Sünder bis in den siebenten Himmel hinaufsteigt, bis zum
+Throne der Göttlichen Majestät. Und es ist gerade eine Stunde der Gnade,
+und alle Sünder, die nicht mehr Sünder sind, bekommen plötzlich Flügel
+und fliegen empor und finden die Tore des Paradieses weit geöffnet.
+
+In der Hölle zurückgeblieben sind nur die vor Schreck erstarrten Teufel
+und der Vorbeter selbst. Wie bei Lebzeiten hatte er durch seine Stimme
+alle Herzen erweicht und zur Buße bekehrt, doch selbst nicht ordentlich
+Buße getan. Zudem war er ja auch ein Selbstmörder!
+
+Mit der Zeit hat sich die Hölle wieder gefüllt ... Ich hörte sogar, daß
+man dort jetzt einen Erweiterungsbau aufführt ...
+
+
+
+
+Reb Jojchenen Gabaj
+
+
+Müde und abgespannt von seiner Arbeit in der Gemeinde kam Reb Jojchenen
+der Gabaj(17) nach Hause. Schon in der Küche empfing ihn der Geruch von
+Speisen, von Fleisch und gekochten Äpfeln. Er trat schnell ins nächste
+Zimmer, wo ihm aber seine Frau Ssosche einen wenig freundlichen Empfang
+bereitete.
+
+ (17) Mitglied des Gemeinde- oder Synagogenvorstandes.
+
+»Müßiggänger!« schrie sie ihm mit böser Stimme entgegen, als er sich auf
+der Schwelle zeigte.
+
+»Warum schimpfst du?« fragte Reb Jojchenen, indem er sich auf eine Bank
+setzte, um auszuruhen.
+
+»Er fragt noch, warum ich schimpfe! Immer bist du mit deinen
+Gemeindesachen beschäftigt; wann wirst du aber, du Müßiggänger, auch
+etwas für dich selbst tun?«
+
+»Für mich?« fragte der Gabaj verwundert. »Was soll ich denn für mich
+tun? Unsere Kinder sind ja schon, Gott sei Dank, selbständig, und uns
+beiden fehlt gar nichts ... Was soll ich also tun?...« Er sieht sich in
+der Stube um und fügt hinzu: »Das Bett ist auch ohne mich gebettet, das
+Geschirr ist auch ohne meine Hilfe gewaschen; ich habe die Wände nicht
+einmal angerührt, und doch sehe ich an ihnen keine Spur von Spinnweben.
+Auch der Tisch ist schon gedeckt, das Tischtuch ist schneeweiß, die
+Bestecke funkeln wie aus Gold. Ich seh auch die Rettichspeise auf dem
+Tisch, geriebenen Meerrettich, ein Fläschchen Branntwein ...«
+
+»Hör schon auf mit deinen Sprüchen und geh dich waschen!«(18)
+
+ (18) Es ist ein Gebot der Religion, sich vor dem Essen die Hände zu
+ waschen.
+
+»Nein, Ssosche, ich werde mich nicht eher waschen, als du selbst zugeben
+wirst, daß ich recht habe. Hier zu Hause habe ich nichts zu versorgen,
+dafür aber im Bethause um so mehr; denn wer wird sich um alle die Sachen
+kümmern, wenn nicht ich? Vielleicht Joßke der Krämer, der nicht einmal
+zum Essen Zeit hat? Oder Jechijel der Dorfhausierer, der schon am
+Sabbatabend, gleich nach dem Hawdolo-Gebet das Haus verläßt und erst am
+Freitag gegen Abend heimkommt? Oder gar Ruben der Geldverleiher, der den
+ganzen Tag herumrennt, um bei den armen Leuten einige Groschen Zinsen
+einzusammeln? Oder gar einer von den armen Handwerkern, die schwer
+arbeiten müssen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen?«
+
+»Laß gut sein, ich bin nicht mehr böse ...«
+
+»Macht nichts. Ich weiß, daß du mir nicht mehr böse bist. Ich will dir
+aber noch beweisen, daß ich auch für mich selbst sorge. Schau mich an,
+Ssosche, sieh meinen weißen Bart und meine weißen Schläfenlocken. Ich
+bin nicht mehr jung ... Also muß ich mich auf eine weite Reise
+vorbereiten ...«
+
+»Auf eine Reise? Auf was für eine Reise?« fragt Ssosche verwundert. Sie
+begreift aber sofort selbst, was er damit meint, und ruft erschrocken
+aus: »Um Gottes willen, sprich nicht davon! Gott behüte!...«
+
+»Brauchst keine Angst zu haben, Ssosche. Du bist ja auch älter als
+zwanzig Jahre ... Und was werden wir beide antworten, wenn man uns dort
+oben fragt, was wir auf =dieser= Welt getan haben? Daß wir hier aßen und
+tranken? Und was wird der liebe Gott dazu sagen? Du wirst noch
+wenigstens vorbringen können, daß du dich am Verein für die Ausstattung
+armer Bräute betätigt hast ...«
+
+»Sprich nicht davon!« bittet Ssosche. Sie fürchtet, daß dadurch ihr Lohn
+im Jenseits beeinträchtigt werden könne.
+
+»Darum will ja auch ich etwas Gutes tun ...«
+
+»Sehr gut. Sehr gut. Tu, was du willst. Geh dich aber endlich waschen!«
+
+»Nur noch eines,« fährt der Gabaj fort: »Erinnerst du dich noch an dein
+seidenes Brautkleid mit den silbernen Streifen?«
+
+»Ob ich mich daran erinnere!«
+
+»Würdest du es nicht dem Bethause stiften, damit man daraus einen
+Vorhang für den Thoraschrein macht?«
+
+»Sehr gerne! Ich will es sofort heraussuchen ...«
+
+»Wart, Ssosche, ich hab es schon selbst genommen, und es hängt bereits
+vor dem Thoraschrein!«
+
+»Du Dieb!« sagt Ssosche lächelnd.
+
+Nun wäscht sich Reb Jojchenen endlich die Hände und setzt sich an den
+Tisch. Er ißt mit großem Appetit, spricht das Tischgebet und legt sich
+schlafen.
+
+ * * * * *
+
+Reb Jojchenen der Gabaj schlief bald ein, und seine Seele flog in den
+Himmel hinauf und verzeichnete dort im Buche seiner Verdienste:
+
+»Ich, Jojchenen, Sohn der Sarah, war heute den ganzen Tag mit heiliger
+Arbeit beschäftigt. Ich sagte mir: Ich und mein Weib Ssosche wohnen in
+einem schönen Hause, während das Gotteshaus baufällig ist und
+ausgebessert werden muß. Darum mietete ich Handwerker und ließ das
+Bethaus ausbessern. Heute brachte man zwei neue Bänke und einen neuen
+Tisch ins Gotteshaus. Ich ließ auch den Fußboden reinigen, die Wände und
+alle Möbel und Geräte putzen. Vor dem Vorbeterpult an der Ostwand habe
+ich einen neuen Leuchter angebracht. In der Kasse des Bethauses waren im
+ganzen fünfundvierzig Rubel. Um alles zu bezahlen, mußte ich aus meiner
+eigenen Tasche sechs Rubel und vierundachtzig Kopeken dazulegen. Für
+Rechnung meiner Frau Ssosche stiftete ich einen seidenen Vorhang für den
+Thoraschrein; sie ist außerdem auch im Verein für die Ausstattung armer
+Bräute tätig. Der liebe Gott möge es ihr für ihr Seelenheil anrechnen!
+Mit der Ausbesserung des Bethauses ist man heute fertig geworden. Und
+ich habe dem Schuldiener strengstens verboten, jemanden ins Bethaus zum
+Übernachten einzulassen. Das Gotteshaus soll nicht mehr die Schlafstube
+für fremde Bettler sein. Der Schuldiener muß von nun an das Haus jeden
+Abend absperren ...«
+
+Reb Jojchenens Seele schrieb noch weiter, als in den Himmel eine andre
+Seele geflogen kam und in ihr Buch folgendes eintrug:
+
+»Ich, Berl, Sohn der Judith, bin schon siebzig Jahre alt. Solange ich
+noch die Kraft dazu hatte, verdiente ich mein Brot durch meiner Hände
+Arbeit. Jetzt, da ich alt und schwach bin und nicht mehr arbeiten kann,
+muß ich bei fremden Leuten betteln. Anfangs ging es mir nicht schlecht.
+Die Leute kannten mich, und ich hatte immer zu essen. Doch mit der Zeit
+wurden sie meiner überdrüssig und gaben mir immer seltener Almosen. Oft
+schenkte man mir ein so trockenes Stück Brot, daß ich es mit meinen
+alten Zähnen gar nicht zerbeißen konnte. Ich sah ein, daß ich, wenn ich
+in meiner Stadt bleibe, Hungers sterben müsse. Darum verließ ich die
+Stadt und kam her. Es ist heute sehr kalt, und ich wollte ins Bethaus
+gehen, um da zu übernachten, wie es in allen jüdischen Städten Sitte
+ist. Doch der Schuldiener versperrte die Tür und ließ mich nicht hinein.
+Der Gabaj hätte ihm gesagt, er solle niemanden zur Nacht ins Bethaus
+einlassen; denn das Gotteshaus sei keine Herberge ... Jetzt schlafe ich
+unter freiem Himmel, und die Kälte frißt das Mark meiner alten Knochen.
+Ich bin hungrig und friere ... Nun frage ich dich, du Herr der Welt: Wer
+braucht das Bethaus nötiger: =du= oder =ich=?«
+
+ * * * * *
+
+Und es erklang eine Stimme vom Himmel: »Beide sollen sofort vor dem
+höchsten Gerichtshofe erscheinen!«
+
+Und am nächsten Morgen fand man tot: Reb Jojchenen den Gabaj in seinem
+Bette und einen alten Bettler erfroren auf der Straße neben dem
+Bethause ...
+
+
+Druck der Piererschen Hofbuchdruckerei, Altenburg.
+
+
+
+
+ [ Im folgenden werden alle geänderten Textzeilen angeführt, wobei
+ jeweils zuerst die Zeile wie im Original, danach die geänderte Zeile
+ steht.
+
+ Aber Rabbi Levi-Jizchock steht, in Kittel(8) und Gebetmantel gehüllt,
+ Aber Rabbi Levi-Jizchok steht, in Kittel(8) und Gebetmantel gehüllt,
+
+ den Dienst des Schöpfers der Welt treten, wenn er mir zuliebe am diesem
+ den Dienst des Schöpfers der Welt treten, wenn er mir zuliebe an diesem
+
+ können. Wie kann man in derThora anfangen und aufhören, wo die Thora
+ können. Wie kann man in der Thora anfangen und aufhören, wo die Thora
+
+ Wnnsch ab.
+ Wunsch ab.
+
+ ]
+
+
+
+
+
+
+End of Project Gutenberg's Jüdische Geschichten, by Jizchok Lejb Perez
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JÜDISCHE GESCHICHTEN ***
+
+***** This file should be named 36488-0.txt or 36488-0.zip *****
+This and all associated files of various formats will be found in:
+ http://www.gutenberg.org/3/6/4/8/36488/
+
+Produced by Norbert H. Langkau, Jana Srna and the Online
+Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
+
+
+Updated editions will replace the previous one--the old editions
+will be renamed.
+
+Creating the works from public domain print editions means that no
+one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
+(and you!) can copy and distribute it in the United States without
+permission and without paying copyright royalties. Special rules,
+set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
+copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
+protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project
+Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
+charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you
+do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
+rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose
+such as creation of derivative works, reports, performances and
+research. They may be modified and printed and given away--you may do
+practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is
+subject to the trademark license, especially commercial
+redistribution.
+
+
+
+*** START: FULL LICENSE ***
+
+THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
+PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
+
+To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
+distribution of electronic works, by using or distributing this work
+(or any other work associated in any way with the phrase "Project
+Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
+Gutenberg-tm License (available with this file or online at
+http://gutenberg.org/license).
+
+
+Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
+electronic works
+
+1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
+electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
+and accept all the terms of this license and intellectual property
+(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
+the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
+all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
+If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
+Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
+terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
+entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.
+
+1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
+used on or associated in any way with an electronic work by people who
+agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
+individual work is in the public domain in the United States and you are
+located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
+copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
+works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
+are removed. Of course, we hope that you will support the Project
+Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
+freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
+this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
+the work. You can easily comply with the terms of this agreement by
+keeping this work in the same format with its attached full Project
+Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.
+
+1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
+what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in
+a constant state of change. If you are outside the United States, check
+the laws of your country in addition to the terms of this agreement
+before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
+creating derivative works based on this work or any other Project
+Gutenberg-tm work. The Foundation makes no representations concerning
+the copyright status of any work in any country outside the United
+States.
+
+1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
+
+1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate
+access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
+whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
+phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
+Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
+copied or distributed:
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
+from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
+posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
+and distributed to anyone in the United States without paying any fees
+or charges. If you are redistributing or providing access to a work
+with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
+work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
+through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
+Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
+1.E.9.
+
+1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
+with the permission of the copyright holder, your use and distribution
+must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
+terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked
+to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
+permission of the copyright holder found at the beginning of this work.
+
+1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
+License terms from this work, or any files containing a part of this
+work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.
+
+1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
+electronic work, or any part of this electronic work, without
+prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
+active links or immediate access to the full terms of the Project
+Gutenberg-tm License.
+
+1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
+compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
+word processing or hypertext form. However, if you provide access to or
+distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
+"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
+posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
+you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
+copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
+request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
+form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
+License as specified in paragraph 1.E.1.
+
+1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
+performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
+unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
+
+1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
+access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
+that
+
+- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
+ the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
+ you already use to calculate your applicable taxes. The fee is
+ owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
+ has agreed to donate royalties under this paragraph to the
+ Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments
+ must be paid within 60 days following each date on which you
+ prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
+ returns. Royalty payments should be clearly marked as such and
+ sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
+ address specified in Section 4, "Information about donations to
+ the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
+
+- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
+ you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
+ does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
+ License. You must require such a user to return or
+ destroy all copies of the works possessed in a physical medium
+ and discontinue all use of and all access to other copies of
+ Project Gutenberg-tm works.
+
+- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
+ money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
+ electronic work is discovered and reported to you within 90 days
+ of receipt of the work.
+
+- You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg-tm works.
+
+1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
+electronic work or group of works on different terms than are set
+forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
+both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
+Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the
+Foundation as set forth in Section 3 below.
+
+1.F.
+
+1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
+effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
+public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
+collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
+works, and the medium on which they may be stored, may contain
+"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
+corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
+property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
+computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
+your equipment.
+
+1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
+of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
+Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
+Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
+liability to you for damages, costs and expenses, including legal
+fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
+LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
+PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
+TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
+LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
+INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
+DAMAGE.
+
+1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
+defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
+receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
+written explanation to the person you received the work from. If you
+received the work on a physical medium, you must return the medium with
+your written explanation. The person or entity that provided you with
+the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
+refund. If you received the work electronically, the person or entity
+providing it to you may choose to give you a second opportunity to
+receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy
+is also defective, you may demand a refund in writing without further
+opportunities to fix the problem.
+
+1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
+WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
+warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
+If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
+law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
+interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
+the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any
+provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
+
+1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
+providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
+with this agreement, and any volunteers associated with the production,
+promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
+harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
+that arise directly or indirectly from any of the following which you do
+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at http://pglaf.org
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit http://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations.
+To donate, please visit: http://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+ http://www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
diff --git a/36488-0.zip b/36488-0.zip
new file mode 100644
index 0000000..ffa7bc2
--- /dev/null
+++ b/36488-0.zip
Binary files differ
diff --git a/36488-8.txt b/36488-8.txt
new file mode 100644
index 0000000..60ff6ed
--- /dev/null
+++ b/36488-8.txt
@@ -0,0 +1,3318 @@
+The Project Gutenberg EBook of Jüdische Geschichten, by Jizchok Lejb Perez
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Jüdische Geschichten
+
+Author: Jizchok Lejb Perez
+
+Translator: Alexander Eliasberg
+
+Release Date: June 21, 2011 [EBook #36488]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JÜDISCHE GESCHICHTEN ***
+
+
+
+
+Produced by Norbert H. Langkau, Jana Srna and the Online
+Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
+
+
+
+
+
+
+ [ Anmerkungen zur Transkription:
+
+ Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen;
+ lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Eine Liste
+ der vorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes.
+
+ Im Original gesperrt gedruckter Text wurde mit = markiert.
+ Im Original in Antiqua gedruckter Text wurde mit _ markiert.
+ ]
+
+
+
+
+ Jüdische Geschichten
+
+
+ Von
+ Jizchok Lejb Perez
+
+
+ Aus dem Jidischen
+ übertragen von
+ Alexander Eliasberg
+
+ Im Insel-Verlag / Leipzig
+
+
+
+
+Ein Zwiegespräch
+
+
+An einem Frühlingstage, einem richtigen warmen Pessachtage, gehen Reb
+Schachno, ein langer, magerer Jude, der letzte Überrest der alten Kozker
+Chassidim-Gemeinde, und Reb Sorach, ein ebenso magerer, doch
+kleingewachsener Jude, der letzte lebende Vertreter der alten Belzer(1)
+Gemeinde, vor der Stadt spazieren. In ihren jüngeren Jahren waren sie
+Feinde auf Tod und Leben, denn Reb Schachno war der Anführer der Kozker
+gegen die Belzer, und Reb Sorach der Anführer der Belzer gegen die
+Kozker. Doch jetzt, wo sie beide alt geworden sind und die Kozker nicht
+mehr das sind, was sie früher waren, ebenso wie auch die Belzer ihr
+früheres Feuer verloren haben, sind sie aus den Parteien ausgetreten und
+haben die Führerschaft jüngeren Leuten überlassen, die in Glaubenssachen
+schwächer, sonst aber rüstiger sind als sie.
+
+ (1) Kozk: Städtchen in Russisch-Polen; Belz: Städtchen in Galizien. An
+ beiden Orten gab es berühmte Chassidim-Gemeinden, die sich heftig
+ befehdeten.
+
+An einem Wintertage, an der Ofenbank im Bethause haben sie Frieden
+geschlossen, und nun gehen sie am dritten Pessachfeiertage spazieren. Am
+weiten, blauen Himmel strahlt die Sonne, aus der Erde sprießen überall
+Halme, und man kann beinahe sehen, wie bei jedem Grashalme ein Engel
+steht und ihn zur Eile antreibt. Vögel schießen durch die Luft auf der
+Suche nach den vorjährigen Nestern. Und Reb Schachno sagt zu Reb Sorach:
+
+»Die Kozker Chassidim, die richtigen Kozker von altem Schrot und Korn --
+von den heutigen Kozkern spreche ich nicht! -- hielten nicht viel von
+der Haggodo(2) ...«
+
+ (2) Haggodo: die Geschichte des Auszuges der Juden aus Ägypten, die an
+ den beiden ersten Pessachabenden bei der Tafel verlesen wird.
+
+»Doch um so mehr von den Mazzeknödeln!« lächelt Reb Sorach.
+
+»Lache nicht über die Knödel!« antwortet Reb Schachno sehr ernst. »Lache
+nicht! Du kennst doch die geheime Bedeutung des Bibelwortes: 'Du sollst
+den Knecht nicht seinem Herrn überantworten'?«
+
+»Mir genügt es,« antwortet Reb Sorach stolz und überlegen, »daß ich die
+Verzückung des Gebets kenne.«
+
+Reb Schachno tut so, als ob er es nicht gehört hätte, und fährt fort:
+
+»Der offenbare Sinn der Worte ist doch klar: wenn ein Knecht, ein
+Diener, ein Leibeigener seinem Herrn entläuft, darf man ihn, nach dem
+Gebote der Thora, nicht einfangen; man darf ihn nicht binden und seinem
+Herrn zurückbringen. Denn wenn ein Mensch entlaufen ist, so konnte er es
+wohl nicht länger aushalten ... Es handelt sich also einfach um die
+Rettung einer Menschenseele! Und der verborgene Sinn dieser selben Worte
+ist ebenso einfach. Der Menschenleib ist ein Knecht, der Knecht der
+Seele! Der Leib ist ein Lüstling: sieht er ein Stück Schweinefleisch,
+oder eine fremde Frau, oder irgendeinen Götzendienst, oder ich weiß
+nicht was, -- so will er aus der Haut fahren. Doch die Seele wehrt es
+ihm und spricht: 'Du sollst nicht sündigen!' und er muß sich fügen.
+Ebenso umgekehrt: will die Seele irgendein göttliches Gebot erfüllen, so
+muß es der Leib für sie tun, und wenn er noch so müde und zerschlagen
+ist: die Hände müssen arbeiten, die Füße laufen, der Mund sprechen ...
+Warum? Weil es ihm sein Herr, das heißt die Seele, befohlen hat. Und
+dennoch heißt es: 'Du sollst den Knecht nicht seinem Herrn
+überantworten.' Man darf also den Leib nicht ganz an die Seele
+ausliefern: die flammende Seele würde ihn sonst zu Asche verbrennen, und
+hätte der Schöpfer Seelen ohne Leiber haben wollen, so hätte er
+überhaupt keine Welt erschaffen! Darum hat auch der Leib seine Rechte;
+es steht geschrieben: 'Wer zu viel fastet, ist Sünder'; denn der Leib
+muß essen! Wer fahren will, muß seinen Gaul füttern. Kommt irgendein
+Feiertag, so freue auch du dich, Leib! Nimm einen Schluck Branntwein!
+Die Seele hat ihre Freude, und auch der Leib hat seine Freude: die Seele
+erfreut sich am Segensspruch, den man dabei sprechen muß, und der Leib
+-- am Branntwein selbst! Heut ist Pessach, das Fest der Erinnerung an
+unsere Befreiung aus Ägypten, -- komm her, Leib, da hast du einen
+Mazzeknödel! Und der Leib fühlt sich dadurch gehoben; denn er wird
+teilhaftig der wahren Freude, die in der Erfüllung eines göttlichen
+Gebots liegt ... Lache nicht über die Knödel, mein Lieber, lache nicht!«
+
+Reb Sorach muß gestehen, daß die Auslegung tief ist und sich hören
+lassen kann. Er ißt aber aus Prinzip keinerlei aus Mazzes hergestellte
+Speisen!
+
+»In diesem Falle hast du deine Freude an der trockenen Mazze selbst ...«
+
+»Wer hat genug Mazzes, um sich satt zu essen? Und wer hat noch Zähne, um
+sie zu beißen?«
+
+»Wie erfüllst du dann das Gebot: 'An deinen Festen sollst du dich
+freuen' in bezug auf den Leib?«
+
+»Weiß ich? Manchmal hat der Leib Freude an einem Schluck Rosinenwein ...
+Ich persönlich habe meine größte Freude an der Haggodo selbst. Ich sitze
+da, lese die Haggodo, zähle die ägyptischen Plagen auf, verdoppele sie
+und lese sie immer von neuem ...«
+
+»Du roher Kerl!«
+
+»Roher Kerl? Nach so vielen Verfolgungen, die das Volk Israel erlitten,
+nach so vielen Jahren der Verbannung der göttlichen Majestät aus ihrem
+Tempel? Ich meine, man hätte einführen sollen, daß die zehn Plagen
+siebenmal aufgezählt werden ... Daß das Gebet 'Ergieße deinen Zorn,
+Herr, auf die Völker, die dich nicht anbeten!' siebenmal gesprochen
+wird! Doch vor allen Dingen die ägyptischen Plagen -- die machen mir die
+größte Freude! Ich würde sie am liebsten bei offenen Türen und Fenstern
+aufzählen: sollen =sie= es nur hören! Was habe ich zu fürchten? Die
+heilige Sprache verstehen sie ja sowieso nicht!«
+
+Reb Schachno wird für eine Weile nachdenklich, und dann beginnt er wie
+folgt:
+
+»Ich will dir eine Geschichte erzählen, die bei uns passiert ist. Ich
+will nicht übertreiben -- etwa zehn Häuser vom Hause des gottseligen
+Rabbi entfernt wohnte ein Metzger. Ich will nicht mit dem Munde
+sündigen; denn der Mann ist schon längst auf jener Welt, -- aber der
+Metzger war ein roher Mensch, nun eben ein echter Metzger. Einen Nacken
+hatte er wie ein Stier, Augenbrauen wie Borsten und Hände wie Klötze.
+Und erst seine Stimme! Wenn er sprach, klang es wie ein ferner Donner
+oder wie wenn Soldaten schießen! Ich glaube sogar, er stammte aus
+Belz ...«
+
+»Na, na!« brummt Reb Sorach.
+
+»So wahr ich lebe!« erwidert Reb Schachno kaltblütig. »Zu beten pflegte
+er mit einer besonders wilden Stimme, mit allerlei Nebengeräuschen. Bei
+manchen Gebeten klang es, wie wenn man Wasser ins Feuer schüttet ...«
+
+»Das kannst du dir schenken!«
+
+»Nun stelle dir vor, was für einen Lärm es gibt, wenn sich so ein Kerl
+an den Pessachtisch setzt und die Haggodo liest! In der Wohnung des
+Rabbi hört man jedes Wort! Nun, ein Metzger ist eben ein Metzger. Alle
+Tischgenossen beim Rabbi lachen. Und selbst der Rabbi, seligen
+Angedenkens, bewegt leise die Lippen, und man sieht, daß er lächelt.
+Doch später, als der Bursche anfing, die Plagen aufzuzählen, als sie ihm
+aus dem Maule herausflogen wie Flintenkugeln, als er bei jeder Plage mit
+der Faust auf den Tisch hämmerte, so daß die Weinbecher klirrten, --
+wurde der Rabbi, sein Andenken sei gesegnet, sehr traurig ...«
+
+»Traurig? Am Feiertage, am heiligen Pessachfeste -- traurig? Was redest
+du da?«
+
+»Man fragte ihn auch nach der Ursache.«
+
+»Und was gab er für eine Antwort?«
+
+»Auch der Schöpfer der Welt, sagte er, ist beim Auszuge Israels aus
+Ägypten traurig gewesen.«
+
+»Wo hat er das her?«
+
+»Es steht in einem Midrasch! Als die Kinder Israels durch das Meer
+gezogen waren und das Meer zurückfloß und Pharao mit seinem ganzen Heere
+bedeckte und ertränkte, fingen die Engel zu singen an, die Seraphim
+flogen, und die Räder, auf denen Gottes Thron ruht, rollten durch alle
+sieben Himmel, jauchzend ob der guten Botschaft. Und die Gestirne und
+Sternenbilder fingen zu tanzen an! Du kannst dir denken, was für eine
+Freude es war, als es hieß: Die ganze Unreinheit ist ins Meer versunken!
+Doch der Schöpfer der Welt gebot allen Ruhe und sprach von seinem Throne
+herab: 'Meine Kinder ertrinken im Meere, und ihr singt und tanzt?' Denn
+Pharao und sein ganzes Heer und selbst alle Unreinheit -- sind Gottes
+Geschöpfe ... 'Und der Herr erbarmte sich seiner Schöpfung' -- so steht
+es geschrieben!«
+
+»Von mir aus ...«, seufzt Reb Sorach. Nach einer Weile fragt er:
+
+»Und wenn das schon in einem Midrasch steht, was hat da dein Rabbi Neues
+entdeckt?«
+
+Reb Schachno bleibt stehen und sagt sehr ernst:
+
+»Erstens, du Belzer Narr, ist niemand verpflichtet, neue Auslegungen zu
+geben: in der Thora gibt es nichts Neues und nichts Altes, das Neue ist
+alt, und das Alte neu. Zweitens wird damit erklärt, warum es Sitte ist,
+die ganze Haggodo mit einer traurigen Melodie zu singen. Und drittens
+verstehen wir jetzt den Vers: 'Israel soll sich nicht erfreuen nach der
+Art der anderen Völker.' Deine Freude soll nicht roh sein! Du bist doch
+kein Bauer! Rachlust ist kein jüdisch Ding!«
+
+
+
+
+Wenn nicht noch höher!
+
+
+Und der Rebbe von Nemirow pflegte alljährlich um die Selichoszeit(3)
+jeden Morgen zu verschwinden.
+
+ (3) Drei Tage vor dem Neujahrsfeste, an denen die Juden vor
+ Morgengrauen geweckt werden, um in den Bethäusern Selichos
+ (Bußpsalmen) zu beten.
+
+Er war nirgends zu finden: weder in der Schul, noch in den beiden
+Lehrhäusern, noch in einem der Betzirkel; und bei sich zu Hause schon
+ganz gewiß nicht. Seine Wohnung stand offen; jeder, wer nur wollte,
+konnte hineingehen; gestohlen wurde beim Rebben =niemals=. Doch in der
+Wohnung war keine Menschenseele.
+
+Wo kann der Rebbe sein?
+
+Wo soll er sein? Selbstverständlich im Himmel! Hat denn so ein Rebbe vor
+den Schrecklichen Tagen(4) wenig auszurichten? Juden brauchen,
+unberufen, Lebensunterhalt, Frieden, Gesundheit, gute Partien für die
+Kinder; sie wollen gut und fromm sein, doch die Sünden sind groß, und
+der Satan durchschaut mit seinen tausend Augen die Welt von einem Ende
+bis zum anderen und sieht alles und zeigt jede Kleinigkeit an ... Und
+wer soll helfen, wenn nicht der Rebbe?
+
+ (4) Die zehn Tage zwischen Neujahr und Versöhnungstag, an denen das
+ himmlische Gericht seine Beschlüsse für das kommende Jahr fällt.
+
+So dachte sich die ganze Gemeinde.
+
+Einmal kommt aber in die Stadt ein Litwak(5). Er lacht! Ihr wißt doch,
+was ein Litwak ist: von Andachtsbüchern hält er gar nichts, dafür stopft
+er sich den Kopf mit Talmudabschnitten und Bibelstellen voll. Und dieser
+Litwak weist aus dem Talmud nach -- er sticht einem damit förmlich die
+Augen aus --, daß selbst Moses bei Lebzeiten kein einziges Mal in den
+Himmel kam, sondern stets zehn Handbreiten unter dem Himmel zurückblieb!
+Geh einer und streite mit einem Litwak!
+
+ (5) Ein Jude aus Litauen und Westrußland; er wird von den polnischen
+ Juden als Rationalist und Gegner des chassidischen Wunderglaubens gern
+ verspottet.
+
+»Wo kommt also der Rebbe hin?«
+
+»Meine Sorge!« antwortet er und zuckt die Achsel; und wie er das sagt,
+faßt er schon den Entschluß -- was ein Litwak nicht alles kann! -- der
+Sache auf den Grund zu gehen.
+
+ * * * * *
+
+Noch am selben Abend, bald nach dem Abendgebet, stiehlt sich der Litwak
+ins Zimmer des Rebben hinein, kriecht unter des Rebben Bett und liegt.
+Er will die Nacht durchwachen und sehen, was der Rebbe vor Morgengrauen,
+wenn die Leute zu den Selichos gehen, anfängt.
+
+Jemand anderer an seiner Stelle würde einschlummern und die Zeit
+verschlafen; doch ein Litwak weiß immer Rat: um sich wach zu halten,
+nimmt er im Kopfe einen ganzen Talmudabschnitt durch; ich weiß nicht
+mehr, ob es der Abschnitt »Von den Schlachtungen« oder der »Von den
+Gelübden« war.
+
+Vor Morgengrauen hört er, wie man an die Läden klopft, um die Leute zum
+Gebet zu rufen.
+
+Der Rebbe war schon lange wach. Der Litwak hörte ihn schon seit einer
+Stunde seufzen.
+
+Jeder, der den Nemirower Rebben nur einmal seufzen hörte, weiß, welche
+Trauer um das ganze Volk Israel, welche Seelenqual in jedem seiner
+Seufzer steckt ... Es wird einem ganz bange ums Herz, wenn man ihn
+seufzen hört! Ein Litwak hat aber doch ein Herz aus Eisen: er hört zu
+und bleibt ruhig liegen! So liegen sie beide: der Rebbe -- leben soll
+er! -- =auf= dem Bett, der Litwak =unter= dem Bett.
+
+Etwas später hört der Litwak, wie im ganzen Hause die Betten zu knarren
+beginnen, wie die Hausleute aufstehen, wie hie und da ein jüdisches Wort
+fällt; wie das Wasser in die Waschbecken fließt, und wie die Türen auf-
+und zugemacht werden ... Dann verlassen alle das Haus; es wird wieder
+still; im Zimmer ist es finster; nur ein schwacher Mondstrahl dringt
+durch einen Spalt im Laden ...
+
+Später gestand der Litwak, daß, als er allein mit dem Rebben geblieben
+war, ihn ein Grauen befallen hatte. Es überlief ihn heiß und kalt vor
+Angst, und die Wurzeln seiner Schläfenlocken stachen ihn wie Nadeln.
+
+Es ist doch wirklich keine Kleinigkeit: mit dem Rebben allein, beim
+Morgengrauen in der Selichoszeit!...
+
+Ein Litwak ist aber starrköpfig: er zittert wie ein Fisch im Wasser und
+-- liegt!
+
+ * * * * *
+
+Endlich steht der Rebbe auf ...
+
+Zunächst wäscht er sich und verrichtet alles, was ein Jude am Morgen
+verrichten muß. Dann geht er zum Schrank und holt ein Bündel hervor; im
+Bündel sind Bauernkleider: ein Paar Leinenhosen, Schaftstiefel, ein
+Bauernrock, eine große Pelzmütze und ein breiter, mit Messingnägeln
+verzierter Ledergurt.
+
+Und der Rebbe zieht alle die Kleider an.
+
+Aus der Rocktasche hängt das Ende eines dicken Bauernstrickes heraus.
+
+Der Rebbe geht aus dem Zimmer, der Litwak geht ihm nach.
+
+Der Rebbe geht in die Küche, bückt sich, holt unter dem Bett eine Axt
+hervor, steckt sie sich hinter den Gurt und verläßt das Haus.
+
+Der Litwak zittert, bleibt aber nicht zurück.
+
+ * * * * *
+
+Ein stilles Grauen, das Grauen der Selichoszeit lagert über den dunklen
+Gassen. Hie und da dringt der Aufschrei eines Betenden aus einem der
+Betzirkel oder das Stöhnen eines Kranken aus einem Fenster .. Der Rebbe
+schleicht an den Mauern entlang, immer im Schatten der Häuser ... So
+schwimmt er aus einem Schatten in den anderen, und der Litwak schwimmt
+ihm nach ...
+
+Und der Litwak hört, wie das laute Pochen seines eigenen Herzens sich
+mit den schweren Tritten des Rebben vermengt. Er bleibt aber trotzdem
+nicht zurück und gelangt zusammen mit dem Rebben vor die Stadt.
+
+ * * * * *
+
+Vor der Stadt gibt es ein Wäldchen.
+
+Der Rebbe -- leben soll er! -- geht ins Wäldchen. Nach dreißig, vierzig
+Schritten bleibt er vor einem jungen Baum stehen. Der Litwak sieht mit
+Bestürzung, wie der Rebbe die Axt aus dem Gürtel zieht und auf den
+Baumstamm einschlägt.
+
+Er sieht, wie der Rebbe immer wieder ausholt; er hört, wie der Baum
+ächzt und knackt. Der Baum fällt, und der Rebbe spaltet den Stamm in
+Klötze, dann die Klötze in Späne. Dann macht er aus den Spänen eine
+Tracht Holz, umbindet sie mit dem Strick, den er in der Tasche hatte,
+lädt sie sich auf den Rücken, steckt die Axt wieder in den Gürtel und
+geht zur Stadt zurück.
+
+In der hintersten Gasse bleibt er vor einem kleinen, halb eingefallenen
+Häuschen stehen und klopft ans Fenster.
+
+»Wer klopft?« fragt eine erschrockene Stimme aus dem Häuschen. Der
+Litwak erkennt, daß es die Stimme einer Jüdin, einer kranken Jüdin ist.
+
+»Ich bin es!« antwortet der Rebbe auf kleinrussisch.
+
+»Wer bist du?« fragt wieder die Frauenstimme.
+
+»Wassil!« antwortet der Rebbe.
+
+»Was für ein Wassil? Und was willst du, Wassil?«
+
+»Ich habe Holz zu verkaufen!« sagt der angebliche Wassil. »Sehr billig,
+so gut wie umsonst!«
+
+Und ohne die Antwort abzuwarten, tritt der Rebbe ins Haus.
+
+ * * * * *
+
+Der Litwak schleicht ihm nach und sieht im fahlen Morgenlichte eine
+ärmliche Stube, zerbrochenes Hausgerät ... Im Bette liegt eine kranke
+Jüdin, in Lumpen gehüllt, und sie spricht mit erbitterter Stimme:
+
+»Kaufen? Womit soll ichs kaufen? Wo soll ich arme Witwe Geld hernehmen?«
+
+»Ich will es dir borgen!« antwortet der falsche Wassil. »Es sind im
+ganzen sechs Groschen!«
+
+»Wie soll ich sie dir bezahlen?« stöhnt die arme Jüdin.
+
+»Törichte Frau!« spricht der Rebbe vorwurfsvoll. »Sieh: du bist arm und
+krank, und ich traue dir das bißchen Holz: =ich vertraue= dir, daß du es
+mir bezahlen wirst. Und du hast einen so großen, so starken Gott und
+vertraust ihm nicht ... Du traust ihm nicht einmal die dummen sechs
+Groschen für eine Tracht Holz!«
+
+»Und wer wird einheizen?« stöhnt die Witwe. »Habe ich denn die Kraft
+aufzustehen? Mein Sohn ist schon fort auf die Arbeit.«
+
+»Ich will auch einheizen,« sagt der Rebbe.
+
+ * * * * *
+
+Und während er das Holz in den Ofen legte, sprach der Rebbe stöhnend den
+ersten Abschnitt der Selichos ...
+
+Und als er Feuer gemacht, und das Holz lustig zu flackern begann, sprach
+er, schon etwas lustiger, den zweiten Abschnitt ...
+
+Und den dritten Abschnitt sprach er, als das Holz richtig brannte und er
+das Ofenblech schloß ...
+
+ * * * * *
+
+Der Litwak, der das alles gesehen, wurde von nun an Nemirower Chassid.
+
+Und sooft später jemand erzählte, daß der Nemirower Rebbe alljährlich
+zur Selichoszeit jeden Morgen die Erde verlasse und in den Himmel
+fliege, lachte der Litwak nicht mehr, sondern fügte still hinzu:
+
+»Wenn nicht noch höher!«
+
+
+
+
+Die Kabbalisten
+
+
+In schlechten Zeiten sinkt sogar die beste Ware -- die göttliche
+Wissenschaft -- im Werte. Und so ist von der Laschtschower Jeschiwo(6)
+schließlich nichts übriggeblieben als der Rosch-Jeschiwo Reb Jekel und
+ein einziger Schüler.
+
+ (6) Jeschiwo: freie Akademie für Talmudstudium und höheres jüdisches
+ Wissen in osteuropäischen Ländern. -- Rosch-Jeschiwo: Oberhaupt einer
+ Jeschiwo.
+
+Der Rosch-Jeschiwo ist ein alter, hagerer Mann mit langem, zerzaustem
+Bart und erloschenen Augen. Lemech, sein einziger Schüler, ist ein
+langer, schmächtiger Jüngling mit blassem Gesicht, schwarzen
+Schläfenlocken, schwarzen, meistens gesenkten Augen, trockenen Lippen
+und einer spitz hervortretenden, zitternden Gurgel. Beide tragen
+geflickte Röcke, die vorn offen stehen und den nackten Leib -- denn sie
+haben keine Hemden an -- sehen lassen. Der Rosch-Jeschiwo schleppt mit
+großer Mühe ein Paar schwere Bauernstiefel; dem Schüler fallen seine
+viel zu großen Stadtschuhe von den bloßen Füßen; denn er hat keine
+Socken.
+
+Das ist alles, was von der einst so berühmten Jeschiwo übriggeblieben
+ist!
+
+Die verarmten Einwohner des Städtchens schickten immer weniger Essen und
+luden die Schüler immer seltener zu Mahlzeiten ein. Darum verzogen sich
+die armen Schüler nach anderen Städten. Reb Jekel will aber hier
+sterben, und sein Schüler will ihm die Scherben auf die Augen legen.
+
+Sie beide müssen viel hungern. Und wenn man wenig ißt, schläft man auch
+wenig. Und nach schlaflosen Nächten und vielen Hungertagen bekommt man
+Lust zur Kabbala!
+
+Wenn man schon ganze Nächte durchwacht und tagelang hungert, so will man
+davon wenigstens einen Nutzen haben: durch Fasten und Kasteiungen kann
+man ja erreichen, daß sich alle Tore der Welt öffnen und alle
+Geheimnisse, Engel und Geister offenbar werden!
+
+So beschäftigen sich die beiden seit längerer Zeit mit der Kabbala.
+
+Sie sitzen an einem langen Tisch in der leeren Stube. Bei den anderen
+Juden ist es schon nach dem Essen, doch bei den beiden noch vor dem
+Frühstück. Sie sind es aber gewohnt. Der Rosch-Jeschiwo hat seine Augen
+halb geschlossen und redet; der Schüler hält den Kopf in beide Hände
+gestützt und lauscht.
+
+»Es gibt darin«, sagt der Rosch-Jeschiwo, »vielerlei Stufen der
+Vervollkommnung: einer kennt ein Stückchen, ein anderer die Hälfte, und
+ein dritter die ganze Melodie. Der Rebbe, seligen Angedenkens, kannte
+zum Beispiel die ganze Melodie, sogar mit einem Nachspiel. -- Und ich«,
+fügt er traurig hinzu, »bin nur der Gnade teilhaftig geworden, ein ganz
+kleines Stückchen zu kennen -- kaum so groß ...«
+
+Er mißt auf seinem dürren Finger ein winziges Endchen ab und fährt fort:
+
+»Es gibt Melodien, die Worte haben müssen ... Das ist die niedrigste
+Stufe. Und es gibt eine höhere Stufe: die Melodie braucht keine Worte;
+sie wird ohne Worte gesungen, als reine Melodie ... Aber auch diese
+Melodie bedarf einer Stimme und braucht Lippen, durch die sie dringt!
+Und Lippen sind -- du verstehst mich doch? -- etwas Körperliches. Daher
+ist auch die Stimme, wenn auch eine edle Form des Körperlichen, aber
+immerhin etwas Körperliches! Nehmen wir an, daß die Stimme auf der
+Grenze zwischen Geistigem und Körperlichem steht!
+
+»Doch in jedem Falle ist die Melodie, die der Stimme bedarf und von den
+Lippen abhängt, noch nicht ganz rein, nicht ganz geistig!
+
+»Die richtige, höchste Melodie wird aber ganz ohne Stimme gesungen ...
+Sie tönt im Innern des Menschen, in seinem Herzen, in allen Gliedern. So
+sind die Worte des Königs David zu verstehen: 'Alle meine Gebeine
+lobpreisen Gott!' Im Marke der Knochen muß es tönen, und das ist das
+schönste Loblied auf den Herrn, gesegnet sei sein Name! Denn eine solche
+Melodie ist nicht von einem Wesen aus Fleisch und Blut erfunden. Sie ist
+ein Teil jener Melodie, mit der Gott die Welt erschaffen hat, ein Teil
+der Seele, die er ihr eingegeben hat ... So singen die himmlischen
+Heerscharen!...«
+
+Der Vortrag wurde unterbrochen durch das Erscheinen eines zerlumpten
+Burschen mit einem Strick um die Lenden. Er trat in die Stube, stellte
+auf den Tisch vor den Rosch-Jeschiwo eine Schüssel Grütze, legte ein
+Stück Brot dazu und sagte mit roher Stimme:
+
+»Reb Tewel schickt dem Rosch-Jeschiwo sein Essen!« Und bei der Tür
+wandte er sich noch einmal um und fügte hinzu: »Ich komme später die
+Schüssel holen!«
+
+Durch die Stimme des Burschen aus den himmlischen Harmonien gerissen,
+stand der Rosch-Jeschiwo mühselig auf und schleppte sich in seinen
+schweren Stiefeln zum Wassergefäß bei der Tür, um sich die Hände zu
+waschen. Im Gehen sprach er weiter, doch mit weniger Inbrunst als
+vorhin, und der Schüler verfolgte ihn von seinem Platze aus mit
+leuchtenden Augen und lauschenden Ohren.
+
+»Ich bin aber nicht einmal für würdig befunden,« sagt traurig der
+Rosch-Jeschiwo, »zu wissen, auf welcher Stufe dieses erreicht werden
+kann, bei welchem Tor des Himmels ... Weißt du,« gibt er lächelnd zu,
+»die nötigen Kasteiungen und Betübungen kenne ich wohl, und ich werde
+sie dir, vielleicht noch heute, mitteilen!«
+
+Dem Schüler springen schier die Augen heraus, er sitzt mit offenem Munde
+da und fängt jedes Wort des Meisters mit Gier auf. Doch der Meister
+bricht ab ... Er wäscht sich die Hände, trocknet sie ab, spricht die
+vorgeschriebene Gebetformel, geht zurück zum Tisch und spricht mit
+bebenden Lippen das Gebet über den Bissen Brot.
+
+Und er ergreift mit zitternden Händen die Schüssel, und der warme Dampf
+verdeckt sein ausgemergeltes Gesicht. Dann setzt er die Schüssel wieder
+auf den Tisch, nimmt mit der Rechten den Löffel und wärmt die Linke am
+Rande der Schüssel. Dabei zerkaut er mit seinem zahnlosen Munde langsam
+den Bissen Brot, über den er das Gebet gesprochen hat.
+
+Als Gesicht und Hände warm geworden sind, legt er seine Stirn in Falten,
+spitzt die dünnen blauen Lippen und beginnt zu blasen. Der Schüler
+starrt ihn unverwandt an. Doch als die zitternden Lippen des Greises dem
+ersten Löffel Grütze entgegeneilen, packt ihn etwas am Herzen: er
+bedeckt sein Gesicht mit den Händen und schrumpft gleichsam ein.
+
+Nach einer Weile kam ein anderer Bursche, ebenfalls mit einer Schüssel
+Grütze und einem Stück Brot, und sagte:
+
+»Reb Jojssef schickt dem Schüler sein Frühstück!«
+
+Doch der Schüler zog die Hände vom Gesicht nicht fort. Der
+Rosch-Jeschiwo legte seinen Löffel weg und ging an den Schüler heran.
+Einige Zeit betrachtete er ihn mit Stolz und Liebe, dann berührte er
+seine Schulter:
+
+»Man hat dir Essen gebracht!« weckte er ihn mit freundlicher Stimme.
+
+Der Schüler nahm seine Hände langsam und unwillig vom Gesicht weg. Das
+Gesicht war noch blasser geworden, und die Augen brannten noch
+unheimlicher.
+
+»Ich weiß, Rebbe!« antwortete er. »Doch ich werde heute nicht essen.«
+
+»Den vierten Tag fasten?« fragte der Rosch-Jeschiwo erstaunt. »Und ohne
+mich?« fügte er etwas beleidigt hinzu.
+
+»Es ist ein eigener Fasttag,« antwortete der Schüler. »Ich faste heute
+zur Buße ...«
+
+»Was redest du? Wie kommst du zur Buße?«
+
+»Gewiß, Rebbe! Ich muß büßen ..., weil ich vor einem Augenblick, als Ihr
+zu essen begannt, gegen das Gebot 'Laß dich nicht gelüsten' sündigte!«
+
+ * * * * *
+
+In der folgenden Nacht weckte der Schüler den Lehrer. Die beiden
+schliefen einander gegenüber auf Bänken in der Lehrstube.
+
+»Rebbe, Rebbe!« rief der Schüler mit schwacher Stimme.
+
+»Was ist?« Der Rosch-Jeschiwo erwachte und erschrak.
+
+»Ich war soeben auf dem höchsten Gipfel ...«
+
+»Wieso?« fragt der Rosch-Jeschiwo, noch etwas verschlafen.
+
+»Es hat =in mir= gesungen!«
+
+»Wieso? Wieso?«
+
+»Das weiß ich selbst nicht, Rebbe,« antwortete der Schüler kaum hörbar.
+»Ich konnte nicht einschlafen und vertiefte mich in Euren Vortrag ...
+Ich wollte um jeden Preis jene Melodie kennen lernen ... Und vor großem
+Kummer, daß ich es nicht konnte, fing ich zu weinen an ... Alles weinte
+in mir, alle meine Glieder weinten vor dem Schöpfer der Welt! Und dabei
+machte ich die Gebetübungen, die Ihr mich gelehrt habt, doch seltsam:
+nicht mit dem Munde, sondern tief im Innern! Und plötzlich wurde es so
+hell. Ich hielt die Augen geschlossen, und doch war es um mich hell,
+sehr hell, blendend hell ...«
+
+»Recht so!« sagte der Alte, sich vorbeugend.
+
+»Und vor dieser Helle wurde mir so gut, so leicht ... Es war mir, als ob
+ich keine Schwere mehr hätte, als ob mein Leib jedes Gewicht verloren
+hätte und fliegen könnte ...«
+
+»Recht so!«
+
+»Dann wurde es mir so lustig, so lebendig zumute ... Mein Gesicht blieb
+unbeweglich, meine Lippen rührten sich nicht, und doch lachte ich ...
+Lachte so gut, so herzlich, so fröhlich ...«
+
+»So, so! Ganz recht: in höchster Freude ...«
+
+»Dann summte etwas in mir, wie der Anfang einer Melodie ...«
+
+Der Rosch-Jeschiwo sprang von seiner Bank auf und war mit einem Satz
+beim Schüler.
+
+»Und weiter?«
+
+»Und weiter fühlte ich, wie es in mir zu singen anfing ...«
+
+»Was hast du dabei gefühlt? Was? Was? Sag!...«
+
+»Ich fühlte, daß alle meine Sinne geschlossen und verstopft sind, und in
+mir inwendig etwas singt ... Ganz wie es sich gehört: ohne Worte und
+ohne Töne, so ...«
+
+»Wie? Wie?«
+
+»Nein, ich kann es nicht ... Früher konnte ich es noch ... Dann wurde
+aus dem Singen ...«
+
+»Was wurde aus dem Singen? Was?«
+
+»Eine Art Musik ... Gleich als ob ich in mir eine Geige hätte, oder als
+ob in meinem Innersten der Spielmann Jojne säße und eines der Stücke
+spielte, die er beim Rabbi an der Tafel spielt! Es klang aber noch viel
+schöner, edler, trauriger! Und alles ohne Töne, ganz ohne Töne, rein
+geistig ...«
+
+»Wohl dir! Wohl dir! Wohl dir!«
+
+»Und nun ist alles weg!« sagt der Schüler sehr traurig. »Meine Sinne
+sind wieder erwacht, und ich bin so müde, so furchtbar müde, daß
+ich ...«
+
+»Rebbe!« schreit er plötzlich auf, sich an die Brust greifend. »Rebbe,
+sprecht mir das Sterbegebet vor! Man ist mich holen gekommen! Sie
+brauchen dort oben einen neuen Chorjungen! Ein Engel mit weißen
+Flügeln... Rebbe! Rebbe! Schma Ißroel!(7) Schma ...«
+
+ (7) Schma Ißroel: »Höre, Israel«, das heiligste jüdische Gebet.
+
+ * * * * *
+
+Das ganze Städtchen wünschte sich einen solchen Tod. Doch dem
+Rosch-Jeschiwo war es zu wenig.
+
+»Noch einige Fasttage,« seufzte er, »und er wäre noch ganz anders
+gestorben: durch einen Kuß von Gottes Munde!«
+
+
+
+
+Berl der Schneider
+
+
+Erew Jom-Kippur -- Vorabend des Versöhnungstages -- in der Berditschewer
+Schul. Es senkt sich die Nacht. Die alten Leute haben bereits vor dem
+Thoraschreine das Gebet: »Mit Wissen des Schöpfers und mit Wissen der
+Schöpfung ...« gesprochen und sind auf ihre Plätze zurückgekehrt. Rabbi
+Levi-Jizchok steht am Vorbeterpult: er soll das Kol-Nidrej anstimmen,
+doch er schweigt.
+
+Alle Blicke hängen an seinem Rücken. In der Weiberabteilung ist es still
+wie auf dem Meere vor dem Sturme. Vielleicht wird er zuvor, wie er das
+schon manchmal tat, einige Worte sprechen, wird sich in der gemeinen
+Volkssprache mit dem Schöpfer der Welt auseinandersetzen, wie ein Mensch
+mit seinem Nächsten spricht.
+
+Aber Rabbi Levi-Jizchok steht, in Kittel(8) und Gebetmantel gehüllt, vor
+dem Pulte und schweigt.
+
+ (8) Kittel: Totenhemd, das jeder Jude am Versöhnungstage während des
+ Gottesdienstes trägt.
+
+Was hat das zu bedeuten?
+
+Sind die Tore des Gebets zu einer so späten Stunde noch geschlossen? Hat
+Rabbi Levi-Jizchok nicht die Kraft anzuklopfen? Er hält seinen Kopf
+etwas geneigt, wie lauschend; lauscht er, ob man die Tore nicht schon
+aufschließt?
+
+Und plötzlich wendet sich Rabbi Levi-Jizchok um und ruft:
+
+»Schuldiener!«
+
+Der Schuldiener eilt zu ihm hin, und der Rabbi fragt:
+
+»Ist Berl der Schneider noch nicht da?«
+
+Die Gemeinde ist vor Erstaunen wie versteinert. Der Schuldiener
+stammelt: »Ich weiß nicht ...« und sieht sich um. Auch Rabbi
+Levi-Jizchok mustert die Anwesenden.
+
+»Nein, er ist noch nicht da!« sagt er schließlich. »Ist zu Hause
+geblieben.« Und dann wendet er sich wieder zum Schuldiener:
+
+»Geh zu Berl dem Schneider ins Haus und ruf ihn her! Ich, Levi-Jizchok,
+der Rabbi der Stadt, ließe ihn rufen!«
+
+Berl der Schneider wohnt in der Schulgasse, nicht weit vom Bethause. Und
+er kommt auch sehr bald, ohne Kittel und Gebetmantel, in
+Werktagskleidern. Sein Gesicht ist finster, seine Augen sind böse und
+erschrocken zugleich. Er geht auf Rabbi Levi-Jizchok zu und sagt:
+
+»Ihr habt mich rufen lassen, Rabbi, so bin ich zu =Euch= gekommen.«
+
+Er betont: »Zu Euch«.
+
+»Sag einmal, Berele,« fragt der Rabbi lächelnd, »warum wird heute dort
+oben von dir so viel gesprochen? Die himmlischen Heerscharen sind nur
+mit dir allein beschäftigt. Man hört nichts als: Berl der Schneider und
+Berl der Schneider!«
+
+»Aha!« triumphiert Berl.
+
+»Hast du irgendeine Beschwerde vorzubringen?«
+
+»Gewiß!«
+
+»Gegen wen denn, Berele?«
+
+»Gegen den Schöpfer der Welt!« antwortet Berl.
+
+Die Gemeinde hätte ihn in Stücke gerissen. Doch Rabbi Levi-Jizchok
+lächelt noch freundlicher.
+
+»Vielleicht wirst du uns erzählen, um was es sich handelt?«
+
+»Gerne!« sagt Berl. »Von mir aus kann die Sache sogar gleich hier von
+Euch entschieden werden. Darf ich sprechen?«
+
+»Sprich!«
+
+»Den ganzen Sommer lang«, beginnt Berl der Schneider seine Anklage,
+»habe ich, nicht auf Euch gesagt, Rabbi, gar keine Arbeit gehabt ...
+Weder von einem Juden, noch von einem Bauern. Ich könnte mich einfach
+hinlegen und sterben, so schlecht ging es mir!«
+
+»Ach!« zweifelt der Rabbi: »Der Same Abrahams, Isaaks und Jakobs ist
+doch mildtätig, -- du hättest auf die Barmherzigkeit der Leute vertrauen
+sollen!«
+
+»Darum handelt es sich nicht, Rabbi. Ich sage niemandem ein Wort und
+nehme von niemandem etwas an.«
+
+Von einem Geschöpf aus Fleisch und Blut nimmt er keine Geschenke an. Er
+hat vor dem Schöpfer der Welt die gleichen Rechte wie die andern Leute.
+Das einzige, was er getan hat -- er hat seine Tochter in eine größere
+Stadt zu fremden Menschen dienen geschickt. Und er sitzt allein zu Hause
+und wartet, was der Schöpfer mit ihm zu tun beschließt.
+
+Einmal vor dem Laubhüttenfeste geht die Tür auf. Aha! Nun hat er es doch
+erlebt. Und in der Tat, es ist ein Bote vom Gutsherrn: Berl soll ihm
+einen Mantel mit Pelz füttern. Der Schöpfer will also doch um ihn
+sorgen! Er geht aufs Schloß, man führt ihn in ein eigenes Zimmer und
+übergibt ihm den Mantel und die Felle.
+
+»Hättet Ihr nur die Felle gesehen, Rabbi! Die schönsten Fuchsfelle, die
+es nur gibt!«
+
+Es ist aber die höchste Zeit zum Kol Nidrej-Gebet. Darum sucht der Rabbi
+die Erzählung abzukürzen:
+
+»Also kurz und gut, du hast den Mantel gefüttert und warst fertig. Was
+geschah dann?«
+
+»Eine Kleinigkeit geschah: drei Felle blieben mir übrig.«
+
+»Und die hast du eingesteckt?«
+
+»Das ist leichter gesagt, Rabbi, als getan! Denn wenn man aus dem
+Schlosse kommt, steht vor dem Tore ein Wächter, und wenn dieser Verdacht
+hat, so durchsucht er die Kleider und zwingt sogar einen, die Stiefel
+auszuziehen. Und findet man bei mir, Gott behüte, die Felle, so hat der
+Gutsherr böse Hunde und Reitknechte ...«
+
+»Was tatest du nun?«
+
+»Bin ich aber doch Berl der Schneider! Ich gehe in die Küche und bitte,
+daß man mir ein Brot schenkt.«
+
+»Christenbrot, Berele!«
+
+»Nicht zum Essen brauchte ich es, Rabbi! Man schenkt mir einen großen
+Laib. Ich gehe damit in das Zimmer, wo ich genäht habe, schneide das
+Brot auf, höhle die Hälften aus, rolle das Weiche, das ich
+herausgenommen, so lange in den Händen herum, bis es den Geruch vom
+Schweiß annimmt, und werfe es dem Hunde vor, der in dem Zimmer liegt.
+Hunde lieben Menschenschweiß. Und die drei Fuchsfelle stecke ich in den
+Laib und gehe. Am Tore hält man mich an: Was trägst du, Jude, unterm
+Arm? Ich zeige den Brotlaib her, und man läßt mich gehen. Etwas weiter
+beginne ich schon zu laufen. Ich gehe nicht durch die Landstraße,
+sondern nehme den kürzeren Feldweg.
+
+»So gehe ich und hüpfe beinahe vor Freude: Nun werde ich zum
+Laubhüttenfest einen eigenen Palmenzweig haben und einen eigenen
+Paradiesapfel! Nichts von der Gemeinde Geborgtes ... So schöne
+Fuchsfelle!...
+
+»Da erzittert unter mir die Erde ... Ich weiß schon, was das ist: ein
+Reiter jagt mir nach! Das Blut erstarrt in mir. Sie haben wohl die Felle
+nachgezählt ... Entrinnen kann ich nicht: es ist doch ein Reiter, und
+dazu noch auf einem von den Pferden des Gutsherrn! Ich werfe sofort den
+Brotlaib in die Stoppeln und merke mir die Stelle, mache mir für alle
+Fälle ein Zeichen. Und schon höre ich, wie man mich ruft: Berl! Berl! --
+Ich erkenne die Stimme: es ist wirklich der Reitknecht vom Gutshof. Alle
+Glieder zittern mir, Rabbi! Meine Seele sitzt mir in den Fußknöcheln ...
+Ich wende mich aber um und gehe dem Reiter entgegen.
+
+»Nun stellt sich heraus, der ganze Schreck war umsonst: ich hatte
+vergessen, an den Pelzmantel ein Hängsel anzunähen. Darum hatte man mir
+den Reiter nachgeschickt. Der Reiter setzt mich hinter sich aufs Pferd,
+und schon reiten wir zurück.
+
+»Ich danke Gott für die Rettung, nähe das Hängsel an und gehe. Doch wie
+ich zu der bewußten Stelle komme, ist der Brotlaib nicht mehr da! Die
+Felder sind längst abgemäht, kein Menschenkind kommt da vorbei, und kein
+Vogel in der Welt hat die Kraft, eine solche Last wegzuschleppen ... Es
+ist also klar, wer das getan hat ...«
+
+»Wer?« fragt Rabbi Levi-Jizchok.
+
+»Er!« antwortet Berl der Schneider und deutet mit dem Finger nach oben.
+»Der Schöpfer der Welt! Sein Werk ists! Und ich weiß, Rabbi, warum er
+das getan hat: Er, der große Herr, will nicht dulden, daß ich, Berl der
+Schneider, mir nach Schneiderart einen Rest aneigne ...«
+
+»Es stimmt ja auch,« sagt Rabbi Levi-Jizchok mild: »Nach dem Gesetz ...«
+
+»Ach was, Gesetz!« ereifert sich Berl. »Der Brauch bricht ein Gesetz.
+Nicht ich habe den Brauch eingeführt; er stammt von uralten Zeiten!«
+
+»Und wenn schon der Schöpfer der Welt,« fährt er fort, »der große und
+stolze Herr nicht will, daß ich, Berl der Schneider, der ärmste Knecht
+von allen Knechten, die ihm dienen, mir einen Rest aneigne, so soll er
+mir Arbeit verschaffen, so soll er mir, wie jeder andre Herr, Gehalt
+zahlen! Aber er duldet nicht das eine und gibt mir nicht das andre. Nun
+will ich ihm, dem Schöpfer der Welt, nicht länger dienen. Ich habe es
+gelobt! Es ist aus!«
+
+Durch die Gemeinde geht eine Bewegung. Drohende Hände erheben sich. Man
+will auf den Schneider losstürzen. Doch Rabbi Levi-Jizchok gebietet
+Ruhe. Es wird wieder still, und der Rabbi fragt gütig:
+
+»Und was geschah weiter, Berl?«
+
+»Nichts! Ich komme nach Hause und esse, ohne zuvor die Hände zu waschen.
+Mein Weib will mich zur Rede stellen -- ich schlage sie ins Gesicht. Ich
+lege mich zu Bett und spreche nicht das Abendgebet. Meine Lippen wollen
+von selbst 'Höre Israel!' sprechen, doch ich beiße sie mit den Zähnen.
+Und am Morgen: weder Segensspruch, noch Handwaschung, noch Morgengebet:
+Er soll mir zu essen geben! Mein Weib rennt aus dem Hause ins Dorf zu
+ihrem Vater, dem Pächter. Also bleibe ich ohne Weib! Es ist mir sogar
+lieber so: ich bin ja Berl der Schneider, doch sie ist nur ein schwaches
+jüdisches Weib, -- soll sie lieber damit nichts zu tun haben. Und ich
+tue das meinige: am Laubhüttenfest weder Laubhütte, noch Palmenzweig. An
+den Festtagen spreche ich keinen Segensspruch über den Wein, und am
+Simchas-Tojre-Tag, an dem uns die Thora gegeben wurde, ziehe ich mir,
+wie Mordechai nach Hamans Mordbeschluß, zum Zeichen der Trauer einen
+Sack an!
+
+»Und wie die Zeit vor dem Neujahrsfeste kommt, wenn man jede Nacht ins
+Bethaus geht, um Bußgebete zu sprechen, da wird es mir schon etwas
+bange: der Schuldiener klopft jede Nacht ans Fenster, um mich zu wecken,
+und mein Herz klopft auch. Es zieht mich hin ... Aber ich bin ja Berl
+der Schneider und halte mein Wort! Ich ziehe mir die Bettdecke über den
+Kopf und gebe nicht nach. Dann kommt das Neujahrsfest -- ich rühre
+keinen Finger. Und wenn die Stunde kommt, wenn man Schojfer(9) bläst,
+stopfe ich mir Werg in die Ohren ... Das Herz will mir aus dem Leibe
+springen, Rabbi! Ich habe vor mir selbst Ekel: ich bin ungewaschen und
+trage schmutzige Werktagskleider. Ein kleiner Spiegel hängt bei mir in
+der Stube -- ich kehre ihn um zur Wand, ich will mich nicht sehen! Und
+wie ich höre, daß die Gemeinde zum Flusse geht, um die Sünden ins Wasser
+abzuschütteln ...«
+
+ (9) Widderhorn, das am jüdischen Neujahrstage geblasen wird.
+
+Er verstummt für eine Weile und ruft dann aus:
+
+»Aber recht habe ich, Rabbi! Und ohne was zu erreichen, will ich nicht
+nachgeben!«
+
+Rabbi Levi-Jizchok denkt eine Weile nach und fragt:
+
+»Was willst du also, Berl? Willst du Arbeit und Verdienst?«
+
+»Ich spucke auf Verdienst!« erwiderte Berl beleidigt. »Verdienst hätte
+ich =vorher= haben sollen! Auf Verdienst hat jedermann Anrecht! Der
+Vogel in der Luft, der Wurm in der Erde -- sie alle haben ihr Auskommen.
+Verdienst ist etwas Selbstverständliches. Jetzt will ich mehr!«
+
+»Sag doch, Berl, was du willst!«
+
+»Ist es wahr, Rabbi, daß am Jom-Kippur nur die Sünden des Menschen gegen
+Gott verziehen werden?«
+
+»So ist es!«
+
+»Und die Sünden des Menschen gegen seinen Nächsten nicht?«
+
+»Nein.«
+
+Berl der Schneider richtet sich auf und sagt laut und bestimmt:
+
+»Also werde ich, Berl der Schneider, nur dann nachgeben und wieder in
+den Dienst des Schöpfers der Welt treten, wenn er mir zuliebe an diesem
+Jom-Kippur auch die andern Sünden verzeiht! Habe ich nicht recht,
+Rabbi?«
+
+»Du hast recht!« erwidert der Rabbi. »Bleibe nur dabei -- man wird dir
+schon nachgeben müssen ...«
+
+Und er wendet sich wieder zum Betpult, richtet den Kopf in die Höhe,
+lauscht hinauf und verkündet nach einer Weile:
+
+»Du hast es durchgesetzt, Berl! Nun schnell nach Haus, hole Kittel und
+Gebetmantel!«
+
+
+
+
+Der das Leben gibt, gibt auch wovon zu leben
+
+Eine Geschichte von Jojchenen dem Melamed(10)
+
+ (10) Jüdischer Kleinkinderlehrer.
+
+
+I
+
+Vorrede. Ich entschuldige mich und bekenne meine Ansicht, daß es in der
+Welt keinen Unglauben gibt
+
+Meine Herren! Ich, Jojchenen der Melamed, will euch eine Geschichte
+erzählen. Und die Geschichte, die ich euch erzählen will, ist wie ein
+Rädchen in einem Rade: eine Geschichte in einer anderen Geschichte.
+
+Beide Geschichten habe ich nicht erfunden oder, wie man sagt, aus den
+Fingern gesogen. Ich bin, gottlob, kein Schreiber. Ich erzähle sie euch
+ganz einfach, ohne Salz und Schmalz; Wortgeklingel lieb ich nicht ...
+Wer die Wahrheit sagt, braucht keine Kunstgriffe, der spricht einfach
+seine Muttersprache.
+
+Eine Vorrede muß ich euch aber doch geben: diese Geschichten, die ich
+erzählen will, werden euch möglicherweise zeigen, daß ihr, meine Herren,
+in vielen Dingen zu weit gegangen seid und euch zu sehr auf eure Sinne
+verlassen habt; daß es in der Welt Dinge gibt, von welchen weder euch
+noch euren größten Weisen je geträumt hat ... Darum bitte ich euch, mir
+das nicht übelzunehmen.
+
+Wenn ihr wollt, könnt ihr glauben, und wenn nicht, so nicht.
+
+Ich will mich auch gleich vor meinen Freunden rechtfertigen: es wird
+meine Freunde vielleicht verdrießen, daß ich sozusagen aus der Schule
+plaudere, und dazu noch heutzutage, wo es so viel Unglauben gibt ... und
+daß dadurch ein Ärgernis entstehen kann. Gott bewahre! Ich will ihnen
+sagen, daß es überhaupt keinen Unglauben auf der Welt gibt: das mit dem
+Unglauben ist eine erfundene Sache!
+
+Denn die ganze Welt ist nichts als Glauben!
+
+Könnte es denn auch anders sein?
+
+Die Welt ist unendlich groß, hat wirklich keine Grenzen! Und unser
+Verstand ist so klein, so winzig, daß wir einem Menschen gleichen, der
+in einer finsteren Nacht, mit einem Pfenniglicht in der Hand, das kaum
+vier Schritt weit leuchtet, durch eine öde, finstere Wüste geht!
+
+Ich bleibe bei meiner Meinung: ohne Glauben kann man überhaupt nicht
+auskommen! Die Vernunft allein reicht nicht aus. Wo kommt dann das
+Märchen vom Unglauben her? Nun, diese nichtsnutzigen Schreiber, die für
+das einfache Volk, für Köchinnen und Dienstmädchen Bücher verfassen, die
+Geschichten von Mördern und Räubern, von Falschmünzern und
+Wechselfälschern ausdenken, nur um die Leute zu erschrecken und ihr Blut
+in Wallung zu bringen, -- diese selben Schreiber haben auch den
+Unglauben und den Irrglauben erfunden! Und zwar mit demselben Zweck: um
+das gemeine Volk -- die Dienstmädchen, Schuster- und Schneiderlehrlinge
+-- zu erschrecken ...
+
+Doch in Wahrheit: ohne Glaube kein Wille; einfach jüdisch gesprochen
+heißt das, daß ein Mensch, der nichts glaubt, auch nichts will und zu
+nichts Lust hat!
+
+Ein solcher Mensch ist nichts mehr als ein Lehmklumpen, ein Stück Holz!
+Und wenn du Menschen siehst, welche Gelüste haben oder ihre Gelüste
+zugunsten andrer, größerer oder erhabenerer überwinden. Menschen, welche
+essen und trinken, Familienglück genießen, im Schweiße ihres Angesichts
+arbeiten und den Kopf voller Geschäfte haben, so wisse, daß diese
+Menschen =glauben=! Daß sie zumindest an ihr eigen Leben glauben!...
+
+Denn zweifeln kann man ja schließlich auch daran! Wenn man will, so sagt
+man: Das Leben ist nichts! Und dagegen läßt sich schon wirklich nichts
+machen.
+
+Doch die Regel ist: alle glauben. Nur glaubt der eine, daß der Leviathan
+vor dem Schor-ha-Bor(11) verzehrt werden wird; und der andre sagt: nein,
+umgekehrt, der Schor-ha-Bor kommt zuerst, und dann der Leviathan als
+Zuspeise. Und ein »aufgeklärter« junger Mann, der weder an den Leviathan
+noch an den Schor-ha-Bor glaubt, der glaubt an den Äther! Und was ist
+dieser Äther? Da erklärte mir ein solcher junger Mann: der Äther ist
+etwas, was weder Körper noch körperliche Kraft, weder Seele noch
+überhaupt etwas Geistiges ist; er nimmt keinen Raum ein und hat kein
+Gewicht ... Mit einem Worte: er ist ein »Ja« und ein »Nein« zugleich!
+
+ (11) Leviathan (aus dem Buche Hiob) und Schor-ha-Bor (ein Riesenstier
+ der talmudischen Sage) sollen bei Messias' Ankunft von den Gerechten
+ verzehrt werden.
+
+Frage ich ihn, ob er den Äther gesehen hat? Nein! Aber er glaubt an ihn!
+Kurz und gut: alle glauben.
+
+Was ist dann der Unterschied? Nun, jeder glaubt an =seinen= Rebben,
+jeder hat =seinen= Glauben, sozusagen =seinen= kleinen Götzen.
+
+Alle blicken fremden Leuten auf den Mund. Alle küssen; doch der eine
+küßt den Vorhang vor dem Thoraschreine, wenn er auch nicht weiß, was im
+Schreine ist; der andre das kabbalistische Buch »Megillo Tmirin«, wenn
+es vom Tische herunterfällt; ich habe sogar mit meinen eigenen Augen
+gesehen, wie einer von ihren Leuten die »Geheimnisse von Paris« küßte.
+Und ich habe aus sicherer Quelle gehört, daß diese »Geheimnisse« die
+schauerliche Geschichte von einem gewissen Charbojno darstellen -- doch
+nicht von unserem Charbojno, seligen Angedenkens, aus dem Buche
+Esther(12), sondern von einem Pariser Holzhacker, der barfuß auf
+Glasscherben herumging -- und noch ähnliche Lügen, die ein Pariser
+Lügner erfunden und ein Wilnaer »Aufgeklärter« in die heilige Sprache
+übersetzt hat.
+
+ (12) Kap. 1, V. 10.
+
+Meine Herren! Ich habe gottlob viel vom Leben und von der Welt gesehen;
+ich war Melamed in Dörfern und in kleinen Städten und auch in großen
+Städten. Seit sieben Jahren bin ich, Gott sei Dank, Melamed in Warschau,
+und ich komme, gottlob, unter Menschen, und ich kenne Menschen! Ich
+kenne Misnagdim(13), die beim chassidischen Gebet »_Wajizmach purkonej_«
+aus der Haut fahren, und ich kenne Chassidim, die einen, der zu einem
+andern Rebben fährt, für einen Ketzer -- daß Gott davor behüte! --
+halten.
+
+ (13) Misnagdim: Gegner der Chassidim sowie auch überhaupt alle
+ Nicht-Chassidim.
+
+Ich kenne auch »Aufgeklärte«, sogar sehr viele; bedeutende und
+unbedeutende, solche, die wirklich was wissen, und gewöhnliche
+Schreiberseelen; ich kenne sogar viele, sehr viele Abtrünnige. Das alles
+kenne ich. Doch einen Menschen, der nicht glaubt, habe ich noch nie
+gesehen!
+
+Ich wage sogar die Behauptung aufzustellen, daß es in der ganzen
+Gesellschaft der »Aufgeklärten« keinen einzigen gibt, der seinen eigenen
+Zuschnitt, sein eigenes System, seinen eigenen Weg hätte. Ich sah unter
+ihnen keinen einzigen, der seine eigene Ansicht über die Dinge hätte;
+mit Ausnahme von vielleicht zwei oder drei ganz großen Karpfenköpfen ...
+Und die ganze übrige Gesellschaft, wie ihr sie seht, ist nicht ein
+ausgeblasenes Ei wert! Auch sie sind Chassidim, nur von einer andern
+Richtung! Sie glauben eben an =ihren= Rebben! Und sie hängen an =ihrem=
+größten Mann der Zeit, genau so, wie wir an dem unsrigen!
+
+Und ich kann einen heiligen Eid schwören, daß keiner von ihnen ein
+eigenes Lehrgebäude hat, nicht einmal für eine Stunde! Nichts als Glaube
+an den Großen der Zeit. Und sie sprechen ihm alles nach, ohne einen
+Unterschied zu machen zwischen dem, was er mit Überlegung, bei klarem
+Verstande und im Ernst gelehrt, und dem, was er so nebenhin, oder im
+Zorne, oder gar nur, um zu widersprechen, gesagt hat.
+
+Ganz wie bei unsern Gesinnungsgenossen! Es ist nicht der geringste
+Unterschied!
+
+Und wenn einer von dieser Gesellschaft zu mir kommt und sagt, daß er an
+nichts glaubt, so ist es einfach dumm: ich werde ihn doch nicht dadurch
+beschämen, daß ich ihm meine Ansicht sage. Für mich selbst weiß ich
+aber, daß er entweder Spaß macht oder einfach prahlt; und gerade ein
+solcher fürchtet sich, nachts allein auszugehen! Und vielleicht =muß= er
+überhaupt so sprechen, weil es sein Geschäft verlangt. Was tut der
+Mensch nicht wegen seines Geschäfts!... Und er kann ja auch ein ganz
+dummer Mensch sein, der nicht einmal weiß, =was= er nicht weiß und was
+man glauben muß!
+
+Und wenn so, warum sollen wir uns dessen schämen, was wir glauben?!
+Worin sind denn unsere Gesinnungsgenossen ärger als alle die
+»Aufgeklärten«, die nichts andres tun, als Ammenmärchen und Wunder zum
+größern Ruhme ihrer Großen erzählen? Weil unsere Geschichten nicht
+erfunden sind? Weil wir die Leute nicht mit Schauergeschichten von
+Räubern und Mördern, Falschmünzern und Wechselfälschern erschrecken? Muß
+man denn unbedingt nur über solche Dinge schreiben, die glatt erfunden
+sind?
+
+Und ich will ja keine Geschichte von jenseit des Meeres oder aus uralten
+Zeiten erzählen, sondern eine wahre Begebenheit, die sich hier in
+Warschau und zudem vor ganz kurzer Zeit ereignet hat!
+
+Und vielleicht kommt jemand und sagt: Es ist nicht wahr! Die Sache ist
+erlogen!... Gut, soll er nur kommen, soll er sich unterstehen! Ich bin,
+Gott sei Dank, ein einfacher Melamed und kein Schreiber, Gott behüte!
+Und Lügen ist weder mein Handwerk noch mein Geschäft!
+
+Kurz und gut -- meine Geschichte ist wahr. Und wenn jemand kommt und ihr
+eine andere Deutung gibt? Gut, so werden wir ihn anhören.
+
+Bis hierher geht die Vorrede, und nun beginnt die Geschichte selbst.
+
+
+II
+
+Ein Ausspruch des »Schweigers« gesegneten Angedenkens. Die Vorzüge
+meines Bruders; er ruhe in Frieden. Ein guter Anfang
+
+Man erzählt vom »Schweiger«(14), gesegneten Angedenkens, daß er, als man
+ihn einmal fragte, warum er nicht, wie die andern Rebben, aus der Thora
+predige, einfach geschwiegen habe, wie er es bei allen Fragen zu tun
+pflegte.
+
+ (14) Zuname eines berühmten chassidischen Rebben.
+
+Doch zu einer andern Stunde, als er besonders gnädig aufgelegt war und
+man in ihn mit derselben Frage wieder drang, sagte er mit einem Lächeln:
+
+»Die Welt«, sagte er, »wundert sich über =mich=, warum ich nicht
+Thoraweisheit predige. Und ich wundere mich über diejenigen, die das tun
+können. Wie kann man in der Thora anfangen und aufhören, wo die Thora
+weder Anfang noch Ende hat und die Unendlichkeit selbst ist?
+
+»In Wirklichkeit ist es aber so: Leute, die keine Ahnung von der Thora
+haben und predigen, was ihnen gerade in den Sinn kommt, beginnen, wann
+und wo sie wollen, und endigen, wann und wo sie wollen. Denn die Thora,
+die sie predigen, ist nicht die Unendlichkeit, nicht die Thora des Herrn
+der Welt! Es ist ihre eigene, von ihnen erfundene Thora ... Doch einer,
+der die Thora wirklich kennt, predigt nicht, weil er nicht weiß, wo er
+beginnen und wo er endigen soll!
+
+»Und in weltlichen Dingen ist es auch so. Zum Beispiel bei einem
+Rechtsstreit, wenn man die Zeugen vernimmt. Ein wahrheitsliebender
+Mensch, der nicht lügen kann und will, beginnt seine Zeugenaussage mit
+den sechs Tagen der Schöpfung und kommt niemals zu der Sache selbst; und
+zum Schluß -- schon gar nicht! Doch einer, der frei aus dem Kopfe
+spricht, legt sich alles hübsch zurecht und spricht wie ein Mensch, der
+Anfang und Ende weiß ... Und seine Aussage fließt dahin wie Baumöl!«
+
+Dieselbe Regel gilt auch für jede Erzählung: der Schreiber, der sich
+alles aus den Fingern saugt, kann eine Geschichte beginnen, wann und wo
+er will; sie ist seine eigene Schöpfung, und er kann mit ihr tun, was
+ihm beliebt! Wenn er will, macht er sie kurz. Doch ich, der ich eine
+wahre Begebenheit erzählen will, weiß wirklich nicht, womit ich anfangen
+und womit ich endigen soll! »Es gibt nichts Neues unter der Sonne« --
+jede Sache hängt von einer früheren Sache ab, und die frühere von einer
+noch früheren, und diese letztere kann man auch nicht verstehen, wenn
+man nicht weiß, was noch früher war. Und so gelangt man zu den sechs
+Tagen der Schöpfung ... Doch zu Ehren meines geliebten Bruders
+Seinwel-Jechïel, er ruhe in Frieden, will ich mit ihm beginnen ...
+
+Es ist jedermann bewußt -- die ganze Franziskanergasse weiß es --, daß
+mein Bruder, gesegneten Angedenkens, ein großer Gelehrter und ein
+wirklich gottesfürchtiger Mann war.
+
+Er war Witwer, und in seinen alten Tagen blieb er ganz allein mit seiner
+Tochter, der Jungfrau Broche-Leë -- es soll zwischen Lebendigen und
+Toten wohl unterschieden werden! Er lebte in großer Not, und da er keine
+Kraft mehr zu unterrichten hatte, blieb er schließlich -- nicht auf euch
+gesagt und auf keinen Juden gesagt! -- ohne Brot. Und die Jungfrau
+Broche-Leë wuchs, unberufen, wie auf Hefe ... Mit einem Wort -- es war
+ein Jammer!
+
+Was tut Gott? Einige Hausväter, lauter geachtete feine Männer, deren
+Kinder mein Bruder unterrichtet hatte, tun sich zusammen und übernehmen
+es, Broche-Leë zu verheiraten und ihrem Vater, er ruhe in Frieden, die
+Mittel zu geben, damit er ins Heilige Land fahren kann.
+
+Obwohl die Reise nicht zum Abschluß gedieh, da er unterwegs -- nicht auf
+euch gesagt! -- an einem Herzschlag starb, so war ihm doch vergönnt, die
+Stadt Zfas im Heiligen Lande zu sehen, woselbst er seinen Geist aufgab
+und in einem jüdischen Grabe mit großen Ehren beigesetzt wurde.
+
+Der Rabbiner von Zfas hielt auf seinem Grabe einen feurigen Nachruf und
+druckte ihn, den Nachruf, in seinem Werke »Kostbare Perlen« ab; und wer
+in dieses Werk hineinsieht, leckt sich die Finger ab.
+
+Da ich jetzt schon einmal den Anfang habe, werde ich mit der
+eigentlichen Geschichte beginnen.
+
+
+III
+
+Die Geschichte selbst. Schlecht getroffen. Jammer. Broche-Leë wird von
+ihrem Mann verlassen
+
+Mildtätigkeit ist eine große Sache. Doch nur für den, der sie übt. Und
+ich beneide nicht den, der Almosen empfängt und vom Vorstand des
+Wohltätigkeitsvereins abhängt ...
+
+Aber ich beneide meinen Bruder, er ruhe in Frieden, daß er zur rechten
+Zeit verschied und den späteren Jammer nicht mehr sah!
+
+Denn die Hausväter, welche Broche-Leë die Mitgift gaben, hatten bloß das
+eine vergessen, daß sie die Tochter eines Gelehrten und eine fromme und
+reine Seele war. Bei der Wahl des Bräutigams berücksichtigten sie weder
+das, noch viel weniger die Verdienste ihres Vaters. Sie trachteten nur
+danach, ihr einen Ernährer zum Mann zu geben. Sie handelten ganz ohne
+Vorbedacht, nur um die Sache irgendwie zu erledigen. Man gabelte einen
+jungen Mann auf, der in einer Rechtsanwaltskanzlei halb angestellt war
+und ab und zu etwas verdiente. Und da er keine zu großen Ansprüche
+machte und ein Weib ernähren konnte, griff man zu. Man nähte die
+Aussteuer, hinterlegte die Mitgift, nahm Spielleute auf und feierte
+Hochzeit. Ich gratuliere!
+
+Die Wahrheit zu sagen, gefiel mir der junge Mann gar nicht. Auch mein
+Weib Feige, sie soll gesund sein, meinte, daß man keine besonders
+kostbare Anschaffung gemacht hatte. Da aber mein Bruder, er ruhe in
+Frieden, dazu gar nichts sagte, so schwiegen wir selbstverständlich
+auch.
+
+Doch dieses Schweigen war nicht klug!
+
+Kaum war mein Bruder, gesegneten Angedenkens, abgereist, als die
+Geschichte losging, und es sich zeigte, daß in dieser Ehe etwas nicht in
+Ordnung war. Ich hörte bald, daß der häusliche Friede beim jungen Paare
+etwas hinkte! Man zankte sich, man schrie, und die Nachbarn klopften an
+die Wände. Ich hörte auch, daß der junge Mann Mojsche-Ißroel nicht
+ausnehmend fromm war, was Broche-Leë sehr mißfiel. Und er schreckte sie
+damit, daß er den Kaftan ablegen und den kurzen deutschen Rock anziehen
+werde, daß er sogar selbst Rechtsanwalt werden wollte. Mojsche-Ißroel
+hielt ihr vor, daß die Hausväter ihn betrogen hätten: sie hätten ihm vor
+der Trauung eine andre, schönere Braut gezeigt; sie hätte er gewiß nicht
+genommen! Er bemängelte auch ihre Aussteuer: Alte Lumpen, sagte er. Auch
+hätte man ihm die übliche Beköstigung in den ersten Ehejahren
+versprochen und ihm hinterdrein die Zunge gezeigt. Noch sagte er, er
+hätte erwartet, daß die Wohltäter sich für ihn verwenden, ihn, wie er
+sagte, »protegieren« würden; sie hätten sich aber auf der Armenhochzeit
+nur angegessen und angetanzt und ihn später nicht über ihre Schwelle
+gelassen.
+
+Selbstverständlich wollte ich mich gleich in der ersten Stunde nicht
+einmischen ... Die Hausväter und meine Frau Feige, leben soll sie,
+wollten es nicht zulassen. Und schließlich ist es ja auch nichts Neues!
+Es kommt oft genug vor, daß es in der ersten Zeit nach der Hochzeit, ehe
+man sich aneinander gewöhnt hat, zwischen Mann und Weib Streitigkeiten
+gibt. Und später -- Gewohnheit ist die zweite Natur -- lebt man doch
+zusammen!
+
+Die Wahrheit zu sagen, gab es auch zwischen mir und meiner Frau Feige --
+sie soll gesund sein! -- im ersten Jahre nach der Hochzeit
+Zusammenstöße. Doch später, als die Kinder kamen und wir um unseren
+Lebensunterhalt selbst sorgen mußten, hörten diese Dummheiten auf. Ich
+suchte mir irgendein Geschäft; es glückte mir nicht, und so wurde ich
+Melamed. Und es ist wirklich nicht so schlimm -- man lebt -- möge es bis
+hundertundzwanzig Jahr' so weiter gehen!
+
+Also kurz und gut -- ich schwieg. Besonders, als mir meine Frau Feige,
+sie soll leben, über Broche-Leë eine vielsagende Andeutung machte. Und
+mir braucht man nicht erst einen Finger in den Mund zu legen. Also ein
+gutes Zeichen, daß es nur gut abläuft! Leider lief es aber nicht nach
+Wunsch ab.
+
+Er besserte sich nämlich gar nicht, er wurde sogar noch schlimmer.
+Dieser Prachtmensch hatte unsers Vaters Abrahams Eigenschaft: er sprach
+wenig und tat viel. Es genügte nicht, daß er sich deutsch kleidete, er
+begann auch ganze Nächte hindurch Karten zu spielen.
+
+Jeden Abend brachte er seine Kumpane mit ins Haus und zwang Broche-Leë,
+ihnen Tee zu kochen und sie mit Branntwein und Hering zu bewirten; und
+den Hering natürlich mit Essig und Öl -- anders paßt es ihm nicht. Und
+dazu weiße Semmeln; Schwarzbrot ist ihnen zu gering! Und wenn etwas von
+den sieben Sachen fehlte, machte er einen Krach. Obendrein verhöhnte er
+sie und machte sie zum Spott für die Leute. Und das nicht genug -- er
+beschimpfte sie noch mit den gemeinsten Ausdrücken!
+
+Nun sah ich ein, daß die Sache nicht gut steht und daß man weiter nicht
+schweigen darf. Ich faßte mir ein Herz und ging zum Ehepaar hin.
+
+Ich komme herein und fange, natürlich zunächst mit guten Worten an, mit
+=feinen= Reden, sogar mit einem Scherzwort, wie schon so meine Natur
+ist. Ich versuche die Sache zuerst freundschaftlich und gutmütig
+anzufassen und sage ihm, daß, obwohl er ein Verbrecher vor dem Herrn
+ist, die Sache noch nicht hoffnungslos sei; und ich schildere ihm das
+große Ansehen, das der Bußfertige im Himmel hat, und sage ihm, daß ihm
+auch die Verdienste von Broche-Leës gottseligen Ahnen im Himmel
+beistehen würden. Er müsse nur mit der Buße beginnen, nur einmal
+ernsthaft an Buße denken.
+
+Ich verspreche ihm noch, ihm menschlich näher zu treten, ihn in meinen
+Betzirkel einzuführen und sogar, falls ich einmal, so Gott will, zum
+Rebben fahren werde, ihn mitzunehmen; und noch ähnliche
+freundschaftliche Worte sage ich ihm.
+
+Da bricht er in ein Gelächter aus! Er lacht über mich, über meinen
+Betzirkel und über den Rebben! Er möchte, sagt er, auf alle diese
+schönen Sachen verzichten, wenn ich ihm nur Broche-Leë abnehme! Und
+dabei gebraucht er Ausdrücke, die man überhaupt nicht in den Mund nehmen
+kann!
+
+Notgedrungen mußte ich nun einen strengeren Ton anschlagen. Ich sagte
+ihm, daß er, obwohl er sich deutsch kleide, doch nur ein Ignorant und
+ein Taugenichts sei. Und dann sagte ich ihm noch ganz furchtlos: wenn er
+Buße tut, ists gut, und wenn nicht, so wird er manches schwarze und
+finstere Jahr in der Hölle zu kosten kriegen!
+
+Fängt er schon wieder zu lachen an: »Wer Hölle? Was Hölle?« Als ob er
+schon einmal dort gewesen wäre und gesehen hätte, daß es, Gott behüte,
+gar keine Hölle gibt! Und dann weist mir noch der freche Kerl die Tür!
+
+Was sollte ich tun? Broche-Leë ist, sehe ich, grün und gelb, die Tränen
+fließen ihr wie Bäche aus den Augen. Ich gehe also fort und lasse den
+Frechling vor das Rabbinergericht laden.
+
+Er kommt nicht hin, und ich lasse wieder eine Zeit verstreichen.
+
+Und da wurde es plötzlich still. Vom Ehepaar hörte ich gar nichts mehr.
+Das kam aber nur daher, weil der Verbrecher seiner Broche-Leë verboten
+hatte, über meine Schwelle zu kommen; sonst würde er sie windelweich
+schlagen! Broche-Leë ist aber ein gesittetes Weib und tut, was der Mann
+verlangt. Sie sitzt also zu Hause und vergießt heimliche Tränen.
+
+Und höre ich nichts, so weiß ich nichts!
+
+Inzwischen habe ich auch meine eigene Tracht Sorgen: meine Frau Feige
+wird mir krank; der Arzt sagt, es sei Fieber; die Nachbarn sagen etwas
+anderes, und ich meine, es kommt von einem bösen Blick. Das Haus ist
+ohne Hausfrau, die Kinder ohne Mutter und auch -- ohne Vater: es ist
+gerade Semesterwechsel, und ich muß herumlaufen, um mir noch zwei oder
+drei Schüler zu verschaffen. Und das ist nicht genug: ich bin auch
+selbst nicht ganz beisammen.
+
+Die Warschauer steilen Treppen nehmen mir alle Lebenskraft! Und dazu
+hetzt man mich noch von allen Seiten: der Hausherr mahnt das
+Wohnungsgeld, und ich bin ihm schon zwei Quartale schuldig geblieben!
+Und der Bezirksinspektor verlangt von mir, daß ich noch ein Zimmer
+hinzumiete, damit es die Schüler geräumiger haben, damit es in der
+Lehrstube mehr Luft gibt!
+
+Gott möge es mir verzeihen -- ich habe an Broche-Leë nicht mehr gedacht!
+Und sooft ich mich an sie erinnerte, sagte ich mir: da es so still ist,
+wird sich der Bösewicht wohl doch bekehrt haben, und sie tun jetzt
+nichts, als sich herzen und küssen! Und weil es ihr so gut geht, hat sie
+die armen Verwandten ganz vergessen.
+
+Aber einmal -- ich komme halb ohnmächtig und, nicht auf euch gesagt, mit
+geschwollenen Füßen nach Hause, will mir die Hände waschen, irgend etwas
+herunterschlingen, schnell das Tischgebet sprechen und die Knochen im
+Bette ausstrecken -- da verkündet mir meine Frau Feige eine frohe
+Botschaft: Broche-Leë war dagewesen, hatte bittere Tränen vergossen und
+uns Mörder gescholten, weil uns ihr Unglück nichts anginge; sie sei eine
+verlassene Waise, elend und einsam wie ein Stein.
+
+Sie erzählte noch, daß ihr Mann Mojsche-Ißroel sie martere und ihr
+Todfeind sei. Er schlage und prügele sie, so daß sie schon viele Male
+aus Nase und Ohren geblutet habe.
+
+Und ich frage meine Frau Feige: »Wie kann das sein? Daß ein Jude seine
+Frau schlägt, und dazu noch eine Frau in gesegneten Umständen?!...«
+
+Sie antwortet, daß es wohl von seiner wahnsinnigen Bosheit kommt;
+Mojsche-Ißroel hat den rechten Weg schon längst verlassen. Er hat jedes
+Gottvertrauen verloren; darum schreit er, er habe nicht mehr, wovon zu
+leben ... Und er verlangt -- sein Name und sein Andenken mögen
+ausgelöscht werden! -- daß Broche-Leë sich etwas antue ... Die ganze
+Welt macht es, sagt er, so; selbst die feinsten Damen ... Und da sie es
+nicht tun will, schlägt er sie und beschimpft sie und ihren Vater mit
+den schrecklichsten Flüchen!
+
+Wie ich höre, daß er meinem Bruder, gesegneten Angedenkens, flucht,
+werde ich voller Zorn! Ich vergesse alles andre, nehme meinen Stecken --
+mein Tod oder sein Tod! Abschlachten werde ich den Hund! -- und laufe
+ohne Atem und Besinnung aus dem Hause ...
+
+Und ich komme und sehe ...
+
+Einen Jammer sehe ich!
+
+Die Tür steht offen, in der Stube ists stockfinster. Der Kerl ist fort,
+durchgebrannt! Fort ist der ganze Hausrat, selbst die Bettwäsche hat er
+abgezogen ... Und wo ist sie?
+
+Sie liegt auf dem Boden und windet sich in Krämpfen ...
+
+
+IV
+
+Ein Wunder. Meine Frau Feige und ihre Taten. Man wirft mich hinaus, und
+wohin ich gehe
+
+Es geschah ein Wunder, daß meine Frau Feige, unberufen, ihren gesunden
+Menschenverstand behielt.
+
+Als ich den Stecken nahm und schrie, daß ich den Hund umbringen werde,
+nahm es sich meine Frau Feige gar nicht zu Herzen ... Sie weiß ganz gut,
+daß ich, Gott behüte, kein Mörder bin und nicht eine Fliege an der Wand
+töten kann; sie weiß, daß ich, wenn ich schon in Zorn gerate, vor allen
+Dingen zu weinen anfange. Ich habe schon einmal so eine Natur: vor Zorn
+fließen mir die Tränen wie Wasser.
+
+Meine Frau Feige weiß auch, daß ich selbst meine Schüler nicht so
+schlage, wie es sich gehört, und daß mir sogar die Väter deswegen
+Vorwürfe machen; auch ich selbst fürchte zuweilen, daß ich in dieser
+Hinsicht vor Gott und den Menschen sündige: denn oft ist so ein Hieb
+notwendig! Besonders seitdem einer meiner Schüler in schlechte
+Gesellschaft geriet, ist es meine feste Meinung, daß man zuweilen
+schlagen =muß=!
+
+Wir wollen aber nicht abschweifen!
+
+Also meine Frau Feige wußte ganz gut, daß ich ihm nichts tun würde, und
+blieb darum ruhig auf dem Bette sitzen. Doch später, als eine Stunde,
+zwei Stunden vergingen und ich noch immer nicht zurück war, bekam sie
+doch Angst und sagte sich, daß ich den Hund gewiß wie einen Fisch in
+Stücke geschnitten habe und dafür ins Loch gesperrt worden sei!
+
+Da gab es was! Sie vergaß alle ihre Schmerzen, die Kinder in den Betten
+und das bißchen Hausrat, das wir hatten, sprang aus dem Bette, warf sich
+etwas um und lief mir nach; vergaß sogar die Tür hinter sich zu
+schließen.
+
+Ich schau mich um, -- sie ist da. Und kaum ist sie da, als sie gleich
+auf den ersten Blick erkennt, was vorgeht. Vor allen Dingen, als sie
+mich wie ein Stück Holz dastehen sieht, schreit sie mich an:
+»Nichtstuer!« Und im gleichen Augenblick reißt sie die Tür auf und ruft:
+»Hilfe!« Sofort kommen einige Nachbarinnen. Meine Frau Feige übernimmt
+das Kommando, und die Nachbarinnen folgen ihren Befehlen. Und eines der
+Weiber wirft mich auf Feiges Befehl tatsächlich zur Tür hinaus.
+
+Wo geht man nun hin? Auf der Straße ist nasser Schnee, der Wind peitscht
+mir das Gesicht und stiehlt sich durch die Löcher in meine Kleider
+hinein ...
+
+Also gehe ich ins Bethaus. Dort sitzen noch einige Leute, die nach dem
+Beten ein wenig in den Talmud hineinschauen. Ich nehme mir auch einen
+Talmudband. Und fertig, mehr brauche ich nicht! Kaum öffne ich den
+Talmud, ist Broche-Leë vergessen! Vergessen ist ihr Mann, der Bösewicht!
+Und auch die ganze Welt. Wer ist von ihrem Mann verlassen? Wer ist
+durchgebrannt? Wer liegt in Kindsnöten? Das gibt es alles nicht!...
+
+
+V
+
+Meine Schüler. Wer ist mein Lehrer? Die Thora und ihr Lohn. Das
+Gleichnis vom Vogel. Schlimme Gedanken und Zweifel
+
+Wenn ich manchmal selbst mit großer Freude studiere, können es meine
+Schüler aus den reichen Häusern nicht begreifen. Sie fragen mich, ob
+=ich= auch noch lernen muß? Und wer =mein= Rebbe ist?
+
+Die Dummköpfe! Sie wissen nicht, daß die Welt ein guter Rebbe ist, und
+die Sorge ums Brot -- ein gar vortrefflicher Rebbe! Leiden und Unglück
+sind gute Melameds .. Die Mücke, die ewig das Gehirn sticht mit der
+Frage: »Und was werden wir essen?«, ist ein gar feuriger Rebbe! Und dann
+sind auch meine Schüler selbst mitsamt ihren Vätern -- meinen Brotgebern
+-- sehr feine Lehrer, ausgezeichnete Lehrer!
+
+Alles treibt zum Lernen. Aber wie die Thora, so auch ihr Lohn. Schlage
+ich den Talmud auf, so werde ich ein andrer Mensch. Ich fühle, daß sich
+mir der Himmel auftut! Daß der Herr der Welt mir in seiner großen Gnade
+Flügel, große und breite Flügel verliehen hat! Und ich fliege auf diesen
+Flügeln empor -- ich bin ein Adler, und ich fliege in weite Fernen fort;
+nicht übers Meer fliege ich, sondern aus der Welt ganz hinaus! Aus der
+Welt voller Lüge, Verstellung und bösen Leiden ...
+
+Und ich schwinge mich in eine ganz andre Welt hinauf, in eine neue Welt,
+in eine Welt, wo es nur Gutes gibt. In eine Welt, wo weder dickbäuchige
+Hausbesitzer noch unwissende vornehme Herren etwas gelten; wo es weder
+Geld noch Nahrungssorgen gibt, weder schwere Kindsnöte, noch hungernde
+Kinder, noch schreiende Weiber!
+
+Und dort bin ich, ich, der arme, kranke, unterdrückte, hungernde
+Melamed, ich ärmster Bettler, der ich hier stumm wie ein Fisch bin und
+von allen wie ein Wurm getreten werde, -- dort bin ich der Mensch, der
+Vornehme, dessen Meinung gilt! Und ich bin frei, und mein Wille ist
+frei, und =ich= habe zu befehlen! Welten baue ich auf und Welten
+zertrümmere ich und baue mir neue an ihrer Stelle! Neue, schönere und
+bessere Welten! Und ich lebe in diesen Welten und schwebe in ihnen
+herum! Ich bin im Paradiese, im wirklichen Paradiese!
+
+Und ich weiß, daß ich mehr weiß, als ich meinen Schülern mitteilen will
+und kann, mehr als ich mir selbst eingestehe. Ich ahne Dinge, die man
+mit den Lippen gar nicht aussprechen kann, die kein Auge sieht und kein
+Ohr hört, die nur im Herzen blühen, nur im Herzen leben und pochen!
+
+Die »zwei, die zugleich nach einem Gebetmantel greifen«, deren Streit
+der Talmud untersucht, sind für mich nicht zwei beliebige Menschen von
+der Straße, nicht ein Schimen und ein Ruben, wie ich es meinen Schülern
+erkläre; und auch der Gebetmantel, um welchen der Streit geht, ist kein
+gewöhnlicher Gebetmantel, wie man ihn im Laden von Jossel Pesches kaufen
+kann ... Ich fasse es tiefer an!
+
+Ich fange alle die Funken auf, die =zwischen= den Zeilen, =zwischen= den
+Worten, =zwischen= den Buchstaben leuchten; meine Seele saugt sie ein
+wie ein Schwamm! Ich fühle, wie mich das Licht, das der Frommen im
+Jenseits wartet, ganz durchtränkt und erfüllt!
+
+Ach, nur sitzen und studieren! Nur studieren!
+
+ * * * * *
+
+Und das muß ich euch auch sagen: wenn ich in reiche Häuser komme und
+sehe, wie die Leute ganze Nächte hindurch Karten spielen, oder die Zeit
+mit Weibern oder andern Eitelkeiten verbringen; oder wenn ich durch die
+Straße gehe und durch die offene Tür einer Schenke einen Handwerker
+sehe, wie er in einer Wolke von Tabakrauch sitzt und trinkt und dummes
+Zeug spricht; wenn ich das alles sehe, sage ich euch, werde ich gar
+nicht böse ... ich mache den Leuten gar keine Vorwürfe; im Gegenteil:
+mir tut das Herz weh vor Mitleid mit ihnen!
+
+Denn wenn wir es so betrachten, was sollen sie ohne Thora tun?
+
+Wie ich bereits erwähnte, gab ich einmal auch in einem Dorfe Unterricht.
+Mein Schüler zeigte mir, wie am Ende des Sommers alle Vöglein
+zusammenflogen, um unser Land noch vor Wintersanfang zu verlassen ...
+Ich sah, wie sie sich zu ganzen Heeren versammelten und davonflogen in
+weite Fernen ...
+
+Die kleinen Vöglein können und wollen hier nicht bei Schnee und Frost
+bleiben ... In dieser Zeit hat hier so ein armes Vöglein keinerlei
+Lebensmöglichkeit ... Und die Vöglein wissen es, sie fühlen es, daß der
+Winter naht, daß ihr Todesengel kommt ...
+
+Doch einmal sah ich, wie ein armes verkrüppeltes Vöglein mit einem
+gebrochenen Flügel auf der nassen, kalten Erde herumhüpfte; es piepste
+und konnte sich nicht vom Boden erheben, um den großen Vögeln
+nachzufliegen. Es war wirklich ein Jammer, zu sehen, wie das arme
+Vöglein keinen Platz finden konnte, wie es immer hüpfte und hüpfte, und
+den andern freien Vögeln, die schon davonflogen, nachsah ...
+
+Damals sagte ich mir: diesem kranken Vögelchen gleicht die Seele des
+Unwissenden!...
+
+Fliegen können sie nicht, denn sie haben keine Flügel -- keine Thora!
+Gib ihnen Thora, gib ihnen Flügel, so werden auch sie fliegen in die
+fernen Welten!
+
+Man hat ihnen aber die Flügel zerbrochen, und darum hüpfen sie immer im
+kalten Straßenschmutz herum ... Darum müssen sie schamlose Reden führen
+oder Karten spielen: der Reiche im Salon, der Arme in der Schenke ...
+
+Doch wollen wir zur Sache zurückkehren!
+
+Also ich sitze und studiere. Die paar Leute, die noch im Bethause waren,
+sind einer nach dem andern heimgegangen. Der Schuldiener ging als
+letzter fort.
+
+Was geht es mich an? Ich sehe es ja gar nicht!
+
+Bei Licht, im warmen Bethause, den offenen Talmudband vor mir, fürchte
+ich allein nichts! Ich bin vertieft, ganz wie es sich gehört.
+
+Die Thora gleicht doch, wie ihr wißt, dem Meere. Die Wellen schlagen und
+wollen mich verschlingen ... Doch ich kann schwimmen! Ich tauche unter
+und bin schon wieder oben! Zuweilen wird das Meer still; schön, rein und
+klar wie der Himmel liegt es da, und meine Seele badet im frischen,
+belebenden Wasser; sie gleitet wie über einen Spiegel dahin in Wonne und
+Schönheit ... Und das Wasser wäscht sie, reinigt sie von allen Flecken,
+von den schwarzen irdischen Stäubchen ...
+
+Und rein und heilig wird meine Seele ...
+
+Doch plötzlich fühle ich einen brennenden Schmerz in den Fingern, und
+ich sitze im Finstern ...
+
+Der Lichtstummel, den ich in den Fingern hielt, ist ausgegangen!
+
+Alleinsein im Finstern fürchte ich. Und es überfällt mich eine große
+Angst!
+
+Wenn es um mich herum hell ist, bei Tage oder auch bei Nacht, fürchte
+ich nichts. Mir ist gut! Ich sehe die Welt, und ich spüre den Hausherrn
+=über= der Welt! Ich sehe die Welt, und die Welt sieht mich. Und ich
+weiß, daß ich ein Teil der Welt bin, und daß ihr Hausherr auch mein
+Hausherr ist; daß ohne seinen Willen mir kein Haar gekrümmt werden kann.
+Er wird es nicht dulden, und auch die Welt selbst wird es nicht dulden.
+Warum sollten sie es auch zulassen?
+
+Aber wenn ich allein im Finstern bin und die Welt nicht sehe, dann --
+ach, dann höre ich überhaupt auf, Mensch zu sein! Mich befallen böse
+Gedanken, und es scheint mir -- Gott möge mich dafür nicht strafen --,
+daß ich gar keinen Zusammenhang mit der Welt mehr habe, daß man mich von
+ihr losgetrennt und aus ihr weggeführt hat ... Ich habe mit ihr nichts
+zu tun; weder ich, noch mein Weib, noch meine Kinder ... Nichts haben
+wir mit ihr zu schaffen! Gleich wird man mich oder einen von uns ganz
+still wegtun, und niemand wird es sehen, niemand wird es wissen und
+gewiß niemand fühlen.
+
+Kaum war das Licht ausgegangen, als mich gleich meine Festtagsseele, die
+nur während des Lernens in meinem Leibe ist, verließ und ich bei meiner
+zitternden, erschrockenen Werktagsseele blieb, bei der Seele des
+bettelarmen Melameds ... Ich bin wieder ein Nichts, ein Wurm, ein
+verlorenes Ding ...
+
+Und meine Lippen zittern: Gott soll helfen! Gott soll helfen!
+
+Und das Herz nagt und bangt: Broche-Leë wird gebären ... gewiß wird sie
+gebären. Sie wird sogar Zwillinge haben. Denn ihre Mutter war wegen
+ihrer Zwillingsgeburten berühmt!
+
+Du hast wohl zu wenig an eigen Weib und Kind? Also fällt dir noch
+Broche-Leë mit einem Kind zu, Broche-Leë mit zwei, mit drei Kindern ...
+Seinwel-Jechïel ruht im Grabe; er sitzt jetzt im Paradiese und lernt
+Thora. Und du arbeite und ernähre seine Tochter!
+
+Und böse Gedanken sagen mir: Wenn Gott sich erbarmen will, so hat er
+keinen andern Ausweg, als den Todesengel zu schicken ... zu mir ... zu
+der Gebärenden ...
+
+Barmherziger Gott! Barmherziger Gott!
+
+Und ich weiß, daß ich vor Gott sündige, daß ich in Gotteslästerung
+verfalle. Ich weiß das, doch ich habe nicht die Macht, den bösen
+Gedanken aus dem Herzen zu vertreiben ... Denn allein bin ich schwach
+und im Finstern noch schwächer!
+
+Ich weiß, daß das einzige Mittel dagegen die Thora ist, und ich will sie
+auswendig studieren; ich will mich auf eines der Probleme besinnen, doch
+ich kann nicht: ich habe alles vergessen, habe die ganze Thora
+vergessen!
+
+Und ich rief mit allen meinen Kräften aus:
+
+»Herr der Welt! Hilf mir! Hilf mir!«
+
+Und es geschah mir ein Wunder!
+
+
+VI
+
+Das Wunder. Das verborgene Licht. Erlösung einer Seele. Der Todesengel,
+welcher kommt, weil man ihn rief
+
+Als ich diese Geschichte später einem »Aufgeklärten«, einem meiner
+früheren Schüler erzählte, lachte er, und noch wie! Es war, sagte er,
+gar kein Wunder, sondern nur ein Zufall oder eine Einbildung, oder
+vielleicht gar ein Traum oder dergleichen.
+
+Was macht das?
+
+Jitro, Moses' Schwiegervater, hatte bekanntlich sieben Namen, und doch
+gab es nur =einen= Jitro!
+
+Nenne es, wie du willst: Zufall, Einbildung, Wunder, -- Geschichte
+bleibt Geschichte!
+
+Ich weiß nur, daß gerade in dem Augenblick, als ich, Gott behüte, in die
+tiefste Hölle hinabzustürzen glaubte, sich das ganze Bethaus mit Licht
+füllte! Es war eine so blaue Helle wie in den Lichtsäulen, die manchmal
+im Sommer von der Sonne durch ein Fenster schräg in die Stube fallen ...
+
+Man sieht ganz deutlich, daß eine solche Säule aus kleinen Lichttropfen
+besteht und daß jedes Tröpfchen in ihr strahlend herumwirbelt.
+
+Und eine solche Säule erfüllte damals das ganze Bethaus.
+
+Plötzlich werde ich ruhig ... und alles Denken hört auf!...
+
+Das Bethaus ist von einer süßen Helle erfüllt. Und ich -- von einem
+süßen, lichten Gottvertrauen! Und alles in mir ist so rein, so klar, so
+kristallen!
+
+Und wie ich nach der Ostwand blicke, von der die Lichtsäule kommt, sehe
+ich jemanden!
+
+Wen, glaubt ihr, sehe ich?
+
+Meinen Bruder, gesegneten Angedenkens, sehe ich! Und gerade auf dem
+Platze, wo er bei Lebzeiten immer zu sitzen und zu studieren pflegte.
+
+Er hat vor sich ein Buch ... Sein Gesicht kann ich nicht sehen, weil er
+den Kopf in die Hand stützt. Doch das Herz sagt mir, daß er es ist, mein
+Bruder Seinwel-Jechïel ...
+
+Und ich erschrak gar nicht!
+
+Denn die Regel ist: wer vor Lebendigen keine Angst hat, der zittert vor
+Toten. Doch ich armer Wurm, der ich vor allem, was da lebt, zittere, was
+soll ich vor einem Toten Angst haben? Und vor wem? Vor meinem Bruder
+Seinwel-Jechïel, der auch bei Lebzeiten wie Seide war? Und ich frage ihn
+ganz einfach:
+
+»Bist du es, Seinwel-Jechïel?«
+
+»Ja, ich bin es!« antwortet er und nimmt die Hand von den Augen.
+
+Ich erblicke sein Gesicht. Es strahlt in seltsamer Lieblichkeit, und in
+seinen Augen liegt eine eigentümliche Süße ...
+
+Und ich frage weiter:
+
+»Was tust du da, Bruder?«
+
+Und er antwortet:
+
+»Was ich tue? Sehr viel tue ich! Als ich bei Lebzeiten hier saß und
+lernte, verwirrte mich oft der Satan; Nahrungssorgen mischten sich ein,
+und ich übersprang viele Stellen und lernte andre wiederum ohne große
+Andacht. Nun tue ich das, was man oben über mich verhängte, damit meine
+Seele endgültig erlöst werde: Ich wiederhole!«
+
+»Und alles mit Andacht?«
+
+Er nickt bejahend, und ich sage:
+
+»Seinwel-Jechïel, du lernst mit Andacht, weil du nicht weißt, daß ...«
+
+Er unterbricht mich mit seiner süßen Stimme:
+
+»Narr,« sagt er, »im Gegenteil: eben weil ich weiß, lerne ich jetzt mit
+solcher Andacht. Bei Lebzeiten wußte ich wenig und zweifelte viel, und
+darum übersprang ich viele Stellen ohne Andacht. Denn nur das, was man
+nicht weiß und woran man zweifelt, verwirrt ... Doch jetzt, da ich weiß
+und keine Zweifel mehr habe, studiere ich immer mit Andacht.«
+
+»Du weißt auch, daß Mojsche-Ißroel ...?«
+
+»Nach Amerika entlaufen ist? Ich weiß es! Ich weiß sogar, mit welchem
+Schiff er durchgebrannt ist ... Verbotene Speisen ißt er auf dem Schiff.
+Ich weiß es!«
+
+»Weißt du, daß Broche-Leë ...«
+
+»In schweren Kindsnöten liegt? Gewiß weiß ich es! Ich weiß sogar, daß
+sie einen Sohn haben wird ...«
+
+»Keine Zwillinge?«
+
+»Nein, keine Zwillinge. Sie ist aber sehr zu bedauern! Das Kind wird ein
+Krüppel sein ... Der Bösewicht hat sie gestoßen und dem Kinde Schaden
+zugefügt ...«
+
+Und ich frage weiter:
+
+»Vielleicht weißt du auch, wovon sie leben werden?«
+
+»Auch das weiß ich!« sagt er mild. Er kommt auf mich zu, legt mir seine
+Hand auf die Achsel und sagt:
+
+»Schau durchs Fenster hinaus!«
+
+Ich tue es.
+
+»Nun, was siehst du?«
+
+»Ich sehe jemanden vorbeigehen ... Er ist weiß gekleidet, und sein
+Antlitz leuchtet, als ob Gottes Herrlichkeit darauf ruhte ... Ganz
+unglaublich strahlt sein Antlitz ... Er geht langsam ... Mir ists, als
+ob ich eine süße, herzige Weise hörte, die ein Spielmann im Gehen
+spielte ... Da ist er schon vorbeigegangen, der Mensch ...«
+
+»Es war kein Mensch -- ein Engel wars!«
+
+»Ein Engel?«
+
+»Ein guter, sehr guter Engel ... Der Todesengel!«
+
+»Der Todesengel?« rufe ich erschrocken aus.
+
+»Warum zitterst du so? Willst du ihm entfliehen?«
+
+»Und wohin ging der Engel?«
+
+»Wohin er ging? Zum reichen Reb Simche. Auch seine Tochter liegt in
+Kindsnöten ...«
+
+»Ich weiß es: ich habe ja heute früh mit noch andern Leuten für sie und
+das Kind Psalmen gelesen ...«
+
+»Das Gebet hilft nur zur Hälfte. Das Kind wird leben.«
+
+»Und sie?«
+
+»Hast doch eben gesehen ...«
+
+»Also zu ihr ging der Engel! Und so ohne Lust ging er, mit langsamen
+Schritten ... Wohl aus Mitleid?«
+
+»Vielleicht. Er hat keine Eile, weil er nicht Gottes Sendbote ist!«
+
+»Was sagst du?« rufe ich erschrocken. »Wer hat denn noch zu bestimmen?«
+
+»Auch der Mensch hat seinen Willen ... Sie selbst hat ihn gerufen ...«
+
+»Sie selbst?!«
+
+»Sie wollte kein Kind haben, keine Mutter sein! Hat dem Kinde Schaden
+zufügen wollen ...«
+
+»Herr der Welt!« rufe ich mit großem Schmerz aus. »Sie wird für ihre
+Sünde sterben ... Aber was hat das Kind verbrochen? Das Kind wird doch
+ohne Mutter bleiben ... Herr der Welt!«
+
+»Schrei nicht!« sagt Seinwel-Jechïel und nimmt mich bei der Hand.
+»Schrei nicht! Broche-Leë wird des Kindes Amme sein. Und von heute an
+wisse: Der das Leben gibt, gibt auch wovon zu leben!«
+
+Und im selben Augenblick zerrann er mir in der Luft, und die helle
+Lichtsäule verschwand. Durch das Fenster sah schon der bleiche
+Wintermorgen herein.
+
+
+VII
+
+Der das Leben gibt, gibt auch wovon zu leben
+
+Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was ich in diesen Augenblicken
+empfand!
+
+Ich fiel meiner ganzen Länge nach nieder, und die Quellen meiner Augen
+taten sich auf, und die Tränen flossen und flossen ...
+
+Und es war mir, als ob ich nicht Tränen weinte, sondern Steine: als ob
+mir aus dem Herzen Steine heraufkämen und durch die Augen herausrollten.
+Denn je mehr Tränen ich vergoß, desto weniger Steine blieben mir auf dem
+Herzen, desto leichter und freier wurde es mir in der Brust!
+
+Und die Geschichte geht schon zu Ende.
+
+Ich gehe nach Hause.
+
+Die Tür, sehe ich, steht offen!
+
+Ich trete in die Stube und sehe im schwachen, bleichen Morgenlichte, daß
+Diebe dagewesen sind! Der ganze Hausrat ist weg!
+
+»Macht nichts!« sage ich mir.
+
+Die Kinder husten im Schlafe trocken und heiser.
+
+Ich höre es und denke mir: »Schadet nichts, macht nichts!«
+
+Bald kommt meine Frau Feige heim und sagt: »Gratuliere!« Und ich
+antworte:
+
+»Ein Söhnchen, ein Krüppel!«
+
+Sie schaut mich an.
+
+»Bist du ein Prophet oder was?« Sie hört gar nicht, daß die Kinder
+husten, und sieht nicht, daß die Wohnung ausgeräumt ist.
+
+»Woher weißt du das?«
+
+Und ich sage ihr:
+
+»Noch mehr weiß ich, Feige, meine Frau! Ich weiß, daß des reichen Reb
+Simches Tochter weggekommen ist (das Wort 'verschieden' konnte ich nicht
+über die Lippen bringen) und daß das Kind, auch ein Söhnchen, lebt! Und
+daß Broche-Leë seine Amme sein wird!«
+
+»Wer hat dir das alles erzählt?«
+
+»Denn«, sage ich ihr, »der das Leben gibt, gibt auch wovon zu leben.«
+
+Und ich erzählte ihr alles.
+
+
+
+
+Der kranke Knabe
+
+
+Mameschi, ich will dir ein Geheimnis erzählen; doch der Vater soll davon
+nichts erfahren!
+
+Du fragst mich: warum? Weil der Vater mich weniger lieb hat ...
+
+Nein, Mameschi, ich sündige mit den Lippen: er hat mich nicht weniger
+lieb, er hat mich nur =anders= lieb!
+
+Er ist ja der Vater und muß streng sein ...
+
+Vater hat einen langen Bart; Vaters Gesicht fühlt sich beim Streicheln
+nicht so an wie Mutters atlasglattes Gesicht ... Er hat auch ganz andre
+Augen und einen ganz andern Blick. Wenn du mich anschaust, hast du so
+lachende und dabei so feuchte, so gütige und dabei so traurige Augen ...
+Du bist Mutter und zugleich Kamerad ... Vor dir kann ich keine
+Geheimnisse haben ... Mit deinen Augen ziehst du mir jedes Geheimnis aus
+dem Herzen heraus ...
+
+Vater schaut ganz anders: immer ernst, beinahe kalt ...
+
+Nein, Mameschi, es sind ganz andre, wirklich ganz andre Augen!
+
+Als ich noch klein war, hatte ich vor dem Vater weniger Angst. Ich weiß
+noch, wie ich ihm auf die Knie zu springen pflegte, wie ich ihm das Haar
+zerzauste, den Bart zerteilte und zu Zöpfen flocht, die Lippen
+übereinanderbog; und wenn er mich böse anschauen wollte, drückte ich ihm
+die Lider hinunter und schloß ihm einfach die Augen ... Heute kann ichs
+nicht mehr ...
+
+Einmal -- hörst du, Mameschi? -- einmal, als ich krank war, erwachte ich
+und sah euch beide an meinem Bette stehen ... Du hast so still, so
+herzensstill geweint; und der Vater ... Mameschi!... Vater hatte damals
+ein so schreckliches Gesicht, und ich sah, daß er Gott böse war! Vor
+Schreck schloß ich wieder die Augen ...
+
+Und seit damals kann ich dem Vater nicht mehr nahe kommen wie früher ...
+Etwas hält mich zurück! Oft will mir das Herz aus der Brust springen und
+ihm zufliegen, und doch kann ich es nicht!
+
+Glaubst du, daß ich den Vater weniger lieb habe? Gott behüte! Ich habe
+Vater sehr lieb und gewinne ihn mit jedem Tag, mit jeder Minute noch
+lieber ... Wenn er auf mich zugeht, hüpft mir das Herz vor Freude, und
+es bebt in mir die Seele vor Hoffnung: gleich wird er mich bei der Hand
+fassen und an sein Herz drücken ...
+
+Vor dir zittere ich nicht: du hast mich immer und gleich lieb ... Du
+hast für mich immer Zeit, und du umarmst und küßt mich jeden Augenblick
+... Du bist immer, immer mein ... Vater hat so viel Geschäfte!
+
+Ich weiß: er will, daß ich einmal reich sein soll!
+
+ * * * * *
+
+Jetzt willst du wohl, Mameschi, mein Geheimnis hören?
+
+Ich schäme mich!
+
+Vor der Mutter, sagst du, soll man sich nicht schämen? Es ist wahr ...
+Und doch ... Weißt du was, Mameschi? Setz dich hier auf diesen Stuhl vor
+dem Fenster ... Gut so!
+
+Ach, wie schön die Sonne untergeht! Wie schön fallen ihre rötlichen
+Strahlen auf dein edles, blasses Gesicht!...
+
+Ach, Mameschi, wie schön, wie schön und edel bist du!
+
+Warte ... Nun will ich mich dir zu Füßen setzen ... Und du sollst mir,
+wenn ich erzähle, nicht ins Gesicht schauen ... Ich will mich auf den
+Fußschemel setzen und beim Erzählen zum Fenster hinausschauen ...
+
+Nein!... So ists nicht gut! Ich werde mich vor der Sonne schämen ...
+Siehst du: am Tage strahlt sie, doch am Abend nimmt sie von uns so
+traurig Abschied, daß ich mich schäme, von mir zu sprechen ...
+
+Ich will meinen Kopf an deinen Schoß lehnen ... Ich will meine Augen
+schließen, und du ... du leg mir noch deine Hand auf die Stirn ... Ist
+es dir nicht zu schwer, Mameschi, wenn ich meinen Kopf so an dich lehne?
+Nein?
+
+Sechzehn Jahre ist dein Kind alt und hat ein so leichtes, ein so kleines
+Köpfchen ... Und ich selbst ...
+
+Seufze nicht, Mameschi! Gott hat mich nicht zu karg bedacht: er gab mir
+zwar wenig Fleisch, dafür aber viele andre gute Gaben: dich, den Vater
+... Tage und Nächte mit wunderlichen Träumen ... Und nun -- das
+Geheimnis ...
+
+Nun sehe ich nichts ... Mit geschlossenen Augen werde ich es vielleicht
+doch erzählen können ... Ich wills versuchen ...
+
+Es fällt mir so schwer!...
+
+Wenn ich es mir so überlege -- so ist es nichts: ein Netz aus einigen
+wunderlichen Strahlen, -- und doch lastet es mir auf dem Herzen wie ein
+Stein ... Es ist kein Kieselstein, kein Stein von der Gasse oder vom
+Felde ...
+
+Es ist ein kostbarer Stein; er strahlt und leuchtet ...
+
+Er liegt mir tief in der Brust und erfüllt mein ganzes Wesen, alle meine
+Glieder mit seinen Strahlen, mit seinem heimlichen, warmen, lebendigen
+Licht ...
+
+Das Licht soll nicht verlöschen, Mameschi!
+
+Es verlischt so vieles!...
+
+ * * * * *
+
+Hörst du, Mameschi!
+
+Nein, warte, so einfach und geradeaus beginnen kann ich doch nicht ...
+
+Hör aber! Weißt du noch, Mameschi, daß du mir gestern etwas Kleingeld
+gabst? Weißt du es noch?
+
+Ich habe davon noch nichts ausgegeben, und doch fehlt mir schon
+etwas ...
+
+Es fehlt mir ein Zehnerl!
+
+Ob ich es verloren habe? Nein ... Du gibst mir doch das Geld, damit ich
+davon armen Leuten, armen Kindern, denen ich bei meinen Spaziergängen
+begegne, Almosen gebe ... Armengeld werde ich doch nicht verlieren!
+
+Ob ich es weggegeben habe? Gewiß. Ob einem Armen? Ich weiß es nicht ...
+Vielleicht ja, und vielleicht auch nicht ... Hör nur zu, vielleicht
+wirst du es selbst verstehen!
+
+Gestern ging die Sonne ebenso schön unter ... Vielleicht noch
+schöner ...
+
+Du hast mich schauen gelehrt, und ich schaue und sehe, was andre
+meinesgleichen nicht sehen ... Darum gehe ich am liebsten ganz allein
+spazieren ... Gestern ging ich hinter die Stadt, du weißt, zu der Stelle
+am Flusse, von wo aus man sie ganz überblickt. Die Häuser türmen sich
+übereinander, immer höher und höher; und die Häuser, die weiter stehen,
+wollen über die andern hinüberschauen und auch etwas von Gottes Welt
+sehen; darum ragen sie, je weiter sie stehen, um so höher hinauf. Und
+die Sonne sieht im Untergehen auf sie herab und übergießt sie mit ihrem
+Lichte ... nimmt Abschied von ihnen ... küßt sie ...
+
+Und ich sehe, wie die Schatten diesen letzten Strahlen nachjagen, wie
+sie sich immer mehr und mehr verdichten und wie sie fließen und überall
+eindringen, wo sie nur können. Sie erfüllen alle Zwischenräume zwischen
+den Häusern, alle freien Plätze zwischen den Mauern, und sie heben und
+jagen das letzte rötliche Sonnenlicht hinauf, in den Himmel, aus dem es
+kommt ... »Geht zur Ruhe, ihr Strahlen, jetzt ist =unsre= Zeit!... Gute
+Nacht!...«
+
+Und es wird allmählich dunkler und dunkler und der Himmel immer tiefer
+und tiefer ... Bald werden, einer nach dem andern, die Sterne
+aufleuchten ... Und wie ich das alles sehe, komme ich zur
+Schreinergasse, zu der letzten Gasse der Stadt, die so steil
+hinuntergeht ... Und so kam ich zum Fluß, wo die alte Schul steht ...
+
+Und ich kam ganz nahe an die alte Schul heran.
+
+Am Tage sieht sie schrecklich aus: armselig, baufällig, ganz schwarz vor
+Alter ... Die Spinnen wollen aus Mitleid die eingeschlagenen
+Fensterscheiben überweben ... Und auf dem Hügel gegenüber, am andern
+Ende der Gasse, steht die schlanke, spitze Christenkirche und lacht ...
+
+Doch am Abend sah die alte Schul ganz anders aus ... Zum ersten Male sah
+ich sie gestern so ... Ein leichter, lieblicher, dunkelblauer Nebel
+umhüllte sie ... Die Fenster ohne Scheiben waren gar nicht blind ... Sie
+blickten ernst und tief in die Welt hinaus ... Und die Gesimse oben
+lebten und rührten sich beinahe. Die gemalten Löwen wollten sich von der
+Mauer losreißen ... Gleich werden sie zu brüllen anfangen!
+
+Glaubst du, daß =das= mein Geheimnis ist? Nein, Mameschi! Das alles sehe
+ich erst jetzt, wie ich es dir erzähle; mit den gestrigen Augen sehe ich
+es.
+
+Ach, Mameschi, wenn ich reich wäre!
+
+Was ich dann täte?
+
+Ich würde die alte Schul wieder aufrichten!
+
+Ich will, daß auch sie hoch ist und in den Himmel hinaufragt! Und sie
+muß höher sein, weil sie tiefer steht! Und ein goldenes Dach soll sie
+haben und kristallene Fensterscheiben!
+
+Hörst du, Mameschi, so denke ich es mir: man kann ja auch ohne Schul
+auskommen; denn Gott ist überall ... Wo nur eine Träne fällt, die merkt
+er! Wo jemand die Augen zu ihm hebt, den sieht er! Wo nur ein
+bekümmertes Herz seufzt, das hört er!... Wenn man aber schon eine Schul
+hat, so soll sie hoch, schön, strahlend und würdig sein.
+
+So dachte ich es mir auch gestern. Und plötzlich hörte ich ein Weinen!
+Ein leises und trauriges Weinen, süß und traurig und so seltsam
+ergreifend ...
+
+Wenn du spielst, kommen manchmal aus dem Klavier solche weinende
+Töne ...
+
+Und ich glaubte -- Mameschi, die Wahrheit zu sagen, =wollte= ich es
+glauben, und ich wandte mich absichtlich nicht um, um es möglichst lange
+glauben zu können -- ich glaubte, daß das Weinen und Schluchzen aus der
+alten Schul kommt ... daß dort drinnen, in dunkelblauen Nebel gehüllt,
+die Seele der alten Schul sitzt und weint ...
+
+Und sie beklagt sich, daß die Sonne ihr unrecht tut ..., daß sie ganze
+Garben ihres goldenen Lichtes auf das Kirchendach ausschüttet und ihr
+kaum einen Strahl gönnt ... Sie wirft ihr am hellsten Mittag nur einen
+blassen Strahl wie ein Almosen zu ... Und dieser Strahl gleitet über sie
+weg und stiehlt sich fort, wie verschämt!...
+
+Aber es war =nicht= die Schul ...
+
+ * * * * *
+
+Es war ein kleines Mädchen ... Es lag im Sande, suchte etwas und
+weinte ...
+
+Als ich mich umwandte, sah ich erst nur ihr abgetragenes Kleidchen wie
+einen dunkelgrauen Fleck auf dem gelben Sande und ein Paar ausgetretene
+Schuhe!
+
+Und noch etwas sah ich ...
+
+Mameschi, ich schäme mich ... es wird mir so warm ... Stelle dir vor:
+eine Flut rote, ganz feuerrote Haare ... Funken stoben aus ihnen ...
+
+»Was weinst du, Mädchen, und was suchst du im Sand?«
+
+Ihre Mutter hatte sie etwas kaufen geschickt und ihr ein Zehnerl
+mitgegeben. Jemand stieß sie im Vorbeigehen an, und das Zehnerl fiel in
+den Sand ... Darum weint sie ...
+
+Ich -- wenn ich Gott weiß was verloren hätte, ich täte nicht weinen!
+
+Ich frage sie: »Wars ein großer Zehner oder ein weißes Zehnerl?«
+
+»Ein weißes!« sagt sie und wendet sich nach mir gar nicht um.
+
+»Ich will dir suchen helfen,« sage ich.
+
+Ich bücke mich, tue so, als ob ich suchte, und finde ihr ein weißes
+Zehnerl.
+
+»Hier hast du es!«
+
+Sie sprang vor Freude auf und warf sich mit einem Ruck des Kopfes die
+rote Haarflut in den Nacken ... Und unter den Haaren kam wie unter einer
+Wolke ein kleines alabasterweißes Gesichtchen zum Vorschein ... Und
+Augen waren darin, Mameschi, Augen ...
+
+Nein, Mameschi, die Augen kann ich nicht beschreiben!...
+
+So viel Freude leuchtete in ihnen ...
+
+Die ganze Nacht träumte ich von diesen Augen, die ganze Nacht ...
+
+ * * * * *
+
+Das ist mein ganzes Geheimnis, Mameschi!
+
+Du lächelst?
+
+Lache nicht, Mameschi! Die Augen vergesse ich niemals ...
+
+ * * * * *
+
+Mameschi ...
+
+Darf ich wieder einmal in die Schreinergasse gehen, mir wieder ... die
+alte Schul anschauen?...
+
+
+
+
+Bonze Schweig
+
+
+Hier auf =dieser= Welt machte Bonze Schweigs Tod gar keinen Eindruck!
+Man kann lange fragen, =wer= Bonze Schweig war, =wie= er lebte, =woran=
+er starb: ob ihm das =Herz= barst, ob ihm die Kräfte ausgingen, ob ihm
+unter einer schweren Last das Rückgrat brach ... Wer weiß? Vielleicht
+starb er gar vor Hunger ...
+
+Wenn ein Trambahnpferd stürzt, macht das schon viel mehr Eindruck: die
+Zeitungen berichten darüber, Hunderte von Menschen rennen aus allen
+Gassen herbei, um das gefallene Pferd oder nur die Stelle, wo sich der
+Unfall ereignete, zu sehen ... Doch auch dem Trambahnpferde wäre diese
+Ehre nicht zuteil, wenn es ebenso viele Millionen Trambahnpferde gäbe
+wie Menschen.
+
+Bonze hat still gelebt und ist still gestorben. Wie ein Schatten glitt
+er durch =unsre= Welt.
+
+Bei Bonzes Beschneidungsfeier trank man keinen Wein, klirrten keine
+Becher. Bei seiner Bar-Mizwa(15) hielt er keine wohlgesetzte Rede ... Er
+lebte wie ein farbloses Sandkörnchen am Meeresufer unter Millionen
+seinesgleichen. Und als der Wind das Sandkörnchen aufhob und auf das
+andre Ufer des Meeres hinübertrug, merkte es niemand.
+
+ (15) Feier des 13. Geburtstages: mit dreizehn Jahren erlangt der Jude
+ religiöse Mündigkeit.
+
+Solange er lebte, behielt der Straßenschmutz keine einzige Spur seiner
+Füße. Und als er begraben war, warf der Wind die kleine Holztafel auf
+seinem Grabe um. Die Frau des Totengräbers fand später das Brettchen
+weit vom Grabe liegen, machte Feuer damit und kochte darauf ihre
+Kartoffeln ... Drei Tage nach Bonzes Tode wußte der Totengräber nicht
+mehr, wo er ihn beerdigt hatte!
+
+Hätte Bonze ein richtiges Grabmal gehabt, so wäre es möglich, daß
+hundert Jahre nach seinem Tode Altertumsforscher den Grabstein gefunden
+hätten; dann wäre Bonze Schweigs Namen noch einmal in =unsrer= Luft
+erklungen.
+
+Ein Schatten! In keinem Menschenherzen, in keinem Menschenhirn blieb
+Bonze Schweigs Bild zurück. Nichts erinnert an ihn. Elend gelebt, elend
+gestorben!
+
+Wenn nicht der ewige Straßenlärm, so hätte vielleicht jemand gehört, wie
+Bonze Schweigs Rückgrat unter den schweren Lasten knackte; hätte die
+Welt mehr Zeit gehabt, so hätte vielleicht jemand bemerkt, daß Bonze
+Schweig erloschene Augen und furchtbar eingefallene Wangen hatte, daß
+er, selbst wenn er keine Last auf dem Rücken schleppte, immer den Kopf
+gesenkt hielt, als ob er sich schon bei Lebzeiten ein Grab suchte. Und
+wenn es nur ebensoviel Menschen gäbe wie Trambahnpferde, so hätte
+vielleicht doch jemand gefragt: was ist aus Bonze Schweig geworden?!
+
+Als man Bonze Schweig ins Spital brachte, blieb seine Schlafstelle im
+Keller nicht leer: zehn seinesgleichen warteten schon auf seinen Winkel,
+den sie untereinander versteigerten. Als man ihn aus dem Spitalbette hob
+und in die Leichenkammer brachte, warteten auf sein Bett schon zwanzig
+andre arme Kranke ... Und als man ihn aus der Leichenkammer hinaustrug,
+brachte man zwanzig Leichen herein, die man unter einem eingestürzten
+Hause herausgeholt hatte ... Wer weiß, wie lange er in seinem Grabe
+bleiben darf, wer weiß, wieviel Tote auf das kleine Fleckchen Erde
+warten ...
+
+Still geboren, still gelebt, still gestorben und noch stiller begraben .
+. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
+. . .
+
+ * * * * *
+
+Ganz anders war es aber auf =jener= Welt! Dort machte Bonze Schweigs Tod
+einen gewaltigen Eindruck.
+
+Die große Posaune, die dereinst auf Erden bei Messias' Ankunft erklingen
+wird, verkündete in allen sieben Himmeln: Bonze Schweig ist im =Herrn
+entschlafen=! Die vornehmsten Engel mit den breitesten Flügeln flogen
+durch den Himmel und riefen einander zu: Bonze Schweig ist zu den
+himmlischen Scharen einberufen worden! Und im Paradiese war eitel
+Freude, ein Singen und Rauschen: Bonze Schweig! Das ist doch wirklich
+kein Spaß!
+
+Junge Engel mit diamantenen Augen, goldenen, filigran gearbeiteten
+Flügeln und silbernen Pantöffelchen flogen und liefen ihm
+freudejauchzend entgegen! Das Rauschen der Flügel, das Klappern der
+Pantöffelchen, das fröhliche Lachen der jungen, frischen, rosigen Engel
+klang durch alle Himmel und drang bis vor den Thron der Göttlichen
+Majestät. Und Gott selbst wußte schon auch, daß Bonze Schweig kommt!
+
+Vater Abraham stellte sich vor der Himmelstür auf, die rechte Hand zu
+einem gar freundlichen Willkommengruß ausgestreckt, ein süßes Lächeln
+auf seinem strahlenden Greisenantlitz.
+
+Was rollt da durch den Himmel?
+
+Zwei Engel rollen einen goldenen Großvaterstuhl ins Paradies. Er ist für
+Bonze Schweig.
+
+Was hat eben so hell aufgeblitzt?
+
+Eine goldene Krone, mit den teuersten Edelsteinen besetzt, wurde soeben
+vorbeigetragen: alles für Bonze!
+
+»Noch vor dem Urteilsspruche des Himmlischen Gerichtshofes?« fragen die
+Gerechten etwas verwundert und nicht ohne Neid.
+
+»Ach!« antworten die Engel, »die Verhandlung wird nur eine leere
+Formalität sein! Selbst der Ankläger wird nicht wissen, was gegen Bonze
+Schweig vorzubringen wäre. Der ganze Prozeß wird höchstens fünf Minuten
+dauern!«
+
+»Ihr wagt es, über Bonze Schweig die Nase zu rümpfen?«
+
+ * * * * *
+
+Als die jungen Engel Bonze in der Luft abfingen und ihm eine Hymne
+sangen; als Vater Abraham ihm wie ein alter Kamerad die Hand drückte;
+als man ihm sagte, daß für ihn im Paradies bereits ein Sessel stehe, daß
+man für ihn eine Krone vorbereitet habe, daß am Himmlischen Gerichtshofe
+über ihn fast kein Wort fallen würde, -- da tat Bonze Schweig dasselbe,
+was er bei Lebzeiten tat: er =schwieg= vor Schreck. Das Herz stand ihm
+still. Er war überzeugt, daß das Ganze ein Traum sei oder eine
+Verwechslung.
+
+Er war an beides gewöhnt: mehr als einmal träumte er auf jener Welt, daß
+er vom Boden Geld aufliest, ganze Berge Geld; und wenn er erwachte, war
+er womöglich noch ärmer als zuvor. Mehr als einmal lächelte man ihm aus
+Versehen zu, und als man merkte, daß es eine Verwechslung war, wandte
+man sich weg und spie aus ...
+
+»Ich habe schon einmal so ein Glück!« denkt er sich.
+
+Er fürchtet die Augen aufzuheben, damit der Traum nicht verschwinde: er
+wird noch in irgendeinem Loche unter Schlangen und Skorpionen erwachen.
+Er fürchtet, auch nur ein Wort zu sagen, auch nur ein Glied zu rühren,
+daß man ihn nicht erkenne und zum Teufel jage ...
+
+Er zittert und hört nicht die Komplimente der Engel; er sieht nicht, wie
+sie ihren Reigen um ihn tanzen; er antwortet nicht auf Vater Abrahams
+Willkommengruß, und als man ihn vor den Himmlischen Gerichtshof bringt,
+sagt er nicht Guten Tag.
+
+Er ist vor Schreck ganz außer sich!
+
+Und sein Schreck wird noch größer, als sein Blick unwillkürlich auf den
+Fußboden des Verhandlungssaales fällt: nichts als Alabaster und
+Diamanten! »Auf solchem Fußboden stehen meine Füße!« sagt er sich ganz
+bestürzt. »Wer weiß, mit welchem vornehmen Herrn, mit welchem Rabbi, mit
+welchem göttlichen Manne sie mich verwechseln! Und wenn der Betreffende
+kommt, dann ist es aus mit mir!«
+
+Vor Schreck hört er nicht einmal, wie der Gerichtspräsident verkündet:
+»Der Fall Bonze Schweig!« und sich dann an den Fürsprech wendet, indem
+er ihm die Akten übergibt: »Lies, doch mach es kurz!«
+
+Der ganze Saal dreht sich um Bonze im Kreise herum; es rauscht ihm in
+den Ohren, und durch das Rauschen hindurch unterscheidet er allmählich
+die Stimme des himmlischen Fürsprechs, süß wie eine Geige:
+
+»Sein Name paßte ihm, wie ein von einem genialen Schneider gefertigtes
+Kleid auf einen schlanken Menschenleib ...«
+
+»Was redet er da?« fragt sich Bonze, und er hört, wie eine ungeduldige
+Stimme den Fürsprech unterbricht:
+
+»Bitte, ohne Gleichnisse!«
+
+»Er klagte niemals,« fährt der Fürsprech fort, »weder über Gott noch
+über die Menschen. In seinen Augen leuchtete niemals ein Funken des
+Hasses, und er hob sie kein einziges Mal mit einem Vorwurf gen
+Himmel ...«
+
+Bonze versteht wieder kein Wort, doch er hört, wie die harte Stimme von
+vorhin den Fürsprech wieder unterbricht:
+
+»Ohne Rhetorik!«
+
+»Hiob hielt es nicht aus, doch er war unglücklicher als Hiob ...«
+
+»Bitte, Tatsachen, nackte Tatsachen!« unterbricht der Präsident noch
+ungeduldiger.
+
+»Mit acht Tagen wurde er beschnitten ...«
+
+»Bitte, ohne realistische Details!«
+
+»Der Operateur war ein Pfuscher, konnte das Blut nicht stillen ...«
+
+»Weiter!«
+
+»Doch er schwieg immer,« fährt der Fürsprech fort. »Er schwieg auch, als
+er mit dreizehn Jahren seine Mutter verlor und eine Stiefmutter bekam,
+eine Stiefmutter, böse wie eine Schlange ...«
+
+»Meint er vielleicht doch mich?« denkt sich Bonze.
+
+»Bitte, keine Verdächtigungen gegen dritte Personen!« grollt der
+Präsident.
+
+»Sie kargte ihm jeden Bissen ab; sie gab ihm verschimmeltes Brot von
+vorgestern ... Sehnen statt Fleisch ... Und sie selbst trank
+währenddessen Kaffee mit Sahne ...«
+
+»Zur Sache!« schreit der Präsident.
+
+»Dafür geizte sie nicht mit Kniffen und Schlägen, und sein blau und
+braun unterlaufener Körper sah aus allen Löchern seiner schäbigen
+Kleider hervor ... Im Winter, beim größten Frost mußte er barfuß auf dem
+Hofe Holz spalten, und seine Knabenhände waren zu schwach, die
+Holzklötze zu schwer und das Beil zu stumpf ... Mehr als einmal renkte
+er sich dabei den Arm aus, mehr als einmal fror er sich die Füße wund,
+doch er =schwieg= immer. Selbst vor dem Vater ...«
+
+»Vor dem Trunkenbold!« ruft lachend der Ankläger dazwischen, und Bonze
+überläuft es kalt.
+
+»... klagte er niemals,« beendet der Fürsprech seinen Satz. »Und immer
+elend, immer allein ... keine Freunde, keine Schule, kein einziges
+ganzes Gewand ... keine Minute freie Zeit ...«
+
+»Tatsachen!« ermahnt wieder der Präsident.
+
+»Er schwieg auch, als sein betrunkener Vater ihn einmal bei den Haaren
+packte und mitten in der Nacht, in einer Winternacht, aus dem Hause
+hinauswarf! Er erhob sich still aus dem Schnee und ging, wohin ihn die
+Füße trugen ...
+
+»Er schwieg auch auf seiner Wanderung, und selbst beim größten Hunger
+bettelte er nur mit den Augen.
+
+»Erst in einer schwindligen, feuchten Frühlingsnacht erreichte er die
+Großstadt. Er verschwand in ihr sofort wie ein Wassertropfen im Meere,
+und doch verbrachte er gleich die erste Nacht im Arrest ... Er schwieg
+und fragte nicht, warum und wofür. Und als er aus dem Arrest herauskam,
+suchte er sich gleich die schwerste Arbeit. Und schwieg!
+
+»Viel schwerer, als die Arbeit selbst, war es für ihn, Arbeit zu finden.
+Doch er schwieg!
+
+»In kaltem Schweiß gebadet, unter der schwersten Last zusammenbrechend,
+von Krämpfen im leeren Magen geplagt, schwieg er!
+
+»Von fremden Rädern mit Kot bespritzt, von fremden Mündern bespien, mit
+der schwersten Last auf dem Rücken vom Bürgersteige auf die Straße
+gestoßen, zwischen Droschken, Equipagen und Trambahnen gejagt, jeden
+Augenblick den Tod vor Augen, -- schwieg er!
+
+»Er rechnete niemals nach, wieviel Zentner Last auf den Pfennig seines
+Lohnes kamen, wie oft er bei einem Gange, für den er einen Dreier bekam,
+zusammenbrach; wie oft er beinahe die Seele ausspie, wenn er seinen Lohn
+mahnte. Er rechnete niemals nach, weder den eigenen noch den fremden
+Verdienst -- er schwieg!
+
+»Seinen Lohn mahnte er niemals laut: er stand wie ein Bettler vor der
+Tür und bettelte wie ein Hund mit den Augen. 'Komm später!' -- und er
+verschwand stumm wie ein Schatten, um 'später' noch stummer um seinen
+Lohn zu betteln!
+
+»Er schwieg sogar, wenn man von seinem Lohn etwas abschwindelte oder ihm
+eine falsche Münze gab! Er schwieg immer!...«
+
+»Man meint also doch mich!« tröstet sich Bonze.
+
+Der Fürsprech nimmt einen Schluck Wasser und fährt fort: »Einmal kam in
+sein Leben eine neue Wendung. Eine Equipage auf Gummirädern raste durch
+die Straße: die Pferde waren durchgegangen, und der Kutscher lag schon
+längst mit zerschmettertem Schädel irgendwo auf dem Pflaster ... Aus den
+Mäulern der erschrockenen Pferde spritzt Schaum, unter ihren Hufen
+stieben Funken, ihre Augen funkeln wie glühende Kohlen in finsterer
+Nacht ... Und in der Equipage sitzt mehr tot als lebendig ein Mensch ...
+
+»Und Bonze hielt die rasenden Pferde auf!
+
+»Der Gerettete war ein Jude, ein bekannter Wohltäter, und er vergaß
+Bonzes Tat nicht!
+
+»Er übergab ihm die Peitsche des getöteten Kutschers, und Bonze wurde
+Kutscher. Er tat noch mehr: er verheiratete ihn; und noch mehr: er
+versorgte ihn sogar gleich mit einem Kinde ...
+
+»Und Bonze schwieg immer!«
+
+»Er meint mich!« sagt sich Bonze. Er zweifelt nicht mehr, und doch wagt
+er noch immer nicht, einen Blick auf den Himmlischen Gerichtshof zu
+werfen. Und er hört, wie der Fürsprech fortfährt:
+
+»Er schwieg auch, als sein Wohltäter bald darauf seine Zahlungen
+einstellte und auch ihm, Bonze, den Lohn vorenthielt ...
+
+»Er schwieg, als seine Frau von ihm weglief und ihm ein Brustkind
+zurückließ ...
+
+»Er schwieg sogar, als fünfzehn Jahre später dieses selbe Kind, das
+inzwischen groß und stark geworden war, ihn, seinen Vater, aus dem Hause
+hinauswarf ...«
+
+»Mich meint er, mich!« freut sich Bonze.
+
+»Er schwieg,« fährt der Fürsprech weicher und trauriger fort, »als
+dieser selbe Wohltäter mit allen Gläubigern Vergleich schloß und nur ihm
+keinen Pfennig von seinem Lohn bezahlte; und selbst dann, als er, wieder
+einmal in einer Equipage mit Gummirädern und löwengleichen Pferden
+dahinrasend, ihn, Bonze Schweig, überfuhr!...
+
+»Er schwieg immer! Auf der Polizei sagte er nicht einmal, wer ihn
+überfahren hatte ...
+
+»Er schwieg auch im Spital, wo man doch =schreien= darf!
+
+»Er schwieg, als der Doktor sich weigerte, anders als gegen Bezahlung
+von fünfzig Kopeken zu seinem Bette zu gehen; als der Krankenwärter ohne
+fünf Kopeken ihm die Wäsche nicht wechseln wollte!
+
+»Er schwieg in der Agonie, er schwieg im Sterben ...
+
+»Kein Wort gegen Gott, kein Wort gegen Menschen!
+
+»_Dixi!_«
+
+Bonze fängt wieder an am ganzen Leibe zu zittern. Er weiß, daß nach dem
+Fürsprech der Ankläger das Wort hat. Wer weiß, was =der= sagen wird!
+Bonze hat von seinem ganzen Leben nichts im Gedächtnisse behalten. Auch
+auf jener Welt vergaß er jede Minute schon in der nächsten Minute ...
+Der Fürsprech hatte ihm alles in Erinnerung gebracht. Wer weiß, woran
+ihn der Ankläger erinnern wird!
+
+»Meine Herren!« fängt der Ankläger mit scharfer, stechender, sengender
+Stimme an.
+
+Er kommt nicht weiter.
+
+»Meine Herren!« beginnt er von neuem, schon viel weicher, und stockt
+wieder.
+
+Schließlich erklingt aus dem gleichen Munde eine beinahe milde Stimme:
+
+»Meine Herren! =Er= schwieg, also will auch ich schweigen.«
+
+Es wird still, und es erklingt eine neue, weiche, zitternde Stimme:
+
+»Bonze, mein Kind Bonze!« klingt es wie eine Harfe: »Mein Herzenskind
+Bonze!«
+
+In Bonze schluchzt das Herz ... Er möchte jetzt die Augen aufschlagen,
+sie sind aber von Tränen geblendet ... So süß und traurig zugleich war
+es ihm noch niemals ums Herz. »Mein Kind!« -- seit dem Tode seiner
+Mutter hat er noch nie eine solche Stimme und solche Worte gehört.
+
+»Mein Kind!« fährt der Allbarmherzige Vater des Gerichts fort. »Du
+schwiegst immer! Du hast kein einziges Glied, keinen einzigen Knochen in
+deinem Leibe, der nicht wundgeschlagen wäre; es ist keine noch so
+verborgene Stelle in deiner Seele, die nicht blutete ... Und du
+schwiegst immer ...
+
+»Dort verstand sich niemand darauf; vielleicht wußtest du sogar selbst
+nicht, daß du schreien kannst und daß vor deinem Schreien die Mauern
+Jerichos erzittern und einstürzen würden? Du wußtest nichts von der
+Kraft, die in dir schlummerte ...
+
+»Auf jener Welt wurde dein Schweigen nicht belohnt. Doch jene Welt ist
+die Welt der Lüge. Hier, auf der Welt der Wahrheit, wirst du deinen Lohn
+bekommen!
+
+»Dich wird der Himmlische Gerichtshof nicht richten, über dich wird er
+keinen Spruch fällen.
+
+»Dir wird er nichts zuteilen und nichts zumessen: nimm dir, was du
+willst! =Alles= ist dein!«
+
+Bonze hebt zum erstenmal die Augen. Das Licht, das von allen Seiten auf
+ihn eindringt, blendet ihn. Alles blitzt, alles glänzt und funkelt, von
+allen Seiten schießen Strahlen; von den Wänden, von den Geräten, von den
+Engeln und von den Richtern.
+
+Und er läßt die müden Augen wieder sinken.
+
+»Ist es wahr?« fragt er ungläubig und verschämt.
+
+»Gewiß!« antwortet sehr bestimmt der Vater des Gerichts. »Ich sage dir
+ja: alles ist dein! Alles im Himmel gehört dir! Wähle und nimm dir, was
+du willst: denn du nimmst nur von dem, was dir gehört!«
+
+»Ist es wahr?« fragt Bonze wieder, doch schon etwas sicherer.
+
+»Gewiß! Gewiß! Gewiß!« versichert man ihn von allen Seiten.
+
+»Nun, wenn so,« sagt Bonze lächelnd, »so will ich jeden Morgen eine
+warme Semmel mit frischer Butter!«
+
+Richter und Engel schlagen verschämt die Augen nieder. Der Ankläger
+beginnt zu lachen.
+
+
+
+
+Neïlo in der Hölle(16)
+
+ (16) Neïlo: Schlußgebet, wichtigstes Gebet am Versöhnungstage
+ (Jom-Kippur).
+
+
+An einem ganz gewöhnlichen Tage, es war weder Jahrmarkt noch
+Wochenmarkt, hörten die Marktleute plötzlich Pferdegetrabe und sahen in
+der Ferne den Straßenkot aufspritzen. Bald zeigte sich auch eine Kutsche
+mit einem Pferde. Wer kann da gefahren kommen? Doch als die Kutsche auf
+dem Marktplatze anlangte, wandten sich alle Leute voller Abscheu, Angst
+und Zorn weg: in der Kutsche saß der Angeber aus der Nachbarstadt, der
+wohl direkt in die Hölle fuhr. Wer weiß, wen er diesmal bei den Behörden
+angeben wird!
+
+Plötzlich wird es still, die Leute schauen unwillkürlich hin: die
+Kutsche ist stehengeblieben, das Pferd hat den Kopf gesenkt und säuft
+aus einer Pfütze, und der Angeber ist von seinem Sitz heruntergefallen
+und liegt unbeweglich da.
+
+Es ist ja immerhin eine Menschenseele! Die Leute laufen hinzu: der Mann
+ist tot. Der Feldscher bestätigt: »Der ist erledigt!« Angestellte der
+Beerdigungsbrüderschaft nehmen sich der Leiche an. Pferd und Wagen
+werden verkauft, und mit dem Erlös werden die Beerdigungskosten
+bestritten.
+
+Kaum ist er beerdigt, als die Teufel seine Seele packen, sie nach der
+Hölle schleppen und dort dem Torbeamten übergeben. Der Angeber wird für
+eine Weile beim Höllentor aufgehalten, und der Beamte, der die Bücher
+und Eingänge und Ausgänge führt, nimmt gelangweilt und gähnend seine
+Personalien auf und trägt alles mit träger Hand in sein Buch ein.
+
+Und der Angeber, dessen ganzer Einfluß in der Hölle nichts mehr wert
+ist, gibt Antwort: Da und da geboren, da und da geheiratet, soundso
+lange sich vom Schwiegervater aushalten lassen, dann von Frau und
+Kindern entlaufen, in die und die Stadt verzogen und den Beruf eines
+Angebers ergriffen, von dem er auch so lange lebte, bis sein Maß voll
+wurde. Er starb plötzlich auf der Durchreise, auf dem Marktplatze der
+Stadt Lahadam.
+
+Da wird der Höllenbeamte, der die Bücher führt, plötzlich interessiert.
+Er hält mitten im Gähnen an und fragt:
+
+»Wie heißt die Stadt? La -- ha -- --«
+
+»Lahadam!« wiederholt der Angeber.
+
+Der Matrikelführer wird plötzlich rot, und seine Augen drücken höchstes
+Erstaunen aus.
+
+»Habt ihr mal von einer solchen Stadt gehört?« wendet er sich an seine
+Gehilfen.
+
+Die Gehilfen zucken die Achseln, schütteln die Köpfe und strecken die
+Zungen aus:
+
+»Nein, noch nie!«
+
+»Gibts überhaupt eine solche Stadt?«
+
+Jede Gemeinde hat in der Hölle ihr eigenes Buch. Die Bücher sind
+alphabetisch geordnet, und jeder Buchstabe hat einen eigenen Schrank.
+Man nimmt also alle Bücher mit L durch: Lublin, Lemberg, Leipzig; alle
+Städte sind da, doch keine Stadt Lahadam!
+
+»Und doch gibt es eine solche Stadt!« sagt der Angeber. »Eine Stadt in
+Polen.«
+
+»Ist sie vielleicht ganz neu gegründet?«
+
+»Nein, sie steht schon an die zwanzig Jahre da. Der Gutsbesitzer hat sie
+erbaut und zwei Jahrmärkte eingesetzt. Es gibt da eine Schule, ein
+Bethaus, ein Bad ..., zwei heimliche Branntweinschenken ...«
+
+»Ist hier schon einmal wer aus Lahadam gewesen?« fragt der
+Matrikelführer noch einmal seine Gehilfen.
+
+»Nein, niemand!« antworten sie.
+
+»Sterben denn dort die Leute gar nicht?« fragt man den Angeber.
+
+»Warum sollen sie nicht sterben?« antwortet er nach Judenart mit einer
+Frage. »Die Leute wohnen in kleinen, dumpfen Zimmern, das Bad ist so
+gebaut, daß man darin nicht atmen kann, das ganze Städtchen steht auf
+einem Sumpf!« Der Angeber fällt allmählich in seinen gewohnten
+Angeberton.
+
+»Auch einen Friedhof gibt es dort. Die Beerdigungsbrüderschaft schindet
+furchtbar hohe Gebühren. Erst vor kurzem gab es da eine Seuche ...«
+
+Man schickt den Angeber in die entsprechende Abteilung der Hölle und
+fragt wegen des Städtchens Lahadam an höherer Stelle an; da muß etwas
+nicht in Ordnung sein: die Stadt steht seit zwanzig Jahren da; es hat
+dort sogar schon eine Seuche gegeben, und doch -- kein einziger Toter
+von dort!
+
+Die höhere Stelle schickt Boten hinauf, um der Sache nachzugehen: es
+stimmt! Und es verhält sich so: Es ist ein Städtchen wie jedes andere,
+mit wenig gottgefälligen Werken und sehr viel Sünden. Der böse Trieb
+arbeitet dort sogar recht energisch. Also, wo ist der Haken? Nun, sie
+haben eben in ihrer Gemeinde einen ganz ungewöhnlichen Vorbeter! Das
+heißt, der Vorbeter ist als Mensch durchaus gewöhnlich und unbedeutend,
+doch er hat eine Stimme, eine so süße, so himmlische Stimme, daß, wenn
+er singt, selbst die verstocktesten eisernen Herzen weich wie Wachs
+werden. Kaum steht er am Vorbeterpult, als die ganze Gemeinde ihre
+Sünden bereut und so aufrichtig Buße tut, daß oben alle Sünden vergeben
+und aus den Registern gestrichen werden. Und die Tore des Paradieses
+stehen allen Einwohnern von Lahadam weit offen. Wenn einer kommt und
+sagt: »Ich bin aus Lahadam«, so wird er gar nicht mehr weiter gefragt.
+
+Die ganze Geschichte paßt der Hölle selbstverständlich gar nicht, und
+Satan selbst nimmt die Sache in die Hand. Er wird mit dem Vorbeter schon
+fertig werden! Was tut er? Er schickt auf die Erde hinauf und läßt sich
+einen lebenden kalikutischen Hahn mit rotem Kamm holen. Man bringt ihm
+bald den Hahn und stellt ihn vor ihn auf den Tisch. Der Hahn ist so
+erschrocken, daß er sich gar nicht rührt, und der Satan -- verflucht sei
+sein Name! -- setzt sich vor ihn hin, fängt ihn zu krauen an und starrt
+so lange und unverwandt auf seinen roten Kamm, bis dieser weiß wie Kalk
+wird. Wie der Satan fühlt, daß der Allmächtige oben in höchsten Zorn
+geraten ist, ruft er aus:
+
+»Soll er seine süße Stimme verlieren bis zu seiner Sterbestunde!«
+
+Wen er bei dieser Beschwörung meinte, wißt ihr selbst; und ehe noch der
+Kamm des kalikutischen Hahns wieder rot geworden war, hatte schon der
+Vorbeter von Lahadam seine Stimme verloren. Seine Kehle ist wie
+geschlagen; er kann kaum noch sprechen. Wer am Unglück die Schuld hat,
+weiß man schon; das heißt, einige Wunderrabbis wissen es. Wer hat aber
+den Mut, dem Vorbeter so etwas zu sagen? Es ist doch sowieso nichts mehr
+zu machen! Wenn der Vorbeter als Mensch noch irgendwie hervorragend
+wäre, so könnte man vielleicht durch Fürbitte im Himmel etwas erreichen.
+Aber er war eben ein durchaus unbedeutender Mensch, eine Null ...
+
+Der Vorbeter reist von einem Wunderrabbi zum andern, doch keiner kann
+ihm etwas sagen. Nun kommt er zum Rabbi von Opatow und gibt ihm keine
+Ruhe: er wird nicht fortgehen, bis er die Wahrheit erfahren hat. Es ist
+ein Jammer mit dem Menschen! Und der Rabbi versucht ihn zu trösten:
+
+»Wisse, daß deine Heiserkeit nur bis zu deiner Sterbestunde anhalten
+wird. Dein Sterbegebet wirst du aber schon mit einer so klaren Stimme
+sprechen können, daß man es in allen Himmeln hören wird!«
+
+»Und bis dahin?«
+
+»Bis dahin ist die Sache hoffnungslos!«
+
+Der Vorbeter bestürmt noch einmal den Rabbi:
+
+»Wie ist das geschehen? Warum ist mir das geschehen?«
+
+Und er plagt den Rabbi so lange, bis dieser ihm alles erzählt.
+
+»Wenn so,« schreit der Vorbeter mit heiserer Stimme auf, »so werde ich
+mich schon rächen!« Und mit diesen Worten läuft er hinaus.
+
+»Wie willst du dich rächen? Und an wem?« ruft ihm der Rabbi nach. Doch
+der Mann ist schon fort.
+
+Das geschah an einem Dienstag; andre sagen -- an einem Mittwoch. Und als
+am Donnerstag abend die Fischer von Opatow Fische zum Sabbat fangen
+wollten und ihr Netz herauszogen, so war das Netz auffallend schwer; und
+wie man es herauszog, lag darin der Vorbeter von Lahadam.
+
+Er hatte sich von der Brücke ins Wasser gestürzt. Und wie er das
+Sterbegebet sprechen sollte, hatte er seine schöne Stimme, wie es ihm
+der Rabbi ganz richtig vorausgesagt hatte, wiederbekommen; denn der
+Satan hatte ausdrücklich bestimmt: »Bis zur Sterbestunde!« Doch als er
+ins Wasser sprang und sich ertränkte, hat er das Sterbegebet gar nicht
+gesprochen, sondern seine Stimme für später aufgehoben. Und das war
+seine Rache, wie ihr es gleich sehen werdet.
+
+Wie es einem Selbstmörder geziemt, wird der Vorbeter sofort von den
+Teufeln gepackt und in die Hölle geschleppt. Beim Tore wird er wie
+üblich ausgefragt, aber er gibt keine Antwort. Man versucht, ihn mit
+einer glühenden Gabel zum Sprechen zu bringen, doch er schweigt.
+
+»Nehmt ihn so!«
+
+Man weiß doch auch so, wer er ist: man hatte ihn ja erwartet! Und man
+nimmt ihn »so« und führt ihn zu einem Kessel, der für ihn gerade heiß
+gemacht wird: sobald das Pech zu sieden anfängt, wird man ihn
+hineinwerfen. Doch der Vorbeter setzt sich plötzlich den Daumen an die
+Gurgel und beginnt den Kaddisch aus der Neïlo ...
+
+Er singt, und seine Stimme klingt immer mächtiger und noch süßer, noch
+herzergreifender als je ... Und in den Kesseln, aus denen bisher ein
+Winseln und Jammern drang, wird es plötzlich still. Dann fallen Stimmen
+ins Gebet ein, verbrühte Köpfe heben die Deckel von den Kesseln, und
+versengte Lippen singen mit ...
+
+Die Teufel, die bei den Kesseln stehen, beten nicht mit: sie sind vor
+Schreck wie gelähmt. Sie stehen -- der eine mit einer Tracht Brennholz
+zum Nachlegen, der andre mit einem Schürhaken, der dritte mit einer
+eisernen Gabel in der Hand, mit aufgerissenen Mäulern, ausgestreckten
+Zungen, runden Augen und verzerrten Gesichtern und rühren sich nicht;
+andre sind vor Schreck umgefallen ... Während der Vorbeter in der Neïlo
+fortfährt, geht das Feuer unter den Kesseln allmählich aus, und die
+Toten kommen einer nach dem andern heraus.
+
+Er singt, und die ganze Gemeinde betet voller Inbrunst mit; und während
+sie beten, verheilen die Brandwunden und überziehen sich mit neuer Haut,
+verbrannte Glieder wachsen nach, und alle Leiber sind wie geläutert ...
+
+Und wie der Vorbeter zur Stelle kommt: »Gesegnet seiest du, Herr, der du
+die Toten lebendig machst!« -- werden alle Toten wirklich lebendig,
+nehmen die Gestalt an, die sie vorher hatten, und rufen wie ein Mensch
+»Amen!« Und bei der Stelle: »Sein großer Name werde gepriesen in alle
+Ewigkeit!...« klingt es so laut, daß alle Himmel sich auftun und das
+Bußgebet der Sünder bis in den siebenten Himmel hinaufsteigt, bis zum
+Throne der Göttlichen Majestät. Und es ist gerade eine Stunde der Gnade,
+und alle Sünder, die nicht mehr Sünder sind, bekommen plötzlich Flügel
+und fliegen empor und finden die Tore des Paradieses weit geöffnet.
+
+In der Hölle zurückgeblieben sind nur die vor Schreck erstarrten Teufel
+und der Vorbeter selbst. Wie bei Lebzeiten hatte er durch seine Stimme
+alle Herzen erweicht und zur Buße bekehrt, doch selbst nicht ordentlich
+Buße getan. Zudem war er ja auch ein Selbstmörder!
+
+Mit der Zeit hat sich die Hölle wieder gefüllt ... Ich hörte sogar, daß
+man dort jetzt einen Erweiterungsbau aufführt ...
+
+
+
+
+Reb Jojchenen Gabaj
+
+
+Müde und abgespannt von seiner Arbeit in der Gemeinde kam Reb Jojchenen
+der Gabaj(17) nach Hause. Schon in der Küche empfing ihn der Geruch von
+Speisen, von Fleisch und gekochten Äpfeln. Er trat schnell ins nächste
+Zimmer, wo ihm aber seine Frau Ssosche einen wenig freundlichen Empfang
+bereitete.
+
+ (17) Mitglied des Gemeinde- oder Synagogenvorstandes.
+
+»Müßiggänger!« schrie sie ihm mit böser Stimme entgegen, als er sich auf
+der Schwelle zeigte.
+
+»Warum schimpfst du?« fragte Reb Jojchenen, indem er sich auf eine Bank
+setzte, um auszuruhen.
+
+»Er fragt noch, warum ich schimpfe! Immer bist du mit deinen
+Gemeindesachen beschäftigt; wann wirst du aber, du Müßiggänger, auch
+etwas für dich selbst tun?«
+
+»Für mich?« fragte der Gabaj verwundert. »Was soll ich denn für mich
+tun? Unsere Kinder sind ja schon, Gott sei Dank, selbständig, und uns
+beiden fehlt gar nichts ... Was soll ich also tun?...« Er sieht sich in
+der Stube um und fügt hinzu: »Das Bett ist auch ohne mich gebettet, das
+Geschirr ist auch ohne meine Hilfe gewaschen; ich habe die Wände nicht
+einmal angerührt, und doch sehe ich an ihnen keine Spur von Spinnweben.
+Auch der Tisch ist schon gedeckt, das Tischtuch ist schneeweiß, die
+Bestecke funkeln wie aus Gold. Ich seh auch die Rettichspeise auf dem
+Tisch, geriebenen Meerrettich, ein Fläschchen Branntwein ...«
+
+»Hör schon auf mit deinen Sprüchen und geh dich waschen!«(18)
+
+ (18) Es ist ein Gebot der Religion, sich vor dem Essen die Hände zu
+ waschen.
+
+»Nein, Ssosche, ich werde mich nicht eher waschen, als du selbst zugeben
+wirst, daß ich recht habe. Hier zu Hause habe ich nichts zu versorgen,
+dafür aber im Bethause um so mehr; denn wer wird sich um alle die Sachen
+kümmern, wenn nicht ich? Vielleicht Joßke der Krämer, der nicht einmal
+zum Essen Zeit hat? Oder Jechijel der Dorfhausierer, der schon am
+Sabbatabend, gleich nach dem Hawdolo-Gebet das Haus verläßt und erst am
+Freitag gegen Abend heimkommt? Oder gar Ruben der Geldverleiher, der den
+ganzen Tag herumrennt, um bei den armen Leuten einige Groschen Zinsen
+einzusammeln? Oder gar einer von den armen Handwerkern, die schwer
+arbeiten müssen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen?«
+
+»Laß gut sein, ich bin nicht mehr böse ...«
+
+»Macht nichts. Ich weiß, daß du mir nicht mehr böse bist. Ich will dir
+aber noch beweisen, daß ich auch für mich selbst sorge. Schau mich an,
+Ssosche, sieh meinen weißen Bart und meine weißen Schläfenlocken. Ich
+bin nicht mehr jung ... Also muß ich mich auf eine weite Reise
+vorbereiten ...«
+
+»Auf eine Reise? Auf was für eine Reise?« fragt Ssosche verwundert. Sie
+begreift aber sofort selbst, was er damit meint, und ruft erschrocken
+aus: »Um Gottes willen, sprich nicht davon! Gott behüte!...«
+
+»Brauchst keine Angst zu haben, Ssosche. Du bist ja auch älter als
+zwanzig Jahre ... Und was werden wir beide antworten, wenn man uns dort
+oben fragt, was wir auf =dieser= Welt getan haben? Daß wir hier aßen und
+tranken? Und was wird der liebe Gott dazu sagen? Du wirst noch
+wenigstens vorbringen können, daß du dich am Verein für die Ausstattung
+armer Bräute betätigt hast ...«
+
+»Sprich nicht davon!« bittet Ssosche. Sie fürchtet, daß dadurch ihr Lohn
+im Jenseits beeinträchtigt werden könne.
+
+»Darum will ja auch ich etwas Gutes tun ...«
+
+»Sehr gut. Sehr gut. Tu, was du willst. Geh dich aber endlich waschen!«
+
+»Nur noch eines,« fährt der Gabaj fort: »Erinnerst du dich noch an dein
+seidenes Brautkleid mit den silbernen Streifen?«
+
+»Ob ich mich daran erinnere!«
+
+»Würdest du es nicht dem Bethause stiften, damit man daraus einen
+Vorhang für den Thoraschrein macht?«
+
+»Sehr gerne! Ich will es sofort heraussuchen ...«
+
+»Wart, Ssosche, ich hab es schon selbst genommen, und es hängt bereits
+vor dem Thoraschrein!«
+
+»Du Dieb!« sagt Ssosche lächelnd.
+
+Nun wäscht sich Reb Jojchenen endlich die Hände und setzt sich an den
+Tisch. Er ißt mit großem Appetit, spricht das Tischgebet und legt sich
+schlafen.
+
+ * * * * *
+
+Reb Jojchenen der Gabaj schlief bald ein, und seine Seele flog in den
+Himmel hinauf und verzeichnete dort im Buche seiner Verdienste:
+
+»Ich, Jojchenen, Sohn der Sarah, war heute den ganzen Tag mit heiliger
+Arbeit beschäftigt. Ich sagte mir: Ich und mein Weib Ssosche wohnen in
+einem schönen Hause, während das Gotteshaus baufällig ist und
+ausgebessert werden muß. Darum mietete ich Handwerker und ließ das
+Bethaus ausbessern. Heute brachte man zwei neue Bänke und einen neuen
+Tisch ins Gotteshaus. Ich ließ auch den Fußboden reinigen, die Wände und
+alle Möbel und Geräte putzen. Vor dem Vorbeterpult an der Ostwand habe
+ich einen neuen Leuchter angebracht. In der Kasse des Bethauses waren im
+ganzen fünfundvierzig Rubel. Um alles zu bezahlen, mußte ich aus meiner
+eigenen Tasche sechs Rubel und vierundachtzig Kopeken dazulegen. Für
+Rechnung meiner Frau Ssosche stiftete ich einen seidenen Vorhang für den
+Thoraschrein; sie ist außerdem auch im Verein für die Ausstattung armer
+Bräute tätig. Der liebe Gott möge es ihr für ihr Seelenheil anrechnen!
+Mit der Ausbesserung des Bethauses ist man heute fertig geworden. Und
+ich habe dem Schuldiener strengstens verboten, jemanden ins Bethaus zum
+Übernachten einzulassen. Das Gotteshaus soll nicht mehr die Schlafstube
+für fremde Bettler sein. Der Schuldiener muß von nun an das Haus jeden
+Abend absperren ...«
+
+Reb Jojchenens Seele schrieb noch weiter, als in den Himmel eine andre
+Seele geflogen kam und in ihr Buch folgendes eintrug:
+
+»Ich, Berl, Sohn der Judith, bin schon siebzig Jahre alt. Solange ich
+noch die Kraft dazu hatte, verdiente ich mein Brot durch meiner Hände
+Arbeit. Jetzt, da ich alt und schwach bin und nicht mehr arbeiten kann,
+muß ich bei fremden Leuten betteln. Anfangs ging es mir nicht schlecht.
+Die Leute kannten mich, und ich hatte immer zu essen. Doch mit der Zeit
+wurden sie meiner überdrüssig und gaben mir immer seltener Almosen. Oft
+schenkte man mir ein so trockenes Stück Brot, daß ich es mit meinen
+alten Zähnen gar nicht zerbeißen konnte. Ich sah ein, daß ich, wenn ich
+in meiner Stadt bleibe, Hungers sterben müsse. Darum verließ ich die
+Stadt und kam her. Es ist heute sehr kalt, und ich wollte ins Bethaus
+gehen, um da zu übernachten, wie es in allen jüdischen Städten Sitte
+ist. Doch der Schuldiener versperrte die Tür und ließ mich nicht hinein.
+Der Gabaj hätte ihm gesagt, er solle niemanden zur Nacht ins Bethaus
+einlassen; denn das Gotteshaus sei keine Herberge ... Jetzt schlafe ich
+unter freiem Himmel, und die Kälte frißt das Mark meiner alten Knochen.
+Ich bin hungrig und friere ... Nun frage ich dich, du Herr der Welt: Wer
+braucht das Bethaus nötiger: =du= oder =ich=?«
+
+ * * * * *
+
+Und es erklang eine Stimme vom Himmel: »Beide sollen sofort vor dem
+höchsten Gerichtshofe erscheinen!«
+
+Und am nächsten Morgen fand man tot: Reb Jojchenen den Gabaj in seinem
+Bette und einen alten Bettler erfroren auf der Straße neben dem
+Bethause ...
+
+
+Druck der Piererschen Hofbuchdruckerei, Altenburg.
+
+
+
+
+ [ Im folgenden werden alle geänderten Textzeilen angeführt, wobei
+ jeweils zuerst die Zeile wie im Original, danach die geänderte Zeile
+ steht.
+
+ Aber Rabbi Levi-Jizchock steht, in Kittel(8) und Gebetmantel gehüllt,
+ Aber Rabbi Levi-Jizchok steht, in Kittel(8) und Gebetmantel gehüllt,
+
+ den Dienst des Schöpfers der Welt treten, wenn er mir zuliebe am diesem
+ den Dienst des Schöpfers der Welt treten, wenn er mir zuliebe an diesem
+
+ können. Wie kann man in derThora anfangen und aufhören, wo die Thora
+ können. Wie kann man in der Thora anfangen und aufhören, wo die Thora
+
+ Wnnsch ab.
+ Wunsch ab.
+
+ ]
+
+
+
+
+
+
+End of Project Gutenberg's Jüdische Geschichten, by Jizchok Lejb Perez
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JÜDISCHE GESCHICHTEN ***
+
+***** This file should be named 36488-8.txt or 36488-8.zip *****
+This and all associated files of various formats will be found in:
+ http://www.gutenberg.org/3/6/4/8/36488/
+
+Produced by Norbert H. Langkau, Jana Srna and the Online
+Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
+
+
+Updated editions will replace the previous one--the old editions
+will be renamed.
+
+Creating the works from public domain print editions means that no
+one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
+(and you!) can copy and distribute it in the United States without
+permission and without paying copyright royalties. Special rules,
+set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
+copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
+protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project
+Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
+charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you
+do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
+rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose
+such as creation of derivative works, reports, performances and
+research. They may be modified and printed and given away--you may do
+practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is
+subject to the trademark license, especially commercial
+redistribution.
+
+
+
+*** START: FULL LICENSE ***
+
+THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
+PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
+
+To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
+distribution of electronic works, by using or distributing this work
+(or any other work associated in any way with the phrase "Project
+Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
+Gutenberg-tm License (available with this file or online at
+http://gutenberg.org/license).
+
+
+Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
+electronic works
+
+1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
+electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
+and accept all the terms of this license and intellectual property
+(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
+the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
+all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
+If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
+Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
+terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
+entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.
+
+1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
+used on or associated in any way with an electronic work by people who
+agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
+individual work is in the public domain in the United States and you are
+located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
+copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
+works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
+are removed. Of course, we hope that you will support the Project
+Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
+freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
+this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
+the work. You can easily comply with the terms of this agreement by
+keeping this work in the same format with its attached full Project
+Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.
+
+1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
+what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in
+a constant state of change. If you are outside the United States, check
+the laws of your country in addition to the terms of this agreement
+before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
+creating derivative works based on this work or any other Project
+Gutenberg-tm work. The Foundation makes no representations concerning
+the copyright status of any work in any country outside the United
+States.
+
+1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
+
+1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate
+access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
+whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
+phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
+Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
+copied or distributed:
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
+from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
+posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
+and distributed to anyone in the United States without paying any fees
+or charges. If you are redistributing or providing access to a work
+with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
+work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
+through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
+Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
+1.E.9.
+
+1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
+with the permission of the copyright holder, your use and distribution
+must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
+terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked
+to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
+permission of the copyright holder found at the beginning of this work.
+
+1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
+License terms from this work, or any files containing a part of this
+work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.
+
+1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
+electronic work, or any part of this electronic work, without
+prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
+active links or immediate access to the full terms of the Project
+Gutenberg-tm License.
+
+1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
+compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
+word processing or hypertext form. However, if you provide access to or
+distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
+"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
+posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
+you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
+copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
+request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
+form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
+License as specified in paragraph 1.E.1.
+
+1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
+performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
+unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
+
+1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
+access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
+that
+
+- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
+ the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
+ you already use to calculate your applicable taxes. The fee is
+ owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
+ has agreed to donate royalties under this paragraph to the
+ Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments
+ must be paid within 60 days following each date on which you
+ prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
+ returns. Royalty payments should be clearly marked as such and
+ sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
+ address specified in Section 4, "Information about donations to
+ the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
+
+- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
+ you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
+ does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
+ License. You must require such a user to return or
+ destroy all copies of the works possessed in a physical medium
+ and discontinue all use of and all access to other copies of
+ Project Gutenberg-tm works.
+
+- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
+ money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
+ electronic work is discovered and reported to you within 90 days
+ of receipt of the work.
+
+- You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg-tm works.
+
+1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
+electronic work or group of works on different terms than are set
+forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
+both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
+Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the
+Foundation as set forth in Section 3 below.
+
+1.F.
+
+1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
+effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
+public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
+collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
+works, and the medium on which they may be stored, may contain
+"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
+corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
+property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
+computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
+your equipment.
+
+1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
+of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
+Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
+Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
+liability to you for damages, costs and expenses, including legal
+fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
+LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
+PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
+TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
+LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
+INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
+DAMAGE.
+
+1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
+defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
+receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
+written explanation to the person you received the work from. If you
+received the work on a physical medium, you must return the medium with
+your written explanation. The person or entity that provided you with
+the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
+refund. If you received the work electronically, the person or entity
+providing it to you may choose to give you a second opportunity to
+receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy
+is also defective, you may demand a refund in writing without further
+opportunities to fix the problem.
+
+1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
+WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
+warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
+If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
+law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
+interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
+the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any
+provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
+
+1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
+providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
+with this agreement, and any volunteers associated with the production,
+promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
+harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
+that arise directly or indirectly from any of the following which you do
+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at http://pglaf.org
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit http://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations.
+To donate, please visit: http://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+ http://www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
diff --git a/36488-8.zip b/36488-8.zip
new file mode 100644
index 0000000..b911931
--- /dev/null
+++ b/36488-8.zip
Binary files differ
diff --git a/36488-h.zip b/36488-h.zip
new file mode 100644
index 0000000..036547f
--- /dev/null
+++ b/36488-h.zip
Binary files differ
diff --git a/36488-h/36488-h.htm b/36488-h/36488-h.htm
new file mode 100644
index 0000000..3bc34bf
--- /dev/null
+++ b/36488-h/36488-h.htm
@@ -0,0 +1,3966 @@
+<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN"
+"http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd">
+<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" lang="de" xml:lang="de">
+<head>
+<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=utf-8"/>
+<title>Jüdische Geschichten, by Jizchok Lejb Perez&mdash;A Project Gutenberg eBook</title>
+<link rel="coverpage" href="images/cover.jpg"/>
+<style type="text/css">
+<!--
+p
+{
+ text-align: justify;
+ text-indent: 1.5em;
+}
+
+p.center,
+#tnote p,
+#tnote-bottom p,
+p.drop-cap,
+.scene-description p
+{
+ text-indent: 0;
+}
+
+h1,
+h2,
+h3
+{
+ text-align: center;
+ clear: both;
+ font-weight: normal;
+}
+
+h1
+{
+ font-size: x-large;
+ margin: 6em auto 1.5em auto;
+}
+
+h2
+{
+ margin: 4em auto 1em auto;
+ line-height: 1.6em;
+}
+
+h3
+{
+ margin: 3em auto 1.5em auto;
+}
+
+a:link,
+a:visited
+{
+ text-decoration: none;
+}
+
+ins
+{
+ text-decoration: none;
+ border-bottom: 1px dashed #add8e6;
+}
+
+hr.thought-break
+{
+ visibility: hidden;
+ margin: 1.5em auto;
+}
+
+.gesperrt
+{
+ letter-spacing: 0.2em;
+ margin-right: -0.2em;
+}
+
+em.gesperrt
+{
+ font-style: normal;
+ font-weight: normal;
+}
+
+.antiqua
+{
+ font-style: italic;
+}
+
+.center
+{
+ text-align: center;
+}
+
+.figcenter
+{
+ text-align: center;
+ margin: 2em auto;
+}
+
+a[title].pagenum
+{
+ position: absolute;
+ right: 3%;
+}
+
+a[title].pagenum:after
+{
+ content: attr(title);
+ border: 1px solid silver;
+ display: inline;
+ font-size: x-small;
+ text-align: right;
+ color: #808080;
+ background-color: inherit;
+ font-style: normal;
+ padding: 1px 4px 1px 4px;
+ font-variant: normal;
+ font-weight: normal;
+ text-decoration: none;
+ text-indent: 0;
+ letter-spacing: 0;
+}
+
+.drop-cap
+{
+ margin-top: 1em;
+}
+
+.drop-cap:first-letter
+{
+ font-size: 3em;
+ float: left;
+ margin: -0.2em 0.1em 0 0;
+}
+
+.scene-description
+{
+ letter-spacing: 0.2em;
+ margin: 2em auto;
+}
+
+#tnote,
+#tnote-bottom
+{
+ max-width: 95%;
+ border: 1px dashed #808080;
+ background-color: #fafafa;
+ color: black;
+ text-align: justify;
+ padding: 0 0.75em;
+ margin: 6em auto;
+}
+
+#corrections
+{
+ list-style-type: none;
+ margin: 0;
+ padding: 0;
+}
+
+#corrections li
+{
+ margin: 0.5em 0.25em;
+}
+
+#corrections .correction
+{
+ text-decoration: underline;
+}
+
+@page
+{
+ margin: 0.25em;
+}
+
+@media screen
+{
+ body
+ {
+ width: 80%;
+ max-width: 45em;
+ margin: 0 auto;
+ }
+
+ p
+ {
+ margin: 0.5em auto;
+ }
+
+ #tnote
+ {
+ width: 26em;
+ }
+
+ #tnote-bottom
+ {
+ width: 29em;
+ }
+
+ .footnotes
+ {
+ margin-top: 4em;
+ border: 1px dashed #808080;
+ background-color: #fcfcfc;
+ color: black;
+ padding: 1em;
+ }
+
+ .fnanchor
+ {
+ vertical-align: super;
+ font-size: small;
+ line-height: 0;
+ }
+}
+
+@media print, handheld
+{
+ p
+ {
+ margin: 0;
+ }
+
+ #tnote,
+ #tnote-bottom
+ {
+ background-color: white;
+ color: black;
+ border: none;
+ width: 100%;
+ }
+
+ #tnote p,
+ #tnote-bottom p
+ {
+ margin: 0.25em 0;
+ }
+
+ #tnote .screen,
+ .pagenum
+ {
+ display: none;
+ }
+
+ ins
+ {
+ border: none;
+ }
+
+ a:link,
+ a:visited
+ {
+ color: black;
+ background-color: inherit;
+ }
+
+ #tnote,
+ #tnote-bottom,
+ h1,
+ h2,
+ .footnotes
+ {
+ page-break-before: always;
+ }
+}
+
+@media handheld
+{
+ body
+ {
+ margin: 0;
+ padding: 0;
+ width: 95%;
+ }
+
+ .gesperrt
+ {
+ letter-spacing: 0;
+ margin-right: 0;
+ }
+
+ em.gesperrt
+ {
+ font-style: italic;
+ }
+
+ #corrections li
+ {
+ margin: 0;
+ }
+}
+-->
+</style>
+<!--[if lt IE 8]>
+<style type="text/css">
+a[title].pagenum
+{
+ position: static;
+}
+</style>
+<![endif]-->
+</head>
+<body>
+
+
+<pre>
+
+The Project Gutenberg EBook of Jüdische Geschichten, by Jizchok Lejb Perez
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Jüdische Geschichten
+
+Author: Jizchok Lejb Perez
+
+Translator: Alexander Eliasberg
+
+Release Date: June 21, 2011 [EBook #36488]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JÜDISCHE GESCHICHTEN ***
+
+
+
+
+Produced by Norbert H. Langkau, Jana Srna and the Online
+Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
+
+
+
+
+
+
+</pre>
+
+
+
+<div id="tnote">
+<p class="center"><b>Anmerkungen zur Transkription:</b></p>
+<p>Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden
+übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler wurden
+korrigiert. <span class="screen">Änderungen sind im Text
+<ins title="so wie hier">so gekennzeichnet</ins>. Der
+Originaltext erscheint beim Überfahren mit der Maus.</span>
+Eine <a href="#tn-bottom">Liste der vorgenommenen Änderungen</a>
+findet sich am Ende des Textes.</p>
+</div>
+
+<h1>Jüdische Geschichten</h1>
+
+<p class="center" style="line-height: 1.7em;">Von<br/>
+<big>Jizchok Lejb Perez</big></p>
+
+<div class="figcenter" style="width: 120px; margin-top: 4em;">
+<img src="images/logo.png" width="100" height="100" alt=""/>
+</div>
+
+<p class="center" style="line-height: 1.3em;">Aus dem Jidischen<br/>
+übertragen von<br/>
+Alexander Eliasberg</p>
+
+<p class="center" style="margin-top: 1.5em;">Im Insel-Verlag / Leipzig</p>
+
+<h2><a class="pagenum" name="Page_3" title="3"> </a>Ein Zwiegespräch</h2>
+
+<p class="drop-cap">An einem Frühlingstage, einem richtigen warmen Pessachtage,
+gehen Reb Schachno, ein langer, magerer Jude, der letzte
+Überrest der alten Kozker Chassidim-Gemeinde, und Reb Sorach,
+ein ebenso magerer, doch kleingewachsener Jude, der letzte lebende
+Vertreter der alten Belzer<a name="FNanchor_1" href="#Footnote_1" class="fnanchor">(1)</a> Gemeinde, vor der Stadt spazieren.
+In ihren jüngeren Jahren waren sie Feinde auf Tod und Leben,
+denn Reb Schachno war der Anführer der Kozker gegen die
+Belzer, und Reb Sorach der Anführer der Belzer gegen die
+Kozker. Doch jetzt, wo sie beide alt geworden sind und die
+Kozker nicht mehr das sind, was sie früher waren, ebenso wie
+auch die Belzer ihr früheres Feuer verloren haben, sind sie aus
+den Parteien ausgetreten und haben die Führerschaft jüngeren
+Leuten überlassen, die in Glaubenssachen schwächer, sonst aber
+rüstiger sind als sie.</p>
+
+<p>An einem Wintertage, an der Ofenbank im Bethause haben
+sie Frieden geschlossen, und nun gehen sie am dritten Pessachfeiertage
+spazieren. Am weiten, blauen Himmel strahlt die Sonne,
+aus der Erde sprießen überall Halme, und man kann beinahe
+sehen, wie bei jedem Grashalme ein Engel steht und ihn zur
+Eile antreibt. Vögel schießen durch die Luft auf der Suche nach
+den vorjährigen Nestern. Und Reb Schachno sagt zu Reb Sorach:</p>
+
+<p>»Die Kozker Chassidim, die richtigen Kozker von altem Schrot
+und Korn &ndash; von den heutigen Kozkern spreche ich nicht! &ndash; hielten
+nicht viel von der Haggodo<a name="FNanchor_2" href="#Footnote_2" class="fnanchor">(2)</a>&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Doch um so mehr von den Mazzeknödeln!« lächelt Reb Sorach.</p>
+
+<p>»Lache nicht über die Knödel!« antwortet Reb Schachno sehr
+ernst. »Lache nicht! Du kennst doch die geheime Bedeutung des
+Bibelwortes: ›Du sollst den Knecht nicht seinem Herrn überantworten‹?«</p>
+
+<p>»Mir genügt es,« antwortet Reb Sorach stolz und überlegen,
+»daß ich die Verzückung des Gebets kenne.«</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_4" title="4"> </a>Reb Schachno tut so, als ob er es nicht gehört hätte, und
+fährt fort:</p>
+
+<p>»Der offenbare Sinn der Worte ist doch klar: wenn ein
+Knecht, ein Diener, ein Leibeigener seinem Herrn entläuft, darf
+man ihn, nach dem Gebote der Thora, nicht einfangen; man darf
+ihn nicht binden und seinem Herrn zurückbringen. Denn wenn
+ein Mensch entlaufen ist, so konnte er es wohl nicht länger aushalten
+&hellip; Es handelt sich also einfach um die Rettung einer
+Menschenseele! Und der verborgene Sinn dieser selben Worte
+ist ebenso einfach. Der Menschenleib ist ein Knecht, der Knecht
+der Seele! Der Leib ist ein Lüstling: sieht er ein Stück Schweinefleisch,
+oder eine fremde Frau, oder irgendeinen Götzendienst,
+oder ich weiß nicht was, &ndash; so will er aus der Haut fahren. Doch
+die Seele wehrt es ihm und spricht: ›Du sollst nicht sündigen!‹
+und er muß sich fügen. Ebenso umgekehrt: will die Seele irgendein
+göttliches Gebot erfüllen, so muß es der Leib für sie tun,
+und wenn er noch so müde und zerschlagen ist: die Hände müssen
+arbeiten, die Füße laufen, der Mund sprechen &hellip; Warum?
+Weil es ihm sein Herr, das heißt die Seele, befohlen hat. Und
+dennoch heißt es: ›Du sollst den Knecht nicht seinem Herrn überantworten.‹
+Man darf also den Leib nicht ganz an die Seele
+ausliefern: die flammende Seele würde ihn sonst zu Asche verbrennen,
+und hätte der Schöpfer Seelen ohne Leiber haben
+wollen, so hätte er überhaupt keine Welt erschaffen! Darum hat
+auch der Leib seine Rechte; es steht geschrieben: ›Wer zu viel
+fastet, ist Sünder‹; denn der Leib muß essen! Wer fahren will,
+muß seinen Gaul füttern. Kommt irgendein Feiertag, so freue
+auch du dich, Leib! Nimm einen Schluck Branntwein! Die
+Seele hat ihre Freude, und auch der Leib hat seine Freude: die
+Seele erfreut sich am Segensspruch, den man dabei sprechen
+muß, und der Leib &ndash; am Branntwein selbst! Heut ist Pessach,
+das Fest der Erinnerung an unsere Befreiung aus Ägypten, &ndash;
+komm her, Leib, da hast du einen Mazzeknödel! Und der Leib
+fühlt sich dadurch gehoben; denn er wird teilhaftig der wahren
+Freude, die in der Erfüllung eines göttlichen Gebots liegt &hellip;
+Lache nicht über die Knödel, mein Lieber, lache nicht!«</p>
+
+<p>Reb Sorach muß gestehen, daß die Auslegung tief ist und sich
+<a class="pagenum" name="Page_5" title="5"> </a>
+hören lassen kann. Er ißt aber aus Prinzip keinerlei aus Mazzes
+hergestellte Speisen!</p>
+
+<p>»In diesem Falle hast du deine Freude an der trockenen Mazze
+selbst&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Wer hat genug Mazzes, um sich satt zu essen? Und wer hat
+noch Zähne, um sie zu beißen?«</p>
+
+<p>»Wie erfüllst du dann das Gebot: ›An deinen Festen sollst du
+dich freuen‹ in bezug auf den Leib?«</p>
+
+<p>»Weiß ich? Manchmal hat der Leib Freude an einem Schluck
+Rosinenwein &hellip; Ich persönlich habe meine größte Freude an
+der Haggodo selbst. Ich sitze da, lese die Haggodo, zähle die
+ägyptischen Plagen auf, verdoppele sie und lese sie immer von
+neuem&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Du roher Kerl!«</p>
+
+<p>»Roher Kerl? Nach so vielen Verfolgungen, die das Volk
+Israel erlitten, nach so vielen Jahren der Verbannung der göttlichen
+Majestät aus ihrem Tempel? Ich meine, man hätte einführen
+sollen, daß die zehn Plagen siebenmal aufgezählt werden &hellip;
+Daß das Gebet ›Ergieße deinen Zorn, Herr, auf die Völker, die
+dich nicht anbeten!‹ siebenmal gesprochen wird! Doch vor allen
+Dingen die ägyptischen Plagen &ndash; die machen mir die größte
+Freude! Ich würde sie am liebsten bei offenen Türen und Fenstern
+aufzählen: sollen <em class="gesperrt">sie</em> es nur hören! Was habe ich zu fürchten?
+Die heilige Sprache verstehen sie ja sowieso nicht!«</p>
+
+<p>Reb Schachno wird für eine Weile nachdenklich, und dann beginnt
+er wie folgt:</p>
+
+<p>»Ich will dir eine Geschichte erzählen, die bei uns passiert ist.
+Ich will nicht übertreiben &ndash; etwa zehn Häuser vom Hause des
+gottseligen Rabbi entfernt wohnte ein Metzger. Ich will nicht
+mit dem Munde sündigen; denn der Mann ist schon längst auf
+jener Welt, &ndash; aber der Metzger war ein roher Mensch, nun eben
+ein echter Metzger. Einen Nacken hatte er wie ein Stier, Augenbrauen
+wie Borsten und Hände wie Klötze. Und erst seine
+Stimme! Wenn er sprach, klang es wie ein ferner Donner oder
+wie wenn Soldaten schießen! Ich glaube sogar, er stammte aus
+Belz&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Na, na!« brummt Reb Sorach.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_6" title="6"> </a>»So wahr ich lebe!« erwidert Reb Schachno kaltblütig. »Zu
+beten pflegte er mit einer besonders wilden Stimme, mit allerlei
+Nebengeräuschen. Bei manchen Gebeten klang es, wie wenn
+man Wasser ins Feuer schüttet&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Das kannst du dir schenken!«</p>
+
+<p>»Nun stelle dir vor, was für einen Lärm es gibt, wenn sich so
+ein Kerl an den Pessachtisch setzt und die Haggodo liest! In der
+Wohnung des Rabbi hört man jedes Wort! Nun, ein Metzger
+ist eben ein Metzger. Alle Tischgenossen beim Rabbi lachen.
+Und selbst der Rabbi, seligen Angedenkens, bewegt leise die
+Lippen, und man sieht, daß er lächelt. Doch später, als der
+Bursche anfing, die Plagen aufzuzählen, als sie ihm aus dem
+Maule herausflogen wie Flintenkugeln, als er bei jeder Plage
+mit der Faust auf den Tisch hämmerte, so daß die Weinbecher
+klirrten, &ndash; wurde der Rabbi, sein Andenken sei gesegnet, sehr
+traurig&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Traurig? Am Feiertage, am heiligen Pessachfeste &ndash; traurig?
+Was redest du da?«</p>
+
+<p>»Man fragte ihn auch nach der Ursache.«</p>
+
+<p>»Und was gab er für eine Antwort?«</p>
+
+<p>»Auch der Schöpfer der Welt, sagte er, ist beim Auszuge
+Israels aus Ägypten traurig gewesen.«</p>
+
+<p>»Wo hat er das her?«</p>
+
+<p>»Es steht in einem Midrasch! Als die Kinder Israels durch
+das Meer gezogen waren und das Meer zurückfloß und Pharao
+mit seinem ganzen Heere bedeckte und ertränkte, fingen die Engel
+zu singen an, die Seraphim flogen, und die Räder, auf denen
+Gottes Thron ruht, rollten durch alle sieben Himmel, jauchzend
+ob der guten Botschaft. Und die Gestirne und Sternenbilder
+fingen zu tanzen an! Du kannst dir denken, was für eine Freude
+es war, als es hieß: Die ganze Unreinheit ist ins Meer versunken!
+Doch der Schöpfer der Welt gebot allen Ruhe und sprach von
+seinem Throne herab: ›Meine Kinder ertrinken im Meere, und
+ihr singt und tanzt?‹ Denn Pharao und sein ganzes Heer und
+selbst alle Unreinheit &ndash; sind Gottes Geschöpfe &hellip; ›Und der
+Herr erbarmte sich seiner Schöpfung‹ &ndash; so steht es geschrieben!«</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_7" title="7"> </a>»Von mir aus&nbsp;&hellip;«, seufzt Reb Sorach. Nach einer Weile
+fragt er:</p>
+
+<p>»Und wenn das schon in einem Midrasch steht, was hat da
+dein Rabbi Neues entdeckt?«</p>
+
+<p>Reb Schachno bleibt stehen und sagt sehr ernst:</p>
+
+<p>»Erstens, du Belzer Narr, ist niemand verpflichtet, neue Auslegungen
+zu geben: in der Thora gibt es nichts Neues und nichts
+Altes, das Neue ist alt, und das Alte neu. Zweitens wird
+damit erklärt, warum es Sitte ist, die ganze Haggodo mit einer
+traurigen Melodie zu singen. Und drittens verstehen wir
+jetzt den Vers: ›Israel soll sich nicht erfreuen nach der Art der
+anderen Völker.‹ Deine Freude soll nicht roh sein! Du bist doch
+kein Bauer! Rachlust ist kein jüdisch Ding!«</p>
+
+<h2>Wenn nicht noch höher!</h2>
+
+<p class="drop-cap">Und der Rebbe von Nemirow pflegte alljährlich um die Selichoszeit<a name="FNanchor_3" href="#Footnote_3" class="fnanchor">(3)</a>
+jeden Morgen zu verschwinden.</p>
+
+<p>Er war nirgends zu finden: weder in der Schul, noch in den
+beiden Lehrhäusern, noch in einem der Betzirkel; und bei sich zu
+Hause schon ganz gewiß nicht. Seine Wohnung stand offen; jeder,
+wer nur wollte, konnte hineingehen; gestohlen wurde beim Rebben
+<em class="gesperrt">niemals</em>. Doch in der Wohnung war keine Menschenseele.</p>
+
+<p>Wo kann der Rebbe sein?</p>
+
+<p>Wo soll er sein? Selbstverständlich im Himmel! Hat denn
+so ein Rebbe vor den Schrecklichen Tagen<a name="FNanchor_4" href="#Footnote_4" class="fnanchor">(4)</a> wenig auszurichten?
+Juden brauchen, unberufen, Lebensunterhalt, Frieden, Gesundheit,
+gute Partien für die Kinder; sie wollen gut und fromm
+sein, doch die Sünden sind groß, und der Satan durchschaut mit
+seinen tausend Augen die Welt von einem Ende bis zum anderen
+und sieht alles und zeigt jede Kleinigkeit an &hellip; Und wer soll
+helfen, wenn nicht der Rebbe?</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_8" title="8"> </a>So dachte sich die ganze Gemeinde.</p>
+
+<p>Einmal kommt aber in die Stadt ein Litwak<a name="FNanchor_5" href="#Footnote_5" class="fnanchor">(5)</a>. Er lacht! Ihr
+wißt doch, was ein Litwak ist: von Andachtsbüchern hält er gar
+nichts, dafür stopft er sich den Kopf mit Talmudabschnitten und
+Bibelstellen voll. Und dieser Litwak weist aus dem Talmud nach
+&ndash; er sticht einem damit förmlich die Augen aus&nbsp;&ndash;, daß selbst
+Moses bei Lebzeiten kein einziges Mal in den Himmel kam, sondern
+stets zehn Handbreiten unter dem Himmel zurückblieb! Geh
+einer und streite mit einem Litwak!</p>
+
+<p>»Wo kommt also der Rebbe hin?«</p>
+
+<p>»Meine Sorge!« antwortet er und zuckt die Achsel; und wie
+er das sagt, faßt er schon den Entschluß &ndash; was ein Litwak nicht
+alles kann! &ndash; der Sache auf den Grund zu gehen.</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>Noch am selben Abend, bald nach dem Abendgebet, stiehlt sich
+der Litwak ins Zimmer des Rebben hinein, kriecht unter des
+Rebben Bett und liegt. Er will die Nacht durchwachen und sehen,
+was der Rebbe vor Morgengrauen, wenn die Leute zu den Selichos
+gehen, anfängt.</p>
+
+<p>Jemand anderer an seiner Stelle würde einschlummern und
+die Zeit verschlafen; doch ein Litwak weiß immer Rat: um sich
+wach zu halten, nimmt er im Kopfe einen ganzen Talmudabschnitt
+durch; ich weiß nicht mehr, ob es der Abschnitt »Von den Schlachtungen«
+oder der »Von den Gelübden« war.</p>
+
+<p>Vor Morgengrauen hört er, wie man an die Läden klopft, um
+die Leute zum Gebet zu rufen.</p>
+
+<p>Der Rebbe war schon lange wach. Der Litwak hörte ihn schon
+seit einer Stunde seufzen.</p>
+
+<p>Jeder, der den Nemirower Rebben nur einmal seufzen hörte,
+weiß, welche Trauer um das ganze Volk Israel, welche Seelenqual
+in jedem seiner Seufzer steckt &hellip; Es wird einem ganz
+bange ums Herz, wenn man ihn seufzen hört! Ein Litwak hat
+aber doch ein Herz aus Eisen: er hört zu und bleibt ruhig liegen!
+So liegen sie beide: der Rebbe &ndash; leben soll er! &ndash; <em class="gesperrt">auf</em> dem Bett,
+der Litwak <em class="gesperrt">unter</em> dem Bett.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_9" title="9"> </a>Etwas später hört der Litwak, wie im ganzen Hause die Betten
+zu knarren beginnen, wie die Hausleute aufstehen, wie hie und
+da ein jüdisches Wort fällt; wie das Wasser in die Waschbecken
+fließt, und wie die Türen auf- und zugemacht werden &hellip; Dann
+verlassen alle das Haus; es wird wieder still; im Zimmer ist es
+finster; nur ein schwacher Mondstrahl dringt durch einen Spalt
+im Laden&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Später gestand der Litwak, daß, als er allein mit dem Rebben
+geblieben war, ihn ein Grauen befallen hatte. Es überlief ihn
+heiß und kalt vor Angst, und die Wurzeln seiner Schläfenlocken
+stachen ihn wie Nadeln.</p>
+
+<p>Es ist doch wirklich keine Kleinigkeit: mit dem Rebben allein,
+beim Morgengrauen in der Selichoszeit!&hellip;</p>
+
+<p>Ein Litwak ist aber starrköpfig: er zittert wie ein Fisch im
+Wasser und &ndash; liegt!</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>Endlich steht der Rebbe auf&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Zunächst wäscht er sich und verrichtet alles, was ein Jude am
+Morgen verrichten muß. Dann geht er zum Schrank und holt
+ein Bündel hervor; im Bündel sind Bauernkleider: ein Paar
+Leinenhosen, Schaftstiefel, ein Bauernrock, eine große Pelzmütze
+und ein breiter, mit Messingnägeln verzierter Ledergurt.</p>
+
+<p>Und der Rebbe zieht alle die Kleider an.</p>
+
+<p>Aus der Rocktasche hängt das Ende eines dicken Bauernstrickes
+heraus.</p>
+
+<p>Der Rebbe geht aus dem Zimmer, der Litwak geht ihm nach.</p>
+
+<p>Der Rebbe geht in die Küche, bückt sich, holt unter dem Bett
+eine Axt hervor, steckt sie sich hinter den Gurt und verläßt das
+Haus.</p>
+
+<p>Der Litwak zittert, bleibt aber nicht zurück.</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>Ein stilles Grauen, das Grauen der Selichoszeit lagert über
+den dunklen Gassen. Hie und da dringt der Aufschrei eines
+Betenden aus einem der Betzirkel oder das Stöhnen eines
+Kranken aus einem Fenster .. Der Rebbe schleicht an den
+Mauern entlang, immer im Schatten der Häuser &hellip; So
+<a class="pagenum" name="Page_10" title="10"> </a>
+schwimmt er aus einem Schatten in den anderen, und der Litwak
+schwimmt ihm nach&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Und der Litwak hört, wie das laute Pochen seines eigenen
+Herzens sich mit den schweren Tritten des Rebben vermengt.
+Er bleibt aber trotzdem nicht zurück und gelangt zusammen mit
+dem Rebben vor die Stadt.</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>Vor der Stadt gibt es ein Wäldchen.</p>
+
+<p>Der Rebbe &ndash; leben soll er! &ndash; geht ins Wäldchen. Nach dreißig,
+vierzig Schritten bleibt er vor einem jungen Baum stehen. Der
+Litwak sieht mit Bestürzung, wie der Rebbe die Axt aus dem Gürtel
+zieht und auf den Baumstamm einschlägt.</p>
+
+<p>Er sieht, wie der Rebbe immer wieder ausholt; er hört, wie
+der Baum ächzt und knackt. Der Baum fällt, und der Rebbe
+spaltet den Stamm in Klötze, dann die Klötze in Späne. Dann
+macht er aus den Spänen eine Tracht Holz, umbindet sie mit
+dem Strick, den er in der Tasche hatte, lädt sie sich auf den Rücken,
+steckt die Axt wieder in den Gürtel und geht zur Stadt zurück.</p>
+
+<p>In der hintersten Gasse bleibt er vor einem kleinen, halb eingefallenen
+Häuschen stehen und klopft ans Fenster.</p>
+
+<p>»Wer klopft?« fragt eine erschrockene Stimme aus dem
+Häuschen. Der Litwak erkennt, daß es die Stimme einer Jüdin,
+einer kranken Jüdin ist.</p>
+
+<p>»Ich bin es!« antwortet der Rebbe auf kleinrussisch.</p>
+
+<p>»Wer bist du?« fragt wieder die Frauenstimme.</p>
+
+<p>»Wassil!« antwortet der Rebbe.</p>
+
+<p>»Was für ein Wassil? Und was willst du, Wassil?«</p>
+
+<p>»Ich habe Holz zu verkaufen!« sagt der angebliche Wassil.
+»Sehr billig, so gut wie umsonst!«</p>
+
+<p>Und ohne die Antwort abzuwarten, tritt der Rebbe ins Haus.</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>Der Litwak schleicht ihm nach und sieht im fahlen Morgenlichte
+eine ärmliche Stube, zerbrochenes Hausgerät &hellip; Im Bette
+liegt eine kranke Jüdin, in Lumpen gehüllt, und sie spricht mit
+erbitterter Stimme:</p>
+
+<p>»Kaufen? Womit soll ichs kaufen? Wo soll ich arme Witwe
+Geld hernehmen?«</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_11" title="11"> </a>»Ich will es dir borgen!« antwortet der falsche Wassil. »Es
+sind im ganzen sechs Groschen!«</p>
+
+<p>»Wie soll ich sie dir bezahlen?« stöhnt die arme Jüdin.</p>
+
+<p>»Törichte Frau!« spricht der Rebbe vorwurfsvoll. »Sieh:
+du bist arm und krank, und ich traue dir das bißchen Holz: <em class="gesperrt">ich
+vertraue</em> dir, daß du es mir bezahlen wirst. Und du hast einen
+so großen, so starken Gott und vertraust ihm nicht &hellip; Du traust
+ihm nicht einmal die dummen sechs Groschen für eine Tracht
+Holz!«</p>
+
+<p>»Und wer wird einheizen?« stöhnt die Witwe. »Habe ich denn
+die Kraft aufzustehen? Mein Sohn ist schon fort auf die Arbeit.«</p>
+
+<p>»Ich will auch einheizen,« sagt der Rebbe.</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>Und während er das Holz in den Ofen legte, sprach der Rebbe
+stöhnend den ersten Abschnitt der Selichos&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Und als er Feuer gemacht, und das Holz lustig zu flackern
+begann, sprach er, schon etwas lustiger, den zweiten Abschnitt&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Und den dritten Abschnitt sprach er, als das Holz richtig
+brannte und er das Ofenblech schloß&nbsp;&hellip;</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>Der Litwak, der das alles gesehen, wurde von nun an Nemirower
+Chassid.</p>
+
+<p>Und sooft später jemand erzählte, daß der Nemirower Rebbe
+alljährlich zur Selichoszeit jeden Morgen die Erde verlasse und
+in den Himmel fliege, lachte der Litwak nicht mehr, sondern
+fügte still hinzu:</p>
+
+<p>»Wenn nicht noch höher!«</p>
+
+<h2>Die Kabbalisten</h2>
+
+<p class="drop-cap">In schlechten Zeiten sinkt sogar die beste Ware &ndash; die göttliche
+Wissenschaft &ndash; im Werte. Und so ist von der Laschtschower
+Jeschiwo<a name="FNanchor_6" href="#Footnote_6" class="fnanchor">(6)</a> schließlich nichts übriggeblieben als der Rosch-Jeschiwo
+Reb Jekel und ein einziger Schüler.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_12" title="12"> </a>Der Rosch-Jeschiwo ist ein alter, hagerer Mann mit langem,
+zerzaustem Bart und erloschenen Augen. Lemech, sein einziger
+Schüler, ist ein langer, schmächtiger Jüngling mit blassem Gesicht,
+schwarzen Schläfenlocken, schwarzen, meistens gesenkten
+Augen, trockenen Lippen und einer spitz hervortretenden, zitternden
+Gurgel. Beide tragen geflickte Röcke, die vorn offen stehen und
+den nackten Leib &ndash; denn sie haben keine Hemden an &ndash; sehen
+lassen. Der Rosch-Jeschiwo schleppt mit großer Mühe ein Paar
+schwere Bauernstiefel; dem Schüler fallen seine viel zu großen
+Stadtschuhe von den bloßen Füßen; denn er hat keine Socken.</p>
+
+<p>Das ist alles, was von der einst so berühmten Jeschiwo übriggeblieben
+ist!</p>
+
+<p>Die verarmten Einwohner des Städtchens schickten immer
+weniger Essen und luden die Schüler immer seltener zu Mahlzeiten
+ein. Darum verzogen sich die armen Schüler nach anderen
+Städten. Reb Jekel will aber hier sterben, und sein Schüler
+will ihm die Scherben auf die Augen legen.</p>
+
+<p>Sie beide müssen viel hungern. Und wenn man wenig ißt,
+schläft man auch wenig. Und nach schlaflosen Nächten und
+vielen Hungertagen bekommt man Lust zur Kabbala!</p>
+
+<p>Wenn man schon ganze Nächte durchwacht und tagelang
+hungert, so will man davon wenigstens einen Nutzen haben:
+durch Fasten und Kasteiungen kann man ja erreichen, daß sich
+alle Tore der Welt öffnen und alle Geheimnisse, Engel und Geister
+offenbar werden!</p>
+
+<p>So beschäftigen sich die beiden seit längerer Zeit mit der Kabbala.</p>
+
+<p>Sie sitzen an einem langen Tisch in der leeren Stube. Bei
+den anderen Juden ist es schon nach dem Essen, doch bei den
+beiden noch vor dem Frühstück. Sie sind es aber gewohnt. Der
+Rosch-Jeschiwo hat seine Augen halb geschlossen und redet; der
+Schüler hält den Kopf in beide Hände gestützt und lauscht.</p>
+
+<p>»Es gibt darin«, sagt der Rosch-Jeschiwo, »vielerlei Stufen
+der Vervollkommnung: einer kennt ein Stückchen, ein anderer
+die Hälfte, und ein dritter die ganze Melodie. Der Rebbe,
+seligen Angedenkens, kannte zum Beispiel die ganze Melodie,
+sogar mit einem Nachspiel. &ndash; Und ich«, fügt er traurig hinzu,
+<a class="pagenum" name="Page_13" title="13"> </a>
+»bin nur der Gnade teilhaftig geworden, ein ganz kleines Stückchen
+zu kennen &ndash; kaum so groß&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>Er mißt auf seinem dürren Finger ein winziges Endchen ab
+und fährt fort:</p>
+
+<p>»Es gibt Melodien, die Worte haben müssen &hellip; Das ist die
+niedrigste Stufe. Und es gibt eine höhere Stufe: die Melodie
+braucht keine Worte; sie wird ohne Worte gesungen, als reine
+Melodie &hellip; Aber auch diese Melodie bedarf einer Stimme und
+braucht Lippen, durch die sie dringt! Und Lippen sind &ndash; du verstehst
+mich doch? &ndash; etwas Körperliches. Daher ist auch die
+Stimme, wenn auch eine edle Form des Körperlichen, aber
+immerhin etwas Körperliches! Nehmen wir an, daß die Stimme
+auf der Grenze zwischen Geistigem und Körperlichem steht!</p>
+
+<p>»Doch in jedem Falle ist die Melodie, die der Stimme bedarf
+und von den Lippen abhängt, noch nicht ganz rein, nicht ganz
+geistig!</p>
+
+<p>»Die richtige, höchste Melodie wird aber ganz ohne Stimme
+gesungen &hellip; Sie tönt im Innern des Menschen, in seinem
+Herzen, in allen Gliedern. So sind die Worte des Königs David
+zu verstehen: ›Alle meine Gebeine lobpreisen Gott!‹ Im Marke
+der Knochen muß es tönen, und das ist das schönste Loblied auf
+den Herrn, gesegnet sei sein Name! Denn eine solche Melodie
+ist nicht von einem Wesen aus Fleisch und Blut erfunden. Sie
+ist ein Teil jener Melodie, mit der Gott die Welt erschaffen hat,
+ein Teil der Seele, die er ihr eingegeben hat &hellip; So singen die
+himmlischen Heerscharen!&hellip;«</p>
+
+<p>Der Vortrag wurde unterbrochen durch das Erscheinen eines
+zerlumpten Burschen mit einem Strick um die Lenden. Er trat
+in die Stube, stellte auf den Tisch vor den Rosch-Jeschiwo eine
+Schüssel Grütze, legte ein Stück Brot dazu und sagte mit roher
+Stimme:</p>
+
+<p>»Reb Tewel schickt dem Rosch-Jeschiwo sein Essen!« Und
+bei der Tür wandte er sich noch einmal um und fügte hinzu: »Ich
+komme später die Schüssel holen!«</p>
+
+<p>Durch die Stimme des Burschen aus den himmlischen Harmonien
+gerissen, stand der Rosch-Jeschiwo mühselig auf und
+schleppte sich in seinen schweren Stiefeln zum Wassergefäß bei
+<a class="pagenum" name="Page_14" title="14"> </a>
+der Tür, um sich die Hände zu waschen. Im Gehen sprach er
+weiter, doch mit weniger Inbrunst als vorhin, und der Schüler
+verfolgte ihn von seinem Platze aus mit leuchtenden Augen und
+lauschenden Ohren.</p>
+
+<p>»Ich bin aber nicht einmal für würdig befunden,« sagt traurig
+der Rosch-Jeschiwo, »zu wissen, auf welcher Stufe dieses erreicht
+werden kann, bei welchem Tor des Himmels &hellip; Weißt du,«
+gibt er lächelnd zu, »die nötigen Kasteiungen und Betübungen
+kenne ich wohl, und ich werde sie dir, vielleicht noch heute, mitteilen!«</p>
+
+<p>Dem Schüler springen schier die Augen heraus, er sitzt mit
+offenem Munde da und fängt jedes Wort des Meisters mit Gier
+auf. Doch der Meister bricht ab &hellip; Er wäscht sich die Hände,
+trocknet sie ab, spricht die vorgeschriebene Gebetformel, geht
+zurück zum Tisch und spricht mit bebenden Lippen das Gebet
+über den Bissen Brot.</p>
+
+<p>Und er ergreift mit zitternden Händen die Schüssel, und der
+warme Dampf verdeckt sein ausgemergeltes Gesicht. Dann setzt
+er die Schüssel wieder auf den Tisch, nimmt mit der Rechten
+den Löffel und wärmt die Linke am Rande der Schüssel. Dabei
+zerkaut er mit seinem zahnlosen Munde langsam den Bissen Brot,
+über den er das Gebet gesprochen hat.</p>
+
+<p>Als Gesicht und Hände warm geworden sind, legt er seine
+Stirn in Falten, spitzt die dünnen blauen Lippen und beginnt
+zu blasen. Der Schüler starrt ihn unverwandt an. Doch als die
+zitternden Lippen des Greises dem ersten Löffel Grütze entgegeneilen,
+packt ihn etwas am Herzen: er bedeckt sein Gesicht mit den
+Händen und schrumpft gleichsam ein.</p>
+
+<p>Nach einer Weile kam ein anderer Bursche, ebenfalls mit einer
+Schüssel Grütze und einem Stück Brot, und sagte:</p>
+
+<p>»Reb Jojssef schickt dem Schüler sein Frühstück!«</p>
+
+<p>Doch der Schüler zog die Hände vom Gesicht nicht fort. Der
+Rosch-Jeschiwo legte seinen Löffel weg und ging an den Schüler
+heran. Einige Zeit betrachtete er ihn mit Stolz und Liebe, dann
+berührte er seine Schulter:</p>
+
+<p>»Man hat dir Essen gebracht!« weckte er ihn mit freundlicher
+Stimme.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_15" title="15"> </a>Der Schüler nahm seine Hände langsam und unwillig vom
+Gesicht weg. Das Gesicht war noch blasser geworden, und die
+Augen brannten noch unheimlicher.</p>
+
+<p>»Ich weiß, Rebbe!« antwortete er. »Doch ich werde heute
+nicht essen.«</p>
+
+<p>»Den vierten Tag fasten?« fragte der Rosch-Jeschiwo erstaunt.
+»Und ohne mich?« fügte er etwas beleidigt hinzu.</p>
+
+<p>»Es ist ein eigener Fasttag,« antwortete der Schüler. »Ich
+faste heute zur Buße&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Was redest du? Wie kommst du zur Buße?«</p>
+
+<p>»Gewiß, Rebbe! Ich muß büßen&nbsp;&hellip;, weil ich vor einem Augenblick,
+als Ihr zu essen begannt, gegen das Gebot ›Laß dich nicht
+gelüsten‹ sündigte!«</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>In der folgenden Nacht weckte der Schüler den Lehrer. Die
+beiden schliefen einander gegenüber auf Bänken in der Lehrstube.</p>
+
+<p>»Rebbe, Rebbe!« rief der Schüler mit schwacher Stimme.</p>
+
+<p>»Was ist?« Der Rosch-Jeschiwo erwachte und erschrak.</p>
+
+<p>»Ich war soeben auf dem höchsten Gipfel&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Wieso?« fragt der Rosch-Jeschiwo, noch etwas verschlafen.</p>
+
+<p>»Es hat <em class="gesperrt">in mir</em> gesungen!«</p>
+
+<p>»Wieso? Wieso?«</p>
+
+<p>»Das weiß ich selbst nicht, Rebbe,« antwortete der Schüler
+kaum hörbar. »Ich konnte nicht einschlafen und vertiefte mich
+in Euren Vortrag &hellip; Ich wollte um jeden Preis jene Melodie
+kennen lernen &hellip; Und vor großem Kummer, daß ich es nicht
+konnte, fing ich zu weinen an &hellip; Alles weinte in mir, alle
+meine Glieder weinten vor dem Schöpfer der Welt! Und dabei
+machte ich die Gebetübungen, die Ihr mich gelehrt habt, doch
+seltsam: nicht mit dem Munde, sondern tief im Innern! Und
+plötzlich wurde es so hell. Ich hielt die Augen geschlossen, und
+doch war es um mich hell, sehr hell, blendend hell&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Recht so!« sagte der Alte, sich vorbeugend.</p>
+
+<p>»Und vor dieser Helle wurde mir so gut, so leicht &hellip; Es war
+mir, als ob ich keine Schwere mehr hätte, als ob mein Leib jedes
+Gewicht verloren hätte und fliegen könnte&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_16" title="16"> </a>»Recht so!«</p>
+
+<p>»Dann wurde es mir so lustig, so lebendig zumute &hellip; Mein
+Gesicht blieb unbeweglich, meine Lippen rührten sich nicht, und
+doch lachte ich &hellip; Lachte so gut, so herzlich, so fröhlich&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»So, so! Ganz recht: in höchster Freude&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Dann summte etwas in mir, wie der Anfang einer Melodie&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>Der Rosch-Jeschiwo sprang von seiner Bank auf und war mit
+einem Satz beim Schüler.</p>
+
+<p>»Und weiter?«</p>
+
+<p>»Und weiter fühlte ich, wie es in mir zu singen anfing&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Was hast du dabei gefühlt? Was? Was? Sag!&hellip;«</p>
+
+<p>»Ich fühlte, daß alle meine Sinne geschlossen und verstopft
+sind, und in mir inwendig etwas singt &hellip; Ganz wie es sich gehört:
+ohne Worte und ohne Töne, so&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Wie? Wie?«</p>
+
+<p>»Nein, ich kann es nicht &hellip; Früher konnte ich es noch &hellip;
+Dann wurde aus dem Singen&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Was wurde aus dem Singen? Was?«</p>
+
+<p>»Eine Art Musik &hellip; Gleich als ob ich in mir eine Geige hätte,
+oder als ob in meinem Innersten der Spielmann Jojne säße und
+eines der Stücke spielte, die er beim Rabbi an der Tafel spielt!
+Es klang aber noch viel schöner, edler, trauriger! Und alles ohne
+Töne, ganz ohne Töne, rein geistig&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Wohl dir! Wohl dir! Wohl dir!«</p>
+
+<p>»Und nun ist alles weg!« sagt der Schüler sehr traurig.
+»Meine Sinne sind wieder erwacht, und ich bin so müde, so
+furchtbar müde, daß ich&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Rebbe!« schreit er plötzlich auf, sich an die Brust greifend.
+»Rebbe, sprecht mir das Sterbegebet vor! Man ist mich holen
+gekommen! Sie brauchen dort oben einen neuen Chorjungen!
+Ein Engel mit weißen Flügeln&hellip; Rebbe! Rebbe! Schma
+Ißroel!<a name="FNanchor_7" href="#Footnote_7" class="fnanchor">(7)</a> Schma&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>Das ganze Städtchen wünschte sich einen solchen Tod. Doch
+dem Rosch-Jeschiwo war es zu wenig.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_17" title="17"> </a>»Noch einige Fasttage,« seufzte er, »und er wäre noch ganz
+anders gestorben: durch einen Kuß von Gottes Munde!«</p>
+
+<h2>Berl der Schneider</h2>
+
+<p class="drop-cap">Erew Jom-Kippur &ndash; Vorabend des Versöhnungstages &ndash; in
+der Berditschewer Schul. Es senkt sich die Nacht. Die
+alten Leute haben bereits vor dem Thoraschreine das Gebet: »Mit
+Wissen des Schöpfers und mit Wissen der Schöpfung&nbsp;&hellip;« gesprochen
+und sind auf ihre Plätze zurückgekehrt. Rabbi Levi-Jizchok
+steht am Vorbeterpult: er soll das Kol-Nidrej anstimmen,
+doch er schweigt.</p>
+
+<p>Alle Blicke hängen an seinem Rücken. In der Weiberabteilung
+ist es still wie auf dem Meere vor dem Sturme. Vielleicht
+wird er zuvor, wie er das schon manchmal tat, einige Worte
+sprechen, wird sich in der gemeinen Volkssprache mit dem Schöpfer
+der Welt auseinandersetzen, wie ein Mensch mit seinem Nächsten
+spricht.</p>
+
+<p>Aber Rabbi Levi-<ins title="Jizchock">Jizchok</ins> steht, in Kittel<a name="FNanchor_8" href="#Footnote_8" class="fnanchor">(8)</a> und Gebetmantel
+gehüllt, vor dem Pulte und schweigt.</p>
+
+<p>Was hat das zu bedeuten?</p>
+
+<p>Sind die Tore des Gebets zu einer so späten Stunde noch geschlossen?
+Hat Rabbi Levi-Jizchok nicht die Kraft anzuklopfen?
+Er hält seinen Kopf etwas geneigt, wie lauschend; lauscht er, ob
+man die Tore nicht schon aufschließt?</p>
+
+<p>Und plötzlich wendet sich Rabbi Levi-Jizchok um und ruft:</p>
+
+<p>»Schuldiener!«</p>
+
+<p>Der Schuldiener eilt zu ihm hin, und der Rabbi fragt:</p>
+
+<p>»Ist Berl der Schneider noch nicht da?«</p>
+
+<p>Die Gemeinde ist vor Erstaunen wie versteinert. Der Schuldiener
+stammelt: »Ich weiß nicht&nbsp;&hellip;« und sieht sich um. Auch
+Rabbi Levi-Jizchok mustert die Anwesenden.</p>
+
+<p>»Nein, er ist noch nicht da!« sagt er schließlich. »Ist zu Hause
+geblieben.« Und dann wendet er sich wieder zum Schuldiener:</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_18" title="18"> </a>»Geh zu Berl dem Schneider ins Haus und ruf ihn her!
+Ich, Levi-Jizchok, der Rabbi der Stadt, ließe ihn rufen!«</p>
+
+<p>Berl der Schneider wohnt in der Schulgasse, nicht weit vom
+Bethause. Und er kommt auch sehr bald, ohne Kittel und Gebetmantel,
+in Werktagskleidern. Sein Gesicht ist finster, seine Augen
+sind böse und erschrocken zugleich. Er geht auf Rabbi Levi-Jizchok
+zu und sagt:</p>
+
+<p>»Ihr habt mich rufen lassen, Rabbi, so bin ich zu <em class="gesperrt">Euch</em> gekommen.«</p>
+
+<p>Er betont: »Zu Euch«.</p>
+
+<p>»Sag einmal, Berele,« fragt der Rabbi lächelnd, »warum wird
+heute dort oben von dir so viel gesprochen? Die himmlischen
+Heerscharen sind nur mit dir allein beschäftigt. Man hört nichts
+als: Berl der Schneider und Berl der Schneider!«</p>
+
+<p>»Aha!« triumphiert Berl.</p>
+
+<p>»Hast du irgendeine Beschwerde vorzubringen?«</p>
+
+<p>»Gewiß!«</p>
+
+<p>»Gegen wen denn, Berele?«</p>
+
+<p>»Gegen den Schöpfer der Welt!« antwortet Berl.</p>
+
+<p>Die Gemeinde hätte ihn in Stücke gerissen. Doch Rabbi Levi-Jizchok
+lächelt noch freundlicher.</p>
+
+<p>»Vielleicht wirst du uns erzählen, um was es sich handelt?«</p>
+
+<p>»Gerne!« sagt Berl. »Von mir aus kann die Sache sogar
+gleich hier von Euch entschieden werden. Darf ich sprechen?«</p>
+
+<p>»Sprich!«</p>
+
+<p>»Den ganzen Sommer lang«, beginnt Berl der Schneider
+seine Anklage, »habe ich, nicht auf Euch gesagt, Rabbi, gar keine
+Arbeit gehabt &hellip; Weder von einem Juden, noch von einem
+Bauern. Ich könnte mich einfach hinlegen und sterben, so schlecht
+ging es mir!«</p>
+
+<p>»Ach!« zweifelt der Rabbi: »Der Same Abrahams, Isaaks
+und Jakobs ist doch mildtätig, &ndash; du hättest auf die Barmherzigkeit
+der Leute vertrauen sollen!«</p>
+
+<p>»Darum handelt es sich nicht, Rabbi. Ich sage niemandem
+ein Wort und nehme von niemandem etwas an.«</p>
+
+<p>Von einem Geschöpf aus Fleisch und Blut nimmt er keine
+Geschenke an. Er hat vor dem Schöpfer der Welt die gleichen
+<a class="pagenum" name="Page_19" title="19"> </a>
+Rechte wie die andern Leute. Das einzige, was er getan hat
+&ndash; er hat seine Tochter in eine größere Stadt zu fremden Menschen
+dienen geschickt. Und er sitzt allein zu Hause und wartet,
+was der Schöpfer mit ihm zu tun beschließt.</p>
+
+<p>Einmal vor dem Laubhüttenfeste geht die Tür auf. Aha! Nun
+hat er es doch erlebt. Und in der Tat, es ist ein Bote vom Gutsherrn:
+Berl soll ihm einen Mantel mit Pelz füttern. Der Schöpfer
+will also doch um ihn sorgen! Er geht aufs Schloß, man
+führt ihn in ein eigenes Zimmer und übergibt ihm den Mantel
+und die Felle.</p>
+
+<p>»Hättet Ihr nur die Felle gesehen, Rabbi! Die schönsten
+Fuchsfelle, die es nur gibt!«</p>
+
+<p>Es ist aber die höchste Zeit zum Kol Nidrej-Gebet. Darum
+sucht der Rabbi die Erzählung abzukürzen:</p>
+
+<p>»Also kurz und gut, du hast den Mantel gefüttert und warst
+fertig. Was geschah dann?«</p>
+
+<p>»Eine Kleinigkeit geschah: drei Felle blieben mir übrig.«</p>
+
+<p>»Und die hast du eingesteckt?«</p>
+
+<p>»Das ist leichter gesagt, Rabbi, als getan! Denn wenn man
+aus dem Schlosse kommt, steht vor dem Tore ein Wächter, und
+wenn dieser Verdacht hat, so durchsucht er die Kleider und zwingt
+sogar einen, die Stiefel auszuziehen. Und findet man bei mir,
+Gott behüte, die Felle, so hat der Gutsherr böse Hunde und Reitknechte&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Was tatest du nun?«</p>
+
+<p>»Bin ich aber doch Berl der Schneider! Ich gehe in die
+Küche und bitte, daß man mir ein Brot schenkt.«</p>
+
+<p>»Christenbrot, Berele!«</p>
+
+<p>»Nicht zum Essen brauchte ich es, Rabbi! Man schenkt mir
+einen großen Laib. Ich gehe damit in das Zimmer, wo ich genäht
+habe, schneide das Brot auf, höhle die Hälften aus, rolle
+das Weiche, das ich herausgenommen, so lange in den Händen
+herum, bis es den Geruch vom Schweiß annimmt, und werfe es
+dem Hunde vor, der in dem Zimmer liegt. Hunde lieben Menschenschweiß.
+Und die drei Fuchsfelle stecke ich in den Laib und
+gehe. Am Tore hält man mich an: Was trägst du, Jude, unterm
+<a class="pagenum" name="Page_20" title="20"> </a>
+Arm? Ich zeige den Brotlaib her, und man läßt mich gehen.
+Etwas weiter beginne ich schon zu laufen. Ich gehe nicht durch
+die Landstraße, sondern nehme den kürzeren Feldweg.</p>
+
+<p>»So gehe ich und hüpfe beinahe vor Freude: Nun werde ich
+zum Laubhüttenfest einen eigenen Palmenzweig haben und einen
+eigenen Paradiesapfel! Nichts von der Gemeinde Geborgtes &hellip;
+So schöne Fuchsfelle!&hellip;</p>
+
+<p>»Da erzittert unter mir die Erde &hellip; Ich weiß schon, was
+das ist: ein Reiter jagt mir nach! Das Blut erstarrt in mir.
+Sie haben wohl die Felle nachgezählt &hellip; Entrinnen kann ich
+nicht: es ist doch ein Reiter, und dazu noch auf einem von den
+Pferden des Gutsherrn! Ich werfe sofort den Brotlaib in die
+Stoppeln und merke mir die Stelle, mache mir für alle Fälle ein
+Zeichen. Und schon höre ich, wie man mich ruft: Berl! Berl! &ndash;
+Ich erkenne die Stimme: es ist wirklich der Reitknecht vom Gutshof.
+Alle Glieder zittern mir, Rabbi! Meine Seele sitzt mir in
+den Fußknöcheln &hellip; Ich wende mich aber um und gehe dem
+Reiter entgegen.</p>
+
+<p>»Nun stellt sich heraus, der ganze Schreck war umsonst: ich
+hatte vergessen, an den Pelzmantel ein Hängsel anzunähen.
+Darum hatte man mir den Reiter nachgeschickt. Der Reiter setzt
+mich hinter sich aufs Pferd, und schon reiten wir zurück.</p>
+
+<p>»Ich danke Gott für die Rettung, nähe das Hängsel an und
+gehe. Doch wie ich zu der bewußten Stelle komme, ist der Brotlaib
+nicht mehr da! Die Felder sind längst abgemäht, kein
+Menschenkind kommt da vorbei, und kein Vogel in der Welt hat
+die Kraft, eine solche Last wegzuschleppen &hellip; Es ist also klar,
+wer das getan hat&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Wer?« fragt Rabbi Levi-Jizchok.</p>
+
+<p>»Er!« antwortet Berl der Schneider und deutet mit dem
+Finger nach oben. »Der Schöpfer der Welt! Sein Werk ists!
+Und ich weiß, Rabbi, warum er das getan hat: Er, der große
+Herr, will nicht dulden, daß ich, Berl der Schneider, mir nach
+Schneiderart einen Rest aneigne&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Es stimmt ja auch,« sagt Rabbi Levi-Jizchok mild: »Nach
+dem Gesetz&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Ach was, Gesetz!« ereifert sich Berl. »Der Brauch bricht
+<a class="pagenum" name="Page_21" title="21"> </a>
+ein Gesetz. Nicht ich habe den Brauch eingeführt; er stammt
+von uralten Zeiten!«</p>
+
+<p>»Und wenn schon der Schöpfer der Welt,« fährt er fort, »der
+große und stolze Herr nicht will, daß ich, Berl der Schneider,
+der ärmste Knecht von allen Knechten, die ihm dienen, mir einen
+Rest aneigne, so soll er mir Arbeit verschaffen, so soll er mir,
+wie jeder andre Herr, Gehalt zahlen! Aber er duldet nicht das
+eine und gibt mir nicht das andre. Nun will ich ihm, dem
+Schöpfer der Welt, nicht länger dienen. Ich habe es gelobt! Es
+ist aus!«</p>
+
+<p>Durch die Gemeinde geht eine Bewegung. Drohende Hände
+erheben sich. Man will auf den Schneider losstürzen. Doch
+Rabbi Levi-Jizchok gebietet Ruhe. Es wird wieder still, und
+der Rabbi fragt gütig:</p>
+
+<p>»Und was geschah weiter, Berl?«</p>
+
+<p>»Nichts! Ich komme nach Hause und esse, ohne zuvor die
+Hände zu waschen. Mein Weib will mich zur Rede stellen &ndash; ich
+schlage sie ins Gesicht. Ich lege mich zu Bett und spreche nicht
+das Abendgebet. Meine Lippen wollen von selbst ›Höre Israel!‹
+sprechen, doch ich beiße sie mit den Zähnen. Und am Morgen:
+weder Segensspruch, noch Handwaschung, noch Morgengebet:
+Er soll mir zu essen geben! Mein Weib rennt aus dem Hause
+ins Dorf zu ihrem Vater, dem Pächter. Also bleibe ich ohne
+Weib! Es ist mir sogar lieber so: ich bin ja Berl der Schneider,
+doch sie ist nur ein schwaches jüdisches Weib, &ndash; soll sie lieber
+damit nichts zu tun haben. Und ich tue das meinige: am Laubhüttenfest
+weder Laubhütte, noch Palmenzweig. An den Festtagen
+spreche ich keinen Segensspruch über den Wein, und am
+Simchas-Tojre-Tag, an dem uns die Thora gegeben wurde, ziehe
+ich mir, wie Mordechai nach Hamans Mordbeschluß, zum Zeichen
+der Trauer einen Sack an!</p>
+
+<p>»Und wie die Zeit vor dem Neujahrsfeste kommt, wenn man
+jede Nacht ins Bethaus geht, um Bußgebete zu sprechen, da wird
+es mir schon etwas bange: der Schuldiener klopft jede Nacht
+ans Fenster, um mich zu wecken, und mein Herz klopft auch. Es
+zieht mich hin &hellip; Aber ich bin ja Berl der Schneider und
+halte mein Wort! Ich ziehe mir die Bettdecke über den Kopf
+<a class="pagenum" name="Page_22" title="22"> </a>
+und gebe nicht nach. Dann kommt das Neujahrsfest &ndash; ich rühre
+keinen Finger. Und wenn die Stunde kommt, wenn man Schojfer<a name="FNanchor_9" href="#Footnote_9" class="fnanchor">(9)</a>
+bläst, stopfe ich mir Werg in die Ohren &hellip; Das Herz will mir
+aus dem Leibe springen, Rabbi! Ich habe vor mir selbst Ekel:
+ich bin ungewaschen und trage schmutzige Werktagskleider. Ein
+kleiner Spiegel hängt bei mir in der Stube &ndash; ich kehre ihn
+um zur Wand, ich will mich nicht sehen! Und wie ich höre, daß
+die Gemeinde zum Flusse geht, um die Sünden ins Wasser abzuschütteln&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>Er verstummt für eine Weile und ruft dann aus:</p>
+
+<p>»Aber recht habe ich, Rabbi! Und ohne was zu erreichen, will
+ich nicht nachgeben!«</p>
+
+<p>Rabbi Levi-Jizchok denkt eine Weile nach und fragt:</p>
+
+<p>»Was willst du also, Berl? Willst du Arbeit und Verdienst?«</p>
+
+<p>»Ich spucke auf Verdienst!« erwiderte Berl beleidigt. »Verdienst
+hätte ich <em class="gesperrt">vorher</em> haben sollen! Auf Verdienst hat jedermann
+Anrecht! Der Vogel in der Luft, der Wurm in der Erde
+&ndash; sie alle haben ihr Auskommen. Verdienst ist etwas Selbstverständliches.
+Jetzt will ich mehr!«</p>
+
+<p>»Sag doch, Berl, was du willst!«</p>
+
+<p>»Ist es wahr, Rabbi, daß am Jom-Kippur nur die Sünden
+des Menschen gegen Gott verziehen werden?«</p>
+
+<p>»So ist es!«</p>
+
+<p>»Und die Sünden des Menschen gegen seinen Nächsten nicht?«</p>
+
+<p>»Nein.«</p>
+
+<p>Berl der Schneider richtet sich auf und sagt laut und bestimmt:</p>
+
+<p>»Also werde ich, Berl der Schneider, nur dann nachgeben
+und wieder in den Dienst des Schöpfers der Welt treten, wenn
+er mir zuliebe <ins title="am">an</ins> diesem Jom-Kippur auch die andern Sünden
+verzeiht! Habe ich nicht recht, Rabbi?«</p>
+
+<p>»Du hast recht!« erwidert der Rabbi. »Bleibe nur dabei
+&ndash; man wird dir schon nachgeben müssen&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>Und er wendet sich wieder zum Betpult, richtet den Kopf in
+die Höhe, lauscht hinauf und verkündet nach einer Weile:</p>
+
+<p>»Du hast es durchgesetzt, Berl! Nun schnell nach Haus, hole
+Kittel und Gebetmantel!«</p>
+
+<h2><a class="pagenum" name="Page_23" title="23"> </a>Der das Leben gibt, gibt auch wovon zu leben<br/>
+
+<small>Eine Geschichte von Jojchenen dem Melamed<a name="FNanchor_10" href="#Footnote_10" class="fnanchor">(10)</a></small></h2>
+
+<h3>I</h3>
+
+<div class="scene-description">
+<p>Vorrede. Ich entschuldige mich und bekenne meine
+Ansicht, daß es in der Welt keinen Unglauben gibt</p>
+</div>
+
+<p class="drop-cap">Meine Herren! Ich, Jojchenen der Melamed, will euch eine
+Geschichte erzählen. Und die Geschichte, die ich euch erzählen
+will, ist wie ein Rädchen in einem Rade: eine Geschichte
+in einer anderen Geschichte.</p>
+
+<p>Beide Geschichten habe ich nicht erfunden oder, wie man sagt,
+aus den Fingern gesogen. Ich bin, gottlob, kein Schreiber. Ich
+erzähle sie euch ganz einfach, ohne Salz und Schmalz; Wortgeklingel
+lieb ich nicht &hellip; Wer die Wahrheit sagt, braucht keine
+Kunstgriffe, der spricht einfach seine Muttersprache.</p>
+
+<p>Eine Vorrede muß ich euch aber doch geben: diese Geschichten,
+die ich erzählen will, werden euch möglicherweise zeigen, daß ihr,
+meine Herren, in vielen Dingen zu weit gegangen seid und euch
+zu sehr auf eure Sinne verlassen habt; daß es in der Welt Dinge
+gibt, von welchen weder euch noch euren größten Weisen je geträumt
+hat &hellip; Darum bitte ich euch, mir das nicht übelzunehmen.</p>
+
+<p>Wenn ihr wollt, könnt ihr glauben, und wenn nicht, so
+nicht.</p>
+
+<p>Ich will mich auch gleich vor meinen Freunden rechtfertigen:
+es wird meine Freunde vielleicht verdrießen, daß ich sozusagen
+aus der Schule plaudere, und dazu noch heutzutage, wo es so
+viel Unglauben gibt &hellip; und daß dadurch ein Ärgernis entstehen
+kann. Gott bewahre! Ich will ihnen sagen, daß es überhaupt
+keinen Unglauben auf der Welt gibt: das mit dem Unglauben
+ist eine erfundene Sache!</p>
+
+<p>Denn die ganze Welt ist nichts als Glauben!</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_24" title="24"> </a>Könnte es denn auch anders sein?</p>
+
+<p>Die Welt ist unendlich groß, hat wirklich keine Grenzen! Und
+unser Verstand ist so klein, so winzig, daß wir einem Menschen
+gleichen, der in einer finsteren Nacht, mit einem Pfenniglicht in
+der Hand, das kaum vier Schritt weit leuchtet, durch eine öde,
+finstere Wüste geht!</p>
+
+<p>Ich bleibe bei meiner Meinung: ohne Glauben kann man
+überhaupt nicht auskommen! Die Vernunft allein reicht nicht
+aus. Wo kommt dann das Märchen vom Unglauben her? Nun,
+diese nichtsnutzigen Schreiber, die für das einfache Volk, für
+Köchinnen und Dienstmädchen Bücher verfassen, die Geschichten
+von Mördern und Räubern, von Falschmünzern und Wechselfälschern
+ausdenken, nur um die Leute zu erschrecken und ihr Blut in
+Wallung zu bringen, &ndash; diese selben Schreiber haben auch den
+Unglauben und den Irrglauben erfunden! Und zwar mit demselben
+Zweck: um das gemeine Volk &ndash; die Dienstmädchen, Schuster-
+und Schneiderlehrlinge &ndash; zu erschrecken&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Doch in Wahrheit: ohne Glaube kein Wille; einfach jüdisch
+gesprochen heißt das, daß ein Mensch, der nichts glaubt, auch
+nichts will und zu nichts Lust hat!</p>
+
+<p>Ein solcher Mensch ist nichts mehr als ein Lehmklumpen, ein
+Stück Holz! Und wenn du Menschen siehst, welche Gelüste haben
+oder ihre Gelüste zugunsten andrer, größerer oder erhabenerer
+überwinden. Menschen, welche essen und trinken, Familienglück
+genießen, im Schweiße ihres Angesichts arbeiten und den Kopf
+voller Geschäfte haben, so wisse, daß diese Menschen <em class="gesperrt">glauben</em>!
+Daß sie zumindest an ihr eigen Leben glauben!&hellip;</p>
+
+<p>Denn zweifeln kann man ja schließlich auch daran! Wenn
+man will, so sagt man: Das Leben ist nichts! Und dagegen läßt
+sich schon wirklich nichts machen.</p>
+
+<p>Doch die Regel ist: alle glauben. Nur glaubt der eine, daß
+der Leviathan vor dem Schor-ha-Bor<a name="FNanchor_11" href="#Footnote_11" class="fnanchor">(11)</a> verzehrt werden wird;
+und der andre sagt: nein, umgekehrt, der Schor-ha-Bor kommt
+zuerst, und dann der Leviathan als Zuspeise. Und ein »aufgeklärter«
+<a class="pagenum" name="Page_25" title="25"> </a>
+junger Mann, der weder an den Leviathan noch an
+den Schor-ha-Bor glaubt, der glaubt an den Äther! Und was
+ist dieser Äther? Da erklärte mir ein solcher junger Mann: der
+Äther ist etwas, was weder Körper noch körperliche Kraft, weder
+Seele noch überhaupt etwas Geistiges ist; er nimmt keinen Raum
+ein und hat kein Gewicht &hellip; Mit einem Worte: er ist ein »Ja«
+und ein »Nein« zugleich!</p>
+
+<p>Frage ich ihn, ob er den Äther gesehen hat? Nein! Aber er
+glaubt an ihn! Kurz und gut: alle glauben.</p>
+
+<p>Was ist dann der Unterschied? Nun, jeder glaubt an <em class="gesperrt">seinen</em>
+Rebben, jeder hat <em class="gesperrt">seinen</em> Glauben, sozusagen <em class="gesperrt">seinen</em> kleinen
+Götzen.</p>
+
+<p>Alle blicken fremden Leuten auf den Mund. Alle küssen; doch
+der eine küßt den Vorhang vor dem Thoraschreine, wenn er auch
+nicht weiß, was im Schreine ist; der andre das kabbalistische
+Buch »Megillo Tmirin«, wenn es vom Tische herunterfällt; ich
+habe sogar mit meinen eigenen Augen gesehen, wie einer von
+ihren Leuten die »Geheimnisse von Paris« küßte. Und ich habe
+aus sicherer Quelle gehört, daß diese »Geheimnisse« die schauerliche
+Geschichte von einem gewissen Charbojno darstellen &ndash; doch
+nicht von unserem Charbojno, seligen Angedenkens, aus dem
+Buche Esther<a name="FNanchor_12" href="#Footnote_12" class="fnanchor">(12)</a>, sondern von einem Pariser Holzhacker, der barfuß
+auf Glasscherben herumging &ndash; und noch ähnliche Lügen, die
+ein Pariser Lügner erfunden und ein Wilnaer »Aufgeklärter«
+in die heilige Sprache übersetzt hat.</p>
+
+<p>Meine Herren! Ich habe gottlob viel vom Leben und von
+der Welt gesehen; ich war Melamed in Dörfern und in kleinen
+Städten und auch in großen Städten. Seit sieben Jahren bin
+ich, Gott sei Dank, Melamed in Warschau, und ich komme, gottlob,
+unter Menschen, und ich kenne Menschen! Ich kenne Misnagdim<a name="FNanchor_13" href="#Footnote_13" class="fnanchor">(13)</a>,
+die beim chassidischen Gebet »<span class="antiqua">Wajizmach purkonej</span>«
+aus der Haut fahren, und ich kenne Chassidim, die einen, der zu
+einem andern Rebben fährt, für einen Ketzer &ndash; daß Gott davor
+behüte! &ndash; halten.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_26" title="26"> </a>Ich kenne auch »Aufgeklärte«, sogar sehr viele; bedeutende
+und unbedeutende, solche, die wirklich was wissen, und gewöhnliche
+Schreiberseelen; ich kenne sogar viele, sehr viele Abtrünnige.
+Das alles kenne ich. Doch einen Menschen, der nicht glaubt,
+habe ich noch nie gesehen!</p>
+
+<p>Ich wage sogar die Behauptung aufzustellen, daß es in der
+ganzen Gesellschaft der »Aufgeklärten« keinen einzigen gibt, der
+seinen eigenen Zuschnitt, sein eigenes System, seinen eigenen
+Weg hätte. Ich sah unter ihnen keinen einzigen, der seine eigene
+Ansicht über die Dinge hätte; mit Ausnahme von vielleicht zwei
+oder drei ganz großen Karpfenköpfen &hellip; Und die ganze übrige
+Gesellschaft, wie ihr sie seht, ist nicht ein ausgeblasenes Ei wert!
+Auch sie sind Chassidim, nur von einer andern Richtung! Sie
+glauben eben an <em class="gesperrt">ihren</em> Rebben! Und sie hängen an <em class="gesperrt">ihrem</em>
+größten Mann der Zeit, genau so, wie wir an dem unsrigen!</p>
+
+<p>Und ich kann einen heiligen Eid schwören, daß keiner von
+ihnen ein eigenes Lehrgebäude hat, nicht einmal für eine Stunde!
+Nichts als Glaube an den Großen der Zeit. Und sie sprechen
+ihm alles nach, ohne einen Unterschied zu machen zwischen dem,
+was er mit Überlegung, bei klarem Verstande und im Ernst gelehrt,
+und dem, was er so nebenhin, oder im Zorne, oder gar
+nur, um zu widersprechen, gesagt hat.</p>
+
+<p>Ganz wie bei unsern Gesinnungsgenossen! Es ist nicht der
+geringste Unterschied!</p>
+
+<p>Und wenn einer von dieser Gesellschaft zu mir kommt und
+sagt, daß er an nichts glaubt, so ist es einfach dumm: ich werde
+ihn doch nicht dadurch beschämen, daß ich ihm meine Ansicht
+sage. Für mich selbst weiß ich aber, daß er entweder Spaß macht
+oder einfach prahlt; und gerade ein solcher fürchtet sich, nachts
+allein auszugehen! Und vielleicht <em class="gesperrt">muß</em> er überhaupt so sprechen,
+weil es sein Geschäft verlangt. Was tut der Mensch nicht wegen
+seines Geschäfts!&hellip; Und er kann ja auch ein ganz dummer
+Mensch sein, der nicht einmal weiß, <em class="gesperrt">was</em> er nicht weiß und was
+man glauben muß!</p>
+
+<p>Und wenn so, warum sollen wir uns dessen schämen, was wir
+glauben?! Worin sind denn unsere Gesinnungsgenossen ärger
+als alle die »Aufgeklärten«, die nichts andres tun, als Ammenmärchen
+<a class="pagenum" name="Page_27" title="27"> </a>
+und Wunder zum größern Ruhme ihrer Großen erzählen?
+Weil unsere Geschichten nicht erfunden sind? Weil wir
+die Leute nicht mit Schauergeschichten von Räubern und Mördern,
+Falschmünzern und Wechselfälschern erschrecken? Muß man
+denn unbedingt nur über solche Dinge schreiben, die glatt erfunden
+sind?</p>
+
+<p>Und ich will ja keine Geschichte von jenseit des Meeres oder
+aus uralten Zeiten erzählen, sondern eine wahre Begebenheit,
+die sich hier in Warschau und zudem vor ganz kurzer Zeit ereignet
+hat!</p>
+
+<p>Und vielleicht kommt jemand und sagt: Es ist nicht wahr!
+Die Sache ist erlogen!&hellip; Gut, soll er nur kommen, soll er
+sich unterstehen! Ich bin, Gott sei Dank, ein einfacher Melamed
+und kein Schreiber, Gott behüte! Und Lügen ist weder mein
+Handwerk noch mein Geschäft!</p>
+
+<p>Kurz und gut &ndash; meine Geschichte ist wahr. Und wenn jemand
+kommt und ihr eine andere Deutung gibt? Gut, so werden wir
+ihn anhören.</p>
+
+<p>Bis hierher geht die Vorrede, und nun beginnt die Geschichte
+selbst.</p>
+
+<h3>II</h3>
+
+<div class="scene-description">
+<p>Ein Ausspruch des »Schweigers« gesegneten Angedenkens.
+Die Vorzüge meines Bruders; er ruhe
+in Frieden. Ein guter Anfang</p>
+</div>
+
+<p>Man erzählt vom »Schweiger«<a name="FNanchor_14" href="#Footnote_14" class="fnanchor">(14)</a>, gesegneten Angedenkens, daß
+er, als man ihn einmal fragte, warum er nicht, wie die andern
+Rebben, aus der Thora predige, einfach geschwiegen habe, wie
+er es bei allen Fragen zu tun pflegte.</p>
+
+<p>Doch zu einer andern Stunde, als er besonders gnädig aufgelegt
+war und man in ihn mit derselben Frage wieder drang,
+sagte er mit einem Lächeln:</p>
+
+<p>»Die Welt«, sagte er, »wundert sich über <em class="gesperrt">mich</em>, warum ich
+nicht Thoraweisheit predige. Und ich wundere mich über diejenigen,
+<a class="pagenum" name="Page_28" title="28"> </a>
+die das tun können. Wie kann man in <ins title="derThora">der Thora</ins> anfangen
+und aufhören, wo die Thora weder Anfang noch Ende
+hat und die Unendlichkeit selbst ist?</p>
+
+<p>»In Wirklichkeit ist es aber so: Leute, die keine Ahnung von
+der Thora haben und predigen, was ihnen gerade in den Sinn
+kommt, beginnen, wann und wo sie wollen, und endigen, wann
+und wo sie wollen. Denn die Thora, die sie predigen, ist nicht
+die Unendlichkeit, nicht die Thora des Herrn der Welt! Es ist
+ihre eigene, von ihnen erfundene Thora &hellip; Doch einer, der
+die Thora wirklich kennt, predigt nicht, weil er nicht weiß, wo
+er beginnen und wo er endigen soll!</p>
+
+<p>»Und in weltlichen Dingen ist es auch so. Zum Beispiel bei
+einem Rechtsstreit, wenn man die Zeugen vernimmt. Ein wahrheitsliebender
+Mensch, der nicht lügen kann und will, beginnt
+seine Zeugenaussage mit den sechs Tagen der Schöpfung und
+kommt niemals zu der Sache selbst; und zum Schluß &ndash; schon gar
+nicht! Doch einer, der frei aus dem Kopfe spricht, legt sich alles
+hübsch zurecht und spricht wie ein Mensch, der Anfang und Ende
+weiß &hellip; Und seine Aussage fließt dahin wie Baumöl!«</p>
+
+<p>Dieselbe Regel gilt auch für jede Erzählung: der Schreiber,
+der sich alles aus den Fingern saugt, kann eine Geschichte beginnen,
+wann und wo er will; sie ist seine eigene Schöpfung,
+und er kann mit ihr tun, was ihm beliebt! Wenn er will, macht
+er sie kurz. Doch ich, der ich eine wahre Begebenheit erzählen
+will, weiß wirklich nicht, womit ich anfangen und womit ich
+endigen soll! »Es gibt nichts Neues unter der Sonne« &ndash; jede
+Sache hängt von einer früheren Sache ab, und die frühere von
+einer noch früheren, und diese letztere kann man auch nicht verstehen,
+wenn man nicht weiß, was noch früher war. Und so gelangt
+man zu den sechs Tagen der Schöpfung &hellip; Doch zu
+Ehren meines geliebten Bruders Seinwel-Jechïel, er ruhe in
+Frieden, will ich mit ihm beginnen&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Es ist jedermann bewußt &ndash; die ganze Franziskanergasse weiß
+es&nbsp;&ndash;, daß mein Bruder, gesegneten Angedenkens, ein großer Gelehrter
+und ein wirklich gottesfürchtiger Mann war.</p>
+
+<p>Er war Witwer, und in seinen alten Tagen blieb er ganz allein
+mit seiner Tochter, der Jungfrau Broche-Leë &ndash; es soll zwischen
+<a class="pagenum" name="Page_29" title="29"> </a>
+Lebendigen und Toten wohl unterschieden werden! Er lebte in
+großer Not, und da er keine Kraft mehr zu unterrichten hatte,
+blieb er schließlich &ndash; nicht auf euch gesagt und auf keinen Juden
+gesagt! &ndash; ohne Brot. Und die Jungfrau Broche-Leë wuchs, unberufen,
+wie auf Hefe &hellip; Mit einem Wort &ndash; es war ein
+Jammer!</p>
+
+<p>Was tut Gott? Einige Hausväter, lauter geachtete feine
+Männer, deren Kinder mein Bruder unterrichtet hatte, tun sich
+zusammen und übernehmen es, Broche-Leë zu verheiraten und
+ihrem Vater, er ruhe in Frieden, die Mittel zu geben, damit er
+ins Heilige Land fahren kann.</p>
+
+<p>Obwohl die Reise nicht zum Abschluß gedieh, da er unterwegs
+&ndash; nicht auf euch gesagt! &ndash; an einem Herzschlag starb, so war ihm
+doch vergönnt, die Stadt Zfas im Heiligen Lande zu sehen, woselbst
+er seinen Geist aufgab und in einem jüdischen Grabe mit
+großen Ehren beigesetzt wurde.</p>
+
+<p>Der Rabbiner von Zfas hielt auf seinem Grabe einen feurigen
+Nachruf und druckte ihn, den Nachruf, in seinem Werke »Kostbare
+Perlen« ab; und wer in dieses Werk hineinsieht, leckt sich
+die Finger ab.</p>
+
+<p>Da ich jetzt schon einmal den Anfang habe, werde ich mit der
+eigentlichen Geschichte beginnen.</p>
+
+<h3>III</h3>
+
+<div class="scene-description">
+<p>Die Geschichte selbst. Schlecht getroffen. Jammer.
+Broche-Leë wird von ihrem Mann verlassen</p>
+</div>
+
+<p>Mildtätigkeit ist eine große Sache. Doch nur für den, der sie
+übt. Und ich beneide nicht den, der Almosen empfängt und vom
+Vorstand des Wohltätigkeitsvereins abhängt&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Aber ich beneide meinen Bruder, er ruhe in Frieden, daß er zur
+rechten Zeit verschied und den späteren Jammer nicht mehr sah!</p>
+
+<p>Denn die Hausväter, welche Broche-Leë die Mitgift gaben,
+hatten bloß das eine vergessen, daß sie die Tochter eines Gelehrten
+und eine fromme und reine Seele war. Bei der Wahl des Bräutigams
+berücksichtigten sie weder das, noch viel weniger die Verdienste
+<a class="pagenum" name="Page_30" title="30"> </a>
+ihres Vaters. Sie trachteten nur danach, ihr einen Ernährer
+zum Mann zu geben. Sie handelten ganz ohne Vorbedacht,
+nur um die Sache irgendwie zu erledigen. Man gabelte
+einen jungen Mann auf, der in einer Rechtsanwaltskanzlei halb
+angestellt war und ab und zu etwas verdiente. Und da er keine
+zu großen Ansprüche machte und ein Weib ernähren konnte, griff
+man zu. Man nähte die Aussteuer, hinterlegte die Mitgift, nahm
+Spielleute auf und feierte Hochzeit. Ich gratuliere!</p>
+
+<p>Die Wahrheit zu sagen, gefiel mir der junge Mann gar nicht.
+Auch mein Weib Feige, sie soll gesund sein, meinte, daß man
+keine besonders kostbare Anschaffung gemacht hatte. Da aber
+mein Bruder, er ruhe in Frieden, dazu gar nichts sagte, so
+schwiegen wir selbstverständlich auch.</p>
+
+<p>Doch dieses Schweigen war nicht klug!</p>
+
+<p>Kaum war mein Bruder, gesegneten Angedenkens, abgereist,
+als die Geschichte losging, und es sich zeigte, daß in dieser Ehe
+etwas nicht in Ordnung war. Ich hörte bald, daß der häusliche
+Friede beim jungen Paare etwas hinkte! Man zankte sich, man
+schrie, und die Nachbarn klopften an die Wände. Ich hörte
+auch, daß der junge Mann Mojsche-Ißroel nicht ausnehmend
+fromm war, was Broche-Leë sehr mißfiel. Und er schreckte sie
+damit, daß er den Kaftan ablegen und den kurzen deutschen Rock
+anziehen werde, daß er sogar selbst Rechtsanwalt werden wollte.
+Mojsche-Ißroel hielt ihr vor, daß die Hausväter ihn betrogen
+hätten: sie hätten ihm vor der Trauung eine andre, schönere
+Braut gezeigt; sie hätte er gewiß nicht genommen! Er bemängelte
+auch ihre Aussteuer: Alte Lumpen, sagte er. Auch hätte man
+ihm die übliche Beköstigung in den ersten Ehejahren versprochen
+und ihm hinterdrein die Zunge gezeigt. Noch sagte er, er hätte
+erwartet, daß die Wohltäter sich für ihn verwenden, ihn, wie er
+sagte, »protegieren« würden; sie hätten sich aber auf der Armenhochzeit
+nur angegessen und angetanzt und ihn später nicht über
+ihre Schwelle gelassen.</p>
+
+<p>Selbstverständlich wollte ich mich gleich in der ersten Stunde
+nicht einmischen &hellip; Die Hausväter und meine Frau Feige,
+leben soll sie, wollten es nicht zulassen. Und schließlich ist es ja
+auch nichts Neues! Es kommt oft genug vor, daß es in der ersten
+<a class="pagenum" name="Page_31" title="31"> </a>
+Zeit nach der Hochzeit, ehe man sich aneinander gewöhnt hat,
+zwischen Mann und Weib Streitigkeiten gibt. Und später &ndash; Gewohnheit
+ist die zweite Natur &ndash; lebt man doch zusammen!</p>
+
+<p>Die Wahrheit zu sagen, gab es auch zwischen mir und meiner
+Frau Feige &ndash; sie soll gesund sein! &ndash; im ersten Jahre nach der
+Hochzeit Zusammenstöße. Doch später, als die Kinder kamen
+und wir um unseren Lebensunterhalt selbst sorgen mußten, hörten
+diese Dummheiten auf. Ich suchte mir irgendein Geschäft; es
+glückte mir nicht, und so wurde ich Melamed. Und es ist wirklich
+nicht so schlimm &ndash; man lebt &ndash; möge es bis hundertundzwanzig
+Jahr' so weiter gehen!</p>
+
+<p>Also kurz und gut &ndash; ich schwieg. Besonders, als mir meine
+Frau Feige, sie soll leben, über Broche-Leë eine vielsagende Andeutung
+machte. Und mir braucht man nicht erst einen Finger
+in den Mund zu legen. Also ein gutes Zeichen, daß es nur gut
+abläuft! Leider lief es aber nicht nach <ins title="Wnnsch">Wunsch</ins> ab.</p>
+
+<p>Er besserte sich nämlich gar nicht, er wurde sogar noch schlimmer.
+Dieser Prachtmensch hatte unsers Vaters Abrahams Eigenschaft:
+er sprach wenig und tat viel. Es genügte nicht, daß er sich deutsch
+kleidete, er begann auch ganze Nächte hindurch Karten zu spielen.</p>
+
+<p>Jeden Abend brachte er seine Kumpane mit ins Haus und
+zwang Broche-Leë, ihnen Tee zu kochen und sie mit Branntwein
+und Hering zu bewirten; und den Hering natürlich mit Essig
+und Öl &ndash; anders paßt es ihm nicht. Und dazu weiße Semmeln;
+Schwarzbrot ist ihnen zu gering! Und wenn etwas von den
+sieben Sachen fehlte, machte er einen Krach. Obendrein verhöhnte
+er sie und machte sie zum Spott für die Leute. Und das
+nicht genug &ndash; er beschimpfte sie noch mit den gemeinsten Ausdrücken!</p>
+
+<p>Nun sah ich ein, daß die Sache nicht gut steht und daß man
+weiter nicht schweigen darf. Ich faßte mir ein Herz und ging
+zum Ehepaar hin.</p>
+
+<p>Ich komme herein und fange, natürlich zunächst mit guten
+Worten an, mit <em class="gesperrt">feinen</em> Reden, sogar mit einem Scherzwort,
+wie schon so meine Natur ist. Ich versuche die Sache zuerst
+freundschaftlich und gutmütig anzufassen und sage ihm, daß,
+obwohl er ein Verbrecher vor dem Herrn ist, die Sache noch nicht
+<a class="pagenum" name="Page_32" title="32"> </a>
+hoffnungslos sei; und ich schildere ihm das große Ansehen, das
+der Bußfertige im Himmel hat, und sage ihm, daß ihm auch die
+Verdienste von Broche-Leës gottseligen Ahnen im Himmel beistehen
+würden. Er müsse nur mit der Buße beginnen, nur einmal
+ernsthaft an Buße denken.</p>
+
+<p>Ich verspreche ihm noch, ihm menschlich näher zu treten, ihn
+in meinen Betzirkel einzuführen und sogar, falls ich einmal, so
+Gott will, zum Rebben fahren werde, ihn mitzunehmen; und
+noch ähnliche freundschaftliche Worte sage ich ihm.</p>
+
+<p>Da bricht er in ein Gelächter aus! Er lacht über mich, über
+meinen Betzirkel und über den Rebben! Er möchte, sagt er,
+auf alle diese schönen Sachen verzichten, wenn ich ihm nur
+Broche-Leë abnehme! Und dabei gebraucht er Ausdrücke, die
+man überhaupt nicht in den Mund nehmen kann!</p>
+
+<p>Notgedrungen mußte ich nun einen strengeren Ton anschlagen.
+Ich sagte ihm, daß er, obwohl er sich deutsch kleide, doch nur ein
+Ignorant und ein Taugenichts sei. Und dann sagte ich ihm noch
+ganz furchtlos: wenn er Buße tut, ists gut, und wenn nicht, so
+wird er manches schwarze und finstere Jahr in der Hölle zu kosten
+kriegen!</p>
+
+<p>Fängt er schon wieder zu lachen an: »Wer Hölle? Was
+Hölle?« Als ob er schon einmal dort gewesen wäre und gesehen
+hätte, daß es, Gott behüte, gar keine Hölle gibt! Und dann weist
+mir noch der freche Kerl die Tür!</p>
+
+<p>Was sollte ich tun? Broche-Leë ist, sehe ich, grün und gelb,
+die Tränen fließen ihr wie Bäche aus den Augen. Ich gehe also
+fort und lasse den Frechling vor das Rabbinergericht laden.</p>
+
+<p>Er kommt nicht hin, und ich lasse wieder eine Zeit verstreichen.</p>
+
+<p>Und da wurde es plötzlich still. Vom Ehepaar hörte ich gar
+nichts mehr. Das kam aber nur daher, weil der Verbrecher seiner
+Broche-Leë verboten hatte, über meine Schwelle zu kommen; sonst
+würde er sie windelweich schlagen! Broche-Leë ist aber ein gesittetes
+Weib und tut, was der Mann verlangt. Sie sitzt also zu
+Hause und vergießt heimliche Tränen.</p>
+
+<p>Und höre ich nichts, so weiß ich nichts!</p>
+
+<p>Inzwischen habe ich auch meine eigene Tracht Sorgen: meine
+Frau Feige wird mir krank; der Arzt sagt, es sei Fieber; die
+<a class="pagenum" name="Page_33" title="33"> </a>
+Nachbarn sagen etwas anderes, und ich meine, es kommt von
+einem bösen Blick. Das Haus ist ohne Hausfrau, die Kinder
+ohne Mutter und auch &ndash; ohne Vater: es ist gerade Semesterwechsel,
+und ich muß herumlaufen, um mir noch zwei oder drei
+Schüler zu verschaffen. Und das ist nicht genug: ich bin auch
+selbst nicht ganz beisammen.</p>
+
+<p>Die Warschauer steilen Treppen nehmen mir alle Lebenskraft!
+Und dazu hetzt man mich noch von allen Seiten: der Hausherr
+mahnt das Wohnungsgeld, und ich bin ihm schon zwei Quartale
+schuldig geblieben! Und der Bezirksinspektor verlangt von mir,
+daß ich noch ein Zimmer hinzumiete, damit es die Schüler geräumiger
+haben, damit es in der Lehrstube mehr Luft gibt!</p>
+
+<p>Gott möge es mir verzeihen &ndash; ich habe an Broche-Leë nicht
+mehr gedacht! Und sooft ich mich an sie erinnerte, sagte ich
+mir: da es so still ist, wird sich der Bösewicht wohl doch bekehrt
+haben, und sie tun jetzt nichts, als sich herzen und küssen! Und
+weil es ihr so gut geht, hat sie die armen Verwandten ganz vergessen.</p>
+
+<p>Aber einmal &ndash; ich komme halb ohnmächtig und, nicht auf euch
+gesagt, mit geschwollenen Füßen nach Hause, will mir die Hände
+waschen, irgend etwas herunterschlingen, schnell das Tischgebet
+sprechen und die Knochen im Bette ausstrecken &ndash; da verkündet
+mir meine Frau Feige eine frohe Botschaft: Broche-Leë war
+dagewesen, hatte bittere Tränen vergossen und uns Mörder gescholten,
+weil uns ihr Unglück nichts anginge; sie sei eine verlassene
+Waise, elend und einsam wie ein Stein.</p>
+
+<p>Sie erzählte noch, daß ihr Mann Mojsche-Ißroel sie martere
+und ihr Todfeind sei. Er schlage und prügele sie, so daß sie schon
+viele Male aus Nase und Ohren geblutet habe.</p>
+
+<p>Und ich frage meine Frau Feige: »Wie kann das sein? Daß
+ein Jude seine Frau schlägt, und dazu noch eine Frau in gesegneten
+Umständen?!&hellip;«</p>
+
+<p>Sie antwortet, daß es wohl von seiner wahnsinnigen Bosheit
+kommt; Mojsche-Ißroel hat den rechten Weg schon längst verlassen.
+Er hat jedes Gottvertrauen verloren; darum schreit er,
+er habe nicht mehr, wovon zu leben &hellip; Und er verlangt &ndash; sein
+Name und sein Andenken mögen ausgelöscht werden! &ndash; daß
+<a class="pagenum" name="Page_34" title="34"> </a>
+Broche-Leë sich etwas antue &hellip; Die ganze Welt macht es, sagt
+er, so; selbst die feinsten Damen &hellip; Und da sie es nicht tun
+will, schlägt er sie und beschimpft sie und ihren Vater mit den
+schrecklichsten Flüchen!</p>
+
+<p>Wie ich höre, daß er meinem Bruder, gesegneten Angedenkens,
+flucht, werde ich voller Zorn! Ich vergesse alles andre, nehme
+meinen Stecken &ndash; mein Tod oder sein Tod! Abschlachten werde
+ich den Hund! &ndash; und laufe ohne Atem und Besinnung aus dem
+Hause&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Und ich komme und sehe&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Einen Jammer sehe ich!</p>
+
+<p>Die Tür steht offen, in der Stube ists stockfinster. Der Kerl
+ist fort, durchgebrannt! Fort ist der ganze Hausrat, selbst die
+Bettwäsche hat er abgezogen &hellip; Und wo ist sie?</p>
+
+<p>Sie liegt auf dem Boden und windet sich in Krämpfen&nbsp;&hellip;</p>
+
+<h3>IV</h3>
+
+<div class="scene-description">
+<p>Ein Wunder. Meine Frau Feige und ihre Taten.
+Man wirft mich hinaus, und wohin ich gehe</p>
+</div>
+
+<p>Es geschah ein Wunder, daß meine Frau Feige, unberufen,
+ihren gesunden Menschenverstand behielt.</p>
+
+<p>Als ich den Stecken nahm und schrie, daß ich den Hund umbringen
+werde, nahm es sich meine Frau Feige gar nicht zu
+Herzen &hellip; Sie weiß ganz gut, daß ich, Gott behüte, kein Mörder
+bin und nicht eine Fliege an der Wand töten kann; sie weiß,
+daß ich, wenn ich schon in Zorn gerate, vor allen Dingen zu
+weinen anfange. Ich habe schon einmal so eine Natur: vor
+Zorn fließen mir die Tränen wie Wasser.</p>
+
+<p>Meine Frau Feige weiß auch, daß ich selbst meine Schüler
+nicht so schlage, wie es sich gehört, und daß mir sogar die Väter
+deswegen Vorwürfe machen; auch ich selbst fürchte zuweilen, daß
+ich in dieser Hinsicht vor Gott und den Menschen sündige: denn
+oft ist so ein Hieb notwendig! Besonders seitdem einer meiner
+Schüler in schlechte Gesellschaft geriet, ist es meine feste Meinung,
+daß man zuweilen schlagen <em class="gesperrt">muß</em>!</p>
+
+<p>Wir wollen aber nicht abschweifen!</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_35" title="35"> </a>Also meine Frau Feige wußte ganz gut, daß ich ihm nichts
+tun würde, und blieb darum ruhig auf dem Bette sitzen. Doch
+später, als eine Stunde, zwei Stunden vergingen und ich noch
+immer nicht zurück war, bekam sie doch Angst und sagte sich, daß
+ich den Hund gewiß wie einen Fisch in Stücke geschnitten habe
+und dafür ins Loch gesperrt worden sei!</p>
+
+<p>Da gab es was! Sie vergaß alle ihre Schmerzen, die Kinder
+in den Betten und das bißchen Hausrat, das wir hatten,
+sprang aus dem Bette, warf sich etwas um und lief mir nach;
+vergaß sogar die Tür hinter sich zu schließen.</p>
+
+<p>Ich schau mich um, &ndash; sie ist da. Und kaum ist sie da, als sie
+gleich auf den ersten Blick erkennt, was vorgeht. Vor allen
+Dingen, als sie mich wie ein Stück Holz dastehen sieht, schreit sie
+mich an: »Nichtstuer!« Und im gleichen Augenblick reißt sie
+die Tür auf und ruft: »Hilfe!« Sofort kommen einige Nachbarinnen.
+Meine Frau Feige übernimmt das Kommando, und
+die Nachbarinnen folgen ihren Befehlen. Und eines der Weiber
+wirft mich auf Feiges Befehl tatsächlich zur Tür hinaus.</p>
+
+<p>Wo geht man nun hin? Auf der Straße ist nasser Schnee,
+der Wind peitscht mir das Gesicht und stiehlt sich durch die Löcher
+in meine Kleider hinein&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Also gehe ich ins Bethaus. Dort sitzen noch einige Leute, die
+nach dem Beten ein wenig in den Talmud hineinschauen. Ich
+nehme mir auch einen Talmudband. Und fertig, mehr brauche
+ich nicht! Kaum öffne ich den Talmud, ist Broche-Leë vergessen!
+Vergessen ist ihr Mann, der Bösewicht! Und auch die ganze Welt.
+Wer ist von ihrem Mann verlassen? Wer ist durchgebrannt?
+Wer liegt in Kindsnöten? Das gibt es alles nicht!&hellip;</p>
+
+<h3>V</h3>
+
+<div class="scene-description">
+<p>Meine Schüler. Wer ist mein Lehrer? Die Thora
+und ihr Lohn. Das Gleichnis vom Vogel. Schlimme
+Gedanken und Zweifel</p>
+</div>
+
+<p>Wenn ich manchmal selbst mit großer Freude studiere, können
+es meine Schüler aus den reichen Häusern nicht begreifen. Sie
+<a class="pagenum" name="Page_36" title="36"> </a>
+fragen mich, ob <em class="gesperrt">ich</em> auch noch lernen muß? Und wer <em class="gesperrt">mein</em>
+Rebbe ist?</p>
+
+<p>Die Dummköpfe! Sie wissen nicht, daß die Welt ein guter
+Rebbe ist, und die Sorge ums Brot &ndash; ein gar vortrefflicher Rebbe!
+Leiden und Unglück sind gute Melameds .. Die Mücke, die
+ewig das Gehirn sticht mit der Frage: »Und was werden wir
+essen?«, ist ein gar feuriger Rebbe! Und dann sind auch meine
+Schüler selbst mitsamt ihren Vätern &ndash; meinen Brotgebern &ndash; sehr
+feine Lehrer, ausgezeichnete Lehrer!</p>
+
+<p>Alles treibt zum Lernen. Aber wie die Thora, so auch ihr
+Lohn. Schlage ich den Talmud auf, so werde ich ein andrer
+Mensch. Ich fühle, daß sich mir der Himmel auftut! Daß der
+Herr der Welt mir in seiner großen Gnade Flügel, große und
+breite Flügel verliehen hat! Und ich fliege auf diesen Flügeln
+empor &ndash; ich bin ein Adler, und ich fliege in weite Fernen fort;
+nicht übers Meer fliege ich, sondern aus der Welt ganz hinaus!
+Aus der Welt voller Lüge, Verstellung und bösen Leiden&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Und ich schwinge mich in eine ganz andre Welt hinauf, in
+eine neue Welt, in eine Welt, wo es nur Gutes gibt. In eine
+Welt, wo weder dickbäuchige Hausbesitzer noch unwissende vornehme
+Herren etwas gelten; wo es weder Geld noch Nahrungssorgen
+gibt, weder schwere Kindsnöte, noch hungernde Kinder,
+noch schreiende Weiber!</p>
+
+<p>Und dort bin ich, ich, der arme, kranke, unterdrückte, hungernde
+Melamed, ich ärmster Bettler, der ich hier stumm wie ein Fisch
+bin und von allen wie ein Wurm getreten werde, &ndash; dort bin ich
+der Mensch, der Vornehme, dessen Meinung gilt! Und ich bin
+frei, und mein Wille ist frei, und <em class="gesperrt">ich</em> habe zu befehlen! Welten
+baue ich auf und Welten zertrümmere ich und baue mir neue an
+ihrer Stelle! Neue, schönere und bessere Welten! Und ich lebe
+in diesen Welten und schwebe in ihnen herum! Ich bin im Paradiese,
+im wirklichen Paradiese!</p>
+
+<p>Und ich weiß, daß ich mehr weiß, als ich meinen Schülern
+mitteilen will und kann, mehr als ich mir selbst eingestehe. Ich
+ahne Dinge, die man mit den Lippen gar nicht aussprechen kann,
+die kein Auge sieht und kein Ohr hört, die nur im Herzen blühen,
+nur im Herzen leben und pochen!</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_37" title="37"> </a>Die »zwei, die zugleich nach einem Gebetmantel greifen«, deren
+Streit der Talmud untersucht, sind für mich nicht zwei beliebige
+Menschen von der Straße, nicht ein Schimen und ein Ruben,
+wie ich es meinen Schülern erkläre; und auch der Gebetmantel,
+um welchen der Streit geht, ist kein gewöhnlicher Gebetmantel,
+wie man ihn im Laden von Jossel Pesches kaufen kann &hellip; Ich
+fasse es tiefer an!</p>
+
+<p>Ich fange alle die Funken auf, die <em class="gesperrt">zwischen</em> den Zeilen,
+<em class="gesperrt">zwischen</em> den Worten, <em class="gesperrt">zwischen</em> den Buchstaben leuchten;
+meine Seele saugt sie ein wie ein Schwamm! Ich fühle, wie
+mich das Licht, das der Frommen im Jenseits wartet, ganz durchtränkt
+und erfüllt!</p>
+
+<p>Ach, nur sitzen und studieren! Nur studieren!</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>Und das muß ich euch auch sagen: wenn ich in reiche Häuser
+komme und sehe, wie die Leute ganze Nächte hindurch Karten
+spielen, oder die Zeit mit Weibern oder andern Eitelkeiten verbringen;
+oder wenn ich durch die Straße gehe und durch die
+offene Tür einer Schenke einen Handwerker sehe, wie er in einer
+Wolke von Tabakrauch sitzt und trinkt und dummes Zeug spricht;
+wenn ich das alles sehe, sage ich euch, werde ich gar nicht böse &hellip;
+ich mache den Leuten gar keine Vorwürfe; im Gegenteil: mir tut
+das Herz weh vor Mitleid mit ihnen!</p>
+
+<p>Denn wenn wir es so betrachten, was sollen sie ohne Thora tun?</p>
+
+<p>Wie ich bereits erwähnte, gab ich einmal auch in einem Dorfe
+Unterricht. Mein Schüler zeigte mir, wie am Ende des Sommers
+alle Vöglein zusammenflogen, um unser Land noch vor Wintersanfang
+zu verlassen &hellip; Ich sah, wie sie sich zu ganzen Heeren
+versammelten und davonflogen in weite Fernen&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Die kleinen Vöglein können und wollen hier nicht bei Schnee
+und Frost bleiben &hellip; In dieser Zeit hat hier so ein armes Vöglein
+keinerlei Lebensmöglichkeit &hellip; Und die Vöglein wissen es,
+sie fühlen es, daß der Winter naht, daß ihr Todesengel kommt&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Doch einmal sah ich, wie ein armes verkrüppeltes Vöglein mit
+einem gebrochenen Flügel auf der nassen, kalten Erde herumhüpfte;
+es piepste und konnte sich nicht vom Boden erheben, um
+den großen Vögeln nachzufliegen. Es war wirklich ein Jammer,
+<a class="pagenum" name="Page_38" title="38"> </a>
+zu sehen, wie das arme Vöglein keinen Platz finden konnte, wie
+es immer hüpfte und hüpfte, und den andern freien Vögeln, die
+schon davonflogen, nachsah&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Damals sagte ich mir: diesem kranken Vögelchen gleicht die
+Seele des Unwissenden!&hellip;</p>
+
+<p>Fliegen können sie nicht, denn sie haben keine Flügel &ndash; keine
+Thora! Gib ihnen Thora, gib ihnen Flügel, so werden auch sie
+fliegen in die fernen Welten!</p>
+
+<p>Man hat ihnen aber die Flügel zerbrochen, und darum hüpfen
+sie immer im kalten Straßenschmutz herum &hellip; Darum müssen
+sie schamlose Reden führen oder Karten spielen: der Reiche im
+Salon, der Arme in der Schenke&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Doch wollen wir zur Sache zurückkehren!</p>
+
+<p>Also ich sitze und studiere. Die paar Leute, die noch im Bethause
+waren, sind einer nach dem andern heimgegangen. Der
+Schuldiener ging als letzter fort.</p>
+
+<p>Was geht es mich an? Ich sehe es ja gar nicht!</p>
+
+<p>Bei Licht, im warmen Bethause, den offenen Talmudband
+vor mir, fürchte ich allein nichts! Ich bin vertieft, ganz wie es
+sich gehört.</p>
+
+<p>Die Thora gleicht doch, wie ihr wißt, dem Meere. Die Wellen
+schlagen und wollen mich verschlingen &hellip; Doch ich kann schwimmen!
+Ich tauche unter und bin schon wieder oben! Zuweilen
+wird das Meer still; schön, rein und klar wie der Himmel liegt
+es da, und meine Seele badet im frischen, belebenden Wasser;
+sie gleitet wie über einen Spiegel dahin in Wonne und Schönheit
+&hellip; Und das Wasser wäscht sie, reinigt sie von allen Flecken,
+von den schwarzen irdischen Stäubchen&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Und rein und heilig wird meine Seele&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Doch plötzlich fühle ich einen brennenden Schmerz in den
+Fingern, und ich sitze im Finstern&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Der Lichtstummel, den ich in den Fingern hielt, ist ausgegangen!</p>
+
+<p>Alleinsein im Finstern fürchte ich. Und es überfällt mich eine
+große Angst!</p>
+
+<p>Wenn es um mich herum hell ist, bei Tage oder auch bei Nacht,
+fürchte ich nichts. Mir ist gut! Ich sehe die Welt, und ich spüre
+den Hausherrn <em class="gesperrt">über</em> der Welt! Ich sehe die Welt, und die
+<a class="pagenum" name="Page_39" title="39"> </a>
+Welt sieht mich. Und ich weiß, daß ich ein Teil der Welt bin,
+und daß ihr Hausherr auch mein Hausherr ist; daß ohne seinen
+Willen mir kein Haar gekrümmt werden kann. Er wird es nicht
+dulden, und auch die Welt selbst wird es nicht dulden. Warum
+sollten sie es auch zulassen?</p>
+
+<p>Aber wenn ich allein im Finstern bin und die Welt nicht sehe,
+dann &ndash; ach, dann höre ich überhaupt auf, Mensch zu sein! Mich
+befallen böse Gedanken, und es scheint mir &ndash; Gott möge mich
+dafür nicht strafen&nbsp;&ndash;, daß ich gar keinen Zusammenhang mit der
+Welt mehr habe, daß man mich von ihr losgetrennt und aus ihr
+weggeführt hat &hellip; Ich habe mit ihr nichts zu tun; weder ich,
+noch mein Weib, noch meine Kinder &hellip; Nichts haben wir mit
+ihr zu schaffen! Gleich wird man mich oder einen von uns ganz
+still wegtun, und niemand wird es sehen, niemand wird es wissen
+und gewiß niemand fühlen.</p>
+
+<p>Kaum war das Licht ausgegangen, als mich gleich meine Festtagsseele,
+die nur während des Lernens in meinem Leibe ist, verließ
+und ich bei meiner zitternden, erschrockenen Werktagsseele
+blieb, bei der Seele des bettelarmen Melameds &hellip; Ich bin
+wieder ein Nichts, ein Wurm, ein verlorenes Ding&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Und meine Lippen zittern: Gott soll helfen! Gott soll helfen!</p>
+
+<p>Und das Herz nagt und bangt: Broche-Leë wird gebären &hellip;
+gewiß wird sie gebären. Sie wird sogar Zwillinge haben. Denn
+ihre Mutter war wegen ihrer Zwillingsgeburten berühmt!</p>
+
+<p>Du hast wohl zu wenig an eigen Weib und Kind? Also fällt
+dir noch Broche-Leë mit einem Kind zu, Broche-Leë mit zwei,
+mit drei Kindern &hellip; Seinwel-Jechïel ruht im Grabe; er sitzt
+jetzt im Paradiese und lernt Thora. Und du arbeite und ernähre
+seine Tochter!</p>
+
+<p>Und böse Gedanken sagen mir: Wenn Gott sich erbarmen
+will, so hat er keinen andern Ausweg, als den Todesengel zu
+schicken &hellip; zu mir &hellip; zu der Gebärenden&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Barmherziger Gott! Barmherziger Gott!</p>
+
+<p>Und ich weiß, daß ich vor Gott sündige, daß ich in Gotteslästerung
+verfalle. Ich weiß das, doch ich habe nicht die Macht,
+den bösen Gedanken aus dem Herzen zu vertreiben &hellip; Denn
+allein bin ich schwach und im Finstern noch schwächer!</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_40" title="40"> </a>Ich weiß, daß das einzige Mittel dagegen die Thora ist, und
+ich will sie auswendig studieren; ich will mich auf eines der Probleme
+besinnen, doch ich kann nicht: ich habe alles vergessen, habe
+die ganze Thora vergessen!</p>
+
+<p>Und ich rief mit allen meinen Kräften aus:</p>
+
+<p>»Herr der Welt! Hilf mir! Hilf mir!«</p>
+
+<p>Und es geschah mir ein Wunder!</p>
+
+<h3>VI</h3>
+
+<div class="scene-description">
+<p>Das Wunder. Das verborgene Licht. Erlösung
+einer Seele. Der Todesengel, welcher kommt, weil
+man ihn rief</p>
+</div>
+
+<p>Als ich diese Geschichte später einem »Aufgeklärten«, einem
+meiner früheren Schüler erzählte, lachte er, und noch wie! Es
+war, sagte er, gar kein Wunder, sondern nur ein Zufall oder
+eine Einbildung, oder vielleicht gar ein Traum oder dergleichen.</p>
+
+<p>Was macht das?</p>
+
+<p>Jitro, Moses' Schwiegervater, hatte bekanntlich sieben Namen,
+und doch gab es nur <em class="gesperrt">einen</em> Jitro!</p>
+
+<p>Nenne es, wie du willst: Zufall, Einbildung, Wunder, &ndash; Geschichte
+bleibt Geschichte!</p>
+
+<p>Ich weiß nur, daß gerade in dem Augenblick, als ich, Gott
+behüte, in die tiefste Hölle hinabzustürzen glaubte, sich das ganze
+Bethaus mit Licht füllte! Es war eine so blaue Helle wie in
+den Lichtsäulen, die manchmal im Sommer von der Sonne durch
+ein Fenster schräg in die Stube fallen&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Man sieht ganz deutlich, daß eine solche Säule aus kleinen
+Lichttropfen besteht und daß jedes Tröpfchen in ihr strahlend
+herumwirbelt.</p>
+
+<p>Und eine solche Säule erfüllte damals das ganze Bethaus.</p>
+
+<p>Plötzlich werde ich ruhig &hellip; und alles Denken hört auf!&hellip;</p>
+
+<p>Das Bethaus ist von einer süßen Helle erfüllt. Und ich &ndash; von
+einem süßen, lichten Gottvertrauen! Und alles in mir ist so
+rein, so klar, so kristallen!</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_41" title="41"> </a>Und wie ich nach der Ostwand blicke, von der die Lichtsäule
+kommt, sehe ich jemanden!</p>
+
+<p>Wen, glaubt ihr, sehe ich?</p>
+
+<p>Meinen Bruder, gesegneten Angedenkens, sehe ich! Und gerade
+auf dem Platze, wo er bei Lebzeiten immer zu sitzen und zu
+studieren pflegte.</p>
+
+<p>Er hat vor sich ein Buch &hellip; Sein Gesicht kann ich nicht sehen,
+weil er den Kopf in die Hand stützt. Doch das Herz sagt mir,
+daß er es ist, mein Bruder Seinwel-Jechïel&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Und ich erschrak gar nicht!</p>
+
+<p>Denn die Regel ist: wer vor Lebendigen keine Angst hat, der
+zittert vor Toten. Doch ich armer Wurm, der ich vor allem, was
+da lebt, zittere, was soll ich vor einem Toten Angst haben? Und
+vor wem? Vor meinem Bruder Seinwel-Jechïel, der auch bei
+Lebzeiten wie Seide war? Und ich frage ihn ganz einfach:</p>
+
+<p>»Bist du es, Seinwel-Jechïel?«</p>
+
+<p>»Ja, ich bin es!« antwortet er und nimmt die Hand von den
+Augen.</p>
+
+<p>Ich erblicke sein Gesicht. Es strahlt in seltsamer Lieblichkeit,
+und in seinen Augen liegt eine eigentümliche Süße&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Und ich frage weiter:</p>
+
+<p>»Was tust du da, Bruder?«</p>
+
+<p>Und er antwortet:</p>
+
+<p>»Was ich tue? Sehr viel tue ich! Als ich bei Lebzeiten hier
+saß und lernte, verwirrte mich oft der Satan; Nahrungssorgen
+mischten sich ein, und ich übersprang viele Stellen und lernte
+andre wiederum ohne große Andacht. Nun tue ich das, was
+man oben über mich verhängte, damit meine Seele endgültig
+erlöst werde: Ich wiederhole!«</p>
+
+<p>»Und alles mit Andacht?«</p>
+
+<p>Er nickt bejahend, und ich sage:</p>
+
+<p>»Seinwel-Jechïel, du lernst mit Andacht, weil du nicht weißt,
+daß&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>Er unterbricht mich mit seiner süßen Stimme:</p>
+
+<p>»Narr,« sagt er, »im Gegenteil: eben weil ich weiß, lerne ich
+jetzt mit solcher Andacht. Bei Lebzeiten wußte ich wenig und
+zweifelte viel, und darum übersprang ich viele Stellen ohne
+<a class="pagenum" name="Page_42" title="42"> </a>
+Andacht. Denn nur das, was man nicht weiß und woran man
+zweifelt, verwirrt &hellip; Doch jetzt, da ich weiß und keine Zweifel
+mehr habe, studiere ich immer mit Andacht.«</p>
+
+<p>»Du weißt auch, daß Mojsche-Ißroel&nbsp;&hellip;?«</p>
+
+<p>»Nach Amerika entlaufen ist? Ich weiß es! Ich weiß sogar,
+mit welchem Schiff er durchgebrannt ist &hellip; Verbotene Speisen
+ißt er auf dem Schiff. Ich weiß es!«</p>
+
+<p>»Weißt du, daß Broche-Leë&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»In schweren Kindsnöten liegt? Gewiß weiß ich es! Ich
+weiß sogar, daß sie einen Sohn haben wird&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Keine Zwillinge?«</p>
+
+<p>»Nein, keine Zwillinge. Sie ist aber sehr zu bedauern! Das
+Kind wird ein Krüppel sein &hellip; Der Bösewicht hat sie gestoßen
+und dem Kinde Schaden zugefügt&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>Und ich frage weiter:</p>
+
+<p>»Vielleicht weißt du auch, wovon sie leben werden?«</p>
+
+<p>»Auch das weiß ich!« sagt er mild. Er kommt auf mich zu,
+legt mir seine Hand auf die Achsel und sagt:</p>
+
+<p>»Schau durchs Fenster hinaus!«</p>
+
+<p>Ich tue es.</p>
+
+<p>»Nun, was siehst du?«</p>
+
+<p>»Ich sehe jemanden vorbeigehen &hellip; Er ist weiß gekleidet, und
+sein Antlitz leuchtet, als ob Gottes Herrlichkeit darauf ruhte &hellip;
+Ganz unglaublich strahlt sein Antlitz &hellip; Er geht langsam &hellip;
+Mir ists, als ob ich eine süße, herzige Weise hörte, die ein
+Spielmann im Gehen spielte &hellip; Da ist er schon vorbeigegangen,
+der Mensch&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Es war kein Mensch &ndash; ein Engel wars!«</p>
+
+<p>»Ein Engel?«</p>
+
+<p>»Ein guter, sehr guter Engel &hellip; Der Todesengel!«</p>
+
+<p>»Der Todesengel?« rufe ich erschrocken aus.</p>
+
+<p>»Warum zitterst du so? Willst du ihm entfliehen?«</p>
+
+<p>»Und wohin ging der Engel?«</p>
+
+<p>»Wohin er ging? Zum reichen Reb Simche. Auch seine
+Tochter liegt in Kindsnöten&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Ich weiß es: ich habe ja heute früh mit noch andern Leuten
+für sie und das Kind Psalmen gelesen&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_43" title="43"> </a>»Das Gebet hilft nur zur Hälfte. Das Kind wird leben.«</p>
+
+<p>»Und sie?«</p>
+
+<p>»Hast doch eben gesehen&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Also zu ihr ging der Engel! Und so ohne Lust ging er, mit
+langsamen Schritten &hellip; Wohl aus Mitleid?«</p>
+
+<p>»Vielleicht. Er hat keine Eile, weil er nicht Gottes Sendbote
+ist!«</p>
+
+<p>»Was sagst du?« rufe ich erschrocken. »Wer hat denn noch zu
+bestimmen?«</p>
+
+<p>»Auch der Mensch hat seinen Willen &hellip; Sie selbst hat ihn
+gerufen&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Sie selbst?!«</p>
+
+<p>»Sie wollte kein Kind haben, keine Mutter sein! Hat dem
+Kinde Schaden zufügen wollen&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Herr der Welt!« rufe ich mit großem Schmerz aus. »Sie
+wird für ihre Sünde sterben &hellip; Aber was hat das Kind verbrochen?
+Das Kind wird doch ohne Mutter bleiben &hellip; Herr
+der Welt!«</p>
+
+<p>»Schrei nicht!« sagt Seinwel-Jechïel und nimmt mich bei der
+Hand. »Schrei nicht! Broche-Leë wird des Kindes Amme sein.
+Und von heute an wisse: Der das Leben gibt, gibt auch wovon
+zu leben!«</p>
+
+<p>Und im selben Augenblick zerrann er mir in der Luft, und die
+helle Lichtsäule verschwand. Durch das Fenster sah schon der
+bleiche Wintermorgen herein.</p>
+
+<h3>VII</h3>
+
+<div class="scene-description">
+<p>Der das Leben gibt, gibt auch wovon zu leben</p>
+</div>
+
+<p>Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was ich in diesen Augenblicken
+empfand!</p>
+
+<p>Ich fiel meiner ganzen Länge nach nieder, und die Quellen
+meiner Augen taten sich auf, und die Tränen flossen und flossen&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Und es war mir, als ob ich nicht Tränen weinte, sondern
+Steine: als ob mir aus dem Herzen Steine heraufkämen und
+durch die Augen herausrollten. Denn je mehr Tränen ich vergoß,
+<a class="pagenum" name="Page_44" title="44"> </a>
+desto weniger Steine blieben mir auf dem Herzen, desto leichter
+und freier wurde es mir in der Brust!</p>
+
+<p>Und die Geschichte geht schon zu Ende.</p>
+
+<p>Ich gehe nach Hause.</p>
+
+<p>Die Tür, sehe ich, steht offen!</p>
+
+<p>Ich trete in die Stube und sehe im schwachen, bleichen Morgenlichte,
+daß Diebe dagewesen sind! Der ganze Hausrat ist weg!</p>
+
+<p>»Macht nichts!« sage ich mir.</p>
+
+<p>Die Kinder husten im Schlafe trocken und heiser.</p>
+
+<p>Ich höre es und denke mir: »Schadet nichts, macht nichts!«</p>
+
+<p>Bald kommt meine Frau Feige heim und sagt: »Gratuliere!«
+Und ich antworte:</p>
+
+<p>»Ein Söhnchen, ein Krüppel!«</p>
+
+<p>Sie schaut mich an.</p>
+
+<p>»Bist du ein Prophet oder was?« Sie hört gar nicht, daß die
+Kinder husten, und sieht nicht, daß die Wohnung ausgeräumt ist.</p>
+
+<p>»Woher weißt du das?«</p>
+
+<p>Und ich sage ihr:</p>
+
+<p>»Noch mehr weiß ich, Feige, meine Frau! Ich weiß, daß des
+reichen Reb Simches Tochter weggekommen ist (das Wort ›verschieden‹
+konnte ich nicht über die Lippen bringen) und daß das
+Kind, auch ein Söhnchen, lebt! Und daß Broche-Leë seine Amme
+sein wird!«</p>
+
+<p>»Wer hat dir das alles erzählt?«</p>
+
+<p>»Denn«, sage ich ihr, »der das Leben gibt, gibt auch wovon zu
+leben.«</p>
+
+<p>Und ich erzählte ihr alles.</p>
+
+<h2>Der kranke Knabe</h2>
+
+<p class="drop-cap">Mameschi, ich will dir ein Geheimnis erzählen; doch der Vater
+soll davon nichts erfahren!</p>
+
+<p>Du fragst mich: warum? Weil der Vater mich weniger lieb
+hat&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Nein, Mameschi, ich sündige mit den Lippen: er hat mich nicht
+weniger lieb, er hat mich nur <em class="gesperrt">anders</em> lieb!</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_45" title="45"> </a>Er ist ja der Vater und muß streng sein&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Vater hat einen langen Bart; Vaters Gesicht fühlt sich beim
+Streicheln nicht so an wie Mutters atlasglattes Gesicht &hellip; Er
+hat auch ganz andre Augen und einen ganz andern Blick. Wenn
+du mich anschaust, hast du so lachende und dabei so feuchte, so
+gütige und dabei so traurige Augen &hellip; Du bist Mutter und zugleich
+Kamerad &hellip; Vor dir kann ich keine Geheimnisse haben &hellip;
+Mit deinen Augen ziehst du mir jedes Geheimnis aus dem Herzen
+heraus&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Vater schaut ganz anders: immer ernst, beinahe kalt&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Nein, Mameschi, es sind ganz andre, wirklich ganz andre
+Augen!</p>
+
+<p>Als ich noch klein war, hatte ich vor dem Vater weniger Angst.
+Ich weiß noch, wie ich ihm auf die Knie zu springen pflegte, wie
+ich ihm das Haar zerzauste, den Bart zerteilte und zu Zöpfen
+flocht, die Lippen übereinanderbog; und wenn er mich böse anschauen
+wollte, drückte ich ihm die Lider hinunter und schloß
+ihm einfach die Augen &hellip; Heute kann ichs nicht mehr&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Einmal &ndash; hörst du, Mameschi? &ndash; einmal, als ich krank war,
+erwachte ich und sah euch beide an meinem Bette stehen &hellip; Du
+hast so still, so herzensstill geweint; und der Vater &hellip; Mameschi!&hellip;
+Vater hatte damals ein so schreckliches Gesicht, und
+ich sah, daß er Gott böse war! Vor Schreck schloß ich wieder
+die Augen&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Und seit damals kann ich dem Vater nicht mehr nahe kommen
+wie früher &hellip; Etwas hält mich zurück! Oft will mir das Herz
+aus der Brust springen und ihm zufliegen, und doch kann ich
+es nicht!</p>
+
+<p>Glaubst du, daß ich den Vater weniger lieb habe? Gott behüte!
+Ich habe Vater sehr lieb und gewinne ihn mit jedem Tag,
+mit jeder Minute noch lieber &hellip; Wenn er auf mich zugeht,
+hüpft mir das Herz vor Freude, und es bebt in mir die Seele
+vor Hoffnung: gleich wird er mich bei der Hand fassen und an
+sein Herz drücken&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Vor dir zittere ich nicht: du hast mich immer und gleich lieb &hellip;
+Du hast für mich immer Zeit, und du umarmst und küßt mich
+<a class="pagenum" name="Page_46" title="46"> </a>
+jeden Augenblick &hellip; Du bist immer, immer mein &hellip; Vater
+hat so viel Geschäfte!</p>
+
+<p>Ich weiß: er will, daß ich einmal reich sein soll!</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>Jetzt willst du wohl, Mameschi, mein Geheimnis hören?</p>
+
+<p>Ich schäme mich!</p>
+
+<p>Vor der Mutter, sagst du, soll man sich nicht schämen? Es ist
+wahr &hellip; Und doch &hellip; Weißt du was, Mameschi? Setz dich
+hier auf diesen Stuhl vor dem Fenster &hellip; Gut so!</p>
+
+<p>Ach, wie schön die Sonne untergeht! Wie schön fallen ihre
+rötlichen Strahlen auf dein edles, blasses Gesicht!&hellip;</p>
+
+<p>Ach, Mameschi, wie schön, wie schön und edel bist du!</p>
+
+<p>Warte &hellip; Nun will ich mich dir zu Füßen setzen &hellip; Und
+du sollst mir, wenn ich erzähle, nicht ins Gesicht schauen &hellip; Ich
+will mich auf den Fußschemel setzen und beim Erzählen zum
+Fenster hinausschauen&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Nein!&hellip; So ists nicht gut! Ich werde mich vor der Sonne
+schämen &hellip; Siehst du: am Tage strahlt sie, doch am Abend
+nimmt sie von uns so traurig Abschied, daß ich mich schäme, von
+mir zu sprechen&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Ich will meinen Kopf an deinen Schoß lehnen &hellip; Ich will
+meine Augen schließen, und du &hellip; du leg mir noch deine Hand
+auf die Stirn &hellip; Ist es dir nicht zu schwer, Mameschi, wenn
+ich meinen Kopf so an dich lehne? Nein?</p>
+
+<p>Sechzehn Jahre ist dein Kind alt und hat ein so leichtes, ein
+so kleines Köpfchen &hellip; Und ich selbst&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Seufze nicht, Mameschi! Gott hat mich nicht zu karg bedacht:
+er gab mir zwar wenig Fleisch, dafür aber viele andre gute
+Gaben: dich, den Vater &hellip; Tage und Nächte mit wunderlichen
+Träumen &hellip; Und nun &ndash; das Geheimnis&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Nun sehe ich nichts &hellip; Mit geschlossenen Augen werde ich
+es vielleicht doch erzählen können &hellip; Ich wills versuchen&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Es fällt mir so schwer!&hellip;</p>
+
+<p>Wenn ich es mir so überlege &ndash; so ist es nichts: ein Netz aus
+einigen wunderlichen Strahlen, &ndash; und doch lastet es mir auf dem
+Herzen wie ein Stein &hellip; Es ist kein Kieselstein, kein Stein von
+der Gasse oder vom Felde&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_47" title="47"> </a>Es ist ein kostbarer Stein; er strahlt und leuchtet&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Er liegt mir tief in der Brust und erfüllt mein ganzes Wesen,
+alle meine Glieder mit seinen Strahlen, mit seinem heimlichen,
+warmen, lebendigen Licht&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Das Licht soll nicht verlöschen, Mameschi!</p>
+
+<p>Es verlischt so vieles!&hellip;</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>Hörst du, Mameschi!</p>
+
+<p>Nein, warte, so einfach und geradeaus beginnen kann ich doch
+nicht&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Hör aber! Weißt du noch, Mameschi, daß du mir gestern
+etwas Kleingeld gabst? Weißt du es noch?</p>
+
+<p>Ich habe davon noch nichts ausgegeben, und doch fehlt mir
+schon etwas&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Es fehlt mir ein Zehnerl!</p>
+
+<p>Ob ich es verloren habe? Nein &hellip; Du gibst mir doch das
+Geld, damit ich davon armen Leuten, armen Kindern, denen ich
+bei meinen Spaziergängen begegne, Almosen gebe &hellip; Armengeld
+werde ich doch nicht verlieren!</p>
+
+<p>Ob ich es weggegeben habe? Gewiß. Ob einem Armen? Ich
+weiß es nicht &hellip; Vielleicht ja, und vielleicht auch nicht &hellip;
+Hör nur zu, vielleicht wirst du es selbst verstehen!</p>
+
+<p>Gestern ging die Sonne ebenso schön unter &hellip; Vielleicht
+noch schöner&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Du hast mich schauen gelehrt, und ich schaue und sehe, was
+andre meinesgleichen nicht sehen &hellip; Darum gehe ich am liebsten
+ganz allein spazieren &hellip; Gestern ging ich hinter die Stadt, du
+weißt, zu der Stelle am Flusse, von wo aus man sie ganz überblickt.
+Die Häuser türmen sich übereinander, immer höher und
+höher; und die Häuser, die weiter stehen, wollen über die andern
+hinüberschauen und auch etwas von Gottes Welt sehen; darum
+ragen sie, je weiter sie stehen, um so höher hinauf. Und die
+Sonne sieht im Untergehen auf sie herab und übergießt sie mit
+ihrem Lichte &hellip; nimmt Abschied von ihnen &hellip; küßt sie&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Und ich sehe, wie die Schatten diesen letzten Strahlen nachjagen,
+wie sie sich immer mehr und mehr verdichten und wie sie
+fließen und überall eindringen, wo sie nur können. Sie erfüllen
+<a class="pagenum" name="Page_48" title="48"> </a>
+alle Zwischenräume zwischen den Häusern, alle freien Plätze
+zwischen den Mauern, und sie heben und jagen das letzte rötliche
+Sonnenlicht hinauf, in den Himmel, aus dem es kommt &hellip;
+»Geht zur Ruhe, ihr Strahlen, jetzt ist <em class="gesperrt">unsre</em> Zeit!&hellip; Gute
+Nacht!&hellip;«</p>
+
+<p>Und es wird allmählich dunkler und dunkler und der Himmel
+immer tiefer und tiefer &hellip; Bald werden, einer nach dem andern,
+die Sterne aufleuchten &hellip; Und wie ich das alles sehe, komme
+ich zur Schreinergasse, zu der letzten Gasse der Stadt, die so steil
+hinuntergeht &hellip; Und so kam ich zum Fluß, wo die alte Schul
+steht&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Und ich kam ganz nahe an die alte Schul heran.</p>
+
+<p>Am Tage sieht sie schrecklich aus: armselig, baufällig, ganz
+schwarz vor Alter &hellip; Die Spinnen wollen aus Mitleid die eingeschlagenen
+Fensterscheiben überweben &hellip; Und auf dem Hügel
+gegenüber, am andern Ende der Gasse, steht die schlanke, spitze
+Christenkirche und lacht&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Doch am Abend sah die alte Schul ganz anders aus &hellip; Zum
+ersten Male sah ich sie gestern so &hellip; Ein leichter, lieblicher,
+dunkelblauer Nebel umhüllte sie &hellip; Die Fenster ohne Scheiben
+waren gar nicht blind &hellip; Sie blickten ernst und tief in die
+Welt hinaus &hellip; Und die Gesimse oben lebten und rührten sich
+beinahe. Die gemalten Löwen wollten sich von der Mauer losreißen
+&hellip; Gleich werden sie zu brüllen anfangen!</p>
+
+<p>Glaubst du, daß <em class="gesperrt">das</em> mein Geheimnis ist? Nein, Mameschi!
+Das alles sehe ich erst jetzt, wie ich es dir erzähle; mit den
+gestrigen Augen sehe ich es.</p>
+
+<p>Ach, Mameschi, wenn ich reich wäre!</p>
+
+<p>Was ich dann täte?</p>
+
+<p>Ich würde die alte Schul wieder aufrichten!</p>
+
+<p>Ich will, daß auch sie hoch ist und in den Himmel hinaufragt!
+Und sie muß höher sein, weil sie tiefer steht! Und ein goldenes
+Dach soll sie haben und kristallene Fensterscheiben!</p>
+
+<p>Hörst du, Mameschi, so denke ich es mir: man kann ja auch
+ohne Schul auskommen; denn Gott ist überall &hellip; Wo nur eine
+Träne fällt, die merkt er! Wo jemand die Augen zu ihm hebt,
+den sieht er! Wo nur ein bekümmertes Herz seufzt, das hört
+<a class="pagenum" name="Page_49" title="49"> </a>
+er!&hellip; Wenn man aber schon eine Schul hat, so soll sie hoch,
+schön, strahlend und würdig sein.</p>
+
+<p>So dachte ich es mir auch gestern. Und plötzlich hörte ich ein
+Weinen! Ein leises und trauriges Weinen, süß und traurig
+und so seltsam ergreifend&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Wenn du spielst, kommen manchmal aus dem Klavier solche
+weinende Töne&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Und ich glaubte &ndash; Mameschi, die Wahrheit zu sagen, <em class="gesperrt">wollte</em>
+ich es glauben, und ich wandte mich absichtlich nicht um, um es
+möglichst lange glauben zu können &ndash; ich glaubte, daß das Weinen
+und Schluchzen aus der alten Schul kommt &hellip; daß dort drinnen,
+in dunkelblauen Nebel gehüllt, die Seele der alten Schul sitzt
+und weint&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Und sie beklagt sich, daß die Sonne ihr unrecht tut &hellip;, daß
+sie ganze Garben ihres goldenen Lichtes auf das Kirchendach
+ausschüttet und ihr kaum einen Strahl gönnt &hellip; Sie wirft ihr
+am hellsten Mittag nur einen blassen Strahl wie ein Almosen
+zu &hellip; Und dieser Strahl gleitet über sie weg und stiehlt sich
+fort, wie verschämt!&hellip;</p>
+
+<p>Aber es war <em class="gesperrt">nicht</em> die Schul&nbsp;&hellip;</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>Es war ein kleines Mädchen &hellip; Es lag im Sande, suchte
+etwas und weinte&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Als ich mich umwandte, sah ich erst nur ihr abgetragenes
+Kleidchen wie einen dunkelgrauen Fleck auf dem gelben Sande
+und ein Paar ausgetretene Schuhe!</p>
+
+<p>Und noch etwas sah ich&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Mameschi, ich schäme mich &hellip; es wird mir so warm &hellip;
+Stelle dir vor: eine Flut rote, ganz feuerrote Haare &hellip; Funken
+stoben aus ihnen&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>»Was weinst du, Mädchen, und was suchst du im Sand?«</p>
+
+<p>Ihre Mutter hatte sie etwas kaufen geschickt und ihr ein Zehnerl
+mitgegeben. Jemand stieß sie im Vorbeigehen an, und das Zehnerl
+fiel in den Sand &hellip; Darum weint sie&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Ich &ndash; wenn ich Gott weiß was verloren hätte, ich täte nicht
+weinen!</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_50" title="50"> </a>Ich frage sie: »Wars ein großer Zehner oder ein weißes
+Zehnerl?«</p>
+
+<p>»Ein weißes!« sagt sie und wendet sich nach mir gar nicht um.</p>
+
+<p>»Ich will dir suchen helfen,« sage ich.</p>
+
+<p>Ich bücke mich, tue so, als ob ich suchte, und finde ihr ein
+weißes Zehnerl.</p>
+
+<p>»Hier hast du es!«</p>
+
+<p>Sie sprang vor Freude auf und warf sich mit einem Ruck des
+Kopfes die rote Haarflut in den Nacken &hellip; Und unter den
+Haaren kam wie unter einer Wolke ein kleines alabasterweißes
+Gesichtchen zum Vorschein &hellip; Und Augen waren darin, Mameschi,
+Augen&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Nein, Mameschi, die Augen kann ich nicht beschreiben!&hellip;</p>
+
+<p>So viel Freude leuchtete in ihnen&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Die ganze Nacht träumte ich von diesen Augen, die ganze
+Nacht&nbsp;&hellip;</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>Das ist mein ganzes Geheimnis, Mameschi!</p>
+
+<p>Du lächelst?</p>
+
+<p>Lache nicht, Mameschi! Die Augen vergesse ich niemals&nbsp;&hellip;</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>Mameschi&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Darf ich wieder einmal in die Schreinergasse gehen, mir
+wieder &hellip; die alte Schul anschauen?&hellip;</p>
+
+<h2>Bonze Schweig</h2>
+
+<p>Hier auf <em class="gesperrt">dieser</em> Welt machte Bonze Schweigs Tod gar keinen
+Eindruck! Man kann lange fragen, <em class="gesperrt">wer</em> Bonze Schweig
+war, <em class="gesperrt">wie</em> er lebte, <em class="gesperrt">woran</em> er starb: ob ihm das <em class="gesperrt">Herz</em> barst,
+ob ihm die Kräfte ausgingen, ob ihm unter einer schweren Last
+das Rückgrat brach &hellip; Wer weiß? Vielleicht starb er gar vor
+Hunger&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Wenn ein Trambahnpferd stürzt, macht das schon viel mehr
+Eindruck: die Zeitungen berichten darüber, Hunderte von Menschen
+rennen aus allen Gassen herbei, um das gefallene Pferd
+<a class="pagenum" name="Page_51" title="51"> </a>
+oder nur die Stelle, wo sich der Unfall ereignete, zu sehen &hellip; Doch
+auch dem Trambahnpferde wäre diese Ehre nicht zuteil, wenn
+es ebenso viele Millionen Trambahnpferde gäbe wie Menschen.</p>
+
+<p>Bonze hat still gelebt und ist still gestorben. Wie ein Schatten
+glitt er durch <em class="gesperrt">unsre</em> Welt.</p>
+
+<p>Bei Bonzes Beschneidungsfeier trank man keinen Wein,
+klirrten keine Becher. Bei seiner Bar-Mizwa<a name="FNanchor_15" href="#Footnote_15" class="fnanchor">(15)</a> hielt er keine
+wohlgesetzte Rede &hellip; Er lebte wie ein farbloses Sandkörnchen
+am Meeresufer unter Millionen seinesgleichen. Und als der
+Wind das Sandkörnchen aufhob und auf das andre Ufer des
+Meeres hinübertrug, merkte es niemand.</p>
+
+<p>Solange er lebte, behielt der Straßenschmutz keine einzige
+Spur seiner Füße. Und als er begraben war, warf der Wind
+die kleine Holztafel auf seinem Grabe um. Die Frau des Totengräbers
+fand später das Brettchen weit vom Grabe liegen, machte
+Feuer damit und kochte darauf ihre Kartoffeln &hellip; Drei Tage
+nach Bonzes Tode wußte der Totengräber nicht mehr, wo er ihn
+beerdigt hatte!</p>
+
+<p>Hätte Bonze ein richtiges Grabmal gehabt, so wäre es möglich,
+daß hundert Jahre nach seinem Tode Altertumsforscher den
+Grabstein gefunden hätten; dann wäre Bonze Schweigs Namen
+noch einmal in <em class="gesperrt">unsrer</em> Luft erklungen.</p>
+
+<p>Ein Schatten! In keinem Menschenherzen, in keinem Menschenhirn
+blieb Bonze Schweigs Bild zurück. Nichts erinnert
+an ihn. Elend gelebt, elend gestorben!</p>
+
+<p>Wenn nicht der ewige Straßenlärm, so hätte vielleicht jemand
+gehört, wie Bonze Schweigs Rückgrat unter den schweren Lasten
+knackte; hätte die Welt mehr Zeit gehabt, so hätte vielleicht
+jemand bemerkt, daß Bonze Schweig erloschene Augen und
+furchtbar eingefallene Wangen hatte, daß er, selbst wenn er keine
+Last auf dem Rücken schleppte, immer den Kopf gesenkt hielt, als
+ob er sich schon bei Lebzeiten ein Grab suchte. Und wenn es nur
+ebensoviel Menschen gäbe wie Trambahnpferde, so hätte vielleicht
+doch jemand gefragt: was ist aus Bonze Schweig geworden?!</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_52" title="52"> </a>Als man Bonze Schweig ins Spital brachte, blieb seine Schlafstelle
+im Keller nicht leer: zehn seinesgleichen warteten schon auf
+seinen Winkel, den sie untereinander versteigerten. Als man ihn
+aus dem Spitalbette hob und in die Leichenkammer brachte,
+warteten auf sein Bett schon zwanzig andre arme Kranke &hellip;
+Und als man ihn aus der Leichenkammer hinaustrug, brachte
+man zwanzig Leichen herein, die man unter einem eingestürzten
+Hause herausgeholt hatte &hellip; Wer weiß, wie lange er in seinem
+Grabe bleiben darf, wer weiß, wieviel Tote auf das kleine
+Fleckchen Erde warten&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Still geboren, still gelebt, still gestorben und noch stiller begraben
+. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
+. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>Ganz anders war es aber auf <em class="gesperrt">jener</em> Welt! Dort machte
+Bonze Schweigs Tod einen gewaltigen Eindruck.</p>
+
+<p>Die große Posaune, die dereinst auf Erden bei Messias' Ankunft
+erklingen wird, verkündete in allen sieben Himmeln: Bonze
+Schweig ist im <em class="gesperrt">Herrn entschlafen</em>! Die vornehmsten Engel
+mit den breitesten Flügeln flogen durch den Himmel und riefen
+einander zu: Bonze Schweig ist zu den himmlischen Scharen einberufen
+worden! Und im Paradiese war eitel Freude, ein Singen
+und Rauschen: Bonze Schweig! Das ist doch wirklich kein Spaß!</p>
+
+<p>Junge Engel mit diamantenen Augen, goldenen, filigran gearbeiteten
+Flügeln und silbernen Pantöffelchen flogen und
+liefen ihm freudejauchzend entgegen! Das Rauschen der Flügel,
+das Klappern der Pantöffelchen, das fröhliche Lachen der jungen,
+frischen, rosigen Engel klang durch alle Himmel und drang bis
+vor den Thron der Göttlichen Majestät. Und Gott selbst wußte
+schon auch, daß Bonze Schweig kommt!</p>
+
+<p>Vater Abraham stellte sich vor der Himmelstür auf, die rechte
+Hand zu einem gar freundlichen Willkommengruß ausgestreckt,
+ein süßes Lächeln auf seinem strahlenden Greisenantlitz.</p>
+
+<p>Was rollt da durch den Himmel?</p>
+
+<p>Zwei Engel rollen einen goldenen Großvaterstuhl ins Paradies.
+Er ist für Bonze Schweig.</p>
+
+<p>Was hat eben so hell aufgeblitzt?</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_53" title="53"> </a>Eine goldene Krone, mit den teuersten Edelsteinen besetzt,
+wurde soeben vorbeigetragen: alles für Bonze!</p>
+
+<p>»Noch vor dem Urteilsspruche des Himmlischen Gerichtshofes?«
+fragen die Gerechten etwas verwundert und nicht ohne
+Neid.</p>
+
+<p>»Ach!« antworten die Engel, »die Verhandlung wird nur
+eine leere Formalität sein! Selbst der Ankläger wird nicht
+wissen, was gegen Bonze Schweig vorzubringen wäre. Der
+ganze Prozeß wird höchstens fünf Minuten dauern!«</p>
+
+<p>»Ihr wagt es, über Bonze Schweig die Nase zu rümpfen?«</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>Als die jungen Engel Bonze in der Luft abfingen und ihm
+eine Hymne sangen; als Vater Abraham ihm wie ein alter
+Kamerad die Hand drückte; als man ihm sagte, daß für ihn im
+Paradies bereits ein Sessel stehe, daß man für ihn eine Krone
+vorbereitet habe, daß am Himmlischen Gerichtshofe über ihn fast
+kein Wort fallen würde, &ndash; da tat Bonze Schweig dasselbe, was
+er bei Lebzeiten tat: er <em class="gesperrt">schwieg</em> vor Schreck. Das Herz stand
+ihm still. Er war überzeugt, daß das Ganze ein Traum sei oder
+eine Verwechslung.</p>
+
+<p>Er war an beides gewöhnt: mehr als einmal träumte er auf
+jener Welt, daß er vom Boden Geld aufliest, ganze Berge Geld;
+und wenn er erwachte, war er womöglich noch ärmer als zuvor.
+Mehr als einmal lächelte man ihm aus Versehen zu, und als
+man merkte, daß es eine Verwechslung war, wandte man sich weg
+und spie aus&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>»Ich habe schon einmal so ein Glück!« denkt er sich.</p>
+
+<p>Er fürchtet die Augen aufzuheben, damit der Traum nicht
+verschwinde: er wird noch in irgendeinem Loche unter Schlangen
+und Skorpionen erwachen. Er fürchtet, auch nur ein Wort zu
+sagen, auch nur ein Glied zu rühren, daß man ihn nicht erkenne
+und zum Teufel jage&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Er zittert und hört nicht die Komplimente der Engel; er sieht
+nicht, wie sie ihren Reigen um ihn tanzen; er antwortet nicht
+auf Vater Abrahams Willkommengruß, und als man ihn vor
+den Himmlischen Gerichtshof bringt, sagt er nicht Guten Tag.</p>
+
+<p>Er ist vor Schreck ganz außer sich!</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_54" title="54"> </a>Und sein Schreck wird noch größer, als sein Blick unwillkürlich
+auf den Fußboden des Verhandlungssaales fällt: nichts als
+Alabaster und Diamanten! »Auf solchem Fußboden stehen meine
+Füße!« sagt er sich ganz bestürzt. »Wer weiß, mit welchem vornehmen
+Herrn, mit welchem Rabbi, mit welchem göttlichen
+Manne sie mich verwechseln! Und wenn der Betreffende kommt,
+dann ist es aus mit mir!«</p>
+
+<p>Vor Schreck hört er nicht einmal, wie der Gerichtspräsident
+verkündet: »Der Fall Bonze Schweig!« und sich dann an den
+Fürsprech wendet, indem er ihm die Akten übergibt: »Lies, doch
+mach es kurz!«</p>
+
+<p>Der ganze Saal dreht sich um Bonze im Kreise herum; es
+rauscht ihm in den Ohren, und durch das Rauschen hindurch
+unterscheidet er allmählich die Stimme des himmlischen Fürsprechs,
+süß wie eine Geige:</p>
+
+<p>»Sein Name paßte ihm, wie ein von einem genialen Schneider
+gefertigtes Kleid auf einen schlanken Menschenleib&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Was redet er da?« fragt sich Bonze, und er hört, wie eine
+ungeduldige Stimme den Fürsprech unterbricht:</p>
+
+<p>»Bitte, ohne Gleichnisse!«</p>
+
+<p>»Er klagte niemals,« fährt der Fürsprech fort, »weder über
+Gott noch über die Menschen. In seinen Augen leuchtete niemals
+ein Funken des Hasses, und er hob sie kein einziges Mal
+mit einem Vorwurf gen Himmel&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>Bonze versteht wieder kein Wort, doch er hört, wie die harte
+Stimme von vorhin den Fürsprech wieder unterbricht:</p>
+
+<p>»Ohne Rhetorik!«</p>
+
+<p>»Hiob hielt es nicht aus, doch er war unglücklicher als Hiob&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Bitte, Tatsachen, nackte Tatsachen!« unterbricht der Präsident
+noch ungeduldiger.</p>
+
+<p>»Mit acht Tagen wurde er beschnitten&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Bitte, ohne realistische Details!«</p>
+
+<p>»Der Operateur war ein Pfuscher, konnte das Blut nicht
+stillen&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Weiter!«</p>
+
+<p>»Doch er schwieg immer,« fährt der Fürsprech fort. »Er
+schwieg auch, als er mit dreizehn Jahren seine Mutter verlor
+<a class="pagenum" name="Page_55" title="55"> </a>
+und eine Stiefmutter bekam, eine Stiefmutter, böse wie eine
+Schlange&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Meint er vielleicht doch mich?« denkt sich Bonze.</p>
+
+<p>»Bitte, keine Verdächtigungen gegen dritte Personen!« grollt
+der Präsident.</p>
+
+<p>»Sie kargte ihm jeden Bissen ab; sie gab ihm verschimmeltes
+Brot von vorgestern &hellip; Sehnen statt Fleisch &hellip; Und sie selbst
+trank währenddessen Kaffee mit Sahne&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Zur Sache!« schreit der Präsident.</p>
+
+<p>»Dafür geizte sie nicht mit Kniffen und Schlägen, und sein
+blau und braun unterlaufener Körper sah aus allen Löchern
+seiner schäbigen Kleider hervor &hellip; Im Winter, beim größten
+Frost mußte er barfuß auf dem Hofe Holz spalten, und seine
+Knabenhände waren zu schwach, die Holzklötze zu schwer und
+das Beil zu stumpf &hellip; Mehr als einmal renkte er sich dabei
+den Arm aus, mehr als einmal fror er sich die Füße wund, doch
+er <em class="gesperrt">schwieg</em> immer. Selbst vor dem Vater&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Vor dem Trunkenbold!« ruft lachend der Ankläger dazwischen,
+und Bonze überläuft es kalt.</p>
+
+<p>»&hellip;&nbsp;klagte er niemals,« beendet der Fürsprech seinen Satz.
+»Und immer elend, immer allein &hellip; keine Freunde, keine Schule,
+kein einziges ganzes Gewand &hellip; keine Minute freie Zeit&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Tatsachen!« ermahnt wieder der Präsident.</p>
+
+<p>»Er schwieg auch, als sein betrunkener Vater ihn einmal bei
+den Haaren packte und mitten in der Nacht, in einer Winternacht,
+aus dem Hause hinauswarf! Er erhob sich still aus dem
+Schnee und ging, wohin ihn die Füße trugen &hellip;</p>
+
+<p>»Er schwieg auch auf seiner Wanderung, und selbst beim
+größten Hunger bettelte er nur mit den Augen.</p>
+
+<p>»Erst in einer schwindligen, feuchten Frühlingsnacht erreichte
+er die Großstadt. Er verschwand in ihr sofort wie ein Wassertropfen
+im Meere, und doch verbrachte er gleich die erste Nacht
+im Arrest &hellip; Er schwieg und fragte nicht, warum und wofür.
+Und als er aus dem Arrest herauskam, suchte er sich gleich die
+schwerste Arbeit. Und schwieg!</p>
+
+<p>»Viel schwerer, als die Arbeit selbst, war es für ihn, Arbeit
+zu finden. Doch er schwieg!</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_56" title="56"> </a>»In kaltem Schweiß gebadet, unter der schwersten Last zusammenbrechend,
+von Krämpfen im leeren Magen geplagt,
+schwieg er!</p>
+
+<p>»Von fremden Rädern mit Kot bespritzt, von fremden Mündern
+bespien, mit der schwersten Last auf dem Rücken vom Bürgersteige
+auf die Straße gestoßen, zwischen Droschken, Equipagen
+und Trambahnen gejagt, jeden Augenblick den Tod vor Augen, &ndash;
+schwieg er!</p>
+
+<p>»Er rechnete niemals nach, wieviel Zentner Last auf den
+Pfennig seines Lohnes kamen, wie oft er bei einem Gange, für
+den er einen Dreier bekam, zusammenbrach; wie oft er beinahe
+die Seele ausspie, wenn er seinen Lohn mahnte. Er rechnete
+niemals nach, weder den eigenen noch den fremden Verdienst &ndash;
+er schwieg!</p>
+
+<p>»Seinen Lohn mahnte er niemals laut: er stand wie ein
+Bettler vor der Tür und bettelte wie ein Hund mit den Augen.
+›Komm später!‹ &ndash; und er verschwand stumm wie ein Schatten,
+um ›später‹ noch stummer um seinen Lohn zu betteln!</p>
+
+<p>»Er schwieg sogar, wenn man von seinem Lohn etwas abschwindelte
+oder ihm eine falsche Münze gab! Er schwieg
+immer!&hellip;«</p>
+
+<p>»Man meint also doch mich!« tröstet sich Bonze.</p>
+
+<p>Der Fürsprech nimmt einen Schluck Wasser und fährt fort:
+»Einmal kam in sein Leben eine neue Wendung. Eine Equipage
+auf Gummirädern raste durch die Straße: die Pferde
+waren durchgegangen, und der Kutscher lag schon längst mit zerschmettertem
+Schädel irgendwo auf dem Pflaster &hellip; Aus den
+Mäulern der erschrockenen Pferde spritzt Schaum, unter ihren
+Hufen stieben Funken, ihre Augen funkeln wie glühende Kohlen
+in finsterer Nacht &hellip; Und in der Equipage sitzt mehr tot als
+lebendig ein Mensch &hellip;</p>
+
+<p>»Und Bonze hielt die rasenden Pferde auf!</p>
+
+<p>»Der Gerettete war ein Jude, ein bekannter Wohltäter, und
+er vergaß Bonzes Tat nicht!</p>
+
+<p>»Er übergab ihm die Peitsche des getöteten Kutschers, und
+Bonze wurde Kutscher. Er tat noch mehr: er verheiratete ihn;
+und noch mehr: er versorgte ihn sogar gleich mit einem Kinde&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_57" title="57"> </a>»Und Bonze schwieg immer!«</p>
+
+<p>»Er meint mich!« sagt sich Bonze. Er zweifelt nicht mehr,
+und doch wagt er noch immer nicht, einen Blick auf den Himmlischen
+Gerichtshof zu werfen. Und er hört, wie der Fürsprech
+fortfährt:</p>
+
+<p>»Er schwieg auch, als sein Wohltäter bald darauf seine Zahlungen
+einstellte und auch ihm, Bonze, den Lohn vorenthielt&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>»Er schwieg, als seine Frau von ihm weglief und ihm ein
+Brustkind zurückließ&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>»Er schwieg sogar, als fünfzehn Jahre später dieses selbe
+Kind, das inzwischen groß und stark geworden war, ihn, seinen
+Vater, aus dem Hause hinauswarf&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Mich meint er, mich!« freut sich Bonze.</p>
+
+<p>»Er schwieg,« fährt der Fürsprech weicher und trauriger fort,
+»als dieser selbe Wohltäter mit allen Gläubigern Vergleich schloß
+und nur ihm keinen Pfennig von seinem Lohn bezahlte; und selbst
+dann, als er, wieder einmal in einer Equipage mit Gummirädern
+und löwengleichen Pferden dahinrasend, ihn, Bonze Schweig,
+überfuhr!&hellip;</p>
+
+<p>»Er schwieg immer! Auf der Polizei sagte er nicht einmal,
+wer ihn überfahren hatte &hellip;</p>
+
+<p>»Er schwieg auch im Spital, wo man doch <em class="gesperrt">schreien</em> darf!</p>
+
+<p>»Er schwieg, als der Doktor sich weigerte, anders als gegen
+Bezahlung von fünfzig Kopeken zu seinem Bette zu gehen; als
+der Krankenwärter ohne fünf Kopeken ihm die Wäsche nicht
+wechseln wollte!</p>
+
+<p>»Er schwieg in der Agonie, er schwieg im Sterben&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>»Kein Wort gegen Gott, kein Wort gegen Menschen!</p>
+
+<p>»<span class="antiqua" lang="la" xml:lang="la">Dixi!</span>«</p>
+
+<p>Bonze fängt wieder an am ganzen Leibe zu zittern. Er weiß,
+daß nach dem Fürsprech der Ankläger das Wort hat. Wer weiß,
+was <em class="gesperrt">der</em> sagen wird! Bonze hat von seinem ganzen Leben nichts
+im Gedächtnisse behalten. Auch auf jener Welt vergaß er jede
+Minute schon in der nächsten Minute &hellip; Der Fürsprech hatte
+ihm alles in Erinnerung gebracht. Wer weiß, woran ihn der
+Ankläger erinnern wird!</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_58" title="58"> </a>»Meine Herren!« fängt der Ankläger mit scharfer, stechender,
+sengender Stimme an.</p>
+
+<p>Er kommt nicht weiter.</p>
+
+<p>»Meine Herren!« beginnt er von neuem, schon viel weicher,
+und stockt wieder.</p>
+
+<p>Schließlich erklingt aus dem gleichen Munde eine beinahe
+milde Stimme:</p>
+
+<p>»Meine Herren! <em class="gesperrt">Er</em> schwieg, also will auch ich schweigen.«</p>
+
+<p>Es wird still, und es erklingt eine neue, weiche, zitternde
+Stimme:</p>
+
+<p>»Bonze, mein Kind Bonze!« klingt es wie eine Harfe: »Mein
+Herzenskind Bonze!«</p>
+
+<p>In Bonze schluchzt das Herz &hellip; Er möchte jetzt die Augen
+aufschlagen, sie sind aber von Tränen geblendet &hellip; So süß
+und traurig zugleich war es ihm noch niemals ums Herz. »Mein
+Kind!« &ndash; seit dem Tode seiner Mutter hat er noch nie eine solche
+Stimme und solche Worte gehört.</p>
+
+<p>»Mein Kind!« fährt der Allbarmherzige Vater des Gerichts
+fort. »Du schwiegst immer! Du hast kein einziges Glied, keinen
+einzigen Knochen in deinem Leibe, der nicht wundgeschlagen
+wäre; es ist keine noch so verborgene Stelle in deiner Seele, die
+nicht blutete &hellip; Und du schwiegst immer&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>»Dort verstand sich niemand darauf; vielleicht wußtest du
+sogar selbst nicht, daß du schreien kannst und daß vor deinem
+Schreien die Mauern Jerichos erzittern und einstürzen würden?
+Du wußtest nichts von der Kraft, die in dir schlummerte&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>»Auf jener Welt wurde dein Schweigen nicht belohnt. Doch
+jene Welt ist die Welt der Lüge. Hier, auf der Welt der Wahrheit,
+wirst du deinen Lohn bekommen!</p>
+
+<p>»Dich wird der Himmlische Gerichtshof nicht richten, über
+dich wird er keinen Spruch fällen.</p>
+
+<p>»Dir wird er nichts zuteilen und nichts zumessen: nimm dir,
+was du willst! <em class="gesperrt">Alles</em> ist dein!«</p>
+
+<p>Bonze hebt zum erstenmal die Augen. Das Licht, das von
+allen Seiten auf ihn eindringt, blendet ihn. Alles blitzt, alles
+glänzt und funkelt, von allen Seiten schießen Strahlen; von den
+Wänden, von den Geräten, von den Engeln und von den Richtern.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_59" title="59"> </a>Und er läßt die müden Augen wieder sinken.</p>
+
+<p>»Ist es wahr?« fragt er ungläubig und verschämt.</p>
+
+<p>»Gewiß!« antwortet sehr bestimmt der Vater des Gerichts.
+»Ich sage dir ja: alles ist dein! Alles im Himmel gehört dir!
+Wähle und nimm dir, was du willst: denn du nimmst nur von
+dem, was dir gehört!«</p>
+
+<p>»Ist es wahr?« fragt Bonze wieder, doch schon etwas sicherer.</p>
+
+<p>»Gewiß! Gewiß! Gewiß!« versichert man ihn von allen
+Seiten.</p>
+
+<p>»Nun, wenn so,« sagt Bonze lächelnd, »so will ich jeden
+Morgen eine warme Semmel mit frischer Butter!«</p>
+
+<p>Richter und Engel schlagen verschämt die Augen nieder. Der
+Ankläger beginnt zu lachen.</p>
+
+<h2>Neïlo in der Hölle<a name="FNanchor_16" href="#Footnote_16" class="fnanchor">(16)</a></h2>
+
+<p class="drop-cap">An einem ganz gewöhnlichen Tage, es war weder Jahrmarkt
+noch Wochenmarkt, hörten die Marktleute plötzlich Pferdegetrabe
+und sahen in der Ferne den Straßenkot aufspritzen. Bald
+zeigte sich auch eine Kutsche mit einem Pferde. Wer kann da
+gefahren kommen? Doch als die Kutsche auf dem Marktplatze
+anlangte, wandten sich alle Leute voller Abscheu, Angst und Zorn
+weg: in der Kutsche saß der Angeber aus der Nachbarstadt, der
+wohl direkt in die Hölle fuhr. Wer weiß, wen er diesmal bei
+den Behörden angeben wird!</p>
+
+<p>Plötzlich wird es still, die Leute schauen unwillkürlich hin: die
+Kutsche ist stehengeblieben, das Pferd hat den Kopf gesenkt und
+säuft aus einer Pfütze, und der Angeber ist von seinem Sitz heruntergefallen
+und liegt unbeweglich da.</p>
+
+<p>Es ist ja immerhin eine Menschenseele! Die Leute laufen
+hinzu: der Mann ist tot. Der Feldscher bestätigt: »Der ist erledigt!«
+Angestellte der Beerdigungsbrüderschaft nehmen sich
+der Leiche an. Pferd und Wagen werden verkauft, und mit dem
+Erlös werden die Beerdigungskosten bestritten.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_60" title="60"> </a>Kaum ist er beerdigt, als die Teufel seine Seele packen, sie
+nach der Hölle schleppen und dort dem Torbeamten übergeben.
+Der Angeber wird für eine Weile beim Höllentor aufgehalten,
+und der Beamte, der die Bücher und Eingänge und Ausgänge
+führt, nimmt gelangweilt und gähnend seine Personalien auf
+und trägt alles mit träger Hand in sein Buch ein.</p>
+
+<p>Und der Angeber, dessen ganzer Einfluß in der Hölle nichts
+mehr wert ist, gibt Antwort: Da und da geboren, da und da geheiratet,
+soundso lange sich vom Schwiegervater aushalten
+lassen, dann von Frau und Kindern entlaufen, in die und die
+Stadt verzogen und den Beruf eines Angebers ergriffen, von
+dem er auch so lange lebte, bis sein Maß voll wurde. Er starb
+plötzlich auf der Durchreise, auf dem Marktplatze der Stadt
+Lahadam.</p>
+
+<p>Da wird der Höllenbeamte, der die Bücher führt, plötzlich
+interessiert. Er hält mitten im Gähnen an und fragt:</p>
+
+<p>»Wie heißt die Stadt? La &ndash; ha&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;«</p>
+
+<p>»Lahadam!« wiederholt der Angeber.</p>
+
+<p>Der Matrikelführer wird plötzlich rot, und seine Augen drücken
+höchstes Erstaunen aus.</p>
+
+<p>»Habt ihr mal von einer solchen Stadt gehört?« wendet er
+sich an seine Gehilfen.</p>
+
+<p>Die Gehilfen zucken die Achseln, schütteln die Köpfe und strecken
+die Zungen aus:</p>
+
+<p>»Nein, noch nie!«</p>
+
+<p>»Gibts überhaupt eine solche Stadt?«</p>
+
+<p>Jede Gemeinde hat in der Hölle ihr eigenes Buch. Die Bücher
+sind alphabetisch geordnet, und jeder Buchstabe hat einen eigenen
+Schrank. Man nimmt also alle Bücher mit L durch: Lublin,
+Lemberg, Leipzig; alle Städte sind da, doch keine Stadt Lahadam!</p>
+
+<p>»Und doch gibt es eine solche Stadt!« sagt der Angeber. »Eine
+Stadt in Polen.«</p>
+
+<p>»Ist sie vielleicht ganz neu gegründet?«</p>
+
+<p>»Nein, sie steht schon an die zwanzig Jahre da. Der Gutsbesitzer
+hat sie erbaut und zwei Jahrmärkte eingesetzt. Es gibt
+da eine Schule, ein Bethaus, ein Bad&nbsp;&hellip;, zwei heimliche Branntweinschenken&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_61" title="61"> </a>»Ist hier schon einmal wer aus Lahadam gewesen?« fragt der
+Matrikelführer noch einmal seine Gehilfen.</p>
+
+<p>»Nein, niemand!« antworten sie.</p>
+
+<p>»Sterben denn dort die Leute gar nicht?« fragt man den Angeber.</p>
+
+<p>»Warum sollen sie nicht sterben?« antwortet er nach Judenart
+mit einer Frage. »Die Leute wohnen in kleinen, dumpfen Zimmern,
+das Bad ist so gebaut, daß man darin nicht atmen kann,
+das ganze Städtchen steht auf einem Sumpf!« Der Angeber
+fällt allmählich in seinen gewohnten Angeberton.</p>
+
+<p>»Auch einen Friedhof gibt es dort. Die Beerdigungsbrüderschaft
+schindet furchtbar hohe Gebühren. Erst vor kurzem gab
+es da eine Seuche&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>Man schickt den Angeber in die entsprechende Abteilung der
+Hölle und fragt wegen des Städtchens Lahadam an höherer
+Stelle an; da muß etwas nicht in Ordnung sein: die Stadt steht
+seit zwanzig Jahren da; es hat dort sogar schon eine Seuche gegeben,
+und doch &ndash; kein einziger Toter von dort!</p>
+
+<p>Die höhere Stelle schickt Boten hinauf, um der Sache nachzugehen:
+es stimmt! Und es verhält sich so: Es ist ein Städtchen
+wie jedes andere, mit wenig gottgefälligen Werken und sehr
+viel Sünden. Der böse Trieb arbeitet dort sogar recht energisch.
+Also, wo ist der Haken? Nun, sie haben eben in ihrer
+Gemeinde einen ganz ungewöhnlichen Vorbeter! Das heißt,
+der Vorbeter ist als Mensch durchaus gewöhnlich und unbedeutend,
+doch er hat eine Stimme, eine so süße, so himmlische
+Stimme, daß, wenn er singt, selbst die verstocktesten eisernen
+Herzen weich wie Wachs werden. Kaum steht er am Vorbeterpult,
+als die ganze Gemeinde ihre Sünden bereut und so aufrichtig
+Buße tut, daß oben alle Sünden vergeben und aus den
+Registern gestrichen werden. Und die Tore des Paradieses stehen
+allen Einwohnern von Lahadam weit offen. Wenn einer kommt
+und sagt: »Ich bin aus Lahadam«, so wird er gar nicht mehr
+weiter gefragt.</p>
+
+<p>Die ganze Geschichte paßt der Hölle selbstverständlich gar nicht,
+und Satan selbst nimmt die Sache in die Hand. Er wird mit
+<a class="pagenum" name="Page_62" title="62"> </a>
+dem Vorbeter schon fertig werden! Was tut er? Er schickt auf
+die Erde hinauf und läßt sich einen lebenden kalikutischen Hahn
+mit rotem Kamm holen. Man bringt ihm bald den Hahn und
+stellt ihn vor ihn auf den Tisch. Der Hahn ist so erschrocken,
+daß er sich gar nicht rührt, und der Satan &ndash; verflucht sei sein
+Name! &ndash; setzt sich vor ihn hin, fängt ihn zu krauen an und starrt
+so lange und unverwandt auf seinen roten Kamm, bis dieser weiß
+wie Kalk wird. Wie der Satan fühlt, daß der Allmächtige oben
+in höchsten Zorn geraten ist, ruft er aus:</p>
+
+<p>»Soll er seine süße Stimme verlieren bis zu seiner Sterbestunde!«</p>
+
+<p>Wen er bei dieser Beschwörung meinte, wißt ihr selbst; und
+ehe noch der Kamm des kalikutischen Hahns wieder rot geworden
+war, hatte schon der Vorbeter von Lahadam seine Stimme verloren.
+Seine Kehle ist wie geschlagen; er kann kaum noch sprechen.
+Wer am Unglück die Schuld hat, weiß man schon; das heißt,
+einige Wunderrabbis wissen es. Wer hat aber den Mut, dem
+Vorbeter so etwas zu sagen? Es ist doch sowieso nichts mehr
+zu machen! Wenn der Vorbeter als Mensch noch irgendwie
+hervorragend wäre, so könnte man vielleicht durch Fürbitte im
+Himmel etwas erreichen. Aber er war eben ein durchaus unbedeutender
+Mensch, eine Null&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Der Vorbeter reist von einem Wunderrabbi zum andern, doch
+keiner kann ihm etwas sagen. Nun kommt er zum Rabbi von
+Opatow und gibt ihm keine Ruhe: er wird nicht fortgehen, bis
+er die Wahrheit erfahren hat. Es ist ein Jammer mit dem
+Menschen! Und der Rabbi versucht ihn zu trösten:</p>
+
+<p>»Wisse, daß deine Heiserkeit nur bis zu deiner Sterbestunde
+anhalten wird. Dein Sterbegebet wirst du aber schon mit einer
+so klaren Stimme sprechen können, daß man es in allen Himmeln
+hören wird!«</p>
+
+<p>»Und bis dahin?«</p>
+
+<p>»Bis dahin ist die Sache hoffnungslos!«</p>
+
+<p>Der Vorbeter bestürmt noch einmal den Rabbi:</p>
+
+<p>»Wie ist das geschehen? Warum ist mir das geschehen?«</p>
+
+<p>Und er plagt den Rabbi so lange, bis dieser ihm alles erzählt.</p>
+
+<p>»Wenn so,« schreit der Vorbeter mit heiserer Stimme auf,
+<a class="pagenum" name="Page_63" title="63"> </a>
+»so werde ich mich schon rächen!« Und mit diesen Worten läuft
+er hinaus.</p>
+
+<p>»Wie willst du dich rächen? Und an wem?« ruft ihm der
+Rabbi nach. Doch der Mann ist schon fort.</p>
+
+<p>Das geschah an einem Dienstag; andre sagen &ndash; an einem
+Mittwoch. Und als am Donnerstag abend die Fischer von Opatow
+Fische zum Sabbat fangen wollten und ihr Netz herauszogen, so
+war das Netz auffallend schwer; und wie man es herauszog, lag
+darin der Vorbeter von Lahadam.</p>
+
+<p>Er hatte sich von der Brücke ins Wasser gestürzt. Und wie er
+das Sterbegebet sprechen sollte, hatte er seine schöne Stimme,
+wie es ihm der Rabbi ganz richtig vorausgesagt hatte, wiederbekommen;
+denn der Satan hatte ausdrücklich bestimmt: »Bis
+zur Sterbestunde!« Doch als er ins Wasser sprang und sich ertränkte,
+hat er das Sterbegebet gar nicht gesprochen, sondern
+seine Stimme für später aufgehoben. Und das war seine Rache,
+wie ihr es gleich sehen werdet.</p>
+
+<p>Wie es einem Selbstmörder geziemt, wird der Vorbeter sofort
+von den Teufeln gepackt und in die Hölle geschleppt. Beim Tore
+wird er wie üblich ausgefragt, aber er gibt keine Antwort. Man
+versucht, ihn mit einer glühenden Gabel zum Sprechen zu bringen,
+doch er schweigt.</p>
+
+<p>»Nehmt ihn so!«</p>
+
+<p>Man weiß doch auch so, wer er ist: man hatte ihn ja erwartet!
+Und man nimmt ihn »so« und führt ihn zu einem Kessel, der für
+ihn gerade heiß gemacht wird: sobald das Pech zu sieden anfängt,
+wird man ihn hineinwerfen. Doch der Vorbeter setzt sich plötzlich
+den Daumen an die Gurgel und beginnt den Kaddisch aus
+der Neïlo&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Er singt, und seine Stimme klingt immer mächtiger und noch
+süßer, noch herzergreifender als je &hellip; Und in den Kesseln, aus
+denen bisher ein Winseln und Jammern drang, wird es plötzlich
+still. Dann fallen Stimmen ins Gebet ein, verbrühte Köpfe
+heben die Deckel von den Kesseln, und versengte Lippen singen
+mit&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Die Teufel, die bei den Kesseln stehen, beten nicht mit: sie
+sind vor Schreck wie gelähmt. Sie stehen &ndash; der eine mit einer
+<a class="pagenum" name="Page_64" title="64"> </a>
+Tracht Brennholz zum Nachlegen, der andre mit einem Schürhaken,
+der dritte mit einer eisernen Gabel in der Hand, mit
+aufgerissenen Mäulern, ausgestreckten Zungen, runden Augen
+und verzerrten Gesichtern und rühren sich nicht; andre sind
+vor Schreck umgefallen &hellip; Während der Vorbeter in der Neïlo
+fortfährt, geht das Feuer unter den Kesseln allmählich aus, und
+die Toten kommen einer nach dem andern heraus.</p>
+
+<p>Er singt, und die ganze Gemeinde betet voller Inbrunst mit;
+und während sie beten, verheilen die Brandwunden und überziehen
+sich mit neuer Haut, verbrannte Glieder wachsen nach,
+und alle Leiber sind wie geläutert&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p>Und wie der Vorbeter zur Stelle kommt: »Gesegnet seiest du,
+Herr, der du die Toten lebendig machst!« &ndash; werden alle Toten
+wirklich lebendig, nehmen die Gestalt an, die sie vorher hatten,
+und rufen wie ein Mensch »Amen!« Und bei der Stelle: »Sein
+großer Name werde gepriesen in alle Ewigkeit!&hellip;« klingt es
+so laut, daß alle Himmel sich auftun und das Bußgebet der
+Sünder bis in den siebenten Himmel hinaufsteigt, bis zum
+Throne der Göttlichen Majestät. Und es ist gerade eine Stunde
+der Gnade, und alle Sünder, die nicht mehr Sünder sind, bekommen
+plötzlich Flügel und fliegen empor und finden die Tore
+des Paradieses weit geöffnet.</p>
+
+<p>In der Hölle zurückgeblieben sind nur die vor Schreck erstarrten
+Teufel und der Vorbeter selbst. Wie bei Lebzeiten hatte er durch
+seine Stimme alle Herzen erweicht und zur Buße bekehrt, doch
+selbst nicht ordentlich Buße getan. Zudem war er ja auch ein
+Selbstmörder!</p>
+
+<p>Mit der Zeit hat sich die Hölle wieder gefüllt &hellip; Ich hörte
+sogar, daß man dort jetzt einen Erweiterungsbau aufführt&nbsp;&hellip;</p>
+
+<h2>Reb Jojchenen Gabaj</h2>
+
+<p class="drop-cap">Müde und abgespannt von seiner Arbeit in der Gemeinde
+kam Reb Jojchenen der Gabaj<a name="FNanchor_17" href="#Footnote_17" class="fnanchor">(17)</a> nach Hause. Schon in
+der Küche empfing ihn der Geruch von Speisen, von Fleisch und
+<a class="pagenum" name="Page_65" title="65"> </a>
+gekochten Äpfeln. Er trat schnell ins nächste Zimmer, wo ihm
+aber seine Frau Ssosche einen wenig freundlichen Empfang bereitete.</p>
+
+<p>»Müßiggänger!« schrie sie ihm mit böser Stimme entgegen,
+als er sich auf der Schwelle zeigte.</p>
+
+<p>»Warum schimpfst du?« fragte Reb Jojchenen, indem er sich
+auf eine Bank setzte, um auszuruhen.</p>
+
+<p>»Er fragt noch, warum ich schimpfe! Immer bist du mit
+deinen Gemeindesachen beschäftigt; wann wirst du aber, du
+Müßiggänger, auch etwas für dich selbst tun?«</p>
+
+<p>»Für mich?« fragte der Gabaj verwundert. »Was soll ich
+denn für mich tun? Unsere Kinder sind ja schon, Gott sei Dank,
+selbständig, und uns beiden fehlt gar nichts &hellip; Was soll ich
+also tun?&hellip;« Er sieht sich in der Stube um und fügt hinzu:
+»Das Bett ist auch ohne mich gebettet, das Geschirr ist auch
+ohne meine Hilfe gewaschen; ich habe die Wände nicht einmal
+angerührt, und doch sehe ich an ihnen keine Spur von Spinnweben.
+Auch der Tisch ist schon gedeckt, das Tischtuch ist schneeweiß,
+die Bestecke funkeln wie aus Gold. Ich seh auch die Rettichspeise
+auf dem Tisch, geriebenen Meerrettich, ein Fläschchen
+Branntwein&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Hör schon auf mit deinen Sprüchen und geh dich waschen!«<a name="FNanchor_18" href="#Footnote_18" class="fnanchor">(18)</a></p>
+
+<p>»Nein, Ssosche, ich werde mich nicht eher waschen, als du selbst
+zugeben wirst, daß ich recht habe. Hier zu Hause habe ich nichts
+zu versorgen, dafür aber im Bethause um so mehr; denn wer
+wird sich um alle die Sachen kümmern, wenn nicht ich? Vielleicht
+Joßke der Krämer, der nicht einmal zum Essen Zeit hat?
+Oder Jechijel der Dorfhausierer, der schon am Sabbatabend,
+gleich nach dem Hawdolo-Gebet das Haus verläßt und erst am
+Freitag gegen Abend heimkommt? Oder gar Ruben der Geldverleiher,
+der den ganzen Tag herumrennt, um bei den armen
+Leuten einige Groschen Zinsen einzusammeln? Oder gar einer
+von den armen Handwerkern, die schwer arbeiten müssen, um
+sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen?«</p>
+
+<p>»Laß gut sein, ich bin nicht mehr böse&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_66" title="66"> </a>»Macht nichts. Ich weiß, daß du mir nicht mehr böse bist. Ich
+will dir aber noch beweisen, daß ich auch für mich selbst sorge.
+Schau mich an, Ssosche, sieh meinen weißen Bart und meine
+weißen Schläfenlocken. Ich bin nicht mehr jung &hellip; Also muß
+ich mich auf eine weite Reise vorbereiten&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Auf eine Reise? Auf was für eine Reise?« fragt Ssosche
+verwundert. Sie begreift aber sofort selbst, was er damit meint,
+und ruft erschrocken aus: »Um Gottes willen, sprich nicht davon!
+Gott behüte!&hellip;«</p>
+
+<p>»Brauchst keine Angst zu haben, Ssosche. Du bist ja auch älter
+als zwanzig Jahre &hellip; Und was werden wir beide antworten,
+wenn man uns dort oben fragt, was wir auf <em class="gesperrt">dieser</em> Welt getan
+haben? Daß wir hier aßen und tranken? Und was wird der
+liebe Gott dazu sagen? Du wirst noch wenigstens vorbringen
+können, daß du dich am Verein für die Ausstattung armer
+Bräute betätigt hast&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Sprich nicht davon!« bittet Ssosche. Sie fürchtet, daß
+dadurch ihr Lohn im Jenseits beeinträchtigt werden könne.</p>
+
+<p>»Darum will ja auch ich etwas Gutes tun&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Sehr gut. Sehr gut. Tu, was du willst. Geh dich aber endlich
+waschen!«</p>
+
+<p>»Nur noch eines,« fährt der Gabaj fort: »Erinnerst du dich
+noch an dein seidenes Brautkleid mit den silbernen Streifen?«</p>
+
+<p>»Ob ich mich daran erinnere!«</p>
+
+<p>»Würdest du es nicht dem Bethause stiften, damit man daraus
+einen Vorhang für den Thoraschrein macht?«</p>
+
+<p>»Sehr gerne! Ich will es sofort heraussuchen&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>»Wart, Ssosche, ich hab es schon selbst genommen, und es
+hängt bereits vor dem Thoraschrein!«</p>
+
+<p>»Du Dieb!« sagt Ssosche lächelnd.</p>
+
+<p>Nun wäscht sich Reb Jojchenen endlich die Hände und setzt
+sich an den Tisch. Er ißt mit großem Appetit, spricht das Tischgebet
+und legt sich schlafen.</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>Reb Jojchenen der Gabaj schlief bald ein, und seine Seele
+flog in den Himmel hinauf und verzeichnete dort im Buche seiner
+Verdienste:</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_67" title="67"> </a>»Ich, Jojchenen, Sohn der Sarah, war heute den ganzen Tag
+mit heiliger Arbeit beschäftigt. Ich sagte mir: Ich und mein
+Weib Ssosche wohnen in einem schönen Hause, während das
+Gotteshaus baufällig ist und ausgebessert werden muß. Darum
+mietete ich Handwerker und ließ das Bethaus ausbessern. Heute
+brachte man zwei neue Bänke und einen neuen Tisch ins Gotteshaus.
+Ich ließ auch den Fußboden reinigen, die Wände und alle
+Möbel und Geräte putzen. Vor dem Vorbeterpult an der Ostwand
+habe ich einen neuen Leuchter angebracht. In der Kasse
+des Bethauses waren im ganzen fünfundvierzig Rubel. Um alles
+zu bezahlen, mußte ich aus meiner eigenen Tasche sechs Rubel
+und vierundachtzig Kopeken dazulegen. Für Rechnung meiner
+Frau Ssosche stiftete ich einen seidenen Vorhang für den Thoraschrein;
+sie ist außerdem auch im Verein für die Ausstattung
+armer Bräute tätig. Der liebe Gott möge es ihr für ihr Seelenheil
+anrechnen! Mit der Ausbesserung des Bethauses ist man
+heute fertig geworden. Und ich habe dem Schuldiener strengstens
+verboten, jemanden ins Bethaus zum Übernachten einzulassen.
+Das Gotteshaus soll nicht mehr die Schlafstube für fremde
+Bettler sein. Der Schuldiener muß von nun an das Haus jeden
+Abend absperren&nbsp;&hellip;«</p>
+
+<p>Reb Jojchenens Seele schrieb noch weiter, als in den Himmel
+eine andre Seele geflogen kam und in ihr Buch folgendes eintrug:</p>
+
+<p>»Ich, Berl, Sohn der Judith, bin schon siebzig Jahre alt.
+Solange ich noch die Kraft dazu hatte, verdiente ich mein Brot
+durch meiner Hände Arbeit. Jetzt, da ich alt und schwach bin
+und nicht mehr arbeiten kann, muß ich bei fremden Leuten betteln.
+Anfangs ging es mir nicht schlecht. Die Leute kannten mich,
+und ich hatte immer zu essen. Doch mit der Zeit wurden sie
+meiner überdrüssig und gaben mir immer seltener Almosen. Oft
+schenkte man mir ein so trockenes Stück Brot, daß ich es mit
+meinen alten Zähnen gar nicht zerbeißen konnte. Ich sah ein,
+daß ich, wenn ich in meiner Stadt bleibe, Hungers sterben müsse.
+Darum verließ ich die Stadt und kam her. Es ist heute sehr
+kalt, und ich wollte ins Bethaus gehen, um da zu übernachten,
+wie es in allen jüdischen Städten Sitte ist. Doch der Schuldiener
+<a class="pagenum" name="Page_68" title="68"> </a>
+versperrte die Tür und ließ mich nicht hinein. Der Gabaj
+hätte ihm gesagt, er solle niemanden zur Nacht ins Bethaus einlassen;
+denn das Gotteshaus sei keine Herberge &hellip; Jetzt schlafe
+ich unter freiem Himmel, und die Kälte frißt das Mark meiner
+alten Knochen. Ich bin hungrig und friere &hellip; Nun frage ich
+dich, du Herr der Welt: Wer braucht das Bethaus nötiger: <em class="gesperrt">du</em>
+oder <em class="gesperrt">ich</em>?«</p>
+
+<hr class="thought-break"/>
+
+<p>Und es erklang eine Stimme vom Himmel: »Beide sollen sofort
+vor dem höchsten Gerichtshofe erscheinen!«</p>
+
+<p>Und am nächsten Morgen fand man tot: Reb Jojchenen den
+Gabaj in seinem Bette und einen alten Bettler erfroren auf der
+Straße neben dem Bethause&nbsp;&hellip;</p>
+
+<p class="center" style="margin-top: 6em;">Druck der Piererschen Hofbuchdruckerei, Altenburg.</p>
+
+
+<div class="footnotes">
+
+<div class="footnote">
+<p><a name="Footnote_1" href="#FNanchor_1" class="label">(1)</a>
+Kozk: Städtchen in Russisch-Polen; Belz: Städtchen in Galizien. An
+beiden Orten gab es berühmte Chassidim-Gemeinden, die sich heftig befehdeten.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a name="Footnote_2" href="#FNanchor_2" class="label">(2)</a>
+Haggodo: die Geschichte des Auszuges der Juden aus Ägypten, die an
+den beiden ersten Pessachabenden bei der Tafel verlesen wird.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a name="Footnote_3" href="#FNanchor_3" class="label">(3)</a>
+Drei Tage vor dem Neujahrsfeste, an denen die Juden vor Morgengrauen geweckt
+werden, um in den Bethäusern Selichos (Bußpsalmen) zu beten.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a name="Footnote_4" href="#FNanchor_4" class="label">(4)</a>
+Die
+zehn Tage zwischen Neujahr und Versöhnungstag, an denen das himmlische Gericht
+seine Beschlüsse für das kommende Jahr fällt.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a name="Footnote_5" href="#FNanchor_5" class="label">(5)</a>
+Ein Jude aus Litauen und Westrußland; er wird von den polnischen Juden
+als Rationalist und Gegner des chassidischen Wunderglaubens gern verspottet.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a name="Footnote_6" href="#FNanchor_6" class="label">(6)</a>
+Jeschiwo: freie Akademie für Talmudstudium und höheres jüdisches Wissen in
+osteuropäischen Ländern. &ndash; Rosch-Jeschiwo: Oberhaupt einer Jeschiwo.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a name="Footnote_7" href="#FNanchor_7" class="label">(7)</a>
+Schma Ißroel: »Höre, Israel«, das heiligste jüdische Gebet.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a name="Footnote_8" href="#FNanchor_8" class="label">(8)</a>
+Kittel: Totenhemd, das jeder Jude am Versöhnungstage während des Gottesdienstes
+trägt.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a name="Footnote_9" href="#FNanchor_9" class="label">(9)</a>
+Widderhorn, das am jüdischen Neujahrstage geblasen wird.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a name="Footnote_10" href="#FNanchor_10" class="label">(10)</a>
+Jüdischer Kleinkinderlehrer.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a name="Footnote_11" href="#FNanchor_11" class="label">(11)</a>
+Leviathan (aus dem Buche Hiob) und Schor-ha-Bor (ein Riesenstier der talmudischen
+Sage) sollen bei Messias' Ankunft von den Gerechten verzehrt werden.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a name="Footnote_12" href="#FNanchor_12" class="label">(12)</a>
+Kap.&nbsp;1, V.&nbsp;10.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a name="Footnote_13" href="#FNanchor_13" class="label">(13)</a>
+Misnagdim: Gegner der Chassidim sowie auch überhaupt
+alle Nicht-Chassidim.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a name="Footnote_14" href="#FNanchor_14" class="label">(14)</a>
+Zuname eines berühmten chassidischen Rebben.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a name="Footnote_15" href="#FNanchor_15" class="label">(15)</a>
+Feier des 13. Geburtstages: mit dreizehn Jahren erlangt der Jude religiöse
+Mündigkeit.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a name="Footnote_16" href="#FNanchor_16" class="label">(16)</a>
+Neïlo: Schlußgebet, wichtigstes Gebet am Versöhnungstage (Jom-Kippur).
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a name="Footnote_17" href="#FNanchor_17" class="label">(17)</a>
+Mitglied des Gemeinde- oder Synagogenvorstandes.
+</p>
+</div>
+
+<div class="footnote">
+<p><a name="Footnote_18" href="#FNanchor_18" class="label">(18)</a>
+Es ist ein Gebot der Religion, sich vor dem Essen die Hände zu waschen.
+</p>
+</div>
+</div>
+
+
+<div id="tnote-bottom">
+<p class="center"><a name="tn-bottom"><b>Anmerkungen zur Transkription:</b></a></p>
+
+<p>Im folgenden werden alle geänderten Textstellen angeführt,
+wobei jeweils zuerst die Stelle wie im Original, danach die geänderte Stelle
+steht.</p>
+
+<ul id="corrections">
+<li><a href="#Page_17">Seite 17</a>:<br/>
+Aber Rabbi Levi-<span class="correction">Jizchock</span> steht, in Kittel(8) und Gebetmantel<br/>
+Aber Rabbi Levi-<span class="correction">Jizchok</span> steht, in Kittel(8) und Gebetmantel
+</li>
+<li><a href="#Page_22">Seite 22</a>:<br/>
+er mir zuliebe <span class="correction">am</span> diesem Jom-Kippur auch die andern Sünden<br/>
+er mir zuliebe <span class="correction">an</span> diesem Jom-Kippur auch die andern Sünden
+</li>
+<li><a href="#Page_28">Seite 28</a>:<br/>
+die das tun können. Wie kann man in <span class="correction">derThora</span> anfangen<br/>
+die das tun können. Wie kann man in <span class="correction">der Thora</span> anfangen
+</li>
+<li><a href="#Page_31">Seite 31</a>:<br/>
+abläuft! Leider lief es aber nicht nach <span class="correction">Wnnsch</span> ab.<br/>
+abläuft! Leider lief es aber nicht nach <span class="correction">Wunsch</span> ab.
+</li>
+</ul>
+</div>
+
+
+
+
+
+
+
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of Project Gutenberg's Jüdische Geschichten, by Jizchok Lejb Perez
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JÜDISCHE GESCHICHTEN ***
+
+***** This file should be named 36488-h.htm or 36488-h.zip *****
+This and all associated files of various formats will be found in:
+ http://www.gutenberg.org/3/6/4/8/36488/
+
+Produced by Norbert H. Langkau, Jana Srna and the Online
+Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
+
+
+Updated editions will replace the previous one--the old editions
+will be renamed.
+
+Creating the works from public domain print editions means that no
+one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
+(and you!) can copy and distribute it in the United States without
+permission and without paying copyright royalties. Special rules,
+set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
+copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
+protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project
+Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
+charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you
+do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
+rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose
+such as creation of derivative works, reports, performances and
+research. They may be modified and printed and given away--you may do
+practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is
+subject to the trademark license, especially commercial
+redistribution.
+
+
+
+*** START: FULL LICENSE ***
+
+THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
+PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
+
+To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
+distribution of electronic works, by using or distributing this work
+(or any other work associated in any way with the phrase "Project
+Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
+Gutenberg-tm License (available with this file or online at
+http://gutenberg.org/license).
+
+
+Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
+electronic works
+
+1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
+electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
+and accept all the terms of this license and intellectual property
+(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
+the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
+all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
+If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
+Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
+terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
+entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.
+
+1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
+used on or associated in any way with an electronic work by people who
+agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
+individual work is in the public domain in the United States and you are
+located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
+copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
+works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
+are removed. Of course, we hope that you will support the Project
+Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
+freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
+this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
+the work. You can easily comply with the terms of this agreement by
+keeping this work in the same format with its attached full Project
+Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.
+
+1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
+what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in
+a constant state of change. If you are outside the United States, check
+the laws of your country in addition to the terms of this agreement
+before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
+creating derivative works based on this work or any other Project
+Gutenberg-tm work. The Foundation makes no representations concerning
+the copyright status of any work in any country outside the United
+States.
+
+1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
+
+1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate
+access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
+whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
+phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
+Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
+copied or distributed:
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
+from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
+posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
+and distributed to anyone in the United States without paying any fees
+or charges. If you are redistributing or providing access to a work
+with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
+work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
+through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
+Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
+1.E.9.
+
+1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
+with the permission of the copyright holder, your use and distribution
+must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
+terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked
+to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
+permission of the copyright holder found at the beginning of this work.
+
+1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
+License terms from this work, or any files containing a part of this
+work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.
+
+1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
+electronic work, or any part of this electronic work, without
+prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
+active links or immediate access to the full terms of the Project
+Gutenberg-tm License.
+
+1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
+compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
+word processing or hypertext form. However, if you provide access to or
+distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
+"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
+posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
+you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
+copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
+request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
+form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
+License as specified in paragraph 1.E.1.
+
+1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
+performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
+unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
+
+1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
+access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
+that
+
+- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
+ the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
+ you already use to calculate your applicable taxes. The fee is
+ owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
+ has agreed to donate royalties under this paragraph to the
+ Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments
+ must be paid within 60 days following each date on which you
+ prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
+ returns. Royalty payments should be clearly marked as such and
+ sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
+ address specified in Section 4, "Information about donations to
+ the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
+
+- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
+ you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
+ does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
+ License. You must require such a user to return or
+ destroy all copies of the works possessed in a physical medium
+ and discontinue all use of and all access to other copies of
+ Project Gutenberg-tm works.
+
+- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
+ money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
+ electronic work is discovered and reported to you within 90 days
+ of receipt of the work.
+
+- You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg-tm works.
+
+1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
+electronic work or group of works on different terms than are set
+forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
+both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
+Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the
+Foundation as set forth in Section 3 below.
+
+1.F.
+
+1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
+effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
+public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
+collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
+works, and the medium on which they may be stored, may contain
+"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
+corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
+property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
+computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
+your equipment.
+
+1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
+of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
+Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
+Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
+liability to you for damages, costs and expenses, including legal
+fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
+LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
+PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
+TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
+LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
+INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
+DAMAGE.
+
+1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
+defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
+receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
+written explanation to the person you received the work from. If you
+received the work on a physical medium, you must return the medium with
+your written explanation. The person or entity that provided you with
+the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
+refund. If you received the work electronically, the person or entity
+providing it to you may choose to give you a second opportunity to
+receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy
+is also defective, you may demand a refund in writing without further
+opportunities to fix the problem.
+
+1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
+WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
+warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
+If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
+law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
+interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
+the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any
+provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
+
+1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
+providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
+with this agreement, and any volunteers associated with the production,
+promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
+harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
+that arise directly or indirectly from any of the following which you do
+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at http://pglaf.org
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit http://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations.
+To donate, please visit: http://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+ http://www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
+
+
+</pre>
+
+</body>
+</html>
diff --git a/36488-h/images/cover.jpg b/36488-h/images/cover.jpg
new file mode 100644
index 0000000..2b0fab8
--- /dev/null
+++ b/36488-h/images/cover.jpg
Binary files differ
diff --git a/36488-h/images/logo.png b/36488-h/images/logo.png
new file mode 100644
index 0000000..392395a
--- /dev/null
+++ b/36488-h/images/logo.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images.zip b/36488-page-images.zip
new file mode 100644
index 0000000..66b7d21
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images.zip
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/c0001.jpg b/36488-page-images/c0001.jpg
new file mode 100644
index 0000000..d011b00
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/c0001.jpg
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/f0001-image.png b/36488-page-images/f0001-image.png
new file mode 100644
index 0000000..1e9ddfa
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/f0001-image.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/f0001.png b/36488-page-images/f0001.png
new file mode 100644
index 0000000..3900256
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/f0001.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/f0002-blank.png b/36488-page-images/f0002-blank.png
new file mode 100644
index 0000000..60124d9
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/f0002-blank.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0003.png b/36488-page-images/p0003.png
new file mode 100644
index 0000000..0c64ddb
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0003.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0004.png b/36488-page-images/p0004.png
new file mode 100644
index 0000000..79354a1
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0004.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0005.png b/36488-page-images/p0005.png
new file mode 100644
index 0000000..f3d7b14
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0005.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0006.png b/36488-page-images/p0006.png
new file mode 100644
index 0000000..2ac9ba8
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0006.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0007.png b/36488-page-images/p0007.png
new file mode 100644
index 0000000..5e6248d
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0007.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0008.png b/36488-page-images/p0008.png
new file mode 100644
index 0000000..38e1121
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0008.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0009.png b/36488-page-images/p0009.png
new file mode 100644
index 0000000..25341a2
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0009.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0010.png b/36488-page-images/p0010.png
new file mode 100644
index 0000000..4457ad1
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0010.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0011.png b/36488-page-images/p0011.png
new file mode 100644
index 0000000..e1f2acc
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0011.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0012.png b/36488-page-images/p0012.png
new file mode 100644
index 0000000..45a1961
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0012.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0013.png b/36488-page-images/p0013.png
new file mode 100644
index 0000000..9b7c07c
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0013.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0014.png b/36488-page-images/p0014.png
new file mode 100644
index 0000000..25a1981
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0014.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0015.png b/36488-page-images/p0015.png
new file mode 100644
index 0000000..45cde02
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0015.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0016.png b/36488-page-images/p0016.png
new file mode 100644
index 0000000..8a6ab42
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0016.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0017.png b/36488-page-images/p0017.png
new file mode 100644
index 0000000..eeae125
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0017.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0018.png b/36488-page-images/p0018.png
new file mode 100644
index 0000000..19383d8
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0018.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0019.png b/36488-page-images/p0019.png
new file mode 100644
index 0000000..8eae040
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0019.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0020.png b/36488-page-images/p0020.png
new file mode 100644
index 0000000..bade313
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0020.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0021.png b/36488-page-images/p0021.png
new file mode 100644
index 0000000..cde8169
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0021.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0022.png b/36488-page-images/p0022.png
new file mode 100644
index 0000000..588dad3
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0022.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0023.png b/36488-page-images/p0023.png
new file mode 100644
index 0000000..d10075c
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0023.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0024.png b/36488-page-images/p0024.png
new file mode 100644
index 0000000..fccdda3
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0024.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0025.png b/36488-page-images/p0025.png
new file mode 100644
index 0000000..883e1a3
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0025.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0026.png b/36488-page-images/p0026.png
new file mode 100644
index 0000000..0568d73
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0026.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0027.png b/36488-page-images/p0027.png
new file mode 100644
index 0000000..fed045b
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0027.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0028.png b/36488-page-images/p0028.png
new file mode 100644
index 0000000..6144d39
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0028.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0029.png b/36488-page-images/p0029.png
new file mode 100644
index 0000000..d3aafe5
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0029.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0030.png b/36488-page-images/p0030.png
new file mode 100644
index 0000000..9568621
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0030.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0031.png b/36488-page-images/p0031.png
new file mode 100644
index 0000000..14480c6
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0031.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0032.png b/36488-page-images/p0032.png
new file mode 100644
index 0000000..e2e5a6b
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0032.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0033.png b/36488-page-images/p0033.png
new file mode 100644
index 0000000..103e27d
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0033.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0034.png b/36488-page-images/p0034.png
new file mode 100644
index 0000000..992168c
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0034.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0035.png b/36488-page-images/p0035.png
new file mode 100644
index 0000000..788e677
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0035.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0036.png b/36488-page-images/p0036.png
new file mode 100644
index 0000000..df60483
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0036.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0037.png b/36488-page-images/p0037.png
new file mode 100644
index 0000000..f4f44e6
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0037.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0038.png b/36488-page-images/p0038.png
new file mode 100644
index 0000000..f2ed28f
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0038.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0039.png b/36488-page-images/p0039.png
new file mode 100644
index 0000000..c5c91f2
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0039.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0040.png b/36488-page-images/p0040.png
new file mode 100644
index 0000000..e9ba15f
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0040.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0041.png b/36488-page-images/p0041.png
new file mode 100644
index 0000000..4b9b728
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0041.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0042.png b/36488-page-images/p0042.png
new file mode 100644
index 0000000..734567d
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0042.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0043.png b/36488-page-images/p0043.png
new file mode 100644
index 0000000..7d83c83
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0043.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0044.png b/36488-page-images/p0044.png
new file mode 100644
index 0000000..5346b4e
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0044.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0045.png b/36488-page-images/p0045.png
new file mode 100644
index 0000000..66e1865
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0045.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0046.png b/36488-page-images/p0046.png
new file mode 100644
index 0000000..18a7318
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0046.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0047.png b/36488-page-images/p0047.png
new file mode 100644
index 0000000..33eb048
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0047.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0048.png b/36488-page-images/p0048.png
new file mode 100644
index 0000000..a7be458
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0048.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0049.png b/36488-page-images/p0049.png
new file mode 100644
index 0000000..e0ef49e
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0049.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0050.png b/36488-page-images/p0050.png
new file mode 100644
index 0000000..bc0b294
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0050.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0051.png b/36488-page-images/p0051.png
new file mode 100644
index 0000000..334d612
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0051.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0052.png b/36488-page-images/p0052.png
new file mode 100644
index 0000000..8ce10b5
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0052.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0053.png b/36488-page-images/p0053.png
new file mode 100644
index 0000000..c83ec09
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0053.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0054.png b/36488-page-images/p0054.png
new file mode 100644
index 0000000..d5c219c
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0054.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0055.png b/36488-page-images/p0055.png
new file mode 100644
index 0000000..e04e236
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0055.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0056.png b/36488-page-images/p0056.png
new file mode 100644
index 0000000..215c6d4
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0056.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0057.png b/36488-page-images/p0057.png
new file mode 100644
index 0000000..b08033a
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0057.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0058.png b/36488-page-images/p0058.png
new file mode 100644
index 0000000..25ebecc
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0058.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0059.png b/36488-page-images/p0059.png
new file mode 100644
index 0000000..a981ba4
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0059.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0060.png b/36488-page-images/p0060.png
new file mode 100644
index 0000000..b2b8164
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0060.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0061.png b/36488-page-images/p0061.png
new file mode 100644
index 0000000..66bf9ee
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0061.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0062.png b/36488-page-images/p0062.png
new file mode 100644
index 0000000..5bf4d70
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0062.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0063.png b/36488-page-images/p0063.png
new file mode 100644
index 0000000..3652a1e
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0063.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0064.png b/36488-page-images/p0064.png
new file mode 100644
index 0000000..a3dc5ea
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0064.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0065.png b/36488-page-images/p0065.png
new file mode 100644
index 0000000..c7e06ff
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0065.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0066.png b/36488-page-images/p0066.png
new file mode 100644
index 0000000..c3747e8
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0066.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0067.png b/36488-page-images/p0067.png
new file mode 100644
index 0000000..0e64a6b
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0067.png
Binary files differ
diff --git a/36488-page-images/p0068.png b/36488-page-images/p0068.png
new file mode 100644
index 0000000..16698f4
--- /dev/null
+++ b/36488-page-images/p0068.png
Binary files differ
diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt
new file mode 100644
index 0000000..6312041
--- /dev/null
+++ b/LICENSE.txt
@@ -0,0 +1,11 @@
+This eBook, including all associated images, markup, improvements,
+metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be
+in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES.
+
+Procedures for determining public domain status are described in
+the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org.
+
+No investigation has been made concerning possible copyrights in
+jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize
+this eBook outside of the United States should confirm copyright
+status under the laws that apply to them.
diff --git a/README.md b/README.md
new file mode 100644
index 0000000..3941bf6
--- /dev/null
+++ b/README.md
@@ -0,0 +1,2 @@
+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
+eBook #36488 (https://www.gutenberg.org/ebooks/36488)