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+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44610 ***
+
+ KOBOLZ
+ GROTESKEN
+ VON
+ HANS REIMANN
+
+
+ KURT WOLFF VERLAG
+ LEIPZIG
+
+ Bücherei
+ Der jüngste Tag
+ Bd. 39/40
+
+ COPYRIGHT KURT WOLFF VERLAG, LEIPZIG 1917
+ GEDRUCKT BEI G. KREYSING IN LEIPZIG
+
+ «Memento vivere!»
+
+
+
+
+BEDRUCKTES PAPIER
+
+
+VOR mir liegt ein weißes Blatt Papier. --
+
+O du weißes Blatt Papier!
+
+Du liegst unter meinen Augen -- wehrlos, unschuldig, schön. Glatt bist du
+und ohne Makel. Wie sollt' ich dich beschreiben?
+
+Ich beschreibe dich nicht.
+
+Ich wage nicht, dich zu beschreiben.
+
+Du bist so weiß!
+
+O du weißes Papier!
+
+Was ist dir!
+
+Und was ist mir??
+
+-- -- Ich starre auf das leere Blatt und lese Sätze -- wie von meiner Hand
+geschrieben.
+
+Bin ich irre? Spukt es mich an?
+
+Ich lese Sätze, die ich nie geschrieben; ich lese Sätze, die ich nie
+gedacht.
+
+Hier stehen sie gedruckt, wie ich sie sah.
+
+Das Blatt jedoch ist weiß wie Schnee.
+
+Vor meinen Augen flirrt's.
+
+Der grause Schrecken faßt mich an, mich schüttelt's wie im Fieber:
+
+Mit langen Beinen, ekel angehaarten, stolziert ein giftig grünes
+Hirngespinst quer über meinen weißen Bogen.
+
+Und er, der eben leer, ist vollgekrakelt.
+
+Mir bleibt es, in die Druckerei zu schicken, was drauf steht.
+
+Ich tu's.
+
+
+
+
+LITERATUR
+
+
+WIR alle sind sehr verdorben.
+
+Wir lesen und fabrizieren Literatur, die an Intensität und Gesteigertheit
+nichts zu wünschen übrig läßt.
+
+Ich empfehle zwecks Erholung und Reinigung der hirnlichen Zustände das
+folgende barbarische Mittel: kauft euch Dr. H. Loewes spanische
+Unterrichtsbriefe und lest darin! Lest darin, ohne spanisch lernen zu
+wollen!
+
+Lest die Sätze:
+
+«Die Welt ist groß. Ihr habt ein Stiergefecht in Sevilla gesehen. Der
+boshafte Räuber nimmt das Geld weg. Ich habe die Witwe des Generals geküßt.
+Das schöne Fräulein hatte einen unglücklichen Vater. Sie erzürnten den
+Zwerg, indem sie Bohnen in sein Gesicht warfen. Der Allmächtige erhält die
+Welt, welche er erschuf. Du gibst mehr Geld aus, als nötig ist. Seid immer
+fleißig und aufmerksam! Die Kartoffeln wurden im Jahre 1580 nach Europa
+gebracht. Wie kannst du über das Unglück anderer lachen?»
+
+Je mehr ihr dieser weltgebornen Sätze leset, um so weiter werden eure
+Herzen von der modernen Literatur hinwegrücken!
+
+(Oder etwa nicht??)
+
+
+
+
+SCHERZHAFTE NOVELLETTE
+
+
+DER Schreibtisch liegt im Scheine der flackernden Kerze. Im Ofen knistert
+das Holz. Draußen ist kohlrabenschwarze Nacht.
+
+Ephraim schreibt an einer Novellette, die folgendermaßen anhebt:
+
+«Der Schreibtisch liegt im Scheine der flackernden Kerze. Im Kamine
+knistert das Holz. Draußen ist kohlrabenschwarze Nacht.»
+
+Der Anfang dieser seiner Novellette hat vielerlei für sich. Vor allen
+Dingen ist er von unanfechtbarer Wahrhaftigkeit und Sachlichkeit -- bis auf
+den Kamin, der durch einen ordinären Ofen repräsentiert wird.
+
+Ephraim kann nicht weiter. Er nimmt einen auf dem Tische befindlichen
+Zirkel (-- _neue_ deutsche Literaten, darunter auch meine Wenigkeit,
+brächten es nicht übers Herz, das simple «befindlich» anzuwenden, vielmehr
+würden sie sich eines aparten Zeitwortes wie etwa «Vagabundieren» oder
+«Dahinträumen» bedienen! --), spreizt dessen Schenkel, daß sie eine Gerade
+bilden, faßt ihn mit der Rechten und stochert in einem der hintersten
+Backzähne.
+
+Der Mensch tut manches Unschöne, so er sich unbeobachtet glaubt.
+
+Sodann erhebt sich Ephraim, bohrt mit beiden Zeigefingern in beiden
+Gehörgängen, lehnt sich rückwärts an die Tischplatte und schaut vor sich
+hin.
+
+Mählich gewöhnen sich die Augen an das Halbdunkel des Stübchens und
+verweilen auf den Gegenständen.
+
+Ephraim blickt auch auf das Fenster.
+
+Draußen ist Nacht.
+
+Ephraim blickt hinaus in die Nacht.
+
+Er erschrak nicht, er zuckte nicht zusammen, er geriet nicht aus der
+Fassung, kein Muskel regte sich in seinem Angesicht, als er den Kopf sah.
+
+Draußen stand ein Mann und hatte seine Pupillen stier auf Ephraim
+gerichtet.
+
+Zwei Augenpaare bohrten sich ineinander.
+
+Der in der Stube erschauderte.
+
+Er schwankte. Sollte er tun, als habe er nichts bemerkt, und sich wieder an
+den Schreibtisch setzen, -- oder sollte er . . . .
+
+Ach wo, und er schritt zur Tür, öffnete sie, -- zwei, drei Schritte, und er
+stand vor dem Fremden.
+
+«Fedor Ignaz Deichsel» stellte sich dieser vor (die Stimme klang piepsig
+und dünn) und verbeugte sich trotz der Dunkelheit.
+
+Es war also nicht Sherlock Holmes!
+
+«Sehr erfreut!» entgegnete Ephraim, stellte sich seinerseits vor und lud
+den Fremden ein, näher zu treten.
+
+Der Fremde folgte dem Dichter in die Stube.
+
+Erst redeten sie keine Silbe -- späterhin ging es recht lebhaft zu.
+
+Erst standen sich die zwei wie die Pflöcke gegenüber -- -- zuguterletzt
+schlossen sie Brüderschaft.
+
+Der Fremde war nämlich auch ein Dichter.
+
+Er wollte eine Novellette schreiben und hatte sich das sehr schön
+ausgemalt: wie er den Mann in der Stube beobachten würde, um ihn
+abzukonterfeien und sein Tun zu schildern. Der Anfang, den er im Kopfe
+trug, lautete:
+
+«Kohlrabenschwarze Nacht. Der Schreibtisch liegt im Scheine der flackernden
+Kerze . . .»
+
+Weiter war er nicht gekommen, und es ist fraglich, ob er sich für «Ofen»
+oder «Kamin» entschieden hätte.
+
+-- Ich, ich schöpfe das Fett ab.
+
+(Diese Malefizliteraten!)
+
+
+
+
+DER NACHTWÄCHTER
+
+
+ALS der Herr schlief, machten sich die Holzpantoffel auf die Wanderschaft.
+
+Zuerst kamen sie in ein Dorf, wo die Hunde bellten. Dann kamen sie in ein
+Dorf, wo keine Hunde bellten. Dann kamen sie in ein Dorf, wo wiederum Hunde
+bellten. Und endlich kamen sie in ein Dorf, wo nicht _ein_ Hund bellte.
+
+Da gefiel es ihnen, und sie trippeltrappelten kreuz und quer durch alle
+Straßen und Gassen.
+
+Da kam der Nachtwächter und erfüllte seine Pflicht, indem daß er tutete.
+
+Die Pantoffel, zu jedem Schabernack aufgelegt, klapperten im Kreise um ihn
+herum.
+
+Als der Nachtwächter die tanzenden Pantoffel sah und das Geklapper hörte,
+wunderte er sich nicht schlecht und glaubte, er habe einen sitzen.
+
+Aber er hatte keinen sitzen, sondern es war wirklich wahr: die Pantinen
+hupften und sprangen und trampelten um ihn herum.
+
+Da zog er seine Doppelkümmelflasche aus dem Busen und tat einen tiefen Zug,
+um sich zu stärken.
+
+Als er die Holzdinger immer noch hupfen und springen sah, tat er auf den
+Schreck und als gründlicher Beamter einen zweiten Zug.
+
+Als aber die Tüffel gar nicht aufhören wollten, ihn zu umklappern,
+pietschte er die ganze Buddel aus.
+
+Was war die Folge?
+
+Er taumelte stockbetrunken durch das Dorf und kam sich von hunderttausend
+Holzpantoffeln umhopst vor.
+
+Er torkelte heimwärts und fiel seiner Frau Gemahlin angstschlotternd um den
+Hals.
+
+Die Pantoffel hatten nun genug und trippeltrappelten mopsfidel zurück zu
+ihrem Herrn.
+
+Der Nachtwächter jedoch -- ein sogenannter Pantoffelheld -- nahm die
+Schläge hin, die seine Frau Gemahlin ihm zugedachte.
+
+ * * * * *
+
+Moral: Bedudle dich! Aber bedudle dich heimlich und nicht ohne den
+triftigsten Grund.
+
+
+
+
+GEFALLEN
+
+
+WER hätte es noch nicht mit Entzücken betrachtet, das reizende Gemälde «Vom
+Himmel gefallen»? Ein Baby, ein allerliebstes, in taufrischem Gefilde!
+
+Und wer hat noch nicht mit liebevoller Genugtuung festgestellt, daß jenes
+Würmchen bei seinem Sturz vom Himmel nicht Hälslein und Beinlein gebrochen
+hat, sondern völlig unversehrt geblieben ist?
+
+Reden wir nicht davon, begnügen wir uns vielmehr damit, zur Kenntnis zu
+nehmen, daß sich das vom Himmel gefallene Baby allem Anscheine nach
+pudelwohl fühlt auf dieser vom Himmel himmelweit verschiedenen Erdkugel.
+
+Der Maler sah es, malte und ging seiner Wege; für ihn war die Sache
+abgetan.
+
+Das Gemälde ward vervielfältigt -- _vervielzuviefältigt_! --, ward in den
+Kunsthandlungen ausgestellt und ward mit Entzücken betrachtet und wird es
+noch.
+
+Um das (seinerzeit) vom Himmel gefallene Menschenkind kümmerte sich
+niemand. In taufrischem Gefilde saß es und freute sich seines Daseins.
+
+Ach, wie edelmütig von den Herren Künstlern, den Lebensweg der vom Himmel
+Gefallenen und der anderweitig wunderkindlich Veranlagten idyllisch auf
+sich beruhen zu lassen und nicht aus der Schule des Lebens zu plaudern!
+
+Wenn etwas am schönsten ist, wird's gemalt und damit basta.
+
+Aber ich will dem Maler jenes Würmchens einen groben Strich durch sein Werk
+ziehen und will ausplauschen, was geschah, und was sich begab.
+
+Also das kleine Wesen saß und saß und freute sich des Lebens. Der Maler war
+längst über alle Berge.
+
+Aber dann kriegte es Hunger, und dann wurde es müde, und dann kam die
+Nacht.
+
+Es fror, daß Gott erbarm, und da machte es sich auf seine kleinen
+Strümpfchen und batterte in die Dunkelheit hinein.
+
+Selbstverständlich gelangte es an den bekannten Abgrund, in den zu stürzen
+allerdings kein rettender Engel es verhinderte, oh nein: es purzelte hinein
+in den Abgrund, brach jedoch infolge seiner Übung im Fallen weiter nichts
+als das dritte Gliedchen des vierten Fingerchens des linken
+Patschhändchens.
+
+Da lag es nun und plärrte ob des Wehwehchens, wie wenn es am Rost gebraten
+werden sollte.
+
+Da kam der bekannte Köhler, der seine Hütte in weiser Voraussicht in
+nächster Nähe erbaut hatte, und nahm es und trug es heim und verband das
+Wehwehchen des dritten Gliedchens des vierten Fingerchens des linken
+Patschhändchens und bettete das Kindelein und wartete sein.
+
+Die bekannten Jahre strichen ins Land, und die Köhlerstochter erblühte zur
+Jungfrau.
+
+Und dann kam aber keineswegs der bekannte tugendhafte Prinz, um die schöne
+Köhlermaid heimzuholen, im Gegenteil, es kam niemand.
+
+Und da niemand kam, sprach die Jungfrau zu sich selbst: «Ach wat!» und
+bestieg ihr Veloziped und fuhr bis zur Bahnstation, und dort setzte sie
+sich in die Eisenbahn und dampfte nach der Stadt und wurde daselbst Bardame
+und ergab sich, huh, dem bekannten liederlichen Lebenswandel.
+
+Dies zu erfahren, ist zwar nicht hocherfreulich, doch ist es die Wahrheit.
+
+Ich halte es für meine Pflicht und Schuldigkeit, meinen Lesern reinen Wein
+einzuschenken, und sei er noch so herb.
+
+-- So oft ich eines unschuldigen, wie vom Himmel gefallenen Menschenkindes
+ansichtig werde, denke ich an das Urbild jenes bekannten Gemäldes -- an das
+Urbild, das erst vom Himmel und dann auf der Erde und somit in der
+Wertschätzung der lieben Mitmenschen fiel.
+
+
+
+
+DIE DAME OHNE KOPF
+
+
+(1)
+
+AUF der Terrasse des Esplanade-Hotels in Biarritz.
+
+Urban, Rüdiger und Martin, drei tadellos angezogene junge Herren, blicken
+auf das Meer hinaus.
+
+Martin mahnt zum Aufbruch und zieht die Brieftasche. Er will bezahlen.
+
+Rüdiger klopft mit dem Löffel an sein Teeglas.
+
+Urban beobachtet absichtslos die Handbewegungen Martins.
+
+Da fällt aus dessen Brieftasche eine Akt-Photographie.
+
+Martin bückt sich, Urban bückt sich. Rüdiger dreht seinen Schnurrbart.
+
+Martin hat die Photographie aufgehoben und steckt sie in ein Fach seiner
+Brieftasche. Er hat einen feuerroten Kopf.
+
+«Was war das?» fragt Urban.
+
+«Oh, weiter nichts!» gibt Martin zur Antwort.
+
+Aber der eine Blick, den Urban auf die Photographie geworfen hat, hat genug
+enthüllt.
+
+Urban ersucht den verlegenen Martin, ihm die Photographie zu zeigen.
+
+Martin holt die Photographie heraus und reicht sie Urban hin. Mit dem
+Daumen verdeckt er den Kopf der Dame.
+
+Rüdiger wirft einen flüchtigen Blick auf das Bild und putzt sodann
+umständlich seine Brillengläser.
+
+Das Bild stellt eine Dame dar, die völlig nackt ist. Sie liegt rücklings
+auf einer Ottomane und hat die Beine hoch in der Luft gekreuzt.
+
+Urban erkennt sofort seine Frau.
+
+Martin nimmt den Daumen weg.
+
+Die Dame hat keinen Kopf. Wo der Kopf sitzen müßte, hat die Photographie
+einen leeren Fleck.
+
+«Wer ist das?» fragt Urban heiser.
+
+«Ihre Frau!» antwortet Martin.
+
+«Und wer hat die Aufnahme gemacht?»
+
+«Der Herr Gemahl!»
+
+«Ich denke nicht dran.»
+
+«Ihre Frau hat's gesagt.»
+
+«Das ist gelogen. Ich weiß nichts von der Aufnahme.»
+
+«_Ich_ habe die Aufnahme gemacht!» mischt sich Rüdiger in das Gespräch,
+setzt seine Brille auf und schaut die beiden Herren an.
+
+«Das finde ich großartig!» spricht Urban.
+
+«Ich nicht» sagt Martin. «Rüdiger, Sie sind ein Schuft!»
+
+«Jawohl» versetzt Rüdiger.
+
+Beide stehen auf und gehen weg.
+
+Urban zahlt und schlendert hinter den beiden her.
+
+
+(2)
+
+In den Dünen.
+
+Rüdiger und Martin schießen sich.
+
+Martin kriegt einen Schuß in den Kopf und ist auf der Stelle tot.
+
+Rüdiger nimmt dem Toten die Photographie aus der Brieftasche und entfernt
+sich.
+
+
+(3)
+
+In den Dünen.
+
+«Verschaffen Sie mir wenigstens eine Kopie von der Aufnahme!» sagt Urban zu
+Rüdiger. Er ist ihm nachgelaufen.
+
+«Mit Vergnügen» gibt Rüdiger zurück und überreicht die Photographie, die er
+Martins Brieftasche entnommen hat.
+
+«Danke!» sagt Urban.
+
+«Bitte schön!» sagt Rüdiger.
+
+Urban geht hierhin, Rüdiger geht dorthin.
+
+
+(4)
+
+In den Dünen.
+
+Am Abend findet man Urban an derselben Stelle, an der Martin tot
+zusammengebrochen ist.
+
+Er hat sich erschossen.
+
+Die Kugel ist durch die linke Brust gegangen -- mitten durch die
+Photographie in der linken Brusttasche.
+
+
+(5)
+
+Rüdiger heiratete trotzdem Urbans Witwe nicht.
+
+
+(6)
+
+Aber Urbans Witwe, die Dame ohne Kopf, heiratete trotzdem.
+
+
+
+
+«SNEEWITTCHEN, DER APFEL IN»
+
+
+ICH lebe unter dem Fluche, Grotesken zu schreiben.
+
+Bringe ich die simpelsten, banalsten Dinge zu Papier -- Dinge, die ich mit
+eigenen Augen sah und ohne irgendwelche «Ausschmückung» notierte --, so
+heißt es, sie seien «grotesk».
+
+_Nichts ist grotesk auf dieser Erde._
+
+Selbstverständlich ist _alles_ grotesk auf dieser Erde.
+
+Aber es kommt darauf an.
+
+Die Welt ist grotesk, und sie ist das Gegenteil.
+
+Das Leben ist ernst, und es ist das Gegenteil.
+
+Subjektiv genommen ist die Welt grotesk _und_ das Gegenteil.
+
+Subjektiv genommen ist das Leben ernst _und_ das Gegenteil.
+
+Aber objektiv genommen ist die Welt grotesk. Denn das Gemisch von Groteskem
+und Nicht-Groteskem, eben dies Gemisch ist grotesk.
+
+Und das verflucht ernste Leben, das zu Zeiten so haarsträubend ulkt, ist
+grotesk.
+
+Und auch das andere Leben, das so ulkig ist, kann zu Zeiten verflixt ernst
+sein. Und somit grotesk.
+
+Ich komme vom Thema ab. --
+
+Die Groteske «Sneewittchen, der Apfel in» ist lediglich der Überschrift
+wegen geschrieben worden. (. . worden??)
+
+Diese Überschrift ist grandios!
+
+Ehrenwort!
+
+Mein Freund, der Dr. Kurt Lange, hat es bestätigt.
+
+Diese Überschrift ist eine Parodie (für die Hartköpfe sei's gesagt).
+
+Die Überschrift ist derartig . . . . schön, daß es sich erübrigt, den Text
+dazu herzuschreiben.
+
+Als guterzogener Mensch will ich wenigstens andeuten, um was es sich bei
+«Sneewittchen, der Apfel in» handelt. Oder vielmehr handeln sollte (es
+handelt sich gar nicht!).
+
+Die Sache ist die: Sneewittchen kriegt von der Frau Königin einen Apfel
+angeboten. Zum Beweise dessen, daß er nicht vergiftet sei -- na, wenn sie
+das schon sagt, da soll ein Mensch nicht stutzig werden! --, schneidet sie
+den Apfel (sie -- die Königin) in zwei Hälften. Aber die eine ist _doch_
+giftig, und die andere nicht, und die giftige verspachtelt Sneewittchen.
+
+Das ist ein dunkler Punkt.
+
+Denn ein kleines bissel Gift wird mindestens in die ungiftige Hälfte
+gedrungen sein -- -- _wenn sich ein halbgiftiger und halbungiftiger Apfel
+überhaupt anfertigen läßt!_
+
+ * * * * *
+
+Nachwort: Das Tollste in «Sneewittchen» oder besser «>Sneewittchen<, das
+Tollste in» ist indessen die eigenartige Tatsache, daß die verschluckte
+Apfelhälfte -- -- ach, das ganze Märchen taugt nichts! Ich werde es
+revidieren und neu herausgeben unter dem Titel «>Sneewittchen<, ein für
+fortgeschrittene Kinder nach den Resultaten moderner medizinischer
+Forschung umgearbeitetes Märchen».
+
+
+
+
+DOLL!
+
+
+ES war einmal.
+
+Zufolge einer hitzigen Wette ritt der wirklich, also ich sage Ihnen:
+wirklich feudale Graf Soundso in Lack und mit Einglas auf einer Kuh, also
+Ehrenwort: auf einer Kuh durch eine belebte Straße der preußischen
+Hauptstadt.
+
+Doll, was?
+
+Der Spaß kostete zwanzig Emm -- Lappalie! --, der Graf mußte absitzen und
+wohl oder übel die Kuh nach Hause führen.
+
+Was sagen Sie dazu?
+
+Sie schütteln Ihren Kopf mit Recht.
+
+
+
+
+NACHT IM HOTEL
+
+
+IN der Nacht kroch mir etwas über das Gesicht. Davon wurde ich munter. Ich
+machte Licht und sah, daß es eine Raupe war. Sie hatte eine grasgrüne
+Hautfarbe und viele Borsten. Ich sprach zu ihr: «Du kommst mir ungelegen,
+Raupe! Warum störst du mich im Schlafe?» Die Raupe erwiderte: «Ich störe
+dich mitnichten im Schlafe; siehe denn, du träumst! Ich bin eine von dir
+geträumte Raupe. Oder, wenn du willst: _Ich_ träume _dir_.» Ich wunderte
+mich ein wenig und sagte: «Wenn es sich so verhält, und du nur eine mir
+geträumte Raupe bist, so habe ich keine Veranlassung, dir zu zürnen. Aber
+verschone mich bitte und träume, wenn möglich, einem andern.» Die Raupe
+lächelte und kroch von hinnen.
+
+Es mochte eine Viertelstunde verstrichen sein, da stach mich etwas. Davon
+erwachte ich und zündete Licht an. Da sah ich, daß es ein Floh war. Er
+hüpfte weg, aber ich sprach: «Zu deinem Besten will ich annehmen, daß nur
+ein geträumter Floh du bist; sonst möchte es dir übel ergehen, Freundchen.
+Laß gut sein und reize mich hinfort nimmer; ich könnte dir das Fell eklig
+über die Ohren ziehen.» Da kam der Floh aus dem Versteck hervor und
+entgegnete: «Ich bin kein geträumter Floh, mein Herr. Im Gegenteil: ich bin
+so ungeträumt wie überhaupt irgend möglich und liebe offene Karten. Darum
+sei Ihnen angesagt: Sie werden den Rest der Nacht in Schlaflosigkeit und
+Wut verbringen. Gott befohlen!» Ehe ich ihn greifen konnte, war er
+enthüpft. Ich lag lange wach und konnte nicht einschlafen. Endlich schlief
+ich.
+
+Es mochte abermals eine Viertelstunde verstrichen sein, da hockte mir etwas
+auf der Brust. Davon erwachte ich. Als ich Licht anzündete, bemerkte ich
+mit Entsetzen, daß mir ein Känguruh zu schaffen machte. Es kauerte auf
+meinen Rippen und glupschte mich feindselig an. Ich sprach: «Es ist bereits
+das dritte Mal in dieser Nacht, daß man mich belästigt. Sie mögen geträumt
+sein oder nicht, ich habe nicht die geringste Lust, mich mit Ihnen zu
+befassen. Beehren Sie sonstwen mit Ihrem unerbetenen Besuche, aber nicht
+mich!» Sprach's und drehte mich auf die andere Seite. Rasch schlief ich
+wieder ein. Mir träumte, daß ein Känguruh auf meiner Brust säße, das ich,
+um es loszuwerden, erdrosselte. Schwer schlug die Leiche zu Boden. Davon
+erwachte ich.
+
+Im Zimmer lag die Leiche eines Känguruhs.
+
+Im Waschbecken schwamm eine grasgrüne Raupe.
+
+Ein Floh stach mich. Die Sonne schien durchs Fenster. Ich griff mir an den
+Kopf.
+
+Es ist nicht geheuer auf der Welt.
+
+
+
+
+KLEIN-ELLI UND DIE KRITIK
+
+
+DIE zweijährige Elli wandte sich an den fünfjährigen Ferd mit den Worten:
+«Du, das eine kann ich dir sagen: So jung ich bin -- _mehr_ Lebenserfahrung
+als du habe ich auf jeden Fall!»
+
+Ferd war platt.
+
+Und darauf beruhte Ellis Spekulation: man braucht dem andern nur etwas
+himmelschreiend Überlegenes zuzuschleudern, und sofort hat dieser _weniger_
+Lebenserfahrung -- vorausgesetzt, er fällt hinein.
+
+Ferd war hineingefallen, und die zweijährige Elli war um eine
+Lebenserfahrung reicher.
+
+ * * * * *
+
+Ein Rezensent erklärte Obiges für Quatsch. Er dahlte von sinnloser
+Originell-sein-Wollerei-um-jeden-Preis und stellte mich als
+unzurechnungsfähig hin.
+
+Ich gab die Rezension der zweijährigen Elli. Sie sprach: «Siehste, Onkel
+Reimann, ich hab' dir's gleich sagen wollen: schreib das nicht auf, die
+Kritiker erklären es doch für Quatsch. Hättste nur auf mich gehört.»
+
+Das sah ich ein und faßte den Beschluß, wenigstens diese zweite Äußerung
+der zweijährigen Elli dem rezensierfähigen Publikum vorzuenthalten.
+
+
+
+
+«O (JUHU!) JUHUGENDZEIT!»
+
+
+Personen: Ein glücklich liebend Paar.
+
+Ort der Handlung: Eine kleinste Hütte.
+
+Zeit: Was denn sonst als Mai?
+
+GEGEN Abend pürschte ich mich hinan.
+
+Drinnen kicherte etwas.
+
+Ich spitzte die Ohren.
+
+Ein Ehrenmitglied der menschlichen Gesellschaft packt mich bei den
+Schlafittchen und zerrt mich weg.
+
+Ich sagte: «Lieber Herr, unterlassen Sie das! Übrigens hätte ich mich als
+diskreter Mensch sowieso entfernt.»
+
+Er gab mich frei und entschwand im Gebüsch.
+
+Ich lagerte mich ins Kleefeld.
+
+Aber es trieb mich, es trieb mich, es trieb mich hin zu jener kleinsten
+Hütte, worinnen etwas gekichert hatte.
+
+Es war Nacht geworden.
+
+Eine Lampe brannte.
+
+Auf stummen Zehen schlich ich; ich schlich auf stummen Zehen zum Fenster
+hin, hin zum Fenster.
+
+Das Ehrenmitglied war auch schon da und spionierte durch eine Klinze im
+Fensterladen.
+
+Drinnen erlosch die Lampe.
+
+Aber um uns lag grelle Helle: die zwiefache Gemeinheit strahlte aus unseren
+Augen.
+
+Wir pusteten uns gegenseitig aus.
+
+Da war es dunkel.
+
+
+
+
+OFFENER BRIEF AN EINEN UNBEKANNTEN
+
+
+SEHR geehrter Herr! Ich nehme mir die Freiheit, in aller Öffentlichkeit ein
+Schreiben an Sie zu richten, weil ich Sie nicht länger darüber im Unklaren
+lassen möchte, wie unsympathisch Sie mir sind.
+
+Mit Erstaunen werden Sie fragen, welche Gründe um alles in der Welt mich,
+der ich Sie nicht kenne, bewegen, Sie einen mir unsympathischen Menschen zu
+heißen.
+
+So hören Sie denn, daß ich nicht den winzigsten Grund habe, um so mehr, als
+ich Sie, wie gesagt, nicht kenne.
+
+Trotzdem sind Sie mir in tiefster Seele und aus einem, wenn ich mich so
+ausdrücken darf, allgemeinen Gefühl heraus unausstehlich, und ich
+versichere laut, daß ich jeden Zug Ihres Wesens, jede Spur Ihres Seins
+widerlich finde, mögen Sie existieren oder nicht.
+
+Ich bin überzeugt, daß Ihre sauber genähten Krawatten mir nicht minder auf
+die Nerven fallen würden als die Handbewegungen, womit Sie Ihrer jüngsten
+Tochter, wenn Sie eine hätten, über den Scheitel fahren, wenn sie einen
+hätte, und daß mich die Geschwulst hinter Ihrem rechten Ohre, gesetzt, Sie
+hätten eine, ebenso peinlich berühren würde wie die Art, in der Sie über
+Angelegenheiten der inneren Politik sprechen -- wenn Sie darüber sprechen.
+Warum übrigens in drei Teufels Namen lassen Sie sich jene Geschwulst hinter
+dem rechten Ohre nicht endlich operieren -- für den Fall, Sie haben eine?
+
+Sie gelten mir, klipp und klar, in jedweder Hinsicht als vollendeter Typus
+eines Proleten -- herrisch, ordinär, albern, rücksichtslos und seicht, wie
+Sie hoffentlich sind. Um das Maß voll zu machen, lieben Sie -- Sie werden
+mich darin nicht enttäuschen -- das Skatspiel und die Lektüre infamer
+Schmöker, die nicht angeführt sein mögen, und entrüsten sich womöglich als
+sogenannter Gegner des Fremdwortes, daß ich Wörter wie «Lektüre» und
+«infam» anwende.
+
+Ich gebe zu, daß ich meinem Vorurteil, das am Äußerlichen haftet, allzu
+willfährig bin und besser daran täte, Ihr Inneres zu prüfen, muß indessen
+zu meiner Rechtfertigung erklären, daß ich die «Unsympathischkeit» auf den
+ersten Blick, die sich jederzeit in das Gegenteil verkehren könnte, bei
+weitem der «Sympathischkeit», um nicht zu sagen «Liebe» auf den ersten
+Blick den Vorzug gebe, welche kritischen Erschütterungen nur in seltenen
+Fällen standzuhalten vermag.
+
+Mit Freuden bin ich bereit, mich mit Ihnen, den ich gottlob nicht kenne,
+und von dem ich nicht weiß, ob er überhaupt auf Erden wandelt, an drittem
+Orte zu treffen, um die wenig erquicklichen Beziehungen, die uns
+verknüpfen, in erfreulichere oder sogar erfreuliche zu verändern, obwohl
+ich meine Besorgnis nicht verhehlen möchte, daß Sie gerade bei naher
+Bekanntschaft und nach Preisgabe Ihres Inwendigen ein gräßliches Subjekt,
+unter Umständen sogar ein hierorts als «Mistvieh» zu bezeichnendes
+Individuum abgeben dürften, dem ich besser aus dem Wege trete.
+
+Lassen wir es also zu beiderseitigem Vorteile bei der bestehenden
+Unbekanntschaft verbleiben, und bauen wir auf unser Vorurteil, das
+sicherlich wohl begründet ist, sei es auch nur gefühlsmäßig. «Unser»
+Vorurteil schreibe ich, da ich allzu gut weiß, wie wenig Sie Ihrerseits
+mich leiden mögen -- mich, den es gibt.
+
+Mit dem Ausdrucke vollkommener Hochachtung bin ich Ihnen, den es nicht
+gibt, ergeben und schließe mit dem Bemerken, daß die letztgebrauchte
+Redewendung eine leere Phrase ist und nichts weiter.
+
+H. R.
+
+
+
+
+DER OCHSE
+
+
+ _Personen_:
+ Hans
+ Kurt
+ Theo
+
+«WAS stehst du da und sinnst?»
+
+«Ich sinne nicht. Ich warte auf Theo.»
+
+«Wartest du lange?»
+
+«Ja, aber er kommt nicht.»
+
+«Ich will dir helfen. Du weißt, daß der Ochse kommt, wenn man von ihm
+spricht?»
+
+«Freilich.»
+
+«Also laß uns von Theo sprechen.»
+
+Hans und Kurt sprechen von Theo, damit der Ochse kommt.
+
+Aber er kommt nicht.
+
+«Du, unser Sprechen ist für die Katz'. Theo kommt nicht.»
+
+«Nein, er kommt nicht.»
+
+Theo kommt.
+
+Hans und Kurt brechen gleichzeitig in die Worte aus: «Siehst du, er ist
+_doch_ ein Ochse!»
+
+«Wer?» fragt Theo.
+
+«Du!» lautet die fröhliche Antwort.
+
+Theo ist vom Gegenteil überzeugt.
+
+
+
+
+VON DEM MANNE, DER AUSZOG, ERDBEEREN ZU SUCHEN UND PFIFFERLINGE MIT
+HEIMBRACHTE
+
+
+EINE sehr schöne Geschichte.
+
+Von mir.
+
+Und außerdem eine sehr kurze Geschichte.
+
+Aber auch kurze Geschichten können schön sein.
+
+Ich liebe die kurzen Geschichten, die schön sind.
+
+Dies ist eine.
+
+Wenigstens meiner Meinung nach.
+
+Also: ein Mann ging in den Wald, um Erdbeeren zu suchen. Sogenannte
+Walderdbeeren.
+
+(Weil sie im Walde wachsen!)
+
+Aber er fand keine.
+
+Aber Pfifferlinge fand er.
+
+Einen ganzen Sack voll.
+
+Er ging heim mit seinem Sack voller Pfifferlinge oder Pfefferlinge.
+
+In Sachsen sagt man «Gehlchen».
+
+Die Sachsen müssen immer eine Extrawurst haben.
+
+Na, und die schmorte er sich.[1]
+
+Und aß sie.
+
+Und die schmeckten sehr gut.
+
+[Footnote 1: Die Pilze, meine Verehrten!]
+
+In Sachsen sagt man «schmeckten sehr _schön_».
+
+Die schmeckten also sehr schön.
+
+Und da freute sich der Mann schrecklich und vergaß völlig, daß er in den
+Wald gegangen war, um Erdbeeren zu suchen.
+
+ * * * * *
+
+Das ist die ganze Geschichte.
+
+Ist sie nicht schön?
+
+
+
+
+DIE WAHRHEIT
+
+
+UM es ganz aufrichtig und ehrlich zu sagen, so halte ich -- menschlich --
+jeden beliebigen Kaufmann für tausendmal wertvoller als irgendeinen
+Künstler.
+
+Man wird mir diesen Satz nicht glauben -- um so weniger, als ich heftig
+beteuere, ihn durchweg ernst zu meinen.
+
+Aber: ich halte zehn gute Kaufleute, Gott straf mich, für tausendmal
+wichtiger -- menschlich -- als einen halben Gymnasiallehrer.
+
+Auch diesen Satz wird mir niemand glauben.
+
+Nun denn, ganz aufrichtig und ehrlich: ich halte weder Kaufmann noch Lehrer
+für wichtig, geschweige denn für wertvoll. Den Künstler erst recht nicht.
+
+Dies ist voller Ernst und mein letztes Wort in dieser Sache. Punktum.
+
+
+
+
+KEIN SCHÖNRER TOD IST AUF DER WELT . . .
+
+
+ALS es 418 (418!) Tage lang, 418 Tage lang hintereinander, 418 Tage lang
+ununterbrochen hintereinander geregnet hatte, 418 Tage lang geregnet hatte,
+waren alle Wesen des Lebens überdrüssig.
+
+Und der hochbetagte Bibliothekar Stibulke sprach zu seiner Frau:
+
+«Rosa, weißt du was, wir ersäufen uns!»
+
+Das war aber gar nicht mehr nötig; denn -- siehe -- in demselben
+Augenblicke wurde das Ehepaar von den eindringenden Fluten hinweggespült.
+
+
+
+
+SERENISSIMUS JAGT SCHMETTERLINGE
+
+
+SERENISSIMUS jagt Schmetterlinge. Für seine Sammlung. -- Hat eine
+Schmetterlings-Sammlung. -- Lauter Schmetterlinge. Und Käfer. -- Und
+Briefmarken. -- Alles durcheinander. -- Auch Strumpfbänder. Weibliche. --
+Souvenirs. -- Namentlich Strumpfbänder. -- Nebenbei auch einige
+Schmetterlinge. -- Zwei oder drei. -- Oder einen? -- Ja, _einen_. Einen
+einzigen. Tja. Aber einen ganz seltenen! -- Ein Mistpfauenauge. Oder so
+ähnlich. Ganz drolliges Viech. -- Sieht aus wie en Käfer. -- Tja. -- Ist
+auch en Käfer. Heißt genau genommen Mistpfauenkäfer. -- Oder so ähnlich. --
+Oder Mistkäfer. -- Ja: Mistkäfer. -- Geschmacklos. -- Warum nich
+Guanokäfer? Oder Kloakenkäfer? -- Tja. -- Ein entzückender Kloakenkäfer. --
+Schillert in allen Farben. -- Täuschend imitiert. -- Sieht aus wie echt.
+Wie wenn er lebte. -- Tja. -- War ooch teuer genug! Zierte Lisas
+Strumpfbänder, die Katze. -- _Zwei_ waren es sogar. Eigentlich.
+Ursprünglich. -- Na, der _eine_ ist gerettet. -- Apartes Andenken. An die
+verflossene Lisa. -- Saßen auf dem Strumpfband, die beiden Käfer. Oder
+vielmehr: auf _den_ Strumpfbändern. Auf jedem einer. -- Lisa mußte zweie
+haben. -- Dolles Weib. T, t, t, t. -- Viel Geld gekostet. -- Tja. -- Na,
+egal. -- War die Sache wert. -- Süßer Käfer. -- Hat Karriere gemacht. --
+Nach unten. -- Bis in den Rinnstein. -- Ooch en Kloakenkäfer geworden. Oder
+Mistkäfer. -- Hähä, blendender Witz. -- Jaja, feines Köppchen! -- Tja. --
+Na, wolln ma sehn, was sich tun läßt.
+
+Serenissimus stelzt über ein Stoppelfeld. Das Schmetterlingsnetz in der
+Hand.
+
+Er will seine Sammlung bereichern.
+
+Schmetterlinge jagen ist sein neuster Sport.
+
+Serenissimus ist passionierter Schmetterlingsjäger.
+
+Absolut einwandfrei edles Weidwerk.
+
+Totschick! -- Heissa, hussa!
+
+Serenissimus stelzt über das Stoppelfeld. Mit sagenhaft elastischen
+Schritten.
+
+Einem Schmetterling ist er auf den Fersen.
+
+Einem Sauerkohlweißling.
+
+Der schillert so angenehm rötlich.
+
+Vielleicht gar en Rotkohlweißling?
+
+Oder en Sauerkohlrötling?
+
+Vertrackt schwierige Kiste, Schmetterlinge jagen.
+
+Die Tiere flattern in der Luft herum.
+
+Sind gar nich en bißchen zutraulich.
+
+Na, wern den Kerl schon kriegen!
+
+-- Serenissimus stelzt über die Stoppeln. Dem Weißling hinterher.
+
+Da geschieht etwas durchaus Unerwartetes.
+
+Eine Dampfwalze kommt in rasendem Tempo auf Serenissimus zugeschossen. Wie
+ein Pfeil.
+
+Serenissimus, der bei _einem Haare_ den Weißling im Netz hatte, springt --
+juchopps -- mit einem Fluch beiseite.
+
+Himmelherrgottspappedeckel, Klabund und Wolkenbruch!!
+
+-- -- -- Die Dampfwalze prescht wie besessen an dem verdatterten Ferschten
+vorüber . . . .
+
+Da bemerkt Serenissimus dort, wo die Dampfwalze ihren Weg genommen hat,
+einen rotgelben Tupfen: den zu Brei gequetschten Sauerkohlrotweißling.
+
+Er hebt ihn auf und steckt ihn ins Netz.
+
+Das Netz schultert er und geht heim. Serenissime.
+
+_So fing Serenissimus seinen ersten Schmetterling._
+
+ * * * * *
+
+Daraus geht hervor: Um einem Serenissimo dienstbar zu sein, scheuen die
+himmlischen Gewalten weder Kosten noch Mühe.
+
+
+
+
+DAS ZIMMER
+
+
+LINKS eine Wand. Rechts eine Wand. Vorn eine Wand. Hinten eine Wand. Oben
+die Decke. Unten die Diele. -- In der linken Wand eine Tür, in der rechten
+Wand zwei Fenster, in der vorderen Wand nichts, in der hinteren Wand
+nichts. -- An allen vier Wänden Tapete. -- In der Mitte der Diele ein
+Tisch, darauf eine Vase. Um den Tisch drei Stühle. An der rechten Wand
+zwischen den Fenstern ein Büchergestell. An der linken Wand über der Tür
+ein Haussegen. An der vorderen Wand ein Ofen, ein Waschtisch, ein Bett, ein
+Spiegel. An der hinteren Wand ein Sofa, ein Schreibtisch mit Lehnsessel,
+ein Schrank; über dem Sofa ein großes Bild. An der Decke eine Lampe.
+
+Dies ist ein Zimmer. --
+
+Was ist ein Zimmer? -- Ein Selbstmordmotiv.
+
+Öde, kahl, ekel. -- -- --
+
+Laß an den Fenstern Gardinen anbringen, und in der Dämmerstunde stell auf
+den Tisch die duftenden Reseden: -- das Zimmer ist traut und wohnlich.
+
+Und liegt ein sündhaft schönes Weib im Bett, der Teufel hole dich, wenn du
+das Zimmer nicht mit Lust beziehst.
+
+
+
+
+HAND UND AUGE
+
+
+(Ein Reise-Erlebnis)
+
+ _Personen_:
+ Die anmutige Dame
+ Der stattliche Herr
+
+ _Ort_:
+ Eisenbahn-Abteil 2. Klasse
+
+DER Herr: «Darf ich das Fenster öffnen?»
+
+Die Dame: «Ja.»
+
+Der Herr: «Stört es Sie, wenn ich eine Zigarette rauche?»
+
+Die Dame: «Nein.»
+
+Der Herr: «Darf ich fragen, wohin Ihre Reise geht?»
+
+Die Dame: «Ja. Nach Danzig.»
+
+Der Herr: «Wie sich das trifft! Ausgerechnet nach Danzig fahre auch _ich_!»
+
+Der Herr: «Ist es Ihnen unangenehm, mit mir im selben Abteil fahren zu
+müssen?»
+
+Die Dame: «Nein.»
+
+Der Herr: «Fahren Sie gern Eisenbahn?»
+
+Die Dame: «Nein.»
+
+-- --
+
+Ein Gespräch kommt nicht zustande.
+
+Es ist frostern im Abteil. Die Dame ist zugeknöpft. Der Herr versucht es
+mit einem Gewaltmittel:
+
+«Schauen Sie», spricht er, «ich hab' ein Glasauge!» und nimmt sein linkes
+Auge heraus.
+
+Die Dame taut auf: «Ach!? -- Ist das echt?»
+
+«Jawohl -- es ist ein echtes nachgemachtes Auge.»
+
+«Gott, wie goldig!»
+
+«Nicht wahr?»
+
+«Und _ohne_ das Auge sehen Sie gar nichts?»
+
+«Nein, nicht das mindeste.»
+
+«Und _mit_ dem Auge?»
+
+«Sehe ich auch nichts!»
+
+«Ja, ist denn das Auge nicht durchsichtig?»
+
+«Doch -- aber womit sollte ich hindurchsehen?»
+
+«Haben Sie das Auge verloren?»
+
+«Ja -- ein Fräulein hat es mir mit der Hutnadel ausgestochen.»
+
+«Wie gemein!»
+
+«Ich habe mich gebührend gerächt.»
+
+«Inwiefern?»
+
+«Ich habe das Fräulein geheiratet.»
+
+Die Dame rückt ab und knöpft sich wiederum zu. Der Herr hat seinen Reiz zur
+guten Hälfte verloren. Er ist verheiratet!
+
+Der Herr steckt sein Auge ein.
+
+Die Dame -- nach langer Pause --: «Sie tragen ja gar keinen Trauring?»
+
+«Nein, warum? Ich bin ja nicht verheiratet.»
+
+«Sie sagten doch . . .»
+
+«Ein Scherz.»
+
+«Aber das falsche Auge ist doch wenigstens _echt_, wie?»
+
+«Völlig echt, meine Gnädige.»
+
+«Darf ich es mal sehen?»
+
+«Mit Vergnügen.»
+
+Der Herr reicht der Dame das echte falsche Auge. Die Dame nimmt es in die
+linke Hand.
+
+Sie faßt das Auge scharf ins Auge und spricht:
+
+«Es ist täuschend imitiert. Besser als diese meine linke Hand.»
+
+«Was ist mit der Hand?»
+
+«Sie ist künstlich. Aus Marmor.»
+
+«Seltsam. Ein falsches Auge in falscher Hand!»
+
+«Ich finde das weniger seltsam, als wenn ein echtes Auge in einer echten
+Hand läge.»
+
+«So? Wäre das seltsamer?»
+
+«Es wäre nicht nur seltsamer, es wäre _unmöglich_.»
+
+«Es ist nicht unmöglich. -- Mein Auge ist kein Glasauge. -- Das Auge ist
+mein wirkliches, echtes Auge.»
+
+Die Dame läßt erschreckt das Auge fallen.
+
+Das Auge blickt die Dame wehmutig an.
+
+Die Dame greift gerührt mit ihrer Linken nach dem Auge -- -- -- die Hand
+füllt sich mit Leben, Blut durchrinnt sie, Puls klopft auf.
+
+Das Auge zwinkert bedeutsam.
+
+Der Herr sieht die marmornen Finger der Dame sich regen; «Ihre Hand,
+Gnädige, scheint lebend zu sein!»
+
+Die Dame krümmt die Finger -- und ist selbst betroffen über die
+Verwandlung.
+
+Sie streicht mit der Rechten über das Auge in ihrer Linken, und das Auge
+schläft ein.
+
+Der Herr nimmt es und steckt es in seine Höhle zurück.
+
+Die Dame kann nicht anders, sie drückt einen Kuß auf das Auge.
+
+Der Herr küßt der Dame die linke Hand.
+
+Das Auge öffnet sich und blickt dankbar.
+
+Die Linke der Dame streichelt die Wange des Herrn.
+
+«_Danzig_ --!»
+
+
+
+
+TROPFEN AUS HEITERM HIMMEL
+
+
+AUF der Wiese steht ein Greis und will eine Kneippkur machen.
+
+Er ist barfuß und barhaupt.
+
+Über ihm hängt ein wunderschöner, blauer, wolkenloser Himmel.
+
+Der Greis hält Ausschau nach einer Kuh, die fern am Waldrande Bedürfnis
+über Bedürfnis verrichtet.
+
+Da tropft dem Greis etwas aufs Haupt.
+
+Ein dicker Tropfen.
+
+Der Greis greift mit der Hand auf seinen Schädel und wischt den Tropfen ab.
+
+Dann lugt er auf zum Himmel.
+
+Der Himmel glänzt in seidiger Bläue.
+
+«Wie?» denkt der Greis, «ein Tropfen aus heiterm Himmel?»
+
+Und er begibt sich von dem Flecke, auf dem er gestanden, weg und pflanzt
+sich anderswo auf.
+
+Daselbst hält er wiederum Ausschau nach jener bedürfnisstrotzenden Kuh.
+
+Er steht nicht lange -- der Greis --, so kleckt ihm ein zweiter Tropfen
+aufs Haupt.
+
+Aufschauend zum Himmel, wundert er sich ins Fäustchen und wischt sodann den
+nassen Tropfen sich vom Schädel.
+
+Der Himmel lacht. Mit Recht.
+
+«Wenn das so weitergeht,» denkt unser Greis bei sich, «das kann ja gut
+werden!»
+
+Und er bleibt stehen, wo er steht.
+
+Er will herauskriegen, wo die Tropfen herkommen; auch will er wissen, ob
+ihrer noch mehr herunterklecken.
+
+Abermals wendet er sein Augenmerk nach jener fladenden Kuh und vergißt über
+sie das Tropfen.
+
+Es währt nur kurze Zeit, so tropft dem Greis ein dritter Tropfen auf den
+Kopf.
+
+Der Greis runzelt die Stirn und betrachtet den Himmel. Der thront
+unschuldig und engelisch-rein über der Szenerie.
+
+Der Greis legt sich ins grüne Gras und läßt den Himmel nicht aus dem Auge.
+
+Es kleckt kein Tropfen mehr vom Himmel.
+
+«Aha,» denkt sich der Greis, «dies geschieht, weil ich Obacht gebe».
+
+Und er paßt auf. Er wendet keinen Blick vom Himmel.
+
+ * * * * *
+
+Auf der Wiese liegt ein Greis. Er hat eine Kneippkur machen wollen, aber er
+muß aufpassen, ob es tropft. Er ist überzeugt, daß in dem Augenblicke, wo
+er den Himmel außer acht läßt, ein Tropfen ihm aufs Haupt kleckt.
+
+Der Greis schläft darüber ein.
+
+Er träumt, daß ihm ein Tropfen auf den Kopf kleckt. Er stellt sich
+anderswohin, und ein zweiter Tropfen kleckt. Er bleibt stehen, und ein
+dritter Tropfen kleckt. Da legt er sich ins grüne Gras und spannt auf den
+Himmel. -- Dies träumt der Greis.
+
+Die Kuh möhkt plötzlich dicht bei ihm.
+
+Davon erwacht der Greis, erhebt sich ächzend und begibt sich an die
+Kneippkur.
+
+Ihm ist, als seien drei Tropfen auf seinen Kopf gekleckt.
+
+Dies ist jedoch völlig unmöglich. Denn der Himmel ist blau, heiter und
+wolkenlos.
+
+Hat der Greis geträumt?
+
+
+
+
+DAS ALTER
+
+
+ _Personen_:
+ Der gutgelaunte Vorgesetzte
+ Der wie auf den Kopf gefallene Bewerber
+
+DER Vorgesetzte läßt den Bewerber eintreten und ersucht ihn, Platz zu
+greifen. Es entspinnt sich eine Unterredung, die auf einem gewissen
+halbtoten Punkt stehen bleibt: Der Vorgesetzte möchte Einzelheiten aus dem
+Privatleben des Bewerbers wissen. Er fragt zuvörderst nach dem Alter. «Wie
+alt sind Sie denn?»
+
+«Ich werde 32.»
+
+«Wie alt Sie sind?»
+
+«Ich werde 32.»
+
+«Ich will nicht wissen, wie alt Sie _werden_; ich will wissen, wie alt Sie
+_sind_.»
+
+Der Bewerber schweigt kopfscheu.
+
+«Na wie alt _sind_ Sie denn?»
+
+«Ich bin 31 gewesen.»
+
+«Guter Mann, hm, wenn Sie 31 _gewesen_ sind, so sind Sie zur Zeit 32.
+Soeben behaupten Sie jedoch, Sie _würden_ erst 32.»
+
+«Ja, das stimmt.»
+
+«Nee, das stimmt nicht. Wenn Sie 32 _werden_, können Sie nicht 32 _sein_.»
+
+«Nein, so nicht, -- ich bin nicht 32. Ich _werde_ 32.»
+
+«Schön. Demnach dürften Sie 31 sein.»
+
+«Ja natürlich. Ich bin 31!»
+
+«Also Sie sind 31. -- Wann ist Ihr Geburtstag?»
+
+«Am 5. April.»
+
+«Das wäre heute in 6 Wochen?»
+
+«Zu dienen.»
+
+«Wie alt werden Sie heute in 6 Wochen?»
+
+Der Bewerber, zaghaft und scheu: «32 . .»
+
+«Richtig.»
+
+«Ihr wievielter Geburtstag ist das?»
+
+«Mein 32. selbstredend.»
+
+«Durchaus nicht! -- Ihr 33.!»
+
+«Das verstehe ich nicht.»
+
+«Nein? -- Merken Sie auf: Als Sie zur Welt kamen, begingen Sie Ihren ersten
+Geburtstag. An jenem ersten Geburtstage waren Sie null Jahre alt. -- Als
+Sie Ihren zweiten Geburtstag feierten, vollendeten Sie das erste Jahr, d.
+h. Sie wurden am _zweiten_ Geburtstag _ein_ Jahr alt. -- Sehen Sie das
+ein?»
+
+Der Bewerber, gänzlich verwirrt: «Oh ja!»
+
+«Nun also. -- Sie _sind_ 30 _gewesen_, _sind_ 31, _werden_ 32 und feiern in
+Kürze den 33. Geburtstag.»
+
+Der Bewerber bricht ohnmächtig zusammen.
+
+Die Unterredung ist beendet.
+
+
+
+
+ALLE WEGE FÜHREN NACH ROM
+
+
+DIESES Sprichwort ist eine hundsgemeine Lüge.
+
+Der Privatdozent Kladderosinenzagel mußte es am eigenen Leibe erfahren.
+
+Er, den wir um der Kürze willen K. nennen wollen, machte sich an einem
+Ferientage auf die denn doch nicht mehr so eigentlich ganz naturfarbig
+genannt werden dürfenden Socken, um gen Rom zu fahrten.
+
+Er, K., fußte auf dem Sprichwort: Alle Wege führen nach Rom.
+
+K. wanderte, mit reichlichem Mundvorrate und einer leeren Thermosflasche
+ausgestattet, einen vollen Nachmittag lang.
+
+Reiseziel: Rom.
+
+Es führen aber mitnichten alle Wege nach Rom.
+
+_Der Weg_, den K. einzuschlagen für ratsam befunden hatte, hörte plötzlich
+auf, ein Weg zu sein und verwandelte sich in eine Wiese, auf welcher
+notgedrungen sieben Kühe -- die Verkörperung der fetten Jahre -- sich an
+ihrem Anblicke und dem saftigen Grün weideten.
+
+Und K. stand hinter einer Tafel, die von vorn zu besichtigen er nicht
+umhinkonnte.
+
+Die Tafel bezog sich auf den Weg, welchen K. zurückgelegt hatte, und trug
+die Aufschrift: «Verbotener Weg».
+
+In einem Lande, wo die Polizei so auf dem Damme ist wie in Deutschland,
+führt zwar mancher Weg nach Rom, aber er ist verboten.
+
+K. mußte umkehren und sich des Planes, auf natürlichem Wege nach Rom zu
+gelangen, entschlagen.
+
+
+
+
+«HÖHENLUFT»
+
+
+ Ein Roman aus den Tiroler Bergen
+ von
+ Paul Grabein
+
+ist im Okt. 1916 als Ullstein-Buch -- 1 M.! -- erschienen. Ich habe das
+Buch gelesen -- unter Aufgebot größter Energie. Ein paar Worte darüber und
+dazu.
+
+Die Personen des Buches sind:
+
+ Karl Gerboth, Maler,
+ Hilde, seine Tochter,
+ Franz Hilgers, Maler,
+ Günther Marr, Leutnant.
+
+Handlung: Franz hat seinen Jugendfreund Günther eingeladen. Günther leistet
+der Einladung -- Erholungsurlaub -- Folge. Auf Seite 19 trifft er, nach dem
+Dörfchen, in dem Franz wohnt, wandernd, eine Dame. Dies ist Hilde Gerboth.
+Sofort weiß man «alles», und es kommt auch tatsächlich «alles» so. Franz
+ist der einzige Schüler Karl Gerboths und Bräutigam eben jener Hilde,
+freilich, ohne daß diese darum weiß. Der alte Gerboth hat sich von der Welt
+zurückgezogen und schafft in aller Stille. Hilde wird von ihm behütet und
+betreut, daß es eine Art hat. Sie ist die Tochter einer Dame, die -- als
+Gattin Gerboths -- Temperament und etliches darüber hinaus besaß. Aus
+Angst, Hilde könne ihrer Mutter nachschlagen, läßt sie der alte Gerboth
+nicht von sich. Sie ist absolut naiv und ahnungslos. Sie weiß nicht Musik,
+Tramway, Kino, Theater, Börse, Bordell, Liebe, Geld, Börse (absichtlich 2
+Mal) -- kurz: was Leben ist. Das weiß sie nicht. Sie ist 20 Jahre alt. Und
+Franz ist ein Schwächling, ein thraniger, limonadiger Hampelmann. Er muß
+kurz nach Günthers Ankunft verreisen. Infolgedessen Solo-Szene zwischen
+Günther und Hilde. Aussprache -- er schildert ihr die Welt und das Leben.
+Sie -- die Freiheit lockt -- verliebt sich in ihn. Sie will hinaus -- in
+die sogenannte Welt. Sagt's ihrem Vater. Der refüsiert. Hilde knickt
+zusammen. Günther trifft sie -- tatsächlich durch Zufall! (Ich glaub's! Wer
+noch?) -- ein zweites Mal. Er redet ihr energisch zu. Franz kehrt zurück
+(aber das ging fix!) und erfährt durch Günther selbst, daß er, G., Hilde
+liebt und überhaupt: daß was los war. Franz zum alten Gerock oder Gehrock
+oder Gerboth: Höre mal, so und so -- -- und Gerboth spricht gründlich mit
+seinem Töchting. Klamauk. Sie will Franz nicht. Sie will Günther. Und in
+die Welt hinaus. Bon. Am Tag drauf hält Günther um ihre Hand an beim alten
+Klopstock. Der sagt Nein. Da sagt Günther: Dann heirat ich Ihre Hilde gegen
+Ihren Willen. Bumms. Aber der Alte -- philosophisch! -- gestattet eine
+letzte Aussprache zwischen Hilde und Günther, worin sie ihm erklärt, er
+dürfe hoffen, wenn er vor sie hinträte.
+
+Am nächsten Tag reist Günther nicht ab, oh nein. Er kann nicht: eine
+richtige Lawine hat sich bemüht, herniederzugehen, und das ist ihr auch
+gelungen. Aber die gute Hilde, die irgendeinen Schafhirten hat retten
+wollen vom Hungertode, gerät mitsamst ihrem Freßkörbchen und dem
+Bernhardiner (aha!) in sie (die Lawinije) hinein.
+
+Na, und Günther rettet sie selbstredend.
+
+Na, und dann kriegen sie sich.
+
+Na, und das ist ja die Hauptsache.
+
+Das Buch schließt (auf Seite 253!) mit den Worten Günthers:
+
+«Wagen wir es denn zusammen, Hilde!»
+
+Und nun sind sie glücklich, und uns entpullert eine Träne.
+
+Ich setze das Romänchen fort:
+
+Am 12. Sept. 1916 fällt Günther in der Sommeschlacht (das Buch spielt
+nämlich direktemang im Weltkrieg).
+
+Daraufhin begeht seine Frau einen ganz totsicheren Selbstmord.
+
+Daraufhin kriegt ihr Vater einen geharnischten Schlaganfall.
+
+Sela.
+
+
+
+
+EHE
+
+
+MANN und Frau faulenzen auf dem Diwan. Der Mann ist am Einschlafen. Die
+Frau wird von Halbträumen umfangen.
+
+Eine Fliege summt.
+
+Die Glocken einer fernen Kirche baumeln.
+
+-- -- -- Der Mann ächzt, räkelt sich, fragt: «Sind das Glocken?»
+
+Die Frau horcht. «Das sind doch keine Glocken. -- Das ist eine Fliege.»
+
+«Unsinn. Das ist doch keine Fliege. -- Das sind Glocken.»
+
+«Das ist eine Fliege.»
+
+«Das sind Glocken.»
+
+Beide horchen.
+
+Der Mann: «Selbstredend sind das Glocken. -- Warum wird denn geläutet?»
+
+Die Frau: «Ich werde doch Glocken von einer Fliege unterscheiden können!
+Ich höre keine Glocken. Das ist eine Fliege.»
+
+«Das sind Glocken.»
+
+«Wenn ich dir sage, das ist eine Fliege.»
+
+«Herrgott, das sind Glocken. Das ist doch keine Fliege!»
+
+«Das _ist_ eine Fliege!»
+
+«Das sind _Glocken_!»
+
+«Na, da bleib' bei deinem Glauben.»
+
+«So etwas Dummes! Ich bin doch nicht verrückt. Natürlich sind das Glocken.
+-- Ganz deutlich.»
+
+«Eine Fliege ist es.»
+
+«Wo ich genau die einzelnen Glocken heraushöre.»
+
+«Was _du_ alles fertig bringst. -- Ich höre bloß eine Fliege. -- Warum
+sollten denn jetzt die Glocken läuten?!»
+
+«Ja, das möchte ich eben gerne wissen.»
+
+«Du kannst dich drauf verlassen, das ist eine Fliege.»
+
+Beide horchen.
+
+Die Glocken haben aufgehört, zu summen.
+
+Auch die Fliege läutet nicht mehr.
+
+Der Mann denkt: Ekelhaft. So macht sie's immer. Bei jeder Gelegenheit. Da
+ist einfach nichts zu wollen. Zum Auswachsen. -- Eine Fliege! Lachhaft. --
+Aber da kann sie niemand davon abbringen. Sie bleibt bei ihrer Fliege. Es
+ist eine Fliege. Und wenn die Glocken hier in der Stube vor ihrer Nase
+läuteten, -- -- es ist eben eine Fliege. Albern. Wenn sie sich etwas
+einbildet, bleibt sie dabei. -- Selbstredend waren es Glocken. -- -- -- Mir
+einstreiten zu wollen, daß es eine Fliege war . . . .
+
+Er schläft.
+
+Die Frau denkt: Wenn es nicht zufällig mein Mann wäre, ich konnte ihn
+ohrfeigen. Das Schaf. Immer recht haben. Immer recht haben. Muß er. -- Ich
+höre deutlich die Fliege summen. Nein, es sind eben Glocken. -- -- Ich kann
+sagen, was ich will: er bleibt bei seinen Glocken. -- Jetzt, um die Zeit
+Glocken! -- -- -- So ein Schaf! -- -- -- Aber das ist jeden Tag so. -- --
+-- Das Kamel . . . .
+
+Sie schläft.
+
+Sie träumt von einer Fliege, die hoch auf dem Kirchturme geläutet wird.
+
+Der Mann träumt von Glocken, die ihm über das Gesicht krabbeln.
+
+Ganz leise fängt die Fliege wieder an, zu summen.
+
+Es klingt wie fernes Glockenläuten.
+
+
+
+
+ICH BIN, ICH WAR
+
+
+ICH bin eine Blume. Ich blühe auf der Heide.
+
+Ich bin eine Blume und blühe auf der Heide.
+
+Da kommt eine Kuh und frißt mich ab.
+
+Nun bin ich eine Blume gewesen. Nun bin ich keine Blume mehr.
+
+Wie bin ich traurig!
+
+ * * * * *
+
+Ich bin eine Kuh und grase.
+
+Niemand merkt mir an, daß ich traurig bin.
+
+Grasen ist fade, Kuhsein ist fade; als Blume hatte ich es besser.
+
+Aber muß man als Kuh nicht stoisch sein und tragen, was man aufgebürdet
+kriegt?
+
+Geduldig sein und grasen und sich fassen, möh. --
+
+Es ist schließlich gar nicht so traurig, Kuh zu sein.
+
+Die Sonne scheint, die Wiese duftet, der Himmel bläut -- und da soll ich
+traurig sein?
+
+Ich bin lustig.
+
+Aber es ist nicht die Blumenlustigkeit, die mich durchglüht, es ist die
+Lustigkeit der Kühe.
+
+Ich mache mutwillige Sprünge und möhe und muhe.
+
+Die Welt ist schön, muh.
+
+Muh, schön ist die Welt.
+
+Und ich bin doch traurig!
+
+(Ich war eine Blume!!)
+
+-- -- --
+
+Da kommen zwei vermummte Kerle. Die fackeln nicht lange: Einer packt mich
+hinterrücks und ringelt mir den Schwanz zusammen, das tut weh. Der andere
+schlingt mir eine Kette ums Gehörn und knufft mich. Sein Spießgeselle
+peitscht auf mich ein. Ich weiß nicht, was gehauen und gestochen ist.
+
+(Einst war ich eine Blume.)
+
+Man führt mich hinweg von meiner Wiese. Ade, du Wiese, ade!
+
+-- -- --
+
+In der Abendstunde erreichen wir ein Gehöft.
+
+Einst war ich eine Blume, ich denke dran.
+
+Blume bin ich nimmer; bin eine armselige, wehrlose Kuh, muh.
+
+(Hilft mir der Stoizismus etwas?)
+
+Rasch tritt der Tod die Kühe an: Eine Ledermaske mit einem bösen
+Stirnbolzen wird mir aufgestülpt -- -- -- ein Schlag, und ich stürze hin.
+Da hilft kein Muhen.
+
+Mit einem Rohrstock pfählt man mir das arme Hirn. Das macht mich traurig.
+Oder lustig? Ich weiß nicht, ich glaube, ich bin tot.
+
+Kuh bin ich gewesen.
+
+Blume bin ich gewesen.
+
+Ich entsinne mich wirr . . . es ist mir, ja . . . vor langer, langer Zeit
+-- war ich ein Falter. Aber ich weiß es nicht.
+
+Daß ich Blume war, weiß ich mit Sicherheit. Ich lege meinen Huf dafür ins
+Feuer.
+
+Es ist vorbei.
+
+Bin weder Kuh noch Blume mehr.
+
+ * * * * *
+
+Bin Wurst. Salamiwurst. Ich koste das Pfund 1.80 M.[2] Ich bin erstklassige
+Ware, elektrisch hergestellt.
+
+Den Stoizismus habe ich behalten. Dennoch stimmt es trübe, Wurst sein zu
+müssen, wenn man Blume hat sein dürfen.
+
+Ich bin mir Wurst. Ich nehme es hin. Muh. (Eigentlich dürfte ich als Wurst
+nimmer muhen. Ich nehme das Muh als anachronistisch zurück.)
+
+Ich habe keine Freude mehr auf der Welt.
+
+Ich bin eine kalte Wurst. Nichts tangiert mich.
+
+Wenn ich mein Leben überdenke, so muß ich frank gestehen: Wurst sein, das
+ist das Schlimmste nicht. Mensch sein ist weitaus schlimmer!
+
+Doch Kuh sein, das ist schöner als Wurst sein.
+
+Das Allerallerschönste freilich war: Blume sein, Blume gewesen sein, Blume
+sein gedurft zu haben.
+
+Mir war's verstattet.
+
+[Footnote 2: Wer's glaubt.]
+
+Ich war Blume, ich war Blume!
+
+O Blumen, ihr seid glücklicher als Kuh und Wurst!
+
+O Blumen, nichts auf Erden ist glücklicher denn ihr.
+
+O Blumen -- --
+
+ * * * * *
+
+Die Kuh ist besser dran als die Blume.
+
+Denn während eine Kuh sehr wohl Blumen fressen kann, kann eine Blume nichts
+fressen.
+
+Und eine Wurst kann auch nichts fressen: nicht Kuh, nicht Blume.
+
+Kuh gewesen sein gedurft zu haben ist also -- mit Vorbehalt -- noch
+erhebender als Blume gewesen sein gedurft zu haben.
+
+Ich wünsch' euch eine gute Nacht und mir, wieder Kuh werden zu dürfen.
+
+
+
+
+MÄRCHEN
+
+
+ES war einmal ein Frosch, der konnte sich gewaltig giften, wenn seine Frau
+zu ihm quakte: «I, sei doch kein Frosch!»
+
+Infolgedessen quakte die Fröschin den Satz bei jeder Gelegenheit. Der
+Frosch getraute sich überhaupt nichts mehr zu äußern. Sagte er etwas, so
+mußte er als Antwort hören: «I, sei doch kein Frosch!»
+
+Da raffte er sich auf und nahm seine Ehefrau ernstlich ins Gebet, sie solle
+es fürderhin gefälligst unterlassen, den albernen Satz zu quaken.
+
+«I, sei doch kein Frosch!» stereotypte die Fröschin. Es war mit ihr nichts
+anzufangen.
+
+Sie war in der Ehe verblödet.
+
+Da verfiel der Frosch, der keiner sein sollte, auf einen Ausweg: Er kam
+seiner Frau mit der Redensart zuvor und apostrophierte sie, wo immer er
+ihrer ansichtig wurde, mit dem Satze: «I, sei doch keine Fröschin!»
+
+Er antwortete mit nichts anderem als mit diesem Satze. Er sagte nichts als
+diesen Satz. Er verkehrte mit seiner Frau nur noch auf Grund und unter
+Zuhilfenahme dieses Satzes.
+
+Die Fröschin zeigte sich der Situation nicht gewachsen und ersäufte sich.
+
+Der Frosch war kein Frosch und holte sich eine andere heim.
+
+_Moral_: Ihr Frauen, reizet eure Männer nicht zum Äußersten und lasset sie
+gewähren, selbst wenn sie Frösche sind.
+
+
+
+
+AUF DER OALM, DOA GIBT'S EINEM ON DIT ZUFOLGE KOA SÜAND!
+
+
+DIE weitverbreitete Meinung, auf der Alm gäbe es ka Sünd, hat ihren
+Ursprung in dem sprichwortgewordenen Liedertext: «Auf der Alm, da gibt's ka
+Sünd».
+
+Selbstverständlich gibt es auf der Alm a Sünd.
+
+Das wäre ja _noch_ schöner, wenn es auf der Alm ka Sünd geben täte!
+
+Von ka Sünd kann gar keine Rede nicht sein.
+
+A Sünd gibt's überall -- namentlich auf der Alm.
+
+Ich möchte sogar so weit gehen, zu behaupten: Wenn es überhaupt a Sünd
+gibt, so vor allem auf der Alm.
+
+. . . . . . . . . .
+
+Plötzlich erschallt draußen unter meinem Fenster das Gerassel und Gebimmel
+der Feuerwehr.
+
+Ich armer, schwacher Mensch unterbreche mein Schreiben und stehe eilends
+auf, um nachzusehen, wo es brennt.
+
+. . . . . . . . . .
+
+Es war weiter nichts.
+
+Ein Pferd ist gestützt.
+
+Ich kann also in meinem Schreiben fortfahren.
+
+Aber ich habe, offen gestanden, nicht mehr die rechte Lust dazu und stecke
+es auf.
+
+Ein ander Mal.
+
+Der Zensor würde die Geschichte ohnehin gestrichen haben; denn es geht toll
+zu auf der Alm. _Ich habe Beweise._
+
+
+
+
+PETERLE
+
+
+Ein Märchen
+
+PETERLE war ein gutes Kind und machte dennoch seinen Eltern großen Kummer.
+
+Wie ist das möglich?
+
+Es lag an Peterle.
+
+Peterle hätte nicht soviel träumen sollen, bei Nacht nicht und bei
+hellerlichtem Tag nicht. Peterle träumte, wo sie ging und stand; wo sie lag
+und saß. Sie träumte immerfort. Nichts war mit ihr anzufangen, kein
+vernünftiges Wort mit ihr zu reden. Sie spielte nicht die Spiele
+ihresgleichen; sie spielte nicht mit anderen und nicht für sich allein --
+sie puppelte nicht einmal! Nein, von Puppen mochte sie gar nichts wissen.
+
+Und was das Tollste ist: Peterle wollte durchaus ein Junge sein, obwohl sie
+doch ein Fräulein war. Sie behauptete, sie sei ein Junge namens Peterle,
+und damit holla! Sie und ein Mädchen -- haha! «Ich bin ein Junge»
+verkündete sie jedem, der es wissen wollte, und beharrte eigensinnig auf
+diesem ihrem Vorurteil.
+
+Peterle hatte ihre lustigen Seiten. Nicht nur die, daß sie ein Junge sein
+wollte, sondern vor allem ihre Person, ihre «Erscheinung», ihr «Äußeres».
+
+Peterle war winzig klein, aber dafür dick wie ein Moppel. Sie hatte eine
+kurze, umgestülpte Nase, zwei wasserblaue Guckaugen und einen verschmitzten
+Mund. Aber das Putzigste an ihr war die Frisur: sie trug die spärlichen,
+bindfadendünnen Zöpfchen in zwei Schnecken prätentiös über die Ohren
+geringelt! Und die Zöpfe waren strohgelb.
+
+Und doch war sie den Eltern ein Persönchen -- Gegenstand kann man wohl
+nicht sagen -- argen Kummers.
+
+Während andere Eltern prahlten und Stolzes voll die Taten, Antworten und
+sonstigen Äußerungen ihrer «aufgeweckten» Kinder zum besten gaben,
+empfanden Peterles Eltern schmerzliche Beschämung, wenn sie von ihrem
+Mädelchen nichts aussagen konnten als: «Sie träumt.»
+
+Peterle tat nämlich nichts als Träumen. Stundenlang saß sie hinterm Ofen
+oder auf dem Boden und träumte für sich hin. Wovon sie träumte, das erfuhr
+kein Mensch; denn sie teilte sich nicht mit, sondern behielt alles fein im
+Herzen.
+
+Aber sie war nun schon fünf Jahre alt und sollte über ein dreiviertel Jahr
+bereits zur Schule.
+
+Noch hatte sie große Ferien. Waren die erst einmal verstrichen, diese
+sechsjährigen großen Ferien, dann stand es bös.
+
+Ach, es würden trübe Zeiten kommen für Peterle; denn war sie erst
+schulpflichtig, mußte die Träumerei ein Ende nehmen.
+
+Die Eltern wußten sich keinen Rat und hätten ihr Kind am liebsten der
+Schule ferngehalten.
+
+Da erschien eines Tages -- und zwar an jenem, der jenem, an welchem sie ihr
+fünftes Lebensjahr vollendete, vorausging -- dem Peterle eine Fee. Keine
+großartige, sondern eine ganz gewöhnliche Fee, wie sie täglich dutzendweise
+den braven Kindern erscheinen.
+
+Diese Fee stellte dem Peterle einen Wunsch frei. Sie dürfe sich zu ihrem
+morgigen Geburtstage etwas wünschen -- gleichviel was --, der Wunsch werde
+in Erfüllung gehen.
+
+Peterle schwankte keinen Augenblick, obwohl sich tausend Wünsche auf ihre
+niedliche Zunge drängen wollten.
+
+Sie wünschte sich das Schönste, das sie sich je hatte ersinnen können:
+Schnee. -- Sie wünschte sich Schnee. -- Sie wünschte, daß zu ihrem
+Geburtstage Schnee fiele.
+
+Die Fee runzelte die Stirn, aber da sie sich keine Blöße geben wollte,
+sprach sie: «Es wird geschehen; was du wünschest. An deinem Wiegenfeste
+soll es schneen.»
+
+Und verschwand, nicht ohne einen merklich holden Duft zu hinterlassen.
+
+Klein-Peterle hüpfte nicht und tanzte nicht vor Freuden, sondern träumte
+weiter in sich hinein -- wenn auch in einer mäßig aufgeregten Erwartung und
+Neugier. Sie träumte dem Geburtstage entgegen.
+
+Die Fee setzte schleunigst alle Hebel in Bewegung; denn es war kein
+Kleines, des Peterles Wunsch zu erfüllen und Schnee fallen zu lassen.
+
+Es sei eine kurze Unterbrechung verstattet: _wann_ beginnt ein Geburtstag?
+
+Zweifellos in der Sekunde, womit der Geburtstag selbst anhebt, mithin nach
+Ablauf der zwölften Stunde des Vortages.
+
+Es hätte demzufolge unmittelbar auf den zwölften, mitternächtigen
+Glockenschlag desselben Tages, an dem die Fee bei Peterle vorsprach, zu
+schneen einsetzen müssen. Indes sind Feen und Kinder nicht so spitzfindig
+wie die Herren Juristen, die gewißlich zunächst untersucht haben würden, ob
+die Äußerung des Wunsches jenes Kindes namens Peterle (unvorbestraft,
+besondere Merkmale: prätentiöse Schnecken) die Bedingung in sich
+geschlossen habe, daß es den _geschlagenen Geburtstag_ oder nur _überhaupt_
+am Geburtstage schneen solle usw., -- und daher zerbrach sich die Fee ihren
+anmutig geformten Kopf nicht über Dinge, die das Kopfzerbrechen nicht
+verlohnen, sintemal ihr aus der eigenen Jugend wohl bewußt war, daß für
+jegliches Kind der Geburtstag dann anfängt, wenn es erwacht und sich der
+Tatsache, daß heut' Geburtstag ist, bewußt wird.
+
+Peterle erwachte erst gegen neun Uhr.
+
+Ihr erster Blick fiel durch das Fenster auf die Straße hinaus.
+
+Peterle jubilierte: Schnee!
+
+Es schneete wirklich! Und zwar in glitzrigen, silbrigen Flöckchen, in
+zierlichen.
+
+Peterle freute sich unbändig. Nicht, weil es schneete; auch nicht, weil die
+Fee den Wunsch erfüllt hatte, sondern, weil sie -- Peterle -- den Schnee
+(indirekt) _selbst_ «gemacht» hatte.
+
+Es war _ihr_ Schnee, der da draußen fiel.
+
+Sie ließ zu ihrem Geburtstage Schnee fallen.
+
+Schnee -- zu ihrem Geburtstage!
+
+Ihr meint, das sei nichts Besonderes?
+
+Oho, da muß ich sehr bitten: das ist etwas ganz besonders Besonderes!
+
+Peterle ist nämlich am elften Juni zur Welt gekommen.
+
+Nun stellt Euch vor: an einem elften Juni schneete es!
+
+War das nicht Grund genug für Peterle, sich des Schnees zu freuen und den
+ganzen Geburtstag am Fenster zu kauern und in den Schnee zu gucken?
+
+Ich denke doch.
+
+Peterle saß denn auch am elften Juni unerschütterlich am Fenster und war
+glücklich über den vielen, vielen Schnee, der da vom Himmel
+heruntergeschüttet wurde.
+
+-- --
+
+Es ist nichts mehr von Peterle zu erzählen. Sie hat ihren Schnee gehabt und
+weiter geträumt, bis sie zur Schule mußte. Und der Rohrstock des Lehrers
+erwies sich -- bezüglich der Träumereien -- als ein besserer Pädagog als
+die verhätschelnde Liebe der Eltern.
+
+Es wäre vielleicht dem oder jenem Leser angenehm gewesen, wenn sich
+herausgestellt hätte, daß Klein-Peterle Fieber gehabt hätte und an ihrem
+Geburtstage (nach Erledigung der «Schnee-Vision») ein Englein geworden sei.
+Sozusagen: der «tragische» Tod eines Kindes.
+
+Oh nein! Peterle hat kein Fieber gehabt -- und der Schnee war wirklicher,
+_echter_ Schnee.
+
+Meine Eltern wohnten damals in derselben Straße wie Peterles Eltern, und
+ich bin Zeuge -- ich erinnere mich noch deutlich --, daß es im Jahre 18
+. ., am elften Juni den lieben, langen Tag über ununterbrochen geschneet
+hat. Allerdings nur in _unserer_ Straße und sonst nirgends. Das war damals
+ein allgemeines Verwundern und Kopfschütteln in Klotzsche -- in Klotzsche
+hat sich der Schneefall begeben! --, und meine Eltern und wir alle haben
+nichts damit anzufangen gewußt, bis mir vierzehn Jahre später Peterle
+selbst von ihrem Geburtstagswunsche und der Fee berichtet hat.
+
+Peterle ist nämlich meine Frau geworden. Aber eine Fee ist ihr nicht wieder
+erschienen. Ich glaube, daran bin _ich_ schuld.
+
+
+
+
+IM FLÜSTERTONE
+
+
+Abziehbilderbogen
+
+
+(1)
+
+EIN Huhn steht auf dem Hofe und sieht aus, als habe es die Hände in den
+Hosentaschen.
+
+Es blickt mich hühnisch an -- mich, der ich schreibe, daß es aussieht, als
+habe es die Hände in den Hosentaschen.
+
+Es weiß nicht, daß ich schreibe, es sähe aus, als habe es die Hände in den
+Hosentaschen.
+
+Belassen wir es in seiner Nichtwissenheit!
+
+
+(2)
+
+Ein junger Mann, der zu den kühnsten Hoffnungen berechtigt, liegt im Bett
+und streckt die Füße über den Bettgiebel hinaus.
+
+Er hat zweierlei Strümpfe an.
+
+Einen schwarzen und einen grauen.
+
+Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
+
+
+(3)
+
+Ein Auto pfeilt durchs Dorf und zermalmt einen Mistkäfer, den die Sehnsucht
+nach Erlebnissen in die weite Welt getrieben hatte.
+
+Ist es, frage ich, ist es nicht töricht, wenn Ernst Zwibinsky der Ältere
+erklärt, um den Mistkäfer sei es nicht schade, und er hätte ja doch früher
+oder später ein Ende gefunden?
+
+Wie wenig hat jener Zwibinsky den Sinn des Lebens erfaßt!
+
+Laßt uns ihn gemeinsam verachten!!
+
+
+(4)
+
+Johanna Würmchen, sechsundvierzig Jahre alt und äußerst unbescholten,
+erhebt sich Punkt zwölf Uhr mitternachts, um den Sonnenaufgang nicht zu
+verpassen.
+
+Der Kalender steht auf Dezember.
+
+Hätte sich Johanna um sieben Uhr erhoben, wäre vollauf Zeit gewesen, zum
+Sonnenaufgang zurecht zu kommen.
+
+Ich bitte um ihre Adresse, Wiederholungen obiger Unangebrachtheit vermeiden
+zu helfen.
+
+
+(5)
+
+Der europäischen Kultur und ihrer Begleiterscheinungen über und
+überdrüssig, dampfte Pippin, Edler von Krachgehirn, gen Hinterafrika, um
+sich zu barbarisieren.
+
+In Vitzpatuchpoma betrat er Land und drang urwaldeinwärts.
+
+Nach drei Nachtmärschen erreichte er eine primitive Hütte, woselbst er sich
+niederließ und mit Wohlgefühl schwängerte.
+
+Da erklang aus der Hütte ein Grammophon: «Puppchen, du bist . . .»
+
+. . . von Jean Gilbert, obwohl er bloß Max Winterfeld heißt und im
+Automobil komponiert.
+
+Pippin, Edler von Krachgehirn, zögerte keine Sekunde, sich von der
+allergiftigsten Schlange bebeißen zu lassen.
+
+
+(6)
+
+Hinaus mit den Fremdwörtern!
+
+Das war die Losung und nicht die Parole.
+
+Endlich waren sie alle hinaus.
+
+Draußen ist es kalt.
+
+Die Fremdsprachen weigern sich, die Überläufer mit den fremden Gesichtern
+aufzunehmen.
+
+Nun stehen sie herum, die Ausgetriebenen, nicht Fisch, nicht Fleisch,
+zwiefältig mißhandelt, -- und verhungern.
+
+Atze sie, deutscher Sprachverein, und laß den Frierenden wollene Strümpfe
+stricken!
+
+
+(7)
+
+Hier liegt die Tafel Schokolade.
+
+Dort sitzt der Mensch und hat einen schmerzenden, hohlen Zahn. --
+
+Darüber nicht zu lachen, ist der erste Schritt ins Christentum.
+
+
+(8)
+
+Der Laubfrosch Nepopomuk war ein gar sensibel besaitet Gemüt, hatte aber
+seinen Dickkopf für sich.
+
+Kauerte, sofern Regen zu gewärtigen stand, auf der obersten Leitersprosse
+und blusterte sich in der grasigen Niederung seines Glashauses prophetisch
+auf, wenn sonnige Tage im Anzug waren.
+
+Glaubt ihr, er habe damit die Dispositionen des großen Unbekannten, der
+jenseits der Wolken thront, über den Haufen geworfen?
+
+Glaubt ihr das?
+
+Meiner Treu, Der über den Wolken hat Wichtigeres zu tun, als Obacht zu
+geben auf kleine Nepopomuks.
+
+Die Sonne scheint, und der Regen fällt -- ohne das Hinzutun irgendwessen.
+
+
+(9)
+
+Drehorganist Schrimpf, der mit Onkel Rübezahl auf du und du steht, mußte
+vom Gebirge ins Tal hinunter, geriet in eine Herberge und erblickte in
+dieser einen pompösen, wandverzierenden Buntdruck, der keinen Geringeren
+als Hindenburg darstellte.
+
+In Politicis und auch sonst mangelhaft beschlagen, erkundigte sich
+Schrimpf, wer das sei.
+
+In Dalldorf interniert wurde der Herr Drehorganist.
+
+
+(10)
+
+Dem Konstantin Funkelpunze kleckte es, eine zur Ehe hitzig entschlossene
+Maid aufzugabeln und daraus die Konsequenzen zu ziehen.
+
+Die Ehe, die sich in welcher Hinsicht auch immer glücklich anließ, fiel
+buchstäblich ins Wasser, als der Dampfer, welcher den hochzeitsreisenden
+Funkelpunze benebst Gattin an Bord trug, havarierte und mit Mann, Maus,
+Kind und Kegel untersank.
+
+Ein freundlicher Amerikafahrer fischte die junge, verheißungsvolle Ehe aus
+den Fluten und schickte sie mir per Flaschenpost.
+
+Ich offeriere: Ehe, so gut wie ungebraucht, preiswert zu verkaufen.
+
+
+(11)
+
+Ein Schutzmann steht auf dem Altmarkte und teilt Gebärden aus.
+
+Die Welt leert sich, der Schutzmann jedoch wankt und weicht nicht von
+seinem Posten.
+
+Er berechtigt, wenn nicht alles trügt, zu der Frage, wozu er da ist.
+
+Wozu, wozu, wozu ist der Schutzmann da?
+
+Was ist überhaupt ein Schutzmann??
+
+Ein Schutzmann, lieben Leute, ist dazu da, daß er da ist. Punktum.
+
+
+
+
+DIE LORELEI
+
+
+(Ein wirklich schönes Lied für den Loreleierkasten)
+
+ ICH weiß nicht, was es bedeuten soll,
+ Daß ich so geknickt bin.
+ Ein Märchen aus uralten Tagen,
+ Das geht mir wie ein Mühlrad im Kopf herum.
+
+ Den Fischer in seinem kleinen Kahne
+ Ergreift ein ganz wildes Weh;
+ Er sieht die Felsenriffe nicht,
+ Weil er zur Lorelei hinaufschauen muß.
+
+ Ich glaube, die Wellen verschlingen
+ Den Schiffer mitsamt seinem Kahne.
+ Und das hat mit ihrem Gesange
+ Selbstverständlich die Lorelei bewerkstelligt.
+
+
+
+
+OHNE ÜBERSCHRIFT
+
+
+ALLES das, was der Berliner hundsgemeinhin «Natua» benennt -- o du
+bildschönes Wort! --, alles das machte Frühling.
+
+Von dieser Veranstaltung sich auszuschließen brachte nicht übers eiweiche
+Herz der Skribifax H. R.
+
+Er streifte die Krachledernen über, hängte eine sinnige Ader ein, vergaß
+des Bleistifts nicht, nicht des Papieres und kehrte seinen vier trockenen
+Pfählen den gerundeten Rücken.
+
+In einem Forste angelangt, der den ausschweifenden Titel «Das Rosental»
+führt, sog er den würzigen Knofelduft ein, kurbelte sein Hirn an, drückte
+auf die Ader und brachte zu Papier folgende
+
+
+_Abhandlung_:
+
+ A I Der Sachse sagt _nicht_: Dies dürfte der Fall _sein_.
+ Der Sachse sagt: 's werd schon meejlich _sinn_.
+ II Der Sachse sagt _nicht_: Ich werde um 8 Uhr zuhause _sein_.
+ Der Sachse sagt: Um achte rum weer j heeme _sinn_.
+ B I Der Sachse sagt _nicht_: Sobald wir angelangt _sind_.
+ Der Sachse sagt: Wemmr da _sinn_.
+ II Der Sachse sagt _nicht_: Die Eier _sind_ teuer.
+ Der Sachse sagt: De Eier _sinn_ deier.
+
+Wenn Sachsen -- echte Sachsen, ächte Sachsen, Kaffee-Sachsen,
+Gaffee-Sachsen, Kümmel-Sachsen -- gebildet scheinen wollen und sich einer
+schriftdeutschen, reinen Aussprache befleißen, so scheitern sie gern an dem
+knifflichen «_Sinn_».
+
+Dem Sachsen gelingen die gebüldeten Sätze:
+
+«Die Eier _sein_ deuer.»
+
+«Wenn mir angegomm _sein_.»
+
+Während der Berliner sich zu den Sätzen versteigen kann:
+
+«Das dürfte der Fall _sind_.»
+
+«Kann schon möglich _sind_.»
+
+Ich persönlich möchte ebensowenig Sachse sind wie Berliner. Beide sein
+schlechter dran als der Süddeutsche, dem das neutrale _san_ zu Gebote
+steht. --
+
+Bei dieser Gelegenheit will ich nicht verfehlen, eines Vorfalls zu
+gedenken, der sich in einem Leipziger Buchladen zugetragen hat:
+
+Eine Dame sächsischster Observanz tritt ein und verlangt pfeilgrad das neue
+Buch von Franz Würfel.
+
+Sie hat Franz Werfel schriftdeutsch aussprechen wollen.
+
+Nachdem H. R. diese Abhandlung niedergeschrieben hatte, sprach er
+vernehmlich in die linde Frühlingsluft hinein (oder hinaus?):
+
+«Ich lasse mich kreuzweise vierteilen, wenn Kurt Wolff sich dazu hergibt,
+diesen Bockmist drucken zu lassen.»
+
+
+_Nachwort 1_:
+
+Der Bockmist ist gedruckt worden.
+
+Ihr habt ihn soeben gelesen.
+
+
+_Nachwort 2_:
+
+Es steht zu erwarten, daß H. R. als ein Mann von Wort sein Wort hält und
+sich vierteilen läßt.
+
+
+_Nachwort 3_.
+
+Man atme auf.
+
+
+
+
+GESTERN NOCH AUF STOLZEN ROSSEN . . . .
+
+
+JA also, ich weiß nicht, ach was, ich erzähl's. Theo von Quarre liegt seit
+dritthalb Stunden im Bette und kann nicht einschlafen, Deubel nich noch
+mal.
+
+(Ich habe das Gefühl, als ob ich die Geschichte besser in den Papierkorb
+schleuderte. Erstens ist sie langstielig, und zweitens hat sie keinen
+Schluß. Was meinen _Sie_ zu dem Vorfalle?)
+
+Theo steht auf (und denkt: «Wenn mich der Herr Verfasser man bloß noch eine
+Viertelstunde hätte liegen lassen, wäre ich todsicher eingeschlafen. Es ist
+scheußlich, über sich verfügen lassen zu müssen. Na, mir kann's ja Gottlieb
+Schulze sein, was der Verfasser mit mir vor hat») und zieht Reitdreß an.
+Erfahrungsgemäß macht ihn der à tempo schlapp.
+
+Die Reitstiefel pumpern durch die nächtlichen Räume, ohne auf Quarre anders
+als belebend zu wirken.
+
+(Hier mache ich einen Punkt. Ein Zaudern erfaßt mich. Soll ich fortfahren?)
+
+Quarre kommt sich vor wie ein pikfrischer Maimorgen.
+
+Stunden vergehen (und ich täte vielleicht besser, mir die störenden
+Zwischenbemerkungen zu verkneifen), und Theo von Quarre zieht schließlich
+Galoschen über die Reitstiefel (du meine Güte, soll das etwa «humoristisch»
+sein? Ich lache!) und müht sich keuchend, das widerspenstige Ich in
+aberhundert Kniebeugen schlaff zu machen.
+
+Der Körper will nicht, gut, so soll der Geist.
+
+Theo öffnet den Bücherschrank und greift sich Felix Dahns unverwüstlichen
+«Kampf um Rom». Darin tummeln sich so viele Eigennamen, daß der Geist,
+breitgequetscht, in wirrer Konfusion entfleucht.
+
+(Sinnlose Gehässigkeit!) (Das schöne Buch!) (Dämliche Unterbrechungen.)
+(Halt's Maul!!) (Bitte fahren Sie fort:)
+
+Aber auch die Lektüre verfängt nicht.
+
+Theo schmeißt -- der Morgen, grau wie alle Theorie (wieso?), graut grau in
+grau herauf -- den «Kampf um Rom», komplett gebunden zum Vorzugspreise von
+318 M., ein Barthaar eines echten Germanen gratis als Beigabe, _sehr_
+geeignet zu Geschenkzwecken, sollte auf keinem Büchertisch fehlen, hinter
+den Bücherschrank und spricht: «Wenn das bloß der Verleger nicht erfährt!»
+(Plumpe Verdrehung; denn der Verfasser vorliegender Geschichte ist es, der
+dies denkt!) (Weiter im Texte:)
+
+Durch das Geräusch schrecklings aufgemuntert (und ohnehin sowohl wie
+sowieso) erhebt sich Hermann aus den Federn, der treue Diener des Herrn von
+Quarre. (Trauriger Mangel an Phantasie! Warum muß der Diener «Hermann»
+heißen? Archibald ist bedeutend ansprechender!!) Er (Hermann) sieht
+bekümmert nach dem Rechten und findet seinen Gebieterich in wabernder
+Verzweiflung. (Ich würde, was mich anlangt, ein anderes Beiwort wählen als
+wabernd. Mich bedünkt es, als gäbe der Herr Verfasser sich wenig Mühe. Er
+wird mit einer Stunde Nachsitzen bestraft werden.)
+
+Theo will schlafen und kann nicht. Und kann nicht!
+
+Sich bezechen, rät Hermann. Alkohol macht bleiernen Kopf.
+
+Gut: Alkohol!
+
+Theo gießt sich voll mit schweren Weinen, trockenen Sekten, süßen Schnäpsen
+und fühlt es, wie die Müdigkeit mit stumpfer Pranke ihm . . . (Ich hätte
+den Diener übrigens _doch_ Archibald nennen sollen!) (Der Satz bleibt ein
+Fragment.)
+
+Kurzum: der Alkohol tut seine Wirkung. Theo stürzt in den ledernen Schlund
+eines Klubsessels und verlangt, zu rauchen. (Hier will ich mir die Klammer
+einmal verkneifen.)
+
+Hermann trägt Zigarren herbei. (Wie finden Sie «Archibald»? Ist «Archibald»
+nicht primafeinfein gegen «Hermann»?)
+
+Theo steckt sich eine Pappspitze in das markante Gesicht und zündet sie
+unter schwerer Mühe an.
+
+Pfui Geier!
+
+Aha, es ist keine Zigarre drin.
+
+Soso. Theo zwängt einen importierten Zigarro in die Spitze und zündet eben
+diesen an.
+
+Er brennt nicht. Er kann nicht brennen. Die Spitze ist nicht abgeschnitten.
+
+Theo erkennt dies (Gottlob, der Autor vergißt, Klammern zu machen!) und
+schwappt zunächst «immer mal wieder» ein Glas hinter die Binde und fährt
+sodann fort, rauchen zu wollen. Er knipst die _Spitze_ ab (ja, hat denn die
+deutsche Sprache nur ein einziges Wort für Zigarrenspitze und
+Zigarrenspitze?) und bohrt die Zigarre in die _Spitze_ (also in die
+Pappspitze!). Hermann (immer noch Hermann? Ich denke, der Hermann ist
+längst geändert in Archibald!) reicht das Streichholz dar, und Theo _zieht_
+-- ah -- famos -- hupp! -- fui Deibel! . . .
+
+(Dies Fui Deibel wird ewig ungeklärt bleiben, da Theo über dem Fui Deibel
+einschlief. Ach so, das gehört ja gar nicht in die Klammer!)
+
+Der Schlaf knebelt den Theo von Quarre beim Rauchenwollen, die
+Zigarrenspitze einschließlich der Zigarre (ohne Spitze) entschlüpft dem
+müden Munde . . . Theo schnarcht.
+
+(Ei verfault. Jetzt sitz' ich in der Patsche! Wenn ich nämlich den Herrn
+von Quarre schon schlafen lasse, hat sich die ganze Geschichte erledigt,
+und ich kann einpacken. Ich muß ihn wohl oder übel wieder aufwecken, so
+unmotiviert dies auch ist. Du liebe Zeit, was ist im Leben nicht alles
+unmotiviert! Motivieren tun nur die modernen Schriftsteller. Das Leben hat
+solche Mätzchen nicht nötig. Ich fahre fort:)
+
+Theo schrickt auf.
+
+Die brennende Zigarre ist ihm auf die Hand geglitten und hat ihm ein
+Brandmal zugefügt. (Dann hätte er dies jedoch, bitte sehr, augenblicklich
+wahrnehmen müssen! Hier stimmt etwas nicht. Wollen wir darüber hinwegsehen,
+damit der Verfasser zu einem Ende kommt.)
+
+(Übrigens finde ich das Ganze schwülstig erzählt.)
+
+(Hier tritt eine große Unterbrechung ein. Der Autor muß unbedingt einen
+drängenden Brief beantworten. Sie gedulden sich bitte einstweilen!) -- --
+--
+
+(Der Brief ist geschrieben. Der Verfasser hat sich in der Zwischenzeit die
+Hände gewaschen und frisches Wasser auf seine Mühle gefüllt. Es geht
+weiter:)
+
+«Ja, ist denn die vertrackte Geschichte noch nicht zu Ende?» fragt Theo und
+langt eine zweite Importe aus der Kiste.
+
+(So etwas Mähriges! Wo ist der Telegrammstil?)
+
+(Der Telegrammstil: «Hier!»)
+
+(Der Verfasser: «Komm, hilf!»)
+
+Importe No. 2, beschnitten, in Hülse gesteckt. Hülse greift nicht. Schon
+Zigarre drin. Schweinerei! Hülse in Ofen, Zigarre ohne Hülse in Mund.
+Verkehrt herum angebrannt. Verflucht! Dritte Importe . . . .
+
+(Meine Herren, so geht das auf keinen Fall weiter. Die Sache ist völlig
+unverständlich. Telegrammstil, schieb ab!)
+
+Ich werde die Geschichte ganz einfach mit einem schönen Titel versehen und
+als eine Jugendleistung ausgeben. Ich werde behaupten, sie sei geschrieben
+worden, als ich noch aufs Gymnasium ging. Da wird man erstens Nachsicht
+üben, zweitens gedoppeltes Interesse bekunden, und drittens wird man sich
+freuen, zu erfahren, daß p. p. Verfasser ein gebildeter Mensch ist, indem
+daß er ein Gymnasium besucht hat.
+
+Ach, ihr lieben Leute, ich sage euch ehrlich: ich wäre lieber Schneider
+geworden oder Tischlermeister oder Pianofortebauer. Beim Himmel, jedes
+Handwerk würde mir willkommen sein, jede Profession. _So_ hat man nichts
+als sein bissel Bildung, das zu nichts nutze ist, es sei denn dazu, daß man
+auf sie schimpft.
+
+Um auf den unvermeidlichen Theo zurückzukommen, so sei leichthin bemerkt,
+daß er, um definitiv einschlafen zu können, hundertsiebenunddreißig
+Schlafpulver zu sich nahm.
+
+Daraufhin schlief er sechzehn Tage.
+
+Hermann rasierte ihn allmorgens, ohne daß Quarre dadurch wäre gestört
+worden.
+
+Und, um den guten Archibald (Sie wissen, wen ich meine!) nicht aus dem
+Spiele zu lassen, so sei gesagt, daß er als treubesorgter Diener seines
+Herrn und in der Furcht, es könne diesem (seinem Herrn) etwas Böses
+zustoßen (denn der lange Schlaf war in der Tat beängstigend!), kein Auge
+zutat -- nicht bei Tage, nicht bei Nacht.
+
+Nach den abgeschlafenen sechzehn Tagen schlief Theo von Quarre ohne Pause
+weiter, so müde war er durch das übermäßige Schlafen geworden.
+
+Theo schlief ununterbrochen.
+
+Hermann wachte ununterbrochen.
+
+Und darin hat sich bis auf den heutigen Tag nichts geändert.
+
+Theo schläft.
+
+Und Hermann wacht über den Schlafenden.
+
+Dies -- prophezeie ich -- wird nicht eher anders werden (Hermann wird nicht
+eher schlafen können, als bis sein Herr aufgewacht ist, und Theo wird nicht
+aufwachen, ehebevor ich ihn nicht geweckt habe -- und ich werde mich hüten,
+dies zu tun -- was sollte ich auch mit dem wachen Theo und dem schlafenden
+Hermann beginnen?) jetzt ist es außergewöhnlich knifflig, den begonnenen
+Satz grammatikalisch richtig zu Ende zu führen, ach was, ich falle einfach
+aus der Konstruktion, der Theodor Körner hat's ja auch des öfteren getan,
+sehen Sie, ich bin doch ein gebildeter Mensch; ich meine nämlich den
+«Zriny», den haben wir auf dem Gymnasium gelesen, ich mußte das «Volk»
+machen, das gab den größten Spaß -- mit anderen Worten (wieso mit
+anderen?): Hermann wacht so lange und Theo von Quarre schläft so lange, bis
+mir eingefallen ist, wie ich die Geschichte schließen kann. Voraussichtlich
+wird mir nichts einfallen; denn just dies ist mein Einfall, daß die
+Geschichte ohne Einfall (auch e Einfall!) endet.
+
+(Ich hätte doch «Archibald» schreiben sollen statt «Hermann»!)
+
+
+
+
+VON DEN NAMEN
+
+
+DER ewige Ahasver stiert in die offene Welt und überläßt sich seinen
+Gedanken. Tausend Menschen schwimmen an ihm vorüber und achten seiner
+nicht. Aber Ahasver achtet ihrer und rührt nackte Herzen an. Etwelche sind
+gut, die meisten schlecht und faulig. Die Herzen leben und zucken und
+machen, daß die dazugehörigen Menschen leben und zucken. Ahasver denkt: Ihr
+bildet euch ein, zu leben, weil eure Herzen leben. Ihr bildet euch ein,
+Menschen zu sein. Aber ihr seid lediglich durch Zufall als Menschen lebig.
+Ihr könntet gewißlich ebensogut Nähmaschinen sein oder Wäscheklammern. So
+wahr mir Gott helfe, du eignest dich, mein Freund, vorzüglich zur
+Gießkanne. Warum bist du Mensch? Du weißt es nicht. Du steckst in deiner
+Haut und nimmst dich auf die leichte Achsel. Du mimst einen Menschen.
+_Bist_ du einer? Du bist eine ausgefüllte Haut und gleichst allen andern,
+obwohl du Lehmann heißt und ein Lehmann bist. Weißt du, warum du Lehmann
+heißt? Weil dein Herz ein Lehmann ist, ein ganz ordinärer Lehmann. Deine
+Haut steht dir gut, sie ist blaß wie dein Herz. Du paßt in die Familie. Ihr
+gleicht euch wie ein Lehmann dem andern, wenn ihr auch nicht allesamt
+Lehmann heißt. Ich weiß es: Ihr heißt bloß teilweise Lehmann. Ein großer
+Prozentsatz eurer Häute läßt sich durch den Namen Ziergiebel tragen. Und
+die mit Ziergiebels verwandten Häute heißen geradezu Matterstock,
+Knebelsdorff und Hammer. Aber das Seltsamliche ist, daß die
+Matterstockischen auf den ersten Hieb in Matterstocks, Kirstes,
+Freudenbergs und Föllners zerfallen. Auch Rippers gehören zu deiner Sippe.
+Und die Freudenbergs sind verwurzelt in sogenannten Schröders, der Teufel
+mag wissen, wieso. Der eine Schröder ist ein berühmter Dichter und hat sich
+wohlweislich durch ein Pseudonym unkenntlich gemacht. Bruderherz,
+Bruderhaut: Bist du dessen eingedenk, daß es um dich herum lebt und heißt?
+Und daß ihr alle, die um dich und die mit dir und die neben dir, daß ihr
+alle verknäuelt seid ineinander? Und verenkelt und verschwippschwägert und
+verfilzt, ihr wißt nicht, wie? Und daß es Menschen gibt, die -- beim Himmel
+-- akkurat so heißen wie du und dennoch ganz anders aussehen und sind? Es
+gibt Menschen, Herr Bruder, die heißen wie du, und du schreitest achtlos an
+ihnen vorüber und schaust ihnen lauwarm in die Augen. Du gehst auf der
+Straße, fährst auf der Stadtbahn, betrittst einen Konzertsaal, und die
+Menschen um dich herum heißen Gelbstein, Mosler, Trautscholdt,
+Berlit-Boosen, van Delten, Kenne, Heinz, Kumpanini -- -- und du verspürst
+es nicht! Willst du es nicht verspüren, Herr Mensch? Und alle diese
+Menschen _sind_ etwas, stellen etwas vor, üben etwas aus, betreiben ein
+Handwerk, ein Gewerbe, eine Tätigkeit, rackern sich ab, faulenzen, trinken
+Tee, gehen spazieren, sind kränklich -- -- und du wandelst an ihnen
+vorüber, ohne dessen eingedenk zu sein, daß sie aus dem nämlichen Holze
+geschnitzt sind wie du, Freund Mensch. Und was sind sie von Beruf?
+Schneidermeister und Balbiere und Photographen und Cellovirtuosen! Manche
+sind sogar Kaufleute. Ich kenne einen, der ist Kolonialwarenhändler. Der
+kauft en gros Waren ein und verkauft sie en detail. En gros kriegt er sie
+billiger, als wenn er sie en detail einkaufte. Verstehst du das? Auf der
+Berechnung, daß en detail kaufende Mitmenschen -- die Nächsten -- teurer
+bezahlen müssen, als er im Einkauf bezahlt hat, beruht seine Existenz.
+Seine Gattin heißt Rosamunde und kriegt jeden Monat einen neuen Hut. Ich
+werde auch Kaufmann werden. Das ist ein probates Mittel, Geld zu verdienen,
+und um Geld zu verdienen, ist man auf der Welt, nicht wahr, Herr homo
+sapiens? Es gibt aber auch Bonbonkocher und Seifensieder und Gußputzer und
+Salon-Feuerwerker und Geheimpolizisten und Papierzähler. Von weiblichen
+Berufen zu geschweigen. Ich kenne einen Papierzähler, das ist ein
+vernunftbegabtes Lebewesen mit Namen Kutzschebauch, und dieses Lebewesen
+steht seit seinem siebzehnten Lebensjahre tagaus, tagein im Donnergepolter
+der Maschinen und zählt Papier ab. Sechsunddreißig Jahre ist er alt. Er
+zählt täglich hunderttausend Bogen Papier. Er darf sich nicht verzählen. Er
+verzählt sich auch nie. Er hat keine Zeit dazu. Wenn er bei neunzigtausend
+ist und glaubt, sich verzählt zu haben, kann er nicht wiederum bei eins
+anfangen. Es ist unmöglich. Wenn es der Himmel fügt, erreicht das
+vernunftbegabte, papierzählende Lebewesen ein biblisches Alter. Sein Leben
+ist mehr als Mühe und Arbeit gewesen; es ist Stumpfsinn gewesen. Aber ein
+Leben ist es gewesen. Gelebt von jenem einzigen Kutzschebauch, der
+ausgerechnet Kutzschebauch heißt, Solltest du zufällig gleicherweise
+Kutzschebauch heißen, so zürne mir nicht. Ich will dir meinerseits gewiß
+nicht zürnen, ich verspreche es dir. Ich bin einsichtig genug anzuerkennen,
+daß es Kutzschebäuche geben muß. Aber ich habe nur dies eine Mal Nachsicht.
+Sei lieb und heiße das nächste Mal besser. Es gibt so viele schöne Namen!
+Gschwindbichler und Hühnerschlund, Fleischpinsel und Bettbetreff! Oder sind
+dir das keine schönen Namen? Felix Kutzschebauch, was sagst du zu dem Namen
+Telofonsky? Und zu Umschlauch? Ach, Felix Kutzschebauch, du hast das Gefühl
+dafür verloren! Ich will dich nicht befragen. Du heißest Kutzschebauch, als
+müßte dies so sein. Aber es muß nicht so sein, man kann der
+Kutzschebäuchigkeit oder, wenn du willst, der Kutzschebeleibtheit aus dem
+Wege gehen: Man kann sich umbringen. Ein vertrackter Name, ist das kein
+Selbstmordmotiv? Du lächelst, denn du bist arg weit entfernt, deinen Namen
+umzubringen. Im Gegenteil: Du stehst im Begriffe zu heiraten. Viele kleine
+Kutzschebäuche sehe ich die unschuldige Welt bewimmeln. Sie werden
+dermaleinst Papier zählen. Und deine Braut -- eine geborene Nolke -- gibt
+freudigen Herzens ihren Namen auf, um Kutzschebauch zu werden. Sie heißet
+Olga. Sie will gerufen werden. O Olga! Du siehst einer Olga verblüffend
+ähnlich. Dein Name steht dir gut, dein Name kleidet dich. O Olga Nolke,
+warte nur, balde hat es sich ausgenolkt, und du darfst glücklich sein wie
+dein künftiger Gatte. Tu, Felix Kutzschebauch, nube! Und vergiß die Fritzi
+und die Gerta und die Friedel, und wie sie alle geheißen haben -- ohne
+eines Familiennamens bedurft zu haben. Die Fritzi ist die Fritzi, aber
+deine Olga ist die Olga Nolke. Kanntest du nicht dereinst eine Olga, deren
+Photographie du jüngst verbrennen mußtest, auf daß sie der Normalbraut
+nicht in die Hände falle? Hast du die beiden Olgas miteinander verglichen?
+Gegeneinander ins Treffen geführt? Gewägt? Und verspürst du es nicht, daß
+_beide_ -- Olga heißen müssen? Daß sie nicht anders heißen dürfen? Denn
+jegliche Frau sieht so aus, wie sie mit ihrem Rufnamen heißt. Und jeglicher
+Mann heißt so, daß man -- sobald man weiß: er heißt _so_ -- überzeugt ist:
+er heißt mit Fug und Recht _so_. Jeglicher heißt richtig. Wir alle heißen,
+wie wir müssen. Ich kann nicht Cohn heißen, ob ich gleich Ahasver bin. Und
+Theodulf Schwertnagel ist Theodulf Schwertnagel. Name ist weder Schall noch
+Rauch. Ohne daß ich ihn dir schildere, ohne daß du sein Konterfei siehst,
+weißt du, wie einer aussehen muß, der Woldemar Lohengrin heißt. Im Anfang
+war der Name. Nota bene: Eigenname. Wisse das und heiße hinfort bewußt! Und
+bist du, der du mich Ahasver denken ließest, ein belangloser Schulze oder
+ein Meier oder Müller -- dein Name hat dich! Drum lobsinge dem Schöpfer,
+daß du Schulze heißest oder Meier oder Müller. Es ist nämlich kein
+leichtes, Richard Wagner zu heißen. Als Richard Wagner _darfst_ du nicht
+Bäckermeister sein. Und als Ludwig Ganghofer _darfst_ du nicht Kassenbote
+sein. Es lebt ein Ludwig Ganghofer, der betreibt ein Friseurgeschäft.
+«Rasier, Friseur und Haarschneiden» steht über seinem Laden. Das ist recht
+trauriges Deutsch, aber der arme Mensch von diesem Friseur hat es besonders
+gut machen wollen. Es ist ein armer Mensch, das versichere ich. Wenn er
+seinen berühmten Namen, den ein anderer hat, in der Tageszeitung liest, so
+trifft ihn jedesmal ein robuster Schlaganfall. Der Name, den er hat, und
+der gar nicht sein ist, beutelt ihn und polkt ihn in Grund und Boden.
+Fühlst du es nach, Bruderherz, daß es seinen Haken hat, ein Ludwig
+Ganghofer zu heißen? Ich persönlich bedanke mich dafür und ziehe es vor,
+Ahasver zu sein.
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Kobolz, by Hans Reimann
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44610 ***
diff --git a/44610-8.txt b/44610-8.txt
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@@ -1,2944 +0,0 @@
-The Project Gutenberg EBook of Kobolz, by Hans Reimann
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org
-
-
-Title: Kobolz
- Grotesken
-
-Author: Hans Reimann
-
-Release Date: January 7, 2014 [EBook #44610]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KOBOLZ ***
-
-
-
-
-Produced by Jens Sadowski
-
-
-
-
-
-
-
-
- KOBOLZ
- GROTESKEN
- VON
- HANS REIMANN
-
-
- KURT WOLFF VERLAG
- LEIPZIG
-
- Bücherei
- Der jüngste Tag
- Bd. 39/40
-
- COPYRIGHT KURT WOLFF VERLAG, LEIPZIG 1917
- GEDRUCKT BEI G. KREYSING IN LEIPZIG
-
- «Memento vivere!»
-
-
-
-
-BEDRUCKTES PAPIER
-
-
-VOR mir liegt ein weißes Blatt Papier. --
-
-O du weißes Blatt Papier!
-
-Du liegst unter meinen Augen -- wehrlos, unschuldig, schön. Glatt bist du
-und ohne Makel. Wie sollt' ich dich beschreiben?
-
-Ich beschreibe dich nicht.
-
-Ich wage nicht, dich zu beschreiben.
-
-Du bist so weiß!
-
-O du weißes Papier!
-
-Was ist dir!
-
-Und was ist mir??
-
--- -- Ich starre auf das leere Blatt und lese Sätze -- wie von meiner Hand
-geschrieben.
-
-Bin ich irre? Spukt es mich an?
-
-Ich lese Sätze, die ich nie geschrieben; ich lese Sätze, die ich nie
-gedacht.
-
-Hier stehen sie gedruckt, wie ich sie sah.
-
-Das Blatt jedoch ist weiß wie Schnee.
-
-Vor meinen Augen flirrt's.
-
-Der grause Schrecken faßt mich an, mich schüttelt's wie im Fieber:
-
-Mit langen Beinen, ekel angehaarten, stolziert ein giftig grünes
-Hirngespinst quer über meinen weißen Bogen.
-
-Und er, der eben leer, ist vollgekrakelt.
-
-Mir bleibt es, in die Druckerei zu schicken, was drauf steht.
-
-Ich tu's.
-
-
-
-
-LITERATUR
-
-
-WIR alle sind sehr verdorben.
-
-Wir lesen und fabrizieren Literatur, die an Intensität und Gesteigertheit
-nichts zu wünschen übrig läßt.
-
-Ich empfehle zwecks Erholung und Reinigung der hirnlichen Zustände das
-folgende barbarische Mittel: kauft euch Dr. H. Loewes spanische
-Unterrichtsbriefe und lest darin! Lest darin, ohne spanisch lernen zu
-wollen!
-
-Lest die Sätze:
-
-«Die Welt ist groß. Ihr habt ein Stiergefecht in Sevilla gesehen. Der
-boshafte Räuber nimmt das Geld weg. Ich habe die Witwe des Generals geküßt.
-Das schöne Fräulein hatte einen unglücklichen Vater. Sie erzürnten den
-Zwerg, indem sie Bohnen in sein Gesicht warfen. Der Allmächtige erhält die
-Welt, welche er erschuf. Du gibst mehr Geld aus, als nötig ist. Seid immer
-fleißig und aufmerksam! Die Kartoffeln wurden im Jahre 1580 nach Europa
-gebracht. Wie kannst du über das Unglück anderer lachen?»
-
-Je mehr ihr dieser weltgebornen Sätze leset, um so weiter werden eure
-Herzen von der modernen Literatur hinwegrücken!
-
-(Oder etwa nicht??)
-
-
-
-
-SCHERZHAFTE NOVELLETTE
-
-
-DER Schreibtisch liegt im Scheine der flackernden Kerze. Im Ofen knistert
-das Holz. Draußen ist kohlrabenschwarze Nacht.
-
-Ephraim schreibt an einer Novellette, die folgendermaßen anhebt:
-
-«Der Schreibtisch liegt im Scheine der flackernden Kerze. Im Kamine
-knistert das Holz. Draußen ist kohlrabenschwarze Nacht.»
-
-Der Anfang dieser seiner Novellette hat vielerlei für sich. Vor allen
-Dingen ist er von unanfechtbarer Wahrhaftigkeit und Sachlichkeit -- bis auf
-den Kamin, der durch einen ordinären Ofen repräsentiert wird.
-
-Ephraim kann nicht weiter. Er nimmt einen auf dem Tische befindlichen
-Zirkel (-- _neue_ deutsche Literaten, darunter auch meine Wenigkeit,
-brächten es nicht übers Herz, das simple «befindlich» anzuwenden, vielmehr
-würden sie sich eines aparten Zeitwortes wie etwa «Vagabundieren» oder
-«Dahinträumen» bedienen! --), spreizt dessen Schenkel, daß sie eine Gerade
-bilden, faßt ihn mit der Rechten und stochert in einem der hintersten
-Backzähne.
-
-Der Mensch tut manches Unschöne, so er sich unbeobachtet glaubt.
-
-Sodann erhebt sich Ephraim, bohrt mit beiden Zeigefingern in beiden
-Gehörgängen, lehnt sich rückwärts an die Tischplatte und schaut vor sich
-hin.
-
-Mählich gewöhnen sich die Augen an das Halbdunkel des Stübchens und
-verweilen auf den Gegenständen.
-
-Ephraim blickt auch auf das Fenster.
-
-Draußen ist Nacht.
-
-Ephraim blickt hinaus in die Nacht.
-
-Er erschrak nicht, er zuckte nicht zusammen, er geriet nicht aus der
-Fassung, kein Muskel regte sich in seinem Angesicht, als er den Kopf sah.
-
-Draußen stand ein Mann und hatte seine Pupillen stier auf Ephraim
-gerichtet.
-
-Zwei Augenpaare bohrten sich ineinander.
-
-Der in der Stube erschauderte.
-
-Er schwankte. Sollte er tun, als habe er nichts bemerkt, und sich wieder an
-den Schreibtisch setzen, -- oder sollte er . . . .
-
-Ach wo, und er schritt zur Tür, öffnete sie, -- zwei, drei Schritte, und er
-stand vor dem Fremden.
-
-«Fedor Ignaz Deichsel» stellte sich dieser vor (die Stimme klang piepsig
-und dünn) und verbeugte sich trotz der Dunkelheit.
-
-Es war also nicht Sherlock Holmes!
-
-«Sehr erfreut!» entgegnete Ephraim, stellte sich seinerseits vor und lud
-den Fremden ein, näher zu treten.
-
-Der Fremde folgte dem Dichter in die Stube.
-
-Erst redeten sie keine Silbe -- späterhin ging es recht lebhaft zu.
-
-Erst standen sich die zwei wie die Pflöcke gegenüber -- -- zuguterletzt
-schlossen sie Brüderschaft.
-
-Der Fremde war nämlich auch ein Dichter.
-
-Er wollte eine Novellette schreiben und hatte sich das sehr schön
-ausgemalt: wie er den Mann in der Stube beobachten würde, um ihn
-abzukonterfeien und sein Tun zu schildern. Der Anfang, den er im Kopfe
-trug, lautete:
-
-«Kohlrabenschwarze Nacht. Der Schreibtisch liegt im Scheine der flackernden
-Kerze . . .»
-
-Weiter war er nicht gekommen, und es ist fraglich, ob er sich für «Ofen»
-oder «Kamin» entschieden hätte.
-
--- Ich, ich schöpfe das Fett ab.
-
-(Diese Malefizliteraten!)
-
-
-
-
-DER NACHTWÄCHTER
-
-
-ALS der Herr schlief, machten sich die Holzpantoffel auf die Wanderschaft.
-
-Zuerst kamen sie in ein Dorf, wo die Hunde bellten. Dann kamen sie in ein
-Dorf, wo keine Hunde bellten. Dann kamen sie in ein Dorf, wo wiederum Hunde
-bellten. Und endlich kamen sie in ein Dorf, wo nicht _ein_ Hund bellte.
-
-Da gefiel es ihnen, und sie trippeltrappelten kreuz und quer durch alle
-Straßen und Gassen.
-
-Da kam der Nachtwächter und erfüllte seine Pflicht, indem daß er tutete.
-
-Die Pantoffel, zu jedem Schabernack aufgelegt, klapperten im Kreise um ihn
-herum.
-
-Als der Nachtwächter die tanzenden Pantoffel sah und das Geklapper hörte,
-wunderte er sich nicht schlecht und glaubte, er habe einen sitzen.
-
-Aber er hatte keinen sitzen, sondern es war wirklich wahr: die Pantinen
-hupften und sprangen und trampelten um ihn herum.
-
-Da zog er seine Doppelkümmelflasche aus dem Busen und tat einen tiefen Zug,
-um sich zu stärken.
-
-Als er die Holzdinger immer noch hupfen und springen sah, tat er auf den
-Schreck und als gründlicher Beamter einen zweiten Zug.
-
-Als aber die Tüffel gar nicht aufhören wollten, ihn zu umklappern,
-pietschte er die ganze Buddel aus.
-
-Was war die Folge?
-
-Er taumelte stockbetrunken durch das Dorf und kam sich von hunderttausend
-Holzpantoffeln umhopst vor.
-
-Er torkelte heimwärts und fiel seiner Frau Gemahlin angstschlotternd um den
-Hals.
-
-Die Pantoffel hatten nun genug und trippeltrappelten mopsfidel zurück zu
-ihrem Herrn.
-
-Der Nachtwächter jedoch -- ein sogenannter Pantoffelheld -- nahm die
-Schläge hin, die seine Frau Gemahlin ihm zugedachte.
-
- * * * * *
-
-Moral: Bedudle dich! Aber bedudle dich heimlich und nicht ohne den
-triftigsten Grund.
-
-
-
-
-GEFALLEN
-
-
-WER hätte es noch nicht mit Entzücken betrachtet, das reizende Gemälde «Vom
-Himmel gefallen»? Ein Baby, ein allerliebstes, in taufrischem Gefilde!
-
-Und wer hat noch nicht mit liebevoller Genugtuung festgestellt, daß jenes
-Würmchen bei seinem Sturz vom Himmel nicht Hälslein und Beinlein gebrochen
-hat, sondern völlig unversehrt geblieben ist?
-
-Reden wir nicht davon, begnügen wir uns vielmehr damit, zur Kenntnis zu
-nehmen, daß sich das vom Himmel gefallene Baby allem Anscheine nach
-pudelwohl fühlt auf dieser vom Himmel himmelweit verschiedenen Erdkugel.
-
-Der Maler sah es, malte und ging seiner Wege; für ihn war die Sache
-abgetan.
-
-Das Gemälde ward vervielfältigt -- _vervielzuviefältigt_! --, ward in den
-Kunsthandlungen ausgestellt und ward mit Entzücken betrachtet und wird es
-noch.
-
-Um das (seinerzeit) vom Himmel gefallene Menschenkind kümmerte sich
-niemand. In taufrischem Gefilde saß es und freute sich seines Daseins.
-
-Ach, wie edelmütig von den Herren Künstlern, den Lebensweg der vom Himmel
-Gefallenen und der anderweitig wunderkindlich Veranlagten idyllisch auf
-sich beruhen zu lassen und nicht aus der Schule des Lebens zu plaudern!
-
-Wenn etwas am schönsten ist, wird's gemalt und damit basta.
-
-Aber ich will dem Maler jenes Würmchens einen groben Strich durch sein Werk
-ziehen und will ausplauschen, was geschah, und was sich begab.
-
-Also das kleine Wesen saß und saß und freute sich des Lebens. Der Maler war
-längst über alle Berge.
-
-Aber dann kriegte es Hunger, und dann wurde es müde, und dann kam die
-Nacht.
-
-Es fror, daß Gott erbarm, und da machte es sich auf seine kleinen
-Strümpfchen und batterte in die Dunkelheit hinein.
-
-Selbstverständlich gelangte es an den bekannten Abgrund, in den zu stürzen
-allerdings kein rettender Engel es verhinderte, oh nein: es purzelte hinein
-in den Abgrund, brach jedoch infolge seiner Übung im Fallen weiter nichts
-als das dritte Gliedchen des vierten Fingerchens des linken
-Patschhändchens.
-
-Da lag es nun und plärrte ob des Wehwehchens, wie wenn es am Rost gebraten
-werden sollte.
-
-Da kam der bekannte Köhler, der seine Hütte in weiser Voraussicht in
-nächster Nähe erbaut hatte, und nahm es und trug es heim und verband das
-Wehwehchen des dritten Gliedchens des vierten Fingerchens des linken
-Patschhändchens und bettete das Kindelein und wartete sein.
-
-Die bekannten Jahre strichen ins Land, und die Köhlerstochter erblühte zur
-Jungfrau.
-
-Und dann kam aber keineswegs der bekannte tugendhafte Prinz, um die schöne
-Köhlermaid heimzuholen, im Gegenteil, es kam niemand.
-
-Und da niemand kam, sprach die Jungfrau zu sich selbst: «Ach wat!» und
-bestieg ihr Veloziped und fuhr bis zur Bahnstation, und dort setzte sie
-sich in die Eisenbahn und dampfte nach der Stadt und wurde daselbst Bardame
-und ergab sich, huh, dem bekannten liederlichen Lebenswandel.
-
-Dies zu erfahren, ist zwar nicht hocherfreulich, doch ist es die Wahrheit.
-
-Ich halte es für meine Pflicht und Schuldigkeit, meinen Lesern reinen Wein
-einzuschenken, und sei er noch so herb.
-
--- So oft ich eines unschuldigen, wie vom Himmel gefallenen Menschenkindes
-ansichtig werde, denke ich an das Urbild jenes bekannten Gemäldes -- an das
-Urbild, das erst vom Himmel und dann auf der Erde und somit in der
-Wertschätzung der lieben Mitmenschen fiel.
-
-
-
-
-DIE DAME OHNE KOPF
-
-
-(1)
-
-AUF der Terrasse des Esplanade-Hotels in Biarritz.
-
-Urban, Rüdiger und Martin, drei tadellos angezogene junge Herren, blicken
-auf das Meer hinaus.
-
-Martin mahnt zum Aufbruch und zieht die Brieftasche. Er will bezahlen.
-
-Rüdiger klopft mit dem Löffel an sein Teeglas.
-
-Urban beobachtet absichtslos die Handbewegungen Martins.
-
-Da fällt aus dessen Brieftasche eine Akt-Photographie.
-
-Martin bückt sich, Urban bückt sich. Rüdiger dreht seinen Schnurrbart.
-
-Martin hat die Photographie aufgehoben und steckt sie in ein Fach seiner
-Brieftasche. Er hat einen feuerroten Kopf.
-
-«Was war das?» fragt Urban.
-
-«Oh, weiter nichts!» gibt Martin zur Antwort.
-
-Aber der eine Blick, den Urban auf die Photographie geworfen hat, hat genug
-enthüllt.
-
-Urban ersucht den verlegenen Martin, ihm die Photographie zu zeigen.
-
-Martin holt die Photographie heraus und reicht sie Urban hin. Mit dem
-Daumen verdeckt er den Kopf der Dame.
-
-Rüdiger wirft einen flüchtigen Blick auf das Bild und putzt sodann
-umständlich seine Brillengläser.
-
-Das Bild stellt eine Dame dar, die völlig nackt ist. Sie liegt rücklings
-auf einer Ottomane und hat die Beine hoch in der Luft gekreuzt.
-
-Urban erkennt sofort seine Frau.
-
-Martin nimmt den Daumen weg.
-
-Die Dame hat keinen Kopf. Wo der Kopf sitzen müßte, hat die Photographie
-einen leeren Fleck.
-
-«Wer ist das?» fragt Urban heiser.
-
-«Ihre Frau!» antwortet Martin.
-
-«Und wer hat die Aufnahme gemacht?»
-
-«Der Herr Gemahl!»
-
-«Ich denke nicht dran.»
-
-«Ihre Frau hat's gesagt.»
-
-«Das ist gelogen. Ich weiß nichts von der Aufnahme.»
-
-«_Ich_ habe die Aufnahme gemacht!» mischt sich Rüdiger in das Gespräch,
-setzt seine Brille auf und schaut die beiden Herren an.
-
-«Das finde ich großartig!» spricht Urban.
-
-«Ich nicht» sagt Martin. «Rüdiger, Sie sind ein Schuft!»
-
-«Jawohl» versetzt Rüdiger.
-
-Beide stehen auf und gehen weg.
-
-Urban zahlt und schlendert hinter den beiden her.
-
-
-(2)
-
-In den Dünen.
-
-Rüdiger und Martin schießen sich.
-
-Martin kriegt einen Schuß in den Kopf und ist auf der Stelle tot.
-
-Rüdiger nimmt dem Toten die Photographie aus der Brieftasche und entfernt
-sich.
-
-
-(3)
-
-In den Dünen.
-
-«Verschaffen Sie mir wenigstens eine Kopie von der Aufnahme!» sagt Urban zu
-Rüdiger. Er ist ihm nachgelaufen.
-
-«Mit Vergnügen» gibt Rüdiger zurück und überreicht die Photographie, die er
-Martins Brieftasche entnommen hat.
-
-«Danke!» sagt Urban.
-
-«Bitte schön!» sagt Rüdiger.
-
-Urban geht hierhin, Rüdiger geht dorthin.
-
-
-(4)
-
-In den Dünen.
-
-Am Abend findet man Urban an derselben Stelle, an der Martin tot
-zusammengebrochen ist.
-
-Er hat sich erschossen.
-
-Die Kugel ist durch die linke Brust gegangen -- mitten durch die
-Photographie in der linken Brusttasche.
-
-
-(5)
-
-Rüdiger heiratete trotzdem Urbans Witwe nicht.
-
-
-(6)
-
-Aber Urbans Witwe, die Dame ohne Kopf, heiratete trotzdem.
-
-
-
-
-«SNEEWITTCHEN, DER APFEL IN»
-
-
-ICH lebe unter dem Fluche, Grotesken zu schreiben.
-
-Bringe ich die simpelsten, banalsten Dinge zu Papier -- Dinge, die ich mit
-eigenen Augen sah und ohne irgendwelche «Ausschmückung» notierte --, so
-heißt es, sie seien «grotesk».
-
-_Nichts ist grotesk auf dieser Erde._
-
-Selbstverständlich ist _alles_ grotesk auf dieser Erde.
-
-Aber es kommt darauf an.
-
-Die Welt ist grotesk, und sie ist das Gegenteil.
-
-Das Leben ist ernst, und es ist das Gegenteil.
-
-Subjektiv genommen ist die Welt grotesk _und_ das Gegenteil.
-
-Subjektiv genommen ist das Leben ernst _und_ das Gegenteil.
-
-Aber objektiv genommen ist die Welt grotesk. Denn das Gemisch von Groteskem
-und Nicht-Groteskem, eben dies Gemisch ist grotesk.
-
-Und das verflucht ernste Leben, das zu Zeiten so haarsträubend ulkt, ist
-grotesk.
-
-Und auch das andere Leben, das so ulkig ist, kann zu Zeiten verflixt ernst
-sein. Und somit grotesk.
-
-Ich komme vom Thema ab. --
-
-Die Groteske «Sneewittchen, der Apfel in» ist lediglich der Überschrift
-wegen geschrieben worden. (. . worden??)
-
-Diese Überschrift ist grandios!
-
-Ehrenwort!
-
-Mein Freund, der Dr. Kurt Lange, hat es bestätigt.
-
-Diese Überschrift ist eine Parodie (für die Hartköpfe sei's gesagt).
-
-Die Überschrift ist derartig . . . . schön, daß es sich erübrigt, den Text
-dazu herzuschreiben.
-
-Als guterzogener Mensch will ich wenigstens andeuten, um was es sich bei
-«Sneewittchen, der Apfel in» handelt. Oder vielmehr handeln sollte (es
-handelt sich gar nicht!).
-
-Die Sache ist die: Sneewittchen kriegt von der Frau Königin einen Apfel
-angeboten. Zum Beweise dessen, daß er nicht vergiftet sei -- na, wenn sie
-das schon sagt, da soll ein Mensch nicht stutzig werden! --, schneidet sie
-den Apfel (sie -- die Königin) in zwei Hälften. Aber die eine ist _doch_
-giftig, und die andere nicht, und die giftige verspachtelt Sneewittchen.
-
-Das ist ein dunkler Punkt.
-
-Denn ein kleines bissel Gift wird mindestens in die ungiftige Hälfte
-gedrungen sein -- -- _wenn sich ein halbgiftiger und halbungiftiger Apfel
-überhaupt anfertigen läßt!_
-
- * * * * *
-
-Nachwort: Das Tollste in «Sneewittchen» oder besser «>Sneewittchen<, das
-Tollste in» ist indessen die eigenartige Tatsache, daß die verschluckte
-Apfelhälfte -- -- ach, das ganze Märchen taugt nichts! Ich werde es
-revidieren und neu herausgeben unter dem Titel «>Sneewittchen<, ein für
-fortgeschrittene Kinder nach den Resultaten moderner medizinischer
-Forschung umgearbeitetes Märchen».
-
-
-
-
-DOLL!
-
-
-ES war einmal.
-
-Zufolge einer hitzigen Wette ritt der wirklich, also ich sage Ihnen:
-wirklich feudale Graf Soundso in Lack und mit Einglas auf einer Kuh, also
-Ehrenwort: auf einer Kuh durch eine belebte Straße der preußischen
-Hauptstadt.
-
-Doll, was?
-
-Der Spaß kostete zwanzig Emm -- Lappalie! --, der Graf mußte absitzen und
-wohl oder übel die Kuh nach Hause führen.
-
-Was sagen Sie dazu?
-
-Sie schütteln Ihren Kopf mit Recht.
-
-
-
-
-NACHT IM HOTEL
-
-
-IN der Nacht kroch mir etwas über das Gesicht. Davon wurde ich munter. Ich
-machte Licht und sah, daß es eine Raupe war. Sie hatte eine grasgrüne
-Hautfarbe und viele Borsten. Ich sprach zu ihr: «Du kommst mir ungelegen,
-Raupe! Warum störst du mich im Schlafe?» Die Raupe erwiderte: «Ich störe
-dich mitnichten im Schlafe; siehe denn, du träumst! Ich bin eine von dir
-geträumte Raupe. Oder, wenn du willst: _Ich_ träume _dir_.» Ich wunderte
-mich ein wenig und sagte: «Wenn es sich so verhält, und du nur eine mir
-geträumte Raupe bist, so habe ich keine Veranlassung, dir zu zürnen. Aber
-verschone mich bitte und träume, wenn möglich, einem andern.» Die Raupe
-lächelte und kroch von hinnen.
-
-Es mochte eine Viertelstunde verstrichen sein, da stach mich etwas. Davon
-erwachte ich und zündete Licht an. Da sah ich, daß es ein Floh war. Er
-hüpfte weg, aber ich sprach: «Zu deinem Besten will ich annehmen, daß nur
-ein geträumter Floh du bist; sonst möchte es dir übel ergehen, Freundchen.
-Laß gut sein und reize mich hinfort nimmer; ich könnte dir das Fell eklig
-über die Ohren ziehen.» Da kam der Floh aus dem Versteck hervor und
-entgegnete: «Ich bin kein geträumter Floh, mein Herr. Im Gegenteil: ich bin
-so ungeträumt wie überhaupt irgend möglich und liebe offene Karten. Darum
-sei Ihnen angesagt: Sie werden den Rest der Nacht in Schlaflosigkeit und
-Wut verbringen. Gott befohlen!» Ehe ich ihn greifen konnte, war er
-enthüpft. Ich lag lange wach und konnte nicht einschlafen. Endlich schlief
-ich.
-
-Es mochte abermals eine Viertelstunde verstrichen sein, da hockte mir etwas
-auf der Brust. Davon erwachte ich. Als ich Licht anzündete, bemerkte ich
-mit Entsetzen, daß mir ein Känguruh zu schaffen machte. Es kauerte auf
-meinen Rippen und glupschte mich feindselig an. Ich sprach: «Es ist bereits
-das dritte Mal in dieser Nacht, daß man mich belästigt. Sie mögen geträumt
-sein oder nicht, ich habe nicht die geringste Lust, mich mit Ihnen zu
-befassen. Beehren Sie sonstwen mit Ihrem unerbetenen Besuche, aber nicht
-mich!» Sprach's und drehte mich auf die andere Seite. Rasch schlief ich
-wieder ein. Mir träumte, daß ein Känguruh auf meiner Brust säße, das ich,
-um es loszuwerden, erdrosselte. Schwer schlug die Leiche zu Boden. Davon
-erwachte ich.
-
-Im Zimmer lag die Leiche eines Känguruhs.
-
-Im Waschbecken schwamm eine grasgrüne Raupe.
-
-Ein Floh stach mich. Die Sonne schien durchs Fenster. Ich griff mir an den
-Kopf.
-
-Es ist nicht geheuer auf der Welt.
-
-
-
-
-KLEIN-ELLI UND DIE KRITIK
-
-
-DIE zweijährige Elli wandte sich an den fünfjährigen Ferd mit den Worten:
-«Du, das eine kann ich dir sagen: So jung ich bin -- _mehr_ Lebenserfahrung
-als du habe ich auf jeden Fall!»
-
-Ferd war platt.
-
-Und darauf beruhte Ellis Spekulation: man braucht dem andern nur etwas
-himmelschreiend Überlegenes zuzuschleudern, und sofort hat dieser _weniger_
-Lebenserfahrung -- vorausgesetzt, er fällt hinein.
-
-Ferd war hineingefallen, und die zweijährige Elli war um eine
-Lebenserfahrung reicher.
-
- * * * * *
-
-Ein Rezensent erklärte Obiges für Quatsch. Er dahlte von sinnloser
-Originell-sein-Wollerei-um-jeden-Preis und stellte mich als
-unzurechnungsfähig hin.
-
-Ich gab die Rezension der zweijährigen Elli. Sie sprach: «Siehste, Onkel
-Reimann, ich hab' dir's gleich sagen wollen: schreib das nicht auf, die
-Kritiker erklären es doch für Quatsch. Hättste nur auf mich gehört.»
-
-Das sah ich ein und faßte den Beschluß, wenigstens diese zweite Äußerung
-der zweijährigen Elli dem rezensierfähigen Publikum vorzuenthalten.
-
-
-
-
-«O (JUHU!) JUHUGENDZEIT!»
-
-
-Personen: Ein glücklich liebend Paar.
-
-Ort der Handlung: Eine kleinste Hütte.
-
-Zeit: Was denn sonst als Mai?
-
-GEGEN Abend pürschte ich mich hinan.
-
-Drinnen kicherte etwas.
-
-Ich spitzte die Ohren.
-
-Ein Ehrenmitglied der menschlichen Gesellschaft packt mich bei den
-Schlafittchen und zerrt mich weg.
-
-Ich sagte: «Lieber Herr, unterlassen Sie das! Übrigens hätte ich mich als
-diskreter Mensch sowieso entfernt.»
-
-Er gab mich frei und entschwand im Gebüsch.
-
-Ich lagerte mich ins Kleefeld.
-
-Aber es trieb mich, es trieb mich, es trieb mich hin zu jener kleinsten
-Hütte, worinnen etwas gekichert hatte.
-
-Es war Nacht geworden.
-
-Eine Lampe brannte.
-
-Auf stummen Zehen schlich ich; ich schlich auf stummen Zehen zum Fenster
-hin, hin zum Fenster.
-
-Das Ehrenmitglied war auch schon da und spionierte durch eine Klinze im
-Fensterladen.
-
-Drinnen erlosch die Lampe.
-
-Aber um uns lag grelle Helle: die zwiefache Gemeinheit strahlte aus unseren
-Augen.
-
-Wir pusteten uns gegenseitig aus.
-
-Da war es dunkel.
-
-
-
-
-OFFENER BRIEF AN EINEN UNBEKANNTEN
-
-
-SEHR geehrter Herr! Ich nehme mir die Freiheit, in aller Öffentlichkeit ein
-Schreiben an Sie zu richten, weil ich Sie nicht länger darüber im Unklaren
-lassen möchte, wie unsympathisch Sie mir sind.
-
-Mit Erstaunen werden Sie fragen, welche Gründe um alles in der Welt mich,
-der ich Sie nicht kenne, bewegen, Sie einen mir unsympathischen Menschen zu
-heißen.
-
-So hören Sie denn, daß ich nicht den winzigsten Grund habe, um so mehr, als
-ich Sie, wie gesagt, nicht kenne.
-
-Trotzdem sind Sie mir in tiefster Seele und aus einem, wenn ich mich so
-ausdrücken darf, allgemeinen Gefühl heraus unausstehlich, und ich
-versichere laut, daß ich jeden Zug Ihres Wesens, jede Spur Ihres Seins
-widerlich finde, mögen Sie existieren oder nicht.
-
-Ich bin überzeugt, daß Ihre sauber genähten Krawatten mir nicht minder auf
-die Nerven fallen würden als die Handbewegungen, womit Sie Ihrer jüngsten
-Tochter, wenn Sie eine hätten, über den Scheitel fahren, wenn sie einen
-hätte, und daß mich die Geschwulst hinter Ihrem rechten Ohre, gesetzt, Sie
-hätten eine, ebenso peinlich berühren würde wie die Art, in der Sie über
-Angelegenheiten der inneren Politik sprechen -- wenn Sie darüber sprechen.
-Warum übrigens in drei Teufels Namen lassen Sie sich jene Geschwulst hinter
-dem rechten Ohre nicht endlich operieren -- für den Fall, Sie haben eine?
-
-Sie gelten mir, klipp und klar, in jedweder Hinsicht als vollendeter Typus
-eines Proleten -- herrisch, ordinär, albern, rücksichtslos und seicht, wie
-Sie hoffentlich sind. Um das Maß voll zu machen, lieben Sie -- Sie werden
-mich darin nicht enttäuschen -- das Skatspiel und die Lektüre infamer
-Schmöker, die nicht angeführt sein mögen, und entrüsten sich womöglich als
-sogenannter Gegner des Fremdwortes, daß ich Wörter wie «Lektüre» und
-«infam» anwende.
-
-Ich gebe zu, daß ich meinem Vorurteil, das am Äußerlichen haftet, allzu
-willfährig bin und besser daran täte, Ihr Inneres zu prüfen, muß indessen
-zu meiner Rechtfertigung erklären, daß ich die «Unsympathischkeit» auf den
-ersten Blick, die sich jederzeit in das Gegenteil verkehren könnte, bei
-weitem der «Sympathischkeit», um nicht zu sagen «Liebe» auf den ersten
-Blick den Vorzug gebe, welche kritischen Erschütterungen nur in seltenen
-Fällen standzuhalten vermag.
-
-Mit Freuden bin ich bereit, mich mit Ihnen, den ich gottlob nicht kenne,
-und von dem ich nicht weiß, ob er überhaupt auf Erden wandelt, an drittem
-Orte zu treffen, um die wenig erquicklichen Beziehungen, die uns
-verknüpfen, in erfreulichere oder sogar erfreuliche zu verändern, obwohl
-ich meine Besorgnis nicht verhehlen möchte, daß Sie gerade bei naher
-Bekanntschaft und nach Preisgabe Ihres Inwendigen ein gräßliches Subjekt,
-unter Umständen sogar ein hierorts als «Mistvieh» zu bezeichnendes
-Individuum abgeben dürften, dem ich besser aus dem Wege trete.
-
-Lassen wir es also zu beiderseitigem Vorteile bei der bestehenden
-Unbekanntschaft verbleiben, und bauen wir auf unser Vorurteil, das
-sicherlich wohl begründet ist, sei es auch nur gefühlsmäßig. «Unser»
-Vorurteil schreibe ich, da ich allzu gut weiß, wie wenig Sie Ihrerseits
-mich leiden mögen -- mich, den es gibt.
-
-Mit dem Ausdrucke vollkommener Hochachtung bin ich Ihnen, den es nicht
-gibt, ergeben und schließe mit dem Bemerken, daß die letztgebrauchte
-Redewendung eine leere Phrase ist und nichts weiter.
-
-H. R.
-
-
-
-
-DER OCHSE
-
-
- _Personen_:
- Hans
- Kurt
- Theo
-
-«WAS stehst du da und sinnst?»
-
-«Ich sinne nicht. Ich warte auf Theo.»
-
-«Wartest du lange?»
-
-«Ja, aber er kommt nicht.»
-
-«Ich will dir helfen. Du weißt, daß der Ochse kommt, wenn man von ihm
-spricht?»
-
-«Freilich.»
-
-«Also laß uns von Theo sprechen.»
-
-Hans und Kurt sprechen von Theo, damit der Ochse kommt.
-
-Aber er kommt nicht.
-
-«Du, unser Sprechen ist für die Katz'. Theo kommt nicht.»
-
-«Nein, er kommt nicht.»
-
-Theo kommt.
-
-Hans und Kurt brechen gleichzeitig in die Worte aus: «Siehst du, er ist
-_doch_ ein Ochse!»
-
-«Wer?» fragt Theo.
-
-«Du!» lautet die fröhliche Antwort.
-
-Theo ist vom Gegenteil überzeugt.
-
-
-
-
-VON DEM MANNE, DER AUSZOG, ERDBEEREN ZU SUCHEN UND PFIFFERLINGE MIT
-HEIMBRACHTE
-
-
-EINE sehr schöne Geschichte.
-
-Von mir.
-
-Und außerdem eine sehr kurze Geschichte.
-
-Aber auch kurze Geschichten können schön sein.
-
-Ich liebe die kurzen Geschichten, die schön sind.
-
-Dies ist eine.
-
-Wenigstens meiner Meinung nach.
-
-Also: ein Mann ging in den Wald, um Erdbeeren zu suchen. Sogenannte
-Walderdbeeren.
-
-(Weil sie im Walde wachsen!)
-
-Aber er fand keine.
-
-Aber Pfifferlinge fand er.
-
-Einen ganzen Sack voll.
-
-Er ging heim mit seinem Sack voller Pfifferlinge oder Pfefferlinge.
-
-In Sachsen sagt man «Gehlchen».
-
-Die Sachsen müssen immer eine Extrawurst haben.
-
-Na, und die schmorte er sich.[1]
-
-Und aß sie.
-
-Und die schmeckten sehr gut.
-
-[Footnote 1: Die Pilze, meine Verehrten!]
-
-In Sachsen sagt man «schmeckten sehr _schön_».
-
-Die schmeckten also sehr schön.
-
-Und da freute sich der Mann schrecklich und vergaß völlig, daß er in den
-Wald gegangen war, um Erdbeeren zu suchen.
-
- * * * * *
-
-Das ist die ganze Geschichte.
-
-Ist sie nicht schön?
-
-
-
-
-DIE WAHRHEIT
-
-
-UM es ganz aufrichtig und ehrlich zu sagen, so halte ich -- menschlich --
-jeden beliebigen Kaufmann für tausendmal wertvoller als irgendeinen
-Künstler.
-
-Man wird mir diesen Satz nicht glauben -- um so weniger, als ich heftig
-beteuere, ihn durchweg ernst zu meinen.
-
-Aber: ich halte zehn gute Kaufleute, Gott straf mich, für tausendmal
-wichtiger -- menschlich -- als einen halben Gymnasiallehrer.
-
-Auch diesen Satz wird mir niemand glauben.
-
-Nun denn, ganz aufrichtig und ehrlich: ich halte weder Kaufmann noch Lehrer
-für wichtig, geschweige denn für wertvoll. Den Künstler erst recht nicht.
-
-Dies ist voller Ernst und mein letztes Wort in dieser Sache. Punktum.
-
-
-
-
-KEIN SCHÖNRER TOD IST AUF DER WELT . . .
-
-
-ALS es 418 (418!) Tage lang, 418 Tage lang hintereinander, 418 Tage lang
-ununterbrochen hintereinander geregnet hatte, 418 Tage lang geregnet hatte,
-waren alle Wesen des Lebens überdrüssig.
-
-Und der hochbetagte Bibliothekar Stibulke sprach zu seiner Frau:
-
-«Rosa, weißt du was, wir ersäufen uns!»
-
-Das war aber gar nicht mehr nötig; denn -- siehe -- in demselben
-Augenblicke wurde das Ehepaar von den eindringenden Fluten hinweggespült.
-
-
-
-
-SERENISSIMUS JAGT SCHMETTERLINGE
-
-
-SERENISSIMUS jagt Schmetterlinge. Für seine Sammlung. -- Hat eine
-Schmetterlings-Sammlung. -- Lauter Schmetterlinge. Und Käfer. -- Und
-Briefmarken. -- Alles durcheinander. -- Auch Strumpfbänder. Weibliche. --
-Souvenirs. -- Namentlich Strumpfbänder. -- Nebenbei auch einige
-Schmetterlinge. -- Zwei oder drei. -- Oder einen? -- Ja, _einen_. Einen
-einzigen. Tja. Aber einen ganz seltenen! -- Ein Mistpfauenauge. Oder so
-ähnlich. Ganz drolliges Viech. -- Sieht aus wie en Käfer. -- Tja. -- Ist
-auch en Käfer. Heißt genau genommen Mistpfauenkäfer. -- Oder so ähnlich. --
-Oder Mistkäfer. -- Ja: Mistkäfer. -- Geschmacklos. -- Warum nich
-Guanokäfer? Oder Kloakenkäfer? -- Tja. -- Ein entzückender Kloakenkäfer. --
-Schillert in allen Farben. -- Täuschend imitiert. -- Sieht aus wie echt.
-Wie wenn er lebte. -- Tja. -- War ooch teuer genug! Zierte Lisas
-Strumpfbänder, die Katze. -- _Zwei_ waren es sogar. Eigentlich.
-Ursprünglich. -- Na, der _eine_ ist gerettet. -- Apartes Andenken. An die
-verflossene Lisa. -- Saßen auf dem Strumpfband, die beiden Käfer. Oder
-vielmehr: auf _den_ Strumpfbändern. Auf jedem einer. -- Lisa mußte zweie
-haben. -- Dolles Weib. T, t, t, t. -- Viel Geld gekostet. -- Tja. -- Na,
-egal. -- War die Sache wert. -- Süßer Käfer. -- Hat Karriere gemacht. --
-Nach unten. -- Bis in den Rinnstein. -- Ooch en Kloakenkäfer geworden. Oder
-Mistkäfer. -- Hähä, blendender Witz. -- Jaja, feines Köppchen! -- Tja. --
-Na, wolln ma sehn, was sich tun läßt.
-
-Serenissimus stelzt über ein Stoppelfeld. Das Schmetterlingsnetz in der
-Hand.
-
-Er will seine Sammlung bereichern.
-
-Schmetterlinge jagen ist sein neuster Sport.
-
-Serenissimus ist passionierter Schmetterlingsjäger.
-
-Absolut einwandfrei edles Weidwerk.
-
-Totschick! -- Heissa, hussa!
-
-Serenissimus stelzt über das Stoppelfeld. Mit sagenhaft elastischen
-Schritten.
-
-Einem Schmetterling ist er auf den Fersen.
-
-Einem Sauerkohlweißling.
-
-Der schillert so angenehm rötlich.
-
-Vielleicht gar en Rotkohlweißling?
-
-Oder en Sauerkohlrötling?
-
-Vertrackt schwierige Kiste, Schmetterlinge jagen.
-
-Die Tiere flattern in der Luft herum.
-
-Sind gar nich en bißchen zutraulich.
-
-Na, wern den Kerl schon kriegen!
-
--- Serenissimus stelzt über die Stoppeln. Dem Weißling hinterher.
-
-Da geschieht etwas durchaus Unerwartetes.
-
-Eine Dampfwalze kommt in rasendem Tempo auf Serenissimus zugeschossen. Wie
-ein Pfeil.
-
-Serenissimus, der bei _einem Haare_ den Weißling im Netz hatte, springt --
-juchopps -- mit einem Fluch beiseite.
-
-Himmelherrgottspappedeckel, Klabund und Wolkenbruch!!
-
--- -- -- Die Dampfwalze prescht wie besessen an dem verdatterten Ferschten
-vorüber . . . .
-
-Da bemerkt Serenissimus dort, wo die Dampfwalze ihren Weg genommen hat,
-einen rotgelben Tupfen: den zu Brei gequetschten Sauerkohlrotweißling.
-
-Er hebt ihn auf und steckt ihn ins Netz.
-
-Das Netz schultert er und geht heim. Serenissime.
-
-_So fing Serenissimus seinen ersten Schmetterling._
-
- * * * * *
-
-Daraus geht hervor: Um einem Serenissimo dienstbar zu sein, scheuen die
-himmlischen Gewalten weder Kosten noch Mühe.
-
-
-
-
-DAS ZIMMER
-
-
-LINKS eine Wand. Rechts eine Wand. Vorn eine Wand. Hinten eine Wand. Oben
-die Decke. Unten die Diele. -- In der linken Wand eine Tür, in der rechten
-Wand zwei Fenster, in der vorderen Wand nichts, in der hinteren Wand
-nichts. -- An allen vier Wänden Tapete. -- In der Mitte der Diele ein
-Tisch, darauf eine Vase. Um den Tisch drei Stühle. An der rechten Wand
-zwischen den Fenstern ein Büchergestell. An der linken Wand über der Tür
-ein Haussegen. An der vorderen Wand ein Ofen, ein Waschtisch, ein Bett, ein
-Spiegel. An der hinteren Wand ein Sofa, ein Schreibtisch mit Lehnsessel,
-ein Schrank; über dem Sofa ein großes Bild. An der Decke eine Lampe.
-
-Dies ist ein Zimmer. --
-
-Was ist ein Zimmer? -- Ein Selbstmordmotiv.
-
-Öde, kahl, ekel. -- -- --
-
-Laß an den Fenstern Gardinen anbringen, und in der Dämmerstunde stell auf
-den Tisch die duftenden Reseden: -- das Zimmer ist traut und wohnlich.
-
-Und liegt ein sündhaft schönes Weib im Bett, der Teufel hole dich, wenn du
-das Zimmer nicht mit Lust beziehst.
-
-
-
-
-HAND UND AUGE
-
-
-(Ein Reise-Erlebnis)
-
- _Personen_:
- Die anmutige Dame
- Der stattliche Herr
-
- _Ort_:
- Eisenbahn-Abteil 2. Klasse
-
-DER Herr: «Darf ich das Fenster öffnen?»
-
-Die Dame: «Ja.»
-
-Der Herr: «Stört es Sie, wenn ich eine Zigarette rauche?»
-
-Die Dame: «Nein.»
-
-Der Herr: «Darf ich fragen, wohin Ihre Reise geht?»
-
-Die Dame: «Ja. Nach Danzig.»
-
-Der Herr: «Wie sich das trifft! Ausgerechnet nach Danzig fahre auch _ich_!»
-
-Der Herr: «Ist es Ihnen unangenehm, mit mir im selben Abteil fahren zu
-müssen?»
-
-Die Dame: «Nein.»
-
-Der Herr: «Fahren Sie gern Eisenbahn?»
-
-Die Dame: «Nein.»
-
--- --
-
-Ein Gespräch kommt nicht zustande.
-
-Es ist frostern im Abteil. Die Dame ist zugeknöpft. Der Herr versucht es
-mit einem Gewaltmittel:
-
-«Schauen Sie», spricht er, «ich hab' ein Glasauge!» und nimmt sein linkes
-Auge heraus.
-
-Die Dame taut auf: «Ach!? -- Ist das echt?»
-
-«Jawohl -- es ist ein echtes nachgemachtes Auge.»
-
-«Gott, wie goldig!»
-
-«Nicht wahr?»
-
-«Und _ohne_ das Auge sehen Sie gar nichts?»
-
-«Nein, nicht das mindeste.»
-
-«Und _mit_ dem Auge?»
-
-«Sehe ich auch nichts!»
-
-«Ja, ist denn das Auge nicht durchsichtig?»
-
-«Doch -- aber womit sollte ich hindurchsehen?»
-
-«Haben Sie das Auge verloren?»
-
-«Ja -- ein Fräulein hat es mir mit der Hutnadel ausgestochen.»
-
-«Wie gemein!»
-
-«Ich habe mich gebührend gerächt.»
-
-«Inwiefern?»
-
-«Ich habe das Fräulein geheiratet.»
-
-Die Dame rückt ab und knöpft sich wiederum zu. Der Herr hat seinen Reiz zur
-guten Hälfte verloren. Er ist verheiratet!
-
-Der Herr steckt sein Auge ein.
-
-Die Dame -- nach langer Pause --: «Sie tragen ja gar keinen Trauring?»
-
-«Nein, warum? Ich bin ja nicht verheiratet.»
-
-«Sie sagten doch . . .»
-
-«Ein Scherz.»
-
-«Aber das falsche Auge ist doch wenigstens _echt_, wie?»
-
-«Völlig echt, meine Gnädige.»
-
-«Darf ich es mal sehen?»
-
-«Mit Vergnügen.»
-
-Der Herr reicht der Dame das echte falsche Auge. Die Dame nimmt es in die
-linke Hand.
-
-Sie faßt das Auge scharf ins Auge und spricht:
-
-«Es ist täuschend imitiert. Besser als diese meine linke Hand.»
-
-«Was ist mit der Hand?»
-
-«Sie ist künstlich. Aus Marmor.»
-
-«Seltsam. Ein falsches Auge in falscher Hand!»
-
-«Ich finde das weniger seltsam, als wenn ein echtes Auge in einer echten
-Hand läge.»
-
-«So? Wäre das seltsamer?»
-
-«Es wäre nicht nur seltsamer, es wäre _unmöglich_.»
-
-«Es ist nicht unmöglich. -- Mein Auge ist kein Glasauge. -- Das Auge ist
-mein wirkliches, echtes Auge.»
-
-Die Dame läßt erschreckt das Auge fallen.
-
-Das Auge blickt die Dame wehmutig an.
-
-Die Dame greift gerührt mit ihrer Linken nach dem Auge -- -- -- die Hand
-füllt sich mit Leben, Blut durchrinnt sie, Puls klopft auf.
-
-Das Auge zwinkert bedeutsam.
-
-Der Herr sieht die marmornen Finger der Dame sich regen; «Ihre Hand,
-Gnädige, scheint lebend zu sein!»
-
-Die Dame krümmt die Finger -- und ist selbst betroffen über die
-Verwandlung.
-
-Sie streicht mit der Rechten über das Auge in ihrer Linken, und das Auge
-schläft ein.
-
-Der Herr nimmt es und steckt es in seine Höhle zurück.
-
-Die Dame kann nicht anders, sie drückt einen Kuß auf das Auge.
-
-Der Herr küßt der Dame die linke Hand.
-
-Das Auge öffnet sich und blickt dankbar.
-
-Die Linke der Dame streichelt die Wange des Herrn.
-
-«_Danzig_ --!»
-
-
-
-
-TROPFEN AUS HEITERM HIMMEL
-
-
-AUF der Wiese steht ein Greis und will eine Kneippkur machen.
-
-Er ist barfuß und barhaupt.
-
-Über ihm hängt ein wunderschöner, blauer, wolkenloser Himmel.
-
-Der Greis hält Ausschau nach einer Kuh, die fern am Waldrande Bedürfnis
-über Bedürfnis verrichtet.
-
-Da tropft dem Greis etwas aufs Haupt.
-
-Ein dicker Tropfen.
-
-Der Greis greift mit der Hand auf seinen Schädel und wischt den Tropfen ab.
-
-Dann lugt er auf zum Himmel.
-
-Der Himmel glänzt in seidiger Bläue.
-
-«Wie?» denkt der Greis, «ein Tropfen aus heiterm Himmel?»
-
-Und er begibt sich von dem Flecke, auf dem er gestanden, weg und pflanzt
-sich anderswo auf.
-
-Daselbst hält er wiederum Ausschau nach jener bedürfnisstrotzenden Kuh.
-
-Er steht nicht lange -- der Greis --, so kleckt ihm ein zweiter Tropfen
-aufs Haupt.
-
-Aufschauend zum Himmel, wundert er sich ins Fäustchen und wischt sodann den
-nassen Tropfen sich vom Schädel.
-
-Der Himmel lacht. Mit Recht.
-
-«Wenn das so weitergeht,» denkt unser Greis bei sich, «das kann ja gut
-werden!»
-
-Und er bleibt stehen, wo er steht.
-
-Er will herauskriegen, wo die Tropfen herkommen; auch will er wissen, ob
-ihrer noch mehr herunterklecken.
-
-Abermals wendet er sein Augenmerk nach jener fladenden Kuh und vergißt über
-sie das Tropfen.
-
-Es währt nur kurze Zeit, so tropft dem Greis ein dritter Tropfen auf den
-Kopf.
-
-Der Greis runzelt die Stirn und betrachtet den Himmel. Der thront
-unschuldig und engelisch-rein über der Szenerie.
-
-Der Greis legt sich ins grüne Gras und läßt den Himmel nicht aus dem Auge.
-
-Es kleckt kein Tropfen mehr vom Himmel.
-
-«Aha,» denkt sich der Greis, «dies geschieht, weil ich Obacht gebe».
-
-Und er paßt auf. Er wendet keinen Blick vom Himmel.
-
- * * * * *
-
-Auf der Wiese liegt ein Greis. Er hat eine Kneippkur machen wollen, aber er
-muß aufpassen, ob es tropft. Er ist überzeugt, daß in dem Augenblicke, wo
-er den Himmel außer acht läßt, ein Tropfen ihm aufs Haupt kleckt.
-
-Der Greis schläft darüber ein.
-
-Er träumt, daß ihm ein Tropfen auf den Kopf kleckt. Er stellt sich
-anderswohin, und ein zweiter Tropfen kleckt. Er bleibt stehen, und ein
-dritter Tropfen kleckt. Da legt er sich ins grüne Gras und spannt auf den
-Himmel. -- Dies träumt der Greis.
-
-Die Kuh möhkt plötzlich dicht bei ihm.
-
-Davon erwacht der Greis, erhebt sich ächzend und begibt sich an die
-Kneippkur.
-
-Ihm ist, als seien drei Tropfen auf seinen Kopf gekleckt.
-
-Dies ist jedoch völlig unmöglich. Denn der Himmel ist blau, heiter und
-wolkenlos.
-
-Hat der Greis geträumt?
-
-
-
-
-DAS ALTER
-
-
- _Personen_:
- Der gutgelaunte Vorgesetzte
- Der wie auf den Kopf gefallene Bewerber
-
-DER Vorgesetzte läßt den Bewerber eintreten und ersucht ihn, Platz zu
-greifen. Es entspinnt sich eine Unterredung, die auf einem gewissen
-halbtoten Punkt stehen bleibt: Der Vorgesetzte möchte Einzelheiten aus dem
-Privatleben des Bewerbers wissen. Er fragt zuvörderst nach dem Alter. «Wie
-alt sind Sie denn?»
-
-«Ich werde 32.»
-
-«Wie alt Sie sind?»
-
-«Ich werde 32.»
-
-«Ich will nicht wissen, wie alt Sie _werden_; ich will wissen, wie alt Sie
-_sind_.»
-
-Der Bewerber schweigt kopfscheu.
-
-«Na wie alt _sind_ Sie denn?»
-
-«Ich bin 31 gewesen.»
-
-«Guter Mann, hm, wenn Sie 31 _gewesen_ sind, so sind Sie zur Zeit 32.
-Soeben behaupten Sie jedoch, Sie _würden_ erst 32.»
-
-«Ja, das stimmt.»
-
-«Nee, das stimmt nicht. Wenn Sie 32 _werden_, können Sie nicht 32 _sein_.»
-
-«Nein, so nicht, -- ich bin nicht 32. Ich _werde_ 32.»
-
-«Schön. Demnach dürften Sie 31 sein.»
-
-«Ja natürlich. Ich bin 31!»
-
-«Also Sie sind 31. -- Wann ist Ihr Geburtstag?»
-
-«Am 5. April.»
-
-«Das wäre heute in 6 Wochen?»
-
-«Zu dienen.»
-
-«Wie alt werden Sie heute in 6 Wochen?»
-
-Der Bewerber, zaghaft und scheu: «32 . .»
-
-«Richtig.»
-
-«Ihr wievielter Geburtstag ist das?»
-
-«Mein 32. selbstredend.»
-
-«Durchaus nicht! -- Ihr 33.!»
-
-«Das verstehe ich nicht.»
-
-«Nein? -- Merken Sie auf: Als Sie zur Welt kamen, begingen Sie Ihren ersten
-Geburtstag. An jenem ersten Geburtstage waren Sie null Jahre alt. -- Als
-Sie Ihren zweiten Geburtstag feierten, vollendeten Sie das erste Jahr, d.
-h. Sie wurden am _zweiten_ Geburtstag _ein_ Jahr alt. -- Sehen Sie das
-ein?»
-
-Der Bewerber, gänzlich verwirrt: «Oh ja!»
-
-«Nun also. -- Sie _sind_ 30 _gewesen_, _sind_ 31, _werden_ 32 und feiern in
-Kürze den 33. Geburtstag.»
-
-Der Bewerber bricht ohnmächtig zusammen.
-
-Die Unterredung ist beendet.
-
-
-
-
-ALLE WEGE FÜHREN NACH ROM
-
-
-DIESES Sprichwort ist eine hundsgemeine Lüge.
-
-Der Privatdozent Kladderosinenzagel mußte es am eigenen Leibe erfahren.
-
-Er, den wir um der Kürze willen K. nennen wollen, machte sich an einem
-Ferientage auf die denn doch nicht mehr so eigentlich ganz naturfarbig
-genannt werden dürfenden Socken, um gen Rom zu fahrten.
-
-Er, K., fußte auf dem Sprichwort: Alle Wege führen nach Rom.
-
-K. wanderte, mit reichlichem Mundvorrate und einer leeren Thermosflasche
-ausgestattet, einen vollen Nachmittag lang.
-
-Reiseziel: Rom.
-
-Es führen aber mitnichten alle Wege nach Rom.
-
-_Der Weg_, den K. einzuschlagen für ratsam befunden hatte, hörte plötzlich
-auf, ein Weg zu sein und verwandelte sich in eine Wiese, auf welcher
-notgedrungen sieben Kühe -- die Verkörperung der fetten Jahre -- sich an
-ihrem Anblicke und dem saftigen Grün weideten.
-
-Und K. stand hinter einer Tafel, die von vorn zu besichtigen er nicht
-umhinkonnte.
-
-Die Tafel bezog sich auf den Weg, welchen K. zurückgelegt hatte, und trug
-die Aufschrift: «Verbotener Weg».
-
-In einem Lande, wo die Polizei so auf dem Damme ist wie in Deutschland,
-führt zwar mancher Weg nach Rom, aber er ist verboten.
-
-K. mußte umkehren und sich des Planes, auf natürlichem Wege nach Rom zu
-gelangen, entschlagen.
-
-
-
-
-«HÖHENLUFT»
-
-
- Ein Roman aus den Tiroler Bergen
- von
- Paul Grabein
-
-ist im Okt. 1916 als Ullstein-Buch -- 1 M.! -- erschienen. Ich habe das
-Buch gelesen -- unter Aufgebot größter Energie. Ein paar Worte darüber und
-dazu.
-
-Die Personen des Buches sind:
-
- Karl Gerboth, Maler,
- Hilde, seine Tochter,
- Franz Hilgers, Maler,
- Günther Marr, Leutnant.
-
-Handlung: Franz hat seinen Jugendfreund Günther eingeladen. Günther leistet
-der Einladung -- Erholungsurlaub -- Folge. Auf Seite 19 trifft er, nach dem
-Dörfchen, in dem Franz wohnt, wandernd, eine Dame. Dies ist Hilde Gerboth.
-Sofort weiß man «alles», und es kommt auch tatsächlich «alles» so. Franz
-ist der einzige Schüler Karl Gerboths und Bräutigam eben jener Hilde,
-freilich, ohne daß diese darum weiß. Der alte Gerboth hat sich von der Welt
-zurückgezogen und schafft in aller Stille. Hilde wird von ihm behütet und
-betreut, daß es eine Art hat. Sie ist die Tochter einer Dame, die -- als
-Gattin Gerboths -- Temperament und etliches darüber hinaus besaß. Aus
-Angst, Hilde könne ihrer Mutter nachschlagen, läßt sie der alte Gerboth
-nicht von sich. Sie ist absolut naiv und ahnungslos. Sie weiß nicht Musik,
-Tramway, Kino, Theater, Börse, Bordell, Liebe, Geld, Börse (absichtlich 2
-Mal) -- kurz: was Leben ist. Das weiß sie nicht. Sie ist 20 Jahre alt. Und
-Franz ist ein Schwächling, ein thraniger, limonadiger Hampelmann. Er muß
-kurz nach Günthers Ankunft verreisen. Infolgedessen Solo-Szene zwischen
-Günther und Hilde. Aussprache -- er schildert ihr die Welt und das Leben.
-Sie -- die Freiheit lockt -- verliebt sich in ihn. Sie will hinaus -- in
-die sogenannte Welt. Sagt's ihrem Vater. Der refüsiert. Hilde knickt
-zusammen. Günther trifft sie -- tatsächlich durch Zufall! (Ich glaub's! Wer
-noch?) -- ein zweites Mal. Er redet ihr energisch zu. Franz kehrt zurück
-(aber das ging fix!) und erfährt durch Günther selbst, daß er, G., Hilde
-liebt und überhaupt: daß was los war. Franz zum alten Gerock oder Gehrock
-oder Gerboth: Höre mal, so und so -- -- und Gerboth spricht gründlich mit
-seinem Töchting. Klamauk. Sie will Franz nicht. Sie will Günther. Und in
-die Welt hinaus. Bon. Am Tag drauf hält Günther um ihre Hand an beim alten
-Klopstock. Der sagt Nein. Da sagt Günther: Dann heirat ich Ihre Hilde gegen
-Ihren Willen. Bumms. Aber der Alte -- philosophisch! -- gestattet eine
-letzte Aussprache zwischen Hilde und Günther, worin sie ihm erklärt, er
-dürfe hoffen, wenn er vor sie hinträte.
-
-Am nächsten Tag reist Günther nicht ab, oh nein. Er kann nicht: eine
-richtige Lawine hat sich bemüht, herniederzugehen, und das ist ihr auch
-gelungen. Aber die gute Hilde, die irgendeinen Schafhirten hat retten
-wollen vom Hungertode, gerät mitsamst ihrem Freßkörbchen und dem
-Bernhardiner (aha!) in sie (die Lawinije) hinein.
-
-Na, und Günther rettet sie selbstredend.
-
-Na, und dann kriegen sie sich.
-
-Na, und das ist ja die Hauptsache.
-
-Das Buch schließt (auf Seite 253!) mit den Worten Günthers:
-
-«Wagen wir es denn zusammen, Hilde!»
-
-Und nun sind sie glücklich, und uns entpullert eine Träne.
-
-Ich setze das Romänchen fort:
-
-Am 12. Sept. 1916 fällt Günther in der Sommeschlacht (das Buch spielt
-nämlich direktemang im Weltkrieg).
-
-Daraufhin begeht seine Frau einen ganz totsicheren Selbstmord.
-
-Daraufhin kriegt ihr Vater einen geharnischten Schlaganfall.
-
-Sela.
-
-
-
-
-EHE
-
-
-MANN und Frau faulenzen auf dem Diwan. Der Mann ist am Einschlafen. Die
-Frau wird von Halbträumen umfangen.
-
-Eine Fliege summt.
-
-Die Glocken einer fernen Kirche baumeln.
-
--- -- -- Der Mann ächzt, räkelt sich, fragt: «Sind das Glocken?»
-
-Die Frau horcht. «Das sind doch keine Glocken. -- Das ist eine Fliege.»
-
-«Unsinn. Das ist doch keine Fliege. -- Das sind Glocken.»
-
-«Das ist eine Fliege.»
-
-«Das sind Glocken.»
-
-Beide horchen.
-
-Der Mann: «Selbstredend sind das Glocken. -- Warum wird denn geläutet?»
-
-Die Frau: «Ich werde doch Glocken von einer Fliege unterscheiden können!
-Ich höre keine Glocken. Das ist eine Fliege.»
-
-«Das sind Glocken.»
-
-«Wenn ich dir sage, das ist eine Fliege.»
-
-«Herrgott, das sind Glocken. Das ist doch keine Fliege!»
-
-«Das _ist_ eine Fliege!»
-
-«Das sind _Glocken_!»
-
-«Na, da bleib' bei deinem Glauben.»
-
-«So etwas Dummes! Ich bin doch nicht verrückt. Natürlich sind das Glocken.
--- Ganz deutlich.»
-
-«Eine Fliege ist es.»
-
-«Wo ich genau die einzelnen Glocken heraushöre.»
-
-«Was _du_ alles fertig bringst. -- Ich höre bloß eine Fliege. -- Warum
-sollten denn jetzt die Glocken läuten?!»
-
-«Ja, das möchte ich eben gerne wissen.»
-
-«Du kannst dich drauf verlassen, das ist eine Fliege.»
-
-Beide horchen.
-
-Die Glocken haben aufgehört, zu summen.
-
-Auch die Fliege läutet nicht mehr.
-
-Der Mann denkt: Ekelhaft. So macht sie's immer. Bei jeder Gelegenheit. Da
-ist einfach nichts zu wollen. Zum Auswachsen. -- Eine Fliege! Lachhaft. --
-Aber da kann sie niemand davon abbringen. Sie bleibt bei ihrer Fliege. Es
-ist eine Fliege. Und wenn die Glocken hier in der Stube vor ihrer Nase
-läuteten, -- -- es ist eben eine Fliege. Albern. Wenn sie sich etwas
-einbildet, bleibt sie dabei. -- Selbstredend waren es Glocken. -- -- -- Mir
-einstreiten zu wollen, daß es eine Fliege war . . . .
-
-Er schläft.
-
-Die Frau denkt: Wenn es nicht zufällig mein Mann wäre, ich konnte ihn
-ohrfeigen. Das Schaf. Immer recht haben. Immer recht haben. Muß er. -- Ich
-höre deutlich die Fliege summen. Nein, es sind eben Glocken. -- -- Ich kann
-sagen, was ich will: er bleibt bei seinen Glocken. -- Jetzt, um die Zeit
-Glocken! -- -- -- So ein Schaf! -- -- -- Aber das ist jeden Tag so. -- --
--- Das Kamel . . . .
-
-Sie schläft.
-
-Sie träumt von einer Fliege, die hoch auf dem Kirchturme geläutet wird.
-
-Der Mann träumt von Glocken, die ihm über das Gesicht krabbeln.
-
-Ganz leise fängt die Fliege wieder an, zu summen.
-
-Es klingt wie fernes Glockenläuten.
-
-
-
-
-ICH BIN, ICH WAR
-
-
-ICH bin eine Blume. Ich blühe auf der Heide.
-
-Ich bin eine Blume und blühe auf der Heide.
-
-Da kommt eine Kuh und frißt mich ab.
-
-Nun bin ich eine Blume gewesen. Nun bin ich keine Blume mehr.
-
-Wie bin ich traurig!
-
- * * * * *
-
-Ich bin eine Kuh und grase.
-
-Niemand merkt mir an, daß ich traurig bin.
-
-Grasen ist fade, Kuhsein ist fade; als Blume hatte ich es besser.
-
-Aber muß man als Kuh nicht stoisch sein und tragen, was man aufgebürdet
-kriegt?
-
-Geduldig sein und grasen und sich fassen, möh. --
-
-Es ist schließlich gar nicht so traurig, Kuh zu sein.
-
-Die Sonne scheint, die Wiese duftet, der Himmel bläut -- und da soll ich
-traurig sein?
-
-Ich bin lustig.
-
-Aber es ist nicht die Blumenlustigkeit, die mich durchglüht, es ist die
-Lustigkeit der Kühe.
-
-Ich mache mutwillige Sprünge und möhe und muhe.
-
-Die Welt ist schön, muh.
-
-Muh, schön ist die Welt.
-
-Und ich bin doch traurig!
-
-(Ich war eine Blume!!)
-
--- -- --
-
-Da kommen zwei vermummte Kerle. Die fackeln nicht lange: Einer packt mich
-hinterrücks und ringelt mir den Schwanz zusammen, das tut weh. Der andere
-schlingt mir eine Kette ums Gehörn und knufft mich. Sein Spießgeselle
-peitscht auf mich ein. Ich weiß nicht, was gehauen und gestochen ist.
-
-(Einst war ich eine Blume.)
-
-Man führt mich hinweg von meiner Wiese. Ade, du Wiese, ade!
-
--- -- --
-
-In der Abendstunde erreichen wir ein Gehöft.
-
-Einst war ich eine Blume, ich denke dran.
-
-Blume bin ich nimmer; bin eine armselige, wehrlose Kuh, muh.
-
-(Hilft mir der Stoizismus etwas?)
-
-Rasch tritt der Tod die Kühe an: Eine Ledermaske mit einem bösen
-Stirnbolzen wird mir aufgestülpt -- -- -- ein Schlag, und ich stürze hin.
-Da hilft kein Muhen.
-
-Mit einem Rohrstock pfählt man mir das arme Hirn. Das macht mich traurig.
-Oder lustig? Ich weiß nicht, ich glaube, ich bin tot.
-
-Kuh bin ich gewesen.
-
-Blume bin ich gewesen.
-
-Ich entsinne mich wirr . . . es ist mir, ja . . . vor langer, langer Zeit
--- war ich ein Falter. Aber ich weiß es nicht.
-
-Daß ich Blume war, weiß ich mit Sicherheit. Ich lege meinen Huf dafür ins
-Feuer.
-
-Es ist vorbei.
-
-Bin weder Kuh noch Blume mehr.
-
- * * * * *
-
-Bin Wurst. Salamiwurst. Ich koste das Pfund 1.80 M.[2] Ich bin erstklassige
-Ware, elektrisch hergestellt.
-
-Den Stoizismus habe ich behalten. Dennoch stimmt es trübe, Wurst sein zu
-müssen, wenn man Blume hat sein dürfen.
-
-Ich bin mir Wurst. Ich nehme es hin. Muh. (Eigentlich dürfte ich als Wurst
-nimmer muhen. Ich nehme das Muh als anachronistisch zurück.)
-
-Ich habe keine Freude mehr auf der Welt.
-
-Ich bin eine kalte Wurst. Nichts tangiert mich.
-
-Wenn ich mein Leben überdenke, so muß ich frank gestehen: Wurst sein, das
-ist das Schlimmste nicht. Mensch sein ist weitaus schlimmer!
-
-Doch Kuh sein, das ist schöner als Wurst sein.
-
-Das Allerallerschönste freilich war: Blume sein, Blume gewesen sein, Blume
-sein gedurft zu haben.
-
-Mir war's verstattet.
-
-[Footnote 2: Wer's glaubt.]
-
-Ich war Blume, ich war Blume!
-
-O Blumen, ihr seid glücklicher als Kuh und Wurst!
-
-O Blumen, nichts auf Erden ist glücklicher denn ihr.
-
-O Blumen -- --
-
- * * * * *
-
-Die Kuh ist besser dran als die Blume.
-
-Denn während eine Kuh sehr wohl Blumen fressen kann, kann eine Blume nichts
-fressen.
-
-Und eine Wurst kann auch nichts fressen: nicht Kuh, nicht Blume.
-
-Kuh gewesen sein gedurft zu haben ist also -- mit Vorbehalt -- noch
-erhebender als Blume gewesen sein gedurft zu haben.
-
-Ich wünsch' euch eine gute Nacht und mir, wieder Kuh werden zu dürfen.
-
-
-
-
-MÄRCHEN
-
-
-ES war einmal ein Frosch, der konnte sich gewaltig giften, wenn seine Frau
-zu ihm quakte: «I, sei doch kein Frosch!»
-
-Infolgedessen quakte die Fröschin den Satz bei jeder Gelegenheit. Der
-Frosch getraute sich überhaupt nichts mehr zu äußern. Sagte er etwas, so
-mußte er als Antwort hören: «I, sei doch kein Frosch!»
-
-Da raffte er sich auf und nahm seine Ehefrau ernstlich ins Gebet, sie solle
-es fürderhin gefälligst unterlassen, den albernen Satz zu quaken.
-
-«I, sei doch kein Frosch!» stereotypte die Fröschin. Es war mit ihr nichts
-anzufangen.
-
-Sie war in der Ehe verblödet.
-
-Da verfiel der Frosch, der keiner sein sollte, auf einen Ausweg: Er kam
-seiner Frau mit der Redensart zuvor und apostrophierte sie, wo immer er
-ihrer ansichtig wurde, mit dem Satze: «I, sei doch keine Fröschin!»
-
-Er antwortete mit nichts anderem als mit diesem Satze. Er sagte nichts als
-diesen Satz. Er verkehrte mit seiner Frau nur noch auf Grund und unter
-Zuhilfenahme dieses Satzes.
-
-Die Fröschin zeigte sich der Situation nicht gewachsen und ersäufte sich.
-
-Der Frosch war kein Frosch und holte sich eine andere heim.
-
-_Moral_: Ihr Frauen, reizet eure Männer nicht zum Äußersten und lasset sie
-gewähren, selbst wenn sie Frösche sind.
-
-
-
-
-AUF DER OALM, DOA GIBT'S EINEM ON DIT ZUFOLGE KOA SÜAND!
-
-
-DIE weitverbreitete Meinung, auf der Alm gäbe es ka Sünd, hat ihren
-Ursprung in dem sprichwortgewordenen Liedertext: «Auf der Alm, da gibt's ka
-Sünd».
-
-Selbstverständlich gibt es auf der Alm a Sünd.
-
-Das wäre ja _noch_ schöner, wenn es auf der Alm ka Sünd geben täte!
-
-Von ka Sünd kann gar keine Rede nicht sein.
-
-A Sünd gibt's überall -- namentlich auf der Alm.
-
-Ich möchte sogar so weit gehen, zu behaupten: Wenn es überhaupt a Sünd
-gibt, so vor allem auf der Alm.
-
-. . . . . . . . . .
-
-Plötzlich erschallt draußen unter meinem Fenster das Gerassel und Gebimmel
-der Feuerwehr.
-
-Ich armer, schwacher Mensch unterbreche mein Schreiben und stehe eilends
-auf, um nachzusehen, wo es brennt.
-
-. . . . . . . . . .
-
-Es war weiter nichts.
-
-Ein Pferd ist gestützt.
-
-Ich kann also in meinem Schreiben fortfahren.
-
-Aber ich habe, offen gestanden, nicht mehr die rechte Lust dazu und stecke
-es auf.
-
-Ein ander Mal.
-
-Der Zensor würde die Geschichte ohnehin gestrichen haben; denn es geht toll
-zu auf der Alm. _Ich habe Beweise._
-
-
-
-
-PETERLE
-
-
-Ein Märchen
-
-PETERLE war ein gutes Kind und machte dennoch seinen Eltern großen Kummer.
-
-Wie ist das möglich?
-
-Es lag an Peterle.
-
-Peterle hätte nicht soviel träumen sollen, bei Nacht nicht und bei
-hellerlichtem Tag nicht. Peterle träumte, wo sie ging und stand; wo sie lag
-und saß. Sie träumte immerfort. Nichts war mit ihr anzufangen, kein
-vernünftiges Wort mit ihr zu reden. Sie spielte nicht die Spiele
-ihresgleichen; sie spielte nicht mit anderen und nicht für sich allein --
-sie puppelte nicht einmal! Nein, von Puppen mochte sie gar nichts wissen.
-
-Und was das Tollste ist: Peterle wollte durchaus ein Junge sein, obwohl sie
-doch ein Fräulein war. Sie behauptete, sie sei ein Junge namens Peterle,
-und damit holla! Sie und ein Mädchen -- haha! «Ich bin ein Junge»
-verkündete sie jedem, der es wissen wollte, und beharrte eigensinnig auf
-diesem ihrem Vorurteil.
-
-Peterle hatte ihre lustigen Seiten. Nicht nur die, daß sie ein Junge sein
-wollte, sondern vor allem ihre Person, ihre «Erscheinung», ihr «Äußeres».
-
-Peterle war winzig klein, aber dafür dick wie ein Moppel. Sie hatte eine
-kurze, umgestülpte Nase, zwei wasserblaue Guckaugen und einen verschmitzten
-Mund. Aber das Putzigste an ihr war die Frisur: sie trug die spärlichen,
-bindfadendünnen Zöpfchen in zwei Schnecken prätentiös über die Ohren
-geringelt! Und die Zöpfe waren strohgelb.
-
-Und doch war sie den Eltern ein Persönchen -- Gegenstand kann man wohl
-nicht sagen -- argen Kummers.
-
-Während andere Eltern prahlten und Stolzes voll die Taten, Antworten und
-sonstigen Äußerungen ihrer «aufgeweckten» Kinder zum besten gaben,
-empfanden Peterles Eltern schmerzliche Beschämung, wenn sie von ihrem
-Mädelchen nichts aussagen konnten als: «Sie träumt.»
-
-Peterle tat nämlich nichts als Träumen. Stundenlang saß sie hinterm Ofen
-oder auf dem Boden und träumte für sich hin. Wovon sie träumte, das erfuhr
-kein Mensch; denn sie teilte sich nicht mit, sondern behielt alles fein im
-Herzen.
-
-Aber sie war nun schon fünf Jahre alt und sollte über ein dreiviertel Jahr
-bereits zur Schule.
-
-Noch hatte sie große Ferien. Waren die erst einmal verstrichen, diese
-sechsjährigen großen Ferien, dann stand es bös.
-
-Ach, es würden trübe Zeiten kommen für Peterle; denn war sie erst
-schulpflichtig, mußte die Träumerei ein Ende nehmen.
-
-Die Eltern wußten sich keinen Rat und hätten ihr Kind am liebsten der
-Schule ferngehalten.
-
-Da erschien eines Tages -- und zwar an jenem, der jenem, an welchem sie ihr
-fünftes Lebensjahr vollendete, vorausging -- dem Peterle eine Fee. Keine
-großartige, sondern eine ganz gewöhnliche Fee, wie sie täglich dutzendweise
-den braven Kindern erscheinen.
-
-Diese Fee stellte dem Peterle einen Wunsch frei. Sie dürfe sich zu ihrem
-morgigen Geburtstage etwas wünschen -- gleichviel was --, der Wunsch werde
-in Erfüllung gehen.
-
-Peterle schwankte keinen Augenblick, obwohl sich tausend Wünsche auf ihre
-niedliche Zunge drängen wollten.
-
-Sie wünschte sich das Schönste, das sie sich je hatte ersinnen können:
-Schnee. -- Sie wünschte sich Schnee. -- Sie wünschte, daß zu ihrem
-Geburtstage Schnee fiele.
-
-Die Fee runzelte die Stirn, aber da sie sich keine Blöße geben wollte,
-sprach sie: «Es wird geschehen; was du wünschest. An deinem Wiegenfeste
-soll es schneen.»
-
-Und verschwand, nicht ohne einen merklich holden Duft zu hinterlassen.
-
-Klein-Peterle hüpfte nicht und tanzte nicht vor Freuden, sondern träumte
-weiter in sich hinein -- wenn auch in einer mäßig aufgeregten Erwartung und
-Neugier. Sie träumte dem Geburtstage entgegen.
-
-Die Fee setzte schleunigst alle Hebel in Bewegung; denn es war kein
-Kleines, des Peterles Wunsch zu erfüllen und Schnee fallen zu lassen.
-
-Es sei eine kurze Unterbrechung verstattet: _wann_ beginnt ein Geburtstag?
-
-Zweifellos in der Sekunde, womit der Geburtstag selbst anhebt, mithin nach
-Ablauf der zwölften Stunde des Vortages.
-
-Es hätte demzufolge unmittelbar auf den zwölften, mitternächtigen
-Glockenschlag desselben Tages, an dem die Fee bei Peterle vorsprach, zu
-schneen einsetzen müssen. Indes sind Feen und Kinder nicht so spitzfindig
-wie die Herren Juristen, die gewißlich zunächst untersucht haben würden, ob
-die Äußerung des Wunsches jenes Kindes namens Peterle (unvorbestraft,
-besondere Merkmale: prätentiöse Schnecken) die Bedingung in sich
-geschlossen habe, daß es den _geschlagenen Geburtstag_ oder nur _überhaupt_
-am Geburtstage schneen solle usw., -- und daher zerbrach sich die Fee ihren
-anmutig geformten Kopf nicht über Dinge, die das Kopfzerbrechen nicht
-verlohnen, sintemal ihr aus der eigenen Jugend wohl bewußt war, daß für
-jegliches Kind der Geburtstag dann anfängt, wenn es erwacht und sich der
-Tatsache, daß heut' Geburtstag ist, bewußt wird.
-
-Peterle erwachte erst gegen neun Uhr.
-
-Ihr erster Blick fiel durch das Fenster auf die Straße hinaus.
-
-Peterle jubilierte: Schnee!
-
-Es schneete wirklich! Und zwar in glitzrigen, silbrigen Flöckchen, in
-zierlichen.
-
-Peterle freute sich unbändig. Nicht, weil es schneete; auch nicht, weil die
-Fee den Wunsch erfüllt hatte, sondern, weil sie -- Peterle -- den Schnee
-(indirekt) _selbst_ «gemacht» hatte.
-
-Es war _ihr_ Schnee, der da draußen fiel.
-
-Sie ließ zu ihrem Geburtstage Schnee fallen.
-
-Schnee -- zu ihrem Geburtstage!
-
-Ihr meint, das sei nichts Besonderes?
-
-Oho, da muß ich sehr bitten: das ist etwas ganz besonders Besonderes!
-
-Peterle ist nämlich am elften Juni zur Welt gekommen.
-
-Nun stellt Euch vor: an einem elften Juni schneete es!
-
-War das nicht Grund genug für Peterle, sich des Schnees zu freuen und den
-ganzen Geburtstag am Fenster zu kauern und in den Schnee zu gucken?
-
-Ich denke doch.
-
-Peterle saß denn auch am elften Juni unerschütterlich am Fenster und war
-glücklich über den vielen, vielen Schnee, der da vom Himmel
-heruntergeschüttet wurde.
-
--- --
-
-Es ist nichts mehr von Peterle zu erzählen. Sie hat ihren Schnee gehabt und
-weiter geträumt, bis sie zur Schule mußte. Und der Rohrstock des Lehrers
-erwies sich -- bezüglich der Träumereien -- als ein besserer Pädagog als
-die verhätschelnde Liebe der Eltern.
-
-Es wäre vielleicht dem oder jenem Leser angenehm gewesen, wenn sich
-herausgestellt hätte, daß Klein-Peterle Fieber gehabt hätte und an ihrem
-Geburtstage (nach Erledigung der «Schnee-Vision») ein Englein geworden sei.
-Sozusagen: der «tragische» Tod eines Kindes.
-
-Oh nein! Peterle hat kein Fieber gehabt -- und der Schnee war wirklicher,
-_echter_ Schnee.
-
-Meine Eltern wohnten damals in derselben Straße wie Peterles Eltern, und
-ich bin Zeuge -- ich erinnere mich noch deutlich --, daß es im Jahre 18
-. ., am elften Juni den lieben, langen Tag über ununterbrochen geschneet
-hat. Allerdings nur in _unserer_ Straße und sonst nirgends. Das war damals
-ein allgemeines Verwundern und Kopfschütteln in Klotzsche -- in Klotzsche
-hat sich der Schneefall begeben! --, und meine Eltern und wir alle haben
-nichts damit anzufangen gewußt, bis mir vierzehn Jahre später Peterle
-selbst von ihrem Geburtstagswunsche und der Fee berichtet hat.
-
-Peterle ist nämlich meine Frau geworden. Aber eine Fee ist ihr nicht wieder
-erschienen. Ich glaube, daran bin _ich_ schuld.
-
-
-
-
-IM FLÜSTERTONE
-
-
-Abziehbilderbogen
-
-
-(1)
-
-EIN Huhn steht auf dem Hofe und sieht aus, als habe es die Hände in den
-Hosentaschen.
-
-Es blickt mich hühnisch an -- mich, der ich schreibe, daß es aussieht, als
-habe es die Hände in den Hosentaschen.
-
-Es weiß nicht, daß ich schreibe, es sähe aus, als habe es die Hände in den
-Hosentaschen.
-
-Belassen wir es in seiner Nichtwissenheit!
-
-
-(2)
-
-Ein junger Mann, der zu den kühnsten Hoffnungen berechtigt, liegt im Bett
-und streckt die Füße über den Bettgiebel hinaus.
-
-Er hat zweierlei Strümpfe an.
-
-Einen schwarzen und einen grauen.
-
-Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
-
-
-(3)
-
-Ein Auto pfeilt durchs Dorf und zermalmt einen Mistkäfer, den die Sehnsucht
-nach Erlebnissen in die weite Welt getrieben hatte.
-
-Ist es, frage ich, ist es nicht töricht, wenn Ernst Zwibinsky der Ältere
-erklärt, um den Mistkäfer sei es nicht schade, und er hätte ja doch früher
-oder später ein Ende gefunden?
-
-Wie wenig hat jener Zwibinsky den Sinn des Lebens erfaßt!
-
-Laßt uns ihn gemeinsam verachten!!
-
-
-(4)
-
-Johanna Würmchen, sechsundvierzig Jahre alt und äußerst unbescholten,
-erhebt sich Punkt zwölf Uhr mitternachts, um den Sonnenaufgang nicht zu
-verpassen.
-
-Der Kalender steht auf Dezember.
-
-Hätte sich Johanna um sieben Uhr erhoben, wäre vollauf Zeit gewesen, zum
-Sonnenaufgang zurecht zu kommen.
-
-Ich bitte um ihre Adresse, Wiederholungen obiger Unangebrachtheit vermeiden
-zu helfen.
-
-
-(5)
-
-Der europäischen Kultur und ihrer Begleiterscheinungen über und
-überdrüssig, dampfte Pippin, Edler von Krachgehirn, gen Hinterafrika, um
-sich zu barbarisieren.
-
-In Vitzpatuchpoma betrat er Land und drang urwaldeinwärts.
-
-Nach drei Nachtmärschen erreichte er eine primitive Hütte, woselbst er sich
-niederließ und mit Wohlgefühl schwängerte.
-
-Da erklang aus der Hütte ein Grammophon: «Puppchen, du bist . . .»
-
-. . . von Jean Gilbert, obwohl er bloß Max Winterfeld heißt und im
-Automobil komponiert.
-
-Pippin, Edler von Krachgehirn, zögerte keine Sekunde, sich von der
-allergiftigsten Schlange bebeißen zu lassen.
-
-
-(6)
-
-Hinaus mit den Fremdwörtern!
-
-Das war die Losung und nicht die Parole.
-
-Endlich waren sie alle hinaus.
-
-Draußen ist es kalt.
-
-Die Fremdsprachen weigern sich, die Überläufer mit den fremden Gesichtern
-aufzunehmen.
-
-Nun stehen sie herum, die Ausgetriebenen, nicht Fisch, nicht Fleisch,
-zwiefältig mißhandelt, -- und verhungern.
-
-Atze sie, deutscher Sprachverein, und laß den Frierenden wollene Strümpfe
-stricken!
-
-
-(7)
-
-Hier liegt die Tafel Schokolade.
-
-Dort sitzt der Mensch und hat einen schmerzenden, hohlen Zahn. --
-
-Darüber nicht zu lachen, ist der erste Schritt ins Christentum.
-
-
-(8)
-
-Der Laubfrosch Nepopomuk war ein gar sensibel besaitet Gemüt, hatte aber
-seinen Dickkopf für sich.
-
-Kauerte, sofern Regen zu gewärtigen stand, auf der obersten Leitersprosse
-und blusterte sich in der grasigen Niederung seines Glashauses prophetisch
-auf, wenn sonnige Tage im Anzug waren.
-
-Glaubt ihr, er habe damit die Dispositionen des großen Unbekannten, der
-jenseits der Wolken thront, über den Haufen geworfen?
-
-Glaubt ihr das?
-
-Meiner Treu, Der über den Wolken hat Wichtigeres zu tun, als Obacht zu
-geben auf kleine Nepopomuks.
-
-Die Sonne scheint, und der Regen fällt -- ohne das Hinzutun irgendwessen.
-
-
-(9)
-
-Drehorganist Schrimpf, der mit Onkel Rübezahl auf du und du steht, mußte
-vom Gebirge ins Tal hinunter, geriet in eine Herberge und erblickte in
-dieser einen pompösen, wandverzierenden Buntdruck, der keinen Geringeren
-als Hindenburg darstellte.
-
-In Politicis und auch sonst mangelhaft beschlagen, erkundigte sich
-Schrimpf, wer das sei.
-
-In Dalldorf interniert wurde der Herr Drehorganist.
-
-
-(10)
-
-Dem Konstantin Funkelpunze kleckte es, eine zur Ehe hitzig entschlossene
-Maid aufzugabeln und daraus die Konsequenzen zu ziehen.
-
-Die Ehe, die sich in welcher Hinsicht auch immer glücklich anließ, fiel
-buchstäblich ins Wasser, als der Dampfer, welcher den hochzeitsreisenden
-Funkelpunze benebst Gattin an Bord trug, havarierte und mit Mann, Maus,
-Kind und Kegel untersank.
-
-Ein freundlicher Amerikafahrer fischte die junge, verheißungsvolle Ehe aus
-den Fluten und schickte sie mir per Flaschenpost.
-
-Ich offeriere: Ehe, so gut wie ungebraucht, preiswert zu verkaufen.
-
-
-(11)
-
-Ein Schutzmann steht auf dem Altmarkte und teilt Gebärden aus.
-
-Die Welt leert sich, der Schutzmann jedoch wankt und weicht nicht von
-seinem Posten.
-
-Er berechtigt, wenn nicht alles trügt, zu der Frage, wozu er da ist.
-
-Wozu, wozu, wozu ist der Schutzmann da?
-
-Was ist überhaupt ein Schutzmann??
-
-Ein Schutzmann, lieben Leute, ist dazu da, daß er da ist. Punktum.
-
-
-
-
-DIE LORELEI
-
-
-(Ein wirklich schönes Lied für den Loreleierkasten)
-
- ICH weiß nicht, was es bedeuten soll,
- Daß ich so geknickt bin.
- Ein Märchen aus uralten Tagen,
- Das geht mir wie ein Mühlrad im Kopf herum.
-
- Den Fischer in seinem kleinen Kahne
- Ergreift ein ganz wildes Weh;
- Er sieht die Felsenriffe nicht,
- Weil er zur Lorelei hinaufschauen muß.
-
- Ich glaube, die Wellen verschlingen
- Den Schiffer mitsamt seinem Kahne.
- Und das hat mit ihrem Gesange
- Selbstverständlich die Lorelei bewerkstelligt.
-
-
-
-
-OHNE ÜBERSCHRIFT
-
-
-ALLES das, was der Berliner hundsgemeinhin «Natua» benennt -- o du
-bildschönes Wort! --, alles das machte Frühling.
-
-Von dieser Veranstaltung sich auszuschließen brachte nicht übers eiweiche
-Herz der Skribifax H. R.
-
-Er streifte die Krachledernen über, hängte eine sinnige Ader ein, vergaß
-des Bleistifts nicht, nicht des Papieres und kehrte seinen vier trockenen
-Pfählen den gerundeten Rücken.
-
-In einem Forste angelangt, der den ausschweifenden Titel «Das Rosental»
-führt, sog er den würzigen Knofelduft ein, kurbelte sein Hirn an, drückte
-auf die Ader und brachte zu Papier folgende
-
-
-_Abhandlung_:
-
- A I Der Sachse sagt _nicht_: Dies dürfte der Fall _sein_.
- Der Sachse sagt: 's werd schon meejlich _sinn_.
- II Der Sachse sagt _nicht_: Ich werde um 8 Uhr zuhause _sein_.
- Der Sachse sagt: Um achte rum weer j heeme _sinn_.
- B I Der Sachse sagt _nicht_: Sobald wir angelangt _sind_.
- Der Sachse sagt: Wemmr da _sinn_.
- II Der Sachse sagt _nicht_: Die Eier _sind_ teuer.
- Der Sachse sagt: De Eier _sinn_ deier.
-
-Wenn Sachsen -- echte Sachsen, ächte Sachsen, Kaffee-Sachsen,
-Gaffee-Sachsen, Kümmel-Sachsen -- gebildet scheinen wollen und sich einer
-schriftdeutschen, reinen Aussprache befleißen, so scheitern sie gern an dem
-knifflichen «_Sinn_».
-
-Dem Sachsen gelingen die gebüldeten Sätze:
-
-«Die Eier _sein_ deuer.»
-
-«Wenn mir angegomm _sein_.»
-
-Während der Berliner sich zu den Sätzen versteigen kann:
-
-«Das dürfte der Fall _sind_.»
-
-«Kann schon möglich _sind_.»
-
-Ich persönlich möchte ebensowenig Sachse sind wie Berliner. Beide sein
-schlechter dran als der Süddeutsche, dem das neutrale _san_ zu Gebote
-steht. --
-
-Bei dieser Gelegenheit will ich nicht verfehlen, eines Vorfalls zu
-gedenken, der sich in einem Leipziger Buchladen zugetragen hat:
-
-Eine Dame sächsischster Observanz tritt ein und verlangt pfeilgrad das neue
-Buch von Franz Würfel.
-
-Sie hat Franz Werfel schriftdeutsch aussprechen wollen.
-
-Nachdem H. R. diese Abhandlung niedergeschrieben hatte, sprach er
-vernehmlich in die linde Frühlingsluft hinein (oder hinaus?):
-
-«Ich lasse mich kreuzweise vierteilen, wenn Kurt Wolff sich dazu hergibt,
-diesen Bockmist drucken zu lassen.»
-
-
-_Nachwort 1_:
-
-Der Bockmist ist gedruckt worden.
-
-Ihr habt ihn soeben gelesen.
-
-
-_Nachwort 2_:
-
-Es steht zu erwarten, daß H. R. als ein Mann von Wort sein Wort hält und
-sich vierteilen läßt.
-
-
-_Nachwort 3_.
-
-Man atme auf.
-
-
-
-
-GESTERN NOCH AUF STOLZEN ROSSEN . . . .
-
-
-JA also, ich weiß nicht, ach was, ich erzähl's. Theo von Quarre liegt seit
-dritthalb Stunden im Bette und kann nicht einschlafen, Deubel nich noch
-mal.
-
-(Ich habe das Gefühl, als ob ich die Geschichte besser in den Papierkorb
-schleuderte. Erstens ist sie langstielig, und zweitens hat sie keinen
-Schluß. Was meinen _Sie_ zu dem Vorfalle?)
-
-Theo steht auf (und denkt: «Wenn mich der Herr Verfasser man bloß noch eine
-Viertelstunde hätte liegen lassen, wäre ich todsicher eingeschlafen. Es ist
-scheußlich, über sich verfügen lassen zu müssen. Na, mir kann's ja Gottlieb
-Schulze sein, was der Verfasser mit mir vor hat») und zieht Reitdreß an.
-Erfahrungsgemäß macht ihn der à tempo schlapp.
-
-Die Reitstiefel pumpern durch die nächtlichen Räume, ohne auf Quarre anders
-als belebend zu wirken.
-
-(Hier mache ich einen Punkt. Ein Zaudern erfaßt mich. Soll ich fortfahren?)
-
-Quarre kommt sich vor wie ein pikfrischer Maimorgen.
-
-Stunden vergehen (und ich täte vielleicht besser, mir die störenden
-Zwischenbemerkungen zu verkneifen), und Theo von Quarre zieht schließlich
-Galoschen über die Reitstiefel (du meine Güte, soll das etwa «humoristisch»
-sein? Ich lache!) und müht sich keuchend, das widerspenstige Ich in
-aberhundert Kniebeugen schlaff zu machen.
-
-Der Körper will nicht, gut, so soll der Geist.
-
-Theo öffnet den Bücherschrank und greift sich Felix Dahns unverwüstlichen
-«Kampf um Rom». Darin tummeln sich so viele Eigennamen, daß der Geist,
-breitgequetscht, in wirrer Konfusion entfleucht.
-
-(Sinnlose Gehässigkeit!) (Das schöne Buch!) (Dämliche Unterbrechungen.)
-(Halt's Maul!!) (Bitte fahren Sie fort:)
-
-Aber auch die Lektüre verfängt nicht.
-
-Theo schmeißt -- der Morgen, grau wie alle Theorie (wieso?), graut grau in
-grau herauf -- den «Kampf um Rom», komplett gebunden zum Vorzugspreise von
-318 M., ein Barthaar eines echten Germanen gratis als Beigabe, _sehr_
-geeignet zu Geschenkzwecken, sollte auf keinem Büchertisch fehlen, hinter
-den Bücherschrank und spricht: «Wenn das bloß der Verleger nicht erfährt!»
-(Plumpe Verdrehung; denn der Verfasser vorliegender Geschichte ist es, der
-dies denkt!) (Weiter im Texte:)
-
-Durch das Geräusch schrecklings aufgemuntert (und ohnehin sowohl wie
-sowieso) erhebt sich Hermann aus den Federn, der treue Diener des Herrn von
-Quarre. (Trauriger Mangel an Phantasie! Warum muß der Diener «Hermann»
-heißen? Archibald ist bedeutend ansprechender!!) Er (Hermann) sieht
-bekümmert nach dem Rechten und findet seinen Gebieterich in wabernder
-Verzweiflung. (Ich würde, was mich anlangt, ein anderes Beiwort wählen als
-wabernd. Mich bedünkt es, als gäbe der Herr Verfasser sich wenig Mühe. Er
-wird mit einer Stunde Nachsitzen bestraft werden.)
-
-Theo will schlafen und kann nicht. Und kann nicht!
-
-Sich bezechen, rät Hermann. Alkohol macht bleiernen Kopf.
-
-Gut: Alkohol!
-
-Theo gießt sich voll mit schweren Weinen, trockenen Sekten, süßen Schnäpsen
-und fühlt es, wie die Müdigkeit mit stumpfer Pranke ihm . . . (Ich hätte
-den Diener übrigens _doch_ Archibald nennen sollen!) (Der Satz bleibt ein
-Fragment.)
-
-Kurzum: der Alkohol tut seine Wirkung. Theo stürzt in den ledernen Schlund
-eines Klubsessels und verlangt, zu rauchen. (Hier will ich mir die Klammer
-einmal verkneifen.)
-
-Hermann trägt Zigarren herbei. (Wie finden Sie «Archibald»? Ist «Archibald»
-nicht primafeinfein gegen «Hermann»?)
-
-Theo steckt sich eine Pappspitze in das markante Gesicht und zündet sie
-unter schwerer Mühe an.
-
-Pfui Geier!
-
-Aha, es ist keine Zigarre drin.
-
-Soso. Theo zwängt einen importierten Zigarro in die Spitze und zündet eben
-diesen an.
-
-Er brennt nicht. Er kann nicht brennen. Die Spitze ist nicht abgeschnitten.
-
-Theo erkennt dies (Gottlob, der Autor vergißt, Klammern zu machen!) und
-schwappt zunächst «immer mal wieder» ein Glas hinter die Binde und fährt
-sodann fort, rauchen zu wollen. Er knipst die _Spitze_ ab (ja, hat denn die
-deutsche Sprache nur ein einziges Wort für Zigarrenspitze und
-Zigarrenspitze?) und bohrt die Zigarre in die _Spitze_ (also in die
-Pappspitze!). Hermann (immer noch Hermann? Ich denke, der Hermann ist
-längst geändert in Archibald!) reicht das Streichholz dar, und Theo _zieht_
--- ah -- famos -- hupp! -- fui Deibel! . . .
-
-(Dies Fui Deibel wird ewig ungeklärt bleiben, da Theo über dem Fui Deibel
-einschlief. Ach so, das gehört ja gar nicht in die Klammer!)
-
-Der Schlaf knebelt den Theo von Quarre beim Rauchenwollen, die
-Zigarrenspitze einschließlich der Zigarre (ohne Spitze) entschlüpft dem
-müden Munde . . . Theo schnarcht.
-
-(Ei verfault. Jetzt sitz' ich in der Patsche! Wenn ich nämlich den Herrn
-von Quarre schon schlafen lasse, hat sich die ganze Geschichte erledigt,
-und ich kann einpacken. Ich muß ihn wohl oder übel wieder aufwecken, so
-unmotiviert dies auch ist. Du liebe Zeit, was ist im Leben nicht alles
-unmotiviert! Motivieren tun nur die modernen Schriftsteller. Das Leben hat
-solche Mätzchen nicht nötig. Ich fahre fort:)
-
-Theo schrickt auf.
-
-Die brennende Zigarre ist ihm auf die Hand geglitten und hat ihm ein
-Brandmal zugefügt. (Dann hätte er dies jedoch, bitte sehr, augenblicklich
-wahrnehmen müssen! Hier stimmt etwas nicht. Wollen wir darüber hinwegsehen,
-damit der Verfasser zu einem Ende kommt.)
-
-(Übrigens finde ich das Ganze schwülstig erzählt.)
-
-(Hier tritt eine große Unterbrechung ein. Der Autor muß unbedingt einen
-drängenden Brief beantworten. Sie gedulden sich bitte einstweilen!) -- --
---
-
-(Der Brief ist geschrieben. Der Verfasser hat sich in der Zwischenzeit die
-Hände gewaschen und frisches Wasser auf seine Mühle gefüllt. Es geht
-weiter:)
-
-«Ja, ist denn die vertrackte Geschichte noch nicht zu Ende?» fragt Theo und
-langt eine zweite Importe aus der Kiste.
-
-(So etwas Mähriges! Wo ist der Telegrammstil?)
-
-(Der Telegrammstil: «Hier!»)
-
-(Der Verfasser: «Komm, hilf!»)
-
-Importe No. 2, beschnitten, in Hülse gesteckt. Hülse greift nicht. Schon
-Zigarre drin. Schweinerei! Hülse in Ofen, Zigarre ohne Hülse in Mund.
-Verkehrt herum angebrannt. Verflucht! Dritte Importe . . . .
-
-(Meine Herren, so geht das auf keinen Fall weiter. Die Sache ist völlig
-unverständlich. Telegrammstil, schieb ab!)
-
-Ich werde die Geschichte ganz einfach mit einem schönen Titel versehen und
-als eine Jugendleistung ausgeben. Ich werde behaupten, sie sei geschrieben
-worden, als ich noch aufs Gymnasium ging. Da wird man erstens Nachsicht
-üben, zweitens gedoppeltes Interesse bekunden, und drittens wird man sich
-freuen, zu erfahren, daß p. p. Verfasser ein gebildeter Mensch ist, indem
-daß er ein Gymnasium besucht hat.
-
-Ach, ihr lieben Leute, ich sage euch ehrlich: ich wäre lieber Schneider
-geworden oder Tischlermeister oder Pianofortebauer. Beim Himmel, jedes
-Handwerk würde mir willkommen sein, jede Profession. _So_ hat man nichts
-als sein bissel Bildung, das zu nichts nutze ist, es sei denn dazu, daß man
-auf sie schimpft.
-
-Um auf den unvermeidlichen Theo zurückzukommen, so sei leichthin bemerkt,
-daß er, um definitiv einschlafen zu können, hundertsiebenunddreißig
-Schlafpulver zu sich nahm.
-
-Daraufhin schlief er sechzehn Tage.
-
-Hermann rasierte ihn allmorgens, ohne daß Quarre dadurch wäre gestört
-worden.
-
-Und, um den guten Archibald (Sie wissen, wen ich meine!) nicht aus dem
-Spiele zu lassen, so sei gesagt, daß er als treubesorgter Diener seines
-Herrn und in der Furcht, es könne diesem (seinem Herrn) etwas Böses
-zustoßen (denn der lange Schlaf war in der Tat beängstigend!), kein Auge
-zutat -- nicht bei Tage, nicht bei Nacht.
-
-Nach den abgeschlafenen sechzehn Tagen schlief Theo von Quarre ohne Pause
-weiter, so müde war er durch das übermäßige Schlafen geworden.
-
-Theo schlief ununterbrochen.
-
-Hermann wachte ununterbrochen.
-
-Und darin hat sich bis auf den heutigen Tag nichts geändert.
-
-Theo schläft.
-
-Und Hermann wacht über den Schlafenden.
-
-Dies -- prophezeie ich -- wird nicht eher anders werden (Hermann wird nicht
-eher schlafen können, als bis sein Herr aufgewacht ist, und Theo wird nicht
-aufwachen, ehebevor ich ihn nicht geweckt habe -- und ich werde mich hüten,
-dies zu tun -- was sollte ich auch mit dem wachen Theo und dem schlafenden
-Hermann beginnen?) jetzt ist es außergewöhnlich knifflig, den begonnenen
-Satz grammatikalisch richtig zu Ende zu führen, ach was, ich falle einfach
-aus der Konstruktion, der Theodor Körner hat's ja auch des öfteren getan,
-sehen Sie, ich bin doch ein gebildeter Mensch; ich meine nämlich den
-«Zriny», den haben wir auf dem Gymnasium gelesen, ich mußte das «Volk»
-machen, das gab den größten Spaß -- mit anderen Worten (wieso mit
-anderen?): Hermann wacht so lange und Theo von Quarre schläft so lange, bis
-mir eingefallen ist, wie ich die Geschichte schließen kann. Voraussichtlich
-wird mir nichts einfallen; denn just dies ist mein Einfall, daß die
-Geschichte ohne Einfall (auch e Einfall!) endet.
-
-(Ich hätte doch «Archibald» schreiben sollen statt «Hermann»!)
-
-
-
-
-VON DEN NAMEN
-
-
-DER ewige Ahasver stiert in die offene Welt und überläßt sich seinen
-Gedanken. Tausend Menschen schwimmen an ihm vorüber und achten seiner
-nicht. Aber Ahasver achtet ihrer und rührt nackte Herzen an. Etwelche sind
-gut, die meisten schlecht und faulig. Die Herzen leben und zucken und
-machen, daß die dazugehörigen Menschen leben und zucken. Ahasver denkt: Ihr
-bildet euch ein, zu leben, weil eure Herzen leben. Ihr bildet euch ein,
-Menschen zu sein. Aber ihr seid lediglich durch Zufall als Menschen lebig.
-Ihr könntet gewißlich ebensogut Nähmaschinen sein oder Wäscheklammern. So
-wahr mir Gott helfe, du eignest dich, mein Freund, vorzüglich zur
-Gießkanne. Warum bist du Mensch? Du weißt es nicht. Du steckst in deiner
-Haut und nimmst dich auf die leichte Achsel. Du mimst einen Menschen.
-_Bist_ du einer? Du bist eine ausgefüllte Haut und gleichst allen andern,
-obwohl du Lehmann heißt und ein Lehmann bist. Weißt du, warum du Lehmann
-heißt? Weil dein Herz ein Lehmann ist, ein ganz ordinärer Lehmann. Deine
-Haut steht dir gut, sie ist blaß wie dein Herz. Du paßt in die Familie. Ihr
-gleicht euch wie ein Lehmann dem andern, wenn ihr auch nicht allesamt
-Lehmann heißt. Ich weiß es: Ihr heißt bloß teilweise Lehmann. Ein großer
-Prozentsatz eurer Häute läßt sich durch den Namen Ziergiebel tragen. Und
-die mit Ziergiebels verwandten Häute heißen geradezu Matterstock,
-Knebelsdorff und Hammer. Aber das Seltsamliche ist, daß die
-Matterstockischen auf den ersten Hieb in Matterstocks, Kirstes,
-Freudenbergs und Föllners zerfallen. Auch Rippers gehören zu deiner Sippe.
-Und die Freudenbergs sind verwurzelt in sogenannten Schröders, der Teufel
-mag wissen, wieso. Der eine Schröder ist ein berühmter Dichter und hat sich
-wohlweislich durch ein Pseudonym unkenntlich gemacht. Bruderherz,
-Bruderhaut: Bist du dessen eingedenk, daß es um dich herum lebt und heißt?
-Und daß ihr alle, die um dich und die mit dir und die neben dir, daß ihr
-alle verknäuelt seid ineinander? Und verenkelt und verschwippschwägert und
-verfilzt, ihr wißt nicht, wie? Und daß es Menschen gibt, die -- beim Himmel
--- akkurat so heißen wie du und dennoch ganz anders aussehen und sind? Es
-gibt Menschen, Herr Bruder, die heißen wie du, und du schreitest achtlos an
-ihnen vorüber und schaust ihnen lauwarm in die Augen. Du gehst auf der
-Straße, fährst auf der Stadtbahn, betrittst einen Konzertsaal, und die
-Menschen um dich herum heißen Gelbstein, Mosler, Trautscholdt,
-Berlit-Boosen, van Delten, Kenne, Heinz, Kumpanini -- -- und du verspürst
-es nicht! Willst du es nicht verspüren, Herr Mensch? Und alle diese
-Menschen _sind_ etwas, stellen etwas vor, üben etwas aus, betreiben ein
-Handwerk, ein Gewerbe, eine Tätigkeit, rackern sich ab, faulenzen, trinken
-Tee, gehen spazieren, sind kränklich -- -- und du wandelst an ihnen
-vorüber, ohne dessen eingedenk zu sein, daß sie aus dem nämlichen Holze
-geschnitzt sind wie du, Freund Mensch. Und was sind sie von Beruf?
-Schneidermeister und Balbiere und Photographen und Cellovirtuosen! Manche
-sind sogar Kaufleute. Ich kenne einen, der ist Kolonialwarenhändler. Der
-kauft en gros Waren ein und verkauft sie en detail. En gros kriegt er sie
-billiger, als wenn er sie en detail einkaufte. Verstehst du das? Auf der
-Berechnung, daß en detail kaufende Mitmenschen -- die Nächsten -- teurer
-bezahlen müssen, als er im Einkauf bezahlt hat, beruht seine Existenz.
-Seine Gattin heißt Rosamunde und kriegt jeden Monat einen neuen Hut. Ich
-werde auch Kaufmann werden. Das ist ein probates Mittel, Geld zu verdienen,
-und um Geld zu verdienen, ist man auf der Welt, nicht wahr, Herr homo
-sapiens? Es gibt aber auch Bonbonkocher und Seifensieder und Gußputzer und
-Salon-Feuerwerker und Geheimpolizisten und Papierzähler. Von weiblichen
-Berufen zu geschweigen. Ich kenne einen Papierzähler, das ist ein
-vernunftbegabtes Lebewesen mit Namen Kutzschebauch, und dieses Lebewesen
-steht seit seinem siebzehnten Lebensjahre tagaus, tagein im Donnergepolter
-der Maschinen und zählt Papier ab. Sechsunddreißig Jahre ist er alt. Er
-zählt täglich hunderttausend Bogen Papier. Er darf sich nicht verzählen. Er
-verzählt sich auch nie. Er hat keine Zeit dazu. Wenn er bei neunzigtausend
-ist und glaubt, sich verzählt zu haben, kann er nicht wiederum bei eins
-anfangen. Es ist unmöglich. Wenn es der Himmel fügt, erreicht das
-vernunftbegabte, papierzählende Lebewesen ein biblisches Alter. Sein Leben
-ist mehr als Mühe und Arbeit gewesen; es ist Stumpfsinn gewesen. Aber ein
-Leben ist es gewesen. Gelebt von jenem einzigen Kutzschebauch, der
-ausgerechnet Kutzschebauch heißt, Solltest du zufällig gleicherweise
-Kutzschebauch heißen, so zürne mir nicht. Ich will dir meinerseits gewiß
-nicht zürnen, ich verspreche es dir. Ich bin einsichtig genug anzuerkennen,
-daß es Kutzschebäuche geben muß. Aber ich habe nur dies eine Mal Nachsicht.
-Sei lieb und heiße das nächste Mal besser. Es gibt so viele schöne Namen!
-Gschwindbichler und Hühnerschlund, Fleischpinsel und Bettbetreff! Oder sind
-dir das keine schönen Namen? Felix Kutzschebauch, was sagst du zu dem Namen
-Telofonsky? Und zu Umschlauch? Ach, Felix Kutzschebauch, du hast das Gefühl
-dafür verloren! Ich will dich nicht befragen. Du heißest Kutzschebauch, als
-müßte dies so sein. Aber es muß nicht so sein, man kann der
-Kutzschebäuchigkeit oder, wenn du willst, der Kutzschebeleibtheit aus dem
-Wege gehen: Man kann sich umbringen. Ein vertrackter Name, ist das kein
-Selbstmordmotiv? Du lächelst, denn du bist arg weit entfernt, deinen Namen
-umzubringen. Im Gegenteil: Du stehst im Begriffe zu heiraten. Viele kleine
-Kutzschebäuche sehe ich die unschuldige Welt bewimmeln. Sie werden
-dermaleinst Papier zählen. Und deine Braut -- eine geborene Nolke -- gibt
-freudigen Herzens ihren Namen auf, um Kutzschebauch zu werden. Sie heißet
-Olga. Sie will gerufen werden. O Olga! Du siehst einer Olga verblüffend
-ähnlich. Dein Name steht dir gut, dein Name kleidet dich. O Olga Nolke,
-warte nur, balde hat es sich ausgenolkt, und du darfst glücklich sein wie
-dein künftiger Gatte. Tu, Felix Kutzschebauch, nube! Und vergiß die Fritzi
-und die Gerta und die Friedel, und wie sie alle geheißen haben -- ohne
-eines Familiennamens bedurft zu haben. Die Fritzi ist die Fritzi, aber
-deine Olga ist die Olga Nolke. Kanntest du nicht dereinst eine Olga, deren
-Photographie du jüngst verbrennen mußtest, auf daß sie der Normalbraut
-nicht in die Hände falle? Hast du die beiden Olgas miteinander verglichen?
-Gegeneinander ins Treffen geführt? Gewägt? Und verspürst du es nicht, daß
-_beide_ -- Olga heißen müssen? Daß sie nicht anders heißen dürfen? Denn
-jegliche Frau sieht so aus, wie sie mit ihrem Rufnamen heißt. Und jeglicher
-Mann heißt so, daß man -- sobald man weiß: er heißt _so_ -- überzeugt ist:
-er heißt mit Fug und Recht _so_. Jeglicher heißt richtig. Wir alle heißen,
-wie wir müssen. Ich kann nicht Cohn heißen, ob ich gleich Ahasver bin. Und
-Theodulf Schwertnagel ist Theodulf Schwertnagel. Name ist weder Schall noch
-Rauch. Ohne daß ich ihn dir schildere, ohne daß du sein Konterfei siehst,
-weißt du, wie einer aussehen muß, der Woldemar Lohengrin heißt. Im Anfang
-war der Name. Nota bene: Eigenname. Wisse das und heiße hinfort bewußt! Und
-bist du, der du mich Ahasver denken ließest, ein belangloser Schulze oder
-ein Meier oder Müller -- dein Name hat dich! Drum lobsinge dem Schöpfer,
-daß du Schulze heißest oder Meier oder Müller. Es ist nämlich kein
-leichtes, Richard Wagner zu heißen. Als Richard Wagner _darfst_ du nicht
-Bäckermeister sein. Und als Ludwig Ganghofer _darfst_ du nicht Kassenbote
-sein. Es lebt ein Ludwig Ganghofer, der betreibt ein Friseurgeschäft.
-«Rasier, Friseur und Haarschneiden» steht über seinem Laden. Das ist recht
-trauriges Deutsch, aber der arme Mensch von diesem Friseur hat es besonders
-gut machen wollen. Es ist ein armer Mensch, das versichere ich. Wenn er
-seinen berühmten Namen, den ein anderer hat, in der Tageszeitung liest, so
-trifft ihn jedesmal ein robuster Schlaganfall. Der Name, den er hat, und
-der gar nicht sein ist, beutelt ihn und polkt ihn in Grund und Boden.
-Fühlst du es nach, Bruderherz, daß es seinen Haken hat, ein Ludwig
-Ganghofer zu heißen? Ich persönlich bedanke mich dafür und ziehe es vor,
-Ahasver zu sein.
-
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-End of the Project Gutenberg EBook of Kobolz, by Hans Reimann
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-Foundation
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-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
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-works.
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-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
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Binary files differ
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</head>
<body>
+<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44610 ***</div>
-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Kobolz, by Hans Reimann
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org
-
-
-Title: Kobolz
- Grotesken
-
-Author: Hans Reimann
-
-Release Date: January 7, 2014 [EBook #44610]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KOBOLZ ***
-
-
-
-
-Produced by Jens Sadowski
-
-
-
-
-
-</pre>
<div class="titlematter">
@@ -4786,371 +4754,7 @@ mich dafür und ziehe es vor, Ahasver zu sein.
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Kobolz, by Hans Reimann
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KOBOLZ ***
-
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-Produced by Jens Sadowski
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-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
-Foundation
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-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
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-Literary Archive Foundation
-
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-
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
-concept of a library of electronic works that could be freely shared
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+<div>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44610 ***</div>
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