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@@ -0,0 +1,2897 @@
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 42900 ***
+
+Anmerkungen zur Transkription:
+
+Die Rechtschreibung und Zeichensetzung des Originals wurde weitgehend
+übernommen, lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Die
+Originalvorlage ist in Fraktur gedruckt. Davon abweichende, in Antiqua
+gedruckte Textstellen sind (bis auf römische Ziffern) in dieser
+Textdatei _so_ markiert; gesperrt gedruckter Text ist =so= markiert. Der
+Titel des Märchens »Riquet mit der Locke« war in der Inhaltsübersicht
+der Originalvorlage als »Riquet mit dem Schopf« angegeben, dies ist in
+der transkribierten Fassung korrigiert worden. Am Ende des Textes
+befindet sich eine Liste korrigierter Druckfehler.
+
+
+
+
+[Illustration]
+
+
+Charles Perrault
+
+Gänsemütterchens Märchen
+
+Illustriert von
+
+Gustave Doré
+
+[Illustration]
+
+Übersetzt und herausgegeben von
+
+Hans Krause
+
+O. C. Recht Verlag / München
+
+
+
+
+ Dieses Buch wurde im Auftrage des O. C. Recht Verlages in der
+ Offizin der Mandruck A.-G., München in der Altschwabacher
+ gedruckt. Es wurde eine Vorzugsausgabe von 100 Exemplaren auf
+ Bütten hergestellt. Nr. 1-25 wurden in Ganzleder, Nr. 26-100
+ in Halbleder gebunden. Drucküberwachung und Ausstattung von
+ Ferdinand Kramer.
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+
+
+
+ Copyright 1921 by O. C. Recht Verlag / München
+
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+ =Gänsemütterchens=
+ =Märchen=
+
+ Rotkäppchen
+ Blaubart
+ Die Fee
+ Der gestiefelte Kater
+ Der kleine Däumling
+ Aschenputtel
+ Riquet mit dem Schopf
+ Jungfer Eselshaut
+ Dornröschen
+
+ Übersetzung nach der ersten Buchausgabe von 1697.
+
+
+[Illustration]
+
+
+
+
+Rotkäppchen
+
+
+Es war einmal eine kleine Bauerndirne, die war hübscher, als man jemals
+eine sah. Ihre Mutter war ganz verliebt in sie und ihre Großmutter noch
+viel mehr. Diese brave Frau ließ ihr ein rotes Käppchen machen, welches
+ihr so gut stand, daß man sie überall das »Rotkäppchen« nannte.
+
+Eines Tages, als ihre Mutter Kuchen gebacken hatte, sagte sie zu ihr:
+
+»Geh zu deiner Großmutter und sieh zu, was sie macht, denn man hat mir
+erzählt, sie sei krank. Nimm ihr einen Kuchen mit und dieses Töpfchen
+mit Butter!«
+
+Rotkäppchen machte sich gleich auf, um zu ihrer Großmutter zu gehen, die
+in einem anderen Dorfe wohnte. Als sie durch einen Wald kam, begegnete
+ihr der Gevatter Wolf, der große Lust hatte, sie zu fressen; aber er
+wagte es nicht wegen der Holzhauer, die in dem Walde waren. Er fragte
+sie, wohin sie gehe. Das arme Kind, das nicht wußte, wie gefährlich es
+ist, einen Wolf anzuhören, sagte:
+
+»Ich gehe meine Großmutter besuchen und bringe ihr Kuchen und einen Topf
+Butter, den ihr meine Mutter schickt.«
+
+»Wohnt sie weit von hier?« fragte der Wolf.
+
+»Oh ja,« antwortete das Rotkäppchen, »noch hinter der Mühle, die Ihr
+dort in der Ferne seht, in dem ersten Hause des Dorfes.«
+
+»Wohlan,« sagte der Wolf, »ich will sie auch besuchen; ich gehe auf
+diesem Wege hin und du dort auf jenem, wir wollen sehen, wer zuerst da
+ist.«
+
+Der Wolf lief so schnell er konnte und schlug den kürzeren Weg ein, und
+das kleine Mädchen ging den weiteren Weg; fröhlich pflückte sie
+Haselnüsse, lief den Schmetterlingen nach und machte Sträuße aus den
+Blümlein, die sie fand. Es dauerte nicht lange, da war der Wolf an
+Großmutter Haus angelangt, und er pochte an die Tür: Bum! Bum!
+
+»Wer ist da?«
+
+»Euer Enkelchen ist es, das Rotkäppchen,« sagte der Wolf, indem er seine
+Stimme verstellte, »ich bringe Euch einen Kuchen und ein Töpfchen mit
+Butter, das Euch meine Mutter schickt.«
+
+Die gute Großmutter, die krank in ihrem Bette lag, rief ihm zu:
+
+»Zieh den Riegel zurück, dann springt das Schloß auf!«
+
+Der Wolf zog den Riegel zurück, und die Tür öffnete sich. Er stürzte
+sich auf die gute Frau und verschlang sie im Handumdrehen, denn er hatte
+länger als drei Tage nichts mehr gefressen.
+
+Dann schloß er die Tür, legte sich in das Bett der Großmutter und
+wartete auf Rotkäppchen, das bald darauf kam und an die Tür pochte: Bum!
+Bum!
+
+»Wer ist da?«
+
+Als Rotkäppchen die laute Stimme des Wolfes hörte, bekam es zuerst
+Angst; aber sie glaubte, die Großmutter sei erkältet, und antwortete:
+
+»Euer Enkelchen ist es, das Rotkäppchen; ich bringe Euch einen Kuchen
+und ein Töpfchen Butter, das Euch meine Mutter schickt.«
+
+Der Wolf rief ihr zu, indem er seine Stimme etwas dämpfte:
+
+»Zieh den Riegel zurück, dann springt das Schloß auf!«
+
+Rotkäppchen zog den Riegel zurück, und die Tür öffnete sich. Als der
+Wolf sie eintreten sah, versteckte er sich im Bett unter der Decke und
+sagte zu ihr:
+
+»Stelle den Kuchen und das Töpfchen mit Butter auf den Backtrog und
+komme zu mir ins Bett!«
+
+Rotkäppchen zog sich aus und legte sich mit ins Bett. Sie war erstaunt,
+wie verändert die Großmutter in ihrem Nachtgewand aussah, und fragte
+sie:
+
+»Großmutter, was hast du für große Arme?«
+
+»Damit ich dich besser umarmen kann, mein Kind.«
+
+[Illustration]
+
+[Illustration]
+
+»Großmutter, was hast du für große Beine?«
+
+»Damit ich besser laufen kann, mein Kind.«
+
+»Großmutter, was hast du für große Ohren?«
+
+»Damit ich besser hören kann, mein Kind.«
+
+»Großmutter, was hast du für große Augen?«
+
+»Damit ich dich besser sehen kann, mein Kind.«
+
+»Großmutter, was hast du für große Zähne?«
+
+»Damit ich dich besser fressen kann.«
+
+Und nachdem er dies gesagt hatte, stürzte der böse Wolf sich auf das
+Rotkäppchen und fraß es.
+
+
+ Moral:
+
+ Man kann an diesem Beispiel sehn,
+ Wie's allen Mädchen wird ergehn,
+ Die stets auf fremde Leute hören,
+ Die sie beschwätzen und betören:
+ So ist nun mal der Dinge Lauf,
+ Es kommt der Wolf und frißt sie auf.
+ Ich meine andere Wölfe als den bösen,
+ =Die= Wölfe haben ein ganz anderes Wesen,
+ Es sind die höflichen, die zahmen,
+ Sie folgen oft den jungen Damen.
+ Paß auf, mein Kind, nimm dich in acht!
+ Das sind die Wölfe schlimmster Art.
+
+
+
+
+Blaubart
+
+
+Es war einmal ein Mann, der hatte schöne Häuser in der Stadt und auf dem
+Lande, goldenes und silbernes Tafelgeschirr, Möbel mit kostbaren
+Stickereien und Karossen, die von oben bis unten vergoldet waren. Aber
+er hatte einen blauen Bart, und das war sein Unglück. Denn der machte
+ihn so häßlich und abstoßend, daß alle Frauen und Mädchen vor ihm
+davonliefen.
+
+Seine Nachbarin, eine vornehme Dame, hatte zwei Töchter, die beide sehr
+schön waren. Eine von diesen erbat er sich zur Frau und überließ es der
+Mutter, die Braut zu bestimmen. Aber keine wollte etwas von ihm wissen,
+jede wollte ihn der anderen überlassen; denn sie konnten sich nicht
+entschließen, einen Mann mit einem blauen Barte zu heiraten. Sie
+fürchteten sich auch vor ihm, weil er schon mehrere Frauen gehabt hatte,
+und weil man nicht wußte, was aus diesen geworden war.
+
+Um sie näher kennen zu lernen, führte Blaubart sie mit ihrer Mutter und
+drei oder vier ihrer besten Freundinnen sowie mehreren jungen Männern
+aus der Nachbarschaft auf eines seiner Landhäuser, wo man volle acht
+Tage blieb. Da machte man Landpartien, ging auf Jagd und Fischerei und
+vergnügte sich bei Tanzereien, Festlichkeiten und Gelagen; ja man
+schlief nicht einmal, sondern verbrachte die ganze Nacht mit Späßen und
+Spielen. Zu guter Letzt kam es so weit, daß die jüngere der Schwestern
+fand, der Hausherr habe doch keinen allzu blauen Bart und er sei ein
+sehr netter Mann; und als man in die Stadt zurückgekehrt war, wurde die
+Hochzeit gefeiert.
+
+[Illustration]
+
+Einen Monat später sagte Blaubart zu seiner Frau, er müsse in einer
+wichtigen Angelegenheit mindestens sechs Wochen lang in die Provinz
+verreisen, und er bat sie, sich während seiner Abwesenheit gut zu
+unterhalten: sie solle ihre Freundinnen einladen, sie mit aufs Land
+nehmen, wenn sie wolle, und vor allem sich nichts abgehen lassen an
+Speis und Trank.
+
+»Hier,« sagte er dann, »sind die Schlüssel zu den beiden Vorratskammern,
+hier der vom goldenen und silbernen Tafelgeschirr, das nicht täglich
+benutzt wird, hier der meiner eisernen Truhe, in der mein Gold und
+Silber liegt, der meiner Kassetten, in denen meine Papiere sind, und
+hier der Hauptschlüssel zu allen Zimmern. Aber dieser kleine Schlüssel
+hier, der führt in das Gemach am Ende der großen Galerie des unteren
+Stockwerks. Du darfst alle Türen öffnen, überall hingehen, aber dieses
+kleine Gemach darfst du nicht betreten; ich verbiete es dir aufs
+strengste. Sollte es dir doch einfallen, diese Tür zu öffnen, so hast du
+das Schlimmste von meinem Zorne zu erwarten.«
+
+Sie versprach, alles genau zu befolgen, was er ihr befohlen. Hierauf
+küßte er sie, stieg in seine Karosse und fuhr davon.
+
+Die Nachbarinnen und die guten Freundinnen warteten nicht erst, bis man
+sie zu der Jungvermählten einlud, denn sie brannten vor Neugierde, alle
+Reichtümer des Hauses zu sehen. Aber sie hatten nicht gewagt, zu ihr zu
+kommen, solange der Gatte da war, weil sie sich vor seinem blauen Barte
+fürchteten. Gleich liefen sie nun durch die Zimmer, die Gemächer und die
+Kammern, von denen eine schöner war als die andere. Dann stiegen sie
+hinauf in die Vorratsräume, wo sie nicht genug die vielen schönen
+Stickereien bewundern konnten, und die Betten, Sofas, Sessel, Tischlein
+und Tische und die Spiegel, in denen man sich von Kopf bis zu Fuß sehen
+konnte, und deren Rahmen, teils von Glas, teils von vergoldetem Silber,
+schöner waren und prächtiger, als man jemals welche sah. Alle waren
+begeistert und hörten nicht auf, die Freundin in ihrem Glücke zu
+beneiden. Aber diese wurde nicht froh beim Anblick all der Reichtümer,
+denn sie konnte es nicht erwarten, das Gemach im unteren Stockwerk zu
+sehen.
+
+[Illustration]
+
+Die Neugierde plagte sie so, daß sie ihre Gäste verließ, ohne sich ihrer
+Unhöflichkeit bewußt zu werden. Sie lief eine Hintertreppe in solcher
+Hast hinab, daß sie drei- oder viermal glaubte, den Hals zu brechen. An
+der Tür des Gemaches hielt sie eine Zeitlang inne und dachte an das
+Verbot ihres Gemahls; sie überlegte, ob ihr nicht doch aus ihrem
+Ungehorsam ein Unglück erwachsen könne. Aber die Versuchung war zu
+stark: sie nahm den kleinen Schlüssel und öffnete zitternd die Tür.
+
+Zuerst sah sie nichts, weil die Fenster geschlossen waren; aber bald
+bemerkte sie, daß der Fußboden über und über von geronnenem Blute
+bedeckt war. Darin spiegelten sich die Leichen von mehreren Frauen, die
+aufgereiht an der Wand hingen. Es waren alle die Frauen, die Blaubart
+geheiratet und eine nach der anderen abgeschlachtet hatte.
+
+Sie glaubte sterben zu müssen vor Angst, und der Schlüssel, den sie eben
+aus dem Schlosse gezogen, fiel ihr aus der Hand.
+
+Nachdem sie sich etwas gefaßt hatte, hob sie den Schlüssel auf, schloß
+die Tür wieder und stieg hinauf in ihr Zimmer, um sich ein wenig zu
+erholen; aber es gelang ihr nicht, so sehr hatte sie sich erschrocken.
+
+Als sie bemerkte, daß der Schlüssel des Gemaches mit Blut befleckt war,
+wusch sie ihn zwei- oder dreimal. Aber das Blut ging nicht ab, sie
+wischte umsonst; selbst mit Sand und Bimsstein rieb sie vergebens: der
+Schlüssel blieb immer blutig. Denn er war verzaubert und es gab kein
+Mittel, ihn wieder ganz sauber zu machen. Wenn man das Blut auch auf
+einer Seite weggebracht hatte, so kehrte es auf der anderen wieder
+zurück.
+
+Noch an demselben Abend kam Blaubart nach Hause und erzählte, er habe
+unterwegs durch Briefe die Nachricht erhalten, daß die Angelegenheit,
+wegen der er die Reise unternommen, schon zu seinen Gunsten erledigt
+sei. Seine Frau tat alles, was sie konnte, um ihm zu zeigen, wie
+entzückt sie über seine schnelle Rückkehr sei. -- Am folgenden Tage
+verlangte er die Schlüssel, und sie gab sie ihm. Aber ihre Hand zitterte
+so sehr, daß er ohne Mühe erriet, was vorgefallen war.
+
+»Wie kommt es,« fragte er, »daß der Schlüssel zu dem Gemache nicht mehr
+bei den anderen ist?«
+
+»Ich muß ihn wohl,« antwortete sie, »oben auf meinem Tische liegen
+gelassen haben.«
+
+»Vergiß nicht,« sagte Blaubart, »ihn mir alsbald zu geben!«
+
+Mehrere Male schob sie es auf, aber schließlich mußte sie ihm den
+Schlüssel bringen. Blaubart betrachtete ihn und sagte zu seiner Frau:
+
+»Warum ist Blut an diesem Schlüssel?«
+
+»Ich weiß es nicht«, sagte das arme Weib, blasser als der Tod.
+
+»Du weißt es nicht?« schrie Blaubart, »aber ich, ich weiß es. Du
+wolltest in das Gemach gehen! Wohlan, du sollst hinein! Du sollst deinen
+Platz bekommen neben den andern Frauen, die du dort sahst!«
+
+Sie warf sich weinend ihrem Gatten zu Füßen und bat um Verzeihung mit
+allen Zeichen tiefer Reue ob ihres Ungehorsams. In ihrer Schönheit und
+ihrer Verzweiflung hätte sie einen Felsen rühren können, aber Blaubart
+hatte ein Herz härter als Stein.
+
+»Du mußt sterben, Weib,« sagte er, »auf der Stelle!«
+
+»Wenn ich sterben muß,« so flehte sie, indem sie ihn mit tränenvollen
+Augen ansah, »so gebt mir noch ein wenig Zeit, um zu beten!«
+
+»Ich gebe dir eine halbe Viertelstunde,« erwiderte Blaubart, »aber nicht
+einen Augenblick mehr.«
+
+Als sie allein war, rief sie ihre Schwester und sagte zu ihr: »Schwester
+Anne (so hieß diese), ich bitte dich, steige hinauf auf die Spitze des
+Turmes und halte Ausschau, ob meine Brüder noch nicht kommen. Sie haben
+mir versprochen, mich heute zu besuchen; wenn du sie siehst, gib ihnen
+ein Zeichen, damit sie eilen.«
+
+Die Schwester Anne stieg auf die Spitze des Turmes, und die Arme rief in
+ihrer Angst von Zeit zu Zeit hinauf:
+
+»Anne, Schwester Anne, siehst du nichts kommen?«
+
+Und die Schwester Anne antwortete:
+
+»Ich sehe nichts als Sonnenstaub und Gräsergrün.«
+
+Währenddessen hielt Blaubart ein großes Messer in seiner Hand und schrie
+aus Leibeskräften:
+
+»Steige sofort herab, oder ich komme dich holen!«
+
+[Illustration]
+
+»Noch einen Augenblick«, bat seine Frau und rief leise:
+
+»Anne, Schwester Anne, siehst du nichts kommen?«
+
+Und die Schwester Anne antwortete:
+
+»Ich sehe nichts als Sonnenstaub und Gräsergrün!«
+
+»Steige sofort herab,« schrie Blaubart, »oder ich komme dich holen!«
+
+»Ich komme«, antwortete seine Frau.
+
+Und dann rief sie:
+
+»Anne, Schwester Anne, siehst du nichts kommen?«
+
+»Ich sehe,« erwiderte die Schwester Anne, »eine große Staubwolke, die
+von dieser Seite kommt.«
+
+»Sind es meine Brüder?«
+
+»Ach nein, meine Schwester, es ist nur eine Schafherde.«
+
+»Willst du nicht herunterkommen?« schrie Blaubart.
+
+»Noch einen kleinen Augenblick«, bat seine Frau.
+
+Und dann rief sie:
+
+»Anne, Schwester Anne, siehst du nichts kommen?«
+
+»Ich sehe,« erwiderte diese, »zwei Reiter, die von dort herkommen, aber
+sie sind noch weit entfernt.« Gleich darauf rief sie: »Gott sei gelobt,
+es sind die Brüder. Ich gebe ihnen Zeichen, so gut ich kann, damit sie
+eilen.«
+
+Blaubart fing an, so laut zu schreien, daß das ganze Haus zitterte, und
+die arme Frau stieg hinab und warf sich ihm tränenüberströmt mit
+aufgelösten Haaren zu Füßen.
+
+»Das nützt nichts,« sagte Blaubart, »du mußt sterben.«
+
+Dann packte er sie mit der einen Hand bei den Haaren und erhob mit der
+anderen das große Messer, um ihr den Hals abzuschneiden.
+
+Das arme Weib wandte sich ihm zu, sah ihn mit todesängstlichen Augen an
+und bat um einen Augenblick, damit sie sich sammele.
+
+»Nein, nein!« schrie er, »empfiehl dich deinem Gott!« dann hob er den
+Arm und ......
+
+In demselben Augenblick pochte jemand so heftig an das Tor, daß Blaubart
+innehielt. Man öffnete, und sogleich sah man zwei Ritter, die mit Degen
+in den Händen eintraten und sich geradewegs auf Blaubart stürzten.
+
+[Illustration]
+
+Er erkannte, daß es die Brüder seiner Frau waren -- der eine war
+Dragoner, der andere Musketier -- und ergriff die Flucht, um sich in
+Sicherheit zu bringen. Aber die Brüder verfolgten ihn so schnell, daß
+sie ihn einholten, bevor er noch die Freitreppe erreicht hatte. Sie
+stießen ihm ihren Degen mitten durch den Leib und ließen ihn tot liegen.
+Die arme Frau war fast ebenso tot wie ihr Gatte; sie hatte nicht mehr
+die Kraft sich aufzurichten, um ihre Brüder zu umarmen. --
+
+Es stellte sich heraus, daß Blaubart keine Erben hatte, und so blieb
+seine Frau Herrin aller seiner Güter. Einen Teil verwendete sie dazu,
+ihre Schwester Anne mit einem jungen Edelmanne zu verheiraten, den diese
+schon seit langem liebte; mit einem anderen Teile kaufte sie ihren
+beiden Brüdern Hauptmannsstellen; das übrige brachte sie selbst einem
+rechtschaffenen Manne mit in die Ehe, der sie bald die schlechte Zeit
+vergessen ließ, die sie mit Blaubart verbracht hatte.
+
+
+ Moral:
+
+ Die Neugier ist die allerschlimmste Plage;
+ Sie reizt den Wunsch und bringt dann böse Pein.
+ Man sieht das tausendmal an einem Tage. --
+ Der Drang zum Neuen ist zwar stark, allein
+ Das Wissen selbst enttäuscht, und jedes Mal
+ Ist die gerechte Strafe: bittre Qual.
+
+
+
+
+Die Fee
+
+
+Es war einmal eine Witwe, die hatte zwei Töchter. Die älteste glich ihr
+von Ansehn und Wesen so sehr, daß ein jeder, der sie sah, die Mutter zu
+sehen glaubte: sie waren alle beide so unausstehlich und so hochmütig,
+daß man nicht mit ihnen zusammen leben konnte. Die jüngere, in ihrer
+Sanftmut und Rechtschaffenheit das wahre Ebenbild ihres verstorbenen
+Vaters, war eines der schönsten Mädchen, das man je zu Gesicht bekam.
+Wie man natürlich immer seinesgleichen liebt, so war die Mutter wie
+vernarrt in ihre älteste Tochter; aber gegen die jüngere hegte sie eine
+schreckliche Abneigung. Sie ließ sie in der Küche essen und ohne
+Unterbrechung arbeiten.
+
+Unter anderem mußte das arme Kind zweimal am Tage eine gute halbe Meile
+weit Wasser holen, jedes Mal einen großen Krug voll. Eines Tages, als
+sie wieder bei dem Brunnen war, kam eine arme Frau zu ihr, die bat um
+einen Schluck Wasser.
+
+»Gern, mein Mütterchen«, sagte das gute Kind, spülte sogleich den Krug
+aus, schöpfte an der schönsten Stelle des Brunnens und reichte ihr den
+Trunk, wobei sie immer den Krug unterstützte, um ihr das Trinken zu
+erleichtern. Als die gute Frau getrunken hatte, sagte sie:
+
+»Du bist so schön, so gut und so brav, daß ich dir etwas schenken muß.«
+Es war nämlich eine Fee, die hatte die Gestalt einer armen Bäuerin
+angenommen, um zu sehen, wie weit die Rechtschaffenheit des jungen
+Mädchens gehe.
+
+»Ich schenke dir,« so fuhr die Fee fort, »die Gabe, daß mit jedem Worte,
+das du sprichst, eine Blume oder ein Edelstein aus deinem Munde kommt.«
+
+[Illustration]
+
+Als das Mädchen nach Hause kam, zankte die Mutter, weil sie so lange
+beim Brunnen geblieben war. »Ich bitte um Verzeihung, Mutter,« sagte das
+arme Kind, »daß ich mich so verspätet habe.« Und während sie sprach,
+kamen aus ihrem Munde zwei Rosen, zwei Perlen und zwei große Diamanten.
+»Was sehe ich,« rief die Mutter ganz erstaunt, »mir scheint, Perlen und
+Diamanten kommen aus deinem Munde! Woher hast du das, mein Kind?« Es war
+das erstemal, daß sie zu ihr »mein Kind« sagte.
+
+Das arme Mädchen erzählte in ihrer Einfalt alles, was sich zugetragen
+hatte, wobei wieder eine Menge Diamanten zum Vorschein kamen.
+
+»Wundervoll,« rief da die Mutter, »ich muß auch meine andere Tochter
+schicken. Sieh nur, Fanchon, was aus dem Munde deiner Schwester kommt,
+wenn sie spricht; wärst du nicht glücklich, dieselbe Gabe zu besitzen?
+Du brauchst nur zum Brunnen zu gehen, um Wasser zu schöpfen, und wenn
+eine arme Frau dich um einen Trunk bittet, ihn ihr recht höflich zu
+reichen.«
+
+»Zum Brunnen zu gehen,« antwortete jene grob, »das stände mir gut an!«
+
+»Aber ich will, daß du gehst,« entgegnete die Mutter, »und zwar auf der
+Stelle!«
+
+Darauf ging sie, aber brummend und widerwillig. Sie nahm die schönste
+Flasche mit, die im ganzen Hause war. Kaum war sie am Brunnen angelangt,
+da sah sie eine prächtig gekleidete Dame, die aus dem Walde kam und sie
+um einen Trunk Wasser bat. Es war dieselbe Fee, die ihrer Schwester
+erschienen war, aber sie hatte jetzt Wesen und Kleidung einer Prinzessin
+angenommen, um zu sehen, wie weit die Unhöflichkeit dieses Mädchens
+gehe.
+
+»Bin ich hierher gekommen,« sagte barsch zu ihr die Hochmütige, »um Euch
+einen Trunk zu reichen? Sollte ich eigens ein silbernes Fläschchen
+mitgebracht haben, nur damit ich einer Dame daraus zu trinken geben
+kann? Meinetwegen trinkt allein, wenn Ihr wollt!«
+
+[Illustration]
+
+»Du bist gar nicht höflich,« antwortete die Fee, ohne in Zorn zu
+geraten, »und weil du so wenig gefällig bist, verleihe ich dir die Gabe,
+daß mit jedem Wort, das du sprichst, eine Schlange oder eine Kröte aus
+deinem Munde kommt.«
+
+Als ihre Mutter sie kommen sah, rief sie ihr entgegen: »Wie ist es, mein
+Kind?«
+
+»So ist es, Mutter,« antwortete die Grobe und spie zwei Vipern und zwei
+Kröten.
+
+»Himmel, was muß ich sehen,« jammerte die Mutter, »deine Schwester ist
+daran schuld, sie soll es mir büßen.«
+
+Und sogleich lief sie hin, um diese zu schlagen. Das arme Kind floh und
+brachte sich in dem nahen Walde in Sicherheit. Der Königssohn, der von
+der Jagd zurückkehrte, begegnete ihr, und als er sie so schön sah,
+fragte er sie, was sie allein im Walde mache und warum sie weinen müsse.
+
+»Ach, Herr, meine Mutter hat mich aus dem Hause gejagt!«
+
+Der Königssohn, der aus ihrem Munde fünf oder sechs Perlen und
+ebensoviel Diamanten kommen sah, bat sie, ihm doch zu sagen, woher sie
+das habe. Und sie erzählte ihm ihr Abenteuer. Da verliebte sich der
+Königssohn in sie; und indem er überlegte, daß eine solche Gabe mehr
+wert sei als alles, was man einer anderen als Mitgift geben könne, nahm
+er sie mit sich in den Palast des Königs, seines Vaters, und heiratete
+sie dort.
+
+Ihre Schwester aber hatte sich so hassenswert gemacht, daß ihre eigene
+Mutter sie aus dem Hause jagte. Die Unglückliche lief lange Zeit herum,
+ohne jemanden zu finden, der sich ihrer annahm und starb elendiglich in
+einem Winkel des Waldes.
+
+
+ Moral:
+
+ Edelsteine und Dukaten
+ Sind gar sehr begehrt;
+ Milde Worte, edle Taten
+ Haben höheren Wert.
+
+
+
+
+Der gestiefelte Kater
+
+
+Es war einmal ein Müller, der hinterließ bei seinem Tode seinen drei
+Kindern nur eine Mühle, einen Esel und einen Kater. Das Erbe war schnell
+geteilt. Kein Notar und kein Rechtsanwalt wurde gerufen. Die Kosten
+hätten auch die ganze Erbschaft aufgezehrt.
+
+Der Älteste bekam die Mühle und der Zweite den Esel. Der Jüngste bekam
+den Kater, und er war untröstlich über das armselige Los, das er gezogen
+hatte.
+
+»Meine Brüder,« sagte er, »können sich jetzt anständig ernähren, wenn
+sie sich zusammen tun. Aber ich kann des Hungers sterben, wenn ich
+meinen Kater aufgegessen und aus seinem Fell mir eine Weste gemacht
+habe.«
+
+Der Kater hatte diese Worte gehört, aber er ließ sich nichts merken und
+sagte mit wichtiger und ernster Miene zu seinem Herrn:
+
+»Seid nicht traurig, lieber Herr, gebt mir einen Sack und laßt mir ein
+Paar Stiefeln machen, damit ich in den Wald gehen kann, und dann sollt
+Ihr sehen, daß Euer Erbteil doch nicht so schlecht ist, wie Ihr glaubt.«
+
+Sein Herr gab nicht viel auf diese Rede, aber er hatte oft den Kater bei
+seiner Jagd auf Ratten und Mäuse beobachtet und er hatte gesehen, wie er
+sich an den Beinen aufhing, oder wie er sich im Mehl versteckte und sich
+tot stellte. So hatte er Zutrauen und glaubte in ihm eine Hilfe in
+seinem Unglück zu haben.
+
+Als der Kater das bekommen, worum er gebeten hatte, zog er sich sofort
+die Stiefeln an, hing sich den Sack um den Hals, nahm den Riemen in die
+Pfote und ging in ein Dickicht, wo es viele Hasen gab. In den Sack
+steckte er Klee und Disteln, stellte sich tot und wartete, ob nicht
+irgendein junger, mit den Ränken dieser Welt noch wenig vertrauter Hase
+sich in den Sack schliche, um an dem Leckerbissen zu naschen. Kaum hatte
+er sich hingelegt, kam ein junges und unerfahrenes Häschen und kroch in
+den Sack. Da zog Meister Kater die Schnüre zu, packte das Häschen und
+machte ihm ohne Erbarmen den Garaus. Stolz ging er mit seiner Beute zum
+König und verlangte ihn zu sprechen.
+
+Man führte ihn in das Gemach Seiner Majestät, wo er mit einer tiefen
+Verbeugung eintrat und so zum Könige sprach:
+
+»Hier bringe ich Euch einen Hasen, Herr König, den Euch der Marquis von
+Carabas (so war der Name, den er für seinen Herrn ausgesucht hatte) als
+Geschenk übersendet.«
+
+»Sage deinem Herrn,« antwortete der König, »daß ich ihm danke, und sage
+ihm, er habe mir eine große Freude bereitet.«
+
+Ein zweites Mal verbarg er sich in einem Kornfeld und legte den offenen
+Sack wieder hin. Und als zwei Rebhühner hineingeschlüpft waren, zog er
+ihn zu und fing alle beide.
+
+Dann ging er zum König und brachte ihm, wie früher den Hasen, die beiden
+Rebhühner zum Geschenk. Der König nahm auch dieses Wildbret mit Freude
+entgegen und ließ dem Kater einen Trunk reichen.
+
+So brachte er zwei bis drei Monate lang dem König von Zeit zu Zeit
+irgendein Stück aus der angeblichen Jagdbeute seines Herrn. Als er aber
+eines Tages erfuhr, daß der König mit seiner Tochter, der schönsten
+Prinzessin der Welt, am Ufer des Flusses spazieren fahren wollte, da
+sagte er zu seinem Herrn:
+
+»Jetzt folgt meinem Rat, und Euer Glück ist gemacht. Ich zeige Euch eine
+Stelle am Fluß, da könnt Ihr baden. Das übrige laßt mich machen!«
+
+Herr von Carabas tat, wie ihm der Kater riet, ohne zu wissen, wozu es
+gut sein sollte. Wie er nun badete, kam der König vorüber, und der Kater
+fing an, aus Leibeskräften zu schreien:
+
+»Zu Hilfe. Zu Hilfe! Der Marquis von Carabas ertrinkt!«
+
+[Illustration]
+
+Als der König diese Hilfeschreie hörte, steckte er den Kopf zum
+Wagenfenster heraus. Sofort erkannte er den Kater, der ihm des öfteren
+Wildbret gebracht hatte, und befahl seiner Leibwache, dem Marquis von
+Carabas schleunigst zu Hilfe zu eilen.
+
+[Illustration]
+
+Während man den armen Marquis aus dem Fluß zog, trat der Kater an den
+Wagen heran und berichtete dem König, daß Diebe gekommen seien und die
+Kleider seines badenden Herrn gestohlen hätten, trotzdem er ihnen, so
+laut er konnte, zugerufen hätte. In Wahrheit hatte der Schlauberger die
+Kleider unter einem großen Steine versteckt.
+
+Sogleich gab der König seinem Kammerdiener den Auftrag, einen seiner
+schönsten Röcke für den Marquis von Carabas zu holen.
+
+Tausend Aufmerksamkeiten erwies der König dem Marquis, und da das schöne
+Gewand, das er ihm schenkte, seine Gestalt gut zur Geltung brachte,
+gefiel er der Tochter des Königs sehr, und kaum hatte der Marquis von
+Carabas zwei bis drei bei aller Ehrfurcht doch ein wenig zärtliche
+Blicke mit ihr getauscht, da war sie bis über die Ohren in ihn verliebt.
+
+Der König lud ihn ein, in den Wagen zu steigen und die Spazierfahrt
+mitzumachen.
+
+Froh über das gute Gelingen seines Planes, ist der Kater vor dem Wagen
+her. Als er zu Bauern kam, die eine Wiese mähten, rief er ihnen zu:
+
+»Ihr guten Leute, wenn Ihr nicht sagt, daß diese Wiese, die Ihr mäht,
+dem Herrn Marquis von Carabas gehört, so werdet Ihr alle miteinander zu
+Pastetenfleisch zerhackt!«
+
+Richtig fragte sie der König, wem diese Wiese gehöre, die sie mähten.
+
+»Dem Herrn Marquis von Carabas«, riefen sie wie mit einer Stimme, denn
+die Drohung des Katers hatte ihnen angst gemacht.
+
+»Da habt Ihr ein schönes Erbe«, wandte sich der König an den Marquis von
+Carabas.
+
+»Ja, Sire,« antwortete der, »die Wiese hier bringt alle Jahre schöne
+Erträge.«
+
+Meister Kater, der immer vorneweg lief, kam zu Schnittern und rief ihnen
+zu:
+
+»Ihr guten Leute, die Ihr da mäht, wenn Ihr nicht sagt, daß diese
+Kornfelder dem Herrn Marquis von Carabas gehören, so werdet Ihr alle
+klein gehackt wie Pastetenfleisch!«
+
+Als der König einen Augenblick später vorüberfuhr, wollte er wissen, wem
+die Felder gehörten, die er da sah.
+
+»Dem Herrn Marquis von Carabas«, antworteten die Schnitter, und der
+König und der Marquis hatten ihre Freude an der Antwort.
+
+Allen Leuten, die er traf, schärfte der Kater, der immer vor dem Wagen
+her lief, denselben Spruch ein, und der König wunderte sich sehr über
+den großen Reichtum des Herrn Marquis von Carabas. Am Ende kam Meister
+Kater an ein prächtiges Schloß. Das gehörte einem Riesen, dem Reichsten,
+der weit und breit zu finden war, und alle Felder, bei denen der König
+vorübergekommen war, gehörten zu dieser Schloßherrschaft.
+
+Vorsichtig erkundigte sich der Kater, wer der Riese sei und was er
+treibe. Dann bat er um eine Audienz mit der Begründung, daß er bei
+seinem Schlosse nicht vorübergehen wolle, ohne sich die Ehre zu geben,
+seine Aufwartung zu machen.
+
+Der Riese empfing ihn so höflich, wie es bei einem Riesen möglich ist,
+und bat ihn, Platz zu nehmen.
+
+»Man hat mir versichert,« sagte der Kater, »daß es in Eurer Macht
+stände, die Gestalt eines jeden Tieres anzunehmen, daß Ihr
+beispielsweise ein Löwe sein könnt oder ein Elefant.«
+
+»Ganz recht,« brummte der Riese, »damit Ihr's glaubt, will ich jetzt ein
+Löwe werden.«
+
+Der Kater erschrak, als er wirklich einen Löwen vor sich sah, und
+kletterte schleunigst auf die Dachrinne, nicht ohne Mühe und Gefahr,
+denn die Stiefel hinderten ihn beim Laufen. Als der Kater sah, daß der
+Riese wieder seine alte Gestalt angenommen hatte, kletterte er herab und
+gestand, daß er große Angst gehabt habe.
+
+Dann sagte er: »Man hat mir außerdem versichert, was ich aber kaum
+glauben kann, Ihr könntet Euch auch in die kleinsten Geschöpfe
+verwandeln, beispielsweise in eine Ratte oder in eine Maus. Ich muß
+gestehen, ich halte das für ganz ausgeschlossen.«
+
+»Ausgeschlossen,« höhnte der Riese, »sieh einmal an«, und in demselben
+Augenblick verwandelte er sich in eine Maus, die auf dem Fußboden hin
+und her huschte. Kaum hatte der Kater das bemerkt, da packte er die Maus
+und fraß sie auf.
+
+Inzwischen war der König beim Schlosse des Riesen angekommen und zeigte
+Lust, hineinzugehen. Als der Kater den Wagen über die Schloßbrücke
+holpern hörte, lief er hin und sagte zum König:
+
+»Eure Majestät heiße ich herzlich willkommen im Schlosse des Herrn
+Marquis von Carabas!«
+
+[Illustration]
+
+[Illustration]
+
+»Wie, Herr Marquis,« rief der König aus, »dieses Schloß gehört Ihnen? Es
+gibt nicht leicht etwas Schöneres mit all diesen Gebäuden ringsum. Wenn
+Sie erlauben, gehen wir hinein.«
+
+Der Marquis reichte der Prinzessin die Hand, und sie gingen hinter dem
+König her, der voranschritt. Sie kamen in einen großen Saal, wo ein
+herrliches Mahl bereitet war, welches der Riese für seine Freunde
+bestimmt hatte, die ihn am selben Tage besuchen wollten, die aber nicht
+gewagt hatten, zu kommen, als sie erfuhren, daß der König da sei.
+
+Der König war entzückt von dem vortrefflichen Herrn Marquis von Carabas,
+und seine Tochter war in ihn verliebt, und wie der König die vielen
+Reichtümer sah, die dem Herrn Marquis gehörten, da sagte er zwischen dem
+sechsten und siebten Glase zu ihm:
+
+»Herr Marquis, es liegt nur an Ihnen, wenn Sie mein Schwiegersohn werden
+wollen.«
+
+Der Marquis von Carabas verbeugte sich und nahm das ehrenvolle Angebot
+des Königs an und heiratete die Prinzessin noch an demselben Tage. Der
+Kater aber wurde ein großer Herr und ging nur noch auf die Mäusejagd,
+wenn er sich die Zeit vertreiben wollte.
+
+
+ Moral:
+
+ Es ist fürwahr sehr angenehm,
+ Vom Vater Geld und Gut zu erben.
+ Der Arme hat's nicht so bequem;
+ Er braucht jedoch nicht arm zu sterben:
+ Mit Fleiß und mit Geschicklichkeit
+ Kommt er bisweilen auch so weit.
+
+
+
+
+Der kleine Däumling
+
+
+Es war einmal ein Holzhacker und seine Frau. Die hatten sieben Kinder,
+lauter Knaben. Der älteste war erst zehn Jahre alt und der jüngste
+sieben. Man braucht sich aber nicht zu wundern, daß der Holzhacker in
+der kurzen Zeit so viel Kinder bekam, denn seine Frau war sehr fleißig
+und schenkte ihm jedesmal mindestens zwei.
+
+Es waren arme Leute, und die sieben Kinder machten ihnen viel Sorge,
+weil noch keines von ihnen sich sein Brot selber verdiente. Aber die
+größte Sorge machte ihnen ihr Jüngster; er war ein Schwächling und
+konnte noch kein einziges Wort sprechen. Das war in Wirklichkeit ein
+Zeichen seiner Schlauheit; aber die Eltern hielten ihn für dumm.
+
+Er war ein winziger Kerl und, als er zur Welt kam, nicht länger ein
+Daumen. Man nannte ihn deshalb den kleinen Däumling.
+
+Das arme Kind war immer der Sündenbock zu Hause, stets gab man ihm
+unrecht. Und doch war er der Schlaueste und Geriebenste von allen seinen
+Brüdern und wenn er auch wenig sprach, so hörte er um so mehr.
+
+Eines Tages, als die Kinder schon zu Bett gebracht waren, saß der
+Holzhacker mit seiner Frau auf der Ofenbank und sagte kummervollen
+Herzens zu ihr:
+
+»Du mußt einsehen, daß wir unsere Kinder nicht länger ernähren können.
+Ich kann es nicht mit ansehen, wie sie vor meinen Augen verhungern. Wir
+müssen sie im Walde aussetzen. Das ist nicht schwer; wenn sie Reisig
+suchen, dann lassen wir sie allein und gehen davon.«
+
+»Was!«, rief da seine Frau, »du brächtest es über das Herz, deine
+eigenen Kinder zu töten?«
+
+[Illustration]
+
+Vergebens sprach der Mann von ihrer großen Armut, aber sie konnte ihm
+nicht recht geben, denn wenn sie auch arm war, so war sie doch die
+Mutter der Kinder. Doch als er ihr vorhielt, welcher Schmerz es für sie
+sei, zuzusehen, wie die Kinder verhungerten, da war sie schließlich
+einverstanden und ging weinend zu Bett.
+
+Der kleine Däumling aber hatte alles gehört. Denn als er in seinem Bette
+lag und die Eltern von ihren Sorgen sprechen hörte, da war er leise
+aufgestanden und unter den Schemel seines Vaters gekrochen, wo er
+unbemerkt lauschen konnte.
+
+Er legte sich dann wieder hin. Aber er konnte nicht einschlafen und
+dachte nur darüber nach, was jetzt zu tun sei. Früh am Morgen stand er
+auf, ging an den Bach, füllte sich die Taschen mit kleinen, weißen
+Kieselsteinen und kehrte ins Haus zurück. Bald brachen sie auf. Der
+kleine Däumling verriet seinen Brüdern kein Sterbenswörtchen von dem,
+was er wußte. Sie kamen in einen großen, dichten Wald, in dem man sich
+schon auf zehn Schritte nicht mehr sehen konnte. Der Holzhacker fällte
+Bäume, und seine Kinder sammelten Reisig, das sie zu Bündeln banden. Als
+der Vater und die Mutter sie so beschäftigt sahen, da machten sie sich
+heimlich auf einem kleinen Seitenpfade davon.
+
+Auf einmal sahen sich die Kinder verlassen und fingen an zu weinen und
+aus Leibeskräften zu schreien. Der kleine Däumling ließ sie schreien,
+weil er wußte, wie sie nach Hause zurückfinden könnten. Denn unterwegs
+hatte er die kleinen, weißen Kieselsteine fallen lassen, die er in
+seiner Tasche trug. Er sagte deshalb zu seinen Brüdern:
+
+»Fürchtet euch nicht! Vater und Mutter haben uns verlassen, aber ich
+werde euch heimführen. Folgt mir nur!«
+
+Und sie folgten ihm. Er führte sie auf demselben Wege, auf dem sie in
+den Wald gekommen, zu ihrem Hause zurück. Zuerst wagten sie nicht,
+hineinzugehen. Sie lehnten sich alle an die Tür, um zu hören, was Vater
+und Mutter sprachen.
+
+[Illustration]
+
+Kaum waren der Holzhacker und seine Frau nach Hause gekommen, da
+schickte ihnen der Herr des Dorfes die zehn Taler zurück, die er ihnen
+schon lange schuldig war, und mit denen sie nicht mehr gerechnet hatten.
+Das rettete den armen Leuten das Leben, denn sie waren am Verhungern.
+Sogleich schickte der Holzhacker seine Frau zum Fleischer, und weil sie
+schon lange kein Fleisch gegessen hatten, kaufte sie dreimal soviel, wie
+sie für sich zu einem Abendessen brauchten. Als sie nun satt waren,
+sagte die Frau:
+
+»Wo mögen jetzt unsere armen Kinder sein? Wie würde ihnen das schmecken,
+was wir hier übrig haben, aber du, Wilhelm, hast sie ja durchaus
+umbringen wollen. Immer habe ich gesagt, wir würden es noch bereuen. Wie
+mag es ihnen jetzt in dem finsteren Walde gehen? Ach, mein Gott, die
+Wölfe haben sie vielleicht schon gefressen! Du bist wahrhaftig ein
+Unmensch, daß du deine eigenen Kinder so umgebracht hast.«
+
+Der Mann verlor schließlich die Geduld, denn mehr als zwanzigmal
+wiederholte sie, daß sie recht gehabt habe und daß er es noch bereuen
+würde. Am Ende drohte er ihr, sie zu schlagen, wenn sie nicht den Mund
+halte.
+
+Und doch war der Holzhacker nicht weniger betrübt als seine Frau. Aber
+sie machte ihm den Kopf heiß, und er gehörte zu jenen Männern, die
+Frauen gerne haben, wenn sie sanfte Reden führen, die aber empört sind,
+wenn sie immer recht haben wollen.
+
+Bittere Tränen vergoß seine Frau:
+
+»Ach, wo sind jetzt meine Kinder, meine armen Kinder?«
+
+Einmal rief sie das so laut, daß die Knaben, die an der Tür horchten,
+alle miteinander zu schreien anfingen:
+
+»Wir sind wieder da! Wir sind wieder da!«
+
+So schnell sie konnte, lief die Frau und machte ihnen die Tür auf. Unter
+tausend Küssen rief sie:
+
+»Wie bin ich froh, daß ich euch wiederhabe, liebe Kinder! Ihr seid gewiß
+müde und habt großen Hunger; und du, Peterle, wie schmutzig bist du
+denn! Komm, ich will dich waschen!«
+
+[Illustration]
+
+Peterle war ihr ältester Sohn, und sie liebte ihn mehr als alle anderen,
+weil er von ihr die roten Haare geerbt hatte. Dann setzten sie sich zu
+Tisch, und sie aßen mit einem Appetit, der Vater und Mutter helle Freude
+machte, und sie erzählten, welche Angst sie im Walde gehabt hatten, und
+einer schrie lauter als der andere.
+
+Die guten Leute freuten sich, ihre Kinder wieder bei sich zu haben, und
+diese Freude dauerte geradeso lange, wie die zehn Taler reichten. Aber
+als das Geld ausgegeben war, kam wieder die alte Verzweiflung und mit
+ihr von neuem der Entschluß, die Kinder auszusetzen. Damit es nicht gehe
+wie beim ersten Mal, wollten sie die Kinder noch tiefer in den Wald
+hineinführen. Aber sie konnten darüber nicht so heimlich sprechen, daß
+der kleine Däumling es nicht gehört hätte, und er wollte es jetzt wieder
+so machen wie damals. Aber als er früh aufstand, um kleine Kieselsteine
+zu sammeln, da fand er die Haustür doppelt verriegelt.
+
+Nun wußte er nicht, was er tun sollte. Doch als die Mutter jedem von
+ihnen ein Stück Brot zum Frühstück gab, da fiel ihm ein, daß er anstatt
+der Steinchen das Brot nehmen könne, wenn er es in Krümeln auf dem Wege
+ausstreute, den sie gehen würden, und er steckte das Brot in seine
+Tasche.
+
+Vater und Mutter führten die Kinder in den dichtesten und finstersten
+Teil des Waldes, und als sie dort angekommen waren, machten sie sich auf
+einem Umweg davon und ließen sie zurück. Der kleine Däumling war nicht
+ängstlich, denn er glaubte, den Weg mit den Brotkrümeln, die er überall
+ausgestreut hatte, leicht zurückzufinden. Aber er war sehr betroffen,
+als er nicht ein einziges Krümelchen entdeckte. Die Vögel waren gekommen
+und hatten alle aufgepickt.
+
+Da waren sie nun in großer Sorge, denn je weiter sie wanderten, um so
+mehr verirrten sie sich und gerieten immer tiefer in den Wald hinein.
+Die Nacht brach an, und es kam ein großer Sturm, der sie in Schrecken
+setzte. Von allen Seiten glaubten sie das Geheul der Wölfe zu hören, die
+sie fressen wollten. Sie wagten nicht mehr zu sprechen, noch sich zu
+rühren.
+
+Zu alldem überraschte sie ein großer Regen, und sie wurden naß bis auf
+die Knochen. Bei jedem Schritt glitten sie aus und fielen zu Boden. Ganz
+beschmutzt standen sie da und wußten nicht mehr, was sie anfangen
+sollten.
+
+[Illustration]
+
+Da kletterte der kleine Däumling auf einen großen Baum, um auszuschauen,
+ob er keine Hilfe sähe. Nach allen Seiten drehte er den Kopf und sah
+endlich ein kleines Licht, wie von einer Kerze, aber es war weit weg,
+jenseits des Waldes. Er kletterte vom Baum herab, und wie er wieder auf
+der Erde war, sah er das Licht nicht mehr. Das machte ihn trostlos. Aber
+als er eine Zeitlang mit seinen Brüdern in der Richtung gegangen war, in
+welcher er das Licht gesehen hatte, da sah er es beim Austritt aus dem
+Walde von neuem. Jedesmal, wenn der Weg sich senkte, verloren sie es
+wieder aus den Augen, und das machte ihnen große Angst. Aber schließlich
+kamen sie an das Haus, wo die Kerze brannte.
+
+Sie pochten an die Tür, und eine gute Frau machte ihnen auf und fragte
+nach ihrem Begehr.
+
+Der kleine Däumling sagte, sie seien arme Kinder, die sich im Walde
+verirrt hätten, und sie bäten um Gottes willen um ein Nachtlager.
+
+Wie die Frau die netten Kinder sah, fing sie an zu weinen und sagte zu
+ihnen:
+
+»Ach, meine armen Kinder, wohin seid ihr geraten! Wißt ihr nicht, daß
+hier ein Riese wohnt, der kleine Kinder frißt?«
+
+»Gute Frau,« antwortete ihr der kleine Däumling, der ebenso wie seine
+Brüder am ganzen Leibe zitterte, »was sollen wir jetzt anfangen? Gewiß
+werden uns die Wölfe heute im Walde auffressen, wenn Ihr uns nicht
+aufnehmen wollt. Da ist es schon besser, daß uns der Herr frißt;
+vielleicht hat er aber Mitleid, wenn wir ihn darum bitten.«
+
+Da ließ die Frau die Kinder hinein, denn sie hoffte, sie bis zum
+nächsten Morgen vor ihrem Manne verstecken zu können. Sie führte sie an
+ein helles Feuer, damit sie sich wärmen konnten. Es wurde nämlich gerade
+ein Hammel am Spieße gebraten als Abendessen für den Riesen. Kaum fingen
+die Kinder an, warm zu werden, da hörten sie es drei- bis viermal an die
+Haustür donnern. Das war der Riese, der zurückkam. Schleunigst
+versteckte die Frau die Kinder unter dem Bett und öffnete.
+
+[Illustration]
+
+Zuerst fragte der Riese, ob sein Abendbrot fertig und ob der Wein
+abgefüllt sei, und setzte sich zu Tisch. Der Hammel war noch ganz
+blutig, aber das schien ihm gerade recht. Dann schnüffelte er rechts und
+links und sagte, es röche ihm nach frischem Fleisch.
+
+»Das wird wohl der Hammel sein, den ich soeben gebraten habe«, meinte
+seine Frau.
+
+»Ich rieche frisches Fleisch, sage ich dir nochmals«, versetzte der
+Riese und sah seine Frau von der Seite an:
+
+»Hier muß etwas sein, von dem ich nichts weiß!«
+
+Mit diesen Worten stand er auf und ging geradenwegs auf das Bett zu.
+
+»Aha, du schlechtes Weib! Du hast mich also wirklich betrügen wollen!
+Ich weiß wahrhaftig nicht, warum ich dich nicht schon längst gefressen
+habe. Es ist dein Glück, daß du so ein altes Tier bist. Der Leckerbissen
+hier kommt mir gerade recht. Damit kann ich drei befreundete Riesen, die
+mich in diesen Tagen besuchen, schön bewirten.«
+
+Dann zerrte er die Kinder eines nach dem anderen unter dem Bette hervor.
+Die Ärmsten warfen sich ihm zu Füßen und baten um Gnade. Aber es war der
+Grausamste aller Riesen; er hatte kein Mitleid mit ihnen, und mit seinen
+Augen verschlang er sie schon. Dann sagte er zu seiner Frau, das würden
+Leckerbissen werden, wenn sie nur eine gute Brühe dazu mache.
+
+Er langte nach seinem Messer und fing vor den armen Kindern an, es auf
+seinem Schleifstein, den er in der Linken hielt, zu schärfen. Schon
+hatte er eines gepackt, da sagte seine Frau zu ihm:
+
+»Was willst du denn jetzt damit? Hast du nicht Zeit bis morgen?«
+
+»Halt den Mund,« schrie sie der Riese an, »sie sind dann mürber!«
+
+»Aber du hast ja noch so viel Fleisch,« meinte seine Frau, »ein Kalb,
+zwei Hammel und ein halbes Schwein.«
+
+»Du magst recht haben,« brummte der Riese, »gib ihnen aber gut zu essen,
+damit sie mir nicht abmagern, und bring sie dann zu Bett!«
+
+[Illustration]
+
+Die gute Frau war außer sich vor Freude und brachte den Kindern ein
+schönes Abendessen. Doch sie konnten keinen Bissen anrühren, so sehr
+zitterten sie vor Angst. In bester Laune setzte sich der Riese hin und
+freute sich, für seine Kumpane einen so schönen Leckerbissen erwischt zu
+haben. Er trank und trank zwölf Glas mehr als sonst. Das stieg ihm in
+den Kopf, und er legte sich zu Bett.
+
+Der Riese besaß sieben junge Töchter. Diese Riesinnen hatten alle eine
+wunderschöne Haut, da sie sich ebenso wie ihr Vater von frischem
+Fleische nährten; aber sie hatten kleine, graue, ganz runde Augen, eine
+große Nase und einen großen Mund mit langen, spitzen und weit
+auseinanderstehenden Zähnen. Sie waren noch nicht sehr bösartig, aber
+doch vielversprechend, denn sie fingen schon an, die kleinen Kinder zu
+beißen und ihnen das Blut auszusaugen.
+
+Sie waren schon früh zu Bette gebracht worden und schliefen alle in
+einem einzigen großen Bett. Jede von ihnen trug eine goldene Krone auf
+dem Kopfe. In demselben Zimmer stand ein zweites Bett von derselben
+Größe. In dieses Bett legte die Frau des Riesen die sieben kleinen
+Jungen. Dann ging sie selbst zur Ruhe.
+
+Der kleine Däumling hatte gesehen, daß die Töchter des Riesen goldene
+Kronen auf dem Kopfe trugen, und da er fürchtete, es möchte den Riesen
+reuen, daß er sie nicht schon am selben Abend abgeschlachtet hatte,
+stand er gegen Mitternacht auf, nahm sich und seinen Brüdern die
+Mütze vom Kopf und setzte sie, mit aller Vorsicht, den sieben
+Riesentöchterchen auf. Seinen Brüdern und sich selbst setzte er die
+goldenen Kronen auf, die er jenen genommen hatte. So mußte der Riese die
+Knaben für seine Töchter und seine Töchter für die Knaben halten, die er
+schlachten wollte.
+
+Es kam genau so, wie es sich der kleine Däumling gedacht. Der Riese
+wachte um Mitternacht auf, und es tat ihm leid, daß er bis zum anderen
+Tage verschoben hatte, was er sofort erledigen wollte. Mit einem
+mächtigen Satz sprang er aus seinem Bett und griff zu seinem Messer:
+
+»Nun wollen wir mal sehen, was unsere kleinen Schelme machen! So etwas
+gibt es nicht zum zweiten Male.«
+
+[Illustration]
+
+So sprechend, tappte er im Dunkeln hinauf ins Zimmer seiner Töchter und
+trat an das Bett heran, in dem die kleinen Knaben lagen. Sie schliefen
+alle fest, nur der kleine Däumling wachte. Ein Gruseln überlief ihn, als
+er die tastende Hand des Riesen fühlte, der vorher schon alle seine
+Brüder abgetastet hatte. Wie der Riese die goldenen Kronen berührte,
+sagte er:
+
+»Donnerwetter, da hätte ich beinahe etwas Schönes angerichtet! Ich habe
+wahrhaftig am Abend zuviel getrunken.«
+
+Dann ging er an das Bett seiner Töchter, und als er hier die Mützen der
+Knaben fand, sagte er:
+
+»Da hätten wir ja unsere Bürschchen! Nun rasch an die Arbeit!«
+
+Mit diesen Worten schnitt er, ohne zu zögern, allen seinen Töchtern die
+Köpfe ab.
+
+Zufrieden mit seiner Tat legte er sich wieder ins Bett. Kaum hörte der
+kleine Däumling den Riesen schnarchen, da weckte er seine Brüder und
+hieß sie, sich schnell anzuziehen und ihm zu folgen. Vorsichtig stiegen
+sie hinab in den Garten und sprangen über die Mauer. Am ganzen Leibe
+zitternd, liefen sie bis zum Morgen, ohne Weg und Steg zu kennen.
+
+Als der Riese erwachte, sagte er zu seinem Weib:
+
+»Gehe hinauf und mache die kleinen Schelme von gestern abend zurecht!«
+
+Die Frau des Riesen war erstaunt über die gute Laune ihres Mannes und
+glaubte, er schicke sie, die Knaben anzuziehen. Sie ging hinauf und war
+zu Tode erschrocken, als sie ihre sieben Töchter mit abgeschnittenen
+Hälsen in ihrem Blute sah. Sie fiel in Ohnmacht, denn das ist das
+einzige, was Frauen in dieser Lage tun können. Der Riese glaubte, seiner
+Frau würde die Arbeit zu schwer, die er ihr aufgetragen hatte, und ging
+hinauf, um ihr zu helfen. Aber er war nicht weniger erschrocken als
+seine Frau bei diesem gräßlichen Anblick.
+
+»Was habe ich da angerichtet,« schrie er, »aber sie sollen es mir auf
+der Stelle büßen, die Unglücklichen!«
+
+Er goß seiner Frau einen Topf Wasser über die Nase, und als sie wieder
+zu sich kam, sagte er zu ihr:
+
+»Gib mir schnell meine Siebenmeilenstiefel, daß ich die Bande einhole!«
+
+[Illustration]
+
+Er machte sich auf den Weg, und als er kreuz und quer gelaufen war, kam
+er endlich auf die Straße, wo die Knaben gingen. Nur noch hundert
+Schritte waren sie vom Hause ihres Vaters entfernt. Da sahen sie den
+Riesen, wie er von Berg zu Berg schritt und die größten Ströme
+überquerte wie den kleinsten Bach. Der kleine Däumling fand in nächster
+Nähe ein Loch in einem Felsen und versteckte darin seine Brüder; auch er
+selbst kroch hinein und gab acht, was der Riese tat. Der war von dem
+großen Umweg, den er vergebens gemacht hatte, sehr erschöpft und wollte
+sich ausruhen. Zufällig setzte er sich gerade auf denselben Felsen,
+unter dem sich die Knaben versteckt hatten. Er konnte vor Müdigkeit
+nicht mehr weiter und schlief bald ein. Dabei fing er so schrecklich an
+zu schnarchen, daß die Kinder nicht weniger Angst bekamen wie damals,
+als er zu seinem großen Messer griff, um ihnen den Hals abzuschneiden.
+
+Der kleine Däumling war mutiger. Während der Riese in festem Schlafe
+lag, sagte er zu seinen Brüdern, sie sollten rasch nach Hause laufen und
+sich um ihn keine Sorge machen. Sie folgten seinem Rat und erreichten
+glücklich das Haus. Der kleine Däumling machte sich an den Riesen heran,
+zog ihm vorsichtig seine Stiefel aus und schlüpfte selbst hinein. Die
+Stiefel waren zwar groß und weit, aber es waren Zauberstiefel: sie
+hatten die Eigenschaft, größer oder kleiner zu werden, je nach ihrem
+Träger, und sie paßten ihm so gut, als seien sie für ihn gemacht.
+
+Schnurstracks lief er zum Hause des Riesen zurück und fand dort sein
+Weib in Tränen bei ihren toten Töchtern.
+
+»Euer Gatte ist in großer Gefahr,« sagte Däumling zu ihr, »er ist von
+Räubern gefangen, und diese haben geschworen, ihn zu töten, wenn er
+ihnen nicht all sein Gold und Silber gäbe. Gerade als sie ihm den Dolch
+an die Kehle setzten, kam ich zufällig vorbei, und er bat mich, zu Euch
+zu gehen, um Euch zu benachrichtigen und Euch zu sagen, Ihr solltet mir
+alles aushändigen, was er an Vermögen besitzt, und sollt nichts
+zurückbehalten, weil sie ihn sonst ohne Mitleid töten. Da größte Eile
+nötig ist, gab er mir seine Siebenmeilenstiefel. Es soll zugleich ein
+Beweis sein, damit Ihr nicht glaubt, ich sei ein Schwindler.«
+
+[Illustration]
+
+In ihrem großen Schrecken gab die Frau ihm alles, was sie hatte, denn
+wenn der Riese auch kleine Kinder fraß, so war er doch immer ein guter
+Vater und Gatte.
+
+Schwer beladen mit den Schätzen des Riesen kehrte der kleine Däumling in
+das Haus seines Vaters zurück, wo er mit großer Freude empfangen wurde.
+
+Es gibt viele Leute, die nicht glauben wollen, daß der kleine Däumling
+den Riesen bestohlen habe. Er habe in Wirklichkeit sich nur deshalb
+keine Gedanken darüber gemacht, dem Riesen die Siebenmeilenstiefel
+fortzunehmen, weil dieser sie doch nur dazu benutzte, um die kleinen
+Kinder zu fangen. Diese Leute behaupten, sie wüßten es aus bester
+Quelle, denn sie wären selbst im Hause des Holzhackers zu Gast gewesen,
+und sie erzählen, der kleine Däumling habe sich die Stiefel des Riesen
+angezogen und sei damit an den Hof des Königs gegangen, wo man in großer
+Sorge um das Schicksal des Heeres war, das 200 Meilen entfernt in heißem
+Kampfe lag. Man hatte keine Nachricht über den Ausgang der Schlacht.
+
+[Illustration]
+
+Däumling ging nun zum König und erbot sich, ihm noch vor Tagesende
+Nachricht von der Armee zu bringen. Der König versprach ihm eine große
+Belohnung, wenn er dies fertig bringe. Noch am selben Abend überbrachte
+der kleine Däumling die ersehnte Botschaft, und dieser erste Lauf machte
+ihn so berühmt, daß er alles erreichte, was er wollte. Der König
+belohnte ihn fürstlich. Däumling brachte seine Befehle zur Armee, und
+viele Damen gaben ihm alles, was er verlangte, um nur Nachricht von
+ihren Liebhabern zu erhalten. Das war seine beste Einnahme. Es fanden
+sich zwar auch einige Ehefrauen, die ihm Briefe für ihre Gatten
+mitgaben, aber diese zahlten schlecht, und er hielt es für unter seiner
+Würde, mit dem ihm von dieser Seite zufließenden Verdienste überhaupt zu
+rechnen.
+
+Auf diese Weise verschaffte er seiner ganzen Familie ein gutes
+Auskommen. Seinem Vater und seinen Brüdern kaufte er neugeschaffene
+Amtsstellen, und sich selbst schuf er einen trefflichen Hausstand.
+
+
+ Moral:
+
+ Wenn einer nette Kinder hat,
+ Die schön und wohl geraten sind,
+ Dann zeigt er sie der ganzen Stadt. --
+ Jedoch verliert er nicht ein Wort,
+ Wird ihm geschenkt ein schwächlich Kind,
+ Er quält's und tut ihm jedem Tort. --
+ Doch oft ist so ein kleiner Mann
+ Ein Kerl, der vieles weiß und kann:
+ Der kleine Däumling, wie gesagt,
+ Hat der Familie Glück gebracht.
+
+
+
+
+Aschenbrödel
+
+oder
+
+die Geschichte vom gläsernen Pantöffelchen
+
+
+Es war einmal ein Edelmann, der hatte in seiner zweiten Ehe ein so
+hochmütiges und stolzes Weib geheiratet, wie man noch niemals eines sah.
+Diese Frau hatte zwei Töchter, welche ganz nach ihrer Art waren und ihr
+in jeder Hinsicht glichen. Auch der Mann hatte eine Tochter mit in die
+Ehe gebracht, ein Mädchen von holder Anmut und unvergleichlicher Güte,
+das wahre Ebenbild ihrer verstorbenen Mutter, der besten Frau der Welt.
+
+Kaum war die Hochzeit vorbei, da zeigte sich die Stiefmutter auch schon
+von ihrer schlimmsten Seite. Sie konnte das junge Mädchen nicht leiden,
+denn neben ihm erschienen ihre eigenen Töchter noch häßlicher.
+
+Deshalb trug sie ihm die schmutzigsten Arbeiten im Hause auf: es mußte
+das Geschirr reinigen, die Treppen fegen, es mußte das Zimmer der
+gnädigen Frau scheuern und das der gnädigen Fräuleins, ihrer Töchter. Es
+mußte auf dem Speicher unter dem Dache auf einem elenden Strohsacke
+schlafen, während seine Schwestern die herrlichsten Zimmer hatten, mit
+den allermodernsten Betten und mit Spiegeln, in denen sie sich vom Kopf
+bis zum Fuß betrachten konnten.
+
+Doch alles ertrug das arme Mädchen mit Geduld, es wagte nicht, sich bei
+ihrem Vater zu beschweren, denn der hätte ihm doch nicht recht gegeben,
+weil er ganz unter dem Einflusse seiner Frau stand. Wenn es seine Arbeit
+gemacht hatte, dann setzte es sich neben dem Küchenherd in die Asche,
+und deshalb nannte man es im Hause nur noch die Küchenschabe; aber die
+zweite Tochter, die nicht ganz so böse war wie ihre ältere Schwester,
+gab ihm den Namen Aschenbrödel. Trotz allem war Aschenbrödel in ihren
+schlechten Kleidern noch hundertmal schöner als ihre Schwestern, wie
+sehr sich diese auch putzten.
+
+Eines Tages gab der Sohn des Königs einen Ball und lud dazu alle
+Personen von Rang ein. Auch die beiden Fräuleins wurden eingeladen, denn
+sie spielten im Lande eine große Rolle. Darüber freuten sie sich sehr,
+und sie überlegten den ganzen Tag, wie sie sich am schönsten kleiden und
+schmücken könnten und was ihnen am besten stände. Da gab es neue Arbeit
+für Aschenbrödel. Sie mußte die Wäsche ihrer Schwestern waschen und
+bügeln und die Manschetten ihrer Kleider kräuseln. Man sprach von nichts
+anderem, als was man anziehen wolle.
+
+»Ich,« sagte die Ältere, »ziehe das rote Velourkleid mit dem englischen
+Besatze an.«
+
+Und die Zweite meinte: »Ich werde meinen gewöhnlichen roten Rock tragen,
+aber dazu nehme ich den Umhang mit den Goldblumen und meinen
+Diamantschmuck, was mir auch nicht schlecht stehen wird.«
+
+Die berühmteste Haarkräuslerin mußte kommen, um die Spitzenhauben zu
+ordnen und die niedlichen Schönheitspflästerchen zu kleben. Dann riefen
+sie Aschenbrödel herbei, um ihr Urteil zu hören; denn sie hatte einen
+guten Geschmack. Aschenbrödel gab ihnen die besten Ratschläge und erbot
+sich sogar, ihnen das Haar zu machen. Das ließen sie sich gerne
+gefallen.
+
+Während sie die Schwestern kämmte, sagten diese zu ihr:
+
+»Aschenbrödel, hättest du wohl auch Lust, mit auf den Ball zu gehen?«
+
+»Ach, edle Damen, warum treibt ihr euren Spott mit mir? Die Ehre wäre zu
+hoch für mich.«
+
+»Da hast du recht, man würde nur lachen, sähe man eine Küchenschabe, wie
+du, zum Balle gehen.«
+
+Eine andere als Aschenbrödel hätte nun sicher die Frisuren verdorben;
+aber Aschenbrödel war zu gutmütig dazu und kämmte ihnen die Haare
+wunderbar schön.
+
+[Illustration]
+
+Fast zwei Tage lang aßen die beiden keinen Bissen, so zitterten sie vor
+freudiger Erwartung. Mehr als ein Dutzend Bänder gingen beim Schnüren
+entzwei, da sie so schlank als möglich sein wollten. In einem fort
+standen sie vor dem Spiegel.
+
+Endlich war der ersehnte Tag gekommen, und sie fuhren ab.
+
+Aschenbrödel folgte ihren Schwestern mit den Augen, solange sie konnte.
+Aber als sie den Wagen nicht mehr sah, da setzte sie sich hin und
+weinte. Ihre Patin sah ihre Tränen und fragte, was ihr fehle.
+
+»Ich möchte so gern, .... ich möchte so gern ....«
+
+Vor lauter Schluchzen konnte sie nicht zu Ende sprechen.
+
+»Du möchtest wohl gern auf den Ball gehen?« sagte die Patin, die eine
+Fee war.
+
+»Ach ja«, antwortete Aschenbrödel und tat einen tiefen Seufzer.
+
+»Wenn du brav bist, dann will ich dich hingehen lassen.«
+
+Mit diesen Worten führte sie Aschenbrödel in ihre Kammer und sagte zu
+ihr:
+
+»Gehe in den Garten und bringe mir einen Kürbis!«
+
+Aschenbrödel ging sofort hinunter, pflückte den schönsten Kürbis, den
+sie fand, und brachte ihn der Patin, ohne zu ahnen, wie er ihr zum
+Ballbesuch verhelfen könnte. Die Patin fing an, den Kürbis auszuhöhlen,
+und als nur noch die Schale übrig war, klopfte sie mit ihrem Zauberstab
+daran, und auf der Stelle verwandelte sich der Kürbis in einen schönen,
+goldenen Wagen.
+
+Dann sah sie in der Mäusefalle nach und fand sechs lebendige Mäuse
+darin. Sie befahl Aschenbrödel, die Klappe ein wenig anzuheben, und gab
+jeder Maus, die herausschlüpfte, einen leichten Schlag mit ihrem
+Zauberstab. Darauf verwandelte sich die Maus sofort in ein schönes Roß.
+Das gab ein prächtiges Sechsgespann, sechs Pferde von herrlichem
+Apfelgrau, geradeso wie die Mäuse gewesen waren.
+
+Nun fehlte nur noch ein Kutscher, und Aschenbrödel meinte: »Ich werde
+einmal sehen, ob nicht eine Ratte in der Falle ist! Daraus könnten wir
+wohl einen Kutscher machen.«
+
+»Du hast recht,« sagte die Patin, »sieh einmal nach!«
+
+Aschenbrödel holte die Rattenfalle; da waren drei fette Ratten darin.
+Eine von ihnen, die einen stattlichen Bart hatte, packte die Fee, und
+kaum hatte sie die Ratte mit dem Stabe berührt, da stand auch schon ein
+dicker Kutscher da, mit einem so mächtigen Schnauzbart, wie man noch
+keinen gesehen hatte.
+
+Hierauf sagte die Fee zu Aschenbrödel:
+
+»Gehe in den Garten, dort wirst du hinter der Gießkanne sechs Eidechsen
+finden, die bringe mir her!«
+
+Kaum hatte sie die Eidechsen gebracht, da verwandelte sie die Patin in
+sechs Lakaien in prächtig verbrämten Röcken. Sofort stiegen die Lakaien
+auf ihre Sitze und benahmen sich dabei so geschickt, als hätten sie in
+ihrem ganzen Leben nichts anderes getan. Dann sagte die Fee zu
+Aschenbrödel:
+
+»Siehst du, jetzt kannst du auf den Ball fahren; freust du dich nun?«
+
+»O ja; aber soll ich denn so, wie ich bin, hingehen, in diesen
+schlechten Kleidern?«
+
+Da berührte sie die Patin leise mit ihrem Zauberstabe, und sofort hatte
+sich ihr armseliges Kleid in ein gold- und silberglänzendes, mit
+Edelsteinen besetztes Gewand verwandelt. Zum Schluß gab sie ihr noch ein
+Paar niedliche gläserne Pantöffelchen.
+
+So geschmückt stieg Aschenbrödel in den Wagen; aber vorher trug ihr die
+Patin auf, ja nicht die Mitternacht vorbeizulassen, und drohte ihr, wenn
+sie auch nur einen Augenblick länger auf dem Ball bliebe, so würde ihr
+Wagen wieder zum Kürbis werden, ihre Pferde zu Mäusen, ihr Kutscher zur
+Ratte, und ihre stattlichen Lakaien würden wieder ihre frühere Gestalt
+annehmen.
+
+Aschenbrödel versprach ihrer Patin, den Ball ganz gewiß vor Mitternacht
+zu verlassen, und fuhr ab, außer sich vor Freude. Als sie so prächtig
+dahergefahren kam, benachrichtigte man den Sohn des Königs, eine
+vornehme Prinzessin, die niemand kenne, sein angekommen, und der
+Königssohn lief herbei, sie zu empfangen. Wie sie aus dem Wagen stieg,
+reichte er ihr die Hand und führte sie in den Festsaal. Da war mit einem
+Male großes Schweigen: alles hörte auf zu tanzen, und die Geigen
+verstummten. Jeder sah nur noch die wunderschöne Unbekannte. Überall
+hörte man raunen und wispern:
+
+»Ach, wie schön ist sie!«
+
+[Illustration]
+
+Sogar der König, so alt er war, konnte sich nicht von ihrem Anblick
+losreißen und flüsterte der Königin zu, er hätte lange keine so hübsche
+und so liebenswerte Person gesehen.
+
+Die Damen musterten Kopfputz und Kleiderschnitt der Fremden mit
+großer Aufmerksamkeit, um es ihr schon am anderen Tage nachzutun,
+vorausgesetzt, daß sich so schöne Stoffe finden ließen und so geschickte
+Schneider.
+
+Der Königssohn führte die Fremde auf den Ehrenplatz und bat sie sofort
+um einen Tanz, und sie tanzte mit so viel Anmut, daß man nicht aus dem
+Staunen kam.
+
+Nun wurde ein köstliches Mahl bereitet, aber der junge Prinz konnte
+keinen Bissen essen: er sah nichts anderes mehr als seine Dame.
+
+Nach dem Mahl stand Aschenbrödel auf und setzte sich zu ihren
+Schwestern, um ihnen tausenderlei Artigkeiten zu erweisen. Sie teilte
+Orangen und Zitronen mit ihnen, die ihr der Prinz geschenkt hatte, und
+setzte sie mit alldem in das größte Erstaunen. Denn sie erkannten
+Aschenbrödel nicht.
+
+Als sie noch plauderten, hörte Aschenbrödel drei Viertel auf zwölf
+schlagen. Schleunigst erhob sie sich, machte vor der ganzen
+Festgesellschaft eine tiefe Verbeugung und verließ den Saal so rasch,
+wie sie konnte.
+
+Zu Hause angelangt, suchte sie die Patin auf, dankte ihr herzlich und
+sagte ihr, sie wünsche sich sehnlichst, am nächsten Tage nochmals auf
+den Ball zu gehen, weil der Königssohn sie darum gebeten habe. Als sie
+gerade dabei war, ihre Erlebnisse zu erzählen, da klopften die
+Schwestern an die Türe, und Aschenbrödel machte ihnen auf.
+
+»Ihr kommt aber spät!« sagte sie, rieb sich gähnend die Augen und reckte
+sich, als sei sie eben aufgestanden.
+
+Die eine der Schwestern sagte: »Wärest du mit auf dem Ball gewesen, du
+hättest dich sicher nicht gelangweilt. Es war eine so schöne Prinzessin
+da, wie es auf der ganzen Welt keine zweite gibt. Tausend Artigkeiten
+hat sie uns erwiesen und hat uns Orangen und Zitronen geschenkt.«
+
+Aschenbrödel war außer sich vor Freude; sie fragte, wie die Prinzessin
+hieße. Aber ihre Schwestern antworteten, daß kein Mensch sie kenne, und
+daß der Königssohn sich den Kopf darüber zerbräche und alles in der Welt
+darum gäbe, wenn er erfahren könne, wer sie sei.
+
+Aschenbrödel lachte: »War sie wirklich so schön? Mein Gott, wie ich euch
+beneide! Könnte ich sie doch nur einmal sehen! Ach, Fräulein Javotte,
+leiht mir doch euer gelbes Kleid, welches ihr alltags tragt!«
+
+»Das könnte mir passen,« meinte Fräulein Javotte, »einer alten
+Küchenschabe wie dir das Kleid leihen! Da müßte ich ja närrisch sein!«
+
+Aschenbrödel hatte diese Antwort erwartet und war froh darüber, denn sie
+wäre in die größte Verlegenheit geraten, hätte ihr die Schwester
+wirklich das Kleid geliehen.
+
+Als die beiden Schwestern am nächsten Tage wieder zum Balle fuhren,
+erschien auch Aschenbrödel dort, aber diesmal noch herrlicher geschmückt
+wie am ersten Tag.
+
+Der Königssohn ging nicht von ihrer Seite und sagte ihr die schönsten
+Dinge.
+
+Darüber vergaß das junge Mädchen ganz, was ihr die Patin gesagt. Die Uhr
+holte schon zum Schlag der zwölften Stunde aus, da glaubte sie noch, es
+sei erst elf. Schnell sprang sie nun auf und flüchtete so leicht wie
+eine Hindin.
+
+Der Prinz stürzte ihr nach, aber er konnte sie nicht mehr erreichen. In
+der Eile verlor Aschenbrödel einen ihrer gläsernen Pantoffel, den der
+Prinz behutsam aufhob.
+
+Ganz außer Atem kam sie nach Hause, ohne Wagen, ohne Lakai, in ihren
+schlechten Kleidern. Nichts war ihr von all der Herrlichkeit geblieben
+als das zweite Pantöffelchen, das genau so war wie das verlorene.
+
+[Illustration]
+
+Die Torwächter des Schlosses wurden gefragt, ob sie keine Prinzessin
+gesehen hätten. Doch diese sagten, sie hätten nur ein junges Ding in
+Lumpen gesehen, mehr von dem Aussehen einer Bauernmagd als einer
+Edeldame.
+
+Als nun die beiden Schwestern vom Ball heimkehrten, fragte sie
+Aschenbrödel, ob sie sich wieder gut unterhalten hätten, und ob auch die
+schöne Dame wieder da gewesen wäre.
+
+Ja, sagten diese, aber die schöne Dame sei davongelaufen, als die Uhr
+Mitternacht geschlagen habe. Sie sei so rasch gelaufen, daß sie dabei
+eines ihrer wunderschönen gläsernen Pantöffelchen verloren habe. Das
+habe der Königssohn aufgehoben und bis zum Ende des Balles kein Auge
+davon gelassen. Sicher sei er ganz verliebt in das schöne Mädchen, dem
+das Pantöffelchen gehöre.
+
+Sie hatten recht, denn wenige Tage darauf ließ der Königssohn mit
+Trompetenschall bekanntgeben, er würde das junge Mädchen zu seiner Frau
+machen, an dessen Fuß das Pantöffelchen passe.
+
+Zuerst probierte man bei den Prinzessinnen, dann bei den Herzoginnen und
+bei der ganzen Hofgesellschaft, aber umsonst. Man brachte das
+Pantöffelchen zu den beiden Schwestern, die sich anstrengten, den Fuß
+hineinzuzwängen, aber sie brachten es nicht zuwege. Als Aschenbrödel
+ihnen dabei zusah und ihren Pantoffel wieder erkannte, sagte sie
+lachend:
+
+»Laßt mich doch einmal sehen, ob er mir nicht paßt!«
+
+Da fingen die Schwestern an zu lachen und ihre Witze über sie zu machen.
+Aber der Edelmann, der die Pantoffelprobe veranstaltete, hatte
+Aschenbrödel aufmerksam betrachtet und fand sie sehr schön. Deshalb
+sagte er zu ihr, ihr Wunsch sei berechtigt, denn er habe den Auftrag,
+die Probe bei allen jungen Mädchen zu machen.
+
+Er ließ Aschenbrödel Platz nehmen, und als er den Pantoffel an
+ihren kleinen Fuß hielt, da schlüpfte sie mühelos hinein, und das
+Pantöffelchen paßte ihr wie angegossen.
+
+Das Erstaunen der beiden Schwestern war groß, aber es wurde noch größer,
+als Aschenbrödel aus ihrer Tasche das andere Pantöffelchen hervorzog und
+hineinschlüpfte.
+
+Darüber kam die Patin hinzu und mit ihrem Zauberstabe berührte sie
+Aschenbrödels Kleid und verwandelte es in ein Gewand, das noch viel,
+viel schöner war als alle früheren.
+
+Da erkannten die beiden Schwestern in Aschenbrödel die schöne Fremde,
+die sie auf dem Ball gesehen hatten. Sie warfen sich ihr zu Füßen und
+baten sie um Verzeihung für alles Böse, was sie ihr zugefügt hatten.
+
+Aschenbrödel hob sie auf, umarmte sie und beteuerte, daß sie ihnen von
+ganzem Herzen verzeihe und sie bäte, immer lieb zu ihr zu sein.
+
+Dann geleitete man Aschenbrödel, herrlich geschmückt, wie sie war, zu
+dem jungen Prinzen, und dieser fand sie noch tausendmal schöner als
+zuvor. Wenige Tage darauf wurde die Hochzeit gefeiert. Aschenbrödel war
+ebenso gut wie schön, ließ die beiden Schwestern im Schlosse wohnen und
+verheiratete sie noch an demselben Tage mit zwei vornehmen Herren vom
+Hofe.
+
+
+ Moral:
+
+ Ganz ohne Zweifel es von großem Vorteil ist,
+ Wenn du nicht mutig nur, wenn du auch witzig bist,
+ Vornehmen Standes und auch klug dabei,
+ Und was an Gaben dir noch mehr beschieden sei.
+ Jedoch vergebens sie zu eigen dir gehören,
+ Dein Glück und Streben sie um keinen Deut vermehren,
+ Wenn du nicht eine Patin hast und gute Paten,
+ Die dich bei deinem Werk betreuen und beraten.
+
+
+
+
+Riquet mit der Locke
+
+
+Es war einmal eine Königin, die bekam einen Sohn, der war so häßlich und
+mißgestaltet, daß man lange im Zweifel war, ob er überhaupt ein Mensch
+sei. Eine Fee, die bei der Geburt des Kindes erschien, versicherte, es
+würde sehr klug werden. Sie fügte noch hinzu, er könne dank einer
+besonderen Gabe, die sie ihm verliehen habe, ebensoviel Verstand, wie er
+selbst besitze, auf den Menschen übertragen, den er am meisten liebe.
+
+Das tröstete ein wenig die arme Königin, die sehr betrübt war, einem so
+häßlichen kleinen Kerl das Leben geschenkt zu haben.
+
+Aber kaum fing das Kind an zu sprechen, da konnte es auch schon tausend
+Dinge bei ihrem Namen nennen, und bei all seinem Tun zeigte es einen so
+großen Verstand, daß jedermann von ihm entzückt war.
+
+Ich vergaß zu erzählen, daß es mit einer kleinen Haarlocke auf dem Kopfe
+geboren wurde und man es deshalb Riquet mit der Locke nannte, denn
+Riquet war sein Familienname.
+
+Sieben oder acht Jahre darauf gebar die Königin eines Nachbarlandes zwei
+Töchter. Die erste, die zur Welt kam, war schöner als der Tag, und die
+Königin freute sich dermaßen darüber, daß man schon fürchtete, die allzu
+große Freude könne ihr schaden.
+
+Dieselbe Fee, die bei der Geburt des kleinen Riquet mit der Locke
+zugegen war, erschien auch hier und erklärte der Königin, um ihre Freude
+zu mäßigen, die kleine Prinzessin würde keinen großen Verstand haben,
+ihre Dummheit würde ebenso groß sein wie ihre Schönheit.
+
+Das schmerzte die Königin sehr, und doch hatte sie bald darauf einen
+noch viel größeren Kummer; denn die zweite Tochter, deren sie genas, war
+über die Maßen häßlich.
+
+»Seid darüber nicht weiter traurig!« sagte die Fee, »Eure Tochter wird
+entschädigt werden. Sie wird so klug sein, daß man es fast vergißt, was
+ihr an Schönheit fehlt.«
+
+»Gott gebe es!« antwortete die Königin, »aber gibt es denn kein Mittel,
+der älteren zu ihrer Schönheit auch ein wenig Verstand zu verschaffen?«
+
+»Leider kann ich hierin für Eure Tochter nichts tun, Frau Königin,«
+sagte die Fee. »Aber was die Schönheit angeht, das vermag ich alles; und
+da ich Euch herzlich gern einen Gefallen tue, so will ich Eurer Tochter
+die Gabe verleihen, dem Menschen, der ihr gefällt, Schönheit zu
+verleihen!«
+
+Je älter die beiden Prinzessinnen wurden, um so deutlicher wurden ihre
+Vorzüge: überall sprach man von der Schönheit der älteren und von der
+Klugheit der zweiten.
+
+Aber auch ihre Fehler wuchsen mit den Jahren: die jüngere wurde immer
+häßlicher und die ältere von Tag zu Tag dümmer. Sie gab nicht einmal
+mehr eine Antwort, wenn man sie fragte, oder sie sagte eine Dummheit.
+Dabei war sie noch so ungeschickt, daß sie nicht vier Teller auf den
+Ofensims stellen konnte, ohne einen zu zerbrechen, und kein Glas Wasser
+konnte sie trinken, ohne die Hälfte auf ihr Kleid zu schütten.
+
+Wenn auch Schönheit ein großer Vorteil für ein junges Mädchen ist, so
+war doch die jüngere fast in jeder Gesellschaft beliebter als ihre
+ältere Schwester.
+
+Zuerst kam man immer zur Schönen, um sie anzustaunen und zu bewundern;
+aber es dauerte nicht lange, da ging man zur Klügeren, um tausend
+anmutige Dinge von ihr zu hören, und es war erstaunlich, daß in weniger
+als einer Viertelstunde die ältere keinen Menschen mehr auf ihrer Seite
+hatte, und sich alle um die zweite scharten.
+
+Trotz ihrer großen Dummheit entging ihr dies nicht, und sie hätte ohne
+Besinnen alle ihre Schönheit eingetauscht gegen die halbe Klugheit ihrer
+Schwester.
+
+Wie verständig die Königin auch war, so konnte sie sich doch nicht
+enthalten, ihrer Tochter hie und da ihre Dummheit vorzuwerfen, so daß
+die arme Prinzessin vor Kummer fast gestorben wäre.
+
+Eines Tages, als sie in einen Wald gegangen war, um ihr Unglück zu
+beklagen, sah sie einen sehr häßlichen und unausstehlichen jungen Mann
+auf sich zu kommen, der aber sehr vornehm gekleidet war.
+
+Es war der junge Prinz Riquet mit der Locke. Als er die Bilder gesehen
+hatte, die von der Prinzessin in aller Welt verbreitet waren, da hatte
+er, in Liebe zu ihr entbrannt, das Reich seines Vaters verlassen, um sie
+zu sehen und zu sprechen.
+
+Erfreut über diese einsame Begegnung, redete er sie mit aller Ehrfurcht
+und aller nur denkbaren Höflichkeit an. Nachdem er die üblichen
+Komplimente gemacht hatte, sah er, daß sie sehr traurig war, und er
+sagte deshalb zu ihr:
+
+»Ich verstehe nicht, mein Fräulein, daß eine Dame, die so schön ist wie
+Sie, so trübsinnig sein kann, wie Sie zu sein scheinen; denn wenn ich
+mich auch rühmen darf, eine Unzahl hübscher Mädchen gesehen zu haben, so
+habe ich doch noch niemals eine Schönheit gefunden, die der Ihrigen
+gleichkäme!«
+
+»Das sagen Sie so, mein Herr!« antwortete die Prinzessin und blieb
+traurig wie zuvor.
+
+»Die Schönheit,« fuhr Prinz Riquet mit der Locke fort, »ist ein großer
+Vorzug, der wichtiger ist als alles andere, und ich weiß nicht, warum
+jemand der so schön ist wie Sie, noch traurig sein kann.«
+
+»Lieber möchte ich so häßlich sein wie Sie,« entgegnete die Prinzessin,
+»und Ihren Verstand haben, als meine Schönheit behalten und so dumm
+sein, wie ich es bin!«
+
+»Nichts beweist mehr, daß jemand Verstand hat, als sein Glaube, er habe
+keinen; es ist eine Eigentümlichkeit dieser Gabe, daß man, je mehr man
+davon besitzt, desto mehr glaubt, sie fehle einem.«
+
+»Das verstehe ich nicht,« sagte die Prinzessin, »ich weiß nur, daß ich
+sehr dumm bin, und das ist der Grund meines Leides, das mich noch töten
+wird!«
+
+»Wenn Sie weiter nichts bekümmert, mein Fräulein, so kann ich Ihrem
+Schmerze leicht ein Ende machen!«
+
+»Und wie wollen Sie das tun?« forschte die Prinzessin.
+
+»Ich habe die Macht, mein Fräulein,« sagte Riquet mit der Locke, »auf
+den Menschen, den ich am meisten lieben muß, so viel Verstand zu
+übertragen, wie man eben braucht. Sie sind dieser Mensch, mein Fräulein!
+
+Es liegt also nur an Ihnen, und Sie verfügen über so viel Verstand, wie
+man nur haben kann, vorausgesetzt, daß Sie mich gerne heiraten wollen!«
+
+Die Prinzessin war über diese Worte ganz bestürzt und gab keine Antwort
+darauf.
+
+»Wie ich sehe,« fuhr Prinz Riquet mit der Locke fort, »ist Ihnen mein
+Vorschlag peinlich, und das wundert mich nicht; ich gebe Ihnen aber ein
+ganzes Jahr Zeit, um sich zu entscheiden!«
+
+Die Prinzessin hatte so wenig Verstand und gleichzeitig so große
+Sehnsucht, Verstand zu besitzen, daß sie sich einbildete, das Jahr würde
+niemals zu Ende gehen: deshalb nahm sie den ihr gemachten Vorschlag an.
+Kaum hatte sie Riquet mit der Locke versprochen, ihn am gleichen Tage
+des nächsten Jahres zu heiraten, als sie sich anders fühlte, wie sie
+vorher war: sie bemerkte in sich eine unbekannte Fähigkeit, alles, was
+sie sagen wollte, auf eine feine, heitere und natürliche Art zum
+Ausdruck zu bringen; und sie begann mit Riquet eine artige und
+wohlgesetzte Unterhaltung, die so geistreich war, daß der Prinz glaubte,
+ihr mehr Verstand gegeben zu haben, als er sich selbst behalten habe.
+
+Als die Prinzessin ins Schloß zurückkehrte, wußte der ganze Hof nicht,
+was er zu einer so plötzlichen und außerordentlichen Wandlung sagen
+sollte.
+
+Noch kurz vorher hatte sie lauter albernes Zeug geredet, und jetzt hörte
+man von ihr tiefempfundene, unendlich geistvolle Dinge.
+
+Der ganze Hof hatte eine so große Freude, wie man es sich nicht
+vorstellen kann. Aber die jüngere Schwester der Prinzessin freute sich
+weniger: Jetzt, wo sie vor der älteren nicht mehr den Vorzug der
+Klugheit voraushatte, erschien sie neben ihr wie ein recht unangenehmes
+Affengesicht.
+
+Der König gab viel auf ihre Meinung und hielt sogar öfters den Staatsrat
+in ihrem Zimmer ab.
+
+Als sich nun die Kunde von dieser Wandlung verbreitete, gaben sich alle
+jungen Prinzen der benachbarten Reiche Mühe, sich bei der Prinzessin
+beliebt zu machen, und fast alle begehrten sie zur Frau. Sie fand aber
+keinen, der ihr klug genug war, hörte sie alle an und entschied sich für
+keinen von ihnen.
+
+Eines Tages aber kam ein so mächtiger, reicher, kluger und schöner
+Prinz, daß sie sich einer Neigung für ihn nicht enthalten konnte.
+
+Als das ihr Vater merkte, sagte er zu ihr, er stelle ihr die Wahl eines
+Gatten frei, sie brauche sich nur zu erklären.
+
+Da nun, je klüger man ist, es einen desto mehr Mühe kostet, in solcher
+Angelegenheit zu festem Entschluß zu gelangen, dankte sie ihrem Vater
+und bat ihn um Bedenkzeit.
+
+Zufällig ging sie eines Tages in demselben Wald, in dem ihr Riquet mit
+der Locke begegnet war, spazieren, um ungestört darüber nachzudenken,
+was sie tun solle. Wie sie so in ihre Gedanken versunken dahinschritt,
+hörte sie unter ihren Füßen ein dumpfes Geräusch, als ob viele Leute
+geschäftig hin und her gingen.
+
+Als sie aufmerksam lauschte, hörte sie, wie einer sagte: »Bring mir den
+Kessel!« und ein andrer: »Leg' Holz aufs Feuer!«
+
+In demselben Augenblick tat sich die Erde auf, und sie sah zu ihren
+Füßen eine Art große Küche, voll von Köchen, Küchenjungen und allen
+möglichen Küchenmeistern, wie man sie braucht, um ein prächtiges
+Festmahl herzurichten. Etwa zwanzig bis dreißig Köche kamen hervor und
+scharten sich in einer Allee des Waldes um einen langen Tisch, wo sie
+sich, die Spicknadel in der Hand und den Löffel hinter dem Ohr, nach dem
+Takte eines Liedes an die Arbeit machten.
+
+Verwundert über diesen Anblick fragte die Prinzessin, für wen sie da
+tätig wären.
+
+Der Oberste der Schar gab zur Antwort: »Für den Prinzen Riquet mit der
+Locke, der morgen Hochzeit macht!«
+
+[Illustration]
+
+Die Prinzessin fiel aus allen Wolken, so überrascht war sie. Nun
+erinnerte sie sich plötzlich, daß es ja ein Jahr her war, da sie am
+gleichen Tage dem Prinzen Riquet mit der Locke die Hochzeit versprochen
+hatte. Sie hatte deshalb nicht mehr daran gedacht, weil sie noch ein
+dummer Mensch gewesen war, als sie das Versprechen gab. Im Besitze der
+von dem Prinzen auf sie übertragenen Vernunft hatte sie dann später alle
+ihre Torheiten vergessen.
+
+Sie war noch keine dreißig Schritt weitergegangen, als Riquet mit der
+Locke vor ihr erschien, stolz, prächtig, kurz: wie ein Prinz, der
+Hochzeit machen will.
+
+»Wie Sie sehen, mein Fräulein, habe ich pünktlich mein Wort gehalten,
+und zweifelsohne kamen auch Sie hierher, um dasselbe zu tun und mich
+durch Ihre Hand zum Glücklichsten aller Sterblichen zu machen!«
+
+»Ich will Ihnen offen gestehen,« antwortete die Prinzessin, »daß ich
+noch keinen Entschluß gefaßt habe, und daß ich kaum glaube, Ihren
+Wünschen entsprechen zu können!«
+
+»Sie setzen mich in Erstaunen, mein Fräulein!« sagte Riquet mit der
+Locke zu ihr.
+
+»Ich glaube es,« sagte die Prinzessin, »und sicherlich wäre ich jetzt in
+der größten Verlegenheit, wenn ich es mit einem rohen, unvernünftigen
+Menschen zu tun hätte. Dieser würde sagen, daß auch eine Prinzessin nur
+ein Wort zu vergeben habe und da sie einmal ihr Versprechen gegeben, so
+müsse sie es auch halten. Aber da der Mann, mit dem ich spreche, der
+klügste Mensch in der ganzen Welt ist, so bin ich sicher, daß er
+Vernunft annehmen wird. Als ich nichts weiter war wie ein Dummkopf,
+hatte ich mich trotzdem, wie Sie wissen, nicht entschließen können, Sie
+zu heiraten. Wie können Sie von mir erwarten, daß ich heute, wo ich
+infolge des von Ihnen erhaltenen Verstandes so viel anspruchsvoller bin,
+einen Entschluß fassen soll, zu dem ich mich damals nicht aufraffen
+konnte? Wenn Sie also darauf ausgingen, mich zu heiraten, dann war es
+eine große Ungeschicklichkeit von Ihnen, mir meine Dummheit zu nehmen
+und mich klarer sehen zu lassen als früher!«
+
+Riquet mit der Locke gab zur Antwort: »Wenn Sie es einem geistlosen
+Menschen, wie Sie eben sagten, nicht verübeln würden, Ihnen die
+Nichterfüllung Ihres Wortes vorzuwerfen, warum wollen Sie denn, mein
+Fräulein, daß ich nicht ebenso verfahre, wo es sich doch um mein ganzes
+Lebensglück handelt? Ist es vernünftig, daß Menschen mit Verstand
+schlechter daran sind als Menschen ohne Verstand? Wollen Sie das
+wirklich behaupten, Sie, die Sie jetzt so viel Verstand besitzen und
+sich so sehr danach gesehnt haben? Aber kommen wir zur Sache, wenn es
+Ihnen beliebt! Abgesehen von meiner Häßlichkeit -- gibt es da noch
+irgend etwas an mir, was Ihnen mißfällt? Nehmen Sie vielleicht Anstoß an
+meiner Abstammung, an meinem Verstande, an meiner Gemütsart, an meinen
+Manieren?«
+
+»Ganz und gar nicht!« antwortete die Prinzessin, »alles, was Sie eben
+anführten, schätze ich an Ihnen.«
+
+»Wenn dem so ist,« fuhr Riquet mit der Locke fort, »so werde ich
+doch noch glücklich werden, denn Sie haben die Macht, mich zum
+liebenswertesten aller Menschen zu machen!«
+
+»Auf welche Weise?« fragte die Prinzessin.
+
+»Es ist einfach! Wenn Sie mich nur genug lieben, um zu wünschen, daß es
+so sein möchte! Kurz, mein Fräulein, damit Sie nicht länger im Zweifel
+sind, so hören Sie: Dieselbe Fee, die mir am Tage meiner Geburt die Gabe
+verlieh, den Menschen, der mir gefällt, klug zu machen, gab Ihnen die
+Gabe, den Mann schön zu machen, den Sie lieben, und an dem Sie diese
+Gunst betätigen wollen!«
+
+»Wenn es sich so verhält,« sagte die Prinzessin, »so wünsche ich von
+ganzem Herzen, daß Sie der schönste und liebenswürdigste Prinz der Welt
+werden sollen, und ich verleihe Ihnen von diesen Eigenschaften ebenso
+viel, wie ich selbst besitze!«
+
+Kaum hatte die Prinzessin diese Worte gesprochen, als Riquet mit der
+Locke sich in ihren Augen in den schönsten Mann der Welt verwandelte,
+den bestgestalteten und liebenswürdigsten, den sie je gesehen hatte.
+
+Einige Leute behaupten, es wären nicht die Zauberkünste der Fee gewesen,
+die da am Werke waren: die Liebe allein habe diese Wandlung vollbracht.
+Sie sagen, als sich die Prinzessin der Beharrlichkeit ihres Bewerbers,
+seiner Verschwiegenheit und aller seiner guten Herzens- und
+Verstandesgaben bewußt geworden wäre, habe sie keinen Blick mehr für
+seinen mißgestalteten Körper und sein häßliches Gesicht gehabt. Sein
+Buckel wäre ihr nur wie krumme Haltung vorgekommen, und in dem
+schrecklichen Hinken, das sie früher an ihm wahrgenommen hatte, habe sie
+jetzt nur eine gewisse reizvolle Nachlässigkeit erblickt. Es heißt
+weiter, daß ihr sogar seine schielenden Augen als außerordentlich
+strahlend vorgekommen wären, und ihre Unregelmäßigkeit nahm in ihrer
+Vorstellung den Charakter gewaltiger Liebesleidenschaft an; endlich
+hatte auch seine dicke, rote Nase für sie etwas Kriegerisches und
+Heldenhaftes.
+
+Wie dem auch sei, die Prinzessin versprach ihm, auf der Stelle ihn zu
+heiraten, vorausgesetzt, daß er dazu die Einwilligung ihres königlichen
+Vaters erhalte.
+
+Als der König erfuhr, wie sehr seine Tochter den Prinzen Riquet mit der
+Locke schätzte, den er übrigens als einen sehr vernünftigen und weisen
+Menschen kannte, nahm er ihn mit Vergnügen als seinen Eidam an.
+
+Schon am nächsten Tag wurde die Hochzeit gefeiert, wie Riquet mit der
+Locke es vorausgesehen hatte, und zwar nach den Anordnungen, die er
+schon lange vorher dafür getroffen hatte.
+
+
+ Moral:
+
+ Nicht Dichtung ist's, was Ihr gehört:
+ Das Leben selbst Euch hier belehrt,
+ Daß schön und klug ist jedermann,
+ Den eins von Herzen lieben kann.
+
+
+
+
+Jungfer Eselshaut
+
+
+Es war einmal ein König, der war so mächtig, von seinem Volke so
+geliebt, von allen seinen Nachbarn und Freunden so geehrt, daß man ihn
+den glücklichsten aller Herrscher nennen konnte. Noch größer wurde sein
+Glück, als er sich eine Prinzessin zur Braut erwählte, die ebenso schön
+wie tugendhaft war. In ihrer treuen Ehe wurde ihnen ein Töchterchen
+geschenkt, welches so schön und so anmutig war, daß sie niemals
+bedauerten, nur dieses eine Kind zu haben.
+
+Pracht, Reichtum und Geschmack herrschten in ihrem Palaste. Die Minister
+waren weise und geschickt, die Höflinge tugendhaft und anhänglich, die
+Diener treu und fleißig. Die schönsten Pferde standen reich gezäumt in
+den geräumigen Ställen. Aber was die Fremden, die die schönen Ställe
+besuchten, am meisten in Erstaunen setzte, das war ein alter Esel, der
+an einem besonderen Ehrenplatze im Stalle seine langen, großen Ohren
+ausstreckte. Der König hatte ihm diesen bevorzugten Platz nicht etwa aus
+irgendeiner Laune angewiesen, -- er hatte vielmehr einen guten Grund
+dazu. Denn dieses seltene Tier verdiente eine solche Bevorzugung; es
+hatte nämlich die sonderbare Eigenschaft, daß seine Streu jeden Morgen
+nicht etwa beschmutzt, sondern in verschwenderischer Fülle mit schönen
+Goldtalern und Dukaten aller Art bedeckt war, die man nur aufzusammeln
+brauchte.
+
+Da die Sonne des Lebens ihre Schatten nicht nur auf die Untertanen,
+sondern auch auf die Könige wirft, und da Gutes und Schlechtes stets
+beieinander wohnen, so wollte es der Himmel, daß die Königin plötzlich
+von einer schweren Krankheit befallen wurde, gegen die man trotz aller
+ärztlichen Wissenschaft und Geschicklichkeit kein Heilmittel fand. Alle
+waren untröstlich.
+
+Der König, der trotz jenes berühmten Sprichwortes, welches die Ehe das
+Grab der Liebe nennt, immer noch seine Gattin in Zärtlichkeit verehrte,
+wußte nicht, was er in seinem Kummer tun sollte. Allen Kirchen seines
+Reiches machte er heilige Gelübde; er wollte dem Himmel sein eigenes
+Leben opfern, um das seiner geliebten Gemahlin zu retten. Aber er rief
+vergeblich Gott und die Feen an.
+
+Als die Königin ihr letztes Stündchen nahen fühlte, sagte sie zu ihrem
+weinenden Gemahl:
+
+»Verzeiht, wenn ich vor meinem Tode eines von Euch fordere: Solltet ihr
+jemals das Verlangen haben, Euch wieder zu verheiraten ...« Bei diesen
+Worten schluchzte der König gar jammervoll, faßte die Hand seiner Frau,
+versicherte mit Tränen in den Augen, daß es überflüssig sei, ihm von
+einer zweiten Ehe zu sprechen.
+
+»Nein, nein, teuerste Königin, sagte er endlich, sprecht lieber davon,
+wie ich Euch folgen soll!«
+
+Darauf entgegnete die Königin mit einer Entschlossenheit, die den
+Schmerz ihres Mannes nur noch vermehrte:
+
+»Der Staat, der auf eine richtige Thronfolge bedacht sein muß, hat ein
+Recht, von Euch Söhne zu verlangen, die Euch gleichen. Trotzdem ich Euch
+nur eine Tochter geschenkt habe, bitte ich Euch inständig bei aller
+Liebe, die Ihr für mich hegt: gebt dem Verlangen Eures Volkes erst dann
+nach, wenn Ihr eine Prinzessin gefunden habt, die schöner ist, als ich
+gewesen bin. Schwört mir dies, dann will ich ruhig sterben.«
+
+Man könnte meinen, die Königin, die nicht ganz ohne Eifersucht war, habe
+diesen Schwur gefordert, um sicher zu sein, daß der König keine zweite
+Ehe schließen würde. Glaubte sie doch bestimmt, daß es auf der ganzen
+Welt keine Frau gäbe, die ihr gleich käme.
+
+So starb sie denn. Niemals hatte ein Gatte größere Trauer gezeigt:
+Weinen und Schluchzen bei Tag und bei Nacht, diese armseligen Rechte der
+Verlassenheit waren seine einzige Beschäftigung. Aber auch der größte
+Schmerz dauert nicht ewig.
+
+Es versammelten sich die Großen des Staates und kamen mit der
+gemeinsamen Bitte zum König, er solle sich wieder verheiraten. Ihr
+Vorschlag schien ihm grausam und ließ ihn neue Tränen vergießen. Er
+berief sich auf den Eid, den er der Königin geschworen und gab allen
+seinen Räten den Auftrag, erst einmal eine Prinzessin zu suchen, die
+schöner sei, als seine Frau es gewesen. Er war aber überzeugt, daß sie
+diese niemals finden würden.
+
+[Illustration]
+
+Dem hohen Rate kam das Gelübde des Königs lächerlich vor, und er
+erklärte, Schönheit sei eine Nebensache; das Staatsinteresse verlange
+eine tugendhafte Königin, die Mutter werde; der Staat brauche für seine
+Ruhe und seinen Frieden Prinzen. Die Prinzessin habe zwar alle
+Eigenschaften, die eine große Königin zieren, aber man müsse ihr einen
+Fremden zum Gemahl erwählen. Dieser Fremde würde sie entweder in seine
+Heimat führen, oder wenn er neben ihr im Lande herrsche, so würden seine
+Kinder immer fremdblütig bleiben. Das wäre eine Gefahr, da die
+Nachbarvölker eines Königreiches, das keinen Thronfolger habe, Krieg
+beginnen und den Untergang des Landes herbeiführen könnten.
+
+Betroffen von solchen Erwägungen versprach der König, ihrem Rate zu
+folgen und begann, unter den heiratsfähigen Prinzessinnen Umschau zu
+halten, ob eine unter ihnen wäre, die ihm gefallen könnte. Jeden Tag
+brachte man ihm die reizendsten Bilder. Aber keines zeigte die Anmut der
+verstorbenen Königin, und so konnte er sich für keine entscheiden.
+
+Obwohl er sonst von gutem Verstande war, kam er unglücklicher Weise auf
+den tollen Einfall, seine Tochter, die Prinzessin, zur Frau zu nehmen.
+Da sie ihre königliche Mutter, an Geist und Anmut bei weitem übertraf,
+so glaubte er, sie allein könne ihn von seinem Eide erlösen.
+
+In ihrer Tugendhaftigkeit und Scham wäre die Prinzessin bei diesem
+entsetzlichen Vorschlag fast in Ohnmacht gefallen. Sie warf sich ihrem
+königlichen Vater zu Füßen und beschwor ihn mit der ganzen Leidenschaft
+ihrer Seele, sie nicht zu einem solchen Verbrechen zu zwingen.
+
+Der König aber hatte sich nun einmal diesen Wahnsinn in den Kopf gesetzt
+und fragte, um das Gewissen der Prinzessin zu beruhigen, eine alte
+Zauberin um ihren Rat. Dieses alte Weib, das ebenso gottlos wie
+ehrgeizig war, opferte das Glück der unschuldigen und tugendhaften
+Prinzessin der Ehre, die Vertraute eines mächtigen Herrschers zu sein.
+Sie schmeichelte sich so sehr in das Herz des Königs ein, schilderte ihm
+das Verbrechen, das er begehen wollte, in so schönen Farben, daß er der
+festen Überzeugung war, es sei ein Gott wohlgefälliges Werk, die Tochter
+zu heiraten.
+
+Ganz im Banne dieser Worte umarmte der König die Zauberin und bestand
+nach seiner Rückkehr mehr als zuvor auf seinem Plan; er gab daher der
+Prinzessin den Befehl, sie solle sich bereit halten, ihm zu gehorchen.
+
+In ihrem schmerzlichen Unglück dachte die Prinzessin nach, wie sie die
+Lila-Fee, ihre Patin, finden könne. In einem kleinen Wagen, der mit
+einem Hammel bespannt war, welcher Weg und Steg kannte, fuhr sie noch in
+derselben Nacht davon. So kam sie glücklich an ihr Ziel.
+
+[Illustration]
+
+Die Fee, welche die Prinzessin liebte, sagte, sie wisse schon alles, was
+sie bekümmere, doch brauche sie sich keine Sorge zu machen. Nichts würde
+ihr schaden, wenn sie sich nur treu an die Vorschriften halte, die sie
+ihr geben würde.
+
+»Es wäre freilich ein großes Vergehen, wenn Du Deinen Vater heiraten
+wolltest, mein liebes Kind!« sagte die Fee, »aber ohne ihm zu
+widersprechen, kannst Du seinen Absichten doch aus dem Wege gehen. Sage
+ihm, er solle Dir einen Wunsch erfüllen: er solle Dir ein Kleid schenken
+von der Farbe des Wetters. Wie groß auch seine Macht ist, das wird er
+nicht können.«
+
+Die Prinzessin dankte ihrer Patin von Herzen und schon am anderen Morgen
+sagte sie zum Könige, ihrem Vater, das, was ihr die Fee geraten hatte,
+und erklärte feierlich, sie würde ihre Einwilligung erst dann geben,
+wenn sie das Kleid von der Farbe des Wetters bekäme.
+
+Erfreut über die Hoffnung, die sie in ihm erweckte, berief der König die
+berühmtesten Schneider und befahl ihnen, das gewünschte Kleid zu machen,
+und drohte ihnen, daß er sie alle hängen lassen würde, wenn sie es nicht
+fertig bekämen. Doch dieses Äußerste blieb ihm erspart: schon am zweiten
+Tage brachten sie das so heiß begehrte Gewand herbei. Der Himmel selbst
+hatte kein schöneres Blau, wenn er umkränzt ist mit goldenen Wölklein,
+als dieses wunderschöne Gewand, wie es da ausgebreitet lag.
+
+Die Prinzessin war ganz untröstlich und wußte sich keinen Rat. Der König
+drängte zur Heirat. So blieb ihr nichts übrig, als ein zweites Mal die
+Patin aufzusuchen. Erstaunt, daß ihre List nicht geglückt war, riet ihr
+die Fee, sie solle es noch einmal versuchen, aber dieses Mal ein Kleid
+von der Farbe des Mondes verlangen. Da der König ihr nichts abschlagen
+konnte, rief er wieder die besten Schneider herbei und gab ihnen ein
+Kleid von der Farbe des Mondes in Auftrag. So rasch sollten sie es
+machen, daß zwischen Auftrag und Lieferung nur vierundzwanzig Stunden
+lagen. In großer Angst saß die Prinzessin bei ihren Frauen und bei ihrer
+Amme und war mehr entzückt über das neue herrliche Gewand, als über die
+Absicht ihres königlichen Vaters.
+
+[Illustration]
+
+Die Lila-Fee, die das alles wußte, kam der bedrängten Prinzessin zu
+Hilfe und sprach zu ihr:
+
+»Ich müßte mich sehr täuschen, wenn wir es nicht doch noch fertig
+brächten, Deinem königlichen Vater die Lust zur Heirat zu nehmen.
+Verlange jetzt ein Kleid von der Farbe der Sonne! Ein solches zu
+beschaffen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Auf jeden Fall gewinnen wir
+aber Zeit.«
+
+Die Prinzessin war damit einverstanden und verlangte das Kleid von der
+Farbe der Sonne. Da gab der verliebte König ohne Bedenken alle Diamanten
+und Rubinen seiner Krone her, um ihr zu diesem herrlichen Gewande zu
+verhelfen und er befahl, mit nichts zu sparen, um das Kleid der Sonne
+gleich zu machen.
+
+Als es dann geliefert wurde, mußten alle, die es sahen, die Augen
+schließen, so wurde man geblendet. Aus jener Zeit stammen die grünen
+Brillen und die schwarzen Augengläser.
+
+Aber wie erschrak die Prinzessin bei diesem Anblick! Noch nie hatte man
+ein so schönes und so herrlich gearbeitetes Kleid gesehen. Sie war ganz
+verwirrt und zog sich unter dem Vorwand, Augenschmerzen zu haben, auf
+ihr Zimmer zurück, wo sie die Fee erwartete. Das war eine schlimme
+Sache. Wie diese das sonnenfarbene Kleid sah, war sie so beschämt, wie
+man es nicht sagen kann; sie wurde rot vor Zorn und sagte zur
+Prinzessin:
+
+»Nunmehr müssen wir die schmachvolle Liebe Deines Vaters auf eine
+schwere Probe stellen. Wenn er auch noch so sehr nach dieser Heirat
+strebt, so glaube ich doch, daß er einen kleinen Schrecken über die
+Bitte bekommen wird, zu der ich Dir jetzt rate. Ich meine die Haut des
+Esels, den er so sehr liebt und der ihm die Mittel zu seinen
+verschwenderischen Ausgaben verschafft. Gehe hin und bitte ihn um die
+Haut des Esels.«
+
+Froh über dieses Mittel der verabscheuten Heirat zu entgehen und
+überzeugt, daß ihr Vater sich niemals dazu entschließen würde, des Esels
+Haut zu opfern, ging die Prinzessin zum Könige und verlangte von ihm die
+Haut des schönen Tieres. Der König war bestürzt über diesen Einfall
+seiner Tochter, aber er zögerte nicht, ihm zu genügen. Der arme Esel
+wurde geschlachtet und die Haut feierlich der Prinzessin überbracht. Nun
+sah sie kein Mittel mehr, ihrem Unglück zu entgehen und war in
+Verzweiflung.
+
+[Illustration]
+
+Ihre Patin eilte herbei und als sie sah, wie sich die Prinzessin ihr
+Haar raufte und ihre zarten Wangen zerfleischte, sprach sie:
+
+»Was tust Du da, mein Kind! Es ist doch der glücklichste Augenblick
+Deines Lebens! Hülle Dich in diese Haut, verlasse den Palast und gehe so
+weit, wie Dich die Erde trägt, denn wer alles seiner Tugend opfert, den
+werden die Götter belohnen. Mache Dich auf, ich werde Sorge tragen, daß
+Dir Deine Kleider überall folgen, wohin Du auch gehst. Der Kasten mit
+Deinem Schmuck und Deinen Gewändern wird auf unterirdischem Wege Dich
+begleiten. Hier gebe ich Dir meinen Zauberstab, klopfe damit auf die
+Erde, wenn Du Deinen Kasten brauchst, und er wird Dir sofort erscheinen.
+Doch Du mußt eilen und darfst jetzt nicht mehr zögern!«
+
+Die Prinzessin bat ihre Patin unter tausend Küssen, sie niemals zu
+verlassen; dann befleckte sie die Eselshaut mit Straßenschmutz, hüllte
+sich hinein und verließ unerkannt den Palast.
+
+Das Verschwinden der Prinzessin brachte alle in die größte Aufregung.
+Der König, der gerade ein prächtiges Fest vorbereitete, war untröstlich
+in seiner Verzweiflung. Er schickte mehr als hundert Gendarmen und ganze
+Regimenter Soldaten aus, um seine Tochter zu suchen. Aber die Fee nahm
+sie in ihren Schutz, machte sie unsichtbar und entzog sie den
+geschicktesten Verfolgern. So mußte der König sich mit ihrem Verluste
+abfinden.
+
+Die Prinzessin aber wanderte ihres Weges. Sie ging weit, weit und immer
+weiter und suchte überall nach einer Stellung. Aus Mitleid gab man ihr
+zu essen; aber jedermann fand sie zu häßlich, um sie in seinen Dienst zu
+nehmen.
+
+Endlich kam sie an eine schöne Stadt, vor deren Toren eine Meierei lag.
+Die Pächterin dieser Meierei brauchte eine Magd, um die Wäsche zu
+waschen und um den Hühnerhof und den Schweinestall zu fegen. Wie nun die
+Frau die schmutzige Wanderin sah, schlug sie ihr vor, in ihren Dienst zu
+treten. Mit großer Freude war die Prinzessin damit einverstanden, denn
+sie war müde von dem langen Wege.
+
+Als Wohnung wies man ihr einen Verschlag an, der weit von der Küche
+entfernt lag. Die andern Bedienten trieben in den ersten Tagen grobe
+Späße mit ihr, weil sie in ihrer Eselshaut so schmutzig und abstoßend
+war. Aber bald gewöhnte man sich an sie; und da sie ihre Pflichten sehr
+gewissenhaft erfüllte, nahm sich die Pächterin ihrer an.
+
+Die Prinzessin ließ die Schafe aus dem Stall und führte sie auf die
+Weide. Auch die Truthühner hütete sie mit so viel Verständnis, daß es
+schien, als habe sie niemals etwas anderes getan. Alles gedieh unter
+ihren zarten Händen.
+
+Eines Tages saß sie wieder an der klaren Quelle, wo sie oft über ihr
+trauriges Los weinte. Da kam sie auf den Gedanken, sich im Spiegel des
+Wassers zu betrachten, und sie erschrak über die gräßliche Eselshaut,
+die ihren Kopf und Körper umhüllte. Beschämt über ihr Aussehen, wusch
+sie sich Gesicht und Hände, bis sie weiß waren wie Elfenbein und bis
+ihre zarte Haut wieder so frisch war wie früher. Erfreut über ihre
+Schönheit bekam sie Lust zu einem Bade. Aber dann mußte sie wieder in
+ihre unwürdige Haut schlüpfen, um nach der Meierei zurückzukehren.
+
+Glücklicherweise war der nächste Tag ein Sonntag, und für sie ein Tag
+der Muße. Sie ließ ihren Kasten erscheinen, brachte ihre Kleider in
+Ordnung, puderte ihr schönes Haar und zog das wunderbare wetterfarbene
+Kleid an. Aber ihre Kammer war so klein, daß die Schleppe des herrlichen
+Gewandes keinen Platz darin hatte. Die schöne Prinzessin betrachtete
+sich im Spiegel und war über ihre Schönheit so erfreut, daß sie sich
+vornahm, an Sonn- und Festtagen der Reihe nach alle ihre schönen
+Gewänder anzuziehen.
+
+Diesen Plan führte sie auch aus. Mit seltenem Geschmack steckte sie sich
+Blumen und Diamanten in ihr schönes Haar, und oft seufzte sie, daß
+niemand sie in solcher Schönheit sah außer ihren Schafen und
+Truthühnern, die sie aber nicht weniger liebten in ihrer häßlichen
+Eselshaut, wonach sie die Leute auf der Meierei »Jungfer Eselshaut«
+getauft hatten.
+
+An einem Sonntage hatte die Prinzessin das sonnenfarbene Gewand
+angezogen, als gerade der Sohn des Königs, dem die Meierei gehörte, dort
+abgestiegen war, um sich auf der Heimkehr von der Jagd ein wenig
+auszuruhen.
+
+[Illustration]
+
+Es war ein junger und schöner Prinz, geliebt von seinem Vater und seiner
+königlichen Mutter und verehrt von seinem ganzen Volke. Es wurde ihm ein
+ländliches Mahl bereitet, welches er mit Dank annahm. Danach bekam er
+Lust, sich die Geflügelhöfe anzusehen, und er durchstreifte sie bis in
+die äußersten Winkel.
+
+Wie er sich so überall umsah, kam er in eine schattige Allee, an deren
+Ende er eine verschlossene Tür fand. Neugierig sah er durchs
+Schlüsselloch. Aber wie erschrak er, als er hier die wunderschön und
+reich gekleidete Prinzessin sah. In seiner edlen und bescheidenen Art
+hielt er sie für eine göttliche Erscheinung. Ohne die Ehrfurcht, die ihm
+das bezaubernde Bild einflößte, hätte der Sturm der Gefühle, der ihn da
+durchtobte, ihn sicherlich verführt, die Tür zu öffnen.
+
+Es wurde ihm schwer, die dunkle, schattige Allee zu verlassen. Er tat es
+nur, um sich zu erkundigen, wer in der kleinen Kammer dort hause. Man
+gab ihm zur Antwort, es sei eine Magd, man nenne sie nur »Jungfer
+Eselshaut«, nach dem Kleide, das sie trage. Sie sei so schmutzig, daß
+niemand sie ansähe und niemand mit ihr sprechen wolle. Aus Mitleid habe
+man sie aufgenommen, damit sie die Schafe und die Truthühner hüte.
+
+Diese Antwort sagte dem Prinzen so gut wie gar nichts. Er sah ein, daß
+die guten Leute von dem Geheimnis nichts wußten und er hielt es für
+zwecklos, sie weiter auszufragen.
+
+So kehrte er über alle Maßen verliebt, in den Palast seines Vaters
+zurück und behielt immer das herrliche Bild der göttlichen Erscheinung
+vor Augen, das er durch das Schlüsselloch gesehen hatte. Nun reute es
+ihn doch, daß er nicht angeklopft hatte, und er nahm sich vor, es beim
+nächsten Male nicht zu versäumen.
+
+Aber der Sturm in seinem Blute, den die Liebe heraufbeschworen hatte,
+warf ihn noch in derselben Nacht in ein so heftiges Fieber, daß er fast
+gestorben wäre. Seine Mutter, die Königin, deren einziges Kind er war,
+geriet in Verzweiflung darüber, daß alle Heilmittel versagten. Umsonst
+versprach sie den Ärzten fürstlichen Lohn. Sie wandten alle Mittel an,
+aber keines half dem Prinzen.
+
+Schließlich ahnten sie, daß ein schwerer Kummer die Ursache dieser
+Krankheit war. Sie sagten es der Königin, und diese beschwor ihren Sohn
+in ihrer zärtlichen Liebe, ihr doch die Ursache seines Leides zu nennen.
+Wenn es sich etwa darum handle, ihm jetzt schon die Krone zu geben, so
+würde sein Vater, der König, ohne Schwanken des Thrones entsagen und ihn
+zum Könige machen. Sollte er aber irgendeine Prinzessin zur Frau
+begehren, so würde man, um seinen Wunsch zu erfüllen, alle Rücksichten
+opfern, selbst wenn man mit ihrem Vater im Kriege lebte oder auch andere
+Gründe hätte, eine solche Verbindung zu bedauern. Nur beschwöre sie ihn,
+am Leben zu bleiben, denn an seinem Leben hänge auch ihr Leben.
+
+Als die Königin diese zu Herzen gehenden Worte gesprochen hatte, wobei
+sie das Antlitz des Prinzen mit Strömen von Tränen benetzte, sagte er zu
+ihr mit erschöpfter Stimme:
+
+»Liebe Mutter, ich bin nicht der Unmensch, daß ich vom Vater die Krone
+fordere; gäbe Gott, daß er noch viele Jahre lebe, und daß ich immer sein
+treuester und ehrfurchtsvollster Untertan bliebe. Auch an eine
+Prinzessin denke ich nicht und auch nicht an eine Heirat. Ihr dürft
+überzeugt sein, daß ich hierin wie bisher mich immer Eurem Wunsche füge,
+was es mich auch kosten mag.«
+
+»Ach liebster Sohn,« erwiderte die Königin, »um Dein Leben zu retten,
+gäben wir gern alles hin, nur rette Du jetzt mein Leben und das Deines
+königlichen Vaters und offenbare mir, was Du begehrst. Du darfst
+versichert sein: es wird Dir gewährt.«
+
+»Nun liebe Mutter,« sagte der Prinz, »da ich Euch meine geheimsten
+Wünsche offenbaren soll, so will ich Euch gehorchen, um nicht zwei mir
+so teure Menschen in Gefahr zu bringen: Ich wünsche mir, daß Jungfer
+Eselshaut mir einen Kuchen backen soll, und daß man ihn so schnell wie
+möglich herbringt.«
+
+Höchst erstaunt über diesen seltsamen Namen, forschte die Königin, wer
+Jungfer Eselshaut sei. Einer ihrer Offiziere, der sie zufällig gesehen
+hatte, antwortete: »Es ist das häßlichste Geschöpf nach dem Wolf, ein
+schmutziges Mädchen in einem schwarzen Stalle. Es haust in Eurer Meierei
+und hütet dort die Truthühner.«
+
+»Und wenn es auch so ist,« sagte die Königin, »mein Sohn hat vielleicht
+einmal auf der Heimkehr von der Jagd von ihrem Kuchen gegessen. Es ist
+der Wunsch eines Fiebernden, kurz, ich will, daß Jungfer Eselshaut ihm
+schnell einen Kuchen backe.«
+
+Man lief zur Meierei, holte Jungfer Eselshaut und trug ihr auf, für den
+Prinzen den allerschönsten Kuchen zu backen.
+
+Einige Erzähler behaupten, Jungfer Eselshaut habe in dem Augenblick, als
+der Prinz durch das Schlüsselloch sah, diesen bemerkt, und als sie dann
+durch das Fensterlein ihrer Kammer den jungen, schönen Prinzen gesehen
+habe, sei sein Bild in ihrem Herzen geblieben, und die Erinnerung an ihn
+habe ihr manchen Seufzer gekostet.
+
+Wie dem auch sei, ob Jungfer Eselshaut ihn wirklich gesehen, oder ob sie
+viel Rühmliches von ihm gehört, jedenfalls war sie hocherfreut, der
+Verborgenheit ihres Daseins zu entfliehen, schloß sich in ihr Kämmerlein
+ein, warf die Eselshaut ab, wusch sich Gesicht und Hände, kämmte ihr
+blondes Haar, legte ein hübsches, silbernglänzendes Leibchen an, dazu
+einen passenden Rock und machte sich daran, den Kuchen zu bereiten. Sie
+nahm das feinste Mehl, viel Eier und frische Butter. Hierbei ließ sie
+einen Ring, den sie am Finger trug, sei es Absicht, sei es Zufall, in
+den Teig fallen und mischte ihn darunter. Als der Kuchen gebacken war,
+hüllte sie sich wieder in ihre häßliche Haut und brachte das Gebäck dem
+Offizier, bei dem sie sich nach des Prinzen Befinden erkundigte. Doch
+dieser hielt es unter seiner Würde, ihr eine Antwort zu geben, und lief
+davon, um dem Prinzen den Kuchen zu bringen.
+
+Hocherfreut griff der Prinz mit beiden Händen nach dem Kuchen und
+verzehrte ihn mit solcher Hast, daß die anwesenden Ärzte nicht
+verfehlten, diese Leidenschaft für ein bedenkliches Zeichen zu erklären.
+In der Tat wäre der Prinz beinahe an dem Ring erstickt, aber er hielt
+ihn noch rechtzeitig im Munde zurück. Sein Appetit verging ihm, als er
+das kostbare Kleinod betrachtete. So zierlich war dieser Ring, daß alle
+überzeugt waren, er könne nur dem schönsten Finger der Welt passen.
+
+Wohl tausendmal küßte der Prinz den Ring und verbarg ihn unter seinem
+Hemd, um ihn jedesmal hervorzuziehen, wenn er sich unbeobachtet glaubte.
+Er quälte sich in dem Gedanken, wie er zu der gelangen könne, die diesen
+Ring getragen. Doch er wagte nicht zu hoffen, daß man ihm gestatten
+würde, Jungfer Eselshaut kommen zu lassen, die ihm den Kuchen gebacken
+hatte. Er wagte auch nicht davon zu sprechen, was er durch das
+Schlüsselloch gesehen hatte, aus Furcht, man würde ihn auslachen und ihn
+für einen Gespensterseher halten. Da alle diese Sorgen gleichzeitig auf
+ihn einstürmten, nahm sein Fieber stark zu, und in ihrer Ratlosigkeit
+erklärten die Ärzte der Königin, der Prinz sei krank aus Liebe.
+
+In Begleitung des Königs, der schier verzweifelte, stürzte die Königin
+zu ihrem Sohn.
+
+»Mein Sohn, mein lieber Sohn,« rief der bekümmerte Herrscher aus, »nenne
+uns das Mädchen, das Du begehrst und wäre es die niedrigste Magd, wir
+schwören Dir, sie soll Deine Frau werden.«
+
+Unter vielen Küssen bekräftigte die Königin den Schwur ihres Gatten.
+
+»Lieber Vater und liebe Mutter,« sagte da der Prinz, »ich denke gar
+nicht daran, eine Ehe zu schließen, die Euch mißfallen könnte. Um Euch
+das zu beweisen, werde ich das Mädchen heiraten, dem dieser Ring gehört,
+wer sie auch sein mag. Aber wer einen so schönen Finger hat, daß ihm
+dieser Ring paßt, der dürfte allem Anschein nach kaum von geringer oder
+bäuerischer Herkunft sein.«
+
+Bei diesen Worten zog er das Kleinod unter seinem Hemd hervor. Der König
+und die Königin nahmen den Ring, prüften ihn neugierig und stimmten dem
+Urteil ihres Sohnes zu, daß er nur einem jungen Mädchen von edler
+Herkunft gehören könne. Der König umarmte seinen Sohn und beschwor ihn,
+gesund zu werden und dann ging er hinaus, um die Trommler, Pfeifer und
+Trompeter durch die ganze Stadt zu schicken und durch seine Herolde
+bekanntzumachen, daß alle Mädchen in den Palast kommen sollten, um einen
+Ring zu probieren, und das Mädchen, dem er zu eigen gehöre, die Frau des
+Prinzen werde.
+
+Zuerst kamen die Prinzessinnen, dann die Herzoginnen, die Marquisen und
+Baroninnen. Aber sie zeigten umsonst ihre Finger vor: keiner von ihnen
+paßte der Ring. Schließlich ließ man die Bürgermädchen kommen, aber auch
+diese hatten alle, so hübsch sie auch waren, viel zu dicke Finger. Da es
+dem Prinzen besser ging, stellte er die Versuche selbst an. Endlich
+kamen auch die Kammermädchen an die Reihe, aber auch sie schnitten nicht
+besser ab. Nun gab es kein Mädchen mehr, an dem der Ring nicht probiert
+worden wäre. Dann ließ der Prinz die Köchinnen und Hirtinnen kommen: all
+das Pack führte man herbei, aber ihre dicken, roten und kurzen Finger
+gingen erst recht nicht durch den Ring.
+
+»Hat man schon Jungfer Eselshaut kommen lassen, die mir neulich den
+Kuchen backte?« fragte der Prinz.
+
+Da fingen sie alle an zu lachen, und man erklärte ihm: »Die ist doch
+viel zu häßlich und zu schmutzig.«
+
+»Man hole sie sofort,« sagte der König, »es soll nicht heißen, ich hätte
+irgend jemanden ausgeschlossen.«
+
+Mit Spott und Hohn liefen sie fort, die Magd zu holen.
+
+Als Jungfer Eselshaut die Trommler gehört hatte und den Ruf der Herolde,
+war sie sehr im Zweifel, ob ihr Ring wirklich all den Lärm verursache.
+Sie liebte den Prinzen, und da die wahre Liebe immer furchtsam ist und
+nicht stolz, so fürchtete sie, daß es doch eine Dame geben könne, die
+denselben kleinen Finger habe, wie sie. Jetzt aber hatte sie große
+Freude, als man an ihre Tür klopfte und sie rief.
+
+Seitdem sie wußte, daß man nach dem kleinen Finger suche, zu dem der
+Ring passe, hatte sie eine unbestimmte Hoffnung auf den Gedanken
+gebracht, ihre Haare noch schöner zu kämmen als sonst, ihr schönes,
+silbernes Leibchen anzulegen und dazu den Rock, der mit vielen Falten,
+silbernen Spitzen und Edelsteinen besetzt war.
+
+Wie sie nun an ihre Tür klopfen und nach ihr rufen hörte, sie solle zum
+Prinzen kommen, da warf sie rasch ihre Eselshaut über und öffnete.
+
+Spöttisch erklärten ihr die Leute, der König schicke nach ihr, damit sie
+seinen Sohn heirate. Dann führten sie Jungfer Eselshaut unter
+Hohngelächter zum Prinzen.
+
+Als dieser das Mädchen in ihrem sonderbaren Aufputz sah, war er nicht
+wenig betroffen und hielt es für unmöglich, daß es dieselbe sei, die er
+so stolz und schön gesehen hatte. Traurig und verwirrt, daß er sich so
+schwer getäuscht, fragte er sie:
+
+»Wohnst Du dort unten in der dunklen Allee, im dritten Geflügelhof der
+Meierei?«
+
+»Ja, Herr«, antwortete sie.
+
+Zitternd und mit einem tiefen Seufzer sagte er. »Zeige mir Deine Hand!«
+
+Wer war da am meisten überrascht? Das waren der König und die Königin,
+ebenso der Kammerherr und die anderen Höflinge. Aus der schwarzen,
+beschmutzten Haut hervor kam eine feine, weiße, rosenfarbene Hand, und
+mühelos ließ sich der Ring an den kleinsten und schönsten Finger der
+Welt streifen. Dann schüttelte sich die Prinzessin und die Eselshaut
+fiel von ihr ab. Nun stand sie da, so bezaubernd in ihrer Schönheit, daß
+der Prinz, schwach wie er war, vor ihr niederfiel und sie mit einer
+Leidenschaft in seine Arme schloß, die sie erröten machte. Aber man
+achtete kaum darauf, denn auch der König und die Königin umarmten sie in
+einem fort und fragten sie, ob sie ihren Sohn zum Gemahl nehmen wolle.
+Die Prinzessin war ganz verwirrt von so viel Zärtlichkeit und Liebe, die
+ihr der schöne, junge Prinz bezeigte und wollte sich eben dafür
+bedanken, als sich die Decke des Saales auftat und die Lila-Fee in einem
+Wagen aus Zweigen und Blumen ihres Namens herabschwebte, und mit
+unendlicher Anmut das Schicksal der Prinzessin erzählte. In ihrer Freude
+darüber, daß Jungfer Eselshaut eine so vornehme Prinzessin war,
+verdoppelten der König und die Königin ihre Zärtlichkeit. Aber noch
+größer war die Freude des Prinzen über die Tugendhaftigkeit der
+Prinzessin und seine Liebe zu ihr wuchs noch mehr durch die Erzählung
+der Fee.
+
+Die Ungeduld des Prinzen, seine Braut heimzuführen, war so groß, daß er
+sich kaum Zeit ließ, um die Feier würdig vorzubereiten. Ganz verliebt in
+ihre schöne Schwiegertochter, erwiesen ihr der König und die Königin
+Zärtlichkeiten über Zärtlichkeiten und ließen sie nicht aus ihrem Arm.
+Da die Prinzessin erklärt hatte, sie könne des Prinzen Frau nicht
+werden, ohne das Einverständnis des königlichen Vaters, wurde zunächst
+an diesen eine Einladung geschickt, ohne ihm dabei zu verraten, wer die
+Braut sei. Dies geschah auf Wunsch der Lila-Fee, die alles zum Guten
+lenkte.
+
+[Illustration]
+
+Aus allen Ländern kamen die Könige herbei, die einen in Sänften, die
+anderen in Wagen, die weiter wohnenden kamen auf Elefanten daher
+geritten, auf Tigern und Adlern, aber der allerprächtigste und
+allermächtigste war der Vater der Prinzessin, der gottlob seine
+frevelhafte Liebe zu seiner Tochter überwunden und die sehr schöne Witwe
+eines kinderlosen Königs geheiratet hatte. Die Prinzessin eilte auf ihn
+zu. Da erkannte er sie und schloß sie mit großer Zärtlichkeit in die
+Arme, noch ehe sie Zeit hatte, sich ihm zu Füßen zu werfen. Der König
+und die Königin stellten ihm ihren Sohn vor, den er mit Beweisen seiner
+Freundschaft überhäufte. Nun wurde die Hochzeit mit aller nur denkbaren
+Pracht gefeiert. Die jungen Gatten aber hatten kein Auge für diese
+Herrlichkeiten, der eine sah nichts als nur den anderen.
+
+Noch an demselben Tage ließ der Vater seinen Sohn zum König krönen und
+setzte ihn mit feierlichem Handkuß auf den Thron; wie sehr er sich auch
+dagegen wehrte, er mußte dem Willen des Vaters gehorchen. Fast drei
+Monate dauerten die Festlichkeiten, aber die Liebe der beiden Gatten
+würde noch heute dauern, wenn sie nicht hundert Jahre später gestorben
+wären.
+
+
+ Moral:
+
+ Dies Märchen klingt so wunderbar,
+ Daß viele glauben, es wär' nicht wahr.
+ Doch bleibt Jungfer Eselshaut immer beliebt,
+ So lang es Großmütter und kleine Kinder gibt.
+
+
+
+
+Dornröschen
+
+
+Es war einmal ein König und eine Königin, die waren traurig, daß sie
+keine Kinder hatten, so traurig, wie man es nicht sagen kann. Sie
+reisten in alle Bäder der Welt, legten Gelübde ab, machten Wallfahrten.
+Nichts wollte helfen. Aber schließlich wurde die Königin dennoch
+schwanger und gebar ein Mädchen.
+
+Man feierte eine schöne Taufe und lud zu Patinnen für die kleine
+Prinzessin alle Feen, die man im Lande finden konnte; es waren deren
+sieben. Jede sollte ihr ein Geschenk machen, wie es damals Brauch bei
+den Feen war, damit so die Prinzessin alle nur denkbaren Vorzüge
+erhielte.
+
+Nach der Tauffeierlichkeit kehrte die ganze Gesellschaft in den Palast
+des Königs zurück, wo ein großes Fest für die Feen gegeben wurde. Man
+legte vor jede ein herrliches Gedeck mit einem goldenen Besteck: Löffel,
+Gabel und Messer von feinstem Gold, verziert mit Diamanten und Rubinen.
+Aber als man sich zu Tisch setzen wollte, trat plötzlich eine alte Fee
+ein, die man nicht eingeladen hatte, da sie seit mehr als fünfzig Jahren
+nicht aus ihrem Turm herausgekommen war; man hatte sie für tot oder für
+verzaubert gehalten.
+
+Der König befahl, auch ihr ein Gedeck zu reichen; aber es war kein echt
+goldenes mehr da. Man hatte für die sieben Feen nur sieben machen
+lassen. Die Alte fühlt sich beleidigt und murmelte leise drohende Worte.
+
+Eine der jungen Feen, welche in ihrer Nähe saß, hörte es, und ahnte, daß
+sie der kleinen Prinzessin ein unheilvolles Geschenk machen würde. Als
+man nun von der Tafel aufstand, verbarg sie sich hinter einem Vorhang,
+damit sie als letzte sprechen könne, um so das Unheil, das jene
+anrichten würde, nach Kräften wieder gut zu machen.
+
+Indessen begannen die Feen, der Prinzessin ihre Gaben darzubringen. Die
+jüngste wünschte ihr die größte Schönheit von der Welt, die zweite die
+Klugheit eines Engels, die dritte eine wundervolle Anmut, die vierte
+Zierlichkeit im Tanz, die fünfte den Gesang der Nachtigall und die
+sechste Kunstfertigkeit in der Musik.
+
+Als die Reihe an die alte Fee kam, sagte sie, wobei sie mehr aus Wut als
+wegen ihrer Altersschwäche mit dem Kopfe wackelte, die Prinzessin werde
+sich mit einer Spindel in die Hand stechen und daran sterben. Dieser
+schreckliche Spruch ließ alle erschaudern, und es gab in der ganzen
+Gesellschaft niemanden, der nicht hätte weinen müssen.
+
+In diesem Augenblick trat die junge Fee hinter dem Vorhange hervor und
+sprach mit lauter Stimme:
+
+»Beruhigt Euch, König und Königin, Eure Tochter soll nicht sterben; ich
+habe zwar nicht genug Macht, um alles wieder gut zu machen, was die Alte
+angerichtet hat: die Prinzessin wird sich mit einer Spindel in die Hand
+stechen, aber anstatt des Todes wird sie in einen tiefen Schlaf fallen,
+der hundert Jahre dauert. Dann wird der Königssohn kommen und sie
+erwecken.«
+
+Um das durch die Alte angekündigte Unheil abzuwenden, erließ der König
+alsbald ein Gesetz, das bei Todesstrafe verbot, mit Spindeln zu spinnen,
+ja überhaupt sie zu besitzen. --
+
+Fünfzehn oder sechzehn Jahre später waren der König und die Königin
+einmal auf eines ihrer Lustschlösser hinaus gefahren. Da geschah es, daß
+die junge Prinzessin, als sie durch den Palast lief und von Zimmer zu
+Zimmer sprang, hinauf in ein kleines Turmstübchen kam, in dem eine alte
+Frau ganz allein saß und ihren Rocken spann. Diese gute Frau hatte von
+dem Verbote des Königs, mit Spindeln zu spinnen, noch nie etwas gehört.
+
+»Was macht Ihr da, liebe Frau?« sagte die Prinzessin.
+
+»Ich spinne, mein gutes Kind«, antwortete die Alte, die aber die
+Prinzessin nicht kannte.
+
+»Wie hübsch das ist,« sprach die Prinzessin, »wie macht Ihr das? Gebt es
+mir, ich möchte sehen, ob ich es auch so gut kann.«
+
+Kaum hatte sie die Spindel ergriffen, da stach sie sich in ihrer
+lebhaften Unbesonnenheit gerade so, wie es nach dem Spruch der Fee
+geschehen mußte, in die Hand und fiel ohnmächtig zu Boden.
+
+Die gute Alte hielt sie in ihren Armen und rief um Hilfe: von allen
+Seiten kam man herbei, man spritzte der Prinzessin Wasser ins Gesicht,
+schnürte ihr Mieder auf, schlug ihr die Hände, rieb ihr die Schläfen mit
+ungarischem Königin-Wasser: aber nichts rief sie zum Leben zurück. Der
+König, der auf den Lärm hin herbeigeeilt war, erinnerte sich alsbald an
+die Weissagungen der Feen und in dem Gedanken, daß es so kommen mußte,
+wie die Feen es einmal gesagt hatten, ließ er die Prinzessin in das
+schönste Gemach des Palastes bringen, in ein Bett, das mit Gold und
+Silber bestickt war.
+
+Man hätte sie für ein Englein halten können, so schön war sie; die
+Ohnmacht hatte ihr die Farben des Lebens nicht genommen, ihre Wangen
+waren wie Rosen so rot und ihre Lippen wie Korallen; nur ihre Augen
+waren geschlossen, aber man hörte sie leise atmen und daran sah man, daß
+sie nicht gestorben war. Der König befahl, man solle sie in Ruhe
+schlafen lassen, bis die Stunde ihrer Erweckung gekommen sei.
+
+Als der Prinzessin dieses Unglück zustieß, war die gute Fee, die ihr das
+Leben gerettet und sie nur zu einem hundert Jahre langen Schlaf
+verurteilt hatte, gerade in dem Reiche des Königs Mataquin, zwölftausend
+Meilen weit weg; aber in einem Augenblicke wurde sie durch einen kleinen
+Zwerg benachrichtigt, der Siebenmeilenstiefel hatte. Das waren Stiefel,
+in denen man mit einem einzigen Schritt sieben Meilen zurücklegte.
+Sofort reiste die Fee ab; und kaum war eine Stunde vergangen, da sah man
+sie in einem von Drachen gezogenen feurigen Wagen daherkommen.
+
+Der König ging ihr entgegen, um ihr beim Aussteigen die Hand zu reichen.
+Sie billigte alles, was er angeordnet hatte. Doch in ihrer weisen
+Voraussicht dachte sie daran, wie sehr sich die Prinzessin ängstigen
+müsse, wenn sie ganz allein in dem alten Schlosse aufwache, und sie tat
+dieses:
+
+[Illustration]
+
+Mit ihrem Stabe berührte sie außer dem König und der Königin alles, was
+in dem Schlosse war, die Haushälterinnen, die Ehrendamen, die
+Kammerfrauen, die Edelleute, die Offiziere, die Haushofmeister, die
+Köche und Küchenjungen, die Laufburschen, die Wächter und Türsteher, die
+Pagen und Diener; sie berührte auch alle Pferde, die in den Ställen
+standen und die Stallknechte, die großen Hofhunde und den kleinen Puff,
+das Schoßhündchen der Prinzessin, das neben ihr auf dem Bette lag. Und
+wie sie alle berührte, so schliefen alle ein, um nicht eher aufzuwachen
+als ihre Herrin, und um jederzeit bereit zu sein, ihr zu dienen, wenn
+sie ihrer bedürfe. Auch die Bratspieße, die voll Rebhühner und Fasanen
+am Feuer steckten, schliefen ein, und sogar das Feuer selbst. Alles das
+geschah in einem Augenblick, denn die Feen brauchen nicht lange zu ihrer
+Arbeit.
+
+Der König und die Königin küßten noch einmal ihr geliebtes Kind,
+ohne es dadurch aufzuwecken, verließen dann das Schloß und machten
+bekannt, daß es verboten sei, sich dem Schlosse zu nähern. Doch dies
+Verbot war nicht notwendig; denn es wuchsen in einer Viertelstunde um
+den ganzen Park herum eine solche Menge von großen und kleinen Bäumen,
+von Brombeerhecken und innig verschlungenem Dornengestrüpp, daß weder
+Tier noch Mensch hindurch gekonnt hätte; nicht einmal mehr sehen konnte
+man das Schloß außer den Spitzen der Türme, selbst nicht aus weiter
+Ferne. Es bestand kein Zweifel, daß auch dies eine Tat der Fee war,
+damit die Prinzessin während ihres Schlafes nichts von Neugierigen zu
+befürchten habe. --
+
+Als die hundert Jahre um waren, kam der Sohn des Königs, der damals
+regierte, und der einer andern Familie als die schlafende Prinzessin
+entstammte, auf der Jagd in diese Gegend und fragte, was für Türme es
+seien, die er über dem dichten Walde erblicke. Jeder antwortete ihm so,
+wie er gehört hatte: die einen sagten, es sei ein altes Schloß, in dem
+die Geister spukten, die andern, daß alle Zauberer der Gegend dorthin
+zum Sabbath kämen. Die Meinung der meisten aber war, es wohne dort ein
+Menschenfresser und alle Kinder brächte er dorthin, die er erwischen
+könne, um sie in Ruhe und sicher vor Verfolgern zu verzehren, da nur er
+allein die Macht habe, sich einen Durchgang durch den Wald zu bahnen.
+
+Der Prinz wußte nicht, wem er Glauben schenken sollte, als ein alter
+Bauer das Wort ergriff und sprach:
+
+»Mein Prinz, es ist mehr als fünfzig Jahre her, daß ich meinen Vater
+erzählen hörte, es gäbe in dem Schlosse eine Prinzessin, schöner, als
+man jemals eine sah. Hundert Jahre müsse sie schlafen, dann würde sie
+erweckt von einem Prinzen, für den sie bestimmt sei.«
+
+Feuer und Flamme war der junge Prinz bei diesen Worten. Ohne zu
+schwanken glaubte er, diesem schönen Abenteuer ein Ende bereiten zu
+müssen, und von Liebe und Ehrgeiz getrieben, beschloß er, auf der Stelle
+zu sehen, was daran Wahres sei. Kaum näherte er sich dem Walde, da
+gingen alle die großen Bäume, die Brombeersträucher und Dornenhecken von
+selbst auseinander und ließen ihn hindurch. Er näherte sich dem Schloß,
+das er am Ende einer großen Allee erblickte, und ging hinein. Er war ein
+wenig erstaunt, als er sah, daß niemand von seinen Leuten ihm hatte
+folgen können, da der Wald sich wieder geschlossen hatte, nachdem er
+hindurchgegangen. Aber er ließ sich nicht abhalten weiterzugehen, denn
+ein junger Prinz, der liebt, ist immer tapfer. Er trat in einen großen
+Vorhof, wo alles, was er zunächst erblickte, dazu angetan war, ihn zu
+erschrecken. Es war eine furchterregende Stille; ein Bild des Todes bot
+sich ihm. Ausgestreckt lagen die Leiber von Menschen und Tieren, die
+gestorben schienen. Doch erkannte er sehr bald an der sinnigen Nase und
+dem roten Gesicht der Türsteher, daß sie nur schliefen, und ihre Becher,
+in denen sie noch ein paar Tropfen Wein hatten, zeigten ihm deutlich
+genug, daß sie beim Trinken eingeschlafen waren. Er ging weiter durch
+einen großen, marmorgepflasterten Hof, stieg eine Treppe hinauf und trat
+in eine Wachtstube, wo die Soldaten mit Karabiner auf Schulter in Reih
+und Glied standen und um die Wette schnarchten. Er durcheilte mehrere
+Zimmer voller Edelleute und Damen, die alle schliefen, teils stehend,
+teils sitzend. Dann trat er in ein goldenes Gemach und sah auf einem
+Bette, dessen Vorhänge nach allen Seiten geöffnet waren, das schönste
+Bild, das er jemals gesehen: eine Prinzessin von etwa fünfzehn oder
+sechzehn Jahren, deren herrliche Schönheit in göttlichem Glanze
+strahlte.
+
+[Illustration]
+
+Zitternd und voller Bewunderung näherte er sich ihr und fiel vor ihr
+aufs Knie. In diesem Augenblick erwachte die Prinzessin: das Ende des
+Zauberschlafes war gekommen. Sie sah ihn mit zärtlicheren Augen an, als
+ein erster Blick es zu erlauben schien, und sprach:
+
+»Seid Ihr es, mein Prinz? Ihr ließet lange auf Euch warten.«
+
+Der Prinz war entzückt von diesen Worten und mehr noch von der Art, wie
+sie gesprochen wurden. Er wußte nicht, wie er ihr seine Freude und
+Dankbarkeit beweisen könne und versicherte, daß er sie mehr liebe als
+sich selber. Seine Rede war schlecht gesetzt und gefiel deshalb um so
+mehr; denn je geringer die Beredsamkeit, um so größer die Liebe. Er war
+verlegener als sie, denn sie hatte ja lange Zeit gehabt, um darüber
+nachzudenken, was sie ihm sagen würde. Man braucht sich darüber nicht zu
+wundern, denn obwohl die Geschichte davon nichts erzählt, scheint es so,
+als ob die gute Fee dafür gesorgt habe, daß sie sich während des langen
+Schlafes an schönen Gedanken erfreuen könne. Vier Stunden lang
+unterhielten sich die beiden miteinander und sie hatten sich noch nicht
+die Hälfte von dem gesagt, was sie auf dem Herzen hatten.
+
+Indessen war mit der Prinzessin der ganze Palast aufgewacht. Ein jeder
+versah wieder seinen Dienst; aber da nicht alle so verliebt waren,
+hatten sie schrecklichen Hunger. Eine der Ehrendamen, die wie die andern
+hungerte, wurde schließlich ungeduldig und rief laut der Prinzessin zu,
+das Essen sei angerichtet. Der Prinz half der Prinzessin, als sie sich
+erhob. Sie war mit einem herrlichen Gewande angetan; aber er hütete sich
+wohl, ihr zu sagen, daß sie gekleidet sei wie eine Großmutter und einen
+altmodischen Kragen umhabe: aber trotzdem war sie nicht weniger schön.
+
+Sie gingen in einen Spiegelsaal und speisten dort, von den Offizieren
+der Prinzessin bedient. Die Geigen und Hoboen spielten alte Melodien,
+die wunderschön klangen, obwohl man sie seit hundert Jahren nicht mehr
+gespielt hatte. Nach der Tafel traute sie, ohne Zeit zu verlieren, der
+Hofkaplan in der Schloßkapelle, und die Ehrendame zog ihnen den Vorhang
+zu.
+
+Sie schliefen nicht lange, denn die Prinzessin war nicht sehr müde, und
+der Prinz verließ sie gegen Morgen, um in die Stadt zurückzukehren, wo
+sein Vater in Sorge um ihn sein mußte. Der Prinz erzählte ihm, er habe
+sich auf der Jagd im Walde verirrt, in der Hütte eines Köhlers
+übernachtet und von ihm Schwarzbrot und Käse zum Essen bekommen. Der
+König, sein Vater, war ein guter Mann und glaubte es. Aber seine Mutter
+ließ sich nicht so leicht überzeugen. Als sie sah, daß er fast täglich
+auf die Jagd ging und daß er nie um eine Entschuldigung verlegen war,
+wenn er zwei oder drei Nächte draußen geschlafen hatte, zweifelte sie
+nicht mehr, daß er irgendeine Liebschaft habe. Mehr als zwei Jahre lebte
+der Prinz so mit der Prinzessin; und sie bekamen zwei Kinder. Das
+älteste, ein Mädchen, nannten sie Morgenrot und das zweite, einen
+Knaben, Tageshell, weil er fast noch schöner war als seine Schwester.
+
+Um hinter sein Geheimnis zu kommen, sagte die Königin öfters zu ihrem
+Sohne, er solle doch mit seinem Leben zufrieden sein.
+
+Doch er wagte nicht, sich ihr anzuvertrauen, denn er fürchtete sich vor
+ihr, obgleich er sie liebte. Sie entstammte nämlich dem Geschlechte der
+Menschenfresser, und der König hatte sie nur geheiratet, weil sie so
+reich war.
+
+Man sprach sogar am Hofe ganz leise davon, daß sie immer noch eine
+Neigung zum Menschenfressen habe, und daß sie sich mit aller Gewalt
+zurückhalten müsse, wenn sie kleine Kinder sähe, damit sie sich nicht
+auf sie stürze. Deshalb wollte der Prinz ihr nichts sagen.
+
+Nach zwei Jahren starb der König, und der Prinz folgte ihm nach. Jetzt
+machte er seine Heirat bekannt und ließ unter großen Festlichkeiten
+seine Frau als Königin auf sein Schloß holen. Ein herrlicher Empfang
+wurde ihr in der Hauptstadt bereitet, als sie mit den beiden Kindern
+einzog.
+
+Es trug sich zu, daß der König gegen den Kaiser Cantalabutte, seinen
+Nachbarn, in den Krieg ziehen mußte. Er übergab die Regierung der
+Königin Mutter, und ließ Frau und Kinder in ihrer Obhut zurück.
+
+Den ganzen Sommer mußte er im Felde bleiben. Als er aber abgereist war,
+schickte die Königin ihre Schwiegertochter und die Kinder in ein
+Landhaus im Walde, um ungestörter ihrer fürchterlichen Lust zu fröhnen.
+Einige Tage darauf begab sie sich selbst dorthin und sagte eines Abends
+zu ihrem Haushofmeister:
+
+»Morgen will ich zum Mittagessen die kleine Morgenrot verspeisen!«
+
+»Um Gottes Willen, Königliche Hoheit«, rief der Haushofmeister.
+
+»Ich will es«, sagte die Königin; und sie sagte es, wie ein
+Menschenfresser, der Lust hat, frisches Fleisch zu essen. »Ich will sie
+sogar mit Roberttunke essen!«
+
+[Illustration]
+
+Als der arme Mann sah, daß man mit einer Menschenfresserin nicht gut
+spaßen könne, nahm er sein großes Messer in die Hand und ging hinauf in
+das Zimmer der kleinen Morgenrot. Diese war gerade vier Jahre alt, und
+sie warf sich tanzend und lachend ihm an den Hals und bat ihn um
+Süßigkeiten. Da fing er an zu weinen, und das Messer fiel ihm aus der
+Hand. Er ging hinunter in den Stall, schlachtete ein Lämmchen und
+bereitete es mit einer so guten Tunke zu, daß seine Herrin ihm
+versicherte, sie habe noch nie etwas so Gutes gegessen.
+
+Gleichzeitig hatte er die kleine Morgenrot fortgetragen und seiner Frau
+übergeben, damit sie dieselbe in seinem Hause verberge, das hinter dem
+Stalle lag.
+
+Acht Tage später sagte die Königin zu ihrem Haushofmeister:
+
+»Ich will den kleinen Tageshell zum Abendbrot essen!«
+
+Er erwiderte nichts und war fest entschlossen, sie ebenso wie das
+erstemal zu täuschen.
+
+Er suchte den kleinen Tageshell und fand ihn mit einem Florett in der
+Hand, womit er gegen einen dicken Affen Krieg führte; dabei war er erst
+drei Jahre alt.
+
+Auch ihn brachte er zu seiner Frau, damit sie ihn mit der kleinen
+Morgenrot verberge, und an seiner Stelle bereitete er ein zartes
+Zicklein, welches die Menschenfresserin äußerst wohlschmeckend fand.
+
+Bis dahin war alles gut gegangen. Aber eines Abends sagte die böse
+Königin zum Haushofmeister:
+
+»Ich will die Königin in derselben Tunke wie ihre Kinder essen!«
+
+Da verzweifelte der arme Haushofmeister, weil er nicht glaubte, sie noch
+einmal täuschen zu können. Denn die junge Königin war über zwanzig Jahre
+alt, ganz abgesehen von den hundert Jahren, die sie geschlafen hatte.
+Ihre Haut war ein wenig spröde, obwohl sie schön und weiß war. Aber wie
+sollte man unter den Tieren eines finden, das eine ebenso spröde Haut
+hatte?
+
+[Illustration]
+
+Deshalb faßte er, um sein eigenes Leben zu retten, den Entschluß, der
+Königin den Hals abzuschneiden. Er stieg hinauf in ihr Zimmer, und war
+fest entschlossen, es diesmal anders zu machen. Er brachte sich in Wut
+und trat mit dem Dolch in der Hand in das Zimmer der jungen Königin.
+Trotzdem wollte er sie nicht überfallen und er erzählte ihr mit allem
+Respekt von dem Auftrag, den er von der Königin Mutter erhalten hatte.
+
+»Tut, was Euch befohlen!« sagte die Königin zu ihm und hielt ihren Kopf
+hin. »Ich werde meine Kinder wiedersehen, meine armen Kinder, die ich so
+geliebt habe!«
+
+Sie hielt ihre Kinder nämlich für tot, seitdem man sie entführt hatte,
+ohne ihr etwas zu sagen.
+
+»Nein, gnädige Frau,« antwortete der Haushofmeister ganz gerührt. »Ihr
+sollt nicht sterben. Ihr werdet dennoch Eure Kinder wiedersehen! In
+meinem Hause werdet Ihr sie sehen, wo ich sie verborgen habe. Ich will
+nochmals die Königin täuschen und ihr an Eurer Stelle einen jungen
+Hirsch zu essen geben.«
+
+Dann führte er sie in seine Wohnung und ließ sie küssend und weinend bei
+ihren Kindern. Er selbst bereitete eine Hindin zu, und die Königin
+verzehrte sie mit demselben Appetit zum Abendessen, als wenn es die
+junge Königin gewesen wäre.
+
+Sie war sehr befriedigt von ihren Grausamkeiten und nahm sich vor, dem
+König bei seiner Rückkehr zu sagen, daß wütende Wölfe seine Frau, die
+Königin, und seine beiden Kinder gefressen hätten. --
+
+Eines Abends, als sie wie gewöhnlich in den Höfen des Schlosses
+herumstreifte, um dort nach frischem Fleisch auszuschauen, hörte sie in
+einem Kellerzimmer den kleinen Tageshell, der weinte, weil ihn seine
+Mutter wegen einer Ungehorsamkeit schlagen wollte; und sie hörte auch
+die kleine Morgenrot, wie sie für ihren Bruder um Verzeihung bat.
+
+Die Menschenfresserin erkannte die Stimme der Königin und ihrer Kinder
+und geriet in Zorn, weil man sie getäuscht hatte.
+
+Am nächsten Tage in der Frühe befahl sie mit schrecklicher Stimme, die
+alle erzittern machte, man solle in die Mitte des Hofes einen großen
+Bottich bringen. Diesen Bottich ließ sie mit Vipern, Kröten, Nattern und
+Schlangen füllen, um die Königin und ihre Kinder, den Haushofmeister,
+seine Frau und seine Dienerin hineinzuwerfen. Sie gab den Befehl, sie
+herbeizuführen, die Hände auf den Rücken gebunden.
+
+[Illustration]
+
+So standen sie da, und der Henker machte sich daran, sie in den Bottich
+zu werfen. In diesem Augenblick kam der König, den man nicht so schnell
+erwartet hatte, in den Hof geritten; denn er war auf schnellstem Wege
+zurückgekehrt. Ganz erstaunt fragte er, was denn das schreckliche
+Schauspiel zu bedeuten habe.
+
+Niemand wagte, es ihm zu sagen. Die Menschenfresserin aber stürzte sich
+in ihrer Wut über das, was sie sah, kopfüber in den Bottich und war in
+einem Augenblick von den schrecklichen Tieren, die sie selbst
+hineingesetzt hatte, verschlungen. Der König war traurig darüber, denn
+es war seine Mutter. Aber er tröstete sich bald mit seiner schönen Frau
+und seinen Kindern.
+
+
+ Moral:
+
+ Manch Mädchen wartet lange auf den Mann,
+ Bis sich der findet, den sie lieben kann;
+ Denn der muß reich sein, schön und sehr galant,
+ Dem sie zum Ehebunde reicht die Hand.
+ Doch zeige mir das Weib, das hundert Jahr
+ In Ruhe wartet auf den Traualtar,
+ Das auch noch sorglos schläft die ganze Zeit:
+ Du suchst nach ihr vergeblich weit und breit.
+
+ Es wird aus diesem Märchen klar,
+ Daß, wer da wartet viele Jahr,
+ Und wer trotz Wartens schlummern kann,
+ Am Ende kriegt den besten Mann.
+
+ Gern gäb ich Euch den guten Rat:
+ Wartet so lang, wie es Dornröschen tat!
+ Doch wage ich nicht, diesen Rat zu geben,
+ Ihr lieben Fräuleins: ich kenne Euch eben.
+
+
+
+
+ Charles Perrault
+
+ 1628 geboren, wird er zuerst Advokat; später kommt er an den Hof
+ und wird der treueste Gehilfe Colberts. 1683 zieht er sich in
+ das Privatleben zurück und widmet sich ganz seinen literarischen
+ Werken. Den Zeitgenossen gilt Perrault in erster Linie als der
+ Verfasser der »_Parallèles des Anciens et Modernes_«, die
+ Nachwelt kennt ihn nur als den Dichter des ersten abendländischen
+ Märchenbuches. Seine Sammlung »_Les Contes de ma Mère l'Oie_«
+ kam 1697 in Buchform heraus; sie war der Auftakt zu einer
+ unübersehbaren Märchenliteratur.
+
+
+
+
+ Gustave Doré
+
+ Er wurde 1832 zu Straßburg geboren. Sein Vater bestimmte ihn zum
+ Ingenieur-Beruf, aber seine reiche Phantasie, seine erstaunliche
+ Begabung drängte ihn zur Malerei. Mit zehn Jahren begann er Dante
+ zu illustrieren. Mit elf Jahren schloß er seinen ersten Vertrag
+ ab, der ihn verpflichtete, wöchentlich eine Lithographie für das
+ »_Journal pour rire_« zu liefern. Bald gab er die Vorbereitung
+ zum Ingenieur-Beruf auf und widmete sich ganz der Kunst. 1854
+ erschienen seine ersten großen Werke, »_Rabelais_« und die
+ »_Contes drôlatiques_« von Balzac, die seinen Ruhm weit über
+ Frankreich hinaus verbreiteten. 1862 illustrierte er die »_Contes
+ de Perrault_«. Er findet in den phantastischen Kostümen und
+ ritterlichen Lebensformen der Zeit Franz I. und Ludwig XIII. den
+ geeigneten Ausdruck für die übersprudelnde Fülle seiner köstlichen
+ Einfälle. Doré starb im Jahre 1883; er wurde nur 51 Jahre alt.
+
+
+
+
+Liste korrigierter Druckfehler
+
+
+Seite 5, im Inhaltsverzeichnis der Originalvorlage stand »Aschenputtel«
+an Stelle von »Aschenbrödel« sowie »Riquet mit dem Schopf« an Stelle von
+»Riquet mit der Locke«.
+
+Seite 24, fehlendes öffnendes Anführungszeichen vor »ich muß« eingefügt
+(»Wundervoll,« rief da die Mutter, »ich muß auch meine andere Tochter
+schicken.)
+
+Seite 28, »irdendein« ersetzt durch »irgendein« (stellte sich tot und
+wartete, ob nicht irgendein junger, mit den Ränken dieser Welt noch
+wenig vertrauter Hase sich in den Sack schliche)
+
+Seite 28, überflüssiges Anführungszeichen am Satzende entfernt (Und als
+zwei Rebhühner hineingeschlüpft waren, zog er ihn zu und fing alle
+beide.)
+
+Seite 30, »den« durch »dem« ersetzt (Während man den armen Marquis aus
+dem Fluß zog)
+
+Seite 52, »hatt« durch »hatte« ersetzt (Der war von dem großen Umweg,
+den er vergebens gemacht hatte, sehr erschöpft und wollte sich
+ausruhen.)
+
+Seite 56, in der Überschrift »Pantoffelchen« durch »Pantöffelchen«
+ersetzt (Aschenbrödel oder die Geschichte vom gläsernen Pantöffelchen)
+
+Seite 63, »Örangen« durch »Orangen« ersetzt (Tausend Artigkeiten hat sie
+uns erwiesen und hat uns Orangen und Zitronen geschenkt.)
+
+Seite 68, »trauig« durch »traurig« ersetzt (Seid darüber nicht weiter
+traurig!)
+
+Seite 86, »ihren« durch »ihre« ersetzt (daß sie sich vornahm, an Sonn-
+und Festtagen der Reihe nach alle ihre schönen Gewänder anzuziehen.)
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+Seite 97, fehlendes schließendes Anführungszeichen eingefügt (»Was macht
+Ihr da, liebe Frau?« sagte die Prinzessin.)
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+End of Project Gutenberg's Gänsemütterchens Märchen, by Charles Perrault
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+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 42900 ***
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-The Project Gutenberg EBook of Gänsemütterchens Märchen, by Charles Perrault
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org
-
-
-Title: Gänsemütterchens Märchen
-
-Author: Charles Perrault
-
-Illustrator: Gustave Doré
-
-Translator: Hans Krause
-
-Release Date: June 9, 2013 [EBook #42900]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GÄNSEMÜTTERCHENS MÄRCHEN ***
-
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-
-
-Produced by Norbert H. Langkau, Martin Oswald and the
-Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
-
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-
-Anmerkungen zur Transkription:
-
-Die Rechtschreibung und Zeichensetzung des Originals wurde weitgehend
-übernommen, lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Die
-Originalvorlage ist in Fraktur gedruckt. Davon abweichende, in Antiqua
-gedruckte Textstellen sind (bis auf römische Ziffern) in dieser
-Textdatei _so_ markiert; gesperrt gedruckter Text ist =so= markiert. Der
-Titel des Märchens »Riquet mit der Locke« war in der Inhaltsübersicht
-der Originalvorlage als »Riquet mit dem Schopf« angegeben, dies ist in
-der transkribierten Fassung korrigiert worden. Am Ende des Textes
-befindet sich eine Liste korrigierter Druckfehler.
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-Charles Perrault
-
-Gänsemütterchens Märchen
-
-Illustriert von
-
-Gustave Doré
-
-[Illustration]
-
-Übersetzt und herausgegeben von
-
-Hans Krause
-
-O. C. Recht Verlag / München
-
-
-
-
- Dieses Buch wurde im Auftrage des O. C. Recht Verlages in der
- Offizin der Mandruck A.-G., München in der Altschwabacher
- gedruckt. Es wurde eine Vorzugsausgabe von 100 Exemplaren auf
- Bütten hergestellt. Nr. 1-25 wurden in Ganzleder, Nr. 26-100
- in Halbleder gebunden. Drucküberwachung und Ausstattung von
- Ferdinand Kramer.
-
-
-
-
- Copyright 1921 by O. C. Recht Verlag / München
-
-
-
-
- =Gänsemütterchens=
- =Märchen=
-
- Rotkäppchen
- Blaubart
- Die Fee
- Der gestiefelte Kater
- Der kleine Däumling
- Aschenputtel
- Riquet mit dem Schopf
- Jungfer Eselshaut
- Dornröschen
-
- Übersetzung nach der ersten Buchausgabe von 1697.
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Rotkäppchen
-
-
-Es war einmal eine kleine Bauerndirne, die war hübscher, als man jemals
-eine sah. Ihre Mutter war ganz verliebt in sie und ihre Großmutter noch
-viel mehr. Diese brave Frau ließ ihr ein rotes Käppchen machen, welches
-ihr so gut stand, daß man sie überall das »Rotkäppchen« nannte.
-
-Eines Tages, als ihre Mutter Kuchen gebacken hatte, sagte sie zu ihr:
-
-»Geh zu deiner Großmutter und sieh zu, was sie macht, denn man hat mir
-erzählt, sie sei krank. Nimm ihr einen Kuchen mit und dieses Töpfchen
-mit Butter!«
-
-Rotkäppchen machte sich gleich auf, um zu ihrer Großmutter zu gehen, die
-in einem anderen Dorfe wohnte. Als sie durch einen Wald kam, begegnete
-ihr der Gevatter Wolf, der große Lust hatte, sie zu fressen; aber er
-wagte es nicht wegen der Holzhauer, die in dem Walde waren. Er fragte
-sie, wohin sie gehe. Das arme Kind, das nicht wußte, wie gefährlich es
-ist, einen Wolf anzuhören, sagte:
-
-»Ich gehe meine Großmutter besuchen und bringe ihr Kuchen und einen Topf
-Butter, den ihr meine Mutter schickt.«
-
-»Wohnt sie weit von hier?« fragte der Wolf.
-
-»Oh ja,« antwortete das Rotkäppchen, »noch hinter der Mühle, die Ihr
-dort in der Ferne seht, in dem ersten Hause des Dorfes.«
-
-»Wohlan,« sagte der Wolf, »ich will sie auch besuchen; ich gehe auf
-diesem Wege hin und du dort auf jenem, wir wollen sehen, wer zuerst da
-ist.«
-
-Der Wolf lief so schnell er konnte und schlug den kürzeren Weg ein, und
-das kleine Mädchen ging den weiteren Weg; fröhlich pflückte sie
-Haselnüsse, lief den Schmetterlingen nach und machte Sträuße aus den
-Blümlein, die sie fand. Es dauerte nicht lange, da war der Wolf an
-Großmutter Haus angelangt, und er pochte an die Tür: Bum! Bum!
-
-»Wer ist da?«
-
-»Euer Enkelchen ist es, das Rotkäppchen,« sagte der Wolf, indem er seine
-Stimme verstellte, »ich bringe Euch einen Kuchen und ein Töpfchen mit
-Butter, das Euch meine Mutter schickt.«
-
-Die gute Großmutter, die krank in ihrem Bette lag, rief ihm zu:
-
-»Zieh den Riegel zurück, dann springt das Schloß auf!«
-
-Der Wolf zog den Riegel zurück, und die Tür öffnete sich. Er stürzte
-sich auf die gute Frau und verschlang sie im Handumdrehen, denn er hatte
-länger als drei Tage nichts mehr gefressen.
-
-Dann schloß er die Tür, legte sich in das Bett der Großmutter und
-wartete auf Rotkäppchen, das bald darauf kam und an die Tür pochte: Bum!
-Bum!
-
-»Wer ist da?«
-
-Als Rotkäppchen die laute Stimme des Wolfes hörte, bekam es zuerst
-Angst; aber sie glaubte, die Großmutter sei erkältet, und antwortete:
-
-»Euer Enkelchen ist es, das Rotkäppchen; ich bringe Euch einen Kuchen
-und ein Töpfchen Butter, das Euch meine Mutter schickt.«
-
-Der Wolf rief ihr zu, indem er seine Stimme etwas dämpfte:
-
-»Zieh den Riegel zurück, dann springt das Schloß auf!«
-
-Rotkäppchen zog den Riegel zurück, und die Tür öffnete sich. Als der
-Wolf sie eintreten sah, versteckte er sich im Bett unter der Decke und
-sagte zu ihr:
-
-»Stelle den Kuchen und das Töpfchen mit Butter auf den Backtrog und
-komme zu mir ins Bett!«
-
-Rotkäppchen zog sich aus und legte sich mit ins Bett. Sie war erstaunt,
-wie verändert die Großmutter in ihrem Nachtgewand aussah, und fragte
-sie:
-
-»Großmutter, was hast du für große Arme?«
-
-»Damit ich dich besser umarmen kann, mein Kind.«
-
-[Illustration]
-
-[Illustration]
-
-»Großmutter, was hast du für große Beine?«
-
-»Damit ich besser laufen kann, mein Kind.«
-
-»Großmutter, was hast du für große Ohren?«
-
-»Damit ich besser hören kann, mein Kind.«
-
-»Großmutter, was hast du für große Augen?«
-
-»Damit ich dich besser sehen kann, mein Kind.«
-
-»Großmutter, was hast du für große Zähne?«
-
-»Damit ich dich besser fressen kann.«
-
-Und nachdem er dies gesagt hatte, stürzte der böse Wolf sich auf das
-Rotkäppchen und fraß es.
-
-
- Moral:
-
- Man kann an diesem Beispiel sehn,
- Wie's allen Mädchen wird ergehn,
- Die stets auf fremde Leute hören,
- Die sie beschwätzen und betören:
- So ist nun mal der Dinge Lauf,
- Es kommt der Wolf und frißt sie auf.
- Ich meine andere Wölfe als den bösen,
- =Die= Wölfe haben ein ganz anderes Wesen,
- Es sind die höflichen, die zahmen,
- Sie folgen oft den jungen Damen.
- Paß auf, mein Kind, nimm dich in acht!
- Das sind die Wölfe schlimmster Art.
-
-
-
-
-Blaubart
-
-
-Es war einmal ein Mann, der hatte schöne Häuser in der Stadt und auf dem
-Lande, goldenes und silbernes Tafelgeschirr, Möbel mit kostbaren
-Stickereien und Karossen, die von oben bis unten vergoldet waren. Aber
-er hatte einen blauen Bart, und das war sein Unglück. Denn der machte
-ihn so häßlich und abstoßend, daß alle Frauen und Mädchen vor ihm
-davonliefen.
-
-Seine Nachbarin, eine vornehme Dame, hatte zwei Töchter, die beide sehr
-schön waren. Eine von diesen erbat er sich zur Frau und überließ es der
-Mutter, die Braut zu bestimmen. Aber keine wollte etwas von ihm wissen,
-jede wollte ihn der anderen überlassen; denn sie konnten sich nicht
-entschließen, einen Mann mit einem blauen Barte zu heiraten. Sie
-fürchteten sich auch vor ihm, weil er schon mehrere Frauen gehabt hatte,
-und weil man nicht wußte, was aus diesen geworden war.
-
-Um sie näher kennen zu lernen, führte Blaubart sie mit ihrer Mutter und
-drei oder vier ihrer besten Freundinnen sowie mehreren jungen Männern
-aus der Nachbarschaft auf eines seiner Landhäuser, wo man volle acht
-Tage blieb. Da machte man Landpartien, ging auf Jagd und Fischerei und
-vergnügte sich bei Tanzereien, Festlichkeiten und Gelagen; ja man
-schlief nicht einmal, sondern verbrachte die ganze Nacht mit Späßen und
-Spielen. Zu guter Letzt kam es so weit, daß die jüngere der Schwestern
-fand, der Hausherr habe doch keinen allzu blauen Bart und er sei ein
-sehr netter Mann; und als man in die Stadt zurückgekehrt war, wurde die
-Hochzeit gefeiert.
-
-[Illustration]
-
-Einen Monat später sagte Blaubart zu seiner Frau, er müsse in einer
-wichtigen Angelegenheit mindestens sechs Wochen lang in die Provinz
-verreisen, und er bat sie, sich während seiner Abwesenheit gut zu
-unterhalten: sie solle ihre Freundinnen einladen, sie mit aufs Land
-nehmen, wenn sie wolle, und vor allem sich nichts abgehen lassen an
-Speis und Trank.
-
-»Hier,« sagte er dann, »sind die Schlüssel zu den beiden Vorratskammern,
-hier der vom goldenen und silbernen Tafelgeschirr, das nicht täglich
-benutzt wird, hier der meiner eisernen Truhe, in der mein Gold und
-Silber liegt, der meiner Kassetten, in denen meine Papiere sind, und
-hier der Hauptschlüssel zu allen Zimmern. Aber dieser kleine Schlüssel
-hier, der führt in das Gemach am Ende der großen Galerie des unteren
-Stockwerks. Du darfst alle Türen öffnen, überall hingehen, aber dieses
-kleine Gemach darfst du nicht betreten; ich verbiete es dir aufs
-strengste. Sollte es dir doch einfallen, diese Tür zu öffnen, so hast du
-das Schlimmste von meinem Zorne zu erwarten.«
-
-Sie versprach, alles genau zu befolgen, was er ihr befohlen. Hierauf
-küßte er sie, stieg in seine Karosse und fuhr davon.
-
-Die Nachbarinnen und die guten Freundinnen warteten nicht erst, bis man
-sie zu der Jungvermählten einlud, denn sie brannten vor Neugierde, alle
-Reichtümer des Hauses zu sehen. Aber sie hatten nicht gewagt, zu ihr zu
-kommen, solange der Gatte da war, weil sie sich vor seinem blauen Barte
-fürchteten. Gleich liefen sie nun durch die Zimmer, die Gemächer und die
-Kammern, von denen eine schöner war als die andere. Dann stiegen sie
-hinauf in die Vorratsräume, wo sie nicht genug die vielen schönen
-Stickereien bewundern konnten, und die Betten, Sofas, Sessel, Tischlein
-und Tische und die Spiegel, in denen man sich von Kopf bis zu Fuß sehen
-konnte, und deren Rahmen, teils von Glas, teils von vergoldetem Silber,
-schöner waren und prächtiger, als man jemals welche sah. Alle waren
-begeistert und hörten nicht auf, die Freundin in ihrem Glücke zu
-beneiden. Aber diese wurde nicht froh beim Anblick all der Reichtümer,
-denn sie konnte es nicht erwarten, das Gemach im unteren Stockwerk zu
-sehen.
-
-[Illustration]
-
-Die Neugierde plagte sie so, daß sie ihre Gäste verließ, ohne sich ihrer
-Unhöflichkeit bewußt zu werden. Sie lief eine Hintertreppe in solcher
-Hast hinab, daß sie drei- oder viermal glaubte, den Hals zu brechen. An
-der Tür des Gemaches hielt sie eine Zeitlang inne und dachte an das
-Verbot ihres Gemahls; sie überlegte, ob ihr nicht doch aus ihrem
-Ungehorsam ein Unglück erwachsen könne. Aber die Versuchung war zu
-stark: sie nahm den kleinen Schlüssel und öffnete zitternd die Tür.
-
-Zuerst sah sie nichts, weil die Fenster geschlossen waren; aber bald
-bemerkte sie, daß der Fußboden über und über von geronnenem Blute
-bedeckt war. Darin spiegelten sich die Leichen von mehreren Frauen, die
-aufgereiht an der Wand hingen. Es waren alle die Frauen, die Blaubart
-geheiratet und eine nach der anderen abgeschlachtet hatte.
-
-Sie glaubte sterben zu müssen vor Angst, und der Schlüssel, den sie eben
-aus dem Schlosse gezogen, fiel ihr aus der Hand.
-
-Nachdem sie sich etwas gefaßt hatte, hob sie den Schlüssel auf, schloß
-die Tür wieder und stieg hinauf in ihr Zimmer, um sich ein wenig zu
-erholen; aber es gelang ihr nicht, so sehr hatte sie sich erschrocken.
-
-Als sie bemerkte, daß der Schlüssel des Gemaches mit Blut befleckt war,
-wusch sie ihn zwei- oder dreimal. Aber das Blut ging nicht ab, sie
-wischte umsonst; selbst mit Sand und Bimsstein rieb sie vergebens: der
-Schlüssel blieb immer blutig. Denn er war verzaubert und es gab kein
-Mittel, ihn wieder ganz sauber zu machen. Wenn man das Blut auch auf
-einer Seite weggebracht hatte, so kehrte es auf der anderen wieder
-zurück.
-
-Noch an demselben Abend kam Blaubart nach Hause und erzählte, er habe
-unterwegs durch Briefe die Nachricht erhalten, daß die Angelegenheit,
-wegen der er die Reise unternommen, schon zu seinen Gunsten erledigt
-sei. Seine Frau tat alles, was sie konnte, um ihm zu zeigen, wie
-entzückt sie über seine schnelle Rückkehr sei. -- Am folgenden Tage
-verlangte er die Schlüssel, und sie gab sie ihm. Aber ihre Hand zitterte
-so sehr, daß er ohne Mühe erriet, was vorgefallen war.
-
-»Wie kommt es,« fragte er, »daß der Schlüssel zu dem Gemache nicht mehr
-bei den anderen ist?«
-
-»Ich muß ihn wohl,« antwortete sie, »oben auf meinem Tische liegen
-gelassen haben.«
-
-»Vergiß nicht,« sagte Blaubart, »ihn mir alsbald zu geben!«
-
-Mehrere Male schob sie es auf, aber schließlich mußte sie ihm den
-Schlüssel bringen. Blaubart betrachtete ihn und sagte zu seiner Frau:
-
-»Warum ist Blut an diesem Schlüssel?«
-
-»Ich weiß es nicht«, sagte das arme Weib, blasser als der Tod.
-
-»Du weißt es nicht?« schrie Blaubart, »aber ich, ich weiß es. Du
-wolltest in das Gemach gehen! Wohlan, du sollst hinein! Du sollst deinen
-Platz bekommen neben den andern Frauen, die du dort sahst!«
-
-Sie warf sich weinend ihrem Gatten zu Füßen und bat um Verzeihung mit
-allen Zeichen tiefer Reue ob ihres Ungehorsams. In ihrer Schönheit und
-ihrer Verzweiflung hätte sie einen Felsen rühren können, aber Blaubart
-hatte ein Herz härter als Stein.
-
-»Du mußt sterben, Weib,« sagte er, »auf der Stelle!«
-
-»Wenn ich sterben muß,« so flehte sie, indem sie ihn mit tränenvollen
-Augen ansah, »so gebt mir noch ein wenig Zeit, um zu beten!«
-
-»Ich gebe dir eine halbe Viertelstunde,« erwiderte Blaubart, »aber nicht
-einen Augenblick mehr.«
-
-Als sie allein war, rief sie ihre Schwester und sagte zu ihr: »Schwester
-Anne (so hieß diese), ich bitte dich, steige hinauf auf die Spitze des
-Turmes und halte Ausschau, ob meine Brüder noch nicht kommen. Sie haben
-mir versprochen, mich heute zu besuchen; wenn du sie siehst, gib ihnen
-ein Zeichen, damit sie eilen.«
-
-Die Schwester Anne stieg auf die Spitze des Turmes, und die Arme rief in
-ihrer Angst von Zeit zu Zeit hinauf:
-
-»Anne, Schwester Anne, siehst du nichts kommen?«
-
-Und die Schwester Anne antwortete:
-
-»Ich sehe nichts als Sonnenstaub und Gräsergrün.«
-
-Währenddessen hielt Blaubart ein großes Messer in seiner Hand und schrie
-aus Leibeskräften:
-
-»Steige sofort herab, oder ich komme dich holen!«
-
-[Illustration]
-
-»Noch einen Augenblick«, bat seine Frau und rief leise:
-
-»Anne, Schwester Anne, siehst du nichts kommen?«
-
-Und die Schwester Anne antwortete:
-
-»Ich sehe nichts als Sonnenstaub und Gräsergrün!«
-
-»Steige sofort herab,« schrie Blaubart, »oder ich komme dich holen!«
-
-»Ich komme«, antwortete seine Frau.
-
-Und dann rief sie:
-
-»Anne, Schwester Anne, siehst du nichts kommen?«
-
-»Ich sehe,« erwiderte die Schwester Anne, »eine große Staubwolke, die
-von dieser Seite kommt.«
-
-»Sind es meine Brüder?«
-
-»Ach nein, meine Schwester, es ist nur eine Schafherde.«
-
-»Willst du nicht herunterkommen?« schrie Blaubart.
-
-»Noch einen kleinen Augenblick«, bat seine Frau.
-
-Und dann rief sie:
-
-»Anne, Schwester Anne, siehst du nichts kommen?«
-
-»Ich sehe,« erwiderte diese, »zwei Reiter, die von dort herkommen, aber
-sie sind noch weit entfernt.« Gleich darauf rief sie: »Gott sei gelobt,
-es sind die Brüder. Ich gebe ihnen Zeichen, so gut ich kann, damit sie
-eilen.«
-
-Blaubart fing an, so laut zu schreien, daß das ganze Haus zitterte, und
-die arme Frau stieg hinab und warf sich ihm tränenüberströmt mit
-aufgelösten Haaren zu Füßen.
-
-»Das nützt nichts,« sagte Blaubart, »du mußt sterben.«
-
-Dann packte er sie mit der einen Hand bei den Haaren und erhob mit der
-anderen das große Messer, um ihr den Hals abzuschneiden.
-
-Das arme Weib wandte sich ihm zu, sah ihn mit todesängstlichen Augen an
-und bat um einen Augenblick, damit sie sich sammele.
-
-»Nein, nein!« schrie er, »empfiehl dich deinem Gott!« dann hob er den
-Arm und ......
-
-In demselben Augenblick pochte jemand so heftig an das Tor, daß Blaubart
-innehielt. Man öffnete, und sogleich sah man zwei Ritter, die mit Degen
-in den Händen eintraten und sich geradewegs auf Blaubart stürzten.
-
-[Illustration]
-
-Er erkannte, daß es die Brüder seiner Frau waren -- der eine war
-Dragoner, der andere Musketier -- und ergriff die Flucht, um sich in
-Sicherheit zu bringen. Aber die Brüder verfolgten ihn so schnell, daß
-sie ihn einholten, bevor er noch die Freitreppe erreicht hatte. Sie
-stießen ihm ihren Degen mitten durch den Leib und ließen ihn tot liegen.
-Die arme Frau war fast ebenso tot wie ihr Gatte; sie hatte nicht mehr
-die Kraft sich aufzurichten, um ihre Brüder zu umarmen. --
-
-Es stellte sich heraus, daß Blaubart keine Erben hatte, und so blieb
-seine Frau Herrin aller seiner Güter. Einen Teil verwendete sie dazu,
-ihre Schwester Anne mit einem jungen Edelmanne zu verheiraten, den diese
-schon seit langem liebte; mit einem anderen Teile kaufte sie ihren
-beiden Brüdern Hauptmannsstellen; das übrige brachte sie selbst einem
-rechtschaffenen Manne mit in die Ehe, der sie bald die schlechte Zeit
-vergessen ließ, die sie mit Blaubart verbracht hatte.
-
-
- Moral:
-
- Die Neugier ist die allerschlimmste Plage;
- Sie reizt den Wunsch und bringt dann böse Pein.
- Man sieht das tausendmal an einem Tage. --
- Der Drang zum Neuen ist zwar stark, allein
- Das Wissen selbst enttäuscht, und jedes Mal
- Ist die gerechte Strafe: bittre Qual.
-
-
-
-
-Die Fee
-
-
-Es war einmal eine Witwe, die hatte zwei Töchter. Die älteste glich ihr
-von Ansehn und Wesen so sehr, daß ein jeder, der sie sah, die Mutter zu
-sehen glaubte: sie waren alle beide so unausstehlich und so hochmütig,
-daß man nicht mit ihnen zusammen leben konnte. Die jüngere, in ihrer
-Sanftmut und Rechtschaffenheit das wahre Ebenbild ihres verstorbenen
-Vaters, war eines der schönsten Mädchen, das man je zu Gesicht bekam.
-Wie man natürlich immer seinesgleichen liebt, so war die Mutter wie
-vernarrt in ihre älteste Tochter; aber gegen die jüngere hegte sie eine
-schreckliche Abneigung. Sie ließ sie in der Küche essen und ohne
-Unterbrechung arbeiten.
-
-Unter anderem mußte das arme Kind zweimal am Tage eine gute halbe Meile
-weit Wasser holen, jedes Mal einen großen Krug voll. Eines Tages, als
-sie wieder bei dem Brunnen war, kam eine arme Frau zu ihr, die bat um
-einen Schluck Wasser.
-
-»Gern, mein Mütterchen«, sagte das gute Kind, spülte sogleich den Krug
-aus, schöpfte an der schönsten Stelle des Brunnens und reichte ihr den
-Trunk, wobei sie immer den Krug unterstützte, um ihr das Trinken zu
-erleichtern. Als die gute Frau getrunken hatte, sagte sie:
-
-»Du bist so schön, so gut und so brav, daß ich dir etwas schenken muß.«
-Es war nämlich eine Fee, die hatte die Gestalt einer armen Bäuerin
-angenommen, um zu sehen, wie weit die Rechtschaffenheit des jungen
-Mädchens gehe.
-
-»Ich schenke dir,« so fuhr die Fee fort, »die Gabe, daß mit jedem Worte,
-das du sprichst, eine Blume oder ein Edelstein aus deinem Munde kommt.«
-
-[Illustration]
-
-Als das Mädchen nach Hause kam, zankte die Mutter, weil sie so lange
-beim Brunnen geblieben war. »Ich bitte um Verzeihung, Mutter,« sagte das
-arme Kind, »daß ich mich so verspätet habe.« Und während sie sprach,
-kamen aus ihrem Munde zwei Rosen, zwei Perlen und zwei große Diamanten.
-»Was sehe ich,« rief die Mutter ganz erstaunt, »mir scheint, Perlen und
-Diamanten kommen aus deinem Munde! Woher hast du das, mein Kind?« Es war
-das erstemal, daß sie zu ihr »mein Kind« sagte.
-
-Das arme Mädchen erzählte in ihrer Einfalt alles, was sich zugetragen
-hatte, wobei wieder eine Menge Diamanten zum Vorschein kamen.
-
-»Wundervoll,« rief da die Mutter, »ich muß auch meine andere Tochter
-schicken. Sieh nur, Fanchon, was aus dem Munde deiner Schwester kommt,
-wenn sie spricht; wärst du nicht glücklich, dieselbe Gabe zu besitzen?
-Du brauchst nur zum Brunnen zu gehen, um Wasser zu schöpfen, und wenn
-eine arme Frau dich um einen Trunk bittet, ihn ihr recht höflich zu
-reichen.«
-
-»Zum Brunnen zu gehen,« antwortete jene grob, »das stände mir gut an!«
-
-»Aber ich will, daß du gehst,« entgegnete die Mutter, »und zwar auf der
-Stelle!«
-
-Darauf ging sie, aber brummend und widerwillig. Sie nahm die schönste
-Flasche mit, die im ganzen Hause war. Kaum war sie am Brunnen angelangt,
-da sah sie eine prächtig gekleidete Dame, die aus dem Walde kam und sie
-um einen Trunk Wasser bat. Es war dieselbe Fee, die ihrer Schwester
-erschienen war, aber sie hatte jetzt Wesen und Kleidung einer Prinzessin
-angenommen, um zu sehen, wie weit die Unhöflichkeit dieses Mädchens
-gehe.
-
-»Bin ich hierher gekommen,« sagte barsch zu ihr die Hochmütige, »um Euch
-einen Trunk zu reichen? Sollte ich eigens ein silbernes Fläschchen
-mitgebracht haben, nur damit ich einer Dame daraus zu trinken geben
-kann? Meinetwegen trinkt allein, wenn Ihr wollt!«
-
-[Illustration]
-
-»Du bist gar nicht höflich,« antwortete die Fee, ohne in Zorn zu
-geraten, »und weil du so wenig gefällig bist, verleihe ich dir die Gabe,
-daß mit jedem Wort, das du sprichst, eine Schlange oder eine Kröte aus
-deinem Munde kommt.«
-
-Als ihre Mutter sie kommen sah, rief sie ihr entgegen: »Wie ist es, mein
-Kind?«
-
-»So ist es, Mutter,« antwortete die Grobe und spie zwei Vipern und zwei
-Kröten.
-
-»Himmel, was muß ich sehen,« jammerte die Mutter, »deine Schwester ist
-daran schuld, sie soll es mir büßen.«
-
-Und sogleich lief sie hin, um diese zu schlagen. Das arme Kind floh und
-brachte sich in dem nahen Walde in Sicherheit. Der Königssohn, der von
-der Jagd zurückkehrte, begegnete ihr, und als er sie so schön sah,
-fragte er sie, was sie allein im Walde mache und warum sie weinen müsse.
-
-»Ach, Herr, meine Mutter hat mich aus dem Hause gejagt!«
-
-Der Königssohn, der aus ihrem Munde fünf oder sechs Perlen und
-ebensoviel Diamanten kommen sah, bat sie, ihm doch zu sagen, woher sie
-das habe. Und sie erzählte ihm ihr Abenteuer. Da verliebte sich der
-Königssohn in sie; und indem er überlegte, daß eine solche Gabe mehr
-wert sei als alles, was man einer anderen als Mitgift geben könne, nahm
-er sie mit sich in den Palast des Königs, seines Vaters, und heiratete
-sie dort.
-
-Ihre Schwester aber hatte sich so hassenswert gemacht, daß ihre eigene
-Mutter sie aus dem Hause jagte. Die Unglückliche lief lange Zeit herum,
-ohne jemanden zu finden, der sich ihrer annahm und starb elendiglich in
-einem Winkel des Waldes.
-
-
- Moral:
-
- Edelsteine und Dukaten
- Sind gar sehr begehrt;
- Milde Worte, edle Taten
- Haben höheren Wert.
-
-
-
-
-Der gestiefelte Kater
-
-
-Es war einmal ein Müller, der hinterließ bei seinem Tode seinen drei
-Kindern nur eine Mühle, einen Esel und einen Kater. Das Erbe war schnell
-geteilt. Kein Notar und kein Rechtsanwalt wurde gerufen. Die Kosten
-hätten auch die ganze Erbschaft aufgezehrt.
-
-Der Älteste bekam die Mühle und der Zweite den Esel. Der Jüngste bekam
-den Kater, und er war untröstlich über das armselige Los, das er gezogen
-hatte.
-
-»Meine Brüder,« sagte er, »können sich jetzt anständig ernähren, wenn
-sie sich zusammen tun. Aber ich kann des Hungers sterben, wenn ich
-meinen Kater aufgegessen und aus seinem Fell mir eine Weste gemacht
-habe.«
-
-Der Kater hatte diese Worte gehört, aber er ließ sich nichts merken und
-sagte mit wichtiger und ernster Miene zu seinem Herrn:
-
-»Seid nicht traurig, lieber Herr, gebt mir einen Sack und laßt mir ein
-Paar Stiefeln machen, damit ich in den Wald gehen kann, und dann sollt
-Ihr sehen, daß Euer Erbteil doch nicht so schlecht ist, wie Ihr glaubt.«
-
-Sein Herr gab nicht viel auf diese Rede, aber er hatte oft den Kater bei
-seiner Jagd auf Ratten und Mäuse beobachtet und er hatte gesehen, wie er
-sich an den Beinen aufhing, oder wie er sich im Mehl versteckte und sich
-tot stellte. So hatte er Zutrauen und glaubte in ihm eine Hilfe in
-seinem Unglück zu haben.
-
-Als der Kater das bekommen, worum er gebeten hatte, zog er sich sofort
-die Stiefeln an, hing sich den Sack um den Hals, nahm den Riemen in die
-Pfote und ging in ein Dickicht, wo es viele Hasen gab. In den Sack
-steckte er Klee und Disteln, stellte sich tot und wartete, ob nicht
-irgendein junger, mit den Ränken dieser Welt noch wenig vertrauter Hase
-sich in den Sack schliche, um an dem Leckerbissen zu naschen. Kaum hatte
-er sich hingelegt, kam ein junges und unerfahrenes Häschen und kroch in
-den Sack. Da zog Meister Kater die Schnüre zu, packte das Häschen und
-machte ihm ohne Erbarmen den Garaus. Stolz ging er mit seiner Beute zum
-König und verlangte ihn zu sprechen.
-
-Man führte ihn in das Gemach Seiner Majestät, wo er mit einer tiefen
-Verbeugung eintrat und so zum Könige sprach:
-
-»Hier bringe ich Euch einen Hasen, Herr König, den Euch der Marquis von
-Carabas (so war der Name, den er für seinen Herrn ausgesucht hatte) als
-Geschenk übersendet.«
-
-»Sage deinem Herrn,« antwortete der König, »daß ich ihm danke, und sage
-ihm, er habe mir eine große Freude bereitet.«
-
-Ein zweites Mal verbarg er sich in einem Kornfeld und legte den offenen
-Sack wieder hin. Und als zwei Rebhühner hineingeschlüpft waren, zog er
-ihn zu und fing alle beide.
-
-Dann ging er zum König und brachte ihm, wie früher den Hasen, die beiden
-Rebhühner zum Geschenk. Der König nahm auch dieses Wildbret mit Freude
-entgegen und ließ dem Kater einen Trunk reichen.
-
-So brachte er zwei bis drei Monate lang dem König von Zeit zu Zeit
-irgendein Stück aus der angeblichen Jagdbeute seines Herrn. Als er aber
-eines Tages erfuhr, daß der König mit seiner Tochter, der schönsten
-Prinzessin der Welt, am Ufer des Flusses spazieren fahren wollte, da
-sagte er zu seinem Herrn:
-
-»Jetzt folgt meinem Rat, und Euer Glück ist gemacht. Ich zeige Euch eine
-Stelle am Fluß, da könnt Ihr baden. Das übrige laßt mich machen!«
-
-Herr von Carabas tat, wie ihm der Kater riet, ohne zu wissen, wozu es
-gut sein sollte. Wie er nun badete, kam der König vorüber, und der Kater
-fing an, aus Leibeskräften zu schreien:
-
-»Zu Hilfe. Zu Hilfe! Der Marquis von Carabas ertrinkt!«
-
-[Illustration]
-
-Als der König diese Hilfeschreie hörte, steckte er den Kopf zum
-Wagenfenster heraus. Sofort erkannte er den Kater, der ihm des öfteren
-Wildbret gebracht hatte, und befahl seiner Leibwache, dem Marquis von
-Carabas schleunigst zu Hilfe zu eilen.
-
-[Illustration]
-
-Während man den armen Marquis aus dem Fluß zog, trat der Kater an den
-Wagen heran und berichtete dem König, daß Diebe gekommen seien und die
-Kleider seines badenden Herrn gestohlen hätten, trotzdem er ihnen, so
-laut er konnte, zugerufen hätte. In Wahrheit hatte der Schlauberger die
-Kleider unter einem großen Steine versteckt.
-
-Sogleich gab der König seinem Kammerdiener den Auftrag, einen seiner
-schönsten Röcke für den Marquis von Carabas zu holen.
-
-Tausend Aufmerksamkeiten erwies der König dem Marquis, und da das schöne
-Gewand, das er ihm schenkte, seine Gestalt gut zur Geltung brachte,
-gefiel er der Tochter des Königs sehr, und kaum hatte der Marquis von
-Carabas zwei bis drei bei aller Ehrfurcht doch ein wenig zärtliche
-Blicke mit ihr getauscht, da war sie bis über die Ohren in ihn verliebt.
-
-Der König lud ihn ein, in den Wagen zu steigen und die Spazierfahrt
-mitzumachen.
-
-Froh über das gute Gelingen seines Planes, ist der Kater vor dem Wagen
-her. Als er zu Bauern kam, die eine Wiese mähten, rief er ihnen zu:
-
-»Ihr guten Leute, wenn Ihr nicht sagt, daß diese Wiese, die Ihr mäht,
-dem Herrn Marquis von Carabas gehört, so werdet Ihr alle miteinander zu
-Pastetenfleisch zerhackt!«
-
-Richtig fragte sie der König, wem diese Wiese gehöre, die sie mähten.
-
-»Dem Herrn Marquis von Carabas«, riefen sie wie mit einer Stimme, denn
-die Drohung des Katers hatte ihnen angst gemacht.
-
-»Da habt Ihr ein schönes Erbe«, wandte sich der König an den Marquis von
-Carabas.
-
-»Ja, Sire,« antwortete der, »die Wiese hier bringt alle Jahre schöne
-Erträge.«
-
-Meister Kater, der immer vorneweg lief, kam zu Schnittern und rief ihnen
-zu:
-
-»Ihr guten Leute, die Ihr da mäht, wenn Ihr nicht sagt, daß diese
-Kornfelder dem Herrn Marquis von Carabas gehören, so werdet Ihr alle
-klein gehackt wie Pastetenfleisch!«
-
-Als der König einen Augenblick später vorüberfuhr, wollte er wissen, wem
-die Felder gehörten, die er da sah.
-
-»Dem Herrn Marquis von Carabas«, antworteten die Schnitter, und der
-König und der Marquis hatten ihre Freude an der Antwort.
-
-Allen Leuten, die er traf, schärfte der Kater, der immer vor dem Wagen
-her lief, denselben Spruch ein, und der König wunderte sich sehr über
-den großen Reichtum des Herrn Marquis von Carabas. Am Ende kam Meister
-Kater an ein prächtiges Schloß. Das gehörte einem Riesen, dem Reichsten,
-der weit und breit zu finden war, und alle Felder, bei denen der König
-vorübergekommen war, gehörten zu dieser Schloßherrschaft.
-
-Vorsichtig erkundigte sich der Kater, wer der Riese sei und was er
-treibe. Dann bat er um eine Audienz mit der Begründung, daß er bei
-seinem Schlosse nicht vorübergehen wolle, ohne sich die Ehre zu geben,
-seine Aufwartung zu machen.
-
-Der Riese empfing ihn so höflich, wie es bei einem Riesen möglich ist,
-und bat ihn, Platz zu nehmen.
-
-»Man hat mir versichert,« sagte der Kater, »daß es in Eurer Macht
-stände, die Gestalt eines jeden Tieres anzunehmen, daß Ihr
-beispielsweise ein Löwe sein könnt oder ein Elefant.«
-
-»Ganz recht,« brummte der Riese, »damit Ihr's glaubt, will ich jetzt ein
-Löwe werden.«
-
-Der Kater erschrak, als er wirklich einen Löwen vor sich sah, und
-kletterte schleunigst auf die Dachrinne, nicht ohne Mühe und Gefahr,
-denn die Stiefel hinderten ihn beim Laufen. Als der Kater sah, daß der
-Riese wieder seine alte Gestalt angenommen hatte, kletterte er herab und
-gestand, daß er große Angst gehabt habe.
-
-Dann sagte er: »Man hat mir außerdem versichert, was ich aber kaum
-glauben kann, Ihr könntet Euch auch in die kleinsten Geschöpfe
-verwandeln, beispielsweise in eine Ratte oder in eine Maus. Ich muß
-gestehen, ich halte das für ganz ausgeschlossen.«
-
-»Ausgeschlossen,« höhnte der Riese, »sieh einmal an«, und in demselben
-Augenblick verwandelte er sich in eine Maus, die auf dem Fußboden hin
-und her huschte. Kaum hatte der Kater das bemerkt, da packte er die Maus
-und fraß sie auf.
-
-Inzwischen war der König beim Schlosse des Riesen angekommen und zeigte
-Lust, hineinzugehen. Als der Kater den Wagen über die Schloßbrücke
-holpern hörte, lief er hin und sagte zum König:
-
-»Eure Majestät heiße ich herzlich willkommen im Schlosse des Herrn
-Marquis von Carabas!«
-
-[Illustration]
-
-[Illustration]
-
-»Wie, Herr Marquis,« rief der König aus, »dieses Schloß gehört Ihnen? Es
-gibt nicht leicht etwas Schöneres mit all diesen Gebäuden ringsum. Wenn
-Sie erlauben, gehen wir hinein.«
-
-Der Marquis reichte der Prinzessin die Hand, und sie gingen hinter dem
-König her, der voranschritt. Sie kamen in einen großen Saal, wo ein
-herrliches Mahl bereitet war, welches der Riese für seine Freunde
-bestimmt hatte, die ihn am selben Tage besuchen wollten, die aber nicht
-gewagt hatten, zu kommen, als sie erfuhren, daß der König da sei.
-
-Der König war entzückt von dem vortrefflichen Herrn Marquis von Carabas,
-und seine Tochter war in ihn verliebt, und wie der König die vielen
-Reichtümer sah, die dem Herrn Marquis gehörten, da sagte er zwischen dem
-sechsten und siebten Glase zu ihm:
-
-»Herr Marquis, es liegt nur an Ihnen, wenn Sie mein Schwiegersohn werden
-wollen.«
-
-Der Marquis von Carabas verbeugte sich und nahm das ehrenvolle Angebot
-des Königs an und heiratete die Prinzessin noch an demselben Tage. Der
-Kater aber wurde ein großer Herr und ging nur noch auf die Mäusejagd,
-wenn er sich die Zeit vertreiben wollte.
-
-
- Moral:
-
- Es ist fürwahr sehr angenehm,
- Vom Vater Geld und Gut zu erben.
- Der Arme hat's nicht so bequem;
- Er braucht jedoch nicht arm zu sterben:
- Mit Fleiß und mit Geschicklichkeit
- Kommt er bisweilen auch so weit.
-
-
-
-
-Der kleine Däumling
-
-
-Es war einmal ein Holzhacker und seine Frau. Die hatten sieben Kinder,
-lauter Knaben. Der älteste war erst zehn Jahre alt und der jüngste
-sieben. Man braucht sich aber nicht zu wundern, daß der Holzhacker in
-der kurzen Zeit so viel Kinder bekam, denn seine Frau war sehr fleißig
-und schenkte ihm jedesmal mindestens zwei.
-
-Es waren arme Leute, und die sieben Kinder machten ihnen viel Sorge,
-weil noch keines von ihnen sich sein Brot selber verdiente. Aber die
-größte Sorge machte ihnen ihr Jüngster; er war ein Schwächling und
-konnte noch kein einziges Wort sprechen. Das war in Wirklichkeit ein
-Zeichen seiner Schlauheit; aber die Eltern hielten ihn für dumm.
-
-Er war ein winziger Kerl und, als er zur Welt kam, nicht länger ein
-Daumen. Man nannte ihn deshalb den kleinen Däumling.
-
-Das arme Kind war immer der Sündenbock zu Hause, stets gab man ihm
-unrecht. Und doch war er der Schlaueste und Geriebenste von allen seinen
-Brüdern und wenn er auch wenig sprach, so hörte er um so mehr.
-
-Eines Tages, als die Kinder schon zu Bett gebracht waren, saß der
-Holzhacker mit seiner Frau auf der Ofenbank und sagte kummervollen
-Herzens zu ihr:
-
-»Du mußt einsehen, daß wir unsere Kinder nicht länger ernähren können.
-Ich kann es nicht mit ansehen, wie sie vor meinen Augen verhungern. Wir
-müssen sie im Walde aussetzen. Das ist nicht schwer; wenn sie Reisig
-suchen, dann lassen wir sie allein und gehen davon.«
-
-»Was!«, rief da seine Frau, »du brächtest es über das Herz, deine
-eigenen Kinder zu töten?«
-
-[Illustration]
-
-Vergebens sprach der Mann von ihrer großen Armut, aber sie konnte ihm
-nicht recht geben, denn wenn sie auch arm war, so war sie doch die
-Mutter der Kinder. Doch als er ihr vorhielt, welcher Schmerz es für sie
-sei, zuzusehen, wie die Kinder verhungerten, da war sie schließlich
-einverstanden und ging weinend zu Bett.
-
-Der kleine Däumling aber hatte alles gehört. Denn als er in seinem Bette
-lag und die Eltern von ihren Sorgen sprechen hörte, da war er leise
-aufgestanden und unter den Schemel seines Vaters gekrochen, wo er
-unbemerkt lauschen konnte.
-
-Er legte sich dann wieder hin. Aber er konnte nicht einschlafen und
-dachte nur darüber nach, was jetzt zu tun sei. Früh am Morgen stand er
-auf, ging an den Bach, füllte sich die Taschen mit kleinen, weißen
-Kieselsteinen und kehrte ins Haus zurück. Bald brachen sie auf. Der
-kleine Däumling verriet seinen Brüdern kein Sterbenswörtchen von dem,
-was er wußte. Sie kamen in einen großen, dichten Wald, in dem man sich
-schon auf zehn Schritte nicht mehr sehen konnte. Der Holzhacker fällte
-Bäume, und seine Kinder sammelten Reisig, das sie zu Bündeln banden. Als
-der Vater und die Mutter sie so beschäftigt sahen, da machten sie sich
-heimlich auf einem kleinen Seitenpfade davon.
-
-Auf einmal sahen sich die Kinder verlassen und fingen an zu weinen und
-aus Leibeskräften zu schreien. Der kleine Däumling ließ sie schreien,
-weil er wußte, wie sie nach Hause zurückfinden könnten. Denn unterwegs
-hatte er die kleinen, weißen Kieselsteine fallen lassen, die er in
-seiner Tasche trug. Er sagte deshalb zu seinen Brüdern:
-
-»Fürchtet euch nicht! Vater und Mutter haben uns verlassen, aber ich
-werde euch heimführen. Folgt mir nur!«
-
-Und sie folgten ihm. Er führte sie auf demselben Wege, auf dem sie in
-den Wald gekommen, zu ihrem Hause zurück. Zuerst wagten sie nicht,
-hineinzugehen. Sie lehnten sich alle an die Tür, um zu hören, was Vater
-und Mutter sprachen.
-
-[Illustration]
-
-Kaum waren der Holzhacker und seine Frau nach Hause gekommen, da
-schickte ihnen der Herr des Dorfes die zehn Taler zurück, die er ihnen
-schon lange schuldig war, und mit denen sie nicht mehr gerechnet hatten.
-Das rettete den armen Leuten das Leben, denn sie waren am Verhungern.
-Sogleich schickte der Holzhacker seine Frau zum Fleischer, und weil sie
-schon lange kein Fleisch gegessen hatten, kaufte sie dreimal soviel, wie
-sie für sich zu einem Abendessen brauchten. Als sie nun satt waren,
-sagte die Frau:
-
-»Wo mögen jetzt unsere armen Kinder sein? Wie würde ihnen das schmecken,
-was wir hier übrig haben, aber du, Wilhelm, hast sie ja durchaus
-umbringen wollen. Immer habe ich gesagt, wir würden es noch bereuen. Wie
-mag es ihnen jetzt in dem finsteren Walde gehen? Ach, mein Gott, die
-Wölfe haben sie vielleicht schon gefressen! Du bist wahrhaftig ein
-Unmensch, daß du deine eigenen Kinder so umgebracht hast.«
-
-Der Mann verlor schließlich die Geduld, denn mehr als zwanzigmal
-wiederholte sie, daß sie recht gehabt habe und daß er es noch bereuen
-würde. Am Ende drohte er ihr, sie zu schlagen, wenn sie nicht den Mund
-halte.
-
-Und doch war der Holzhacker nicht weniger betrübt als seine Frau. Aber
-sie machte ihm den Kopf heiß, und er gehörte zu jenen Männern, die
-Frauen gerne haben, wenn sie sanfte Reden führen, die aber empört sind,
-wenn sie immer recht haben wollen.
-
-Bittere Tränen vergoß seine Frau:
-
-»Ach, wo sind jetzt meine Kinder, meine armen Kinder?«
-
-Einmal rief sie das so laut, daß die Knaben, die an der Tür horchten,
-alle miteinander zu schreien anfingen:
-
-»Wir sind wieder da! Wir sind wieder da!«
-
-So schnell sie konnte, lief die Frau und machte ihnen die Tür auf. Unter
-tausend Küssen rief sie:
-
-»Wie bin ich froh, daß ich euch wiederhabe, liebe Kinder! Ihr seid gewiß
-müde und habt großen Hunger; und du, Peterle, wie schmutzig bist du
-denn! Komm, ich will dich waschen!«
-
-[Illustration]
-
-Peterle war ihr ältester Sohn, und sie liebte ihn mehr als alle anderen,
-weil er von ihr die roten Haare geerbt hatte. Dann setzten sie sich zu
-Tisch, und sie aßen mit einem Appetit, der Vater und Mutter helle Freude
-machte, und sie erzählten, welche Angst sie im Walde gehabt hatten, und
-einer schrie lauter als der andere.
-
-Die guten Leute freuten sich, ihre Kinder wieder bei sich zu haben, und
-diese Freude dauerte geradeso lange, wie die zehn Taler reichten. Aber
-als das Geld ausgegeben war, kam wieder die alte Verzweiflung und mit
-ihr von neuem der Entschluß, die Kinder auszusetzen. Damit es nicht gehe
-wie beim ersten Mal, wollten sie die Kinder noch tiefer in den Wald
-hineinführen. Aber sie konnten darüber nicht so heimlich sprechen, daß
-der kleine Däumling es nicht gehört hätte, und er wollte es jetzt wieder
-so machen wie damals. Aber als er früh aufstand, um kleine Kieselsteine
-zu sammeln, da fand er die Haustür doppelt verriegelt.
-
-Nun wußte er nicht, was er tun sollte. Doch als die Mutter jedem von
-ihnen ein Stück Brot zum Frühstück gab, da fiel ihm ein, daß er anstatt
-der Steinchen das Brot nehmen könne, wenn er es in Krümeln auf dem Wege
-ausstreute, den sie gehen würden, und er steckte das Brot in seine
-Tasche.
-
-Vater und Mutter führten die Kinder in den dichtesten und finstersten
-Teil des Waldes, und als sie dort angekommen waren, machten sie sich auf
-einem Umweg davon und ließen sie zurück. Der kleine Däumling war nicht
-ängstlich, denn er glaubte, den Weg mit den Brotkrümeln, die er überall
-ausgestreut hatte, leicht zurückzufinden. Aber er war sehr betroffen,
-als er nicht ein einziges Krümelchen entdeckte. Die Vögel waren gekommen
-und hatten alle aufgepickt.
-
-Da waren sie nun in großer Sorge, denn je weiter sie wanderten, um so
-mehr verirrten sie sich und gerieten immer tiefer in den Wald hinein.
-Die Nacht brach an, und es kam ein großer Sturm, der sie in Schrecken
-setzte. Von allen Seiten glaubten sie das Geheul der Wölfe zu hören, die
-sie fressen wollten. Sie wagten nicht mehr zu sprechen, noch sich zu
-rühren.
-
-Zu alldem überraschte sie ein großer Regen, und sie wurden naß bis auf
-die Knochen. Bei jedem Schritt glitten sie aus und fielen zu Boden. Ganz
-beschmutzt standen sie da und wußten nicht mehr, was sie anfangen
-sollten.
-
-[Illustration]
-
-Da kletterte der kleine Däumling auf einen großen Baum, um auszuschauen,
-ob er keine Hilfe sähe. Nach allen Seiten drehte er den Kopf und sah
-endlich ein kleines Licht, wie von einer Kerze, aber es war weit weg,
-jenseits des Waldes. Er kletterte vom Baum herab, und wie er wieder auf
-der Erde war, sah er das Licht nicht mehr. Das machte ihn trostlos. Aber
-als er eine Zeitlang mit seinen Brüdern in der Richtung gegangen war, in
-welcher er das Licht gesehen hatte, da sah er es beim Austritt aus dem
-Walde von neuem. Jedesmal, wenn der Weg sich senkte, verloren sie es
-wieder aus den Augen, und das machte ihnen große Angst. Aber schließlich
-kamen sie an das Haus, wo die Kerze brannte.
-
-Sie pochten an die Tür, und eine gute Frau machte ihnen auf und fragte
-nach ihrem Begehr.
-
-Der kleine Däumling sagte, sie seien arme Kinder, die sich im Walde
-verirrt hätten, und sie bäten um Gottes willen um ein Nachtlager.
-
-Wie die Frau die netten Kinder sah, fing sie an zu weinen und sagte zu
-ihnen:
-
-»Ach, meine armen Kinder, wohin seid ihr geraten! Wißt ihr nicht, daß
-hier ein Riese wohnt, der kleine Kinder frißt?«
-
-»Gute Frau,« antwortete ihr der kleine Däumling, der ebenso wie seine
-Brüder am ganzen Leibe zitterte, »was sollen wir jetzt anfangen? Gewiß
-werden uns die Wölfe heute im Walde auffressen, wenn Ihr uns nicht
-aufnehmen wollt. Da ist es schon besser, daß uns der Herr frißt;
-vielleicht hat er aber Mitleid, wenn wir ihn darum bitten.«
-
-Da ließ die Frau die Kinder hinein, denn sie hoffte, sie bis zum
-nächsten Morgen vor ihrem Manne verstecken zu können. Sie führte sie an
-ein helles Feuer, damit sie sich wärmen konnten. Es wurde nämlich gerade
-ein Hammel am Spieße gebraten als Abendessen für den Riesen. Kaum fingen
-die Kinder an, warm zu werden, da hörten sie es drei- bis viermal an die
-Haustür donnern. Das war der Riese, der zurückkam. Schleunigst
-versteckte die Frau die Kinder unter dem Bett und öffnete.
-
-[Illustration]
-
-Zuerst fragte der Riese, ob sein Abendbrot fertig und ob der Wein
-abgefüllt sei, und setzte sich zu Tisch. Der Hammel war noch ganz
-blutig, aber das schien ihm gerade recht. Dann schnüffelte er rechts und
-links und sagte, es röche ihm nach frischem Fleisch.
-
-»Das wird wohl der Hammel sein, den ich soeben gebraten habe«, meinte
-seine Frau.
-
-»Ich rieche frisches Fleisch, sage ich dir nochmals«, versetzte der
-Riese und sah seine Frau von der Seite an:
-
-»Hier muß etwas sein, von dem ich nichts weiß!«
-
-Mit diesen Worten stand er auf und ging geradenwegs auf das Bett zu.
-
-»Aha, du schlechtes Weib! Du hast mich also wirklich betrügen wollen!
-Ich weiß wahrhaftig nicht, warum ich dich nicht schon längst gefressen
-habe. Es ist dein Glück, daß du so ein altes Tier bist. Der Leckerbissen
-hier kommt mir gerade recht. Damit kann ich drei befreundete Riesen, die
-mich in diesen Tagen besuchen, schön bewirten.«
-
-Dann zerrte er die Kinder eines nach dem anderen unter dem Bette hervor.
-Die Ärmsten warfen sich ihm zu Füßen und baten um Gnade. Aber es war der
-Grausamste aller Riesen; er hatte kein Mitleid mit ihnen, und mit seinen
-Augen verschlang er sie schon. Dann sagte er zu seiner Frau, das würden
-Leckerbissen werden, wenn sie nur eine gute Brühe dazu mache.
-
-Er langte nach seinem Messer und fing vor den armen Kindern an, es auf
-seinem Schleifstein, den er in der Linken hielt, zu schärfen. Schon
-hatte er eines gepackt, da sagte seine Frau zu ihm:
-
-»Was willst du denn jetzt damit? Hast du nicht Zeit bis morgen?«
-
-»Halt den Mund,« schrie sie der Riese an, »sie sind dann mürber!«
-
-»Aber du hast ja noch so viel Fleisch,« meinte seine Frau, »ein Kalb,
-zwei Hammel und ein halbes Schwein.«
-
-»Du magst recht haben,« brummte der Riese, »gib ihnen aber gut zu essen,
-damit sie mir nicht abmagern, und bring sie dann zu Bett!«
-
-[Illustration]
-
-Die gute Frau war außer sich vor Freude und brachte den Kindern ein
-schönes Abendessen. Doch sie konnten keinen Bissen anrühren, so sehr
-zitterten sie vor Angst. In bester Laune setzte sich der Riese hin und
-freute sich, für seine Kumpane einen so schönen Leckerbissen erwischt zu
-haben. Er trank und trank zwölf Glas mehr als sonst. Das stieg ihm in
-den Kopf, und er legte sich zu Bett.
-
-Der Riese besaß sieben junge Töchter. Diese Riesinnen hatten alle eine
-wunderschöne Haut, da sie sich ebenso wie ihr Vater von frischem
-Fleische nährten; aber sie hatten kleine, graue, ganz runde Augen, eine
-große Nase und einen großen Mund mit langen, spitzen und weit
-auseinanderstehenden Zähnen. Sie waren noch nicht sehr bösartig, aber
-doch vielversprechend, denn sie fingen schon an, die kleinen Kinder zu
-beißen und ihnen das Blut auszusaugen.
-
-Sie waren schon früh zu Bette gebracht worden und schliefen alle in
-einem einzigen großen Bett. Jede von ihnen trug eine goldene Krone auf
-dem Kopfe. In demselben Zimmer stand ein zweites Bett von derselben
-Größe. In dieses Bett legte die Frau des Riesen die sieben kleinen
-Jungen. Dann ging sie selbst zur Ruhe.
-
-Der kleine Däumling hatte gesehen, daß die Töchter des Riesen goldene
-Kronen auf dem Kopfe trugen, und da er fürchtete, es möchte den Riesen
-reuen, daß er sie nicht schon am selben Abend abgeschlachtet hatte,
-stand er gegen Mitternacht auf, nahm sich und seinen Brüdern die
-Mütze vom Kopf und setzte sie, mit aller Vorsicht, den sieben
-Riesentöchterchen auf. Seinen Brüdern und sich selbst setzte er die
-goldenen Kronen auf, die er jenen genommen hatte. So mußte der Riese die
-Knaben für seine Töchter und seine Töchter für die Knaben halten, die er
-schlachten wollte.
-
-Es kam genau so, wie es sich der kleine Däumling gedacht. Der Riese
-wachte um Mitternacht auf, und es tat ihm leid, daß er bis zum anderen
-Tage verschoben hatte, was er sofort erledigen wollte. Mit einem
-mächtigen Satz sprang er aus seinem Bett und griff zu seinem Messer:
-
-»Nun wollen wir mal sehen, was unsere kleinen Schelme machen! So etwas
-gibt es nicht zum zweiten Male.«
-
-[Illustration]
-
-So sprechend, tappte er im Dunkeln hinauf ins Zimmer seiner Töchter und
-trat an das Bett heran, in dem die kleinen Knaben lagen. Sie schliefen
-alle fest, nur der kleine Däumling wachte. Ein Gruseln überlief ihn, als
-er die tastende Hand des Riesen fühlte, der vorher schon alle seine
-Brüder abgetastet hatte. Wie der Riese die goldenen Kronen berührte,
-sagte er:
-
-»Donnerwetter, da hätte ich beinahe etwas Schönes angerichtet! Ich habe
-wahrhaftig am Abend zuviel getrunken.«
-
-Dann ging er an das Bett seiner Töchter, und als er hier die Mützen der
-Knaben fand, sagte er:
-
-»Da hätten wir ja unsere Bürschchen! Nun rasch an die Arbeit!«
-
-Mit diesen Worten schnitt er, ohne zu zögern, allen seinen Töchtern die
-Köpfe ab.
-
-Zufrieden mit seiner Tat legte er sich wieder ins Bett. Kaum hörte der
-kleine Däumling den Riesen schnarchen, da weckte er seine Brüder und
-hieß sie, sich schnell anzuziehen und ihm zu folgen. Vorsichtig stiegen
-sie hinab in den Garten und sprangen über die Mauer. Am ganzen Leibe
-zitternd, liefen sie bis zum Morgen, ohne Weg und Steg zu kennen.
-
-Als der Riese erwachte, sagte er zu seinem Weib:
-
-»Gehe hinauf und mache die kleinen Schelme von gestern abend zurecht!«
-
-Die Frau des Riesen war erstaunt über die gute Laune ihres Mannes und
-glaubte, er schicke sie, die Knaben anzuziehen. Sie ging hinauf und war
-zu Tode erschrocken, als sie ihre sieben Töchter mit abgeschnittenen
-Hälsen in ihrem Blute sah. Sie fiel in Ohnmacht, denn das ist das
-einzige, was Frauen in dieser Lage tun können. Der Riese glaubte, seiner
-Frau würde die Arbeit zu schwer, die er ihr aufgetragen hatte, und ging
-hinauf, um ihr zu helfen. Aber er war nicht weniger erschrocken als
-seine Frau bei diesem gräßlichen Anblick.
-
-»Was habe ich da angerichtet,« schrie er, »aber sie sollen es mir auf
-der Stelle büßen, die Unglücklichen!«
-
-Er goß seiner Frau einen Topf Wasser über die Nase, und als sie wieder
-zu sich kam, sagte er zu ihr:
-
-»Gib mir schnell meine Siebenmeilenstiefel, daß ich die Bande einhole!«
-
-[Illustration]
-
-Er machte sich auf den Weg, und als er kreuz und quer gelaufen war, kam
-er endlich auf die Straße, wo die Knaben gingen. Nur noch hundert
-Schritte waren sie vom Hause ihres Vaters entfernt. Da sahen sie den
-Riesen, wie er von Berg zu Berg schritt und die größten Ströme
-überquerte wie den kleinsten Bach. Der kleine Däumling fand in nächster
-Nähe ein Loch in einem Felsen und versteckte darin seine Brüder; auch er
-selbst kroch hinein und gab acht, was der Riese tat. Der war von dem
-großen Umweg, den er vergebens gemacht hatte, sehr erschöpft und wollte
-sich ausruhen. Zufällig setzte er sich gerade auf denselben Felsen,
-unter dem sich die Knaben versteckt hatten. Er konnte vor Müdigkeit
-nicht mehr weiter und schlief bald ein. Dabei fing er so schrecklich an
-zu schnarchen, daß die Kinder nicht weniger Angst bekamen wie damals,
-als er zu seinem großen Messer griff, um ihnen den Hals abzuschneiden.
-
-Der kleine Däumling war mutiger. Während der Riese in festem Schlafe
-lag, sagte er zu seinen Brüdern, sie sollten rasch nach Hause laufen und
-sich um ihn keine Sorge machen. Sie folgten seinem Rat und erreichten
-glücklich das Haus. Der kleine Däumling machte sich an den Riesen heran,
-zog ihm vorsichtig seine Stiefel aus und schlüpfte selbst hinein. Die
-Stiefel waren zwar groß und weit, aber es waren Zauberstiefel: sie
-hatten die Eigenschaft, größer oder kleiner zu werden, je nach ihrem
-Träger, und sie paßten ihm so gut, als seien sie für ihn gemacht.
-
-Schnurstracks lief er zum Hause des Riesen zurück und fand dort sein
-Weib in Tränen bei ihren toten Töchtern.
-
-»Euer Gatte ist in großer Gefahr,« sagte Däumling zu ihr, »er ist von
-Räubern gefangen, und diese haben geschworen, ihn zu töten, wenn er
-ihnen nicht all sein Gold und Silber gäbe. Gerade als sie ihm den Dolch
-an die Kehle setzten, kam ich zufällig vorbei, und er bat mich, zu Euch
-zu gehen, um Euch zu benachrichtigen und Euch zu sagen, Ihr solltet mir
-alles aushändigen, was er an Vermögen besitzt, und sollt nichts
-zurückbehalten, weil sie ihn sonst ohne Mitleid töten. Da größte Eile
-nötig ist, gab er mir seine Siebenmeilenstiefel. Es soll zugleich ein
-Beweis sein, damit Ihr nicht glaubt, ich sei ein Schwindler.«
-
-[Illustration]
-
-In ihrem großen Schrecken gab die Frau ihm alles, was sie hatte, denn
-wenn der Riese auch kleine Kinder fraß, so war er doch immer ein guter
-Vater und Gatte.
-
-Schwer beladen mit den Schätzen des Riesen kehrte der kleine Däumling in
-das Haus seines Vaters zurück, wo er mit großer Freude empfangen wurde.
-
-Es gibt viele Leute, die nicht glauben wollen, daß der kleine Däumling
-den Riesen bestohlen habe. Er habe in Wirklichkeit sich nur deshalb
-keine Gedanken darüber gemacht, dem Riesen die Siebenmeilenstiefel
-fortzunehmen, weil dieser sie doch nur dazu benutzte, um die kleinen
-Kinder zu fangen. Diese Leute behaupten, sie wüßten es aus bester
-Quelle, denn sie wären selbst im Hause des Holzhackers zu Gast gewesen,
-und sie erzählen, der kleine Däumling habe sich die Stiefel des Riesen
-angezogen und sei damit an den Hof des Königs gegangen, wo man in großer
-Sorge um das Schicksal des Heeres war, das 200 Meilen entfernt in heißem
-Kampfe lag. Man hatte keine Nachricht über den Ausgang der Schlacht.
-
-[Illustration]
-
-Däumling ging nun zum König und erbot sich, ihm noch vor Tagesende
-Nachricht von der Armee zu bringen. Der König versprach ihm eine große
-Belohnung, wenn er dies fertig bringe. Noch am selben Abend überbrachte
-der kleine Däumling die ersehnte Botschaft, und dieser erste Lauf machte
-ihn so berühmt, daß er alles erreichte, was er wollte. Der König
-belohnte ihn fürstlich. Däumling brachte seine Befehle zur Armee, und
-viele Damen gaben ihm alles, was er verlangte, um nur Nachricht von
-ihren Liebhabern zu erhalten. Das war seine beste Einnahme. Es fanden
-sich zwar auch einige Ehefrauen, die ihm Briefe für ihre Gatten
-mitgaben, aber diese zahlten schlecht, und er hielt es für unter seiner
-Würde, mit dem ihm von dieser Seite zufließenden Verdienste überhaupt zu
-rechnen.
-
-Auf diese Weise verschaffte er seiner ganzen Familie ein gutes
-Auskommen. Seinem Vater und seinen Brüdern kaufte er neugeschaffene
-Amtsstellen, und sich selbst schuf er einen trefflichen Hausstand.
-
-
- Moral:
-
- Wenn einer nette Kinder hat,
- Die schön und wohl geraten sind,
- Dann zeigt er sie der ganzen Stadt. --
- Jedoch verliert er nicht ein Wort,
- Wird ihm geschenkt ein schwächlich Kind,
- Er quält's und tut ihm jedem Tort. --
- Doch oft ist so ein kleiner Mann
- Ein Kerl, der vieles weiß und kann:
- Der kleine Däumling, wie gesagt,
- Hat der Familie Glück gebracht.
-
-
-
-
-Aschenbrödel
-
-oder
-
-die Geschichte vom gläsernen Pantöffelchen
-
-
-Es war einmal ein Edelmann, der hatte in seiner zweiten Ehe ein so
-hochmütiges und stolzes Weib geheiratet, wie man noch niemals eines sah.
-Diese Frau hatte zwei Töchter, welche ganz nach ihrer Art waren und ihr
-in jeder Hinsicht glichen. Auch der Mann hatte eine Tochter mit in die
-Ehe gebracht, ein Mädchen von holder Anmut und unvergleichlicher Güte,
-das wahre Ebenbild ihrer verstorbenen Mutter, der besten Frau der Welt.
-
-Kaum war die Hochzeit vorbei, da zeigte sich die Stiefmutter auch schon
-von ihrer schlimmsten Seite. Sie konnte das junge Mädchen nicht leiden,
-denn neben ihm erschienen ihre eigenen Töchter noch häßlicher.
-
-Deshalb trug sie ihm die schmutzigsten Arbeiten im Hause auf: es mußte
-das Geschirr reinigen, die Treppen fegen, es mußte das Zimmer der
-gnädigen Frau scheuern und das der gnädigen Fräuleins, ihrer Töchter. Es
-mußte auf dem Speicher unter dem Dache auf einem elenden Strohsacke
-schlafen, während seine Schwestern die herrlichsten Zimmer hatten, mit
-den allermodernsten Betten und mit Spiegeln, in denen sie sich vom Kopf
-bis zum Fuß betrachten konnten.
-
-Doch alles ertrug das arme Mädchen mit Geduld, es wagte nicht, sich bei
-ihrem Vater zu beschweren, denn der hätte ihm doch nicht recht gegeben,
-weil er ganz unter dem Einflusse seiner Frau stand. Wenn es seine Arbeit
-gemacht hatte, dann setzte es sich neben dem Küchenherd in die Asche,
-und deshalb nannte man es im Hause nur noch die Küchenschabe; aber die
-zweite Tochter, die nicht ganz so böse war wie ihre ältere Schwester,
-gab ihm den Namen Aschenbrödel. Trotz allem war Aschenbrödel in ihren
-schlechten Kleidern noch hundertmal schöner als ihre Schwestern, wie
-sehr sich diese auch putzten.
-
-Eines Tages gab der Sohn des Königs einen Ball und lud dazu alle
-Personen von Rang ein. Auch die beiden Fräuleins wurden eingeladen, denn
-sie spielten im Lande eine große Rolle. Darüber freuten sie sich sehr,
-und sie überlegten den ganzen Tag, wie sie sich am schönsten kleiden und
-schmücken könnten und was ihnen am besten stände. Da gab es neue Arbeit
-für Aschenbrödel. Sie mußte die Wäsche ihrer Schwestern waschen und
-bügeln und die Manschetten ihrer Kleider kräuseln. Man sprach von nichts
-anderem, als was man anziehen wolle.
-
-»Ich,« sagte die Ältere, »ziehe das rote Velourkleid mit dem englischen
-Besatze an.«
-
-Und die Zweite meinte: »Ich werde meinen gewöhnlichen roten Rock tragen,
-aber dazu nehme ich den Umhang mit den Goldblumen und meinen
-Diamantschmuck, was mir auch nicht schlecht stehen wird.«
-
-Die berühmteste Haarkräuslerin mußte kommen, um die Spitzenhauben zu
-ordnen und die niedlichen Schönheitspflästerchen zu kleben. Dann riefen
-sie Aschenbrödel herbei, um ihr Urteil zu hören; denn sie hatte einen
-guten Geschmack. Aschenbrödel gab ihnen die besten Ratschläge und erbot
-sich sogar, ihnen das Haar zu machen. Das ließen sie sich gerne
-gefallen.
-
-Während sie die Schwestern kämmte, sagten diese zu ihr:
-
-»Aschenbrödel, hättest du wohl auch Lust, mit auf den Ball zu gehen?«
-
-»Ach, edle Damen, warum treibt ihr euren Spott mit mir? Die Ehre wäre zu
-hoch für mich.«
-
-»Da hast du recht, man würde nur lachen, sähe man eine Küchenschabe, wie
-du, zum Balle gehen.«
-
-Eine andere als Aschenbrödel hätte nun sicher die Frisuren verdorben;
-aber Aschenbrödel war zu gutmütig dazu und kämmte ihnen die Haare
-wunderbar schön.
-
-[Illustration]
-
-Fast zwei Tage lang aßen die beiden keinen Bissen, so zitterten sie vor
-freudiger Erwartung. Mehr als ein Dutzend Bänder gingen beim Schnüren
-entzwei, da sie so schlank als möglich sein wollten. In einem fort
-standen sie vor dem Spiegel.
-
-Endlich war der ersehnte Tag gekommen, und sie fuhren ab.
-
-Aschenbrödel folgte ihren Schwestern mit den Augen, solange sie konnte.
-Aber als sie den Wagen nicht mehr sah, da setzte sie sich hin und
-weinte. Ihre Patin sah ihre Tränen und fragte, was ihr fehle.
-
-»Ich möchte so gern, .... ich möchte so gern ....«
-
-Vor lauter Schluchzen konnte sie nicht zu Ende sprechen.
-
-»Du möchtest wohl gern auf den Ball gehen?« sagte die Patin, die eine
-Fee war.
-
-»Ach ja«, antwortete Aschenbrödel und tat einen tiefen Seufzer.
-
-»Wenn du brav bist, dann will ich dich hingehen lassen.«
-
-Mit diesen Worten führte sie Aschenbrödel in ihre Kammer und sagte zu
-ihr:
-
-»Gehe in den Garten und bringe mir einen Kürbis!«
-
-Aschenbrödel ging sofort hinunter, pflückte den schönsten Kürbis, den
-sie fand, und brachte ihn der Patin, ohne zu ahnen, wie er ihr zum
-Ballbesuch verhelfen könnte. Die Patin fing an, den Kürbis auszuhöhlen,
-und als nur noch die Schale übrig war, klopfte sie mit ihrem Zauberstab
-daran, und auf der Stelle verwandelte sich der Kürbis in einen schönen,
-goldenen Wagen.
-
-Dann sah sie in der Mäusefalle nach und fand sechs lebendige Mäuse
-darin. Sie befahl Aschenbrödel, die Klappe ein wenig anzuheben, und gab
-jeder Maus, die herausschlüpfte, einen leichten Schlag mit ihrem
-Zauberstab. Darauf verwandelte sich die Maus sofort in ein schönes Roß.
-Das gab ein prächtiges Sechsgespann, sechs Pferde von herrlichem
-Apfelgrau, geradeso wie die Mäuse gewesen waren.
-
-Nun fehlte nur noch ein Kutscher, und Aschenbrödel meinte: »Ich werde
-einmal sehen, ob nicht eine Ratte in der Falle ist! Daraus könnten wir
-wohl einen Kutscher machen.«
-
-»Du hast recht,« sagte die Patin, »sieh einmal nach!«
-
-Aschenbrödel holte die Rattenfalle; da waren drei fette Ratten darin.
-Eine von ihnen, die einen stattlichen Bart hatte, packte die Fee, und
-kaum hatte sie die Ratte mit dem Stabe berührt, da stand auch schon ein
-dicker Kutscher da, mit einem so mächtigen Schnauzbart, wie man noch
-keinen gesehen hatte.
-
-Hierauf sagte die Fee zu Aschenbrödel:
-
-»Gehe in den Garten, dort wirst du hinter der Gießkanne sechs Eidechsen
-finden, die bringe mir her!«
-
-Kaum hatte sie die Eidechsen gebracht, da verwandelte sie die Patin in
-sechs Lakaien in prächtig verbrämten Röcken. Sofort stiegen die Lakaien
-auf ihre Sitze und benahmen sich dabei so geschickt, als hätten sie in
-ihrem ganzen Leben nichts anderes getan. Dann sagte die Fee zu
-Aschenbrödel:
-
-»Siehst du, jetzt kannst du auf den Ball fahren; freust du dich nun?«
-
-»O ja; aber soll ich denn so, wie ich bin, hingehen, in diesen
-schlechten Kleidern?«
-
-Da berührte sie die Patin leise mit ihrem Zauberstabe, und sofort hatte
-sich ihr armseliges Kleid in ein gold- und silberglänzendes, mit
-Edelsteinen besetztes Gewand verwandelt. Zum Schluß gab sie ihr noch ein
-Paar niedliche gläserne Pantöffelchen.
-
-So geschmückt stieg Aschenbrödel in den Wagen; aber vorher trug ihr die
-Patin auf, ja nicht die Mitternacht vorbeizulassen, und drohte ihr, wenn
-sie auch nur einen Augenblick länger auf dem Ball bliebe, so würde ihr
-Wagen wieder zum Kürbis werden, ihre Pferde zu Mäusen, ihr Kutscher zur
-Ratte, und ihre stattlichen Lakaien würden wieder ihre frühere Gestalt
-annehmen.
-
-Aschenbrödel versprach ihrer Patin, den Ball ganz gewiß vor Mitternacht
-zu verlassen, und fuhr ab, außer sich vor Freude. Als sie so prächtig
-dahergefahren kam, benachrichtigte man den Sohn des Königs, eine
-vornehme Prinzessin, die niemand kenne, sein angekommen, und der
-Königssohn lief herbei, sie zu empfangen. Wie sie aus dem Wagen stieg,
-reichte er ihr die Hand und führte sie in den Festsaal. Da war mit einem
-Male großes Schweigen: alles hörte auf zu tanzen, und die Geigen
-verstummten. Jeder sah nur noch die wunderschöne Unbekannte. Überall
-hörte man raunen und wispern:
-
-»Ach, wie schön ist sie!«
-
-[Illustration]
-
-Sogar der König, so alt er war, konnte sich nicht von ihrem Anblick
-losreißen und flüsterte der Königin zu, er hätte lange keine so hübsche
-und so liebenswerte Person gesehen.
-
-Die Damen musterten Kopfputz und Kleiderschnitt der Fremden mit
-großer Aufmerksamkeit, um es ihr schon am anderen Tage nachzutun,
-vorausgesetzt, daß sich so schöne Stoffe finden ließen und so geschickte
-Schneider.
-
-Der Königssohn führte die Fremde auf den Ehrenplatz und bat sie sofort
-um einen Tanz, und sie tanzte mit so viel Anmut, daß man nicht aus dem
-Staunen kam.
-
-Nun wurde ein köstliches Mahl bereitet, aber der junge Prinz konnte
-keinen Bissen essen: er sah nichts anderes mehr als seine Dame.
-
-Nach dem Mahl stand Aschenbrödel auf und setzte sich zu ihren
-Schwestern, um ihnen tausenderlei Artigkeiten zu erweisen. Sie teilte
-Orangen und Zitronen mit ihnen, die ihr der Prinz geschenkt hatte, und
-setzte sie mit alldem in das größte Erstaunen. Denn sie erkannten
-Aschenbrödel nicht.
-
-Als sie noch plauderten, hörte Aschenbrödel drei Viertel auf zwölf
-schlagen. Schleunigst erhob sie sich, machte vor der ganzen
-Festgesellschaft eine tiefe Verbeugung und verließ den Saal so rasch,
-wie sie konnte.
-
-Zu Hause angelangt, suchte sie die Patin auf, dankte ihr herzlich und
-sagte ihr, sie wünsche sich sehnlichst, am nächsten Tage nochmals auf
-den Ball zu gehen, weil der Königssohn sie darum gebeten habe. Als sie
-gerade dabei war, ihre Erlebnisse zu erzählen, da klopften die
-Schwestern an die Türe, und Aschenbrödel machte ihnen auf.
-
-»Ihr kommt aber spät!« sagte sie, rieb sich gähnend die Augen und reckte
-sich, als sei sie eben aufgestanden.
-
-Die eine der Schwestern sagte: »Wärest du mit auf dem Ball gewesen, du
-hättest dich sicher nicht gelangweilt. Es war eine so schöne Prinzessin
-da, wie es auf der ganzen Welt keine zweite gibt. Tausend Artigkeiten
-hat sie uns erwiesen und hat uns Orangen und Zitronen geschenkt.«
-
-Aschenbrödel war außer sich vor Freude; sie fragte, wie die Prinzessin
-hieße. Aber ihre Schwestern antworteten, daß kein Mensch sie kenne, und
-daß der Königssohn sich den Kopf darüber zerbräche und alles in der Welt
-darum gäbe, wenn er erfahren könne, wer sie sei.
-
-Aschenbrödel lachte: »War sie wirklich so schön? Mein Gott, wie ich euch
-beneide! Könnte ich sie doch nur einmal sehen! Ach, Fräulein Javotte,
-leiht mir doch euer gelbes Kleid, welches ihr alltags tragt!«
-
-»Das könnte mir passen,« meinte Fräulein Javotte, »einer alten
-Küchenschabe wie dir das Kleid leihen! Da müßte ich ja närrisch sein!«
-
-Aschenbrödel hatte diese Antwort erwartet und war froh darüber, denn sie
-wäre in die größte Verlegenheit geraten, hätte ihr die Schwester
-wirklich das Kleid geliehen.
-
-Als die beiden Schwestern am nächsten Tage wieder zum Balle fuhren,
-erschien auch Aschenbrödel dort, aber diesmal noch herrlicher geschmückt
-wie am ersten Tag.
-
-Der Königssohn ging nicht von ihrer Seite und sagte ihr die schönsten
-Dinge.
-
-Darüber vergaß das junge Mädchen ganz, was ihr die Patin gesagt. Die Uhr
-holte schon zum Schlag der zwölften Stunde aus, da glaubte sie noch, es
-sei erst elf. Schnell sprang sie nun auf und flüchtete so leicht wie
-eine Hindin.
-
-Der Prinz stürzte ihr nach, aber er konnte sie nicht mehr erreichen. In
-der Eile verlor Aschenbrödel einen ihrer gläsernen Pantoffel, den der
-Prinz behutsam aufhob.
-
-Ganz außer Atem kam sie nach Hause, ohne Wagen, ohne Lakai, in ihren
-schlechten Kleidern. Nichts war ihr von all der Herrlichkeit geblieben
-als das zweite Pantöffelchen, das genau so war wie das verlorene.
-
-[Illustration]
-
-Die Torwächter des Schlosses wurden gefragt, ob sie keine Prinzessin
-gesehen hätten. Doch diese sagten, sie hätten nur ein junges Ding in
-Lumpen gesehen, mehr von dem Aussehen einer Bauernmagd als einer
-Edeldame.
-
-Als nun die beiden Schwestern vom Ball heimkehrten, fragte sie
-Aschenbrödel, ob sie sich wieder gut unterhalten hätten, und ob auch die
-schöne Dame wieder da gewesen wäre.
-
-Ja, sagten diese, aber die schöne Dame sei davongelaufen, als die Uhr
-Mitternacht geschlagen habe. Sie sei so rasch gelaufen, daß sie dabei
-eines ihrer wunderschönen gläsernen Pantöffelchen verloren habe. Das
-habe der Königssohn aufgehoben und bis zum Ende des Balles kein Auge
-davon gelassen. Sicher sei er ganz verliebt in das schöne Mädchen, dem
-das Pantöffelchen gehöre.
-
-Sie hatten recht, denn wenige Tage darauf ließ der Königssohn mit
-Trompetenschall bekanntgeben, er würde das junge Mädchen zu seiner Frau
-machen, an dessen Fuß das Pantöffelchen passe.
-
-Zuerst probierte man bei den Prinzessinnen, dann bei den Herzoginnen und
-bei der ganzen Hofgesellschaft, aber umsonst. Man brachte das
-Pantöffelchen zu den beiden Schwestern, die sich anstrengten, den Fuß
-hineinzuzwängen, aber sie brachten es nicht zuwege. Als Aschenbrödel
-ihnen dabei zusah und ihren Pantoffel wieder erkannte, sagte sie
-lachend:
-
-»Laßt mich doch einmal sehen, ob er mir nicht paßt!«
-
-Da fingen die Schwestern an zu lachen und ihre Witze über sie zu machen.
-Aber der Edelmann, der die Pantoffelprobe veranstaltete, hatte
-Aschenbrödel aufmerksam betrachtet und fand sie sehr schön. Deshalb
-sagte er zu ihr, ihr Wunsch sei berechtigt, denn er habe den Auftrag,
-die Probe bei allen jungen Mädchen zu machen.
-
-Er ließ Aschenbrödel Platz nehmen, und als er den Pantoffel an
-ihren kleinen Fuß hielt, da schlüpfte sie mühelos hinein, und das
-Pantöffelchen paßte ihr wie angegossen.
-
-Das Erstaunen der beiden Schwestern war groß, aber es wurde noch größer,
-als Aschenbrödel aus ihrer Tasche das andere Pantöffelchen hervorzog und
-hineinschlüpfte.
-
-Darüber kam die Patin hinzu und mit ihrem Zauberstabe berührte sie
-Aschenbrödels Kleid und verwandelte es in ein Gewand, das noch viel,
-viel schöner war als alle früheren.
-
-Da erkannten die beiden Schwestern in Aschenbrödel die schöne Fremde,
-die sie auf dem Ball gesehen hatten. Sie warfen sich ihr zu Füßen und
-baten sie um Verzeihung für alles Böse, was sie ihr zugefügt hatten.
-
-Aschenbrödel hob sie auf, umarmte sie und beteuerte, daß sie ihnen von
-ganzem Herzen verzeihe und sie bäte, immer lieb zu ihr zu sein.
-
-Dann geleitete man Aschenbrödel, herrlich geschmückt, wie sie war, zu
-dem jungen Prinzen, und dieser fand sie noch tausendmal schöner als
-zuvor. Wenige Tage darauf wurde die Hochzeit gefeiert. Aschenbrödel war
-ebenso gut wie schön, ließ die beiden Schwestern im Schlosse wohnen und
-verheiratete sie noch an demselben Tage mit zwei vornehmen Herren vom
-Hofe.
-
-
- Moral:
-
- Ganz ohne Zweifel es von großem Vorteil ist,
- Wenn du nicht mutig nur, wenn du auch witzig bist,
- Vornehmen Standes und auch klug dabei,
- Und was an Gaben dir noch mehr beschieden sei.
- Jedoch vergebens sie zu eigen dir gehören,
- Dein Glück und Streben sie um keinen Deut vermehren,
- Wenn du nicht eine Patin hast und gute Paten,
- Die dich bei deinem Werk betreuen und beraten.
-
-
-
-
-Riquet mit der Locke
-
-
-Es war einmal eine Königin, die bekam einen Sohn, der war so häßlich und
-mißgestaltet, daß man lange im Zweifel war, ob er überhaupt ein Mensch
-sei. Eine Fee, die bei der Geburt des Kindes erschien, versicherte, es
-würde sehr klug werden. Sie fügte noch hinzu, er könne dank einer
-besonderen Gabe, die sie ihm verliehen habe, ebensoviel Verstand, wie er
-selbst besitze, auf den Menschen übertragen, den er am meisten liebe.
-
-Das tröstete ein wenig die arme Königin, die sehr betrübt war, einem so
-häßlichen kleinen Kerl das Leben geschenkt zu haben.
-
-Aber kaum fing das Kind an zu sprechen, da konnte es auch schon tausend
-Dinge bei ihrem Namen nennen, und bei all seinem Tun zeigte es einen so
-großen Verstand, daß jedermann von ihm entzückt war.
-
-Ich vergaß zu erzählen, daß es mit einer kleinen Haarlocke auf dem Kopfe
-geboren wurde und man es deshalb Riquet mit der Locke nannte, denn
-Riquet war sein Familienname.
-
-Sieben oder acht Jahre darauf gebar die Königin eines Nachbarlandes zwei
-Töchter. Die erste, die zur Welt kam, war schöner als der Tag, und die
-Königin freute sich dermaßen darüber, daß man schon fürchtete, die allzu
-große Freude könne ihr schaden.
-
-Dieselbe Fee, die bei der Geburt des kleinen Riquet mit der Locke
-zugegen war, erschien auch hier und erklärte der Königin, um ihre Freude
-zu mäßigen, die kleine Prinzessin würde keinen großen Verstand haben,
-ihre Dummheit würde ebenso groß sein wie ihre Schönheit.
-
-Das schmerzte die Königin sehr, und doch hatte sie bald darauf einen
-noch viel größeren Kummer; denn die zweite Tochter, deren sie genas, war
-über die Maßen häßlich.
-
-»Seid darüber nicht weiter traurig!« sagte die Fee, »Eure Tochter wird
-entschädigt werden. Sie wird so klug sein, daß man es fast vergißt, was
-ihr an Schönheit fehlt.«
-
-»Gott gebe es!« antwortete die Königin, »aber gibt es denn kein Mittel,
-der älteren zu ihrer Schönheit auch ein wenig Verstand zu verschaffen?«
-
-»Leider kann ich hierin für Eure Tochter nichts tun, Frau Königin,«
-sagte die Fee. »Aber was die Schönheit angeht, das vermag ich alles; und
-da ich Euch herzlich gern einen Gefallen tue, so will ich Eurer Tochter
-die Gabe verleihen, dem Menschen, der ihr gefällt, Schönheit zu
-verleihen!«
-
-Je älter die beiden Prinzessinnen wurden, um so deutlicher wurden ihre
-Vorzüge: überall sprach man von der Schönheit der älteren und von der
-Klugheit der zweiten.
-
-Aber auch ihre Fehler wuchsen mit den Jahren: die jüngere wurde immer
-häßlicher und die ältere von Tag zu Tag dümmer. Sie gab nicht einmal
-mehr eine Antwort, wenn man sie fragte, oder sie sagte eine Dummheit.
-Dabei war sie noch so ungeschickt, daß sie nicht vier Teller auf den
-Ofensims stellen konnte, ohne einen zu zerbrechen, und kein Glas Wasser
-konnte sie trinken, ohne die Hälfte auf ihr Kleid zu schütten.
-
-Wenn auch Schönheit ein großer Vorteil für ein junges Mädchen ist, so
-war doch die jüngere fast in jeder Gesellschaft beliebter als ihre
-ältere Schwester.
-
-Zuerst kam man immer zur Schönen, um sie anzustaunen und zu bewundern;
-aber es dauerte nicht lange, da ging man zur Klügeren, um tausend
-anmutige Dinge von ihr zu hören, und es war erstaunlich, daß in weniger
-als einer Viertelstunde die ältere keinen Menschen mehr auf ihrer Seite
-hatte, und sich alle um die zweite scharten.
-
-Trotz ihrer großen Dummheit entging ihr dies nicht, und sie hätte ohne
-Besinnen alle ihre Schönheit eingetauscht gegen die halbe Klugheit ihrer
-Schwester.
-
-Wie verständig die Königin auch war, so konnte sie sich doch nicht
-enthalten, ihrer Tochter hie und da ihre Dummheit vorzuwerfen, so daß
-die arme Prinzessin vor Kummer fast gestorben wäre.
-
-Eines Tages, als sie in einen Wald gegangen war, um ihr Unglück zu
-beklagen, sah sie einen sehr häßlichen und unausstehlichen jungen Mann
-auf sich zu kommen, der aber sehr vornehm gekleidet war.
-
-Es war der junge Prinz Riquet mit der Locke. Als er die Bilder gesehen
-hatte, die von der Prinzessin in aller Welt verbreitet waren, da hatte
-er, in Liebe zu ihr entbrannt, das Reich seines Vaters verlassen, um sie
-zu sehen und zu sprechen.
-
-Erfreut über diese einsame Begegnung, redete er sie mit aller Ehrfurcht
-und aller nur denkbaren Höflichkeit an. Nachdem er die üblichen
-Komplimente gemacht hatte, sah er, daß sie sehr traurig war, und er
-sagte deshalb zu ihr:
-
-»Ich verstehe nicht, mein Fräulein, daß eine Dame, die so schön ist wie
-Sie, so trübsinnig sein kann, wie Sie zu sein scheinen; denn wenn ich
-mich auch rühmen darf, eine Unzahl hübscher Mädchen gesehen zu haben, so
-habe ich doch noch niemals eine Schönheit gefunden, die der Ihrigen
-gleichkäme!«
-
-»Das sagen Sie so, mein Herr!« antwortete die Prinzessin und blieb
-traurig wie zuvor.
-
-»Die Schönheit,« fuhr Prinz Riquet mit der Locke fort, »ist ein großer
-Vorzug, der wichtiger ist als alles andere, und ich weiß nicht, warum
-jemand der so schön ist wie Sie, noch traurig sein kann.«
-
-»Lieber möchte ich so häßlich sein wie Sie,« entgegnete die Prinzessin,
-»und Ihren Verstand haben, als meine Schönheit behalten und so dumm
-sein, wie ich es bin!«
-
-»Nichts beweist mehr, daß jemand Verstand hat, als sein Glaube, er habe
-keinen; es ist eine Eigentümlichkeit dieser Gabe, daß man, je mehr man
-davon besitzt, desto mehr glaubt, sie fehle einem.«
-
-»Das verstehe ich nicht,« sagte die Prinzessin, »ich weiß nur, daß ich
-sehr dumm bin, und das ist der Grund meines Leides, das mich noch töten
-wird!«
-
-»Wenn Sie weiter nichts bekümmert, mein Fräulein, so kann ich Ihrem
-Schmerze leicht ein Ende machen!«
-
-»Und wie wollen Sie das tun?« forschte die Prinzessin.
-
-»Ich habe die Macht, mein Fräulein,« sagte Riquet mit der Locke, »auf
-den Menschen, den ich am meisten lieben muß, so viel Verstand zu
-übertragen, wie man eben braucht. Sie sind dieser Mensch, mein Fräulein!
-
-Es liegt also nur an Ihnen, und Sie verfügen über so viel Verstand, wie
-man nur haben kann, vorausgesetzt, daß Sie mich gerne heiraten wollen!«
-
-Die Prinzessin war über diese Worte ganz bestürzt und gab keine Antwort
-darauf.
-
-»Wie ich sehe,« fuhr Prinz Riquet mit der Locke fort, »ist Ihnen mein
-Vorschlag peinlich, und das wundert mich nicht; ich gebe Ihnen aber ein
-ganzes Jahr Zeit, um sich zu entscheiden!«
-
-Die Prinzessin hatte so wenig Verstand und gleichzeitig so große
-Sehnsucht, Verstand zu besitzen, daß sie sich einbildete, das Jahr würde
-niemals zu Ende gehen: deshalb nahm sie den ihr gemachten Vorschlag an.
-Kaum hatte sie Riquet mit der Locke versprochen, ihn am gleichen Tage
-des nächsten Jahres zu heiraten, als sie sich anders fühlte, wie sie
-vorher war: sie bemerkte in sich eine unbekannte Fähigkeit, alles, was
-sie sagen wollte, auf eine feine, heitere und natürliche Art zum
-Ausdruck zu bringen; und sie begann mit Riquet eine artige und
-wohlgesetzte Unterhaltung, die so geistreich war, daß der Prinz glaubte,
-ihr mehr Verstand gegeben zu haben, als er sich selbst behalten habe.
-
-Als die Prinzessin ins Schloß zurückkehrte, wußte der ganze Hof nicht,
-was er zu einer so plötzlichen und außerordentlichen Wandlung sagen
-sollte.
-
-Noch kurz vorher hatte sie lauter albernes Zeug geredet, und jetzt hörte
-man von ihr tiefempfundene, unendlich geistvolle Dinge.
-
-Der ganze Hof hatte eine so große Freude, wie man es sich nicht
-vorstellen kann. Aber die jüngere Schwester der Prinzessin freute sich
-weniger: Jetzt, wo sie vor der älteren nicht mehr den Vorzug der
-Klugheit voraushatte, erschien sie neben ihr wie ein recht unangenehmes
-Affengesicht.
-
-Der König gab viel auf ihre Meinung und hielt sogar öfters den Staatsrat
-in ihrem Zimmer ab.
-
-Als sich nun die Kunde von dieser Wandlung verbreitete, gaben sich alle
-jungen Prinzen der benachbarten Reiche Mühe, sich bei der Prinzessin
-beliebt zu machen, und fast alle begehrten sie zur Frau. Sie fand aber
-keinen, der ihr klug genug war, hörte sie alle an und entschied sich für
-keinen von ihnen.
-
-Eines Tages aber kam ein so mächtiger, reicher, kluger und schöner
-Prinz, daß sie sich einer Neigung für ihn nicht enthalten konnte.
-
-Als das ihr Vater merkte, sagte er zu ihr, er stelle ihr die Wahl eines
-Gatten frei, sie brauche sich nur zu erklären.
-
-Da nun, je klüger man ist, es einen desto mehr Mühe kostet, in solcher
-Angelegenheit zu festem Entschluß zu gelangen, dankte sie ihrem Vater
-und bat ihn um Bedenkzeit.
-
-Zufällig ging sie eines Tages in demselben Wald, in dem ihr Riquet mit
-der Locke begegnet war, spazieren, um ungestört darüber nachzudenken,
-was sie tun solle. Wie sie so in ihre Gedanken versunken dahinschritt,
-hörte sie unter ihren Füßen ein dumpfes Geräusch, als ob viele Leute
-geschäftig hin und her gingen.
-
-Als sie aufmerksam lauschte, hörte sie, wie einer sagte: »Bring mir den
-Kessel!« und ein andrer: »Leg' Holz aufs Feuer!«
-
-In demselben Augenblick tat sich die Erde auf, und sie sah zu ihren
-Füßen eine Art große Küche, voll von Köchen, Küchenjungen und allen
-möglichen Küchenmeistern, wie man sie braucht, um ein prächtiges
-Festmahl herzurichten. Etwa zwanzig bis dreißig Köche kamen hervor und
-scharten sich in einer Allee des Waldes um einen langen Tisch, wo sie
-sich, die Spicknadel in der Hand und den Löffel hinter dem Ohr, nach dem
-Takte eines Liedes an die Arbeit machten.
-
-Verwundert über diesen Anblick fragte die Prinzessin, für wen sie da
-tätig wären.
-
-Der Oberste der Schar gab zur Antwort: »Für den Prinzen Riquet mit der
-Locke, der morgen Hochzeit macht!«
-
-[Illustration]
-
-Die Prinzessin fiel aus allen Wolken, so überrascht war sie. Nun
-erinnerte sie sich plötzlich, daß es ja ein Jahr her war, da sie am
-gleichen Tage dem Prinzen Riquet mit der Locke die Hochzeit versprochen
-hatte. Sie hatte deshalb nicht mehr daran gedacht, weil sie noch ein
-dummer Mensch gewesen war, als sie das Versprechen gab. Im Besitze der
-von dem Prinzen auf sie übertragenen Vernunft hatte sie dann später alle
-ihre Torheiten vergessen.
-
-Sie war noch keine dreißig Schritt weitergegangen, als Riquet mit der
-Locke vor ihr erschien, stolz, prächtig, kurz: wie ein Prinz, der
-Hochzeit machen will.
-
-»Wie Sie sehen, mein Fräulein, habe ich pünktlich mein Wort gehalten,
-und zweifelsohne kamen auch Sie hierher, um dasselbe zu tun und mich
-durch Ihre Hand zum Glücklichsten aller Sterblichen zu machen!«
-
-»Ich will Ihnen offen gestehen,« antwortete die Prinzessin, »daß ich
-noch keinen Entschluß gefaßt habe, und daß ich kaum glaube, Ihren
-Wünschen entsprechen zu können!«
-
-»Sie setzen mich in Erstaunen, mein Fräulein!« sagte Riquet mit der
-Locke zu ihr.
-
-»Ich glaube es,« sagte die Prinzessin, »und sicherlich wäre ich jetzt in
-der größten Verlegenheit, wenn ich es mit einem rohen, unvernünftigen
-Menschen zu tun hätte. Dieser würde sagen, daß auch eine Prinzessin nur
-ein Wort zu vergeben habe und da sie einmal ihr Versprechen gegeben, so
-müsse sie es auch halten. Aber da der Mann, mit dem ich spreche, der
-klügste Mensch in der ganzen Welt ist, so bin ich sicher, daß er
-Vernunft annehmen wird. Als ich nichts weiter war wie ein Dummkopf,
-hatte ich mich trotzdem, wie Sie wissen, nicht entschließen können, Sie
-zu heiraten. Wie können Sie von mir erwarten, daß ich heute, wo ich
-infolge des von Ihnen erhaltenen Verstandes so viel anspruchsvoller bin,
-einen Entschluß fassen soll, zu dem ich mich damals nicht aufraffen
-konnte? Wenn Sie also darauf ausgingen, mich zu heiraten, dann war es
-eine große Ungeschicklichkeit von Ihnen, mir meine Dummheit zu nehmen
-und mich klarer sehen zu lassen als früher!«
-
-Riquet mit der Locke gab zur Antwort: »Wenn Sie es einem geistlosen
-Menschen, wie Sie eben sagten, nicht verübeln würden, Ihnen die
-Nichterfüllung Ihres Wortes vorzuwerfen, warum wollen Sie denn, mein
-Fräulein, daß ich nicht ebenso verfahre, wo es sich doch um mein ganzes
-Lebensglück handelt? Ist es vernünftig, daß Menschen mit Verstand
-schlechter daran sind als Menschen ohne Verstand? Wollen Sie das
-wirklich behaupten, Sie, die Sie jetzt so viel Verstand besitzen und
-sich so sehr danach gesehnt haben? Aber kommen wir zur Sache, wenn es
-Ihnen beliebt! Abgesehen von meiner Häßlichkeit -- gibt es da noch
-irgend etwas an mir, was Ihnen mißfällt? Nehmen Sie vielleicht Anstoß an
-meiner Abstammung, an meinem Verstande, an meiner Gemütsart, an meinen
-Manieren?«
-
-»Ganz und gar nicht!« antwortete die Prinzessin, »alles, was Sie eben
-anführten, schätze ich an Ihnen.«
-
-»Wenn dem so ist,« fuhr Riquet mit der Locke fort, »so werde ich
-doch noch glücklich werden, denn Sie haben die Macht, mich zum
-liebenswertesten aller Menschen zu machen!«
-
-»Auf welche Weise?« fragte die Prinzessin.
-
-»Es ist einfach! Wenn Sie mich nur genug lieben, um zu wünschen, daß es
-so sein möchte! Kurz, mein Fräulein, damit Sie nicht länger im Zweifel
-sind, so hören Sie: Dieselbe Fee, die mir am Tage meiner Geburt die Gabe
-verlieh, den Menschen, der mir gefällt, klug zu machen, gab Ihnen die
-Gabe, den Mann schön zu machen, den Sie lieben, und an dem Sie diese
-Gunst betätigen wollen!«
-
-»Wenn es sich so verhält,« sagte die Prinzessin, »so wünsche ich von
-ganzem Herzen, daß Sie der schönste und liebenswürdigste Prinz der Welt
-werden sollen, und ich verleihe Ihnen von diesen Eigenschaften ebenso
-viel, wie ich selbst besitze!«
-
-Kaum hatte die Prinzessin diese Worte gesprochen, als Riquet mit der
-Locke sich in ihren Augen in den schönsten Mann der Welt verwandelte,
-den bestgestalteten und liebenswürdigsten, den sie je gesehen hatte.
-
-Einige Leute behaupten, es wären nicht die Zauberkünste der Fee gewesen,
-die da am Werke waren: die Liebe allein habe diese Wandlung vollbracht.
-Sie sagen, als sich die Prinzessin der Beharrlichkeit ihres Bewerbers,
-seiner Verschwiegenheit und aller seiner guten Herzens- und
-Verstandesgaben bewußt geworden wäre, habe sie keinen Blick mehr für
-seinen mißgestalteten Körper und sein häßliches Gesicht gehabt. Sein
-Buckel wäre ihr nur wie krumme Haltung vorgekommen, und in dem
-schrecklichen Hinken, das sie früher an ihm wahrgenommen hatte, habe sie
-jetzt nur eine gewisse reizvolle Nachlässigkeit erblickt. Es heißt
-weiter, daß ihr sogar seine schielenden Augen als außerordentlich
-strahlend vorgekommen wären, und ihre Unregelmäßigkeit nahm in ihrer
-Vorstellung den Charakter gewaltiger Liebesleidenschaft an; endlich
-hatte auch seine dicke, rote Nase für sie etwas Kriegerisches und
-Heldenhaftes.
-
-Wie dem auch sei, die Prinzessin versprach ihm, auf der Stelle ihn zu
-heiraten, vorausgesetzt, daß er dazu die Einwilligung ihres königlichen
-Vaters erhalte.
-
-Als der König erfuhr, wie sehr seine Tochter den Prinzen Riquet mit der
-Locke schätzte, den er übrigens als einen sehr vernünftigen und weisen
-Menschen kannte, nahm er ihn mit Vergnügen als seinen Eidam an.
-
-Schon am nächsten Tag wurde die Hochzeit gefeiert, wie Riquet mit der
-Locke es vorausgesehen hatte, und zwar nach den Anordnungen, die er
-schon lange vorher dafür getroffen hatte.
-
-
- Moral:
-
- Nicht Dichtung ist's, was Ihr gehört:
- Das Leben selbst Euch hier belehrt,
- Daß schön und klug ist jedermann,
- Den eins von Herzen lieben kann.
-
-
-
-
-Jungfer Eselshaut
-
-
-Es war einmal ein König, der war so mächtig, von seinem Volke so
-geliebt, von allen seinen Nachbarn und Freunden so geehrt, daß man ihn
-den glücklichsten aller Herrscher nennen konnte. Noch größer wurde sein
-Glück, als er sich eine Prinzessin zur Braut erwählte, die ebenso schön
-wie tugendhaft war. In ihrer treuen Ehe wurde ihnen ein Töchterchen
-geschenkt, welches so schön und so anmutig war, daß sie niemals
-bedauerten, nur dieses eine Kind zu haben.
-
-Pracht, Reichtum und Geschmack herrschten in ihrem Palaste. Die Minister
-waren weise und geschickt, die Höflinge tugendhaft und anhänglich, die
-Diener treu und fleißig. Die schönsten Pferde standen reich gezäumt in
-den geräumigen Ställen. Aber was die Fremden, die die schönen Ställe
-besuchten, am meisten in Erstaunen setzte, das war ein alter Esel, der
-an einem besonderen Ehrenplatze im Stalle seine langen, großen Ohren
-ausstreckte. Der König hatte ihm diesen bevorzugten Platz nicht etwa aus
-irgendeiner Laune angewiesen, -- er hatte vielmehr einen guten Grund
-dazu. Denn dieses seltene Tier verdiente eine solche Bevorzugung; es
-hatte nämlich die sonderbare Eigenschaft, daß seine Streu jeden Morgen
-nicht etwa beschmutzt, sondern in verschwenderischer Fülle mit schönen
-Goldtalern und Dukaten aller Art bedeckt war, die man nur aufzusammeln
-brauchte.
-
-Da die Sonne des Lebens ihre Schatten nicht nur auf die Untertanen,
-sondern auch auf die Könige wirft, und da Gutes und Schlechtes stets
-beieinander wohnen, so wollte es der Himmel, daß die Königin plötzlich
-von einer schweren Krankheit befallen wurde, gegen die man trotz aller
-ärztlichen Wissenschaft und Geschicklichkeit kein Heilmittel fand. Alle
-waren untröstlich.
-
-Der König, der trotz jenes berühmten Sprichwortes, welches die Ehe das
-Grab der Liebe nennt, immer noch seine Gattin in Zärtlichkeit verehrte,
-wußte nicht, was er in seinem Kummer tun sollte. Allen Kirchen seines
-Reiches machte er heilige Gelübde; er wollte dem Himmel sein eigenes
-Leben opfern, um das seiner geliebten Gemahlin zu retten. Aber er rief
-vergeblich Gott und die Feen an.
-
-Als die Königin ihr letztes Stündchen nahen fühlte, sagte sie zu ihrem
-weinenden Gemahl:
-
-»Verzeiht, wenn ich vor meinem Tode eines von Euch fordere: Solltet ihr
-jemals das Verlangen haben, Euch wieder zu verheiraten ...« Bei diesen
-Worten schluchzte der König gar jammervoll, faßte die Hand seiner Frau,
-versicherte mit Tränen in den Augen, daß es überflüssig sei, ihm von
-einer zweiten Ehe zu sprechen.
-
-»Nein, nein, teuerste Königin, sagte er endlich, sprecht lieber davon,
-wie ich Euch folgen soll!«
-
-Darauf entgegnete die Königin mit einer Entschlossenheit, die den
-Schmerz ihres Mannes nur noch vermehrte:
-
-»Der Staat, der auf eine richtige Thronfolge bedacht sein muß, hat ein
-Recht, von Euch Söhne zu verlangen, die Euch gleichen. Trotzdem ich Euch
-nur eine Tochter geschenkt habe, bitte ich Euch inständig bei aller
-Liebe, die Ihr für mich hegt: gebt dem Verlangen Eures Volkes erst dann
-nach, wenn Ihr eine Prinzessin gefunden habt, die schöner ist, als ich
-gewesen bin. Schwört mir dies, dann will ich ruhig sterben.«
-
-Man könnte meinen, die Königin, die nicht ganz ohne Eifersucht war, habe
-diesen Schwur gefordert, um sicher zu sein, daß der König keine zweite
-Ehe schließen würde. Glaubte sie doch bestimmt, daß es auf der ganzen
-Welt keine Frau gäbe, die ihr gleich käme.
-
-So starb sie denn. Niemals hatte ein Gatte größere Trauer gezeigt:
-Weinen und Schluchzen bei Tag und bei Nacht, diese armseligen Rechte der
-Verlassenheit waren seine einzige Beschäftigung. Aber auch der größte
-Schmerz dauert nicht ewig.
-
-Es versammelten sich die Großen des Staates und kamen mit der
-gemeinsamen Bitte zum König, er solle sich wieder verheiraten. Ihr
-Vorschlag schien ihm grausam und ließ ihn neue Tränen vergießen. Er
-berief sich auf den Eid, den er der Königin geschworen und gab allen
-seinen Räten den Auftrag, erst einmal eine Prinzessin zu suchen, die
-schöner sei, als seine Frau es gewesen. Er war aber überzeugt, daß sie
-diese niemals finden würden.
-
-[Illustration]
-
-Dem hohen Rate kam das Gelübde des Königs lächerlich vor, und er
-erklärte, Schönheit sei eine Nebensache; das Staatsinteresse verlange
-eine tugendhafte Königin, die Mutter werde; der Staat brauche für seine
-Ruhe und seinen Frieden Prinzen. Die Prinzessin habe zwar alle
-Eigenschaften, die eine große Königin zieren, aber man müsse ihr einen
-Fremden zum Gemahl erwählen. Dieser Fremde würde sie entweder in seine
-Heimat führen, oder wenn er neben ihr im Lande herrsche, so würden seine
-Kinder immer fremdblütig bleiben. Das wäre eine Gefahr, da die
-Nachbarvölker eines Königreiches, das keinen Thronfolger habe, Krieg
-beginnen und den Untergang des Landes herbeiführen könnten.
-
-Betroffen von solchen Erwägungen versprach der König, ihrem Rate zu
-folgen und begann, unter den heiratsfähigen Prinzessinnen Umschau zu
-halten, ob eine unter ihnen wäre, die ihm gefallen könnte. Jeden Tag
-brachte man ihm die reizendsten Bilder. Aber keines zeigte die Anmut der
-verstorbenen Königin, und so konnte er sich für keine entscheiden.
-
-Obwohl er sonst von gutem Verstande war, kam er unglücklicher Weise auf
-den tollen Einfall, seine Tochter, die Prinzessin, zur Frau zu nehmen.
-Da sie ihre königliche Mutter, an Geist und Anmut bei weitem übertraf,
-so glaubte er, sie allein könne ihn von seinem Eide erlösen.
-
-In ihrer Tugendhaftigkeit und Scham wäre die Prinzessin bei diesem
-entsetzlichen Vorschlag fast in Ohnmacht gefallen. Sie warf sich ihrem
-königlichen Vater zu Füßen und beschwor ihn mit der ganzen Leidenschaft
-ihrer Seele, sie nicht zu einem solchen Verbrechen zu zwingen.
-
-Der König aber hatte sich nun einmal diesen Wahnsinn in den Kopf gesetzt
-und fragte, um das Gewissen der Prinzessin zu beruhigen, eine alte
-Zauberin um ihren Rat. Dieses alte Weib, das ebenso gottlos wie
-ehrgeizig war, opferte das Glück der unschuldigen und tugendhaften
-Prinzessin der Ehre, die Vertraute eines mächtigen Herrschers zu sein.
-Sie schmeichelte sich so sehr in das Herz des Königs ein, schilderte ihm
-das Verbrechen, das er begehen wollte, in so schönen Farben, daß er der
-festen Überzeugung war, es sei ein Gott wohlgefälliges Werk, die Tochter
-zu heiraten.
-
-Ganz im Banne dieser Worte umarmte der König die Zauberin und bestand
-nach seiner Rückkehr mehr als zuvor auf seinem Plan; er gab daher der
-Prinzessin den Befehl, sie solle sich bereit halten, ihm zu gehorchen.
-
-In ihrem schmerzlichen Unglück dachte die Prinzessin nach, wie sie die
-Lila-Fee, ihre Patin, finden könne. In einem kleinen Wagen, der mit
-einem Hammel bespannt war, welcher Weg und Steg kannte, fuhr sie noch in
-derselben Nacht davon. So kam sie glücklich an ihr Ziel.
-
-[Illustration]
-
-Die Fee, welche die Prinzessin liebte, sagte, sie wisse schon alles, was
-sie bekümmere, doch brauche sie sich keine Sorge zu machen. Nichts würde
-ihr schaden, wenn sie sich nur treu an die Vorschriften halte, die sie
-ihr geben würde.
-
-»Es wäre freilich ein großes Vergehen, wenn Du Deinen Vater heiraten
-wolltest, mein liebes Kind!« sagte die Fee, »aber ohne ihm zu
-widersprechen, kannst Du seinen Absichten doch aus dem Wege gehen. Sage
-ihm, er solle Dir einen Wunsch erfüllen: er solle Dir ein Kleid schenken
-von der Farbe des Wetters. Wie groß auch seine Macht ist, das wird er
-nicht können.«
-
-Die Prinzessin dankte ihrer Patin von Herzen und schon am anderen Morgen
-sagte sie zum Könige, ihrem Vater, das, was ihr die Fee geraten hatte,
-und erklärte feierlich, sie würde ihre Einwilligung erst dann geben,
-wenn sie das Kleid von der Farbe des Wetters bekäme.
-
-Erfreut über die Hoffnung, die sie in ihm erweckte, berief der König die
-berühmtesten Schneider und befahl ihnen, das gewünschte Kleid zu machen,
-und drohte ihnen, daß er sie alle hängen lassen würde, wenn sie es nicht
-fertig bekämen. Doch dieses Äußerste blieb ihm erspart: schon am zweiten
-Tage brachten sie das so heiß begehrte Gewand herbei. Der Himmel selbst
-hatte kein schöneres Blau, wenn er umkränzt ist mit goldenen Wölklein,
-als dieses wunderschöne Gewand, wie es da ausgebreitet lag.
-
-Die Prinzessin war ganz untröstlich und wußte sich keinen Rat. Der König
-drängte zur Heirat. So blieb ihr nichts übrig, als ein zweites Mal die
-Patin aufzusuchen. Erstaunt, daß ihre List nicht geglückt war, riet ihr
-die Fee, sie solle es noch einmal versuchen, aber dieses Mal ein Kleid
-von der Farbe des Mondes verlangen. Da der König ihr nichts abschlagen
-konnte, rief er wieder die besten Schneider herbei und gab ihnen ein
-Kleid von der Farbe des Mondes in Auftrag. So rasch sollten sie es
-machen, daß zwischen Auftrag und Lieferung nur vierundzwanzig Stunden
-lagen. In großer Angst saß die Prinzessin bei ihren Frauen und bei ihrer
-Amme und war mehr entzückt über das neue herrliche Gewand, als über die
-Absicht ihres königlichen Vaters.
-
-[Illustration]
-
-Die Lila-Fee, die das alles wußte, kam der bedrängten Prinzessin zu
-Hilfe und sprach zu ihr:
-
-»Ich müßte mich sehr täuschen, wenn wir es nicht doch noch fertig
-brächten, Deinem königlichen Vater die Lust zur Heirat zu nehmen.
-Verlange jetzt ein Kleid von der Farbe der Sonne! Ein solches zu
-beschaffen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Auf jeden Fall gewinnen wir
-aber Zeit.«
-
-Die Prinzessin war damit einverstanden und verlangte das Kleid von der
-Farbe der Sonne. Da gab der verliebte König ohne Bedenken alle Diamanten
-und Rubinen seiner Krone her, um ihr zu diesem herrlichen Gewande zu
-verhelfen und er befahl, mit nichts zu sparen, um das Kleid der Sonne
-gleich zu machen.
-
-Als es dann geliefert wurde, mußten alle, die es sahen, die Augen
-schließen, so wurde man geblendet. Aus jener Zeit stammen die grünen
-Brillen und die schwarzen Augengläser.
-
-Aber wie erschrak die Prinzessin bei diesem Anblick! Noch nie hatte man
-ein so schönes und so herrlich gearbeitetes Kleid gesehen. Sie war ganz
-verwirrt und zog sich unter dem Vorwand, Augenschmerzen zu haben, auf
-ihr Zimmer zurück, wo sie die Fee erwartete. Das war eine schlimme
-Sache. Wie diese das sonnenfarbene Kleid sah, war sie so beschämt, wie
-man es nicht sagen kann; sie wurde rot vor Zorn und sagte zur
-Prinzessin:
-
-»Nunmehr müssen wir die schmachvolle Liebe Deines Vaters auf eine
-schwere Probe stellen. Wenn er auch noch so sehr nach dieser Heirat
-strebt, so glaube ich doch, daß er einen kleinen Schrecken über die
-Bitte bekommen wird, zu der ich Dir jetzt rate. Ich meine die Haut des
-Esels, den er so sehr liebt und der ihm die Mittel zu seinen
-verschwenderischen Ausgaben verschafft. Gehe hin und bitte ihn um die
-Haut des Esels.«
-
-Froh über dieses Mittel der verabscheuten Heirat zu entgehen und
-überzeugt, daß ihr Vater sich niemals dazu entschließen würde, des Esels
-Haut zu opfern, ging die Prinzessin zum Könige und verlangte von ihm die
-Haut des schönen Tieres. Der König war bestürzt über diesen Einfall
-seiner Tochter, aber er zögerte nicht, ihm zu genügen. Der arme Esel
-wurde geschlachtet und die Haut feierlich der Prinzessin überbracht. Nun
-sah sie kein Mittel mehr, ihrem Unglück zu entgehen und war in
-Verzweiflung.
-
-[Illustration]
-
-Ihre Patin eilte herbei und als sie sah, wie sich die Prinzessin ihr
-Haar raufte und ihre zarten Wangen zerfleischte, sprach sie:
-
-»Was tust Du da, mein Kind! Es ist doch der glücklichste Augenblick
-Deines Lebens! Hülle Dich in diese Haut, verlasse den Palast und gehe so
-weit, wie Dich die Erde trägt, denn wer alles seiner Tugend opfert, den
-werden die Götter belohnen. Mache Dich auf, ich werde Sorge tragen, daß
-Dir Deine Kleider überall folgen, wohin Du auch gehst. Der Kasten mit
-Deinem Schmuck und Deinen Gewändern wird auf unterirdischem Wege Dich
-begleiten. Hier gebe ich Dir meinen Zauberstab, klopfe damit auf die
-Erde, wenn Du Deinen Kasten brauchst, und er wird Dir sofort erscheinen.
-Doch Du mußt eilen und darfst jetzt nicht mehr zögern!«
-
-Die Prinzessin bat ihre Patin unter tausend Küssen, sie niemals zu
-verlassen; dann befleckte sie die Eselshaut mit Straßenschmutz, hüllte
-sich hinein und verließ unerkannt den Palast.
-
-Das Verschwinden der Prinzessin brachte alle in die größte Aufregung.
-Der König, der gerade ein prächtiges Fest vorbereitete, war untröstlich
-in seiner Verzweiflung. Er schickte mehr als hundert Gendarmen und ganze
-Regimenter Soldaten aus, um seine Tochter zu suchen. Aber die Fee nahm
-sie in ihren Schutz, machte sie unsichtbar und entzog sie den
-geschicktesten Verfolgern. So mußte der König sich mit ihrem Verluste
-abfinden.
-
-Die Prinzessin aber wanderte ihres Weges. Sie ging weit, weit und immer
-weiter und suchte überall nach einer Stellung. Aus Mitleid gab man ihr
-zu essen; aber jedermann fand sie zu häßlich, um sie in seinen Dienst zu
-nehmen.
-
-Endlich kam sie an eine schöne Stadt, vor deren Toren eine Meierei lag.
-Die Pächterin dieser Meierei brauchte eine Magd, um die Wäsche zu
-waschen und um den Hühnerhof und den Schweinestall zu fegen. Wie nun die
-Frau die schmutzige Wanderin sah, schlug sie ihr vor, in ihren Dienst zu
-treten. Mit großer Freude war die Prinzessin damit einverstanden, denn
-sie war müde von dem langen Wege.
-
-Als Wohnung wies man ihr einen Verschlag an, der weit von der Küche
-entfernt lag. Die andern Bedienten trieben in den ersten Tagen grobe
-Späße mit ihr, weil sie in ihrer Eselshaut so schmutzig und abstoßend
-war. Aber bald gewöhnte man sich an sie; und da sie ihre Pflichten sehr
-gewissenhaft erfüllte, nahm sich die Pächterin ihrer an.
-
-Die Prinzessin ließ die Schafe aus dem Stall und führte sie auf die
-Weide. Auch die Truthühner hütete sie mit so viel Verständnis, daß es
-schien, als habe sie niemals etwas anderes getan. Alles gedieh unter
-ihren zarten Händen.
-
-Eines Tages saß sie wieder an der klaren Quelle, wo sie oft über ihr
-trauriges Los weinte. Da kam sie auf den Gedanken, sich im Spiegel des
-Wassers zu betrachten, und sie erschrak über die gräßliche Eselshaut,
-die ihren Kopf und Körper umhüllte. Beschämt über ihr Aussehen, wusch
-sie sich Gesicht und Hände, bis sie weiß waren wie Elfenbein und bis
-ihre zarte Haut wieder so frisch war wie früher. Erfreut über ihre
-Schönheit bekam sie Lust zu einem Bade. Aber dann mußte sie wieder in
-ihre unwürdige Haut schlüpfen, um nach der Meierei zurückzukehren.
-
-Glücklicherweise war der nächste Tag ein Sonntag, und für sie ein Tag
-der Muße. Sie ließ ihren Kasten erscheinen, brachte ihre Kleider in
-Ordnung, puderte ihr schönes Haar und zog das wunderbare wetterfarbene
-Kleid an. Aber ihre Kammer war so klein, daß die Schleppe des herrlichen
-Gewandes keinen Platz darin hatte. Die schöne Prinzessin betrachtete
-sich im Spiegel und war über ihre Schönheit so erfreut, daß sie sich
-vornahm, an Sonn- und Festtagen der Reihe nach alle ihre schönen
-Gewänder anzuziehen.
-
-Diesen Plan führte sie auch aus. Mit seltenem Geschmack steckte sie sich
-Blumen und Diamanten in ihr schönes Haar, und oft seufzte sie, daß
-niemand sie in solcher Schönheit sah außer ihren Schafen und
-Truthühnern, die sie aber nicht weniger liebten in ihrer häßlichen
-Eselshaut, wonach sie die Leute auf der Meierei »Jungfer Eselshaut«
-getauft hatten.
-
-An einem Sonntage hatte die Prinzessin das sonnenfarbene Gewand
-angezogen, als gerade der Sohn des Königs, dem die Meierei gehörte, dort
-abgestiegen war, um sich auf der Heimkehr von der Jagd ein wenig
-auszuruhen.
-
-[Illustration]
-
-Es war ein junger und schöner Prinz, geliebt von seinem Vater und seiner
-königlichen Mutter und verehrt von seinem ganzen Volke. Es wurde ihm ein
-ländliches Mahl bereitet, welches er mit Dank annahm. Danach bekam er
-Lust, sich die Geflügelhöfe anzusehen, und er durchstreifte sie bis in
-die äußersten Winkel.
-
-Wie er sich so überall umsah, kam er in eine schattige Allee, an deren
-Ende er eine verschlossene Tür fand. Neugierig sah er durchs
-Schlüsselloch. Aber wie erschrak er, als er hier die wunderschön und
-reich gekleidete Prinzessin sah. In seiner edlen und bescheidenen Art
-hielt er sie für eine göttliche Erscheinung. Ohne die Ehrfurcht, die ihm
-das bezaubernde Bild einflößte, hätte der Sturm der Gefühle, der ihn da
-durchtobte, ihn sicherlich verführt, die Tür zu öffnen.
-
-Es wurde ihm schwer, die dunkle, schattige Allee zu verlassen. Er tat es
-nur, um sich zu erkundigen, wer in der kleinen Kammer dort hause. Man
-gab ihm zur Antwort, es sei eine Magd, man nenne sie nur »Jungfer
-Eselshaut«, nach dem Kleide, das sie trage. Sie sei so schmutzig, daß
-niemand sie ansähe und niemand mit ihr sprechen wolle. Aus Mitleid habe
-man sie aufgenommen, damit sie die Schafe und die Truthühner hüte.
-
-Diese Antwort sagte dem Prinzen so gut wie gar nichts. Er sah ein, daß
-die guten Leute von dem Geheimnis nichts wußten und er hielt es für
-zwecklos, sie weiter auszufragen.
-
-So kehrte er über alle Maßen verliebt, in den Palast seines Vaters
-zurück und behielt immer das herrliche Bild der göttlichen Erscheinung
-vor Augen, das er durch das Schlüsselloch gesehen hatte. Nun reute es
-ihn doch, daß er nicht angeklopft hatte, und er nahm sich vor, es beim
-nächsten Male nicht zu versäumen.
-
-Aber der Sturm in seinem Blute, den die Liebe heraufbeschworen hatte,
-warf ihn noch in derselben Nacht in ein so heftiges Fieber, daß er fast
-gestorben wäre. Seine Mutter, die Königin, deren einziges Kind er war,
-geriet in Verzweiflung darüber, daß alle Heilmittel versagten. Umsonst
-versprach sie den Ärzten fürstlichen Lohn. Sie wandten alle Mittel an,
-aber keines half dem Prinzen.
-
-Schließlich ahnten sie, daß ein schwerer Kummer die Ursache dieser
-Krankheit war. Sie sagten es der Königin, und diese beschwor ihren Sohn
-in ihrer zärtlichen Liebe, ihr doch die Ursache seines Leides zu nennen.
-Wenn es sich etwa darum handle, ihm jetzt schon die Krone zu geben, so
-würde sein Vater, der König, ohne Schwanken des Thrones entsagen und ihn
-zum Könige machen. Sollte er aber irgendeine Prinzessin zur Frau
-begehren, so würde man, um seinen Wunsch zu erfüllen, alle Rücksichten
-opfern, selbst wenn man mit ihrem Vater im Kriege lebte oder auch andere
-Gründe hätte, eine solche Verbindung zu bedauern. Nur beschwöre sie ihn,
-am Leben zu bleiben, denn an seinem Leben hänge auch ihr Leben.
-
-Als die Königin diese zu Herzen gehenden Worte gesprochen hatte, wobei
-sie das Antlitz des Prinzen mit Strömen von Tränen benetzte, sagte er zu
-ihr mit erschöpfter Stimme:
-
-»Liebe Mutter, ich bin nicht der Unmensch, daß ich vom Vater die Krone
-fordere; gäbe Gott, daß er noch viele Jahre lebe, und daß ich immer sein
-treuester und ehrfurchtsvollster Untertan bliebe. Auch an eine
-Prinzessin denke ich nicht und auch nicht an eine Heirat. Ihr dürft
-überzeugt sein, daß ich hierin wie bisher mich immer Eurem Wunsche füge,
-was es mich auch kosten mag.«
-
-»Ach liebster Sohn,« erwiderte die Königin, »um Dein Leben zu retten,
-gäben wir gern alles hin, nur rette Du jetzt mein Leben und das Deines
-königlichen Vaters und offenbare mir, was Du begehrst. Du darfst
-versichert sein: es wird Dir gewährt.«
-
-»Nun liebe Mutter,« sagte der Prinz, »da ich Euch meine geheimsten
-Wünsche offenbaren soll, so will ich Euch gehorchen, um nicht zwei mir
-so teure Menschen in Gefahr zu bringen: Ich wünsche mir, daß Jungfer
-Eselshaut mir einen Kuchen backen soll, und daß man ihn so schnell wie
-möglich herbringt.«
-
-Höchst erstaunt über diesen seltsamen Namen, forschte die Königin, wer
-Jungfer Eselshaut sei. Einer ihrer Offiziere, der sie zufällig gesehen
-hatte, antwortete: »Es ist das häßlichste Geschöpf nach dem Wolf, ein
-schmutziges Mädchen in einem schwarzen Stalle. Es haust in Eurer Meierei
-und hütet dort die Truthühner.«
-
-»Und wenn es auch so ist,« sagte die Königin, »mein Sohn hat vielleicht
-einmal auf der Heimkehr von der Jagd von ihrem Kuchen gegessen. Es ist
-der Wunsch eines Fiebernden, kurz, ich will, daß Jungfer Eselshaut ihm
-schnell einen Kuchen backe.«
-
-Man lief zur Meierei, holte Jungfer Eselshaut und trug ihr auf, für den
-Prinzen den allerschönsten Kuchen zu backen.
-
-Einige Erzähler behaupten, Jungfer Eselshaut habe in dem Augenblick, als
-der Prinz durch das Schlüsselloch sah, diesen bemerkt, und als sie dann
-durch das Fensterlein ihrer Kammer den jungen, schönen Prinzen gesehen
-habe, sei sein Bild in ihrem Herzen geblieben, und die Erinnerung an ihn
-habe ihr manchen Seufzer gekostet.
-
-Wie dem auch sei, ob Jungfer Eselshaut ihn wirklich gesehen, oder ob sie
-viel Rühmliches von ihm gehört, jedenfalls war sie hocherfreut, der
-Verborgenheit ihres Daseins zu entfliehen, schloß sich in ihr Kämmerlein
-ein, warf die Eselshaut ab, wusch sich Gesicht und Hände, kämmte ihr
-blondes Haar, legte ein hübsches, silbernglänzendes Leibchen an, dazu
-einen passenden Rock und machte sich daran, den Kuchen zu bereiten. Sie
-nahm das feinste Mehl, viel Eier und frische Butter. Hierbei ließ sie
-einen Ring, den sie am Finger trug, sei es Absicht, sei es Zufall, in
-den Teig fallen und mischte ihn darunter. Als der Kuchen gebacken war,
-hüllte sie sich wieder in ihre häßliche Haut und brachte das Gebäck dem
-Offizier, bei dem sie sich nach des Prinzen Befinden erkundigte. Doch
-dieser hielt es unter seiner Würde, ihr eine Antwort zu geben, und lief
-davon, um dem Prinzen den Kuchen zu bringen.
-
-Hocherfreut griff der Prinz mit beiden Händen nach dem Kuchen und
-verzehrte ihn mit solcher Hast, daß die anwesenden Ärzte nicht
-verfehlten, diese Leidenschaft für ein bedenkliches Zeichen zu erklären.
-In der Tat wäre der Prinz beinahe an dem Ring erstickt, aber er hielt
-ihn noch rechtzeitig im Munde zurück. Sein Appetit verging ihm, als er
-das kostbare Kleinod betrachtete. So zierlich war dieser Ring, daß alle
-überzeugt waren, er könne nur dem schönsten Finger der Welt passen.
-
-Wohl tausendmal küßte der Prinz den Ring und verbarg ihn unter seinem
-Hemd, um ihn jedesmal hervorzuziehen, wenn er sich unbeobachtet glaubte.
-Er quälte sich in dem Gedanken, wie er zu der gelangen könne, die diesen
-Ring getragen. Doch er wagte nicht zu hoffen, daß man ihm gestatten
-würde, Jungfer Eselshaut kommen zu lassen, die ihm den Kuchen gebacken
-hatte. Er wagte auch nicht davon zu sprechen, was er durch das
-Schlüsselloch gesehen hatte, aus Furcht, man würde ihn auslachen und ihn
-für einen Gespensterseher halten. Da alle diese Sorgen gleichzeitig auf
-ihn einstürmten, nahm sein Fieber stark zu, und in ihrer Ratlosigkeit
-erklärten die Ärzte der Königin, der Prinz sei krank aus Liebe.
-
-In Begleitung des Königs, der schier verzweifelte, stürzte die Königin
-zu ihrem Sohn.
-
-»Mein Sohn, mein lieber Sohn,« rief der bekümmerte Herrscher aus, »nenne
-uns das Mädchen, das Du begehrst und wäre es die niedrigste Magd, wir
-schwören Dir, sie soll Deine Frau werden.«
-
-Unter vielen Küssen bekräftigte die Königin den Schwur ihres Gatten.
-
-»Lieber Vater und liebe Mutter,« sagte da der Prinz, »ich denke gar
-nicht daran, eine Ehe zu schließen, die Euch mißfallen könnte. Um Euch
-das zu beweisen, werde ich das Mädchen heiraten, dem dieser Ring gehört,
-wer sie auch sein mag. Aber wer einen so schönen Finger hat, daß ihm
-dieser Ring paßt, der dürfte allem Anschein nach kaum von geringer oder
-bäuerischer Herkunft sein.«
-
-Bei diesen Worten zog er das Kleinod unter seinem Hemd hervor. Der König
-und die Königin nahmen den Ring, prüften ihn neugierig und stimmten dem
-Urteil ihres Sohnes zu, daß er nur einem jungen Mädchen von edler
-Herkunft gehören könne. Der König umarmte seinen Sohn und beschwor ihn,
-gesund zu werden und dann ging er hinaus, um die Trommler, Pfeifer und
-Trompeter durch die ganze Stadt zu schicken und durch seine Herolde
-bekanntzumachen, daß alle Mädchen in den Palast kommen sollten, um einen
-Ring zu probieren, und das Mädchen, dem er zu eigen gehöre, die Frau des
-Prinzen werde.
-
-Zuerst kamen die Prinzessinnen, dann die Herzoginnen, die Marquisen und
-Baroninnen. Aber sie zeigten umsonst ihre Finger vor: keiner von ihnen
-paßte der Ring. Schließlich ließ man die Bürgermädchen kommen, aber auch
-diese hatten alle, so hübsch sie auch waren, viel zu dicke Finger. Da es
-dem Prinzen besser ging, stellte er die Versuche selbst an. Endlich
-kamen auch die Kammermädchen an die Reihe, aber auch sie schnitten nicht
-besser ab. Nun gab es kein Mädchen mehr, an dem der Ring nicht probiert
-worden wäre. Dann ließ der Prinz die Köchinnen und Hirtinnen kommen: all
-das Pack führte man herbei, aber ihre dicken, roten und kurzen Finger
-gingen erst recht nicht durch den Ring.
-
-»Hat man schon Jungfer Eselshaut kommen lassen, die mir neulich den
-Kuchen backte?« fragte der Prinz.
-
-Da fingen sie alle an zu lachen, und man erklärte ihm: »Die ist doch
-viel zu häßlich und zu schmutzig.«
-
-»Man hole sie sofort,« sagte der König, »es soll nicht heißen, ich hätte
-irgend jemanden ausgeschlossen.«
-
-Mit Spott und Hohn liefen sie fort, die Magd zu holen.
-
-Als Jungfer Eselshaut die Trommler gehört hatte und den Ruf der Herolde,
-war sie sehr im Zweifel, ob ihr Ring wirklich all den Lärm verursache.
-Sie liebte den Prinzen, und da die wahre Liebe immer furchtsam ist und
-nicht stolz, so fürchtete sie, daß es doch eine Dame geben könne, die
-denselben kleinen Finger habe, wie sie. Jetzt aber hatte sie große
-Freude, als man an ihre Tür klopfte und sie rief.
-
-Seitdem sie wußte, daß man nach dem kleinen Finger suche, zu dem der
-Ring passe, hatte sie eine unbestimmte Hoffnung auf den Gedanken
-gebracht, ihre Haare noch schöner zu kämmen als sonst, ihr schönes,
-silbernes Leibchen anzulegen und dazu den Rock, der mit vielen Falten,
-silbernen Spitzen und Edelsteinen besetzt war.
-
-Wie sie nun an ihre Tür klopfen und nach ihr rufen hörte, sie solle zum
-Prinzen kommen, da warf sie rasch ihre Eselshaut über und öffnete.
-
-Spöttisch erklärten ihr die Leute, der König schicke nach ihr, damit sie
-seinen Sohn heirate. Dann führten sie Jungfer Eselshaut unter
-Hohngelächter zum Prinzen.
-
-Als dieser das Mädchen in ihrem sonderbaren Aufputz sah, war er nicht
-wenig betroffen und hielt es für unmöglich, daß es dieselbe sei, die er
-so stolz und schön gesehen hatte. Traurig und verwirrt, daß er sich so
-schwer getäuscht, fragte er sie:
-
-»Wohnst Du dort unten in der dunklen Allee, im dritten Geflügelhof der
-Meierei?«
-
-»Ja, Herr«, antwortete sie.
-
-Zitternd und mit einem tiefen Seufzer sagte er. »Zeige mir Deine Hand!«
-
-Wer war da am meisten überrascht? Das waren der König und die Königin,
-ebenso der Kammerherr und die anderen Höflinge. Aus der schwarzen,
-beschmutzten Haut hervor kam eine feine, weiße, rosenfarbene Hand, und
-mühelos ließ sich der Ring an den kleinsten und schönsten Finger der
-Welt streifen. Dann schüttelte sich die Prinzessin und die Eselshaut
-fiel von ihr ab. Nun stand sie da, so bezaubernd in ihrer Schönheit, daß
-der Prinz, schwach wie er war, vor ihr niederfiel und sie mit einer
-Leidenschaft in seine Arme schloß, die sie erröten machte. Aber man
-achtete kaum darauf, denn auch der König und die Königin umarmten sie in
-einem fort und fragten sie, ob sie ihren Sohn zum Gemahl nehmen wolle.
-Die Prinzessin war ganz verwirrt von so viel Zärtlichkeit und Liebe, die
-ihr der schöne, junge Prinz bezeigte und wollte sich eben dafür
-bedanken, als sich die Decke des Saales auftat und die Lila-Fee in einem
-Wagen aus Zweigen und Blumen ihres Namens herabschwebte, und mit
-unendlicher Anmut das Schicksal der Prinzessin erzählte. In ihrer Freude
-darüber, daß Jungfer Eselshaut eine so vornehme Prinzessin war,
-verdoppelten der König und die Königin ihre Zärtlichkeit. Aber noch
-größer war die Freude des Prinzen über die Tugendhaftigkeit der
-Prinzessin und seine Liebe zu ihr wuchs noch mehr durch die Erzählung
-der Fee.
-
-Die Ungeduld des Prinzen, seine Braut heimzuführen, war so groß, daß er
-sich kaum Zeit ließ, um die Feier würdig vorzubereiten. Ganz verliebt in
-ihre schöne Schwiegertochter, erwiesen ihr der König und die Königin
-Zärtlichkeiten über Zärtlichkeiten und ließen sie nicht aus ihrem Arm.
-Da die Prinzessin erklärt hatte, sie könne des Prinzen Frau nicht
-werden, ohne das Einverständnis des königlichen Vaters, wurde zunächst
-an diesen eine Einladung geschickt, ohne ihm dabei zu verraten, wer die
-Braut sei. Dies geschah auf Wunsch der Lila-Fee, die alles zum Guten
-lenkte.
-
-[Illustration]
-
-Aus allen Ländern kamen die Könige herbei, die einen in Sänften, die
-anderen in Wagen, die weiter wohnenden kamen auf Elefanten daher
-geritten, auf Tigern und Adlern, aber der allerprächtigste und
-allermächtigste war der Vater der Prinzessin, der gottlob seine
-frevelhafte Liebe zu seiner Tochter überwunden und die sehr schöne Witwe
-eines kinderlosen Königs geheiratet hatte. Die Prinzessin eilte auf ihn
-zu. Da erkannte er sie und schloß sie mit großer Zärtlichkeit in die
-Arme, noch ehe sie Zeit hatte, sich ihm zu Füßen zu werfen. Der König
-und die Königin stellten ihm ihren Sohn vor, den er mit Beweisen seiner
-Freundschaft überhäufte. Nun wurde die Hochzeit mit aller nur denkbaren
-Pracht gefeiert. Die jungen Gatten aber hatten kein Auge für diese
-Herrlichkeiten, der eine sah nichts als nur den anderen.
-
-Noch an demselben Tage ließ der Vater seinen Sohn zum König krönen und
-setzte ihn mit feierlichem Handkuß auf den Thron; wie sehr er sich auch
-dagegen wehrte, er mußte dem Willen des Vaters gehorchen. Fast drei
-Monate dauerten die Festlichkeiten, aber die Liebe der beiden Gatten
-würde noch heute dauern, wenn sie nicht hundert Jahre später gestorben
-wären.
-
-
- Moral:
-
- Dies Märchen klingt so wunderbar,
- Daß viele glauben, es wär' nicht wahr.
- Doch bleibt Jungfer Eselshaut immer beliebt,
- So lang es Großmütter und kleine Kinder gibt.
-
-
-
-
-Dornröschen
-
-
-Es war einmal ein König und eine Königin, die waren traurig, daß sie
-keine Kinder hatten, so traurig, wie man es nicht sagen kann. Sie
-reisten in alle Bäder der Welt, legten Gelübde ab, machten Wallfahrten.
-Nichts wollte helfen. Aber schließlich wurde die Königin dennoch
-schwanger und gebar ein Mädchen.
-
-Man feierte eine schöne Taufe und lud zu Patinnen für die kleine
-Prinzessin alle Feen, die man im Lande finden konnte; es waren deren
-sieben. Jede sollte ihr ein Geschenk machen, wie es damals Brauch bei
-den Feen war, damit so die Prinzessin alle nur denkbaren Vorzüge
-erhielte.
-
-Nach der Tauffeierlichkeit kehrte die ganze Gesellschaft in den Palast
-des Königs zurück, wo ein großes Fest für die Feen gegeben wurde. Man
-legte vor jede ein herrliches Gedeck mit einem goldenen Besteck: Löffel,
-Gabel und Messer von feinstem Gold, verziert mit Diamanten und Rubinen.
-Aber als man sich zu Tisch setzen wollte, trat plötzlich eine alte Fee
-ein, die man nicht eingeladen hatte, da sie seit mehr als fünfzig Jahren
-nicht aus ihrem Turm herausgekommen war; man hatte sie für tot oder für
-verzaubert gehalten.
-
-Der König befahl, auch ihr ein Gedeck zu reichen; aber es war kein echt
-goldenes mehr da. Man hatte für die sieben Feen nur sieben machen
-lassen. Die Alte fühlt sich beleidigt und murmelte leise drohende Worte.
-
-Eine der jungen Feen, welche in ihrer Nähe saß, hörte es, und ahnte, daß
-sie der kleinen Prinzessin ein unheilvolles Geschenk machen würde. Als
-man nun von der Tafel aufstand, verbarg sie sich hinter einem Vorhang,
-damit sie als letzte sprechen könne, um so das Unheil, das jene
-anrichten würde, nach Kräften wieder gut zu machen.
-
-Indessen begannen die Feen, der Prinzessin ihre Gaben darzubringen. Die
-jüngste wünschte ihr die größte Schönheit von der Welt, die zweite die
-Klugheit eines Engels, die dritte eine wundervolle Anmut, die vierte
-Zierlichkeit im Tanz, die fünfte den Gesang der Nachtigall und die
-sechste Kunstfertigkeit in der Musik.
-
-Als die Reihe an die alte Fee kam, sagte sie, wobei sie mehr aus Wut als
-wegen ihrer Altersschwäche mit dem Kopfe wackelte, die Prinzessin werde
-sich mit einer Spindel in die Hand stechen und daran sterben. Dieser
-schreckliche Spruch ließ alle erschaudern, und es gab in der ganzen
-Gesellschaft niemanden, der nicht hätte weinen müssen.
-
-In diesem Augenblick trat die junge Fee hinter dem Vorhange hervor und
-sprach mit lauter Stimme:
-
-»Beruhigt Euch, König und Königin, Eure Tochter soll nicht sterben; ich
-habe zwar nicht genug Macht, um alles wieder gut zu machen, was die Alte
-angerichtet hat: die Prinzessin wird sich mit einer Spindel in die Hand
-stechen, aber anstatt des Todes wird sie in einen tiefen Schlaf fallen,
-der hundert Jahre dauert. Dann wird der Königssohn kommen und sie
-erwecken.«
-
-Um das durch die Alte angekündigte Unheil abzuwenden, erließ der König
-alsbald ein Gesetz, das bei Todesstrafe verbot, mit Spindeln zu spinnen,
-ja überhaupt sie zu besitzen. --
-
-Fünfzehn oder sechzehn Jahre später waren der König und die Königin
-einmal auf eines ihrer Lustschlösser hinaus gefahren. Da geschah es, daß
-die junge Prinzessin, als sie durch den Palast lief und von Zimmer zu
-Zimmer sprang, hinauf in ein kleines Turmstübchen kam, in dem eine alte
-Frau ganz allein saß und ihren Rocken spann. Diese gute Frau hatte von
-dem Verbote des Königs, mit Spindeln zu spinnen, noch nie etwas gehört.
-
-»Was macht Ihr da, liebe Frau?« sagte die Prinzessin.
-
-»Ich spinne, mein gutes Kind«, antwortete die Alte, die aber die
-Prinzessin nicht kannte.
-
-»Wie hübsch das ist,« sprach die Prinzessin, »wie macht Ihr das? Gebt es
-mir, ich möchte sehen, ob ich es auch so gut kann.«
-
-Kaum hatte sie die Spindel ergriffen, da stach sie sich in ihrer
-lebhaften Unbesonnenheit gerade so, wie es nach dem Spruch der Fee
-geschehen mußte, in die Hand und fiel ohnmächtig zu Boden.
-
-Die gute Alte hielt sie in ihren Armen und rief um Hilfe: von allen
-Seiten kam man herbei, man spritzte der Prinzessin Wasser ins Gesicht,
-schnürte ihr Mieder auf, schlug ihr die Hände, rieb ihr die Schläfen mit
-ungarischem Königin-Wasser: aber nichts rief sie zum Leben zurück. Der
-König, der auf den Lärm hin herbeigeeilt war, erinnerte sich alsbald an
-die Weissagungen der Feen und in dem Gedanken, daß es so kommen mußte,
-wie die Feen es einmal gesagt hatten, ließ er die Prinzessin in das
-schönste Gemach des Palastes bringen, in ein Bett, das mit Gold und
-Silber bestickt war.
-
-Man hätte sie für ein Englein halten können, so schön war sie; die
-Ohnmacht hatte ihr die Farben des Lebens nicht genommen, ihre Wangen
-waren wie Rosen so rot und ihre Lippen wie Korallen; nur ihre Augen
-waren geschlossen, aber man hörte sie leise atmen und daran sah man, daß
-sie nicht gestorben war. Der König befahl, man solle sie in Ruhe
-schlafen lassen, bis die Stunde ihrer Erweckung gekommen sei.
-
-Als der Prinzessin dieses Unglück zustieß, war die gute Fee, die ihr das
-Leben gerettet und sie nur zu einem hundert Jahre langen Schlaf
-verurteilt hatte, gerade in dem Reiche des Königs Mataquin, zwölftausend
-Meilen weit weg; aber in einem Augenblicke wurde sie durch einen kleinen
-Zwerg benachrichtigt, der Siebenmeilenstiefel hatte. Das waren Stiefel,
-in denen man mit einem einzigen Schritt sieben Meilen zurücklegte.
-Sofort reiste die Fee ab; und kaum war eine Stunde vergangen, da sah man
-sie in einem von Drachen gezogenen feurigen Wagen daherkommen.
-
-Der König ging ihr entgegen, um ihr beim Aussteigen die Hand zu reichen.
-Sie billigte alles, was er angeordnet hatte. Doch in ihrer weisen
-Voraussicht dachte sie daran, wie sehr sich die Prinzessin ängstigen
-müsse, wenn sie ganz allein in dem alten Schlosse aufwache, und sie tat
-dieses:
-
-[Illustration]
-
-Mit ihrem Stabe berührte sie außer dem König und der Königin alles, was
-in dem Schlosse war, die Haushälterinnen, die Ehrendamen, die
-Kammerfrauen, die Edelleute, die Offiziere, die Haushofmeister, die
-Köche und Küchenjungen, die Laufburschen, die Wächter und Türsteher, die
-Pagen und Diener; sie berührte auch alle Pferde, die in den Ställen
-standen und die Stallknechte, die großen Hofhunde und den kleinen Puff,
-das Schoßhündchen der Prinzessin, das neben ihr auf dem Bette lag. Und
-wie sie alle berührte, so schliefen alle ein, um nicht eher aufzuwachen
-als ihre Herrin, und um jederzeit bereit zu sein, ihr zu dienen, wenn
-sie ihrer bedürfe. Auch die Bratspieße, die voll Rebhühner und Fasanen
-am Feuer steckten, schliefen ein, und sogar das Feuer selbst. Alles das
-geschah in einem Augenblick, denn die Feen brauchen nicht lange zu ihrer
-Arbeit.
-
-Der König und die Königin küßten noch einmal ihr geliebtes Kind,
-ohne es dadurch aufzuwecken, verließen dann das Schloß und machten
-bekannt, daß es verboten sei, sich dem Schlosse zu nähern. Doch dies
-Verbot war nicht notwendig; denn es wuchsen in einer Viertelstunde um
-den ganzen Park herum eine solche Menge von großen und kleinen Bäumen,
-von Brombeerhecken und innig verschlungenem Dornengestrüpp, daß weder
-Tier noch Mensch hindurch gekonnt hätte; nicht einmal mehr sehen konnte
-man das Schloß außer den Spitzen der Türme, selbst nicht aus weiter
-Ferne. Es bestand kein Zweifel, daß auch dies eine Tat der Fee war,
-damit die Prinzessin während ihres Schlafes nichts von Neugierigen zu
-befürchten habe. --
-
-Als die hundert Jahre um waren, kam der Sohn des Königs, der damals
-regierte, und der einer andern Familie als die schlafende Prinzessin
-entstammte, auf der Jagd in diese Gegend und fragte, was für Türme es
-seien, die er über dem dichten Walde erblicke. Jeder antwortete ihm so,
-wie er gehört hatte: die einen sagten, es sei ein altes Schloß, in dem
-die Geister spukten, die andern, daß alle Zauberer der Gegend dorthin
-zum Sabbath kämen. Die Meinung der meisten aber war, es wohne dort ein
-Menschenfresser und alle Kinder brächte er dorthin, die er erwischen
-könne, um sie in Ruhe und sicher vor Verfolgern zu verzehren, da nur er
-allein die Macht habe, sich einen Durchgang durch den Wald zu bahnen.
-
-Der Prinz wußte nicht, wem er Glauben schenken sollte, als ein alter
-Bauer das Wort ergriff und sprach:
-
-»Mein Prinz, es ist mehr als fünfzig Jahre her, daß ich meinen Vater
-erzählen hörte, es gäbe in dem Schlosse eine Prinzessin, schöner, als
-man jemals eine sah. Hundert Jahre müsse sie schlafen, dann würde sie
-erweckt von einem Prinzen, für den sie bestimmt sei.«
-
-Feuer und Flamme war der junge Prinz bei diesen Worten. Ohne zu
-schwanken glaubte er, diesem schönen Abenteuer ein Ende bereiten zu
-müssen, und von Liebe und Ehrgeiz getrieben, beschloß er, auf der Stelle
-zu sehen, was daran Wahres sei. Kaum näherte er sich dem Walde, da
-gingen alle die großen Bäume, die Brombeersträucher und Dornenhecken von
-selbst auseinander und ließen ihn hindurch. Er näherte sich dem Schloß,
-das er am Ende einer großen Allee erblickte, und ging hinein. Er war ein
-wenig erstaunt, als er sah, daß niemand von seinen Leuten ihm hatte
-folgen können, da der Wald sich wieder geschlossen hatte, nachdem er
-hindurchgegangen. Aber er ließ sich nicht abhalten weiterzugehen, denn
-ein junger Prinz, der liebt, ist immer tapfer. Er trat in einen großen
-Vorhof, wo alles, was er zunächst erblickte, dazu angetan war, ihn zu
-erschrecken. Es war eine furchterregende Stille; ein Bild des Todes bot
-sich ihm. Ausgestreckt lagen die Leiber von Menschen und Tieren, die
-gestorben schienen. Doch erkannte er sehr bald an der sinnigen Nase und
-dem roten Gesicht der Türsteher, daß sie nur schliefen, und ihre Becher,
-in denen sie noch ein paar Tropfen Wein hatten, zeigten ihm deutlich
-genug, daß sie beim Trinken eingeschlafen waren. Er ging weiter durch
-einen großen, marmorgepflasterten Hof, stieg eine Treppe hinauf und trat
-in eine Wachtstube, wo die Soldaten mit Karabiner auf Schulter in Reih
-und Glied standen und um die Wette schnarchten. Er durcheilte mehrere
-Zimmer voller Edelleute und Damen, die alle schliefen, teils stehend,
-teils sitzend. Dann trat er in ein goldenes Gemach und sah auf einem
-Bette, dessen Vorhänge nach allen Seiten geöffnet waren, das schönste
-Bild, das er jemals gesehen: eine Prinzessin von etwa fünfzehn oder
-sechzehn Jahren, deren herrliche Schönheit in göttlichem Glanze
-strahlte.
-
-[Illustration]
-
-Zitternd und voller Bewunderung näherte er sich ihr und fiel vor ihr
-aufs Knie. In diesem Augenblick erwachte die Prinzessin: das Ende des
-Zauberschlafes war gekommen. Sie sah ihn mit zärtlicheren Augen an, als
-ein erster Blick es zu erlauben schien, und sprach:
-
-»Seid Ihr es, mein Prinz? Ihr ließet lange auf Euch warten.«
-
-Der Prinz war entzückt von diesen Worten und mehr noch von der Art, wie
-sie gesprochen wurden. Er wußte nicht, wie er ihr seine Freude und
-Dankbarkeit beweisen könne und versicherte, daß er sie mehr liebe als
-sich selber. Seine Rede war schlecht gesetzt und gefiel deshalb um so
-mehr; denn je geringer die Beredsamkeit, um so größer die Liebe. Er war
-verlegener als sie, denn sie hatte ja lange Zeit gehabt, um darüber
-nachzudenken, was sie ihm sagen würde. Man braucht sich darüber nicht zu
-wundern, denn obwohl die Geschichte davon nichts erzählt, scheint es so,
-als ob die gute Fee dafür gesorgt habe, daß sie sich während des langen
-Schlafes an schönen Gedanken erfreuen könne. Vier Stunden lang
-unterhielten sich die beiden miteinander und sie hatten sich noch nicht
-die Hälfte von dem gesagt, was sie auf dem Herzen hatten.
-
-Indessen war mit der Prinzessin der ganze Palast aufgewacht. Ein jeder
-versah wieder seinen Dienst; aber da nicht alle so verliebt waren,
-hatten sie schrecklichen Hunger. Eine der Ehrendamen, die wie die andern
-hungerte, wurde schließlich ungeduldig und rief laut der Prinzessin zu,
-das Essen sei angerichtet. Der Prinz half der Prinzessin, als sie sich
-erhob. Sie war mit einem herrlichen Gewande angetan; aber er hütete sich
-wohl, ihr zu sagen, daß sie gekleidet sei wie eine Großmutter und einen
-altmodischen Kragen umhabe: aber trotzdem war sie nicht weniger schön.
-
-Sie gingen in einen Spiegelsaal und speisten dort, von den Offizieren
-der Prinzessin bedient. Die Geigen und Hoboen spielten alte Melodien,
-die wunderschön klangen, obwohl man sie seit hundert Jahren nicht mehr
-gespielt hatte. Nach der Tafel traute sie, ohne Zeit zu verlieren, der
-Hofkaplan in der Schloßkapelle, und die Ehrendame zog ihnen den Vorhang
-zu.
-
-Sie schliefen nicht lange, denn die Prinzessin war nicht sehr müde, und
-der Prinz verließ sie gegen Morgen, um in die Stadt zurückzukehren, wo
-sein Vater in Sorge um ihn sein mußte. Der Prinz erzählte ihm, er habe
-sich auf der Jagd im Walde verirrt, in der Hütte eines Köhlers
-übernachtet und von ihm Schwarzbrot und Käse zum Essen bekommen. Der
-König, sein Vater, war ein guter Mann und glaubte es. Aber seine Mutter
-ließ sich nicht so leicht überzeugen. Als sie sah, daß er fast täglich
-auf die Jagd ging und daß er nie um eine Entschuldigung verlegen war,
-wenn er zwei oder drei Nächte draußen geschlafen hatte, zweifelte sie
-nicht mehr, daß er irgendeine Liebschaft habe. Mehr als zwei Jahre lebte
-der Prinz so mit der Prinzessin; und sie bekamen zwei Kinder. Das
-älteste, ein Mädchen, nannten sie Morgenrot und das zweite, einen
-Knaben, Tageshell, weil er fast noch schöner war als seine Schwester.
-
-Um hinter sein Geheimnis zu kommen, sagte die Königin öfters zu ihrem
-Sohne, er solle doch mit seinem Leben zufrieden sein.
-
-Doch er wagte nicht, sich ihr anzuvertrauen, denn er fürchtete sich vor
-ihr, obgleich er sie liebte. Sie entstammte nämlich dem Geschlechte der
-Menschenfresser, und der König hatte sie nur geheiratet, weil sie so
-reich war.
-
-Man sprach sogar am Hofe ganz leise davon, daß sie immer noch eine
-Neigung zum Menschenfressen habe, und daß sie sich mit aller Gewalt
-zurückhalten müsse, wenn sie kleine Kinder sähe, damit sie sich nicht
-auf sie stürze. Deshalb wollte der Prinz ihr nichts sagen.
-
-Nach zwei Jahren starb der König, und der Prinz folgte ihm nach. Jetzt
-machte er seine Heirat bekannt und ließ unter großen Festlichkeiten
-seine Frau als Königin auf sein Schloß holen. Ein herrlicher Empfang
-wurde ihr in der Hauptstadt bereitet, als sie mit den beiden Kindern
-einzog.
-
-Es trug sich zu, daß der König gegen den Kaiser Cantalabutte, seinen
-Nachbarn, in den Krieg ziehen mußte. Er übergab die Regierung der
-Königin Mutter, und ließ Frau und Kinder in ihrer Obhut zurück.
-
-Den ganzen Sommer mußte er im Felde bleiben. Als er aber abgereist war,
-schickte die Königin ihre Schwiegertochter und die Kinder in ein
-Landhaus im Walde, um ungestörter ihrer fürchterlichen Lust zu fröhnen.
-Einige Tage darauf begab sie sich selbst dorthin und sagte eines Abends
-zu ihrem Haushofmeister:
-
-»Morgen will ich zum Mittagessen die kleine Morgenrot verspeisen!«
-
-»Um Gottes Willen, Königliche Hoheit«, rief der Haushofmeister.
-
-»Ich will es«, sagte die Königin; und sie sagte es, wie ein
-Menschenfresser, der Lust hat, frisches Fleisch zu essen. »Ich will sie
-sogar mit Roberttunke essen!«
-
-[Illustration]
-
-Als der arme Mann sah, daß man mit einer Menschenfresserin nicht gut
-spaßen könne, nahm er sein großes Messer in die Hand und ging hinauf in
-das Zimmer der kleinen Morgenrot. Diese war gerade vier Jahre alt, und
-sie warf sich tanzend und lachend ihm an den Hals und bat ihn um
-Süßigkeiten. Da fing er an zu weinen, und das Messer fiel ihm aus der
-Hand. Er ging hinunter in den Stall, schlachtete ein Lämmchen und
-bereitete es mit einer so guten Tunke zu, daß seine Herrin ihm
-versicherte, sie habe noch nie etwas so Gutes gegessen.
-
-Gleichzeitig hatte er die kleine Morgenrot fortgetragen und seiner Frau
-übergeben, damit sie dieselbe in seinem Hause verberge, das hinter dem
-Stalle lag.
-
-Acht Tage später sagte die Königin zu ihrem Haushofmeister:
-
-»Ich will den kleinen Tageshell zum Abendbrot essen!«
-
-Er erwiderte nichts und war fest entschlossen, sie ebenso wie das
-erstemal zu täuschen.
-
-Er suchte den kleinen Tageshell und fand ihn mit einem Florett in der
-Hand, womit er gegen einen dicken Affen Krieg führte; dabei war er erst
-drei Jahre alt.
-
-Auch ihn brachte er zu seiner Frau, damit sie ihn mit der kleinen
-Morgenrot verberge, und an seiner Stelle bereitete er ein zartes
-Zicklein, welches die Menschenfresserin äußerst wohlschmeckend fand.
-
-Bis dahin war alles gut gegangen. Aber eines Abends sagte die böse
-Königin zum Haushofmeister:
-
-»Ich will die Königin in derselben Tunke wie ihre Kinder essen!«
-
-Da verzweifelte der arme Haushofmeister, weil er nicht glaubte, sie noch
-einmal täuschen zu können. Denn die junge Königin war über zwanzig Jahre
-alt, ganz abgesehen von den hundert Jahren, die sie geschlafen hatte.
-Ihre Haut war ein wenig spröde, obwohl sie schön und weiß war. Aber wie
-sollte man unter den Tieren eines finden, das eine ebenso spröde Haut
-hatte?
-
-[Illustration]
-
-Deshalb faßte er, um sein eigenes Leben zu retten, den Entschluß, der
-Königin den Hals abzuschneiden. Er stieg hinauf in ihr Zimmer, und war
-fest entschlossen, es diesmal anders zu machen. Er brachte sich in Wut
-und trat mit dem Dolch in der Hand in das Zimmer der jungen Königin.
-Trotzdem wollte er sie nicht überfallen und er erzählte ihr mit allem
-Respekt von dem Auftrag, den er von der Königin Mutter erhalten hatte.
-
-»Tut, was Euch befohlen!« sagte die Königin zu ihm und hielt ihren Kopf
-hin. »Ich werde meine Kinder wiedersehen, meine armen Kinder, die ich so
-geliebt habe!«
-
-Sie hielt ihre Kinder nämlich für tot, seitdem man sie entführt hatte,
-ohne ihr etwas zu sagen.
-
-»Nein, gnädige Frau,« antwortete der Haushofmeister ganz gerührt. »Ihr
-sollt nicht sterben. Ihr werdet dennoch Eure Kinder wiedersehen! In
-meinem Hause werdet Ihr sie sehen, wo ich sie verborgen habe. Ich will
-nochmals die Königin täuschen und ihr an Eurer Stelle einen jungen
-Hirsch zu essen geben.«
-
-Dann führte er sie in seine Wohnung und ließ sie küssend und weinend bei
-ihren Kindern. Er selbst bereitete eine Hindin zu, und die Königin
-verzehrte sie mit demselben Appetit zum Abendessen, als wenn es die
-junge Königin gewesen wäre.
-
-Sie war sehr befriedigt von ihren Grausamkeiten und nahm sich vor, dem
-König bei seiner Rückkehr zu sagen, daß wütende Wölfe seine Frau, die
-Königin, und seine beiden Kinder gefressen hätten. --
-
-Eines Abends, als sie wie gewöhnlich in den Höfen des Schlosses
-herumstreifte, um dort nach frischem Fleisch auszuschauen, hörte sie in
-einem Kellerzimmer den kleinen Tageshell, der weinte, weil ihn seine
-Mutter wegen einer Ungehorsamkeit schlagen wollte; und sie hörte auch
-die kleine Morgenrot, wie sie für ihren Bruder um Verzeihung bat.
-
-Die Menschenfresserin erkannte die Stimme der Königin und ihrer Kinder
-und geriet in Zorn, weil man sie getäuscht hatte.
-
-Am nächsten Tage in der Frühe befahl sie mit schrecklicher Stimme, die
-alle erzittern machte, man solle in die Mitte des Hofes einen großen
-Bottich bringen. Diesen Bottich ließ sie mit Vipern, Kröten, Nattern und
-Schlangen füllen, um die Königin und ihre Kinder, den Haushofmeister,
-seine Frau und seine Dienerin hineinzuwerfen. Sie gab den Befehl, sie
-herbeizuführen, die Hände auf den Rücken gebunden.
-
-[Illustration]
-
-So standen sie da, und der Henker machte sich daran, sie in den Bottich
-zu werfen. In diesem Augenblick kam der König, den man nicht so schnell
-erwartet hatte, in den Hof geritten; denn er war auf schnellstem Wege
-zurückgekehrt. Ganz erstaunt fragte er, was denn das schreckliche
-Schauspiel zu bedeuten habe.
-
-Niemand wagte, es ihm zu sagen. Die Menschenfresserin aber stürzte sich
-in ihrer Wut über das, was sie sah, kopfüber in den Bottich und war in
-einem Augenblick von den schrecklichen Tieren, die sie selbst
-hineingesetzt hatte, verschlungen. Der König war traurig darüber, denn
-es war seine Mutter. Aber er tröstete sich bald mit seiner schönen Frau
-und seinen Kindern.
-
-
- Moral:
-
- Manch Mädchen wartet lange auf den Mann,
- Bis sich der findet, den sie lieben kann;
- Denn der muß reich sein, schön und sehr galant,
- Dem sie zum Ehebunde reicht die Hand.
- Doch zeige mir das Weib, das hundert Jahr
- In Ruhe wartet auf den Traualtar,
- Das auch noch sorglos schläft die ganze Zeit:
- Du suchst nach ihr vergeblich weit und breit.
-
- Es wird aus diesem Märchen klar,
- Daß, wer da wartet viele Jahr,
- Und wer trotz Wartens schlummern kann,
- Am Ende kriegt den besten Mann.
-
- Gern gäb ich Euch den guten Rat:
- Wartet so lang, wie es Dornröschen tat!
- Doch wage ich nicht, diesen Rat zu geben,
- Ihr lieben Fräuleins: ich kenne Euch eben.
-
-
-
-
- Charles Perrault
-
- 1628 geboren, wird er zuerst Advokat; später kommt er an den Hof
- und wird der treueste Gehilfe Colberts. 1683 zieht er sich in
- das Privatleben zurück und widmet sich ganz seinen literarischen
- Werken. Den Zeitgenossen gilt Perrault in erster Linie als der
- Verfasser der »_Parallèles des Anciens et Modernes_«, die
- Nachwelt kennt ihn nur als den Dichter des ersten abendländischen
- Märchenbuches. Seine Sammlung »_Les Contes de ma Mère l'Oie_«
- kam 1697 in Buchform heraus; sie war der Auftakt zu einer
- unübersehbaren Märchenliteratur.
-
-
-
-
- Gustave Doré
-
- Er wurde 1832 zu Straßburg geboren. Sein Vater bestimmte ihn zum
- Ingenieur-Beruf, aber seine reiche Phantasie, seine erstaunliche
- Begabung drängte ihn zur Malerei. Mit zehn Jahren begann er Dante
- zu illustrieren. Mit elf Jahren schloß er seinen ersten Vertrag
- ab, der ihn verpflichtete, wöchentlich eine Lithographie für das
- »_Journal pour rire_« zu liefern. Bald gab er die Vorbereitung
- zum Ingenieur-Beruf auf und widmete sich ganz der Kunst. 1854
- erschienen seine ersten großen Werke, »_Rabelais_« und die
- »_Contes drôlatiques_« von Balzac, die seinen Ruhm weit über
- Frankreich hinaus verbreiteten. 1862 illustrierte er die »_Contes
- de Perrault_«. Er findet in den phantastischen Kostümen und
- ritterlichen Lebensformen der Zeit Franz I. und Ludwig XIII. den
- geeigneten Ausdruck für die übersprudelnde Fülle seiner köstlichen
- Einfälle. Doré starb im Jahre 1883; er wurde nur 51 Jahre alt.
-
-
-
-
-Liste korrigierter Druckfehler
-
-
-Seite 5, im Inhaltsverzeichnis der Originalvorlage stand »Aschenputtel«
-an Stelle von »Aschenbrödel« sowie »Riquet mit dem Schopf« an Stelle von
-»Riquet mit der Locke«.
-
-Seite 24, fehlendes öffnendes Anführungszeichen vor »ich muß« eingefügt
-(»Wundervoll,« rief da die Mutter, »ich muß auch meine andere Tochter
-schicken.)
-
-Seite 28, »irdendein« ersetzt durch »irgendein« (stellte sich tot und
-wartete, ob nicht irgendein junger, mit den Ränken dieser Welt noch
-wenig vertrauter Hase sich in den Sack schliche)
-
-Seite 28, überflüssiges Anführungszeichen am Satzende entfernt (Und als
-zwei Rebhühner hineingeschlüpft waren, zog er ihn zu und fing alle
-beide.)
-
-Seite 30, »den« durch »dem« ersetzt (Während man den armen Marquis aus
-dem Fluß zog)
-
-Seite 52, »hatt« durch »hatte« ersetzt (Der war von dem großen Umweg,
-den er vergebens gemacht hatte, sehr erschöpft und wollte sich
-ausruhen.)
-
-Seite 56, in der Überschrift »Pantoffelchen« durch »Pantöffelchen«
-ersetzt (Aschenbrödel oder die Geschichte vom gläsernen Pantöffelchen)
-
-Seite 63, »Örangen« durch »Orangen« ersetzt (Tausend Artigkeiten hat sie
-uns erwiesen und hat uns Orangen und Zitronen geschenkt.)
-
-Seite 68, »trauig« durch »traurig« ersetzt (Seid darüber nicht weiter
-traurig!)
-
-Seite 86, »ihren« durch »ihre« ersetzt (daß sie sich vornahm, an Sonn-
-und Festtagen der Reihe nach alle ihre schönen Gewänder anzuziehen.)
-
-Seite 97, fehlendes schließendes Anführungszeichen eingefügt (»Was macht
-Ihr da, liebe Frau?« sagte die Prinzessin.)
-
-
-
-
-
-End of Project Gutenberg's Gänsemütterchens Märchen, by Charles Perrault
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GÄNSEMÜTTERCHENS MÄRCHEN ***
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-Produced by Norbert H. Langkau, Martin Oswald and the
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-including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
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-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
-Foundation
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-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
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-Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
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-The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
-Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
-throughout numerous locations. Its business office is located at 809
-North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email
-contact links and up to date contact information can be found at the
-Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact
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-For additional contact information:
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-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
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-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
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-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
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-works.
-
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
-concept of a library of electronic works that could be freely shared
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-Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
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-editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
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-Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
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Binary files differ
diff --git a/42900-h.zip b/42900-h.zip
deleted file mode 100644
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Binary files differ
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@@ -3,7 +3,7 @@
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<title>
The Project Gutenberg eBook of G&auml;nsem&uuml;tterchens M&auml;rchen, by Charles Perrault.
</title>
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<body>
-
-
-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Gänsemütterchens Märchen, by Charles Perrault
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org
-
-
-Title: Gänsemütterchens Märchen
-
-Author: Charles Perrault
-
-Illustrator: Gustave Doré
-
-Translator: Hans Krause
-
-Release Date: June 9, 2013 [EBook #42900]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GÄNSEMÜTTERCHENS MÄRCHEN ***
-
-
-
-
-Produced by Norbert H. Langkau, Martin Oswald and the
-Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
-</pre>
-
-
+<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 42900 ***</div>
<p class="center_cov">
<img id="coverpage" src="images/cover.jpg" width="534" height="780" alt="Buchdeckel" />
@@ -3235,380 +3194,6 @@ sch&ouml;nen Gew&auml;nder anzuziehen.)</p>
eingef&uuml;gt (&raquo;Was macht Ihr da, liebe Frau?&laquo; sagte die Prinzessin.)</p>
</div>
-
-
-
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-
-<pre>
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-
-
-
-
-End of Project Gutenberg's Gänsemütterchens Märchen, by Charles Perrault
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GÄNSEMÜTTERCHENS MÄRCHEN ***
-
-***** This file should be named 42900-h.htm or 42900-h.zip *****
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-
-Produced by Norbert H. Langkau, Martin Oswald and the
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