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Tausend + + + + + Berlin-Grunewald + + Verlagsanstalt für Litteratur und + Kunst/Hermann Klemm + + + + + Gedruckt bei G. Kreysing in Leipzig + Einbandzeichnung entworfen von Bernhard Lorenz + Den Einband fertigte H. Fikentscher in Leipzig + + + + + ****************************** + * * + * Der * + * * + * Junker von Denow * + * * + * Historische Novelle * + * * + ****************************** + + + + + I. + + +Wer am Abend des sechsten Septembers alten Stils, am Donnerstag vor +Mariä Geburt im Jahre unsers Herrn Eintausendfünfhundertneunundneunzig, +nach Sonnenuntergang einen Blick aus der Vogelschau über die Rheinebene +von Rees bis Emmerich und weit nach Ost und West ins Land hinein hätte +werfen können, der würde eines erschrecklichen Schauspiels teilhaftig +geworden sein. + +Schwarze regendrohende Wolken verhingen das Himmelsgewölbe, und es würde +eine dunkle Nacht gewesen sein, wenn nicht der Mensch diesmal dafür +gesorgt hätte, daß es auf der weiten Fläche nicht ganz finster wurde. +Auf den Wällen von Rees leitete, an der Spitze seiner Hispanier, +Burgunder und Wallonen, Don Ramiro de Gusman die Verteidigung der Stadt +und Festung gegen das Reichsheer, welches schläfrig und matt genug der +Belagerung oblag, dafür aber auf andere Weise desto mehr Lärm machte, +wie es einer Armee des heiligen römischen Reichs deutscher Nation +zukam. Ein fahles, blitzartiges Leuchten lag hier über der Gegend, denn +wenn auch das schwere Geschütz seit Mittag schwieg, so knatterte doch +das Musketenfeuer, schwächer oder stärker, rund um die Stadt fort und +fort, und manch ein Wachtfeuer flackerte auf beiden Ufern des Flusses, +welcher manche Leiche in seinen nachtschwarzen Fluten mit sich hinab +führte in das leichenvolle Holland, wo der finstere Admiral von +Aragonien, Don Francisco de Mendoza, und der Sohn der schönen Welserin, +der bigotte Kardinal Andreas von Österreich, die Zeiten Albas +erneuerten. -- + +Wir haben es jedoch nur mit der rechten Seite des Rheines zu tun, wo +tief in das Land hinein unter den zusammengewürfelten Tausenden des +Reichsheeres, Hessen, Brandenburgern, Braunschweigern, Westfalen, der +_furor teutonicus_, die sinnlose, trunkene, deutsche Furie ausgebrochen +war und in Verwüstungen aller Art sich Luft machte. In allen Dörfern +und Lagerplätzen Sturmglocken, Trommeln und rufende Trompeten -- +Geschrei und Jammer des elenden, geplünderten, mißhandelten Landvolkes +-- bittende, drohende Befehlshaber -- flüchtende Herden, Weiber, +Kinder, Kranke, Greise -- Reitergeschwader, die sich sammelten, +Reitergeschwader, die auseinanderstoben -- brennende Häuser und +Zeltreihen, und zwischen allem die Cleveschen Milizen, die +»Hahnenfedern«, zur Wut gebracht durch die Ausschweifungen derer, +welche da Hilfe bringen sollten gegen die Ausschweifungen des fremden +Feindes! Überall Blut und Feuer und Brand -- ein unbeschreibliches, +wüstes, grauenhaftes Durcheinander, zu dessen Schilderung Menschenrede +nicht hinreicht!... + +Lange genug hatte an diesem Abend Don Ramiro, hinter seiner Brustwehr an +eine zerschossene Lafette gelehnt, hinübergeschaut nach den Laufgräben +und Angriffswerken der tollgewordenen Belagerer; jetzt stieg er langsam +herab von seinem Lugaus, und begleitet von zwei Fackelträgern und +mehreren seiner Unterbefehlshaber schritt er durch die Gassen von Rees, +dessen zitternde Bewohner jedes Fenster hatten erhellen müssen, und +dessen Straßen dumpf dröhnten unter den Schritten der gegen die +östlichen Ausfallspforten heranmarschierenden Besatzung. + +»Francisco Orticio!« sagte der spanische Kommandant, und im nächsten +Augenblick stand der Geforderte vor ihm. + +»Alles bereit?« fragte Don Ramiro wieder. + +Der gerüstete Führer senkte stumm den Degen und wies mit der Linken auf +die Haufen der Krieger, welche jetzt alle an den ihnen bestimmten +Plätzen dicht gedrängt, regungslos standen. Des Spaniers Auge flog mit +düsterer Befriedigung über all diese im Glanz der Fackeln blitzenden +Harnische, Sturmhauben, Piken und Schwerter -- er nickte. »Sie würden +sich da draußen untereinander selbst fressen, gleich den hungrigen +Wölfen,« sagte er, »aber wir wollen zur Ehre Gottes und der heiligen +Jungfrau« -- hier lüftete er den Hut, und alle Umstehenden taten +das Gleiche -- »unsern Teil an dem Verdienst haben, die Ketzer zu +vertilgen! Erinnert Euch, Orticio, mit dem Schlage Elf beginnt das Feuer +wiederum -- mit dem Schlage Elf hinaus auf sie! Spanien und die +Jungfrau! die Losung.« + +»An eure Plätze, ihr Herren!« erschallte das Kommandowort Francisco +Orticios -- ein dumpfes Gerassel und Geklirr der sich aneinander +reibenden Harnische -- Don Ramiro de Gusman schritt langsam prüfend die +Reihen entlang; dann stieg er schweigend wieder zu dem Walle empor, nach +einem letzten Wink und Gruß für Orticio, welcher sein Wehrgehäng fester +zog. + +»Noch eine halbe Stund'! Spanien und die Jungfrau, Spanien und die +Jungfrau!« ging es dumpf durch die Reihen der harrenden Krieger. -- -- + +Unsere Geschichte beginnt! + +»So hole der Teufel die meineidigen Schufte und meuterischen Hunde!« +schrie der Hauptmann Burghard Hieronymus Rußwurmb in Verzweiflung, +im Lager der dreizehn Fähnlein gewappneter Knechte, Reisiger und +Fußsöldner, welche Herr Heinrich Julius, postulierter Bischof zu +Halberstadt, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg als Obrister des +niedersächsischen Kreises zufolge des Koblenzschen Reichsabschieds +für diesen Krieg geworben und aus aller deutschen Herren Ländern +zusammengebracht hatte. »Ist denn die Welt ganz umgekehrt? Es ist zum +Rasendwerden!... So schlage zum letzten Mal die Trommel, Hans Niekirche +-- o heiliges Wort Gottes, das ist das Jüngste Gericht!« + +Hans Niekirche aus Braunschweig, der Trommelschläger, ein blutjunger +Wicht, welcher einem Schneider seiner Geburtsstadt aus der Lehre +gelaufen war, hatte, hierhin gestoßen, dahin gezerrt, sich fast zwischen +die langen Beine seines Hauptmanns gerettet und fing nun mit zitternden +Händen von neuem an, das Kalbfell zu bearbeiten; während der Hauptmann +hin und her lief, mit beiden Händen das Haupthaar durchwühlend. Er hatte +wohl das Recht, zornig zu sein, der Wackere! Dicht hinter sich hatte er +ein geplündertes Bauernhaus, dessen Fenster und Türen eingeschlagen +waren, und auf dessen Schwelle ein junges Weib mit zerrissenen Kleidern, +in der im letzten Krampf zusammengekniffenen Hand ein Büschel roter +Haare, leblos ausgestreckt lag. An sein linkes Bein hing sich jetzt auch +noch ein arm Kindlein in seiner Todesangst, zu seiner Rechten schlug +Niekirch seine Wirbel, und rings um ihn her schrie und stampfte, fluchte +und drohete sein meuterisch Fähnlein und rasaunte durcheinander, wie ein +aufgestört Rattennest. + +»O ihr Schelme, ihr Hunde, das soll euch heimgezahlt werden!« brüllte +der Hauptmann. »Warte, Hans Diroff von Kahla, warte, Koburger, Christoph +Stern von Saalfeld, an den Galgen und aufs Rad kommt ihr; oder die +Gerechtigkeit ist krepiert auf Erden. Warte, du Schmalz von Gera, dein +Fett soll all werden, wie eine Kerze im Feuer! O Tag des Zorns, o Hunde! +Hunde!« + +»Gebt Raum, Hauptmann!« schrie ein riesenhafter Kerl, genannt Valentin +Weisser von Roseneck, dem Führer den Büchsenkolben vor die Brust +setzend. »Ihr seid die Verräter, die Schelme, Ihr und Eure saubern +Gesellen und Euer Graf von Hohenlohe, der Holländer! Wollt Ihr uns nicht +etwa über das Wasser, über den Rhein, von des Reiches Boden führen? He, +sprecht!« + +»Nicht über den Rhein! nicht über den Rhein! nicht vor Bommel! nicht vor +Bommel!« schrie es von allen Seiten, und weit über das Feld durch alle +Tausende wälzte sich dasselbe Wort. Der Hauptmann schlug den Kolben von +seiner Brust zur Seite. + +»Du wirst gehängt, wie ein Spatz, Rosenecker,« schrie er. + +»Ihr sollt es wenigstens nit erschauen!« brüllte der Schütz wieder, die +brennende Lunte über dem Haupte schwingend. Er nahm sich nicht die Mühe, +sie aufzuschrauben, das Feuerrohr lag auf der Gabel -- im nächsten +Augenblick wäre der Hauptmann ein Kind des Todes gewesen, wenn nicht +plötzlich zwischen dem Bedrohten und dem Drohenden ein Reiter im vollen +Galopp angehalten und dem wütenden Musketierer den Büchsenlauf in die +Höhe geschlagen hätte, daß der Schuß in die Luft ging. + +»Der Junker! der Junker!« schrie es auf allen Seiten. »Der Junker +zurück! sprecht, sprecht, was ist's? was sagt der Graf? Haben sie uns +verkauft an die holländischen Juden, ihnen ihre Festung Bommel zu +entsetzen?... Der Junker, der Junker! Nicht nach Bommel, nicht vor +Bommel! nicht über den Rhein! nicht über den Rhein! In die Spieße der +von Hollach!« + +»Ja, schreit nur, bis ihr berstet!« zischte blau vor Grimm der +Hauptmann durch die zusammengebissenen Zähne und ballte die Hände, daß +die Nägel tief ins Fleisch drangen. »Schreit nur -- es ist noch nicht +im Topf, darin es gekocht wird -- Christoph von Denow, sprecht zu den +Meutmachern! sagt den räudigen Hunden Eure Botschaft!« + +Der junge Reiter richtete sich hoch auf im Sattel, und alle die wilden +Gesichter im Fackelschein ringsumher wandten sich ihm zu. + +»Der wohlgeborene und edle Graf Philipp von Hohenlohe, unser gnädiger +Feldhauptmann --« + +»Nichts von dem Grafen von Hollach, dem Verräter, dem Judas!« schrien +einige. »Stille! Ruhe! Hört ihn!« riefen die andern und gewannen die +Oberhand, daß der Reiter fortfahren konnte. + +»Der Graf läßt den Fähnlein des braunschweigischen Regiments zu Roß und +zu Fuß vermelden, daß ihr Begehren und Gebaren unehrlich und treulos +sei, deutscher Nation zu Schimpf und Schande und großem Schaden +gereiche --« + +Ein allgemeines Wut- und Spottgebrüll unterbrach den Redner, der erst +nach langem Harren weiter rufen konnte. + +»Es sagt der Graf von Hohenlohe, daß er befehle, Generalmarsch zu +schlagen vor jeglichem Quartier und auszurücken in die Linien gen Rees, +auf weitern Befehl! Da kommt unser gnädigster Obrister, der Herr von +Rethen.« + +Neues Geschrei empfing den ebenfalls im vollen Rosseslauf erscheinenden +Führer, welcher den schriftlichen Befehl des Grafen mit sich führte; +aber ebenfalls vergeblich durch Bitten, Drohungen, Erinnerungen an den +Artikelbrief das Volk zur Ruhe zu bringen versuchte. Atemlos, +zornesbleich hielt er zuletzt in dem kleinen Kreise der Hauptleute und +Offiziere und der wenigen treugebliebenen Söldner. Der Junker aber +befand sich, willenlos fortgerissen, inmitten des wildesten Getümmels +der aufrührerischen Knechte, die von Mord und Blut sprachen, und +bereits ihre Spieße senkten, ihre Feuergewehre richteten auf das +Häuflein der Getreuen, welche einen Ring schlossen um die Führer und die +geretteten Feldzeichen, und sich rüsteten, ihr Leben so teuer als +möglich zu verkaufen. + +Auch das Reiterlager hatte sich in Bewegung gesetzt, von Minute +zu Minute wuchs der Tumult, und inmitten all dieser drohenden +Spieße, Schwerter und Büchsen, unter all diesen scheu gewordenen, +ausschlagenden, stampfenden Rossen und trunkenen Männern taucht jetzt +für uns eine Gestalt auf, klein und zierlich gebaut, aber trutzig und +unverzagt, im Heerlager aufgewachsen, gebräunt von Wind und Wetter, +abgehärtet in mancher bösen Sturmnacht am schwächlichen Lagerfeuer, ein +klein Hütlein, geziert mit einer Häherfeder, auf den krausen, wirren +Locken, ein Dolchmesser im Gürtel, -- bekannt bei Führern, Knechten und +Reisigen; zu Roß, zu Fuß, zu Wagen stets dem Heere zur Hand: =Anneke +Mey= von Stadtoldendorf, des braunschweigschen Regiments Marketenderin +und Schenkin! + +»Hab' ich dich auf den Fuß getreten, Anneke?« fragte ganz kleinmütig der +wilde Valentin Weisser, der eben das Feuergewehr gegen den Hauptmann +hatte losgehen lassen. »Nimm dich in acht, daß sie dich nicht +erdrücken, Engel-Anneke -- stelle dich hinter mich, du wirst gleich dein +blaues Wunder sehen.« + +»Nehmet Ihr Euch in acht, Rosenecker,« lachte das wildherzige Kind, »Ihr +spielt ein hoch Spiel diese Nacht!« + +Der Riese warf einen trotzigen, lachenden Blick über die hin und her +wogenden Massen. -- + +»Hoho, sind wir nicht unsrer genug, zu gewinnen? Nicht vor Bommel! +Ju -- ho! ho! nicht vor Bommel! nicht übern Rhein! Fort mit den +Hauptleuten, fort mit dem Grafen von Hollach!« + +In diesem Augenblick riefen wieder Hunderte von Stimmen nach dem +Junker -- dem Christoph von Denow. Da zuckte ein seltsamer Glanz über +das Gesicht des Mädchens. Es stellte sich zuerst auf die Zehen, dann +kletterte es mit katzengleicher Behendigkeit und Schnelligkeit auf einen +Schutthaufen, wo sich bereits mehrere Soldatenweiber mit ihren Kindern +und Habseligkeiten zusammengedrängt hatten und alle zugleich in den Lärm +hineinkreischten. + +»Mein Mann! mein Mann! Jesus, sie würgen sich alle! Gottes Sohn -- +Franz! Franz!« + +»Was macht der Junker? wo ist der Junker?« rief Anneke Mey, eine Hand, +welche ihr entgegengestreckt wurde, ergreifend. + +»Da! da! er spricht zu denen vom vierten Fähnlein -- da -- da -- Jesus, +sie werfen den Hauptmann Eberbach nieder, und mein Mann, Jesus, mein +Mann!« -- + +Die Augen der Armen wurden starr, mit einem Sprung war sie von der Höhe +herab und stürzte sich mitten in das Getümmel; über den am Boden +liegenden Hauptmann sank unter den Hieben und Stößen der Meutrer der +Doppelsöldner Franz Hase von Erfurt zusammen. Vergeblich hatte sich +Christoph von Denow unter die Piken und Hellebarden geworfen, mit seinem +Schwert die Spitzen niederschlagend; im vollen Lauf stürzte jetzt das +aufrührerische Kriegsvolk auf die Treugebliebenen und die Befehlshaber, +Schüsse krachten hinüber und herüber. Ihr Messer aus der Scheide reißend +trieb Anneke Mey in den Aufruhr hinein. Christoph von Denow sah sie +plötzlich an seiner Seite unter den Füßen der Kämpfenden; -- noch ein +Augenblick, und sie war verloren, noch ein Augenblick, und er hatte sie, +fast ohne zu wissen, was er tat, zu sich emporgezogen aufs Pferd; alles +drehte sich um ihn her -- »Mordio! Mordio!« brüllte es auf allen +Seiten -- -- Da -- -- urplötzlich -- -- blieben alle die zum Verbrechen +gezückten und geschwungenen Waffen, wie durch ein Zauberwort aufgehalten +in der Luft -- jeder Wut- und Angstschrei erstarrte auf den Lippen -- +Angreifer und Angegriffene standen lautlos, bewegungslos! + +Im Westen über Rees hatte sich, begleitet von einem donnerartigen +Krachen, der dunkle Nachthimmel blutig-rot gefärbt. Alle Geschütze auf +den Wällen, alle Geschütze in den Angriffslinien brüllten los; im Lager +des Reichsheeres flog ein Pulvervorrat in die Luft, dazwischen rollte, +immer stärker werdend, das kleine Gewehrfeuer. + +Mit einem Male hatte sich die Szene im aufrührerischen Lager vollständig +verändert. + +»Sturm! Sturm! Rees zu Sturm geschossen!« ging es von Mund zu Mund. +»Sturm! Sturm! Gen Rees! gen Rees!« + +Und als peitsche der Satan sie vorwärts, seiner Hölle zu, hatte sich +plötzlich diese ganze Masse von Kriegern, Führern, Weibern, Troßknechten +in Bewegung gesetzt, dem flammenden Vulkan im Westen entgegen. Gier nach +Beute, unbefriedigte Gier nach Blut trieb sie von dannen. Im wildesten +Taumel, Reiter und Fußvolk und Wagen bunt durcheinander, raste sie über +das Feld durch die Nacht. Im wildesten Taumel und Traum, das Schwert am +Faustriemen, vor sich auf dem Sattel das Mädchen aus den Weserbergen, +saß Christoph von Denow auf seinem schwarzen Roß. -- -- + +»Sturm! Sturm! Rees zu Sturm geschossen! Vivat der Graf! Vivat der Graf +von Hollach! Vorwärts! Vorwärts!« + +Ein sekundenlanges Anhalten in dieser wüsten Menschenflut war eine +Unmöglichkeit, ein Fehltritt, ein Straucheln der sichere Tod. Schon +hörte man zwischen dem Donnern und Krachen um die Stadt den Schlachtruf +der Feinde: »Spanien und die Jungfrau! Spanien und die Jungfrau!« und +lauter und näher den Ruf der angegriffenen Belagerer: »Das Reich! das +Reich! Vorwärts, das Reich!« + +Hinein in die Atmosphäre von Blut und Feuer brauste die anstürzende +Menschenmasse, und die Letzten drängten bereits die Vordersten +in die angegriffenen Laufgräben, aus denen eine andere Flut ihnen +entgegen wogte. Das waren die Hessischen, die schlecht bewaffneten, +halbverhungerten, im Regen und Rheinwasser fast ertränkten +Schanzgräber, welche dem wilden Anprall der Spanier nicht hatten +widerstehen können. + +»Spanien! Spanien! Spanien und die Jungfrau!« rief Francisco Orticio, +sich über einen Schanzkorb in die Höhe schwingend. + +»Spanien! Spanien und die Jungfrau!« wiederholten seine Krieger ihm +nachdringend. + +»Rette, Hessen! Rette!« schrien die flüchtigen Söldner des Landgrafen im +panischen Schrecken. + +»Braunschweig! Braunschweig!« brüllte es von den Höhen der Böschungen. + +»Up dei Düvels!« schrie Heinrich Weber aus Schöppenstedt, eine Fackel in +der Hand mitten unter die Hessen springend. Der flammende Brand flog im +weiten Bogen gegen die Spanier -- ein zweiter Satz -- die zu Grund, der +Bergstadt im Harz, gehämmerte Hellebarde schmetterte nieder auf eine zu +Cordova geschmiedete Sturmhaube: Diego Lua aus Toboso stürzte mit einem +»_Valga me Dios!_« tot zurück. + +»Braunschweig! Braunschweig!« brauste es dem Schöppenstedter nach, und +»Braunschweig! Braunschweig!« jubelten auch die Hessen, welche mit neuem +Mut sich wandten gegen ihre Verfolger. + +»Braunschweig! Braunschweig!« rief Christoph von Denow, dem es gelungen +war, sich von seinem Pferde zu werfen, welches sich auf der Böschung +hoch bäumte, im nächsten Augenblick aber, von einer Kugel getroffen, +zusammenbrach. Anneke Mey stand unbeschädigt auf den Füßen, doch auch +sie wurde mit hinabgerissen in die Gräben, wo sie jedoch samt Hans +Niekirche hinter einem Haufen umgestürzter Schanzkörbe den verlorenen +Atem wieder gewinnen konnte. + +Und jetzt Angriff und wütende Verteidigung, Flüche in sechs Sprachen, +Todesrufe; -- auf engstem Raum Vernichtung jeder Art! -- Alle Hauptleute +der Braunschweiger: Adebar, Maxen, Wulffen, Wobersnau, Rußwurmb, Dux, +Statz, und wie sie hießen, hatten ihre Stellen als Befehlshaber wieder +eingenommen und drängten tapfer kämpfend die Spanier zurück. Tapfer +stritten aber auch die Spanier. Sechs Geschütze hatten sie in den +hessischen Schanzen genommen und in den Rheingraben versenkt, Schritt +für Schritt wichen sie zu den flammenden Mauern und Wällen der Stadt +über die Leichen ihrer Landsleute und ihrer Feinde. Der Graf von +Hohenlohe in vollster Rüstung mit seinen Herren führte stets neue +Truppen an; Haufen auf Haufen ließ Don Ramiro de Gusman hervorbrechen. + +Dicht an den Spaniern kämpfte Christoph von Denow, das Blut rieselte aus +einer Stirnwunde, -- er merkte es nicht. Anneke Mey hatte sich mutig auf +ihren Schanzkorb geschwungen und den widerstrebenden Niekirche +nachgezogen. Sie hielt ihr Messer noch immer gezückt in der Rechten, mit +der Linken hielt sie den schlotternden Trommelschläger am Kragen. + +»So schlage den Sturmmarsch, Junge!« rief sie lachend. »Willst' nicht? +Wart, gleich fliegst du herunter, daß sie dich drunten zu Brei +vertreten, Feigling!« + +»Ja! ja! ich will!« jammerte Hans. »Ach wär' ich doch daheim! Ach wär' +ich doch zu Haus! Mein Mutter! mein Mutter!« + +»Na, na, schlage nur immer zu, du kommst noch davon!« sagte Anneke +begütigend und ließ den Kragen des Armen los. »Dein' Mutter wartet schon +a bissel! Schau, wie lustig das aussieht -- da, guck, sie geben's den +welschen Bluthunden! Wär' ich 'n Knab, wie du -- hei, ich wollt's ihnen +auch schon zeigen!« Und mit heller Stimme fing das Mädchen an zu +singen: + + »Mein Vater wollt' ein Knäbelein, + Mein Mutter wollt' ein Mägdelein, + Mein' Mutter tät gewinnen, + Des muß den Flachs ich spinnen -- Ja spinnen! + Das ist mir großes Leid!« + +Immer mutiger schlug Hans Niekirche, durch seine Gefährtin aufgemuntert, +seine Wirbel, und unter beiden Kindern vorbei drängten ununterbrochen +die Scharen des Reichs vor und zurück, wie der Kampf vor- und +zurückwich; bis die Spanier in die Stadt gedrängt waren, und das Zeichen +zum Sammeln von allen Seiten den Deutschen gegeben wurde. Don Ramiro +hatte die Rheinschleusen, welche er in seiner Gewalt hatte, öffnen +lassen. + +»Sieh das Wasser! das Wasser!« rief Hans Niekirche in neuer Angst. »Laß +uns fort, Anneke, sie wollen uns ersäufen, wie die jungen Katzen.« + +Ein allgemeiner Schrei erhob sich unter dem Getümmel in den Laufgräben; +schon standen manche Haufen bis an den Gürtel in der reißend schnell +steigenden Flut. + +»Halt, halt!« rief Anneke Mey. »Er ist noch nicht zurück; aber -- geh +nur -- geh -- ich bleib'!« + +»Und ich bleib' auch!« schrie Hans der Trommler. + +»Zurück! zurück!« tönte es aus den rückwärts weichenden Scharen des +Reichsheeres: »Das Wasser! Der Rhein! Das Wasser!« Und immerfort +donnerte das Geschütz der Spanier von den Wällen, immerfort schlugen die +Kugeln verheerend in das wirre, verzweiflungsvolle Durcheinander. + +Es war eine böse Belagerung -- die Belagerung der Stadt Rees am Rhein: +es war kein Glück, es war keine Ehre dabei zu holen. + +»Der Junker! der Junker! Christoph! Christoph von Denow!« schrie die +junge Dirne auf ihrer Höhe, die Hände ringend, und das Wasser stieg und +stieg. Schon waren die letzten der Haufen unter ihr vorüber, und die +Toten, von den Fluten gehoben, wirbelten um sie her. Da griff eine Hand +aus den Wassern nach dem Schanzkorbe, auf welchem sie stand, und ein +bleiches Haupt erhob sich zu ihren Füßen: »Rette! Rette!« + +»Christoph! Christoph!« schrie das Mädchen, sie lag auf den Knien, sie +faßte die triefenden Locken, sie faßte den Schwertriemen -- der Junker +von Denow war gerettet. Valentin Weisser, der Riese, dessen Blutdurst +und Mut durch den Kampf und den Rhein bedeutend gekühlt war, brachte +mit Hilfe gutwilliger Genossen den wunden Junker, die Dirne und Hans, +den Trommelschläger, glücklich auf das Trockene und weit hinein ins +Feld, wo die gelichteten, zerrissenen, wunden Krieger des Reichsheeres +um die Wachtfeuer murrend und grollend in stumpfsinniger Ermattung lagen +und die Führer bereits wieder unheimliche und drohende Worte zu hören +bekamen. + + + + + II. + + +Trübe dämmerte der Morgen. Auf die wüste Nacht folgte ein ebenso wüster +Tag. Vergeblich hatte Herr Otto Heinrich von Beylandt, Herr zu Rethen +und Brembt, Leib und Leben und Seligkeit den Meuterern zum Pfande +eingesetzt, daß sie nicht von des Reichs Boden weggeführt werden +sollten; vergeblich hatte der Graf von Hohenlohe geflucht, gebeten und +gedroht. Zwischen sieben und acht Uhr waren zehn Fähnlein des +braunschweigischen Regiments aufgebrochen und aus dem Feld gezogen, +Münster zu. Weiber, Kinder, Dirnen folgten jetzt dem plündernden, +ehrvergessenen, eidbrüchigen Haufen durch den grauen Nebelregen. Keiner +befahl, keiner gehorchte. Die einen meinten, es gehe gradaus zum Herzog +von Braunschweig, ihrem Zahlherrn, nach Wolfenbüttel; andere glaubten, +es gehe gegen den Bischof von Münster; die meisten aber dachten gar +nichts, und so schwankte der tolle Zug, einem Betrunkenen gleich, hier +vom Wege ab, dort vom Wege ab, jetzt auf ein Dorf zu, jetzt auf ein +einsames Gehöft. Kleinere Banden schweiften zur Seite, oder vor und +nach -- fort und fort über die Heide; hier im Kampfe mit einer +ergrimmten Bauernschar, dort im Hader untereinander. Der Nebel ward +Regen und hing sich in perlenden Tropfen an die letzten Blüten des +Heidekrauts und träufelte von den Stacheln und Zweigen der Dornbüsche. +Krähenscharen begleiteten den Zug lautkrächzend, oder flatterten in +dichten Haufen westwärts dem Rhein zu, wo von Rees her das Feuer der +Berennung nur noch in einzelnen Schlägen dumpf grollte. Stärker und +stärker ward der Regen, die blutigen Spuren der vergangenen Nacht, der +Schlamm der Laufgräben mischten sich auf den pulvergeschwärzten +Gesichtern, den zerrissenen, verbrannten Kleidern, den verrosteten +Waffenstücken -- die Männer fluchten und sangen, die Weiber ächzten, die +Kinder schrien, und Anneke Mey auf ihrem Wagen, mit einem Bierfaß +beladen, hielt tröstend das Haupt des wunden Christoph von Denow in +ihrem Schoß und sprach ihm zu und verhüllte ihn, wie eine Mutter ihr +Kind, mit einem groben Soldatenmantel; während Hans Niekirche +zähneklappernd das magere Roß leitete, welches vor dem Karren ging. -- +Lange Zeit hatte der Junker wie besinnungslos gelegen, jetzt hob er den +Kopf mühsam empor und strich die Haare aus der Stirn und warf einen +Blick auf seine Umgebung. + +»O Anneke, weshalb hast mich nicht gelassen in dem Wasser -- oh! oh!« + +»Still, still, lieget ruhig, Herr! Die ganze Welt ist auseinander --« + +»Weshalb hast mich nicht gelassen im Lager -- im Heer vor Rees?« + +»Es ist aus, aus! Alles aus, sagen sie. Alles läuft auseinander --« + +»Und wohin gehen wir?« + +»Weiß nicht! weiß nicht!« + +»Bin also so weit! Ein Spießgesell von Räubern und Mördern und +landesflüchtigem Gesindel! Krächzt nur, ihr schwarzen Galgenvögel, ihr +habt einen feinen Geruch, wittert den Fraß, wann er noch lustig auf den +Beinen herumstolpert und den Bauerngänsen die Hälse abhaut und die +Rinder aus dem Stall zieht. O Christoph! Christoph! Und du könntest +einen adeligen Schild führen!« + +Der junge Gesell stieß solch einen herzbrechenden Seufzer aus, daß ein +neben dem Karren reitender Söldner aufmerksam wurde. Er drängte sein +Pferd näher heran, zog seine Feldflasche hervor und reichte sie dem +Wunden zu. + +»Hoho, Junker, was spinnst für Hanf? Da wärme dir das Herz, bis wir uns +den Münsterschen Dompfaffen in die warmen Nester legen! Aufgeschaut, +aufgeschaut, Christoffel! 's ist beschlossen, Ihr sollt unser Obrister +werden!« + +Der Junker machte eine unwillige Handbewegung und antwortete nicht. + +»Auch gut,« brummte der Reiter. »Der Satan hol' alle diese Maulhänger! +Möcht' nur wissen, was die Gesellen für einen Narren an ihm gefressen +haben. Hat den Vorspruch gemacht gestern beim Grafen nach ihrem Willen +und soll den Führer spielen, und kann den Kopf nicht grad halten -- Bah! +Hätten hundert Bessere gefunden; kann mit seinem Adel weder den Mantel +noch die Ehre flicken. Fort, Mähre, was scheust? Dacht ich's doch, da +liegt wieder einer der trunkenen Schelme im Wege. Vorwärts, Schecke, laß +liegen, was nicht mehr laufen mag. Was will die Trompete? Holla, was ist +das?« + +Ja, was wollte die Trompete? Auf der rechten Seite des Weges der +Meuterer waren zwar von Zeit zu Zeit vereinzelte Schüsse gefallen, +niemand hatte sie aber beachtet, weil man sie nur den obenerwähnten +Scharmützeln mit den Bauern und Hahnenfedern zuschrieb. Jetzt aber wurde +das Feuer regelmäßiger, Reitertrompeten erschallten. Der Zug stutzte und +hielt. Gestalten, schattenhaft, tummelten sich in dem dichten Nebel, und +erschreckte Stimmen erklangen: »Die Spanier! Die Spanier!« + +»Zum Henker die Spanier; wie kommen die Spanier soweit über den Rhein?« +brummte der Reiter, welcher eben dem Junker die Feldflasche geboten +hatte. Er lockerte aber nichtsdestoweniger das Schwert in der Scheide +und wickelte den rechten Arm aus dem Mantel los. + +»Der Feind! der Feind! die Speerreiter!« riefen die im Lauf +rückkehrenden Plünderer, zu den Genossen stoßend, und einige brachten +eine frische Wunde mit zurück. Näher und näher hörte man die Trompeten +und den Schlachtruf »_España! España!_« und dann »Hohenlohe! Hohenlohe!« + +Keiner von den Meutmachern machte Miene, an dem Gefechte teilzunehmen; +aber die Musketen waren auf die Gabeln gelegt, die Lunten aufgeschroben, +die Spieße gesenkt, und man hatte instinktmäßig einen Kreis um die Wagen +mit den Weibern und Kindern und den Raub geschlossen. + +Jetzt schienen die Spanier wieder zurückgedrängt zu werden; der Lärm des +Kampfes verlor sich in der Ferne. Der Zug der Aufrührer wollte sich +bereits wieder in Bewegung setzen. + +»Halt, halt!« rief einer der Fußknechte, »da kommen sie wieder! +Rossestrab!« Er kniete nieder und legte das Ohr an den Boden. »Viel +Pferde im Galopp!« Man konnte kaum zehn Schritte weit im Nebel und Regen +deutlich sehen; es waren wieder nur unbestimmte Schatten, die man nahen +sah. + +Ein »Halt« wurde ihnen zugerufen, und sie hielten, und eine einzelne +Gestalt löste sich von dem Haufen ab. Aus dem Ring der aufrührerischen +Söldner des Reichs traten ihr einige entgegen. + +»Wer seid Ihr? Woher des Weges? Was für Begehr?« + +Der Nahende ritt, ohne zu antworten, näher heran. + +»Haltet, oder wir schießen!« + +»Nur zu, eidbrüchig Gesindel; versucht, ob ihr einen ehrlichen +Reitersmann trefft!« + +Wilde Flüche und der Ruf »Feuer, Feuer!« ertönten, und manche Büchse +wurde in Anschlag gebracht; aber dazwischen riefen auch Stimmen: »Halt, +halt, das sind keine Spanier, keine Speerreiter!« + +»Nein, das sind keine Spanier,« rief der Reisige zurück. »Das sind auch +keine Meuterer, Mörder oder Diebshalunken; -- ehrliche Hohenlohesche +Reiter sind's, die euch Lumpengesindel wahren sollen, daß ihr nicht dem +Galgen entlauft! Glaubt's, der Graf hätte meinetwegen andere dazu +schicken mögen, als uns -- nehmt das Ab -- Henkermahl drauf!« + +»Der Graf von Hollach hat Euch geschickt?« fragte es verwundert aus dem +Haufen, und mancher der wilden Kerle drängte sich vor, näher an den +Reitersmann. + +»Zurück!« rief dieser, »wir gehen mit euch, wie befohlen, jagen die +Speerreiter, die euch die Gurgel abschneiden könnten, -- man sparte nur +die Stricke -- und schützen das arme Landvolk vor euch Hunden. Damit +holla! -- na, wohin geht der Marsch?« + +»Packt Euch zum Teufel, wir brauchen Euch nicht!« schrie Jobst Bengel +aus Heiligenstadt. »Wer hat Euch gerufen? Sagt dem Grafen, dem +Holländer, unsern schönsten Dank und wir könnten unsern Weg allein +finden.« + +»Geht nicht! Alles auf Befehl! Kümmert euch so wenig als möglich um uns; +ihr handelt nach Belieben, wir nach Befehl!« + +»Aber unser Belieben ist, daß ihr euch hinschert, woher ihr gekommen +seid!« brüllte Hans Römer aus Erfurt. »Geht, oder es setzt mein' Seel +blutige Köpfe!« + +»Unser Befehl ist, daß wir gehen, wohin euch der Satan treibt. Am +Höllentor kehren wir um, das ist der Befehl. Genug der Worte.« + +Damit wandte der Hohenlohesche Rittmeister sein Roß und sprengte zurück +zu seinen Reitern, welche unbeweglich auf einer kleinen Erderhöhung +hielten und im Gegensatz zu dem tobsüchtigen, wüsten Gebaren der +Meuterer nur leise Worte des Zorns und der Verachtung hatten. + +Auf seinem Schmerzenslager hatte Christoph von Denow halbblinden Auges +und klingenden Ohres den Vorgang angesehen und angehört. Jetzt mußte er +auch ohnmächtiger Zeuge der wilden Reden um ihn her sein. + +»Das ist solch ein falsch Spiel von dem Grafen -- das ist eine Falle. +Sollen uns schützen vor den Speerreitern! -- Lauter Sorg und Lieb, bis +sie uns den Hals zuschnüren! -- Nichts von dem Grafen von Hollach! Fort +mit den Reitern des Holländers! Feuer auf sie! In die Spieße! in die +Spieße mit ihnen!« + +»Die Rasenden! die Niederträchtigen!« stöhnte Christoph von Denow, die +Hände ringend. »Und hier liegen zu müssen gleich einem abgestochenen +Schaflamme! Halt, halt, was wollen sie tun?!« + +Seine schwache Stimme ging verloren in dem Lärm »fort mit Holländern, +fort mit dem Grafen von Hollach!« + +Mit einem Schlage setzte die ganze Masse der Meuterer im Sturmlauf an +gegen das kleine Häuflein der Reiter. + +»Hab's mir wohl gedacht,« brummte der Rittmeister in den grauen Bart. +»Achtung, Gesellen! Stand gehalten -- das ist der Befehl. Herunter mit +den Schuften, wenn sie euch nahe kommen.« + +Sie griffen wirklich an. Im nächsten Augenblick war die Reiterschar +umringt, durchbrochen. Die meisten sanken nach tapfrer Gegenwehr vom +Pferd; nur wenige schlugen sich durch und flohen über die Heide. +Zuletzt kämpfte noch ein einzelner. Das war der tapfere alte Führer, der +sich wie ein Verzweifelter wehrte. Endlich erstach ihm Balthasar +Eschholz aus Berlin das Roß, und eine Kugel durchfuhr seine treue Brust. + +Einige Minuten standen die Mörder wie erstarrt. Schlug ihnen diesmal das +Herz? Sie wagten es nicht, die Gefallenen zu berauben, ein plötzlicher +Schrecken kam über sie, wie von Gott dem Richter gesandt, und Mann und +Roß und Wagen stürzten von dannen, hinein in den Nebel, der sie +verschlang, als seien sie nicht wert, von Himmel und Erde gesehen zu +werden. + +»Das ist ein schlechter -- schlechter Tod!« seufzte der zu Boden +liegende Reiterhauptmann. »Ein schlechter Tod! -- In deine Hände -- aber +alles der Befehl -- nun kann der Rat von Nürnberg mein Weib und meine +Jungen auffüttern -- ein schlechter Tod -- Amen! Alles -- der -- +Befehl!« + +Er griff noch einmal mit beiden Händen krampfhaft in das Heidekraut -- +es war vorüber. + +Ein Wäglein und drei Menschenkinder waren zurückgeblieben beim +Fortstürzen der Mörderschar. Das waren Anneke Mey aus Stadtoldendorf, +welche das Haupt des Erschlagenen stützte, das war Christoph von Denow, +der auf seinem Lager das Vaterunser weiter betete, welches der +Rittmeister nicht hatte zu Ende bringen können. Das war Hans Niekirche, +der Trommelschläger, welcher schluchzend das Rößlein vor dem Wagen +hielt!........ + + + + + III. + + +Nicht Leben, nicht Tod; nicht Vergessenheit, nicht Sinnesklarheit; nicht +Schlaf, nicht Wachen; -- alles ein wildes, wirres Chaos in dem +fieberkranken Kopfe Christoph von Denows! Jetzt legte es sich ihm, einem +feurigen Schleier gleich, vor die Augen, tausend Sturmglocken und der +Verzweiflungsschrei einer eroberten Stadt füllten ihm Ohr und Hirn; -- +jetzt versank er wieder in ein endloses graues Nichts, in welchem ihn +allerlei unerkennbare Schatten umschwebten; -- jetzt vermochte er es +wieder, sich und seine Umgebung zu unterscheiden, ohne sich klar darüber +werden zu können, wer ihn von dannen führe und wohin man ihn führe. +Manchmal war der Himmel über ihm grau und ihn fror, dann wieder schaute +er empor in das reine Blau, und die Sonne schien herab auf ihn. Manchmal +glaubte er sich in einem auf dem Wasser fahrenden Schifflein zu +befinden, manchmal sah er wieder grüne Zweige über sich und hörte die +Vögel singen. Er gab es auf, zu denken, sich zu erinnern: willenlos +überließ er sich seinem Geschick. Es zog und zuckte durch seinen +Geist! -- Da ist der weite, kühle Saal in der väterlichen Burg, dem +einstmals am weitesten in das Polen- und Tartarenland vorgeschobenen +Posten des deutschen Wesens. Durch die bunten Scheiben der spitzen +Fenster fällt das Licht der Sonne und wirft die farbigen, flimmernden +Schattenbilder der gemalten Wappen und Heiligen auf den Estrich. Da +steht der Sessel des Ritters von Denow neben dem großen Kamine, und der +Sessel und der Gebetschemel der Mutter in der Fenstervertiefung, da +glitzern im Winkel auf dem künstlich geschnitzten Schenktisch die +riesigen, wie Silber glänzenden Zinnkrüge und Geschirre. Da blickt ernst +von der Wand der Ahnherr mit dem Ringpanzer auf der Brust, und manch +wunderlich Gewaffen aus den Polen- und Preußenschlachten hängt an dem +Mittelpfeiler, welcher den Saal stützt.... + +Feuer! Feuer! Das ist nicht der Widerschein der Abendsonne an den +Wänden. Feuer! Feuer! und das Wimmern der Burgglocken und der Schall der +Sturmhörner! -- Wo blieb das süße, mildlächelnde Bild der Mutter, das +eben noch durch den stillen dämmerigen Saal glitt? Feuer und Sturm! Die +Polen! die Polen! Allverloren! Allgewonnen! Allgewonnen! + +Da taucht ein ehrliches bärtiges Gesicht auf -- das ist der Knecht +Erdwin Wüstemann, welcher den kleinen Christoph aus der brennenden +väterlichen Burg auf den Schultern trug und rettete.... Nun rauscht der +Wald, nun murmelt der Bach -- das ist die verlorene Forsthütte, wo der +treue Knecht und das Kind hausten so lange Jahre hindurch. Die Hunde +zerren bellend an der Kette, der Falk schaukelt sich auf seiner Stange. +Wilde Gesellen und Weiber -- fahrende Soldaten, Sänger und Studenten und +demütige Juden verlangen Obdach vor dem nahen Gewitter oder dem +Schneesturm. Sie lagern auf nackter Erde um das Feuer, an welchem die +Hirschkeule bratet. Der Weinkrug geht im Kreise umher; Lieder +erschallen! Lieder vom freien Landsknechtsleben, lutherische Lieder, +Spottlieder gegen den Papst und den Türken und lateinische Lieder +vom wandernden Scholarentum. Jetzt gerät der rote Heinz mit dem +landflüchtigen Leibeigenen oder dem Zigeuner in Streit; die Messer +blitzen, der Knecht Erdwin wirft sich zwischen die Kämpfenden -- es +rauscht der Wald, es murmelt der Bach, es klingt die Harfe des blinden +Sängers -- ah Wasser, Wasser und Waldfrische in dieser Glut, welche das +Gehirn verdorrt und die Knochen versengt! + +Einen Augenblick lang öffnete der Kranke die Augen, er hörte Stimmen um +sich her; jemand hielt ihm einen Krug voll frischen Wassers an die +heißen Lippen. Er hatte nicht fragen können, wo er sei, wer ihm helfe in +seiner Not? -- von neuem ergriff ihn der Fiebertraum. + +Aus dem Kinde ist im lustigen Wildschützenleben ein wackerer Bub +geworden. Hinaus aus dem grünen Wald zieht der Knecht Erdwin mit dem +Schützling. Die Zeiten sind danach -- wer kühn die Würfel wirft, kann +wohl den Venuswurf werfen. Mancher gelangte in der Fremde zu hohen Ehren +und Würden, der im Vaterlande kaum den heilen Rock trug. Gern kaufen +Franzosen, Spanier, Holländer mit rotem Golde rotes deutsches Blut. +Ho, so hattest du dir die Welt draußen vor dem Wald wohl nicht gedacht, +Christoph von Denow? Hei, das waren andere Gestalten und Bilder: +Städte, Klöster und Burgen; Fürsten mit Rittern und Rossen, schöne +Damen, Äbte und Bischöfe mit reichem Gefolge, Bürgeraufzüge, bunte +Landsknechtsrotten auf dem Wege nach Italien, nach Frankreich -- für den +Kaiser und wider den Kaiser! + +Aus dem Reitersbuben ist ein Reitersmann geworden, welcher nichts sein +nennt, als sein gutes Schwert, und welchem von den Vätern her nichts +geblieben ist, als der eiserne Siegelring mit dem Wappen derer von +Denow, welchen er am Finger trägt. + +Immer weiter hinein in das bunte Leben, in den bunten Traum -- tagelang, +wochenlang im Wundfieber kämpfend zwischen Sein und Vernichtung, bis +endlich eine Glocke dumpf und feierlich erklingt, eine Glocke, die nicht +mehr allein in dem Gehirn des Kranken läutet! + +»Wo bin ich?... Die Glocke, was will die Glocke?« murmelte Christoph +von Denow, die Augen aufschlagend. + +Anneke Mey stieß einen Freudenschrei aus und hob das Haupt des Junkers +ein wenig aus ihrem Schoße: »Er lebt, o guter Gott, er wird leben!« + +»Die Glocke! die Glocke?« + +»Still, lieget still, Herr! das ist Sankt Lambert zu Münster, und da -- +horcht! das ist der Dom! Morgen ist der heilige Matthiastag -- still, +still, lieget ruhig.« + +Es wurde dunkel über dem Junker; das Wäglein fuhr in diesem Augenblick +durch die Torwölbung. Der Junker schloß die Augen wieder, er glaubte +einen Wortwechsel zu hören, er glaubte zu bemerken, daß der Wagen hielt, +Annekes Stimme erklang ängstlich und bittend dazwischen. Er glaubte ein +bärtiges Gesicht über sich zu sehen und einen Ausruf des Schreckens zu +hören. Der Wagen bewegte sich wieder -- er fuhr aus dem dunklen Tor in +das Licht der Straße hinein. -- -- + +Das war das Gesicht des alten Knechts Erdwin, welches der Junker von +Denow über sich sah, bis im folgenden Moment alles verschwand und es +wieder Nacht war im Geiste Christophs. -- Allmählich aber wurde diese +Nacht jetzt Dämmerung; die Gedanken ordneten sich mehr und mehr. +Christoph von Denow erwachte wieder zum Leben. + +Er fühlte den wohltuenden Strahl der milden Herbstsonne, er vernahm die +Worte der Freunde um sich her. Jetzt erzählte Erdwin, der Knecht, jetzt +sprach Anneke Mey, jetzt lachte Hans der Trommelschläger. Die Landschaft +glitt an ihm vorüber, Städte, Dörfer, Flecken, er sah blaue Höhenzüge im +Osten auftauchen und vernahm, wie ein Wanderer dem Knechte Erdwin sagte, +das sei der altberühmte große Teutoburger Wald. Er schlummerte abermals +ein, und als er abermals erwachte, fand er sich mitten in den Bergen, +und ein Wasser rauschte seitwärts in das Dickicht. »Das Wässerlein kenn' +ich,« rief Anneke, »das ist die Else, die fließt in die Werre, und die +Werre fließt in die Weser, nun sind wir der Heimat nahe.« + +»Und wie ziehen wir nun, Anneke?« fragte der getreue Knecht Erdwin, +welcher munter neben dem Wagen, den Spieß auf der Schulter, herschritt. + +»Wo die Sonne aufgeht, fahren wir zu; aus dem Teutoburger Wald in den +Lippeschen Wald, zuletzt wird doch mal ein Berg kommen, von dem wir die +Weser glitzern sehen können. Dann sind wir zu Hause!« + +»Anneke, Anneke!« murmelte Christoph. + +»O, wachet Ihr wieder, Junkerlein? geduldet Euch und lieget still, wir +sind alle noch da, und der Meister Erdwin ist auch da und hat mir alles +von Euch erzählt und ich ihm auch alles von Euch.« + +»O Junker, Junker, seid Ihr wach?« rief der Knecht Erdwin und schauete +über den Rand des Wagens. »Das Mütterlein im Himmel muß über uns wachen, +daß ich Euch grad am Tor zu Münster treffen mußt'. Von der Reichsschanze +bis nach Münster bin ich kreuz und quer Euern Spuren nachgezogen. Habt +mich schön in Angst und Not gebracht! Haltet das Maul, Junkerlein. Dem +Herzmädel da dankt Ihr Euer jung Leben. Lasset Euch tränken und atzen +und schlaft wieder ein, wir halten Euch oben, Hans und Anneke und ich!« + +Christoph drückte schwach die Hand des wackern Alten, er wollte nach dem +Heere fragen, nach den Meuterern, aber er vergaß es. Sein wunder Kopf +ruhte noch immer an der Brust der jungen Dirne. Aus schwimmenden Augen +blickte er auf zu dem braunen, wildfreundlichen Gesicht über ihm. + +»Ach, Anneke Mey, Anneke Mey, wohin willst du mich führen?« + +»In meiner Heime ist es gar schön,« sagte das Mädchen. »Da sind die +Berge und die Wiesen so grün, da schaut die alte Burg, sie heißen sie +die Homburg herab auf das Städtel. Da sind die hohen weißen Felsen ganz +weiß, weiß -- da wohnen die klugen Zwerge in tiefen runden Löchern. Das +ist wahr, ganz gewiß wahr! Es ist auch schaurig da, manchmal rührt sich +der Boden, und der Wald sinkt ein in die Erde, tief, tief, -- und ein +Wässerlein springt dann unten in dem Grund auf; das Wasser trinken die +Leut nicht gern. Aber mitten in den Bergen, da ist ein kühler Bronn, der +Wellborn geheißen, aus dem kommt das Wasser durch Röhren in die Stadt, +und die Brunnen rauschen und plätschern immer zu. Und vor dem Burgtor +ist ein klein Haus dicht an der Stadtmauer, da sitzt meine alte Muhme, +die Alheit -- mein Vater und Mutter sind lang tot im Lager von Lafere, +wo wir mit dem französischen König Heinrich waren -- und ihre Katz sitzt +neben ihr, und wenn sie, ich mein' die Muhme -- an mich gedenkt, so +brummt und keift und bet't sie ein Vaterunser, grade weil sie mich gern +hat. Schläfst noch nicht, Junkerlein? Mach die Augen zu und kümmre dich +nicht um die Welt.« + +Mit leiser Stimme fing das Mädchen an zu singen: + + »Musikanten zum Spielen, + Schöne Mädchen zum Lieben: + So lasset uns fahren, + Mit Roß und mit Wagen, + In unser Quartier! + In unser Quartier!« + +»Ach, der Wagen stößt zu hart; wisset Ihr was, Meister Erdwin? singet +Ihr weiter.« + +»Wollen's versuchen!« sagte der Knecht Wüstemann und begann im Ton der +Schlacht von Pavia das Lied von der Schlacht vor Bremen, in welche er +als junger Bursch mit den Reitern des Grafen von Oldenburg gezogen war, +und frisch schallte sein Baß in den Wald hinein. + + »-- Unser Feldherr das vernahm, + Graf Albrecht von Mansfelde, + Sprach zu seinem Kriegsvolk lobesam: + Ihr lieben Auserwählten, + Nun seid ganz frisch und wohlgemut, + Ritterlich wolln wir fechten; + Gewinnen wolln wir Ehr und Gut, + Gott wird helfen dem Rechten.« + +Als der Endvers kam, war Christoph wirklich eingesungen zu sanftem +Schlummer, und Hans Niekirche behielt den braunschweigschen Gassenhauer, +den er eben zum besten geben wollte, auf das Ersuchen des alten Erdwins +für sich. Mit einbrechender Nacht wurde bei einem Köhler mitten im Forst +das Nachtquartier aufgeschlagen. + +»Was ist denn da draußen vorgegangen in der Welt?« fragte der schwarze +Waldmann. »Ihr seid die Ersten nicht, die hier durchkommen sind und hier +angehalten haben. Das ist ja auf einmal, als ob alles Kriegsvolk im +deutschen Land sich hier auf den Wald niedergeschlagen hätt', wie ein +Immenschwarm auf den Schlehenbusch. Ist es wahr, daß das Reichsheer +auseinandergelaufen ist?« + +»Es ist wahr,« sagte der Knecht Erdwin düster. »Es ist aus, -- alles +vorbei!« + +»Vorgestern zog hier ein Trupp durch, fast zehn Fähnlein stark, aber +anzusehen wie ein wüst Raubgesindel, Fußvolk und Reiter durcheinander. +Wollten gen die Weser und ließen sich vernehmen, sie wollten ihrem +Zahlherrn, dem Braunschweiger Herzog --« + +»Die Braunschweiger?!« riefen Erdwin und Anneke und Hans Niekirche. »Die +Braunschweiger?!« murmelte Christoph von Denow und richtete sich halb +auf seinem Lager auf. + +»Gehöret Ihr zu ihnen?« fragte der Köhler mißtrauisch. »Nehmt Euch in +acht; ich hab' einen gesprochen, der sagte, der Braunschweiger habe +seine Leibguardia und Reiter die Menge abgesandt, ihnen den Weg zu +verlegen. Sein Feldhauptmann, der Graf von Hohenlohe, ist auch, von +Mitternacht her, gegen sie aufgebrochen. Das kann ein übel Ende nehmen!« + +»Gegen die Weser sind sie gezogen?« + +»Wie ich Euch sagte, Maidlein.« + +»Herr Gott, so müssen wir ab vom Weg!« + +»Ihr gehört also nicht zu ihnen?« + +»Nein! nein! nein!« riefen Christoph und Erdwin und Anneke. + +»Und Ihr wollt auch über die Weser?« + +»In meine Heimat!« rief Anneke. + +»Mit dem wunden Mann? Geht nicht, wahrlich geht nicht! Weg und Steg sind +verlegt.« + +Alle schwiegen erschrocken und verstört einige Minuten. + +»Saget doch,« fuhr der Köhler dann fort, »weshalb wollt Ihr nicht bei +mir bleiben im Walde, bis der Kopf des Burschen dort wieder heil und +ganz ist? Hunger und Durst sollt Ihr nicht leiden. Ihr erzählet mir +alles, was da draußen in der Welt vorgegangen ist, dafür geb' ich Euch +Futter und Obdach. Gefällt's Euch?« + +»Ihr wolltet --?« + +»Gewiß will ich; ich will Euch sogar noch großen Dank schuldig sein +dafür!« + +»Angenommen, Landsmann!« rief der Knecht Wüstemann freudig. »Junker, nun +streckt Euch lang auf Euerm Lager, und wehe dem ersten Rehbock, der mir +vor die Armbrust gerät, welche ich dort an der Wand sehe.« + +So kamen am Tage Cornelii des Hauptmanns die vier Flüchtlinge des +Reichsheeres zum ersten Mal zu Ruhe. + + + + + IV. + + +Dominus Basilius Sadler, der heiligen Schrift Doktor und fürstlicher +Hofprediger zu Wolfenbüttel, hatte seine Predigt beendet und das +Vaterunser gebetet. Unter den letzten Klängen der Orgel strömte die +Menge aus der Marienkapelle in den dunkeln nebligen Herbsttag hinaus. +Man schrieb den vierten November 1599. + +Was hatte das andächtige Volk? Statt ruhig und gemessen wie +gewöhnlich am heiligen Sonntag ihren Wohnungen und dem Sonntagsbraten +zuzuschreiten, blieben die Männer in Gruppen auf dem Kirchplatz stehen +und steckten die Köpfe zusammen; selbst die Weiber waren von derselben +Aufregung ergriffen. Kaum war nämlich der letzte Orgelton verhallt, so +durchzitterte von der Dammfestung her ein anhaltender Trommelwirbel die +stille Luft und schwieg dann einige Augenblicke. Darauf näherten sich +die kriegerischen Klänge im Marschtakt, und manche der Bürger eilten +ihnen, ihre Knaben an der Hand, entgegen; der größte Teil der Menge +blieb jedoch zurück und erwartete die Dinge, welche da kommen sollten. +»Nun geht es an! Das ist der Beginn!« hieß es unter dem Volk. + +»Das ist der Gerichtswebel, Martin Braun von Kolberg,« sagte ein +Goldschmied, der von allem genau Bescheid wußte. »Der verkündet nun das +kaiserliche Malefizrecht an allen vier Orten der Welt.« + +»Sie kommen! sie kommen!« hieß es unter der Menge, und eine Gasse +bildete sich jetzt, um die Nahenden durchzulassen. Von der Dammbrücke +her durchzog mit seinen drei Trommlern der Gerichtswebel, begleitet von +einigen Hellebardierern, feierlich und langsam die Heinrichsstadt gegen +das Kaisertor hin. + +Wir lassen ihn ziehen und lassen das Volk seine Betrachtungen anstellen +und schreiten quer über den Platz vor der Marienkapelle, durch die +Löwenstraße, über die Dammbrücke an dem Schloß vorüber nach dem +Mühlentorturm, dessen Eingänge von einer stärkern Wache als gewöhnlich +umgeben sind. Wir führen den Leser in das obere Stockwerk des Gebäudes. +Ein weites Gewölbe tut sich uns hier auf, so dunkel, daß das Auge sich +erst an die Finsternis gewöhnen muß, ehe es irgend etwas in dem Raum +erkennen kann. Ist das geschehen, so bemerken wir, daß das trübe, +herbstliche Tageslicht, durch viele, aber enge und stark vergitterte +Fenster fällt. Die Wände entlang ist Stroh aufgeschichtet, auf welchem +dunkle Gestalten in den mannigfaltigsten Stellungen und Lagen sich +dehnen. Von dunkeln Gestalten sind auch einige hie und da aufgestellte +Tische umgeben. Ein Kohlenfeuer glimmt in dem Kamin unter dem gewaltigen +Rauchfang. Allmählich erkennen wir mehr in dem dunsterfüllten Raume: +bleiche, wilde Gesichter, umgeben von wirren zerzausten Haaren, +schlechtverbundene, mit blutigen Binden umwickelte Glieder. Ein leiseres +oder lauteres Klirren und Rasseln von Ketten erschreckt uns; -- wir sind +unter den -- Meuterern von Rees! Gekommen ist's, wie es kommen mußte; +morgen wird der Obriste des niedersächsischen Kreises, Herr Heinrich +Julius von Braunschweig, das Gericht über sie angehen lassen. Dumpf tönt +der ferne Trommelschlag des um die Wälle der Festung ziehenden +Gerichtswebels Martin Braun in ihr Gefängnis herüber. Lauschen wir ein +wenig den Worten der gefangenen wilden Gesellen! + +»Ta, ta, ta! Was das für ein Wesen ist? Sollte man nicht meinen, der +Teufel sei den Kerlen in den Lärmkasten gefahren? Es gehet alles zum +Schlechteren, selbsten das Trommelschlagen,« sagte eine baumlange +Gestalt, sich über die Genossen erhebend. + +»Sollt' meinen, Valtin, wir hätten uns um anderes zu kümmern als den +Trommelschlag,« sagte unwirsch ein zweiter Söldner. + +Valentin Weisser ließ sich jedoch nicht von seinem Thema abbringen. +»Horchet nur, ist das die alte freudige deutsche Art? Aber jetzt will +jeder ein Neues einbringen! Auch die Hispanier machen's so; da lob' ich +mir die Italiener, die haben aufgehoben, was wir nicht mehr mochten, und +ziehen mit den fünf gleichen Schlägen bis ans Ende der Welt. Topp, topp, +topp, topp, topp! das erwecket das Herz zu Freud und Tapferkeit und +hilfet zu Leibeskräften. Topp, topp, topp, topp, topp! Hüt dich Bau'r, +ich komm'! -- das ist's! oder --« + +»Hauptmann, gib uns Geld!« fiel lachend ein Dritter ein. + +»Füg dich zu der Kann!« brummte Hans Römer von Erfurt, der Schmerbauch. + +»Mach dich bald davon!« sang eine schrille Stimme dazwischen. + +»Hüt dich vor dem Mann!« brummte Jobst Bengel von Heiligenstadt. +»Möchte nur wissen, wie lang wir noch in diesem Loch stecken sollen? +Alle blutigen Teufel, ich wollt', der Blitz schlüg' gleich mitten +unter uns, und nähme uns mit herauf oder herunter, ins Paradies oder +die Hölle! 's sollt' mir gleich sein -- 's wär' wenigstens eine +Veränderung!« + +»Das greuliche Fluchen ist auch nicht an der Zeit!« sagte eine ernste +und finstere Stimme. + +»Hilft auch zu nichts, Meister Wüstemann,« grinste der Vorige wieder. +»Dem Galgen entläuft man nit so leichtlich -- mit Verlaub, Junker, das +war nicht auf Euch gesagt.« Wir folgen dem höhnischen Blick des +Sprechenden. Neben dem Kamin, an die feuchtschwarze Wand gelehnt, steht +Christoph von Denow, gebrochen an Leib und Seele. Er schaute starr, +gradaus vor sich hin, bei den Worten Jobsts aber fuhr er auf, sank +jedoch in demselben Augenblick mit einer abwehrenden Bewegung der Hand +in seine vorige Stellung zurück. Die Entgegnung übernahm Erdwin +Wüstemann, der drohend seine gefesselten Fäuste nach dem schon +zurückweichenden Jobst ausstreckte: »Den Schädel zerschmettere ich dir +an der Wand, wenn du den Rachen nicht hältst, du Sohn einer Hündin -- +sage noch ein Wort --« + +»Auf ihn! so ist's recht!« schrien einige der Gefangenen. »Halt, halt! +trennt sie!« riefen andere. + +»Seid ruhig, Erdwin,« sagte der Junker, »laß ihn, Alter, -- er hat +recht, der Strick des Hangmanns droht uns allen.« + +»Euch nicht! Euch nicht!« rief der alte Wüstemann, die ihm +entgegengestreckte Hand seines Schützlings fassend. »O Ihr -- Ihr in +diesen Banden -- das Herz bricht mir darüber -- o die Schurken, die +Schurken!« + +Ein Murren, welches bald in lautere Drohungen überging, folgte den +Verwünschungen des Alten, der alle ihn Umgebenden mit allen Flüchen +überhäufte, welche ihm auf die Zunge gerieten. + +Wer weiß, was geschehen wäre, wenn man nicht plötzlich draußen vor der +eisenbeschlagenen Tür des Gefängnisses Schritte und eine befehlende +Stimme vernommen hätte. Hellebardenschäfte und Musketenkolben rasselten +nieder auf den Steinboden. Eine allgemeine Stille trat ein unter den +Gefangenen, die Schlösser der Tür kreischten und knarrten. Sie öffnete +sich, ein Gefreiter mit der Partisane auf der Schulter schritt herein +mit zwei Büchsenschützen, deren Lunten glimmten. Ihnen folgte ein +kleines schwarzes Männlein, welchem zur Seite, von Kopf bis zu Fuß +geharnischt, der Leutnant der Festung, Hans Sivers, sich hielt. Durch +die geöffnete Tür sah man den Gang angefüllt mit Bewaffneten von der +Besatzung. + +»Tut Eure Pflicht, Herr Notarius!« sagte der Leutnant, und das kleine +schwarze Männlein -- Herr Friedericus Ortlepius, _notarius publicus_ und +des peinlichen Gerichts zu Wolfenbüttel bestallter und beeidigter +Gerichtsschreiber, räusperte sich, nahm das Barett vom Haupt und +entfaltete ein Papier, welches er in der Rechten trug. Ein Söldner, der +eine Lampe hielt, näherte sich. Der Leutnant hob den Arm gegen die +Gefangenen, abermals räusperte sich Herr Ortlepius und las dann seine +Schrift ab wie folgt: + +»Daß der Hochwürdige, Durchlauchtige, Hochgeborne Fürst und Herr, +Herr Heinrich Julius, postulierter Bischof des Stifts Halberstadt, +Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, unser allerseits gnädiger Fürst +und Herr, unlängst nach Besage und Inhalt des Koblenzschen Abschieds, +als verordneter Kriegsobrister dieses niedersächsischen Kreises, +zur Beschützung des lieben Vaterlandes wider das tyrannische Einfallen +des hispanischen Kriegsvolkes, unter andern ein Regiment deutscher +Knechte von dreizehn Fähnlein hat werben lassen, solches ist _notorium_ +und männiglich bekannt. Sind dieselben auch nachher von Seiner +Fürstlichen Gnaden selbst gemustert, bewehrt, und haben sie in +derselben persönlichen Gegenwart in dem Ring, altem löblichem +Kriegsgebrauch nach, auf den Artikulbrief geschworen. + +Ob nun wohl I. F. G. sich gänzlich versehen und verhofft, nachdem +I. F. G. es so treulich gemeinet, auch dem gemeinen Vaterland zum Besten es +sich so sauer haben werden lassen, -- es würde gemeldetes Regiment sich +vermöge geschworenen Eides, Treu und Pflicht, wie Solches ehrlichen, +redlichen Kriegsleuten eignet und gebühret, verhalten haben, so hat sich +aber befunden, daß zehn Fähnlein von solchem Regiment, ohne einige +rechtmäßige gegebene Ursach, wider ihre geschworene Treu und Pflicht, +I. F. G. zu sonderlichen Schimpf, der ganzen deutschen Nation zum +sonderlichen Spott und Hohn, dieser Kriegsexpedition zum Nachteil, dem +Feind aber zum Frohlocken mit fliegenden Fähnlein aus dem Felde gezogen +sind. Haben ihre verordnete Obrigkeit nicht bei sich leiden wollen, auch +in solcher Meuterei so lange kontinuiret, bis daß I. F. G., zur +Erhaltung Deroselben Autorität, ein' Ernst zu diesen Sachen haben tun +müssen, und sie durch ihren damaligen Statthalter und Generallieutenant +den Wohlgebornen und Edeln Grafen Philipp zu Hohenlohe, auf der Heide +zwischen der Ucht und Barenburg, hinter dem Moor, genannt das hessische +Darlaten, haben trennen und zum Gehorsam bringen lassen. Und obwohl +I. F. G. damals nach Kriegsgebrauch und scharfen Rechten sie zu +massakrieren und sämtlich zu Schelmen zu machen, und über sie als +Schelmen die Fähnlein abreißen und schleifen zu lassen, befugt gewesen +sein, so haben doch I. F. G. zu Deroselbst eigenen Glimpf den +gelindesten Weg für die Hand nehmen wollen und haben sich resolviret, +euch die bestrickten Knechte, welche eines Teils bei I. F. G. als die +Prinzipalisten Meutemacher angegeben sind, andernteils von ihren eigenen +Spießgesellen dafür geliefert worden sind, -- vor ein öffentlich +Malefizrecht stellen zu lassen. + +So fordere ich also auf unsers allerseits gnädigen Fürsten und Herrn +gnädigen Befehl euch: Christoph von Denow, Detlof Schrader von +Rendsburg, Erich Südfeld von Hannover usw. usw. -- so fordere ich euch +auf morgen früh um sieben Uhr, das ist den fünften November dieses +Jahres Eintausendfünfhundertneunundneunzig vor kaiserliches Recht in +den Ring, wo ihr gerichtet werden sollt, wie es am Jüngsten Tage vor +Gott dem Allmächtigen, wenn Gottes Sohn kommen wird zu richten die +Lebendigen und Toten, zu verantworten ist!« -- -- + +Fünfundachtzig Namen rief der Notarius Friedrich Ortlepp auf, und jeder +der Gefangenen antwortete durch ein: »Ist hier gegenwärtig.« Als die +Liste zu Ende gebracht war, hob der kleine schwarze Mann noch einmal, +lächelnd, die bebrillte Nase und ließ seine Äuglein wohlwollend über die +Gefangenen hingleiten; dann nickte er dem Geharnischten zu, dieser +winkte dem Gefreiten, welcher seine Partisane anzog, sein Kommandowort +rief. Die Musketierer schulterten ihre Büchsen, und die Beamten +schritten heraus aus dem Gewölbe, dessen Tür sogleich hinter ihnen +wieder zufiel. + +Noch einen Augenblick tiefster Stille, dann ein dumpfes Gemurmel, dann +wildester Losbruch aller mächtig zusammengepreßten Gefühle und +Leidenschaften der gefesselten Meuterer! Ein wildes Durcheinander, -- +Ausrufe des Zorns, des Hohns, der Besorgnis, der Angst, -- +Kettengerassel! + +»O Junker, Junker!« rief verzweiflungsvoll der Knecht Erdwin, das Haupt +seines jungen Herrn an seine breite Brust ziehend. »O Junker, Junker, +wenn das Euer Vater erlebt hätte!« + +»Ja, meine Mutter, meine Mutter! 's ist gut, daß sie tot ist!« seufzte +Christoph von Denow, die Hand über die Augen legend. -- -- -- -- -- -- + +In den überfüllten Schenken der Stadt erschallte der tobende Gesang der +zum Kriegsgericht eingeforderten Söldner und Hauptleute; viel Zank und +Streit blieb nicht aus in den Gassen. Die Bürger zeigten sich nicht +allzuhäufig außerhalb ihrer Haustüren, und wenn es ja einen Nachbar oder +Gevatter allzusehr drängte, die Ereignisse des Tages mit einem Gevatter +oder Nachbar zu besprechen und abzuhandeln, so schlich er so vorsichtig +als möglich im Schatten der Hauswände dahin. Der Nebel ward dichter und +dichter, je mehr die Dämmerung Besitz ergriff von Stadt und Land. Der +Herzog auf dem Schloß ließ mehr Holz in den Kamin seines Gemaches +werfen, und der Geringste seiner Untertanen ahmte ihm darin so gut als +möglich nach. Immer unfreundlicher ward die Nacht. + +Auf dem Prellsteine unter dem Torgewölbe des Mühlenturmes kauerte eine +weibliche, verhüllte Gestalt. Einen grauen Mantel von schwerem, +grobem Tuch hatte sie dicht um sich geschlagen, das spitze Hütlein, +durch welches ein klein rundes Loch ging, gleich der Spur einer +Büchsenkugel -- tief in die Stirn gedrückt; ein Bündel lag neben ihr. +Das war Anneke Mey aus Stadtoldendorf! + +Ihr Haupt stützte sie auf beide Hände und starrte regungslos auf die +schwarzen Massen des fürstlichen Schlosses, welches jenseits des +Ockergrabens hoch emporragte in den dunkeln Nachthimmel, und in welchem +hie und da ein erleuchtetes Fenster schimmerte. -- So hatte Anneke den +ganzen lieben langen Tag über gesessen, so saß sie noch, als es schon +vollständig Nacht geworden war, und die Ronde sich näherte, das Tor zu +schließen. + +»Sitzt die Dirn da noch!« rief der Weibel. »Heda, Schätzchen, fort mit +dir, daß dir das Fallgatter nicht auf den Kopf fällt. Marsch, Liebchen! +weiß nicht, was du hier suchen könntest?« Anneke rührte sich nicht von +ihrem Platze. + +»Na, wird's bald? Nimm Vernunft an, Kind, 's gibt wärmere Nester.« Damit +faßte er den Arm der Kauernden, um sie in die Höhe zu ziehen. + +»O lasset mich hier! lasset mich hier!« + +»Hoho, geht nicht, geht nicht. Aber nun lasset doch auch einmal Euch ins +Gesicht schauen. Hebt die Laterne hoch! Mädel, Kopf in die Höhe!« + +Der Schein der Laterne fiel in das bleiche gramvolle Gesicht des +Mädchens. -- + +»Alle Teufel, das ist ja die Anneke, die Anneke Mey von Rees her!« rief +einer der Büchsenschützen sich vordrängend. »Weibel, mit der mußt du +säuberlich umgehen. Fürcht dich nit, Anneke -- wo kommst du her?« + +»Aus dem Moor, aus dem hessischen Darlaten, Arendt Jungbluth!« sagte +Anneke tonlos. + +»Wo sie die Meutmacher niedergelegt haben? Ei, ei, Anneke, und du bist +mit ihnen gezogen?« + +»Sie sind im Wald über uns gekommen, weil sie der Graf von Hollach +abgedrängt hatt' von der Weser, und sie haben den Junker aufs Pferd +gezwungen, und er hat nichts anders gekonnt, er hat sie müssen führen; +nun aber haben sie doch geraubt und gebrannt und sind gezogen, wo sie +wollten, und wir haben müssen mit ihnen durch die Wiehenberge, ins Land +Hoya. Da ist es zum Ende gekommen -- da hat uns der Graf gestellt, und +Hans Niekirche ist tot, ist auch nicht heimgekommen zu seiner Mutter -- +Gnade Gott uns allen!« + +Lautlos umstanden die Söldner das junge Mädchen; endlich sagte der +Weibel: »So ist es geschehen, dagegen kann keiner sagen -- arm Mädel, +was sitzest nur hier auf dem kalten Stein?« Stumm deutete Anneke nach +dem Gefängnis im Turm über ihr; dann sagte sie: »Sie führten uns zuerst +auf das feste Haus Stolzenau; nun sind wir hier zum Gericht!« + +»Und der Junker, von welchem du gesprochen hast, ist da oben bei den +andern?« fragte der Weibel. + +Anneke nickte. + +»Das ist der Knab Christoph von Denow, von den Reitern?« fragte wieder +der Gefreite Arendt Jungbluth, welcher zuerst Anneke erkannt hatte. »Ist +das dein Schatz?« + +Ein leises Zittern überlief den Körper des Mädchens, sie antwortete +nicht und schüttelte das Haupt und senkte das Gesicht in die Hände und +legte den Kopf auf die Knie. + +»Arm Kind! arm Mädel!« murmelten die Krieger. »Aber sie kann hier nicht +bleiben,« brummte der Weibel. »Wir müssen fort, der Böse fährt uns sonst +auf den Buckel!« + +»Lasset mich einmal mit ihr sprechen,« sagte Arendt Jungbluth. Er beugte +sich nieder zu der Armen und flüsterte ihr zu; plötzlich stieß sie einen +Schrei aus, einen Freudenschrei und stand auf den Füßen: »Wirklich, +wirklich? Ihr könnt? Ihr wollt? O, Gott segne Euch tausendmal!« + +»Herauf die Brücke! Herunter das Gatter! Ist's geschehen? -- Fort nach +der Schloßwach! -- Jürgen, marsch, voran mit der Laterne!« kommandierte +der Weibel. »Anneke, Ihr gehört zu uns, niemand tut Euch was zu Leid. +Marsch, marsch!« + +Die Hellebarden lagen wieder auf der Schulter: inmitten der +Wachtmannschaft ging Anneke Mey, und Jürgen trug außer der Laterne auch +noch das Bündlein des Soldatenkindes. + + + + + V. + + +Eins schlug die Uhr des Schloßturmes, und die Krähen fuhren auf aus +ihren Nestern und umflatterten krächzend die Spitze und die Wetterfahne, +bis der Klang ausgezittert hatte. + +»So geh zu ihm!« flüsterte Arendt Jungbluth. »Um drei Uhr ist meine +Wacht zu Ende, dann klopf' ich und du kommst heraus. Nun gehab dich +wohl; des Wärtels Margaret lauert drunten am Gang.« + +»Dank Euch, dank Euch!« flüsterte Anneke Mey. Die Gefängnistür im +Mühlenturm öffnete sich kaum weit genug, um das schmächtige junge +Mädchen einzulassen, und schloß sich sogleich wieder. + +Die qualmende Hängelampe war wie ein roter Punkt in dem dunsterfüllten +Raume anzuschauen; die meisten der Gefangenen schnarchten auf dem Stroh +die Wände entlang, viele hatten aber auch die Köpfe auf den Tisch gelegt +und schliefen so. -- Dann und wann erklirrte leise eine Fessel, oder ein +Stöhnen und Geseufz ging durch die Wölbung. Niemand hatte den Eintritt +des Mädchens bemerkt. + +Einige Minuten stand Anneke dicht an die Mauer gedrückt. Sie vermochte +kaum Atem zu holen. Wie sollte sie in dieser Hölle den finden, welchen +sie suchte? + +Plötzlich ward es hell in ihr: anfangs leise, dann lauter begann sie das +alte Lied vom Falkensteiner zu singen: + + »Sie ging den Turm wohl um und um: + Feinslieb bist du darinnen? + Und wenn ich dich nicht sehen kann, + So komm' ich von meinen Sinnen. + + Sie ging den Turm wohl um und um, + Den Turm wollt' sie aufschließen: + Und wenn die Nacht ein Jahr läng wär', + Keine Stunde tät' mich verdrießen!« + +Von ihrem Lager richteten sich die Schläfer auf, stärker klirrten die +Ketten an ihren Armen und Beinen. + + »Ei, dürft' ich scharfe Messer tragen, + Wie unsers Herrn sein' Knechte, + Ich tät' mit dem Herrn vom Falkenstein, + Um meinen Herzliebsten fechten!« + +»Was ist das? Wer ist das? Wer singet hier?« tönte es wild +durcheinander. »Anneke, Anneke, Anneke Mey,« rief die Stimme Christoph +von Denows dazwischen, und Erdwin Wüstemann hielt das junge Mädchen in +den Armen: »Hier, hier halt' ich sie, hier ist sie, wie ein Engel vom +Himmel mit ihrer Lerchenstimme! O Kind, Kind, was willst hier in dieser +Wüstenei? Junker, Junker, wo seid Ihr?« + +»O Anneke! Anneke!« rief Christoph von Denow. + +»Vivat Anneke, Anneke Mey!« riefen alle andern Gefangenen. »Das ist ein +wackeres Mädel! Vivat des Regiments Schenkin!« + +Es fiel keine schnöde, böse Rede: im Gegenteil, es war, als ob durch das +Erscheinen des Kindes jedes trotzige wilde Herz milder geworden wäre. +Man hätte sie gern auf den Händen getragen, da sie das aber nicht leiden +wollte, suchte man ihr den bequemsten Platz aus und breitete Mäntel +unter ihre Füße, um sie vor der feuchten Kälte der Steinplatten zu +schützen. Eine Bank wurde zerschlagen, um das erlöschende Feuer im Kamin +damit zu nähren. + +»So hast du uns nicht verlassen, Anneke!« rief Christoph und hielt ihre +beiden Hände in den seinigen, und der Knecht Erdwin wischte verstohlen +eine Träne aus den grauen Wimpern. »O, wie können wir dir je das +wiedervergelten?« + +»Wie könnt ich Euch verlassen? Und wenn sie Euch zum Tode führen, ich +geh' mit Euch!« + +Sie saßen beieinander, Christoph und Anneke, neben dem Kamin, und die +Dirne schluchzte und lächelte durch ihre Tränen. Sie vergaßen alles um +sich her, und der alte Wüstemann stand dabei, seufzte tief und schwer +und schüttelte das greise Haupt: + +»Jammer, o Jammer!« + +Um drei Uhr krähte zum ersten Mal der Hahn, um drei Uhr klopfte Arendt +Jungbluth an die Tür. + +»Nun muß ich scheiden!« sagte Anneke. »Gott schütze uns; wenn das +Gericht angeht, steh' ich auf Eurem Wege, Herr.« + +»Anneke, Gott lohn's dir, was du an uns tust!« + +»Fahre wohl! Fahre wohl, Anneke!« riefen die gefangenen Meuterer. »Gott +segne dich, Anneke!« + +Christoph von Denow schlug die Hände vors Gesicht; -- die Tür war hinter +dem jungen Mädchen zugefallen. Im Osten zeigte ein weißer Streif am +Nachthimmel, daß der Morgen nicht mehr fern sei, und der Wind machte +sich auf, fuhr von den Harzbergen nach dem deutschen Meer und verkündete +dasselbe. + + -- -- -- -- -- + +Sechs schlug die Uhr des Schloßturmes; wieder schossen die Krähen aus +ihren Nestern und umflatterten die Spitze, krochen aber diesmal nicht +wieder zurück in ihre Schlupfwinkel, sondern ließen sich, eine bei der +andern, nieder auf dem Rande der Galerie, welche nahe dem Dach, den Turm +umzieht. Neugierig reckten sie die Hälse und blickten herab in den +dichten weißen Nebel unter ihnen, aus welchem kaum die höchsten Giebel +der Stadt und Festung hervorlugten. Trommelschall erdröhnte auf dem +Schloßhofe und hallte wider von den Wällen, während eine kriegerische +Musik aus der Ferne dem Weckauf der Besatzung antwortete. Auf der +Festung trat die Soldateska unter die Waffen, und in der Heinrichsstadt +verkündete das klingende Spiel, daß die Bürgerschaft in Wehr und +Harnisch aufzog. + +Von Zeit zu Zeit löste sich einer der schwarzen Vögel aus der Reihe der +Genossen los und flatterte mit kurzen Flügelschlägen hinein in den +Nebel, als wolle er Kundschaft holen über das Fest, welches ihm drunten +bereitet wurde. Kehrte er zurück, so wußte er mancherlei zu erzählen, +und freudekreischend erhoben sich die andern und wirbelten durcheinander +und überschlugen sich in der grauen Luft, um endlich wieder +zurückzufallen auf ihre Plätze in Reih und Glied. + +Gegen sieben Uhr verflüchtigte sich der Schleier, welcher über der Stadt +lag, um sieben Uhr trat alles ins Licht! Vor dem fürstlichen Marstalle +waren die Schranken aufgestellt. Ein mit rotem Tuch bekleideter Tisch +und ebenso überzogene Bänke für den Gerichtsschulzen und die Beisitzer +standen in der Mitte. Das Volk umwogte dicht gedrängt den Platz. Jetzt +zog »mit dem Gespiel« die fürstliche Leibgarde aus dem Schloßtor, den +Graben entlang, und besetzte zwei Seiten der Schranken. Nach ihr rückte +in drei Fähnlein die Bürgerschaft von der Dammfestung, der Heinrichstadt +und dem Gotteslager heran und schloß die beiden andern Seiten ein. Der +Ring war gebildet; die Fahnen wurden zusammengewickelt und unter sich +gekehrt, die Obergewehre mit den Spitzen in die Erde gestoßen, nach +Kriegsgebrauch bei kaiserlichem Malefizrecht. + +Abermals entstand eine Bewegung unter der Volksmenge; wieder schritt +ein Zug durch die gebildete Gasse feierlich und langsam vom Schloß her. +Das war der Gerichtsschulze Melchior Reicharts mit seinen einundzwanzig +Richtern, Hauptleuten, Gefreiten und Gemeinen, und dem Gerichtsschreiber +Fridericus Ortlepius die allesamt paarweise in den Ring eintraten. + +Zuerst ließ sich der _notarius publicus_ nieder, zur linken Hand an dem +roten Tisch. Er ordnete seine Papiere, guckte in sein Tintenfaß, rückte +das Sandfaß zurecht, und der trübe Himmel und die Krähen auf dem +Schloßturm schauten ihm dabei zu. Er prüfte die Spitze seiner Feder auf +dem Daumennagel, das Murmeln und Murren der tausendköpfigen Menge machte +einer Totenstille Platz; von dem Mühlenturm her erklang ein taktmäßiges +Rasseln und Klirren und verkündete das Nahen der Gefangenen. -- -- -- -- + +»O mein Gott, hilf ihm und mir!« stöhnte Anneke Mey von Stadtoldendorf, +als an dem Mühlenturm die Pforte sich öffnete und die davor aufgestellte +Reiterwache, die Pferde rückwärtsdrängend, das Volk auseinander trieb. + +»Da sind sie! die Meutmacher! die Schufte! Da sind die falschen +Schurken!« ging der unterdrückte Schrei durch das zornige Volk. Aus der +Gefängnispforte hervor glitt ein verwildertes, trotziges oder verzagtes +Gesicht nach dem andern an der zitternden Anneke vorüber. + +Und jetzt -- + +»Christoph!« durchdrang grell und schneidend ein Schrei die schwere +graue Luft, daß der Herzog Heinrich Julius, welcher an einem Fenster +seines Schlosses stand und auf das Getümmel unter sich finster +herabblickte, unwillkürlich den Kopf nach der Richtung hin neigte. + +Da schritt er einher, der Junker von Denow, bleich, wankend, gestützt +auf den Arm des getreuen Knechtes Erdwin. + +»O Christoph! Christoph von Denow!« + +Der junge Reiter erhob das Auge; es haftete auf dem jungen Mädchen, +welches hinter der Reihe der begleitenden Hellebardierer die Hände ihm +entgegenstreckte; -- ein trübes Lächeln glitt über das Gesicht +Christophs, dann schüttelte er das Haupt; er wollte anhalten. + +»Hast doch recht gehabt, Anneke!« lachte höhnisch Valentin Weisser, +der Rosenecker. »Waren unsrer doch zu wenig. Puh -- 's ist am End +einerlei -- Kugel oder Strick. Vorwärts, Junker Stoffel; ich tret' dir +sonst die Hacken ab!« + +»Vorwärts! vorwärts!« rief der Führer der Geleitsmannschaft -- vorüber +schritt Christoph von Denow. -- + +Im Ring aber schwuren die Richter mit aufgerichtetem Finger und lauter +Stimme: + +»Ich lobe und schwöre, daß ich diesen Tag und alles dasjenige, was vor +diesem Malefizrecht vorkommen wird, urteilen und richten will, es sei +gleich über Leib und Blut, Geld oder Geldeswert, als ich will, daß mich +Gott am Jüngsten Tage richten soll -- den Armen als den Reichen. Will +hierinnen weder Freundschaft noch Feindschaft, Gunst noch Ungunst, weder +Haß, Geschenke, Gaben, Geld ober Geldeswert ansehen, oder mich +verhindern lassen! So wahr mir Gott helfe und sein heiliges Wort!« + +Alle Beisitzer saßen darauf nieder an ihren Plätzen, und nur der +Gerichtsschulze blieb stehen und tat eine Umfrage. Darauf verkannte er +das Recht: erstens im Namen der heiligen unzerteilbaren Dreifaltigkeit, +dann im Namen des Fürsten, dem Richter und Angeklagte als Kriegsleute +geschworen hatten, zuletzt kraft seines eignen angeordneten Amts und +Stabes, daß »keiner innerhalb oder außerhalb dem Rechten wolle einreden. +Solle auch niemand einem Richter heimlich zusprechen. Dem Profoß solle +eine freie Gasse gelassen werden, damit er guten Raum habe, damit er +desto baß mit den Gefangenen vom Rechten ab- und zugehen möge, bei Pön +eines rheinischen Gülden in Gold«. + +»Derhalben,« fuhr er fort, »wer nun vor diesem Kaiserlichen Recht zu +schicken oder zu schaffen hat, es sei gleich Kläger oder Antworter oder +sonsten einer, der dem löblichen Regiment etwas anzuzeigen hat: die +stehen in den Ring und klagen, wie man pflegt zu klagen und Antwort zu +geben, auf Red und Widerred, wie in Kaiserlichen Rechten der Gebrauch +ist. -- Gerichtswebel, habt Ihr gestern den Profoß, wie auch die +Angeklagten fürgeboten, zitieret und geladen?« + +Und der Gerichtswebel stand auf und antwortete: »Herr Schultheiß, ich +habe sie gestern früh mit drei Trommeln an den vier Orten der Welt +zitieret!« + +Und des Regiments Profoß, Karsten Fricke, trat in den Ring, und der +Gerichtswebel führt die Angeklagten hinein, jedes Fähnlein für sich +zusammengeschlossen. -- + + + + + VI. + + +Liege still, Kind,« sagte am zwanzigsten November bei Tagesanbruch auf +der Hauptwache im Schloß zu Wolfenbüttel der Gefreite Arendt Jungbluth. +»Liege ruhig und schlaf weiter: der Morgen ist dunkel und dräuet Schnee. +Es geht noch nicht an.« + +Anneke Mey hatte sich auf der harten Holzbank, erschreckt aus tiefem +Traum auffahrend, in die Höhe gerichtet, bei dem Ruf der Wacht draußen, +die zur Ablösung herausrief. + +»Schlafe wieder ein, Anneke, ich wecke dich, wenn es Zeit ist,« sagte +Arendt, die Sturmhaube auf den Kopf stülpend. + +»Der letzte Tag!« murmelte das Soldatenkind, und das müde Haupt sank +wieder zurück auf das harte Lager, die Augen schlossen sich wieder. + +»Hui, der Wind -- Teufel!« brummte Arendt, als die Söldner wieder +zurücktraten in die Wachtstube. »Schläft sie wieder? -- Richtig! ach, +ich wollt', sie verschlief' es ganz. Ruhig, Kerle -- haltet eure Mäuler! +Donner -- ist es nicht grad, als ob der Sturm den alten Kasten einem +über dem Kopf zusammenreißen wollte? Das wird das rechte Wetter sein für +die da draußen im Ring, das bläst ihnen die Urteile vom Munde weg. Wie +sie da liegt! ist das nicht ein Jammer? Ich wollt', sie verschlief' die +böse Stund.« + +Wild jagte der Wind die schweren Schneewolken vor sich her und heulte +und pfiff in den Gängen des Schlosses wie der böse Feind, klapperte mit +den Ziegeln, rüttelte an den Fenstern und trieb die Wetterfahnen mit den +Löwen auf den Turmspitzen im Kreise umher, heftiger und heftiger, wie +der Tag zunahm. + +Anneke Mey lag noch immer, nicht im Schlaf, sondern in stumpfsinniger +Erschöpfung. Was kein Kriegszug vollbracht hatte, das hatten die letzten +vierzehn Tage getan; sie hatten das Kind gebrochen, es matt und müd +gemacht bis zum Tode. Vergeblich sahen sich diesmal auf ihrem Wege zum +Gericht Christoph von Denow und Erdwin Wüstemann nach dem abgehärmten +Gesicht ihres Schutzengels um. + +»Gottlob, gottlob, sie verschläft's!« murmelte Arendt Jungbluth, sich +über das Lager der Armen beugend. + +Im Ring, unter dem düstern, schwarzen Himmel mit den jagenden Wolken las +Friedrich Ortlepp, der Gerichtsschreiber, ein Todesurteil nach dem +andern; einen Stab nach dem andern brach der Schultheiß und warf ihn auf +den Richtplatz. + +»Gnade Gott der Seelen in Ewigkeit. Amen!« sprach er bei jeder weißen +Rute, welche zerknickt auf den Boden fiel. + +Und jetzt -- jetzt der letzte Spruch! + +»Auf eingebrachte Klage des Profoßen, Gegenrede des Beklagten, +produzierte Kundschaft und Zeugnis, ist durch einhellige Umfrage zu +Recht erkannt, daß -- =Christoph von Denow= nicht gebührt hat, sich für +einen Vorsprecher bei der vorgesetzten Obrigkeit, noch für einen +Hauptmann aufzuwerfen, noch die Befehle zu vergeben und auszuteilen, +noch die Wacht zu bestellen. Warum er dem Profoß überantwortet werden +soll, welcher ihn in sein Gewahrsam führen und ihn dem Nachrichter +einantworten und befehlen soll, daß er ihn hinausführe und an den +nächsten Galgen hänge und mit dem Strange zwischen Himmel und Erde +erwürge, damit der Wind unter ihm und über ihn durchwehen könne, ihm zu +verwirkter Strafe und andern zum abscheulichen Exempel!« + +Wieder fiel der gebrochene Stab zu den anderen auf die Erde. + +»Gnade Gott der Seelen in Ewigkeit, Amen!« + +Auf die Knie stürzten dreiundachtzig der Verurteilten: »Gnade, Gnade! +Gnade ist besser denn Recht!« + +Hochauf richteten sich Christoph von Denow und Erdwin Wüstemann, und der +Junker hob die gefesselte Rechte zum Himmel, während der Wind seine +Locken zerwühlte und die Schneewolken sich öffneten und das weiße +Gestöber wirbelnd herabfuhr: + +»Keine Gnade! Recht! Recht! Recht ist besser denn Gnade!« + +In den Ring sprang der Profoß mit der Wache und stürzte sich auf die +Gefangenen -- wild und anhaltend brach das Geschrei des Volkes los, die +Kommandoworte erschallten dazwischen, die Trommeln wirbelten, die +Trompeten schmetterten, aus der Erde wurden die Waffen gerissen und hoch +in die Luft geschwungen, die Fähnlein entfalteten sich im Winde. Die +Krähen aber schossen in einem schwarzen Haufen herab von dem Schloßturm +und umflatterten krächzend die Stätte des Gerichts. Gleich dem bewegten +Meer wogte und donnerte das Volk, und durch die Menschenflut kämpfte +sich mit zerrissenen Kleidern, losgegangenen Haarflechten Anneke Mey. + +»Christoph! Christoph! O du heiliger Gott im Himmel! verloren! +verloren!« + +Dem Herzog am geöffneten Fenster seines Gemachs riß der Sturm den Griff +des Flügels aus der Hand, daß er klirrend zuschlug. Über den Schloßhof +schritt der Gerichtsschultheiß Melchior Reicharts mit den Hauptleuten +Georg Frost, Peter Köhler, Heinrich Jordans und Moritz Ahlemann nach +getaner Pflicht den jungen Fürsten, Zahlherrn und Kreis-Obersten für +die Verurteilten zu bitten. Fridericus Ortlepius trug »fürsichtiglich +und sorgsamlich« die Akten und Protokolle. Tief in die Nacht hinein saß +der Herzog mit den sechs Männern über diesen Papieren. Vierundzwanzig +Todesurteile bestätigte er, und unter diesen befand sich das Christoph +von Denows. Zweiunddreißig der Verurteilten begnadigte er dahin, »daß +sie zur Straf sich verpflichten sollen, im Land zu Ungarn auf dem +Grenzhause Groß-Wardein wider den Erbfeind der Christenheit zu Wasser +und zu Lande, in Sturm und Schlachten jederzeit, wie ehrlichen +Kriegsleuten solches gebührt, sich gebrauchen zu lassen«. -- +Siebenundzwanzig Männern wurde auf einen gewöhnlichen »Urfried« das +Leben und die Ehre geschenket und sie ihrem Fähnlein wieder +einverleibt. -- Zweien wurde das Leben und die Ehre ohne Bedingung +geschenkt. Der erste war Erdwin Wüstemann, der andere ein Söldner, +genannt Klaus Rischemann von Calvörde. Alle diese Schlüsse wurden den +Gefangenen noch in derselben Nacht bekannt gemacht. + + + + + VII. + + +Der Schnee lag hoch in den Straßen und auf den Plätzen der Stadt und +Festung Wolfenbüttel. Der Sturm hatte sich mit Anbruch des Tages ganz +gelegt, es war wieder still und ruhig geworden, und leise träufelte es +von den Dächern, denn die Luft war warm und mit Feuchtigkeit gefüllt; +mit dumpfem Geräusch bewegte sich das Volk in den Gassen. + +Die Fenster der Schloßkirche glänzten rötlich in die trübe +Morgendämmerung herein, und feierlich erklang die Orgel und der Gesang +vieler Menschenstimmen: + + Allein zu dir, Herr Jesu Christ, + Mein Hoffnung steht auf Erden. -- + +Im Schein der Lichter und Lampen erglänzte Harnisch an Harnisch in dem +heiligen Gebäude: den Verurteilten sollte ihre letzte Predigt gehalten +und das Abendmahl ihnen gereicht werden. Der junge Herzog saß in seinem +Stuhl, das Gebetbuch vor sich; alle Offiziere der Besatzung waren in +Wehr und Waffen zugegen, und die Wände entlang und im Schiff der Kirche +drängte sich ein bärtiges ernstes Kriegergesicht an das andere. Die +Vierundzwanzig, die sterben sollten, saßen auf einer niedern Bank unter +der Kanzel, auf welcher der Magister Basilius im schwarzen Chorrock mit +der Halskrause stand, bereit, seine Rede über die beiden Schächer am +Kreuz zu beginnen. In einem dunkeln Winkel unter der Orgel stand Erdwin +Wüstemann und hielt die schluchzende Anneke im Arm; um sie her knieten +oder standen die vom Tode losgesprochenen Meuterer, denen man die +Fesseln abgenommen hatte. + +Und jetzt schwieg die Orgel und der Gesang. Das Wort des Evangelisten +Lukas wurde gelesen: + +»Aber der Übeltäter einer, die da gehängt waren, lästerte ihn und +sprach: Bist du Christus, so hilf dir selber und uns! -- Da antwortete +der andere, strafte ihn und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor +Gott, der du in gleicher Verdammnis bist? Wir sind billig darinnen, denn +wir empfangen, was unsere Taten wert sind; dieser aber hat nichts +Ungeschicktes gehandelt! -- Und er sprach zu Jesu: Herr, gedenke an +mich, wenn du in dein Reich kommst! -- und Jesus sprach zu ihm: +Wahrlich, ich sage dir, heut wirst du mit mir im Paradiese sein!« -- + +Überlaut riefen bei diesen letzten Worten des Textes einige der +Verurteilten: »Das helfe uns der allmächtige Gott!« und hoben die +kettenklirrenden Hände gefaltet hoch empor. Das Auge Christoph von +Denows aber leuchtete plötzlich in einem Glanz, welcher darin bereits +für immer erloschen schien. Hatte er eine Vision? Rief ihm eine süße +bekannte Stimme von oben? Erschien ihm winkend die tote Mutter? + +Christoph von Denow war zum Sterben bereit. -- + +»Gott, Gott, laß so nicht das Haus Denow zu End kommen!« stöhnte in +seinem Winkel Erdwin, der Knecht. »Herr, schenke du ihm einen adeligen +Tod! Laß diesen Kelch an mir vorüber gehen!« + +»Er soll mir den Kopf zertreten und über meinen leblosen Leib weggehen, +wenn er mich nicht hören will!« sagte Anneke Mey tonlos. + +Und Dominus Basilius Sadler begann seine Buß- und Trostpredigt und +teilte sie in die zwei Punkte: + +Erstlich, wie sich der »heilige« Schächer am Kreuz in einer letzten Not +gehalten. + +Zum andern, wie herrlich ihn Christus getröstet habe. + +Der Himmel im Osten aber färbte sich immer purpurner, und die Lichter +und Lampen der Kapelle erblaßten mehr und mehr vor dem Glanz, welchen +Gott über die winterliche Welt leuchten ließ. Die Gefangenen neigten die +Häupter tiefer und tiefer. + +»-- Euer Weib und Kinder befehlet ihr, die ihr welche habt, Gott dem +Allmächtigen, der ist der Waisen Vater und der Witwen Richter. Ist schon +dieser Tod vor der Welt schmählich, so gedenket, wenn ihr euch bekehret, +daß ihr Gottes Kinder seid, dann wird solch Leiden ehrlich und herrlich. +Denn der Tod seiner Heiligen ist wert gehalten vor dem Herrn.« -- + +»Einen ehrlichen Tod! o Gott, schenke ihm einen adeligen Tod!« murmelte +Erdwin, der Knecht. + +»So gebe Gott der Allmächtige euch allen die Gnade seines heiligen +Geistes, daß ihr euer' Sünd von Herzen erkennt und euch leid sein +lasset, euch im wahren Glauben zu Christo wendet und darin bis ans Ende +verharret, euer' Seel in Geduld fasset, allen Menschen von Herzen +vergebet und verzeihet, heut, diesen Tag, Gott eure Seele opfert und +überantwortet und am großen Tag des Herrn mit Freuden auferstehet und +mit Leib und Seele ewig lebet! Amen, Amen, Amen!« + +Der Sand war verlaufen in der Uhr auf der Kanzel. Der Herzog verließ mit +seinen Hofbeamten seinen Stuhl, Anneke Mey verschwand von der Seite +Erdwins, ohne daß dieser es bemerkte; -- unter den Klängen des alten +traurigen Chorales: Wenn mein Stündlein vorhanden ist -- wurde den +Verurteilten das Abendmahl gereicht. + +Nun war auch das geschehen; in die letzten Klänge der Orgel mischte sich +grell und schneidend ein anderer Klang -- der Schall des +Armensünderglöckchens: Der Henker wartete an der Tür des Hauses Gottes! + +Im langsamen Zug traten die Verurteilten und Gefangenen, von ihren +Wächtern umgeben, hinaus aus der Schloßkirche, vor welcher sie die +harrende Menge mit wildem Geschrei und Droh- und Schmähworten empfing. +Der schwere Gang begann, in das goldne Morgenrot hinein, über den +Schloßplatz, die Dammbrücke, durch die Heinrichsstadt dem Kaisertor zu. +Alle Gassen, durch welche der Zug ging, waren mit herzoglichen Reitern +und den gewaffneten Bürgern besetzt, um den Andrang des Volks zu +bändigen. + +Vor dem Kaisertor waren die vier Galgen gebaut, woran die vierundzwanzig +Leben enden sollten. Fast eine halbe Stund verging, ehe die Verurteilten +unter ihnen standen. Der Ring war geschlossen auf zwei Seiten von den +Hellebardierern, auf den beiden andern Seiten von den Musketenschützen, +deren Röhre auf den Gabeln lagen, deren glimmende Lunten zum +augenblicklichen Gebrauch aufgeschroben waren. Dicht vor dem Gefreiten +Arendt Jungbluth hielten sich Erdwin Wüstemann und der Junker Christoph +von Denow. + +Der Alte hatte den Arm um seinen jungen Herrn geschlungen, und dieser +das Haupt an die Brust des treuen Knechts gelegt. Sie sprachen leise +zueinander. + +»Weiß nicht, wo sie geblieben ist! weiß nicht, wo sie bleibt!« sagte der +Alte. + +»Sie hat mich nicht sterben sehen wollen; -- 's ist auch besser so! O +schütze sie -- halte sie, trag sie auf den Händen und im Herzen und +verlaß sie nie und nimmer -- ich will meiner Mutter von ihr sagen, wenn +ich zu ihr komm'.« + +»O Junker, Junker, und Euer Vater« -- + +»Vergiß nicht, was du ihm versprochen hast.« + +»Es wird geschehen, so wahr mir Gott helfe!« sagte dumpf der Alte. + +»Schau, es geht an -- da hast du den Ring -- mein Schwert liegt versenkt +im Moor, es ist ein gutes, tadelloses Schwert geblieben! -- Ihr sag -- o +Anneke! Anneke!« Der Junker brach ab; er vermochte es nicht, weiter zu +sprechen. + +Unterdessen war eine Totenstille in der Menschenmenge eingetreten, die +aber jedesmal, wenn die Henker einen der Meuterer des Reichsheeres von +der Leiter stießen, in ein gräßliches, langanhaltendes Geheul, durch +welches scharf das Wirbeln der Trommel klang, überging. -- -- +Dreiundzwanzig Mal hatte das Volk aufgeschrien. -- + +»Christoph von Denow!« rief nun der Profoß mit lauter Stimme. + +Zum letztenmal lagen sich Christoph und Erdwin in den Armen. + +»Lebe wohl! lebe wohl!« flüsterte der erste -- »vergiß nicht!« -- + +»So gnade Gott mir und Euch!« schrie der Knecht Wüstemann und strich die +langen greisen Haare aus der Stirn zurück. Der Junker von Denow stand +am Fuße der Leiter! + +Er drückte die Hand auf das Herz und setzte den Fuß auf die erste +Staffel: »O Anneke, süße Anneke!« + +Der Gedanke kam ihm, er würde sie erblicken in der Menge, welche wieder +in unheimlichster Stille den Richtplatz bedeckte; mit einem Sprung war +er oben an der Seite des Henkers, der ihn mit dem Strick in der Hand +erwartete. Er stieß die Hand desselben zurück -- seine Augen schweiften +über all die Tausende emporgerichteter Gesichter. -- + +»O Anneke Mey, liebe Anneke, wo bist du? wo bist du? weshalb hast du +mich verlassen?!« + +Wieder streckte der Henker die Hand nach ihm aus; er hielt ein Blech, +auf welchem die Worte standen »Meutmacher und Meineidiger« und wollte es +dem Verurteilten an einem Bande um den Hals werfen. + +»Lebe wohl, süße Anneke Mey!« flüsterte Christoph von Denow; er schlug +die Hand des Henkers abermals zur Seite, klirrend fiel das Blech, die +Leiter nieder, zur Erde. -- + +Mit einem wilden, entsetzlichen Schrei sprang Erdwin Wüstemann einen +Schritt zurück, mit einem Griff riß er das Feuerrohr aus den Händen +Arendt Jungbluths und an seine Wange. Der Schuß krachte -- »Gnade Gott +mir und dir!« + +»Dank, Erdwin -- hast -- Wort gehalten!« sprach Christoph von Denow. Er +schwankte -- breitete die Arme aus: »Lebe -- wohl -- süße -- Anneke!« +Der entsetzte Henker wollte ihn halten, aber im dumpfen Fall stürzte der +Körper die Leiter herab in den blutigen Schnee. + +Aufbrüllte die Menge und tobte durcheinander, der Ring löste sich -- die +Offiziere, die Beamten, der Gewaltiger stürzten sich auf den Knecht +Erdwin, welcher regungslos dastand, das abgeschossene Rohr in der Hand. + +Und jetzt ein neues Geschrei von der Stadt her: »Haltet, haltet!« + +Ein Reiter mit einem Papier in der Hand, im Galopp ansprengend! Ihm nach +ein zweiter Reiter, vor sich auf dem Pferd ein halbohnmächtiges, +todtbleiches Mädchen. -- + +»Halt, halt! Befehl, den Verurteilten Christoph von Denow zurückzuführen +ins Gewahrsam!« + +Anneke Mey leblos auf dem leblosen Körper des Erschossenen -- Erdwin +Wüstemann besinnungslos in den Armen Arendt Jungbluths -- -- -- +Trompetenschall von der Torwache; von der Stadt her eine neue +Reiterschar: »Der Herzog! der Herzog! -- Zu spät! zu spät!« -- -- -- -- + +In dem wiedergebildeten Ring hielt der junge Fürst mit seinem Gefolge; +vor ihm stand barhäuptig der Profoß neben der schrecklichen Gruppe am +Boden und erzählte das Vorgefallene. Als er geendet, stieg der junge +Fürst ab von seinem Hengst und näherte sich dem treuen Knecht des Hauses +Denow: + +»Weshalb hast du das getan?« + +Der Angeredete blickte irr und wirr im Kreise umher, antwortete nicht, +sondern brach nur in ein herzzerreißendes Gelächter aus. + +Der Herzog legte die Hand an die Stirn; -- dann wandte er sich: + +»Hebt doch das Kind von der Leiche!« + +Der Leutnant von der Festung, Johannes Sivers, beugte sich nieder, um +dem Befehl nachzukommen. Es gelang ihm mit Mühe: + +»O gnädiger Gott, tot, tot, fürstliche Gnaden!« + +Ein dumpfes Gemurmel ging durch die lauschende Menge; der Fürst schritt +finster sinnend einige Minuten auf und ab. Dann hob er das Haupt: + +»Bei meinen Vätern, ich glaub', da ist ein bös Ding getan! leget die +Dirne und den toten Knaben auf die Gewehrläufe -- es ist Unsere Meinung +und Wille, daß das Gericht wieder beginne. Wir sind entschlossen, +selbsten im Ring zu sitzen!« + +Während dieser letzten Worte hatte sich Erdwin Wüstemann langsam +aufgerichtet; jetzt stand er wieder fest auf den Füßen. Der Herzog +bemerkte es, er legte ihm die Hand auf die Schulter: + +»Ihr habet hart und schnell in unser Gericht eingegriffen. Stehet zu mir +nun auch im Ring, daß die Wahrheit an den Tag kommt! Nachher, wenn's +sich ausgewiesen hat, wie ich es mir zusammendenke, wollen Wir, daß Ihr +die dort gen Ungarn führet als Unser Ehrbarer, Mannhafter und Getreuer! +Höret Ihr, Hauptmann Erdwin Wüstemann?! Nun hebet die Leichen und rühret +die Trommeln -- fort! fort!« + +Über der blutigen Morgenröte hatten sich die Wolken wieder dunkel +zusammengezogen. Wieder sanken leise einzelne weiße Flocken herab. Sie +mehrten sich von Augenblick zu Augenblick und deckten bald, einem +Leichentuch gleich, die Körper Christophs und Annas, wie sie durch die +Gassen der Stadt Wolfenbüttel, dem Zuge der Krieger und Bürger voran, +dicht hinter dem Gefolge des Herzogs, welcher mit gesenktem Haupte +vorausritt, der Gerichtsstätte am Schloß zugetragen wurden. Der alte +Knecht Erdwin ging neben seinem jungen Herrn her; aber er wußte nichts +davon -- dunkel war es in ihm und um ihn! -- + +=So starb der Junker Christoph von Denow eines adeligen Todes!= + + + + + ********************************************* + * * + * Ein Geheimnis * + * * + * Lebensbild aus den Tagen Ludwigs XIV. * + * * + ********************************************* + + + + + I. + + In der Gasse Quincampoix. + + +Wenn man bedenkt, was für wunderliche Geschichten in dieser Welt +tagtäglich geschehen, so muß man sich sehr wundern, daß es immerfort +Leute gegeben hat und noch gibt, welche sich abmühten und abmühen, +selbst seltsame Abenteuer zu erfinden und sie ihren leichtgläubigen +Nebenmenschen durch Schrift und Wort für Wahrheit aufzubinden. Die +Leute, die solches tun, verfallen denn auch meistens -- wenn sie ihr +leichtfertig Handwerk nicht ins Große treiben und was man nennt große +Dichter werden, -- der öffentlichen Mißachtung als Flausenmacher und +Windbeutel, und alle Vernünftigen und Verständigen, die sich durch ein +ehrlich Handwerk ernähren, als wie Prediger, Leinweber und Juristen, +Bürstenbinder, Ärzte, Schneider, Schuster und dergleichen, blicken mit +mitleidiger Geringschätzung auf sie herab, und das mit Recht! + +So sage ich denn reu- und wehmütig _confiteor, confiteor; -- mea culpa, +mea culpa!_ so beginne ich denn meine -- =wahre Geschichte=. + +Es war in dem durch die Seeschlacht von La Hogue für das Glück und den +Glanz des französischen Königs und Volkes so unheilvollen Jahre 1692. +Viel Not und Elend herrschte im Lande; in Guienne, Bearn, Languedoc und +der Dauphinée starben die Menschen zu Tausenden vor Hunger; Bankerotte, +greuliche Mordtaten, Aufstände waren an der Tagesordnung; -- es war, als +wolle es abwärts gehen mit dem großen Louis. Es regnete, und der +Novemberwind fuhr in kurzen Stößen scharf über die Stadt Paris und durch +die Gasse Quincampoix, welche letztere gar wüst, schmutzig und +verwahrlost ausschauete. Und sah die Gasse Quincampoix an diesem düstern +Novembernachmittag häßlich aus, so gewährten die Menschen, welche sie +bevölkerten, einen noch schlimmern Anblick. War es nicht, als ob das +allgemeine Unglück jedem Gesicht seinen Stempel aufgedrückt habe? -- O +wie verkommen erschien diese französische Nation, welche sich für die +erste der Welt hielt. + +Vier Uhr schlug's, als ein junger Mensch von ungefähr achtundzwanzig +Jahren, hager, bleichgelblich von Gesicht, schwarzhaarig, schwarzäugig, +in luftigen, ärmlichen, schäbigen Kleidern, in der Gasse Quincampoix in +die Kneipe zum Dauphinswappen trat, um seine letzten Sols an eine +Mahlzeit zu wenden. =Stefano Vinacche= hieß dieser junge Mann; ein +Neapolitaner war er von Geburt, ein Abenteurer vom reinsten Wasser. Als +er in die Gargotte eintrat, herrschte in derselben ein wahrer +Höllenlärm; ein Sergeant vom Regiment Villequier war mit einem Kornet +vom Regiment Ruffey über dem Spiele in Streit geraten, ein +Perückenmacher zankte mit einem Lakaien der Prinzessin von Conti über +die Frage: ob es recht sei, daß Monsieur de Pomponne, der +Staatsminister, so viel einzunehmen habe, als ein Prinz von Geblüt; -- +andere Gäste unterhielten sich über andere Gegenstände mit so viel Lärm +als möglich. Im Hinterzimmer, welches an die Kneipstube grenzte, war ein +äußerst hitziger Wortkampf ausgebrochen zwischen dem Wirt zum +Dauphinswappen, Claude Bullot, und seiner hübschen galanten Tochter, -- +kurz, alles ging drunter und drüber, und nur Margot die Kellnerin, eine +Picarde, bewahrte ihren Gleichmut, blickte vom Kamin aus mit +untergeschlagenen Armen in das Getümmel und gab Achtung, daß dem +Sergeanten und dem Kornet jede zerbrochene Flasche, jedes zertrümmerte +Glas richtig angekreidet wurden. Margot die Picarde wußte, daß im +Notfall die Marechaussée in der Gaststube alles schon ins Gleichgewicht +bringen würde, und was im Hinterzimmer vorging, zwischen ihrem Herrn und +der Mademoiselle, machte ihr das höchste Vergnügen. -- + +Am Kamin legte Margot die Picarde dem Neapolitaner das Kuvert, und der +Fremde war allzu ausgehungert und allzu naß, um anfangs an etwas anderes +zu denken, als den Hunger aus dem Magen und die Kälte aus den übrigen +Gliedern zu verjagen. Ruhig setzte er sich auf den ihm angewiesenen +Platz, aß und trank, trocknete seine Kleider, bis er allgemach wieder +auflebte und fähig wurde, seine Aufmerksamkeit den Vorgängen in seiner +Umgebung zuzuwenden. Der Sergeant vom Regiment Villequier erhielt +richtig einen Degenstoß in die Schulter, verhaftet wurde darüber der +Kornet vom Regiment Ruffey; die Bürger, Lakaien, Diebe und Tagediebe +zerstreuten sich mit einbrechender Dämmerung, um sich vor der Dunkelheit +zu retten, oder in der Dunkelheit ihren lichtscheuen Geschäften +nachzugehen. Es wurde still in der Gargotte, nur im Hinterzimmer konnte +man sich immer noch nicht beruhigen. In der Tür, welche auf die Gasse +führte, stand die Kellnerin Margot und blickte in den Regen und die +Nacht hinaus, das Feuer im Kamine prasselte und knatterte und warf +seinen roten Schein über die Tische und Bänke des weiten Gemaches, die +trübe Hängelampe qualmte an der geschwärzten Decke; niemand störte jetzt +mehr den jungen Neapolitaner in seinen trüben Gedanken. Mechanisch +klimperte er mit den wenigen Geldstücken in seiner Tasche; -- was sollte +er beginnen, um nicht Hungers zu sterben, um nicht in den Gassen dieses +schmutzigen, kalten, stinkenden Paris zu erfrieren? »O Neapel, Neapel!« +seufzte Stefano Vinacche. + +Jawohl, etwas anderes war es, eine Nacht obdachlos am Strande des +tyrrhenischen Meeres, ein anderes, eine Nacht obdachlos am Ufer der +Seine zuzubringen. Eine Art stumpfsinniger Schlaftrunkenheit überkam den +jungen Italiener, seine Augen schlossen sich unwillkürlich, und immer +dumpfer und verworrener vernahm er das Schluchzen der Mademoiselle +Bullot und die kreischende Stimme des zornigen Vaters. + +Aber was war das? Plötzlich schwand jedes Zeichen von Ermüdung, von +Erschöpfung an dem Italiener. Vorgebeugt saß er auf seinem Stuhle und +horchte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit nach der Tür hin, welche in +das Hinterzimmer führte. Das Wechselgespräch zwischen Vater und Tochter +war dem Fremden auf einmal interessant geworden durch einen Namen, der +soeben mehrere Male darin vorgekommen war. + +Immer gespannter horchte Vinacche. + +Hatte nicht Meister Claude Bullot, ehe ihm Monseigneur der Herzog von +Chaulnes die Kneipe zum Dauphinswappen einrichtete, als Seifensieder +Bankerott gemacht? + +War nicht Mademoiselle Bullot ein reizendes Schätzchen, dem man schon +etwas zu Gefallen tun konnte? + +Hoch spitzte Stefano Vinacche die Ohren beim Namen des Herzogs von +Chaulnes. + +»Oho, Stefano, solltest du da unvermutet in den Honigtopf gefallen sein? +Oho, Glück geht immer über Verstand, -- _va' piu un' oncia di fortuna, +che una libra di sapere_. Achtung, Achtung, Vinacche!« + +Mancherlei sprach der Vater im Hinterzimmer der Kneipe zum Wappen des +Dauphins. Mancherlei sprach das Töchterlein dagegen; immer fröhlicher +rieb sich Stefano die Hände, bis endlich die Verbindungstür mit Macht +aufgerissen wurde und Mademoiselle -- _éplorée_ in das Schenkzimmer +stürzte. Hinter ihr erschien der zornige Papa, einen zusammengedrehten +Strick in der Hand: + +»Warte, Kreatur!« + +Stefano Vinacche wußte schon längst, was er zu tun hatte. Er warf sich +auf den ergrimmten Gargottier und packte seinen erhobenen Arm. + +»Monsieur?!« + +»Monsieur!« + +»Laßt mich frei! was fällt Euch ein?« + +»Ich leid's nicht, daß Ihr Mademoiselle mißhandelt; -- tretet hinter +mich, Mademoiselle!« + +»Margot, Margot!« rief endlich der Wirt zum Dauphinswappen. + +Margot erschien, stemmte aber nur die Arme in die Seite und sah der +Szene zu, ohne ihrem Herrn zu Hilfe zu kommen. + +»Haltet ihn, um Gottes willen, haltet ihn, er wird mich ermorden, wenn +Ihr ihn freilaßt!« rief Mademoiselle Bullot. + +»Seid ruhig, Schönste; er soll Euch nichts zuleide tun. Pfui, schämt +Euch, Monsieur, wie könnt Ihr eine liebenswürdige Tochter also +behandeln?« + +»Ich frage Euch zum letztenmal, wollt Ihr mich loslassen?« + +»In Ewigkeit nicht, wenn Ihr mir nicht den Strick gebt, Signor, und +versprecht artig zu sein gegen die Damen, Signor!« + +»Morbleu!« schrie der Wirt zum Dauphinswappen, und der Himmel weiß, was +geschehen wäre, wenn nicht der Eintritt eines in einen Mantel +gewickelten Mannes der Szene ein Ende gemacht hätte. + +Der Mantel fiel zur Erde, und Wirt und Töchterlein und Kellnerin und +Italiener riefen mit einer Stimme: + +»Monseigneur!« + +Der Eingetretene war Karl d'Albert, Herzog von Chaulnes, Pair von +Frankreich, Vidame von Amiens, ein ältlicher Mann, dem man den »großen +Herrn« nicht im mindesten ansah, woran der bürgerliche Anzug durchaus +nicht schuld war; ein Mann, von welchem einige Jahre später ein +deutscher Schriftsteller sagte: »Er erwartet den Tod mitten in seinen +Vergnügungen; er ist freigebig ohne Unterschied und von einem sehr +abgenutzten Gehirne.« + +»Holla, das geht ja lustig her!« rief der Herzog. »_Notre Dame de +Miracle_, und auch Vinacche dabei! Sagt mir um aller Teufel willen --« + +Mademoiselle Bullot ließ ihn nicht aussprechen; sie eilte auf den hohen +Herrn zu und -- warf sich an seinen Hals, schluchzend, Gift und Galle +speiend: + +»Monseigneur, ich halt's nicht mehr aus; Monseigneur, errettet mich aus +den Händen meines Vaters! Wäre dieser edle junge Mann eben nicht +dazwischen gekommen, er hätte mich gewißlich zu Tode geschlagen.« + +»Wieder das alte Lied? Bullot, Bullot, ich frage Euch um Gottes willen, +glaubt Ihr in der Tat, ich habe Euch Eurer roten Nase wegen zum +Eigentümer dieses Dauphinswappens gemacht? Ich sage Euch, auf den Knieen +solltet Ihr Eure liebenswürdige Tochter verehren; -- _notre Dame de +Miracle_, ich sage Euch zum allerletzten Male, behandelt Mademoiselle, +wie es sich ziemt, oder --« + +»O Monseigneur!« flehte Meister Claude, welcher seinen Strick längst +ganz verstohlen in den Winkel geworfen hatte und katzenbuckelnd so +gemein und niederträchtig aussah, wie man unter der Regierung des +großen Louis nur aussehen konnte. »O Monseigneur, ich versichere Euch, +=sie= hat's darauf abgesehen, ihren unglückseligen Vater in ein +frühzeitig Grab zu bringen. Monseigneur, Ihr kennt sie nur von der einen +Seite; aber ich -- o Monseigneur!« -- + +»Still! Ihr seid ein Schurke, und Mademoiselle ist ein Engel! -- +beruhige dich, Kind --« + +»Monseigneur, er ist zu boshaft. Monseigneur, wenn Ihr mich wirklich +liebt, so laßt mich nicht in seiner Gewalt.« + +»Ruhig, ruhig, süßes Kind. Was ist denn nur eigentlich vorgefallen?« + +Ja, was war vorgefallen? + +Eine Zungenfertigkeit sondergleichen entwickelten Mademoiselle Bullot +und Meister Claude Bullot gegeneinander, doch haben wir mit dem +Ausgangspunkte des Streites nicht das mindeste zu schaffen und brauchen +nur zu sagen, daß der Herzog von Chaulnes, obgleich er im Grunde seines +Herzens dem erzürnten Papa recht geben mußte, in Anbetracht seiner +zarten Stellung zu Mademoiselle sich auf deren Seite stellte. Sehr +ärgerlich war der Herzog von Chaulnes! In äußerst lebendiger Stimmung +war er durch die Gasse Quincampoix zum Dauphinswappen geschlichen, nun +fand er statt Ruhe und Behagen, Unzufriedenheit und Streit; wo er +Lächeln und Lachen erwartet hatte, mußte er Tränen trocknen; -- _notre +Dame de Miracle_, es war zu ärgerlich! + +»Etienne,« sagte der Herzog zu Vinacche, »Etienne, ich bin dieses Lärms +müde; ich will nach Haus und du magst mit mir kommen. Meister Claude, +ich versichere Euch meiner gnädigsten Ungnade! Mademoiselle, Eure +rotgeweinten Augen betrüben mich sehr -- gute Nacht, Mademoiselle -- +dazu zweihundert Louisdor im Landsknecht verloren -- kommt, Etienne +Vinacche, Ihr mögt mit mir zum Hotel fahren, ich habe Euch etwas zu +sagen; ich habe eine Idee!« + +Vergebens hing sich Mademoiselle Bullot an den Arm des Herzogs mit den +süßesten Schmeicheleien und Liebkosungen. Er machte sich los, streckte +dem niedergeschmetterten Wirt zum Dauphinswappen eine Faust entgegen, +ließ sich von Vinacche den Mantel wieder um die Schultern legen und +verließ, im höchsten Grade mißmutig gestimmt, mit seiner »Idee« die +Gargotte, in welcher nach seinem Abzuge der Tanz zwischen Vater und +Tochter von neuem anging, doch diesmal mit allem Vorteil auf Seiten von +Mademoiselle. Meister Claude Bullot sah ein, daß er ein Esel -- ein +gewaltiger Esel war; demütig kroch er zu Kreuze und nahm jede Injurie, +welche ihm das Töchterlein an den Kopf warf, mit gekrümmtem Rücken in +Empfang. + +Unterdessen wateten mühsam der Herzog und der Italiener durch den +Schmutz und die Gefahren der Gassen von Paris, bis sie an einer Ecke zu +der harrenden Karosse des Herzogs gelangten. Mit tiefen Bücklingen riß +der Lakai den Wagenschlag auf. + +»Steig hinten auf, Etienne; ich habe mit dir zu reden,« sagte der Herzog +und warf sich in die Kissen seiner Kutsche. + +»Achtung, Stefano, jetzt mag's in deinen Topf regnen!« murmelte der +schlaue Neapolitaner, und schwerfällig setzte sich die Karosse in +Bewegung. + + + + + II. + + Gold. + + +Während vor dem flackernden Kaminfeuer in seinem Hotel der Herzog von +Chaulnes dem obdachlosen Vagabunden Stefano Vinacche den annehmbaren +Vorschlag tut, Mademoiselle Bullot, das liebenswürdige Erzeugnis der +Gasse Quincampoix, zu -- heiraten und dadurch nicht nur sich selbst, +sondern auch Monseigneur aus mancherlei ärgerlichen Verdrießlichkeiten +des Lebens herauszureißen, wollen wir erzählen, wer Stefano Vinacche +eigentlich war. Im Jahre 1689 war der junge Neapolitaner als Lakai im +Gefolge des Herzogs, dem er zu Rom mancherlei Dienste kurioser Art +geleistet haben mochte, nach Frankreich gekommen, ohne jedoch in diesem +Lande anfangs die Träume, welche ihm seine südliche Phantasie +vorspiegelte, zu verwirklichen. Es wird uns nicht gesagt, was ihn im +folgenden Jahre schon aus dem Dienste seines Gönners trieb, und ihn +bewog, sich als gemeiner Soldat in das Regiment Royal-Roussillon +aufnehmen zu lassen. Wir wissen nur, daß er im Jahre 1691 dem +Regimentsschreiber Nicolle, seinem Schlafkameraden, einige +Offiziersuniformen, welche derselbe ausbessern sollte, stahl und mit +ihnen desertierte, welches Wagestück aber fast übel abgelaufen wäre. Auf +dem Wege nach Paris, der Stadt, nach welcher von jeher eine dumpfe +Ahnung künftiger Geschicke das seltsame Menschenkind trieb, gefangen und +als Fahnenflüchtiger ins Gefängnis geworfen und zum Tode verurteilt, +entging er nur durch Verwendung des Grafen von Auvergne dem Galgen. Im +nächsten Jahre in Freiheit gesetzt, machte sich Stefano Vinacche von +neuem auf den Weg nach Paris, und haben wir seiner Ankunft in der +Gargotte zum Wappen des Dauphins in der Gasse Quincampoix soeben +beigewohnt. -- + +Ei, wie wunderlich, wunderlich spinnt sich ein Menschenleben ab! Wir +armen blinden Leutlein auf diesem Erdenballe wandern freilich in einem +dichten Nebel, der sich nur zeitweilig ein wenig hier und da lüftet, um +im nächsten Augenblicke desto dichter sich wieder zusammenzuziehen. Wir +getriebenen und treibenden Erdbewohner haben freilich nur eine dumpfe +Ahnung von dem, was im Getümmel ringsumher vorgeht. Warum sollten wir +uns auch in der kurzen Spanne Lebenszeit, die uns gegeben ist, viel um +andere Leute bekümmern, da wir doch so viel mit uns selbst zu tun haben? +Über allen Nebeln ist Gott; der mag zusehen, daß alles mit rechten +Dingen zugeht; der mag acht geben, daß sich der Faden der Geschlechter, +welchen er durch die Jahrtausende von dem Erdknäuel abwickelt, nicht +verwirrt. Nur weil sie abgewickelt werden, drehen sich Sonne, Mond, +Sterne; -- von jeder leuchtenden Kugel läuft ein Faden zu dem großen +Knäuel in der Hand Gottes, zu dem großen letzten Knäuel, in welchem +jeglicher Knoten, der unterwegs entstanden sein mochte, gelöst sein +wird, in welchem alle Fäden nach Farben und Feinheit harmonisch sich +zusammenfinden werden. + +Da ist solch ein Knötlein im Erdenfaden! wir finden es in unsrer +Erdgeschichte am Ende des siebenzehnten und Anfang des achtzehnten +Jahrhunderts nach Jesu Geburt, wo viel Sünde, Schande und Verderbnis +sich häßlich ineinander schlingen, wo Krieg und Sittenlosigkeit das +abscheulichste Bündnis geschlossen haben, daß das jetzige Gechlecht +schaudernd darob die Hände über dem Kopfe zusammenschlägt. + +Der Erzähler aber, des letzten großen knotenlosen Knäuels in der Hand +Gottes gedenkend, schlägt nicht die Hände über dem Kopfe zusammen; -- +den Handschuh hat er ausgezogen, mutig in die Wüstenei hineingegriffen, +einen längst begrabenen, vermoderten, vergessenen Gesellen +hervorgezogen. Da ist er -- =Stefano Vinacche= -- späterhin Monsieur +Etienne de Vinacche, großer Arzt, berühmter Chemiker, -- Goldmacher, +nächst Samuel Bernard der reichste Privatmann seiner Zeit!... + +»Also Etienne,« sprach der Herzog von Chaulnes zu dem halb verhungerten, +obdachlosen Vagabunden, »eine allerliebste Frau und eine vortreffliche +Aussteuer....« + +»_Servitore umilissimo!_« + +»Und, Etienne, eine Empfehlung an meinen Freund, den Herzog von Brissac. +Ihr geht nach Anjou, -- lebt auf dem Lande, wie die Engel _à la Claude +Gillot_, -- ich besuche Euch -- stehe Gevatter --« + +»Ah!« machte der Italiener mit einer unbeschreiblichen Bewegung des +ganzen Oberkörpers. + +»_Plait-il?_« + +»O nichts, Monseigneur!« sagte der Italiener. »Ihr seid mein +gnädigster, gütigster Herr und Gebieter.« Er machte eine Verbeugung bis +auf den Boden. + +»Wann soll die Hochzeit sein, Monseigneur?« + +»So schnell als möglich -- ach!« + +»Monseigneur seufzt?!« rief Stefano schnell. »Noch ist's Zeit, daß +Monseigneur Sein Wort zurücknehme; Mademoiselle Bullot ist ein reizendes +Mädchen; aber wenn Monseigneur die hohe Gnade haben wollte, mich wieder +zu seinem Kammerdiener zu machen --« + +»Nein, nein, nein, es bleibt dabei, Vinacche; Ihr heiratet die Schöne, +und ich -- _ah notre Dame de Miracle_ -- ich will hingehen und sorgen, +daß Madame von Maintenon und der Pater La Chaise davon zu hören +bekommen. Also geht, Vinacche; bis zur Hochzeit gehört Ihr wieder zu +meinem Haus. Der Intendant soll für Euch sorgen.« + +»Monseigneur ist der großmütigste Herr der Welt!« rief Vinacche, dem +Herzog die Hand küssend. Unter tiefen Bücklingen schritt er rücklings +zur Tür hinaus, und tief seufzend blickte ihm sein Gönner nach. + +Als sich die Tür hinter dem Italiener geschlossen hatte, murmelte +dieser: »_Corpo di Bacco_, Achtung, Achtung, Vinacche, Stefano mein +Söhnchen! Halte die Augen offen, mein Püppchen! Ist's mir nicht +versprochen bei meiner Geburt, daß ich vierspännig fahren sollte in der +Hauptstadt der Franzosen?!« + +Drinnen rieb sich der Herzog die Stirn und ächzte: + +»Ach, Madame von Maintenon ist eine große Dame! _Vive la messe!_« + +Acht Tage nach dem eben Erzählten war eine Hochzeit in der Gasse +Quincampoix. Der Wirt zum Dauphinswappen Claude Bullot verheiratete zu +seiner eigenen Verwunderung und zur Verwunderung sämtlicher Nachbaren +und Nachbarinnen seine hübsche Tochter mit einem ganz unbekannten jungen +Menschen, der nicht einmal ein Franzose war. Mancherlei Glossen wurden +darüber gemacht, und allgemein hieß es, Mademoiselle Bullot sei eine +Törin, welche nicht wisse, was man mit einem hübschen Gesicht und +tadellosen Wuchs in Paris anfangen könne. + +Da aber Mademoiselle Bullot und Stefano Vinacche mit ziemlich vergnügten +Mienen ihr Schicksal trugen, so mochten Papa und Nachbarschaft nach +Belieben sich wundern, nach Belieben Glossen machen. Sämtliche +Dienerschaft des Herzogs von Chaulnes verherrlichte die Hochzeit durch +ihre Gegenwart; Flöten und Geigen erklangen in der Gargotte zum Wappen +des Dauphins. Man sang, jubelte, trank auf das Wohl der Neuvermählten +bis tief in die Nacht. Zuletzt artete das Gelage nach der Sitte der Zeit +in eine wahre Orgie aus; blutige Köpfe gab's, und zum Schluß mußte der +Polizeileutnant einschreiten und die ausgelassene Gesellschaft +auseinander treiben. Am folgenden Tage machte das junge Paar sich auf +den Weg zum Gouverneur von Anjou, dem Herzog von Brissac, einem »armen +Heiligen, dessen Name nicht im Kalender steht«. + +Ein tüchtiges Schneegestöber wirbelte herab, als der Wagen der +Neuvermählten hervorfuhr aus der Gasse Quincampoix. Auf der Schwelle +seiner Tür stand der Vater Bullot mit der Kellnerin Margot, und beide +blickten dem Fuhrwerk nach, so lange sie es sehen konnten. Dann zog der +Wirt zum Dauphinswappen die Schultern so hoch als möglich in die Höhe +und trat mit der Picarde zurück in die Schenkstube, welche noch deutlich +die Spuren der Hochzeitsnacht an sich trug. + +»Alles in allem genommen, ist's doch ein Trost und ein Glück, daß ich +sie los bin,« brummte der zärtliche Papa. »Es hätte noch ein Unglück +gegeben; das war ja immer, als brenne der Scheuerlappen zwischen uns. +Vorwärts, Margot! einen Kuß und an die Arbeit, mein Liebchen, auf daß +das Haus rein werde.« + +Liebe Freunde, wer das Leben Stefano Vinacches beschreibt, der muß recht +acht geben, daß er seinen Weg im Nebel nicht verliere. Schattenhaft +gleitet die Gestalt des Abenteurers vor dem Erzähler her, bald zu einem +Zwerg sich zusammenziehend, bald riesenhaft anwachsend, gleich jener +seltsamen Naturerscheinung, die den Wanderer im Gebirge unter dem Namen +des Nebelgespenstes erschreckt. Bald klarer, bald unbestimmter tritt +Stefano Vinacche aus den Berichten seiner Zeitgenossen uns entgegen. Wir +wissen nicht, was ihn mit seiner Frau so schnell aus Anjou nach Paris +zurücktrieb; wir wissen nur, daß am neunten April 1693, an dem Tage, an +welchem Roger von Rabutin, Graf von Bussy, sein wechselvolles Leben +beschloß, der Papa Bullot in höchster Verblüffung die Hände über dem +Kopfe zusammenschlug, als er Tochter und Schwiegersohn zu Fuß, +kotbespritzt, mit höchst winziger Bagage, durch die Gasse Quincampoix +auf das Dauphinswappen zuschreiten sah. Der gute Alte traute seinen +Augen nicht und überzeugte sich nicht eher von der Wirklichkeit dessen, +was er erblickte, bis ihm Madame Vinacche schluchzend um den Hals fiel, +und Stefano ihn herzzerbrechend anflehte, ihn und sein Weib für eine +Zeit wieder unter sein Dach zu nehmen. + +»Wir wollen auch recht artige Kinder sein!« bat Madame Vinacche. + +»Und wir werden nicht lange Euch zur Last sein!« rief Stefano. + +»_Diable! diable!_« ächzte Meister Claude Bullot, und Margot, die +Picarde, gab ihm verstohlen einen Rippenstoß, daß er fest bleibe und +sich nicht beschwatzen lasse. + +Wer hätte aber den beredten Worten Stefano Vinacches widerstehen können? +Das Ende vom Liede war, daß das junge Ehepaar mit seinen armen +Habseligkeiten einzog in die Kneipe zum Dauphinswappen, und daß Meister +Bullot und Margot, die Kellnerin, nachdem Madame Vinacche die Schwelle +überschritten hatte, seufzend sich in das Unvermeidliche fügten. + +»Ach, Margot, Margot, nun sind die schönen Tage wieder vorüber!« seufzte +Meister Claude, und während die Heimgekehrten im oberen Stockwerk des +Hauses ihre Einrichtungen trafen, saßen am Kamin in der leeren +Schenkstube der Wirt und seine Kellnerin trübselig einander gegenüber +und konnten sich nur durch das weise Wort, daß man das Leben nehmen +müsse, wie es komme, -- trösten. Dann schlossen die beiden Parteien +einen Kompromiß, in welchem festgestellt wurde, daß weder Monsieur +Etienne noch Madame in die Angelegenheiten des Papas und der Kellnerin +Margot sich mischen sollten, und daß sie durch ihnen passend scheinende +Mittel für ihrer Leiber Nahrung und Kleidung selbst zu sorgen hätten. +Wohnung, Licht und Feuerung versprachen Meister Bullot und Margot die +Picarde zu liefern. + +Feierlich wurde dieser Vertrag von einem Stammgast der Gargotte, dem +Sieur Le Poudrier, einem Winkeladvokaten, verbrieft und besiegelt, und +man lebte fortan miteinander, wie man konnte. + +Da der Herzog von Chaulnes seine Verpflichtungen gegen das junge Ehepaar +glänzend abgetragen zu haben glaubte, so floß die Quelle seiner Gnaden +immer spärlicher und versiegte zuletzt ganz. Die Haushaltung im zweiten +Stockwerk des Dauphinswappens mußte für Eröffnung anderer Geldquellen +sorgen, zumal da noch im Laufe des Sommers ein kleiner Vinacchetto das +Licht der Gasse Quincampoix erblickte. Die Not und der Zug der Zeit +machten Stefano zu einem Charlatan; aber jedenfalls zu einem genialen +Charlatan. + +»_Anima mia_, laß den Mut nicht sinken, wir fahren doch noch +vierspännig!« sagte er zu seiner hungernden Frau und fing an, den +Nachbarn und Nachbarinnen, sowie den Gästen, welche die Gargotte seines +Schwiegervaters besuchten, Mittel gegen das Fieber und andere +unangenehme Übel zu verkaufen. + +Allmählich verwandelte sich das Wohngemach der kleinen Familie in ein +schwarzangeräuchertes chemisches Laboratorium; mit wahrer Leidenschaft +warf sich Stefano Vinacche, obgleich er bis an sein Ende weder lesen +noch schreiben lernte, auf das Studium der Simpla und der Mineralien. + +Eine gewaltige Veränderung ging mit dem seltsamen Menschen vor; -- nicht +mehr war er der vagabondierende Abenteurer, der das Glück seines Lebens +auf den Landstraßen, in den Gassen suchte. Tag und Nacht schritt er +grübelnd einher, das Haupt zur Brust gesenkt, die Arme über der Brust +gekreuzt. Wer konnte sagen, was er suchte? + +Eine fast ebenso überraschende Veränderung kam über das junge Weib +Vinacches. Die frühere Mätresse des Herzogs von Chaulnes verehrte den +ihr aufgedrungenen Mann auf den Knien, sie war die treuste, liebendste +Gattin geworden, und ist es über den Tod Stefanos hinaus geblieben. + +=Sie= konnte lesen, =sie= konnte schreiben: --wie viele alte vergilbte +Bouquins hat sie dem suchenden Forscher, in stillen Nächten, während sie +ihr Kind wiegte, vorgelesen! + +Der Vater Bullot hatte nicht mehr Ursache, sich über das wilde, +unbändige Gebaren seiner Tochter zu beklagen. Die eigentümliche Gewalt, +welche Stefano Vinacche späterhin über die schärfsten, klarsten Geister +hatte, trat auch jetzt in der engeren Sphäre schon bedeutend hervor. +Papa Claude, Margot die Picarde, Gratien Le Poudrier der Rabulist, alle +Nachbaren und alle Nachbarinnen beugten sich dem schwarzen, funkelnden +Auge Stefanos. Der Stein war ins Wasser gefallen, und die Wellenringe +liefen in immer weitern Kreisen fort; -- weit, weit über die Gasse +Quincampoix hinaus verbreitete sich der Ruf Stefano Vinacches! + +Unterdessen schlug man sich in Deutschland, Flandern, Spanien, Italien +und auf der See. In Deutschland verbrannte Melac Heidelberg, und der +Feldmarschallleutnant von Hettersdorf, der »die _poltronnerie_ seines +Herzens mit großen _Peruquen_ und bebremten Kleidern zu bedecken +pflegte«, -- Hettersdorf, der elende Kommandant der unglücklichen Stadt, +wurde auf einem Schinderkarren durch die Armee des Prinzen Ludwig von +Baden geführt, nachdem ihm der Degen vom Henker zerbrochen worden war. +Aus Flandern schickte der Marschall von Luxemburg durch d'Artagnan die +Nachricht vom Sieg bei Neerwinden. Roses in Katalonien wurde erobert. Zu +Versailles, zu Paris in der Kirche unserer lieben Frau sang man _Te Deum +laudamus_; aber im Bischoftum Limoges starben gegen zehntausend Menschen +Hungers. Zu Lyon wie zu Rouen fiel das Volk in den Gassen wie Fliegen, +und ihrer viel fand man, welche den Mund voll Gras hatten, ihr elendes +Leben damit zu fristen. + +Stefano Vinacche, nach einer Reise in die Bretagne, verließ die Gasse +Quincampoix und das Haus seines Schwiegervaters und zog in die Gasse +Bourg l'Abbé. Strahlend brach die Glückssonne Stefanos durch die Wolken. +Fünf Monate war er in der Bretagne gewesen, und niemand hat jemals +erfahren, was er dort getrieben, -- gesucht, -- gefunden hat! Zu Fuß +zog er aus, in einer zweispännigen Karosse kehrte er zurück. Zwei +Lakaien und ein Kammerdiener bedienten ihn in der Straße Bourg l'Abbé, +wohin er aus der Gasse Quincampoix zog. Von neuem errichtete er in +seiner jetzigen Wohnung seine chemischen Feuerherde, von neuem braute er +seine Rezepte, und das Gerücht ging aus, Monsieur Etienne Vinacche suche +den Stein der Weisen, und es sei Hoffnung vorhanden, daß er denselben +binnen kurzem finden werde; und wieder tritt dem Erzähler der alte +Gönner des unbegreiflichen Mannes, der Herzog von Chaulnes, entgegen, +welcher ihm zum Ankauf von Kohlen, Retorten und dergleichen Apparaten +zweitausend Taler gibt. + +Im Jahr der Gnade Eintausendsiebenhundert war das große Geheimnis +gefunden; -- Stefano Vinacche hatte das Projektionspulver hergestellt, +Etienne Vinacche machte -- + + =Gold!= + +In demselben Jahre Eintausendsiebenhundert kaufte =Monsieur de Vinacche= +aus dem Inventar von Monsieur, dem Bruder des Königs, für sechzigtausend +Livres Diamanten. + + + + + III. + + Glück und Glanz. + + +Wir schauen wie in ein Bild von Antoine Watteau durch das zarte +frühlingsfrische Blätterwerk zu Coubron -- fünf Meilen von Paris -- wo +Monsieur Etienne de Vinacche auf seinem reizenden Landsitze ein +glänzendes Fest gibt. Die untergehende Maisonne des Jahres +Siebzehnhunderteins übergießt die Landschaft mit rosigem Schein; -- +Lachen und Kosen und Flüstern des jungen Volkes ertönt im Gebüsch; +geputzte ältere Herren und Damen durchwandeln gravitätisch die +gradlinigen Gänge des Parkes. Karossen und Reitpferde mit ihrer +Begleitung von Kutschern, Lakaien und Läufern halten vor dem vergoldeten +Gittertor; Monsieur de Vinacche und seine Frau sind eben im Begriff, von +einem Teil ihrer Gäste, der nach Paris oder den umliegenden Landhäusern +zurückkehren will, Abschied zu nehmen. + +Die Dame Rochebillard, die Geliebte Tronchins, des ersten Kassierers +Samuel Bernards, des »_fils de Plutus_«, -- wird von Madame de Vinacche +zu ihrer Kutsche geleitet; Monsieur Etienne befindet sich im eifrigen +Gespräch mit einem jungen Edelmann, dem Sieur de Mareuil. Für +fünftausend Livres will Vinacche dem Herrn von Mareuil einen +konstellierten Diamant, vermöge dessen man immerfort glücklich spielen +soll, anfertigen. Ein wenig weiter zurück unterhalten sich die beiden +reichen Bankiers van der Hultz, der Vater und der Sohn, mit Herrn +Menager, _Sécrétaire du Roi_ und Handelsdeputierten von Rouen; -- auf +einem Rasenplatz tanzen einige junge Paare nach den Tönen einer Schalmei +und eines Dudelsacks ein Menuett; bunte Diener tragen Erfrischungen +umher, für die abfahrenden Gäste erscheinen andere; der Chevalier von +Serignan, Monsieur Nicolaus Buisson, der Sieur Destresoriers, Edelleute +von der Robe, Edelleute vom Degen, Finanzleute, Beamte und so weiter mit +ihren Frauen und Töchtern, allgesamt angezogen von dem Glanz, der Pracht +und dem großen Geheimnis des einstigen neapolitanischen Bettlers Stefano +Vinacche. + +Hat sich aber um Mitternacht dieser Schwarm der Gäste verloren, so +erscheinen andere Gestalten. Aus verborgenen Schlupfwinkeln tauchen +Männer auf, finstere bleiche Männer mit zusammengezogenen Augenbrauen +und rauhen, rauchgeschwärzten Händen. Da ist Konrad Schulz, ein +Deutscher, den Herr von Pontchartrain später verschwinden läßt, ohne daß +man jemals wieder von ihm hört. Da sind Dupin und Marconnel, +hocherfahren in der geheimen Kunst. Da ist Thuriat, ein wackerer +Chemiker; da ist ein anderer Italiener, Martino Polli. Geheimnisvolle +Wagen, von geheimnisvollen Fuhrleuten begleitet, langen an und fahren +ab, und Säcke werden abgeladen und aufgeladen, die, wenn sie die Erde +oder einen harten Gegenstand berühren, ein leises Klirren, als wären sie +mit Goldstücken gefüllt, von sich geben, geheimnisvolle Feuer in +geheimnisvollen Öfen flammen auf, -- Wacht hält Madame de Vinacche, daß +die nächtlichen Arbeiter nicht gestört werden in ihrem Werke. + +Hüte dich, Stefano Vinacche! Im geheimen Staatsrat zu Versailles hat man +von dir gesprochen: Monsieur Pelletier von Sousy, der Intendant der +Finanzen, hat den Mann mit dem Kopf voll böser Anschläge, hat Monsieur +d'Argenson aufmerksam auf dich gemacht. + +Hüte dich, Stefano Vinacche! -- + +Wer klopft in dunkler Nacht an das Hinterpförtchen des Landhauses zu +Coubron? + +Salomon Jakob, ein Jude aus Metz, welcher die Verbindung des +»Unbegreiflichen« mit Deutschland vermittelt. + +Wer klopft in dunkler Nacht an die Pforte des Landhauses zu Coubron? + +Franz Heinrich von Montmorency-Luxemburg, Pair und Marschall von +Frankreich, welchen Stefano Vinacche die Kunst lehren soll, den Teufel +zu beschwören. + +In dunkler Nacht fährt nach Coubron der Herzog von Nevers, um sich in +die geheimen Wissenschaften einweihen zu lassen. + +In dunkler Nacht fährt nach Coubron Karl d'Albert, Herzog von Chaulnes, +und Madame de Vinacche empfängt ihn in brokatnen Gewändern, geschmückt +mit einer Cordeliere und einem Halsband im Wert von sechstausend Livres. + +»_Notre Dame de Miracle_, wie habe ich für Euer Glück gesorgt, +Allerschönste!« sagt der Herzog von Chaulnes, und die Tochter des Wirts +zum Dauphinswappen verbeugt sich mit dem Anstand einer großen Dame und +führt den hohen Gast und Gönner in ihren Salon, welcher den Vergleich +mit jedem andern zu Paris aushält. + +Stefano Vinacche trägt nicht mehr sein eigenes Haar; eine wallende +gewaltige Lockenperücke bedeckt sein kluges Haupt. Mit feiner Ironie +sagt er, in den wallenden Stirnlocken dieser seiner Perücke halte er +seinen _Spiritus familiaris_, sein »_folet_« verborgen und gefesselt. + +»_Notre Dame de Miracle_, Ihr seid ein großer Mann, Etienne!« sagt der +Herzog von Chaulnes, und der Hausherr von Coubron verbeugt sich +lächelnd: + +»O Monseigneur!« + +»Ja, ja, wer hätte das gedacht, als ich Euch in Italien von der +Landstraße aufhob? Wer hätte das gedacht, als ich Euch durch den Grafen +von Auvergne vom Galgen errettete; -- Vinacche, Ihr müßt mir sehr +dankbar sein.« + +Stefano legt die Hand auf das Herz. + +»Monseigneur, ich habe ein gutes Gedächtnis für empfangene Wohltaten. +Glaubt nicht, daß das Glück und die errungene Wissenschaft mich stolz +mache. Fragt meine Frau, was gestern geschehen ist.« + +»Wahrlich, Monseigneur, es war eine tolle Szene. Stellt Euch vor, es +befindet sich gestern eine glänzende Gesellschaft bei uns, Monsieur +Despontis, Monsieur von Beaubriant und viele andere, als ein abgelumpter +Mensch Etienne zu sprechen verlangt. Die Diener wollten ihn abweisen; +aber Etienne hört den Lärm und läßt den Vagabunden kommen. _Mon Dieu_, +was für eine Szene!« + +»Nun?!« + +»Nicolle war's, gnädigster Herr! Nicolle, meines Mannes Kamerad aus dem +Regiment Royal-Roussillon!« + +»Oh, oh, oh! ah, ah, ah!« lacht der Herzog. »Dem Wiederfinden hätt' ich +beiwohnen mögen. Das muß in der Tat eine eigentümliche Überraschung +gegeben haben.« + +»Ich fiel in Ohnmacht, und Etienne -- fiel dem Vagabunden um den +Hals --« + +»Und die Gesellschaft?« + +»Stand in starrer Verwunderung! Es war ein tödlicher Augenblick,« ruft +Madame de Vinacche klagend, doch Etienne sagt: + +»Ich hatte dem Manne einst ein schweres Unrecht zugefügt, jetzt war mir +die Gelegenheit gegeben, es wieder gutzumachen, und ich benutzte diese +Gelegenheit.« + +»_Notre Dame de Miracle_, ich werde der Frau von Maintenon diese +Geschichte erzählen. Ihr seid ein braver Gesell, Etienne. Ah, oh, _ou la +vertu va-t-elle se nicher_? wie Monsieur Molière sagt, -- sagt er nicht +so?« + +»Ich glaube, gnädiger Herr,« meint Vinacche, die Achsel zuckend, und +setzt hinzu, als eben jemand an die Tür des Salons mit leisem Finger +klopft: »Da kommt Konrad, uns zum Werk zu holen. Wenn es also beliebt, +Monseigneur, so können wir unsere Arbeit von neuem aufnehmen; Zeit und +Stunde sind günstig, jeder Stern steht an seinem rechten Platz, und gute +Hände schüren die Flamme!« + +In die geöffnete Tür schaut das finstere Gesicht des deutschen Meisters +Konrad Schulz: + +»Es ist alles bereit!« + +»Wir kommen!« sagt der Herzog von Chaulnes, mit zärtlichem Handkuß von +Madame Vinacche Abschied nehmend. In das chemische Laboratorium herab +schreiten die Männer. + +Um den schwarzen Herd stehen regungslos die Gehilfen des großen +Goldmachers. Atemlos verfolgt der Herzog jede Bewegung des Alchymisten. + +Der Meister arbeitet! + +Tiegel voll Salpeter, Antimonium, Schwefel, Arsenik, Qecksilber gehen +von Hand zu Hand. Die Phiole mit dem »Sonnenöl« reicht Martino Polli, +das Blei bringt Konrad Schulz zum Fluß; -- der große Augenblick ist +gekommen. Aus einem Loch in der schwarzen feuchten Mauer ringelt sich +eine bunte Schlange hervor, sie steigt an dem Beine Stefano Vinacches +empor, sie umschlingt seinen Arm und scheint ihm ins Ohr zu zischen. Ein +Zittern überkommt den Goldmacher, aus der Brust zieht er ein winziges +Fläschchen; -- im Tiegel gärt und kocht die metallische Masse, -- die +Flammen züngeln, -- aus der Phiole in der Hand des Meisters fällt das +Projektionspulver in den Tiegel -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- + +Das Werk ist vollbracht! In die Form gießt Konrad Schulz die kostbare, +im höchsten Fluß befindliche Masse -- nach einigen Augenblicken wiegt +der Herzog von Chaulnes eine glänzende Metallbarre in der Hand. +»Reinstes Gold, Monseigneur!« sagt Stefano Vinacche. -- + + + + + IV. + + Was man in Versailles dazu sagte. + + +Vinacche fuhr mit seiner Frau vierspännig durch die Straßen von Paris. +Lange war Claude Bullot tot und erinnerte sie nicht mehr an die +Dunkelheit ihrer Herkunft. In der Gasse Saint Sauveur besaß Stefano +jetzt ein prächtiges Haus, wo er die beste Gesellschaft von Paris bei +sich sah. Sein Leben strahlte im höchsten Glanz. Die Teilnehmer seiner +wunderlichen Operationen hatte er durch Drohungen, Versprechungen, List +und Überredung zu seinen Sklaven gemacht; er durfte ihnen drohen, sie +bei der geringsten Auflehnung gegen seinen Willen als Fälscher, Kipper +und Wipper hängen zu lassen. Seine Geschäftsverbindungen mit Samuel +Bernard, Tronchin, Menager, mit den beiden van der Hultz, mit +Saint-Robert und dem Sieur Buisson Destresoriers nahmen ihren +ungestörten Fortgang. Man sah in seinen Gemächern oft fünfzehn, zwanzig, +dreißig Säcke voll nagelneuer Louisdors aufgestellt. Neu geprägte +Goldstücke fanden die Diener und Dienerinnen, von denen das Haus +überquoll, im Kehricht, in den Winkeln, unter der schmutzigen Wäsche; -- +sie verkauften Stückchen von Goldbarren an die Juden, und Madame de +Vinacche erschrak eines Tages heftig genug, als sie, ungesehen von +ihnen, ein Gespräch zwischen ihrer Kammerfrau La Martion und einigen +Lakaien ihres Mannes belauschte. -- + +Der spanische Erbfolgekrieg hatte begonnen. War das Geld im Hause +Stephano Vinacches im Überfluß vorhanden, so mangelte es um desto mehr +im Hause des Königs Ludwig des Vierzehnten. Herrschte im Hause Stefano +Vinacches Jubel und Übermut, so herrschte Mißmut, Angst, Sorge und Not +zu Versailles. Ein gewaltiger Umschwung aller Dinge trat in diesem +früher so glänzenden Frankreich mehr und mehr hervor. Auf die Zeit des +phantastischen, lebenvollen Karnevals folgte der Aschermittwoch mit +seinen Grabgedanken. Zu Grabe gegangen waren die Schriftsteller und +Dichter: Pascal und Franz von La Rochefoucauld ergründeten nicht mehr +die Tiefe des menschlichen Herzens. Jean de Lafontaine hielt nicht mehr +den lustigen Spiegel der Welt vor, Jean war »davongegangen wie er +gekommen war«; -- verstummt war die mächtige Leier des großen Corneille, +Jean Racine hatte sein Schwanenlied gesungen und war hinabgesunken in +die blaue Flut der Ewigkeit. Tot, tot war Molière, der gute Kämpfer +gegen Dummheit, Heuchelei, Aberglauben und Laster; tot war Jean Baptiste +Poquelin, genannt Molière, aber Tartuffe lebte noch! + +Die Heiterkeit des Daseins war erblaßt, auch die feierlichen Stimmen der +großen Kanzelredner Bossuet, Bourdaloue, Flechier verstummten! König in +Frankreich war der Pater La Chaise, Königin in Frankreich war Franziska +d'Aubigné, die Witwe Paul Scarrons. Die Schutzherrschaft über das Land +nahm man dem heiligen Michael und gab sie der Jungfrau Maria, wie man +sie vorher dem heiligen Martin und vor diesem dem heiligen Denis +genommen hatte. Schaffe Geld, schaffe Geld, Geld, Geld, o heilige +Jungfrau Maria! Schaffe Geld, holde Schutzherrin, Geld zum Kampf gegen +deine und unsere Feinde! Schaffe Geld und abermals Geld und wiederum +Geld, süße Mutter Gottes! Schaffe Geld, Geld, Geld, o Schutzpatronin von +Frankreich und Versailles, Marly und Trianon! + +Wiederum war ein Staatsrat gehalten worden zu Versailles über die besten +Mittel, Geld zu bekommen, und niemand hatte Rat gewußt; weder +Pontchartrain, noch Pomponne, noch du Harlay, Barbezieux, d'Argouges, +d'Agnesseau. Wohl war manche neue Steuer vorgeschlagen worden; doch ohne +zu einem Resultat gelangt zu sein, hatte Louis der Vierzehnte seine Räte +entlassen müssen. Verstimmt im höchsten Grade, ratlos bis zur +Verzweiflung schritt er auf und ab in seinem Gemach und seufzte: + +»O Colbert, o Louvois!« + +Der König von Frankreich befand sich vollständig in der Seelenstimmung +Sauls, des Königs der Juden, als er Verlangen trug nach dem Geiste +Samuels, des Hohenpriesters. + +Dazu war die Frau Marquise nach Saint Cyr zu ihren jungen Damen +gefahren, und der Vater La Chaise gab einigen Brüdern in Christo in +der Vorstadt Saint Antoine in seinem Hause ein kleines Fest. Armer, +großer Louis! zu seinem letzten Mittel mußte er greifen, um sich zu +zerstreuen; -- Fagon, sein Leibarzt, wurde gerufen. In der Unterhaltung +mit diesem klugen Manne ging dem Monarchen, freilich doch langsam +genug, dieser trübe Oktobernachmittag des Jahres 1703 hin, und zuletzt +kam auch Madame von Maintenon zurück. Der König seufzte auf, gleich +einem, der von einer schweren Last befreit wird; Fagon machte seine +Verbeugungen und entfernte sich, ebenfalls höchlichst erfreut über seine +Erlösung. + +Im klagenden Tone erzählte nun der König seiner Ratgeberin von seiner +trüben Nachmittagsstimmung, von seiner Sehnsucht nach ihr, seiner +einzigen Freundin, von der Dummheit der Ärzte und von der vergeblichen +Ratssitzung. + +»Sire,« sagte die Marquise lächelnd, »ich bin Eure demütige Dienerin; +die besten Ärzte sind die, welche die Seele zu heilen verstehen, was +aber die Ratlosigkeit Eurer Räte betrifft, so ist hier ein Billett, +welches die Mittel angibt, dem Staat Geld zu schaffen. Von unbekannter +Hand wurde es mir in den Wagen geworfen. Leset es, Sire, wir haben schon +einmal über den Mann gesprochen, von dem es handelt.« + +Der König nahm das Schreiben und überflog es. + +»Vinacche?! der Goldmacher!« murmelte er und zuckte die Achseln. + +»Ich höre Erstaunliches über den Mann,« meinte die Marquise. »Sein +Luxus geht ins Grenzenlose. Die größten Herren Eures Hofes, Sire, gehen +bei ihm ein und aus. Der Herzog von Brissac hat mir neulich stundenlang +von dem geheimnisvollen Menschen gesprochen. Neulich war auch Madame von +Chamillard bei mir; sie steht in Verbindung mit dem reichen +holländischen Bankier van der Hultz. Auch dieser Mann soll vollständig +überzeugt sein, Monsieur de Vinacche habe das Projektionspulver +gefunden, Monsieur de Vinacche mache in Wahrheit Gold.« + +»Ach, Marquise, von wie vielen haben wir das geglaubt!« + +»Sire, wäre ich an Eurer Stelle, ich würde d'Argenson beauftragen, +diesen Italiener etwas genauer zu beobachten.« + +Der König zuckte abermals die Achseln und gab das Billett zurück. + +»Wenn d'Argenson das für nötig hält, so mag er seine Anordnungen +treffen; -- ich will nichts damit zu tun haben. Was beginnen Eure +Fräulein zu Saint Cyr, Marquise?« + +Nachdem der König das Gespräch auf eine andere Bahn geleitet hatte, war +es vergeblich, von neuem den verlassenen Punkt zu berühren; aber die +Marquise schob das Billett in ihre Tasche und faßte einen Beschluß. Am +andern Tage schickte sie ihren Stallmeister Manceau in die Gasse Saint +Sauveur zu Vinacche, unter dem Vorgeben: er solle Diamanten kaufen für +eine fremde Prinzessin. Manceau, von seiner Herrin bestens instruiert, +ließ nichts in dem Hause des Alchymisten außer Augen und erzählte +nachher Wunder von der Pracht und dem Glanze, die darinnen herrschten. +Pferde, Gemälde, Silbergeschirr, Meubles, alles taxierte er, wie ein +Auktionskommissär; auf seine Frage nach Juwelen antwortete aber +Vinacche, er besitze deren wohl sehr schöne, aber er handle nicht damit. + +Fast schwindelnd von dem Geschauten kam der Abgesandte der Marquise nach +Versailles zurück und stattete seiner Herrin Bericht ab. Einige Tage +nachher wurde Stefano Vinacche selbst nach Versailles beschieden und +daselbst sehr höflich und zuvorkommend von Herrn von Chamillard +empfangen! Ein langes Gespräch hatten die beiden Herren miteinander, und +hinter einem Vorhange lauschte die Marquise von Maintenon demselben. +Aber aalglatt entschlüpfte Vinacche jeder Frage, die sich auf seine +große Kunst bezog; er nahm Abschied und bestieg seine Karosse wieder, +ohne daß die Marquise und Chamillard ihrem Ziel im geringsten +nähergekommen wären. + +»Lassen wir d'Argenson kommen!« sagte Frau von Maintenon. »Um keinen +Preis darf uns dieser Mann entgehen.« + +Monsieur de Chamillard verbeugte sich bis zur Erde, und -- d'Argenson +ward gerufen. + + + + + V. + + Das Ende. + + +Und Monsieur d'Argenson streckte seine Hand aus; -- es fiel ein +schwarzer Schatten über das glänzende, fröhliche Leben in der Gasse +Saint Sauveur; nach allen Seiten hin zerstob das Getümmel der vornehmen, +reichen und geistreichen Gäste. Die Flucht nahmen die Herzöge, die +Marquis, die Chevaliers, die Abbés, die Poeten. Wer durfte wagen, da zu +weilen, wohin Monsieur d'Argenson den Fuß gesetzt hatte? + +Aus dem Nebel ragt düster drohend die Bastille! Sie halten den Stefano +Vinacche, auf daß ihnen sein köstliches Geheimnis »nicht entgehe«, +und -- am 22. März 1704, einem Sonnabend -- scharren sie ihn ein auf dem +Kirchhof von Sankt Paul, unter dem Namen =Etienne Durand=. + +Wer hat je das Genie durch Gewalt gezwungen, seine Schätze mitzuteilen? + +So liest man in den Registern der Bastille: + +»In der Nacht vom Mittwoch auf den grünen Donnerstag, als am 20. März +1704, morgens um ein Viertel auf zwei Uhr verschied in Nummer drei der +Bertaudiere Monsieur de Vinacche, ein Italiener, in der Gegenwart des +Schließers La Boutonnière und des Korporals der Freikompagnie der +Bastille, Michel Hirlancle. Nach dem Tode des Gefangenen gingen die +beiden Wächter, Monsieur de Rosarges davon zu benachrichtigen, und erhob +sich dieser und verfügte sich in die Zelle des Sieur Vinacche, welcher +sich selbst getötet hat, indem er sich gestern, als am Mittwoch, +ungefähr um zwei Uhr nachmittags mit seinem Messer die Kehle unter dem +Kinn zerschnitt und sich also eine sehr große und weite Wunde +beibrachte. Obgleich ihm alle mögliche Hilfe geleistet wurde, konnte man +ihn doch nicht retten. Da der Sterbende einige Zeit hindurch das +Bewußtsein wieder erlangte, so hat unser Almosenierer sein Bestes getan, +ihn zur Beichte zu bewegen, jedoch ganz und gar vergeblich. Gegen neun +Uhr abends habe ich Monsieur d'Argenson von dem Unglück Nachricht +gegeben, und ist derselbe in aller Eile sogleich erschienen, um zu dem +Sterbenden zu reden, jedoch auch ihm hat der Unglückliche keine Antwort +gegeben. + + In diesem Schlosse der Bastille 20. März 1704. + + =Dujonca=, + + Königsleutnant in der Bastille. + +Wohl mochte nachher d'Argenson in seinem Bericht an Chamillard von +»_billonage_«, von Kipperei und Wipperei sprechen, es glaubte niemand +daran, selbst der Berichterstatter glaubte nicht daran; man brauchte nur +eine Rechtfertigung dem aufgeregten Publikum gegenüber. Zu Versailles +wirkte die Nachricht von dem Tode Stefano Vinacches gleich einem +Donnerschlag; der König Ludwig der Vierzehnte wurde darob ebenso zornig +und niederschlagen, wie später in demselben Jahre über die Kunde von den +Niederlagen auf dem Schellenberge und bei Höchstedt. Die Frau Marquise +und die Herren de Chamillard und d'Argenson hatten einige bittere +Stunden zu durchleben; aber was half das? Stefano Vinacche war tot und +hatte sein Geheimnis mit in das Grab genommen! + +Der Witwe des Unglücklichen meldete man offiziell, ihr Gemahl sei in der +Bastille am Schlagfluß verschieden; sie blieb im ungestörten Besitze +aller der auf so geheimnisvolle Weise erworbenen ungeheuren Güter. Der +alte Bericht, dem wir dieses seltsame Lebensbild nacherzählen, +vergleicht den gemordeten Stefano mit jenem Künstler, welcher dem +Imperator Tiberius ein köstliches Gefäß von biegsamem, hämmerbarem Glas +überreichte. Der Kaiser bewunderte die vortreffliche Erfindung und +fragte, ob dieselbe schon andern Menschen bekannt sei, welches der +Künstler verneinte. Auf diese Antwort hin ließ der Tyrann dem genialen +Erfinder den Kopf abschlagen und die Werkstatt desselben zerstören, +damit nicht »Gold und Silber gemein und wertlos würden, wie der Kot in +den Gassen von Rom«. + +»_Par notre Dame de Miracle_, Madame, Euer Gemahl war ein großer Mann,« +sagte der Herzog von Chaulnes zu der trauernden Witwe Stefanos, »Euer +Gemahl war in Wahrheit ein großer Mann; aber =einen= Fehler hatte er, er +war zu verschwiegen! Wie oft hab' ich ihn beschworen, mir sein großes +Geheimnis anzuvertrauen, -- Madame, auf meine Ehre, Monsieur Etienne war +zu verschwiegen, viel zu verschwiegen.« + +»O Madame, Madame, die Welt ist nicht so beschaffen, daß sie ein großes +Genie in sich dulden könnte!« sagte zur Frau Vinacche der Dichter Jean +Baptiste Rousseau, der Freund Stefanos. »Madame, die Welt kann das +Talent nur töten, und es gibt nur einen Trost: + +_c'est le même Dieu qui nous jugera tous!_« + +»Liebste Schwester,« sagte der Graf d'Aubigné zur Marquise von +Maintenon, »liebste Schwester, in meinem Leben habe ich noch nichts +erfunden, wohl aber traue ich mir viel Geschick zu, die Erfindungen +anderer Leute herauszuholen. Ihr wißt das ja; _mon Dieu_, weshalb habt +Ihr mir nicht diese Geschichte mit dem Italiener überlassen? Das war +kein Charakter für die Kunst Monsieur d'Argensons.« + +Die Frau Marquise seufzte, zuckte die Achseln und griff nach ihrem +Gebetbuch, Mademoiselle La Caverne, ihre Kammerfrau, meldete: Seine +Majestät verfüge sich soeben in die Messe. Graf d'Aubigné, welcher »sich +wegen seiner Schwester Regierung einbildete, er sei die dritte Person in +dem Königreiche«, ließ die Unterlippe herabsinken und legte sein Gesicht +in die frömmsten Falten. + +»Gehen wir, mein Bruder,« sagte die Marquise. »Wir wollen beten für die +Seele dieses unglücklichen Monsieur de Vinacche und bitten, daß Gott uns +seinen Tod nicht zurechne.« + + + + + ****************************** + * * + * Ein Besuch * + * * + ****************************** + + + + +Es war schon Dämmerung, als der Besuch kam; so sehr Dämmerung, daß es +uns unmöglich ist, zu sagen, wie der Besuch aussah. Es ist uns überhaupt +nicht leicht gemacht, hierüber ganz deutlich zu werden. Helfen uns die +Leserinnen selber nicht dabei, so werden wir auf diesem Blatt Papier mit +Feder und Tinte wenig ausrichten. + +»Wieder ein Tag, Johanne, in Einsamkeit und mühseliger, geringen Nutzen +bringender Arbeit; und zu der Arbeit trübe Gedanken den ganzen Tag über. +Wegplaudern kann ich dir deine Sorgen nicht; da habe ich Schwestern, die +das besser verstehen. Ich kann nur hier und da eine Stunde bei dir +verweilen; laß mich das jetzt, vielleicht ist dir wohler nachher. Hast +auch wohl schmerzende Augen von dem ewigen Schaffen so spät in den +Jahren? Die darfst du dreist zumachen, derweil ich bei dir bin. Nur +keine unnötigen Höflichkeiten unter Freunden. Laß dich gehen, ich lasse +mich auch gehen und lege mir niemandes wegen Zwang an, und viel Zeit +habe ich nie, das wißt ihr ja alle, die ihr mich dann und wann unter +euerer übrigen Bekanntschaft in der Welt bei euch seht. Wo warst du +eben, Johanne?« + +»Sie feierten ein Fest heute drunten im Hause, daran habe ich gequält, +widerwillig teilnehmen müssen. Es war so viel Wagenrollen in der Gasse +und vor dem Hause, die Leute waren so laut; es drang so viel lustiger +Lärm zu mir herauf. Es war töricht: aber ich ließ mich von meiner +Phantasie hinabführen zu meiner jungen, reichen, glücklichen +Hausgenossin; und da wurde mein Schicksal bitterer, ich war den Tag über +unzufriedener denn je mit meinem Lose; ach, da es nun wieder stiller +geworden ist, will ich es nur gestehen: ich war recht böse den Tag über, +voll Mißgunst, Neid und Eifersucht. Es war sehr unrecht.« + +»Ja freilich, du bist arm, und deine Hausgenossin ist reich; du bist alt +geworden, und deine Hausgenossin ist noch jung. Niemand kommt zu dir als +von Zeit zu Zeit ich, und jene führt das lebendigste Leben. Daran kann +ich nichts ändern, nicht den kleinsten Stein des Anstoßes in der +Körperlichkeit der Dinge kann ich dir aus dem Wege räumen; -- aber wie +wäre es, wenn du dessenungeachtet jetzt doch einmal einige Wege mit mir +gingest -- die ich dich führe?« + +Da die Frau Johanne jetzt lächelt, ist sie schon auf diesen Wegen mit +ihrem Besuch -- dieser seltsamen Besucherin, die nicht plaudert, wenige +Neuigkeiten weiß, sondern nur von Zeit zu Zeit die Hand oder auch nur +den Zeigefinger erhebt. Frau Johanne hat dabei auch dem andern Rat ihres +stillen Gastes Folge gegeben; sie hat die Augen geschlossen. Bei +geschlossenen Augen sagt sie: »Ja es ist unrecht, und es nützt auch +nichts, andern ihr Glück oder vielleicht auch nur den Schein des Glückes +zu mißgönnen. Das Leben geht so rasch hin, und es wird so schnell Abend +aus Morgen allen Leuten! + +Ist es nicht wie gestern, als es auch noch in meinem Leben Morgen war? +als ich so jung war wie diese junge Nachbarin und auch über schöne +Teppiche schritt? als die Wagen auch vor meiner Tür hielten und die +Gäste zu mir kamen? als meine Gestalt aus dem Pfeilerspiegel im +Festkleide mir zulächelte und Richard mir über meine Schulter +zuflüsterte, was der Spiegel mir sagte? + +Hab' ich damals, an meinem Morgen, in meinem Frühling, in meiner Jugend +viel daran gedacht, wie die Leute über meinem Haupte, unter meinen +Füßen, die Nachbarn gegenüber lebten, und ob sie weniger jung, sorgenlos +und glücklich als ich waren?« + +»Siehst du, es wandelt sich gut an meiner Hand,« nickte der Besuch. »Nur +weiter, komm nur weiter, wir sind auf dem ganz richtigen Wege. Es ist +nur, weil man in der mißmutigen Stunde nicht recht seine Gedanken +zusammennehmen kann, daß man seine Tage so regenfarbig, seine Nächte so +dunkel und sternenlos sieht. Was zeigte dir dein Spiegel noch außer +deiner Gestalt im Haus- und im Festkleide und den Bildern deiner +nächsten Umgebung?« + +Frau Johanne legt das Haupt in ihrem Stuhl zurück und die Hand auf die +Stirn. Sie sitzt wieder vor ihrem hohen, vornehmen Spiegel, den Rücken +gegen die Fenster gewendet. Aber aus dem zerbrechlichen Glase und der so +leicht verwischbaren Folie von damals ist in Wahrheit ein Zauberspiegel +geworden, aus dem sich wesenhaft, greifbar, voll Leben und Wirklichkeit +die Hoffnung, der Trost, das beste Glück ihrer Witwenschaft, ihrer +Kinderlosigkeit, ihres Alters loslösen. + +Es sind aber nicht die Abbilder ihrer nächsten Umgebung, die Möbel, +Wände, Gemälde, Teppiche und Vorhänge ihres damaligen Gemaches, die sie +nun mit ihren geschlossenen Augen wiedersieht. Es ist das Stück der +Gasse, das gegenüberliegende Haus, das damals in den goldenen Rahmen +zufällig mit hineinfiel und nun wieder lebendig in ihm leuchtet, nachdem +Glas und Folie längst zersplittert und verwischt sind, wie Glanz und +Glück jener lange vergangenen Tage. + +»Ich denke, wir wagen es noch einmal, folgen unserm guten Einfall und +schlüpfen hinüber zu der unbekannten Nachbarin. Was meinst du, Johanne?« + +»Ein Einfall!« murmelt die Frau Johanne. »Nur ein seltsamer Einfall -- +_un concetto, una fantasia strana_, wie die Italiener sagen. Und mir +vielleicht auch nur darum möglich, weil ich eben erst mit Richard von +unserm schönen langen Aufenthalt in Italien nach Hause gekommen war. +Dort, in Italien, folgen die Leute viel leichter als hier bei uns ihren +Einfällen und schlüpfen so über die Gasse und halten gute Nachbarschaft, +zumal wenn sie sich vom Fenster oder -- Spiegel aus schon längst kennen +und unser Gatte einmal gesagt hat: 'Der Mann der hübschen kleinen Frau +im blauen Kleide da drüben ist einer unserer besten, talentvollsten +Unterbeamten, Johanne; das Weibchen mit seinem Kindchen ist wirklich +allerliebst, schade, daß sie nicht zu uns gehören, d. h. nicht in unsere +Gesellschaftskreise passen.'« + +»Ja, was würde aus euerer Welt werden, wenn ich nicht immer von neuem, +zu jeder Zeit und überall eure närrischen Kreise störte und euch +zusammenbrächte im Wachen und im -- Traum? Nur weiter, immer weiter, +Johanne. Die Nachbarin wohnt in keinem vornehmen Hause; die Treppen, die +zu ihr hinaufführen, sind steil und dunkel; aber wir sind auf dem +rechten Wege -- ganz auf dem rechten Wege!« + +»Auf dem rechten Wege! Wie kommst du eigentlich hierzu, Johanne?« habe +ich mich noch auf der steilen dunkeln Treppe gefragt. »Ihr habt euch ja +noch nicht einmal zugenickt und noch weniger je ein Wort miteinander +gesprochen. Wie wäre das auch möglich gewesen bei so vielem andern +gesellschaftlichen Verkehr?« + +»Das weiß ich am besten, von welchen Kleinigkeiten alles abhängt,« sagt +der Besuch. »Törichtes Menschenvolk! wo bliebet ihr, wenn nicht ich aus +dem Kern den Baum, aus dem Funken das Licht, aus dem Hauch den Sturm +machte? Dein Blut war noch abenteuerlich unruhig von den bunten +Erlebnissen in der Fremde; du hattest viel gähnen müssen an jenem Tage; +leugne es nicht, Johanne, du warst eigentlich in keiner angenehmen +Stimmung, trotzdem daß du noch jung, reich und eine Schönheit warst. Zu +verbraucht, alltäglich, gewöhnlich, abgenutzt und gering erschien dir +alles in der behaglichen Heimat um dich herum.« + +»Und Richard hatte mir jetzt gesagt: Unsere Nachbarin hat Unglück +während unserer Abwesenheit gehabt; der Mann ist ihr gestorben; wir +werden nicht leicht einen so guten Arbeiter wieder bekommen. -- Da sah +ich sie statt im blauen oder rosa Kleide in einem schwarzen am Fenster, +bleich und kummervoll. Und sie trug ihr Kind auf dem Arme, ihr armes +verwaistes Kindchen, und da --, da nickte ich ihr zu von meinem Fenster; +und da --, da bin ich zu ihr gegangen!«... + +Und nun ist sie wieder bei ihr, die Träumende, -- die Freundin bei der +Freundin, und die Zeiten -- die Stunden, Tage und Jahre vermischen sich +wunderbar im süß-melancholischen Dämmerungstraum. Der Besuch könnte nun +wohl gehen -- o wie lebendig, wie lebendig ist alles nun im Traum!... + +Im Traum. Die alte Frau schläft in ihrem Stuhl nach dem arbeitsvollen +mühsamen Tage. Sie denkt nicht mehr über die Vergangenheit; sie träumt +von ihr und süß und friedlich; denn der Besuch hatte ihr ja vorher +leise, beruhigend die Hand auf die furchenvolle Stirn gelegt. + +Nun ist der Raum um sie her nicht mehr beschränkt und niedrig, nun sind +die Gerätschaften nicht mehr ärmlich und abgenutzt; denn im gleichen +Stübchen und unter gleichem Geräte führte ja die beste Freundin ihrer +Jugend ihr =liebes=, stilles Leben. Zu solchem Stübchen schlich sie aus +dem Glanz und der Fülle des eigenen Daseins, und alles ist im Traum wie +damals um sie her. + +Wie viele Jahre gehen vorüber während der kurzen Augenblicke, in denen +sie jetzt die Augen geschlossen hält? Wechselnde Schicksale -- viel +Sorge und Angst im Mittage des Lebens auch im eigenen Hause. Was ist +noch übrig von alledem, was damals war? Wo sind die hohen Spiegel, die +Purpurvorhänge, die weichen Teppiche -- die Freunde, die Bekannten der +Jugend? Ist doch der eigene Gatte so lange schon tot und die eigenen +Kinder; und auch die Freundin schläft ja nun lange schon unter ihrem +grünen Hügel und steigt nur dann und wann daraus hervor in der +=Erinnerung= und im =Traum=, und lächelnd, tröstend und Geduld anratend +zumeist auch nur dann, wenn vorher der Besuch gekommen ist, den die +Greisin, die arme alte Frau Johanne, bei ihrer späten, beschwerlichen +Lebensmühe wie in der Dämmerung des heutigen Abends bei sich empfangen +hat. + +Von all den guten Freunden, den lieben Bekannten ist niemand übrig, ist +niemand treu als das Kind, das einst die Träumerin zum erstenmal +hinüberzog aus ihrer Lebensfreude und dem Glanz ihrer Jugend zu dem Leid +der jungen Nachbarin im schwarzen Kleide. Und dieses Kind ist erwachsen, +ist auch eine verheiratete Frau und weit in der Ferne. -- -- -- + +Horch, ein Schritt auf der Treppe. + +Ist es die Stimme des Besuchs, welche die Frau Johanne noch in ihrem +Traume vernimmt: »Nun gehe ich und lasse dich der Wirklichkeit. Wie gern +käme ich zu allen so wie zu dir in den bösen Stunden des Erdenlebens, +wie gern hülfe ich allen so wie dir hinweg über die dumpfen Pausen +zwischen euern Schicksalen; wenn ich nur nicht so oft vor die +verschlossene Tür käme. In den Büchern heiße ich eine vornehme Frau; mit +einem großen Gefolge hoher Söhne und Töchter schreite ich durch die +Jahrtausende, aber gern sitze ich nieder zu den Kindern, den Armen, den +Bekümmerten -- mit Freuden komme ich zu denen, die aus Büchern nur wenig +oder nichts von mir wissen. Nun lebe wohl, du närrisch alt Weiblein, +lache und weine dich aus in dem Glück der Gegenwart und Wirklichkeit und +halte mir deine Tür offen; ich klopfe nicht gern lange vergeblich.«... + +Es war nur der Briefträger, dessen Schritt man auf der Treppe gehört +hatte. Der Brief aber, den er der Frau Johanne brachte, lautete freilich +trotz der ganzen, vollen Wirklichkeit, die er verkündete, wie +Glockenklang und Jubelruf aus Dichtung und Wahrheit. + +»Meine liebe andere Mutter, ich bin so glücklich -- Franz ist daheim! +Gesund und so bärtig wie ein Bär und so sonnenverbrannt -- entsetzlich! +Aber es hat ihm, Gott sei Dank, nichts geschadet, und ich bin so +glücklich, so glücklich! Gestern sind sie eingezogen, und es war so +wundervoll, und ich hatte einen so guten Platz. Ich brauchte den Leuten +vor mir nur zu sagen: ich habe ja auch meinen Mann darunter, und sie +trugen mich fast auf ihren Armen in die erste Reihe. Und wir -- ich und +viele Hunderte und Tausende von meiner Sorte, hätten fast den ganzen +Effekt gestört. Das war ja aber auch nur zu natürlich, und kein +Feldmarschall und sonstiger großer General und Prinz durfte etwas +dagegen einwenden. Ich hing ihm unter den Trommeln und Trompeten, den +Pferden und Bajonetten am Halse, und wie ich nachher nach Hause gekommen +bin, weiß ich nicht. Nun habe ich ihn aber selber wieder zu Hause -- +ganz und heil zu Hause: es lebe der Kaiser und mein Mann und mein Kind +und du, mein liebes zweites Mütterchen! Und nun höre nur, über acht Tage +sind wir alle bei dir, -- er, Franz, muß dir ja sein Eisernes Kreuz +zeigen und ich dir unsern Jungen und meinen tapfern Ritter und +Landwehrmann, den sie mir so unvermutet mitten im vorigen Sommer von +seinem Zeichen- und meinem Nähtisch wegholten und für das Vaterland ins +fürchterlichste Kanonenfeuer stellten. Was haben wir ausgestanden, Mama! +Da war es ja noch ein Segen, daß der Junge noch zu klein und dumm war, +um schon mit einsehen zu können, was der Mensch an Ängsten und Sorgen +auf der Erde und im Kriege aushalten muß und kann. Aber eins hat er auch +noch zuwege gebracht, und das ist herrlich -- ich meine der Krieg und +nicht unser Junge natürlich -- ach, ich bin immer noch so konfus und +habe es wie tausend Glocken im Ohr und wie Ameisen in allen Gliedern! +nämlich die Privatingenieure sind im Preise gestiegen, und unser Weizen +blüht endlich auch einmal. -- Darüber werden wir denn recht eingehend +reden in acht Tagen in deinem lieben Stübchen; du sollst und darfst uns +nun nicht mehr so einsam und allein sitzen, jetzt, da es uns so gut geht +und noch viel besser gehen wird, was wir aber um Gottes willen ja nicht +berufen, sondern ja bei dem Wort dreimal unter den Tisch klopfen wollen! +Wir haben alle so viel ausstehen müssen und einander so wenig helfen +können; aber nun soll's anders werden, sagt Franz. Eine bessere Stelle +haben wir schon, nämlich Franz, und dies hat sich schon mitten im Kriege +gemacht, wo merkwürdigerweise nicht bloß Leute zusammengeraten, die sich +auf den Tod hassen, sondern auch solche, die einander recht gut +gebrauchen können. Nun sagt er, jetzt gäbe er nicht mehr nach, und +sollte er noch dreimal so lange wie vor dem schrecklichen Metz vor dir +in die Erde gegraben liegen und dich belagern müssen. Er erzählt +furchtbare Dinge von seiner Hartnäckigkeit und neugewonnenen Erfahrung +in dergleichen Kriegskunststücken; und er behauptet, es wäre gar kein +Zweifel, jetzt kriegte er dich -- wir kriegten dich! O könnten wir's dir +doch zum tausendsten Teil vergelten, was du so viele kümmerliche Jahre +durch bis in unsere Brautzeit und bis zu unserer Heirat an uns getan +hast! + +Ich glaube meinem Manne natürlich auf sein Wort, daß du jetzt zu uns +kommen wirst, aber ich verlasse mich eigentlich doch noch mehr auf +meinen Jungen. Was soll das arme Kind ohne dich anfangen, +Großmütterlein; jetzt, wo es anfängt zu laufen und ich doch nicht ewig +aufpassen kann? Großmütterchen, du gehörst zu unserm Richard wie die +Stadt Metz wieder zum Deutschen Reich, was aber eine recht schlechte +Vergleichung ist; ich kann aber nichts dafür, weil ich als jetzige +glorreiche Kriegsfrau so kurz nach den vielen Siegen und Eroberungen +mich nur in solchen Vergleichungen bewegen kann und übrigens auch eben +keine andere wußte. + +Wir mieten natürlich eine größere Wohnung, und es wird ein Leben wie in +Frankreich, wo es freilich, wie Franz meint, die letzte Zeit durch kein +gutes Leben gewesen ist, was also eigentlich wieder nicht paßt. Nein, +wir wollen leben in Deutschland, wie ich es mir als das Schönste denke; +und denke du dir es auch so lieb, als wenn alle Dichtung auf Erden, wenn +du diesen Brief bekommst, eben zum Besuch bei dir gewesen wäre und dich +leise auf unsere Pläne und Absichten mit dir vorbereitet hätte, daß dir +der Schrecken nichts schade! Was ich dir eigentlich schreibe, weiß ich +gar nicht, und den Jungen habe ich auch beim Schreiben auf dem Schoße. +* Dieser Klex kommt auf seine Rechnung, denn greift er mir nicht in die +Frisur, so führt er mir mit die Feder. + +Und nun nichts mehr; denn in acht Tagen sind wir bei dir; und obgleich +ich hier jetzt an keiner Stunde am Tage was auszusetzen finde, so wollte +ich doch, daß es erst über acht Tage wäre, um dir Auge in Auge, Mund auf +Mund sagen zu können, wie ich bis in den Tod dein dankbares Kind bin und +bleibe, du meine zweite Herzensmutter!«... + +Die Frau Johanne hat viel Unglück im Leben gehabt. Eigene Familie hat +sie nicht mehr, ihr Mann ist tot, ihre Knaben sind ihr schon als Kinder +genommen, ihren Wohlstand hat sie auch verloren, und doch gibt es keine +andere Frau in der Stadt, die in dieser Stunde so glückliche Tränen +weint wie diese, welche nie dem Besuch, der in der Dämmerung bei ihr +war, die Tür verschloß, und die an seiner Hand in den Traum sich leiten +ließ, bis die Wirklichkeit anklopfte und ihr die reife liebliche Frucht +jenes »Einfalls« und Nachbarschaftsbesuchs der Tage der Jugend in den +Schoß legte. + + + + + ****************************** + * * + * Auf dem Altenteil * + * * + * Eine Silvester-Stimmung * + * * + ****************************** + + + + + I. + + +Sie hatten den Senioren der Familie alle Ehre angetan, wie sich das denn +auch wohl so von Rechts wegen gebührte; aber der Lärm wurde den +weißhaarigen Herrschaften allmählich doch ein wenig zu arg. Die alte +Dame, die immer noch um ein paar Jahre jünger war als der alte Herr, +hatte dem letzteren ein ihm schon längst wohlbekanntes kopfschüttelnd +Lächeln gezeigt, welches weiter nichts bedeutete als: + +»Kind, Kind, bedenke den Morgen und deinen Rheumatismus! Es hat alles +seine Zeit, und ich glaube, die unsrige ist jetzt vorhanden.« + +Der alte Herr hatte zuerst ganz erstaunt aufgesehen und sein Weib an: +Nicht mehr bis Mitternacht, und in das neue Jahr hinein? Ei, ei, ei -- +hm! + +»Hm,« sagte der alte Herr, in dem fröhlichen Kreise erhitzter Gesichter +umherblickend; »es hat freilich alles seine Zeit; aber es ist +sonderbar, und, liebe Kinder, es kommt einem ganz kurios vor, wenn auch +dieses -- zum erstenmal Zeit wird!« + +Dabei hatte er sich aber bereits etwas mühsam aus seinem Sessel erhoben. +Den Kopf schüttelte er auch; jedoch ohne dabei zu lächeln wie seine +Frau. + +»Du hast recht, Anna; es ist unsere Zeit gekommen, und so wünsche ich, +wünschen wir euch jungem Volk --« + +Von einem Gewissen war bei diesem »jungen Volk« natürlich nicht die +Rede. Dazu waren sie sämtlich (auch die Ältesten unter ihnen) noch viel +zu jung, und viel zu vergnügt und viel zu aufgeregt durch die uralten, +ewig jungen Stimmungen der letzten Stunden des scheidenden Jahres. Ein +Gewühl von blonden und braunen Köpfchen und Köpfen, von Händen und +Händchen erhob sich um die beiden Greise; und alle Verführungskünste, +deren die Menschheit in ihrer Erscheinung als Familie in der +Silvesternacht fähig ist, waren zur Anwendung gebracht worden. + +Einmal noch schadete es sicherlich gewiß nicht!... Großpapa und +Großmama hatten noch nie so munter ausgesehen!... Es ging ja niemand zu +Bett vor Mitternacht, selbst die Jüngsten nicht!... + +»Nun, Mutter! Einmal noch? Was meinst du?« Kleine weiße Händchen -- +weiße beringte Hände hatten ihre Verführungskünste nicht ohne Erfolg +versucht; nun legte sich statt anderer Antwort auf die Frage des alten +Herrn wieder eine Hand auf die seinige. Das war aber keine weiche, keine +weiße, keine kräftige mehr; aber eine starke und treue war es auch; +vielleicht wohl die stärkste und treueste. + +»Die Großmutter hat recht! Es hat alles seine Zeit, und die unsrige ist +gekommen. Junges Volk, wir werden zu Bette geschickt von ihr, der Madame +Zeit, während die Jüngsten aufbleiben dürfen. Der Kopf summt uns zu sehr +morgen früh, wenn wir uns dagegen sperren und wehren; und es ist zwar +hübsch von Großmama, wenn sie nur von Rheumatismus spricht; aber das +rechte Wort ist es eigentlich nicht. Sie hätte ganz dreist Gicht sagen +können, gerade so gut wie der Herr Schwiegersohn und _Doctor medicinae_ +da hinter seinem Punschglase, wenn er jetzt ein Gewissen hätte. Liebe +Kinder, wir sind beide über siebenzig Jahre alt, und --« + +»Oh!...« + +»Und wir sind sehr glücklich und behaglich. Sehr wohl ist uns zumute +und so wünschen wir euch allen zum erstenmal vor Ablauf des alten Jahres +ein glückliches neues.... Bitte, lieber Sohn, ich weiß, was du sagen +willst; aber wende dich damit an die Mama, die wird dich versichern, daß +deine Frau, unsere liebe Sophie da, heute über dreißig Jahre sicherlich +gleichfalls viel verständiger sein wird, als du. Wende dich an deine +Mutter, mein Schmeichelkätzchen Marie. Sie hat immer gemeint, du seiest +ganz ihr Vorbild, also wirst du wohl wissen, was in vierzig Jahren in +der Neujahrsnacht deine Meinung sein wird, wenn die unverständige Jugend +dir deinen Mann da verführen will. Schieben Sie die Kinder nicht so +heran, lieber Schwiegersohn, sie machen der Großmama nur das Herz +schwer. Es ist Zeit geworden für uns; -- -- -- ein fröhliches, +segensreiches Jahr ihr -- alle!...« + +»Alle!« jubelten sie, und die Gläser hatten geklungen, und die Kinder, +die Enkel hatten sich zugedrängt und ihre kleinen Becher hingehalten, +ohne daß man sie dazu zu schieben brauchte. Sie hatten sehr gejubelt; +und die Tonwellen der Gläser und der Stimmen waren verklungen. + +»Nun seid weiter vergnügt; aber die Kinder laßt ihr mir morgen +ausschlafen. Begleitung nehmen wir nicht mit, die Trepp' hinauf. Wir +finden unseren Weg schon allein, nicht wahr, Walter?« sagte die alte +Dame, die Großmutter des Hauses. + + + + + II. + + +Sie entschlüpften, wie man entschlüpft, wenn man das siebenzigste +Lebensjahr hinter sich hat. Langsam stiegen die beiden die +teppichbelegte Treppe in ihre Stube hinauf, der Greis gestützt auf den +Arm der Greisin; und dann waren sie allein miteinander, noch einmal +allein miteinander in der Neujahrsnacht.... Umgesehen hatten sie sich +nicht auf der Treppe und einen leisen Schritt, einen Kinderschritt, der +ihnen nachglitt, den hatten sie überhört. Ein so scharfes Ohr, wie vor +Jahren, hatte keins von den zwei Alten mehr; aber diesen Schritt, diesen +Geister-Kinderschritt würde auch wohl jedes andere jüngere Ohr überhört +haben. -- + +Auf dem Altenteil! Das kann eines der bittersten Worte sein, die das +Schicksal den Menschen in dieser Welt zuruft; aber auch eines der +behaglichsten. Für diese beiden Alten war es nach langer schwerer, +mühseliger Arbeit ein behagliches geworden. Sie fanden ihre Gemächer +durch ein verschleiertes Lampenlicht erhellt, ihre beiden Lehnstühle an +den warmen Ofen gerückt und: + +»Mit dem Schlage Zwölf komme ich doch und poche an eurer Kammertür und +spreche meinen Wunsch durchs Schlüsselloch. Ihr braucht aber nicht +darauf zu hören; ich schicke ihn euch auch in den Schlaf hinein!« hatte +das jüngste und am jüngsten verheiratete Töchterlein als letztes Wort im +Festsaale da unten gesagt. + +»O mein Gott, da sitzt ihr noch?« rief dieselbe junge Frau unter dem +Glockenklang und dem Neujahrschoral von den Türmen, unter dem plötzlich +aufklingenden Gassenjubel und dem Jubel der Kinder und Enkel in dem +Saale des Hauses. »Das ist doch ganz wider die Abrede, und heute übers +Jahr werden wir euch da unten bei uns fester halten, ihr Lieben, Bösen, +Besten!... Ein glückliches neues Jahr, Großpapa! ein glückliches neues +Jahr, Großmama!« + +Da stand ein niedrig lehnenloses Sesselchen mit einem verblaßten +gestickten Blumenstrauß darauf neben den zwei Stühlen der Greise. Die +junge Frau, nachdem sie den Vater und die Mutter mit ihren Küssen fast +erstickt hatte, saß nieder auf dem kleinen Stuhl und hatte keine Ahnung +davon, wer eben vor ihr darauf gesessen und die Mutter und den Vater +gegen die Abrede und gegen ihren eigenen festen Vorsatz wach gehalten +hatte über die Mitternachtsstunde hinaus und aus dem alten Jahr in das +neue hinein! Mit leise bebender Hand strich die alte Frau die blonden +Haare der Tochter aus dem lebensfreudigen, glühenden, erhitzten +Gesichte. Die blonden Locken, die sich eben vor ihr ringelnd bewegt +hatten, waren schon vor vierzig Jahren zu Staub und Asche geworden: die +junge Frau wußte nichts von ihnen, oder doch nur gerüchtweise. Lange vor +ihrer Geburt war das erste, das älteste Kind gestorben, zwölf Jahre alt. +Ein halbverwischtes Pastellbildchen, das über der Kommode der Mutter, +der Großmutter des Hauses, hing, war alles, was von ihm übrig geblieben +war in der Welt. + +Alles? + + + + + III. + + +Ein leiser Schritt, ein unhörbarer Schritt; -- ein Geister-Kinderschritt +in der Silvesternacht!... Wir haben gesagt, daß die beiden Greise vor +einer Stunde die Treppe zu ihren Gemächern hinaufgestiegen und ihn, wie +wir übrigen alle, nicht vernahmen. Ganz war es doch nicht so. + +Als der alte Herr der alten Dame mit immer noch zierlicher Höflichkeit +die Tür öffnete, um sie zuerst über die Schwelle treten zu lassen, hatte +die Frau einen Augenblick gezögert und zurückgesehen und gehorcht. + +Der alte Herr glaubte, sie horche noch einmal auf den fröhlichen Lärm, +auf das heitere Stimmengewirr der Neujahrsnacht dort unten im Festsaal +des Hauses. + +»Sie sind gottlob recht heiter,« meinte er, »wüßte auch nicht, weshalb +nicht. Und auch wir, -- Mutter! -- nicht wahr, Alte?... Wie spät ist es +denn eigentlich? Elf Uhr! Noch früh am Tage, wenngleich wirklich ein +wenig spät im Jahre.« + +»Ja, Walter!« hatte die Greisin erwidert, aber nur, um doch eine Antwort +zu geben. »Ich hörte eigentlich nicht auf dich; ich dachte an unser +Ännchen,« fügte sie hinzu, als sich die Tür hinter ihnen geschlossen +hatte und sie in der letzten Stunde des ablaufenden Jahres mit sich +allein waren. + + + + + IV. + + +Das junge Volk! Längst hat es drei Viertel des Hauses nach seinem +Geschmack und Bedürfnis eingerichtet und mit vollem Rechte des Lebens. +An das Reich der beiden Alten hat keine Hand gerührt; außer dann und +wann eine Kinderhand, deren volles Recht des Lebens es freilich ist und +immerdar sein wird, in der Großväter und der Großmütter Hausrat, +Schubladen und Schränken zu wühlen und zu kramen und sich die vom Anfang +der Welt an dazugehörigen erstaunungswürdigen, lustigen und traurigen +Geschichten erzählen zu lassen. + +Es war einmal!... oh, noch einmal von dem, was war!... Und so war es +gekommen, daß die jüngste Tochter des Hauses die Eltern um Mitternacht +noch wach fand unter den Glocken, die das neue Jahr einläuteten. Eine +Kinderhand aber war es wiederum gewesen, die an den Schleiern der +Vergangenheit gezupft hatte: »Es war einmal! Ich bin da! -- Mama, du +sagst in dieser Stunde nicht: Man hat doch keinen Augenblick Ruhe vor +dir, Kind! -- Ich bin da; und nun laßt mich sitzen auf meinem Stuhl, +laßt uns erzählen: Es war einmal!... laßt uns erzählen von dem, was +einmal war!«... + +Und sie hatten davon erzählt, die beiden Greise nämlich. Das Kind hatte +nur drein gesprochen. + +»Sie wäre gewiß auch eine stattliche Frau und eine gute geworden,« sagte +die alte Dame. »Ich meine, am meisten hätte sie wohl der Theodore +geglichen, wenn wir sie behalten hätten, das liebe Kind. Sie haben alle +da unten, -- unsere meine ich, Papa! -- ein hübsches lustiges Lachen; +aber ich kann nichts dafür, ich muß es sagen: wie das Kind, unser +Ännchen, ist doch keins so glücklich in seinem Lachen gewesen. Die +andern kennen wir ja auch nun schon lange mit ihren Sorgen und ihren +Nöten und ihren unnützen Ärgernissen. Keins von ihnen lacht und kreischt +und kichert so wie mein Ännchen es tat. Hätten wir die Enkel nicht, so +würde das Haus wohl manchmal still genug sein; -- selbst dir, Großpapa.« + +Da war das Lachen, das vor so langen, langen Jahren zuerst das Haus hell +und heiter gemacht hatte! Auch der alte Herr, der Großpapa, dem das +Haus nie ruhig genug sein konnte, kannte es ganz genau. + +»Also, ihr wißt es doch noch, wie es war, als wir drei allein waren, und +dein Haar noch nicht so weiß, Vater; und auch deines nicht so hübsch +grau, mein Mütterchen, und ich euer liebes, einziges Mädchen! Hier sitze +ich auf meinem Stuhl und behalte mein Recht, allen meinen Schwestern und +Brüdern und allen meinen Nichten und Neffen zum Trotz. Ich bin die +Älteste! Wer auch nach mir gekommen ist, wie viele auch gesessen haben +auf diesem Schemelchen -- mir gehört es, mir habt ihr es hierher +gestellt; das ist mein Sitz am Herde! Wer kann mir meinen Platz nehmen +in eurer Seele? wer in dem Hause, das ihr gebaut habt und in dem ihr +mich einmal euer Glück nanntet?!« + +»Du hast recht, Mutter,« sagte der alte Herr; »ich weiß eigentlich +nicht, wie wir gerade jetzt darauf kommen; aber das Kind hat immer zu +mir, -- zu uns gehört. Nur weil wir es wußten, haben wir nicht immer +dran gedacht. So geht es aber mit allem Wissenswürdigen in der Welt.« + +»Mein Ännchen!« seufzte einfach die Greisin; doch die blonden Locken +wurden wie mutwillig von neuem geschüttelt, und wieder legte sich der +kleine Finger schalkhaft auf den Mund: »Ja, ich war immer da, wenn ihr +auch nicht an mich zu denken glaubtet: an manchem schwülen Sommertage, +in mancher kalten, dunkeln, trostlosen Winternacht. An manchem Feste in +der lichtstrahlenden Winternacht, an manchem sonnigen, seufzervollen +Frühlingsmorgen. Jetzt haben die andern da unten im Saale euere Sorgen, +Freuden und Arbeiten. Ihr aber habt Zeit für mich. Eure andern, die nach +mir gekommen sind, haben mir wohl mein altes Spielzeug verkramt und +zerbrochen; aber mein Plätzchen im Hause haben sie mir nicht nehmen +können. Ich habe es ihnen nur geliehen, einem nach dem andern; doch mein +Eigentum ist es und bleibt es; nicht wahr, Papa und Mama?! Ihr habt zwar +unter den andern gottlob nun auch wieder ein Ännchen -- ein Enkelkind +mit meinem Namen -- aber das tut nichts, wir vertragen uns schon um +diesen kleinen Stuhl und um -- euch!... Es war wohl ein kleiner Sarg, +in den ihr mich legen mußtet; aber -- ich bin immer über meine Jahre +klug gewesen. Ich habe es wohl oft heimlich erlauscht, wenn ihr das über +mich sagtet. Damals wußte ich freilich nicht recht, was ihr damit sagen +wolltet, und ob es eigentlich ein Lob für mich sei; jetzt aber weiß ich +es. Ei ja, ich bin sehr klug für meine Jahre gewesen! nun lacht nur, wie +ihr damals geweint habt, als ich von euch weggeführt wurde und nicht +über die Schulter zurücksehen durfte. Seht ihr wohl, da lächelt ihr +wenigstens schon. Die Jahre sind nun hingegangen; lange, lange Jahre! +Heute abend habt ihr euch vorgenommen, noch einmal jung zu sein mit +euren Kindern und Enkeln. Es ist euch auch wohl gelungen, doch nicht +ganz. Ganz jung seid ihr erst jetzt wieder, da ich mich zu euch gesetzt +habe, ich -- euere Älteste und euere Jüngste. Nimm meinen Krauskopf +wieder zwischen deine Hände, Mutter, laß mich wieder auf deinem Knie +sitzen, Väterchen; draußen schneit es sehr, und der Nordwind bläst, und +es ist spät in der Nacht; ihr aber schickt mich diesmal noch nicht zu +Bett; -- wir wollen jetzt einander noch nicht zu Bette schicken; wir +wollen noch einmal ein Weilchen sitzen und erzählen von =dem, was einmal +war=.« + + + + + V. + + +Sie hatten nur noch fünf Minuten in ihren Großväterstühlen neben dem +Ofen sitzen wollen, um sich von dem Feste, dem Händedrücken, all den +Küssen und guten Wünschen zu dem neuen kommenden Jahre ein wenig zu +erholen, wie es den ältesten Leuten in der Familie geziemt in der +Silvesternacht, während die Jugend um die lichterglänzende Festtafel +weiter jubelt und lärmt, nach der Uhr sieht und den Sekundenzeiger mit +lachendem Auge verfolgt bis heran an den neuen ernsten Grenzstein ihrer +Erdenzeit. Und sie, die bereits Greise waren, hatten nicht nach der Uhr +gesehen; sie hatten gar nicht einmal daran gedacht. Die Sekunden der +letzten Stunden des Jahres waren ihnen dahingeglitten, wie die vielen, +langen arbeitsvollen, inhaltreichen Jahre ihres Daseins selber bis in +dieses jüngste und das eben vor der Tür stehende hinein. + +»Du fragst wohl, Vater, wie wir gerade jetzt darauf kommen, und sagst, +daß du an das Kind lange nicht gedacht hast,« sagte die alte Dame. »Es +ist freilich lange her, daß wir ihren kleinen Sarg dort in dem Saale, wo +sie jetzt gottlob so lustig sind, aufstellen mußten. Wie wunderlich es +doch ist, daß ich gerade jetzt darauf komme, was für eine schöne +Sommernacht es war, in welcher sie starb! Horch jetzt nur, wie der Wind +den Schnee gegen die Fenster treibt. Wir haben die andern alle behalten +und wir haben an unseren Kindeskindern Freude; aber an unsere Älteste +habe ich doch immer gedacht. Was würde aus den Kindern werden, wenn ihre +Mütter nicht immer an sie dächten. Selbst die Gestorbenen können ohne +ihre Mutter nicht auskommen. -- Horch, wie sie es da unten treiben! +eigentlich ist es recht unrecht von ihnen, daß sie auch die Jüngsten so +lange aus dem Bette zurückhalten, und ich werde ihnen morgen früh auch +jedenfalls meine Meinung darüber sagen. -- Als =sie= in ihrem Fieber +lag, saß ich auch und zerrang mir die Hände und fragte mich Tag und +Nacht, was ich hätte anders machen können, damit das Schreckliche nicht +so zu kommen brauchte. Du warst wohl vernünftiger, wenn du aus deinem +Kontor heraufkamst und mir zuredetest, Geduld zu haben. Wie konnte ich +wohl verständig sein und Geduld haben? Und man sucht doch immer so, wie +man einem andern die Schuld geben kann, und wäre man das auch selber!« + +»Ich meine, Mutter, wir geben das auf, uns den Kopf darüber zu +zerbrechen, und noch dazu so spät in der Nacht, im Jahr und in den +Jahren,« sprach der alte Herr, wiederum sehr vernünftig; und dann +sprachen sie bis zu dem ersten Glockenschlage der Mitternacht nichts +mehr miteinander. Dagegen aber füllte sich ihre Stube immer mehr mit den +Bildern und den Klängen der Vergangenheit. Und der liebliche Spuk der +Silvesternacht hatte nicht das geringste vom Phantasten an sich. Das +älteste Kind des Hauses war noch einmal im vollen blühenden Leben Herrin +im Reich und fand all sein altes verkramtes Spielzeug wieder, wie -- die +zwei weißhaarigen Greise. Sie paßten wieder ganz zueinander, die Eltern +und das Kind: der dunkle, geheimnisvolle Vorhang der Zukunft hatte sich +bewegt, und es war eine Kinderhand, die sich aus den schwarzen Falten +weiß und zierlich hervorstreckte und winkte. Sie aber, die Fröhlichen da +unten im Festsaale des Hauses, hatten dem Vater und der Mutter, dem +Großvater und der Großmutter -- den beiden Alten ein glückliches, ein +segensreiches neues Jahr gewünscht und hatten zwischen Becherklang und +lustigem Lachen ihren Wunsch wehmütig ernst gemeint, wie sich das +gebührte. + +»Wie gut der Papa und die Mama heute abend aussahen,« meinten sie. »Es +ist doch eine Freude, wie frisch sie sich erhalten und wie sie noch an +allem teilnehmen. Aber verständig war es doch, daß sie nicht über ihre +Zeit bei uns sitzen blieben. Morgen früh hätten wir uns doch Vorwürfe +gemacht, wenn wir sie noch länger gequält hätten, das Vergnügen nicht +durch ihr Weggehen zu stören.... Jetzt aber auf die Uhr gesehen! in +fünf Minuten wird es Zwölf schlagen; -- ein bißchen leise, Kinder, daß +=wir die alten Leute nicht wecken!=«... + +Zwölf Uhr und -- ein neues Jahr! Alle guten Geister haben einen leisen +Schritt und gehen auf weichen Sohlen; so schlich sich die jüngste +Tochter des Hauses weg aus dem jubelnden Kreis, glitt die Treppe hinauf +und horchte an der Tür der »alten Leute«, die durch den Becherklang, die +lauten Glückwünsche und alles, was sonst noch in die Stunde gehört, +nicht gestört werden sollten in ihrer Ruhe auf dem Altenteil. + +»O mein Gott, da sitzt ihr noch? Das ist doch ganz wider die Abrede! Sie +meinen alle da unten, daß ihr längst in den Federn liegt und euch +behaglich in das neue Jahr hinübergeträumt habt.« + +»Das letztere haben wir auch getan, mein Kind,« sagte der alte Herr +nachdenklich lächelnd. + +»Oh, und nun müßte ich sie alle -- alle die übrigen auch noch +heraufrufen, daß sie euch ihre Meinung sagen. Sie werden es mit Recht +sehr übel nehmen, wenn ich's nicht auf der Stelle tue, Mama!« + +»Laß es lieber, mein Herz,« meinte die alte Dame, leise die blonden +Flechten vor ihr, die noch nicht Staub und Asche geworden waren, +streichelnd. »Es würde den Vater doch zu sehr aufregen, und wir gehen +nun wirklich gleich zu Bett. Wir haben vorher nur noch ein wenig an +allerlei gedacht, was vor eurer -- vor deiner Zeit war.« + +»Ach ich bin so glücklich!« rief die junge Frau. »Wir sind so vergnügt +da unten an unserem Tische, und ihr hier in euerer lieben, alten, guten +Stube seht so jung aus und so hell aus den Augen, wie das Jüngste von +uns -- euern andern! Oh, und mein Franz ist so drollig; der Mensch ist +mir fast ein wenig zu ausgelassen, oh -- und also noch einmal: ein +fröhliches, glückliches, gesegnetes neues Jahr euch vor allen und -- uns +andern auch!« + +»Ja, ja!« sagten die =alten Leute= leise zu gleicher Zeit und nickten +freundlich ihre Zustimmung zu dem guten Wunsch. + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Der Junkervon Denow / Ein Geheimnis / +Ein Besuch / Auf dem Altenteil, by Wilhelm Raabe + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44639 *** diff --git a/44639-h/44639-h.htm b/44639-h/44639-h.htm new file mode 100644 index 0000000..0a48c72 --- /dev/null +++ b/44639-h/44639-h.htm @@ -0,0 +1,4523 @@ +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xml:lang="de" lang="de"> + <head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=UTF-8" /> + <meta http-equiv="Content-Style-Type" content="text/css" /> + <title> + The Project Gutenberg eBook of Der Junker von Denow, by Wilhelm Raabe. + </title> + <link rel="coverpage" href="images/cover_ebook.jpg" /> + <style type="text/css"> + +body { + margin-left: 10%; 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Tausend</i></p> + +<p class="center big" style="padding:1em"><i>Berlin-Grunewald<br /> +Verlagsanstalt für Litteratur und +Kunst/Hermann Klemm</i> +</p> + +<p class="center" style="padding-top:10%"> +Gedruckt bei G. Kreysing in Leipzig<br /> +Einbandzeichnung entworfen von Bernhard Lorenz<br /> +Den Einband fertigte H. Fikentscher in Leipzig<br /> +</p> + +<p class="newstory"></p> + +<div> +<h2 class="dotted"> +<a name="Junker"> +Der<br /> +<span class="big">Junker von Denow</span><br /> +Historische Novelle<br /> +</a> +</h2> + +<h3><a name="JunkerI" id="JunkerI">I.</a></h3> + +<p class="startchap"> +<img src="images/w.png" alt="W" width="60" height="60" class="floatl"/>er am Abend des sechsten Septembers alten +Stils, am Donnerstag vor Mariä Geburt +im Jahre unsers Herrn Eintausendfünfhundertneunundneunzig, +nach Sonnenuntergang einen +Blick aus der Vogelschau über die Rheinebene von Rees +bis Emmerich und weit nach Ost und West ins Land +hinein hätte werfen können, der würde eines erschrecklichen +Schauspiels teilhaftig geworden sein.</p> + +<p>Schwarze regendrohende Wolken verhingen das +Himmelsgewölbe, und es würde eine dunkle Nacht gewesen +sein, wenn nicht der Mensch diesmal dafür gesorgt +hätte, daß es auf der weiten Fläche nicht ganz finster +wurde. Auf den Wällen von Rees leitete, an der +Spitze seiner Hispanier, Burgunder und Wallonen, Don +Ramiro de Gusman die Verteidigung der Stadt und +Festung gegen das Reichsheer, welches schläfrig und +matt genug der Belagerung oblag, dafür aber auf +andere Weise desto mehr Lärm machte, wie es einer +Armee des heiligen römischen Reichs deutscher Nation +zukam. Ein fahles, blitzartiges Leuchten lag hier über +der Gegend, denn wenn auch das schwere Geschütz seit +Mittag schwieg, so knatterte doch das Musketenfeuer, +schwächer oder stärker, rund um die Stadt fort und fort, +und manch ein Wachtfeuer flackerte auf beiden Ufern +des Flusses, welcher manche Leiche in seinen nachtschwarzen +Fluten mit sich hinab führte in das leichenvolle +Holland, wo der finstere Admiral von Aragonien, +Don Francisco de Mendoza, und der Sohn der schönen +Welserin, der bigotte Kardinal Andreas von Österreich, +die Zeiten Albas erneuerten. —</p> + +<p>Wir haben es jedoch nur mit der rechten Seite des +Rheines zu tun, wo tief in das Land hinein unter den +zusammengewürfelten Tausenden des Reichsheeres, +Hessen, Brandenburgern, Braunschweigern, Westfalen, +der <i>furor teutonicus</i>, die sinnlose, trunkene, deutsche +Furie ausgebrochen war und in Verwüstungen aller +Art sich Luft machte. In allen Dörfern und Lagerplätzen +Sturmglocken, Trommeln und rufende Trompeten +— Geschrei und Jammer des elenden, geplünderten, +mißhandelten Landvolkes — bittende, drohende +Befehlshaber — flüchtende Herden, Weiber, Kinder, +Kranke, Greise — Reitergeschwader, die sich sammelten, +Reitergeschwader, die auseinanderstoben — brennende +Häuser und Zeltreihen, und zwischen allem die Cleveschen +Milizen, die „Hahnenfedern“, zur Wut gebracht durch +die Ausschweifungen derer, welche da Hilfe bringen +sollten gegen die Ausschweifungen des fremden Feindes! +Überall Blut und Feuer und Brand — ein unbeschreibliches, +wüstes, grauenhaftes Durcheinander, zu dessen +Schilderung Menschenrede nicht hinreicht!...</p> + +<p>Lange genug hatte an diesem Abend Don Ramiro, +hinter seiner Brustwehr an eine zerschossene Lafette +gelehnt, hinübergeschaut nach den Laufgräben und +Angriffswerken der tollgewordenen Belagerer; jetzt +stieg er langsam herab von seinem Lugaus, und begleitet +von zwei Fackelträgern und mehreren seiner Unterbefehlshaber +schritt er durch die Gassen von Rees, +dessen zitternde Bewohner jedes Fenster hatten erhellen +müssen, und dessen Straßen dumpf dröhnten +unter den Schritten der gegen die östlichen Ausfallspforten +heranmarschierenden Besatzung.</p> + +<p>„Francisco Orticio!“ sagte der spanische Kommandant, +und im nächsten Augenblick stand der Geforderte +vor ihm.</p> + +<p>„Alles bereit?“ fragte Don Ramiro wieder.</p> + +<p>Der gerüstete Führer senkte stumm den Degen und +wies mit der Linken auf die Haufen der Krieger, welche +jetzt alle an den ihnen bestimmten Plätzen dicht gedrängt, +regungslos standen. Des Spaniers Auge flog mit +düsterer Befriedigung über all diese im Glanz der +Fackeln blitzenden Harnische, Sturmhauben, Piken und +Schwerter — er nickte. „Sie würden sich da draußen +untereinander selbst fressen, gleich den hungrigen +Wölfen,“ sagte er, „aber wir wollen zur Ehre Gottes +und der heiligen Jungfrau“ — hier lüftete er den Hut, +und alle Umstehenden taten das Gleiche — „unsern +Teil an dem Verdienst haben, die Ketzer zu vertilgen! +Erinnert Euch, Orticio, mit dem Schlage Elf beginnt +das Feuer wiederum — mit dem Schlage Elf hinaus +auf sie! Spanien und die Jungfrau! die Losung.“</p> + +<p>„An eure Plätze, ihr Herren!“ erschallte das +Kommandowort Francisco Orticios — ein dumpfes +Gerassel und Geklirr der sich aneinander reibenden +Harnische — Don Ramiro de Gusman schritt langsam +prüfend die Reihen entlang; dann stieg er schweigend +wieder zu dem Walle empor, nach einem letzten Wink +und Gruß für Orticio, welcher sein Wehrgehäng +fester zog.</p> + +<p>„Noch eine halbe Stund’! Spanien und die Jungfrau, +Spanien und die Jungfrau!“ ging es dumpf +durch die Reihen der harrenden Krieger. — — —</p> + +<p>Unsere Geschichte beginnt!</p> + +<p>„So hole der Teufel die meineidigen Schufte und +meuterischen Hunde!“ schrie der Hauptmann Burghard +Hieronymus Rußwurmb in Verzweiflung, im Lager +der dreizehn Fähnlein gewappneter Knechte, Reisiger +und Fußsöldner, welche Herr Heinrich Julius, postulierter +Bischof zu Halberstadt, Herzog zu Braunschweig und +Lüneburg als Obrister des niedersächsischen Kreises +zufolge des Koblenzschen Reichsabschieds für diesen +Krieg geworben und aus aller deutschen Herren Ländern +zusammengebracht hatte. „Ist denn die Welt ganz +umgekehrt? Es ist zum Rasendwerden!... So schlage +zum letzten Mal die Trommel, Hans Niekirche — o +heiliges Wort Gottes, das ist das Jüngste Gericht!“</p> + +<p>Hans Niekirche aus Braunschweig, der Trommelschläger, +ein blutjunger Wicht, welcher einem Schneider +seiner Geburtsstadt aus der Lehre gelaufen war, hatte, +hierhin gestoßen, dahin gezerrt, sich fast zwischen die +langen Beine seines Hauptmanns gerettet und fing +nun mit zitternden Händen von neuem an, das Kalbfell +zu bearbeiten; während der Hauptmann hin und +her lief, mit beiden Händen das Haupthaar durchwühlend. +Er hatte wohl das Recht, zornig zu sein, der +Wackere! Dicht hinter sich hatte er ein geplündertes +Bauernhaus, dessen Fenster und Türen eingeschlagen +waren, und auf dessen Schwelle ein junges Weib mit +zerrissenen Kleidern, in der im letzten Krampf zusammengekniffenen +Hand ein Büschel roter Haare, leblos ausgestreckt +lag. An sein linkes Bein hing sich jetzt auch noch +ein arm Kindlein in seiner Todesangst, zu seiner Rechten +schlug Niekirch seine Wirbel, und rings um ihn her schrie +und stampfte, fluchte und drohete sein meuterisch Fähnlein +und rasaunte durcheinander, wie ein aufgestört +Rattennest.</p> + +<p>„O ihr Schelme, ihr Hunde, das soll euch heimgezahlt +werden!“ brüllte der Hauptmann. „Warte, +Hans Diroff von Kahla, warte, Koburger, Christoph +Stern von Saalfeld, an den Galgen und aufs Rad +kommt ihr; oder die Gerechtigkeit ist krepiert auf Erden. +Warte, du Schmalz von Gera, dein Fett soll all werden, +wie eine Kerze im Feuer! O Tag des Zorns, o Hunde! +Hunde!“</p> + +<p>„Gebt Raum, Hauptmann!“ schrie ein riesenhafter +Kerl, genannt Valentin Weisser von Roseneck, dem +Führer den Büchsenkolben vor die Brust setzend. „Ihr +seid die Verräter, die Schelme, Ihr und Eure saubern +Gesellen und Euer Graf von Hohenlohe, der Holländer! +Wollt Ihr uns nicht etwa über das Wasser, über den +Rhein, von des Reiches Boden führen? He, sprecht!“</p> + +<p>„Nicht über den Rhein! nicht über den Rhein! nicht +vor Bommel! nicht vor Bommel!“ schrie es von allen +Seiten, und weit über das Feld durch alle Tausende +wälzte sich dasselbe Wort. Der Hauptmann schlug den +Kolben von seiner Brust zur Seite.</p> + +<p>„Du wirst gehängt, wie ein Spatz, Rosenecker,“ +schrie er.</p> + +<p>„Ihr sollt es wenigstens nit erschauen!“ brüllte der +Schütz wieder, die brennende Lunte über dem Haupte +schwingend. Er nahm sich nicht die Mühe, sie aufzuschrauben, +das Feuerrohr lag auf der Gabel — im +nächsten Augenblick wäre der Hauptmann ein Kind des +Todes gewesen, wenn nicht plötzlich zwischen dem Bedrohten +und dem Drohenden ein Reiter im vollen +Galopp angehalten und dem wütenden Musketierer +den Büchsenlauf in die Höhe geschlagen hätte, daß +der Schuß in die Luft ging.</p> + +<p>„Der Junker! der Junker!“ schrie es auf allen +Seiten. „Der Junker zurück! sprecht, sprecht, was ist’s? +was sagt der Graf? Haben sie uns verkauft an die +holländischen Juden, ihnen ihre Festung Bommel zu +entsetzen?... Der Junker, der Junker! Nicht nach +Bommel, nicht vor Bommel! nicht über den Rhein! +nicht über den Rhein! In die Spieße der von Hollach!“</p> + +<p>„Ja, schreit nur, bis ihr berstet!“ zischte blau vor +Grimm der Hauptmann durch die zusammengebissenen +Zähne und ballte die Hände, daß die Nägel tief ins +Fleisch drangen. „Schreit nur — es ist noch nicht im +Topf, darin es gekocht wird — Christoph von Denow, +sprecht zu den Meutmachern! sagt den räudigen Hunden +Eure Botschaft!“</p> + +<p>Der junge Reiter richtete sich hoch auf im Sattel, +und alle die wilden Gesichter im Fackelschein ringsumher +wandten sich ihm zu.</p> + +<p>„Der wohlgeborene und edle Graf Philipp von +Hohenlohe, unser gnädiger Feldhauptmann —“</p> + +<p>„Nichts von dem Grafen von Hollach, dem Verräter, +dem Judas!“ schrien einige. „Stille! Ruhe! +Hört ihn!“ riefen die andern und gewannen die Oberhand, +daß der Reiter fortfahren konnte.</p> + +<p>„Der Graf läßt den Fähnlein des braunschweigischen +Regiments zu Roß und zu Fuß vermelden, daß ihr +Begehren und Gebaren unehrlich und treulos sei, +deutscher Nation zu Schimpf und Schande und großem +Schaden gereiche —“</p> + +<p>Ein allgemeines Wut- und Spottgebrüll unterbrach +den Redner, der erst nach langem Harren weiter rufen +konnte.</p> + +<p>„Es sagt der Graf von Hohenlohe, daß er befehle, +Generalmarsch zu schlagen vor jeglichem Quartier und +auszurücken in die Linien gen Rees, auf weitern Befehl! +Da kommt unser gnädigster Obrister, der Herr von +Rethen.“</p> + +<p>Neues Geschrei empfing den ebenfalls im vollen +Rosseslauf erscheinenden Führer, welcher den schriftlichen +Befehl des Grafen mit sich führte; aber ebenfalls vergeblich +durch Bitten, Drohungen, Erinnerungen an den +Artikelbrief das Volk zur Ruhe zu bringen versuchte. +Atemlos, zornesbleich hielt er zuletzt in dem kleinen +Kreise der Hauptleute und Offiziere und der wenigen +treugebliebenen Söldner. Der Junker aber befand sich, +willenlos fortgerissen, inmitten des wildesten Getümmels +der aufrührerischen Knechte, die von Mord und +Blut sprachen, und bereits ihre Spieße senkten, ihre +Feuergewehre richteten auf das Häuflein der Getreuen, +welche einen Ring schlossen um die Führer und die +geretteten Feldzeichen, und sich rüsteten, ihr Leben so +teuer als möglich zu verkaufen.</p> + +<p>Auch das Reiterlager hatte sich in Bewegung gesetzt, +von Minute zu Minute wuchs der Tumult, und inmitten +all dieser drohenden Spieße, Schwerter und +Büchsen, unter all diesen scheu gewordenen, ausschlagenden, +stampfenden Rossen und trunkenen Männern +taucht jetzt für uns eine Gestalt auf, klein und zierlich +gebaut, aber trutzig und unverzagt, im Heerlager aufgewachsen, +gebräunt von Wind und Wetter, abgehärtet +in mancher bösen Sturmnacht am schwächlichen Lagerfeuer, +ein klein Hütlein, geziert mit einer Häherfeder, +auf den krausen, wirren Locken, ein Dolchmesser im Gürtel, +— bekannt bei Führern, Knechten und Reisigen; zu +Roß, zu Fuß, zu Wagen stets dem Heere zur Hand: +<em class="gesperrt">Anneke Mey</em> von Stadtoldendorf, des braunschweigschen +Regiments Marketenderin und Schenkin!</p> + +<p>„Hab’ ich dich auf den Fuß getreten, Anneke?“ fragte +ganz kleinmütig der wilde Valentin Weisser, der eben +das Feuergewehr gegen den Hauptmann hatte losgehen +lassen. „Nimm dich in acht, daß sie dich nicht erdrücken, +Engel-Anneke — stelle dich hinter mich, du wirst gleich +dein blaues Wunder sehen.“</p> + +<p>„Nehmet Ihr Euch in acht, Rosenecker,“ lachte das +wildherzige Kind, „Ihr spielt ein hoch Spiel diese Nacht!“</p> + +<p>Der Riese warf einen trotzigen, lachenden Blick über +die hin und her wogenden Massen. —</p> + +<p>„Hoho, sind wir nicht unsrer genug, zu gewinnen? +Nicht vor Bommel! Ju — ho! ho! nicht vor Bommel! +nicht übern Rhein! Fort mit den Hauptleuten, fort mit +dem Grafen von Hollach!“</p> + +<p>In diesem Augenblick riefen wieder Hunderte von +Stimmen nach dem Junker — dem Christoph von +Denow. Da zuckte ein seltsamer Glanz über das Gesicht +des Mädchens. Es stellte sich zuerst auf die Zehen, dann +kletterte es mit katzengleicher Behendigkeit und Schnelligkeit +auf einen Schutthaufen, wo sich bereits mehrere +Soldatenweiber mit ihren Kindern und Habseligkeiten +zusammengedrängt hatten und alle zugleich in den Lärm +hineinkreischten.</p> + +<p>„Mein Mann! mein Mann! Jesus, sie würgen sich +alle! Gottes Sohn — Franz! Franz!“</p> + +<p>„Was macht der Junker? wo ist der Junker?“ rief +Anneke Mey, eine Hand, welche ihr entgegengestreckt +wurde, ergreifend.</p> + +<p>„Da! da! er spricht zu denen vom vierten Fähnlein +— da — da — Jesus, sie werfen den Hauptmann Eberbach +nieder, und mein Mann, Jesus, mein Mann!“ —</p> + +<p>Die Augen der Armen wurden starr, mit einem +Sprung war sie von der Höhe herab und stürzte sich +mitten in das Getümmel; über den am Boden liegenden +Hauptmann sank unter den Hieben und Stößen der +Meutrer der Doppelsöldner Franz Hase von Erfurt +zusammen. Vergeblich hatte sich Christoph von Denow +unter die Piken und Hellebarden geworfen, mit seinem +Schwert die Spitzen niederschlagend; im vollen Lauf +stürzte jetzt das aufrührerische Kriegsvolk auf die Treugebliebenen +und die Befehlshaber, Schüsse krachten +hinüber und herüber. Ihr Messer aus der Scheide +reißend trieb Anneke Mey in den Aufruhr hinein. +Christoph von Denow sah sie plötzlich an seiner Seite +unter den Füßen der Kämpfenden; — noch ein Augenblick, +und sie war verloren, noch ein Augenblick, und +er hatte sie, fast ohne zu wissen, was er tat, zu sich +emporgezogen aufs Pferd; alles drehte sich um ihn +her — „Mordio! Mordio!“ brüllte es auf allen +Seiten — — Da — — urplötzlich — — blieben alle +die zum Verbrechen gezückten und geschwungenen Waffen, +wie durch ein Zauberwort aufgehalten in der Luft — +jeder Wut- und Angstschrei erstarrte auf den Lippen +— Angreifer und Angegriffene standen lautlos, bewegungslos!</p> + +<p>Im Westen über Rees hatte sich, begleitet von einem +donnerartigen Krachen, der dunkle Nachthimmel blutig-rot +gefärbt. Alle Geschütze auf den Wällen, alle Geschütze +in den Angriffslinien brüllten los; im Lager des +Reichsheeres flog ein Pulvervorrat in die Luft, dazwischen +rollte, immer stärker werdend, das kleine Gewehrfeuer.</p> + +<p>Mit einem Male hatte sich die Szene im aufrührerischen +Lager vollständig verändert.</p> + +<p>„Sturm! Sturm! Rees zu Sturm geschossen!“ +ging es von Mund zu Mund. „Sturm! Sturm! Gen +Rees! gen Rees!“</p> + +<p>Und als peitsche der Satan sie vorwärts, seiner Hölle +zu, hatte sich plötzlich diese ganze Masse von Kriegern, +Führern, Weibern, Troßknechten in Bewegung gesetzt, +dem flammenden Vulkan im Westen entgegen. Gier +nach Beute, unbefriedigte Gier nach Blut trieb sie von +dannen. Im wildesten Taumel, Reiter und Fußvolk +und Wagen bunt durcheinander, raste sie über das Feld +durch die Nacht. Im wildesten Taumel und Traum, +das Schwert am Faustriemen, vor sich auf dem Sattel +das Mädchen aus den Weserbergen, saß Christoph von +Denow auf seinem schwarzen Roß. — —</p> + +<p>„Sturm! Sturm! Rees zu Sturm geschossen! +Vivat der Graf! Vivat der Graf von Hollach! Vorwärts! +Vorwärts!“</p> + +<p>Ein sekundenlanges Anhalten in dieser wüsten Menschenflut +war eine Unmöglichkeit, ein Fehltritt, ein +Straucheln der sichere Tod. Schon hörte man zwischen +dem Donnern und Krachen um die Stadt den Schlachtruf +der Feinde: „Spanien und die Jungfrau! Spanien +und die Jungfrau!“ und lauter und näher den Ruf der +angegriffenen Belagerer: „Das Reich! das Reich! +Vorwärts, das Reich!“</p> + +<p>Hinein in die Atmosphäre von Blut und Feuer +brauste die anstürzende Menschenmasse, und die Letzten +drängten bereits die Vordersten in die angegriffenen +Laufgräben, aus denen eine andere Flut ihnen entgegen +wogte. Das waren die Hessischen, die schlecht bewaffneten, +halbverhungerten, im Regen und Rheinwasser fast +ertränkten Schanzgräber, welche dem wilden Anprall +der Spanier nicht hatten widerstehen können.</p> + +<p>„Spanien! Spanien! Spanien und die Jungfrau!“ +rief Francisco Orticio, sich über einen Schanzkorb in die +Höhe schwingend.</p> + +<p>„Spanien! Spanien und die Jungfrau!“ wiederholten +seine Krieger ihm nachdringend.</p> + +<p>„Rette, Hessen! Rette!“ schrien die flüchtigen Söldner +des Landgrafen im panischen Schrecken.</p> + +<p>„Braunschweig! Braunschweig!“ brüllte es von den +Höhen der Böschungen.</p> + +<p>„Up dei Düvels!“ schrie Heinrich Weber aus Schöppenstedt, +eine Fackel in der Hand mitten unter die Hessen +springend. Der flammende Brand flog im weiten Bogen +gegen die Spanier — ein zweiter Satz — die zu Grund, +der Bergstadt im Harz, gehämmerte Hellebarde +schmetterte nieder auf eine zu Cordova geschmiedete +Sturmhaube: Diego Lua aus Toboso stürzte mit +einem „<i>Valga me Dios!</i>“ tot zurück.</p> + +<p>„Braunschweig! Braunschweig!“ brauste es dem +Schöppenstedter nach, und „Braunschweig! Braunschweig!“ +jubelten auch die Hessen, welche mit neuem +Mut sich wandten gegen ihre Verfolger.</p> + +<p>„Braunschweig! Braunschweig!“ rief Christoph von +Denow, dem es gelungen war, sich von seinem Pferde +zu werfen, welches sich auf der Böschung hoch bäumte, +im nächsten Augenblick aber, von einer Kugel getroffen, +zusammenbrach. Anneke Mey stand unbeschädigt auf +den Füßen, doch auch sie wurde mit hinabgerissen in die +Gräben, wo sie jedoch samt Hans Niekirche hinter einem +Haufen umgestürzter Schanzkörbe den verlorenen Atem +wieder gewinnen konnte.</p> + +<p>Und jetzt Angriff und wütende Verteidigung, Flüche +in sechs Sprachen, Todesrufe; — auf engstem Raum +Vernichtung jeder Art! — Alle Hauptleute der Braunschweiger: +Adebar, Maxen, Wulffen, Wobersnau, +Rußwurmb, Dux, Statz, und wie sie hießen, hatten ihre +Stellen als Befehlshaber wieder eingenommen und +drängten tapfer kämpfend die Spanier zurück. Tapfer +stritten aber auch die Spanier. Sechs Geschütze hatten +sie in den hessischen Schanzen genommen und in den +Rheingraben versenkt, Schritt für Schritt wichen sie +zu den flammenden Mauern und Wällen der Stadt +über die Leichen ihrer Landsleute und ihrer Feinde. +Der Graf von Hohenlohe in vollster Rüstung mit +seinen Herren führte stets neue Truppen an; Haufen +auf Haufen ließ Don Ramiro de Gusman hervorbrechen.</p> + +<p>Dicht an den Spaniern kämpfte Christoph von +Denow, das Blut rieselte aus einer Stirnwunde, — +er merkte es nicht. Anneke Mey hatte sich mutig auf +ihren Schanzkorb geschwungen und den widerstrebenden +Niekirche nachgezogen. Sie hielt ihr Messer noch immer +gezückt in der Rechten, mit der Linken hielt sie den +schlotternden Trommelschläger am Kragen.</p> + +<p>„So schlage den Sturmmarsch, Junge!“ rief sie +lachend. „Willst’ nicht? Wart, gleich fliegst du herunter, +daß sie dich drunten zu Brei vertreten, Feigling!“</p> + +<p>„Ja! ja! ich will!“ jammerte Hans. „Ach wär’ +ich doch daheim! Ach wär’ ich doch zu Haus! Mein +Mutter! mein Mutter!“</p> + +<p>„Na, na, schlage nur immer zu, du kommst noch +davon!“ sagte Anneke begütigend und ließ den Kragen +des Armen los. „Dein’ Mutter wartet schon a bissel! +Schau, wie lustig das aussieht — da, guck, sie +geben’s den welschen Bluthunden! Wär’ ich ’n Knab, +wie du — hei, ich wollt’s ihnen auch schon zeigen!“ +Und mit heller Stimme fing das Mädchen an zu +singen:</p> + +<div class="poem"><div class="stanza"> +<span class="i0">„Mein Vater wollt’ ein Knäbelein,<br /></span> +<span class="i0">Mein Mutter wollt’ ein Mägdelein,<br /></span> +<span class="i0">Mein’ Mutter tät gewinnen,<br /></span> +<span class="i0">Des muß den Flachs ich spinnen — Ja spinnen!<br /></span> +<span class="i0">Das ist mir großes Leid!“<br /></span> +</div></div> + +<p>Immer mutiger schlug Hans Niekirche, durch seine +Gefährtin aufgemuntert, seine Wirbel, und unter +beiden Kindern vorbei drängten ununterbrochen die +Scharen des Reichs vor und zurück, wie der Kampf vor- +und zurückwich; bis die Spanier in die Stadt gedrängt +waren, und das Zeichen zum Sammeln von allen Seiten +den Deutschen gegeben wurde. Don Ramiro hatte die +Rheinschleusen, welche er in seiner Gewalt hatte, öffnen +lassen.</p> + +<p>„Sieh das Wasser! das Wasser!“ rief Hans Niekirche +in neuer Angst. „Laß uns fort, Anneke, sie wollen +uns ersäufen, wie die jungen Katzen.“</p> + +<p>Ein allgemeiner Schrei erhob sich unter dem Getümmel +in den Laufgräben; schon standen manche +Haufen bis an den Gürtel in der reißend schnell steigenden +Flut.</p> + +<p>„Halt, halt!“ rief Anneke Mey. „Er ist noch nicht +zurück; aber — geh nur — geh — ich bleib’!“</p> + +<p>„Und ich bleib’ auch!“ schrie Hans der Trommler.</p> + +<p>„Zurück! zurück!“ tönte es aus den rückwärts +weichenden Scharen des Reichsheeres: „Das Wasser! +Der Rhein! Das Wasser!“ Und immerfort donnerte +das Geschütz der Spanier von den Wällen, immerfort +schlugen die Kugeln verheerend in das wirre, verzweiflungsvolle +Durcheinander.</p> + +<p>Es war eine böse Belagerung — die Belagerung der +Stadt Rees am Rhein: es war kein Glück, es war keine +Ehre dabei zu holen.</p> + +<p>„Der Junker! der Junker! Christoph! Christoph +von Denow!“ schrie die junge Dirne auf ihrer Höhe, die +Hände ringend, und das Wasser stieg und stieg. Schon +waren die letzten der Haufen unter ihr vorüber, und die +Toten, von den Fluten gehoben, wirbelten um sie her. +Da griff eine Hand aus den Wassern nach dem Schanzkorbe, +auf welchem sie stand, und ein bleiches Haupt +erhob sich zu ihren Füßen: „Rette! Rette!“</p> + +<p>„Christoph! Christoph!“ schrie das Mädchen, sie lag +auf den Knien, sie faßte die triefenden Locken, sie faßte +den Schwertriemen — der Junker von Denow war +gerettet. Valentin Weisser, der Riese, dessen Blutdurst +und Mut durch den Kampf und den Rhein bedeutend +gekühlt war, brachte mit Hilfe gutwilliger Genossen +den wunden Junker, die Dirne und Hans, den +Trommelschläger, glücklich auf das Trockene und weit +hinein ins Feld, wo die gelichteten, zerrissenen, wunden +Krieger des Reichsheeres um die Wachtfeuer murrend +und grollend in stumpfsinniger Ermattung lagen und +die Führer bereits wieder unheimliche und drohende +Worte zu hören bekamen.</p> +</div> + +<div> +<h3><a name="JunkerII" id="JunkerII">II.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/t.png" alt="T" width="60" height="60" class="floatl" />rübe dämmerte der Morgen. Auf die +wüste Nacht folgte ein ebenso wüster Tag. +Vergeblich hatte Herr Otto Heinrich von +Beylandt, Herr zu Rethen und Brembt, Leib und +Leben und Seligkeit den Meuterern zum Pfande +eingesetzt, daß sie nicht von des Reichs Boden weggeführt +werden sollten; vergeblich hatte der Graf von +Hohenlohe geflucht, gebeten und gedroht. Zwischen +sieben und acht Uhr waren zehn Fähnlein des braunschweigischen +Regiments aufgebrochen und aus dem +Feld gezogen, Münster zu. Weiber, Kinder, Dirnen +folgten jetzt dem plündernden, ehrvergessenen, eidbrüchigen +Haufen durch den grauen Nebelregen. +Keiner befahl, keiner gehorchte. Die einen meinten, +es gehe gradaus zum Herzog von Braunschweig, ihrem +Zahlherrn, nach Wolfenbüttel; andere glaubten, es +gehe gegen den Bischof von Münster; die meisten aber +dachten gar nichts, und so schwankte der tolle Zug, einem +Betrunkenen gleich, hier vom Wege ab, dort vom Wege +ab, jetzt auf ein Dorf zu, jetzt auf ein einsames Gehöft. +Kleinere Banden schweiften zur Seite, oder vor und +nach — fort und fort über die Heide; hier im Kampfe +mit einer ergrimmten Bauernschar, dort im Hader untereinander. +Der Nebel ward Regen und hing sich in +perlenden Tropfen an die letzten Blüten des Heidekrauts +und träufelte von den Stacheln und Zweigen der +Dornbüsche. Krähenscharen begleiteten den Zug lautkrächzend, +oder flatterten in dichten Haufen westwärts +dem Rhein zu, wo von Rees her das Feuer der Berennung +nur noch in einzelnen Schlägen dumpf grollte. +Stärker und stärker ward der Regen, die blutigen +Spuren der vergangenen Nacht, der Schlamm der Laufgräben +mischten sich auf den pulvergeschwärzten Gesichtern, +den zerrissenen, verbrannten Kleidern, den verrosteten +Waffenstücken — die Männer fluchten und +sangen, die Weiber ächzten, die Kinder schrien, und +Anneke Mey auf ihrem Wagen, mit einem Bierfaß +beladen, hielt tröstend das Haupt des wunden Christoph +von Denow in ihrem Schoß und sprach ihm zu und verhüllte +ihn, wie eine Mutter ihr Kind, mit einem groben +Soldatenmantel; während Hans Niekirche zähneklappernd +das magere Roß leitete, welches vor dem Karren +ging. — Lange Zeit hatte der Junker wie besinnungslos +gelegen, jetzt hob er den Kopf mühsam empor und +strich die Haare aus der Stirn und warf einen Blick +auf seine Umgebung.</p> + +<p>„O Anneke, weshalb hast mich nicht gelassen in dem +Wasser — oh! oh!“</p> + +<p>„Still, still, lieget ruhig, Herr! Die ganze Welt ist +auseinander —“</p> + +<p>„Weshalb hast mich nicht gelassen im Lager — im +Heer vor Rees?“</p> + +<p>„Es ist aus, aus! Alles aus, sagen sie. Alles läuft +auseinander —“</p> + +<p>„Und wohin gehen wir?“</p> + +<p>„Weiß nicht! weiß nicht!“</p> + +<p>„Bin also so weit! Ein Spießgesell von Räubern und +Mördern und landesflüchtigem Gesindel! Krächzt nur, +ihr schwarzen Galgenvögel, ihr habt einen feinen Geruch, +wittert den Fraß, wann er noch lustig auf den Beinen +herumstolpert und den Bauerngänsen die Hälse abhaut +und die Rinder aus dem Stall zieht. O Christoph! +Christoph! Und du könntest einen adeligen Schild +führen!“</p> + +<p>Der junge Gesell stieß solch einen herzbrechenden +Seufzer aus, daß ein neben dem Karren reitender Söldner +aufmerksam wurde. Er drängte sein Pferd näher +heran, zog seine Feldflasche hervor und reichte sie dem +Wunden zu.</p> + +<p>„Hoho, Junker, was spinnst für Hanf? Da wärme +dir das Herz, bis wir uns den Münsterschen Dompfaffen +in die warmen Nester legen! Aufgeschaut, aufgeschaut, +Christoffel! ’s ist beschlossen, Ihr sollt unser Obrister +werden!“</p> + +<p>Der Junker machte eine unwillige Handbewegung +und antwortete nicht.</p> + +<p>„Auch gut,“ brummte der Reiter. „Der Satan hol’ +alle diese Maulhänger! Möcht’ nur wissen, was die +Gesellen für einen Narren an ihm gefressen haben. +Hat den Vorspruch gemacht gestern beim Grafen nach +ihrem Willen und soll den Führer spielen, und kann den +Kopf nicht grad halten — Bah! Hätten hundert Bessere +gefunden; kann mit seinem Adel weder den Mantel +noch die Ehre flicken. Fort, Mähre, was scheust? Dacht +ich’s doch, da liegt wieder einer der trunkenen Schelme +im Wege. Vorwärts, Schecke, laß liegen, was nicht +mehr laufen mag. Was will die Trompete? Holla, +was ist das?“</p> + +<p>Ja, was wollte die Trompete? Auf der rechten Seite +des Weges der Meuterer waren zwar von Zeit zu Zeit +vereinzelte Schüsse gefallen, niemand hatte sie aber +beachtet, weil man sie nur den obenerwähnten Scharmützeln +mit den Bauern und Hahnenfedern zuschrieb. +Jetzt aber wurde das Feuer regelmäßiger, Reitertrompeten +erschallten. Der Zug stutzte und hielt. Gestalten, +schattenhaft, tummelten sich in dem dichten +Nebel, und erschreckte Stimmen erklangen: „Die +Spanier! Die Spanier!“</p> + +<p>„Zum Henker die Spanier; wie kommen die Spanier +soweit über den Rhein?“ brummte der Reiter, welcher +eben dem Junker die Feldflasche geboten hatte. Er +lockerte aber nichtsdestoweniger das Schwert in der +Scheide und wickelte den rechten Arm aus dem Mantel +los.</p> + +<p>„Der Feind! der Feind! die Speerreiter!“ riefen +die im Lauf rückkehrenden Plünderer, zu den Genossen +stoßend, und einige brachten eine frische Wunde mit +zurück. Näher und näher hörte man die Trompeten +und den Schlachtruf „<i>España! España!</i>“ und dann +„Hohenlohe! Hohenlohe!“</p> + +<p>Keiner von den Meutmachern machte Miene, an dem +Gefechte teilzunehmen; aber die Musketen waren auf +die Gabeln gelegt, die Lunten aufgeschroben, die Spieße +gesenkt, und man hatte instinktmäßig einen Kreis um +die Wagen mit den Weibern und Kindern und den Raub +geschlossen.</p> + +<p>Jetzt schienen die Spanier wieder zurückgedrängt zu +werden; der Lärm des Kampfes verlor sich in der Ferne. +Der Zug der Aufrührer wollte sich bereits wieder in +Bewegung setzen.</p> + +<p>„Halt, halt!“ rief einer der Fußknechte, „da kommen +sie wieder! Rossestrab!“ Er kniete nieder und legte +das Ohr an den Boden. „Viel Pferde im Galopp!“ +Man konnte kaum zehn Schritte weit im Nebel und +Regen deutlich sehen; es waren wieder nur unbestimmte +Schatten, die man nahen sah.</p> + +<p>Ein „Halt“ wurde ihnen zugerufen, und sie hielten, +und eine einzelne Gestalt löste sich von dem Haufen ab. +Aus dem Ring der aufrührerischen Söldner des Reichs +traten ihr einige entgegen.</p> + +<p>„Wer seid Ihr? Woher des Weges? Was für Begehr?“</p> + +<p>Der Nahende ritt, ohne zu antworten, näher heran.</p> + +<p>„Haltet, oder wir schießen!“</p> + +<p>„Nur zu, eidbrüchig Gesindel; versucht, ob ihr einen +ehrlichen Reitersmann trefft!“</p> + +<p>Wilde Flüche und der Ruf „Feuer, Feuer!“ ertönten, +und manche Büchse wurde in Anschlag gebracht; aber +dazwischen riefen auch Stimmen: „Halt, halt, das sind +keine Spanier, keine Speerreiter!“</p> + +<p>„Nein, das sind keine Spanier,“ rief der Reisige +zurück. „Das sind auch keine Meuterer, Mörder oder +Diebshalunken; — ehrliche Hohenlohesche Reiter sind’s, +die euch Lumpengesindel wahren sollen, daß ihr nicht +dem Galgen entlauft! Glaubt’s, der Graf hätte meinetwegen +andere dazu schicken mögen, als uns — nehmt +das Ab — Henkermahl drauf!“</p> + +<p>„Der Graf von Hollach hat Euch geschickt?“ fragte +es verwundert aus dem Haufen, und mancher der +wilden Kerle drängte sich vor, näher an den Reitersmann.</p> + +<p>„Zurück!“ rief dieser, „wir gehen mit euch, wie befohlen, +jagen die Speerreiter, die euch die Gurgel abschneiden +könnten, — man sparte nur die Stricke — und +schützen das arme Landvolk vor euch Hunden. Damit +holla! — na, wohin geht der Marsch?“</p> + +<p>„Packt Euch zum Teufel, wir brauchen Euch nicht!“ +schrie Jobst Bengel aus Heiligenstadt. „Wer hat Euch +gerufen? Sagt dem Grafen, dem Holländer, unsern +schönsten Dank und wir könnten unsern Weg allein +finden.“</p> + +<p>„Geht nicht! Alles auf Befehl! Kümmert euch so +wenig als möglich um uns; ihr handelt nach Belieben, +wir nach Befehl!“</p> + +<p>„Aber unser Belieben ist, daß ihr euch hinschert, +woher ihr gekommen seid!“ brüllte Hans Römer aus +Erfurt. „Geht, oder es setzt mein’ Seel blutige Köpfe!“</p> + +<p>„Unser Befehl ist, daß wir gehen, wohin euch der +Satan treibt. Am Höllentor kehren wir um, das ist der +Befehl. Genug der Worte.“</p> + +<p>Damit wandte der Hohenlohesche Rittmeister sein +Roß und sprengte zurück zu seinen Reitern, welche unbeweglich +auf einer kleinen Erderhöhung hielten und im +Gegensatz zu dem tobsüchtigen, wüsten Gebaren der +Meuterer nur leise Worte des Zorns und der Verachtung +hatten.</p> + +<p>Auf seinem Schmerzenslager hatte Christoph von +Denow halbblinden Auges und klingenden Ohres den +Vorgang angesehen und angehört. Jetzt mußte er auch +ohnmächtiger Zeuge der wilden Reden um ihn her sein.</p> + +<p>„Das ist solch ein falsch Spiel von dem Grafen — +das ist eine Falle. Sollen uns schützen vor den Speerreitern! +— Lauter Sorg und Lieb, bis sie uns den Hals +zuschnüren! — Nichts von dem Grafen von Hollach! +Fort mit den Reitern des Holländers! Feuer auf sie! +In die Spieße! in die Spieße mit ihnen!“</p> + +<p>„Die Rasenden! die Niederträchtigen!“ stöhnte +Christoph von Denow, die Hände ringend. „Und hier +liegen zu müssen gleich einem abgestochenen Schaflamme! +Halt, halt, was wollen sie tun?!“</p> + +<p>Seine schwache Stimme ging verloren in dem Lärm +„fort mit Holländern, fort mit dem Grafen von Hollach!“</p> + +<p>Mit einem Schlage setzte die ganze Masse der +Meuterer im Sturmlauf an gegen das kleine Häuflein +der Reiter.</p> + +<p>„Hab’s mir wohl gedacht,“ brummte der Rittmeister +in den grauen Bart. „Achtung, Gesellen! +Stand gehalten — das ist der Befehl. Herunter mit +den Schuften, wenn sie euch nahe kommen.“</p> + +<p>Sie griffen wirklich an. Im nächsten Augenblick +war die Reiterschar umringt, durchbrochen. Die meisten +sanken nach tapfrer Gegenwehr vom Pferd; nur wenige +schlugen sich durch und flohen über die Heide. Zuletzt +kämpfte noch ein einzelner. Das war der tapfere alte +Führer, der sich wie ein Verzweifelter wehrte. Endlich +erstach ihm Balthasar Eschholz aus Berlin das Roß, +und eine Kugel durchfuhr seine treue Brust.</p> + +<p>Einige Minuten standen die Mörder wie erstarrt. +Schlug ihnen diesmal das Herz? Sie wagten es nicht, +die Gefallenen zu berauben, ein plötzlicher Schrecken +kam über sie, wie von Gott dem Richter gesandt, und +Mann und Roß und Wagen stürzten von dannen, +hinein in den Nebel, der sie verschlang, als seien sie nicht +wert, von Himmel und Erde gesehen zu werden.</p> + +<p>„Das ist ein schlechter — schlechter Tod!“ seufzte der +zu Boden liegende Reiterhauptmann. „Ein schlechter +Tod! — In deine Hände — aber alles der Befehl — +nun kann der Rat von Nürnberg mein Weib und meine +Jungen auffüttern — ein schlechter Tod — Amen! +Alles — der — Befehl!“</p> + +<p>Er griff noch einmal mit beiden Händen krampfhaft +in das Heidekraut — es war vorüber.</p> + +<p>Ein Wäglein und drei Menschenkinder waren zurückgeblieben +beim Fortstürzen der Mörderschar. Das waren +Anneke Mey aus Stadtoldendorf, welche das Haupt +des Erschlagenen stützte, das war Christoph von Denow, +der auf seinem Lager das Vaterunser weiter betete, +welches der Rittmeister nicht hatte zu Ende bringen +können. Das war Hans Niekirche, der Trommelschläger, +welcher schluchzend das Rößlein vor dem Wagen +hielt!........</p> +</div> + +<div> + +<h3><a name="JunkerIII" id="JunkerIII">III.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/n.png" alt="N" width="60" height="60" class="floatl"/>icht Leben, nicht Tod; nicht Vergessenheit, +nicht Sinnesklarheit; nicht Schlaf, nicht +Wachen; — alles ein wildes, wirres +Chaos in dem fieberkranken Kopfe Christoph von +Denows! Jetzt legte es sich ihm, einem feurigen +Schleier gleich, vor die Augen, tausend Sturmglocken +und der Verzweiflungsschrei einer eroberten +Stadt füllten ihm Ohr und Hirn; — jetzt versank er +wieder in ein endloses graues Nichts, in welchem ihn +allerlei unerkennbare Schatten umschwebten; — jetzt +vermochte er es wieder, sich und seine Umgebung zu +unterscheiden, ohne sich klar darüber werden zu können, +wer ihn von dannen führe und wohin man ihn führe. +Manchmal war der Himmel über ihm grau und ihn fror, +dann wieder schaute er empor in das reine Blau, und die +Sonne schien herab auf ihn. Manchmal glaubte er +sich in einem auf dem Wasser fahrenden Schifflein zu +befinden, manchmal sah er wieder grüne Zweige über +sich und hörte die Vögel singen. Er gab es auf, zu +denken, sich zu erinnern: willenlos überließ er sich seinem +Geschick. Es zog und zuckte durch seinen Geist! — Da +ist der weite, kühle Saal in der väterlichen Burg, dem +einstmals am weitesten in das Polen- und Tartarenland +vorgeschobenen Posten des deutschen Wesens. +Durch die bunten Scheiben der spitzen Fenster fällt das +Licht der Sonne und wirft die farbigen, flimmernden +Schattenbilder der gemalten Wappen und Heiligen auf +den Estrich. Da steht der Sessel des Ritters von Denow +neben dem großen Kamine, und der Sessel und der +Gebetschemel der Mutter in der Fenstervertiefung, da +glitzern im Winkel auf dem künstlich geschnitzten Schenktisch +die riesigen, wie Silber glänzenden Zinnkrüge +und Geschirre. Da blickt ernst von der Wand der Ahnherr +mit dem Ringpanzer auf der Brust, und manch +wunderlich Gewaffen aus den Polen- und Preußenschlachten +hängt an dem Mittelpfeiler, welcher den +Saal stützt....</p> + +<p>Feuer! Feuer! Das ist nicht der Widerschein der +Abendsonne an den Wänden. Feuer! Feuer! und das +Wimmern der Burgglocken und der Schall der Sturmhörner! +— Wo blieb das süße, mildlächelnde Bild der +Mutter, das eben noch durch den stillen dämmerigen +Saal glitt? Feuer und Sturm! Die Polen! die Polen! +Allverloren! Allgewonnen! Allgewonnen!</p> + +<p>Da taucht ein ehrliches bärtiges Gesicht auf — das ist +der Knecht Erdwin Wüstemann, welcher den kleinen +Christoph aus der brennenden väterlichen Burg auf den +Schultern trug und rettete.... Nun rauscht der Wald, +nun murmelt der Bach — das ist die verlorene Forsthütte, +wo der treue Knecht und das Kind hausten so lange +Jahre hindurch. Die Hunde zerren bellend an der Kette, +der Falk schaukelt sich auf seiner Stange. Wilde Gesellen +und Weiber — fahrende Soldaten, Sänger und +Studenten und demütige Juden verlangen Obdach vor +dem nahen Gewitter oder dem Schneesturm. Sie lagern +auf nackter Erde um das Feuer, an welchem die Hirschkeule +bratet. Der Weinkrug geht im Kreise umher; +Lieder erschallen! Lieder vom freien Landsknechtsleben, +lutherische Lieder, Spottlieder gegen den Papst und den +Türken und lateinische Lieder vom wandernden +Scholarentum. Jetzt gerät der rote Heinz mit dem +landflüchtigen Leibeigenen oder dem Zigeuner in Streit; +die Messer blitzen, der Knecht Erdwin wirft sich zwischen +die Kämpfenden — es rauscht der Wald, es murmelt +der Bach, es klingt die Harfe des blinden Sängers — ah +Wasser, Wasser und Waldfrische in dieser Glut, welche +das Gehirn verdorrt und die Knochen versengt!</p> + +<p>Einen Augenblick lang öffnete der Kranke die Augen, +er hörte Stimmen um sich her; jemand hielt ihm einen +Krug voll frischen Wassers an die heißen Lippen. Er +hatte nicht fragen können, wo er sei, wer ihm helfe in +seiner Not? — von neuem ergriff ihn der Fiebertraum.</p> + +<p>Aus dem Kinde ist im lustigen Wildschützenleben ein +wackerer Bub geworden. Hinaus aus dem grünen +Wald zieht der Knecht Erdwin mit dem Schützling. Die +Zeiten sind danach — wer kühn die Würfel wirft, kann +wohl den Venuswurf werfen. Mancher gelangte in der +Fremde zu hohen Ehren und Würden, der im Vaterlande +kaum den heilen Rock trug. Gern kaufen Franzosen, +Spanier, Holländer mit rotem Golde rotes +deutsches Blut. Ho, so hattest du dir die Welt draußen +vor dem Wald wohl nicht gedacht, Christoph von Denow? +Hei, das waren andere Gestalten und Bilder: Städte, +Klöster und Burgen; Fürsten mit Rittern und Rossen, +schöne Damen, Äbte und Bischöfe mit reichem Gefolge, +Bürgeraufzüge, bunte Landsknechtsrotten auf dem +Wege nach Italien, nach Frankreich — für den Kaiser +und wider den Kaiser!</p> + +<p>Aus dem Reitersbuben ist ein Reitersmann geworden, +welcher nichts sein nennt, als sein gutes Schwert, +und welchem von den Vätern her nichts geblieben ist, +als der eiserne Siegelring mit dem Wappen derer von +Denow, welchen er am Finger trägt.</p> + +<p>Immer weiter hinein in das bunte Leben, in den +bunten Traum — tagelang, wochenlang im Wundfieber +kämpfend zwischen Sein und Vernichtung, bis +endlich eine Glocke dumpf und feierlich erklingt, eine +Glocke, die nicht mehr allein in dem Gehirn des Kranken +läutet!</p> + +<p>„Wo bin ich?... Die Glocke, was will die Glocke?“ +murmelte Christoph von Denow, die Augen aufschlagend.</p> + +<p>Anneke Mey stieß einen Freudenschrei aus und hob +das Haupt des Junkers ein wenig aus ihrem Schoße: +„Er lebt, o guter Gott, er wird leben!“</p> + +<p>„Die Glocke! die Glocke?“</p> + +<p>„Still, lieget still, Herr! das ist Sankt Lambert zu +Münster, und da — horcht! das ist der Dom! Morgen +ist der heilige Matthiastag — still, still, lieget ruhig.“</p> + +<p>Es wurde dunkel über dem Junker; das Wäglein +fuhr in diesem Augenblick durch die Torwölbung. Der +Junker schloß die Augen wieder, er glaubte einen Wortwechsel +zu hören, er glaubte zu bemerken, daß der Wagen +hielt, Annekes Stimme erklang ängstlich und bittend +dazwischen. Er glaubte ein bärtiges Gesicht über sich +zu sehen und einen Ausruf des Schreckens zu hören. +Der Wagen bewegte sich wieder — er fuhr aus dem +dunklen Tor in das Licht der Straße hinein. — —</p> + +<p>Das war das Gesicht des alten Knechts Erdwin, +welches der Junker von Denow über sich sah, bis im +folgenden Moment alles verschwand und es wieder +Nacht war im Geiste Christophs. — Allmählich aber +wurde diese Nacht jetzt Dämmerung; die Gedanken +ordneten sich mehr und mehr. Christoph von Denow +erwachte wieder zum Leben.</p> + +<p>Er fühlte den wohltuenden Strahl der milden Herbstsonne, +er vernahm die Worte der Freunde um sich her. +Jetzt erzählte Erdwin, der Knecht, jetzt sprach Anneke +Mey, jetzt lachte Hans der Trommelschläger. Die Landschaft +glitt an ihm vorüber, Städte, Dörfer, Flecken, er +sah blaue Höhenzüge im Osten auftauchen und vernahm, +wie ein Wanderer dem Knechte Erdwin sagte, +das sei der altberühmte große Teutoburger Wald. Er +schlummerte abermals ein, und als er abermals erwachte, +fand er sich mitten in den Bergen, und ein Wasser +rauschte seitwärts in das Dickicht. „Das Wässerlein +kenn’ ich,“ rief Anneke, „das ist die Else, die fließt in die +Werre, und die Werre fließt in die Weser, nun sind wir +der Heimat nahe.“</p> + +<p>„Und wie ziehen wir nun, Anneke?“ fragte der getreue +Knecht Erdwin, welcher munter neben dem Wagen, +den Spieß auf der Schulter, herschritt.</p> + +<p>„Wo die Sonne aufgeht, fahren wir zu; aus dem +Teutoburger Wald in den Lippeschen Wald, zuletzt wird +doch mal ein Berg kommen, von dem wir die Weser +glitzern sehen können. Dann sind wir zu Hause!“</p> + +<p>„Anneke, Anneke!“ murmelte Christoph.</p> + +<p>„O, wachet Ihr wieder, Junkerlein? geduldet Euch +und lieget still, wir sind alle noch da, und der Meister +Erdwin ist auch da und hat mir alles von Euch erzählt +und ich ihm auch alles von Euch.“</p> + +<p>„O Junker, Junker, seid Ihr wach?“ rief der Knecht +Erdwin und schauete über den Rand des Wagens. „Das +Mütterlein im Himmel muß über uns wachen, daß ich +Euch grad am Tor zu Münster treffen mußt’. Von der +Reichsschanze bis nach Münster bin ich kreuz und quer +Euern Spuren nachgezogen. Habt mich schön in Angst +und Not gebracht! Haltet das Maul, Junkerlein. Dem +Herzmädel da dankt Ihr Euer jung Leben. Lasset Euch +tränken und atzen und schlaft wieder ein, wir halten +Euch oben, Hans und Anneke und ich!“</p> + +<p>Christoph drückte schwach die Hand des wackern Alten, +er wollte nach dem Heere fragen, nach den Meuterern, +aber er vergaß es. Sein wunder Kopf ruhte noch immer +an der Brust der jungen Dirne. Aus schwimmenden +Augen blickte er auf zu dem braunen, wildfreundlichen +Gesicht über ihm.</p> + +<p>„Ach, Anneke Mey, Anneke Mey, wohin willst du +mich führen?“</p> + +<p>„In meiner Heime ist es gar schön,“ sagte das +Mädchen. „Da sind die Berge und die Wiesen so grün, +da schaut die alte Burg, sie heißen sie die Homburg +herab auf das Städtel. Da sind die hohen weißen Felsen +ganz weiß, weiß — da wohnen die klugen Zwerge in +tiefen runden Löchern. Das ist wahr, ganz gewiß wahr! +Es ist auch schaurig da, manchmal rührt sich der Boden, +und der Wald sinkt ein in die Erde, tief, tief, — und +ein Wässerlein springt dann unten in dem Grund auf; +das Wasser trinken die Leut nicht gern. Aber mitten +in den Bergen, da ist ein kühler Bronn, der Wellborn +geheißen, aus dem kommt das Wasser durch Röhren in +die Stadt, und die Brunnen rauschen und plätschern +immer zu. Und vor dem Burgtor ist ein klein Haus dicht +an der Stadtmauer, da sitzt meine alte Muhme, die +Alheit — mein Vater und Mutter sind lang tot im +Lager von Lafere, wo wir mit dem französischen König +Heinrich waren — und ihre Katz sitzt neben ihr, und +wenn sie, ich mein’ die Muhme — an mich gedenkt, so +brummt und keift und bet’t sie ein Vaterunser, grade +weil sie mich gern hat. Schläfst noch nicht, Junkerlein? +Mach die Augen zu und kümmre dich nicht um die +Welt.“</p> + +<p>Mit leiser Stimme fing das Mädchen an zu singen:</p> + +<div class="poem"><div class="stanza"> +<span class="i2">„Musikanten zum Spielen,<br /></span> +<span class="i0">Schöne Mädchen zum Lieben:<br /></span> +<span class="i0">So lasset uns fahren,<br /></span> +<span class="i0">Mit Roß und mit Wagen,<br /></span> +<span class="i0">In unser Quartier!<br /></span> +<span class="i0">In unser Quartier!“<br /></span> +</div></div> + +<p>„Ach, der Wagen stößt zu hart; wisset Ihr was, +Meister Erdwin? singet Ihr weiter.“</p> + +<p>„Wollen’s versuchen!“ sagte der Knecht Wüstemann +und begann im Ton der Schlacht von Pavia das Lied +von der Schlacht vor Bremen, in welche er als junger +Bursch mit den Reitern des Grafen von Oldenburg +gezogen war, und frisch schallte sein Baß in den Wald +hinein.</p> + +<div class="poem"><div class="stanza"> +<span class="i0">„— Unser Feldherr das vernahm,<br /></span> +<span class="i0">Graf Albrecht von Mansfelde,<br /></span> +<span class="i0">Sprach zu seinem Kriegsvolk lobesam:<br /></span> +<span class="i0">Ihr lieben Auserwählten,<br /></span> +<span class="i0">Nun seid ganz frisch und wohlgemut,<br /></span> +<span class="i0">Ritterlich wolln wir fechten;<br /></span> +<span class="i0">Gewinnen wolln wir Ehr und Gut,<br /></span> +<span class="i0">Gott wird helfen dem Rechten.“<br /></span> +</div></div> + +<p>Als der Endvers kam, war Christoph wirklich eingesungen +zu sanftem Schlummer, und Hans Niekirche +behielt den braunschweigschen Gassenhauer, den er +eben zum besten geben wollte, auf das Ersuchen des +alten Erdwins für sich. Mit einbrechender Nacht wurde +bei einem Köhler mitten im Forst das Nachtquartier +aufgeschlagen.</p> + +<p>„Was ist denn da draußen vorgegangen in der Welt?“ +fragte der schwarze Waldmann. „Ihr seid die Ersten +nicht, die hier durchkommen sind und hier angehalten +haben. Das ist ja auf einmal, als ob alles Kriegsvolk +im deutschen Land sich hier auf den Wald niedergeschlagen +hätt’, wie ein Immenschwarm auf den +Schlehenbusch. Ist es wahr, daß das Reichsheer auseinandergelaufen +ist?“</p> + +<p>„Es ist wahr,“ sagte der Knecht Erdwin düster. „Es +ist aus, — alles vorbei!“</p> + +<p>„Vorgestern zog hier ein Trupp durch, fast zehn +Fähnlein stark, aber anzusehen wie ein wüst Raubgesindel, +Fußvolk und Reiter durcheinander. Wollten +gen die Weser und ließen sich vernehmen, sie wollten +ihrem Zahlherrn, dem Braunschweiger Herzog —“</p> + +<p>„Die Braunschweiger?!“ riefen Erdwin und Anneke +und Hans Niekirche. „Die Braunschweiger?!“ murmelte +Christoph von Denow und richtete sich halb auf seinem +Lager auf.</p> + +<p>„Gehöret Ihr zu ihnen?“ fragte der Köhler mißtrauisch. +„Nehmt Euch in acht; ich hab’ einen gesprochen, +der sagte, der Braunschweiger habe seine +Leibguardia und Reiter die Menge abgesandt, ihnen +den Weg zu verlegen. Sein Feldhauptmann, der +Graf von Hohenlohe, ist auch, von Mitternacht her, +gegen sie aufgebrochen. Das kann ein übel Ende +nehmen!“</p> + +<p>„Gegen die Weser sind sie gezogen?“</p> + +<p>„Wie ich Euch sagte, Maidlein.“</p> + +<p>„Herr Gott, so müssen wir ab vom Weg!“</p> + +<p>„Ihr gehört also nicht zu ihnen?“</p> + +<p>„Nein! nein! nein!“ riefen Christoph und Erdwin +und Anneke.</p> + +<p>„Und Ihr wollt auch über die Weser?“</p> + +<p>„In meine Heimat!“ rief Anneke.</p> + +<p>„Mit dem wunden Mann? Geht nicht, wahrlich geht +nicht! Weg und Steg sind verlegt.“</p> + +<p>Alle schwiegen erschrocken und verstört einige +Minuten.</p> + +<p>„Saget doch,“ fuhr der Köhler dann fort, „weshalb +wollt Ihr nicht bei mir bleiben im Walde, bis der Kopf +des Burschen dort wieder heil und ganz ist? Hunger und +Durst sollt Ihr nicht leiden. Ihr erzählet mir alles, +was da draußen in der Welt vorgegangen ist, dafür geb’ +ich Euch Futter und Obdach. Gefällt’s Euch?“</p> + +<p>„Ihr wolltet —?“</p> + +<p>„Gewiß will ich; ich will Euch sogar noch großen +Dank schuldig sein dafür!“</p> + +<p>„Angenommen, Landsmann!“ rief der Knecht Wüstemann +freudig. „Junker, nun streckt Euch lang auf +Euerm Lager, und wehe dem ersten Rehbock, der mir +vor die Armbrust gerät, welche ich dort an der Wand +sehe.“</p> + +<p>So kamen am Tage Cornelii des Hauptmanns +die vier Flüchtlinge des Reichsheeres zum ersten Mal +zu Ruhe.</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="JunkerIV" id="JunkerIV">IV.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/d.png" alt="D" width="60" height="60" class="floatl"/>ominus Basilius Sadler, der heiligen +Schrift Doktor und fürstlicher Hofprediger +zu Wolfenbüttel, hatte seine Predigt +beendet und das Vaterunser gebetet. Unter den letzten +Klängen der Orgel strömte die Menge aus der Marienkapelle +in den dunkeln nebligen Herbsttag hinaus. +Man schrieb den vierten November 1599.</p> + +<p>Was hatte das andächtige Volk? Statt ruhig und +gemessen wie gewöhnlich am heiligen Sonntag ihren +Wohnungen und dem Sonntagsbraten zuzuschreiten, +blieben die Männer in Gruppen auf dem Kirchplatz +stehen und steckten die Köpfe zusammen; selbst die Weiber +waren von derselben Aufregung ergriffen. Kaum war +nämlich der letzte Orgelton verhallt, so durchzitterte +von der Dammfestung her ein anhaltender Trommelwirbel +die stille Luft und schwieg dann einige Augenblicke. +Darauf näherten sich die kriegerischen Klänge +im Marschtakt, und manche der Bürger eilten ihnen, +ihre Knaben an der Hand, entgegen; der größte Teil +der Menge blieb jedoch zurück und erwartete die Dinge, +welche da kommen sollten. „Nun geht es an! Das ist +der Beginn!“ hieß es unter dem Volk.</p> + +<p>„Das ist der Gerichtswebel, Martin Braun von +Kolberg,“ sagte ein Goldschmied, der von allem genau +Bescheid wußte. „Der verkündet nun das kaiserliche +Malefizrecht an allen vier Orten der Welt.“</p> + +<p>„Sie kommen! sie kommen!“ hieß es unter der +Menge, und eine Gasse bildete sich jetzt, um die Nahenden +durchzulassen. Von der Dammbrücke her durchzog mit +seinen drei Trommlern der Gerichtswebel, begleitet von +einigen Hellebardierern, feierlich und langsam die +Heinrichsstadt gegen das Kaisertor hin.</p> + +<p>Wir lassen ihn ziehen und lassen das Volk seine +Betrachtungen anstellen und schreiten quer über den +Platz vor der Marienkapelle, durch die Löwenstraße, +über die Dammbrücke an dem Schloß vorüber nach dem +Mühlentorturm, dessen Eingänge von einer stärkern +Wache als gewöhnlich umgeben sind. Wir führen den +Leser in das obere Stockwerk des Gebäudes. Ein weites +Gewölbe tut sich uns hier auf, so dunkel, daß das Auge +sich erst an die Finsternis gewöhnen muß, ehe es irgend +etwas in dem Raum erkennen kann. Ist das geschehen, +so bemerken wir, daß das trübe, herbstliche Tageslicht, +durch viele, aber enge und stark vergitterte Fenster fällt. +Die Wände entlang ist Stroh aufgeschichtet, auf welchem +dunkle Gestalten in den mannigfaltigsten Stellungen +und Lagen sich dehnen. Von dunkeln Gestalten sind +auch einige hie und da aufgestellte Tische umgeben. +Ein Kohlenfeuer glimmt in dem Kamin unter dem +gewaltigen Rauchfang. Allmählich erkennen wir mehr +in dem dunsterfüllten Raume: bleiche, wilde Gesichter, +umgeben von wirren zerzausten Haaren, schlechtverbundene, +mit blutigen Binden umwickelte Glieder. +Ein leiseres oder lauteres Klirren und Rasseln von +Ketten erschreckt uns; — wir sind unter den — Meuterern +von Rees! Gekommen ist’s, wie es kommen mußte; +morgen wird der Obriste des niedersächsischen Kreises, +Herr Heinrich Julius von Braunschweig, das Gericht +über sie angehen lassen. Dumpf tönt der ferne Trommelschlag +des um die Wälle der Festung ziehenden Gerichtswebels +Martin Braun in ihr Gefängnis herüber. +Lauschen wir ein wenig den Worten der gefangenen +wilden Gesellen!</p> + +<p>„Ta, ta, ta! Was das für ein Wesen ist? Sollte +man nicht meinen, der Teufel sei den Kerlen in den +Lärmkasten gefahren? Es gehet alles zum Schlechteren, +selbsten das Trommelschlagen,“ sagte eine baumlange +Gestalt, sich über die Genossen erhebend.</p> + +<p>„Sollt’ meinen, Valtin, wir hätten uns um anderes +zu kümmern als den Trommelschlag,“ sagte unwirsch +ein zweiter Söldner.</p> + +<p>Valentin Weisser ließ sich jedoch nicht von seinem +Thema abbringen. „Horchet nur, ist das die alte freudige +deutsche Art? Aber jetzt will jeder ein Neues einbringen! +Auch die Hispanier machen’s so; da lob’ ich mir die +Italiener, die haben aufgehoben, was wir nicht mehr +mochten, und ziehen mit den fünf gleichen Schlägen bis +ans Ende der Welt. Topp, topp, topp, topp, topp! das +erwecket das Herz zu Freud und Tapferkeit und hilfet +zu Leibeskräften. Topp, topp, topp, topp, topp! Hüt +dich Bau’r, ich komm’! — das ist’s! oder —“</p> + +<p>„Hauptmann, gib uns Geld!“ fiel lachend ein +Dritter ein.</p> + +<p>„Füg dich zu der Kann!“ brummte Hans Römer von +Erfurt, der Schmerbauch.</p> + +<p>„Mach dich bald davon!“ sang eine schrille Stimme +dazwischen.</p> + +<p>„Hüt dich vor dem Mann!“ brummte Jobst Bengel +von Heiligenstadt. „Möchte nur wissen, wie lang wir +noch in diesem Loch stecken sollen? Alle blutigen Teufel, +ich wollt’, der Blitz schlüg’ gleich mitten unter uns, und +nähme uns mit herauf oder herunter, ins Paradies +oder die Hölle! ’s sollt’ mir gleich sein — ’s wär’ +wenigstens eine Veränderung!“</p> + +<p>„Das greuliche Fluchen ist auch nicht an der Zeit!“ +sagte eine ernste und finstere Stimme.</p> + +<p>„Hilft auch zu nichts, Meister Wüstemann,“ grinste +der Vorige wieder. „Dem Galgen entläuft man nit so +leichtlich — mit Verlaub, Junker, das war nicht auf +Euch gesagt.“ Wir folgen dem höhnischen Blick des +Sprechenden. Neben dem Kamin, an die feuchtschwarze +Wand gelehnt, steht Christoph von Denow, gebrochen +an Leib und Seele. Er schaute starr, gradaus vor sich +hin, bei den Worten Jobsts aber fuhr er auf, sank +jedoch in demselben Augenblick mit einer abwehrenden +Bewegung der Hand in seine vorige Stellung zurück. +Die Entgegnung übernahm Erdwin Wüstemann, der +drohend seine gefesselten Fäuste nach dem schon zurückweichenden +Jobst ausstreckte: „Den Schädel zerschmettere +ich dir an der Wand, wenn du den Rachen nicht hältst, +du Sohn einer Hündin — sage noch ein Wort —“</p> + +<p>„Auf ihn! so ist’s recht!“ schrien einige der Gefangenen. +„Halt, halt! trennt sie!“ riefen andere.</p> + +<p>„Seid ruhig, Erdwin,“ sagte der Junker, „laß ihn, +Alter, — er hat recht, der Strick des Hangmanns droht +uns allen.“</p> + +<p>„Euch nicht! Euch nicht!“ rief der alte Wüstemann, +die ihm entgegengestreckte Hand seines Schützlings +fassend. „O Ihr — Ihr in diesen Banden — das Herz +bricht mir darüber — o die Schurken, die Schurken!“</p> + +<p>Ein Murren, welches bald in lautere Drohungen +überging, folgte den Verwünschungen des Alten, der +alle ihn Umgebenden mit allen Flüchen überhäufte, +welche ihm auf die Zunge gerieten.</p> + +<p>Wer weiß, was geschehen wäre, wenn man nicht +plötzlich draußen vor der eisenbeschlagenen Tür des +Gefängnisses Schritte und eine befehlende Stimme vernommen +hätte. Hellebardenschäfte und Musketenkolben +rasselten nieder auf den Steinboden. Eine allgemeine +Stille trat ein unter den Gefangenen, die Schlösser der +Tür kreischten und knarrten. Sie öffnete sich, ein Gefreiter +mit der Partisane auf der Schulter schritt herein +mit zwei Büchsenschützen, deren Lunten glimmten. +Ihnen folgte ein kleines schwarzes Männlein, welchem +zur Seite, von Kopf bis zu Fuß geharnischt, der Leutnant +der Festung, Hans Sivers, sich hielt. Durch die +geöffnete Tür sah man den Gang angefüllt mit Bewaffneten +von der Besatzung.</p> + +<p>„Tut Eure Pflicht, Herr Notarius!“ sagte der Leutnant, +und das kleine schwarze Männlein — Herr +Friedericus Ortlepius, <i>notarius publicus</i> und des +peinlichen Gerichts zu Wolfenbüttel bestallter und beeidigter +Gerichtsschreiber, räusperte sich, nahm das +Barett vom Haupt und entfaltete ein Papier, welches +er in der Rechten trug. Ein Söldner, der eine Lampe +hielt, näherte sich. Der Leutnant hob den Arm gegen +die Gefangenen, abermals räusperte sich Herr Ortlepius +und las dann seine Schrift ab wie folgt:</p> + +<p>„Daß der Hochwürdige, Durchlauchtige, Hochgeborne +Fürst und Herr, Herr Heinrich Julius, postulierter +Bischof des Stifts Halberstadt, Herzog zu Braunschweig +und Lüneburg, unser allerseits gnädiger Fürst +und Herr, unlängst nach Besage und Inhalt des Koblenzschen +Abschieds, als verordneter Kriegsobrister dieses +niedersächsischen Kreises, zur Beschützung des lieben +Vaterlandes wider das tyrannische Einfallen des hispanischen +Kriegsvolkes, unter andern ein Regiment deutscher +Knechte von dreizehn Fähnlein hat werben lassen, +solches ist <i>notorium</i> und männiglich bekannt. Sind +dieselben auch nachher von Seiner Fürstlichen Gnaden +selbst gemustert, bewehrt, und haben sie in derselben +persönlichen Gegenwart in dem Ring, altem löblichem +Kriegsgebrauch nach, auf den Artikulbrief geschworen.</p> + +<p>Ob nun wohl I. F. G. sich gänzlich versehen und +verhofft, nachdem I. F. G. es so treulich gemeinet, auch +dem gemeinen Vaterland zum Besten es sich so sauer +haben werden lassen, — es würde gemeldetes Regiment +sich vermöge geschworenen Eides, Treu und Pflicht, wie +Solches ehrlichen, redlichen Kriegsleuten eignet und +gebühret, verhalten haben, so hat sich aber befunden, +daß zehn Fähnlein von solchem Regiment, ohne einige +rechtmäßige gegebene Ursach, wider ihre geschworene +Treu und Pflicht, I. F. G. zu sonderlichen Schimpf, +der ganzen deutschen Nation zum sonderlichen Spott und +Hohn, dieser Kriegsexpedition zum Nachteil, dem Feind +aber zum Frohlocken mit fliegenden Fähnlein aus dem +Felde gezogen sind. Haben ihre verordnete Obrigkeit +nicht bei sich leiden wollen, auch in solcher Meuterei so +lange kontinuiret, bis daß I. F. G., zur Erhaltung +Deroselben Autorität, ein’ Ernst zu diesen Sachen +haben tun müssen, und sie durch ihren damaligen +Statthalter und Generallieutenant den Wohlgebornen +und Edeln Grafen Philipp zu Hohenlohe, auf der Heide +zwischen der Ucht und Barenburg, hinter dem Moor, +genannt das hessische Darlaten, haben trennen und zum +Gehorsam bringen lassen. Und obwohl I. F. G. damals +nach Kriegsgebrauch und scharfen Rechten sie zu massakrieren +und sämtlich zu Schelmen zu machen, und über +sie als Schelmen die Fähnlein abreißen und schleifen +zu lassen, befugt gewesen sein, so haben doch I. F. G. +zu Deroselbst eigenen Glimpf den gelindesten Weg für +die Hand nehmen wollen und haben sich resolviret, euch +die bestrickten Knechte, welche eines Teils bei I. F. G. +als die Prinzipalisten Meutemacher angegeben sind, +andernteils von ihren eigenen Spießgesellen dafür +geliefert worden sind, — vor ein öffentlich Malefizrecht +stellen zu lassen.</p> + +<p>So fordere ich also auf unsers allerseits gnädigen +Fürsten und Herrn gnädigen Befehl euch: Christoph +von Denow, Detlof Schrader von Rendsburg, Erich +Südfeld von Hannover usw. usw. — so fordere ich euch +auf morgen früh um sieben Uhr, das ist den fünften +November dieses Jahres Eintausendfünfhundertneunundneunzig +vor kaiserliches Recht in den Ring, wo ihr +gerichtet werden sollt, wie es am Jüngsten Tage vor +Gott dem Allmächtigen, wenn Gottes Sohn kommen +wird zu richten die Lebendigen und Toten, zu verantworten +ist!“ — —</p> + +<p>Fünfundachtzig Namen rief der Notarius Friedrich +Ortlepp auf, und jeder der Gefangenen antwortete durch +ein: „Ist hier gegenwärtig.“ Als die Liste zu Ende +gebracht war, hob der kleine schwarze Mann noch einmal, +lächelnd, die bebrillte Nase und ließ seine Äuglein wohlwollend +über die Gefangenen hingleiten; dann nickte +er dem Geharnischten zu, dieser winkte dem Gefreiten, +welcher seine Partisane anzog, sein Kommandowort +rief. Die Musketierer schulterten ihre Büchsen, und die +Beamten schritten heraus aus dem Gewölbe, dessen Tür +sogleich hinter ihnen wieder zufiel.</p> + +<p>Noch einen Augenblick tiefster Stille, dann ein +dumpfes Gemurmel, dann wildester Losbruch aller +mächtig zusammengepreßten Gefühle und Leidenschaften +der gefesselten Meuterer! Ein wildes Durcheinander, — +Ausrufe des Zorns, des Hohns, der Besorgnis, der +Angst, — Kettengerassel!</p> + +<p>„O Junker, Junker!“ rief verzweiflungsvoll der +Knecht Erdwin, das Haupt seines jungen Herrn an seine +breite Brust ziehend. „O Junker, Junker, wenn das +Euer Vater erlebt hätte!“</p> + +<p>„Ja, meine Mutter, meine Mutter! ’s ist gut, daß +sie tot ist!“ seufzte Christoph von Denow, die Hand über +die Augen legend. — — — — — —</p> + +<p>In den überfüllten Schenken der Stadt erschallte +der tobende Gesang der zum Kriegsgericht eingeforderten +Söldner und Hauptleute; viel Zank und Streit blieb +nicht aus in den Gassen. Die Bürger zeigten sich nicht +allzuhäufig außerhalb ihrer Haustüren, und wenn es +ja einen Nachbar oder Gevatter allzusehr drängte, die +Ereignisse des Tages mit einem Gevatter oder Nachbar +zu besprechen und abzuhandeln, so schlich er so vorsichtig +als möglich im Schatten der Hauswände dahin. Der +Nebel ward dichter und dichter, je mehr die Dämmerung +Besitz ergriff von Stadt und Land. Der Herzog auf dem +Schloß ließ mehr Holz in den Kamin seines Gemaches +werfen, und der Geringste seiner Untertanen ahmte ihm +darin so gut als möglich nach. Immer unfreundlicher +ward die Nacht.</p> + +<p>Auf dem Prellsteine unter dem Torgewölbe des +Mühlenturmes kauerte eine weibliche, verhüllte Gestalt. +Einen grauen Mantel von schwerem, grobem Tuch +hatte sie dicht um sich geschlagen, das spitze Hütlein, +durch welches ein klein rundes Loch ging, gleich der Spur +einer Büchsenkugel — tief in die Stirn gedrückt; ein +Bündel lag neben ihr. Das war Anneke Mey aus +Stadtoldendorf!</p> + +<p>Ihr Haupt stützte sie auf beide Hände und starrte +regungslos auf die schwarzen Massen des fürstlichen +Schlosses, welches jenseits des Ockergrabens hoch emporragte +in den dunkeln Nachthimmel, und in welchem hie +und da ein erleuchtetes Fenster schimmerte. — So +hatte Anneke den ganzen lieben langen Tag über gesessen, +so saß sie noch, als es schon vollständig Nacht +geworden war, und die Ronde sich näherte, das Tor zu +schließen.</p> + +<p>„Sitzt die Dirn da noch!“ rief der Weibel. „Heda, +Schätzchen, fort mit dir, daß dir das Fallgatter nicht auf +den Kopf fällt. Marsch, Liebchen! weiß nicht, was du +hier suchen könntest?“ Anneke rührte sich nicht von +ihrem Platze.</p> + +<p>„Na, wird’s bald? Nimm Vernunft an, Kind, ’s +gibt wärmere Nester.“ Damit faßte er den Arm der +Kauernden, um sie in die Höhe zu ziehen.</p> + +<p>„O lasset mich hier! lasset mich hier!“</p> + +<p>„Hoho, geht nicht, geht nicht. Aber nun lasset doch +auch einmal Euch ins Gesicht schauen. Hebt die Laterne +hoch! Mädel, Kopf in die Höhe!“</p> + +<p>Der Schein der Laterne fiel in das bleiche gramvolle +Gesicht des Mädchens. —</p> + +<p>„Alle Teufel, das ist ja die Anneke, die Anneke Mey +von Rees her!“ rief einer der Büchsenschützen sich vordrängend. +„Weibel, mit der mußt du säuberlich umgehen. +Fürcht dich nit, Anneke — wo kommst du +her?“</p> + +<p>„Aus dem Moor, aus dem hessischen Darlaten, +Arendt Jungbluth!“ sagte Anneke tonlos.</p> + +<p>„Wo sie die Meutmacher niedergelegt haben? Ei, ei, +Anneke, und du bist mit ihnen gezogen?“</p> + +<p>„Sie sind im Wald über uns gekommen, weil sie der +Graf von Hollach abgedrängt hatt’ von der Weser, und +sie haben den Junker aufs Pferd gezwungen, und er +hat nichts anders gekonnt, er hat sie müssen führen; +nun aber haben sie doch geraubt und gebrannt und sind +gezogen, wo sie wollten, und wir haben müssen mit ihnen +durch die Wiehenberge, ins Land Hoya. Da ist es zum +Ende gekommen — da hat uns der Graf gestellt, und +Hans Niekirche ist tot, ist auch nicht heimgekommen +zu seiner Mutter — Gnade Gott uns allen!“</p> + +<p>Lautlos umstanden die Söldner das junge Mädchen; +endlich sagte der Weibel: „So ist es geschehen, dagegen +kann keiner sagen — arm Mädel, was sitzest nur hier +auf dem kalten Stein?“ Stumm deutete Anneke nach +dem Gefängnis im Turm über ihr; dann sagte sie: +„Sie führten uns zuerst auf das feste Haus Stolzenau; +nun sind wir hier zum Gericht!“</p> + +<p>„Und der Junker, von welchem du gesprochen hast, +ist da oben bei den andern?“ fragte der Weibel.</p> + +<p>Anneke nickte.</p> + +<p>„Das ist der Knab Christoph von Denow, von den +Reitern?“ fragte wieder der Gefreite Arendt Jungbluth, +welcher zuerst Anneke erkannt hatte. „Ist das +dein Schatz?“</p> + +<p>Ein leises Zittern überlief den Körper des Mädchens, +sie antwortete nicht und schüttelte das Haupt und senkte +das Gesicht in die Hände und legte den Kopf auf die Knie.</p> + +<p>„Arm Kind! arm Mädel!“ murmelten die Krieger. +„Aber sie kann hier nicht bleiben,“ brummte der Weibel. +„Wir müssen fort, der Böse fährt uns sonst auf den +Buckel!“</p> + +<p>„Lasset mich einmal mit ihr sprechen,“ sagte Arendt +Jungbluth. Er beugte sich nieder zu der Armen und +flüsterte ihr zu; plötzlich stieß sie einen Schrei aus, einen +Freudenschrei und stand auf den Füßen: „Wirklich, +wirklich? Ihr könnt? Ihr wollt? O, Gott segne Euch +tausendmal!“</p> + +<p>„Herauf die Brücke! Herunter das Gatter! Ist’s +geschehen? — Fort nach der Schloßwach! — Jürgen, +marsch, voran mit der Laterne!“ kommandierte der +Weibel. „Anneke, Ihr gehört zu uns, niemand tut Euch +was zu Leid. Marsch, marsch!“</p> + +<p>Die Hellebarden lagen wieder auf der Schulter: +inmitten der Wachtmannschaft ging Anneke Mey, und +Jürgen trug außer der Laterne auch noch das Bündlein +des Soldatenkindes.</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="JunkerV" id="JunkerV">V.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/e.png" alt="E" width="60" height="60" class="floatl"/>ins schlug die Uhr des Schloßturmes, und +die Krähen fuhren auf aus ihren Nestern +und umflatterten krächzend die Spitze +und die Wetterfahne, bis der Klang ausgezittert hatte.</p> + +<p>„So geh zu ihm!“ flüsterte Arendt Jungbluth. „Um +drei Uhr ist meine Wacht zu Ende, dann klopf’ ich und +du kommst heraus. Nun gehab dich wohl; des Wärtels +Margaret lauert drunten am Gang.“</p> + +<p>„Dank Euch, dank Euch!“ flüsterte Anneke Mey. Die +Gefängnistür im Mühlenturm öffnete sich kaum weit +genug, um das schmächtige junge Mädchen einzulassen, +und schloß sich sogleich wieder.</p> + +<p>Die qualmende Hängelampe war wie ein roter +Punkt in dem dunsterfüllten Raume anzuschauen; die +meisten der Gefangenen schnarchten auf dem Stroh die +Wände entlang, viele hatten aber auch die Köpfe auf +den Tisch gelegt und schliefen so. — Dann und wann +erklirrte leise eine Fessel, oder ein Stöhnen und Geseufz +ging durch die Wölbung. Niemand hatte den Eintritt +des Mädchens bemerkt.</p> + +<p>Einige Minuten stand Anneke dicht an die Mauer +gedrückt. Sie vermochte kaum Atem zu holen. Wie +sollte sie in dieser Hölle den finden, welchen sie suchte?</p> + +<p>Plötzlich ward es hell in ihr: anfangs leise, dann +lauter begann sie das alte Lied vom Falkensteiner zu +singen:</p> + +<div class="poem"><div class="stanza"> +<span class="i0">„Sie ging den Turm wohl um und um:<br /></span> +<span class="i0">Feinslieb bist du darinnen?<br /></span> +<span class="i0">Und wenn ich dich nicht sehen kann,<br /></span> +<span class="i0">So komm’ ich von meinen Sinnen.<br /></span> +</div><div class="stanza"> +<span class="i0">Sie ging den Turm wohl um und um,<br /></span> +<span class="i0">Den Turm wollt’ sie aufschließen:<br /></span> +<span class="i0">Und wenn die Nacht ein Jahr läng wär’,<br /></span> +<span class="i0">Keine Stunde tät’ mich verdrießen!“<br /></span> +</div></div> + +<p>Von ihrem Lager richteten sich die Schläfer auf, +stärker klirrten die Ketten an ihren Armen und Beinen.</p> + +<div class="poem"><div class="stanza"> +<span class="i0">„Ei, dürft’ ich scharfe Messer tragen,<br /></span> +<span class="i0">Wie unsers Herrn sein’ Knechte,<br /></span> +<span class="i0">Ich tät’ mit dem Herrn vom Falkenstein,<br /></span> +<span class="i0">Um meinen Herzliebsten fechten!“<br /></span> +</div></div> + +<p>„Was ist das? Wer ist das? Wer singet hier?“ +tönte es wild durcheinander. „Anneke, Anneke, Anneke +Mey,“ rief die Stimme Christoph von Denows dazwischen, +und Erdwin Wüstemann hielt das junge Mädchen +in den Armen: „Hier, hier halt’ ich sie, hier ist sie, +wie ein Engel vom Himmel mit ihrer Lerchenstimme! +O Kind, Kind, was willst hier in dieser Wüstenei? +Junker, Junker, wo seid Ihr?“</p> + +<p>„O Anneke! Anneke!“ rief Christoph von Denow.</p> + +<p>„Vivat Anneke, Anneke Mey!“ riefen alle andern +Gefangenen. „Das ist ein wackeres Mädel! Vivat des +Regiments Schenkin!“</p> + +<p>Es fiel keine schnöde, böse Rede: im Gegenteil, es +war, als ob durch das Erscheinen des Kindes jedes trotzige +wilde Herz milder geworden wäre. Man hätte sie +gern auf den Händen getragen, da sie das aber nicht +leiden wollte, suchte man ihr den bequemsten Platz aus +und breitete Mäntel unter ihre Füße, um sie vor der +feuchten Kälte der Steinplatten zu schützen. Eine Bank +wurde zerschlagen, um das erlöschende Feuer im Kamin +damit zu nähren.</p> + +<p>„So hast du uns nicht verlassen, Anneke!“ rief +Christoph und hielt ihre beiden Hände in den seinigen, +und der Knecht Erdwin wischte verstohlen eine Träne +aus den grauen Wimpern. „O, wie können wir dir je +das wiedervergelten?“</p> + +<p>„Wie könnt ich Euch verlassen? Und wenn sie Euch +zum Tode führen, ich geh’ mit Euch!“</p> + +<p>Sie saßen beieinander, Christoph und Anneke, +neben dem Kamin, und die Dirne schluchzte und lächelte +durch ihre Tränen. Sie vergaßen alles um sich her, +und der alte Wüstemann stand dabei, seufzte tief und +schwer und schüttelte das greise Haupt:</p> + +<p>„Jammer, o Jammer!“</p> + +<p>Um drei Uhr krähte zum ersten Mal der Hahn, um +drei Uhr klopfte Arendt Jungbluth an die Tür.</p> + +<p>„Nun muß ich scheiden!“ sagte Anneke. „Gott +schütze uns; wenn das Gericht angeht, steh’ ich auf +Eurem Wege, Herr.“</p> + +<p>„Anneke, Gott lohn’s dir, was du an uns tust!“</p> + +<p>„Fahre wohl! Fahre wohl, Anneke!“ riefen die +gefangenen Meuterer. „Gott segne dich, Anneke!“</p> + +<p>Christoph von Denow schlug die Hände vors Gesicht; +— die Tür war hinter dem jungen Mädchen zugefallen. +Im Osten zeigte ein weißer Streif am Nachthimmel, daß +der Morgen nicht mehr fern sei, und der Wind machte +sich auf, fuhr von den Harzbergen nach dem deutschen +Meer und verkündete dasselbe.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Sechs schlug die Uhr des Schloßturmes; wieder +schossen die Krähen aus ihren Nestern und umflatterten +die Spitze, krochen aber diesmal nicht wieder zurück in +ihre Schlupfwinkel, sondern ließen sich, eine bei der +andern, nieder auf dem Rande der Galerie, welche nahe +dem Dach, den Turm umzieht. Neugierig reckten sie die +Hälse und blickten herab in den dichten weißen Nebel +unter ihnen, aus welchem kaum die höchsten Giebel der +Stadt und Festung hervorlugten. Trommelschall erdröhnte +auf dem Schloßhofe und hallte wider von +den Wällen, während eine kriegerische Musik aus +der Ferne dem Weckauf der Besatzung antwortete. +Auf der Festung trat die Soldateska unter die Waffen, +und in der Heinrichsstadt verkündete das klingende +Spiel, daß die Bürgerschaft in Wehr und Harnisch +aufzog.</p> + +<p>Von Zeit zu Zeit löste sich einer der schwarzen Vögel +aus der Reihe der Genossen los und flatterte mit +kurzen Flügelschlägen hinein in den Nebel, als wolle er +Kundschaft holen über das Fest, welches ihm drunten +bereitet wurde. Kehrte er zurück, so wußte er mancherlei +zu erzählen, und freudekreischend erhoben sich die andern +und wirbelten durcheinander und überschlugen sich in +der grauen Luft, um endlich wieder zurückzufallen auf +ihre Plätze in Reih und Glied.</p> + +<p>Gegen sieben Uhr verflüchtigte sich der Schleier, +welcher über der Stadt lag, um sieben Uhr trat alles ins +Licht! Vor dem fürstlichen Marstalle waren die Schranken +aufgestellt. Ein mit rotem Tuch bekleideter Tisch und +ebenso überzogene Bänke für den Gerichtsschulzen und +die Beisitzer standen in der Mitte. Das Volk umwogte +dicht gedrängt den Platz. Jetzt zog „mit dem Gespiel“ +die fürstliche Leibgarde aus dem Schloßtor, den Graben +entlang, und besetzte zwei Seiten der Schranken. Nach +ihr rückte in drei Fähnlein die Bürgerschaft von der +Dammfestung, der Heinrichstadt und dem Gotteslager +heran und schloß die beiden andern Seiten ein. Der +Ring war gebildet; die Fahnen wurden zusammengewickelt +und unter sich gekehrt, die Obergewehre mit den +Spitzen in die Erde gestoßen, nach Kriegsgebrauch bei +kaiserlichem Malefizrecht.</p> + +<p>Abermals entstand eine Bewegung unter der Volksmenge; +wieder schritt ein Zug durch die gebildete Gasse +feierlich und langsam vom Schloß her. Das war der +Gerichtsschulze Melchior Reicharts mit seinen einundzwanzig +Richtern, Hauptleuten, Gefreiten und Gemeinen, +und dem Gerichtsschreiber Fridericus Ortlepius +die allesamt paarweise in den Ring eintraten.</p> + +<p>Zuerst ließ sich der <i>notarius publicus</i> nieder, zur +linken Hand an dem roten Tisch. Er ordnete seine +Papiere, guckte in sein Tintenfaß, rückte das Sandfaß +zurecht, und der trübe Himmel und die Krähen auf dem +Schloßturm schauten ihm dabei zu. Er prüfte die Spitze +seiner Feder auf dem Daumennagel, das Murmeln und +Murren der tausendköpfigen Menge machte einer Totenstille +Platz; von dem Mühlenturm her erklang ein taktmäßiges +Rasseln und Klirren und verkündete das Nahen +der Gefangenen. — — — —</p> + +<p>„O mein Gott, hilf ihm und mir!“ stöhnte Anneke +Mey von Stadtoldendorf, als an dem Mühlenturm die +Pforte sich öffnete und die davor aufgestellte Reiterwache, +die Pferde rückwärtsdrängend, das Volk auseinander +trieb.</p> + +<p>„Da sind sie! die Meutmacher! die Schufte! Da +sind die falschen Schurken!“ ging der unterdrückte Schrei +durch das zornige Volk. Aus der Gefängnispforte hervor +glitt ein verwildertes, trotziges oder verzagtes +Gesicht nach dem andern an der zitternden Anneke +vorüber.</p> + +<p>Und jetzt —</p> + +<p>„Christoph!“ durchdrang grell und schneidend ein +Schrei die schwere graue Luft, daß der Herzog Heinrich +Julius, welcher an einem Fenster seines Schlosses +stand und auf das Getümmel unter sich finster herabblickte, +unwillkürlich den Kopf nach der Richtung hin +neigte.</p> + +<p>Da schritt er einher, der Junker von Denow, bleich, +wankend, gestützt auf den Arm des getreuen Knechtes +Erdwin.</p> + +<p>„O Christoph! Christoph von Denow!“</p> + +<p>Der junge Reiter erhob das Auge; es haftete auf +dem jungen Mädchen, welches hinter der Reihe der +begleitenden Hellebardierer die Hände ihm entgegenstreckte; +— ein trübes Lächeln glitt über das Gesicht +Christophs, dann schüttelte er das Haupt; er wollte +anhalten.</p> + +<p>„Hast doch recht gehabt, Anneke!“ lachte höhnisch +Valentin Weisser, der Rosenecker. „Waren unsrer doch +zu wenig. Puh — ’s ist am End einerlei — Kugel oder +Strick. Vorwärts, Junker Stoffel; ich tret’ dir sonst die +Hacken ab!“</p> + +<p>„Vorwärts! vorwärts!“ rief der Führer der Geleitsmannschaft +— vorüber schritt Christoph von +Denow. —</p> + +<p>Im Ring aber schwuren die Richter mit aufgerichtetem +Finger und lauter Stimme:</p> + +<p>„Ich lobe und schwöre, daß ich diesen Tag und alles +dasjenige, was vor diesem Malefizrecht vorkommen +wird, urteilen und richten will, es sei gleich über Leib +und Blut, Geld oder Geldeswert, als ich will, daß mich +Gott am Jüngsten Tage richten soll — den Armen als +den Reichen. Will hierinnen weder Freundschaft noch +Feindschaft, Gunst noch Ungunst, weder Haß, Geschenke, +Gaben, Geld ober Geldeswert ansehen, oder mich verhindern +lassen! So wahr mir Gott helfe und sein heiliges +Wort!“</p> + +<p>Alle Beisitzer saßen darauf nieder an ihren Plätzen, +und nur der Gerichtsschulze blieb stehen und tat eine +Umfrage. Darauf verkannte er das Recht: erstens im +Namen der heiligen unzerteilbaren Dreifaltigkeit, dann +im Namen des Fürsten, dem Richter und Angeklagte +als Kriegsleute geschworen hatten, zuletzt kraft seines +eignen angeordneten Amts und Stabes, daß „keiner +innerhalb oder außerhalb dem Rechten wolle einreden. +Solle auch niemand einem Richter heimlich zusprechen. +Dem Profoß solle eine freie Gasse gelassen werden, +damit er guten Raum habe, damit er desto baß mit den +Gefangenen vom Rechten ab- und zugehen möge, bei +Pön eines rheinischen Gülden in Gold“.</p> + +<p>„Derhalben,“ fuhr er fort, „wer nun vor diesem +Kaiserlichen Recht zu schicken oder zu schaffen hat, es +sei gleich Kläger oder Antworter oder sonsten einer, +der dem löblichen Regiment etwas anzuzeigen hat: die +stehen in den Ring und klagen, wie man pflegt zu klagen +und Antwort zu geben, auf Red und Widerred, wie in +Kaiserlichen Rechten der Gebrauch ist. — Gerichtswebel, +habt Ihr gestern den Profoß, wie auch die Angeklagten +fürgeboten, zitieret und geladen?“</p> + +<p>Und der Gerichtswebel stand auf und antwortete: +„Herr Schultheiß, ich habe sie gestern früh mit drei +Trommeln an den vier Orten der Welt zitieret!“</p> + +<p>Und des Regiments Profoß, Karsten Fricke, trat +in den Ring, und der Gerichtswebel führt die Angeklagten +hinein, jedes Fähnlein für sich zusammengeschlossen. —</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="JunkerVI" id="JunkerVI">VI.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/l.png" alt="L" width="60" height="60" class="floatl"/>iege still, Kind,“ sagte am zwanzigsten +November bei Tagesanbruch auf der +Hauptwache im Schloß zu Wolfenbüttel +der Gefreite Arendt Jungbluth. „Liege ruhig und schlaf +weiter: der Morgen ist dunkel und dräuet Schnee. Es +geht noch nicht an.“</p> + +<p>Anneke Mey hatte sich auf der harten Holzbank, +erschreckt aus tiefem Traum auffahrend, in die Höhe +gerichtet, bei dem Ruf der Wacht draußen, die zur Ablösung +herausrief.</p> + +<p>„Schlafe wieder ein, Anneke, ich wecke dich, wenn es +Zeit ist,“ sagte Arendt, die Sturmhaube auf den Kopf +stülpend.</p> + +<p>„Der letzte Tag!“ murmelte das Soldatenkind, und +das müde Haupt sank wieder zurück auf das harte Lager, +die Augen schlossen sich wieder.</p> + +<p>„Hui, der Wind — Teufel!“ brummte Arendt, als +die Söldner wieder zurücktraten in die Wachtstube. +„Schläft sie wieder? — Richtig! ach, ich wollt’, sie verschlief’ +es ganz. Ruhig, Kerle — haltet eure Mäuler! +Donner — ist es nicht grad, als ob der Sturm den alten +Kasten einem über dem Kopf zusammenreißen wollte? +Das wird das rechte Wetter sein für die da draußen im +Ring, das bläst ihnen die Urteile vom Munde weg. +Wie sie da liegt! ist das nicht ein Jammer? Ich wollt’, +sie verschlief’ die böse Stund.“</p> + +<p>Wild jagte der Wind die schweren Schneewolken vor +sich her und heulte und pfiff in den Gängen des Schlosses +wie der böse Feind, klapperte mit den Ziegeln, rüttelte +an den Fenstern und trieb die Wetterfahnen mit den +Löwen auf den Turmspitzen im Kreise umher, heftiger +und heftiger, wie der Tag zunahm.</p> + +<p>Anneke Mey lag noch immer, nicht im Schlaf, sondern +in stumpfsinniger Erschöpfung. Was kein Kriegszug +vollbracht hatte, das hatten die letzten vierzehn Tage +getan; sie hatten das Kind gebrochen, es matt und +müd gemacht bis zum Tode. Vergeblich sahen sich diesmal +auf ihrem Wege zum Gericht Christoph von Denow +und Erdwin Wüstemann nach dem abgehärmten Gesicht +ihres Schutzengels um.</p> + +<p>„Gottlob, gottlob, sie verschläft’s!“ murmelte +Arendt Jungbluth, sich über das Lager der Armen +beugend.</p> + +<p>Im Ring, unter dem düstern, schwarzen Himmel mit +den jagenden Wolken las Friedrich Ortlepp, der +Gerichtsschreiber, ein Todesurteil nach dem andern; +einen Stab nach dem andern brach der Schultheiß und +warf ihn auf den Richtplatz.</p> + +<p>„Gnade Gott der Seelen in Ewigkeit. Amen!“ +sprach er bei jeder weißen Rute, welche zerknickt auf den +Boden fiel.</p> + +<p>Und jetzt — jetzt der letzte Spruch!</p> + +<p>„Auf eingebrachte Klage des Profoßen, Gegenrede +des Beklagten, produzierte Kundschaft und Zeugnis, ist +durch einhellige Umfrage zu Recht erkannt, daß — +<em class="gesperrt">Christoph von Denow</em> nicht gebührt hat, sich +für einen Vorsprecher bei der vorgesetzten Obrigkeit, noch +für einen Hauptmann aufzuwerfen, noch die Befehle +zu vergeben und auszuteilen, noch die Wacht zu bestellen. +Warum er dem Profoß überantwortet werden +soll, welcher ihn in sein Gewahrsam führen und ihn dem +Nachrichter einantworten und befehlen soll, daß er ihn +hinausführe und an den nächsten Galgen hänge und mit +dem Strange zwischen Himmel und Erde erwürge, damit +der Wind unter ihm und über ihn durchwehen könne, +ihm zu verwirkter Strafe und andern zum abscheulichen +Exempel!“</p> + +<p>Wieder fiel der gebrochene Stab zu den anderen auf +die Erde.</p> + +<p>„Gnade Gott der Seelen in Ewigkeit, Amen!“</p> + +<p>Auf die Knie stürzten dreiundachtzig der Verurteilten: +„Gnade, Gnade! Gnade ist besser denn Recht!“</p> + +<p>Hochauf richteten sich Christoph von Denow und +Erdwin Wüstemann, und der Junker hob die gefesselte +Rechte zum Himmel, während der Wind seine Locken +zerwühlte und die Schneewolken sich öffneten und das +weiße Gestöber wirbelnd herabfuhr:</p> + +<p>„Keine Gnade! Recht! Recht! Recht ist besser denn +Gnade!“</p> + +<p>In den Ring sprang der Profoß mit der Wache und +stürzte sich auf die Gefangenen — wild und anhaltend +brach das Geschrei des Volkes los, die Kommandoworte +erschallten dazwischen, die Trommeln wirbelten, +die Trompeten schmetterten, aus der Erde wurden die +Waffen gerissen und hoch in die Luft geschwungen, die +Fähnlein entfalteten sich im Winde. Die Krähen aber +schossen in einem schwarzen Haufen herab von dem +Schloßturm und umflatterten krächzend die Stätte +des Gerichts. Gleich dem bewegten Meer wogte und +donnerte das Volk, und durch die Menschenflut kämpfte +sich mit zerrissenen Kleidern, losgegangenen Haarflechten +Anneke Mey.</p> + +<p>„Christoph! Christoph! O du heiliger Gott im +Himmel! verloren! verloren!“</p> + +<p>Dem Herzog am geöffneten Fenster seines Gemachs +riß der Sturm den Griff des Flügels aus der Hand, +daß er klirrend zuschlug. Über den Schloßhof schritt der +Gerichtsschultheiß Melchior Reicharts mit den Hauptleuten +Georg Frost, Peter Köhler, Heinrich Jordans und +Moritz Ahlemann nach getaner Pflicht den jungen +Fürsten, Zahlherrn und Kreis-Obersten für die Verurteilten +zu bitten. Fridericus Ortlepius trug „fürsichtiglich +und sorgsamlich“ die Akten und Protokolle. +Tief in die Nacht hinein saß der Herzog mit den sechs +Männern über diesen Papieren. Vierundzwanzig Todesurteile +bestätigte er, und unter diesen befand sich das +Christoph von Denows. Zweiunddreißig der Verurteilten +begnadigte er dahin, „daß sie zur Straf sich verpflichten +sollen, im Land zu Ungarn auf dem Grenzhause +Groß-Wardein wider den Erbfeind der Christenheit +zu Wasser und zu Lande, in Sturm und Schlachten +jederzeit, wie ehrlichen Kriegsleuten solches gebührt, sich +gebrauchen zu lassen“. — Siebenundzwanzig Männern +wurde auf einen gewöhnlichen „Urfried“ das Leben +und die Ehre geschenket und sie ihrem Fähnlein wieder +einverleibt. — Zweien wurde das Leben und die Ehre +ohne Bedingung geschenkt. Der erste war Erdwin +Wüstemann, der andere ein Söldner, genannt Klaus +Rischemann von Calvörde. Alle diese Schlüsse wurden +den Gefangenen noch in derselben Nacht bekannt +gemacht.</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="JunkerVII" id="JunkerVII">VII.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/d.png" alt="D" width="60" height="60" class="floatl"/>er Schnee lag hoch in den Straßen und +auf den Plätzen der Stadt und Festung +Wolfenbüttel. Der Sturm hatte sich mit +Anbruch des Tages ganz gelegt, es war wieder still und +ruhig geworden, und leise träufelte es von den Dächern, +denn die Luft war warm und mit Feuchtigkeit gefüllt; +mit dumpfem Geräusch bewegte sich das Volk in den +Gassen.</p> + +<p>Die Fenster der Schloßkirche glänzten rötlich in die +trübe Morgendämmerung herein, und feierlich erklang +die Orgel und der Gesang vieler Menschenstimmen:</p> + +<div class="poem"><div class="stanza"> +<span class="i0">Allein zu dir, Herr Jesu Christ,<br /></span> +<span class="i0">Mein Hoffnung steht auf Erden. —<br /></span> +</div></div> + +<p>Im Schein der Lichter und Lampen erglänzte Harnisch +an Harnisch in dem heiligen Gebäude: den Verurteilten +sollte ihre letzte Predigt gehalten und das Abendmahl +ihnen gereicht werden. Der junge Herzog saß in seinem +Stuhl, das Gebetbuch vor sich; alle Offiziere der Besatzung +waren in Wehr und Waffen zugegen, und die +Wände entlang und im Schiff der Kirche drängte sich +ein bärtiges ernstes Kriegergesicht an das andere. Die +Vierundzwanzig, die sterben sollten, saßen auf einer +niedern Bank unter der Kanzel, auf welcher der Magister +Basilius im schwarzen Chorrock mit der Halskrause +stand, bereit, seine Rede über die beiden Schächer am +Kreuz zu beginnen. In einem dunkeln Winkel unter der +Orgel stand Erdwin Wüstemann und hielt die schluchzende +Anneke im Arm; um sie her knieten oder standen die +vom Tode losgesprochenen Meuterer, denen man die +Fesseln abgenommen hatte.</p> + +<p>Und jetzt schwieg die Orgel und der Gesang. Das +Wort des Evangelisten Lukas wurde gelesen:</p> + +<p>„Aber der Übeltäter einer, die da gehängt waren, +lästerte ihn und sprach: Bist du Christus, so hilf dir +selber und uns! — Da antwortete der andere, strafte +ihn und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor +Gott, der du in gleicher Verdammnis bist? Wir sind +billig darinnen, denn wir empfangen, was unsere Taten +wert sind; dieser aber hat nichts Ungeschicktes gehandelt! +— Und er sprach zu Jesu: Herr, gedenke an mich, wenn +du in dein Reich kommst! — und Jesus sprach zu ihm: +Wahrlich, ich sage dir, heut wirst du mit mir im Paradiese +sein!“ —</p> + +<p>Überlaut riefen bei diesen letzten Worten des Textes +einige der Verurteilten: „Das helfe uns der allmächtige +Gott!“ und hoben die kettenklirrenden Hände gefaltet +hoch empor. Das Auge Christoph von Denows aber +leuchtete plötzlich in einem Glanz, welcher darin bereits +für immer erloschen schien. Hatte er eine Vision? Rief +ihm eine süße bekannte Stimme von oben? Erschien ihm +winkend die tote Mutter?</p> + +<p>Christoph von Denow war zum Sterben bereit. —</p> + +<p>„Gott, Gott, laß so nicht das Haus Denow zu End +kommen!“ stöhnte in seinem Winkel Erdwin, der Knecht. +„Herr, schenke du ihm einen adeligen Tod! Laß diesen +Kelch an mir vorüber gehen!“</p> + +<p>„Er soll mir den Kopf zertreten und über meinen +leblosen Leib weggehen, wenn er mich nicht hören will!“ +sagte Anneke Mey tonlos.</p> + +<p>Und Dominus Basilius Sadler begann seine Buß- +und Trostpredigt und teilte sie in die zwei Punkte:</p> + +<p>Erstlich, wie sich der „heilige“ Schächer am Kreuz in +einer letzten Not gehalten.</p> + +<p>Zum andern, wie herrlich ihn Christus getröstet +habe.</p> + +<p>Der Himmel im Osten aber färbte sich immer purpurner, +und die Lichter und Lampen der Kapelle erblaßten +mehr und mehr vor dem Glanz, welchen Gott über +die winterliche Welt leuchten ließ. Die Gefangenen +neigten die Häupter tiefer und tiefer.</p> + +<p>„— Euer Weib und Kinder befehlet ihr, die ihr welche +habt, Gott dem Allmächtigen, der ist der Waisen Vater +und der Witwen Richter. Ist schon dieser Tod vor der +Welt schmählich, so gedenket, wenn ihr euch bekehret, daß +ihr Gottes Kinder seid, dann wird solch Leiden ehrlich +und herrlich. Denn der Tod seiner Heiligen ist wert gehalten +vor dem Herrn.“ —</p> + +<p>„Einen ehrlichen Tod! o Gott, schenke ihm einen +adeligen Tod!“ murmelte Erdwin, der Knecht.</p> + +<p>„So gebe Gott der Allmächtige euch allen die Gnade +seines heiligen Geistes, daß ihr euer’ Sünd von Herzen +erkennt und euch leid sein lasset, euch im wahren Glauben +zu Christo wendet und darin bis ans Ende verharret, +euer’ Seel in Geduld fasset, allen Menschen von Herzen +vergebet und verzeihet, heut, diesen Tag, Gott eure +Seele opfert und überantwortet und am großen Tag +des Herrn mit Freuden auferstehet und mit Leib und +Seele ewig lebet! Amen, Amen, Amen!“</p> + +<p>Der Sand war verlaufen in der Uhr auf der Kanzel. +Der Herzog verließ mit seinen Hofbeamten seinen Stuhl, +Anneke Mey verschwand von der Seite Erdwins, ohne +daß dieser es bemerkte; — unter den Klängen des +alten traurigen Chorales: Wenn mein Stündlein vorhanden +ist — wurde den Verurteilten das Abendmahl +gereicht.</p> + +<p>Nun war auch das geschehen; in die letzten Klänge +der Orgel mischte sich grell und schneidend ein anderer +Klang — der Schall des Armensünderglöckchens: Der +Henker wartete an der Tür des Hauses Gottes!</p> + +<p>Im langsamen Zug traten die Verurteilten und +Gefangenen, von ihren Wächtern umgeben, hinaus aus +der Schloßkirche, vor welcher sie die harrende Menge +mit wildem Geschrei und Droh- und Schmähworten +empfing. Der schwere Gang begann, in das goldne +Morgenrot hinein, über den Schloßplatz, die Dammbrücke, +durch die Heinrichsstadt dem Kaisertor zu. Alle +Gassen, durch welche der Zug ging, waren mit herzoglichen +Reitern und den gewaffneten Bürgern besetzt, um +den Andrang des Volks zu bändigen.</p> + +<p>Vor dem Kaisertor waren die vier Galgen gebaut, +woran die vierundzwanzig Leben enden sollten. Fast +eine halbe Stund verging, ehe die Verurteilten unter +ihnen standen. Der Ring war geschlossen auf zwei Seiten +von den Hellebardierern, auf den beiden andern Seiten +von den Musketenschützen, deren Röhre auf den +Gabeln lagen, deren glimmende Lunten zum augenblicklichen +Gebrauch aufgeschroben waren. Dicht +vor dem Gefreiten Arendt Jungbluth hielten sich +Erdwin Wüstemann und der Junker Christoph von +Denow.</p> + +<p>Der Alte hatte den Arm um seinen jungen Herrn +geschlungen, und dieser das Haupt an die Brust +des treuen Knechts gelegt. Sie sprachen leise zueinander.</p> + +<p>„Weiß nicht, wo sie geblieben ist! weiß nicht, wo sie +bleibt!“ sagte der Alte.</p> + +<p>„Sie hat mich nicht sterben sehen wollen; — ’s ist +auch besser so! O schütze sie — halte sie, trag sie auf den +Händen und im Herzen und verlaß sie nie und nimmer +— ich will meiner Mutter von ihr sagen, wenn ich zu ihr +komm’.“</p> + +<p>„O Junker, Junker, und Euer Vater“ —</p> + +<p>„Vergiß nicht, was du ihm versprochen hast.“</p> + +<p>„Es wird geschehen, so wahr mir Gott helfe!“ sagte +dumpf der Alte.</p> + +<p>„Schau, es geht an — da hast du den Ring — mein +Schwert liegt versenkt im Moor, es ist ein gutes, tadelloses +Schwert geblieben! — Ihr sag — o Anneke! +Anneke!“ Der Junker brach ab; er vermochte es nicht, +weiter zu sprechen.</p> + +<p>Unterdessen war eine Totenstille in der Menschenmenge +eingetreten, die aber jedesmal, wenn die Henker +einen der Meuterer des Reichsheeres von der Leiter +stießen, in ein gräßliches, langanhaltendes Geheul, +durch welches scharf das Wirbeln der Trommel klang, +überging. — — Dreiundzwanzig Mal hatte das Volk +aufgeschrien. —</p> + +<p>„Christoph von Denow!“ rief nun der Profoß mit +lauter Stimme.</p> + +<p>Zum letztenmal lagen sich Christoph und Erdwin in +den Armen.</p> + +<p>„Lebe wohl! lebe wohl!“ flüsterte der erste — „vergiß +nicht!“ —</p> + +<p>„So gnade Gott mir und Euch!“ schrie der Knecht +Wüstemann und strich die langen greisen Haare aus der +Stirn zurück. Der Junker von Denow stand am Fuße +der Leiter!</p> + +<p>Er drückte die Hand auf das Herz und setzte den Fuß +auf die erste Staffel: „O Anneke, süße Anneke!“</p> + +<p>Der Gedanke kam ihm, er würde sie erblicken in der +Menge, welche wieder in unheimlichster Stille den Richtplatz +bedeckte; mit einem Sprung war er oben an der +Seite des Henkers, der ihn mit dem Strick in der Hand +erwartete. Er stieß die Hand desselben zurück — seine +Augen schweiften über all die Tausende emporgerichteter +Gesichter. —</p> + +<p>„O Anneke Mey, liebe Anneke, wo bist du? wo bist +du? weshalb hast du mich verlassen?!“</p> + +<p>Wieder streckte der Henker die Hand nach ihm aus; er +hielt ein Blech, auf welchem die Worte standen „Meutmacher +und Meineidiger“ und wollte es dem Verurteilten +an einem Bande um den Hals werfen.</p> + +<p>„Lebe wohl, süße Anneke Mey!“ flüsterte Christoph +von Denow; er schlug die Hand des Henkers abermals +zur Seite, klirrend fiel das Blech, die Leiter nieder, zur +Erde. —</p> + +<p>Mit einem wilden, entsetzlichen Schrei sprang Erdwin +Wüstemann einen Schritt zurück, mit einem Griff +riß er das Feuerrohr aus den Händen Arendt Jungbluths +und an seine Wange. Der Schuß krachte — +„Gnade Gott mir und dir!“</p> + +<p>„Dank, Erdwin — hast — Wort gehalten!“ sprach +Christoph von Denow. Er schwankte — breitete die +Arme aus: „Lebe — wohl — süße — Anneke!“ Der +entsetzte Henker wollte ihn halten, aber im dumpfen +Fall stürzte der Körper die Leiter herab in den blutigen +Schnee.</p> + +<p>Aufbrüllte die Menge und tobte durcheinander, der +Ring löste sich — die Offiziere, die Beamten, der Gewaltiger +stürzten sich auf den Knecht Erdwin, welcher +regungslos dastand, das abgeschossene Rohr in der +Hand.</p> + +<p>Und jetzt ein neues Geschrei von der Stadt her: +„Haltet, haltet!“</p> + +<p>Ein Reiter mit einem Papier in der Hand, im +Galopp ansprengend! Ihm nach ein zweiter Reiter, +vor sich auf dem Pferd ein halbohnmächtiges, todtbleiches +Mädchen. —</p> + +<p>„Halt, halt! Befehl, den Verurteilten Christoph +von Denow zurückzuführen ins Gewahrsam!“</p> + +<p>Anneke Mey leblos auf dem leblosen Körper des +Erschossenen — Erdwin Wüstemann besinnungslos in +den Armen Arendt Jungbluths — — — Trompetenschall +von der Torwache; von der Stadt her eine neue +Reiterschar: „Der Herzog! der Herzog! — Zu spät! zu +spät!“ — — — — — —</p> + +<p>In dem wiedergebildeten Ring hielt der junge Fürst +mit seinem Gefolge; vor ihm stand barhäuptig der +Profoß neben der schrecklichen Gruppe am Boden und +erzählte das Vorgefallene. Als er geendet, stieg der +junge Fürst ab von seinem Hengst und näherte sich +dem treuen Knecht des Hauses Denow:</p> + +<p>„Weshalb hast du das getan?“</p> + +<p>Der Angeredete blickte irr und wirr im Kreise umher, +antwortete nicht, sondern brach nur in ein herzzerreißendes +Gelächter aus.</p> + +<p>Der Herzog legte die Hand an die Stirn; — dann +wandte er sich:</p> + +<p>„Hebt doch das Kind von der Leiche!“</p> + +<p>Der Leutnant von der Festung, Johannes Sivers, +beugte sich nieder, um dem Befehl nachzukommen. Es +gelang ihm mit Mühe:</p> + +<p>„O gnädiger Gott, tot, tot, fürstliche Gnaden!“</p> + +<p>Ein dumpfes Gemurmel ging durch die lauschende +Menge; der Fürst schritt finster sinnend einige Minuten +auf und ab. Dann hob er das Haupt:</p> + +<p>„Bei meinen Vätern, ich glaub’, da ist ein bös Ding +getan! leget die Dirne und den toten Knaben auf die +Gewehrläufe — es ist Unsere Meinung und Wille, daß +das Gericht wieder beginne. Wir sind entschlossen, selbsten +im Ring zu sitzen!“</p> + +<p>Während dieser letzten Worte hatte sich Erdwin +Wüstemann langsam aufgerichtet; jetzt stand er wieder +fest auf den Füßen. Der Herzog bemerkte es, er legte +ihm die Hand auf die Schulter:</p> + +<p>„Ihr habet hart und schnell in unser Gericht eingegriffen. +Stehet zu mir nun auch im Ring, daß die Wahrheit +an den Tag kommt! Nachher, wenn’s sich ausgewiesen +hat, wie ich es mir zusammendenke, wollen Wir, +daß Ihr die dort gen Ungarn führet als Unser Ehrbarer, +Mannhafter und Getreuer! Höret Ihr, Hauptmann +Erdwin Wüstemann?! Nun hebet die Leichen und rühret +die Trommeln — fort! fort!“</p> + +<p>Über der blutigen Morgenröte hatten sich die Wolken +wieder dunkel zusammengezogen. Wieder sanken leise +einzelne weiße Flocken herab. Sie mehrten sich von +Augenblick zu Augenblick und deckten bald, einem Leichentuch +gleich, die Körper Christophs und Annas, wie sie +durch die Gassen der Stadt Wolfenbüttel, dem Zuge +der Krieger und Bürger voran, dicht hinter dem Gefolge +des Herzogs, welcher mit gesenktem Haupte vorausritt, +der Gerichtsstätte am Schloß zugetragen wurden. Der +alte Knecht Erdwin ging neben seinem jungen Herrn her; +aber er wußte nichts davon — dunkel war es in ihm +und um ihn! —</p> + +<p><em class="gesperrt">So starb der Junker Christoph von +Denow eines adeligen Todes!</em></p> +<p class="newstory"></p> + +</div> + +<div> +<h2 class="dotted"> +<a name="Geheimnis"> +<span class="big">Ein Geheimnis</span><br /> +Lebensbild aus den Tagen Ludwigs XIV. +</a> +</h2> + +<h3><a name="IIn_der_Gasse_Quincampoix" id="IIn_der_Gasse_Quincampoix">I.<br />In der Gasse Quincampoix.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/w.png" alt="W" width="60" height="60" class="floatl"/>enn man bedenkt, was für wunderliche Geschichten +in dieser Welt tagtäglich geschehen, +so muß man sich sehr wundern, daß es +immerfort Leute gegeben hat und noch gibt, welche +sich abmühten und abmühen, selbst seltsame Abenteuer +zu erfinden und sie ihren leichtgläubigen Nebenmenschen +durch Schrift und Wort für Wahrheit aufzubinden. +Die Leute, die solches tun, verfallen denn auch meistens +— wenn sie ihr leichtfertig Handwerk nicht ins Große +treiben und was man nennt große Dichter werden, — +der öffentlichen Mißachtung als Flausenmacher und +Windbeutel, und alle Vernünftigen und Verständigen, +die sich durch ein ehrlich Handwerk ernähren, als wie +Prediger, Leinweber und Juristen, Bürstenbinder, Ärzte, +Schneider, Schuster und dergleichen, blicken mit mitleidiger +Geringschätzung auf sie herab, und das mit +Recht!</p> + +<p>So sage ich denn reu- und wehmütig <i>confiteor, +confiteor; — mea culpa, mea culpa!</i> so beginne ich +denn meine — <em class="gesperrt">wahre Geschichte</em>.</p> + +<p>Es war in dem durch die Seeschlacht von La Hogue +für das Glück und den Glanz des französischen Königs +und Volkes so unheilvollen Jahre 1692. Viel Not und +Elend herrschte im Lande; in Guienne, Bearn, Languedoc +und der Dauphinée starben die Menschen zu +Tausenden vor Hunger; Bankerotte, greuliche Mordtaten, +Aufstände waren an der Tagesordnung; — es +war, als wolle es abwärts gehen mit dem großen +Louis. Es regnete, und der Novemberwind fuhr in +kurzen Stößen scharf über die Stadt Paris und durch +die Gasse Quincampoix, welche letztere gar wüst, +schmutzig und verwahrlost ausschauete. Und sah die +Gasse Quincampoix an diesem düstern Novembernachmittag +häßlich aus, so gewährten die Menschen, welche +sie bevölkerten, einen noch schlimmern Anblick. War +es nicht, als ob das allgemeine Unglück jedem Gesicht +seinen Stempel aufgedrückt habe? — O wie verkommen +erschien diese französische Nation, welche sich für die erste +der Welt hielt.</p> + +<p>Vier Uhr schlug’s, als ein junger Mensch von ungefähr +achtundzwanzig Jahren, hager, bleichgelblich +von Gesicht, schwarzhaarig, schwarzäugig, in luftigen, +ärmlichen, schäbigen Kleidern, in der Gasse Quincampoix +in die Kneipe zum Dauphinswappen trat, um seine +letzten Sols an eine Mahlzeit zu wenden. <em class="gesperrt">Stefano +Vinacche</em> hieß dieser junge Mann; ein Neapolitaner +war er von Geburt, ein Abenteurer vom reinsten Wasser. +Als er in die Gargotte eintrat, herrschte in derselben +ein wahrer Höllenlärm; ein Sergeant vom Regiment +Villequier war mit einem Kornet vom Regiment Ruffey +über dem Spiele in Streit geraten, ein Perückenmacher +zankte mit einem Lakaien der Prinzessin von Conti +über die Frage: ob es recht sei, daß Monsieur de Pomponne, +der Staatsminister, so viel einzunehmen habe, +als ein Prinz von Geblüt; — andere Gäste unterhielten +sich über andere Gegenstände mit so viel Lärm als möglich. +Im Hinterzimmer, welches an die Kneipstube +grenzte, war ein äußerst hitziger Wortkampf ausgebrochen +zwischen dem Wirt zum Dauphinswappen, +Claude Bullot, und seiner hübschen galanten Tochter, +— kurz, alles ging drunter und drüber, und nur Margot +die Kellnerin, eine Picarde, bewahrte ihren Gleichmut, +blickte vom Kamin aus mit untergeschlagenen +Armen in das Getümmel und gab Achtung, daß dem +Sergeanten und dem Kornet jede zerbrochene Flasche, +jedes zertrümmerte Glas richtig angekreidet wurden. +Margot die Picarde wußte, daß im Notfall die Marechaussée +in der Gaststube alles schon ins Gleichgewicht +bringen würde, und was im Hinterzimmer vorging, +zwischen ihrem Herrn und der Mademoiselle, machte +ihr das höchste Vergnügen. —</p> + +<p>Am Kamin legte Margot die Picarde dem Neapolitaner +das Kuvert, und der Fremde war allzu ausgehungert +und allzu naß, um anfangs an etwas +anderes zu denken, als den Hunger aus dem Magen +und die Kälte aus den übrigen Gliedern zu verjagen. +Ruhig setzte er sich auf den ihm angewiesenen Platz, +aß und trank, trocknete seine Kleider, bis er allgemach +wieder auflebte und fähig wurde, seine Aufmerksamkeit +den Vorgängen in seiner Umgebung zuzuwenden. +Der Sergeant vom Regiment Villequier erhielt richtig +einen Degenstoß in die Schulter, verhaftet wurde darüber +der Kornet vom Regiment Ruffey; die Bürger, +Lakaien, Diebe und Tagediebe zerstreuten sich mit einbrechender +Dämmerung, um sich vor der Dunkelheit +zu retten, oder in der Dunkelheit ihren lichtscheuen Geschäften +nachzugehen. Es wurde still in der Gargotte, +nur im Hinterzimmer konnte man sich immer noch nicht +beruhigen. In der Tür, welche auf die Gasse führte, +stand die Kellnerin Margot und blickte in den Regen +und die Nacht hinaus, das Feuer im Kamine prasselte +und knatterte und warf seinen roten Schein über die +Tische und Bänke des weiten Gemaches, die trübe +Hängelampe qualmte an der geschwärzten Decke; niemand +störte jetzt mehr den jungen Neapolitaner in +seinen trüben Gedanken. Mechanisch klimperte er mit +den wenigen Geldstücken in seiner Tasche; — was +sollte er beginnen, um nicht Hungers zu sterben, um +nicht in den Gassen dieses schmutzigen, kalten, stinkenden +Paris zu erfrieren? „O Neapel, Neapel!“ seufzte +Stefano Vinacche.</p> + +<p>Jawohl, etwas anderes war es, eine Nacht obdachlos +am Strande des tyrrhenischen Meeres, ein anderes, +eine Nacht obdachlos am Ufer der Seine zuzubringen. +Eine Art stumpfsinniger Schlaftrunkenheit überkam +den jungen Italiener, seine Augen schlossen sich unwillkürlich, +und immer dumpfer und verworrener vernahm +er das Schluchzen der Mademoiselle Bullot und +die kreischende Stimme des zornigen Vaters.</p> + +<p>Aber was war das? Plötzlich schwand jedes Zeichen +von Ermüdung, von Erschöpfung an dem Italiener. +Vorgebeugt saß er auf seinem Stuhle und horchte +mit der gespanntesten Aufmerksamkeit nach der Tür +hin, welche in das Hinterzimmer führte. Das Wechselgespräch +zwischen Vater und Tochter war dem Fremden +auf einmal interessant geworden durch einen Namen, +der soeben mehrere Male darin vorgekommen war.</p> + +<p>Immer gespannter horchte Vinacche.</p> + +<p>Hatte nicht Meister Claude Bullot, ehe ihm Monseigneur +der Herzog von Chaulnes die Kneipe zum +Dauphinswappen einrichtete, als Seifensieder Bankerott +gemacht?</p> + +<p>War nicht Mademoiselle Bullot ein reizendes Schätzchen, +dem man schon etwas zu Gefallen tun konnte?</p> + +<p>Hoch spitzte Stefano Vinacche die Ohren beim +Namen des Herzogs von Chaulnes.</p> + +<p>„Oho, Stefano, solltest du da unvermutet in den +Honigtopf gefallen sein? Oho, Glück geht immer über +Verstand, — <i>va’ piu un’ oncia di fortuna, che una +libra di sapere</i>. Achtung, Achtung, Vinacche!“</p> + +<p>Mancherlei sprach der Vater im Hinterzimmer der +Kneipe zum Wappen des Dauphins. Mancherlei sprach +das Töchterlein dagegen; immer fröhlicher rieb sich +Stefano die Hände, bis endlich die Verbindungstür +mit Macht aufgerissen wurde und Mademoiselle — +<i>éplorée</i> in das Schenkzimmer stürzte. Hinter ihr erschien +der zornige Papa, einen zusammengedrehten Strick +in der Hand:</p> + +<p>„Warte, Kreatur!“</p> + +<p>Stefano Vinacche wußte schon längst, was er zu +tun hatte. Er warf sich auf den ergrimmten Gargottier +und packte seinen erhobenen Arm.</p> + +<p>„Monsieur?!“</p> + +<p>„Monsieur!“</p> + +<p>„Laßt mich frei! was fällt Euch ein?“</p> + +<p>„Ich leid’s nicht, daß Ihr Mademoiselle mißhandelt; +— tretet hinter mich, Mademoiselle!“</p> + +<p>„Margot, Margot!“ rief endlich der Wirt zum +Dauphinswappen.</p> + +<p>Margot erschien, stemmte aber nur die Arme in die +Seite und sah der Szene zu, ohne ihrem Herrn zu Hilfe +zu kommen.</p> + +<p>„Haltet ihn, um Gottes willen, haltet ihn, er wird +mich ermorden, wenn Ihr ihn freilaßt!“ rief Mademoiselle +Bullot.</p> + +<p>„Seid ruhig, Schönste; er soll Euch nichts zuleide +tun. Pfui, schämt Euch, Monsieur, wie könnt Ihr eine +liebenswürdige Tochter also behandeln?“</p> + +<p>„Ich frage Euch zum letztenmal, wollt Ihr mich loslassen?“</p> + +<p>„In Ewigkeit nicht, wenn Ihr mir nicht den Strick +gebt, Signor, und versprecht artig zu sein gegen die +Damen, Signor!“</p> + +<p>„Morbleu!“ schrie der Wirt zum Dauphinswappen, +und der Himmel weiß, was geschehen wäre, wenn nicht +der Eintritt eines in einen Mantel gewickelten Mannes +der Szene ein Ende gemacht hätte.</p> + +<p>Der Mantel fiel zur Erde, und Wirt und +Töchterlein und Kellnerin und Italiener riefen mit +einer Stimme:</p> + +<p>„Monseigneur!“</p> + +<p>Der Eingetretene war Karl d’Albert, Herzog von +Chaulnes, Pair von Frankreich, Vidame von Amiens, +ein ältlicher Mann, dem man den „großen Herrn“ +nicht im mindesten ansah, woran der bürgerliche Anzug +durchaus nicht schuld war; ein Mann, von welchem +einige Jahre später ein deutscher Schriftsteller sagte: +„Er erwartet den Tod mitten in seinen Vergnügungen; +er ist freigebig ohne Unterschied und von einem sehr +abgenutzten Gehirne.“</p> + +<p>„Holla, das geht ja lustig her!“ rief der Herzog. +„<i>Notre Dame de Miracle</i>, und auch Vinacche dabei! +Sagt mir um aller Teufel willen —“</p> + +<p>Mademoiselle Bullot ließ ihn nicht aussprechen; sie +eilte auf den hohen Herrn zu und — warf sich an seinen +Hals, schluchzend, Gift und Galle speiend:</p> + +<p>„Monseigneur, ich halt’s nicht mehr aus; Monseigneur, +errettet mich aus den Händen meines Vaters! +Wäre dieser edle junge Mann eben nicht dazwischen +gekommen, er hätte mich gewißlich zu Tode geschlagen.“</p> + +<p>„Wieder das alte Lied? Bullot, Bullot, ich frage +Euch um Gottes willen, glaubt Ihr in der Tat, ich habe +Euch Eurer roten Nase wegen zum Eigentümer dieses +Dauphinswappens gemacht? Ich sage Euch, auf den +Knieen solltet Ihr Eure liebenswürdige Tochter verehren; +— <i>notre Dame de Miracle</i>, ich sage Euch zum +allerletzten Male, behandelt Mademoiselle, wie es sich +ziemt, oder —“</p> + +<p>„O Monseigneur!“ flehte Meister Claude, welcher +seinen Strick längst ganz verstohlen in den Winkel geworfen +hatte und katzenbuckelnd so gemein und niederträchtig aussah, +wie man unter der Regierung des großen Louis +nur aussehen konnte. „O Monseigneur, ich versichere +Euch, <em class="gesperrt">sie</em> hat’s darauf abgesehen, ihren unglückseligen +Vater in ein frühzeitig Grab zu bringen. Monseigneur, +Ihr kennt sie nur von der einen Seite; aber ich — o +Monseigneur!“ —</p> + +<p>„Still! Ihr seid ein Schurke, und Mademoiselle +ist ein Engel! — beruhige dich, Kind —“</p> + +<p>„Monseigneur, er ist zu boshaft. Monseigneur, +wenn Ihr mich wirklich liebt, so laßt mich nicht in seiner +Gewalt.“</p> + +<p>„Ruhig, ruhig, süßes Kind. Was ist denn nur +eigentlich vorgefallen?“</p> + +<p>Ja, was war vorgefallen?</p> + +<p>Eine Zungenfertigkeit sondergleichen entwickelten +Mademoiselle Bullot und Meister Claude Bullot +gegeneinander, doch haben wir mit dem Ausgangspunkte +des Streites nicht das mindeste zu schaffen und +brauchen nur zu sagen, daß der Herzog von Chaulnes, +obgleich er im Grunde seines Herzens dem erzürnten +Papa recht geben mußte, in Anbetracht seiner zarten +Stellung zu Mademoiselle sich auf deren Seite stellte. +Sehr ärgerlich war der Herzog von Chaulnes! In +äußerst lebendiger Stimmung war er durch die Gasse +Quincampoix zum Dauphinswappen geschlichen, nun +fand er statt Ruhe und Behagen, Unzufriedenheit und +Streit; wo er Lächeln und Lachen erwartet hatte, mußte +er Tränen trocknen; — <i>notre Dame de Miracle</i>, es war +zu ärgerlich!</p> + +<p>„Etienne,“ sagte der Herzog zu Vinacche, „Etienne, +ich bin dieses Lärms müde; ich will nach Haus und +du magst mit mir kommen. Meister Claude, ich versichere +Euch meiner gnädigsten Ungnade! Mademoiselle, +Eure rotgeweinten Augen betrüben mich sehr — gute +Nacht, Mademoiselle — dazu zweihundert Louisdor +im Landsknecht verloren — kommt, Etienne Vinacche, +Ihr mögt mit mir zum Hotel fahren, ich habe Euch +etwas zu sagen; ich habe eine Idee!“</p> + +<p>Vergebens hing sich Mademoiselle Bullot an den +Arm des Herzogs mit den süßesten Schmeicheleien +und Liebkosungen. Er machte sich los, streckte dem +niedergeschmetterten Wirt zum Dauphinswappen eine +Faust entgegen, ließ sich von Vinacche den Mantel +wieder um die Schultern legen und verließ, im höchsten +Grade mißmutig gestimmt, mit seiner „Idee“ die +Gargotte, in welcher nach seinem Abzuge der Tanz +zwischen Vater und Tochter von neuem anging, doch +diesmal mit allem Vorteil auf Seiten von Mademoiselle. +Meister Claude Bullot sah ein, daß er ein +Esel — ein gewaltiger Esel war; demütig kroch er zu +Kreuze und nahm jede Injurie, welche ihm das Töchterlein +an den Kopf warf, mit gekrümmtem Rücken in +Empfang.</p> + +<p>Unterdessen wateten mühsam der Herzog und der +Italiener durch den Schmutz und die Gefahren der +Gassen von Paris, bis sie an einer Ecke zu der harrenden +Karosse des Herzogs gelangten. Mit tiefen Bücklingen +riß der Lakai den Wagenschlag auf.</p> + +<p>„Steig hinten auf, Etienne; ich habe mit dir zu +reden,“ sagte der Herzog und warf sich in die Kissen +seiner Kutsche.</p> + +<p>„Achtung, Stefano, jetzt mag’s in deinen Topf +regnen!“ murmelte der schlaue Neapolitaner, und schwerfällig +setzte sich die Karosse in Bewegung.</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="IIGold" id="IIGold">II.<br />Gold.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/w.png" alt="W" width="60" height="60" class="floatl"/>ährend vor dem flackernden Kaminfeuer in +seinem Hotel der Herzog von Chaulnes dem +obdachlosen Vagabunden Stefano Vinacche +den annehmbaren Vorschlag tut, Mademoiselle Bullot, +das liebenswürdige Erzeugnis der Gasse Quincampoix, +zu — heiraten und dadurch nicht nur sich selbst, sondern +auch Monseigneur aus mancherlei ärgerlichen Verdrießlichkeiten +des Lebens herauszureißen, wollen wir erzählen, +wer Stefano Vinacche eigentlich war. Im Jahre 1689 +war der junge Neapolitaner als Lakai im Gefolge des +Herzogs, dem er zu Rom mancherlei Dienste kurioser +Art geleistet haben mochte, nach Frankreich gekommen, +ohne jedoch in diesem Lande anfangs die Träume, +welche ihm seine südliche Phantasie vorspiegelte, zu +verwirklichen. Es wird uns nicht gesagt, was ihn im +folgenden Jahre schon aus dem Dienste seines Gönners +trieb, und ihn bewog, sich als gemeiner Soldat in das +Regiment Royal-Roussillon aufnehmen zu lassen. Wir +wissen nur, daß er im Jahre 1691 dem Regimentsschreiber +Nicolle, seinem Schlafkameraden, einige Offiziersuniformen, +welche derselbe ausbessern sollte, stahl +und mit ihnen desertierte, welches Wagestück aber fast +übel abgelaufen wäre. Auf dem Wege nach Paris, der +Stadt, nach welcher von jeher eine dumpfe Ahnung +künftiger Geschicke das seltsame Menschenkind trieb, +gefangen und als Fahnenflüchtiger ins Gefängnis geworfen +und zum Tode verurteilt, entging er nur durch +Verwendung des Grafen von Auvergne dem Galgen. +Im nächsten Jahre in Freiheit gesetzt, machte sich +Stefano Vinacche von neuem auf den Weg nach Paris, +und haben wir seiner Ankunft in der Gargotte zum +Wappen des Dauphins in der Gasse Quincampoix soeben +beigewohnt. —</p> + +<p>Ei, wie wunderlich, wunderlich spinnt sich ein +Menschenleben ab! Wir armen blinden Leutlein auf +diesem Erdenballe wandern freilich in einem dichten +Nebel, der sich nur zeitweilig ein wenig hier und da +lüftet, um im nächsten Augenblicke desto dichter sich +wieder zusammenzuziehen. Wir getriebenen und treibenden +Erdbewohner haben freilich nur eine dumpfe +Ahnung von dem, was im Getümmel ringsumher +vorgeht. Warum sollten wir uns auch in der kurzen +Spanne Lebenszeit, die uns gegeben ist, viel um andere +Leute bekümmern, da wir doch so viel mit uns selbst +zu tun haben? Über allen Nebeln ist Gott; der mag +zusehen, daß alles mit rechten Dingen zugeht; der mag +acht geben, daß sich der Faden der Geschlechter, welchen +er durch die Jahrtausende von dem Erdknäuel abwickelt, +nicht verwirrt. Nur weil sie abgewickelt werden, +drehen sich Sonne, Mond, Sterne; — von jeder leuchtenden +Kugel läuft ein Faden zu dem großen Knäuel +in der Hand Gottes, zu dem großen letzten Knäuel, +in welchem jeglicher Knoten, der unterwegs entstanden +sein mochte, gelöst sein wird, in welchem alle +Fäden nach Farben und Feinheit harmonisch sich zusammenfinden +werden.</p> + +<p>Da ist solch ein Knötlein im Erdenfaden! wir +finden es in unsrer Erdgeschichte am Ende des siebenzehnten +und Anfang des achtzehnten Jahrhunderts +nach Jesu Geburt, wo viel Sünde, Schande und Verderbnis +sich häßlich ineinander schlingen, wo Krieg und +Sittenlosigkeit das abscheulichste Bündnis geschlossen +haben, daß das jetzige Gechlecht schaudernd darob die +Hände über dem Kopfe zusammenschlägt.</p> + +<p>Der Erzähler aber, des letzten großen knotenlosen +Knäuels in der Hand Gottes gedenkend, schlägt nicht +die Hände über dem Kopfe zusammen; — den Handschuh +hat er ausgezogen, mutig in die Wüstenei hineingegriffen, +einen längst begrabenen, vermoderten, vergessenen +Gesellen hervorgezogen. Da ist er — <em class="gesperrt">Stefano +Vinacche</em> — späterhin Monsieur Etienne de +Vinacche, großer Arzt, berühmter Chemiker, — Goldmacher, +nächst Samuel Bernard der reichste Privatmann +seiner Zeit!...</p> + +<p>„Also Etienne,“ sprach der Herzog von Chaulnes +zu dem halb verhungerten, obdachlosen Vagabunden, +„eine allerliebste Frau und eine vortreffliche Aussteuer....“</p> + +<p>„<i>Servitore umilissimo!</i>“</p> + +<p>„Und, Etienne, eine Empfehlung an meinen Freund, +den Herzog von Brissac. Ihr geht nach Anjou, — lebt +auf dem Lande, wie die Engel <i>à la Claude Gillot</i>, — +ich besuche Euch — stehe Gevatter —“</p> + +<p>„Ah!“ machte der Italiener mit einer unbeschreiblichen +Bewegung des ganzen Oberkörpers.</p> + +<p>„<i>Plait-il?</i>“</p> + +<p>„O nichts, Monseigneur!“ sagte der Italiener. +„Ihr seid mein gnädigster, gütigster Herr und Gebieter.“ +Er machte eine Verbeugung bis auf den +Boden.</p> + +<p>„Wann soll die Hochzeit sein, Monseigneur?“</p> + +<p>„So schnell als möglich — ach!“</p> + +<p>„Monseigneur seufzt?!“ rief Stefano schnell. „Noch +ist’s Zeit, daß Monseigneur Sein Wort zurücknehme; +Mademoiselle Bullot ist ein reizendes Mädchen; aber +wenn Monseigneur die hohe Gnade haben wollte, mich +wieder zu seinem Kammerdiener zu machen —“</p> + +<p>„Nein, nein, nein, es bleibt dabei, Vinacche; Ihr +heiratet die Schöne, und ich — <i>ah notre Dame de +Miracle</i> — ich will hingehen und sorgen, daß Madame +von Maintenon und der Pater La Chaise davon zu +hören bekommen. Also geht, Vinacche; bis zur Hochzeit +gehört Ihr wieder zu meinem Haus. Der Intendant +soll für Euch sorgen.“</p> + +<p>„Monseigneur ist der großmütigste Herr der Welt!“ +rief Vinacche, dem Herzog die Hand küssend. Unter +tiefen Bücklingen schritt er rücklings zur Tür hinaus, +und tief seufzend blickte ihm sein Gönner nach.</p> + +<p>Als sich die Tür hinter dem Italiener geschlossen +hatte, murmelte dieser: „<i>Corpo di Bacco</i>, Achtung, +Achtung, Vinacche, Stefano mein Söhnchen! Halte +die Augen offen, mein Püppchen! Ist’s mir nicht versprochen +bei meiner Geburt, daß ich vierspännig +fahren sollte in der Hauptstadt der Franzosen?!“</p> + +<p>Drinnen rieb sich der Herzog die Stirn und ächzte:</p> + +<p>„Ach, Madame von Maintenon ist eine große Dame! +<i>Vive la messe!</i>“</p> + +<p>Acht Tage nach dem eben Erzählten war eine Hochzeit +in der Gasse Quincampoix. Der Wirt zum Dauphinswappen +Claude Bullot verheiratete zu seiner +eigenen Verwunderung und zur Verwunderung sämtlicher +Nachbaren und Nachbarinnen seine hübsche +Tochter mit einem ganz unbekannten jungen Menschen, +der nicht einmal ein Franzose war. Mancherlei +Glossen wurden darüber gemacht, und allgemein hieß +es, Mademoiselle Bullot sei eine Törin, welche nicht +wisse, was man mit einem hübschen Gesicht und tadellosen +Wuchs in Paris anfangen könne.</p> + +<p>Da aber Mademoiselle Bullot und Stefano Vinacche +mit ziemlich vergnügten Mienen ihr Schicksal +trugen, so mochten Papa und Nachbarschaft nach Belieben +sich wundern, nach Belieben Glossen machen. +Sämtliche Dienerschaft des Herzogs von Chaulnes +verherrlichte die Hochzeit durch ihre Gegenwart; Flöten +und Geigen erklangen in der Gargotte zum Wappen +des Dauphins. Man sang, jubelte, trank auf das +Wohl der Neuvermählten bis tief in die Nacht. Zuletzt +artete das Gelage nach der Sitte der Zeit in eine +wahre Orgie aus; blutige Köpfe gab’s, und zum Schluß +mußte der Polizeileutnant einschreiten und die ausgelassene +Gesellschaft auseinander treiben. Am folgenden +Tage machte das junge Paar sich auf den Weg +zum Gouverneur von Anjou, dem Herzog von Brissac, +einem „armen Heiligen, dessen Name nicht im Kalender +steht“.</p> + +<p>Ein tüchtiges Schneegestöber wirbelte herab, als +der Wagen der Neuvermählten hervorfuhr aus der +Gasse Quincampoix. Auf der Schwelle seiner Tür stand +der Vater Bullot mit der Kellnerin Margot, und beide +blickten dem Fuhrwerk nach, so lange sie es sehen +konnten. Dann zog der Wirt zum Dauphinswappen +die Schultern so hoch als möglich in die Höhe und trat +mit der Picarde zurück in die Schenkstube, welche noch +deutlich die Spuren der Hochzeitsnacht an sich trug.</p> + +<p>„Alles in allem genommen, ist’s doch ein Trost +und ein Glück, daß ich sie los bin,“ brummte der +zärtliche Papa. „Es hätte noch ein Unglück gegeben; +das war ja immer, als brenne der Scheuerlappen +zwischen uns. Vorwärts, Margot! einen Kuß und an +die Arbeit, mein Liebchen, auf daß das Haus rein +werde.“</p> + +<p>Liebe Freunde, wer das Leben Stefano Vinacches +beschreibt, der muß recht acht geben, daß er seinen Weg +im Nebel nicht verliere. Schattenhaft gleitet die Gestalt +des Abenteurers vor dem Erzähler her, bald zu +einem Zwerg sich zusammenziehend, bald riesenhaft +anwachsend, gleich jener seltsamen Naturerscheinung, +die den Wanderer im Gebirge unter dem Namen des +Nebelgespenstes erschreckt. Bald klarer, bald unbestimmter +tritt Stefano Vinacche aus den Berichten seiner Zeitgenossen +uns entgegen. Wir wissen nicht, was ihn mit +seiner Frau so schnell aus Anjou nach Paris zurücktrieb; +wir wissen nur, daß am neunten April 1693, +an dem Tage, an welchem Roger von Rabutin, Graf +von Bussy, sein wechselvolles Leben beschloß, der Papa +Bullot in höchster Verblüffung die Hände über dem +Kopfe zusammenschlug, als er Tochter und Schwiegersohn +zu Fuß, kotbespritzt, mit höchst winziger Bagage, +durch die Gasse Quincampoix auf das Dauphinswappen +zuschreiten sah. Der gute Alte traute seinen Augen +nicht und überzeugte sich nicht eher von der Wirklichkeit +dessen, was er erblickte, bis ihm Madame Vinacche +schluchzend um den Hals fiel, und Stefano ihn herzzerbrechend +anflehte, ihn und sein Weib für eine Zeit +wieder unter sein Dach zu nehmen.</p> + +<p>„Wir wollen auch recht artige Kinder sein!“ bat +Madame Vinacche.</p> + +<p>„Und wir werden nicht lange Euch zur Last sein!“ +rief Stefano.</p> + +<p>„<i>Diable! diable!</i>“ ächzte Meister Claude Bullot, und +Margot, die Picarde, gab ihm verstohlen einen Rippenstoß, +daß er fest bleibe und sich nicht beschwatzen lasse.</p> + +<p>Wer hätte aber den beredten Worten Stefano +Vinacches widerstehen können? Das Ende vom Liede +war, daß das junge Ehepaar mit seinen armen Habseligkeiten +einzog in die Kneipe zum Dauphinswappen, +und daß Meister Bullot und Margot, die Kellnerin, +nachdem Madame Vinacche die Schwelle überschritten +hatte, seufzend sich in das Unvermeidliche fügten.</p> + +<p>„Ach, Margot, Margot, nun sind die schönen Tage +wieder vorüber!“ seufzte Meister Claude, und während +die Heimgekehrten im oberen Stockwerk des Hauses +ihre Einrichtungen trafen, saßen am Kamin in der +leeren Schenkstube der Wirt und seine Kellnerin trübselig +einander gegenüber und konnten sich nur durch +das weise Wort, daß man das Leben nehmen müsse, +wie es komme, — trösten. Dann schlossen die beiden +Parteien einen Kompromiß, in welchem festgestellt +wurde, daß weder Monsieur Etienne noch Madame in +die Angelegenheiten des Papas und der Kellnerin +Margot sich mischen sollten, und daß sie durch ihnen +passend scheinende Mittel für ihrer Leiber Nahrung und +Kleidung selbst zu sorgen hätten. Wohnung, Licht und +Feuerung versprachen Meister Bullot und Margot die +Picarde zu liefern.</p> + +<p>Feierlich wurde dieser Vertrag von einem Stammgast +der Gargotte, dem Sieur Le Poudrier, einem +Winkeladvokaten, verbrieft und besiegelt, und man +lebte fortan miteinander, wie man konnte.</p> + +<p>Da der Herzog von Chaulnes seine Verpflichtungen +gegen das junge Ehepaar glänzend abgetragen zu haben +glaubte, so floß die Quelle seiner Gnaden immer spärlicher +und versiegte zuletzt ganz. Die Haushaltung im +zweiten Stockwerk des Dauphinswappens mußte für +Eröffnung anderer Geldquellen sorgen, zumal da noch +im Laufe des Sommers ein kleiner Vinacchetto das +Licht der Gasse Quincampoix erblickte. Die Not und +der Zug der Zeit machten Stefano zu einem Charlatan; +aber jedenfalls zu einem genialen Charlatan.</p> + +<p>„<i>Anima mia</i>, laß den Mut nicht sinken, wir fahren +doch noch vierspännig!“ sagte er zu seiner hungernden +Frau und fing an, den Nachbarn und Nachbarinnen, +sowie den Gästen, welche die Gargotte seines Schwiegervaters +besuchten, Mittel gegen das Fieber und andere +unangenehme Übel zu verkaufen.</p> + +<p>Allmählich verwandelte sich das Wohngemach der +kleinen Familie in ein schwarzangeräuchertes chemisches +Laboratorium; mit wahrer Leidenschaft warf sich Stefano +Vinacche, obgleich er bis an sein Ende weder +lesen noch schreiben lernte, auf das Studium der Simpla +und der Mineralien.</p> + +<p>Eine gewaltige Veränderung ging mit dem seltsamen +Menschen vor; — nicht mehr war er der vagabondierende +Abenteurer, der das Glück seines Lebens +auf den Landstraßen, in den Gassen suchte. Tag und +Nacht schritt er grübelnd einher, das Haupt zur Brust +gesenkt, die Arme über der Brust gekreuzt. Wer konnte +sagen, was er suchte?</p> + +<p>Eine fast ebenso überraschende Veränderung kam +über das junge Weib Vinacches. Die frühere Mätresse +des Herzogs von Chaulnes verehrte den ihr aufgedrungenen +Mann auf den Knien, sie war die treuste, +liebendste Gattin geworden, und ist es über den Tod +Stefanos hinaus geblieben.</p> + +<p><em class="gesperrt">Sie</em> konnte lesen, <em class="gesperrt">sie</em> konnte schreiben: —wie viele +alte vergilbte Bouquins hat sie dem suchenden Forscher, +in stillen Nächten, während sie ihr Kind wiegte, vorgelesen!</p> + +<p>Der Vater Bullot hatte nicht mehr Ursache, sich +über das wilde, unbändige Gebaren seiner Tochter zu +beklagen. Die eigentümliche Gewalt, welche Stefano +Vinacche späterhin über die schärfsten, klarsten Geister +hatte, trat auch jetzt in der engeren Sphäre schon bedeutend +hervor. Papa Claude, Margot die Picarde, +Gratien Le Poudrier der Rabulist, alle Nachbaren und +alle Nachbarinnen beugten sich dem schwarzen, funkelnden +Auge Stefanos. Der Stein war ins Wasser +gefallen, und die Wellenringe liefen in immer weitern +Kreisen fort; — weit, weit über die Gasse Quincampoix +hinaus verbreitete sich der Ruf Stefano Vinacches!</p> + +<p>Unterdessen schlug man sich in Deutschland, Flandern, +Spanien, Italien und auf der See. In Deutschland +verbrannte Melac Heidelberg, und der Feldmarschallleutnant +von Hettersdorf, der „die <i>poltronnerie</i> +seines Herzens mit großen <i>Peruquen</i> und bebremten +Kleidern zu bedecken pflegte“, — Hettersdorf, +der elende Kommandant der unglücklichen Stadt, wurde +auf einem Schinderkarren durch die Armee des Prinzen +Ludwig von Baden geführt, nachdem ihm der Degen +vom Henker zerbrochen worden war. Aus Flandern +schickte der Marschall von Luxemburg durch d’Artagnan +die Nachricht vom Sieg bei Neerwinden. Roses in +Katalonien wurde erobert. Zu Versailles, zu Paris in +der Kirche unserer lieben Frau sang man <i>Te Deum +laudamus</i>; aber im Bischoftum Limoges starben gegen +zehntausend Menschen Hungers. Zu Lyon wie zu +Rouen fiel das Volk in den Gassen wie Fliegen, und +ihrer viel fand man, welche den Mund voll Gras hatten, +ihr elendes Leben damit zu fristen.</p> + +<p>Stefano Vinacche, nach einer Reise in die Bretagne, +verließ die Gasse Quincampoix und das Haus seines +Schwiegervaters und zog in die Gasse Bourg l’Abbé. +Strahlend brach die Glückssonne Stefanos durch die +Wolken. Fünf Monate war er in der Bretagne gewesen, +und niemand hat jemals erfahren, was er dort +getrieben, — gesucht, — gefunden hat! Zu Fuß zog +er aus, in einer zweispännigen Karosse kehrte er zurück. +Zwei Lakaien und ein Kammerdiener bedienten +ihn in der Straße Bourg l’Abbé, wohin er aus der +Gasse Quincampoix zog. Von neuem errichtete er in +seiner jetzigen Wohnung seine chemischen Feuerherde, +von neuem braute er seine Rezepte, und das Gerücht +ging aus, Monsieur Etienne Vinacche suche den Stein +der Weisen, und es sei Hoffnung vorhanden, daß er +denselben binnen kurzem finden werde; und wieder +tritt dem Erzähler der alte Gönner des unbegreiflichen +Mannes, der Herzog von Chaulnes, entgegen, welcher +ihm zum Ankauf von Kohlen, Retorten und dergleichen +Apparaten zweitausend Taler gibt.</p> + +<p>Im Jahr der Gnade Eintausendsiebenhundert war +das große Geheimnis gefunden; — Stefano Vinacche +hatte das Projektionspulver hergestellt, Etienne Vinacche +machte —</p> + +<p class="center"><em class="gesperrt">Gold!</em> +</p> + +<p>In demselben Jahre Eintausendsiebenhundert kaufte +<em class="gesperrt">Monsieur de Vinacche</em> aus dem Inventar +von Monsieur, dem Bruder des Königs, für sechzigtausend +Livres Diamanten.</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="IIIGlueck_und_Glanz" id="IIIGlueck_und_Glanz">III.<br />Glück und Glanz.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/w.png" alt="W" width="60" height="60" class="floatl"/>ir schauen wie in ein Bild von Antoine Watteau +durch das zarte frühlingsfrische Blätterwerk +zu Coubron — fünf Meilen von +Paris — wo Monsieur Etienne de Vinacche auf seinem +reizenden Landsitze ein glänzendes Fest gibt. Die untergehende +Maisonne des Jahres Siebzehnhunderteins +übergießt die Landschaft mit rosigem Schein; — Lachen +und Kosen und Flüstern des jungen Volkes ertönt im +Gebüsch; geputzte ältere Herren und Damen durchwandeln +gravitätisch die gradlinigen Gänge des Parkes. +Karossen und Reitpferde mit ihrer Begleitung von +Kutschern, Lakaien und Läufern halten vor dem vergoldeten +Gittertor; Monsieur de Vinacche und seine +Frau sind eben im Begriff, von einem Teil ihrer Gäste, +der nach Paris oder den umliegenden Landhäusern +zurückkehren will, Abschied zu nehmen.</p> + +<p>Die Dame Rochebillard, die Geliebte Tronchins, +des ersten Kassierers Samuel Bernards, des „<i>fils de +Plutus</i>“, — wird von Madame de Vinacche zu ihrer +Kutsche geleitet; Monsieur Etienne befindet sich im +eifrigen Gespräch mit einem jungen Edelmann, dem +Sieur de Mareuil. Für fünftausend Livres will Vinacche +dem Herrn von Mareuil einen konstellierten +Diamant, vermöge dessen man immerfort glücklich +spielen soll, anfertigen. Ein wenig weiter zurück +unterhalten sich die beiden reichen Bankiers van der +Hultz, der Vater und der Sohn, mit Herrn Menager, +<i>Sécrétaire du Roi</i> und Handelsdeputierten von Rouen; +— auf einem Rasenplatz tanzen einige junge Paare +nach den Tönen einer Schalmei und eines Dudelsacks +ein Menuett; bunte Diener tragen Erfrischungen umher, +für die abfahrenden Gäste erscheinen andere; der +Chevalier von Serignan, Monsieur Nicolaus Buisson, +der Sieur Destresoriers, Edelleute von der Robe, +Edelleute vom Degen, Finanzleute, Beamte und so +weiter mit ihren Frauen und Töchtern, allgesamt angezogen +von dem Glanz, der Pracht und dem großen +Geheimnis des einstigen neapolitanischen Bettlers Stefano +Vinacche.</p> + +<p>Hat sich aber um Mitternacht dieser Schwarm der +Gäste verloren, so erscheinen andere Gestalten. Aus +verborgenen Schlupfwinkeln tauchen Männer auf, +finstere bleiche Männer mit zusammengezogenen Augenbrauen +und rauhen, rauchgeschwärzten Händen. Da +ist Konrad Schulz, ein Deutscher, den Herr von Pontchartrain +später verschwinden läßt, ohne daß man +jemals wieder von ihm hört. Da sind Dupin und +Marconnel, hocherfahren in der geheimen Kunst. Da +ist Thuriat, ein wackerer Chemiker; da ist ein anderer +Italiener, Martino Polli. Geheimnisvolle Wagen, von +geheimnisvollen Fuhrleuten begleitet, langen an und +fahren ab, und Säcke werden abgeladen und aufgeladen, +die, wenn sie die Erde oder einen harten Gegenstand +berühren, ein leises Klirren, als wären sie mit +Goldstücken gefüllt, von sich geben, geheimnisvolle +Feuer in geheimnisvollen Öfen flammen auf, — Wacht +hält Madame de Vinacche, daß die nächtlichen Arbeiter +nicht gestört werden in ihrem Werke.</p> + +<p>Hüte dich, Stefano Vinacche! Im geheimen Staatsrat +zu Versailles hat man von dir gesprochen: Monsieur +Pelletier von Sousy, der Intendant der Finanzen, +hat den Mann mit dem Kopf voll böser Anschläge, hat +Monsieur d’Argenson aufmerksam auf dich gemacht.</p> + +<p>Hüte dich, Stefano Vinacche! —</p> + +<p>Wer klopft in dunkler Nacht an das Hinterpförtchen +des Landhauses zu Coubron?</p> + +<p>Salomon Jakob, ein Jude aus Metz, welcher die +Verbindung des „Unbegreiflichen“ mit Deutschland vermittelt.</p> + +<p>Wer klopft in dunkler Nacht an die Pforte des +Landhauses zu Coubron?</p> + +<p>Franz Heinrich von Montmorency-Luxemburg, Pair +und Marschall von Frankreich, welchen Stefano Vinacche +die Kunst lehren soll, den Teufel zu beschwören.</p> + +<p>In dunkler Nacht fährt nach Coubron der Herzog +von Nevers, um sich in die geheimen Wissenschaften +einweihen zu lassen.</p> + +<p>In dunkler Nacht fährt nach Coubron Karl d’Albert, +Herzog von Chaulnes, und Madame de Vinacche empfängt +ihn in brokatnen Gewändern, geschmückt mit +einer Cordeliere und einem Halsband im Wert von +sechstausend Livres.</p> + +<p>„<i>Notre Dame de Miracle</i>, wie habe ich für Euer +Glück gesorgt, Allerschönste!“ sagt der Herzog von +Chaulnes, und die Tochter des Wirts zum Dauphinswappen +verbeugt sich mit dem Anstand einer großen +Dame und führt den hohen Gast und Gönner in +ihren Salon, welcher den Vergleich mit jedem andern +zu Paris aushält.</p> + +<p>Stefano Vinacche trägt nicht mehr sein eigenes +Haar; eine wallende gewaltige Lockenperücke bedeckt +sein kluges Haupt. Mit feiner Ironie sagt er, in den +wallenden Stirnlocken dieser seiner Perücke halte er +seinen <i>Spiritus familiaris</i>, sein „<i>folet</i>“ verborgen und +gefesselt.</p> + +<p>„<i>Notre Dame de Miracle</i>, Ihr seid ein großer Mann, +Etienne!“ sagt der Herzog von Chaulnes, und der +Hausherr von Coubron verbeugt sich lächelnd:</p> + +<p>„O Monseigneur!“</p> + +<p>„Ja, ja, wer hätte das gedacht, als ich Euch in +Italien von der Landstraße aufhob? Wer hätte das +gedacht, als ich Euch durch den Grafen von Auvergne +vom Galgen errettete; — Vinacche, Ihr müßt mir sehr +dankbar sein.“</p> + +<p>Stefano legt die Hand auf das Herz.</p> + +<p>„Monseigneur, ich habe ein gutes Gedächtnis für +empfangene Wohltaten. Glaubt nicht, daß das Glück +und die errungene Wissenschaft mich stolz mache. Fragt +meine Frau, was gestern geschehen ist.“</p> + +<p>„Wahrlich, Monseigneur, es war eine tolle Szene. +Stellt Euch vor, es befindet sich gestern eine glänzende +Gesellschaft bei uns, Monsieur Despontis, Monsieur +von Beaubriant und viele andere, als ein abgelumpter +Mensch Etienne zu sprechen verlangt. Die Diener +wollten ihn abweisen; aber Etienne hört den Lärm und +läßt den Vagabunden kommen. <i>Mon Dieu</i>, was für +eine Szene!“</p> + +<p>„Nun?!“</p> + +<p>„Nicolle war’s, gnädigster Herr! Nicolle, meines +Mannes Kamerad aus dem Regiment Royal-Roussillon!“</p> + +<p>„Oh, oh, oh! ah, ah, ah!“ lacht der Herzog. „Dem +Wiederfinden hätt’ ich beiwohnen mögen. Das muß +in der Tat eine eigentümliche Überraschung gegeben +haben.“</p> + +<p>„Ich fiel in Ohnmacht, und Etienne — fiel dem +Vagabunden um den Hals —“</p> + +<p>„Und die Gesellschaft?“</p> + +<p>„Stand in starrer Verwunderung! Es war ein tödlicher +Augenblick,“ ruft Madame de Vinacche klagend, +doch Etienne sagt:</p> + +<p>„Ich hatte dem Manne einst ein schweres Unrecht +zugefügt, jetzt war mir die Gelegenheit gegeben, es +wieder gutzumachen, und ich benutzte diese Gelegenheit.“</p> + +<p>„<i>Notre Dame de Miracle</i>, ich werde der Frau von +Maintenon diese Geschichte erzählen. Ihr seid ein +braver Gesell, Etienne. Ah, oh, <i>ou la vertu va-t-elle +se nicher</i>? wie Monsieur Molière sagt, — sagt er +nicht so?“</p> + +<p>„Ich glaube, gnädiger Herr,“ meint Vinacche, die +Achsel zuckend, und setzt hinzu, als eben jemand an die +Tür des Salons mit leisem Finger klopft: „Da kommt +Konrad, uns zum Werk zu holen. Wenn es also beliebt, +Monseigneur, so können wir unsere Arbeit von +neuem aufnehmen; Zeit und Stunde sind günstig, jeder +Stern steht an seinem rechten Platz, und gute Hände +schüren die Flamme!“</p> + +<p>In die geöffnete Tür schaut das finstere Gesicht des +deutschen Meisters Konrad Schulz:</p> + +<p>„Es ist alles bereit!“</p> + +<p>„Wir kommen!“ sagt der Herzog von Chaulnes, +mit zärtlichem Handkuß von Madame Vinacche Abschied +nehmend. In das chemische Laboratorium herab +schreiten die Männer.</p> + +<p>Um den schwarzen Herd stehen regungslos die Gehilfen +des großen Goldmachers. Atemlos verfolgt der +Herzog jede Bewegung des Alchymisten.</p> + +<p>Der Meister arbeitet!</p> + +<p>Tiegel voll Salpeter, Antimonium, Schwefel, +Arsenik, Qecksilber gehen von Hand zu Hand. Die +Phiole mit dem „Sonnenöl“ reicht Martino Polli, das +Blei bringt Konrad Schulz zum Fluß; — der große +Augenblick ist gekommen. Aus einem Loch in der +schwarzen feuchten Mauer ringelt sich eine bunte +Schlange hervor, sie steigt an dem Beine Stefano +Vinacches empor, sie umschlingt seinen Arm und scheint +ihm ins Ohr zu zischen. Ein Zittern überkommt den +Goldmacher, aus der Brust zieht er ein winziges +Fläschchen; — im Tiegel gärt und kocht die metallische +Masse, — die Flammen züngeln, — aus der Phiole +in der Hand des Meisters fällt das Projektionspulver +in den Tiegel — — — — — — — — — — — — —</p> + +<p>Das Werk ist vollbracht! In die Form gießt Konrad +Schulz die kostbare, im höchsten Fluß befindliche +Masse — nach einigen Augenblicken wiegt der Herzog +von Chaulnes eine glänzende Metallbarre in der +Hand. „Reinstes Gold, Monseigneur!“ sagt Stefano +Vinacche. —</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="IVWas_man_in_Versailles_dazu_sagte" id="IVWas_man_in_Versailles_dazu_sagte">IV.<br />Was man in Versailles dazu sagte.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/v.png" alt="V" width="60" height="60" class="floatl"/>inacche fuhr mit seiner Frau vierspännig +durch die Straßen von Paris. Lange war +Claude Bullot tot und erinnerte sie nicht +mehr an die Dunkelheit ihrer Herkunft. In der Gasse +Saint Sauveur besaß Stefano jetzt ein prächtiges +Haus, wo er die beste Gesellschaft von Paris bei sich +sah. Sein Leben strahlte im höchsten Glanz. Die Teilnehmer +seiner wunderlichen Operationen hatte er durch +Drohungen, Versprechungen, List und Überredung zu +seinen Sklaven gemacht; er durfte ihnen drohen, sie +bei der geringsten Auflehnung gegen seinen Willen +als Fälscher, Kipper und Wipper hängen zu lassen. +Seine Geschäftsverbindungen mit Samuel Bernard, +Tronchin, Menager, mit den beiden van der Hultz, mit +Saint-Robert und dem Sieur Buisson Destresoriers +nahmen ihren ungestörten Fortgang. Man sah in +seinen Gemächern oft fünfzehn, zwanzig, dreißig Säcke +voll nagelneuer Louisdors aufgestellt. Neu geprägte +Goldstücke fanden die Diener und Dienerinnen, von +denen das Haus überquoll, im Kehricht, in den Winkeln, +unter der schmutzigen Wäsche; — sie verkauften Stückchen +von Goldbarren an die Juden, und Madame de +Vinacche erschrak eines Tages heftig genug, als sie, +ungesehen von ihnen, ein Gespräch zwischen ihrer +Kammerfrau La Martion und einigen Lakaien ihres +Mannes belauschte. —</p> + +<p>Der spanische Erbfolgekrieg hatte begonnen. War +das Geld im Hause Stephano Vinacches im Überfluß +vorhanden, so mangelte es um desto mehr im Hause +des Königs Ludwig des Vierzehnten. Herrschte im +Hause Stefano Vinacches Jubel und Übermut, so +herrschte Mißmut, Angst, Sorge und Not zu Versailles. +Ein gewaltiger Umschwung aller Dinge trat +in diesem früher so glänzenden Frankreich mehr und +mehr hervor. Auf die Zeit des phantastischen, lebenvollen +Karnevals folgte der Aschermittwoch mit seinen +Grabgedanken. Zu Grabe gegangen waren die Schriftsteller +und Dichter: Pascal und Franz von La Rochefoucauld +ergründeten nicht mehr die Tiefe des menschlichen +Herzens. Jean de Lafontaine hielt nicht mehr +den lustigen Spiegel der Welt vor, Jean war „davongegangen +wie er gekommen war“; — verstummt war +die mächtige Leier des großen Corneille, Jean Racine +hatte sein Schwanenlied gesungen und war hinabgesunken +in die blaue Flut der Ewigkeit. Tot, tot +war Molière, der gute Kämpfer gegen Dummheit, +Heuchelei, Aberglauben und Laster; tot war Jean +Baptiste Poquelin, genannt Molière, aber Tartuffe +lebte noch!</p> + +<p>Die Heiterkeit des Daseins war erblaßt, auch die +feierlichen Stimmen der großen Kanzelredner Bossuet, +Bourdaloue, Flechier verstummten! König in Frankreich +war der Pater La Chaise, Königin in Frankreich war +Franziska d’Aubigné, die Witwe Paul Scarrons. Die +Schutzherrschaft über das Land nahm man dem +heiligen Michael und gab sie der Jungfrau Maria, +wie man sie vorher dem heiligen Martin und vor +diesem dem heiligen Denis genommen hatte. Schaffe +Geld, schaffe Geld, Geld, Geld, o heilige Jungfrau +Maria! Schaffe Geld, holde Schutzherrin, Geld zum +Kampf gegen deine und unsere Feinde! Schaffe Geld +und abermals Geld und wiederum Geld, süße Mutter +Gottes! Schaffe Geld, Geld, Geld, o Schutzpatronin +von Frankreich und Versailles, Marly und Trianon!</p> + +<p>Wiederum war ein Staatsrat gehalten worden zu +Versailles über die besten Mittel, Geld zu bekommen, +und niemand hatte Rat gewußt; weder Pontchartrain, +noch Pomponne, noch du Harlay, Barbezieux, d’Argouges, +d’Agnesseau. Wohl war manche neue Steuer +vorgeschlagen worden; doch ohne zu einem Resultat +gelangt zu sein, hatte Louis der Vierzehnte seine Räte +entlassen müssen. Verstimmt im höchsten Grade, ratlos +bis zur Verzweiflung schritt er auf und ab in seinem +Gemach und seufzte:</p> + +<p>„O Colbert, o Louvois!“</p> + +<p>Der König von Frankreich befand sich vollständig +in der Seelenstimmung Sauls, des Königs der Juden, +als er Verlangen trug nach dem Geiste Samuels, des +Hohenpriesters.</p> + +<p>Dazu war die Frau Marquise nach Saint Cyr zu +ihren jungen Damen gefahren, und der Vater La Chaise +gab einigen Brüdern in Christo in der Vorstadt Saint +Antoine in seinem Hause ein kleines Fest. Armer, +großer Louis! zu seinem letzten Mittel mußte er greifen, +um sich zu zerstreuen; — Fagon, sein Leibarzt, wurde +gerufen. In der Unterhaltung mit diesem klugen +Manne ging dem Monarchen, freilich doch langsam +genug, dieser trübe Oktobernachmittag des Jahres 1703 +hin, und zuletzt kam auch Madame von Maintenon +zurück. Der König seufzte auf, gleich einem, der von +einer schweren Last befreit wird; Fagon machte seine +Verbeugungen und entfernte sich, ebenfalls höchlichst +erfreut über seine Erlösung.</p> + +<p>Im klagenden Tone erzählte nun der König seiner +Ratgeberin von seiner trüben Nachmittagsstimmung, von +seiner Sehnsucht nach ihr, seiner einzigen Freundin, von +der Dummheit der Ärzte und von der vergeblichen Ratssitzung.</p> + +<p>„Sire,“ sagte die Marquise lächelnd, „ich bin Eure +demütige Dienerin; die besten Ärzte sind die, welche +die Seele zu heilen verstehen, was aber die Ratlosigkeit +Eurer Räte betrifft, so ist hier ein Billett, welches die +Mittel angibt, dem Staat Geld zu schaffen. Von unbekannter +Hand wurde es mir in den Wagen geworfen. +Leset es, Sire, wir haben schon einmal über den Mann +gesprochen, von dem es handelt.“</p> + +<p>Der König nahm das Schreiben und überflog es.</p> + +<p>„Vinacche?! der Goldmacher!“ murmelte er und +zuckte die Achseln.</p> + +<p>„Ich höre Erstaunliches über den Mann,“ meinte +die Marquise. „Sein Luxus geht ins Grenzenlose. Die +größten Herren Eures Hofes, Sire, gehen bei ihm ein +und aus. Der Herzog von Brissac hat mir neulich +stundenlang von dem geheimnisvollen Menschen gesprochen. +Neulich war auch Madame von Chamillard +bei mir; sie steht in Verbindung mit dem reichen holländischen +Bankier van der Hultz. Auch dieser Mann soll +vollständig überzeugt sein, Monsieur de Vinacche habe +das Projektionspulver gefunden, Monsieur de Vinacche +mache in Wahrheit Gold.“</p> + +<p>„Ach, Marquise, von wie vielen haben wir das geglaubt!“</p> + +<p>„Sire, wäre ich an Eurer Stelle, ich würde d’Argenson +beauftragen, diesen Italiener etwas genauer zu +beobachten.“</p> + +<p>Der König zuckte abermals die Achseln und gab das +Billett zurück.</p> + +<p>„Wenn d’Argenson das für nötig hält, so mag er +seine Anordnungen treffen; — ich will nichts damit +zu tun haben. Was beginnen Eure Fräulein zu Saint +Cyr, Marquise?“</p> + +<p>Nachdem der König das Gespräch auf eine andere +Bahn geleitet hatte, war es vergeblich, von neuem +den verlassenen Punkt zu berühren; aber die Marquise +schob das Billett in ihre Tasche und faßte einen +Beschluß. Am andern Tage schickte sie ihren Stallmeister +Manceau in die Gasse Saint Sauveur zu Vinacche, +unter dem Vorgeben: er solle Diamanten +kaufen für eine fremde Prinzessin. Manceau, von +seiner Herrin bestens instruiert, ließ nichts in dem +Hause des Alchymisten außer Augen und erzählte nachher +Wunder von der Pracht und dem Glanze, die +darinnen herrschten. Pferde, Gemälde, Silbergeschirr, +Meubles, alles taxierte er, wie ein Auktionskommissär; +auf seine Frage nach Juwelen antwortete aber Vinacche, +er besitze deren wohl sehr schöne, aber er handle nicht +damit.</p> + +<p>Fast schwindelnd von dem Geschauten kam der Abgesandte +der Marquise nach Versailles zurück und stattete +seiner Herrin Bericht ab. Einige Tage nachher wurde +Stefano Vinacche selbst nach Versailles beschieden und +daselbst sehr höflich und zuvorkommend von Herrn +von Chamillard empfangen! Ein langes Gespräch +hatten die beiden Herren miteinander, und hinter einem +Vorhange lauschte die Marquise von Maintenon demselben. +Aber aalglatt entschlüpfte Vinacche jeder Frage, +die sich auf seine große Kunst bezog; er nahm Abschied +und bestieg seine Karosse wieder, ohne daß die Marquise +und Chamillard ihrem Ziel im geringsten nähergekommen +wären.</p> + +<p>„Lassen wir d’Argenson kommen!“ sagte Frau von +Maintenon. „Um keinen Preis darf uns dieser Mann +entgehen.“</p> + +<p>Monsieur de Chamillard verbeugte sich bis zur Erde, +und — d’Argenson ward gerufen.</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="VDas_Ende" id="VDas_Ende">V.<br />Das Ende.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/u.png" alt="U" width="60" height="60" class="floatl"/>nd Monsieur d’Argenson streckte seine Hand +aus; — es fiel ein schwarzer Schatten über +das glänzende, fröhliche Leben in der Gasse +Saint Sauveur; nach allen Seiten hin zerstob das Getümmel +der vornehmen, reichen und geistreichen Gäste. +Die Flucht nahmen die Herzöge, die Marquis, die +Chevaliers, die Abbés, die Poeten. Wer durfte wagen, +da zu weilen, wohin Monsieur d’Argenson den Fuß +gesetzt hatte?</p> + +<p>Aus dem Nebel ragt düster drohend die Bastille! +Sie halten den Stefano Vinacche, auf daß ihnen sein +köstliches Geheimnis „nicht entgehe“, und — am +22. März 1704, einem Sonnabend — scharren sie ihn +ein auf dem Kirchhof von Sankt Paul, unter dem +Namen <em class="gesperrt">Etienne Durand</em>.</p> + +<p>Wer hat je das Genie durch Gewalt gezwungen, +seine Schätze mitzuteilen?</p> + +<p>So liest man in den Registern der Bastille:</p> + +<p>„In der Nacht vom Mittwoch auf den grünen +Donnerstag, als am 20. März 1704, morgens um ein +Viertel auf zwei Uhr verschied in Nummer drei der +Bertaudiere Monsieur de Vinacche, ein Italiener, in +der Gegenwart des Schließers La Boutonnière und +des Korporals der Freikompagnie der Bastille, Michel +Hirlancle. Nach dem Tode des Gefangenen gingen die +beiden Wächter, Monsieur de Rosarges davon zu benachrichtigen, +und erhob sich dieser und verfügte sich +in die Zelle des Sieur Vinacche, welcher sich selbst getötet +hat, indem er sich gestern, als am Mittwoch, ungefähr +um zwei Uhr nachmittags mit seinem Messer +die Kehle unter dem Kinn zerschnitt und sich also eine +sehr große und weite Wunde beibrachte. Obgleich ihm +alle mögliche Hilfe geleistet wurde, konnte man ihn +doch nicht retten. Da der Sterbende einige Zeit hindurch +das Bewußtsein wieder erlangte, so hat unser Almosenierer +sein Bestes getan, ihn zur Beichte zu bewegen, +jedoch ganz und gar vergeblich. Gegen neun +Uhr abends habe ich Monsieur d’Argenson von dem +Unglück Nachricht gegeben, und ist derselbe in aller +Eile sogleich erschienen, um zu dem Sterbenden zu +reden, jedoch auch ihm hat der Unglückliche keine Antwort +gegeben.</p> + +<p class="right" style="margin-bottom:0.5em"> +In diesem Schlosse der Bastille 20. März 1704.</p> +<p class="right" style="margin-bottom:1em"> +<em class="gesperrt" style="padding-right:3em">Dujonca,</em><br /> +<small>Königsleutnant in der Bastille.</small><br /> +</p> +<p>Wohl mochte nachher d’Argenson in seinem Bericht +an Chamillard von „<i>billonage</i>“, von Kipperei und +Wipperei sprechen, es glaubte niemand daran, selbst +der Berichterstatter glaubte nicht daran; man brauchte +nur eine Rechtfertigung dem aufgeregten Publikum +gegenüber. Zu Versailles wirkte die Nachricht von dem +Tode Stefano Vinacches gleich einem Donnerschlag; +der König Ludwig der Vierzehnte wurde darob ebenso +zornig und niederschlagen, wie später in demselben +Jahre über die Kunde von den Niederlagen auf dem +Schellenberge und bei Höchstedt. Die Frau Marquise +und die Herren de Chamillard und d’Argenson hatten +einige bittere Stunden zu durchleben; aber was half +das? Stefano Vinacche war tot und hatte sein Geheimnis +mit in das Grab genommen!</p> + +<p>Der Witwe des Unglücklichen meldete man offiziell, +ihr Gemahl sei in der Bastille am Schlagfluß verschieden; +sie blieb im ungestörten Besitze aller der auf +so geheimnisvolle Weise erworbenen ungeheuren Güter. +Der alte Bericht, dem wir dieses seltsame Lebensbild +nacherzählen, vergleicht den gemordeten Stefano mit +jenem Künstler, welcher dem Imperator Tiberius ein +köstliches Gefäß von biegsamem, hämmerbarem Glas +überreichte. Der Kaiser bewunderte die vortreffliche +Erfindung und fragte, ob dieselbe schon andern Menschen +bekannt sei, welches der Künstler verneinte. Auf +diese Antwort hin ließ der Tyrann dem genialen Erfinder +den Kopf abschlagen und die Werkstatt desselben +zerstören, damit nicht „Gold und Silber gemein und wertlos +würden, wie der Kot in den Gassen von Rom“.</p> + +<p>„<i>Par notre Dame de Miracle</i>, Madame, Euer Gemahl +war ein großer Mann,“ sagte der Herzog von +Chaulnes zu der trauernden Witwe Stefanos, „Euer +Gemahl war in Wahrheit ein großer Mann; aber +<em class="gesperrt">einen</em> Fehler hatte er, er war zu verschwiegen! Wie +oft hab’ ich ihn beschworen, mir sein großes Geheimnis +anzuvertrauen, — Madame, auf meine Ehre, Monsieur +Etienne war zu verschwiegen, viel zu verschwiegen.“</p> + +<p>„O Madame, Madame, die Welt ist nicht so beschaffen, +daß sie ein großes Genie in sich dulden könnte!“ +sagte zur Frau Vinacche der Dichter Jean Baptiste +Rousseau, der Freund Stefanos. „Madame, die Welt +kann das Talent nur töten, und es gibt nur einen Trost:</p> + +<p><i>c’est le même Dieu qui nous jugera tous!</i>“</p> + +<p>„Liebste Schwester,“ sagte der Graf d’Aubigné zur +Marquise von Maintenon, „liebste Schwester, in meinem +Leben habe ich noch nichts erfunden, wohl aber +traue ich mir viel Geschick zu, die Erfindungen anderer +Leute herauszuholen. Ihr wißt das ja; <i>mon Dieu</i>, +weshalb habt Ihr mir nicht diese Geschichte mit dem +Italiener überlassen? Das war kein Charakter für die +Kunst Monsieur d’Argensons.“</p> + +<p>Die Frau Marquise seufzte, zuckte die Achseln und +griff nach ihrem Gebetbuch, Mademoiselle La Caverne, +ihre Kammerfrau, meldete: Seine Majestät verfüge +sich soeben in die Messe. Graf d’Aubigné, welcher „sich +wegen seiner Schwester Regierung einbildete, er sei die +dritte Person in dem Königreiche“, ließ die Unterlippe +herabsinken und legte sein Gesicht in die frömmsten Falten.</p> + +<p>„Gehen wir, mein Bruder,“ sagte die Marquise. +„Wir wollen beten für die Seele dieses unglücklichen +Monsieur de Vinacche und bitten, daß Gott uns seinen +Tod nicht zurechne.“</p> +<p class="newstory"></p> + +</div> + +<div> +<h2 class="dotted"> +<a name="Besuch"> +<span class="big">Ein Besuch</span> +</a> +</h2> + +<p class="newstory" style="padding-top:6em"></p> + +<p class="startchap"><img src="images/e.png" alt="E" width="60" height="60" class="floatl"/>s war schon Dämmerung, als der Besuch +kam; so sehr Dämmerung, daß es uns unmöglich +ist, zu sagen, wie der Besuch aussah. +Es ist uns überhaupt nicht leicht gemacht, hierüber +ganz deutlich zu werden. Helfen uns die Leserinnen +selber nicht dabei, so werden wir auf diesem Blatt +Papier mit Feder und Tinte wenig ausrichten.</p> + +<p>„Wieder ein Tag, Johanne, in Einsamkeit und mühseliger, +geringen Nutzen bringender Arbeit; und zu der +Arbeit trübe Gedanken den ganzen Tag über. Wegplaudern +kann ich dir deine Sorgen nicht; da habe ich +Schwestern, die das besser verstehen. Ich kann nur +hier und da eine Stunde bei dir verweilen; laß mich +das jetzt, vielleicht ist dir wohler nachher. Hast auch +wohl schmerzende Augen von dem ewigen Schaffen +so spät in den Jahren? Die darfst du dreist zumachen, +derweil ich bei dir bin. Nur keine unnötigen Höflichkeiten +unter Freunden. Laß dich gehen, ich lasse mich +auch gehen und lege mir niemandes wegen Zwang an, +und viel Zeit habe ich nie, das wißt ihr ja alle, die ihr +mich dann und wann unter euerer übrigen Bekanntschaft +in der Welt bei euch seht. Wo warst du eben, +Johanne?“</p> + +<p>„Sie feierten ein Fest heute drunten im Hause, +daran habe ich gequält, widerwillig teilnehmen müssen. +Es war so viel Wagenrollen in der Gasse und vor dem +Hause, die Leute waren so laut; es drang so viel lustiger +Lärm zu mir herauf. Es war töricht: aber ich ließ mich +von meiner Phantasie hinabführen zu meiner jungen, +reichen, glücklichen Hausgenossin; und da wurde mein +Schicksal bitterer, ich war den Tag über unzufriedener +denn je mit meinem Lose; ach, da es nun wieder stiller +geworden ist, will ich es nur gestehen: ich war recht +böse den Tag über, voll Mißgunst, Neid und Eifersucht. +Es war sehr unrecht.“</p> + +<p>„Ja freilich, du bist arm, und deine Hausgenossin +ist reich; du bist alt geworden, und deine Hausgenossin +ist noch jung. Niemand kommt zu dir als von Zeit zu +Zeit ich, und jene führt das lebendigste Leben. Daran +kann ich nichts ändern, nicht den kleinsten Stein des +Anstoßes in der Körperlichkeit der Dinge kann ich dir +aus dem Wege räumen; — aber wie wäre es, wenn du +dessenungeachtet jetzt doch einmal einige Wege mit mir +gingest — die ich dich führe?“</p> + +<p>Da die Frau Johanne jetzt lächelt, ist sie schon auf +diesen Wegen mit ihrem Besuch — dieser seltsamen Besucherin, +die nicht plaudert, wenige Neuigkeiten weiß, +sondern nur von Zeit zu Zeit die Hand oder auch nur +den Zeigefinger erhebt. Frau Johanne hat dabei auch +dem andern Rat ihres stillen Gastes Folge gegeben; +sie hat die Augen geschlossen. Bei geschlossenen Augen +sagt sie: „Ja es ist unrecht, und es nützt auch nichts, +andern ihr Glück oder vielleicht auch nur den Schein +des Glückes zu mißgönnen. Das Leben geht so rasch +hin, und es wird so schnell Abend aus Morgen allen +Leuten!</p> + +<p>Ist es nicht wie gestern, als es auch noch in meinem +Leben Morgen war? als ich so jung war wie diese +junge Nachbarin und auch über schöne Teppiche schritt? +als die Wagen auch vor meiner Tür hielten und die +Gäste zu mir kamen? als meine Gestalt aus dem Pfeilerspiegel +im Festkleide mir zulächelte und Richard +mir über meine Schulter zuflüsterte, was der Spiegel +mir sagte?</p> + +<p>Hab’ ich damals, an meinem Morgen, in meinem +Frühling, in meiner Jugend viel daran gedacht, wie +die Leute über meinem Haupte, unter meinen Füßen, +die Nachbarn gegenüber lebten, und ob sie weniger +jung, sorgenlos und glücklich als ich waren?“</p> + +<p>„Siehst du, es wandelt sich gut an meiner Hand,“ +nickte der Besuch. „Nur weiter, komm nur weiter, wir +sind auf dem ganz richtigen Wege. Es ist nur, weil +man in der mißmutigen Stunde nicht recht seine Gedanken +zusammennehmen kann, daß man seine Tage +so regenfarbig, seine Nächte so dunkel und sternenlos +sieht. Was zeigte dir dein Spiegel noch außer deiner +Gestalt im Haus- und im Festkleide und den Bildern +deiner nächsten Umgebung?“</p> + +<p>Frau Johanne legt das Haupt in ihrem Stuhl +zurück und die Hand auf die Stirn. Sie sitzt wieder +vor ihrem hohen, vornehmen Spiegel, den Rücken +gegen die Fenster gewendet. Aber aus dem zerbrechlichen +Glase und der so leicht verwischbaren Folie von +damals ist in Wahrheit ein Zauberspiegel geworden, +aus dem sich wesenhaft, greifbar, voll Leben und Wirklichkeit +die Hoffnung, der Trost, das beste Glück ihrer Witwenschaft, +ihrer Kinderlosigkeit, ihres Alters loslösen.</p> + +<p>Es sind aber nicht die Abbilder ihrer nächsten Umgebung, +die Möbel, Wände, Gemälde, Teppiche und +Vorhänge ihres damaligen Gemaches, die sie nun mit +ihren geschlossenen Augen wiedersieht. Es ist das +Stück der Gasse, das gegenüberliegende Haus, das +damals in den goldenen Rahmen zufällig mit hineinfiel +und nun wieder lebendig in ihm leuchtet, nachdem +Glas und Folie längst zersplittert und verwischt sind, +wie Glanz und Glück jener lange vergangenen Tage.</p> + +<p>„Ich denke, wir wagen es noch einmal, folgen unserm +guten Einfall und schlüpfen hinüber zu der unbekannten +Nachbarin. Was meinst du, Johanne?“</p> + +<p>„Ein Einfall!“ murmelt die Frau Johanne. +„Nur ein seltsamer Einfall — <i>un concetto, una fantasia +strana</i>, wie die Italiener sagen. Und mir vielleicht +auch nur darum möglich, weil ich eben erst mit +Richard von unserm schönen langen Aufenthalt in +Italien nach Hause gekommen war. Dort, in Italien, +folgen die Leute viel leichter als hier bei uns ihren +Einfällen und schlüpfen so über die Gasse und halten +gute Nachbarschaft, zumal wenn sie sich vom Fenster +oder — Spiegel aus schon längst kennen und unser +Gatte einmal gesagt hat: ‚Der Mann der hübschen +kleinen Frau im blauen Kleide da drüben ist einer +unserer besten, talentvollsten Unterbeamten, Johanne; +das Weibchen mit seinem Kindchen ist wirklich allerliebst, +schade, daß sie nicht zu uns gehören, d. h. nicht +in unsere Gesellschaftskreise passen.‘“</p> + +<p>„Ja, was würde aus euerer Welt werden, wenn ich +nicht immer von neuem, zu jeder Zeit und überall +eure närrischen Kreise störte und euch zusammenbrächte +im Wachen und im — Traum? Nur weiter, immer +weiter, Johanne. Die Nachbarin wohnt in keinem +vornehmen Hause; die Treppen, die zu ihr hinaufführen, +sind steil und dunkel; aber wir sind auf dem +rechten Wege — ganz auf dem rechten Wege!“</p> + +<p>„Auf dem rechten Wege! Wie kommst du eigentlich +hierzu, Johanne?“ habe ich mich noch auf der +steilen dunkeln Treppe gefragt. „Ihr habt euch ja +noch nicht einmal zugenickt und noch weniger je ein +Wort miteinander gesprochen. Wie wäre das auch +möglich gewesen bei so vielem andern gesellschaftlichen +Verkehr?“</p> + +<p>„Das weiß ich am besten, von welchen Kleinigkeiten +alles abhängt,“ sagt der Besuch. „Törichtes +Menschenvolk! wo bliebet ihr, wenn nicht ich aus dem +Kern den Baum, aus dem Funken das Licht, aus dem +Hauch den Sturm machte? Dein Blut war noch +abenteuerlich unruhig von den bunten Erlebnissen in +der Fremde; du hattest viel gähnen müssen an jenem +Tage; leugne es nicht, Johanne, du warst eigentlich +in keiner angenehmen Stimmung, trotzdem daß du +noch jung, reich und eine Schönheit warst. Zu verbraucht, +alltäglich, gewöhnlich, abgenutzt und gering +erschien dir alles in der behaglichen Heimat um dich +herum.“</p> + +<p>„Und Richard hatte mir jetzt gesagt: Unsere Nachbarin +hat Unglück während unserer Abwesenheit gehabt; +der Mann ist ihr gestorben; wir werden nicht +leicht einen so guten Arbeiter wieder bekommen. — +Da sah ich sie statt im blauen oder rosa Kleide in einem +schwarzen am Fenster, bleich und kummervoll. Und +sie trug ihr Kind auf dem Arme, ihr armes verwaistes +Kindchen, und da —, da nickte ich ihr zu von meinem +Fenster; und da —, da bin ich zu ihr gegangen!“...</p> + +<p>Und nun ist sie wieder bei ihr, die Träumende, — +die Freundin bei der Freundin, und die Zeiten — die +Stunden, Tage und Jahre vermischen sich wunderbar +im süß-melancholischen Dämmerungstraum. Der Besuch +könnte nun wohl gehen — o wie lebendig, wie +lebendig ist alles nun im Traum!...</p> + +<p>Im Traum. Die alte Frau schläft in ihrem Stuhl +nach dem arbeitsvollen mühsamen Tage. Sie denkt +nicht mehr über die Vergangenheit; sie träumt von ihr +und süß und friedlich; denn der Besuch hatte ihr ja +vorher leise, beruhigend die Hand auf die furchenvolle +Stirn gelegt.</p> + +<p>Nun ist der Raum um sie her nicht mehr beschränkt +und niedrig, nun sind die Gerätschaften nicht mehr +ärmlich und abgenutzt; denn im gleichen Stübchen +und unter gleichem Geräte führte ja die beste Freundin +ihrer Jugend ihr <em class="gesperrt">liebes</em>, stilles Leben. Zu solchem +Stübchen schlich sie aus dem Glanz und der Fülle des +eigenen Daseins, und alles ist im Traum wie damals +um sie her.</p> + +<p>Wie viele Jahre gehen vorüber während der kurzen +Augenblicke, in denen sie jetzt die Augen geschlossen +hält? Wechselnde Schicksale — viel Sorge und Angst +im Mittage des Lebens auch im eigenen Hause. Was +ist noch übrig von alledem, was damals war? Wo +sind die hohen Spiegel, die Purpurvorhänge, die +weichen Teppiche — die Freunde, die Bekannten der +Jugend? Ist doch der eigene Gatte so lange schon tot +und die eigenen Kinder; und auch die Freundin +schläft ja nun lange schon unter ihrem grünen Hügel +und steigt nur dann und wann daraus hervor in der +<em class="gesperrt">Erinnerung</em> und im <em class="gesperrt">Traum</em>, und lächelnd, +tröstend und Geduld anratend zumeist auch nur dann, +wenn vorher der Besuch gekommen ist, den die Greisin, +die arme alte Frau Johanne, bei ihrer späten, beschwerlichen +Lebensmühe wie in der Dämmerung des +heutigen Abends bei sich empfangen hat.</p> + +<p>Von all den guten Freunden, den lieben Bekannten +ist niemand übrig, ist niemand treu als das Kind, das +einst die Träumerin zum erstenmal hinüberzog aus +ihrer Lebensfreude und dem Glanz ihrer Jugend zu +dem Leid der jungen Nachbarin im schwarzen Kleide. +Und dieses Kind ist erwachsen, ist auch eine verheiratete +Frau und weit in der Ferne. — — —</p> + +<p>Horch, ein Schritt auf der Treppe.</p> + +<p>Ist es die Stimme des Besuchs, welche die Frau +Johanne noch in ihrem Traume vernimmt: „Nun +gehe ich und lasse dich der Wirklichkeit. Wie gern +käme ich zu allen so wie zu dir in den bösen Stunden +des Erdenlebens, wie gern hülfe ich allen so wie dir +hinweg über die dumpfen Pausen zwischen euern +Schicksalen; wenn ich nur nicht so oft vor die verschlossene +Tür käme. In den Büchern heiße ich eine vornehme +Frau; mit einem großen Gefolge hoher Söhne und +Töchter schreite ich durch die Jahrtausende, aber gern +sitze ich nieder zu den Kindern, den Armen, den Bekümmerten +— mit Freuden komme ich zu denen, die +aus Büchern nur wenig oder nichts von mir wissen. +Nun lebe wohl, du närrisch alt Weiblein, lache und +weine dich aus in dem Glück der Gegenwart und Wirklichkeit +und halte mir deine Tür offen; ich klopfe nicht +gern lange vergeblich.“...</p> + +<p>Es war nur der Briefträger, dessen Schritt man auf +der Treppe gehört hatte. Der Brief aber, den er der +Frau Johanne brachte, lautete freilich trotz der ganzen, +vollen Wirklichkeit, die er verkündete, wie Glockenklang +und Jubelruf aus Dichtung und Wahrheit.</p> + +<p>„Meine liebe andere Mutter, ich bin so glücklich — +Franz ist daheim! Gesund und so bärtig wie ein Bär +und so sonnenverbrannt — entsetzlich! Aber es hat +ihm, Gott sei Dank, nichts geschadet, und ich bin so +glücklich, so glücklich! Gestern sind sie eingezogen, und +es war so wundervoll, und ich hatte einen so guten +Platz. Ich brauchte den Leuten vor mir nur zu sagen: +ich habe ja auch meinen Mann darunter, und sie trugen +mich fast auf ihren Armen in die erste Reihe. Und wir +— ich und viele Hunderte und Tausende von meiner +Sorte, hätten fast den ganzen Effekt gestört. Das +war ja aber auch nur zu natürlich, und kein Feldmarschall +und sonstiger großer General und Prinz +durfte etwas dagegen einwenden. Ich hing ihm unter +den Trommeln und Trompeten, den Pferden und +Bajonetten am Halse, und wie ich nachher nach Hause +gekommen bin, weiß ich nicht. Nun habe ich ihn aber +selber wieder zu Hause — ganz und heil zu Hause: es +lebe der Kaiser und mein Mann und mein Kind und +du, mein liebes zweites Mütterchen! Und nun höre +nur, über acht Tage sind wir alle bei dir, — er, Franz, +muß dir ja sein Eisernes Kreuz zeigen und ich dir unsern +Jungen und meinen tapfern Ritter und Landwehrmann, +den sie mir so unvermutet mitten im vorigen +Sommer von seinem Zeichen- und meinem Nähtisch +wegholten und für das Vaterland ins fürchterlichste +Kanonenfeuer stellten. Was haben wir ausgestanden, +Mama! Da war es ja noch ein Segen, daß der Junge +noch zu klein und dumm war, um schon mit einsehen +zu können, was der Mensch an Ängsten und Sorgen +auf der Erde und im Kriege aushalten muß und kann. +Aber eins hat er auch noch zuwege gebracht, und das +ist herrlich — ich meine der Krieg und nicht unser Junge +natürlich — ach, ich bin immer noch so konfus und +habe es wie tausend Glocken im Ohr und wie Ameisen in +allen Gliedern! nämlich die Privatingenieure sind im +Preise gestiegen, und unser Weizen blüht endlich auch +einmal. — Darüber werden wir denn recht eingehend +reden in acht Tagen in deinem lieben Stübchen; du +sollst und darfst uns nun nicht mehr so einsam und +allein sitzen, jetzt, da es uns so gut geht und noch viel +besser gehen wird, was wir aber um Gottes willen ja +nicht berufen, sondern ja bei dem Wort dreimal unter +den Tisch klopfen wollen! Wir haben alle so viel ausstehen +müssen und einander so wenig helfen können; +aber nun soll’s anders werden, sagt Franz. Eine bessere +Stelle haben wir schon, nämlich Franz, und dies hat +sich schon mitten im Kriege gemacht, wo merkwürdigerweise +nicht bloß Leute zusammengeraten, die sich auf +den Tod hassen, sondern auch solche, die einander recht +gut gebrauchen können. Nun sagt er, jetzt gäbe er nicht +mehr nach, und sollte er noch dreimal so lange wie vor +dem schrecklichen Metz vor dir in die Erde gegraben +liegen und dich belagern müssen. Er erzählt furchtbare +Dinge von seiner Hartnäckigkeit und neugewonnenen +Erfahrung in dergleichen Kriegskunststücken; und er +behauptet, es wäre gar kein Zweifel, jetzt kriegte er +dich — wir kriegten dich! O könnten wir’s dir doch +zum tausendsten Teil vergelten, was du so viele kümmerliche +Jahre durch bis in unsere Brautzeit und bis +zu unserer Heirat an uns getan hast!</p> + +<p>Ich glaube meinem Manne natürlich auf sein Wort, +daß du jetzt zu uns kommen wirst, aber ich verlasse +mich eigentlich doch noch mehr auf meinen Jungen. +Was soll das arme Kind ohne dich anfangen, Großmütterlein; +jetzt, wo es anfängt zu laufen und ich doch +nicht ewig aufpassen kann? Großmütterchen, du gehörst +zu unserm Richard wie die Stadt Metz wieder zum Deutschen +Reich, was aber eine recht schlechte Vergleichung +ist; ich kann aber nichts dafür, weil ich als jetzige glorreiche +Kriegsfrau so kurz nach den vielen Siegen und +Eroberungen mich nur in solchen Vergleichungen bewegen +kann und übrigens auch eben keine andere +wußte.</p> + +<p>Wir mieten natürlich eine größere Wohnung, und +es wird ein Leben wie in Frankreich, wo es freilich, +wie Franz meint, die letzte Zeit durch kein gutes Leben +gewesen ist, was also eigentlich wieder nicht paßt. Nein, +wir wollen leben in Deutschland, wie ich es mir als +das Schönste denke; und denke du dir es auch so lieb, +als wenn alle Dichtung auf Erden, wenn du diesen +Brief bekommst, eben zum Besuch bei dir gewesen wäre +und dich leise auf unsere Pläne und Absichten mit dir +vorbereitet hätte, daß dir der Schrecken nichts schade! +Was ich dir eigentlich schreibe, weiß ich gar nicht, und +den Jungen habe ich auch beim Schreiben auf dem +Schoße. <span class="big">•</span> Dieser Klex kommt auf seine Rechnung, +denn greift er mir nicht in die Frisur, so führt er mir +mit die Feder.</p> + +<p>Und nun nichts mehr; denn in acht Tagen sind +wir bei dir; und obgleich ich hier jetzt an keiner Stunde +am Tage was auszusetzen finde, so wollte ich doch, +daß es erst über acht Tage wäre, um dir Auge in Auge, +Mund auf Mund sagen zu können, wie ich bis in den +Tod dein dankbares Kind bin und bleibe, du meine +zweite Herzensmutter!“...</p> + +<p>Die Frau Johanne hat viel Unglück im Leben gehabt. +Eigene Familie hat sie nicht mehr, ihr Mann +ist tot, ihre Knaben sind ihr schon als Kinder genommen, +ihren Wohlstand hat sie auch verloren, und doch gibt +es keine andere Frau in der Stadt, die in dieser Stunde +so glückliche Tränen weint wie diese, welche nie dem +Besuch, der in der Dämmerung bei ihr war, die Tür +verschloß, und die an seiner Hand in den Traum sich +leiten ließ, bis die Wirklichkeit anklopfte und ihr die +reife liebliche Frucht jenes „Einfalls“ und Nachbarschaftsbesuchs +der Tage der Jugend in den Schoß +legte.</p> +<p class="newstory"></p> + +</div> + +<div> +<h2 class="dotted"> +<a name="Silvester"> +<span class="big">Auf dem Altenteil</span><br /> +Eine Silvester-Stimmung +</a> +</h2> + +<h3><a name="SilvesterI" id="SilvesterI">I.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/s.png" alt="S" width="60" height="60" class="floatl"/>ie hatten den Senioren der Familie alle +Ehre angetan, wie sich das denn auch wohl +so von Rechts wegen gebührte; aber der +Lärm wurde den weißhaarigen Herrschaften allmählich +doch ein wenig zu arg. Die alte Dame, die immer noch +um ein paar Jahre jünger war als der alte Herr, hatte +dem letzteren ein ihm schon längst wohlbekanntes +kopfschüttelnd Lächeln gezeigt, welches weiter nichts +bedeutete als:</p> + +<p>„Kind, Kind, bedenke den Morgen und deinen +Rheumatismus! Es hat alles seine Zeit, und ich glaube, +die unsrige ist jetzt vorhanden.“</p> + +<p>Der alte Herr hatte zuerst ganz erstaunt aufgesehen +und sein Weib an: Nicht mehr bis Mitternacht, und +in das neue Jahr hinein? Ei, ei, ei — hm!</p> + +<p>„Hm,“ sagte der alte Herr, in dem fröhlichen Kreise +erhitzter Gesichter umherblickend; „es hat freilich alles +seine Zeit; aber es ist sonderbar, und, liebe Kinder, es +kommt einem ganz kurios vor, wenn auch dieses — +zum erstenmal Zeit wird!“</p> + +<p>Dabei hatte er sich aber bereits etwas mühsam aus +seinem Sessel erhoben. Den Kopf schüttelte er auch; +jedoch ohne dabei zu lächeln wie seine Frau.</p> + +<p>„Du hast recht, Anna; es ist unsere Zeit gekommen, +und so wünsche ich, wünschen wir euch jungem Volk —“</p> + +<p>Von einem Gewissen war bei diesem „jungen Volk“ +natürlich nicht die Rede. Dazu waren sie sämtlich +(auch die Ältesten unter ihnen) noch viel zu jung, und +viel zu vergnügt und viel zu aufgeregt durch die uralten, +ewig jungen Stimmungen der letzten Stunden +des scheidenden Jahres. Ein Gewühl von blonden +und braunen Köpfchen und Köpfen, von Händen und +Händchen erhob sich um die beiden Greise; und alle +Verführungskünste, deren die Menschheit in ihrer Erscheinung +als Familie in der Silvesternacht fähig ist, +waren zur Anwendung gebracht worden.</p> + +<p>Einmal noch schadete es sicherlich gewiß nicht!... +Großpapa und Großmama hatten noch nie so munter +ausgesehen!... Es ging ja niemand zu Bett vor +Mitternacht, selbst die Jüngsten nicht!...</p> + +<p>„Nun, Mutter! Einmal noch? Was meinst du?“ +Kleine weiße Händchen — weiße beringte Hände hatten +ihre Verführungskünste nicht ohne Erfolg versucht; +nun legte sich statt anderer Antwort auf die Frage des +alten Herrn wieder eine Hand auf die seinige. Das +war aber keine weiche, keine weiße, keine kräftige mehr; +aber eine starke und treue war es auch; vielleicht wohl +die stärkste und treueste.</p> + +<p>„Die Großmutter hat recht! Es hat alles seine +Zeit, und die unsrige ist gekommen. Junges Volk, wir +werden zu Bette geschickt von ihr, der Madame Zeit, +während die Jüngsten aufbleiben dürfen. Der Kopf +summt uns zu sehr morgen früh, wenn wir uns dagegen +sperren und wehren; und es ist zwar hübsch von +Großmama, wenn sie nur von Rheumatismus spricht; +aber das rechte Wort ist es eigentlich nicht. Sie hätte +ganz dreist Gicht sagen können, gerade so gut wie der +Herr Schwiegersohn und <i>Doctor medicinae</i> da hinter +seinem Punschglase, wenn er jetzt ein Gewissen hätte. +Liebe Kinder, wir sind beide über siebenzig Jahre alt, +und —“</p> + +<p>„Oh!...“</p> + +<p>„Und wir sind sehr glücklich und behaglich. Sehr +wohl ist uns zumute und so wünschen wir euch allen +zum erstenmal vor Ablauf des alten Jahres ein glückliches +neues.... Bitte, lieber Sohn, ich weiß, was +du sagen willst; aber wende dich damit an die Mama, +die wird dich versichern, daß deine Frau, unsere liebe +Sophie da, heute über dreißig Jahre sicherlich gleichfalls +viel verständiger sein wird, als du. Wende dich +an deine Mutter, mein Schmeichelkätzchen Marie. Sie +hat immer gemeint, du seiest ganz ihr Vorbild, also +wirst du wohl wissen, was in vierzig Jahren in der +Neujahrsnacht deine Meinung sein wird, wenn die +unverständige Jugend dir deinen Mann da verführen +will. Schieben Sie die Kinder nicht so heran, lieber +Schwiegersohn, sie machen der Großmama nur +das Herz schwer. Es ist Zeit geworden für uns; +— — — ein fröhliches, segensreiches Jahr ihr — +alle!...“</p> + +<p>„Alle!“ jubelten sie, und die Gläser hatten geklungen, +und die Kinder, die Enkel hatten sich zugedrängt +und ihre kleinen Becher hingehalten, ohne daß +man sie dazu zu schieben brauchte. Sie hatten sehr gejubelt; +und die Tonwellen der Gläser und der Stimmen +waren verklungen.</p> + +<p>„Nun seid weiter vergnügt; aber die Kinder laßt +ihr mir morgen ausschlafen. Begleitung nehmen wir +nicht mit, die Trepp’ hinauf. Wir finden unseren Weg +schon allein, nicht wahr, Walter?“ sagte die alte Dame, +die Großmutter des Hauses.</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="SilvesterII" id="SilvesterII">II.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/s.png" alt="S" width="60" height="60" class="floatl"/>ie entschlüpften, wie man entschlüpft, wenn +man das siebenzigste Lebensjahr hinter sich +hat. Langsam stiegen die beiden die teppichbelegte +Treppe in ihre Stube hinauf, der Greis gestützt +auf den Arm der Greisin; und dann waren sie allein +miteinander, noch einmal allein miteinander in der +Neujahrsnacht.... Umgesehen hatten sie sich nicht +auf der Treppe und einen leisen Schritt, einen Kinderschritt, +der ihnen nachglitt, den hatten sie überhört. +Ein so scharfes Ohr, wie vor Jahren, hatte keins von +den zwei Alten mehr; aber diesen Schritt, diesen +Geister-Kinderschritt würde auch wohl jedes andere +jüngere Ohr überhört haben. —</p> + +<p>Auf dem Altenteil! Das kann eines der bittersten +Worte sein, die das Schicksal den Menschen in dieser +Welt zuruft; aber auch eines der behaglichsten. Für +diese beiden Alten war es nach langer schwerer, mühseliger +Arbeit ein behagliches geworden. Sie fanden +ihre Gemächer durch ein verschleiertes Lampenlicht erhellt, +ihre beiden Lehnstühle an den warmen Ofen gerückt +und:</p> + +<p>„Mit dem Schlage Zwölf komme ich doch und poche +an eurer Kammertür und spreche meinen Wunsch durchs +Schlüsselloch. Ihr braucht aber nicht darauf zu hören; +ich schicke ihn euch auch in den Schlaf hinein!“ hatte das +jüngste und am jüngsten verheiratete Töchterlein als +letztes Wort im Festsaale da unten gesagt.</p> + +<p>„O mein Gott, da sitzt ihr noch?“ rief dieselbe junge +Frau unter dem Glockenklang und dem Neujahrschoral +von den Türmen, unter dem plötzlich aufklingenden +Gassenjubel und dem Jubel der Kinder und Enkel +in dem Saale des Hauses. „Das ist doch ganz wider +die Abrede, und heute übers Jahr werden wir euch da +unten bei uns fester halten, ihr Lieben, Bösen, Besten!... +Ein glückliches neues Jahr, Großpapa! ein glückliches +neues Jahr, Großmama!“</p> + +<p>Da stand ein niedrig lehnenloses Sesselchen mit +einem verblaßten gestickten Blumenstrauß darauf +neben den zwei Stühlen der Greise. Die junge Frau, +nachdem sie den Vater und die Mutter mit ihren Küssen +fast erstickt hatte, saß nieder auf dem kleinen Stuhl und +hatte keine Ahnung davon, wer eben vor ihr darauf +gesessen und die Mutter und den Vater gegen die Abrede +und gegen ihren eigenen festen Vorsatz wach gehalten +hatte über die Mitternachtsstunde hinaus und +aus dem alten Jahr in das neue hinein! Mit leise +bebender Hand strich die alte Frau die blonden Haare +der Tochter aus dem lebensfreudigen, glühenden, erhitzten +Gesichte. Die blonden Locken, die sich eben vor +ihr ringelnd bewegt hatten, waren schon vor vierzig +Jahren zu Staub und Asche geworden: die junge Frau +wußte nichts von ihnen, oder doch nur gerüchtweise. +Lange vor ihrer Geburt war das erste, das älteste Kind +gestorben, zwölf Jahre alt. Ein halbverwischtes +Pastellbildchen, das über der Kommode der Mutter, +der Großmutter des Hauses, hing, war alles, was +von ihm übrig geblieben war in der Welt.</p> + +<p>Alles?</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="SilvesterIII" id="SilvesterIII">III.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/e.png" alt="E" width="60" height="60" class="floatl"/>in leiser Schritt, ein unhörbarer Schritt; — +ein Geister-Kinderschritt in der Silvesternacht!... +Wir haben gesagt, daß die +beiden Greise vor einer Stunde die Treppe zu ihren +Gemächern hinaufgestiegen und ihn, wie wir übrigen +alle, nicht vernahmen. Ganz war es doch nicht so.</p> + +<p>Als der alte Herr der alten Dame mit immer noch +zierlicher Höflichkeit die Tür öffnete, um sie zuerst über +die Schwelle treten zu lassen, hatte die Frau einen +Augenblick gezögert und zurückgesehen und gehorcht.</p> + +<p>Der alte Herr glaubte, sie horche noch einmal auf +den fröhlichen Lärm, auf das heitere Stimmengewirr +der Neujahrsnacht dort unten im Festsaal des Hauses.</p> + +<p>„Sie sind gottlob recht heiter,“ meinte er, „wüßte +auch nicht, weshalb nicht. Und auch wir, — Mutter! — +nicht wahr, Alte?... Wie spät ist es denn eigentlich? +Elf Uhr! Noch früh am Tage, wenngleich wirklich ein +wenig spät im Jahre.“</p> + +<p>„Ja, Walter!“ hatte die Greisin erwidert, aber nur, +um doch eine Antwort zu geben. „Ich hörte eigentlich +nicht auf dich; ich dachte an unser Ännchen,“ fügte sie +hinzu, als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte +und sie in der letzten Stunde des ablaufenden Jahres +mit sich allein waren.</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="SilvesterIV" id="SilvesterIV">IV.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/d.png" alt="D" width="60" height="60" class="floatl"/>as junge Volk! Längst hat es drei Viertel +des Hauses nach seinem Geschmack und +Bedürfnis eingerichtet und mit vollem +Rechte des Lebens. An das Reich der beiden Alten hat +keine Hand gerührt; außer dann und wann eine Kinderhand, +deren volles Recht des Lebens es freilich ist und +immerdar sein wird, in der Großväter und der Großmütter +Hausrat, Schubladen und Schränken zu wühlen +und zu kramen und sich die vom Anfang der Welt an +dazugehörigen erstaunungswürdigen, lustigen und traurigen +Geschichten erzählen zu lassen.</p> + +<p>Es war einmal!... oh, noch einmal von dem, was +war!... Und so war es gekommen, daß die jüngste +Tochter des Hauses die Eltern um Mitternacht noch +wach fand unter den Glocken, die das neue Jahr einläuteten. +Eine Kinderhand aber war es wiederum gewesen, +die an den Schleiern der Vergangenheit gezupft +hatte: „Es war einmal! Ich bin da! — Mama, +du sagst in dieser Stunde nicht: Man hat doch keinen +Augenblick Ruhe vor dir, Kind! — Ich bin da; und +nun laßt mich sitzen auf meinem Stuhl, laßt uns erzählen: +Es war einmal!... laßt uns erzählen von dem, +was einmal war!“...</p> + +<p>Und sie hatten davon erzählt, die beiden Greise +nämlich. Das Kind hatte nur drein gesprochen.</p> + +<p>„Sie wäre gewiß auch eine stattliche Frau und eine +gute geworden,“ sagte die alte Dame. „Ich meine, am +meisten hätte sie wohl der Theodore geglichen, wenn +wir sie behalten hätten, das liebe Kind. Sie haben alle +da unten, — unsere meine ich, Papa! — ein hübsches +lustiges Lachen; aber ich kann nichts dafür, ich muß es +sagen: wie das Kind, unser Ännchen, ist doch keins so +glücklich in seinem Lachen gewesen. Die andern kennen +wir ja auch nun schon lange mit ihren Sorgen und ihren +Nöten und ihren unnützen Ärgernissen. Keins von ihnen +lacht und kreischt und kichert so wie mein Ännchen es +tat. Hätten wir die Enkel nicht, so würde das Haus +wohl manchmal still genug sein; — selbst dir, Großpapa.“</p> + +<p>Da war das Lachen, das vor so langen, langen Jahren +zuerst das Haus hell und heiter gemacht hatte! +Auch der alte Herr, der Großpapa, dem das Haus nie +ruhig genug sein konnte, kannte es ganz genau.</p> + +<p>„Also, ihr wißt es doch noch, wie es war, als wir +drei allein waren, und dein Haar noch nicht so weiß, +Vater; und auch deines nicht so hübsch grau, mein +Mütterchen, und ich euer liebes, einziges Mädchen! +Hier sitze ich auf meinem Stuhl und behalte mein Recht, +allen meinen Schwestern und Brüdern und allen +meinen Nichten und Neffen zum Trotz. Ich bin die +Älteste! Wer auch nach mir gekommen ist, wie viele +auch gesessen haben auf diesem Schemelchen — mir gehört +es, mir habt ihr es hierher gestellt; das ist mein +Sitz am Herde! Wer kann mir meinen Platz nehmen +in eurer Seele? wer in dem Hause, das ihr gebaut +habt und in dem ihr mich einmal euer Glück nanntet?!“</p> + +<p>„Du hast recht, Mutter,“ sagte der alte Herr; „ich +weiß eigentlich nicht, wie wir gerade jetzt darauf kommen; +aber das Kind hat immer zu mir, — zu uns +gehört. Nur weil wir es wußten, haben wir nicht immer +dran gedacht. So geht es aber mit allem Wissenswürdigen +in der Welt.“</p> + +<p>„Mein Ännchen!“ seufzte einfach die Greisin; doch +die blonden Locken wurden wie mutwillig von neuem +geschüttelt, und wieder legte sich der kleine Finger schalkhaft +auf den Mund: „Ja, ich war immer da, wenn +ihr auch nicht an mich zu denken glaubtet: an manchem +schwülen Sommertage, in mancher kalten, dunkeln, +trostlosen Winternacht. An manchem Feste in der lichtstrahlenden +Winternacht, an manchem sonnigen, seufzervollen +Frühlingsmorgen. Jetzt haben die andern da +unten im Saale euere Sorgen, Freuden und Arbeiten. +Ihr aber habt Zeit für mich. Eure andern, die nach mir +gekommen sind, haben mir wohl mein altes Spielzeug +verkramt und zerbrochen; aber mein Plätzchen im Hause +haben sie mir nicht nehmen können. Ich habe es ihnen +nur geliehen, einem nach dem andern; doch mein +Eigentum ist es und bleibt es; nicht wahr, Papa und +Mama?! Ihr habt zwar unter den andern gottlob +nun auch wieder ein Ännchen — ein Enkelkind mit +meinem Namen — aber das tut nichts, wir vertragen +uns schon um diesen kleinen Stuhl und um — euch!... +Es war wohl ein kleiner Sarg, in den ihr mich legen +mußtet; aber — ich bin immer über meine Jahre klug +gewesen. Ich habe es wohl oft heimlich erlauscht, +wenn ihr das über mich sagtet. Damals wußte ich +freilich nicht recht, was ihr damit sagen wolltet, und +ob es eigentlich ein Lob für mich sei; jetzt aber weiß ich +es. Ei ja, ich bin sehr klug für meine Jahre gewesen! +nun lacht nur, wie ihr damals geweint habt, als ich +von euch weggeführt wurde und nicht über die Schulter +zurücksehen durfte. Seht ihr wohl, da lächelt ihr wenigstens +schon. Die Jahre sind nun hingegangen; lange, +lange Jahre! Heute abend habt ihr euch vorgenommen, +noch einmal jung zu sein mit euren Kindern und Enkeln. +Es ist euch auch wohl gelungen, doch nicht ganz. Ganz +jung seid ihr erst jetzt wieder, da ich mich zu euch gesetzt +habe, ich — euere Älteste und euere Jüngste. Nimm +meinen Krauskopf wieder zwischen deine Hände, +Mutter, laß mich wieder auf deinem Knie sitzen, Väterchen; +draußen schneit es sehr, und der Nordwind bläst, +und es ist spät in der Nacht; ihr aber schickt mich diesmal +noch nicht zu Bett; — wir wollen jetzt einander noch +nicht zu Bette schicken; wir wollen noch einmal ein +Weilchen sitzen und erzählen von <em class="gesperrt">dem, was einmal +war</em>.“</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="SilvesterV" id="SilvesterV">V.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/s.png" alt="S" width="60" height="60" class="floatl"/>ie hatten nur noch fünf Minuten in ihren +Großväterstühlen neben dem Ofen sitzen +wollen, um sich von dem Feste, dem Händedrücken, +all den Küssen und guten Wünschen zu dem +neuen kommenden Jahre ein wenig zu erholen, wie es +den ältesten Leuten in der Familie geziemt in der Silvesternacht, +während die Jugend um die lichterglänzende +Festtafel weiter jubelt und lärmt, nach der Uhr +sieht und den Sekundenzeiger mit lachendem Auge +verfolgt bis heran an den neuen ernsten Grenzstein ihrer +Erdenzeit. Und sie, die bereits Greise waren, hatten +nicht nach der Uhr gesehen; sie hatten gar nicht einmal +daran gedacht. Die Sekunden der letzten Stunden des +Jahres waren ihnen dahingeglitten, wie die vielen, +langen arbeitsvollen, inhaltreichen Jahre ihres Daseins +selber bis in dieses jüngste und das eben vor der +Tür stehende hinein.</p> + +<p>„Du fragst wohl, Vater, wie wir gerade jetzt darauf +kommen, und sagst, daß du an das Kind lange nicht +gedacht hast,“ sagte die alte Dame. „Es ist freilich lange +her, daß wir ihren kleinen Sarg dort in dem Saale, +wo sie jetzt gottlob so lustig sind, aufstellen mußten. +Wie wunderlich es doch ist, daß ich gerade jetzt darauf +komme, was für eine schöne Sommernacht es war, in +welcher sie starb! Horch jetzt nur, wie der Wind den +Schnee gegen die Fenster treibt. Wir haben die andern +alle behalten und wir haben an unseren Kindeskindern +Freude; aber an unsere Älteste habe ich doch immer +gedacht. Was würde aus den Kindern werden, wenn +ihre Mütter nicht immer an sie dächten. Selbst die Gestorbenen +können ohne ihre Mutter nicht auskommen. — +Horch, wie sie es da unten treiben! eigentlich ist es recht +unrecht von ihnen, daß sie auch die Jüngsten so lange +aus dem Bette zurückhalten, und ich werde ihnen morgen +früh auch jedenfalls meine Meinung darüber sagen. — +Als <em class="gesperrt">sie</em> in ihrem Fieber lag, saß ich auch und zerrang +mir die Hände und fragte mich Tag und Nacht, was ich +hätte anders machen können, damit das Schreckliche +nicht so zu kommen brauchte. Du warst wohl vernünftiger, +wenn du aus deinem Kontor heraufkamst und +mir zuredetest, Geduld zu haben. Wie konnte ich +wohl verständig sein und Geduld haben? Und man +sucht doch immer so, wie man einem andern die +Schuld geben kann, und wäre man das auch +selber!“</p> + +<p>„Ich meine, Mutter, wir geben das auf, uns den +Kopf darüber zu zerbrechen, und noch dazu so spät in +der Nacht, im Jahr und in den Jahren,“ sprach der +alte Herr, wiederum sehr vernünftig; und dann sprachen +sie bis zu dem ersten Glockenschlage der Mitternacht +nichts mehr miteinander. Dagegen aber füllte sich ihre +Stube immer mehr mit den Bildern und den Klängen +der Vergangenheit. Und der liebliche Spuk der Silvesternacht +hatte nicht das geringste vom Phantasten +an sich. Das älteste Kind des Hauses war noch einmal +im vollen blühenden Leben Herrin im Reich und fand +all sein altes verkramtes Spielzeug wieder, wie — die +zwei weißhaarigen Greise. Sie paßten wieder ganz +zueinander, die Eltern und das Kind: der dunkle, +geheimnisvolle Vorhang der Zukunft hatte sich bewegt, +und es war eine Kinderhand, die sich aus den +schwarzen Falten weiß und zierlich hervorstreckte und +winkte. Sie aber, die Fröhlichen da unten im Festsaale +des Hauses, hatten dem Vater und der Mutter, +dem Großvater und der Großmutter — den beiden +Alten ein glückliches, ein segensreiches neues Jahr gewünscht +und hatten zwischen Becherklang und lustigem +Lachen ihren Wunsch wehmütig ernst gemeint, wie sich +das gebührte.</p> + +<p>„Wie gut der Papa und die Mama heute abend +aussahen,“ meinten sie. „Es ist doch eine Freude, wie +frisch sie sich erhalten und wie sie noch an allem teilnehmen. +Aber verständig war es doch, daß sie nicht über +ihre Zeit bei uns sitzen blieben. Morgen früh hätten +wir uns doch Vorwürfe gemacht, wenn wir sie noch +länger gequält hätten, das Vergnügen nicht durch ihr +Weggehen zu stören.... Jetzt aber auf die Uhr gesehen! +in fünf Minuten wird es Zwölf schlagen; — ein bißchen +leise, Kinder, daß <em class="gesperrt">wir die alten Leute +nicht wecken!</em>“...</p> + +<p>Zwölf Uhr und — ein neues Jahr! Alle guten +Geister haben einen leisen Schritt und gehen auf weichen +Sohlen; so schlich sich die jüngste Tochter des Hauses +weg aus dem jubelnden Kreis, glitt die Treppe hinauf +und horchte an der Tür der „alten Leute“, die durch +den Becherklang, die lauten Glückwünsche und alles, +was sonst noch in die Stunde gehört, nicht gestört +werden sollten in ihrer Ruhe auf dem Altenteil.</p> + +<p>„O mein Gott, da sitzt ihr noch? Das ist doch ganz +wider die Abrede! Sie meinen alle da unten, daß ihr +längst in den Federn liegt und euch behaglich in das +neue Jahr hinübergeträumt habt.“</p> + +<p>„Das letztere haben wir auch getan, mein Kind,“ +sagte der alte Herr nachdenklich lächelnd.</p> + +<p>„Oh, und nun müßte ich sie alle — alle die übrigen +auch noch heraufrufen, daß sie euch ihre Meinung sagen. +Sie werden es mit Recht sehr übel nehmen, wenn ich’s +nicht auf der Stelle tue, Mama!“</p> + +<p>„Laß es lieber, mein Herz,“ meinte die alte Dame, +leise die blonden Flechten vor ihr, die noch nicht Staub +und Asche geworden waren, streichelnd. „Es würde den +Vater doch zu sehr aufregen, und wir gehen nun wirklich +gleich zu Bett. Wir haben vorher nur noch ein wenig +an allerlei gedacht, was vor eurer — vor deiner Zeit +war.“</p> + +<p>„Ach ich bin so glücklich!“ rief die junge Frau. „Wir +sind so vergnügt da unten an unserem Tische, und ihr +hier in euerer lieben, alten, guten Stube seht so jung +aus und so hell aus den Augen, wie das Jüngste von +uns — euern andern! Oh, und mein Franz ist so +drollig; der Mensch ist mir fast ein wenig zu ausgelassen, +oh — und also noch einmal: ein fröhliches, glückliches, +gesegnetes neues Jahr euch vor allen und — uns +andern auch!“</p> + +<p>„Ja, ja!“ sagten die <em class="gesperrt">alten Leute</em> leise zu +gleicher Zeit und nickten freundlich ihre Zustimmung +zu dem guten Wunsch.</p> +</div> + +<div>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44639 ***</div> +</body> +</html> diff --git a/44639-h/images/cover_ebook.jpg b/44639-h/images/cover_ebook.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..8d457b7 --- /dev/null +++ b/44639-h/images/cover_ebook.jpg diff --git a/44639-h/images/d.png b/44639-h/images/d.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..dfa37c8 --- /dev/null +++ b/44639-h/images/d.png diff --git a/44639-h/images/e.png b/44639-h/images/e.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..794bf22 --- /dev/null +++ b/44639-h/images/e.png diff --git a/44639-h/images/l.png b/44639-h/images/l.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..bfd138e --- /dev/null +++ b/44639-h/images/l.png diff --git a/44639-h/images/n.png b/44639-h/images/n.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..a3e0902 --- /dev/null +++ b/44639-h/images/n.png diff --git a/44639-h/images/s.png b/44639-h/images/s.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..4229f92 --- /dev/null +++ b/44639-h/images/s.png diff --git a/44639-h/images/t.png b/44639-h/images/t.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ecd2e14 --- /dev/null +++ b/44639-h/images/t.png diff --git a/44639-h/images/u.png b/44639-h/images/u.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ed0b724 --- /dev/null +++ b/44639-h/images/u.png diff --git a/44639-h/images/v.png b/44639-h/images/v.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ebe0dc0 --- /dev/null +++ b/44639-h/images/v.png diff --git a/44639-h/images/w.png b/44639-h/images/w.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..a5ac6a8 --- /dev/null +++ b/44639-h/images/w.png diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. 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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Der Junkervon Denow / Ein Geheimnis / Ein Besuch / Auf dem Altenteil + Erzählungen + +Author: Wilhelm Raabe + +Release Date: January 9, 2014 [EBook #44639] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER JUNKERVON DENOW / EIN *** + + + + +Produced by Norbert H. Langkau, Norbert Müller and the +Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net + + + + + + Anmerkungen zur Transkription + + Text wurde folgendermaßen markiert: + _Antiqua_ + =gesperrt= + + Zeichensetzung und Rechtschreibung wurden weitgehend übernommen, + außer bei offensichtlichen Fehlern. + + + + + Wilhelm Raabe + + Bücherei + + Erste Reihe: + + Kleinere + Erzählungen + + Zweiter Band + + + + + Berlin-Grunewald + + Verlagsanstalt für Litteratur und + Kunst/Hermann Klemm + + + + + Wilhelm Raabe + + Der Junker von + Denow + + Ein Geheimnis + + Ein Besuch + + Auf dem Altenteil + + Erzählungen + + + Dritte Auflage + 11.-16. Tausend + + + + + Berlin-Grunewald + + Verlagsanstalt für Litteratur und + Kunst/Hermann Klemm + + + + + Gedruckt bei G. Kreysing in Leipzig + Einbandzeichnung entworfen von Bernhard Lorenz + Den Einband fertigte H. Fikentscher in Leipzig + + + + + ****************************** + * * + * Der * + * * + * Junker von Denow * + * * + * Historische Novelle * + * * + ****************************** + + + + + I. + + +Wer am Abend des sechsten Septembers alten Stils, am Donnerstag vor +Mariä Geburt im Jahre unsers Herrn Eintausendfünfhundertneunundneunzig, +nach Sonnenuntergang einen Blick aus der Vogelschau über die Rheinebene +von Rees bis Emmerich und weit nach Ost und West ins Land hinein hätte +werfen können, der würde eines erschrecklichen Schauspiels teilhaftig +geworden sein. + +Schwarze regendrohende Wolken verhingen das Himmelsgewölbe, und es würde +eine dunkle Nacht gewesen sein, wenn nicht der Mensch diesmal dafür +gesorgt hätte, daß es auf der weiten Fläche nicht ganz finster wurde. +Auf den Wällen von Rees leitete, an der Spitze seiner Hispanier, +Burgunder und Wallonen, Don Ramiro de Gusman die Verteidigung der Stadt +und Festung gegen das Reichsheer, welches schläfrig und matt genug der +Belagerung oblag, dafür aber auf andere Weise desto mehr Lärm machte, +wie es einer Armee des heiligen römischen Reichs deutscher Nation +zukam. Ein fahles, blitzartiges Leuchten lag hier über der Gegend, denn +wenn auch das schwere Geschütz seit Mittag schwieg, so knatterte doch +das Musketenfeuer, schwächer oder stärker, rund um die Stadt fort und +fort, und manch ein Wachtfeuer flackerte auf beiden Ufern des Flusses, +welcher manche Leiche in seinen nachtschwarzen Fluten mit sich hinab +führte in das leichenvolle Holland, wo der finstere Admiral von +Aragonien, Don Francisco de Mendoza, und der Sohn der schönen Welserin, +der bigotte Kardinal Andreas von Österreich, die Zeiten Albas +erneuerten. -- + +Wir haben es jedoch nur mit der rechten Seite des Rheines zu tun, wo +tief in das Land hinein unter den zusammengewürfelten Tausenden des +Reichsheeres, Hessen, Brandenburgern, Braunschweigern, Westfalen, der +_furor teutonicus_, die sinnlose, trunkene, deutsche Furie ausgebrochen +war und in Verwüstungen aller Art sich Luft machte. In allen Dörfern +und Lagerplätzen Sturmglocken, Trommeln und rufende Trompeten -- +Geschrei und Jammer des elenden, geplünderten, mißhandelten Landvolkes +-- bittende, drohende Befehlshaber -- flüchtende Herden, Weiber, +Kinder, Kranke, Greise -- Reitergeschwader, die sich sammelten, +Reitergeschwader, die auseinanderstoben -- brennende Häuser und +Zeltreihen, und zwischen allem die Cleveschen Milizen, die +»Hahnenfedern«, zur Wut gebracht durch die Ausschweifungen derer, +welche da Hilfe bringen sollten gegen die Ausschweifungen des fremden +Feindes! Überall Blut und Feuer und Brand -- ein unbeschreibliches, +wüstes, grauenhaftes Durcheinander, zu dessen Schilderung Menschenrede +nicht hinreicht!... + +Lange genug hatte an diesem Abend Don Ramiro, hinter seiner Brustwehr an +eine zerschossene Lafette gelehnt, hinübergeschaut nach den Laufgräben +und Angriffswerken der tollgewordenen Belagerer; jetzt stieg er langsam +herab von seinem Lugaus, und begleitet von zwei Fackelträgern und +mehreren seiner Unterbefehlshaber schritt er durch die Gassen von Rees, +dessen zitternde Bewohner jedes Fenster hatten erhellen müssen, und +dessen Straßen dumpf dröhnten unter den Schritten der gegen die +östlichen Ausfallspforten heranmarschierenden Besatzung. + +»Francisco Orticio!« sagte der spanische Kommandant, und im nächsten +Augenblick stand der Geforderte vor ihm. + +»Alles bereit?« fragte Don Ramiro wieder. + +Der gerüstete Führer senkte stumm den Degen und wies mit der Linken auf +die Haufen der Krieger, welche jetzt alle an den ihnen bestimmten +Plätzen dicht gedrängt, regungslos standen. Des Spaniers Auge flog mit +düsterer Befriedigung über all diese im Glanz der Fackeln blitzenden +Harnische, Sturmhauben, Piken und Schwerter -- er nickte. »Sie würden +sich da draußen untereinander selbst fressen, gleich den hungrigen +Wölfen,« sagte er, »aber wir wollen zur Ehre Gottes und der heiligen +Jungfrau« -- hier lüftete er den Hut, und alle Umstehenden taten +das Gleiche -- »unsern Teil an dem Verdienst haben, die Ketzer zu +vertilgen! Erinnert Euch, Orticio, mit dem Schlage Elf beginnt das Feuer +wiederum -- mit dem Schlage Elf hinaus auf sie! Spanien und die +Jungfrau! die Losung.« + +»An eure Plätze, ihr Herren!« erschallte das Kommandowort Francisco +Orticios -- ein dumpfes Gerassel und Geklirr der sich aneinander +reibenden Harnische -- Don Ramiro de Gusman schritt langsam prüfend die +Reihen entlang; dann stieg er schweigend wieder zu dem Walle empor, nach +einem letzten Wink und Gruß für Orticio, welcher sein Wehrgehäng fester +zog. + +»Noch eine halbe Stund'! Spanien und die Jungfrau, Spanien und die +Jungfrau!« ging es dumpf durch die Reihen der harrenden Krieger. -- -- + +Unsere Geschichte beginnt! + +»So hole der Teufel die meineidigen Schufte und meuterischen Hunde!« +schrie der Hauptmann Burghard Hieronymus Rußwurmb in Verzweiflung, +im Lager der dreizehn Fähnlein gewappneter Knechte, Reisiger und +Fußsöldner, welche Herr Heinrich Julius, postulierter Bischof zu +Halberstadt, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg als Obrister des +niedersächsischen Kreises zufolge des Koblenzschen Reichsabschieds +für diesen Krieg geworben und aus aller deutschen Herren Ländern +zusammengebracht hatte. »Ist denn die Welt ganz umgekehrt? Es ist zum +Rasendwerden!... So schlage zum letzten Mal die Trommel, Hans Niekirche +-- o heiliges Wort Gottes, das ist das Jüngste Gericht!« + +Hans Niekirche aus Braunschweig, der Trommelschläger, ein blutjunger +Wicht, welcher einem Schneider seiner Geburtsstadt aus der Lehre +gelaufen war, hatte, hierhin gestoßen, dahin gezerrt, sich fast zwischen +die langen Beine seines Hauptmanns gerettet und fing nun mit zitternden +Händen von neuem an, das Kalbfell zu bearbeiten; während der Hauptmann +hin und her lief, mit beiden Händen das Haupthaar durchwühlend. Er hatte +wohl das Recht, zornig zu sein, der Wackere! Dicht hinter sich hatte er +ein geplündertes Bauernhaus, dessen Fenster und Türen eingeschlagen +waren, und auf dessen Schwelle ein junges Weib mit zerrissenen Kleidern, +in der im letzten Krampf zusammengekniffenen Hand ein Büschel roter +Haare, leblos ausgestreckt lag. An sein linkes Bein hing sich jetzt auch +noch ein arm Kindlein in seiner Todesangst, zu seiner Rechten schlug +Niekirch seine Wirbel, und rings um ihn her schrie und stampfte, fluchte +und drohete sein meuterisch Fähnlein und rasaunte durcheinander, wie ein +aufgestört Rattennest. + +»O ihr Schelme, ihr Hunde, das soll euch heimgezahlt werden!« brüllte +der Hauptmann. »Warte, Hans Diroff von Kahla, warte, Koburger, Christoph +Stern von Saalfeld, an den Galgen und aufs Rad kommt ihr; oder die +Gerechtigkeit ist krepiert auf Erden. Warte, du Schmalz von Gera, dein +Fett soll all werden, wie eine Kerze im Feuer! O Tag des Zorns, o Hunde! +Hunde!« + +»Gebt Raum, Hauptmann!« schrie ein riesenhafter Kerl, genannt Valentin +Weisser von Roseneck, dem Führer den Büchsenkolben vor die Brust +setzend. »Ihr seid die Verräter, die Schelme, Ihr und Eure saubern +Gesellen und Euer Graf von Hohenlohe, der Holländer! Wollt Ihr uns nicht +etwa über das Wasser, über den Rhein, von des Reiches Boden führen? He, +sprecht!« + +»Nicht über den Rhein! nicht über den Rhein! nicht vor Bommel! nicht vor +Bommel!« schrie es von allen Seiten, und weit über das Feld durch alle +Tausende wälzte sich dasselbe Wort. Der Hauptmann schlug den Kolben von +seiner Brust zur Seite. + +»Du wirst gehängt, wie ein Spatz, Rosenecker,« schrie er. + +»Ihr sollt es wenigstens nit erschauen!« brüllte der Schütz wieder, die +brennende Lunte über dem Haupte schwingend. Er nahm sich nicht die Mühe, +sie aufzuschrauben, das Feuerrohr lag auf der Gabel -- im nächsten +Augenblick wäre der Hauptmann ein Kind des Todes gewesen, wenn nicht +plötzlich zwischen dem Bedrohten und dem Drohenden ein Reiter im vollen +Galopp angehalten und dem wütenden Musketierer den Büchsenlauf in die +Höhe geschlagen hätte, daß der Schuß in die Luft ging. + +»Der Junker! der Junker!« schrie es auf allen Seiten. »Der Junker +zurück! sprecht, sprecht, was ist's? was sagt der Graf? Haben sie uns +verkauft an die holländischen Juden, ihnen ihre Festung Bommel zu +entsetzen?... Der Junker, der Junker! Nicht nach Bommel, nicht vor +Bommel! nicht über den Rhein! nicht über den Rhein! In die Spieße der +von Hollach!« + +»Ja, schreit nur, bis ihr berstet!« zischte blau vor Grimm der +Hauptmann durch die zusammengebissenen Zähne und ballte die Hände, daß +die Nägel tief ins Fleisch drangen. »Schreit nur -- es ist noch nicht +im Topf, darin es gekocht wird -- Christoph von Denow, sprecht zu den +Meutmachern! sagt den räudigen Hunden Eure Botschaft!« + +Der junge Reiter richtete sich hoch auf im Sattel, und alle die wilden +Gesichter im Fackelschein ringsumher wandten sich ihm zu. + +»Der wohlgeborene und edle Graf Philipp von Hohenlohe, unser gnädiger +Feldhauptmann --« + +»Nichts von dem Grafen von Hollach, dem Verräter, dem Judas!« schrien +einige. »Stille! Ruhe! Hört ihn!« riefen die andern und gewannen die +Oberhand, daß der Reiter fortfahren konnte. + +»Der Graf läßt den Fähnlein des braunschweigischen Regiments zu Roß und +zu Fuß vermelden, daß ihr Begehren und Gebaren unehrlich und treulos +sei, deutscher Nation zu Schimpf und Schande und großem Schaden +gereiche --« + +Ein allgemeines Wut- und Spottgebrüll unterbrach den Redner, der erst +nach langem Harren weiter rufen konnte. + +»Es sagt der Graf von Hohenlohe, daß er befehle, Generalmarsch zu +schlagen vor jeglichem Quartier und auszurücken in die Linien gen Rees, +auf weitern Befehl! Da kommt unser gnädigster Obrister, der Herr von +Rethen.« + +Neues Geschrei empfing den ebenfalls im vollen Rosseslauf erscheinenden +Führer, welcher den schriftlichen Befehl des Grafen mit sich führte; +aber ebenfalls vergeblich durch Bitten, Drohungen, Erinnerungen an den +Artikelbrief das Volk zur Ruhe zu bringen versuchte. Atemlos, +zornesbleich hielt er zuletzt in dem kleinen Kreise der Hauptleute und +Offiziere und der wenigen treugebliebenen Söldner. Der Junker aber +befand sich, willenlos fortgerissen, inmitten des wildesten Getümmels +der aufrührerischen Knechte, die von Mord und Blut sprachen, und +bereits ihre Spieße senkten, ihre Feuergewehre richteten auf das +Häuflein der Getreuen, welche einen Ring schlossen um die Führer und die +geretteten Feldzeichen, und sich rüsteten, ihr Leben so teuer als +möglich zu verkaufen. + +Auch das Reiterlager hatte sich in Bewegung gesetzt, von Minute +zu Minute wuchs der Tumult, und inmitten all dieser drohenden +Spieße, Schwerter und Büchsen, unter all diesen scheu gewordenen, +ausschlagenden, stampfenden Rossen und trunkenen Männern taucht jetzt +für uns eine Gestalt auf, klein und zierlich gebaut, aber trutzig und +unverzagt, im Heerlager aufgewachsen, gebräunt von Wind und Wetter, +abgehärtet in mancher bösen Sturmnacht am schwächlichen Lagerfeuer, ein +klein Hütlein, geziert mit einer Häherfeder, auf den krausen, wirren +Locken, ein Dolchmesser im Gürtel, -- bekannt bei Führern, Knechten und +Reisigen; zu Roß, zu Fuß, zu Wagen stets dem Heere zur Hand: =Anneke +Mey= von Stadtoldendorf, des braunschweigschen Regiments Marketenderin +und Schenkin! + +»Hab' ich dich auf den Fuß getreten, Anneke?« fragte ganz kleinmütig der +wilde Valentin Weisser, der eben das Feuergewehr gegen den Hauptmann +hatte losgehen lassen. »Nimm dich in acht, daß sie dich nicht +erdrücken, Engel-Anneke -- stelle dich hinter mich, du wirst gleich dein +blaues Wunder sehen.« + +»Nehmet Ihr Euch in acht, Rosenecker,« lachte das wildherzige Kind, »Ihr +spielt ein hoch Spiel diese Nacht!« + +Der Riese warf einen trotzigen, lachenden Blick über die hin und her +wogenden Massen. -- + +»Hoho, sind wir nicht unsrer genug, zu gewinnen? Nicht vor Bommel! +Ju -- ho! ho! nicht vor Bommel! nicht übern Rhein! Fort mit den +Hauptleuten, fort mit dem Grafen von Hollach!« + +In diesem Augenblick riefen wieder Hunderte von Stimmen nach dem +Junker -- dem Christoph von Denow. Da zuckte ein seltsamer Glanz über +das Gesicht des Mädchens. Es stellte sich zuerst auf die Zehen, dann +kletterte es mit katzengleicher Behendigkeit und Schnelligkeit auf einen +Schutthaufen, wo sich bereits mehrere Soldatenweiber mit ihren Kindern +und Habseligkeiten zusammengedrängt hatten und alle zugleich in den Lärm +hineinkreischten. + +»Mein Mann! mein Mann! Jesus, sie würgen sich alle! Gottes Sohn -- +Franz! Franz!« + +»Was macht der Junker? wo ist der Junker?« rief Anneke Mey, eine Hand, +welche ihr entgegengestreckt wurde, ergreifend. + +»Da! da! er spricht zu denen vom vierten Fähnlein -- da -- da -- Jesus, +sie werfen den Hauptmann Eberbach nieder, und mein Mann, Jesus, mein +Mann!« -- + +Die Augen der Armen wurden starr, mit einem Sprung war sie von der Höhe +herab und stürzte sich mitten in das Getümmel; über den am Boden +liegenden Hauptmann sank unter den Hieben und Stößen der Meutrer der +Doppelsöldner Franz Hase von Erfurt zusammen. Vergeblich hatte sich +Christoph von Denow unter die Piken und Hellebarden geworfen, mit seinem +Schwert die Spitzen niederschlagend; im vollen Lauf stürzte jetzt das +aufrührerische Kriegsvolk auf die Treugebliebenen und die Befehlshaber, +Schüsse krachten hinüber und herüber. Ihr Messer aus der Scheide reißend +trieb Anneke Mey in den Aufruhr hinein. Christoph von Denow sah sie +plötzlich an seiner Seite unter den Füßen der Kämpfenden; -- noch ein +Augenblick, und sie war verloren, noch ein Augenblick, und er hatte sie, +fast ohne zu wissen, was er tat, zu sich emporgezogen aufs Pferd; alles +drehte sich um ihn her -- »Mordio! Mordio!« brüllte es auf allen +Seiten -- -- Da -- -- urplötzlich -- -- blieben alle die zum Verbrechen +gezückten und geschwungenen Waffen, wie durch ein Zauberwort aufgehalten +in der Luft -- jeder Wut- und Angstschrei erstarrte auf den Lippen -- +Angreifer und Angegriffene standen lautlos, bewegungslos! + +Im Westen über Rees hatte sich, begleitet von einem donnerartigen +Krachen, der dunkle Nachthimmel blutig-rot gefärbt. Alle Geschütze auf +den Wällen, alle Geschütze in den Angriffslinien brüllten los; im Lager +des Reichsheeres flog ein Pulvervorrat in die Luft, dazwischen rollte, +immer stärker werdend, das kleine Gewehrfeuer. + +Mit einem Male hatte sich die Szene im aufrührerischen Lager vollständig +verändert. + +»Sturm! Sturm! Rees zu Sturm geschossen!« ging es von Mund zu Mund. +»Sturm! Sturm! Gen Rees! gen Rees!« + +Und als peitsche der Satan sie vorwärts, seiner Hölle zu, hatte sich +plötzlich diese ganze Masse von Kriegern, Führern, Weibern, Troßknechten +in Bewegung gesetzt, dem flammenden Vulkan im Westen entgegen. Gier nach +Beute, unbefriedigte Gier nach Blut trieb sie von dannen. Im wildesten +Taumel, Reiter und Fußvolk und Wagen bunt durcheinander, raste sie über +das Feld durch die Nacht. Im wildesten Taumel und Traum, das Schwert am +Faustriemen, vor sich auf dem Sattel das Mädchen aus den Weserbergen, +saß Christoph von Denow auf seinem schwarzen Roß. -- -- + +»Sturm! Sturm! Rees zu Sturm geschossen! Vivat der Graf! Vivat der Graf +von Hollach! Vorwärts! Vorwärts!« + +Ein sekundenlanges Anhalten in dieser wüsten Menschenflut war eine +Unmöglichkeit, ein Fehltritt, ein Straucheln der sichere Tod. Schon +hörte man zwischen dem Donnern und Krachen um die Stadt den Schlachtruf +der Feinde: »Spanien und die Jungfrau! Spanien und die Jungfrau!« und +lauter und näher den Ruf der angegriffenen Belagerer: »Das Reich! das +Reich! Vorwärts, das Reich!« + +Hinein in die Atmosphäre von Blut und Feuer brauste die anstürzende +Menschenmasse, und die Letzten drängten bereits die Vordersten +in die angegriffenen Laufgräben, aus denen eine andere Flut ihnen +entgegen wogte. Das waren die Hessischen, die schlecht bewaffneten, +halbverhungerten, im Regen und Rheinwasser fast ertränkten +Schanzgräber, welche dem wilden Anprall der Spanier nicht hatten +widerstehen können. + +»Spanien! Spanien! Spanien und die Jungfrau!« rief Francisco Orticio, +sich über einen Schanzkorb in die Höhe schwingend. + +»Spanien! Spanien und die Jungfrau!« wiederholten seine Krieger ihm +nachdringend. + +»Rette, Hessen! Rette!« schrien die flüchtigen Söldner des Landgrafen im +panischen Schrecken. + +»Braunschweig! Braunschweig!« brüllte es von den Höhen der Böschungen. + +»Up dei Düvels!« schrie Heinrich Weber aus Schöppenstedt, eine Fackel in +der Hand mitten unter die Hessen springend. Der flammende Brand flog im +weiten Bogen gegen die Spanier -- ein zweiter Satz -- die zu Grund, der +Bergstadt im Harz, gehämmerte Hellebarde schmetterte nieder auf eine zu +Cordova geschmiedete Sturmhaube: Diego Lua aus Toboso stürzte mit einem +»_Valga me Dios!_« tot zurück. + +»Braunschweig! Braunschweig!« brauste es dem Schöppenstedter nach, und +»Braunschweig! Braunschweig!« jubelten auch die Hessen, welche mit neuem +Mut sich wandten gegen ihre Verfolger. + +»Braunschweig! Braunschweig!« rief Christoph von Denow, dem es gelungen +war, sich von seinem Pferde zu werfen, welches sich auf der Böschung +hoch bäumte, im nächsten Augenblick aber, von einer Kugel getroffen, +zusammenbrach. Anneke Mey stand unbeschädigt auf den Füßen, doch auch +sie wurde mit hinabgerissen in die Gräben, wo sie jedoch samt Hans +Niekirche hinter einem Haufen umgestürzter Schanzkörbe den verlorenen +Atem wieder gewinnen konnte. + +Und jetzt Angriff und wütende Verteidigung, Flüche in sechs Sprachen, +Todesrufe; -- auf engstem Raum Vernichtung jeder Art! -- Alle Hauptleute +der Braunschweiger: Adebar, Maxen, Wulffen, Wobersnau, Rußwurmb, Dux, +Statz, und wie sie hießen, hatten ihre Stellen als Befehlshaber wieder +eingenommen und drängten tapfer kämpfend die Spanier zurück. Tapfer +stritten aber auch die Spanier. Sechs Geschütze hatten sie in den +hessischen Schanzen genommen und in den Rheingraben versenkt, Schritt +für Schritt wichen sie zu den flammenden Mauern und Wällen der Stadt +über die Leichen ihrer Landsleute und ihrer Feinde. Der Graf von +Hohenlohe in vollster Rüstung mit seinen Herren führte stets neue +Truppen an; Haufen auf Haufen ließ Don Ramiro de Gusman hervorbrechen. + +Dicht an den Spaniern kämpfte Christoph von Denow, das Blut rieselte aus +einer Stirnwunde, -- er merkte es nicht. Anneke Mey hatte sich mutig auf +ihren Schanzkorb geschwungen und den widerstrebenden Niekirche +nachgezogen. Sie hielt ihr Messer noch immer gezückt in der Rechten, mit +der Linken hielt sie den schlotternden Trommelschläger am Kragen. + +»So schlage den Sturmmarsch, Junge!« rief sie lachend. »Willst' nicht? +Wart, gleich fliegst du herunter, daß sie dich drunten zu Brei +vertreten, Feigling!« + +»Ja! ja! ich will!« jammerte Hans. »Ach wär' ich doch daheim! Ach wär' +ich doch zu Haus! Mein Mutter! mein Mutter!« + +»Na, na, schlage nur immer zu, du kommst noch davon!« sagte Anneke +begütigend und ließ den Kragen des Armen los. »Dein' Mutter wartet schon +a bissel! Schau, wie lustig das aussieht -- da, guck, sie geben's den +welschen Bluthunden! Wär' ich 'n Knab, wie du -- hei, ich wollt's ihnen +auch schon zeigen!« Und mit heller Stimme fing das Mädchen an zu +singen: + + »Mein Vater wollt' ein Knäbelein, + Mein Mutter wollt' ein Mägdelein, + Mein' Mutter tät gewinnen, + Des muß den Flachs ich spinnen -- Ja spinnen! + Das ist mir großes Leid!« + +Immer mutiger schlug Hans Niekirche, durch seine Gefährtin aufgemuntert, +seine Wirbel, und unter beiden Kindern vorbei drängten ununterbrochen +die Scharen des Reichs vor und zurück, wie der Kampf vor- und +zurückwich; bis die Spanier in die Stadt gedrängt waren, und das Zeichen +zum Sammeln von allen Seiten den Deutschen gegeben wurde. Don Ramiro +hatte die Rheinschleusen, welche er in seiner Gewalt hatte, öffnen +lassen. + +»Sieh das Wasser! das Wasser!« rief Hans Niekirche in neuer Angst. »Laß +uns fort, Anneke, sie wollen uns ersäufen, wie die jungen Katzen.« + +Ein allgemeiner Schrei erhob sich unter dem Getümmel in den Laufgräben; +schon standen manche Haufen bis an den Gürtel in der reißend schnell +steigenden Flut. + +»Halt, halt!« rief Anneke Mey. »Er ist noch nicht zurück; aber -- geh +nur -- geh -- ich bleib'!« + +»Und ich bleib' auch!« schrie Hans der Trommler. + +»Zurück! zurück!« tönte es aus den rückwärts weichenden Scharen des +Reichsheeres: »Das Wasser! Der Rhein! Das Wasser!« Und immerfort +donnerte das Geschütz der Spanier von den Wällen, immerfort schlugen die +Kugeln verheerend in das wirre, verzweiflungsvolle Durcheinander. + +Es war eine böse Belagerung -- die Belagerung der Stadt Rees am Rhein: +es war kein Glück, es war keine Ehre dabei zu holen. + +»Der Junker! der Junker! Christoph! Christoph von Denow!« schrie die +junge Dirne auf ihrer Höhe, die Hände ringend, und das Wasser stieg und +stieg. Schon waren die letzten der Haufen unter ihr vorüber, und die +Toten, von den Fluten gehoben, wirbelten um sie her. Da griff eine Hand +aus den Wassern nach dem Schanzkorbe, auf welchem sie stand, und ein +bleiches Haupt erhob sich zu ihren Füßen: »Rette! Rette!« + +»Christoph! Christoph!« schrie das Mädchen, sie lag auf den Knien, sie +faßte die triefenden Locken, sie faßte den Schwertriemen -- der Junker +von Denow war gerettet. Valentin Weisser, der Riese, dessen Blutdurst +und Mut durch den Kampf und den Rhein bedeutend gekühlt war, brachte +mit Hilfe gutwilliger Genossen den wunden Junker, die Dirne und Hans, +den Trommelschläger, glücklich auf das Trockene und weit hinein ins +Feld, wo die gelichteten, zerrissenen, wunden Krieger des Reichsheeres +um die Wachtfeuer murrend und grollend in stumpfsinniger Ermattung lagen +und die Führer bereits wieder unheimliche und drohende Worte zu hören +bekamen. + + + + + II. + + +Trübe dämmerte der Morgen. Auf die wüste Nacht folgte ein ebenso wüster +Tag. Vergeblich hatte Herr Otto Heinrich von Beylandt, Herr zu Rethen +und Brembt, Leib und Leben und Seligkeit den Meuterern zum Pfande +eingesetzt, daß sie nicht von des Reichs Boden weggeführt werden +sollten; vergeblich hatte der Graf von Hohenlohe geflucht, gebeten und +gedroht. Zwischen sieben und acht Uhr waren zehn Fähnlein des +braunschweigischen Regiments aufgebrochen und aus dem Feld gezogen, +Münster zu. Weiber, Kinder, Dirnen folgten jetzt dem plündernden, +ehrvergessenen, eidbrüchigen Haufen durch den grauen Nebelregen. Keiner +befahl, keiner gehorchte. Die einen meinten, es gehe gradaus zum Herzog +von Braunschweig, ihrem Zahlherrn, nach Wolfenbüttel; andere glaubten, +es gehe gegen den Bischof von Münster; die meisten aber dachten gar +nichts, und so schwankte der tolle Zug, einem Betrunkenen gleich, hier +vom Wege ab, dort vom Wege ab, jetzt auf ein Dorf zu, jetzt auf ein +einsames Gehöft. Kleinere Banden schweiften zur Seite, oder vor und +nach -- fort und fort über die Heide; hier im Kampfe mit einer +ergrimmten Bauernschar, dort im Hader untereinander. Der Nebel ward +Regen und hing sich in perlenden Tropfen an die letzten Blüten des +Heidekrauts und träufelte von den Stacheln und Zweigen der Dornbüsche. +Krähenscharen begleiteten den Zug lautkrächzend, oder flatterten in +dichten Haufen westwärts dem Rhein zu, wo von Rees her das Feuer der +Berennung nur noch in einzelnen Schlägen dumpf grollte. Stärker und +stärker ward der Regen, die blutigen Spuren der vergangenen Nacht, der +Schlamm der Laufgräben mischten sich auf den pulvergeschwärzten +Gesichtern, den zerrissenen, verbrannten Kleidern, den verrosteten +Waffenstücken -- die Männer fluchten und sangen, die Weiber ächzten, die +Kinder schrien, und Anneke Mey auf ihrem Wagen, mit einem Bierfaß +beladen, hielt tröstend das Haupt des wunden Christoph von Denow in +ihrem Schoß und sprach ihm zu und verhüllte ihn, wie eine Mutter ihr +Kind, mit einem groben Soldatenmantel; während Hans Niekirche +zähneklappernd das magere Roß leitete, welches vor dem Karren ging. -- +Lange Zeit hatte der Junker wie besinnungslos gelegen, jetzt hob er den +Kopf mühsam empor und strich die Haare aus der Stirn und warf einen +Blick auf seine Umgebung. + +»O Anneke, weshalb hast mich nicht gelassen in dem Wasser -- oh! oh!« + +»Still, still, lieget ruhig, Herr! Die ganze Welt ist auseinander --« + +»Weshalb hast mich nicht gelassen im Lager -- im Heer vor Rees?« + +»Es ist aus, aus! Alles aus, sagen sie. Alles läuft auseinander --« + +»Und wohin gehen wir?« + +»Weiß nicht! weiß nicht!« + +»Bin also so weit! Ein Spießgesell von Räubern und Mördern und +landesflüchtigem Gesindel! Krächzt nur, ihr schwarzen Galgenvögel, ihr +habt einen feinen Geruch, wittert den Fraß, wann er noch lustig auf den +Beinen herumstolpert und den Bauerngänsen die Hälse abhaut und die +Rinder aus dem Stall zieht. O Christoph! Christoph! Und du könntest +einen adeligen Schild führen!« + +Der junge Gesell stieß solch einen herzbrechenden Seufzer aus, daß ein +neben dem Karren reitender Söldner aufmerksam wurde. Er drängte sein +Pferd näher heran, zog seine Feldflasche hervor und reichte sie dem +Wunden zu. + +»Hoho, Junker, was spinnst für Hanf? Da wärme dir das Herz, bis wir uns +den Münsterschen Dompfaffen in die warmen Nester legen! Aufgeschaut, +aufgeschaut, Christoffel! 's ist beschlossen, Ihr sollt unser Obrister +werden!« + +Der Junker machte eine unwillige Handbewegung und antwortete nicht. + +»Auch gut,« brummte der Reiter. »Der Satan hol' alle diese Maulhänger! +Möcht' nur wissen, was die Gesellen für einen Narren an ihm gefressen +haben. Hat den Vorspruch gemacht gestern beim Grafen nach ihrem Willen +und soll den Führer spielen, und kann den Kopf nicht grad halten -- Bah! +Hätten hundert Bessere gefunden; kann mit seinem Adel weder den Mantel +noch die Ehre flicken. Fort, Mähre, was scheust? Dacht ich's doch, da +liegt wieder einer der trunkenen Schelme im Wege. Vorwärts, Schecke, laß +liegen, was nicht mehr laufen mag. Was will die Trompete? Holla, was ist +das?« + +Ja, was wollte die Trompete? Auf der rechten Seite des Weges der +Meuterer waren zwar von Zeit zu Zeit vereinzelte Schüsse gefallen, +niemand hatte sie aber beachtet, weil man sie nur den obenerwähnten +Scharmützeln mit den Bauern und Hahnenfedern zuschrieb. Jetzt aber wurde +das Feuer regelmäßiger, Reitertrompeten erschallten. Der Zug stutzte und +hielt. Gestalten, schattenhaft, tummelten sich in dem dichten Nebel, und +erschreckte Stimmen erklangen: »Die Spanier! Die Spanier!« + +»Zum Henker die Spanier; wie kommen die Spanier soweit über den Rhein?« +brummte der Reiter, welcher eben dem Junker die Feldflasche geboten +hatte. Er lockerte aber nichtsdestoweniger das Schwert in der Scheide +und wickelte den rechten Arm aus dem Mantel los. + +»Der Feind! der Feind! die Speerreiter!« riefen die im Lauf +rückkehrenden Plünderer, zu den Genossen stoßend, und einige brachten +eine frische Wunde mit zurück. Näher und näher hörte man die Trompeten +und den Schlachtruf »_España! España!_« und dann »Hohenlohe! Hohenlohe!« + +Keiner von den Meutmachern machte Miene, an dem Gefechte teilzunehmen; +aber die Musketen waren auf die Gabeln gelegt, die Lunten aufgeschroben, +die Spieße gesenkt, und man hatte instinktmäßig einen Kreis um die Wagen +mit den Weibern und Kindern und den Raub geschlossen. + +Jetzt schienen die Spanier wieder zurückgedrängt zu werden; der Lärm des +Kampfes verlor sich in der Ferne. Der Zug der Aufrührer wollte sich +bereits wieder in Bewegung setzen. + +»Halt, halt!« rief einer der Fußknechte, »da kommen sie wieder! +Rossestrab!« Er kniete nieder und legte das Ohr an den Boden. »Viel +Pferde im Galopp!« Man konnte kaum zehn Schritte weit im Nebel und Regen +deutlich sehen; es waren wieder nur unbestimmte Schatten, die man nahen +sah. + +Ein »Halt« wurde ihnen zugerufen, und sie hielten, und eine einzelne +Gestalt löste sich von dem Haufen ab. Aus dem Ring der aufrührerischen +Söldner des Reichs traten ihr einige entgegen. + +»Wer seid Ihr? Woher des Weges? Was für Begehr?« + +Der Nahende ritt, ohne zu antworten, näher heran. + +»Haltet, oder wir schießen!« + +»Nur zu, eidbrüchig Gesindel; versucht, ob ihr einen ehrlichen +Reitersmann trefft!« + +Wilde Flüche und der Ruf »Feuer, Feuer!« ertönten, und manche Büchse +wurde in Anschlag gebracht; aber dazwischen riefen auch Stimmen: »Halt, +halt, das sind keine Spanier, keine Speerreiter!« + +»Nein, das sind keine Spanier,« rief der Reisige zurück. »Das sind auch +keine Meuterer, Mörder oder Diebshalunken; -- ehrliche Hohenlohesche +Reiter sind's, die euch Lumpengesindel wahren sollen, daß ihr nicht dem +Galgen entlauft! Glaubt's, der Graf hätte meinetwegen andere dazu +schicken mögen, als uns -- nehmt das Ab -- Henkermahl drauf!« + +»Der Graf von Hollach hat Euch geschickt?« fragte es verwundert aus dem +Haufen, und mancher der wilden Kerle drängte sich vor, näher an den +Reitersmann. + +»Zurück!« rief dieser, »wir gehen mit euch, wie befohlen, jagen die +Speerreiter, die euch die Gurgel abschneiden könnten, -- man sparte nur +die Stricke -- und schützen das arme Landvolk vor euch Hunden. Damit +holla! -- na, wohin geht der Marsch?« + +»Packt Euch zum Teufel, wir brauchen Euch nicht!« schrie Jobst Bengel +aus Heiligenstadt. »Wer hat Euch gerufen? Sagt dem Grafen, dem +Holländer, unsern schönsten Dank und wir könnten unsern Weg allein +finden.« + +»Geht nicht! Alles auf Befehl! Kümmert euch so wenig als möglich um uns; +ihr handelt nach Belieben, wir nach Befehl!« + +»Aber unser Belieben ist, daß ihr euch hinschert, woher ihr gekommen +seid!« brüllte Hans Römer aus Erfurt. »Geht, oder es setzt mein' Seel +blutige Köpfe!« + +»Unser Befehl ist, daß wir gehen, wohin euch der Satan treibt. Am +Höllentor kehren wir um, das ist der Befehl. Genug der Worte.« + +Damit wandte der Hohenlohesche Rittmeister sein Roß und sprengte zurück +zu seinen Reitern, welche unbeweglich auf einer kleinen Erderhöhung +hielten und im Gegensatz zu dem tobsüchtigen, wüsten Gebaren der +Meuterer nur leise Worte des Zorns und der Verachtung hatten. + +Auf seinem Schmerzenslager hatte Christoph von Denow halbblinden Auges +und klingenden Ohres den Vorgang angesehen und angehört. Jetzt mußte er +auch ohnmächtiger Zeuge der wilden Reden um ihn her sein. + +»Das ist solch ein falsch Spiel von dem Grafen -- das ist eine Falle. +Sollen uns schützen vor den Speerreitern! -- Lauter Sorg und Lieb, bis +sie uns den Hals zuschnüren! -- Nichts von dem Grafen von Hollach! Fort +mit den Reitern des Holländers! Feuer auf sie! In die Spieße! in die +Spieße mit ihnen!« + +»Die Rasenden! die Niederträchtigen!« stöhnte Christoph von Denow, die +Hände ringend. »Und hier liegen zu müssen gleich einem abgestochenen +Schaflamme! Halt, halt, was wollen sie tun?!« + +Seine schwache Stimme ging verloren in dem Lärm »fort mit Holländern, +fort mit dem Grafen von Hollach!« + +Mit einem Schlage setzte die ganze Masse der Meuterer im Sturmlauf an +gegen das kleine Häuflein der Reiter. + +»Hab's mir wohl gedacht,« brummte der Rittmeister in den grauen Bart. +»Achtung, Gesellen! Stand gehalten -- das ist der Befehl. Herunter mit +den Schuften, wenn sie euch nahe kommen.« + +Sie griffen wirklich an. Im nächsten Augenblick war die Reiterschar +umringt, durchbrochen. Die meisten sanken nach tapfrer Gegenwehr vom +Pferd; nur wenige schlugen sich durch und flohen über die Heide. +Zuletzt kämpfte noch ein einzelner. Das war der tapfere alte Führer, der +sich wie ein Verzweifelter wehrte. Endlich erstach ihm Balthasar +Eschholz aus Berlin das Roß, und eine Kugel durchfuhr seine treue Brust. + +Einige Minuten standen die Mörder wie erstarrt. Schlug ihnen diesmal das +Herz? Sie wagten es nicht, die Gefallenen zu berauben, ein plötzlicher +Schrecken kam über sie, wie von Gott dem Richter gesandt, und Mann und +Roß und Wagen stürzten von dannen, hinein in den Nebel, der sie +verschlang, als seien sie nicht wert, von Himmel und Erde gesehen zu +werden. + +»Das ist ein schlechter -- schlechter Tod!« seufzte der zu Boden +liegende Reiterhauptmann. »Ein schlechter Tod! -- In deine Hände -- aber +alles der Befehl -- nun kann der Rat von Nürnberg mein Weib und meine +Jungen auffüttern -- ein schlechter Tod -- Amen! Alles -- der -- +Befehl!« + +Er griff noch einmal mit beiden Händen krampfhaft in das Heidekraut -- +es war vorüber. + +Ein Wäglein und drei Menschenkinder waren zurückgeblieben beim +Fortstürzen der Mörderschar. Das waren Anneke Mey aus Stadtoldendorf, +welche das Haupt des Erschlagenen stützte, das war Christoph von Denow, +der auf seinem Lager das Vaterunser weiter betete, welches der +Rittmeister nicht hatte zu Ende bringen können. Das war Hans Niekirche, +der Trommelschläger, welcher schluchzend das Rößlein vor dem Wagen +hielt!........ + + + + + III. + + +Nicht Leben, nicht Tod; nicht Vergessenheit, nicht Sinnesklarheit; nicht +Schlaf, nicht Wachen; -- alles ein wildes, wirres Chaos in dem +fieberkranken Kopfe Christoph von Denows! Jetzt legte es sich ihm, einem +feurigen Schleier gleich, vor die Augen, tausend Sturmglocken und der +Verzweiflungsschrei einer eroberten Stadt füllten ihm Ohr und Hirn; -- +jetzt versank er wieder in ein endloses graues Nichts, in welchem ihn +allerlei unerkennbare Schatten umschwebten; -- jetzt vermochte er es +wieder, sich und seine Umgebung zu unterscheiden, ohne sich klar darüber +werden zu können, wer ihn von dannen führe und wohin man ihn führe. +Manchmal war der Himmel über ihm grau und ihn fror, dann wieder schaute +er empor in das reine Blau, und die Sonne schien herab auf ihn. Manchmal +glaubte er sich in einem auf dem Wasser fahrenden Schifflein zu +befinden, manchmal sah er wieder grüne Zweige über sich und hörte die +Vögel singen. Er gab es auf, zu denken, sich zu erinnern: willenlos +überließ er sich seinem Geschick. Es zog und zuckte durch seinen +Geist! -- Da ist der weite, kühle Saal in der väterlichen Burg, dem +einstmals am weitesten in das Polen- und Tartarenland vorgeschobenen +Posten des deutschen Wesens. Durch die bunten Scheiben der spitzen +Fenster fällt das Licht der Sonne und wirft die farbigen, flimmernden +Schattenbilder der gemalten Wappen und Heiligen auf den Estrich. Da +steht der Sessel des Ritters von Denow neben dem großen Kamine, und der +Sessel und der Gebetschemel der Mutter in der Fenstervertiefung, da +glitzern im Winkel auf dem künstlich geschnitzten Schenktisch die +riesigen, wie Silber glänzenden Zinnkrüge und Geschirre. Da blickt ernst +von der Wand der Ahnherr mit dem Ringpanzer auf der Brust, und manch +wunderlich Gewaffen aus den Polen- und Preußenschlachten hängt an dem +Mittelpfeiler, welcher den Saal stützt.... + +Feuer! Feuer! Das ist nicht der Widerschein der Abendsonne an den +Wänden. Feuer! Feuer! und das Wimmern der Burgglocken und der Schall der +Sturmhörner! -- Wo blieb das süße, mildlächelnde Bild der Mutter, das +eben noch durch den stillen dämmerigen Saal glitt? Feuer und Sturm! Die +Polen! die Polen! Allverloren! Allgewonnen! Allgewonnen! + +Da taucht ein ehrliches bärtiges Gesicht auf -- das ist der Knecht +Erdwin Wüstemann, welcher den kleinen Christoph aus der brennenden +väterlichen Burg auf den Schultern trug und rettete.... Nun rauscht der +Wald, nun murmelt der Bach -- das ist die verlorene Forsthütte, wo der +treue Knecht und das Kind hausten so lange Jahre hindurch. Die Hunde +zerren bellend an der Kette, der Falk schaukelt sich auf seiner Stange. +Wilde Gesellen und Weiber -- fahrende Soldaten, Sänger und Studenten und +demütige Juden verlangen Obdach vor dem nahen Gewitter oder dem +Schneesturm. Sie lagern auf nackter Erde um das Feuer, an welchem die +Hirschkeule bratet. Der Weinkrug geht im Kreise umher; Lieder +erschallen! Lieder vom freien Landsknechtsleben, lutherische Lieder, +Spottlieder gegen den Papst und den Türken und lateinische Lieder +vom wandernden Scholarentum. Jetzt gerät der rote Heinz mit dem +landflüchtigen Leibeigenen oder dem Zigeuner in Streit; die Messer +blitzen, der Knecht Erdwin wirft sich zwischen die Kämpfenden -- es +rauscht der Wald, es murmelt der Bach, es klingt die Harfe des blinden +Sängers -- ah Wasser, Wasser und Waldfrische in dieser Glut, welche das +Gehirn verdorrt und die Knochen versengt! + +Einen Augenblick lang öffnete der Kranke die Augen, er hörte Stimmen um +sich her; jemand hielt ihm einen Krug voll frischen Wassers an die +heißen Lippen. Er hatte nicht fragen können, wo er sei, wer ihm helfe in +seiner Not? -- von neuem ergriff ihn der Fiebertraum. + +Aus dem Kinde ist im lustigen Wildschützenleben ein wackerer Bub +geworden. Hinaus aus dem grünen Wald zieht der Knecht Erdwin mit dem +Schützling. Die Zeiten sind danach -- wer kühn die Würfel wirft, kann +wohl den Venuswurf werfen. Mancher gelangte in der Fremde zu hohen Ehren +und Würden, der im Vaterlande kaum den heilen Rock trug. Gern kaufen +Franzosen, Spanier, Holländer mit rotem Golde rotes deutsches Blut. +Ho, so hattest du dir die Welt draußen vor dem Wald wohl nicht gedacht, +Christoph von Denow? Hei, das waren andere Gestalten und Bilder: +Städte, Klöster und Burgen; Fürsten mit Rittern und Rossen, schöne +Damen, Äbte und Bischöfe mit reichem Gefolge, Bürgeraufzüge, bunte +Landsknechtsrotten auf dem Wege nach Italien, nach Frankreich -- für den +Kaiser und wider den Kaiser! + +Aus dem Reitersbuben ist ein Reitersmann geworden, welcher nichts sein +nennt, als sein gutes Schwert, und welchem von den Vätern her nichts +geblieben ist, als der eiserne Siegelring mit dem Wappen derer von +Denow, welchen er am Finger trägt. + +Immer weiter hinein in das bunte Leben, in den bunten Traum -- tagelang, +wochenlang im Wundfieber kämpfend zwischen Sein und Vernichtung, bis +endlich eine Glocke dumpf und feierlich erklingt, eine Glocke, die nicht +mehr allein in dem Gehirn des Kranken läutet! + +»Wo bin ich?... Die Glocke, was will die Glocke?« murmelte Christoph +von Denow, die Augen aufschlagend. + +Anneke Mey stieß einen Freudenschrei aus und hob das Haupt des Junkers +ein wenig aus ihrem Schoße: »Er lebt, o guter Gott, er wird leben!« + +»Die Glocke! die Glocke?« + +»Still, lieget still, Herr! das ist Sankt Lambert zu Münster, und da -- +horcht! das ist der Dom! Morgen ist der heilige Matthiastag -- still, +still, lieget ruhig.« + +Es wurde dunkel über dem Junker; das Wäglein fuhr in diesem Augenblick +durch die Torwölbung. Der Junker schloß die Augen wieder, er glaubte +einen Wortwechsel zu hören, er glaubte zu bemerken, daß der Wagen hielt, +Annekes Stimme erklang ängstlich und bittend dazwischen. Er glaubte ein +bärtiges Gesicht über sich zu sehen und einen Ausruf des Schreckens zu +hören. Der Wagen bewegte sich wieder -- er fuhr aus dem dunklen Tor in +das Licht der Straße hinein. -- -- + +Das war das Gesicht des alten Knechts Erdwin, welches der Junker von +Denow über sich sah, bis im folgenden Moment alles verschwand und es +wieder Nacht war im Geiste Christophs. -- Allmählich aber wurde diese +Nacht jetzt Dämmerung; die Gedanken ordneten sich mehr und mehr. +Christoph von Denow erwachte wieder zum Leben. + +Er fühlte den wohltuenden Strahl der milden Herbstsonne, er vernahm die +Worte der Freunde um sich her. Jetzt erzählte Erdwin, der Knecht, jetzt +sprach Anneke Mey, jetzt lachte Hans der Trommelschläger. Die Landschaft +glitt an ihm vorüber, Städte, Dörfer, Flecken, er sah blaue Höhenzüge im +Osten auftauchen und vernahm, wie ein Wanderer dem Knechte Erdwin sagte, +das sei der altberühmte große Teutoburger Wald. Er schlummerte abermals +ein, und als er abermals erwachte, fand er sich mitten in den Bergen, +und ein Wasser rauschte seitwärts in das Dickicht. »Das Wässerlein kenn' +ich,« rief Anneke, »das ist die Else, die fließt in die Werre, und die +Werre fließt in die Weser, nun sind wir der Heimat nahe.« + +»Und wie ziehen wir nun, Anneke?« fragte der getreue Knecht Erdwin, +welcher munter neben dem Wagen, den Spieß auf der Schulter, herschritt. + +»Wo die Sonne aufgeht, fahren wir zu; aus dem Teutoburger Wald in den +Lippeschen Wald, zuletzt wird doch mal ein Berg kommen, von dem wir die +Weser glitzern sehen können. Dann sind wir zu Hause!« + +»Anneke, Anneke!« murmelte Christoph. + +»O, wachet Ihr wieder, Junkerlein? geduldet Euch und lieget still, wir +sind alle noch da, und der Meister Erdwin ist auch da und hat mir alles +von Euch erzählt und ich ihm auch alles von Euch.« + +»O Junker, Junker, seid Ihr wach?« rief der Knecht Erdwin und schauete +über den Rand des Wagens. »Das Mütterlein im Himmel muß über uns wachen, +daß ich Euch grad am Tor zu Münster treffen mußt'. Von der Reichsschanze +bis nach Münster bin ich kreuz und quer Euern Spuren nachgezogen. Habt +mich schön in Angst und Not gebracht! Haltet das Maul, Junkerlein. Dem +Herzmädel da dankt Ihr Euer jung Leben. Lasset Euch tränken und atzen +und schlaft wieder ein, wir halten Euch oben, Hans und Anneke und ich!« + +Christoph drückte schwach die Hand des wackern Alten, er wollte nach dem +Heere fragen, nach den Meuterern, aber er vergaß es. Sein wunder Kopf +ruhte noch immer an der Brust der jungen Dirne. Aus schwimmenden Augen +blickte er auf zu dem braunen, wildfreundlichen Gesicht über ihm. + +»Ach, Anneke Mey, Anneke Mey, wohin willst du mich führen?« + +»In meiner Heime ist es gar schön,« sagte das Mädchen. »Da sind die +Berge und die Wiesen so grün, da schaut die alte Burg, sie heißen sie +die Homburg herab auf das Städtel. Da sind die hohen weißen Felsen ganz +weiß, weiß -- da wohnen die klugen Zwerge in tiefen runden Löchern. Das +ist wahr, ganz gewiß wahr! Es ist auch schaurig da, manchmal rührt sich +der Boden, und der Wald sinkt ein in die Erde, tief, tief, -- und ein +Wässerlein springt dann unten in dem Grund auf; das Wasser trinken die +Leut nicht gern. Aber mitten in den Bergen, da ist ein kühler Bronn, der +Wellborn geheißen, aus dem kommt das Wasser durch Röhren in die Stadt, +und die Brunnen rauschen und plätschern immer zu. Und vor dem Burgtor +ist ein klein Haus dicht an der Stadtmauer, da sitzt meine alte Muhme, +die Alheit -- mein Vater und Mutter sind lang tot im Lager von Lafere, +wo wir mit dem französischen König Heinrich waren -- und ihre Katz sitzt +neben ihr, und wenn sie, ich mein' die Muhme -- an mich gedenkt, so +brummt und keift und bet't sie ein Vaterunser, grade weil sie mich gern +hat. Schläfst noch nicht, Junkerlein? Mach die Augen zu und kümmre dich +nicht um die Welt.« + +Mit leiser Stimme fing das Mädchen an zu singen: + + »Musikanten zum Spielen, + Schöne Mädchen zum Lieben: + So lasset uns fahren, + Mit Roß und mit Wagen, + In unser Quartier! + In unser Quartier!« + +»Ach, der Wagen stößt zu hart; wisset Ihr was, Meister Erdwin? singet +Ihr weiter.« + +»Wollen's versuchen!« sagte der Knecht Wüstemann und begann im Ton der +Schlacht von Pavia das Lied von der Schlacht vor Bremen, in welche er +als junger Bursch mit den Reitern des Grafen von Oldenburg gezogen war, +und frisch schallte sein Baß in den Wald hinein. + + »-- Unser Feldherr das vernahm, + Graf Albrecht von Mansfelde, + Sprach zu seinem Kriegsvolk lobesam: + Ihr lieben Auserwählten, + Nun seid ganz frisch und wohlgemut, + Ritterlich wolln wir fechten; + Gewinnen wolln wir Ehr und Gut, + Gott wird helfen dem Rechten.« + +Als der Endvers kam, war Christoph wirklich eingesungen zu sanftem +Schlummer, und Hans Niekirche behielt den braunschweigschen Gassenhauer, +den er eben zum besten geben wollte, auf das Ersuchen des alten Erdwins +für sich. Mit einbrechender Nacht wurde bei einem Köhler mitten im Forst +das Nachtquartier aufgeschlagen. + +»Was ist denn da draußen vorgegangen in der Welt?« fragte der schwarze +Waldmann. »Ihr seid die Ersten nicht, die hier durchkommen sind und hier +angehalten haben. Das ist ja auf einmal, als ob alles Kriegsvolk im +deutschen Land sich hier auf den Wald niedergeschlagen hätt', wie ein +Immenschwarm auf den Schlehenbusch. Ist es wahr, daß das Reichsheer +auseinandergelaufen ist?« + +»Es ist wahr,« sagte der Knecht Erdwin düster. »Es ist aus, -- alles +vorbei!« + +»Vorgestern zog hier ein Trupp durch, fast zehn Fähnlein stark, aber +anzusehen wie ein wüst Raubgesindel, Fußvolk und Reiter durcheinander. +Wollten gen die Weser und ließen sich vernehmen, sie wollten ihrem +Zahlherrn, dem Braunschweiger Herzog --« + +»Die Braunschweiger?!« riefen Erdwin und Anneke und Hans Niekirche. »Die +Braunschweiger?!« murmelte Christoph von Denow und richtete sich halb +auf seinem Lager auf. + +»Gehöret Ihr zu ihnen?« fragte der Köhler mißtrauisch. »Nehmt Euch in +acht; ich hab' einen gesprochen, der sagte, der Braunschweiger habe +seine Leibguardia und Reiter die Menge abgesandt, ihnen den Weg zu +verlegen. Sein Feldhauptmann, der Graf von Hohenlohe, ist auch, von +Mitternacht her, gegen sie aufgebrochen. Das kann ein übel Ende nehmen!« + +»Gegen die Weser sind sie gezogen?« + +»Wie ich Euch sagte, Maidlein.« + +»Herr Gott, so müssen wir ab vom Weg!« + +»Ihr gehört also nicht zu ihnen?« + +»Nein! nein! nein!« riefen Christoph und Erdwin und Anneke. + +»Und Ihr wollt auch über die Weser?« + +»In meine Heimat!« rief Anneke. + +»Mit dem wunden Mann? Geht nicht, wahrlich geht nicht! Weg und Steg sind +verlegt.« + +Alle schwiegen erschrocken und verstört einige Minuten. + +»Saget doch,« fuhr der Köhler dann fort, »weshalb wollt Ihr nicht bei +mir bleiben im Walde, bis der Kopf des Burschen dort wieder heil und +ganz ist? Hunger und Durst sollt Ihr nicht leiden. Ihr erzählet mir +alles, was da draußen in der Welt vorgegangen ist, dafür geb' ich Euch +Futter und Obdach. Gefällt's Euch?« + +»Ihr wolltet --?« + +»Gewiß will ich; ich will Euch sogar noch großen Dank schuldig sein +dafür!« + +»Angenommen, Landsmann!« rief der Knecht Wüstemann freudig. »Junker, nun +streckt Euch lang auf Euerm Lager, und wehe dem ersten Rehbock, der mir +vor die Armbrust gerät, welche ich dort an der Wand sehe.« + +So kamen am Tage Cornelii des Hauptmanns die vier Flüchtlinge des +Reichsheeres zum ersten Mal zu Ruhe. + + + + + IV. + + +Dominus Basilius Sadler, der heiligen Schrift Doktor und fürstlicher +Hofprediger zu Wolfenbüttel, hatte seine Predigt beendet und das +Vaterunser gebetet. Unter den letzten Klängen der Orgel strömte die +Menge aus der Marienkapelle in den dunkeln nebligen Herbsttag hinaus. +Man schrieb den vierten November 1599. + +Was hatte das andächtige Volk? Statt ruhig und gemessen wie +gewöhnlich am heiligen Sonntag ihren Wohnungen und dem Sonntagsbraten +zuzuschreiten, blieben die Männer in Gruppen auf dem Kirchplatz stehen +und steckten die Köpfe zusammen; selbst die Weiber waren von derselben +Aufregung ergriffen. Kaum war nämlich der letzte Orgelton verhallt, so +durchzitterte von der Dammfestung her ein anhaltender Trommelwirbel die +stille Luft und schwieg dann einige Augenblicke. Darauf näherten sich +die kriegerischen Klänge im Marschtakt, und manche der Bürger eilten +ihnen, ihre Knaben an der Hand, entgegen; der größte Teil der Menge +blieb jedoch zurück und erwartete die Dinge, welche da kommen sollten. +»Nun geht es an! Das ist der Beginn!« hieß es unter dem Volk. + +»Das ist der Gerichtswebel, Martin Braun von Kolberg,« sagte ein +Goldschmied, der von allem genau Bescheid wußte. »Der verkündet nun das +kaiserliche Malefizrecht an allen vier Orten der Welt.« + +»Sie kommen! sie kommen!« hieß es unter der Menge, und eine Gasse +bildete sich jetzt, um die Nahenden durchzulassen. Von der Dammbrücke +her durchzog mit seinen drei Trommlern der Gerichtswebel, begleitet von +einigen Hellebardierern, feierlich und langsam die Heinrichsstadt gegen +das Kaisertor hin. + +Wir lassen ihn ziehen und lassen das Volk seine Betrachtungen anstellen +und schreiten quer über den Platz vor der Marienkapelle, durch die +Löwenstraße, über die Dammbrücke an dem Schloß vorüber nach dem +Mühlentorturm, dessen Eingänge von einer stärkern Wache als gewöhnlich +umgeben sind. Wir führen den Leser in das obere Stockwerk des Gebäudes. +Ein weites Gewölbe tut sich uns hier auf, so dunkel, daß das Auge sich +erst an die Finsternis gewöhnen muß, ehe es irgend etwas in dem Raum +erkennen kann. Ist das geschehen, so bemerken wir, daß das trübe, +herbstliche Tageslicht, durch viele, aber enge und stark vergitterte +Fenster fällt. Die Wände entlang ist Stroh aufgeschichtet, auf welchem +dunkle Gestalten in den mannigfaltigsten Stellungen und Lagen sich +dehnen. Von dunkeln Gestalten sind auch einige hie und da aufgestellte +Tische umgeben. Ein Kohlenfeuer glimmt in dem Kamin unter dem gewaltigen +Rauchfang. Allmählich erkennen wir mehr in dem dunsterfüllten Raume: +bleiche, wilde Gesichter, umgeben von wirren zerzausten Haaren, +schlechtverbundene, mit blutigen Binden umwickelte Glieder. Ein leiseres +oder lauteres Klirren und Rasseln von Ketten erschreckt uns; -- wir sind +unter den -- Meuterern von Rees! Gekommen ist's, wie es kommen mußte; +morgen wird der Obriste des niedersächsischen Kreises, Herr Heinrich +Julius von Braunschweig, das Gericht über sie angehen lassen. Dumpf tönt +der ferne Trommelschlag des um die Wälle der Festung ziehenden +Gerichtswebels Martin Braun in ihr Gefängnis herüber. Lauschen wir ein +wenig den Worten der gefangenen wilden Gesellen! + +»Ta, ta, ta! Was das für ein Wesen ist? Sollte man nicht meinen, der +Teufel sei den Kerlen in den Lärmkasten gefahren? Es gehet alles zum +Schlechteren, selbsten das Trommelschlagen,« sagte eine baumlange +Gestalt, sich über die Genossen erhebend. + +»Sollt' meinen, Valtin, wir hätten uns um anderes zu kümmern als den +Trommelschlag,« sagte unwirsch ein zweiter Söldner. + +Valentin Weisser ließ sich jedoch nicht von seinem Thema abbringen. +»Horchet nur, ist das die alte freudige deutsche Art? Aber jetzt will +jeder ein Neues einbringen! Auch die Hispanier machen's so; da lob' ich +mir die Italiener, die haben aufgehoben, was wir nicht mehr mochten, und +ziehen mit den fünf gleichen Schlägen bis ans Ende der Welt. Topp, topp, +topp, topp, topp! das erwecket das Herz zu Freud und Tapferkeit und +hilfet zu Leibeskräften. Topp, topp, topp, topp, topp! Hüt dich Bau'r, +ich komm'! -- das ist's! oder --« + +»Hauptmann, gib uns Geld!« fiel lachend ein Dritter ein. + +»Füg dich zu der Kann!« brummte Hans Römer von Erfurt, der Schmerbauch. + +»Mach dich bald davon!« sang eine schrille Stimme dazwischen. + +»Hüt dich vor dem Mann!« brummte Jobst Bengel von Heiligenstadt. +»Möchte nur wissen, wie lang wir noch in diesem Loch stecken sollen? +Alle blutigen Teufel, ich wollt', der Blitz schlüg' gleich mitten +unter uns, und nähme uns mit herauf oder herunter, ins Paradies oder +die Hölle! 's sollt' mir gleich sein -- 's wär' wenigstens eine +Veränderung!« + +»Das greuliche Fluchen ist auch nicht an der Zeit!« sagte eine ernste +und finstere Stimme. + +»Hilft auch zu nichts, Meister Wüstemann,« grinste der Vorige wieder. +»Dem Galgen entläuft man nit so leichtlich -- mit Verlaub, Junker, das +war nicht auf Euch gesagt.« Wir folgen dem höhnischen Blick des +Sprechenden. Neben dem Kamin, an die feuchtschwarze Wand gelehnt, steht +Christoph von Denow, gebrochen an Leib und Seele. Er schaute starr, +gradaus vor sich hin, bei den Worten Jobsts aber fuhr er auf, sank +jedoch in demselben Augenblick mit einer abwehrenden Bewegung der Hand +in seine vorige Stellung zurück. Die Entgegnung übernahm Erdwin +Wüstemann, der drohend seine gefesselten Fäuste nach dem schon +zurückweichenden Jobst ausstreckte: »Den Schädel zerschmettere ich dir +an der Wand, wenn du den Rachen nicht hältst, du Sohn einer Hündin -- +sage noch ein Wort --« + +»Auf ihn! so ist's recht!« schrien einige der Gefangenen. »Halt, halt! +trennt sie!« riefen andere. + +»Seid ruhig, Erdwin,« sagte der Junker, »laß ihn, Alter, -- er hat +recht, der Strick des Hangmanns droht uns allen.« + +»Euch nicht! Euch nicht!« rief der alte Wüstemann, die ihm +entgegengestreckte Hand seines Schützlings fassend. »O Ihr -- Ihr in +diesen Banden -- das Herz bricht mir darüber -- o die Schurken, die +Schurken!« + +Ein Murren, welches bald in lautere Drohungen überging, folgte den +Verwünschungen des Alten, der alle ihn Umgebenden mit allen Flüchen +überhäufte, welche ihm auf die Zunge gerieten. + +Wer weiß, was geschehen wäre, wenn man nicht plötzlich draußen vor der +eisenbeschlagenen Tür des Gefängnisses Schritte und eine befehlende +Stimme vernommen hätte. Hellebardenschäfte und Musketenkolben rasselten +nieder auf den Steinboden. Eine allgemeine Stille trat ein unter den +Gefangenen, die Schlösser der Tür kreischten und knarrten. Sie öffnete +sich, ein Gefreiter mit der Partisane auf der Schulter schritt herein +mit zwei Büchsenschützen, deren Lunten glimmten. Ihnen folgte ein +kleines schwarzes Männlein, welchem zur Seite, von Kopf bis zu Fuß +geharnischt, der Leutnant der Festung, Hans Sivers, sich hielt. Durch +die geöffnete Tür sah man den Gang angefüllt mit Bewaffneten von der +Besatzung. + +»Tut Eure Pflicht, Herr Notarius!« sagte der Leutnant, und das kleine +schwarze Männlein -- Herr Friedericus Ortlepius, _notarius publicus_ und +des peinlichen Gerichts zu Wolfenbüttel bestallter und beeidigter +Gerichtsschreiber, räusperte sich, nahm das Barett vom Haupt und +entfaltete ein Papier, welches er in der Rechten trug. Ein Söldner, der +eine Lampe hielt, näherte sich. Der Leutnant hob den Arm gegen die +Gefangenen, abermals räusperte sich Herr Ortlepius und las dann seine +Schrift ab wie folgt: + +»Daß der Hochwürdige, Durchlauchtige, Hochgeborne Fürst und Herr, +Herr Heinrich Julius, postulierter Bischof des Stifts Halberstadt, +Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, unser allerseits gnädiger Fürst +und Herr, unlängst nach Besage und Inhalt des Koblenzschen Abschieds, +als verordneter Kriegsobrister dieses niedersächsischen Kreises, +zur Beschützung des lieben Vaterlandes wider das tyrannische Einfallen +des hispanischen Kriegsvolkes, unter andern ein Regiment deutscher +Knechte von dreizehn Fähnlein hat werben lassen, solches ist _notorium_ +und männiglich bekannt. Sind dieselben auch nachher von Seiner +Fürstlichen Gnaden selbst gemustert, bewehrt, und haben sie in +derselben persönlichen Gegenwart in dem Ring, altem löblichem +Kriegsgebrauch nach, auf den Artikulbrief geschworen. + +Ob nun wohl I. F. G. sich gänzlich versehen und verhofft, nachdem +I. F. G. es so treulich gemeinet, auch dem gemeinen Vaterland zum Besten es +sich so sauer haben werden lassen, -- es würde gemeldetes Regiment sich +vermöge geschworenen Eides, Treu und Pflicht, wie Solches ehrlichen, +redlichen Kriegsleuten eignet und gebühret, verhalten haben, so hat sich +aber befunden, daß zehn Fähnlein von solchem Regiment, ohne einige +rechtmäßige gegebene Ursach, wider ihre geschworene Treu und Pflicht, +I. F. G. zu sonderlichen Schimpf, der ganzen deutschen Nation zum +sonderlichen Spott und Hohn, dieser Kriegsexpedition zum Nachteil, dem +Feind aber zum Frohlocken mit fliegenden Fähnlein aus dem Felde gezogen +sind. Haben ihre verordnete Obrigkeit nicht bei sich leiden wollen, auch +in solcher Meuterei so lange kontinuiret, bis daß I. F. G., zur +Erhaltung Deroselben Autorität, ein' Ernst zu diesen Sachen haben tun +müssen, und sie durch ihren damaligen Statthalter und Generallieutenant +den Wohlgebornen und Edeln Grafen Philipp zu Hohenlohe, auf der Heide +zwischen der Ucht und Barenburg, hinter dem Moor, genannt das hessische +Darlaten, haben trennen und zum Gehorsam bringen lassen. Und obwohl +I. F. G. damals nach Kriegsgebrauch und scharfen Rechten sie zu +massakrieren und sämtlich zu Schelmen zu machen, und über sie als +Schelmen die Fähnlein abreißen und schleifen zu lassen, befugt gewesen +sein, so haben doch I. F. G. zu Deroselbst eigenen Glimpf den +gelindesten Weg für die Hand nehmen wollen und haben sich resolviret, +euch die bestrickten Knechte, welche eines Teils bei I. F. G. als die +Prinzipalisten Meutemacher angegeben sind, andernteils von ihren eigenen +Spießgesellen dafür geliefert worden sind, -- vor ein öffentlich +Malefizrecht stellen zu lassen. + +So fordere ich also auf unsers allerseits gnädigen Fürsten und Herrn +gnädigen Befehl euch: Christoph von Denow, Detlof Schrader von +Rendsburg, Erich Südfeld von Hannover usw. usw. -- so fordere ich euch +auf morgen früh um sieben Uhr, das ist den fünften November dieses +Jahres Eintausendfünfhundertneunundneunzig vor kaiserliches Recht in +den Ring, wo ihr gerichtet werden sollt, wie es am Jüngsten Tage vor +Gott dem Allmächtigen, wenn Gottes Sohn kommen wird zu richten die +Lebendigen und Toten, zu verantworten ist!« -- -- + +Fünfundachtzig Namen rief der Notarius Friedrich Ortlepp auf, und jeder +der Gefangenen antwortete durch ein: »Ist hier gegenwärtig.« Als die +Liste zu Ende gebracht war, hob der kleine schwarze Mann noch einmal, +lächelnd, die bebrillte Nase und ließ seine Äuglein wohlwollend über die +Gefangenen hingleiten; dann nickte er dem Geharnischten zu, dieser +winkte dem Gefreiten, welcher seine Partisane anzog, sein Kommandowort +rief. Die Musketierer schulterten ihre Büchsen, und die Beamten +schritten heraus aus dem Gewölbe, dessen Tür sogleich hinter ihnen +wieder zufiel. + +Noch einen Augenblick tiefster Stille, dann ein dumpfes Gemurmel, dann +wildester Losbruch aller mächtig zusammengepreßten Gefühle und +Leidenschaften der gefesselten Meuterer! Ein wildes Durcheinander, -- +Ausrufe des Zorns, des Hohns, der Besorgnis, der Angst, -- +Kettengerassel! + +»O Junker, Junker!« rief verzweiflungsvoll der Knecht Erdwin, das Haupt +seines jungen Herrn an seine breite Brust ziehend. »O Junker, Junker, +wenn das Euer Vater erlebt hätte!« + +»Ja, meine Mutter, meine Mutter! 's ist gut, daß sie tot ist!« seufzte +Christoph von Denow, die Hand über die Augen legend. -- -- -- -- -- -- + +In den überfüllten Schenken der Stadt erschallte der tobende Gesang der +zum Kriegsgericht eingeforderten Söldner und Hauptleute; viel Zank und +Streit blieb nicht aus in den Gassen. Die Bürger zeigten sich nicht +allzuhäufig außerhalb ihrer Haustüren, und wenn es ja einen Nachbar oder +Gevatter allzusehr drängte, die Ereignisse des Tages mit einem Gevatter +oder Nachbar zu besprechen und abzuhandeln, so schlich er so vorsichtig +als möglich im Schatten der Hauswände dahin. Der Nebel ward dichter und +dichter, je mehr die Dämmerung Besitz ergriff von Stadt und Land. Der +Herzog auf dem Schloß ließ mehr Holz in den Kamin seines Gemaches +werfen, und der Geringste seiner Untertanen ahmte ihm darin so gut als +möglich nach. Immer unfreundlicher ward die Nacht. + +Auf dem Prellsteine unter dem Torgewölbe des Mühlenturmes kauerte eine +weibliche, verhüllte Gestalt. Einen grauen Mantel von schwerem, +grobem Tuch hatte sie dicht um sich geschlagen, das spitze Hütlein, +durch welches ein klein rundes Loch ging, gleich der Spur einer +Büchsenkugel -- tief in die Stirn gedrückt; ein Bündel lag neben ihr. +Das war Anneke Mey aus Stadtoldendorf! + +Ihr Haupt stützte sie auf beide Hände und starrte regungslos auf die +schwarzen Massen des fürstlichen Schlosses, welches jenseits des +Ockergrabens hoch emporragte in den dunkeln Nachthimmel, und in welchem +hie und da ein erleuchtetes Fenster schimmerte. -- So hatte Anneke den +ganzen lieben langen Tag über gesessen, so saß sie noch, als es schon +vollständig Nacht geworden war, und die Ronde sich näherte, das Tor zu +schließen. + +»Sitzt die Dirn da noch!« rief der Weibel. »Heda, Schätzchen, fort mit +dir, daß dir das Fallgatter nicht auf den Kopf fällt. Marsch, Liebchen! +weiß nicht, was du hier suchen könntest?« Anneke rührte sich nicht von +ihrem Platze. + +»Na, wird's bald? Nimm Vernunft an, Kind, 's gibt wärmere Nester.« Damit +faßte er den Arm der Kauernden, um sie in die Höhe zu ziehen. + +»O lasset mich hier! lasset mich hier!« + +»Hoho, geht nicht, geht nicht. Aber nun lasset doch auch einmal Euch ins +Gesicht schauen. Hebt die Laterne hoch! Mädel, Kopf in die Höhe!« + +Der Schein der Laterne fiel in das bleiche gramvolle Gesicht des +Mädchens. -- + +»Alle Teufel, das ist ja die Anneke, die Anneke Mey von Rees her!« rief +einer der Büchsenschützen sich vordrängend. »Weibel, mit der mußt du +säuberlich umgehen. Fürcht dich nit, Anneke -- wo kommst du her?« + +»Aus dem Moor, aus dem hessischen Darlaten, Arendt Jungbluth!« sagte +Anneke tonlos. + +»Wo sie die Meutmacher niedergelegt haben? Ei, ei, Anneke, und du bist +mit ihnen gezogen?« + +»Sie sind im Wald über uns gekommen, weil sie der Graf von Hollach +abgedrängt hatt' von der Weser, und sie haben den Junker aufs Pferd +gezwungen, und er hat nichts anders gekonnt, er hat sie müssen führen; +nun aber haben sie doch geraubt und gebrannt und sind gezogen, wo sie +wollten, und wir haben müssen mit ihnen durch die Wiehenberge, ins Land +Hoya. Da ist es zum Ende gekommen -- da hat uns der Graf gestellt, und +Hans Niekirche ist tot, ist auch nicht heimgekommen zu seiner Mutter -- +Gnade Gott uns allen!« + +Lautlos umstanden die Söldner das junge Mädchen; endlich sagte der +Weibel: »So ist es geschehen, dagegen kann keiner sagen -- arm Mädel, +was sitzest nur hier auf dem kalten Stein?« Stumm deutete Anneke nach +dem Gefängnis im Turm über ihr; dann sagte sie: »Sie führten uns zuerst +auf das feste Haus Stolzenau; nun sind wir hier zum Gericht!« + +»Und der Junker, von welchem du gesprochen hast, ist da oben bei den +andern?« fragte der Weibel. + +Anneke nickte. + +»Das ist der Knab Christoph von Denow, von den Reitern?« fragte wieder +der Gefreite Arendt Jungbluth, welcher zuerst Anneke erkannt hatte. »Ist +das dein Schatz?« + +Ein leises Zittern überlief den Körper des Mädchens, sie antwortete +nicht und schüttelte das Haupt und senkte das Gesicht in die Hände und +legte den Kopf auf die Knie. + +»Arm Kind! arm Mädel!« murmelten die Krieger. »Aber sie kann hier nicht +bleiben,« brummte der Weibel. »Wir müssen fort, der Böse fährt uns sonst +auf den Buckel!« + +»Lasset mich einmal mit ihr sprechen,« sagte Arendt Jungbluth. Er beugte +sich nieder zu der Armen und flüsterte ihr zu; plötzlich stieß sie einen +Schrei aus, einen Freudenschrei und stand auf den Füßen: »Wirklich, +wirklich? Ihr könnt? Ihr wollt? O, Gott segne Euch tausendmal!« + +»Herauf die Brücke! Herunter das Gatter! Ist's geschehen? -- Fort nach +der Schloßwach! -- Jürgen, marsch, voran mit der Laterne!« kommandierte +der Weibel. »Anneke, Ihr gehört zu uns, niemand tut Euch was zu Leid. +Marsch, marsch!« + +Die Hellebarden lagen wieder auf der Schulter: inmitten der +Wachtmannschaft ging Anneke Mey, und Jürgen trug außer der Laterne auch +noch das Bündlein des Soldatenkindes. + + + + + V. + + +Eins schlug die Uhr des Schloßturmes, und die Krähen fuhren auf aus +ihren Nestern und umflatterten krächzend die Spitze und die Wetterfahne, +bis der Klang ausgezittert hatte. + +»So geh zu ihm!« flüsterte Arendt Jungbluth. »Um drei Uhr ist meine +Wacht zu Ende, dann klopf' ich und du kommst heraus. Nun gehab dich +wohl; des Wärtels Margaret lauert drunten am Gang.« + +»Dank Euch, dank Euch!« flüsterte Anneke Mey. Die Gefängnistür im +Mühlenturm öffnete sich kaum weit genug, um das schmächtige junge +Mädchen einzulassen, und schloß sich sogleich wieder. + +Die qualmende Hängelampe war wie ein roter Punkt in dem dunsterfüllten +Raume anzuschauen; die meisten der Gefangenen schnarchten auf dem Stroh +die Wände entlang, viele hatten aber auch die Köpfe auf den Tisch gelegt +und schliefen so. -- Dann und wann erklirrte leise eine Fessel, oder ein +Stöhnen und Geseufz ging durch die Wölbung. Niemand hatte den Eintritt +des Mädchens bemerkt. + +Einige Minuten stand Anneke dicht an die Mauer gedrückt. Sie vermochte +kaum Atem zu holen. Wie sollte sie in dieser Hölle den finden, welchen +sie suchte? + +Plötzlich ward es hell in ihr: anfangs leise, dann lauter begann sie das +alte Lied vom Falkensteiner zu singen: + + »Sie ging den Turm wohl um und um: + Feinslieb bist du darinnen? + Und wenn ich dich nicht sehen kann, + So komm' ich von meinen Sinnen. + + Sie ging den Turm wohl um und um, + Den Turm wollt' sie aufschließen: + Und wenn die Nacht ein Jahr läng wär', + Keine Stunde tät' mich verdrießen!« + +Von ihrem Lager richteten sich die Schläfer auf, stärker klirrten die +Ketten an ihren Armen und Beinen. + + »Ei, dürft' ich scharfe Messer tragen, + Wie unsers Herrn sein' Knechte, + Ich tät' mit dem Herrn vom Falkenstein, + Um meinen Herzliebsten fechten!« + +»Was ist das? Wer ist das? Wer singet hier?« tönte es wild +durcheinander. »Anneke, Anneke, Anneke Mey,« rief die Stimme Christoph +von Denows dazwischen, und Erdwin Wüstemann hielt das junge Mädchen in +den Armen: »Hier, hier halt' ich sie, hier ist sie, wie ein Engel vom +Himmel mit ihrer Lerchenstimme! O Kind, Kind, was willst hier in dieser +Wüstenei? Junker, Junker, wo seid Ihr?« + +»O Anneke! Anneke!« rief Christoph von Denow. + +»Vivat Anneke, Anneke Mey!« riefen alle andern Gefangenen. »Das ist ein +wackeres Mädel! Vivat des Regiments Schenkin!« + +Es fiel keine schnöde, böse Rede: im Gegenteil, es war, als ob durch das +Erscheinen des Kindes jedes trotzige wilde Herz milder geworden wäre. +Man hätte sie gern auf den Händen getragen, da sie das aber nicht leiden +wollte, suchte man ihr den bequemsten Platz aus und breitete Mäntel +unter ihre Füße, um sie vor der feuchten Kälte der Steinplatten zu +schützen. Eine Bank wurde zerschlagen, um das erlöschende Feuer im Kamin +damit zu nähren. + +»So hast du uns nicht verlassen, Anneke!« rief Christoph und hielt ihre +beiden Hände in den seinigen, und der Knecht Erdwin wischte verstohlen +eine Träne aus den grauen Wimpern. »O, wie können wir dir je das +wiedervergelten?« + +»Wie könnt ich Euch verlassen? Und wenn sie Euch zum Tode führen, ich +geh' mit Euch!« + +Sie saßen beieinander, Christoph und Anneke, neben dem Kamin, und die +Dirne schluchzte und lächelte durch ihre Tränen. Sie vergaßen alles um +sich her, und der alte Wüstemann stand dabei, seufzte tief und schwer +und schüttelte das greise Haupt: + +»Jammer, o Jammer!« + +Um drei Uhr krähte zum ersten Mal der Hahn, um drei Uhr klopfte Arendt +Jungbluth an die Tür. + +»Nun muß ich scheiden!« sagte Anneke. »Gott schütze uns; wenn das +Gericht angeht, steh' ich auf Eurem Wege, Herr.« + +»Anneke, Gott lohn's dir, was du an uns tust!« + +»Fahre wohl! Fahre wohl, Anneke!« riefen die gefangenen Meuterer. »Gott +segne dich, Anneke!« + +Christoph von Denow schlug die Hände vors Gesicht; -- die Tür war hinter +dem jungen Mädchen zugefallen. Im Osten zeigte ein weißer Streif am +Nachthimmel, daß der Morgen nicht mehr fern sei, und der Wind machte +sich auf, fuhr von den Harzbergen nach dem deutschen Meer und verkündete +dasselbe. + + -- -- -- -- -- + +Sechs schlug die Uhr des Schloßturmes; wieder schossen die Krähen aus +ihren Nestern und umflatterten die Spitze, krochen aber diesmal nicht +wieder zurück in ihre Schlupfwinkel, sondern ließen sich, eine bei der +andern, nieder auf dem Rande der Galerie, welche nahe dem Dach, den Turm +umzieht. Neugierig reckten sie die Hälse und blickten herab in den +dichten weißen Nebel unter ihnen, aus welchem kaum die höchsten Giebel +der Stadt und Festung hervorlugten. Trommelschall erdröhnte auf dem +Schloßhofe und hallte wider von den Wällen, während eine kriegerische +Musik aus der Ferne dem Weckauf der Besatzung antwortete. Auf der +Festung trat die Soldateska unter die Waffen, und in der Heinrichsstadt +verkündete das klingende Spiel, daß die Bürgerschaft in Wehr und +Harnisch aufzog. + +Von Zeit zu Zeit löste sich einer der schwarzen Vögel aus der Reihe der +Genossen los und flatterte mit kurzen Flügelschlägen hinein in den +Nebel, als wolle er Kundschaft holen über das Fest, welches ihm drunten +bereitet wurde. Kehrte er zurück, so wußte er mancherlei zu erzählen, +und freudekreischend erhoben sich die andern und wirbelten durcheinander +und überschlugen sich in der grauen Luft, um endlich wieder +zurückzufallen auf ihre Plätze in Reih und Glied. + +Gegen sieben Uhr verflüchtigte sich der Schleier, welcher über der Stadt +lag, um sieben Uhr trat alles ins Licht! Vor dem fürstlichen Marstalle +waren die Schranken aufgestellt. Ein mit rotem Tuch bekleideter Tisch +und ebenso überzogene Bänke für den Gerichtsschulzen und die Beisitzer +standen in der Mitte. Das Volk umwogte dicht gedrängt den Platz. Jetzt +zog »mit dem Gespiel« die fürstliche Leibgarde aus dem Schloßtor, den +Graben entlang, und besetzte zwei Seiten der Schranken. Nach ihr rückte +in drei Fähnlein die Bürgerschaft von der Dammfestung, der Heinrichstadt +und dem Gotteslager heran und schloß die beiden andern Seiten ein. Der +Ring war gebildet; die Fahnen wurden zusammengewickelt und unter sich +gekehrt, die Obergewehre mit den Spitzen in die Erde gestoßen, nach +Kriegsgebrauch bei kaiserlichem Malefizrecht. + +Abermals entstand eine Bewegung unter der Volksmenge; wieder schritt +ein Zug durch die gebildete Gasse feierlich und langsam vom Schloß her. +Das war der Gerichtsschulze Melchior Reicharts mit seinen einundzwanzig +Richtern, Hauptleuten, Gefreiten und Gemeinen, und dem Gerichtsschreiber +Fridericus Ortlepius die allesamt paarweise in den Ring eintraten. + +Zuerst ließ sich der _notarius publicus_ nieder, zur linken Hand an dem +roten Tisch. Er ordnete seine Papiere, guckte in sein Tintenfaß, rückte +das Sandfaß zurecht, und der trübe Himmel und die Krähen auf dem +Schloßturm schauten ihm dabei zu. Er prüfte die Spitze seiner Feder auf +dem Daumennagel, das Murmeln und Murren der tausendköpfigen Menge machte +einer Totenstille Platz; von dem Mühlenturm her erklang ein taktmäßiges +Rasseln und Klirren und verkündete das Nahen der Gefangenen. -- -- -- -- + +»O mein Gott, hilf ihm und mir!« stöhnte Anneke Mey von Stadtoldendorf, +als an dem Mühlenturm die Pforte sich öffnete und die davor aufgestellte +Reiterwache, die Pferde rückwärtsdrängend, das Volk auseinander trieb. + +»Da sind sie! die Meutmacher! die Schufte! Da sind die falschen +Schurken!« ging der unterdrückte Schrei durch das zornige Volk. Aus der +Gefängnispforte hervor glitt ein verwildertes, trotziges oder verzagtes +Gesicht nach dem andern an der zitternden Anneke vorüber. + +Und jetzt -- + +»Christoph!« durchdrang grell und schneidend ein Schrei die schwere +graue Luft, daß der Herzog Heinrich Julius, welcher an einem Fenster +seines Schlosses stand und auf das Getümmel unter sich finster +herabblickte, unwillkürlich den Kopf nach der Richtung hin neigte. + +Da schritt er einher, der Junker von Denow, bleich, wankend, gestützt +auf den Arm des getreuen Knechtes Erdwin. + +»O Christoph! Christoph von Denow!« + +Der junge Reiter erhob das Auge; es haftete auf dem jungen Mädchen, +welches hinter der Reihe der begleitenden Hellebardierer die Hände ihm +entgegenstreckte; -- ein trübes Lächeln glitt über das Gesicht +Christophs, dann schüttelte er das Haupt; er wollte anhalten. + +»Hast doch recht gehabt, Anneke!« lachte höhnisch Valentin Weisser, +der Rosenecker. »Waren unsrer doch zu wenig. Puh -- 's ist am End +einerlei -- Kugel oder Strick. Vorwärts, Junker Stoffel; ich tret' dir +sonst die Hacken ab!« + +»Vorwärts! vorwärts!« rief der Führer der Geleitsmannschaft -- vorüber +schritt Christoph von Denow. -- + +Im Ring aber schwuren die Richter mit aufgerichtetem Finger und lauter +Stimme: + +»Ich lobe und schwöre, daß ich diesen Tag und alles dasjenige, was vor +diesem Malefizrecht vorkommen wird, urteilen und richten will, es sei +gleich über Leib und Blut, Geld oder Geldeswert, als ich will, daß mich +Gott am Jüngsten Tage richten soll -- den Armen als den Reichen. Will +hierinnen weder Freundschaft noch Feindschaft, Gunst noch Ungunst, weder +Haß, Geschenke, Gaben, Geld ober Geldeswert ansehen, oder mich +verhindern lassen! So wahr mir Gott helfe und sein heiliges Wort!« + +Alle Beisitzer saßen darauf nieder an ihren Plätzen, und nur der +Gerichtsschulze blieb stehen und tat eine Umfrage. Darauf verkannte er +das Recht: erstens im Namen der heiligen unzerteilbaren Dreifaltigkeit, +dann im Namen des Fürsten, dem Richter und Angeklagte als Kriegsleute +geschworen hatten, zuletzt kraft seines eignen angeordneten Amts und +Stabes, daß »keiner innerhalb oder außerhalb dem Rechten wolle einreden. +Solle auch niemand einem Richter heimlich zusprechen. Dem Profoß solle +eine freie Gasse gelassen werden, damit er guten Raum habe, damit er +desto baß mit den Gefangenen vom Rechten ab- und zugehen möge, bei Pön +eines rheinischen Gülden in Gold«. + +»Derhalben,« fuhr er fort, »wer nun vor diesem Kaiserlichen Recht zu +schicken oder zu schaffen hat, es sei gleich Kläger oder Antworter oder +sonsten einer, der dem löblichen Regiment etwas anzuzeigen hat: die +stehen in den Ring und klagen, wie man pflegt zu klagen und Antwort zu +geben, auf Red und Widerred, wie in Kaiserlichen Rechten der Gebrauch +ist. -- Gerichtswebel, habt Ihr gestern den Profoß, wie auch die +Angeklagten fürgeboten, zitieret und geladen?« + +Und der Gerichtswebel stand auf und antwortete: »Herr Schultheiß, ich +habe sie gestern früh mit drei Trommeln an den vier Orten der Welt +zitieret!« + +Und des Regiments Profoß, Karsten Fricke, trat in den Ring, und der +Gerichtswebel führt die Angeklagten hinein, jedes Fähnlein für sich +zusammengeschlossen. -- + + + + + VI. + + +Liege still, Kind,« sagte am zwanzigsten November bei Tagesanbruch auf +der Hauptwache im Schloß zu Wolfenbüttel der Gefreite Arendt Jungbluth. +»Liege ruhig und schlaf weiter: der Morgen ist dunkel und dräuet Schnee. +Es geht noch nicht an.« + +Anneke Mey hatte sich auf der harten Holzbank, erschreckt aus tiefem +Traum auffahrend, in die Höhe gerichtet, bei dem Ruf der Wacht draußen, +die zur Ablösung herausrief. + +»Schlafe wieder ein, Anneke, ich wecke dich, wenn es Zeit ist,« sagte +Arendt, die Sturmhaube auf den Kopf stülpend. + +»Der letzte Tag!« murmelte das Soldatenkind, und das müde Haupt sank +wieder zurück auf das harte Lager, die Augen schlossen sich wieder. + +»Hui, der Wind -- Teufel!« brummte Arendt, als die Söldner wieder +zurücktraten in die Wachtstube. »Schläft sie wieder? -- Richtig! ach, +ich wollt', sie verschlief' es ganz. Ruhig, Kerle -- haltet eure Mäuler! +Donner -- ist es nicht grad, als ob der Sturm den alten Kasten einem +über dem Kopf zusammenreißen wollte? Das wird das rechte Wetter sein für +die da draußen im Ring, das bläst ihnen die Urteile vom Munde weg. Wie +sie da liegt! ist das nicht ein Jammer? Ich wollt', sie verschlief' die +böse Stund.« + +Wild jagte der Wind die schweren Schneewolken vor sich her und heulte +und pfiff in den Gängen des Schlosses wie der böse Feind, klapperte mit +den Ziegeln, rüttelte an den Fenstern und trieb die Wetterfahnen mit den +Löwen auf den Turmspitzen im Kreise umher, heftiger und heftiger, wie +der Tag zunahm. + +Anneke Mey lag noch immer, nicht im Schlaf, sondern in stumpfsinniger +Erschöpfung. Was kein Kriegszug vollbracht hatte, das hatten die letzten +vierzehn Tage getan; sie hatten das Kind gebrochen, es matt und müd +gemacht bis zum Tode. Vergeblich sahen sich diesmal auf ihrem Wege zum +Gericht Christoph von Denow und Erdwin Wüstemann nach dem abgehärmten +Gesicht ihres Schutzengels um. + +»Gottlob, gottlob, sie verschläft's!« murmelte Arendt Jungbluth, sich +über das Lager der Armen beugend. + +Im Ring, unter dem düstern, schwarzen Himmel mit den jagenden Wolken las +Friedrich Ortlepp, der Gerichtsschreiber, ein Todesurteil nach dem +andern; einen Stab nach dem andern brach der Schultheiß und warf ihn auf +den Richtplatz. + +»Gnade Gott der Seelen in Ewigkeit. Amen!« sprach er bei jeder weißen +Rute, welche zerknickt auf den Boden fiel. + +Und jetzt -- jetzt der letzte Spruch! + +»Auf eingebrachte Klage des Profoßen, Gegenrede des Beklagten, +produzierte Kundschaft und Zeugnis, ist durch einhellige Umfrage zu +Recht erkannt, daß -- =Christoph von Denow= nicht gebührt hat, sich für +einen Vorsprecher bei der vorgesetzten Obrigkeit, noch für einen +Hauptmann aufzuwerfen, noch die Befehle zu vergeben und auszuteilen, +noch die Wacht zu bestellen. Warum er dem Profoß überantwortet werden +soll, welcher ihn in sein Gewahrsam führen und ihn dem Nachrichter +einantworten und befehlen soll, daß er ihn hinausführe und an den +nächsten Galgen hänge und mit dem Strange zwischen Himmel und Erde +erwürge, damit der Wind unter ihm und über ihn durchwehen könne, ihm zu +verwirkter Strafe und andern zum abscheulichen Exempel!« + +Wieder fiel der gebrochene Stab zu den anderen auf die Erde. + +»Gnade Gott der Seelen in Ewigkeit, Amen!« + +Auf die Knie stürzten dreiundachtzig der Verurteilten: »Gnade, Gnade! +Gnade ist besser denn Recht!« + +Hochauf richteten sich Christoph von Denow und Erdwin Wüstemann, und der +Junker hob die gefesselte Rechte zum Himmel, während der Wind seine +Locken zerwühlte und die Schneewolken sich öffneten und das weiße +Gestöber wirbelnd herabfuhr: + +»Keine Gnade! Recht! Recht! Recht ist besser denn Gnade!« + +In den Ring sprang der Profoß mit der Wache und stürzte sich auf die +Gefangenen -- wild und anhaltend brach das Geschrei des Volkes los, die +Kommandoworte erschallten dazwischen, die Trommeln wirbelten, die +Trompeten schmetterten, aus der Erde wurden die Waffen gerissen und hoch +in die Luft geschwungen, die Fähnlein entfalteten sich im Winde. Die +Krähen aber schossen in einem schwarzen Haufen herab von dem Schloßturm +und umflatterten krächzend die Stätte des Gerichts. Gleich dem bewegten +Meer wogte und donnerte das Volk, und durch die Menschenflut kämpfte +sich mit zerrissenen Kleidern, losgegangenen Haarflechten Anneke Mey. + +»Christoph! Christoph! O du heiliger Gott im Himmel! verloren! +verloren!« + +Dem Herzog am geöffneten Fenster seines Gemachs riß der Sturm den Griff +des Flügels aus der Hand, daß er klirrend zuschlug. Über den Schloßhof +schritt der Gerichtsschultheiß Melchior Reicharts mit den Hauptleuten +Georg Frost, Peter Köhler, Heinrich Jordans und Moritz Ahlemann nach +getaner Pflicht den jungen Fürsten, Zahlherrn und Kreis-Obersten für +die Verurteilten zu bitten. Fridericus Ortlepius trug »fürsichtiglich +und sorgsamlich« die Akten und Protokolle. Tief in die Nacht hinein saß +der Herzog mit den sechs Männern über diesen Papieren. Vierundzwanzig +Todesurteile bestätigte er, und unter diesen befand sich das Christoph +von Denows. Zweiunddreißig der Verurteilten begnadigte er dahin, »daß +sie zur Straf sich verpflichten sollen, im Land zu Ungarn auf dem +Grenzhause Groß-Wardein wider den Erbfeind der Christenheit zu Wasser +und zu Lande, in Sturm und Schlachten jederzeit, wie ehrlichen +Kriegsleuten solches gebührt, sich gebrauchen zu lassen«. -- +Siebenundzwanzig Männern wurde auf einen gewöhnlichen »Urfried« das +Leben und die Ehre geschenket und sie ihrem Fähnlein wieder +einverleibt. -- Zweien wurde das Leben und die Ehre ohne Bedingung +geschenkt. Der erste war Erdwin Wüstemann, der andere ein Söldner, +genannt Klaus Rischemann von Calvörde. Alle diese Schlüsse wurden den +Gefangenen noch in derselben Nacht bekannt gemacht. + + + + + VII. + + +Der Schnee lag hoch in den Straßen und auf den Plätzen der Stadt und +Festung Wolfenbüttel. Der Sturm hatte sich mit Anbruch des Tages ganz +gelegt, es war wieder still und ruhig geworden, und leise träufelte es +von den Dächern, denn die Luft war warm und mit Feuchtigkeit gefüllt; +mit dumpfem Geräusch bewegte sich das Volk in den Gassen. + +Die Fenster der Schloßkirche glänzten rötlich in die trübe +Morgendämmerung herein, und feierlich erklang die Orgel und der Gesang +vieler Menschenstimmen: + + Allein zu dir, Herr Jesu Christ, + Mein Hoffnung steht auf Erden. -- + +Im Schein der Lichter und Lampen erglänzte Harnisch an Harnisch in dem +heiligen Gebäude: den Verurteilten sollte ihre letzte Predigt gehalten +und das Abendmahl ihnen gereicht werden. Der junge Herzog saß in seinem +Stuhl, das Gebetbuch vor sich; alle Offiziere der Besatzung waren in +Wehr und Waffen zugegen, und die Wände entlang und im Schiff der Kirche +drängte sich ein bärtiges ernstes Kriegergesicht an das andere. Die +Vierundzwanzig, die sterben sollten, saßen auf einer niedern Bank unter +der Kanzel, auf welcher der Magister Basilius im schwarzen Chorrock mit +der Halskrause stand, bereit, seine Rede über die beiden Schächer am +Kreuz zu beginnen. In einem dunkeln Winkel unter der Orgel stand Erdwin +Wüstemann und hielt die schluchzende Anneke im Arm; um sie her knieten +oder standen die vom Tode losgesprochenen Meuterer, denen man die +Fesseln abgenommen hatte. + +Und jetzt schwieg die Orgel und der Gesang. Das Wort des Evangelisten +Lukas wurde gelesen: + +»Aber der Übeltäter einer, die da gehängt waren, lästerte ihn und +sprach: Bist du Christus, so hilf dir selber und uns! -- Da antwortete +der andere, strafte ihn und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor +Gott, der du in gleicher Verdammnis bist? Wir sind billig darinnen, denn +wir empfangen, was unsere Taten wert sind; dieser aber hat nichts +Ungeschicktes gehandelt! -- Und er sprach zu Jesu: Herr, gedenke an +mich, wenn du in dein Reich kommst! -- und Jesus sprach zu ihm: +Wahrlich, ich sage dir, heut wirst du mit mir im Paradiese sein!« -- + +Überlaut riefen bei diesen letzten Worten des Textes einige der +Verurteilten: »Das helfe uns der allmächtige Gott!« und hoben die +kettenklirrenden Hände gefaltet hoch empor. Das Auge Christoph von +Denows aber leuchtete plötzlich in einem Glanz, welcher darin bereits +für immer erloschen schien. Hatte er eine Vision? Rief ihm eine süße +bekannte Stimme von oben? Erschien ihm winkend die tote Mutter? + +Christoph von Denow war zum Sterben bereit. -- + +»Gott, Gott, laß so nicht das Haus Denow zu End kommen!« stöhnte in +seinem Winkel Erdwin, der Knecht. »Herr, schenke du ihm einen adeligen +Tod! Laß diesen Kelch an mir vorüber gehen!« + +»Er soll mir den Kopf zertreten und über meinen leblosen Leib weggehen, +wenn er mich nicht hören will!« sagte Anneke Mey tonlos. + +Und Dominus Basilius Sadler begann seine Buß- und Trostpredigt und +teilte sie in die zwei Punkte: + +Erstlich, wie sich der »heilige« Schächer am Kreuz in einer letzten Not +gehalten. + +Zum andern, wie herrlich ihn Christus getröstet habe. + +Der Himmel im Osten aber färbte sich immer purpurner, und die Lichter +und Lampen der Kapelle erblaßten mehr und mehr vor dem Glanz, welchen +Gott über die winterliche Welt leuchten ließ. Die Gefangenen neigten die +Häupter tiefer und tiefer. + +»-- Euer Weib und Kinder befehlet ihr, die ihr welche habt, Gott dem +Allmächtigen, der ist der Waisen Vater und der Witwen Richter. Ist schon +dieser Tod vor der Welt schmählich, so gedenket, wenn ihr euch bekehret, +daß ihr Gottes Kinder seid, dann wird solch Leiden ehrlich und herrlich. +Denn der Tod seiner Heiligen ist wert gehalten vor dem Herrn.« -- + +»Einen ehrlichen Tod! o Gott, schenke ihm einen adeligen Tod!« murmelte +Erdwin, der Knecht. + +»So gebe Gott der Allmächtige euch allen die Gnade seines heiligen +Geistes, daß ihr euer' Sünd von Herzen erkennt und euch leid sein +lasset, euch im wahren Glauben zu Christo wendet und darin bis ans Ende +verharret, euer' Seel in Geduld fasset, allen Menschen von Herzen +vergebet und verzeihet, heut, diesen Tag, Gott eure Seele opfert und +überantwortet und am großen Tag des Herrn mit Freuden auferstehet und +mit Leib und Seele ewig lebet! Amen, Amen, Amen!« + +Der Sand war verlaufen in der Uhr auf der Kanzel. Der Herzog verließ mit +seinen Hofbeamten seinen Stuhl, Anneke Mey verschwand von der Seite +Erdwins, ohne daß dieser es bemerkte; -- unter den Klängen des alten +traurigen Chorales: Wenn mein Stündlein vorhanden ist -- wurde den +Verurteilten das Abendmahl gereicht. + +Nun war auch das geschehen; in die letzten Klänge der Orgel mischte sich +grell und schneidend ein anderer Klang -- der Schall des +Armensünderglöckchens: Der Henker wartete an der Tür des Hauses Gottes! + +Im langsamen Zug traten die Verurteilten und Gefangenen, von ihren +Wächtern umgeben, hinaus aus der Schloßkirche, vor welcher sie die +harrende Menge mit wildem Geschrei und Droh- und Schmähworten empfing. +Der schwere Gang begann, in das goldne Morgenrot hinein, über den +Schloßplatz, die Dammbrücke, durch die Heinrichsstadt dem Kaisertor zu. +Alle Gassen, durch welche der Zug ging, waren mit herzoglichen Reitern +und den gewaffneten Bürgern besetzt, um den Andrang des Volks zu +bändigen. + +Vor dem Kaisertor waren die vier Galgen gebaut, woran die vierundzwanzig +Leben enden sollten. Fast eine halbe Stund verging, ehe die Verurteilten +unter ihnen standen. Der Ring war geschlossen auf zwei Seiten von den +Hellebardierern, auf den beiden andern Seiten von den Musketenschützen, +deren Röhre auf den Gabeln lagen, deren glimmende Lunten zum +augenblicklichen Gebrauch aufgeschroben waren. Dicht vor dem Gefreiten +Arendt Jungbluth hielten sich Erdwin Wüstemann und der Junker Christoph +von Denow. + +Der Alte hatte den Arm um seinen jungen Herrn geschlungen, und dieser +das Haupt an die Brust des treuen Knechts gelegt. Sie sprachen leise +zueinander. + +»Weiß nicht, wo sie geblieben ist! weiß nicht, wo sie bleibt!« sagte der +Alte. + +»Sie hat mich nicht sterben sehen wollen; -- 's ist auch besser so! O +schütze sie -- halte sie, trag sie auf den Händen und im Herzen und +verlaß sie nie und nimmer -- ich will meiner Mutter von ihr sagen, wenn +ich zu ihr komm'.« + +»O Junker, Junker, und Euer Vater« -- + +»Vergiß nicht, was du ihm versprochen hast.« + +»Es wird geschehen, so wahr mir Gott helfe!« sagte dumpf der Alte. + +»Schau, es geht an -- da hast du den Ring -- mein Schwert liegt versenkt +im Moor, es ist ein gutes, tadelloses Schwert geblieben! -- Ihr sag -- o +Anneke! Anneke!« Der Junker brach ab; er vermochte es nicht, weiter zu +sprechen. + +Unterdessen war eine Totenstille in der Menschenmenge eingetreten, die +aber jedesmal, wenn die Henker einen der Meuterer des Reichsheeres von +der Leiter stießen, in ein gräßliches, langanhaltendes Geheul, durch +welches scharf das Wirbeln der Trommel klang, überging. -- -- +Dreiundzwanzig Mal hatte das Volk aufgeschrien. -- + +»Christoph von Denow!« rief nun der Profoß mit lauter Stimme. + +Zum letztenmal lagen sich Christoph und Erdwin in den Armen. + +»Lebe wohl! lebe wohl!« flüsterte der erste -- »vergiß nicht!« -- + +»So gnade Gott mir und Euch!« schrie der Knecht Wüstemann und strich die +langen greisen Haare aus der Stirn zurück. Der Junker von Denow stand +am Fuße der Leiter! + +Er drückte die Hand auf das Herz und setzte den Fuß auf die erste +Staffel: »O Anneke, süße Anneke!« + +Der Gedanke kam ihm, er würde sie erblicken in der Menge, welche wieder +in unheimlichster Stille den Richtplatz bedeckte; mit einem Sprung war +er oben an der Seite des Henkers, der ihn mit dem Strick in der Hand +erwartete. Er stieß die Hand desselben zurück -- seine Augen schweiften +über all die Tausende emporgerichteter Gesichter. -- + +»O Anneke Mey, liebe Anneke, wo bist du? wo bist du? weshalb hast du +mich verlassen?!« + +Wieder streckte der Henker die Hand nach ihm aus; er hielt ein Blech, +auf welchem die Worte standen »Meutmacher und Meineidiger« und wollte es +dem Verurteilten an einem Bande um den Hals werfen. + +»Lebe wohl, süße Anneke Mey!« flüsterte Christoph von Denow; er schlug +die Hand des Henkers abermals zur Seite, klirrend fiel das Blech, die +Leiter nieder, zur Erde. -- + +Mit einem wilden, entsetzlichen Schrei sprang Erdwin Wüstemann einen +Schritt zurück, mit einem Griff riß er das Feuerrohr aus den Händen +Arendt Jungbluths und an seine Wange. Der Schuß krachte -- »Gnade Gott +mir und dir!« + +»Dank, Erdwin -- hast -- Wort gehalten!« sprach Christoph von Denow. Er +schwankte -- breitete die Arme aus: »Lebe -- wohl -- süße -- Anneke!« +Der entsetzte Henker wollte ihn halten, aber im dumpfen Fall stürzte der +Körper die Leiter herab in den blutigen Schnee. + +Aufbrüllte die Menge und tobte durcheinander, der Ring löste sich -- die +Offiziere, die Beamten, der Gewaltiger stürzten sich auf den Knecht +Erdwin, welcher regungslos dastand, das abgeschossene Rohr in der Hand. + +Und jetzt ein neues Geschrei von der Stadt her: »Haltet, haltet!« + +Ein Reiter mit einem Papier in der Hand, im Galopp ansprengend! Ihm nach +ein zweiter Reiter, vor sich auf dem Pferd ein halbohnmächtiges, +todtbleiches Mädchen. -- + +»Halt, halt! Befehl, den Verurteilten Christoph von Denow zurückzuführen +ins Gewahrsam!« + +Anneke Mey leblos auf dem leblosen Körper des Erschossenen -- Erdwin +Wüstemann besinnungslos in den Armen Arendt Jungbluths -- -- -- +Trompetenschall von der Torwache; von der Stadt her eine neue +Reiterschar: »Der Herzog! der Herzog! -- Zu spät! zu spät!« -- -- -- -- + +In dem wiedergebildeten Ring hielt der junge Fürst mit seinem Gefolge; +vor ihm stand barhäuptig der Profoß neben der schrecklichen Gruppe am +Boden und erzählte das Vorgefallene. Als er geendet, stieg der junge +Fürst ab von seinem Hengst und näherte sich dem treuen Knecht des Hauses +Denow: + +»Weshalb hast du das getan?« + +Der Angeredete blickte irr und wirr im Kreise umher, antwortete nicht, +sondern brach nur in ein herzzerreißendes Gelächter aus. + +Der Herzog legte die Hand an die Stirn; -- dann wandte er sich: + +»Hebt doch das Kind von der Leiche!« + +Der Leutnant von der Festung, Johannes Sivers, beugte sich nieder, um +dem Befehl nachzukommen. Es gelang ihm mit Mühe: + +»O gnädiger Gott, tot, tot, fürstliche Gnaden!« + +Ein dumpfes Gemurmel ging durch die lauschende Menge; der Fürst schritt +finster sinnend einige Minuten auf und ab. Dann hob er das Haupt: + +»Bei meinen Vätern, ich glaub', da ist ein bös Ding getan! leget die +Dirne und den toten Knaben auf die Gewehrläufe -- es ist Unsere Meinung +und Wille, daß das Gericht wieder beginne. Wir sind entschlossen, +selbsten im Ring zu sitzen!« + +Während dieser letzten Worte hatte sich Erdwin Wüstemann langsam +aufgerichtet; jetzt stand er wieder fest auf den Füßen. Der Herzog +bemerkte es, er legte ihm die Hand auf die Schulter: + +»Ihr habet hart und schnell in unser Gericht eingegriffen. Stehet zu mir +nun auch im Ring, daß die Wahrheit an den Tag kommt! Nachher, wenn's +sich ausgewiesen hat, wie ich es mir zusammendenke, wollen Wir, daß Ihr +die dort gen Ungarn führet als Unser Ehrbarer, Mannhafter und Getreuer! +Höret Ihr, Hauptmann Erdwin Wüstemann?! Nun hebet die Leichen und rühret +die Trommeln -- fort! fort!« + +Über der blutigen Morgenröte hatten sich die Wolken wieder dunkel +zusammengezogen. Wieder sanken leise einzelne weiße Flocken herab. Sie +mehrten sich von Augenblick zu Augenblick und deckten bald, einem +Leichentuch gleich, die Körper Christophs und Annas, wie sie durch die +Gassen der Stadt Wolfenbüttel, dem Zuge der Krieger und Bürger voran, +dicht hinter dem Gefolge des Herzogs, welcher mit gesenktem Haupte +vorausritt, der Gerichtsstätte am Schloß zugetragen wurden. Der alte +Knecht Erdwin ging neben seinem jungen Herrn her; aber er wußte nichts +davon -- dunkel war es in ihm und um ihn! -- + +=So starb der Junker Christoph von Denow eines adeligen Todes!= + + + + + ********************************************* + * * + * Ein Geheimnis * + * * + * Lebensbild aus den Tagen Ludwigs XIV. * + * * + ********************************************* + + + + + I. + + In der Gasse Quincampoix. + + +Wenn man bedenkt, was für wunderliche Geschichten in dieser Welt +tagtäglich geschehen, so muß man sich sehr wundern, daß es immerfort +Leute gegeben hat und noch gibt, welche sich abmühten und abmühen, +selbst seltsame Abenteuer zu erfinden und sie ihren leichtgläubigen +Nebenmenschen durch Schrift und Wort für Wahrheit aufzubinden. Die +Leute, die solches tun, verfallen denn auch meistens -- wenn sie ihr +leichtfertig Handwerk nicht ins Große treiben und was man nennt große +Dichter werden, -- der öffentlichen Mißachtung als Flausenmacher und +Windbeutel, und alle Vernünftigen und Verständigen, die sich durch ein +ehrlich Handwerk ernähren, als wie Prediger, Leinweber und Juristen, +Bürstenbinder, Ärzte, Schneider, Schuster und dergleichen, blicken mit +mitleidiger Geringschätzung auf sie herab, und das mit Recht! + +So sage ich denn reu- und wehmütig _confiteor, confiteor; -- mea culpa, +mea culpa!_ so beginne ich denn meine -- =wahre Geschichte=. + +Es war in dem durch die Seeschlacht von La Hogue für das Glück und den +Glanz des französischen Königs und Volkes so unheilvollen Jahre 1692. +Viel Not und Elend herrschte im Lande; in Guienne, Bearn, Languedoc und +der Dauphinée starben die Menschen zu Tausenden vor Hunger; Bankerotte, +greuliche Mordtaten, Aufstände waren an der Tagesordnung; -- es war, als +wolle es abwärts gehen mit dem großen Louis. Es regnete, und der +Novemberwind fuhr in kurzen Stößen scharf über die Stadt Paris und durch +die Gasse Quincampoix, welche letztere gar wüst, schmutzig und +verwahrlost ausschauete. Und sah die Gasse Quincampoix an diesem düstern +Novembernachmittag häßlich aus, so gewährten die Menschen, welche sie +bevölkerten, einen noch schlimmern Anblick. War es nicht, als ob das +allgemeine Unglück jedem Gesicht seinen Stempel aufgedrückt habe? -- O +wie verkommen erschien diese französische Nation, welche sich für die +erste der Welt hielt. + +Vier Uhr schlug's, als ein junger Mensch von ungefähr achtundzwanzig +Jahren, hager, bleichgelblich von Gesicht, schwarzhaarig, schwarzäugig, +in luftigen, ärmlichen, schäbigen Kleidern, in der Gasse Quincampoix in +die Kneipe zum Dauphinswappen trat, um seine letzten Sols an eine +Mahlzeit zu wenden. =Stefano Vinacche= hieß dieser junge Mann; ein +Neapolitaner war er von Geburt, ein Abenteurer vom reinsten Wasser. Als +er in die Gargotte eintrat, herrschte in derselben ein wahrer +Höllenlärm; ein Sergeant vom Regiment Villequier war mit einem Kornet +vom Regiment Ruffey über dem Spiele in Streit geraten, ein +Perückenmacher zankte mit einem Lakaien der Prinzessin von Conti über +die Frage: ob es recht sei, daß Monsieur de Pomponne, der +Staatsminister, so viel einzunehmen habe, als ein Prinz von Geblüt; -- +andere Gäste unterhielten sich über andere Gegenstände mit so viel Lärm +als möglich. Im Hinterzimmer, welches an die Kneipstube grenzte, war ein +äußerst hitziger Wortkampf ausgebrochen zwischen dem Wirt zum +Dauphinswappen, Claude Bullot, und seiner hübschen galanten Tochter, -- +kurz, alles ging drunter und drüber, und nur Margot die Kellnerin, eine +Picarde, bewahrte ihren Gleichmut, blickte vom Kamin aus mit +untergeschlagenen Armen in das Getümmel und gab Achtung, daß dem +Sergeanten und dem Kornet jede zerbrochene Flasche, jedes zertrümmerte +Glas richtig angekreidet wurden. Margot die Picarde wußte, daß im +Notfall die Marechaussée in der Gaststube alles schon ins Gleichgewicht +bringen würde, und was im Hinterzimmer vorging, zwischen ihrem Herrn und +der Mademoiselle, machte ihr das höchste Vergnügen. -- + +Am Kamin legte Margot die Picarde dem Neapolitaner das Kuvert, und der +Fremde war allzu ausgehungert und allzu naß, um anfangs an etwas anderes +zu denken, als den Hunger aus dem Magen und die Kälte aus den übrigen +Gliedern zu verjagen. Ruhig setzte er sich auf den ihm angewiesenen +Platz, aß und trank, trocknete seine Kleider, bis er allgemach wieder +auflebte und fähig wurde, seine Aufmerksamkeit den Vorgängen in seiner +Umgebung zuzuwenden. Der Sergeant vom Regiment Villequier erhielt +richtig einen Degenstoß in die Schulter, verhaftet wurde darüber der +Kornet vom Regiment Ruffey; die Bürger, Lakaien, Diebe und Tagediebe +zerstreuten sich mit einbrechender Dämmerung, um sich vor der Dunkelheit +zu retten, oder in der Dunkelheit ihren lichtscheuen Geschäften +nachzugehen. Es wurde still in der Gargotte, nur im Hinterzimmer konnte +man sich immer noch nicht beruhigen. In der Tür, welche auf die Gasse +führte, stand die Kellnerin Margot und blickte in den Regen und die +Nacht hinaus, das Feuer im Kamine prasselte und knatterte und warf +seinen roten Schein über die Tische und Bänke des weiten Gemaches, die +trübe Hängelampe qualmte an der geschwärzten Decke; niemand störte jetzt +mehr den jungen Neapolitaner in seinen trüben Gedanken. Mechanisch +klimperte er mit den wenigen Geldstücken in seiner Tasche; -- was sollte +er beginnen, um nicht Hungers zu sterben, um nicht in den Gassen dieses +schmutzigen, kalten, stinkenden Paris zu erfrieren? »O Neapel, Neapel!« +seufzte Stefano Vinacche. + +Jawohl, etwas anderes war es, eine Nacht obdachlos am Strande des +tyrrhenischen Meeres, ein anderes, eine Nacht obdachlos am Ufer der +Seine zuzubringen. Eine Art stumpfsinniger Schlaftrunkenheit überkam den +jungen Italiener, seine Augen schlossen sich unwillkürlich, und immer +dumpfer und verworrener vernahm er das Schluchzen der Mademoiselle +Bullot und die kreischende Stimme des zornigen Vaters. + +Aber was war das? Plötzlich schwand jedes Zeichen von Ermüdung, von +Erschöpfung an dem Italiener. Vorgebeugt saß er auf seinem Stuhle und +horchte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit nach der Tür hin, welche in +das Hinterzimmer führte. Das Wechselgespräch zwischen Vater und Tochter +war dem Fremden auf einmal interessant geworden durch einen Namen, der +soeben mehrere Male darin vorgekommen war. + +Immer gespannter horchte Vinacche. + +Hatte nicht Meister Claude Bullot, ehe ihm Monseigneur der Herzog von +Chaulnes die Kneipe zum Dauphinswappen einrichtete, als Seifensieder +Bankerott gemacht? + +War nicht Mademoiselle Bullot ein reizendes Schätzchen, dem man schon +etwas zu Gefallen tun konnte? + +Hoch spitzte Stefano Vinacche die Ohren beim Namen des Herzogs von +Chaulnes. + +»Oho, Stefano, solltest du da unvermutet in den Honigtopf gefallen sein? +Oho, Glück geht immer über Verstand, -- _va' piu un' oncia di fortuna, +che una libra di sapere_. Achtung, Achtung, Vinacche!« + +Mancherlei sprach der Vater im Hinterzimmer der Kneipe zum Wappen des +Dauphins. Mancherlei sprach das Töchterlein dagegen; immer fröhlicher +rieb sich Stefano die Hände, bis endlich die Verbindungstür mit Macht +aufgerissen wurde und Mademoiselle -- _éplorée_ in das Schenkzimmer +stürzte. Hinter ihr erschien der zornige Papa, einen zusammengedrehten +Strick in der Hand: + +»Warte, Kreatur!« + +Stefano Vinacche wußte schon längst, was er zu tun hatte. Er warf sich +auf den ergrimmten Gargottier und packte seinen erhobenen Arm. + +»Monsieur?!« + +»Monsieur!« + +»Laßt mich frei! was fällt Euch ein?« + +»Ich leid's nicht, daß Ihr Mademoiselle mißhandelt; -- tretet hinter +mich, Mademoiselle!« + +»Margot, Margot!« rief endlich der Wirt zum Dauphinswappen. + +Margot erschien, stemmte aber nur die Arme in die Seite und sah der +Szene zu, ohne ihrem Herrn zu Hilfe zu kommen. + +»Haltet ihn, um Gottes willen, haltet ihn, er wird mich ermorden, wenn +Ihr ihn freilaßt!« rief Mademoiselle Bullot. + +»Seid ruhig, Schönste; er soll Euch nichts zuleide tun. Pfui, schämt +Euch, Monsieur, wie könnt Ihr eine liebenswürdige Tochter also +behandeln?« + +»Ich frage Euch zum letztenmal, wollt Ihr mich loslassen?« + +»In Ewigkeit nicht, wenn Ihr mir nicht den Strick gebt, Signor, und +versprecht artig zu sein gegen die Damen, Signor!« + +»Morbleu!« schrie der Wirt zum Dauphinswappen, und der Himmel weiß, was +geschehen wäre, wenn nicht der Eintritt eines in einen Mantel +gewickelten Mannes der Szene ein Ende gemacht hätte. + +Der Mantel fiel zur Erde, und Wirt und Töchterlein und Kellnerin und +Italiener riefen mit einer Stimme: + +»Monseigneur!« + +Der Eingetretene war Karl d'Albert, Herzog von Chaulnes, Pair von +Frankreich, Vidame von Amiens, ein ältlicher Mann, dem man den »großen +Herrn« nicht im mindesten ansah, woran der bürgerliche Anzug durchaus +nicht schuld war; ein Mann, von welchem einige Jahre später ein +deutscher Schriftsteller sagte: »Er erwartet den Tod mitten in seinen +Vergnügungen; er ist freigebig ohne Unterschied und von einem sehr +abgenutzten Gehirne.« + +»Holla, das geht ja lustig her!« rief der Herzog. »_Notre Dame de +Miracle_, und auch Vinacche dabei! Sagt mir um aller Teufel willen --« + +Mademoiselle Bullot ließ ihn nicht aussprechen; sie eilte auf den hohen +Herrn zu und -- warf sich an seinen Hals, schluchzend, Gift und Galle +speiend: + +»Monseigneur, ich halt's nicht mehr aus; Monseigneur, errettet mich aus +den Händen meines Vaters! Wäre dieser edle junge Mann eben nicht +dazwischen gekommen, er hätte mich gewißlich zu Tode geschlagen.« + +»Wieder das alte Lied? Bullot, Bullot, ich frage Euch um Gottes willen, +glaubt Ihr in der Tat, ich habe Euch Eurer roten Nase wegen zum +Eigentümer dieses Dauphinswappens gemacht? Ich sage Euch, auf den Knieen +solltet Ihr Eure liebenswürdige Tochter verehren; -- _notre Dame de +Miracle_, ich sage Euch zum allerletzten Male, behandelt Mademoiselle, +wie es sich ziemt, oder --« + +»O Monseigneur!« flehte Meister Claude, welcher seinen Strick längst +ganz verstohlen in den Winkel geworfen hatte und katzenbuckelnd so +gemein und niederträchtig aussah, wie man unter der Regierung des +großen Louis nur aussehen konnte. »O Monseigneur, ich versichere Euch, +=sie= hat's darauf abgesehen, ihren unglückseligen Vater in ein +frühzeitig Grab zu bringen. Monseigneur, Ihr kennt sie nur von der einen +Seite; aber ich -- o Monseigneur!« -- + +»Still! Ihr seid ein Schurke, und Mademoiselle ist ein Engel! -- +beruhige dich, Kind --« + +»Monseigneur, er ist zu boshaft. Monseigneur, wenn Ihr mich wirklich +liebt, so laßt mich nicht in seiner Gewalt.« + +»Ruhig, ruhig, süßes Kind. Was ist denn nur eigentlich vorgefallen?« + +Ja, was war vorgefallen? + +Eine Zungenfertigkeit sondergleichen entwickelten Mademoiselle Bullot +und Meister Claude Bullot gegeneinander, doch haben wir mit dem +Ausgangspunkte des Streites nicht das mindeste zu schaffen und brauchen +nur zu sagen, daß der Herzog von Chaulnes, obgleich er im Grunde seines +Herzens dem erzürnten Papa recht geben mußte, in Anbetracht seiner +zarten Stellung zu Mademoiselle sich auf deren Seite stellte. Sehr +ärgerlich war der Herzog von Chaulnes! In äußerst lebendiger Stimmung +war er durch die Gasse Quincampoix zum Dauphinswappen geschlichen, nun +fand er statt Ruhe und Behagen, Unzufriedenheit und Streit; wo er +Lächeln und Lachen erwartet hatte, mußte er Tränen trocknen; -- _notre +Dame de Miracle_, es war zu ärgerlich! + +»Etienne,« sagte der Herzog zu Vinacche, »Etienne, ich bin dieses Lärms +müde; ich will nach Haus und du magst mit mir kommen. Meister Claude, +ich versichere Euch meiner gnädigsten Ungnade! Mademoiselle, Eure +rotgeweinten Augen betrüben mich sehr -- gute Nacht, Mademoiselle -- +dazu zweihundert Louisdor im Landsknecht verloren -- kommt, Etienne +Vinacche, Ihr mögt mit mir zum Hotel fahren, ich habe Euch etwas zu +sagen; ich habe eine Idee!« + +Vergebens hing sich Mademoiselle Bullot an den Arm des Herzogs mit den +süßesten Schmeicheleien und Liebkosungen. Er machte sich los, streckte +dem niedergeschmetterten Wirt zum Dauphinswappen eine Faust entgegen, +ließ sich von Vinacche den Mantel wieder um die Schultern legen und +verließ, im höchsten Grade mißmutig gestimmt, mit seiner »Idee« die +Gargotte, in welcher nach seinem Abzuge der Tanz zwischen Vater und +Tochter von neuem anging, doch diesmal mit allem Vorteil auf Seiten von +Mademoiselle. Meister Claude Bullot sah ein, daß er ein Esel -- ein +gewaltiger Esel war; demütig kroch er zu Kreuze und nahm jede Injurie, +welche ihm das Töchterlein an den Kopf warf, mit gekrümmtem Rücken in +Empfang. + +Unterdessen wateten mühsam der Herzog und der Italiener durch den +Schmutz und die Gefahren der Gassen von Paris, bis sie an einer Ecke zu +der harrenden Karosse des Herzogs gelangten. Mit tiefen Bücklingen riß +der Lakai den Wagenschlag auf. + +»Steig hinten auf, Etienne; ich habe mit dir zu reden,« sagte der Herzog +und warf sich in die Kissen seiner Kutsche. + +»Achtung, Stefano, jetzt mag's in deinen Topf regnen!« murmelte der +schlaue Neapolitaner, und schwerfällig setzte sich die Karosse in +Bewegung. + + + + + II. + + Gold. + + +Während vor dem flackernden Kaminfeuer in seinem Hotel der Herzog von +Chaulnes dem obdachlosen Vagabunden Stefano Vinacche den annehmbaren +Vorschlag tut, Mademoiselle Bullot, das liebenswürdige Erzeugnis der +Gasse Quincampoix, zu -- heiraten und dadurch nicht nur sich selbst, +sondern auch Monseigneur aus mancherlei ärgerlichen Verdrießlichkeiten +des Lebens herauszureißen, wollen wir erzählen, wer Stefano Vinacche +eigentlich war. Im Jahre 1689 war der junge Neapolitaner als Lakai im +Gefolge des Herzogs, dem er zu Rom mancherlei Dienste kurioser Art +geleistet haben mochte, nach Frankreich gekommen, ohne jedoch in diesem +Lande anfangs die Träume, welche ihm seine südliche Phantasie +vorspiegelte, zu verwirklichen. Es wird uns nicht gesagt, was ihn im +folgenden Jahre schon aus dem Dienste seines Gönners trieb, und ihn +bewog, sich als gemeiner Soldat in das Regiment Royal-Roussillon +aufnehmen zu lassen. Wir wissen nur, daß er im Jahre 1691 dem +Regimentsschreiber Nicolle, seinem Schlafkameraden, einige +Offiziersuniformen, welche derselbe ausbessern sollte, stahl und mit +ihnen desertierte, welches Wagestück aber fast übel abgelaufen wäre. Auf +dem Wege nach Paris, der Stadt, nach welcher von jeher eine dumpfe +Ahnung künftiger Geschicke das seltsame Menschenkind trieb, gefangen und +als Fahnenflüchtiger ins Gefängnis geworfen und zum Tode verurteilt, +entging er nur durch Verwendung des Grafen von Auvergne dem Galgen. Im +nächsten Jahre in Freiheit gesetzt, machte sich Stefano Vinacche von +neuem auf den Weg nach Paris, und haben wir seiner Ankunft in der +Gargotte zum Wappen des Dauphins in der Gasse Quincampoix soeben +beigewohnt. -- + +Ei, wie wunderlich, wunderlich spinnt sich ein Menschenleben ab! Wir +armen blinden Leutlein auf diesem Erdenballe wandern freilich in einem +dichten Nebel, der sich nur zeitweilig ein wenig hier und da lüftet, um +im nächsten Augenblicke desto dichter sich wieder zusammenzuziehen. Wir +getriebenen und treibenden Erdbewohner haben freilich nur eine dumpfe +Ahnung von dem, was im Getümmel ringsumher vorgeht. Warum sollten wir +uns auch in der kurzen Spanne Lebenszeit, die uns gegeben ist, viel um +andere Leute bekümmern, da wir doch so viel mit uns selbst zu tun haben? +Über allen Nebeln ist Gott; der mag zusehen, daß alles mit rechten +Dingen zugeht; der mag acht geben, daß sich der Faden der Geschlechter, +welchen er durch die Jahrtausende von dem Erdknäuel abwickelt, nicht +verwirrt. Nur weil sie abgewickelt werden, drehen sich Sonne, Mond, +Sterne; -- von jeder leuchtenden Kugel läuft ein Faden zu dem großen +Knäuel in der Hand Gottes, zu dem großen letzten Knäuel, in welchem +jeglicher Knoten, der unterwegs entstanden sein mochte, gelöst sein +wird, in welchem alle Fäden nach Farben und Feinheit harmonisch sich +zusammenfinden werden. + +Da ist solch ein Knötlein im Erdenfaden! wir finden es in unsrer +Erdgeschichte am Ende des siebenzehnten und Anfang des achtzehnten +Jahrhunderts nach Jesu Geburt, wo viel Sünde, Schande und Verderbnis +sich häßlich ineinander schlingen, wo Krieg und Sittenlosigkeit das +abscheulichste Bündnis geschlossen haben, daß das jetzige Gechlecht +schaudernd darob die Hände über dem Kopfe zusammenschlägt. + +Der Erzähler aber, des letzten großen knotenlosen Knäuels in der Hand +Gottes gedenkend, schlägt nicht die Hände über dem Kopfe zusammen; -- +den Handschuh hat er ausgezogen, mutig in die Wüstenei hineingegriffen, +einen längst begrabenen, vermoderten, vergessenen Gesellen +hervorgezogen. Da ist er -- =Stefano Vinacche= -- späterhin Monsieur +Etienne de Vinacche, großer Arzt, berühmter Chemiker, -- Goldmacher, +nächst Samuel Bernard der reichste Privatmann seiner Zeit!... + +»Also Etienne,« sprach der Herzog von Chaulnes zu dem halb verhungerten, +obdachlosen Vagabunden, »eine allerliebste Frau und eine vortreffliche +Aussteuer....« + +»_Servitore umilissimo!_« + +»Und, Etienne, eine Empfehlung an meinen Freund, den Herzog von Brissac. +Ihr geht nach Anjou, -- lebt auf dem Lande, wie die Engel _à la Claude +Gillot_, -- ich besuche Euch -- stehe Gevatter --« + +»Ah!« machte der Italiener mit einer unbeschreiblichen Bewegung des +ganzen Oberkörpers. + +»_Plait-il?_« + +»O nichts, Monseigneur!« sagte der Italiener. »Ihr seid mein +gnädigster, gütigster Herr und Gebieter.« Er machte eine Verbeugung bis +auf den Boden. + +»Wann soll die Hochzeit sein, Monseigneur?« + +»So schnell als möglich -- ach!« + +»Monseigneur seufzt?!« rief Stefano schnell. »Noch ist's Zeit, daß +Monseigneur Sein Wort zurücknehme; Mademoiselle Bullot ist ein reizendes +Mädchen; aber wenn Monseigneur die hohe Gnade haben wollte, mich wieder +zu seinem Kammerdiener zu machen --« + +»Nein, nein, nein, es bleibt dabei, Vinacche; Ihr heiratet die Schöne, +und ich -- _ah notre Dame de Miracle_ -- ich will hingehen und sorgen, +daß Madame von Maintenon und der Pater La Chaise davon zu hören +bekommen. Also geht, Vinacche; bis zur Hochzeit gehört Ihr wieder zu +meinem Haus. Der Intendant soll für Euch sorgen.« + +»Monseigneur ist der großmütigste Herr der Welt!« rief Vinacche, dem +Herzog die Hand küssend. Unter tiefen Bücklingen schritt er rücklings +zur Tür hinaus, und tief seufzend blickte ihm sein Gönner nach. + +Als sich die Tür hinter dem Italiener geschlossen hatte, murmelte +dieser: »_Corpo di Bacco_, Achtung, Achtung, Vinacche, Stefano mein +Söhnchen! Halte die Augen offen, mein Püppchen! Ist's mir nicht +versprochen bei meiner Geburt, daß ich vierspännig fahren sollte in der +Hauptstadt der Franzosen?!« + +Drinnen rieb sich der Herzog die Stirn und ächzte: + +»Ach, Madame von Maintenon ist eine große Dame! _Vive la messe!_« + +Acht Tage nach dem eben Erzählten war eine Hochzeit in der Gasse +Quincampoix. Der Wirt zum Dauphinswappen Claude Bullot verheiratete zu +seiner eigenen Verwunderung und zur Verwunderung sämtlicher Nachbaren +und Nachbarinnen seine hübsche Tochter mit einem ganz unbekannten jungen +Menschen, der nicht einmal ein Franzose war. Mancherlei Glossen wurden +darüber gemacht, und allgemein hieß es, Mademoiselle Bullot sei eine +Törin, welche nicht wisse, was man mit einem hübschen Gesicht und +tadellosen Wuchs in Paris anfangen könne. + +Da aber Mademoiselle Bullot und Stefano Vinacche mit ziemlich vergnügten +Mienen ihr Schicksal trugen, so mochten Papa und Nachbarschaft nach +Belieben sich wundern, nach Belieben Glossen machen. Sämtliche +Dienerschaft des Herzogs von Chaulnes verherrlichte die Hochzeit durch +ihre Gegenwart; Flöten und Geigen erklangen in der Gargotte zum Wappen +des Dauphins. Man sang, jubelte, trank auf das Wohl der Neuvermählten +bis tief in die Nacht. Zuletzt artete das Gelage nach der Sitte der Zeit +in eine wahre Orgie aus; blutige Köpfe gab's, und zum Schluß mußte der +Polizeileutnant einschreiten und die ausgelassene Gesellschaft +auseinander treiben. Am folgenden Tage machte das junge Paar sich auf +den Weg zum Gouverneur von Anjou, dem Herzog von Brissac, einem »armen +Heiligen, dessen Name nicht im Kalender steht«. + +Ein tüchtiges Schneegestöber wirbelte herab, als der Wagen der +Neuvermählten hervorfuhr aus der Gasse Quincampoix. Auf der Schwelle +seiner Tür stand der Vater Bullot mit der Kellnerin Margot, und beide +blickten dem Fuhrwerk nach, so lange sie es sehen konnten. Dann zog der +Wirt zum Dauphinswappen die Schultern so hoch als möglich in die Höhe +und trat mit der Picarde zurück in die Schenkstube, welche noch deutlich +die Spuren der Hochzeitsnacht an sich trug. + +»Alles in allem genommen, ist's doch ein Trost und ein Glück, daß ich +sie los bin,« brummte der zärtliche Papa. »Es hätte noch ein Unglück +gegeben; das war ja immer, als brenne der Scheuerlappen zwischen uns. +Vorwärts, Margot! einen Kuß und an die Arbeit, mein Liebchen, auf daß +das Haus rein werde.« + +Liebe Freunde, wer das Leben Stefano Vinacches beschreibt, der muß recht +acht geben, daß er seinen Weg im Nebel nicht verliere. Schattenhaft +gleitet die Gestalt des Abenteurers vor dem Erzähler her, bald zu einem +Zwerg sich zusammenziehend, bald riesenhaft anwachsend, gleich jener +seltsamen Naturerscheinung, die den Wanderer im Gebirge unter dem Namen +des Nebelgespenstes erschreckt. Bald klarer, bald unbestimmter tritt +Stefano Vinacche aus den Berichten seiner Zeitgenossen uns entgegen. Wir +wissen nicht, was ihn mit seiner Frau so schnell aus Anjou nach Paris +zurücktrieb; wir wissen nur, daß am neunten April 1693, an dem Tage, an +welchem Roger von Rabutin, Graf von Bussy, sein wechselvolles Leben +beschloß, der Papa Bullot in höchster Verblüffung die Hände über dem +Kopfe zusammenschlug, als er Tochter und Schwiegersohn zu Fuß, +kotbespritzt, mit höchst winziger Bagage, durch die Gasse Quincampoix +auf das Dauphinswappen zuschreiten sah. Der gute Alte traute seinen +Augen nicht und überzeugte sich nicht eher von der Wirklichkeit dessen, +was er erblickte, bis ihm Madame Vinacche schluchzend um den Hals fiel, +und Stefano ihn herzzerbrechend anflehte, ihn und sein Weib für eine +Zeit wieder unter sein Dach zu nehmen. + +»Wir wollen auch recht artige Kinder sein!« bat Madame Vinacche. + +»Und wir werden nicht lange Euch zur Last sein!« rief Stefano. + +»_Diable! diable!_« ächzte Meister Claude Bullot, und Margot, die +Picarde, gab ihm verstohlen einen Rippenstoß, daß er fest bleibe und +sich nicht beschwatzen lasse. + +Wer hätte aber den beredten Worten Stefano Vinacches widerstehen können? +Das Ende vom Liede war, daß das junge Ehepaar mit seinen armen +Habseligkeiten einzog in die Kneipe zum Dauphinswappen, und daß Meister +Bullot und Margot, die Kellnerin, nachdem Madame Vinacche die Schwelle +überschritten hatte, seufzend sich in das Unvermeidliche fügten. + +»Ach, Margot, Margot, nun sind die schönen Tage wieder vorüber!« seufzte +Meister Claude, und während die Heimgekehrten im oberen Stockwerk des +Hauses ihre Einrichtungen trafen, saßen am Kamin in der leeren +Schenkstube der Wirt und seine Kellnerin trübselig einander gegenüber +und konnten sich nur durch das weise Wort, daß man das Leben nehmen +müsse, wie es komme, -- trösten. Dann schlossen die beiden Parteien +einen Kompromiß, in welchem festgestellt wurde, daß weder Monsieur +Etienne noch Madame in die Angelegenheiten des Papas und der Kellnerin +Margot sich mischen sollten, und daß sie durch ihnen passend scheinende +Mittel für ihrer Leiber Nahrung und Kleidung selbst zu sorgen hätten. +Wohnung, Licht und Feuerung versprachen Meister Bullot und Margot die +Picarde zu liefern. + +Feierlich wurde dieser Vertrag von einem Stammgast der Gargotte, dem +Sieur Le Poudrier, einem Winkeladvokaten, verbrieft und besiegelt, und +man lebte fortan miteinander, wie man konnte. + +Da der Herzog von Chaulnes seine Verpflichtungen gegen das junge Ehepaar +glänzend abgetragen zu haben glaubte, so floß die Quelle seiner Gnaden +immer spärlicher und versiegte zuletzt ganz. Die Haushaltung im zweiten +Stockwerk des Dauphinswappens mußte für Eröffnung anderer Geldquellen +sorgen, zumal da noch im Laufe des Sommers ein kleiner Vinacchetto das +Licht der Gasse Quincampoix erblickte. Die Not und der Zug der Zeit +machten Stefano zu einem Charlatan; aber jedenfalls zu einem genialen +Charlatan. + +»_Anima mia_, laß den Mut nicht sinken, wir fahren doch noch +vierspännig!« sagte er zu seiner hungernden Frau und fing an, den +Nachbarn und Nachbarinnen, sowie den Gästen, welche die Gargotte seines +Schwiegervaters besuchten, Mittel gegen das Fieber und andere +unangenehme Übel zu verkaufen. + +Allmählich verwandelte sich das Wohngemach der kleinen Familie in ein +schwarzangeräuchertes chemisches Laboratorium; mit wahrer Leidenschaft +warf sich Stefano Vinacche, obgleich er bis an sein Ende weder lesen +noch schreiben lernte, auf das Studium der Simpla und der Mineralien. + +Eine gewaltige Veränderung ging mit dem seltsamen Menschen vor; -- nicht +mehr war er der vagabondierende Abenteurer, der das Glück seines Lebens +auf den Landstraßen, in den Gassen suchte. Tag und Nacht schritt er +grübelnd einher, das Haupt zur Brust gesenkt, die Arme über der Brust +gekreuzt. Wer konnte sagen, was er suchte? + +Eine fast ebenso überraschende Veränderung kam über das junge Weib +Vinacches. Die frühere Mätresse des Herzogs von Chaulnes verehrte den +ihr aufgedrungenen Mann auf den Knien, sie war die treuste, liebendste +Gattin geworden, und ist es über den Tod Stefanos hinaus geblieben. + +=Sie= konnte lesen, =sie= konnte schreiben: --wie viele alte vergilbte +Bouquins hat sie dem suchenden Forscher, in stillen Nächten, während sie +ihr Kind wiegte, vorgelesen! + +Der Vater Bullot hatte nicht mehr Ursache, sich über das wilde, +unbändige Gebaren seiner Tochter zu beklagen. Die eigentümliche Gewalt, +welche Stefano Vinacche späterhin über die schärfsten, klarsten Geister +hatte, trat auch jetzt in der engeren Sphäre schon bedeutend hervor. +Papa Claude, Margot die Picarde, Gratien Le Poudrier der Rabulist, alle +Nachbaren und alle Nachbarinnen beugten sich dem schwarzen, funkelnden +Auge Stefanos. Der Stein war ins Wasser gefallen, und die Wellenringe +liefen in immer weitern Kreisen fort; -- weit, weit über die Gasse +Quincampoix hinaus verbreitete sich der Ruf Stefano Vinacches! + +Unterdessen schlug man sich in Deutschland, Flandern, Spanien, Italien +und auf der See. In Deutschland verbrannte Melac Heidelberg, und der +Feldmarschallleutnant von Hettersdorf, der »die _poltronnerie_ seines +Herzens mit großen _Peruquen_ und bebremten Kleidern zu bedecken +pflegte«, -- Hettersdorf, der elende Kommandant der unglücklichen Stadt, +wurde auf einem Schinderkarren durch die Armee des Prinzen Ludwig von +Baden geführt, nachdem ihm der Degen vom Henker zerbrochen worden war. +Aus Flandern schickte der Marschall von Luxemburg durch d'Artagnan die +Nachricht vom Sieg bei Neerwinden. Roses in Katalonien wurde erobert. Zu +Versailles, zu Paris in der Kirche unserer lieben Frau sang man _Te Deum +laudamus_; aber im Bischoftum Limoges starben gegen zehntausend Menschen +Hungers. Zu Lyon wie zu Rouen fiel das Volk in den Gassen wie Fliegen, +und ihrer viel fand man, welche den Mund voll Gras hatten, ihr elendes +Leben damit zu fristen. + +Stefano Vinacche, nach einer Reise in die Bretagne, verließ die Gasse +Quincampoix und das Haus seines Schwiegervaters und zog in die Gasse +Bourg l'Abbé. Strahlend brach die Glückssonne Stefanos durch die Wolken. +Fünf Monate war er in der Bretagne gewesen, und niemand hat jemals +erfahren, was er dort getrieben, -- gesucht, -- gefunden hat! Zu Fuß +zog er aus, in einer zweispännigen Karosse kehrte er zurück. Zwei +Lakaien und ein Kammerdiener bedienten ihn in der Straße Bourg l'Abbé, +wohin er aus der Gasse Quincampoix zog. Von neuem errichtete er in +seiner jetzigen Wohnung seine chemischen Feuerherde, von neuem braute er +seine Rezepte, und das Gerücht ging aus, Monsieur Etienne Vinacche suche +den Stein der Weisen, und es sei Hoffnung vorhanden, daß er denselben +binnen kurzem finden werde; und wieder tritt dem Erzähler der alte +Gönner des unbegreiflichen Mannes, der Herzog von Chaulnes, entgegen, +welcher ihm zum Ankauf von Kohlen, Retorten und dergleichen Apparaten +zweitausend Taler gibt. + +Im Jahr der Gnade Eintausendsiebenhundert war das große Geheimnis +gefunden; -- Stefano Vinacche hatte das Projektionspulver hergestellt, +Etienne Vinacche machte -- + + =Gold!= + +In demselben Jahre Eintausendsiebenhundert kaufte =Monsieur de Vinacche= +aus dem Inventar von Monsieur, dem Bruder des Königs, für sechzigtausend +Livres Diamanten. + + + + + III. + + Glück und Glanz. + + +Wir schauen wie in ein Bild von Antoine Watteau durch das zarte +frühlingsfrische Blätterwerk zu Coubron -- fünf Meilen von Paris -- wo +Monsieur Etienne de Vinacche auf seinem reizenden Landsitze ein +glänzendes Fest gibt. Die untergehende Maisonne des Jahres +Siebzehnhunderteins übergießt die Landschaft mit rosigem Schein; -- +Lachen und Kosen und Flüstern des jungen Volkes ertönt im Gebüsch; +geputzte ältere Herren und Damen durchwandeln gravitätisch die +gradlinigen Gänge des Parkes. Karossen und Reitpferde mit ihrer +Begleitung von Kutschern, Lakaien und Läufern halten vor dem vergoldeten +Gittertor; Monsieur de Vinacche und seine Frau sind eben im Begriff, von +einem Teil ihrer Gäste, der nach Paris oder den umliegenden Landhäusern +zurückkehren will, Abschied zu nehmen. + +Die Dame Rochebillard, die Geliebte Tronchins, des ersten Kassierers +Samuel Bernards, des »_fils de Plutus_«, -- wird von Madame de Vinacche +zu ihrer Kutsche geleitet; Monsieur Etienne befindet sich im eifrigen +Gespräch mit einem jungen Edelmann, dem Sieur de Mareuil. Für +fünftausend Livres will Vinacche dem Herrn von Mareuil einen +konstellierten Diamant, vermöge dessen man immerfort glücklich spielen +soll, anfertigen. Ein wenig weiter zurück unterhalten sich die beiden +reichen Bankiers van der Hultz, der Vater und der Sohn, mit Herrn +Menager, _Sécrétaire du Roi_ und Handelsdeputierten von Rouen; -- auf +einem Rasenplatz tanzen einige junge Paare nach den Tönen einer Schalmei +und eines Dudelsacks ein Menuett; bunte Diener tragen Erfrischungen +umher, für die abfahrenden Gäste erscheinen andere; der Chevalier von +Serignan, Monsieur Nicolaus Buisson, der Sieur Destresoriers, Edelleute +von der Robe, Edelleute vom Degen, Finanzleute, Beamte und so weiter mit +ihren Frauen und Töchtern, allgesamt angezogen von dem Glanz, der Pracht +und dem großen Geheimnis des einstigen neapolitanischen Bettlers Stefano +Vinacche. + +Hat sich aber um Mitternacht dieser Schwarm der Gäste verloren, so +erscheinen andere Gestalten. Aus verborgenen Schlupfwinkeln tauchen +Männer auf, finstere bleiche Männer mit zusammengezogenen Augenbrauen +und rauhen, rauchgeschwärzten Händen. Da ist Konrad Schulz, ein +Deutscher, den Herr von Pontchartrain später verschwinden läßt, ohne daß +man jemals wieder von ihm hört. Da sind Dupin und Marconnel, +hocherfahren in der geheimen Kunst. Da ist Thuriat, ein wackerer +Chemiker; da ist ein anderer Italiener, Martino Polli. Geheimnisvolle +Wagen, von geheimnisvollen Fuhrleuten begleitet, langen an und fahren +ab, und Säcke werden abgeladen und aufgeladen, die, wenn sie die Erde +oder einen harten Gegenstand berühren, ein leises Klirren, als wären sie +mit Goldstücken gefüllt, von sich geben, geheimnisvolle Feuer in +geheimnisvollen Öfen flammen auf, -- Wacht hält Madame de Vinacche, daß +die nächtlichen Arbeiter nicht gestört werden in ihrem Werke. + +Hüte dich, Stefano Vinacche! Im geheimen Staatsrat zu Versailles hat man +von dir gesprochen: Monsieur Pelletier von Sousy, der Intendant der +Finanzen, hat den Mann mit dem Kopf voll böser Anschläge, hat Monsieur +d'Argenson aufmerksam auf dich gemacht. + +Hüte dich, Stefano Vinacche! -- + +Wer klopft in dunkler Nacht an das Hinterpförtchen des Landhauses zu +Coubron? + +Salomon Jakob, ein Jude aus Metz, welcher die Verbindung des +»Unbegreiflichen« mit Deutschland vermittelt. + +Wer klopft in dunkler Nacht an die Pforte des Landhauses zu Coubron? + +Franz Heinrich von Montmorency-Luxemburg, Pair und Marschall von +Frankreich, welchen Stefano Vinacche die Kunst lehren soll, den Teufel +zu beschwören. + +In dunkler Nacht fährt nach Coubron der Herzog von Nevers, um sich in +die geheimen Wissenschaften einweihen zu lassen. + +In dunkler Nacht fährt nach Coubron Karl d'Albert, Herzog von Chaulnes, +und Madame de Vinacche empfängt ihn in brokatnen Gewändern, geschmückt +mit einer Cordeliere und einem Halsband im Wert von sechstausend Livres. + +»_Notre Dame de Miracle_, wie habe ich für Euer Glück gesorgt, +Allerschönste!« sagt der Herzog von Chaulnes, und die Tochter des Wirts +zum Dauphinswappen verbeugt sich mit dem Anstand einer großen Dame und +führt den hohen Gast und Gönner in ihren Salon, welcher den Vergleich +mit jedem andern zu Paris aushält. + +Stefano Vinacche trägt nicht mehr sein eigenes Haar; eine wallende +gewaltige Lockenperücke bedeckt sein kluges Haupt. Mit feiner Ironie +sagt er, in den wallenden Stirnlocken dieser seiner Perücke halte er +seinen _Spiritus familiaris_, sein »_folet_« verborgen und gefesselt. + +»_Notre Dame de Miracle_, Ihr seid ein großer Mann, Etienne!« sagt der +Herzog von Chaulnes, und der Hausherr von Coubron verbeugt sich +lächelnd: + +»O Monseigneur!« + +»Ja, ja, wer hätte das gedacht, als ich Euch in Italien von der +Landstraße aufhob? Wer hätte das gedacht, als ich Euch durch den Grafen +von Auvergne vom Galgen errettete; -- Vinacche, Ihr müßt mir sehr +dankbar sein.« + +Stefano legt die Hand auf das Herz. + +»Monseigneur, ich habe ein gutes Gedächtnis für empfangene Wohltaten. +Glaubt nicht, daß das Glück und die errungene Wissenschaft mich stolz +mache. Fragt meine Frau, was gestern geschehen ist.« + +»Wahrlich, Monseigneur, es war eine tolle Szene. Stellt Euch vor, es +befindet sich gestern eine glänzende Gesellschaft bei uns, Monsieur +Despontis, Monsieur von Beaubriant und viele andere, als ein abgelumpter +Mensch Etienne zu sprechen verlangt. Die Diener wollten ihn abweisen; +aber Etienne hört den Lärm und läßt den Vagabunden kommen. _Mon Dieu_, +was für eine Szene!« + +»Nun?!« + +»Nicolle war's, gnädigster Herr! Nicolle, meines Mannes Kamerad aus dem +Regiment Royal-Roussillon!« + +»Oh, oh, oh! ah, ah, ah!« lacht der Herzog. »Dem Wiederfinden hätt' ich +beiwohnen mögen. Das muß in der Tat eine eigentümliche Überraschung +gegeben haben.« + +»Ich fiel in Ohnmacht, und Etienne -- fiel dem Vagabunden um den +Hals --« + +»Und die Gesellschaft?« + +»Stand in starrer Verwunderung! Es war ein tödlicher Augenblick,« ruft +Madame de Vinacche klagend, doch Etienne sagt: + +»Ich hatte dem Manne einst ein schweres Unrecht zugefügt, jetzt war mir +die Gelegenheit gegeben, es wieder gutzumachen, und ich benutzte diese +Gelegenheit.« + +»_Notre Dame de Miracle_, ich werde der Frau von Maintenon diese +Geschichte erzählen. Ihr seid ein braver Gesell, Etienne. Ah, oh, _ou la +vertu va-t-elle se nicher_? wie Monsieur Molière sagt, -- sagt er nicht +so?« + +»Ich glaube, gnädiger Herr,« meint Vinacche, die Achsel zuckend, und +setzt hinzu, als eben jemand an die Tür des Salons mit leisem Finger +klopft: »Da kommt Konrad, uns zum Werk zu holen. Wenn es also beliebt, +Monseigneur, so können wir unsere Arbeit von neuem aufnehmen; Zeit und +Stunde sind günstig, jeder Stern steht an seinem rechten Platz, und gute +Hände schüren die Flamme!« + +In die geöffnete Tür schaut das finstere Gesicht des deutschen Meisters +Konrad Schulz: + +»Es ist alles bereit!« + +»Wir kommen!« sagt der Herzog von Chaulnes, mit zärtlichem Handkuß von +Madame Vinacche Abschied nehmend. In das chemische Laboratorium herab +schreiten die Männer. + +Um den schwarzen Herd stehen regungslos die Gehilfen des großen +Goldmachers. Atemlos verfolgt der Herzog jede Bewegung des Alchymisten. + +Der Meister arbeitet! + +Tiegel voll Salpeter, Antimonium, Schwefel, Arsenik, Qecksilber gehen +von Hand zu Hand. Die Phiole mit dem »Sonnenöl« reicht Martino Polli, +das Blei bringt Konrad Schulz zum Fluß; -- der große Augenblick ist +gekommen. Aus einem Loch in der schwarzen feuchten Mauer ringelt sich +eine bunte Schlange hervor, sie steigt an dem Beine Stefano Vinacches +empor, sie umschlingt seinen Arm und scheint ihm ins Ohr zu zischen. Ein +Zittern überkommt den Goldmacher, aus der Brust zieht er ein winziges +Fläschchen; -- im Tiegel gärt und kocht die metallische Masse, -- die +Flammen züngeln, -- aus der Phiole in der Hand des Meisters fällt das +Projektionspulver in den Tiegel -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- + +Das Werk ist vollbracht! In die Form gießt Konrad Schulz die kostbare, +im höchsten Fluß befindliche Masse -- nach einigen Augenblicken wiegt +der Herzog von Chaulnes eine glänzende Metallbarre in der Hand. +»Reinstes Gold, Monseigneur!« sagt Stefano Vinacche. -- + + + + + IV. + + Was man in Versailles dazu sagte. + + +Vinacche fuhr mit seiner Frau vierspännig durch die Straßen von Paris. +Lange war Claude Bullot tot und erinnerte sie nicht mehr an die +Dunkelheit ihrer Herkunft. In der Gasse Saint Sauveur besaß Stefano +jetzt ein prächtiges Haus, wo er die beste Gesellschaft von Paris bei +sich sah. Sein Leben strahlte im höchsten Glanz. Die Teilnehmer seiner +wunderlichen Operationen hatte er durch Drohungen, Versprechungen, List +und Überredung zu seinen Sklaven gemacht; er durfte ihnen drohen, sie +bei der geringsten Auflehnung gegen seinen Willen als Fälscher, Kipper +und Wipper hängen zu lassen. Seine Geschäftsverbindungen mit Samuel +Bernard, Tronchin, Menager, mit den beiden van der Hultz, mit +Saint-Robert und dem Sieur Buisson Destresoriers nahmen ihren +ungestörten Fortgang. Man sah in seinen Gemächern oft fünfzehn, zwanzig, +dreißig Säcke voll nagelneuer Louisdors aufgestellt. Neu geprägte +Goldstücke fanden die Diener und Dienerinnen, von denen das Haus +überquoll, im Kehricht, in den Winkeln, unter der schmutzigen Wäsche; -- +sie verkauften Stückchen von Goldbarren an die Juden, und Madame de +Vinacche erschrak eines Tages heftig genug, als sie, ungesehen von +ihnen, ein Gespräch zwischen ihrer Kammerfrau La Martion und einigen +Lakaien ihres Mannes belauschte. -- + +Der spanische Erbfolgekrieg hatte begonnen. War das Geld im Hause +Stephano Vinacches im Überfluß vorhanden, so mangelte es um desto mehr +im Hause des Königs Ludwig des Vierzehnten. Herrschte im Hause Stefano +Vinacches Jubel und Übermut, so herrschte Mißmut, Angst, Sorge und Not +zu Versailles. Ein gewaltiger Umschwung aller Dinge trat in diesem +früher so glänzenden Frankreich mehr und mehr hervor. Auf die Zeit des +phantastischen, lebenvollen Karnevals folgte der Aschermittwoch mit +seinen Grabgedanken. Zu Grabe gegangen waren die Schriftsteller und +Dichter: Pascal und Franz von La Rochefoucauld ergründeten nicht mehr +die Tiefe des menschlichen Herzens. Jean de Lafontaine hielt nicht mehr +den lustigen Spiegel der Welt vor, Jean war »davongegangen wie er +gekommen war«; -- verstummt war die mächtige Leier des großen Corneille, +Jean Racine hatte sein Schwanenlied gesungen und war hinabgesunken in +die blaue Flut der Ewigkeit. Tot, tot war Molière, der gute Kämpfer +gegen Dummheit, Heuchelei, Aberglauben und Laster; tot war Jean Baptiste +Poquelin, genannt Molière, aber Tartuffe lebte noch! + +Die Heiterkeit des Daseins war erblaßt, auch die feierlichen Stimmen der +großen Kanzelredner Bossuet, Bourdaloue, Flechier verstummten! König in +Frankreich war der Pater La Chaise, Königin in Frankreich war Franziska +d'Aubigné, die Witwe Paul Scarrons. Die Schutzherrschaft über das Land +nahm man dem heiligen Michael und gab sie der Jungfrau Maria, wie man +sie vorher dem heiligen Martin und vor diesem dem heiligen Denis +genommen hatte. Schaffe Geld, schaffe Geld, Geld, Geld, o heilige +Jungfrau Maria! Schaffe Geld, holde Schutzherrin, Geld zum Kampf gegen +deine und unsere Feinde! Schaffe Geld und abermals Geld und wiederum +Geld, süße Mutter Gottes! Schaffe Geld, Geld, Geld, o Schutzpatronin von +Frankreich und Versailles, Marly und Trianon! + +Wiederum war ein Staatsrat gehalten worden zu Versailles über die besten +Mittel, Geld zu bekommen, und niemand hatte Rat gewußt; weder +Pontchartrain, noch Pomponne, noch du Harlay, Barbezieux, d'Argouges, +d'Agnesseau. Wohl war manche neue Steuer vorgeschlagen worden; doch ohne +zu einem Resultat gelangt zu sein, hatte Louis der Vierzehnte seine Räte +entlassen müssen. Verstimmt im höchsten Grade, ratlos bis zur +Verzweiflung schritt er auf und ab in seinem Gemach und seufzte: + +»O Colbert, o Louvois!« + +Der König von Frankreich befand sich vollständig in der Seelenstimmung +Sauls, des Königs der Juden, als er Verlangen trug nach dem Geiste +Samuels, des Hohenpriesters. + +Dazu war die Frau Marquise nach Saint Cyr zu ihren jungen Damen +gefahren, und der Vater La Chaise gab einigen Brüdern in Christo in +der Vorstadt Saint Antoine in seinem Hause ein kleines Fest. Armer, +großer Louis! zu seinem letzten Mittel mußte er greifen, um sich zu +zerstreuen; -- Fagon, sein Leibarzt, wurde gerufen. In der Unterhaltung +mit diesem klugen Manne ging dem Monarchen, freilich doch langsam +genug, dieser trübe Oktobernachmittag des Jahres 1703 hin, und zuletzt +kam auch Madame von Maintenon zurück. Der König seufzte auf, gleich +einem, der von einer schweren Last befreit wird; Fagon machte seine +Verbeugungen und entfernte sich, ebenfalls höchlichst erfreut über seine +Erlösung. + +Im klagenden Tone erzählte nun der König seiner Ratgeberin von seiner +trüben Nachmittagsstimmung, von seiner Sehnsucht nach ihr, seiner +einzigen Freundin, von der Dummheit der Ärzte und von der vergeblichen +Ratssitzung. + +»Sire,« sagte die Marquise lächelnd, »ich bin Eure demütige Dienerin; +die besten Ärzte sind die, welche die Seele zu heilen verstehen, was +aber die Ratlosigkeit Eurer Räte betrifft, so ist hier ein Billett, +welches die Mittel angibt, dem Staat Geld zu schaffen. Von unbekannter +Hand wurde es mir in den Wagen geworfen. Leset es, Sire, wir haben schon +einmal über den Mann gesprochen, von dem es handelt.« + +Der König nahm das Schreiben und überflog es. + +»Vinacche?! der Goldmacher!« murmelte er und zuckte die Achseln. + +»Ich höre Erstaunliches über den Mann,« meinte die Marquise. »Sein +Luxus geht ins Grenzenlose. Die größten Herren Eures Hofes, Sire, gehen +bei ihm ein und aus. Der Herzog von Brissac hat mir neulich stundenlang +von dem geheimnisvollen Menschen gesprochen. Neulich war auch Madame von +Chamillard bei mir; sie steht in Verbindung mit dem reichen +holländischen Bankier van der Hultz. Auch dieser Mann soll vollständig +überzeugt sein, Monsieur de Vinacche habe das Projektionspulver +gefunden, Monsieur de Vinacche mache in Wahrheit Gold.« + +»Ach, Marquise, von wie vielen haben wir das geglaubt!« + +»Sire, wäre ich an Eurer Stelle, ich würde d'Argenson beauftragen, +diesen Italiener etwas genauer zu beobachten.« + +Der König zuckte abermals die Achseln und gab das Billett zurück. + +»Wenn d'Argenson das für nötig hält, so mag er seine Anordnungen +treffen; -- ich will nichts damit zu tun haben. Was beginnen Eure +Fräulein zu Saint Cyr, Marquise?« + +Nachdem der König das Gespräch auf eine andere Bahn geleitet hatte, war +es vergeblich, von neuem den verlassenen Punkt zu berühren; aber die +Marquise schob das Billett in ihre Tasche und faßte einen Beschluß. Am +andern Tage schickte sie ihren Stallmeister Manceau in die Gasse Saint +Sauveur zu Vinacche, unter dem Vorgeben: er solle Diamanten kaufen für +eine fremde Prinzessin. Manceau, von seiner Herrin bestens instruiert, +ließ nichts in dem Hause des Alchymisten außer Augen und erzählte +nachher Wunder von der Pracht und dem Glanze, die darinnen herrschten. +Pferde, Gemälde, Silbergeschirr, Meubles, alles taxierte er, wie ein +Auktionskommissär; auf seine Frage nach Juwelen antwortete aber +Vinacche, er besitze deren wohl sehr schöne, aber er handle nicht damit. + +Fast schwindelnd von dem Geschauten kam der Abgesandte der Marquise nach +Versailles zurück und stattete seiner Herrin Bericht ab. Einige Tage +nachher wurde Stefano Vinacche selbst nach Versailles beschieden und +daselbst sehr höflich und zuvorkommend von Herrn von Chamillard +empfangen! Ein langes Gespräch hatten die beiden Herren miteinander, und +hinter einem Vorhange lauschte die Marquise von Maintenon demselben. +Aber aalglatt entschlüpfte Vinacche jeder Frage, die sich auf seine +große Kunst bezog; er nahm Abschied und bestieg seine Karosse wieder, +ohne daß die Marquise und Chamillard ihrem Ziel im geringsten +nähergekommen wären. + +»Lassen wir d'Argenson kommen!« sagte Frau von Maintenon. »Um keinen +Preis darf uns dieser Mann entgehen.« + +Monsieur de Chamillard verbeugte sich bis zur Erde, und -- d'Argenson +ward gerufen. + + + + + V. + + Das Ende. + + +Und Monsieur d'Argenson streckte seine Hand aus; -- es fiel ein +schwarzer Schatten über das glänzende, fröhliche Leben in der Gasse +Saint Sauveur; nach allen Seiten hin zerstob das Getümmel der vornehmen, +reichen und geistreichen Gäste. Die Flucht nahmen die Herzöge, die +Marquis, die Chevaliers, die Abbés, die Poeten. Wer durfte wagen, da zu +weilen, wohin Monsieur d'Argenson den Fuß gesetzt hatte? + +Aus dem Nebel ragt düster drohend die Bastille! Sie halten den Stefano +Vinacche, auf daß ihnen sein köstliches Geheimnis »nicht entgehe«, +und -- am 22. März 1704, einem Sonnabend -- scharren sie ihn ein auf dem +Kirchhof von Sankt Paul, unter dem Namen =Etienne Durand=. + +Wer hat je das Genie durch Gewalt gezwungen, seine Schätze mitzuteilen? + +So liest man in den Registern der Bastille: + +»In der Nacht vom Mittwoch auf den grünen Donnerstag, als am 20. März +1704, morgens um ein Viertel auf zwei Uhr verschied in Nummer drei der +Bertaudiere Monsieur de Vinacche, ein Italiener, in der Gegenwart des +Schließers La Boutonnière und des Korporals der Freikompagnie der +Bastille, Michel Hirlancle. Nach dem Tode des Gefangenen gingen die +beiden Wächter, Monsieur de Rosarges davon zu benachrichtigen, und erhob +sich dieser und verfügte sich in die Zelle des Sieur Vinacche, welcher +sich selbst getötet hat, indem er sich gestern, als am Mittwoch, +ungefähr um zwei Uhr nachmittags mit seinem Messer die Kehle unter dem +Kinn zerschnitt und sich also eine sehr große und weite Wunde +beibrachte. Obgleich ihm alle mögliche Hilfe geleistet wurde, konnte man +ihn doch nicht retten. Da der Sterbende einige Zeit hindurch das +Bewußtsein wieder erlangte, so hat unser Almosenierer sein Bestes getan, +ihn zur Beichte zu bewegen, jedoch ganz und gar vergeblich. Gegen neun +Uhr abends habe ich Monsieur d'Argenson von dem Unglück Nachricht +gegeben, und ist derselbe in aller Eile sogleich erschienen, um zu dem +Sterbenden zu reden, jedoch auch ihm hat der Unglückliche keine Antwort +gegeben. + + In diesem Schlosse der Bastille 20. März 1704. + + =Dujonca=, + + Königsleutnant in der Bastille. + +Wohl mochte nachher d'Argenson in seinem Bericht an Chamillard von +»_billonage_«, von Kipperei und Wipperei sprechen, es glaubte niemand +daran, selbst der Berichterstatter glaubte nicht daran; man brauchte nur +eine Rechtfertigung dem aufgeregten Publikum gegenüber. Zu Versailles +wirkte die Nachricht von dem Tode Stefano Vinacches gleich einem +Donnerschlag; der König Ludwig der Vierzehnte wurde darob ebenso zornig +und niederschlagen, wie später in demselben Jahre über die Kunde von den +Niederlagen auf dem Schellenberge und bei Höchstedt. Die Frau Marquise +und die Herren de Chamillard und d'Argenson hatten einige bittere +Stunden zu durchleben; aber was half das? Stefano Vinacche war tot und +hatte sein Geheimnis mit in das Grab genommen! + +Der Witwe des Unglücklichen meldete man offiziell, ihr Gemahl sei in der +Bastille am Schlagfluß verschieden; sie blieb im ungestörten Besitze +aller der auf so geheimnisvolle Weise erworbenen ungeheuren Güter. Der +alte Bericht, dem wir dieses seltsame Lebensbild nacherzählen, +vergleicht den gemordeten Stefano mit jenem Künstler, welcher dem +Imperator Tiberius ein köstliches Gefäß von biegsamem, hämmerbarem Glas +überreichte. Der Kaiser bewunderte die vortreffliche Erfindung und +fragte, ob dieselbe schon andern Menschen bekannt sei, welches der +Künstler verneinte. Auf diese Antwort hin ließ der Tyrann dem genialen +Erfinder den Kopf abschlagen und die Werkstatt desselben zerstören, +damit nicht »Gold und Silber gemein und wertlos würden, wie der Kot in +den Gassen von Rom«. + +»_Par notre Dame de Miracle_, Madame, Euer Gemahl war ein großer Mann,« +sagte der Herzog von Chaulnes zu der trauernden Witwe Stefanos, »Euer +Gemahl war in Wahrheit ein großer Mann; aber =einen= Fehler hatte er, er +war zu verschwiegen! Wie oft hab' ich ihn beschworen, mir sein großes +Geheimnis anzuvertrauen, -- Madame, auf meine Ehre, Monsieur Etienne war +zu verschwiegen, viel zu verschwiegen.« + +»O Madame, Madame, die Welt ist nicht so beschaffen, daß sie ein großes +Genie in sich dulden könnte!« sagte zur Frau Vinacche der Dichter Jean +Baptiste Rousseau, der Freund Stefanos. »Madame, die Welt kann das +Talent nur töten, und es gibt nur einen Trost: + +_c'est le même Dieu qui nous jugera tous!_« + +»Liebste Schwester,« sagte der Graf d'Aubigné zur Marquise von +Maintenon, »liebste Schwester, in meinem Leben habe ich noch nichts +erfunden, wohl aber traue ich mir viel Geschick zu, die Erfindungen +anderer Leute herauszuholen. Ihr wißt das ja; _mon Dieu_, weshalb habt +Ihr mir nicht diese Geschichte mit dem Italiener überlassen? Das war +kein Charakter für die Kunst Monsieur d'Argensons.« + +Die Frau Marquise seufzte, zuckte die Achseln und griff nach ihrem +Gebetbuch, Mademoiselle La Caverne, ihre Kammerfrau, meldete: Seine +Majestät verfüge sich soeben in die Messe. Graf d'Aubigné, welcher »sich +wegen seiner Schwester Regierung einbildete, er sei die dritte Person in +dem Königreiche«, ließ die Unterlippe herabsinken und legte sein Gesicht +in die frömmsten Falten. + +»Gehen wir, mein Bruder,« sagte die Marquise. »Wir wollen beten für die +Seele dieses unglücklichen Monsieur de Vinacche und bitten, daß Gott uns +seinen Tod nicht zurechne.« + + + + + ****************************** + * * + * Ein Besuch * + * * + ****************************** + + + + +Es war schon Dämmerung, als der Besuch kam; so sehr Dämmerung, daß es +uns unmöglich ist, zu sagen, wie der Besuch aussah. Es ist uns überhaupt +nicht leicht gemacht, hierüber ganz deutlich zu werden. Helfen uns die +Leserinnen selber nicht dabei, so werden wir auf diesem Blatt Papier mit +Feder und Tinte wenig ausrichten. + +»Wieder ein Tag, Johanne, in Einsamkeit und mühseliger, geringen Nutzen +bringender Arbeit; und zu der Arbeit trübe Gedanken den ganzen Tag über. +Wegplaudern kann ich dir deine Sorgen nicht; da habe ich Schwestern, die +das besser verstehen. Ich kann nur hier und da eine Stunde bei dir +verweilen; laß mich das jetzt, vielleicht ist dir wohler nachher. Hast +auch wohl schmerzende Augen von dem ewigen Schaffen so spät in den +Jahren? Die darfst du dreist zumachen, derweil ich bei dir bin. Nur +keine unnötigen Höflichkeiten unter Freunden. Laß dich gehen, ich lasse +mich auch gehen und lege mir niemandes wegen Zwang an, und viel Zeit +habe ich nie, das wißt ihr ja alle, die ihr mich dann und wann unter +euerer übrigen Bekanntschaft in der Welt bei euch seht. Wo warst du +eben, Johanne?« + +»Sie feierten ein Fest heute drunten im Hause, daran habe ich gequält, +widerwillig teilnehmen müssen. Es war so viel Wagenrollen in der Gasse +und vor dem Hause, die Leute waren so laut; es drang so viel lustiger +Lärm zu mir herauf. Es war töricht: aber ich ließ mich von meiner +Phantasie hinabführen zu meiner jungen, reichen, glücklichen +Hausgenossin; und da wurde mein Schicksal bitterer, ich war den Tag über +unzufriedener denn je mit meinem Lose; ach, da es nun wieder stiller +geworden ist, will ich es nur gestehen: ich war recht böse den Tag über, +voll Mißgunst, Neid und Eifersucht. Es war sehr unrecht.« + +»Ja freilich, du bist arm, und deine Hausgenossin ist reich; du bist alt +geworden, und deine Hausgenossin ist noch jung. Niemand kommt zu dir als +von Zeit zu Zeit ich, und jene führt das lebendigste Leben. Daran kann +ich nichts ändern, nicht den kleinsten Stein des Anstoßes in der +Körperlichkeit der Dinge kann ich dir aus dem Wege räumen; -- aber wie +wäre es, wenn du dessenungeachtet jetzt doch einmal einige Wege mit mir +gingest -- die ich dich führe?« + +Da die Frau Johanne jetzt lächelt, ist sie schon auf diesen Wegen mit +ihrem Besuch -- dieser seltsamen Besucherin, die nicht plaudert, wenige +Neuigkeiten weiß, sondern nur von Zeit zu Zeit die Hand oder auch nur +den Zeigefinger erhebt. Frau Johanne hat dabei auch dem andern Rat ihres +stillen Gastes Folge gegeben; sie hat die Augen geschlossen. Bei +geschlossenen Augen sagt sie: »Ja es ist unrecht, und es nützt auch +nichts, andern ihr Glück oder vielleicht auch nur den Schein des Glückes +zu mißgönnen. Das Leben geht so rasch hin, und es wird so schnell Abend +aus Morgen allen Leuten! + +Ist es nicht wie gestern, als es auch noch in meinem Leben Morgen war? +als ich so jung war wie diese junge Nachbarin und auch über schöne +Teppiche schritt? als die Wagen auch vor meiner Tür hielten und die +Gäste zu mir kamen? als meine Gestalt aus dem Pfeilerspiegel im +Festkleide mir zulächelte und Richard mir über meine Schulter +zuflüsterte, was der Spiegel mir sagte? + +Hab' ich damals, an meinem Morgen, in meinem Frühling, in meiner Jugend +viel daran gedacht, wie die Leute über meinem Haupte, unter meinen +Füßen, die Nachbarn gegenüber lebten, und ob sie weniger jung, sorgenlos +und glücklich als ich waren?« + +»Siehst du, es wandelt sich gut an meiner Hand,« nickte der Besuch. »Nur +weiter, komm nur weiter, wir sind auf dem ganz richtigen Wege. Es ist +nur, weil man in der mißmutigen Stunde nicht recht seine Gedanken +zusammennehmen kann, daß man seine Tage so regenfarbig, seine Nächte so +dunkel und sternenlos sieht. Was zeigte dir dein Spiegel noch außer +deiner Gestalt im Haus- und im Festkleide und den Bildern deiner +nächsten Umgebung?« + +Frau Johanne legt das Haupt in ihrem Stuhl zurück und die Hand auf die +Stirn. Sie sitzt wieder vor ihrem hohen, vornehmen Spiegel, den Rücken +gegen die Fenster gewendet. Aber aus dem zerbrechlichen Glase und der so +leicht verwischbaren Folie von damals ist in Wahrheit ein Zauberspiegel +geworden, aus dem sich wesenhaft, greifbar, voll Leben und Wirklichkeit +die Hoffnung, der Trost, das beste Glück ihrer Witwenschaft, ihrer +Kinderlosigkeit, ihres Alters loslösen. + +Es sind aber nicht die Abbilder ihrer nächsten Umgebung, die Möbel, +Wände, Gemälde, Teppiche und Vorhänge ihres damaligen Gemaches, die sie +nun mit ihren geschlossenen Augen wiedersieht. Es ist das Stück der +Gasse, das gegenüberliegende Haus, das damals in den goldenen Rahmen +zufällig mit hineinfiel und nun wieder lebendig in ihm leuchtet, nachdem +Glas und Folie längst zersplittert und verwischt sind, wie Glanz und +Glück jener lange vergangenen Tage. + +»Ich denke, wir wagen es noch einmal, folgen unserm guten Einfall und +schlüpfen hinüber zu der unbekannten Nachbarin. Was meinst du, Johanne?« + +»Ein Einfall!« murmelt die Frau Johanne. »Nur ein seltsamer Einfall -- +_un concetto, una fantasia strana_, wie die Italiener sagen. Und mir +vielleicht auch nur darum möglich, weil ich eben erst mit Richard von +unserm schönen langen Aufenthalt in Italien nach Hause gekommen war. +Dort, in Italien, folgen die Leute viel leichter als hier bei uns ihren +Einfällen und schlüpfen so über die Gasse und halten gute Nachbarschaft, +zumal wenn sie sich vom Fenster oder -- Spiegel aus schon längst kennen +und unser Gatte einmal gesagt hat: 'Der Mann der hübschen kleinen Frau +im blauen Kleide da drüben ist einer unserer besten, talentvollsten +Unterbeamten, Johanne; das Weibchen mit seinem Kindchen ist wirklich +allerliebst, schade, daß sie nicht zu uns gehören, d. h. nicht in unsere +Gesellschaftskreise passen.'« + +»Ja, was würde aus euerer Welt werden, wenn ich nicht immer von neuem, +zu jeder Zeit und überall eure närrischen Kreise störte und euch +zusammenbrächte im Wachen und im -- Traum? Nur weiter, immer weiter, +Johanne. Die Nachbarin wohnt in keinem vornehmen Hause; die Treppen, die +zu ihr hinaufführen, sind steil und dunkel; aber wir sind auf dem +rechten Wege -- ganz auf dem rechten Wege!« + +»Auf dem rechten Wege! Wie kommst du eigentlich hierzu, Johanne?« habe +ich mich noch auf der steilen dunkeln Treppe gefragt. »Ihr habt euch ja +noch nicht einmal zugenickt und noch weniger je ein Wort miteinander +gesprochen. Wie wäre das auch möglich gewesen bei so vielem andern +gesellschaftlichen Verkehr?« + +»Das weiß ich am besten, von welchen Kleinigkeiten alles abhängt,« sagt +der Besuch. »Törichtes Menschenvolk! wo bliebet ihr, wenn nicht ich aus +dem Kern den Baum, aus dem Funken das Licht, aus dem Hauch den Sturm +machte? Dein Blut war noch abenteuerlich unruhig von den bunten +Erlebnissen in der Fremde; du hattest viel gähnen müssen an jenem Tage; +leugne es nicht, Johanne, du warst eigentlich in keiner angenehmen +Stimmung, trotzdem daß du noch jung, reich und eine Schönheit warst. Zu +verbraucht, alltäglich, gewöhnlich, abgenutzt und gering erschien dir +alles in der behaglichen Heimat um dich herum.« + +»Und Richard hatte mir jetzt gesagt: Unsere Nachbarin hat Unglück +während unserer Abwesenheit gehabt; der Mann ist ihr gestorben; wir +werden nicht leicht einen so guten Arbeiter wieder bekommen. -- Da sah +ich sie statt im blauen oder rosa Kleide in einem schwarzen am Fenster, +bleich und kummervoll. Und sie trug ihr Kind auf dem Arme, ihr armes +verwaistes Kindchen, und da --, da nickte ich ihr zu von meinem Fenster; +und da --, da bin ich zu ihr gegangen!«... + +Und nun ist sie wieder bei ihr, die Träumende, -- die Freundin bei der +Freundin, und die Zeiten -- die Stunden, Tage und Jahre vermischen sich +wunderbar im süß-melancholischen Dämmerungstraum. Der Besuch könnte nun +wohl gehen -- o wie lebendig, wie lebendig ist alles nun im Traum!... + +Im Traum. Die alte Frau schläft in ihrem Stuhl nach dem arbeitsvollen +mühsamen Tage. Sie denkt nicht mehr über die Vergangenheit; sie träumt +von ihr und süß und friedlich; denn der Besuch hatte ihr ja vorher +leise, beruhigend die Hand auf die furchenvolle Stirn gelegt. + +Nun ist der Raum um sie her nicht mehr beschränkt und niedrig, nun sind +die Gerätschaften nicht mehr ärmlich und abgenutzt; denn im gleichen +Stübchen und unter gleichem Geräte führte ja die beste Freundin ihrer +Jugend ihr =liebes=, stilles Leben. Zu solchem Stübchen schlich sie aus +dem Glanz und der Fülle des eigenen Daseins, und alles ist im Traum wie +damals um sie her. + +Wie viele Jahre gehen vorüber während der kurzen Augenblicke, in denen +sie jetzt die Augen geschlossen hält? Wechselnde Schicksale -- viel +Sorge und Angst im Mittage des Lebens auch im eigenen Hause. Was ist +noch übrig von alledem, was damals war? Wo sind die hohen Spiegel, die +Purpurvorhänge, die weichen Teppiche -- die Freunde, die Bekannten der +Jugend? Ist doch der eigene Gatte so lange schon tot und die eigenen +Kinder; und auch die Freundin schläft ja nun lange schon unter ihrem +grünen Hügel und steigt nur dann und wann daraus hervor in der +=Erinnerung= und im =Traum=, und lächelnd, tröstend und Geduld anratend +zumeist auch nur dann, wenn vorher der Besuch gekommen ist, den die +Greisin, die arme alte Frau Johanne, bei ihrer späten, beschwerlichen +Lebensmühe wie in der Dämmerung des heutigen Abends bei sich empfangen +hat. + +Von all den guten Freunden, den lieben Bekannten ist niemand übrig, ist +niemand treu als das Kind, das einst die Träumerin zum erstenmal +hinüberzog aus ihrer Lebensfreude und dem Glanz ihrer Jugend zu dem Leid +der jungen Nachbarin im schwarzen Kleide. Und dieses Kind ist erwachsen, +ist auch eine verheiratete Frau und weit in der Ferne. -- -- -- + +Horch, ein Schritt auf der Treppe. + +Ist es die Stimme des Besuchs, welche die Frau Johanne noch in ihrem +Traume vernimmt: »Nun gehe ich und lasse dich der Wirklichkeit. Wie gern +käme ich zu allen so wie zu dir in den bösen Stunden des Erdenlebens, +wie gern hülfe ich allen so wie dir hinweg über die dumpfen Pausen +zwischen euern Schicksalen; wenn ich nur nicht so oft vor die +verschlossene Tür käme. In den Büchern heiße ich eine vornehme Frau; mit +einem großen Gefolge hoher Söhne und Töchter schreite ich durch die +Jahrtausende, aber gern sitze ich nieder zu den Kindern, den Armen, den +Bekümmerten -- mit Freuden komme ich zu denen, die aus Büchern nur wenig +oder nichts von mir wissen. Nun lebe wohl, du närrisch alt Weiblein, +lache und weine dich aus in dem Glück der Gegenwart und Wirklichkeit und +halte mir deine Tür offen; ich klopfe nicht gern lange vergeblich.«... + +Es war nur der Briefträger, dessen Schritt man auf der Treppe gehört +hatte. Der Brief aber, den er der Frau Johanne brachte, lautete freilich +trotz der ganzen, vollen Wirklichkeit, die er verkündete, wie +Glockenklang und Jubelruf aus Dichtung und Wahrheit. + +»Meine liebe andere Mutter, ich bin so glücklich -- Franz ist daheim! +Gesund und so bärtig wie ein Bär und so sonnenverbrannt -- entsetzlich! +Aber es hat ihm, Gott sei Dank, nichts geschadet, und ich bin so +glücklich, so glücklich! Gestern sind sie eingezogen, und es war so +wundervoll, und ich hatte einen so guten Platz. Ich brauchte den Leuten +vor mir nur zu sagen: ich habe ja auch meinen Mann darunter, und sie +trugen mich fast auf ihren Armen in die erste Reihe. Und wir -- ich und +viele Hunderte und Tausende von meiner Sorte, hätten fast den ganzen +Effekt gestört. Das war ja aber auch nur zu natürlich, und kein +Feldmarschall und sonstiger großer General und Prinz durfte etwas +dagegen einwenden. Ich hing ihm unter den Trommeln und Trompeten, den +Pferden und Bajonetten am Halse, und wie ich nachher nach Hause gekommen +bin, weiß ich nicht. Nun habe ich ihn aber selber wieder zu Hause -- +ganz und heil zu Hause: es lebe der Kaiser und mein Mann und mein Kind +und du, mein liebes zweites Mütterchen! Und nun höre nur, über acht Tage +sind wir alle bei dir, -- er, Franz, muß dir ja sein Eisernes Kreuz +zeigen und ich dir unsern Jungen und meinen tapfern Ritter und +Landwehrmann, den sie mir so unvermutet mitten im vorigen Sommer von +seinem Zeichen- und meinem Nähtisch wegholten und für das Vaterland ins +fürchterlichste Kanonenfeuer stellten. Was haben wir ausgestanden, Mama! +Da war es ja noch ein Segen, daß der Junge noch zu klein und dumm war, +um schon mit einsehen zu können, was der Mensch an Ängsten und Sorgen +auf der Erde und im Kriege aushalten muß und kann. Aber eins hat er auch +noch zuwege gebracht, und das ist herrlich -- ich meine der Krieg und +nicht unser Junge natürlich -- ach, ich bin immer noch so konfus und +habe es wie tausend Glocken im Ohr und wie Ameisen in allen Gliedern! +nämlich die Privatingenieure sind im Preise gestiegen, und unser Weizen +blüht endlich auch einmal. -- Darüber werden wir denn recht eingehend +reden in acht Tagen in deinem lieben Stübchen; du sollst und darfst uns +nun nicht mehr so einsam und allein sitzen, jetzt, da es uns so gut geht +und noch viel besser gehen wird, was wir aber um Gottes willen ja nicht +berufen, sondern ja bei dem Wort dreimal unter den Tisch klopfen wollen! +Wir haben alle so viel ausstehen müssen und einander so wenig helfen +können; aber nun soll's anders werden, sagt Franz. Eine bessere Stelle +haben wir schon, nämlich Franz, und dies hat sich schon mitten im Kriege +gemacht, wo merkwürdigerweise nicht bloß Leute zusammengeraten, die sich +auf den Tod hassen, sondern auch solche, die einander recht gut +gebrauchen können. Nun sagt er, jetzt gäbe er nicht mehr nach, und +sollte er noch dreimal so lange wie vor dem schrecklichen Metz vor dir +in die Erde gegraben liegen und dich belagern müssen. Er erzählt +furchtbare Dinge von seiner Hartnäckigkeit und neugewonnenen Erfahrung +in dergleichen Kriegskunststücken; und er behauptet, es wäre gar kein +Zweifel, jetzt kriegte er dich -- wir kriegten dich! O könnten wir's dir +doch zum tausendsten Teil vergelten, was du so viele kümmerliche Jahre +durch bis in unsere Brautzeit und bis zu unserer Heirat an uns getan +hast! + +Ich glaube meinem Manne natürlich auf sein Wort, daß du jetzt zu uns +kommen wirst, aber ich verlasse mich eigentlich doch noch mehr auf +meinen Jungen. Was soll das arme Kind ohne dich anfangen, +Großmütterlein; jetzt, wo es anfängt zu laufen und ich doch nicht ewig +aufpassen kann? Großmütterchen, du gehörst zu unserm Richard wie die +Stadt Metz wieder zum Deutschen Reich, was aber eine recht schlechte +Vergleichung ist; ich kann aber nichts dafür, weil ich als jetzige +glorreiche Kriegsfrau so kurz nach den vielen Siegen und Eroberungen +mich nur in solchen Vergleichungen bewegen kann und übrigens auch eben +keine andere wußte. + +Wir mieten natürlich eine größere Wohnung, und es wird ein Leben wie in +Frankreich, wo es freilich, wie Franz meint, die letzte Zeit durch kein +gutes Leben gewesen ist, was also eigentlich wieder nicht paßt. Nein, +wir wollen leben in Deutschland, wie ich es mir als das Schönste denke; +und denke du dir es auch so lieb, als wenn alle Dichtung auf Erden, wenn +du diesen Brief bekommst, eben zum Besuch bei dir gewesen wäre und dich +leise auf unsere Pläne und Absichten mit dir vorbereitet hätte, daß dir +der Schrecken nichts schade! Was ich dir eigentlich schreibe, weiß ich +gar nicht, und den Jungen habe ich auch beim Schreiben auf dem Schoße. +* Dieser Klex kommt auf seine Rechnung, denn greift er mir nicht in die +Frisur, so führt er mir mit die Feder. + +Und nun nichts mehr; denn in acht Tagen sind wir bei dir; und obgleich +ich hier jetzt an keiner Stunde am Tage was auszusetzen finde, so wollte +ich doch, daß es erst über acht Tage wäre, um dir Auge in Auge, Mund auf +Mund sagen zu können, wie ich bis in den Tod dein dankbares Kind bin und +bleibe, du meine zweite Herzensmutter!«... + +Die Frau Johanne hat viel Unglück im Leben gehabt. Eigene Familie hat +sie nicht mehr, ihr Mann ist tot, ihre Knaben sind ihr schon als Kinder +genommen, ihren Wohlstand hat sie auch verloren, und doch gibt es keine +andere Frau in der Stadt, die in dieser Stunde so glückliche Tränen +weint wie diese, welche nie dem Besuch, der in der Dämmerung bei ihr +war, die Tür verschloß, und die an seiner Hand in den Traum sich leiten +ließ, bis die Wirklichkeit anklopfte und ihr die reife liebliche Frucht +jenes »Einfalls« und Nachbarschaftsbesuchs der Tage der Jugend in den +Schoß legte. + + + + + ****************************** + * * + * Auf dem Altenteil * + * * + * Eine Silvester-Stimmung * + * * + ****************************** + + + + + I. + + +Sie hatten den Senioren der Familie alle Ehre angetan, wie sich das denn +auch wohl so von Rechts wegen gebührte; aber der Lärm wurde den +weißhaarigen Herrschaften allmählich doch ein wenig zu arg. Die alte +Dame, die immer noch um ein paar Jahre jünger war als der alte Herr, +hatte dem letzteren ein ihm schon längst wohlbekanntes kopfschüttelnd +Lächeln gezeigt, welches weiter nichts bedeutete als: + +»Kind, Kind, bedenke den Morgen und deinen Rheumatismus! Es hat alles +seine Zeit, und ich glaube, die unsrige ist jetzt vorhanden.« + +Der alte Herr hatte zuerst ganz erstaunt aufgesehen und sein Weib an: +Nicht mehr bis Mitternacht, und in das neue Jahr hinein? Ei, ei, ei -- +hm! + +»Hm,« sagte der alte Herr, in dem fröhlichen Kreise erhitzter Gesichter +umherblickend; »es hat freilich alles seine Zeit; aber es ist +sonderbar, und, liebe Kinder, es kommt einem ganz kurios vor, wenn auch +dieses -- zum erstenmal Zeit wird!« + +Dabei hatte er sich aber bereits etwas mühsam aus seinem Sessel erhoben. +Den Kopf schüttelte er auch; jedoch ohne dabei zu lächeln wie seine +Frau. + +»Du hast recht, Anna; es ist unsere Zeit gekommen, und so wünsche ich, +wünschen wir euch jungem Volk --« + +Von einem Gewissen war bei diesem »jungen Volk« natürlich nicht die +Rede. Dazu waren sie sämtlich (auch die Ältesten unter ihnen) noch viel +zu jung, und viel zu vergnügt und viel zu aufgeregt durch die uralten, +ewig jungen Stimmungen der letzten Stunden des scheidenden Jahres. Ein +Gewühl von blonden und braunen Köpfchen und Köpfen, von Händen und +Händchen erhob sich um die beiden Greise; und alle Verführungskünste, +deren die Menschheit in ihrer Erscheinung als Familie in der +Silvesternacht fähig ist, waren zur Anwendung gebracht worden. + +Einmal noch schadete es sicherlich gewiß nicht!... Großpapa und +Großmama hatten noch nie so munter ausgesehen!... Es ging ja niemand zu +Bett vor Mitternacht, selbst die Jüngsten nicht!... + +»Nun, Mutter! Einmal noch? Was meinst du?« Kleine weiße Händchen -- +weiße beringte Hände hatten ihre Verführungskünste nicht ohne Erfolg +versucht; nun legte sich statt anderer Antwort auf die Frage des alten +Herrn wieder eine Hand auf die seinige. Das war aber keine weiche, keine +weiße, keine kräftige mehr; aber eine starke und treue war es auch; +vielleicht wohl die stärkste und treueste. + +»Die Großmutter hat recht! Es hat alles seine Zeit, und die unsrige ist +gekommen. Junges Volk, wir werden zu Bette geschickt von ihr, der Madame +Zeit, während die Jüngsten aufbleiben dürfen. Der Kopf summt uns zu sehr +morgen früh, wenn wir uns dagegen sperren und wehren; und es ist zwar +hübsch von Großmama, wenn sie nur von Rheumatismus spricht; aber das +rechte Wort ist es eigentlich nicht. Sie hätte ganz dreist Gicht sagen +können, gerade so gut wie der Herr Schwiegersohn und _Doctor medicinae_ +da hinter seinem Punschglase, wenn er jetzt ein Gewissen hätte. Liebe +Kinder, wir sind beide über siebenzig Jahre alt, und --« + +»Oh!...« + +»Und wir sind sehr glücklich und behaglich. Sehr wohl ist uns zumute +und so wünschen wir euch allen zum erstenmal vor Ablauf des alten Jahres +ein glückliches neues.... Bitte, lieber Sohn, ich weiß, was du sagen +willst; aber wende dich damit an die Mama, die wird dich versichern, daß +deine Frau, unsere liebe Sophie da, heute über dreißig Jahre sicherlich +gleichfalls viel verständiger sein wird, als du. Wende dich an deine +Mutter, mein Schmeichelkätzchen Marie. Sie hat immer gemeint, du seiest +ganz ihr Vorbild, also wirst du wohl wissen, was in vierzig Jahren in +der Neujahrsnacht deine Meinung sein wird, wenn die unverständige Jugend +dir deinen Mann da verführen will. Schieben Sie die Kinder nicht so +heran, lieber Schwiegersohn, sie machen der Großmama nur das Herz +schwer. Es ist Zeit geworden für uns; -- -- -- ein fröhliches, +segensreiches Jahr ihr -- alle!...« + +»Alle!« jubelten sie, und die Gläser hatten geklungen, und die Kinder, +die Enkel hatten sich zugedrängt und ihre kleinen Becher hingehalten, +ohne daß man sie dazu zu schieben brauchte. Sie hatten sehr gejubelt; +und die Tonwellen der Gläser und der Stimmen waren verklungen. + +»Nun seid weiter vergnügt; aber die Kinder laßt ihr mir morgen +ausschlafen. Begleitung nehmen wir nicht mit, die Trepp' hinauf. Wir +finden unseren Weg schon allein, nicht wahr, Walter?« sagte die alte +Dame, die Großmutter des Hauses. + + + + + II. + + +Sie entschlüpften, wie man entschlüpft, wenn man das siebenzigste +Lebensjahr hinter sich hat. Langsam stiegen die beiden die +teppichbelegte Treppe in ihre Stube hinauf, der Greis gestützt auf den +Arm der Greisin; und dann waren sie allein miteinander, noch einmal +allein miteinander in der Neujahrsnacht.... Umgesehen hatten sie sich +nicht auf der Treppe und einen leisen Schritt, einen Kinderschritt, der +ihnen nachglitt, den hatten sie überhört. Ein so scharfes Ohr, wie vor +Jahren, hatte keins von den zwei Alten mehr; aber diesen Schritt, diesen +Geister-Kinderschritt würde auch wohl jedes andere jüngere Ohr überhört +haben. -- + +Auf dem Altenteil! Das kann eines der bittersten Worte sein, die das +Schicksal den Menschen in dieser Welt zuruft; aber auch eines der +behaglichsten. Für diese beiden Alten war es nach langer schwerer, +mühseliger Arbeit ein behagliches geworden. Sie fanden ihre Gemächer +durch ein verschleiertes Lampenlicht erhellt, ihre beiden Lehnstühle an +den warmen Ofen gerückt und: + +»Mit dem Schlage Zwölf komme ich doch und poche an eurer Kammertür und +spreche meinen Wunsch durchs Schlüsselloch. Ihr braucht aber nicht +darauf zu hören; ich schicke ihn euch auch in den Schlaf hinein!« hatte +das jüngste und am jüngsten verheiratete Töchterlein als letztes Wort im +Festsaale da unten gesagt. + +»O mein Gott, da sitzt ihr noch?« rief dieselbe junge Frau unter dem +Glockenklang und dem Neujahrschoral von den Türmen, unter dem plötzlich +aufklingenden Gassenjubel und dem Jubel der Kinder und Enkel in dem +Saale des Hauses. »Das ist doch ganz wider die Abrede, und heute übers +Jahr werden wir euch da unten bei uns fester halten, ihr Lieben, Bösen, +Besten!... Ein glückliches neues Jahr, Großpapa! ein glückliches neues +Jahr, Großmama!« + +Da stand ein niedrig lehnenloses Sesselchen mit einem verblaßten +gestickten Blumenstrauß darauf neben den zwei Stühlen der Greise. Die +junge Frau, nachdem sie den Vater und die Mutter mit ihren Küssen fast +erstickt hatte, saß nieder auf dem kleinen Stuhl und hatte keine Ahnung +davon, wer eben vor ihr darauf gesessen und die Mutter und den Vater +gegen die Abrede und gegen ihren eigenen festen Vorsatz wach gehalten +hatte über die Mitternachtsstunde hinaus und aus dem alten Jahr in das +neue hinein! Mit leise bebender Hand strich die alte Frau die blonden +Haare der Tochter aus dem lebensfreudigen, glühenden, erhitzten +Gesichte. Die blonden Locken, die sich eben vor ihr ringelnd bewegt +hatten, waren schon vor vierzig Jahren zu Staub und Asche geworden: die +junge Frau wußte nichts von ihnen, oder doch nur gerüchtweise. Lange vor +ihrer Geburt war das erste, das älteste Kind gestorben, zwölf Jahre alt. +Ein halbverwischtes Pastellbildchen, das über der Kommode der Mutter, +der Großmutter des Hauses, hing, war alles, was von ihm übrig geblieben +war in der Welt. + +Alles? + + + + + III. + + +Ein leiser Schritt, ein unhörbarer Schritt; -- ein Geister-Kinderschritt +in der Silvesternacht!... Wir haben gesagt, daß die beiden Greise vor +einer Stunde die Treppe zu ihren Gemächern hinaufgestiegen und ihn, wie +wir übrigen alle, nicht vernahmen. Ganz war es doch nicht so. + +Als der alte Herr der alten Dame mit immer noch zierlicher Höflichkeit +die Tür öffnete, um sie zuerst über die Schwelle treten zu lassen, hatte +die Frau einen Augenblick gezögert und zurückgesehen und gehorcht. + +Der alte Herr glaubte, sie horche noch einmal auf den fröhlichen Lärm, +auf das heitere Stimmengewirr der Neujahrsnacht dort unten im Festsaal +des Hauses. + +»Sie sind gottlob recht heiter,« meinte er, »wüßte auch nicht, weshalb +nicht. Und auch wir, -- Mutter! -- nicht wahr, Alte?... Wie spät ist es +denn eigentlich? Elf Uhr! Noch früh am Tage, wenngleich wirklich ein +wenig spät im Jahre.« + +»Ja, Walter!« hatte die Greisin erwidert, aber nur, um doch eine Antwort +zu geben. »Ich hörte eigentlich nicht auf dich; ich dachte an unser +Ännchen,« fügte sie hinzu, als sich die Tür hinter ihnen geschlossen +hatte und sie in der letzten Stunde des ablaufenden Jahres mit sich +allein waren. + + + + + IV. + + +Das junge Volk! Längst hat es drei Viertel des Hauses nach seinem +Geschmack und Bedürfnis eingerichtet und mit vollem Rechte des Lebens. +An das Reich der beiden Alten hat keine Hand gerührt; außer dann und +wann eine Kinderhand, deren volles Recht des Lebens es freilich ist und +immerdar sein wird, in der Großväter und der Großmütter Hausrat, +Schubladen und Schränken zu wühlen und zu kramen und sich die vom Anfang +der Welt an dazugehörigen erstaunungswürdigen, lustigen und traurigen +Geschichten erzählen zu lassen. + +Es war einmal!... oh, noch einmal von dem, was war!... Und so war es +gekommen, daß die jüngste Tochter des Hauses die Eltern um Mitternacht +noch wach fand unter den Glocken, die das neue Jahr einläuteten. Eine +Kinderhand aber war es wiederum gewesen, die an den Schleiern der +Vergangenheit gezupft hatte: »Es war einmal! Ich bin da! -- Mama, du +sagst in dieser Stunde nicht: Man hat doch keinen Augenblick Ruhe vor +dir, Kind! -- Ich bin da; und nun laßt mich sitzen auf meinem Stuhl, +laßt uns erzählen: Es war einmal!... laßt uns erzählen von dem, was +einmal war!«... + +Und sie hatten davon erzählt, die beiden Greise nämlich. Das Kind hatte +nur drein gesprochen. + +»Sie wäre gewiß auch eine stattliche Frau und eine gute geworden,« sagte +die alte Dame. »Ich meine, am meisten hätte sie wohl der Theodore +geglichen, wenn wir sie behalten hätten, das liebe Kind. Sie haben alle +da unten, -- unsere meine ich, Papa! -- ein hübsches lustiges Lachen; +aber ich kann nichts dafür, ich muß es sagen: wie das Kind, unser +Ännchen, ist doch keins so glücklich in seinem Lachen gewesen. Die +andern kennen wir ja auch nun schon lange mit ihren Sorgen und ihren +Nöten und ihren unnützen Ärgernissen. Keins von ihnen lacht und kreischt +und kichert so wie mein Ännchen es tat. Hätten wir die Enkel nicht, so +würde das Haus wohl manchmal still genug sein; -- selbst dir, Großpapa.« + +Da war das Lachen, das vor so langen, langen Jahren zuerst das Haus hell +und heiter gemacht hatte! Auch der alte Herr, der Großpapa, dem das +Haus nie ruhig genug sein konnte, kannte es ganz genau. + +»Also, ihr wißt es doch noch, wie es war, als wir drei allein waren, und +dein Haar noch nicht so weiß, Vater; und auch deines nicht so hübsch +grau, mein Mütterchen, und ich euer liebes, einziges Mädchen! Hier sitze +ich auf meinem Stuhl und behalte mein Recht, allen meinen Schwestern und +Brüdern und allen meinen Nichten und Neffen zum Trotz. Ich bin die +Älteste! Wer auch nach mir gekommen ist, wie viele auch gesessen haben +auf diesem Schemelchen -- mir gehört es, mir habt ihr es hierher +gestellt; das ist mein Sitz am Herde! Wer kann mir meinen Platz nehmen +in eurer Seele? wer in dem Hause, das ihr gebaut habt und in dem ihr +mich einmal euer Glück nanntet?!« + +»Du hast recht, Mutter,« sagte der alte Herr; »ich weiß eigentlich +nicht, wie wir gerade jetzt darauf kommen; aber das Kind hat immer zu +mir, -- zu uns gehört. Nur weil wir es wußten, haben wir nicht immer +dran gedacht. So geht es aber mit allem Wissenswürdigen in der Welt.« + +»Mein Ännchen!« seufzte einfach die Greisin; doch die blonden Locken +wurden wie mutwillig von neuem geschüttelt, und wieder legte sich der +kleine Finger schalkhaft auf den Mund: »Ja, ich war immer da, wenn ihr +auch nicht an mich zu denken glaubtet: an manchem schwülen Sommertage, +in mancher kalten, dunkeln, trostlosen Winternacht. An manchem Feste in +der lichtstrahlenden Winternacht, an manchem sonnigen, seufzervollen +Frühlingsmorgen. Jetzt haben die andern da unten im Saale euere Sorgen, +Freuden und Arbeiten. Ihr aber habt Zeit für mich. Eure andern, die nach +mir gekommen sind, haben mir wohl mein altes Spielzeug verkramt und +zerbrochen; aber mein Plätzchen im Hause haben sie mir nicht nehmen +können. Ich habe es ihnen nur geliehen, einem nach dem andern; doch mein +Eigentum ist es und bleibt es; nicht wahr, Papa und Mama?! Ihr habt zwar +unter den andern gottlob nun auch wieder ein Ännchen -- ein Enkelkind +mit meinem Namen -- aber das tut nichts, wir vertragen uns schon um +diesen kleinen Stuhl und um -- euch!... Es war wohl ein kleiner Sarg, +in den ihr mich legen mußtet; aber -- ich bin immer über meine Jahre +klug gewesen. Ich habe es wohl oft heimlich erlauscht, wenn ihr das über +mich sagtet. Damals wußte ich freilich nicht recht, was ihr damit sagen +wolltet, und ob es eigentlich ein Lob für mich sei; jetzt aber weiß ich +es. Ei ja, ich bin sehr klug für meine Jahre gewesen! nun lacht nur, wie +ihr damals geweint habt, als ich von euch weggeführt wurde und nicht +über die Schulter zurücksehen durfte. Seht ihr wohl, da lächelt ihr +wenigstens schon. Die Jahre sind nun hingegangen; lange, lange Jahre! +Heute abend habt ihr euch vorgenommen, noch einmal jung zu sein mit +euren Kindern und Enkeln. Es ist euch auch wohl gelungen, doch nicht +ganz. Ganz jung seid ihr erst jetzt wieder, da ich mich zu euch gesetzt +habe, ich -- euere Älteste und euere Jüngste. Nimm meinen Krauskopf +wieder zwischen deine Hände, Mutter, laß mich wieder auf deinem Knie +sitzen, Väterchen; draußen schneit es sehr, und der Nordwind bläst, und +es ist spät in der Nacht; ihr aber schickt mich diesmal noch nicht zu +Bett; -- wir wollen jetzt einander noch nicht zu Bette schicken; wir +wollen noch einmal ein Weilchen sitzen und erzählen von =dem, was einmal +war=.« + + + + + V. + + +Sie hatten nur noch fünf Minuten in ihren Großväterstühlen neben dem +Ofen sitzen wollen, um sich von dem Feste, dem Händedrücken, all den +Küssen und guten Wünschen zu dem neuen kommenden Jahre ein wenig zu +erholen, wie es den ältesten Leuten in der Familie geziemt in der +Silvesternacht, während die Jugend um die lichterglänzende Festtafel +weiter jubelt und lärmt, nach der Uhr sieht und den Sekundenzeiger mit +lachendem Auge verfolgt bis heran an den neuen ernsten Grenzstein ihrer +Erdenzeit. Und sie, die bereits Greise waren, hatten nicht nach der Uhr +gesehen; sie hatten gar nicht einmal daran gedacht. Die Sekunden der +letzten Stunden des Jahres waren ihnen dahingeglitten, wie die vielen, +langen arbeitsvollen, inhaltreichen Jahre ihres Daseins selber bis in +dieses jüngste und das eben vor der Tür stehende hinein. + +»Du fragst wohl, Vater, wie wir gerade jetzt darauf kommen, und sagst, +daß du an das Kind lange nicht gedacht hast,« sagte die alte Dame. »Es +ist freilich lange her, daß wir ihren kleinen Sarg dort in dem Saale, wo +sie jetzt gottlob so lustig sind, aufstellen mußten. Wie wunderlich es +doch ist, daß ich gerade jetzt darauf komme, was für eine schöne +Sommernacht es war, in welcher sie starb! Horch jetzt nur, wie der Wind +den Schnee gegen die Fenster treibt. Wir haben die andern alle behalten +und wir haben an unseren Kindeskindern Freude; aber an unsere Älteste +habe ich doch immer gedacht. Was würde aus den Kindern werden, wenn ihre +Mütter nicht immer an sie dächten. Selbst die Gestorbenen können ohne +ihre Mutter nicht auskommen. -- Horch, wie sie es da unten treiben! +eigentlich ist es recht unrecht von ihnen, daß sie auch die Jüngsten so +lange aus dem Bette zurückhalten, und ich werde ihnen morgen früh auch +jedenfalls meine Meinung darüber sagen. -- Als =sie= in ihrem Fieber +lag, saß ich auch und zerrang mir die Hände und fragte mich Tag und +Nacht, was ich hätte anders machen können, damit das Schreckliche nicht +so zu kommen brauchte. Du warst wohl vernünftiger, wenn du aus deinem +Kontor heraufkamst und mir zuredetest, Geduld zu haben. Wie konnte ich +wohl verständig sein und Geduld haben? Und man sucht doch immer so, wie +man einem andern die Schuld geben kann, und wäre man das auch selber!« + +»Ich meine, Mutter, wir geben das auf, uns den Kopf darüber zu +zerbrechen, und noch dazu so spät in der Nacht, im Jahr und in den +Jahren,« sprach der alte Herr, wiederum sehr vernünftig; und dann +sprachen sie bis zu dem ersten Glockenschlage der Mitternacht nichts +mehr miteinander. Dagegen aber füllte sich ihre Stube immer mehr mit den +Bildern und den Klängen der Vergangenheit. Und der liebliche Spuk der +Silvesternacht hatte nicht das geringste vom Phantasten an sich. Das +älteste Kind des Hauses war noch einmal im vollen blühenden Leben Herrin +im Reich und fand all sein altes verkramtes Spielzeug wieder, wie -- die +zwei weißhaarigen Greise. Sie paßten wieder ganz zueinander, die Eltern +und das Kind: der dunkle, geheimnisvolle Vorhang der Zukunft hatte sich +bewegt, und es war eine Kinderhand, die sich aus den schwarzen Falten +weiß und zierlich hervorstreckte und winkte. Sie aber, die Fröhlichen da +unten im Festsaale des Hauses, hatten dem Vater und der Mutter, dem +Großvater und der Großmutter -- den beiden Alten ein glückliches, ein +segensreiches neues Jahr gewünscht und hatten zwischen Becherklang und +lustigem Lachen ihren Wunsch wehmütig ernst gemeint, wie sich das +gebührte. + +»Wie gut der Papa und die Mama heute abend aussahen,« meinten sie. »Es +ist doch eine Freude, wie frisch sie sich erhalten und wie sie noch an +allem teilnehmen. Aber verständig war es doch, daß sie nicht über ihre +Zeit bei uns sitzen blieben. Morgen früh hätten wir uns doch Vorwürfe +gemacht, wenn wir sie noch länger gequält hätten, das Vergnügen nicht +durch ihr Weggehen zu stören.... Jetzt aber auf die Uhr gesehen! in +fünf Minuten wird es Zwölf schlagen; -- ein bißchen leise, Kinder, daß +=wir die alten Leute nicht wecken!=«... + +Zwölf Uhr und -- ein neues Jahr! Alle guten Geister haben einen leisen +Schritt und gehen auf weichen Sohlen; so schlich sich die jüngste +Tochter des Hauses weg aus dem jubelnden Kreis, glitt die Treppe hinauf +und horchte an der Tür der »alten Leute«, die durch den Becherklang, die +lauten Glückwünsche und alles, was sonst noch in die Stunde gehört, +nicht gestört werden sollten in ihrer Ruhe auf dem Altenteil. + +»O mein Gott, da sitzt ihr noch? Das ist doch ganz wider die Abrede! Sie +meinen alle da unten, daß ihr längst in den Federn liegt und euch +behaglich in das neue Jahr hinübergeträumt habt.« + +»Das letztere haben wir auch getan, mein Kind,« sagte der alte Herr +nachdenklich lächelnd. + +»Oh, und nun müßte ich sie alle -- alle die übrigen auch noch +heraufrufen, daß sie euch ihre Meinung sagen. Sie werden es mit Recht +sehr übel nehmen, wenn ich's nicht auf der Stelle tue, Mama!« + +»Laß es lieber, mein Herz,« meinte die alte Dame, leise die blonden +Flechten vor ihr, die noch nicht Staub und Asche geworden waren, +streichelnd. »Es würde den Vater doch zu sehr aufregen, und wir gehen +nun wirklich gleich zu Bett. Wir haben vorher nur noch ein wenig an +allerlei gedacht, was vor eurer -- vor deiner Zeit war.« + +»Ach ich bin so glücklich!« rief die junge Frau. »Wir sind so vergnügt +da unten an unserem Tische, und ihr hier in euerer lieben, alten, guten +Stube seht so jung aus und so hell aus den Augen, wie das Jüngste von +uns -- euern andern! Oh, und mein Franz ist so drollig; der Mensch ist +mir fast ein wenig zu ausgelassen, oh -- und also noch einmal: ein +fröhliches, glückliches, gesegnetes neues Jahr euch vor allen und -- uns +andern auch!« + +»Ja, ja!« sagten die =alten Leute= leise zu gleicher Zeit und nickten +freundlich ihre Zustimmung zu dem guten Wunsch. + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Der Junkervon Denow / Ein Geheimnis / +Ein Besuch / Auf dem Altenteil, by Wilhelm Raabe + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER JUNKERVON DENOW / EIN *** + +***** This file should be named 44639-8.txt or 44639-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/4/4/6/3/44639/ + +Produced by Norbert H. 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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Der Junkervon Denow / Ein Geheimnis / Ein Besuch / Auf dem Altenteil + Erzählungen + +Author: Wilhelm Raabe + +Release Date: January 9, 2014 [EBook #44639] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER JUNKERVON DENOW / EIN *** + + + + +Produced by Norbert H. Langkau, Norbert Müller and the +Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net + + + + + + +</pre> + + +<div class="transnote covernote"> +<p>The cover image was created for this edition and is placed in the public domain.</p> +</div> +<div class="transnote"> +<p class="tn-header">Anmerkungen zur Transkription</p> +<p class="noindent">Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. +Text, der im Original in Antiqua gesetzt ist, ist hier <i>kursiv</i> +dargestellt. +Rechtschreibung und Zeichensetzung des Originaltextes wurden übernommen; +nur offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. +</p> +</div> + +<p class="center huge" style="margin-top:1em"><b><i>Wilhelm Raabe</i></b></p> +<hr class="r50"/> +<p class="center huge"><span class="gesperrt"><b><i>Bücherei</i></b></span></p> +<h1 class="center big"><i>Erste Reihe:<br /> +Kleinere<br /> +Erzählungen</i></h1> +<hr class="r10"/> +<p class="center big" style="padding-top:2em"><i>Zweiter Band</i></p> +<p class="center big" style="padding-top:2.5em"><i>Berlin-Grunewald</i></p> +<p class="center big" style="margin-bottom:0.5em"><i>Verlagsanstalt für Litteratur und +Kunst/Hermann Klemm</i> +</p> + +<p class="center huge newstory" style="margin-top:1em"><b><i>Wilhelm Raabe</i></b></p> +<hr class="r50" /> +<p class="center huge"><b><i><a href="#Junker">Der Junker von Denow</a></i></b></p> +<p class="center huge"><b><i><a href="#Geheimnis">Ein Geheimnis</a></i></b></p> +<p class="center huge"><b><i><a href="#Besuch">Ein Besuch</a></i></b></p> +<p class="center huge"><b><i><a href="#Silvester">Auf dem Altenteil</a></i></b></p> +<p class="center big"><i>Erzählungen</i></p> +<hr class="r10"/> +<p class="center big"><i>Dritte Auflage<br /> +11.-16. Tausend</i></p> + +<p class="center big" style="padding:1em"><i>Berlin-Grunewald<br /> +Verlagsanstalt für Litteratur und +Kunst/Hermann Klemm</i> +</p> + +<p class="center" style="padding-top:10%"> +Gedruckt bei G. Kreysing in Leipzig<br /> +Einbandzeichnung entworfen von Bernhard Lorenz<br /> +Den Einband fertigte H. Fikentscher in Leipzig<br /> +</p> + +<p class="newstory"></p> + +<div> +<h2 class="dotted"> +<a name="Junker"> +Der<br /> +<span class="big">Junker von Denow</span><br /> +Historische Novelle<br /> +</a> +</h2> + +<h3><a name="JunkerI" id="JunkerI">I.</a></h3> + +<p class="startchap"> +<img src="images/w.png" alt="W" width="60" height="60" class="floatl"/>er am Abend des sechsten Septembers alten +Stils, am Donnerstag vor Mariä Geburt +im Jahre unsers Herrn Eintausendfünfhundertneunundneunzig, +nach Sonnenuntergang einen +Blick aus der Vogelschau über die Rheinebene von Rees +bis Emmerich und weit nach Ost und West ins Land +hinein hätte werfen können, der würde eines erschrecklichen +Schauspiels teilhaftig geworden sein.</p> + +<p>Schwarze regendrohende Wolken verhingen das +Himmelsgewölbe, und es würde eine dunkle Nacht gewesen +sein, wenn nicht der Mensch diesmal dafür gesorgt +hätte, daß es auf der weiten Fläche nicht ganz finster +wurde. Auf den Wällen von Rees leitete, an der +Spitze seiner Hispanier, Burgunder und Wallonen, Don +Ramiro de Gusman die Verteidigung der Stadt und +Festung gegen das Reichsheer, welches schläfrig und +matt genug der Belagerung oblag, dafür aber auf +andere Weise desto mehr Lärm machte, wie es einer +Armee des heiligen römischen Reichs deutscher Nation +zukam. Ein fahles, blitzartiges Leuchten lag hier über +der Gegend, denn wenn auch das schwere Geschütz seit +Mittag schwieg, so knatterte doch das Musketenfeuer, +schwächer oder stärker, rund um die Stadt fort und fort, +und manch ein Wachtfeuer flackerte auf beiden Ufern +des Flusses, welcher manche Leiche in seinen nachtschwarzen +Fluten mit sich hinab führte in das leichenvolle +Holland, wo der finstere Admiral von Aragonien, +Don Francisco de Mendoza, und der Sohn der schönen +Welserin, der bigotte Kardinal Andreas von Österreich, +die Zeiten Albas erneuerten. —</p> + +<p>Wir haben es jedoch nur mit der rechten Seite des +Rheines zu tun, wo tief in das Land hinein unter den +zusammengewürfelten Tausenden des Reichsheeres, +Hessen, Brandenburgern, Braunschweigern, Westfalen, +der <i>furor teutonicus</i>, die sinnlose, trunkene, deutsche +Furie ausgebrochen war und in Verwüstungen aller +Art sich Luft machte. In allen Dörfern und Lagerplätzen +Sturmglocken, Trommeln und rufende Trompeten +— Geschrei und Jammer des elenden, geplünderten, +mißhandelten Landvolkes — bittende, drohende +Befehlshaber — flüchtende Herden, Weiber, Kinder, +Kranke, Greise — Reitergeschwader, die sich sammelten, +Reitergeschwader, die auseinanderstoben — brennende +Häuser und Zeltreihen, und zwischen allem die Cleveschen +Milizen, die „Hahnenfedern“, zur Wut gebracht durch +die Ausschweifungen derer, welche da Hilfe bringen +sollten gegen die Ausschweifungen des fremden Feindes! +Überall Blut und Feuer und Brand — ein unbeschreibliches, +wüstes, grauenhaftes Durcheinander, zu dessen +Schilderung Menschenrede nicht hinreicht!...</p> + +<p>Lange genug hatte an diesem Abend Don Ramiro, +hinter seiner Brustwehr an eine zerschossene Lafette +gelehnt, hinübergeschaut nach den Laufgräben und +Angriffswerken der tollgewordenen Belagerer; jetzt +stieg er langsam herab von seinem Lugaus, und begleitet +von zwei Fackelträgern und mehreren seiner Unterbefehlshaber +schritt er durch die Gassen von Rees, +dessen zitternde Bewohner jedes Fenster hatten erhellen +müssen, und dessen Straßen dumpf dröhnten +unter den Schritten der gegen die östlichen Ausfallspforten +heranmarschierenden Besatzung.</p> + +<p>„Francisco Orticio!“ sagte der spanische Kommandant, +und im nächsten Augenblick stand der Geforderte +vor ihm.</p> + +<p>„Alles bereit?“ fragte Don Ramiro wieder.</p> + +<p>Der gerüstete Führer senkte stumm den Degen und +wies mit der Linken auf die Haufen der Krieger, welche +jetzt alle an den ihnen bestimmten Plätzen dicht gedrängt, +regungslos standen. Des Spaniers Auge flog mit +düsterer Befriedigung über all diese im Glanz der +Fackeln blitzenden Harnische, Sturmhauben, Piken und +Schwerter — er nickte. „Sie würden sich da draußen +untereinander selbst fressen, gleich den hungrigen +Wölfen,“ sagte er, „aber wir wollen zur Ehre Gottes +und der heiligen Jungfrau“ — hier lüftete er den Hut, +und alle Umstehenden taten das Gleiche — „unsern +Teil an dem Verdienst haben, die Ketzer zu vertilgen! +Erinnert Euch, Orticio, mit dem Schlage Elf beginnt +das Feuer wiederum — mit dem Schlage Elf hinaus +auf sie! Spanien und die Jungfrau! die Losung.“</p> + +<p>„An eure Plätze, ihr Herren!“ erschallte das +Kommandowort Francisco Orticios — ein dumpfes +Gerassel und Geklirr der sich aneinander reibenden +Harnische — Don Ramiro de Gusman schritt langsam +prüfend die Reihen entlang; dann stieg er schweigend +wieder zu dem Walle empor, nach einem letzten Wink +und Gruß für Orticio, welcher sein Wehrgehäng +fester zog.</p> + +<p>„Noch eine halbe Stund’! Spanien und die Jungfrau, +Spanien und die Jungfrau!“ ging es dumpf +durch die Reihen der harrenden Krieger. — — —</p> + +<p>Unsere Geschichte beginnt!</p> + +<p>„So hole der Teufel die meineidigen Schufte und +meuterischen Hunde!“ schrie der Hauptmann Burghard +Hieronymus Rußwurmb in Verzweiflung, im Lager +der dreizehn Fähnlein gewappneter Knechte, Reisiger +und Fußsöldner, welche Herr Heinrich Julius, postulierter +Bischof zu Halberstadt, Herzog zu Braunschweig und +Lüneburg als Obrister des niedersächsischen Kreises +zufolge des Koblenzschen Reichsabschieds für diesen +Krieg geworben und aus aller deutschen Herren Ländern +zusammengebracht hatte. „Ist denn die Welt ganz +umgekehrt? Es ist zum Rasendwerden!... So schlage +zum letzten Mal die Trommel, Hans Niekirche — o +heiliges Wort Gottes, das ist das Jüngste Gericht!“</p> + +<p>Hans Niekirche aus Braunschweig, der Trommelschläger, +ein blutjunger Wicht, welcher einem Schneider +seiner Geburtsstadt aus der Lehre gelaufen war, hatte, +hierhin gestoßen, dahin gezerrt, sich fast zwischen die +langen Beine seines Hauptmanns gerettet und fing +nun mit zitternden Händen von neuem an, das Kalbfell +zu bearbeiten; während der Hauptmann hin und +her lief, mit beiden Händen das Haupthaar durchwühlend. +Er hatte wohl das Recht, zornig zu sein, der +Wackere! Dicht hinter sich hatte er ein geplündertes +Bauernhaus, dessen Fenster und Türen eingeschlagen +waren, und auf dessen Schwelle ein junges Weib mit +zerrissenen Kleidern, in der im letzten Krampf zusammengekniffenen +Hand ein Büschel roter Haare, leblos ausgestreckt +lag. An sein linkes Bein hing sich jetzt auch noch +ein arm Kindlein in seiner Todesangst, zu seiner Rechten +schlug Niekirch seine Wirbel, und rings um ihn her schrie +und stampfte, fluchte und drohete sein meuterisch Fähnlein +und rasaunte durcheinander, wie ein aufgestört +Rattennest.</p> + +<p>„O ihr Schelme, ihr Hunde, das soll euch heimgezahlt +werden!“ brüllte der Hauptmann. „Warte, +Hans Diroff von Kahla, warte, Koburger, Christoph +Stern von Saalfeld, an den Galgen und aufs Rad +kommt ihr; oder die Gerechtigkeit ist krepiert auf Erden. +Warte, du Schmalz von Gera, dein Fett soll all werden, +wie eine Kerze im Feuer! O Tag des Zorns, o Hunde! +Hunde!“</p> + +<p>„Gebt Raum, Hauptmann!“ schrie ein riesenhafter +Kerl, genannt Valentin Weisser von Roseneck, dem +Führer den Büchsenkolben vor die Brust setzend. „Ihr +seid die Verräter, die Schelme, Ihr und Eure saubern +Gesellen und Euer Graf von Hohenlohe, der Holländer! +Wollt Ihr uns nicht etwa über das Wasser, über den +Rhein, von des Reiches Boden führen? He, sprecht!“</p> + +<p>„Nicht über den Rhein! nicht über den Rhein! nicht +vor Bommel! nicht vor Bommel!“ schrie es von allen +Seiten, und weit über das Feld durch alle Tausende +wälzte sich dasselbe Wort. Der Hauptmann schlug den +Kolben von seiner Brust zur Seite.</p> + +<p>„Du wirst gehängt, wie ein Spatz, Rosenecker,“ +schrie er.</p> + +<p>„Ihr sollt es wenigstens nit erschauen!“ brüllte der +Schütz wieder, die brennende Lunte über dem Haupte +schwingend. Er nahm sich nicht die Mühe, sie aufzuschrauben, +das Feuerrohr lag auf der Gabel — im +nächsten Augenblick wäre der Hauptmann ein Kind des +Todes gewesen, wenn nicht plötzlich zwischen dem Bedrohten +und dem Drohenden ein Reiter im vollen +Galopp angehalten und dem wütenden Musketierer +den Büchsenlauf in die Höhe geschlagen hätte, daß +der Schuß in die Luft ging.</p> + +<p>„Der Junker! der Junker!“ schrie es auf allen +Seiten. „Der Junker zurück! sprecht, sprecht, was ist’s? +was sagt der Graf? Haben sie uns verkauft an die +holländischen Juden, ihnen ihre Festung Bommel zu +entsetzen?... Der Junker, der Junker! Nicht nach +Bommel, nicht vor Bommel! nicht über den Rhein! +nicht über den Rhein! In die Spieße der von Hollach!“</p> + +<p>„Ja, schreit nur, bis ihr berstet!“ zischte blau vor +Grimm der Hauptmann durch die zusammengebissenen +Zähne und ballte die Hände, daß die Nägel tief ins +Fleisch drangen. „Schreit nur — es ist noch nicht im +Topf, darin es gekocht wird — Christoph von Denow, +sprecht zu den Meutmachern! sagt den räudigen Hunden +Eure Botschaft!“</p> + +<p>Der junge Reiter richtete sich hoch auf im Sattel, +und alle die wilden Gesichter im Fackelschein ringsumher +wandten sich ihm zu.</p> + +<p>„Der wohlgeborene und edle Graf Philipp von +Hohenlohe, unser gnädiger Feldhauptmann —“</p> + +<p>„Nichts von dem Grafen von Hollach, dem Verräter, +dem Judas!“ schrien einige. „Stille! Ruhe! +Hört ihn!“ riefen die andern und gewannen die Oberhand, +daß der Reiter fortfahren konnte.</p> + +<p>„Der Graf läßt den Fähnlein des braunschweigischen +Regiments zu Roß und zu Fuß vermelden, daß ihr +Begehren und Gebaren unehrlich und treulos sei, +deutscher Nation zu Schimpf und Schande und großem +Schaden gereiche —“</p> + +<p>Ein allgemeines Wut- und Spottgebrüll unterbrach +den Redner, der erst nach langem Harren weiter rufen +konnte.</p> + +<p>„Es sagt der Graf von Hohenlohe, daß er befehle, +Generalmarsch zu schlagen vor jeglichem Quartier und +auszurücken in die Linien gen Rees, auf weitern Befehl! +Da kommt unser gnädigster Obrister, der Herr von +Rethen.“</p> + +<p>Neues Geschrei empfing den ebenfalls im vollen +Rosseslauf erscheinenden Führer, welcher den schriftlichen +Befehl des Grafen mit sich führte; aber ebenfalls vergeblich +durch Bitten, Drohungen, Erinnerungen an den +Artikelbrief das Volk zur Ruhe zu bringen versuchte. +Atemlos, zornesbleich hielt er zuletzt in dem kleinen +Kreise der Hauptleute und Offiziere und der wenigen +treugebliebenen Söldner. Der Junker aber befand sich, +willenlos fortgerissen, inmitten des wildesten Getümmels +der aufrührerischen Knechte, die von Mord und +Blut sprachen, und bereits ihre Spieße senkten, ihre +Feuergewehre richteten auf das Häuflein der Getreuen, +welche einen Ring schlossen um die Führer und die +geretteten Feldzeichen, und sich rüsteten, ihr Leben so +teuer als möglich zu verkaufen.</p> + +<p>Auch das Reiterlager hatte sich in Bewegung gesetzt, +von Minute zu Minute wuchs der Tumult, und inmitten +all dieser drohenden Spieße, Schwerter und +Büchsen, unter all diesen scheu gewordenen, ausschlagenden, +stampfenden Rossen und trunkenen Männern +taucht jetzt für uns eine Gestalt auf, klein und zierlich +gebaut, aber trutzig und unverzagt, im Heerlager aufgewachsen, +gebräunt von Wind und Wetter, abgehärtet +in mancher bösen Sturmnacht am schwächlichen Lagerfeuer, +ein klein Hütlein, geziert mit einer Häherfeder, +auf den krausen, wirren Locken, ein Dolchmesser im Gürtel, +— bekannt bei Führern, Knechten und Reisigen; zu +Roß, zu Fuß, zu Wagen stets dem Heere zur Hand: +<em class="gesperrt">Anneke Mey</em> von Stadtoldendorf, des braunschweigschen +Regiments Marketenderin und Schenkin!</p> + +<p>„Hab’ ich dich auf den Fuß getreten, Anneke?“ fragte +ganz kleinmütig der wilde Valentin Weisser, der eben +das Feuergewehr gegen den Hauptmann hatte losgehen +lassen. „Nimm dich in acht, daß sie dich nicht erdrücken, +Engel-Anneke — stelle dich hinter mich, du wirst gleich +dein blaues Wunder sehen.“</p> + +<p>„Nehmet Ihr Euch in acht, Rosenecker,“ lachte das +wildherzige Kind, „Ihr spielt ein hoch Spiel diese Nacht!“</p> + +<p>Der Riese warf einen trotzigen, lachenden Blick über +die hin und her wogenden Massen. —</p> + +<p>„Hoho, sind wir nicht unsrer genug, zu gewinnen? +Nicht vor Bommel! Ju — ho! ho! nicht vor Bommel! +nicht übern Rhein! Fort mit den Hauptleuten, fort mit +dem Grafen von Hollach!“</p> + +<p>In diesem Augenblick riefen wieder Hunderte von +Stimmen nach dem Junker — dem Christoph von +Denow. Da zuckte ein seltsamer Glanz über das Gesicht +des Mädchens. Es stellte sich zuerst auf die Zehen, dann +kletterte es mit katzengleicher Behendigkeit und Schnelligkeit +auf einen Schutthaufen, wo sich bereits mehrere +Soldatenweiber mit ihren Kindern und Habseligkeiten +zusammengedrängt hatten und alle zugleich in den Lärm +hineinkreischten.</p> + +<p>„Mein Mann! mein Mann! Jesus, sie würgen sich +alle! Gottes Sohn — Franz! Franz!“</p> + +<p>„Was macht der Junker? wo ist der Junker?“ rief +Anneke Mey, eine Hand, welche ihr entgegengestreckt +wurde, ergreifend.</p> + +<p>„Da! da! er spricht zu denen vom vierten Fähnlein +— da — da — Jesus, sie werfen den Hauptmann Eberbach +nieder, und mein Mann, Jesus, mein Mann!“ —</p> + +<p>Die Augen der Armen wurden starr, mit einem +Sprung war sie von der Höhe herab und stürzte sich +mitten in das Getümmel; über den am Boden liegenden +Hauptmann sank unter den Hieben und Stößen der +Meutrer der Doppelsöldner Franz Hase von Erfurt +zusammen. Vergeblich hatte sich Christoph von Denow +unter die Piken und Hellebarden geworfen, mit seinem +Schwert die Spitzen niederschlagend; im vollen Lauf +stürzte jetzt das aufrührerische Kriegsvolk auf die Treugebliebenen +und die Befehlshaber, Schüsse krachten +hinüber und herüber. Ihr Messer aus der Scheide +reißend trieb Anneke Mey in den Aufruhr hinein. +Christoph von Denow sah sie plötzlich an seiner Seite +unter den Füßen der Kämpfenden; — noch ein Augenblick, +und sie war verloren, noch ein Augenblick, und +er hatte sie, fast ohne zu wissen, was er tat, zu sich +emporgezogen aufs Pferd; alles drehte sich um ihn +her — „Mordio! Mordio!“ brüllte es auf allen +Seiten — — Da — — urplötzlich — — blieben alle +die zum Verbrechen gezückten und geschwungenen Waffen, +wie durch ein Zauberwort aufgehalten in der Luft — +jeder Wut- und Angstschrei erstarrte auf den Lippen +— Angreifer und Angegriffene standen lautlos, bewegungslos!</p> + +<p>Im Westen über Rees hatte sich, begleitet von einem +donnerartigen Krachen, der dunkle Nachthimmel blutig-rot +gefärbt. Alle Geschütze auf den Wällen, alle Geschütze +in den Angriffslinien brüllten los; im Lager des +Reichsheeres flog ein Pulvervorrat in die Luft, dazwischen +rollte, immer stärker werdend, das kleine Gewehrfeuer.</p> + +<p>Mit einem Male hatte sich die Szene im aufrührerischen +Lager vollständig verändert.</p> + +<p>„Sturm! Sturm! Rees zu Sturm geschossen!“ +ging es von Mund zu Mund. „Sturm! Sturm! Gen +Rees! gen Rees!“</p> + +<p>Und als peitsche der Satan sie vorwärts, seiner Hölle +zu, hatte sich plötzlich diese ganze Masse von Kriegern, +Führern, Weibern, Troßknechten in Bewegung gesetzt, +dem flammenden Vulkan im Westen entgegen. Gier +nach Beute, unbefriedigte Gier nach Blut trieb sie von +dannen. Im wildesten Taumel, Reiter und Fußvolk +und Wagen bunt durcheinander, raste sie über das Feld +durch die Nacht. Im wildesten Taumel und Traum, +das Schwert am Faustriemen, vor sich auf dem Sattel +das Mädchen aus den Weserbergen, saß Christoph von +Denow auf seinem schwarzen Roß. — —</p> + +<p>„Sturm! Sturm! Rees zu Sturm geschossen! +Vivat der Graf! Vivat der Graf von Hollach! Vorwärts! +Vorwärts!“</p> + +<p>Ein sekundenlanges Anhalten in dieser wüsten Menschenflut +war eine Unmöglichkeit, ein Fehltritt, ein +Straucheln der sichere Tod. Schon hörte man zwischen +dem Donnern und Krachen um die Stadt den Schlachtruf +der Feinde: „Spanien und die Jungfrau! Spanien +und die Jungfrau!“ und lauter und näher den Ruf der +angegriffenen Belagerer: „Das Reich! das Reich! +Vorwärts, das Reich!“</p> + +<p>Hinein in die Atmosphäre von Blut und Feuer +brauste die anstürzende Menschenmasse, und die Letzten +drängten bereits die Vordersten in die angegriffenen +Laufgräben, aus denen eine andere Flut ihnen entgegen +wogte. Das waren die Hessischen, die schlecht bewaffneten, +halbverhungerten, im Regen und Rheinwasser fast +ertränkten Schanzgräber, welche dem wilden Anprall +der Spanier nicht hatten widerstehen können.</p> + +<p>„Spanien! Spanien! Spanien und die Jungfrau!“ +rief Francisco Orticio, sich über einen Schanzkorb in die +Höhe schwingend.</p> + +<p>„Spanien! Spanien und die Jungfrau!“ wiederholten +seine Krieger ihm nachdringend.</p> + +<p>„Rette, Hessen! Rette!“ schrien die flüchtigen Söldner +des Landgrafen im panischen Schrecken.</p> + +<p>„Braunschweig! Braunschweig!“ brüllte es von den +Höhen der Böschungen.</p> + +<p>„Up dei Düvels!“ schrie Heinrich Weber aus Schöppenstedt, +eine Fackel in der Hand mitten unter die Hessen +springend. Der flammende Brand flog im weiten Bogen +gegen die Spanier — ein zweiter Satz — die zu Grund, +der Bergstadt im Harz, gehämmerte Hellebarde +schmetterte nieder auf eine zu Cordova geschmiedete +Sturmhaube: Diego Lua aus Toboso stürzte mit +einem „<i>Valga me Dios!</i>“ tot zurück.</p> + +<p>„Braunschweig! Braunschweig!“ brauste es dem +Schöppenstedter nach, und „Braunschweig! Braunschweig!“ +jubelten auch die Hessen, welche mit neuem +Mut sich wandten gegen ihre Verfolger.</p> + +<p>„Braunschweig! Braunschweig!“ rief Christoph von +Denow, dem es gelungen war, sich von seinem Pferde +zu werfen, welches sich auf der Böschung hoch bäumte, +im nächsten Augenblick aber, von einer Kugel getroffen, +zusammenbrach. Anneke Mey stand unbeschädigt auf +den Füßen, doch auch sie wurde mit hinabgerissen in die +Gräben, wo sie jedoch samt Hans Niekirche hinter einem +Haufen umgestürzter Schanzkörbe den verlorenen Atem +wieder gewinnen konnte.</p> + +<p>Und jetzt Angriff und wütende Verteidigung, Flüche +in sechs Sprachen, Todesrufe; — auf engstem Raum +Vernichtung jeder Art! — Alle Hauptleute der Braunschweiger: +Adebar, Maxen, Wulffen, Wobersnau, +Rußwurmb, Dux, Statz, und wie sie hießen, hatten ihre +Stellen als Befehlshaber wieder eingenommen und +drängten tapfer kämpfend die Spanier zurück. Tapfer +stritten aber auch die Spanier. Sechs Geschütze hatten +sie in den hessischen Schanzen genommen und in den +Rheingraben versenkt, Schritt für Schritt wichen sie +zu den flammenden Mauern und Wällen der Stadt +über die Leichen ihrer Landsleute und ihrer Feinde. +Der Graf von Hohenlohe in vollster Rüstung mit +seinen Herren führte stets neue Truppen an; Haufen +auf Haufen ließ Don Ramiro de Gusman hervorbrechen.</p> + +<p>Dicht an den Spaniern kämpfte Christoph von +Denow, das Blut rieselte aus einer Stirnwunde, — +er merkte es nicht. Anneke Mey hatte sich mutig auf +ihren Schanzkorb geschwungen und den widerstrebenden +Niekirche nachgezogen. Sie hielt ihr Messer noch immer +gezückt in der Rechten, mit der Linken hielt sie den +schlotternden Trommelschläger am Kragen.</p> + +<p>„So schlage den Sturmmarsch, Junge!“ rief sie +lachend. „Willst’ nicht? Wart, gleich fliegst du herunter, +daß sie dich drunten zu Brei vertreten, Feigling!“</p> + +<p>„Ja! ja! ich will!“ jammerte Hans. „Ach wär’ +ich doch daheim! Ach wär’ ich doch zu Haus! Mein +Mutter! mein Mutter!“</p> + +<p>„Na, na, schlage nur immer zu, du kommst noch +davon!“ sagte Anneke begütigend und ließ den Kragen +des Armen los. „Dein’ Mutter wartet schon a bissel! +Schau, wie lustig das aussieht — da, guck, sie +geben’s den welschen Bluthunden! Wär’ ich ’n Knab, +wie du — hei, ich wollt’s ihnen auch schon zeigen!“ +Und mit heller Stimme fing das Mädchen an zu +singen:</p> + +<div class="poem"><div class="stanza"> +<span class="i0">„Mein Vater wollt’ ein Knäbelein,<br /></span> +<span class="i0">Mein Mutter wollt’ ein Mägdelein,<br /></span> +<span class="i0">Mein’ Mutter tät gewinnen,<br /></span> +<span class="i0">Des muß den Flachs ich spinnen — Ja spinnen!<br /></span> +<span class="i0">Das ist mir großes Leid!“<br /></span> +</div></div> + +<p>Immer mutiger schlug Hans Niekirche, durch seine +Gefährtin aufgemuntert, seine Wirbel, und unter +beiden Kindern vorbei drängten ununterbrochen die +Scharen des Reichs vor und zurück, wie der Kampf vor- +und zurückwich; bis die Spanier in die Stadt gedrängt +waren, und das Zeichen zum Sammeln von allen Seiten +den Deutschen gegeben wurde. Don Ramiro hatte die +Rheinschleusen, welche er in seiner Gewalt hatte, öffnen +lassen.</p> + +<p>„Sieh das Wasser! das Wasser!“ rief Hans Niekirche +in neuer Angst. „Laß uns fort, Anneke, sie wollen +uns ersäufen, wie die jungen Katzen.“</p> + +<p>Ein allgemeiner Schrei erhob sich unter dem Getümmel +in den Laufgräben; schon standen manche +Haufen bis an den Gürtel in der reißend schnell steigenden +Flut.</p> + +<p>„Halt, halt!“ rief Anneke Mey. „Er ist noch nicht +zurück; aber — geh nur — geh — ich bleib’!“</p> + +<p>„Und ich bleib’ auch!“ schrie Hans der Trommler.</p> + +<p>„Zurück! zurück!“ tönte es aus den rückwärts +weichenden Scharen des Reichsheeres: „Das Wasser! +Der Rhein! Das Wasser!“ Und immerfort donnerte +das Geschütz der Spanier von den Wällen, immerfort +schlugen die Kugeln verheerend in das wirre, verzweiflungsvolle +Durcheinander.</p> + +<p>Es war eine böse Belagerung — die Belagerung der +Stadt Rees am Rhein: es war kein Glück, es war keine +Ehre dabei zu holen.</p> + +<p>„Der Junker! der Junker! Christoph! Christoph +von Denow!“ schrie die junge Dirne auf ihrer Höhe, die +Hände ringend, und das Wasser stieg und stieg. Schon +waren die letzten der Haufen unter ihr vorüber, und die +Toten, von den Fluten gehoben, wirbelten um sie her. +Da griff eine Hand aus den Wassern nach dem Schanzkorbe, +auf welchem sie stand, und ein bleiches Haupt +erhob sich zu ihren Füßen: „Rette! Rette!“</p> + +<p>„Christoph! Christoph!“ schrie das Mädchen, sie lag +auf den Knien, sie faßte die triefenden Locken, sie faßte +den Schwertriemen — der Junker von Denow war +gerettet. Valentin Weisser, der Riese, dessen Blutdurst +und Mut durch den Kampf und den Rhein bedeutend +gekühlt war, brachte mit Hilfe gutwilliger Genossen +den wunden Junker, die Dirne und Hans, den +Trommelschläger, glücklich auf das Trockene und weit +hinein ins Feld, wo die gelichteten, zerrissenen, wunden +Krieger des Reichsheeres um die Wachtfeuer murrend +und grollend in stumpfsinniger Ermattung lagen und +die Führer bereits wieder unheimliche und drohende +Worte zu hören bekamen.</p> +</div> + +<div> +<h3><a name="JunkerII" id="JunkerII">II.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/t.png" alt="T" width="60" height="60" class="floatl" />rübe dämmerte der Morgen. Auf die +wüste Nacht folgte ein ebenso wüster Tag. +Vergeblich hatte Herr Otto Heinrich von +Beylandt, Herr zu Rethen und Brembt, Leib und +Leben und Seligkeit den Meuterern zum Pfande +eingesetzt, daß sie nicht von des Reichs Boden weggeführt +werden sollten; vergeblich hatte der Graf von +Hohenlohe geflucht, gebeten und gedroht. Zwischen +sieben und acht Uhr waren zehn Fähnlein des braunschweigischen +Regiments aufgebrochen und aus dem +Feld gezogen, Münster zu. Weiber, Kinder, Dirnen +folgten jetzt dem plündernden, ehrvergessenen, eidbrüchigen +Haufen durch den grauen Nebelregen. +Keiner befahl, keiner gehorchte. Die einen meinten, +es gehe gradaus zum Herzog von Braunschweig, ihrem +Zahlherrn, nach Wolfenbüttel; andere glaubten, es +gehe gegen den Bischof von Münster; die meisten aber +dachten gar nichts, und so schwankte der tolle Zug, einem +Betrunkenen gleich, hier vom Wege ab, dort vom Wege +ab, jetzt auf ein Dorf zu, jetzt auf ein einsames Gehöft. +Kleinere Banden schweiften zur Seite, oder vor und +nach — fort und fort über die Heide; hier im Kampfe +mit einer ergrimmten Bauernschar, dort im Hader untereinander. +Der Nebel ward Regen und hing sich in +perlenden Tropfen an die letzten Blüten des Heidekrauts +und träufelte von den Stacheln und Zweigen der +Dornbüsche. Krähenscharen begleiteten den Zug lautkrächzend, +oder flatterten in dichten Haufen westwärts +dem Rhein zu, wo von Rees her das Feuer der Berennung +nur noch in einzelnen Schlägen dumpf grollte. +Stärker und stärker ward der Regen, die blutigen +Spuren der vergangenen Nacht, der Schlamm der Laufgräben +mischten sich auf den pulvergeschwärzten Gesichtern, +den zerrissenen, verbrannten Kleidern, den verrosteten +Waffenstücken — die Männer fluchten und +sangen, die Weiber ächzten, die Kinder schrien, und +Anneke Mey auf ihrem Wagen, mit einem Bierfaß +beladen, hielt tröstend das Haupt des wunden Christoph +von Denow in ihrem Schoß und sprach ihm zu und verhüllte +ihn, wie eine Mutter ihr Kind, mit einem groben +Soldatenmantel; während Hans Niekirche zähneklappernd +das magere Roß leitete, welches vor dem Karren +ging. — Lange Zeit hatte der Junker wie besinnungslos +gelegen, jetzt hob er den Kopf mühsam empor und +strich die Haare aus der Stirn und warf einen Blick +auf seine Umgebung.</p> + +<p>„O Anneke, weshalb hast mich nicht gelassen in dem +Wasser — oh! oh!“</p> + +<p>„Still, still, lieget ruhig, Herr! Die ganze Welt ist +auseinander —“</p> + +<p>„Weshalb hast mich nicht gelassen im Lager — im +Heer vor Rees?“</p> + +<p>„Es ist aus, aus! Alles aus, sagen sie. Alles läuft +auseinander —“</p> + +<p>„Und wohin gehen wir?“</p> + +<p>„Weiß nicht! weiß nicht!“</p> + +<p>„Bin also so weit! Ein Spießgesell von Räubern und +Mördern und landesflüchtigem Gesindel! Krächzt nur, +ihr schwarzen Galgenvögel, ihr habt einen feinen Geruch, +wittert den Fraß, wann er noch lustig auf den Beinen +herumstolpert und den Bauerngänsen die Hälse abhaut +und die Rinder aus dem Stall zieht. O Christoph! +Christoph! Und du könntest einen adeligen Schild +führen!“</p> + +<p>Der junge Gesell stieß solch einen herzbrechenden +Seufzer aus, daß ein neben dem Karren reitender Söldner +aufmerksam wurde. Er drängte sein Pferd näher +heran, zog seine Feldflasche hervor und reichte sie dem +Wunden zu.</p> + +<p>„Hoho, Junker, was spinnst für Hanf? Da wärme +dir das Herz, bis wir uns den Münsterschen Dompfaffen +in die warmen Nester legen! Aufgeschaut, aufgeschaut, +Christoffel! ’s ist beschlossen, Ihr sollt unser Obrister +werden!“</p> + +<p>Der Junker machte eine unwillige Handbewegung +und antwortete nicht.</p> + +<p>„Auch gut,“ brummte der Reiter. „Der Satan hol’ +alle diese Maulhänger! Möcht’ nur wissen, was die +Gesellen für einen Narren an ihm gefressen haben. +Hat den Vorspruch gemacht gestern beim Grafen nach +ihrem Willen und soll den Führer spielen, und kann den +Kopf nicht grad halten — Bah! Hätten hundert Bessere +gefunden; kann mit seinem Adel weder den Mantel +noch die Ehre flicken. Fort, Mähre, was scheust? Dacht +ich’s doch, da liegt wieder einer der trunkenen Schelme +im Wege. Vorwärts, Schecke, laß liegen, was nicht +mehr laufen mag. Was will die Trompete? Holla, +was ist das?“</p> + +<p>Ja, was wollte die Trompete? Auf der rechten Seite +des Weges der Meuterer waren zwar von Zeit zu Zeit +vereinzelte Schüsse gefallen, niemand hatte sie aber +beachtet, weil man sie nur den obenerwähnten Scharmützeln +mit den Bauern und Hahnenfedern zuschrieb. +Jetzt aber wurde das Feuer regelmäßiger, Reitertrompeten +erschallten. Der Zug stutzte und hielt. Gestalten, +schattenhaft, tummelten sich in dem dichten +Nebel, und erschreckte Stimmen erklangen: „Die +Spanier! Die Spanier!“</p> + +<p>„Zum Henker die Spanier; wie kommen die Spanier +soweit über den Rhein?“ brummte der Reiter, welcher +eben dem Junker die Feldflasche geboten hatte. Er +lockerte aber nichtsdestoweniger das Schwert in der +Scheide und wickelte den rechten Arm aus dem Mantel +los.</p> + +<p>„Der Feind! der Feind! die Speerreiter!“ riefen +die im Lauf rückkehrenden Plünderer, zu den Genossen +stoßend, und einige brachten eine frische Wunde mit +zurück. Näher und näher hörte man die Trompeten +und den Schlachtruf „<i>España! España!</i>“ und dann +„Hohenlohe! Hohenlohe!“</p> + +<p>Keiner von den Meutmachern machte Miene, an dem +Gefechte teilzunehmen; aber die Musketen waren auf +die Gabeln gelegt, die Lunten aufgeschroben, die Spieße +gesenkt, und man hatte instinktmäßig einen Kreis um +die Wagen mit den Weibern und Kindern und den Raub +geschlossen.</p> + +<p>Jetzt schienen die Spanier wieder zurückgedrängt zu +werden; der Lärm des Kampfes verlor sich in der Ferne. +Der Zug der Aufrührer wollte sich bereits wieder in +Bewegung setzen.</p> + +<p>„Halt, halt!“ rief einer der Fußknechte, „da kommen +sie wieder! Rossestrab!“ Er kniete nieder und legte +das Ohr an den Boden. „Viel Pferde im Galopp!“ +Man konnte kaum zehn Schritte weit im Nebel und +Regen deutlich sehen; es waren wieder nur unbestimmte +Schatten, die man nahen sah.</p> + +<p>Ein „Halt“ wurde ihnen zugerufen, und sie hielten, +und eine einzelne Gestalt löste sich von dem Haufen ab. +Aus dem Ring der aufrührerischen Söldner des Reichs +traten ihr einige entgegen.</p> + +<p>„Wer seid Ihr? Woher des Weges? Was für Begehr?“</p> + +<p>Der Nahende ritt, ohne zu antworten, näher heran.</p> + +<p>„Haltet, oder wir schießen!“</p> + +<p>„Nur zu, eidbrüchig Gesindel; versucht, ob ihr einen +ehrlichen Reitersmann trefft!“</p> + +<p>Wilde Flüche und der Ruf „Feuer, Feuer!“ ertönten, +und manche Büchse wurde in Anschlag gebracht; aber +dazwischen riefen auch Stimmen: „Halt, halt, das sind +keine Spanier, keine Speerreiter!“</p> + +<p>„Nein, das sind keine Spanier,“ rief der Reisige +zurück. „Das sind auch keine Meuterer, Mörder oder +Diebshalunken; — ehrliche Hohenlohesche Reiter sind’s, +die euch Lumpengesindel wahren sollen, daß ihr nicht +dem Galgen entlauft! Glaubt’s, der Graf hätte meinetwegen +andere dazu schicken mögen, als uns — nehmt +das Ab — Henkermahl drauf!“</p> + +<p>„Der Graf von Hollach hat Euch geschickt?“ fragte +es verwundert aus dem Haufen, und mancher der +wilden Kerle drängte sich vor, näher an den Reitersmann.</p> + +<p>„Zurück!“ rief dieser, „wir gehen mit euch, wie befohlen, +jagen die Speerreiter, die euch die Gurgel abschneiden +könnten, — man sparte nur die Stricke — und +schützen das arme Landvolk vor euch Hunden. Damit +holla! — na, wohin geht der Marsch?“</p> + +<p>„Packt Euch zum Teufel, wir brauchen Euch nicht!“ +schrie Jobst Bengel aus Heiligenstadt. „Wer hat Euch +gerufen? Sagt dem Grafen, dem Holländer, unsern +schönsten Dank und wir könnten unsern Weg allein +finden.“</p> + +<p>„Geht nicht! Alles auf Befehl! Kümmert euch so +wenig als möglich um uns; ihr handelt nach Belieben, +wir nach Befehl!“</p> + +<p>„Aber unser Belieben ist, daß ihr euch hinschert, +woher ihr gekommen seid!“ brüllte Hans Römer aus +Erfurt. „Geht, oder es setzt mein’ Seel blutige Köpfe!“</p> + +<p>„Unser Befehl ist, daß wir gehen, wohin euch der +Satan treibt. Am Höllentor kehren wir um, das ist der +Befehl. Genug der Worte.“</p> + +<p>Damit wandte der Hohenlohesche Rittmeister sein +Roß und sprengte zurück zu seinen Reitern, welche unbeweglich +auf einer kleinen Erderhöhung hielten und im +Gegensatz zu dem tobsüchtigen, wüsten Gebaren der +Meuterer nur leise Worte des Zorns und der Verachtung +hatten.</p> + +<p>Auf seinem Schmerzenslager hatte Christoph von +Denow halbblinden Auges und klingenden Ohres den +Vorgang angesehen und angehört. Jetzt mußte er auch +ohnmächtiger Zeuge der wilden Reden um ihn her sein.</p> + +<p>„Das ist solch ein falsch Spiel von dem Grafen — +das ist eine Falle. Sollen uns schützen vor den Speerreitern! +— Lauter Sorg und Lieb, bis sie uns den Hals +zuschnüren! — Nichts von dem Grafen von Hollach! +Fort mit den Reitern des Holländers! Feuer auf sie! +In die Spieße! in die Spieße mit ihnen!“</p> + +<p>„Die Rasenden! die Niederträchtigen!“ stöhnte +Christoph von Denow, die Hände ringend. „Und hier +liegen zu müssen gleich einem abgestochenen Schaflamme! +Halt, halt, was wollen sie tun?!“</p> + +<p>Seine schwache Stimme ging verloren in dem Lärm +„fort mit Holländern, fort mit dem Grafen von Hollach!“</p> + +<p>Mit einem Schlage setzte die ganze Masse der +Meuterer im Sturmlauf an gegen das kleine Häuflein +der Reiter.</p> + +<p>„Hab’s mir wohl gedacht,“ brummte der Rittmeister +in den grauen Bart. „Achtung, Gesellen! +Stand gehalten — das ist der Befehl. Herunter mit +den Schuften, wenn sie euch nahe kommen.“</p> + +<p>Sie griffen wirklich an. Im nächsten Augenblick +war die Reiterschar umringt, durchbrochen. Die meisten +sanken nach tapfrer Gegenwehr vom Pferd; nur wenige +schlugen sich durch und flohen über die Heide. Zuletzt +kämpfte noch ein einzelner. Das war der tapfere alte +Führer, der sich wie ein Verzweifelter wehrte. Endlich +erstach ihm Balthasar Eschholz aus Berlin das Roß, +und eine Kugel durchfuhr seine treue Brust.</p> + +<p>Einige Minuten standen die Mörder wie erstarrt. +Schlug ihnen diesmal das Herz? Sie wagten es nicht, +die Gefallenen zu berauben, ein plötzlicher Schrecken +kam über sie, wie von Gott dem Richter gesandt, und +Mann und Roß und Wagen stürzten von dannen, +hinein in den Nebel, der sie verschlang, als seien sie nicht +wert, von Himmel und Erde gesehen zu werden.</p> + +<p>„Das ist ein schlechter — schlechter Tod!“ seufzte der +zu Boden liegende Reiterhauptmann. „Ein schlechter +Tod! — In deine Hände — aber alles der Befehl — +nun kann der Rat von Nürnberg mein Weib und meine +Jungen auffüttern — ein schlechter Tod — Amen! +Alles — der — Befehl!“</p> + +<p>Er griff noch einmal mit beiden Händen krampfhaft +in das Heidekraut — es war vorüber.</p> + +<p>Ein Wäglein und drei Menschenkinder waren zurückgeblieben +beim Fortstürzen der Mörderschar. Das waren +Anneke Mey aus Stadtoldendorf, welche das Haupt +des Erschlagenen stützte, das war Christoph von Denow, +der auf seinem Lager das Vaterunser weiter betete, +welches der Rittmeister nicht hatte zu Ende bringen +können. Das war Hans Niekirche, der Trommelschläger, +welcher schluchzend das Rößlein vor dem Wagen +hielt!........</p> +</div> + +<div> + +<h3><a name="JunkerIII" id="JunkerIII">III.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/n.png" alt="N" width="60" height="60" class="floatl"/>icht Leben, nicht Tod; nicht Vergessenheit, +nicht Sinnesklarheit; nicht Schlaf, nicht +Wachen; — alles ein wildes, wirres +Chaos in dem fieberkranken Kopfe Christoph von +Denows! Jetzt legte es sich ihm, einem feurigen +Schleier gleich, vor die Augen, tausend Sturmglocken +und der Verzweiflungsschrei einer eroberten +Stadt füllten ihm Ohr und Hirn; — jetzt versank er +wieder in ein endloses graues Nichts, in welchem ihn +allerlei unerkennbare Schatten umschwebten; — jetzt +vermochte er es wieder, sich und seine Umgebung zu +unterscheiden, ohne sich klar darüber werden zu können, +wer ihn von dannen führe und wohin man ihn führe. +Manchmal war der Himmel über ihm grau und ihn fror, +dann wieder schaute er empor in das reine Blau, und die +Sonne schien herab auf ihn. Manchmal glaubte er +sich in einem auf dem Wasser fahrenden Schifflein zu +befinden, manchmal sah er wieder grüne Zweige über +sich und hörte die Vögel singen. Er gab es auf, zu +denken, sich zu erinnern: willenlos überließ er sich seinem +Geschick. Es zog und zuckte durch seinen Geist! — Da +ist der weite, kühle Saal in der väterlichen Burg, dem +einstmals am weitesten in das Polen- und Tartarenland +vorgeschobenen Posten des deutschen Wesens. +Durch die bunten Scheiben der spitzen Fenster fällt das +Licht der Sonne und wirft die farbigen, flimmernden +Schattenbilder der gemalten Wappen und Heiligen auf +den Estrich. Da steht der Sessel des Ritters von Denow +neben dem großen Kamine, und der Sessel und der +Gebetschemel der Mutter in der Fenstervertiefung, da +glitzern im Winkel auf dem künstlich geschnitzten Schenktisch +die riesigen, wie Silber glänzenden Zinnkrüge +und Geschirre. Da blickt ernst von der Wand der Ahnherr +mit dem Ringpanzer auf der Brust, und manch +wunderlich Gewaffen aus den Polen- und Preußenschlachten +hängt an dem Mittelpfeiler, welcher den +Saal stützt....</p> + +<p>Feuer! Feuer! Das ist nicht der Widerschein der +Abendsonne an den Wänden. Feuer! Feuer! und das +Wimmern der Burgglocken und der Schall der Sturmhörner! +— Wo blieb das süße, mildlächelnde Bild der +Mutter, das eben noch durch den stillen dämmerigen +Saal glitt? Feuer und Sturm! Die Polen! die Polen! +Allverloren! Allgewonnen! Allgewonnen!</p> + +<p>Da taucht ein ehrliches bärtiges Gesicht auf — das ist +der Knecht Erdwin Wüstemann, welcher den kleinen +Christoph aus der brennenden väterlichen Burg auf den +Schultern trug und rettete.... Nun rauscht der Wald, +nun murmelt der Bach — das ist die verlorene Forsthütte, +wo der treue Knecht und das Kind hausten so lange +Jahre hindurch. Die Hunde zerren bellend an der Kette, +der Falk schaukelt sich auf seiner Stange. Wilde Gesellen +und Weiber — fahrende Soldaten, Sänger und +Studenten und demütige Juden verlangen Obdach vor +dem nahen Gewitter oder dem Schneesturm. Sie lagern +auf nackter Erde um das Feuer, an welchem die Hirschkeule +bratet. Der Weinkrug geht im Kreise umher; +Lieder erschallen! Lieder vom freien Landsknechtsleben, +lutherische Lieder, Spottlieder gegen den Papst und den +Türken und lateinische Lieder vom wandernden +Scholarentum. Jetzt gerät der rote Heinz mit dem +landflüchtigen Leibeigenen oder dem Zigeuner in Streit; +die Messer blitzen, der Knecht Erdwin wirft sich zwischen +die Kämpfenden — es rauscht der Wald, es murmelt +der Bach, es klingt die Harfe des blinden Sängers — ah +Wasser, Wasser und Waldfrische in dieser Glut, welche +das Gehirn verdorrt und die Knochen versengt!</p> + +<p>Einen Augenblick lang öffnete der Kranke die Augen, +er hörte Stimmen um sich her; jemand hielt ihm einen +Krug voll frischen Wassers an die heißen Lippen. Er +hatte nicht fragen können, wo er sei, wer ihm helfe in +seiner Not? — von neuem ergriff ihn der Fiebertraum.</p> + +<p>Aus dem Kinde ist im lustigen Wildschützenleben ein +wackerer Bub geworden. Hinaus aus dem grünen +Wald zieht der Knecht Erdwin mit dem Schützling. Die +Zeiten sind danach — wer kühn die Würfel wirft, kann +wohl den Venuswurf werfen. Mancher gelangte in der +Fremde zu hohen Ehren und Würden, der im Vaterlande +kaum den heilen Rock trug. Gern kaufen Franzosen, +Spanier, Holländer mit rotem Golde rotes +deutsches Blut. Ho, so hattest du dir die Welt draußen +vor dem Wald wohl nicht gedacht, Christoph von Denow? +Hei, das waren andere Gestalten und Bilder: Städte, +Klöster und Burgen; Fürsten mit Rittern und Rossen, +schöne Damen, Äbte und Bischöfe mit reichem Gefolge, +Bürgeraufzüge, bunte Landsknechtsrotten auf dem +Wege nach Italien, nach Frankreich — für den Kaiser +und wider den Kaiser!</p> + +<p>Aus dem Reitersbuben ist ein Reitersmann geworden, +welcher nichts sein nennt, als sein gutes Schwert, +und welchem von den Vätern her nichts geblieben ist, +als der eiserne Siegelring mit dem Wappen derer von +Denow, welchen er am Finger trägt.</p> + +<p>Immer weiter hinein in das bunte Leben, in den +bunten Traum — tagelang, wochenlang im Wundfieber +kämpfend zwischen Sein und Vernichtung, bis +endlich eine Glocke dumpf und feierlich erklingt, eine +Glocke, die nicht mehr allein in dem Gehirn des Kranken +läutet!</p> + +<p>„Wo bin ich?... Die Glocke, was will die Glocke?“ +murmelte Christoph von Denow, die Augen aufschlagend.</p> + +<p>Anneke Mey stieß einen Freudenschrei aus und hob +das Haupt des Junkers ein wenig aus ihrem Schoße: +„Er lebt, o guter Gott, er wird leben!“</p> + +<p>„Die Glocke! die Glocke?“</p> + +<p>„Still, lieget still, Herr! das ist Sankt Lambert zu +Münster, und da — horcht! das ist der Dom! Morgen +ist der heilige Matthiastag — still, still, lieget ruhig.“</p> + +<p>Es wurde dunkel über dem Junker; das Wäglein +fuhr in diesem Augenblick durch die Torwölbung. Der +Junker schloß die Augen wieder, er glaubte einen Wortwechsel +zu hören, er glaubte zu bemerken, daß der Wagen +hielt, Annekes Stimme erklang ängstlich und bittend +dazwischen. Er glaubte ein bärtiges Gesicht über sich +zu sehen und einen Ausruf des Schreckens zu hören. +Der Wagen bewegte sich wieder — er fuhr aus dem +dunklen Tor in das Licht der Straße hinein. — —</p> + +<p>Das war das Gesicht des alten Knechts Erdwin, +welches der Junker von Denow über sich sah, bis im +folgenden Moment alles verschwand und es wieder +Nacht war im Geiste Christophs. — Allmählich aber +wurde diese Nacht jetzt Dämmerung; die Gedanken +ordneten sich mehr und mehr. Christoph von Denow +erwachte wieder zum Leben.</p> + +<p>Er fühlte den wohltuenden Strahl der milden Herbstsonne, +er vernahm die Worte der Freunde um sich her. +Jetzt erzählte Erdwin, der Knecht, jetzt sprach Anneke +Mey, jetzt lachte Hans der Trommelschläger. Die Landschaft +glitt an ihm vorüber, Städte, Dörfer, Flecken, er +sah blaue Höhenzüge im Osten auftauchen und vernahm, +wie ein Wanderer dem Knechte Erdwin sagte, +das sei der altberühmte große Teutoburger Wald. Er +schlummerte abermals ein, und als er abermals erwachte, +fand er sich mitten in den Bergen, und ein Wasser +rauschte seitwärts in das Dickicht. „Das Wässerlein +kenn’ ich,“ rief Anneke, „das ist die Else, die fließt in die +Werre, und die Werre fließt in die Weser, nun sind wir +der Heimat nahe.“</p> + +<p>„Und wie ziehen wir nun, Anneke?“ fragte der getreue +Knecht Erdwin, welcher munter neben dem Wagen, +den Spieß auf der Schulter, herschritt.</p> + +<p>„Wo die Sonne aufgeht, fahren wir zu; aus dem +Teutoburger Wald in den Lippeschen Wald, zuletzt wird +doch mal ein Berg kommen, von dem wir die Weser +glitzern sehen können. Dann sind wir zu Hause!“</p> + +<p>„Anneke, Anneke!“ murmelte Christoph.</p> + +<p>„O, wachet Ihr wieder, Junkerlein? geduldet Euch +und lieget still, wir sind alle noch da, und der Meister +Erdwin ist auch da und hat mir alles von Euch erzählt +und ich ihm auch alles von Euch.“</p> + +<p>„O Junker, Junker, seid Ihr wach?“ rief der Knecht +Erdwin und schauete über den Rand des Wagens. „Das +Mütterlein im Himmel muß über uns wachen, daß ich +Euch grad am Tor zu Münster treffen mußt’. Von der +Reichsschanze bis nach Münster bin ich kreuz und quer +Euern Spuren nachgezogen. Habt mich schön in Angst +und Not gebracht! Haltet das Maul, Junkerlein. Dem +Herzmädel da dankt Ihr Euer jung Leben. Lasset Euch +tränken und atzen und schlaft wieder ein, wir halten +Euch oben, Hans und Anneke und ich!“</p> + +<p>Christoph drückte schwach die Hand des wackern Alten, +er wollte nach dem Heere fragen, nach den Meuterern, +aber er vergaß es. Sein wunder Kopf ruhte noch immer +an der Brust der jungen Dirne. Aus schwimmenden +Augen blickte er auf zu dem braunen, wildfreundlichen +Gesicht über ihm.</p> + +<p>„Ach, Anneke Mey, Anneke Mey, wohin willst du +mich führen?“</p> + +<p>„In meiner Heime ist es gar schön,“ sagte das +Mädchen. „Da sind die Berge und die Wiesen so grün, +da schaut die alte Burg, sie heißen sie die Homburg +herab auf das Städtel. Da sind die hohen weißen Felsen +ganz weiß, weiß — da wohnen die klugen Zwerge in +tiefen runden Löchern. Das ist wahr, ganz gewiß wahr! +Es ist auch schaurig da, manchmal rührt sich der Boden, +und der Wald sinkt ein in die Erde, tief, tief, — und +ein Wässerlein springt dann unten in dem Grund auf; +das Wasser trinken die Leut nicht gern. Aber mitten +in den Bergen, da ist ein kühler Bronn, der Wellborn +geheißen, aus dem kommt das Wasser durch Röhren in +die Stadt, und die Brunnen rauschen und plätschern +immer zu. Und vor dem Burgtor ist ein klein Haus dicht +an der Stadtmauer, da sitzt meine alte Muhme, die +Alheit — mein Vater und Mutter sind lang tot im +Lager von Lafere, wo wir mit dem französischen König +Heinrich waren — und ihre Katz sitzt neben ihr, und +wenn sie, ich mein’ die Muhme — an mich gedenkt, so +brummt und keift und bet’t sie ein Vaterunser, grade +weil sie mich gern hat. Schläfst noch nicht, Junkerlein? +Mach die Augen zu und kümmre dich nicht um die +Welt.“</p> + +<p>Mit leiser Stimme fing das Mädchen an zu singen:</p> + +<div class="poem"><div class="stanza"> +<span class="i2">„Musikanten zum Spielen,<br /></span> +<span class="i0">Schöne Mädchen zum Lieben:<br /></span> +<span class="i0">So lasset uns fahren,<br /></span> +<span class="i0">Mit Roß und mit Wagen,<br /></span> +<span class="i0">In unser Quartier!<br /></span> +<span class="i0">In unser Quartier!“<br /></span> +</div></div> + +<p>„Ach, der Wagen stößt zu hart; wisset Ihr was, +Meister Erdwin? singet Ihr weiter.“</p> + +<p>„Wollen’s versuchen!“ sagte der Knecht Wüstemann +und begann im Ton der Schlacht von Pavia das Lied +von der Schlacht vor Bremen, in welche er als junger +Bursch mit den Reitern des Grafen von Oldenburg +gezogen war, und frisch schallte sein Baß in den Wald +hinein.</p> + +<div class="poem"><div class="stanza"> +<span class="i0">„— Unser Feldherr das vernahm,<br /></span> +<span class="i0">Graf Albrecht von Mansfelde,<br /></span> +<span class="i0">Sprach zu seinem Kriegsvolk lobesam:<br /></span> +<span class="i0">Ihr lieben Auserwählten,<br /></span> +<span class="i0">Nun seid ganz frisch und wohlgemut,<br /></span> +<span class="i0">Ritterlich wolln wir fechten;<br /></span> +<span class="i0">Gewinnen wolln wir Ehr und Gut,<br /></span> +<span class="i0">Gott wird helfen dem Rechten.“<br /></span> +</div></div> + +<p>Als der Endvers kam, war Christoph wirklich eingesungen +zu sanftem Schlummer, und Hans Niekirche +behielt den braunschweigschen Gassenhauer, den er +eben zum besten geben wollte, auf das Ersuchen des +alten Erdwins für sich. Mit einbrechender Nacht wurde +bei einem Köhler mitten im Forst das Nachtquartier +aufgeschlagen.</p> + +<p>„Was ist denn da draußen vorgegangen in der Welt?“ +fragte der schwarze Waldmann. „Ihr seid die Ersten +nicht, die hier durchkommen sind und hier angehalten +haben. Das ist ja auf einmal, als ob alles Kriegsvolk +im deutschen Land sich hier auf den Wald niedergeschlagen +hätt’, wie ein Immenschwarm auf den +Schlehenbusch. Ist es wahr, daß das Reichsheer auseinandergelaufen +ist?“</p> + +<p>„Es ist wahr,“ sagte der Knecht Erdwin düster. „Es +ist aus, — alles vorbei!“</p> + +<p>„Vorgestern zog hier ein Trupp durch, fast zehn +Fähnlein stark, aber anzusehen wie ein wüst Raubgesindel, +Fußvolk und Reiter durcheinander. Wollten +gen die Weser und ließen sich vernehmen, sie wollten +ihrem Zahlherrn, dem Braunschweiger Herzog —“</p> + +<p>„Die Braunschweiger?!“ riefen Erdwin und Anneke +und Hans Niekirche. „Die Braunschweiger?!“ murmelte +Christoph von Denow und richtete sich halb auf seinem +Lager auf.</p> + +<p>„Gehöret Ihr zu ihnen?“ fragte der Köhler mißtrauisch. +„Nehmt Euch in acht; ich hab’ einen gesprochen, +der sagte, der Braunschweiger habe seine +Leibguardia und Reiter die Menge abgesandt, ihnen +den Weg zu verlegen. Sein Feldhauptmann, der +Graf von Hohenlohe, ist auch, von Mitternacht her, +gegen sie aufgebrochen. Das kann ein übel Ende +nehmen!“</p> + +<p>„Gegen die Weser sind sie gezogen?“</p> + +<p>„Wie ich Euch sagte, Maidlein.“</p> + +<p>„Herr Gott, so müssen wir ab vom Weg!“</p> + +<p>„Ihr gehört also nicht zu ihnen?“</p> + +<p>„Nein! nein! nein!“ riefen Christoph und Erdwin +und Anneke.</p> + +<p>„Und Ihr wollt auch über die Weser?“</p> + +<p>„In meine Heimat!“ rief Anneke.</p> + +<p>„Mit dem wunden Mann? Geht nicht, wahrlich geht +nicht! Weg und Steg sind verlegt.“</p> + +<p>Alle schwiegen erschrocken und verstört einige +Minuten.</p> + +<p>„Saget doch,“ fuhr der Köhler dann fort, „weshalb +wollt Ihr nicht bei mir bleiben im Walde, bis der Kopf +des Burschen dort wieder heil und ganz ist? Hunger und +Durst sollt Ihr nicht leiden. Ihr erzählet mir alles, +was da draußen in der Welt vorgegangen ist, dafür geb’ +ich Euch Futter und Obdach. Gefällt’s Euch?“</p> + +<p>„Ihr wolltet —?“</p> + +<p>„Gewiß will ich; ich will Euch sogar noch großen +Dank schuldig sein dafür!“</p> + +<p>„Angenommen, Landsmann!“ rief der Knecht Wüstemann +freudig. „Junker, nun streckt Euch lang auf +Euerm Lager, und wehe dem ersten Rehbock, der mir +vor die Armbrust gerät, welche ich dort an der Wand +sehe.“</p> + +<p>So kamen am Tage Cornelii des Hauptmanns +die vier Flüchtlinge des Reichsheeres zum ersten Mal +zu Ruhe.</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="JunkerIV" id="JunkerIV">IV.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/d.png" alt="D" width="60" height="60" class="floatl"/>ominus Basilius Sadler, der heiligen +Schrift Doktor und fürstlicher Hofprediger +zu Wolfenbüttel, hatte seine Predigt +beendet und das Vaterunser gebetet. Unter den letzten +Klängen der Orgel strömte die Menge aus der Marienkapelle +in den dunkeln nebligen Herbsttag hinaus. +Man schrieb den vierten November 1599.</p> + +<p>Was hatte das andächtige Volk? Statt ruhig und +gemessen wie gewöhnlich am heiligen Sonntag ihren +Wohnungen und dem Sonntagsbraten zuzuschreiten, +blieben die Männer in Gruppen auf dem Kirchplatz +stehen und steckten die Köpfe zusammen; selbst die Weiber +waren von derselben Aufregung ergriffen. Kaum war +nämlich der letzte Orgelton verhallt, so durchzitterte +von der Dammfestung her ein anhaltender Trommelwirbel +die stille Luft und schwieg dann einige Augenblicke. +Darauf näherten sich die kriegerischen Klänge +im Marschtakt, und manche der Bürger eilten ihnen, +ihre Knaben an der Hand, entgegen; der größte Teil +der Menge blieb jedoch zurück und erwartete die Dinge, +welche da kommen sollten. „Nun geht es an! Das ist +der Beginn!“ hieß es unter dem Volk.</p> + +<p>„Das ist der Gerichtswebel, Martin Braun von +Kolberg,“ sagte ein Goldschmied, der von allem genau +Bescheid wußte. „Der verkündet nun das kaiserliche +Malefizrecht an allen vier Orten der Welt.“</p> + +<p>„Sie kommen! sie kommen!“ hieß es unter der +Menge, und eine Gasse bildete sich jetzt, um die Nahenden +durchzulassen. Von der Dammbrücke her durchzog mit +seinen drei Trommlern der Gerichtswebel, begleitet von +einigen Hellebardierern, feierlich und langsam die +Heinrichsstadt gegen das Kaisertor hin.</p> + +<p>Wir lassen ihn ziehen und lassen das Volk seine +Betrachtungen anstellen und schreiten quer über den +Platz vor der Marienkapelle, durch die Löwenstraße, +über die Dammbrücke an dem Schloß vorüber nach dem +Mühlentorturm, dessen Eingänge von einer stärkern +Wache als gewöhnlich umgeben sind. Wir führen den +Leser in das obere Stockwerk des Gebäudes. Ein weites +Gewölbe tut sich uns hier auf, so dunkel, daß das Auge +sich erst an die Finsternis gewöhnen muß, ehe es irgend +etwas in dem Raum erkennen kann. Ist das geschehen, +so bemerken wir, daß das trübe, herbstliche Tageslicht, +durch viele, aber enge und stark vergitterte Fenster fällt. +Die Wände entlang ist Stroh aufgeschichtet, auf welchem +dunkle Gestalten in den mannigfaltigsten Stellungen +und Lagen sich dehnen. Von dunkeln Gestalten sind +auch einige hie und da aufgestellte Tische umgeben. +Ein Kohlenfeuer glimmt in dem Kamin unter dem +gewaltigen Rauchfang. Allmählich erkennen wir mehr +in dem dunsterfüllten Raume: bleiche, wilde Gesichter, +umgeben von wirren zerzausten Haaren, schlechtverbundene, +mit blutigen Binden umwickelte Glieder. +Ein leiseres oder lauteres Klirren und Rasseln von +Ketten erschreckt uns; — wir sind unter den — Meuterern +von Rees! Gekommen ist’s, wie es kommen mußte; +morgen wird der Obriste des niedersächsischen Kreises, +Herr Heinrich Julius von Braunschweig, das Gericht +über sie angehen lassen. Dumpf tönt der ferne Trommelschlag +des um die Wälle der Festung ziehenden Gerichtswebels +Martin Braun in ihr Gefängnis herüber. +Lauschen wir ein wenig den Worten der gefangenen +wilden Gesellen!</p> + +<p>„Ta, ta, ta! Was das für ein Wesen ist? Sollte +man nicht meinen, der Teufel sei den Kerlen in den +Lärmkasten gefahren? Es gehet alles zum Schlechteren, +selbsten das Trommelschlagen,“ sagte eine baumlange +Gestalt, sich über die Genossen erhebend.</p> + +<p>„Sollt’ meinen, Valtin, wir hätten uns um anderes +zu kümmern als den Trommelschlag,“ sagte unwirsch +ein zweiter Söldner.</p> + +<p>Valentin Weisser ließ sich jedoch nicht von seinem +Thema abbringen. „Horchet nur, ist das die alte freudige +deutsche Art? Aber jetzt will jeder ein Neues einbringen! +Auch die Hispanier machen’s so; da lob’ ich mir die +Italiener, die haben aufgehoben, was wir nicht mehr +mochten, und ziehen mit den fünf gleichen Schlägen bis +ans Ende der Welt. Topp, topp, topp, topp, topp! das +erwecket das Herz zu Freud und Tapferkeit und hilfet +zu Leibeskräften. Topp, topp, topp, topp, topp! Hüt +dich Bau’r, ich komm’! — das ist’s! oder —“</p> + +<p>„Hauptmann, gib uns Geld!“ fiel lachend ein +Dritter ein.</p> + +<p>„Füg dich zu der Kann!“ brummte Hans Römer von +Erfurt, der Schmerbauch.</p> + +<p>„Mach dich bald davon!“ sang eine schrille Stimme +dazwischen.</p> + +<p>„Hüt dich vor dem Mann!“ brummte Jobst Bengel +von Heiligenstadt. „Möchte nur wissen, wie lang wir +noch in diesem Loch stecken sollen? Alle blutigen Teufel, +ich wollt’, der Blitz schlüg’ gleich mitten unter uns, und +nähme uns mit herauf oder herunter, ins Paradies +oder die Hölle! ’s sollt’ mir gleich sein — ’s wär’ +wenigstens eine Veränderung!“</p> + +<p>„Das greuliche Fluchen ist auch nicht an der Zeit!“ +sagte eine ernste und finstere Stimme.</p> + +<p>„Hilft auch zu nichts, Meister Wüstemann,“ grinste +der Vorige wieder. „Dem Galgen entläuft man nit so +leichtlich — mit Verlaub, Junker, das war nicht auf +Euch gesagt.“ Wir folgen dem höhnischen Blick des +Sprechenden. Neben dem Kamin, an die feuchtschwarze +Wand gelehnt, steht Christoph von Denow, gebrochen +an Leib und Seele. Er schaute starr, gradaus vor sich +hin, bei den Worten Jobsts aber fuhr er auf, sank +jedoch in demselben Augenblick mit einer abwehrenden +Bewegung der Hand in seine vorige Stellung zurück. +Die Entgegnung übernahm Erdwin Wüstemann, der +drohend seine gefesselten Fäuste nach dem schon zurückweichenden +Jobst ausstreckte: „Den Schädel zerschmettere +ich dir an der Wand, wenn du den Rachen nicht hältst, +du Sohn einer Hündin — sage noch ein Wort —“</p> + +<p>„Auf ihn! so ist’s recht!“ schrien einige der Gefangenen. +„Halt, halt! trennt sie!“ riefen andere.</p> + +<p>„Seid ruhig, Erdwin,“ sagte der Junker, „laß ihn, +Alter, — er hat recht, der Strick des Hangmanns droht +uns allen.“</p> + +<p>„Euch nicht! Euch nicht!“ rief der alte Wüstemann, +die ihm entgegengestreckte Hand seines Schützlings +fassend. „O Ihr — Ihr in diesen Banden — das Herz +bricht mir darüber — o die Schurken, die Schurken!“</p> + +<p>Ein Murren, welches bald in lautere Drohungen +überging, folgte den Verwünschungen des Alten, der +alle ihn Umgebenden mit allen Flüchen überhäufte, +welche ihm auf die Zunge gerieten.</p> + +<p>Wer weiß, was geschehen wäre, wenn man nicht +plötzlich draußen vor der eisenbeschlagenen Tür des +Gefängnisses Schritte und eine befehlende Stimme vernommen +hätte. Hellebardenschäfte und Musketenkolben +rasselten nieder auf den Steinboden. Eine allgemeine +Stille trat ein unter den Gefangenen, die Schlösser der +Tür kreischten und knarrten. Sie öffnete sich, ein Gefreiter +mit der Partisane auf der Schulter schritt herein +mit zwei Büchsenschützen, deren Lunten glimmten. +Ihnen folgte ein kleines schwarzes Männlein, welchem +zur Seite, von Kopf bis zu Fuß geharnischt, der Leutnant +der Festung, Hans Sivers, sich hielt. Durch die +geöffnete Tür sah man den Gang angefüllt mit Bewaffneten +von der Besatzung.</p> + +<p>„Tut Eure Pflicht, Herr Notarius!“ sagte der Leutnant, +und das kleine schwarze Männlein — Herr +Friedericus Ortlepius, <i>notarius publicus</i> und des +peinlichen Gerichts zu Wolfenbüttel bestallter und beeidigter +Gerichtsschreiber, räusperte sich, nahm das +Barett vom Haupt und entfaltete ein Papier, welches +er in der Rechten trug. Ein Söldner, der eine Lampe +hielt, näherte sich. Der Leutnant hob den Arm gegen +die Gefangenen, abermals räusperte sich Herr Ortlepius +und las dann seine Schrift ab wie folgt:</p> + +<p>„Daß der Hochwürdige, Durchlauchtige, Hochgeborne +Fürst und Herr, Herr Heinrich Julius, postulierter +Bischof des Stifts Halberstadt, Herzog zu Braunschweig +und Lüneburg, unser allerseits gnädiger Fürst +und Herr, unlängst nach Besage und Inhalt des Koblenzschen +Abschieds, als verordneter Kriegsobrister dieses +niedersächsischen Kreises, zur Beschützung des lieben +Vaterlandes wider das tyrannische Einfallen des hispanischen +Kriegsvolkes, unter andern ein Regiment deutscher +Knechte von dreizehn Fähnlein hat werben lassen, +solches ist <i>notorium</i> und männiglich bekannt. Sind +dieselben auch nachher von Seiner Fürstlichen Gnaden +selbst gemustert, bewehrt, und haben sie in derselben +persönlichen Gegenwart in dem Ring, altem löblichem +Kriegsgebrauch nach, auf den Artikulbrief geschworen.</p> + +<p>Ob nun wohl I. F. G. sich gänzlich versehen und +verhofft, nachdem I. F. G. es so treulich gemeinet, auch +dem gemeinen Vaterland zum Besten es sich so sauer +haben werden lassen, — es würde gemeldetes Regiment +sich vermöge geschworenen Eides, Treu und Pflicht, wie +Solches ehrlichen, redlichen Kriegsleuten eignet und +gebühret, verhalten haben, so hat sich aber befunden, +daß zehn Fähnlein von solchem Regiment, ohne einige +rechtmäßige gegebene Ursach, wider ihre geschworene +Treu und Pflicht, I. F. G. zu sonderlichen Schimpf, +der ganzen deutschen Nation zum sonderlichen Spott und +Hohn, dieser Kriegsexpedition zum Nachteil, dem Feind +aber zum Frohlocken mit fliegenden Fähnlein aus dem +Felde gezogen sind. Haben ihre verordnete Obrigkeit +nicht bei sich leiden wollen, auch in solcher Meuterei so +lange kontinuiret, bis daß I. F. G., zur Erhaltung +Deroselben Autorität, ein’ Ernst zu diesen Sachen +haben tun müssen, und sie durch ihren damaligen +Statthalter und Generallieutenant den Wohlgebornen +und Edeln Grafen Philipp zu Hohenlohe, auf der Heide +zwischen der Ucht und Barenburg, hinter dem Moor, +genannt das hessische Darlaten, haben trennen und zum +Gehorsam bringen lassen. Und obwohl I. F. G. damals +nach Kriegsgebrauch und scharfen Rechten sie zu massakrieren +und sämtlich zu Schelmen zu machen, und über +sie als Schelmen die Fähnlein abreißen und schleifen +zu lassen, befugt gewesen sein, so haben doch I. F. G. +zu Deroselbst eigenen Glimpf den gelindesten Weg für +die Hand nehmen wollen und haben sich resolviret, euch +die bestrickten Knechte, welche eines Teils bei I. F. G. +als die Prinzipalisten Meutemacher angegeben sind, +andernteils von ihren eigenen Spießgesellen dafür +geliefert worden sind, — vor ein öffentlich Malefizrecht +stellen zu lassen.</p> + +<p>So fordere ich also auf unsers allerseits gnädigen +Fürsten und Herrn gnädigen Befehl euch: Christoph +von Denow, Detlof Schrader von Rendsburg, Erich +Südfeld von Hannover usw. usw. — so fordere ich euch +auf morgen früh um sieben Uhr, das ist den fünften +November dieses Jahres Eintausendfünfhundertneunundneunzig +vor kaiserliches Recht in den Ring, wo ihr +gerichtet werden sollt, wie es am Jüngsten Tage vor +Gott dem Allmächtigen, wenn Gottes Sohn kommen +wird zu richten die Lebendigen und Toten, zu verantworten +ist!“ — —</p> + +<p>Fünfundachtzig Namen rief der Notarius Friedrich +Ortlepp auf, und jeder der Gefangenen antwortete durch +ein: „Ist hier gegenwärtig.“ Als die Liste zu Ende +gebracht war, hob der kleine schwarze Mann noch einmal, +lächelnd, die bebrillte Nase und ließ seine Äuglein wohlwollend +über die Gefangenen hingleiten; dann nickte +er dem Geharnischten zu, dieser winkte dem Gefreiten, +welcher seine Partisane anzog, sein Kommandowort +rief. Die Musketierer schulterten ihre Büchsen, und die +Beamten schritten heraus aus dem Gewölbe, dessen Tür +sogleich hinter ihnen wieder zufiel.</p> + +<p>Noch einen Augenblick tiefster Stille, dann ein +dumpfes Gemurmel, dann wildester Losbruch aller +mächtig zusammengepreßten Gefühle und Leidenschaften +der gefesselten Meuterer! Ein wildes Durcheinander, — +Ausrufe des Zorns, des Hohns, der Besorgnis, der +Angst, — Kettengerassel!</p> + +<p>„O Junker, Junker!“ rief verzweiflungsvoll der +Knecht Erdwin, das Haupt seines jungen Herrn an seine +breite Brust ziehend. „O Junker, Junker, wenn das +Euer Vater erlebt hätte!“</p> + +<p>„Ja, meine Mutter, meine Mutter! ’s ist gut, daß +sie tot ist!“ seufzte Christoph von Denow, die Hand über +die Augen legend. — — — — — —</p> + +<p>In den überfüllten Schenken der Stadt erschallte +der tobende Gesang der zum Kriegsgericht eingeforderten +Söldner und Hauptleute; viel Zank und Streit blieb +nicht aus in den Gassen. Die Bürger zeigten sich nicht +allzuhäufig außerhalb ihrer Haustüren, und wenn es +ja einen Nachbar oder Gevatter allzusehr drängte, die +Ereignisse des Tages mit einem Gevatter oder Nachbar +zu besprechen und abzuhandeln, so schlich er so vorsichtig +als möglich im Schatten der Hauswände dahin. Der +Nebel ward dichter und dichter, je mehr die Dämmerung +Besitz ergriff von Stadt und Land. Der Herzog auf dem +Schloß ließ mehr Holz in den Kamin seines Gemaches +werfen, und der Geringste seiner Untertanen ahmte ihm +darin so gut als möglich nach. Immer unfreundlicher +ward die Nacht.</p> + +<p>Auf dem Prellsteine unter dem Torgewölbe des +Mühlenturmes kauerte eine weibliche, verhüllte Gestalt. +Einen grauen Mantel von schwerem, grobem Tuch +hatte sie dicht um sich geschlagen, das spitze Hütlein, +durch welches ein klein rundes Loch ging, gleich der Spur +einer Büchsenkugel — tief in die Stirn gedrückt; ein +Bündel lag neben ihr. Das war Anneke Mey aus +Stadtoldendorf!</p> + +<p>Ihr Haupt stützte sie auf beide Hände und starrte +regungslos auf die schwarzen Massen des fürstlichen +Schlosses, welches jenseits des Ockergrabens hoch emporragte +in den dunkeln Nachthimmel, und in welchem hie +und da ein erleuchtetes Fenster schimmerte. — So +hatte Anneke den ganzen lieben langen Tag über gesessen, +so saß sie noch, als es schon vollständig Nacht +geworden war, und die Ronde sich näherte, das Tor zu +schließen.</p> + +<p>„Sitzt die Dirn da noch!“ rief der Weibel. „Heda, +Schätzchen, fort mit dir, daß dir das Fallgatter nicht auf +den Kopf fällt. Marsch, Liebchen! weiß nicht, was du +hier suchen könntest?“ Anneke rührte sich nicht von +ihrem Platze.</p> + +<p>„Na, wird’s bald? Nimm Vernunft an, Kind, ’s +gibt wärmere Nester.“ Damit faßte er den Arm der +Kauernden, um sie in die Höhe zu ziehen.</p> + +<p>„O lasset mich hier! lasset mich hier!“</p> + +<p>„Hoho, geht nicht, geht nicht. Aber nun lasset doch +auch einmal Euch ins Gesicht schauen. Hebt die Laterne +hoch! Mädel, Kopf in die Höhe!“</p> + +<p>Der Schein der Laterne fiel in das bleiche gramvolle +Gesicht des Mädchens. —</p> + +<p>„Alle Teufel, das ist ja die Anneke, die Anneke Mey +von Rees her!“ rief einer der Büchsenschützen sich vordrängend. +„Weibel, mit der mußt du säuberlich umgehen. +Fürcht dich nit, Anneke — wo kommst du +her?“</p> + +<p>„Aus dem Moor, aus dem hessischen Darlaten, +Arendt Jungbluth!“ sagte Anneke tonlos.</p> + +<p>„Wo sie die Meutmacher niedergelegt haben? Ei, ei, +Anneke, und du bist mit ihnen gezogen?“</p> + +<p>„Sie sind im Wald über uns gekommen, weil sie der +Graf von Hollach abgedrängt hatt’ von der Weser, und +sie haben den Junker aufs Pferd gezwungen, und er +hat nichts anders gekonnt, er hat sie müssen führen; +nun aber haben sie doch geraubt und gebrannt und sind +gezogen, wo sie wollten, und wir haben müssen mit ihnen +durch die Wiehenberge, ins Land Hoya. Da ist es zum +Ende gekommen — da hat uns der Graf gestellt, und +Hans Niekirche ist tot, ist auch nicht heimgekommen +zu seiner Mutter — Gnade Gott uns allen!“</p> + +<p>Lautlos umstanden die Söldner das junge Mädchen; +endlich sagte der Weibel: „So ist es geschehen, dagegen +kann keiner sagen — arm Mädel, was sitzest nur hier +auf dem kalten Stein?“ Stumm deutete Anneke nach +dem Gefängnis im Turm über ihr; dann sagte sie: +„Sie führten uns zuerst auf das feste Haus Stolzenau; +nun sind wir hier zum Gericht!“</p> + +<p>„Und der Junker, von welchem du gesprochen hast, +ist da oben bei den andern?“ fragte der Weibel.</p> + +<p>Anneke nickte.</p> + +<p>„Das ist der Knab Christoph von Denow, von den +Reitern?“ fragte wieder der Gefreite Arendt Jungbluth, +welcher zuerst Anneke erkannt hatte. „Ist das +dein Schatz?“</p> + +<p>Ein leises Zittern überlief den Körper des Mädchens, +sie antwortete nicht und schüttelte das Haupt und senkte +das Gesicht in die Hände und legte den Kopf auf die Knie.</p> + +<p>„Arm Kind! arm Mädel!“ murmelten die Krieger. +„Aber sie kann hier nicht bleiben,“ brummte der Weibel. +„Wir müssen fort, der Böse fährt uns sonst auf den +Buckel!“</p> + +<p>„Lasset mich einmal mit ihr sprechen,“ sagte Arendt +Jungbluth. Er beugte sich nieder zu der Armen und +flüsterte ihr zu; plötzlich stieß sie einen Schrei aus, einen +Freudenschrei und stand auf den Füßen: „Wirklich, +wirklich? Ihr könnt? Ihr wollt? O, Gott segne Euch +tausendmal!“</p> + +<p>„Herauf die Brücke! Herunter das Gatter! Ist’s +geschehen? — Fort nach der Schloßwach! — Jürgen, +marsch, voran mit der Laterne!“ kommandierte der +Weibel. „Anneke, Ihr gehört zu uns, niemand tut Euch +was zu Leid. Marsch, marsch!“</p> + +<p>Die Hellebarden lagen wieder auf der Schulter: +inmitten der Wachtmannschaft ging Anneke Mey, und +Jürgen trug außer der Laterne auch noch das Bündlein +des Soldatenkindes.</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="JunkerV" id="JunkerV">V.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/e.png" alt="E" width="60" height="60" class="floatl"/>ins schlug die Uhr des Schloßturmes, und +die Krähen fuhren auf aus ihren Nestern +und umflatterten krächzend die Spitze +und die Wetterfahne, bis der Klang ausgezittert hatte.</p> + +<p>„So geh zu ihm!“ flüsterte Arendt Jungbluth. „Um +drei Uhr ist meine Wacht zu Ende, dann klopf’ ich und +du kommst heraus. Nun gehab dich wohl; des Wärtels +Margaret lauert drunten am Gang.“</p> + +<p>„Dank Euch, dank Euch!“ flüsterte Anneke Mey. Die +Gefängnistür im Mühlenturm öffnete sich kaum weit +genug, um das schmächtige junge Mädchen einzulassen, +und schloß sich sogleich wieder.</p> + +<p>Die qualmende Hängelampe war wie ein roter +Punkt in dem dunsterfüllten Raume anzuschauen; die +meisten der Gefangenen schnarchten auf dem Stroh die +Wände entlang, viele hatten aber auch die Köpfe auf +den Tisch gelegt und schliefen so. — Dann und wann +erklirrte leise eine Fessel, oder ein Stöhnen und Geseufz +ging durch die Wölbung. Niemand hatte den Eintritt +des Mädchens bemerkt.</p> + +<p>Einige Minuten stand Anneke dicht an die Mauer +gedrückt. Sie vermochte kaum Atem zu holen. Wie +sollte sie in dieser Hölle den finden, welchen sie suchte?</p> + +<p>Plötzlich ward es hell in ihr: anfangs leise, dann +lauter begann sie das alte Lied vom Falkensteiner zu +singen:</p> + +<div class="poem"><div class="stanza"> +<span class="i0">„Sie ging den Turm wohl um und um:<br /></span> +<span class="i0">Feinslieb bist du darinnen?<br /></span> +<span class="i0">Und wenn ich dich nicht sehen kann,<br /></span> +<span class="i0">So komm’ ich von meinen Sinnen.<br /></span> +</div><div class="stanza"> +<span class="i0">Sie ging den Turm wohl um und um,<br /></span> +<span class="i0">Den Turm wollt’ sie aufschließen:<br /></span> +<span class="i0">Und wenn die Nacht ein Jahr läng wär’,<br /></span> +<span class="i0">Keine Stunde tät’ mich verdrießen!“<br /></span> +</div></div> + +<p>Von ihrem Lager richteten sich die Schläfer auf, +stärker klirrten die Ketten an ihren Armen und Beinen.</p> + +<div class="poem"><div class="stanza"> +<span class="i0">„Ei, dürft’ ich scharfe Messer tragen,<br /></span> +<span class="i0">Wie unsers Herrn sein’ Knechte,<br /></span> +<span class="i0">Ich tät’ mit dem Herrn vom Falkenstein,<br /></span> +<span class="i0">Um meinen Herzliebsten fechten!“<br /></span> +</div></div> + +<p>„Was ist das? Wer ist das? Wer singet hier?“ +tönte es wild durcheinander. „Anneke, Anneke, Anneke +Mey,“ rief die Stimme Christoph von Denows dazwischen, +und Erdwin Wüstemann hielt das junge Mädchen +in den Armen: „Hier, hier halt’ ich sie, hier ist sie, +wie ein Engel vom Himmel mit ihrer Lerchenstimme! +O Kind, Kind, was willst hier in dieser Wüstenei? +Junker, Junker, wo seid Ihr?“</p> + +<p>„O Anneke! Anneke!“ rief Christoph von Denow.</p> + +<p>„Vivat Anneke, Anneke Mey!“ riefen alle andern +Gefangenen. „Das ist ein wackeres Mädel! Vivat des +Regiments Schenkin!“</p> + +<p>Es fiel keine schnöde, böse Rede: im Gegenteil, es +war, als ob durch das Erscheinen des Kindes jedes trotzige +wilde Herz milder geworden wäre. Man hätte sie +gern auf den Händen getragen, da sie das aber nicht +leiden wollte, suchte man ihr den bequemsten Platz aus +und breitete Mäntel unter ihre Füße, um sie vor der +feuchten Kälte der Steinplatten zu schützen. Eine Bank +wurde zerschlagen, um das erlöschende Feuer im Kamin +damit zu nähren.</p> + +<p>„So hast du uns nicht verlassen, Anneke!“ rief +Christoph und hielt ihre beiden Hände in den seinigen, +und der Knecht Erdwin wischte verstohlen eine Träne +aus den grauen Wimpern. „O, wie können wir dir je +das wiedervergelten?“</p> + +<p>„Wie könnt ich Euch verlassen? Und wenn sie Euch +zum Tode führen, ich geh’ mit Euch!“</p> + +<p>Sie saßen beieinander, Christoph und Anneke, +neben dem Kamin, und die Dirne schluchzte und lächelte +durch ihre Tränen. Sie vergaßen alles um sich her, +und der alte Wüstemann stand dabei, seufzte tief und +schwer und schüttelte das greise Haupt:</p> + +<p>„Jammer, o Jammer!“</p> + +<p>Um drei Uhr krähte zum ersten Mal der Hahn, um +drei Uhr klopfte Arendt Jungbluth an die Tür.</p> + +<p>„Nun muß ich scheiden!“ sagte Anneke. „Gott +schütze uns; wenn das Gericht angeht, steh’ ich auf +Eurem Wege, Herr.“</p> + +<p>„Anneke, Gott lohn’s dir, was du an uns tust!“</p> + +<p>„Fahre wohl! Fahre wohl, Anneke!“ riefen die +gefangenen Meuterer. „Gott segne dich, Anneke!“</p> + +<p>Christoph von Denow schlug die Hände vors Gesicht; +— die Tür war hinter dem jungen Mädchen zugefallen. +Im Osten zeigte ein weißer Streif am Nachthimmel, daß +der Morgen nicht mehr fern sei, und der Wind machte +sich auf, fuhr von den Harzbergen nach dem deutschen +Meer und verkündete dasselbe.</p> + +<hr class="tb" /> + +<p>Sechs schlug die Uhr des Schloßturmes; wieder +schossen die Krähen aus ihren Nestern und umflatterten +die Spitze, krochen aber diesmal nicht wieder zurück in +ihre Schlupfwinkel, sondern ließen sich, eine bei der +andern, nieder auf dem Rande der Galerie, welche nahe +dem Dach, den Turm umzieht. Neugierig reckten sie die +Hälse und blickten herab in den dichten weißen Nebel +unter ihnen, aus welchem kaum die höchsten Giebel der +Stadt und Festung hervorlugten. Trommelschall erdröhnte +auf dem Schloßhofe und hallte wider von +den Wällen, während eine kriegerische Musik aus +der Ferne dem Weckauf der Besatzung antwortete. +Auf der Festung trat die Soldateska unter die Waffen, +und in der Heinrichsstadt verkündete das klingende +Spiel, daß die Bürgerschaft in Wehr und Harnisch +aufzog.</p> + +<p>Von Zeit zu Zeit löste sich einer der schwarzen Vögel +aus der Reihe der Genossen los und flatterte mit +kurzen Flügelschlägen hinein in den Nebel, als wolle er +Kundschaft holen über das Fest, welches ihm drunten +bereitet wurde. Kehrte er zurück, so wußte er mancherlei +zu erzählen, und freudekreischend erhoben sich die andern +und wirbelten durcheinander und überschlugen sich in +der grauen Luft, um endlich wieder zurückzufallen auf +ihre Plätze in Reih und Glied.</p> + +<p>Gegen sieben Uhr verflüchtigte sich der Schleier, +welcher über der Stadt lag, um sieben Uhr trat alles ins +Licht! Vor dem fürstlichen Marstalle waren die Schranken +aufgestellt. Ein mit rotem Tuch bekleideter Tisch und +ebenso überzogene Bänke für den Gerichtsschulzen und +die Beisitzer standen in der Mitte. Das Volk umwogte +dicht gedrängt den Platz. Jetzt zog „mit dem Gespiel“ +die fürstliche Leibgarde aus dem Schloßtor, den Graben +entlang, und besetzte zwei Seiten der Schranken. Nach +ihr rückte in drei Fähnlein die Bürgerschaft von der +Dammfestung, der Heinrichstadt und dem Gotteslager +heran und schloß die beiden andern Seiten ein. Der +Ring war gebildet; die Fahnen wurden zusammengewickelt +und unter sich gekehrt, die Obergewehre mit den +Spitzen in die Erde gestoßen, nach Kriegsgebrauch bei +kaiserlichem Malefizrecht.</p> + +<p>Abermals entstand eine Bewegung unter der Volksmenge; +wieder schritt ein Zug durch die gebildete Gasse +feierlich und langsam vom Schloß her. Das war der +Gerichtsschulze Melchior Reicharts mit seinen einundzwanzig +Richtern, Hauptleuten, Gefreiten und Gemeinen, +und dem Gerichtsschreiber Fridericus Ortlepius +die allesamt paarweise in den Ring eintraten.</p> + +<p>Zuerst ließ sich der <i>notarius publicus</i> nieder, zur +linken Hand an dem roten Tisch. Er ordnete seine +Papiere, guckte in sein Tintenfaß, rückte das Sandfaß +zurecht, und der trübe Himmel und die Krähen auf dem +Schloßturm schauten ihm dabei zu. Er prüfte die Spitze +seiner Feder auf dem Daumennagel, das Murmeln und +Murren der tausendköpfigen Menge machte einer Totenstille +Platz; von dem Mühlenturm her erklang ein taktmäßiges +Rasseln und Klirren und verkündete das Nahen +der Gefangenen. — — — —</p> + +<p>„O mein Gott, hilf ihm und mir!“ stöhnte Anneke +Mey von Stadtoldendorf, als an dem Mühlenturm die +Pforte sich öffnete und die davor aufgestellte Reiterwache, +die Pferde rückwärtsdrängend, das Volk auseinander +trieb.</p> + +<p>„Da sind sie! die Meutmacher! die Schufte! Da +sind die falschen Schurken!“ ging der unterdrückte Schrei +durch das zornige Volk. Aus der Gefängnispforte hervor +glitt ein verwildertes, trotziges oder verzagtes +Gesicht nach dem andern an der zitternden Anneke +vorüber.</p> + +<p>Und jetzt —</p> + +<p>„Christoph!“ durchdrang grell und schneidend ein +Schrei die schwere graue Luft, daß der Herzog Heinrich +Julius, welcher an einem Fenster seines Schlosses +stand und auf das Getümmel unter sich finster herabblickte, +unwillkürlich den Kopf nach der Richtung hin +neigte.</p> + +<p>Da schritt er einher, der Junker von Denow, bleich, +wankend, gestützt auf den Arm des getreuen Knechtes +Erdwin.</p> + +<p>„O Christoph! Christoph von Denow!“</p> + +<p>Der junge Reiter erhob das Auge; es haftete auf +dem jungen Mädchen, welches hinter der Reihe der +begleitenden Hellebardierer die Hände ihm entgegenstreckte; +— ein trübes Lächeln glitt über das Gesicht +Christophs, dann schüttelte er das Haupt; er wollte +anhalten.</p> + +<p>„Hast doch recht gehabt, Anneke!“ lachte höhnisch +Valentin Weisser, der Rosenecker. „Waren unsrer doch +zu wenig. Puh — ’s ist am End einerlei — Kugel oder +Strick. Vorwärts, Junker Stoffel; ich tret’ dir sonst die +Hacken ab!“</p> + +<p>„Vorwärts! vorwärts!“ rief der Führer der Geleitsmannschaft +— vorüber schritt Christoph von +Denow. —</p> + +<p>Im Ring aber schwuren die Richter mit aufgerichtetem +Finger und lauter Stimme:</p> + +<p>„Ich lobe und schwöre, daß ich diesen Tag und alles +dasjenige, was vor diesem Malefizrecht vorkommen +wird, urteilen und richten will, es sei gleich über Leib +und Blut, Geld oder Geldeswert, als ich will, daß mich +Gott am Jüngsten Tage richten soll — den Armen als +den Reichen. Will hierinnen weder Freundschaft noch +Feindschaft, Gunst noch Ungunst, weder Haß, Geschenke, +Gaben, Geld ober Geldeswert ansehen, oder mich verhindern +lassen! So wahr mir Gott helfe und sein heiliges +Wort!“</p> + +<p>Alle Beisitzer saßen darauf nieder an ihren Plätzen, +und nur der Gerichtsschulze blieb stehen und tat eine +Umfrage. Darauf verkannte er das Recht: erstens im +Namen der heiligen unzerteilbaren Dreifaltigkeit, dann +im Namen des Fürsten, dem Richter und Angeklagte +als Kriegsleute geschworen hatten, zuletzt kraft seines +eignen angeordneten Amts und Stabes, daß „keiner +innerhalb oder außerhalb dem Rechten wolle einreden. +Solle auch niemand einem Richter heimlich zusprechen. +Dem Profoß solle eine freie Gasse gelassen werden, +damit er guten Raum habe, damit er desto baß mit den +Gefangenen vom Rechten ab- und zugehen möge, bei +Pön eines rheinischen Gülden in Gold“.</p> + +<p>„Derhalben,“ fuhr er fort, „wer nun vor diesem +Kaiserlichen Recht zu schicken oder zu schaffen hat, es +sei gleich Kläger oder Antworter oder sonsten einer, +der dem löblichen Regiment etwas anzuzeigen hat: die +stehen in den Ring und klagen, wie man pflegt zu klagen +und Antwort zu geben, auf Red und Widerred, wie in +Kaiserlichen Rechten der Gebrauch ist. — Gerichtswebel, +habt Ihr gestern den Profoß, wie auch die Angeklagten +fürgeboten, zitieret und geladen?“</p> + +<p>Und der Gerichtswebel stand auf und antwortete: +„Herr Schultheiß, ich habe sie gestern früh mit drei +Trommeln an den vier Orten der Welt zitieret!“</p> + +<p>Und des Regiments Profoß, Karsten Fricke, trat +in den Ring, und der Gerichtswebel führt die Angeklagten +hinein, jedes Fähnlein für sich zusammengeschlossen. —</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="JunkerVI" id="JunkerVI">VI.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/l.png" alt="L" width="60" height="60" class="floatl"/>iege still, Kind,“ sagte am zwanzigsten +November bei Tagesanbruch auf der +Hauptwache im Schloß zu Wolfenbüttel +der Gefreite Arendt Jungbluth. „Liege ruhig und schlaf +weiter: der Morgen ist dunkel und dräuet Schnee. Es +geht noch nicht an.“</p> + +<p>Anneke Mey hatte sich auf der harten Holzbank, +erschreckt aus tiefem Traum auffahrend, in die Höhe +gerichtet, bei dem Ruf der Wacht draußen, die zur Ablösung +herausrief.</p> + +<p>„Schlafe wieder ein, Anneke, ich wecke dich, wenn es +Zeit ist,“ sagte Arendt, die Sturmhaube auf den Kopf +stülpend.</p> + +<p>„Der letzte Tag!“ murmelte das Soldatenkind, und +das müde Haupt sank wieder zurück auf das harte Lager, +die Augen schlossen sich wieder.</p> + +<p>„Hui, der Wind — Teufel!“ brummte Arendt, als +die Söldner wieder zurücktraten in die Wachtstube. +„Schläft sie wieder? — Richtig! ach, ich wollt’, sie verschlief’ +es ganz. Ruhig, Kerle — haltet eure Mäuler! +Donner — ist es nicht grad, als ob der Sturm den alten +Kasten einem über dem Kopf zusammenreißen wollte? +Das wird das rechte Wetter sein für die da draußen im +Ring, das bläst ihnen die Urteile vom Munde weg. +Wie sie da liegt! ist das nicht ein Jammer? Ich wollt’, +sie verschlief’ die böse Stund.“</p> + +<p>Wild jagte der Wind die schweren Schneewolken vor +sich her und heulte und pfiff in den Gängen des Schlosses +wie der böse Feind, klapperte mit den Ziegeln, rüttelte +an den Fenstern und trieb die Wetterfahnen mit den +Löwen auf den Turmspitzen im Kreise umher, heftiger +und heftiger, wie der Tag zunahm.</p> + +<p>Anneke Mey lag noch immer, nicht im Schlaf, sondern +in stumpfsinniger Erschöpfung. Was kein Kriegszug +vollbracht hatte, das hatten die letzten vierzehn Tage +getan; sie hatten das Kind gebrochen, es matt und +müd gemacht bis zum Tode. Vergeblich sahen sich diesmal +auf ihrem Wege zum Gericht Christoph von Denow +und Erdwin Wüstemann nach dem abgehärmten Gesicht +ihres Schutzengels um.</p> + +<p>„Gottlob, gottlob, sie verschläft’s!“ murmelte +Arendt Jungbluth, sich über das Lager der Armen +beugend.</p> + +<p>Im Ring, unter dem düstern, schwarzen Himmel mit +den jagenden Wolken las Friedrich Ortlepp, der +Gerichtsschreiber, ein Todesurteil nach dem andern; +einen Stab nach dem andern brach der Schultheiß und +warf ihn auf den Richtplatz.</p> + +<p>„Gnade Gott der Seelen in Ewigkeit. Amen!“ +sprach er bei jeder weißen Rute, welche zerknickt auf den +Boden fiel.</p> + +<p>Und jetzt — jetzt der letzte Spruch!</p> + +<p>„Auf eingebrachte Klage des Profoßen, Gegenrede +des Beklagten, produzierte Kundschaft und Zeugnis, ist +durch einhellige Umfrage zu Recht erkannt, daß — +<em class="gesperrt">Christoph von Denow</em> nicht gebührt hat, sich +für einen Vorsprecher bei der vorgesetzten Obrigkeit, noch +für einen Hauptmann aufzuwerfen, noch die Befehle +zu vergeben und auszuteilen, noch die Wacht zu bestellen. +Warum er dem Profoß überantwortet werden +soll, welcher ihn in sein Gewahrsam führen und ihn dem +Nachrichter einantworten und befehlen soll, daß er ihn +hinausführe und an den nächsten Galgen hänge und mit +dem Strange zwischen Himmel und Erde erwürge, damit +der Wind unter ihm und über ihn durchwehen könne, +ihm zu verwirkter Strafe und andern zum abscheulichen +Exempel!“</p> + +<p>Wieder fiel der gebrochene Stab zu den anderen auf +die Erde.</p> + +<p>„Gnade Gott der Seelen in Ewigkeit, Amen!“</p> + +<p>Auf die Knie stürzten dreiundachtzig der Verurteilten: +„Gnade, Gnade! Gnade ist besser denn Recht!“</p> + +<p>Hochauf richteten sich Christoph von Denow und +Erdwin Wüstemann, und der Junker hob die gefesselte +Rechte zum Himmel, während der Wind seine Locken +zerwühlte und die Schneewolken sich öffneten und das +weiße Gestöber wirbelnd herabfuhr:</p> + +<p>„Keine Gnade! Recht! Recht! Recht ist besser denn +Gnade!“</p> + +<p>In den Ring sprang der Profoß mit der Wache und +stürzte sich auf die Gefangenen — wild und anhaltend +brach das Geschrei des Volkes los, die Kommandoworte +erschallten dazwischen, die Trommeln wirbelten, +die Trompeten schmetterten, aus der Erde wurden die +Waffen gerissen und hoch in die Luft geschwungen, die +Fähnlein entfalteten sich im Winde. Die Krähen aber +schossen in einem schwarzen Haufen herab von dem +Schloßturm und umflatterten krächzend die Stätte +des Gerichts. Gleich dem bewegten Meer wogte und +donnerte das Volk, und durch die Menschenflut kämpfte +sich mit zerrissenen Kleidern, losgegangenen Haarflechten +Anneke Mey.</p> + +<p>„Christoph! Christoph! O du heiliger Gott im +Himmel! verloren! verloren!“</p> + +<p>Dem Herzog am geöffneten Fenster seines Gemachs +riß der Sturm den Griff des Flügels aus der Hand, +daß er klirrend zuschlug. Über den Schloßhof schritt der +Gerichtsschultheiß Melchior Reicharts mit den Hauptleuten +Georg Frost, Peter Köhler, Heinrich Jordans und +Moritz Ahlemann nach getaner Pflicht den jungen +Fürsten, Zahlherrn und Kreis-Obersten für die Verurteilten +zu bitten. Fridericus Ortlepius trug „fürsichtiglich +und sorgsamlich“ die Akten und Protokolle. +Tief in die Nacht hinein saß der Herzog mit den sechs +Männern über diesen Papieren. Vierundzwanzig Todesurteile +bestätigte er, und unter diesen befand sich das +Christoph von Denows. Zweiunddreißig der Verurteilten +begnadigte er dahin, „daß sie zur Straf sich verpflichten +sollen, im Land zu Ungarn auf dem Grenzhause +Groß-Wardein wider den Erbfeind der Christenheit +zu Wasser und zu Lande, in Sturm und Schlachten +jederzeit, wie ehrlichen Kriegsleuten solches gebührt, sich +gebrauchen zu lassen“. — Siebenundzwanzig Männern +wurde auf einen gewöhnlichen „Urfried“ das Leben +und die Ehre geschenket und sie ihrem Fähnlein wieder +einverleibt. — Zweien wurde das Leben und die Ehre +ohne Bedingung geschenkt. Der erste war Erdwin +Wüstemann, der andere ein Söldner, genannt Klaus +Rischemann von Calvörde. Alle diese Schlüsse wurden +den Gefangenen noch in derselben Nacht bekannt +gemacht.</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="JunkerVII" id="JunkerVII">VII.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/d.png" alt="D" width="60" height="60" class="floatl"/>er Schnee lag hoch in den Straßen und +auf den Plätzen der Stadt und Festung +Wolfenbüttel. Der Sturm hatte sich mit +Anbruch des Tages ganz gelegt, es war wieder still und +ruhig geworden, und leise träufelte es von den Dächern, +denn die Luft war warm und mit Feuchtigkeit gefüllt; +mit dumpfem Geräusch bewegte sich das Volk in den +Gassen.</p> + +<p>Die Fenster der Schloßkirche glänzten rötlich in die +trübe Morgendämmerung herein, und feierlich erklang +die Orgel und der Gesang vieler Menschenstimmen:</p> + +<div class="poem"><div class="stanza"> +<span class="i0">Allein zu dir, Herr Jesu Christ,<br /></span> +<span class="i0">Mein Hoffnung steht auf Erden. —<br /></span> +</div></div> + +<p>Im Schein der Lichter und Lampen erglänzte Harnisch +an Harnisch in dem heiligen Gebäude: den Verurteilten +sollte ihre letzte Predigt gehalten und das Abendmahl +ihnen gereicht werden. Der junge Herzog saß in seinem +Stuhl, das Gebetbuch vor sich; alle Offiziere der Besatzung +waren in Wehr und Waffen zugegen, und die +Wände entlang und im Schiff der Kirche drängte sich +ein bärtiges ernstes Kriegergesicht an das andere. Die +Vierundzwanzig, die sterben sollten, saßen auf einer +niedern Bank unter der Kanzel, auf welcher der Magister +Basilius im schwarzen Chorrock mit der Halskrause +stand, bereit, seine Rede über die beiden Schächer am +Kreuz zu beginnen. In einem dunkeln Winkel unter der +Orgel stand Erdwin Wüstemann und hielt die schluchzende +Anneke im Arm; um sie her knieten oder standen die +vom Tode losgesprochenen Meuterer, denen man die +Fesseln abgenommen hatte.</p> + +<p>Und jetzt schwieg die Orgel und der Gesang. Das +Wort des Evangelisten Lukas wurde gelesen:</p> + +<p>„Aber der Übeltäter einer, die da gehängt waren, +lästerte ihn und sprach: Bist du Christus, so hilf dir +selber und uns! — Da antwortete der andere, strafte +ihn und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor +Gott, der du in gleicher Verdammnis bist? Wir sind +billig darinnen, denn wir empfangen, was unsere Taten +wert sind; dieser aber hat nichts Ungeschicktes gehandelt! +— Und er sprach zu Jesu: Herr, gedenke an mich, wenn +du in dein Reich kommst! — und Jesus sprach zu ihm: +Wahrlich, ich sage dir, heut wirst du mit mir im Paradiese +sein!“ —</p> + +<p>Überlaut riefen bei diesen letzten Worten des Textes +einige der Verurteilten: „Das helfe uns der allmächtige +Gott!“ und hoben die kettenklirrenden Hände gefaltet +hoch empor. Das Auge Christoph von Denows aber +leuchtete plötzlich in einem Glanz, welcher darin bereits +für immer erloschen schien. Hatte er eine Vision? Rief +ihm eine süße bekannte Stimme von oben? Erschien ihm +winkend die tote Mutter?</p> + +<p>Christoph von Denow war zum Sterben bereit. —</p> + +<p>„Gott, Gott, laß so nicht das Haus Denow zu End +kommen!“ stöhnte in seinem Winkel Erdwin, der Knecht. +„Herr, schenke du ihm einen adeligen Tod! Laß diesen +Kelch an mir vorüber gehen!“</p> + +<p>„Er soll mir den Kopf zertreten und über meinen +leblosen Leib weggehen, wenn er mich nicht hören will!“ +sagte Anneke Mey tonlos.</p> + +<p>Und Dominus Basilius Sadler begann seine Buß- +und Trostpredigt und teilte sie in die zwei Punkte:</p> + +<p>Erstlich, wie sich der „heilige“ Schächer am Kreuz in +einer letzten Not gehalten.</p> + +<p>Zum andern, wie herrlich ihn Christus getröstet +habe.</p> + +<p>Der Himmel im Osten aber färbte sich immer purpurner, +und die Lichter und Lampen der Kapelle erblaßten +mehr und mehr vor dem Glanz, welchen Gott über +die winterliche Welt leuchten ließ. Die Gefangenen +neigten die Häupter tiefer und tiefer.</p> + +<p>„— Euer Weib und Kinder befehlet ihr, die ihr welche +habt, Gott dem Allmächtigen, der ist der Waisen Vater +und der Witwen Richter. Ist schon dieser Tod vor der +Welt schmählich, so gedenket, wenn ihr euch bekehret, daß +ihr Gottes Kinder seid, dann wird solch Leiden ehrlich +und herrlich. Denn der Tod seiner Heiligen ist wert gehalten +vor dem Herrn.“ —</p> + +<p>„Einen ehrlichen Tod! o Gott, schenke ihm einen +adeligen Tod!“ murmelte Erdwin, der Knecht.</p> + +<p>„So gebe Gott der Allmächtige euch allen die Gnade +seines heiligen Geistes, daß ihr euer’ Sünd von Herzen +erkennt und euch leid sein lasset, euch im wahren Glauben +zu Christo wendet und darin bis ans Ende verharret, +euer’ Seel in Geduld fasset, allen Menschen von Herzen +vergebet und verzeihet, heut, diesen Tag, Gott eure +Seele opfert und überantwortet und am großen Tag +des Herrn mit Freuden auferstehet und mit Leib und +Seele ewig lebet! Amen, Amen, Amen!“</p> + +<p>Der Sand war verlaufen in der Uhr auf der Kanzel. +Der Herzog verließ mit seinen Hofbeamten seinen Stuhl, +Anneke Mey verschwand von der Seite Erdwins, ohne +daß dieser es bemerkte; — unter den Klängen des +alten traurigen Chorales: Wenn mein Stündlein vorhanden +ist — wurde den Verurteilten das Abendmahl +gereicht.</p> + +<p>Nun war auch das geschehen; in die letzten Klänge +der Orgel mischte sich grell und schneidend ein anderer +Klang — der Schall des Armensünderglöckchens: Der +Henker wartete an der Tür des Hauses Gottes!</p> + +<p>Im langsamen Zug traten die Verurteilten und +Gefangenen, von ihren Wächtern umgeben, hinaus aus +der Schloßkirche, vor welcher sie die harrende Menge +mit wildem Geschrei und Droh- und Schmähworten +empfing. Der schwere Gang begann, in das goldne +Morgenrot hinein, über den Schloßplatz, die Dammbrücke, +durch die Heinrichsstadt dem Kaisertor zu. Alle +Gassen, durch welche der Zug ging, waren mit herzoglichen +Reitern und den gewaffneten Bürgern besetzt, um +den Andrang des Volks zu bändigen.</p> + +<p>Vor dem Kaisertor waren die vier Galgen gebaut, +woran die vierundzwanzig Leben enden sollten. Fast +eine halbe Stund verging, ehe die Verurteilten unter +ihnen standen. Der Ring war geschlossen auf zwei Seiten +von den Hellebardierern, auf den beiden andern Seiten +von den Musketenschützen, deren Röhre auf den +Gabeln lagen, deren glimmende Lunten zum augenblicklichen +Gebrauch aufgeschroben waren. Dicht +vor dem Gefreiten Arendt Jungbluth hielten sich +Erdwin Wüstemann und der Junker Christoph von +Denow.</p> + +<p>Der Alte hatte den Arm um seinen jungen Herrn +geschlungen, und dieser das Haupt an die Brust +des treuen Knechts gelegt. Sie sprachen leise zueinander.</p> + +<p>„Weiß nicht, wo sie geblieben ist! weiß nicht, wo sie +bleibt!“ sagte der Alte.</p> + +<p>„Sie hat mich nicht sterben sehen wollen; — ’s ist +auch besser so! O schütze sie — halte sie, trag sie auf den +Händen und im Herzen und verlaß sie nie und nimmer +— ich will meiner Mutter von ihr sagen, wenn ich zu ihr +komm’.“</p> + +<p>„O Junker, Junker, und Euer Vater“ —</p> + +<p>„Vergiß nicht, was du ihm versprochen hast.“</p> + +<p>„Es wird geschehen, so wahr mir Gott helfe!“ sagte +dumpf der Alte.</p> + +<p>„Schau, es geht an — da hast du den Ring — mein +Schwert liegt versenkt im Moor, es ist ein gutes, tadelloses +Schwert geblieben! — Ihr sag — o Anneke! +Anneke!“ Der Junker brach ab; er vermochte es nicht, +weiter zu sprechen.</p> + +<p>Unterdessen war eine Totenstille in der Menschenmenge +eingetreten, die aber jedesmal, wenn die Henker +einen der Meuterer des Reichsheeres von der Leiter +stießen, in ein gräßliches, langanhaltendes Geheul, +durch welches scharf das Wirbeln der Trommel klang, +überging. — — Dreiundzwanzig Mal hatte das Volk +aufgeschrien. —</p> + +<p>„Christoph von Denow!“ rief nun der Profoß mit +lauter Stimme.</p> + +<p>Zum letztenmal lagen sich Christoph und Erdwin in +den Armen.</p> + +<p>„Lebe wohl! lebe wohl!“ flüsterte der erste — „vergiß +nicht!“ —</p> + +<p>„So gnade Gott mir und Euch!“ schrie der Knecht +Wüstemann und strich die langen greisen Haare aus der +Stirn zurück. Der Junker von Denow stand am Fuße +der Leiter!</p> + +<p>Er drückte die Hand auf das Herz und setzte den Fuß +auf die erste Staffel: „O Anneke, süße Anneke!“</p> + +<p>Der Gedanke kam ihm, er würde sie erblicken in der +Menge, welche wieder in unheimlichster Stille den Richtplatz +bedeckte; mit einem Sprung war er oben an der +Seite des Henkers, der ihn mit dem Strick in der Hand +erwartete. Er stieß die Hand desselben zurück — seine +Augen schweiften über all die Tausende emporgerichteter +Gesichter. —</p> + +<p>„O Anneke Mey, liebe Anneke, wo bist du? wo bist +du? weshalb hast du mich verlassen?!“</p> + +<p>Wieder streckte der Henker die Hand nach ihm aus; er +hielt ein Blech, auf welchem die Worte standen „Meutmacher +und Meineidiger“ und wollte es dem Verurteilten +an einem Bande um den Hals werfen.</p> + +<p>„Lebe wohl, süße Anneke Mey!“ flüsterte Christoph +von Denow; er schlug die Hand des Henkers abermals +zur Seite, klirrend fiel das Blech, die Leiter nieder, zur +Erde. —</p> + +<p>Mit einem wilden, entsetzlichen Schrei sprang Erdwin +Wüstemann einen Schritt zurück, mit einem Griff +riß er das Feuerrohr aus den Händen Arendt Jungbluths +und an seine Wange. Der Schuß krachte — +„Gnade Gott mir und dir!“</p> + +<p>„Dank, Erdwin — hast — Wort gehalten!“ sprach +Christoph von Denow. Er schwankte — breitete die +Arme aus: „Lebe — wohl — süße — Anneke!“ Der +entsetzte Henker wollte ihn halten, aber im dumpfen +Fall stürzte der Körper die Leiter herab in den blutigen +Schnee.</p> + +<p>Aufbrüllte die Menge und tobte durcheinander, der +Ring löste sich — die Offiziere, die Beamten, der Gewaltiger +stürzten sich auf den Knecht Erdwin, welcher +regungslos dastand, das abgeschossene Rohr in der +Hand.</p> + +<p>Und jetzt ein neues Geschrei von der Stadt her: +„Haltet, haltet!“</p> + +<p>Ein Reiter mit einem Papier in der Hand, im +Galopp ansprengend! Ihm nach ein zweiter Reiter, +vor sich auf dem Pferd ein halbohnmächtiges, todtbleiches +Mädchen. —</p> + +<p>„Halt, halt! Befehl, den Verurteilten Christoph +von Denow zurückzuführen ins Gewahrsam!“</p> + +<p>Anneke Mey leblos auf dem leblosen Körper des +Erschossenen — Erdwin Wüstemann besinnungslos in +den Armen Arendt Jungbluths — — — Trompetenschall +von der Torwache; von der Stadt her eine neue +Reiterschar: „Der Herzog! der Herzog! — Zu spät! zu +spät!“ — — — — — —</p> + +<p>In dem wiedergebildeten Ring hielt der junge Fürst +mit seinem Gefolge; vor ihm stand barhäuptig der +Profoß neben der schrecklichen Gruppe am Boden und +erzählte das Vorgefallene. Als er geendet, stieg der +junge Fürst ab von seinem Hengst und näherte sich +dem treuen Knecht des Hauses Denow:</p> + +<p>„Weshalb hast du das getan?“</p> + +<p>Der Angeredete blickte irr und wirr im Kreise umher, +antwortete nicht, sondern brach nur in ein herzzerreißendes +Gelächter aus.</p> + +<p>Der Herzog legte die Hand an die Stirn; — dann +wandte er sich:</p> + +<p>„Hebt doch das Kind von der Leiche!“</p> + +<p>Der Leutnant von der Festung, Johannes Sivers, +beugte sich nieder, um dem Befehl nachzukommen. Es +gelang ihm mit Mühe:</p> + +<p>„O gnädiger Gott, tot, tot, fürstliche Gnaden!“</p> + +<p>Ein dumpfes Gemurmel ging durch die lauschende +Menge; der Fürst schritt finster sinnend einige Minuten +auf und ab. Dann hob er das Haupt:</p> + +<p>„Bei meinen Vätern, ich glaub’, da ist ein bös Ding +getan! leget die Dirne und den toten Knaben auf die +Gewehrläufe — es ist Unsere Meinung und Wille, daß +das Gericht wieder beginne. Wir sind entschlossen, selbsten +im Ring zu sitzen!“</p> + +<p>Während dieser letzten Worte hatte sich Erdwin +Wüstemann langsam aufgerichtet; jetzt stand er wieder +fest auf den Füßen. Der Herzog bemerkte es, er legte +ihm die Hand auf die Schulter:</p> + +<p>„Ihr habet hart und schnell in unser Gericht eingegriffen. +Stehet zu mir nun auch im Ring, daß die Wahrheit +an den Tag kommt! Nachher, wenn’s sich ausgewiesen +hat, wie ich es mir zusammendenke, wollen Wir, +daß Ihr die dort gen Ungarn führet als Unser Ehrbarer, +Mannhafter und Getreuer! Höret Ihr, Hauptmann +Erdwin Wüstemann?! Nun hebet die Leichen und rühret +die Trommeln — fort! fort!“</p> + +<p>Über der blutigen Morgenröte hatten sich die Wolken +wieder dunkel zusammengezogen. Wieder sanken leise +einzelne weiße Flocken herab. Sie mehrten sich von +Augenblick zu Augenblick und deckten bald, einem Leichentuch +gleich, die Körper Christophs und Annas, wie sie +durch die Gassen der Stadt Wolfenbüttel, dem Zuge +der Krieger und Bürger voran, dicht hinter dem Gefolge +des Herzogs, welcher mit gesenktem Haupte vorausritt, +der Gerichtsstätte am Schloß zugetragen wurden. Der +alte Knecht Erdwin ging neben seinem jungen Herrn her; +aber er wußte nichts davon — dunkel war es in ihm +und um ihn! —</p> + +<p><em class="gesperrt">So starb der Junker Christoph von +Denow eines adeligen Todes!</em></p> +<p class="newstory"></p> + +</div> + +<div> +<h2 class="dotted"> +<a name="Geheimnis"> +<span class="big">Ein Geheimnis</span><br /> +Lebensbild aus den Tagen Ludwigs XIV. +</a> +</h2> + +<h3><a name="IIn_der_Gasse_Quincampoix" id="IIn_der_Gasse_Quincampoix">I.<br />In der Gasse Quincampoix.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/w.png" alt="W" width="60" height="60" class="floatl"/>enn man bedenkt, was für wunderliche Geschichten +in dieser Welt tagtäglich geschehen, +so muß man sich sehr wundern, daß es +immerfort Leute gegeben hat und noch gibt, welche +sich abmühten und abmühen, selbst seltsame Abenteuer +zu erfinden und sie ihren leichtgläubigen Nebenmenschen +durch Schrift und Wort für Wahrheit aufzubinden. +Die Leute, die solches tun, verfallen denn auch meistens +— wenn sie ihr leichtfertig Handwerk nicht ins Große +treiben und was man nennt große Dichter werden, — +der öffentlichen Mißachtung als Flausenmacher und +Windbeutel, und alle Vernünftigen und Verständigen, +die sich durch ein ehrlich Handwerk ernähren, als wie +Prediger, Leinweber und Juristen, Bürstenbinder, Ärzte, +Schneider, Schuster und dergleichen, blicken mit mitleidiger +Geringschätzung auf sie herab, und das mit +Recht!</p> + +<p>So sage ich denn reu- und wehmütig <i>confiteor, +confiteor; — mea culpa, mea culpa!</i> so beginne ich +denn meine — <em class="gesperrt">wahre Geschichte</em>.</p> + +<p>Es war in dem durch die Seeschlacht von La Hogue +für das Glück und den Glanz des französischen Königs +und Volkes so unheilvollen Jahre 1692. Viel Not und +Elend herrschte im Lande; in Guienne, Bearn, Languedoc +und der Dauphinée starben die Menschen zu +Tausenden vor Hunger; Bankerotte, greuliche Mordtaten, +Aufstände waren an der Tagesordnung; — es +war, als wolle es abwärts gehen mit dem großen +Louis. Es regnete, und der Novemberwind fuhr in +kurzen Stößen scharf über die Stadt Paris und durch +die Gasse Quincampoix, welche letztere gar wüst, +schmutzig und verwahrlost ausschauete. Und sah die +Gasse Quincampoix an diesem düstern Novembernachmittag +häßlich aus, so gewährten die Menschen, welche +sie bevölkerten, einen noch schlimmern Anblick. War +es nicht, als ob das allgemeine Unglück jedem Gesicht +seinen Stempel aufgedrückt habe? — O wie verkommen +erschien diese französische Nation, welche sich für die erste +der Welt hielt.</p> + +<p>Vier Uhr schlug’s, als ein junger Mensch von ungefähr +achtundzwanzig Jahren, hager, bleichgelblich +von Gesicht, schwarzhaarig, schwarzäugig, in luftigen, +ärmlichen, schäbigen Kleidern, in der Gasse Quincampoix +in die Kneipe zum Dauphinswappen trat, um seine +letzten Sols an eine Mahlzeit zu wenden. <em class="gesperrt">Stefano +Vinacche</em> hieß dieser junge Mann; ein Neapolitaner +war er von Geburt, ein Abenteurer vom reinsten Wasser. +Als er in die Gargotte eintrat, herrschte in derselben +ein wahrer Höllenlärm; ein Sergeant vom Regiment +Villequier war mit einem Kornet vom Regiment Ruffey +über dem Spiele in Streit geraten, ein Perückenmacher +zankte mit einem Lakaien der Prinzessin von Conti +über die Frage: ob es recht sei, daß Monsieur de Pomponne, +der Staatsminister, so viel einzunehmen habe, +als ein Prinz von Geblüt; — andere Gäste unterhielten +sich über andere Gegenstände mit so viel Lärm als möglich. +Im Hinterzimmer, welches an die Kneipstube +grenzte, war ein äußerst hitziger Wortkampf ausgebrochen +zwischen dem Wirt zum Dauphinswappen, +Claude Bullot, und seiner hübschen galanten Tochter, +— kurz, alles ging drunter und drüber, und nur Margot +die Kellnerin, eine Picarde, bewahrte ihren Gleichmut, +blickte vom Kamin aus mit untergeschlagenen +Armen in das Getümmel und gab Achtung, daß dem +Sergeanten und dem Kornet jede zerbrochene Flasche, +jedes zertrümmerte Glas richtig angekreidet wurden. +Margot die Picarde wußte, daß im Notfall die Marechaussée +in der Gaststube alles schon ins Gleichgewicht +bringen würde, und was im Hinterzimmer vorging, +zwischen ihrem Herrn und der Mademoiselle, machte +ihr das höchste Vergnügen. —</p> + +<p>Am Kamin legte Margot die Picarde dem Neapolitaner +das Kuvert, und der Fremde war allzu ausgehungert +und allzu naß, um anfangs an etwas +anderes zu denken, als den Hunger aus dem Magen +und die Kälte aus den übrigen Gliedern zu verjagen. +Ruhig setzte er sich auf den ihm angewiesenen Platz, +aß und trank, trocknete seine Kleider, bis er allgemach +wieder auflebte und fähig wurde, seine Aufmerksamkeit +den Vorgängen in seiner Umgebung zuzuwenden. +Der Sergeant vom Regiment Villequier erhielt richtig +einen Degenstoß in die Schulter, verhaftet wurde darüber +der Kornet vom Regiment Ruffey; die Bürger, +Lakaien, Diebe und Tagediebe zerstreuten sich mit einbrechender +Dämmerung, um sich vor der Dunkelheit +zu retten, oder in der Dunkelheit ihren lichtscheuen Geschäften +nachzugehen. Es wurde still in der Gargotte, +nur im Hinterzimmer konnte man sich immer noch nicht +beruhigen. In der Tür, welche auf die Gasse führte, +stand die Kellnerin Margot und blickte in den Regen +und die Nacht hinaus, das Feuer im Kamine prasselte +und knatterte und warf seinen roten Schein über die +Tische und Bänke des weiten Gemaches, die trübe +Hängelampe qualmte an der geschwärzten Decke; niemand +störte jetzt mehr den jungen Neapolitaner in +seinen trüben Gedanken. Mechanisch klimperte er mit +den wenigen Geldstücken in seiner Tasche; — was +sollte er beginnen, um nicht Hungers zu sterben, um +nicht in den Gassen dieses schmutzigen, kalten, stinkenden +Paris zu erfrieren? „O Neapel, Neapel!“ seufzte +Stefano Vinacche.</p> + +<p>Jawohl, etwas anderes war es, eine Nacht obdachlos +am Strande des tyrrhenischen Meeres, ein anderes, +eine Nacht obdachlos am Ufer der Seine zuzubringen. +Eine Art stumpfsinniger Schlaftrunkenheit überkam +den jungen Italiener, seine Augen schlossen sich unwillkürlich, +und immer dumpfer und verworrener vernahm +er das Schluchzen der Mademoiselle Bullot und +die kreischende Stimme des zornigen Vaters.</p> + +<p>Aber was war das? Plötzlich schwand jedes Zeichen +von Ermüdung, von Erschöpfung an dem Italiener. +Vorgebeugt saß er auf seinem Stuhle und horchte +mit der gespanntesten Aufmerksamkeit nach der Tür +hin, welche in das Hinterzimmer führte. Das Wechselgespräch +zwischen Vater und Tochter war dem Fremden +auf einmal interessant geworden durch einen Namen, +der soeben mehrere Male darin vorgekommen war.</p> + +<p>Immer gespannter horchte Vinacche.</p> + +<p>Hatte nicht Meister Claude Bullot, ehe ihm Monseigneur +der Herzog von Chaulnes die Kneipe zum +Dauphinswappen einrichtete, als Seifensieder Bankerott +gemacht?</p> + +<p>War nicht Mademoiselle Bullot ein reizendes Schätzchen, +dem man schon etwas zu Gefallen tun konnte?</p> + +<p>Hoch spitzte Stefano Vinacche die Ohren beim +Namen des Herzogs von Chaulnes.</p> + +<p>„Oho, Stefano, solltest du da unvermutet in den +Honigtopf gefallen sein? Oho, Glück geht immer über +Verstand, — <i>va’ piu un’ oncia di fortuna, che una +libra di sapere</i>. Achtung, Achtung, Vinacche!“</p> + +<p>Mancherlei sprach der Vater im Hinterzimmer der +Kneipe zum Wappen des Dauphins. Mancherlei sprach +das Töchterlein dagegen; immer fröhlicher rieb sich +Stefano die Hände, bis endlich die Verbindungstür +mit Macht aufgerissen wurde und Mademoiselle — +<i>éplorée</i> in das Schenkzimmer stürzte. Hinter ihr erschien +der zornige Papa, einen zusammengedrehten Strick +in der Hand:</p> + +<p>„Warte, Kreatur!“</p> + +<p>Stefano Vinacche wußte schon längst, was er zu +tun hatte. Er warf sich auf den ergrimmten Gargottier +und packte seinen erhobenen Arm.</p> + +<p>„Monsieur?!“</p> + +<p>„Monsieur!“</p> + +<p>„Laßt mich frei! was fällt Euch ein?“</p> + +<p>„Ich leid’s nicht, daß Ihr Mademoiselle mißhandelt; +— tretet hinter mich, Mademoiselle!“</p> + +<p>„Margot, Margot!“ rief endlich der Wirt zum +Dauphinswappen.</p> + +<p>Margot erschien, stemmte aber nur die Arme in die +Seite und sah der Szene zu, ohne ihrem Herrn zu Hilfe +zu kommen.</p> + +<p>„Haltet ihn, um Gottes willen, haltet ihn, er wird +mich ermorden, wenn Ihr ihn freilaßt!“ rief Mademoiselle +Bullot.</p> + +<p>„Seid ruhig, Schönste; er soll Euch nichts zuleide +tun. Pfui, schämt Euch, Monsieur, wie könnt Ihr eine +liebenswürdige Tochter also behandeln?“</p> + +<p>„Ich frage Euch zum letztenmal, wollt Ihr mich loslassen?“</p> + +<p>„In Ewigkeit nicht, wenn Ihr mir nicht den Strick +gebt, Signor, und versprecht artig zu sein gegen die +Damen, Signor!“</p> + +<p>„Morbleu!“ schrie der Wirt zum Dauphinswappen, +und der Himmel weiß, was geschehen wäre, wenn nicht +der Eintritt eines in einen Mantel gewickelten Mannes +der Szene ein Ende gemacht hätte.</p> + +<p>Der Mantel fiel zur Erde, und Wirt und +Töchterlein und Kellnerin und Italiener riefen mit +einer Stimme:</p> + +<p>„Monseigneur!“</p> + +<p>Der Eingetretene war Karl d’Albert, Herzog von +Chaulnes, Pair von Frankreich, Vidame von Amiens, +ein ältlicher Mann, dem man den „großen Herrn“ +nicht im mindesten ansah, woran der bürgerliche Anzug +durchaus nicht schuld war; ein Mann, von welchem +einige Jahre später ein deutscher Schriftsteller sagte: +„Er erwartet den Tod mitten in seinen Vergnügungen; +er ist freigebig ohne Unterschied und von einem sehr +abgenutzten Gehirne.“</p> + +<p>„Holla, das geht ja lustig her!“ rief der Herzog. +„<i>Notre Dame de Miracle</i>, und auch Vinacche dabei! +Sagt mir um aller Teufel willen —“</p> + +<p>Mademoiselle Bullot ließ ihn nicht aussprechen; sie +eilte auf den hohen Herrn zu und — warf sich an seinen +Hals, schluchzend, Gift und Galle speiend:</p> + +<p>„Monseigneur, ich halt’s nicht mehr aus; Monseigneur, +errettet mich aus den Händen meines Vaters! +Wäre dieser edle junge Mann eben nicht dazwischen +gekommen, er hätte mich gewißlich zu Tode geschlagen.“</p> + +<p>„Wieder das alte Lied? Bullot, Bullot, ich frage +Euch um Gottes willen, glaubt Ihr in der Tat, ich habe +Euch Eurer roten Nase wegen zum Eigentümer dieses +Dauphinswappens gemacht? Ich sage Euch, auf den +Knieen solltet Ihr Eure liebenswürdige Tochter verehren; +— <i>notre Dame de Miracle</i>, ich sage Euch zum +allerletzten Male, behandelt Mademoiselle, wie es sich +ziemt, oder —“</p> + +<p>„O Monseigneur!“ flehte Meister Claude, welcher +seinen Strick längst ganz verstohlen in den Winkel geworfen +hatte und katzenbuckelnd so gemein und niederträchtig aussah, +wie man unter der Regierung des großen Louis +nur aussehen konnte. „O Monseigneur, ich versichere +Euch, <em class="gesperrt">sie</em> hat’s darauf abgesehen, ihren unglückseligen +Vater in ein frühzeitig Grab zu bringen. Monseigneur, +Ihr kennt sie nur von der einen Seite; aber ich — o +Monseigneur!“ —</p> + +<p>„Still! Ihr seid ein Schurke, und Mademoiselle +ist ein Engel! — beruhige dich, Kind —“</p> + +<p>„Monseigneur, er ist zu boshaft. Monseigneur, +wenn Ihr mich wirklich liebt, so laßt mich nicht in seiner +Gewalt.“</p> + +<p>„Ruhig, ruhig, süßes Kind. Was ist denn nur +eigentlich vorgefallen?“</p> + +<p>Ja, was war vorgefallen?</p> + +<p>Eine Zungenfertigkeit sondergleichen entwickelten +Mademoiselle Bullot und Meister Claude Bullot +gegeneinander, doch haben wir mit dem Ausgangspunkte +des Streites nicht das mindeste zu schaffen und +brauchen nur zu sagen, daß der Herzog von Chaulnes, +obgleich er im Grunde seines Herzens dem erzürnten +Papa recht geben mußte, in Anbetracht seiner zarten +Stellung zu Mademoiselle sich auf deren Seite stellte. +Sehr ärgerlich war der Herzog von Chaulnes! In +äußerst lebendiger Stimmung war er durch die Gasse +Quincampoix zum Dauphinswappen geschlichen, nun +fand er statt Ruhe und Behagen, Unzufriedenheit und +Streit; wo er Lächeln und Lachen erwartet hatte, mußte +er Tränen trocknen; — <i>notre Dame de Miracle</i>, es war +zu ärgerlich!</p> + +<p>„Etienne,“ sagte der Herzog zu Vinacche, „Etienne, +ich bin dieses Lärms müde; ich will nach Haus und +du magst mit mir kommen. Meister Claude, ich versichere +Euch meiner gnädigsten Ungnade! Mademoiselle, +Eure rotgeweinten Augen betrüben mich sehr — gute +Nacht, Mademoiselle — dazu zweihundert Louisdor +im Landsknecht verloren — kommt, Etienne Vinacche, +Ihr mögt mit mir zum Hotel fahren, ich habe Euch +etwas zu sagen; ich habe eine Idee!“</p> + +<p>Vergebens hing sich Mademoiselle Bullot an den +Arm des Herzogs mit den süßesten Schmeicheleien +und Liebkosungen. Er machte sich los, streckte dem +niedergeschmetterten Wirt zum Dauphinswappen eine +Faust entgegen, ließ sich von Vinacche den Mantel +wieder um die Schultern legen und verließ, im höchsten +Grade mißmutig gestimmt, mit seiner „Idee“ die +Gargotte, in welcher nach seinem Abzuge der Tanz +zwischen Vater und Tochter von neuem anging, doch +diesmal mit allem Vorteil auf Seiten von Mademoiselle. +Meister Claude Bullot sah ein, daß er ein +Esel — ein gewaltiger Esel war; demütig kroch er zu +Kreuze und nahm jede Injurie, welche ihm das Töchterlein +an den Kopf warf, mit gekrümmtem Rücken in +Empfang.</p> + +<p>Unterdessen wateten mühsam der Herzog und der +Italiener durch den Schmutz und die Gefahren der +Gassen von Paris, bis sie an einer Ecke zu der harrenden +Karosse des Herzogs gelangten. Mit tiefen Bücklingen +riß der Lakai den Wagenschlag auf.</p> + +<p>„Steig hinten auf, Etienne; ich habe mit dir zu +reden,“ sagte der Herzog und warf sich in die Kissen +seiner Kutsche.</p> + +<p>„Achtung, Stefano, jetzt mag’s in deinen Topf +regnen!“ murmelte der schlaue Neapolitaner, und schwerfällig +setzte sich die Karosse in Bewegung.</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="IIGold" id="IIGold">II.<br />Gold.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/w.png" alt="W" width="60" height="60" class="floatl"/>ährend vor dem flackernden Kaminfeuer in +seinem Hotel der Herzog von Chaulnes dem +obdachlosen Vagabunden Stefano Vinacche +den annehmbaren Vorschlag tut, Mademoiselle Bullot, +das liebenswürdige Erzeugnis der Gasse Quincampoix, +zu — heiraten und dadurch nicht nur sich selbst, sondern +auch Monseigneur aus mancherlei ärgerlichen Verdrießlichkeiten +des Lebens herauszureißen, wollen wir erzählen, +wer Stefano Vinacche eigentlich war. Im Jahre 1689 +war der junge Neapolitaner als Lakai im Gefolge des +Herzogs, dem er zu Rom mancherlei Dienste kurioser +Art geleistet haben mochte, nach Frankreich gekommen, +ohne jedoch in diesem Lande anfangs die Träume, +welche ihm seine südliche Phantasie vorspiegelte, zu +verwirklichen. Es wird uns nicht gesagt, was ihn im +folgenden Jahre schon aus dem Dienste seines Gönners +trieb, und ihn bewog, sich als gemeiner Soldat in das +Regiment Royal-Roussillon aufnehmen zu lassen. Wir +wissen nur, daß er im Jahre 1691 dem Regimentsschreiber +Nicolle, seinem Schlafkameraden, einige Offiziersuniformen, +welche derselbe ausbessern sollte, stahl +und mit ihnen desertierte, welches Wagestück aber fast +übel abgelaufen wäre. Auf dem Wege nach Paris, der +Stadt, nach welcher von jeher eine dumpfe Ahnung +künftiger Geschicke das seltsame Menschenkind trieb, +gefangen und als Fahnenflüchtiger ins Gefängnis geworfen +und zum Tode verurteilt, entging er nur durch +Verwendung des Grafen von Auvergne dem Galgen. +Im nächsten Jahre in Freiheit gesetzt, machte sich +Stefano Vinacche von neuem auf den Weg nach Paris, +und haben wir seiner Ankunft in der Gargotte zum +Wappen des Dauphins in der Gasse Quincampoix soeben +beigewohnt. —</p> + +<p>Ei, wie wunderlich, wunderlich spinnt sich ein +Menschenleben ab! Wir armen blinden Leutlein auf +diesem Erdenballe wandern freilich in einem dichten +Nebel, der sich nur zeitweilig ein wenig hier und da +lüftet, um im nächsten Augenblicke desto dichter sich +wieder zusammenzuziehen. Wir getriebenen und treibenden +Erdbewohner haben freilich nur eine dumpfe +Ahnung von dem, was im Getümmel ringsumher +vorgeht. Warum sollten wir uns auch in der kurzen +Spanne Lebenszeit, die uns gegeben ist, viel um andere +Leute bekümmern, da wir doch so viel mit uns selbst +zu tun haben? Über allen Nebeln ist Gott; der mag +zusehen, daß alles mit rechten Dingen zugeht; der mag +acht geben, daß sich der Faden der Geschlechter, welchen +er durch die Jahrtausende von dem Erdknäuel abwickelt, +nicht verwirrt. Nur weil sie abgewickelt werden, +drehen sich Sonne, Mond, Sterne; — von jeder leuchtenden +Kugel läuft ein Faden zu dem großen Knäuel +in der Hand Gottes, zu dem großen letzten Knäuel, +in welchem jeglicher Knoten, der unterwegs entstanden +sein mochte, gelöst sein wird, in welchem alle +Fäden nach Farben und Feinheit harmonisch sich zusammenfinden +werden.</p> + +<p>Da ist solch ein Knötlein im Erdenfaden! wir +finden es in unsrer Erdgeschichte am Ende des siebenzehnten +und Anfang des achtzehnten Jahrhunderts +nach Jesu Geburt, wo viel Sünde, Schande und Verderbnis +sich häßlich ineinander schlingen, wo Krieg und +Sittenlosigkeit das abscheulichste Bündnis geschlossen +haben, daß das jetzige Gechlecht schaudernd darob die +Hände über dem Kopfe zusammenschlägt.</p> + +<p>Der Erzähler aber, des letzten großen knotenlosen +Knäuels in der Hand Gottes gedenkend, schlägt nicht +die Hände über dem Kopfe zusammen; — den Handschuh +hat er ausgezogen, mutig in die Wüstenei hineingegriffen, +einen längst begrabenen, vermoderten, vergessenen +Gesellen hervorgezogen. Da ist er — <em class="gesperrt">Stefano +Vinacche</em> — späterhin Monsieur Etienne de +Vinacche, großer Arzt, berühmter Chemiker, — Goldmacher, +nächst Samuel Bernard der reichste Privatmann +seiner Zeit!...</p> + +<p>„Also Etienne,“ sprach der Herzog von Chaulnes +zu dem halb verhungerten, obdachlosen Vagabunden, +„eine allerliebste Frau und eine vortreffliche Aussteuer....“</p> + +<p>„<i>Servitore umilissimo!</i>“</p> + +<p>„Und, Etienne, eine Empfehlung an meinen Freund, +den Herzog von Brissac. Ihr geht nach Anjou, — lebt +auf dem Lande, wie die Engel <i>à la Claude Gillot</i>, — +ich besuche Euch — stehe Gevatter —“</p> + +<p>„Ah!“ machte der Italiener mit einer unbeschreiblichen +Bewegung des ganzen Oberkörpers.</p> + +<p>„<i>Plait-il?</i>“</p> + +<p>„O nichts, Monseigneur!“ sagte der Italiener. +„Ihr seid mein gnädigster, gütigster Herr und Gebieter.“ +Er machte eine Verbeugung bis auf den +Boden.</p> + +<p>„Wann soll die Hochzeit sein, Monseigneur?“</p> + +<p>„So schnell als möglich — ach!“</p> + +<p>„Monseigneur seufzt?!“ rief Stefano schnell. „Noch +ist’s Zeit, daß Monseigneur Sein Wort zurücknehme; +Mademoiselle Bullot ist ein reizendes Mädchen; aber +wenn Monseigneur die hohe Gnade haben wollte, mich +wieder zu seinem Kammerdiener zu machen —“</p> + +<p>„Nein, nein, nein, es bleibt dabei, Vinacche; Ihr +heiratet die Schöne, und ich — <i>ah notre Dame de +Miracle</i> — ich will hingehen und sorgen, daß Madame +von Maintenon und der Pater La Chaise davon zu +hören bekommen. Also geht, Vinacche; bis zur Hochzeit +gehört Ihr wieder zu meinem Haus. Der Intendant +soll für Euch sorgen.“</p> + +<p>„Monseigneur ist der großmütigste Herr der Welt!“ +rief Vinacche, dem Herzog die Hand küssend. Unter +tiefen Bücklingen schritt er rücklings zur Tür hinaus, +und tief seufzend blickte ihm sein Gönner nach.</p> + +<p>Als sich die Tür hinter dem Italiener geschlossen +hatte, murmelte dieser: „<i>Corpo di Bacco</i>, Achtung, +Achtung, Vinacche, Stefano mein Söhnchen! Halte +die Augen offen, mein Püppchen! Ist’s mir nicht versprochen +bei meiner Geburt, daß ich vierspännig +fahren sollte in der Hauptstadt der Franzosen?!“</p> + +<p>Drinnen rieb sich der Herzog die Stirn und ächzte:</p> + +<p>„Ach, Madame von Maintenon ist eine große Dame! +<i>Vive la messe!</i>“</p> + +<p>Acht Tage nach dem eben Erzählten war eine Hochzeit +in der Gasse Quincampoix. Der Wirt zum Dauphinswappen +Claude Bullot verheiratete zu seiner +eigenen Verwunderung und zur Verwunderung sämtlicher +Nachbaren und Nachbarinnen seine hübsche +Tochter mit einem ganz unbekannten jungen Menschen, +der nicht einmal ein Franzose war. Mancherlei +Glossen wurden darüber gemacht, und allgemein hieß +es, Mademoiselle Bullot sei eine Törin, welche nicht +wisse, was man mit einem hübschen Gesicht und tadellosen +Wuchs in Paris anfangen könne.</p> + +<p>Da aber Mademoiselle Bullot und Stefano Vinacche +mit ziemlich vergnügten Mienen ihr Schicksal +trugen, so mochten Papa und Nachbarschaft nach Belieben +sich wundern, nach Belieben Glossen machen. +Sämtliche Dienerschaft des Herzogs von Chaulnes +verherrlichte die Hochzeit durch ihre Gegenwart; Flöten +und Geigen erklangen in der Gargotte zum Wappen +des Dauphins. Man sang, jubelte, trank auf das +Wohl der Neuvermählten bis tief in die Nacht. Zuletzt +artete das Gelage nach der Sitte der Zeit in eine +wahre Orgie aus; blutige Köpfe gab’s, und zum Schluß +mußte der Polizeileutnant einschreiten und die ausgelassene +Gesellschaft auseinander treiben. Am folgenden +Tage machte das junge Paar sich auf den Weg +zum Gouverneur von Anjou, dem Herzog von Brissac, +einem „armen Heiligen, dessen Name nicht im Kalender +steht“.</p> + +<p>Ein tüchtiges Schneegestöber wirbelte herab, als +der Wagen der Neuvermählten hervorfuhr aus der +Gasse Quincampoix. Auf der Schwelle seiner Tür stand +der Vater Bullot mit der Kellnerin Margot, und beide +blickten dem Fuhrwerk nach, so lange sie es sehen +konnten. Dann zog der Wirt zum Dauphinswappen +die Schultern so hoch als möglich in die Höhe und trat +mit der Picarde zurück in die Schenkstube, welche noch +deutlich die Spuren der Hochzeitsnacht an sich trug.</p> + +<p>„Alles in allem genommen, ist’s doch ein Trost +und ein Glück, daß ich sie los bin,“ brummte der +zärtliche Papa. „Es hätte noch ein Unglück gegeben; +das war ja immer, als brenne der Scheuerlappen +zwischen uns. Vorwärts, Margot! einen Kuß und an +die Arbeit, mein Liebchen, auf daß das Haus rein +werde.“</p> + +<p>Liebe Freunde, wer das Leben Stefano Vinacches +beschreibt, der muß recht acht geben, daß er seinen Weg +im Nebel nicht verliere. Schattenhaft gleitet die Gestalt +des Abenteurers vor dem Erzähler her, bald zu +einem Zwerg sich zusammenziehend, bald riesenhaft +anwachsend, gleich jener seltsamen Naturerscheinung, +die den Wanderer im Gebirge unter dem Namen des +Nebelgespenstes erschreckt. Bald klarer, bald unbestimmter +tritt Stefano Vinacche aus den Berichten seiner Zeitgenossen +uns entgegen. Wir wissen nicht, was ihn mit +seiner Frau so schnell aus Anjou nach Paris zurücktrieb; +wir wissen nur, daß am neunten April 1693, +an dem Tage, an welchem Roger von Rabutin, Graf +von Bussy, sein wechselvolles Leben beschloß, der Papa +Bullot in höchster Verblüffung die Hände über dem +Kopfe zusammenschlug, als er Tochter und Schwiegersohn +zu Fuß, kotbespritzt, mit höchst winziger Bagage, +durch die Gasse Quincampoix auf das Dauphinswappen +zuschreiten sah. Der gute Alte traute seinen Augen +nicht und überzeugte sich nicht eher von der Wirklichkeit +dessen, was er erblickte, bis ihm Madame Vinacche +schluchzend um den Hals fiel, und Stefano ihn herzzerbrechend +anflehte, ihn und sein Weib für eine Zeit +wieder unter sein Dach zu nehmen.</p> + +<p>„Wir wollen auch recht artige Kinder sein!“ bat +Madame Vinacche.</p> + +<p>„Und wir werden nicht lange Euch zur Last sein!“ +rief Stefano.</p> + +<p>„<i>Diable! diable!</i>“ ächzte Meister Claude Bullot, und +Margot, die Picarde, gab ihm verstohlen einen Rippenstoß, +daß er fest bleibe und sich nicht beschwatzen lasse.</p> + +<p>Wer hätte aber den beredten Worten Stefano +Vinacches widerstehen können? Das Ende vom Liede +war, daß das junge Ehepaar mit seinen armen Habseligkeiten +einzog in die Kneipe zum Dauphinswappen, +und daß Meister Bullot und Margot, die Kellnerin, +nachdem Madame Vinacche die Schwelle überschritten +hatte, seufzend sich in das Unvermeidliche fügten.</p> + +<p>„Ach, Margot, Margot, nun sind die schönen Tage +wieder vorüber!“ seufzte Meister Claude, und während +die Heimgekehrten im oberen Stockwerk des Hauses +ihre Einrichtungen trafen, saßen am Kamin in der +leeren Schenkstube der Wirt und seine Kellnerin trübselig +einander gegenüber und konnten sich nur durch +das weise Wort, daß man das Leben nehmen müsse, +wie es komme, — trösten. Dann schlossen die beiden +Parteien einen Kompromiß, in welchem festgestellt +wurde, daß weder Monsieur Etienne noch Madame in +die Angelegenheiten des Papas und der Kellnerin +Margot sich mischen sollten, und daß sie durch ihnen +passend scheinende Mittel für ihrer Leiber Nahrung und +Kleidung selbst zu sorgen hätten. Wohnung, Licht und +Feuerung versprachen Meister Bullot und Margot die +Picarde zu liefern.</p> + +<p>Feierlich wurde dieser Vertrag von einem Stammgast +der Gargotte, dem Sieur Le Poudrier, einem +Winkeladvokaten, verbrieft und besiegelt, und man +lebte fortan miteinander, wie man konnte.</p> + +<p>Da der Herzog von Chaulnes seine Verpflichtungen +gegen das junge Ehepaar glänzend abgetragen zu haben +glaubte, so floß die Quelle seiner Gnaden immer spärlicher +und versiegte zuletzt ganz. Die Haushaltung im +zweiten Stockwerk des Dauphinswappens mußte für +Eröffnung anderer Geldquellen sorgen, zumal da noch +im Laufe des Sommers ein kleiner Vinacchetto das +Licht der Gasse Quincampoix erblickte. Die Not und +der Zug der Zeit machten Stefano zu einem Charlatan; +aber jedenfalls zu einem genialen Charlatan.</p> + +<p>„<i>Anima mia</i>, laß den Mut nicht sinken, wir fahren +doch noch vierspännig!“ sagte er zu seiner hungernden +Frau und fing an, den Nachbarn und Nachbarinnen, +sowie den Gästen, welche die Gargotte seines Schwiegervaters +besuchten, Mittel gegen das Fieber und andere +unangenehme Übel zu verkaufen.</p> + +<p>Allmählich verwandelte sich das Wohngemach der +kleinen Familie in ein schwarzangeräuchertes chemisches +Laboratorium; mit wahrer Leidenschaft warf sich Stefano +Vinacche, obgleich er bis an sein Ende weder +lesen noch schreiben lernte, auf das Studium der Simpla +und der Mineralien.</p> + +<p>Eine gewaltige Veränderung ging mit dem seltsamen +Menschen vor; — nicht mehr war er der vagabondierende +Abenteurer, der das Glück seines Lebens +auf den Landstraßen, in den Gassen suchte. Tag und +Nacht schritt er grübelnd einher, das Haupt zur Brust +gesenkt, die Arme über der Brust gekreuzt. Wer konnte +sagen, was er suchte?</p> + +<p>Eine fast ebenso überraschende Veränderung kam +über das junge Weib Vinacches. Die frühere Mätresse +des Herzogs von Chaulnes verehrte den ihr aufgedrungenen +Mann auf den Knien, sie war die treuste, +liebendste Gattin geworden, und ist es über den Tod +Stefanos hinaus geblieben.</p> + +<p><em class="gesperrt">Sie</em> konnte lesen, <em class="gesperrt">sie</em> konnte schreiben: —wie viele +alte vergilbte Bouquins hat sie dem suchenden Forscher, +in stillen Nächten, während sie ihr Kind wiegte, vorgelesen!</p> + +<p>Der Vater Bullot hatte nicht mehr Ursache, sich +über das wilde, unbändige Gebaren seiner Tochter zu +beklagen. Die eigentümliche Gewalt, welche Stefano +Vinacche späterhin über die schärfsten, klarsten Geister +hatte, trat auch jetzt in der engeren Sphäre schon bedeutend +hervor. Papa Claude, Margot die Picarde, +Gratien Le Poudrier der Rabulist, alle Nachbaren und +alle Nachbarinnen beugten sich dem schwarzen, funkelnden +Auge Stefanos. Der Stein war ins Wasser +gefallen, und die Wellenringe liefen in immer weitern +Kreisen fort; — weit, weit über die Gasse Quincampoix +hinaus verbreitete sich der Ruf Stefano Vinacches!</p> + +<p>Unterdessen schlug man sich in Deutschland, Flandern, +Spanien, Italien und auf der See. In Deutschland +verbrannte Melac Heidelberg, und der Feldmarschallleutnant +von Hettersdorf, der „die <i>poltronnerie</i> +seines Herzens mit großen <i>Peruquen</i> und bebremten +Kleidern zu bedecken pflegte“, — Hettersdorf, +der elende Kommandant der unglücklichen Stadt, wurde +auf einem Schinderkarren durch die Armee des Prinzen +Ludwig von Baden geführt, nachdem ihm der Degen +vom Henker zerbrochen worden war. Aus Flandern +schickte der Marschall von Luxemburg durch d’Artagnan +die Nachricht vom Sieg bei Neerwinden. Roses in +Katalonien wurde erobert. Zu Versailles, zu Paris in +der Kirche unserer lieben Frau sang man <i>Te Deum +laudamus</i>; aber im Bischoftum Limoges starben gegen +zehntausend Menschen Hungers. Zu Lyon wie zu +Rouen fiel das Volk in den Gassen wie Fliegen, und +ihrer viel fand man, welche den Mund voll Gras hatten, +ihr elendes Leben damit zu fristen.</p> + +<p>Stefano Vinacche, nach einer Reise in die Bretagne, +verließ die Gasse Quincampoix und das Haus seines +Schwiegervaters und zog in die Gasse Bourg l’Abbé. +Strahlend brach die Glückssonne Stefanos durch die +Wolken. Fünf Monate war er in der Bretagne gewesen, +und niemand hat jemals erfahren, was er dort +getrieben, — gesucht, — gefunden hat! Zu Fuß zog +er aus, in einer zweispännigen Karosse kehrte er zurück. +Zwei Lakaien und ein Kammerdiener bedienten +ihn in der Straße Bourg l’Abbé, wohin er aus der +Gasse Quincampoix zog. Von neuem errichtete er in +seiner jetzigen Wohnung seine chemischen Feuerherde, +von neuem braute er seine Rezepte, und das Gerücht +ging aus, Monsieur Etienne Vinacche suche den Stein +der Weisen, und es sei Hoffnung vorhanden, daß er +denselben binnen kurzem finden werde; und wieder +tritt dem Erzähler der alte Gönner des unbegreiflichen +Mannes, der Herzog von Chaulnes, entgegen, welcher +ihm zum Ankauf von Kohlen, Retorten und dergleichen +Apparaten zweitausend Taler gibt.</p> + +<p>Im Jahr der Gnade Eintausendsiebenhundert war +das große Geheimnis gefunden; — Stefano Vinacche +hatte das Projektionspulver hergestellt, Etienne Vinacche +machte —</p> + +<p class="center"><em class="gesperrt">Gold!</em> +</p> + +<p>In demselben Jahre Eintausendsiebenhundert kaufte +<em class="gesperrt">Monsieur de Vinacche</em> aus dem Inventar +von Monsieur, dem Bruder des Königs, für sechzigtausend +Livres Diamanten.</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="IIIGlueck_und_Glanz" id="IIIGlueck_und_Glanz">III.<br />Glück und Glanz.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/w.png" alt="W" width="60" height="60" class="floatl"/>ir schauen wie in ein Bild von Antoine Watteau +durch das zarte frühlingsfrische Blätterwerk +zu Coubron — fünf Meilen von +Paris — wo Monsieur Etienne de Vinacche auf seinem +reizenden Landsitze ein glänzendes Fest gibt. Die untergehende +Maisonne des Jahres Siebzehnhunderteins +übergießt die Landschaft mit rosigem Schein; — Lachen +und Kosen und Flüstern des jungen Volkes ertönt im +Gebüsch; geputzte ältere Herren und Damen durchwandeln +gravitätisch die gradlinigen Gänge des Parkes. +Karossen und Reitpferde mit ihrer Begleitung von +Kutschern, Lakaien und Läufern halten vor dem vergoldeten +Gittertor; Monsieur de Vinacche und seine +Frau sind eben im Begriff, von einem Teil ihrer Gäste, +der nach Paris oder den umliegenden Landhäusern +zurückkehren will, Abschied zu nehmen.</p> + +<p>Die Dame Rochebillard, die Geliebte Tronchins, +des ersten Kassierers Samuel Bernards, des „<i>fils de +Plutus</i>“, — wird von Madame de Vinacche zu ihrer +Kutsche geleitet; Monsieur Etienne befindet sich im +eifrigen Gespräch mit einem jungen Edelmann, dem +Sieur de Mareuil. Für fünftausend Livres will Vinacche +dem Herrn von Mareuil einen konstellierten +Diamant, vermöge dessen man immerfort glücklich +spielen soll, anfertigen. Ein wenig weiter zurück +unterhalten sich die beiden reichen Bankiers van der +Hultz, der Vater und der Sohn, mit Herrn Menager, +<i>Sécrétaire du Roi</i> und Handelsdeputierten von Rouen; +— auf einem Rasenplatz tanzen einige junge Paare +nach den Tönen einer Schalmei und eines Dudelsacks +ein Menuett; bunte Diener tragen Erfrischungen umher, +für die abfahrenden Gäste erscheinen andere; der +Chevalier von Serignan, Monsieur Nicolaus Buisson, +der Sieur Destresoriers, Edelleute von der Robe, +Edelleute vom Degen, Finanzleute, Beamte und so +weiter mit ihren Frauen und Töchtern, allgesamt angezogen +von dem Glanz, der Pracht und dem großen +Geheimnis des einstigen neapolitanischen Bettlers Stefano +Vinacche.</p> + +<p>Hat sich aber um Mitternacht dieser Schwarm der +Gäste verloren, so erscheinen andere Gestalten. Aus +verborgenen Schlupfwinkeln tauchen Männer auf, +finstere bleiche Männer mit zusammengezogenen Augenbrauen +und rauhen, rauchgeschwärzten Händen. Da +ist Konrad Schulz, ein Deutscher, den Herr von Pontchartrain +später verschwinden läßt, ohne daß man +jemals wieder von ihm hört. Da sind Dupin und +Marconnel, hocherfahren in der geheimen Kunst. Da +ist Thuriat, ein wackerer Chemiker; da ist ein anderer +Italiener, Martino Polli. Geheimnisvolle Wagen, von +geheimnisvollen Fuhrleuten begleitet, langen an und +fahren ab, und Säcke werden abgeladen und aufgeladen, +die, wenn sie die Erde oder einen harten Gegenstand +berühren, ein leises Klirren, als wären sie mit +Goldstücken gefüllt, von sich geben, geheimnisvolle +Feuer in geheimnisvollen Öfen flammen auf, — Wacht +hält Madame de Vinacche, daß die nächtlichen Arbeiter +nicht gestört werden in ihrem Werke.</p> + +<p>Hüte dich, Stefano Vinacche! Im geheimen Staatsrat +zu Versailles hat man von dir gesprochen: Monsieur +Pelletier von Sousy, der Intendant der Finanzen, +hat den Mann mit dem Kopf voll böser Anschläge, hat +Monsieur d’Argenson aufmerksam auf dich gemacht.</p> + +<p>Hüte dich, Stefano Vinacche! —</p> + +<p>Wer klopft in dunkler Nacht an das Hinterpförtchen +des Landhauses zu Coubron?</p> + +<p>Salomon Jakob, ein Jude aus Metz, welcher die +Verbindung des „Unbegreiflichen“ mit Deutschland vermittelt.</p> + +<p>Wer klopft in dunkler Nacht an die Pforte des +Landhauses zu Coubron?</p> + +<p>Franz Heinrich von Montmorency-Luxemburg, Pair +und Marschall von Frankreich, welchen Stefano Vinacche +die Kunst lehren soll, den Teufel zu beschwören.</p> + +<p>In dunkler Nacht fährt nach Coubron der Herzog +von Nevers, um sich in die geheimen Wissenschaften +einweihen zu lassen.</p> + +<p>In dunkler Nacht fährt nach Coubron Karl d’Albert, +Herzog von Chaulnes, und Madame de Vinacche empfängt +ihn in brokatnen Gewändern, geschmückt mit +einer Cordeliere und einem Halsband im Wert von +sechstausend Livres.</p> + +<p>„<i>Notre Dame de Miracle</i>, wie habe ich für Euer +Glück gesorgt, Allerschönste!“ sagt der Herzog von +Chaulnes, und die Tochter des Wirts zum Dauphinswappen +verbeugt sich mit dem Anstand einer großen +Dame und führt den hohen Gast und Gönner in +ihren Salon, welcher den Vergleich mit jedem andern +zu Paris aushält.</p> + +<p>Stefano Vinacche trägt nicht mehr sein eigenes +Haar; eine wallende gewaltige Lockenperücke bedeckt +sein kluges Haupt. Mit feiner Ironie sagt er, in den +wallenden Stirnlocken dieser seiner Perücke halte er +seinen <i>Spiritus familiaris</i>, sein „<i>folet</i>“ verborgen und +gefesselt.</p> + +<p>„<i>Notre Dame de Miracle</i>, Ihr seid ein großer Mann, +Etienne!“ sagt der Herzog von Chaulnes, und der +Hausherr von Coubron verbeugt sich lächelnd:</p> + +<p>„O Monseigneur!“</p> + +<p>„Ja, ja, wer hätte das gedacht, als ich Euch in +Italien von der Landstraße aufhob? Wer hätte das +gedacht, als ich Euch durch den Grafen von Auvergne +vom Galgen errettete; — Vinacche, Ihr müßt mir sehr +dankbar sein.“</p> + +<p>Stefano legt die Hand auf das Herz.</p> + +<p>„Monseigneur, ich habe ein gutes Gedächtnis für +empfangene Wohltaten. Glaubt nicht, daß das Glück +und die errungene Wissenschaft mich stolz mache. Fragt +meine Frau, was gestern geschehen ist.“</p> + +<p>„Wahrlich, Monseigneur, es war eine tolle Szene. +Stellt Euch vor, es befindet sich gestern eine glänzende +Gesellschaft bei uns, Monsieur Despontis, Monsieur +von Beaubriant und viele andere, als ein abgelumpter +Mensch Etienne zu sprechen verlangt. Die Diener +wollten ihn abweisen; aber Etienne hört den Lärm und +läßt den Vagabunden kommen. <i>Mon Dieu</i>, was für +eine Szene!“</p> + +<p>„Nun?!“</p> + +<p>„Nicolle war’s, gnädigster Herr! Nicolle, meines +Mannes Kamerad aus dem Regiment Royal-Roussillon!“</p> + +<p>„Oh, oh, oh! ah, ah, ah!“ lacht der Herzog. „Dem +Wiederfinden hätt’ ich beiwohnen mögen. Das muß +in der Tat eine eigentümliche Überraschung gegeben +haben.“</p> + +<p>„Ich fiel in Ohnmacht, und Etienne — fiel dem +Vagabunden um den Hals —“</p> + +<p>„Und die Gesellschaft?“</p> + +<p>„Stand in starrer Verwunderung! Es war ein tödlicher +Augenblick,“ ruft Madame de Vinacche klagend, +doch Etienne sagt:</p> + +<p>„Ich hatte dem Manne einst ein schweres Unrecht +zugefügt, jetzt war mir die Gelegenheit gegeben, es +wieder gutzumachen, und ich benutzte diese Gelegenheit.“</p> + +<p>„<i>Notre Dame de Miracle</i>, ich werde der Frau von +Maintenon diese Geschichte erzählen. Ihr seid ein +braver Gesell, Etienne. Ah, oh, <i>ou la vertu va-t-elle +se nicher</i>? wie Monsieur Molière sagt, — sagt er +nicht so?“</p> + +<p>„Ich glaube, gnädiger Herr,“ meint Vinacche, die +Achsel zuckend, und setzt hinzu, als eben jemand an die +Tür des Salons mit leisem Finger klopft: „Da kommt +Konrad, uns zum Werk zu holen. Wenn es also beliebt, +Monseigneur, so können wir unsere Arbeit von +neuem aufnehmen; Zeit und Stunde sind günstig, jeder +Stern steht an seinem rechten Platz, und gute Hände +schüren die Flamme!“</p> + +<p>In die geöffnete Tür schaut das finstere Gesicht des +deutschen Meisters Konrad Schulz:</p> + +<p>„Es ist alles bereit!“</p> + +<p>„Wir kommen!“ sagt der Herzog von Chaulnes, +mit zärtlichem Handkuß von Madame Vinacche Abschied +nehmend. In das chemische Laboratorium herab +schreiten die Männer.</p> + +<p>Um den schwarzen Herd stehen regungslos die Gehilfen +des großen Goldmachers. Atemlos verfolgt der +Herzog jede Bewegung des Alchymisten.</p> + +<p>Der Meister arbeitet!</p> + +<p>Tiegel voll Salpeter, Antimonium, Schwefel, +Arsenik, Qecksilber gehen von Hand zu Hand. Die +Phiole mit dem „Sonnenöl“ reicht Martino Polli, das +Blei bringt Konrad Schulz zum Fluß; — der große +Augenblick ist gekommen. Aus einem Loch in der +schwarzen feuchten Mauer ringelt sich eine bunte +Schlange hervor, sie steigt an dem Beine Stefano +Vinacches empor, sie umschlingt seinen Arm und scheint +ihm ins Ohr zu zischen. Ein Zittern überkommt den +Goldmacher, aus der Brust zieht er ein winziges +Fläschchen; — im Tiegel gärt und kocht die metallische +Masse, — die Flammen züngeln, — aus der Phiole +in der Hand des Meisters fällt das Projektionspulver +in den Tiegel — — — — — — — — — — — — —</p> + +<p>Das Werk ist vollbracht! In die Form gießt Konrad +Schulz die kostbare, im höchsten Fluß befindliche +Masse — nach einigen Augenblicken wiegt der Herzog +von Chaulnes eine glänzende Metallbarre in der +Hand. „Reinstes Gold, Monseigneur!“ sagt Stefano +Vinacche. —</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="IVWas_man_in_Versailles_dazu_sagte" id="IVWas_man_in_Versailles_dazu_sagte">IV.<br />Was man in Versailles dazu sagte.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/v.png" alt="V" width="60" height="60" class="floatl"/>inacche fuhr mit seiner Frau vierspännig +durch die Straßen von Paris. Lange war +Claude Bullot tot und erinnerte sie nicht +mehr an die Dunkelheit ihrer Herkunft. In der Gasse +Saint Sauveur besaß Stefano jetzt ein prächtiges +Haus, wo er die beste Gesellschaft von Paris bei sich +sah. Sein Leben strahlte im höchsten Glanz. Die Teilnehmer +seiner wunderlichen Operationen hatte er durch +Drohungen, Versprechungen, List und Überredung zu +seinen Sklaven gemacht; er durfte ihnen drohen, sie +bei der geringsten Auflehnung gegen seinen Willen +als Fälscher, Kipper und Wipper hängen zu lassen. +Seine Geschäftsverbindungen mit Samuel Bernard, +Tronchin, Menager, mit den beiden van der Hultz, mit +Saint-Robert und dem Sieur Buisson Destresoriers +nahmen ihren ungestörten Fortgang. Man sah in +seinen Gemächern oft fünfzehn, zwanzig, dreißig Säcke +voll nagelneuer Louisdors aufgestellt. Neu geprägte +Goldstücke fanden die Diener und Dienerinnen, von +denen das Haus überquoll, im Kehricht, in den Winkeln, +unter der schmutzigen Wäsche; — sie verkauften Stückchen +von Goldbarren an die Juden, und Madame de +Vinacche erschrak eines Tages heftig genug, als sie, +ungesehen von ihnen, ein Gespräch zwischen ihrer +Kammerfrau La Martion und einigen Lakaien ihres +Mannes belauschte. —</p> + +<p>Der spanische Erbfolgekrieg hatte begonnen. War +das Geld im Hause Stephano Vinacches im Überfluß +vorhanden, so mangelte es um desto mehr im Hause +des Königs Ludwig des Vierzehnten. Herrschte im +Hause Stefano Vinacches Jubel und Übermut, so +herrschte Mißmut, Angst, Sorge und Not zu Versailles. +Ein gewaltiger Umschwung aller Dinge trat +in diesem früher so glänzenden Frankreich mehr und +mehr hervor. Auf die Zeit des phantastischen, lebenvollen +Karnevals folgte der Aschermittwoch mit seinen +Grabgedanken. Zu Grabe gegangen waren die Schriftsteller +und Dichter: Pascal und Franz von La Rochefoucauld +ergründeten nicht mehr die Tiefe des menschlichen +Herzens. Jean de Lafontaine hielt nicht mehr +den lustigen Spiegel der Welt vor, Jean war „davongegangen +wie er gekommen war“; — verstummt war +die mächtige Leier des großen Corneille, Jean Racine +hatte sein Schwanenlied gesungen und war hinabgesunken +in die blaue Flut der Ewigkeit. Tot, tot +war Molière, der gute Kämpfer gegen Dummheit, +Heuchelei, Aberglauben und Laster; tot war Jean +Baptiste Poquelin, genannt Molière, aber Tartuffe +lebte noch!</p> + +<p>Die Heiterkeit des Daseins war erblaßt, auch die +feierlichen Stimmen der großen Kanzelredner Bossuet, +Bourdaloue, Flechier verstummten! König in Frankreich +war der Pater La Chaise, Königin in Frankreich war +Franziska d’Aubigné, die Witwe Paul Scarrons. Die +Schutzherrschaft über das Land nahm man dem +heiligen Michael und gab sie der Jungfrau Maria, +wie man sie vorher dem heiligen Martin und vor +diesem dem heiligen Denis genommen hatte. Schaffe +Geld, schaffe Geld, Geld, Geld, o heilige Jungfrau +Maria! Schaffe Geld, holde Schutzherrin, Geld zum +Kampf gegen deine und unsere Feinde! Schaffe Geld +und abermals Geld und wiederum Geld, süße Mutter +Gottes! Schaffe Geld, Geld, Geld, o Schutzpatronin +von Frankreich und Versailles, Marly und Trianon!</p> + +<p>Wiederum war ein Staatsrat gehalten worden zu +Versailles über die besten Mittel, Geld zu bekommen, +und niemand hatte Rat gewußt; weder Pontchartrain, +noch Pomponne, noch du Harlay, Barbezieux, d’Argouges, +d’Agnesseau. Wohl war manche neue Steuer +vorgeschlagen worden; doch ohne zu einem Resultat +gelangt zu sein, hatte Louis der Vierzehnte seine Räte +entlassen müssen. Verstimmt im höchsten Grade, ratlos +bis zur Verzweiflung schritt er auf und ab in seinem +Gemach und seufzte:</p> + +<p>„O Colbert, o Louvois!“</p> + +<p>Der König von Frankreich befand sich vollständig +in der Seelenstimmung Sauls, des Königs der Juden, +als er Verlangen trug nach dem Geiste Samuels, des +Hohenpriesters.</p> + +<p>Dazu war die Frau Marquise nach Saint Cyr zu +ihren jungen Damen gefahren, und der Vater La Chaise +gab einigen Brüdern in Christo in der Vorstadt Saint +Antoine in seinem Hause ein kleines Fest. Armer, +großer Louis! zu seinem letzten Mittel mußte er greifen, +um sich zu zerstreuen; — Fagon, sein Leibarzt, wurde +gerufen. In der Unterhaltung mit diesem klugen +Manne ging dem Monarchen, freilich doch langsam +genug, dieser trübe Oktobernachmittag des Jahres 1703 +hin, und zuletzt kam auch Madame von Maintenon +zurück. Der König seufzte auf, gleich einem, der von +einer schweren Last befreit wird; Fagon machte seine +Verbeugungen und entfernte sich, ebenfalls höchlichst +erfreut über seine Erlösung.</p> + +<p>Im klagenden Tone erzählte nun der König seiner +Ratgeberin von seiner trüben Nachmittagsstimmung, von +seiner Sehnsucht nach ihr, seiner einzigen Freundin, von +der Dummheit der Ärzte und von der vergeblichen Ratssitzung.</p> + +<p>„Sire,“ sagte die Marquise lächelnd, „ich bin Eure +demütige Dienerin; die besten Ärzte sind die, welche +die Seele zu heilen verstehen, was aber die Ratlosigkeit +Eurer Räte betrifft, so ist hier ein Billett, welches die +Mittel angibt, dem Staat Geld zu schaffen. Von unbekannter +Hand wurde es mir in den Wagen geworfen. +Leset es, Sire, wir haben schon einmal über den Mann +gesprochen, von dem es handelt.“</p> + +<p>Der König nahm das Schreiben und überflog es.</p> + +<p>„Vinacche?! der Goldmacher!“ murmelte er und +zuckte die Achseln.</p> + +<p>„Ich höre Erstaunliches über den Mann,“ meinte +die Marquise. „Sein Luxus geht ins Grenzenlose. Die +größten Herren Eures Hofes, Sire, gehen bei ihm ein +und aus. Der Herzog von Brissac hat mir neulich +stundenlang von dem geheimnisvollen Menschen gesprochen. +Neulich war auch Madame von Chamillard +bei mir; sie steht in Verbindung mit dem reichen holländischen +Bankier van der Hultz. Auch dieser Mann soll +vollständig überzeugt sein, Monsieur de Vinacche habe +das Projektionspulver gefunden, Monsieur de Vinacche +mache in Wahrheit Gold.“</p> + +<p>„Ach, Marquise, von wie vielen haben wir das geglaubt!“</p> + +<p>„Sire, wäre ich an Eurer Stelle, ich würde d’Argenson +beauftragen, diesen Italiener etwas genauer zu +beobachten.“</p> + +<p>Der König zuckte abermals die Achseln und gab das +Billett zurück.</p> + +<p>„Wenn d’Argenson das für nötig hält, so mag er +seine Anordnungen treffen; — ich will nichts damit +zu tun haben. Was beginnen Eure Fräulein zu Saint +Cyr, Marquise?“</p> + +<p>Nachdem der König das Gespräch auf eine andere +Bahn geleitet hatte, war es vergeblich, von neuem +den verlassenen Punkt zu berühren; aber die Marquise +schob das Billett in ihre Tasche und faßte einen +Beschluß. Am andern Tage schickte sie ihren Stallmeister +Manceau in die Gasse Saint Sauveur zu Vinacche, +unter dem Vorgeben: er solle Diamanten +kaufen für eine fremde Prinzessin. Manceau, von +seiner Herrin bestens instruiert, ließ nichts in dem +Hause des Alchymisten außer Augen und erzählte nachher +Wunder von der Pracht und dem Glanze, die +darinnen herrschten. Pferde, Gemälde, Silbergeschirr, +Meubles, alles taxierte er, wie ein Auktionskommissär; +auf seine Frage nach Juwelen antwortete aber Vinacche, +er besitze deren wohl sehr schöne, aber er handle nicht +damit.</p> + +<p>Fast schwindelnd von dem Geschauten kam der Abgesandte +der Marquise nach Versailles zurück und stattete +seiner Herrin Bericht ab. Einige Tage nachher wurde +Stefano Vinacche selbst nach Versailles beschieden und +daselbst sehr höflich und zuvorkommend von Herrn +von Chamillard empfangen! Ein langes Gespräch +hatten die beiden Herren miteinander, und hinter einem +Vorhange lauschte die Marquise von Maintenon demselben. +Aber aalglatt entschlüpfte Vinacche jeder Frage, +die sich auf seine große Kunst bezog; er nahm Abschied +und bestieg seine Karosse wieder, ohne daß die Marquise +und Chamillard ihrem Ziel im geringsten nähergekommen +wären.</p> + +<p>„Lassen wir d’Argenson kommen!“ sagte Frau von +Maintenon. „Um keinen Preis darf uns dieser Mann +entgehen.“</p> + +<p>Monsieur de Chamillard verbeugte sich bis zur Erde, +und — d’Argenson ward gerufen.</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="VDas_Ende" id="VDas_Ende">V.<br />Das Ende.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/u.png" alt="U" width="60" height="60" class="floatl"/>nd Monsieur d’Argenson streckte seine Hand +aus; — es fiel ein schwarzer Schatten über +das glänzende, fröhliche Leben in der Gasse +Saint Sauveur; nach allen Seiten hin zerstob das Getümmel +der vornehmen, reichen und geistreichen Gäste. +Die Flucht nahmen die Herzöge, die Marquis, die +Chevaliers, die Abbés, die Poeten. Wer durfte wagen, +da zu weilen, wohin Monsieur d’Argenson den Fuß +gesetzt hatte?</p> + +<p>Aus dem Nebel ragt düster drohend die Bastille! +Sie halten den Stefano Vinacche, auf daß ihnen sein +köstliches Geheimnis „nicht entgehe“, und — am +22. März 1704, einem Sonnabend — scharren sie ihn +ein auf dem Kirchhof von Sankt Paul, unter dem +Namen <em class="gesperrt">Etienne Durand</em>.</p> + +<p>Wer hat je das Genie durch Gewalt gezwungen, +seine Schätze mitzuteilen?</p> + +<p>So liest man in den Registern der Bastille:</p> + +<p>„In der Nacht vom Mittwoch auf den grünen +Donnerstag, als am 20. März 1704, morgens um ein +Viertel auf zwei Uhr verschied in Nummer drei der +Bertaudiere Monsieur de Vinacche, ein Italiener, in +der Gegenwart des Schließers La Boutonnière und +des Korporals der Freikompagnie der Bastille, Michel +Hirlancle. Nach dem Tode des Gefangenen gingen die +beiden Wächter, Monsieur de Rosarges davon zu benachrichtigen, +und erhob sich dieser und verfügte sich +in die Zelle des Sieur Vinacche, welcher sich selbst getötet +hat, indem er sich gestern, als am Mittwoch, ungefähr +um zwei Uhr nachmittags mit seinem Messer +die Kehle unter dem Kinn zerschnitt und sich also eine +sehr große und weite Wunde beibrachte. Obgleich ihm +alle mögliche Hilfe geleistet wurde, konnte man ihn +doch nicht retten. Da der Sterbende einige Zeit hindurch +das Bewußtsein wieder erlangte, so hat unser Almosenierer +sein Bestes getan, ihn zur Beichte zu bewegen, +jedoch ganz und gar vergeblich. Gegen neun +Uhr abends habe ich Monsieur d’Argenson von dem +Unglück Nachricht gegeben, und ist derselbe in aller +Eile sogleich erschienen, um zu dem Sterbenden zu +reden, jedoch auch ihm hat der Unglückliche keine Antwort +gegeben.</p> + +<p class="right" style="margin-bottom:0.5em"> +In diesem Schlosse der Bastille 20. März 1704.</p> +<p class="right" style="margin-bottom:1em"> +<em class="gesperrt" style="padding-right:3em">Dujonca,</em><br /> +<small>Königsleutnant in der Bastille.</small><br /> +</p> +<p>Wohl mochte nachher d’Argenson in seinem Bericht +an Chamillard von „<i>billonage</i>“, von Kipperei und +Wipperei sprechen, es glaubte niemand daran, selbst +der Berichterstatter glaubte nicht daran; man brauchte +nur eine Rechtfertigung dem aufgeregten Publikum +gegenüber. Zu Versailles wirkte die Nachricht von dem +Tode Stefano Vinacches gleich einem Donnerschlag; +der König Ludwig der Vierzehnte wurde darob ebenso +zornig und niederschlagen, wie später in demselben +Jahre über die Kunde von den Niederlagen auf dem +Schellenberge und bei Höchstedt. Die Frau Marquise +und die Herren de Chamillard und d’Argenson hatten +einige bittere Stunden zu durchleben; aber was half +das? Stefano Vinacche war tot und hatte sein Geheimnis +mit in das Grab genommen!</p> + +<p>Der Witwe des Unglücklichen meldete man offiziell, +ihr Gemahl sei in der Bastille am Schlagfluß verschieden; +sie blieb im ungestörten Besitze aller der auf +so geheimnisvolle Weise erworbenen ungeheuren Güter. +Der alte Bericht, dem wir dieses seltsame Lebensbild +nacherzählen, vergleicht den gemordeten Stefano mit +jenem Künstler, welcher dem Imperator Tiberius ein +köstliches Gefäß von biegsamem, hämmerbarem Glas +überreichte. Der Kaiser bewunderte die vortreffliche +Erfindung und fragte, ob dieselbe schon andern Menschen +bekannt sei, welches der Künstler verneinte. Auf +diese Antwort hin ließ der Tyrann dem genialen Erfinder +den Kopf abschlagen und die Werkstatt desselben +zerstören, damit nicht „Gold und Silber gemein und wertlos +würden, wie der Kot in den Gassen von Rom“.</p> + +<p>„<i>Par notre Dame de Miracle</i>, Madame, Euer Gemahl +war ein großer Mann,“ sagte der Herzog von +Chaulnes zu der trauernden Witwe Stefanos, „Euer +Gemahl war in Wahrheit ein großer Mann; aber +<em class="gesperrt">einen</em> Fehler hatte er, er war zu verschwiegen! Wie +oft hab’ ich ihn beschworen, mir sein großes Geheimnis +anzuvertrauen, — Madame, auf meine Ehre, Monsieur +Etienne war zu verschwiegen, viel zu verschwiegen.“</p> + +<p>„O Madame, Madame, die Welt ist nicht so beschaffen, +daß sie ein großes Genie in sich dulden könnte!“ +sagte zur Frau Vinacche der Dichter Jean Baptiste +Rousseau, der Freund Stefanos. „Madame, die Welt +kann das Talent nur töten, und es gibt nur einen Trost:</p> + +<p><i>c’est le même Dieu qui nous jugera tous!</i>“</p> + +<p>„Liebste Schwester,“ sagte der Graf d’Aubigné zur +Marquise von Maintenon, „liebste Schwester, in meinem +Leben habe ich noch nichts erfunden, wohl aber +traue ich mir viel Geschick zu, die Erfindungen anderer +Leute herauszuholen. Ihr wißt das ja; <i>mon Dieu</i>, +weshalb habt Ihr mir nicht diese Geschichte mit dem +Italiener überlassen? Das war kein Charakter für die +Kunst Monsieur d’Argensons.“</p> + +<p>Die Frau Marquise seufzte, zuckte die Achseln und +griff nach ihrem Gebetbuch, Mademoiselle La Caverne, +ihre Kammerfrau, meldete: Seine Majestät verfüge +sich soeben in die Messe. Graf d’Aubigné, welcher „sich +wegen seiner Schwester Regierung einbildete, er sei die +dritte Person in dem Königreiche“, ließ die Unterlippe +herabsinken und legte sein Gesicht in die frömmsten Falten.</p> + +<p>„Gehen wir, mein Bruder,“ sagte die Marquise. +„Wir wollen beten für die Seele dieses unglücklichen +Monsieur de Vinacche und bitten, daß Gott uns seinen +Tod nicht zurechne.“</p> +<p class="newstory"></p> + +</div> + +<div> +<h2 class="dotted"> +<a name="Besuch"> +<span class="big">Ein Besuch</span> +</a> +</h2> + +<p class="newstory" style="padding-top:6em"></p> + +<p class="startchap"><img src="images/e.png" alt="E" width="60" height="60" class="floatl"/>s war schon Dämmerung, als der Besuch +kam; so sehr Dämmerung, daß es uns unmöglich +ist, zu sagen, wie der Besuch aussah. +Es ist uns überhaupt nicht leicht gemacht, hierüber +ganz deutlich zu werden. Helfen uns die Leserinnen +selber nicht dabei, so werden wir auf diesem Blatt +Papier mit Feder und Tinte wenig ausrichten.</p> + +<p>„Wieder ein Tag, Johanne, in Einsamkeit und mühseliger, +geringen Nutzen bringender Arbeit; und zu der +Arbeit trübe Gedanken den ganzen Tag über. Wegplaudern +kann ich dir deine Sorgen nicht; da habe ich +Schwestern, die das besser verstehen. Ich kann nur +hier und da eine Stunde bei dir verweilen; laß mich +das jetzt, vielleicht ist dir wohler nachher. Hast auch +wohl schmerzende Augen von dem ewigen Schaffen +so spät in den Jahren? Die darfst du dreist zumachen, +derweil ich bei dir bin. Nur keine unnötigen Höflichkeiten +unter Freunden. Laß dich gehen, ich lasse mich +auch gehen und lege mir niemandes wegen Zwang an, +und viel Zeit habe ich nie, das wißt ihr ja alle, die ihr +mich dann und wann unter euerer übrigen Bekanntschaft +in der Welt bei euch seht. Wo warst du eben, +Johanne?“</p> + +<p>„Sie feierten ein Fest heute drunten im Hause, +daran habe ich gequält, widerwillig teilnehmen müssen. +Es war so viel Wagenrollen in der Gasse und vor dem +Hause, die Leute waren so laut; es drang so viel lustiger +Lärm zu mir herauf. Es war töricht: aber ich ließ mich +von meiner Phantasie hinabführen zu meiner jungen, +reichen, glücklichen Hausgenossin; und da wurde mein +Schicksal bitterer, ich war den Tag über unzufriedener +denn je mit meinem Lose; ach, da es nun wieder stiller +geworden ist, will ich es nur gestehen: ich war recht +böse den Tag über, voll Mißgunst, Neid und Eifersucht. +Es war sehr unrecht.“</p> + +<p>„Ja freilich, du bist arm, und deine Hausgenossin +ist reich; du bist alt geworden, und deine Hausgenossin +ist noch jung. Niemand kommt zu dir als von Zeit zu +Zeit ich, und jene führt das lebendigste Leben. Daran +kann ich nichts ändern, nicht den kleinsten Stein des +Anstoßes in der Körperlichkeit der Dinge kann ich dir +aus dem Wege räumen; — aber wie wäre es, wenn du +dessenungeachtet jetzt doch einmal einige Wege mit mir +gingest — die ich dich führe?“</p> + +<p>Da die Frau Johanne jetzt lächelt, ist sie schon auf +diesen Wegen mit ihrem Besuch — dieser seltsamen Besucherin, +die nicht plaudert, wenige Neuigkeiten weiß, +sondern nur von Zeit zu Zeit die Hand oder auch nur +den Zeigefinger erhebt. Frau Johanne hat dabei auch +dem andern Rat ihres stillen Gastes Folge gegeben; +sie hat die Augen geschlossen. Bei geschlossenen Augen +sagt sie: „Ja es ist unrecht, und es nützt auch nichts, +andern ihr Glück oder vielleicht auch nur den Schein +des Glückes zu mißgönnen. Das Leben geht so rasch +hin, und es wird so schnell Abend aus Morgen allen +Leuten!</p> + +<p>Ist es nicht wie gestern, als es auch noch in meinem +Leben Morgen war? als ich so jung war wie diese +junge Nachbarin und auch über schöne Teppiche schritt? +als die Wagen auch vor meiner Tür hielten und die +Gäste zu mir kamen? als meine Gestalt aus dem Pfeilerspiegel +im Festkleide mir zulächelte und Richard +mir über meine Schulter zuflüsterte, was der Spiegel +mir sagte?</p> + +<p>Hab’ ich damals, an meinem Morgen, in meinem +Frühling, in meiner Jugend viel daran gedacht, wie +die Leute über meinem Haupte, unter meinen Füßen, +die Nachbarn gegenüber lebten, und ob sie weniger +jung, sorgenlos und glücklich als ich waren?“</p> + +<p>„Siehst du, es wandelt sich gut an meiner Hand,“ +nickte der Besuch. „Nur weiter, komm nur weiter, wir +sind auf dem ganz richtigen Wege. Es ist nur, weil +man in der mißmutigen Stunde nicht recht seine Gedanken +zusammennehmen kann, daß man seine Tage +so regenfarbig, seine Nächte so dunkel und sternenlos +sieht. Was zeigte dir dein Spiegel noch außer deiner +Gestalt im Haus- und im Festkleide und den Bildern +deiner nächsten Umgebung?“</p> + +<p>Frau Johanne legt das Haupt in ihrem Stuhl +zurück und die Hand auf die Stirn. Sie sitzt wieder +vor ihrem hohen, vornehmen Spiegel, den Rücken +gegen die Fenster gewendet. Aber aus dem zerbrechlichen +Glase und der so leicht verwischbaren Folie von +damals ist in Wahrheit ein Zauberspiegel geworden, +aus dem sich wesenhaft, greifbar, voll Leben und Wirklichkeit +die Hoffnung, der Trost, das beste Glück ihrer Witwenschaft, +ihrer Kinderlosigkeit, ihres Alters loslösen.</p> + +<p>Es sind aber nicht die Abbilder ihrer nächsten Umgebung, +die Möbel, Wände, Gemälde, Teppiche und +Vorhänge ihres damaligen Gemaches, die sie nun mit +ihren geschlossenen Augen wiedersieht. Es ist das +Stück der Gasse, das gegenüberliegende Haus, das +damals in den goldenen Rahmen zufällig mit hineinfiel +und nun wieder lebendig in ihm leuchtet, nachdem +Glas und Folie längst zersplittert und verwischt sind, +wie Glanz und Glück jener lange vergangenen Tage.</p> + +<p>„Ich denke, wir wagen es noch einmal, folgen unserm +guten Einfall und schlüpfen hinüber zu der unbekannten +Nachbarin. Was meinst du, Johanne?“</p> + +<p>„Ein Einfall!“ murmelt die Frau Johanne. +„Nur ein seltsamer Einfall — <i>un concetto, una fantasia +strana</i>, wie die Italiener sagen. Und mir vielleicht +auch nur darum möglich, weil ich eben erst mit +Richard von unserm schönen langen Aufenthalt in +Italien nach Hause gekommen war. Dort, in Italien, +folgen die Leute viel leichter als hier bei uns ihren +Einfällen und schlüpfen so über die Gasse und halten +gute Nachbarschaft, zumal wenn sie sich vom Fenster +oder — Spiegel aus schon längst kennen und unser +Gatte einmal gesagt hat: ‚Der Mann der hübschen +kleinen Frau im blauen Kleide da drüben ist einer +unserer besten, talentvollsten Unterbeamten, Johanne; +das Weibchen mit seinem Kindchen ist wirklich allerliebst, +schade, daß sie nicht zu uns gehören, d. h. nicht +in unsere Gesellschaftskreise passen.‘“</p> + +<p>„Ja, was würde aus euerer Welt werden, wenn ich +nicht immer von neuem, zu jeder Zeit und überall +eure närrischen Kreise störte und euch zusammenbrächte +im Wachen und im — Traum? Nur weiter, immer +weiter, Johanne. Die Nachbarin wohnt in keinem +vornehmen Hause; die Treppen, die zu ihr hinaufführen, +sind steil und dunkel; aber wir sind auf dem +rechten Wege — ganz auf dem rechten Wege!“</p> + +<p>„Auf dem rechten Wege! Wie kommst du eigentlich +hierzu, Johanne?“ habe ich mich noch auf der +steilen dunkeln Treppe gefragt. „Ihr habt euch ja +noch nicht einmal zugenickt und noch weniger je ein +Wort miteinander gesprochen. Wie wäre das auch +möglich gewesen bei so vielem andern gesellschaftlichen +Verkehr?“</p> + +<p>„Das weiß ich am besten, von welchen Kleinigkeiten +alles abhängt,“ sagt der Besuch. „Törichtes +Menschenvolk! wo bliebet ihr, wenn nicht ich aus dem +Kern den Baum, aus dem Funken das Licht, aus dem +Hauch den Sturm machte? Dein Blut war noch +abenteuerlich unruhig von den bunten Erlebnissen in +der Fremde; du hattest viel gähnen müssen an jenem +Tage; leugne es nicht, Johanne, du warst eigentlich +in keiner angenehmen Stimmung, trotzdem daß du +noch jung, reich und eine Schönheit warst. Zu verbraucht, +alltäglich, gewöhnlich, abgenutzt und gering +erschien dir alles in der behaglichen Heimat um dich +herum.“</p> + +<p>„Und Richard hatte mir jetzt gesagt: Unsere Nachbarin +hat Unglück während unserer Abwesenheit gehabt; +der Mann ist ihr gestorben; wir werden nicht +leicht einen so guten Arbeiter wieder bekommen. — +Da sah ich sie statt im blauen oder rosa Kleide in einem +schwarzen am Fenster, bleich und kummervoll. Und +sie trug ihr Kind auf dem Arme, ihr armes verwaistes +Kindchen, und da —, da nickte ich ihr zu von meinem +Fenster; und da —, da bin ich zu ihr gegangen!“...</p> + +<p>Und nun ist sie wieder bei ihr, die Träumende, — +die Freundin bei der Freundin, und die Zeiten — die +Stunden, Tage und Jahre vermischen sich wunderbar +im süß-melancholischen Dämmerungstraum. Der Besuch +könnte nun wohl gehen — o wie lebendig, wie +lebendig ist alles nun im Traum!...</p> + +<p>Im Traum. Die alte Frau schläft in ihrem Stuhl +nach dem arbeitsvollen mühsamen Tage. Sie denkt +nicht mehr über die Vergangenheit; sie träumt von ihr +und süß und friedlich; denn der Besuch hatte ihr ja +vorher leise, beruhigend die Hand auf die furchenvolle +Stirn gelegt.</p> + +<p>Nun ist der Raum um sie her nicht mehr beschränkt +und niedrig, nun sind die Gerätschaften nicht mehr +ärmlich und abgenutzt; denn im gleichen Stübchen +und unter gleichem Geräte führte ja die beste Freundin +ihrer Jugend ihr <em class="gesperrt">liebes</em>, stilles Leben. Zu solchem +Stübchen schlich sie aus dem Glanz und der Fülle des +eigenen Daseins, und alles ist im Traum wie damals +um sie her.</p> + +<p>Wie viele Jahre gehen vorüber während der kurzen +Augenblicke, in denen sie jetzt die Augen geschlossen +hält? Wechselnde Schicksale — viel Sorge und Angst +im Mittage des Lebens auch im eigenen Hause. Was +ist noch übrig von alledem, was damals war? Wo +sind die hohen Spiegel, die Purpurvorhänge, die +weichen Teppiche — die Freunde, die Bekannten der +Jugend? Ist doch der eigene Gatte so lange schon tot +und die eigenen Kinder; und auch die Freundin +schläft ja nun lange schon unter ihrem grünen Hügel +und steigt nur dann und wann daraus hervor in der +<em class="gesperrt">Erinnerung</em> und im <em class="gesperrt">Traum</em>, und lächelnd, +tröstend und Geduld anratend zumeist auch nur dann, +wenn vorher der Besuch gekommen ist, den die Greisin, +die arme alte Frau Johanne, bei ihrer späten, beschwerlichen +Lebensmühe wie in der Dämmerung des +heutigen Abends bei sich empfangen hat.</p> + +<p>Von all den guten Freunden, den lieben Bekannten +ist niemand übrig, ist niemand treu als das Kind, das +einst die Träumerin zum erstenmal hinüberzog aus +ihrer Lebensfreude und dem Glanz ihrer Jugend zu +dem Leid der jungen Nachbarin im schwarzen Kleide. +Und dieses Kind ist erwachsen, ist auch eine verheiratete +Frau und weit in der Ferne. — — —</p> + +<p>Horch, ein Schritt auf der Treppe.</p> + +<p>Ist es die Stimme des Besuchs, welche die Frau +Johanne noch in ihrem Traume vernimmt: „Nun +gehe ich und lasse dich der Wirklichkeit. Wie gern +käme ich zu allen so wie zu dir in den bösen Stunden +des Erdenlebens, wie gern hülfe ich allen so wie dir +hinweg über die dumpfen Pausen zwischen euern +Schicksalen; wenn ich nur nicht so oft vor die verschlossene +Tür käme. In den Büchern heiße ich eine vornehme +Frau; mit einem großen Gefolge hoher Söhne und +Töchter schreite ich durch die Jahrtausende, aber gern +sitze ich nieder zu den Kindern, den Armen, den Bekümmerten +— mit Freuden komme ich zu denen, die +aus Büchern nur wenig oder nichts von mir wissen. +Nun lebe wohl, du närrisch alt Weiblein, lache und +weine dich aus in dem Glück der Gegenwart und Wirklichkeit +und halte mir deine Tür offen; ich klopfe nicht +gern lange vergeblich.“...</p> + +<p>Es war nur der Briefträger, dessen Schritt man auf +der Treppe gehört hatte. Der Brief aber, den er der +Frau Johanne brachte, lautete freilich trotz der ganzen, +vollen Wirklichkeit, die er verkündete, wie Glockenklang +und Jubelruf aus Dichtung und Wahrheit.</p> + +<p>„Meine liebe andere Mutter, ich bin so glücklich — +Franz ist daheim! Gesund und so bärtig wie ein Bär +und so sonnenverbrannt — entsetzlich! Aber es hat +ihm, Gott sei Dank, nichts geschadet, und ich bin so +glücklich, so glücklich! Gestern sind sie eingezogen, und +es war so wundervoll, und ich hatte einen so guten +Platz. Ich brauchte den Leuten vor mir nur zu sagen: +ich habe ja auch meinen Mann darunter, und sie trugen +mich fast auf ihren Armen in die erste Reihe. Und wir +— ich und viele Hunderte und Tausende von meiner +Sorte, hätten fast den ganzen Effekt gestört. Das +war ja aber auch nur zu natürlich, und kein Feldmarschall +und sonstiger großer General und Prinz +durfte etwas dagegen einwenden. Ich hing ihm unter +den Trommeln und Trompeten, den Pferden und +Bajonetten am Halse, und wie ich nachher nach Hause +gekommen bin, weiß ich nicht. Nun habe ich ihn aber +selber wieder zu Hause — ganz und heil zu Hause: es +lebe der Kaiser und mein Mann und mein Kind und +du, mein liebes zweites Mütterchen! Und nun höre +nur, über acht Tage sind wir alle bei dir, — er, Franz, +muß dir ja sein Eisernes Kreuz zeigen und ich dir unsern +Jungen und meinen tapfern Ritter und Landwehrmann, +den sie mir so unvermutet mitten im vorigen +Sommer von seinem Zeichen- und meinem Nähtisch +wegholten und für das Vaterland ins fürchterlichste +Kanonenfeuer stellten. Was haben wir ausgestanden, +Mama! Da war es ja noch ein Segen, daß der Junge +noch zu klein und dumm war, um schon mit einsehen +zu können, was der Mensch an Ängsten und Sorgen +auf der Erde und im Kriege aushalten muß und kann. +Aber eins hat er auch noch zuwege gebracht, und das +ist herrlich — ich meine der Krieg und nicht unser Junge +natürlich — ach, ich bin immer noch so konfus und +habe es wie tausend Glocken im Ohr und wie Ameisen in +allen Gliedern! nämlich die Privatingenieure sind im +Preise gestiegen, und unser Weizen blüht endlich auch +einmal. — Darüber werden wir denn recht eingehend +reden in acht Tagen in deinem lieben Stübchen; du +sollst und darfst uns nun nicht mehr so einsam und +allein sitzen, jetzt, da es uns so gut geht und noch viel +besser gehen wird, was wir aber um Gottes willen ja +nicht berufen, sondern ja bei dem Wort dreimal unter +den Tisch klopfen wollen! Wir haben alle so viel ausstehen +müssen und einander so wenig helfen können; +aber nun soll’s anders werden, sagt Franz. Eine bessere +Stelle haben wir schon, nämlich Franz, und dies hat +sich schon mitten im Kriege gemacht, wo merkwürdigerweise +nicht bloß Leute zusammengeraten, die sich auf +den Tod hassen, sondern auch solche, die einander recht +gut gebrauchen können. Nun sagt er, jetzt gäbe er nicht +mehr nach, und sollte er noch dreimal so lange wie vor +dem schrecklichen Metz vor dir in die Erde gegraben +liegen und dich belagern müssen. Er erzählt furchtbare +Dinge von seiner Hartnäckigkeit und neugewonnenen +Erfahrung in dergleichen Kriegskunststücken; und er +behauptet, es wäre gar kein Zweifel, jetzt kriegte er +dich — wir kriegten dich! O könnten wir’s dir doch +zum tausendsten Teil vergelten, was du so viele kümmerliche +Jahre durch bis in unsere Brautzeit und bis +zu unserer Heirat an uns getan hast!</p> + +<p>Ich glaube meinem Manne natürlich auf sein Wort, +daß du jetzt zu uns kommen wirst, aber ich verlasse +mich eigentlich doch noch mehr auf meinen Jungen. +Was soll das arme Kind ohne dich anfangen, Großmütterlein; +jetzt, wo es anfängt zu laufen und ich doch +nicht ewig aufpassen kann? Großmütterchen, du gehörst +zu unserm Richard wie die Stadt Metz wieder zum Deutschen +Reich, was aber eine recht schlechte Vergleichung +ist; ich kann aber nichts dafür, weil ich als jetzige glorreiche +Kriegsfrau so kurz nach den vielen Siegen und +Eroberungen mich nur in solchen Vergleichungen bewegen +kann und übrigens auch eben keine andere +wußte.</p> + +<p>Wir mieten natürlich eine größere Wohnung, und +es wird ein Leben wie in Frankreich, wo es freilich, +wie Franz meint, die letzte Zeit durch kein gutes Leben +gewesen ist, was also eigentlich wieder nicht paßt. Nein, +wir wollen leben in Deutschland, wie ich es mir als +das Schönste denke; und denke du dir es auch so lieb, +als wenn alle Dichtung auf Erden, wenn du diesen +Brief bekommst, eben zum Besuch bei dir gewesen wäre +und dich leise auf unsere Pläne und Absichten mit dir +vorbereitet hätte, daß dir der Schrecken nichts schade! +Was ich dir eigentlich schreibe, weiß ich gar nicht, und +den Jungen habe ich auch beim Schreiben auf dem +Schoße. <span class="big">•</span> Dieser Klex kommt auf seine Rechnung, +denn greift er mir nicht in die Frisur, so führt er mir +mit die Feder.</p> + +<p>Und nun nichts mehr; denn in acht Tagen sind +wir bei dir; und obgleich ich hier jetzt an keiner Stunde +am Tage was auszusetzen finde, so wollte ich doch, +daß es erst über acht Tage wäre, um dir Auge in Auge, +Mund auf Mund sagen zu können, wie ich bis in den +Tod dein dankbares Kind bin und bleibe, du meine +zweite Herzensmutter!“...</p> + +<p>Die Frau Johanne hat viel Unglück im Leben gehabt. +Eigene Familie hat sie nicht mehr, ihr Mann +ist tot, ihre Knaben sind ihr schon als Kinder genommen, +ihren Wohlstand hat sie auch verloren, und doch gibt +es keine andere Frau in der Stadt, die in dieser Stunde +so glückliche Tränen weint wie diese, welche nie dem +Besuch, der in der Dämmerung bei ihr war, die Tür +verschloß, und die an seiner Hand in den Traum sich +leiten ließ, bis die Wirklichkeit anklopfte und ihr die +reife liebliche Frucht jenes „Einfalls“ und Nachbarschaftsbesuchs +der Tage der Jugend in den Schoß +legte.</p> +<p class="newstory"></p> + +</div> + +<div> +<h2 class="dotted"> +<a name="Silvester"> +<span class="big">Auf dem Altenteil</span><br /> +Eine Silvester-Stimmung +</a> +</h2> + +<h3><a name="SilvesterI" id="SilvesterI">I.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/s.png" alt="S" width="60" height="60" class="floatl"/>ie hatten den Senioren der Familie alle +Ehre angetan, wie sich das denn auch wohl +so von Rechts wegen gebührte; aber der +Lärm wurde den weißhaarigen Herrschaften allmählich +doch ein wenig zu arg. Die alte Dame, die immer noch +um ein paar Jahre jünger war als der alte Herr, hatte +dem letzteren ein ihm schon längst wohlbekanntes +kopfschüttelnd Lächeln gezeigt, welches weiter nichts +bedeutete als:</p> + +<p>„Kind, Kind, bedenke den Morgen und deinen +Rheumatismus! Es hat alles seine Zeit, und ich glaube, +die unsrige ist jetzt vorhanden.“</p> + +<p>Der alte Herr hatte zuerst ganz erstaunt aufgesehen +und sein Weib an: Nicht mehr bis Mitternacht, und +in das neue Jahr hinein? Ei, ei, ei — hm!</p> + +<p>„Hm,“ sagte der alte Herr, in dem fröhlichen Kreise +erhitzter Gesichter umherblickend; „es hat freilich alles +seine Zeit; aber es ist sonderbar, und, liebe Kinder, es +kommt einem ganz kurios vor, wenn auch dieses — +zum erstenmal Zeit wird!“</p> + +<p>Dabei hatte er sich aber bereits etwas mühsam aus +seinem Sessel erhoben. Den Kopf schüttelte er auch; +jedoch ohne dabei zu lächeln wie seine Frau.</p> + +<p>„Du hast recht, Anna; es ist unsere Zeit gekommen, +und so wünsche ich, wünschen wir euch jungem Volk —“</p> + +<p>Von einem Gewissen war bei diesem „jungen Volk“ +natürlich nicht die Rede. Dazu waren sie sämtlich +(auch die Ältesten unter ihnen) noch viel zu jung, und +viel zu vergnügt und viel zu aufgeregt durch die uralten, +ewig jungen Stimmungen der letzten Stunden +des scheidenden Jahres. Ein Gewühl von blonden +und braunen Köpfchen und Köpfen, von Händen und +Händchen erhob sich um die beiden Greise; und alle +Verführungskünste, deren die Menschheit in ihrer Erscheinung +als Familie in der Silvesternacht fähig ist, +waren zur Anwendung gebracht worden.</p> + +<p>Einmal noch schadete es sicherlich gewiß nicht!... +Großpapa und Großmama hatten noch nie so munter +ausgesehen!... Es ging ja niemand zu Bett vor +Mitternacht, selbst die Jüngsten nicht!...</p> + +<p>„Nun, Mutter! Einmal noch? Was meinst du?“ +Kleine weiße Händchen — weiße beringte Hände hatten +ihre Verführungskünste nicht ohne Erfolg versucht; +nun legte sich statt anderer Antwort auf die Frage des +alten Herrn wieder eine Hand auf die seinige. Das +war aber keine weiche, keine weiße, keine kräftige mehr; +aber eine starke und treue war es auch; vielleicht wohl +die stärkste und treueste.</p> + +<p>„Die Großmutter hat recht! Es hat alles seine +Zeit, und die unsrige ist gekommen. Junges Volk, wir +werden zu Bette geschickt von ihr, der Madame Zeit, +während die Jüngsten aufbleiben dürfen. Der Kopf +summt uns zu sehr morgen früh, wenn wir uns dagegen +sperren und wehren; und es ist zwar hübsch von +Großmama, wenn sie nur von Rheumatismus spricht; +aber das rechte Wort ist es eigentlich nicht. Sie hätte +ganz dreist Gicht sagen können, gerade so gut wie der +Herr Schwiegersohn und <i>Doctor medicinae</i> da hinter +seinem Punschglase, wenn er jetzt ein Gewissen hätte. +Liebe Kinder, wir sind beide über siebenzig Jahre alt, +und —“</p> + +<p>„Oh!...“</p> + +<p>„Und wir sind sehr glücklich und behaglich. Sehr +wohl ist uns zumute und so wünschen wir euch allen +zum erstenmal vor Ablauf des alten Jahres ein glückliches +neues.... Bitte, lieber Sohn, ich weiß, was +du sagen willst; aber wende dich damit an die Mama, +die wird dich versichern, daß deine Frau, unsere liebe +Sophie da, heute über dreißig Jahre sicherlich gleichfalls +viel verständiger sein wird, als du. Wende dich +an deine Mutter, mein Schmeichelkätzchen Marie. Sie +hat immer gemeint, du seiest ganz ihr Vorbild, also +wirst du wohl wissen, was in vierzig Jahren in der +Neujahrsnacht deine Meinung sein wird, wenn die +unverständige Jugend dir deinen Mann da verführen +will. Schieben Sie die Kinder nicht so heran, lieber +Schwiegersohn, sie machen der Großmama nur +das Herz schwer. Es ist Zeit geworden für uns; +— — — ein fröhliches, segensreiches Jahr ihr — +alle!...“</p> + +<p>„Alle!“ jubelten sie, und die Gläser hatten geklungen, +und die Kinder, die Enkel hatten sich zugedrängt +und ihre kleinen Becher hingehalten, ohne daß +man sie dazu zu schieben brauchte. Sie hatten sehr gejubelt; +und die Tonwellen der Gläser und der Stimmen +waren verklungen.</p> + +<p>„Nun seid weiter vergnügt; aber die Kinder laßt +ihr mir morgen ausschlafen. Begleitung nehmen wir +nicht mit, die Trepp’ hinauf. Wir finden unseren Weg +schon allein, nicht wahr, Walter?“ sagte die alte Dame, +die Großmutter des Hauses.</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="SilvesterII" id="SilvesterII">II.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/s.png" alt="S" width="60" height="60" class="floatl"/>ie entschlüpften, wie man entschlüpft, wenn +man das siebenzigste Lebensjahr hinter sich +hat. Langsam stiegen die beiden die teppichbelegte +Treppe in ihre Stube hinauf, der Greis gestützt +auf den Arm der Greisin; und dann waren sie allein +miteinander, noch einmal allein miteinander in der +Neujahrsnacht.... Umgesehen hatten sie sich nicht +auf der Treppe und einen leisen Schritt, einen Kinderschritt, +der ihnen nachglitt, den hatten sie überhört. +Ein so scharfes Ohr, wie vor Jahren, hatte keins von +den zwei Alten mehr; aber diesen Schritt, diesen +Geister-Kinderschritt würde auch wohl jedes andere +jüngere Ohr überhört haben. —</p> + +<p>Auf dem Altenteil! Das kann eines der bittersten +Worte sein, die das Schicksal den Menschen in dieser +Welt zuruft; aber auch eines der behaglichsten. Für +diese beiden Alten war es nach langer schwerer, mühseliger +Arbeit ein behagliches geworden. Sie fanden +ihre Gemächer durch ein verschleiertes Lampenlicht erhellt, +ihre beiden Lehnstühle an den warmen Ofen gerückt +und:</p> + +<p>„Mit dem Schlage Zwölf komme ich doch und poche +an eurer Kammertür und spreche meinen Wunsch durchs +Schlüsselloch. Ihr braucht aber nicht darauf zu hören; +ich schicke ihn euch auch in den Schlaf hinein!“ hatte das +jüngste und am jüngsten verheiratete Töchterlein als +letztes Wort im Festsaale da unten gesagt.</p> + +<p>„O mein Gott, da sitzt ihr noch?“ rief dieselbe junge +Frau unter dem Glockenklang und dem Neujahrschoral +von den Türmen, unter dem plötzlich aufklingenden +Gassenjubel und dem Jubel der Kinder und Enkel +in dem Saale des Hauses. „Das ist doch ganz wider +die Abrede, und heute übers Jahr werden wir euch da +unten bei uns fester halten, ihr Lieben, Bösen, Besten!... +Ein glückliches neues Jahr, Großpapa! ein glückliches +neues Jahr, Großmama!“</p> + +<p>Da stand ein niedrig lehnenloses Sesselchen mit +einem verblaßten gestickten Blumenstrauß darauf +neben den zwei Stühlen der Greise. Die junge Frau, +nachdem sie den Vater und die Mutter mit ihren Küssen +fast erstickt hatte, saß nieder auf dem kleinen Stuhl und +hatte keine Ahnung davon, wer eben vor ihr darauf +gesessen und die Mutter und den Vater gegen die Abrede +und gegen ihren eigenen festen Vorsatz wach gehalten +hatte über die Mitternachtsstunde hinaus und +aus dem alten Jahr in das neue hinein! Mit leise +bebender Hand strich die alte Frau die blonden Haare +der Tochter aus dem lebensfreudigen, glühenden, erhitzten +Gesichte. Die blonden Locken, die sich eben vor +ihr ringelnd bewegt hatten, waren schon vor vierzig +Jahren zu Staub und Asche geworden: die junge Frau +wußte nichts von ihnen, oder doch nur gerüchtweise. +Lange vor ihrer Geburt war das erste, das älteste Kind +gestorben, zwölf Jahre alt. Ein halbverwischtes +Pastellbildchen, das über der Kommode der Mutter, +der Großmutter des Hauses, hing, war alles, was +von ihm übrig geblieben war in der Welt.</p> + +<p>Alles?</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="SilvesterIII" id="SilvesterIII">III.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/e.png" alt="E" width="60" height="60" class="floatl"/>in leiser Schritt, ein unhörbarer Schritt; — +ein Geister-Kinderschritt in der Silvesternacht!... +Wir haben gesagt, daß die +beiden Greise vor einer Stunde die Treppe zu ihren +Gemächern hinaufgestiegen und ihn, wie wir übrigen +alle, nicht vernahmen. Ganz war es doch nicht so.</p> + +<p>Als der alte Herr der alten Dame mit immer noch +zierlicher Höflichkeit die Tür öffnete, um sie zuerst über +die Schwelle treten zu lassen, hatte die Frau einen +Augenblick gezögert und zurückgesehen und gehorcht.</p> + +<p>Der alte Herr glaubte, sie horche noch einmal auf +den fröhlichen Lärm, auf das heitere Stimmengewirr +der Neujahrsnacht dort unten im Festsaal des Hauses.</p> + +<p>„Sie sind gottlob recht heiter,“ meinte er, „wüßte +auch nicht, weshalb nicht. Und auch wir, — Mutter! — +nicht wahr, Alte?... Wie spät ist es denn eigentlich? +Elf Uhr! Noch früh am Tage, wenngleich wirklich ein +wenig spät im Jahre.“</p> + +<p>„Ja, Walter!“ hatte die Greisin erwidert, aber nur, +um doch eine Antwort zu geben. „Ich hörte eigentlich +nicht auf dich; ich dachte an unser Ännchen,“ fügte sie +hinzu, als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte +und sie in der letzten Stunde des ablaufenden Jahres +mit sich allein waren.</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="SilvesterIV" id="SilvesterIV">IV.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/d.png" alt="D" width="60" height="60" class="floatl"/>as junge Volk! Längst hat es drei Viertel +des Hauses nach seinem Geschmack und +Bedürfnis eingerichtet und mit vollem +Rechte des Lebens. An das Reich der beiden Alten hat +keine Hand gerührt; außer dann und wann eine Kinderhand, +deren volles Recht des Lebens es freilich ist und +immerdar sein wird, in der Großväter und der Großmütter +Hausrat, Schubladen und Schränken zu wühlen +und zu kramen und sich die vom Anfang der Welt an +dazugehörigen erstaunungswürdigen, lustigen und traurigen +Geschichten erzählen zu lassen.</p> + +<p>Es war einmal!... oh, noch einmal von dem, was +war!... Und so war es gekommen, daß die jüngste +Tochter des Hauses die Eltern um Mitternacht noch +wach fand unter den Glocken, die das neue Jahr einläuteten. +Eine Kinderhand aber war es wiederum gewesen, +die an den Schleiern der Vergangenheit gezupft +hatte: „Es war einmal! Ich bin da! — Mama, +du sagst in dieser Stunde nicht: Man hat doch keinen +Augenblick Ruhe vor dir, Kind! — Ich bin da; und +nun laßt mich sitzen auf meinem Stuhl, laßt uns erzählen: +Es war einmal!... laßt uns erzählen von dem, +was einmal war!“...</p> + +<p>Und sie hatten davon erzählt, die beiden Greise +nämlich. Das Kind hatte nur drein gesprochen.</p> + +<p>„Sie wäre gewiß auch eine stattliche Frau und eine +gute geworden,“ sagte die alte Dame. „Ich meine, am +meisten hätte sie wohl der Theodore geglichen, wenn +wir sie behalten hätten, das liebe Kind. Sie haben alle +da unten, — unsere meine ich, Papa! — ein hübsches +lustiges Lachen; aber ich kann nichts dafür, ich muß es +sagen: wie das Kind, unser Ännchen, ist doch keins so +glücklich in seinem Lachen gewesen. Die andern kennen +wir ja auch nun schon lange mit ihren Sorgen und ihren +Nöten und ihren unnützen Ärgernissen. Keins von ihnen +lacht und kreischt und kichert so wie mein Ännchen es +tat. Hätten wir die Enkel nicht, so würde das Haus +wohl manchmal still genug sein; — selbst dir, Großpapa.“</p> + +<p>Da war das Lachen, das vor so langen, langen Jahren +zuerst das Haus hell und heiter gemacht hatte! +Auch der alte Herr, der Großpapa, dem das Haus nie +ruhig genug sein konnte, kannte es ganz genau.</p> + +<p>„Also, ihr wißt es doch noch, wie es war, als wir +drei allein waren, und dein Haar noch nicht so weiß, +Vater; und auch deines nicht so hübsch grau, mein +Mütterchen, und ich euer liebes, einziges Mädchen! +Hier sitze ich auf meinem Stuhl und behalte mein Recht, +allen meinen Schwestern und Brüdern und allen +meinen Nichten und Neffen zum Trotz. Ich bin die +Älteste! Wer auch nach mir gekommen ist, wie viele +auch gesessen haben auf diesem Schemelchen — mir gehört +es, mir habt ihr es hierher gestellt; das ist mein +Sitz am Herde! Wer kann mir meinen Platz nehmen +in eurer Seele? wer in dem Hause, das ihr gebaut +habt und in dem ihr mich einmal euer Glück nanntet?!“</p> + +<p>„Du hast recht, Mutter,“ sagte der alte Herr; „ich +weiß eigentlich nicht, wie wir gerade jetzt darauf kommen; +aber das Kind hat immer zu mir, — zu uns +gehört. Nur weil wir es wußten, haben wir nicht immer +dran gedacht. So geht es aber mit allem Wissenswürdigen +in der Welt.“</p> + +<p>„Mein Ännchen!“ seufzte einfach die Greisin; doch +die blonden Locken wurden wie mutwillig von neuem +geschüttelt, und wieder legte sich der kleine Finger schalkhaft +auf den Mund: „Ja, ich war immer da, wenn +ihr auch nicht an mich zu denken glaubtet: an manchem +schwülen Sommertage, in mancher kalten, dunkeln, +trostlosen Winternacht. An manchem Feste in der lichtstrahlenden +Winternacht, an manchem sonnigen, seufzervollen +Frühlingsmorgen. Jetzt haben die andern da +unten im Saale euere Sorgen, Freuden und Arbeiten. +Ihr aber habt Zeit für mich. Eure andern, die nach mir +gekommen sind, haben mir wohl mein altes Spielzeug +verkramt und zerbrochen; aber mein Plätzchen im Hause +haben sie mir nicht nehmen können. Ich habe es ihnen +nur geliehen, einem nach dem andern; doch mein +Eigentum ist es und bleibt es; nicht wahr, Papa und +Mama?! Ihr habt zwar unter den andern gottlob +nun auch wieder ein Ännchen — ein Enkelkind mit +meinem Namen — aber das tut nichts, wir vertragen +uns schon um diesen kleinen Stuhl und um — euch!... +Es war wohl ein kleiner Sarg, in den ihr mich legen +mußtet; aber — ich bin immer über meine Jahre klug +gewesen. Ich habe es wohl oft heimlich erlauscht, +wenn ihr das über mich sagtet. Damals wußte ich +freilich nicht recht, was ihr damit sagen wolltet, und +ob es eigentlich ein Lob für mich sei; jetzt aber weiß ich +es. Ei ja, ich bin sehr klug für meine Jahre gewesen! +nun lacht nur, wie ihr damals geweint habt, als ich +von euch weggeführt wurde und nicht über die Schulter +zurücksehen durfte. Seht ihr wohl, da lächelt ihr wenigstens +schon. Die Jahre sind nun hingegangen; lange, +lange Jahre! Heute abend habt ihr euch vorgenommen, +noch einmal jung zu sein mit euren Kindern und Enkeln. +Es ist euch auch wohl gelungen, doch nicht ganz. Ganz +jung seid ihr erst jetzt wieder, da ich mich zu euch gesetzt +habe, ich — euere Älteste und euere Jüngste. Nimm +meinen Krauskopf wieder zwischen deine Hände, +Mutter, laß mich wieder auf deinem Knie sitzen, Väterchen; +draußen schneit es sehr, und der Nordwind bläst, +und es ist spät in der Nacht; ihr aber schickt mich diesmal +noch nicht zu Bett; — wir wollen jetzt einander noch +nicht zu Bette schicken; wir wollen noch einmal ein +Weilchen sitzen und erzählen von <em class="gesperrt">dem, was einmal +war</em>.“</p> + +</div> + +<div> +<h3><a name="SilvesterV" id="SilvesterV">V.</a></h3> + +<p class="startchap"><img src="images/s.png" alt="S" width="60" height="60" class="floatl"/>ie hatten nur noch fünf Minuten in ihren +Großväterstühlen neben dem Ofen sitzen +wollen, um sich von dem Feste, dem Händedrücken, +all den Küssen und guten Wünschen zu dem +neuen kommenden Jahre ein wenig zu erholen, wie es +den ältesten Leuten in der Familie geziemt in der Silvesternacht, +während die Jugend um die lichterglänzende +Festtafel weiter jubelt und lärmt, nach der Uhr +sieht und den Sekundenzeiger mit lachendem Auge +verfolgt bis heran an den neuen ernsten Grenzstein ihrer +Erdenzeit. Und sie, die bereits Greise waren, hatten +nicht nach der Uhr gesehen; sie hatten gar nicht einmal +daran gedacht. Die Sekunden der letzten Stunden des +Jahres waren ihnen dahingeglitten, wie die vielen, +langen arbeitsvollen, inhaltreichen Jahre ihres Daseins +selber bis in dieses jüngste und das eben vor der +Tür stehende hinein.</p> + +<p>„Du fragst wohl, Vater, wie wir gerade jetzt darauf +kommen, und sagst, daß du an das Kind lange nicht +gedacht hast,“ sagte die alte Dame. „Es ist freilich lange +her, daß wir ihren kleinen Sarg dort in dem Saale, +wo sie jetzt gottlob so lustig sind, aufstellen mußten. +Wie wunderlich es doch ist, daß ich gerade jetzt darauf +komme, was für eine schöne Sommernacht es war, in +welcher sie starb! Horch jetzt nur, wie der Wind den +Schnee gegen die Fenster treibt. Wir haben die andern +alle behalten und wir haben an unseren Kindeskindern +Freude; aber an unsere Älteste habe ich doch immer +gedacht. Was würde aus den Kindern werden, wenn +ihre Mütter nicht immer an sie dächten. Selbst die Gestorbenen +können ohne ihre Mutter nicht auskommen. — +Horch, wie sie es da unten treiben! eigentlich ist es recht +unrecht von ihnen, daß sie auch die Jüngsten so lange +aus dem Bette zurückhalten, und ich werde ihnen morgen +früh auch jedenfalls meine Meinung darüber sagen. — +Als <em class="gesperrt">sie</em> in ihrem Fieber lag, saß ich auch und zerrang +mir die Hände und fragte mich Tag und Nacht, was ich +hätte anders machen können, damit das Schreckliche +nicht so zu kommen brauchte. Du warst wohl vernünftiger, +wenn du aus deinem Kontor heraufkamst und +mir zuredetest, Geduld zu haben. Wie konnte ich +wohl verständig sein und Geduld haben? Und man +sucht doch immer so, wie man einem andern die +Schuld geben kann, und wäre man das auch +selber!“</p> + +<p>„Ich meine, Mutter, wir geben das auf, uns den +Kopf darüber zu zerbrechen, und noch dazu so spät in +der Nacht, im Jahr und in den Jahren,“ sprach der +alte Herr, wiederum sehr vernünftig; und dann sprachen +sie bis zu dem ersten Glockenschlage der Mitternacht +nichts mehr miteinander. Dagegen aber füllte sich ihre +Stube immer mehr mit den Bildern und den Klängen +der Vergangenheit. Und der liebliche Spuk der Silvesternacht +hatte nicht das geringste vom Phantasten +an sich. Das älteste Kind des Hauses war noch einmal +im vollen blühenden Leben Herrin im Reich und fand +all sein altes verkramtes Spielzeug wieder, wie — die +zwei weißhaarigen Greise. Sie paßten wieder ganz +zueinander, die Eltern und das Kind: der dunkle, +geheimnisvolle Vorhang der Zukunft hatte sich bewegt, +und es war eine Kinderhand, die sich aus den +schwarzen Falten weiß und zierlich hervorstreckte und +winkte. Sie aber, die Fröhlichen da unten im Festsaale +des Hauses, hatten dem Vater und der Mutter, +dem Großvater und der Großmutter — den beiden +Alten ein glückliches, ein segensreiches neues Jahr gewünscht +und hatten zwischen Becherklang und lustigem +Lachen ihren Wunsch wehmütig ernst gemeint, wie sich +das gebührte.</p> + +<p>„Wie gut der Papa und die Mama heute abend +aussahen,“ meinten sie. „Es ist doch eine Freude, wie +frisch sie sich erhalten und wie sie noch an allem teilnehmen. +Aber verständig war es doch, daß sie nicht über +ihre Zeit bei uns sitzen blieben. Morgen früh hätten +wir uns doch Vorwürfe gemacht, wenn wir sie noch +länger gequält hätten, das Vergnügen nicht durch ihr +Weggehen zu stören.... Jetzt aber auf die Uhr gesehen! +in fünf Minuten wird es Zwölf schlagen; — ein bißchen +leise, Kinder, daß <em class="gesperrt">wir die alten Leute +nicht wecken!</em>“...</p> + +<p>Zwölf Uhr und — ein neues Jahr! Alle guten +Geister haben einen leisen Schritt und gehen auf weichen +Sohlen; so schlich sich die jüngste Tochter des Hauses +weg aus dem jubelnden Kreis, glitt die Treppe hinauf +und horchte an der Tür der „alten Leute“, die durch +den Becherklang, die lauten Glückwünsche und alles, +was sonst noch in die Stunde gehört, nicht gestört +werden sollten in ihrer Ruhe auf dem Altenteil.</p> + +<p>„O mein Gott, da sitzt ihr noch? Das ist doch ganz +wider die Abrede! Sie meinen alle da unten, daß ihr +längst in den Federn liegt und euch behaglich in das +neue Jahr hinübergeträumt habt.“</p> + +<p>„Das letztere haben wir auch getan, mein Kind,“ +sagte der alte Herr nachdenklich lächelnd.</p> + +<p>„Oh, und nun müßte ich sie alle — alle die übrigen +auch noch heraufrufen, daß sie euch ihre Meinung sagen. +Sie werden es mit Recht sehr übel nehmen, wenn ich’s +nicht auf der Stelle tue, Mama!“</p> + +<p>„Laß es lieber, mein Herz,“ meinte die alte Dame, +leise die blonden Flechten vor ihr, die noch nicht Staub +und Asche geworden waren, streichelnd. „Es würde den +Vater doch zu sehr aufregen, und wir gehen nun wirklich +gleich zu Bett. Wir haben vorher nur noch ein wenig +an allerlei gedacht, was vor eurer — vor deiner Zeit +war.“</p> + +<p>„Ach ich bin so glücklich!“ rief die junge Frau. „Wir +sind so vergnügt da unten an unserem Tische, und ihr +hier in euerer lieben, alten, guten Stube seht so jung +aus und so hell aus den Augen, wie das Jüngste von +uns — euern andern! Oh, und mein Franz ist so +drollig; der Mensch ist mir fast ein wenig zu ausgelassen, +oh — und also noch einmal: ein fröhliches, glückliches, +gesegnetes neues Jahr euch vor allen und — uns +andern auch!“</p> + +<p>„Ja, ja!“ sagten die <em class="gesperrt">alten Leute</em> leise zu +gleicher Zeit und nickten freundlich ihre Zustimmung +zu dem guten Wunsch.</p> +</div> + + + + + + + + +<pre> + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Der Junkervon Denow / Ein Geheimnis / +Ein Besuch / Auf dem Altenteil, by Wilhelm Raabe + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER JUNKERVON DENOW / EIN *** + +***** This file should be named 44639-h.htm or 44639-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/4/4/6/3/44639/ + +Produced by Norbert H. Langkau, Norbert Müller and the +Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. Special rules, +set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to +copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to +protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project +Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you +charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you +do not charge anything for copies of this eBook, complying with the +rules is very easy. 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Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm +concept of a library of electronic works that could be freely shared +with anyone. For forty years, he produced and distributed Project +Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. + +Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. +unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +Most people start at our Web site which has the main PG search facility: + + www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. + + +</pre> + +</body> +</html> diff --git a/old/44639-h/images/cover_ebook.jpg b/old/44639-h/images/cover_ebook.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..8d457b7 --- /dev/null +++ b/old/44639-h/images/cover_ebook.jpg diff --git a/old/44639-h/images/d.png b/old/44639-h/images/d.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..dfa37c8 --- /dev/null +++ b/old/44639-h/images/d.png diff --git a/old/44639-h/images/e.png b/old/44639-h/images/e.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..794bf22 --- /dev/null +++ b/old/44639-h/images/e.png diff --git a/old/44639-h/images/l.png b/old/44639-h/images/l.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..bfd138e --- /dev/null +++ b/old/44639-h/images/l.png diff --git a/old/44639-h/images/n.png b/old/44639-h/images/n.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..a3e0902 --- /dev/null +++ b/old/44639-h/images/n.png diff --git a/old/44639-h/images/s.png b/old/44639-h/images/s.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..4229f92 --- /dev/null +++ b/old/44639-h/images/s.png diff --git a/old/44639-h/images/t.png b/old/44639-h/images/t.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ecd2e14 --- /dev/null +++ b/old/44639-h/images/t.png diff --git a/old/44639-h/images/u.png b/old/44639-h/images/u.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ed0b724 --- /dev/null +++ b/old/44639-h/images/u.png diff --git a/old/44639-h/images/v.png b/old/44639-h/images/v.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ebe0dc0 --- /dev/null +++ b/old/44639-h/images/v.png diff --git a/old/44639-h/images/w.png b/old/44639-h/images/w.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..a5ac6a8 --- /dev/null +++ b/old/44639-h/images/w.png |
