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authornfenwick <nfenwick@pglaf.org>2025-03-07 22:06:00 -0800
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--- /dev/null
+++ b/42745-0.txt
@@ -0,0 +1,1016 @@
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 42745 ***
+
+ +------------------------------------------------------------------+
+ | Anmerkungen zur Transkription |
+ | |
+ | Kursiver Text ist als _kursiv_ markiert, gesperrter Text als |
+ | =gesperrt=. |
+ | |
+ | Der Name Gauß ist auch als GAUSS in Grossbuchstaben geschrieben. |
+ | |
+ | Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn sie mehrfach verwendet |
+ | wurden, oder beide Schreibweisen gebräuchlich waren: |
+ | |
+ | hannoversche -- hannöversche |
+ | Euklid -- euclidischen |
+ | |
+ | Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen: |
+ | |
+ | S. 5 "Verhältniße" in "Verhältnisse" geändert. |
+ | S. 6 "Gedächtniße" in "Gedächtnisse" geändert. |
+ | S. 6 "Zahlenverhältnißen" in "Zahlenverhältnissen" geändert. |
+ | S. 14 "vergrössert" in "vergrößert" geändert. |
+ | S. 17 "Maasse" in "Maaße" geändert. |
+ | S. 19 "Anschluße" in "Anschlusse" geändert. |
+ | S. 19 "Verhältniße" in "Verhältnisse" geändert. |
+ | S. 26 "Beßel" in "Bessel" geändert. |
+ | S. 29 "elektromagnetichen" in "elektromagnetischen" geändert. |
+ | S. 29 "Göttigen" in "Göttingen" geändert. |
+ +------------------------------------------------------------------+
+
+
+
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+[Illustration]
+
+
+
+
+ =GAUSS=.
+
+ =EIN UMRISS=
+ SEINES
+ LEBENS UND WIRKENS
+
+ VON
+
+ F. A. T. =WINNECKE=.
+
+ FESTSCHRIFT
+ ZU
+ GAUSS' HUNDERTJÄHRIGEM GEBURTSTAGE
+
+ AM
+
+ 30. APRIL 1877,
+
+ =HERAUSGEGEBEN=
+ DURCH DEN
+
+ VEREIN FÜR NATURWISSENSCHAFT
+ ZU
+ BRAUNSCHWEIG.
+
+ MIT EINEM BILDNISSE GAUSS'.
+
+ BRAUNSCHWEIG,
+ DRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN,
+ =1877=.
+
+
+
+
+ Die Herausgabe einer Uebersetzung in französischer und englischer
+ Sprache, sowie in anderen modernen Sprachen wird vorbehalten.
+
+
+
+
+Am 30. April 1777 erblickte zu Braunschweig in einem unscheinbaren Hause
+auf dem Wendengraben CARL FRIEDRICH GAUSS das Licht der Welt. Eine
+Gedenktafel an jenem Hause erinnert seit zwei Jahrzehnten den
+Vorübergehenden daran. Wenige jedoch werden wissen, mit wie makellosem
+Lichte der Stern leuchtete, welcher an jenem Tage am geistigen
+Firmamente der Menschheit aufging, wie viele in tiefer Nacht verborgene
+Schätze des Geistes durch seinen hellen Schein uns offenbar wurden, ja
+wie wir alle -- nicht bloß die Männer der Wissenschaft -- noch täglich
+den Einfluß seiner belebenden Strahlen empfinden.
+
+Die äußeren Verhältnisse, unter denen =Gauß= aufwuchs, waren keineswegs
+günstig für die Entwickelung der hohen Begabung, welche der Knabe schon
+in sehr zartem Lebensalter zeigte. Der Vater, =Gerhard Diederich Gauß=,
+geb. 1744, war ein Handwerker, der vielerlei Geschäfte betrieb, und
+zuletzt, bis an seinen 1808 erfolgten Tod, sich mit Gärtnerei
+beschäftigte. Aus seiner ersten Ehe besaß er einen 1768 geborenen Sohn
+=Georg= (gestorben zu Braunschweig am 7. August 1854), als er sich im
+Jahre 1776 mit =Dorothea Benze= (geb. 1742) verheirathete. =Carl
+Friedrich Gauß= war das einzige Kind dieser Ehe. =Dorothea Benze=
+stammte aus dem fünf Meilen von Braunschweig gelegenen Dorfe Velpke,
+woselbst ihr Vater, =Christoph=, Steinhauer war. Sie erreichte das hohe
+Alter von 97 Jahren und verbrachte die letzten 22 Jahre ihres Lebens
+unter treuer Pflege auf der Göttinger Sternwarte bei ihrem großen Sohne,
+dem Stolze ihres Alters, der in inniger Liebe an ihr hing. Zwischen
+Vater und Sohn scheint kein engeres Verhältniß bestanden zu haben; der
+Vater, ein vollkommen achtungswerther Mann, war in seiner Häuslichkeit
+herrisch, oft rauh und unfein. Hieraus ist jedoch niemals das leiseste
+Mißverhältniß entstanden, da der Sohn, in Folge seiner hervorragenden
+Begabung, schon früh vom Vater ganz unabhängig wurde.
+
+Sehr interessant sind einzelne Züge aus der Kindheit von =Gauß=, wie er
+sie treu im Gedächtnisse behalten hatte und in späteren Lebensjahren im
+engsten Freundeskreise gelegentlich mittheilte, in lebendiger
+gemüthlicher Erzählungsweise, worin bei etwaiger Wiederholung nie die
+geringste Abweichung vorkam. =Sartorius von Waltershausen= hat bald nach
+dem Ableben des großen Mannes manches dahin Gehörige gesammelt und in
+dankenswerther Weise =Gauß= zum Gedächtniß veröffentlicht.
+
+Möge es gestattet sein, ihm Einiges nach zu erzählen. =Gauß= erlernte
+das Lesen ohne Unterricht, indem er den Einen und den Andern der
+Hausbewohner um die Bedeutung der Buchstaben bat; er zeigte einen so
+bewunderungswürdigen Sinn für die Auffassung von Zahlenverhältnissen und
+eine so unglaubliche Leichtigkeit und Sicherheit im Kopfrechnen, daß er
+dadurch sehr bald die Aufmerksamkeit seiner Eltern erregte. Er selbst
+pflegte oft scherzweise zu sagen, er habe früher rechnen als sprechen
+können. Bei Gelegenheit einer Wochenabrechnung, die sein Vater mit den
+Gesellen und Tagelöhnern abhielt, bemerkte der unbeachtet zuhörende,
+kaum dreijährige Knabe, daß sein Vater sich verrechnet hatte und im
+Begriffe stand, falsche Summen auszuzahlen, und rief: »Vater, die
+Rechnung ist falsch, es macht soviel.« Zum Erstaunen aller Anwesenden
+zeigte es sich bei sorgsamer Neuberechnung, daß die von dem Kinde
+angegebene Summe die richtige war.
+
+Erst 1784, als =Gauß= schon sein siebentes Lebensjahr zurückgelegt
+hatte, wurde er zum Unterricht in die Catharinen-Volksschule geschickt.
+Hier wurde er zwei Jahre lang durch =Büttner= im Lesen und Schreiben
+unterrichtet, ohne sich merklich vor seinen Mitschülern auszuzeichnen.
+Nach Verlauf von zwei Jahren kam er in die Rechenclasse und hier zog
+=Gauß= sehr bald die Aufmerksamkeit von =Büttner= auf sich. Es war
+nämlich eingeführt, daß der Schüler, welcher zuerst sein Rechenexempel
+beendigt hatte, die Tafel in die Mitte eines großen Tisches legte; über
+diese legte der Zweite seine Tafel u. s. w. Der kleine =Gauß= war kaum
+in die Rechenclasse eingetreten, als =Büttner= eine Aufgabe dictirte,
+welche in die Sprache der Algebra übersetzt nichts Anderes war, als die
+Summation einer arithmetischen Reihe, für deren Ausführung die
+Arithmetik eine sehr einfache, rasch zum Ziel führende Weise lehrt.
+=Büttner= hatte die Aufgabe kaum ausgesprochen, als =Gauß= die Tafel mit
+den im Braunschweiger Platt gesprochenen Worten auf den Tisch wirft:
+»Ligget se'« (da liegt sie). Während die anderen Schüler emsig weiter
+rechnen, geht =Büttner= auf und ab, die Karwatsche in der Hand, und
+wirft von Zeit zu Zeit einen mitleidigen Blick auf den kleinen =Gauß=,
+der so rasch seine Aufgabe beendigt hatte. Dieser saß dagegen ruhig,
+schon eben so sehr von dem festen unerschütterlichen Bewußtsein
+durchdrungen, welches ihn bis zum Ende seiner Tage bei jeder vollendeten
+Arbeit erfüllte, daß seine Aufgabe richtig gelöst sei und daß das
+Resultat kein anderes sein könne. Am Ende der Stunde wurden darauf die
+Rechentafeln umgekehrt; die von =Gauß= mit einer einzigen Zahl lag oben;
+sie gab die richtige Lösung, während viele der übrigen falsch waren und
+alsbald mit der Karwatsche rectificirt wurden. =Büttner= verschrieb
+hierauf eigens aus Hamburg ein neues Rechenbuch, um damit den jungen
+aufstrebenden Geist nach Kräften zu unterstützen.
+
+=Büttner's= Gehülfe war in jenen Jahren ein junger =Bartels=, ebenfalls
+Braunschweiger von Geburt. Dieser, damals 18 Jahre alt, betrieb eifrig
+mathematische Studien und zog den kleinen =Gauß= zu sich heran; er
+schaffte die nothwendigen Bücher herbei und machte =Gauß=, nach
+Bewältigung der elementaren Dinge, schon damals mit der Lehre von den
+unendlichen Reihen bekannt und führte ihn in das Gebiet der Analysis
+ein. Diese gemeinschaftlichen mathematischen Studien wurden für Beider
+Lebensrichtung bestimmend.
+
+=Bartels= ging, nachdem er von 1788 an auf dem Collegium Carolinum
+studirt hatte, als Lehrer der Mathematik nach Reichenau in Graubünden;
+später kam er als Professor der Mathematik an die Universität in Kasan
+und wurde schließlich nach Dorpat berufen, woselbst er im Jahre 1836
+verstarb. Seine Tochter verheirathete sich mit dem berühmten Astronomen
+=Struve=.
+
+Auch =Gauß= verließ im Jahre 1788 die Volksschule, um das Gymnasium zu
+besuchen, womit sein Vater wenig einverstanden war. Da er schon vorher
+mit Hülfe seiner älteren Freunde sich in den Anfängen der classischen
+Sprachen ausgebildet hatte, so wurde er, seiner vorgerückten Kenntnisse
+halber, gleich in die zweite Classe aufgenommen. Mit unglaublicher
+Schnelligkeit bemächtigte er sich hier der alten Sprachen und wurde zwei
+Jahre später nach Prima versetzt.
+
+Inzwischen waren, hauptsächlich durch =Bartels=, hochstehende Personen
+in Braunschweig, unter denen namentlich der Geheime-Etatsrath
+=von Zimmermann= genannt zu werden verdient, auf die ungewöhnliche
+Befähigung des jungen =Gauß= aufmerksam geworden; sie veranlaßten, daß
+derselbe im Jahre 1791 dem Herzoge =Carl Wilhelm Ferdinand=
+vorgestellt wurde. Der hohe Fürst gewährte, in Folge dieser
+Vorstellung, die Mittel zur weitern Ausbildung des vielversprechenden
+Jünglings.
+
+Vom Herzoge unterstützt bezog =Gauß= im Jahre 1792 das Collegium
+Carolinum. Dort erlernte er die neueren Sprachen und vertiefte seine
+Kenntnisse der alten. Es beschäftigten ihn auch in jener Zeit
+tiefgehende eigene mathematische Studien; denn schon wenige Jahre später
+war er im Besitze von mathematischen Wahrheiten, die, falls schon damals
+veröffentlicht, den jungen, noch nicht zwanzigjährigen Mann sofort den
+ersten Männern der Wissenschaft zur Seite gestellt haben würden.
+
+Als =Gauß= im Herbst 1795 das Collegium Carolinum verließ, um die
+Universität Göttingen zu beziehen, war er sich jedoch noch keineswegs
+klar darüber geworden, ob er der Philologie oder der Mathematik sein
+Leben widmen solle. Mit Interesse besuchte er die philologischen
+Vorträge bei =Heyne=, während ihn die mathematischen Vorlesungen des
+damals so berühmten =Kästner= wenig anzogen. =Kästner= hatte, äußerte
+=Gauß= in seinen späteren Jahren, einen ganz eminenten Mutterwitz, aber,
+sonderbar genug, er hatte ihn bei allen Gegenständen =außerhalb= der
+Mathematik; er hatte ihn sogar, wenn er über Mathematik (im Allgemeinen)
+sprach, aber er wurde oft ganz davon verlassen =innerhalb= der
+Mathematik. Es ließen sich davon die lächerlichsten Beispiele anführen.
+
+Während also scheinbar sich =Gauß= in Göttingen den classischen Studien
+zuwandte, war er in Wirklichkeit mit den tiefsten mathematischen Studien
+beschäftigt, wie daraus hervorgeht, daß er am 30. März 1796 (nach seiner
+handschriftlichen Notiz) entdeckte, daß ein 17-Eck in einem Kreise
+geometrisch construirbar sei. Seit =Euklid's= Zeiten kannte man die
+geometrische Theilbarkeit des Kreises in drei und fünf Theile und die
+daraus ohne Weiteres abzuleitenden Constructionen des 6-Ecks, 10-Ecks
+u. s. w. Aber obgleich gerade mit diesem Theile der Mathematik sich ein
+jeder Geometer beschäftigt, so war es gewissermaaßen ein Dogma geworden,
+daß außer den erwähnten Constructionen keine anderen geometrisch
+ausgeführt werden könnten. Was seit zwei Jahrtausenden dem Blicke der
+größten Mathematiker entgangen war, der Scharfsinn des jungen, noch
+nicht 19jährigen =Gauß= fand es heraus. Diese Entdeckung, welche er
+selbst in seinem spätern Leben sehr hoch stellte, bestimmte ihn, sich
+fortan gänzlich dem Studium der Mathematik zu widmen; sie ist jedoch nur
+ein specieller Fall der wenige Jahre später von ihm in seinem ersten
+größern Werke, den unsterblichen »Disquisitiones arithmeticae«,
+gegebenen Theorie der Kreistheilung.
+
+Daß bei der Erfüllung des Gemüthes mit so tiefsinnigen Forschungen
+=Gauß= dem gewöhnlichen studentischen Treiben fern blieb, ist
+selbstverständlich; er scheint in jener Zeit nur einen sehr beschränkten
+Verkehr mit wenigen Freunden gehabt zu haben, unter denen zwei, ein
+junger J. J. A. =Ide=, ebenfalls ein Braunschweiger, und W. =Bolyai= aus
+Maros Vásárhely in Siebenbürgen, ebenfalls als Mathematiker bekannt
+geworden sind. Ide (geb. 1775) wurde im Jahre 1803 als Professor der
+Mathematik an die Universität in Moskau berufen, woselbst er jedoch
+schon 1806 verstarb. =Bolyai= war ebenfalls etwas älter als =Gauß=, der
+von ihm geäußert haben soll, =Bolyai= sei der Einzige gewesen, der in
+seine metaphysischen Ansichten über Mathematik einzugehen verstanden
+habe.
+
+=Gauß= beschäftigte sich schon seit seinem 16. Jahre mit mathematischen
+Untersuchungen tiefsinnigster Art, welche an die Erfolglosigkeit aller
+Bemühungen anknüpften, einen Beweis zu finden für das eilfte Euclidische
+Axiom: »zwei Gerade, welche von einer dritten so geschnitten werden, daß
+die beiden inneren an einerlei Seite liegenden Winkel zusammen kleiner
+als zwei Rechte sind, schneiden sich hinreichend verlängert an eben
+dieser Seite«, worauf sich die gewöhnliche »euclidische« Geometrie
+aufbaut, welche man bis in dieses Jahrhundert hinein für die einzig
+mögliche Form der Raumwissenschaft gehalten hat. Indem =Gauß= die
+Voraussetzung weiter verfolgte, daß das euclidische Axiom =nicht= wahr
+sei, erhielt er in consequenter Verfolgung dieser Voraussetzung eine
+ebenfalls in sich ganz widerspruchsfreie Geometrie, welche er die »nicht
+euclidische« nannte, deren Ergebnisse jedoch nur scheinbar als paradox
+erscheinen, weil wir frühzeitig gewöhnt werden, die Euclidische
+Geometrie für =streng wahr= zu halten. Leider sind jedoch nur
+Andeutungen über die hierauf bezüglichen Untersuchungen erhalten.
+Vielleicht finden wir Bruchstücke der Speculationen, wie sie =Bolyai=
+und =Gauß= in dieser Richtung während ihrer Universitätszeit verfolgten,
+in des Erstern Schriften, welche die Grundlagen zur Wissenschaft von der
+absoluten Raumlehre (im Gegensatz zur euclidischen) enthalten, und die
+erst in neuerer Zeit die verdiente Beachtung gefunden haben.
+
+Eine andere wichtige Entdeckung datirt ebenfalls wahrscheinlich schon
+vor seinem Studienaufenthalte in Göttingen. In einer seiner Schriften
+giebt =Gauß= an, daß er seit dem Jahre 1795 an im Besitz der Methode der
+kleinsten Quadrate gewesen sei, ein Princip zur consequenten Ableitung
+der wahrscheinlichsten Resultate einer Beobachtungsreihe, dessen
+Anwendung auf die Beobachtungswissenschaften von der allerhöchsten
+Bedeutung geworden ist. In einem Briefe an den Astronomen =Schumacher=
+sagt =Gauß=, daß er diese Methode seit dem Jahre 1794 vielfach gebraucht
+habe. Jedenfalls war er schon sehr früh in dem Besitze der unschätzbaren
+Rechnungsweise, Größen, die zufällige Fehler involviren, auf eine
+willkürfreie, consequente Art zu combiniren.
+
+Auch der Beginn der arithmetischen Untersuchungen, welche den Inhalt
+seines unsterblichen Werkes »Disquisitiones arithmeticae« bilden und
+durch dessen Veröffentlichung im Jahre 1801 er mit einem Schlage den
+Rang neben den größten Mathematikern aller Zeiten einnahm, fällt schon
+=vor= den Anfang seiner Studien in Göttingen, wie aus handschriftlichen
+Notizen über die Zeit der Entdeckung einzelner Sätze hervorgeht, die
+=Gauß= seinem Handexemplare dieses Buches hinzugefügt hat. Diese Notizen
+lehren, daß die Entdeckung der geometrischen Construction des 17-Eck,
+deren Zeitpunkt oben erwähnt wurde, offenbar Veranlassung geworden ist,
+die liegen gebliebenen zahlentheoretischen Untersuchungen wieder
+aufzunehmen. Diese Untersuchungen scheinen =Gauß= in Göttingen
+hauptsächlich beschäftigt zu haben; denn als er im Jahre 1798, nach
+absolvirtem Triennium, nach Braunschweig zurückkehrte, legte er sogleich
+Hand an die Herausgabe derselben, der sich aber zunächst noch allerlei
+Schwierigkeiten entgegen stellten, welche später jedoch alle vom Herzog
+=Carl Wilhelm Ferdinand=, dem die Nachwelt für seine hochherzige
+Förderung des großen Mannes stets dankbar verpflichtet sein wird, aus
+dem Wege geräumt wurden.
+
+Bald nach der Rückkehr in seine Vaterstadt traf =Gauß= die nöthigen
+Schritte, um behufs Herausgabe seines genannten Werkes die Bibliothek in
+Helmstedt, damals noch Universitätsstadt, benutzen zu können, und
+siedelte im darauf folgenden Jahre für eine Weile ganz dorthin über.
+J. F. =Pfaff=, ein namhafter Gelehrter, war damals Professor der
+Mathematik in Helmstedt, und in seinem Hause bezog =Gauß= ein Zimmer,
+arbeitete aber so angestrengt und ununterbrochen, daß er meistens nur
+gegen Abend seinen Hausgenossen zu sehen bekam. Auf gemeinsamen
+Spaziergängen in die Umgegend tauschten sie dann ihre Gedanken über
+mathematische Gegenstände aus. Weit entfernt, als wäre ihr
+gegenseitiges Verhältniß das von Lehrer und Schüler gewesen, wie man
+es wohl dargestellt findet, hat =Gauß= später selbst geäußert, er
+glaube bei diesen Unterhaltungen mehr gegeben als empfangen zu haben.
+
+Im Jahre 1799 wurde =Gauß= auf seine Inauguraldissertation:
+»_Demonstratio nova theorematis omnem functionem algebraicam rationalem
+integram unius variabilis in factores reales primi vel secundi gradus
+resolvi posse_« in absentia von der philosophischen Facultät zu
+Helmstedt zum Doctor promovirt. Dieser erste =strenge= Beweis (alle bis
+dahin von den Geometern gegebenen waren ungenügend) des wichtigsten
+Lehrsatzes in der Theorie der algebraischen Gleichungen wurde von =Gauß=
+schon im October 1797 =entdeckt=. Wie sehr dieser Fundamentalsatz =Gauß=
+am Herzen gelegen, ersieht man daraus, daß er später zu drei
+verschiedenen Malen auf diesen Gegenstand zurückgekommen ist, indem er
+in den Jahren 1815 und 1816 zwei neue Beweise dafür, jeden aus ganz
+verschiedenen Principien, ableitete und bei Gelegenheit der Feier seiner
+50jährigen Doctorwürde seinen ersten Beweis vom Jahre 1799 in
+veränderter Gestalt und mit erheblichen Zusätzen versehen zum
+Gegenstande einer Denkschrift machte.
+
+In demselben Jahre finden wir =Gauß= auch schon in Correspondenz mit dem
+in jener Zeit weit berühmten Freiherrn v. =Zach=, dem Director der
+Seeberger Sternwarte. Die ersten Mittheilungen an denselben sind leider
+von =Zach= in den damals von ihm herausgegebenen geographischen
+Ephemeriden nicht mitgetheilt; sie betrafen eine Anwendung der Methode
+der kleinsten Quadrate auf einen in jener Zeitschrift abgedruckten
+Auszug aus =Ulugh Begh's= Zeitgleichungstafel, die zu manchen ganz
+curiosen Resultaten geführt hatte. Aus einer spätern, 1799 abgedruckten
+Mittheilung geht hervor, daß =Gauß= seine Principien für Ableitung des
+wahrscheinlichsten Resultats aus Beobachtungen, zur Bestimmung der Figur
+der Erde aus der damals von den Franzosen unternommenen Gradmessung
+angewandt hatte.
+
+Im folgenden Jahre theilte er =Zach= für dessen neugegründetes Journal:
+»Monatliche Correspondenz zur Beförderung der Erd- und Himmelskunde«
+einen interessanten Aufsatz über die Berechnung des Osterfestes mit,
+worin die cyklische Festrechnung auf rein analytische Vorschriften
+zurückgeführt wird, die auf den einfachsten Rechnungsoperationen
+beruhen, so daß man, unabhängig von allen Hülfstafeln, die oft nicht
+zur Hand sind, und ohne Kenntniß der Bedeutung der sonst dabei
+gebräuchlichen Kunstwörter, wie »goldene Zahl, Epacte, Ostergrenze,
+Sonnenzirkel und Sonntagsbuchstabe«, sofort das Datum findet, auf
+welches Ostern fällt. Da dieser Aufsatz sich zunächst nur auf die
+Festrechnung im Julianischen und Gregorianischen Kalender bezog, so
+vervollständigte =Gauß= zwei Jahre später seine Vorschriften, indem er
+die Regeln auch für den jüdischen Kalender mittheilte.
+
+Im Jahre 1801 erschienen die »Disquisitiones arithmeticae« mit einer
+Widmung an den Herzog =Carl Wilhelm Ferdinand=, in welcher =Gauß=
+dankbar darlegt, wie nur die große Güte und Huld des weisen und
+tiefblickenden Fürsten ihm die Möglichkeit gewährt habe, sich ganz der
+Mathematik zu weihen.
+
+Es ist schon früher gebührend hervorgehoben, welche staunenswerthe
+Leistung dieses erste größere Werk von =Gauß= war, und wie es allein
+genügen würde, seinen Nachruhm für alle Zeiten zu sichern. Die Tiefe der
+mathematischen Entdeckungen von =Gauß= fand ihre richtige Würdigung nur
+in einem kleinen Kreise von Denkern, der sich jedoch, Dank sei es dem
+von ihm gegebenen Anstoße, von Jahr zu Jahr vergrößert hat. Dem größern
+Publicum sollte er bald durch andere und nicht minder bemerkenswerthe
+Leistungen bekannt werden.
+
+Am 1. Januar 1801 entdeckte =Piazzi= in Palermo einen Stern achter
+Größe, der seinen Ort unter den Gestirnen beträchtlich veränderte und
+von ihm für einen neuen Kometen gehalten wurde. =Piazzi= gab von
+seiner Entdeckung erst spät und unvollständig Kunde, und der damalige
+langsame Postenlauf, noch dazu gestört durch die kriegerischen Zeiten,
+bewirkte, daß die Nachricht von der Entdeckung erst in die Hände der
+übrigen Astronomen kam, als schon die Gegend am Himmel, in welcher
+sich der bewegliche Stern aufhielt, so nahe zur Sonne gerückt war, daß
+ein Aufsuchen desselben unmöglich wurde. Glücklicherweise war jedoch
+=Piazzi= im Besitz eines der vortrefflichsten Meßinstrumente der
+damaligen Zeit und hatte das Gestirn damit so lange verfolgt, bis
+Mitte Februar etwa, als es sich im Meridian beobachten ließ,
+unbegreiflicherweise aber versäumt, dasselbe außer dem Meridiane
+aufzusuchen, was noch mehrere Monate lang möglich gewesen wäre. Als
+die =Piazzi='schen Beobachtungen bekannt wurden, zeigte es sich bald,
+daß eine Parabel in keiner Weise ihnen genügte, sondern daß das
+Gestirn in einer Bahn sich bewegt hatte, deren Gestalt von der
+Kreisform nicht sehr abweichend war. Die von verschiedenen Astronomen
+ausgeführte Berechnung einer Kreisbahn zeigte, daß von =Piazzi= ein
+Planet entdeckt sei, der seine Bahn zwischen Mars und Jupiter
+durchläuft. Aber eine Kreisbahn ließ in den =Piazzi='schen
+Beobachtungen sehr merkliche Fehler übrig, so daß man hieraus sofort
+den Schluß hätte ziehen müssen, es sei erforderlich, aus den
+vorhandenen Beobachtungen die elliptische Bahn des Planeten zu
+berechnen. Man begnügte sich aber, die =Piazzi='schen Beobachtungen
+als ungenau anzusehen, und schickte sich an, den Planeten bei seinem
+Wiedererscheinen am Morgenhimmel mittelst einer auf die Kreiselemente
+gegründeten Vorausberechnung aufzusuchen.
+
+Wie sich später herausstellte, gaben diese Elemente den Ort des Planeten
+am Himmel so fehlerhaft an, daß wenigstens der Wiederentdecker
+desselben, =Olbers=, versichert, er würde den Planeten schwerlich
+gefunden haben, da er seine Nachforschungen bei alleiniger
+Zugrundelegung der Kreiselemente keinenfalls so weit ausgedehnt hätte,
+um die Gegend mit einzuschließen, in welcher sich der Planet wirklich
+aufhielt. Hierbei muß man wohl im Auge behalten, wie schwierig das
+Herausfinden eines so kleinen Planeten aus der großen Menge anderer
+Sterne, von denen er sich durch sein Aussehen nicht im geringsten
+unterscheidet, für die damalige Zeit war, die noch nicht die genauen
+Himmelskarten der Neuzeit besaß.
+
+Auch =Gauß= hatte Kunde von dem merkwürdigen Wandelsterne erhalten.
+
+Er war im Besitz von erheblichen Zusätzen zu den damals bekannten
+Theorien der Bewegung der Himmelskörper um die Sonne nach den
+=Kepler='schen Gesetzen und wandte seine Theoreme auf die Erforschung
+der wahren Bahn des =Piazzi='schen Gestirnes an. Mit der uns schon
+bekannten Arbeitskraft berechnete er verschiedene Bahnen für den neuen
+Planeten und ruhte nicht eher, bis er eine Ellipse gefunden hatte,
+welche die Beobachtungen von =Piazzi=, die sich im Gegensatz mit der
+gewöhnlichen Annahme als vorzüglich genau erwiesen, so gut wie möglich
+darstellte.
+
+Diese Ellipse gab zur Zeit, als =Olbers= das =Piazzi='sche Gestirn
+wieder auffand, den Ort desselben am Himmel eilf Grad verschieden von
+den Kreiselementen.
+
+Es würde zu weit führen, wenn hier näher auseinandergesetzt würde,
+welche Anerkennung von Seiten der Fachmänner =Gauß= in Folge dieser
+vorzüglichen Leistungen zu Theil wurde. Sowie er vor Jahresfrist durch
+Herausgabe der »_Disquisitiones arithmeticae_« einen Platz unter den
+größten Mathematikern sich erobert hatte, so stellte er jetzt sich
+ebenbürtig neben die bedeutendsten Astronomen aller Zeiten; denn nicht
+allein das numerische Rechnen oder die theoretischen Entwicklungen,
+welche er diesen Rechnungen zu Grunde legte, sondern vorzüglich die
+eminente Urtheilskraft, in wie weit aus den =Piazzi='schen Beobachtungen
+zuverlässige Resultate gezogen werden könnten, erregt das Staunen jedes
+Sachkenners. Fast um dieselbe Zeit, als die Ceres wieder entdeckt wurde,
+erklärte noch der hochverdiente französische Astronom =Lalande=, »daß er
+an keinen Planeten glaube«! --
+
+Der klar hervortretende feine praktisch-astronomische Tact muß um so
+mehr unsere volle Bewunderung erregen, als sich keine Andeutung findet,
+daß =Gauß= vor dem Jahre 1802 sich beobachtend mit der Astronomie
+beschäftigt hat, deren praktische Seite ihm gleichfalls so Vieles
+verdankt. Als die Ceres wieder gefunden war und bald darauf die Pallas
+von =Olbers= entdeckt wurde, deren Bahn er wie früher die der Ceres
+allmälig immer schärfer und schärfer berechnete, finden wir nicht, daß
+=Gauß= Ortsbestimmungen derselben gemacht hätte. Ceres und Pallas hat er
+im Sommer 1802 mit 300facher Vergrößerung betrachtet, ohne irgend einen
+Unterschied ihres Aussehens von Fixsternen bemerken zu können. Diese
+Beobachtung ist wahrscheinlich in Bremen mit den Instrumenten des
+vortrefflichen =Olbers= gemacht, bei dem =Gauß= im Juni 1802 von
+Braunschweig aus zum Besuch war und dessen Beispiel ihm zeigte, mit wie
+kleinen Hülfsmitteln das Talent Großes leistet. So finden wir denn auch
+bald darauf =Gauß= in der praktischen Astronomie thätig. Am 8. November
+1802 beobachtete er den Vorübergang des Mercur vor der Sonne mit einem
+zweifüßigen Achromaten von =Baumann=. Nach der Entdeckung der Juno im
+Jahre 1804 betheiligte er sich eifrig an den Ortsbestimmungen des
+Planeten, wozu er anfangs einen schlechten und besonders schlecht
+montirten Achromaten benutzte, bald aber ein sehr gutes Spiegelteleskop
+von =Short= anwenden konnte.
+
+In Folge des gewaltigen Respectes vor dem genialen Dr. =Gauß= in
+Braunschweig überließen die Astronomen ihm die Bestimmung und Ausfeilung
+der Bahnen der kleinen Planeten so gut wie völlig, und die folgenden
+Jahre erfüllen in großem Maaße die Berechnungen der Elemente und deren
+Vergleichung mit den Beobachtungen für die vier in den ersten Jahren
+dieses Jahrhunderts entdeckten Planeten; die Ableitung ihrer Störungen,
+die eingehendste Durcharbeitung aller sich auf die Bahnbestimmung von
+Himmelskörpern beziehenden Methoden, sowie die Umformung seiner
+ursprünglichen Ideen, in das bewunderungswürdige Kunstwerk, welches
+später als »Theoria motus corporum coelestium« veröffentlicht ist.
+Daneben erfaßte er enthusiastisch die praktische Sternkunde, behindert
+allerdings durch den Mangel geeigneter Instrumente.
+
+Schon 1802 machte die russische Regierung den Versuch, =Gauß= als
+Astronom und Director der Sternwarte an die Akademie in St. Petersburg
+zu ziehen. Hierdurch wurde der umsichtige =Olbers= veranlaßt, das
+Göttinger Universitätscuratorium darauf aufmerksam zu machen, wie
+wichtig es für den Ruhm der Georgia Augusta sein würde, einen Mann zu
+besitzen, den schon damals ganz Europa bewunderte. =Gauß= habe für eine
+mathematische Lehrstelle eine entschiedene Abneigung: sein
+Lieblingswunsch sei, Astronom bei irgend einer Sternwarte zu werden, um
+seine ganze Zeit zwischen Beobachtungen und seinen tiefsinnigen
+Untersuchungen zur Erweiterung der Wissenschaft theilen zu können. Da
+die hannoversche Regierung im Anfange des Jahrhunderts beabsichtigte,
+für die Universität Göttingen eine neue Sternwarte zu errichten, so
+hätte man erwarten sollen, daß in Folge dieser dringenden Empfehlung
+eines so allgemein hochgeschätzten und völlig unparteiischen Mannes wie
+=Olbers= die Berufung von =Gauß= nach Göttingen erfolgt sei. Aber,
+obgleich die Verhandlungen mit Petersburg sich zerschlugen, so wurde
+doch =Gauß= zunächst nicht nach Göttingen berufen, sondern im Jahre 1805
+=Harding= und erst im Jahre 1807 =Gauß=. Die Gründe hierfür sind bislang
+nicht durchsichtig; denn daß die nahen Beziehungen von =Gauß= zum Herzog
+von Braunschweig =allein= eine Berufung verhindert hätten, die dem
+wohlwollenden Fürsten, als im Interesse von seinem Schützlinge liegend,
+nur lieb sein konnte, ist wohl kaum anzunehmen, wie man daraus gefolgert
+hat, daß der Ruf nach Göttingen erfolgte, als der Herzog gestorben war.
+
+Inzwischen hatte =Gauß= sich am 9. October 1805 mit Johanne =Osthof= aus
+Braunschweig vermählt, mit welcher er vier Jahre in glücklichster Ehe
+verlebte und durch sie mit drei Kindern beschenkt wurde, deren erstes,
+ein Sohn, noch in Braunschweig geboren wurde, das zweite, eine Tochter
+(später die Gattin des berühmten =Ewald=), schon in Göttingen bald nach
+seiner Uebersiedelung.
+
+=Gauß= trat seine Professur an der Georgia Augusta, der er auf die Dauer
+eines halben Jahrhunderts als weitleuchtende Zierde angehören sollte --
+trotz vieler späterer Versuche, ihn für andere und glänzendere
+Lebensstellungen in Berlin, Wien, Paris und Petersburg zu gewinnen --,
+in einer Zeit an, wo die Hand des fremden Eroberers schwer auf
+Deutschland lastete. Bevor er noch den geringsten Gehalt als Director
+der Sternwarte bezogen hatte, wurde von dem Frankenkaiser eine ungeheure
+Contribution ausgeschrieben, von welcher =Gauß= einen Betrag von 2000
+Francs zu entrichten hatte. Obgleich dieser die drückende Abgabe kaum
+erschwingen konnte, so schickte er doch seinem Freunde =Olbers=, der ihm
+die Summe übersandte mit einem bedauernden Briefe, daß Gelehrte solchen
+schmäligen Brandschatzungen unterworfen seien, dieselbe sofort zurück.
+Ebenso wenig nahm er die Vermittelung von =Laplace= an, der ihm
+anzeigte, die Contribution sei in Paris schon eingezahlt. Die hier
+hervortretende edle Uneigennützigkeit der Gesinnung sollte jedoch sofort
+ihren Lohn finden. Von Frankfurt wurden ihm anonym 1000 Gulden als
+Geschenk zugeschickt, und erst eine spätere Zeit hat offenbart, daß der
+Fürst Primas der edle Geber war.
+
+Der begonnene Bau der neuen Sternwarte ruhte selbstverständlich in so
+schwerer Zeit und =Gauß= sah sich auf die Benutzung der veralteten
+Instrumente aus dem ehemaligen Festungsthurme, wo die Sternwarte zu
+=Tobias Mayer's= Zeiten eingerichtet war, beschränkt. Seine erste
+Göttinger Schrift behandelt in genialer Weise ein Problem mit einem
+fehlerhaften Höhenmesser, die Fehler desselben, die Polhöhe des
+Beobachtungsortes und die Zeit zu bestimmen, offenbar in engem
+Anschlusse an die damaligen instrumentalen Verhältnisse der Sternwarte.
+
+Im Jahre 1809 erschien die von den Astronomen so sehnlich erwartete
+Theoria motus, worin =Gauß=, unter Zugrundelegung der =Kepler='schen
+Gesetze, seine Methoden lehrte, ohne Voraussetzung über die
+Beschaffenheit der Bahn, unbekannte Bahnen aus nahe liegenden
+Beobachtungen zu bestimmen. Erst 40 Jahre später sind diese Methoden
+Gemeingut geworden, als die sich häufenden Entdeckungen von kleinen
+Planeten die Astronomen =zwangen=, sich ihrer zu bemächtigen. Bis dahin
+waren es nur Wenige, die tiefer eindrangen in den köstlichen Schatz
+geometrischer Wahrheiten, die darin enthalten sind. Für dieses auf alle
+Zeiten fundamentale Werk erhielt =Gauß= im Jahre 1810 den
+=Lalande='schen Preis des Pariser Instituts, sowie eine Denkmünze von
+der Royal Society in London und andere Auszeichnungen.
+
+Die westphälische Regierung, welche sich nachgerade hinlänglich
+consolidirt zu haben glaubte, setzte im Jahre 1810 eine Summe von 200000
+Franken zur Vollendung des Baues der Sternwarte aus, wodurch =Gauß= in
+der trüben Zeit nach dem Verluste seiner Frau Zerstreuung zu Theil
+wurde, da er als Astronom die vom Klosterbaumeister =Müller= entworfenen
+Pläne durchzuarbeiten hatte. Die Vereinsamung von =Gauß= sollte jedoch
+nicht lange währen; am 4. August 1810 verheirathete er sich mit der
+zweiten Tochter des Hofrath =Waldeck=, einer genauen Freundin seiner
+verstorbenen Frau, von der er überzeugt war, daß sie ihm und seinen
+Kindern die verewigte Gattin und Mutter vollkommen ersetzen würde, und
+so erstand die zerstörte Häuslichkeit wieder in glücklicher Gestaltung.
+
+In diese Zeit fallen die großartigsten Erfolge seiner directen
+Lehrthätigkeit. Schon im Jahre 1808 war =Schumacher=, in gereifteren
+Jahren nach schon vollendeten juristischen Studien, nach Göttingen
+gekommen, um dort sich in der Mathematik und Astronomie auszubilden;
+1810 kamen =Gerling=, =Nicolai=, =Möbius=, =Encke=, welche alle als
+namhafte Gelehrte in verdientem Ansehen stehen. Die Lehrthätigkeit war
+jedoch, wie schon aus dem oben angeführten Bruchstücke eines Briefes von
+=Olbers= hervorgeht, von jeher eine Last für =Gauß=; er widmete sich ihr
+in den ersten Jahrzehnten seines Göttinger Aufenthaltes in der Form, wie
+sie an deutschen Universitäten gebräuchlich ist, mehr, als später;
+allerdings immer ungern und mit der oft wiederholten Klage, daß ihm
+dadurch sehr viel Zeit geraubt würde, da die Vorbereitungen ihm so
+lästig und äußerst zeitraubend seien. Wenn man bedenkt, was Männer wie
+=Encke=, =Gerling=, =Möbius=, =Nicolai= und Andere aus =Gauß='schen
+Vorlesungen mit ins Leben hinübergenommen haben (denn man ist versucht,
+ihre Hauptleistungen, dem Keime nach, auf Göttinger Anregungen
+zurückzuführen), so begreift sich das wohl. In seinen späteren Jahren
+war =Gauß= nur schwer dazu zu bewegen, ein Colleg zu lesen; jedoch war
+er, unter Beobachtung aller Formen, stets dem strebenden Studirenden
+zugänglich. Der Schreiber dieser Zeilen gedenkt nicht selten mit
+dankbarer Erinnerung mancher halben Stunde aus den Jahren 1853 und 1854,
+die der große Mann in anregender und wesentlich fördernder Belehrung dem
+Anfänger widmete, welchem er gestattet hatte, mit Fragen bei dem
+Selbststudium der Theoria motus ihn zu behelligen, ein Thema, auf das
+glücklicherweise diese Erlaubniß nicht beschränkt blieb. --
+
+=Gauß= hatte nunmehr die stille sorgenfreie Muße gefunden, nach welcher
+er sich so lange gesehnt. Als etwas wahrhaft Beneidenswerthes hat er im
+hohen Alter, nach des großen Astronomen =Bessel='s Tode, mit dem ihn
+eine mehr als vierzigjährige Freundschaft verband, hervorgehoben, daß
+dieser in seinen jungen Jahren Gelegenheit gefunden habe, großartige
+Verhältnisse der wirklichen Welt genau kennen zu lernen und dadurch die
+innere Ueberzeugung mit sich getragen, durch diese Kenntnisse sich jeden
+Augenblick eine solche Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft
+schaffen zu können, in der er sich selbst erhielte. Er selbst habe, bis
+zu einem vorgerückten Alter, nichts in sich selbst besessen, was, wie
+die Welt sei, einen sichern Schutz auch nur gegen den Hungertod hätte
+geben können, als das Schulmeistern, was ihm stets zuwider gewesen sei.
+
+Die jährlichen Bearbeitungen der Vorausberechnung der kleinen Planeten
+und die Verbesserung ihrer Bahnen übertrug =Gauß= von jetzt ab stets dem
+einen oder dem andern seiner talentvolleren Schüler. Er selbst
+beschäftigte sich in dieser Richtung hauptsächlich damit, für die
+Berechnung der Störungen dieser Himmelskörper Methoden aufzustellen,
+sowie für die Ermittelung der wahrscheinlichsten Elemente ihrer Bahnen,
+worüber er im Jahre 1811 und 1818 der Societät der Wissenschaften in
+Göttingen classische Denkschriften vorlegte.
+
+Um dieselbe Zeit beschäftigte sich =Gauß= mit dioptrischen Studien,
+nicht allein theoretisch, sondern mit directer Beziehung zur Praxis, wie
+er denn, in ihm eigenthümlicher Form, an =Repsold= im Jahre 1810 die
+Krümmungsradien für ein Fernrohrobjectiv von 8 Fuß Brennweite und 5 Zoll
+Oeffnung mittheilte. Diese Studien nahm er im Jahre 1817 wieder auf und
+zeigte damals die theoretische Möglichkeit eines wesentlichen
+Fortschrittes in der Construction der Fernröhre, die aber unbeachtet
+blieb, bis =Steinheil= nach fast einem halben Jahrhundert die Formeln
+von =Gauß= praktisch anwandte und ganz vorzügliche Resultate erzielte.
+Im Jahre 1843 legte er der Göttinger Societät seine »dioptrischen
+Studien« vor, wodurch er einem Felde, das durch die Arbeiten von Männern
+wie =Cotes=, =Euler=, =Lagrange= und =Möbius= fast erschöpft erscheinen
+konnte, eine neue Ernte abgewann.
+
+Im Jahre 1814 wurde die neue Sternwarte bis auf den innern Ausbau
+fertig; jedoch wurden die dazu gehörigen Wohngebäude für die Astronomen
+erst im Jahre 1815 begonnen. Von den Instrumenten der alten Sternwarte
+erhielt der durch =Tobias Mayer's= Arbeiten so berühmt gewordene
+Mauerquadrant einen Platz auf dem neuen Observatorium, sowie auch das
+10-füßige =Herschel='sche Teleskop noch auf lange Jahre hinaus für
+Beobachtungen außer dem Meridiane benutzt wurde. Die übrigen, von
+Lilienthal nach Göttingen gekommenen Instrumente wurden kaum benutzt,
+höchstens, um Besuchern den gestirnten Himmel damit zu zeigen. An Stelle
+des einen von zwei im ursprünglichen Plane projectirten
+Passageninstrumenten wurde, auf Betreiben von =Schumacher= ein
+Meridiankreis von =Repsold= angekauft, der jedoch erst im Jahre 1818
+geliefert wurde; denn =Repsold= wollte ihn, bevor er in =solche= Hände
+kam, mit einer neuen Theilung versehen.
+
+Im Frühjahr 1816 begab sich =Gauß= im Auftrage der Regierung nach
+München, wo damals die großen Künstler =Reichenbach= und =Fraunhofer=
+erfolgreich mit den englischen Mechanikern und Optikern zu rivalisiren
+begonnen hatten, um dort mit ihnen die Construction zweier großer
+Meridianinstrumente zu vereinbaren, sowie verschiedene kleinere
+Instrumente zu bestellen. Bei dieser Gelegenheit besuchte =Gauß= mit
+=Reichenbach= zusammen die schönen Gegenden des Salzkammergutes. Schon
+im Sommer 1814 hatte übrigens die Göttinger Sternwarte eine herrliche
+Acquisition in einem =Reichenbach-Fraunhofer='schen Heliometer gemacht,
+zu dem freilich das Stativ erst später nachkam, ein Instrument, welches
+60 Jahre später, am 8. December 1874, zur Beobachtung des Vorüberganges
+der Venus vor der Sonnenscheibe auf der Aucklandinsel gedient hat. Im
+Herbste 1816 konnte endlich die Directorwohnung der Sternwarte bezogen
+werden und im Frühjahre 1817 traf eins der bestellten kleineren
+Instrumente aus München ein, mit dem =Gauß= sofort, obgleich der Ausbau
+der Sternwarte noch keineswegs vollendet war, die Beobachtungen begann.
+Bei der Bestellung dieses Instrumentes hatte =Gauß= wahrscheinlich schon
+die Fortsetzung der von =Schumacher= geplanten dänischen Gradmessung von
+Skagen bis Lauenburg durch das Hannöversche im Auge gehabt.
+
+Als =Schumacher= im Jahre 1817 seine Messungen, aufs Großartigste
+unterstützt vom Könige von Dänemark, begonnen hatte, benutzte =Gauß=
+die Durchreise des Ministers =von Arnswald= im August 1817 durch
+Göttingen, um demselben die Zweckmäßigkeit der Fortsetzung dieser
+Arbeiten durch das Hannöver'sche darzulegen und reichte dann im Herbste
+desselben Jahres eine ausführliche Denkschrift ein, in welcher er
+schriftlich seine mündlichen Auseinandersetzungen wiederholte. Es
+erfolgte aber darauf lange kein Bescheid, »da die Kunst des
+Sollicitirens diejenige sei, wozu er -- freilich zu seinem großen
+Nachtheil -- am wenigsten Talent habe noch passe«. Nachdem =Schumacher=
+-- dem obige Kunst geläufiger war -- sich ins Mittel gelegt, so wurde
+zunächst von der Regierung =Gauß= der Auftrag ertheilt, im Herbst 1818
+die zur Verbindung der hannöverschen Triangulirung mit der dänischen
+nothwendigen Winkelmessungen in Lüneburg vorzunehmen. Das war der
+Anfang der langwierigen Triangulirungsgeschäfte, mit denen =Gauß= bis
+über das Jahr 1848 hinaus viel, ja viel zu viel zu thun hatte. Mag man
+auch den Gewinn der Verlängerung des dänischen Bogens um zwei
+Meridiangrade nach Süden sehr hoch stellen, so war das eine Arbeit, die
+auch Kräfte secundären Ranges sehr gut hätten ausführen können. Man muß
+nur in dem Briefwechsel zwischen =Gauß= und =Schumacher= lesen, wie
+sehr Ersterer viele Jahre Sommer für Sommer durch Winkelmessungen
+absorbirt war, um es lebhaft zu beklagen, daß ein solcher Geist durch
+derartige Arbeiten, die von Vielen zu machen waren, gestört wurde, sich
+in Muße mit Dingen zu beschäftigen, die nur =Er= uns lehren konnte.
+Dazu kommt noch, daß =Gauß= fast alle die erforderlichen ungeheuern
+Rechnungen selbst gemacht hat, vielleicht in ein Viertel oder ein
+Zehntel der Zeit, die andere gebraucht hätten. Aber =seine= Zeit war
+auch kostbarer als die Zeit von vier oder zehn Rechnern, die
+schließlich genau dasselbe Resultat erlangt haben würden. Allerdings
+hat auch die Wissenschaft, in Anlaß dieser Gradmessungsarbeiten, =Viel=
+gewonnen. Dahin gehören die feinsinnigen Untersuchungen über die
+allgemeine Abbildung einer gegebenen Fläche, auf einer andern so, daß
+die Abbildung dem abgebildeten in den kleinsten Theilen ähnlich wird.
+Es sind ferner auf die Gradmessungsarbeiten zurückzuführen die
+Disquisitiones circa superficies curvas (1827) und die beiden
+Abhandlungen über höhere Geodäsie (1843 und 1846).
+
+Ein großer Uebelstand bei den Gradmessungsarbeiten war es bislang
+gewesen, daß man die Endpunkte der großen Dreiecke, in denen man die
+Winkel zu messen hatte, mit den gewöhnlich angewandten Mitteln entweder
+gar nicht oder nicht mit genügender Sicherheit hatte sehen können.
+Man hatte daher zu dem Auskunftsmittel gegriffen, hell brennende mit
+Reverberen versehene Lampen auf den Dreieckspunkten aufzustellen und
+die Messungen bei Nacht auszuführen. Abgesehen von der großen
+Unbequemlichkeit und Mühseligkeit wurde dadurch die Arbeit des Geodäten
+zu einer gefahrvollen, da nicht selten die Signale auf hohen einsam
+gelegenen Bergen errichtet sind, die dem Beobachter keinerlei Schutz
+darbieten. Um so willkommener war eine Erfindung von =Gauß=, welche es
+ermöglichte, alle, selbst die größten Dreiecke bei Tage zu messen: das
+Heliotrop. Diese in ihrer Einfachheit so sinnreiche Erfindung gestattet
+das Sonnenlicht, welches ein kleiner über dem Dreieckspunkte
+aufgestellter Spiegel zurückwirft, genau auf den andern Dreieckspunkt
+zu senden, so daß der dort befindliche Beobachter in der gewünschten
+Richtung scheinbar einen künstlichen, hellglänzenden Stern erblickt, der
+sich scharf mit dem Winkelinstrumente einstellen läßt. Von dieser seiner
+Lieblingserfindung hat =Gauß= öfter sehr bestimmt hervorgehoben, daß er
+zu derselben nicht durch einen reinen Zufall, sondern durch reifes
+Nachdenken gelangt sei. Es sei wahr, daß er auf dem Michaelis-Thurm in
+Lüneburg eine Fensterscheibe eines Hamburger Thurmes habe blitzen sehen,
+ein Zufall, welcher die praktische Ausführbarkeit seines Vorhabens noch
+bekräftigt habe, aber schon längst vorher sei die ganze Erfindung im
+Geiste fertig gewesen.
+
+=Gauß= hielt es für möglich, mit Hülfe von Heliotropen eine
+telegraphische Correspondenz zwischen Mond und Erde zu errichten und
+hatte in Bezug auf diese Frage sogar die Größe der erforderlichen
+Spiegel berechnet, woraus sich ergab, daß eine solche Correspondenz
+eventuel ohne große Kosten sich würde einrichten lassen. Das wäre eine
+Entdeckung, pflegte er zu sagen, noch größer als die von Amerika, wenn
+wir uns mit unseren Mondnachbarn in Verbindung setzen könnten -- hielt
+es jedoch nicht eben für wahrscheinlich, daß der Mond eine mit höherer
+Intelligenz ausgestattete Bevölkerung besitze. Sonst hielt er geistiges
+Leben auf der Sonne und auf den Planeten für sehr wahrscheinlich, wobei
+er hervorzuheben pflegte, wie die an der Oberfläche der verschiedenen
+Himmelskörper wirkende und in ihrer Wirkung zu berechnende Schwerkraft
+für diese Frage vom größten Einfluß sei, woraus er z. B. folgerte, daß
+auf der Sonne nur sehr =kleine= Wesen, verglichen mit uns, existiren
+können, bei einer dort mehr als 28fach größeren Schwerkraft, als auf der
+Erde.
+
+Um die Zeit, als die Gradmessungsarbeiten ernstlich an =Gauß=
+herantraten, trafen im Jahre 1819 die Schönen Meridianinstrumente von
+München ein, deren Aufstellung auf der Sternwarte und deren eingehender
+Untersuchung sich =Gauß= zunächst widmete. Obgleich dieselben auch,
+wenigstens in den ersten Jahren, zu =häufigen= Beobachtungen gedient
+haben, so ist doch wenig von ihren Leistungen in der astronomischen Welt
+bekannt geworden. Es scheint auch, als wenn es =Gauß= nicht für
+angemessen hielt, mit den damals staunenswerthen Leistungen von =Bessel=
+in Concurrenz zu treten; auch dürfte vielleicht die schon oben aus einem
+Briefe von =Olbers= angezogene Aeußerung, daß =Gauß= die praktische
+Astronomie enthusiastisch liebte, in sofern doch zu modificiren sein,
+als =Gauß= nicht der unwiderstehliche Drang inne wohnte, sich mit den
+Gestirnen zu beschäftigen, wie man ihn bei dem wahren beobachtenden
+Astronomen findet. Es soll damit nicht der leiseste Tadel gegen den Mann
+ausgesprochen werden, dessen praktische Leistungen im Gebiete der
+Astronomie ebenfalls weit hervorragen über die Leistungen des
+Durchschnittsastronomen der Praxis, sondern es soll nur die Thatsache
+constatirt werden, daß das Göttinger Institut als =Sternwarte= nicht das
+geleistet hat, was man von einem mit so prachtvollen Instrumenten
+ausgestatteten Institute erwarten mußte. Ein helles Licht auf die hier
+obwaltenden Verhältnisse wirft eine Aeußerung von =Gauß= über die
+Erklärung eines optischen Phänomens, das auftritt, wenn man die in einem
+Quecksilberhorizonte reflectirten Bilder von Sternen beobachtet. »Die
+Auffindung dieser Erklärung stellte er höher, als einen ganzen Jahrgang
+von Beobachtungen, deren Nutzen er jedoch keineswegs verkenne.« In der
+That kann man bedauern, daß durch die praktische Thätigkeit von =Gauß=,
+gar häufig die Muße gestört ist, deren er nach seinen wiederholten
+Aeußerungen für seine schöpferische Thätigkeit auf speculativem Gebiete
+stets in vollem Maaße bedurfte.
+
+Wie sehr man in den damaligen Regierungskreisen vor 40 Jahren verkannte,
+=was= man an =Gauß= in Göttingen besaß, geht daraus hervor, daß ihn das
+Ministerium des Innern mit Aufträgen von abschreckender Weitläufigkeit
+behelligte, die sich auf die Revision des gesammten Aichungswesens des
+Königreiches bezogen. Es ist zu bedauern, daß =Gauß= diese Aufträge
+nicht einfach als seiner unwürdig ablehnte; seine der Welt unschätzbare
+Zeit ist in Folge dessen zum Theil durch Arbeiten absorbirt, deren
+Bedeutung schon jetzt, selbst für das praktische Leben, ganz geschwunden
+sind, wenngleich die Geistesfunken, welche von ihm im Contact mit den
+früher bei solchen Gelegenheiten befolgten Methoden sprühten, noch lange
+dieses Gebiet mit ihrem Lichte erhellen werden.
+
+Es ist nicht Zweck dieser kurzen Schrift, alle die großen Gedanken zu
+verfolgen, welche =Gauß= während seiner fast 50jährigen Thätigkeit in
+vielen der Societät der Wissenschaften überreichten Denkschriften
+niedergelegt hat, oder auch nur die Titel dieser Denkschriften
+aufzuzählen; noch weniger kann dem verborgenen Aufblitzen seines Genius
+nachgegangen werden, wozu unter andern der Briefwechsel, den er mit
+=Schumacher= geführt, so vielen Anlaß darbietet. Es sei nur gestattet,
+noch ein großes Arbeitsfeld zu erwähnen, auf welchem das Eingreifen von
+=Gauß= von fundamentaler Bedeutung geworden ist.
+
+Schon im Sommer 1831 hatte =Gauß= angefangen sich in ein ihm bis dahin
+ganz fremdes wissenschaftliches Gebiet, die Krystalllehre,
+hineinzuarbeiten. Es machte ihm Mühe, sich in der Sache zu orientiren,
+da die Bücher, welche er dabei zum Führer genommen, dieselbe mehr
+verwirrten als aufhellten. =Gauß= ersann eine neue Methode zur
+Krystallbezeichnung, im Wesentlichen dieselbe, welche später von
+=Miller= in Cambridge bekannt gemacht ist und construirte eine
+Vorrichtung, mit deren Hülfe am 12zölligen =Reichenbach='schen
+Theodoliten die Winkel der Krystalle so genau, wie möglich, gemessen
+werden konnten. Von allen diesen Untersuchungen: Beobachtungen,
+Rechnungen und Zeichnungen, ist nie das Geringste zur öffentlichen
+Kenntniß gelangt; denn schon im Herbste desselben Jahres trat bei
+=Gauß=, in Folge der Berufung des damals noch jugendlichen, später
+so berühmten Physikers =Weber= an die Göttinger Universität, die
+Bearbeitung rein physikalischer Fragen in den Vordergrund.
+Es entwickelte sich bald zwischen dem mehr als 50jährigen
+hochberühmten Mathematiker und dem noch nicht dreißigjährigen Physiker
+eine innige, nie getrübte Freundschaft, der die Wissenschaft
+denkwürdige Arbeiten verdankt.
+
+»Der Stahl schlägt an den Stein,« so bezeichnete =Gauß= später ihr
+persönliches Zusammenwirken in der Mitte der dreißiger Jahre, das zum
+unendlichen Schaden für die Menschheit im Jahre 1837 zerrissen wurde,
+weil der König von Hannover Männer von Ueberzeugungstreue, die auch
+wagten dieselbe zu äußern, nicht als Professoren in Göttingen dulden
+wollte. =Weber= war einer von den Göttinger =Sieben=, die in Folge des
+Verfassungsbruchs des Königs und ihres dagegen erlassenen Protestes aus
+Hannover verbannt wurden. Mit ihm verließen =Albrecht=, =Dahlmann=,
+=Ewald=, =Gervinus= und die beiden =Grimm= die Georgia Augusta.
+
+Das Gebiet der Elektricität und des Magnetismus wurde zunächst nach
+allen Richtungen durchforscht. =Gauß= gab in Folge hiervon die erste
+richtige Theorie des Erdmagnetismus, wodurch er in den Stand gesetzt
+wurde, durch =eine mathematische Formel= das gesammte vorhandene
+Beobachtungsmaterial darzustellen, also die Declination und Inclination
+der Magnetnadel, sowie die Intensität an jedem Punkte der Erde
+anzugeben. Die Wichtigkeit, durch Beobachtungen zu jeder Zeit diese
+Constanten zu bestimmen, führte =Gauß= auf die Erfindung von ganz neuen
+Beobachtungsmethoden und Instrumenten, mit denen man diese Größen und
+ihre Aenderungen in kurzer Zeit mit einer nie geahnten Schärfe bestimmen
+konnte. Die galvanischen Versuche führten endlich zur Entdeckung des
+elektromagnetischen Telegraphen, der zum ersten Male in großen
+Dimensionen im Winter 1833 bis 1834 in Göttingen praktisch ausgeführt
+wurde, indem von der Sternwarte zum Johannisthurme und von da zum
+physikalischen Cabinette eine Drahtleitung von mehreren Tausend Metern
+Länge gezogen wurde. Diese Drahtleitung diente zu den interessantesten
+Versuchen; so wurden sehr bald Worte und ganze Sätze hin und her
+telegraphirt und auch die später so wichtig gewordene Anwendung für
+telegraphische Längenbestimmungen wurde implicite gemacht, da die
+Pendeluhr des physikalischen Cabinets durch galvanische Signale von der
+Sternwarte aus gestellt wurde, es also nur einer unabhängigen
+Zeitbestimmung dort bedurft hätte, um die astronomische Längendifferenz
+zu ermitteln.
+
+In einem Briefe an =Schumacher= bedauert =Gauß= die engen Verhältnisse,
+in denen er lebt, da sich an seine theoretischen Eroberungen im Gebiete
+des Elektromagnetismus, auf die er mehr Werth legte, als auf die im
+Gebiete des reinen Magnetismus, glänzende praktische Anwendungen knüpfen
+ließen. »Könnte man,« so schreibt er 1835, »Tausende von Thalern
+verwenden, so glaube ich, daß z. B. die elektromagnetische Telegraphie
+zu einer Vollkommenheit und zu einem Maaßstabe gebracht werden könnte,
+vor der die Phantasie fast erschrickt. Der Kaiser von Rußland könnte
+seine Befehle ohne Zwischenstation in derselben Minute von Petersburg
+nach Odessa, ja vielleicht nach Kiachta geben, wenn nur der Kupferdraht
+von gehöriger (im Voraus =scharf= zu bestimmender) Stärke =gesichert=
+hingeführt und an beiden Endpunkten mächtige Apparate und gut eingeübte
+Personen wären. Ich halte es nicht für unmöglich, eine Maschinerie
+anzugeben, wodurch eine Depesche fast so mechanisch abgespielt würde,
+wie ein Glockenspiel ein Musikstück abspielt, das einmal auf eine Walze
+gesetzt ist. Aber bis eine solche Maschinerie allmälig zur
+Vollkommenheit gebracht würde, müßten natürlich erst viele kostspielige
+Versuche gemacht werden, die freilich z. B. für das Königreich Hannover
+keinen Zweck haben. Um eine solche Kette in einem Schlage bis zu den
+Antipoden zu haben, wäre für 100 Millionen Thaler Kupferdraht vollkommen
+zureichend, für eine halb so große Distanz nur ein Viertel so viel, und
+so im Verhältnisse des Quadrats der Strecke.«
+
+Von großem Interesse ist es auch, zu ersehen, daß diejenigen Methoden,
+welche =Gauß= schon damals bei seinen Göttinger Versuchen anwandte,
+dieselben sind, auf die man jetzt bei der transatlantischen Telegraphie
+wieder zurückzukommen scheint.
+
+Die Zeit, in welcher =Gauß= begann, sich physikalischen Problemen mit
+großer Energie zuzuwenden, fällt zusammen mit einer Zeit schweren
+häuslichen Leides. Seine Frau hatte schon lange an einem Magenübel
+gekränkelt. Nachdem eine Katastrophe, in Folge welcher man glaubte
+Hoffnung schöpfen zu können, und die in der That eine wesentliche
+Besserung in dem Zustande der Leidenden herbeiführte, so daß sie sich
+besser befand, als seit Jahren, eingetreten war, zeigte sich leider bald
+wieder das alte Uebel, nur in noch traurigerer Gestalt, und im September
+1831 starb nach unbeschreiblichen Leiden die arme Dulderin. =Gauß= wurde
+durch diesen Verlust aufs Tiefste erschüttert und sehnte sich, ebenfalls
+von einem Schauplatze abtreten zu können, wo die Freuden flüchtig und
+nichtig, die Leiden, Fehlschlagungen und schmerzlichen Täuschungen die
+Grundfarbe sind. Viele Monate später litt er noch an fortwährender
+Schlaflosigkeit bei Nacht und Abspannung am Tage, und konnte nicht
+absehen, wann er sich wieder zu frischem Lebensmuthe würde aufrichten
+können. Wir greifen wohl kaum fehl, wenn wir annehmen, daß hier
+ebenfalls ein Motiv sich zeigt, daß =Gauß= veranlaßte, neue, ihm bis
+dahin fremde und in sich hoch interessante Gebiete mit Anstrengung aller
+Geisteskraft zu betreten.
+
+Die philologischen Neigungen, welche =Gauß= in seiner Jugend sogar der
+Mathematik abwendig zu machen drohten, traten in dem letzten Jahrzehnte
+seines Lebens wieder mit größerer Lebendigkeit hervor. Versuchsweise
+hatte er sich ums Jahr 1840 mit Sanskrit beschäftigt, das ihn aber wenig
+befriedigte; später erlernte er, um seinen Geist frisch und für neue
+Eindrücke empfänglicher zu erhalten, die russische Sprache, bekanntlich
+für denjenigen, der nur germanische und romanische Sprachen kennt, eine
+sehr schwierige Aufgabe. Ohne fremde Hülfe brachte er es darin binnen
+wenigen Jahren zu einer sehr großen Fertigkeit, so daß er von da an mit
+Vorliebe sich mit der russischen Literatur beschäftigte, während ihm
+früher vorzugsweise von ausländischer Literatur die Lectüre von
+=Walter Scott's= Werken angezogen hatte. Unter unseren deutschen
+Dichtern stellte er =Richter= ohne Frage in die erste Reihe; dagegen
+befriedigte ihn =Göthe's= Schreib- und Denkweise weniger: »er sei ihm
+an Gedanken zu arm« und seine lyrische Poesie, deren Werth und
+vollendete Form er nicht verkannte, schlug er nicht sehr hoch an.
+Noch weniger sagte ihm =Schiller= zu, dessen philosophische Ansichten
+ihm mitunter vollständig zuwider waren. So nannte er »Die Resignation«
+ein gotteslästerliches, durchaus moralisch verderbtes Gedicht und
+hatte in seiner Ausgabe mit Fracturschrift und Ausrufungszeichen das
+Wort »Mephistopheles« an den Rand geschrieben.
+
+Alle philosophischen Ideen hielt =Gauß= nur für subjectiv und trennte
+sie, da sie strenger Begründung entbehrten, durchaus von der
+eigentlichen Wissenschaft.
+
+Anerkennend hebt =Sartorius von Waltershausen= die religiöse Duldsamkeit
+von =Gauß= hervor, die er auf jeden aus der Tiefe des menschlichen
+Herzens entsprungenen Glauben übertrug, die aber durchaus nicht mit
+religiösem Indifferentismus zu verwechseln war. Im Gegentheil nahm er an
+der religiösen Entwickelung des menschlichen Geschlechts, vornehmlich
+aber an der unsers Jahrhunderts, den allerinnigsten Antheil. In
+Rücksicht auf die mannigfaltigen Glaubensverschiedenheiten, die häufig
+nicht mit seiner Anschauungsweise übereinstimmen konnten, hob er immer
+hervor, daß man nicht berechtigt sei, den Glauben anderer, in dem sie
+Trost in irdischen Leiden und eine sichere Zuflucht in den Tagen des
+Unglücks erblickten, in irgend einer Weise zu stören. Das Streben nach
+Wahrheit und das Gefühl für Gerechtigkeit bildeten die Grundlage von
+=Gauß'= religiöser Betrachtungsweise. Das geistige Leben im ganzen
+Weltall erfaßte er als ein großes, von ewiger Wahrheit durchdrungenes
+Rechtsverhältniß, und aus dieser Quelle schöpfte er vornehmlich die
+Zuversicht, das unerschütterliche Vertrauen, daß mit dem Tode unsere
+Laufbahn nicht geschlossen ist.
+
+Die unerschütterliche Idee von einer persönlichen Fortdauer nach dem
+Tode, der feste Glaube an einen letzten Ordner der Dinge, an einen
+ewigen, gerechten, allweisen, allmächtigen Gott, bildete das Fundament
+seines religiösen Lebens. »Es giebt,« äußerte er eines Tages, »in dieser
+Welt einen Genuß des Verstandes, der in der Wissenschaft sich
+befriedigt, und einen Genuß des Herzens, der hauptsächlich darin
+besteht, daß die Menschen einander die Mühsale, die Beschwerden des
+Lebens gegenseitig erleichtern. Ist das aber die Aufgabe des höchsten
+Wesens, auf gesonderten Kugeln Geschöpfe zu erschaffen und sie, um ihnen
+solchen Genuß zu bereiten, 80 oder 90 Jahre existiren zu lassen? -- so
+wäre das ein erbärmlicher Plan. Ob die Seele 80 Jahre lebt oder
+80 Millionen Jahre, wenn sie ein Mal untergehen soll, so ist dieser
+Zeitraum doch nur eine Galgenfrist. Endlich würde es vorbei sein
+müssen. Man wird daher zu der Ansicht gedrängt, für die ohne eine
+strenge wissenschaftliche Begründung so vieles Andere spricht, daß
+neben dieser materiellen Welt noch eine zweite rein geistige
+Weltordnung existirt, mit eben so viel Mannigfaltigkeiten, als die in
+der wir leben -- ihrer sollen wir theilhaftig werden.« --
+
+Die letzten Jahrzehnte seines Lebens verlebte =Gauß= in stiller, ruhiger
+Beschaulichkeit; seit mehr als zwanzig Jahren hatte er keine Nacht
+außerhalb Göttingens zugebracht. Vormittags erschien er regelmäßig im
+literarischen Museum, woselbst er eine große Anzahl von Zeitungen
+durchsah, in denen ihn, außer den politischen Nachrichten, auch noch
+insbesondere die Börsennachrichten ansprachen, welche er aufmerksam im
+Interesse seiner statistischen Speculationen verfolgte. Ein Glück ist
+es, daß Niemand die eminente finanzielle Begabung zeitig genug ahnte,
+die =Gauß= besaß, und von der er z. B. einen so hervorragenden Beweis
+bei der Reorganisation der Professorenwittwencasse in Göttingen gegeben
+hat! Es würden dadurch noch größere Beeinträchtigungen seiner Muße
+entstanden sein, als die, welche wir oben beklagten. Die meisten
+ehemaligen Studirenden der Georgia Augusta aus dem zweiten Viertel
+dieses Jahrhunderts werden sich lebhaft das edle Antlitz des großen
+Mannes ins Gedächtniß zurückrufen können; denn auf den meisten von ihnen
+wird sein leuchtendes blaues Auge fragend geruht haben, wenn sie
+zufällig ein Blatt lasen, nach dem =Gauß= Verlangen trug, und das sich
+dann Jeder beeilte dem großen Manne darzureichen.
+
+Auszeichnungen aller Art wurden =Gauß= vielfach zu Theil -- zeichnete
+doch Jeder schließlich nur sich selbst aus, wenn er einen solchen Mann
+ehrte -- und vorzüglich in großer Zahl am 16. Juli 1849, als der
+ehrwürdige Greis sein 50jähriges Doctorjubiläum feierte. An diesem Tage
+erhielt er auch das Ehrenbürgerrecht der Städte Braunschweig und
+Göttingen.
+
+Schon im Jahre 1846 findet sich in einem Briefe an seinen Freund
+=Schumacher= das Verlangen ausgesprochen, seinen Abschied zu nehmen, um
+die letzten Jahre seines Lebens in freiester Selbstbestimmung, fern von
+der Last aller Berufsgeschäfte, verleben zu können. Nach seinem Jubiläum
+schien er überhaupt die Absicht zu haben, zu ruhen, und klagte, daß
+seine Arbeitszeit im Vergleich mit früheren Jahren merklich kürzer
+werde. Seine innigsten Freunde waren allmälig aus dem Leben geschieden:
+=Olbers= 1840, =Bessel= 1846. Im Jahre 1851 starb =Schumacher=, und
+=Gauß= vereinsamte mehr und mehr. In den beiden folgenden Wintern litt
+er viel an Schlaflosigkeit und andere Beschwerden des Alters traten auf,
+so daß er endlich, trotz seines geringen Vertrauens in die medicinischen
+Wissenschaften, sich im Januar 1854 veranlaßt sah, ärztlichen Rath zu
+suchen. Leider zeigte es sich, daß das Uebel, an welchem =Gauß= litt,
+ein Herzfehler war und daß man auf eine Wiederherstellung kaum hoffen
+durfte. Die Anwendung zweckmäßiger Mittel besserte das Befinden, so daß
+der Sommer leidlich verlief. Im December 1854 zeigten sich jedoch sehr
+bedenkliche Symptome; nach mehrfachem Hin- und Herschwanken der
+Krankheit entschlief =Gauß= am 23. Februar 1855. Am Morgen des
+26. Februar begleitete ein langer Zug von Leidtragenden den großen
+Todten von der Rotunde der Sternwarte zu seiner letzten Ruhestätte.
+
+Das Bildniß des gewaltigen Mannes ist am schönsten der Nachwelt erhalten
+durch die Denkmünzen, welche der König von Hannover im Jahre 1856 auf
+ihn prägen ließ mit der Widmung:
+
+ =Mathematicorum Principi.=
+
+Hiernach ist das diesen Zeilen vorangestellte Bild entworfen.
+
+
+
+
+
+End of Project Gutenberg's Gauss, by Friedrich August Theodor Winnecke
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 42745 ***
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-The Project Gutenberg EBook of Gauss, by Friedrich August Theodor Winnecke
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org
-
-
-Title: Gauss
- Ein Umriss seines Lebens und Wirkens
-
-Author: Friedrich August Theodor Winnecke
-
-Release Date: May 20, 2013 [EBook #42745]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GAUSS ***
-
-
-
-
-Produced by Peter Becker, UB Braunschweig and the Online
-Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
-
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-
-
-
- +------------------------------------------------------------------+
- | Anmerkungen zur Transkription |
- | |
- | Kursiver Text ist als _kursiv_ markiert, gesperrter Text als |
- | =gesperrt=. |
- | |
- | Der Name Gauß ist auch als GAUSS in Grossbuchstaben geschrieben. |
- | |
- | Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn sie mehrfach verwendet |
- | wurden, oder beide Schreibweisen gebräuchlich waren: |
- | |
- | hannoversche -- hannöversche |
- | Euklid -- euclidischen |
- | |
- | Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen: |
- | |
- | S. 5 "Verhältniße" in "Verhältnisse" geändert. |
- | S. 6 "Gedächtniße" in "Gedächtnisse" geändert. |
- | S. 6 "Zahlenverhältnißen" in "Zahlenverhältnissen" geändert. |
- | S. 14 "vergrössert" in "vergrößert" geändert. |
- | S. 17 "Maasse" in "Maaße" geändert. |
- | S. 19 "Anschluße" in "Anschlusse" geändert. |
- | S. 19 "Verhältniße" in "Verhältnisse" geändert. |
- | S. 26 "Beßel" in "Bessel" geändert. |
- | S. 29 "elektromagnetichen" in "elektromagnetischen" geändert. |
- | S. 29 "Göttigen" in "Göttingen" geändert. |
- +------------------------------------------------------------------+
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
- =GAUSS=.
-
- =EIN UMRISS=
- SEINES
- LEBENS UND WIRKENS
-
- VON
-
- F. A. T. =WINNECKE=.
-
- FESTSCHRIFT
- ZU
- GAUSS' HUNDERTJÄHRIGEM GEBURTSTAGE
-
- AM
-
- 30. APRIL 1877,
-
- =HERAUSGEGEBEN=
- DURCH DEN
-
- VEREIN FÜR NATURWISSENSCHAFT
- ZU
- BRAUNSCHWEIG.
-
- MIT EINEM BILDNISSE GAUSS'.
-
- BRAUNSCHWEIG,
- DRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN,
- =1877=.
-
-
-
-
- Die Herausgabe einer Uebersetzung in französischer und englischer
- Sprache, sowie in anderen modernen Sprachen wird vorbehalten.
-
-
-
-
-Am 30. April 1777 erblickte zu Braunschweig in einem unscheinbaren Hause
-auf dem Wendengraben CARL FRIEDRICH GAUSS das Licht der Welt. Eine
-Gedenktafel an jenem Hause erinnert seit zwei Jahrzehnten den
-Vorübergehenden daran. Wenige jedoch werden wissen, mit wie makellosem
-Lichte der Stern leuchtete, welcher an jenem Tage am geistigen
-Firmamente der Menschheit aufging, wie viele in tiefer Nacht verborgene
-Schätze des Geistes durch seinen hellen Schein uns offenbar wurden, ja
-wie wir alle -- nicht bloß die Männer der Wissenschaft -- noch täglich
-den Einfluß seiner belebenden Strahlen empfinden.
-
-Die äußeren Verhältnisse, unter denen =Gauß= aufwuchs, waren keineswegs
-günstig für die Entwickelung der hohen Begabung, welche der Knabe schon
-in sehr zartem Lebensalter zeigte. Der Vater, =Gerhard Diederich Gauß=,
-geb. 1744, war ein Handwerker, der vielerlei Geschäfte betrieb, und
-zuletzt, bis an seinen 1808 erfolgten Tod, sich mit Gärtnerei
-beschäftigte. Aus seiner ersten Ehe besaß er einen 1768 geborenen Sohn
-=Georg= (gestorben zu Braunschweig am 7. August 1854), als er sich im
-Jahre 1776 mit =Dorothea Benze= (geb. 1742) verheirathete. =Carl
-Friedrich Gauß= war das einzige Kind dieser Ehe. =Dorothea Benze=
-stammte aus dem fünf Meilen von Braunschweig gelegenen Dorfe Velpke,
-woselbst ihr Vater, =Christoph=, Steinhauer war. Sie erreichte das hohe
-Alter von 97 Jahren und verbrachte die letzten 22 Jahre ihres Lebens
-unter treuer Pflege auf der Göttinger Sternwarte bei ihrem großen Sohne,
-dem Stolze ihres Alters, der in inniger Liebe an ihr hing. Zwischen
-Vater und Sohn scheint kein engeres Verhältniß bestanden zu haben; der
-Vater, ein vollkommen achtungswerther Mann, war in seiner Häuslichkeit
-herrisch, oft rauh und unfein. Hieraus ist jedoch niemals das leiseste
-Mißverhältniß entstanden, da der Sohn, in Folge seiner hervorragenden
-Begabung, schon früh vom Vater ganz unabhängig wurde.
-
-Sehr interessant sind einzelne Züge aus der Kindheit von =Gauß=, wie er
-sie treu im Gedächtnisse behalten hatte und in späteren Lebensjahren im
-engsten Freundeskreise gelegentlich mittheilte, in lebendiger
-gemüthlicher Erzählungsweise, worin bei etwaiger Wiederholung nie die
-geringste Abweichung vorkam. =Sartorius von Waltershausen= hat bald nach
-dem Ableben des großen Mannes manches dahin Gehörige gesammelt und in
-dankenswerther Weise =Gauß= zum Gedächtniß veröffentlicht.
-
-Möge es gestattet sein, ihm Einiges nach zu erzählen. =Gauß= erlernte
-das Lesen ohne Unterricht, indem er den Einen und den Andern der
-Hausbewohner um die Bedeutung der Buchstaben bat; er zeigte einen so
-bewunderungswürdigen Sinn für die Auffassung von Zahlenverhältnissen und
-eine so unglaubliche Leichtigkeit und Sicherheit im Kopfrechnen, daß er
-dadurch sehr bald die Aufmerksamkeit seiner Eltern erregte. Er selbst
-pflegte oft scherzweise zu sagen, er habe früher rechnen als sprechen
-können. Bei Gelegenheit einer Wochenabrechnung, die sein Vater mit den
-Gesellen und Tagelöhnern abhielt, bemerkte der unbeachtet zuhörende,
-kaum dreijährige Knabe, daß sein Vater sich verrechnet hatte und im
-Begriffe stand, falsche Summen auszuzahlen, und rief: »Vater, die
-Rechnung ist falsch, es macht soviel.« Zum Erstaunen aller Anwesenden
-zeigte es sich bei sorgsamer Neuberechnung, daß die von dem Kinde
-angegebene Summe die richtige war.
-
-Erst 1784, als =Gauß= schon sein siebentes Lebensjahr zurückgelegt
-hatte, wurde er zum Unterricht in die Catharinen-Volksschule geschickt.
-Hier wurde er zwei Jahre lang durch =Büttner= im Lesen und Schreiben
-unterrichtet, ohne sich merklich vor seinen Mitschülern auszuzeichnen.
-Nach Verlauf von zwei Jahren kam er in die Rechenclasse und hier zog
-=Gauß= sehr bald die Aufmerksamkeit von =Büttner= auf sich. Es war
-nämlich eingeführt, daß der Schüler, welcher zuerst sein Rechenexempel
-beendigt hatte, die Tafel in die Mitte eines großen Tisches legte; über
-diese legte der Zweite seine Tafel u. s. w. Der kleine =Gauß= war kaum
-in die Rechenclasse eingetreten, als =Büttner= eine Aufgabe dictirte,
-welche in die Sprache der Algebra übersetzt nichts Anderes war, als die
-Summation einer arithmetischen Reihe, für deren Ausführung die
-Arithmetik eine sehr einfache, rasch zum Ziel führende Weise lehrt.
-=Büttner= hatte die Aufgabe kaum ausgesprochen, als =Gauß= die Tafel mit
-den im Braunschweiger Platt gesprochenen Worten auf den Tisch wirft:
-»Ligget se'« (da liegt sie). Während die anderen Schüler emsig weiter
-rechnen, geht =Büttner= auf und ab, die Karwatsche in der Hand, und
-wirft von Zeit zu Zeit einen mitleidigen Blick auf den kleinen =Gauß=,
-der so rasch seine Aufgabe beendigt hatte. Dieser saß dagegen ruhig,
-schon eben so sehr von dem festen unerschütterlichen Bewußtsein
-durchdrungen, welches ihn bis zum Ende seiner Tage bei jeder vollendeten
-Arbeit erfüllte, daß seine Aufgabe richtig gelöst sei und daß das
-Resultat kein anderes sein könne. Am Ende der Stunde wurden darauf die
-Rechentafeln umgekehrt; die von =Gauß= mit einer einzigen Zahl lag oben;
-sie gab die richtige Lösung, während viele der übrigen falsch waren und
-alsbald mit der Karwatsche rectificirt wurden. =Büttner= verschrieb
-hierauf eigens aus Hamburg ein neues Rechenbuch, um damit den jungen
-aufstrebenden Geist nach Kräften zu unterstützen.
-
-=Büttner's= Gehülfe war in jenen Jahren ein junger =Bartels=, ebenfalls
-Braunschweiger von Geburt. Dieser, damals 18 Jahre alt, betrieb eifrig
-mathematische Studien und zog den kleinen =Gauß= zu sich heran; er
-schaffte die nothwendigen Bücher herbei und machte =Gauß=, nach
-Bewältigung der elementaren Dinge, schon damals mit der Lehre von den
-unendlichen Reihen bekannt und führte ihn in das Gebiet der Analysis
-ein. Diese gemeinschaftlichen mathematischen Studien wurden für Beider
-Lebensrichtung bestimmend.
-
-=Bartels= ging, nachdem er von 1788 an auf dem Collegium Carolinum
-studirt hatte, als Lehrer der Mathematik nach Reichenau in Graubünden;
-später kam er als Professor der Mathematik an die Universität in Kasan
-und wurde schließlich nach Dorpat berufen, woselbst er im Jahre 1836
-verstarb. Seine Tochter verheirathete sich mit dem berühmten Astronomen
-=Struve=.
-
-Auch =Gauß= verließ im Jahre 1788 die Volksschule, um das Gymnasium zu
-besuchen, womit sein Vater wenig einverstanden war. Da er schon vorher
-mit Hülfe seiner älteren Freunde sich in den Anfängen der classischen
-Sprachen ausgebildet hatte, so wurde er, seiner vorgerückten Kenntnisse
-halber, gleich in die zweite Classe aufgenommen. Mit unglaublicher
-Schnelligkeit bemächtigte er sich hier der alten Sprachen und wurde zwei
-Jahre später nach Prima versetzt.
-
-Inzwischen waren, hauptsächlich durch =Bartels=, hochstehende Personen
-in Braunschweig, unter denen namentlich der Geheime-Etatsrath
-=von Zimmermann= genannt zu werden verdient, auf die ungewöhnliche
-Befähigung des jungen =Gauß= aufmerksam geworden; sie veranlaßten, daß
-derselbe im Jahre 1791 dem Herzoge =Carl Wilhelm Ferdinand=
-vorgestellt wurde. Der hohe Fürst gewährte, in Folge dieser
-Vorstellung, die Mittel zur weitern Ausbildung des vielversprechenden
-Jünglings.
-
-Vom Herzoge unterstützt bezog =Gauß= im Jahre 1792 das Collegium
-Carolinum. Dort erlernte er die neueren Sprachen und vertiefte seine
-Kenntnisse der alten. Es beschäftigten ihn auch in jener Zeit
-tiefgehende eigene mathematische Studien; denn schon wenige Jahre später
-war er im Besitze von mathematischen Wahrheiten, die, falls schon damals
-veröffentlicht, den jungen, noch nicht zwanzigjährigen Mann sofort den
-ersten Männern der Wissenschaft zur Seite gestellt haben würden.
-
-Als =Gauß= im Herbst 1795 das Collegium Carolinum verließ, um die
-Universität Göttingen zu beziehen, war er sich jedoch noch keineswegs
-klar darüber geworden, ob er der Philologie oder der Mathematik sein
-Leben widmen solle. Mit Interesse besuchte er die philologischen
-Vorträge bei =Heyne=, während ihn die mathematischen Vorlesungen des
-damals so berühmten =Kästner= wenig anzogen. =Kästner= hatte, äußerte
-=Gauß= in seinen späteren Jahren, einen ganz eminenten Mutterwitz, aber,
-sonderbar genug, er hatte ihn bei allen Gegenständen =außerhalb= der
-Mathematik; er hatte ihn sogar, wenn er über Mathematik (im Allgemeinen)
-sprach, aber er wurde oft ganz davon verlassen =innerhalb= der
-Mathematik. Es ließen sich davon die lächerlichsten Beispiele anführen.
-
-Während also scheinbar sich =Gauß= in Göttingen den classischen Studien
-zuwandte, war er in Wirklichkeit mit den tiefsten mathematischen Studien
-beschäftigt, wie daraus hervorgeht, daß er am 30. März 1796 (nach seiner
-handschriftlichen Notiz) entdeckte, daß ein 17-Eck in einem Kreise
-geometrisch construirbar sei. Seit =Euklid's= Zeiten kannte man die
-geometrische Theilbarkeit des Kreises in drei und fünf Theile und die
-daraus ohne Weiteres abzuleitenden Constructionen des 6-Ecks, 10-Ecks
-u. s. w. Aber obgleich gerade mit diesem Theile der Mathematik sich ein
-jeder Geometer beschäftigt, so war es gewissermaaßen ein Dogma geworden,
-daß außer den erwähnten Constructionen keine anderen geometrisch
-ausgeführt werden könnten. Was seit zwei Jahrtausenden dem Blicke der
-größten Mathematiker entgangen war, der Scharfsinn des jungen, noch
-nicht 19jährigen =Gauß= fand es heraus. Diese Entdeckung, welche er
-selbst in seinem spätern Leben sehr hoch stellte, bestimmte ihn, sich
-fortan gänzlich dem Studium der Mathematik zu widmen; sie ist jedoch nur
-ein specieller Fall der wenige Jahre später von ihm in seinem ersten
-größern Werke, den unsterblichen »Disquisitiones arithmeticae«,
-gegebenen Theorie der Kreistheilung.
-
-Daß bei der Erfüllung des Gemüthes mit so tiefsinnigen Forschungen
-=Gauß= dem gewöhnlichen studentischen Treiben fern blieb, ist
-selbstverständlich; er scheint in jener Zeit nur einen sehr beschränkten
-Verkehr mit wenigen Freunden gehabt zu haben, unter denen zwei, ein
-junger J. J. A. =Ide=, ebenfalls ein Braunschweiger, und W. =Bolyai= aus
-Maros Vásárhely in Siebenbürgen, ebenfalls als Mathematiker bekannt
-geworden sind. Ide (geb. 1775) wurde im Jahre 1803 als Professor der
-Mathematik an die Universität in Moskau berufen, woselbst er jedoch
-schon 1806 verstarb. =Bolyai= war ebenfalls etwas älter als =Gauß=, der
-von ihm geäußert haben soll, =Bolyai= sei der Einzige gewesen, der in
-seine metaphysischen Ansichten über Mathematik einzugehen verstanden
-habe.
-
-=Gauß= beschäftigte sich schon seit seinem 16. Jahre mit mathematischen
-Untersuchungen tiefsinnigster Art, welche an die Erfolglosigkeit aller
-Bemühungen anknüpften, einen Beweis zu finden für das eilfte Euclidische
-Axiom: »zwei Gerade, welche von einer dritten so geschnitten werden, daß
-die beiden inneren an einerlei Seite liegenden Winkel zusammen kleiner
-als zwei Rechte sind, schneiden sich hinreichend verlängert an eben
-dieser Seite«, worauf sich die gewöhnliche »euclidische« Geometrie
-aufbaut, welche man bis in dieses Jahrhundert hinein für die einzig
-mögliche Form der Raumwissenschaft gehalten hat. Indem =Gauß= die
-Voraussetzung weiter verfolgte, daß das euclidische Axiom =nicht= wahr
-sei, erhielt er in consequenter Verfolgung dieser Voraussetzung eine
-ebenfalls in sich ganz widerspruchsfreie Geometrie, welche er die »nicht
-euclidische« nannte, deren Ergebnisse jedoch nur scheinbar als paradox
-erscheinen, weil wir frühzeitig gewöhnt werden, die Euclidische
-Geometrie für =streng wahr= zu halten. Leider sind jedoch nur
-Andeutungen über die hierauf bezüglichen Untersuchungen erhalten.
-Vielleicht finden wir Bruchstücke der Speculationen, wie sie =Bolyai=
-und =Gauß= in dieser Richtung während ihrer Universitätszeit verfolgten,
-in des Erstern Schriften, welche die Grundlagen zur Wissenschaft von der
-absoluten Raumlehre (im Gegensatz zur euclidischen) enthalten, und die
-erst in neuerer Zeit die verdiente Beachtung gefunden haben.
-
-Eine andere wichtige Entdeckung datirt ebenfalls wahrscheinlich schon
-vor seinem Studienaufenthalte in Göttingen. In einer seiner Schriften
-giebt =Gauß= an, daß er seit dem Jahre 1795 an im Besitz der Methode der
-kleinsten Quadrate gewesen sei, ein Princip zur consequenten Ableitung
-der wahrscheinlichsten Resultate einer Beobachtungsreihe, dessen
-Anwendung auf die Beobachtungswissenschaften von der allerhöchsten
-Bedeutung geworden ist. In einem Briefe an den Astronomen =Schumacher=
-sagt =Gauß=, daß er diese Methode seit dem Jahre 1794 vielfach gebraucht
-habe. Jedenfalls war er schon sehr früh in dem Besitze der unschätzbaren
-Rechnungsweise, Größen, die zufällige Fehler involviren, auf eine
-willkürfreie, consequente Art zu combiniren.
-
-Auch der Beginn der arithmetischen Untersuchungen, welche den Inhalt
-seines unsterblichen Werkes »Disquisitiones arithmeticae« bilden und
-durch dessen Veröffentlichung im Jahre 1801 er mit einem Schlage den
-Rang neben den größten Mathematikern aller Zeiten einnahm, fällt schon
-=vor= den Anfang seiner Studien in Göttingen, wie aus handschriftlichen
-Notizen über die Zeit der Entdeckung einzelner Sätze hervorgeht, die
-=Gauß= seinem Handexemplare dieses Buches hinzugefügt hat. Diese Notizen
-lehren, daß die Entdeckung der geometrischen Construction des 17-Eck,
-deren Zeitpunkt oben erwähnt wurde, offenbar Veranlassung geworden ist,
-die liegen gebliebenen zahlentheoretischen Untersuchungen wieder
-aufzunehmen. Diese Untersuchungen scheinen =Gauß= in Göttingen
-hauptsächlich beschäftigt zu haben; denn als er im Jahre 1798, nach
-absolvirtem Triennium, nach Braunschweig zurückkehrte, legte er sogleich
-Hand an die Herausgabe derselben, der sich aber zunächst noch allerlei
-Schwierigkeiten entgegen stellten, welche später jedoch alle vom Herzog
-=Carl Wilhelm Ferdinand=, dem die Nachwelt für seine hochherzige
-Förderung des großen Mannes stets dankbar verpflichtet sein wird, aus
-dem Wege geräumt wurden.
-
-Bald nach der Rückkehr in seine Vaterstadt traf =Gauß= die nöthigen
-Schritte, um behufs Herausgabe seines genannten Werkes die Bibliothek in
-Helmstedt, damals noch Universitätsstadt, benutzen zu können, und
-siedelte im darauf folgenden Jahre für eine Weile ganz dorthin über.
-J. F. =Pfaff=, ein namhafter Gelehrter, war damals Professor der
-Mathematik in Helmstedt, und in seinem Hause bezog =Gauß= ein Zimmer,
-arbeitete aber so angestrengt und ununterbrochen, daß er meistens nur
-gegen Abend seinen Hausgenossen zu sehen bekam. Auf gemeinsamen
-Spaziergängen in die Umgegend tauschten sie dann ihre Gedanken über
-mathematische Gegenstände aus. Weit entfernt, als wäre ihr
-gegenseitiges Verhältniß das von Lehrer und Schüler gewesen, wie man
-es wohl dargestellt findet, hat =Gauß= später selbst geäußert, er
-glaube bei diesen Unterhaltungen mehr gegeben als empfangen zu haben.
-
-Im Jahre 1799 wurde =Gauß= auf seine Inauguraldissertation:
-»_Demonstratio nova theorematis omnem functionem algebraicam rationalem
-integram unius variabilis in factores reales primi vel secundi gradus
-resolvi posse_« in absentia von der philosophischen Facultät zu
-Helmstedt zum Doctor promovirt. Dieser erste =strenge= Beweis (alle bis
-dahin von den Geometern gegebenen waren ungenügend) des wichtigsten
-Lehrsatzes in der Theorie der algebraischen Gleichungen wurde von =Gauß=
-schon im October 1797 =entdeckt=. Wie sehr dieser Fundamentalsatz =Gauß=
-am Herzen gelegen, ersieht man daraus, daß er später zu drei
-verschiedenen Malen auf diesen Gegenstand zurückgekommen ist, indem er
-in den Jahren 1815 und 1816 zwei neue Beweise dafür, jeden aus ganz
-verschiedenen Principien, ableitete und bei Gelegenheit der Feier seiner
-50jährigen Doctorwürde seinen ersten Beweis vom Jahre 1799 in
-veränderter Gestalt und mit erheblichen Zusätzen versehen zum
-Gegenstande einer Denkschrift machte.
-
-In demselben Jahre finden wir =Gauß= auch schon in Correspondenz mit dem
-in jener Zeit weit berühmten Freiherrn v. =Zach=, dem Director der
-Seeberger Sternwarte. Die ersten Mittheilungen an denselben sind leider
-von =Zach= in den damals von ihm herausgegebenen geographischen
-Ephemeriden nicht mitgetheilt; sie betrafen eine Anwendung der Methode
-der kleinsten Quadrate auf einen in jener Zeitschrift abgedruckten
-Auszug aus =Ulugh Begh's= Zeitgleichungstafel, die zu manchen ganz
-curiosen Resultaten geführt hatte. Aus einer spätern, 1799 abgedruckten
-Mittheilung geht hervor, daß =Gauß= seine Principien für Ableitung des
-wahrscheinlichsten Resultats aus Beobachtungen, zur Bestimmung der Figur
-der Erde aus der damals von den Franzosen unternommenen Gradmessung
-angewandt hatte.
-
-Im folgenden Jahre theilte er =Zach= für dessen neugegründetes Journal:
-»Monatliche Correspondenz zur Beförderung der Erd- und Himmelskunde«
-einen interessanten Aufsatz über die Berechnung des Osterfestes mit,
-worin die cyklische Festrechnung auf rein analytische Vorschriften
-zurückgeführt wird, die auf den einfachsten Rechnungsoperationen
-beruhen, so daß man, unabhängig von allen Hülfstafeln, die oft nicht
-zur Hand sind, und ohne Kenntniß der Bedeutung der sonst dabei
-gebräuchlichen Kunstwörter, wie »goldene Zahl, Epacte, Ostergrenze,
-Sonnenzirkel und Sonntagsbuchstabe«, sofort das Datum findet, auf
-welches Ostern fällt. Da dieser Aufsatz sich zunächst nur auf die
-Festrechnung im Julianischen und Gregorianischen Kalender bezog, so
-vervollständigte =Gauß= zwei Jahre später seine Vorschriften, indem er
-die Regeln auch für den jüdischen Kalender mittheilte.
-
-Im Jahre 1801 erschienen die »Disquisitiones arithmeticae« mit einer
-Widmung an den Herzog =Carl Wilhelm Ferdinand=, in welcher =Gauß=
-dankbar darlegt, wie nur die große Güte und Huld des weisen und
-tiefblickenden Fürsten ihm die Möglichkeit gewährt habe, sich ganz der
-Mathematik zu weihen.
-
-Es ist schon früher gebührend hervorgehoben, welche staunenswerthe
-Leistung dieses erste größere Werk von =Gauß= war, und wie es allein
-genügen würde, seinen Nachruhm für alle Zeiten zu sichern. Die Tiefe der
-mathematischen Entdeckungen von =Gauß= fand ihre richtige Würdigung nur
-in einem kleinen Kreise von Denkern, der sich jedoch, Dank sei es dem
-von ihm gegebenen Anstoße, von Jahr zu Jahr vergrößert hat. Dem größern
-Publicum sollte er bald durch andere und nicht minder bemerkenswerthe
-Leistungen bekannt werden.
-
-Am 1. Januar 1801 entdeckte =Piazzi= in Palermo einen Stern achter
-Größe, der seinen Ort unter den Gestirnen beträchtlich veränderte und
-von ihm für einen neuen Kometen gehalten wurde. =Piazzi= gab von
-seiner Entdeckung erst spät und unvollständig Kunde, und der damalige
-langsame Postenlauf, noch dazu gestört durch die kriegerischen Zeiten,
-bewirkte, daß die Nachricht von der Entdeckung erst in die Hände der
-übrigen Astronomen kam, als schon die Gegend am Himmel, in welcher
-sich der bewegliche Stern aufhielt, so nahe zur Sonne gerückt war, daß
-ein Aufsuchen desselben unmöglich wurde. Glücklicherweise war jedoch
-=Piazzi= im Besitz eines der vortrefflichsten Meßinstrumente der
-damaligen Zeit und hatte das Gestirn damit so lange verfolgt, bis
-Mitte Februar etwa, als es sich im Meridian beobachten ließ,
-unbegreiflicherweise aber versäumt, dasselbe außer dem Meridiane
-aufzusuchen, was noch mehrere Monate lang möglich gewesen wäre. Als
-die =Piazzi='schen Beobachtungen bekannt wurden, zeigte es sich bald,
-daß eine Parabel in keiner Weise ihnen genügte, sondern daß das
-Gestirn in einer Bahn sich bewegt hatte, deren Gestalt von der
-Kreisform nicht sehr abweichend war. Die von verschiedenen Astronomen
-ausgeführte Berechnung einer Kreisbahn zeigte, daß von =Piazzi= ein
-Planet entdeckt sei, der seine Bahn zwischen Mars und Jupiter
-durchläuft. Aber eine Kreisbahn ließ in den =Piazzi='schen
-Beobachtungen sehr merkliche Fehler übrig, so daß man hieraus sofort
-den Schluß hätte ziehen müssen, es sei erforderlich, aus den
-vorhandenen Beobachtungen die elliptische Bahn des Planeten zu
-berechnen. Man begnügte sich aber, die =Piazzi='schen Beobachtungen
-als ungenau anzusehen, und schickte sich an, den Planeten bei seinem
-Wiedererscheinen am Morgenhimmel mittelst einer auf die Kreiselemente
-gegründeten Vorausberechnung aufzusuchen.
-
-Wie sich später herausstellte, gaben diese Elemente den Ort des Planeten
-am Himmel so fehlerhaft an, daß wenigstens der Wiederentdecker
-desselben, =Olbers=, versichert, er würde den Planeten schwerlich
-gefunden haben, da er seine Nachforschungen bei alleiniger
-Zugrundelegung der Kreiselemente keinenfalls so weit ausgedehnt hätte,
-um die Gegend mit einzuschließen, in welcher sich der Planet wirklich
-aufhielt. Hierbei muß man wohl im Auge behalten, wie schwierig das
-Herausfinden eines so kleinen Planeten aus der großen Menge anderer
-Sterne, von denen er sich durch sein Aussehen nicht im geringsten
-unterscheidet, für die damalige Zeit war, die noch nicht die genauen
-Himmelskarten der Neuzeit besaß.
-
-Auch =Gauß= hatte Kunde von dem merkwürdigen Wandelsterne erhalten.
-
-Er war im Besitz von erheblichen Zusätzen zu den damals bekannten
-Theorien der Bewegung der Himmelskörper um die Sonne nach den
-=Kepler='schen Gesetzen und wandte seine Theoreme auf die Erforschung
-der wahren Bahn des =Piazzi='schen Gestirnes an. Mit der uns schon
-bekannten Arbeitskraft berechnete er verschiedene Bahnen für den neuen
-Planeten und ruhte nicht eher, bis er eine Ellipse gefunden hatte,
-welche die Beobachtungen von =Piazzi=, die sich im Gegensatz mit der
-gewöhnlichen Annahme als vorzüglich genau erwiesen, so gut wie möglich
-darstellte.
-
-Diese Ellipse gab zur Zeit, als =Olbers= das =Piazzi='sche Gestirn
-wieder auffand, den Ort desselben am Himmel eilf Grad verschieden von
-den Kreiselementen.
-
-Es würde zu weit führen, wenn hier näher auseinandergesetzt würde,
-welche Anerkennung von Seiten der Fachmänner =Gauß= in Folge dieser
-vorzüglichen Leistungen zu Theil wurde. Sowie er vor Jahresfrist durch
-Herausgabe der »_Disquisitiones arithmeticae_« einen Platz unter den
-größten Mathematikern sich erobert hatte, so stellte er jetzt sich
-ebenbürtig neben die bedeutendsten Astronomen aller Zeiten; denn nicht
-allein das numerische Rechnen oder die theoretischen Entwicklungen,
-welche er diesen Rechnungen zu Grunde legte, sondern vorzüglich die
-eminente Urtheilskraft, in wie weit aus den =Piazzi='schen Beobachtungen
-zuverlässige Resultate gezogen werden könnten, erregt das Staunen jedes
-Sachkenners. Fast um dieselbe Zeit, als die Ceres wieder entdeckt wurde,
-erklärte noch der hochverdiente französische Astronom =Lalande=, »daß er
-an keinen Planeten glaube«! --
-
-Der klar hervortretende feine praktisch-astronomische Tact muß um so
-mehr unsere volle Bewunderung erregen, als sich keine Andeutung findet,
-daß =Gauß= vor dem Jahre 1802 sich beobachtend mit der Astronomie
-beschäftigt hat, deren praktische Seite ihm gleichfalls so Vieles
-verdankt. Als die Ceres wieder gefunden war und bald darauf die Pallas
-von =Olbers= entdeckt wurde, deren Bahn er wie früher die der Ceres
-allmälig immer schärfer und schärfer berechnete, finden wir nicht, daß
-=Gauß= Ortsbestimmungen derselben gemacht hätte. Ceres und Pallas hat er
-im Sommer 1802 mit 300facher Vergrößerung betrachtet, ohne irgend einen
-Unterschied ihres Aussehens von Fixsternen bemerken zu können. Diese
-Beobachtung ist wahrscheinlich in Bremen mit den Instrumenten des
-vortrefflichen =Olbers= gemacht, bei dem =Gauß= im Juni 1802 von
-Braunschweig aus zum Besuch war und dessen Beispiel ihm zeigte, mit wie
-kleinen Hülfsmitteln das Talent Großes leistet. So finden wir denn auch
-bald darauf =Gauß= in der praktischen Astronomie thätig. Am 8. November
-1802 beobachtete er den Vorübergang des Mercur vor der Sonne mit einem
-zweifüßigen Achromaten von =Baumann=. Nach der Entdeckung der Juno im
-Jahre 1804 betheiligte er sich eifrig an den Ortsbestimmungen des
-Planeten, wozu er anfangs einen schlechten und besonders schlecht
-montirten Achromaten benutzte, bald aber ein sehr gutes Spiegelteleskop
-von =Short= anwenden konnte.
-
-In Folge des gewaltigen Respectes vor dem genialen Dr. =Gauß= in
-Braunschweig überließen die Astronomen ihm die Bestimmung und Ausfeilung
-der Bahnen der kleinen Planeten so gut wie völlig, und die folgenden
-Jahre erfüllen in großem Maaße die Berechnungen der Elemente und deren
-Vergleichung mit den Beobachtungen für die vier in den ersten Jahren
-dieses Jahrhunderts entdeckten Planeten; die Ableitung ihrer Störungen,
-die eingehendste Durcharbeitung aller sich auf die Bahnbestimmung von
-Himmelskörpern beziehenden Methoden, sowie die Umformung seiner
-ursprünglichen Ideen, in das bewunderungswürdige Kunstwerk, welches
-später als »Theoria motus corporum coelestium« veröffentlicht ist.
-Daneben erfaßte er enthusiastisch die praktische Sternkunde, behindert
-allerdings durch den Mangel geeigneter Instrumente.
-
-Schon 1802 machte die russische Regierung den Versuch, =Gauß= als
-Astronom und Director der Sternwarte an die Akademie in St. Petersburg
-zu ziehen. Hierdurch wurde der umsichtige =Olbers= veranlaßt, das
-Göttinger Universitätscuratorium darauf aufmerksam zu machen, wie
-wichtig es für den Ruhm der Georgia Augusta sein würde, einen Mann zu
-besitzen, den schon damals ganz Europa bewunderte. =Gauß= habe für eine
-mathematische Lehrstelle eine entschiedene Abneigung: sein
-Lieblingswunsch sei, Astronom bei irgend einer Sternwarte zu werden, um
-seine ganze Zeit zwischen Beobachtungen und seinen tiefsinnigen
-Untersuchungen zur Erweiterung der Wissenschaft theilen zu können. Da
-die hannoversche Regierung im Anfange des Jahrhunderts beabsichtigte,
-für die Universität Göttingen eine neue Sternwarte zu errichten, so
-hätte man erwarten sollen, daß in Folge dieser dringenden Empfehlung
-eines so allgemein hochgeschätzten und völlig unparteiischen Mannes wie
-=Olbers= die Berufung von =Gauß= nach Göttingen erfolgt sei. Aber,
-obgleich die Verhandlungen mit Petersburg sich zerschlugen, so wurde
-doch =Gauß= zunächst nicht nach Göttingen berufen, sondern im Jahre 1805
-=Harding= und erst im Jahre 1807 =Gauß=. Die Gründe hierfür sind bislang
-nicht durchsichtig; denn daß die nahen Beziehungen von =Gauß= zum Herzog
-von Braunschweig =allein= eine Berufung verhindert hätten, die dem
-wohlwollenden Fürsten, als im Interesse von seinem Schützlinge liegend,
-nur lieb sein konnte, ist wohl kaum anzunehmen, wie man daraus gefolgert
-hat, daß der Ruf nach Göttingen erfolgte, als der Herzog gestorben war.
-
-Inzwischen hatte =Gauß= sich am 9. October 1805 mit Johanne =Osthof= aus
-Braunschweig vermählt, mit welcher er vier Jahre in glücklichster Ehe
-verlebte und durch sie mit drei Kindern beschenkt wurde, deren erstes,
-ein Sohn, noch in Braunschweig geboren wurde, das zweite, eine Tochter
-(später die Gattin des berühmten =Ewald=), schon in Göttingen bald nach
-seiner Uebersiedelung.
-
-=Gauß= trat seine Professur an der Georgia Augusta, der er auf die Dauer
-eines halben Jahrhunderts als weitleuchtende Zierde angehören sollte --
-trotz vieler späterer Versuche, ihn für andere und glänzendere
-Lebensstellungen in Berlin, Wien, Paris und Petersburg zu gewinnen --,
-in einer Zeit an, wo die Hand des fremden Eroberers schwer auf
-Deutschland lastete. Bevor er noch den geringsten Gehalt als Director
-der Sternwarte bezogen hatte, wurde von dem Frankenkaiser eine ungeheure
-Contribution ausgeschrieben, von welcher =Gauß= einen Betrag von 2000
-Francs zu entrichten hatte. Obgleich dieser die drückende Abgabe kaum
-erschwingen konnte, so schickte er doch seinem Freunde =Olbers=, der ihm
-die Summe übersandte mit einem bedauernden Briefe, daß Gelehrte solchen
-schmäligen Brandschatzungen unterworfen seien, dieselbe sofort zurück.
-Ebenso wenig nahm er die Vermittelung von =Laplace= an, der ihm
-anzeigte, die Contribution sei in Paris schon eingezahlt. Die hier
-hervortretende edle Uneigennützigkeit der Gesinnung sollte jedoch sofort
-ihren Lohn finden. Von Frankfurt wurden ihm anonym 1000 Gulden als
-Geschenk zugeschickt, und erst eine spätere Zeit hat offenbart, daß der
-Fürst Primas der edle Geber war.
-
-Der begonnene Bau der neuen Sternwarte ruhte selbstverständlich in so
-schwerer Zeit und =Gauß= sah sich auf die Benutzung der veralteten
-Instrumente aus dem ehemaligen Festungsthurme, wo die Sternwarte zu
-=Tobias Mayer's= Zeiten eingerichtet war, beschränkt. Seine erste
-Göttinger Schrift behandelt in genialer Weise ein Problem mit einem
-fehlerhaften Höhenmesser, die Fehler desselben, die Polhöhe des
-Beobachtungsortes und die Zeit zu bestimmen, offenbar in engem
-Anschlusse an die damaligen instrumentalen Verhältnisse der Sternwarte.
-
-Im Jahre 1809 erschien die von den Astronomen so sehnlich erwartete
-Theoria motus, worin =Gauß=, unter Zugrundelegung der =Kepler='schen
-Gesetze, seine Methoden lehrte, ohne Voraussetzung über die
-Beschaffenheit der Bahn, unbekannte Bahnen aus nahe liegenden
-Beobachtungen zu bestimmen. Erst 40 Jahre später sind diese Methoden
-Gemeingut geworden, als die sich häufenden Entdeckungen von kleinen
-Planeten die Astronomen =zwangen=, sich ihrer zu bemächtigen. Bis dahin
-waren es nur Wenige, die tiefer eindrangen in den köstlichen Schatz
-geometrischer Wahrheiten, die darin enthalten sind. Für dieses auf alle
-Zeiten fundamentale Werk erhielt =Gauß= im Jahre 1810 den
-=Lalande='schen Preis des Pariser Instituts, sowie eine Denkmünze von
-der Royal Society in London und andere Auszeichnungen.
-
-Die westphälische Regierung, welche sich nachgerade hinlänglich
-consolidirt zu haben glaubte, setzte im Jahre 1810 eine Summe von 200000
-Franken zur Vollendung des Baues der Sternwarte aus, wodurch =Gauß= in
-der trüben Zeit nach dem Verluste seiner Frau Zerstreuung zu Theil
-wurde, da er als Astronom die vom Klosterbaumeister =Müller= entworfenen
-Pläne durchzuarbeiten hatte. Die Vereinsamung von =Gauß= sollte jedoch
-nicht lange währen; am 4. August 1810 verheirathete er sich mit der
-zweiten Tochter des Hofrath =Waldeck=, einer genauen Freundin seiner
-verstorbenen Frau, von der er überzeugt war, daß sie ihm und seinen
-Kindern die verewigte Gattin und Mutter vollkommen ersetzen würde, und
-so erstand die zerstörte Häuslichkeit wieder in glücklicher Gestaltung.
-
-In diese Zeit fallen die großartigsten Erfolge seiner directen
-Lehrthätigkeit. Schon im Jahre 1808 war =Schumacher=, in gereifteren
-Jahren nach schon vollendeten juristischen Studien, nach Göttingen
-gekommen, um dort sich in der Mathematik und Astronomie auszubilden;
-1810 kamen =Gerling=, =Nicolai=, =Möbius=, =Encke=, welche alle als
-namhafte Gelehrte in verdientem Ansehen stehen. Die Lehrthätigkeit war
-jedoch, wie schon aus dem oben angeführten Bruchstücke eines Briefes von
-=Olbers= hervorgeht, von jeher eine Last für =Gauß=; er widmete sich ihr
-in den ersten Jahrzehnten seines Göttinger Aufenthaltes in der Form, wie
-sie an deutschen Universitäten gebräuchlich ist, mehr, als später;
-allerdings immer ungern und mit der oft wiederholten Klage, daß ihm
-dadurch sehr viel Zeit geraubt würde, da die Vorbereitungen ihm so
-lästig und äußerst zeitraubend seien. Wenn man bedenkt, was Männer wie
-=Encke=, =Gerling=, =Möbius=, =Nicolai= und Andere aus =Gauß='schen
-Vorlesungen mit ins Leben hinübergenommen haben (denn man ist versucht,
-ihre Hauptleistungen, dem Keime nach, auf Göttinger Anregungen
-zurückzuführen), so begreift sich das wohl. In seinen späteren Jahren
-war =Gauß= nur schwer dazu zu bewegen, ein Colleg zu lesen; jedoch war
-er, unter Beobachtung aller Formen, stets dem strebenden Studirenden
-zugänglich. Der Schreiber dieser Zeilen gedenkt nicht selten mit
-dankbarer Erinnerung mancher halben Stunde aus den Jahren 1853 und 1854,
-die der große Mann in anregender und wesentlich fördernder Belehrung dem
-Anfänger widmete, welchem er gestattet hatte, mit Fragen bei dem
-Selbststudium der Theoria motus ihn zu behelligen, ein Thema, auf das
-glücklicherweise diese Erlaubniß nicht beschränkt blieb. --
-
-=Gauß= hatte nunmehr die stille sorgenfreie Muße gefunden, nach welcher
-er sich so lange gesehnt. Als etwas wahrhaft Beneidenswerthes hat er im
-hohen Alter, nach des großen Astronomen =Bessel='s Tode, mit dem ihn
-eine mehr als vierzigjährige Freundschaft verband, hervorgehoben, daß
-dieser in seinen jungen Jahren Gelegenheit gefunden habe, großartige
-Verhältnisse der wirklichen Welt genau kennen zu lernen und dadurch die
-innere Ueberzeugung mit sich getragen, durch diese Kenntnisse sich jeden
-Augenblick eine solche Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft
-schaffen zu können, in der er sich selbst erhielte. Er selbst habe, bis
-zu einem vorgerückten Alter, nichts in sich selbst besessen, was, wie
-die Welt sei, einen sichern Schutz auch nur gegen den Hungertod hätte
-geben können, als das Schulmeistern, was ihm stets zuwider gewesen sei.
-
-Die jährlichen Bearbeitungen der Vorausberechnung der kleinen Planeten
-und die Verbesserung ihrer Bahnen übertrug =Gauß= von jetzt ab stets dem
-einen oder dem andern seiner talentvolleren Schüler. Er selbst
-beschäftigte sich in dieser Richtung hauptsächlich damit, für die
-Berechnung der Störungen dieser Himmelskörper Methoden aufzustellen,
-sowie für die Ermittelung der wahrscheinlichsten Elemente ihrer Bahnen,
-worüber er im Jahre 1811 und 1818 der Societät der Wissenschaften in
-Göttingen classische Denkschriften vorlegte.
-
-Um dieselbe Zeit beschäftigte sich =Gauß= mit dioptrischen Studien,
-nicht allein theoretisch, sondern mit directer Beziehung zur Praxis, wie
-er denn, in ihm eigenthümlicher Form, an =Repsold= im Jahre 1810 die
-Krümmungsradien für ein Fernrohrobjectiv von 8 Fuß Brennweite und 5 Zoll
-Oeffnung mittheilte. Diese Studien nahm er im Jahre 1817 wieder auf und
-zeigte damals die theoretische Möglichkeit eines wesentlichen
-Fortschrittes in der Construction der Fernröhre, die aber unbeachtet
-blieb, bis =Steinheil= nach fast einem halben Jahrhundert die Formeln
-von =Gauß= praktisch anwandte und ganz vorzügliche Resultate erzielte.
-Im Jahre 1843 legte er der Göttinger Societät seine »dioptrischen
-Studien« vor, wodurch er einem Felde, das durch die Arbeiten von Männern
-wie =Cotes=, =Euler=, =Lagrange= und =Möbius= fast erschöpft erscheinen
-konnte, eine neue Ernte abgewann.
-
-Im Jahre 1814 wurde die neue Sternwarte bis auf den innern Ausbau
-fertig; jedoch wurden die dazu gehörigen Wohngebäude für die Astronomen
-erst im Jahre 1815 begonnen. Von den Instrumenten der alten Sternwarte
-erhielt der durch =Tobias Mayer's= Arbeiten so berühmt gewordene
-Mauerquadrant einen Platz auf dem neuen Observatorium, sowie auch das
-10-füßige =Herschel='sche Teleskop noch auf lange Jahre hinaus für
-Beobachtungen außer dem Meridiane benutzt wurde. Die übrigen, von
-Lilienthal nach Göttingen gekommenen Instrumente wurden kaum benutzt,
-höchstens, um Besuchern den gestirnten Himmel damit zu zeigen. An Stelle
-des einen von zwei im ursprünglichen Plane projectirten
-Passageninstrumenten wurde, auf Betreiben von =Schumacher= ein
-Meridiankreis von =Repsold= angekauft, der jedoch erst im Jahre 1818
-geliefert wurde; denn =Repsold= wollte ihn, bevor er in =solche= Hände
-kam, mit einer neuen Theilung versehen.
-
-Im Frühjahr 1816 begab sich =Gauß= im Auftrage der Regierung nach
-München, wo damals die großen Künstler =Reichenbach= und =Fraunhofer=
-erfolgreich mit den englischen Mechanikern und Optikern zu rivalisiren
-begonnen hatten, um dort mit ihnen die Construction zweier großer
-Meridianinstrumente zu vereinbaren, sowie verschiedene kleinere
-Instrumente zu bestellen. Bei dieser Gelegenheit besuchte =Gauß= mit
-=Reichenbach= zusammen die schönen Gegenden des Salzkammergutes. Schon
-im Sommer 1814 hatte übrigens die Göttinger Sternwarte eine herrliche
-Acquisition in einem =Reichenbach-Fraunhofer='schen Heliometer gemacht,
-zu dem freilich das Stativ erst später nachkam, ein Instrument, welches
-60 Jahre später, am 8. December 1874, zur Beobachtung des Vorüberganges
-der Venus vor der Sonnenscheibe auf der Aucklandinsel gedient hat. Im
-Herbste 1816 konnte endlich die Directorwohnung der Sternwarte bezogen
-werden und im Frühjahre 1817 traf eins der bestellten kleineren
-Instrumente aus München ein, mit dem =Gauß= sofort, obgleich der Ausbau
-der Sternwarte noch keineswegs vollendet war, die Beobachtungen begann.
-Bei der Bestellung dieses Instrumentes hatte =Gauß= wahrscheinlich schon
-die Fortsetzung der von =Schumacher= geplanten dänischen Gradmessung von
-Skagen bis Lauenburg durch das Hannöversche im Auge gehabt.
-
-Als =Schumacher= im Jahre 1817 seine Messungen, aufs Großartigste
-unterstützt vom Könige von Dänemark, begonnen hatte, benutzte =Gauß=
-die Durchreise des Ministers =von Arnswald= im August 1817 durch
-Göttingen, um demselben die Zweckmäßigkeit der Fortsetzung dieser
-Arbeiten durch das Hannöver'sche darzulegen und reichte dann im Herbste
-desselben Jahres eine ausführliche Denkschrift ein, in welcher er
-schriftlich seine mündlichen Auseinandersetzungen wiederholte. Es
-erfolgte aber darauf lange kein Bescheid, »da die Kunst des
-Sollicitirens diejenige sei, wozu er -- freilich zu seinem großen
-Nachtheil -- am wenigsten Talent habe noch passe«. Nachdem =Schumacher=
--- dem obige Kunst geläufiger war -- sich ins Mittel gelegt, so wurde
-zunächst von der Regierung =Gauß= der Auftrag ertheilt, im Herbst 1818
-die zur Verbindung der hannöverschen Triangulirung mit der dänischen
-nothwendigen Winkelmessungen in Lüneburg vorzunehmen. Das war der
-Anfang der langwierigen Triangulirungsgeschäfte, mit denen =Gauß= bis
-über das Jahr 1848 hinaus viel, ja viel zu viel zu thun hatte. Mag man
-auch den Gewinn der Verlängerung des dänischen Bogens um zwei
-Meridiangrade nach Süden sehr hoch stellen, so war das eine Arbeit, die
-auch Kräfte secundären Ranges sehr gut hätten ausführen können. Man muß
-nur in dem Briefwechsel zwischen =Gauß= und =Schumacher= lesen, wie
-sehr Ersterer viele Jahre Sommer für Sommer durch Winkelmessungen
-absorbirt war, um es lebhaft zu beklagen, daß ein solcher Geist durch
-derartige Arbeiten, die von Vielen zu machen waren, gestört wurde, sich
-in Muße mit Dingen zu beschäftigen, die nur =Er= uns lehren konnte.
-Dazu kommt noch, daß =Gauß= fast alle die erforderlichen ungeheuern
-Rechnungen selbst gemacht hat, vielleicht in ein Viertel oder ein
-Zehntel der Zeit, die andere gebraucht hätten. Aber =seine= Zeit war
-auch kostbarer als die Zeit von vier oder zehn Rechnern, die
-schließlich genau dasselbe Resultat erlangt haben würden. Allerdings
-hat auch die Wissenschaft, in Anlaß dieser Gradmessungsarbeiten, =Viel=
-gewonnen. Dahin gehören die feinsinnigen Untersuchungen über die
-allgemeine Abbildung einer gegebenen Fläche, auf einer andern so, daß
-die Abbildung dem abgebildeten in den kleinsten Theilen ähnlich wird.
-Es sind ferner auf die Gradmessungsarbeiten zurückzuführen die
-Disquisitiones circa superficies curvas (1827) und die beiden
-Abhandlungen über höhere Geodäsie (1843 und 1846).
-
-Ein großer Uebelstand bei den Gradmessungsarbeiten war es bislang
-gewesen, daß man die Endpunkte der großen Dreiecke, in denen man die
-Winkel zu messen hatte, mit den gewöhnlich angewandten Mitteln entweder
-gar nicht oder nicht mit genügender Sicherheit hatte sehen können.
-Man hatte daher zu dem Auskunftsmittel gegriffen, hell brennende mit
-Reverberen versehene Lampen auf den Dreieckspunkten aufzustellen und
-die Messungen bei Nacht auszuführen. Abgesehen von der großen
-Unbequemlichkeit und Mühseligkeit wurde dadurch die Arbeit des Geodäten
-zu einer gefahrvollen, da nicht selten die Signale auf hohen einsam
-gelegenen Bergen errichtet sind, die dem Beobachter keinerlei Schutz
-darbieten. Um so willkommener war eine Erfindung von =Gauß=, welche es
-ermöglichte, alle, selbst die größten Dreiecke bei Tage zu messen: das
-Heliotrop. Diese in ihrer Einfachheit so sinnreiche Erfindung gestattet
-das Sonnenlicht, welches ein kleiner über dem Dreieckspunkte
-aufgestellter Spiegel zurückwirft, genau auf den andern Dreieckspunkt
-zu senden, so daß der dort befindliche Beobachter in der gewünschten
-Richtung scheinbar einen künstlichen, hellglänzenden Stern erblickt, der
-sich scharf mit dem Winkelinstrumente einstellen läßt. Von dieser seiner
-Lieblingserfindung hat =Gauß= öfter sehr bestimmt hervorgehoben, daß er
-zu derselben nicht durch einen reinen Zufall, sondern durch reifes
-Nachdenken gelangt sei. Es sei wahr, daß er auf dem Michaelis-Thurm in
-Lüneburg eine Fensterscheibe eines Hamburger Thurmes habe blitzen sehen,
-ein Zufall, welcher die praktische Ausführbarkeit seines Vorhabens noch
-bekräftigt habe, aber schon längst vorher sei die ganze Erfindung im
-Geiste fertig gewesen.
-
-=Gauß= hielt es für möglich, mit Hülfe von Heliotropen eine
-telegraphische Correspondenz zwischen Mond und Erde zu errichten und
-hatte in Bezug auf diese Frage sogar die Größe der erforderlichen
-Spiegel berechnet, woraus sich ergab, daß eine solche Correspondenz
-eventuel ohne große Kosten sich würde einrichten lassen. Das wäre eine
-Entdeckung, pflegte er zu sagen, noch größer als die von Amerika, wenn
-wir uns mit unseren Mondnachbarn in Verbindung setzen könnten -- hielt
-es jedoch nicht eben für wahrscheinlich, daß der Mond eine mit höherer
-Intelligenz ausgestattete Bevölkerung besitze. Sonst hielt er geistiges
-Leben auf der Sonne und auf den Planeten für sehr wahrscheinlich, wobei
-er hervorzuheben pflegte, wie die an der Oberfläche der verschiedenen
-Himmelskörper wirkende und in ihrer Wirkung zu berechnende Schwerkraft
-für diese Frage vom größten Einfluß sei, woraus er z. B. folgerte, daß
-auf der Sonne nur sehr =kleine= Wesen, verglichen mit uns, existiren
-können, bei einer dort mehr als 28fach größeren Schwerkraft, als auf der
-Erde.
-
-Um die Zeit, als die Gradmessungsarbeiten ernstlich an =Gauß=
-herantraten, trafen im Jahre 1819 die Schönen Meridianinstrumente von
-München ein, deren Aufstellung auf der Sternwarte und deren eingehender
-Untersuchung sich =Gauß= zunächst widmete. Obgleich dieselben auch,
-wenigstens in den ersten Jahren, zu =häufigen= Beobachtungen gedient
-haben, so ist doch wenig von ihren Leistungen in der astronomischen Welt
-bekannt geworden. Es scheint auch, als wenn es =Gauß= nicht für
-angemessen hielt, mit den damals staunenswerthen Leistungen von =Bessel=
-in Concurrenz zu treten; auch dürfte vielleicht die schon oben aus einem
-Briefe von =Olbers= angezogene Aeußerung, daß =Gauß= die praktische
-Astronomie enthusiastisch liebte, in sofern doch zu modificiren sein,
-als =Gauß= nicht der unwiderstehliche Drang inne wohnte, sich mit den
-Gestirnen zu beschäftigen, wie man ihn bei dem wahren beobachtenden
-Astronomen findet. Es soll damit nicht der leiseste Tadel gegen den Mann
-ausgesprochen werden, dessen praktische Leistungen im Gebiete der
-Astronomie ebenfalls weit hervorragen über die Leistungen des
-Durchschnittsastronomen der Praxis, sondern es soll nur die Thatsache
-constatirt werden, daß das Göttinger Institut als =Sternwarte= nicht das
-geleistet hat, was man von einem mit so prachtvollen Instrumenten
-ausgestatteten Institute erwarten mußte. Ein helles Licht auf die hier
-obwaltenden Verhältnisse wirft eine Aeußerung von =Gauß= über die
-Erklärung eines optischen Phänomens, das auftritt, wenn man die in einem
-Quecksilberhorizonte reflectirten Bilder von Sternen beobachtet. »Die
-Auffindung dieser Erklärung stellte er höher, als einen ganzen Jahrgang
-von Beobachtungen, deren Nutzen er jedoch keineswegs verkenne.« In der
-That kann man bedauern, daß durch die praktische Thätigkeit von =Gauß=,
-gar häufig die Muße gestört ist, deren er nach seinen wiederholten
-Aeußerungen für seine schöpferische Thätigkeit auf speculativem Gebiete
-stets in vollem Maaße bedurfte.
-
-Wie sehr man in den damaligen Regierungskreisen vor 40 Jahren verkannte,
-=was= man an =Gauß= in Göttingen besaß, geht daraus hervor, daß ihn das
-Ministerium des Innern mit Aufträgen von abschreckender Weitläufigkeit
-behelligte, die sich auf die Revision des gesammten Aichungswesens des
-Königreiches bezogen. Es ist zu bedauern, daß =Gauß= diese Aufträge
-nicht einfach als seiner unwürdig ablehnte; seine der Welt unschätzbare
-Zeit ist in Folge dessen zum Theil durch Arbeiten absorbirt, deren
-Bedeutung schon jetzt, selbst für das praktische Leben, ganz geschwunden
-sind, wenngleich die Geistesfunken, welche von ihm im Contact mit den
-früher bei solchen Gelegenheiten befolgten Methoden sprühten, noch lange
-dieses Gebiet mit ihrem Lichte erhellen werden.
-
-Es ist nicht Zweck dieser kurzen Schrift, alle die großen Gedanken zu
-verfolgen, welche =Gauß= während seiner fast 50jährigen Thätigkeit in
-vielen der Societät der Wissenschaften überreichten Denkschriften
-niedergelegt hat, oder auch nur die Titel dieser Denkschriften
-aufzuzählen; noch weniger kann dem verborgenen Aufblitzen seines Genius
-nachgegangen werden, wozu unter andern der Briefwechsel, den er mit
-=Schumacher= geführt, so vielen Anlaß darbietet. Es sei nur gestattet,
-noch ein großes Arbeitsfeld zu erwähnen, auf welchem das Eingreifen von
-=Gauß= von fundamentaler Bedeutung geworden ist.
-
-Schon im Sommer 1831 hatte =Gauß= angefangen sich in ein ihm bis dahin
-ganz fremdes wissenschaftliches Gebiet, die Krystalllehre,
-hineinzuarbeiten. Es machte ihm Mühe, sich in der Sache zu orientiren,
-da die Bücher, welche er dabei zum Führer genommen, dieselbe mehr
-verwirrten als aufhellten. =Gauß= ersann eine neue Methode zur
-Krystallbezeichnung, im Wesentlichen dieselbe, welche später von
-=Miller= in Cambridge bekannt gemacht ist und construirte eine
-Vorrichtung, mit deren Hülfe am 12zölligen =Reichenbach='schen
-Theodoliten die Winkel der Krystalle so genau, wie möglich, gemessen
-werden konnten. Von allen diesen Untersuchungen: Beobachtungen,
-Rechnungen und Zeichnungen, ist nie das Geringste zur öffentlichen
-Kenntniß gelangt; denn schon im Herbste desselben Jahres trat bei
-=Gauß=, in Folge der Berufung des damals noch jugendlichen, später
-so berühmten Physikers =Weber= an die Göttinger Universität, die
-Bearbeitung rein physikalischer Fragen in den Vordergrund.
-Es entwickelte sich bald zwischen dem mehr als 50jährigen
-hochberühmten Mathematiker und dem noch nicht dreißigjährigen Physiker
-eine innige, nie getrübte Freundschaft, der die Wissenschaft
-denkwürdige Arbeiten verdankt.
-
-»Der Stahl schlägt an den Stein,« so bezeichnete =Gauß= später ihr
-persönliches Zusammenwirken in der Mitte der dreißiger Jahre, das zum
-unendlichen Schaden für die Menschheit im Jahre 1837 zerrissen wurde,
-weil der König von Hannover Männer von Ueberzeugungstreue, die auch
-wagten dieselbe zu äußern, nicht als Professoren in Göttingen dulden
-wollte. =Weber= war einer von den Göttinger =Sieben=, die in Folge des
-Verfassungsbruchs des Königs und ihres dagegen erlassenen Protestes aus
-Hannover verbannt wurden. Mit ihm verließen =Albrecht=, =Dahlmann=,
-=Ewald=, =Gervinus= und die beiden =Grimm= die Georgia Augusta.
-
-Das Gebiet der Elektricität und des Magnetismus wurde zunächst nach
-allen Richtungen durchforscht. =Gauß= gab in Folge hiervon die erste
-richtige Theorie des Erdmagnetismus, wodurch er in den Stand gesetzt
-wurde, durch =eine mathematische Formel= das gesammte vorhandene
-Beobachtungsmaterial darzustellen, also die Declination und Inclination
-der Magnetnadel, sowie die Intensität an jedem Punkte der Erde
-anzugeben. Die Wichtigkeit, durch Beobachtungen zu jeder Zeit diese
-Constanten zu bestimmen, führte =Gauß= auf die Erfindung von ganz neuen
-Beobachtungsmethoden und Instrumenten, mit denen man diese Größen und
-ihre Aenderungen in kurzer Zeit mit einer nie geahnten Schärfe bestimmen
-konnte. Die galvanischen Versuche führten endlich zur Entdeckung des
-elektromagnetischen Telegraphen, der zum ersten Male in großen
-Dimensionen im Winter 1833 bis 1834 in Göttingen praktisch ausgeführt
-wurde, indem von der Sternwarte zum Johannisthurme und von da zum
-physikalischen Cabinette eine Drahtleitung von mehreren Tausend Metern
-Länge gezogen wurde. Diese Drahtleitung diente zu den interessantesten
-Versuchen; so wurden sehr bald Worte und ganze Sätze hin und her
-telegraphirt und auch die später so wichtig gewordene Anwendung für
-telegraphische Längenbestimmungen wurde implicite gemacht, da die
-Pendeluhr des physikalischen Cabinets durch galvanische Signale von der
-Sternwarte aus gestellt wurde, es also nur einer unabhängigen
-Zeitbestimmung dort bedurft hätte, um die astronomische Längendifferenz
-zu ermitteln.
-
-In einem Briefe an =Schumacher= bedauert =Gauß= die engen Verhältnisse,
-in denen er lebt, da sich an seine theoretischen Eroberungen im Gebiete
-des Elektromagnetismus, auf die er mehr Werth legte, als auf die im
-Gebiete des reinen Magnetismus, glänzende praktische Anwendungen knüpfen
-ließen. »Könnte man,« so schreibt er 1835, »Tausende von Thalern
-verwenden, so glaube ich, daß z. B. die elektromagnetische Telegraphie
-zu einer Vollkommenheit und zu einem Maaßstabe gebracht werden könnte,
-vor der die Phantasie fast erschrickt. Der Kaiser von Rußland könnte
-seine Befehle ohne Zwischenstation in derselben Minute von Petersburg
-nach Odessa, ja vielleicht nach Kiachta geben, wenn nur der Kupferdraht
-von gehöriger (im Voraus =scharf= zu bestimmender) Stärke =gesichert=
-hingeführt und an beiden Endpunkten mächtige Apparate und gut eingeübte
-Personen wären. Ich halte es nicht für unmöglich, eine Maschinerie
-anzugeben, wodurch eine Depesche fast so mechanisch abgespielt würde,
-wie ein Glockenspiel ein Musikstück abspielt, das einmal auf eine Walze
-gesetzt ist. Aber bis eine solche Maschinerie allmälig zur
-Vollkommenheit gebracht würde, müßten natürlich erst viele kostspielige
-Versuche gemacht werden, die freilich z. B. für das Königreich Hannover
-keinen Zweck haben. Um eine solche Kette in einem Schlage bis zu den
-Antipoden zu haben, wäre für 100 Millionen Thaler Kupferdraht vollkommen
-zureichend, für eine halb so große Distanz nur ein Viertel so viel, und
-so im Verhältnisse des Quadrats der Strecke.«
-
-Von großem Interesse ist es auch, zu ersehen, daß diejenigen Methoden,
-welche =Gauß= schon damals bei seinen Göttinger Versuchen anwandte,
-dieselben sind, auf die man jetzt bei der transatlantischen Telegraphie
-wieder zurückzukommen scheint.
-
-Die Zeit, in welcher =Gauß= begann, sich physikalischen Problemen mit
-großer Energie zuzuwenden, fällt zusammen mit einer Zeit schweren
-häuslichen Leides. Seine Frau hatte schon lange an einem Magenübel
-gekränkelt. Nachdem eine Katastrophe, in Folge welcher man glaubte
-Hoffnung schöpfen zu können, und die in der That eine wesentliche
-Besserung in dem Zustande der Leidenden herbeiführte, so daß sie sich
-besser befand, als seit Jahren, eingetreten war, zeigte sich leider bald
-wieder das alte Uebel, nur in noch traurigerer Gestalt, und im September
-1831 starb nach unbeschreiblichen Leiden die arme Dulderin. =Gauß= wurde
-durch diesen Verlust aufs Tiefste erschüttert und sehnte sich, ebenfalls
-von einem Schauplatze abtreten zu können, wo die Freuden flüchtig und
-nichtig, die Leiden, Fehlschlagungen und schmerzlichen Täuschungen die
-Grundfarbe sind. Viele Monate später litt er noch an fortwährender
-Schlaflosigkeit bei Nacht und Abspannung am Tage, und konnte nicht
-absehen, wann er sich wieder zu frischem Lebensmuthe würde aufrichten
-können. Wir greifen wohl kaum fehl, wenn wir annehmen, daß hier
-ebenfalls ein Motiv sich zeigt, daß =Gauß= veranlaßte, neue, ihm bis
-dahin fremde und in sich hoch interessante Gebiete mit Anstrengung aller
-Geisteskraft zu betreten.
-
-Die philologischen Neigungen, welche =Gauß= in seiner Jugend sogar der
-Mathematik abwendig zu machen drohten, traten in dem letzten Jahrzehnte
-seines Lebens wieder mit größerer Lebendigkeit hervor. Versuchsweise
-hatte er sich ums Jahr 1840 mit Sanskrit beschäftigt, das ihn aber wenig
-befriedigte; später erlernte er, um seinen Geist frisch und für neue
-Eindrücke empfänglicher zu erhalten, die russische Sprache, bekanntlich
-für denjenigen, der nur germanische und romanische Sprachen kennt, eine
-sehr schwierige Aufgabe. Ohne fremde Hülfe brachte er es darin binnen
-wenigen Jahren zu einer sehr großen Fertigkeit, so daß er von da an mit
-Vorliebe sich mit der russischen Literatur beschäftigte, während ihm
-früher vorzugsweise von ausländischer Literatur die Lectüre von
-=Walter Scott's= Werken angezogen hatte. Unter unseren deutschen
-Dichtern stellte er =Richter= ohne Frage in die erste Reihe; dagegen
-befriedigte ihn =Göthe's= Schreib- und Denkweise weniger: »er sei ihm
-an Gedanken zu arm« und seine lyrische Poesie, deren Werth und
-vollendete Form er nicht verkannte, schlug er nicht sehr hoch an.
-Noch weniger sagte ihm =Schiller= zu, dessen philosophische Ansichten
-ihm mitunter vollständig zuwider waren. So nannte er »Die Resignation«
-ein gotteslästerliches, durchaus moralisch verderbtes Gedicht und
-hatte in seiner Ausgabe mit Fracturschrift und Ausrufungszeichen das
-Wort »Mephistopheles« an den Rand geschrieben.
-
-Alle philosophischen Ideen hielt =Gauß= nur für subjectiv und trennte
-sie, da sie strenger Begründung entbehrten, durchaus von der
-eigentlichen Wissenschaft.
-
-Anerkennend hebt =Sartorius von Waltershausen= die religiöse Duldsamkeit
-von =Gauß= hervor, die er auf jeden aus der Tiefe des menschlichen
-Herzens entsprungenen Glauben übertrug, die aber durchaus nicht mit
-religiösem Indifferentismus zu verwechseln war. Im Gegentheil nahm er an
-der religiösen Entwickelung des menschlichen Geschlechts, vornehmlich
-aber an der unsers Jahrhunderts, den allerinnigsten Antheil. In
-Rücksicht auf die mannigfaltigen Glaubensverschiedenheiten, die häufig
-nicht mit seiner Anschauungsweise übereinstimmen konnten, hob er immer
-hervor, daß man nicht berechtigt sei, den Glauben anderer, in dem sie
-Trost in irdischen Leiden und eine sichere Zuflucht in den Tagen des
-Unglücks erblickten, in irgend einer Weise zu stören. Das Streben nach
-Wahrheit und das Gefühl für Gerechtigkeit bildeten die Grundlage von
-=Gauß'= religiöser Betrachtungsweise. Das geistige Leben im ganzen
-Weltall erfaßte er als ein großes, von ewiger Wahrheit durchdrungenes
-Rechtsverhältniß, und aus dieser Quelle schöpfte er vornehmlich die
-Zuversicht, das unerschütterliche Vertrauen, daß mit dem Tode unsere
-Laufbahn nicht geschlossen ist.
-
-Die unerschütterliche Idee von einer persönlichen Fortdauer nach dem
-Tode, der feste Glaube an einen letzten Ordner der Dinge, an einen
-ewigen, gerechten, allweisen, allmächtigen Gott, bildete das Fundament
-seines religiösen Lebens. »Es giebt,« äußerte er eines Tages, »in dieser
-Welt einen Genuß des Verstandes, der in der Wissenschaft sich
-befriedigt, und einen Genuß des Herzens, der hauptsächlich darin
-besteht, daß die Menschen einander die Mühsale, die Beschwerden des
-Lebens gegenseitig erleichtern. Ist das aber die Aufgabe des höchsten
-Wesens, auf gesonderten Kugeln Geschöpfe zu erschaffen und sie, um ihnen
-solchen Genuß zu bereiten, 80 oder 90 Jahre existiren zu lassen? -- so
-wäre das ein erbärmlicher Plan. Ob die Seele 80 Jahre lebt oder
-80 Millionen Jahre, wenn sie ein Mal untergehen soll, so ist dieser
-Zeitraum doch nur eine Galgenfrist. Endlich würde es vorbei sein
-müssen. Man wird daher zu der Ansicht gedrängt, für die ohne eine
-strenge wissenschaftliche Begründung so vieles Andere spricht, daß
-neben dieser materiellen Welt noch eine zweite rein geistige
-Weltordnung existirt, mit eben so viel Mannigfaltigkeiten, als die in
-der wir leben -- ihrer sollen wir theilhaftig werden.« --
-
-Die letzten Jahrzehnte seines Lebens verlebte =Gauß= in stiller, ruhiger
-Beschaulichkeit; seit mehr als zwanzig Jahren hatte er keine Nacht
-außerhalb Göttingens zugebracht. Vormittags erschien er regelmäßig im
-literarischen Museum, woselbst er eine große Anzahl von Zeitungen
-durchsah, in denen ihn, außer den politischen Nachrichten, auch noch
-insbesondere die Börsennachrichten ansprachen, welche er aufmerksam im
-Interesse seiner statistischen Speculationen verfolgte. Ein Glück ist
-es, daß Niemand die eminente finanzielle Begabung zeitig genug ahnte,
-die =Gauß= besaß, und von der er z. B. einen so hervorragenden Beweis
-bei der Reorganisation der Professorenwittwencasse in Göttingen gegeben
-hat! Es würden dadurch noch größere Beeinträchtigungen seiner Muße
-entstanden sein, als die, welche wir oben beklagten. Die meisten
-ehemaligen Studirenden der Georgia Augusta aus dem zweiten Viertel
-dieses Jahrhunderts werden sich lebhaft das edle Antlitz des großen
-Mannes ins Gedächtniß zurückrufen können; denn auf den meisten von ihnen
-wird sein leuchtendes blaues Auge fragend geruht haben, wenn sie
-zufällig ein Blatt lasen, nach dem =Gauß= Verlangen trug, und das sich
-dann Jeder beeilte dem großen Manne darzureichen.
-
-Auszeichnungen aller Art wurden =Gauß= vielfach zu Theil -- zeichnete
-doch Jeder schließlich nur sich selbst aus, wenn er einen solchen Mann
-ehrte -- und vorzüglich in großer Zahl am 16. Juli 1849, als der
-ehrwürdige Greis sein 50jähriges Doctorjubiläum feierte. An diesem Tage
-erhielt er auch das Ehrenbürgerrecht der Städte Braunschweig und
-Göttingen.
-
-Schon im Jahre 1846 findet sich in einem Briefe an seinen Freund
-=Schumacher= das Verlangen ausgesprochen, seinen Abschied zu nehmen, um
-die letzten Jahre seines Lebens in freiester Selbstbestimmung, fern von
-der Last aller Berufsgeschäfte, verleben zu können. Nach seinem Jubiläum
-schien er überhaupt die Absicht zu haben, zu ruhen, und klagte, daß
-seine Arbeitszeit im Vergleich mit früheren Jahren merklich kürzer
-werde. Seine innigsten Freunde waren allmälig aus dem Leben geschieden:
-=Olbers= 1840, =Bessel= 1846. Im Jahre 1851 starb =Schumacher=, und
-=Gauß= vereinsamte mehr und mehr. In den beiden folgenden Wintern litt
-er viel an Schlaflosigkeit und andere Beschwerden des Alters traten auf,
-so daß er endlich, trotz seines geringen Vertrauens in die medicinischen
-Wissenschaften, sich im Januar 1854 veranlaßt sah, ärztlichen Rath zu
-suchen. Leider zeigte es sich, daß das Uebel, an welchem =Gauß= litt,
-ein Herzfehler war und daß man auf eine Wiederherstellung kaum hoffen
-durfte. Die Anwendung zweckmäßiger Mittel besserte das Befinden, so daß
-der Sommer leidlich verlief. Im December 1854 zeigten sich jedoch sehr
-bedenkliche Symptome; nach mehrfachem Hin- und Herschwanken der
-Krankheit entschlief =Gauß= am 23. Februar 1855. Am Morgen des
-26. Februar begleitete ein langer Zug von Leidtragenden den großen
-Todten von der Rotunde der Sternwarte zu seiner letzten Ruhestätte.
-
-Das Bildniß des gewaltigen Mannes ist am schönsten der Nachwelt erhalten
-durch die Denkmünzen, welche der König von Hannover im Jahre 1856 auf
-ihn prägen ließ mit der Widmung:
-
- =Mathematicorum Principi.=
-
-Hiernach ist das diesen Zeilen vorangestellte Bild entworfen.
-
-
-
-
-
-End of Project Gutenberg's Gauss, by Friedrich August Theodor Winnecke
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GAUSS ***
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<title>
The Project Gutenberg eBook of GAUSS, by F. A. T. Winnecke
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</head>
<body>
-
-
-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Gauss, by Friedrich August Theodor Winnecke
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
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-
-
-Title: Gauss
- Ein Umriss seines Lebens und Wirkens
-
-Author: Friedrich August Theodor Winnecke
-
-Release Date: May 20, 2013 [EBook #42745]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GAUSS ***
-
-
-
-
-Produced by Peter Becker, UB Braunschweig and the Online
-Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
-</pre>
-
-
+<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 42745 ***</div>
<div class='transnote'>
<h3>Anmerkungen zur Transkription:</h3>
Das Cover wurde im Rahmen der Transkription erstellt und ist frei von Urheberrechten.
Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn sie mehrfach verwendet wurden, oder
-beide Schreibweisen gebräuchlich waren:
+beide Schreibweisen gebräuchlich waren:
<ul class="index">
-<li>hannoversche -- hannöversche</li>
+<li>hannoversche -- hannöversche</li>
<li>Euklid -- euclidischen</li>
</ul>
-Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen:
+Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen:
<ul class="index">
-<li>S. 5 "Verhältniße" in "Verhältnisse" geändert.</li>
-<li>S. 6 "Gedächtniße" in "Gedächtnisse" geändert.</li>
-<li>S. 6 "Zahlenverhältnißen" in "Zahlenverhältnissen" geändert.</li>
-<li>S. 14 "vergrössert" in "vergrößert" geändert.</li>
-<li>S. 17 "Maasse" in "Maaße" geändert.</li>
-<li>S. 19 "Anschluße" in "Anschlusse" geändert.</li>
-<li>S. 19 "Verhältniße" in "Verhältnisse" geändert.</li>
-<li>S. 26 "Beßel" in "Bessel" geändert.</li>
-<li>S. 29 "elektromagnetichen" in "elektromagnetischen" geändert.</li>
-<li>S. 29 "Göttigen" in "Göttingen" geändert.</li>
+<li>S. 5 "Verhältniße" in "Verhältnisse" geändert.</li>
+<li>S. 6 "Gedächtniße" in "Gedächtnisse" geändert.</li>
+<li>S. 6 "Zahlenverhältnißen" in "Zahlenverhältnissen" geändert.</li>
+<li>S. 14 "vergrössert" in "vergrößert" geändert.</li>
+<li>S. 17 "Maasse" in "Maaße" geändert.</li>
+<li>S. 19 "Anschluße" in "Anschlusse" geändert.</li>
+<li>S. 19 "Verhältniße" in "Verhältnisse" geändert.</li>
+<li>S. 26 "Beßel" in "Bessel" geändert.</li>
+<li>S. 29 "elektromagnetichen" in "elektromagnetischen" geändert.</li>
+<li>S. 29 "Göttigen" in "Göttingen" geändert.</li>
</ul>
</div>
@@ -188,7 +150,7 @@ Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen:
<p class="center" style="font-size: 1.3em;">FESTSCHRIFT</p>
<p class="center" style="font-size: 0.7em;">ZU</p>
-<p class="center" style="font-size: 1.2em;">GAUSS' HUNDERTJÄHRIGEM GEBURTSTAGE</p>
+<p class="center" style="font-size: 1.2em;">GAUSS' HUNDERTJÄHRIGEM GEBURTSTAGE</p>
<p class="center" style="font-size: 0.7em;">AM</p>
@@ -197,7 +159,7 @@ Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen:
<p class="center"><em class="gesperrt">HERAUSGEGEBEN</em></p>
<p class="center" style="font-size: 0.7em;">DURCH DEN</p>
-<p class="center" style="font-size: 1.2em;">VEREIN FÜR NATURWISSENSCHAFT</p>
+<p class="center" style="font-size: 1.2em;">VEREIN FÜR NATURWISSENSCHAFT</p>
<p class="center" style="font-size: 0.7em;">ZU</p>
<p class="center" style="font-size: 1.2em;">BRAUNSCHWEIG.</p>
@@ -219,7 +181,7 @@ Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen:
<hr class="r80" style="margin-top: 12em; margin-bottom: 1em;" />
<p class="center">
-<small>Die Herausgabe einer Uebersetzung in französischer und englischer Sprache,<br />
+<small>Die Herausgabe einer Uebersetzung in französischer und englischer Sprache,<br />
sowie in anderen modernen Sprachen wird vorbehalten.</small>
</p>
<hr class="r80" style="margin-top: 1em; margin-bottom: 12em;" />
@@ -234,450 +196,450 @@ sowie in anderen modernen Sprachen wird vorbehalten.</small>
<p><span class="epubcap">A</span><img class="cappicture" src="images/a.jpg" alt="A" width="54" height="55" />m 30. April 1777 erblickte zu Braunschweig in einem
unscheinbaren Hause auf dem Wendengraben <span class="smcap">Carl
Friedrich Gauss</span> das Licht der Welt. Eine Gedenktafel
-an jenem Hause erinnert seit zwei Jahrzehnten den Vorübergehenden
+an jenem Hause erinnert seit zwei Jahrzehnten den Vorübergehenden
daran. Wenige jedoch werden wissen, mit wie
makellosem Lichte der Stern leuchtete, welcher an jenem
Tage am geistigen Firmamente der Menschheit aufging, wie
-viele in tiefer Nacht verborgene Schätze des Geistes durch
+viele in tiefer Nacht verborgene Schätze des Geistes durch
seinen hellen Schein uns offenbar wurden, ja wie wir alle &mdash;
-nicht bloß die Männer der Wissenschaft &mdash; noch täglich den
-Einfluß seiner belebenden Strahlen empfinden.</p>
+nicht bloß die Männer der Wissenschaft &mdash; noch täglich den
+Einfluß seiner belebenden Strahlen empfinden.</p>
-<p>Die äußeren Verhältnisse, unter denen <em class="gesperrt">Gauß</em> aufwuchs,
-waren keineswegs günstig für die Entwickelung der hohen
+<p>Die äußeren Verhältnisse, unter denen <em class="gesperrt">Gauß</em> aufwuchs,
+waren keineswegs günstig für die Entwickelung der hohen
Begabung, welche der Knabe schon in sehr zartem Lebensalter
-zeigte. Der Vater, <em class="gesperrt">Gerhard Diederich Gauß</em>, geb.
-1744, war ein Handwerker, der vielerlei Geschäfte betrieb,
-und zuletzt, bis an seinen 1808 erfolgten Tod, sich mit Gärtnerei
-beschäftigte. Aus seiner ersten Ehe besaß er einen
+zeigte. Der Vater, <em class="gesperrt">Gerhard Diederich Gauß</em>, geb.
+1744, war ein Handwerker, der vielerlei Geschäfte betrieb,
+und zuletzt, bis an seinen 1808 erfolgten Tod, sich mit Gärtnerei
+beschäftigte. Aus seiner ersten Ehe besaß er einen
1768 geborenen Sohn <em class="gesperrt">Georg</em> (gestorben zu Braunschweig
am 7.&nbsp;August 1854), als er sich im Jahre 1776 mit <em class="gesperrt">Dorothea
-Benze</em> (geb. 1742) verheirathete. <em class="gesperrt">Carl Friedrich Gauß</em>
+Benze</em> (geb. 1742) verheirathete. <em class="gesperrt">Carl Friedrich Gauß</em>
war das einzige Kind dieser Ehe. <em class="gesperrt">Dorothea Benze</em>
-stammte aus dem fünf Meilen von Braunschweig gelegenen
+stammte aus dem fünf Meilen von Braunschweig gelegenen
<span class="pagenum"><a name="Seite_p06" id="Seite_p06">[S. 6]</a></span>Dorfe Velpke, woselbst ihr Vater, <em class="gesperrt">Christoph</em>, Steinhauer
war. Sie erreichte das hohe Alter von 97 Jahren und verbrachte
die letzten 22 Jahre ihres Lebens unter treuer Pflege
-auf der Göttinger Sternwarte bei ihrem großen Sohne, dem
+auf der Göttinger Sternwarte bei ihrem großen Sohne, dem
Stolze ihres Alters, der in inniger Liebe an ihr hing. Zwischen
-Vater und Sohn scheint kein engeres Verhältniß bestanden
+Vater und Sohn scheint kein engeres Verhältniß bestanden
zu haben; der Vater, ein vollkommen achtungswerther
-Mann, war in seiner Häuslichkeit herrisch, oft rauh
-und unfein. Hieraus ist jedoch niemals das leiseste Mißverhältniß
+Mann, war in seiner Häuslichkeit herrisch, oft rauh
+und unfein. Hieraus ist jedoch niemals das leiseste Mißverhältniß
entstanden, da der Sohn, in Folge seiner hervorragenden
-Begabung, schon früh vom Vater ganz unabhängig
+Begabung, schon früh vom Vater ganz unabhängig
wurde.</p>
-<p>Sehr interessant sind einzelne Züge aus der Kindheit von
-<em class="gesperrt">Gauß</em>, wie er sie treu im Gedächtnisse behalten hatte und
-in späteren Lebensjahren im engsten Freundeskreise gelegentlich
-mittheilte, in lebendiger gemüthlicher Erzählungsweise,
+<p>Sehr interessant sind einzelne Züge aus der Kindheit von
+<em class="gesperrt">Gauß</em>, wie er sie treu im Gedächtnisse behalten hatte und
+in späteren Lebensjahren im engsten Freundeskreise gelegentlich
+mittheilte, in lebendiger gemüthlicher Erzählungsweise,
worin bei etwaiger Wiederholung nie die geringste
Abweichung vorkam. <em class="gesperrt">Sartorius von Waltershausen</em> hat
-bald nach dem Ableben des großen Mannes manches dahin
-Gehörige gesammelt und in dankenswerther Weise <em class="gesperrt">Gauß</em>
-zum Gedächtniß veröffentlicht.</p>
+bald nach dem Ableben des großen Mannes manches dahin
+Gehörige gesammelt und in dankenswerther Weise <em class="gesperrt">Gauß</em>
+zum Gedächtniß veröffentlicht.</p>
-<p>Möge es gestattet sein, ihm Einiges nach zu erzählen.
-<em class="gesperrt">Gauß</em> erlernte das Lesen ohne Unterricht, indem er den
+<p>Möge es gestattet sein, ihm Einiges nach zu erzählen.
+<em class="gesperrt">Gauß</em> erlernte das Lesen ohne Unterricht, indem er den
Einen und den Andern der Hausbewohner um die Bedeutung
-der Buchstaben bat; er zeigte einen so bewunderungswürdigen
-Sinn für die Auffassung von Zahlenverhältnissen und
+der Buchstaben bat; er zeigte einen so bewunderungswürdigen
+Sinn für die Auffassung von Zahlenverhältnissen und
eine so unglaubliche Leichtigkeit und Sicherheit im Kopfrechnen,
-daß er dadurch sehr bald die Aufmerksamkeit seiner
+daß er dadurch sehr bald die Aufmerksamkeit seiner
Eltern erregte. Er selbst pflegte oft scherzweise zu
-sagen, er habe früher rechnen als sprechen können. Bei
+sagen, er habe früher rechnen als sprechen können. Bei
Gelegenheit einer Wochenabrechnung, die sein Vater mit
-den Gesellen und Tagelöhnern abhielt, bemerkte der unbeachtet
-zuhörende, kaum dreijährige Knabe, daß sein Vater
+den Gesellen und Tagelöhnern abhielt, bemerkte der unbeachtet
+zuhörende, kaum dreijährige Knabe, daß sein Vater
sich verrechnet hatte und im Begriffe stand, falsche Summen
-auszuzahlen, und rief: »Vater, die Rechnung ist falsch, es
-macht soviel.« Zum Erstaunen aller Anwesenden zeigte es<span class="pagenum"><a name="Seite_p07" id="Seite_p07">[S. 7]</a></span>
-sich bei sorgsamer Neuberechnung, daß die von dem Kinde
+auszuzahlen, und rief: »Vater, die Rechnung ist falsch, es
+macht soviel.« Zum Erstaunen aller Anwesenden zeigte es<span class="pagenum"><a name="Seite_p07" id="Seite_p07">[S. 7]</a></span>
+sich bei sorgsamer Neuberechnung, daß die von dem Kinde
angegebene Summe die richtige war.</p>
-<p>Erst 1784, als <em class="gesperrt">Gauß</em> schon sein siebentes Lebensjahr
-zurückgelegt hatte, wurde er zum Unterricht in die Catharinen-Volksschule
+<p>Erst 1784, als <em class="gesperrt">Gauß</em> schon sein siebentes Lebensjahr
+zurückgelegt hatte, wurde er zum Unterricht in die Catharinen-Volksschule
geschickt. Hier wurde er zwei Jahre lang durch
-<em class="gesperrt">Büttner</em> im Lesen und Schreiben unterrichtet, ohne sich
-merklich vor seinen Mitschülern auszuzeichnen. Nach Verlauf
+<em class="gesperrt">Büttner</em> im Lesen und Schreiben unterrichtet, ohne sich
+merklich vor seinen Mitschülern auszuzeichnen. Nach Verlauf
von zwei Jahren kam er in die Rechenclasse und hier
-zog <em class="gesperrt">Gauß</em> sehr bald die Aufmerksamkeit von <em class="gesperrt">Büttner</em> auf
-sich. Es war nämlich eingeführt, daß der Schüler, welcher
+zog <em class="gesperrt">Gauß</em> sehr bald die Aufmerksamkeit von <em class="gesperrt">Büttner</em> auf
+sich. Es war nämlich eingeführt, daß der Schüler, welcher
zuerst sein Rechenexempel beendigt hatte, die Tafel in die
-Mitte eines großen Tisches legte; über diese legte der Zweite
-seine Tafel u.&nbsp;s.&nbsp;w. Der kleine <em class="gesperrt">Gauß</em> war kaum in die
-Rechenclasse eingetreten, als <em class="gesperrt">Büttner</em> eine Aufgabe dictirte,
-welche in die Sprache der Algebra übersetzt nichts Anderes
-war, als die Summation einer arithmetischen Reihe, für deren
-Ausführung die Arithmetik eine sehr einfache, rasch zum
-Ziel führende Weise lehrt. <em class="gesperrt">Büttner</em> hatte die Aufgabe
-kaum ausgesprochen, als <em class="gesperrt">Gauß</em> die Tafel mit den im Braunschweiger
+Mitte eines großen Tisches legte; über diese legte der Zweite
+seine Tafel u.&nbsp;s.&nbsp;w. Der kleine <em class="gesperrt">Gauß</em> war kaum in die
+Rechenclasse eingetreten, als <em class="gesperrt">Büttner</em> eine Aufgabe dictirte,
+welche in die Sprache der Algebra übersetzt nichts Anderes
+war, als die Summation einer arithmetischen Reihe, für deren
+Ausführung die Arithmetik eine sehr einfache, rasch zum
+Ziel führende Weise lehrt. <em class="gesperrt">Büttner</em> hatte die Aufgabe
+kaum ausgesprochen, als <em class="gesperrt">Gauß</em> die Tafel mit den im Braunschweiger
Platt gesprochenen Worten auf den Tisch wirft:
-»Ligget se'« (da liegt sie). Während die anderen Schüler
-emsig weiter rechnen, geht <em class="gesperrt">Büttner</em> auf und ab, die Karwatsche
+»Ligget se'« (da liegt sie). Während die anderen Schüler
+emsig weiter rechnen, geht <em class="gesperrt">Büttner</em> auf und ab, die Karwatsche
in der Hand, und wirft von Zeit zu Zeit einen mitleidigen
-Blick auf den kleinen <em class="gesperrt">Gauß</em>, der so rasch seine Aufgabe
-beendigt hatte. Dieser saß dagegen ruhig, schon eben so
-sehr von dem festen unerschütterlichen Bewußtsein durchdrungen,
+Blick auf den kleinen <em class="gesperrt">Gauß</em>, der so rasch seine Aufgabe
+beendigt hatte. Dieser saß dagegen ruhig, schon eben so
+sehr von dem festen unerschütterlichen Bewußtsein durchdrungen,
welches ihn bis zum Ende seiner Tage bei jeder
-vollendeten Arbeit erfüllte, daß seine Aufgabe richtig gelöst
-sei und daß das Resultat kein anderes sein könne. Am
+vollendeten Arbeit erfüllte, daß seine Aufgabe richtig gelöst
+sei und daß das Resultat kein anderes sein könne. Am
Ende der Stunde wurden darauf die Rechentafeln umgekehrt;
-die von <em class="gesperrt">Gauß</em> mit einer einzigen Zahl lag oben; sie gab die
-richtige Lösung, während viele der übrigen falsch waren und alsbald
-mit der Karwatsche rectificirt wurden. <em class="gesperrt">Büttner</em> verschrieb
+die von <em class="gesperrt">Gauß</em> mit einer einzigen Zahl lag oben; sie gab die
+richtige Lösung, während viele der übrigen falsch waren und alsbald
+mit der Karwatsche rectificirt wurden. <em class="gesperrt">Büttner</em> verschrieb
hierauf eigens aus Hamburg ein neues Rechenbuch, um damit
-den jungen aufstrebenden Geist nach Kräften zu unterstützen.</p>
+den jungen aufstrebenden Geist nach Kräften zu unterstützen.</p>
<p><span class="pagenum"><a name="Seite_p08" id="Seite_p08">[S. 8]</a></span></p>
-<p><em class="gesperrt">Büttner's</em> Gehülfe war in jenen Jahren ein junger <em class="gesperrt">Bartels</em>,
+<p><em class="gesperrt">Büttner's</em> Gehülfe war in jenen Jahren ein junger <em class="gesperrt">Bartels</em>,
ebenfalls Braunschweiger von Geburt. Dieser, damals
18 Jahre alt, betrieb eifrig mathematische Studien und zog
-den kleinen <em class="gesperrt">Gauß</em> zu sich heran; er schaffte die nothwendigen
-Bücher herbei und machte <em class="gesperrt">Gauß</em>, nach Bewältigung
+den kleinen <em class="gesperrt">Gauß</em> zu sich heran; er schaffte die nothwendigen
+Bücher herbei und machte <em class="gesperrt">Gauß</em>, nach Bewältigung
der elementaren Dinge, schon damals mit der Lehre von den
-unendlichen Reihen bekannt und führte ihn in das Gebiet der
+unendlichen Reihen bekannt und führte ihn in das Gebiet der
Analysis ein. Diese gemeinschaftlichen mathematischen Studien
-wurden für Beider Lebensrichtung bestimmend.</p>
+wurden für Beider Lebensrichtung bestimmend.</p>
<p><em class="gesperrt">Bartels</em> ging, nachdem er von 1788 an auf dem Collegium
Carolinum studirt hatte, als Lehrer der Mathematik nach
-Reichenau in Graubünden; später kam er als Professor der
-Mathematik an die Universität in Kasan und wurde schließlich
+Reichenau in Graubünden; später kam er als Professor der
+Mathematik an die Universität in Kasan und wurde schließlich
nach Dorpat berufen, woselbst er im Jahre 1836 verstarb.
-Seine Tochter verheirathete sich mit dem berühmten Astronomen
+Seine Tochter verheirathete sich mit dem berühmten Astronomen
<em class="gesperrt">Struve</em>.</p>
-<p>Auch <em class="gesperrt">Gauß</em> verließ im Jahre 1788 die Volksschule,
+<p>Auch <em class="gesperrt">Gauß</em> verließ im Jahre 1788 die Volksschule,
um das Gymnasium zu besuchen, womit sein Vater wenig einverstanden
-war. Da er schon vorher mit Hülfe seiner älteren
-Freunde sich in den Anfängen der classischen Sprachen ausgebildet
-hatte, so wurde er, seiner vorgerückten Kenntnisse
+war. Da er schon vorher mit Hülfe seiner älteren
+Freunde sich in den Anfängen der classischen Sprachen ausgebildet
+hatte, so wurde er, seiner vorgerückten Kenntnisse
halber, gleich in die zweite Classe aufgenommen. Mit unglaublicher
-Schnelligkeit bemächtigte er sich hier der alten
-Sprachen und wurde zwei Jahre später nach Prima versetzt.</p>
+Schnelligkeit bemächtigte er sich hier der alten
+Sprachen und wurde zwei Jahre später nach Prima versetzt.</p>
-<p>Inzwischen waren, hauptsächlich durch <em class="gesperrt">Bartels</em>, hochstehende
+<p>Inzwischen waren, hauptsächlich durch <em class="gesperrt">Bartels</em>, hochstehende
Personen in Braunschweig, unter denen namentlich
der Geheime-Etatsrath <em class="gesperrt">von Zimmermann</em> genannt zu werden
-verdient, auf die ungewöhnliche Befähigung des jungen
-<em class="gesperrt">Gauß</em> aufmerksam geworden; sie veranlaßten, daß derselbe
+verdient, auf die ungewöhnliche Befähigung des jungen
+<em class="gesperrt">Gauß</em> aufmerksam geworden; sie veranlaßten, daß derselbe
im Jahre 1791 dem Herzoge <em class="gesperrt">Carl Wilhelm Ferdinand</em>
-vorgestellt wurde. Der hohe Fürst gewährte, in Folge dieser
+vorgestellt wurde. Der hohe Fürst gewährte, in Folge dieser
Vorstellung, die Mittel zur weitern Ausbildung des vielversprechenden
-Jünglings.</p>
+Jünglings.</p>
-<p>Vom Herzoge unterstützt bezog <em class="gesperrt">Gauß</em> im Jahre 1792
+<p>Vom Herzoge unterstützt bezog <em class="gesperrt">Gauß</em> im Jahre 1792
das Collegium Carolinum. Dort erlernte er die neueren<span class="pagenum"><a name="Seite_p09" id="Seite_p09">[S. 9]</a></span>
-Sprachen und vertiefte seine Kenntnisse der alten. Es beschäftigten
+Sprachen und vertiefte seine Kenntnisse der alten. Es beschäftigten
ihn auch in jener Zeit tiefgehende eigene mathematische
-Studien; denn schon wenige Jahre später war er im
+Studien; denn schon wenige Jahre später war er im
Besitze von mathematischen Wahrheiten, die, falls schon damals
-veröffentlicht, den jungen, noch nicht zwanzigjährigen
-Mann sofort den ersten Männern der Wissenschaft zur Seite
-gestellt haben würden.</p>
+veröffentlicht, den jungen, noch nicht zwanzigjährigen
+Mann sofort den ersten Männern der Wissenschaft zur Seite
+gestellt haben würden.</p>
-<p>Als <em class="gesperrt">Gauß</em> im Herbst 1795 das Collegium Carolinum
-verließ, um die Universität Göttingen zu beziehen, war er
-sich jedoch noch keineswegs klar darüber geworden, ob er der
+<p>Als <em class="gesperrt">Gauß</em> im Herbst 1795 das Collegium Carolinum
+verließ, um die Universität Göttingen zu beziehen, war er
+sich jedoch noch keineswegs klar darüber geworden, ob er der
Philologie oder der Mathematik sein Leben widmen solle. Mit
-Interesse besuchte er die philologischen Vorträge bei <em class="gesperrt">Heyne</em>,
-während ihn die mathematischen Vorlesungen des damals
-so berühmten <em class="gesperrt">Kästner</em> wenig anzogen. <em class="gesperrt">Kästner</em> hatte,
-äußerte <em class="gesperrt">Gauß</em> in seinen späteren Jahren, einen ganz eminenten
+Interesse besuchte er die philologischen Vorträge bei <em class="gesperrt">Heyne</em>,
+während ihn die mathematischen Vorlesungen des damals
+so berühmten <em class="gesperrt">Kästner</em> wenig anzogen. <em class="gesperrt">Kästner</em> hatte,
+äußerte <em class="gesperrt">Gauß</em> in seinen späteren Jahren, einen ganz eminenten
Mutterwitz, aber, sonderbar genug, er hatte ihn bei allen
-Gegenständen <em class="gesperrt">außerhalb</em> der Mathematik; er hatte ihn sogar,
-wenn er über Mathematik (im Allgemeinen) sprach,
+Gegenständen <em class="gesperrt">außerhalb</em> der Mathematik; er hatte ihn sogar,
+wenn er über Mathematik (im Allgemeinen) sprach,
aber er wurde oft ganz davon verlassen <em class="gesperrt">innerhalb</em> der Mathematik.
-Es ließen sich davon die lächerlichsten Beispiele anführen.</p>
+Es ließen sich davon die lächerlichsten Beispiele anführen.</p>
-<p>Während also scheinbar sich <em class="gesperrt">Gauß</em> in Göttingen den
+<p>Während also scheinbar sich <em class="gesperrt">Gauß</em> in Göttingen den
classischen Studien zuwandte, war er in Wirklichkeit mit
-den tiefsten mathematischen Studien beschäftigt, wie daraus
-hervorgeht, daß er am 30. März 1796 (nach seiner handschriftlichen
-Notiz) entdeckte, daß ein 17-Eck in einem Kreise
+den tiefsten mathematischen Studien beschäftigt, wie daraus
+hervorgeht, daß er am 30. März 1796 (nach seiner handschriftlichen
+Notiz) entdeckte, daß ein 17-Eck in einem Kreise
geometrisch construirbar sei. Seit <em class="gesperrt">Euklid's</em> Zeiten kannte
man die geometrische Theilbarkeit des Kreises in drei und
-fünf Theile und die daraus ohne Weiteres abzuleitenden Constructionen
+fünf Theile und die daraus ohne Weiteres abzuleitenden Constructionen
des 6-Ecks, 10-Ecks u.&nbsp;s.&nbsp;w. Aber obgleich gerade
mit diesem Theile der Mathematik sich ein jeder Geometer
-beschäftigt, so war es gewissermaaßen ein Dogma geworden,
-daß außer den erwähnten Constructionen keine anderen geometrisch
-ausgeführt werden könnten. Was seit zwei Jahrtausenden
-dem Blicke der größten Mathematiker entgangen<span class="pagenum"><a name="Seite_p10" id="Seite_p10">[S. 10]</a></span>
-war, der Scharfsinn des jungen, noch nicht 19jährigen <em class="gesperrt">Gauß</em>
+beschäftigt, so war es gewissermaaßen ein Dogma geworden,
+daß außer den erwähnten Constructionen keine anderen geometrisch
+ausgeführt werden könnten. Was seit zwei Jahrtausenden
+dem Blicke der größten Mathematiker entgangen<span class="pagenum"><a name="Seite_p10" id="Seite_p10">[S. 10]</a></span>
+war, der Scharfsinn des jungen, noch nicht 19jährigen <em class="gesperrt">Gauß</em>
fand es heraus. Diese Entdeckung, welche er selbst in seinem
-spätern Leben sehr hoch stellte, bestimmte ihn, sich fortan
-gänzlich dem Studium der Mathematik zu widmen; sie ist
-jedoch nur ein specieller Fall der wenige Jahre später von ihm
-in seinem ersten größern Werke, den unsterblichen »Disquisitiones
-arithmeticae«, gegebenen Theorie der Kreistheilung.</p>
-
-<p>Daß bei der Erfüllung des Gemüthes mit so tiefsinnigen
-Forschungen <em class="gesperrt">Gauß</em> dem gewöhnlichen studentischen
-Treiben fern blieb, ist selbstverständlich; er scheint in jener
-Zeit nur einen sehr beschränkten Verkehr mit wenigen Freunden
+spätern Leben sehr hoch stellte, bestimmte ihn, sich fortan
+gänzlich dem Studium der Mathematik zu widmen; sie ist
+jedoch nur ein specieller Fall der wenige Jahre später von ihm
+in seinem ersten größern Werke, den unsterblichen »Disquisitiones
+arithmeticae«, gegebenen Theorie der Kreistheilung.</p>
+
+<p>Daß bei der Erfüllung des Gemüthes mit so tiefsinnigen
+Forschungen <em class="gesperrt">Gauß</em> dem gewöhnlichen studentischen
+Treiben fern blieb, ist selbstverständlich; er scheint in jener
+Zeit nur einen sehr beschränkten Verkehr mit wenigen Freunden
gehabt zu haben, unter denen zwei, ein junger J.&nbsp;J.&nbsp;A.&nbsp;<em class="gesperrt">Ide</em>,
ebenfalls ein Braunschweiger, und W.&nbsp;<em class="gesperrt">Bolyai</em> aus Maros
-Vásárhely in Siebenbürgen, ebenfalls als Mathematiker bekannt
+Vásárhely in Siebenbürgen, ebenfalls als Mathematiker bekannt
geworden sind. Ide (geb. 1775) wurde im Jahre 1803 als
-Professor der Mathematik an die Universität in Moskau berufen,
+Professor der Mathematik an die Universität in Moskau berufen,
woselbst er jedoch schon 1806 verstarb. <em class="gesperrt">Bolyai</em> war
-ebenfalls etwas älter als <em class="gesperrt">Gauß</em>, der von ihm geäußert haben
+ebenfalls etwas älter als <em class="gesperrt">Gauß</em>, der von ihm geäußert haben
soll, <em class="gesperrt">Bolyai</em> sei der Einzige gewesen, der in seine metaphysischen
-Ansichten über Mathematik einzugehen verstanden habe.</p>
+Ansichten über Mathematik einzugehen verstanden habe.</p>
-<p><em class="gesperrt">Gauß</em> beschäftigte sich schon seit seinem 16. Jahre mit
+<p><em class="gesperrt">Gauß</em> beschäftigte sich schon seit seinem 16. Jahre mit
mathematischen Untersuchungen tiefsinnigster Art, welche an
-die Erfolglosigkeit aller Bemühungen anknüpften, einen Beweis
-zu finden für das eilfte Euclidische Axiom: »zwei Gerade,
-welche von einer dritten so geschnitten werden, daß die beiden
+die Erfolglosigkeit aller Bemühungen anknüpften, einen Beweis
+zu finden für das eilfte Euclidische Axiom: »zwei Gerade,
+welche von einer dritten so geschnitten werden, daß die beiden
inneren an einerlei Seite liegenden Winkel zusammen kleiner
-als zwei Rechte sind, schneiden sich hinreichend verlängert
-an eben dieser Seite«, worauf sich die gewöhnliche
-»euclidische« Geometrie aufbaut, welche man bis in dieses
-Jahrhundert hinein für die einzig mögliche Form der Raumwissenschaft
-gehalten hat. Indem <em class="gesperrt">Gauß</em> die Voraussetzung weiter
-verfolgte, daß das euclidische Axiom <em class="gesperrt">nicht</em> wahr sei, erhielt
+als zwei Rechte sind, schneiden sich hinreichend verlängert
+an eben dieser Seite«, worauf sich die gewöhnliche
+»euclidische« Geometrie aufbaut, welche man bis in dieses
+Jahrhundert hinein für die einzig mögliche Form der Raumwissenschaft
+gehalten hat. Indem <em class="gesperrt">Gauß</em> die Voraussetzung weiter
+verfolgte, daß das euclidische Axiom <em class="gesperrt">nicht</em> wahr sei, erhielt
er in consequenter Verfolgung dieser Voraussetzung eine ebenfalls
in sich ganz widerspruchsfreie Geometrie, welche er die
-»nicht euclidische« nannte, deren Ergebnisse jedoch nur<span class="pagenum"><a name="Seite_p11" id="Seite_p11">[S. 11]</a></span>
-scheinbar als paradox erscheinen, weil wir frühzeitig gewöhnt
-werden, die Euclidische Geometrie für <em class="gesperrt">streng wahr</em> zu
-halten. Leider sind jedoch nur Andeutungen über die hierauf
-bezüglichen Untersuchungen erhalten. Vielleicht finden
-wir Bruchstücke der Speculationen, wie sie <em class="gesperrt">Bolyai</em> und <em class="gesperrt">Gauß</em>
-in dieser Richtung während ihrer Universitätszeit verfolgten,
+»nicht euclidische« nannte, deren Ergebnisse jedoch nur<span class="pagenum"><a name="Seite_p11" id="Seite_p11">[S. 11]</a></span>
+scheinbar als paradox erscheinen, weil wir frühzeitig gewöhnt
+werden, die Euclidische Geometrie für <em class="gesperrt">streng wahr</em> zu
+halten. Leider sind jedoch nur Andeutungen über die hierauf
+bezüglichen Untersuchungen erhalten. Vielleicht finden
+wir Bruchstücke der Speculationen, wie sie <em class="gesperrt">Bolyai</em> und <em class="gesperrt">Gauß</em>
+in dieser Richtung während ihrer Universitätszeit verfolgten,
in des Erstern Schriften, welche die Grundlagen zur Wissenschaft
von der absoluten Raumlehre (im Gegensatz zur euclidischen)
enthalten, und die erst in neuerer Zeit die verdiente
Beachtung gefunden haben.</p>
<p>Eine andere wichtige Entdeckung datirt ebenfalls wahrscheinlich
-schon vor seinem Studienaufenthalte in Göttingen.
-In einer seiner Schriften giebt <em class="gesperrt">Gauß</em> an, daß er seit dem
+schon vor seinem Studienaufenthalte in Göttingen.
+In einer seiner Schriften giebt <em class="gesperrt">Gauß</em> an, daß er seit dem
Jahre 1795 an im Besitz der Methode der kleinsten Quadrate
gewesen sei, ein Princip zur consequenten Ableitung der
wahrscheinlichsten Resultate einer Beobachtungsreihe, dessen
-Anwendung auf die Beobachtungswissenschaften von der allerhöchsten
+Anwendung auf die Beobachtungswissenschaften von der allerhöchsten
Bedeutung geworden ist. In einem Briefe an den
-Astronomen <em class="gesperrt">Schumacher</em> sagt <em class="gesperrt">Gauß</em>, daß er diese Methode
+Astronomen <em class="gesperrt">Schumacher</em> sagt <em class="gesperrt">Gauß</em>, daß er diese Methode
seit dem Jahre 1794 vielfach gebraucht habe. Jedenfalls
-war er schon sehr früh in dem Besitze der unschätzbaren
-Rechnungsweise, Größen, die zufällige Fehler involviren, auf
-eine willkürfreie, consequente Art zu combiniren.</p>
+war er schon sehr früh in dem Besitze der unschätzbaren
+Rechnungsweise, Größen, die zufällige Fehler involviren, auf
+eine willkürfreie, consequente Art zu combiniren.</p>
<p>Auch der Beginn der arithmetischen Untersuchungen,
-welche den Inhalt seines unsterblichen Werkes »Disquisitiones
-arithmeticae« bilden und durch dessen Veröffentlichung
+welche den Inhalt seines unsterblichen Werkes »Disquisitiones
+arithmeticae« bilden und durch dessen Veröffentlichung
im Jahre 1801 er mit einem Schlage den Rang neben den
-größten Mathematikern aller Zeiten einnahm, fällt schon <em class="gesperrt">vor</em>
-den Anfang seiner Studien in Göttingen, wie aus handschriftlichen
-Notizen über die Zeit der Entdeckung einzelner Sätze
-hervorgeht, die <em class="gesperrt">Gauß</em> seinem Handexemplare dieses Buches
-hinzugefügt hat. Diese Notizen lehren, daß die Entdeckung
+größten Mathematikern aller Zeiten einnahm, fällt schon <em class="gesperrt">vor</em>
+den Anfang seiner Studien in Göttingen, wie aus handschriftlichen
+Notizen über die Zeit der Entdeckung einzelner Sätze
+hervorgeht, die <em class="gesperrt">Gauß</em> seinem Handexemplare dieses Buches
+hinzugefügt hat. Diese Notizen lehren, daß die Entdeckung
der geometrischen Construction des 17-Eck, deren Zeitpunkt
-oben erwähnt wurde, offenbar Veranlassung geworden ist, die
+oben erwähnt wurde, offenbar Veranlassung geworden ist, die
liegen gebliebenen zahlentheoretischen Untersuchungen wie<span class="pagenum"><a name="Seite_p12" id="Seite_p12">[S. 12]</a></span>der
-aufzunehmen. Diese Untersuchungen scheinen <em class="gesperrt">Gauß</em> in
-Göttingen hauptsächlich beschäftigt zu haben; denn als er
+aufzunehmen. Diese Untersuchungen scheinen <em class="gesperrt">Gauß</em> in
+Göttingen hauptsächlich beschäftigt zu haben; denn als er
im Jahre 1798, nach absolvirtem Triennium, nach Braunschweig
-zurückkehrte, legte er sogleich Hand an die Herausgabe
-derselben, der sich aber zunächst noch allerlei Schwierigkeiten
-entgegen stellten, welche später jedoch alle vom
-Herzog <em class="gesperrt">Carl Wilhelm Ferdinand</em>, dem die Nachwelt für
-seine hochherzige Förderung des großen Mannes stets dankbar
-verpflichtet sein wird, aus dem Wege geräumt wurden.</p>
-
-<p>Bald nach der Rückkehr in seine Vaterstadt traf <em class="gesperrt">Gauß</em>
-die nöthigen Schritte, um behufs Herausgabe seines genannten
-Werkes die Bibliothek in Helmstedt, damals noch Universitätsstadt,
-benutzen zu können, und siedelte im darauf folgenden
-Jahre für eine Weile ganz dorthin über. J.&nbsp;F.&nbsp;<em class="gesperrt">Pfaff</em>, ein
+zurückkehrte, legte er sogleich Hand an die Herausgabe
+derselben, der sich aber zunächst noch allerlei Schwierigkeiten
+entgegen stellten, welche später jedoch alle vom
+Herzog <em class="gesperrt">Carl Wilhelm Ferdinand</em>, dem die Nachwelt für
+seine hochherzige Förderung des großen Mannes stets dankbar
+verpflichtet sein wird, aus dem Wege geräumt wurden.</p>
+
+<p>Bald nach der Rückkehr in seine Vaterstadt traf <em class="gesperrt">Gauß</em>
+die nöthigen Schritte, um behufs Herausgabe seines genannten
+Werkes die Bibliothek in Helmstedt, damals noch Universitätsstadt,
+benutzen zu können, und siedelte im darauf folgenden
+Jahre für eine Weile ganz dorthin über. J.&nbsp;F.&nbsp;<em class="gesperrt">Pfaff</em>, ein
namhafter Gelehrter, war damals Professor der Mathematik
-in Helmstedt, und in seinem Hause bezog <em class="gesperrt">Gauß</em> ein Zimmer,
-arbeitete aber so angestrengt und ununterbrochen, daß er
+in Helmstedt, und in seinem Hause bezog <em class="gesperrt">Gauß</em> ein Zimmer,
+arbeitete aber so angestrengt und ununterbrochen, daß er
meistens nur gegen Abend seinen Hausgenossen zu sehen bekam.
-Auf gemeinsamen Spaziergängen in die Umgegend
-tauschten sie dann ihre Gedanken über mathematische Gegenstände
-aus. Weit entfernt, als wäre ihr gegenseitiges Verhältniß
-das von Lehrer und Schüler gewesen, wie man es
-wohl dargestellt findet, hat <em class="gesperrt">Gauß</em> später selbst geäußert, er
+Auf gemeinsamen Spaziergängen in die Umgegend
+tauschten sie dann ihre Gedanken über mathematische Gegenstände
+aus. Weit entfernt, als wäre ihr gegenseitiges Verhältniß
+das von Lehrer und Schüler gewesen, wie man es
+wohl dargestellt findet, hat <em class="gesperrt">Gauß</em> später selbst geäußert, er
glaube bei diesen Unterhaltungen mehr gegeben als empfangen
zu haben.</p>
-<p>Im Jahre 1799 wurde <em class="gesperrt">Gauß</em> auf seine Inauguraldissertation:
-»<i>Demonstratio nova theorematis omnem functionem
+<p>Im Jahre 1799 wurde <em class="gesperrt">Gauß</em> auf seine Inauguraldissertation:
+»<i>Demonstratio nova theorematis omnem functionem
algebraicam rationalem integram unius variabilis in factores
-reales primi vel secundi gradus resolvi posse</i>« in
-absentia von der philosophischen Facultät zu Helmstedt zum
+reales primi vel secundi gradus resolvi posse</i>« in
+absentia von der philosophischen Facultät zu Helmstedt zum
Doctor promovirt. Dieser erste <em class="gesperrt">strenge</em> Beweis (alle bis dahin
-von den Geometern gegebenen waren ungenügend) des wichtigsten
+von den Geometern gegebenen waren ungenügend) des wichtigsten
Lehrsatzes in der Theorie der algebraischen Gleichungen
-wurde von <em class="gesperrt">Gauß</em> schon im October 1797 <em class="gesperrt">entdeckt</em>.
-<span class="pagenum"><a name="Seite_p13" id="Seite_p13">[S. 13]</a></span>Wie sehr dieser Fundamentalsatz <em class="gesperrt">Gauß</em> am Herzen gelegen,
-ersieht man daraus, daß er später zu drei verschiedenen
-Malen auf diesen Gegenstand zurückgekommen ist, indem er
-in den Jahren 1815 und 1816 zwei neue Beweise dafür, jeden
+wurde von <em class="gesperrt">Gauß</em> schon im October 1797 <em class="gesperrt">entdeckt</em>.
+<span class="pagenum"><a name="Seite_p13" id="Seite_p13">[S. 13]</a></span>Wie sehr dieser Fundamentalsatz <em class="gesperrt">Gauß</em> am Herzen gelegen,
+ersieht man daraus, daß er später zu drei verschiedenen
+Malen auf diesen Gegenstand zurückgekommen ist, indem er
+in den Jahren 1815 und 1816 zwei neue Beweise dafür, jeden
aus ganz verschiedenen Principien, ableitete und bei Gelegenheit
-der Feier seiner 50jährigen Doctorwürde seinen ersten
-Beweis vom Jahre 1799 in veränderter Gestalt und mit erheblichen
-Zusätzen versehen zum Gegenstande einer Denkschrift
+der Feier seiner 50jährigen Doctorwürde seinen ersten
+Beweis vom Jahre 1799 in veränderter Gestalt und mit erheblichen
+Zusätzen versehen zum Gegenstande einer Denkschrift
machte.</p>
-<p>In demselben Jahre finden wir <em class="gesperrt">Gauß</em> auch schon in Correspondenz
-mit dem in jener Zeit weit berühmten Freiherrn
+<p>In demselben Jahre finden wir <em class="gesperrt">Gauß</em> auch schon in Correspondenz
+mit dem in jener Zeit weit berühmten Freiherrn
v. <em class="gesperrt">Zach</em>, dem Director der Seeberger Sternwarte. Die ersten
Mittheilungen an denselben sind leider von <em class="gesperrt">Zach</em> in den damals
von ihm herausgegebenen geographischen Ephemeriden
nicht mitgetheilt; sie betrafen eine Anwendung der Methode
der kleinsten Quadrate auf einen in jener Zeitschrift abgedruckten
Auszug aus <em class="gesperrt">Ulugh Begh's</em> Zeitgleichungstafel,
-die zu manchen ganz curiosen Resultaten geführt hatte. Aus
-einer spätern, 1799 abgedruckten Mittheilung geht hervor,
-daß <em class="gesperrt">Gauß</em> seine Principien für Ableitung des wahrscheinlichsten
+die zu manchen ganz curiosen Resultaten geführt hatte. Aus
+einer spätern, 1799 abgedruckten Mittheilung geht hervor,
+daß <em class="gesperrt">Gauß</em> seine Principien für Ableitung des wahrscheinlichsten
Resultats aus Beobachtungen, zur Bestimmung der
Figur der Erde aus der damals von den Franzosen unternommenen
Gradmessung angewandt hatte.</p>
-<p>Im folgenden Jahre theilte er <em class="gesperrt">Zach</em> für dessen neugegründetes
-Journal: »Monatliche Correspondenz zur Beförderung der
-Erd- und Himmelskunde« einen interessanten Aufsatz über die
+<p>Im folgenden Jahre theilte er <em class="gesperrt">Zach</em> für dessen neugegründetes
+Journal: »Monatliche Correspondenz zur Beförderung der
+Erd- und Himmelskunde« einen interessanten Aufsatz über die
Berechnung des Osterfestes mit, worin die cyklische Festrechnung
-auf rein analytische Vorschriften zurückgeführt wird, die
-auf den einfachsten Rechnungsoperationen beruhen, so daß
-man, unabhängig von allen Hülfstafeln, die oft nicht zur Hand
-sind, und ohne Kenntniß der Bedeutung der sonst dabei gebräuchlichen
-Kunstwörter, wie »goldene Zahl, Epacte, Ostergrenze,
-Sonnenzirkel und Sonntagsbuchstabe«, sofort das
-Datum findet, auf welches Ostern fällt. Da dieser Aufsatz
-sich zunächst nur auf die Festrechnung im Julianischen und
-<span class="pagenum"><a name="Seite_p14" id="Seite_p14">[S. 14]</a></span>Gregorianischen Kalender bezog, so vervollständigte <em class="gesperrt">Gauß</em>
-zwei Jahre später seine Vorschriften, indem er die Regeln
-auch für den jüdischen Kalender mittheilte.</p>
-
-<p>Im Jahre 1801 erschienen die »Disquisitiones arithmeticae«
+auf rein analytische Vorschriften zurückgeführt wird, die
+auf den einfachsten Rechnungsoperationen beruhen, so daß
+man, unabhängig von allen Hülfstafeln, die oft nicht zur Hand
+sind, und ohne Kenntniß der Bedeutung der sonst dabei gebräuchlichen
+Kunstwörter, wie »goldene Zahl, Epacte, Ostergrenze,
+Sonnenzirkel und Sonntagsbuchstabe«, sofort das
+Datum findet, auf welches Ostern fällt. Da dieser Aufsatz
+sich zunächst nur auf die Festrechnung im Julianischen und
+<span class="pagenum"><a name="Seite_p14" id="Seite_p14">[S. 14]</a></span>Gregorianischen Kalender bezog, so vervollständigte <em class="gesperrt">Gauß</em>
+zwei Jahre später seine Vorschriften, indem er die Regeln
+auch für den jüdischen Kalender mittheilte.</p>
+
+<p>Im Jahre 1801 erschienen die »Disquisitiones arithmeticae«
mit einer Widmung an den Herzog <em class="gesperrt">Carl Wilhelm Ferdinand</em>,
-in welcher <em class="gesperrt">Gauß</em> dankbar darlegt, wie nur die große
-Güte und Huld des weisen und tiefblickenden Fürsten ihm
-die Möglichkeit gewährt habe, sich ganz der Mathematik zu
+in welcher <em class="gesperrt">Gauß</em> dankbar darlegt, wie nur die große
+Güte und Huld des weisen und tiefblickenden Fürsten ihm
+die Möglichkeit gewährt habe, sich ganz der Mathematik zu
weihen.</p>
-<p>Es ist schon früher gebührend hervorgehoben, welche
-staunenswerthe Leistung dieses erste größere Werk von <em class="gesperrt">Gauß</em>
-war, und wie es allein genügen würde, seinen Nachruhm für
+<p>Es ist schon früher gebührend hervorgehoben, welche
+staunenswerthe Leistung dieses erste größere Werk von <em class="gesperrt">Gauß</em>
+war, und wie es allein genügen würde, seinen Nachruhm für
alle Zeiten zu sichern. Die Tiefe der mathematischen Entdeckungen
-von <em class="gesperrt">Gauß</em> fand ihre richtige Würdigung nur in
+von <em class="gesperrt">Gauß</em> fand ihre richtige Würdigung nur in
einem kleinen Kreise von Denkern, der sich jedoch, Dank
-sei es dem von ihm gegebenen Anstoße, von Jahr zu Jahr
-vergrößert hat. Dem größern Publicum sollte er bald durch
+sei es dem von ihm gegebenen Anstoße, von Jahr zu Jahr
+vergrößert hat. Dem größern Publicum sollte er bald durch
andere und nicht minder bemerkenswerthe Leistungen bekannt
werden.</p>
<p>Am 1. Januar 1801 entdeckte <em class="gesperrt">Piazzi</em> in Palermo einen
-Stern achter Größe, der seinen Ort unter den Gestirnen beträchtlich
-veränderte und von ihm für einen neuen Kometen gehalten
-wurde. <em class="gesperrt">Piazzi</em> gab von seiner Entdeckung erst spät und
-unvollständig Kunde, und der damalige langsame Postenlauf,
-noch dazu gestört durch die kriegerischen Zeiten, bewirkte,
-daß die Nachricht von der Entdeckung erst in die Hände der
-übrigen Astronomen kam, als schon die Gegend am Himmel,
+Stern achter Größe, der seinen Ort unter den Gestirnen beträchtlich
+veränderte und von ihm für einen neuen Kometen gehalten
+wurde. <em class="gesperrt">Piazzi</em> gab von seiner Entdeckung erst spät und
+unvollständig Kunde, und der damalige langsame Postenlauf,
+noch dazu gestört durch die kriegerischen Zeiten, bewirkte,
+daß die Nachricht von der Entdeckung erst in die Hände der
+übrigen Astronomen kam, als schon die Gegend am Himmel,
in welcher sich der bewegliche Stern aufhielt, so nahe zur
-Sonne gerückt war, daß ein Aufsuchen desselben unmöglich
-wurde. Glücklicherweise war jedoch <em class="gesperrt">Piazzi</em> im Besitz eines
-der vortrefflichsten Meßinstrumente der damaligen Zeit und
+Sonne gerückt war, daß ein Aufsuchen desselben unmöglich
+wurde. Glücklicherweise war jedoch <em class="gesperrt">Piazzi</em> im Besitz eines
+der vortrefflichsten Meßinstrumente der damaligen Zeit und
hatte das Gestirn damit so lange verfolgt, bis Mitte Februar
-etwa, als es sich im Meridian beobachten ließ, unbegreiflicherweise
-aber versäumt, dasselbe außer dem Meridiane aufzusuchen,
-was noch mehrere Monate lang möglich gewesen
-<span class="pagenum"><a name="Seite_p15" id="Seite_p15">[S. 15]</a></span>wäre. Als die <em class="gesperrt">Piazzi</em>'schen Beobachtungen bekannt wurden,
-zeigte es sich bald, daß eine Parabel in keiner Weise
-ihnen genügte, sondern daß das Gestirn in einer Bahn sich
+etwa, als es sich im Meridian beobachten ließ, unbegreiflicherweise
+aber versäumt, dasselbe außer dem Meridiane aufzusuchen,
+was noch mehrere Monate lang möglich gewesen
+<span class="pagenum"><a name="Seite_p15" id="Seite_p15">[S. 15]</a></span>wäre. Als die <em class="gesperrt">Piazzi</em>'schen Beobachtungen bekannt wurden,
+zeigte es sich bald, daß eine Parabel in keiner Weise
+ihnen genügte, sondern daß das Gestirn in einer Bahn sich
bewegt hatte, deren Gestalt von der Kreisform nicht sehr
-abweichend war. Die von verschiedenen Astronomen ausgeführte
-Berechnung einer Kreisbahn zeigte, daß von <em class="gesperrt">Piazzi</em>
+abweichend war. Die von verschiedenen Astronomen ausgeführte
+Berechnung einer Kreisbahn zeigte, daß von <em class="gesperrt">Piazzi</em>
ein Planet entdeckt sei, der seine Bahn zwischen Mars und
-Jupiter durchläuft. Aber eine Kreisbahn ließ in den <em class="gesperrt">Piazzi</em>'schen
-Beobachtungen sehr merkliche Fehler übrig, so daß
-man hieraus sofort den Schluß hätte ziehen müssen, es sei
+Jupiter durchläuft. Aber eine Kreisbahn ließ in den <em class="gesperrt">Piazzi</em>'schen
+Beobachtungen sehr merkliche Fehler übrig, so daß
+man hieraus sofort den Schluß hätte ziehen müssen, es sei
erforderlich, aus den vorhandenen Beobachtungen die elliptische
-Bahn des Planeten zu berechnen. Man begnügte sich
+Bahn des Planeten zu berechnen. Man begnügte sich
aber, die <em class="gesperrt">Piazzi</em>'schen Beobachtungen als ungenau anzusehen,
und schickte sich an, den Planeten bei seinem Wiedererscheinen
am Morgenhimmel mittelst einer auf die Kreiselemente
-gegründeten Vorausberechnung aufzusuchen.</p>
+gegründeten Vorausberechnung aufzusuchen.</p>
-<p>Wie sich später herausstellte, gaben diese Elemente den
-Ort des Planeten am Himmel so fehlerhaft an, daß wenigstens
-der Wiederentdecker desselben, <em class="gesperrt">Olbers</em>, versichert, er würde
+<p>Wie sich später herausstellte, gaben diese Elemente den
+Ort des Planeten am Himmel so fehlerhaft an, daß wenigstens
+der Wiederentdecker desselben, <em class="gesperrt">Olbers</em>, versichert, er würde
den Planeten schwerlich gefunden haben, da er seine Nachforschungen
bei alleiniger Zugrundelegung der Kreiselemente
-keinenfalls so weit ausgedehnt hätte, um die Gegend mit
-einzuschließen, in welcher sich der Planet wirklich aufhielt.
-Hierbei muß man wohl im Auge behalten, wie schwierig
+keinenfalls so weit ausgedehnt hätte, um die Gegend mit
+einzuschließen, in welcher sich der Planet wirklich aufhielt.
+Hierbei muß man wohl im Auge behalten, wie schwierig
das Herausfinden eines so kleinen Planeten aus der
-großen Menge anderer Sterne, von denen er sich durch sein
-Aussehen nicht im geringsten unterscheidet, für die damalige
+großen Menge anderer Sterne, von denen er sich durch sein
+Aussehen nicht im geringsten unterscheidet, für die damalige
Zeit war, die noch nicht die genauen Himmelskarten der Neuzeit
-besaß.</p>
+besaß.</p>
-<p>Auch <em class="gesperrt">Gauß</em> hatte Kunde von dem merkwürdigen Wandelsterne
+<p>Auch <em class="gesperrt">Gauß</em> hatte Kunde von dem merkwürdigen Wandelsterne
erhalten.</p>
-<p>Er war im Besitz von erheblichen Zusätzen zu den damals
-bekannten Theorien der Bewegung der Himmelskörper
+<p>Er war im Besitz von erheblichen Zusätzen zu den damals
+bekannten Theorien der Bewegung der Himmelskörper
um die Sonne nach den <em class="gesperrt">Kepler</em>'schen Gesetzen und wandte
seine Theoreme auf die Erforschung der wahren Bahn des
<span class="pagenum"><a name="Seite_p16" id="Seite_p16">[S. 16]</a></span><em class="gesperrt">Piazzi</em>'schen Gestirnes an. Mit der uns schon bekannten
-Arbeitskraft berechnete er verschiedene Bahnen für den neuen
+Arbeitskraft berechnete er verschiedene Bahnen für den neuen
Planeten und ruhte nicht eher, bis er eine Ellipse gefunden
hatte, welche die Beobachtungen von <em class="gesperrt">Piazzi</em>, die sich im
-Gegensatz mit der gewöhnlichen Annahme als vorzüglich
-genau erwiesen, so gut wie möglich darstellte.</p>
+Gegensatz mit der gewöhnlichen Annahme als vorzüglich
+genau erwiesen, so gut wie möglich darstellte.</p>
<p>Diese Ellipse gab zur Zeit, als <em class="gesperrt">Olbers</em> das <em class="gesperrt">Piazzi</em>'sche
Gestirn wieder auffand, den Ort desselben am Himmel eilf
Grad verschieden von den Kreiselementen.</p>
-<p>Es würde zu weit führen, wenn hier näher auseinandergesetzt
-würde, welche Anerkennung von Seiten der Fachmänner
-<em class="gesperrt">Gauß</em> in Folge dieser vorzüglichen Leistungen zu
+<p>Es würde zu weit führen, wenn hier näher auseinandergesetzt
+würde, welche Anerkennung von Seiten der Fachmänner
+<em class="gesperrt">Gauß</em> in Folge dieser vorzüglichen Leistungen zu
Theil wurde. Sowie er vor Jahresfrist durch Herausgabe der
-»<i>Disquisitiones arithmeticae</i>« einen Platz unter den größten
+»<i>Disquisitiones arithmeticae</i>« einen Platz unter den größten
Mathematikern sich erobert hatte, so stellte er jetzt sich
-ebenbürtig neben die bedeutendsten Astronomen aller Zeiten;
+ebenbürtig neben die bedeutendsten Astronomen aller Zeiten;
denn nicht allein das numerische Rechnen oder die
theoretischen Entwicklungen, welche er diesen Rechnungen
-zu Grunde legte, sondern vorzüglich die eminente Urtheilskraft,
+zu Grunde legte, sondern vorzüglich die eminente Urtheilskraft,
in wie weit aus den <em class="gesperrt">Piazzi</em>'schen Beobachtungen
-zuverlässige Resultate gezogen werden könnten, erregt das
+zuverlässige Resultate gezogen werden könnten, erregt das
Staunen jedes Sachkenners. Fast um dieselbe Zeit, als die
-Ceres wieder entdeckt wurde, erklärte noch der hochverdiente
-französische Astronom <em class="gesperrt">Lalande</em>, »daß er an keinen
-Planeten glaube«! &mdash;</p>
+Ceres wieder entdeckt wurde, erklärte noch der hochverdiente
+französische Astronom <em class="gesperrt">Lalande</em>, »daß er an keinen
+Planeten glaube«! &mdash;</p>
<p>Der klar hervortretende feine praktisch-astronomische
-Tact muß um so mehr unsere volle Bewunderung erregen,
-als sich keine Andeutung findet, daß <em class="gesperrt">Gauß</em> vor dem Jahre
-1802 sich beobachtend mit der Astronomie beschäftigt hat,
+Tact muß um so mehr unsere volle Bewunderung erregen,
+als sich keine Andeutung findet, daß <em class="gesperrt">Gauß</em> vor dem Jahre
+1802 sich beobachtend mit der Astronomie beschäftigt hat,
deren praktische Seite ihm gleichfalls so Vieles verdankt.
Als die Ceres wieder gefunden war und bald darauf die
-Pallas von <em class="gesperrt">Olbers</em> entdeckt wurde, deren Bahn er wie früher
-die der Ceres allmälig immer schärfer und schärfer berechnete,
-finden wir nicht, daß <em class="gesperrt">Gauß</em> Ortsbestimmungen
-derselben gemacht hätte. Ceres und Pallas hat er im Sommer
-1802 mit 300facher Vergrößerung betrachtet, ohne<span class="pagenum"><a name="Seite_p17" id="Seite_p17">[S. 17]</a></span>
+Pallas von <em class="gesperrt">Olbers</em> entdeckt wurde, deren Bahn er wie früher
+die der Ceres allmälig immer schärfer und schärfer berechnete,
+finden wir nicht, daß <em class="gesperrt">Gauß</em> Ortsbestimmungen
+derselben gemacht hätte. Ceres und Pallas hat er im Sommer
+1802 mit 300facher Vergrößerung betrachtet, ohne<span class="pagenum"><a name="Seite_p17" id="Seite_p17">[S. 17]</a></span>
irgend einen Unterschied ihres Aussehens von Fixsternen
-bemerken zu können. Diese Beobachtung ist wahrscheinlich
+bemerken zu können. Diese Beobachtung ist wahrscheinlich
in Bremen mit den Instrumenten des vortrefflichen <em class="gesperrt">Olbers</em>
-gemacht, bei dem <em class="gesperrt">Gauß</em> im Juni 1802 von Braunschweig aus
+gemacht, bei dem <em class="gesperrt">Gauß</em> im Juni 1802 von Braunschweig aus
zum Besuch war und dessen Beispiel ihm zeigte, mit wie kleinen
-Hülfsmitteln das Talent Großes leistet. So finden wir
-denn auch bald darauf <em class="gesperrt">Gauß</em> in der praktischen Astronomie
-thätig. Am 8.&nbsp;November 1802 beobachtete er den Vorübergang
-des Mercur vor der Sonne mit einem zweifüßigen
+Hülfsmitteln das Talent Großes leistet. So finden wir
+denn auch bald darauf <em class="gesperrt">Gauß</em> in der praktischen Astronomie
+thätig. Am 8.&nbsp;November 1802 beobachtete er den Vorübergang
+des Mercur vor der Sonne mit einem zweifüßigen
Achromaten von <em class="gesperrt">Baumann</em>. Nach der Entdeckung der
Juno im Jahre 1804 betheiligte er sich eifrig an den Ortsbestimmungen
des Planeten, wozu er anfangs einen schlechten
@@ -686,649 +648,649 @@ aber ein sehr gutes Spiegelteleskop von <em class="gesperrt">Short</em> anwenden
konnte.</p>
<p>In Folge des gewaltigen Respectes vor dem genialen
-Dr. <em class="gesperrt">Gauß</em> in Braunschweig überließen die Astronomen ihm
+Dr. <em class="gesperrt">Gauß</em> in Braunschweig überließen die Astronomen ihm
die Bestimmung und Ausfeilung der Bahnen der kleinen Planeten
-so gut wie völlig, und die folgenden Jahre erfüllen
-in großem Maaße die Berechnungen der Elemente und
-deren Vergleichung mit den Beobachtungen für die vier
+so gut wie völlig, und die folgenden Jahre erfüllen
+in großem Maaße die Berechnungen der Elemente und
+deren Vergleichung mit den Beobachtungen für die vier
in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts entdeckten Planeten;
-die Ableitung ihrer Störungen, die eingehendste Durcharbeitung
-aller sich auf die Bahnbestimmung von Himmelskörpern
+die Ableitung ihrer Störungen, die eingehendste Durcharbeitung
+aller sich auf die Bahnbestimmung von Himmelskörpern
beziehenden Methoden, sowie die Umformung seiner
-ursprünglichen Ideen, in das bewunderungswürdige Kunstwerk,
-welches später als »Theoria motus corporum coelestium«
-veröffentlicht ist. Daneben erfaßte er enthusiastisch die praktische
+ursprünglichen Ideen, in das bewunderungswürdige Kunstwerk,
+welches später als »Theoria motus corporum coelestium«
+veröffentlicht ist. Daneben erfaßte er enthusiastisch die praktische
Sternkunde, behindert allerdings durch den Mangel
geeigneter Instrumente.</p>
<p>Schon 1802 machte die russische Regierung den Versuch,
-<em class="gesperrt">Gauß</em> als Astronom und Director der Sternwarte an die
+<em class="gesperrt">Gauß</em> als Astronom und Director der Sternwarte an die
Akademie in St. Petersburg zu ziehen. Hierdurch wurde
-der umsichtige <em class="gesperrt">Olbers</em> veranlaßt, das Göttinger Universitätscuratorium
-darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig es für<span class="pagenum"><a name="Seite_p18" id="Seite_p18">[S. 18]</a></span>
-den Ruhm der Georgia Augusta sein würde, einen Mann zu
-besitzen, den schon damals ganz Europa bewunderte. <em class="gesperrt">Gauß</em>
-habe für eine mathematische Lehrstelle eine entschiedene Abneigung:
+der umsichtige <em class="gesperrt">Olbers</em> veranlaßt, das Göttinger Universitätscuratorium
+darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig es für<span class="pagenum"><a name="Seite_p18" id="Seite_p18">[S. 18]</a></span>
+den Ruhm der Georgia Augusta sein würde, einen Mann zu
+besitzen, den schon damals ganz Europa bewunderte. <em class="gesperrt">Gauß</em>
+habe für eine mathematische Lehrstelle eine entschiedene Abneigung:
sein Lieblingswunsch sei, Astronom bei irgend einer
Sternwarte zu werden, um seine ganze Zeit zwischen Beobachtungen
und seinen tiefsinnigen Untersuchungen zur Erweiterung
-der Wissenschaft theilen zu können. Da die hannoversche
+der Wissenschaft theilen zu können. Da die hannoversche
Regierung im Anfange des Jahrhunderts beabsichtigte,
-für die Universität Göttingen eine neue Sternwarte zu
-errichten, so hätte man erwarten sollen, daß in Folge dieser
-dringenden Empfehlung eines so allgemein hochgeschätzten
-und völlig unparteiischen Mannes wie <em class="gesperrt">Olbers</em> die Berufung
-von <em class="gesperrt">Gauß</em> nach Göttingen erfolgt sei. Aber, obgleich die
+für die Universität Göttingen eine neue Sternwarte zu
+errichten, so hätte man erwarten sollen, daß in Folge dieser
+dringenden Empfehlung eines so allgemein hochgeschätzten
+und völlig unparteiischen Mannes wie <em class="gesperrt">Olbers</em> die Berufung
+von <em class="gesperrt">Gauß</em> nach Göttingen erfolgt sei. Aber, obgleich die
Verhandlungen mit Petersburg sich zerschlugen, so wurde
-doch <em class="gesperrt">Gauß</em> zunächst nicht nach Göttingen berufen, sondern
-im Jahre 1805 <em class="gesperrt">Harding</em> und erst im Jahre 1807 <em class="gesperrt">Gauß</em>. Die
-Gründe hierfür sind bislang nicht durchsichtig; denn daß die
-nahen Beziehungen von <em class="gesperrt">Gauß</em> zum Herzog von Braunschweig
-<em class="gesperrt">allein</em> eine Berufung verhindert hätten, die dem
-wohlwollenden Fürsten, als im Interesse von seinem Schützlinge
+doch <em class="gesperrt">Gauß</em> zunächst nicht nach Göttingen berufen, sondern
+im Jahre 1805 <em class="gesperrt">Harding</em> und erst im Jahre 1807 <em class="gesperrt">Gauß</em>. Die
+Gründe hierfür sind bislang nicht durchsichtig; denn daß die
+nahen Beziehungen von <em class="gesperrt">Gauß</em> zum Herzog von Braunschweig
+<em class="gesperrt">allein</em> eine Berufung verhindert hätten, die dem
+wohlwollenden Fürsten, als im Interesse von seinem Schützlinge
liegend, nur lieb sein konnte, ist wohl kaum anzunehmen,
-wie man daraus gefolgert hat, daß der Ruf nach Göttingen
+wie man daraus gefolgert hat, daß der Ruf nach Göttingen
erfolgte, als der Herzog gestorben war.</p>
-<p>Inzwischen hatte <em class="gesperrt">Gauß</em> sich am 9.&nbsp;October 1805 mit Johanne
-<em class="gesperrt">Osthof</em> aus Braunschweig vermählt, mit welcher er
-vier Jahre in glücklichster Ehe verlebte und durch sie mit
+<p>Inzwischen hatte <em class="gesperrt">Gauß</em> sich am 9.&nbsp;October 1805 mit Johanne
+<em class="gesperrt">Osthof</em> aus Braunschweig vermählt, mit welcher er
+vier Jahre in glücklichster Ehe verlebte und durch sie mit
drei Kindern beschenkt wurde, deren erstes, ein Sohn, noch
in Braunschweig geboren wurde, das zweite, eine Tochter
-(später die Gattin des berühmten <em class="gesperrt">Ewald</em>), schon in Göttingen
+(später die Gattin des berühmten <em class="gesperrt">Ewald</em>), schon in Göttingen
bald nach seiner Uebersiedelung.</p>
-<p><em class="gesperrt">Gauß</em> trat seine Professur an der Georgia Augusta, der
+<p><em class="gesperrt">Gauß</em> trat seine Professur an der Georgia Augusta, der
er auf die Dauer eines halben Jahrhunderts als weitleuchtende
-Zierde angehören sollte &mdash; trotz vieler späterer Versuche,
-ihn für andere und glänzendere Lebensstellungen in Berlin,
+Zierde angehören sollte &mdash; trotz vieler späterer Versuche,
+ihn für andere und glänzendere Lebensstellungen in Berlin,
Wien, Paris und Petersburg zu gewinnen &mdash;, in einer Zeit an,<span class="pagenum"><a name="Seite_p19" id="Seite_p19">[S. 19]</a></span>
wo die Hand des fremden Eroberers schwer auf Deutschland
lastete. Bevor er noch den geringsten Gehalt als Director
der Sternwarte bezogen hatte, wurde von dem Frankenkaiser
eine ungeheure Contribution ausgeschrieben, von welcher
-<em class="gesperrt">Gauß</em> einen Betrag von 2000 Francs zu entrichten hatte.
-Obgleich dieser die drückende Abgabe kaum erschwingen
+<em class="gesperrt">Gauß</em> einen Betrag von 2000 Francs zu entrichten hatte.
+Obgleich dieser die drückende Abgabe kaum erschwingen
konnte, so schickte er doch seinem Freunde <em class="gesperrt">Olbers</em>, der
-ihm die Summe übersandte mit einem bedauernden Briefe,
-daß Gelehrte solchen schmäligen Brandschatzungen unterworfen
-seien, dieselbe sofort zurück. Ebenso wenig nahm er
+ihm die Summe übersandte mit einem bedauernden Briefe,
+daß Gelehrte solchen schmäligen Brandschatzungen unterworfen
+seien, dieselbe sofort zurück. Ebenso wenig nahm er
die Vermittelung von <em class="gesperrt">Laplace</em> an, der ihm anzeigte, die
Contribution sei in Paris schon eingezahlt. Die hier hervortretende
-edle Uneigennützigkeit der Gesinnung sollte jedoch
+edle Uneigennützigkeit der Gesinnung sollte jedoch
sofort ihren Lohn finden. Von Frankfurt wurden ihm anonym
-1000 Gulden als Geschenk zugeschickt, und erst eine spätere
-Zeit hat offenbart, daß der Fürst Primas der edle Geber war.</p>
+1000 Gulden als Geschenk zugeschickt, und erst eine spätere
+Zeit hat offenbart, daß der Fürst Primas der edle Geber war.</p>
-<p>Der begonnene Bau der neuen Sternwarte ruhte selbstverständlich
-in so schwerer Zeit und <em class="gesperrt">Gauß</em> sah sich auf die
+<p>Der begonnene Bau der neuen Sternwarte ruhte selbstverständlich
+in so schwerer Zeit und <em class="gesperrt">Gauß</em> sah sich auf die
Benutzung der veralteten Instrumente aus dem ehemaligen
Festungsthurme, wo die Sternwarte zu <em class="gesperrt">Tobias Mayer's</em> Zeiten
-eingerichtet war, beschränkt. Seine erste Göttinger Schrift
+eingerichtet war, beschränkt. Seine erste Göttinger Schrift
behandelt in genialer Weise ein Problem mit einem fehlerhaften
-Höhenmesser, die Fehler desselben, die Polhöhe des
+Höhenmesser, die Fehler desselben, die Polhöhe des
Beobachtungsortes und die Zeit zu bestimmen, offenbar in
-engem Anschlusse an die damaligen instrumentalen Verhältnisse
+engem Anschlusse an die damaligen instrumentalen Verhältnisse
der Sternwarte.</p>
<p>Im Jahre 1809 erschien die von den Astronomen so
-sehnlich erwartete Theoria motus, worin <em class="gesperrt">Gauß</em>, unter Zugrundelegung
+sehnlich erwartete Theoria motus, worin <em class="gesperrt">Gauß</em>, unter Zugrundelegung
der <em class="gesperrt">Kepler</em>'schen Gesetze, seine Methoden
-lehrte, ohne Voraussetzung über die Beschaffenheit der
+lehrte, ohne Voraussetzung über die Beschaffenheit der
Bahn, unbekannte Bahnen aus nahe liegenden Beobachtungen
-zu bestimmen. Erst 40 Jahre später sind diese Methoden
-Gemeingut geworden, als die sich häufenden Entdeckungen
+zu bestimmen. Erst 40 Jahre später sind diese Methoden
+Gemeingut geworden, als die sich häufenden Entdeckungen
von kleinen Planeten die Astronomen <em class="gesperrt">zwangen</em>, sich ihrer
-zu bemächtigen. Bis dahin waren es nur Wenige, die tiefer<span class="pagenum"><a name="Seite_p20" id="Seite_p20">[S. 20]</a></span>
-eindrangen in den köstlichen Schatz geometrischer Wahrheiten,
-die darin enthalten sind. Für dieses auf alle Zeiten fundamentale
-Werk erhielt <em class="gesperrt">Gauß</em> im Jahre 1810 den <em class="gesperrt">Lalande</em>'schen
-Preis des Pariser Instituts, sowie eine Denkmünze von
+zu bemächtigen. Bis dahin waren es nur Wenige, die tiefer<span class="pagenum"><a name="Seite_p20" id="Seite_p20">[S. 20]</a></span>
+eindrangen in den köstlichen Schatz geometrischer Wahrheiten,
+die darin enthalten sind. Für dieses auf alle Zeiten fundamentale
+Werk erhielt <em class="gesperrt">Gauß</em> im Jahre 1810 den <em class="gesperrt">Lalande</em>'schen
+Preis des Pariser Instituts, sowie eine Denkmünze von
der Royal Society in London und andere Auszeichnungen.</p>
-<p>Die westphälische Regierung, welche sich nachgerade hinlänglich
+<p>Die westphälische Regierung, welche sich nachgerade hinlänglich
consolidirt zu haben glaubte, setzte im Jahre 1810 eine
Summe von 200000 Franken zur Vollendung des Baues der
-Sternwarte aus, wodurch <em class="gesperrt">Gauß</em> in der trüben Zeit nach dem
+Sternwarte aus, wodurch <em class="gesperrt">Gauß</em> in der trüben Zeit nach dem
Verluste seiner Frau Zerstreuung zu Theil wurde, da er als
-Astronom die vom Klosterbaumeister <em class="gesperrt">Müller</em> entworfenen
-Pläne durchzuarbeiten hatte. Die Vereinsamung von <em class="gesperrt">Gauß</em>
-sollte jedoch nicht lange währen; am 4.&nbsp;August 1810 verheirathete
+Astronom die vom Klosterbaumeister <em class="gesperrt">Müller</em> entworfenen
+Pläne durchzuarbeiten hatte. Die Vereinsamung von <em class="gesperrt">Gauß</em>
+sollte jedoch nicht lange währen; am 4.&nbsp;August 1810 verheirathete
er sich mit der zweiten Tochter des Hofrath
<em class="gesperrt">Waldeck</em>, einer genauen Freundin seiner verstorbenen Frau,
-von der er überzeugt war, daß sie ihm und seinen Kindern
-die verewigte Gattin und Mutter vollkommen ersetzen würde,
-und so erstand die zerstörte Häuslichkeit wieder in glücklicher
+von der er überzeugt war, daß sie ihm und seinen Kindern
+die verewigte Gattin und Mutter vollkommen ersetzen würde,
+und so erstand die zerstörte Häuslichkeit wieder in glücklicher
Gestaltung.</p>
-<p>In diese Zeit fallen die großartigsten Erfolge seiner
-directen Lehrthätigkeit. Schon im Jahre 1808 war <em class="gesperrt">Schumacher</em>,
+<p>In diese Zeit fallen die großartigsten Erfolge seiner
+directen Lehrthätigkeit. Schon im Jahre 1808 war <em class="gesperrt">Schumacher</em>,
in gereifteren Jahren nach schon vollendeten juristischen
-Studien, nach Göttingen gekommen, um dort sich in
+Studien, nach Göttingen gekommen, um dort sich in
der Mathematik und Astronomie auszubilden; 1810 kamen
-<em class="gesperrt">Gerling</em>, <em class="gesperrt">Nicolai</em>, <em class="gesperrt">Möbius</em>, <em class="gesperrt">Encke</em>, welche alle als namhafte
-Gelehrte in verdientem Ansehen stehen. Die Lehrthätigkeit
-war jedoch, wie schon aus dem oben angeführten Bruchstücke
+<em class="gesperrt">Gerling</em>, <em class="gesperrt">Nicolai</em>, <em class="gesperrt">Möbius</em>, <em class="gesperrt">Encke</em>, welche alle als namhafte
+Gelehrte in verdientem Ansehen stehen. Die Lehrthätigkeit
+war jedoch, wie schon aus dem oben angeführten Bruchstücke
eines Briefes von <em class="gesperrt">Olbers</em> hervorgeht, von jeher eine
-Last für <em class="gesperrt">Gauß</em>; er widmete sich ihr in den ersten Jahrzehnten
-seines Göttinger Aufenthaltes in der Form, wie sie an
-deutschen Universitäten gebräuchlich ist, mehr, als später;
+Last für <em class="gesperrt">Gauß</em>; er widmete sich ihr in den ersten Jahrzehnten
+seines Göttinger Aufenthaltes in der Form, wie sie an
+deutschen Universitäten gebräuchlich ist, mehr, als später;
allerdings immer ungern und mit der oft wiederholten
-Klage, daß ihm dadurch sehr viel Zeit geraubt würde, da
-die Vorbereitungen ihm so lästig und äußerst zeitraubend
-<span class="pagenum"><a name="Seite_p21" id="Seite_p21">[S. 21]</a></span>seien. Wenn man bedenkt, was Männer wie <em class="gesperrt">Encke</em>, <em class="gesperrt">Gerling</em>,
-<em class="gesperrt">Möbius</em>, <em class="gesperrt">Nicolai</em> und Andere aus <em class="gesperrt">Gauß</em>'schen Vorlesungen
-mit ins Leben hinübergenommen haben (denn man
-ist versucht, ihre Hauptleistungen, dem Keime nach, auf Göttinger
-Anregungen zurückzuführen), so begreift sich das wohl.
-In seinen späteren Jahren war <em class="gesperrt">Gauß</em> nur schwer dazu zu bewegen,
+Klage, daß ihm dadurch sehr viel Zeit geraubt würde, da
+die Vorbereitungen ihm so lästig und äußerst zeitraubend
+<span class="pagenum"><a name="Seite_p21" id="Seite_p21">[S. 21]</a></span>seien. Wenn man bedenkt, was Männer wie <em class="gesperrt">Encke</em>, <em class="gesperrt">Gerling</em>,
+<em class="gesperrt">Möbius</em>, <em class="gesperrt">Nicolai</em> und Andere aus <em class="gesperrt">Gauß</em>'schen Vorlesungen
+mit ins Leben hinübergenommen haben (denn man
+ist versucht, ihre Hauptleistungen, dem Keime nach, auf Göttinger
+Anregungen zurückzuführen), so begreift sich das wohl.
+In seinen späteren Jahren war <em class="gesperrt">Gauß</em> nur schwer dazu zu bewegen,
ein Colleg zu lesen; jedoch war er, unter Beobachtung
-aller Formen, stets dem strebenden Studirenden zugänglich.
+aller Formen, stets dem strebenden Studirenden zugänglich.
Der Schreiber dieser Zeilen gedenkt nicht selten mit dankbarer
Erinnerung mancher halben Stunde aus den Jahren 1853
-und 1854, die der große Mann in anregender und wesentlich
-fördernder Belehrung dem Anfänger widmete, welchem er gestattet
+und 1854, die der große Mann in anregender und wesentlich
+fördernder Belehrung dem Anfänger widmete, welchem er gestattet
hatte, mit Fragen bei dem Selbststudium der Theoria
-motus ihn zu behelligen, ein Thema, auf das glücklicherweise
-diese Erlaubniß nicht beschränkt blieb. &mdash;</p>
+motus ihn zu behelligen, ein Thema, auf das glücklicherweise
+diese Erlaubniß nicht beschränkt blieb. &mdash;</p>
-<p><em class="gesperrt">Gauß</em> hatte nunmehr die stille sorgenfreie Muße gefunden,
+<p><em class="gesperrt">Gauß</em> hatte nunmehr die stille sorgenfreie Muße gefunden,
nach welcher er sich so lange gesehnt. Als etwas wahrhaft
-Beneidenswerthes hat er im hohen Alter, nach des großen
-Astronomen <em class="gesperrt">Bessel</em>'s Tode, mit dem ihn eine mehr als vierzigjährige
-Freundschaft verband, hervorgehoben, daß dieser
-in seinen jungen Jahren Gelegenheit gefunden habe, großartige
-Verhältnisse der wirklichen Welt genau kennen zu lernen
+Beneidenswerthes hat er im hohen Alter, nach des großen
+Astronomen <em class="gesperrt">Bessel</em>'s Tode, mit dem ihn eine mehr als vierzigjährige
+Freundschaft verband, hervorgehoben, daß dieser
+in seinen jungen Jahren Gelegenheit gefunden habe, großartige
+Verhältnisse der wirklichen Welt genau kennen zu lernen
und dadurch die innere Ueberzeugung mit sich getragen,
durch diese Kenntnisse sich jeden Augenblick eine solche
-Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft schaffen zu können,
+Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft schaffen zu können,
in der er sich selbst erhielte. Er selbst habe, bis zu einem
-vorgerückten Alter, nichts in sich selbst besessen, was, wie
+vorgerückten Alter, nichts in sich selbst besessen, was, wie
die Welt sei, einen sichern Schutz auch nur gegen den Hungertod
-hätte geben können, als das Schulmeistern, was ihm
+hätte geben können, als das Schulmeistern, was ihm
stets zuwider gewesen sei.</p>
-<p>Die jährlichen Bearbeitungen der Vorausberechnung der
-kleinen Planeten und die Verbesserung ihrer Bahnen übertrug
-<em class="gesperrt">Gauß</em> von jetzt ab stets dem einen oder dem andern
-seiner talentvolleren Schüler. Er selbst beschäftigte sich in
-dieser Richtung hauptsächlich damit, für die Berechnung der
-Störungen dieser Himmelskörper Methoden aufzustellen, sowie<span class="pagenum"><a name="Seite_p22" id="Seite_p22">[S. 22]</a></span>
-für die Ermittelung der wahrscheinlichsten Elemente ihrer
-Bahnen, worüber er im Jahre 1811 und 1818 der Societät
-der Wissenschaften in Göttingen classische Denkschriften
+<p>Die jährlichen Bearbeitungen der Vorausberechnung der
+kleinen Planeten und die Verbesserung ihrer Bahnen übertrug
+<em class="gesperrt">Gauß</em> von jetzt ab stets dem einen oder dem andern
+seiner talentvolleren Schüler. Er selbst beschäftigte sich in
+dieser Richtung hauptsächlich damit, für die Berechnung der
+Störungen dieser Himmelskörper Methoden aufzustellen, sowie<span class="pagenum"><a name="Seite_p22" id="Seite_p22">[S. 22]</a></span>
+für die Ermittelung der wahrscheinlichsten Elemente ihrer
+Bahnen, worüber er im Jahre 1811 und 1818 der Societät
+der Wissenschaften in Göttingen classische Denkschriften
vorlegte.</p>
-<p>Um dieselbe Zeit beschäftigte sich <em class="gesperrt">Gauß</em> mit dioptrischen
+<p>Um dieselbe Zeit beschäftigte sich <em class="gesperrt">Gauß</em> mit dioptrischen
Studien, nicht allein theoretisch, sondern mit directer
-Beziehung zur Praxis, wie er denn, in ihm eigenthümlicher
-Form, an <em class="gesperrt">Repsold</em> im Jahre 1810 die Krümmungsradien
-für ein Fernrohrobjectiv von 8 Fuß Brennweite und 5 Zoll
+Beziehung zur Praxis, wie er denn, in ihm eigenthümlicher
+Form, an <em class="gesperrt">Repsold</em> im Jahre 1810 die Krümmungsradien
+für ein Fernrohrobjectiv von 8 Fuß Brennweite und 5 Zoll
Oeffnung mittheilte. Diese Studien nahm er im Jahre 1817
-wieder auf und zeigte damals die theoretische Möglichkeit
-eines wesentlichen Fortschrittes in der Construction der Fernröhre,
+wieder auf und zeigte damals die theoretische Möglichkeit
+eines wesentlichen Fortschrittes in der Construction der Fernröhre,
die aber unbeachtet blieb, bis <em class="gesperrt">Steinheil</em> nach fast
-einem halben Jahrhundert die Formeln von <em class="gesperrt">Gauß</em> praktisch
-anwandte und ganz vorzügliche Resultate erzielte. Im Jahre
-1843 legte er der Göttinger Societät seine »dioptrischen Studien«
+einem halben Jahrhundert die Formeln von <em class="gesperrt">Gauß</em> praktisch
+anwandte und ganz vorzügliche Resultate erzielte. Im Jahre
+1843 legte er der Göttinger Societät seine »dioptrischen Studien«
vor, wodurch er einem Felde, das durch die Arbeiten
-von Männern wie <em class="gesperrt">Cotes</em>, <em class="gesperrt">Euler</em>, <em class="gesperrt">Lagrange</em> und
-<em class="gesperrt">Möbius</em> fast erschöpft erscheinen konnte, eine neue Ernte
+von Männern wie <em class="gesperrt">Cotes</em>, <em class="gesperrt">Euler</em>, <em class="gesperrt">Lagrange</em> und
+<em class="gesperrt">Möbius</em> fast erschöpft erscheinen konnte, eine neue Ernte
abgewann.</p>
<p>Im Jahre 1814 wurde die neue Sternwarte bis auf den
-innern Ausbau fertig; jedoch wurden die dazu gehörigen
-Wohngebäude für die Astronomen erst im Jahre 1815 begonnen.
+innern Ausbau fertig; jedoch wurden die dazu gehörigen
+Wohngebäude für die Astronomen erst im Jahre 1815 begonnen.
Von den Instrumenten der alten Sternwarte erhielt
-der durch <em class="gesperrt">Tobias Mayer's</em> Arbeiten so berühmt gewordene
+der durch <em class="gesperrt">Tobias Mayer's</em> Arbeiten so berühmt gewordene
Mauerquadrant einen Platz auf dem neuen Observatorium,
-sowie auch das 10-füßige <em class="gesperrt">Herschel</em>'sche Teleskop
-noch auf lange Jahre hinaus für Beobachtungen außer dem
-Meridiane benutzt wurde. Die übrigen, von Lilienthal nach
-Göttingen gekommenen Instrumente wurden kaum benutzt,
-höchstens, um Besuchern den gestirnten Himmel damit zu
-zeigen. An Stelle des einen von zwei im ursprünglichen
+sowie auch das 10-füßige <em class="gesperrt">Herschel</em>'sche Teleskop
+noch auf lange Jahre hinaus für Beobachtungen außer dem
+Meridiane benutzt wurde. Die übrigen, von Lilienthal nach
+Göttingen gekommenen Instrumente wurden kaum benutzt,
+höchstens, um Besuchern den gestirnten Himmel damit zu
+zeigen. An Stelle des einen von zwei im ursprünglichen
Plane projectirten Passageninstrumenten wurde, auf Betreiben
von <em class="gesperrt">Schumacher</em> ein Meridiankreis von <em class="gesperrt">Repsold</em> angekauft,
der jedoch erst im Jahre 1818 geliefert wurde; denn<span class="pagenum"><a name="Seite_p23" id="Seite_p23">[S. 23]</a></span>
-<em class="gesperrt">Repsold</em> wollte ihn, bevor er in <em class="gesperrt">solche</em> Hände kam, mit
+<em class="gesperrt">Repsold</em> wollte ihn, bevor er in <em class="gesperrt">solche</em> Hände kam, mit
einer neuen Theilung versehen.</p>
-<p>Im Frühjahr 1816 begab sich <em class="gesperrt">Gauß</em> im Auftrage der
-Regierung nach München, wo damals die großen Künstler
+<p>Im Frühjahr 1816 begab sich <em class="gesperrt">Gauß</em> im Auftrage der
+Regierung nach München, wo damals die großen Künstler
<em class="gesperrt">Reichenbach</em> und <em class="gesperrt">Fraunhofer</em> erfolgreich mit den englischen
Mechanikern und Optikern zu rivalisiren begonnen hatten,
-um dort mit ihnen die Construction zweier großer Meridianinstrumente
+um dort mit ihnen die Construction zweier großer Meridianinstrumente
zu vereinbaren, sowie verschiedene kleinere Instrumente
-zu bestellen. Bei dieser Gelegenheit besuchte <em class="gesperrt">Gauß</em>
-mit <em class="gesperrt">Reichenbach</em> zusammen die schönen Gegenden des Salzkammergutes.
-Schon im Sommer 1814 hatte übrigens die
-Göttinger Sternwarte eine herrliche Acquisition in einem <em class="gesperrt">Reichenbach-Fraunhofer</em>'schen
+zu bestellen. Bei dieser Gelegenheit besuchte <em class="gesperrt">Gauß</em>
+mit <em class="gesperrt">Reichenbach</em> zusammen die schönen Gegenden des Salzkammergutes.
+Schon im Sommer 1814 hatte übrigens die
+Göttinger Sternwarte eine herrliche Acquisition in einem <em class="gesperrt">Reichenbach-Fraunhofer</em>'schen
Heliometer gemacht, zu dem
-freilich das Stativ erst später nachkam, ein Instrument, welches
-60 Jahre später, am 8.&nbsp;December 1874, zur Beobachtung
-des Vorüberganges der Venus vor der Sonnenscheibe auf
+freilich das Stativ erst später nachkam, ein Instrument, welches
+60 Jahre später, am 8.&nbsp;December 1874, zur Beobachtung
+des Vorüberganges der Venus vor der Sonnenscheibe auf
der Aucklandinsel gedient hat. Im Herbste 1816 konnte
endlich die Directorwohnung der Sternwarte bezogen werden
-und im Frühjahre 1817 traf eins der bestellten kleineren Instrumente
-aus München ein, mit dem <em class="gesperrt">Gauß</em> sofort, obgleich
+und im Frühjahre 1817 traf eins der bestellten kleineren Instrumente
+aus München ein, mit dem <em class="gesperrt">Gauß</em> sofort, obgleich
der Ausbau der Sternwarte noch keineswegs vollendet war,
die Beobachtungen begann. Bei der Bestellung dieses Instrumentes
-hatte <em class="gesperrt">Gauß</em> wahrscheinlich schon die Fortsetzung der
-von <em class="gesperrt">Schumacher</em> geplanten dänischen Gradmessung von Skagen
-bis Lauenburg durch das Hannöversche im Auge gehabt.</p>
+hatte <em class="gesperrt">Gauß</em> wahrscheinlich schon die Fortsetzung der
+von <em class="gesperrt">Schumacher</em> geplanten dänischen Gradmessung von Skagen
+bis Lauenburg durch das Hannöversche im Auge gehabt.</p>
<p>Als <em class="gesperrt">Schumacher</em> im Jahre 1817 seine Messungen, aufs
-Großartigste unterstützt vom Könige von Dänemark, begonnen
-hatte, benutzte <em class="gesperrt">Gauß</em> die Durchreise des Ministers
-<em class="gesperrt">von Arnswald</em> im August 1817 durch Göttingen, um demselben
-die Zweckmäßigkeit der Fortsetzung dieser Arbeiten
-durch das Hannöver'sche darzulegen und reichte dann im
-Herbste desselben Jahres eine ausführliche Denkschrift ein,
-in welcher er schriftlich seine mündlichen Auseinandersetzungen
+Großartigste unterstützt vom Könige von Dänemark, begonnen
+hatte, benutzte <em class="gesperrt">Gauß</em> die Durchreise des Ministers
+<em class="gesperrt">von Arnswald</em> im August 1817 durch Göttingen, um demselben
+die Zweckmäßigkeit der Fortsetzung dieser Arbeiten
+durch das Hannöver'sche darzulegen und reichte dann im
+Herbste desselben Jahres eine ausführliche Denkschrift ein,
+in welcher er schriftlich seine mündlichen Auseinandersetzungen
wiederholte. Es erfolgte aber darauf lange kein Bescheid,
-»da die Kunst des Sollicitirens diejenige sei, wozu er &mdash; frei<span class="pagenum"><a name="Seite_p24" id="Seite_p24">[S. 24]</a></span>lich
-zu seinem großen Nachtheil &mdash; am wenigsten Talent
-habe noch passe«. Nachdem <em class="gesperrt">Schumacher</em> &mdash; dem obige
-Kunst geläufiger war &mdash; sich ins Mittel gelegt, so wurde zunächst
-von der Regierung <em class="gesperrt">Gauß</em> der Auftrag ertheilt, im
-Herbst 1818 die zur Verbindung der hannöverschen Triangulirung
-mit der dänischen nothwendigen Winkelmessungen
-in Lüneburg vorzunehmen. Das war der Anfang der langwierigen
-Triangulirungsgeschäfte, mit denen <em class="gesperrt">Gauß</em> bis über
+»da die Kunst des Sollicitirens diejenige sei, wozu er &mdash; frei<span class="pagenum"><a name="Seite_p24" id="Seite_p24">[S. 24]</a></span>lich
+zu seinem großen Nachtheil &mdash; am wenigsten Talent
+habe noch passe«. Nachdem <em class="gesperrt">Schumacher</em> &mdash; dem obige
+Kunst geläufiger war &mdash; sich ins Mittel gelegt, so wurde zunächst
+von der Regierung <em class="gesperrt">Gauß</em> der Auftrag ertheilt, im
+Herbst 1818 die zur Verbindung der hannöverschen Triangulirung
+mit der dänischen nothwendigen Winkelmessungen
+in Lüneburg vorzunehmen. Das war der Anfang der langwierigen
+Triangulirungsgeschäfte, mit denen <em class="gesperrt">Gauß</em> bis über
das Jahr 1848 hinaus viel, ja viel zu viel zu thun hatte. Mag
-man auch den Gewinn der Verlängerung des dänischen Bogens
-um zwei Meridiangrade nach Süden sehr hoch stellen, so war
-das eine Arbeit, die auch Kräfte secundären Ranges sehr
-gut hätten ausführen können. Man muß nur in dem Briefwechsel
-zwischen <em class="gesperrt">Gauß</em> und <em class="gesperrt">Schumacher</em> lesen, wie sehr
-Ersterer viele Jahre Sommer für Sommer durch Winkelmessungen
-absorbirt war, um es lebhaft zu beklagen, daß
+man auch den Gewinn der Verlängerung des dänischen Bogens
+um zwei Meridiangrade nach Süden sehr hoch stellen, so war
+das eine Arbeit, die auch Kräfte secundären Ranges sehr
+gut hätten ausführen können. Man muß nur in dem Briefwechsel
+zwischen <em class="gesperrt">Gauß</em> und <em class="gesperrt">Schumacher</em> lesen, wie sehr
+Ersterer viele Jahre Sommer für Sommer durch Winkelmessungen
+absorbirt war, um es lebhaft zu beklagen, daß
ein solcher Geist durch derartige Arbeiten, die von Vielen
-zu machen waren, gestört wurde, sich in Muße mit Dingen
-zu beschäftigen, die nur <em class="gesperrt">Er</em> uns lehren konnte. Dazu kommt
-noch, daß <em class="gesperrt">Gauß</em> fast alle die erforderlichen ungeheuern
+zu machen waren, gestört wurde, sich in Muße mit Dingen
+zu beschäftigen, die nur <em class="gesperrt">Er</em> uns lehren konnte. Dazu kommt
+noch, daß <em class="gesperrt">Gauß</em> fast alle die erforderlichen ungeheuern
Rechnungen selbst gemacht hat, vielleicht in ein Viertel oder
-ein Zehntel der Zeit, die andere gebraucht hätten. Aber
+ein Zehntel der Zeit, die andere gebraucht hätten. Aber
<em class="gesperrt">seine</em> Zeit war auch kostbarer als die Zeit von vier oder
-zehn Rechnern, die schließlich genau dasselbe Resultat erlangt
-haben würden. Allerdings hat auch die Wissenschaft, in Anlaß
-dieser Gradmessungsarbeiten, <em class="gesperrt">Viel</em> gewonnen. Dahin gehören
-die feinsinnigen Untersuchungen über die allgemeine Abbildung
-einer gegebenen Fläche, auf einer andern so, daß die
-Abbildung dem abgebildeten in den kleinsten Theilen ähnlich
-wird. Es sind ferner auf die Gradmessungsarbeiten zurückzuführen
+zehn Rechnern, die schließlich genau dasselbe Resultat erlangt
+haben würden. Allerdings hat auch die Wissenschaft, in Anlaß
+dieser Gradmessungsarbeiten, <em class="gesperrt">Viel</em> gewonnen. Dahin gehören
+die feinsinnigen Untersuchungen über die allgemeine Abbildung
+einer gegebenen Fläche, auf einer andern so, daß die
+Abbildung dem abgebildeten in den kleinsten Theilen ähnlich
+wird. Es sind ferner auf die Gradmessungsarbeiten zurückzuführen
die Disquisitiones circa superficies curvas (1827)
-und die beiden Abhandlungen über höhere Geodäsie (1843
+und die beiden Abhandlungen über höhere Geodäsie (1843
und 1846).</p>
-<p>Ein großer Uebelstand bei den Gradmessungsarbeiten
-war es bislang gewesen, daß man die Endpunkte der großen<span class="pagenum"><a name="Seite_p25" id="Seite_p25">[S. 25]</a></span>
+<p>Ein großer Uebelstand bei den Gradmessungsarbeiten
+war es bislang gewesen, daß man die Endpunkte der großen<span class="pagenum"><a name="Seite_p25" id="Seite_p25">[S. 25]</a></span>
Dreiecke, in denen man die Winkel zu messen hatte, mit den
-gewöhnlich angewandten Mitteln entweder gar nicht oder
-nicht mit genügender Sicherheit hatte sehen können. Man hatte
+gewöhnlich angewandten Mitteln entweder gar nicht oder
+nicht mit genügender Sicherheit hatte sehen können. Man hatte
daher zu dem Auskunftsmittel gegriffen, hell brennende mit
Reverberen versehene Lampen auf den Dreieckspunkten aufzustellen
-und die Messungen bei Nacht auszuführen. Abgesehen
-von der großen Unbequemlichkeit und Mühseligkeit
-wurde dadurch die Arbeit des Geodäten zu einer gefahrvollen,
+und die Messungen bei Nacht auszuführen. Abgesehen
+von der großen Unbequemlichkeit und Mühseligkeit
+wurde dadurch die Arbeit des Geodäten zu einer gefahrvollen,
da nicht selten die Signale auf hohen einsam gelegenen
Bergen errichtet sind, die dem Beobachter keinerlei
Schutz darbieten. Um so willkommener war eine Erfindung
-von <em class="gesperrt">Gauß</em>, welche es ermöglichte, alle, selbst die größten
+von <em class="gesperrt">Gauß</em>, welche es ermöglichte, alle, selbst die größten
Dreiecke bei Tage zu messen: das Heliotrop. Diese in ihrer
Einfachheit so sinnreiche Erfindung gestattet das Sonnenlicht,
-welches ein kleiner über dem Dreieckspunkte aufgestellter
-Spiegel zurückwirft, genau auf den andern Dreieckspunkt zu
-senden, so daß der dort befindliche Beobachter in der gewünschten
-Richtung scheinbar einen künstlichen, hellglänzenden
+welches ein kleiner über dem Dreieckspunkte aufgestellter
+Spiegel zurückwirft, genau auf den andern Dreieckspunkt zu
+senden, so daß der dort befindliche Beobachter in der gewünschten
+Richtung scheinbar einen künstlichen, hellglänzenden
Stern erblickt, der sich scharf mit dem Winkelinstrumente
-einstellen läßt. Von dieser seiner Lieblingserfindung hat
-<em class="gesperrt">Gauß</em> öfter sehr bestimmt hervorgehoben, daß er zu derselben
+einstellen läßt. Von dieser seiner Lieblingserfindung hat
+<em class="gesperrt">Gauß</em> öfter sehr bestimmt hervorgehoben, daß er zu derselben
nicht durch einen reinen Zufall, sondern durch reifes
-Nachdenken gelangt sei. Es sei wahr, daß er auf dem
-Michaelis-Thurm in Lüneburg eine Fensterscheibe eines Hamburger
+Nachdenken gelangt sei. Es sei wahr, daß er auf dem
+Michaelis-Thurm in Lüneburg eine Fensterscheibe eines Hamburger
Thurmes habe blitzen sehen, ein Zufall, welcher die
-praktische Ausführbarkeit seines Vorhabens noch bekräftigt
-habe, aber schon längst vorher sei die ganze Erfindung im
+praktische Ausführbarkeit seines Vorhabens noch bekräftigt
+habe, aber schon längst vorher sei die ganze Erfindung im
Geiste fertig gewesen.</p>
-<p><em class="gesperrt">Gauß</em> hielt es für möglich, mit Hülfe von Heliotropen
+<p><em class="gesperrt">Gauß</em> hielt es für möglich, mit Hülfe von Heliotropen
eine telegraphische Correspondenz zwischen Mond und
Erde zu errichten und hatte in Bezug auf diese Frage sogar
-die Größe der erforderlichen Spiegel berechnet, woraus
-sich ergab, daß eine solche Correspondenz eventuel ohne
-große Kosten sich würde einrichten lassen. Das wäre eine
-Entdeckung, pflegte er zu sagen, noch größer als die von<span class="pagenum"><a name="Seite_p26" id="Seite_p26">[S. 26]</a></span>
+die Größe der erforderlichen Spiegel berechnet, woraus
+sich ergab, daß eine solche Correspondenz eventuel ohne
+große Kosten sich würde einrichten lassen. Das wäre eine
+Entdeckung, pflegte er zu sagen, noch größer als die von<span class="pagenum"><a name="Seite_p26" id="Seite_p26">[S. 26]</a></span>
Amerika, wenn wir uns mit unseren Mondnachbarn in
-Verbindung setzen könnten &mdash; hielt es jedoch nicht eben für
-wahrscheinlich, daß der Mond eine mit höherer Intelligenz
-ausgestattete Bevölkerung besitze. Sonst hielt er geistiges
-Leben auf der Sonne und auf den Planeten für sehr wahrscheinlich,
+Verbindung setzen könnten &mdash; hielt es jedoch nicht eben für
+wahrscheinlich, daß der Mond eine mit höherer Intelligenz
+ausgestattete Bevölkerung besitze. Sonst hielt er geistiges
+Leben auf der Sonne und auf den Planeten für sehr wahrscheinlich,
wobei er hervorzuheben pflegte, wie die an der
-Oberfläche der verschiedenen Himmelskörper wirkende und
-in ihrer Wirkung zu berechnende Schwerkraft für diese Frage
-vom größten Einfluß sei, woraus er z.&nbsp;B. folgerte, daß auf
+Oberfläche der verschiedenen Himmelskörper wirkende und
+in ihrer Wirkung zu berechnende Schwerkraft für diese Frage
+vom größten Einfluß sei, woraus er z.&nbsp;B. folgerte, daß auf
der Sonne nur sehr <em class="gesperrt">kleine</em> Wesen, verglichen mit uns, existiren
-können, bei einer dort mehr als 28fach größeren Schwerkraft,
+können, bei einer dort mehr als 28fach größeren Schwerkraft,
als auf der Erde.</p>
<p>Um die Zeit, als die Gradmessungsarbeiten ernstlich an
-<em class="gesperrt">Gauß</em> herantraten, trafen im Jahre 1819 die Schönen Meridianinstrumente
-von München ein, deren Aufstellung auf der
-Sternwarte und deren eingehender Untersuchung sich <em class="gesperrt">Gauß</em>
-zunächst widmete. Obgleich dieselben auch, wenigstens in
-den ersten Jahren, zu <em class="gesperrt">häufigen</em> Beobachtungen gedient
+<em class="gesperrt">Gauß</em> herantraten, trafen im Jahre 1819 die Schönen Meridianinstrumente
+von München ein, deren Aufstellung auf der
+Sternwarte und deren eingehender Untersuchung sich <em class="gesperrt">Gauß</em>
+zunächst widmete. Obgleich dieselben auch, wenigstens in
+den ersten Jahren, zu <em class="gesperrt">häufigen</em> Beobachtungen gedient
haben, so ist doch wenig von ihren Leistungen in der astronomischen
Welt bekannt geworden. Es scheint auch, als
-wenn es <em class="gesperrt">Gauß</em> nicht für angemessen hielt, mit den damals
+wenn es <em class="gesperrt">Gauß</em> nicht für angemessen hielt, mit den damals
staunenswerthen Leistungen von <em class="gesperrt">Bessel</em> in Concurrenz zu
-treten; auch dürfte vielleicht die schon oben aus einem Briefe
-von <em class="gesperrt">Olbers</em> angezogene Aeußerung, daß <em class="gesperrt">Gauß</em> die praktische
+treten; auch dürfte vielleicht die schon oben aus einem Briefe
+von <em class="gesperrt">Olbers</em> angezogene Aeußerung, daß <em class="gesperrt">Gauß</em> die praktische
Astronomie enthusiastisch liebte, in sofern doch zu
-modificiren sein, als <em class="gesperrt">Gauß</em> nicht der unwiderstehliche Drang
-inne wohnte, sich mit den Gestirnen zu beschäftigen, wie
+modificiren sein, als <em class="gesperrt">Gauß</em> nicht der unwiderstehliche Drang
+inne wohnte, sich mit den Gestirnen zu beschäftigen, wie
man ihn bei dem wahren beobachtenden Astronomen findet.
Es soll damit nicht der leiseste Tadel gegen den Mann ausgesprochen
werden, dessen praktische Leistungen im Gebiete
-der Astronomie ebenfalls weit hervorragen über die Leistungen
+der Astronomie ebenfalls weit hervorragen über die Leistungen
des Durchschnittsastronomen der Praxis, sondern es soll
-nur die Thatsache constatirt werden, daß das Göttinger Institut
+nur die Thatsache constatirt werden, daß das Göttinger Institut
als <em class="gesperrt">Sternwarte</em> nicht das geleistet hat, was man von
einem mit so prachtvollen Instrumenten ausgestatteten Insti<span class="pagenum"><a name="Seite_p27" id="Seite_p27">[S. 27]</a></span>tute
-erwarten mußte. Ein helles Licht auf die hier obwaltenden
-Verhältnisse wirft eine Aeußerung von <em class="gesperrt">Gauß</em> über
-die Erklärung eines optischen Phänomens, das auftritt, wenn
+erwarten mußte. Ein helles Licht auf die hier obwaltenden
+Verhältnisse wirft eine Aeußerung von <em class="gesperrt">Gauß</em> über
+die Erklärung eines optischen Phänomens, das auftritt, wenn
man die in einem Quecksilberhorizonte reflectirten Bilder
-von Sternen beobachtet. »Die Auffindung dieser Erklärung
-stellte er höher, als einen ganzen Jahrgang von Beobachtungen,
-deren Nutzen er jedoch keineswegs verkenne.« In der
-That kann man bedauern, daß durch die praktische Thätigkeit
-von <em class="gesperrt">Gauß</em>, gar häufig die Muße gestört ist, deren er
-nach seinen wiederholten Aeußerungen für seine schöpferische
-Thätigkeit auf speculativem Gebiete stets in vollem
-Maaße bedurfte.</p>
+von Sternen beobachtet. »Die Auffindung dieser Erklärung
+stellte er höher, als einen ganzen Jahrgang von Beobachtungen,
+deren Nutzen er jedoch keineswegs verkenne.« In der
+That kann man bedauern, daß durch die praktische Thätigkeit
+von <em class="gesperrt">Gauß</em>, gar häufig die Muße gestört ist, deren er
+nach seinen wiederholten Aeußerungen für seine schöpferische
+Thätigkeit auf speculativem Gebiete stets in vollem
+Maaße bedurfte.</p>
<p>Wie sehr man in den damaligen Regierungskreisen vor
-40 Jahren verkannte, <em class="gesperrt">was</em> man an <em class="gesperrt">Gauß</em> in Göttingen besaß,
-geht daraus hervor, daß ihn das Ministerium des Innern
-mit Aufträgen von abschreckender Weitläufigkeit behelligte,
+40 Jahren verkannte, <em class="gesperrt">was</em> man an <em class="gesperrt">Gauß</em> in Göttingen besaß,
+geht daraus hervor, daß ihn das Ministerium des Innern
+mit Aufträgen von abschreckender Weitläufigkeit behelligte,
die sich auf die Revision des gesammten Aichungswesens
-des Königreiches bezogen. Es ist zu bedauern, daß <em class="gesperrt">Gauß</em>
-diese Aufträge nicht einfach als seiner unwürdig ablehnte;
-seine der Welt unschätzbare Zeit ist in Folge dessen zum Theil
+des Königreiches bezogen. Es ist zu bedauern, daß <em class="gesperrt">Gauß</em>
+diese Aufträge nicht einfach als seiner unwürdig ablehnte;
+seine der Welt unschätzbare Zeit ist in Folge dessen zum Theil
durch Arbeiten absorbirt, deren Bedeutung schon jetzt, selbst
-für das praktische Leben, ganz geschwunden sind, wenngleich
-die Geistesfunken, welche von ihm im Contact mit den früher
-bei solchen Gelegenheiten befolgten Methoden sprühten,
+für das praktische Leben, ganz geschwunden sind, wenngleich
+die Geistesfunken, welche von ihm im Contact mit den früher
+bei solchen Gelegenheiten befolgten Methoden sprühten,
noch lange dieses Gebiet mit ihrem Lichte erhellen
werden.</p>
-<p>Es ist nicht Zweck dieser kurzen Schrift, alle die großen
-Gedanken zu verfolgen, welche <em class="gesperrt">Gauß</em> während seiner fast
-50jährigen Thätigkeit in vielen der Societät der Wissenschaften
-überreichten Denkschriften niedergelegt hat, oder auch nur
-die Titel dieser Denkschriften aufzuzählen; noch weniger kann
+<p>Es ist nicht Zweck dieser kurzen Schrift, alle die großen
+Gedanken zu verfolgen, welche <em class="gesperrt">Gauß</em> während seiner fast
+50jährigen Thätigkeit in vielen der Societät der Wissenschaften
+überreichten Denkschriften niedergelegt hat, oder auch nur
+die Titel dieser Denkschriften aufzuzählen; noch weniger kann
dem verborgenen Aufblitzen seines Genius nachgegangen
werden, wozu unter andern der Briefwechsel, den er mit
-<em class="gesperrt">Schumacher</em> geführt, so vielen Anlaß darbietet. Es sei
-nur gestattet, noch ein großes Arbeitsfeld zu erwähnen, auf<span class="pagenum"><a name="Seite_p28" id="Seite_p28">[S. 28]</a></span>
-welchem das Eingreifen von <em class="gesperrt">Gauß</em> von fundamentaler Bedeutung
+<em class="gesperrt">Schumacher</em> geführt, so vielen Anlaß darbietet. Es sei
+nur gestattet, noch ein großes Arbeitsfeld zu erwähnen, auf<span class="pagenum"><a name="Seite_p28" id="Seite_p28">[S. 28]</a></span>
+welchem das Eingreifen von <em class="gesperrt">Gauß</em> von fundamentaler Bedeutung
geworden ist.</p>
-<p>Schon im Sommer 1831 hatte <em class="gesperrt">Gauß</em> angefangen sich
+<p>Schon im Sommer 1831 hatte <em class="gesperrt">Gauß</em> angefangen sich
in ein ihm bis dahin ganz fremdes wissenschaftliches Gebiet,
-die Krystalllehre, hineinzuarbeiten. Es machte ihm Mühe,
-sich in der Sache zu orientiren, da die Bücher, welche er dabei
-zum Führer genommen, dieselbe mehr verwirrten als
-aufhellten. <em class="gesperrt">Gauß</em> ersann eine neue Methode zur Krystallbezeichnung,
-im Wesentlichen dieselbe, welche später von
+die Krystalllehre, hineinzuarbeiten. Es machte ihm Mühe,
+sich in der Sache zu orientiren, da die Bücher, welche er dabei
+zum Führer genommen, dieselbe mehr verwirrten als
+aufhellten. <em class="gesperrt">Gauß</em> ersann eine neue Methode zur Krystallbezeichnung,
+im Wesentlichen dieselbe, welche später von
<em class="gesperrt">Miller</em> in Cambridge bekannt gemacht ist und construirte
-eine Vorrichtung, mit deren Hülfe am 12zölligen <em class="gesperrt">Reichenbach</em>'schen
+eine Vorrichtung, mit deren Hülfe am 12zölligen <em class="gesperrt">Reichenbach</em>'schen
Theodoliten die Winkel der Krystalle so genau,
-wie möglich, gemessen werden konnten. Von allen diesen
+wie möglich, gemessen werden konnten. Von allen diesen
Untersuchungen: Beobachtungen, Rechnungen und Zeichnungen,
-ist nie das Geringste zur öffentlichen Kenntniß gelangt;
-denn schon im Herbste desselben Jahres trat bei <em class="gesperrt">Gauß</em>, in
-Folge der Berufung des damals noch jugendlichen, später so
-berühmten Physikers <em class="gesperrt">Weber</em> an die Göttinger Universität,
+ist nie das Geringste zur öffentlichen Kenntniß gelangt;
+denn schon im Herbste desselben Jahres trat bei <em class="gesperrt">Gauß</em>, in
+Folge der Berufung des damals noch jugendlichen, später so
+berühmten Physikers <em class="gesperrt">Weber</em> an die Göttinger Universität,
die Bearbeitung rein physikalischer Fragen in den Vordergrund.
Es entwickelte sich bald zwischen dem mehr als
-50jährigen hochberühmten Mathematiker und dem noch
-nicht dreißigjährigen Physiker eine innige, nie getrübte
-Freundschaft, der die Wissenschaft denkwürdige Arbeiten
+50jährigen hochberühmten Mathematiker und dem noch
+nicht dreißigjährigen Physiker eine innige, nie getrübte
+Freundschaft, der die Wissenschaft denkwürdige Arbeiten
verdankt.</p>
-<p>»Der Stahl schlägt an den Stein,« so bezeichnete <em class="gesperrt">Gauß</em>
-später ihr persönliches Zusammenwirken in der Mitte der
-dreißiger Jahre, das zum unendlichen Schaden für die Menschheit
-im Jahre 1837 zerrissen wurde, weil der König von Hannover
-Männer von Ueberzeugungstreue, die auch wagten
-dieselbe zu äußern, nicht als Professoren in Göttingen dulden
-wollte. <em class="gesperrt">Weber</em> war einer von den Göttinger <em class="gesperrt">Sieben</em>, die in
-Folge des Verfassungsbruchs des Königs und ihres dagegen
+<p>»Der Stahl schlägt an den Stein,« so bezeichnete <em class="gesperrt">Gauß</em>
+später ihr persönliches Zusammenwirken in der Mitte der
+dreißiger Jahre, das zum unendlichen Schaden für die Menschheit
+im Jahre 1837 zerrissen wurde, weil der König von Hannover
+Männer von Ueberzeugungstreue, die auch wagten
+dieselbe zu äußern, nicht als Professoren in Göttingen dulden
+wollte. <em class="gesperrt">Weber</em> war einer von den Göttinger <em class="gesperrt">Sieben</em>, die in
+Folge des Verfassungsbruchs des Königs und ihres dagegen
erlassenen Protestes aus Hannover verbannt wurden. Mit
-ihm verließen <em class="gesperrt">Albrecht</em>, <em class="gesperrt">Dahlmann</em>, <em class="gesperrt">Ewald</em>, <em class="gesperrt">Gervinus</em>
+ihm verließen <em class="gesperrt">Albrecht</em>, <em class="gesperrt">Dahlmann</em>, <em class="gesperrt">Ewald</em>, <em class="gesperrt">Gervinus</em>
<span class="pagenum"><a name="Seite_p29" id="Seite_p29">[S. 29]</a></span>und die beiden <em class="gesperrt">Grimm</em> die Georgia Augusta.</p>
-<p>Das Gebiet der Elektricität und des Magnetismus wurde
-zunächst nach allen Richtungen durchforscht. <em class="gesperrt">Gauß</em> gab
+<p>Das Gebiet der Elektricität und des Magnetismus wurde
+zunächst nach allen Richtungen durchforscht. <em class="gesperrt">Gauß</em> gab
in Folge hiervon die erste richtige Theorie des Erdmagnetismus,
wodurch er in den Stand gesetzt wurde, durch <em class="gesperrt">eine
mathematische Formel</em> das gesammte vorhandene Beobachtungsmaterial
darzustellen, also die Declination und Inclination
-der Magnetnadel, sowie die Intensität an jedem Punkte
+der Magnetnadel, sowie die Intensität an jedem Punkte
der Erde anzugeben. Die Wichtigkeit, durch Beobachtungen
-zu jeder Zeit diese Constanten zu bestimmen, führte <em class="gesperrt">Gauß</em>
+zu jeder Zeit diese Constanten zu bestimmen, führte <em class="gesperrt">Gauß</em>
auf die Erfindung von ganz neuen Beobachtungsmethoden
-und Instrumenten, mit denen man diese Größen und ihre
-Aenderungen in kurzer Zeit mit einer nie geahnten Schärfe
-bestimmen konnte. Die galvanischen Versuche führten endlich
+und Instrumenten, mit denen man diese Größen und ihre
+Aenderungen in kurzer Zeit mit einer nie geahnten Schärfe
+bestimmen konnte. Die galvanischen Versuche führten endlich
zur Entdeckung des elektromagnetischen Telegraphen, der zum
-ersten Male in großen Dimensionen im Winter 1833 bis 1834
-in Göttingen praktisch ausgeführt wurde, indem von der Sternwarte
+ersten Male in großen Dimensionen im Winter 1833 bis 1834
+in Göttingen praktisch ausgeführt wurde, indem von der Sternwarte
zum Johannisthurme und von da zum physikalischen
Cabinette eine Drahtleitung von mehreren Tausend Metern
-Länge gezogen wurde. Diese Drahtleitung diente zu den
+Länge gezogen wurde. Diese Drahtleitung diente zu den
interessantesten Versuchen; so wurden sehr bald Worte und
-ganze Sätze hin und her telegraphirt und auch die später so
-wichtig gewordene Anwendung für telegraphische Längenbestimmungen
+ganze Sätze hin und her telegraphirt und auch die später so
+wichtig gewordene Anwendung für telegraphische Längenbestimmungen
wurde implicite gemacht, da die Pendeluhr
des physikalischen Cabinets durch galvanische Signale von
-der Sternwarte aus gestellt wurde, es also nur einer unabhängigen
-Zeitbestimmung dort bedurft hätte, um die astronomische
-Längendifferenz zu ermitteln.</p>
+der Sternwarte aus gestellt wurde, es also nur einer unabhängigen
+Zeitbestimmung dort bedurft hätte, um die astronomische
+Längendifferenz zu ermitteln.</p>
-<p>In einem Briefe an <em class="gesperrt">Schumacher</em> bedauert <em class="gesperrt">Gauß</em> die engen
-Verhältnisse, in denen er lebt, da sich an seine theoretischen Eroberungen
+<p>In einem Briefe an <em class="gesperrt">Schumacher</em> bedauert <em class="gesperrt">Gauß</em> die engen
+Verhältnisse, in denen er lebt, da sich an seine theoretischen Eroberungen
im Gebiete des Elektromagnetismus, auf die er mehr
Werth legte, als auf die im Gebiete des reinen Magnetismus,
-glänzende praktische Anwendungen knüpfen ließen. »Könnte
-man,« so schreibt er 1835, »Tausende von Thalern verwenden,
-so glaube ich, daß z.&nbsp;B. die elektromagnetische Telegraphie
-zu einer Vollkommenheit und zu einem Maaßstabe<span class="pagenum"><a name="Seite_p30" id="Seite_p30">[S. 30]</a></span>
-gebracht werden könnte, vor der die Phantasie fast erschrickt.
-Der Kaiser von Rußland könnte seine Befehle ohne Zwischenstation
+glänzende praktische Anwendungen knüpfen ließen. »Könnte
+man,« so schreibt er 1835, »Tausende von Thalern verwenden,
+so glaube ich, daß z.&nbsp;B. die elektromagnetische Telegraphie
+zu einer Vollkommenheit und zu einem Maaßstabe<span class="pagenum"><a name="Seite_p30" id="Seite_p30">[S. 30]</a></span>
+gebracht werden könnte, vor der die Phantasie fast erschrickt.
+Der Kaiser von Rußland könnte seine Befehle ohne Zwischenstation
in derselben Minute von Petersburg nach Odessa, ja
vielleicht nach Kiachta geben, wenn nur der Kupferdraht
-von gehöriger (im Voraus <em class="gesperrt">scharf</em> zu bestimmender) Stärke
-<em class="gesperrt">gesichert</em> hingeführt und an beiden Endpunkten mächtige
-Apparate und gut eingeübte Personen wären. Ich halte es
-nicht für unmöglich, eine Maschinerie anzugeben, wodurch
-eine Depesche fast so mechanisch abgespielt würde, wie ein
-Glockenspiel ein Musikstück abspielt, das einmal auf eine
-Walze gesetzt ist. Aber bis eine solche Maschinerie allmälig
-zur Vollkommenheit gebracht würde, müßten natürlich erst
+von gehöriger (im Voraus <em class="gesperrt">scharf</em> zu bestimmender) Stärke
+<em class="gesperrt">gesichert</em> hingeführt und an beiden Endpunkten mächtige
+Apparate und gut eingeübte Personen wären. Ich halte es
+nicht für unmöglich, eine Maschinerie anzugeben, wodurch
+eine Depesche fast so mechanisch abgespielt würde, wie ein
+Glockenspiel ein Musikstück abspielt, das einmal auf eine
+Walze gesetzt ist. Aber bis eine solche Maschinerie allmälig
+zur Vollkommenheit gebracht würde, müßten natürlich erst
viele kostspielige Versuche gemacht werden, die freilich z.&nbsp;B.
-für das Königreich Hannover keinen Zweck haben. Um
+für das Königreich Hannover keinen Zweck haben. Um
eine solche Kette in einem Schlage bis zu den Antipoden zu
-haben, wäre für 100 Millionen Thaler Kupferdraht vollkommen
-zureichend, für eine halb so große Distanz nur ein Viertel
-so viel, und so im Verhältnisse des Quadrats der Strecke.«</p>
-
-<p>Von großem Interesse ist es auch, zu ersehen, daß diejenigen
-Methoden, welche <em class="gesperrt">Gauß</em> schon damals bei seinen
-Göttinger Versuchen anwandte, dieselben sind, auf die man
-jetzt bei der transatlantischen Telegraphie wieder zurückzukommen
+haben, wäre für 100 Millionen Thaler Kupferdraht vollkommen
+zureichend, für eine halb so große Distanz nur ein Viertel
+so viel, und so im Verhältnisse des Quadrats der Strecke.«</p>
+
+<p>Von großem Interesse ist es auch, zu ersehen, daß diejenigen
+Methoden, welche <em class="gesperrt">Gauß</em> schon damals bei seinen
+Göttinger Versuchen anwandte, dieselben sind, auf die man
+jetzt bei der transatlantischen Telegraphie wieder zurückzukommen
scheint.</p>
-<p>Die Zeit, in welcher <em class="gesperrt">Gauß</em> begann, sich physikalischen
-Problemen mit großer Energie zuzuwenden, fällt zusammen
-mit einer Zeit schweren häuslichen Leides. Seine Frau hatte
-schon lange an einem Magenübel gekränkelt. Nachdem eine
-Katastrophe, in Folge welcher man glaubte Hoffnung schöpfen
-zu können, und die in der That eine wesentliche Besserung
-in dem Zustande der Leidenden herbeiführte, so daß sie sich
+<p>Die Zeit, in welcher <em class="gesperrt">Gauß</em> begann, sich physikalischen
+Problemen mit großer Energie zuzuwenden, fällt zusammen
+mit einer Zeit schweren häuslichen Leides. Seine Frau hatte
+schon lange an einem Magenübel gekränkelt. Nachdem eine
+Katastrophe, in Folge welcher man glaubte Hoffnung schöpfen
+zu können, und die in der That eine wesentliche Besserung
+in dem Zustande der Leidenden herbeiführte, so daß sie sich
besser befand, als seit Jahren, eingetreten war, zeigte sich leider
bald wieder das alte Uebel, nur in noch traurigerer Gestalt,
und im September 1831 starb nach unbeschreiblichen Leiden
-die arme Dulderin. <em class="gesperrt">Gauß</em> wurde durch diesen Verlust aufs
-Tiefste erschüttert und sehnte sich, ebenfalls von einem<span class="pagenum"><a name="Seite_p31" id="Seite_p31">[S. 31]</a></span>
-Schauplatze abtreten zu können, wo die Freuden flüchtig
+die arme Dulderin. <em class="gesperrt">Gauß</em> wurde durch diesen Verlust aufs
+Tiefste erschüttert und sehnte sich, ebenfalls von einem<span class="pagenum"><a name="Seite_p31" id="Seite_p31">[S. 31]</a></span>
+Schauplatze abtreten zu können, wo die Freuden flüchtig
und nichtig, die Leiden, Fehlschlagungen und schmerzlichen
-Täuschungen die Grundfarbe sind. Viele Monate später litt
-er noch an fortwährender Schlaflosigkeit bei Nacht und Abspannung
+Täuschungen die Grundfarbe sind. Viele Monate später litt
+er noch an fortwährender Schlaflosigkeit bei Nacht und Abspannung
am Tage, und konnte nicht absehen, wann er sich
-wieder zu frischem Lebensmuthe würde aufrichten können. Wir
-greifen wohl kaum fehl, wenn wir annehmen, daß hier ebenfalls
-ein Motiv sich zeigt, daß <em class="gesperrt">Gauß</em> veranlaßte, neue, ihm
+wieder zu frischem Lebensmuthe würde aufrichten können. Wir
+greifen wohl kaum fehl, wenn wir annehmen, daß hier ebenfalls
+ein Motiv sich zeigt, daß <em class="gesperrt">Gauß</em> veranlaßte, neue, ihm
bis dahin fremde und in sich hoch interessante Gebiete mit
Anstrengung aller Geisteskraft zu betreten.</p>
-<p>Die philologischen Neigungen, welche <em class="gesperrt">Gauß</em> in seiner
+<p>Die philologischen Neigungen, welche <em class="gesperrt">Gauß</em> in seiner
Jugend sogar der Mathematik abwendig zu machen drohten,
traten in dem letzten Jahrzehnte seines Lebens wieder mit
-größerer Lebendigkeit hervor. Versuchsweise hatte er sich
-ums Jahr 1840 mit Sanskrit beschäftigt, das ihn aber wenig
-befriedigte; später erlernte er, um seinen Geist frisch und für
-neue Eindrücke empfänglicher zu erhalten, die russische
-Sprache, bekanntlich für denjenigen, der nur germanische
+größerer Lebendigkeit hervor. Versuchsweise hatte er sich
+ums Jahr 1840 mit Sanskrit beschäftigt, das ihn aber wenig
+befriedigte; später erlernte er, um seinen Geist frisch und für
+neue Eindrücke empfänglicher zu erhalten, die russische
+Sprache, bekanntlich für denjenigen, der nur germanische
und romanische Sprachen kennt, eine sehr schwierige Aufgabe.
-Ohne fremde Hülfe brachte er es darin binnen wenigen
-Jahren zu einer sehr großen Fertigkeit, so daß er von
-da an mit Vorliebe sich mit der russischen Literatur beschäftigte,
-während ihm früher vorzugsweise von ausländischer
-Literatur die Lectüre von <em class="gesperrt">Walter Scott's</em> Werken angezogen
+Ohne fremde Hülfe brachte er es darin binnen wenigen
+Jahren zu einer sehr großen Fertigkeit, so daß er von
+da an mit Vorliebe sich mit der russischen Literatur beschäftigte,
+während ihm früher vorzugsweise von ausländischer
+Literatur die Lectüre von <em class="gesperrt">Walter Scott's</em> Werken angezogen
hatte. Unter unseren deutschen Dichtern stellte er
<em class="gesperrt">Richter</em> ohne Frage in die erste Reihe; dagegen befriedigte
-ihn <em class="gesperrt">Göthe's</em> Schreib- und Denkweise weniger: »er sei ihm
-an Gedanken zu arm« und seine lyrische Poesie, deren Werth
+ihn <em class="gesperrt">Göthe's</em> Schreib- und Denkweise weniger: »er sei ihm
+an Gedanken zu arm« und seine lyrische Poesie, deren Werth
und vollendete Form er nicht verkannte, schlug er nicht sehr
hoch an. Noch weniger sagte ihm <em class="gesperrt">Schiller</em> zu, dessen philosophische
-Ansichten ihm mitunter vollständig zuwider waren.
-So nannte er »Die Resignation« ein gotteslästerliches,
+Ansichten ihm mitunter vollständig zuwider waren.
+So nannte er »Die Resignation« ein gotteslästerliches,
durchaus moralisch verderbtes Gedicht und hatte in seiner
Ausgabe mit Fracturschrift und Ausrufungszeichen das Wort
-»Mephistopheles« an den Rand geschrieben.</p>
+»Mephistopheles« an den Rand geschrieben.</p>
<p><span class="pagenum"><a name="Seite_p32" id="Seite_p32">[S. 32]</a></span></p>
-<p>Alle philosophischen Ideen hielt <em class="gesperrt">Gauß</em> nur für subjectiv
-und trennte sie, da sie strenger Begründung entbehrten,
+<p>Alle philosophischen Ideen hielt <em class="gesperrt">Gauß</em> nur für subjectiv
+und trennte sie, da sie strenger Begründung entbehrten,
durchaus von der eigentlichen Wissenschaft.</p>
<p>Anerkennend hebt <em class="gesperrt">Sartorius von Waltershausen</em> die
-religiöse Duldsamkeit von <em class="gesperrt">Gauß</em> hervor, die er auf jeden
+religiöse Duldsamkeit von <em class="gesperrt">Gauß</em> hervor, die er auf jeden
aus der Tiefe des menschlichen Herzens entsprungenen Glauben
-übertrug, die aber durchaus nicht mit religiösem Indifferentismus
+übertrug, die aber durchaus nicht mit religiösem Indifferentismus
zu verwechseln war. Im Gegentheil nahm er an
-der religiösen Entwickelung des menschlichen Geschlechts,
+der religiösen Entwickelung des menschlichen Geschlechts,
vornehmlich aber an der unsers Jahrhunderts, den allerinnigsten
-Antheil. In Rücksicht auf die mannigfaltigen Glaubensverschiedenheiten,
-die häufig nicht mit seiner Anschauungsweise
-übereinstimmen konnten, hob er immer hervor, daß man
+Antheil. In Rücksicht auf die mannigfaltigen Glaubensverschiedenheiten,
+die häufig nicht mit seiner Anschauungsweise
+übereinstimmen konnten, hob er immer hervor, daß man
nicht berechtigt sei, den Glauben anderer, in dem sie Trost
in irdischen Leiden und eine sichere Zuflucht in den Tagen
-des Unglücks erblickten, in irgend einer Weise zu stören.
-Das Streben nach Wahrheit und das Gefühl für Gerechtigkeit
-bildeten die Grundlage von <em class="gesperrt">Gauß'</em> religiöser Betrachtungsweise.
-Das geistige Leben im ganzen Weltall erfaßte
-er als ein großes, von ewiger Wahrheit durchdrungenes
-Rechtsverhältniß, und aus dieser Quelle schöpfte er vornehmlich
-die Zuversicht, das unerschütterliche Vertrauen,
-daß mit dem Tode unsere Laufbahn nicht geschlossen ist.</p>
-
-<p>Die unerschütterliche Idee von einer persönlichen Fortdauer
+des Unglücks erblickten, in irgend einer Weise zu stören.
+Das Streben nach Wahrheit und das Gefühl für Gerechtigkeit
+bildeten die Grundlage von <em class="gesperrt">Gauß'</em> religiöser Betrachtungsweise.
+Das geistige Leben im ganzen Weltall erfaßte
+er als ein großes, von ewiger Wahrheit durchdrungenes
+Rechtsverhältniß, und aus dieser Quelle schöpfte er vornehmlich
+die Zuversicht, das unerschütterliche Vertrauen,
+daß mit dem Tode unsere Laufbahn nicht geschlossen ist.</p>
+
+<p>Die unerschütterliche Idee von einer persönlichen Fortdauer
nach dem Tode, der feste Glaube an einen letzten Ordner
-der Dinge, an einen ewigen, gerechten, allweisen, allmächtigen
-Gott, bildete das Fundament seines religiösen Lebens.
-»Es giebt,« äußerte er eines Tages, »in dieser Welt einen Genuß
+der Dinge, an einen ewigen, gerechten, allweisen, allmächtigen
+Gott, bildete das Fundament seines religiösen Lebens.
+»Es giebt,« äußerte er eines Tages, »in dieser Welt einen Genuß
des Verstandes, der in der Wissenschaft sich befriedigt,
-und einen Genuß des Herzens, der hauptsächlich darin besteht,
-daß die Menschen einander die Mühsale, die Beschwerden
+und einen Genuß des Herzens, der hauptsächlich darin besteht,
+daß die Menschen einander die Mühsale, die Beschwerden
des Lebens gegenseitig erleichtern. Ist das aber die
-Aufgabe des höchsten Wesens, auf gesonderten Kugeln Geschöpfe
-zu erschaffen und sie, um ihnen solchen Genuß zu
-bereiten, 80 oder 90 Jahre existiren zu lassen? &mdash; so wäre<span class="pagenum"><a name="Seite_p33" id="Seite_p33">[S. 33]</a></span>
-das ein erbärmlicher Plan. Ob die Seele 80 Jahre lebt oder
+Aufgabe des höchsten Wesens, auf gesonderten Kugeln Geschöpfe
+zu erschaffen und sie, um ihnen solchen Genuß zu
+bereiten, 80 oder 90 Jahre existiren zu lassen? &mdash; so wäre<span class="pagenum"><a name="Seite_p33" id="Seite_p33">[S. 33]</a></span>
+das ein erbärmlicher Plan. Ob die Seele 80 Jahre lebt oder
80 Millionen Jahre, wenn sie ein Mal untergehen soll, so ist
-dieser Zeitraum doch nur eine Galgenfrist. Endlich würde
-es vorbei sein müssen. Man wird daher zu der Ansicht gedrängt,
-für die ohne eine strenge wissenschaftliche Begründung
-so vieles Andere spricht, daß neben dieser materiellen
+dieser Zeitraum doch nur eine Galgenfrist. Endlich würde
+es vorbei sein müssen. Man wird daher zu der Ansicht gedrängt,
+für die ohne eine strenge wissenschaftliche Begründung
+so vieles Andere spricht, daß neben dieser materiellen
Welt noch eine zweite rein geistige Weltordnung existirt,
mit eben so viel Mannigfaltigkeiten, als die in der wir leben
-&mdash; ihrer sollen wir theilhaftig werden.« &mdash;</p>
+&mdash; ihrer sollen wir theilhaftig werden.« &mdash;</p>
-<p>Die letzten Jahrzehnte seines Lebens verlebte <em class="gesperrt">Gauß</em> in
+<p>Die letzten Jahrzehnte seines Lebens verlebte <em class="gesperrt">Gauß</em> in
stiller, ruhiger Beschaulichkeit; seit mehr als zwanzig Jahren
-hatte er keine Nacht außerhalb Göttingens zugebracht. Vormittags
-erschien er regelmäßig im literarischen Museum, woselbst
-er eine große Anzahl von Zeitungen durchsah, in denen ihn,
-außer den politischen Nachrichten, auch noch insbesondere
-die Börsennachrichten ansprachen, welche er aufmerksam im
-Interesse seiner statistischen Speculationen verfolgte. Ein Glück
-ist es, daß Niemand die eminente finanzielle Begabung zeitig
-genug ahnte, die <em class="gesperrt">Gauß</em> besaß, und von der er z.&nbsp;B. einen
+hatte er keine Nacht außerhalb Göttingens zugebracht. Vormittags
+erschien er regelmäßig im literarischen Museum, woselbst
+er eine große Anzahl von Zeitungen durchsah, in denen ihn,
+außer den politischen Nachrichten, auch noch insbesondere
+die Börsennachrichten ansprachen, welche er aufmerksam im
+Interesse seiner statistischen Speculationen verfolgte. Ein Glück
+ist es, daß Niemand die eminente finanzielle Begabung zeitig
+genug ahnte, die <em class="gesperrt">Gauß</em> besaß, und von der er z.&nbsp;B. einen
so hervorragenden Beweis bei der Reorganisation der Professorenwittwencasse
-in Göttingen gegeben hat! Es würden
-dadurch noch größere Beeinträchtigungen seiner Muße entstanden
+in Göttingen gegeben hat! Es würden
+dadurch noch größere Beeinträchtigungen seiner Muße entstanden
sein, als die, welche wir oben beklagten. Die meisten
ehemaligen Studirenden der Georgia Augusta aus dem
zweiten Viertel dieses Jahrhunderts werden sich lebhaft das
-edle Antlitz des großen Mannes ins Gedächtniß zurückrufen
-können; denn auf den meisten von ihnen wird sein leuchtendes
-blaues Auge fragend geruht haben, wenn sie zufällig ein
-Blatt lasen, nach dem <em class="gesperrt">Gauß</em> Verlangen trug, und das sich
-dann Jeder beeilte dem großen Manne darzureichen.</p>
-
-<p>Auszeichnungen aller Art wurden <em class="gesperrt">Gauß</em> vielfach zu
-Theil &mdash; zeichnete doch Jeder schließlich nur sich selbst aus,
-wenn er einen solchen Mann ehrte &mdash; und vorzüglich in
-großer Zahl am 16. Juli 1849, als der ehrwürdige Greis sein
-50jähriges Doctorjubiläum feierte. An diesem Tage erhielt<span class="pagenum"><a name="Seite_p34" id="Seite_p34">[S. 34]</a></span>
-er auch das Ehrenbürgerrecht der Städte Braunschweig und
-Göttingen.</p>
+edle Antlitz des großen Mannes ins Gedächtniß zurückrufen
+können; denn auf den meisten von ihnen wird sein leuchtendes
+blaues Auge fragend geruht haben, wenn sie zufällig ein
+Blatt lasen, nach dem <em class="gesperrt">Gauß</em> Verlangen trug, und das sich
+dann Jeder beeilte dem großen Manne darzureichen.</p>
+
+<p>Auszeichnungen aller Art wurden <em class="gesperrt">Gauß</em> vielfach zu
+Theil &mdash; zeichnete doch Jeder schließlich nur sich selbst aus,
+wenn er einen solchen Mann ehrte &mdash; und vorzüglich in
+großer Zahl am 16. Juli 1849, als der ehrwürdige Greis sein
+50jähriges Doctorjubiläum feierte. An diesem Tage erhielt<span class="pagenum"><a name="Seite_p34" id="Seite_p34">[S. 34]</a></span>
+er auch das Ehrenbürgerrecht der Städte Braunschweig und
+Göttingen.</p>
<p>Schon im Jahre 1846 findet sich in einem Briefe an seinen
Freund <em class="gesperrt">Schumacher</em> das Verlangen ausgesprochen,
seinen Abschied zu nehmen, um die letzten Jahre seines
Lebens in freiester Selbstbestimmung, fern von der Last aller
-Berufsgeschäfte, verleben zu können. Nach seinem Jubiläum
-schien er überhaupt die Absicht zu haben, zu ruhen, und
-klagte, daß seine Arbeitszeit im Vergleich mit früheren Jahren
-merklich kürzer werde. Seine innigsten Freunde waren
-allmälig aus dem Leben geschieden: <em class="gesperrt">Olbers</em> 1840, <em class="gesperrt">Bessel</em>
-1846. Im Jahre 1851 starb <em class="gesperrt">Schumacher</em>, und <em class="gesperrt">Gauß</em> vereinsamte
+Berufsgeschäfte, verleben zu können. Nach seinem Jubiläum
+schien er überhaupt die Absicht zu haben, zu ruhen, und
+klagte, daß seine Arbeitszeit im Vergleich mit früheren Jahren
+merklich kürzer werde. Seine innigsten Freunde waren
+allmälig aus dem Leben geschieden: <em class="gesperrt">Olbers</em> 1840, <em class="gesperrt">Bessel</em>
+1846. Im Jahre 1851 starb <em class="gesperrt">Schumacher</em>, und <em class="gesperrt">Gauß</em> vereinsamte
mehr und mehr. In den beiden folgenden Wintern
litt er viel an Schlaflosigkeit und andere Beschwerden des
-Alters traten auf, so daß er endlich, trotz seines geringen
+Alters traten auf, so daß er endlich, trotz seines geringen
Vertrauens in die medicinischen Wissenschaften, sich im Januar
-1854 veranlaßt sah, ärztlichen Rath zu suchen. Leider
-zeigte es sich, daß das Uebel, an welchem <em class="gesperrt">Gauß</em> litt, ein
-Herzfehler war und daß man auf eine Wiederherstellung
-kaum hoffen durfte. Die Anwendung zweckmäßiger Mittel
-besserte das Befinden, so daß der Sommer leidlich verlief.
+1854 veranlaßt sah, ärztlichen Rath zu suchen. Leider
+zeigte es sich, daß das Uebel, an welchem <em class="gesperrt">Gauß</em> litt, ein
+Herzfehler war und daß man auf eine Wiederherstellung
+kaum hoffen durfte. Die Anwendung zweckmäßiger Mittel
+besserte das Befinden, so daß der Sommer leidlich verlief.
Im December 1854 zeigten sich jedoch sehr bedenkliche
Symptome; nach mehrfachem Hin- und Herschwanken der
-Krankheit entschlief <em class="gesperrt">Gauß</em> am 23. Februar 1855. Am Morgen
+Krankheit entschlief <em class="gesperrt">Gauß</em> am 23. Februar 1855. Am Morgen
des 26. Februar begleitete ein langer Zug von Leidtragenden
-den großen Todten von der Rotunde der Sternwarte
-zu seiner letzten Ruhestätte.</p>
+den großen Todten von der Rotunde der Sternwarte
+zu seiner letzten Ruhestätte.</p>
-<p>Das Bildniß des gewaltigen Mannes ist am schönsten
-der Nachwelt erhalten durch die Denkmünzen, welche der
-König von Hannover im Jahre 1856 auf ihn prägen ließ mit
+<p>Das Bildniß des gewaltigen Mannes ist am schönsten
+der Nachwelt erhalten durch die Denkmünzen, welche der
+König von Hannover im Jahre 1856 auf ihn prägen ließ mit
der Widmung:</p>
<p class="center">
@@ -1337,381 +1299,6 @@ der Widmung:</p>
<p>Hiernach ist das diesen Zeilen vorangestellte Bild entworfen.</p>
-
-
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-
-<pre>
-
-
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-
-
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+<div>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 42745 ***</div>
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</html>