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diff --git a/44719-0.txt b/44719-0.txt new file mode 100644 index 0000000..a512882 --- /dev/null +++ b/44719-0.txt @@ -0,0 +1,6708 @@ +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44719 *** + + Aus einer kleinen Garnison. + + + Ein militärisches Zeitbild + + von + + Fritz von der Kyrburg. + + + [Illustration] + + + =Braunschweig= + _=Verlag von Richard Sattler=_ + 1903. + + + + +Inhaltsverzeichnis + + + Seite + Erstes Kapitel 1 + + Zweites Kapitel 27 + + Drittes Kapitel 78 + + Viertes Kapitel 125 + + Fünftes Kapitel 185 + + Sechstes Kapitel 233 + + Siebentes Kapitel 245 + + Achtes Kapitel 264 + + + + +[Illustration] + + +Erstes Kapitel. + + +In dem geräumigen, mit behaglicher Eleganz eingerichteten Wohnzimmer war +Frau Clara König damit beschäftigt, die letzten Vorbereitungen zum +Empfang ihrer Gäste zu treffen. + +Denn heute war Musikabend, zu welchem sich einmal in der Woche die +engeren Freunde des Hauses versammelten, soweit sie musikalisch waren. +Diesmal aber hatte man noch einige Familien dazu gebeten, damit sich +alle von der erfolgreichen Tätigkeit der »Künstler« überzeugen sollten. + +Hier rückte die Hausfrau einen Stuhl zurecht, dort strich sie glättend +über ein gesticktes Deckchen, welche sie in allen Farben und +Geschmacksrichtungen selbst gefertigt. Sie prüfte die Lampen auf ihre +Lebensfähigkeit, klappte Klavier und Harmonium auf und warf schließlich +einen liebevoll sorgenden Blick nach den gefüllten Blumenvasen, ob sie +auch ihren duftenden Inhalt von der vorteilhaftesten Seite zeigten. Denn +darauf hielt sie sehr, nie fehlte auf dem Kamin und dem Erkersims ein +Sträußchen oder frisches Grün, selbst nicht zur kalten Winterszeit. + +Frau Clara war eine mittelgroße Dame von etwa dreißig Jahren, mit einer +gefälligen Figur und einem hübschen, frischen Gesicht. Die munteren +blauen Augen gaben ihm im Verein mit dem geschmackvoll frisierten +Blondhaar einen jugendlich angenehmen Ausdruck. + +Jetzt ließ sie sich in einen Sessel nieder, denn es war alles in bester +Ordnung. Das war übrigens immer so. + +Da teilte sich die Portiére zum Nebenzimmer, und ihr Gatte, ein großer +Herr mit schwarzem Schnurrbart, trat herein, um auch seines Amtes zu +walten. Ihm lag es nämlich ob, den Kronleuchter anzuzünden. Im +Allgemeinen pflegte er pro Gast nur eine Flamme zu brennen, heute aber +ließ er den ganzen Lüstre in festlichem Glanze erstrahlen, denn man +erwartete viele Gäste, während nur 5 Flammen vorhanden waren. So brannte +er denn den Wachsstock an, welcher praktischer Weise meist auf oder +dicht neben dem Ofen zu finden war, schimpfte über die hohe Gasrechnung, +entzündete die Flammen, schüttete einen Eimer Kohlen in den Ofen und +warf ein Blatt Papier hinterher, daß er nicht puffen sollte. Dann ließ +er sich gleichfalls in einen Sessel nieder. + +Herr Albrecht König war seines Zeichens wohlbestallter Rittmeister. Die +Schwadron hatte er in bester Ordnung, denn er widmete sich ihr mit +großem Eifer und nie erlahmender Sorgfalt. Fand sich Zeit und Muße, so +las er die »Deutsche Zeitung«, studierte den Kurszettel, arbeitete im +großen, trefflich in Stand gehaltenen Garten des Hauses oder überwachte +den Hühnerhof, dessen Eierertrag er für hohe Preise an seine Gattin +verkaufte. Hatte er gar nichts zu thun, so führte er Schlachten mit +seinem neunjährigen Sohne auf, hielt Weinproben ab oder übte Klavier, +denn dieses Instrument verstand er fast meisterhaft zu spielen. + +Ein Geräusch im Vorzimmer verkündete jetzt die Ankunft der ersten Gäste. +Man vernahm einen langsam schleppenden Schritt und ein heftiges +Schnauben. Die Tür ging auf, und herein trat Landrat von Konradi, ein +wohlbeleibter Herr mit einem Klemmer auf der aristokratischen Nase, über +den hinweg sein Blick jetzt forschend die Frau des Hauses suchte. Das +Haar schien zwar ergraut, doch dunkel gefärbt, und böse Menschen wollten +wissen, es geschehe für das schöne Geschlecht. Der Herr Landrat hatte +nämlich keine Frau. Sein Ideal verkörperten ein gutes Diner und mehrere +noch bessere Weinsorten, und, da beides im Hause des Rittmeisters zu +finden war, kam er gern. Im Übrigen galt er für einen Gentleman. + +Während er sich gerade bemühte, der Hausfrau mit Entrüstung zu erzählen, +wie ein von ihm bestellter Fasan in gänzlich ungenießbarem Zustande +angekommen sei, öffnete sich wieder die Tür und Frau Rittmeister Kahle +trat ein. + +Von kleiner, zierlicher Figur, jedoch mit einem Gesicht, welches dem +eines ungezogenen Knaben glich, war sie im Allgemeinen eine ganz +niedliche Erscheinung, nur spielte ein beständiges Lächeln um den etwas +großen Mund, und wenn sie ihn auftat, ließ sich eine unzarte, fast +kreischende Stimme hören. + +Ihr folgten drei jüngere Herren, als erster Leutnant Pommer. Man +schätzte ihn allgemein wegen seines natürlichen offenen Wesens; schien +er dadurch auch manchmal etwas derb, so wußte doch jeder, wie es gemeint +war. Mit besonderer Liebenswürdigkeit begrüßte er Frau Kahle, und es sah +fast drollig aus, wie der große, korpulente Mann mit dem Nippfigürchen +kontrastierte. + +Der zweite war der Leutnant Müller. Wer es nicht wußte, sah an der +selbstgefälligen Miene und der steifen Haltung des Herrn, daß er der +Regimentsadjutant sein müsse. Er galt für den Schrecken aller +Hausfrauen, denn er war unersättlich und vernichtete mit Seelenruhe die +dreifache Portion wie ein anderer Sterblicher. Legten seine +Tischgenossen die Gabel aus der Hand, so langte er mit der +Versicherung, daß er gerade dieses sehr gern äße, zum dritten Male zu. + +Der letzte der Herren war Leutnant Kolberg, ein auffallend blaß +aussehender junger Mann mit kühn emporgewirbelten Schnurrbartenden. Er +führte ein unsolides Leben und rühmte sich einer bewegten Vergangenheit. + +Während man der noch fehlenden Gäste harrte, bildeten sich einige +Gruppen. Leutnant Kolberg war ebenfalls zu Frau Kahle getreten und maß +sie von oben bis unten mit wohlgefälligen Blicken. Der Adjutant suchte +von Frau König zu erforschen, was es zu essen gäbe, und als er es +erfuhr, behauptete er sofort, es sei sein Leibgericht. Der Landrat +plauderte mit dem Rittmeister über eine Weinreise, die sie gemeinsam zu +unternehmen gedachten, um den Keller mit neuen Schätzen zu füllen. + +Wieder ging die Tür auf, und herein schwebte eine ungeschickt gepuderte, +aussagend korpulente Dame in einem schwarz und gelben Kleide, dessen +Machart sich mit den unpassend zusammengestellten Farben in +Geschmacklosigkeit überbot. Sie stürzte sofort auf Frau Clara zu, +drückte ihr mit den rundlichen Fingern die Hand und gab ihrer Freude +über die erhaltene Einladung Ausdruck. Den anwesenden Herren hielt sie +die fleischige Rechte so dicht unter die Nase, daß diesen gar nichts +anderes übrig blieb, als den obligaten Handkuß darauf zu drücken. + +Es war Frau Rittmeister Stark, die jüngste Gattin im Regiment, wenn sie +auch weit über fünfzig Lenze zählte. + +Ihr folgte tänzelnden Schrittes der eben so rundliche Gemahl. Er trug +einen schwarzen Spitzbart und einen langen Nagel am kleinen Finger, +dessen Pflege täglich längere Zeit in Anspruch nahm. + +Seine Stimme verriet, daß ihr Besitzer einem guten Trunk nicht abhold +war. + +Hinter dem Ehepaar tauchte plötzlich die Gestalt des Kommandeurs auf. + +Alle traten ehrfurchtsvoll zur Seite und machten eine tiefe Verbeugung +vor ihm, während er auf Rittmeister König und Gattin zuschritt. Die +krummen Beine im Verein mit dem derben Gesicht gaben der ganzen +Erscheinung des Obersten von Kronau nicht viel von dem, was man sich +unter einem Regimentskommandeur vorstellt, in Civil hätte man ihn +vielleicht für einen Agrarier gehalten, dessen Sprache den Masuren nicht +verleugnen konnte. Auch blinkte ihm stets eine Träne im Auge, welche er, +sobald sie ihm entsprechend groß erschien, durch eine stereotype +Kopfbewegung seinem Gegenüber vor die Füße oder auf den Rock zu +schleudern liebte. + +Die ihm folgende Dame mit dem Gouvernantengesicht, in ein schlecht +sitzendes perlgraues Kostüm mit rotem Sammetkragen gezwängt, war seine +Gattin. + +Fast zu gleicher Zeit erschien auch der noch fehlende Teil der +Gesellschaft, an der Spitze Oberleutnant Borgert. Seine stechenden Augen +ruhten nur selten auf dem, welchen er einer Ansprache würdigte, seine +Figur war korpulent, dabei aber elastisch und schmiegsam. Hinter ihm +stand der Oberleutnant Leimann, eine kleine, etwas gebeugte Erscheinung +mit einem Buckelansatz und viel zu kurzem Halse. Zwischen den +hochgezogenen Schultern saß ein birnenförmiger Kopf mit zwei kleinen +Schweinsäuglein, welche meist unstät umherirrten oder so +zusammengekniffen waren, daß man sie nicht sah. Das an einer Schnur +hängende Einglas setzte er nie auf, denn er fürchtete, sich lächerlich +zu machen. + +Diese beiden Herren wohnten in einem Hause und waren eng mit einander +befreundet. Vielleicht hatte sie ein chronischer Mangel an Kleingeld +zusammengeführt, was ihnen jedoch kein Grund war, sich irgend einen +Wunsch zu versagen, vielmehr lebten sie, als seien sie die Erben reicher +Häuser. + +»Verzeihen Sie, gnädige Frau«, wandte sich Leimann an Frau König, »daß +meine Gattin nicht mitkommt, sie hat wieder ihr altes Leiden, Sie wissen +ja, Migräne!« Dabei machte er ein Gesicht, als glaube er selbst nicht +recht daran. »Sie wird natürlich nachkommen, sobald sie sich besser +fühlt.« + +»Das tut mir sehr leid,« entgegnete Frau Klara liebenswürdig, »nun, +hoffentlich hält das Kopfweh nicht lange vor! Es sollte mich freuen, +Ihre Gattin bald begrüßen zu können.« + +Als nun auch der kleine Leutnant Bleibtreu, ein besonderer Freund des +Hauses und einziger Offizier in Rittmeister König's Schwadron, zur +Stelle war, meldete der Diener, es sei angerichtet. So begaben sich denn +die Herrschaften nach dem Eßzimmer und ließen sich an dem mit großer +Sorgfalt gedeckten Tische nieder. + +Anfangs herrschte Schweigen, erst als ein jeglicher seinen Teller +gefüllt, kam die Unterhaltung allmählich in Gang. + +»Das Wetter ist in den letzten Tagen so schön, daß man bald mit dem +Netzspiel beginnen kann,« bemerkte Frau Oberst von Kronau. + +»Gewiß«, erwiderte der Oberst mit vollem Munde, »ich werde nächste Woche +eine Versammlung des Klubs anberaumen, und dann kann's losgehen!« + +»Ach ja, entzückend,« rief Frau Stark begeistert, »ich spiele +leidenschaftlich gern, Sie spielen doch alle mit, meine Herrschaften? +Sie, meine liebe kleine Frau Kahle, waren ja schon früher eine der +Eifrigsten. Und wie ist es mit Ihnen, Frau König?« + +»Ich lasse es besser, denn es bekommt mir nicht.« + +»Und Ihr Gatte?« + +»Ich spiele nicht Tennis,« erwiderte der Rittmeister, »Sie wissen ja, +ich kenne das Spiel gar nicht, aber ich sehe es ganz gern, wenn es von +graziösen Damen gespielt wird.« + +Frau Stark kniff die Lippen zusammen und sandte dem Rittmeister einen +wütenden Blick. War das mit den »graziösen Damen« nicht auf sie gemünzt? +Es geschah ihr aber ganz recht, denn es war geradezu lächerlich, wie die +ältliche Frau stets die jugendliche spielen wollte, hatte sie doch noch +in ihren alten Tagen einen Schwadronsgaul bestiegen, um reiten zu +lernen, weil andere Damen es taten. + +»Vom Civil werden sich wohl auch mehrere beteiligen«, ergriff der Oberst +wieder das Wort, »ich lasse eine Liste herumgehen.« + +Alle sahen sich ungläubig an, denn mit dem Civil hatte es der Oberst +durch mancherlei Geschichten gründlich verdorben, man mied ihn, wo man +konnte. + +»Ich spiele auch mit,« warf Landrat von Konradi ein, »vorausgesetzt, daß +es nicht zu heiß wird. Nächste Woche habe ich aber noch keine Zeit, ich +muß erst Erbsen legen, sonst wird es zu spät.« + +»Allerdings,« rief König dazwischen, »sonst geraten sie nicht mehr +ordentlich.« + +»Wie? Erbsen geraten nicht? Erbsen geraten immer, wenn man es richtig +anfängt,« entgegnete fast gereizt Frau Oberst. + +»Das kann man doch aber nicht behaupten, gnädige Frau, da spricht doch +vieles mit!« + +»Nein, nicht im geringsten, Herr Rittmeister, es gibt ein Rezept, nach +dem sie geraten _=müssen=_!« + +»Da wäre ich doch neugierig, denn voriges Jahr sind mir fast alle Erbsen +verdorben.« + +»Sie müssen sie bei Mondenschein legen, und niemand darf dabei ein Wort +reden, dann geraten sie immer, ich sehe es ja bei meinen. Ich bin aber +nicht etwa abergläubisch, meine Herrschaften, aber es ist so.« + +Wenn Frau Oberst etwas behauptete, war ein Widerspruch eigentlich ein +kühnes Unterfangen, Leutnant Bleibtreu aber äußerte lachend: + +»Wenn man dann bei Sonnenschein den Speck dazwischen säet, gibt es +gleich Erbsen mit Speck.« + +»Sie müssen es ja wissen, Herr Leutnant, spotten Sie nur, es ist doch +so!« entgegnete die Frau Oberst giftig. »Übrigens nächste Woche habe +ich auch noch keine Zeit, meine Gänseleberpastete ist noch nicht +fertig!« + +»Sie kochen sie selbst ein?« fragte interessiert der Landrat. + +»Gewiß, ich koche immer sechs Töpfe, mein Mann ißt das Zeug so +schrecklich gern.« + +»Woher beziehen Sie denn die Trüffeln dazu? Ich suche nämlich gerade +eine gute Quelle.« + +»Was, Trüffeln? Es schmeckt ohne Trüffeln genau so gut, das ist nur +Einbildung.« + +»Aber ich bitte Sie, gnädige Frau, das ist ja beinahe die Hauptsache an +der ganzen Pastete!« + +»Gott bewahre, ich nehme nie Trüffeln!« + +»Gänselebern muß man bei einer Mondfinsternis kochen, gnädige Frau, dann +werden sie schön dunkel!« bemerkte spöttelnd Leutnant Pommer. + +»Ach, verhöhnen Sie mich nur! Ich weiß, wie es ist, und so bleibt es!« + +So blieb es auch, denn keiner wagte noch eine Einwendung. + +Frau Oberst mußte ihre fließende Rede unterbrechen, denn alle erhoben +sich jetzt, um die eben eintretende Frau Oberleutnant Leimann zu +begrüßen. Frisch und rosig, mit einem bezaubernden Lächeln auf den +Lippen, erschien sie in der Tür des Eßzimmers. + +»Seien Sie mir nicht böse, Frau König, ich hatte noch einige wichtige +Briefe zu schreiben. Aber wollen die Herrschaften nicht Platz behalten?« + +»Ich denke, Sie hatten Kopfweh?« hieß es von allen Seiten. + +»Kopfweh? Ja richtig, das hatte ich auch. Man vergißt es ganz, wenn man +so oft darunter leidet.« + +Sie war eine schöne junge Frau von fünfundzwanzig Jahren und +geschmackvoll gekleidet. Gegenüber von Oberleutnant Borgert nahm sie +ihren Platz ein. + +Das Gespräch erhielt jetzt eine allgemeinere Wendung, man redete von +diesem und jenem und ließ sich auch die vorzüglichen Speisen schmecken, +denn es gab »Labskaus«, das Spezialgericht aus Frau Clara's Küche. Der +Adjutant hatte den Mund noch nicht geöffnet, außer um riesige Bissen +hineinzuschieben. Ab und zu gab er durch einen unverständlichen Laut +seinen Beifall zu erkennen. Er aß noch immer, als schließlich die +Hausfrau die Tafel aufhob. Man wünschte sich gegenseitig »gesegnete +Mahlzeit« und suchte die Nebenräume auf, wo den Damen Kaffee, den Herren +Likör, Bier und Cigarren gereicht wurden. + +Bald hatten sich wieder plaudernde Gruppen gebildet, während der Oberst +den Ort für geeignet hielt, mit seinem Adjutanten eine dienstliche +Angelegenheit zu erledigen. Dann begab er sich in's Nebenzimmer und +begann ein lebhaftes Gespräch mit Frau Stark, aus welchem, da es +halblaut geführt wurde, nur abgebrochene Sätze von Oberleutnant Borgert +aufgefangen werden konnten. + +»Sie _=müssen=_ es erreichen,« hörte er die Dame flüstern. + +»Hoffentlich geht zur Besichtigung alles gut,« gab der Oberst zur +Antwort, »die Vorgesetzten sind seit dem letzten Mal auf Ihren Gatten +aufmerksam geworden, im Stall fing es an, wo die Streu nicht den +Wünschen der Herren entsprach.« + +»Ich gehe jeden Morgen durch den Stall und pfeife die Unteroffiziere an. +Aber freilich, wenn dann mein Mann zur Besichtigung wieder den Kopf +verliert, kann ich nicht helfen. Das letzte Mal habe ich ja alles durch +den Feldstecher mit angesehen, und es ging ganz gut bis zuletzt, wo das +Abschwenken in Züge nicht klappte. Auch war sein Kommando falsch.« + +»Nun, hoffen wir das Beste! Wenn man Major werden will, heißt es eben +doppelt aufpassen, und stimmt etwas nicht, werden die Vorgesetzten +gleich stutzig.« + +»Es ist ganz gleich, Herr Oberst, mein Mann muß Major werden! Wenn Sie +uns fallen lassen, dann......« + +»Seien Sie ohne Sorge, gnädigste Frau! ich habe ihm eine glänzende +Konduite geschrieben, wenn ich es auch nicht verantworten kann, Sie +sehen also, ich tue mein Möglichstes.« + +»Das sind Sie mir auch schuldig, Herr Oberst, denn ohne mich wären Sie +heute...... nun, Sie wissen ja.« + +Rittmeister König trat hinzu. + +»Reisen Herr Oberst nächste Woche mit an die Mosel zur Weinprobe? Herr +Landrat von Konradi fährt auch mit. Es sollen tadellose Sorten zum +Verkauf kommen.« + +»Gewiß, mein lieber König, Sie wissen ja, bei so etwas bin ich immer +dabei. Mit Ihnen gehe ich gerne proben, denn ich habe heute wieder +gesehen, daß Sie eine tadellose Zunge haben.« + +»Sehr schmeichelhaft für mich, Herr Oberst! Aber ich sehe, Herr Oberst +rauchen nicht. Es steht alles in meinem Zimmer.« + +Der Oberst schritt ins Nebenzimmer, wo er Frau Kahle mit Leutnant Pommer +in der einen und mehrere junge Herren mit Frau Rittmeister König in der +andern Ecke plaudern sah. Oberleutnant Leimann trat gerade aus dem +Eßzimmer ein, hinter ihm seine Gattin mit mürrischer Miene, die sich +aber sofort aufhellte, als Oberleutnant Borgert herantrat und seine +Hausgenossin in's Gespräch zog. + +»Nun, was haben Sie denn wieder für wichtige Privatangelegenheiten, +meine Gnädigste?« + +»Ich? nichtsweiter! Mein Mann hat zur Abwechselung ein bißchen +geschimpft, Sie kennen ja seine geschmacklose Art, über alles gleich +grob zu werden.« + +»Was gibt es denn aber schon wieder? Hat Ihnen der Auftritt heute +Nachmittag nicht genügt?« + +»Jetzt ist er wütend, weil ich mich mit Briefschreiben entschuldigt +hatte, er hatte mich mit Kopfweh entschuldigt. Ich habe diese ewigen +Korrekturen satt.« + +»Das ist ein Scheidungsgrund, gnädige Frau,« scherzte der Oberleutnant. +»Suchen Sie sich einen anderen Gatten, wenn Ihnen dieser nicht zusagt.« + +»Sie haben gut Witze machen, Sie glauben gar nicht, wie mir manchmal +alles zuwider ist.« + +»Dann erst recht, gnädige Frau! Wählen Sie unter den Edlen des Landes! +Ich kann Ihnen sogar gute Vorschläge machen.« + +»Dann schießen Sie einmal los!« scherzte Frau Leimann mit schelmischem +Augenaufschlag. + +»Ich wüßte schon einen, wie wäre es zum Beispiel,..... nun, mit mir?« + +»Der Vorschlag ließe sich hören, aber erst müssen Sie mir sagen, was Sie +mir bieten können!« + +»Setzen wir uns und bereden wir den hochwichtigen Fall!« sagte Borgert +lachend, und sie ließen sich auf dem Divan nieder. + +»Also, passen Sie auf! Ich biete Ihnen ein elegantes Heim, einen Wagen +mit Pferden, eine Villa am Züricher See und ein Heer dienstbarer +Geister!« + +»Und wer bezahlt das alles?« + +»Bezahlen? Wer tut denn das noch? Es ist gänzlich aus der Mode und +geschmacklos, man verplempert damit das meiste Geld. Ich bezahle nie und +lasse mir nichts abgehen wie Sie sehen.« + +»Das ist ja alles sehr verlockend, aber noch habe ich ja meinen Mann,« +scherzte Frau Leimann weiter. + +»Gewiß, den haben Sie noch, aber Sie können sich ja einstweilen an mich +gewöhnen.« + +Frau Leimann nickte lächelnd und stützte den Kopf in die Hände, während +sie träumerisch auf den Teppich sah. + +Borgert wurde plötzlich ernst, und als die letzten Gäste ins Nebenzimmer +verschwunden waren, suchten seine Augen die seiner Nachbarin. + +»Was sehen Sie mich denn so an, Herr Borgert? Es kann einem ja Angst +werden!« + +»Ich denke so vieles, gnädige Frau, was ich nicht sagen darf. Im Scherz +spricht man leicht über Dinge, die scheinbar nur ein solcher sind, in +Wahrheit aber berühren uns diese Dinge oft tiefer.« + +»Sie sprechen wieder in Rätseln, mein Lieber, und es ist wohl an der +Zeit, daß wir ein anderes Thema wählen. Aber wollen wir denn nicht auch +hineingehen? Man könnte sich wundern, uns so allein zu finden, und +wieder klatschen.« + +Dabei erhob sie sich, und als Borgert schnell noch ihre Hand ergriff, um +sie zu küssen, machte sie keine ernstliche Anstrengung, ihm zu wehren, +dann trat sie mit der Miene eines unschuldigen Kindes in das Wohnzimmer. +Borgert aber blieb in dem matt erhellten Raume sitzen, zog einen Brief +aus dem Aufschlag des Überrocks und las ihn. Dann steckte er das Papier +mit einem unterdrückten Fluch wieder ein und versank in Nachdenken. + +Im Nebenzimmer war es inzwischen lebendig geworden. Das Stimmen der +Geigen, das Brummen eines Cellos und einige Klavier-Akkorde riefen alle +Gäste herbei, denn jetzt sollte der musikalische Teil des Abends seinen +Anfang nehmen. + +Am Harmonium hatte Rittermeister König Platz genommen, während seine +Gattin die Klavierbegleitung übernahm. Landrat von Konradi und +Oberleutnant Leimann standen mit den Geigen bereit, Leutnant Bleibtreu +hatte sich, das Cello zwischen den Knieen, im Hintergrunde +niedergelassen. Die Zuhörer saßen erwartungsvoll in den kleinen und +großen Sesseln, am Kamin, und um den mit Biergläsern besetzten Tisch +herum. + +Das Spiel begann, ein Trio von Reinhardt. Es klang gut, denn alle hatten +ihre Partie fleißig geübt, und so machte der Vortrag einen angenehmen +Eindruck. Nur der Landrat wiegte sich bei jedem Bogenstreich von einem +Fuß auf den anderen und begleitete sein Spiel mit einem störenden +Schnaufen. Auch Leimann gehörte zu den Musikern, welche man bei Ausübung +ihrer Kunst nicht ansehen darf, um sich den Genuß nicht zu verderben, +denn sein Kopf war jetzt ganz zwischen die Schultern gerutscht und seine +noch mehr gebeugte Figur bot von hinten kein sehr harmonisches Bild. Der +Cellist griff manchmal daneben, spielte dann aber die folgenden Töne um +so kräftiger, damit man hören konnte, wie er sein Instrument +beherrschte. -- Dem Trio folgte je ein Solostück der beiden Geiger, +sowie eine von Ehepaar König mit guter Technik und warmer Empfindung +vorgetragene Rhapsodie von Liszt. -- Zum Schluß waren alle des Lobes +voll und jeder suchte durch ein kunstgerechtes Urteil sein +Musikverständnis zu bekunden. + +»Ach, mein lieber Leutnant Bleibtreu,« rief Frau Stark dazwischen, »Sie +müssen mir auch Cellounterricht geben, ich spielte das Instrument in +meiner Jugend, aber in der langen Zeit habe ich es ganz verlernt.« + +Daß seit ihrer Jugend eine lange Zeit vergangen, wurde von keiner Seite +bezweifelt, und König flüsterte Bleibtreu zu, sie könne mit ihren dicken +Fingern einen einzelnen Ton ja gar nicht greifen. + +Borgert war während des Spiels in den Durchgang zum Nebenzimmer getreten +und schaute mit gelangweilter Miene den Gästen zu. Manchmal warf er +einen forschenden Blick auf Frau Leimann, welche mit träumerischen, halb +geschlossenen Augen weit in einem bequemen Sessel zurückgelehnt saß. + +Die Spieler hatten jetzt auch am Tische Platz genommen, und die +Unterhaltung begann von neuem über gleichgültige Tagesfragen, wobei Frau +von Kronau den Löwenanteil nahm, denn ihr Mundwerk stand selten einen +Augenblick still. + +So verging rasch die Zeit, und als die Kaminuhr ½11 zeigte, schaute der +Oberst verständnisinnig nach seiner Ehehälfte, welche sich darauf mit +einem leichten Kopfnicken erhob und zur Frau des Hauses wandte. + +»Liebe Frau König, es war reizend von Ihnen, uns den Genuß des heutigen +Abends zu verschaffen, es ist aber so spät geworden, daß wir uns +verabschieden müssen. Nochmals vielen Dank!« Dabei reichte sie ihr die +Hand und schüttelte sie kräftig. + +»Wollen Sie denn wirklich schon gehen? Es ist ja noch nicht einmal 11 +Uhr. Einen Augenblick können Sie doch noch bleiben!« + +Als Frau König aber sah, wie auch der Oberst, Familie Stark und der +Landrat von den übrigen Gästen Abschied nahmen, gab sie alle weiteren +Überredungskünste auf, im Grunde ihres Herzens nicht unzufrieden, jetzt +nur noch einen kleinen Kreis um sich zu behalten, bei welchem man nicht +jedes Wort auf die Goldwage legen und fürchten zu müssen glaubte, der +Oberst könne irgend etwas unpassend finden und am nächsten Tage zum +Gegenstand einer dienstlichen Besprechung machen. Denn darin leistete er +Märchenhaftes. + +Nachdem die Herrschaften das Haus verlassen, rückten die +Zurückgebliebenen ihre Stühle näher zusammen und ein frisches Glas Bier +wurde gereicht. + +Das anfängliche Schweigen ward durch Borgert unterbrochen. + +»Haben Sie gesehen, wie diese Stark mit dem Oberst wieder geflüstert +hat? Diese Manieren sollten sie doch zu Hause lassen, denn da scheint +man ja nicht sonderlich penibel zu sein. Denken Sie, neulich stand ich +dabei, wie Stark mit dem Pantoffel nach seiner Gattin warf, welche mich +in einem schmutzigen Morgenrock empfangen hatte.« -- + +»Das ist noch gar nichts,« rief Leimann dazwischen, »als sie kürzlich +in meiner Gegenwart wieder einen Krakehl miteinander hatten, brachte der +Dicke seine Frau einfach mit den Worten: »Halt's Maul!« zum Schweigen.« + +»Es scheint überhaupt dort manchmal nicht ganz friedlich zuzugehen,« +entgegnete der Adjutant. + +»Vorgestern hatte sich Stark im »Weißen Schwan« etwas festgetrunken, und +als er so ziemlich blau war, kam seine Frau, machte ihm eine Szene und +nahm ihn unter dem Gelächter der übrigen Gäste mit nach Hause. Dort +werden sie sich nachher wohl nicht gerade geküßt haben.« + +»Das kommt übrigens öfter vor, sie holt ihn sogar aus dem Kasino zum +Essen und nennt ihn vor den Ordonnanzen einen Lüdrian,« warf ein anderer +ein. + +»Nun ja,« sagte König, »sie paßt eben auf ihren Mann gut auf, denn er +will jetzt Major werden, oder besser gesagt, sie Majorin.« + +»Aber das ist ja ganz ausgeschlossen,« rief Borgert entrüstet, »wenn +dieser unfähige Patron Major wird, dann werde ich General. Es scheint ja +allerdings, als ob der Oberst alles für ihn aufböte!« + +»Dafür hat er seinen Grund!« entgegnete Leimann bedächtig. + +»Wieso?« + +»Kennen Sie denn die Geschichte nicht? Die Spatzen pfeifen sie schon von +den Dächern.« + +»Nein, erzählen Sie, das ist ja rasend interessant!« Dabei rieb sich +Borgert vergnügt die Hände und rückte etwas näher zu seinem Freunde +heran. + +»Voriges Jahr hatte der Oberst bekanntlich durch eine seiner berühmten +Taktlosigkeiten einen Herrn vom Civil beleidigt. Dieser schickte ihm +eine Forderung. Da wurde es dem guten Oberst doch etwas flau zu Mute, +denn mit dem Munde ist er stets voran, hat er aber etwas zu riskieren, +dann sitzt ihm das Herz in der Hose. Da ging seine Freundin, diese +Stark, zu jenem Herrn hin und sagte, sie sei an der ihm zugefügten +Kränkung schuld, indem sie eine unwahre Behauptung ausgesprochen habe. +Sie hat dem Oberst also das Leben gerettet, denn der andere ist als +unfehlbarer Schütze bekannt wie ein bunter Hund. Darum hat sie ihn jetzt +ganz in der Tasche, und wenn sie ihm etwas befiehlt, gehorcht er wie ein +Stubenhund. Was dabei herauskommt, sehen Sie ja alle Tage.« + +»Aber das ist ja großartig,« rief triumphierend Borgert, »wissen Sie +noch so Geschichtchen? Es ist überhaupt längst Zeit, daß man diese +beiden aufgeblasenen Personen abhalftert. Er hat Manieren wie ein +Bursche und sie wie eine Waschfrau, ich werde einmal herumhorchen und +Material sammeln. Es ist eine Schande, daß man sich dieses Weib gefallen +lassen muß.« + +»Sie soll ja früher auch sonderbare Beziehungen zu einem adligen Herrn +gehabt haben, man munkelt so etwas!« + +»Von wem wissen Sie denn das wieder?« + +»Mein Bursche hat es mir neulich erzählt, der ist aus ihrer Heimat.« + +»Was Sie nicht sagen, da muß ich doch einmal gründlich nachforschen, +denn das Geld für ein Auskunftsbureau ist sie ja doch nicht wert, +diese.... Nun, ich kann das Wort nicht aussprechen, das mir auf der +Zunge schwebt.« + +»Dann wundert es mich aber, daß sie überall so großartig auftritt, wenn +sie so viel auf dem Kerbholz hat.« + +»Das ist eben ihre Manier!« entgegnete Müller wichtig. + +»Dieselbe Sache wie mit dem Wagen. Den geschmacklosen Karren hat sie +irgendwo aufgetrieben, setzt den Burschen im Cylinder und gelben +Stiefeln hinten drauf, spannt zwei Schwadronsgäule ein und fährt den +Leuten etwas vor. Dabei biegen sich die Axen, wenn die dicke Person +darin sitzt. Daß sie täglich auch ein Dienstpferd reitet, dagegen sagt +der Oberst nichts, obwohl in den Vorschriften beides streng verboten +ist. Frißt ein anderer aber nur eine Kleinigkeit aus, so steckt er ihn +drei Tage ein und kommt sich höllisch schneidig vor.« + +»Der Oberst ist eben ein ganz pflaumenweicher Bruder, dabei schnurrt er +wie gedruckt. Einem mir bekannten Herrn hat er erzählt, wie +ausgezeichnet er mit dem Civil stände, und wie sein Tennisplatz belagert +sei. Er spielt aber doch meist allein, wer sich vor diesen Leuten +drücken kann, tut es doch sicher.« + +»Ich wette, daß er vor der nächsten Versammlung des Tennisklubs eine +dienstliche Besprechung ansetzt, dann hat er uns alle in der Falle.« + + * * * * * + +Während dieser Unterhaltung hatte Frau Leimann mit leuchtenden Augen dem +Oberleutnant Borgert zugehört, wie er in seiner gewandten Weise über den +Oberst und Stark's zu Felde zog, der Rittmeister sog nachdenklich an +seiner Cigarre und unterdrückte ein Gähnen, während seine Gattin in +Gedanken versunken mit einer Quaste der Tischdecke spielte. + +»Warum so ernst, meine Gnädige?« redete Borgert sie an. + +»Ich dachte gerade darüber nach, wie Sie später über uns reden würden, +wenn uns einmal irgend etwas auseinanderbringt!« erwiderte sie +lächelnd. + +»Aber ich bitte Sie, gnädige Frau, Sie scheinen an meiner guten +Erziehung zu zweifeln, trauen Sie mir so etwas zu? Und überhaupt, wie +könnte........« + +Er brach seine Rede ab, denn Frau Kahle hatte sich erhoben, um Abschied +zu nehmen, mit ihr Leutnant Pommer, welchen sie um Begleitung bat, denn +ihr Gatte befand sich auf einer Dienstreise. + +Der Kreis war somit wieder etwas kleiner geworden, und als man von neuem +um den Tisch Platz genommen hatte, bemerkte Borgert: + +»Dieser Kahle mit dem Schusterjungengesicht könnten wir eigentlich +einmal ein neues Kleid schenken, außer der verwaschenen Fahne, die sie +immer trägt, scheint sie nichts zum Anziehen zu haben.« + +»Sie sollten sie erst einmal im Hause sehen,« entgegnete wegwerfend +Müller, »da sieht sie aus wie ein malproperes Dienstmädchen; das +schmutzige Hauskleid einmal zu flicken, scheint sie auch keine Zeit zu +haben, ihr Junge läuft ebenfalls immer herum wie so ein Gassenbube aus +der Unterstadt. Außerdem kann der Bengel schon lügen, daß es eine Lust +ist.« + +»Das hat er von seiner Mutter!« lachte Borgert, als ihn ein +vorwurfsvoller, kalter Blick aus Frau Königs Augen traf und zum +Schweigen brachte. So ward die Unterhaltung allmählich eintöniger. Der +Rittmeister gähnte schon etwas deutlicher, und Leimann war ganz in +seinem Sessel zurückgesunken und hielt nur noch mühsam die Augen auf, +während seine Gattin eine äußerst gelangweilte Miene zeigte, wodurch +ihre Züge alle Anmut und Schönheit verloren und alt, ja abgelebt +erschienen. Müller verdaute noch immer, und so schien es an der Zeit, +sich zum Aufbruch zu rüsten. + +Unter lebhaften Versicherungen, wie reizend der Abend gewesen, trennte +man sich, und der Rittmeister geleitete seine Gäste die Treppe hinab, um +dann den Riegel an der Haustür vorzuschieben. + +Als er wieder im Wohnzimmer stand, sagte er, die Gasflammen ausdrehend, +zu Frau Clara: »Ein interessanter Abend! Vor diesen beiden Herren heißt +es sich in Acht nehmen!« + + + + +[Illustration] + + +Zweites Kapitel. + + +»Unteroffizier Meyer! Lassen Sie gefälligst den Mist aus dem Stalle +schaffen, das ist ja eine schamlose Schweinerei! Was? die Stallwache ist +nicht da? Dann machen Sie es selbst, es fällt Ihnen keine Perle aus der +Krone. Vorwärts, dann bringen Sie mir das Parolebuch!« + +»Zu Befehl, gnädige Frau.« + +Frau Rittmeister Stark schritt, von zwei großen struppigen Hunden +begleitet, mit langen Schritten im Stalle auf und ab. Sie trug ein +schmutziggraues, schlechtsitzendes Reitkleid und einen runden Hut. In +der Rechten hielt sie eine Reitgerte, welche sie manchmal sausend durch +die Luft fahren ließ, daß sich die Hunde ängstlich hinter ihr +verkrochen. Mit scharfem Blick musterte sie alles, die Streu, die +Namentafeln über den Ständen der Pferde, und studierte eifrig das +schwarze Brett, auf dem mit Kreide der Tagesdienst geschrieben stand. +Hinter zwei Pferden, den einzigen beim Ausrücken zurückgebliebenen, +machte sie Halt und schaute mit zornigen Augen auf das zottige, +schlecht geputzte Fell der mageren Tiere, deren Kruppen mit den +Hüftknochen ein gradliniges Dreieck bildeten. Dann hob sie dem einen +Wallach den Hinterfuß und besah den Huf, holte ein Notizbuch aus der +Rocktasche und notierte: »Remus Nr. 37 fauler Strahl, vorn links neues +Eisen.« Darauf schritt sie die Treppe zum Heuboden hinauf. Dort lagen +zwei Mann der Stallwache in süßem Schlummer, ohne das Eintreten der +Schwadronsmutter zu bemerken. Wütend fuhr sie die erschrockenen Schläfer +an: + +»Faules Pack, schert Euch an die Arbeit, sonst mache ich Euch lebendig, +ihr trägen Lümmels ihr!« + +Und sie stürzten an die Futtermaschine, als stände der leibhaftige +Teufel hinter ihnen. Dann stieg sie die Treppe hinab und ging +Unteroffizier Meyer entgegen, welcher atemlos mit dem Parolebuche ankam. +Er schlug die Sporen klirrend zusammen und hielt der Gestrengen das Buch +vor. + +»Halten Sie es gefälligst, während ich lese, oder meinen Sie, ich wollte +mir die Finger an dem schmutzigen Umschlag fettig machen? Hier steht, +daß morgen Revision des Sattelzeuges ist. Haben Sie alles in Ordnung?« + +»Ich will den Herrn Wachtmeister fragen.« + +»Vorwärts holen Sie ihn, aber Galopp!« + +Der Wachtmeister war nicht sehr entzückt, daß man ihn in seiner Ruhe +störte, denn die Zeit, während welcher sich die Schwadron auf dem +Exerzierplatz befand, war für ihn die angenehmste des Tages. So saß er +denn bei einer Tasse Kaffee seiner Ehehälfte gegenüber und rauchte +behaglich die Morgenzigarre, als Meyer den Wunsch der »Gnädigen« +überbrachte. + +Zornig stampfte er auf und brummte: + +»Was fällt nur diesem Frauenzimmer ein, sie tut gerade, als hätte sie +etwas zu sagen! Es ist ein Skandal, daß man sich das gefallen lassen +muß, aber tut man es nicht, gibt es Stank mit dem Oberst, der tanzt ja +ganz nach ihrer Pfeife.« + +Mißmutig schnallte er den Säbel um, stülpte die Mütze auf den kahlen +Kopf und ging schimpfend die Treppe hinab. Langsam schlenderte er über +den Kasernenhof dem Stalle zu und trat vor Frau Stark mit einem Gesicht, +das sagen zu wollen schien: »Du kannst mir den Buckel herunterrutschen!« + +Sofort fuhr sie ihn an: + +»Wachtmeister, ist alles für morgen in Ordnung?« + +»Ich denke, will aber heute Abend nochmals nachsehen.« + +»Was, heute Abend? Sofort geschieht es, die Bummelei hat jetzt ein Ende. +Außerdem verbitte ich mir Ihren brummigen Ton, sonst werde ich Sie dem +Oberst melden. Bringen Sie mir jetzt mein Pferd.« + +»Das ist zum Fouragieren, alle Pferde sind mit ausgerückt, bis auf die +beiden Lahmen dort!« + +»Was? Mein Pferd zum Fouragieren? Was ist das für eine neue Frechheit! +Lassen Sie es sofort holen, der Unteroffizier kann zu Fuß gehen.« + +Da wandte sie sich um, als sie Schritte vernahm, und, den Oberleutnant +Borgert erblickend, rief sie ihm in schmelzendem Tone zu: + +»Ah, sehe ich recht, mein lieber Oberleutnant Borgert, nicht wahr? Schon +so früh im Dienst? Ich wollte gerade den Pferden meines Gatten etwas +Zucker bringen, sehe aber, sie sind nicht da, mein lieber Mann rückt +immer so entsetzlich früh aus.« + +»Ihr Interesse für die Schwadron muß ich loben, gnädigste Frau, habe Sie +schon so oft bewundert, wenn Sie im Stalle Befehle erteilten.« + +»Befehle? Ich richte nur dann und wann kleine Bestellungen an den +Wachtmeister aus, wenn mein Mann etwas vergessen hat. Man muß sich doch +auch etwas um die Schwadron kümmern.« + +»Sie sind zwar die »Gefreite« Ihres Gatten, aber ich sehe, Sie führen +das Regiment. Meinen Glückwunsch zu diesem Avancement!« + +»O Sie kleiner Schäcker! Sie machen immer zu niedliche Scherze! Ich sehe +Sie doch heute Abend im Kasino?« + +»Gewiß, gnädige Frau, wir haben bereits um 5 Uhr eine dienstliche +Besprechung.« + +»Ach richtig, das hätte ich fast vergessen. Sie wird nicht lange dauern, +es gibt nur einige Kleinigkeiten.« + +»Sie wissen.....« + +»Aber gewiß, man interessiert sich doch auch ein wenig. Ich habe den +Oberst auf Verschiedenes aufmerksam gemacht, das wird er wohl besprechen +wollen.« + +»Ich bin neugierig darauf! Doch da sehe ich gerade den Rittmeister +König, mit welchem ich etwas zu erledigen habe. Guten Morgen, meine +Gnädigste!« + +»Adiö, mein Lieber, auf Wiedersehen!« Dabei hielt sie ihm die Hand vor +den Mund, welche in einem schmutzigen Reithandschuh ihres Gatten +steckte. + +Während Frau Stark sich wieder dem Wachtmeister zuwandte, eilte Borgert +dem Rittmeister König nach, der gerade in den Hof der dritten Schwadron +einbog. + +»Guten Morgen, Herr Rittmeister! Ich bitte sehr um Verzeihung, wenn ich +störe, aber eine dringende Angelegenheit veranlaßt mich, eine Bitte +vorzutragen.« + +»Nanu, was gibt es denn,« fragte erstaunt der Rittmeister, »ist es denn +etwas so Wichtiges?« + +»Heute Nachmittag wird der Oberst wohl wegen der Kasinorechnungen +sprechen, und da wäre es mir vor den jüngeren Herrn außerordentlich +peinlich, wenn er dabei meinen Namen nennen würde.« + +»Aber ich kann Ihnen das Geld jetzt nicht geben, es war mir schon +schwer, vor 8 Tagen die 100 Mark für Sie aufzutreiben.« + +»Wenn ich trotzdem meine Bitte wiederhole, Herr Rittmeister, so tue ich +es, weil ich mich in einer außerordentlich peinlichen Lage befinde. Habe +ich nicht bis zum Abend 400 Mark, so erwachsen mir die größten +Unannehmlichkeiten und unabsehbare Folgen.« + +»Das ist ja alles ganz gut und schön, aber ich habe das Geld einfach +nicht!« entgegnete König achselzuckend. + +Einen Augenblick sahen beide schweigend vor sich hin, dann brachte +Borgert zögernd hervor: + +»Wenn ich mir einen Vorschlag erlauben dürfte, Herr Rittmeister?« + +»Nun, und der wäre?« + +»Ich bitte aber das, was ich sage, nicht falsch zu verstehen! Könnte man +nicht einstweilen die Schwadronskasse in Anspruch nehmen, da es sich nur +um kurze Zeit handelt?« + +»Aber um Gotteswillen, mein Lieber, was muten Sie mir zu! Ich kann doch +keine Kasse angreifen!« + +»Ich fände darin insofern kein Vergehen, da Herr Rittmeister doch allein +für die Kasse verantwortlich sind und ein Eingriff in die Kasse nicht +vorliegt, sondern nur das Entnehmen eines Betrages, der sofort wieder +ersetzt werden kann!« + +»Nein, nein, das geht beim besten Willen nicht!« + +»Aber ich bin völlig ratlos, Herr Rittmeister, was ich machen soll,« +entgegnete Borgert in wehleidigem Tone. + +König überlegte und drehte sinnend seinen Schnurrbart. Eigentlich wäre +es schlau gewesen, sich diesen Mann, der mit seiner spitzen Zunge und +seinem Einfluß auf das gesamte jüngere Offizierkorps unter Umständen +einem sehr schaden konnte, wenn man einmal nicht mehr mit ihm stand, +möglichst zu verpflichten. Die lumpigen 400 Mark lagen ja zu Hause im +Schreibtisch, die hätte er ihm also ruhig geben können. Glaubte aber +Borgert, das Geld entstamme der Schwadronskasse, so stand zu erwarten, +er würde so bald nicht mit einem ähnlichen Anliegen kommen, wenn er die +Schwierigkeiten sah und die unsauberen Wege, die man einschlagen mußte. +So beschloß denn König, ihm das Geld aus eigener Tasche zu leihen, ihn +jedoch in dem Glauben zu belassen, der Betrag sei der Kasse entnommen. + +»Gut,« sagte er nach einer Weile, »Sie sollen das Geld haben! Wann +können Sie es bestimmt zurückbezahlen?« + +»In zehn Tagen ist alles glatt, Herr Rittmeister! Mein Wort darauf!« + +»Schön, heute Mittag können Sie auf's Bureau kommen!« + +»Meinen gehorsamsten Dank, Herr Rittmeister!« + +»Bitte, bitte, hoffentlich war es das letzte Mal! Jetzt muß ich aber +fort, die Schwadron ist schon lange draußen!« + +Dabei reichte er Borgert die Hand, bestieg sein Pferd und ritt im Trabe +zum Kasernenhof hinaus. + +Borgert eilte erleichtert und freudigen Herzens seiner Wohnung zu, der +Dienst begann heute erst um 10 Uhr. Er hätte den Mann umarmen mögen, er +war doch ein furchtbar anständiger Kerl und half einem immer aus der +Klemme! Zehn Tage hieß eine lange Zeit, da würde schon irgend jemand Rat +schaffen! + +Leimann wartete indes unruhig in Borgerts Zimmer, und als dieser jetzt +freudestrahlend eintrat, wichen die Falten von seiner Stirn. + +»Hat er es getan?« rief er dem Freunde entgegen. + +»Natürlich, ohne Weiteres! Gehen Sie um elf Uhr auch zu ihm, Sie haben +ja nur zweihundert Mark Rest von Ihrer letzten Gesellschaft her, er tut +es glatt; was dem einen recht ist, ist dem anderen billig.« + +Und als am Mittag die beiden Freunde im Kasino bei einer Flasche Eckel +saßen, sah man an Leimann's ausgelassener Heiterkeit, daß auch er keine +Fehlbitte getan. -- + + * * * * * + +Pünktlich um fünf Uhr standen sämtliche Herren des Offizierkorps mit +Säbel und Mütze im Lesezimmer des Kasinos, als der Oberst mit +Dienstmiene eintrat und von den Schwadronschefs die Meldung +entgegennahm, daß »Alles zur Stelle« sei. + +»Meine Herren,« begann der Gestrenge, »ich habe Sie hierherbefohlen, um +Einiges mit Ihnen zu besprechen. Ad 1. Ich möchte Sie ersuchen, bei +Bällen und ähnlichen Gelegenheiten Tanzsporen zu tragen, damit +unangenehme Zwischenfälle, wie vorgestern Abend, vermieden werden. Ein +Herr, den ich nicht nennen will«, -- dabei fixierte er scharf den +Leutnant von Meckelburg -- »hat nämlich mit seinen Sporen der Gattin des +Herrn Rittmeisters Stark den ganzen Saum vom Kleide gerissen. Das darf +nicht vorkommen, meine Herren, und ich werde künftig in ähnlichen Fällen +Bestrafung eintreten lassen. Ferner ist es unter wohlerzogenen Menschen +üblich, einer Dame nicht zuerst die Hand zu reichen. Tut es die Dame +aber, dann erfordert wohl der gute Ton den in unseren Kreisen üblichen +Handkuß. Daß einige von Ihnen, meine Herren, in diesem Punkt noch der +Erziehung und Nachhülfe bedürfen, beweisen mir die diesbezüglichen +Klagen einer Dame des Regiments.« Das bezog sich darauf, daß Leutnant +Bleibtreu es kürzlich vorzog, Frau Stark gegenüber diese Höflichkeit zu +unterlassen, da sie Handschuhe aus Hundeleder trug, welche noch dazu vom +Regen durchnäßt waren. + +Eine Träne zu Boden schleudernd, fuhr er fort: + +»Ferner, meine Herren, verbiete ich Ihnen, eine andere Stadt ohne Urlaub +aufzusuchen. Wer hinüber nach dem Nachbarort will, hat mich um Urlaub zu +befragen, wenn der Weg auch nur ein paar Minuten weit ist. Sie wissen +alle, daß zwei Herren des Regiments unter betrübenden Umständen ihren +Abschied nehmen mußten, weil sie dort das Pflaster nicht vertragen +konnten und Schulden in kaum glaubhafter Höhe gemacht haben.« + +»Gestatten Herr Oberst eine Frage?« unterbrach ihn Rittmeister König. + +»Bitte schön, Herr Rittmeister!« + +»Gilt diese Bestimmung auch für die verheirateten Herren zum Besuch von +Gesellschaften, Theater, Konzerten u. s. w.?« + +»Natürlich, ich will über jeden von Ihnen genaue Kontrolle haben, wie +oft er die Garnison verläßt. Zuwiderhandlungen werde ich unnachsichtlich +nach dem Strafgesetzbuch bestrafen und zwar nicht als Übertretung, +sondern als Nichtbefolgung eines gegebenen Befehls.« + +Es entstand eine Pause, während welcher der Oberst sein Taschentuch +herausholte und damit das linke Auge wischte. + +Als er sich dann im Kreise umsah, um die Wirkung seiner Worte zu prüfen, +glaubte er in aller Gesicht Erstaunen und Empörung zu lesen. + +Soweit war man nun also! Weil zwei leichtsinnige Vögel nicht Maß halten +konnten, wurde das ganze Offizierkorps in diesem elenden Neste +eingesperrt; die einzige Abwechslung, ein Konzert oder ein gutes Glas +Bier, gehörte nun auch wie so vieles unter die Rubrik der frommen +Wünsche. Denn wer hatte Lust, sich jeden Tropfen nachrechnen zu lassen, +den er da drüben trank? Lieber ging man gar nicht hin. Fragte eine Dame +des Regiments ihren Gatten, ob er nicht Lust habe, sie am Abend bei den +Besorgungen in der Nachbarstadt zu begleiten, weil dort alles besser und +billiger sei, so hieß es: Nein, ich darf nicht, ich muß erst fragen, wie +ein Schuljunge seinen Lehrer, ob er einmal hinaus dürfe: Dafür bin ich +Rittmeister und 15 Jahre im Dienst! + +So hatte denn der Oberst seiner Leistungsfähigkeit als Kommandeur und +seinem Schneid ein neues Denkmal gesetzt, es fehlte jetzt nur noch, daß +man um Erlaubnis bitten mußte, ein Glas Bier in der eigenen Garnison +trinken zu dürfen. Aber das kam vielleicht noch später! -- Daß der +Oberst besonders den jüngeren Herren eine Gelegenheit gab, gegen einen +Befehl zu handeln, wenn diese nach dem Dienst Vergnügungen nachgehen +wollten, die sie in der Garnison nicht fanden, bedachte er nicht, er +hatte ein neues Förderungsmittel der Disziplin und des militärischen +Gehorsams in die Welt gesetzt. -- + +»Nunmehr, meine Herren,« fuhr der Oberst fort, »wollen wir zur Wahl des +Kasinovorstandes schreiten, denn das laufende Jahr ist um. Sie, Herr +Rittmeister Kahle, haben im vergangenen Jahre den Posten inne gehabt, +und es freut mich, Ihnen sagen zu können, daß die Art und Weise, wie Sie +Ihres Amtes gewaltet haben, meinen vollsten Beifall gefunden hat. Wir +alle, meine Herren, sind dem Herrn Rittmeister zu großem Danke +verpflichtet, denn er hat unter Aufopferung des größten Teiles seiner +Mußestunden alles daran gesetzt, das Kasino in die Höhe zu bringen, hat +unser Vermögen vergrößert und zahlreiche sehr wohl bedachte Änderungen +und Einrichtungen getroffen. Ich meine daher, wir können nichts +Besseres tun, als Herrn Rittmeister Kahle zu bitten, das Amt zu +behalten, denn es ist in unserem eigensten Interesse. Sollte aber jemand +andere Vorschläge haben, dann wollen wir die Abstimmung durch Zettel +vornehmen.« + +Ein Beifallsgemurmel, wie es der Oberst nach seinen Worten noch nie +vernommen, ging durch die Reihen, und so war denn Kahle für das weitere +Geschäftsjahr als Kasinodirektor gewählt. + +»Ich sehe davon ab,« setzte der Oberst noch hinzu, »die Bücher zu +revidieren, denn ich bin sicher, daß ich alles in bester Ordnung finden +würde. Aber noch eins, meine Herren! Es ist durchaus unstatthaft, daß +die Herren Kasinorechnungen anwachsen lassen, wie es wieder der Fall +ist. Die beiden Kontos mit den höchsten Beträgen sind allerdings heute +bezahlt worden, aber ich werde rücksichtslos vorgehen, wenn nicht zum +Ersten nächsten Monats alle Reste gedeckt sind. Richten Sie sich danach! +Ich danke, meine Herren!« + +Also schnell, Ihr Leutnants, hieß es nun, lauft zu einem Juden oder +Wucherer und pumpt Euch Geld, denn Ihr habt alle ein paar Hundert Mark +stehen, eine ratenweise Zahlung von Eurer Zulage gestattet man Euch +nicht, sonst bekommt Ihr einen Klecks in die Konduite und das hängt Euch +nach, bis Ihr alte Esel seid. Aus dem Nest hinaus dürft Ihr nun auch +nicht mehr, laßt es Euch aber bei Leibe nicht einfallen, jetzt öfter im +Kasino zu sitzen, dann bekommt Ihr höhere Rechnungen und werdet doch +noch eingesperrt! + +Inzwischen versammelten sich im Lesezimmer die Damen des Regiments und +zwei Herrn vom Civil, denn jetzt kam der Hauptteil des Abends, die +Vorstandswahl für den Tennisklub und die Verabredung der regelmäßigen +Spieltage im Kasinogarten. + +Frau König war als einzige nicht erschienen, ihr Gatte hatte sie unter +einem Vorwand entschuldigt, denn jede Gelegenheit, wo sie mit den Damen +des Regiments zusammen kommen konnte, mied sie nach Möglichkeit. Sie +fühlte sich nicht heimisch unter ihnen; die inhaltlose, oft schrecklich +langweilige Unterhaltung, welche sich meist um höchst gleichgültige +Dinge drehte, war ihr ein Greuel, sie paßte auch gar nicht hinein in +diese Gesellschaft und war nicht danach geartet, an einem nur auf +Äußerlichkeiten und strengen Formen beruhenden Verkehr Gefallen zu +finden. Ganz besonders aber war es ihr zuwider, wenn sie sah, wie man +eben noch in der liebenswürdigsten Weise mit einander umging, um eine +Minute später, wenn irgend einer sich empfohlen hatte, über ihn +herzuziehen und kein gutes Haar an ihm zu lassen. Wenn sie nicht offen +über alles urteilen und reden durfte -- und das hätte ihr übel bekommen +mögen -- ließ sie es lieber ganz und blieb in ihren vier Pfählen. + +Die Verhandlungen im Lesezimmer dauerten lange, jede der Damen hatte +einen besonderen Wunsch, auch bedurfte es einer ausführlichen +Ermunterungsrede seitens des neugewählten Vorstandes, mehrere noch +zögernde Herren zum Beitritt zu bewegen. Daß die meisten von ihnen +niemals zum Spiel erscheinen würden, war ja vorauszusehen -- jetzt erst +recht mochte keiner dem Oberst einen Gefallen tun -- aber man hatte doch +etwas mehr an Eintrittsgeldern. + +Endlich öffneten sich die Flügeltüren zum Speisesaal, wo jetzt ein +einfaches Abendessen eingenommen werden sollte. Die kreischende Stimme +der Frau Oberst übertönte die Unterhaltung, in den Ecken standen +einzelne Gruppen jüngerer und älterer Herren, die neuesten Bestimmungen +seitens des Obersten einer scharfen Kritik unterziehend. + +Die Rittmeister König und Hagemann scherzten in etwas derber Weise mit +Frau Stark herum, Leutnant Pommer aber wich nicht von Frau Kahles Seite. + +Nachdem die Tafel aufgehoben war, hatten die meisten Herren den +lebhaften Wunsch, endlich diesem langweiligen Zusammensein, zu welchem +man sie unter der Maske einer dienstlichen Besprechung herbeigenötigt +hatte, entschlüpfen zu können. Da rief Frau Stark in den Saal hinein: + +»Wie wäre es, Herr Oberst, wenn wir die Gelegenheit benutzten und ein +kleines Tänzchen arrangierten? Es hat doch wohl niemand von den +Herrschaften etwas vor? Ich fände es reizend, entzückend!« + +Der Oberst besann sich einen Augenblick, dann erklärte er sich sofort +mit Freuden bereit, denn ein Wunsch der Frau Stark hieß ein Befehl. + +Die Herren waren wütend. So ein Blödsinn, bei der Hitze zu tanzen, es +war doch viel vernünftiger, auf der Veranda in Ruhe ein Glas Bier zu +trinken! Leutnant Specht aber ärgerte sich besonders, denn er wollte um +zehn Uhr sein Verhältnis an der Bahn abholen. Er machte seinem Unmut +Lust, indem er sich an Borgert wandte: + +»Die alte Schraube ist verrückt mit ihrer Tanzerei, wir wollen sie aber +heute bewegen, bis ihr der Schaum auf dem Buckel steht!« + +Während der Saal ausgeräumt und zum Tanzen hergerichtet wurde, unternahm +man eine kleine Promenade im Garten. + +Der Halbmond leuchtete schwach vom Horizont herüber und ließ die Türme +und Häuser der Stadt als nebelhafte Silhouetten erscheinen. In dem +jungen Grün der Büsche klagte eine Nachtigall ihr Lied in die milde Luft +hinein, während vom Saal her das Stimmen der Geigen dazwischen klang. +Aus der Stadt tönten einige vom Winde oft jäh unterbrochene Akkorde +einer Karoussellorgel durch den stillen Abend, dessen wohlige Ruhe ganz +danach angetan war, den Menschen elegisch, träumerisch zu stimmen. + +Oberleutnant Borgert gab indes einer Anzahl jüngerer Herren eine +Gratisvorstellung auf dem Tennisplatz, indem er treffend Frau Stark +nachahmte, wie sie die Bälle schlug und aufhob, und die Herren hielten +sich den Bauch vor Lachen, so vorzüglich verstand der Oberleutnant seine +improvisierte Rolle. Er beschloß erst sein Spiel, als er ganz drüben am +Gartenrand ein weißes Kleid durch das Blattgrün schimmern sah. + +Wer war das? So allein? Er mußte hinschleichen und die Ohren spitzen, +vielleicht gab es da wieder etwas Interessantes. + +Vorsichtig und geräuschlos huschte er über den Rasenteppich und +versteckte sich hinter einem Fliederbusch. Wenige Schritte vor ihm stand +Leutnant Pommer, welcher seinen Arm um Frau Kahles Taille gelegt hatte +und eifrig leise auf sie einsprach. Schade, daß sie so flüsterten, aber +verstehen konnte man doch manchmal einen Satz. + +»Was macht es denn, Grete! Wenn er dich so behandelt, hast du ein Recht, +dich schadlos zu halten. Er ist außerdem viel zu taperig, etwas zu +merken! Und wenn du wüßtest, wie lieb, wie unendlich lieb ich dich +habe!« + +»Wenn du mich wirklich lieb hast, dann will ich nicht nein sagen, ich +möchte so gern einmal wieder glücklich sein!« + +Da umschlang der dicke Leutnant das kleine Persönchen mit seinen +ungelenken Armen und küßte sie stürmisch auf Mund und Augen. Sie aber +entwand sich ihm und huschte wie ein Reh über den Rasen dem Kasino zu, +aus dessen weit geöffneten Fenstern jetzt der Walzer »Über den Wellen« +in die Mainacht hinausklang. Pommer schlich auf der anderen Seite herum +dem Hauptportal zu, auf daß man nichts merken sollte. Dann verließ auch +Borgert sehr befriedigt seinen ehrenhaften Posten. + +Im Saal ging es flott her. Am meisten tanzte Frau Stark, sie flog von +einem Arm in den anderen und schwitzte dabei wie ein Soldat im +Laufschritt. Besonders Leutnant von Meckelburg wurde immer wieder als +Opfer vorgedrängt, er tanzte aber entsetzlich schlecht und konnte nicht +in Takt kommen. Wenn die dicke Dame den kleinen Baron mit ihren prallen +Armen gegen den gewaltigen Busen drückte, verschwand er fast ganz in den +Falten des schwarz und gelben Kleides. + +Schließlich konnte sie nicht mehr und ließ sich pustend in einen Sessel +fallen, dabei fuhr sie mit dem Rücken der Hand über die Stirn, auf +welcher erbsengroße Schweißperlen leuchteten. -- + +Leutnant Specht vergnügte sich auf seine Weise und tanzte mit +vorgedrückten Knien, wie man es in den Amorsälen sieht. + +Borgert stand in einer Ecke halb über Frau Leimann gebeugt, welche +ermüdet auf einem Stuhle saß und sich Kühlung mit dem Taschentuch +fächelte. Der Blick des Oberleutnants ruhte auf der Stelle, wo das Weiß +des zarten Busens durch die Stickerei des Halsausschnittes leuchtete, +und er sog mit gierigem Behagen den Duft ein, welcher dem jugendlich +schönen Körper entströmte. + +Im Lesezimmer füllten Ordonnanzen die schon oft geleerten Gläser mit +kühler Maibowle, während eine Anzahl Herren um den runden Tisch herum +saßen, einen Pfennigskat spielend. + +Leutnant Specht benutzte den nächsten Walzer, sich französisch zu +empfehlen, es war die höchste Zeit zum Zuge, und, da es zu spät zum +Umziehen war, holte er seine Dame in Uniform ab. Sie trug drei kleine +Packete mit Eßwaren, welche sie aus ihrer Tasche zur Führung des +Haushaltes gekauft hatte. + +In der Sophaecke saß gedankenvoll der Leutnant Bleibtreu. Er rauchte +bedächtig seine Cigarre und hörte nur mit halbem Ohre den witzelnden +Reden der Skatspieler zu. Er war nicht besonders guter Laune, denn es +tat ihm leid, daß Frau König, die einzige Dame, mit welcher er sich gut +unterhielt, nicht anwesend war; dann schweiften seine Gedanken nach der +Heimat, wo jetzt die Wälder in ihrer jungfräulichen Sommerpracht standen +und wo er so manche schöne Stunde verbracht hatte in den Armen der Natur +und mit Menschen, die ihn liebten. + +Wie ganz anders schien es doch hier! Lauter Menschen, denen man +innerlich nie recht nahe kam, deren Interesse meist nur äußerlichen +Dingen und Vergnügungen oft zweifelhafter Art gewidmet war. Zwar hatte +man hier den Dienst, den man liebte, aber er genügte nicht, um einen +Menschen zu befriedigen, dessen Lebensbedürfnisse nicht so eng begrenzt +waren, wie die der meisten Kameraden. Nun sollte man noch jahrelang in +dieser Umgebung leben, dazu fern von allem, was eine Abwechslung bot in +dem ewigen Einerlei des Dienstes, unter Menschen, mit denen man im +Verkehr nie über die Äußerlichkeiten des guten Tons hinauskam und die +stets auf der Lauer lagen, wo sie aus den Schwächen ihres Nächsten +Kapital zu schlagen vermochten. + +Und das war Kameradschaft, die im deutschen Heere so viel gepriesene +Kameradschaft! + +Ein Zusammenleben unter gleichen Lebensbedingungen, der Zwang, mit +einander leben und auskommen zu müssen, sich gegenseitig mit äußeren +guten Formen bedienen und gemeinsam beim Dienst, im Kasino und zu allen +möglichen Veranstaltungen zu erscheinen, das war es, was man unter +Kameradschaft verstand. + +Wo aber blieb das innerliche Sichanschließen, das gegenseitig +Ineinanderaufgehen und das Bestreben des einzelnen, seinem Nächsten nur +helfend und fördernd, nie aber mißgünstig und übelwollend zu begegnen? +In diesem Punkte sank das schöne deutsche Wort zu einer leeren Phrase +herab! + +Gewiß gab es Fälle, wo Angehörige eines Offizierkorps sich auch wirklich +innerlich verbrüderten, wo eine treue, zu jedem Opfer fähige +Freundschaft die Herzen verband, aber zwei solche Kameraden im echten +Sinne des Wortes waren ja so selten, eine so außergewöhnliche +Erscheinung! Ging es einem gut und hatte man nichts verbrochen, so war +man allen gut Freund, d. h. der Verkehr mit den Kameraden bewegte sich +in liebenswürdigen Formen, man prostete sich zu, man scherzte, trank, +vergnügte sich zusammen und erwies sich Gefälligkeiten, welche für den, +der sie leistete, meist kein Risiko, keine Unannehmlichkeit, kein Opfer +bedeuteten. Aber die Kameradschaft als solche fordert weit mehr! +Befindet sich ein Kamerad auf schiefer Bahn, beweist er, daß es ihm hier +und dort noch fehlt und kehrt er Seiten heraus, die anderen peinlich, +unangenehm werden, oder hat er aus Unverstand, Unkenntnis, mangelnder +Erziehung etwas Falsches, Tadelnswertes begangen, so weist man ihn +höchstens, wenn es überhaupt geschieht, in schroffer Form auf seine +Fehler hin, anstatt in liebevoller, freundschaftlicher Weise bemüht zu +sein, die Schwächen seines Nächsten zu heilen, seine Eigenheiten zu +berücksichtigen, seine Fehler mit den eigenen zu vergleichen, ja, man +läßt ihn links liegen und behandelt ihn wie einen Menschen, der wenig +oder gar nichts taugt und eben nicht »hineingehört«; nur dann drückt man +ein Auge zu, wenn von dem Sünder noch ein Vorteil zu erwarten steht oder +wenn er sich durch andere Verdienste und Leistungen besonders beliebt +gemacht hat. + +Wieviel besser war doch ein Civilist daran! Fand er keinen wahren +Freund, so lebte er für sich, ohne gezwungen zu sein, bei allen +Mahlzeiten und sonstigen Gelegenheiten mit Menschen zusammen zu sein, +denen man innerlich fremd blieb. + +Im Dienst ist das eine andere Sache. + +Solche Gedanken beschäftigten Bleibtreu, als Rittmeister König aus dem +Saale kam und sich neben ihm auf dem Sopha niederließ. + +»Das nennt der Mensch nun ein Vergnügen!« brummte er. »Wahrscheinlich +wird man uns noch öfter mit solchen Festen langweilen, um uns zu +ersetzen, daß wir nicht mehr nach der Stadt hinüber dürfen. Meine Frau +wird schöne Augen machen, wenn ich ihr das erzähle!« + +»Ich muß auch sagen, Herr Rittmeister, daß ich die heutige Verordnung +haarsträubend finde,« stimmte Bleibtreu zu. »Hätte es der Oberst den +Leutnants allein verboten, so wäre es hart und dabei noch ungeschickt, +aber den Verheirateten gegenüber ist es eine tolle Bevormundung und eine +beispiellose Rücksichtslosigkeit. Er fährt natürlich, so oft er Lust +hat!« + +»Solche Feste wie heute möchten ja noch angehen, wenn sie im allgemeinen +Einverständnis oder auf vorherige Verabredung hin veranstaltet würden, +aber nein, Madame Stark befiehlt und wir gehorchen! Denn es sollte einer +kommen und sagen, er hätte etwas anderes vor, der Oberst würde ihn +morgen ganz gehörig zurechtstutzen. Sie haben ja wieder ein kleines +Exempel gehabt.« + +»Nicht einmal trinken kann man, was man will,« fuhr der Rittmeister +fort, »der Oberst braut einfach eine Bowle und wir bezahlen. Die kostet +heute doch mindestens sechs Mark pro Mann. Er kann ja gar nicht wissen, +ob ich nicht vielleicht nur für eine Mark trinken will, vielleicht Bier +oder Selterswasser! Hinterher aber stellt er sich hin und raisonniert +über die Kasinoschulden!« + +»Sie haben recht, es wäre manchem dienlicher, wenn er etwas sparsamer +lebte, z. B. diesem Borgert und wie sie alle heißen. Es ist traurig, daß +unter den sämtlichen Herren noch nicht der dritte Teil zu rechnen +versteht,« erwiderte Bleibtreu. + +»Ja ja,« sagte König, »aber das ist einer der Krebsschäden unseres +Standes. Es ist ja kaum glaublich, wie viele Offiziere alljährlich wegen +Schulden um die Ecke gehen. Und wie kommt das? Warum können junge Leute +in anderen Stellungen vernünftiger wirtschaften? Erstens, weil sie nicht +gezwungen sind, mit Leuten zusammen zu leben, die in besseren +Verhältnissen sind. Hat einer kein Geld, dann lebt er nach seinem Gusto +und fühlt sich schließlich ganz wohl dabei. Aber im Kasino sitzt der +Kapitalist neben dem armen Schlucker. Es ist leicht gesagt, die Reichen +im Offizierkorps sollen ihre Lebensweise den Mitteln der ärmeren +Kameraden anpassen. Ich kann aber doch unmöglich verlangen, daß ein +Millionär zum Essen Wasser trinkt und auf eine elegante Wohnung oder +schöne Pferde verzichtet, lediglich, um einen Kameraden mit fünfzig +Mark monatlichem Zuschuß nicht zum Mittun zu verführen! Auf die Dauer +gefällt dem Unbemittelten sein bescheidenes Dasein nicht mehr, wenn er +sieht, wie besser gestellte Kameraden in Saus und Braus dahinleben, und +das Ende: er macht eben mit. Geld braucht er nicht gleich, auf seinen +bunten Kragen hin borgt man ihm, so viel er will. Geht es aber ans +Zahlen, dann ist das Elend groß. Findet sich nicht ein rettender Engel +in Gestalt eines Juden oder dergleichen, so geht er einfach über die +Höhe. Und bei den Versuchen, Geld zu erlangen, kommt es oft zu +unsauberen Machinationen. Vielleicht scharrt der Vater noch seine +letzten Groschen zusammen und gewöhnt sich die Abendcigarre ab, um den +Jungen über Wasser zu halten. Und gelingt es dem jungen Offizier +wirklich, aus der Klemme herauszukommen, so fängt er bald von Neuem an +in dem schönen Vertrauen, daß sich auch das nächste Mal eine offene Hand +finden werde.« + +»Dagegen läßt sich aber doch kaum etwas machen, jeder ist eben für sich +selbst verantwortlich,« entgegnete Bleibtreu. + +»Nichts machen ließe sich da?« rief der Rittmeister. »Ei gewiß. Man +braucht nur ein Gesetz aufzustellen, etwa dahin lautend, daß die +Schulden des Offiziers bis zum Rittmeister ausschließlich nicht +einklagbar sind. Dann werden sich die Kaufleute schon vorsehen und +nicht mehr ins Blaue hinein einem Leutnant von dreiundzwanzig Jahren +borgen, dessen Verhältnisse sie gar nicht kennen. Einem Civilisten, der +vielleicht dreimal so viel Geld hat, wie jener, borgt man nicht für +hundert Mark, wenn man nicht genau weiß, wer und was er ist, wie er +steht usw., aber an den Offizier drängen sich die Geschäftsleute +geradezu heran, weil sie wissen, sie bekommen ihr Geld in den meisten +Fällen, weil es sonst dem Schuldner an den Kragen geht.« + +»Ich meine, es ist überhaupt die ganze Sonderstellung des Offiziers, die +ihn zu einem kostspieligen Leben veranlaßt. Man sollte daher wenig +Bemittelte einfach ausschließen,« versetzte Leutnant Bleibtreu. + +»Das wäre übertrieben, aber energische Schritte sollte man tun gegen +solches Luxustreiben,« fuhr König fort. »Es ist schön und wohlgemeint, +wenn man verordnet: »je mehr Luxus und Wohlleben um sich greifen, umso +mehr soll der Offizier auf eine einfache Lebensweise bedacht sein.« Das +ist ein frommer Wunsch, man wird es aber niemals tun, wenn man bei +anderen Klassen ein gesteigertes Wohlleben bemerkt, denn der Offizier +hält sich rücksichtlich seiner bevorzugten gesellschaftlichen Stellung +für verpflichtet, wie kein anderer, diesen Luxus wenigstens mitzumachen, +wenn nicht gar zu übertreffen. Er hält sich eben für mehr wie andere, +und der Leutnant sieht oft mit Verachtung, mindestens aber mit einem +bedauernden Lächeln auf die herab, die sich durch ihrer Hände Arbeit +oder durch geistiges Schaffen der Welt nützlich machen. Dieser Dünkel +ist der Fluch unseres Standes und geeignet, Volk und Offizierkorps immer +mehr von einander zu entfernen, während das Gegenteil zu wünschen ist, +denn das Volk muß seinen männlichen Nachwuchs dem Offizierkorps zur +Erziehung in die Hände geben. Wenn aber das Vertrauen zu ihm mehr und +mehr schwindet, dann wird auch die Lust am Soldatsein, die damit Hand in +Hand gehende Vaterlandsliebe, allmählich getötet. Man sollte den +Offizier mehr geistig beschäftigen und ihm zeigen, was ihm in Vergleich +zu anderen Ständen fehlt, und welchen Nutzen diese für den Staat +bedeuten. Dann würde er die ihm von niemand streitig gemachten +Prärogative und Privilegien dankbar anerkennen lernen, statt in ihnen +einen Grund zur Selbstüberhebung zu erblicken. + +Und in dieser haben noch andere Mängel ihren Ursprung. Sie ist schuld +daran, daß so viele Offiziere in dem gemeinen Soldaten nicht den +zukünftigen Vaterlandsverteidiger und Kameraden sehen, den sie fördern +sollen, sondern nur den Gegenstand zahlreicher Mühen und reichlichen +Ärgers. -- + +Und damit wird ein neues Übel in die Welt gesetzt. Der junge +zwanzigjährige Mann fühlt mit innerem Mißbehagen diese Entfremdung von +seinem Vorgesetzten. Er verliert allmählich die Lust an seinem bunten +Rock, besonders, wenn die Vorgesetzten noch mit übertriebenen +Anforderungen an ihn herantreten oder Ungerechtigkeit in der Behandlung +walten lassen. Solange der Soldat unter dem Druck des Militarismus +steht, wird er sich schwer hüten, seinen Ansichten Ausdruck zu +verleihen, ist er aber der militärischen Fesseln los und ledig, wird +sich meist sein vielleicht vorhandener Hang zum Sozialismus umso +kräftiger entfalten, nach den Erfahrungen, die er in seiner Dienstzeit +gemacht. Und das ist schlimm, wenn ein Hauptmittel zur Bekämpfung des in +riesigem Wachsen begriffenen Sozialismus, nämlich die Dienstzeit der +noch einer Beeinflußung und Belehrung zugänglichen jungen Leute, in ein +Förderungsmittel umschlägt, und das tut es, solange man aus dem +Offizierkorps heraus derartige Vorbilder als militärische Erzieher +wirken läßt.« + +»Sollten das alles nicht nur vorübergehende Erscheinungen sein, an denen +der Offizierstand krankt?« warf Bleibtreu ein. + +»Nein, das ist gerade das Traurige, es sind fest eingewurzelte +Krebsschäden. Aber selbst diese könnten eingedämmt oder ganz und gar +vernichtet werden, wenn man sich mit allem Ernst der Sache annehmen +wollte, statt sich in dem Dünkel zu wiegen, daß ein deutsches +Offizierkorps oben an stehe und keiner Reform bedürfe. Noch ist es Zeit +zu retten, denn jene Mißstände haben noch keine Form angenommen, die +eine Unterdrückung unmöglich macht, noch haben wir trotz aller Übel +vortreffliche Leistungen zu verzeichnen, und der Ruf unseres Heeres im +Ausland ist ein glänzender. Aber Eile tut not, man soll das Eisen +schmieden, solange es warm ist. Eine Armee ist eben zum Kriegführen da, +und deshalb muß sie unter einem dreißigjährigen Frieden leiden. Aber wir +brauchen keinen Krieg, um jene Übel zu töten, sondern Männer mit Umsicht +und einem klaren Kopf, die offen eingestehen, daß etwas faul ist im +Staate Dänemark.« + +König hatte sich ordentlich warm geredet. Er tat einen tiefen Zug aus +dem Bierglase, das ihm soeben eine Ordonnanz gereicht, er hatte nämlich +dem Oberst zum Trotz auf die Bowle verzichtet. Es war ihm Bedürfnis, +sich ab und zu alles von der Leber herunter zu reden, was ihn bedrückte, +und war das geschehen, so fühlte er sich wohl und frei. + +Borgert hatte in der Nähe gestanden und den Ausführungen des +Rittmeisters aufmerksam gelauscht, denn wenn zwei etwas zu reden hatten, +fehlte er nie im Hintergrunde. Im Stillen lächelte er über diese beiden +Grübler, welche offenbar die Vorteile, die sich ihnen boten, nicht zu +würdigen verstanden. Warum dachten sie nicht wie er? Das Leben genießen, +wie es kommt, und die Feste feiern, wie sie fallen! Das war sein +Standpunkt, und deshalb schmeckte ihm der unbezahlte Sekt so gut! Er +fühlte sich ganz wohl in diesem kleinen Nest, denn hier gab es mitunter +ein kleines Skandälchen, das ihm in der früheren Garnison so sehr +gefehlt. Als man aber seine Vorliebe für solche Art von Abwechslung +entdeckt, schickte man ihn an die Grenze, wo er sich austoben konnte zu +Nutz und Frommen seiner Kameraden. + +Mit halbgeschlossenen Augen und überlegener Miene stand er an den +Türpfosten gelehnt, als er sich plötzlich aufmerksam umsah. + +Wo war denn der dicke Pommer? Er hatte ihn doch noch eben ziemlich +betrunken zwischen den Damen herumstolpern sehen, jetzt war er fort. Und +Frau Kahle? Richtig! Auch weg. Schnell auf die Suche also, vielleicht +konnte er noch ein neckisches Schauspiel erleben. + +So schlich er denn hinaus in den Garten, nachdem er die Cigarre zur +Seite gelegt, damit sie ihn nicht verraten solle. Der Mond hatte sich +diskret hinter dem Horizont versteckt, um nicht mit anzusehen, was da +unten hinter den Büschen vor sich ging, nur matt erleuchteten seine +Strahlen eine Wolkenschicht, welche über seinem Versteck schwebte. + +Und richtig! dort saßen sie, eng aneinander geschmiegt, auf der schmalen +Holzbank an der Gartenmauer. Die Nachtigall sang noch immer, nur etwas +weiter in der Ferne. Pommer sprach konfuse Worte, ohne sich sonderlich +Mühe zu geben, nicht laut zu sein, Frau Kahle lehnte mit dem Kopf an +seiner Schulter und lauschte den Tönen der Liebe, die ihr Ohr seit dem +ersten Jahre der Ehe nicht mehr vernommen. Ab und zu küßte der Leutnant +schmatzend die kleinen Hände und den Mund der jungen Frau. Sein rechter +Arm umschlang fest die zierliche Taille, und die große Hand ruhte auf +ihrem wogenden Busen. + +»Siehst du, Grete, geliebte Grete, du mußt dich freimachen von diesem +Mann, er ist ein Tyrann, hat kein Gefühl und ist auch viel zu groß für +dich!« + +»Er ist ein guter Kerl, aber er versteht mich nicht! Ich muß jemand +haben, der mich versteht und wirklich liebt. Ich will dir das Leben so +schön machen, wenn du müde vom Dienst nach Hause kommst und du sollst es +so gut haben!« + +»Wie ich dich lieb habe, du kleiner, süßer Racker!« + +»Ich dich auch, Hans! Und denke nur, das hat mich furchtbar gekränkt, +mein Mann hat das ganze vorige Jahr mit der Frau vom Amtsrichter +herumgeliebelt, die doch dazu gar nicht schön und schon ziemlich alt +ist. Kürzlich ist er sogar der alten Hebamme nachgelaufen, die er nicht +erkannte, weil sie ein Tuch um den Kopf trug. Sie hat ihn mit ins Haus +gelockt und dann ganz ruhig ihr Tuch abgenommen. Dann sagte sie: »So, +Herr Rittmeister, das werde ich Ihrer Frau erzählen, was Sie für ein +Bürschchen sind!« Und sie hat es mir erzählt.« + +»Das kannst du dir nicht gefallen lassen, Grete, das würde ich nie tun!« +Dabei umschlang er sie mit sinnlichem Verlangen so fest, daß sie leise +aufschrie. + +Da tönte laut der Name des Offiziers vom Kasino herüber, man verlangte +nach ihm. + +Aus Furcht, auf seinem Ehrenposten gesehen zu werden, wenn das Paar sich +jetzt erhob, schritt Borgert auf die beiden zu und sagte, als er vor dem +verdutzten Liebespärchen stand: + +»O Gott, bin ich erschrocken! Aber pardon, ich will nicht stören!« Dabei +zog er sich schnell wieder zurück und eilte ins Kasino. Keiner ahnte +natürlich, warum die vorher so gelangweilte Miene des Oberleutnants +jetzt einen so pfiffigen, lächelnden Ausdruck zeigte. Jetzt wußte er +genug und konnte sich noch ein Weilchen dem Tanze hingeben, es war doch +gar zu schön, so ein reizendes Weib wie diese Leimann im Arm zu haben! +Die wäre wohl noch eine Sünde wert gewesen! + +Das Fest währte jetzt nicht mehr lange. Die Damen waren müde, besonders +Frau Stark war halb zu Tode getanzt worden. Selbst Frau Oberst hatte +genug und schwieg, was bei ihr als Seltenheit galt. Frau Leimann aber +klagte plötzlich über Kopfweh und bat Borgert, sie nach Hause zu +bringen, da ihren Gatten das heulende Elend, wie oft nach einer Bowle, +gepackt hatte und er schluchzend im Garten umherstolperte. + +Die Herren hatte fast alle der frische Maitrank überwältigt, und sie +waren unangenehm laut, einige auch recht derb in ihren Scherzen +geworden. Es war also Zeit, sich zu trennen, und so bestieg man die am +Kasinotor seit zwei Stunden wartenden Krümperwagen. Die Kutscher mußten +erst mit einigen Kosenamen und Püffen geweckt werden, sie waren müde von +der anstrengenden Felddienstübung am Vormittag. + + * * * * * + +Am nächsten Morgen um zehn Uhr lag der dicke Pommer noch in den Federn. +Er hatte den Dienst verschlafen, und da es nun doch zu spät war, drehte +er sich noch einmal um und schnarchte weiter. + +Als er um elf Uhr erwachte, sah er erst blöde vor sich hin, dann fuhr +die Rechte, die noch vor wenigen Stunden Frau Grete's Hand gedrückt, in +das wirre Haar. + +Donnerwetter, was brummte ihm der Schädel! Was war denn los gewesen? Ach +richtig, die verdammte Bowle gestern Abend! + +Aber da war noch etwas! Ein weißes Kleid flocht sich in der Erinnerung +an den gestrigen Abend, und allmählich stand ihm verschwommen wieder +alles vor Augen, was sich zugetragen. Er sah nach der Uhr. Was, schon +elf vorbei? + +Mühsam und keuchend kroch er aus dem Bett und in die Hosen hinein, dann +machte er etwas Toilette. Es war ihm alles gleich heute, sein Kopf +schmerzte ihn zu sehr, und dabei immer der Gedanke an das Ereignis von +gestern! Es war unerträglich! Mißmutig ließ er sich auf einen Stuhl +nieder, und als der Bursche vom Kaffeebrett den Löffel fallen ließ, fuhr +er ihn wütend an: + +»Dummes Schwein, mache nicht so einen Radau, sonst fliegst du vor die +Tür.« + +Pommer versuchte sich ganz genau die Ereignisse des gestrigen Tages vor +Augen zu führen, und je mehr sie ihm ins Gedächtnis zurückkehrten, umso +größer ward sein Entsetzen über seine Handlungsweise. + +Was hatte er getan! Die Frau eines Kameraden verführen wollen, er, +dessen Ansichten und Grundsätze sonst so streng waren, der doch fast als +einziger bei den Kameraden etwas galt, wenn er ihnen schonungslos den +Kopf zurechtsetzte, denn jedermann wußte, er redete nicht nur, sondern +lebte auch nach dem, was er anderen predigte. + +Sein früheres Leben ließ er an seinem Geiste vorüber ziehen. War da +irgend ein schwarzer Punkt, ein Makel zu finden? Nein, rein und +fleckenlos lag die Vergangenheit hinter ihm, und jetzt, nachdem er die +Klippe der leichtsinnigen Jugendjahre unversehrt überwunden, lud er eine +so schwere Schuld auf sich, er betrog einen Kameraden mit seiner Frau! +Pfui! + +Aber hatte sie ihm nicht selbst gesagt, daß sie unglücklich sei, von +ihrem Gatten schlecht behandelt werde, sodaß sein Tun als entschuldbar, +vielleicht sogar edel erscheinen durfte? + +Nein und abermals nein, er hatte gefehlt, schwer gesündigt an dem +Heiligsten, was ein Mann sein Eigen nennt. + +Die ehrenhafte Gesinnung des Offiziers lag in hartem Kampfe mit ihm +selbst, er zweifelte an der Lauterkeit seiner Gesinnung, und diese +Qualen waren ihm eine Folter. + +Das Blut stieg ihm zu Kopfe, es tanzte ihm vor den Augen, sterben hätte +er mögen, nur schnell sterben, nachdem er so die Moral mit Füßen +getreten und sein Gewissen mit einem Fluch belastet hatte, der ewig auf +ihm ruhen mußte. + +Aber wie hatte es nur kommen können, daß er sich so vergaß? + +Der verdammte Sektfrühschoppen mit dem leichtsinnigen Saufaus, dem +Borgert, und dann das schwere Türkenblut, das Müller zum Essen +spendierte, weil er eine Wette verloren, und dann die unselige Maibowle +am Abend, das alles hatte ihm, der selten ein Glas Wein zu trinken +pflegte, den klaren Verstand geraubt! Die gemeinen Kerle, die das +merkten und ihm immer mehr zu trinken gegeben hatten, wahrscheinlich +weil er sie in der Trunkenheit amüsierte! + +Freilich mochte er die kleine zierliche Frau gern leiden, sie war so +ganz nach seinem Geschmack, niedlich, mollig und zutunlich. Oft +verlieben sich große, starke Männer in kleine Frauen. Aber so etwas wie +gestern war ihm doch nie in den Sinn gekommen, es war ihm unerklärlich. +Er mußte hingehen und tausendmal um Verzeihung bitten, rückhaltlos seine +Sünde eingestehen, das konnte seine Schuld etwas mindern, wenn auch +nicht tilgen. + +Da klopfte es an der Tür. Als wenn der Rachegeist schon selbst +erscheinen müsse, fuhr der gequälte Mann zusammen und ließ ein dumpfes +»Herein« ertönen. + +Oberleutnant Borgert trat über die Schwelle, den Helm in der Hand. Er +schien etwas erstaunt, den Kameraden in diesem Zustande vorzufinden, +dann aber nahm er ihn scharf ins Auge und sagte: + +»Verzeihung, wenn ich störe, aber eine peinliche Angelegenheit veranlaßt +mich, mit Ihnen zu reden.« + +»Dienstlich oder privat?« brummte Pommer. + +»Beides, wie Sie wollen,« antwortete Borgert dreist. + +»Für Privatsachen bin ich jetzt nicht in Stimmung. Bitte lassen Sie uns +den Fall ein andermal besprechen.« + +»Bedaure sehr, ich wünsche den Fall _=jetzt=_ zu erledigen. Sie wissen +wohl, daß ich als Dienstälterer das Recht habe, Sie wegen einer +Angelegenheit zur Rede zu stellen, wenn ich es für nötig halte.« + +Pommer besann sich einen Augenblick. Er, der vor seiner +Offizierslaufbahn drei Jahre die Universität besucht und dann in großen +Bankhäusern tätig gewesen war, der das Leben von der ernstesten Seite +kennen gelernt und die doppelte Erfahrung besaß, wie die meisten seiner +Altersgenossen, er sollte sich von einem Menschen zur Rede stellen +lassen, der nichts als trinken, schimpfen und Geld ausgeben konnte, der +im Dienst eine Null war? Und zu dieser Handlungsweise war jener +berechtigt, sie war dienstlich sanktioniert? + +Richtig, ja, es war so, jetzt fiel es ihm ein, daß er schon früher +einmal über diese widersinnige Bestimmung nachgedacht und überlegt +hatte, wie sehr jenes Recht gemißbraucht werden könnte, wenn es einem +nur daran lag, einem jüngeren Kameraden ordentlich eins auszuwischen, +ohne daß dieser sich wehren konnte. Alle durften sich also einem +Jüngerem gegenüber jederzeit als Vorgesetzte aufspielen, wenn es ihnen +eine Laune eingab! Wirklich großartig!! -- + +Ein spöttisches, grimmiges Lächeln ging über Pommers blasses Gesicht, +dann antwortete er mit fester Stimme: + +»Bitte, was steht zu Diensten?« + +»Der Zufall führte mich gestern Abend in den Garten, wo ich etwas sah, +das ich mir noch nicht erklären kann. Sie haben......« + +»Jawohl, ich habe eine Dame, die Gattin des Rittmeisters Kahle geküßt, +ihr von Liebe gesprochen u. s. w., das weiß ich.« + +»Darf ich Sie um eine Erklärung bitten, wie Sie dazu kommen?« + +»Ich war betrunken, sonst wäre es nicht vorgekommen!« + +»Nun, Ihre Erklärung klingt ja ganz kurz und einfach, warum betrinken +Sie sich, wenn Sie es nicht vertragen können und so wenig Herr Ihrer +Handlungen bleiben?« + +»Daß ich betrunken war, ist nicht nur meine Schuld, in erster Linie +mußten andere.....« + +Borgert schnitt ihm das Wort ab, um nichts zu hören, was ihn als Vorwurf +treffen konnte. Mit ironischer Miene fiel er ein: + +»Sie scheinen sich über die Schwere Ihrer Handlungsweise nicht ganz im +Klaren zu sein, deshalb möchte ich Sie nochmals darauf hinweisen!« + +»Ihrer Belehrung darüber bedarf ich nicht, ich weiß selbst, was +ich......« + +»Pardon, ich rede wohl, mein Verehrter, ich gestatte Ihnen nicht, mich +zu korrigieren, denn ich bin gekommen, _=Sie=_ zu korrigieren!« + +Pommer wollte auffahren, aber die kalten Augen und der entschiedene, +schneidende Tonfall der Worte des Oberleutnants geboten ihm Schweigen. + +»Was Sie da getan haben, ist das schwerste Vergehen gegen die +Kameradschaft, welches ich mir denken kann. Die Frau eines Kameraden +anfassen, heißt einen Treubruch, fast ein Verbrechen begehen, welches +mit Recht eine schwere Sühne fordert. Bedenken Sie nur, was Sie tun +würden, wenn Sie Ihre Gattin in den Armen eines anderen fänden, ich +glaube, Sie würden ihn sofort umbringen oder wenigstens nachher zum +Zweikampf auf Leben und Tod herausfordern. Sie aber haben sich an einer +verheirateten Frau vergriffen, an einem Etwas, das uns ein +Nolimetangere, ein Heiligtum sein soll! Schon ein Händedruck, ein Blick +kann zum Ehebruch werden, allein der geheime Wunsch, die Frau eines +anderen zu besitzen, zu küssen! Können Sie dem Manne jetzt noch ehrlich +ins Gesicht sehen, nachdem Sie ihn so hintergangen und betrogen haben? +Ich könnte es nicht! Ich würde vor ihn treten, meine Sünde freiwillig +eingestehen und ihm Genugtuung geben. Nie hätte ich von Ihnen geglaubt, +daß Sie einer solchen Handlungsweise fähig wären, schämen Sie sich bis +in den Grund Ihrer Seele! -- Ich will Sie nun nicht ins Unglück stürzen +und den Fall nicht weiter verbreiten, denn sonst dürften Sie verloren +sein. Abgesehen von Ihrer Stellung würde Ihr Leben auf dem Spiele +stehen. Ich erwarte aber von Ihnen, daß Sie noch heute der Dame einen +Besuch machen, um Verzeihung bitten und sich vergegenwärtigen, was ich +für Sie getan habe!« + +Borgert reckte sich siegesgewiß in die Höhe und mit überlegenem Blick +schaute er auf den armen Pommer herab, dessen erst widerwillige Miene +allmählich den Ausdruck stiller Ergebenheit, eines großen +Schuldbewußtseins angenommen hatte. Immer mehr war der große starke Mann +auf seinem Stuhl zusammengesunken, und sein leerer Blick starrte wie +leblos zu Boden. + +Zwei dicke Tränen blinkten ihm im Auge, der Mann weinte. Tat er es, weil +seine Schuld ihm so schwer auf dem Gewissen lag, oder weil er vielleicht +gar noch vor die Pistole des betrogenen Gatten treten mußte? Nein, +gefehlt hatte er nun einmal, und er war Manns genug, die Folgen zu +tragen. Feige war er nicht. + +Aber er schämte sich! Und das Gefühl der Scham ist es, welches den Mann +am meisten vor sich selbst erniedrigt. + +Zugleich stieg ein warmes Gefühl der Dankbarkeit in ihm auf gegen den, +welcher Zeuge seines Verbrechens gewesen, ihn aber jetzt, statt ihn der +Kugel des Betrogenen zu überantworten, großmütig auf seinen Fehler +hinwies. Und es war recht gewesen, was er gesagt hatte! + +Da erhob sich der Offizier und reichte Borgert stumm die Hand, ihm fest +ins Auge blickend. Borgert's Auge aber wich scheu nach der Seite und der +Oberleutnant sagte gütig: + +»Nun, trösten Sie sich nur! Machen Sie die Sache wieder gut und nehmen +Sie sich künftig in Acht!« + +»Ich danke Ihnen«, brachte Pommer mit tränenerstickter Stimme hervor. +»Ich habe Ihr Wort, daß die Sache unter uns bleibt? Es ist nicht +meinetwegen, aber der Dame soll man nichts nachsagen können:« + +»Sie haben mein Wort, ich schweige!« + +Und als er jetzt dem Oberleutnant mit dankerfüllten Blicken nachschaute, +während er ihn verließ, glaubte er, über die Schwelle schritte ein +Freund, dem er sein Leben danken müsse! -- + +Der großmütige Held war recht befriedigt von seiner Mission. Das war so +ganz ein Fall nach seinem Geschmack! Zu riskieren gab es nichts dabei, +im Gegenteil, er spielte die Rolle eines guten, rettenden Engels, der +den Fehlern des Nächsten Verzeihung bot und ihn liebevoll auf den +verlassenen Pfad der Tugend zurückgeleitete. Außerdem war es ja ein ganz +amüsantes Schauspiel, einen Kameraden, der sonst als ganzer Mann dastand +und den nichts rühren konnte, jetzt zu seinen Füßen zu sehen. Auch +schien ihm ein glücklicher Gewinn, daß er Pommers Einfluß auf das +gesamte jüngere Offizierkorps nun in seine Hand bekommen und sich +dienstbar machen konnte. Schließlich fehlte auch das Pikante an der +Sache nicht, denn er würde natürlich auch Frau Kahle demütigen und sie +fragen, in welcher Weise die Sache ihre Erledigung gefunden habe. Wie +freute er sich darauf, wenn die kleine Frau weinend vor ihm niedersank +und ihn um Schweigen bat! + +Ein Liedchen trällernd, betrat Borgert sein Haus, gab dem Burschen +Säbel, Mantel und Helm und stieg die Treppe zu Leimanns hinaus. + +Er traf sie nicht allein. Der Regimentsadjutant war anwesend, er hatte +heute schon um 1/2-12 das Geschäftszimmer verlassen, weil der Oberst +sich auf Jagd befand. Frau Leimann trat auch herein, und, da die beiden +Herren gerade plaudernd zum Fenster hinaus auf die Straße sahen, wo Frau +König mit Leutnant Bleibtreu vorbei ritt, küßte er der Angebeteten +stürmisch beide Hände. + +Die Herrschaften aber wollten sich vor Lachen ausschütten, als Borgert +in der ihm eigenen witzigen Weise mit furchtbar drolligen Gesten und +trefflichem Mienenspiel seine neuesten Erlebnisse zum Besten gab. + +Inzwischen saß Pommer am Schreibtisch und machte in einem langen Briefe +an seine Mutter dem gepreßten Herzen Luft. Dabei sang er dem neuen +Freunde wahre Loblieder und rühmte seine vornehme Gesinnung in +überschwänglicher Weise. + +Er war jetzt ruhiger geworden, die Vorgänge des verhängnisvollen Abends +erschienen ihm zwar immer noch in demselben Lichte, aber mehr vom +Standpunkte eines Menschen betrachtet, der, im Innersten überzeugt, eine +verwerfliche Tat begangen zu haben, sich sagen kann, daß nur durch +einen unglücklichen Zufall, nicht aber aus verderbter Gesinnung oder +Schlechtigkeit jener Fehltritt geschah. + +Um die Mittagsstunde kleidete er sich fertig an, um Frau Kahle +aufzusuchen, denn um diese Zeit pflegte der Gatte nicht zu Hause zu +sein. Vielleicht wäre es ihm gleich gewesen, was ein Fremder mit seiner +Frau zu verhandeln hatte, aber man konnte nicht wissen, es war besser +so. + +Klopfenden Herzens, mit dem Gefühl einer tiefen Reue und Beschämung, +schritt er die teppichbelegten Stufen zu Frau Kahle's Räumen empor, und +er hatte auch nicht lange zu warten, bis man ihn einließ. + +Mit einem leichten Aufschrei eilte die Dame auf ihn zu, umschlang seinen +Hals und küßte dem Widerstrebenden stürmisch den Mund. + +»Wie danke ich dir, daß du kommst! Wie habe ich mich nach dir gesehnt! +Jetzt bin ich wieder glücklich, da du bei mir bist. Mein Mann ist bis +zum Abend fort, bleibe bei mir, Hans, ich kann nicht ohne dich sein!« + +Bei diesen Worten hatte sie ihn neben sich auf den Divan gezogen und +schloß ihm den Mund mit stürmischen Küssen. + +»Die ganze Nacht habe ich ruhelos verbracht,« fuhr sie süß flüsternd +fort, »ich konnte mein Glück nicht fassen, ich glaubte, es sei ein +Traum, daß ich in dir ein Wesen gefunden habe, das ich lieben darf, das +mich liebt. O, wie danke ich dir, du einzig Geliebter!« + +Leutnant Pommer saß da wie versteinert. Er brachte kein Wort hervor und +duldete schweigend die Liebkosungen der Frau. -- + +Wo waren seine Vorsätze geblieben, wozu war er hierher gekommen? Um sein +Unrecht wieder gut zu machen, um seiner Reue Worte zu verleihen, um zu +beichten, daß alles nur die Eingebung eines unseligen Augenblicks, die +Tat eines vom Rausch verwirrten und entfesselten Gefühls gewesen sei! + +Aber er konnte sich jetzt nicht anklagen, konnte nicht mit einem banalen +Wort den Traum zerstören, welcher die liebende Frau umfing. Und was er +vorher für eine Ehrenpflicht gehalten, erschien ihm jetzt unmöglich +angesichts der lodernden Glut, die er im Herzen des Weibes entfacht. +Lieber sterben, als jetzt eingestehen müssen, es ist alles nur Lüge, +Schein, Laune gewesen. Dieser glühenden Liebe durfte er nicht mit einem +Faustschlag antworten! + +Und als der Kopf der ganz den Gefühlen ihres Glückes hingegebenen Frau +an seinem Busen ruhte, in welchem das Herz zum Zerspringen klopfte, ging +eine Wandlung in ihm vor: aus dem sonst so willensstarken Manne ward ein +willenloses Opfer einer gewaltigen Macht: der Liebe. -- + +Sein Blick streifte an der Gestalt des Weibes herunter, die ihn in ihren +Armen hielt. Das leichte Morgenkleid ließ die Formen eines jugendlichen +Körpers erkennen, die weißen Arme, von denen die Spitzen des Ärmels +herabgeglitten waren, und der Duft, welcher von ihnen ausströmte, alles +verwirrte und betäubte ihm den Sinn und ließ den letzten Rest +Entschlossenheit in dem sonst so zielbewußten Manne ersterben. Und er +umschlang das zitternde Weib mit wilder, sinnlicher Glut. -- -- -- + +Der Tag neigte sich schon seinem Ende zu, als Pommer die Tür des Hauses +hinter sich schloß, in dem Frau Kahle wohnte. + +Mit scheuem Blick, wie verstört, schritt er über die Straße und achtete +nicht der Soldaten, die des Weges kommend, ihm die schuldige +Ehrenbezeugung erwiesen, er wäre auch an Oberleutnant Borgert +vorbeigegangen, hätte ihn dieser nicht mit einem über die Straße +gerufenen Gruß aus seinen Gedanken aufgeschreckt. Zögernd blieb er +stehen und schaute wie geistesabwesend nach dem Kameraden, der jetzt +über den Straßendamm auf ihn zukam. + +»Guten Tag, lieber Pommer! Nun, was macht Ihr Kater?« + +»Danke, danke, es ist gut, ich fühle mich ganz wohl, sehr wohl, und was +ich noch sagen wollte,.... ich bin dort gewesen!« + +»Bei ihr? Na sehen Sie, das war vernünftig! Alles in Ordnung?« + +»Natürlich, alles glatt, jawohl, alles in bester Ordnung.« + +»Na, dann leben Sie wohl, ich muß weiter. Adieu!« + +»Adieu! Und nochmals vielen Dank!« + +»Aber ich bitte Sie! Es war gern geschehen, Sie haben wohl gesehen, daß +ich es gut mit Ihnen meine!« + +»Ja, wir wollen gute Freunde werden!« + +Als Pommer in seiner Wohnung anlangte, glaubte er verzweifeln zu müssen. +Was hatte er getan?! -- + +Statt das Vergehen vom gestrigen Tage durch ein offenes Bekenntnis +seiner Schuld zu sühnen, war er noch tiefer in die Sünde hineingeraten, +er hatte aus einem Fehltritt ein neues, weit größeres Verbrechen +entstehen lassen, statt mit aller Entschlossenheit gegen seine Schwäche +anzukämpfen. Und noch mehr! Er hatte einen Freund betrogen, sein +Vertrauen, seine ehrenhafte, liebevolle Handlungsweise in gemeinster +Weise mit Füßen getreten! + +Aber es war zu spät! Jetzt gab es kein Befreien mehr aus den Ketten der +Sünde, der Lüge, jetzt hieß es den einmal betretenen Pfad weiter +schreiten, wie auch das Ende sein mochte. Und er suchte sich vor seinem +Gewissen zu entschuldigen, daß die Macht des Zufalls, an der sein Wille +sich gebrochen, ihn in seine jetzige Lage hineingezwungen habe. + + * * * * * + +Wochen und Monate vergingen. + +Das Paar traf oft zusammen, machte Spaziergänge im nahen Wäldchen, +begegnete sich »zufällig« auf der Straße oder genoß, wenn der Gatte +abwesend war, ein Schäferstündchen in Frau Gretes traulichem Boudoir. + +Pommers Zuneigung zu dem pflichtvergessenen Weibe hatte ihn in der +ersten Zeit ganz in ihren Bann gezogen. Doch war jener Reiz mehr +sinnlicher Art gewesen, einer wahren inneren Liebe fand er sich nicht +fähig zu einer Frau, deren seichte Moral, deren oberflächliche +Anschauungen über die Pflichten einer Gattin und Mutter, deren +rückhaltlose Hingabe an den ersten, welcher ihr seine Liebe gestand, +ihren inneren Wert bald hatten erkennen lassen. Und so gab es Stunden, +wo dem Manne der Verkehr mit der heißblütigen, hysterischen Frau +allmählich überdrüssig schien, denn es fehlte der innere Kern, der +moralische Halt dieses Verhältnisses, und wie bald ist der Mensch von +Genüssen übersättigt die sich in regelmäßiger Folge wiederholen und +nicht im Herzen wurzeln, wie sie allein uns auf die Dauer mit Freude +erfüllen! So ward aus der Zuneigung mit der Zeit eine schroffe +Abneigung, eine Art Ekel und Widerwillen gegen jene Frau, welche in +seinen Augen mit jedem Tage an Wert verlor und den Mangel an weiblicher +Tugend mehr und mehr erkennen ließ, sie war ihm nur noch das Weib, wie +es als solches die Schöpfung dem Mann bot. + +Und je mehr diese Empfindung in ihm wuchs, um so geringer galt ihm das +Vergehen, welches ihm früher als ein ehrloses Verbrechen erschien und +sein Gemüt bedrückte. Aber offen eingestehen, daß sie ihm nicht genüge, +daß er an ihren Reizen keinen Genuß mehr finde, das konnte er nicht, es +schien ihm unmännlich und undankbar, denn hatte er nicht auch schöne +Stunden durch sie genossen? -- + +Schreiben mochte er nicht, das war zu gefährlich, denn kam dem +ahnungslosen Gatten der Brief in die Hände, konnte die Sache noch ein +übles Nachspiel haben, und das war sie nicht wert. + +Hätte Pommer in Frau Gretes Innerem lesen können, wäre er ein +Frauenkenner gewesen, so hätte er bald eingesehen, daß eine Lösung des +Verhältnisses nur eines einzigen Wortes bedurfte, denn auch sie fand +keinen Reiz mehr im Verkehr mit einem Manne, der ihr zu pedantisch, zu +linkisch und unbeholfen vorkam, der sich auf jedes Schmeichelwort +besinnen mußte und immer erst einen Rippenstoß brauchte, den gebotenen +Genuß zu kosten. Sie liebte das Feurige, das stürmische Sichhingeben, +ohne das ewige Grübeln über Recht und Unrecht! Wem sie ihre Liebe gab, +der mußte mit vollen Zügen den Freudenbecher trinken und ihn von neuem +begehren, war er in wilder Leidenschaft geleert! + +Als dann Pommer eines Tages die Mitteilung erhielt, daß er unter +Beförderung zum Oberleutnant versetzt sei, kostete es ihm keine große +Überwindung, von Frau Kahle Abschied nehmen zu müssen. + +»Ich gehe fort, wir sehen uns nicht wieder!«, hatte er mit kühler Ruhe +gesagt. + +Und sie stieß einen Schrei aus und sank wie niedergeschmettert auf den +Divan. + +Da hatte er leise die Tür geöffnet und war verschwunden. Sie aber +schaute ihm durchs Fenster nach, und als er um die Ecke gebogen, schlug +sie den Flügel auf und spielte einen lustigen Walzer von Strauß. + +Da fiel ihr ein, man könnte sie herzlos nennen, wenn sie die Trennung so +leicht überstände; und so schrieb sie einen acht Seiten langen Brief an +Oberleutnant Borgert, indem sie den Schmerzen und Seelenqualen einer +betrogenen, unglücklichen Frau beredten Ausdruck verlieh. -- + +So sehr waren ihre Worte von dem Empfinden eines wahren, tiefen +Schmerzens durchweht und so rührend, tief ergreifend die Ausbrüche des +Jammers um den verlorenen Geliebten, daß niemand sich denken konnte, das +alles sei nur ein Schauspiel, die virtuos durchgeführte Rolle einer +Ophelia oder Desdemona. -- + +Selbst die Herrn des Offizierkorps konnten eine stille Teilnahme nicht +unterdrücken, als Borgert am Abend den Brief im Kasino verlas, nur einer +rief mit verschmitzter, verständnisinniger Miene: + + »Fauler Zauber!« + +Wußte er das aus Erfahrung? -- + + + + +[Illustration] + + +Drittes Kapitel. + + +Am Spätnachmittag eines Herbsttages saß in seiner angenehm durchwärmten +Stube der Vizewachtmeister Roth und mit ihm Sergeant Schmitz am +Kaffeetisch. + +Die Einrichtung des im ersten Stock der Kaserne gelegenen Raumes machte +den Eindruck der Wohlhabenheit, und man hätte beim ersten Anblick +glauben können, ein Mitglied der »oberen Zehntausend« habe hier sein +Lager aufgeschlagen, wenn sich nicht das Meiste bei näherer Betrachtung +als überladener, wertloser Putz entpuppt und darauf hingewiesen hätte, +daß nur die Sucht, dem Raum einen gediegenen Geschmack zu geben, welcher +gerade in der Einfachheit zu wirken sucht, diese tote Pracht geschaffen. +Die grün und blau geblümte Tapete war durch große Bilder in schweren +Eichen- und Goldrahmen stellenweise ganz verdeckt. Über dem Sopha aus +rotem Plüsch hing eine Reproduktion von Lenbach's »Fürst Bismark«, +rechts und links davon die Bildnisse zweier Pferde, in Öl gemalt. An +der Wand gegenüber stand ein Klavier von schwarzem Holz mit silbernen +Armleuchtern, obgleich weder der Vizewachtmeister Roth noch seine +Gattin, eine frühere Ladenmamsell, in die Kunst des Klavierspielens +eingeweiht waren. Doch mit diesem Klavier, auf welchem nur +allsonntäglich ein junger Unteroffizier der Schwadron mit monotoner +Akkordbegleitung die »Donauwellen« hervorzauberte, hatte es seine +besondere Bewandtnis, und nie ruhte der Blick des Besitzers ohne einen +gewissen Groll auf der schuldlosen »Drahtkommode«. + +Im ersten Jahre ihrer Ehe nämlich hatte es die Frau Wachtmeisterin oft +schmerzlich empfunden, nicht ein Klavier oder gar einen Flügel, das +Kennzeichen einer »gebildeten« Einrichtung, ihr eigen nennen zu können, +denn die Kollegin der zweiten Schwadron besaß ein Instrument. Sie +bedauerte aber das Fehlen eines solchen umso mehr, als sie häufig +behauptete, in ihrer Jugend Klavierunterricht genossen zu haben. + +Roth sprach daher des öfteren mit Nachdruck gegenüber den vier +Einjährigen der Schwadron von den Talenten seiner Lebensgefährtin auf +musikalischem Gebiete, die nun elend verkümmern müßten, da er zur +Anschaffung eines »Pianinos« nicht die nötigen Mittel besäße. Es hatte +ihn daher kaum gewundert, als er eines Tages jenen »schwarzen +Wimmerkasten«, wie er ihn nannte, in seinem »Salon« vorfand mit einer +schriftlichen Widmung der gütigen Spender. + +Als aber für die Einjährigen der Tag der Entlassung kam, kam für den +entsetzten Wachtmeister ein großer Wagen, dessen Rosselenker die Weisung +hatte, das für sechs Monate gemietete Klavier wieder abzuholen. Um nicht +zum Gespött der Kameraden zu werden und auf flehentliches Bitten seiner +Gattin kaufte Roth das Klavier auf Ratenzahlung von zehn Mark monatlich, +und nun stand das unselige Instrument unbenutzt an der Wand, während die +Rechnung dafür noch lange nicht abbezahlt war und es jeden Ersten einen +köstlichen Goldfuchs verschlang. Daher die Wut des Wachtmeisters auf +dieses Prunkstück seines Salons! + +Über dem Klavier prangte ein gewaltig großer Stahlstich von Vernet's +bekanntem »Leichenschmaus« in schwerem Brokatrahmen, an dessen Ecken je +ein kleiner japanischer Fächer befestigt war. + +Neben dem Klavier stand ein Vertikow aus Nußbaum und darauf sechs grüne +Weingläser, diesmal ein bar bezahltes Geschenk früherer Einjähriger. +Auch ein großer eichener Schreib-Tisch fehlte nicht, dessen Ecke von +einem Vogelbauer mit gelbgefiedertem Bewohner zweckmäßig besetzt war, +während ein Lineal, ein gewaltiges Schreibzeug aus Hirschhornstangen +und ein Federhalter die berufliche Ausrüstung dieses Hausmöbels +darstellten. Über dem Schreibtisch hing, von Rehgehörnen umgeben, ein +großes Kaiserbild, darunter zwei gekreuzte Säbel und eine Kukuksuhr. Ein +großer Blumentisch stand am Fenster, bei näherer Betrachtung aber ergab +sich, daß die Blüten nicht in einem Gewächshause, sondern unter der +Schere einer geschickten Blumenmacherin erblüht waren. + +Den Boden bedeckten zwei weiße Felle und drei Teppiche, sowie ein echter +Kelim unter dem Sophatisch, über dessen Kanten eine blaue Plüschdecke +mit großen Quasten fast bis zum Boden herabhing. + +Durch die beiden nach Osten gelegenen, mit schweren Portieren behangenen +Fenster sah man heute dunkelgraue Wolkenmassen am Himmel dahintreiben, +ein eintöniges, farbloses Meer, aus dem ab und zu kalte Regen- oder +Hagelschauer sich lösten und, vom heulenden Winde getrieben, wie +gewaltige Wogen über die Stadt und die öden Felder wälzten. + +Wenn der Regen so gegen die Scheiben prasselte, und der Wind im +Ofenrohre pfiff, dann fühlte man sich um so wohliger in der warmen Stube +und bedauerte die Kameraden, welche jetzt draußen im Freien Dienst tun +mußten. + +Es war die Zeit, zu welcher das Regiment alljährlich seine Reservisten +einzog und sie in den hinter der Kaserne gelegenen Baracken +unterbrachte. Dann war es oft nicht angenehm, bei einem Hundewetter wie +heute auf dem Exerzierplatz herumstehen zu müssen, und man beneidete die +Rekrutenunteroffiziere, welche im Stall oder auf den Stuben Instruktion +abhalten durften. + +Einen Vorteil aber brachte die Reserve doch. Man bekam eine Zulage, und +besonders Roth, der als Wachtmeister zur ersten Reserve-Eskadron +kommandiert war, stand sich ganz gut dabei. Ferner sah man mitunter +einen alten Bekannten älterer Jahrgänge wieder, auch frühere Einjährige +befanden sich unter den Reservisten und hatten meist einen offenen +Beutel, wenn sie sich dadurch den Dienst etwas erleichtern konnten. + +Schmitz war Futtermeister der vierten Schwadron und ebenfalls zur +Reserve kommandiert. Er versah sein Amt vortrefflich, wer sich davon +überzeugen wollte, brauchte nur einen Blick auf die Pferde zu werfen, +wie sie glänzten im Haar, wie schön rund und sauber sie im Stroh +standen. Der Stall selbst war stets ein Muster von Sauberkeit, kein +Strohhalm hing aus den Ständen heraus auf den blank gefegten Damm, die +Wände waren schön weiß gekalkt und die Fenster klar und hell. + +Wenn Schmitz den Stall zwischen den Pferdereihen hinabging, dann war es +geradezu drollig anzusehen, wie alle Tiere seinen Tritt, seine Stimme +kannten, wie sie die Köpfe nach ihm wandten und leise wieherten, wenn er +den einen oder anderen seiner Lieblinge anrief. Da war das »Klärchen«, +ein reizendes Füchschen, das ihm nachlief wie ein Hund und immer mit den +Nüstern an seinen Taschen nach einem Stück Zucker schnüffelte, dann sich +auf die Hinterbeine stellte oder bittend einen Vorderfuß erhob, und die +»Ahnfrau«, ein altes kleines Pferdchen mit tiefschwarzem Glanzhaar, das +wegen seines Alters aller Liebling war und oft mit Leckereien bedacht +wurde. + +Der besondere Stolz des Futtermeisters aber waren die zwölf Chinesen. +Sie hatten den ostasiatischen Feldzug mitgemacht und waren dann in das +Regiment eingestellt worden, schöne Pferde mit herrlichem Haar und +kräftigen Knochen, wenn auch nicht alle so groß wie »Peiho«, »Wu« und +»Kwangsü«. -- + +Die beiden Freunde saßen noch plaudernd am Kaffeetisch, als Frau Roth +eintrat, eine mittelgroße Brünette mit kleinen Augen und einer gebogenen +Nase. Ihr Gesicht hätte dem eines Vogels gleichen können, doch verlieh +das wellige, kastanienbraune Haar dem an sich nicht schönen Kopf einen +gewissen Reiz. Sie hielt ein Servierbrett, mit einer gestickten +Serviette überdeckt, in den Händen, darauf stand eine Flasche Moselwein, +drei Gläser und eine schmale Zigarrenkiste. + +»Donnerwetter Roth, bei dir geht's heut aber mächtig üppig zu! So eine +Feier lasse ich mir gefallen,« rief Schmitz erstaunt. + +»Man hat nur einmal im Jahr Geburtstag, da kann man schon etwas springen +lassen. Schenk' ein, Alte!« + +Die Frau goß die Gläser bis zum Rande voll, daß sie fast überliefen. Ein +freudiges »Prost« ertönte, und alle gossen auf einen Zug das edle Naß +hinunter. Dann hoben sie noch einmal die Gläser zu einander und sahen +sich an. Das hatten sie den Herren Offizieren abgelauscht. + +Die beiden Männer zündeten sich eine Cigarre an, welche zur Feier des +Tages eine Leibbinde trug, und füllten die Gläser von Neuem. Eine Stunde +war ja noch Zeit bis zum Abendstalldienst, und vorher gab es nichts zu +tun, denn Oberleutnant Specht, der die Reserve-Eskadron führte, kam des +Nachmittags nie zum Dienst, man hatte also Ruhe. + +»Fährst du Weihnachten auf Urlaub?« fragte Roth seinen Freund. + +»Weiß noch nicht!« gab Schmitz achselzuckend zur Antwort. »Ich möchte +ganz gern, ich bin jetzt zwei Jahre nicht aus dem Drecknest +fortgekommen. Aber es lohnt sich auch gar nicht, für die paar Tage eine +solche Reise zu machen, denn bis ich hier vom Ende der Welt nach Hause +komme, brauche ich achtundvierzig Stunden, Rückreise ebensoviel, das +macht vier Tage und mehr wie sechs gibt es nicht. Die Sache ist auch +verflucht teuer!« + +»Was kostet's denn?« + +»Ziemlich dreißig Mark, und so viel hab' ich nicht übrig!« + +Roth lachte höhnisch auf. + +»Um die paar Kröten geht's? Lumperei!« + +»Ja, du hast gut lachen, für dich spielen sie keine Rolle, aber für den, +der sie nicht hat, z. B. mich!« + +»Kann ich dir pumpen, Kleinigkeit!« + +»Sag' mal, alter Freund, du hast wohl in der Lotterie gewonnen? Es geht +immer so hoch bei dir her in letzter Zeit, alle Augenblicke fährst du +'nunter in die Stadt, rauchst 10 Pfennig-Cigarren und willst auch noch +verpumpen! Du mußt mindestens geerbt haben!« + +»Hab' ich auch, aber es ist keiner gestorben vorher!« lachte Roth +übermütig. »Die Hauptsache ist, daß man ein bischen schlau ist und alles +mitnimmt, was einem so über den Weg läuft!« + +»Du hast wohl einen Juden totgeschlagen?« + +»Nee, doch nicht ganz!« + +»Na wie meinst du's denn, ich verstehe dich nicht!« + +Roth blinzelte nach seiner Frau hinüber und dann zu Schmitz, der mit +neugierigen Augen dasaß. Seine Frau sollte also wohl nichts hören. Als +sie aber gleich darauf aufstand, um eine neue Flasche Wein zu holen, +begann Roth leise: + +»Ich kann's dir ja sagen, aber.......« -- dabei legte er bedeutsam den +rechten Zeigefinger auf den Mund --, »Maul halten!« + +»Selbstredend, ich bin der Letzte, der dich verklatscht!« + +»Also, ich habe doch jetzt schon die zweite Reserve. Voriges Mal waren +eine ganze Portion alte Einjährige dabei, reiche Bauernjungens. Du +erinnerst dich doch an den dicken Kramer, das vollgefressene Schwein, +dann den Roßbach, der zwölf Pferde zu Hause im Stall hat, und den +Scheller, den Unterrocksjäger, und diese Gesellschaft? Die Kerls wissen +nicht, wohin mit allem Geld, und da werde ich doch den Deubel tun, denen +auch noch Löhnung, Bekleidungsgeld u. s. w. geben, auf die paar lumpigen +Groschen kommt's denen doch nicht an. Der Scheller hat mir auch so +nebenbei einen kleinen Verdienst zukommen lassen. Wie ich am letzten +Abend vor der Entlassung nachsehe, ob alles in der Klappe liegt, da hat +der Kerl eine Sau mitgenommen, und wie ich eben loslegen will, da sagt +er mir ins Ohr: »Nischt sagen, Herr Wachtmeister!« Na, ich hab's Maul +gehalten, und am nächsten Mittag stak ein blauer Lappen im Mantel.« + +»Donnerwetter, Kerl, hast du Dusel! Wenn die Brüder nun aber später +etwas verraten, wenn sie nicht befördert werden?« + +»Sagt keines was, sie sind froh, wenn sie mit dem Kommiß nichts mehr zu +schaffen haben.« + +»Na, ich hätte Angst, es gäbe mal Spektakel!« + +»Denkt nicht dran. Jetzt sind wieder da so ein paar fette Jungens, der +reiche Metzgerjunge da aus Braunschweig und diese Brüder, klotzig reiche +Kerls, sage ich dir. Soll ich denen die paar Mark auszahlen, damit sie's +nachher versaufen? Nee, das besorge ich lieber selber. Na prost!«. + +Die Gläser erklangen hell und im Augenblick waren sie wieder leer. + +»Schmeckt dir das Zeug? Kostet drei Mark die Pulle!« + +»Verflucht teuer, wo hast du das her?« + +»Stammt noch vom vorigen Jahr, weißt du. Du kennst doch noch den +Einjährigen Römer? Wie der nicht Unteroffizier werden sollte, habe ich +mich ein bischen ins Zeug gelegt beim Chef, und da kriegte er die +Tressen. Dafür hat er so eine Kiste Wein geschickt. Anständig, was?« + +»Das glaub ich wohl!« + +»Siehst du, alter Freund, man muß immer praktisch sein. Bis voriges Jahr +hatte ich doch die Menage, nicht? Der Metzger kam nun alle Augenblicke +und sagte, es wären etwas zu viel Knochen, es hätte sonst nicht genug +Gewicht. Ein paar mal war auch das Fleisch saumäßig schlecht, zu leicht +oder zu sehnig. Als ich nun mal Dampf machte und mit Meldung drohte, +sagte er: Nischt verraten, Sergeant, ich tu's nicht vergessen! Seit der +Zeit lasse ich auch mein Fleisch da holen und er wiegt anständig, daß +muß ich schon sagen. Vorgestern war es aber nichts wert, mein Fleisch, +und da habe ich ihm, als er vorm Laden stand, gesagt: »Jungeken, Du +weeßt doch noch?« Und gestern kam der tadellose Schweinebraten gratis +und franko, den meine Alte heute gemacht hat. Ja, das summt sich, alter +Freund, hier ein Rebbes und dort ein Profitchen.« + +Schmunzelnd klopfte der Vizewachtmeister auf seine Hosentasche, in der +ein gefüllter Geldbeutel klapperte, dann stürzte er ein Glas Wein +hinunter. + +»Trink doch, Kerl, Schmitz, du bist wohl schon voll?« + +»Von wegen Vollsein, so schnell geht's nun doch nicht! Prost!« + +In diesem Ton ging die Unterhaltung fort, und als die dritte Flasche +leer war, hörte man beiden an, daß sie nicht mehr viel vertragen +konnten. Die Augen stierten gläsern und die Köpfe waren hochrot von dem +ungewohnten Weingenuß. Dabei tönte ihre Rede laut und polternd, +besonders Roth brachte kaum noch einen richtigen Satz zusammen. + +Plötzlich sah er nach der Uhr. Schon sechs! Also Zeit zum +Abendstalldienst! + +»Komm, Schmitz, wir müssen in den Stall, das Viehzeug hat Hunger!« + +Sie erhoben sich wankend, Roth schnallte den Säbel um und beide +polterten die Steintreppe der Kaserne hinab. Roth ließ dabei seinen +Säbel schleppen, und es gab einen Mordsspektakel, wie die schwere Plempe +von Stufe zu Stufe klappernd niederfiel. + +Mancher steckte neugierig den Kopf zur Tür hinaus und als er die beiden +angeheiterten Vorgesetzten gewahrte, dachte er: »die haben genug! Wenn +einer von uns so besoffen in der Kaserne herumtorkelte, ginge es ihm +gleich an den Kragen.« + +Am Ausgange des Gebäudes trat der Gefreite Dietrich der vierten +Schwadron an Roth heran: + +»Ich möchte Herrn Wachtmeister bitten, für Stube X ein paar Kohlen +herauszugeben, mein Beritt war zum Fouragieren und wir sind alle ganz +naß geworden. Es ist kalt oben und die Sachen werden sonst bis morgen +nicht trocken!« + +»Was! Kohlen? Geht zum Quartiermeister, ich habe für Euch Lümmels keine +Kohlen!« lallte Roth. + +»Der Quartiermeister ist in die Stadt und da haben Herr Wachtmeister +doch den Schlüssel zum Keller!« + +»Scher' dich weg, Ihr braucht nicht gleich Kohlen, wenn es ein paar +Tropfen regnet. Legt Euch ins Bett, wenn Ihr friert, Schweinepack, +gemeines!« + +Der Gefreite stand zögernd einen Augenblick still, dann ging er mit +wütendem Gesicht in die Kaserne. + +Im Stall war es schon leer geworden, die Leute befanden sich bereits +wieder in ihren Stuben, nachdem sie die Streu aufgeschüttelt und die +Pferde getränkt hatten. Nur die Stallwache war noch anwesend. + +Der eine von ihnen, ein Gefreiter, hatte sich im Civil einen so dicken +Bauch gezüchtet, daß der Quartiermeister beim besten Willen keinen auch +nur leidlich passenden Rock für den »vollgefressenen Reservehund« finden +konnte, der Ärmste mußte also seine Übung im Drillichanzug als +Stallwache ableisten. Der zweite war lungenkrank. Man merkte es erst +eine Woche nach dem Eintritt und nun hatte es keinen Zweck mehr, den +Mann noch zu entlassen, im Stall hatte er ja nichts auszustehen. Der +dritte war ein halber Idiot aus der Polackei, grinste wie ein +Irrsinniger stets vor sich hin und war im Dienst nicht zu gebrauchen, da +er alle Vorgesetzten mit »du« anredete und stets zum Honneur die Mütze +abnahm. + +Der Futtermeister erschrack, als er merkte, daß die Futterzeit schon +überschritten war, denn für seine Pflegebefohlenen sorgte er gut, das +mußte ihm der Neid lassen. So rief er denn schnell die Stallwache heran +und trieb sie mit einem: »Galopp, faules Zeug!« zur Eile an. Der kleine +Futterwagen wurde mit Hafer und Hecksel gefüllt und auf die Stallgasse +gefahren. Das Quietschen der Holzräder war den Pferden die liebste Musik +am Tage. Als sie es vernahmen, kam Leben in die erst träge, mit +hängenden Köpfen dastehenden Tiere, denn sie hatten schon gedacht, man +habe ihre Abendmahlzeit vergessen. Jetzt sprangen sie wild in den +Ständen herum, neckten und bissen einander, schlugen übermütig aus, und +das Rasseln der Ketten mischte sich mit dem Wiehern und Quiecken der +Pferde zu einem lauten Geräusch. Der »Napoleon« hatte solchen Hunger, +daß er angesichts der Futterschwinge dem dicken Gefreiten aus +übermütiger Freude vor den Bauch schlug, sodaß dieser den Hafer fallen +ließ und mit schmerzverzerrtem Gesicht beide Hände auf die getroffene +Stelle preßte. + +Der Vizewachtmeister sah das und rief ihm zu: + +»Vorwärts, heb' den Dreck wieder auf, deinem dicken Wanst schadet so ein +Puff nichts!« + +Der Gefreite aber machte keine Miene, dem Befehl nachzukommen, sondern +hielt noch immer seinen Bauch fest, während ihm Tränen in die Augen +traten. Da wankte Roth auf ihn zu, knuffte ihn mit der Faust in den +Rücken und drückte ihn, seinen Hals von hinten umfassend, so tief +nieder, daß dem armen Kerl das Blut zu Kopfe stieg, während er den +verschütteten Hafer zwischen der Streu heraussuchte. Als er damit fertig +war, gab ihm Roth noch einen Schubs, daß er gegen »Napoleons« +Hinterbeine flog und diese in seiner Angst umklammerte, um nicht unter +das Pferd zu fallen. + +Das ging aber »Napoleon« über den Spaß. Erst kein Futter und dann noch +solche Scherze! Er keilte mit beiden Beinen kräftig aus und schleuderte +den armen Gefreiten auf die Stallgasse, wo er bewußtlos liegen blieb. + +Roth erschrak. Zum Glück hatte keiner den Vorgang mit angesehen, denn +Schmitz war mit den beiden anderen gerade am Ende des Stalles +beschäftigt. So rief er denn die beiden Reservisten herbei und ließ den +Bewußtlosen nach der Revierstube tragen. Fatal war ihm die Geschichte +doch, denn der arme Kerl hatte ordentlich eine ins Gesicht gekriegt. + +Als der Oberleutnant am nächsten Morgen fragte, warum der Gefreite ins +Lazaret gekommen sei, antwortete Roth: + +»Er ist ungeschickt an das Pferd getreten und hat es erschreckt, da +schlug es aus und traf ihn an den Kopf!« + +»So ein Esel,« schalt der Oberleutnant, »eigentlich sollte man den Kerl +noch obendrein einsperren, daß er uns die Pferde verdirbt!« + +Für heute Abend aber war dem Vizewachtmeister die Laune verdorben. + +Im Stalle war es ruhig geworden, man vernahm nur noch ein Rauschen, als +die vielen Pferdezähne den Hafer zermalmten. + +Roth warf einen Blick in die Futterkiste. + +»Gib den Rest dem »Zeus«, der ist so mager!« sagte er zu Schmitz. + +»Nein, dem gebe ich nichts mehr, der hat genug, außerdem hat er heute +morgen einen geschlagen. Das Vieh wird ja ganz verrückt, wenn es immer +lahm im Stall steht und so eine Menge Hafer frißt!« + +»Gib's ihm nur, er kann's vertragen!« + +»Aber wozu denn, es ist doch Unfug!« + +Der Wachtmeister wurde puterrot, nichts konnte ihn wütender machen als +ein Widerspruch. + +»Gib ihm den Rest, sage ich!« polterte er Schmitz nochmals an. + +Schmitz aber klappte den Deckel der Kiste zu und entgegnete kurz: + +»Ich bin froh, wenn ich etwas sparen kann!« Damit zog er den Wagen fort. + +Wütend brauste Roth auf: + +»Sergeant Schmitz, Sie wollen meinen Befehl nicht ausführen? Ich werde +Sie melden!« Damit ließ er den verdutzten Futtermeister stehen, ging +schwankend, mit finsterer Miene durch den Stall nach seiner Wohnung, +trank einen Schnaps zur Beruhigung der Nerven und warf sich in der +Uniform aufs Bett. + +Der Lungenkranke und der Pole steckten noch jedem Pferd eine Hand voll +Heu in die Raufe und legten sich auf das Stroh in der Ecke des Stalles +schlafen, Sergeant Schmitz aber ging bedächtig nach seiner Stube. + +Am folgenden Mittag übergab die Ordonnanz der Reserve-Schwadron dem +Regiment ein Schriftstück folgenden Inhalts: + + Tatbericht. + + Gestern gelegentlich des Abendstalldienstes erteilte der die + Aufsicht führende Vizewachtmeister Roth dem Futtermeister Sergeant + Schmitz einen Befehl, welchen dieser nicht ausführte. Als + Vizewachtmeister Roth den Befehl nachdrücklich wiederholte, + weigerte sich p. Schmitz nochmals, demselben Folge zu leisten. Der + Vorfall geschah in Gegenwart der Stallwache, auch war Sergeant + Schmitz nach Angabe des p. Roth betrunken. + + _=Specht=_, + Oberleutnant und Eskadronführer + der 2. Reserve-Übungs-Eskadron. + +Der Futtermeister saß gerade beim Essen, als der etatsmäßige +Wachtmeister an ihn herantrat, ihn für seinen Arrestanten erklärte und +nach dem Arrestlokal brachte, wo er bis zur Aburteilung des Falles +verbleiben sollte, denn man hatte sein Vergehen als »ausdrückliche +Verweigerung des Gehorsams vor versammelter Mannschaft« bezeichnet. Als +solche galten bereits die beiden Posten der Stallwache. + +Mit Windeseile ging der Vorfall von Mund zu Munde, alle waren empört +über die Handlungsweise Roth's, selbst die Offiziere erklärten +einstimmig, einem solchen Vorgesetzten müsse man so bald als möglich den +Laufpaß geben. + +Roth aber kam sich groß vor und glaubte, eine Heldentat vollbracht zu +haben. Außer Dienst war er ein Kamerad, der mit sich spaßen ließ, und +kein Spielverderber, aber im Dienst, Teufel auch, da sollten sie ihn +kennen lernen, da hatte jede Vertraulichkeit ein Ende, da hieß es: ich +befehle und du gehorchst, sonst breche ich dir das Genick. + +Sergeant Schmitz saß indes in seiner düsteren, kalten Zelle. Wie leblos +stierte er den ganzen Tag auf die rauhen Steinfließen, er glaubte zu +träumen, konnte und konnte nicht glauben, daß er wegen eines +militärischen Vergehens hier hinter Schloß und Riegel säße. Hatte er +nicht neun lange Dienstjahre hinter sich, in denen er sich tadellos +geführt, ohne jemals bestraft worden zu sein? + +Erst allmählich kam ihm der Ernst seiner Lage zum Bewußtsein, und damit +wuchs ein glühender Haß heran gegen den Mann, welchen er für einen +Freund gehalten, der ihm in einer Laune, unter dem Einfluß der +Trunkenheit die Früchte seines bisherigen Lebens und damit die Zukunft +zerstört hatte. Dem Schurken wollte er es zeigen, wenn er wieder auf +freiem Fuße stand, niemand sollte es verborgen bleiben, welche +grundgemeine Gesinnung dieser Hallunke hinter seinem schöntuerischen +Wesen verbarg. + +Daß man ihn vor ein Kriegsgericht stellen würde, schien ihm außer +Zweifel, tatsächlich lag ja eine ausdrückliche Gehorsamsverweigerung +vor, aber die Verhandlung mußte ergeben, daß die näheren Umstände dem +scheinbaren Vergehen jedes erschwerende Moment benahmen und es sich +sonach nur um einen Wortwechsel handelte, dem allerdings leicht ein +dienstlicher Charakter untergeschoben werden konnte, wenn man das bis zu +dem Augenblick der strafbaren Handlung bestehende und willkürlich +abgebrochene freundschaftliche Verhältnis Roth's zu Schmitz außer Acht +ließ. + +Dieser Punkt aber mußte bei einer Verhandlung geschickt und eingehend +beleuchtet werden, denn an ihm hing der Ausgang der Sache! + +Sergeant Schmitz meldete daher beim Regiment, er erbitte die Gestellung +eines Verteidigers und gleichzeitig die Erlaubnis, mit diesem in +schriftlichen oder mündlichen Verkehr treten zu dürfen. + +Er war aber nicht wenig erstaunt, als schon nach wenig Tagen +die Mitteilung an ihn gelangte, ein Verteidiger könne von +Militärgerichtswegen nur bei Aburteilung über Verbrechen gestellt +werden, doch stehe der Annahme eines solchen auf eigene Kosten sowie +eine Besprechung mit demselben während der Untersuchungshaft nichts im +Wege. + +Also auch das noch! Woher das Geld nehmen für einen Verteidiger? Und +ohne den war geringe Aussicht auf Erfolg, er fühlte sieh dem +redegewandten Roth und gar den Richtern gegenüber nicht gewachsen, er +konnte nicht die Umstände ins richtige Licht setzen, wie sie ihm als +Erklärung der Angelegenheit so wichtig erschienen. Es half also nichts, +das Geld mußte beschafft werden! + +Nach dreiwöchiger Untersuchungshaft wurde endlich der Termin anberaumt, +an welchem die Hauptverhandlung stattfinden sollte. Schmitz glaubte dem +Ausgange ruhig entgegensehen zu dürfen, hatte ihm doch selbst sein +Verteidiger erklärt, eine ungünstige Wendung sei nicht zu erwarten, +sobald man den Richtern von der Handlungsweise Roth's und den näheren +Umständen ein klares Bild entworfen haben würde. Schmitz sah daher in +dem für den Termin bestimmten Tag den Augenblick der Befreiung, der ihn +von diesem einsamen, schauerlichen Dasein der letzten Wochen erlösen +werde. + +Selbst die ihm endlich zugestellte Anklageschrift vermochte seine +Hoffnung nicht niederzudrücken, darin stand eben alles von der +schroffsten Seite beleuchtet, damit man überhaupt eine Handhabe zur +Anwendung der in Frage kommenden Gesetze habe. + +Sie lautete: + +»Wider den Sergeanten Ferdinand Julius Schmitz ist Strafantrag wegen +Vergehens gegen §§ 94 des Militär-Strafgesetzbuches gestellt. + +Wenngleich der Angeklagte behauptet, mit dem Vizewachtmeister Roth in +einem besonders freundschaftlichen Verhältnis gestanden zu haben, so ist +hierin kein Grund zu erblicken, der zur Nichtbefolgung eines Befehls im +Dienst berechtigt. Vielmehr geschah die Gehorsamsverweigerung in Bezug +auf einen zweimal mit Nachdruck gegebenen Befehl in Gegenwart der +Stallwache, also vor versammelter Mannschaft. + +Die Entschuldigung des Angeklagten, infolge Weingenusses in erregter +Stimmung gewesen zu sein, ist kein Milderungsgrund, vielmehr ist in dem +Umstand, daß die Tat auf Trunkenheit im Dienst zurückzuführen ist, ein +Grund zur Erhöhung des Strafmaßes zu erblicken. + +Aburteilung hat durch das Kriegsgericht zu geschehen.« + +Das klang ja allerdings ganz gefährlich, wie wenn er ein Verbrecher +schlimmster Sorte wäre, er, der sich neun Jahre vorwurfsfrei geführt. Er +mußte fast lachen über diese Anschuldigung, sie enthielt eben nur eine +ganz subjektive, einseitige Beurteilung des Falles. + +Am 20. Oktober Mittags zwölf Uhr begann die Verhandlung. + +Die Richter waren aus dem Sitz des Generalkommandos herübergekommen und +saßen mit ernsten Gesichtern an dem langen Tisch, ein Major, ein +Hauptmann, ein Oberleutnant, ein Kriegsgerichtsrat als Führer der +Verhandlung und ein zweiter, welcher die Anklage erhob. + +Nachdem Schmitz nochmals den Sachverhalt geschildert, wurde Roth als +Zeuge vernommen. Er stellte die Angelegenheit im grellsten Lichte dar, +wollte nichts von einer Freundschaft wissen und leugnete auch auf das +Entschiedenste, ebenfalls betrunken gewesen zu sein, wie es Schmitz +behauptete. Als Zeugen seiner Nüchternheit hatte er den Lungenkranken +und den Polen gewonnen, welch' letzterem er eingepaukt hatte, auf alle +Fragen mit dem Kopfe zu schütteln, womit er auch Glück hatte, da die +Fragen zufällig entsprechend gestellt waren. Schließlich beschwor der +Vicewachtmeister mit fester Stimme die Wahrheit seiner Aussage. + +Das war allerdings eine unerwartete Wendung. Schmitz hatte nicht +erwartet, auch noch mit der Lüge kämpfen zu müssen, und seine Hoffnungen +sanken beträchtlich, als er den Major mißbilligend mit dem Kopfe +schütteln sah. + +Es folgte sodann die Anklagerede des Kriegsgerichtsrats, die etwa wie +die Anklageschrift lautete. + +Sodann erhob sich der Verteidiger. Mit beredten Worten schilderte er +nochmals den Vorgang, erwog die näheren Umstände, wies auf das ihm durch +Zeugen bestätigte frühere Verhältnis der Gegner und schließlich darauf +hin, daß sich der ganze Vorgang im Anschluß an eine Geburtstagsfeier +zugetragen habe. Nach alledem, und mit Rücksicht auf die bisherige +Führung des Angeklagten sei auf Freisprechung zu erkennen. + +Das Gericht zog sich zur Beratung zurück und es dauerte lange, bis die +Herren mit ernsten Gesichtern wieder im Verhandlungszimmer erschienen. + +Schmitz glaubte einen Augenblick die Besinnung verlieren zu müssen, als +er das Urteil vernahm: zwei Monate Gefängnis! + +Er sah sein Leben vernichtet. Umsonst waren die langen Jahre, die er mit +Aufopferung seiner besten Kraft dem Vaterlande gedient; seine +Zukunftspläne, nach zwölfjähriger Dienstzeit eine Anstellung am +Bürgermeisteramt seiner Vaterstadt zu erhalten, waren mit einem Schlage +vernichtet. Was würden seine Eltern, seine Geschwister sagen, was sollte +aus seiner Braut werden? + +Eine namenlose Wut packte ihn, den Mann hätte er auf der Stelle würgen +können, der mit Gemeinheit, Lüge und Meineid sein Dasein zerstört und +jetzt mit höhnischer Miene an ihm vorüberschritt. Ja, er hörte den +Kommandeur zu dem ehrlosen Lumpen sagen: »So ist's recht, Roth, scharf +im Dienst, so wünsche ich mir meine Unteroffiziere.« + +Nun, die Rache sollte nicht ausbleiben. Schmitz wurde am 21. Oktober +durch einen Wachtmeister auf Festung gebracht, wo viele Stunden der +Selbstverleugnung und schwere Tage seiner warteten. + +So kam allmählich die Weihnachtszeit heran. Schnee bedeckte den +Kasernenhof, alles lag öde, leblos und starr durch die grimmige Kälte +der letzten Tage. + +Ein großer Teil der Mannschaften hatte Urlaub für die Festtage erhalten, +und ein jeder nahm im Dienst seine ganze Kraft zusammen, um nicht im +letzten Augenblick der zu erwartenden Freuden beraubt zu werden. + +Fast allabendlich fuhren die Herren des Offizierkorps, natürlich ohne +Urlaub, nach der Nachbarstadt, um Weihnachtseinkäufe zu machen, denn +nach Hause fahren wollte nur einer von ihnen, die anderen beabsichtigten +eine kleine Feier im Kasino, wo sie sich gegenseitig kleine Geschenke zu +machen gedachten. + +Borgert und Leimann kehrten stets mit Packeten beladen zurück, sie +kauften alles, was ihnen gefiel, Geld würde sich später einmal finden, +denn jetzt pumpte ja jeder mit Freuden, wenn er nur seine Ware los +wurde. + +An den geschäftlichen Teil in der Stadt schloß sich meist ein kleines +Gelage in einem guten Restaurant, und oft kam es vor, daß die Herren in +recht angeregter Stimmung den letzten Zug zur Garnison bestiegen. + +Eines Abends hatte auch der neue Riesling besonders gut geschmeckt, und +alle langten ziemlich »blau« in später Nacht zu Hause an. + +Der Regimentsadjutant fand ein Diensttelegramm in seiner Wohnung vor und +mußte sich noch einmal, trotz der späten Stunde zum Regimentsschreiber +begeben, um mit diesem über die Erledigung des Telegramms Rücksprache zu +nehmen. + +Starker Schneefall war eingetreten, und der scharfe Ostwind trieb die +Flocken in wildem Wirbelspiel durch die kalte Luft, sodaß man die Augen +zusammenkneifen mußte und nur mit Mühe den zugewehten Weg erkennen +konnte. + +Die Störung zu mitternächtlicher Stunde paßte dem bequemen Müller gar +nicht und er schimpfte vor sich hin, als er die Allee zur Kaserne +entlang schritt. Auch pflegte er in angeheitertem Zustand meist +schlechte Laune zu haben, war händelsüchtig und brach gerne einen Streit +vom Zaune, in dessen Verlauf er in unschöner Weise auf seine +Sonderstellung als Adjutant und seine dabei gewonnene Diensterfahrung +hinwies. Die Kameraden nannten es Größenwahn. + +Durch die schneeerfüllte Luft sah man nur vor dem hellen Fenster der +Wachtstube die dicken Flocken in wildem Spiele tanzen, drinnen aber +schlief der Wachthabende und neben ihm zwei Gemeine. + +Der Offizier vom Dienst war schon dagewesen und so hatte man es sich +bequem gemacht, der Vorschrift entgegen Säbel und Helm abgelegt, den +Rock geöffnet und eine warme Decke aus der Kaserne herbeigeholt. + +Auf Posten stand der Gemeine Röse. Er hatte in dem Schilderhaus Schutz +vor dem Unwetter gesucht und stand, den Säbel in der kalten Faust, an +der Rückwand des schwarz und weiß gestrichenen Häuschens. Warum sollte +er das nicht? Es war ja ausdrücklich gestattet! + +Seine Gedanken weilten in der Ferne bei den Eltern und Geschwistern, die +er in zwei Tagen zum ersten Male seit langer Trennung wieder sehen +sollte. Wie freute er sich auf diese Stunde, da er nun als schmucker +Kavallerist die Lieben daheim begrüßen, alte Freunde und im Stall den +»Hans«, das brave Pferd, die blanken Kühe und die fetten Schweine +wiedersehen durfte! + +Aus seinen Gedanken schreckte ihn plötzlich ein lauter Ruf: + +»Posten!« + +Röse blinzelte durch die runde Luke an der Seitenwand des +Schilderhauses, konnte aber niemand entdecken. Erst auf einen +nochmaligen, laut durch die Winternacht hallenden Ruf trat er heraus und +erkannte in dem undurchsichtigen Schneetreiben eine Gestalt, welche auf +ihn zukam. + +»Warum präsentieren Sie nicht, Sie Schwein!« brüllte der +Regimentsadjutant. + +»Verzeihen Herr Leutnant, ich habe Herrn Leutnant nicht gesehen.« + +»Halt' die Schnauze, verlogenes Aas, geschlafen hast du im Schilderhaus, +eine Ewigkeit stehe ich hier und warte. Aber ich werde dir zeigen, du +Bauer, was du zu tun hast!« + +Damit schritt er vorbei und ließ Röse in starrem Schrecken stehen. Aus +dem Regimentsgeschäftszimmer schrieb er folgende Meldung: + +»Den von 12 bis 2 stehenden Posten fand ich bei einer Revision schlafend +im Schilderhause vor. Derselbe trat erst nach zweimaligem Anruf heraus. +Etwaige Einwendungen des Mannes, mich nicht gesehen zu haben, muß ich +von vornherein als Unwahrheit bezeichnen, da ich genau bemerkt habe, daß +er geschlafen hat.« + +Die Meldung legte er auf den Arbeitstisch des Kommandeurs. Dann holte er +den Schreiber aus dem Bett, verhandelte mit dem im Hemd auf dem kalten +Korridor vor ihm stehenden Manne fast zehn Minuten und schritt dann +seiner Wohnung zu. Er hatte jetzt sein Mütchen gekühlt und konnte ruhig +schlafen. -- -- + +Am Nachmittag des 22. Dezember kehrte Sergeant Schmitz aus dem Gefängnis +zurück. + +Die früher so stolze, stramme Haltung hatte er verloren, sein Gesicht +war bleich und der sonst so keck in die Höhe gewirbelte schwarze +Schnurrbart hing strähnig um die Mundwinkel. Scheu sah er die ihm +Begegnenden an, und wenn ein Soldat ihn grüßte, hielt er es für eine +besondere Freundlichkeit, die ihm nicht zukomme, da er glaubte, in aller +Augen zu lesen: + +»Seht, das ist ein Bestrafter, ein Verbrecher!« + +Als er sich beim Schwadronchef zurückmeldete, reichte ihm dieser die +Hand. + +»Tut mir leid, mein lieber Schmitz, daß ich Sie verlieren muß, Sie waren +mir stets ein Untergebener, auf den ich stolz war und der seinen Dienst +wie kein zweiter getan hat. Aber der Oberst hat befohlen, daß ich die +Kapitulation mit Ihnen aufhebe und Sie sofort entlasse. Der Wachtmeister +wird mit Ihnen das Nötige ordnen. Trösten Sie sich mit dem Gedanken, daß +Sie das Opfer einer gemeinen Gesinnung geworden sind, und so wünsche ich +Ihnen alles Gute; wenn Sie mich brauchen können, bin ich stets mit +Freuden bereit. Leben Sie wohl!« + +Schmitz unterdrückte mit großer Mühe das Weinen, der Rittmeister aber +ging dem Stall zu. Es ging ihm wirklich nahe, dieser nette, stramme +Kerl, eine Stütze der Schwadron, um nichts und wieder nichts ins +Unglück gestürzt und auf die Straße gesetzt! Es war eine Schweinerei! + +So ging denn Schmitz zum Wachtmeister, der ihm seine Papiere und fünfzig +Mark auf sein Sparkassenbuch übergab. Auch er drückte ihm bewegt die +Hand. + +»Haben Sie noch Invalidenansprüche, Schmitz?« fragte er darauf. + +»Ich habe Rheumatismus seit dem Manöver, wo wir wegen Seuchenverdacht +der Pferde drei Wochen biwakieren mußten!« + +»Das haben Sie aber damals nicht gemeldet, und es ist schon fast 1-1/2 +Jahre her.« + +»Gemeldet habe ich es nicht, weil ich mich nicht krank schreiben lassen +wollte, ich mochte den Rittmeister mit den heruntergekommenen Pferden +nicht sitzen lassen.« + +»Ich werde beim Regiment sofort Meldung machen, Sie können ja +einstweilen Ihre Sachen abgeben!« + +So stieg denn Schmitz zu seiner Stube hinauf, packte die +Montierungsstücke zusammen und schnürte seine paar Habseligkeiten in +einen kleinen Koffer. Ehe er aber seine Uniform auszog, ging er in die +Stadt und kaufte für 45 Mark einen Zivilanzug, einen Kragen und einen +Hut. Schuhe besaß er noch. + +Dann brachte er alle Uniformstücke dem Quartiermeister auf die Kammer, +dem er auch seinen Extrarock, eine eigene Mütze und eine lange Hose für +dreißig Mark verkaufte. Den Säbel wollte er als Erinnerung aufheben. + +Jetzt kam das Schwerste, der Abschied von den Kameraden und den Pferden. +Jeder hatte ein freundliches Wort für ihn, und mancher stumme Händedruck +gab den schmerzlichen Gefühlen Ausdruck, mit denen man den lieben +Kameraden scheiden sah. Selbst die Mannschaften drängten sich heran, um +von ihm Abschied zu nehmen, er hatte sie zwar manchmal tüchtig +vorgenommen, aber sie kannten ihn als einen anständigen Kerl, der sie +nicht im Stiche ließ, wenn es darauf ankam. + +Als der Mittagsstalldienst zu Ende war, ging Schmitz in den Stall. Kein +Gang war ihm im Leben so schwer geworden, wie dieser, und als er die +geliebten Tiere aus den eben gefüllten Krippen zu sich aufblicken sah, +sobald sie seine Stimme hörten, da hätte er laut aufschreien mögen vor +Weh und Schmerz. + +Für »Klärchen« hatte er ein Stück Zucker mitgebracht und sowie er zu ihm +in den Stand trat, suchte es gleich nach dem gewohnten Leckerbissen und +bat mit gehobenem Fuß um einen zweiten. Er legte seinen Kopf an den +sammetweichen Hals des Tieres, strich ihm kosend über die schönen Augen +und die weichen Nüstern und küßte das Tier auf den Hals. Als er es +verließ, glaubte er in dem traurigen Blick und den leisen Wiehern einen +Abschiedsgruß zu empfinden. Auch von der alten »Marie« nahm er Abschied. +Wie lange mochte sie wohl noch den Dienst aushalten? Zuletzt ging er zu +»Napoleon«, dem Schmerzenskinde, aber auch er zeigte heute keine Spur +der gewohnten Bösartigkeit, sondern sah den fremden Mann in Zivil mit +fragenden Augen an. + +Noch einen letzten Blick warf er auf seine Lieblinge, dann ging er mit +unterdrücktem Schluchzen wieder der Stube zu, um seinen Koffer zu holen. + +Im Eingang trat ihm der Wachtmeister entgegen. + +»Mit Ihren Invalidenansprüchen ist es nichts, Schmitz, der Oberst hat +gesagt, Sie hätten es gleich melden müssen, jetzt könnte jeder kommen. +Dann hat er mir noch die Rechnung Ihres Rechtsanwaltes übergeben, der +das Regiment um Eintreibung der Schuld ersucht hat. Es sind sechzig +Mark, wenn Sie nicht zahlen können, soll eine Pfändung vorgenommen +werden.« + +Daran hatte Schmitz gar nicht mehr gedacht. + +»In einer Stunde ist das Geld zur Stelle, Herr Wachtmeister!« sagte er +nach kurzem Bedenken. + +Darauf ging er der Stadt zu und trat bei einem Uhrmacher ein, legte +seine silberne Uhr mit Kette auf den Ladentisch und fragte mit fester +Stimme: + +»Was geben Sie mir dafür? Ich brauche Geld!« + +Der Uhrmacher besah mit spöttischen Augen das Stück und sagte dann +achselzuckend: + +»Zwanzig Mark, das ist aber reichlich Geld.« + +Schmitz rechnete. Fünfunddreißig hatte er noch, zwanzig dazu machte +fünfundfünfzig, es fehlten noch fünf Mark. Da streifte er entschlossen +einen Ring vom Finger, das einzige Andenken an seinen verstorbenen +Vater. + +»Was ist Ihnen der wert?« + +»Zehn Mark, mehr nicht!« + +»Gut, geben Sie her, Sie haben es dafür!« Schmitz strich die drei +Goldstücke ein, ging zur Kaserne, zahlte dem Wachtmeister sechzig Mark +aus und holte seinen Koffer, um den Abendzug zur Stadt noch zu +erreichen. + +Wer den bleichen Mann mit dem kleinen Koffer gesenkten Blickes +dahinziehen sah, ahnte nicht, daß es ein königlich preußischer Sergeant +war, der jetzt eines ungeschickten kleinen Vergehens wegen, ohne einen +Pfennig, aber mit Rheumatismus in allen Knochen und einer zertretenen +Vaterlandsliebe im Herzen auf die Straße gesetzt war, um sich ein neues +Lebensziel zu suchen, nachdem er seine beste Kraft, seine Gesundheit und +seine Jugend dem Staat geopfert hatte. + +Auf der Anhöhe, von welcher aus man einen Blick auf die in ihrem +weihnachtlichen Schneegewande ruhende Kaserne hatte, schaute er noch +einmal hinunter und schüttelte drohend den Arm, einen wütenden Fluch +ausstoßend. + +Dann bestieg er auf dem Bahnhof einen Wagen vierter Klasse desselben +Zuges, in welchem zahlreiche Soldaten singend und scherzend nach der +Heimat fuhren, um dort im Kreise der Familie das Weihnachtsfest zu +feiern. -- + +Der Abend des 24. Dezember war gekommen. Alle Welt, Tausende, Millionen +waren heute glücklich, fühlten den Zauber, den das schönste aller +Christenfeste selbst auf das härteste Gemüt ausübt, weil es heilige +Erinnerungen in uns weckt. Es ist das hohe Fest der Liebe Gottes zum +Menschen, der Liebe des Christen zum Nächsten. Und keiner ist es, den +nicht der feierliche Klang der Weihnachtsglocken in eine weiche Rührung, +eine stille Andacht versetzt: der mächtige König im Palast und der Arme +in seiner Hütte, selbst der Verbrecher hinter der Kerkermauer, alle +öffnen ihr Herz den Strahlen der Liebe, die es an diesem Abend +durchleuchten. + + * * * * * + +Friedrich Röse saß in der schlecht erwärmten Arrestzelle, in welcher er +die 14tägige Strafe wegen Wachtvergehens verbüßte. + +Durch den mit Eisblumen bedeckten kleinen Lichtschacht sah er hinauf +nach dem Fenster im ersten Stock der 3. Eskadron, wo ein Weihnachtsbaum +im Lichterglanz erstrahlte. Schwermütig ernst ertönten die Klänge jenes +ewig schönen Weihnachtsliedes, dessen Musik gerade in ihrer Eintönigkeit +ergreifend wirkt. Fröstelnd saß er auf dem Rand der harten Holzpritsche, +und eine Träne rollte über die Wangen hinab auf das Steinpflaster des +Fußbodens. Wieder weilten die Gedanken daheim, aber nicht freudig, +erwartungsvoll, sondern Verstimmung, Schmerz und Sehnsucht lagen in den +Zügen des jungen Mannes. + +Mit welcher Freude, welchem Eifer hatte er sich zum Militär gemeldet! +Schon sein Vater, einst Wachtmeister der Gardekürassiere, schilderte das +herrliche Soldatenleben in den schönsten Farben und hatte keinen +größeren Wunsch, als seinen Jungen einmal als flotten Unteroffizier +wiederzusehen. + +Aber das gab es jetzt nicht mehr, er war bestraft mit strengem Arrest, +gebrandmarkt für seine ganze Dienstzeit. + +Die freudige Lust am Soldatenstande hatte sich mit einem Male in Haß und +Ingrimm verwandelt gegen den bunten Rock, gegen alles, was Soldat sein +bedeutete, mit einem Schlage war aus dem diensteifrigen, strebsamen +Rekruten einer von den vielen geworden, die nur Soldat sind, weil sie +es müssen und die den Tag der Entlassung als den ihrer Freiheit +ersehnen. + +Und warum war das alles? + +Nicht weil er wissentlich seine Pflicht verletzt hatte, sondern weil es +einem jener Herren Offiziere einfiel, die Laune seiner Trunkenheit an +dem ersten besten Opfer auszulassen, das ihm in die Hände fiel. Und was +der Herr in seiner Meldung behauptete, stand als bombenfeste Tatsache +da, wer daran zweifelte, beging ein neues Vergehen, die +Achtungsverletzung. + +Röse hatte auf die bezügliche Frage seines Rittmeisters den Vorgang +geschildert und seine Unschuld hoch und heilig beteuert, aber der +Adjutant hatte hierauf erwidert, der Mann wolle sich jetzt herauslügen. +Was er gemeldet habe, sei Tatsache. + +Oder sollte er zugestehen: Ich habe dir Unrecht getan, habe mich geirrt, +denn ich war betrunken und übler Laune? Fiel ihm gar nicht ein, er +konnte sich diese Blöße nicht geben. Wie durfte er, der unnahbare, nie +fehlende Regimentsadjutant eingestehen, sich geirrt zu haben? Er irrte +sich eben nie, und was schadete es groß dem Kerl, wenn er die paar Tage +brummte? + +Was es schadete? + +Daß es einen Apostel mehr gab, der verkündete, er sei als Soldat ein +gepeinigter, in ein beschwerliches Joch gezwungener Mensch, der +Spielball seiner Vorgesetzten gewesen, die ihre Laune an ihm ausließen, +wie es ihnen behagte, daß unverdiente Härte und Ungerechtigkeit, gegen +die es keine genügende Waffe gab, da zu finden gewesen seien, wo +indviduelle Behandlung, Rücksicht und einsichtsvolle Überlegung am +Platze wären. + +Und was es weiter schadete? + +Daß Jedermann, dem Röse in späteren Jahren seine Papiere vorlegte, die +Achseln zuckte und dachte: »Du scheinst mir auch kein zuverlässiger +Bruder zu sein, 14 Tage wegen Wachtvergehens, das ist übel!« -- -- -- -- + +Gegen neun Uhr schreckte Röse ein Geräusch an der Tür aus seinen +Gedanken. Ein Schlüsselbund klapperte, das Schloß schnappte und herein +trat der Offizier vom Dienst, hinter welchem der Wachthabende stand. + +Röse sprang auf, nahm eine militärische Haltung ein und meldete: + +»Gemeiner Röse mit 14 Tagen wegen Wachtvergehens bestraft!« + +Der Offizier schaute einen Augenblick in das Innere der dunkelen Zelle, +ob er nicht etwa einen verbotenen Gegenstand außer der Schlafdecke und +dem Wasserkrug entdeckte, dann wandte er sich zum Gehen. Da sagte Röse +zögernd: + +»Gestatten der Herr Leutnant eine Bitte?« + +»Wenden Sie sich an den Wachthabenden, wenn Sie etwas wollen«, +entgegnete der Offizier kurz und tappte die Steintreppe hinunter, +vorsichtig um sich schauend, daß er sich den grauen Mantel an dem +staubigen Treppenhaus nicht beschmutze. + +Der Wachthabende begleitete ihn bis zum Ausgang und kehrte dann zu Röse +zurück. + +»Was wolltest du denn?« fragte er wohlwollend. + +»Ich wollte bitten, wenn ein Brief für mich da wär, daß ich ihn jetzt +bekommen kann, Herr Unteroffizier!« antwortete Röse schüchtern. + +»Ja, mein Junge,« lachte der Unteroffizier gutmütig, »das geht +eigentlich nicht -- erst absitzen, dann's Vergnügen.« Wie er aber Röse, +der von seiner Schwadron war und den er gut leiden mochte, mit dem +trübseligen Gesichte vor sich stehen sah, tat ihm der arme Junge leid. +Es war doch eine harte Sache, hier den heiligen Abend verleben zu müssen +und obendrein wegen einer solchen Lappalie, und schließlich sogar +unschuldig. Er sagte daher freundlich zu Röse: + +»Na ja, ich werde mal nachfragen lassen.« + +Er verschloß die Zelle wieder und schickte einen Mann zu Röse's +Berittführer mit der Bitte, doch einmal zu ihm zu kommen. Und als dieser +herbeigekommen war, fragte der Wachthabende den Berittführer: + +»Ist ein Brief für den Röse da?« + +»Ein Brief nicht, aber ein Packet habe ich für ihn vom Wachtmeister +bekommen!« + +»Weiß du was?« flüsterte der Wachthabende, »mach die Kiste auf und bring +dem Kerl was rüber, das arme Luder tut mir leid.« + +Der Berittführer nickte und verschwand, um bald mit einem Brief, einer +Wurst und einem Stück Kuchen zurückzukehren. Der Wachthabende nahm alles +in Empfang und stieg zu Röse hinauf. Gleichzeitig hieß er einen Mann mit +einem Eimer Kohlen mit sich gehen. + +Nach wenigen Minuten flackerte das Feuer in der Zelle wieder hell und +Röse stand davor, um beim flackernden Schein den Brief der Eltern zu +lesen. Dabei rannen ihm beständig die Tränen über die Backen. Dann +versteckte er wie einen kostbaren Schatz Wurst und Kuchen hinter der +Pritsche, hüllte sich in seine Decke ein und legte sich auf das harte +Holzbett nieder. + +Bald schloß der Schlaf die verweinten Augen, und im Traum saß Röse +daheim unter'm Weihnachtsbaum im Kreise seiner Eltern und Geschwister. + +Der 28. Dezember war ein Trauertag für die vierte Schwadron. + +Die Leute, die erst am Abend vorher von Urlaub zurückgekehrt waren, +gaben heute einem Kameraden das letzte Geleit: man trug den Gefreiten +Dietrich zum Friedhof hinaus. + +Er war stets ein schwächlicher Mensch gewesen. Damals aber, als er +erhitzt und vom Regen durchnäßt in die kalte Stube kam und kein Feuer +anbrennen konnte, weil ihm Roth die Kohlen verweigerte, packte ihm am +selbigen Abend ein heftiges Fieber. Nach zwei Tagen stellte der Arzt +Gelenkrheumatismus fest, der so stark auftrat, daß das Herz in +Mitleidenschaft gezogen wurde und der Arme am ersten Weihnachtsfeiertage +an Herzschlag starb. + +Die tieferschütterten Eltern hatten zwar telegraphisch um Überführung +der Leiche ihres einzigen Sohnes zum Heimatsort gebeten, doch da das +Geld für einen Zinksarg und den Transport nicht kam, fand die Beerdigung +auf dem Garnisonsfriedhof statt. + +Am nächsten Tage wurde auch der vom Pferde geschlagene dicke +Reserve-Gefreite aus dem Lazaret entlassen. Seine Verletzungen schienen +zwar geheilt, doch war das ganze Gesicht durch die zurückgebliebenen +Narben schrecklich entstellt und das linke Auge durch eine Operation +entfernt worden, da man infolge der Verletzung desselben fürchtete, das +andere Auge könnte in Mitleidenschaft gezogen werden. + +So kehrte denn der Unglückliche als Halbinvalide mit einer monatlichen +Pension von neun Mark in die Heimat zurück. + + * * * * * + +Der ehemalige Sergeant Schmitz saß am Sylvesterabend in seiner dürftigen +Stube. + +Er hatte sich, um der äußersten Not vorzubeugen, als Arbeiter einer +großen Fabrik der Nachbarstadt verdingt und konnte so wenigstens seinen +Lebensunterhalt verdienen. Er bewohnte ein mäßiges Zimmer im zweiten +Stock eines Arbeiterhauses und wurde von der darin hausenden Familie +gegen geringes Entgeld mit verpflegt. + +Jetzt saß er am Tisch, den Kopf in beide Hände gestützt. Vor ihm stand +ein Teller mit den Resten des kärglichen Abendbrotes, und eine kleine +Lampe mit zerbrochenem Schirm warf einen matten, rötlichen Schein auf +die am Tisch sitzende Gestalt und die ärmliche Einrichtung des kleinen +Raumes. An der Wand stand ein eisernes Bett mit rot und weiß kariertem +Bezug, und darüber waren Klinge und Scheide des Säbels übers Kreuz +befestigt. + +Auf einem kleinen Holzschemel stand eine Waschschüssel, daneben lag ein +graues Handtuch. Das Feuer in dem kleinen Ofen war längst erloschen, nur +einzelne klimmende Köhlchen lebten noch darin. + +Wer den Mann da sitzen sah, konnte glauben, einen Schlafenden vor sich +zu haben, aber Schmitz wachte, und in seinem Kopf jagten wilde Gedanken +durcheinander. Er dachte an vergangene Zeiten, und je schroffer ihm +seine jetzige Lebenslage von früheren Zeiten abzustechen schien, um so +grimmiger wurde sein Haß gegen den, welcher ihn in seine jetzige Lage +gebracht; er sann auf Rache, wie er jenen elenden Schurken strafen und +brandmarken könne für seine gewissenlose, gemeine Handlungsweise. + +Eine Weile noch saß er brütend da, dann erhob er sich mit finsterem +Gesicht und trat an's Fenster, hauchte ein kleines Loch in die dicken +Eisblumen und schaute hindurch nach der erleuchteten Uhr des +Kirchturmes, aus dem jetzt das melodische Läuten der Glocken in die +kalte Nacht hinaus drang, das Herannahen des neuen Jahres kündend. + +Elf Uhr! Schmitz setzte seinen Hut auf, ergriff den Spazierstock, blies +die Lampe aus und ging die dunkle Treppe hinab. + +Auf der eisbedeckten Steinstufe vor der Haustür verweilte er einen +Augenblick und lauschte dem dumpfen, feierlichen Glockenton. Sonst +vernahm man keinen Laut, keinen menschlichen Tritt, nur ein fernes +Rauschen wie ein Atem erfüllte die Luft, der Atem einer Großstadt in der +Silvesternacht. + +Schmitz schlug fröstelnd den Rockkragen hoch, steckte beide Hände in die +Hosentaschen und ging, den Stock unter'm Arm, eiligen Schrittes dem +Bahnhof zu, wo er für 20 Pfennig eine Fahrkarte nach seiner früheren +Garnison erstand und den bereitstehenden Zug bestieg. + +Das kleine Städtchen lag wie ausgestorben in seiner schneeichten Hülle. +Von der Kaserne flimmerten die hell erleuchteten Fenster wie Sterne +herüber, und mitunter tönten abgebrochene Weisen eines Gesanges, oder +einzelne Akkorde, vom Winde sanft getragen, klangen in die Nacht hinaus. +In der Ferne summte es von dem Läuten zahlreicher Kirchenglocken, welche +in den vielen umliegenden Dörfern und Flecken das neue Jahr begrüßten. +Aus den hell erleuchteten Kneipen und Restaurationen aber ertönte lautes +Reden, Lachen und Gesang fröhlicher Zecher, die dem neuen Jahr einen +frischen Trunk entgegenbrachten. + +Schmitz ging dem Stadtende zu, an welchem die Kaserne lag und machte vor +einem Wirtshause Halt. Scheu blickte er um sich, ob Niemand ihn +beobachte, dann stieg er auf den Rand der Mauer und schaute durch das +angelaufene Fenster. + +Richtig, dort saß der Roth, im Kreise einiger Unteroffiziere und +Gefreiten, denn hier pflegte er allabendlich bis in die tiefe Nacht zu +zechen oder ein Spielchen zu machen. + +Vorsichtig stieg er wieder herab und schritt der Kaserne zu. Er bog in +einen zu beiden Seiten mit beschneiten Hecken eingefaßten Richtweg und +stellte sich an der ersten Biegung auf. Hier pflegte Roth auf dem +Heimweg vorbeizukommen. + +Schmitz mußte lange auf seinem Posten ausharren, aber es war ihm wohl zu +Mute. + +Die bittere Kälte des Tages war um Mitternacht einer lauen Winterluft +gewichen, ein sanfter Wind trieb seine Schneeflöckchen vor sich her und +ließ die dürren Blätter der Buchenhecke rascheln. Unten, wo der schmale +Weg in die Straße einbog, sah man mitunter eine Gestalt wie einen +Schemen schwankenden Schrittes in dem Dunkelgrau der Nacht auftauchen +und lautlos auf der weichen Schneedecke wieder verschwinden -- Zecher, +die nach reichlichem Trunk der Ruhe des Bettes bedurften. -- + +Schmitz fühlte keine Spur von Kälte, denn bei jedem neuen Schlag der +fernen Turmuhr trieb ihm das Blut schneller durch die Adern, immer näher +rückte der Augenblick, auf den er sich schon so lange gefreut. + +Endlich, es hatte eben zwei Uhr geschlagen, nahte eine dunkle Gestalt. + +Der Wartende drückte sich an die Hecke und faßte den Stock fester, das +Herz klopfte ihm zum Zerspringen. + +Schon war Roth auf wenige Meter herangekommen, das Gesicht fast ganz in +dem hochgeschlagenen Mantelkragen versteckt, aber Schmitz erkannte den +Wachtmeister genau, wie er, einen Gassenhauer vor sich hinpfeifend, mit +schleppendem Säbel schwankenden Ganges daher kam. + +Als der Wachtmeister nur noch einige Schritte hatte, um neben Schmitz zu +sein, trat dieser, den Stock auf der Schulter, breitbeinig vor seinen +Gegner hin. + +Roth stutzte einen Augenblick wie ein scheues Wild, dann sah er sein +Gegenüber scharf an. Er erkannte ihn nicht. + +»Was wollen Sie?« brachte er mit trockener Kehle hervor. + +»Mit dir abrechnen will ich«, war die kurze Antwort, die dem +Vizewachtmeister das Blut erstarren machte. + +Einen Augenblick standen die beiden Männer einander gegenüber, da +erkannte Roth seinen ehemaligen Freund. + +»Ach, du bist es, alter Kerl, was willst du denn hier?« stieß er mit +heiserer Stimme hervor. + +»Das will ich!« schrie Schmitz und ließ seinen Stock sausend durch die +Luft fahren. Der erste Schlag traf den Gegner mitten ins Gesicht. + +Der zum Tod Erschrockene taumelte einen Augenblick, ehe er aber seinen +Säbel ergreifen konnte, sauste ihm ein kräftiger Hieb nach dem anderen +in's Gesicht, auf den Kopf, die Schultern und Hände. + +Da stürzte er sich wie ein wildes Tier auf seinen Gegner. Schmitz aber +holte aus und gab dem Wachtmeister eine schallende Ohrfeige, daß er +rücklings zu Boden fiel. + +»So, du ehrloser Hund, du feiges, dreckiges Aas, das war für deine +gemeine Gesinnung und das ist für deine Lügerei!« Dabei gab er dem am +Boden Liegenden einen derben Tritt und entfernte sich. + +Im Gehen rief er noch spöttisch seinem Opfer zu: + +»Jetzt darfst du mich wieder melden, du Schweinehund, aber dann habe ich +so Verschiedenes zu erzählen!« + +Nun war dem alten Futtermeister wieder wohl um's Herz, jetzt konnte er +sein Schicksal ruhiger tragen, denn er wußte den Gegner gestraft. Die +Rache ist doch süß! + +Vizewachtmeister Roth mußte mehrere Wochen im Lazarett verbringen, bis +seine Wunden im Gesicht und an den Händen geheilt waren. Er hatte +angegeben, von einem betrunkenen Arbeiter überfallen worden zu sein und +behauptete, ihn mit dem Säbel zu Boden gestreckt zu haben. + +Daran wollte aber niemand recht glauben, denn es meldete sich weder ein +verwundeter Arbeiter, noch war ein solcher durch Nachfragen bei den +Ärzten der Umgegend festzustellen. Im Stillen wußte jeder, aus welchem +Laden der verhaßte Wachtmeister seine Prügel bezogen hatte. + +Schmitz aber feierte in der Silvesternacht seine Rachetat durch einige +Glas Bier, die er sich lange nicht geleistet hatte. Als er beim Schein +der Lampe Blut an seiner Hand entdeckte, wischte er es ab wie das eines +räudigen Tieres und warf sein Taschentuch in's Feuer. Dann rief er +lustig: + +»Noch eins, Herr Wirt!« + + + + +[Illustration] + + +Viertes Kapitel. + + +In den letzten Tagen des Januar herrschte in den Räumen des +Offizierskasinos rege Tätigkeit. + +Ein ganzes Aufgebot von Tischlern, Malern und Gärtnern war damit +beschäftigt, die Zimmer und Korridore samt Veranda und Wintergarten in +einen Festplatz mit zahlreichen Buden und Zelten umzuwandeln, damit +Prinz Karneval in den ersten Tagen des Februar einen würdigen Einzug +halten könne. + +Unter dem Dach grünender Bäume waren buntbemalte, mit Plakaten aller Art +bedeckte Schaubuden aufgeschlagen, in denen es köstliche Leckerbissen +und allerlei Getränke, vom einfachsten Selterwasser bis zum echten +Französischen, zu kaufen geben sollte, in einer anderen sollten einige +als wilde Tiere frisierte Soldaten in Freiheit vorgeführt werden, ein +drittes Zelt war als Bühne hergerichtet, auf welcher man durch +Spezialitätenvorstellungen die Lachmuskeln der Festbesucher in Bewegung +halten wollte. Zwei mit Bänken besetzte Rasenplätze luden zu den +Genüssen einer Musikbande und echten Pilseners ein, während im +Nebenzimmer ein Standesamt errichtet war, wo man sich unter Verabfolgung +eines Glases Sekt für zehn Pfennig trauen und nach einer Stunde wieder +scheiden lassen konnte. + +Der große Speisesaal stellte den Hauptfestplatz dar. Auf einer mit +Zweigen umkränzten Kanzel war Platz für ein Musikkorps, und die +Trompeter des Regiments schweiften täglich in der ganzen Gegend umher, +um irgendwo ein recht zerlumptes Musikantenkostüm aufzutreiben. + +Sogar eine Photographierbude fehlte nicht, an deren Außenwand die +verlockendsten Porträts und Gruppenbilder zu sehen waren. + +Natürlich bildete die bevorstehende Festlichkeit den Hauptgesprächstoff +während des Offiziersmittagstischs. Jeder wollte so originell als +möglich angezogen erscheinen, und es war ein langes Hin- und Herberaten, +bis man sich über das zu wählende Kostüm schlüssig wurde. + +So kam der Tag des Festes allmählich heran. Am Nachmittag traf ein +kleines Heer von Friseuren ein, und der Regimentsschneider zog mit +seiner Nadelgarde von einem Herrn zum anderen, um noch Änderungen an den +Kostümen vorzunehmen oder mit hülfreicher Hand einzugreifen, wo etwas +nicht paßte. + +Um sieben Uhr erwarteten die Ordonnanzen in schwarzen Kellnerfräcken +die Festteilnehmer, und es währte keine halbe Stunde, bis die Herren und +Familien des Offizierkorps mit ihren Gästen vollzählig erschienen waren. + +Es bot ein buntes, farbenprächtiges Bild, wie sie alle in ihren +mehr oder minder geschmackvollen originellen Verkleidungen +durcheinanderwogten, während die Musik aus den verschiedenen Ecken +des Festplatzes ihre Tanzweisen ertönen ließ. Dabei floß der Sekt in +Strömen, und an einem Gartentische sah man sogar einen derben Bauern, +den Knotenstock zwischen den Beinen, eine Portion Kaviar verzehren, +während daneben ein Zirkusklown einen Hummer zerlegte. + +Die drolligste Figur aber war der Kommandeur in seinem polnischen +Bauernkostüm, mit der Pelzkappe auf dem Kopf. Wäre er in dieser +Verkleidung auf dem Schweinemarkt in Pommern erschienen, hätte jeder +Käufer einen bedeutenden Borstentier-Züchter in ihm vermutet, mit dem es +sich lohnte, einen Handel anzufangen. Es machte ihm sichtlich auch keine +Mühe, durch entsprechende Gebärden und Bewegungen die Treue seiner Rolle +zu erhöhen. + +Da der Sekt auf allgemeine Unkosten ging, war der Herr Oberst schon nach +einer Stunde »veilchenblau«. + +Sein hoher Adjutant hatte nicht gut daran getan, die Verkleidung eines +polnischen Juden zu wählen, denn auf diese Weise ersetzte er geschickt, +was seinem Äußeren am waschechten Mauschel noch fehlte. + +Frau König sah als Kammerzofe reizend aus, und ihre blauen Augen +strahlten vor Vergnügen. Wäre es im Ernst gewesen, so hätte die +niedliche blonde Dirn mit dem lebensfrohen frischen Gesichtchen sofort +eine Stellung mit hohem Lohn gefunden. Dies erkannte auch der +Jägerbursch, dessen Züge denen Bleibtreu's auffallend ähnlich waren, und +er beschloß, mit dem sauberen Mädel »zu gehen«, um sich dann mit ihm zum +Standesamt zu begeben. Erst das Ende des Festes machte einen Strich +durch die so schönen »Flitterstunden« des jungen Paares und führte ihm +die rauhe Wirklichkeit in Gestalt des zum Aufbruch mahnenden Gatten vor +Augen. + +Auch Frau Leimann erschien als Vierländerin nicht minder begehrenswert. +Das Kostüm stand ihr gut, und Borgert weidete sich mit sichtlichem +Behagen an der schönen Figur und den kleinen Füßchen seiner +Hausgenossin. + +Frau Kahle kokettierte als Blumenmädchen mit den jüngeren Herren, indem +sie aller Augen auf den Ausschnitt ihres Kleides zog, an welchem sie +eine herrliche Rose befestigt hatte. Auch sie spielte ihre Rolle +vortrefflich, denn der Sekt ließ bereits eine befriedigende Wirkung +erkennen. Leutnant Kolberg als Modegigerl hatte ihr bereits alle Blumen +abgekauft und sie dann als »Arbeitslose« gänzlich mit Beschlag belegt. + +Frau Rittmeister Stark allein paßte gar nicht in das Milieu des +Festplatzes hinein. Die Wahl ihrer Gewandung hatte ihr heftiges +Kopfzerbrechen verursacht, denn als Blumenmädchen oder Balletteuse zu +erscheinen, schien ihr zu gewagt. Die Rolle einer Äpfel- oder Butterfrau +fürchtete sie als zu naturgetreu, und so schwebte sie denn in einem +schillernden Phantasiekostüm durch die Menge, das sie auf Befragen +neckisch für das einer »Nixe in mittleren Jahren« erklärte. So hatte sie +sich in eine Wolke rosa und mattgrüner Spitzen gehüllt, und der +gewaltige Busen schien die Meereswogen darzustellen, während die bloßen +Arme eigentlich mehr den Eindruck machten, als seien sie das +Handwerkszeug einer »Kraftmenschin« oder Riesendame. + +Drei jüngere Herrn bildeten ein vortreffliches Vagabunden-Kleeblatt, und +man konnte glauben, die zerlumpten Gesellen hätten sich meuchlings von +der Landstraße eingeschlichen, um einmal ein Fest der »oberen +Zehntausend« mitzumachen. Die zu ihrer Rolle passende Trunkenheit +hatten sie sich in kürzester Zeit angeeignet. + +Leutnant von Meckelburg stand als Leierkastenmann unbeweglich in einer +Ecke und konnte sich nicht entschließen, an dem lustigen Treiben +teilzunehmen, dabei machte er ein Gesicht, welches nicht unmittelbar auf +die Anwesenheit von Geist schließen ließ. Erst als er in späterer Stunde +seine musikalische Dekoration in einem Winkel des Festplatzes verborgen, +stellte sich allmählich etwas Geist ein, der aber dem Grunde einer +geleerten Sektflasche entstammte. + +Die Musik spielte die schönsten Tanzweisen und benutzte die Pausen zu +intensivem Studium des Bierfasses, dessen Hahn aus dem Tannengrün ihres +Podiums herauslugte. + +Um 11 Uhr begann die Festvorstellung auf der kleinen dazu errichteten +Bühne. + +Ein Leutnant trug als Einleitung zwei prinkelnde Kouplets vor, indem er +als anmutige Chansonette in einem reichlich dekolletierten Babykleidchen +auf der Bühne herumhüpfte. Daran schloß sich die Aufführung einer +Parodie auf Shakespeares »Hamlet«, in deren Verlauf sämtliche +Mitwirkende durch Mord, Gift, Blitz, Hunger und Durst elendiglich zu +Grunde gehen. Zum Schluß trat sogar der Souffleur auf die Bretter und +gab, erschüttert durch die vor seinen Augen sich abspielenden Greuel, +seinem inhaltlosen Leben durch freiwilligen Sturz in die Versenkung +einen würdigen Abschluß. + +So war die Stimmung immer anregender geworden und allmählich unterschied +sich die Fastnachtsfeier des Offizierkorps nur noch durch den immer noch +strömenden Sekt von dem Treiben auf einem wirklichen Festplatz zur Zeit +der Dorfkirmes. + +Leutnant Kolberg hatte sich inzwischen mit Frau Rittmeister Kahle in +einer Laube niedergelassen und eine Rollschutzwand davorgestellt, um +ungestört und ungesehen ein trautes Stündchen zu verbringen. + +Eine kleine »Flirtation« war ihm Lebensbedürfnis, und, da die Garnison +mit ihren soliden Bürgerstöchtern und ehrbaren Frauen seinen +diesbezüglichen Ansprüchen nicht gerecht wurde, wollte er einmal hier +sein Heil versuchen. Er wußte ja von Pommer her, wes Geistes Kind Frau +Grete war und wollte nun auf diplomatischem Wege das Feld sondieren. + +Die dazu erforderliche Zeit aber hatte er zu lange bemessen, denn schon +nach einer Viertelstunde lag die kleine Frau wonne- und liebestrunken in +seinen Armen und wehrte sich nicht im Geringsten, als der feurige Galan +die Rose am Busen seiner neuen Geliebten einer eingehenden Besichtigung +unterzog. + +Das war doch ein anderer Kerl wie sein unbeholfener Vorgänger, der +hatte Mut und Feuer, und sie malte sich ein Liebesleben mit dem neu +eroberten Romeo in den glänzendsten Farben. + +In einer anderen Laube saß Oberleutnant Leimann ganz allein und vergoß +Bäche von Tränen. Das heulende Elend hatte ihn wieder pünktlich nach dem +sechsten Glase gepackt. + +Jeden tröstlichen Zuspruch wies er schroff zurück, und die Ordonnanzen +wollten sich tot lachen, wenn sie den heulenden ungarischen Magnaten wie +ein Häuflein Unglück auf einem Weinfaß sitzen und herzbewegend +schluchzen sahen. + +Seine Gattin fand die Situation höchst langweilig und beschloß daher, +einen Migräneanfall zu bekommen. Sie nahm also mit müden Zügen in einer +anderen Ecke Platz und bat den sofort hinzukommenden Borgert, sie nach +Hause zu bringen. + +Durch diesen Auftrag nicht unangenehm berührt, bot er der schönen +Vierländerin den Arm, geleitete sie zur Garderobe, warf ihr den +Pelzmantel über die Schultern und geleitete sie nach Hause. + +Als sie vor der Tür des gemeinsamen Hauses standen, tat sie einen tiefen +Seufzer und sagte leise: + +»Die Luft hat mir gut getan! Es ist mir wieder wohl!« + +»Also darf ich Sie wieder zum Kasino zurückbegleiten?« war Borgert's +Antwort, und der Ton seiner Stimme verriet sichtliche Enttäuschung. + +»Ach nein, wir wollen bei mir noch eine Tasse Kaffee trinken, das wird +uns gut tun, ich habe auch gar keine Lust, wieder unter diese +betrunkenen Menschen zu gehen, es ist ein widerwärtiger Anblick!« + +»Ganz wie Sie wünschen, meine Gnädigste!« + +Dabei schob er den Schlüssel in das Schloß, öffnete die Tür, und beide +stiegen schweigend die dunkle Treppe hinauf. + +Als sie im Zimmer angelangt waren, holte Borgert die Lampe herbei und +zündete sie an. Er kannte genau den Platz, wo sie zu finden war. Dann +griff er nach einer Zeitung und setzte sich träge in die Sofaecke. + +Frau Leimann aber war im Nebenzimmer verschwunden, um nach wenigen +Augenblicken wieder mit der Kaffeemaschine zu erscheinen, auch hatte sie +das Fastnachtskostüm mit dem Morgenrock vertauscht, dessen weicher +Faltenwurf sich kosend an die schönen Glieder schmiegte. + +»So,« sagte sie, die Gardinen zuziehend, »jetzt sind wir endlich in +unseren vier Pfählen, jetzt wollen wir noch ein Stündchen gemütlich +plaudern!« + +Dabei ließ sie sich ebenfalls auf das Sofa fallen, und Borgert's Augen +hingen wie trunken an der jugendlich schönen Gestalt, die sich unter +dem Stoff des Gewandes verriet. + +»Endlich allein! könnte man eigentlich sagen,« scherzte Borgert, +»hoffentlich kommt Ihr Gatte nicht zu bald nach, damit unser idyllisches +Kaffeestündchen nicht gestört wird.« + +»Mein Mann?« erwiderte Frau Leimann mit spöttisch emporgezogenen Lippen, +»der kann bleiben wo er ist, wie ich ihn kenne, kommt er vor morgen früh +auch nicht nach Hause. Ich habe den Menschen schrecklich satt! Ich kann +ja zu Ihnen offen reden!« + +»Ja, gnädige Frau, das sind eben die Freuden und Leiden des Ehestandes. +Drum prüfe, wer sich ewig bindet, sagt Schiller, denn sonst gibt es eben +ein Unglück!« + +»Sie haben gut reden! Man kann doch in den paar Wochen, die man verlobt +ist, nicht seinen Zukünftigen so kennen lernen, wie man es in der Ehe +tut. Hätte ich das gekonnt, dann hätten wir nicht diese Dummheit +begangen, uns zu heiraten. Denn ich bin ihm jetzt zu arm und er wird mir +allmählich unausstehlich!« + +»Darum heirate ich nie, ich lasse die Finger von diesem Hazardspiel!« + +»Aber man ist doch schließlich dazu da!« erwiderte Frau Leimann fast +gereizt, »man will doch später nicht als alte Jungfer zum Gespött der +Leute werden.« + +»Nach unseren Gesetzen und gesellschaftlichen Regeln hilft es eben +nichts, gnädige Frau, da heißt es entweder heiraten oder ledig bleiben. +Aber das ist entschieden eine Lücke in unserer Weltordnung. Wie wenige +sind es, die, nach langjähriger Ehe vor die Frage gestellt, ob sie sich +noch einmal heiraten würden, mit einem aufrichtigen »Ja« antworten +könnten! Meistens würde man doch die Gelegenheit benutzen, auseinander +zu laufen. Ich setze dabei also voraus, daß es eine Bestimmung gäbe, die +nach beispielsweiser zehnjähriger Ehe diese trennen und den Gatten eine +nochmalige gegenseitige Heirat gestatten würde.« + +»Sie haben Recht, manche möchten schon nach den ersten Wochen wieder +auseinander, aber sie müssen weiter neben einander her vegetieren, weil +sie durch die sogenannte Ehe zusammengebunden sind.« + +»Das wäre etwas voreilig gehandelt, gnädige Frau, denn viele Ehegatten +müssen sich erst an einander abschleifen und ganz genau kennen, um sich +schätzen zu lernen, wozu oft lange Jahre gehören, und dann kommt es doch +häufig vor, daß sie in späteren Jahren recht gut miteinander auskommen, +während sie früher wie Hund und Katze standen.« + +»Gewiß, aber wenn nach zehn Jahren keine Liebe da ist, dann kommt sie +auch nicht mehr!« + +»Das möchte ich beinahe auch glauben,« lachte Borgert, »man sieht eben, +die Ehe ist keine zeitgemäße Einrichtung. Sie mag gut sein für zwei +Menschenkinder, die äußerer Vorteile wegen, wie sie auch sein mögen, +sich heiraten. Aber für Menschen, die nur zusammenkommen, weil sie +glauben, sie lieben sich, ist es nichts, denn wenn die Liebe vorbei ist, +ist die Ehe nur ein Martyrium. Und deswegen sollte es für solche, die +sich näher treten wollen, eine andere Einrichtung geben, als sie dann +gleich fürs ganze Leben aneinander zu fesseln!« + +»Sie meinen also dann, an Stelle der Ehe sollte man die sogenannte +»freie Liebe« einführen?« + +»Gewiß, gnädige Frau, entweder das, oder, wenn dies aus irgend welchen +Gründen nicht ratsam erscheinen sollte, eine Einrichtung schaffen, wie +sie die Orientalen haben. Hat dort ein Mann sich an einer Frau +gesättigt, wenn ich mich drastisch ausdrücken soll, so geht er einfach +zur nächsten über, denn er darf sich ein ganzes Hans voll halten. Aber +er wird einer einzelnen gar nicht so schnell überdrüssig, weil er eben +Abwechslung in der Liebe haben kann. Und man kann doch keinen Menschen +zwingen, sein ganzes Leben nur immer denselben oder dieselbe zu +lieben!« + +»Da schiene mir denn doch die freie Liebe noch ratsamer, wenn Sie einmal +die Einzelehe verwerfen wollen, denn sie wäre noch weniger durch Grenzen +und Gesetze beengt, wie es die orientalische Ehe trotzdem ist.« + +»Selbstverständlich, welchen Unsinn und widernatürlichen Zwang unsere +Ehe bedeutet, sehen Sie, wenn Sie ihr Wesen einmal genau definieren. Was +heißt Ehe? Ein Bündnis zwischen Mann und Frau, die sich lieben oder +deren äußere Verhältnisse eine Verbindung ratsam erscheinen lassen. +Dabei machen Kirche und Gesetz, manchmal auch nur letzteres allein, +dieses Bündnis, Ehe genannt, zu einem rechtmäßigen. + +Aber erstens: die sich lieben. Tun sie das immer und dann durch das +ganze Leben? Nein, nur in der Minderzahl der Fälle bleibt eine etwa zu +Anfang vorhandene Liebe bestehen, aber die Ehe ist von Gott und Natur +dazu bestimmt, Liebende zu verbinden. Tut sie das nicht, ist es Unsinn. + +Zweitens: eine Ehe zwischen äußeren Umständen gibt es auch nicht, denn +um aus gemeinsamen Vorteilen, oder wie Sie es nennen wollen, Gewinn zu +haben, ist Handel und Geschäft der richtige Weg, aber nicht die heilige +Ehe. + +Drittens: eine Ehe, in welcher die Liebe schwinden kann, ist ebenfalls +hinfällig, denn man muß bei der Trauung dem Pfarrer, gewissermaßen also +dem Stellvertreter Gottes, das eidliche Versprechen geben: wir wollen +uns das ganze Leben in Liebe angehören. Dieser Eid ist also sofort in +einen Meineid verwandelt, wenn die Liebe schwindet. Und wie kann man +mich denn zwingen, etwas zu schwören, von dem ich noch gar nicht weiß, +ob ich es zu halten im stande bin? Wider die Natur kann doch kein +Mensch! + +Der Begriff Ehe ist also abgetan. + +Was haben nun weiter Gesetz und Kirche mit der Verbindung zweier +Menschen zu tun, die sich lieben? Die Kirche gibt ihren Segen dazu und +soll den Bund heiligen. Das ist aber überflüssig und lediglich eine +Formsache, denn das Gefühl der Weihe, wie es die Trauung einflößen soll, +haben zwei Menschen von selbst, die sich wirklich gern haben und den +Entschluß fassen, sich zu verbinden. + +Ferner, ein Gesetz muß es ja geben, denn es bildet die Norm für +auseinandergehende Ansichten, und ohne Gesetz ist kein Staat, kein +gemeinschaftliches Wirken zweier oder mehrerer Menschen denkbar. Die +Liebe als solche aber, wie sie allein zwei Gatten zusammenführen soll, +braucht keine Gesetze, denn diese sind von der Natur aufgestellt. Ein +Gesetz schreibt Handlungen oder Unterlassungen vor, gibt Anhaltspunkte +für das menschliche Zusammenleben und Wirken, Gefühle aber kann es +nicht vorschreiben, also auch nicht rechtskräftig machen. + +Zwei Menschen also, die sich wirklich lieben und fühlen, daß sie +zusammen gehören, verbinden sich am natürlichsten durch die freie +Liebe!« + +»Aber warum sollen sie sich denn nicht heiraten, wenn sie unbedingt +glauben, zusammen zu gehören?« warf Frau Leimann ein. + +»Weil sie der Kirche keinen falschen Eid geschworen haben, wenn die +Liebe einmal schwindet, auch können sie dann ruhig wieder auseinander +gehen.« + +»Aber dafür gibt es doch die Scheidung!« + +»Gewiß, die gibt es. Eine Scheidung aber wirbelt meist so viel Staub auf +und hat oft so nachteilige Folgen für die Beteiligten, daß sie lieber +jahrelang in gegenseitigem Überdruß, oder gar in Haß und Verachtung +neben einander leben, als sich zur Scheidung entschließen. Abgesehen von +den großen gesetzlichen Schwierigkeiten einer solchen ist es aber auch +meist schwer, die nun einmal verbundenen äußeren Umstände, Vermögen u. +s. w. zu trennen. + +Hört freie Liebe auf, so geht man stillschweigend wieder auseinander und +führt nicht jahrelang ein widernatürliches Leben in einer sogenannten +Ehe. Auch werden sich Mann und Frau, solange wahre Liebe zu einander +vorhanden ist, nicht gegenseitig mit einem anderen betrügen, und damit +wäre viel Unglück und Sünde aus der Welt geschafft.« + +»Aber dann müßte ja jeder gesellschaftliche Familienverkehr aufhören, +denn die Männer eines gemeinsamen Wirkungskreises, z. B. eines +Offizierkorps oder die Beamten eines Gerichtes würden dann aus so +verschiedenen Schichten der Gesellschaft oder des Volkes ihre Frauen +wählen, daß diese gar nicht zusammen passen würden!« + +»Das wäre kein Hinderungsgrund, gnädige Frau: die zu einander passen, +könnten doch miteinander verkehren. Die übrigen bleiben sich eben +gegenseitig fremd. Oder finden Sie es etwa schön, daß Frauen, die sich +innerlich ganz fern stehen und bleiben, jeden Tag wie dicke Freundinnen +zusammensetzen, weil es der gesellschaftliche Verkehr verlangt?« + +»Das finde ich allerdings nicht schön, man braucht sich ja nur einmal +unsere Damenkaffees zu betrachten.« + +»Die Wahl der Frau in der freien Liebe ist an keine Gesellschaftsklasse +gebunden, weil dann die Frau dem Manne eben nicht dazu dient, sich +äußere Vorteile in Stellung oder pekuniärer Beziehung zu schaffen oder +um mit ihr Staat zu machen, sondern nur für die Liebe, also für das +engere Leben in Haus und Familie.« + +»Aber die Ehe ist doch eigentlich nur die Form für ein Naturgesetz, daß +nämlich das Menschengeschlecht erhalten wird.« + +»Stimmt, aber dieses Naturgesetz wird weit besser durch die freie Liebe +als durch die Ehe gefördert. Nehmen Sie eine Ehe, in welcher die +wirkliche Liebe der Gatten zu einander geschwunden ist, oder sie sich +vielleicht sogar überdrüssig sind. Scheiden lassen wollen sie sich +nicht, aber Kinder werden doch in die Welt gesetzt, eins nach dem +anderen. Diese aber sind keine Kinder der Liebe, und ihre Erziehung, +Charakter- und Gemütsbildung muß doch darunter leiden, wenn sie keine +inneren Beziehungen, keine Herzens- und Seelenverwandschaft der Eltern +empfinden, denn dahinter kommt ein Kind sehr bald. Aber auch die +Kinderzahl würde sich in der freien Liebe verringern, denn ein Mann, der +seine Frau wirklich lieb hat, macht keine Maschine aus ihr, und glauben +Sie nicht, daß zum Glück einer Ehe schon zwei Kinder genügen? Jedes +weitere bringt nur Last und Sorge. Wenn aber, besonders in niederen +Volksklassen, die Kinderzahl abnimmt, ist auch gleichzeitig eines jener +Grundübel beseitigt, die den Sozialismus fördern.« + +»Nun nehmen Sie aber eine Ehe, die fünf Kindern das Leben gibt und +setzen Sie statt der Ehe die freie Liebe: Der Mann wählt jedes Jahr +eine andere Frau, das lassen Sie zwanzig Jahre so fortgehen und es gibt +unter normalen Umständen zwanzig Kinder statt fünf. Was soll aus ihnen +werden? Der Mann kann doch nicht jedesmal in sein neues Liebesverhältnis +die jährlich wachsende Kinderzahl mitbringen und sie alle großziehen!« + +»Betreffs der Kinder der freien Liebe könnte es ja ein Gesetz geben, +welches dem Vater dieselben Verpflichtungen auferlegt, wie sie für +außereheliche Kinder bestehen. Dann würde er sich schon einzurichten +wissen, wenn er zu regelmäßigen, seinem Einkommen entsprechenden +Geldopfern gezwungen wäre.« + +»Und wenn der zweiten Frau nicht paßt, daß er das Kind des ersten +Verhältnisses mitbringt?« + +»Dann könnte man Erziehungshäuser in großem Styl errichten. Schon unter +den jetzigen Verhältnissen wäre es oft gut, wenn ein Kind nicht bei den +Eltern aufwüchse, die nicht harmonieren, und so dem jugendlichen Gemüt +Eindrücke zu teil werden, die ihm nicht von Nutzen sind. + +Indeß nennt man ja Kinder das Unterpfand der Liebe, sie würden das +einmal eingegangene Verhältnis erhalten helfen.« + +»Dann kämen wir also wieder auf die Ehe zurück!« + +»Gewiß, aber auf eine Ehe, die wir jeden Tag selbständig lösen dürfen. + +Wir Menschen tun gut, uns in allem an die Natur zu halten, an ihr +künsteln und bessern zu wollen, hat meist den entgegengesetzten Erfolg. +Ein Tier tritt auch nicht vor den Altar oder den Standesbeamten, wenn es +sich mit einem anderen paaren will. Sind sie von einander gesättigt, +läuft das eine wieder nach Süden, das andere nach Norden.« + +»Wir sind aber doch mehr wie Tiere!« lachte Frau Leimann. + +»Dafür haben wir auch die Liebe, ein Tier kennt nur Triebe!« + +Frau Leimann schwieg. Ein so ernstes Gespräch hatte sie lange nicht +geführt und es machte ihr fast Mühe, dem Gedankengang zu folgen. Schien +ihr auch mancher Punkt noch anfechtbar, im Grunde war es doch richtig +mit dieser freien Liebe, und sie bedauerte beinahe, daß man in der +Kultur noch nicht so weit gekommen sei. Das wäre eher nach ihrem +Geschmack gewesen, als die Ehe mit so einem langweiligen, häßlichen +Mann, wie ihr Gatte war, mit so unendlich vielen schlechten +Eigenschaften. Sie besaß auch genügend Feingefühl, um mit dem schlauen +Verstand einer Frau zu empfinden, wo hinaus Borgert mit Entwickelung +dieser seiner Ansichten wollte. Sie warf daher ihr erhitztes Köpfchen +auf, blinzelte verschmitzt den Apostel der freien Liebe von der Seite +an und fragte mit erheuchelter Unbefangenheit: + +»Nun, sagen Sie, wenn eine Frau schon verheiratet ist, also bereits +durch eine Gesetzesehe gebunden, und kommt nun nachträglich zur +Einsicht, daß die freie Liebe besser ist? Was dann?« + +»Dann mag sie ihrer Einsicht folgen, nur darf sie es nicht so +offenkundig vor aller Augen tun, da sie es eben nach den vorläufig noch +bestehenden Grundsätzen über eheliche Treue nicht darf. Sie muß es +machen wie die Pariserin.« + +»Dann wird es aber Zeit, daß ich mich nach einem solchen heimlichen +Romeo umsehe, denn mein Gesetzlicher wird mir allmählich unheimlich!« +rief Frau Leimann belustigt. + +»Kann ich Ihnen dabei behilflich sein, Gnädigste?« entgegnete Borgert +ebenfalls scherzend. + +»Sie würden es sich damit wahrscheinlich wieder leicht machen, denn, +wenn ich mich recht entsinne, stellten sie sich schon einmal +freundlichst zur Verfügung!« + +»Womit ich auch in diesem Falle meine Dienste beginnen würde!« + +»Dann könnte ich ja mit Ihnen einmal die neue Theorie probieren, schade, +daß kein heimlicher Standesbeamter da ist. Aber nein, den haben Sie ja +als überflüssig verworfen.« + +»Nein, den brauchen wir nicht, wir machen die Sache unter uns ab!« sagte +Borgert scherzend. + +»Bedarf es denn gar keiner Formalitäten?« + +»Gewiß, sogar vieler, und zwar derselben wie beim Abschluß einer +richtiggehenden Ehe!« + +»Ach so, Sie meinen einen Händedruck und einen innigen, tränenfeuchten +Blick?« + +»Auch das gehört dazu.« + +»Auch? Was denn noch? Ich habe so ein schlechtes Gedächtnis.« + +»Ich will es Ihnen ins Ohr sagen, rücken Sie etwas näher!« + +Frau Leimann rückte dicht neben Borgert und sagte, unbefangen scherzend: + +»Das scheint ja eine große Heimlichkeit zu sein!« Sie beugte ihren Kopf +zu Borgert hin, welcher in diesem Augenblick mit beiden Armen die schöne +Frau umschlang, während seine Lippen die ihren suchten. Da schlang auch +sie die Arme um den Mann, und lange hielten sie sich so umschlungen, +während ein heißer, glühender Kuß all die verhaltenen Gefühle der Liebe +auszuströmen schien, die lange beider Herzen erfüllt. + + * * * * * + +Die Lampe war schon im Erlöschen begriffen, als ein unsicherer, schwerer +Schritt auf der Treppe vernehmbar ward. + +»Er kommt!« stieß Frau Leimann erschrocken aus, »Du mußt dich eilen, daß +er dich nicht hört!« + +Eine letzte Umarmung, und Borgert huschte durch das Speisezimmer dem +anderen Ende des Korridors zu, um über die Hintertreppe nach seiner im +Erdgeschoß gelegenen Wohnung zu gelangen. An der Tür aber zog er behend +die Schuhe aus und tappte leise die dunkle Treppe hinab. + +Frau Leimann aber blies die Lampe aus, stellte Borgerts Kaffeetasse +unter das Sopha und legte sich wie schlafend in die weichen Kissen +zurück. + +Inzwischen hatte Leimann geräuschvoll die Korridortür geöffnet und trat +jetzt in das Zimmer, wo die Gattin seiner harrte. + +Einen Augenblick blieb er am Eingang stehen. Roch es hier nicht nach +Zigarettenrauch? Dann tastete er mit den Händen nach dem Tisch, ergriff +die Streichholzschachtel und zündete eine Kerze an. Da erblickte er +seine Gattin auf dem Sofa. + +Der Anblick rührte ihn. Hatte die treue Seele auf ihn gewartet, um ihm +noch eine Tasse Kaffee anzubieten? Gewiß war sie vor Müdigkeit +entschlummert und hörte ihn nicht, als er nach Hause kam. So trat er +denn behutsam an das Sofaende und küßte seine Frau auf die Stirn. + +Mit einem leichten Schrei fuhr sie empor. + +»Ach du bist es, Georg, wo bleibst du so lange?« + +»Sei mir nicht böse, mein Engel, daß ich dich warten ließ, aber ich +ahnte ja nicht, daß du meinetwegen aufbleiben würdest. Warum hast du +dich nicht gelegt?« + +Aus den Worten klang ein liebevoller Ton, sie schienen wie eine +Entschuldigung, eine Bitte um Verzeihung; Frau Leimann aber wischte sich +den Schlaf aus den Augen und erhob sich müde. + +»Ich mußte doch auf dich warten, Georg, du warst wieder in einem +schrecklichen Zustand. Als ich dich so sitzen sah, wurde mir so elend, +daß ich es nicht mehr aushalten konnte, und ging nach Hause!« + +»Allein, so spät, in der Nacht? Warum hast du dich nicht von einer +Ordonnanz begleiten lassen?« + +»Borgert hat mich bis an die Tür gebracht, er bot mir seine Begleitung +an!« + +»Dafür muß ich mich morgen bei ihm bedanken, er ist überhaupt immer sehr +aufmerksam gegen dich! Wo ist er denn geblieben, ich habe ihn nicht mehr +gesehen den ganzen Abend!« + +»Er klagte über Kopfweh, hatte auch ziemlich genug, er wird wohl zu Bett +gegangen sein.« + +»Warum hast du ihm nicht noch eine Tasse Kaffee angeboten?« + +»Aber Georg, was sollen denn die Dienstboten denken, wenn sie mich um +diese Zeit noch mit einem Herrn kommen hören, das geht doch nicht! Diese +Marie spitzt und horcht überhaupt immer herum, daß man sich +zusammennehmen muß, daß sie nicht einmal ein Wort auffängt. Ich möchte +nicht wissen, was die über uns schon alles geklatscht hat!« + +»Dann schicke sie doch fort, wenn du ihr nicht traust!« + +»Das hätte ich längst getan, aber ehe sie ihren rückständigen Lohn nicht +hat, kann ich ihr nicht kündigen.« + +»Dann bezahle sie morgen!« + +»Wovon? Hast du das Geld dazu?« + +»Ich? Du weißt, daß ich von meinen paar Mark Gehalt für den Haushalt +nichts hergeben kann. Hat deine Mutter denn diesen Monat noch nichts +geschickt?« + +»Nein, sie hat diesmal selbst nichts übrig!« + +»Natürlich, das alte Lied!« + +»Soll das vielleicht wieder ein Vorwurf sein? Du hast es ja gewußt, daß +ich nicht reich bin, also tue mir den Gefallen, mich endlich mit deinen +Anspielungen und Klagen zu verschonen, ich finde das allmählich +langweilig und geschmacklos!« + +»Ja, das willst du nicht hören! Du hättest früher einsehen müssen, daß +eine solche Wirtschaft ohne Geld ein Unding ist! Jetzt haben wir jeden +Tag die Schweinerei, heute kommt der Metzger, morgen der Bäcker, +übermorgen die Waschfrau, alle wollen sie Geld. Ich kann es mir nicht +aus den Rippen schneiden.« + +»Warst du es nicht selbst, der mich nicht los ließ? Hast du nicht alle +diese Bedenken ausgeschlagen und immer wieder auf eine Heirat +bestanden?« + +»Gewiß, aber du und deine Mutter mußtet so vernünftig sein, den Unsinn +einzusehen, wenn ich es nicht tat. Deine Mutter wußte, was ein Haushalt +kostet, ich aber nicht. Jetzt ist es zu spät.« + +»Das sehe ich selbst ein, das brauchst du mir nicht unter die Nase zu +reiben. Aber meine Schuld ist es nicht, denn wäre alles so geworden, wie +es meine Mutter wollte, brauchtest du dich heute nicht über eine arme +Frau zu ärgern. Du warst nicht der einzige, den ich hätte heiraten +können.« + +»Das hättest du damals gleich sagen können,« entgegnete ihr Gatte +höhnisch, »es tut mir aufrichtig leid, wenn ich störend in deine Zukunft +eingegriffen habe.« + +»Du bist gemeiner, Georg, als ich dachte.« + +»Die Wahrheit wollt Ihr Weiber niemals hören, wenn man euch nicht ewig +Schmeicheleien sagt und schöne Töne vorflötet, seid ihr gleich auf den +Fuß getreten!« + +»Nun, ich bin von dir nicht gerade verwöhnt mit derartigen +Liebkosungen!« + +»Weil ich nicht weiß, wofür ich sie dir schuldig bin. Vielleicht dafür, +daß ich heute nicht weiß, wie ich meinen Schuster bezahlen soll, statt +daß ich auf der Kriegsakademie bin und ein anständiges Leben vor mir +habe?« + +»Schweig, du gemeiner Mensch, du hast kein Recht, mich zu beleidigen! +Verlaß mein Zimmer oder ich verlasse das Haus!« + +»Zu Befehl, meine Gnädigste! Angenehme Ruhe!« + +Dabei schlug Leimann hinter sich die Tür ins Schloß, daß die Fenster +zitterten und begab sich in sein Schlafzimmer. + +Seine Gattin aber vergrub schluchzend das Gesicht in den Sophakissen und +machte in einem Tränenstrom den Gefühlen des Hasses und der Wut gegen +den herzlosen Gatten Luft. Ihr ganzes Inneres empörte sich gegen die +Gefühlsroheit dieses Menschen, dem sie gefolgt war, weil er ihr auf den +Knien schwor, nicht ohne sie leben zu können, und nun trat er die +dargebrachte Liebe mit Füßen, entweihte alle heiligen Erinnerungen eines +Frauenherzens, welche sich an den ernstesten Schritt ihres Lebens +knüpfen und ihm in schweren Stunden eine Stütze, ein Halt sein sollen, +um Unglück und Ungemach leichter ertragen zu können. + +Und hatte sie noch vor wenigen Minuten, als Borgert sich aus ihren Armen +befreite, etwas empfunden wie eine schwere Sünde, ein Verbrechen an der +Heiligkeit der Ehe, eine Gewissenlosigkeit gegen den Ahnungslosen, so +schien ihr jetzt ihre Handlungsweise eine gerechte Sühne und +entschuldbare Folge für die brutale, herzlose Gefühlsroheit ihres +Gatten. + +Denn nie ist das Herz des Weibes mehr empfänglich für die verbotene +Liebe eines fremden Mannes, als in dem Augenblick, da es in den letzten +Zuckungen liegt von dem Todesstoß, den ihm der eigene Gatte gab. + + * * * * * + +Der Morgen des jungen Tages vertrieb die letzten Festgäste aus dem +Kasino. Ausnahmslos hatte der Sekt seine Wirkung getan, und man verließ +den Festplatz in einer Stimmung, die darnach angetan war, die Grenzen +des guten Tones immer mehr zu überschreiten. + +Die nahe Turmuhr schlug fünf, als die letzten, Rittmeister Stark nebst +Gattin und der Oberst, den seit drei Stunden wartenden Krümperwagen +bestiegen, dessen Pferde, durch den anhaltenden Regen ganz steif +geworden, sich kaum entschließen konnten, ihre Last in den Morgennebel +zu ziehen. Erst als der Kutscher einen Puff erhalten und mit der +Peitsche diesen an die armen Tiere weitergegeben hatte, kam das Gefährt +ins Rollen und brachte die übermütigen Nachtschwärmer ihrer Wohnung zu. + +Leutnant von Meckelburg und Oberleutnant Specht konnten zwar kaum noch +auf den Beinen stehen, aber sie gingen getrost in die Kaserne, um von +5-6 Uhr Instruktion abzuhalten, nachdem sie sich schnell umgezogen. +Specht vergaß sogar, seinen künstlichen Schnurrbart zu entfernen und +erschien mit dieser an ihm ungewohnten Zierde der Männlichkeit vor +seinen lächelnden Rekruten. + +Die meisten andern Herren zogen es vor, erst ihren Rausch ein wenig +auszuschlafen und ließen Dienst Dienst sein, vor 11 Uhr kam heute doch +kein Rittmeister in die Kaserne. + +Sie sollten mit ihrer Vermutung auch Recht haben. Rittmeister König +allerdings war pünktlich um 7 Uhr zur Stelle und wohnte Bleibtreus +Reitunterricht bei, um dann eine Zählung der Kammerbestände vorzunehmen. +Sein Grundsatz war und blieb: Vergnüge dich, so viel du willst, aber +Dienst ist Dienst. + +Hagemann erschien erst gegen elf Uhr auf der Bildfläche, um seinen Kater +von seinem Leibroß ein wenig spazieren tragen zu lassen. Stark dagegen +zog es vor, ganz zu Hause zu bleiben. Dafür kontrollierte seine wackere +Gattin, mit dem Notizbuch in der Hand, ob alle Reitlehrer bei ihren +Abteilungen seien und notierte Kolberg als den ersten, der den Dienst +»schwänzte«. + +Um 1/2-1 Uhr empfing sie den Besuch des Rittmeisters Hagemann, der sich +entschuldigen wollte, weil er am gestrigen Abend infolge seiner sehr +angeregten Stimmung der »Meernixe« einige unzarte Schmeicheleien gesagt +hatte. Er hatte nämlich geäußert, sie müsse infolge ihres Fettgehaltes +vorzüglich schwimmen können, wenn das Meer nicht vor der Fülle ihres +Nixenleibes aus den Ufern träte. + +Leimann ging ebenfalls eilig im Helm durch die Hauptstraße, um auch +seinerseits für sein gestriges Benehmen um Entschuldigung zu bitten. + +Erst der Abend fand die Mehrzahl der Herren bei einem solennen +Dämmerschoppen im Kasino versammelt, wo man das Fest des vergangenen +Tages besprach und in mehr oder minder würzigen Reden die einzelnen +Teilnehmer einer Kritik unterzog. + +Borgert verstand es dabei, in ganz besonders scherzhafter Weise das +Neuste über den nicht mit anwesenden Kolberg und Frau Kahle zu +berichten. Seinem Späherauge war nichts entgangen, er vermochte sogar zu +sehen, was hinter einer Rollschutzwand geschah. + +Indessen saß der Geschmähte behaglich am warmen Ofen seines Zimmers, auf +seinen Knieen aber Frau Kahle. + +Sie hatte es vor Sehnsucht nicht aushalten können und war unter dem +Vorwand, Besorgungen machen zu müssen, ihrem Gatten entwischt und im +Schutze der Dunkelheit nach dem Ende der Stadt in den kleinen Garten +geeilt, zwischen dessen hohen Kastanien das kleine von Kolberg bewohnte +Häuschen stand. + +Dieser Versuch, ein ungestörtes Schäferstündchen zu genießen, glückte so +gut, daß es sich lohnte, ihn so oft wie nur möglich zu wiederholen. Es +war auch besser so, als dieses langweilige Spazierengehen, denn in dem +kleinen Nest paßte ein jeder auf und freute sich wie ein König, wenn er +etwas zu erzählen hatte, was ein anderer noch nicht wußte. Selbst den +Bäumen im Walde konnte man nicht trauen, war es doch schon vorgekommen, +daß ein Unteroffizier aus der Krone einer Ulme herabstieg, an deren Fuß +ein anderer sich mit seiner Braut vergnügte, und der Treulosen eine +ausgibige Portion Prügel verabreichte. + +Außerdem war die Witterung meist kalt und schlecht, und zur Liebe +braucht man Wärme. + +So aber merkte niemand etwas. Sie ging einfach aus, um Einkäufe zu +machen, und dann waren nach Eintritt der Dunkelheit die Straßen meist +so leer, daß sie kaum einem Menschen begegnete, wenn sie dem einsamen, +abgelegenen Häuschen zuging. + +Die Glücklichen rechneten nicht einmal damit, daß man vor dem Burschen +auf der Hut sein müsse, er wurde eben jedesmal in die Stadt oder zur +Kaserne geschickt. Er hatte aber bald heraus, daß diese regelmäßigen +Sendungen am Montag und Donnerstag nur ein Vorwand seien, denn die +Aufträge, die er dabei erhielt, waren oft recht sonderbarer und +überflüssiger Art. So stellte er sich denn eines Tages hinter einem Baum +und erblickte zu seinem nicht geringen Erstaunen die Gattin des +Rittmeisters Kahle, die ungeniert zu seinem Leutnant hineinspazierte. +Allmählich aber wuchs seine Neugierde, und er schlich sich dann +regelmäßig unter das Fenster, um durch die dünnen Scheiben jedes Wort +mitanzuhören, oder vom nächsten Baum aus einen Blick in das Innere des +Zimmers zu werfen. Was er da sah, setzte ihn in Erstaunen, und er gab +gelegentlich seinen Gedanken in der Kantine Ausdruck. Er fand dabei ein +dankbares Publikum, denn alle lachten aus vollem Halse. Ihre Heiterkeit +aber erreichte den Höhepunkt, als der getreue Bursche Kolberg's aus dem +Portemonnaie eine in der Wohnung des Leutnants gefundene Haarnadel +herauszog und dieselbe Kahles Burschen übergab mit der scherzenden +Bitte, sie der Gnädigen zurückzuerstatten. + +Kolbergs Bursche war dadurch ein interessanter Mann geworden, denn er +erzählte weit fesselnder als der des Hauses Leimann. Letzterer wußte von +seiner Gnädigen und Borgert ja auch so manches zu erzählen, doch seine +Darstellungen waren lückenhaft, weil sich das Dienstmädchen weigerte, +ihre weit interessanteren Beobachtungen zum Besten zu geben. Sie sparte +sich dieselben auf als Trumpf für spätere Zeiten, wo man durch sie nicht +nur den rückständigen Lohn, sondern vielleicht noch mehr herausschlagen +konnte. + +So vergingen mehrere Monate. + +Das Geheimnis von dem Verhältnis Kolberg's zu Frau Rittmeister Kahle war +allmählich in alle Kreise hindurchgesickert und der Gesprächsgegenstand +in mancher Kneipe des kleinen Städtchens geworden. Selbst Kolberg's +Kameraden wußten davon, aber keiner wollte es unternehmen, eine Sache, +für welche man nicht greifbare Beweise in Händen hatte, aufzurühren, +denn entweder stritten die beiden die ihnen zur Last gelegten Tatsachen +ab, und dann war man der Blamierte, hatte die Ehre eines Kameraden und, +was noch schlimmer war, die einer Dame des Regiments angegriffen, und +das mußte böse Folgen haben, denn wer konnte wissen, ob der einzige +Zeuge des Verhältnisses, Kolberg's Bursche, bei seinen Behauptungen +bleiben würde, wenn man ihm auf's Leder kniete? Vielleicht -- und das +schien wahrscheinlich -- würde er seine Erzählungen aus Furcht vor +Strafe für sein heimliches Aufpassen widerrufen oder die Sache in einem +anderen, unschuldigeren Lichte darstellen, vielleicht auch würde er +aussagen, nichts gesehen zu haben. + +Andererseits fürchtete man mit Recht, die Enthüllung der Sache könnte +gewaltigen Staub aufwirbeln, die Verabschiedung eines Kameraden und das +unvermeidliche Duell zur Folge haben. Dem Rittmeister Kahle aber wollte +man wohl, weshalb ihm also solche unerquicklichen Weiterungen bereiten? + +So blieb alles, wie es war, nur die Rederei nahm, besonders in der +Stadt, einen derartigen Umfang an, daß Rittmeister König sich entschloß, +dem Kommandeur privatim einen Wink zu geben. + +Der Oberst aber fragte: »Melden Sie mir das dienstlich? Nein? Dann weiß +ich nichts davon, ich werde mir die Finger an einer solch heikeln +Geschichte nicht verbrennen.« + +König verspürte auch wenig Lust, der Urheber einer großen +Skandalgeschichte zu werden und nachher womöglich noch eine Forderung zu +erhalten, er schwieg also ebenfalls. + +So geschah denn von keiner Seite etwas, um dem Gerede ein Ende zu +machen und etwas aus der Welt zu schaffen, was dem Regiment und dem +gesamten Offizierkorps in hohem Grade schadete und geeignet war, sein +Ansehen in schlimmster Weise zu schädigen. Wo man in anderen Kreisen der +Bevölkerung bei gleichen Verhältnissen den Schuldigen zur Rechenschaft +gezogen haben würde, duldete man einen jedem Anstands- und Ehrgefühl +Hohn sprechenden Umstand, und das in einem Stande, der für sein Ansehen, +die Unanfechtbarkeit seiner Sitten und seine bevorzugte Stellung im +Vaterland die erste Stelle für sich beanspruchte. + +Am schwersten traf dieser Vorwurf den Obersten von Kronau. Dieser Herr, +der stets bereit war, mit aller Strenge rücksichtslos einzugreifen, wenn +er etwas Ungehöriges oder Strafbares entdeckte und keine Milde kannte, +wenn er dabei für seine Person nichts zu fürchten hatte, er duldete die +Schande. Denn hier mußte er damit rechnen, daß ihm unter Umständen +Unannehmlichkeiten entstanden. Entweder konnte man ihn einer falschen +Anschuldigung zeihen, oder seine Stellung als Kommandeur erhielt einen +Stoß, wenn die vorgesetzten Behörden Kenntnis von den Geschehnissen in +seinem Regiment erhielten. Beides aber war durchaus nicht nach seinem +Geschmack. + +Es kam ihm daher als hochwillkommene Nachricht, als er ein +Dienstschreiben erhielt, laut welchem der Rittmeister Kahle zum Major +befördert und in eine Garnison Süddeutschlands versetzt wurde. Da war +das ersehnte Ende dieser unseligen Geschichte, und er freute sich +doppelt, nicht voreilig gehandelt zu haben, denn nun wurde die Sache +durch eine günstige Wendung des Geschicks zum Abschluß gebracht. + +Kahle war glücklich über die unerwartet schnelle Beförderung. Hatte er +doch nun das schöne Ziel erreicht, dem er lange Jahre ernster Arbeit und +redlichen Strebens gewidmet! + +Jetzt konnte er ruhiger der Zukunft entgegensehen, denn nun die +gefährliche Majorsecke überwunden war, schien ihm eine weitere +aussichtsvolle militärische Laufbahn mit Rücksicht auf seine Fähigkeiten +außer Zweifel. Dazu die schöne neue Garnison, was wollte er mehr? + +Schon am Tage nach der Beförderung versammelte ein Liebesmahl das +gesamte Offizierkorps im Kasino. Um den Scheidenden besonders zu ehren, +hatte der Oberst Epauletten befohlen, und der neugebackene Major nahm +sich besonders fein aus im Schmuck seiner Orden und Kandillen. + +Als der zweite Gang vorüber war, erhob sich der Oberst und hielt dem +scheidenden Kameraden eine herzliche Abschiedsrede, in welcher er der +allgemeinen Beliebtheit und den hohen militärischen Tugenden Kahles +Ausdruck gab, dann überreichte er ihm den üblichen silbernen Becher mit +dem Namenszug des Regiments. + +Kahle dankte mit gerührten Worten. Aus seiner Abschiedsrede klang die +Freude über die Beförderung heraus, aber auch ein Schmerz, nach so +langer Zeit in der Garnison die Kameraden und den Ort seiner Wirksamkeit +verlassen zu müssen. Oft hatte er sich sehnlich fortgewünscht aus diesem +weltvergessenen Städtchen, in dem es so viel Ärger gab, aber jetzt, da +es ans Scheiden ging, schnitt es ihm doch wie ein leichter Schmerz in +die Seele, auf immer von dort zu scheiden, wo er lange Jahre dem +Vaterlande in Ehren gedient. + +Die Herren waren alle vollzählig am Bahnhof versammelt, als der Major am +nächsten Tage mit dem Mittagszuge abreiste. Nachdem er noch einmal allen +Lebewohl gesagt, und der Oberst ihn geküßt hatte, nahm er Abschied von +seiner Frau und dem kleinen Sohne. Es war ihm schwer ums Herz und es +kostete ihm Mühe, eine Träne zu verbergen, die sich in sein Auge stahl. + +Auch seine Ehe wollte er nun zu einem trauten Zusammenleben gestalten, +auf daß mit den Freuden seiner neuen Stellung auch die eines gemütlichen +Heims erblühten, und dieser Vorsatz ließ ihn besonders herzlich von der +Gattin Abschied nehmen. Auch sie würde ihre kleinen Fehler ablegen, wenn +sie in anderer Umgebung die oft empfundene Langeweile und Bitterkeit +vergaß, die schönsten Jahre ihres jungen Lebens in einer kleinen Stadt +an den Grenzen des Reichs verbringen zu müssen. Konnte sie sich erst +wieder in der neuen schönen Garnison das Leben angenehm gestalten und +neue Eindrücke in sich aufnehmen, dann würden die kleinen Reibereien und +Feindseligkeiten in ihrer Ehe ebenfalls ein Ende nehmen, sie waren blos +die Ausgeburt der Abgeschlossenheit und Langeweile, in der eine so +lebenslustige Frau mißmutig und launisch werden mußte. + +Bis die Räumung der Wohnung und der Umzug besorgt war, sollte Frau Kahle +in der alten Garnison verbleiben, und Oberleutnant Weil nebst Gattin +hatte sie gebeten, während jener Zeit als Gast bei ihnen zu verbleiben. + +Mit Freuden nahm Frau Kahle die freundliche Einladung an. Hatte sie doch +so wenigstens Gelegenheit, diese paar Tage mit Kolberg ordentlich zu +genießen, denn jetzt brauchte sie niemand mehr Rechenschaft über ihr Tun +und Treiben zu geben, ja sie konnte sogar unter dem Vorwand einer +kleinen notwendigen Reise einen ganzen Tag und eine Nacht bei ihm +weilen, denn für eine Trennung auf lange Zeit, vielleicht für immer, +hieß es gründlich Abschied nehmen und den Freudenbecher der Liebe noch +einmal bis zur Hefe leeren! + +Eines Tages saß Familie Weil mit ihrem Gast am Kaffeetisch, als der +Bursche einen Brief für Frau Kahle hereinbrachte, den der Briefträger +soeben abgegeben. Sie öffnete denselben, überflog die wenigen Zeilen und +steckte ihn leicht errötend in die Rocktasche. + +»Frau Pfarrer Klein schreibt mir soeben, ich möchte sie doch heute noch +einmal zum Kaffee besuchen, damit sie mich noch einmal sehen könne. +Reizend liebenswürdig, nicht wahr? Ich will doch gleich hingehen, damit +es nicht zu spät wird.« + +Dabei erhob sie sich, trank im Stehen ihre Tasse aus und tänzelte mit +einem »Auf Wiedersehen heute Abend« zur Tür hinaus. Wenige Minuten +später sah Weil sie auch eilenden Schrittes nach der Stadt zu wandern. + +»Sonderbar!«, sagte er dann zu seiner Gattin, »mit der hat sie doch +früher nie verkehrt, die kennt man ja kaum. Das wird doch nicht irgend +eine Finte sein?« + +»Laß sie doch gehen, wohin sie will, Max,« entgegnete Frau Weil +gleichgültig, »was kümmert's uns? In ein paar Tagen geht sie ja doch +fort, und schließlich ist sie ja allein für ihre Handlungen +verantwortlich!« + +Weil aber schüttelte den Kopf und ging nach seinem Arbeitszimmer. + +Die Uhr zeigte schon acht, und Frau Kahle war noch immer nicht zurück. +Man begann unruhig zu werden und sich um den Gast zu sorgen. War ihr +etwas zugestoßen? + +Das Dienstmädchen deckte im Nebenzimmer gerade den Tisch, als das +Ehepaar seinen Vermutungen über die verschiedenen Möglichkeiten Ausdruck +gab, welche das Ausbleiben ihres Gastes verursacht haben könnten. + +»Minna,« wandte sich Frau Weil an das Dienstmädchen, »es ist am besten, +Sie gehen einmal hin zu Frau Pfarrer Klein und fragen an, ob Frau Major +Kahle noch da ist, ich habe keine Ruhe, bis ich weiß, wo sie ist.« + +»Bei der Frau Pfarrer wird sie aber nicht sein, gnädige Frau,« +entgegnete das Mädchen, »ich habe die gnädige Frau gegen halb Fünf oben +in der Allee gesehen, als ich Milch holen ging, die Frau Pfarrer wohnt +ja hinter der Kirche.« + +»Dann hat es keinen Zweck, hinzuschicken,« sagte achselzuckend der +Oberleutnant, »ich werde wohl recht behalten, es war nur ein Vorwand, um +nicht zu sagen, wohin sie in Wirklichkeit gegangen ist. Ich denke mir +mein Teil!« + +»Was denkst du dir, Max,« fragte neugierig seine Gattin, »wo soll sie +denn sein?« + +»Beim Kolberg ist sie, ich wette meinen Kopf!« + +»Aber wie kannst du das sagen, Max, sie wird doch nicht...« + +»Gewiß wird sie! Und sie ist es!« + +Beide schwiegen, als das Mädchen wieder eintrat; es stellte den +Teekessel auf den Tisch, zog dann aus der Tasche ein zusammengefaltetes +Papier, und reichte es Weil mit hämischem Lächeln. + +»Haben die Herrschaften das vielleicht verloren?« + +Während Minna sich wieder zurückzog, starrte der Oberleutnant erst mit +weit aufgerissenen Augen auf das Papier, dann lachte er höhnisch auf und +hielt es seiner Gattin hin. + +»Bitte, willst du dich überzeugen, hier hast du es schwarz auf weiß.« + +Frau Weil nahm zögernd das Blatt aus seinen Händen und las: + +»Erwarte dich heute halb Fünf, da morgen dienstlich beschäftigt.« + +Über- und Unterschrift fehlten, aber es waren Kolbergs unverkennbare +Schriftzüge. + +»Jetzt haben wir die Geschichte! Dazu haben wir sie eingeladen, daß sie +uns etwas vorlügt und an der Nase herumführt, und dann ihre tollen +Geschichten weitertreibt! Habe ich nicht gleich gesagt, wir wollen es +bleiben lassen? Aber du hast darauf bestanden, sie einzuladen. Hättest +du auf mich gehört, bliebe es mir jetzt erspart, dieses Frauenzimmer +vor die Tür zu setzen.« + +»Um Gotteswillen, Max, das kannst du doch nicht, stecke den Brief ins +Feuer!« + +»Fällt mir gar nicht ein,« brauste Weil auf, »ich werfe sie zum Hause +hinaus! Oder meinst du, ich hätte hier ein Absteigequartier für +verdorbene Weiber? Sie kann sehen, wo sie unterkommt, ich danke +gehorsamst für die Ehre, sie weiter als Gast zu behandeln. Und der Brief +kommt nicht ins Feuer, sondern dahin, wohin er gehört, zum Ehrenrat!« + +Weil ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, die Hände in den +Taschen vergrabend. Sein finsterer Blick verriet Empörung und +Entschlossenheit. + +»Wenn ich Dir raten soll,« begann die Gattin zaghaft, »dann stecke den +Brief in den Ofen und schweige die Geschichte tot. In zwei Tagen geht +sie ja doch fort und dann ist so wie so alles zu Ende. Nur laß die +Finger aus der Geschichte, denn du bekommst nur die tollsten +Unannehmlichkeiten! Und dann denke doch an den armen Major!« + +»Ich tue, was ich gesagt habe, dabei bleibt es, derartige Sachen +verstehst du nicht zu beurteilen! Ich lasse mir nicht gefallen, daß +diese Person ihre Wirtschaft mit dem Lumpen, diesem Kolberg, aus meinem +Hause heraus fortsetzt. Soviel Anstandsgefühl muß sie sich noch gerettet +haben, diese Geschichten jetzt bleiben zu lassen, solange sie bei +anständigen Leuten zu Gaste ist. Eine Gemeinheit ist das, eine +Schweinerei sondergleichen!« + +Frau Weil gab es auf, noch weiter auf ihren Gatten einzureden, denn sie +kannte seinen Zorn und seine Unerbittlichkeit, wenn er sich etwas +vorgenommen hatte. Sie zog die Stirn in Falten und blickte sinnend in +das rote Licht des Kamins, dessen flackerndes Feuer zitternde Schatten +auf den Teppich warf. + +»Es ist angerichtet!« meldete das Dienstmädchen. + +»Sagen Sie, Minna, wo haben Sie den Brief gefunden?« redete der +Oberleutnant sie an. + +»Er lag auf dem Korridor unter dem Kleiderständer, er muß wohl jemand +aus der Tasche gefallen sein.« + +»Es ist gut, Sie können gehen!« + +Schweigend setzte sich das Ehepaar zu Tisch. Weil machte ein böses +Gesicht, und seine Gattin schaute mit hochgezogenen Augenbrauen nicht +von ihrem Teller auf. Sie blickte erst mit ängstlicher Miene nach ihrem +Manne hinüber, als die Korridortür geöffnet und Frau Kahle's Stimme +hörbar wurde. + +»Sie kommt, Max! Mache um Gotteswillen keine Szene! Denke an die +Dienstboten, die können alles hören!« + +Weil aber antwortete nichts, blickte auch nicht nach der Tür, als diese +sich jetzt auftat und Frau Major hereintrat. + +Ihr Gesicht glühte, und die Augen schimmerten in feuchtem Glanz. Das +blonde Haar war verwirrt und eine Nadel stahl sich aus dem großen Knoten +am Hinterkopfe. Zwei Knöpfe der luftigen Sommerblouse standen offen, und +aus der Öffnung schaute ein kleiner Zipfel zierlicher weißer Spitzen +hervor. + +»Guten Abend, meine Herrschaften!« rief die Eintretende mit heiterer +Stimme dem Ehepaare entgegen, »verzeihen Sie meine Verspätung, aber Frau +Klein forderte mich auf, mit ihr zur Stadt hinüber zu fahren und dadurch +wurde es etwas spät. Es war reizend, wir waren im Kaffee und haben +Besorgungen gemacht!« + +Weil erhob sich steif und trat seinem Gast gegenüber. + +»Gnädige Frau!« sagte er ernst und ruhig, »es ist unnötig und +vergebliche Mühe Ihrerseits, uns über den Zweck Ihrer Abwesenheit heute +Abend täuschen zu wollen. Der Brief, der am Nachmittag für Sie ankam und +durch einen Zufall in unsere Hände gelangt ist, beweist in +unzweideutiger Form, daß Sie das Ihnen gewährte Gastrecht in +schändlicher Weise gemißbraucht haben. Darf ich Sie bitten, so bald als +möglich, spätestens aber bis morgen früh, mein Haus zu verlassen. Heute +Abend wollen Sie uns gütigst allein lassen.« + +Er machte eine steife Verbeugung und ließ sich wieder am Tisch nieder. + +Frau Kahle stand einen Augenblick wie versteinert im Halbdunkel des +Zimmers, dann griff sie hastig nach ihrer Tasche. Die Hand suchte einen +Augenblick, dann wandte sich die Frau Major schweigend dem Ausgange zu +und ging nach ihrem Zimmer, dessen Tür sie heftig hinter sich zuwarf. + +Nach dem Abendessen schritt der Oberleutnant zu seinem Schreibtisch, +zündete die grünverschleierte Lampe an und setzte sich in den Sessel. +Dann entnahm er einer Schublade einen großen Bogen weißes Papier, +tauchte die Feder ein und legte beides vor sich hin. + +Eine halbe Stunde saß er zurückgelehnt und blickte sinnend auf den +weißen Bogen, dann ergriff er den Federhalter und begann zu schreiben. + +Seine Gattin saß indes mit sorgenvoller Miene an dem großen Sophatisch, +mit einer Stickerei beschäftigt, nur manchmal warf sie einen Blick zu +dem Gatten hinüber, dessen Feder kratzend über das Papier eilte. + +Endlich war das Schriftstück fertig. Weil lehnte sich in den Stuhl +zurück und schaute wieder sinnend vor sich hin, dann las er es noch +einmal langsam durch, faltete es zusammen und schob es mit dem +gefundenen Brief in ein gelbes Kouvert, dessen Rückseite er ein Siegel +aufdrückte. + +Dann verschloß er das Schreiben in einer Schublade, blies die Lampe aus +und nahm neben seiner Gattin auf dem Sopha Platz, um sich in die Zeitung +zu vertiefen. + +Frau Kahle reiste am nächsten Morgen mit dem Frühzug ab, wohin, wußte +selbst der Bursche nicht, welcher den Koffer zur Bahn gebracht, denn sie +hatte weder schriftlich noch mündlich ein Wort des Dankes oder der +Entschuldigung hinterlassen. + +Am Mittag desselben Tages wurde der ahnungslose Leutnant Kolberg zum +Kommandeur bestellt und ihm von diesem eröffnet, daß gegen ihn das +ehrengerichtliche Verfahren eröffnet und er bis auf Weiteres des +Dienstes enthoben sei. + +Das gab eine Aufregung im Offizierkorps! Im Stillen begrüßte es ein +jeder mit Schadenfreude, daß die an sich so peinliche Angelegenheit nun +doch noch weitere Kreise zog, denn kein einziger war dem verschlossenen +Kolberg, der sich von allen Veranstaltungen im Kasino zurückzog, und +der koketten Frau besonders gewogen. Es scheute sich daher niemand, am +wenigsten Borgert, in der schroffsten Weise über Weil's Vorgehen zu +urteilen und dabei an den Geschehnissen zwischen Kolberg und Frau Kahle +die härteste Kritik zu üben. Man sprach von dem Kameraden in Ausdrücken, +wie sie kaum in den Büchern des guten Tones zu finden waren, und nahm +sich vor, »den gemeinen Ehebrecher und Duckmäuser« gründlich zu +»schneiden«. + +Der Oberst von Kronau hatte den größten Schrecken bekommen, als +Rittmeister Stark, der Präses des Ehrenrates, am Morgen mit dem +Schriftstücke Weil's erschienen war. Er überlegte hin und her, was zu +tun sei, um der höchst peinlichen Affäre eine möglichst günstige Wendung +zu geben. Aber sie war nun einmal beim Ehrenrat anhängig gemacht und +mußte, der Vorschrift entsprechend, untersucht und durchgeführt werden. +Er mußte sich daher darauf beschränken, über den Anstifter der +unheilvollen Geschichte, den Oberleutnant Weil, zu fluchen und ihm eine +möglichst schlechte Konduite vorzumerken. + +Im Geiste sah er sich schon auf seinem Gute das Abladen eines Heuwagens +überwachen. + +Besonders hart traf der Schlag den armen Major Kahle. Er hatte nun +erreicht, wonach er Jahre lang gestrebt und gerungen, und nun machte +ihm diese gewissenlose Frau all sein Glück, all seine Erfolge zu +schanden. + +Wo sich seine Gattin aufhielt, ahnte er nicht, denn sie hatte es +vorgezogen, sich nicht in seine Nähe zu begeben, da sie eines nicht +sonderlich freundlichen Empfanges sicher war. Sie hatte daher den Sohn +zu ihren Eltern geschickt, sich selbst aber in Berlin häuslich +niedergelassen, wo sie die Zeit mit Briefen voller Vorwürfe an Kolberg +und mit Herumflanieren tot schlug. + +Kahle war fest entschlossen, seiner treulosen Gattin die Tür zu weisen, +wenn sie es wagen sollte, einen Schritt in sein Haus zu tun; er leitete +daher sofort die Scheidungsklage ein. + +Was ihm aber weit mehr das Herz beschwerte, war der Gedanke an das nun +unvermeidliche Duell. Weil seine Gattin ihn in gewissenloser, niedriger +Weise hintergangen hatte, mußte er sich jetzt der Kugel des Verführers +preisgeben, statt daß man den Elenden aus dem Offizierstande ausstieß +und ihn in irgend einem Gefängnis über seine gemeine Handlungsweise +nachdenken ließ. + +Die Ehre seiner Frau sollte er durch einen Zweikampf retten! + +Welch ein Unsinn! dachte er bei sich. Hat ein Weib überhaupt noch einen +Funken Ehre, wenn es seinen Gatten betrügt und sich ganz dem ersten +besten hingibt, der nach seinen Reizen Verlangen trägt? Eine ehrlose +Kokotte war sie, nichts weiter, und für diese sollte er sein Leben in +die Schanze schlagen! Was für eine lächerliche Komödie! + +Und er sann darüber nach, ob und wie er einem Zweikampf aus dem Wege +gehen könnte. Nicht aus Feigheit oder Furcht vor dem Tode, nein, feige +war er nicht, aber er sah nicht ein, warum er die Früchte seines +arbeitsreichen Lebens, die Zukunft seines Kindes und sein eigenes Leben +auf ein wagehalsiges Spiel setzen sollte, weil ein anderer gemein und +schurkisch gehandelt hatte. Es war doch denkbar, daß der Gegner ihn +töten würde, wenn es zum Zweikampf kam. Dann hatte er, der Unschuldige, +die härteste Strafe erlitten, die es für den Menschen geben konnte, den +Tod, der Verbrecher aber ging frei aus und ließ einen anderen für seinen +Frevel büßen. + +Aber allmählich kam ihm zum Bewußtsein, daß es kein Mittel gäbe, einem +Kampf mit tötlichen Waffen aus dem Wege zu gehen, denn, weigerte er +sich, seinem Gegner eine Forderung zu übersenden, würde man ihn durch +Beschluß eines Ehrengerichts verabschieden, weil er die Ehre seines +Standes nicht zu wahren wisse, beteiligte er sich aber an einem Duell, +so wurde er mit Festungshaft bestraft. Das letztere schien ihm das +geringere von beiden Übeln, aber nun wollte er auch keine Rücksicht üben +an dem Zerstörer seines Friedens, dem Manne, der sein Haus geschändet. +Unter den schärfsten Bedingungen wollte er den Schurken zum Zweikampf +fordern und ihn töten, oder der andere sollte ihm das Leben rauben, das +ihm nun doch einmal verleidet war. -- -- + +Die ehrengerichtlichen Verhandlungen nahmen mehrere Monate in Anspruch. +Dabei kamen Dinge zu Tage, die zwar den jüngeren Herrn des Offizierkorps +recht interessant und wissenswert erschienen, im übrigen aber auf +Leutnant Kolberg und seine Auffassung von Ehre und Kameradschaft ein +bedenkliches Licht warfen. Auch das Verhalten der Offiziere vor der +Katastrophe mußte recht sonderlich erscheinen. + +Anfangs hatten sich die Kameraden von Kolberg ganz zurückgezogen, man +sah ihn auch nur gelegentlich in der Umgebung der Garnison, wenn er +seine Pferde ritt. + +Eines Tages aber war Borgert in Geldverlegenheit gewesen und hatte, da +alle anderen Quellen allmählich ihre Zahlungen einstellten, als letzten +Weg einen Pumpversuch bei Kolberg ausfindig gemacht. Dieser benutzte +denn auch die Gelegenheit, Borgert sich zu verpflichten, denn er kannte +dessen Einfluß auf die jüngeren Herrn. Er verschaffte sich daher +schleunigst gegen Verpfändung seines Vollblutrappen die erbetenen +tausend Mark und stellte sie Borgert zur Verfügung. + +Der Dank blieb nicht aus. Schon nach wenigen Tagen hatte der +Oberleutnant die gesamte Tischgesellschaft von den vorzüglichen +kameradschaftlichen Eigenschaften Kolbergs und der lächerlichen +Auffassung seiner Schuld seitens der Vorgesetzten derartig zu überzeugen +gewußt, daß der vom Dienst Enthobene nicht nur ein gern gesehener Gast, +sondern ein noch beliebterer Gastgeber wurde. Er renommierte dann beim +schäumenden Sekt mit seinem bevorstehenden Duell, wo er dem »Dämelsack«, +dem Kahle, ordentlich heimleuchten würde, und wurde so allmählich der +Held des Tages, der mit kühnem Schneid sich eine Dame erobert hatte, +während andere mit einer Straßendirne vorlieb nehmen mußten. + +Er wurde jedoch etwas bescheidener, als er eines Tages Kahle's Forderung +erhielt: + +>15 Schritt Distanze, gezogene Pistolen mit Visier und Kugelwechsel bis +zur Kampfunfähigkeit einer Partei<. Das hatte er nicht erwartet, die +Aussichten des Zweikampfes für ihn waren somit nicht abzusehen, +vollends, da der Major als guter Schütze galt und sein Ruf als +trefflicher Nimrod weit über die Grenzen der Garnison hinausging. + +So wanderte er denn täglich in den Wald und übte sich im Schießen, um am +Tage des Kampfes gewappnet vor den Gegner treten zu können. + +Wenn er so eine Kugel nach der anderen in eine unschuldige Buche +hineinknallte, kam ihm mitunter der Gedanke, daß er doch eigentlich den +Major nicht treffen dürfe, da er an ihm gesündigt und ihn betrogen habe. +Es war etwas wie das letzte Aufdämmern eines unter dem Druck moralischen +Niederganges ersterbenden Pflichtgefühls, die Regungen eines +schuldbeladenen Gewissens und das leise Empfinden der Gerechtigkeit, +aber diese Regungen wurden von einem weit mächtigeren Gefühl erdrückt: +dem neu erwachten, wilden Hang am Leben, der um so heftiger ihn ergriff, +je mehr er sich in die Möglichkeit hineindachte, ein Leben lassen zu +müssen, das ihm noch so viel des Schönen bot. Und eine innere Stimme +rief in ihm: Du willst nicht sterben, leben willst du, leben! -- + +Und dafür war der beste Weg, den Gegner in den Sand zu strecken. + +Vier Monate waren vergangen, bis das Ehrengericht das Urteil sprach. Es +lautete auf Verabschiedung Kolbergs, doch wurde dem Bestätigungsgesuch +an Seine Majestät ein solches um gnadenweise Wiedereinstellung des +Verabschiedeten beigefügt. + +Der Zweikampf wurde an sich ebenfalls genehmigt, doch nicht unter den +von Kahle gestellten Bedingungen. Vielleicht fürchtete man, durch einen +nach jenen Bedingungen unvermeidlichen blutigen Ausgang zu viel Staub +aufzuwirbeln. Waren doch in letzter Zeit mehrere Fälle vorgekommen, bei +denen der Tod eines der Duellanten die verhängnisvollsten Folgen für +diejenigen hohen Vorgesetzten mit sich brachte, welche die Ausfechtung +des Zweikampfes nicht aufgehalten oder die Bedingungen abgeschwächt +hatten. + +So lautete denn die neue Forderung auf 35 Schritt Distanz und einmaligen +Kugelwechsel mit glatten Pistolen ohne Visier. + +Kahle wurde also keine Gelegenheit gegeben, den Schänder seiner Hausehre +zu strafen, weil die Herrn Vorgesetzten nicht ihre Haut dabei zu Markte +tragen wollten. Denn dieser Zweikampf war nur eine Farce, ein blutiger +Ausgang mußte lediglich ein unglücklicher Zufall sein. + +Borgert war von Kolberg gebeten worden, ihm zu sekundieren, und der +Oberleutnant willigte mit Vergnügen ein, denn einesteils spielte er gern +die Rolle des ungefährdeten Zuschauers, andererseits glaubte er sich +dadurch Kolberg zu verpflichten, die Rückzahlung der tausend Mark hatte +somit noch ein Weilchen Zeit. + +Ein Trinkgelage versammelte die Getreuen Kolbergs in dessen Wohnung, +bevor er nach der Stadt in Süddeutschland abreiste, deren Umgebung der +Schauplatz des Zweikampfes werden sollte. Er betrank sich dabei so, daß +es dem Burschen schwer wurde, den Leutnant gegen Morgen aus den Federn +zu bringen, damit er den Zug nicht versäume. + +Borgert war es ebenso gegangen, er machte so, wie er auf dem Bahnhof +stand, den Eindruck, als käme er gerade von einem Festgelage. + +In diesem Zustande hatte er natürlich »vergessen«, sich Reisegeld +einzustecken und nahm es großmütig an, als Kolberg ihm einen +Hundertmarkschein in die Hand drückte. -- -- + +Es war ein kalter Morgen, als zwei Wagen in flottem Trabe den +Schießständen von Kahles Garnison zufuhren. + +Die Sonne schaute gerade über den Bergrücken im Osten heraus und sandte +ihre ersten flachen Strahlen auf die reifbedeckten Stoppelfelder. +Friedlich lag die Natur in ihrem herbstlichen Kleide, auch im Walde +herrschte tiefes Schweigen, nur manchmal unterbrochen durch das +Herabfallen eines welken Blattes, wenn es seinen Weg raschelnd zwischen +den Zweigen zu Boden suchte, zu seinem Totenbette. + +Im ersten Wagen saßen Kolberg, Borgert und zwei Ärzte, im zweiten Kahle, +sein Sekundant und die beiden Mitglieder des Ehrenrates, welche dem +Zweikampf als Unparteiische beizuwohnen hatten. Unter dem Rücksitz lag +der Pistolenkasten. + +Von der Straße bogen die Gefährte in einen Seitenpfad ein, der so schmal +war, daß das Geäst der rechts und links stehenden Bäume beständig gegen +die Wagenfenster schlug. + +An einem freien Platze machten sie Halt. Die Insassen stiegen aus und +befahlen den Kutschern, an den Eingang des Waldes zurückzufahren und +dort zu warten. + +Die Herrn schritten sodann noch fünf Minuten einen kleinen Pfad entlang +und versammelten sich auf dem Schießstand, der am weitesten in den Wald +hinein gelegen war. + +Der Pistolenkasten wurde auf einen Erdwall gelegt und von den +Sekundanten die Waffen herausgenommen und geladen, dann übergab einer +die Pistole dem anderen zur Prüfung. + +Die Ärzte breiteten ihre Bestecke aus und legten einen großen Streifen +Verbandsstoff bereit, während die Unparteiischen sprungweise die +Entfernung abschritten und ihre Degen als Entfernungsmarken in den +festgefrorenen Boden steckten. + +Der übliche Ausgleichsversuch verlief erfolglos, und so nahmen denn die +beiden Duellanten an je einem Degen Ausstellung. + +Kahle sah bleich und übernächtig aus, er zitterte vor Kälte, und seine +nervös zuckenden Züge verrieten heftige Erregung. + +Kolberg dagegen schien beinahe zu lächeln und warf mit einer +gleichgültigen Bewegung den Zigarettenstummel weg, den er bis dahin im +Munde gehalten. + +Einer der Herren erklärte in kurzen Worten die Kampfesordnung, daß der +Schuß zwischen »Eins« und »Drei« fallen müsse und sagte dann nach kurzer +Pause: + +»Fertig!« + +Beide Herren hielten die Pistole zu Boden gesenkt, um sie auf »Eins« +gegeneinander zu erheben. + +Gleichzeitig mit »Zwei« knallte Kahle's Schuß, und die Kugel schlug +klatschend in die Rinde einer Buche, von der ein dürrer Zweig +geräuschvoll zu Boden fiel. Durch die unruhig zitternde Hand war der +Schuß fast einen Meter über Kolberg's Kopf hinweggegangen. + +Dieser aber stand fest und unbeweglich und zielte bis zum letzten +Augenblick, sodaß mit »Drei« auch der Hahn seiner Pistole niederschlug. + +Kahle sah festen Blickes auf die kleine schwarze Mündung der Pistole +seines Gegners, nach dem Schuß aber öffneten sich seine Augen weit, er +taumelte und stürzte zu Boden. + +Kolberg lief es kalt über den Rücken, als er den großen, starken Mann +nach rückwärts fallen sah und er blieb wie gelähmt einen Augenblick +stehen; dabei entfiel die Waffe seiner Hand. + +Die übrigen Herren aber waren sofort neben dem Major, und die Ärzte +rissen ihm den Rock auf. + +Mitten auf der Brust sickerte ein starker Blutstrom aus einer kleinen +Wunde. + +Kahle hatte die Besinnung nur für einen Augenblick verloren. Er lag +jetzt da, bleich und mit festem Blick auf die Herren in seiner Umgebung +schauend. Und als Kolberg auch herantrat, dem Major die Hand +entgegenstreckend, taumelte er wie von einem Schlage getroffen zurück, +als ein kalter, abweisender Blick aus Kahle's gläsernen Augen ihn traf. +Einen Augenblick stand er neben seinem Opfer, dann wandte er sich um und +schritt in den Wald hinein, dem Ausgange zu. + +Die Verwundung des Majors stellte sich als nicht lebensgefährlich +heraus, doch hatte die Kugel die Lunge leicht verletzt, und es mußte +lange dauern, bis der Kranke wieder genesen war. + +Ein Wagen wurde herbeigeholt und der Major sorgfältig hineingehoben, die +beiden Ärzte stiegen ebenfalls ein, der Sekundant nahm neben dem +Kutscher Platz, und darauf ging es im Schritt nach der Stadt zurück, wo +man den Verletzten sofort in's Lazaret zu bringen gedachte. + +Kolberg's niedergedrückte Stimmung hielt nicht lange vor. Als er sich +mit Borgert am Anfang der Stadt von den beiden Insassen des Wagens +verabschiedet hatte, schlug ihm sein Begleiter auf die Schulter und +sagte ermunternd: + +»Machen Sie doch nicht so ein Gesicht, Menschenskind! Seien Sie froh, +daß Sie mit heiler Haut davon gekommen sind! Daß Sie den armen Teufel +gerade in die Brust getroffen haben, ist ja Pech, aber dafür können Sie +nichts, denn er ist es ja, der Sie gefordert hat, nicht Sie ihn. Wir +wollen jetzt frühstücken gehen, mir knurrt der Magen, ich bin nicht +gewohnt, so früh am Morgen im Walde herumzustolpern.« + +»Es tut mir leid, daß ich den Major so unglücklich getroffen habe, aber +das wollte ich nicht,« erwiderte Kolberg mit ernster Stimme, »der Teufel +soll die Weiber holen, die sind an allem schuld! Was mußte ich mich auch +mit dieser Kahle einlassen!« + +»Zerbrechen Sie sich darüber nicht den Kopf, mein Lieber! Der Major ist +selbst an allem schuld, denn er mußte seiner schönen Gattin besser auf +die Finger sehen, dann wäre sie keine Dirne geworden. Heute hat sie den, +morgen den, also haben Sie kein Verbrechen begangen, wenn Sie sich auch +einmal mit ihr amüsiert haben. Man muß die Weiber behandeln, wie sie es +verdienen.« + +Dem redegewandten Borgert gelang es allmählich, Kolbergs finstere Miene +aufzuhellen, denn was er da sagte, leuchtete ihm ein, die herzlose +Gemeinheit, die aus den Worten seines Begleiters sprach, fühlte er nicht +heraus, da er selbst nicht besser war. + +So gingen denn die Beiden zu ihrem Hotel, zogen Zivil an und begaben +sich in ein Frühstückslokal, in welchem die Kellner mit verschlafenen +Augen gerade die Stühle von den Tischen nahmen und die frühen Gäste voll +Verwunderung betrachteten. + +Mit einem Kognak fing es an, und mit Sekt endete es am späten Abend in +einem Lokal mit Damenbedienung. Wer da die Leutnants in Zivil mit den +frechen Kellnerinnen schäkern sah, konnte nicht im Unklaren darüber +sein, daß sie die Ereignisse des Morgens überwunden und mit dem +seelischen Gleichgewicht die gute Laune des gewissenlosen Menschen +zurückerlangt hatten. -- + +Mit Jubel empfing man die beiden Helden des Kampfes in der Garnison, wo +sie am Mittag des folgenden Tages eintrafen. + +Eine Anzahl Herren standen auf dem Bahnhof zum Empfang bereit und +begleiteten Kolberg nach seiner Wohnung, um den guten Erfolg mit einem +Trunk zu feiern. + +Die übrigen Herrn des Offizierkorps aber, besonders die älteren, fanden +es gefühllos, daß Kolberg nach diesem traurigen Ereignis es nicht +lieber vorzog, allein zu sein und über seine Handlungsweise +nachzudenken; diese Feier vollends fanden sie roh und gemein. + +Zwei Tage später traf auch die Urteilsbestätigung aus Berlin ein. Da das +Wiedereinstellungsgesuch genehmigt war, wurde Kolberg nach einer anderen +Garnison versetzt, denn hier konnte seines Bleibens nicht länger sein. +Bevor er aber die Reise nach der schönen Stadt am Rhein antrat, führte +ihn sein Weg zunächst auf Festung, woselbst er eine mehrmonatige Strafe +»wegen Beteiligung an einem Zweikampf mit tötlichen Waffen« zu verbüßen +hatte. + +Der Major erholte sich nur langsam. Den beiden Stabsärzten, welche die +neben der Wirbelsäule haftende Kugel entfernen wollten, war die +Operation nicht ganz geglückt, die Kugel war zwar entfernt, aber es trat +eine Entzündung der geöffneten Stelle ein, welche mit heftigen Schmerzen +und hohen Fiebererscheinungen verbunden war. + +Erst Ende Winters konnte der Major aus dem Lazaret entlassen werden, um +dann als geistig und körperlich gebrochener Mann auch aus dem +königlichen Dienste auszuscheiden, dessen Anstrengungen er nicht mehr +gewachsen war. + +Auch ihn hatte man zu einer dreimonatigen Festungshaft verurteilt, doch +erfolgte schon nach zwei Tagen Begnadigung, denn den Bestimmungen des +Gesetzes war Genüge getan. + +So sah denn Kahle seine Lebensarbeit vernichtet. Er stand in den besten +Jahren als kranker Mann vor der Frage, sich nach einem anderen Felde der +Tätigkeit umzusehen, denn leben mußte er, und die schmale Pension +reichte nicht aus, um ihm und seinem Sohne ein sorgenfreies Dasein zu +ermöglichen. + +Das gesamte Vermögen war durch die Scheidung wieder seiner Gattin +zugefallen, denn sie hatte es mit in die Ehe gebracht. + +Und warum geschah das alles? Weil er die »Ehre« seiner Gattin retten +sollte! Ihr hatte er sich opfern müssen. -- + +Wie sehr Frau Kahle dieses Opfer wert gewesen, wurde dem Major erst +vollends klar, als er hörte, seine ehemalige Gattin habe bei einem +jungen Baron in Berlin die »Führung des Haushaltes« übernommen. + +Kolberg aber saß längst am schönen Rhein und freute sich seines Lebens. +-- + + + + +[Illustration] + + +Fünftes Kapitel. + + +In seiner eleganten Wohnung saß Oberleutnant Borgert am Schreibtisch. + +Vor ihm lag ein mit Zahlen bedeckter Bogen, um ihn herum ganze Berge von +Papieren, Zetteln und farbigen Kouverts. + +Er ergriff ein Blatt nach dem anderen und notierte die darauf +befindliche Zahl auf den vor ihm liegenden Bogen und er hatte schon die +dritte Zahlenspalte begonnen, als er plötzlich innehielt und den +Bleistift heftig auf die Tischplatte warf. Die Papiere packte er wie +einen Haufen Unrat und steckte sie ins Feuer, wo sie sogleich in +lodernden Flammen aufgingen und nach wenigen Augenblicken nur noch in +ihrer kohlenden Asche knisterten. + +Er hatte den löblichen Vorsatz gehabt, einmal alle Rechnungen, soweit er +sie seiner sonstigen Gewohnheit entsprechend nicht einfach ungeöffnet in +den Ofen gesteckt, zusammenzuzählen, um einen ungefähren Begriff von +Höhe und Umfang seiner Schulden zu gewinnen. + +Aber es war nicht möglich, sich durchzufinden durch die endlose Menge +von Tret- und Mahnbriefen, Klageschriften, Zahlungsbefehlen und +Rechnungen. Soviel aber war ihm klar geworden: an eine Deckung der +Schulden war nicht zu denken, denn die Höhe überstieg seine Vermutungen +ganz bedeutend. Nicht weniger als elftausend Mark hatte er schon +zusammengerechnet und dazu kam noch dieser Berg Rechnungen, die er eben +in die Flammen geworfen. + +Am meisten drückten ihn die siebenhundert Mark, die er dem Rittmeister +König noch schuldete, aber auch einige andere Posten drückten ihn +schwer, denn es waren Ehrenschulden und die erste mit 2300 Mark in kaum +sechs Wochen fällig. Wo sollte er die herbekommen, ohne zu stehlen? -- + +Er begann zu überlegen. Die Möbel waren schon verpfändet, ein Pferd +sogar schon zweimal, und auf das andere, seinen früheren Charger, würde +er kaum noch dreihundert Mark bekommen, und das war nicht mehr wie ein +Tropfen auf einen heißen Stein. Unter den Kameraden war keiner mehr, bei +dem ein Pumpversuch Aussicht auf Erfolg geboten hätte, höchstens König. +Aber dem schon wieder mit einer solchen Bitte kommen? Das ging nicht +gut, erst mußten wenigstens die 700 Mark zurückbezahlt sein. Der einzige +Rettungsanker war ein Darlehnsgesuch bei einem Berliner Dunkelmann, +aber der Kerl ließ nichts von sich hören, obgleich er nun schon drei +Wochen im Besitze einer Bürgschaft des Oberleutnants Leimann und einer +Lebensversicherungspolice über 20000 Mark war. + +Vorläufig half es eben nichts. Er wollte die künftig drängenden +Gläubiger zu beruhigen suchen und nur denen, wenn möglich, etwas +abbezahlen, welche entweder klagbar oder beim Regiment vorstellig +wurden. Vielleicht fand sich mit der Zeit noch eine gute Quelle, ein +glückliches Spielchen, ein großes Los oder sogar eine reiche Braut. + +Diese Hoffnung ließ ihn seine gute Laune wieder gewinnen, er zündete +sich eine Zigarette an und pfiff ein Liedchen vor sich hin, während er +auf den schweren Teppichen auf- und abschritt. + +Ein Geräusch auf dem Korridor ließ ihn aufhorchen. Er vernahm ein +Stimmengeflüster und einige Tritte auf dem Flurteppich, dann klopfte es +leise an die Tür. + +Das ist gewiß Frau Leimann, dachte er bei sich, denn sie pflegte die +Theestunde häufig bei ihrem Galan zu verbringen, weil dann der Gatte zum +Dämmerschoppen ging. + +Auf sein »Herein« aber trat eine einfach gekleidete Frau mit einem Korb +unter dem Arm über die Schwelle. Ihrem noch jugendlichen Gesicht hatten +Kummer und Sorgen den Stempel frühzeitigen Alters aufgedrückt, und sie +schaute mit fast ängstlichem Blick auf den Oberleutnant, der im Zimmer +stehen geblieben war und die Eintretende mit unverhohlenem Mißfallen +betrachtete. + +»Was wollen Sie schon wieder, Frau Meyer?« polterte Borgert sie an, »ich +habe Ihnen gesagt, daß ich Ihnen keine Wäsche mehr gebe!« + +»Entschuldigen Herr Oberleutnant, ich wollte fragen, ob Sie mir +vielleicht heute die vierzig Mark geben können oder wenigstens einen +Teil. Ich muß Geld haben, mein Mann liegt seit drei Wochen krank und +kann nicht schaffen gehen!« + +»Mit Ihrer ewigen Drängerei!« entgegnete Borgert schroff. »Kommen Sie +heute abend wieder, ich muß erst wechseln lassen, jetzt habe ich keine +Zeit.« + +»Aber halten Sie diesmal Wort, Herr Oberleutnant, Sie haben mir nun +schon so oft das Geld versprochen.« + +Damit öffnete sie leise die Tür und ging hinaus, Borgert aber riß die +Fenster auf und ließ die frische Herbstluft hereinströmen, der Geruch +der armen Leute war ihm unausstehlich. Die rochen immer nach Schweiß und +Moder! Er nahm aus dem geschnitzten Wandschrank eine Parfümflasche und +spritzte den Inhalt auf die persischen Teppiche und die Polster der +Sessel. Dann klingelte er dem Burschen. + +Der Gerufene trat sogleich herein. Es war der Gemeine Röse, welchen der +Rittmeister in der Front nicht mehr haben wollte, da er unzuverlässig +sei und mit seiner mangelhaften Pflichtauffassung der Disziplin in der +Schwadron schade. + +»Was habe ich dir befohlen, du Schwein?« brüllte der Oberleutnant ihn +an. + +»Ich soll niemand unangemeldet hereinlassen,« erwiderte Röse schüchtern, +»aber die Frau ging an mir vorbei und ich konnte sie nicht hindern.« + +»Dann schmeiß das Aas hinaus, du schlappes Vieh, läßt du noch einmal +jemand herein, ohne mich vorher zu fragen, dann haue ich dich hinter die +Löffel, du Schwein!« + +Dabei schlug er Röse mit beiden Händen ins Gesicht, öffnete die Tür und +stieß ihn hinaus. + +»Wenn das Weib heute Abend wiederkommt, dann sagst du, ich wäre +ausgegangen!« rief er ihm nach. + +Borgert hatte sich gerade mit einer Zeitung am Fenster niedergelassen, +als die Flurglocke wieder ertönte. Es war ein kurzes, energisches +Klingeln. Der Bursche trat ein und meldete mit verweintem Gesicht: + +»Ein Herr möchte Herrn Oberleutnant dringend sprechen!« + +»Wie heißt er? Du sollst stets nach dem Namen fragen.« + +Der Bursche ging hinaus und kam gleich wieder zurück. + +»Er will mir seinen Namen nicht sagen, aber er müßte Herrn Oberleutnant +unbedingt sprechen.« + +»Ich lasse bitten!« + +Einen Augenblick später trat ein Mann ein mit einer Ledertasche unter +dem Arm und stellte sich vor: Gerichtsvollzieher Krause. + +»Verzeihen Herr Oberleutnant, wenn ich störe, ich habe eine Zustellung +für Sie. Bitte!« + +Dabei entnahm er seiner Ledertasche ein dickes Kouvert und überreichte +es Borgert, der aber die Fassung nicht verlor und freundlich entgegnete: + +»Ah, ich weiß schon! Ist übrigens gerade gestern bezahlt worden, es +handelt sich um eine kleine Summe, die ich meinem Schneider schulde!« + +»Soviel ich weiß, Herr Oberleutnant, handelt es sich um eine +Wechselklage der Firma Frölich u. Co., der eingeklagte Betrag beläuft +sich auf viertausend Mark für gelieferte Möbel.« + +»Ach, die Geschichte ist es! Das hätte der gute Mann sich sparen können, +der Betrag ist vorgestern von meiner Bank abgeführt worden!« + +»Dann umso besser,« scherzte der Gerichtsvollzieher. »Ich habe die +Ehre!« + +»Adieu, Herr Krause, ich würde sagen, auf Wiedersehen, wenn Ihr Besuch +nicht immer ein zweifelhaftes Vergnügen bedeutete.« + +Als der Mann hinaus war, riß Borgert das Kouvert auf und überflog den +Inhalt des Schriftstückes. + +Das war eine fatale Geschichte! Die Möbel waren noch nicht bezahlt, aber +schon verpfändet, obwohl in dem Kaufkontrakt ausdrücklich die Bemerkung +stand, daß sie dem Lieferanten bis zur völligen Bezahlung als Eigentum +verbleiben sollten. + +Viertausend Mark! Eine Menge Geld! Er mußte mit Leimann sprechen, +vielleicht war da noch etwas zu machen. + +Plötzlich fiel ihm ein, daß der Gerichtsvollzieher ja gar nicht zum +Garten hinausgegangen sei. Er rief daher seinen Burschen und fragte: + +»Wo ist der Mann hingegangen?« + +»Nach oben, Herr Oberleutnant.« + +»Zu Leimann's?« + +»Zu Befehl, Herr Oberleutnant.« + +Nanu, was hatte er denn da oben zu schaffen? Steckten die etwa auch wie +er in der Tinte? Das wäre ja böse, denn Leimann war immer noch so eine +Art Rückhalt gewesen, indem er für versprochene Zahlungen Bürgschaft +leistete oder die Gläubiger mit beruhigen half. + +Inzwischen überreichte Herr Krause der zu Tode erschrockenen +Hausgenossin eine Klage der Firma Weinstein u. Co., der sie vierhundert +Mark für eine gelieferte seidene Robe schuldete. + +Sie geriet in helle Verzweiflung und raste wie besessen im Zimmer auf +und ab. Was war da zu tun? Woher das Geld nehmen? Sie wollte Borgert um +den Betrag bitten. Aber, was sollte der von ihr denken? Würde er nicht +alle Achtung vor ihr verlieren? + +Einen Augenblick stand sie unschlüssig im Zimmer und drückte beide Hände +gegen das klopfende Herz. Dann schritt sie entschlossen zur Tür und +eilte die Hintertreppe hinab. + +Sie fand Borgert sinnend in einem Sessel sitzen, und er erhob sich nicht +einmal, als sie eintrat, sondern winkte ihr nur mit der Hand einen Gruß +entgegen. Sie trat auf ihn zu und küßte ihm zärtlich die Stirn, dann +setzte sie sich auf seinen Schoß, während er den Arm um die schlanke +Taille legte und ihr fragend ins Antlitz schaute. + +»Was für sonderbare Besuche empfängst du denn neuerdings?«, fragte er +nach einiger Zeit halb scherzend. + +»Ich? Besuche?«, brachte Frau Leimann verwirrt hervor, »ich habe +niemand empfangen, wirklich nicht, niemand.« Dabei irrte ihr Blick +unstät im Zimmer umher. + +»Du hast niemand empfangen? Ei, ei, du kleine Lügnerin!« + +»Aber was fällt dir ein, Georg, wer soll denn bei mir gewesen sein?« + +»Nun, ich dachte nur, ein gewisser Herr Krause.« + +»Woher weißt du das?« fuhr sie erschrocken auf. + +»Ich weiß alles, mein Kind, selbst daß der Gerichtsvollzieher eben bei +dir war.« + +Frau Leimann schlug beschämt die Augen nieder und zupfte verlegen an +ihrer seidenen Schürze. + +»Nun, wenn du es weißt, brauche ich es dir nicht erst zu sagen. Ja, er +war bei mir.« + +»Und was wollte er?« + +»Verklagt haben sie mich, um lumpige vierhundert Mark!« stieß die Frau +mit weinerlicher Stimme hervor. »Ich bin verloren, wenn mein Mann das +erfährt!« + +»Er muß es aber doch bezahlen, wenn er dir etwas gekauft hat.« + +»Er weiß von nichts. Ich mußte das Kleid haben, das rotseidene ist es, +weißt du? Ich habe damals gesagt, meine Mutter hätte es geschickt, denn +er hätte es mir abgeschlagen, haben mußte ich es aber, und da habe ich +es auf meine Rechnung entnommen!« + +»Das ist recht dumm, meine Liebe! Wie willst du das Geld schaffen?« + +»Ich weiß es nicht! Kannst du mir nicht helfen?« + +»Ich will zu den Leuten hingehen und um Aufschub bitten.« + +»Das hat keinen Zweck, Georg, ich muß bares Geld haben, wenigstens +tausend Mark, denn ich habe noch mehr zu bezahlen, die Schneiderin, den +Friseur &c. Verschaffe mir das Geld, Georg, zeige mir jetzt, daß du mich +so lieb hast, wie du immer sagst!« + +»Ich?« lachte Borgert höhnisch auf, »du lieber Gott, ich weiß selbst +nicht, wo ein noch aus!« + +»Wieso? Hast du auch Schulden?« + +»Wenn du dich vielleicht einmal in das Papier da drüben auf dem +Schreibtisch vertiefen willst? Solche Dinger bekomme ich jeden Tag.« + +Frau Leimann trat an den Schreibtisch, faltete die Bogen auseinander, +und schaute mit weit aufgerissenen Augen auf die Zahlen. + +»Um Gottes Willen, Georg! Was soll daraus werden? Du warst mein einziger +Verlaß, nun bin ich verloren!« + +Sie sank schluchzend auf den Divan und bedeckte ihr Gesicht mit den +Händen. + +»Nur nicht gleich so ängstlich, du kleiner Furchthase, an den paar +Hundert Mark stirbst du noch nicht!« tröstete sie Borgert, indem er ihr +zärtlich über das blonde Haar strich, »ich will sehen, daß ich es machen +kann, in einer Woche hast du tausend Mark.« + +Statt einer Antwort schlang sie ihre Arme leidenschaftlich um Borgert's +Hals und küßte ihm stürmisch Mund und Augen. + +»Ich wußte es,« sagte sie dann, »daß du mich nicht im Stiche lassen +würdest, du Lieber, du Guter!« Und sie zog den Oberleutnant neben sich +auf den Divan hinab. + +Er aber erhob sich, verriegelte die Tür und zog die Fenstergardinen zu. +Es war traulicher so. + + * * * * * + +Als Leimann gegen acht Uhr vom Dämmerschoppen nach Hause kam, fand er +alle Zimmer dunkel und leer. + +Auf seine Frage, wo denn seine Gattin sei, antwortete das Dienstmädchen: + +»Die gnädige Frau ist ausgegangen.« + +»Wohin?« + +»Ich weiß nicht, Herr Oberleutnant!« + +So zündete er denn eine Lampe an und ging nach dem Briefkasten, um zu +sehen, ob mit der Abendpost etwas gekommen sei. Er fand zwei Briefe +vor, Rechnungen, zusammen über sechshundert Mark. + +Er brummte etwas vor sich hin und schloß die beiden »Wische« in seinen +Schreibtisch ein. + +Da gewahrte er ein großes gelbes Kouvert. Er hielt es für einen +Dienstbrief und griff danach, um es mechanisch zu öffnen. Aber es war +bereits geöffnet und seine Neugierde wuchs, als er drei große Bogen +herauszog. + +Mit stieren Augen schaute er in die Schreibmaschinenschrift, dann ließ +er sich am Tisch nieder und las das ganze Schriftstück von Anfang bis zu +Ende durch. + +Also seine Frau auch? Das war ja eine reizende Überraschung! Wenn es mit +ihrer eigenen Kasse so im Argen lag, dann war wohl von der +Schwiegermutter nichts mehr zu erwarten, und mit dieser hatte er immer +noch gerechnet. Wütend schleuderte er die Klageschrift in die Ecke und +ging sinnend im Zimmer auf und ab. + +Seine Gattin mochte wohl den Schritt ihres Mannes durch die Decke +hindurch vernommen haben, denn sie trat jetzt mit glühenden Wangen ein. + +»Entschuldige, Max,« sagte sie außer Atem, »ich hatte noch nötig bei der +Schneiderin zu tun, ich bin furchtbar gelaufen, ich sah dich vor mir +hergehen, konnte dich aber nicht mehr einholen.« + +»Was hast du wieder mit der Schneiderin zu tun?« herrschte Leimann sie +an. + +»Was soll ich anders da zu tun haben, als wozu sie da ist? Sie macht mir +ein Reitkleid!« + +»Bezahle gefälligst erst deinen alten Krempel, ehe du dir neues +Flitterzeug machen läßt!« brüllte der Gatte. + +»Was soll dieser Ton? Und wer sagt dir, daß ich meine Rechnungen nicht +bezahle? Du denkst gewiß, es müßten andere gerade so in den Tag +hineinleben, wie du.« + +»Wenn du nicht willst, daß ich sehe, was dir der Herr Gerichtsvollzieher +bringt, dann lege es mir nicht direkt unter die Nase!« + +Frau Leimann begriff erst nicht recht, was er damit sagen wollte, da +fiel ihr ein, sie hatte ja die Zustellung auf dem Schreibtisch ihres +Gatten liegen lassen. + +»Ich verbitte mir ganz entschieden,« fuhr sie empört auf, »daß du die +Nase in meine Privatkorrespondenz hineinsteckst. Wenn der Brief offen +auf dem Tisch lag, hattest du kein Recht, denselben zu lesen, ich mache +deine Rechnungen auch nicht auf!« + +»Mache was du willst, aber ich verbitte mir, daß du mir den +Gerichtsvollzieher ins Haus schleppst.« + +»Das ist nicht schlimm, mein Lieber, dann weiß er wenigstens den Weg, +wenn er nächstens zu dir kommt!« + +»Halt den Mund, du Unverschämte, sonst werfe ich dich vor die Tür!« + +»Vielen Dank für dein freundliches Angebot, aber ich gehe bereits von +selbst.« + +Sie ging hinaus, betrat ihr Schlafzimmer und legte sich zu Bett. Müde +war sie aber noch gar nicht. Sie griff daher nach einem auf dem +Nachttisch liegenden Buch und begann zu lesen. + +Gerade darunter lag Borgert auch in seinem Bett und las ebenfalls. + +Aber seine Gedanken waren nicht recht bei der Sache, es ging ihm doch +etwas im Kopf herum, daß es ihn jetzt von allen Seiten packte. Denn wenn +da noch viel hinzu kam, würde der Oberst eines Tages die sofortige +Bezahlung aller Schulden verlangen, und, wenn er das nicht leisten +konnte, ihn auffordern, seinen Abschied einzureichen. Das aber war eine +faule Sache, denn was nun anfangen ohne einen Pfennig Geld, mit wenig +oder gar keinen Kenntnissen und vielen Ansprüchen? Es mußte energisch +etwas getan werden, und er wollte den nächsten Tag, einen Sonntag, dazu +benutzen, noch einmal alle Möglichkeiten einer größeren Anleihe +durchzugehen. + +Getröstet in der Hoffnung, daß sich doch noch irgend eine milde Hand +auftun würde, schlief er ein, das Buch entfiel seinen Händen und die +Lampe auf dem Nachttisch verlosch nach Mitternacht von selbst, da +Borgert vergessen hatte, sie auszublasen. + +Als er am nächsten Morgen erwachte, war es schon zehn Uhr vorbei. + +Borgert wurde wütend. Der halbe Tag war nun wieder zum Teufel und er +hatte sich doch so viel vorgenommen! Hatte dieser Esel von Bursche ihn +nicht geweckt? Dabei schmerzte ihn der Kopf und er fühlte sich matt und +zerschlagen. Notdürftig angekleidet ging er zum Burschenzimmer und fand +Röse einen Brief schreibend. Er fuhr auf, als der Oberleutnant eintrat. + +»Warum hast du mich nicht geweckt, du Vieh?« donnerte er den +Erschrockenen an. + +»Ich habe Herrn Oberleutnant um sieben Uhr geweckt, aber Herr +Oberleutnant wollte noch schlafen und sagte, ich brauchte nicht mehr zu +kommen!« + +»Das lügst du, du Schwein, ich will dich lehren, zu tun, was ich dir +sage.« Dabei ergriff Borgert ein auf dem Bett liegendes Säbelkoppel und +schlug damit heftig auf Röse ein. + +Röse stand in militärischer Haltung und ließ die Mißhandlung ruhig über +sich ergehen, ohne mit der Wimper zu zucken. Das aber reizte Borgert +noch mehr und so schlug er ihn noch einmal mit der Faust vor die Brust. +Dann nahm er den angefangenen Brief vom Tisch, zerknitterte ihn und warf +ihn in den Kohlenkasten. + +»Geh hinaus zu Herrn Oberleutnant Leimann und sage, ich bäte ihn, in +einer halben Stunde einmal bei mir vorzukommen.« + +»Zu Befehl, Herr Oberleutnant.« + +Borgert ging zurück nach seinem Schlafgemach, kleidete sich fertig an +und betrat das Nebenzimmer. + +Aber da stand ja schon der Kaffee! Ganz kalt schon! Also war Röse doch +schon vorher im Zimmer gewesen? Nun, eine kleine Tracht Prügel schadete +nichts, sie erhielt die Disziplin und den Respekt, wenn sie auch einmal +zur unrechten Zeit kam. Denn sollte er Röse etwa jetzt um Verzeihung +bitten? Das fehlte gerade noch. + +Auf dem Schreibtisch lagen einige Briefe. Es waren drei Rechnungen und +ein Brief seines Vaters. + +Er öffnete ihn und las: + + »Mein lieber Sohn! + + Mit Bedauern habe ich aus deinem letzten Briefe ersehen, daß du + wiederum größere Ausgaben hattest, die dich in Verlegenheit + bringen, weil du nicht damit gerechnet hast. So gern ich dir das + erbetene Geld schicken würde, ich kann es beim besten Willen + nicht, denn du weißt, wie sehr ich selbst rechnen muß. Wenn dir + mit 75 Mark etwas geholfen ist, so stehen sie dir zur Verfügung, + wenngleich ich sie deiner Mutter zur Anschaffung eines Kleides + versprochen hatte, welches sie schon lange nötig hat. Aber ich muß + dir offen gestehen, daß es mir unverständlich ist, wie du mit den + zweihundert Mark Zulage nicht auskommen kannst. Ich hatte in + deinem Alter auch nicht mehr und habe jedes Jahr eine schöne Reise + gemacht. Ich gebe dir den wohlgemeinten Rat, dich von deinen + Kameraden etwas zurückzuziehen, damit deine Ausgaben geringer + werden, beschäftige dich fleißig zu Hause und meide jede + Gelegenheit, die dich zu Ausgaben verpflichtet, denen du nicht + gewachsen bist. Wenn du offen erklärst, daß dir dieses und jenes + zu kostspielig ist, so wird dich jedermann umso höher achten, wenn + er sieht, daß du mit deinen Verhältnissen rechnest und nicht + leichtsinnig in den Tag hinein lebst. Denn vornehm leben heißt in + seinen Verhältnissen bleiben. + + Schreibe mir bald, wie du die Angelegenheit geregelt hast und ob + ich dir die angebotene Summe schicken soll. In der Hoffnung, daß + dir keine Unannehmlichkeiten erwachsen, bin ich dein alter Vater.« + +Als Borgert diese Zeilen gelesen, zerknitterte er das Papier und steckte +es mit den ungeöffneten drei anderen Briefen in den Ofen. Dann ließ er +sich mit einem Seufzer in einen Sessel nieder und blickte sinnend vor +sich hin. + +Da trat der Bursche ein und meldete Leimann. + +Borgert ging dem Freunde entgegen, und als sie eingetreten waren, fragte +dieser erregt: + +»Nun, was haben Sie denn Wichtiges so früh am Morgen?« + +Borgert stelle sich breitbeinig vor ihn hin und entgegnete mit +geheuchelter Heiterkeit: + +»Nun ja, mein Lieber, man hat so seine Sorgen. Ich bin nämlich so +ziemlich am Ende und möchte Sie zu meinem Konkursverwalter ernennen.« + +»Am Ende?« entgegnete Leimann erregt, »was wollen Sie damit sagen? Ist +es in Geldsachen?« + +»Sie haben recht geraten. Ich muß jetzt Geld haben, und zwar sofort, +einen ganzen Sack voll, sonst bin ich erledigt.« + +»Steht es denn so schlimm auf einmal? Sind neue Sachen gekommen? Sie +sagten doch das letzte Mal, Sie seien nun vorläufig versorgt.« + +»Gewiß sagte ich das, aber ich habe gestern einen Überschlag gemacht und +gefunden, daß es keinen Ausweg mehr gibt, als einen großen Pump. Ich +möchte also mit Ihnen einmal darüber sprechen, denn ich hoffe, daß sich +noch Mittel und Wege finden lassen werden, um sich über Wasser zu +halten!« + +Leimann schaute sinnend zu Boden und rieb sich das unrasierte Kinn. Dann +entgegnete er achselzuckend: + +»Wieviel ist es denn?« + +»Zwölftausend Mark, kein Pfennig weniger, denn ich muß jetzt reine Bahn +machen, ich habe diese langweiligen Mahnbriefe und Klagen satt!« + +»Nun, und wie dachten Sie sich die Sache denn ungefähr?« + +»Ich habe noch einige Adressen von solchen Geldmännern. Wenn Sie +nochmals bereit wären, Bürgschaft zu leisten, so hoffe ich, daß wir zum +Ziele kommen.« + +»Bürgschaft? Bürgschaft? Ja, Sie haben gut reden, mein Lieber, aber +schließlich muß man doch auch einen Hintergrund haben, wenn man immer +gutsagen soll. Ich muß Ihnen offen gestehen, wenn Sie die dreitausend +Mark von vorigem Monat nicht bezahlen können, dann bin ich mit meiner +Bürgschaft hereingefallen.« + +»Nun, das bedarf wohl keiner Auseinandersetzung, es ist absolut +selbstverständlich, daß ich meinen Verpflichtungen nachkomme.« + +»Daran zweifle ich durchaus nicht, aber ich kann Ihnen in der Tat keine +Bürgschaft mehr leisten, ich wollte vielmehr Sie darum bitten, denn ich +muß auch Geld haben.« + +»Ich bin gern dazu bereit, aber warum nehmen Sie denn auf Ihr +Kommißvermögen nichts auf? Das ist doch der sicherste Weg.« + +»Kommißvermögen? Auch haben, um etwas darauf aufzunehmen!« + +»Aber worauf haben Sie denn geheiratet?« fragte Borgert erstaunt. + +»Ich habe es _=nur=_ vier Wochen besessen, dann hat es der +zurückbekommen, der es mir geborgt hat, bis ich den Konsens hatte.« + +Borgert schaute seinen Freund betroffen an, dann ging er mit großen +Schritten im Zimmer auf und ab. + +»Nun,« begann er nach einer Weile von Neuem, »es ist gut, Sie leisten +mir Bürgschaft und ich Ihnen.« + +»Gut, das können wir, aber es ist doch eine gewagte Sache, denn wenn es +einmal zum Klappen kommt und keiner hat einen Pfennig, dann wird es +übel.« + +»Der Fall kann gar nicht eintreten, mein Verehrter, denn wenn mir jetzt +noch einmal geholfen ist, dann ist für später nichts zu fürchten. Ich +werde heiraten.« + +»Donnerwetter, haben Sie Schneid! Dann seien Sie aber in der Wahl Ihres +Schwiegervaters vorsichtig, sonst ist es eine faule Sache. Ich kann +davon ein Liedchen singen.« + +»Das versteht sich von selbst, auf leere Versprechungen heirate ich +nicht. Unter einer halben Million ist mit mir kein Geschäft zu machen.« + +»Na, da wünsche ich Ihnen viel Glück. Aber sagen Sie einmal, da fällt +mir ein, wie wäre es denn mit König? Sollte der nicht ein paar tausend +Mark herausrücken?« + +»Daran dachte ich wohl auch schon, aber ob er es tut, scheint mir sehr +zweifelhaft. Denn erst müßten wir ihm die alte Schuld bezahlen!« + +»Nun, ein Versuch kostet ja nichts. Mehr wie nein sagen kann er nicht, +ich werde sofort ein paar Zeilen an ihn schreiben.« + +Leimann nahm am Schreibtisch Platz und zog einen Briefbogen aus der +Schublade, Borgert entschuldigte sich indes für einige Augenblicke, da +er mit dem Burschen etwas zu sprechen habe. + +Er wollte die Zeit, während welcher Leimann schrieb, dazu benutzen, +dessen Gattin guten Morgen zu wünschen, und so huschte er in den weichen +Pantoffeln leise die Hintertreppe hinauf. Die Tür zum Ankleidezimmer +fand er angelehnt. Auf den Fußspitzen trat er näher und erblickte Frau +Leimann, wie sie vorm Spiegel stand. Das üppige Blondhaar hing ihr in +langen goldigen Strähnen über die Schulter, bis an die Hüften hinab. Und +als sie die Arme hob, um das Haar zu ordnen, fielen die weiten Ärmel +des Morgenrocks bis an die Ellenbogen zurück und entblößten einen +herrlichen weißen Arm. Das Bild war klassisch schön, ein echt +malerisches Motiv! + +Borgert stand einige Minuten still und betrachtete mit Verlangen die +schöne Frau, die nicht zu ahnen schien, daß ein Fremder sie belausche. +Plötzlich riß er die Tür auf, eilte auf Frau Leimann zu, küßte sie auf +den Nacken, und huschte eben so schnell wieder zur Tür hinaus und die +Treppe hinab. Geräuschvoll schritt er durch den Korridor, sprach mit dem +Burschen einige Worte und trat dann mit unbefangener Miene in sein +Arbeitszimmer. + +Da Leimann noch schrieb, setzte er sich in einen Sessel, zündete eine +Cigarrette an und blies den Rauch in einen durch das Fenster spielenden +Sonnenstrahl hinein, in dem die blauen Wölkchen leuchteten und sich zu +einem phantastisch verschlungenen Bande formten. + +Jetzt war der Brief beendet, Leimann schob ihn in ein Kouvert, schrieb +die Adresse darauf, und der Bursche mußte ihn sogleich an seinen +Bestimmungsort besorgen. + +»Das wird ziehen, denke ich!«, sagte Leimann befriedigt, als er vom +Schreibtisch aufstand. + +»Was haben Sie denn geschrieben?« fragte Borgert forschend. + +»Nun, ganz einfach, ich brauchte Geld für einen Kameraden und +appellierte daher an seine schon so oft bewiesene freundschaftliche +Gesinnung. Als Zeitpunkt für die Rückzahlung habe ich ihm drei Monate +bezeichnet, und mein Wort für pünktliche Erledigung gegeben, denn Sie +sagten ja, das Geld bis dahin schaffen zu können.« + +»Aber gewiß kann ich das, wenn der Kerl nur jetzt etwas hergibt, das +weitere findet sich dann schon.« + +So plauderten sie eine halbe Stunde, als Röse mit der Antwort des +Rittmeisters König zurückkam. + +Leimann ergriff erst hastig den Brief, dann aber zögerte er, ihn zu +öffnen. Unentschlossen schaute er auf die Adresse und sah fragend zu +Borgert hinüber, der noch behaglich in seinem Sessel saß. + +Oft harren wir sehnlich einer Nachricht, die uns freudige oder +unangenehme Botschaft bringen kann. Wir können den Augenblick nicht +erwarten, bis wir die Entscheidung in den Händen haben, dann aber wagen +wir nicht, die Botschaft zu erfahren, denn sie könnte uns Enttäuschung +bringen. Die Ungewißheit aber ist schöner, weil sie neben der Furcht vor +Enttäuschung auch die Hoffnung auf Freudiges in sich schließt. + +Schließlich riß Leimann das Kouvert auf und faltete den Brief +auseinander. + +Betroffen schaute er in die Schriftzüge. Borgert sah an dem Gesicht des +Lesenden, der mit hochgezogenen Brauen und nervös zitternden Händen vor +ihm stand, daß die Antwort König's nichts Erfreuliches brachte. Aber er +war ruhiger, weniger betroffen, als Leimann, obgleich ihn selbst die +Angelegenheit doch am ersten betraf. Es war ihm schon lange nichts Neues +mehr, diese absagenden Antworten auf Darlehnsgesuche und ähnliche +Schreiben, der Mensch gewöhnt sich eben an alles. + +Sein Gesicht aber nahm einen zornigen Ausdruck an, als er jetzt selbst +die Antwort las, nachdem sie ihm Leimann stillschweigend gereicht. Der +Brief lautete: + +»Zu meinem Bedauern bin ich nicht in der Lage, ihrem Wunsche +nachzukommen. Einesteils kann und darf ich es nicht tun mit Rücksicht +auf meine Familie, denn Summen von derartiger Höhe könnte ich nur aus +der Hand geben, wenn mir eine unbedingte Sicherheit geboten wird. In +Ihrer ehrenwörtlichen Versicherung für pünktliche Rückzahlung bedaure +ich eine solche nicht erblicken zu können, da Sie sowohl, wie +Oberleutnant Borgert die Ihnen vor Monaten geliehenen Beträge noch nicht +zurückzuzahlen im Stande waren, obgleich Sie mir auch damals Ihr Wort +auf Erledigung Ihrer Schuld binnen zehn Tagen gegeben haben. Außerdem +scheint mir das, was ich in letzter Zeit über den Stand Ihrer +wirtschaftlichen Lage gehört habe, durchaus nicht darnach angetan, eine +Innehaltung Ihres Versprechens von heute zu gewährleisten.« + +Borgert stand auf und schleuderte das Schreiben wütend zu Boden. Darauf +trat er an's Fenster und schaute auf die Straße hinaus. + +Keiner von beiden sprach ein Wort. Erst als sich ihre Blicke begegneten, +fragte Leimann: + +»Nun, was sagen Sie dazu?« + +»Eine Unverschämtheit ist es, eine Gemeinheit!« brauste Borgert los, +»was fällt dem Menschen ein, sich in unsere Privatangelegenheiten zu +mischen? Es wäre unkameradschaftlich genug gewesen, uns eine Absage zu +schicken, aber in diesem beleidigenden Ton! Das kann man sich nicht +gefallen lassen!« + +»Was wollen Sie machen?« entgegnete Leimann achselzuckend. »Wenn Sie +gegen ihn auftreten, faßt er uns damit, daß wir ihm damals unser Wort +gegeben haben, und das läßt sich nicht bestreiten, denn von mir hat er +es sogar schwarz auf weiß. Es ist also schon das Beste, wir stecken +diese Grobheit ruhig ein und schneiden den Kerl, dann wird er es schon +merken!« + +»Er hat anscheinend ganz vergessen, daß es uns ein Leichtes wäre, ihm +den Hals zu brechen. Hat er nicht selbst gesagt, er wolle uns damals den +Betrag aus der Schwadronskasse leihen? Ich meine, es könnte ihm nicht +angenehm sein, wenn man von dieser Tatsache Gebrauch machte.« + +»Das stimmt ja, aber Sie können ihm doch anstandshalber deshalb keine +Geschichten machen, denn der Eingriff in die Kasse geschah in unserem +Interesse.« + +»Das ist mir gleich. Wenn er sich jetzt erlaubt, uns derartige +Frechheiten ins Gesicht zu schleudern, dann will ich ihm zeigen, daß ich +ihm mit gleicher Münze dienen kann!« + +»Sie können aber doch unmöglich eine Meldung schreiben, König hätte +Ihnen Geld geliehen, nachdem er in eine Kasse gegriffen habe. Das würde +doch ein sonderbares Licht auf Sie werfen.« + +»So ungeschickt werde ich es auch nicht anfangen. Das kann man hinten +herum in die Wege leiten, und ich werde es einrichten, daß kein Mensch +in mir den Urheber wittert. Aber eintränken will ich's dem Kerl schon.« + +Beide schwiegen wieder, und wenige Minuten später empfahl sich Leimann, +da er vor Tisch noch einen Gang zur Stadt zu tun habe. + +Borgert blieb auch nicht mehr lange in seiner Wohnung. Er ging in's +Kasino und ertränkte seine schlechte Laune in einer Flasche Heidsieck. + + * * * * * + +Als Borgert wenige Tage später des Morgens erwachte, merkte er zu seinem +Schrecken, daß er wieder den Dienst verschlafen hatte. Er klingelte +heftig nach dem Burschen, aber Röse erschien auch auf ein zweites +Glockenzeichen nicht. + +Borgert kleidete sich an und ging nach Röse's Stube. Er fand sie leer. +Das Bett stand unberührt, darauf lag Uniform und Mütze des Burschen. + +Erstaunt schaute er sich in dem kleinen Raume um, den eine stickige, +dumpfe Luft, ein Geruch nach schmutziger Wäsche und abgetragenen +Kleidern erfüllte. Wo sollte Röse so früh schon hingegangen sein, ohne +ein Wort zu sagen? Hatte er Dienst? Aber nein, da lag ja seine Montur. + +Borgert stand schon auf der Schwelle, um das Zimmer wieder zu verlassen, +als er auf dem schmutzigen Tisch einen Zettel gewahrte. Er nahm ihn auf +und sein Gesicht erblaßte, während er ihn las, denn er enthielt in +ungelenker Schrift nur die Worte: »Ich empfehle mich bestens!« + +Wie versteinert schaute Borgert auf das Blatt. Der Kerl war also +desertiert! + +Über den Grund konnte Borgert keinen Moment im Unklaren bleiben, und ein +plötzliches Unbehagen erfaßte ihn bei dem Gedanken, man könne Röse +aufgreifen. Dann würde alles zu Tage kommen, die schlechte Behandlung, +die Mißhandlungen und so vieles, was Röse mit angesehen oder über +seinen Oberleutnant erfahren hatte. + +Wie geistesabwesend schritt er nach seinem Zimmer hinüber und setzte +sich auf die Bettkante. + +Er glaubte zu träumen, wild jagten ihm allerlei Gedanken durch den Kopf, +und ein nervöses Zucken spielte um die blassen Lippen. + +Hatte sich denn alles gegen ihn verschworen? Ärger, Ungemach, +Enttäuschung von allen Seiten, kein Lichtblick in die Zukunft, die sich +jetzt mit einem Schlage drohend und schwarz vor seiner Seele malte! + +Zum ersten Male durchzuckte ihn mit schrecklicher Gewißheit der Gedanke, +daß er vor einer Katastrophe stand, welcher nichts mehr Einhalt gebieten +konnte, wenn nicht ein Wunder geschah. Aber wo sollte das jetzt noch +herkommen? Aller Glaube, alle Hoffnung zerflossen zu nichts in den +wenigen Augenblicken, da ihm die ganze erdrückende Last seiner Schuld +und Sünden, die ganze Wirrnis eines verfehlten Daseins zum Bewußtsein +kam. Ein Schrecken, eine Schauer vor sich selbst und das Gefühl der +Hilflosigkeit ergriff den Mann, den sonst nichts zu bewegen vermochte, +der mit einer kalten, kein Mittel scheuenden Berechnung alle +Schwierigkeiten und mißlichen Lebenslagen niederzukämpfen gewohnt war. +Keiner tieferen Regung und edlen Gefühle fähig, war er bis jetzt den +Lebensweg gewandelt, den Egoismus, rücksichtslose, gefühlsrohe Gesinnung +und oberflächliche Lebensanschauung ihm gewiesen hatten. + +Lange saß er so da, bleich, unbeweglich, den stieren Blick in's Leere +gerichtet, nur das nervöse Spiel seiner Züge verriet, daß in der +scheinbar leblosen Gestalt noch Leben saß: der seelische Kampf und +innere Zwiespalt eines Menschen, der zu spät erkennt, wie er sein Leben +gewaltsam zerstört und zertreten, dessen Hoffnung auf eine unverdiente +Gnade des Geschickes noch im Ersterben nach einem rettenden Gedanken +sucht, an den sich die geängstigte Seele klammern kann, wie ein +Ertrinkender noch bis zum letzten Atemzuge mit den Wogen ringt, auch +wenn er weit und breit kein helfendes Wesen erblickt. + +Borgert war jetzt mit sich im Reinen, er hatte abgerechnet mit sich +selbst und einem verfehlten, durch eigene Schuld vernichteten Leben. Er +war entschlossen, die Folgen zu tragen, nun es kein Entrinnen mehr gab. + +Mechanisch kleidete er sich an und ging zur Kaserne, um dem Rittmeister +zu melden, daß er den Dienst versäumt habe. + +Von Röse's Flucht wollte er vorläufig schweigen, denn wenn man jetzt +sofort dem Deserteur nachspürte, war es so gut wie sicher, daß man in +wenigen Tagen seiner habhaft wurde. Gab man ihm aber noch 48 Stunden +Zeit, dann hatte er genügend Vorsprung, um sich in ein sicheres Versteck +zu begeben, und dann blieb es Borgert erspart, von einem Kriegsgericht +wegen Mißhandlung eines Untergebenen verurteilt zu werden. + +Als er gegen Mittag seine Wohnung wieder betrat, fand er einen Brief +vor. Es war die Antwort des Geldverleihers aus Berlin, welcher Borgert +in kurzen Worten mitteilte, er könne ein Darlehn nicht gewähren, da die +Erkundigungen sowohl über Borgert wie über den Bürgen Leimann eine +außerordentlich ungünstige Wirtschaftslage bekundet hätten. + +Borgert nahm die Nachricht fast gleichgültig auf, denn er hatte seit +heute Morgen jede Hoffnung auf einen günstigen Zufall verloren und daher +nichts anderes erwartet. + +In's Blaue hinein, auf ein ehrlich Gesicht und schöne Worte gab kein +Mensch einen Pfennig her, es hatte also gar keinen Zweck, sich noch +weiter zu bemühen. Wenn es trotzdem vorher Leute gegeben hatte, die ihm +Geld zur Verfügung stellten, so war es eben auf Leimann's Bürgschaft hin +erfolgt, der seine Vermögenslage in so geschickter Weise in ein +günstiges Licht zu stellen verstand, daß man ihm einfach Glauben +schenkte, ohne lange Erkundigungen über ihn einzuziehen. + +Matt und mit wirrem Kopfe legte sich Borgert auf den Divan nieder. + +In's Kasino mochte er nicht gehen, denn er verspürte keinen Appetit und +fühlte sich auch nicht in Stimmung, mit den Kameraden in gewohnter Weise +zu scherzen und zu plaudern. Er mochte niemand sehen und hören, nur +allein sein wollte er, ganz allein. + +Sein Blick schweifte in dem eleganten Raum umher. Und als er so die +schönen Bilder an den Wänden, die kostbaren eichenen Möbel und +wertvollen Teppiche betrachtete, da schmerzte es ihn doch, daß all diese +Pracht und Herrlichkeit nun ein Raub der Manichäer werden sollte. Sie +würden sich zanken und streiten um den Besitz, ein jeder würde der erste +sein wollen, wenn es galt, zu seinem Rechte zu gelangen. + +Aber es half nichts. In wenigen Tagen mußte der Zusammenbruch erfolgen, +eine Rettung war ausgeschlossen. + +Doch was sollte dann aus ihm selbst werden? Daran hatte er noch gar +nicht so recht gedacht. Sollte er sich jeden Stuhl unter dem Rücken +hervorziehen und auf die Straße setzen lassen? Schließlich sperrte man +ihn vielleicht noch ein? Die Zeit drängte, ein Entschluß mußte schnell, +sofort gefaßt werden. + +Eigentlich wußte er nicht recht, was er überhaupt in diesem elenden +Sorgenleben noch zu suchen habe. Denn jetzt mit Schimpf und Schande +abgehen, einen neuen Beruf erlernen und arbeiten müssen, das war gar +nicht sein Geschmack. Verwöhnt und anspruchsvoll sich in eine einfache +Lebensweise, eine bescheidene, vielleicht sogar untergeordnete Stellung +hineinzuzwängen, das war ein fast unmögliches Ding. Dazu gehörte +Energie, Selbstverleugnung und Arbeitslust, von alledem aber fühlte er +nichts in sich. Sollte er sich einfach eine Kugel durch den Kopf +schießen? + +Aber nein, das war abgeschmackt, erforderte auch Mut, und den hatte er +nur besessen, wenn er nichts riskiren konnte. + +Und schließlich, wer sollte wissen, ob er nicht doch noch einmal das +Glück zu fassen bekäme? Dann wäre Selbstmord eine übereilte Torheit +gewesen. Das Leben konnte so schön sein, und nun kurzer Hand ein Ende +damit machen? Nein, auf keinen Fall. + +Lange grübelte er hin und her, es wollte ihm kein rechter Gedanke +kommen. + +Er dachte an seinen Burschen. Hatte der es nicht ganz schlau angefangen, +um sich den Verhältnissen zu entziehen, die ihm nicht paßten? Der saß +jetzt vielleicht ruhig und ungestört in einem stillen Winkel, wo es +niemand einfiel, nach ihm zu fragen, wo er leben konnte, wo er lustig +war. + +Wenn er es nun auch so machte? + +Je mehr in Borgert der Gedanke an eine heimliche Flucht Gestalt gewann, +um so vortrefflicher schien ihm dieser Ausweg. + +Unter neuen Menschen, in einem anderen Lande konnte er ein neues Leben +beginnen, und wie lange würde es dauern, bis man ihn vergessen hatte! In +einem Jahre nannte man seinen Namen vielleicht nur noch als den eines +Mannes, der auch einmal existiert habe, im Übrigen würde sich niemand +mehr um ihn kümmern. + +Er war so sehr in seine Gedanken versunken, daß er es nicht mehr +bemerkte, als die Tür aufging und Frau Leimann eintrat. + +Sie sah blaß und ernst aus, das sonst so jugendlich schöne Gesicht +schien gealtert, und die Augen zeigten einen bangen Ausdruck. + +Borgert erhob sich nicht, sondern nickte nur, ohne ein Wort zu sagen, +kaum merklich mit dem Kopfe. Dabei streifte sein Blick die Gestalt der +Frau. + +Sie schien ihm heute nicht begehrenswert, ganz anders sah sie aus wie +sonst. Ihre Bewegungen schienen ihm schlaff und formlos, die Reize fand +er nicht, an denen er sich so oft gesättigt. Das Haar war wirr und +flüchtig geordnet, hinter den weichen Falten des lässig übergestreiften +Morgenrockes verrieten sich nicht die vollen Formen, die Rundung der +Glieder, die gesunde Fülle eines jugendlichen Weibes. Alt und verlebt +kam ihm die ganze Erscheinung vor. + +War es früher nur ein rein sinnliches Empfinden gewesen, das ihm die +Frau so schön, so begehrenswert erscheinen ließ? Und war es heute die +geistige und nervöse Abspannung, die jene Regung tötete, sodaß er die +Reize des Weibes nicht zu erkennen vermochte? + +Er wußte es nicht, zwei Eindrücke standen einander gegenüber: Die Frau, +wie sie jetzt vor ihm stand, und das herrliche Weib, das er vor wenigen +Tagen mit gelöstem Haar, mit nackten Armen und Schultern geschaut und +geküßt. + +Sie hatte sich neben ihn auf den Divan gesetzt und seine Hand ergriffen. +Ihre Augen schauten bang in das Gesicht des Mannes, der so teilnahmslos, +so gleichgiltig vor ihr lag. + +»Du bist krank, Georg?« fragte Frau Leimann besorgt. + +Er schüttelte nur den Kopf, ohne zu antworten. + +»Aber so sage mir doch, was ist dir? Was fehlt dir?« + +»Nichts und alles,« gab Borgert gleichgiltig zur Antwort. + +»Was soll das heißen, Georg? So sprich doch vernünftig!« + +»Was soll ich viel reden, meine Liebe? Ich bin fertig. Sonst fehlt mir +nichts!« + +»Fertig! Womit? Wie soll ich das verstehen?« + +»Mit allem, mit dem Leben und mit mir!« + +»Du sprichst in Rätseln, Georg! So sage mir doch offen und klar, was ist +geschehen!« + +»Das Geld ist alle. Ich muß fort, sonst gibt es ein Unglück.« + +Borgert fühlte, wie ein Zucken durch ihren Körper ging. Sie erwiderte +nichts, sie wendete nur langsam ihr Gesicht ab und schaute nach dem +Fenster hin. + +Im Stillen war Borgert ihr dankbar, daß sie die Mitteilung so gefaßt +entgegennahm und nicht nach Weiberart aufschrie oder schluchzend zu +Boden sank. + +Und als er das blasse Profil betrachtete, wie es sich gegen die hellen +Fensterscheiben abhob, und eine Träne in ihren Augen flimmern sah, +erfaßte ihn eine Rührung, ein Mitleid mit der Frau, und er zog sie in +seine Arme. + +Und als sie so dalagen in wortloser Umarmung, kam es leise über ihre +Lippen: + +»So nimm mich mit, Georg!« + +Betroffen fuhr Borgert auf: + +»Um Gottes Willen, wie kommst du auf solche Gedanken? Wie darf ich das?« + +»Ich bitte dich, Georg, laß mich mitgehen, ich halte es hier nicht +länger aus.« + +»Aber das ist undenkbar, Liebste! Ist es nicht Skandal genug, wenn ich +allein verschwinde? Und dann dich noch mitnehmen? Unmöglich!« + +»Dann gehe ich allein, ich will fort, ich muß!« + +»Aber warum denn auf einmal, was ist denn passiert?« + +Frau Leimann brach in ein heftiges Schluchzen aus. + +»Geschlagen hat mich mein Mann, weil der Gerichtsvollzieher wieder bei +mir war. Ich ertrage diese Behandlung nicht länger und dann..... dann +....... ich habe auch kein Geld für meine Schulden, es gibt ein +Unglück.« + +Borgert hatte Mühe, die erregte Frau wieder zu beruhigen. + +Er überlegte. Eigentlich war der Gedanke gar nicht so unrecht. Wenn sie +doch einmal fort wollte, dann konnte sie auch gleich mit ihm gehen, dann +hatte er wenigstens einen Menschen bei sich, mit dem er reden konnte und +noch manches mehr, einen, der sich in der gleichen Lage befand wie er +selbst. Und als Frau Leimann ihn mit flehenden Augen ansah, schloß er +sie wieder in die Arme und flüsterte leise: + +»So komm mit! Morgen abend reisen wir!« + +Lange hielten sie sich in inniger Umarmung umschlungen, dann aber +entwand sich Borgert den Liebkosungen der Frau und drückte sie in einen +Sessel nieder. + +Er selbst nahm ihr gegenüber Platz und sagte: + +»Nun müssen wir aber einmal ganz vernünftig über alles reden. + +Erstens: Wie willst du fortkommen, ohne daß dein Mann etwas davon +merkt?« + +»Max fährt morgen früh nach Berlin, er hat dort dienstlich zu tun. Hat +er dir's noch nicht erzählt?« + +»Nein, aber das trifft sich ja ausgezeichnet. Nun weiter: Hast du +Reisegeld?« + +»Ja, meine Mutter hat heute dreihundert Mark geschickt, und ich habe +nichts damit bezahlt, weil ich fest entschlossen war, abzureisen.« + +»Dann bist du besser daran als ich, ich habe nämlich blos noch eine +Mark, aber ich werde Rat schassen. + +Drittens: Wie willst du unauffällig dein Gepäck zur Bahn schaffen +lassen? Denn du kannst doch nicht mit einem Kleide ausrücken!« + +»Ganz einfach, Georg! Bitte noch heute meinen Mann um den großen Koffer +und sage, du müßtest nach Hause reisen. Dann packe ich alles hinein und +der Bursche bringt ihn zu dir herunter. Er ist groß genug für uns +beide!« + +»Ich sage es ja immer«, entgegnete Borgert lachend, »es ist ein altes +Sprichwort: + + »In größter Not ein Frauenmund + Tut dir die schlausten Schliche kund!« + +Das Rezept ist übrigens großartig und acceptiert.« + +»Und mit welchem Zuge fahren wir?« + +»Du fährst nachmittags, damit wir nicht zusammen abreisen, das würde +natürlich auffallen. Ich komme mit dem Abendzuge nach. Wir treffen uns +am besten in Frankfurt im Wartesaal, dort können wir dann alles weitere +in Ruhe besprechen. Ich nehme natürlich drei Tage Urlaub, damit man mir +nicht gleich jemand nachschickt.« + +»Dann wären wir ja soweit einig. Ich komme morgen Vormittag herunter, +sobald mein Mann fort ist, dann können wir ja noch einmal über alles +sprechen. Jetzt muß ich hinauf.« + +Noch ein inniger Kuß, und Frau Leimann wandte sich der Tür zu. Als sie +Borgert von der Schwelle aus noch einmal zunickte, da gefiel sie ihm +wieder. Das erhitzte Köpfchen mit den zerzausten Haaren und den +leuchtenden Augen, es war doch wirklich reizend! Eine Art Wonne überkam +ihn plötzlich bei dem Gedanken, daß er das entzückende Weib nun ganz +besitzen, für immer um sich haben sollte, es würde ihm helfen, leichter +über alles hinwegzukommen, was noch Unangenehmes bevorstand. + +Borgert hatte mit einem Schlage seine gute Laune zurückgewonnen, es war +ihm fast wohl zu Mute. Denn jetzt bekam die ganze Flucht einen anderen +Anstrich. Man würde sagen, sie seien aus Liebe mit einander geflohen. +Skandal und Gerede gab das auch noch zur Genüge, aber die ganze +Geschichte schien ihm gewissermaßen vornehmer, interessanter und +entschuldbarer, als wenn es hieß, er sei auf und davon gegangen, weil er +sich vor Schulden und den Folgen unsauberer Machinationen nicht habe +retten können. + +Einen Augenblick allerdings mischte sich in diese Freude ein Mahnruf des +Gewissens, das ihm verbot, ein neues Verbrechen zu begehen. Aber dieser +Mahnruf klang so schwach und kraftlos, daß Borgert ihn kaum empfand. Die +Hauptsache war ja doch, ihm bot sich eine Annehmlichkeit, ein Vorteil, +den er sich nicht entgehen lassen wollte, lediglich mit Rücksicht auf +andere. Die kamen doch erst in zweiter Linie! + +Denn je stärker der Egoismus im Menschen vorherrscht, umso leichter +überwinden wir alle Regungen, alle sentimentalen Grübeleien, welche uns +vor einer Sünde warnen, wenn wir aus ihr einen Vorteil zu gewinnen +glauben, und nur dann weichen wir vom rechten Wege ab. Deshalb sind die +größten Verbrecher auch die größten Egoisten. + +So wanderte denn Borgert wohlgemut der Stadt zu und betrat die Post, wo +er ein Telegramm an einen Althändler in der Nachbarstadt sandte und +diesen um einen Besuch am nächsten Morgen bat. + +Darauf begab er sich nach seinem Hause zurück und ging zu Leimann's +hinauf. + +Er fand den Freund beim Kofferpacken. + +»Nun, morgen soll die Reise los gehen, wie ich höre, ich erfuhr es erst +heute Mittag!« sagte Borgert, ihm die Hand reichend. + +»Ja, sehr entzückt bin ich gerade nicht, denn man ist in keiner Weise +für eine solche Reise vorbereitet. Aber das ist ja immer so, erst im +letzten Augenblick bekommt man seine Befehle, sodaß man gerade noch den +Zug erreicht.« + +»Trotzdem beneide ich Sie um die schöne Reise! Mir steht eine weniger +angenehme bevor.« + +»Wie, Sie wollen auch fort?« + +»Ich will eigentlich nicht, aber ich muß!« + +»Und wohin?« + +»Nach Hause, morgen Nachmittag fahre ich.« + +»Ah, ich verstehe, viel Glück und gute Verrichtung!« + +»Danke schön! A propos, können Sie mir einen Koffer borgen? Ich möchte +gerne Verschiedenes mit nach Hause nehmen, und dazu ist der meinige zu +klein.« + +»Aber gewiß, mein Bursche kann Ihnen den großen Korb hinunterbringen, +wird der genügen?« + +»Natürlich, vollständig, besten Dank!« + +Borgert merkte, daß sein Besuch nicht ganz gelegen kam. Leimann hatte +schlechte Laune und ließ sich auch gar nicht in seiner Beschäftigung +stören. Er war so mit seinen Gedanken dabei, daß er Borgert's Fragen +kaum hörte, und so hielt es dieser für angebracht, sich zu empfehlen, +mit dem Versprechen, zum Abendessen wieder heraufzukommen. + +»Wann könnte ich wohl den Koffer haben?« fragte er im Weggehen. + +»Sowie mein Bursche aus der Stadt zurück ist, besorgt er ihn hinunter. +Also auf Wiedersehen!« + +In seinem Zimmer ließ sich Borgert in einen Sessel nieder. Ihm war so +wohl und frei, er hätte jauchzen mögen, denn einen Tag später war er den +ganzen Krempel los und brauchte sich nicht mehr zu ärgern. Dabei diese +nette Begleitung! Er wunderte sich, daß er auf diese Idee nicht früher +gekommen war. + +Da fiel ihm ein, daß er ja noch gar nicht an's Packen gedacht habe, er +wollte wenigstens alles zurechtlegen, damit nichts vergessen würde. + +Er ließ seinen Blick durch den eleganten Raum streifen und überlegte, +was wohl des Mitnehmens wert sei. Dann nahm er von dem Sofapaneel einen +silbernen Becher, das Abschiedsgeschenk seines früheren Regiments, und +stellte ihn im Nebenzimmer auf einen Tisch. + +Ein Album, einige Photographien, ein Packet Briefe, 2 Reitpeitschen und +2 kleine Ölgemälde -- Arbeiten seiner verstorbenen Schwester -- das war +alles, was er mitzunehmen gedachte. Alles übrige konnte stehen bleiben +als Trost für die Gläubiger. + +Als er gegen sieben Uhr bei Leimann's eintrat, fand er sie bereits bei +Tisch. + +Leimann machte ein finsteres Gesicht und schaute kaum von seinem Teller +auf, als Borgert eintrat. + +Seine Gattin saß mit rotem Kopf ihm gegenüber, aber sie berührte die +Speisen nicht, sondern schaute nur angstvoll mitunter nach ihrem Gatten +hinüber. + +Den ganzen Abend kam keine Stimmung in das Beisammensein, und nicht +einmal eine Flasche Eckel vermochte die sonst gewohnte Heiterkeit wieder +wach zu rufen. Leimann hatte eben schlechte Laune, und dann war nichts +mit ihm anzufangen. + +Daher trennte man sich auch schon zu früher Stunde, und der Abschied der +Freunde war kühler als sonst. + +Frau Leimann aber hatte noch auf dem Korridor Gelegenheit, ihrem +Geliebten einen flüchtigen Kuß auf die Wangen zu drücken, als ihr Gatte +hineingegangen war, um ein Streichholz zu holen. + + * * * * * + +Am nächsten Morgen war Borgert gerade erst ausgestanden, als schon der +Althändler ankam. + +Der Oberleutnant begrüßte ihn freundlich und bat ihn, einzutreten, dann +vollendete er seinen Anzug und begann mit dem Juden zu verhandeln. + +»Bitte, wollen Sie sich einmal mein Mobiliar ansehen,« sagte er, »ich +gedenke die ganze Einrichtung, wie sie da steht, zu verkaufen, da ich +versetzt bin, doch wollen Sie diesen Umstand vorläufig noch diskret +behandeln. Wie viel würden Sie mir eventuell zahlen?« + +Der Jude sah sich nachdenklich in dem Zimmer um. Er befühlte und +beklopfte die einzelnen Stücke, prüfte Decken und Teppiche und musterte +eingehend das kostbare Schnitzwerk des Bücherschrankes. Dann zog er ein +Notizbuch aus der Tasche, schielte nach den einzelnen Stücken hin und +notierte sich den Preis. Schließlich wandte er sich Borgert zu und sagte +mit fragender Miene: + +»Fünfzehnhundert Mark, Herr Oberleutnant, sofort auf den Tisch!« + +»Was, fünfzehnhundert Mark?«, stieß Borgert enttäuscht hervor, »aber ich +bitte Sie, ich habe fast zehntausend Mark für die Einrichtung bezahlt.« + +»Tut mer leid, Herr Oberleutnant«, gab der Jude achselzuckend zu +Antwort, »alte Sachen sind keine neie Sachen, mehr zahlt kein Mensch.« + +»Das ist zu wenig, das ist ja fast geschenkt.« + +»Nun, ich will Ihnen geben zweitausend Mark, aber keinen Pfennig +darüber.« + +Borgert setzte sich in den Schreibstuhl. Er überlegte, und während +dessen schaute der Jude erwartungsvoll auf sein Gesicht. + +»Gut, her mit dem Gelde, Sie haben den Krempel!« sagte Borgert nach +einigem Besinnen. + +Denn schien ihm der Betrag von zweitausend Mark auch ein Lumpengeld für +diese kostbaren Möbel, so war es doch besser, er entschloß sich schnell +für einen geringeren Preis, ehe der ganze Fluchtplan infolge Mangels an +Geld ins Wasser fiel. + +Schmunzelnd zog der Jude ein Papier aus der Tasche, schritt zum +Schreibtisch und schrieb einige Worte auf das Blatt, welches er Borgert +nun zur Unterschrift vorlegte. + +Als der Jude wieder hinaus war und Borgert die beiden Tausendmarkscheine +in der Hand hielt, schien ihm nun das letzte Hindernis zur Flucht +beseitigt, denn bares Geld war die Hauptsache. Er faltete die Scheine +zusammen und steckte sie in seine Börse, trat dann in's Schlafzimmer an +den Kleiderschrank und entnahm demselben den Reiseanzug. Das übrige +Civil packte er zu Frau Leimann's Kleidern in den Koffer, darauf die +paar Sachen, die er sonst noch mitnehmen wollte, und ließ den Koffer +sogleich zur Bahn besorgen. + +Der Oberst zeigte wenig Lust, den Oberleutnant zu beurlauben, und erst +auf nochmalige Vorstellung über die Dringlichkeit der Reise ließ er sich +erweichen, einen dreitägigen Urlaub zu bewilligen. Er hoffte +schließlich, Borgert würde mit seinem Vater übereinkommen und diese +leidigen Geldgeschichten aus der Welt schaffen. Das konnte ihm ja nur +angenehm sein, und so ließ er ihn reisen. + +Leimann war inzwischen schon über alle Berge. Die beiden Freunde hatten +nicht einmal ein letztes Lebewohl einander zugerufen. Seine Gattin aber +war noch sehr beschäftigt. Es gab so vielerlei zu tun, hier ein Packet +Briefe zu verbrennen, die weder der Gatte noch Georg lesen durften, dort +noch einige Kleinigkeiten einzupacken, meist wertlose, unscheinbare +Sächelchen, deren Wert die Erinnerung bedeutete. + +Das Herz einer Frau hängt an solchen Dingen, die ihr schöne Augenblicke, +liebe Bilder in der Erinnerung erwecken, und eher gibt sie dir den +schönsten, im Laden gekauften Ring, als die trockene Blume oder das +kleine Angebinde aus der Hand eines Mannes, welcher in ihrem Leben eine +Rolle gespielt. + +Den heimlichen Abschied von Bubi, dem kleinen zweijährigen Söhnchen, +hatte sie sich tags zuvor schwerer vorgestellt, und sie empfand jetzt +sogar eine Art Gewissensbisse, daß sie so leichten Herzens, ohne Träne, +das einzige Kind im Stiche lassen konnte, das jetzt, mutterlos, einer +ungewissen, vielleicht traurigen Zukunft entgegen ging. + +Aber es war sonderbar! Vom ersten Augenblick an empfand sie eine gewisse +Abscheu vor dem Kinde mit der breiten Nase, dem großen Mund und den +winzigen, stechenden Augen. Schon nach wenigen Wochen zeigte sich eine +ausgesprochene Ähnlichkeit mit dem Vater, und je mehr die Entfremdung +der Gatten wuchs, umsomehr schwand der kleine Rest von Mutterliebe. Sie +betrachtete das ewig schreiende, häßliche kleine Wesen lediglich als +sein Kind, und sich selbst nur als das natürliche Mittel, um es zur Welt +gebracht zu haben, und so war es gekommen, daß das arme Baby fast nur in +der Küche oder der Mädchenstube sein Dasein fristete, gehütet und +erzogen von den Dienstboten. Die Mutter bekam ihr Kind oft kaum eine +Stunde am Tage zu sehen. + +Es gibt ja Frauen, die, eitel und sich ihrer eigenen Schönheit wohl +bewußt, es für eine Schmähung der Natur, für eine Strafe des Himmels +halten, wenn sie häßliche Kinder zur Welt bringen, vor denen sie dann +ihr ganzes Leben eine innere Abneigung empfinden und ihnen aus dem Wege +gehen, wie dem Gedächtnis einer Kränkung, die ihrem Frauenstolze +widerfuhr. + +Ihr Gatte hatte es ja nicht anders um sie verdient, als daß sie ihn +verließ, und deshalb empfand sie kaum das Bewußtsein einer Schuld, als +sie um drei Uhr ein Abteil erster Klasse des Schnellzuges nach Frankfurt +bestieg. + +Denn welcher Mensch strebt nicht, seine Sünden und Vergehen vor sich +selbst zu rechtfertigen, zu entschuldigen? Oberflächliche, +selbstsüchtige Menschen bringen es in diesem Streben so weit, daß sie in +dem größten Verbrechen häufig nur eine kleine Inkorrektheit erblicken, +welche die Mitmenschen falsch, zu hart beurteilen, weil sie die +Beweggründe nicht verstehen können. -- + +Zu diesen Menschen zählte auch Borgert. Dem Egoisten heiligt der Zweck +die Mittel, und so schied er wohlgemut, voll innerer Genugtuung von der +Garnison, den »Freunden« und seinen Pflichten, mit einem verächtlichen +Lächeln auf den Lippen über die, welche in der Beschränktheit ihres +Geistes festhalten an Sitte und Hergebrachtem, und nicht den Mut haben, +die Rücksicht auf andere über Bord zu werfen, wenn sie ihrem eigenen +Vorteil auf der Spur sind. + +Als die beiden am späten Abend in dem Speisesaal eines eleganten Hotels +zusammen saßen, schien ihnen das Leben, die ganze Zukunft ein lichtes +Bild mit wenig Schatten, und sie feierten bei einer Flasche +französischen Sektes den ersten Tag ihrer jungen Ehe -- der _=freien=_ +Liebe. + + + + +[Illustration] + + +Sechstes Kapitel. + + +Die Flucht des Oberleutnants Borgert war nicht lange geheim geblieben. + +Als er nach Ablauf des dreitägigen Urlaubs nicht zurückgekehrt war, und +eine telegraphische Anfrage bei seinem Vater ergab, daß er das +Elternhaus überhaupt nicht betreten habe, lag die Vermutung nahe, daß er +sich durch Desertieren den Folgen seines bisherigen leichtsinnigen +Lebens entzogen. + +Freilich hatte außer Leimann niemand recht gewußt, wie schlecht es mit +Borgert's Verhältnissen stand. Erst als der Jude die ihm verkauften +Sachen abholen und der mit einer umfangreichen neuen Pfändung +beauftragte Gerichtsvollzieher die bereits von ihm beschlagnahmten +Gegenstände zurückhalten wollte, kam die Katastrophe und enthüllte mit +einem Schlage das gesamte System, in welchem Borgert »gearbeitet« hatte. + +Von Seiten des Gerichts ward das gesamte Eigentum des Oberleutnants mit +Beschlag belegt, und ein Termin sollte entscheiden, in welcher Weise +die einzelnen Gläubiger zu ihrem Rechte gelangen würden. + +Stellte auch die wertvolle Einrichtung ein ziemliches Kapital dar, so +war dieses doch nur der Tropfen auf einen heißen Stein, denn als von +Gerichtswegen eine Aufforderung durch die Zeitung an alle diejenigen +erging, welche noch Forderungen nachweisen konnten, gingen ganze Berge +von Rechnungen ein, deren Gesamtbetrag sich über zwanzigtausend Mark +belief. + +Gleichzeitig verhängte der Gerichtsherr die Beschlagnahme des gesamten +etwaigen Privatvermögens Borgert's, und die Staatsanwaltschaft folgte +mit einem Steckbrief gegen den des Betrugs angeschuldigten Oberleutnant. + +Die Wohnung hatte das Gericht versiegelt, selbst das arme Pferd im +Stalle trug in der Mähne ein kleines Siegel, welches man mit einem +Bindfaden kunstgerecht hineingeflochten hatte. + +Wie ein Lauffeuer eilte die Kunde der neuesten Ereignisse durch die +kleine Stadt und die Nachbarorte, auch in den Zeitungen las man kurze +Notizen. + +Der Oberst war ganz niedergeschlagen. Die schlauen Herren des Regiments +wollten zwar diese Katastrophe schon lange haben kommen sehen -- wie es +ja bei allen Ereignissen Leute gibt, die ahnungslos ein Unheil neben +sich erstehen sehen und dann, wenn das Unvermeidliche eingetreten, mit +überlegenem Lächeln behaupten, sie hätten seit Jahren nichts anderes +erwartet. + +Der Oberst aber äußerte tieftraurig zu Rittmeister König, diese neue +Wendung der Dinge sei der »letzte Nagel zu seinem Zylinder,« und man sah +ihn fortan nur noch mit bekümmerter Miene seinen Geschäften nachgehen. +Denn allmählich sah er klar, daß die sachgemäße Leitung eines +Offizierkorps etwas anders angefangen werden müsse, und daß die Art +seiner Regierung wohl den falschen Weg gewandert sei. + +Daß Frau Leimann dem Oberleutnant gefolgt war, wurde erst nach einigen +Tagen bekannt, als der von Berlin zurückgekehrte Gatte einen Brief +erhielt, in welchem die Frau ihn um Verzeihung bat und beteuerte, sie +habe nicht anders gekonnt. + +So war denn Leimann doppelt gestraft. Vor aller Welt blamiert und +belächelt ob seiner durchgegangenen Ehehälfte, mußte er jetzt +schleunigst den größten Teil seines Besitztums verkaufen, um den +Forderungen derer gerecht zu werden, bei welchen er für Borgert +Bürgschaft geleistet, und dabei blieb ihm nur das Nötigste übrig. + +Glaubte man anfangs durch Frau Leimann's Brief den Entflohenen auf der +Spur zu sein, so war doch später das zahlreiche Aufgebot von Detektivs +und Kriminalbeamten nicht im Stande, die Ausreißer zu fassen. Waren sie +noch in Deutschland, oder im Auslande? Kein Mensch ahnte es. + +Etwa zwei Wochen nach der Flucht wurde auch Röse eingeliefert. Man hatte +ihn auf den erlassenen Steckbrief hin an der belgischen Grenze +ergriffen. + +Die Verhandlungen mit ihm ergaben, daß häufige Mißhandlungen seitens +seines Oberleutnants die Triebfeder zu jenem Schritte gewesen waren. +Milderte dies sein Strafmaß auch nur wenig, so bedauerte man doch +allgemein den armen Soldaten, den Unbilden und schlechte Behandlung +seiner Vorgesetzten ins Unglück gestürzt hatten. -- + + * * * * * + +In dem Ehescheidungsprozeß, welchen Leimann gegen seine Gattin +angestrengt, kamen recht unliebsame Dinge zu Tage. + +Die beiden Mädchen des Hauses, sowie der Bursche wußten Tatsachen zu +berichten, bei denen sich Leimann's wenige Haare sträubten, die er noch +auf dem Kopfe trug, und er begriff nicht, wie er so blind sein konnte, +um den Verrat nicht zu sehen, mit dem man ihn im eigenen Hause betrog. + +Die gerichtliche Scheidung wurde ausgesprochen, und Leimann reichte sein +Abschiedsgesuch ein, weil er einesteils gezwungen war, sich einem +einträglicheren Berufe zuzuwenden, andererseits, weil durch die +gesamten Vorfälle sein Ruf derartig geschädigt war, daß dem weiteren +Verbleiben in einem Offizierkorps erhebliche Bedenken entgegenstanden. + +So nahm er denn eine Stelle als Reisender einer Weinfirma an, welche ihm +den nötigsten Lebensunterhalt verschaffte. Den ohne dies fast +aufgelösten Haushalt hob er ganz auf und übergab sein Kind zur Erziehung +einer befreundeten Familie, wofür diese als Entgelt den Anspruch auf die +kleine Pension des Oberleutnants zugesichert erhielt. + +Fast gleichzeitig mit der Genehmigung seines Abschiedsgesuches wurde +auch das Urteil über Borgert verkündet. Es lautete auf eine Gesamtstrafe +von fünf Jahren Gefängnis, zehn Jahren Ehrverlust und Ausstoßung aus dem +Heere, bewirkt durch Betrug, Fahnenflucht und Mißhandlung Untergebener +in zehn Fällen. + +Die Zeitungen veröffentlichten das Urteil, und somit war denn die +tatenreiche Laufbahn jenes Mannes in seinem Vaterlande beschlossen. + + * * * * * + +Indes saß im Bureau der großen Fabrik an einem der zahlreichen +Schreibtische der ehemalige Sergeant Schmitz. + +Die übrigen Angestellten hatten bereits ihre Plätze verlassen und waren +gerade dabei, ihre Röcke von den Kleiderständern herabzunehmen, denn es +hatte schon vor zehn Minuten Feierabend geläutet. + +Schmitz aber ließ sich durch die laute Unterhaltung seiner Umgebung +nicht stören, er schrieb emsig und war ganz vertieft in die langen +Zahlenreihen, welche auf dem Bogen vor ihm geschrieben standen. + +Der Raum hatte sich bereits geleert, und Schmitz wollte gerade einen +neuen Bogen beginnen, als der Werkmeister Maurer eintrat. + +Er war ein Mann von gedrungenem Körperbau, mit scharfen, stechenden +Augen in dem blassen, ovalen Gesichte. Der Schnurrbart hing um die +Mundwinkel, und der ganze Gesichtsausdruck hatte etwas Rohes, Grausames, +und besonders jetzt, da der Mann aus dem Halbdunkel von der Tür +herüberschaute, sah er wie ein Raubtier aus. + +»Du kannst wohl wieder einmal nicht fertig werden? Kommst du bald?« +redete er Schmitz an, welcher von seiner Arbeit nicht aufblickte, +sondern nur kurz entgegnete: + +»Im Augenblick, setz dich so lange!« + +Die beiden Männer waren gute Freunde. + +Noch vor wenigen Wochen stand Schmitz zwischen den Arbeitern vor der +Drehbank und schob mechanisch ein Holzstück nach dem anderen zwischen +die spitzigen Zähne des rotierenden Eisens. Und er hatte sich ganz gut +eingelebt in diese geisttötende Beschäftigung, die ihm nicht viel Zeit +zum Denken übrig ließ. Denn hier galt es mit allen fünf Sinnen bei der +Sache zu sein, wenn man nicht den Verlust eines Fingers oder einer Hand +beklagen wollte. + +Man hatte aber bald in dem stillen, fleißigen Arbeiter den Mann +entdeckt, dessen überlegene Ruhe und bestimmtes Auftreten ihn zu einem +weiteren Wirkungskreise geeignet machten, und so ward denn Schmitz nach +kurzer Zeit Aufseher der Maschinenhalle, in welcher er bis jetzt +gearbeitet hatte. + +Die übrigen Arbeiter freilich sahen mit neidischen Blicken auf den +Emporkömmling, der erst eben auf der Bildfläche erschienen war und ihnen +gegenüber nun schon als Befehlender sich aufspielte. Es fehlte daher +nicht an spöttischen Bemerkungen, der alte Soldat aber wies jeden, der +ihm zu nahe trat, mit kalter Ruhe in seine Schranken zurück. + +Wenn er so des Morgens alle emsig bei der Arbeit sah, ging er manchmal +zu Maurer hinüber, welcher im Maschinenhause beschäftigt war. + +Und bei diesen allmorgendlichen Plaudereien entdeckte Maurer, ein +gefürchteter Sozialdemokrat der Stadt, bald in Schmitz einen Mann, der +leicht zu gewinnen war und der ein tatkräftiger Genosse zu werden +versprach, wenn man ihn nur geschickt ins rechte Fahrwasser +hineinlenkte. + +Dieses Streben Maurer's ward umso mehr unterstützt, als Schmitz noch +immer nicht den Groll gegen den Militarismus und die Staatsleitung, +welche diesen groß gezogen, vergessen konnte. Ein tiefer innerer Grimm +wühlte noch in ihm ob der Unbilden, die ihm die Früchte der besten Jahre +seines Lebens zerstört. + +So hatte er denn bald mit Leib und Seele zur roten Fahne geschworen, und +aus dem königstreuen Soldaten war eine tatkräftige Stütze der +sozialistischen Partei geworden. + +Morgen sollte nun Schmitz eine Rede halten, vor einem großen Kreise +seiner Gesinnungsgenossen, und deshalb wartete Maurer auf ihn, um noch +einmal die wichtigsten Punkte mit seinem Freunde durchzusprechen. + +Als Schmitz seine Arbeit fortgelegt und den Bogen im Schreibtisch +verschlossen hatte, auf dem die Arbeitsliste der vergangenen Woche +verzeichnet stand, schritt er mit Maurer hinab, und schweigsam wandelten +die beiden durch die enge Gasse nach Maurer's Wohnung hin. + +Aus einem Nachbarhause nahmen sie eine Kanne Bier mit, zündeten dann die +Lampe an und begannen die Besprechung. + +Es handelte sich um ein neues Steuergesetz, welches besonders den +arbeitenden Klassen zur Last fiel, und daher galt es, möglichst viele +Gegner zu gewinnen, damit im Reichstag bei der letzten Lesung der +Angelegenheit eine ausschlaggebende Majorität die Durchführung der +Vorlage zum Scheitern brachte. + +Bis nach Mitternacht waren die beiden Freunde in eifriges Gespräch +vertieft. Und als sie sich trennten, waren ihre gleichschlagenden Herzen +um ein Band reicher. + +[Illustration] + +Den ganzen folgenden Tag befand sich Schmitz in einer Art fieberhafter +Unruhe. Es schien ihm doch eine sonderbare Wandlung mit ihm vorgegangen +seit der kurzen Zeit, die er des Königs Rock nicht mehr trug. Vor einem +Jahre noch war er Soldat des Kaisers, ein Mann, der geschworen, das +Vaterland zu schützen und es fördern zu helfen, und heute? Einer von +denen, welche man beschuldigt an den Grundfesten des Staatsgebäudes zu +rütteln, um sich nach eigenen Gesetzen ein neues Gemeinwesen zu +schaffen. + +Doch als er am nämlichen Abend in stolzer Haltung die Rednertribüne +betrat, und eine nach Hunderten zählende Menschenmenge dem neuen +trefflichen Genossen Beifall rief, noch ehe er ein Wort gesprochen, da +stieg ein nie empfundenes Gefühl des Selbstbewußtseins, ein +unbestimmtes, gewaltiges Streben nach Großem in seiner Seele auf. +Gefallen wollte er der versammelten Menge, sie hineinzwingen in den +Bannkreis seiner Gedanken, daß alle ihm folgen mußten, willenlos, wie +dem Hirten die Herde. + +Mit fester Stimme begann er seine Rede. In großen Zügen schilderte er +zuerst die Art des neuen Gesetzentwurfs und legte sodann die Folgen +desselben für die arbeitenden Klassen dar. + +Eine neue Steuer bedeute stets einen weiteren Schritt zur Verarmung der +Mittellosen. Und diese neuen Ausgaben seien überflüssig, wenn man es +unterließe, eine beständige Vergrößerung und fortwährende +Ausrüstungsänderung der Armee vorzunehmen. + +»Unsummen verbraucht der Staat alljährlich für das Militär«, sagte er, +»kaum hat man Millionen für die Einführung eines neuen Geschützes, die +Aufstellung eines neuen Regiments aufgewendet so erweisen sich diese +Änderungen oft bald als nicht mehr zeitgemäß, und neue Summen von +unglaublicher Höhe werden gefordert, um einen Irrtum oder eine +Übereilung gut zu machen. Deutschlands Ruf und Machtstellung hat ihm die +Armee erworben, und sein Heer ist es, um welche die Nachbarländer es +beneiden, aber stehen wir denn nicht auf dem Gipfel der militärischen +Macht, müssen wir denn den Militarismus so weit ausdehnen, bis er +schließlich alle anderen Organe der Staatsmaschine erdrückt? + +Wollte man nur einen Teil der Unsummen, die das Heer alljährlich +verschlingt, anderen Gliedern des Reiches zuwenden, so würde es nicht +nötig sein, den Bürger so unverhältnismäßig an seinem Einkommen zu +kürzen. Dann wären wir ein reiches Land, der Bürger könnte den Wohlstand +erreichen, die Industrie aufleben und mit neuen Kräften einen gewaltigen +Aufschwung nehmen. + +Will man aber nicht abgehen von dieser enormen Bevorzugung des Heeres,« +fuhr Schmitz fort, »so soll man die dafür nötigen Summen denen abnehmen, +die in Nichtstun oder geringer Arbeit Millionen zusammenscharren. So +aber belastet man den Reichen nicht mehr wie den Arbeiter, der ein Stück +des sauer erworbenen Brotes hergibt, um ein Kapital mit aufbringen zu +helfen, dessen Nutznießung ihm versagt bleibt. + +Denn welchen Segen bringt dem Bürger, dem Volke die Armee? Sie zieht +seine Kinder heran, um sie in den besten Jahren der Jugend, in denen der +Jüngling sich zum Manne entwickelt und sein Charakter reift, oft mit +Ungerechtigkeit und Roheit zu behandeln und dann den einen als +erbitterten Gegner der Staatsverfassung, manch anderen als Krüppel in's +Leben zurückzuschicken. Und hat er auch die schönsten Jahre männlicher +Arbeit, seine Gesundheit dem Staate geopfert, so schickt man ihn oft um +einer Kleinigkeit willen hinaus in die Welt, wo er dann wie ein +fortgejagter Hund nach Nahrung und einem neuen Herrn suchen muß. + +Darum laßt uns die Staatsleitung zu zwingen suchen, das Geld, welches +sie zwecklos ausgibt, nutzbringend auf bessere Ziele zu verwenden, damit +das Volk für seine Opfer auch einen Lohn genießt!« + +Die Worte des Redners, der an seine eigenen bitteren Erfahrungen gedacht +hatte, waren von häufigen Rufen des Beifalls und der Zustimmung +begleitet, als Schmitz aber von der Tribüne herabstieg, jubelte die +begeisterte Volksmenge dem Manne zu, der die richtigen Mittel gefunden, +ihr den Lebensweg zu ebnen. + +So überzeugend hatten seine Worte geklungen, daß mancher, der noch nicht +fest entschlossen war, welcher Partei er seine Gesinnung zuwenden solle, +bedingungslos sich dem Manne anschloß, in dessen Bann ihn der heutige +Abend hineingezogen. + +Und so galt Schmitz mit einem Schlage als einer der tüchtigsten Anhänger +der roten Partei, deren Macht in der großen Fabrikstadt immer weitere +Kreise zog. + + + + +[Illustration] + + +Siebentes Kapitel. + + +Vor dem Stabsgebäude des Regiments lehnte am eisernen Gitter +Wachtmeister Krohn, der Regimentsschreiber. + +Behaglich rauchte er seine Morgenzigarre und las die »Deutsche Zeitung«, +welche der Briefträger soeben für den Oberst abgegeben. Mit der Arbeit +eilte es nicht sonderlich, denn der Oberst war zum Exerzieren +hinausgeritten, und an solchen Tagen pflegte auch der Adjutant den +versäumten Nachtschlaf etwas gründlicher nachzuholen. + +Krohn hatte sich gerade in den Inseratenteil der Zeitung vertieft, als +Wachtmeister Schönemann mit schleppendem Säbel, eine Zigarette zwischen +den Lippen, zu ihm herantrat. -- + +»Morjen, Herr Kommandeur!« redete er Krohn scherzend an, »was gibt's +Neues? Ist die Blechschmiede noch nicht im Gang?« + +»Nee,« antwortete der Gefragte gleichfalls scherzend, »die Schmiede sind +noch unterwegs, es ist auch noch kein Blech von der Post gekommen. +Übrigens, weißt du das Neueste? Ich hätt's fast vergessen!« + +»Nee. Hab ich einen Orden gekriegt?« + +»Das gerade nicht, aber König sitzt in Untersuchungshaft.« + +»Was? König? Potzdonnerwetter! Was hat denn der ausgefressen?« + +»Er soll so'n bißchen in die Schwadronskasse gegriffen haben. Hätte der +reiche Kerl auch nicht nötig gehabt!« + +»Deuwel ja, das hätte ich auch nicht gedacht, gerade von dem nicht! Wie +ist denn das rausgekommen?« + +»Habe keine Ahnung! Der Oberst muß wohl etwas erfahren haben. Er hat ihn +gestern Nachmittag oben in sein Zimmer gerufen und ihm die Geschichte +auf den Kopf zugesagt. Ich guckte durchs Schlüsselloch und sah, wie der +arme Kerl ganz blaß wurde und gleich die Bücher holen wollte. Der Oberst +ließ sich aber auf nichts ein und ließ ihn festsetzen!« + +»Aber die haben doch sonst so gut zusammen gestanden?« + +»Natürlich! Es muß eben was dran sein an der Geschichte, sonst hätte der +Oberst die Sache vielleicht anders angegriffen, besonders, da er ja +selbst verflucht auf der Kippe steht. Diese neue Schweinerei bricht +ihm's Genick.« + +»Na, ich glaub noch nicht dran, bis ich's Schwarz auf Weiß habe. So was +tut König nicht! Der Oberst ist ja immer gleich aus Rand und Band und +freut sich förmlich, wenn er einem an den Kragen kann. Das soll +»schneidig« aussehen!« + +»Na, wir werden's ja sehen!« + + * * * * * + +Oberleutnant Borgert hatte es als seine letzte Aufgabe betrachtet, dem +Rittmeister König für jenen Brief, mit welchem dieser sein +Darlehnsgesuch abgewiesen hatte, ein Andenken zu versetzen. + +Die ihm bekannte, vermeintliche Tatsache schien ihm ein geeignetes +Werkzeug zur Rache, und so hatte er denn durch gelegentliche Bemerkungen +im Kameradenkreise dafür gesorgt, daß das Gerücht immer mehr +durchsickerte. Schließlich hatte die Rederei und der Klatsch solchen +Umfang angenommen, daß nichts übrig blieb, als der Sache auf den Grund +zu gehen. + +König aber hatte keine Gelegenheit gefunden, sich selbst von dem +ungeheuerlichen Verdachte zu reinigen, denn ihm gegenüber ließ man nie +ein Wörtchen darüber fallen. Borgert hatte es fertig gebracht, eine +allgemeine Mißstimmung gegen den sonst so beliebten Herrn zu erregen, +und da dieser darauf nur mit einer kühlen Zurückhaltung antwortete, +waren die Sympathien für ihn keineswegs gewachsen, vielmehr freute sich +ein jeder im Stillen, daß es nun einen Sündenbock mehr gab. + +Leutnant Bleibtreu hätte vielleicht seinen Schwadronschef rechtzeitig +von dem umlaufenden Gerüchte in Kenntnis setzen können, aber da er sich +gerade auf Urlaub befand und mit den gleichalterigen Kameraden keinen +Briefwechsel pflegte, erfuhr er erst durch König selbst von dem +traurigen Ereignis. + +Gegen Gestellung einer hohen Kaution hatte man König aus der Haft +entlassen, und so konnte er denn, vom Dienste suspendiert, in seiner +Wohnung den Ausgang der Sache abwarten. + +Anfangs war er fassungslos. Nach fünfzehnjähriger, vorwurfsfreier +Dienstzeit beschuldigte man ihn eines gewissenlosen, gemeinen Vergehens, +auf die Rederei eines moralisch verkommenen und von jedermann +belächelten Menschen hin, der ihm nur zu Dank verpflichtet war. + +Wo blieb das Vertrauen, die gute Kameradschaft, die man ihm sonst +entgegen gebracht? War es nicht Pflicht der Vorgesetzten, diese für +seine Verhältnisse höchst unwahrscheinliche Tatsache erst eingehend zu +prüfen, bevor man aus ihr eine Beschuldigung formulierte, die geeignet +war, seinen Ruf im Regiment und der ganzen Stadt völlig zu untergraben? + +Hatte schon seine Verhaftung die übertriebensten Gerüchte und +Klatschereien in die Welt gesetzt, so mied man ihn jetzt förmlich als +einen Verbrecher, einen Verfemten, und zeigte mit Fingern auf ihn und +seine Familie. + +Nur Bleibtreu war fest von der Unschuld seines Freundes überzeugt, er +kannte den Mann zu genau, als daß er auch nur einen Augenblick an +König's Schuld glauben konnte. + +Er brachte dies zum Ausdruck, indem er täglich, offenkundig vor aller +Welt, König's Wohnung aufsuchte und die Abende im Kreise seiner Familie +verbrachte. + +Er schloß sich ihm auf seinen einsamen Spaziergängen an und setzte +diesen Umgang auch fort, als man ihn seitens des Regiments vor König +warnte und ihm die Kameraden sein Verhalten dadurch lohnten, daß sie ihn +ebenfalls mieden und eine feindselige Stellung gegen ihn einnahmen. + +Alle Anfeindungen jedoch vermochten nicht, ihn in's Wanken zu bringen, +er hätte es für feige und niedrig gehalten, einen Freund im Unglück zu +verlassen, der ihn in guten Tagen zu Dank verpflichtet. + +Auch das gesamte Unteroffizierkorps des Regiments war bis zum gemeinen +Mann hinab empört über die Art und Weise, wie man einen beliebten +Vorgesetzten ins Unglück stürzte, und dies kam zum Ausdruck durch +häufige Besuche einzelner Untergebener bei dem Rittmeister. + +Selbst das Zivil, welches sich vom Oberst und den Herren des Regiments +fast ganz zurückgezogen hatte, war mit Ekel und Widerwillen erfüllt +gegen diese unwürdigen Zustände, und bezeugte seine Sympathie für König +in auffälliger Weise. + +Durch alle diese Umstände lernte König allmählich etwas heller in die +Zukunft blicken, er tröstete sich über seine Lage mit dem Gedanken, daß +die Gerechtigkeit siegen und einst der Tag kommen müsse, da er mit jenen +zu Gericht ging, die ihm und seiner Ehre nahezutreten sich unterfingen. + +Aber es war eine lange Geduldsprobe, die man ihm auferlegte. + +Wäre der Fall ein solcher gewesen, daß er die öffentliche Meinung +interessiert, dessen Ausgang in weitesten Kreisen Spannung und Neugierde +erregt, vielleicht ein Totschlag, eine Mißhandlung oder ein ähnliches +schwerwiegendes militärisches Vergehen, so würde man sich beeilt haben, +durch schleunige Aburteilung die öffentliche Meinung zu beruhigen. + +Hier aber schien es keine Eile zu haben; der Mann mußte eben ruhig +warten, bis man Zeit für seine Sache fand! Was machte es denn, wenn er +Monate lang in Ungewißheit schwebte und diese lange Zeit dem Gerede +übelwollender Leute immer von Neuem reichlichen Stoff zuführte? + +So fand erst nach sechs Wochen das erste Verhör statt, in welchem König +Gelegenheit gegeben wurde, die ganze Angelegenheit aufzuklären und seine +Unschuld nachzuweisen. + +Er sollte sich aber getäuscht haben in der Hoffnung, damit das Ende des +Prozesses nahe sehen zu dürfen, denn jetzt forderte man die Bücher der +letzten drei Jahre ein, um sie einer Prüfung zu unterziehen. Dazu +brauchte der Gerichtshof volle drei Monate. + +Das Urteil in der Hauptverhandlung lautete auf Freisprechung. + +Es war erwiesen, daß ein Eingriff in die Kasse der Schwadron nicht +stattgefunden, sondern ein solcher nur vorgespiegelt war, um die +Schwierigkeiten weiterer Geldbeschaffung darzulegen und so weitere +Darlehnsgesuche abschneiden zu können. + +König selbst hatte einen anderen Ausfall des Urteils für ausgeschlossen +gehalten. Im Kameradenkreise rief dasselbe aber Ärger und Enttäuschung +hervor, Genugtuung und Freude dagegen bei allen denen, welche dem Hause +König wohlgesinnt waren und die Wahrheit der dem Rittmeister zur Last +gelegten Tatsachen von Anfangs her bezweifelten. + +Als vier Monate später die Urteilsbestätigung eintraf, begannen die +Verhandlungen von Neuem, denn jetzt war es der Ehrenrat, welcher die +ganze Angelegenheit einer nochmaligen Prüfung unterzog, ob König +vielleicht in irgend einem Punkte die Standesehre des Offiziers verletzt +habe und somit seitens des Ehrengerichts etwa noch eine besondere +Bestrafung verdiene. + +Daß nunmehr eine ungünstige Wendung der Dinge nicht mehr zu erwarten +stehe, sagte König die ruhige Überlegung, denn selbst für den Fall einer +Bestrafung konnte diese nur auf das Mindestmaß hinauslaufen und +bedeutete somit keinen nachteiligen Schaden. + +Deshalb empfand der Rittmeister diese Zeit nicht mehr als eine Prüfung +des Schicksals, als eine Zeit der Ungewißheit, des Zweifels, sondern er +fühlte sich ganz wohl in dieser Ruhe und Zurückgezogenheit, nachdem er +sich einmal an sie gewöhnt. + +Im Kreise seiner Familie kam er leicht über die Mißstimmung hinweg, +welche sich manchmal noch bei ihm einschlich, und er verbrachte den Tag +mit seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Klavierspiel, oder bei sonstiger +Unterhaltung. + +Frau Clara hatte die schwere Zeit mit bewundernswerter Energie +überstanden. + +Erst die beliebteste Dame des Regiments, verehrt und geschätzt von +allen, dann die Gattin des Mannes, auf den man mit Fingern wies als +einen Spitzbuben -- ein gewaltiger Schritt, wie er das stolze Gemüt +einer Frau nur zu demütigen und zu verletzen vermag. + +Und doch war sie es, die stets von Neuem Sonne in die bedrückten Gemüter +scheinen ließ, die mit oft mühsam erkünstelter Fröhlichkeit die Wolken +der Sorge und der Verstimmung vertrieb. + +Selbst Bleibtreu gewann in der Nähe dieser reizenden Frau stets seine +gute Laune wieder, wenn er einmal den Lebensmut ob dieser Wirrnis von +Gemeinheit und Widerwärtigkeit verlor. + +Eines Tages trat er besonders niedergeschlagen bei Königs ein. +Schweigsam nahm er Platz am Abendtische, und selbst Frau König's muntere +Reden vermochten diesmal nicht, die Wolken von seiner Stirn zu +scheuchen. + +Erst als man den kleinen Sohn des Hauses zu Bett gebracht und um den +runden Tisch in König's Arbeitszimmer saß, schlug der Rittmeister dem +Freunde auf die Schulter und sagte scherzend: + +»Was machen Sie denn heute für eine Leichenbittermiene? Ist zu Hause der +Hafer schlecht geraten?« + +Über Bleibtreu's Gesicht ging nur ein trauriges Lächeln, aber er +entgegnete nichts. + +»Nun sagen Sie doch, Mensch, was haben Sie denn?« begann der Rittmeister +von Neuem. + +»Mein Gesuch um Versetzung ist heute abschlägig beschieden worden,« +entgegnete der junge Offizier mit bedrückter Stimme. + +König entgegnete nichts, auch seine Gattin schwieg und schaute nur +teilnahmsvoll auf ihren Freund. + +»Und was gedenken Sie nun zu tun?« fragte der Rittmeister nach einer +Weile. + +»Ich habe heute meinen Abschied eingereicht.« + +Einen Augenblick sah das Ehepaar betroffen den Sprecher an, dann aber +streckte König seinem Freunde die Hand entgegen und sagte: + +»Nun, daran haben Sie recht getan! Zwar bedaure ich Sie von Herzen, daß +Sie sich jetzt in einem neuen Berufe einleben müssen, denn Sie sind noch +jung, Ihr Leben ist noch lang. Aber ich verstehe die Beweggründe, welche +Sie zu diesem Schritt veranlaßt haben. Sie haben als junger Offizier +Dinge erlebt, die mich in meinen alten Tagen nicht weniger berühren, und +ich kann es begreifen, wenn Sie die Achtung vor dem Berufe verloren +haben, der Ihr bisheriges Leben ausgefüllt hat. Ich hätte Ihnen +gewünscht, in einer anderen Garnison, unter anderen Verhältnissen und +anderen Menschen erfahren zu können, daß es noch Offizierkorps gibt, in +denen man leben und sich dieses Lebens freuen kann. Da Ihnen dies aber +versagt ist, ist es das Beste, wenn Sie dem Soldatenstande den Rücken +kehren. Ich selbst hätte Ihnen den Rat schon früher gegeben, hätte ich +nicht Bedenken getragen, Sie zu einem Entschlusse zu drängen, den Sie +später bereuen könnten. Um Ihnen zu zeigen, daß ich aus Überzeugung +spreche, will ich Ihnen nur sagen, daß auch ich mich mit +Abschiedsgedanken trage.« + +Diesmal war es Bleibtreu, der mit weit aufgerissenen Augen auf den +Rittmeister schaute. + +»Aber warum denn?« brachte er erstaunt hervor, »Sie werden doch +versetzt!« + +»Gewiß, ich werde versetzt. Aber mir geht es wie Ihnen: meine Achtung +vor dem Stande, dem ich fünfzehn Jahre in Ehren angehört habe, ist +dahin. Zwar habe ich in früherer Zeit bessere Verhältnisse kennen +gelernt, aber daß es in einem Offizierkorps Zustände geben kann, wie in +dem unseren, das hat mir gezeigt, daß ich nicht hineinpasse. Wer +verspricht mir, daß ich in einer anderen Garnison nicht Ähnliches +erleben muß? Außerdem kann ich wohl mit Sicherheit voraussehen, daß man +mich nicht in eine Residenzstadt stecken wird.« + +»Und warum nicht?« fragte Bleibtreu. + +»__Semper aliquid haeret__, mein Lieber, zu Deutsch: >etwas bleibt immer +daran hängen<, außerdem steht mir noch eine Bestrafung seitens des +Ehrengerichts bevor, also auch eine minderwertige Garnison.« + +»Dann allerdings!« stimmte Bleibtreu bei. + +»Sehen Sie,« fuhr König fort, »seit neun Jahren lebe ich nun in diesem +elenden Nest. Der reine Bauer bin ich geworden! Ja, es ist wirklich so, +wenn Sie auch lachen. Wenn man niemals mehr unter andere Menschen kommt +-- die paar Tage Urlaub spielen keine Rolle -- weiß man kaum noch, wie +man sich zu benehmen hat, und man lebt sich in nachlässige Formen und +Gewohnheiten ein, die der Kamerad aus Berlin oder Hannover abscheulich +finden würde. Der Kasinoton, den wir allmählich hier ganz normal und +selbstverständlich finden, würde in einer anderen Garnison unmöglich +sein, weil dort die Menschen mehr mit anderen, täglich mit neuen, +zusammen kommen, und so stets auf gute Sitten angewiesen sind. Stecken +aber dieselben Menschen das ganze Jahr zusammen, allein, für sich +abgeschlossen, dann lassen die Formen nach, und man wird schrittweise +ein Salonflegel.« + +»Das ist ja nur natürlich, Herr Rittmeister! Man lebt hier wie in einem +Taubenschlag beisammen, und jeder hat natürlich nichts Besseres zu tun, +als seinem Nachbar auf die Finger zu sehen und sich in alles zu mischen, +was er tut und läßt, weil ihn andere Dinge nicht beschäftigen, einfach +weil es die in einer so kleinen Garnison gar nicht gibt. + +Daraus entstehen dann diese ewigen Stänkereien, und dazu kommt, daß man +in diese weltvergessenen Nester oft Elemente setzt, die man in einer +anständigen Garnison nicht brauchen kann, aber nicht ganz hinauswerfen +möchte. Alle Augenblicke hört man: strafversetzt nach Mörchingen, Lyck +oder wie die Nester alle heißen.« + +»Sehr richtig!« gab König eifrig zur Antwort. »Wer wo anders etwas +verbrochen hat, kommt meist in eine Grenzgarnison, um ihn unschädlich zu +machen. Man bedenkt aber nicht, das diese oft nicht einwandfreien +Elemente unter einander mehr Unheil anrichten, als wenn sie zwischen +einer mindestens gleich großen Zahl anständiger, tadelloser Kameraden +lebten. + +Fast alle Skandalgeschichten in Offizierkorps passieren an der Grenze in +solchen Nestern, die meist erst dadurch bekannt werden, weil sie nur auf +großen Landkarten stehen. + +Hätten nun wenigstens die Offiziere hier Gelegenheit, ihren eigenen +Wegen nachzugehen. Aber nein, sie sind gezwungen, fast nur im Kasino zu +verkehren. Anderweitige Abwechslung, wie sie größere Städte in Hülle und +Fülle bieten, gibt es nicht, und wer Lust hat, jeden Abend in derselben +Kneipe dasselbe Bier zu trinken und dabei stets das Gewäsch derselben +Menschen anzuhören, welches sich selten um anderes, als um langweiligen +Stadtklatsch dreht? Das kann einer auf die Dauer nicht aushalten, denn +die übrigen Kneipen des Ortes sind ihm verboten, weil sich Kreti und +Pleti darin herumtreibt. Man geht also in's Kasino und trinkt aus purer +langer Weile so lange, bis man genug hat, und dann entstehen die +berühmten Skandalgeschichten. Bei diesem ewigen Zusammenhocken muß es ja +zu Reibereien kommen, es sind doch schließlich alle verschieden geartete +Menschen mit verschiedener Auffassung und Erziehung. In einer großen +Garnison geht man nur ins Kasino, wenn man einen bestimmten Zweck damit +verbindet, denn die Langeweile kann man sich hier anders vertreiben, als +mit sinnlosem Gesaufe. + +Und ist einer gar noch hinter den Weibern her, dann ist erst recht der +Teufel los. Sie haben ja hier die schönsten Beispiele: In einer +Großstadt bieten sich seinen Gelüsten genug von dieser Sorte an, hier +aber fehlen solche Existenzen, man vergreift sich also an den Frauen der +Kameraden.« + +»Aber Offiziere müssen diese kleinen, meist sehr wichtigen +Grenzgarnisonen doch auch haben!« warf Bleibtreu ein. + +»Gewiß,« entgegnete König eifrig, »man soll nur nicht so viele +Minderwertige dahin schicken, sondern in erster Linie einwandfreie +Offiziere mit anständiger Gesinnung und tadellosem Vorleben. + +Und das ganz besonders, wenn man diese Grenzgarnisonen als so wichtig +bezeichnet, denn leichtsinnige Sumpfhühner werden in der Regel keine +brauchbaren Offiziere sein, wenn man im Ernstfalle erhöhte Anforderungen +an ihre Leistungsfähigkeit stellt. + +Aber jeder hält es für eine ganz besondere Strafe oder wenigstens für +ein gewaltiges Pech, an die Grenze zu kommen, und schon das verleidet +ihm oft die ganze Lust am Soldatenspielen. Himmel und Hölle werden in +Bewegung gesetzt, um ja in einer anständigen Garnison zu bleiben. Der +Gardeoffizier oder der aus einem feudalen Regiment verlebt seine ganze +Dienstzeit herrlich und in Freuden in einer Großstadt. Warum vertrauert +unsereiner seine schönsten Jahre in so einem Drecknest?« + +»Wahrscheinlich stößt man sich an den Kosten der Reisen durch viele +Versetzungen, die dann doch eine bedeutende jährliche Mehrausgabe im +Staatshaushalt bedeuten würden,« sagte Bleibtreu. + +»Das ist kein Grund, wenn man ernstlich will, geht alles. Jährlich +strömen hunderte von Offizieren zu allen möglichen Kommandos in Berlin +zusammen. Wenn diese beendigt sind, kann man ja jeden in eine andere +Garnison schicken, dadurch entstehen nicht mehr Kosten, als wenn er in +sein Stammregiment zurückkehrt. Dafür kommen wieder andere Offiziere +nach Berlin, und diese dann wieder in andere Garnisonen. So gleicht sich +der Offizierersatz prächtig aus, für einen Offizier, den das X. Regiment +zur Ausbildung nach Berlin schickt, bekommt es einen Ausgebildeten +zurück, der früher in Y. gestanden hat. Außerdem könnte man alljährlich +außer der Reihe noch eine Auswechslung vornehmen, und dafür an einer +anderen Ecke etwas sparen. + +Statt dessen aber besteht der Ersatz für Grenzgarnisonen, die außer +vielleicht ein paar Kadetten keinen Nachwuchs an Fähnrichen haben, zum +großen Teil aus Sündern und solchen, die sich in anderen Garnisonen +unmöglich gemacht haben, abgesehen von höheren Offizieren, welche ein +Grenzregiment für eine Auszeichnung halten, weil sie dann dem Feind am +nächsten sind und zuerst draufhauen dürfen, wenn es losgeht. + +Aber auch das ist nur noch eine Illusion. Heutzutage, wo die Aussichten +auf einen Krieg immer geringer werden, steht der Vorzug, dem Feind am +nächsten zu sein, nur noch auf dem Papier. + +Bei dem jetzigen System müßte es Grundsatz sein, keinen Offizier länger +als zwei, höchstens drei Jahre in einer Grenzgarnison zu belassen. Dann +würde sich die Armee vor viel Schaden sichern, sowohl hinsichtlich ihrer +Leistungsfähigkeit, als auch besonders ihres Rufes. + +Außerdem wäre eine schreiende Ungerechtigkeit aus der Welt geschafft.« + +Bleibtreu nickte beistimmend, als König seine Ausführungen beendet hatte +und sagte: + +»Ich stimme Ihnen durchaus bei, Herr Rittmeister! Aber trotz alledem +könnten Sie es doch noch einmal in einer anderen Garnison versuchen, +denn nach einer so langjährigen Dienstzeit würde ich es an Ihrer Stelle +doch wenigstens bis zum Rittmeister erster Klasse aushalten. Das ist +noch eine Zeit von ein bis zwei Jahren, und dann haben Sie einen +bedeutenden Pensionsvorteil. Ist die neue Garnison nicht nach Wunsch, so +bleibt zum Abschiednehmen noch genügend Zeit!« + +»Gewiß, Sie haben recht! Aber ich sagte Ihnen schon, daß ich jegliche +Lust an meinem Berufe verloren habe. + +Fünfzehn Jahre habe ich gearbeitet und gestrebt. Ich habe meine Pflicht +stets zur Zufriedenheit der Vorgesetzten getan und manche Auszeichnung +erfahren. Jetzt aber bin ich lahm gelegt und sofort tritt ein anderer an +meine Stelle. Nach den Früchten meiner bisherigen Tätigkeit fragt kein +Mensch, die Maschine bleibt im Gange, als hätte ich nie existiert. Und +wenn man so gar keinen nachhaltigen Erfolg aus seiner Lebensarbeit +sieht, das ist so niederdrückend, so beschämend! Der tüchtige Arzt, der +Kaufmann, der Jurist wird vermißt, wenn er aus seinem Wirkungskreise +scheidet, nach uns aber fragt niemand, wenn man nicht gerade ein großer +Feldherr gewesen ist. Niemals könnte ich wieder mit innerer Lust und +Aufopferung meinen Dienst versehen, und deshalb gehe ich lieber.« + + * * * * * + +Das Ehrengericht des Regiments hatte auf eine »Verwarnung« erkannt, +»wegen Gefährdung der Standesehre«. Als Erklärung wurde hinzugefügt, daß +der Offizier sich nicht in die Gefahr begeben dürfe, seitens der Welt +falsch beurteilt zu werden. Da dies im vorliegenden Falle aber geschehen +sei, müsse man dem Rittmeister König seine Handlungsweise als inkorrekt +und nachteilig für seine Ehre als Offizier vor Augen führen. + +König las das Dienstschreiben mit spöttischem Lächeln, und am selben +Abend lag sein Abschiedsgesuch beim Regiment. + + * * * * * + +Wenige Wochen vorher hatte auch der Oberst ein Schreiben erhalten, aber +von »oben«, und es steckte in einem blauen Umschlag. + +Er war darin bedeutet worden, daß man zwar seine trefflichen Verdienste +anerkenne und zu würdigen wisse, nun aber für dieselben keine Verwendung +mehr habe. + +»Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.« Man nahm daher keinen +Anstand, dem Oberst seine Wünsche zu erfüllen, als er um seinen Abschied +bat, da er die Beschwerden des Königlichen Dienstes nicht mehr +auszuhalten vermöge. + +So fuhr denn eines Tages ein gelbgestrichener Möbelwagen vor dem schönen +Hause am Ende der Stadt vor, und man packte alles hinein, was des +Mitgehens wert war. + +Der Oberst aber zog mit Familie sang- und klanglos zum Bahnhof, nur der +Bursche erschien, denn er war zum Koffertragen kommandiert. Im letzten +Augenblicke kam auch noch atemlos die Kinderfrau an und forderte +energisch den letzten Monatslohn. + +Ein greller Pfiff, und der Schnellzug entführte einen Mann, der noch +einmal mit traurigem Lächeln sein Auge über die Dächer der Stadt gleiten +ließ, in welcher er fünf Jahre seine segensreiche Tätigkeit entfaltet. + +In der nämlichen Woche reisten Bleibtreu und König ab, in welchen die +Armee zwei tüchtige Soldaten und ergebene Anhänger verlor. + + + + +[Illustration] + + +Achtes Kapitel. + + +Acht Uhr vorbei. An einem Dezemberabend. Die Läden der Geschäftshäuser +wurden geräuschvoll geschlossen, aus allen Teilen der Straße tönte das +Rasseln der Jalousieen, die man vor den blendend erleuchteten +Auslagefenstern herunterließ. + +Auf dem Asphalt wogte es von einer wortlos dahineilenden Menschenmasse. +Hastend und jagend, als habe jeder einzelne etwas Versäumtes +nachzuholen, schritten sie dahin, elegante Frauen, Männer im +Arbeitsanzug, vornehm gekleidete Herren und der nicht enden wollende +Schwarm junger Mädchen, welcher den Ladentischen und Kontors der +Geschäftshäuser entströmte, vermischt mit jenen, die in langsamem +Tändelschritt, von einer Woge aufdringlichen Parfums umgeben, ihre hoch +aufgenommenen seidenen Röcke zur Schau tragen. Auf dem Fahrdamm sausten +Cabs und Omnibusse in rastloser Folge dahin, elegante Pärchen, +verschleierte Damen, Börsenbarone, Großkaufleute, Reisende und alle die +ihrem Ziele zuführend, welche sich nicht mit dem Staub der Menge die +Schuhe beschmutzen wollten, oder es besonders eilig hatten. Dazwischen +ließ das Automobil seinen düsteren Klageruf erschallen, oder die +Straßenbahn ihr Glockenzeichen, elegante Koupees rollten geräuschlos +über den Asphalt, nur ab und zu bei dem weißen Licht der Läden oder +Straßenlaternen einen Blick in ihr geheimnisvolles Innere gestattend. + +Diese ganze Wirrnis des Großstadtstraßenlebens, dies bunte Gedränge, das +eilige Hasten und Jagen, alles trug den Stempel des Strebens, der +Arbeit, es war wie in einem Ameisenhaufen, wo jedes einzelne Tierchen +rastlos seine Pflicht erfüllt, um in gemeinsamer, emsiger Arbeit ein +gemeinnütziges Ganzes zu schaffen. + +Um die Ecke nach einer schlecht erleuchteten Seitenstraße bog ein +elegantes Paar und nahm seinen Weg auf dem von Papieren und Unrat aller +Art bedeckten Fahrdamm, hindurch zwischen den zahllosen Wagen und Karren +der Verkäufer. + +Vor einem einfachen Hause machten sie Halt und stiegen die ausgetretenen +Steinstufen hinauf. Der Portier schaute aus seinem Verschlag und grüßte +kurz das Paar, welches aus dem Monopol-Hotel hierher übergesiedelt war +und ihm so oft zu denken gab. + +Es war der ehemalige Oberleutnant Borgert und Frau Leimann. + +Sie hatten ihre Schritte nach London gelenkt in der Hoffnung, hier vor +einer etwaigen Verfolgung sicher zu sein und einen Unterhalt in dieser +Millionenstadt zu finden, die so Manchem das tägliche Brot spendete. + +Das Geld war schnell zur Neige gegangen, denn wer in guten Tagen nicht +zu rechnen versteht, vermag es auch nicht in den Tagen der Not. Und so +hatte sich Borgert nach einer Beschäftigung umsehen müssen, um dem +Hunger vorzubeugen, wie schwer es auch dem verwöhnten, nur im Nichtstun +groß gewordenen Manne wurde, sich zur Arbeit zu zwingen. + +Aber in zwei Geschäfthäusern hatte man ihn wieder entlassen, und eben +kehrte er von einem letzten erfolglosen Gange zurück. + +Mutlos und verzweifelt warf er sich auf das schmale Sopha und bedeckte +das Gesicht mit den Händen, während sich Frau Leimann in einen kleinen +Stuhl vor dem Kaminfeuer kauerte. + +Mit entgeisterten Augen schaute sie in die erlöschende Glut, -- es waren +die letzten Kohlen, welche ihre Wärme in den dürftigen Raum ergossen. + +Beide sprachen kein Wort, und als Borgert endlich das Schweigen brach, +fuhr die Frau erschreckt empor, wie aus einem angstvollen Traume. + +»Was soll nun werden?« sagte er leise. + +Frau Leimann antwortete nicht, sondern schaute wieder sinnend in das +Kaminfeuer, und eine Träne leuchtete in ihrem Auge. + +»Morgen müssen wir hinaus aus dem Hause, wenn wir nicht zahlen, und dann +können wir auf der Straße schlafen!« + +»Du mußt arbeiten, Georg!« entgegnete die Frau mit tränenerstickter +Stimme, und sie versuchte einen energischen Ton in ihre Worte zu legen. + +»Hab' ich es nicht versucht?« gab er achselzuckend zurück, »hat man mich +nicht jedesmal wieder hinausgeworfen? Und es hat auch keinen Zweck, daß +ich noch einmal einen Anlauf nehme, ich kann eben nicht arbeiten, ich +habe es nicht gelernt.« + +»Aber es muß etwas geschehen, wir müssen einen Ausweg finden!« rief die +Frau verzweifelt. »Wenn du mich jetzt im Stiche lassen willst, so +durftest du mich nicht mit in's Verderben locken!« + +»Locken?« fragte Borgert spöttisch, »wer hat dich denn gelockt? Warst du +es nicht selbst, die mich flehentlich bat, mitgehen zu dürfen, weil du +es bei deinem noblen Herrn Gemahl nicht mehr aushalten konntest?« + +»Wenn ich es tat, so mußtest du als Mann so viel Vernunft besitzen, mir +mein Vorhaben auszureden!« + +»Euch Weibern soll einmal einer etwas ausreden, was ihr Euch in den Kopf +gesetzt habt! Jetzt trage ich natürlich allein die Schuld, Ihr Weiber +seid ja nie an etwas schuld.« + +»Lästere nicht, Georg, raffe dich zusammen und überlege, wie uns jetzt +zu helfen ist. Es muß ein Mittel geben!« + +»Hier ist es!« entgegnen Borgert und warf einen kleinen Revolver auf den +Tisch. + +Ein Schauer durchzuckte die Frau und einen Augenblick lehnte sie wie +ohnmächtig an der Wand, während die weitgeöffneten Augen entsetzt auf +das kleine Ding gerichtet waren, dessen Metall im Widerschein des Feuers +leuchtete. + +»Um Gottes Willen!« stieß sie atemlos hervor, »bist du von Sinnen?« + +»Im Gegenteil«, erwiderte Borgert kühl, »es ist der einzige Weg, der uns +erlösen kann, und nicht zum ersten Male kommt mir der Gedanke. Ist es +nicht besser, diesem Hungerdasein und Hundeleben ein kurzes Ende zu +machen, als sich vielleicht noch Jahre lang herumzuquälen in Not und +Unsicherheit?« + +Frau Leimann tat sinnend einen Schritt nach dem erlöschenden Feuer hin, +wie wenn es sie anzöge, um mit seiner wohltuenden Wärme das erstarrte +Blut in ihren Adern neu zu beleben. Ihr Blick hing wie gebannt auf einem +vergilbten Stahlstich über dem Kaminsims, der das Festgelage eines alten +englischen Königs darstellte. Wie geistesabwesend schaute sie mit +gläsernen Augen auf das Bildnis, welches so recht die Freuden des Lebens +zu malen schien. Sie merkte es nicht, als Borgert leise hinter sie trat. + +Ein Schuß krachte und mit einem Aufschrei brach die Frau zusammen. Die +linke Hand griff wie Hilfe suchend in den Feuerschein, und die kleinen +blauen Flämmchen spielten ersterbend um die weiße Frauenhand, aus der +mit dem Blute das Leben entwich. + +Einen Augenblick starrte der Mörder mit entgeistertem Blick auf das +leblose Weib, dann richtete er die Waffe gegen sich, und ein zweiter +Schuß setzte seinem Leben ein Ziel: er büßte im Tode die vielfache +Schuld, die ihm das Leben verleidet. + +Als man nach vier Tagen auf einem entlegenen Friedhof, weit draußen am +Themsestrand, die irdischen Reste des jungen Paares einscharrte, wußte +niemand, wem auf der weiten Welt es angehörte: niemand ahnte das Drama +seines Lebens und die Sünden, die ihm der Tod verzieh. + + + + + Druck von W. Hoppe, Borsdorf-Leipzig. + + + + +Transcriber's Notes: + +gesperrt ersetzt durch/replaced by _= ... =_ +antiqua ersetzt durch/replaced by __ ... __ +Inhaltsverzeichnis eingefügt/table of contents added. + + + + + + +End of Project Gutenberg's Aus einer kleinen Garnison, by Fritz Oswald Bilse + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44719 *** |
