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diff --git a/42912-0.txt b/42912-0.txt new file mode 100644 index 0000000..1660e08 --- /dev/null +++ b/42912-0.txt @@ -0,0 +1,4011 @@ +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 42912 *** + + Die + Probefahrt nach Amerika. + + + Roman + von + Leopold Schefer. + + + + Bunzlau, + Appun's Buchhandlung. + 1837. + + + + + Die + Probefahrt nach Amerika. + + + Motto: Lasset der Welt nur den Lauf, + und das Wasser dann findet ihn selbst schon! + + + + + +»Schönen guten Abend, Herr Pastor! Hier bringe ich die sechs Dreier +Reisegeld nach Amerika von meinem Vater.« + +So sprach eine junge Mädchenstimme in unser abenddunkles Zimmer herein, +darin ich gedankenvoll, ja kummervoll, auf- und abging. Ich hatte wohl +verstanden, was das liebe Kind wie mit Engelsstimme zu mir gesagt. Aber +desto mehr war ich von dem himmlischen Gruß überrascht und bewegt, und +stand, gewiß über und über roth geworden, im Düstern still, und hatte die +Hände gefaltet. Das arme Mädchen aber mochte glauben, wir hätten es nicht +gehört, und so sprach es mit leiser Stimme noch einmal: »Schönen guten +Abend! Ich bringe unsre sechs Dreier zur Probefahrt . . . .« + +Mache doch Licht an! -- sagte ich zu meiner Frau, die in der Feierstunde am +Fenster saß, zu welchem die wie jung gewordenen ersten Frühlingssterne vom +dunkelblauen Himmel herein glänzten; -- mache doch Licht, liebe Frau! Es +ist Webers Gretchen! + +Meine liebe Frau aber regte sich nicht; oder vielmehr, sie legte sich mit +dem Gesicht in ihre weißschimmernde Arbeit vor ihr auf ihr Tischchen. Ich +seufzete unhörbar, ging selbst, zündete einen Streifen Papier an meiner +Luftfeuermaschine an -- woraus die Flamme mir blitzschnell dienstfertig +herausfuhr und mich dadurch sehr erquickte; und als das Licht brannte, +sprach das liebe kleine Mädchen, wie nun erst getrost, recht freundlich: +»Schönen guten Abend!« + +Guten Abend, mein Kind! sagte ich ihr mit dem Gefühl, das ihr, ihren armen +Ältern, und der ganzen armen gepeinigten Gegend recht gute Tage wünschte. +Sie gab mir die sechs Dreier Reisegeld nach Amerika, lauter Kupferdreier, +mit Grünspan belegt, also aus dem Salzgelde, denn der Weber verkaufte nur +Salz. Du bist die Erste, die mir bringt. Gieb mir Deine Hand und Deinen +Segen, mein Kind! sprach ich halblaut, meiner Frau wegen, und mit nassen +Augen, des übervollen Herzens wegen. Ich trug den Weber in das dazu bereite +Buch, gab ihr eine Quittung . . . . damit man den Amerikanischen Kaufleuten +nicht zur Schande nachsagen möge, daß sie über jede Kleinigkeit in ihrem +wohlgeordneten Lande ein Quittung geben, selbst über ein bezahltes +Halstuch; und das liebe Kind schied mit einer verlegenen »Guten Nacht!« an +die Frau Pastorin, und mit einer getrosten guten Nacht an mich. + +Die Nacht möchte nicht gut werden! dachte ich. Ich trat zu meiner Frau, +legte meine Hand ihr auf den Kopf, den sie seitwärts wandte. Mein Kind! +Meine liebe Frau! sprach ich so mild als möglich. Sie regte sich nicht. Und +so fuhr ich fort in meinem Styl: Laß uns betrachten! Wie wäre es denn -- +wenn ich ein Missionair wäre? Müßte ich dann nicht? . . . . Oder hättest Du +mich dann nicht geheirathet? . . . . Und bin ich nicht wirklich ein +Missionair, ein Abgesandter von dem, der uns sagte, uns, mir also auch, und +in der Noth erst recht laut: Gehet hin in alle Welt! Und unter _aller_ Welt +ist doch gewiß die neue Welt, und so Gott will, die beßre Welt, auch mit +begriffen! Ihm war Himmel und Erde bekannt, und gewiß auch Amerika, das in +der alten Welt ja auch bekannt war, den Tyriern und Sidoniern; und wenn sie +sich auch vor dem Wasser fürchten, doch auch den Juden, und dem weisesten +Juden, der so viel und gern am Meere wandelte und lehrte. Und soll ich +zeitlebens, oder um meine zwanzig Amtsjahre nur immer geredet haben? Soll +ein Geistlicher nicht auch _thun?_ Mit gutem Beispiel vorangehn? Mit Muth! +mit Erfahrung! Wer ist denn noch überall der stille Freund und Tröster des +Volkes, als die Geistlichen, die Weltgeistlichen? Bin ich's nicht auch? +Habe ich mich nicht um meine schöne laute Stimme gepredigt? Habe ich mich +nicht um allen meinen eigenen Trost getröstet, so daß ich selbst wie ein +Irrlicht schwebe, nicht wie ein mächtiges Licht, so stark, daß es selber +steht! Habe ich mir die gute redliche Brust nicht verdorben, daß nur eine +weite Seereise mich herstellen kann, aber gründlich herstellen wird, wie +der Doctor sagt. Gönnst Du mir das nicht? Soll das Volk verkommen, +verzweifeln, da in aller Welt doch Hülfe für alle Welt ist? Soll ich nicht +reisen und ihnen die Ruhestätte der Lebendigen helfen bereiten? Soll ich +sterben vor Leiden und Qual? Leide ich nicht? -- denn seh' ich nicht +leiden? Laß mich leben! Komm Du mit! + +»Das ist mein Tod!« sprach meine liebe Frau, sich aufrichtend, und, sahe +von mir weg, hinaus, hinauf unter die Sterne. Aber sie hatte ihre rechte +Hand herabhangen lassen, und das hieß von ihr -- wie ich aus Erfahrung +wußte: -- sie hatte mir ihre Hand gegeben. + +»Du gehst als ein Volksspion!« sprach sie jetzt, wie für mich sich +schämend, aus ihrem edlen liebevollen Herzen. + +. . . . Volksspion? wiederholte ich ohne es zu wollen. Aber, mein Kind, +sprach ich mit ruhigem Selbstgefühl, haben die Hirten der Heerden nicht +ihre Gesandten, die ihnen alles berichten, was ihnen frommt? Sollen die +Völker nicht ihre Gesandten haben? Und willst Du den Apostel Paulus, den +Columbus, den Vasco da Gamma, den berühmten Reisenden schlechtweg, und den +Prinzen, einen Volksspion nennen, weil am Ende jede Reise, jede große +Entdeckung, jede kleinste Erfindung für das Volk ist! Halte mich lieber für +eine Taube Noäh, oder einen Raben! Und heiße ich nicht _Volkmar?_ Was +_Volk_ ist, weißt Du; und was _mar_ bedeutet, habe ich unsrem Gustav Adolph +erklärt. Also Volkmar will ich auch seyn! + +»So oft er den Soldaten, _dem Volke_, wie man, nach Deinem Worte, +mißbräuchlich und unchristlich sagt, nachläuft, dann nennst Du den Jungen: +Volks-Narr! und Du, Du willst ihm vorlaufen! Verstanden?« sprach sie; stand +auf und ging hinaus, um das Abendbrot zu besorgen. + +Ich aber schämte mich für Alle, die sich des Volkes anzunehmen schämen, +nach Kräften, kniete auf ein Knie nieder, beugte mein Haupt und betete: O +Volk, o deutsches Volk, Dein bin ich, so lange ein Athem in mir weht, der +Athem Gottes. Denn in dir, o Volk, lebt derselbe alte Vater heilig, aber +jetzt hier recht erbarmungswürdig, Gottes unwürdig! Denn Gott soll für alle +seine Gaben doch nicht hungern und dursten, nicht halbnackend frieren, und +so bekümmert aussehen, wie die theuren Menschengesichter hier alle weit und +breit um mich. Gott soll kein Schloß vor dem Munde haben, Gott soll man +nicht lebendig begraben, in seinem Sohne, seinen Kindern allen, dem Volke! +O Gott, gieb, daß Alle erkennen, Wer, welch heiliger Wer in dem Volke lebt. +Darum Dein bin ich, o Volk, so lange ich einen Tropfen Blut in den Adern +habe, eine Zunge im Munde; denn ich weiß, wer es ist, der _Es!_ -- _Es_ +blitzt! _Es_ donnert! _Es_ regnet über die Saaten! _Es_ reißt mir am +Herzen. _Es_ führt mich fort! -- + +Ich stand auf, ich konnte nicht mehr. Aber ich war ruhig. + +Da kam meine Tochter _Marie_, oder _Mirjam_, wie ich sie ihrer Ahnfrau zu +Ehren am liebsten nenne. Sie eilte auf mich zu, sie sank mir an die Brust, +und ich hielt sie umarmt an dem treuen Vaterherzen. Ich weiß nicht, eine +Tochter erscheint dem Vater immer so wunderbar eigen, wie seine Mutter und +sein Weib zugleich, und doch wie das zarte schöne Herzblatt des eigenen +Wesens selbst. Heut rührte sie mich doppelt. Sie war in ihren +Sonntagskleidern, weiß und sauber und lieblich angezogen; sie kam so +hastig, ihre ganze Gestalt wollte wie eine vollgedrängte Knospe brechen; +ihre Augen, ihre Lippen wollten tausend Dinge, die ganze Welt mir erzählen, +vertrauen, preisen! Sie schien eine Flamme, die nicht lodern will, eine +Lilie, die nicht gesehen sein will, so kam mir die Jungfrau verändert vor +-- aber wodurch? Wie so schnell? Denn am Nachmittage war sie auf das Schloß +gegangen, das auf einem Hügel mitten in der Stadt liegt, um ihre Freundin, +ihre Jugendgespielin zu besuchen, zu trösten. Denn der jungen _Baronesse +Freysingen_ war erst vor Kurzem die Mutter gestorben, eine musterhaft gute +Wittwe; denn alle Weiber werden als Wittwen gut, besonders aber diese, die +schon als Weib unvergleichlich gewesen. Denn um nur Eins zu sagen: sie +hatte alle Einwohner der zwanzig großen Dörfer ihrer Baronie frei gegeben +ohne Entschädigung. Die Mädchen waren beide siebzehn Jahr alt, also wahre +Jungfrauen, ich hatte sie beide zusammen unterrichtet, und aus voller Seele +mich bemüht, sie in allem Herrlichen redlich zu confirmiren. Was thut ein +Vater nicht! Auch mein ältester Sohn, mein _Marbod_, hatte Theil an meinen +ausländischen Worten, an dem Unterricht in der englischen und französischen +Sprache Theil genommen. Viel Augen können Ein Licht sehen, viel Ohren Einen +Mund hören, und Kindern gegenüber ist der Vater ein feuriger, reiner, +undurchdringlicher Lehrer. Die Kinder waren wie Geschwister. Meine Mirjam +hatte den Abend auf dem Schlosse bleiben wollen, und sie kam schon nach +Hause? Zu mir? Es war also etwas vorgegangen, geschehen, _ihr_ geschehen, +und ich frug sie, was sie mir bringe? + +»Mich!« antwortete sie. »Dir . . . oder, wollte ich sagen, Ihnen, lieber, +lieber Vater!« Dabei drückte sie mich heftig. + +Hat Dir die Mutter draußen gesagt? -- Ach die Mutter! Du weißt, daß sie +schon ein Jahr und länger her nie ein Wort dagegen gesagt, daß ich nach +Amerika will, auf Probe; aber um wirklich sagen und fühlen zu können, wie +Auswanderern um das Herz ist, wie ihnen also in Wahrheit geschieht, bin ich +mit Gott entschlossen, auf immer auszuwandern. In den zwanzig Dörfern +sammeln die Vorsteher . . . . das arme Reisegeld; hier aus der Stadt +brachte jetzt ein Kind an mich die ersten sechs Dreier. Nun also ist Ernst! +Das Reden ist aus, das Thun geht an, und nun spricht die Mutter: das ist +mein Tod! -- nicht meiner, mein Kind, sondern _ihrer_, meint sie -- und das +macht mir den schweren Gang nur schwerer, denn ich gehe -- und sie wird +bleiben! Nun, soll ich allein gehen? Oder -- kommst Du mit? Denn unser +Marbod bleibt hier in der Pfarre als mein Vicar, mein Substitut, cum spe +succedendi -- sag' ich Dir heut. Und bleibst Du auch bei der Mutter, so +reis' ich allein mit meinem Gustav Adolph und Gott! Und euch befehle ich +Gott! + +Ich hielt inne. Du weinst? frug ich dann. Ja, Scheiden ist schwer. Scheiden +von Lebendigen schwerer, als von den Todten; denn da hat die Natur +geschieden, das Schicksal. Wer aber von Lebendigen, von Geliebten scheidet, +der kommt ihnen vor wie ein übermüthiger, leichtsinniger -- Narr! Denn so +hat mich die Mutter genannt -- Volksnarr! + +»Ach, mein Vater!« sprach sie leise, »wie soll ich Ihnen nun gestehen -- +sagen, wollte ich sprechen, daß ein Amerikaner hier ist! Im Schlosse! Den +zweiten Osterfeiertag reist er schon fort nach Bremen, sich wieder +einzuschiffen. Er will Sie mitnehmen. Sie sollen ihn heut besuchen. Ich +soll Sie holen! Ach! --« + +Mir war ernst, mir war froh zu Muth. Und doch kam mir meine Tochter noch +räthselhaft vor. Ich war bewegter als sie. Denn Alles in meinem Hause, in +der Meinen Herzen hat mir immer das Wichtigste geschienen. Und scheinbar +gleichgültig frug ich meine Tochter nur: Ist er jung? + +»Zehn Jahr gewiß jünger als Sie, mein Vater!« + +Also dreißig! -- Ist er verständig? + +»O wie es sich ihm zuhört! Und dann hat man doch nichts verstanden, nichts +gemerkt! Ich könnte kein Wort treu wiedererzählen!« + +Also ist er schön? frug ich eben so gleichgültig. + +»O Vater,« fuhr sie fort, meine Frage zur Seite lassend, »das Herz klopft +Einem vor Freude, endlich einmal einen Mann sprechen zu hören, männlich, +frei, stolz -- als wenn der blaue Himmel über ihm voll Heldengeister +schwebte, die ihn durch frohe Billigung stärkten und zur Feuerflamme +machten. Mein Gott! denk' ich mir selbst den General, den Vormund der +Baronesse, oder den Superintendenten dagegen, die mit eingezogenen Achseln +stehn, und mit schüchternen Blicken inne halten und lauschen, ob ja nicht +etwa ein Minister oder Prinz da oben schwebt, der ihre kriechenden Worte +noch nicht kriechend genug findet und sie von oben herab mit dem Finger +warnt, daß sie zusammenfahren . . . . . Was habe ich doch gesagt, mein +Vater, ja, ja, so kommt es mir vor, als wenn ich bis heut noch keinen Mann +reden gesehen hätte, verzeihen Sie, lieber Vater, als Sie auch. Sie können +auch reden! -- Aber Sie sind ja -- mein Vater. --« + +Schon gut, schon gut! sprach ich, und wußte genug und seufzte: o Freiheit, +wie machst du den Menschen schön! Mein armes Mädchen, dachte ich, auch Dir +ist es geschehen! -- Ist er verheirathet? ist er reich? frug ich weiter. + +». . . Würde er so weit reisen, wenn er eine Frau hätte . . . .« + +-- meinst Du! Du Schelm! schaltete ich ein. -- + +». . . ich meine nur: er kommt aus Petersburg, über Constantinopel, +Alexandrien und Rom durch Österreich, Baiern. In Nürnberg hat er tausend +Dutzend Schachspiele bestellt und bezahlt. Gehn Sie hinauf auf das Schloß; +ich will noch bei der Mutter bleiben!« + +Noch? Du gutes Kind! Du willst also mit mir! Das danke Dir Gott! Freilich. +Die neue Zeit ist wunderbar, oder die neuen Menschen, die den alten elenden +Menschen ausgezogen haben, den neuen anziehen wollen, und indeß schauernd +stehn wie Bettler. Decke den Tisch. + +Die Mutter wollte das Essen noch nicht auftragen. Ich bestand auf Eile: und +sie folgte mir zwar, doch mit einer Miene, als wenn ich mich um eine Freude +brächte. Warum aber heut am Sonntag Abend ein gebratenes Huhn? -- Warum +heut Alles so besser als sonst, das erfuhr ich, als zwei Reiter in den Hof +gesprengt kamen, und bald darauf ein Husar in der Mutter Armen lag, und in +der Schwester Armen. Denn es war mein Sohn, mein Vicar! noch in der bunten +Soldatenraupe. Mein Ersatzmann! Die Ankunft des Sohnes bedeutete der Mutter +ganz sichtbar meine Abreise, meinen Verlust, und so hatte sie ihn ohne +lauten Ausruf, nur mit stillen Thränen empfangen. Darauf setzten wir uns zu +Tisch. Ihre Augen hingen immer an seinem -- schönen Gesicht; denn warum +soll ich als Vater blind und stumm seyn? Sie aß wenig und nichts, er allein +fast alles! Denn mein Gott, wie war überhaupt der junge Mensch verwandelt! +Einen fein gebildeten jungen Mann hatte ich vor Jahr und Tag fortgeschickt, +unter die Soldaten, einen Candidaten der frömmsten Wissenschaft, einen +Nachfolger der Jünger Christi, der nie zu laut sprach, wie ein Mädchen +erröthete, sich einfach kleidete, die Kartenkönige und Ober nur vom +Amtmannspiel her kannte, der nicht tanzte, nicht Pistolen schoß, nicht Wein +nicht Branntwein trank, nicht Tabak rauchte, nur von belebenden Dingen, +wenn auch froh und heiter, sprach -- und ach! was mußte ich jetzt von ihm +hören! Nichts wie von Pferden, Jagden und Hunden, von Spielgewinnst, von +vortrefflichem Tabak, und noch edlern Tabaks-Pfeifen; von Bällen, von +schönen Mädchen in den Quartieren bei der Musterung, Geschichten und +Abentheuer von seinen Cameraden, wie sie vielleicht heut an andern Orten +_seine_ Abend- oder Nachttheuer erzählten! Und seine Sprache -- wie +baßrauh, cantormäßig ausgetrunken seine Stimme, sein Auge so zu sagen +frech, sein Ansehn -- dem Ansehn nach gesund . . . . aber ich bin Kenner, +ich sah mit Vateraugen. Da muß ein Vater Freude haben! seufzete ich +herzinniglich. Da müssen tausend Väter jetzt Freude haben, denen ihre Söhne +so wiederkommen. Alle redliche Mühe der Mütter, alle Sorgfalt der Väter, +alle Zucht im Hause, aller heiliger Zorn über die kleinen Keime von Unarten +der Knaben, alle Lehren in den Schulen, alle Predigten in den Kirchen -- +Alles umsonst! Von Unkraut erstickt alles ächte, rechte Menschenwesen und +Menschensinn. Predigt doch nicht, lehrt doch nicht! Lehrer und Prediger! +Lieben Eltern, laßt doch alle Knaben aufwachsen wie Wilde, ja eure Mädchen +auch -- denn auf _der_ Universität aller Rohheit und Laster bekommt ihr +doch Candidaten der Unreligion nach Hause, die euch Gott und Herz und Athem +und Lunge ersparen; die mit ausgerenktem und ausgerenkt verwachsenem Herzen +verdorben, sie euch doch verderben, euer Leben und ihres. Aber so verlangt +es die in Europa eiserne Zeit. -- Ich ward immer überzeugter von der +Wahrheit meiner innern Worte. Die Mutter hatte die letzte Flasche Wein ihm +zu Ehren herauf holen wollen -- denn er hatte bescheiden seine Schwester +blos um ein Weinglas gebeten -- die Mutter aber kam mit leerer Hand wieder, +denn ich hatte den Wein armen Kranken hingetragen, und ihr Auge gab mir +ihren Dank; der Sohn lächelte und sein Calfactor mußte die Feldflasche mit +Arrak bringen -- und ich mußte den vortrefflichen kosten! Ich trank den +Tropfen aber auf die Gesundheit der Mäßigkeitsvereine in Amerika, und bat +den Sohn um Verzeihung . . . . daß _ich_ den Wein, und heimlich, +fortgetragen in der Tasche, mit der ich im Finstern an das Geländer der +elenden Treppe der armen Leute angestoßen habe, und die guten Kinder +derselben hätten mir die Glasscherben aus der Tasche gezogen -- und mit +hohlen untergehaltenen Händchen den filtrirten Trank der Mutter hingetragen +-- und auch noch vergossen, weil sie auf die Mutter gesehen, und nicht auf +das Händchen. + +Da lachte mein Sohn! Und wie Odysseus überlegte ich, ob ich das lachende +Gesicht aus väterlichem Zorne ganz einschlagen sollte, oder ihn nur so ein +wenig schlagen, daß ihm Kinnlade und Zähne ausfielen -- aber er hätte ja +vielleicht den Säbel gezogen, und ich hätte ihn dann selber todtstechen +müssen, und alles war aus! Meine Fahrt nach Amerika! Selbst meine Hülfe an +alle arme Ältern gegen _solche_ Freude an ihren Söhnen! Die +himmelschreiende Freude! Ich stand nur vom Tische auf, und meine +feinfühlige Tochter Maria hing sich mir an meinen Arm und flüsterte mir +beschwichtigend zu: »Vater, liebes Väterchen! Der Bruder wird in drei +Tagen, oder doch in drei Wochen ganz anders seyn, wieder wie zu Hause! +Vergeben Sie ihm!« + +»Habe ich Sie beleidigt? Vater! Womit denn?« frug der Sohn, so unschuldig +unbewußt -- daß es einen Stein hätte erbarmen mögen. Das war das Ärgste: er +wußte nicht mehr, wo und wie er fehlte! Und ich sagte zur Antwort die +Wahrheit: _Du_ nicht, mein Sohn! Du hast mich nicht beleidigt, nicht +gekränkt. Du hast nur Ordre pariert. Du erfüllst nur das Gesetz. -- Und so +begriff ich einigermaßen die neue, wahrhaft edle Absicht: die Soldaten nun +fromm zu machen, ihnen Gebetbücher in die Hände und Tornister zu bringen, +und die Commerschlieder mit frommen Morgen- und Abendliedern zu ersetzen. +Nur so ist _ihnen_ zu helfen. + +Desto heißer brannte ich auf das Schloß zu gehen. Da kamen sie schon! Meine +Augen waren, wie des alten Zacharias Augen, auf den Amerikaner gespannt. +Aber vor ihm trat ein junger schlanker Schwarzer ein, ein Afrikaner, der +fröhlich und wohlgemuth seinen Herrn meldete. Den Namen überhörte ich, weil +er selbst schon mit der Baronesse und ihrem Vormund, dem General, eintrat. +Die Weiber beknipten sich, die Männer -- nämlich ich mit -- krümmten sich +wie lange Haarwürmer, die lange in einem hölzernen Violinbogen gesteckt. +Der Amerikaner aber grüßte blos durch seine anständige Erscheinung, das +heitre gesunde Antlitz, den wohlwollenden Blick aus den blauen Augen, zu +welchen das braune Haar ihm so wohl stand. Nach und nach schied sich die +kleine Gesellschaft und vereinigte sich. Die Mutter klagte vermuthlich dem +General-Vormund die Noth, der Husarenoffizier theilte der jungen Baronesse +seine mit Freuden aufgenommene Freude mit, sie wieder zu sehen, wozu Maria +mit einer Hand auf dem leisen Harfenzuge des Pianoforte von Zeit zu Zeit +die Melodie von dem Volksliede hören ließ: + + »Auf, auf, ihr Brüder, und seid stark! + Der Abschiedstag ist da. + Schwer liegt er auf der Seele, schwer, + Wir müssen über Land und Meer + In's heiße Afrika!« + +Und so trugen die alten, im Volke unvergeßnen und jetzt neu lebendig +gewordenen Töne meine Seele in dem nun entsponnenen Gespräch mit dem +willkommenen Gaste, dem Amerikaner. + +Ihre Kunde, sprach ich am Caminfeuer mit ihm sitzend, darf ich als +Wegweiser wohl benutzen, denn Wegweiser sollen etwas mehr wissen und eher +als die Weg_wandler_ -- Auswanderer. + +»Also wirklich! Sie wollen auswandern? -- -- Auswandern?« sprach er ernst. +»Auswandern, sich selbst verbannen! Sich selbst ermorden! -- um der Kinder +willen. Seinen Leib, sein Herz, seine Seele aus dem Leibe reißen -- um der +Freiheit willen. O schwer, o bitter, das Bitterste auf der Welt. Sterben +wir, so ist hoffentlich Land und Erde vergessen. Meine ich. Aber! Wandern +wir aus, so geben wir Vaterland und Leben verloren -- es bleibt Alles, +Alles hinter uns, wie hinter einem Lebendigbegrabenen. Denn so eng, so +dumpf und schweigend und leblos, so jammervoll ist es um den +Ausgewanderten, sagte mein Vater uns Kindern bei jeder Gelegenheit, bis in +das Alter, noch oft; selbst auf dem Sterbebette -- bald leise, bald laut; +und im letzten Traume sprach er erst recht bewegt von der Heimath, hier +drüben von dem Berge! von dem Vaterhaus -- dem Schlosse hier drüben -- von +den alten Linden -- so daß uns in der Fremde geborenen Kindern zu Muthe +ward, als wäre ein weltfremder Mann, ein gutmüthiger Wilder -- ein Sohn der +Sonne unser Vater! Ich führe das nur an, so wie er auch sagte: Selber +Bäume, einen ganzen Wald würde man für desto rasender halten, wenn sich die +Bäume alle selber ausrissen, über Felder und Berge und das Weltmeer liefen, +und drüben mit den Wipfeln oder Köpfen sich in die Erde pflanzten, und die +Wurzeln hoch in die Höhe kehrten, daß sie grünten und blühten und Früchte +trügen! Doch wenn ich euch ansehe, Kinder, sprach er auch wohl, sehe ich +doch, in der Welt ist Alles möglich! . . . . wenn es nöthig ist! Das +Unglück ist das einzig wahre Saamenkorn des Glücks! Die Noth, die äußerste +Noth ist dem Menschen die Todtenerweckerin, die unbarmherzige Aufschreierin +seiner tiefsten, gewaltigsten Kräfte, die ihn über bloßes Menschenseyn mit +zwei Beinen und Armen erhebt, und ihm Flügel giebt über das Meer. Es giebt +ein kleines Insekt, der Vater wies es mir oft, das hat zwar Flügel unter +den Flügeldecken, aber es läßt sich von den Kindern jagen, martern, +stechen, brennen -- und erst, wenn man ihm die Flügel ansreißen will, dann +fliegt es fort, hoch in die Luft, und macht sich unsichtbar seinen +Marterhölzern von Menschenfleisch oder Menschenfleischern. Der Mensch ist +noch lebenszäher als ein Polyp, der sich umkehren läßt, das Innere heraus, +die Haut hinein, und fortlebt -- das vermag der Mensch bei Herz und Seele +im Leibe -- aber mein Vater kam mir doch vor wie . . . . wie eine nackte +Seele, so immer wund, so immer schauernd, daß mir erst wohl ward, als er +mir seinen Segen gab, der gewaltig klang und voll Verheißung triefte wie +Gottes Wort. Aber sein Schloß, seine Kinderstube, seine alten Linden hier +mußte ich doch sehen. Wahrlich, mich trieb nicht das Capital, welches noch +von ihm her auf diesen Gütern steht. Es mag stehen bleiben, wenn es sicher +ist. Sonst will ich sehen, was hier zu unternehmen und auszuführen ist -- +nach _seinem Testament_.« + +Ich denke, es steht sicher; sprach ich, nicht ganz überzeugt, meinte aber, +daß die Sequestration, die jetzt eingetreten war, das Capital desto +sicherer stellte. Der Amerikaner war also der Sohn des vorigen alten Herren +der Baronie, und der jüngere Herr _von_ Steinbach, und Herr von Steinbach +wollte ich ihn nennen, als er nicht unanständig, aber gnugsam lachte, und +sprach: »Ich heiße _Winhing_, mein Bruder _Johannes_, meine Schwester +_Sabina_, und auch meine Mutter heißt _Susa_, so daß alle Vornamen der +Straßburger Familie sich in uns einmal wiederholen. Aber dem a und de +Steinbach haben wir Ade gegeben und den Taufnamen _Erwin_ zu unserem +Familiennamen gemacht, da wir einen Mann haben, der den Geschlechtsnamen +erst durch Verstand und Fleiß und Kunst geadelt. Das ist nicht ganz zum +Lachen, und nicht ganz des Vergessens werth.« Er lachte aber. Und doch +freute er sich über mein Weib, auch eine geborne von Steinbach, also eine +Mitenkelin vom alten _Erwin_ von Steinbach, der den Straßburger Münster +erbaut, und blos als Andenken zeigte er mir das Wappen auf seinem Petschaft +--: das gekrönte Kind, das aus blauem Meer auftauchend eine weiße Rose in +der rechten Hand hält. + +»Mein Vater!« erzählte er dabei, »ging aus dem Wunsch aus Europa: kein +_armer_ Adliger mit unglückseligen Sclaven oder sogenannten Unterthanen, +wie man sie hier nennt, zu seyn, sondern lieber ein reicher, freier, bloßer +Mensch; durch Landbesitz, den er für sein Geld erworben, also adliger, als +jene ersten Adligen in Deutschland, die mit gewaffneter Faust einwandernd +Leute und Land behielten. Mein Vater hat mir in seinem Testamente vermacht +und aufgegeben -- und Geld dazu: -- in meinen männlichen Jahren eine +Colonie verarmter Adliger und bauergutsloser Rittergutsbesitzer nach unsrer +Union überzusiedeln, und ich habe schon sechzig Familien, freilich kaum ein +Hunderttheil der ganzen Trauerliste. Aber entschließen sie sich? Sie hängen +wie Faulthiere am abgefressenen, eingegangenen Brotfruchtbaume, bis sie +verschmachtet herabfallen und dann kaum weiter schleichen können auf den +neuen Lebensbaum.« + +Freilich, kann ich sagen, sprach ich, Frau und Mann müssen Beide gleich +entschlossen seyn, auszuwandern! _Das ist die erste Regel!_ Freilich muß +die neue Europäische Noth der alten Asiatischen Noth, gleichsam einer +ägyptischen Finsterniß gleich kommen, ehe die Deutschen ihr _Ruheland_ +Deutschland verlassen, wie einst Asien, aus welchem sie noch verschiedene +Kasten voll und von Noth mitgebracht. Die Deutschen vor allen sind +Erdwanderer, vielleicht Erdumwanderer -- bis ihre Enkel klug und glücklich +durch Californien und das von den herrlichen Menschen volle Sibirien wieder +heimkommen! Aber was ist Noth? Wenigstens bei den Deutschen, also auch +Menschennoth? . . . . »Noth« heißt bei den alten Deutschen: Fessel, Gewalt +und Zwang. Dieses Kleeblatt von der Todes- oder Höllenwiese war ihr +tiefstes Unglück! Ihr einziges! Sonst ertrugen sie Alles! Was nicht Fessel, +Gewalt und Zwang war, war keine Noth -- und Noth bezeichnet, wie ihnen, +auch uns noch das tiefste Unglück; das letzte aber auch. Ein Volk von +Charakter hat Jahrtausende dasselbe Herz, denselben Sinn. Glauben Sie, +Master Erwin, daß der klügste Mann von Rom, Cäsar, ein Esel gewesen ist, +oder daß er Luchsaugen gehabt? Und dieser alte Luchs und Fuchs, Cäsar, sagt +von den Deutschen: »Ubi fons, campus, nemusve iis placuerit, ibi domos +figunt, _mox alio transituri_ cum conjugibus et liberis. _Nam diu eodem in +loco morari periculosum arbitrantur libertati._« Und schon haben es sich +die Deutschen über 2000 Jahre hier zu Lande gefallen lassen. + +»Wir Amerikaner haben auch die lateinische Sprache abgethan! Was sagen Sie +also, Herr Volkmar?« + +Und froh verwundert darüber sagt ich: »Wo ein Quell, Feld oder Hain den +Deutschen gefällt, da befestigen sie ein Haus, mit der Absicht bald vorüber +zu ziehen mit Weibern und Kindern. Denn lange an demselben Orte zu sitzen, +halten sie gefährlich für die Freiheit.« -- Wir Deutschen kennen unser +Vaterland nicht, blos unser Gasthaus und Wirthshaus. Und schändlich wäre es +von Einem Deutschen, Einen Deutschen zu beschuldigen, von Einem Übles zu +reden, denn es ist nur geschehn, was sie Alle hier gewollt und gesollt, +oder geduldet. Nur vom Übel redet ein Redlicher. Aber davon auch frei. +_Wohin_ aber nun unser Zug geht, der unwiderstehliche Zug, aus +unerklärlichem Drang und Zwang, wo nun das Zelt aufschlagen? Das ist die +Frage! + +»Kleinasien, Rußland faßt viele Millionen,« bemerkte der Amerikaner. +»Ägypten!« -- + +Da giebt es nur Einen Stoffehändler. Freier Handel wäre uns lieb! versetzte +ich. + +-- »Griechenland ist schön und öde.« -- + +Da fürchten wir den Religionskrieg, die Pest. + +-- »Italien ist nah, und Wüste genug um Rom.« -- + +Von den Römischen Pfaffen ist den Deutschen alles Unglück gekommen, Beten +lehrt uns die Noth schon genug. Den Papst hat ein Nebenzweig von unserem +Stamme, die Trojaner und ihre Colonie die Römer, mit aus der Mongolei +gebracht. Er ist weit genug geschleppt. + +-- »Also nach Spanien! Das Hesperien selbst der Hesperiden, der Italiäner. +Nicht? -- Südamerika? An der Grenze von Peru kauft man ein Königreich um +das Geld für ein englisches Pferd. --« + +Lieber in die Wüste gebaut, als neben unruhige Nachbarn. + +-- »Also nenne ich Mexico nicht, weil es Neu-Spanien ist. Aber Canada?« + +Das soll erst werden und thun, was die vereinigten Staaten von Nordamerika +sind und gethan, hört man von dort. Aber warum wollen Sie uns nicht zu +sich? + +-- »Wenn die Deutschen ihren Charakter behaupten können! Und den Charakter +verdirbt alles Nachmachen, Nachreden, die angenommene Sprache, Nachsitten, +Nacharten, Nachneigen, Nachgehorchen, selbst wenn Gesetze, Verfassung und +Regierung höchst menschlich und wünschenswerth wären.« + +Wir geben klein zu! Dürfen wir bei Ihnen Wir seyn und Wir bleiben, wenn wir +kein Gesetz, keinen Menschen beleidigen? + +-- »_Ja!_ Ich meine! --« schloß der Amerikaner. + +Wir hatten Amerikanisch, also Englisch, und im Grunde dann Altsächsisch, +Altdeutsch gesprochen, und dieses uralte »I guess« ich meine, vergesse ich +nie. Ich stand auf. Wir waren fertig mit dem -- Friedensplan und +Friedenszug. Nur noch das Wort setzte mein neuer Freund hinzu: »Raum zu +leben und sich wohl zu befinden, haben noch Vierhundert Millionen Menschen, +so breit sie sich machen, so hoch sie wachsen wollen. Aber auf den +Einmalhunderttausend deutschen Quadratmeilen Land ist unterschiedliches +Klima, mit Seeen, mit Wald, mit Bergen, mit Strömen, mit Meeren nach Morgen +und Abend und Mittag, mit Pflanzen und Blumen und Kräutern und Bäumen, mit +Fischen und Vögeln, mit zahmen und wilden Thieren der Erde, daß Jeder das +Seine sich wählen kann. »_Brot und Freiheit_« steht mit Schweiß und Thränen +für unsere Gäste angeschrieben über dem Thor zu unserem Lande. Aber nicht +mit Blut! Wir haben _keine Schulden_ -- wenn Ihr das Wort versteht. Wir +haben _keine Feinde_, als solche, die wir verachten könnten -- wenn Ihr das +Wort versteht. Wir haben _Frieden_ auf lange Jahrhunderte -- wenn Ihr das +Wort versteht. Wir haben _keine Armen_ -- wenn Ihr das Wort versteht. Ja +wir haben selbst eine miserable Miliz, einen lächerlichen Landsturm, der +aber gradezu eine himmlische Heerschaar ist, weil er lächerlich seyn kann +-- wenn Ihr das Wort begreift. Ich meine.« + +Ich meine auch; sagte ich. Heut zu Tage braucht man nichts mehr zu sagen. +Die ganze Welt meint blos, und die ganze Welt versteht. So weit haben wir +es durch Cultur gebracht! Wie stehen in Etwas erschrecklich hoch, und was +bei Ihnen fehlt, weil es noch nicht nöthig ist, die Humanität ist unser +Unglück. Denn ein Vernünftiger läßt sich am Ende Alles gefallen, selber ans +Kreuz schlagen, weil er meint, es thut Andern wohl, und so thut es ihm +nicht weh. Aber das lange Hängen macht Zappeln. + +Der General-Vormund fühlte sich bedrückt, daß seine ganze schöne Armee in +Amerika mehr als überflüssig und ein Unding sein sollte! So viel Festungen +-- Undinge! So viel Kanonen -- Undinge! So viel Plage, Geschrei und müde +Gebeine -- Undinge! Aber er fühlte sich schuldig, verschuldet, und schwieg. +Mein Sohn Marbod saß in seiner Husaren-Uniform wie ein Gespenst da, und das +Gold darauf blitzte umsonst. Meine Tochter hatte endlich ein wenig lauter +auf dem Pianoforte, wenn auch nur mit einem Finger, die Melodie des +neugebornen Liedes: »Auf, auf, ihr Brüder, und seid stark!« gespielt, und +Master Erwin trat nun sehr bescheiden zu ihr und bemerkte blos, daß in der +ganzen Union Sonntags kein Laut Musik aus Schonung der vollständigen Ruhe +der Andern erklingen dürfe -- als sie feuerroth ward und das Instrument +verschloß. Der Gehorsam rührte mich schwer und bewegte mich tief zu +seufzen, denn meine Braut war mir einst auch so gehorsam gewesen. Kaum aber +hatte ich dies sichere Zeichen der Neigung gesehen, als sie erblaßte, sich +an die Freundin lehnte und bald darauf aus dem Zimmer ging, ja nicht mehr +wieder kam, so lange die Gäste dablieben, denn ihr bewunderter Freund hatte +im ferneren Gespräch gesagt: »_daß er hundert Sclaven habe_.« Hundert +Menschensclaven -- Er! + +Es war schon spät. Abreden wurden getroffen, sie sagten gute Nacht, und +Erwin ließ gute Nacht dem armen Kinde sagen. Als sie fort waren, kam meine +Maria wieder und versicherte mich: daß sie nun getrost mit mir gehe. Ich +wünschte ihr gute Nacht. Da hob sich ihre Brust nur, und ihre Augen +blinkten vor dem Licht in ihrer Hand, und sie getraute sich nicht, die +Augen vor ihrem Vater aufzuschlagen. + +Vom Morgen an war nun ein neuer Geist über mich gekommen. Die Zeit zur +Abreise war kurz. Ich verzeichnete mir alle Geschäfte, ich theilte sie in +die Tage ein. Durch meinen Entschluß zu reisen war mir die Heimath zur +Fremde geworden, das Volk selbst zu Gästen im Lande. Ich war wie ernstlich +krank geworden. Ich war mir und Andern unnütz, zu jeder Arbeit unwillig, +ungeschickt, verdrossen. Daß die Sonne zum Frühling höher und wärmer +schien, kam mir überflüßig vor. Aus jährlicher Gewohnheit deckte ich die +Weinlaube ab; aber ob die Reben Augen hatten -- die Kirschbäume Knospen -- +ich sah nicht darnach! Daß die Primeln in reichem Flor standen, erregte mir +nur Bedauern; daß ich Kinder taufte, junge Paare traute, schien mir ganz +überflüßig. Jemanden zu begraben, that mir recht leid. Hier war es ja nicht +werth zu leben, nicht werth zu sterben, oder recht werth, und ich segnete +die Todten mit gewaltigen Worten ein -- mit Zornworten von der Erde, nicht +mit Vorbereitungsworten für ihre neue Welt, ihre beßre Welt. Dem Kaiser +Karl V. kann nicht so zu Muth gewesen seyn, als er sich lebendig begraben +ließ. Denn um mich sangen ganz andere Stimmen! Prophetenworte riefen mich. +Den kommenden Vögeln sagte ich: bleibt dort, liebe Kinder! Alle Papiere +suchte ich durch, um Jedem jeden Heller zu bezahlen. Ein langes Geschäft. +Ich hatte Geld einzufordern. Ein längeres, undankbareres Geschäft. Von +nahen und fernen Freunden hatte ich Abschied zu nehmen, und einen +lithographirten Brief schämte ich mich an Alle zu schicken. Da mußte Sohn +und Tochter schreiben, ich unterschrieb nur. Von den Andern hatte ich in +den Zeitungen Abschied genommen. Aber darauf erhielt ich nun Briefe, +dringende Bitten: Zehn, Zwanzig, Hundert, Tausend, Zweitausend Menschen +mitzunehmen oder nur zu führen! Diese Briefe voll Noth und Klage, schwerer +als sie zu ertragen schien, so lange zu ertragen unmöglich schien, ließ ich +in Quartbände heften, binden: die Briefe unglückseliger armer Geistlichen, +die auf Korn gesetzt, bei Korn fast verhungerten, weil es nicht galt; die +Briefe von -- bei ihren Gemeinden verhaßten Geistlichen, weil sie in ein +gewisses Horn geblasen; Briefe von examinirten oder gleichsam im Examen +entseelten -- durchgefallenen Candidaten; die Briefe von Rechtsconsulenten, +die nächstens zu verhungern versprachen, weil Bauer und Bürger aus Mangel +an Geld zu Prozessen lieber gleich alles Unrecht über sich ergehen ließen; +Briefe von Hammerwerksbesitzern, die nur noch den großen Hammer besaßen, +aber keine eisernen Gänse; Briefe von Gelehrten, Philologen, +Schriftstellern, Professoren, Juris-Doctoren, ja sogar die trübseligsten +Briefe von Censoren, Waschweibern, Kammerjungfern, von Studenten, +Gymnasiasten und Schuljungen sogar! Briefe von armen Bergleuten, die +Tagelöhner, Klafterschläger und Stöckeroder geworden, von ihren +Frau-Spitzenklöpplerinnen, den Nachkommen der Frau Barbara Uttmann, die für +sie nach Brabant gereiset, und für welche ich nach Amerika reisen sollte, +als ein Barbarus Uttmann; denn die armen Weiber versicherten, daß sie ihre +Männer und Kinder von dem Kleinhandel nicht ernähren könnten, sondern aus +Noth das Körbchen Obst, Gemüse, ja Nägel, Blechgeräthe, Schwefel und +Zündhölzchen angreifen und veressen müßten. Der Amerikaner, Master Erwin, +besuchte mich täglich, oder ich ihn; er war mein neuer Freund, denn die +Noth macht Freunde, oder zum Glück, sie hat auch noch Freunde. --Ich sollte +nun aller Welt Freund und Erlöser seyn, wie die Briefe sagten; ein +abgesetzter Professor der Geschichte titulirte mich den neuen Cadmus oder +Pelops; denn die Noth und der Druck in Ägypten möge wohl auch entsetzlich +gewesen seyn bis zum Aus-der-Haut-fahren; denn das Vaterland sei die weite +Haut des Menschen oder der Leib des Leibes. Das war auch Erwins Meinung; er +war nicht recht einverstanden mit meiner Reise, und sprach eines Tages: +»Denken Sie sich nur, wenn wir Amerikaner auswandern wollten; wenn wir +freien Amerikaner in Deutschland eine Niederlassung gründen wollten, als +saurer Sauerteig in das alte Backfaß . . . .« + +Ich erschrak billig, wie Tausende oder Hundert doch, vor diesem furchtbaren +Gedanken. Aber es schien Ernst dahinter, er verzog keine Miene, gab mir +Plan und Ausführung an, und als sie ihm immer schöner und heilsamer, mir +immer grausenvoller erschien, frug er mich: Was Wir denn bei Ihnen zu Lande +wollten -- als abgebackenes Obst oder Mehl, nicht Korn! + +Da brachte mir meine Frau zwei Briefe zusammen herein. Ich überflog sie. +Ich ließ sie ihn lesen. Und so laut vorgetragen rauschten und zündeten sie +ordentlich in der gemeinen Luft, und es kam fast Entsetzen über mich, daß +der heilige Äther auch dazu da seyn solle, solch Geistergift und Elend zu +tragen -- wie das heilige Meer Sclavenschiffe mit dumpfem Gestöhn. Und so +zitterte in der Luft der + +_Brief des Executors_. + +»Sie gar lieber Herr Pastor, Sie wissen, daß ich im Nachbarland +Justizamtmann gewesen, aber untergehen mußte, weil ich keine Arbeit mehr +hatte. So habe ich nunmehr hier die allerhöchste, wichtigste Stelle der +Justiz erstiegen, als Executor. Nur ein Executor kennt Recht und Unrecht, +von Gerechtigkeit will ich nicht reden. Er kennt Milde und Elend, Milde +derer, die auf alte Gerechtsame halten, wie mit Händen von Eisen, um nicht +um Schloß und -- Thür zu kommen, und das Elend derer, die alte Schuld der +Zeit und der Menschen, die sie sich im Schlafe der Dummheit und Feigheit +haben aufladen lassen, nun mit erwachten Herzen abzahlen sollen. Kurz, ich +bin müde, den Leuten die letzte Kuh aus dem Stalle zu nehmen, und die +dürren Thiere meilenweit an miserablen Stricken fortzuschleppen und für ein +Hundegeld, kein Kuhgeld, erstehen zu sehen von den abscheulichsten, +hartherzigsten Stöcken von armen Teufeln, welche aus Noth ein Auge +zudrücken müssen, und das Herz im Leibe todt. Ich heiße zwar kein Sclave, +aber ich bin ein _Seelensclave_, ich lebe in der Seelen- und +Herzens-Sclaverei, und ich bitte mit dem letzten Tropfen guten Blutes im +Herzen, daß Sie mich mitnehmen, und mich für die Kosten der Überfahrt +vermiethen, auf tausend Jahre meinetwegen, oder gradezu als _leiblichen_ +Sclaven verkaufen, und mir soll wohl seyn. Die alten Deutschen verspielten +sich auch und verkauften sich selbst. Meine Seele verkauft meinen Leib. +Brot habe ich so nicht. Nehmen Sie mich mit, oder, ich versichre Sie, +lieber Herr Pastor, ich habe noch mehr als einen alten Strick, und so +morsch er ist -- schwer bin ich nicht. Ich stehe draußen vor Ihrer Thür und +warte auf Antwort.« + +Ich sprang gleich hinaus, sahe den Mann mit seinem verwilderten Barte, +Thuiskon und alle alten Götter standen vor mir; ich führte ihn herein. Er +mußte sich setzen, und schwieg. Denn der Amerikaner war ins Feuer gekommen +und las nun laut den zweiten: + +_Brief des Schulmeisters_. + +»Ew. Hochwürden verzeihen, Sie als Christ von Ihrem großgünstigsten +Vorhaben abreden zu wollen. Ist gegen allen herkömmlichen Respekt. Aber wo +der Respekt in solcher Zeit hingekommen, weiß ich sub fide quasi pastorali +nicht anzugeben. Jetzt speculirt man gradezu auf Alles, die Menschheit +sogar zu vermindern, was doch stracks gegen das Einzige Gebot läuft, +welches der alte Vater im Paradiese gegeben hat: »Seid fruchtbar und mehret +euch!« Ein wahrhaft göttliches, ja paradiesisches Gebot! Wie ich denn +selber 9 Kinder habe, zwei Mädchen und sieben Söhne, welche für die Prämie +von 50 Rthlr. -- also 9 Rthlr. 3 Gr. 5 1/7 Pf. pro Sohn -- nun, Gott sei +Dank! alle bei den Soldaten auf Lebenszeit versorgt sein werden und müssen. +So habe ich als Speculant nun gelesen, daß in China Hungerschulen in Flor +sind. Erschrecken Sie nicht, Hungerschulen, worin und wodurch man nicht +verdächtig und strafbar die Noth sucht abzuwehren, sondern menschlich und +hochpreislich zu ertragen. Wer hungern kann, kann gradezu Alles auf Erden. +Und Wer hungern will, der will Alles, der ist zufrieden mit Allem, es heiße +wie es wolle, ja es sei, was man will. Ich lege Ew. Hochwürden, sub signo +solis, einen ausführlichen Plan bei, worin Alles landesmäßig ausgearbeitet +ist, aus dem chinesischen Reiche und Clima in unser deutsches Reich oder +Clima übersetzt. In China heißen diese respectablen Schulen gradezu +Hungerschulen oder Tsing-Long. Ich schlage für uns und die lieben Unsern +lieber den Titel vor: Friedensschulen, Geduldschulen, oder höchstens: +Magenschulen. Dort existiren sie zu tausenden. Die _Studenten_ darin tragen +eine Ehrenkleidung, die nur sie und auch der Kaiser trägt. Sehr gut und +exemplarisch. Denn daß bei uns die Armen wissen, daß Fürsten und +Fürstinnen, nebst Prinzen und Prinzeßchen, doch zu Zeiten auch Kartoffeln +essen und alle Tage Salz, das giebt den Armen einen gewissen Adelstolz, +auch wenn sie selber nichts andres haben. Über die Kleidung wollten wir uns +nicht streiten, denn das dort Wohlfeile ist hier theuer, und so habe ich +_Nanking_ etwas frei mit »roher Leinwand« übersetzt. Climatisch! Oder +Schaafpelz? (Der Kälte wegen. Denn hungern _und_ frieren ruinirte alle +unsere Schüler, Studenten oder _Akademiker_; denn dieser Ehrentitel +»Akademiker« würde die deutschen armen Schlucker sehr anlocken.) Beispiele +von Vornehmen, Adligen u. s. w. würden Wunder wirken, wie der Hof den Dänen +das Pferdefleisch zur Probe gegessen hat. Beilage sub signo lunae aber +enthält ein vorläufiges Verzeichniß der Studenten und -- hier fehlt mir das +Wort -- etwa der geistlichen Schwestern unserer Gegend. Die ganze Kunst der +Chinesen beruht nun auf dem (sonderbar!) deutschen Sprichwort: »Der Hunger +ist der beste Koch!« Die Chinesen in sothanen Schulen, Gymnasien oder +Akademieen _fasten_ also, geistlich gesprochen, blos so lange, als es nur +ein Araber oder Wilder aushalten kann. Der Schmachtriemen hilft nach; +Wasser thut Wunder und nährt lange allein, wie man an Pflanzen sieht. Wenn +aber keine Kunst, keine Geduld, kein Zureden der angestellten geistlichen +und weltlichen Beamten mehr hilft, und auf lange Schwäche endlich Ohnmacht +schon eingetreten, dann wird das Zimmer mit Gänsebraten geräuchert, nämlich +mit ungebratenem, mit den Federn, die ein prächtiges Gastmahl vermuthen +lassen; oder Kinder schreien im Hofe der Anstalt wie ein Kalb und bellen +dazu wie ein Hund, als führe ein Fleischer eins heim, oder schlachte es +schon; oder es ertönt quickendes und erquickendes Schweinegeschrei, als +werde sogar schon ein Schwein geschlachtet. Andere Knaben klopfen mit zwei +stumpfen Beilen auf ein Bret, als mache man Wurst. Kurz nach allen +Kunststücken der Politik und der Seelenlehre, wenn der Studiosus wirklich +zu sterben drohte vor Appetit -- dann wird ihm ein wenig -- aber was? -- +Pferdefleisch gebracht, und die gute ehrliche Seele bleibt wieder in ihrem +Leibe oder in ihrem irdischen Vaterlande, und läßt sich wieder täuschen. So +lernt er, so kann er, wird sanft, mildthätig, lehrfähig, und stiftet dann +selbst wieder eine Magenschule in andern eßbegierigen Gegenden, und alle +Unzufriedenen, durch Steuern oder Prozesse, oder gar Arbeitslosigkeit zu +Grunde Gerichteten gehen in diese dem Lande räthlichen Schulen. Aber erst +in unsern Kleinkinderschulen diese wahre Koch- und Eßkunst einzuführen, +wäre eine Verbesserung, welche die Sache an der Wurzel angriffe, und bleibt +wie die Erfindung derselben uns Abendländern vorbehalten . . . . Ihnen, ich +erspare Ihnen und der seelensguten Frau Pastorin Ihre Auswanderung, und +30,000 unwissenden, armen, deutschen, jährlich blos darum Auswandernden, +weit sie eine Erfindung der Chinesen nicht ahnen, die ihnen doch Allen so +nahe liegt, sich so aufdrängt Tag für Tag. Aber vergebens. Denn die Welt +ist blind. . . . .« + +So weit hatte der Amerikaner gelesen, laut, und wir sahen uns billig an, +und zuckten die Achseln, als der Verfasser, mein braver Schulmeister in +Hammersdorf, hereintrat, weil ihn das Vorlesen wie ein Strom in seine +eigenen Worte gezogen. Er hatte seinen besten Staat an, ein abgeschabtes, +gewandtes, schwarzes Kleid, aber das blasse, redliche, wohlmeinende, +kummervolle lange Gesicht, die mild und treu uns anblickenden Augen +benahmen uns jeden Gedanken, als den des redlichen frommen Willens in +diesem Manne. + +»Daß die Natur so weit herabsinken kann bis in eine solche Gestalt, bis in +solche Gedanken!« sprach der Amerikaner leise zu mir. »Er scheint seinen -- +Schulplan schon selbst erprobt, ja probat gefunden zu haben; so +himmlisch-chinesisch sieht er aus. Aber das nennen wir in Amerika: +Phantasmen! Schlimme Zeichen schlimmer Krankheit! Sogar in unsern +Irrenhäusern spuken doch andere Pläne. Solche nicht. Der redliche Mann ist +mir wie ein Verwesungszeichen an einem noch Unbegrabenen -- den man nun +begraben kann! Man begräbt sicher nur einen Todten. Jetzt rathe ich Ihnen +mit mir zu reisen! Noch ein anderes Zeichen habe ich unterweges bemerkt. +Die Leute, besonders die Männer bei Ihnen und weithin, scheinen nämlich +taub. Man muß schreien, ehe sie hören, zweimal es sagen, ehe sie antworten. +Das bedeutet Geistesabwesenheit, Versunkenheit. Kurz, wir reisen! --« + +Ich sagte ihm, daß der Schulmeister Tolera, als Repräsentant aller +möglichen Toleranz, von den armen Schulkindern kein Schulgeld nehme -- und +der Executor bestätigte, daß er nie Leute für ihn habe auspfänden sollen -- +daß derselbe mit Kühen handle, Capitale von 3 bis 20 Thalern den Armen +negozire, und der Amerikaner rieth mir, diesen Speculanten mitzunehmen; +Fracht und Spesen wolle er für ihn tragen. Ich sagte das laut. _Tolera_ +nahm es an, und versprach in seinem Eifer die Magenschule in der +vereinigten Republik anzulegen, worauf ihm bemerkt ward, daß dort nur die +Faulen hungerten, nicht die Fleißigen »und Fleiß ist die Tugend der freien +Amerikaner.« Der Schneider brachte mir eben meine Reisesachen, und so +konnte ich dem armen Tolera sogleich meinen respectablen Rock schenken, +welchen er draußen anzog und sich dann uns präsentirte. Er ging ihm bis auf +die Knöchel, aber das gab ihm Würde. Der Executor hätte den Rock gern +gehabt, aber er schlug die Augen nieder und weinte fast, denn für ihn +schien der Amerikaner nicht Fracht und Spesen tragen zu wollen. -- »Das +Glück ist selten doppelt,« sprach er, »das Unglück aber oft. Ich mußte oft +wegen zwei Schuldposten auspfänden -- und ich will es ferner mit Gottes +Hülfe.« + +Mit _Gottes Hülfe!_ Das verzweifelte Wort entsetzte und rührte mich. Soll +Gott zu Druck und Rache helfen? Ich getraute mich, beim General-Vormund ihm +die vacante Stelle des glücklichen Meisters Tolera zu verschaffen, damit er +lieber ein Executor des göttlichen Willens werde. Das war er zufrieden und +fühlte sich glücklich. Master Erwin nahm dagegen mit feinem Lächeln den +Schulmeister in Pflicht, zum Heil Amerika's dort die Hungerschulen +einzuführen. Das war er zufrieden und fühlte sich glücklich. + +Ich hatte in den Zeitungen von meinen entfernten Freunden Abschied +genommen, aber die Nahen konnte ich nicht besuchen. Mein Gott, so sollte +ich sie denn hier lassen, dahinten auf immer! Sie sollten alt werden, Staub +werden, vergessen seyn! Wahrscheinlich, wie bisher, sahe ich -- wenn ich +blieb -- etwa nur Einen oder den Andern in Jahren, und noch zufällig +irgendwo auf eine Stunde! Aber es war doch möglich, daß ich zu ihnen +konnte, sie zu mir! Diese beglückende Möglichkeit schnitt ich mir nun ab. +Ach, die Möglichkeit! Die Menschen wissen gar nicht, was sie an der bloßen +Möglichkeit haben. Oder vielmehr, sie wissen es wohl, Alle überschätzen +sogar die Möglichkeit! Weil alles Gute, Freiheit, Friede, Glück, möglich +ist -- darum halten sie aus wie besessen, so lange es möglich ist, ja meist +noch länger, noch schändlicher. Diese Betrachtung stärkte mich recht, wenn +ich mit meinem Sohne durch die zwanzig Dorfschaften ritt, deren Ambassadeur +ich war. Wie sie so still vor den Thüren saßen, wie sie sich um mich +versammelten, die Greise, die Männer, die Weiber und Kinder, die Jungfrauen +und Junggesellen! Sie waren Alle ausgewurzelt mit dem Geiste, nur leicht in +Erde geschlagen, wie Bäume, die versetzt werden sollen. Aber es war auch +schon ein Geist über sie gekommen, wie ich ihn diesen Leuten nie zugetraut +hätte, sondern überhaupt nur der Welt und dem Gott, von wannen er ihnen +gekommen. Ja die Leute trösteten mich und drängten mich! In Frankreich +hatten die Pfaffen wieder einmal dem Volke den jüngsten Tag weiß gemacht +und angesetzt. Der Wirrwarr soll aus der Maaßen gewesen seyn. So konnte ich +auch an jedem Abend sagen: Ich habe heut seltsame Dinge gesehen. Wie vor +dem jüngsten Tage ging es auch hier zu -- und wer weiß, wie nahe er ist -- +nur alles hier geordneter und zu einem vernünftigen Zwecke, wozu eine +besondere Thätigkeit nöthig war, kein Heulen und Zähneklappen und +Lippengeplärr. Fast Alles, was die guten Leute hatten, war auf die +Bedingung verkauft, verschenkt, ja durch Testamente vermacht an Andere, +Bleibende, Herziehende, wenn ich ihnen Nachricht sendete, Freudennachricht: +»Ihr Menschen kommt! Ich habe gefunden, was Ihr gesucht, seit Eure Väter +aus Indien gezogen, so viel tausend Jahre sie hier sich versessen, und am +Teich Bethesda gelegen, den kein Engel bewegt, geschweige ein schwarzer +Engel oder mehrere.« Sie betrachteten den Amerikaner, wie ohngefähr die +Peruaner einst einen weißen Sohn der Sonne, der zaubern könne. Und so +thaten wirklich seine einfachen, graden, wahren Worte, keine +Versprechungen. Selber der kleine Landesherr würde keinen solchen Eindruck +mehr auf sie gemacht haben, wie Er. Ich seufzte und schwieg. Mein Sohn ging +statt rothweltlich nunmehr wiederum schwarzgeistlich; auch den Schnurr- und +Schnauzbart hatte ich ihm im Schlafe abrasirt, versteht sich in Eil _nur_ +ein Wenig davon, nur die Hälfte auf einer Seite, und die andere Hälfte +mußte er Schande halber am Morgen dann selbst cassiren. Alles Volk kam mir +auch wie von einem guten Vater jetzt so halb rasirt vor, und die Schande +des Halben wird alles Halbe nun selbst rasiren. Wie lange saß ich selber +nicht eingeseift! Ich ermahnte die guten Leute zu Geduld, und sie frugen +mich fast wehmüthig, ob sie nicht Geduld gelernt hätten, und nun eben erst +recht beweisen wollten dadurch, daß sie wegzögen? Ich hatte mich mit den +Anordnern von Auswanderungen in vielen andern Gegenden in Verbindung, +gesetzt; mit den sehr löblichen Anordnern und Versorgern der Auswanderer +aus der Schweiz, aus Würtemberg, aus Rheinbaiern, den Rheinprovinzen, aus +Hessen und Sachsen, und manches Gute erfahren, auch Bücher zugesandt +erhalten, viele von den Verfassern selbst; denn welcher Deutsche meint es +nicht selbst mit dem Teufel gut -- wie Klopstock mit dem bösen Engel -- +geschweige mit Deutschen. Diese Bücher vertheilte ich nun in alle die +Dörfer so, daß sie wechselten und Jedes in jedem den Gemeinden an den +Sonntagen vorgelesen wurde. Als: Kromme's Reise durch die vereinigten +Staaten; Klinkhardts Reise nach Nordamerika; das herrliche: »Michigan«, ein +Wegweiser für Auswanderer; »Illinois«, ein Wegweiser für _Ein_wanderer; +(schön gesagt: _ein_ statt _aus_, denn wer auswandert, thut es eben blos um +einzuwandern) »Leben und Sitten in Amerika«; -- »Missouri, ein Wegweiser +für Einwanderer«; -- »Doctor August Neanders Richard Boxter«; -- »Kurze +Schilderung der Nordamerikanischen Staaten nebst ausführlichen +Vorsichtsregeln für Auswanderer, von Witte«; -- »Der Nordamerikanische +Rathgeber von Gerke«; -- »Der vollkommene Nordamerikaner, von Dalp aus +Bern.« (Das bis jetzt beste Buch von allen). Und so manche andere Bücher +und Charten. Auch hatte ich mir selbst eine enorme Charte der vereinigten +Staaten zusammengemalt, eine Specialcharte, illuminirt, so groß, wie ein +Scheuntenne, und auf ein Tenne ließ ich sie breiten, und mein bester +Schulmeister Tolera erklärte sie mit einem Rechenstiele den Zuschauern im +leeren Bansen. Abends fand ich gewöhnlich Handwerker mit ihren Weibern bei +mir; und selbst ein sonst immer betrunkener Schlosser war so +feierlich-nüchtern, so weiß gewaschen, verständig, so wohl gekleidet und +artig, voll vom Gefühl, daß sie nach Amerika wollten -- als wenn sie wegen +einer edlen That sollten zu einem König zur Tafel gehen, und bei mir Probe +äßen, denn ich behielt die guten Leute zu Tische. Meine Tochter Maria hatte +ihre Kleider, und Alles, was ich von Weiberhand bedurfte, selbst fleißig +gemacht und fertig. Die Mutter hatte keine Hand dabei angelegt. Mein Sohn +Marbod war in meine Stelle eingewiesen. Ihr ward noch kein Auge feucht. +Erst als ich am Auferstehungstage meine letzte Predigt gehalten, als ich +den Leuten das Abendmahl ausgetheilt und es selbst genommen, noch einmal +den lieben Ort, die versammelten Menschen, die Apostel über mir im Gewölbe +angesehen, und die Altarstufen hinunter gewankt und über die Gräber nach +Hause geeilt war, und meiner Frau um den Hals fiel, da glaubte sie mir -- +denn sie war in der Kirche gewesen und, aus Wehmuth, vor mir nach Hause +geeilt. Als sie sich ausgeweint hatte, stand sie, düster zur Erde blickend, +glühend im Gesicht, und sprach zuletzt: »Das hätte ich nicht von Dir +geglaubt, daß Du mich verlassen würdest . . . .« + +Und ich nicht von Dir, sprach ich gestärkt, und bat und drängte sie, +mitzukommen. + +»Siehe,« sprach sie aufblickend, »soll ich es denn sagen? Wie elend haben +wir Jahre lang uns durchgebracht, wie schwer die Kinder erzogen! Denn was +Ältern jetzt auf Kinder wenden wollen, das müssen sie sich abdarben. Ihr +Geistlichen seid zumeist auf Korn und Hafer gesetzt -- auf Geld sitzt Ihr +nicht; höchstens auf den paar Groschen für Trauen und Taufen; zum Abendmahl +gehen Viele nicht, weil sie es bezahlen müssen -- und Korn und Hafer gilt +nicht, und von Brot lebt man heut zu Tag nicht -- und so haben wir +schändlich genug auf den Tod meiner alten Muhme, der Frau von Gaispitzheim +in Breslau, gewartet; aber heute lebt sie noch und sitzt auf ihren drei +Tonnen Goldes. Gehe ich nun . . . sterbe ich vielleicht, so bekommen unsere +Kinder Nichts! Und die armen drei Kinder müssen sich eben so plagen, so +darben und dulden wie wir. In Breslau liegt Amerika für mich! Also weil ich +redlich als Mutter denke, darum bleibe ich! -- Sprich nicht, ich bin kein +gutes Weib, oder gar: ich scheide mich von Dir. Du scheidest Dich ja auch +nicht von mir -- das weiß ich -- Du gehest nur! Ach, darum gehe, und gehe +getrost, und laß mich getrost. Nur Eins wäre schlimm, und ein schlimmer +Betrug, wenn ich bliebe und doch vor der Erblasserin stürbe. Dann gedenke +mein! Ich habe es gut gemeint.« + +Darauf gab sie sich mir wieder hin. Ich fühlte ihre Nähe, ihr Glühen, ihre +Liebe, Ihren Besitz. Die helle schöne Sonne schien uns Beide an, wir hatten +zwei Schatten, aber Ein Herz für die Unsern -- _Wen_ wir jedes denn für die +Unsern hielten! _Wie_ wir es Beide denn gut mit ihnen zu meinen glaubten. +Und von ihren heißen Worten schmolz mein Verdacht, als bliebe sie nur weil +sie eine Adlige war, und sie wußte, daß ein Adliger eben grade viel weniger +in den Freistaaten gilt, als ein verständiger Bauer, und alle Europäische +Thorheit, wie türkische Pantoffeln vor dem Gotteshause, auf dem Strande von +Amerika abgelegt werden muß, wenn Jemand noch so halsstarrig gewesen, sie +nicht zu Hause abzulegen, oder auf der tausend Meilen langen Bußreise durch +die Meereswüste, und da sie Gott und Menschen, selbst Wallfischen und +Gestirnen abzubitten. Mir war also ein Stein _vom_ Herzen, aber ein anderer +_darauf_ gewälzt -- mit sehenden Augen, mit Liebe im Herzen, bei lebendigem +Leibe und vollem Verstande von meinem Weibe zu scheiden. Denn meine +Trennung war einer Scheidung wenigstens gleich! Aber ich hatte mein Wort +gegeben, ja meine Seele, das heißt: meine Überzeugung, und so schied ich +mich als Geistlicher mit den gebräuchlichen Worten von ihr; aber sie war +dazu vor mir niedergeknieet -- und ich knieete zuletzt auch zu ihr, und wir +hielten uns an den Händen und sahen uns an einander noch einmal satt. Da +hörten wir den Gustav Adolph gelaufen kommen. Wir standen gefaßt auf. Und +daß der Knabe bei der Mutter bleiben sollte, -- weil er wollte, war mir nun +lieb; denn sie blieb bei unserem Sohne Marbod, und wenn Dieser nun droben +über ihr in der Studirstube umher ging, konnte sie denken: Ich bin's. Bis +sie weinte und sprach, ach, Er ist es nicht, Der ist geschieden! Aber ich +will ihm alle Jahre schreiben zur Christbescherung und er schreibt mir, und +wenn die Dörfer nachwandern, wandre ich mit . . . . oder schiffe nach! -- + +Drauf saßen wir Alle vereint, die Henkersmahlzeit zu essen. Da ereignete +sich noch eine kurze Scene. Nun, da meine Mirjam mit weggehen sollte, jetzt +war es meinem Diakonus Bierey eingefallen sie zu heirathen. Er kam noch vor +Tische und hielt um sie an. Ich überließ die Antwort meiner Tochter, die +ihm Ja sagte -- wenn er mitgehen wollte. »In Amerika soll das +vortrefflichste Bier seyn,« sprach er, »auch Wein schon. Das lockt mich +sehr; aber dort bin ich von der Gemeinde absetzbar, und meine Einkünfte +hängen von der Vortrefflichkeit meiner Predigten ab -- und da man sich +auspredigt, und alle Jahre schlechter -- schlecht will ich nicht sagen -- +so will ich doch in meinem Europäischen schwarzen Talar stecken bleiben -- +so leid es mir thut, beste Maria! Nun heirathe ich in meinem Leben nicht, +denn es war nur so ein Einfall, aus Neid gewiß nur, denn das Lagerbier ist +noch zu jung und bekommt mir nicht. Also ein Einfall aus Neid, aus was Sie +wollen, nur machen Sie mich nicht lächerlich, daß ich derber Vierziger habe +heirathen wollen. Es würde mir schlecht gegangen seyn!« + +Mit den letzten Worten meinte er seine bewährte Antipathie gegen die +Mäßigkeitsvereine, nicht gegen die verschiedenen trinkbaren Stoffe, wogegen +sie errichtet sind. In Amerika hätte er nun vielleicht gar an die Spitze +eines solchen Vereines treten sollen. Er mußte, als Dank von meiner Seite, +mein Gast seyn. Die Baronesse schickte mir zur Henkersmahlzeit mit den +Meinen sechs Flaschen edlen Wein; und schon bei der zweiten hatte er seine +neue Liebschaft über die alte vergessen. Was uns aber traurig überraschte +-- sechs sehr artige, liebe, wohlerzogene Jungfrauen, die Töchter des uns +bekannten, verarmten und als Wittwer begrabenen Eisengußwerkdirectors +Horazius kamen reisefertig, und baten mich, daß sie blos unter meinem +Schutze mitreisen dürften. Sie wollten sich ungekannt _drüben_ vermiethen +-- hier schämten sie sich. Sie zeigten mir ihre sechs kleinen Beutelchen +mit dem Gelde zur Überfahrt. Es ward ein Taufen angesagt; der Diakonus +empfahl sich uns allen und seinen lieben sechs Muhmen -- und wünschte uns: +glückliche Reise! Es ist kein Zweifel, wer das Sterben erfunden, der hat +auch das Abschiednehmen erdacht, es geschieht alle Tage auf der ganzen Erde +gewiß tausendfach, aber ich glaube hauptsächlich nur deswegen, daß der +Mensch recht empfinden soll, was er besitzt, besessen hat, und in Wahrheit +doch behält, sonst würde es bei allen bittern Schmerzen doch nicht zugleich +ja gar so selig seyn! »Wir behalten uns!« sprach ich schon immer im Voraus, +indem ich in der Stube auf und abging, bald meine -- ach was denn! _meine_ +Kupferstiche ja nicht mehr -- an der Wand ansah, bald meine Mirjam, die, +auf dem Sofa sitzend, eine Hand der Mutter gegeben hatte, eine Hand ihrer +Jugendfreundin, der Baronesse. Darum ist mein zweiter Hauptrath zum +Auswandern: _Nehme Jeder alle die Seinen mit!_ Sonst scheidet er nicht, +nein, er schneidet sich entzwei, kommt mit dem verdrossenen Leibe drüben +an, und hat die Seele zu Hause gelassen. Wo _alle_ die Unsern sind, da ist +es zuletzt überall schön oder doch gut genug. Kinder aber scheiden noch +leicht und verlieren noch unbekümmert. Denn mein dummer Junge, mein Gustav +Adolph, malte lieber Ostereier, als daß er eine Viertelstunde neben mir +gesessen hätte, um meine letzten väterlichen Worte anzuhören! Kinder sind +Etwas, sind Viel -- und auch Nichts! Unsere Stube war voll vornehmes +Abschiedsgesindel, Gevattern, Pathen, Anverwandte. Alles Weltneugierige. +Die Menschen können Keinen sterben lassen, er muß ihnen wenigstens noch 12 +mal 12 multipliciren; sie müssen ihn trösten, bedauern, vergeben, kränken +und zu rechte rücken; sie können Keinen scheiden lassen, sie müssen ihm das +Leben schwer und die Zunge leicht machen. Ich ging also indeß auch +Abschied, nehmen -- zu meinen Büchern. Hilf Gott! wie überfiel es mich da! +Ich weinte bitterlich! Aber sonderbar, wie ein Sterbender that ich einen +befreiten Blick über die armen Geister. Viel Freude ist in unsrer Literatur +nicht, das Meiste: Bedürfniß, Noth, Hülfe. Es ging mir ein Licht auf; ich +möchte sagen, ein bitteres. Kein Mensch schreibt mehr aufrichtig! Höchstens +ein Mediciner, ein Bohneneinsalzer. Keine Geographie, keine Geschichte ist +aufrichtig, was verdient Aufrichtigkeit genannt zu werden. Und da nun Jeder +anders fühlt und denkt, so seufzte ich schwer: Ach, mit der Aufrichtigkeit +stirbt die Treue, mit der Treue stirbt der Mensch. -- + +»Sind wir Menschen?« frug eine höhnische Stimme, wie der Teufel, hinter +mir, und ich sahe mich um. Aber nun auch, wie viel war ich los und warf ich +ab: zuerst alle Landcharten, Rußland, Türkei, Kirchenstaat, Spanien, +Portugal, selber Deutschland! Alle Journale fielen von mir ab, wie +angeklebte Bilder von einem als Bildermann maskirten Apotheker. Alle +Zeitungen, alle Kirchenzeitungen, denn nur noch eine Teufelszeitung fehlt +-- zerfielen in ihren deutschen Staub, Gott sei Dank! Ich war wie +neugeboren. Alle Philosophie, die zuletzt nur dem Papst den Pantoffel +flickte. Selbst alle Dichter. Und wie im Himmelsfeuer stand mir Göthe auf +seinem Tabor verklärt. Denn sonderbar, unser Matador, der manchen Stier +erlegt, unser Dichterfürst, was hat er wiederum in seinem besten, schönsten +Werk, dem Wilhelm Meister, anders angelegt -- und vollständig in den schwer +verkannten Wanderjahren gelehrt -- als _die Auswanderung! Die +Auswanderung!_ Derselbe, der Herrmann und Dorothee das einzig hülfreiche +Wort zur Zeit sprach: Dächten Alle wie ich, so stände die Macht gegen die +Macht auf, und wir erfreuten uns Alle des Friedens. Könnte man sich manche +Deutschen so dumm denken, daß ein Mann wie Göthe, genährt mit dem Mark der +alten Welt, und in Leib und Herzen und Geist das Mark der Natur, ein Mann, +der für sich gar herrlich wußte frei zu seyn, und sich aus Allem los zu +ringen, so vernagelt, so neidisch, so niederträchtig gelebt und gedacht, +nicht Allen Andern das zu gönnen, was ihm allein nichts helfen konnte? In +Amerika will ich ein Büchlein ediren »der Volksfreund von Goethe,« der +seine ungeheuren Worte frei machen soll. Ja, ich getraute mich, durch +Auszüge und Zusammenstellungen seiner schlagenden und erschlagenden Blitze +ihn gradezu auf eine der beliebtesten Vestungen zu bringen, wenn er nicht +sicher in der Fürstengruft ruhte. -- Sicher? -- Hat man nicht schon gesagt, +er werde wieder hinaus practicirt werden? Weil auch der Staub verschieden +sei . . . . weil auch noch die Feder der todten Taube sich vor der Feder +des todten Habichts krümme, also krümmen müsse. Fahret hin! sprach ich +lachend. Ich fahre auch hin. Aber zur Mitgift auf die Reise stach ich mit +dem Finger blind in ein Buch, dachte dabei an Amerika, blickte dann hin und +las mit Rührung die schöne tröstliche Stelle in Iphigenia: + + »Denken die Himmlischen + Einem der Erdgebornen + Viele Verwirrungen zu, + Und bereiten sie ihm + Von der Freude zu Schmerzen + Tief-erschütternden Übergang; + Dann erziehen sie ihm + In der Nähe der Stadt, + _Oder an fernem Gestade_ -- + Daß in Stunden der Noth + Auch die Hülfe bereit sei -- + _Einen ruhigen Freund_.« + +Ich küßte den Band und ließ ihn wie Honig in einem absterbenden Baume. Die +größte Aufgabe der Indier während ihres Lagers im sogenannten Deutschland +scheint mir die Läuterung des durch die herrschsüchtigen Neu-Römer +verfälschten Christenthums, und so nahm ich als reines Facit nur »D. August +Neanders Werke« und »Reinhards Plan Jesu« mit mir. Von weltlichen Büchern +aber ein Buch -- wozu ein Volk von Gelehrten gehörte, also die Deutschen, +und Jahrtausend alte und reiche Kenntniß es zu schreiben -- eine Bibliothek +in Einem Werke, mit einem Wort: die unschätzbare »Encyclopädie von Gruber +und Ersch.« Wenn einmal ein auf Welt-Unkosten reisender himmlischer +Regierungsrath, oder himmlischer geheimer Consistorial-Assessor käme, und +auf der Erde Schulexamen ihrer Kinder vorgehalten haben wollte, oder Adam +früge: wie viel wissen denn nun meine Kinder durch die Frucht vom Baume der +Erkenntniß; so thäte man füglich am kürzesten, dem Vater Adam oder dem +himmlischen Regierungsrath oder himmlischen Ober-Consistorial-Assessor die +Encyclopädie von Gruber und Ersch als Scriptum der geistreichen Kinder zur +Einsicht und Kenntnißnahme gehorsamst darzureichen. Und der Bericht an die +Weltregierung, das große Ministerium des wahren Cultus, würde glänzend +ausfallen. + +Jetzt Abends brachten mir arme Bürger eine Musik. Ich weiß nicht, ich bin +bei allen Dingen standhaft, sie kommen mir alle noch weltlich, +oberflächlich, menschlich vor. Aber, so wie Musik erschallt, wie Klänge aus +der gewöhnlichen Menschenluft da draußen sich regen und hervorbrechen wie +rosige Blitze aus Wolken, und wie Donnergemurr und Gottes Rede aus Wolken +-- dann bin ich hin, dann bin ich erweicht, und die Geister machen mit mir +was sie wollen, und das Ereigniß erscheint nun geweiht, es geschieht nun im +ewigen schönen geheimen Leben; die Geister des Himmels wissen darum, sie +loben, sie preisen, sie verherrlichen es mit ihren Engelszungen, und nur +mit höchster Überwindung bring' ich's dahin, dazu und darein zu singen, und +wenn mir's gelingt, dann lebe ich mit in dem Leben der himmlischen +Heerschaaren! Und nun sangen sie gar: »Befiehl du deine Wege!« . . . und +mit erhöhter gewaltiger Stimme: »Und ob gleich alle Teufel hier wollten +widerstehn, so wird doch ohne Zweifel Gott nicht zurücke gehn. Was Er sich +fürgenommen, und was Er haben will, das muß doch endlich kommen zu seinem +Zweck und Ziel!« . . . und das Kraftwort: »Mach' End, o Herr, mach' Ende an +aller unser Noth!« -- Da trat der General-Vormund mit meiner lieben +Lehrtochter, der Baronesse, zu mir Einsamen herein. Sie wünschten mir +Glück, sie empfahlen sich meiner Gunst und Vorsorge. Denn er übergab mir +2000 Guineen als Privateigenthum seiner Mündel, das in der englischen Bank +gestanden und den Gläubigern nie mit gehört habe -- nur die Baronie -- und +auf den Fall, daß sie den Gläubigern ganz gehören werde, sollte ich dem +armen Kinde reicher Ahnen, der jungen Baronesse, drüben wieder ein Stück +Amerika kaufen, so groß es für das Geld seyn werde und könne. Kaufen aber +sollte ich jedenfalls; »denn,« sprach der General-Vormund, »in Zeiten muß +Jeder für seinen Fall besorgt seyn. Vorsorge ist die wahre Sorge. Alles +Andere ist Kummer und Noth.« -- Dagegen versprachen sie mir, für meinen +Sohn alles Mögliche zu thun, und meiner -- Strohwittwe Freude zu machen, +die eigentlich nur um des geliebten Sohnes willen dableibe -- und die +Freysingen gab mir ihr Händchen darauf, aber sie zitterte, sie war erröthet +und ihre Augen schlug sie schüchtern nieder und ein Lächeln schwebte über +ihr Gesicht und -- ich segnete sie . . . . . wenn mein Vaterherz sie recht +verstanden hatte, und sie weinte. + +»Ja, es ist ein Elend,« stöhnte der General-Vormund; »die alten Burgen +wäscht der Regen herunter, und auch alle die Herren _von_ -- »»die Herren +von Hab' und Gut«« -- führt der Himmel auch herab unter die +Menschenkinder.« + +Am schwersten schien mir der Abschied von meiner alten lieben Großmutter, +die in dem Alter von 88 Jahren und staarblind in meinem Hause lebte, still +und ungemerkt. Aber er ward mir am leichtesten. Denn die gute Alte segnete +meinen Gang und sprach: »Du hast wohl einmal gehört, mein Kind, daß mein +jüngster Sohn August, um mich als Wittwe zu kränken, von mir gegangen ist +nach Amerika. Das hab' ich aus Rotterdam erfahren. Er war kaum Chirurgus. +Meine Augen waren immer schwach; er wollte mich heilen und sein Mittel +machte mich blind. Da stieß ich harte Worte im ersten Schrecken gegen ihn +aus. Er solle aus meinen Augen gehn! Ich wolle ihn nicht mehr sehn! -- Ich +will Sie nicht mehr sehen, meine Mutter; ich kann es auch nicht! sprach er +und floh. Mein Gesicht kam wieder. Er blieb fort. Nun bin ich blind! Nun +kann er kommen! So lange habe ich gelebt, ihn wieder zu sehen! Und gieb +Acht, er lebt noch, Du findest ihn! Ja, so lange sterbe ich nicht, bis er +kommt. Und Du kommst auch wieder, mein Sohn!« + +Nach Allem endlich schliefen wir zum letzten Male im Hause zusammen. O das +letzte Lichtauslöschen! Das letzte Gute-Nachtsagen! Und die Glockenschläge +der alten Uhr vom alten Thurme! Und das letzte Tagabrufen des +Nachtwächters! O die Welt ist entsetzlich tief und schauerlich! Und das +Menschenherz ist sehr stark, und unzerreißbar von allen Erdbeben und +Stürmen, die unter Gewitterwolken es zittern und klingen lassen von +unbegreiflichen, hinreißenden Melodieen des Lebens. Und die Träume kamen; +die alten Träume, die weinenden, kamen lachend; und die neuen Träume, die +lachenden, kamen weinend! Und ich schlummerte ein wenig, und die Träume +weinten viel, aber die Thränen standen am Morgen _mir_ in den Augen. Und +ich dachte, so ist schon Hunderttausenden gewesen, in alten Tagen und +neuen! So wird noch Millionen seyn, so Gott will. Alle Thüren im Hause +standen offen, als ginge es auf einen großen Jahrmarkt . . . . ich jagte +noch unser Rothkehlchen hinaus in die Freiheit; ich lies den Zeisig aus dem +Gebauer in die Freiheit -- die Katze blieb und der Hund lief mit! Und +sonderbar -- ich schied von Nichts und von Niemand schwerer, als von +Jemand, den ich doch mit mir nahm -- von meiner Tochter! Wohl weil ich sah, +wie sie Mutter und Bruder und Heimath verlor. Man muß die Augen zumachen +wie ein Todter, den man hinausträgt, sprach ich zu mir. Mit offenen Augen +schiede er selber schwer! -- + +»_Du kommst wieder!_« sprach mein Weib zum Abschiedswort, und blieb fest in +der Hausthür stehen, »Komm' wieder, Vater!« sprach mein Knabe, und kroch +mir noch in den Wagen nach, um mich noch einmal zu küssen; -- denn ich +hatte Pfefferkuchen bei mir! + +Ein Wagen ist so dumm nicht erdacht; nach hinten und an den Seiten zu -- +nur nach vorn, nach der Zukunft offen! Die Tochter saß neben mir, mein +Schulmeister gegenüber und mein ältester Sohn, der mich begleitete. Der +Schwager stieß in sein Horn . . . . mein Gott! ich hatte die Nacht noch +Abschied nehmen wollen von Vater und Mutter auf dem Kirchhof -- und nun +mußte ich denken: wir lassen nur Staub hier; was die Todten uns gewesen und +was sie noch sind, das besitzen wir, das sind wir selbst, das nehmen wir +mit. Sie waren auch überhaupt nicht von hier -- sie sind auch noch weiter +ausgewandert! Sie mußten. Wir müssen. Und in den frischen Morgen klang das +Horn in den Wald hinein, in den Gesang der Vögel, den Berg hinan, dann den +Fluß entlang -- und die stillen Wellen reiseten ja alle so Tag und Nacht, +so still nach dem Ocean! Die Morgensonne trat auf die Berge und lächelte +uns an, die große Reisende, die gestern das Land gesehen, wohin wir +wollten, und sie leuchtete uns _dazu_, gewiß dazu! Meine Frau hatte mir ein +Blatt Papier beim Scheiden gegeben, ich entfaltete es; es war ein +Notenblatt, das Lied: »Dir folgen meine Thränen!« Da that ich einen +Morgenschlaf im Wagen, und die Ändern wurden still, und schliefen wohl +auch. O Schlaf! Zwei Augen zu -- und die Welt ist still, und das Herz wird +leicht und rein, als schmölze der Schlaf es ein, läuterte das Gold, und +gösse es nun in die Form des neuen Tages, die ihm die Hoffnung gegeben und +reizend geschmückt. Im bestimmten Nachtquartier fanden wir uns mit dem +Amerikaner und seinem Neger Wilberforce zusammen. Als er auch meine Mirjam +aussteigen sah, schien er sehr froh -- er diente ihr höflich-amerikanisch; +er frug lächelnd: ob nicht der Diaconus mitgekommen? Sie sah ihn an, er +sie; und sie errötheten Beide so flüchtig, wie eine Schwalbe vorüberfliegt. +So kamen wir nach und nach, geschwind genug, durch vieler Herren Staaten, +über Grenzen und Grenzen, durch mannigfarbig bemalte Schlagbäume, erhielten +mancherlei kleines Geld heraus und bekamen nach mancherlei Ellen gemessen. +Wir sahen das Bewegen, das Hinundherregen, das Umherdrehen von Soldaten, +Fuhrleuten, Landleuten. Nur zu einer Übung in allerhand Privatkleidern +sagte der Amerikaner: »Vergessen Sie das nicht!« + +Und als wir so viele mißmuthige, verdroßne Gesichter gesehen, und wenig von +Lust und Freude gehört, sagte er wieder: »Vergessen Sie das nicht! wenn Sie +unsere Gesichter sehen. Kind und Greis sehen einerlei gleichgültig aus, und +innerliche Betrachtungen und Überlegungen hemmen Hand und Fuß und Auge und +Leben. So tanzen wir auch noch nicht. _Die Seele_ ist zu steif dazu.« + +Endlich eines Abends überholten wir in einem dünnen Walde, im Sandweg, +Auswanderer! Deutsche Auswanderer nach Amerika. Scheckige Ochsen zogen +langsam einen Wagen fort, darauf Grabscheite, Hacken, ein Gebund Betten und +kleine Kinder saßen, während die Väter, Mütter, Söhne und Töchter von drei +Familien nebenher zu Fuße gingen. Ein andrer Wagen mit Pferden fuhr die +letzten oder ersten nöthigsten Sachen, Säckchen mit Sämereien und allerhand +Zusammengehäuftes von mehreren Haushaltungen. Wenn Swift ein Gebet über den +Besenstiel verfertigt, so wäre mir gewiß jetzt ein rührenderes »Gebet über +ein Grabscheit« gelungen, deren Eisen mich glänzend anblitzte. Die Leute +gingen anständig gekleidet, aber stumm, wie der Sprache beraubt. Nur eine +Jungfrau frug uns: »Wie weit ist noch Bremen?« + +Dort liegt es ja! antwortete ich selber überrascht. Die Wagen hielten, die +Männer nahmen ihre Mützen ab, Alle falteten die Hände und beteten ein +stilles Vaterunser, ein Walte-Gott, oder ein: Nun danket alle Gott! +vermuth' ich. Nun standen die Thürme der Stadt uns auf aus der Hoffnung, +der hohe Angariusthurm, die Liebfrauenkirche, das Rathhaus, die Domkirche, +die Sternwarte, alles in dem geschmückten grünen Wall umher wie Spielsachen +in dem Raum eines Geburtstagskuchens. Dann die Masten der Schiffe! Seiler +spannen hier Schifsstaue; dort schmiedeten Männer in Hemden große Anker. +Dann umfing uns die enge Straße mit Häusern voll Erkern, über und über vorn +mit Fenstern, wie eine streifige _gläserne_ Weste, die Gott vor Schloßen +bewahren möge. Endlich die lange Brücke, die liebe Weser und das große +Wasserrad. Ein schöner junger Mensch begegnete uns, der unwillkürlich sein +englisches Pferd anhielt, wohlwollend, ja fast zärtlich uns . . . ich +glaube, zumeist meine Tochter, ansah, den Kopf senkte und dann erst still +des Weges ritt. Zufall! Schicksal! + +Denn mein lieber Master Erwin kehrte bei einem Handelsfreunde ein; ich, bei +meinem redlichen, guten, besten Freunde, dem Doctor Professor Weber. Wir +stiegen hinauf, er kannte mich nicht; ich aber wußte, daß er es war, ich +brachte ihm Grüße von meinem Bruder, den ich gar nicht habe -- und nun fiel +er mir um den Hals. Seine schönen Kinder standen um uns und hielten den +Athem an -- meine Tochter hatte er nicht gesehen, und es ist wohl die +eigenste Befriedigung, die schönste Lösung des heiligen Lebensräthsels: +einem Freunde die erwachsene Tochter zu bringen, zu zeigen. Und das gute +Mädchen stand vor ihm befangen, ja gefangen da, wie eine unbewußte +Schuldnerin von unabwehrbarer Neigung und Liebe, die ich dem theuren +Freunde im Herzen bewahrte. Er führte sie zu seinem Weibe, der auch ich +gleich wie ein naher Verwandter war; und meine Augen hingen an seinen +Knaben, wie an Ablegern einer köstlichen Nelke, die der Gärtner bisher nur +immer allein gesehen hat! Und nun hat sie sich verdoppelt, vervierfacht, +verjüngt, verschönt. Er fand mich im Verlieren, ich wollte nach Amerika, +und die Glocke der Freude zersprang. Und so sagte er mir im Vertrauen, daß +sein werther Freund und Gönner, der Graf B . . . . . St . . . . . . . ihm +den jungen, incognito hierher gekommenen Prinzen empfohlen, der neben ihm +wohne und den Titel eines Herzogs in seiner ursprünglichen Bedeutung den +Deutschen auffrischen wolle -- und als Führer der Auswanderer aus seinem +nicht gar großen Ländchen auftreten, da sein Vater sich noch nicht +entschließen könne, dem das Amt eigentlich zukomme. Denn, sage er, mit +einem Schwarm junger Bienen, welche den alten Mutterstock verlassen, und in +die neue, von den Spurbienen gesuchte Bäute schwärmen, zieht nicht ein +junger Weisel, sondern der alte erfahrene Weisel des Stockes, als rührendes +Beispiel für Menschen! Die Herzöge der alten Deutschen seien es auch nur +für die Zeit des Zuges oder der That gewesen, und in dem drüben angekauften +freien Lande möchten ihn die Seinen nun ferner zum Haupt wählen, oder einen +Andern, wenn er nur brüderlich für sie gesorgt, bis wo sie sein und des +Vaters nicht mehr bedürften. Er meine eine große, deutsche, zeitgemäße That +dadurch zu thun, indem er mit Willen und Liebe sich an die Spitze der +Bewegung stelle; aber sein Vater wolle ihn davon abhalten, und werde dieser +Tage in Bremen eintreffen, »um den so guten, edlen, feurigen, jungen Sohn +auf gute Weise zurückzuführen und wieder einzuspannen in den alten schweren +Wagen von Europa, von dem Niemand wisse, wohin er fahre, nur wie schlecht +der Weg sei --« wie er selbst ihm geschrieben. Übrigens lagern Tausende von +Auswanderern so eben jenseits der Altstadt, nach Elsfleth zu, die ich +lieber sogleich gesehen und ausgefragt hätte. Da kam der junge Prinz +gesprengt, er sprang ab, er kam herauf, und überrascht, uns . . . . ich muß +es sagen . . . . meine Mirjam hier zu finden, sah er noch einmal so +schwärmerisch schön aus, seine Augen leuchteten, aber seine Anrede +verwirrte sich, selbst sein Gruß stockte, seine Frage blieb aus, und er +schlug die Augen wie ein Mädchen zur Erde. Im Geiste hatte er schon seinen +Titel abgelegt, und dem gewünschten Incognito gemäß, lernten wir ihn nur +als Herrn _Leuthold_ kennen! Leuthold -- Publicola -- der Name machte mir +ihn werth; und als er nun hörte, daß ich die armen Einwohner von zwanzig +großen Dörfern hinübersiedeln wolle, überschüttete er mich mit einer Masse +von wohlgegründeten Nachrichten aus redlicher Männer Munde, drückte mir die +Hände, und es ward verabredet, das Lager der Auswanderer gegen Abend zu +besuchen, und auf dem Pianoforte spielte er mir den unvergleichlich +rührenden »_Gesang der Pilger_« aus Hasses Pilgerinnen vor, und sang dazu +mit feuchten Augen und bebender Stimme. Ungern schied ich indeß. Denn ich +hatte die eben angekommenen sechs Freundinnen meiner Tochter +unterzubringen, die sich drüben vermiethen wollten. + +Gegen Abend also gingen wir dann. Ich mit dem Freunde; der Prinz führte +meine Tochter und sprach in seinem Feuer mit edlem Anstand zwar, doch wenig +verhalten zu ihr -- als uns der Amerikaner begegnete und als Freund sich +uns anschloß. Er gesellte sich aber zu mir, ging mit mir hinter dem Paare, +und sahe ernst und blaß aus und sprach nicht, und sahe bisweilen murmelnd +lange starr zu Boden, als schimmere ihm unter der Erde ein großes Buch, +dessen Schrift er mit Gewalt entziffern wolle. Der immer vorsichtige Mann +stolperte jetzt sogar. Zuletzt trug er, wie ich wohl bemerkte, erst Eine, +dann beide geballte Fäuste in der Tasche. Wilberforce, sein Neger, sahe, +wie ein treuer Hund nach dem Jäger sieht, gespannt nach den Augen seines +Herrn. Er frug endlich, doch leise, meinen Freund, wer der junge Gentleman +sei, der die Miß vor ihnen führe. . . . . . »Der Prinz . . .« sagte ich +ihm, zwar leis, doch etwas unvorsichtig, und er hörte es kaum halb, als ihm +recht wohl schien. Es stand ein Lächeln auf seinem Gesicht, das ganz Europa +weglächelte, ein kostbares Lächeln, das mich hinriß. Aber meine Tochter war +noch Gänschen genug und noch von keinem Prinzen und so verbindlich geführt +worden, und ich als Herr Vater und Unterthan steckte auch noch so tief in +der Eselshaut, daß ich keine Scene, besonders nicht gleich und hier auf der +Straße besorgte. Der schätzbare Master Erwin aber nahm mich unter den Arm, +hielt mich zurück, als wolle er mir etwas zeigen; und als die Übrigen +voraus genug waren, frug er mich ehrerbietig und lüftete den Hut dazu: +»Wollen Sie mir Ihre Tochter gönnen?« + +Wie so? -- frug ich. + +»Zur Hausfrau! -- meine ich.« + +Ich wußte, wie meine Tochter dachte und fühlte. Ich gestand ihm das; aber +auch, daß sie ihm, daß sie der je ihr eignen und freien Neigung entsagt -- +weil er Sclaven -- hundert -- fünfhundert Sclaven habe. + +Der Mensch in dem Amerikaner, in dem Kaufmann und reichen Plantagenbesitzer +ward roth. Er preßte die Lippen zusammen, blickte mit starren Augen ein +inneres Bild vor seiner Seele an, und sprach dann: »Schon gut! meine ich. +Also Sie meinen sonst Ja?« + +Ich zuckte, eigentlich wunderbar froh die Achseln und meinte: Ja! + +Da verließ er mich, ohne Übereilung, ging dem guten Prinzen zur Seite und +sprach: »Wollen Sie mir nicht erlauben, meine Braut zu führen?« + +Da ließen die Arme der beiden unschuldigen Kinder sich los. Mein Kind war +blaß, so viel ich sehen konnte, sie stand ein wenig vorgeneigt, mit +gesenktem Antlitz, und hielt ihre linke Hand leicht über die Augen, ihre +Lippen standen geöffnet, als wäre eine Rose plötzlich aufgeblüht. + +. . . . Das habe ich nicht gewußt; -- stammelte der Jüngling. + +»Ich auch nicht! Aber Sie wissen es jetzt;« sprach der überraschte und +überraschende Bräutigam. + +Der Jüngling trat zurück. Die Braut ließ sanft und langsam ihre Hand von +den Augen sinken, und ihre großen Augen sahen einen wunderbaren Augenblick +nach mir zurück; dann sah sie vorwärts, sah nicht den Bräutigam an, der den +gesenkten Arm anständig an den seinen nahm. + +Und nun gingen wir -- schweigend bis ganz in die Nähe des friedlichen +Lagers. Da hörten wir singen, blieben betroffen stehen, und hörten nach +rührender Weise in Moll ganz deutlich die Worte: + + »Nun wandern wir mit Thränen aus, + Von Bergen und von Thal! + Die Erde ist ein großes Haus + Mit manchem Saal! + Du Sonne, kommst mit über's Meer + In jene beßre Welt; + Du Mond, du schiffst still nebenher + Am Sternenzelt. + + Der Boden zieht sich unterm Meer + Dahin, in sichrem Band; + Und drüben hebt er sich so hehr + Als freier Strand! + Da drüben blüht der Frühling auch + Im alten Himmelreich; + Die Erde hält den alten Brauch -- + Bleibt Euch nur gleich! + + Habt Dank, Ihr Brüder, nah und fern! + Ihr halft uns Alle gern; + Habt großen Dank, Ihr großen Herrn, + Habt Dank, Ihr Herrn! + Ihr Flüsse habt den schönsten Dank + Für eure klare Fluth; + Doch euer Trank, der macht uns krank, + Ihr meintet's gut! + + Nun sind wir Furcht und Qualen los, + Wir werfen Alles ab; + Und glückt uns Nichts -- im Erdenschooß + Bleibt uns das Grab! + Drum angenehme Ruh! Glück zu! + Nun Alle gute Nacht! + Haus, Bäume, Feld und Pferd und Kuh -- + Es ist vollbracht! + + Viel thaten wir mit unsrem Arm, + Viel tausend Städte stehn! -- + Der Korb ist nicht der Bienenschwarm. + Sie stehn -- wir gehn! + Wohl hundertmal jed' Beet mit Fleiß + Umpflügten wir mit Muth -- + Das Land ist naß von unsrem Schweiß, + Von unsrem Blut. + + Manch Schlachtfeld deckt die Väter zu, + Der Todten morsch Gebein! + Drum laßt uns ziehn in Fried' und Ruh, + Uns unser seyn! + Nicht hundert Jahr, so kommen wir + Zurück zu Euren Gau'n, + Und wie's Euch geht, geloben wir, + Mit Ernst zu schau'n!« + + * * * * * + +So etwas hatte ich noch nicht gehört auf Erden, gedachte aber an das Lied: +»An Wasserflüssen Babylon.« Die Leute, die gesungen, schwiegen kaum, als +wir von einer andern Seite her schon den Ausgang eines andern Liedes +vernahmen, das junge Burschen in lustiger Weise sangen: + + »Nun schnürt die letzten Lumpen ein + Und macht ein groß Gebund! + Schnürt Sonne, Mond und Sterne drein! + Und bleibt nur fein gesund! + + Vor allen schnürt die Hände ein! + Und Kopf und Herz und Mund! + Ein Hüttchen wird schon drüben seyn, + Das glaubt sogar mein Hund!« + + * * * * * + +Einer von ihnen wollte jetzt das bekannte Lied anstimmen: »Was ist des +Deutschen Vaterland?« -- als Andre ihn unterbrachen und frugen! Ist das +noch nicht aus? -- und Einer wollte in das Lied eingestimmt haben: »Wer +weiß, wie nahe mir mein Ende?« -- Mädchen kamen uns entgegen gesprungen, +welche schon einen Maikäfer gehascht und wieder fliegen lassen, und aus der +dreißigjährigen alten Noth dazu sangen: + + »Flieh, Käfer, flieh! + Dein Vater ist im Krieg, + Deine Mutter ist in Pommerland -- + Pommerland ist abgebrannt -- + Flieh, Käfer, flieh!« + +Die Knaben aber sangen ein andres, mir unbekanntes, schwermüthiges, treues +Lied, auch aus Moll, was »die Schwalbe« hieß; denn unter diesem Titel +forderten es von den andern Kindern zwei liebe, schöne Knaben, beide wie +Brüder gleich gekleidet; beide gelbe Strohhütchen auf, beide blaue Jäckchen +an, beide weiße lange Hosen und beide baarfuß. Sie sahen gesund, aber +kummervoll aus. Und die andern Kinder wollten es, manche dem Anselm, manche +dem Wilhelm zu Liebe mitsingen; die Brüder selber sangen nun, hell und bang +herauszuhören aus dem lieben Knabengesang: + + Du, meine liebe Schwalbe, + Ziehst weit nun über's Meer, + Siehst meine Heimath wieder -- + Ach, wenn Ich doch -- _Du_ wär'! + + Ich baut' an Mutter's Fenster + Mein Nest mir einsam, leer; + Ich säng' ihr meinen Kummer, + Wenn Stille um uns wär'! + + Da spräch' sie einst zum Vater: + »Das Lied macht mir so schwer! + Ach, fange doch die Schwalbe, + Und bringe sie mir her!« + + Da laß ich mich ihn fangen; + Die Mutter küßt mich sehr! + Drauf soll ich wieder fliegen -- + Da bin ich schon nicht mehr! + + Da steht sie tief betroffen, + Denkt bang an mich und schwer, + Begräbt mich bei dem Weinstock, + Der sagt ihr: daß Ich's wär! + +Jetzt hatten wir Stimmung! Das Herz war uns schwer, und wir begriffen, wie +den Abgeschiedenen zu Muth war, die mir so eigen bedürftig, so eigen +heimathlos vorkamen, wie den Schiffern die müden Vögel, die vor Hunger und +Müdigkeit ohne Menschenfurcht sich auf dem Fluge über das Meer in die +Segelstangen setzen, sich ausruhen, auch wohl schlafen und im Schlafe vom +Morgen träumend singen! -- O Natur, du bist unter allen Masken nur Eine, +voll Leid und Freude und Trost und Hoffnung immer und überall. + +Darauf gingen wir hinter in den grünen Raum, wo die deutschen Auswanderer +lagerten, theils in offen stehenden leeren Magazinen, Scheunen, theils auf +dem Platze davor. Es ist unmöglich, zu leugnen, daß der Anblick ergriff: +diese kraftvollen, rüstigen Männer, diese gesunden, auch schönen Weiber und +rosigen Jungfrauen, diese Knaben und Mädchen, diese kleinen Kinder in +Bettchen hier, dort auf Strohe liegend, und von den kleinen Schwesterchen +gewiegt, herumgetragen, oder im Schlafe bewacht von einem treuen Hunde, der +wie aus dem Schlaf die Augen nach uns richtete, aber die wohlwollende Seele +in den unsern erkannte, nicht anschlug, nicht knurrte, sondern ruhig wieder +die Schnauze hinstreckte. Auch alte Männer mit weißen Haaren saßen da, +welche, kaufmännisch betrachtet, doch kaum die paar Thaler für die +Überfahrt werth waren, und welche doch -- wie die Türken in Constantinopel +sich drüben in Scutari begraben lassen -- auch drüben wollten begraben +seyn. Sie schnitzten Löffel, auch nur Spielsachen für die Kinder. Hier und +da hing ein Ochse oder eine Kuh, welche für ihre Mühe: die Wagen hierher an +das Ufer zu ziehen, geschlachtet und für die Seereise in Fässer +eingepöckelt wurden. Selbst einigen Ziegen war es so gegangen, die räuchern +hingen, und ihre gehörnten Felle nicht weit davon zum Trocknen. Andere +Ziegen mit schwellenden vollen Eutern, von den Jungfern mit Gras gefüttert +und eben gemolken, sollten den Kindern auf der See frische Milch geben, und +es drängte mich, den Weibern zu lehren, wie sie auch Milch aufbewahren +können. Kessel kochten das Abendessen über Feuern; im Strom gefangene +Fische zappelten auf dem Rasen noch ungeschlachtet. Wasserkrüge und kleine +Trinkkrügchen standen bereit. Alle waren anständig gekleidet, Manche +vielleicht aus Armuth sonntäglich. + +»Welche Wehmuth geht von dem Raume aus!« sprach der Prinz. »Hier schaut man +unleugbar: Ganz gewiß ist etwas vorgegangen, ganz gewiß ist diesen Menschen +etwas Unleidliches geschehen, ganz gewiß hoffen sie Erlösung, eine bessere +Zukunft, als sie hier abwarten und mit durchleben wollen, daß wir diese +Tausend und schon Legionen und noch Legionen hier am Eingang des Meeres +sehen! Etwas ganz gewiß. Das ist unleugbar. Etwas, dem Niemand helfen kann +oder will. Denn menschliche Geduld ist -- übermenschlich, oder deutsch. +Ach, wer in alle die Herzen sehen könnte! Diese Menschen sind nur -- +heilige Meerschweine, die auf die Oberfläche der See kommen, wenn Sturm +soll kommen! Sie sind Sturmvögel! Oder fliegende Fische, die nicht vor +Vergnügen . . . . sondern, dem Tode zu entgehen, vor Angst vor einem oder +vielen kleinen Haien, sich der ihnen von der Natur aus Vorsorge zu Lehn +gegebenen großen Flossen oder Flosse -- der Schiffe -- bedienen. Sie sind +Männchen im Mantel, die aus dem Wetterhäuschen bei schlechtem Wetter +herauskommen, und von der gekrümmten Darmsaite gezwungen, sich herauswinden +müssen. Denn welche Schnecke bleibt nicht gern in ihrem Hause? Welcher +Fuchs ist so dumm, aus der Haut zu fahren, als wenn sie aufgeschnitten ist +und er gebrannt und geprellt wird. Der Mensch ist nicht dümmer als das +Vieh, aber _am Ende_ auch so klug und so tapfer. Ja der Zahnarzt, der +keinen Zahnarzt findet, nimmt sich in der Angst selbst einen Zahn aus, und +je weher er sich selber thut, je lieber er sich selber zur Thür +hinauswerfen möchte, je gewaltiger ruckt er an seinem Zahne, bis er +hinausfliegt. Kurz, hier schmerzen die Zähne, oder die Herzen. Herzensweh, +größtes Weh!« sprach er und schlug die Augen nieder. Meine Tochter auch, +die dem von Wohlwollen leuchtenden Jüngling mit feuchten Augen zugesehen, +oder zugehört -- ich weiß nicht. + +Mein ehrwürdiger Prinz -- wollte ich sagen -- aber durfte nur sprechen: Sie +einziger, theurer Herr Leuthold, wie ungern gebe ich Ihnen Recht -- +verzeihen Sie, es ist höchst unrecht und unanständig, vornehmen Leuten +Recht zu geben -- Furcht und Hoffnung treibt und jagt die Welt. Indeß, was +Jeder, oder was Alle hoffen oder fürchten, ist nach der Bildung des Geistes +und Herzens eines Jeden verschieden, und stuft sich ab von Brot bis zur +Freiheit, von Qual bis zu Kälberbraten und Salat. Indessen wäre es doch +höchst wichtig, selbst den Höchstwichtigen, zu wissen: was diese fliegenden +Fische oder Wettermännchen fürchten oder hoffen, oder hoffen _und_ +fürchten. Wir wissen es so ziemlich gewiß, aber ob auch Diese? Doch das +Volk weiß Alles wahr und klar, durch handgreifliche Dinge, und beurtheilt +die Saaten und die Bäume nach Garbe und Frucht; die Graf Magnische Wolle, +Electoral- und Königlich-Spanische Wolle beurtheilt es aber blos nach dem +Rocke -- den es selber tragen kann! + +»Rem acu tetigisti! Sie haben den Schaden mit der Sonde berührt, und er +schmerzt mich!« versetzte Herr Leuthold. Mein Schulmeister Tolera hatte +schon Bekanntschaft unter der Menschenheerde gemacht, und er zeigte uns +Studenten von verschiedenen Universitäten, die, wie er uns erzählte, statt +Doctoren zu werden, mit dem Gelde von ihren Ältern, theils ohne . . . +theils daß diese es wußten, und zufrieden waren, nach Amerika auswanderten. +Sie wollen auf einer Nordamerikanischen Universität studiren, oder drüben +Garten-, Vieh- und Menschenzucht betreiben, und haben sich schon die +haltbarsten, schönsten Mädchen hier ausgesucht, die ihnen die Ältern nicht +abschlagen wollen. Ich begreife gar nicht, wie aus altem Holze schon neue +Triebe wachsen, wie man auf der Reise an's Heirathen denken kann. Freilich +paaren sich Störche, Amseln, Kraniche und Schwalben, grade ehe sie +fortziehn -- wie die fortgeschickten Polen in Danzig alles von der Straße +wegheiratheten. So wundre ich mich nun nicht mehr so sehr. Vorhin war ein +Herr hier, der frug einen Professor, der auch mit auswandert: »Das sind +wohl eigentlich alles Pracken?« Gewiß, versetzte der Professor; aber es +bleibt dabei die Frage: ob sie geprackt worden, oder ob sie geprackt haben +-- alle Andern, alle Solche wie Sie, und Sie nicht ausgenommen. Dabei +kehrte er ihm den Rücken. Tolera brachte uns aber eigentlich nur die beiden +Knaben, die vorhin das Lied von der Schwalbe gesungen, und winkte sie +näher. Sie kamen, die gelben Strohhütchen in den wie zum Beten gefalteten +Händen, waren bildhübsch, und der Älteste, der Anselm, sprach: »Ach, liebe +Herren, Alle oder Einer, unser Vater ist blos über dem Wasser hier drüben, +in einer großen Stadt, die Kentucky heißt; unsre Mutter hat sollen +nachkommen, sie ist aber gestorben, und nun lacht uns jeder Schiffscapitain +aus, wenn wir ihn bitten: uns ohne Geld mit hinüber zu nehmen. Erbarmen Sie +sich, Einer oder Alle, unsres Vaters, der wird sich doch gar zu sehr +freuen! Ach, und das ist ein rechtes Unglück, man kann drüben nicht mehr +die Überfahrt abverdienen, wenn Einen der Capitain dafür auf ein paar Jahr +vermiethet, das hat der drübensche Congreß verboten! Ach, wenn der Congreß +uns sähe am Ufer stehen, er wäre ein barmherziger Amerikanischer Congreß! +Aber die Congresse sind so weit von uns, so unbarmherzig und hart und wie +blind, daß sie uns arme Kinder freilich nicht hier stehen sehen können! +Aber Sie sehen uns stehen, beste Herren! Oder wenn Sie kein Geld haben, +oder an uns nichts wenden wollen, befehlen Sie nur einem Capitain, daß er +uns mitnehmen muß! Schreiben Sie es mit ihm nieder, daß er mich drüben +verkaufen muß, für mich und meinen Bruder, den armen Schelm! Ich will Gutes +thun. Indeß wachs' ich noch größer. Und wenn ich meinen Vater erst in zehn +Jahren sehe, so sehe ich ihn doch einmal und mein Bruder auch.« Die Kinder +faßten vor Freude sich schon bei den Köpfen. + +Master Erwin sagte uns, daß alle europäische Contracte in der Union gar +nichts gelten, und warnte uns. Meine Tochter schien ihn zu bitten, den +lieben Knaben die Überfahrt zu bezahlen, als sie der Prinz schon beide an +den Händen ergriff, und zu einem Capitain führte, der jetzt aus einer +Scheune kam. Ein sonnegebräunter, kerniger, hoher Mann im blauen Frack und +langen, weiß und roth gestreiften Hosen und Schuhen, einen dreieckigen +langen niedrigen Hut die Quere auf dem Kopfe, wie ein kleines schwarzes +Boot. Er gab jedem der Knaben darauf eine Karte aus seiner Brieftasche; und +ohne vor Freuden sich nur zu bedanken, sprangen sie fort und rissen vor +Eifer im Laufe andere Kinderchen um. Der Prinz kam still wieder zu uns. +Master Erwin, oder nun mit Gott denn: mein Schwiegersohn, hatte indeß ein +Gespräch mit mehreren Auswanderern angeknüpft, deren Einer ihn jetzt als +Amerikaner auf sein Gewissen frug: + +Also freies Raff- und Leseholz können Sie uns gewiß versichern? + +»Auf fünfhundert Jahr vor der Hand, meine ich.« + +Der Kreis sahe sich froh an. Eine alte Frau rieb sich den Rücken und +seufzte: Da werde ich also nicht krumm und lahm geprügelt. -- Mein Gott! +wie bist Du doch gnädig da drüben über dem Wasser! Hier war es wie's war! + +Und ein Anderer frug wieder: Herr, ich habe wegen Angeln und Krebsen vier +Jahr gesessen, und bin freilich ein Liebhaber, aber auch ein armer Teufel +-- wie steht es da drüben? + +»-- Freier Fischzug in allen Flüssen und Seeen. --« + +Der Mann machte eine besondere Geberde, die aber uns nicht galt, zog einen +alten Jäger herbei, und frug weiter: Der hier hat, als streng angewiesener +Grünspecht, einen oder ein paar Wildschützen erschossen, die einen Hasen +nicht haben herausgeben wollen -- ist dort Wildpret genug? Denn, lieber +Herr, wo jeder Bauer den Garten voll Pflaumenbäume stehen hat, da stiehlt +kein Kind eine Pflaume. + +»-- Freie Jagd und Wildpret in Unzahl. Geflügel in Unzahl. Maisvögel, +Truthühner, Tauben.« + +Da möchte man sich das Leben nehmen! seufzte der alte Jäger, dessen Augen +und Wesen deutlich verriethen, daß er dem Wahnsinn und einer schrecklichen +That an sich selber ganz nahe stand. + +Aber Wiesewachs, Futter für die Kühe! Wie viel Stunden weit hat man wohl in +das Gras? und wächset auch welches? + +»-- Liebe Frau, da wird ihr der Rücken nicht weh thun. Die Kühe hinaus! und +wenn Ihr hundert habt; und welche ihr melken wollt, die ruft Ihr bei Namen. +Aber einen Namen muß sie haben. So macht Ihr es auch mit Euren hundert +Schweinen, und Ihr ruft nur: Komm, laß dich schlachten! Ich lüge nicht, so +mach' ich es, so machen es tausend Nachbarn noch hundert Jahr . . . Ein +Pfaffe hat Europa verdorben, und das Schwein verdirbt Amerika. Haltet keine +Schweine, damit ihr keine Schweine werdet; denn auf dreimal Schinken den +Tag, setzet Ihr auch vielleicht dreimal Whisky und Rum.« + +Ach Gott! nur zu Weihnachten ein Schweinchen! schmunzelte eine Frau. + +»-- Schlachtet Ochsen! --« + +Ach, der liebe Gott ist doch sehr gnädig da drüben über dem Wasser! Hier +war es mit den Ochsen nicht recht richtig; stöhnte die alte Frau und sahe +ganz jung aus vor Freude. + +Aber, aber! sprach ein alter Mann: Ich habe Zeitlebens gearbeitet wie mein +eigener Sclave, und habe Nichts, als diese Jacke auf dem Leibe, weil Arbeit +uns hier nicht mehr nährt, Alles der bösen Nachbarn wegen, des Krieges +wegen, der Schulden wegen, der Furcht wegen! Was wollte ich noch fragen? +Ja! -- Sind drüben gute Nachbarn? Sonst kehre ich heim. + +»Das Weltmeer ist der schlimmste und beste Nachbar; übrigens ist dort kein +Papst, kein Kaiser, kein König auf weit und breit. Friede und Brot!« sprach +mein Schwiegersohn. + +Friede und Brot! wiederholte der alte Mann; und drei alte Weiber sprachen +nun wie die drei Eumeniden wieder im Chor: Mein Gott, wie bist Du doch +gnädig da drüben über dem Wasser! + +»_Meine_ Söhne!« rief hier eine Mutter zu ihren vier Jünglingen. »_Meine_ +Söhne!« sprach eine andere Mutter zu ihren Sechsen. »_Mein_ Sohn!« rief +eine dritte Mutter. + +»Ja, Euer seid Ihr dort!« sprach mein Schwiegersohn; »selber das ganze Land +oder Reich, nämlich die souveraine Republik, ist dort Euer, und selber der +Präsident, der bloß Euer Vorsitzer ist. Ohne Erbe ist kein Erbfolgekrieg; +ohne Furcht vor dem Volke ist keine Unterdrückung, ohne Schulden sind keine +Zinsen, ja, es ist die bitterste Wahrheit: in wenigen Jahren muß Jeder bei +uns von der Regierung alle Jahre Etwas heraus bekommen an Gelde!« + +Und die drei Eumeniden sprachen wieder: Mein Gott, wie bist Du doch gnädig +da drüben über dem Wasser! + +»Ihr habt Recht!« sprach er, »aber vergeßt nicht: blos Europa hat es +dadrüben gut gemacht! Alles, was man hier im Geiste gesehn und gewünscht, +das wird da drüben in Wahrheit; was man hier verwünscht hat, das bleibt +hier begraben. Drum tretet dankbar und leise auf das heilige Grab und +segnet es hier und noch drüben!« + +Und es war wunderlich anzusehen, wie Einige leise und schonend auf dem +heiligen Boden des Vaterlandes -- des Mutterlandes der Freiheit -- fort zu +den Ihren schlichen. Mir quollen die Thränen in den Augen. + +Herr Leuthold aber drückte meinem Schwiegersohn die Hand, daß er +Deutschland gepriesen als die saure Rebe der süßen Traube. Das Lager der +Auswanderer hatte den tiefsten Eindruck auf ihn und uns Alle gemacht. Und +diese ihre erzwungene Muße, dieses große Müßigsein voll stiller Geduld und +schönen Zutrauens war allerdings ein eigener Zustand der Menschen auf +Erden, in deren Leben wir einen tiefen, düstern und erfreulichen Blick +thaten. Diese hier sangen, andre wuschen die Kinder, noch andre aßen, alles +in herzlicher Eintracht. Einer theilte dem Andern mit, was er hatte, und es +that ihm nur leid, wenn es ihm fehlte, und er sprach wohl freundlich zu +ihm: Bruder, das habe ich nicht! und ein Nachbar hatte es gehört, rief ihn +und sprach: Bruder, ich habe noch, komm! So wurden die Verschiedenen zu +Einem. Denn gleicher Wille und gleiches Ziel verbinden die Völker. + +Es war noch Zeit, unsre Arche, das Schiff zu besehen, das mein +Schwiegersohn gemiethet. Wir fuhren zu Wasser hin. O so ein Haus! So ein +großer verständiger Fisch! Wie sauber Alles. Und die goldenen Sterne, 27 +Sterne, für jeden Freistaat ein Stern in himmelblauem Eckfelde der roth, +blau und weißen Flagge. Seine Flügel schliefen. Die sauberen Räume standen +noch leer. »Es ist nicht groß, darum geht es nicht tief, und kann überall +eher ans Land;« sagte mein Schwiegersohn; »es ist neu, also wird es der +Capitain nicht mit Willen stranden lassen, um die versicherte Prämie zu +gewinnen. Ich habe es ganz gemiethet, es faßt 150 Menschen, und so kostet +Jedem die Überfahrt ohne Essen und Trinken nur 30 Thaler. Sie kommen mit +nach New-Orleans, um Florida zu sehen, das man so rühmt, und dann den +Todtenstrom, den Missisippi hinauf, auf einem der Dampfboote, nach +Kentucky, Ohio und wohin Sie wollen.« + +So hatten wir denn, wie die Kinder, schon in der Kutsche gesessen, die noch +ohne Pferde steht. Abends aber führte uns Master Erwin in die Versammlung +der verarmten Rittergutsbesitzer, denn wohl zwanzig Familien hatten seiner, +auf des Vaters Befehl gethanen Einladung, mit Freuden Folge geleistet. Sie +wohnten alle in der Nähe, sie waren versammelt, sie lernten ihn kennen, wir +sie. Unter den merkwürdigen, anständigen, mitunter schönen Gesichtern und +den unleugbar sich auszeichnenden Gestalten der Männer, Frauen, jungen +Herren und Fräulein, und unter den mannigfachen Reden der Verdrossenen, +Neu-hoffenden, vergesse ich nie die Valet- oder Standrede des Adels, welche +ein launiger alter Herr hielt, welcher sich selbst den Herrn von Habenichts +nannte. Unter andern sprach er: »O Don Colibrados, und alle Ihr Colibraden, +kommt mit! Was Ihr einmal waret, begreift Niemand, Ihr selber nicht mehr! +selbst Euren Namen nicht. »Wir sind vom Geschlecht der Colibraden!« Das +Wort mußte uns Spannung geben. Für den Schein mußten wir alle Wahrheit +opfern! Pferde, Spiele, Bälle. Wir tanzten wie ein gewisses fettes Thier +vor Angst auf den heißen Eisenstäben. Denn der Güterhandel, der +Pferdehandel, der Holzhandel, der Wollhandel, der Getreidehandel, kurz alle +Handel und Händel brachten uns zum Tanzen. Was waren wir noch? Sequester +der Juden! Sclaven unserer Schaafe und Ochsen. Und nun sollten unsere +Junker _lernen!_ Lernen, was andere Menschen, die Krety und Plety, wissen +und können; unsere Fräulein sollten Bürger heirathen -- blos um das einzige +Wörtchen _von_ im Stillen zu behaupten! Das sei Gott geklagt. Wir werfen +das einzige Wörtchen »_von_« von uns ab, als den alten schweren Harnisch, +verlassen die hohe Region, erwerben im Thale des Lebens für unser letztes +Hab und Gut große Güter, und nennen uns heimlich, bis wir es sind, »die +Herren _von_ -- Europa.« Und sind wir nicht dennoch die Vorbilder des +Volkes gewesen? Und haben wir es nicht vortrefflich gehabt, so lange wir es +gewesen? Haben wir Edlen nicht alle wilden Schweine, Hirsche, Rehe, alle +Hasen, alle Rebhühner und Lerchen gebraten und gekocht, alle Hechte, +Karpfen, und Krebse gegessen, bis wir dem gemeinen Volke den Mund wäßrig +gemacht, und alle das liebe Wild ihnen verkauft, um Kutschen und Kleider zu +kaufen. Sind wir nicht Keiler, Zehnender, Hasen, Bretklötzer, Hechte u. s. +w. über und über? Ja durch und durch! Und unsere Burgen und Zimmer, haben +sie nicht nun Alle? Was wir tragen, trägt es nicht Jeder? Was wir wissen, +weiß es nicht Jeder? Wie wir ohne Steuern und Gaben zu seyn wußten, will es +nicht Jeder? Haben wir uns nicht gegen den hohen Adel gestemmt, und ihm +Alles abgetrotzt? Kurz, durch uns Muster und Modelle sind nun Alle im Lande +Edelleute geworden, ja sie wollen sogar edle Leute seyn! Und so sind wir +die Steinplatte mit der ersten, so so gezeichneten Menschengestalt gewesen, +welche man tausendfach abgedruckt hat, die aber selbst darüber abgenutzt +und verwischt worden bis zum Unkenntlichen, hoff' ich. Das war nobel! hoff' +ich. Und unser Lohn ist, der Abschied eines Dieners, oder eines Herrn, der +sich unnütz gemacht hat -- eines Stockes, der durch Lehre und Zucht der +Schulknaben zu kurz geworden -- eines Flegels in genere, der durch Dreschen +abgedroschen ist, und in der Scheune verloren dahängt, als sein eignes +Monument. O Welt, wie schön bist du, wie dankbar! so daß dein größter Dank +für die Größten und Edelsten grace, der himmlische Dank ist: daß sie darin +überflüßig, verachtet, verspottet, zum alten Flegel werden, vom seligen +Herrn von Habealles, allmählig zum Herrn von Habewas, bis endlich zu meines +Gleichen: den seligen Herrn von Habenichts! Und so danke ich allen meinen +Ahnen, die das vollendet, -- allen Schatten der nobelsten Geschlechter +danke ich hier in dem Einen schwarzen Schatten, der von mir an der Wand +schwebt, als letztes concretes und concentrirtes Bild unsrer edlen Kaste, +ich gehe hin und küsse ihn dreimal laut: Dank! Dank! Dank!« + +Und so that der herrliche fröhliche Mann wirklich, ging hin und küßte den +Schatten »mit dreimal Dank.« Und mit sonderbarem Gefühl wischte er sich den +Kalk der Wand von den Lippen, setzte sich und sprach: Nun sage Niemand +mehr, daß Einer sich nicht selber küssen kann! Sie meine Herren und Damen, +sind männiglich Zeuge! Und männiglich sind Sie, daß Sie mich nicht etwa +erzürnt zur Thüre hinauswerfen, sondern so edel, so gescheidt, so +politisch, so habsüchtig, daß wir in genere die Landstraße zu Wasser nach +Amerika einschlagen wollen und werden. -- + +»Sie lachen! Alle! Sie lachen heiter! Sie haben überwunden;« sagte mir der +liebe Leuthold ins Ohr. »Es wäre vielleicht doch nicht gut, ein ganzes +Ländchen mit allen Ständen und Ständchen hinüber zu setzen! Wer drüben +leben und denken, unbillig leben und denken will, der bleibe gleich lieber +hier und leide sich und Andere! Man dürfte nur »Constantinopel wie es ist« +-- »Venedig wie es ist« -- »Wien -- Rom -- wie es ist -- Neapel -- Baiern, +wie es ist« -- nach Amerika hinüber versetzen, und ganz Amerika wäre auf +immer verdorben! Und das verdorbne Europa auch! Ich fange an, Nord-Amerika +für eine Art wohlgedeckte große Freimaurerloge anzusehen, wohin man nur mit +Schurzfell und Kelle kommen darf. Diese Erfahrung hier wird meine +Übersiedelung stark berichtigen! Aber sehen Sie nur, was Herr von +Habenichts auskramt!« + +Ich sah. Dieser breitete eine große Charte von einem kleinen angekauften +Ländchen aus, und zeigte Jedem sein neues Gut, oder doch Habe. »Für den +Rest, den Ihr auf Eure Schulden herausbekommen, für die 5000 Thaler etwa, +habt Ihr Jeder so viel Erde dort wieder, als Ihr hier niemals besessen -- +Teiche, Wälder, Wild! Für den Werth des Holzes in Wien oder Berlin kauftet +Ihr hier ein Fürstenthum; aber thut es ja nicht! Denn dort müßtet Ihr +verhungern, wenn Ihr das schöne Mahagoniholz nicht verbrennen wolltet zu +Acker, da die Bäume keine Brotbäume sind. Aber Menschen -- denn mit +Erlaubniß, so nenne ich Euch jetzt, pflanzt Pisang! Pisang! Denn ein Stück +Land, das mit Euren vermaledeiten Kartoffeln bepflanzt, nur Adam und Eva +nährt, das nährt, mit Pisang bepflanzt, ein halbes Hundert. Ihr seht also, +daß Ihr die alte Bärenhaut mitnehmen könnt, um dort mit den Händen so viel +auszuruhen, als Ihr hier mit dem Kopfe habt arbeiten müssen. Jeder findet +sein Haus, und gefällt es Euch nicht, wie vermuthlich nicht -- doch ein +Blockhaus ist kein Stockhaus, sondern nur einstöckig -- so baut Euch Ein +Schloß auf der Stelle, wo alle Eure Grenzen zusammenstoßen -- einen großen +Boarding, ein Gemeinlogis, schämt Euch des Namens nicht! Denn ein Gut, +wovon nicht Jeder das Gleiche besitzen und brauchen kann, ist ein wahres +Übel, wie unsere _Güter_ waren, welchen Namen ein alter Prophet +aufgebracht, um uns einmal -- das heißt jetzt -- den Stolz zu benehmen. +Aber was macht denn das Kartenspiel so interessant für die herrlichsten +Menschen? Also auch für Euch, denn ich darf Euch nun Menschen nennen, und +herrliche Menschen, denn Ihr habt wieder Etwas, ja viel -- was reißt so zum +Kartenspiel? Nun? . . . . daß sie Freiherrn werden, Schicksalsgötter, daß +sie nach ihrem Kopfe mit Königen, Königinnen, Buben, As, Spadille und +Manille verfahren können, wo ihnen keine Hausehre, kein Offizier, kein +König darein reden darf, denn wenn er kann und will, sticht er -- oder +paßt, verpaßt. Seht, hier habt Ihr eine beßre Art Charte, die Euch noch +froher machen wird -- hier ist ein neues Spiel; setzt Euch ein! Da seid Ihr +wieder Herren!« + +Während nun die schöne klare Charte und mancher Plan den Auszug oder die +Auszügler und Vorzügler des Adels beschäftigte, und sie wünschten, daß Alle +als Nachzügler kämen, ward mein Freund Weber abgerufen. Er holte bald den +Prinzen nach, dessen Vater, der Fürst, gekommen war, mein gnädigster +Landesherr, der, obgleich souverain, doch, so viel er von höhrem Ort +durfte, Jedem Freiheit ließ, ja gab. Und doch schien mir seine Ankunft dem +guten menschenfreundlichen Prinzen fatal. Wir zogen uns auch zurück, und +mein Schwiegersohn, Gott bewahre, nicht der neue Landesherr dieser +vornehmen Neuweltsrekruten -- unter welchen Obersten, Generale und große +Thiere waren -- sondern blos der bescheidene Herr ihres neuen Landes, ward +von ihnen, wie Moses am rothen Meere von den Kindern Israels verehrt, und +Jeder empfahl sich ihm einzeln zu gnädigem Schutz. So steckte noch die alte +Lust und Gewohnheit: protegirt zu seyn, in den redlichen Leuten! + +Zu Nacht erst war ich allein mit meiner Tochter, und konnte sie, als Braut +eines ihr lieben Mannes, in meine Arme schließen und segnen. Sie war zu +allem still, und sprach zuletzt nur: »O wenn nur die Mutter hier bei uns +wär'!« -- Ich deutete das in meinem Sinn, wie ich ihr eigentlich nur Segen +von dem Segen gab, den ich durch ihre reiche Heirath über mich +ausgeschüttet, fühlte. Fand ich drüben keine Anstellung als Prediger, +vielleicht wohl gar bei den ausgezognen Adligen, und starb ich nicht, ehe +ich verhungerte -- so verhungerte ich nun nicht, sondern meine gute Tochter +gab mir gewiß das Gnadenbrot! und ich konnte umsonst predigen, taufen, +trauen, begraben, was bei uns der nobelste Bischof nicht thut, und wir +theuren Herren kosten mit Kirchen und Schulen den armen Leuten zu viel, und +ich habe immer einen Stich in der Seele gefühlt, wenn ich den Becher +Taufwasser, oder den Leib des Herrn mit den paar Dreiern von den guten +Leuten bezahlt erhielt, welche sie hinter dem Altare wandelnd +hervorgesucht! Und doch schielte ich abscheulicher Mann dennoch manchmal +nach dem Gelde, oder schlauer sogar nur freundlich, nach den Augen der +Opfernden; denn, wer mit zugemachten Augen gab, der schämte sich, so wenig +zu geben, als er in den bedeckenden Fingern mir auf den Altar heraufreichte +-- aber, mein Gott! ich bedurfte das Geld, und seufzte, wenn ich es so +geschwind durchzählen konnte, und es für den Herrn Sohn auf der -- +Pferdeakademie nicht langte, denn er lernte reiten; oder nicht langte zu +dem bestellten Weihnachtsgeschenk für die Frau . . . . und morgen ging die +Post! Darum segnete ich die Tochter mit feurigem Dank für meine Erlösung +und bat: daß alle Geistlichen so liebe Töchter hätten, auch so liebe +Amerikaner fänden, um Alle, Alle im Geldsinn, nicht im Weltsinn umsonst zu +predigen, umsonst Wein und Oblaten auszutheilen, umsonst kleine Kinder zu +taufen, kurz, Alle von Judas Ischariot's Sünde erlöst zu werden -- wie ich +nun schien. Ich schlief die Nacht in einem Rosengarten, der in Amerika lag; +denn im Traume sah ich ungeheure Ströme, Höhlen, Wälder, Wasserfälle, +Blumen und Bäume, tausend Wunder, Alles mir neu -- und selbst meine Tochter +wandelte dort, nebst einem Häuflein Kinder, aber mit dem Prinzen Hand in +Hand, der sie dort in seiner Provinz, wohin er sein ganzes Völkchen +übergesiedelt, als redlicher einfacher Herr Leuthold geheirathet hatte -- +-- -- und ich küßte ihm die Hand, aber er gab mir mit meiner Tochter Hand +eine Ohrfeige, und die Hand war eiskalt! -- So etwas mußte am Tage mir +still durch die Seele gefahren seyn, ich meine nicht die Ohrfeige, sondern, +daß die lieben Kinder ein schönes Paar wären! + +Der Amerikaner sagte mir am Morgen nichts Näheres, Gewisseres über seine +Verlobung -- bloß, daß unser Schiff fertig liege, und daß der Wind nur nach +Ost umzusetzen brauche. Freund Weber, vom Fürsten beschäftigt, konnte mir +auch kein Wörtchen sagen, als: der hergeeilte Vater will den armen Leuthold +nach Hause bringen oder zwingen. So kamen wir, ich, meine Tochter, Erwin, +von seinem Wilberforce und nun seinem Tolera begleitet, am Ufer der Weser +zu einer herzzerreißenden und doch herzerfreuenden Scene. Der junge +Leuthold kam uns düster und allein entgegen. Er blieb bei uns stehen, wir +lasen in seiner Seele, aber nicht laut, und deuteten lieber auf etwas auf +dem Strome, den Knaben, dem er gestern mit seinem Bruder die Überfahrt zu +seinem Vater in Kentucky besorgt hatte. Wir kannten den Anselm an seiner +Kleidung, ja am Gesicht; sein Bruder Wilhelm fischte mit ihm. +Wahrscheinlich hatten sie einen großen Lachs gefangen und der ältere Bruder +beugte sich über, er konnte die Last nicht erheben, er wollte sie nicht +fahren lassen, während der kleinere Bruder im Strome den Kahn nicht zu +halten vermochte. Uns verging der Athem vor Angst. Er machte eine +Anstrengung nach dem Fisch und stürzte in die Wogen des tiefen und breiten +Stromes. Den kleinen Knaben führte die Strömung im Kahne davon. Der +Verschwundene kam nicht herauf. Endlich, endlich erschien das schwarze +kleine Haupt -- das wieder überspielt ward, dann wieder einmal eine Hand -- +wie Geisterzeichen aus einer Mauer -- endlich zwei Hände. Und indem wir +starr hinblicken, ohne an Hülfe zu denken, erblicken wir eine Gestalt in +der Gegend des Knaben -- meine Tochter ruft gedämpft! es ist der Prinz! und +fällt dem Amerikaner um den Hals und verbirgt ihr Gesicht an seiner Brust, +und so hält sie ihn auf. Indeß seh' ich allein das Traurige. Der +menschenfreundliche Leuthold ist uns entschlichen, ist weiter unterhalb in +den Strom gesprungen -- weil kein Kahn hier steht -- und hat sich gewiß +gefährlich gestoßen an einem ungeheuren Pfahl; denn aus seinen +gelegentlichen Worten von gestern weiß ich, daß er schwimmen kann -- und +jetzt doch dort draußen mitten auf dem Wasser hält er sich kaum. Er rudert; +vergeblich. Er sucht; vergeblich. Er bedarf selbst der Hülfe. Der +Amerikaner sieht, was vorgeht, über die Achseln seiner Braut, oder doch +meiner Tochter. Eine seiner Wangen ist glühend roth, die andere weiß -- er +hat ein Auge geschlossen, eins hat er mitleidig offen. Ich rede zu ihm an +das linke Ohr und frage: »kann Wilberforce nicht schwimmen?« -- ich erwarte +keine Antwort, gehe vor Eifer auf die andre Seite. »Wilberforce!« rufe ich. +Das hat nun auf dem rechten Ohre der sonderbare, halbtodte, halblebendige, +halbfrohe, halbtraurige Erwin gehört -- er winkt, und der Neger, der sich +schon bereitet hat, theilt sicher und flink, wie ein Reh, die Fluth -- +endlich, endlich kommt er auf die gefährliche Mitte. Ich habe nicht Augen +genug, wie es sich ereignen wird, schon ereignet hat. Ein Kahn ist vom +jenseitigen Ufer herüber gekommen zu Hülfe. Der Neger hat den rettenden +Jüngling ergriffen, er zieht ihn nach. Aber Leuthold, Kindhold, +Menschenhold hat den Knaben mit seiner Hand an der Hand und zieht ihn nach. +Ich jauchze: sie leben! Er lebt! -- Meine Tochter schlägt die Augen auf und +sieht mich an. Sie lehnt sich nicht mehr an ihres Bräutigams Brust. Sie +sieht nun selbst -- der Jüngling wird von den Schiffern in den Kahn gehoben +-- aufrecht gesetzt, oder setzt er sich selbst; der Knabe wird zu seinen +Füßen gelegt, und ist nicht zu sehn. Der Neger schwingt sich in den Kahn. +Sie rudern schnell. Sie kommen. Sie nahen. Sie landen. Sie springen ans +Land. Selber der Knabe kommt wie betrunken getaumelt. Maria faßt ihn in +ihre Arme, so naß er ist. Er drückt sich die schwarzen Locken aus. Leuthold +bleibt ruhig in dem Kahn. Ich steige hinein. Der Amerikaner steigt hinein +-- der schöne Jüngling ist ertrunken, und seine schöne Hoffnung ist dahin, +ins Land der Hoffnung, oder war sie zuvor schon dahin. Und die Hoffnung +vieler Tausend. Durch den Vater. + +Der Bruder des Knaben kommt am Ufer heraufgelaufen. Er ist weiter unten +glücklich gelandet. Es freut uns nicht. Hülfe kommt; ein Wundarzt; es freut +uns nicht. Das edle purpurne Blut fließt aus dem entblößten mädchenweißen +Arm des blassen schönen Jünglings; die Hülfe bleibt vergebens -- es betrübt +uns nicht. Der Vater, der Fürst kommt. Es betrübt uns nicht. Es ist sein +einziger Sohn; er hat nicht Viele retten sollen -- Einen zu retten, dem er +schon Freude gemacht, dem er Vater und Vaterland wiedergeschenkt, das hat +er nicht unterlassen können; die abgeschnittene Rebe hat in der engen +einzelnen That sich ausgeweint. Meine Tochter weint. Sie soll mit dem +Bräutigam gehen. Sie hat sein Wort nicht gehört. Er geht allein. Der Fürst +schenkt dem Neger seine goldene Uhr; Wilberforce läuft seinem Herren nach, +zeigt sie und frägt: ob er sie behalten dürfe? Der wirft sie gelassen in +den Strom und geht. Jetzt eilen wir nach. Wir kommen zusammen nach Hause. +Er hat vorher geschwiegen. Er schweigt auch jetzt. Er steht nur einmal +still, blickt freundlich ernst auf den Boden -- und ist dann der Vorige! So +hing denn auch dieses hin, wie so Vieles in der Welt hinhängt, +unausgemacht, ungewiß, selber die Sonne am Himmel. + +Tolera berichtete am folgenden Tage, daß sich die Auswanderer alle +bereiteten, mit Leuthold zu Grabe zu gehen, der ihnen so manches Gute +gethan, wie sich jetzt erst hervorthat. Der Leichenzug wäre merkwürdig +gewesen. Besonders wenn die guten Deutschen, wenn Diese noch so genannt +werden durften, gewußt hätten, daß er ein Prinz sey, der einmal sich an die +Spitze des Volkes zu stellen entschlossen war, um Volkswillen auszuführen, +nämlich das Volk, wie Moses aus Ägypten. Wir unter uns glaubten, der Vater +werde ihn in dem Bleikeller der hohen Domkirche beisetzen lassen, damit er +dort unverweslich und unverwandelt als die größte Merkwürdigkeit ruhe und +lehre. Der Vater war aber durch des Sohnes Tod, das Andenken an ihn, das +Hineindenken in ihn so zum Sohne geworden, daß er ihn wenigstens in den +Freistaaten begraben lassen wollte. Aber Amerika weiset die Todten von +sich; kein Schiffer schifft sie hinüber. Das nennt man Aberglauben. Ich +hatte die Ehre mit meiner Tochter, den Vater an demselben Abend bei meinem +Freunde zu sehen, als Leuthold nach der Gruft seiner Ahnen abgeführt +worden. Da ihm als Incognito Niemand besonders krumme Rücken und +jämmerlich-unterthänige Redensarten zeigte, so sahe man hier, was +Behandlung, die Art des Selbstbenehmens, thut. Er war fast wie wir andern. +Es waren an diesem Tage mehrere reiche Auswanderer angekommen, denen keine +leiblichen Güter fehlten, also nur die geistigen Güter; denn es waren +bekannte hochgebildete Männer, und Frauen darunter! + +Der Fürst erzählte, er habe mit ihnen gesprochen -- und solcher Deutschen +Auswanderung habe ihn frappirt -- an das Herz geschlagen. Und wie schlugen +mir seine Worte an's Herz! »Europa,« sprach er, »Europa ist das Land wo +alle Rechtsinstitutionen zuerst im Großen auf Völker angewendet worden +sind. Seit einem Jahrtausend hat es sogar versucht, die Religion auf den +Staat anzuwenden, in jedes Haus, an jeden Heerd, bis in das Gewissen jedes +Menschen eindringend. Das sind denn wohl ungeheure, höchst ehrwürdige +Versuche! Daß ihr Gelingen aber nicht möglich war, und seyn wird, daß +Europa an dem Widerstreit seiner alten, ersten und nun hinzugekommenen +entwickelten Institutionen untergehen wird und muß, deswegen grade sey es +glücklicheren, durch keine alten Fesseln gehemmten Völkern desto +ehrwürdiger -- weil es rechtlich war! Es hat den Begriff des Rechtes +festgehalten, und heilig das Erworbene, Überkommene geehrt; ob es gleich in +späterer Zeit nicht neu ertheilt worden wäre, so hat es doch das Bestehende +geschützt -- um Keinen zu kränken, und lieber den Anschein haben wollen: +als kenne es nicht das Reine, Vollkommene; lieber im Kampf mit Ablösung +alter Asiatischer Gebrechen untergehen, als mit dem Schritt zu einem +Zustande, wie er den Einsichten der _entwickelten Menschheit_ angemessen +wäre, die Verbindlichkeiten seiner Erblasser abschütteln, und groß, frei, +herrlich . . . . aber _schuldig_ und verschuldet dastehn. Indeß sichern ihm +seine niedergelegten Beweise von Kenntniß des Höchsten: die Achtung des +Geistes überall; und sein _Verhalten_: den Adel des Herzens; und sein +Schicksal und seine Verlassenschaft: die ewige Dankbarkeit aller spätern +Völker. Und seine Grabschrift wird seyn: Es that, was Recht war; darüber +ging es zu Grunde, der Welt zum Opfer. Have, anima pia!« + +Er schwieg. Er dachte gewiß an seinen Sohn, denn er sprach noch einmal mit +feuchten Augen auf Deutsch: »Ruhe sanft, du gute Seele!« + +In dieser wehmüthigen Pause zogen grade die Studenten nach Elsfleth +vorüber, um sich diese Nacht noch einzuschiffen. Wir hörten die ersten und +letzten Verse ihres Liedes nicht, nur diese beiden, die mit Kraft und Jubel +gesungen, nicht ohne Eindruck blieben: + + Dem Menschen ist nichts angeboren, + Als Maul und Nase, Aug' und Ohren + Et caetera! Et caetera! + Und hat er nicht den Kopf verloren, + So steht der Bursch stets neugeboren + In Galla da! In Galla da! + + Dem Menschen ist viel _ein_geboren -- + Ein Leben, frei und unbeschoren + Et caetera! Et caetera! + Wo guter Wein gut ausgegohren, + Da singt der Bursch, wie neugeboren: + Halleluja! Halleluja! + +»Die guten jungen Menschen!« sagte der Fürst. »Wirklich: junge _Menschen_! +Sie kommen mir so unschuldig vor, wie der Lebensbalsam, der nicht in der +Retorte bleiben kann, in welcher er bereitet worden, sondern übergeht! Auch +keine Blume blüht in der Erde, in der sie gekeimt. Dann ist die ganze Natur +treulos, wenn diese jungen Blumen, jungen Menschen treulos sind. Diese alle +fliehen den langweiligen unsichern Proceß, das Recht zu gewinnen. Und +. . . . sie wollen des Lebens positive Güter. Und wie kommen mir Alle, alle +die Auswanderer so fromm vor, gar so fromm! Sie murren nicht, sie tadeln +nicht, sie klagen nicht! Sie leiden! Sie meiden! _Sie gehn_! Geht mit Gott! +Ruhe fordert der Mensch mit Recht; Ruhe seit uralten Tagen; Ruhe zu eigenem +thätigem Leben. Und darum Sicherheit -- heitere Aussicht -- Lämmer am +Himmel, nicht Kriegsgestalten. Und hätten wir nicht Alle die Ruhe verdient? +Ist es nicht unmenschlich, dem nicht die Ruhe zu gönnen, der sie erlangen +kann, der gern arbeiten will, daß ihm das Blut aus den Nägeln dringt, um +nur Ruhe zu haben. Die Ruhe ist ein inneres Gut. Und wäre ich so reich, um +Jedem sein halbes Brot da drüben zu sichern, und wäre der Mantel des Doctor +Faust noch im Gange, daß Jeder gleich drüben erwachen könnte mit allen den +Seinen, und früh zu dem Fenster hinaus sehn -- wie viele Ämter würden früh +ohne Männer seyn. Pfarrämter, Gerichtsämter, selber mancher Ministerstuhl +würde leer stehn. Und nur die, welche vom Wirrwarr, vom Kritisiren leben, +die würden, sich dann doppelt breit und groß machen, wie Kinder, die auf +dem Kirchhofe den Geist spielen, und das Betttuch auf dem Rechen +emporstrecken. Indessen ist das Meer eine Art von Zaubermantel. Die Reichen +ziehen fort, um ihres Wohlstandes sich drüben doppelt zu freuen, doppelt +reich zu seyn -- leiblich und geistig. Selber die Besten ziehen fort, die +da glauben, daß es in Europa gewiß gut werden wird, ja daß die deutschen +»Vereinigten Staaten« die Amerikanischen himmelhoch übertreffen werden. +Aber da hört' ich ein Lied derselben, das heißt: + + Und selber die Leiden + Und Wehen vom Neuen -- + Die wollen wir meiden; + Dort Deiner uns freuen + Wie Hirten vom Feld -- + _Du geborener Held_! + +Und sie glauben also: Wir müssen durch den großen Umschwung in Europa uns +viel mehr verwandeln, aus Mangel an Kopf oder Geld von dem in Schwung +gebrachten Rade zur Seite geschleudert, als wir uns dort verwandeln müssen, +nämlich nur die Augen aufmachen! Die Armen aber, sie finden drüben die oft +uns genannten zehn Plagen nicht. In Amerika sind nicht: Europäische +Politik; stehende Heere; zu kostspielige Hofhaltung; +Aristokratenherrschaft; papistische Umtriebe und Priesterherrschaft; +Staatsschulden; Staatspapiere; Handelssperre durch directe und indirecte +Abgaben; Ungleichheit der Besteuerung; Ungleichheit vor dem Gesetz. -- +_Nichts_ ist _Viel_. Viel ist Nichts. -- So gehen sie denn. Und mit +doppeltem Eindruck wiederholte er seine Worte: Sie murren nicht, sie tadeln +nicht, sie klagen nicht. -- Sie leiden! Sie meiden. _Sie gehn_. Geht mit +Gott! Gott ist gewiß auch über dem Wasser!« + +Zu diesem Worte, das uns an den Alten-Weiber-Spruch erinnerte, mußten wir +beinahe lachen. Er schloß aber ernst: + + »Denn keusche Reinheit, zarter Göttersinn + Wohnt in dem armen menschlichen Geschlecht. + Im stillen sanft, im Ganzen allverbreitet + Laß es das Leben allgemach sich schmücken + Auf reinstem Wege, wie dem Menschen ziemt. + Die Einzelnen nur mögen Reue fühlen, + Dem menschlichen Geschlecht ziemt Reue nicht, + Ziemt alles Große, Würdige und Schöne; + Und sicher seines Tags, in mildem Stolz, + So wandelt's rein zum reinsten Erdenglück.« + +Ich führe diese Gesinnungen deswegen an, weil sie darauf einen geheimen +Contract zwischen dem Vater des Leuthold und Herrn Erwin zur Folge hatten, +worunter ich mich nur als Zeuge mit unterschreiben mußte, ohne jetzt mehr +zu erfahren, als daß beide Theile dabei das Beste ihres resp. Vaterlandes +besonders im Werke führten. So viel jedoch konnte ich mir abnehmen, daß die +Sache einen Austausch von Einwohnern oder Unterthanen betraf, wie sie für +jedes Land am zweckmäßigsten wäre! Ich sollte dabei höchlich interessirt +seyn, und vorzüglich wirken. Ich! Und somit ward ich in die Welt +verwickelt. Wer lebt, kann in Alles gerathen. Ein Kind kann groß wachsen, +ein Erwachsener kann Soldat werden, ein Soldat kann -- Nelson erschießen! +oder Moreau! die auch einmal Jungen gewesen sind. Denn dieß ganze +Geschlecht besteht aus großgewachsenen Jungen und Mädchen, und die Kinder +spielen nun Leute. Darum kann ich immer keinen rechten Respect vor allen +den Herren bekommen! Und was ich selber thue, kommt mir immer nur wie ein +großer Kinderstreich vor! Und wenn mich ein alter Bauer »Hochwürden« +nannte, so mußte ich mich recht zusammennehmen, um das Amtsgesicht zu +machen! Wie mag das dem Papst erst schwer werden! Nur nicht, wenn er +bedenkt, daß alle seine Vorfahren und Pfaffen ja eigentlich auch nur Kinder +sind. Im Nebenzimmer, unter vier Augen steckte mir der Fürst den kostbaren +Ring an den Finger, den sein Leuthold getragen -- als ein Andenken für +meine schöne liebe Tochter an ihn. Die Vornehmen erfahren und vermuthen +doch Alles, weil Jeder sie für seinen Beichtvater hält, dem er Alles aus +dem Herzen schütten muß, und der alle Sünden vergeben kann. So war auch +meine Tochter verrathen -- oder ihr zur Ehre nur der gute Leuthold. Ich +kehrte aber die großen funkelnden Steine des Ringes in das Inwendige der +Hand -- und mußte noch obendrein mich bedanken. Es kam aber nicht besonders +heraus. Mehr Freude machte mir ein Beutelchen Gold zum Abschiedsfest der +Auswanderer im Lager, damit sie »Einen guten Tag« in Deutschland, hätten. +Und wir Andern, die sich selbst hinauspracticirenden Adligen, die +Wohlhabenden, kurz wir Alle feierten das Abschiedsfest mit ihnen, unter +ihnen als alle nun: Neue Landsleute! Amerikaner! Das Fest war sehenswerth, +mehr aber hörenswerth, am meisten jedoch bedenkenswerth. + +Ein weißer weiter Frühlingsnebel bedeckte das Vaterland am Einschiffmorgen. +Wir sahen die Sonne nicht mehr. Nur einzelne Stimmen ließen sich vernehmen, +und ein gewisser Krüppel sang wieder sein unvergessenes Lied: Frisch auf, +Cameraden, aufs Pferd, aufs Pferd! Ins Feld, in die Freiheit gezogen! -- +Wir umarmten die bleibenden Freunde am Ufer, empfahlen ihnen die +Abschiedsbriefe in die Heimath, und saßen dann wie die alten Helden -- im +Pferdebauch. Kanonenschüsse donnerten, so daß wir in der Seele recht hell +erwachten und einen Blick in die Welt thaten. Der Lootse, ein Kerl wie ein +Bär aus Helgoland, sprang aus dem Nebel auf das Verdeck, der Anker ward +eingeladen und wir schwammen! Das nächste Land, das wir sahen, war Amerika, +und dazwischen lag nur die Meereswüste, wie vor den Kindern Israel ihre +Sandwüste, um in der einsamen heiligen Zeit unsere Sünden abzubüßen und +neue gute Entschlüsse zu fassen. O Weltmeer, mit deinem blauen Gewölbe, +worin des Tages nur Eine große Lampe vorübergetragen wird, und des Nachts +viel tausend goldene Lampen -- welcher Tempel vergleicht sich dir! Wo man +den Menschen vergißt, da erscheint Gott! Und Deutschland lag mit seinem +Gewimmel, seinen Thürmen und Hütten hinter uns, wie den Nachhauseziehenden +eine kleine Stadt mit ihrem verlöschenden Jahrmarkt, wenn es drinnen +finster werden will. Nur als draußen auf offener See am Abend der Mond aus +der Fluth aufstieg, als ich glaubte zu Hause zu seyn, und nur die Tochter +neben mir stand, da wurden die Augen mir feucht, und ich lehnte mich an +sie. O was ist ein Kind in der Fremde! Wir sehen uns an -- und wir reisen +nicht; wir sind daheim; da wo wir auch zu Hause daheim sind, wenn wir uns +ansehn. Nur die Mutter hatte mir das Herz schwer gemacht; denn das +Postschiff hatte uns draußen bei Wangerooge noch eingeholt, Briefe +nachgebracht -- und meine Frau schrieb mir: »Ich komme! Segle vor dem +Zwanzigsten ja nicht ab! Ich bringe unsern Gustav Adolph mit. Es hat sich +hier viel verändert!« -- Und das las ich bei vollem Winde den Achten des +Monats! Zwölf Tage zu spät! Ich hatte ihr geschrieben, daß Steinbach unsere +Tochter zur Frau von mir begehrt, und daß ich sie ihm zugesagt. Das war +gewiß Eine von den Veränderungen, die sie bestimmt hatten, mir sogleich +nachzufolgen. Und nun war ich fort! Mit einem schweren Seufzer mußte ich +auch Das gut seyn lassen, wie tausend Andere in der Heimath! Ich verschwieg +aber der Tochter die Nachkunft der Mutter, meine Sorge und die Verwirrung, +welche nun entstehen mußte. Die Männer müssen verstehen, das Schwerste +allein zu tragen. Darum sind auch noch die Weiber und Kinder so lustig in +Deutschland. Dafür wußte ich Einem Vater drüben Freude zu machen, durch die +zwei Knaben, den Anselm und Wilhelm, die mir anvertraut waren. Vom +Schulmeister Tolera unterstützt, hielt ich Vor- und Nachmittags +Schiffsschule mit den Kindern der Auswanderer, und trieb vorzüglich nur +Neueweltkunde, Geographie und Naturgeschichte. Die Kinder lernten alle wie +Genie's! Denn das Interesse lag vor uns -- nicht rückwärts! Das ist die +Ursache, daß so viele Candidaten, besonders der heiligen Theologie, den +Repuls bekommen! Die Ältern hier aber erlebten Freude und saßen mit +gefalteten Händen an den Borden umher. Bisweilen sangen in der Morgen- und +Abendstunde auch die Rothkehlchen dazu, und die Staare schwatzten. Denn ein +Freund der Natur hatte eine kleine Arche voll Singvögel mit eingeschifft: +Leipziger Lerchen, 50, je ein Männlein und ein Fräulein; Polnische +Sprosser, 50, je ein Männlein und ein Fräulein. Bayersche Staare! Und +Oberlausitzer Haidelerchen, die Vögel mit dem wehmüthigsten Gesange auf +Erden! Und auch den fröhlichsten, liebsten Vogel der Kinder -- den Kukuk! +12, je ein Männlein und ein Fräulein. + +War der Mann mehr ein Menschenfreund? Oder ein Freund der Vögel, der diesen +da drüben neue unermeßliche Wälder schenken wollte? Ich weinte fast, wenn +ich die lieben Sänger ansah, und war voll von tausend Frühlingen. Der +Inhaber derselben frug mich lächelnd: »Bin ich der Herr von Habenichts? Ich +will durchaus wissen, ob ich drüben der Herr von Kannnichts seyn werde; das +will ich wagen und prüfen! Die geheime Macht ist die größte; und das +geheime Wissen und Können, was Jedem einwohnt, ohne daß er es weiß -- das +ist das Herrlichste. Was für ein Esel hat mein Ahn und Ihr Ahn -- Adam +geglaubt zu seyn, als ihn der Engel zur Auswanderung aus dem Paradiese +genöthigt; und ward er nicht ein herrlicher Landpfleger in Asia, der +Normalbauer, auch Schaafzüchter der Heidenheit! Und o wie schwer mußte dem +Herrn von Adam das Leben unter nicht einmal bürgerlichen, sondern +thierischen Canaillen werden -- da er das Paradies geschaut hatte und +drinnen gelebt! Wie viel tausendmal besser haben es wir -- die wir bei uns +nichts vom Paradiese gesehen haben, als Schwarzkittel, Regimenter Engel mit +dem Schwerdt, und wenig Freudenhäuser -- als die privilegirten! Und ist +jeder Bauer im Schiff hier nicht ein Auserwählter des Herrn, wie Noah in +seinem Kasten! Damit wir gesegnet würden, durften Millionen nicht ersaufen, +sie durften _auf trockenem Lande_ bleiben! Und was fand Noah, als er +ausstieg? -- Recta Nichts! Und was finden wir? -- Recta Alles! Bis auf die +Singvögel, und die bringe Ich!« + +Zur Ergötzlichkeit der Andern wurden fast alle Gespräche öffentlich +gehalten, und ich erstaunte, wie bald sich der Mensch an Redefreiheit +gewöhnt. Die alten ertragenen Leiden waren unleugbar überstanden, und wie +man von Todten spricht, so redeten hier die Leute von Europäern und +Europäischen Dingen: das _waren_ große Schulden -- das _waren_ schwere +Zeiten -- das _waren_ schlechte Aussichten. Kurz, der liebe Schiller ist +nie zur See gefahren, sonst hätte er wahrer gesungen: »Auf dem _Meere_ ist +Freiheit!« -- Uns war es die Freiheitsschule. + +Wir waren schon mehrere Wochen gesegelt, und Anselm wußte, wie wir Alle, +daß Amerika da sey, wenn die Wache aus dem Mastkorbe riefe: _Land_! Da rief +sie nach einem schweren Gewitter einst: Land! Land! -- Es konnten diesmal, +da uns der Sturm zur Seite gedrückt, jedoch nur erst die azorischen Inseln +seyn. Der Knabe aber stieg in die Strickleitern hinauf -- sahe Land, sah in +seiner Meinung das heiß ersehnte Amerika -- er dachte gewiß an seinen +Vater, wollte gewiß die Hände ausstrecken, hatte sich also nicht mehr +angehalten, und so war der arme, vor Freude taumelnde Knabe herabgestürzt +auf die harten Bohlen, und wir hatten einen Halbtodten im Schiff, den der +Arzt herzustellen nicht gewiß versprach. Ich bekam eine Nothtaufe; darum +schrieb ich zu den andern Regeln für Überfahrer auch die: nur geborene +Menschen mitzunehmen. Der Sturm hatte in der Ferne wo ein Schiff +zerbrochen, und in der darauf folgenden gänzlichen Windstille erkannten wir +endlich einen Menschen, der, mit einem Schwimmgürtel versehen, sein Leben +gerettet hatte. Ich fuhr im Boote mit hinaus ihn aufzufischen. Welch ein +Mensch! Alle die Seinen waren umgekommen. Er hatte in einer Tasche vor der +Brust noch Lebensmittel auf viele Tage. Sein erstes Wort war: »Niemand muß +sich allein retten. Das ist schändlich, unausstehlich!« Der Mann sah +furchtbar aus. Er trug einen leichten Panzer, über und über mit +Stahlstacheln gegen die Angriffe der Seeungeheuer, womit er auch schon zu +Lande, in Wäldern und Sümpfen, jeder Schlange, jedem Bäre getrotzt. Er +erzählte uns im Schiffe seine Abenteuer. Trotz dem, daß er der größte +Wagehals schien, war er doch nur der größte Gottfried Sicher gewesen und +nannte sich selbst den größten Feigling. Auch uns Auswanderern wollte er +seinen Namen wie einen großen Mantel umwerfen, daß wir ausgewandert wären. +Seine Worte waren schneidend. Er gab mir eines Abends seine +Lebensbeschreibung in einer Glasbouteille »Leben eines Wagehalses«, und am +andern Morgen war er, so sehr wir auch überall suchten, doch nirgends auf +dem Schiffe zu finden. Viele hielten ihn für eine Geistererscheinung, die +einem von uns den Tod bedeute. Andere konnten über das untergegangene +Schiff nur beruhigt werden, daß sie von Seekundigen hörten: »Erst das +hundertste Schiff scheitert, und von hundert gescheiterten Schiffen kommt +erst die Mannschaft von Einem um. So steht die Seerechnung!« + +Ein ander Seegesicht darauf erfreute und bestürzte mich bang! Ein Schiff +segelte unter dem Winde an uns vorüber. Nicht fünfhundert Schritt weit. Die +helle Morgensonne schien hinein. Ein Schiff ist auf der See eine +Merkwürdigkeit. Nach meiner Gewohnheit sahe ich mit dem Fernrohr hinüber in +die rosig und saffranfarbig glühenden Segel. Auch die Reisenden sahen nach +uns herüber; Frauen, Knaben, die Gesichter nach uns gewandt. Endlich +erblicke ich, ein Gesicht -- Gott! es war mein Weib! Ich konnte vor Beben +kaum sehen, wie ihr die Augen leuchteten! Wie sie sehnsuchtblaß aussah. Sie +hielt die Hand auf den Kopf meines Sohnes. Aber ach! sie vermuthete uns +nicht, und sahe sofort herüber in stillem Trübsinn. Das Meer rauschte; der +Wind sauste. Ich wollte durch das Sprachrohr dennoch versuchen ihr +zuzurufen, mich ihr bemerklich zu machen, sie wenigstens zu grüßen! Ich +rief meine Tochter, ich sagte ihr: Kniee nieder! siehe hinüber, da steht +ein Weib . . . . wie unsere Mutter. Sie sahe hinüber -- sie hatte eben das +Mutterantlitz gefunden, da wendete sich das Schiff und zeigte uns das +Steuerruder. Es rauschte mit Flügeln, des Sturmes davon. Maria sah mich an. +Und ich faßte mich, ich verrieth ihr nichts; und so wußte sie ruhig die +Mutter daheim bei den Brüdern. Ich aber besann mich, daß die Mutter ja +wußte, wir segelten nach Neu-Orleans. »Also auf fröhliches Wiedersehen in +einer bessern Welt!« sprach ich gedankenlos. Und so hatte ich richtig +geahnt. Ich hatte sie zum letztenmale gesehen! + +Darauf überfiel uns wieder tagelange Windstille. Unser Schiff schien wie +ein Schwan auf dem Wasser zu schlafen. Die Tage waren schon heiß. Anselm +ward kränker; Er ließ sich noch von seinem Bruder Wilhelm das Lied von der +Schwalbe vorsingen, und die andern Knaben sangen es mit; Und für seinen +Vater hörte ich weinend die letzten Verse mit an: + + Da laß ich mich ihn fangen; + Die Mutter küßt mich sehr! + Drauf soll ich wieder fliegen -- + Da bin ich schon nicht mehr! + Da steht sie tief betroffen, + Denkt bang an mich und schwer; + Begräbt mich bei dem Weinstock -- + Der sagt ihr: daß Ich's wär'! -- + +Unter diesem Gesange war er gestorben, ohne auch todt noch zu seinem +ersehnten Vater zu kommen; Denn wir begruben ihn darauf, wie man auf dem +Schiffe begraben kann, in Gottes heilige See! Auf ein Bret gebunden, das +mit Steinen beschwert war, um zu Grunde zu gehen, in ein weißes Tuch +geschlagen, das Gesicht unverhüllt, versenkten wir ihn in die heilige +Tiefe. Es war nicht zu weit mehr von der südlichen Spitze von Ostflorida, +dem Eingang in den Meerbusen von Mexiko, oder in das neue mittelländische +Meer von Amerika, in einem Clima wie in Ägypten. Die See war nicht zu tief +und bei der Klarheit des Himmels und der Klarheit des Wassers glaubten wir +den Grund des Meeres zu sehen; oder wie wir mit Erstaunen und Bewunderung +wahrnahmen: sie trug ihren Grund oben! Und welchen Grund! Welche +Zaubergärten! Gesträuche und Wasserpflanzen mit köstlichen großen Blumen, +wie Kindergesichter, blühten und schwankten leis, ob sie gleich alle aus +Edelsteinen gemacht schienen! Blätter, breit und gezänkelt, wie aus Rubin! +Zweige, wie aus Gold und Rauchtopas! Blüthen und Blumen, wie aus Milch oder +Schnee -- aber Alles, Alles mit einem Anhauch von Smaragdgrün überflossen, +wie die Pflaume von blauem Hauch. Und im lichten goldnen Sonnenstrahl +funkelte der Zaubergarten golden und blau und grün und roth, wie besät mit +funkelndem, strahlendem Thau! -- Da hinab -- in dies Paradies, das, hierher +in das heilige Meer, verzaubert, so himmlisch und ruhig fortblüht -- da +hinab versenkten wir die weiße Gestalt des schönen Knaben; noch einmal so +wohlgemuth durch das tröstliche Wunderspiel der Natur. Das Schiff stand in +der Windstille, wie angewachsen, und so sahen wir, wie er losgelassen von +den Seilen sank und sank und sank! Wie das weiße Gebild gemach und leise +grünlich ward vom Scheine des Meeres, und grüner, und endlich kräftig grün, +wie sonnedurchschienener Smaragd. Endlich ruhte er, wie ein großes +funkelndes schönes Gestirn, auf schwankenden Zweigen, wie eingewiegt von +lieblichen Zaubergestalten von guten Geistern, die sich, in große Blumen +verwandelt, ihm weich und hold, öffneten, sich reizend über ihn neigten, +und über ihm schlossen. Alles war so wunderbar, daß wir uns nicht gewundert +hätten, wenn die Zaubergebilde da drunten nun auch mit heiligen zarten +Stimmen gesungen hätten! Selbst nicht, wenn sie den Menschenvers gesungen: +»Wer will mir nun den Himmel rauben?« Alles schwieg sofort. Er blieb da +drunten sofort und die Augen vergingen uns über der Pracht. Da kam ein +Lüftchen, kräuselte das Meer -- und Alles war hin! Ein schönes Grab! Ein +schöner Tod, der Tod vor Sehnsucht! Aber ich hatte noch einen Knaben für +seinen Vater. Und der Knabe war nicht lange begraben, so schrie die Wache +vom Mastkorb: Land! Land! Licht! -- Denn es war Nacht. Und in der Nacht +fuhren wir um die Spitze von Florida, diesem papstlosen Italien der neuen +Welt, dessen Sicilien Cuba heißt. + +Die leicht anzulegende Durchfahrt quer durch Florida wäre sehr zu wünschen! +Denn im Canal von Bahama wurden wir so von Wind und Wogen gepeinigt, daß +der wieder seekranke arme Tolera sich mit den Armen an mich anhielt, mir in +die Augen sah und frug: »Mein Herr Pastor! was müßte wohl Einer an +Hochwürden bezahlen, wenn er Sie zu Hause auf Ihrem Hofe in einen Kasten +sperren und fünf Wochen lang Hochwürden Tag und Nacht dermaßen schütteln +und rütteln wollte, daß Sie die Welt für einen Dreier verkauften? Ich +glaube, schweres Geld!« + +Das heißt Krieg, sagte Napoleon, sprach ich, und das heißt Seefahren, und +man kommt wohin, und wohin? mein Tolera! Denk' Er doch! -- Am Morgen war +uns die Küste wieder zu dem heraufdämmernden Streifen eines Traumes +geworden. Die Hitze ward unausstehlich, und die dicksten Männer ließen sich +an Stricken unter dem Arme und an das Schiff gebunden eine Stunde lang +durch die frische Flut nachschwemmen. Unser Schiff ward gewaschen und neu +angestrichen, damit wir, wie Garden geputzt, wie von einem bloßen +Spaziergang heiter in das heitre Land einzögen. + +Endlich erreichten wir die Mobile-Bay, und den Meerteich vor dem Hafen von +Neu-Orleans. Hüben und drüben grünende Küsten, flach wie Ägypten, mit +Tulpenbäumen, Akajous, Wachsmyrthen, mit Feigenbäumen, Orangenbäumen voll +Früchte, ja mit Palmen! + +Wir begegneten ein großes Amerikanisches Kriegsschiff. Es war ein Man of +War, ein Seeheld vom ersten Rang. In schweigender Majestät. Und Tolera +sagte: Columbus sahe nur grüne Zweige treiben und schloß auf das Land. +Solche Früchte aber lassen auf einen Riesenbaum schließen. »Es leone +unguem!« Die Sonne stand uns im Rücken. Ein Frühlingsgewitter zog +segenverstreuend in's Land. Ein breiter, prachtvoller Regenbogen bildete +ein himmlisches Thor zu dem herrlichen Lande, hoch und weit geöffnet vor +uns, wie von bunten, hellen, dreifarbigen Blumen bekränzt! Vor Entzücken +glaubten wir selbst an dem himmlischen Thore die himmlische Überschrift mit +Gold geschrieben zu sehen: + +FRIEDE. BROT. FREIHEIT. + +Die Kanonen hallten. Wir waren da! Wir umarmten uns Alle durcheinander vor +Freuden! Wir weinten wieder einmal recht aus Herzens Grund, wie die Kinder. +So steuerte uns der Lootse in den Hafen, unter die hundert Schiffe, der +Stadt näher, nahe, dicht hinan. Wir hatten nicht Augen genug! Und als der +Anker fiel, als die Segel alle nach und nach eingezogen waren, als das +Schiff stand, -- als Alle aus tiefer Brust dem glücklichen Capitain das +»Hurrah!« riefen, da erwachte ich wie aus einem Traum. Ich rieb mir die +nassen Augen. Es überfiel mich mit Todesangst: Du bist fort! Ein tausend +Meilen breiter Meerschwall trennt dich . . . . ich wußte nicht von wem? von +was? Aber es lag eine Gewalt in dem stillen, unbekannten, verlornen Etwas, +daß ich in einen Winkel hinter das große Steuerrad ging und bitterlich +weinte. Auswandern -- sterben! Doch auch: Auferstehn! sprach ich wieder zu +mir. Steh' also auf aus dem Grabe! Steh' auf in der neuen Welt, mit neuem +Leibe und neuer Kinderseele! + +Ein Gesundheitsbeamter kam -- er fand uns Alle gesund, und wir durften an's +Land! -- Aber bald murmelte es in der verworrenen Menge der an's Land zu +steigen Begierigen: »Das gelbe Fieber ist in der Stadt! das gelbe Fieber!« +Und vor Schrecken legten die Meisten ihre Bürden wieder hin und sahen sich +an. Es ward Abend über uns, und wir hatten uns nicht gerührt. Nur um den +großen Todtenstrom, den furchtbar angeschwollenen, fünftausend Fuß breiten +Missisippi zu sehn, dessen gewaltiges Rauschen und Tosen wir über den Damm +weg hörten, stiegen wir nach einander in den obersten Mastkorb. Große +Ströme und große Völker gelangen schwer in den Ocean der Zeit! Sie führen +zu viel Ballast mit sich, und verwälzen sich selbst ihr Ende mit Staub der +Erde. Nur hohe Dämme führten den gewaltigen Strom noch mühsam durch das +Delta, durch die vielen Bayous in's Meer, und nur weil er in Empörung war! +Sonst versiegt er wie der Ganges, wie der Nil, wie der Rhein, und wie ihre +Völker, und die Pest herrscht in Calcutta, in Ägypten und hier. Dies Ende +der Völker und Ströme, diese Lehre der Natur stimmte mich herzhaft! Ich +ließ meine Tochter in dem sichern anständigen Schiffe, selber Erwin bat sie +darum, und sie folgte doppelt gern. Ich mußte mein gutes Weib aufsuchen! +Meinen Knaben! Ich fuhr auf einem kleinen Boot mit einem Führer an die +Schiffe, welche in diesen Tagen vor uns schon Auswanderer mitgebracht. Ich +fand glücklich den Capitain, der mein Weib und Kind übergeführt. Er nannte +mir das Haus, wohin sie mit dem Knaben sich gewendet. Ich bat darauf meinen +Freund um seinen Neger Wilberforce; und sauber gekleidet und glühend im +Gesicht ging ich in der Abenddämmerung mit ihm dahin. Er trug meinen Mantel +und mein rothes Saffian-Kästchen. So drängten wir uns durch ein Gewirr von +Menschen, und daß ich auch so schändlich unterscheide -- durch unzählige +Sclaven, von welchen sehr viele nur Einen Arm hatten, der ihnen von ihren +Herren weggehauen worden, wenn sie ihn auch oft nur zufällig gegen +denselben erhoben. Alle wichen mir als einem Weißen aus, schon von Weitem. +Aber Alle sahen düster, ja gefährlich aus, und ihre Augen funkelten und +desto greller in der sinkenden Dämmerung. Das ersehnte war ein ziemlich +einsam stehendes prächtiges Haus mit großem Erker mit Spiegelscheiben, in +denen der Abendschein glühte. Der treue Wilberforce meldete mich unter dem +Namen eines französischen Obersten. Das sey der geringste Titel, den ich +mir geben müsse, meinte er. Ich dachte an das Wiener »Gnaden« und ließ es +geschehen. Ich ward angenommen. Alles prachtvoll im Hause! Kostbare +Teppiche auf der Treppe. Ein glänzendes Vorzimmer. Ein unbeschreiblich +liebliches Zimmer, worin ein Weib auf der Ottomane lag, sich halb +aufrichtete, als ich hereintrat; und als ich ihr näher trat, und ihr doch +noch zu fern stehen mochte, als daß sie in dem abendroth dämmernden Zimmer, +wie sie wünschte, mich sahe -- da stand sie ganz auf, und leise, leise bog +sie ihr Köpfchen vor. Es war mein Weib nicht. Aber da ich mit +unbeschreiblicher Sehnsucht, mit dem Lächeln, Jemand zu überraschen, mit +der Freude: Freude zu machen, mit großen, gewiß leuchtenden Augen nach ihr +gesehen, so hatte ich auch gesehen, daß es ein Weib war, schön, wie die +Kaiserin Josephine in ihrer blühendsten Jugend gewesen seyn mag; aber +solche Augen voll Seele, groß und mild, solch einen Wuchs, solche Glieder +hatte ich noch nie gesehen. Es war, ihrem nur wie mit einem Hauch vom +lichtesten, fast weißen Braun behauchten Gesicht, dem Hals und Nacken und +den Armen nach, eine Quarterone, die, ein Theil Indisch, zu drei Theilen +Weiß gemischt, meist zauberisch schön sind. Mit dieser Neugier, dieser +Verwunderung, ich will nicht sagen Bewunderung, sah ich sie an. Sie +lächelte, wie ich sie so ansah. Wir waren allein. Ich schlug die Augen +nieder. Dann glaubte ich Geräusch hinter den Vorhängen ihres Schlafcabinets +zu vernehmen -- und ich blickte mit Sehnsucht dahin! Aber es trat Niemand +heraus! Nur ein buntgefiederter Ara hatte sich in seinem Ringe geschaukelt +und mit der Kette gespielt. Sie hatte sich wieder gesetzt. Und ihr Blick +stieg jetzt langsam von meiner Fußspitze an mir herauf und blieb dann an +meinen fragenden Augen fest geheftet, bis jetzt _sie_ die Augen +niederschlug, und vor sich hinlächelte, wie ich nie gesehen. + +Ich ward roth, ich fühlte es, über ein mögliches, wenn auch noch so +ehrenwerthes oder holdes Mißverständniß, und so wollte ich, alle Schleier +zerreißend, nun, leise jedoch, nach meinem Weibe, meinem Knaben fragen -- +denn auch er stürzte dem Vater noch nicht in die Arme . . . . oder hatte +sie mich in dem Briefe gutmüthig getäuscht, oder ich mich gutmüthig im +Schiff -- aber wie dann doch der Capitain des Schiffes . . . . so überlegte +ich noch . . . . aber eben deswegen wollte ich ja fragen, fiel mir, von dem +jungen Weibe ganz Verworrenen ein -- da sprang sie plötzlich auf und stieß +einen Schrei aus; und wie erschrocken darüber, daß sie so laut geschrieen, +hielt sie sich doch gleich selbst mit der kleinen Hand den kleinen Mund zu +-- ich blickte im Zimmer umher -- es war hell! ich blickte nach dem Fenster +-- ich sah Gluth. Feuer ging auf in der Stadt. Schon schlug eine hohe Lohe +empor. Rauch quoll auf Rauch, und die Feuersäule stieg himmelan. -- + +Die schöne Frau zitterte am ganzen Leibe; ihre Zähnchen klapperten vor +Schrecken, und Furcht. -- »Sehen Sie dort! Dort auch!« -- sprach sie auf +französisch, mit gedämpfter, hastiger, ängstlicher Stimme, deren Drang und +Laut mich innig durchscholl und bewegte. Und als sie einige Schritt auf die +Gluth zu gethan, rief sie in höchster Bestürzung: »Und dort! Dort auch!« -- + +Sie sank auf ein Knie und verbarg ihr Gesicht in den Händen, und ihr volles +Haar fiel schwarz und auch wie schrecklich über sie herab, mit den Spitzen +bis auf den Teppich. -- »Ich bin verloren!« stöhnte sie. »Wir sind +verloren!« + +-- Die Feuer sind weit! tröstete ich sie. Sie scheinen freilich angelegt. +Denn drei Gehöfte gehen an verschiedenen Orten zu gleicher Zeit mit +demselben Stundenschlage auf. Aber man wird es löschen. Das Feuer ist dem +Menschen oder doch dem Wasser, unterthan. + +»Ach, die Sclaven! die Sclaven! Sie stiften den Brand nur an, um uns zu +ermorden, um frei zu seyn!« sprach sie, in höchster Angst aufspringend, +irrte im Zimmer umher und rang die Hände. »Mein Mann ist todt; schon ein +Jahr. Er war hart. Ich bin gut. Aber sie haben es ihm nicht vergessen. +Sclavenrache ist fürchterlich! Die südlichen Staaten zittern vor ihren +Millionen Sclaven! Wohl hunderttausend sind hier in der Nähe! Und hier, +hier im Gehöft sind 63 Neger! Himmel! Sie singen ihr fürchterlich Lied! +Quillt nicht dort Rauch aus dem Dach? -- Ach, wie entflieh' ich? Retten Sie +mich! Ach, ich bin noch so jung! Ich lebte so gern, nun wollt' ich erst +leben, und soll nun sterben!« + +Sie weinte. Und ehe ich nur so was denken konnte, lag das zitternde, +glühende, bebende Weib schon an meiner Brust . . . ihre Augen sahen +himmlisch bittend mit ihren schwarzen, großen Sternen aus dem großen, +reinen, feuchten Milchweiß zu mir auf . . . . ihre Lippen zuckten . . . sie +war ein Weib . . . . ich war ein Mensch . . . Lärmen von tausend dumpfen +Stimmen scholl her, die Gluth wuchs, als wenn die Wolken anbrennten, Wagen +eilten und rasselten, Glocken lauteten grell und ängstlich; »Alle Sclaven +bei Todesstrafe in die Häuser!« hörte ich deutlich unten rufen -- -- +Schiller trat als Geist vor mich, ich erblickte sein blasses, +menschenfreundliches, keckes Gesicht deutlich, und er sprach deutlich. + + »-- Vor dem Sclaven, wenn er die Kette bricht -- + Vor dem freien Menschen erzittert nicht!« + +So etwas hatte ich mir nicht vorgestellt, nirgends, am wenigsten hier; aber +ich war mitten hinein geworfen, die junge Wittwe küßte meine Hände, sie +gelobte mir ewige Freundschaft, ewige Dankbarkeit, wie ein Weib sich nur +irgend bedanken könne, mit Allem, was sie habe und sei, wenn das zulange, +mir genug oder nicht genug sei . . . . . nur erretten sollt' ich sie, +retten . . . . + +-- und ich war bereit. + +Aber wie? -- Das war die Frage; und ich that sie mit Trost, aber mit Eifer. +Ich weiß nicht wie. Es ist etwas Eigenes um ein gar so schönes Weib! und in +Noth und in Thränen! Sie wußte Rath. Das Opfer war nicht gering. Aber es +gab nur diesen Weg, sonst keinen. Denn an Vertheidigung war nicht zu +denken. -- In meinen Kleidern wollte sie fliehen, mit meinem Mantel und +Hut, mit meinem Bündel. Denn so hatten sie mich gewiß hereinkommen gesehn, +so ließen sie mich in dem Eifer gewiß wieder hinaus; aber _sie_, statt +mich. Ich sollte mich aber in ihr Bett legen -- als Kranker, vom gelben +Fieber plötzlich Befallener -- wenn mich die Sclaven suchten und fänden und +hervorrissen. Sie würden sehen, ich sei fremd. Selbst in der Wuth würden +sie so blind nicht seyn. Am wenigsten könnten sie ahnen, daß wir schon ein +Einverständniß hätten! + +Bei diesem Wort sah sie mich mit Augen an, von welchen ich nicht mehr +geglaubt hätte, daß sie mich angehen, mich anfechten, ja in mich dringen +könnten. Ich kam aus dem Erstaunen nicht heraus. In der Welt ist Alles +möglich! dacht' ich. Zeit, Ort und Umstände sind die Herren aller Dinge. +Sollte ich sie in Stücke zerhauen sehn? Doch, wenn ihre Flucht gelang, wenn +sie sicher war, dann war ich erst in der größten Gefahr. Doch das dachte +ich nicht. Denn . . . . + +Sie war rasch zum Werk. Sie holte mein Ledertäschchen selbst aus dem +Vorzimmer, sie warf meine Sachen heraus, meine besten, theuersten Sachen +und Papiere, sie schloß eine Commode auf, nahm Papiere heraus, und füllte +es dafür damit an; sie band mir das Halstuch ab, nahm die Weste, nahm den +Hut, den Mantel, die Stiefeln, sogar; ich mußte mich in ihr weiches zartes +Bett legen, sie deckte mich zu, ja, als ich gehorsam wie ein großes +Windelkind, überrascht und wie gefangen mit dem Kopf in den weichen Pfühlen +lag, neigte sie schnell ihr Gesicht über mich, ihr rechter Arm schlang sich +unter meinem Nacken durch, ihre Stirn ruhte einen Augenblick auf meiner, +und ihre Lippen küßten meine Lippen im Fluge einen Augenblick, während ich +nicht aufblickte, sondern die Augen fest zugeschlossen hatte; und schnell +lispelte sie mir noch zu: »Das soll Dir nicht unvergolten bleiben! So Gott +will!« + +Und so verschwand sie -- wie mein zweites Ich, und ich träumte mit +wachenden Augen, und sahe die Gluth des Feuers und hörte das Tosen in der +Stadt. + +So lag ich voller Erwartung der Dinge. Ich liege eine Viertelstunde, eine +halbe Stunde, eine -- -- zwei Stunden -- -- ich höre keine Uhr mehr; keine +Glocke; das Tosen läßt nach, das Feuer brennt lichter am Himmel als auf der +Erde. Ich bin halb eingeschlafen. Endlich ganz. Ich weiß nicht wie lange. +Aber mit Sorgen. Denn nun höre ich leise Tritte, überall im düstern Zimmer +umher! Ich höre rufen! Es kommt zu meinem Bett! Es ruft mich! meinen Namen! +Es greift und tappt auf meiner Decke, es ergreift meinen Kopf, meine Hand. +Ich fasse zu, als wenn ich einen Löwen festhalten wollte. + +»Ich bin's!« spricht die Stimme. Es ist der Neger -- Wilberforce. »Sind Sie +hier? Sind Sie es?« frägt er. + +Ich muß leider Ja sagen. + +»Haben Sie Muth?« frägt er mich. »Wissen Sie schon?« + +Ich habe Muth, wie Du siehst, und weiß nichts! antworte ich. + +»Wissen Sie nicht ihr Schicksal?« + +Ist sie todt? frag ich, und fahre empor. + +»Nun Sie es sagen -- ja! Sie ist todt!« spricht er und weint. + +Ich falle vor Schreck zurück. Ich denke sie mir todt. In der That, mir +stockt das Herz. Ich athme kaum. Weinen kann ich nicht. + +»Aber Ihr kleiner Sohn lebt;« spricht er. + +Also _meine Frau_ ist todt! ruf' ich und springe aus dem Bett. + +»Am gelben Fieber;« sagt er. »Vor vierzehn Tagen. Die reiche, schöne, junge +Wittwe hier hat sie redlich pflegen und begraben lassen, und ihr ein +gemauertes Kästchen in das Wasser machen, denn hier begräbt man in Wasser.« + +Nun kann ich weinen. + +Nach langem Schweigen frag' ich zu meinem Troste: aber mein Sohn lebt, +warum kommt er nicht? + +»Schon Ihre vormalige Frau hat geglaubt, Sie sind voraus nach Ohio -- und +so hat, natürlich aus einem Irrthum, das gute liebe Weib hier, ich meine +Madame Josephine, ihn in guter Begleitung nach Cincinnati abreisen lassen +mit Briefen an dasselbe Haus, an das Sie empfohlen sind. Das weiß ich vom +Hausvoigt. Ja, sie hat ihn schon fortgesandt, ehe er auch erkranke, und ehe +seine Mutter gestorben ist.« + +Aber warum lebe ich noch? Wo sind die Neger gewesen? + +»Zufällig eingeschlossen, -- von mir! Sie wären ermordet worden im, Bett. +Vielleicht auch nicht. Denn wir sind nur rachsüchtig, nicht blutdürstig. +Ich sah Sie forteilen ohne mich -- ich eile nach; da entdeck' ich, es ist +Josephine, die sich mir entreißt. Da vermuth' ich mit Recht, daß Sie noch +im Hause sind. Da verschloß ich die Sclaven. Im Grunde umsonst; denn der +Aufruhr ward in der Stadt gedämpft. Die Neger hörten nichts mehr, und so +blieben sie ruhig. Aber alle hatten sich schon mit Waffen versehn! sie sind +schuldig. Ach, bitten Sie morgen für meine Brüder, wenn Josephine vom +Landhaus wiederkehrt. Die Gefahr ist vorüber. Morgen können Sie gewiß +hundert Sclaven sehen die rechte Hand abhauen. Denn wer von uns nur eine +Hand gegen seinen Herrn aufhebt, dem wird sie abgehauen. Darum tragen wir +sie gern ganz steif an den Schenkeln hinunter. Ach Gott, wer zu Hause wäre, +und hätte nur Freiheit im Vaterland! Freiheit und Vaterland, keins ist ohne +das andere was werth -- wie nur Ein Bein, Eine Hand! Ach! Ich bin frei! Für +treue Begleitung auf seiner Reise hatte mir mein Herr die Freiheit +versprochen. Aber was ist das ohne Vaterland! Was ich Jahre gehofft, ist +mir nun nichts! Doch nein -- die Freiheit ist mir die Erlaubniß im +Vaterlande zu wohnen!« + +So verließ er mich weinend. + +Es war natürlich, daß mir das Unglück meiner Frau um meiner Tochter willen +am tiefsten leid that. Denn weil die Tochter lebte . . . . so war ich jetzt +am meisten um die Tochter besorgt. Was würde sie gelitten haben! Und warum? +Warum schon jetzt? Warum überhaupt! Ich beschloß also fest, meiner einzigen +Tochter den Tod ihrer Mutter zu verschweigen. Meiner Großmutter Sohn war +gewiß schon lange todt, und in der alten Frau lebte er immer noch +glücklich! Und so schlief ich endlich voll Liebe und Träume ein, mit nassen +Augen. Zu Hause saß meine alte Großmutter blind -- ohne ihren liebsten +Sohn; mein Sohn Marbod vielleicht noch auf dem Schlosse bei der Baronesse +Freysingen Doppelsonaten spielend. Mein Knabe war hier im Land, aber fremd +unter Fremden mich suchend! Aber meine Tochter hatte ich nahe, die arme, +ungewisse Braut, die sich edel scheute vor einem Mann, der Sclaven hat +. . . . und ich lag hier in dem weichen Bett . . . . als Gesandter . . . +und wer hatte gestern in diesem Bett geruht . . . . ein Gebild, das ich nie +gekannt, das mir wie im Traume Verheißungen gethan, die mir heiß machten +. . . . die nun in Erfüllung gehen konnten . . . . und morgen früh im +Morgenroth kam sie vielleicht schon . . . . oder kam nicht . . . . Und ich +fürchtete mich vor ihr! und auch nicht . . . . . + +Mein Gott! Was ist der Mensch! Das Meer murmelte, ich dachte an seine Wüste +-- aber auch an seine Blumengärten in der Tiefe. Und ich beschloß neu zu +seyn in der neuen Welt. Und ich sah einen mir neuen, hellen, schönen Stern +am Himmel, den ich nie gesehn. Und er war doch, und ich war! Ich -- 40 +Jahr! In meinen schönsten Jahren! + +Was ist der Mensch! Und auf diesen Grundstein baute ich edle Pläne für +viele Menschen -- für schwarze und weiße! Das Alles versteht sich -- im +Traume! + +Ich schlief bis die Sonne schon hoch stand. Ich war todtmüde an Leib und +Seele, und die erste Nacht Schlaf auf dem Lande, diese Wonne, dieses Gefühl +der Erde, ist allein eine tausend Meilen weite Seereise werth. Das kann man +mir glauben, mir, der ich gar nichts auf solche Dinge halte, als da sind: +Braten, Wein, gutes Bett und alle die Herrlichkeiten der Herrlichkeiten. +Ich sah mir die Sonne an, das heilige Bild, das treu aussehend wie in der +Heimath, hier wunderhell am Himmel strahlte und mich anlächelte. Ich war +barbarisch hungrig -- in diesem Lande, wo Millionen Fische in den Strömen +und Seeen schwimmen, wo alle Früchte der Erde im Überfluß wuchsen, war ich +barbarisch hungrig, und im Hause regte sich Niemand, kein Mensch frug nach +mir. Ich hätte mir gern ein halbes Dutzend Feigen oder Orangen von den +Bäumen am Hause hereingelangt; aber ich wäre bald zum Fenster +hinausgestürzt, und schlug mir auf den Magen: Freund, Geduld! -- Ich goß +Waschwasser in das Porcellainbecken, ich ließ es eine Zeit auf dem offenen +Fenster stehen, während ich meine zerstreuten Sachen zusammenlas, und als +ich mich waschen wollte, verbrannte ich mir fast die Hände darin, so heiß +war es von der bloßen Sonne geworden, die hier ein ganz anderes Ding war! +Und ich erklärte den im Geiste vor mich tretenden Vorstehern unsrer zwanzig +Dörfer laut: Laßt uns betrachten! Es ist Unsinn, hierher in die Gluth zu +wandern. Wollt Ihr faul werden? -- faul, wie die Italiäner? Zu sinnlichen, +unwissenden Menschen? Oder fleißige Deutsche bleiben, die den Tag fleißig +arbeiten, oder bis in die Nacht noch fleißig studiren? -- Selber Bienen, +die hierher kommen, und den ersten und alle Winter hier Blumen und Nahrung +im Überfluß finden, werden faul, das heißt: sie nähren sich blos. Oder, +liebe Gemeinden, wollt Ihr in Furcht vor den Sclaven leben? Oder noch +schlimmer, wollt Ihr Sclaven halten? Ihr könnt Euch ja denken, wie Sclaven +zu Muth ist; denn das kann Jeder. Wollt Ihr Plantagenbesitzer werden, +Diener der Kaufleute? Wollt Ihr alle Jahre am gelben Fieber sterben? Das +heißt: Jeder der Euren nur einmal. Aber das ist genug für Jeden. Und wenn +der Vater oder die Mutter in einem Hause stirbt, zu früh, zu unnöthig, +macht das nicht oft ein ganzes Geschlecht bis auf Kind und Kindeskind +unglücklich? -- Ihr wollt das Alles Alle nicht! Ich höre es. Also Kinder, +vermeidet _die Küste_ von Amerika, von Boston bis Neu-Orleans, wo ich meine +Frau verloren. Zieht nicht in die Staaten, wo die Sclaven die heimlichen +Herren sind, also nur nach Ohio, wo kein Mensch einen Menschen als Sclaven +halten darf, nach Kentucky höchstens, wo sie verlöschen. Lieber nach +Indiana, Illinois! Aber nördlicher nicht! Denn alte Menschen müssen in ein +wärmeres Clima wandern, das thut ihnen wohl! Nicht in ein kälteres, wo kein +Wein wächst, die Milch der Alten, der Wein, der des Menschen Herz erfreut +-- und soll sich der Mensch nicht freuen der Erde auf Erden? Bedürft Ihr +nicht Freude? Ach, ein Glas Wein Euren Armen und Alten hätte Euch wohl +gethan! -- Ich dachte in dieser Rede an die Flasche, die ich an dem +Treppengeländer zerschlagen, an das Lachen meines Herrn Sohnes -- und +schwieg; Mit diesen Worten, sahe ich, hatte ich mir aber selbst meinen +Reiseplan vorgezeichnet -- und ich war nur auf einige Staaten gewiesen, +freute mich und rieb mir die Hände. Die Herren Vorsteher mit ihren Hüten in +den Händen verschwanden mir aber plötzlich alle; denn ein prachtvoller +englischer Wagen mit herrlichen Pferden kam donnernd vor das Haus gefahren +und hielt. Ich sah zum Fenster hinab. Und das rückwärts gebeugte Köpfchen, +das herauf strahlende Auge, das freundlich lächelnde Gesicht, die wie +Perlen blitzenden Zähnchen im rothen, schwellenden Munde -- ich kannte das +Alles schon wie aus einem Traume. Ich fuhr in meinen Rock -- ja, um ein +aufrichtiger Mann zu seyn -- ich sah in den Spiegel. Die Seereise hatte +mich wundervoll hergestellt. Ich konnte kaum öffnen, als sie an ihrer +eignen Thür mit schnellem Finger anpochte, und wie eine Erscheinung, rasch +und leuchtend, stand Josephine schon im Zimmer; aber wie sorgfältig +geschmückt, wie ländlich-lieblich im weißen Kleide mit blauen Bändern um +Leib und Brust, und doch wie reich! große Perlen am Ohr; ein unschätzbares +Halsband von sehr großen Diamanten um den Hals, dreimal ihn weit umlagernd. + +»Nun,« sprach sie doppelt zart und unschuldig klingend auf französisch, und +reichte mir ein Händchen und sahe mir in die Augen -- »nun, wie schlief es +sich hier . . . in Amerika?« und meinte gewiß nur ihr Bett. Denn sie +erröthete zart und unschuldig. Aber plötzlich brach sie in lautes Gelächter +aus, denn sie sahe auf meine Füße. Ich war in Strümpfen. Aber um ein +aufrichtiger Mann zu seyn, mußte ich gestehen und ihr sagen: »Als Sie +gerettet waren, sahe ich nicht ein, warum ich hier bleiben, vielleicht den +Tod erleiden und nicht lieber versuchen sollte, desgleichen zu entkommen! +Das vergeben Sie mir gewiß auch! Ich malte mir also mit meinem Finger aus +ihrem Dintenfaß -- schwarze Schuhe auf die Strümpfe . . . aber da glaubt' +ich heraufkommen zu hören, und, um ein aufrichtiger Mann zu seyn, ich +verbrachte ein angenehmes halbes Stündchen in ihrem Camin, -- -- Ich mußte +lachen. Es war unmöglich, ich mußte. Sie betrachtete ihr Bett und sagte, +lachend bis zu Thränen: »Ja, es ist wahr!« Und wie vor Lachen barg sie ihr +Gesicht einen Augenblick in den Kopfkissen. + +Ich räusperte mich; ich rieb mir mit der flachen Hand die Brust; ich +machte, ärgerlich, ein finstres Gesicht. + +Aber sie sprach, jetzt ernstlich besorgt: Sie sind hungrig! Ich lebe jetzt +auf dem Lande und war gestern nur auf ein Huschchen hereingekommen, doch +ist hier Rath. Und schlank und flink, willig und gutmüthig, ja fast +gehorsam, als wäre sie selbst eine weiße Sclavin, eilte sie, rief sie, +besorgte sie; und athemschöpfend und rosig und heiter kam sie wieder. Mein +Gott! mußte ich sprechen und seufzen! Sie hatte mir, ehe sie wiedergekehrt, +die mir fehlenden Kleidungsstücke mit einer jungen Sclavin, schwarz wie +eine Schnecke, aus dem Wagen geschickt. Dieselbe bediente uns bei Tisch, an +welchem wir uns Beide gegenübersaßen, und uns von der überstandenen Angst +und der Nacht erzählten. Die kalten Speisen, die Früchte, der Wein, Alles +war köstlich, und ein heitres Mahl läßt Alles heitrer betrachten. Und doch +kostete sie kaum von Einem oder dem Andern, wie Kinder. Und doch ward ich +immer trauriger mit jedem Glase Wein, ob er gleich Amerikaner war. O wie +hatte ich mich auf den ersten Bissen Amerikanisches Brot gefreut! auf den +ersten Trunk Amerikanisches Wasser! Ich dachte zu Hause an unsre letzte +Mahlzeit, ja mein Diakonus stand wieder vor mir, und hielt um Maria an; ich +lächelte, und Josephine lächelte hold unbewußt. Darauf nahm sie ein, vielen +deutschen Bürgermeistern und Andern noch wohlbekanntes Russisches +Instrument, eine Knute von der Wand, aber ländlich zierlich mit schöner +bunter Schlangenhaut überzogen und aus Schlangenhaut geflochten. Wir gingen +hinab in den Hof, in dessen Mauern vor den Gebäuden die Sclaven standen, +die im Glauben, ein Unrecht gestern begangen zu haben, auf ihre Kniee +fielen. Sie hatten das Lied gesungen . . . .! Ich sollte es bezeugen! Da +knieeten nun die Kinder jener ersten Kinder der frühsten anfänglichen Erde, +noch schwarz wie ihre ersten Ältern unter der überall heißen Sonne. Und +ihre kleinen Kinder hoben neben den Müttern die kleinen schwarzen Händchen +in die Höhe. So weit hatten sie es also in Jahrtausenden gebracht! So weit +das weiße Geschlecht! Ich bat für die Armen, die nichts verbrochen, als daß +sie die Freiheit wünschten. Ich mußte lange bitten, während ihre Herrin mit +von mir abgewandtem Gesicht langsam umherging. Endlich wandte sie sich +plötzlich um und sprach: »Ich habe Allen sogleich verziehen, Glauben Sie +es! Aber es ist gar so hold, wenn Sie bitten; ich weiß nicht, es macht mir +recht innerlich Freude.« Sie rief sechs Mädchen herbei und sagte ihnen: +»Ihr habt Euch verheirathen wollen, so macht denn heut Hochzeit, und Alle +freuen sich mit Euch!« + +Kein Hund, kein Mensch kann sich so bedanken, wie diese von einem guten +Worte Glücklichen. Josephine konnte sich nicht ihrer wehren, und sie wies +auf mich und sagte: »Danket dem Herrn hier!« -- Nun umkniete mich der +Schwarm, und ich sagte ihnen: Danket dem Herrn Jesus Christ! Da tiefen +Alle: »Ah, Monsieur Jesus Christ! Monsieur Jesus Christ -- quand viendrat +-- il en Amerique?« + +Mich frug dann ein alter Neger genauer. Er glaubte: Ihr Freund lebe bei +Uns! aber außer seinem Namen wußte er kein Wort von ihm. Die Neger hatten +nur jeder einen Namen; von einer Taufe wußten sie nichts, auch nicht, daß +ein Pfarrer die jungen Paare trauen werde. Das mußte nun wohl einen Pastor +verdrießen, aber nicht grade einen Lehrer und Prediger. Dafür dankte ich +meiner gütigen Wirthin für ihre Güte . . . und es mußte gesagt seyn -- ich +dankte ihr auch, daß sie mein Weib so gepflegt, und sie, die Unbekannte, so +dankenswerth habe begraben lassen! Nun war mir der Stein vom Herzen. + +»Aber mein Gott!« . . . rief Josephine, und trat einen Schritt auf mich zu. +Sie war blaß, ganz blaß geworden, ihre Arme hingen an ihren Schenkeln +herab, und die Hand ließ noch eine wundervolle, tellergroße, rothe Blüthe +fallen, und ihr Köpfchen neigte sich auf die Brust. Welche Gedanken sie im +Innern überwältigten, wie sollte ich es bedenken, ich, dessen Herz so voll +war, dessen Augen sich füllten. Endlich lispelte sie, wie zu sich selbst, +ohne mich anzusehen: -- »also der unvergleichlich schöne Knabe, das war +seyn Sohn! Und wie erkannt' ich nicht gleich den Vater! Ist er ihm nicht +ähnlich, wie der halbgefüllte Mond dem vollen Mond?« Und zu mir gewandt +sprach sie mit Thränen in den Augen: »Ich hatte den Knaben so lieb, drum +schickt' ich in Zeiten ihn fort!« + +Was sollte ich sagen? -- Mein Geschäft hier war zu Ende. Mir blieb nichts +als zu scheiden, aber erst Abschied zu nehmen; jedoch bei den ersten Worten +dazu fragte sie mich, während ihre großen Gazellenaugen mich treuherzig +ansahen: »Und wieder in alle Welt schon wollen Sie hin? Wohin? Habe ich Sie +beleidigt? War ich zu heiter -- war ich zu aufrichtigen Herzens? Ach, viel +im Leben hängt davon ab, in welcher Reihenfolge wir etwas vernehmen, in +welcher Gedankenfolge ein Mensch den andern sieht . . . . o, ich war so +heiter! Und alle die Angst!« + +Ich bat sie nur Eins: zu verschweigen, daß die Fremde hier gestorben sei, +damit es meinem Knaben, damit es meiner Tochter ein ruhiges Geheimniß +bleibe . . . . + +»Ihrer Tochter!« sprach sie fast betreten. »Sie haben . . . .?« + +Ja, sie ist hier; hatte ich kaum gesagt, als meine Maria schon vor mir +stand, und hinter ihr Wilberforce. Die Unruhe hatte sie hergetrieben. +Josephine stand lange vor ihr mit niedergesenkten Augen, den Mund fein +geschlossen; sie getraute sich aus reinster Schaam, ja Beschämung nicht sie +anzusehn. Ja, in dieser befangenen Stellung sprach sie zu ihr, begrüßte +sie, hieß sie willkommen, ja reichte sie ihr eine langsame Hand, die sie +gleich wieder zurückzog. Sie erblickte im offenen Thor die sechs +Schwestern, die auch vom Schiffe an's Land gekommen; sie sahe mich fragend +an, sie ließ sie einladen; und während Wilberforce ging, und nachdem sie +von mir gehört, welche Absicht sie hätten, versprach sie mir schon im +Voraus, sie alle bei sich zu behalten, wenn ich auch das erlaube . . . . +oder vielleicht auch die Tochter . . . wenn ich gehe, damit sie nicht ganz +allein sei. Und den Schwestern entgegen wandelnd, vertraute ich dem +treuherzigsten Geschöpf von der Welt, daß sie eine sonderbare Braut sei mit +Master Erwin; die Ursache ihrer Scheu vor ihm, als einem so grausamen Mann, +der Sclaven halte, und nun seine Scheu vor ihr. Aber zu meiner Verwunderung +fand sie sein Anhalten sehr natürlich. O der Mensch ist blind über gute +Menschen; dann wie ich hätte Ursache gehabt mich zu freuen. + +Nun mußte ich bleiben. Ich ging darauf allein zu Erwin, um meine Sachen +alle zu Josephinen tragen zu lassen. Er war das zufrieden; auch daß meine +Maria bei ihr bleibe, war er zufrieden, ob er mir gleich mit Achselzucken +vertraute, daß Josephine, als Abkömmling von schwarzer Haut, bei keiner +ganz weißen Haut in irgend einer menschlichen Achtung stehe; so schön, so +seelengut, so achtungswerth, ja so reich sie sei -- denn sie sei die Wittwe +seines Bruders, und wahrscheinlich, wie er sich einbilde, sei ich nur durch +Namensverwechselung an ihr Haus gewiesen worden. Ohne etwas zu ahnen, hatte +er damit nur mein Weib gemeint. + +Also ihr Bruder ist todt? wollte ich fragen, aber ich vermied aus eigener +Trauer die Frage. Er versprach mir zur Reise den Todtenstrom hinauf alles +Erforderliche anzuordnen; er selbst habe Hoffnung zum Senator gewählt zu +werden, und dann müsse er mit, oder nach mir -- denn er habe noch Vieles +und Schweres zuvor zu besorgen -- nach Philadelphia, nach Washington. Dabei +gab er mir wieder die Hand, und schüttelte sie dreimal, wie in Bremen auf +der Straße, als er die wohl von Eifersucht ausgepreßte Frage an mich that. +Das war mein ganzer Bescheid! Ich mochte verdrossen aussehen, aber er +lächelte kaum bemerklich. Das ergrimmte mich noch mehr. Meine Hoffnungen +waren zu Wasser! Die Auswanderer waren schon lange in's Land, den Strom auf +einem der hundert Dampfschiffe hinauf! Nur den Wilhelm fand ich allein, den +ich mit mir nahm. Ich traf zu Hause, so mußte ich schon sagen, aber meine +Tochter nicht mehr, Josephinen nicht mehr, sondern nur einen angespannten, +auf mich wartenden Wagen, der uns im Fluge hinaus nach dem prächtigen +Landsitz brachte. + +In den wenigen Tagen, die ich darauf noch hier blieb, hatte sich Josephine +an die dritte der sechs Schwestern, an die schöne Clöta gewöhnt, die +französisch verstand, sie lieb gewonnen; und gegen meine Maria war +Josephine verschämt, aber mild, und so war auch meine Tochter verschämt vor +ihr, aber mild. Gegen mich war Josephine gelassen, ernst, düster, so +anständig und zart, wie ich kaum je ein so junges Weib, ja nur eine +Jungfrau gesehen. Schien ich etwas zu wünschen, so sprang sie in der ersten +Zeit noch behend auf wie ein Reh, aber sie kam wieder und hatte nur für +sich etwas geholt. Mir war sonderbar zu Muth. Manchmal, wenn wir neben +einander am Abend in den schattigen Gängen ihres Gartens wandelten, und die +große, hier himmlische Abendsonne durch Lücken der blühenden Akazien und +Magnolien ihr Gesicht und Schulter vergoldete, da, um ein aufrichtiger Mann +zu seyn -- fiel folgendes Gespräch in mir vor: + +-- Mein liebes Weib, Du bist ja doch nun todt einmal, also auf immer! Ich +lebe noch -- auf dem Gipfel des Lebens. Der Hinuntergang ist schlimmer als +der Hinaufgang. Wie viel Gutes und Schönes würde ich für mich und die +Kinder erlangen, mit dieser Gestalt . . . . . wenn ich Muth hätte! + +-- -- Unterstehe Dich! und sag' ihr ein Wort! sprach meine Frau, die als +Erscheinung der Seele mir klar, sogar sichtbar vor meinen Augen in dem +Schattengang schwebte, und uns nicht von der Seite wich, -- und näher mir +wiederholte: Unterstehe Dich das! Und jetzt schon! O Du Undankbarer! Denn +war ich nicht eine Adlige, die Dir ihre Hand gab? Und ist diese arme Person +hier nicht eine Namenlose, eine Unehrliche im Lande? Mucke! + +Da schwieg ich eine Weile. Dann fing ich doch leise wieder an: Aber wenn +ich sie nach Europa nähme mit alle den Sclaven? Und ehe wir reiseten, +könnte ich Dir lassen ein prachtvolles Mausoleum erbauen mit Deinem Wappen; +und vor meinem Namen wollte ich lassen ein »Von« einhauen damit ein Jeder +hier läse, daß Du keine Mißheirath gethan! + +Lügen willst Du sogar? sprach das Luftgebild. Ich sehe schon, wie Du +denkst. Ich bin verloren, aber zum Glück bin ich todt! + +Nein, sprach ich, Du sollst meine innere, geistige Frau seyn, und diese +hier meine äußere, leibliche. + +O sie ist schön! sprach meine geistige Frau; um mich in Versuchung zu +führen. + +Soll ich ihr hier ungesehen zu Füßen fallen? Ach, ich dürfte nur ihre Hand +ergreifen -- und ich denke, sie fällt mir zuvor um den Hals. + +Da schrie meine Frau auf, und fuhr zwischen mich und Josephine, die sich +mit dem Arm an eine Cypresse gelehnt, und der sinkenden Sonne nachsah, aber +mit zugeschlossenen Augen. Ich selbst aber hatte den Schrei meiner Frau mit +meinem Munde ausgestoßen -- so daß die Vögel erschreckt von den Zweigen +flogen -- daß Josephine mich ansah, und erstaunt sah, wie ich zitternd und +bebend und ganz blaß vor Schrecken dastand, wie aus dem Himmel gefallen; +aber ich war nur aus dem innern Hause des Menschen heraus auf die lebendige +Erde getreten. Und ich schämte mich und schwieg. Und sie frug nicht. Und so +blieb es. So blieb sie. So blieb ich. Ein Wittwer ist eine besondere +Person. Aber ich dachte auch manchmal: auch eine Wittwe ist eine besondere +Person; nicht Jungfrau, nicht Weib, nicht Mutter -- denn Josephinen stand +dereinst erst dies Glück bevor. -- Ach! es sollte nur Wittwen geben von 70 +Jahren, und Wittwer von 80! Der Tod, besonders der frühe Tod stiftet +allerhand Unheil. + +So ein Gespräch wäre mir, in Allem ehrlichem Manne, wahrlich nicht +vorgekommen, wenn ich nicht auf immer aus dieser Gegend nun scheiden mußte; +Josephinen auf immer zurücklassen. Und die Trennung ist ein Wurm, der die +Früchte zu früh reift -- daß sie abfallen. Es war ein Gedanke gewesen zum +Besten meiner Kinder, zum Besten der armen schwarzen Kinder der Erde. Ich +schrieb einen ausführlichen, lehrreichen Brief in die Heimath, an mein Volk +-- dessen Gesandter ich war; an meinen Sohn. Meine Tochter schrieb an die +Baronesse Freysingen, an ihren kleinen Bruder, und -- was ich heimlich mit +Thränen sah -- sie schrieb einen langen, herzlichen Brief an ihre Mutter, +die aber nicht weit von ihr in der freien Erde lag. Sie versprach ihr, +recht oft zu schreiben. Dann besprachen wir, neben Josephinen sitzend, +unsere Reise. Meine Tochter wollte mich nicht verlassen und fiel mir um den +Hals. Josephine sagte mir am letzten Abend blos gute Nacht wie gewöhnlich. +Aber am Morgen war sie schon früh abgereiset . . . . nach der Stadt in ihr +Haus. Dafür fand ich in unserem Dampfschiff unsre Karte für mich, für Maria +und unsern Wilhelm _Mosburg_ bezahlt; wir fanden Körbe voll köstlicher +Speisen, voll Wein, voll Früchte. Aber auch meine Tochter fand nach dem +Wirrwarr des Morgens jetzt erst im Schiffe: daß das dreifache Halsband mit +den großen Diamanten von Josephinen ihr um den Hals gebunden war. Das +deutete auf ewigen Abschied. Das konnte Niemand gethan haben, als sie -- +des Nachts -- und wir sahen uns an und weinten fast Beide. Mein Kind wollte +wieder an's Land, es zurückstellen, Gewißheit haben, doch danken. Aber das +Schiff ging schon sausend den heiligen Todtenstrom hinauf in das heilige +Land, einen Urgarten der Erde, das künftige Paradies der schwarzen Kinder, +denn hier konnten sie allein arbeiten und gedeihen. Ihnen gehört es also +von Natur. Nicht den Weißen, denen es eine Schande geworden, etwas zu thun, +weil sie nicht können. + +Ich finde in meinem Reisebuche bemerkt: »Hier waren also _alle_ Weiße +adlig, oder fühlen sich so; und alle Schwarzen -- Canaille, und fühlen sich +nicht so; bei uns sind es doch nur einige berühmte Geschlechter -- gewesen. +In den nördlichen Staaten darf sich sogar kein freier Neger niederlassen.« + +Unser Dampfschiff ward, nach der neusten Erfindung, selber mit Wasser +gefeuert. Und so fuhren wir, auf der größten Silberader, der Saugader des +Landes, in welche 40 große Silberadern sich ergießen, auf dem Missisippi, +nach und nach in immer höheren Ufern hinauf. Meine Tochter ist +niedergeschlagen. Aus Einem Grunde. Ich bin niedergeschlagen. Aus +dreifachem Grunde! Unsere Reisegefährten waren nicht heiter, und +erheiterten sich und uns wenig. Viele Amerikaner reisen zu ihrem Vergnügen; +und da Europa zu unerheblich oder Asien zu weit ist, so reisen sie im +Vaterlande und lernen es kennen und schätzen. Denn wahrlich hier ist ein +Vaterland! Und wer wollte den Menschen den Stolz darauf verargen! Wer sich +darüber ärgern? Ach, eher kümmern! Aber in dem Gesicht des Amerikaners +liegt etwas Unerklärliches. Nicht Tiefsinn, nicht Muthlosigkeit, nicht +Schüchternheit, nicht Verlegenheit; aber die Stille einer großen Zukunft, +und eine bescheidne und doch schmachtende Begierde danach, und eine fast +kindische Befangenheit und ein Bangen, wie eines Bräutigams, ruht auf den +Gesichtern. Mir kamen sie vor, als wenn sie selber auswandern sollten -- in +ferne, ungekannte, schöne Tage! Daher die heimliche Unruh, der eigene +gedämpfte Blick, ein fast komischer Ernst und eine heitre Trauer! O wie +rührend und schön ist der Jugend Gesicht! Ich seufzete selbst über alte +Männer! Und auch die jungen Städte des Landes, groß angelegt aus ungeheurer +Hoffnung und doch noch in ihrer Kindheit -- rührten mich. Baton; +Francesville; Fort Adam; Natchez; Huntson; Warren. Old-Arkansaw gegenüber, +kamen Auswanderer den Arkansaw herab, die sich, nicht Alle, aus einem +Überfall der noch nicht weit genug vertriebenen Wilden gerettet. Wir mußten +sie aufnehmen; es waren Neu-Griechen, die sogar erst seit dem Frieden ihr +königliches Vaterland verlassen; ein _griechischer_ Bischof führte sie. Das +zeigte deutlich, welche Furcht sie hinweg getrieben. Nach und nach wußten +wir um Namen, Vorhaben und Vermögen fast aller Mitreisenden. Und so ward +denn ein junger Mensch von etwa 22 Jahren, so hübsch und anständig er war, +von den Meisten zuletzt vermieden. Darum grade suchte ich seine +Bekanntschaft. Und nach einigen Tagen konnte er nicht über das Herz +bringen, mir nicht sein Schicksal zu klagen. -- »Man hat mir meinen Vater +erschlagen,« sprach er betrübt und zornig, und ich habe als Sohn es so weit +gebracht, daß sein Mörder nun hingerichtet wird, ein Ansiedler in Kentucky, +dem er Landeserzeugnisse verkauft, und ihn dabei vielleicht zu sehr +gedrückt hat; denn im Inlande ist kein Geld, und ganz ohne Geld kann +Niemand bestehn, weil doch nicht Jeder Alles erzeugt. Mein Vater war ein +Aufkäufer, die freilich überall hier so verhaßt als unentbehrlich sind. +Auch hätte er längst in seinem Alter von 60 Jahren ausruhen können, da er +die schönste Besitzung in Ohio hat. Aber er hoffte noch immer seinen Sohn, +meinen älteren Bruder, zu finden, der ihn verlassen hat, weil der Vater +wirklich fast unerträglich sich gegen ihn benommen. Aber hier ist es +vergebens, einen Menschen zu suchen. Der Zufall allein thut oft Wunder, wie +ich schon gesehen, so jung ich bin. Mein Vater stammte aus Deutschland, und +er selbst scheint auch seinen Ältern heimlich davon gegangen zu seyn; denn +alle Weihnachtsabende hat er zwar nach Hause geschrieben, aber nie die +Briefe fortgeschickt, sondern sie alle gesammelt und sorgfältig vor uns +verschlossen. Auch hat er nie einen Brief empfangen, so unerhört es ist, +daß Einer auf unsern 7000 Postämtern verloren geht. Hier ist Jedermann +unbedingter Herr selbst von dem höchst achtbarsten Vermögen; der Vater kann +frei Einem Alles, den andern Kindern Nichts vermachen -- mir hatte mein +Vater Alles vermacht, und so konnte ich unbesorgt meinen Bruder suchen, und +hatte ihn glücklich gefunden. Ich bewege ihn glücklich, mit mir zum Vater +zu reisen; er ist nicht daheim; wir reisen ihm nach; -- er ist nicht auf +der Meierei, von wo er doch nicht fortgereist war. Unser Neufoundländer +Hund findet seyn Geripp in einem Ameisenhaufen der großen Ameisen. So sah +der Sohn den Vater wieder. Und nun macht man mir Vorwürfe, daß ich das +Gesetz angerufen, und sagt: »Hier wird Niemand hingerichtet! Man bessert! +Und unsere Anstalten dazu sind die erfolgreichsten auf Erden. Wir haben nur +noch die Todesstrafe auf qualificirten Mord, und sind insofern noch dem +alten Judengott zugethan, dem: Auge um Auge, Zahn um Zahn; wenn die +Europäer -- welche hier nur die Verwahrloseten heißen -- noch das halbe +Judenthum, und das ganze römische Heidenthum in ihrem italiänischen Glauben +und römischen Gesetzbuch haben! Statt tausend Straftitel haben wir die +Geschworenen, die es so christlich machen können, als sie wollen; auch das +ist nicht verboten, und je weniger diese ehrwürdigen Männer von +Gesetzgebung und Wesen wissen, je einfacher sie sind, ja wenn sie blos ein +Menschenherz im Leibe haben, desto vollkommner sind sie, desto ehrwürdiger. +Aber sie sprachen den _Mosburg_ nicht frei, weil sie grade glaubten, einem +Mörder müsse es eine Wohlthat seyn, Strafe zu leiden; denn auf +Wiedervergeltung beruhe das Weltgericht, und sonst brauche keines zu seyn. +Aber das müsse ja seyn, sonst werde die Tugend ja auch nicht belohnt im +Himmel, und ewig, ewig.« -- + +Ich war über ein Wort in der Erzählung erschrocken, und bebte über den +Namen _Mosburg_, denn so hieß der Vater des Knaben, seines noch einzigen +Kindes, des armen Wilhelms, der neben mir zuhörte, aber zum Glück nicht +Englisch verstand. Sein Vater wohnte bei Perkins. Und so frug ich in Gottes +Namen, wie der Ort heiße, wo der Mosburg wohne, oder gewohnt. + +Er nannte mir unbedenklich den Ort. Es war _Perkins_! -- + +Meine Tochter ging von uns und weinte. Sie führte den Wilhelm mit fort, und +zeigte ihm den schönen Abendhimmel und die grünenden Berge, wie ich von +fern an ihrem ausgestreckten Arme bemerkte. Dann setzte sie sich, und hatte +ihn vor sich umarmt, und ich sahe, er trocknete ihr die Augen mit ihrem +Tuche. + +Mosburg lebt doch noch? frug ich weiter. + +»Ich reise zur Hinrichtung. Es werden Tausende bei diesem seltnen, fast +erloschnen Schauspiel zugegen seyn!« sprach er. + +Ich war froh. Ich konnte dem lebenden Vater doch den lebenden Knaben +bringen! Und wir beschlossen zusammen zu reisen. Ich, wie ich sagte, blos +aus Neugier. + +Einige vertheidigten dann auch den braven Sohn mit den Worten: »Wenn wir +Amerikaner endlich einmal ein rechtes; Volk, ein Muster- und End-Volk +werden sollen, so müssen Alle für Alles solidarisch einstehen, so weit es +Menschen möglich ist; für Mord und Brand, Diebstahl und Schaden in aller +Art; Jeder muß das Recht, ja den Beruf haben, statt eines Andern zu klagen, +der feig oder gefühllos es selbst nicht kann oder will. Dann sind erst die +Staaten ein wahrer Rechtsstaat, bis dahin ist Alles nur Pfuscherei! Der +Freie muß Alles dürfen und können, was recht und was gut ist.« + +Man lobte zum Einwandern besonders mir Indiana, das herrliche; Illinois, ja +Einer sagte: »Wer redlich an die Zukunft denkt, der thut wohl, sich ganz im +Westen am Meere, am Columbiastrom niederzulassen, auf den Fall, daß es mit +Europa aus ist und aus wird, und wir die Kräfte nach Asien wenden. Haltet +Ihr die Natur für so kurzsüchtig und albern, daß sie sonst dort nach Abend +einen solchen allmächtigen Strom hat fließen lassen, und so lange umsonst. +Sie könnte ihr Wasser ja besser brauchen.« -- + +Und so wäre ich lieber in Indiana gereiset, statt nach Kentucky mit +Sclaven, aber das Schicksal trieb mich hin; und ich rathe keinem Menschen, +auf Reisen eine Commission anzunehmen -- denn wie bitter war mir die meine! +Aber das reichliche Reisegeld von dem guten Prinzen für den Knaben reichte +für mich und Maria. Noch zog mich ein Anderes an den jungen Mann. Nicht, +daß er reich und wohlerzogen war, und täglich auf die bescheidenste Weise +meiner Tochter gefälliger war, die sie selber rührte, ob sie gleich +innerlich fest an ihrem sonderbaren Freunde Erwin hing; und ob ich gleich +mit zu jener schlimmsten Art der Väter gehörte, nämlich zu denen, die +Töchter haben, und Luchsaugen haben möchten, um jungen Männern in die +Herzen zu sehen, wem sie das Beste, was sie haben, einmal anhängen können. +Das ist die abscheulichste Sorge für einen Töchter-Vater. Ein Sohn- oder +Zehn-Söhne-Vater ist glücklich. Denn die versorgen sich selbst, und müssen +und können ihr Schicksal machen. Und meine Tochter war mir so gut wie +wiederum auf dem Halse, was mir nur schwer fiel, weil ich mir schon eine +lange glückliche Zeit diese Bürde eines Tochter-Vaters erleichtert gefühlt. +Doch, um ein aufrichtiger Mann zu seyn, das Alles war es nicht, was mich an +den jungen Mann zog, sondern es war die Neugier, die Wißbegier -- für meine +alte blinde Großmutter -- es war der _Koffer_ des jungen Mannes, auf dessen +vergoldetem Schilde der Name: Marfolk stand. Das bemerkte ich, als er das +Schild sich zerbrach, die zwei Stücken verschoben neben einander lagen, so, +daß sein Name nun »Folkmar« zu lesen war. Das gab mir einen Stich in meiner +Großmutter Herz. Ihr Sohn, ihr August war also erschlagen -- und kam nie +wieder? Der Name Volkmar konnte à la Norfolk nur Marfolk englisirt seyn. +Denn der Vater war ja ein Deutscher. Der junge Mann bekannte sich zwar zu +dem Koffer und zu dem Namen. Aber so fein und plump ich mehr zu wissen +versuchte -- er wußte nicht mehr. + +Wir gelangten in den schönen Ohiofluß und landeten in Handerson in +Kentucky, wo Washington auf Mount Vernon, wie vom Herrn, begraben liegt. +Hier sah ich mit Freuden das erste Geld, Silber und Gold, und sahe die +ersten Zeitungen, die Literatur der Amerikaner; denn das ganze Land +schreibt für das ganze Land diese tausend Zeitungen, die in Millionen +Blättern wie Wundertauben über das Land fliegen -- und wie aufrichtig! Wie +der Geist Gottes! Vox populi, vox Dei! Ich wollte sie übersetzen, Auszüge +für uns. Aber was für Amerikaner aufrichtig ist, ist noch nicht aufrichtig +für Deutschland. Eine oder tausend eben so aufrichtige Zeitungen für +Deutschland müßten ganz anders seyn. Und hier schreibt Einer im ganzen +Leben vielleicht nur Einen lehrreichen Aufsatz. Ich sahe die erste Schule +-- aber was wußten die Kinder hier mehr! Wie viel, wie gründlich Alles, was +sie Zeit Lebens brauchen können und sollen und werden. Aber wie geschieht +das? Antwort: Die Griechen und Römer waren so klug und weise und groß in +ihrem Fach -- besonders, weil sie nicht mit Griechisch und Lateinisch die +jungen Seelen verhunzten. O wir Armen! Wir armen Gläubigen! Wir glauben an +alle Völker! Nur an uns nicht. Und deswegen sagte Napoleon: »Die Deutschen +sind kein Volk.« + +Auf dem grünen Fluß schifften wir nach der Besitzung von Wilhelms Vater. Er +war nicht da -- in der Stadt im Gefängniß. Ich mußte dem Knaben doch Alles +zeigen, und mit wie schwerem Herzen sah ich zu, wenn er sich auf des Vaters +Stuhl setzte, seinen im Schrank hängenden blauen Oberrock anzog, und vor +Freuden damit in der Stube umhersprang; wenn er die alte Hausfrau nach ihm +frug, wie er vor Ungeduld weinte, wenn sie ihn nicht verstand, und wie sie +weinte, als ich ihr sagte: es ist der Sohn des Herrn! Selber Marfolk hielt +es hier nicht aus, und ehe wir fortzogen, durchrannte der Knabe noch den +Garten mit angepflanzten Bäumen, die Wiesen, bestieg die Hügel und hatte +fast einen Arm voll duftende Blumen, die er dem Vater mit nach der Stadt +nehmen wollte. Selber der Haushund war gerührt, und leckte ihm die Hand, +als müsse Derjenige seines Herren Sohn seyn, der sich hier so freue, ihn +mit so guten Bissen füttere! + +In der Stadt erlangte ich gern, ja mit Seufzen des Mitleids die Erlaubniß, +den Vater zu sehn. Der Ort, ein höchst saubrer, freundlicher. Der Mann, ein +höchst gutmüthiger, wohlwollender. Und ihm mußte ich sagen, daß ich ihm +seinen Sohn Wilhelm bringe! + +Der ruhige Mann schlug sich vor den Kopf. Dann saß er mit aufgestemmten +Händen, während der Sohn an die Thür pochte vor Ungeduld. Wilhelm aber +sollte und wollte dem Vater nicht sagen, daß Mutter und Bruder gestorben +seyen. + +O Wiedersehn! heiliges Wiedersehn! Wie weinte meine Maria, wie -- um ein +aufrichtiger Mann zu seyn -- wie weinte ich! Wie gedrückt war des Vaters +Herz, denn in wenigen Stunden hatte er zu sterben. Wie strömten ihm Lehren +und Küsse vom Munde! und segnende Blicke und Thränen von den Augen! -- +Endlich und endlich, nachdem ihm der Knabe viel erzählen müssen von Mutter +und Bruder -- ja als er ihm auch im Eifer, sein kindliches Herz ganz +auszuschütten, erzählte, wie sie den Anselm in den Meergarten begraben -- +weil sie beide zu ihm gewollt -- weil ja die Mutter gestorben sey -- -- -- +da faßte sich der Mann wunderbar, schwieg eine Zeit, schien viel zu fühlen +und zu bedenken, und gab mir seinen Sohn dann an der Hand mit den Worten: +»Ich habe eine weite Reise vor, mein Kind! Lerne indessen fleißig, lebe gut +und fromm und dulde kein Unrecht wie ich! Ich reise gern. Könnte ich nur +Alle mitnehmen, die mich dazu nöthigen! Dein Führer hier wird ferner Dein +Freund und . . . . Dein Vater seyn.« Dann setzte er sich ruhig hin und +sprach nicht mehr. Wie konnte ich anders, als, so schwer sie mir war, eine +so heilige Pflicht von dem Vater übernehmen. + +Endlich gingen wir fort. Der Knabe ging rückwärts zum Zimmer, rückwärts zur +Thür hinaus, um den Vater also noch länger zu sehn -- und als die Thür +schon zu war, wünschte er ihm noch »glückliche Reise, fröhliches +Wiedersehn!« durchs Schlüsselloch. Da hörten wir drinn einen dumpfen Fall! +-- Aber wir gingen! Und noch war hier ein Herz geschont, das Herz des armen +Knaben, der nun mein war. + +Nach der Hinrichtung des Vaters besuchte ich allein den freien Platz, +worauf viele Tausende versammelt waren. Und wohl zwanzig reisende +Geistliche benutzten die Gelegenheit zu zwanzig getrennten camp meetings, +zu Feldpredigten oder Bergpredigten. Ich urtheile nie über Männer von +meinem Fach -- aber die Seele ging mir groß auf, als ich dachte, als ich +sah -- Erde und Himmel sind die schönste, die einzige wahre Kirche! Und das +Leben ist der einzige, reinste, ächteste Gottesdienst. -- Auch will ich +nicht verschweigen, daß der Ankläger Marfolk fast gesteinigt worden wäre, +daß ihn Furcht befiel, dann Haß und Lust von dannen zu ziehn. In dieser +Noth hätte ich ihn beinahe »Vetter« genannt. Auch Maria zeigt ihm Mitleid. +Nach einigen Tagen stellt er sich gleichfalls beinahe an: mich zu bitten, +daß er mich Schwiegervater nennen dürfe. Aber nur beinahe. Maria bittet +mich dringend von dannen zu reisen. Und hier muß ich doch sagen, wie meine +Tochter hätte gesinnt seyn mögen! Und wie ich hätte gesinnt seyn mögen! +Jedes ganz verschieden. + +Nämlich Josephine und Erwin wußten, daß wir uns länger in Handerson +aufhalten würden, um auszuruhen. Wir empfingen also Briefe. Ich einen Brief +von meinem Caplan aus der Heimath, der meldete: daß die Baronesse +Freysingen bankrot sey! Daß _Erwin_ sie ausgeklagt. (Das bestürzte Marien +vollends.) Daß sie im Schlosse zur Miethe wohne, und daß sie nunmehr als +armes, geringes, fast verachtetes Mädchen entschlossen sey, ihrem +Jugendfreund Marbod, meinem Sohn, ihre Hand zu geben, wenn er nur von +seiner tödtlichen Krankheit genese, und sie hoffe grade durch diese +Aussicht ihn herzustellen. Daß meine alte Großmutter mit Gewalt sich habe +den Staar stechen lassen, weil ihr Sohn kommen würde; daß sie aber von der +Vorbereitungscur ganz schwach, und vor Alter ganz kindisch geworden. + +Das war Ein Brief. + +Dann schrieb mir meine liebe Clöta aus Neu-Orleans nach manchen andern und +vielen Eingängen, daß ihre »_schöne_,« ihre »_seelengute_,« ihre +»_reiche_,« ihre »_junge_,« ihre »_geliebte und liebenswürdige_« Herrin +Josephine -- seit dem Tage, unserer oder meiner Abreise krank sey, recht +bedauernswürdig krank. Ihre großen Augen seyen noch größer, noch +schmachtender geworden, ihr Mund noch kleiner, ihre Grübchen in den reinen +Wangen noch sichtbarer. Sie rede oft im Schlafe -- und von mir! Sie rufe +mich! Sie springe im Nachtkleid aus dem Bett und ringe mit ihr matt und +flehend, sie hinaus, sie fort zu lassen. Deswegen meine sie (nämlich +Clöta), daß ihre Herrin seit _meiner_ Abreise krank geworden, und wohl +nicht besser werden möchte, wahrlich nicht _möchte_ -- so gleichgültig sey +ihr das Leben, bis ich wiederkäme, oder bis sie mich wiedersähe, bis ich +sie wiedersähe, aber mit günstigen Augen. Das läßt Clöta nur durchblicken. +Clöta hat von Josephinen ihr kleines Bildniß erhalten -- das schickt Clöta +mir. Die kostbare Einfassung habe sie behalten. Als Nachschrift stehen die +Worte: »Sie hat ihre Plantagen verkauft.« + +Das war der zweite Brief. + +Diesen las ich allein! Denn eine erwachsene Tochter ist wie ein Engel, vor +welchem der Vater sich selber schämt . . . . geschweige ein schönes und +junges Weib zu nehmen -- so nöthig es dem armen Manne ist, so wohl es ihr +selber auch thäte, damit sie vermöchte ein Engel zu bleiben, und nicht eine +Sclavin zu werden brauchte. + +Maria aber beredete mich fortzureisen. Ich war willig und wollte bereit +seyn, wenn ich ein herrliches Grundstück, das ich hier gesehen hatte, für +die Baronesse . . . . also auch für meinen Sohn gekauft hätte, woran ich +jetzt erinnert worden. O, ein Vater ist ein edler Mann! Aber die Kinder +machen ihn dazu! Ich fuhr mir unwillig und schnell mit der flachen Hand +über die Stirn bis hinauf in die Haare! Es war aber klug und gut. + +Kaufte ich nun für die Baronesse eine kleine Grafschaft, -- denn hier sind +auch Grafschaften, wie Spinnennetze ohne Spinne, so ohne ihre Hauptzierde: +die Grafen -- so war zu Hause Marbods Stelle leer, wenn er mit ihr herzog; +oder der Diakonus nahm sie an, und bekam vielleicht wieder einmal am Tage +Heirathsgedanken. Das Alles war Vorrath für jede Hoffnung, für jedes +pis-aller. Ich hatte mit meinen paar Guineen in der Tasche unermeßliche +Lande vom Strom aus gesehen, und die Begier, der Geiz der Ankömmlinge war +über mich gefallen. Ich wollte das schönste, fruchtbarste Land, den Morgen +für 27 Kreuzer, nicht gern aus der zweiten Hand für ein paar Kreuzer mehr. +War es noch ganz mit Wald bewachsen, so schien es nach unseren Preisen wohl +100,000 Thaler mehr werth. Aber leerer Acker gilt hier mehr. So zweifelnd +und wählend trieb ich mich müde umher, bis ich vor Verzweiflung am grünen +Flusse in Kentucky 5000 Morgen -- Alles kaufte, was mir irgendwo reizend +geschienen. Aber als ich das Gold aufgezählt, von meinen paar Dreiern noch +zugelegt, da sah ich -- daß die Bergabhänge die Sonne im Rücken hatten -- +daß hier kein Wein gedeihen möchte. Gott, kein Wein! Ich war außer mir! +Aber ich mußte die Acten zu mir stecken, und empfahl Bäume, Quellen, +Wildpret, Truthühner, Vögel, Fische und Schlangen, Alles indessen dem +lieben Gott. Mit dem Gelde war mir ein Stein vom Herzen, und zwei darauf. +Denn ich fand auch, daß mein Eldorado unter dem 37sten Grade der Breite +lag; und höchstens erst unter dem 38sten Grade soll sich ein Deutscher +ankaufen, wenn er nicht aqua toffana schwitzen will, wie ich vor Angst +schon schwitzte. Und nun sollte ich meinen Committenten zu Hause ihr +künftiges Paradies aussuchen! War es schlechter als mein gekauftes, dann +schien ich ein Eigennütziger! War es besser, dann war ich ein Narr gewesen +-- Volkmar! In _Ohio_ sollte alles gute Stromuferland schon besessen seyn. +_Indiana_ erst später bequem; und da es so breit daliegt, wird auch noch +später wohl in Europa ein Unglück seyn, welches Unglückliche hier glücklich +macht. Ich weiß nicht, wie mir ward; aber ich fuhr, über den Ohio eben nach +Indiana hinüber, hinauf nach Clarkesville ganz in dessen Nähe mein Freund +oder Feind Erwin den Adligen auf seines Vaters Befehl im Testament ein +unschätzbares Grundstück eingeräumt. Und das erste Wort, das ich von dem +vorigen Herrn von Habenichts hörte, war: »Rechts und links von White river, +oder gar erst droben von Recovery bis Weautenan soll es am schönsten seyn!« +-- Wir hatten himmlische Freude, uns wiederzusehen. Ihre Wohnungen waren +gut, ihre Gärten und Felder und Wälder wie unvergleichlich. Überall führten +mich wenigstens immer funfzig glückliche Menschen herum. Der Nacken that +mir weh, die thurmhohen, mit Blüthen wie dunkele große Rosenknospen +überschütteten Fichten anzusehn! Die Trompetenbäume, welche, wie die Kinder +sagten, Posaunenbäume heißen sollten. Aber wo führte mich der alte Freund +auch hin! -- In einen Saal, nicht weit vom Ohio, den schon Tausende, die +stromauf oder stromab gefahren, besucht hatten, als ein hiesiges +Weltwunder. Ich sahe beim ersten Blick ein Wachsfigurencabinet mit allen +Europäischen Potentaten, die hier ganz eigenthümlich in tiefem Schweigen, +wie in tiefer Überlegung dasaßen. Ich nahm meinen Hut ab, obgleich nichts +gesünder ist, als der Gebrauch der Amerikaner, grade wenn man in's Zimmer +kommt, den Hut, selbst vor Damen, aufzubehalten, die ihre noch +wunderlichern, man möchte oft sagen unhöflichern Hüte ja auch nicht +abnehmen. Aber ich sahe nach langer Wehmuth endlich, daß der Saal ein +Klein-Europa, voll seiner besten Erinnerungen, war, alle blos zum Andenken +mitgebracht an das theure Vaterland -- Deutschland. Da lagen aus dem Cours +der Menschen mit fortgenommene Münzen, mit dem Bilde der verschiedenen +souverainen Herren. Da hingen Ellen aus jeder Provinz, länger oder kürzer, +keine gleich. Da blecherne Maaße, alle verschieden; Meßviertel und Metzen, +alle verschieden. Und so tausend verschiedene Dinge. Dort Censuredicte, +Cataloge verbotener Bücher aus jedem Ländchen, die einander meist aufhoben. +Verschiedene Strafgesetzbücher, Städterechte, Privilegien, Uniformen, +silberne Bischofsmützen, schwarze evangelische Mützen. Da hingen an einer +langen Kette von Eisen die abgelegten Orden der Herren, ja der Stifts- und +anderer Damen. Da lagen Armenlisten, Klosterlisten und Abbildungen von +Sonderbarkeiten, eine Reihe Carrikaturen vom ersten Witz, aber +unbeschreiblich. Dort lag schwarzes Bauerbrot nebst einer in Wachs +bossirten Bauerfamilie. Da verkaufte ein Herr Salz; da Tabak; da einer +Wolle, Holz; da hingen Studentenmützen von allen Farben . . . . da lagen +Zeitungen mit den letzten Nachrichten; ich bückte mich -- ich las den +Büchertitel: »Von Authenrieth, Kunst aus Holz Brot zu backen.« -- Mein +Gott, ich war daheim! Unbezwingliche Wehmuth befiel mich. Heilige Sehnsucht +nach alle dem Elend! Das Herz bleibt das Herz. Der Mensch bleibt der +Mensch. -- »Laßt uns betrachten« . . . . wollte ich anfangen, aber ich +mußte aufhören vor Weinen. Ich ging an den großen Häuptern vorüber, die +ohne Kronen und Scepter, nur ein Täfelchen mit ihren Namen an den gedeckten +leeren Tischchen, saßen -- bestaubt, blaß, in hundert Jahren alle todt, +zerfallen, wie diese Wachsbilder bald zerschmolzen, in das uralte schwarze +Element der Erde. Und ich sahe: Sie waren alle Menschen! Ich sahe, sie +waren ja alle aus ihrem Volke! Sie thaten alles Mögliche für ihr Volk, in +den Ketten und Banden der Zeit, die schleichen muß wie eine Schlange, nicht +fliegen . . . . nicht auswandern kann, sondern daheim gebaut ist, wie +Ulysses Bett auf den im Boden festgewachsenen Stämmen der uralten +Olivenbäume gezimmert; unbeweglich wohl, aber theuer und werth ist, einzig +werth; und wie Penelope daran, an diesem Geheimniß ihren lang verkannten +Gemahl erkannte, so erkannte ich hier mein Vaterland! Aber ich stand wie +ein Ehebrecher dabei -- wie der erschlagene Sohn meiner Großmutter, der +seiner Mutter um ein herbes Wort willen auf immer entronnen und umgekommen +war, und die arme alte Mutter saß daheim, zwar nicht mehr blind, aber ohne +ihn elend, wie er elend ohne sie gewesen. -- »Laßt uns betrachten« -- +wollte ich wieder beginnen, aber ich konnte kaum meine Gedanken alle +fassen! Mir war auf der Reise die Flasche zerbrochen, welche mir der +Wagehals mit dem Schwimmgürtel ausgehändigt. Ich hatte eine Stelle in +seinem Lebenslauf, den ich der Welt einmal mittheilen will, noch vor Kurzem +nicht verstehen können; jetzt, jetzt klar und gewaltig überkamen mich die +Worte, wie Feuer vom Himmel: »Nichts ist feiger als Flucht! Die armen +Elenden! Sie ihrem Schicksal zu überlassen und sich allein zu retten -- o +Schaam, o Schande! Als wenn eine Mutter oder ein Vater ein krankes Kind, +alle seine Kinder krank und gebeugt und hungrig zu Hause wüßte -- und an +einer prächtigen Hochzeittafel tafeln wollte, sich allein es wohl seyn +lassen wollte, in dem freien, fröhlichen, hellen, sicheren, prachtvollen +Hause -- und nicht heimkehren! O Schaam! O Schande! Nicht heimkehren! Oder +fortgehen! wenn sie ihm auch nur krank _geschienen_! Wenn er ihnen auch +nicht helfen könnte, nur mit ihnen leiden, sie nur trösten, sie nur küssen! +Ja, hier in Amerika ist das freie, das fröhliche, helle, das sichere, +prachtvolle Haus. Ja, es ist hier so schön -- daß es eine Schande ist, es +sich allein wohlgehen zu lassen, und nicht zu Hause zu sorgen, daß das Übel +besser werde. Wo der Mensch besser werden kann, wo er am besten, am +hülfreichsten, ja wo er nur am edelsten seyn kann, da ist sein Vaterland!« + +So sprach ich mir ohngefähr in zitternder Gluth die Worte vor und vergab +dem Manne. Ja, wie ich in Bremen gesehen meinen adligen Freund sich küssen +an der Wand, so wußte ich es zu machen, daß ich meine Lippen an die Mauer +drücken konnte -- denn ich küßte die Welt. _Ich_ war der Schatten hier. Und +ich hatte in mir ein Gelöbniß gethan, still, aber fest wie der stille Fels. +Nämlich das Gelöbniß: Als ein Deutscher nach Deutschland zu kehren, in ein +. . . in mein Vaterland! Damit ich ein Vaterland hätte, und das Vaterland +mich; damit ich nicht ehrlos, feig, selbstsüchtig, muthlos, rathlos, +hülflos _scheine_, so sehr ich es _wäre_! Oder _war_! O, ich war es nicht +mehr, denn ich fühlte mich froh schon daheim! O wie wollt' ich nun wirken +. . . und weben und ruhig sitzen an meinem, an unserem großen Webstuhl, der +uns Deutschland heißt: O, ich hätte Heiden bekehrt, geschweige deutsche +Auswanderer! Jetzt war mir ein schwererer Stein vom Herzen, der Fels, der +mich zu Tode gedrückt. Wie der Riese hatte ich wieder die Erde berührt, und +alle ihre Kraft hatte mich geladen. Ich hatte aber noch Pflichten. Mein +armes Weib war also umsonst gestorben. Die guten, die edlen Weiber haben +immer Recht. In jeder Mutter wohnt die Stimme der Natur. Ich schrieb in +meiner neuen Stimmung an Clöta, ließ neue Plane durchblicken -- ich legte +ihr eine schwarze Locke von meinem Haupte mit in den Brief. Ich fühlte ein +neues Leben -- gesund am Leibe war ich so schon geworden, ich fühlte das +Leben neu. Sollte ich blind seyn? Herzlos? Undankbar? Denn was ist älter +als alle Welt? Welches Gefühl? Und wie Josephine mich eher gesehen, und ich +sie eher gesehen hatte, ehe wir Beide wußten, daß _meine Frau_ das +Schicksal getroffen -- wie ich Josephinen also noch in eine lebendige Welt, +als die letzte, die schönste Gestalt mit aufgenommen, nicht farbenlos, +geisterhaft in die darauf erst mir aufgethane farbenlose, geisterhafte Welt +der Geraubten, so war Josephine ja nun darinnen lebendig, und regte sich -- +o sie regte sich wunderbar! Was ist der Mensch? -- Ein immer neues Wesen in +der immer um ihn versinkenden Welt. Oder man sollte im neuen Lenz keine +neue Rose brechen und an die alte Brust stecken, ja nur ansehn. + +Darauf zog es mich ins Land hinein, links an den Wabasch. Schon der Name +»Harmoniten« reizte mich. Ich wanderte mit meiner Tochter, wie in einem +langen Traume, im süßesten Sonnenschein. Aber die Flasche konnte ja Unrecht +haben, ich konnte nun erst am gewaltigsten irren, nun ich glaubte Recht zu +haben! Das Gefühl, Unrecht gethan zu haben, verstimmt mit der Welt und +macht blind auch. Und wollte ich billig seyn, ich konnte nicht leugnen: +diese Deutschen in alle den Ansiedlungen, die ich nun antraf, schienen mein +Heimweh überstanden zu haben! Denn sie schienen nicht nur, sie waren +wirklich glücklich. Bei mäßiger, ja nicht der Rede werther Arbeit +glückliche, harmlose Landleute. Sie waren keine Städter, keine von der +alten Welt gebildete oder verbildete Leute, kurz keine Gelehrte, keine +Vornehme gewesen. Und doch sagte mit ein Doctor, der hier zum Bauer +geworden: »Welch Unglück ist größer, als eine große Stadt? -- Welche Lüste +tauchen dort auf wie aus feuerspeienden Bergen und schwelgen sich satt! +Hier im ganzen Lande, den einzelnen Meiereien, ist kaum ein treuloses Weib. +Kein Spieler. Ich sage meine ganze Überzeugung: Es ist nichts schöner und +menschlicher, als ganz an und mit der Natur zu leben! Versteht sich +menschlich! Menschlich mit Blumen, die man tränkt, menschlich mit alten +Bäumen, menschlich mit dem Lamme, dem Hunde, ja mit dem Bär im Walde und +mit der Schlange. Denn durch Milde des Menschen sind alle Thiere zähmbar, +dienstbar zu machen, und alle sind seiner väterlichen Stimme, seinem +liebevollen Auge unterthan, denn die Thierseele ist auch noch ein Hauch von +der großen Seele, wenn auch nur wie letzter rosiger Hauch an den Wolken in +wunderlichen Gestalten, noch heiliges Licht der Sonne. Gartenbau, Feldbau, +das ist das erste, mittle und letzte Geschäft selbst des einst ganz klaren, +ganz großen Menschen, und im Schooße der Natur wird es am ersten, am +schuldlosesten, wenn einmal die Flamme in ihm entbrannt ist -- und sie ist +entbrannt! Und hier im Lande werden nur lauter Gärten seyn, lauter Gärtner +und Bauern. Aber ein Bauer ist ein ungeheurer Kerl, groß wie Adam,« schloß +er lächelnd. Der Doctor begleitete uns auf der Weiterreise, bis nach dem +kleinen Flecken Fashionout oder Modelos, welchen Engländer angebaut, um der +Mode zu entfliehn. + +Mein Gott! wie oft des Tages mußte ich hier im Lande mein kaum gesagtes +Wort zurücknehmen! Zu des Doctors Lob des Bauers hatte ich gesagt: In der +freien Natur, in einzelnen Pflanzungen hebt das angeborene richtige Gefühl +die Menschen über den kleinlichen, schwelgerischen, neidischen, +erbärmlichen Verkehr großer Städte. Und hier gilt nur das Herz! Kein Rang, +kein adliger Stolz, nicht Schaam einer niedrigen Magd. Man sieht, was in +Europa die Seelen bedrückt, das Gefühl der Stände, des eigenen, von +Jahrtausenden ausgedrückten Unwerths, das nicht zum Gefühl der _gleichen_ +Menschenwürde empor gelassen wird -- nur fort nach Amerika. Ich mußte das +Wort sehr bedingen. Denn der Doctor frug mich nun gern: »Warum wandern die +so ziemlich freien Engländer aus? -- Um der Sclaverei der Mode zu +entfliehn, der Jeder, der reich geworden, erst recht verfällt! Ein +ruinirter Fashionable, den ich curiren soll, sagte mir erst gestern: die +Mode ist die albernste Gesetzgebung, die kostspieligste; die Mode ist das +Ungeheuer, welches Europa's Fleiß, der Männer und Weiber Schätze, +Lebenslust und wahres Leben auffrißt. Die Europäer, vor allen die +Engländer, sind die wahrsten Sclaven durch die Mode. Die Engländer -- denn +ich bin keiner mehr, sagte er -- sind überall frei -- aber im Hause +Sclaven! Es wäre besser, sie wären in der Nachtmütze, in Pantoffeln, bei +der Suppe, bei Messer und Gabel frei, als frei überall außerdem auf Land +und Meer. Alle Künste müssen darüber zu Grunde gehn, alle Künstler, kurz +Land und Leute. Die englische Gesellschaft und ein jeder Abdruck derselben +umher ist die erbärmlichste auf dem Erdboden, und wenigstens zehntausendmal +erbärmlicher als die chinesische, wo doch viel zu merken und viel zu lernen +ist; aber Alles auf Zeit Lebens, auf das Leben vom Urgroßvater bis zur +Urenkeltochter und immerdar in die selige Ewigkeit. Hier in Fashionout +beobachten wir Menschenanstand, und kleiden uns und leben nach Wetter, +Bedarf, Vermögen, Gesundheit.« + +Ich aber dachte, daß Deutschland 2500 Städte hat und 40 Millionen deutsche +Zungen, Seelen, oder _Mäuler_, wie die Chinesen sagen, und Großmäuler, wie +die großen Deutschen gern sagen. + +Wie von diesem braven Doctor, so ging für mich nun ein tägliches Scheiden +an, von jeder Gegend, jedem Bach, jedem Baum, jedem guten, freundlichen +Menschen -- aber zuerst beinahe von meiner Tochter! Sie war mir krank +geworden; ich wollte sie in Gottes Namen nach Lawrencebury am Ohio +schicken, in das Haus des jungen, sie ehrenden Marfolk. Aber mit wem? Ach, +war nur mein Schulmeister Tolera hier! Denn auf dem Straßenbau hier im +Lande hätte er nicht nöthig gehabt, die Menschen hungern zu lehren! Im +Gegentheil nicht gar so viel essen; zum Frühstück schon in Butter +gebratenen Schweinebraten, Fische, fetten Kuchen, Eier, Käse; und ihr +Aufseher -- nicht gegen die Unmäßigkeit im Essen angestellt -- erzählte mir +mit sonderbarer Freude, daß die 6000 Arbeiter hier in 90 Tagen keiner einen +Schnaps getrunken habe! Aber meine Tochter nahm sich zusammen, und ihr +Geist, so jung der liebe Geist war, war stark. Ich fand es für meine Leute +hier überall gut, sich niederzulassen, so weit wir umherzogen, beschwerlich +genug. Hier begruben die Leute selbst; sie trauten junge Paare, sie tauften +selbst -- und der Papst und die Clerisei fiele auch hier in Ohnmacht! Ja, +wir wurden selber zu einer Taufe in Silverheelstown eingeladen, wo ein +Vater an jedem seiner Kinder einen besondern Gläubigen hatte. Der älteste +Sohn war ein Jude; der folgende ein Türke; der dritte ein Quäker; die +älteste Tochter eine Katholikin, und so fort, damit doch Eines seiner +Kinder den rechten Glauben erwische. Ich sollte nun Pathe stehen bei einem +kleinen Buddhaisten. Aber wir wußten Alle von den Ceremonieen dabei nichts. +Tolera selbst hätte sich zu Tode gewundert oder betrunken. Indessen dieser +Vater wollte auch Vater meiner Kinder werden, und ihnen ein gesegnetes +Stück Wüstenei verkaufen. Und ich schloß mit ihm die Bedingungen ab. Und +nun begehrten wir alle nach Cincinnati zum Bruder, vielleicht alle weiter, +nach Hause. Aber das Geld ging mir unterwegs nun endlich aus! Maria will +ihr Halsband von Josephinen verkaufen; -- das will ich nicht! Ich will den +Ring vom Prinzen verkaufen; -- das will sie nicht. Aber das mußte geschehn, +denn für den spätern Erlös des Halsbandes bezahlten wir die Heimfahrt nach +Europa. Aber nun war kein baares Geld von den Kauflustigen für den Ring +aufzutreiben! Höchstens Anweisungen auf eine ferne Bank. Sollten wir nun +hier, was wir an Materialien zum Tausch erhielten, verzehren -- so waren +wir nicht weiter. Wir mußten also lebendige Ochsen und Schweine nehmen und +einen Treiber, um sie am Ohio in Geld zu verwandeln. Die Reise war +merkwürdig genug. Schweine verliefen sich -- ich konnte nicht nachlaufen! +Ochsen waren marode, Maria schüttete ihnen Gras hin, beklagte sie und ließ +sie liegen. Eine Nacht ruhten wir in einer Höhle der Berge, die voll +uralter fremdartiger Menschengerippe war. Wir sahen Postdampfwagen +pfeilschnell vorüberfahren, wir konnten keine Stelle darauf bezahlen. +Endlich trieben wir glücklich in Lawrencebury ein. Aber Niemand lachte uns +aus. Alles Nothwendige steht hier in Achtung. Wir frugen nach Marfolk's +Wohnung, fanden sein großes Gehöft mit Niederlagen und Speichern, und ob er +gleich mein Schwiegersohn werden wollte, so drückte er mir doch die übrigen +Ochsen und Schweine ab. »Im Handel keine Freundschaft!« sagte er. Dagegen +im Hause war er unser Freund. Er wußte um mein Anliegen, er führte mich, +noch ehe wir ausgeruht, in seines Vaters Zimmer. Da hing über seinem Tische +meiner Großmutter Bild. + +Schwarz, in großer Haube, und drunten stand der Name des reisenden +Silhouetteurs _Näthe_ aus Görlitz. Er öffnete die Weihnachtsbriefe. Sie +waren nach dem Ort meiner Heimath adressirt. Es gab eine Scene der +Erkennung, welche Maria durch kühlen Anstand milderte. Marfolk war in allen +Zeitungen im ganzen Lande durch seine Anklage auf Hinrichtung gleichsam +an's schwarze Bret geschrieben. Er wollte fort aus Amerika. Er fand es +schön, vor die alte Großmutter zu treten, und wenn er nicht in Europa +bliebe, wollte er bei der Rückkehr als ein frischer Einwanderer sich in +einem andern Staate der Union unter seinem wahren Namen Volkmar +niederlassen. Er wollte mit uns reisen! Das setzte voraus, daß wir wirklich +reiseten. Auch war ihm die Reise im Testament des Vaters, also nun meines +Oheims, aufgegeben. Wegen des Knaben Wilhelm bestimmten wir, daß er ein +Gerber werde, als die jetzt noch vortheilhafteste Profession, weil Häute um +ein Spottgeld und Leder sehr theuer wären. Übrigens war hier nichts mit +andern Handwerken; denn die Maschinen machen schon alles, oder werden hier +noch alles machen, als seelenlose, blinde Ableger oder Riesenkinder des +Menschen, gleichsam ein eisernes Geschlecht, in welches der Mensch seine +Sclaverei gebannt hat; und worüber Europa zu Grunde geht, durch Maschinen, +das bringt Amerika empor, weil hier Alle breit und bequem auf die +fruchtbare Erde sich stützen, und Alle sich neben und mit Maschinen grade +erst recht hoch emporrichten. Um dem Wilhelm zu der Ansiedlung von seinem +Vater zu verhelfen, mußte ich ihn jedoch erst durch einen verschriebenen +Taufschein als Erben legitimiren. Übrigens lernte ich hier im Hause das +Verhältniß und das Verhalten der Dienstboten -- bei uns des Gesindes -- +hier der dienenden Herren und Frauen -- kennen, die so behandelt werden und +so sich betrugen, als bei uns adlige Herrn und Fräulein im Dienst bei +Bürgerlichen sich benehmen und behandelt werden würden. Mein Gott! so viel +thut schon das bloße Bewußtseyn: Wir sind frei! und das große Verhältniß: +Es ist nur Ein Stand im Lande -- der Stand des Menschen! Das war das +Bitterste, was ich erfahren habe, und das Schönste. Ja, wenn wir hier +blieben, wenn ich keine andere Aussicht für uns wüßte -- und ich sahe weder +als Pastor, ja nur als Schulmeister ein Ankommen -- wenn wir nicht _Bauer_ +wurden, in dem kolossalen, freien, Amerikanischen Sinne, durch Ankauf aus +dem Ertrag des Diamantenhalsbandes -- -- -- so wollten wir uns selbst mit +meiner Tochter vermiethen. + +Aber ich hatte recht vermuthet! Mein Vetter Marfolk hielt um meine Tochter +an. Ich konnte ihm nichts darauf sagen, als daß schon ein Anderer um sie +angehalten, dem ich es schreiben wolle. Und so that ich. In 14 Tagen +erhielt ich die Antwort von Erwin: »Im November komme ich nach +Philadelphia. In vielen Geschäften. Erwin.« Noch stand das Wort dabei: »Ich +bin Senator der vereinigten Staaten.« + +Auf solche unbestimmte Antwort drängte mich meine arme Tochter, die mir +herzlich leid that, zur Heimreise nach Europa. Ja vorher, gewiß vorher -- +ehe sie den Erwin wiedersähe. Aber leider waren wir schon im Herbst, der +unendlich schön und bunt und mild und heiter sich über das ganze Land +gesenkt hatte. Meine Reise konnte nicht die Absicht haben, die Natur +abzumalen, und so habe ich alle die tausend Gelegenheiten vorüber gehen +lassen, ein Bild von Dinte ihr nachzupfuschen! Denn hier ist mehr wie +Griechenland und Italien. Hier ist Persien, kurz alle schönen Gegenden der +Welt, nur keine Schweiz. Freilich blieb mir übrig, auf der Besitzung der +Baronesse Freysingen und ihres mir so nah verwandten jungen Mannes den +Voigt zu machen, oder den Gehülfen auf der Ansiedlung unsrer zwanzig Dörfer +-- aber meine Tochter hatte _alle_ Amerikaner satt, durch Einen, und +Amerika mit ihm herzlich satt. Zum nächsten Frühjahr also versprach mir der +gute, bescheidene Vetter Marfolk mit nach Europa überzufahren. Jetzt nahmen +wir von ihm Abschied. Wir reiseten ziemlich armselig. Jeder Vater kann sich +denken, daß ich endlich schweres Verlangen trug, meinen Knaben in +Cincinnati zu sehen. Wir schifften die kurze Strecke den Ohio hinauf nach +der Stadt, die einen Hügel hinauf schön und herrlich liegt. Wo er seyn +sollte, wußte ich. Ich ließ meine Tochter in unserm Boarding, oder höchst +anständigen Familien- oder Gesellschafts-Gasthof, ging allein und fand das +Haus. Aber mein Sohn war fort! Fort in eine Anstalt nach Philadelphia. Wer +konnte das gethan, ihm so wohlgethan haben? Alles Rathen war aber +vergebens. Indeß er lebte, er hatte geschrieben -- auch an mich; ich +empfing seine Briefe. Ich mußte sie küssen, ehe ich sie las, und dann +weinen, denn er erinnerte mich an die Mutter, die nun schon lange im Lande +hier schlief. Ich schrieb ihm wieder und ein Diener ging sogleich mit dem +Briefe fort. + +Als ich nach Hause gekommen, fand ich eine Einladung zum Mittagessen zu +einem guten Freunde, der sich jedoch nicht genannt hatte. Straße und Haus +war angegeben. Warum sollte ich der Einladung nicht folgen? Meine Aufregung +war heftig. Ich zog wieder einmal die guten Kleider an. Alle meine guten +Freunde schwebten mir vor. Wie angenehm war mir ihre Nähe im Geist. Aber +ach, wie viele waren elend gebannt zu Hause! Doch auch unter den Wenigen, +die hierher gewandert seyn konnten, rieth ich vergebens, und blieb in der +holden Erwartung, wen ich sehen, wen ich an das Herz drücken würde. + +So geh' ich. So trete ich ein. Niemand zu sehn! Nur ein Tischchen mit zwei +Gedecken steht bereit. Aber im Cabinet regt sich es wieder mich sonderbar +erinnernd. Ich sehe. Es lauscht zwischen den zugehaltenen Vorhängen. Ich +spähe. Ich gewahre ein großes braunes Auge in seinem milchweißen Himmel. +Mir klopft das Herz. Ich sehe oben darüber schwarzes, glänzendes Haar. Nun +erscheint ein kostbares Nasenspitzchen, die schöne, edelgebildete Nase. +Jetzt Lippen wie Erdbeeren, wie eine Doppelkirsche. Mir beben die Kniee wie +in meiner grünsten Jugend. Mir vergehen die Sinne. Denn nun sehe ich auch +schöne, aber blasse Wangen -- das ganze edle Antlitz ist frei. Aber die +Augen sind jetzt leise geschlossen. Die Augensterne zucken unter den +langbesäumten Augenliedern. Ja, an den Wimpern quillt es leis und zart +hervor wie Thau an Blumen. Ich weine selbst. + +Josephine! ruf' ich. + +Da verhüllt sich ihre ganze Gestalt wieder hinter dem Vorhang. Ich bin +betäubt. Ich setze mich gleichsam in Ohnmacht auf das Sopha. Meine Hand +bedeckt die Augen. So bleibe ich lange. Ich träume, ich schlafe eine +mannigfach bestürmte, aber schöne Zeit. Ich komme zu mir. Die Gestalt sitzt +neben mir. Ihre Hand hält meine Hand. Ich schlage die Augen auf. Ihre +großen, feuchten Augen sehen mich an. Wenn ich nicht auf dem Sopha saß, +wär' ich ihr zu Füßen gefallen. + +In dieser herzbeklemmenden Stunde erschien mir wie damals wieder im Zimmer +vor mir stehend die Gestalt meiner Frau. Ich machte die Augen vor ihr zu. +Aber sie sprach heut mild zu mir: »Fürchte Dich nicht! Ich bin unter den +Todten so klug geworden, wie alle Todten. Weiber und Männer, die von den +Ihren hinweggerissen, nur wohlthun, ihnen auf Erden noch alles Glück zu +gönnen, ihnen neidlos alles Glück zu verschaffen, oder bei ihrer Ohnmacht +sie doch zu segnen. Also jetzt sprich zu dem armen Weibe. Sie wird kein +Wort Dir sagen. Denn ein Weib ist edel. Und so sehr sie verrufen sind, daß +sie schwatzen, so halten sie doch ihre Liebe zu heilig, als sie je auf die +Zunge zu nehmen gegen einen Mann. Rede also Du! Und sie wird Dir antworten +ohne Worte, mit Thränen, mit ihrem ganzen Dir holden, schönen Wesen. Auch +prophezeihe ich Dir, lieber Volkmar: Noch heut wirst Du mit ihr getraut. +Diese Nacht schon ruhest Du hier. Und wenn Du das Licht auslöschest, und es +sich unheimlich im düstern Zimmer regt, so denke: ich bin's, die +hinschwebt, das kalte Lager der Todten zu drücken.« -- + +Jetzt schwieg sie, sahe mich zärtlich an, und verschwand oder verlosch +vielmehr auf derselben Stelle allmählig, wie ein Regenbogen verschwindet +und hin ist. + +Ich aber war noch ganz verworren, und sagte laut und verständlich vor mich +hin: Das laß ich mir eine vernünftige Frau seyn! Sie räth mir nun selbst +zu, den Engel zum Weibe zu bitten. -- Ich fuhr auf. Denn ich erwachte jetzt +über die Worte erst völlig und war gewiß über und über roth. + +Aber auch Josephine war von Röthe übergossen. Aber sie verbarg sie an mir. + +Und das einmal ausgesprochene Wort meines vormaligen Weibes gab mir Muth +und Veranlassung, der schönen jungen Wittwe zu erklären, ja Alles +aufrichtig zu sagen, was ich von der Erscheinung gehört . . . . und mein +Schlußwort dazu zusetzen oder anzubringen. + +Und wie mich mein Weib versichert, so geschahe es. Josephine weinte blos, +oder schlang höchstens nur einmal ihre Arme um meinen Nacken -- aber die +Edle küßte mich nicht! Doch -- um ein aufrichtiger Mann zu seyn -- ich +küßte sie! Zum Erstenmal. Aber nicht zum Letzten. Und als Braut führte sie +der Bräutigam -- meine Wenigkeit -- zu Tische. + +Wie wenig essen Glückliche! + +Aber wie viel trinkt ein armer erlöster Pastor vortrefflichen Wein! Um ein +aufrichtiger Mann zu seyn, muß ich aber gestehen -- und jeder Eingang mit +dem Worte »_gestehen_« taugt gewöhnlich nicht viel -- ich schämte mich vor +meiner Tochter, wieder ein Weib zu nehmen, und ein so schönes, so junges, +und da es einmal so war, auch ein so reiches. Wenn meine Tochter +heirathete, so mußte sie sich vor mir schämen -- daß sie so liebte bis zum +Heirathen. Oder wir waren doch quitt. O, ein Vater hat in jeder Lage gar +viel zu denken, zu bedenken, zu beobachten. Doch meine Tochter sollte ja +gar nicht erfahren, daß ich nur wieder heirathen könnte! So war ich heraus. +Aber dabei mußt' ich nun bleiben. + +So viele Monate, so schwere Zwischentage waren wir uns unter tausend +Zweifeln mit Josephinen doch gut gewesen -- hier zu Lande war kein +langweiliges, meist nur überflüßiges Aufgebot nöthig, da keine Kirche, also +auch keine Kirchenordnung oder Litanei hier ist. Auf einem Spaziergang +gegen Abend ließen wir uns dem Geistlichen melden, denn meine Braut kam mir +garnicht mehr so voll vor, als da ich sie zum letztenmal gesehen. Und so +standen wir vor dem Geistlichen, gelobten uns Treue, gelobten uns: Glück +und Unglück mit einander zu ertragen, und der Mann hielt eine kurze Rede, +wie ich selber niemals eine zu halten im Stande gewesen -- so gerührt war +er. Und als junger Mann und junge Frau wandelten wir nach Hause. Marien +aber ließ ich sagen, ich wäre in so liebe Gesellschaft gerathen, daß ich +wohl vor Morgen früh nicht nach Hause kommen würde. Dabei schickte ich aber +der guten Seele ein großes Körbchen mit allerhand vortrefflichen Speisen +und Wein, damit sie unbewußt doch von meinem Hochzeitschmause koste. + +Bis zum Morgen aber hatte sich meine liebe, kostbare Jungefrau +entschlossen, mit uns nach Europa zu gehn. Ich bat sehr, ob ich gleich +wußte, wie gern sie ging, um aus einem Lande zu kommen, wo sie, so schön +und edel sie war, nur mit dem Schleier sich zeigen durfte -- ihrer +schimmernden Farbe wegen. + +Als ich nach Hause kam, schlief meine Tochter, und ich küßte sie, und bat +ihr unser Glück ab und meine liebende Täuschung. Ich aber konnte ja nun +wieder -- versteht sich ohne den rechten Namen -- von ihrer guten Mutter +reden. Ja, der folgenden Tage Einem führte ich Josephinen bei ihr ein -- +als eine Gesellschafterin für sie auf der schönen Herbstreise durch Ohio +nach Philadelphia, ja nach Europa. + +Abends ging ich gewöhnlich in die oben angeführte »so liebe Gesellschaft.« +Und so hatte ich in diesen wieder glücklichen Tagen nur einen, aber höchst +bittern Verdruß. Ich wollte doch das Merkwürdige von Cincinnati sehen. So +lasse ich mich in die gelehrte Gesellschaft einführen, zu der auch, und +besonders die hiesigen Buchhändler gehören. Man muß meinen Namen Volkmar +mit: Volkhard verwechselt haben. Manche kommen und bedauern mich. Manche +drücken mir die Hände. Einer fragt mich mißtrauisch: wie ich aus meinem +19jährigen Zuchthaus entkommen? Ein Andrer: was ich gedacht oder für +Entschlüsse gefaßt, als ich das Bildniß habe um Vergebung anflehen müssen? +Andere wendeten mir den Rücken, oder sahen mich höhnisch, ja was noch +barbarischer war, sie sahen mich mitleidig an. Kurz, ehe es zu der Collecte +kam, die man für meine arme, unschuldige Frau und Kinder sammeln und ihnen +schicken wollte, suchte ich zu entkommen. Denn meine nackte Versicherung, +daß ich kein Buchhändler, am wenigsten ein Bayer sei, schlug bei den einmal +Verblendeten nicht an, und sie hielten mein Ablehnen für Schaam, für +falsche Schaam in Amerika. Durch diesen Vorfall erwachte aber -- in meiner +Weise, der mitleidigen, hülfreichen -- mein Heimweh bis zur Angst. Und ich +wand die Hände. + +Also nach einer schönen, glücklichen Reise durch das, reich angebaute, +unvergleichliche Ohio -- worin aber zwischen Urbana und Bixbie und zwischen +Chillicothe und Marietta noch ungeheurer Platz zu den gesegnetsten +Niederlassungen der Einwanderer harret -- waren wir im November endlich in +Philadelphia, und wohl logirt, denn meine Frau hatte unermeßliches +Vermögen, ob ich gleich noch nicht darnach gefragt, und ich war der Herr +wiederum meiner Frau. + +Sie ging mit mir voll Freuden zu nunmehr unsrem Sohne Gustav Adolph, +welchen, wie ich jetzt erfuhr, _sie_ in eine vortreffliche +Erziehungs-Anstalt hatte bringen lassen. Sie ging zuerst zu ihm hinein. +Aber das war vergebliche Vorsicht ihn auf den Vater vorzubereiten! Er kam +-- bei ihr vorbei, über den Saal, auf die Treppe mir entgegen gestürzt, wo +er auf den höheren Stufen stehend, mich wie gleichgewachsen, so recht +umhalsen konnte. Aber er hatte ja mich, den Vater. Und so war sein erstes +Wort: »Ist die Mutter drunten?« + +Vorbereitet auf diese Frage sagte ich ihm, daß sie wieder nach Hause +gereiset sei, weil ihr lieber Sohn Marbod krank gelegen. + +Das glaubte er. Denn er kannte ihre Vorliebe zu jenem Kinde. Und ach, so +blieb ihm die Mutter leben, lange, lange Jahre. Er frug aber nach der +Schwester Maria. Und so mußte ich ihn unter Bitten und Bedrohungen +ermahnen, daß er sage: die Mutter habe mir ihn selbst, den Gustav Adolph, +mit einem Freunde hierher nach Philadelphia nachgesandt, weil die Schwester +sonst über die Mutter und den kranken Bruder sich grämen würde. Was die +Mutter betraf, hatte ich die Wahrheit gesagt. Unter dieser mir von dem +folgsamen Knaben zugesagten Bedingung konnte ich der armen Tochter doch +eine Freude machen: den Bruder wiederzusehn. Auch mußte sie das glauben, +denn auch ihr hatte ich in Vorrath gesagt, daß ich meinen kleinen Sohn gern +nachgesandt hätte, und deswegen nach Hause an die Mutter geschrieben. Und +so belohnte sich diese fromme List auf der Stelle. Denn Maria kam herauf, +und die Geschwister weinten reine Freudenthränen. + +Eines Abends darauf -- es mochte in Deutschland um die Zeit seyn, wo Tag +und Nacht mit einander ringen, nach Mitternacht -- kam meine heimliche Frau +zu uns in merkbarer Aufregung, und ladete uns zu einem Gang an den Hafen +ein, denn es wären Schiffe gekommen, die auslandeten. Wir gingen also. + +Die Delawarabai wimmelte von Schiffen. Unmerklich aber führte uns Josephine +an einen Stapelplatz, wo Boot auf Boot voll Neger, Hundert zu Hunderten ans +Land gesetzt wurden. Negermütter saßen schon auf der Erde, und hatten die +Kinder an der Brust, auf dem Schooß, oder um sich her. Junge und ältere +Männer, alle neu gekleidet, gingen ab und zu und halfen den Ihrigen Seil +ziehen, Päcke tragen, alles in brüderlicher, fröhlicher Gemeinschaft. Auf +einmal trat meine Tochter bestürzt hinter mich. Ich wandte mich um. Sie +verbarg sich an meiner Brust. Sie war blaß wie von Schnee; sie bebte wie +geschüttertes Rohr. »Was? Wer? Warum?« frug ich. -- »Ach, dort!« sprach sie +und deutete unmerklich über meine Achsel mit dem Zeigefinger. Ich sah +überall umher. So erblickte ich auch unter einigen Gruppen zwei einzeln +stehende Männer, deren Einem, dem großen, schlanken in blauem Überrock ich +nicht ins Gesicht sehen konnte; aber der Andere hatte es uns zugewandt -- +es war Erwin. Nun wußte ich Alles! Ich drückte ihr herzlich die Hand und +hieß sie abwärts sehen. Aber die Männer kamen beide im Gespräch auf uns zu. +Ich wich unmerklich aus, aber Erwin schien uns vermuthet, erkannt zu haben. +Und während wir alle die Augen zur Erde niedergeschlagen hielten, kamen sie +uns so nahe, daß ich ihre Fußspitzen sahe. So blieben sie vor uns stehen. +Sie grüßten leicht und zuversichtlich -- und ich hatte die Ehre und das +Vergnügen und die Erfahrung, an Erwin das Compliment eines getäuschten +Tochtervaters zu machen oder zu schneiden, und ihm zu danken. Welches +Gesicht ich aber dazu gezogen oder geschnitten, kann ich als ein +aufrichtiger Mann nicht sagen; denn ich habe es nicht gesehen -- als im +Spiegel von Josephinens Antlitz, worauf es ganz roth aussah. Wie mußte mir +aber erst werden, als Erwin nun so seine liebe Stimme vernehmen ließ: + +»Ich sollte eigentlich recht bös seyn, und ich will auch nicht leugnen, daß +ich im Kern der Seele, im Stolze, recht schwer, ja recht schwer beleidigt +war! Sehen Sie nur, General,« sprach er zu seinem Begleiter, »da hinter dem +Vater steht verschämt das Kind, das mir das Leben so schwer gemacht -- aber +mich zum freien Manne, und hoffentlich nun auch zum glücklichen« . . . . + +Er wollte Mariens Hand ergreifen, und wie sie sich ihm entzog, und um mich +herum schlüpfen wollte -- ergriff er sie von der andern Seite und hielt sie +fest an der Hand. Und das ganze Mädchen zitterte. + +Und mit seelenreiner, seelenfroher Stimme sprach er getrost zu ihr: »Ehe +ich nicht frei war -- denn wer nur noch einen Schatten von einem Sclaven +hat, der ist selber ein Sclave -- eher schämte ich mich Dir mit einem Worte +zu nahen -- und Du, Du hast doch das Schweigen verstanden? Meine ich! Aber +jetzt, jetzt! Ich habe keinen Sclaven mehr! Bin ich nun Deiner werth? Nicht +wahr -- ein Amerikaner! . . . . und er sollte Sclaven haben . . . . nicht +wahr, das konnte die liebe Seele ja nicht ertragen! Wer würde so ein Mann +als Mann gewesen seyn! Nicht wahr? Aber ich habe keinen Sclaven mehr, da +siehst Du sie alle umher! Du, mein edles Kind, Du hast sie frei gemacht -- +und hast doch nur Einen Menschen recht geliebt. Und das hab' ich +verstanden! Das hab' ich geehrt.« + +»Wohl, sehr wohl! Senator,« sprach der General. + +Wir andern alle weinten, und namentlich mir schnürte es heimlich ordentlich +die Kehle zu. Aber o Gott, der Blick, der jetzt aus meines Mädchens Augen +in ihres Freundes Augen strömte, der war wohl werth, daß Du Menschen +geschaffen hast, Du allliebender Vater, daß Du sie Sclaven werden lässest +und erlösest, durch Deine heilige Macht. Was hätten die Menschen denn sonst +auf der Welt zu thun, als etwa alle ewig im Bett zu liegen -- wenn Alles +vollkommen wäre! Das verhüthe Gott, und hat es verhüthet. So haben die +guten Menschen etwas vor, das Gute zu thun, und eine Freude, den Sieg über +Irrthum und Blindheit der andern armen Menschen. -- Das war mein +innerliches Gebet. O ich war ja nun endlich ein glücklicher Tochtervater! +Und die Unglücklichen können nicht beten; denn Beten heißt: Gott loben in +allen Dingen. So meine ich. + +»Die Sache freut mich!« sprach der General. »Sie geben ein Beispiel, und +ich danke Ihnen für Viele, Senator.« + +»Es geschieht nach meines Vaters Testament;« sprach nach Gottes Willen nun +mein Schwiegersohn. »Denn welcher Deutsche vergäße sein Vaterland! Das ist +uns keine Schande; denn Deutschland ist auch das Vaterhaus von England, +woraus unser Penn stammt. Thue ich was dazu, so geschieht es aus allerhand +Liebe und Ehrfurcht. -- Also mir keinen Dank, Präsident!« + +Gott's Wetter! hätte ich bald laut gesagt, das ist der Präsident der ganzen +27 vereinigten Freistaaten! und ich hielt mir wirklich den Mund bescheiden +zu und sahe meine Tochter bedeutend an, deren Auge aber schon an dem Manne +hing, still, sanft, ehrfurchtsvoll, wie eines Kindes Auge, das zum +erstenmal den Engel, das Christkind sieht, und selber die eigene größere +Schwester in ihm nicht erkennt, ob es sich gleich ohne Maske zu ihm neigt +und mit unverstellter Stimme freundlich zu ihm spricht. Das blaue Band auf +ihrem Busen ging aber auf und nieder . . . so klopfte ihr Herz. Und ich +hätte die golden untergehende Sonne fragen mögen, ob sie etwas Größeres auf +ihrer weiten Bahn erblicke, als einen freien Vater freier Kinder. + +. . . . . »Und lieber Vater,« sagte Erwin nun zu mir, »die Neger gehen nach +Deutschland.« -- + +Ich erschrak billig und unbillig. + +»Ich meine in die Schule,« fuhr er fort, »in die mein gewesenen zwanzig +Dörfer der Freysingen; denn ich habe sie laut Testament den Menschen zur +Ausstattung mitgegeben. Die Güter der Einzelnen habe ich gekauft. Die +Schiffe bringen die Neger hin, und laden Ihre Gesellschaft her. Künftig +folgen Mehrere! Tausende! Sorgen Sie nur, daß Sie dagegen 5000 Männer +hersenden; denn so viele können gleich einen eigenen Staat gründen und sich +eine Verfassung geben, und schon Abgeordnete zum Congresse schicken. Das +Schloß der Freysingen, den Park und die Appendixe von Vorwerken aber +erlaube ich mir Ihnen anzubieten, lieber Vater!« + +»Sie wollen also nicht bei uns bleiben? Wir haben die Deutschen so gern;« +sagte mir der gegenwärtige Vater des Volks, »Jeder, wie er will. Nur recht +für sich und nicht unrecht für Andere. Aber was haben Sie hier gesehen und +bemerkt?« + +Ich hatte aber das Herz auf einmal zu voll von der Heimath, oder sprach aus +Verwirrung: Was ich alles nicht gesehen? Sub fide pastorali: keinen +Majestätsverbrecher, keinen Censor, keinen Pfennig Steuer oder +Gewerbesteuer im ganzen Lande, keinen Hungrigen, keinen Faulen, keinen +Soldaten, keinen Adligen, keinen Erbitterten, der die Regierung stürzen +will, keinen Bettler, keinen Krüppel, keinen Executor, keinen sogenannten +Advokaten, keinen Theologen, ja nicht einmal einen Papst; schloß ich. + +Es sollte aber noch ärger kommen, denn er wiederholte: »Nein, ich meine, +Was Sie hier bemerkt haben?« -- Und ich sagte nun gar: Keine Kunst, keine +Cultur, keine Religion, -- oder Moral, wollte ich sagen! Aber ich konnte +gar nichts mehr sagen, und blieb rein stecken, roth wie begossen, denn ich +merkte meinen groben Fehler, oder meine fehlerhafte Grobheit -- aber mich +überkam ein furchtbarer, verzweifelter Muth, und ich setzte hinzu . . . »um +ein aufrichtiger Mann zu seyn. Hier steh' ich, Gott helfe mir, Amen!« + +Der Volksvater legte die Hand an's Kinn. Erwin aber entgegnete mir, fein +lächelnd: »Sehn Sie umher, lieber Vater! Es giebt ein großes Thier, dem der +Mensch nur Alles nachmachen kann, aber soll! Wo ist in diesem großen Thiere +Religion, als im Menschen? Im freien, im ausgebildeten Herzen des Menschen! +das bedenken Sie wohl. Aber liegt nicht eben darum die Sittlichkeit der +ganzen Natur zum Grunde, schwimmt sie nicht darauf, lebt sie nicht darin, +wie eine Wasserblume mit allen ihren Kelchen? So muß die Sittlichkeit auch +der Menschenschöpfung, dem Staate zum Grunde liegen, aus ihr hingebreitet, +wie ein unsichtbares, aber festes Netz -- das Niemand fängt, der es nicht +sieht, nicht sehen will, oder nicht gewahren kann.« + +Ich hatte mich wieder gesammelt, und fing an zu hören, was ich hörte; und +hörte nun weiter: »Da ist die Staatsgestalt die rechte, da ist die +Staatsgewalt die ächte, wo sie nicht alle Gewalten selbst ist, sondern alle +ebenbürtigen Gewalten neben sich grade befördert; alle Gewalten nämlich, +die keine Staatsgewalt weder hervorbringen, noch je vertilgen kann: die +Gewalt der Seele: die sittliche oder religiöse Gewalt, und die +patriarchalische, die väterliche, die hausväterliche Gewalt. Diese zwei +Gewalten müssen in jedem Menschen, in jedem Hause herrschen. Daran darf +nicht einmal ein Scherge klopfen -- also auch kein Priester. Es giebt also +Millionen Staatsgewalten im Lande, deren Ausdruck und Schutz blos die +sogenannte eingesetzte Staatsgewalt ist. Wo es so steht, da ist das wahre +Recht, die wahre Freiheit zu _Hause_, wahrhaft zu Hause, zu Kopfe, zu +Herzen! -- und somit denn im ganzen Lande, bei uns, meine ich. Und der +erste negative Staat wird wundersam der erste positive, den die Menschheit +aber ausfüllen muß und darf und kann! meine ich.« + +Jetzt fielen Kanonenschüsse von einem anlegenden Schiffe, und die Worte +wurden mir ordentlich eingedonnert. + +»Und was die Kunst betrifft? Ohne Wohlstand, Überfluß und Reichthum keine +Kunst? Wo wird sie also eher aufblühen oder eher auslöschen, hüben oder +drüben? -- So frug ich mich selbst von Rom bis Bremen. Und glauben Sie, +gegen eingewurzelte, in Jahrhunderten begründete Armuth sind Fleiß, +Ordnung, Recht, ja selber die endliche Freiheit vergebliche Mittel. Doch +unsere famose Geldaristokratie ist nur ein offenes, steigendes, sinkendes +Institut, das hier kein einziges Vorrecht gewährt! Und wenn Viele im Lande +100,000 Dollar haben, was hindert das, daß nicht Alle so viel erwerben und +haben? Was schadet das Haben der Andern Jedem, der nicht _vorreich_ seyn +will, sondern nur reich, _mitreich_! Denn das ist der erbärmliche +Unterschied, der den Reichthum dem Vorreichen wieder zu Armuth macht, und +dem Reichen den Reichthum zu Pein. Auch dieser Pein wird hier begegnet, +durch auseinander wohnende Menschen! Das Paradies mit Einer großen Stadt, +voll siebenstöckiger Häuser, wäre auch ganz ohne Adam's und Eva's +Sündenfall dennoch zur Hölle geworden. Ich meine. Nur die Sonne sieht man +mit einem geschwärzten Glase an! Uns aber gar mit russischem Marienglas? +Doch sehen Sie nur dort die neuen Einwanderer, die da eben heraufsteigen -- +o es giebt auch Augen für uns! Indessen Sie sehen, es giebt Patrioten auch +hier, die unaufhörlich aufmerksam und unermüdlich thätig das Volk das Gute +finden lassen!« + +Dabei lächelte er, gab mir eine Rolle Papier und sagte: »Das ist die Magna +Charta für Ihre Neger. Ich meine, sie werden den Fürsten achten -- unsern +Freund, den Vater des lieben Leuthold; sie werden alle Gaben gern geben; +gern Soldat werden; nach keiner Preßfreiheit fragen und so weiter; kurz, +folgsame, glückliche Deutsche seyn. Ich dächte aber, Sie tauften sie dieser +Morgen einen im noch einsamen Dämmer, gäben ihnen Namen, trauten die lange +Verheiratheten und thäten dergleichen Europäisch Erforderlichen Alles. Bis +zur Abfahrt lernen sie auch noch Etwas -- das müssen sie wissen. Aber meine +Schwägerin Maria hat ihren guten Theil an dem Allen, müssen Sie wissen. +Werde nicht roth! Du aber, Maria, komm auch mit uns! Und der Vater! . . .« + +Ich aber hatte mit Erschrecken meinen Sohn Marbod mit der Baronesse +Freysingen unter den Gelandeten erkannt, war in einiger Höllenangst und +versprach nachzukommen! Sogleich! Und so ging denn meine Tochter, von Erwin +an der linken Hand geführt, und zu ihrer Linken von dem edlen, ernsten, +wohlwollenden Freunde ihres Freundes begleitet von hinnen, meine heimliche +Frau aber zur Rechten Erwins. Mir war wohl, mir war unvergleichlich zu +Muth. Denn meine Tochter sahe sich nach mir um, und ihre leuchtenden Augen +nickten mir unter dem schattigen Hute so glücklich zu! O es ist wohl werth, +edel zu denken und edel zu bleiben -- und dann erst recht werth, wenn man +dadurch _nicht_ glücklich wird -- wie mein armes Kind. Jetzt hatte sie +gewiß Respect vor allen Amerikanern. Jetzt blieb sie hier! + +Ich flog meinen Kindern entgegen. Wie froh waren sie, einen Vater zu +finden, und hier. O, wer kann das beschreiben! Denn um uns standen +Hunderte, die wie ein sonderbares, ganz eigenthümliches Geschlecht, ohne +Heimath wie die Fische, ohne König und Herrn wie die Vögel gleichsam als +Amphibien der Vor- und Nachwelt hier im Abendscheine standen, die noch +wankenden Kleinen an ihrer Hand! Aber auch für sie war gesorgt. Nach den +ersten Umarmungen aber schon frug auch mein Sohn nach der Mutter. Und so +täuschte ich auch ihn, mit dem Wort, das nun gelten und stehen bleiben +konnte, als Wahrheit für sie, so bald und so oft sich auch alle, jetzt und +später, besprachen, daß die Mutter von Neu-Orleans nach Hause gereiset sey +-- in unsrer Abwesenheit -- weil ihr Marbod krank gelegen. So sollte und +konnte nun auch Maria wissen. + +»So haben wir sie also verfehlt! die gute Mutter!« sprachen sie bedauernd. +»Aber, Väterchen, Du gehst ja heim.« Und nun verschlang der Strom des +Lebens die Gedanken, die Todten und Lebenden, die Fernen, die Alten, die +heiligen Alten, die alte Welt -- Alles und Alle. Ich führte die +Angekommenen nach, zu Erwin und zu Maria, zu Josephinen -- und heut war +Amerika ein herrliches, heiliges Land. + +Meine Lage war nun für einen Pastor äußerst lobenswerth, besonders, wenn +ich wieder in die vorgeschobene »angenehme Gesellschaft« ging. Ja, ich +bekam Amtsarbeit. Die Neger, wohl untergebracht, wohl unterrichtet im A. B. +C., wohl beaufsichtigt und versorgt durch Wilberforce und meinen ganz dick +gewordenen, fast majestätischen, langen, noblen, gutmüthigen Tolera -- die +Neger kamen eines Morgens sehr früh (am 14ten November) zur Taufe. Die +katholischen Priester hatten ganze Schaaren Südamerikaner mit der +Feuerspritze getauft, und dann mit Kartätschen erschossen -- so _viele_ +Köpfe zu taufen, so _viele_ Pathen zu stellen, war in der nöthigen Kürze +unmöglich. Die Schwarzen lagen auf den Knieen. Der Morgen, von sonderbaren +Wolken umhangen, graute kaum. In die heilige Stille sprach ich einige Worte +zum Eingang. Da war es auf einmal, als wenn eine allmächtige Hand alle +Wolken vom Himmel weggerissen! Tausend Gestirne glänzten da droben +funkelnd, sprühend, Strahlen versendend, ausströmend, wie goldnen, +brennenden, leuchtenden, langen Regen. Jetzt, jetzt rühren sich die +Gestirne am Firmament -- oder wanke ich? taumle ich? Aber nein! Was nie +geschah, und nie geschehen wird -- das ganze Firmament voll Gestirne zieht +rasch, wie auf entsetzlicher Eil durch das dunkelblaue Himmelsschwarz. +Alles wird licht auf der Erde! Die Meerbucht glänzt, die Büsche brennen, +die Nachtvögel stürzen, wie betrogen von tausend Sonnen, zur Ruhe; ich +unterscheide die Blätter der Blumen zu meinen Füßen, denn ich erblicke mit +Erstaunen meinen wie rasend um mich schwirrenden Schatten. Jetzt reißt sich +ein Stern los, er stürzt mit Gezisch und Gestrahl, mit Gedonner hernieder. +Zehn Sterne reißen sich los, wie reife Früchte! Hundert Sterne stürzen mit +Gezisch und Gestrahl hernieder! Tausend Gestirne, immer größer, wie +Feuerkugel-Lawinen, stürzen und zischen und strahlen, und tausendfältiges +Donnergekrach stürzt drüber hernieder. Ich war blind, ich war taub, ich war +außer der Welt. + +Es war geschehn. Es war ruhig, als wenn nichts geschehen. Es war +todtenstill, es war grabesfinster. Da standen die schwarzen Menschen auf, +beteten mich fast an, und dankten mir bebend vor Furcht, und klappten noch +mit den weißen Zähnen, die in dem Nachtgraun schimmerten. »Nun sind wir +getauft!« riefen sie alle. Und: Ihr seyd getauft! sprach ich und segnete +ihren Ausgang und Eingang -- in Europa. Dann enteilten sie wie Geister. + +Das war wieder einmal ein Wunder, stöhnte ich. Und nach langem Betrachten +schlich ich nach Hause und verschlief den ganzen Tag. Mir träumte: Ich war +in einem brennenden Hause und fiel in Ohnmacht -- dann sprang ich auf und +lief fort. Der Traum war meine völlige Lehre oder Cur. Wenigstens hast Du +nun Deine Kinder und Kindeskinder beim sicheren Nachbar. So ergötzte ich +mich nun noch mit ihnen Allen. + +Zum zeitigen heiteren Frühling kam unser Vetter Marfolk richtig. Da war +neue Freude. Meine Tochter, die ich mit Erwin getraut, in Gesellschaft der +zu trauenden verheiratheten Neger, kam von Washington zu unsrer Abreise. +Ich fuhr meinen anvertrauten Einwanderern voraus auf dem ersten +Dampfschiff. Der Morgen der Abreise kam. Erwin kam noch, und nach dem +Abschied flüsterte er mir noch ein Wort in's Ohr: »Wir bitten einander zu +Pathen!« -- Er wußte also, daß ich ein Weib hatte -- und Wen! Ich legte als +Antwort den Finger über die Lippen. Und er sagte leise: »O gern!« -- Ich +band ihm meine Einwanderer nach Indiana nochmals auf die Seele. -- Was soll +ich nun sagen, wie ich von Tochter und Söhnen schied? O es war schwer. Aber +alle sagten hier, wie daheim mir wieder: Väterchen, Du kommst wieder! Oder +-- droheten sie -- wir kommen zu Dir! Und dennoch brach mir der Abschied +von meinem Hunde, dem Pudel »Menschenfreund« fast das Herz. Meine Tochter +wollte ihn behalten. Sie mußte ihn fort-, zurückschleppen, den Strand +hinauf; da blieb er geduckt liegen und winselte. Ich mußte noch von ihm +Abschied nehmen. Ich streichelte ihm den Rücken; ich sagte ihm: +Menschenfreund, sey verständig! Ich ließ ihn mir eine Pfote geben, und er +gab mir seine treue, sanfte Hundehand. Aber wie er mich dabei ansah! Was, +ja Wer in seinen dunkeln, bangen Augen so wehmüthig heraussah, herausdrang! +O ich schämte mich! Kurz, warum bleibt der Hund im ärmsten Hause -- wenn er +auch darin mager und elend wird? O, die Welt ist gut. Nur der Mensch taugt +nicht immer. Du bist ein gutes Thier, ein Menschenfreund! sagte ich ihm, +und er wedelte mit seinem feinwolligen Wedel. + +Wir kamen ohne Gefährde nach Hamburg. Diesmal in 14 Tagen! Ich konnte nun +also langsam fahren, und das that schon fast Noth, doch nicht meinetwegen. +Josephine war wie neugeboren. Und -- um ein aufrichtiger Mann zu seyn -- +ich auch. O, es lebt nicht nur ein eigener Geist, meinetwegen ein erst so +gewordner in jedem Menschen. Jedes Haus im Lande, jede Familie, jedes Dorf, +jede Stadt hat einen eigenthümlichen Geist, _eine_ Stimme wie ein +Bienenstock, einen lieblichen Wiederhall, ein Verständniß all unsrer Worte, +unsrer Wünsche, unsrer Freuden und Leiden. Und der Geist in einem Lande -- +der wäre kein Geist? Der Jahrtausende Eingewohnte, das millionenfache Ich? +O, das ist das Vaterland! Und als ich Deutschland wiedersah, rief ich aus +voller Brust: Ja, es giebt ein Vaterland! Nur wer es noch nicht erkannt, +höchstens die Jugend wandere aus, und mache ihre Stimme wo drüben zur neuen +Seele des Landes, der Berge, der Flüsse, der Haine. Aber wer je wo geweint +hat, wie Männer weinen, der bleibe, und hoffe Frucht von seinen Thränen, +und Segen von seinem Seufzen. Denn Millionen weinen und seufzen mit ihm, +und wünschen und schaffen mit ihm, und sind stark und mild wie er, und +werden sich freuen wie er. + +Ich kaufte vier englische Schimmel und einen prächtigen Wagen -- wenigstens +um nicht ausgelacht zu seyn. Denn am Strande in Amerika hatte ich einen +Müller gesehen, der bei schönen Müllerkenntnissen eine künstliche Mühle +dort bauen wollen und Mehl wie Kreide mahlen. Aber er hatte eine Handvoll +Amerikanisches Mehl in die Hand genommen -- wie Schnee und fein -- wie +Amerikanisches Mehl, und war fein still nach Hause gereiset. + +In meiner Vaterstadt fuhr ich nun donnernd über die Schloßbrücke, in nun +mein Schloß. Ich saß kaum im Lehnstuhl, als es murmelte und trappelte auf +der Treppe und im Vorsaal. Selbst mein Caplan war darunter, denn ich hörte +ihn krähen. Aber ich bestellte ihn auf Morgen, denn meine Tochter war +verheirathet, und ließ ihm nur sagen, seine sechs Muhmen hätten sechs +reiche Kaufleute in Neu-Orleans; aber dort handelten auch die Geistlichen +sogar mit Wein, und die Doctoren predigten auch nach Gelegenheit. -- »Schon +gut, schon gut,« hörte ich ihn sagen. + +Eine Freude aber, mußte ich sogleich noch machen: Meiner guten, theuren +Großmutter! Ich ging zu ihr selbst hinüber auf die Pfarre; denn sie hatte +nur gebeten, sie noch kurze Zeit in der Wohnung zu lassen. Sie wohnte aber +unten. Sie sahe mich, sie erkannte mich. »Also Du hast ihn gefunden?« +sprach sie. Nach einer langen Erzählung gestand ich vorsichtig zu: Ja, er +ist gefunden! Er ist auf dem Schlosse. Er wird kommen. Aber mein Gott, sie +freute sich so -- daß sie einschlief! -- Seliges Alter! Wer nicht alt wird, +ist kein Mensch gewesen. Es ist fast übermenschlich und hautschauernd, so +übermenschlich gefühllos, jetzt mit der Seele weg, jetzt da zu seyn! Jetzt +jung, jetzt alt! Jetzt schon im Paradies -- jetzt noch in der Kinderstube! +Ein alter Mensch ist wirklich Alles; ein Junger ist nur immer -- sein Tag, +seine Stunde. Ihr Enkel, der ihrem Sohne so ähnlich sah, hatte auch sogar +heut wieder die Kleider angezogen, in welchen sein Vater der Mutter +entflohen war. Denn der Vater hatte sie treulich aufgehoben. So, in +altväterscher Tracht, aber jung und wirklich voll Schaam hier +hereinzutreten, trat er herein. Ich winke ihm, ruhig sich ihr gegenüber zu +setzen, weil sie schläft. Nachdem er des armen Vaters gute Mutter sich +lange angesehen, schläft er selber noch müde ein. Ich gehe indeß auf den +Thurm; ich füttre die Tauben; ich winke Josephinen mit dem Tuche. Mir ist +es wie ein Wunder, sie hier zu sehn. Wohl nach einer Stunde gehe ich wieder +in das Zimmer. Der junge Volkmar schläft noch. Die Großmutter scheint zu +schlafen. Aber ich sehe deutlich, -- sie ist munter gewesen! Sie hat sich +vorgeneigt -- sie hat ihn erblickt -- sie hat ihn erkannt: den Sohn! den +treulosen Sohn. Die kindische Seele hat ihn für denselben gehalten -- so +ist sie sitzen geblieben -- -- aber gestorben, und ruhig und selig _todt_! +Und ich wiederholte meine Worte, jetzt aber mit fromm gefalteten Händen: +»Jetzt jung; jetzt alt; jetzt noch in der Kinderstube -- jetzt schon im +Paradies! O, es können nicht Alle wiederkehren, die hinüber wandern! Schon +Ein verlorener Sohn zerreißt der Mutter das Herz, daß sie nicht sterben +kann. -- -- Und Ihr, Ihr tausend Söhne des Vaterlandes! Wie könnt' es +selbst sterben ohne Euch? -- O, es giebt ein Vaterland! O seyd denn seine +Söhne!« + +Ich würde gar nicht geglaubt haben, weg, fort, so lange, so weit gewesen, +und wieder da zu seyn, wenn nicht meine Amerikanische Frau kam, so still, +so schön, so lieb, und lächelte, als sie die beiden Schlafenden sah. Viele +der neuen Auswanderer umringten jetzt das Haus; sie sahen durch die +Fenster; ich kannte die Gesichter. Ja Manche stimmten ein fröhliches +Auswandrerlied an! Ihre Augen funkelten vor Freude! Und ich dachte: -- Was +kein Mensch erklären kann, das kann kein Mensch verhindern! Das ist nicht +menschlicher Sinn; das ist göttliche Macht! So mußte ich sagen, um ein +aufrichtiger Mann zu seyn. Denn ich sahe mein Weib vor mir; und welchen +Schatz hatte ich da drüben gefunden! Ist nicht die Schönheit der Welt da +drüben? Und die Welt der Liebe? -- + +Die Sonne ging unter. Die Glocke im Thurme läutete ihr zu Grabe. Der +verlorene Sohn sprang auf von dem Hall und stand von dem Glanze geblendet. +Und selber die Kinder draußen nahmen schon vor dem Walten der Welt ihr +Hütchen ab, und beteten, unter dem Schwirren der Schwalben, das Vaterunser. + +_Breslau_, gedruckt bei _Leopold Freund_. + + + + +Anmerkungen zur Transkription + + +Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. + + + + + +End of Project Gutenberg's Die Probefahrt nach Amerika, by Leopold Schefer + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 42912 *** |
